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Full text of "Fortschritte der Medizin"

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in  2020  with  funding  from 
University  of  Illinois  Urbana-Champaign 


https://archive.org/details/fortschrittederm3319unse 


Fortschritte  der  Medizin 


Unter  Mitwirkung  hervorragender 

Fachmänner  herausgegeben  von 

L.  Brauer, 

Hamburg 

L.  von  Criegern,  L.  Eöinger, 

Hildesheim  Frankfurt  a.  M. 

L.  Hauser, 

Darmstadt 

G.  Köster,  C.  L.  Rehn, 

Leipzig  Frankfurt  a.  M. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden 

Schriftleitung:  Dr.  Rigler,  Darmstaöt 


1915/1916 

XXX III.  Jahrgang 


Berlin 

Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  N  VVr.  87. 


•  ,  1 . 


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Seite 


A. 

Adriagebiet  österr. -ungar.  Können  die 
Küsten  u.  Jnseln  desselben  unseren 
Kranken  einen  notwendigen  Ersatz  bie¬ 
ten,  für  die  Kurorte,  derital.  und  franz. 

Riviera? . 216 

A&orptionstherapie  chirurgisch  gynäkolo¬ 
gischer  Erkrankungen,  zur  Frage  der¬ 
selben  . 316 

Agglutinationsprobe  bei  Typhusgeimpften  18 

Alkohol  im  Felde  . .  23 

Alkohol  und  Heer  .  11 

— ,  und  Militärtauglichkeit  . 278 

— ,  bei  Tetanus  ?  287 

Alkoholismus  und  Epilepsie  über  die  here¬ 
ditären  Beziehungen  zwischen  denselben  277 

Altern,  Das . 247 

Amboceptor  und  Komplemententwick¬ 
lung,  Untersuchungen  über  den  Me¬ 
chanismus  derselben  . 328 

Anaphylaxie,  die  Bedeutung  derselben 

für  den  prakt.  Arzt  . 165 

Anatomie  deskriptive  des  Menschen,  At¬ 
las  derselben .  337 

Anfall  epileptischer,  der  Tod  infolge 

eines  solchen  .  39 

— ,  epileptischer,  der  Tod  infolge  des¬ 
selben  . 307 

Angina,  akute  und  meteorologische  Ein¬ 
flüsse,  besteht  ein  Zusammenhang  da¬ 
zwischen  ?  132 

— ,  pectoris,  die  Erklärung  des  plötz¬ 
lichen  Todes  bei  derselben .  76 

Anstaltsarzt,  leitender,  ungerechtfertigte 

Entlassung  eines  solchen  . 198 

Aortenton  diastolischer,  die  Bedeutung  der 

Akzentuation  desselben  . 133 

Aphasien  hysterische . 245 

Aphasie  und  Unfallfolge . 129 

Apyron,  die  rheumatischen  Erkrankun¬ 
gen  im  Kriege  und  ihre  Behandlung  mit 

demselben . 299 

Argyrose  des  Tränensacks . 177 

Arsen-Hämatose . 336 

Arthritis  deformans  als  Allgemeiner¬ 
krankung  . 137 

Arzneimittel,  die  neuesten  und  ihre  Do¬ 
sierung,  einschliesslich  Serum  und 

Organtherapie . 337 

Arzneimittel,  einige  neuere . 314 

— ,  die  Versorgung  der  Zivilbevölke¬ 
rung  damit . - .  78 

Asepsis  oder  Antisepsis .  51 


Atropin  bei  Eklampsia  infantum  .  .  .  208 

Aufgaben,  psychiatische  nach  dem  Kriege  334 
Ausgeblutete,  Beitrag  zur  Bekämpfung 
von  Kollapsen  bei  denselben  ....  167 

Ausfallerscheinungen  zur  Behandlung  der¬ 


selben  . 127 

Ausfallsymptome  umschriebene,  über  die 
Behandlung  derselben  bei  den  Schuss¬ 
verletzungen  des  Gehirns  . 209 

Azetonalsuppositorien  gegen  Hämorrhoiden  14 


B. 

Balneotherapie  im  Kindesalter  ....  281 

Bauchschussverletzung,  die  Behandlung 

derselben .  97 

Beinprothesen,  statische  und  mecha¬ 
nische  Verhältnisse  bei  denselben  .  .  316 

Bergoni6- Apparat.  Uber  die  Beeinflus¬ 
sung  von  Erkrankungen  des  Nerven¬ 
systems  durch  denselben .  74 

Bestrebungen,  therapeutische  in  der  Me¬ 
dizin  .  45 

Bevölkerungspolitik,  unsere  Aufgaben  in 

derselben . 295 

Bewusstseinsproblem .  298 

Bienenstichbehandlung  und  Rheumatis¬ 
mus  .  15 , 


Seite 


Biologische  Grundprinzipien  der  Medizin  287 
„Biozyme’%  Beiträge  zur  Hefetherapie 

mit  demselben  . 182 

Bindegewebe,  über  Stoffe  die  dasselbe  zum 

Wachstum  anregen  .  40 

Bindegewebswaclistum  über  Stoffe,  die 
dasselbe  zu  beeinflussen  vermögen  .  .  70 

Bindehautdeckung  im  Kriege,  der  Wert 

derselben . 97,  177 

Bissinger  Auerquelle .  15 

Blutentnahme,  diagnostische  und  intra¬ 
venöse  Injektion  beim  Säugling,  zur 

Technik  derselben  .  87 

Bolusal,  mit  Tierkohle .  15 

Bromural  als  Schlaf-  und  Beruhigungs¬ 
mittel  im  Gebirge  .  15 

— ,  die  Erfahrungen  damit,  in  der  Zahn¬ 
heilkunde  .  77 

Blutbild  im  allgemeinen  und  speziell  bei 
Infektionskrankheiten  . 296 


Blutdruck  arterieller,  über  den  Einfluss 
normaler  Seelen  Vorgänge  auf  denselben  237 
Blutinfektion,  die  Behandlung  derselben  76 
Blutkreislauf,  über  die  Beziehungen  der 
endokrinen  Drüsen  zu  demselben  .  .  295 

Blutkörper  weisse,  bei  Fleckfieber,  über  die 
Zahl  und  die  Formen  derselben  ...  48 

Buccosperin  in  der  Urologie  und  Gynä¬ 


kologie  . 336 

c. 

Calcaneus,  Kompressionsfraktur  als 
typische  Seekriegsverletzung  ....  164 

Carbovent  eine  neue  Tierkohle  ....  188 

Chemie  der  Zelle  . 148 

Chirurgie  und  Orthopädie,  Bericht  über 
Neuerscheinungen  auf  den  Gebiet  der 

selben  .  85,  146,  187 

Chirurgie  und  Orthopädie,  Berichte  über 
die  Neuerscheinungen  auf  dem  Gebiete 
derselben.  Hand,  , ,  Sauer bruchs“  will¬ 
kürlich  bewegliche  . 196 

Chirurgie,  Übersichtsreferate  ....  240 

Chirurgenvereinigung,mittelrheinische  169,  179 

Chlorophyll  u.  Clilorosan . 277 

Cholelithiasis,  die  Erfahrungen  über  die 

Behandlung  desselben . 166 

Cholerabekämpfung,  die  sicherste  Art 

derselben  .  50 

Choleval-Antigonorrhoikum,  einige  Er¬ 
fahrungen  mit  demselben . 238 

Cholezystitis  typhosa,  nekrotisierende  .  .  215 

Cinol  als  Läusemittel .  98 

Citobaryum  ein  neues  Röntgen-Kon¬ 
trastmittel  .  131 

Corpus  Striatum,  Beitrag  zur  Kenntnis  der 
Pathologie  desselben,  nebst  Bemer¬ 
kungen  über  die  extrapyramidalen  Be¬ 
wegungsstörungen  . 267 


D. 

Dämmerschlaf,  eine  neue  ungefährliche 


Form  desselben  unter  der  Geburt  .  .  269 

Dammschutz,  über  erfolgreiches  Vorge¬ 
hen  bei  demselben . 176 

Darmflora  des  Säuglings,  biologische  Un¬ 
tersuchungen  darüber . *  87 

Darmheilmittel,  ein  neues  und  billiges  .  30 

Darminvagination  im  Kindesalter  ...  49 

Das  liebe  „Ich” . 298 

Daumenersatz,  plastische  Operation  des¬ 
selben  .  ,  .  .  164 

Davos,  Beachtungen  über  operative  Be¬ 
handlung  der  Kehlopftuberkulose  da¬ 
selbst  . 246 

Demenz  katatonische,  zur  forensen  Be¬ 
urteilung  derselben  . 335 

Dermatitis  exfoliativa  neonatorum,  zur 


Frage  der  Übertragbarkeit  derselben  50,  87 


Seite 

Diabetes,  Behandlung  desselben  mit  Le- 

vurinose  . 112 

Diabetes  mellitus  die  Therapie  desselben  40 
Dickdarm,  die  Röntgen-Untersuchung 
desselben  im  Säuglings-  u.  späteren 

Kindesalter .  58 

Dienstfähigkeit  und  Rentenfrage,  bei  ner¬ 
venkranken  Soldaten . 177 

Digitalistherapie  die  kombinierte  ....  336 

Dihydromorphin  und  Dlacetyldihydro- 
morphin  (Paralaupin),  Morphinersatz- 
Präparate,  Erfahrungen  über  dieselben  356 
Diphtherie  und  ihre  Behandlung  ....  306 

Diphtherie,  Fortschritte  in  der  Patho¬ 
logie  und  Therapie  derselben . 233 

— ,  über  die  lokale  Behandlung  mit  Tri- 


bromss-Naphtol  .  49 

Diphtherietoxin,  Veiänderung  an  der  Hy¬ 
pophyse  dadurch  . 117 

Diphtherie-  und  Scharlachsterblichkeit 
über  den  Einfluss  der  Sommerferien 

auf  dieselbe  .  87 

Dipsomanie . 237 

— ,  Archiv  für  Psychiatrie  . 335 

Dispargen,  ein  neuers  Silberkolloid  .  .  50 

Dysphagie  und  ihre  Behandlung  bei  der 

Larynxtuberkulose  . 145 

Doppelfärbung  gute,  für  gewöhnliche 

und  saure  Kerne . 214 

Druckschwankungen  intraabdominale,  die 
künstliche  Erzeugung  derselben  als 

vielseitige  Heilfaktoren  . 214 

Drucksteigerung  im  Cerebro- Spinalkanal 

nach  Kopfverletzung  . 119 

Drüsen  periphere,  über  die  Palpation  der¬ 
selben  . 317 

E. 

Eigenbluttransfusion  bei  Extrauteringravi¬ 
dität  und  Uterusruptur . 134 

Eihaut  und  Plazentarreste  retinierte  die 

Therapie  derselben .  81 

Eisen-  u.  Arsentherapie  die  Indikation 

derselben  bei  Anämien  . 307 

Eisentherapie,  Beitrag  darüber  ....  6 

Eiweiss,  ein  einfacher  Apparat  zur  quan¬ 
titativen  Bestimmung  davon,  selbst  in 

den  kleinsten  Mengen .  75 

Eiweisskörper,  neuere  Arbeiten  über  die 
Chemie  und  Physiologie  derselben  .  .  200 

Eiweissmilch,  2y2  jährige  Erfahrung  dar¬ 
über  .  31 

— ,  und  ihre  Ersatzpräparate,  die  Erfah¬ 
rungen  darüber . 49,  87 

Eklampsiebehandlung  aktive  cd.  ab¬ 
wartende  .  197 

Elektrokardiographie  und  ihre  Bedeutung 
für  die  heutige  Diagnostik  der  Herz¬ 
krankheiten  . 133 

Elektrokollargolbehandlung . 297 

Elektromedizin,  die  technischen  Grund- 


Entlausungsverfahren,  bisherige  Unzuläng- 

zulänglichkeit  desselben  .  14 

Enuresis  und  Hypnose  im  Felde  .  .  177,  208 
Enzephaolyse  bei  traumatischer  Epilepsie 

und  Zephalalgie . 317 

Epilepsiebehandlung  eine  neue  Methode 
derselben .  71 


Epilepsie  in  der  ärztlichen  Praxis,  zur 
Diagnose  und  Behandlung  derselben  219 
Erbrechen  im  Kindesalter,  kritische  Stu¬ 
dien  über  das  mit  Azetonurie  einher¬ 
gehende  periodische  (cyclische,  recur- 
rierende)  nebst  dem  Versuch  einer 
ätiologischen  Erklärung  der  Krankheit  13 
Erkrankung  tuberkulöse  des  Kniegelenkes, 
Verschlimmerung  derselben  durch  einen 
Unfall.  (Verdrehung  des  betreffenden 
Knies) . 309 


/ 


4 


Register 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Seite 

Ernährung,  die  Physiologie  und  Hygiene 


derselben  . 248 

Ernährung  künstliche,  und  Ernährungs¬ 
therapie  beim  »Säugling,  neue  Methoden 

darüber  .  3 

Ernährungsstörungen  ex  correlatione  .  .  197 

Eventration  des  rechtsgelagerten  Magens 
und  Stauungsektasie  der  Speiseröhre, 

»Situs  viscerum  in  versus . 206 

Extraktstoffe  für  die  Ernährung,  die  Be¬ 
deutung  derselben  .  88 

F. 

Feld-  u.  Heimatlazarett,  die  physikalische 

Therapie  in  denselben  . 178 

Fersenbein,  Bericht  über  146  Fälle  von 

Brüchen  desselben . 133 

Fersenbeinbrüche  als  Seekriegsverlet¬ 
zungen  . 269 


Fettpolster,  die  Dicke  desselben  bei  ge¬ 
sunden  und  kranken  Kindern  ....  58 

Flecktyphus,  zur  Diagnose  desselben  .  .  206 

Fleischbeschau  bakteriologische,  zur  Frage 


der  Verpackung  der  behufs  Vornahme 
zur  Versendung  kommenden  Fleisch¬ 
waren  .  75 

Fremdkörper  in  den  unteren  Luftwegen 

und  ihre  Entfernung . 215 

Fremdkörpertelephon . 127 


Frühgeburten,  das  Wachstum  derselben 
in  den  ersten  Lebensmonaten  ....  58 

Funktionsprüfung  des  Kreislaufes  (spe¬ 
ziell  bei  Erschöpfungs-  und  Fieberzu¬ 


ständen  . 127 

Fuss-  und  Zehenverband . .  .  165 


G. 

Gallensäuren,  Untersuchungen  darüber  276 
Gasphlegmone,  zwei  Fälle  davon  ....  316 

Gaumenhochstand,  und  adenoide  Vege¬ 
tationen  . 354 

Geisteskrankheiten  und  Krieg .  30 

Geisteskranke,  Unfall  derselben  infolge 
mangelnder  Aufsicht  der  Kranken¬ 
schwester  .  106 

Geisteskrankheit  und  Invalidität  .  .  .  239 

Gelenkentzündung  deformierende  .  .  .  214 

Gelenkrheumatismus,  zur  Behandlung 

desselben  mit  Apyron . 140 

Gelenkschussverletzungen,  schwere  mit 
Dauerstauungen,  die  konservative  Be¬ 
handlung  derselben . 236 

Gesundheit,  zur  Philosophie  derselben  .  .  298 

Gicht,  die  Differenzialdiagnose  derselben  306 
Glauduitrin-Tonogen,  therapeutische  Er¬ 
fahrungen  damit  unter  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  bei  Asthma  bronchiale  168 
Glukosomethylpentosurie  Uber  eine 


neue  Art  von  Glukosurie . 276 

Glycerinersatz  bei  Obstipationszustän¬ 
den  . 336 

Glyzerinersatz  . 136 

Gonokokkenvakzine,  der  diagnostische 

Wert  derselben . 206 

Gonorrhoe,  die  Behandlung  derselben 

mit  Joddämpfen .  13 

Gonorrhoische  Infektion  der  oberen  Luft¬ 
wege  beim  Erwachsenen . 246 

Granugenol,  Erfahrungen  damit  .  .  .  356 

Granugenol  KnoII;  Holopan,  Hexophan  u. 


Hexophan-Natrium,  Fonabisit,  Trom- 
bosin,  Recvalysat,  Polygalisat  u.  Rhino- 

valin,  u.  Diquitalis  . 288 

— ,  zur  Verwendung  desselben.  Droserin 
Diator,  Baldrianol-Tabletten,  Foldran, 
neue  Organ präparate,  Cignolin  .  .  .  278 

„Granulierendes  Wundöl  Knoll.”  die  Er¬ 
fahrungen  bei  der  Wundbehand¬ 
lung  mit  einem  auf  das  Bindegewebe 
einwirkenden  Öles  mineralischen 

Ursprungs  .  69 

Gummizugverband  bei  großen  Hautwun¬ 
den,  über  die  Anwendung  eines  solchen  334 
Guttamyl,  Lenicet  Präparate,  Jod-Prot- 
hämin,  Trisalven,  Enterosan  ....  77 

Gynäkologie  u.  Geburtshilfe,  Grenzverschie- 
bungen  zwischen  operativer  u. 
nichtoperativer  Therapie  in  derselben  255 


Seite 

H. 

Hämatin  als  pathologischer  Bestandteil 

des  Blutes . 277 

Hämoglobinurie  paroxysmal,  Beobach¬ 
tungen  an  einem  Fall  davon . 125 

Handbuch  der  Unfallmedizin  mit  Berück¬ 
sichtigung  der  deutschen,  öster¬ 
reichischen,  schweizerischen,  franzö¬ 
sischen  Arbeiter,  der  Privat-  und  Un¬ 
fallversicherung  . 337 

Hand-  u.  Armersatz  der  Kriegsbeschä¬ 
digten,  die  Aufgaben  und  Wege  des¬ 
selben  . 

Hand  und  ihr  Ersatz  ..........  136 

— ,  künstliche  willkürlich  bewegbare,  zur 

Erzielung  derselben . 319 

Händedesinfektionsmethoden,  neue  ver¬ 
gleichende  Untersuchungen  über  die 

Wirkung  derselben . 

Harnblase  und  Harnröhre,  Kiiegserfahr- 
rungen  über  Verletzungen  derselben  297 
Harnorgane,  über  baktoriello  Eikran- 
kungen  derselben  im  »Säuglingsalter.  -19 
Hautlappenplastik  sekundäre,  zur  Technik 
derselben  bei  Kriegsamputierten  .  .  .  282 

Heilbarkeit  der  entzogenen  und  trauma¬ 
tischen  Meningitis . 11& 

Heilbehandlung,  falsche  durch  einen  Na¬ 
turheilkundigen.  Rechtsfolgen  der¬ 
selben  . .  90,  267 

Heil-  u.  Schutzimpfung  gegen  die  Tuber¬ 


kulose  bei  Meerschweinchen  und  Ka¬ 
ninchen  .  23 

Heilverfahren  physikalisch-diätetisches  .  287 

Heimstättengesetz  für  unsere  Krieger  .  .  57 

Hernien  der  linea  alba  im  Kriege  .  .  .  215 

Herz  und  Gefässkrankheiten,  zur  Prognose 
derselben  .  1 


Herzgeräusche  akzidentelle  bei  Kriegs¬ 
teilnehmern,  zur  Kenntnis  derselben  48 
Herzgrenzen,  neuer  Anhaltspunkt  zur  Be¬ 
stimmung  derselben,  weiterer  Beitrag 
zur  Herzschwäche,  ihre  Behandlung 
und.  ihre  Bedeutung  für  den  Herzschlag  37 
Herzkrankheiten  und  Herzstörungen  im 


Felde  .  76 

Herzmuskulatur,  ein  Infanteriegeschoß 

in  derselben . 316 

Herztätigkeit  und  Muskelarbeit  ....  286 

Herztätigkeit,  unregelmässige . 137 

Herzschädigungen  bei  Kriegsteilnehmern, 
zur  Kenntnis  derselben  ....  157,  175 

Herzschwäche  bei  Kriegsteilnehmern  .  .  175 

Herzstörungen,  zur  Beurteilung  und  zur 
Behandlung  derselben  bei  Kriegsteil¬ 
nehmern  . 286 

Hirnabszess  orbitogener . 216 

Hirnsyphilis  und  Psychose . 307 

Höhensonne,  natürliche  und  künstliche  308 
Höllenstein,  die  Wirkung  desselben  .  .  .  13r 

Hornerscher  Symptomenkomplex,  zur 


Hüftgelenktuberkulose,  über  die  Behand¬ 
lung  derselben  . 306 


Hungerempfindung  ........... 

Hyperthyoreoidismus,  einige  Fälle  da¬ 
von,  darunter  3  von  akutem  Basedow 
bei  Kriegsteilnehmern,  zur  Stütze  der 
neurogenen  Entstehung  dieser  Krank¬ 


heit  . 208 

Hypoplasie  der  Hoden  kongenitaler,  drei 
Fälle  davon . • . 109 

I. 

Ichthyosis  congenita,  kasuistischer  Bei¬ 
trag  zu  derselben .  31 

Impfung  von  »Schwangeren,  Wöchnerin¬ 
nen  und  Neugeborenen .  176 

Infektion  postoperative,  zur  Frage  der  Ver¬ 
hütung  derselben  .  .  .  . . 133 

Infektionskrankheiten,  die  unspezifische 


Inhalationstherapie . 216 

Innervation  periphere .  15 

Intensimeter  Fürstenau’s,  praktische 

Erfahrungen  mit  demselben .  87 

Irisreposition,  supraokulare . 177 

Irrtümer  bei  Geisteskrankheiten  ....  328 


Seite 


J- 

Jod,  intern  gereichtes,  zur  Wirkung  des¬ 
selben  auf  die  Hoden . 225 

Jodmetaferrin,  Jodostarin,  Jodothysin, 
Jodootopan  und  Jodtropan  ....  178 

Jonenlehre,  angewandte . 148 

Jothion,  Isatophan,  Isopral . 188 

•lugend,  die  militärische  Vorbereitung  der¬ 
selben  . 217 

K. 

Kachexie,  hypophysären  Ursprunges  .  .  244 

Kaiser-  u.  Kaiserin-Friedrich  Kranken¬ 
haus  in  Berlin,  der  Bestand  desselben 

zum  25.  Jahrestag .  98 

Kalziumkompretten,  ein  geeignetes  Calci- 
um-chloratum  Präparat  als  Antihydro- 

ticum  . 217 

Kampferabszesse .  87 

Kassenärzte,  zur  rechtlichen  Stellung  der¬ 
selben  . 137 

Kastrationskomplex .  290,  301 

Kehlkopfdiphtherie  und  ihre  Behandlung  25 
Keimdrüsen  beim  Menschen,  über  die 

Reemplantation  derselben . 244 

K  euchhustenbazillus,  (Boidet-Gengou’- 
schen  Bazillus)  die  Untersuchungen 

desselben .  87 

Keuchhustenbehandlung  . 156 

Knochen-  u.  Gelenktuberkulose  trauma¬ 
tische,  die  Prüfung  der  Zusammenhangs¬ 
frage  derselben .  64 

Kochbuch,  praktisches . 317 

Kohlensäure-Bäder  natürliche,  über  ple¬ 
thysmographische  Untersuchungen  der¬ 
selben  . 217 

Kohlensäureschnee,  die  Behandlung  da¬ 
mit  .  31 

Kokainpräparate,  die  Ursachen  des 
Schmerzes  nach  Lokalanästhesie  durch 

dieselben  . 102 

Ivollargolinjektion  in  kleinen  Dosen,  ei¬ 
nige  Beobachtungen  bei  derselben  .  .  217 

Konditorerkrankung,  ein  Fall  davon  .  .  295 

Kongress  Deutscher  für  innere  Medizin, 
Bericht  über  die  ausserordentliche 

Tagung  desselben . 272 

Kontrakturenbehandlung,  Beiträge  hierzu  215 

Kopfstreifschuss.  Motorisch-amnestische 
Aphasie.  Trepanation.  Heilung  .  .  .  228 

Körpertemperatur,  einseitige  Steigerung 

derselben  . 156 

Kosmetik . 138 

Kosmetik  ärztliche  der  Haut . 107 


Kotphlegmone  u.  Kotabszess  nach  Schuss¬ 
verletzungen  des  Bauches  durch  Schrap¬ 
nellfüllkugeln,  zwei  Fälle  daven  ...  24 

Krankheiten  der  Postbeamten  ....  337 

Krebs,  der . 349 

Krebsbehandlung,  neue  Wege  zu  derselben  289 
Krampfadern,  eine  neue  Auffassung  über 


die  Pathogenese  derselben . 306 

Krankheiten,  die  Kunst  dieselben  aus 
dem  Gesicht  zu  erkennen  und  zu 

heilen  . 107 

— ,  innere,  Differential-diagnostische 

Tabellen . 228 

Kriegsaphorismen  eines  Dermatologen  .  103 

— ,  eines  Dermathologen . 134 

Kriegsbeobachtungen  pathologische  und 

epidemiologische  . 207 

Kriegsgebrauch,  eine  Schiene  für  denselben  166 
Krieg  im  Aberglauben  und  im  Volks¬ 
glauben  . 238 

Kriegsneurologie,  bisherige  Ergebnisse 

derselben  . 312.  323 

Kriegsneurosen  . . 296 

— ,  und  Neuralgien,  besonders  Ischias 

Demonstration  davon .  24 

Kriegsseuchen,  Erfahrungen  über  die 

Behandlung  derselben . 334 

Kriegsorthopädie  in  der  Heimat»  ....  207 

Kriegspsychiatrische  Begutachtungen  .  58 

Kriegspsyclumeurosen,  die  Anamnese  der¬ 
selben  .  76 

— ,  sogenannte,  die  Anamnesie  derselben  102 
Krieg  und  Soldat  in  der  »Spruchweisheit  337 
Krieg  und  Verdauungskrankheiten  .  .  .  236 


Register 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


5 


Seite 

Kriegsverletzungen  des  Auges . 107 

— ,  und  Erkrankungen,  die  Balneotherapie 
als  Heilfaktor  bei  denselben . 258 

Kriegswochenhilfe .  58 

L. 

Labyrintherkrankungen  und  deren  Bezie¬ 
hung  zur  Meningitis,  experimentelle 
Untersuchungen  über  dieselben  .  .  .  237 

Lähmungen,  postdiphtherische,  sensible 


Störungen  bei  derselben . 197 

Läuseplage  und  ihre  Bekämpfung  .  .  .  103 

— ,  im  Kriegsgefangenenlager  in  Rei¬ 
chenberg,  .  94 

— ,  die  Volksbäder  und  die  Bekämp¬ 
fung  derselben  . 277 

— ,  ein  sehr  einfaches  aber  sehr  wirksames 
Verfahren  zur  Bekämpfung  derselben 

im  Felde .  175 

Läuse  und  deren  Vertilgung  im  Felde  14 

Lazarett-Laboratorien  und  praktische 
Arzte,  Untersuchungsmethoden  für 

dieselben . 137 

Lebensvorgänge,  erste,  die  Entstehung 

derselben  . 227 

Leberatrophie  bei  Syphilis,  gelbe  akute  38 

Levurinose  in  der  Frauenpraxis  ....  134 

Leibesübungen,  ihre  Anatomie,  Physiolo¬ 
gie  und  Hygiene,  sowie  erste  Hilfe  bei 

Unfällen .  32 

Levurinose,  zur  Anwendung  derselben 

bei  Hautkrankheiten  . 136 

Lieht,  Die  Wirkung  desselben  auf  die 
lebende  Substanz . «154 


Lichtbehandlung  schwerer  Phlegmonen  208 
Liebasleben  aller  Zeiten  und  Völker  .  .  .  288 

Lil'uor  cereprospinalis  bei  Syphilis,  über 

die  Infektiosität  dabei . 355 

Literatur  geburtshilfliche,  Sammelbericht 


aus  derselben . 113 

Lösung  mineralische,  der  Einfluss  auf 
das  Blutbild  und  die  Phagozytose  da¬ 
von  .  31 

Lungenarteriensklerose . 102 


Lungenerkrankungen,  Fortschritte  auf 
dem  Gebiete  derselben  142,  154.  161,  172,  184 
Lungenschüsse,  Beurteilung  und  Nach¬ 
behandlung  von  denselben . 307 

Lungentuberkulose  die  Behandlung  der¬ 
selben,  mit  intensivem  roten  Licht  .  .  68 

— ,  Blutuntersuchungen  bei  derselben  24 
— ,  die  operative  Behandlung  derselben  176 
Lungentuberkuloseformen,  die  Abgrenzung 
derselben  nach  klinischen,  haupt¬ 
sächlich  röntgenologischen  Zeichen  ..  258 
Lues  congenita,  die  Behandlung  derselben  139 


— ,  bei  Frühgeburten  .  58 

Lues  hereditäre  und  Wassermannsche 

Reaktion  derselben  .  98 

Lymphadenopathien,  zur  Kenntnis  der¬ 
selben,  des  kindlichen  Alters  und  ihre 
Behandlung . 287 

M. 

Magen,  Warum  verdaut  sich  derselbe 
nicht  selbst .  66 

Magendarmkrankheiten,  neue  Arbeiten 


aus  dem  Gebiete  derselben  ....  7,  262 

Magenuntersuchungsmethoden,  neue  .  .  334 

Magen-  u.  Darmkrankheiten  im  Krieg, 
von  militärärztlicher  Beurteilung  und 

Behandlung  derselben . 188 

Magenkranke,  Ratgeber  hierfür  ....  248 

Malum  Rustii  der  obersten  Halswirbel, 
zur  Diagnose  der  vortäuschenden  Er¬ 
krankungen  desselben  . 145 

Marienbader  Kuren,  die  Regelung  der 

Diät  durch  dieselben  .  58 

Mastdarmvorfall  der  Frau,  eine  neue  Ope¬ 
rationsmethode  davon  .  199 

Mastoidoperationen,  die  an  der  Göttinger 
Ohrenklinik  üblichen  Verfahren  der¬ 
selben.  Erweiterte  typische  Aufmeisse- 

lung . 216 

Maul-  u.  Klauenseuche,  der  Erreger  der¬ 
selben  . 107 

Mechanotherapie  bei  Verletzungen  der 
oberen  Extremität  . 308 


Seite 

Medico-mechanische  Einrichtungen,  leicht 


und  billig  herstellbare .  80 

Medikamente  bekannte,  neue  Beobach¬ 
tungen  und  Erfahrungen  mit  den¬ 
selben  . 211 

Medikamentöse  Therapie.  Antiaithryl  .  336 


Medikament©  wichtige,  neuere  Mittei¬ 
lungen  über  dieselben  . 232 

3Icdizin  gerichtliche,  mit  Einschluss  der  ge- 
gerichtlichen  Psychiatrie  und  der  ge¬ 
richtlichen  Beurteilung  von  Versiche- 

rungs-  und  Unfallsachen .  148 

Medizin-Geschichtliches  Hilfsbuch  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  Ent¬ 
deckungsgeschichte  und  der  Biographie  308 
— ,  innere  Sammelbericht  aus  derselben  229 
Meningitis  cerebrospinalis  epidemica,  ex¬ 
perimentelle  Untersuchungen  zur  Pa¬ 
thologie  und  Therapie  derselben  .  .  .  225 

Meningitis  epidemica,  Exanthem  und  Re¬ 


zidiv  hierzu .  164 

Menstruation  und  Psychose .  39 

Mesothoriumbehandlung,  Erfolge  der¬ 
selben  bei  100  Uteruskarzincmen  .  .  .  157 

Mctchnikoff  v.  Elias,  Nachruf . 298 

Metronom-Unterbrecher,  elektrische  Be¬ 
handlung  mit  demselben  und  lokale 
Diathermie  bei  Schussverletzungen  in 

der  ärztlichen  Praxis  . 258 

Milchzähne  die  ersten,  die  Durchbruchs¬ 
zeit  derselben .  322 

Minderjährige,  über  die  Geburt  derselben  176 

Mineralsalztherapie,  zur  Literatur  und 

Kasuistik  derselben .  198 

Mineralwassertherapie,  neue  Grundlagen 

derselben . 262 

Milzbrandsporen,  die  Abtötung  derselben 
an  Häuten  und  Fellen  durch  Natron¬ 
lauge  .  75 

Milzruptur  spontane  bei  Typhus  ...  97 

Mittel  ungeziefertötende,  vergleichende 

Versuche  darüber .  70 

Mittelohrentzündung,  die  Beziehung  der¬ 
selben  zu  den  Krankheiten  des  Säug¬ 
lingsalters  . 30,  76 


Moro-Dogan  off  sehe  Reaktion  über  eine 
neue  Tropfenpflasterreaktion  ....  23 

Morphium-Skopolamin  und  Trivalin,  resp. 


Trivalin  Hyoscin  bei  der  Behandlung 
schwerer  Erregungs-  und  Angstzustände, 

einige  Erfahrungen  damit  . 103 

Mundhöhle,  chron.  Infektion  im  Bereich 

derselben  und  der  Krieg . 254 

Muskelkraft,  Einfluss  der  vegetarischen 

Ernährung  auf  dieselbe . 277 

Myokardol  . 336 

N. 

Nabelschnurreste,  cirurgische  Versorgung 

derselben  . 296 

Nachbehandlung  von  Verwundeten  und 

Unfallverletzten,  Erfahrung  darüber  156 
Naphthalinentlausung  und  ihre  Methode  96 

Nasenrachenfibrome,  zur  Pathogenese  und 

Therapie  derselben .  13 

Naturphilosophie  moderne  . 168 

Neisser  Albert,  Nachruf  . 318 

Nerven,  die  stärksten  . 145 


Nervenstörungen  funktionelle,  bei  Kriegs¬ 
teilnehmern,  Bemerkungen  zur  trau¬ 
matischen  Neurose  derselben  ....  176 

Nerven  peripherische,  klinische  Beob¬ 
achtungen  an  Schussverletzungen  der¬ 


selben  . 265 

Nephritis  bei  Kriegsteilnehmern  .  .  .  249 
— ,  neuere,  zur  Klinik  derselben  .  .  .  184 


Neumann,  Lazarett-Gehilfe,  Gedanken 

und  Meinungen  desselben .  50 

Nieren,  die  Funktionsprüfung  derselben 
mit  körperlichen  Substanzen  .  .  .  244 

Nierenkranke,  Beiträge  zur  Behandlung 

derselben . 196 

Ninhydrinreaktion,  Untersuchung  tuber- 
kulösmeningitischer  Punktionsflüssig¬ 
keiten  mit  Hilfe  derselben .  49 

Noventerol,  ein  neues  Darmadstringens  .  32 

o. 

Oberarmfrakturen,  der  Gipsverband  bei 


Seite 


denselben . 215 

Ohrtrompete,  die  Massage  derselben  .  .  246 

Operationszwang  zur  Erlangung  der  Mili¬ 
tärtauglichkeit  . 305 

Optochin  ( Aet kylhydrocu proin) spezifische 
Pneumoniebehandlung  mit  demselben  76 

— ,  100  Fälle  von  Pneumonie  mit  dem¬ 
selben  behandelt . 286 

— ,  Pellidol,  Kalzan,  Hepin  und  Dio- 


Optochin  bei  Pneumonie . 356 

Organentwicklung  und  Arbeitsleistung  78 

Ösophaguskarzinom,  Frühsymptome  des¬ 
selben  .  97 

Osteomyelitis  und  Unfall .  91 


P 

Pansinuitus  gangraenosa,  ein  Fall  davon  216 
Pappataci  oder  Plilebstomfieber  ....  132 


Paratyphus  A  im  Felde . 214 

Paralyse  progressive,  über  den  Wert  der 
neueren  Behandlungsarten  derselben  .  297 

Patellarreflexe  bei  der  traumatischen 

Neurose . 134 

Pepsinverdauung  und  Acidität  im  Säug¬ 
lingsalter  .  98 

Peritonitistherapie,  Beitrag  hierzu  .  .  207 

Phlegmonen  maligne,  Erfahrungen  bei 
denselben . 215 


Pilzei  weisse,  Differenzierung  verschie¬ 
dener  mit  Hilfe  von  Immunitätsreakti¬ 
onen  und  Tierversuchen . 117 

Plasmazellen  die  Herkunft  derselben  .  156 

Plazenta,  zur  manuellen  Lösung  derselben  133 
Pneumokokkeninfektionen  bei  tuberku-  ku 
lösen  Lungenkranken  durch  Optochin, 


die  Kupierung  davon  . 217 

Postdiphtheritische  Lähmungen,  sensible 

Störungen  bei  denselben  . 176 

Prostatitis  metastatische . 246 

Prostitution,  ist  es  wirklich  ganz  unmöglich 
dieselbe  gesundheitlich  unschädlich  zu 

machen  ? . 318 

Providoform  bei  Diphtheriebazillenträgern  188 
Prozessneurose  und  Unfallhaftung  ...  89 

Pseudotetanus . 317 

Psychotherapie .  12 

Psychosen  nach  Erysipel  . 335 

Puerperalfieber  die  Behandlung  desselben  255 
Puls,  die  Beeinflussung  desselben,  durch 

die  Atmung . 306 

Pupillenstarre  alkohologene, reflektorische  335 
Pyramidon-Bäder-Therapie,  kombinierte  236 
Pyelocystitis  der  Säuglinge,  über  denWeg 
der  Infektion  bei  derselben  ....  198 


Q. 

Quarzlampe,  künstliche  Höhensonne,  An¬ 
leitung  u.  Indikationen  für  Bestrah¬ 
lung  mit  derselben . 297 

R. 

Rassenhygiene  und  Krieg . 308 

Rachitis,  zur  Therapie  derselben  .  .  188,  198 

Rectusruptur  rechtsseitige,  traumatische  167 
Rhodalcid  und  seine  Anwendung  ....  67 

■ — -,  Untersuchungen  über  die  Beeinflus¬ 
sung  des  erhöhten  Blutdrucks  bei  Arte- 
riosklerotikern  durch  dasselbe  ....  31 

Roinauxan,  ein  eisenhaltiges  Nähr-  und 

Kräftigungsmittel  .  157 

Röntgenaufnahme  u.  Röntgendurchleuch¬ 
tung,  Kompendium  derselben  .  .  .  297 

Röntgendiagnostik  gesamte,  Grundriss 
selben  bei  inneren  Krankheiten  .  .  247 

Röntgen-Taschenbuch  .  90 

Röntgentherapieröhren,  die  Kühlung  der¬ 
selben  mit  siedendem  Wasser  ....  57 

Röntgentherapie  der  Lungentuberkulose  259 


Röntgentiefentherapie  . 322 

Rousseau  als  Kinderarzt . 242 

Roseola  typhosa . 279 

Ruhr,  zur  Diätetik  derselben . 245 

Rückbildungsalter  u.  Senium,  die  Krank¬ 
heiten  desselben . 33,41 

Rückenmark,  experimentelle  u.  patho¬ 
logisch-anatomische  Untersuchungen 


über  die  Kompression  desselben  .  .  226 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Register 


6 


Riickfallfieber .  24 

— .  Baitrag  zur  Differentialdiagnose  des¬ 
selben  .  96 

— ,  die  Beobachtungen  darüber  ...  85 

— .  die  Mitbeteiligung  der  Nieren  bei  dem¬ 
selben  .  12 

s. 

Such  Verständigkeit,  psychiatrische  und 
nervenärztiiche  im  Kriege . 316 


Salizylbehandlung,  über  den  Versuch  der 
beschleunigten  Herbeiführung  der  Kri¬ 
sis  bei  Pneumonie  mittels  derselben  .  270 

Salvarsannatriiun  und  die  kombinierte 


Quecksilbersalvarsanbehandlung  .  .  78 

Salvarsan  -  Therapie  endolumbale  ,  bei 
syphilitischen  Erkrankungen  des  Zen¬ 
tralnervensystems  . 237 

Salvarsan  u.  Tabes  dorsalis . 105 

Sapo  viridis,  ein  Beispiel  zur  Wirkung  des¬ 
selben  . 213 

Sauerstofforte  und  Reduktionsorte  .  .  158 

Säuglingsalter  die,  Hypertonien  in  dem¬ 
selben  .  97 

Säuglingsmagen,  die  Acidität  desselben  58 
Säuglingssterblichkeit  in  den  Städten  der 

Schweiz  .  58 

— ,  und  Wohlstand  . 177 

Scopolainin-Morphium  bei  der  Behand¬ 
lung  akuter  Erregungszustände  Geistes¬ 
kranker  . 101 

Seekrankheit,  eine  akute  Stoffwechsel¬ 
störung,  und  ihre  Verhütung  ....  266 

Seelensitz . 103 

Sehnennaht,  sekundäre  und  Sehnenplas¬ 
tik  bei  Sehussverletzungen  der  Hand  12 
Sehzentrenen  beide,  Transversalschuss 

durch  dieselben  . 306 

Seidenbau  in  Deutschland . 127 

Silber  kolloidales  .  59 

— ,  die  therapeuthische  Verwendung  des¬ 
selben  .  96 

Sklerodermie  und  Unfall .  17 


Solarson,  ein  wasserlösliches  Arsenprä¬ 
parat  aus  der  Elarsongruppe  ....  188 

Soldaten  geschlechtskranke,  über  die  Be¬ 
handlung  derselben  in  den  Reserve¬ 
lazaretten  und  über  die  spätere  Fürsorge 


für  dieselben . 329 

Sonntagsruhe  und  soziale  Hygiene  ...  30 

Spannungsfuss,  atavistischer  als  Ursache 
von  Fussbeschwerden  und  Felddienst¬ 
untüchtigkeit  . 176 

Spasmus  nutans,  dieErklärung  derEntste- 
hungsweise  beim  Kinde  mit  Hilfe  des 

Bedingungsreflexes .  58 

Spindelzellsarkom,  generalisiertes  der 

Lymphdrüsen  . 165 

Suggestion.  Beeinträchtigt  die  Sug¬ 
gestion  die  Freiheit  des  Urteils  und  des 

Willens . 335 

Syphilis  angeborene,  zur  Therapie  der¬ 
selben  . 134 

Syphilisbehandlung  zur  Kriegszeit,  und 
was  soll  nach  Friedensschluss  geschehen, 
die  Zivilbevölkerung  vor  der  Infektion 
durch  venerisch  krank  Heimkehrende  zu 

schützen . 355 

Syphilis  und  Arsenpräparate .  70 

— ,  hereditaria  praecox  et  tarda  ....  58 

— ,  die  Abortivbehandlung  derselben  beim 
Militär .  13 


Syringomyelie  —  chirurgische  Erkran¬ 
kungen,  insbesondere  das  Mal  perforant 
und  die  Knochen-  und  Gelenkaffektio¬ 
nen  als  Frühsymptome  derselben  .  .  245 

St. 

Standesehre  ärztliche,  zum  Kapitel  der¬ 


selben  . 137 

Stoffwechselfermente . 158 


Störungen  geistige,  Beitrag  zur  Kenntnis 
des  Einflusses  kriegerischer  Ereignisse 
auf  die  Entstehung  derselben  in  der 
Zivilbevölkerung  und  zu  der  psy¬ 
chischen  Infektion . 103 

Störungen  nervöse,  ein  neues  Verfahren 
zur  objektiven  Feststellung  derselben 

und  ihre  Beseitigung . 187 

Strahlen  ultraviolette,  Erweiterung  des 

Anwendungsgebietes  derselben  .  .  .  216 


Strophantine,  die  Kumulation  derselben 
bei  den  akuten  und  chronischen  Ver¬ 
giftungen  . 105 

Stühle  blutige,  ein  Mittel  zur  Bn  kämpf ung 
derselben . 354 

Sch. 

Schädelfistel  und  Gehirnabszess  nach 

Schussverletzungen  . 215 

Schädelschüsse,  zur  Frage  derselben  .  .  167 

Scharlach  zur  Ätiologie  desselben  ...  31 

- — •,  Fortschritte  in  der  Erforschung  des¬ 
selben  .  150 

— -  und  Wundscharlach,  kasuistischer 

Beitrag  zur  Aetiologie  desselben  ...  98 

Schienenverbände,  Anleitung  zur  Anfer¬ 
tigung  derselben . 158 

Schlaf,  der  Wille  zu  demselben . 188 

Schmierseifebehandlung .  84 

Schreckneurose,  deren  Heilbarkeit  nach 

Abfindung  .  49 

Schussfraktur,  die  abschliessende  Segues- 
trotomie  nach  demselben . 207 


Schussverletzung  schwere,  aus  der  Kiefer¬ 
station  von  Geh.  Rat.  Prof.  Dr.  War- 
nekros,  die  Behandlung  derselben  .  .  149 

Schutzringe  imprägnierte  gegen  Unge¬ 
ziefer,  ein  neues  Mittel  und  Verfahren 
zur  Bekämpfung  der  Läuseplage  .  .  68 

Schwangerschaft,  über  die  Zeitdauer  der¬ 
selben  und  deren  Schwankungen  .  .  255 

Scliweiss-  u.  Talgsekretion,  Storungen  der¬ 
selben  und  ihre  Behandlung  ....  276 

T. 

Tabes  u.  Paralyse,  neue  Forschungser¬ 
gebnisse  über  die  Entstehung  derselben  236 
Tagung  ausserordentliche,  Bericht  über 
den  deutschen  Kongress  für  innere  Me¬ 
dizin  . 283 

Tarsorrhaphie  . 216 

Taschenkalender  für  Ärzte . 337 

Telephonunfälle,  die  nervösen  Störungen 

nach  denselben . 307 

Therapie  medikamentöse,  neues  auf  dem 

Gebiete  derselben .  27,  128,  135 

Tetanus,  zur  Frage  der  prophylaktischen 

Impfung  dagegen .  48 

Tiefenbestrahlung  maligner  Tumoren, 

über  Blutveränderungen  bei  derselben  208 

Tierblutkohle,  ihre  Verwendung  bei  Ty¬ 
phus  abdominalis  und  Paratyphus  .  .  38 

Tierkohle,  Behandlung  der  Cholera  da¬ 
mit  .  12 

— ,  die  Behandlung  von  Typhusbazillen¬ 
trägern  mit  derselben . 316 

Togal,  über  die  Anwendung  desselben  bei 
Rheumatismus,  Gicht  und  Erkältungs¬ 
krankheiten  . 193 

Tonvibrator . 337 

Traumatische  Entstehung  innerer  Krank¬ 
heiten  . 337 

Trinkwassersterilisation  mit  Chlorkalk 

im  Felde .  70 

Tropfklistiere,  zur  Methodik  derselben  .  334 

Trypanosomenkrankheiten,  über  die  sero¬ 
logischen  Untersuchungsmethode  als 
Hilfsmittel  zum  Nachweis  derselben,  im 
besondern  der  Beschälseuche  ....  75 

Typhlitis  u.  Perityphlitis  echte  in  der 
Schwangerschaft,  Erwägungen  über 
den  Beitrag  zur  Erkennung  desselben  72 
Typhusbazillen,  über  den  Befund  der¬ 
selben,  im  Blute  von  Kaninchen  nach 
Verimpfung  in  die  Gallenblase  ...  69 


Typhus  fieberloser  .  48 

Typhusschutzimpfungen,  Beobachtungen 

dabei  .  48 

— ,  die  Unschädlichkeiten  derselben  .  .  48 


Typhus  u.  Choleraschutzimpfung,  die 

praktische  Bedeutung  derselben  .  .  245 

Tuberkulinbehandlung  im  Kindesalter  .  .  87 

Tuberkulinprobe  (Moro),  perkutaner  diag¬ 
nostischer  Wert  desselben .  97 

Tuberkelbazillen,  zur  Frage  der  Mobili- 
siei’ung  derselben  durch  Tuberkulin  .  245 

Tuberkulosenantikörper  und  Tuberku- 
loseniiberempfindlichkeit,  Untersuch¬ 


ungen  darüber . 126 

Tuberkulosenbekämpfung . 106 


Tuberkulöse,  Grundsätze  derselben,  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Kriegs¬ 
zeit . 257 

Tuberkulöser  Mann,  zwei  Unfälle  eines  sol¬ 


chen,  wovon  der  zweite  mit  dem  Tode 
in  Zusammenhang  gebracht  wird  .  .  74 

Tuberkulosepartialantige  Deycke-Much- 
schen’sche,  erste  Erfahrungen  da¬ 
mit  im  Hochgebirge .  126 

Tuberkulose,  planmässige  Bekämpfung 
derselben  in  einer  stark  verseuchten 

Landgemeinde  . .  .  258 

Tuberkulose,  zur  Behandlung  der  Misch¬ 
infektion  .  11 

u. 

Ultrafiltrate,  eine  neue  Arzneiform  .  .  356 

Ultra-Polysol-Lichtbad . 318 

Unfallneurose,  die  Prognose  darüber  .  .  53 

Unterschenkelgeschwüre,  zur  Therapie  und 
Pathologie  derselben.  Dymal  in  der 

_  Kriegschirurgie  . 216 

Übungslehre,  turnerische  .  98 


V. 

Vademecum  und  die  Verwendung  der 
Röntgenstrahlen  und  des  Distraktions¬ 
klammerverfahrens  im  Kriege  ....  297 

Vakzinetherapie,  ihre  Theorie  und  prak¬ 
tische  Anwendung  .  69 

— ,  und  Vakzinediagnostik .  69 

Verdauungskrankheiten,  Einflüsse  des 

Krieges  auf  dieselben . 214 

— ,  und  Krieg . 245 

Veronacetin,  ein  Schlafmittel  und  Seda¬ 
tivum,  neuere  Mitteilungen  darüber  .  .  13 

Versicherungspraxis,  ärztliches  Kompen¬ 
dium  derselben  . 308 

Verweigerung  des  Zeugnisses  und  des  Gut¬ 
achtens,  vom  Rechte  des  Arztes  dazu  .  159 

Vial’s  tonischer  Wein .  21 

Volksküche .  70 

Vula-Karzinoms,  Heilung  eines  solchen 
mit  dem  Zellerschen  Verfahren  ....  157 

w. 

Wassermannsche  Reaktion,  für  die  Er¬ 
kennung  der  syphilitischen  Ansteckung 


in  den  breiteren  Volksschichten  ...  48 

Weichteilwunden  infizierte,  deren  Behand¬ 
lung  .  12 

Weissbrot  oder  Vollkornbrot . 257 

Welt,  sinnliche  und  übersinnliche  .  .  .  158 

Weitkrieg,  die  Geburtenabnahme  durch 

denselben . 202 

Wie  ernähre  ich  mich  gut  und  billig?  .  .  248 

Wirbeltuberkulose  und  Frühdiagnose 

einige  therapeutische  Bemerkungen  .  .  57 

Wundbehandlung,  offene .  99 

Wunddesinfektionsmittel  „Scobitost“  .  -.  125 

Wunden  eiternde,  über  offene  und  kli¬ 
matische  Behandlung  derselben  .  .  133 

Wundöl-Knoll  . 238 

— ,  granulierendes,  ein  neues  Wundheil¬ 
mittel  .  89 

— .  granulierendes  und  Pyrenol  ....  106 

— ,  ein  neues  auf  das  Bindegewebe  ein¬ 
wirkendes  Mineralöl .  32 

z. 

Zahnelend,  heutiges,  der  einzige  Weg  zu 

seiner  Überwindung .  23 

Zentralinstitut,  wissenschaftliches,  Vor¬ 
schlag  zur  Begründung  eines  solchen  für 

kulinarische  Technologie . 257 

Zentralnervensystem,  Beiträge  zu  den 
posttyphösen  Erkrankungen  desselben  227 
Zucker  als  antiseptisches  und  Wundheil  - 

mittei .  56 

Zuckerinfusionen  bei  Cholera .  166 

Zuckerkranke,  die  Grundzüge  für  die  Er¬ 
nährung  desselben,  nebst  praktischen 
Anweisungen  für  die  Diabetesküche  .  60 

Zwergwuchs  und  Idiotie,  ein  Fall  davon 
nebst  Bemerkungen  über  die  Klassi¬ 
fikation  der  Zwerge . 355 

Zwillingsschwangerschaft,  zur  Pathologie 
derselben . 125 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


7 


Register. 


Autoren  *  Register. 


Adler  206. 

Albu  58,  60. 

Allen  69. 

Alter  328. 

Anders  318. 

Arnold  208. 

Arson  88. 

Auller  u.  Mosse  215. 
Axhausen  214. 

Bach  276,  297. 

Bachen  32. 

Bacmeister  217. 
Baginsky  98,287. 
Baisch  157. 

Bakabau  216. 

Batkin  58. 

Baum  58. 

Baumgarten  165. 
Bauer  15 
Bela  Purjesk  168. 
Bending  38. 

Benthin  81. 

Bernhard  87. 

Bessau  197. 

Beyer  129. 

Blumenthal  356. 
Bieling  12. 

Boas  116,  336. 
Bockhorn  1. 

Boehneke  u.  Koch  117. 
Boehnheim  109,  140. 
Bohlmann  68. 

Bonnet  136. 

Bornstein  226. 

Bossert  31. 

Brauer  14. 

Braun  139. 

Bremer  248. 

Bromberg  238. 
Buehner  148. 

Bucki  57. 

Bukowsky  und  Fi- 
ala  70. 

Burk  12. 

Bürgi  277. 

Blühdorn  87. 

BUimel  142,  154,  161, 
172,  184. 

Blumenau  23. 

Cathomas  248. 

Ciyet  96. 

CVmach  228. 

Chlumsky  102. 

Coerper  317. 

Collatz  272,  283. 

Como  38. 

Conner  und  Downes 
97. 

Cords  177. 

Coros  97. 

Criegern  249. 

Cuno  25. 

Curschmann  14. 

Czerny  308. 

Dalmady,  v.  334. 
Denker  117. 

Derganz  207. 

Dessauer — W  iesner 
297. 

Dietrich  288. 

Dietz  106,  258. 


Disque  258. 

Dosquet  133. 

Dreuw  103. 

Dünner  u.  Eisner  286. 
Dutoit  58. 

Ebel  216. 

Ehret  48,  157,  175. 
Eichwald  200. 
Eisenmenger  214,  287. 
Eisenstadt  58,  337. 
Ekstein  72,  94,  322. 
Elis  Esten-Moile  197. 
Ellermann  255. 
Eisehnig  133,  167,  177, 
216. 

Enge  101,  219. 

Engel  296. 

Engelhorn  127. 

Erfurth  133. 

Erhard  50. 

Erlacher  215. 

Eunicke  240. 

Fassbender  188,  297. 
Fellmer  117. 

Fejes  245. 
Fischer-Defoy  349. 
Fiedler  106. 

Filenski  75. 

Flatau  u.  Handelsmann 
225. 

Fleiner  206. 

Flesch  227 
Fraenkel  279. 

Franke  169,  179. 
Frankenberger  132. 
Frankenstein  113. 
Franz  132. 

Franz  u.  Kühner  176. 
Friedemann  165. 
Friderici  237,  335. 
Friedländer  103. 
Friihwald  &  Zaloziecki 
355 

Fuhrmann  255. 

Galewsky  329. 

Gellhaus  217. 
Gennerich  236. 
Gerhartz  68,  258. 
Ginsburg  182. 
Glanzmann  49,  87. 
Glax  216,  258. 

Gocht  158. 

Goldstein  209. 

Goliner  308. 

Grabley  198. 

Graul  40. 

Greif  145. 

Griesbach  248. 

Grimm  3. 

Groak  12. 

Grosskopf  127. 
Gramme  225. 

Hackenbrach — Berger 
297. 

Hailer  75. 

Hans  282. 

Harnack  148. 

Hartleib  306. 
Hasebroeck  175,  176, 
306,  337. 


Haupt  23. 

Hebold  39,  307. 

Heller  316. 

Hel  ly  206. 

Helwig  31. 

Hering  76. 

Hess  58,  76. 

Heveroeh  134. 

Hiller  238. 

Hillerbrand  89. 

Hilger  335. 

Hindhede  317. 

Hirsch  317. 

Hirschfeld  31,  196,  307 
Hnatek  145. 
Hochammer  164. 
Hoffmann  78,  107.  286. 
308. 

Hohmann,  F.  Lange  u. 

Schede  207. 

Holste  336. 
Holzknecht  u.  Wach¬ 
tel  127. 

Horn  49,  53,  312,  323. 
Hornstein  98. 

Hubert  48. 

Hudovering  297. 

Huet  198. 

Hug  216. 

Hüssg  296. 

Irk  24. 

Issel  259. 

Jakobsen  und  Mayer 
87. 

Janssen  57,  207. 

Jarno  12. 

Jessen  76,  176. 

Jolly  39,  177,  296. 
Jüngerichs  112. 

Kafka  49. 

Kappeser  84,  213. 
Karbowsky  237. 
Kätscher  L.  50. 
Kaufmann  7,  45,  262, 
337. 

Kaufmann-Wolf  50,  87. 
Kehrer  306. 

Keifer  15. 

Kirschberg  307. 
Kirschenberger  167. 
Klehmet  17'7. 

Klein  105. 

Klemperer  188. 

Klose  97. 

Knauer  237. 

Knudsen  98. 

Koch  87. 

Körte  297. 

Kolb  32,  57,  69. 
Kornfeld  238. 

Kowitz  49. 

Kraus  17,  239,  309. 
Kroenig  255. 

Krombach  51. 
Kromeyer  107. 

Krone  281. 

Kroneberg  98. 

Kronfeld  337. 

Kronthal  103. 
Krumbhaar  u.  Musser 
97. 


Külbs  78. 

Kunert  23,  257. 
Küster  133. 

Küster  u.  Günzler  70. 

Lange  u.  Roos  69. 
Laguer  30,  48,  308. 
Laudenheimer  76,  102. 
Ledderhose  137. 
Lehmann  214. 

Lenz  96. 

Leppmann  316. 
Lesclike  49,  334. 

Levy  85. 

Le wando wski  217. 
Lewis  137. 

Libensky  133. 
Lichtenstein  134. 
Lichtwitz  322. 

Lieske  159,  305. 

Lipp  137. 

Löffler  184. 

Löwy  74. 

Lubowski  299,  354. 

Magnus  164,  269. 
Maixner  102. 

Manlin,  J.  356. 
Marquardt  316. 
Matthes  48. 

Mayer  335. 

Merian  295. 

Meyer  48,  78,  87,  97, 
103,  176,  217,  245. 
Mink  246. 

Möhring  167. 

Molineus  64. 

Möllers  u.  Oehler  245. 
Morgenstern  164. 
Moszkowski  354. 
Mühlhaus  85,  146,  187, 
196,  334. 

Müller  13,  32,  79,  126, 
134,  247,  286,  328. 
Münch  71. 

Munk  247. 

Nadel  208. 

Naegeli  237. 

Neisser  318. 
Neumeister  245. 
Nierstrass  296. 

Niessl  v.  Mayendorf 
33,  41. 

Novotny  31. 
Nowakowski  167. 

Odstreil  13. 

Offermann  75. 
Ollendorff  193. 
Oppenheimer  158,316. 
Orth  167,  215. 

Ostwald  168. 

Oswald  295. 

Otto  27,  67,  128,  135, 
211,  232,  314. 

Pearson  &  G.A.  Jaeder- 
holm  354. 

Pässler  254. 

Pelz  245,  296. 
Peperhove  217. 

Peteri  58. 

Pflugradt  319. 


Philippson  289. 

Plate  u.  Dethleffsen 
178. 

Plönies  37. 

Poulsen  31. 

Pribram  125. 

Pudor  202,  242. 

Quantner  288. 

Raeke  335. 

Ratner  30,  56,  66, 

125,  145. 

Rascher  208. 

Rausch  157. 

Reiche  58. 

Reichmann  265. 

Reiss  48,  356. 

Reiss  u.  Weihe  98. 
Resch  30. 

Riedel  74. 

Rieger  91. 

Rigler  131. 
Rinderspacher  119. 
Ritsehl  80. 
Rosenbaum,  N.  356. 
Röhmheld  188. 
Rosenfeld  277. 

Rost  40. 

Roth  77,  306. 
Rothacker  208. 
Rubner  70. 

Rüedi  246. 

Rumpf  156,  215, 

Sadger  290,  301. 

Salus  176. 

Sandeck  138. 

Saneway  97. 

Sauer  177,  208. 

Seelig  14. 

Sehrt  236. 

Seubert  278. 

Shramlik  177. 
Simmonds  244. 

Sippel  199. 

Sobotta  337. 

Sommer  90. 

Specht  176. 

Spiegel  306. 

Stauf  fache  r  107. 
Steckei  188,  298. 
Steiner  215,  216. 
Steinert  u.  Flusser  98. 
Stern berg  257. 

Stern  337. 

Stertz  227. 

Stöcker  244. 

Stoll  316. 

Stoller  306. 

Strassner  206. 

Strauss  150,  166,  214, 
221,  233,  236,  245, 
334. 

Stuhlik  277. 

Schanz  354. 

Scheer,  van  der  355. 
Scheer  u.  Sturmann 
267. 

Scheffen  157. 

Scherer  u.  Kutvirt  30, 
76. 

Schilling  307. 


Schlemmer  328. 
Schleissner  31. 
Schlesinger  76. 

Schloss  188.  198, 
Schmincke  6. 
Schneider  262. 

Schön  wald  11. 
Schopper  149. 
Schröder  257. 
Schwermann  24. 
Schwerdt  266. 

Schulz  298. 

Schultze  165. 

Schümm  277. 

Schütz  127. 

Schütze  270. 

v.  Tappeiner  215. 
Tereskin  287. 

Tesdarp  298. 

The  Svedberg  158. 
Thomayer  133. 

Tobler  8'7. 

Topp  21. 

Trappe  175. 

Trebing  15,  134. 
Treupel  244. 

Turner,  von  Münzer 
188. 

Uffenorde  216. 
Ungermann  126. 

Unna  103,  134,  136, 
148,  156,  158,  214. 

Vas  58. 

Vierordt  308. 

Villinger  15. 

Vitek  105. 

Vogt  59,  87,  96. 
Vörner  136. 

Wagner  12. 

Walter  24,  125,  133, 
307. 

Weber  187. 

Weichardt  76. 
Weichbrodt  335. 
Weichert  85. 

Weiss  75. 

Welzel  156. 

Werner  70. 

Wesenberg  70. 

Wette  99. 

Weygandt  58,  334. 
Wieland  u.  Sorge  276. 
Wilde  237,  297. 
Wildholz  246. 

Winter  295. 

Wirgler  50. 
Wiszwianski  24. 

Witzei  315,  317. 
Wohlgemuth  216. 

Wolf  48,  297. 

Wollin  49. 

Wolter  229. 
Wartmann,  Hacksadt 
u.  Quirin  236. 

Wund  158. 

Zade  13. 

Zange  246. 

Zeissl,  von  355. 
Ziersch  48. 

Zlataroff  276. 

Zoltan  176. 

Zoltan  Barabas  197. 


33  Jahrgang 


1915/16. 


Tortscbrim  der  Medizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Ittitwirkung  hervorragender  Tadimänner 


herausgegeben  von 


L.  von  Criegern,  L.  Edinger, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 

Verantwortliche  S  c  h  r  i  f  1 1  e  i  t  u  n  g  : 


L.  Hauser, 

Darmstadt 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 

Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  1 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


10.  Oktober 


An  unsere  Leser. 

Noch  werden  wir  alle  mehr  oder  weniger  durch  die  Aufgaben,  die  der  grosse  Krieg  uns  stellt,  in  An¬ 
spruch  genommen,  und  neben  dem  einen  speziellen  Zweig  der  Kriegsmedizin  haben  die  anderen  Gebiete  unserer  Wissen¬ 
schaft  zurücktreten  müssen.  Aber,  hoffentlich  wird  bald  der  siegreiche  Frieden  kommen  und  mit  ihm  neue 
grosse  Aufgaben  für  unsere  Wissenschaft  und  für  die  ärztliche  Praxis. 

Die  Aufgabe  unserer  „Fortschritte  der  Medizin“  wird  es  sein,  ebenso  wie  früher  möglichst  aus  allen 
Sondergebieten  das  für  den  praktischen  Arzt  Wichtige  herauszuholen  und  ihn  über  alle  Zweige 
unserer  Wissenschaft  durch  Originalarbeiten,  Sammelberichte  und  Referate  zu  orientieren.  Zu  diesem  Zweck 
wird  die  Zeitschrift  „Fortschritte  der  Medizin“  nach  Beendigung  des  Krieges  in  erweiterter  Form  er¬ 
scheinen,  und  schon  jetzt  bringen  wir  unsern  Lesern  die  alte  Zeitschrift  im  neuen  Gewand.  Wir  hoffen,  dass 
sie  auch  in  dieser  Form  bei  unsern  alten  Freunden  gern  gesehen  wird,  und  dass  unser  Bestreben  —  dem  Praktiker 
möglichst  viel  zu  bieten  —  ihr  noch  neue  Leser  reichlich  zuführt. 

Darmstadt  und  Berlin,  1.  Oktober  1915.  Redaktion  und  Verlag 

der  „Fortschritte  der  Medizin“. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Zur  Prognose  der  Herz-  und  Gefässkrankheiten. 

Von  Dr.  M.  Bockhorn  -  Langeoog. 

Es  gilt  heute  wieder  die  alte  Konstitutionspathologie 
und  die  Therapie  hat  deshalb  —  in  ihrem  Bestreben  die 
Lebensenergie  des  Menschen  zu  heben  —  wieder  mehr 
eine  physikalische  Richtung  eingeschlagen. 

Die  glänzendsten  physiologischen  und  pathologischen 
Erfahrungen  hat  in  den  letzten  10  Jahren  die  Erforschung 
der  Herz-  und  Gefässkrankheiten  gebracht.  Der  Krieg  und 
unsere  nervöse  Zeit  verursachen  eine  enorme  Zunahme  die¬ 
ser  Krankheiten,  langlebige  Amateuredes Lebens  gibt  es  nur 
noch  höchst  selten ;  aber  —  obwohl  wir  im  Zeitalter  der 
I’ ürsorge  stehen,  gibt  es  keine  Fürsorge  für  diese  Kranken 
und  Grass  mann  fragt  mit  Recht  in  einem  er- 
fahrungs-  und  kenntnisreichen  Artikel  in  der  Münch. 
Med.  Wochenschrift:  Muss  die  Prognose  der  Herz-  und 
Gefässerkrankungen  auf  dem  toten  Punkte  bleiben? 
Gras  smann  beweist,  dass  die  Mortalität  an  Herz-  und 
Gefässerkrankungen  kaum  geringer  ist  als  an  Tuber¬ 
kulose,  dass  es  aber  „bis  zur  Stunde  an  allen  Be¬ 
strebungen  grossen  Stils  fehlt,  die  Prognose  dieser 
Krankheiten  zu  bessern.“  Grassmann  empfiehlt  Früh¬ 


diagnose  und  Frühbehandlung,  regelmässige  Herz-  und 
Gefässuntersuchungen  in  der  Periode  anscheinender 
voller  Leistungsfähigkeit,  Stätten  zur  Erforschung  der 
Kreislauforgane. 

Der  tote  Punkt,  auf  den  die  Prognose  der  Herz- 
und  Gefässerkrankungen  gekommen  ist,  liegt  m.  E.  an 
der  Schwierigkeit  der  Prognosenstellung;  sie  ist  deshalb 
so  schwierig,  weil  es  hierbei  mehr  als  bei  jeder  anderen 
Krankheit  darauf  ankommt,  das  „ensemble  des  fonctions“ 
wie  Bichat  sagt,  zu  beurteilen,  auf  das  sorgfältigste  in 
der  Anamnese  Heredität,  Arbeit  und  Arbeitsmilieu, 
frühere  Arbeitsfähigkeit,  toxische,  psychische,  nervöse, 
konstitutionelle  Schädigungen  zu  beachten.  Deshalb 
wäre  es  eben  so  wichtig  regelmässige  Herzuntersuchungen 
anzustellen  —  wie  sie  Grassmann  empfiehlt.  Diese 
wären  aber  nur  möglich  mit  Hilfe  der  Versicherungs¬ 
träger  und  Militärbehörden.  Gerade  die  letzteren  sollten 
einen  Herz-  und  Gefässkranken  nicht  einfach  laufen 
lassen  ;  in  den  meisten  Fällen  wird  es  möglich  sein  die 
Militärentlassenen  —  die  doch  längere  Zeit  klinisch  be¬ 
obachtet  sind  — .  zu  frühzeitigen  Kuren  oder  Milieu¬ 
wechsel  zu  veranlassen.  Ich  erinnere  nur  an  die  ner¬ 
vösen  Herzerkrankungen  und  an  das  thyreotoxische  Herz. 


2 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  1. 


Zu  einer  Frühbehandlung-  der  Herz-  und  Gefäss- 
kranken  würde  auch  eine  längere  sorgfältige  Kur  der 
Nervösen  und  Neurastheniker  gehören  mit  ihren  mannig¬ 
faltigen  Äusserungen  gestörter  Zirkulation  ;  sie  müssten 
in  längerer  Kurzeit  —  ich  denke  da  an  Landkolonien, 
wie  sie  R  i  g  1  e  r  in  der  Nähe  von  Darmstadt  einrichten 
will  —  lernen  zu  leben,  müssten  psychisch  und  diätetisch 
pädagogisch  beeinflusst  werden.  Zu  einer  Verbesserung 
der  Prognose  gehört  terner,  dass  man  diese  Krankheiten 
nicht  künstlich  züchtet.  Der  Ausdruck  „beginnender 
Herzfehler“  sollte  bei  anämischen  Störungen  und  solchen 
in  den  Entwicklungsjahren  nie  fallen. 

Wie  gern  würde  man  solche  jungen  Leute,  die 
immer  wieder  zum  Arzt  kommen  aus  staubiger  Werk¬ 
statt  —  wie  in  alter  Zeit  —  auf  die  Wanderschaft 
schicken,  wenn  sich  das  noch  so  leicht  durchsetzen 
Hesse.  Wenn  unsere  Wandervögel  in  ihren  Bestrebungen 
nicht  ausarten,  werden  sie  die  Prognose  der  Herz-  und 
Gefässkrankheiten  nur  verbessern. 

Doch  nicht  nur  die  Neurastheniker  brauchen  metho¬ 
dische  Kuren  —  alle  Kreislaufgestörten,  alle  Rekonvales¬ 
zenten  nach  Infektionskrankheiten  (Typhus,  Fleckfieber, 

I  )iphtherie,  Pneumonie),  alle  Rekonvaleszenten  nach  akuten 
Herz-  und  Gefässkrankheiten  —  ehe  sie  in  das  chronische 
Stadium  kommen  —  alle  Asthmatiker.  Ein  grosser 
Prozentsatz  von  Krankenhausinsassen,  die  wochen-, 
monatelang  in  den  Stadt-  und  Grossstadtkrankenhäusern 
vegetieren  —  möchte  man  sagen  —  nach  Kreislauf¬ 
störungen  gehörte  frühzeitig  in  klimatische,  physikalisch¬ 
diätetische  Beeinflussung.  Man  sollte  damit  den  Anfang 
machen  und  es  würde  wesentlich  schneller  gehen.  Es 
ist  aber  falsch,  solche  Leute  mit  Digalentabletten  in  die 
Kurorte  zu  schicken.  Dosierte  klimatische,  balneologische 
Behandlung  wird  die  Leistungsfähigkeit  und  Elastizität 
des  Kreislaufs  wirksam  schonend  und  übend  beeinflussen. 
Die  Arbeit  des  Praktikers  hat  zu  beginnen,  ehe  ein 
völliges  Versagen,  eine  Insuffizienz  an  einer  Stelle  der 
Zirkulation  eingesetzt  hat  d.  h.  frühzeitig.  Damit  stimmt 
Ilasebroeks  Ansicht  überein,  der  auseinandersetzte, 
wie  eine  Besserung  Herz-  und  Gefässkranker  nur  so 
lange  möglich  ist,  als  der  periphere  Kreislauf  noch 
leistungsfähig. 

Wenn  ich  nun  entgegen  althergebrachten  Ansichten 
seeklimatischen  Aufenthalt  als  einen  ausgezeichneten  Kur¬ 
platz  zur  hrühbehandlung  Herz-  und  Gefässkranker  be¬ 
zeichne  und  empfehle,  muss  ich  notgedrungen  auf  die 
V  irkung  des  Seeklimas  und  seiner  Heilfaktoren  auf 
Herz-  und  Gefässsystem  kurz  eingehen. 

An  anderem  Orte  habe  ich  ausgeführt,  dass  ich  der 
Mehrarbeit  des  peripheren  Herzens  im  Seeklima  den  be¬ 
sonders  günstigen  Einfluss  auf  den  Gesamtorganismus 
zuschreibe,  dass  infolge  der  gesteigerten  peripheren 
Aspiration  —  wie  sie  Hasebroek  und  mit  ihm  O. 
Rosenbach  behaupten —  der  Blutdruck  sinkt.  Der  zu¬ 
nächst  entstehenden  Anämie  folgt  sehr  bald  reaktive 
Hyperämie  der  Peripherie,  diese  hebt  die  Funktions- 
schwäche  der  blutbereitenden  Organe  oder  anders  aus¬ 
gedrückt  die  Elastizität.  Die  neuesten  Untersuchungen 
II  ü  r  t  h  1  e’s  und  von  G  r  ü  t  z  n  e  r’s  haben  diese 
Anschauungsweise  nur  gefördert;  ich  empfehle  Hase- 
b  r  o  e  k  s  neuestes  Buch  „der  extrakardiale  Kreislauf“, 
welches  Aufsehen  unter  Physiologen  und  Ärzten  erregt. 
Buttersack  sagt  mit  Recht  in  seinem  Buch :  La¬ 
tente  Erkrankungen  des  Grundgewebes,  einer  Fundgrube 
für  den  physiologisch  denkenden  Arzt:  „Wir  rechnen 
darauf,  dass  die  an  der  Peripherie  eingeleiteten  Vor¬ 
gänge  in  der  Grundschicht  sich  auch  ins  Innere  fort¬ 
pflanzen  und  das  um  so  mehr,  je  grösser  die  Oberfläche 
ist,  auf  welche  wir  einzu wirken  vermögen“.  Das  ist  für 
die  I  herapie  ausserordentlich  wichtig.  K  r  e  h  1  nimmt 
an,  dasi  das  kranke  Herz  sein  Blut  leichter  abgibt  als 
die  noch  gesunden  Organe  und  sein  Blut  in  die  reaktiv 


erweiterten  Gefässe  schickt  und  so  entlastet  w’ird. 
Leute  bei  denen  infolge  allgemeiner  Asthenie  keinerlei 
Reaktion  auf  klimatische  Beinflussung  zu  envarten  ist, 
gehören  nicht  an  die  See;  ebenso  wenig  Herzfehler  mit 
häufig  wiederkehren  den  Kompensationsstörungen,  Ödemen, 
Nephritis,  akuten  Störungen,  die  Bettruhe  und  kli¬ 
nische  Behandlung  erfordern.  Ich  kann  aber  wieder¬ 
holen,  dass  ich  schwere  Herzfehler  an  der  See  be¬ 
obachtet  habe  und  unter  strengster  Kontrolle  erreicht 
habe,  dass  sie  erholt  —  wie  sonst  nirgends  —  nach 
Hause  reisten.  Seeklimawirkung  wäre  mit  passiver 
Gymnastik  zu  vergleichen  w’ie  sie  für  bettlägerige  Herz¬ 
kranke  seiner  Zeit  empfohlen  ist. 

In  der  Hauptsache  bin  ich  veranlasst,  das  Seeklima 
zur  Frühbehandlung  Herz-  und  Gefässkranker  zu  emp¬ 
fehlen,  durch  regelmässige  Blutdruckmessungen  nach 
dem  Seebad,  im  Luftbad,  im  Seeklima  und  durch  regel¬ 
mässige  Beobachtung  Herz-  und  Gefässkranker.  Weiter 
bin  ich  dazu  veranlasst  durch  die  Beobachtung  der  nach¬ 
weislich  im  Gebiet  des  Seeklimas  lebenden  vielen  hoch¬ 
betagten  Leute.  Auf  dem  Ostende  Norderney's  leben 
z.  B.  3  alte  Damen,  die  zusammen  250  Jahre  alt  sind  ; 
vor  3  Jahren  behandelte  ich  eine  93  jährige  an  Pneumo¬ 
nie,  sie  lebt  noch  jetzt  ziemlich  rüstig  mit  ihren  96  Jahren. 
Ich  glaube  solche  Fälle  kommen  unter  Leuten,  die  im 
Erwerbsleben  stehen,  nicht  häufig  vor  und  ich  schreibe 
das  in  der  Hauptsache  klimatischer  Beeinflussung  zu. 
Aus  ähnlichen  Erfahrungen  halte  ich  die  im  Seeklima  er¬ 
reichte  sogenannte  Abhärtung  bei  der  bekannten  Neigung 
Herz-  und  Gefässkranker  zu  Lungen-  und  Bronchial¬ 
erkrankungen  für  eine  w’eitere  Indikation  zur  Besserung 
der  Prognose.  Nicht  erst  die  Dyspnoischen  sollte  man 
an  die  See  schicken,  sondern  durch  Besserung  der  peri¬ 
pheren  Zirkulation  die  Dyspnoe  d.  h.  die  Schwäche  und 
Insuffizienz  des  rechten  Herzens  verhindern.  Eine 
Therapie,  die  wirklich  die  Prognose  dieser  Krankheiten 
verbessert,  hat  mit  zirkulationsverbessernden  von  der 
Natur  gegebenen  und  die  physiologischen  Anpassungs¬ 
bestrebungen  unterstützenden  Mitteln  zu  arbeiten.  Damit 
wird  ein  chronisches  Stadium  vermieden  oder  doch  hin¬ 
ausgeschoben.  Ist  das  chronische  Stadium  eingetreten, 
so  muss  die  regulative  Tätigkeit  der  Peripherie  ge¬ 
fördert  worden.  es  muss  schonend  abgeleitet  worden  auf 
die  Peripherie,  wenn  nötig  auf  den  Darm. 

Die  Mehrarbeit  der  Peripherie  —  richtig  dosiert  — 
fördert  die  Zirkulation,  entlastet  das  Herz,  fördert  die 
Blutbildung  und  Ernährung  der  Gewebe  und  damit  den 
Stoffwechsel,  steigert  die  Diurese,  vertieft  die  Atmung, 
reguliert  die  Herztätigkeit,  beseitigt  die  Arhythmieen. 
Wird  die  Mehrarbeit  der  Peripherie  zu  gross,  nicht 
richtig  dosiert,  so  treten,  wie  mir  Weichardt  zuge¬ 
geben  hat  —  Eiweissspaltprodukte  von  Ermüdungstoxin¬ 
charakter  auf.  Bei  den  klinischen  Beobachtungen  an 
der  See  kommt  es  m.  E.  nicht  so  sehr  auf  die  Blut¬ 
körperchenzählung  als  auf  eine  exakte  Hämoglobinbe¬ 
stimmung  oder  Bestimmung  des  Minutenvolumens  an. 

Unter  den  Kurmitteln  zur  Frühbehandlung  Ilerz- 
und  Gefässkranker  stelle  ich  die  Luftbäder  und 
den  einfachen  seeklimatischen  Aufenthalt  an  die  Spitze. 
Es  ist  nicht  gleichgültig,  ob  die  Luftbäder  an  der  Watt¬ 
seite,  am  Strande  oder  in  den  Dünen  genommen  werden 
und  es  ist  unverantwortlich  sofort  stundenlang  Luft  zu 
baden.  Ist  hinreichend  vorbereitet,  so  kann  je  nach  Art 
der  Erkrankung  oder  beabsichtigter  Wirkung  mit  einigen 
warmen  CO,bädern  oder  einfachen  Solbädern  begonnen 
worden  und  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  kann  man  unter 
Berücksichtigung  der  Aussentemperatur  zu  kühlen  CO,- 
bädern  übergehen.  Die  schädliche  Schockwirkung  lässt 
sich  durch  Umgehung  der  Wellenberge  vermeiden.  Die 
Luftbewegung  als  therapeutisches  Unterstützungsmittel 
wird  nur  in  der  kalten  Jahreszeit  Kontraindikation  sein 
bei  vorgeschrittener  Arteriosklerose.  Auf  die  Wichtig- 


Nr.  1. 


3 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


keit  rationeller  Tiefatmung,  auf  Atem-  und  Zwerchfell¬ 
gymnastik  habe  ich  an  anderem  Orte  aufmerksam  ge¬ 
macht.  Man  kann  an  der  See  die  äusseren  Lebens¬ 
bedingungen  so  günstig  wie  möglich  gestalten,  die  Be¬ 
schwerden  dieser  Kranken  erleichtern;  ich  habe  das  an 
Arteriosklerotikern  aller  Stadien  beobachtet. 

Deshalb  frage  ich :  Warum  baut  man  an  der  See 
keine  grossen  Rekonvaleszentenheime  für  die  ver¬ 
schiedenen  Herz-Gefässkreislaufstörungen,  um  das  See¬ 
klima  wirksamer  auszunutzen? 

Herz-  und  Gefässsystem  sind  eins,  das  ergibt  sich 
schon  aus  der  embryonalen  Anlage  und  Entwicklung  aus 
einem  Gefässschlauch.  Das  Herz  ist  also  nicht  mehr 
allein  der  Mittel-  und  Angriffspunkt  unserer  thera¬ 
peutischen  Bestrebungen.  R  o  s  e  n  b  a  c  h’s  Reserve¬ 
kraft  liegt  sicher  nicht  im  Herzen  allein.  L  o  e  w  y 
und  seine  Mitarbeiter  auf  Westerland  erfuhren  bei 
ihren  Untersuchungen  über  die  Wirkung  von  Seeklima 
und  Seebad,  dass  der  Einfluss  dieser  Faktoren  auf  die 
Zirkulationsverhältnisse  vor  allem  die  Blutdrucksenkung 
am  wertvollsten  war.  Ich  habe  wiederholt  beobachtet, 
dass  der  seeklimatische  Aufenthalt  allein,  später  nur  vor¬ 
sichtige  Spaziergänge  und  Luftbäder  in  ihrer  schonenden 
dann  leicht  übenden  Wirkung  bei  alten  Myo¬ 
karderkrankungen,  Herzerweiterungen  unter  Hinzunahme 
vorsichtiger  Gymnastik  Arbeitsunfähige  wieder  arbeits¬ 
fähig  machte. 

Der  Herzneurastheniker  oder  Herzneurotiker  mit 
Arhythmieen  und  Extrasystolen  ist  frühzeitig  peripher  zu 
beeinflussen,  um  frühzeitig  die  Elastizität  zu  heben,  die 
später  leicht  versagt.  Aus  solchen  ätiologischen  Gründen 
ist  das  Luftbad  ein  Prophylaktikum  gegen  Arterio¬ 
sklerose  und  Versagen  der  Herztätigkeit. 

Ich  habe  schon  früher  ausgeführt,  dass  der  nachge¬ 
wiesene  CO,gehalt  (50  ccm.  in  1  Liter)  unserer  Nord¬ 
seebäder  neben  dem  3V2  Proz.  Soolegehalt  für  die 
Therapie  und  Prophylaxe  eine  ausserordentliche  Rolle 
spielt.  Die  Nordseebäder  sind  nichts  weiter  als  kühle 
C02haltige  Solbäder.  Sie  sind  nach  genügender  Vor¬ 
bereitung  ein  wichtiges  Hilfsmittel  bei  der  Therapie  der 
Neurasthenie,  der  von  Binswanger  als  kon¬ 
stitutionell  beschriebenen  Erkrankung. 

Wichtig  ist  mehrmalige  einwandfreie  Messung  des 
Blutdrucks  vor  dem  kalten  See-  und  Luftbad,  für  Herz- 
und  Gefässkranke  auch  vor  den  warmen  COaSol- 
bädern. 

Ich  empfehle  Seeklimaaufenthalt  unter  spezifischer 
1  herapie  für  die  Aortitis  luica,  langdauernde  Sol¬ 
bäder  für  Venenentzündungen,  Varizen  und  Hämor¬ 
rhoiden. 

Fettsüchtige,  deren  Herz  das  Fett  nicht  genügend 
verarbeiten  kann,  werden  —  ohne  grosse  Trinkkuren  — 
ausserordentlich  günstig  beeinflusst.  Die  beschleunigte 
Herztätigkeit  nimmt  ab,  die  Herzarbeit  wird  entlastet 
und  unterstützt.  Ebenso  ist  es  beim  thyreotoxischen 
Herz. 

Bei  operierten  und  nicht  operierten  Basedowkranken 
wird  die  Herztätigkeit  ruhiger,  die  Struma  kleiner. 

Ich  hoffe  dem  Leser  bewiesen  zu  haben,  dass  See- 
Klimawirkung  die  Prognose  der  Herz-  und  Gefässer- 
krankungen  verbessert,  dass  das  Seeklima  ein  Kurplatz 
für  die  Frühbehandlung. 

Nachschrift :  Inzwischen  hatte  Verfasser  Gelegenheit  auf  der  Abteilung 
des  Herrn  Professor  Reiche  im  Barmbecker  Krankenhause  mit  Herrn 
Professor  Reiche  eine  grosse  Zahl  herzkranker  Soldaten  zu  untersuchen 
und  dabei  die  Wichtigkeit  systematischer  Herzuntersuchungen  aber 
auch  die  ausserordentliche  Schwierigkeit  der  Prognosenstellung  nicht 
nur  quoad  Felddienstfähigkeit  festzustellen. 


Neuere  Methoden  der  künstlichen  Ernährung 
und  Ernährungstherapie  beim  Säugling. 

Von  K.  Grim  m*). 

Die  Aufzucht  eines  Säuglings  mit  künstlicher  Er¬ 
nährung  ist  auch  heute  immer  noch  ein  Experiment,  selbst 
wenn  es  sich  hierbei  um  ein  gesundes  Kind  handelt  unter 
günstigen  äusseren  Bedingungen. 

Jede  Ersatznahrung  der  arteigenen  Muttermilch  muss 
uns  minderwertig  erscheinen,  wenn  wir  die  Ergebnisse 
dieser  beiden  Ernährungsmethoden  in  Parallele  stellen. 

Abgesehen  von  einem  eventuellen  Mangel  an  nütz¬ 
lichen  Stoffen  wurden  alle  Bestandteile  der  am  häufigsten 
als  Ersatznahrung  in  Anwendung  kommenden  Kuhmilch 
für  diese  Minderwertigkeit  der  Reihe  nach  sowohl  in 
quantitativer  w;e  in  qualitativer  Hinsicht  beschuldigt  und 
teils  dem  Eiweiss,  teils  dem  Fett,  dem  Milchzucker,  der 
Molke  und  den  Molkensalzen  sowie  den  Relationen  dieser 
Stoffe  zu  einander  die  Schuld  beigemessen,  ohne  dass 
eine  allgemein  anerkannte  Ansicht  hierüber  bisher  erzielt 
wurde.  So  kommt  es,  dass  die  verschiedenen  heute  ge¬ 
bräuchlichen,  künstlichen  Nahrungsgemenge  für  Säug¬ 
linge  je  nach  der  persönlichen  Ansicht  des  einzelnen  in 
ihrer  Zusammensetzung  infolge  der  nach  vorheriger  mehr 
oder  weniger  starken  Verdünnung  der  Milch  erfolgten 
späteren  Anreicherung  mit  Kohlehydraten  oder  Rahm 
oder  Eiweisspräparaten  usw.  stark  von  einander  ab¬ 
weichen.  Andererseits  fehlt  es  aber  auch  nicht  an  ver¬ 
einzelten  Stimmen,  welche  jede  weitere  Veränderung  der 
Kuhmilch  zwecks  Säuglingsnahrung  perhorreszieren  und 
der  Vollmilchernährung  das  Wort  reden. 

Die  in  der  letzten  Zeit  als  Säuglings-Dauernahrungen 
vorgeschlagenen  Methoden  der  künstlichen  Ernährung 
suchen  sich  dem  in  den  Durchschnittswerten  der  reifen 
Brustmilch  gegebenen  Vorbild  wenigstens  quantitativ  in 
ihren  Komponenten  möglichst  anzupassen,  nicht  nur  in 
Bezug  auf  Eiweiss,  Fett  und  Kohlehydrate,  sondern  auch 
bezüglich  der  Molkensalze. 

Am  weitgehendsten  sucht  Friedenthal  diesem 
Prinzip  durch  Zusatz  von  Rahm,  Milchzucker,  Salzen 
und  Wasser  zu  Magermilch  gerecht  zu  werden. 

Er  gibt  nach  B  a  h  r  d  t  zu  330  ccm  Magermilch 
660  ccm  Wasser,  58  g  Milchzucker  und  1,8  g  Molkerei¬ 
zusatzsalz,  welches  2  Teile  Chlorkalium,  1  Teil  Dikalium- 
phosphat  und  1  Teil  Monokaliumphosphat  enthält;  ferner 
soviel  Milchfett,  dass  der  Fettgehalt  der  Mischung 
4,5  Proz.  beträgt. 

Da  nach  Friedenthals  Ansicht  in  Magermilch 
die  Bakterien,  speziell  die  Tuberkelbazillen,  allein  durch 
Zentrifugieren  genügend  entfernt  werden  können,  wird 
die  Magermilch  mit  ihren  Zusätzen  von  Zucker,  Salz 
und  Wasser  dreimal  durch  die  Zentrifuge  gesandt,  dann 
der  pasteurisierte  Rahm  zugesetzt. 

Die  F  riedenthal’sche  Milch  kommt  durch 
die  Milchkuranstalt  Hellersdorf,  Berlin  in  den 
Handel  und  kostet  pro  1  1  7 5  Pfennige.  Sie  wird  vor 
Verabreichung  nicht  mehr  gekocht,  sondern  soll  auf  40  C 
erwärmt,  dem  Säugling  gereicht  werden. 

Nach  Angabe  der  Molkerei  enthält  diese  Milch: 
Eiweiss  1,33  Proz.;  Fett  4,4  Proz.;  Milchzucker  7  Proz.; 
Salze  0,3 — 0,39  Proz. 

B  a  h  r  d  t  hat  diese  Nahrung  bei  81  Anstaltssäug¬ 
lingen  des  Kaiserin  Augusta  Viktoriahauses,  gesunden 
und  kranken,  Neugeborenen  und  Frühgeburten,  längere 
Zeit  hindurch  erprobt  und  kommt  dabei  zu  dem  Resultat, 
dass  die  Friedenthalsche  Milch  „geeignet  ist  zur  Er¬ 
nährung  von  Säuglingen,  wo  Frauenmilch  fehlt  und  dass 
sie,  wenigstens  für  Kinder  in  Anstalten  und  für  schwäch¬ 
liche,  rekonvaleszente  und  häufigen  Infektionen  aus¬ 
gesetzte  Kinder  bessere  Erfolge  verspricht  als  die  ein- 


*)  Nach  einem  im  allgem.  ärztlichen  Verein  zu  Cöln  gehaltenen 

Vortrag. 


4 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  1. 


fachen  Milchverdünnungen  mit  Kohlehydratzusätzen.“ 
Die  Kinder  zeigten  gutes  Gedeihen  und  gute  Zunahmen 
trotz  des  häufig  beobachteten  Erbrechens  und  zerfahrene 
Stühle. 

Auf  dem  Prinzip  der  Molkenadaption  fusst  auch 
die  von  Schloss  Vorgeschlagene  Ernährungsmethode. 
Schloss  geht  hierbei  von  einer  2/7  Milch  -  Sahne- 
Mischung  aus,  der  er  ein  Eiweisspräparat  zufügt.  Den 
Milchzucker  dagegen  ersetzt  er  auf  Grund  praktischer 
Erfahrungen  durch  ein  anderes  Kohlehydrat,  durch  Nähr¬ 
zucker  und  Mondamin. 

Seine  Vorschrift  für  Zubereitung  pro  1000  ccm  dieser 
Nahrung  lautet: 


Molkenadaptierte  Milch  No.  I. 
(für  jüngere  Säuglinge) 

1  /7  1  Vollmilch, 

1/7  1  20  proz,  Sahne, 

(25)  35  g  Nährzucker, 

(25)  15  g  Mondamin, 

5  g  Nutrose  od.  Plas¬ 
mon, 

(0,2  KCl.), 

5/7  1  Wasser. 


Molkenadaptierte  Milch  No.  II. 
(meist  für  ältere  Säuglinge) 

7,  1  Vollmilch, 

7?  1  20proz.  Sahne, 

50—70  g  Nährzucker, 

5  g  Nutrose  oder  Plas¬ 
mon, 

(0,2  KCl.), 

5/7  1  Wasser. 


Auf  den  ersten  Blick  erscheint  diese  Zusammen¬ 
setzung  etwas  kompliziert,  praktisch  lässt  sie  sich  aber, 
wie  ich  mich  des  öfteren  überzeugen  konnte,  auch  im 
Privathause  ganz  gut  durchführen.  Sollten  sich  aber 
doch  Schwierigkeiten  ergeben,  so  kann  die  Herstellung 
nach  folgender,  ebenfalls  von  Schloss  angegebener 
Form  erfolgen,  bei  welcher  allerdings  das  Prinzip  der 
Molkenadaption  nicht  mehr  genau  eingehalten  ist. 

Man  mischt  dann  : 

1  Teil  Milch, 

1  Teil  15proz.  Sahne, 

4  Teile  Wasser 

und  setzt  15  g  Mondamin  und  35  g  Nährzucker  pro  1  1 
zu.  Der  Zusatz  eines  Eiweisspräparates  fällt  hier  fort. 
Bei  älteren  Säuglingen  muss  die  Kohlehydratzulage 
eventuell  etwas  erhöht  werden. 


Di 

e  Werte  der  Asche 

auf  1000  ccm 

berechnet,  er- 

geben 

sich  aus  der  folgend 

en  Zusammenstellung. 

2/7  Milch-Sahne- 

Frauenmilch 

Friedenthals  Milch 

Mischung  +  0,2  KCl 

(Schloss) 

(Edelstein  und 

(Schloss) 

Durchschnitt 

Bamberg)  Okt.  12. 

CaO 

0,4081 

0,3785 

0,845 

Mg  O 

0,0656 

0,0857 

0,06 

Na,  O 

0,2047 

0,1886 

0,954 

K„0 

0,4791 

0,5291 

0,916 

p2  o. 

0,5677 

0,4046 

0,787 

CI 

0,2825 

0,3055 

1,35? 

Das  praktische  Ergebnis  der  Ernährung  mit  molken¬ 
adaptierter  Milch  muss  man  nach  den  Kurven  und 
Krankengeschichten  der  Schloss  sehen  Arbeit  zweifel¬ 
los  als  ein  gutes  bezeichnen  und  es  fand  auch  durch  Nach¬ 
prüfung  von  anderer  Seite  Bestätigung.  Bei  meinen 
Versuchen  hat  sich  mir  die  molkenadaptierte  Milch  in 
der  Anstalt  besonders  als  Zwiemilchnahrung  bei  jungen 
Säuglingen  bewährt,  speziell  aber  in  der  ambulanten 
"Tätigkeit  sah  ich  bei  ernährungsgesunden  Säuglingen 
gute  Dauererfolge,  die  den  Resultaten  mit  den  gebräuch¬ 
lichen  Milch  -  Schleim  -  Mischungen  überlegen  schienen. 
Bei  älteren  Säuglingen  bewährte  sich  ein  Zusatz  von 
Malzextrakt.  Die  Nahrung  wurde  von  den  Kindern 
durchwegs  gerne  genommen. 

Zwecks  frühzeitiger  Gemüsebeikost  bei  Säuglingen 
im  zweiten  Lebenshalbjahre  empfiehlt  sich  das  Gemüse¬ 
pulver  nach  F  r  i  e  d  e  n  t  h  a  1. 

Durch  Anreicherung  mit  Eiweiss  kann  die  molken¬ 
adaptierte  Milch  auch  als  Heilnahrung  bei  dvspeptischen 
Zuständen  Verwendung  finden.  Die  Zusammenstellung 
ist  dann  pro  1  1  folgende  (nach  Schloss): 


V7  1  Milch, 

7?  1  20  proz.  Sahne, 

25  g  Plasmon, 

30 — JO  g  Nährzucker, 

5/7  1  Wasser. 

Ein  Vorteil  besteht  darin,  dass  es  nicht  notwendig 
ist,  bei  diesen  Gärungszuständen  die  bisherige  Nahrung 
mit  einer  vollkommen  neuen  zu  vertauschen,  sondern  es 
gelingt  meist,  durch  Zusatz  von  Eiweiss  und  Reduktion 
der  Kohlehydrate  dieser  Zustände  Herr  zu  werden  und 
nach  Abklingen  derselben  durch  einfache  Abänderung 
des  Zucker-  und  Eiweisszusatzes  wieder  zur  Dauer¬ 
nahrung  überzugehen. 

Auch  Feer  verwendet  bei  seiner  Eiweiss- 
Rahm-Milch  als  Zusätze  Sahne  und  Plasmon,  ohne 
jedoch  die  Adaption  der  Molke,  auf  welche  Schloss 
speziellen  Wert  legt,  besonders  zu  berücksichtigen. 

Er  bringt  eine  Drittelmilch,  hauptsächlich  aber  eine 
Halbmilch  in  Anwendung,  die  sich  nach  folgender  Vor¬ 
schrift  herstellen  lässt. 


Drittelmilch 
300  g  Milch, 

7 5  g  20  proz.  Sahne, 

50  g  Nährzucker, 

15  g  Plasmon, 

600  g  Wasser. 

Die  Zusammensetzung 
folgende  : 

Eiweiss 

Drittelmilch:  2,5 

Halbmilch:  2,6 


Halbmilch 
500  g  Milch, 

50  g  20  proz.  Sahne, 

10 — 50  g  Nährzucker. 

15  g  Plasmon, 

600  g  Wasser. 

ist,  in  Prozent  ausgedrückt, 


Fett 

Zucker 

Salze 

2,5 

6,6 

0,27 

2,3 

6,2 

0,44. 

Diese  Nahrung  findet  nach  Feer  Anwendung  so¬ 
wohl  als  Dauernahrung  bei  gesunden  Kindern,  wie  auch, 
bei  entsprechender  Anwendungsweise,  als  Heilnahrung  bei 
ernährungsgestörten  Säuglingen. 

Meine  eigenen  Erfahrungen  mit  dieser  Milch  sind 
nicht  zahlreich  genug,  um  ein  abschliessendes  Urteil  zu 
gestatten.  Einen  Misserfolg,  welcher  durch  diese  Nahrung 
verschuldet  worden  wäre,  sah  ich  nicht. 

Die  Gewinnung  einer  20  prozentigen  Sahne,  deren 
Beschaffung  vielleicht  auf  Schwierigkeiten  stossen  könnte, 
kann  im  Haushalt  nach  Feer  auf  folgende  Weise  ge¬ 
schehen  :  Man  lässt  1/2  1  rohe  Milch  4  —  6  Stunden  in 
einer  Tasse  stehen  und  schöpft  dann  mit  einem  dünnen 
Kaffeelöffel  25  ccm  Rahm  ab  in  einen  Messzylinder. 
Dieser  Rahm  hat  durchschnittlich  20  Proz.  Fett. 

Über  eine  weitere  Möglichkeit  der  Anreicherung 
einer  Säuglingsnahrung  mit  Fett  berichtet  N  i  e  m  a  n  n 
auf  Grund  folgender  Erwägung: 

Die  schädigende  Wirkung  des  Kuhmilchfettes  kann 
sich  äussern  entweder  in  Gestalt  von  Durchfällen,  ver¬ 
ursacht  durch  Säuren,  die  aus  der  Spaltung  des  Fettes 
hervorgehen,  oder  es  kommt  als  chronische  Wirkung 
zum  Bilde  des  Milchnährschadens,  wobei  aber  ebenfalls 
die  Säuren  das  ursächliche  Moment  sind,  indem  durch 
Bindung  der  Alkalien  im  Darm  es  zu  einer  Alkalipenie 
oder  auch  Acidose  kommen  kann.  Nun  enthält  das 
Kuhmilchfett  6 — 8  Proz.  an  flüchtigen  Fettsäuren,  während 
das  Frauenmilchfett  nur  1,8  Proz.  enthält.  Die  niederen  Fett¬ 
säuren  sind  wasserlöslich  und  können  leicht  entfernt 
werden,  wenn  man  Butter  mehrfach  mit  kaltem  Wasser 
durchknetet  und  auswäscht;  es  ist  hierbei  eine  etwa  8 
bis  10  malige  Erneuerung  des  Wassers  notwendig.  Prüft 
man  das  Wasser  dann  mit  Phenolphthalein,  so  reagieren 
die  ersten  Portionen  sauer,  die  letzten  nicht  mehr.  Die 
gewaschene  Butter  wird  dem  bis  zum  Kochen  erhitzten 
Nahrungsgemenge  zugesetzt  und  dann  wird  tüchtig  durch¬ 
gequirlt,  wobei  sich  die  Butter  in  Form  einer  feinen 
Emulsion  verteilt. 

N  i  e  m  a  n  n  brachte  nun  diese  gewaschene  Butter 
in  Anwendung  auch  •  bei  Kindern,  welche  vorher  eine 


Nr.  1. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


geringe  Toleranz  gegen  Kuhmilchfett  gezeigt  hatten.  Es 
ergab  sich  eine  Überlegenheit  der  gewaschenen  Butter, 
welche  in  einer  Menge  bis  zu  5  Proz  der  Gesamtnahrung 
in  Verwendung  kam,  insofern,  als  sich  bei  den  hiermit 
genährten  Kindern  nicht  nur  eine  gute  Zunahme,  sondern 
auch,  bei  guter  Entwicklung  der  statischen  Funktionen 
und  guter  Stimmung,  eine  Besserung  des  Turgors,  frische 
Hautfarbe  und  grössere  Widerstandskraft  gegen  In¬ 
fektionen  einstellte.  Auch  die  exsudativen  Erscheinungen 
wurden  nicht  verstärkt,  es  kam  im  Gegenteil  in  einem 
Falle  zur  Abheilung  eines  ausgebreiteten  Ekzems  unter 
dieser  Ernährung. 

Als  beispielsweise  Zusammenstellung  eines  solchen 
Nahrungsgemenges  gibt  N  i  e  m  a  n  n  folgendes  Rezept, 
wobei  natürlich  je  nach  Beschaffenheit  des  vorliegenden 
Falles  die  einzelnen  Komponenten  in  ihrer  Menge  ge¬ 
ändert  werden  können. 

500  g  Magermilch, 

500  g  5  proz  Mondaminabkochung, 

50  g  gewaschene  Butter, 

50  g  Malzextrakt. 

Von  den  Kindern,  welche  ich  bei  dieser  Ernährung 
beobachtete,  reagierte  keines  mit  Durchfällen  ;  die  Stühle 
waren  stets  trocken  und  alkalisch.  Auch  bezüglich  der 
exsudativen  Diathese  stimmen  meine  Beobachtungen  mit 
denen  N  i  e  m  a  n  n  s  überein. 

Unser  ernährungstherapeutisches  Vorgehen  beim 
kranken,  künstlich  genährten  Säugling  wird  jedoch  be¬ 
herrscht  von  der  durch  Finkeistein  und  Meyer 
angegebenen  Eiweissmilch.  Es  erübrigt  sich,  auf  Einzel¬ 
heiten  einzugehen,  nur  kurz  sei  hier  ihre  Anwendungs¬ 
form  nach  Finkeistein  wiederholt,  weil  sie  im  all¬ 
gemeinen  auch  massgebend  ist  für  die  Anwendung  der 
verschiedenen,  später  zu  besprechenden  Ersatzpräparate. 

Bei  Dyspepsie,  Dekomposition  und 
parenteraler  Infektion  mit  gleichzeitig 
bestehender  Diarrhoe  und  Gewichtsabsturz  beginnt  man 
nach  östündiger  Teediät  (dünner  Teeaufguss  mit  Saccharin 
gesüsst,  1  Saccharintablette  auf  V4  1  Tee)  und  eventl. 
Verabreichung  eines  Abführmittels  (Ol.  ricini.)  mit  zirka 
300  g  Eiweissmilch  -f-  3  Proz.  Nährzuckerzusatz  inner¬ 
halb  der  nächsten  24  Stunden;  dann  täglich  rasches 
Steigern  der  Menge  bis  180 — 200  g  pro  Kilo  Körper¬ 
gewicht,  auch  bei  Weiterbestehen  schlechter  Stühle. 
Wenn  nach  Erreichen  dieser  Menge  sich  keine  Gewichts¬ 
zunahme  einstellt,  weiteres  Steigern  der  Kohlehydrate 
auf  4-  5 — 7  Proz.,  eventl.  Zusatz  von  2  Kohlehydraten. 
(Mehl  oder  Seefeldners  Kindergries  neben  Nährzucker.) 

Bei  subtoxischen  Zuständen  und  Intoxikationen  ver¬ 
abreicht  man  12 — 24  Stunden  nur  Tee  mit  Saccharin, 
dann  den  nächsten  Tag  10x5  bis  10  g  Eiweissmilch 
-L-  3  Proz.  Nährzucker;  nebenbei  genügend  Tee  oder 
Ringersche  Lösung.  Dann  Steigern  der  Menge  anfangs 
um  50  g  täglich,  dann  nach  einigen  Tagen  um  100  g 
täglich  bis  zu  180 — 200  g  pro  Kilo.  Die  Gesamtmenge 
von  1000  g  wird  nicht  überschritten. 

Wenn  man  bei  einer  Menge  von  100  g  Eiweissmilch 
pro  Kilo  angelangt  ist,  soll  bei  dieser  Dosis  die  voll¬ 
kommene  Entgiftung  abgewartet  werden,  dann  erst 
Steigern  der  Menge  und  später,  wenn  notwendig,  auch 
der  Kohlehydrate;  daneben  Herzmittel. 

Die  Erfahrungen  mit  Eiweissmilch  sind  unbestritten 
gute.  Wenn  trotzdem  eine  Reihe  anderer  Herstellungs¬ 
methoden  .und  Ersatzpräparate  existiert,  und  zum  Teil 
auch  schon  vielfach  in  Verwendung  stehen,  so  liegt  der 
Grund  nicht  daran,  dass  diese  Ersatzpräparate  bessere 
Resultate  liefern  als  die  Eiweissmilch,  sondern  weil  sie, 
teilweise  wenigstens,  leichter  zu  beschaffen,  einfacher  in 
ihrer  Herstellungsart  und  billiger  im  Preise  sind. 

Es  ist  praktisch  schwer  möglich,  die  Eiweissmilch 
nach  der  Vorschrift  von  Finkeistein  und  M  e  y  e  r 
im  Haushalt  einwandfrei  selbst  zu  bereiten;  infolgedessen 


ist  man  angewiesen  auf  das  Präparat  der  M.  Töpfer 
Trockenmiichwerke,  Böhlen. 

Von  anderen  nach  dem  Prinzip  der  Eiweissmilch 
bereiteten  Nahrungsmengen  sind  zu  nennen  die  von 
Heim  und  John  und  die  von  Engel  angegebenen 
Methoden;  ferner  die  Quarkfettmilch  von  Rietschel- 
Aschenheim  und  die  nach  der  Vorschrift  von 
Erich  Müller  bereitete  Eiweissmilch. 

Nach  Heim  und  Johns  Vorgehen  wird  ihre  Ei¬ 
weissmilchersatznahrung  in  der  Weise  dargestellt,  dass 
das  durch  Auslaben  aus  2/„  1  Vollmilch  bei  40’  C  ge¬ 
wonnene  Kasei'n-Fettgerinnsel  nach  feiner  Verteilung  in 
2/3  1  Wasser  von  80'1  C  3  Minuten  lang  nicht  über  88°  C 
erhitzt,  dann  mit  l/2  1  Kuhmilch  versetzt  und  Nährzucker 
zugegeben  wird.  Buttermilch  kommt  hierbei  nicht  in 
Anwendung. 

Die  von  Engel  angegebene  Herstellungsart  ist 
folgende:  1  1  aufgekochte  Milch  wird  auf  40—42°  C  ab¬ 
gekühlt,  dann  mit  in  Tablettenform  dosiertem  Lab  zur 
Gerinnung  gebracht,  x/2  Stunde  stehen  lassen,  dann  wieder 
erwärmt  auf  40°  C,  worauf  die  Gerinnung  aufzutreten 
pflegt.  Sodann  wird  der  geronnenen  Milch  1  1  abge¬ 
kochtes  Wasser  zugesetzt  und  gut  gemischt.  Nach  zirka 
einer  weiteren  1/2  Stunde  haben  sich  die  Kaseinflocken 
am  Boden  abgesetzt,  worauf  dann  1  1  der  oben  stehenden 
Flüssigkeit  abgegossen  wird.  Der  übrigbleibende  1  1 
stellt  die  Eiweissmilch  dar,  der  dann  noch  Kohlehydrate 
nach  Vorschrift  zugesetzt  werden  müssen. 

Die  Quarkfettmilch  wird  nach  Aschen  heim 
nach  folgenden  Vorschriften  gewonnen  : 


330  g  Vollmilch, 

100  g  Quark, 

75  g  Sahne,  10  Proz., 
ca.  495  g  Wasser  (mit 
Mehl  und  Zucker). 


II. 

500  g  Vollmilch, 

100  g  Quark, 

100  g  Sahne  10  Proz., 
ca.  300  g  Wasser  (mit  Mehl 
und  Zucker). 

Man  setzt  entweder  den  rohen  Quark  zu  der  auf¬ 
gekochten  Milch  und  Sahne  oder  es  wird  der  Quark  zur 
rohen  Milch  und  Sahne  gegeben  und  die  fertige  Mischung 
10  Minuten  lang  auf  80°  C  im  Wasserbad  erwärmt. 

Erich  Müller  bereitet  eine  Eiweissmilch  nach 
folgender  Angabe.  Man  mischt  1  1  Buttermilch  mit  1  1 
Wasser,  kocht  dann  2 — 3  Minuten  lang  und  lässt  diese 
Mischung  etwa  1/2  Stunde  im  Zimmer  stehen;  während 
dieser  Zeit  hat  sich  der  Käse  zu  Boden  gesenkt  und 
darüber  steht  die  Molke.  Von  der  Gesamtflüssigkeit 
werden  nun  vorsichtig  etwa  2/3  abgegossen,  der  Rest  gut 
umgerührt,  in  das  Mischgefäss  von  1  1  gegossen  und 
v8  1  Sahne,  die  vorher  kurz  aufgekocht,  hinzugefügt. 
Dann  werden  30 — 50  g  Nährzucker  dazugetan  und  das 
Ganze  unter  Umrühren  mit  einem  Teil  der  vorher  abge¬ 
gossenen  Molke  auf  1  1  aufgefüllt. 

Ferner  bringen  die  Milchwerke  Zwingenberg  eine 
Dr.  Sauers  Eiweissmilch  und  eine  Dr.  Sauers 
Maltose-Eiweissmilch  in  den  Handel,  welche  pro  1  1  auf 
75  Pfg.  bezw.  1  Mk.  zu  stehen  kommt.  Der  Aschegehalt 
dieses  Präparates  ähnelt  nicht  dem  der  F  i  n  k  ei¬ 
st  e  i  n  sehen  Eiweissmilch.  Stöltzner  macht  darauf 
aufmerksam,  dass  insbesondere  die  zweckmässige  An 
reicherung  mit  Kalzium  durch  die  andere  Art  der  Casein¬ 
gewinnung  (Säurefällung)  nicht  zustande  kommt. 

Zur  allgemeinen  praktischen  Verwendbarkeit  als 
Ersatz  der  Finkeistein  sehen  Eiweissmilch  kommen 
2  Präparate  in  Betracht,  welche  bei  einfachster  An¬ 
wendungsweise  es  ermöglichen,  eine  brauchbare  Eiweiss¬ 
milch  zu  gewinnen.  Es  sind  dies  das  nach  S  t  ö  1  t  z- 
n  e  r  s  Angabe  von  der  Firma  La.  Roche  u.  Co.  in 
Grenzach  hergestellte  L  a  r  o  s  a  n  und  das  T  rical- 
col-Casein  der  Firma  Dr.  W.  W  o  1  f  f  u.  C  o. 
in  Elberfeld. 

Das  Larosan  ist  ein  Caseün-Kalziumpräparat  in 
Pulverform,  von  welchem  zwecks  Herstellung  einer  Ei- 


6 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  1. 


weissmilch  20  g  mit  ungefähr  dem  dritten  Teil  eines 
V2  1  frischer  Milch  kalt  angerührt  wird,  während  in¬ 
zwischen  die  beiden  anderen  Drittel  des  1/2  1  Milch  zum 
Kochen  gebracht  werden.  Dann  wird  beides  gemischt 
und  unter  Umrühren  5  — 10  Minuten  lang  gekocht.  Zum 
Schluss  wird  die  gleiche  Menge  Verdünnungsflüssigkeit 
(Wasser  mit  Zusatz  von  Kohlehydraten  je  nach  Lage 
des  Falles)  zugesetzt. 

Bei  jungen  Säuglingen  der  ersten  6 — 8  Lebens¬ 
wochen  scheint  sich  der  Zusatz  von  2  Teilen  Ver¬ 
dünnungsflüssigkeit  zu  1  Teil  Milch  besser  zu  bewähren, 
jedoch  möchte  ich  empfehlen,  hierbei  nicht  allzulange 
auf  eine  Besserung  zu  warten,  um  nicht  den  rechtzeitigen 
Moment  zu  der  eventuell  doch  noch  notwendig  werdenden 
Brustmilchtherapie  zu  versäumen.  Im  allgemeinen  aber 
bessert  sich  das  Stuhlbild  nach  Verabreichung  von  Larosan- 
milch  auffallend  rasch,  und  ebenso  auch  das  Allgemein¬ 
befinden  des  Kindes,  während  sich,  wenigstens  nach 
meinen  Erfahrungen  bei  Anstaltssäuglingen,  eine  Ge¬ 
wichtszunahme  langsamer  erzielen  lässt  als  mit 
Finkeis  tein  scher  Eiweissmilch  bei  gleicher  Er¬ 
nährungstechnik.  Die  Larosanmilch  wird  wegen  ihres 
besseren  Geschmackes  von  den  Kindern  lieber  genommen 
als  Eiweissmilch  und  weniger  häufig  erbrochen. 

Lind  schliesslich  kommt  zur  einfachen  Darstellung 
einer  brauchbaren  Eiweissmilch  noch  das  T  ricalcol- 
Casein  in  Frage.  Die  Zubereitung  ist  die  gleiche 
wie  die  der  Larosanmilch.  Man  benötigt  zur  Herstellung 
von  1  1  Tricalcol-Casei'n- Milch  20  g  des  Pulvers,  x/2  1 
Milch  und  1/i  1  Wasser ;  als  Kohlehydratzusatz  wählt 
man  am  zweckmässigsten  gleich  von  vornherein  1 — 3 
Prozent  Nährzucker  oder  Nährmaltose. 

Auch  hier  kann  man  bei  jungen  Säuglingen  mit 
Milch  und  2/3  Verdünnungsflüssigkeit  beginnen.  Meine 
Beobachtungen  an  klinischen  und  poliklinischem  Material 
ergaben  eine  Gleichwertigkeit  der  Tricalcolcasein-Milch 
mit  der  Larosanmilch. 


Die  folgende  Vergleichstabelle  diene  zur  Orientierung 
über  Zusammensetzung  und  Preis  dieser  Präparate. 


Eiweissmilch 

Larosanmilch  Tricalcol-Casei'n-Milch 

(Finkelstein-Meyer) 

(nach  Prof.  Stöltzner) 

(nach  Dr.  Wolff.) 

pro  1  1 

pro  1  1 

pro  1  1 

Eiweiss :  30 

34,5 

30 

Fett:  25 

17,5 

17,5 

Zucker:  15 

22,5 

22,5 

P2Oä:  1,35 

1,22 

1,62 

CaO:  1,44 

1,36 

1,86 

Preis:  1  Mk. 

55  Pfg.1) 

47  Pfg.1) 

Während  demnach  die  neueren 

Versuche  eim 

künstlichen  Ernährung  des  Säuglings  zum  Teil  zurück¬ 
greifen  auf  das  von  Biedert  schon  angegebene,  von 
vielen  Seiten  aber  heftig  angefeindete  Prinzip  einer  mög¬ 
lichst  vollkommenen  Nachahmung  der  Frauenmilch  -  — 
auch  Biedert  hatte  eine  Molkenreduktion  und  teil¬ 
weise  auch  eine  Adaption  erzielt,  allerdings  nicht  mit 
dem  Nachdruck  betont,  wie  es  heute  geschieht,  —  domi¬ 
niert  in  der  Therapie  mit  künstlichen  Nährgemengen 
beim  ernährungsgestörten  Säugling  das  in  der  Eiweiss¬ 
milch  in  Anwendung  kommende  Prinzip  der  Eiweiss¬ 
und  Kalkanreicherung  bei  Molkenreduktion  nach 
Fink  e  1  s  t  ein  und  M  eyer,  das  in  der  Larosan¬ 
milch  und  Tricalcolcaseinmilch  eine  auch  in  der  Aussen- 
praxis  leicht  zu  ermöglichende  Anwendungsform  gefunden 
hat.  — 


Beitrag  zur  Eisentherapie. 

Von  Dr.  med.  R.  Schmincke,  Bad  Elster. 

Vor  etwa  20  Jahren  trat  Bunge  mit  der  Behaup¬ 
tung  auf,  dass  die  Wirkung  des  Eisens  bei  Bleichsucht 
und  Blutarmut  auf  Suggestion  beruhen  müsse,  da  ja  das 


in  den  Magen  aufgenommene  Eisen  gar  nicht  aufge¬ 
saugt  würde.  Scheinbar  fand  diese  Fliese  einmal  ihre 
Stütze  darin,  dass  bei  Aufnahme  des  Eisen  durch  die 
Verdauungsorgane  sich  fast  alles  Eisen  im  Kot  wieder¬ 
fand,  während  die  im  LIrin  ausgeschiedenen  Eisenmengen 
sich  gar  nicht  oder  unwesentlich  vermehrten.  Eine 
weitere  Stütze  schien  diese  Annahme  darin  zu  finden, 
dass  bei  der  Aufnahme  in  den  Magen  weder  akute  noch 
chronische  Eisen  Vergiftungen  beobachtet  wurden,  dass 
dagegen  das  in  das  Blut  eingeführte  Eisen  sich  als  sehr 
giftig  erwies.  Obwohl  der  letztere  Einwand  sich  leicht 
durch  die  Tatsachen  ablehnen  liess,  dass  auch  andere 
Medikamente,  wie  die  Kalisalze  und  das  Kurare,  zwar 
vom  Darm  aus  in  reichlicher  Menge  aufgenommen 
wurden  ohne  giftig  zu  wirken,  während  sie,  in  das 
Blut  gebracht  zu  den  stärksten  Giften  gehören,  herrschten 
doch  bezüglich  der  Eisenaufnahme  durch  den  Magen- 
Darmkanal  die  widersprechendsten  Meinungen. 

Erst  die  Untersuchungen  von  Kunkel,  Gott¬ 
lieb,  Quincke,  Gaule  und  anderen  brachten  Licht 
in  dieses  Dunkel.  Diese  Forscher  konnten  durch  Ver¬ 
suche  zweifellos  nachweisen,  dass  das  Eisen  vom  Dünn¬ 
darm,  besonders  vom  Zwölffingerdarm,  aufgenommen 
wurde,  zum  Teil  als  Eisendepots  in  Leber  und  Milz 
aufgehäuft  und  nach  seiner  Wirkung  weniger  durch  die 
Nieren  als  im  Dickdarm  ausgeschieden  wurde. 

Bickel  hat  nun  neuerdings  Untersuchungen  über 
die  Resorption  des  Eisens  im  Dünndarm  angestellt.  Er 
legte  bei  einem  grossen  Jagdhunde  eine  permanente 
seitliche  Darmfistel  im  oberen  Dünndarm  an.  Nun  ver¬ 
abreichte  er  dem  Hunde  nüchtern  200  ccm  Pyrmonter 
Stahlquelle,  die  11,2  mgr  Fe  enthielt.  Die  aus  der 
Fistel  gewonnene  Flüssigkeit  enthielt  nur  noch  1  mgr 
Fe.  Er  gab  nun  dem  Hunde  nach  einer  Stunde  weitere 
200  ccm  Eisenquelle,  die  jetzt  wiedergewonnene  Flüs¬ 
sigkeit  enthielt  nun  11,2  mgr  Fe.  Sie  entsprach  also 
hinsichtlich  ihres  Eisengehaltes  dem  Ausgangswert.  Die 
nach  2  Ruhetagen  verabreichte  Eisenmenge  wurde  wieder 
vollständig  resorbiert,  so  dass  die  Fistelflüssigkeit  kein 
Fe  mehr  aufwies.  Bickel  schliesst  aus  dieser  Beobach¬ 
tung,  dass  der  Dünndarm  der  Eisenresorption  gegen¬ 
über  leicht  ermüdet  und  sich  dann  weiterer  Eisenzu¬ 
führung  gegenüber  refraktär  verhält. 

Hiermit  ist  also  die  Aufsaugung  der  Eisensalze  vom 
Magen-Darmkanal  exakt  erwiesen  worden  und  somit 
die  Grundlage  für  weitere  Fragestellungen  bezüglich  der 
Eisenwirkung  gegeben. 

Es  lag  nun  nahe,  anzunehmen,  dass  das  medika¬ 
mentös  eingeführte  Eisen  direkt  zur  Blutfarbstoffbildung 
verwandt  würde.  Nun  ist  aber  in  der  täglichen  Nahrung, 
wenn  auch  in  organisch  festgebundener  Form,  das  Eisen 
in  solcher  Menge  vorhanden,  dass  es  bequem  die  zur 
Blutfarbstoffbildung  nötigen  Eisenmengen  liefern  könnte; 
es  müsste  also  diese  Nahrung  die  Blutarmut  heilen 
oder  aber  wenigstens  verhindern  können.  Tatsächlich 
ruft  aber  nicht  der  Eisenmangel  der  Nahrung  die  Bleich¬ 
sucht  hervor,  denn  in  der  Nahrung  bekommt  das  chlo- 
rotische  Mädchen,  welches  an  demselben  Tisch  sitzt 
wie  ihr  gesunder  Bruder,  dieselben  Eisenmengen  zuge¬ 
führt  wie  dieser.  Es  müssen  also  bei  der  Bleichsucht 
und  manchen  Anämien,  wenn  Blutverluste  und  Unter¬ 
gang  von  Blutkörperchen  ausgeschlossen  werden  können, 
Funktionsstörungen  der  blutbildenden  Organe,  der  Milz 
und  des  Knochenmarkes  vorhanden  sein,  welche  eine 
normale  Blutzusammensetzung  und  Blutfarbstoffbildung 
verhindern,  zumal  da  ja  bei  der  Chlorose  und  allen 
Anämien  nicht  nur  ein  Blutfarbstoffmangel,  sondern  auch 
eine  Verminderung  der  Menge  der  roten  Blutkörperchen 
besteht. 

Harnack  und  von  Noorden  haben  deshalb 
angenommen,  dass  die  Eisenpräparate  direkt  als  Reiz 
auf  die  blutbildenden  Organe,  die  Milz  und  das 


q  Der  y2  1  Kuhmilch  mit  15  Pfg.  berechnet. 


Nr.  1. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


rr 

/ 


Knochenmark  wirken  und  erst  in  zweiter  Linie  zum 
Aufbau  von  Farbstoff  verwendet  werden. 

Diese  Annahme  hat  neuerdings  ihre  Stütze  in  ana¬ 
tomischen  Untersuchungen  von  A.  Hoff  mann  und 
Franz  M  i'i  Ile  r  gefunden,  welche  nach  Eisendarreichung 
das  Knochenmark  von  blutarm  gemachten  Tieren  viel 
roter  und  reicher  an  Blutzellen  fanden  wie  das  der 
Koritrolltiere,  welche  kein  Eisen  erhielten.  Zur  Klärung 
dieser  Frage  habe  ich  bei  einer  Reihe  von  Patienten  (12) 
folgende  Versuchsanordnungen  getroffen. 

Ich  habe  mittels  der  von  mir  konstruierten  Häma¬ 
tokritröhrchen  die  Menge  der  roten  Blutkörperchen  vor, 
während  und  nach  einer  Trinkkur  mit  Eisenquellen  be¬ 
stimmt.  Gleichzeitig  wurde  mittels  des  Sahlischen  Hämo¬ 
meters  der  Farbstoff  des  Blutes  jedesmal  festgestellt. 

Wirken  die  Eisenquellen  nur  oder  wesentlich  auf 
die  Blutfarbstoffbildung,  so  muss  bei  ihrem  Gebrauch 
sich  die  Blutkörperchenmenge  gar  nicht  oder  unwesent¬ 
lich  vermehren,  dagegen  der  Blutfarbstoff  zunehmen. 
Wirken  sie  dagegen  anregend  auf  die  blutbildenden 
Organe,  so  muss  zuerst  die  Menge  der  roten  Blutkörper¬ 
chen  und  mit  dieser  auch  der  Farbstoff  zunehmen. 

Die  Untersuchungen  wurden  selbstverständlich  mit 
allen  Kautelen  angestellt  und  stets  Doppelbestimmungen 
gemacht. 

Diese  Untersuchungen  ergaben  die  Tatsache,  dass 
nach  Gebrauch  der  Eisenquellen  zuerst  die  Menge  der 
roten  Blutkörperchen  wuchs,  dass  damit  aber  die  Blut¬ 
farbstoffzunahme  nicht  parallel  ging,  sondern  geringer 
blieb,  als  nach  der  Menge  der  roten  Blutkörperchen  zu  er¬ 
warten  stand.  Erst  nachdem  eine  beträchtliche  Vermeh¬ 
rung  der  roten  Blutkörperchen  stattgefunden  hatte,  stieg 
(in  der  4.  resp.  5.  Woche)  auch  der  Blutfarbstoff. 

Es  geht  also  aus  diesen  Versuchen  zweifellos  her¬ 
vor,  dass  die  Eisenquellen  zuerst  durch  Reizung 
der  blutbildenden  Organe  die  Zellbe¬ 
standteile  im  Blute  vermehren  und  erst 
später  diese  neu  gebildeten,  noch  blutstoff¬ 
armen  Blutkörperchen  an  Farbstoff  zu¬ 
nehmen. 

Die  Untersuchungen  zeigen  uns  ferner,  dass  wir 
mit  der  Eisendarreichung  nicht  zu  frühe  aufhören  dürfen, 
sondern  mit  Rücksicht  auf  die  meist  erst  spät  eintreten¬ 
de  Hämoglobinzunahme  dieselbe  mindestens  5—6  Wochen 
streng  durchführen  müssen. 


Neue  Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der  Magen-  und 

Darmkrankheiten. 

Von  Dr.  Martin  Kaufmann  in  Mannheim. 

„Beiträge  zur  Untersuchung  des 
Mageninhalts  ohne  Sonde“  liefert  Hugo 
Friedrich  (Berlin-Steglitz).  Er  bespricht  die  An¬ 
wendung  des  von  der  Firma  G.  Pohl-Schönbaum  nach 
seiner  Anweisung  hergestellten  Gastrognost.  (Cf.  Berl. 
klin.  Woch.  Nr.  26,  1912.)  Bei  halbstündiger  Verweil¬ 
dauer  im  Magen  bedeutet  ein  brauner  bis  violetter 
Farbenton  des  Fadens  unternormale,  ein  blauschwarzer 
übernormale  Säurewerte;  bei  Zweifel,  ob  man  normale 
oder  übernormaleWerte  annehmen  soll,  lässt  man  trocknen  ; 
ein  reines  Blau  bedeutet  Hyperchlorhydrie.  Die  Länge 
der  gefärbten  Strecke  hat  mit  der  Menge  des  Magen¬ 
inhalts  nichts  zu  tun.  Dagegen  bedeutet  unregelmässige 
Fleckung  des  Fadens  einen  schlecht  gemischten  d.  h. 
schlecht  chymifizierten  oder  auch  schleimdurchsetzten 
Mageninhalt,  also  meist  einen  Kartarrh.  Ist  der  Faden 
am  Metall  rot,  weiter  oben  blau,  so  ist  anzunehmen,  dass 
das  vordere  Stück  schon  im  Darm  war,  dass  also  Hyper- 
motilität  bestellt,  dies  auch,  wenn  die  rote  Farbe  erst 
nach  dem  Trocknen  auftritt.  Es  ist  also  von  Wichtigkeit, 
den  Faden  sowohl  frisch  ass  auch  nach  dem  Trocknen  zu 


betrachten.  Zeigt  der  Gastrognost  Fehler,  die  Aus¬ 
heberung  Vorhandensein  freier  Säure  an,  so  war  der 
Faden  gar  nicht  im  Magen  infolge  eines  Fehlers  in  der 
Technik  des  Arztes;  im  umgekehrten  Fall  hat  der 
Gastrognost  Recht.  (Boas’  Archiv,  Bd.  19  H.  5.) 

Zwei  Arbeiten  (Boas’  Archiv,  Bd.  20,  H.  1)  be¬ 
schäftigen  sich  mit  der  Boasschen  Chlorophyllprobe:  eine 
aus  der  innern  Abteilung  des  Augustakrankenhauses  in 
Düsseldorf  -  Rath  von  H.  Kemmerling  (Über 
die  Boassche  Chlorophyllprobe  zur 
Bestimmung  der  Magenmotilität)  und 
eine  aus  der  Boaschen  Privatklinik  von  B.  Wartens¬ 
leben  (Über  Motilitätsbestimmung 
des  Magens,  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Boasschen  Chloro¬ 
phyll  m  e  t  h  o  d  e).  Während  Wartensleben  fest¬ 
stellt,  dass  die  Boassche  Probe  mit  der  Röntgenmethode 
in  78  Proz.,  mit  der  Leubeschen  Methode  in  76  Proz. 
übereinstimmt,  und  zu  dem  Resultate  kommt,  dass  die 
Chlorophyllmethode  sehr  gute  Resultate  liefert,  die  in 
Zweifelsfällen  unter  Umständen  höher  zu  bewerten  sind 
als  die  der  Kontrolluntersuchungen ;  „und  auf  denkbar 
einfache  Weise  eine  annähernd  quantitative  Schätzung 
der  Leistungsfähigkeit  des  Organs  erlaubt“,  kommt 
Kemmerling  zu  dem  Resultat,  dass  die  theoretisch  gut 
erdachte  und  in  vielen  Fällen  auch  praktisch  brauchbare 
Resultate  gebende  Probe  wegen  der  ihr  anhaftenden 
Fehlerquellen  zur  allgemeinen  Einführung  in  die  Praxis 
vorläufig  noch  nicht  empfohlen  werden  kann;  die  Tat¬ 
sache,  dass  sie  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  (62  Proz.)  mit 
der  Leubeschen  und  der  Röntgenbeobachtung  überein¬ 
stimmende  Resultate  ergeben  hat,  beweist  aber,  dass  der 
Grundgedanke  richtig  ist,  und  dass  es  der  Mühe  wert 
ist,  die  noch  vorhandenen  Fehlerquellen  auszuschalten. 

Aus  der  Wiener  Klinik  von  Noordens  berichtet 
(Boas’  Archiv,  Bd.  19,  H.  6)  S.  B  o  n  d  i  ausführlich 
über  „Die  selbsttätige  Drainage  des 
Magens  und  Duodenums  und  ihre  An¬ 
wendung  für  die  klinische  Diagnos  e.“ 
Ein  kurzes  Referat  über  die  Arbeit  lässt  sich  nicht 
geben;  sie  muss  im  Original  nachgelesen  werden.  Im 
ganzen  wurden  bei  153  Fällen  200  Untersuchungen  vorge¬ 
nommen,  deren  Ergebnis  Vf.  dahin  kennzeichnet,  dass  die 
Methode  jetzt  soweit  ausgearbeitet  ist,  dass  die  Re¬ 
sultate  mit  Kritik  verwertet  werden  können.  Er  hält 
die  Methode  bei  gewissen  Magenerkrankungen  sogar 
den  bisherigen  Untersuchungen  für  überlegen,  besonders 
bei  Atonie  und  Hypersekretion ;  die  Pankreasekretion 
lässt  sich  besser  als  auf  jede  andere  Weise  prüfen,  ebenso 
die  Gallensekretion;  die  Frage,  ob  kompletter  oder  in¬ 
kompletter  Gallengangverschluss,  lässt  sich  nur  auf  diese 
Weise  lösen,  ebenso  die  Prüfung  der  Galle  auf  Urobili- 
nogen  nur  so  anstellen  usw. 

Nach  Seymour  Basch  (,,D  ie  Anwen¬ 
dung  des  Karmins  zur  Magendarm- 
d  i  a  g  n  o  s  e“  ,  Boas’  Archiv,  Bd.  20,  H.  1)  besitzen 
wir  in  der  Karminprobe  ein  einfaches,  harmloses,  ver¬ 
lässliches  und  handliches  Prüfungsverfahren  für  die 
Trennung  der  Fäzes,  die  Bestimmung  der  Magendarm- 
motilität  und  -wegsamkeit,  zur  Feststellung  von  bistel- 
kommunikationen  zwischen  dem  Verdauungskanal  und 
dem  Körperäusseren  oder  anderen  Eingeweiden,  zum 
Nachweis  des  distalen  Endes  der  Duodenalsonde  im 
Duodenum  schliesslich  ein  Hilfsmittel  bei  der  Unter¬ 
scheidung  zwischen  Ösophagusdivertikel  und  -dilatation. 

Von  I.  M  a  t  k  o  wird  aus  der  Ortnerschen  Klinik 
in  Wien  „E  in  Beitrag  zur  quantitativen 
Beurteilung  der  Pankreasfunktion“ 
geliefert.  (Boas’  Archiv,  Bd.  19,  H.  6.)  Er  beanstandet 
bei  den  bisherigen  Methoden  der  Trypsinbestimmung 
im  Stuhl  die  Art  der  Stuhlgewinnung  und  der  Be¬ 
rechnung.  Er  geht  so  vor;  Die  Patienten  bekommen 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  1. 


8 


V2  Stunde  nach  einem  flüssigen  Nachtessen  15  g  Karls¬ 
bader  Salz  in  300  ccm  Wasser,  2  Stunden  danach  ein 
reichliches,  hohes  Seifenwasserklysma  (evtl,  um  1  Uhr 
nachts  noch  ein  zweites).  Um  7  Uhr  früh  wird  ein  ma¬ 
geres  Schnitzel  von  130 — 150  g  mit  0,3  Karmin  (ad 
caps.  geh)  gereicht,  genau  2  Stunden  später  nochmals 
15  g  Salz  in  200  ccm  Wasser  und  nochmals  200  ccm 
Leitungswasser.  Der  Stuhl  erfolgt  dann  fast  regel¬ 
mässig  flüssig  4 — 5  Stunden  nach  dem  Schnitzel  (evtl, 
gibt  man  nach  4  Stunden  nochmals  10  g  Salz).  Alle  Stuhl¬ 
portionen  werden  an  _  einem  kühlen  Ort  gesammelt,  die 
Karminstühle  zusammengegossen,  und  ihre  Menge  genau 
gemessen.  Dann  filtriert  man.  Im  Filtrat  bestimmt  Vf. 
dann  das  Trypsin  nach  der  von  Orlowski  modifizierten 
Gross  sehen  Methode,  berechnet  aber  das  Trypsin  nicht 
auf  1  ccm,  sondern  auf  die  Gesamtmenge  des  Stuhls, 
weil  nur  dadurch  ein  Vergleich  der  absoluten  Trypsin¬ 
mengen  in  den  einzelnen  Fällen  möglich  ist.  Normal 
scheinen  absolute  Trypsinmengen  von  6000  bis  über 
100000  Einheiten  zu  sein.  Von  den  Befunden  des  Vfs, 
ist  noch  von  Bedeutung,  dass  die  Trypsinwerte  im 
Stuhl  und  der  Antitrypsingehalt  des  Blutes  in  einzelnen 
Fällen  ein  auffallendes  Parallelgehen  zeigt. 

Untersuchungen  „Über  den  Diastase- 
gehalt  der  Fäzes“  hat  auf  der  Prager  medizi¬ 
nischen  Klinik  H.  R  o  t  k  y  angestellt.  (Münch,  med. 
Woch.  Nr.  39,  1913.)  Er  tritt  der  Ansicht  Starkensteins 
bei,  dass  die  bisher  meist  verwendete  Wohlgemuthsche 
Methode  mit  vielen  Fehlerquellen  behaftet  ist,  und  dass 
es  daher  nötig  ist,  mit  Organpulvern  zu  arbeiten,  da 
man  so  unabhängig  vom  Wassergehalt  der  Stühle  ist  und 
zu  quantitativen  Vergleichszahlen  gelangen  kann.  Auch 
in  den  Fäzes  ist  die  Aktivierung  der  Diastase  von  der 
Salzkonzentration  abhängig;  zur  Bestimmung  der 
diastatischen  Kraft  der  Fäzes  soll  man  stets  von  dialy- 
siertem  Material  ausgehen  und  durch  Salzzusatz  den 
optimalen  Wert  ermitteln.  Zum  Vergleich  soll  stets  der 
optimale  Wert  herangezogen  werden.  Es  zeigt  sich 
schon  aus  der  kurzen  Versuchsreihe  des  Vfs,  (9  Fälle), 
dass  bei  Verwendung  von  genau  berechneten  Suspen¬ 
sionen  des  Stuhlpulvers  die  Schwankungen  für  den 
diastatischen  Fermentgehalt  sich  in  nicht  allzuweiten 
Grenzen  bewegen.  Durch  grössere  Untersuchungsreihen 
wird  man  nun  versuchen  müssen,  einen  Durchschnitts¬ 
normalwert  zu  ermitteln,  und  dann  bei  verschiedenen 
Erkrankungen  eventuell  Schwankungen  desselben  zu  be¬ 
obachten  und  diagnostisch  zu  verwerten. 

Auf  der  medizinischen  Klinik  zu  Halle  a.  S.  hat 
(der  inzwischen  einer  im  Berufe  akquirierten  Diphtherie¬ 
infektion  erlegene)  Hermann  Bertheau  Unter¬ 
suchungen  über  die  Frage  angestellt:  „W  eichen 
Einfluss  hat  die  Düngung,  das  Alter 
und  die  Frische  des  Gemüses  auf 
seine  V  erdaulichkeit  und  den  Zellu¬ 
losegehalt?“  Es  ergeben  sich  zweifellos  gewisse 
Einflüsse  der  genannten  3  Faktoren  auf  Zellulosegehalt 
und  Verdaulichkeit,  aber  bei  den  einzelnen  Gemüsen 
machen  sich  diese  Einflüsse  in  sehr  verschiedener  Weise 
und  Intensität  geltend,  so  dass  eine  Verallgemeinerung 
nicht  zulässig  ist.  Das  auf  mit  Stallmist  gedüngtem 
Boden  gewachsene  Gemüse  ist  im  allgemeinen  den  Ver¬ 
dauungssäften  am  meisten  zugänglich,  nächstdem  das 
auf  künstlich  gedüngtem  Boden  gewachsene;  ja  bei  Voll¬ 
düngung  sind  die  Resultate  teilweise  noch  besser  als  bei 
Stalldüngung.  Am  schlechtesten  sind  sie  bei  auf  unge- 
düngtem  Boden  gewachsenen  Gemüse.  Längere  Lage¬ 
rung  oder  grösseres  Alter  erhöhen  im  allgemeinen  die 
Widerstandskraft  der  Gemüse  gegen  die  Verdauung. 
Ganz  ähnlich  wirken  die  verschiedenen  Faktoren  auf 
den  Zellulosegehalt  der  Gemüse,  und  im  allgemeinen 
gehen  Höhe  des  Zellulosegehalts  und  Resistenz  gegen 
die  Verdauungssäfte  einander  parallel.  Jedenfalls  können 


wir  durch  geeignete  Behandlung  des  Bodens  einen  nicht 
geringen  Einfluss  auf  Verdaulichkeit  und  Zellulosegehalt 
der  Gemüse  gewinnen. 

Eine  Studie  ,,Ü  ber  Gastroptose“  bringt 
W.  B  a  c  k  m  an  (Finska  läkaresällsk.  handl.  Nr.  11, 
1913).  Er  hat  1135  Personen,  nämlich  442  Männer  und 
693  Frauen,  auf  das  Vorkommen  von  Gastroptose  unter¬ 
sucht.  Er  unterscheidet  leichte  Ptosen:  kleine  Kurvatur 
an  oder  unterhalb  der  Mitte  zwischen  Schwertfortsatz 
und  Nabel,  und  hochgradige  Ptosen  :  Kurvatur  in  oder 
unter  Nabelhöhe.  Als  Üntersuchungsmethode  diente 
meist  die  Aufblähung  durch  mässige  Mengen  C02.  Von 
den  Frauen  hatten  66,7  Proz.  eine  leichte,  3,5  Proz.  eine 
hochgradige  Ptose,  von  den  Männern  42,5  bezw.  0  Proz. 
Die  Ptose  kam  in  allen  Altersperioden  vor.  Etwa  die 
Hälfte  der  Fälle  hatten  keine  dyspeptischen  Beschwerden  ; 
die  gleichen  Symptome  wie  bei  Ptose  kamen  auch  bei 
normaler  Lage  vor,  so  dass  also  die  Ptose  als  solche  in 
der  Regel  keine  krankhaften  Symptome  bedingt.  Die 
Sekretion  zeigte  (untersucht  an  130  Fällen)  wechselnde 
Verhältnisse,  eher  Neigung  zu  Hypazidität.  Die  Motili¬ 
tät  war  bei  46,2  Proz.  der  Ptosen,  bei  38  Proz.  der 
Normalfälle  herabgesetzt.  —  Da  bei  1/i  der  Fällen  mit 
Ptose  und  schlaffen  Bauchdecken  kein  Plätschern  er¬ 
zeugt  werden  kann,  so  muss  zu  seiner  Entstehung  noch 
ein  Drittes,  die  peristolische  Atonie,  hinzukommen. 
Ptose  muss  also,  entgegen  Stiller,  aber  conform  mit  den 
Durchleuchtungsresultaten,  nicht  mit  Atonie  kombi¬ 
niert  sein. 

Über  ,,D  ie  verschiedenen  Formen 
der  Achylia  gastrica,  ihre  Pathoge¬ 
nese  und  Behandlung“  verbreitet  sich  A. 
Albu  (Therapie  der  Gegenwart  Nr.  10,  1913).  Er 
unterscheidet  primäre  und  sekundäre  Achylien  :  Zu 
letzteren  rechnet  er  die  senilen  Formen  („einer  arterio¬ 
sklerotischen  Schrumpfung  anderer  Organe  vergleichbar“), 
die  als  Endstadium  einer  chronischen  atrophierenden 
Gastritis  eintretende  Achylie  (mit  mehr  oder  minder 
reichlichen  Schleimbeimengungen),  die  als  Vorstadium 
oder  Begleiterscheinung  des  Magenkarzinoms  bestehende 
Achylie,  die  Achylie  im  Gefolge  schwerer  konsumierender 
Erkrankungen  (Lungentuberkulose,  chron.  Nephritis, 
Arteriosklerose),  bei  Cholelithiasis,  Pankreaserkrankungen, 
bei  Konstitutionsanomalien  (Asthenie,  Chlorose  usw.).  Die 
primären  Achylien  können  erworben  oder  angeboren 
sein.  Die  Entstehung  der  ersteren  ist  noch  völlig  dunkel; 
zu  ihnen  gehört  auch  die  Achylie  bei  perniziöser  Anämie 
(bei  welcher  Kombination  die  Achylie  das  primäre  Leiden 
darstellt).  Viel  häufiger  ist  die  angeborene  Form,  die 
Achylia  gastrica  aplastica ;  meist  handelt  es  sich  um 
Neurastheniker:  „unter  die  Stigmata  neuropathischer 
Konstitution  ist  auch  die  Achylia  aplastica  einzureihen“. 
Diese  Form  ist  pathogenetisch  wie  prognostisch  neben  die 
orthotische  Albuminurie  zu  stellen.  Sie  kommt  übrigens 
auch  akut  und  dann  vorübergehend  vor. 

Therapeutisch  hat  Vf.  bei  hartnäckigen  Fällen  seit 
langem  rein  vegetabilische  Kost  in  feiner  Breiform  ver¬ 
sucht,  mit  gutem  Erfolg,  der  wohl  auf  der  starken  Ver¬ 
minderung  der  Darmeiweissfäulnis  beruht  (Suppen,  Breie, 
leichte  Mehlspeisen,  Fruchtsäfte,  Gemüsepürees  mit  Butter, 
pürierte  Kompotte,  feine  Gebäcke,  Toast,  Tee,  Kakao, 
leichter  Rotwein).  Wo  Yoghurt  vertragen  wird,  wirkt  es 
in  ähnlichem  Sinne.  Bei  Kombination  mit  Pankreasachylie 
ist  neben  der  Eiweiss  auch  Fettbeschränkung  geboten;  man 
gibt  hier  neben  Kohlehydraten  Hühner-  und  Kalbgelees, 
auch  Milch  und  Heidelbeeren.  Streng  verboten  sind  rohes 
Fleisch,  Räucherwaren,  Gewürze,  Alkohol,  Schwarzbrot, 
Kaffee,  rohes  Obst,  Salat.  Medikamentös  Salzsäure 3  mal 
täglich  25 — 30  Tropfen  vor,  oder  zur  Hälfte  vor  und 
nach  der  Mahlzeit,  statt  dessen  auch  3  mal  2 — 3  Azidol- 
(pepsin)-tabletten,  ferner  Pankreon  oder  Pankreatin,  3  mal 
täglich  1  Messerspitze  während  der  Mahlzeit. 


Nr.  1 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


9 


W.  Eier  und  O.  Porges  (Wien)  suchen  nach 
Beziehungen  zwischen  ,,D  ermatosen  und  A  n  - 
az  i  d  i  t  ä  t“.  Sie  verfügen  über  4  Fülle,  in  denen  Pati¬ 
enten  mit  sehr  hartnäckigen,  juckenden  Flautausschlägen 
nach  Feststellung  des  Fehlens  freier  IIC1  durch  blosse 
interne  Darreichung  von  HCl  definitiv  geheilt  wurden. 
Es  handelte  sich  um  eine  schwere  Urtikaria,  um  einen 
einfachen  Pruritus,  ferner  um  2  Fälle  von  Neurodermitis 
chronica  faciei.  Offenbar  kann  die  Sub-  oder  Anazidität 
bei  manchen  Fällen  auf  bisher  noch  unbekanntem  Wege 
die  Ursache  hartnäckiger  Plautleiden  werden.  (Wiener 
klin.  Woch.  1913.) 

„Experimentelle  Untersuchungen 
über  die  Ätiologie  des  Ulcus  ventri- 
culi  und  theoretische  Schlussfolge¬ 
rungen  über  die  Pathogenese  des 
Magen-  und  Zwölffingerdarmge¬ 
schwürs“  hat  auf  der  III.  med.  Klinik  zu  Wien  R. 
L  a  t  z  e  1  angestellt.  (Boas'  Archiv,  Bd.  19,  Ergänzungs¬ 
heft.)  In  Zusammenfassung  seiner  Versuchsergebnisse 
betont  er,  dass  die  Ursachen  des  experimentellen  akuten 
Ulkus  der  Magenschleimhaut  wohl  stets  mehrere  sind. 
Von  diesen  kennen  wir :  a)  Vagusschädigung  im  Sinne 
der  Reizung  kontraktionsfördernder,  aber  auch  kontrak¬ 
tionshemmender  Fasern  und  Beeinflussung  von  vaso- 
konstriktorischen  Fasern,  b)  Anämisierung  der  Schleim¬ 
haut,  bewirkt  durch  übermässige  Ausdehnung  der  Magen¬ 
wände,  also  rein  mechanischer  Natur,  c)  Bildung  gastro- 
toxischer  Substanzen,  d)  Unbekannte,  durch  den  Ein¬ 
griff  bedingte  schädigende  Einflüsse.  —  Die  Pathogenese 
des  menschlichen  Ulcus  ventriculi  resp.  duodeni  ist  noch 
weit  schwerer  zu  beurteilen,  beruht  aber  auch  in  jedem 
einzelnen  Falle  auf  einer  Mehrheit  von  Ursachen,  wobei 
Vaguserkrankungen,  Gastroptose  und  die  anatomischen 
und  embryonalen  Verhältnisse  des  Duodenums  eine  Rolle 
spielen  mögen.  Die  Chronizität  des  menschlichen  Ulkus 
mag  immerhin  durch  die  Mitbeteiligung  einer  bakteriellen 
Noxe  sowie  besonders  durch  die  Heilungsbehinderung 
durch  gastrotoxische  Substanzen  bedingt  sein.  Auch 
einer  Schädigung  des  chromaffinen  Systems  könnte  nach 
Finzis  (Pathologica  1912,  IV)  und  des  Vfs.  Versuchen 
eine  Bedeutung  zukommen,  besonders  wenn  man  die  re¬ 
lative  Häufigkeit  des  Zusammentreffens  von  Gastroptose, 
niederem  Blutdruck  und  Ulzeration  des  Magens  berück¬ 
sichtigt. 

Zur  Frage  der  Gastroenterostomie 
oder  Resektion  bei  pylorusfernem  Ulcus 
ventriculi  liefert  A.  Brenner  (Linz  a.  d.  D.) 
einen  interessanten  Beitrag  (Wiener  klin.  Wochenschr. 
Nr.  44,  1913).  Er  hat  in  67  Fällen  von  pylorusfernem 
Geschwür  die  Gastroenterostomie,  in  25  die  Resektion 
ausgeführt.  Davon  starben  im  Anschluss  an  die  Ope¬ 
ration  von  den  gastroenterostomierten  10 —  15  Proz. 
(von  den  resezierten  7  =  28  Proz.)  Ohne  Erfolg  wurden 
operiert  5  —7A  Proz.  (4=  16  Proz.),  mit  Erfolg 
45  =  67  Proz.  (14=56  Proz.)  Dazu  kommen  noch  7 
Gastroenterostomierte,  von  denen  keine  Nachricht  zu  er¬ 
halten  war.  Lässt  man  aus  der  Statistik  diese  weg,  so¬ 
wie  in  beiden  Rubriken  die  an  den  Operationsfolgen  Ge¬ 
storbenen  so  bleiben  50  Gastroenterostomierte  (und  18 
R eseziert e),  welche  die Dauerresul tatezu  beurteilen  gestatten. 
Davon  war  die  Operation  ohne  Erfolg  bei  5=10  Proz. 
(4  =  22  Proz.),  mit  Erfolg  bei  45  =  90  Proz.  (14  =  77 
Proz.)  und  zwar  mit  Dauererfolg  bei  33  =  64  Proz. 
(10=55  Proz.),  mit  schwankendem  Erfolg  bei  13  =  26 
Proz.  (4=22  Proz.)  Diese  Zahlen  zeigen  jedenfalls, 
dass  auch  bei  pylorusfernem  Geschwür  die  Gastroentero¬ 
stomie  gute  und  dauernde  Resultate  gibt,  andererseits, 
dass  auch  die  Resektion  nicht  vor  Rezidiv  und  Karzinom 
schützt. 

Eine  neue  Therapie  der  Hyperazi¬ 
dität  des  Magens,  insbesondere  bei 


ulzerösen  Prozessen  bespricht  R.  G  1  a  e  s  s  - 
n  e  r  (Wiener  klin.  Woch.  Nr.  39,  1913).  Er  betrachtet 
die  Übersäuerung  des  Mageninhalts  als  eine  Hauptur¬ 
sache  des  Magengeschwürs  bezw.  des  Übergangs  ein¬ 
facher  Schleimhautulzera  in  kallöse  Geschwüre.  Ihrer 
Bekämpfung  kommt  daher  grosse  Wichtigkeit  zu. 
Zweifellos  beruht  auch  die  Wirksamkeit  der  Gastro¬ 
enterostomie  in  vielen  Fällen  lediglich  auf  der  neutrali¬ 
sierenden  Wirkung  des  rückläufigen  Duodenalinhalts.  In 
letzterem  muss,  wie  VT.  per  exclusionem  folgert,  die 
Galle  das  in  diesem  Sinne  wirksame  Agens  sein.  Er 
konnte  auch  tatsächlich  durch  experimentelle  und  kli¬ 
nische  Versuche  feststellen,  dass  die  Galle  (und  zwar  als 
wirksamer  Stoff  in  ihr  die  Cholsäure)  in  vitro  den  Pep¬ 
singehalt,  in  vivo  ausserdem  auch  den  Säuregehalt  des 
Magensaftes  herabsetzt.  Die  klinischen  Beobachtungen 
ergaben  in  geeigneten  Fällen  eine  dauernde  Beeinflussung 
in  diesem  Sinne,  ferner  in  vielen  Fällen  ein  Schwinden 
der  Ulkusbeschwerden.  Man  gibt  am  besten  eine  Emul¬ 
sion  von  cholsaurem  Natron  mit  Öl  ää  0,2  in  Gelatine¬ 
kapseln,  2 — 5  Stück  täglich. 

T  h.  von  Openchowski  liefert  (Münch, 
med.  Woch.  Nr.  47,  1913)  einen  Beitrag  „Z  u  r  Dia¬ 
gnostik  der  Lokalisation  des  Magen¬ 
geschwüres“.  Nach  ihm  spricht  intensiver  Druck¬ 
schmerz  auf  dem  4.  bis  7.  Brustwirbel  und  deren  Dorn¬ 
fortsätze  für  Sitz  des  Geschwürs  an  der  kleinen  Kurva¬ 
tur  zwischen  Kardia  und  Pylorus;  zeigt  sich  die  Schmerz¬ 
haftigkeit  bis  zum  10.  Wirbel,  so  muss  ein  Geschwür  in 
der  Gegend  des  Magenkörpers  angenommen  werden; 
erstreckt  sie  sich  vom  10.  bis  12.  Wirbel,  so  entspricht 
dies  gewöhnlich  der  Lage  des  Geschwürs  an  der  grossen 
Kurvatur  ganz  dicht  am  Pylorus.  Die  Intensität  sowie 
die  Irradiation  der  Schmerzen  in  die  Wirbelsäule,  in  die 
rechte  und  linke  Hälfte  des  hinteren  Teils  des  Brust¬ 
korbs,  hängen  anscheinend  von  den  Dimensionen  des 
Geschwürs  nach  Breite  und  Tiefe  ab.  Die  Lokalisation 
der  Geschwüre  auf  Grund  der  subjektiven  Empfindungen 
ist  viel  weniger  zuverlässig. 

Eine  relativ  grosse  Erfahrung  ,,Ü ber  das  Ulcus 
duodeni“  besitzt  E.  Schütz  (Wien).  Seinem  Be¬ 
richt  (W.  kl.  W.  1914,  Nr.  1,  S.  1)  ist  zu  entnehmen, 
dass  er  innerhalb  2  Jahre  die  Diagnose  eines  Duodenal¬ 
geschwürs  in  137  Fällen  gestellt  hat;  von  den  Fällen 
sind  19  durch  Operation  kontrolliert,  und  die  Diagnose 
stimmte  in  17  F'ällen.  Die  von  Moynihan  angegebenen 
Symptome  kann  er  im  allgemeinen  bestätigen  ;  allerdings 
so  typisch,  wie  sie  dieser  Autor  schildert,  ist  die  Anam¬ 
nese  nur  in  einem  Bruchteil  der  Fälle  Der  sogenannte 
Hungerschmerz  bestand  nur  in  45  Proz.  der  Fälle.  Vf. 
hält  das  Ulcus  duodeni  auch  bei  uns  zu  Lande  für  eine 
häufige  Erkrankung.  Wenn  Moynihan  auf  1  Magen- 
ulkus  5  Duodenalulzera  findet,  umgekehrt  Ewald  nur 
auf  6  Magenulzera  1  Duodenalulkus,  so  hat  VT.  neben 
den  137  Duodenalulzera  274  Fälle  von  Magenulkus. 
Von  den  137  Fällen  sind  121  (=87  Proz.)  Männer.  Dem 
Alter  nach  standen  45  im  4.,  44  im  3.  Dezennium,  15  Fälle 
im  6.,  25  im  5.  Unter  20  und  über  60  waren  je  4. 
Meist  bestand  deutliche  umschriebene  Druck-  und  Klopf¬ 
empfindlichkeit,  die  meist  einen  mehrere  cm  nach  rechts 
von  der  Mittellinie  oberhalb  des  Nabels  gelegenen  Be¬ 
zirk  betraf;  sehr  häufig  bestand  dort  deutliche  Muskel¬ 
spannung.  In  50  Proz.  der  Fälle  traten  des  Nachts 
Schmerzanfälle  auf.  In  106  Fällen  bestand  Hyper¬ 
azidität,  in  26  normale  Azidität,  in  5  Subazidität;  häufig 
bestand  Hypersekretion.  Über  die  Frage  nach  der 
Häufigkeit  okkulter  Blutungen  kann  VT.  bei  seinem  am¬ 
bulatorischen  Material  kein  Urteil  fällen.  Der  Röntgen¬ 
befund  gibt  keine  charakteristischen  Merkmale :  be¬ 
schleunigte  Austreibungszeit,  gesteigerte  Peristaltik,  Druck¬ 
empfindlichkeit  am  Bulbus,  ein  persistierendert';Wismut- 
fleck  kommen  auch  normal  vor,  können  aber  bei  Ver- 


10 


Nr.  1. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


dacht  auf  Duodenalulkus  die  Diagnose  stützen.  —  Das 
Ulcus  duodeni  ist  nicht  ohne  weiteres  Gegenstand 
chirurgischer  Behandlung;  es  wird  allerdings  noch  eines 
längeren  Zeitraums  bedürfen,  um  über  den  Erfolg  der 
inneren  Behandlung  urteilen  zu  können.  Das,  was  Vf. 
von  der  Gastroenterostomie  gesehen  hat,  war  nicht  sehr 
günstig;  die  unilaterale  Pylorusausschaltung  scheint  die 
Resultate  zu  verbessern,  auch  die  Gefahr  des  Ulcus 
jejuni  zu  verringern;  jedenfalls  sollte  man  bald  nach  der 
Operation  mit  grossen  Alkalidosen  beginnen.  Die  in¬ 
terne  Behandlung  sollte  nicht  in  den  rigorosen  Diätbe¬ 
schränkungen  wie  bei  Ulcus  ventriculi  bestehen:  man 
sollte  eine  leicht  verdauliche,  aber  konsistente  Kost  in 
Zwischenräumen  von  3  Stunden  geben,  auch  für  nachts 
Nahrung  (Milch,  Biskuit,  Kakes)  bereitstellen.  Daneben 
muss  man  Alkalien  und  Belladonna  geben.  Die  genannten 
Maßnahmen  sind  auch  —  ohne  zu  grosse  Ängstlichkeit  — 
in  der  anfallfreien  Zeit  zu  beachten.  Wichtig  ist  ferner 
körperliche  und  geistige  Ruhe,  Schutz  vor  Erkältung 
und  Kälte.  Eine  Karlsbader  Kur  kann  versucht  werden. 
Nützt  die  Behandlung  nichts,  so  ist  eine  typische  Leube- 
kur  zu  versuchen. 

Über  „W  eitere  Erfahrungen  mit  dem 
Duodenalgeschwür“  berichtet  Ei  nhorn-Ne  w- 
Y  o  r  k  (Boas7  Archiv,  Bd.  19,  Ergänzungsheft). 

Er  verfügt  über  eine  grössere  Anzahl  Fälle  dieser 
Affektion.  In  7  Fällen  bestätigte  die  Operation  die 
hauptsächlich  auf  Grund  der  positiven  Fadenprobe  ge¬ 
stellte  Diagnose,  in  2  Fällen  mit  positiver  Fadenprobe 
handelte  es  sich  nicht  um  ein  Duodenalulkus,  sondern 
um  eine  Appendizitis  und  ein  Magenulkus.  Ein  Fall 
mit  negativer  Fadenprobe  ergab  bei  der  Operation  ein 
Duodenalulkus,  ein  weiterer  Fall  von  wahrscheinlichem 
Duodenalulkus  wurde  nicht  operiert.  In  3  Fällen  sprachen 
die  Beschwerden  für  Duodenum,  die  Fadenprobe  für 
Magenulkus;  die  Operation  ergab  letzteres.  In  weiteren 
3  Fällen  waren  auch  die  Beschwerden  des  Duodenal¬ 
ulkus  vorhanden,  die  Fadenprobe  war  negativ,  die  Opera¬ 
tion  ergab  Cholezystitis  mit  Pankreatitis  bezw.  Chole- 
lithiasis  bezw.  Pankreaskarzinom.  Diese  Erfahrungen 
zeigen,  dass  die  subjektiven  Symptome  allein  nicht  für 
die  Diagnose  Duodenalulkus  genügen,  und  dass  die 
Fadenprobe  ein  wichtiges  diagnostisches  Hilfsmittel  ist. 
Therapeutisch:  in  leichten  F'ällen  1 — 2  Wochen  Bettruhe 
mit  Wismuth  und  Magnesia,  evtl,  kann  darauf  verzichtet 
werden;  in  schwereren  Fällen  unbedingt  Bettruhe,  bei 
schweren  Symptomen  Rektal-  bezw.  Duodenalernährung. 
Die  Operation  ist  indiziert:  1.  bei  Perforation,  2.  bei 
wiederkehrenden  starken  Blutungen,  3.  bei  unbeeinfluss¬ 
baren  kleinen  Blutungen,  4.  bei  stetiger  kontinuierlicher 
Hypersekretion,  die  von  interkurrierender  Ischochymie 
begleitet  ist,  5.  bei  unstillbaren  heftigen  Schmerzen. 

Unter  dem  Titel  „W  eitere  Erfahrungen 
über  Polycythaemie  bei  chronischem 
unkompliziertem  Duodenalgeschwür“ 
macht  (Boas’  Archiv,  Bd.  19,  Ergänzungsheft)  Fried- 
m  a  n  n  (New-York)  darauf  aufmerksam,  dass  man  bei 
Moynihanschem  Symptomenkomplex  regelmässig  hohe 
Erythrozytenwerte  zwischen  5xf2  und  8  Millionen  findet, 
und  regt  an,  diese  Angabe  nachzuprüfen;  beim  Magen¬ 
geschwür  finde  man  stets  sekundäre  Anämie. 

„D  ie  Misserfolge  der  Gastro  entero- 
an  astomie  bei  Pylorusstenose  infolge 
spastischen  Verschlusses  der  Magen¬ 
fistel“  beschreibt  W.  Zweig-  Wien  (Boas'  Archiv, 
Bd.  19,  H.  6).  Er  schildert  2  hierhergehörige  Fälle  aus¬ 
führlich  und  geht  dann  auf  die  Dauerresultate  der  Gastro¬ 
enterostomie  wegen  Pylorusstenose  überhaupt  ein.  Er 
verfügt  nur  über  27  Fälle,  die  er  aber  schon  seit  Jahren 
in  Beobachtung  hat.  Von  ihnen  blieben  dauernd  geheilt 
nur  10.  Bei  7  kam  es  zu  einem  spastischen  Verschluss 
der  Gastroenterostomiefistel,  und  von  diesen  kamen  2  in¬ 


folge  unstillbaren  Erbrechens  zum  Exitus.  Ausserdem 
starben  2  an  Collaps  nach  der  Operation,  2  an  Blutung 
nach  der  Operation.  In  6  weiteren  Fällen  kam  es  zu 
einem  Rezidiv  des  Ulkus  mit  Blutung.  Der  Optimismus 
bez.  der  Erfolge  der  Gastroenterostomie,  den  viele 
Chirurgen  zur  Schau  tragen,  ist  also  nicht  berechtigt. 
Gerade  der  spastische  Verschluss  der  Gastroentero- 
anastomose  kann  zu  schweren  Schädigungen ,  ja,  bei 
Hinzufügung  einer  Pylorusausschaltung,  zu  einer  Kata¬ 
strophe  führen.  Die  Ursachen  dieses  spastischen  Ver¬ 
schlusses  können  sehr  mannigfaltig  sein.  Meist  ist  eine 
ausgesprochene  Vagotonie  nachweisbar ;  derartige  Mägen 
haben  auch  schon  vor  der  Operation  ohne  schwere 
Pylorusstenose  auffallend  viel  und  oft  erbrochen,  wes¬ 
halb  auch  in  solchen  Fällen  die  sonst  stets  eintretende 
Magenerweiterung  nicht  eintritt.  In  solchen  Fällen  soll 
man,  wenn  irgend  möglich,  die  Gastroenterostomie  ver¬ 
meiden  ;  sehr  gute  Dienste  leistet  bei  ihnen,  aber  auch 
noch  bei  spastischem  Verschluss  einer  Gastroentero- 
anastomose,  das  Papaverin,  subkutan  2  mal  täglich  0,05 
oder  innerlich  3  —  4 mal  täglich  0,03,  stets  1/i — 1/2  Stunde 
vor  der  Mahlzeit. 

,,R  öntgen  ologisches  undK  linisches 
zur  Frage  des  Sanduhrmagens“  ist  eine  mit 
zahlreichen  Abbildungen  von  Röntgenbildern  aus¬ 
gestattete  Studie  von  Reizenstein  und  Frei 
(Nürnberg)  betitelt.  Es  werden  19  Fälle  von  Sanduhr¬ 
magen  klinisch  und  röntgenologisch  analysiert;  5  davon 
wurden  operativ  kontrolliert.  Bemerkenswert  ist  bei 
den  Befunden,  dass  die  Enge  der  Stenose  des  Schirm¬ 
bildes  meist  stärker  ausgeprägt  ist,  als  die  klinischen 
Erscheinungen  vermuten  lassen  und  die  Operation  er¬ 
gibt  (infolge  von  hinzutretenden  Spasmen),  dass  die  An¬ 
nahme,  Atropin  lasse  die  spastischen  und  organischen 
Stenosen  sicher  unterscheiden,  hinfällig  ist,  schliesslich 
dass  man  nicht  nur  an  der  grossen,  sondern  auch  an  der 
kleinen  Kurvatur,  wenn  auch  nur  sehr  selten,  scharfe  spitz¬ 
winklige  Einziehungen  finden  kann,  die  auf  ein  Ulkus  an 
der  grossen  Kurvatur  schliessen  lassen. 

„Röntgenbild  und  Operationsbe¬ 
fund  bei  Pyloruskarzinomen“  hat  H. 
Reichel  (München)  in  22  Fällen  vferglichen  und  be¬ 
schreibt  die  Ergebnisse  unter  Nebeneinanderstellung  der 
beiden  Befunde  in  Abbildungen  (M.  m.  VV.  1914,  Nr.  2 
und  3,  S.  64  und  137).  Ohne  wesentlich  Neues  zu 
bringen,  bilden  seine  Darlegungen  willkommenes  Ma¬ 
terial,  die  Unentbehrlichkeit  der  Röntgenuntersuchung 
für  die  Diagnose  des  Magenkarzinoms  darzutun. 

In  einem  Aufsatz  ,.Zur  Diagnose  des 
j  Magenkarzinoms“  haben  R.  Roubitschek 
und  M.  Weiser  im  Krankenhaus  Dresden  -  Johann¬ 
stadt  angestellte  Untersuchungen  mit  der  Wolff-Junghans- 
schen  Probe  niedergelegt  (Boas’  Archiv,  Bd.  19,  Er¬ 
gänzungsheft).  Diese  Probe  benutzt  bekanntlich  den  bei 
Karzinom  weiter  als  normal  vor  sich  gehenden  Eiweiss¬ 
abbau  zur  Diagnose  (Cf.  Berl.  klin.  Woch.  1911  p.  979). 
Zur  Untersuchung  kamen  13  Fälle  von  Achylie  und  11 
von  Karzinom.  Sämtliche  Patienten  erhielten  .zunächst 
fleischfreie  Kost  und  wurden  täglich  auf  okkulte 
Blutungen  untersucht.  Der  Magen  wurde  am  Abend 
leergespült,  und  am  nächsten  Morgen  das  Probefrühstück 
nach  45  Minuten  ausgehebert.  Das  Filtrat  wird  nun  in 
steigender  Weise  verdünnt,  und  die  Verdünnung  mit 
Phosphorwolframsäure  überschichtet,  das  Röhrchen  dann 
in  den  Brutofen  gestellt.  Die  Verdünnung,  bei  der  keine 
Fällung  mehr  eintritt,  ist  der  Fällungswert.  Er  betrug 
bei  den  13  Achyliefällen  1  :  20— 1  :  100;  der  Pepsinwert 
betrug  dabei  1:10—1:  100  (mit  der  Jacobischen  Ricin- 
probe).  Es  wäre  also  falsch,  aus  einem  Fällungswerte 
von  1  :  100  auf  Karzinom  schliessen  zu  wollen,  wie  vor¬ 
geschlagen  worden  ist.  (Einstein.)  Bei  den  1 1  Karzi¬ 
nomfällen  betrug  der  Fällungswert  1:100 — 1:400,  nur  in 


Nr.  1. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


11 


1  Fall  1  : 40,  und  hier  handelte  es  sich  um  einen  Tumor 
des  Pankreaskopfes.  Der  Pepsinwert  schwankte  zwischen 
1  :  10  und  1  :  100.  Der  Röntgenbefund  stimmte  in  0 
Fällen  mit  der  chemischen  Diagnose  überein,  in  3  war 
er  zweifelhaft.  Die  Probe  kommt  für  die  Diagnose  des 
beginnenden  Karzinoms  nicht  in  Betracht,  da  sie  nur  bei 
zerfallenden  Karzinomen  positiv  ausfällt. 

„Radiologische  Anhaltspunkte 
zur  Diagnose  der  c  h  r  o  n  i  s  c  h  e  n  Appen¬ 
dizitis“  liefern  G.  Singer  und  G.  Ho  lz  ■ 
kn  echt-  Wien  (Münch,  med.  Woch.  Nr.  48,  1013). 
Sie  suchen  den  von  dem  Kranken  konstant  angegebenen 
Schmerzpunkt  durch  Palpation  zu  fixieren  und  dann 
seine  Organzugehörigkeit  auf  dem  Leuchtschirm  festzu¬ 
stellen.  Die  Füllung  der  in  Betracht  kommenden  Darin- 
schlingen  wird  ziemlich  sicher  erreicht,  wenn  man  6 
Stunden  vor  der  Untersuchung  40  g  Bismut.  carb.  oder 
60  g  Bar.  sulfur.  in  Milchspeise  verabreicht,  noch  besser, 
wenn  man  dies  zweimal,  nämlich  24 — 30  und  6  Stunden 
vor  der  Untersuchung  gibt.  Man  wendet  besser  die 
Durchleuchtung  als  die  Photographie  an  ,  am  besten  in 


liegender  Stellung.  Um  aus  dem  Knäuel  der  in  der 
Ileozoekalgegend  sichtbaren  Massen  sich  die  einzelnen 
Darmschlingen  kenntlich  zu  machen,  verwendet  man  hier, 
statt  des  gewöhnlichen  I  lolzknechtschen  Löffeldistinktors 
eine  Modifikation  desselben,  den  Punktdistinktor  —  der 
am  Ende  statt  eines  Löffels  ein  fingerförmiges  Ende  und 
Metallrohr  besitzt;  letzteres  sieht  man  auf  dem  Schirm 
und  wenn  man  mit  ihm  eindrückt,  kann  man  in  dem 
durch  den  Druck  des  Instruments  entwirrten  Knäuel  die 
am  meisten  druckempfindliche  Stelle  in  ihrer  Zugehörig¬ 
keit  zu  einer  Darmschlinge  feststellen.  Im  ganzen 
wurden  bisher  25  Fälle  untersucht.  Von  ihnen  gaben  0 
bei  der  Operation  ein  mit  dem  Röntgenbefund  überein¬ 
stimmendes  Ergebnis,  1  Fall  ist  auch  ohne  Operation 
eine  sichere  Appendizitis,  in  einem  Fall  handelte  es  sich 
um  Appendizitis  bei  Situs  inversus,  in  einem  Fall  konnte 
mit  Sicherheit  der  Appendix  als  frei  bezeichnet  werden. 
Eine  Reihe  anderer  Affektionen  ist  dabei  allerdings  stets 
in  differentielle  Erwägung  zu  stellen  (Genitalien,  spa¬ 
stische  Obstipation,  Ureter.) 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeines. 

Alkohol  und  Heer.  In  dem  soeben  zur  Ausgabe  gelangten 
„Taschenbuch  des  Feldarztes“,  2.  Teil :  Übertragbare  Krank¬ 
heiten  und  innere  Medizin  (München,  J.  F.  Lehmanns  Verlag), 
nimmt  Geheimrat  Professor  von  Gruber  in  einem  Schlusswort 
Stellung  zur  Alkoholfrage.  Dieses  erscheint  nicht  nur  für 
Militärärzte,  sondern  für  unser  gesamtes  deutsches  Volk  von 
so  grosser  Bedeutung,  dass  sein  wesentlicher  Inhalt  allgemein 
bekannt  zu  werden  verdient.  Der  bekannte  Hygieniker  führt 
aus :  „Das  Deutsche  Reich  kämpft  um  sein  Leben.  Geht  es  in 
Trümmer,  dann  verlieren  wir  nicht  allein  die  wirtschaftlichen 
Güter  und  Erwerbsgelegenheiten,  die  wir  uns  in  mehr  als  vier 
Jahrzehnten  rastloser,  friedlicher  Arbeit  errangen,  sondern  weit 
mehr!  .  .  .  Noch  auf  lange  hinaus  werden  wir  unsere  Kräfte 
restlos  einsetzen  müssen,  um  so  weit  zu  kommen,  wie  wir 
kommen  müssen  ...  In  solcher  Lage  ist  jede  Vergeudung  von 
Kraft,  jede  Handlung,  die  unsere  Widerstandsfähigkeit,  die 
unsere  Stosskraft  vermindert,  ein  Verbrechen!  Unsere  Feinde 
sind  stark,  mutig  und  zähe,  besser  gerüstet  und  besser  geführt, 
als  es  uns  anfangs  schien ;  England  besonders  —  trotz  aller 
Schwächen  —  ein  furchtbarer  Feind.  Die  neuen,  verderben¬ 
sprühenden  Waflen,  die  heutige  Art  der  Kriegsführung  stellen 
ebenso  wie  an  die  Heeresleitung,  so  an  jeden  einzelnen  Offizier, 
ja  an  jeden  Soldaten  die  höchsten  Anforderungen  .  .  .  Daher 
muss  alles  geschehen,  was  geschehen  kann,  um  jedem  seine 
Vorräte  an  körperlicher  und  geistiger  Kraft  zu  erhalten,  um 
wenigstens  jede  vermeidbare  Ausgabe,  jede  vermeidbare  Schwächung 
seiner  Kräfte  zu  vermeiden.  Das  ist  keine  Zeit  für  Alkohol¬ 
genuss!  Nicht  allein  Schwelgereien  in  alkoholischen  Getränken 
müssen  unbedingt  vermieden  und  verhindert  werden,  auch  schon 
der  Gebrauch  von  geringen  Mengen  wird  in  der  Regel  vom 
Übel  sein.  „Das  nüchternste  Volk  wird  siegen“,  hat  unser 
Kaiser  gesagt.  Und  er  hat  recht.  Wenu  etwas  wissenschaftlich 
feststeht,  so  ist  es  die  Tatsache,  dass  schon  kleine  Mengen  von 
Alkohol  schwächend  und  lähmend  auf  unsere  Beobachtungs¬ 
fähigkeit,  auf  unser  Gedächtnis,  auf  unser  Urteilsvermögen,  auf 
die  Herrschaft  unseres  Intellekts  über  unseren  Willen,  unserer 
Vernunft  über  unsere  Triebe,  unseres  Gehirns  über  unseren 
Körper  einwirken,  die  Erfolge  der  Übung  beeinträchtigen,  unsere 
Ausdauer  gegen  Strapazen,  unsere  Widerstandsfähigkeit  gegen 
äussere  Schädlichkeiten  vermindern.  .  .  .  Der  ganz  grosse  und 
starke  Geistesgewaltige  mag  auch  dann  noch  genug  Kräfte 


übrig  behalten,  uni  die  Mittelmässigkeit  überwinden  zu  können 
aber  besser  werden  auch  seine  Leistungen  durch  Alkoholgenuss 
nicht  werden.  Und  wir  Kleinen,  die  ohnehin  nicht  genug  an 
körperlicher  und  geistiger  Leistungsfähigkeit  besitzen,  wir  handeln 
einfach  unverantwortlich,  wenn  wir  auch  das  Wenige,  das  wir 
haben,  noch  verschwenden ;  besonders  dort  und  dann,  wenn 
Höchstleistungen  von  uns  vollbracht  werden  müssen.  Es  mag 
zugegeben  werden,  dass  im  Kriege  die  Versuchung  zum  Alko¬ 
holgenuss  sehr  gross  ist,  ja  dass  es  Fälle  gibt,  wo  ein  mässiger 
Gebrauch  von  alkoholischen  Getränken  das  kleinere  Übel  ist, 
z.  B.  wenn  einem  nur  typhusverdächtiges  Wasser  zur  Verfügung 
steht  und  keine  abgekochten  Flüssigkeiten  beschafft  werden 
können  ;  aber  bei  Voraussicht  und  gutem  Willen  werden  solche 
Fälle  Ausnahmen  bleiben.  Im  übrigen  aber  weg  mit  den 
alkoholischen  Getränken  als  ständige  Nahrungs-  und  Genuss¬ 
mittel,  Einschränkung  ihres  Gebrauches  auf  das  Allermindeste! 
Der  Arzt,  der  in  dieser  Richtung  nicht  unablässig  mahnt  und 
warnt,  der  nicht  alles  vorkehrt,  um  Missbrauch  zu  verhindern 
und  Zwangslagen  vorzubeugen,  der  nicht  vor  allem  seinen 
Pflegebefohlenen  mit  gutem  Beispiel  vorangeht,  versäumt  seine 
Pflicht!“  Neumann. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

P  h.  Schönwald:  Zur  Belian  dluna;  der  Misehinfektion 
hei  Tuberkulose.  (Zeitschrift  f.  Tub.  Bd.  XXII,  Heft  5.) 

Die  bisherigen  Erfahrungen  des  Verfassers  lassen  sich 
folgendermassen  zusammenfassen  : 

1.  In  Fällen  von  Lungen-  und  chirurgischen 
Tuberkulosen,  in  denen,  wenn  auch  nur  klinisch,  die 
Diagnose  auf  Mischinfektion  gestellt  wird,  versuche  man  durch 
Vakzinebehandlung  die  Mischbakterieu  zu  bekämpfen  und  so 
die  Prognose  zu  verbessern. 

2.  Die  polyvalente  W  olff-Eisnersche  Misch- 
\akzine  kann  in  solchen  Fällen  gute  Dienste  leisten  und  die 
(zeitraubende  und  kostspielige)  Herstellung  einer  Eigen¬ 
vakzine  entbehrlich  machen. 

3.  Ist  der  Zweck  der  Vakzination  erreicht,  dann  muss  das 
Grundleiden  entsprechend  weiter  behandelt  werden  (Tuberkulin, 
ev.  Pneumothorax,  bei  chirurgischer  Tuberkulose :  Heliotherapie). 

4.  Vollständiges  refraktäres  Verhalten  gegen  die  Vakzi¬ 
nation  ist  meist  ein  Zeichen  schlechter  Prognose. 

Kant-  Nervi. 


12 


FORTSCHRITTE 


Innere  Medizin. 

Dr.  Groa  k.  —  Behandlung  der  Cholera  mit  Tierkohle. 
(Wien,  kl  in.  Wochenschrift  No.  15,  1915.) 

Der  Verfasser  berichtet  über  seine  günstigen  Erfahrungen 
mit  Tierkohle  bei  der  Behandlung  der  Cholera.  In  der  ersten 
Zeit  seiner  Tätigkeit  im  Choleranotspital  in  Wien  wurde  den 
Kranken  noch  Bolus  alba  gegeben,  von  bO  Kranken  starben  li  ; 
die  restlichen  19,  die  später  mit  Tierkohle  behandelt  wurden, 
genasen  sämtlich.  Seit  dieser  Behandlung  trat  ein  Umschwung 
in  dem  Verlaufe  der  an  Cholera  erkrankten  Personen  ein.  Es 
wurde  jedem  Kranken,  bei  dem  die  bakteriologische  Unter¬ 
suchung  ein  positives  Resultat  ergab,  täglich  4  x  je  5  g  Tier¬ 
kohle  in  Lösung  mit  Zusatz  von  Kognak  schluckweise  gegeben. 
Die  ganze  Dosis  auf  einmal  verabreicht  ohne  Kognakzusatz 
verursachte  oft  Erbrechen.  Zugleich  wurde  die  Behandlung 
durch  subkutane  physiologische  Kochsalzinfusionen  1  —  2  1  pro 
Tag  unterstützt.  Die  Mortalität  sämtlicher  so  behandelter  Fälle 
sank  auf  12  Proz  Nach  eigener  Erfahrung  und  Rücksprache 
mit  vielen  Kollegen,  welche  später  Versuche  mit  Tierkohle  an¬ 
stellten,  hat  sich  das  Mittel  glänzend  bei  allen  Arten  von  Gastro¬ 
enteritiden  und  Ruhr  bewährt.  Job.  W  e  i  c  k  s  e  1. 

Dr.  Jarno.  Die  Mitbeteiligung  der  Nieren  bei  Riick- 
falifieber.  (Wien.  klin.  Wochenschr  No.  16;  1915.) 

Bei  der  Untersuchung  der  Harne  von  Rekurrenskranken 
zeigte  sich,  dass  der  Harn,  wenn  auch  in  wechselnder  Menge, 
Eiweiss  enthält.  Auffallend  war  aber  der  häufige  Befund  von 
granulierten  Zylindern.  Das  erste  Albuinen  konnte  schon  am 
ersten  Tage  der  Erkrankung  in  Spuren  nachgewiesen  werden. 
Am  zweiten  Tage  des  Anfalls  fand  es  sich  in  der  Menge  von 
0,5 — 1,5  e/00  vor  und  gleichzeitig  fand  man  im  Sediment 
massenhaft  granulierte  Zylinder.  Nach  dem  Abklingen  des 
Fieberanfalls,  gewöhnlich  am  3.  fieberfreien  Tage  trat  eine  Ab¬ 
nahme  der  grauulierten  Zylinder  und  Hand  in  Hand  damit 
eine  Abnahme  der  Eiweissmenge  auf.  Noch  einige  Tage  nach 
der  Entfieberung  wurde  der  Urin  wieder  vollkommen  normal, 
es  fand  sich  dann  kein  pathologischer  Befund  mehr  im  Urin. 
Der  Befund  im  zweiten  Anfall  glich  völlig  dem  des  ersten 
In  späteren  Anfällen  wurden  die  granulierten  Zylinder  und  der 
Eiweissgehalt  seltener.  Eine  dauernde  Schädigung  der  Nieren 
blieb  aber  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen  zurück.  Viel 
günstiger  gestaltete  sich  das  Bild  nach  Neosalvarsanbehandlung. 
Es  scheint,  dass  mit  der  Abtötung  der  Spirillen  durch  das 
Neosalvarsan  auch  gleichzeitig  das  ätiologisch  schädigende 
Moment  für  die  Nieren  ausgeschaltet  wird.  Bei  dieser  Behand¬ 
lung  blieb  jede  Nierenerscheinung  aus. 

J  o  h,  W  e  i  c  k  s  e  1. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Dr.  Wagner.  Sekundäre  Sehnennaht  und  Sehnenplastik 
bei  Schußverletzungen  der  Hand.  (Wiener  klin.  Wochenschrift 
No.  18;  1915). 

Die  sekundäre  Sehnennaht  und  Sehnenplastik  ist  möglichst 
dann  auszuführen,  wenn  durch  Schussverletzung  die  Streck¬ 
sehne  verloren  ist  und  durch  die  Kontraktur  der  Beuger  all¬ 
mählich  eine  extreme  Beugestellung  herbeigeführt  wird.  Die 
Operation  ist  leicht  in  Lokalanästhesie  auszuführen.  Zunächst 
wird  eine  Blutleere  der  zu  operierenden  Hand  bis  hinauf  zum 
Ellbogen  durch  die  Esmarch-Binde  herbeigeführt  Nach  Jod¬ 
anstrich  wird  das  Operationsgebiet  anästhesiert  mit  Novokain- 
Suprareuinlösung.  Dann  werden  die  Sehnenstümpfe  freipräpariert 
und  augefrischt  Man  versucht  sie  unter  mässigem  Zug  ein¬ 
ander  zu  nähern  Gelingt  dies  ohne  stärkere  Spannung,  so 
entfällt  jede  Plastik  und  es  erfolgt  die  Naht  der  Sehnenenden 
nach  bekannten  Methoden.  Die  Plastik  kann  man  mit  Narben¬ 
gewebe  ausführen.  Man  präpariert  die  Haut  rechts  und  links 
über  den  Sehnenstümpfen  frei  und  sucht  die  Stümpfe  auf. 
Dann  präpariert  man  unter  strenger  Erhaltung  der  Kontinuität 
zwischen  peripherem  Sehnenende,  Narbengewebe  und  zentralem 
Sehnenstumpfe  ein  entsprechend  breites  und  starkes  Band  aus 
Narbengewebe  frei.  Nun  mobilisiert  man  alle  drei  Bestandteile 
der  neu  zu  bildenden  Sehne  von  der  Unterlage  und  Umgebung. 
Dann  nähert  man  die  Sehnenstümpfe  einander  soweit  als  mög¬ 
lich.  Dann  schneidet  man  das  Narbenband  derart  aus,  dass 


DER  MEDIZIN.  Nr.  1. 


seine  distale  Schnittfläche  der  Grenze  des  peripheren  Sehnen¬ 
stumpfes  entspricht  und  näht  in  der  üblichen  Weise.  Um  ein 
Wiederverwachsen  der  neugebildeten  Sehne  zu  verhindern,  kann 
man  die  Sehne  mit  in  Ringer-Lösung  konservierten  Kalbs¬ 
arterien,  oder  mit  frischen  Kalbsarterieu,  die  V2  Stunde  in 
3  prozentiger  Hyperollösung  gelegen  haben,  umscheiden.  Eine 
Umscheidung  ist  aber  nicht  unbedingt  nötig,  nur  muss  die  neu¬ 
gebildete  Sehne  sehr  bald  vorsichtig  in  Funktiou  gesetzt  werden. 
Nach  vollendeter  Operation  wird  das  Fehl  mit  Jodtinktur  gut 
ausgetupft,  dann  schüttet  man  3  prozeutige  Hyperollösung  darüber. 
Sodann  Lösung  des  Esmarch,  Versorgung  der  eventuellen  Blutung 
und  Hautnaht.  J  o  h.  W  e  i  c  k  s  e  1. 

Marine-Stabsarzt  Dr.  med.  Burk,  Kiel.  —  Die  Behand¬ 
lung  infizierter  Weichteilwunden.  —  (Medizinische  Klinik  No.  12 
und  16,  1915.) 

Zur  Verhütung  von  Sekretstauungen  werden  von  Verf.  auf¬ 
saugende  Verbände,  speziell  bei  starker  Sekretion  die  Verwen¬ 
dung  von  Zellstoffwatte  an  Stelle  der  weissen  Watte,  ausgiebige 
Drainage  der  Wunde,  Vermeidung  der  Tamponade  mit  nicht 
angefeuchteten  Gazestreifen  und,  bei  sehr  grossen  IV eichteil¬ 
wunden,  eventl.  ganz  offene  Wundbehandlung  empfohlen.  Bei 
Auftreten  lokaler  und  allgemeiner  Entzündungserscheinungen 
treten  au  die  Stelle  des  bis  dahin  angewandten  trocken  aseptischen 
Verbandes  antiseptische  Massnahmen.  Hat  der  Jodanstrich  der 
Umgebung  der  Wunde  eine  Infektion  nicht  zu  verhüten  ver¬ 
mocht,  oder  bestehen  Zweifel  darüber,  ob  eine  solche  vorliegt, 
so  empfiehlt  sich  die  Anwendung  des  Perubalsams  und  zwar 
bei  trockenen  und  feuchten  Verbänden.  Billiger  und  ebenso 
wirksam  ist  P  e  r  u  g  e  n.  Es  verhindert  das  Verkleben  der 
Verbaudstoffe  mit  der  Wundfläche  und  damit  die  Sekretstauuug. 
Ausserdem  wirkt  es  stark  chemotaktisch  und  dadurch  granu¬ 
lationsfördernd.  Bei  Anwendung  des  Perubalsams  sind  schwere 
Nephritiden  beobachtet  worden,  weshalb  es  angezeigt  ist,  den 
Urin  in  solchen  Fällen  von  Zeit  zu  Zeit  zu  untersuchen. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

B  i  e  1  i  n  g  (Friedrichroda),  Über  Psychotherapie.  Ztschr. 
f.  Balneologie,  Klimatologie  und  Kurorthygiene  1913.  VI. 
No.  6. 

Der  Arzt  vom  Sanatorium  Tannenhof  macht  mit  warmen 
Worten  auf  die  Bedeutung  einer  psychischen  Therapie,  nament¬ 
lich  in  geschlossenen  Anstalten,  aufmerksam,  und  der  Leser 
fühlt  aus  seinen  Worten  heraus,  dass  da  ein  Sachverständiger 
spricht.  — 

Die  Psychotherapie  ist  ein  Schlagwort  geworden,  und  ich 
vermute,  die  meisten  halten  sie  für  gar  keine  Kunst.  Sie  haben 
dabei  so  etwas  wie  die  früheren  Haustantchen  im  Sinne,  nur 
dass  der  Trost  jetzt  in  modernerer  Fassung  gespendet  wird. 
Welch  ein  fundamentaler  Irrtum  liegt  dem  zu  Grunde !  Leichter 
wird  man  Chirurg  oder  Gynäkolog,  als  Psychotherapeut.  Er 
braucht  zwar  keine  besondere  Handfertigkeit  und  detaillierte 
anatomische  Kenntnisse,  dafür  aber  eine  grosse  Anzahl  ethischer 
und  gemütlicher  Eigenschaften,  die  selten  beisammen  sind.  Er 
braucht  zunächst  ein  grosses  Quantum  von  Menschenliebe,  denn 
nur  sie  bildet  die  Brücke,  welche  in  die  letzten  Kammern  der 
Persönlichkeit  hineinfuhrt  und  mit  ihrer  Analyse  die  Heilung 
ermöglicht.  Er  braucht  zur  Analyse  Kenntnis  der  Menschen 
und  ihm-  Verhältnisse,  und  er  braucht  zur  Therapie  Geduld, 
Ruhe,  Zähigkeit,  Freundlichkeit,  Scharfsinn  —  und  abermals 
Menschenliebe.  Er  muss  —  und  das  ist  eine  conditio  sine  qua 
non  —  selbst  eine  Persönlichkeit,  ein  Charakter  sein,  nicht  ein 
Charakter  mit  vielen  Ecken  und  Kauten,  sondern  eine  in  sich 
gefestigte  Persönlichkeit  mit  einer  abgeklärten  Weltanschauung ; 
denn  nur  so  kann  er  dem  gemütlich  Zusammengebrochenen 
eine  Stütze,  ein  Anker  sein.  Ein  altes  holländisches  Sprich¬ 
wort  fasste  diese  notwendigen  Attribute  eines  guten  Doktors  in 
dem  Satz  zusammen  :  er  muss  ein  Falkenauge,  eine  Jungfrauen¬ 
hand  und  ein  Löwenherz  haben.  Wer  möchte  behaupten,  dass 
derlei  Persönlichkeiten  heutzutage  häufig  seien  ?  Und  doch 
sind  sie  eine  absolute  Notwendigkeit  angesichts  der  immer 
häufiger  werdenden  Fälle  von  innerlicher  Insuffizienz,  von 
moralischem  Bankerott.  Die  Zukunft  unseres  Standes  steht  hier 


Nr.  1. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


13 


auf  dem  Spiel,  besonders  wenn  es  sich  bewahrheitet,  wie 
D  ei  O  i  n  e  und  G  a  u  c  k  1  e  r  wahrscheinlich  machten, 
dass  ein  grosser  Teil  der  Lokal-System-  oder  Spezial isten-Leiden 
nervös-psychisch  bedingt  sind. 

Man  hört  häufig  Kontroversen,  welche  psychische  Methode 
die  bessere  oder  die  einzig  richtige  sei.  Die  Männer,  die  darob 
streiten,  sind  ohne  Zweifel  bedeutende  Intelligenzen,  aber  keine 
Psychotherapeuten.' 

Die  Psychotherapeuten  sind  Künstler,  und  Künstler  dis¬ 
putieren  nicht.  Sie  schaffen.  Schaffen  aber  heisst:  kompo¬ 
nieren,  produzieren,  synthetisch  wirken,  einem  bestimmten  Ziele 
zu,  während  der  Zug  der  Zeit  nach  der  Analyse  hingerichtet  ist. 

So  haben  wir  denn  die  seltsame  Situation  vor  uns,  dass 
die  Not  der  Zeit  ganz  anderes  fordert,  als  das,  was  ihr  die  offi¬ 
zielle  Wissenschaft  bringen  will.  Sie  liefert  Verstand,  und 
wir  brauchen  Herz  Auch  das  grösste  Quantum  von  Fertig¬ 
keiten,  auch  der  schärfste  Scharfsinn  nützt  dem  nichts,  welcher 
Verständnis,  Freundschaft,  Liebe  braucht.  Diese  Diskrepanz 
zwischen  den  Bedürfnissen  und  ihren  Befriedigungsmitteln  lässt 
manche  Erscheinungen  unserer  Tage  im  milden  Licht  des  Ver¬ 
stehens  erscheinen  und  deutet  —  nach  Ausgleich  suchend  — 
über  uns  und  unsere  Zeit  hinaus. 

Ärzte,  die  solch  einem  Ideal  zustreben,  werden  aber  nicht 
bloss  in  ihrem  engeren  oder  weiteren  Kreise  segensreich  wirken, 
sondern  auch  an  sich  selbst  die  Früchte  der  Selbsterziehung 
spüren.  Sie  werden  dem  Ideal  des  Glücklichen  nahekommen, 
wie  es  Seneca  zeichnete:  Glücklich  ist  nicht  der  Mann,  der 
Reichtümer  aufgespeichert  hat,  sondern  jener,  der  all  sein  Gut 
in  sich  selbst  trägt.  Aufrecht  schreitet  er  einher  und  lächelt 
über  die  vergänglichen  Nichtigkeiten.  Mit  niemand  möchte 
er  tauschen  und  schätzt  seine  Zeitgenossen  nur  so  weit,  als  sie 
wahre  Menschen  sind.  Er  achtet  die  Natur  als  Meisterin,  be¬ 
folgt  ihre  Gesetze  und  lebt  so,  wie  sie  es  vorschreibt.  Keine 
Macht  auf  Erden  kann  ihm  seinen  Wert  rauben.  Er  wandelt 
Übles  in  Gutes,  ist  sicher  im  Urteil,  unerschrocken,  uner¬ 
schütterlich.  Vielleicht  bewegt  ihn  eine  Sache,  aber  nie  bringt 
sie  ihn  in  Aufregung;  und  wenn  das  Schicksal  sein  spitzigstes 
Geschoss  auf  ihn  abschuellt,  so  verwundet  ihn  das  nicht,  ritzt 
ihn  bloss;  uud  auch  das  nur  selten.  — 

Diese  Zeilen  waren  vor  Ausbruch  des  Krieges  geschrieben. 
Mittlerweile  hat  das  Schicksal  unser  Volk  einer  harten  Prüfung 
unterworfen.  Unerhörte  Erschütterungen  sind  über  uns  herein¬ 
gebrochen,  und  nicht  wenige  Konstitutionen  haben  in  ihrem 
seelischen  Gefüge  versagt.  Mit  Medikamenten  und  Hydro¬ 
therapie  ist  diesen  nicht  zu  helfen.  Dass  es  aber  in  Deutsch¬ 
land  Ärzte  gab  und  gibt,  welche  den  rechten  Weg  wissen,  be¬ 
weist  der  Aufsatz  von  Bielin  g.  Buttersack. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Dr.  Hugo  Zade,  Immigrath.  Kritische  Studie  über 
das  mit  Aeetonurie  einhergehende  periodische  (cyclische,  recur- 
rierende)  Erbrechen  im  Kindesalter  nebst  dem  Versuch  einer  ätio¬ 
logischen  Erklärung  der  Krankheit.  (Archiv  für  Kinderheil¬ 
kunde,  63.  Band.  1.  u.  2.  Heft). 

Zusammenfasseud  präzisiert  der  Verfasser  seine  Ansicht 
über  das  Wesen  des  mit  Aeetonurie  einhergehenden  periodischen 
Erbrechens  folgendermassen :  Ein  —  vermutlich  psychogener  — 
Reiz  kann  nur  an  einem  „periodischen'*  Tage  plötzlich  destru- 
ierend  wirken  auf  den  KohlenhydratstofFwechsel  des  kindlichen 
Körpers,  wobei  er  gleichzeitig  durch  Erregung  des  Brechzentrums 
die  Brechattacke  auslöst.  Wie  dieser  Reiz  wirkt,  und  ob  er 
materielle  Veränderungen  im  Zentralnervensystem  setzt,  muss 
offen  bleiben  —  genau  so  wie  z.  B.  bei  der  akut  auf  Shock 
einsetzenden  Form  des  Diabetes.  —  Möglicherweise  sind  mit 
diesen  Vorgängen  Veränderungen  der  „inneren  Sekretion'*  der 
Thymusdrüse  verknüpft.  —  Der  Reiz  klingt  ab,  und  die 
Attacke  ist  vorbei.  Die  Schnelligkeit  seines  Abklingens  scheint 
abhängig  von  der  Reizstärke  und  von  dem  Grad  der  Labilität 
des  psychischen  Gleichgewichtes  des  betroffenen  Kindes.  Das 
Abklingen  wird  offenbar  erleichtert,  wenn  es  gelingt,  die  mit 
der  Krankheit  einhergehende  Aeetonurie  zu  beseitigen,  jenen 
deutlichen  Ausdruck  der  Störung  im  Stoffwechsel  der  Kohlen¬ 
hydrate.  R  e  i  s  s  (München). 


Hals-,  Nasen-  und  Kehlkopfleiden. 

Bert  h.  M  ii  1  1  e  r.  Zur  Pathogenese  und  Therapie  der 
Nasenrachenfibrome.  (Zeitsehr.  f.  Ohrhlk.  Bd.  70,  S.  145). 

Müller  ist  ein  Anhänger  der  Annahme,  dass  die  Choanal- 
fibrome,  vom  Periost  der  Schädelknochen  ausgehend,  durch 
irregeleitete  Wachstumsvorgänge  entstehen.  So  erklären  sich 
die  jeder  Analogie  entbehrenden  Eigenheiten  der  Geschwulst, 
die  fast  ausschliessende  Bevorzugung  des  männlichen  Geschlechts, 
dessen  Schädel  in  der  Pubertät  stärkere  Veränderungen  erleidet, 
und  das  Immunitätsalter.  Therapeutisch  verwirft  M.  alle  Vor¬ 
operationen  (höchstens  lässt  er  für  wenige  Fälle  die  D  e  n  k  er¬ 
sehe  Methode  gelten),  und  tritt  für  ein  kombiniertes  Vorgehen 
durch  die  natürlichen  Wege,  Nase  und  Mund,  ein.  Wenn  auch 
in  Stücken,  ist  so  der  Tumor  am  besten  zu  entfernen,  und  die 
Blutungsgefahr,  die  bete  noire  dieser  Operationen,  ist  geringer 
als  bei  den  grossen  präliminaren  Eingriffen. 

Arth.  Meyer  (Berlin). 


Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten  der 
Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

J.  O  d  s  t  r  c  i  1 :  Die  Abortivbehandlung  der  Syphilis  beim 
Militär.  (Casopis  lekaruo  cesk^ch.  1914,  Nr.  31.) 

Zur  Abortivbehandlung  der  Syphilis  eignet  sich  das  Sal- 
varsan  viel  besser  als  das  Quecksilber;  mit  diesem  allein  er¬ 
zielte  der  Autor  nur  0,5  -  1  Proz.,  mit  jenem  dagegen  über 
36  Proz.  Erfolge,  d.  h.  die  Patienten,  die  mit  der  Primärsklerose 
in  Behandlung  traten,  blieben  nach  der  Abortivkur  mehr  als 
12  Monate  frei  von  luetischen  Symptomen.  Als  beste  Abortivkur 
empfiehlt  der  Autor  folgende  Behandlung:  1 — 2  Quecksilber¬ 
injektionen  und  hierauf  1 — 2  intraglutäale  Injektionen  von 
0,5 — 0,6  g  Salvarsan  oder  Neosalvarsan  in  2  cm3  0,6  proz. 
NaCl-Lösung  oder  3 — 4  intravenöse  Injektionen  von  0,3  bis 
0,4  g  Salvarsan  in  einwöchigen  Intervallen. 

G.  Mühlstein  (Prag). 

J.  Odstrcil:  Behandlung  der  Gonorrhoe  mit  Jod- 

dämpfen.  (Casopis  lekaruo  ceskyoh.  1914,  Nr.  34.) 

Das  Jod  wurde  in  statu  nascendi  (nach  Jungengel  dar¬ 
gestellt)  in  die  Harnröhre  und  eventuell  bis  in  die  Blase  ein¬ 
geblasen.  Akute  Fälle  eignen  sich  für  diese  Behandlung  erst 
dann,  wenn  die  Sekretion  spärlich  und  schleimig  oder  serös 
geworden  ist;  besser  geeignet  sind  subakute  und  am  besten 
geeignet  chronische  Fälle.  Trotzdem  erzielte  der  Autor  auch 
bei  diesen  nur  in  der  Minderzahl  mit  den  Joddämpfen  allein 
einen  günstigen  Erfolg;  meistens  musste  diese  Methode  mit  den 
alten  Behandlungsmethoden  der  Gonorrhoe  kombiniert  werden; 
doch  stellt  dieselbe  eine  empfehlenswerte  Ergänzung  der  alten 
Therapie  dar.  Jodtinktur  reizt  wegen  des  Lösungsmittels  des 
Jods  (Benzin,  Alkohol,  Aceton)  die  Mukosa  und  verschlimmert 
die  Entzündung.  G.  Mühlstein  (Prag). 


Medicamentöse  Therapie. 

Neuere  Mitteilungen  über  das  Schlafmittel  und  Sedativum  ero- 
nacetin“  (Natriumdiaethylbarbitur-Phenacetin-Codein,  Tabletten  und 

Pulver.) 

Veronacetin  verdankt  seine  Herstellung  den  Veröffent¬ 
lichungen  der  Professoren  von  Noorden,  Emil  Fischer  und 
Robert  (Therapie  der  Gegenwart,  Apothekerzeitung  1911.) 

Durch  planmässige  Kombination,  Ersatz  des  Veronals 
durch  das  leichtbekömmliche  und  besser  lösliche  Natrium- 
diaethylbarbitur  und  Potenzierung  einer  kleineren  Dosis  des 
letzteren  mit  dem  nach  gleicher  Richtung  hin  wirkenden 
Phenacetin  und  Codein  wurde  ein  sehr  starkes  und  dabei  völlig 
unschädliches  Schlafmittel  geschaffen,  das  frei  ist  von  den  be¬ 
klagten  Nebenwirkungen  des  Veronals:  Müdigkeit,  Eingenommen¬ 
heit  des  Kopfes,  Kopfweh  usw.  1912  erschien  in  der  Münchener 
Medizinischen  Wochenschrift  eine  Arbeit  von  Bär,  aus  dem 
Städtischen  Siechenhaus  zu  Frankfurt  a.  M.  Professor  Dr.  Knob¬ 
lauch,  worin  die  obigen,  günstigen  Wirkungen  bestätigt  sind. 
Der  Autor  fasst  sein  Urteil  dahin  zusammen,  dass  Veronacetin 
ein  wirksames  Hypuoticum  und  Sedativum  ist,  von  relativ 
niedrigem  Preis,  ohne  schädliche  und  unangenehme  Neben¬ 
wirkungen,  also  ein  Mittel,  das  berufen  erscheint,  weitere  Ver- 


Nr.  1. 


14  FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


breitung  als  Schlaf-  und  Beruhigungsmittel  zu  finden  (2  bis  4 
Tabletten  je  nach  dein  Grad  der  Schlaflosigkeit,  der  Schmerzen 
oder  der  motorischen  Erregungen). 

Im  Jahre  1913  veröffentlichte  Oberarzt  Dr.  Möukenmöller 
in  der  psychiatrisch  neurol,  Wochenschrift  eine  Arbeit  über 
Veronacetin  als  Hj'pnoticum  und  Sedativum  in  der  psychiatrischen 
Praxis  Nach  diesem  Autor  verdient  das  Veronacetin  in  der 
Behandlung  psychischer  Leiden  einen  Platz  als  Hypnoticum 
und  Sedativum  ;  schädliche  Erscheinungen  gelangten  nicht  zur 
Beobachtung,  es  wurde  niemals  über  unangenehme  Begleit¬ 
erscheinungen  geklagt. 

Im  gleichen  Jahre  berichtet  Professor  Dr.  Dannemann  aus 
der  Heil-  und  Pflegeanstalt  „Philippshospital“  über  Veronacetin 
und  bezeichnet  es  für  ein  recht  gutes  Schlafmittel.  Insbesondere 
bei  nervöser  Schlaflosigkeit  in  Fällen  des  Unvermögens,  nach 
vorzeitigem  Erwachen  in  der  Nacht  wieder  in  den  Schlaf  zu 
kommen,  leistet  es  sehr  gute  Dienste.  Man  erwacht  morgens 
erquickt  und  ohne  unangenehme  Symptome. 

1914  bringt  nun  die  Münchener  med.  Wochenschrift  eine 
Mitteilung  von  Dr.  Löwenstein  über  seine  guten  Erfahrungen 
mit  Veronacetin  gegen  Seekraukheit.  Dieser  ausserordentlich 
leicht  zur  Seekrankheit  geneigte  Autor  konnte  wochenlange 
Seefahrt  gut  ertragen,  wenn  er  abends  vor  dem  Ileruntergehen 
in  den  Speisesaal  eine  Veronacetintablette  iu  Wasser  gelöst  nahm 
und  dann  nur  noch  bei  hoher  See  ein  bis  zwei  weitere  Tabletten. 
Durch  Darreichung  von  ein  bis  zwei  Tabletten  bei  schwer 
seekranken  Reisenden  konnte  er  promptes  Aufhören  des  Anfalls 
erzielen  und  durch  prophylaktisch  gegebenes  Veronacetin  (ein- 
bis  zweimal  täglich  eine  Tablette)  Freibleiben  von  neuen  Aus¬ 
brüchen  der  Erkrankung.  Aus  der  Praxis  mehrten  sich  nun 
im  vorletzten  und  letzten  Jahre  die  ärztlichen  Mitteilungen  über 
besonders  gute  Erfahrungen  mit  Veronacetin.  Nicht  nur  bei 
nervöser  Schlaflosigkeit,  auch  bei  Schlaflosigkeit  infolge  körper¬ 
lichen  Schmerzes  haben  zwei  Veronacetin  -  Tabletten  ver¬ 
abreicht  sich  bestbewährt  auch  in  Ergänzung  und  Verstärkung 
einer  beruhigenden  Morphium-,  Pantopon  usw.  -Injektion  oder 
zur  Abwechslung  mit  der  „Spritze“  sehr  häufig  den  gewünschten 
Erfolg  gebracht.  (Weber.) 

Selbst  der  geburtshilfliche  Dämmerschlaf  wird  in  sehr  be¬ 
friedigender  Weise  herbeigeführt  durch  interne  Verabreichung 
von  zwei  Veronacetin  -  Tabletten  zur  drei-  bis  fünfstündigen 
Morphium-Pantopon  oder  Narcophininjektion. 

Schliesslich  ist  nach  Gressmaun  und  Körner  Veronacetin 
besonders  als  Schlafmittel  für  Fieberkranke  zu  empfehlen  und 
als  sofortiges  Linderungsmittel  in  der  Sprechstunde  (Cardialgien, 
Bronchitiden,  Influenza,  vor  Operationen)  usw. 

In  den  obigen  Vorzügen  ist  die  hervorragende  Aufnahme 
und  die  grosse  Beachtung  begründet,  die  das  Veronacetin  als 
vortreffliches  Hypnoticum  und  Sedativum  bei  der  Ärztewelt  ge¬ 
funden  hat  (Hersteller:  Dr.  R.  und  Dr.  O.  Weil,  Fabrik  chem.- 
pharm.  Präparate,  Frankfurt  a.  M.)  N  e  u  m  a  n  n. 

Dr.  A.  Brauer  (Dauzig),  z.  Zt.  ordinierender  Arzt  am 
Kriegsgefangenenlazarett  Czersk.  —  Über  die  Unzulänglichkeit 
der  bisherigen  Entlausungsverfahren.  —  (Deutsche  Medizinische 
Wochenschrift  Nr.  19,  1915  ) 

Nach  den  Beobachtungen  des  Verfassers  haben  die  meisten 
mit  Kleiderläusen  behafteten  Personen  nicht  nur  in  der  Wäsche, 
sondern  auch  in  den  Schamhaaren  Nissen  oft  in  ungeheurer 
Zahl.  Die  nähere  Untersuchung  zeigte,  dass  viele  auch  Nissen 
in  den  Achselhaaren  und  an  den  perianal  stehenden  Haaren 
haben.  Gleichfalls  den  bisherigen  Anschauungen  wider¬ 
sprechend,  fand  Verfasser  an  diesen  Stellen  auch  Kleiderläuse. 
Dass  es  sich  nicht  um  Filzläuse  handelt,  konnte  nachgewiesen 
werden.  Alle  desinfektorischen  Massnahmen  sind  demnach  un¬ 
zureichend,  wenn  sie  nicht  durch  Einreibungen  der  Scham-, 
After-  und  Achselgegend,  am  besten  des  ganzen  Körpers,  mit 
die  Nissen  tötenden  Mitteln  ergänzt  werden.  Als  solche  haben 
sich  Verfasser  mehrmalige  Einreibungen  mit  Präzipitatsalbe, 
Perubalsam  und  Perugen  gut  bewährt.  Die  Einreibungen  sind 
natürlich  vor  allen  Dingen  bei  Fleckfieberkranken  durchzu¬ 
führen,  weil  die  Übertragung  des  Fleckfiebers  auch  durch  die 
aus  den  Eiern  infizierter  Tiere  ausgeschlüpften  Läuse  statt¬ 
finden  kann. 

Zur  Bekämpfung  der  Kopflaus  ist  das  Kurzschneiden  und 


Abseifen  unzureichend,  weil  die  Läuse  ihre  Eier  unmittelbar 
über  der  Kopfhaut  an  der  Basis  der  Haare  absetzen.  Die 
Kopfhaare  müssen  durch  Rasieren  entfernt  werden,  oder  der 
Haarboden  ist  in  gleicher  Weise  wie  der  ganze  Körper  mit  den 
genannten  Mitteln  einzureiben.  N  e  u  m  a  n  n. 

Seel  i  g,  Azetonalsuppositorien  gegen  Hämorrhoiden. 
(M.  m.  Wschr.  15.  15.)  Die  vorgenannten  Suppositorien  haben 
sich  während  einer  5  jährigen  Beobachtungszeit  als  recht  brauch¬ 
bar  zur  Behandlung  entzündeter  und  prolabierter  Hämorrhoiden 
bewährt.  Sie  bestehen  aus  Ol.  Cacao  mit  Azetonchloroform¬ 
salizylsäureester  und  Alsol.  Dem  ersteren  wird  eine  anäst¬ 
hesierende  Wirkung  zugeschrieben,  die  auch  vorhanden  ist,  in¬ 
dem  stets  von  den  Patienten  die  kühlende  und  schmerzstillende 
Eigenschafthervorgehoben  wird.  Auch  derTenesmus verschwindet. 
Der  Alsolgehalt  bewirkt  als  Tonerdeverbindung,  dass  das  ent¬ 
zündete  Gewebe  sich  wieder  zusammenzieht,  Juckbeschwerden 
sich  verlieren  und  vorhandene  Rhagaden  in  Heilung  übergehen. 
Mit  diesen  neuen  Zäpfchen  konnte  S.  die  Disposition  zu 
Hämorrhoiden  zwar  nicht  überwänden,  wohl  aber  die  Intervalle 
erheblich  verlängern,  bis  wieder  ihre  Anwendung  erforderlich 
wrurde.  Morgens  und  abends  1  Zäpfchen  während  dreier  Tage 
brachten  dann  wieder  auflängere  Zeit  Ruhe.  N  e  u  m  a  n  n. 

Curschmann,  Zur  Vertilgung  der  Läuse  im  Felde. 
(D.  m.  Wschr.  30.  15.) 

Dem  Verfasser  scheint  Globol  die  Forderung,  die  man 
in  erster  Linie  an  ein  Läusemittel  stellen  muss,  nämlich  bei 
der  in  Frage  kommenden  Anwendungsw?eise  unschädlich  zu 
sein,  zu  erfüllen.  Es  ist  ferner  als  ein  Produkt  aus  Benzol 
und  Chlor  in  jeder  erforderlichen  Menge  bei  uns  beschaffbar, 
ist  überall  und  leicht  anwendbar,  sow'ohl  am  Körper  selbst  als 
auch  in  den  Unterkunftsräumen.  In  kleinen  Beuteln  unter 
dem  Hemd  getragen,  kommt  es  langsam  zum  Verdunsten  und 
hüllt  den  Körper  in  eine  Dampfzone  ein,  die  auch  die  Kleider 
völlig  durchdringt.  —  Über  die  rasche  und  sichere,  oft  gerade¬ 
zu  als  Erlösung  empfundene  Wirkung,  die  durch  das  Tragen 
der  Globolbeulel  von  den  durch  Läuse  geplagten  Mannschaften 
erzielt  werden  konnte,  gaben  ihm  zahlreiche  Mitteilungen  aus 
Truppenteilen  von  Ost,  West  und  Süd  die  praktische  Betätigung 
der  in  vitro  leicht  zu  beobachtenden  Wirkung  des  Mittels  auf 
die  Läuse.  —  N  e  u  m  a  n  n . 

In  der  Kriegsseuchen -Therapie  nehmen  zurzeit  die  Prä¬ 
parate  „Bolusal“  und ‘„Bolusal  mit  Tierkohle“  einen  ersten  Platz 
ein.  Die  erste  Mitteilung  über  „Bolusal  mit  Tierkohle“  erfolgte 
von  Professor  Albu  in  einer  Arbeit:  ,,Zur  Kenntnis  der  Colitis 
ulcerosa“  („Mitteilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medizin  und 
Chirurgie“  19  L4).  Dort  beschreibt  er  zunächst  einen  sehr  alten, 
rezidivierenden  Fall  von  Colitis  ulcerosa,  indem  er  schliesslich 
„Bolusal  mit  Tierkohle“  als  Klystier  und  innerlich  mit  über 
alle  Massen  überraschendem  Erfolge  angewandt  hat.  Das 
Gleiche  bei  vier  weiteren  Fällen.  Albu  gibt  frühmorgens  nach 
gründlicher  Darmreinigung  mittels  warmer,  leichter  Sodalösung- 
ein  SchwTemmklystier  (1  Esslöffel  Bolusal  mit  Tierkohle  in 
ü4  1  warmen  Wassers),  das  der  Kranke  solange  wie  möglich 
zurückhalten  soll,  ausserdem  täglich  einen  Esslöffel  dieser 
Mischung  in  Wasser,  1/J — 1  Stunde  vor  den  Hauptmahlzeiten. 
Prophylaktisch  lässt  er  dies  unschädliche  Mittel,  lediglich  in¬ 
tern,  in  kleineren  Dosen  fortgesetzt  nehmen.  Rückfälle  haben 
sich  nicht  mehr  gezeigt. 

Professor  Lennhoff  bestätigt  die  prompte  Wirkung  dieses 
antitoxischen  und  antibakteriellen  Agens  auf  Grund  seiner  Er¬ 
fahrungen  als  Leiter  eines  Feldlazaretts  bei  sehr  schweren 
Fällen  von  Ruhr  (Medizinische  Reform  Nr.  3,  1915). 

Oberarzt  Dr.  Leschke,  von  der  II.  Medizinischen  Klinik 
der  Charite,  hat  neuerdings  in  einem  Vortrage  in  den  Berliner 
Vereinigten  ärztlichen  Gesellschaften  über  „Erfahrungen  bei  der 
Behandlung  der  Kriegsseuchen“  (Berliner  Klinische  Wochen¬ 
schrift  1915,  Nr.  24)  gleichfalls  die  sehr  günstigen  Erfahrungen 
mit  den  Präparaten  „Bolusal“  und  „Bolusal  mit  Tierkohle“  er¬ 
wähnt.  Auf  seine  Anregung  wurde  noch  ein  drittes  Präparat 
geschaffen,  das  sogenannte  „Bolusal  mit  Sauerstoff“.  Leschke 
sagt,  dass  neben  der  absorbierenden  Wirkung  der  Bolus  und 
der  Tierkohle  bei  den  erwähnten  Präparaten  die  adstringierende 
und  desinfizierende  des  Tonerdehydrats  bezw.  die  des  Sauer- 


Nr.  1 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Stoffs  günstig  in  Erscheinung  tritt.  Patienten  mit  ruhrähnlichen 
Erkrankungen  gab  er  das  Präparat  „Bolusal  mit  Sauerstoff“ 
bei  Bettruhe,  flüssig  breiiger  Kost  und  warmen  Umschlägen. 

Hersteller  der  Präparate  ist  Dr  Reiss,  Rheumasan-  und 
Lenicet-Fabrik,  Charlottenburg.  Neu  m  a  n  n. 

Baur,  Dr.  med.,  Berlin.  Bromural  als  Schlaf-  und  Be- 
ruhigungsmittel  im  Gebirge.  (Zeitschrift  d.  Deutschen  Touring- 
Club,  Mai  1914). 

Bekanntlich  pflegen  viele  Touristen  im  Gebirge,  von  ge¬ 
wissen  Höhen  an,  mangelhaft  zu  schlafen.  Nach  den  Erfahrungen 
des  Autors  ist  diese  Erscheinung  hauptsächlich  abhängig  von 
einer  individuellen  Sensibilität,  bezw.  von  einer  jeweiligen  Re¬ 
aktionsfähigkeit  auf  Störungen  im  Zirkulationssystem.  Zweifel¬ 
los  erweitert  sich  das  Gefässsystem  bei  zunehmender  Höhe  in¬ 
folge  des  verminderten  Luftdruckes  und  es  wird  also  das  Ge- 
fässystem  in  seinem  ganzen  Volumen  erweitert,  die  Blutmenge 
bleibt  aber  dieselbe,  infolgedessen  werden  die  einzelnen  Körper- 
orgaue  nicht  bloss  durch  die  ihnen  zugeführte  geringere  Menge 
Blut,  sondern  auch  durch  den  herabgesetzten  Blutdruck  mangel¬ 
hafter  ernährt;  insbesondere  dürfte  dieser  Vorgang  im  Gehirn 
stattfinden,  hauptsächlich  am  Abend  nach  einem  anstrengenden 
Aufstieg,  wo  dann  eine  allgemeine  Muskelerschlaffung  eintritt 
und  ausserdem  eine  gesteigerte  Nervenerregbarkeit  infolge  der 
überstandenen  Muskelanstrengung.  Bekanntlich  wird  aber  der 
Schlaf  durch  Blutarmut  im  Gehirn  stark  beeinträchtigt  oder 
gar  verhindert.  Diese  Störung  im  Zirkulationssystem,  ins¬ 
besondere  im  Gehirn  ist  neben  der  gesteigerten  Nervenerregbar¬ 
keit  wiederum  in  seiner  Wirkung  auf  die  physiologische  Funk¬ 
tion  der  einzelnen  Körperorgane  abhäugig  von  der  Sensibilität 
bezw.  der  Reaktionsfähigkeit  des  einzelnen  Individuums  auf 
diese  Störungen.  Ebenso  wie  auf  hoher  See  durch  die 
Schwankungen  und  Höhenunterschiede  des  Schiffes  der  Gleich¬ 
gewichtssinn  des  einzelnen  Individuums  verschieden  reagiert  und 
nur  bei  sensiblen  Personen  in  Gestalt  der  sogenannten  See¬ 
krankheit  zum  Ausdruck  kommt,  wird  auch  die  Schlaffähigkeit 
im  Hochgebirge  von  der  verschiedenen  Sensibilität  des  Einzelnen 
abhängig  gemacht. 

Es  kommt  also  darauf  an,  eine  solche  ausgeprägte  Sen¬ 
sibilität,  die  auf  den  verschiedenen  Blutdruck  und  Blutmenge 
im  Tale  und  auf  Höhen  stark  reagiert,  herabzusetzen  und  die 
Folgen,  in  diesem  Falle  also  die  Schlaflosigkeit  eiuzuschränken 
bezw.  zu  verhindern. 

Nach  den  Erfahrungen  des  Verfassers  hat  sich  das  Bro¬ 
mural  der  ehern.  Fabrik  Knoll  &  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh., 
ausgezeichnet  bewährt.  Bezüglich  der  Seekrankheit  und  bei 
aussergewöhulichen  Muskelanstrengungen  zur  nachherigen  Be¬ 
ruhigung  ist  es  von  verschiedenen  Seiten  bereits  empfohlen 
worden.  Die  gleiche  gute  Erfahrung  kounte  auch  gegen  die 
Schlaflosigkeit  im  Gebirge  gemacht  werden,  hier  kommt  zweifel¬ 
los  auch  noch  die  oben  erwähnte  starke  Muskelanstrengung  bei 
grossen  und  schweren  Touren  hinzu,  um  die  Sensibilität  zu 
steigern;  und  dadurch  wieder  wird  der  veränderte  Blutdruck 
und  die  darauf  reagierende  zerebrale  Sensibilität  gesteigert,  was 
sich  dann  in  der  Form  von  Schlaflosigkeit  zum  Ausdruck  bringt. 

Das  Bromural  hat  bei  einer  Menge  von  0,3 — 0,9  also 
1—3  Tabletten  am  Abend  1/2  Stunde  vor  dem  Schlafengehen 
zweimal  wöchentlich  genommen,  keine  schädlichen  Begleit¬ 
erscheinungen,  indem  weder  das  Herz  noch  das  Gehirn  noch  der 
Darmtraktus  leidet.  Auch  eine  Gewöhnung  und  damit  das 
Bedürfnis  nach  höheren  Dosen  wurde  nicht  beobachtet.  Bromural 
ist  daher  als  ein  unschädliches  und  wirksames  Mittel  gegen  die 
Schlaflosigkeit  im  Gebirge  warm  zu  empfehlen.  In  besonders 
schweren  Fällen  von  Schlaflosigkeit  im  Gebirge  dürfte  eine  bis- 
weilige  Kombination  mit  Veronal  angebracht  sein. 

N  e  u  m  a  n  n . 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

T  r  e  b  i  n  g  :  Bissinger  Auerquclle  —  Soaroe  Cachat  zu 
Eviarn  Eine  Gegenüberstellung.  (Zeitschrift  für  Balneologie, 
Klimatologie  usw.  1915.  No.  5 — 6.) 

Verfasser  weist  auf  die  grosse  und  merkwürdige  Ähnlich¬ 
keit  der  beiden  Quellen  —  von  denen  die  erstere  in  Bayern 


15 


43 1/2  m  tief  zu  Tage  tritt  —  hin.  Sie  wirken  beide  stark 
Harn  treibend  und  ähneln  sich  auch  bezüglich  ihrer  ehemaligen 
Zusammensetzung  sehr  —  schwach  alkalischer  Charakter,  reich 
an  Stickstoff,  Radium  und  Edelgasen.  Das  billigere  deutsche 
Wasser  ist  also  als  vollgültiger  Ersatz  des  teureren  französischen 
anzusehen.  Krebs-  Aachen. 


Bücherschau. 

E.  V  i  1  1  i  g  e  r  »  Die  periphere  Innervation.  Leipzig, 
W.  Engelmann  1915.  2.  Auflage.  152  Seiten  mit  57  Text¬ 

figuren.  --  Mk.  G. — . 

Die  entsetzlichen  Granatverletzungen  dieses  Krieges  bringen 
ganz  neue  und  ungewohnte  Störungen  mit  sich.  Wie  sehr  das 
Nervensystem  dabei  mitgelitten  hat,  wird  die  Zukunft  noch 
mehr  zeigen  als  die  Gegenwart.  Da  kommt  dieses  Buch  mit 
seiner  klaren  übersichtlichen  Darstellung  der  Hirn-  und  Rücken¬ 
marksnerven  und  ihrer  zahllosen  Verästelungen  und  Anasto- 
mosen  gerade  recht.  An  seiner  Hand  wird  manche  unschein¬ 
bare  Störung  wichtige  diagnostische  Hinweise  geben  können. 
Drum  sei  es  zu  eingehendem  Studium  empfohlen.  Vielleicht 
glückt  es  dabei  dem  einen  oder  anderen,  einige  Lichtstrahlen 
auf  den  Sympathicus  zu  werfen,  der  eben  immer  noch  als  grosses 
Rätsel  vor  uns  steht.  Butter  sack. 

K  e  i  t  e  r  ,  Alfred  (Graz),  Rheumatismus  und  Biencn- 
stichbehandiung.  Wien  -  Leipzig,  Fr.  Deuticke.  1914.  —  87 
Seiten.  Mk.  1,50. 

Die  Heilkunde  muss  ihre  Hilfsmittel  nehmen,  wo  immer 
sie  solche  findet.  Drum  wäre  es  m.  E.  übel  angebracht,  der 
Behandlung  rheumatischer  Affektionen  mit  Bienenstichen  a  priori 
ablehnend  zu  begegnen.  Verf.  tritt  in  warmer,  schlichter  Dar¬ 
stellung  für  diese  Therapie  ein  und  sucht  durch  eine  Reihe  von 
Erfahrungen  in  seiner  Praxis  ihre  Wirksamkeit  plausibel  zu 
machen.  Appliziert  man  einem  Rheumatiker  einige  Probestiche, 
so  reagiert  er  zunächst  zumeist  nicht  so  stark  wie  ein  Gesunder. 
Man  steigere  dann  die  Stiche  täglich  um  2  bis  5  (aut  die 
Extensorenseiten),  bis  eine  normale  Reaktion,  vielleicht  abnorm 
erhöht  nach  Art  anaphylaktischer  Zustände,  auftritt.  Besserung 
ist  schon  nach  den  ersten  Stichen  zu  verspüren. 

Für  die  gewöhnlichen,  akuten  rheumatischen  Beschwerden 
rät  er,  es  zuerst  mit  der  bewährten  Salizylsäure  zu  versuchen. 
Die  Bienenstichkur  wird  für  länger  dauernde,  chronische  bezw., 
rezidivierende  Fälle  reserviert  bleiben,  hilft  dann  aber  sicher, 
namentlich  bei  „Herzfehlern“  (S.  57,  59,  61)  und  bei  Arthritis 
deformans,  bei  welch  letzterer  man  allerdings  100-200  Stiche 
pro  Tag,  60O0-8000  im  Jahr  applizieren  muss. 
Wiederholungen  der  Kur  sind  unumgänglich. 

Leider  kann  man  sie  nur  im  Sommer  exerzieren,  weil  die 
chemische  Beschaffenheit  des  Sekret  der  Giftdrüse  noch  gänz¬ 
lich  unbekannt  ist. 

Auch  differentialdiagnostisch  ist  die  Methode  zu  verwerten; 
denn  nur  der  richtig  Rheumatismuskranke  reagiert  ohne  merk¬ 
liche  Anschwellung  auf  den  Bienenstich,  während  gonorrhoische, 
tuberkulöse,  gichtische  Pat.  sich  wie  Gesunde  verhalten. 

Buttersack. 

Dohrn,  K.,  Hannover.  Querriss  der  Aorta  aszendens  durch 
indirekte  Gewalteinwirkung.  Sonderabdruck  aus  Heft  7, 
1914,  der  Zeitschrift  für  Medizinalbeamte. 

G  e  i  g  e  1,  R.,  Würzburg.  Der  Blitzschlag.  Aus  „Würzburger 
Abhandlungen  aus  dem  Gesamtgebiet  der  praktischen 
Medizin“,  XIV.  Band,  5.  Heft.  Würzburg  1914,  Verlag 
von  Kurt  Kabitzsch,  Kgl.  Univ.-Verlagsbuchhändler.  Preis 
0,85  M.  Seitenzahl  von  127 — 150. 

Hoffmann,G,  Drossen  Die  Kunst,  aus  dem  Gesicht  Krank¬ 
heiten  zu  erkennen  und  zu  heilen.  Zweite  Auflage  der  neuen 
Ausgabe  mit  Vorwort  von  Dr.  med.  Willi.  Kühn,  Leipzig. 
Leipzig,  Verlag  von  Krüger  &  Co  Seitenzahl  <0. 
Lilienstein,  Bad  Nauheim.  Psychoneurosen  bei  Herz¬ 
krankheiten.  Sonderabdruck  aus  dem  Archiv  für  Psychi¬ 
atrie  und  Nervenkrankheiten,  Band  52,  Heft  3.  (Fest¬ 
schrift  für  Sioli.) 

Sa  eng  er,  M.,  Magdeburg.  Über  unzweckmässige  und 
zweckmässige  Inhalationsmethoden.  Aus  „Berliner  Klinik“, 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  1 


16 


März  1914,  Heft  309.  Berlin  1914,  Verlag  von  Fischers 
medizinischer  Buchhandlung.  Seitenzahl  27.  Preis  0,G0  M. 

Schröder,  G.  und  A.  v.  Müller.  Vergleichende  Be¬ 
trachtung  wichtiger  Klimata  für  die  Tuberkulosetherapie. 
(Mit  18  Tabellen  und  6  Kurventafeln.)  Separat-Abdruck 
aus  der  Zeitschrift  für  Tuberkulose.  Band  XXI,  Heft  6, 
19  4.  Leipzig,  Verlag  von  Johann  Ambrosius  Barth. 
Seitenzahl  von  513 — 528. 

Trömner,  E.,  Hamburg.  Das  Stottern  eine  Zwangsneurose. 
Bemerkungen  zur  Pathogenese  des  Stotterns.  Mit  einer 
Kurve.  Sonder  -  Abdruck  aus  „Medizinische  Klinik“, 
Wochenschrift  für  praktische  Ärzte,  1914,  Nr.  10.  Berlin, 
Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg.  Seitenzahl  14. 

Becker,  L .,  Gross-Berlin.  Lehrbuch  der  ärztlichen  Sach- 
verständigen-Tätigkeit  für  die  Unfall-,  Invaliden-,  Hinter¬ 
bliebenen-  und  Angestellten  -Versicherungs-  Gesetzgebung. 
Siebente,  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage  Berlin 
1914,  Verlag  von  Richard  Schoetz.  Seitenzahl  623. 
Preis  geh.  Mk.  15.00,  geb.  Mk.  16.50. 

Bunge,  von  G.,  Basel.  Die  zunehmende  Unfähigkeit  der 
Frauen,  ihre  Kinder  zu  stillen.  Die  Ursachen  dieser  Un¬ 
fähigkeit,  die  Mittel  zur  Verhütung.  Siebente,  durch  neues 
statistisches  Material  vermehrte  Auflage  mit  einem  pole¬ 
mischen  Nachwort.  München  1914.  Verlag  von  Ex-nst 
Reinhardt,  Seitenzahl  40.  Pi’eis  Mk.  0.80. 

C  a  v  i  a ,  S  Programa  del  Curso  Oficial  de  Medicina  Legal. 
Buenos  Aires  1912.  „La  Semana  Medica“.  Imp.  Dr. 
Obras  de  E.  Spinell.  Seitenzahl  11. 

Harnack,  E,  Halle  a.  S.  Die  gerichtliche  Medizin  mit 
Einschluss  der  gerichtlichen  Psychiatrie  und  der  gericht¬ 
lichen  Beurteilung  von  Versicherungs-  und  Unfallsachen. 
Für  Mediziner  und  Juristen.  In  Gemeinschaft  mit  Prof. 
Dr.  Fr.  Haasler  u.  Prof.  Dr.  E  Siefert,  Privatdozenten  zu 
Halle  a.  S.,  bearbeitet  von  E.  Harnack,  Dr.  und  Prof.  d. 
Medizin  zu  Halle  a.  S.,  Geh.  Med. -Rat,  Leipzig  1914. 
Akademische  Verlagsgesellschaft  m.  b.  H.  Seitenzahl  448. 
Preis  brosch.  12.00  Mk,  geb.  13.50  Mk. 

Kasso  w  i  t  z,  M,  Wien.  Gesammelte  Abhandlungen.  Mit 
einem  vollständigen  Verzeichnis  der  Arbeiten  des  Ver¬ 
fassers,  einem  Porträt  und  2  Figuren  im  Text.  Seitenzahl 
534.  Berlin  1914.  Verlag  von  Julius  Springer.  Preis 
brosch.  12.00  Mk.,  geb.  14.00  Mk. 

Krez,  Hofrat  Dr.,  Bad  Reichenhall-Gardone,  Riviera.  Ge¬ 
danken  und  Erfahrungen  zur  Aetiologie,  Symptomatologie 
und  Therapie  des  Asthmas.  Aus  „Würzburger  Abhandlungen 
aus  dem  Gesamtgebiet  der  praktischen  Medizin,  Heft  9.“ 
Würzburg  1914.  Verlag  von  Gurt  Kabitzsch.  Preis 
0.85  Mk. 

K  eit  er,  A.,  Graz.  Rheumatismus  und  Bienenstichbehand¬ 
lung.  Der  heutige  Stand  derselben.  (Mit  einem  Beitrage 
von  Dr.  Ph.  Trec.)  Wien  u.  Leipzig  1914,  Verlag  von 
Franz  Deuticke.  Seitenzahl  87.  Preis  Mk.  1.50. 

Lohmar,  P.,  Köln  a.  Rh.  Das  Verhältnis  der  Ärzte  zu 
den  Berufsgenossenschaften.  Berlin  1914,  Verlag  von 
Carl  Heymann.  Seitenzahl  50.  Preis  1.20  Mk. 


M  c  a  s  k  e  y,  G.  W.,  Fort  Wayne,  Ind.  A  Case  of  Arnebic 
Dysentery  of  Thirteen  Years’  Duration  Cured  by  Embetin 
Hydrochlorid.  Repriuted  from  the  Journal  of  the  American 
Medical  Association  Feb.  14,  1914.  Chicago  1914.  Seiten¬ 
zahl  4. 

Mccaskey,  G.  W.,  Fort  Wayne,  Ind.  A  New  Method 
for  Estimating  the  Funktional  Capacity  of  the  Kidneys 
by  Forced  Elimination  of  Preformed  Urea.  Reprinted  from 
the  Medical  Rekord  March  21,  1914.  William  Wood 
&  Company,  Neuyork.  Seitenzahl  24. 

Mauthner,  O.,  Mähr.-Ostrau.  Gehörorgan  und  Beruf. 
Mit  3  Abbildungen  im  Text.  Aus  „Würzburger  Abhand¬ 
lungen  aus  dem  Gesamtgebiet  der  praktischen  Medizin“, 
Heft  8.  Würzburg  1914,  Verlag  von  Curt  Kabitzsch. 
Preis  Mk.  0.85. 

Oswald,  W.,  Grossbothen.  Moderne  Naturphilosophie. 
I.  Teil.  Die  Ordnungswissenschaften.  Leipzig  1914. 
Akademische  Verlagsgesellschaft  m.  b.  H.  Seitenzahl  410. 
Preis  brosch.  12.00  Mk.,  geb.  13  70  Mk. 

Q  u  i  r  o  g  a,  Atauasio.  Programa  de  Quimica  Aplicada  a  las 
Ciencias  Medicas.  Parte  Inorgänica  General  y  Biologica. 
Curso  Teörico  Practico  y  Curso  Practico.  Buenos  Aires 
1909.  Seitenzahl  6. 

R  i  t  c  h  i  e,  W.  Th.,  Auricular  Flutter.  Verlag  W.  M.  Green 
&  Sons.  Seitenzahl  144. 

Svedberg,  The.,  Upsala.  Die  Materie.  Ein  Forschungs¬ 
problem  in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Deutsche 
Übersetzung  von  Dr.  H.  Finkeistein.  Mit  15  Abbildungen. 
Leipzig  1914.  Akademische  Verlagsgesellschaft  m.  b.  H. 
Seitenzahl  162.  Preis  brosch.  6.50  Mk.,  geb.  7.50  Mk. 

Steiner,  W.  Behandlung  von  Asthma  bronchiale  und 
Emphysem  mit  Lipojodin.  Sonderabdruck  aus  der  „Deut¬ 
schen  medizinischen  Wochenschrift,  Nr.  51,  1913.“  Ver¬ 
lag  von  Georg  Thieme-Leipzig.  Seitenzahl  6. 

S  e  y  d  e  1,  Charlotten  bürg.  Über  Wohnungsämter,  unter  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  des  Charlottenburger  Wohnungs¬ 
amtes.  (Separatabdruck  aus  der  Hygienischen  Rund¬ 

schau  1914,  Nr.  9.)  Verhandlungen  der  Deutschen  Ge¬ 
sellschaft  für  öffentliche  Gesundheitspflege  zu  Berlin,  Jahr¬ 
gang  1913,  Nr.  3.  Seitenzahl  27. 

Schmincke,  R,  Bad  Elster.  Die  Wirkungen  der  Mineral¬ 
quellen  von  Bad  Elster.  Verlag  der  G.  B.  Leopolds 
Üniversitätsbuchhandlung,  Rostock  i.  M.  Seitenzahl  47. 

W  undt,  W.,  Leipzig.  Sinnliche  und  übersinnliche  Welt. 
Leipzig  1914.  Verlag  von  Alfred  Kröner.  Seiten¬ 
zahl  423.  Preis  geh.  8.00  Mk.,  geb.  9.00  Mk. 


Notiz. 

Die  „Fortschritte  der  Medizin“  werden  von  jetzt  ab 
stets  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zur  Ausgabe 
gelangen. 


_  -  -  ■ 

Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortschrifte  der  Medizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  IfUtwirkutid  Hervorragender  Tadimänner 

herausgegeben  von 

L.  von  Criegem,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

c.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  2 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  Q.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


20.  Oktober 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Sklerodermie  und  Unfall. 

1700  Ziff.  8  der  R.  V.  O.  (Ausschluss  des  Rekurses). 

Von  Oberregierungsrat  Krauss  in  Reutlingen. 

Der  47  Jahr  alten  Schuhmachers-Ehefrau  Rosine  B. 
in  N.,  württ.  Oberamts  T.,  ist  am  17.  März  1896  beim 
Dungwerfen  auf  dem  Feld  ein  Holzsplitter  von  der 
Dunggabel  in  den  linken  Kleinfinger  eingedrungen.  An 
die  Verletzung  hat  sich  eine  Zellgewebsvereiterung  der 
linken  Hand,  des  linken  Vorderarms  und  des  unteren 
Drittels  des  linken  Oberarms  angeschlossen,  die  zur  Ent¬ 
leerung  des  Eiters  Einschnitte  in  Hand  und  Arm  nötig 
machte.  Der  Krankheitsprozess  endigte  mit  der  Ver¬ 
steifung  sämtlicher  Finger  der  linken  Hand.  Die  ent- 
schädigungspflichtigeLandwirtschaftlicheBerufsgenossen- 
schafl  für  den  Württ.  Schwarzwaldkreis  verwilligte  der 
Frau  B.  zunächst  mit  Bescheid  vom  27.  Juli  1896  eine 
Teilrente  von  50  Proz.  Diese  Rente  wurde  im  März 
1897  auf  40  Proz.,  im  November  1897  auf  20  Proz.  und 
im  Oktober  1898  auf  10  Proz.  herabgesetzt,  nachdem 
durch  den  von  Anfang  an  behandelnden  Arzt  Oberamts¬ 
arzt  Dr.  Sch.  in  T.  bei  wiederholter  Untersuchung  fest¬ 
gestellt  worden  war,  dass  zwar  die  Steifheit  des  linken 
Daumens  und  Kleinfingers  bestehen  blieb,  die  der  übri¬ 
gen  Finger  sich  aber  allmählich  wieder  fast  ganz  ver¬ 
loren  hatte.  Von  einer  Ernährungsstörung  in  Hand  und 
Arm  war  in  jener  Zeit  nicht  das  geringste  zu  bemerken. 

In  der  Folge  ist  Frau  B.  auf  Veranlassung  der  Be¬ 
rufsgenossenschaft  noch  mehrmals  untersucht  worden. 
Eine  wesentliche  Änderung  wurde  nicht  gefunden  und 
es  verblieb  bei  der  10  prozentigen  Rente.  Von  irgend¬ 
welchen  Erscheinungen  einer  Hauterkrankung  war  nir¬ 
gends  die  Rede.  Verhandlungen  über  eine  Kapitalab¬ 
findung  scheiterten  daran,  dass  die  Forderung  der  Ver¬ 
letzten  der  Berufsgenossenschaft  zu  hoch  erschien. 

Am  26.  März  1909  stellte  der  Schuhmacher  B.  bei 
der  Berufsgenossenschaft  Antrag  auf  Erhöhung  der 
Rente  seiner  Frau,  da  sich  die  linke  Hand  derselben 
bedeutend  verschlimmert  habe  und  fast  nicht  mehr  zur 
Arbeit  zu  gebrauchen  sei.  Die  Berufsgenossenschaft 
ordnete  darauf  eine  erneute  Untersuchung  der  B.  durch 
ihren  Vertrauensarzt  Medizinalrat  R.  in  R.  an,  der  die 
Frau  schon  früher  einmal  —  am  9.  März  1906  —  unter¬ 
sucht  hatte.  Der  Sachverständige  fand  nun  am  29. 
April  1909  die  linke  Hand  im  ganzen  in  demselben  Zu¬ 
stand  wie  im  Jahr  1906.  An  der  Spitze  des  Mittelfingers 
anstossend  an  den  freien  Nagelrand  sass  jedoch  eine 
von  einem  Panaritium  (Fingergeschwür) ,  das  in 
charakteristischem  Verlauf  im  März  aufgetreten  war, 
herrührende,  nicht  mehr  empfindliche,  härtliche  Narbe. 
Medizinalrat  R.  äusserte  sich  hierüber  wörtlich  dahin : 


„Das  Auftreten  eines  Panaritiums  an  dem  seinerzeit  gar 
nicht  verletzten  und  nicht  in  den  Eiterungsprozess  her¬ 
eingezogenen  Mittelfinger  13  Jahre  nach  Ablauf  des 
Krankheitsprozesses  in  der  Hand  lässt  sich  nicht  in  ur¬ 
sächlichen  Zusammenhang  mit  dem  Unfall  bringen.  Es 
handelt  sich  nicht  um  ein  „Wiederaufbrechen“,  sondern 
um  Eiterung  an  einem  früher  nicht  eiternden  Finger. 
Von  einer  Verschlimmerung  der  Unfallfolgen  ist  keine 
Rede.“  Das  frühere  Württembergische  Schiedsgericht  III 
für  Arbeiterversicherung  in  Reutlingen,  welches  gemäss 
§  94  Absatz  3  des  Unfallversicherungsgesetzes  für  Land- 
und  Forstwirtschaft  vom  30.  Juni  1900  über  den  Renten¬ 
erhöhungsantrag  zu  entscheiden  hatte,  hat  am  8.  Juli  1909 
diesen  Antrag  als  unbegründet  abgewiesen,  indem  es 
der  Ansicht  des  Medizinalrat  R.  völlig  beitrat. 

Am  4.  Juli  1913  fand  eine  allgemeine  Revision  der¬ 
jenigen  Personen  in  N.  statt,  welche  im  Genuss  von 
Unfallrenten  von  seiten  der  Landwirtschaftlichen  Berufs¬ 
genossenschaft  für  den  Württembergischen  Schwarzwald¬ 
kreis  standen,  und  zwar  durch  einen  anderen  Vertrauens¬ 
arzt  der  genannten  Berufsgenossenschaft,  Medizinalrat 
Dr.  St.  aus  R.  Bei  diesem  Anlass  wurde  auch  Frau  B. 
wieder  untersucht.  Sie  gab  an:  Seit  mehreren  Jahren 
haben  sich  allmählich  nicht  nur  sämtliche  Finger  der 
linken  Hand,  sondern  auch  die  der  rechten  ver¬ 
schlimmert,  dieselben  seien  immer  steifeV  geworden  und 
schwächer,  auch  seien  sie  öfter  aufgebrochen  und  haben 
oft  stark  geschmerzt.  Sie  habe  deshalb  immer  weniger 
arbeiten  können.  Jetzt  könne  sie  nur  noch  ganz  einfache 
Geschäfte  verrichten,  oft  auch  gar  nichts  arbeiten.  Nach 
ihrer  Meinung  rühre  auch  diese  weitere  Erkrankung 
beider  Hände  vom  Unfall  her.  Im  Anschluss  liess  sich 
der  untersuchende  Arzt  folgendermassen  verlauten :  „Die 
Frau  ist  blutarm,  stark  abgemagert,  schlecht  genährt. 
Sämtliche  Finger  beider  Hände  in  Kontrakturstellung, 
starker  Schwund  der  Weichteile  an  Fingern  und  Händen, 
die  Haut  derb  und  gespannt,  glatt.  Muskulatur  starr. 
An  den  Fingerknöcheln  Narben  und  Borken,  von  Ver¬ 
letzungen  herrührend.  Beide  Hände  zeigen  Krallen¬ 
stellung.  Sensibilität,  bes.  Schmerz-  und  Wärme¬ 
empfindung  herabgesetzt,  Handgelenke  in  gerader  Rich¬ 
tung  versteift.  An  den  Fingern  Risse  und  Schrunden. 
Hände  fast  völlig  unbrauchbar.  Masse  beider  Arme 
rechts  zu  links:  Mittelhand  19,5  :  19,0  cm,  Plandgelenk 
16,0:  16,0  cm,  Vorderarm  21,0:  23,0  cm,  Oberarm 
22,0  :  23,5  cm.  Minderung  der  Erwerbsfähigkeit  z.  Zt. 
70  Prozent.  Ob  diese  schwere  Störung  an  beiden  Händen, 
die  sich  im  Verlauf  mehrerer  Jahre  entwickelte,  mit  dem 
Unfall  zusammenhängt,  ist  mir  nicht  ganz  klar,  es  ist 
wohl  möglich,  aber  nicht  sicher.  Es  handelt  sich  dabei 
wohl  um  ein  Nervenleiden,  das  zu  schweren  Ernährungs- 


18 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  2. 


Störungen  an  den  Oberextremitäten  geführt  hat  (vielleicht 
Syringomyelie?).  Ich  rate  die  Frau  zunächst  zu 
genauerer  Beobachtung  und  Begutachtung  auf  einige 
Tage  in  die  Haut-  oder  Nervenklinik,  oder  in  die  medi¬ 
zinische  Klinik  in  Tübingen  einzuweisen.  Es  ist  sehr 
auffallend,  dass  in  den  Gutachten  aus  den  letzten  Jahren 
nichts  über  den  Verlauf  und  die  Entwicklung  dieser 
Krankheit  berichtet  ist.  Es  wäre  dies  jedenfalls  für  die 
Begutachtung  von  grosser  Wichtigkeit  gewesen.“ 

Die  Berufsgenossenschaft  ging,  dem  Rate  ihres 
Vertrauensarztes  folgend,  die  Medizinische  Klinik  und 
Nervenklinik  in  Tübingen  um  Erstattung  eines  Gut¬ 
achtens  an.  Am  3.  November  1913  äusserte  sich  sodann 
der  Assistenzarzt  Dr.  K.  unter  Zustimmung  des  Direk¬ 
tors  der  Klinik  Professor  O.  M.  dahin:  „Die  B.  war 
vom  22.  bis  29.  Oktober  1913  in  der  Klinik  auf¬ 
genommen.  Sie  schildert  ihren  Unfall  vom  17-  März 
1896,  die  direkten  Unfallfolgen  und  den  ganzen  Verlauf 
ihrer  jetzigen  Krankheit,  wie  dies  in  den  Akten  und 
speziell  in  den  vielen  ärztlichen  Gutachten  niedergelegt 
ist.  Über  ihren  derzeitigen  Zustand  sagt  sie  aus,  dass 
sie  vollkommen  hilflos  und  absolut  auf  fremde  Pflege 
und  Wartung  angewiesen  sei,  von  irgend  einer  Arbeit 
sei  keine  Rede.  Ihre  Finger  und  ihre  Hände  seien  voll¬ 
kommen  steif;  die  geringste  Berührung  derselben  mache 
ihr  unerträglichen  Schmerz,  auch  habe  sie  stets  wunde 
und  geschwürige  Stellen  an  den  Händen  und  den  Beinen, 
die  an  jeder  Bewegung  hindern.  Sie  fühle  sich  im  all¬ 
gemeinen  müde  und  kraftlos,  habe  viel  Kopfschmerzen 
und  müsse  sich  oft  woehenlang  zu  Bett  legen.  Die 
Haare  gingen  ihr  aus,  die  Augen  würden  schlechter,  das 
Gehen  mache  ihr  je  länger  je  mehr  wegen  Spannung  in 
den  Beinen  Schmerzen,  schlafen  könne  sie  schon  lange 
nicht  mehr.  Früher  sei  sie  gar  nicht  krank  gewesen, 
erst  seit  ihrem  Unfall  seien  alle  diese  Erscheinungen 
aufgetreten.  Irgend  welche  ähnliche  Leiden  in  ihrer 
Familie  sind  ihr  nicht  bekannt.  Der  objektive  Befund, 
den  die  Frau  bei  ihrer  Aufnahme  bot,  ist  folgender: 
Die  Frau  bietet  ein  schon  dem  Laien  imponierendes 
Bild  elender  Schwäche  und  traurigen  Verfalles.  Der  Ge¬ 
sichtsausdruck  ist  leidend  und  kummervoll,  auch  ihre 
Stimmung  meist  depressiv  und  zum  Weinen  geneigt, 
namentlich  wenn  sie  alle  ihre  Leiden  und  Beschwerden 
schildert.  Das  Körpergewicht  der  Frau  beträgt  52  kg 
bei  einer  Grösse  von  1,69.  Temperatur,  Puls  und  At¬ 
mung  zeigen  keine  Abweichungen  von  der  Norm.  Zu¬ 
nächst  fällt  bei  der  Frau  die  Beschaffenheit  der  Haut 
auf.  Sie  zeigt,  besonders  an  den  Händen  und  Unter¬ 
armen,  eine  symmetrische  Verhärtung  und  dabei  Ver¬ 
dünnung,  die  fest  auf  ihrer  Unterlage  fixiert  ist  und 
einen  eigentümlichen  speckigen  Glanz  gibt.  Ausserdem 
ist  sie  besetzt  mit  massenhaften  punktförmigen,  sommer¬ 
sprossenähnlichen,  gelben  bis  dunkelbraunen  Flecken,  die 
wiederum  andere  weisse,  pigmentlose  Partien  zwischen 
sich  lassen.  Das  Unterhautzellgewebe  an  den  Händen 
und  den  Vorderarmen,  das  Fettgewebe,  die  Muskulatur 
ist  atrophiert.  An  den  Händen  sind  multiple,  teils  ober¬ 
flächliche,  teils  bis  auf  die  Knochen  gehende  geschwürige 
Defekte  zu  sehen,  desgleichen  finden  sich  an  beiden 
Schienbeinkanten  symmetrisch  alte,  mit  harten  Krusten 
bedeckte  Hautabschürfungen.  Die  Finger  sind  an  beiden 
Händen  in  Beugestellung  versteift,  aktive  Bewegungen 
in  den  Fingern  können  nicht  ausgeführt  werden,  passive 
Bewegungen  sind  wegen  der  enormen  Schmerzen,  die 
schon  die  leiseste  Berührung  der  Finger  verursacht,  un¬ 
möglich.  Die  Hände  sind  in  halber  Pronations-  und 
Beugestellung  fixiert.  Die  Muskulatur  und  das  Unter¬ 
hautzellgewebe  an  den  Beinen  und  am  übrigen  Körper 
ist  dürftig  entwickelt,  zeigt  jedoch  keine  typische  Atro¬ 
phie.  Das  Gesicht  jedoch  ist  in  toto  verkleinert,  das 
Kinn  tritt  zurück,  die  Lippen  sind  verkürzt,  die  Nase 
ist  verjüngt,  alles  Zeichen  einer  Atrophie  der  Gesichts¬ 


muskulatur.  Die  Bewegung  der  Kiefer  ist  etwas  be¬ 
hindert,  die  Lider  sind  nicht  verkürzt,  Lidschluss  ist 
vollkommen  möglich.  Die  Sensibilität  ist  bei  der  Frau 
wegen  ihrer  erschwerten  und  verlangsamten  Auffassungs¬ 
gabe,  vielleicht  auch  zum  Teil  wegen  mangelnden  guten 
Willens,  nur  äusserst  schwer  zu  prüfen,  ihre  Angaben 
sind  unsicher  und  nur  bei  energischem  Zureden  und 
öfterer  Wiederholung  lassen  sich  die  Resultate  der 
Prüfung  verwerten.  Es  ist  jedoch  zu  sagen,  dass  gröbere, 
objektiv  nachweisbare  Sensibilitätsstörungen  bei  der  Frau 
fehlen.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Muskulatur  ist 
normal,  am  Daumen-  und  Kleinfingerballen  der  linken 
Hand  jedoch  ist  ein  weniger  promptes  Ansprechen  auf 
galvanische  Reize  zu  konstatieren.  Die  Sehnen-  und 
Periostreflexe  sind  durchweg  gesteigert.  Abnorme  Re¬ 
flexe  sind  nicht  nachzuweisen.  Der  Gang  ist  leicht 
spastisch,  die  Sprache  unbehindert,  die  Funktion  der 
Hirnnerven  intakt.  Blasen-Mastdarmstörungen  fehlen. 
Die  vorgenommene  Lumbalpunktion  ergab  ebenfalls  nor¬ 
male  Verhältnisse.  Die  Wassermann’sche  Reaktion  aus 
Blut-  und  Lumbalflüssigkeit  war  negativ.  Was  die 
Untersuchung  der  inneren  Organe  betrifft,  so  ergab  die 
Perkussion  der  Lungen  überall  sonoren  Schall,  die 
Grenzen  waren  beiderseits  gleich  hoch  und  gut  verschieb¬ 
lich,  das  Atemgeräusch  vesikulär  und  rein.  Das  Herz 
zeigte  keine  Verbreiterung  seiner  Grenzen,  die  Töne 
waren  rein,  eine  Akzentuation  der  2.  Töne  an  der  Basis 
war  nicht  nachzuweisen,  der  Spitzenstoss  nicht  hebend. 
Der  Leib  war  ziemlich  schlaff,  nirgends  druckempfind¬ 
lich,  abnorme  Resistenzen  waren  nicht  zu  fühlen.  Leber 
und  Milz  nicht  vergrössert,  der  Urin  frei  von  Eiweiss 
und  Zucker,  der  Stuhl  von  normaler  Farbe  und  Konsi¬ 
stenz.  Es  handelt  sich  bei  Frau  B.  um  eine  selten  vor¬ 
kommende,  aber  typische  und  leicht  zu  erkennende  Er¬ 
krankung,  die  sogenannte  Sklerodermie.  Diese  Krankheit 
geht  einher  mit  jener  charakteristischen  Verhärtung  und 
Verdünnung  der  Haut,  die  Haut  zeigt  daneben  eine 
eigentümliche  Pigmentation.  Weiterhin  atrophieren 
ausser  der  Haut  auch  das  Unterhautzellgewebe,  das 
Fett,  die  Muskulatur,  ja  sogar  die  Knochen.  Es  treten 
durch  Ernährungsstörungen  der  Haut  allerhand  ge¬ 
schwürige  Prozesse  auf,  die  eine  sehr  geringe  Heilungs¬ 
tendenz  zeigen,  endlich  bilden  sich  durch  die  schrump¬ 
fenden  und  atrophischen  Prozesse  Kontrakturen,  haupt¬ 
sächlich  der  Finger,  aus.  Der  Allgemeinzustand  dieser 
Patienten  leidet,  und  sie  verfallen  allmählich  elendem 
Siechtum.  Wir  haben  dieses  Krankheitsbild  in  typischer 
Ausbildung  hier  vor  uns.  Es  ist  nun  bei  unserer  Patien¬ 
tin  die  Beurteilung  der  durch  die  vorliegende  Krankheit 
verursachten  Erwerbsbeschränkung  wohl  leicht  und  sicher 
zu  geben,  denn  die  schwer  kranke  Frau  ist  in  ihrem 
desolaten  Zustand  eben  absolut  d.  h.  um  100  Prozent 
erwerbsbeschränkt.  Weit  schwieriger  ist  die  Frage  zu 
entscheiden,  ob  und  inwieweit  der  Unfall  vom  Jahre  1896 
als  die  Ursache  dieser  schweren  Erkrankung  anzusehen 
ist.  Dazu  ist  zu  sagen,  dass  in  der  über  diese  Krank¬ 
heit  bestehenden  Literatur  unter  den  möglichen  Ursachen 
auch  Verletzungen  genannt  sind;  allerdings  sind  die  Au¬ 
toren,  die  diese  Ätiologie  anerkennen,  in  der  Minderzahl, 
die  Mehrzahl  der  Autoren  — >  und  ihrer  Ansicht  neigen 
auch  wir  zu  —  leugnen  den  ursächlichen  Zusammenhang 
zwischen  einer  Verletzung  und  der  vorliegenden  Krank¬ 
heit.  Immerhin  aber  gibt  es,  wie  schon  gesagt,  Autoren, 
die  einen  solchen  Zusammenhang  annehmen.  Es  bleibt 
demgemäss  der  Berufsgenossenschaft  Vorbehalten,  welcher 
Ansicht  sie  sich  anschliessen  will.“ 

Medizinalrat  Dr.  St.  in  R.,  dem  hierauf  das  klinische 
Gutachten  von  der  Berufsgenossenschaft  mitgeteitt  wurde, 
bemerkte  am  6.  Dezember  1913:  „Da  ich  selbst  keine 
persönliche  Erfahrung  über  diese  seltene  Erkrankung 
habe  und  auch  in  der  mir  zugänglichen  Literatur  nichts 
Bestimmtes  über  deren  Entstehung,  namentlich  nach  Un* 


Nr.  2. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


19 


fällen,  finden  konnte,  so  dürfte  wohl  für  die  Berufsge¬ 
nossenschaft  die  Ansicht  der  Medizinischen  Klinik  mass¬ 
gebend  sein  und  wäre  demnach  ein  ursächlicher  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  dem  Unfall  vom  März  1896  und 
dem  erst  in  den  letzten  Jahren  hervorgetretenen  Leiden 
abzulehnen.“ 

Mit  Bescheid  vom  13.  Dezember  1913  lehnte  nun¬ 
mehr  die  Berufsgenossenschaft  den  Anspruch  der  Frau 
B.  bezw.  ihres  Ehemannes  auf  Zahlung  einer  höheren 
Rente  für  den  Unfall  vom  17.  März  1896  ab,  weil  nach 
dem  Gutachten  der  Tübinger  Universitätsklinik  ein  ur¬ 
sächlicher  Zusammenhang  zwischen  dem  Unfall  und  dem 
in  den  letzten  Jahren  hervorgetretenen  Leiden  nicht  an¬ 
genommen  werden  könne. 

Gegen  diesen  Bescheid  hat  Schuhmacher  B.  namens 
seiner  Frau  rechtzeitig  Einspruch  erhoben.  Über  den 
Einspruch  verhandelte  das  verstärkte  Kgl.  Versicherungs¬ 
amt  in  T.  Dasselbe  gelangte  einstimmig  zu  der  Ansicht: 
„Die  Frau  ist  vor  dem  Unfall  immer  gesund  gewesen. 
Seit  dem  Unfall  ist  eine  allmähliche  Ausbreitung  der 
Krankheit  eingetreten,  durch  die  sie  jetzt  eine  voll¬ 
ständig  sieche  Person  geworden  ist.  Da  in  der  Land¬ 
wirtschaft  alle  möglichen  künstlichen  Dünger  verwendet 
werden,  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  dass  durch  den 
Gabelspreissen  ein  Gift  in  die  Hand  eingedrungen  ist, 
das  schliesslich  den  ganzen  Körper  durchwühlt  hat.  Wir 
neigen  deshalb  zu  der  Auffassung,  dass  die  jetzige 
dauernde  Erkrankung  auf  den  Unfall  zurückzuführen 
sein  wird.“  Zu  dieser  Auffassung  des  verstärkten  Ver¬ 
sicherungsamts  hörte  die  Berufsgenossenschaft  nochmals 
den  Medizinalrat  Dr.  St.  Derselbe  erwiderte  am  24. 
Februar  1914;  ,,Die  Anschauung  des  Versicherungsamts, 
dass  durch  den  Gabelstich  ein  Gift  in  die  Wunde  ein¬ 
gedrungen  sei,  welches  die  Krankheit  verursacht  habe, 
ist  sehr  unwahrscheinlich,  und  geht  die  Ansicht  der 
Mehrzahl  der  Autoren  dahin,  dass  Krankheiten,  wie  eine 
solche  bei  der  Frau  B.  sich  entwickelt  hat,  eben  nicht 
durch  Verletzungen  herbeigeführt  werden.  Da  aber 
immerhin  einige  der  Autoren  eine  Verletzung  als  Ursache 
in  einzelnen  Fällen  anerkannt  haben,  so  könnte  bei 
Anwendung  besonderer  Milde  in  der  Beurteilung  des  ur¬ 
sächlichen  Zusammenhangs  ein  solcher  gerechtfertigt 
werden.“ 

Auf  Antrag  eines  von  der  B.  mit  Wahrung  ihrer 
Interessen  betrauten  Rechtsanwaltes  liess  die  Berufs¬ 
genossenschaft  durch  die  Ortsbehörde  N.  noch  eine  Reihe 
Zeugen  über  den  Gesundheitszustand  der  B.  vor  ihrem 
Unfall  einvernehmen.  Dieselben  bekundeten  über¬ 
einstimmend  mit  der  Ortsbehörde  selbst,  dass  die  B.  vor 
ihrem  Unfall  stets  gesund  und  rüstig,  sowie  von  blühendem 
Aussehen  gewesen  sei.  Seit  dem  Unfall  sei  sie  plötzlich 
und  immer  mehr  abgemagert  und  so  nach  und  nach 
eine  kränkliche  Frau  geworden.  Dem  gegenüber  betonte 
die  Medizinische  Klinik  und  Nervenklinik  in  Tübingen 
am  25.  März  1914,  dass  die  seit  Erstattung  ihres  Gut¬ 
achtens  vom  3.  November  1913  angefallenen  Akten  an 
ihrem  bereits  mitgeteilten  Standpunkt  nichts  zu  ändern 
vermögen.  Ob  der  ursächliche  Zusammenhang  in  dem 
Eindringen  eines  Giftes  in  den  Körper  oder  anderweitig 
zu  suchen  sei,  sei  für  die  prinzipielle  Entscheidung  der 
Frage  ohne  Belang.  Ein  strikter  ärztlicher  Beweis  für 
oder  gegen  die  Möglichkeit  eines  Zusammenhangs  zwischen 
Unfall  und  Sklerodermie  könne  nicht  gegeben  werden; 
die  Klinik  lehne  diese  Möglichkeit  ab,  müsse  aber  nach 
wie  vor  die  Entscheidung  hierüber  der  Berufsgenossen¬ 
schaft  überlassen. 

Die  Berufsgenossenschaft  legte  angesichts  des 
zweifelhaften  Charakters  des  Falles  schliesslich  noch  Wert 
darauf,  die  Meinung  ihres  weiteren,  schon  früher  in  der 
Unfallsache  tätig  gewordenen  Vertrauensarztes  Medizinal¬ 
rat  R.  in  R.  kennen  zu  lernen.  Derselbe  kam  in  einem 
Gutachten  vom  2.  Mai  1914  nach  Wiedergabe  des  be¬ 


reits  bekannten  Tatbestandes  zu  folgendem  Schlüsse: 
„Ich  muss  raten,  die  Entscheidung  in  ablehnendem  Sinn 
zu  erlassen.  Ich  will  mich  zunächst  einmal  auf  den 
Standpunkt  des  Versicherungsamts  stellen  und  seine 
Hypothese  zu  Grund  legen,  es  könne  durch  den  Spreissen 
irgend  ein  „Giftstoff“  — von  dem  künstlichen  Dünger  will 
ich  absehen  —  in  den  Körper  gelangt  sein  und  die  rätsel¬ 
hafte  Krankheit  verursacht  haben.  Dabei  ist  mit  Nach¬ 
druck  hervorzuheben,  dass  die  Behauptung  des  Ver¬ 
sicherungsamts,  „seit  dem  Unfall  sei  eine  allmähliche 
Ausbreitung  der  Krankheit  eingetreten“  ein  Irrtum  ist, 
der  in  den  Akten  lediglich  keine  Stütze  findet.  Das  ge¬ 
naue  Gegenteil  ist  richtig.  13  Jahre  lang  ist  die  Frau 
nach  dem  Unfall  gesund  geblieben  und  verschiedene 
Untersucher  haben  in  der  verletzten  Hand  ausser  den 
unmittelbaren  Unfallfolgen  lediglich  keine  Veränderungen 
vorgefunden;  erst  nach  dem  März  1909  kann  die  Krank¬ 
heit  begonnen  haben.  Ist  es  aber  denkbar,  dass  ein 
„Giftstoff“  oder  überhaupt  ein  krankheitserregender  Stoff, 
der  imstande  ist,  solch  schwere  Wirkungen  auszulösen  und 
innerhalb  4  Jahren  so  eingreifende  Veränderungen  her¬ 
vorruft,  dass  ein  solcher  Stoff  sollte  13  Jahre  als  harm¬ 
loser,  unbemerkter  Gast  im  Körper  geweilt  haben  und 
erst  nach  13  Jahren  auf  seine  unheilvollen  Fähigkeiten 
sich  besinnt  ?  Das  widerspricht  allen  physiologischen 
und  pathologischen  Erfahrungen.  Wenn  man  an  einen 
Giftstoff  denken  will,  so  liegt  es  viel  näher,  denjenigen 
„Giftstoff“  heranzuziehen,  der  im  Februar  1909  das  Pana- 
ritium  verursacht  hat;  an  dieses  hat  sich  die  Sklerodermie 
angeschlossen.  Dieses  Panaritium  an  einem  seinerzeit 
nicht  verletzten  Finger  kann  aber  unmöglich  einem  13 
Jahre  zuvor  erlittenen  Unfall  in  die  Schuhe  geschoben 
werden,  und  es  hat  auch  das  Schiedsgericht  den  Zu¬ 
sammenhang  abgelehnt.  Was  von  einem  „Giftstoff“  gilt, 
das  gilt  auch  von  jedem  anderen,  eine  Krankheit  ver¬ 
ursachenden  „Anstoss“.  Dass  ein  in  einem  Unfall  liegen¬ 
der  „Anstoss“  seine  Wirkung  erst  nach  13  Jahren  an¬ 
fangen  sollte  zu  entfalten,  ist  abzulehnen,  und  so  wieder¬ 
hole  ich  meinen  Rat,  eine  höhere  Rentengewährung  abzu¬ 
lehnen.“ 

Mit  Endbescheid  vom  9.  Mai  1914  beharrte  jetzt  die 
Berufsgenossenschaft  darauf,  einen  Anspruch  auf  Zahlung 
einer  höheren  Rente  aus  dem  Unfall  vom  17-  März  1896 
nicht  anzuerkennen. 

Gegen  den  Endbescheid  hat  der  von  Frau  B.  be¬ 
vollmächtigte  Rechtsanwalt  fristzeitig  Berufung  eingelegt 
unter  Bezugnahme  auf  das  im  Einspruchsverfahren  Vor¬ 
getragene. 

Am  9.  Juli  1914  fand  mündliche  Verhandlung  der 
Streitsache  vor  dem  Kgl.  Württembergischen  Ober¬ 
versicherungsamt,  Spruchkammer  Reutlingen,  statt.  Der 
zur  Sitzung  beigezogene  Gerichtsarzt,  Dr.  K.  in  R.,  er¬ 
stattete  auf  Grund  der  Akten  das  nachstehende  münd¬ 
liche  Gutachten ;  „Auch  ich  habe  zunächst  hervor¬ 
zuheben,  dass  es  sich  im  vorliegenden  Falle  um  eine 
seltene  Erkrankung  handelt  und  dass  noch  Unklarheit 
über  dieses  Leiden  und  über  die  letzte  Ursache  der  Ent¬ 
stehung  desselben  besteht.  Immerhin  ist  es  Tatsache, 
dass  schon  in  einer  Reihe  von  Fällen  diese  Erkrankung 
in  ursächlichen  Zusammenhang  mit  einem  Unfall  gebracht 
worden  ist,  so  dass  von  vornherein  es  nicht  aus¬ 
geschlossen  erscheint,  das  Leiden  auch  hier  mit  dem 
Unfall  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Erwähnenswert 
ist,  dass  der  Unfall  ernsthafter  Natur  war.  Ein  Zu¬ 
sammenhang  wäre  wahrscheinlich  gemacht,  wenn  aus 
den  vorliegenden  Gutachten  eine  allmähliche  Ver¬ 
schlimmerung,  und  sei  es  auch  sprunghafter  Natur,  nach¬ 
zuweisen  wäre.  Nun  ist  allerdings  aus  der  grossen 
Mehrzahl  der  Gutachten  nicht  zu  ersehen,  dass  Er¬ 
nährungsstörungen  oder  Gefühlsstörungen  an  der  Hand 
bestanden  hätten.  Dabei  ist  aber  zu  beachten,  dass  der 
Nachweis  bestehender  Gefühlsstörung  ein  nicht  ganz  ein- 


20 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  2. 


tacher  ist.  Auf  das  Bestehen  trophischer  Störungen 
könnte  es  doch  hinweisen,  dass  z.  B.  im  Gutachten  vom 
9.  März  1906  Medizinalrat  R.  in  R.  feststellte,  dass  die 
linke  Hand  rissig  verarbeitet  und  dass  der  Vorderarm 
etwas  aufgedunsen  war.  Weiterhin  ist  das  Panaritium, 
das  1909  am  linken  Mittelfinger  auftrat,  in  dieser  Rich¬ 
tung  verdächtig,  weil  erfahrungsgemäss  beim  Vorhanden¬ 
sein  von  Ernährungsstörungen  derartige  Eiterungen  an 
den  Fingern  häufig  entstehen.  Wenn  Medizinalrat  R. 
bemerkt  hat,  es  sei  ausgeschlossen,  dass  ein  Gift  erst 
nach  14  Jahren  eine  Wirkung  im  menschlichen  Körper 
ausübe,  so  möchte  ich  dagegen  betonen,  dass  es  doch 
Krankheiten  gibt,  bei  welchen  dies  der  Fall  ist,  z.  B.  sei 
nur  an  Syphilis  erinnert,  bei  welcher  erfahrungsgemäss 
oft  erst  Jahrzehnte  nach  erfolgter  Infektion  schwere  Er¬ 
krankungen  an  den  Zentralorganen  sich  einstellen  können. 
Ich  möchte  bei  der  Unklarheit,  welche  über  die  Ent¬ 
stehung  der  Krankheit  herrscht,  es  für  richtig  halten, 
eine  milde  Beurteilung  im  vorliegenden  Fall  walten  zu 
lassen  und  einen  Zusammenhang  des  jetzt  bestehenden 
Nervenleidens  mit  dem  Unfall  vom  17*  März  1896  als 
ausreichend  wahrscheinlich  anzunehmen.“  Der  anwesende 
Ehemann  der  Klägerin  hob  nochmals  hervor,  dass  an 
der  linken  Hand  seiner  Frau  schon  vor  1906  (Unter¬ 
suchung  durch  Medizinalrat  R.)  Ernährungsstörungen 
bestanden  haben,  indem  die  Finger  vielfach  auf¬ 
geschwollen  gewesen  und  dann  aufgebrochen  seien.  Auf 
Vorhalt  des  Vorsitzenden  gab  er  weiter  an,  aus  Anlass 
der  Untersuchung  seiner  Frau  am  4.  Juli  1913  durch 
Medizinalrat  Dr.  St.  auf  dem  Rathaus  in  N.  habe  er  im 
Beisein  eines  Beamten  der  Berufsgenossenschaft  den  An¬ 
trag  auf  Rentenerhöhung  gestellt.  Das  Oberver¬ 
sicherungsamt  hat  darauf  folgende  Entscheidung  getroffen 
(unter  Weglassung  des  Kostenpunktes). 

„Nach  der  zuverlässigen  und  unbestrittenen  Fest¬ 
stellung  der  Medizinischen  Klinik  und  Nervenklinik  in 
Tübingen  leidet  die  Klägerin  an  Sklerodermie  (Zell¬ 
gewebsverhärtung  der  Haut,  zu  vergl.  C.  Thiem,  Hand¬ 
buch  der  Unfallerkrankungen  2.  Auflage  Bd.  I  S.  325  ff.), 
einer  selten  vorkommenden  schweren  Krankheit,  und  ist 
zweifellos  völlig  erwerbsunfähig.  Uber  die  Ursachen 
der  Entstehung  dieser  Krankheit  herrscht  in  der  medi¬ 
zinischen  Wissenschaft  anerkanntermassen  noch  wenig 
Klarheit  und  Sicherheit,  und  speziell  auch  darüber,  ob 
das  Leiden  als  Folge  äusserlicher  Verletzungen  (von 
Unfällen)  auftreten  kann,  gehen  die  Ansichten  ausein¬ 
ander.  Die  Medizinische  Klinik  und  Nervenklinik 
Tübingen  hat  wiederholt  betont,  ein  strikter  ärztlicher 
Beweis  für  oder  gegen  die  Möglichkeit  eines  Zusammen¬ 
hangs  zwischen  Unfall  und  Sklerodermie  könne  nicht 
gegeben  werden,  sie  stehe  aber  ihrerseits  auf  dein  Stand¬ 
punkt,  dass  ein  solcher  Zusammenhang  abzulehnen  sei. 
Die  weiteren  Gutachter  in  der  Instanz  der  Berufs¬ 
genossenschaft,  Medizinalrat  Dr.  St.  in  R.  und  Medi¬ 
zinalrat  R.  in  R.,  haben  sich  der  Anschauung  der 
Tübinger  Universitätsklinik  angeschlossen,  doch  hat 
ersterer  darauf  hingewiesen,  dass,  insofern  einige  Autoren 
in  einzelnen  Fällen  eine  Verletzung  als  Ursache  der 
Sklerodermie  anerkannt  haben,  bei  Anwendung  besonderer 
Milde  in  der  Beurteilung  die  Frage  des  ursächlichen  Zu¬ 
sammenhangs  zwischen  Leiden  und  Unfall  bejaht  werden 
könnte.  Der  Gerichtsarzt  Dr.  K.  in  R.  hat  nun  heute 
entschieden  die  Auffassung  vertreten,  dass,  gerade  weil 
bezüglich  der  Entstehungsursachen  der  Sklerodermie 
noch  so  wenig  Klarheit  und  Übereinstimmung  herrsche, 
eine  der  Klägerin  günstige  Beurteilung  Platz  greifen 
müsse.  Der  Gerichtsarzt  hat  eine  Reihe  bemerkens¬ 
werter  Punkte  hervorgehoben,  die  für  die  Möglichkeit 
sprechen,  dass  die  schwere  Blutvergiftung ,  die  die 
Klägerin  im  Anschluss  an  die  Verletzung  ihres  linken 
Kleinfingers  durch  einen  Holzsplitter  von  der  Dunggabel 
betroffen  und  die  dis  ganze  linke  Hand  und  den  ganzen 


linken  Arm  ergriffen  hatte,  auch  weiterhin,  wenn  schon 
langsam  und  schleichend  und  mit  scheinbarem,  lang¬ 
jährigem  Stillstand,  ihre  Wirkung  im  Körper  der  Frau 
weiter  äussern  und  schliesslich  zu  der  jetzigen  schweren 
Erkrankung  führen  konnte.  Der  Gerichtsarzt  hat  dann 
noch  den  weiteren  Schritt  getan  und  seiner  Überzeugung 
dahin  Ausdruck  verliehen,  dass  ein  ursächlicher  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  Lnfall  und  Leiden  nicht  bloss 
möglich,  sondern  sogar  überwiegend  wahrscheinlich  sei. 
Das  Oberversicherungsamt  hat,  ohne  die  entgegen¬ 
stehenden  Bedenken  zu  verkennen,  sich  in  dem  vor¬ 
liegenden  besonders  gearteten  Falle  die  von  sozialem 
Verständnis  zeugenden  Ausführungen  und  die  Schluss¬ 
folgerung  seines  Sachverständigen  zu  eigen  gemacht  und 
so  hinreichenden  Nachweis  dafür  als  erbracht  angesehen, 
dass  bei  der  Klägerin  eine  wesentliche  Verschlimmerung 
in  den  Unfallfolgen  seit  Feststellung  der  lOprozentigen 
Rente  im  Oktober  1898  eingetreten  ist,  die  eine  Er¬ 
höhung  der  Rente  gerechtfertigt  erscheinen  lässt.  Der 
angefochtene  Bescheid  unterlag  daher  der  Aufhebung. 
Was  das  Mass  der  Rentenerhöhung  anbelangt,  so  war, 
da  die  Klägerin,  wie  schon  erwähnt,  als  gänzlich  er¬ 
werbsunfähig  zu  gelten  hat,  auf  die  Vollrente  (100%)  zu 
erkennen.  Nicht  ganz  einfach  war  es,  zu  entscheiden, 
von  welchem  Zeitpunkt  ab  die  Rentenerhöhung  in  Wirk¬ 
samkeit  zu  treten  hat.  Nach  §  611  der  R.  V.  O.  kann 
Erhöhung  der  Rente  nur  für  die  Zeit  nach  Anmeldung 
des  höheren  Anspruchs  verlangt  werden.  Ausweislich 
der  Akten  ist  aber  ein  förmlicher  Antrag  auf  Erhöhung 
der  Rente  von  seiten  der  Rosine  B.  bezw.  ihres  Ehe¬ 
manns  neuerdings  (im  Gegensatz  zu  1909)  gar  nicht  ge¬ 
stellt  worden,  es  scheint  vielmehr,  dass  die  Frage  der 
Rentenerhöhung  von  der  Beklagten  von  Amtswegen  ge¬ 
prüft  worden  ist.  Den  Anstoss  dazu  hat  jedenfalls  das 
Ergebnis  der  Untersuchung  durch  Medizinalrat  Dr.  St. 
in  R..  am  4.  Juli  1913  gegeben,  bei  der  zuerst  die 
schweren  krankhaften  Störungen  festgestellt  wurden,  die 
dann  nachher  in  der  Tübinger  Klinik  als  Erscheinungen 
der  Sklerodermie  erkannt  worden  sind.  Der  Beginn  der 
Rentenerhöhung  war  daher  am  besten  auf  den  Tag  nach 
dieser  Untersuchung  zu  verlegen.  Dies  wäre  auch  für 
den  Fall  richtig,  dass  das  heutige  Vorbringen  kläge¬ 
rischerseits,  das  Gesuch  um  Rentenerhöhung  sei  eben 
anlässlich  der  mehrgenannten  Untersuchung  bei  dem  an¬ 
wesenden  Beamten  der  Berufsgenossenschaft  mündlich 
angebracht  worden,  auf  Wahrheit  beruht.“ 

Vorstehender  Entscheidung  soll  noch  eine  kurze 
grundsätzliche  Erörterung  hinsichtlich  ihres  endgültigen 
Charakters  beigefügt  werden.  Nach  §  1700  Ziff.  8  der 
R.  V.  O.  ist  der  Rekurs  ausgeschlossen,  wenn  es  sich 
handelt  um  Neufeststellung  von  Dauerrenten  wegen 
Änderung  der  Verhältnisse.  Hiermit  ist  §  608  der  R. 
V.  O.  zu  vergleichen,  wo  es  heisst:  „Tritt  in  den  Ver¬ 
hältnissen,  die  für  die  Feststellung  der  Entschädigung 
massgebend  gewesen  sind,  eine  wesentliche  Änderung 
ein,  so  kann  (richtiger:  muss)  eine  neue  Feststellung  ge¬ 
troffen  werden.“  Dies  bezieht  sich  zweifellos  auch  auf 
die  Rentenerhöhungen  bei  nachgewiesener  wesentlicher 
Verschlimmerung  des  Unfallzustandes.  Zu  vergl.  auch 
R.  V.  O.  §  1584.  Die  Berufsgenossenschaft  ist  im  vor¬ 
liegenden  Falle  davon  ausgegangen,  dass  es  sich 
um  Änderung  einer  Dauerrente  handle.  Die  Fest¬ 
setzung  der  Rente  auf  10  Prozent  im  Oktober  1898 
bedeutete  nämlich  nach  der  herrschenden  Rechtsaus¬ 
legung,  da  seit  der  Rechtskraft  des  ersten  Bescheids 
zwei  Jahre  abgelaufen  waren,  die  erstmalige  Feststellung 
einer  Dauerrente.  Hiernach  wurde  wohl  mit  Recht  die 
Entscheidung  des  Oberversicherungsamts  als  nicht  rekurs¬ 
fähig  bezeichnet.  Es  muss  aber  unverkennbar  als  be¬ 
denklich  erscheinen,  dass  in  derartigen  wichtigen  Streit¬ 
fällen  von  einschneidender  Bedeutung,  wie  sie  sich  häufig 
wiederholen  können,  die  oberste  Instanz  nicht  zu  Wort 


Nr.  2. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


21 


kommen  soll.  Für  die  Anwendung  des  §  1693  der  R. 
V.  O.  — •  Abgabe  der  Sache  an  das  Reichsversicherungs¬ 
amt  —  war  leider  kein  Raum  gegeben,  weil  eine  Ab¬ 
weichung  von  einer  amtlich  veröffentlichten  grundsätz¬ 
lichen  Entscheidung  des  Reichsversicherungsamts  nicht 
in  Frage  stand  (eine  derartige  Entscheidung  liegt  offen¬ 
bar  noch  nicht  vor)  und  weil  es  sich  weiterhin  auch  nicht 
um  eine  noch  nicht  festgestellte  Auslegung  gesetzlicher 
Vorschriften  von  grundsätzlicher  Bedeutung  (sondern 
vielmehr  um  eine  medizinische  Streitfrage)  handelte. 


Aus  der  St.  J  o  s  e  f  s  II  e  i  1  a  n  s  t  a  1 1,  Berlin- Weißensee. 

Vial’s  tonischer  Wein. 

Von  Nervenarzt  Dr.  Rud.  Topp,  dirigierender  Arzt  der  Anstalt. 

Alles  im  Leben  ist  dem  Wechsel  unterworfen.  Was 
gestern  aufgetaucht,  gepriesen,  auf  den  Thron  gehoben 
wurde,  wird  heute  mißachtet,  bekämpft,  in  den  Staub 
gezogen,  Modelaunen,  Strömungen,  die  ihren  Einfluß 
geltend  machen  auf  allen  Gebieten  menschlicher  Tätig¬ 
keit,  den  Dingen  des  alltäglichen  Lebens  sowohl,  wie 
auch  dem  Streben  und  Forschen  exakter  Wissenschaft. 
Und  auch  die  höchste  und  edelste  der  letzteren,  sie,  die 
sich  befaßt  mit  den  Studien  des  gesunden  und  kranken 
Körpers  und  Geistes,  die  nach  der  Erkenntnis  strebt, 
Gesundheit  zu  erhalten,  Krankheit  zu  heilen,  ist  dem¬ 
selben  Wechsel  von  Meinung  und  Ansicht  nicht  minder 

unterworfen . Gewiß,  ihre  Grundlagen  stehen  fest 

und  unerschütterlich  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert,  die 
Resultate  fortschreitender  Erkenntnis  bleiben  anerkannt 
und  gesichert  für  alle  Zeit  —  aber  die  Wege  und 
Bahnen,  die  sämtlich  dem  einen  und  selben  Endziele 
zustreben,  sind  dem  ewigen  Gesetze  des  Wechsels  unter¬ 
tan,  wie  alles  hienieden.  Viele  Wege  führen  nach  Rom; 
der  eine  wandelt  diesen,  der  andere  jenen,  alle  gelangen 

dahin - welcher  Weg  aber  der  „absolut“  sicherste 

und  beste  ist,  wird  stets  eine  Kontroverse  bleiben,  die 
sich  nur  von  den  jeweiligen  individuellen  Umständen 
aus  betrachten,  diskutieren  und  beurteilen  läßt.  Genau 
so  verhält  es  sich  mit  vielen  Fragen  der  praktischen 
Heilkunde.  Unter  diesen  ist  eine  der  wichtigsten  und 
strittigsten  die  „Alkoholfrage!“  Ich  will  nicht  auf  die 
hochbedeutsame  ethische  und  soziale  Seite  der  Frage 
eingehen,  das  ist  nicht  Zweck  und  Aufgabe  dieser 
Zeilen  —  nur  als  Arzt,  als  therapeutisch  wirkender  Arzt, 
als  Nervenarzt  insbesondere,  will  ich  die  Sache  mög¬ 
lichst  objektiv  zu  beurteilen  suchen.  Für  und  wider  den 
Alkohol  wird  von  Berufenen  und  Unberufenen  leiden¬ 
schaftlich  gekämpft,  ernst  und  sachlich  mit  den  Waffen 
der  Wissenschaft  sowohl,  wie  mit  dem  hohlen  Rüstzeug 

des  blinden,  oder  nicht  sehen  wollenden  Fanatismus - 

und  die  Wahrheit?  nun,  wie  bei  allen  derartigen  strittigen 
Ansichten  zumeist,  in  der  Mitte!  Absolut  ist  nichts 
schlecht  und  verwerflich,  was  die  Natur  geschaffen;  ein 
jedes  Ding  am  rechten  Platze,  zu  rechter  Zeit  und  in 
richtiger  Weise  benutzt  und  verwendet,  wird  das  ihr 
eigene  Gute  zur  Geltung  und  Wirkung  bringen.  Ganz 
analog  ist,  kurz  präzisiert,  mein  Standpunkt  zur  Alkohol¬ 
frage  in  der  Medizin.  Von  dem  Standpunkte  des  ge¬ 
wissenhaft  erwägenden,  sorgfältig  individualisierenden, 
mit  den  Erfahrungen  der  Physiologie  und  Pharmakologie 
vertrauten  Arztes,  möchte  ich  den  Alkohol  nicht  missen. 
Als  Medikament  behandelt,  wirkt  er  zweifelsohne  sehr 
segensreich  und  ist  in  vielen  Fällen,  allen  Gegenbehaup¬ 
tungen  zu  Trotz,  bei  objektiver  Würdigung  seiner  Wir¬ 
kung  tatsächlich  durch  Ersatzmittel  einfach  nicht  zu  er¬ 
setzen.  Auf  seine  pharmakologischen  und  pharmakody- 
namischen  Eigenschaften  und  Effekte  einzugehen,  er¬ 
übrigt  sich,  sie  sind  allbekannt.  Er  ist  Heizmittel  und 


Nährmittel  zugleich;  beide  Wirkungen  kommen  im  ge¬ 
sunden  und  kranken  Organismus  zur  Geltung,  und  gerade 
sie  sind  es,  deren  Vereinigung  im  gegebenen  Falle  so 
segensreiche  und  erfreuliche  Resultate  erzielt.  Wer  sehen 
will,  kann  sich  dieser  tagtäglichen  ärztlichen  Erfahrung 
nicht  verschließen.  Und  mehr  noch  als  der  praktische 
Arzt  haben  wir  Nerven-  und  Irren-Ärzte  in  der  Anstalts¬ 
tätigkeit  Gelegenheit,  uns  von  der  Wahrheit  und  Unum- 
stößlichkeit  des  Gesagten  zu  überzeugen.  Mag  man  den 
Alkohol  als  Genußmittel  verwerfen  und  bekämpfen,  als 
erleichterndes,  heilendes,  ja  mitunter  lebensrettendes 
Medikament  wird  er  alle  Zeit  seinen  Platz  im  Rüstzeuge 
der  Heilkunde  behaupten. 

Zahllos  wie  seine  Indikationen  sind  die  Formen 
seiner  medikamentösen  Anwendung  zum  äußeren  und 
inneren  Gebrauche.  Alle  möglichen  Kombinationen  mit 
anderen  Arzneistoffen  hat  man  geschaffen  und  darge¬ 
stellt,  um  die  Grundwirkungen  des  Alkohols  selbst,  oder 
die  der  angegliederten  Komponenten  zu  erhöhter  Wirk¬ 
samkeit  zu  bringen  bezw.  eine  Mischwirkung  beider  zu 
erzielen.  So  sind  eine  ganze  Reihe  vorzüglicher  und 
nutzbringender  Medikamente  und  Nährmittel  entstanden, 
die  der  Arzt  von  Fall  zu  Fall  zum  Heile  seiner  Pflege¬ 
befohlenen  ordinieren  kann.  Eines  dieser  Präparate 
möchte  ich  heute  herausgreifen  und  kurz  darauf  hin- 
weisen,  weil  es  mir  in  einer  ganzen  Anzahl  von  Fällen 
sehr  schätzenswerte  Dienste  als  Stärkungs-  und  Kräf¬ 
tigungsmittel  geleistet  hat:  „V  i  a  1  s  ton  ischer  Wein“. 

Der  Chinawein  der  Pharmakopoe  ist  schon  sehr 
lange  als  ein  ausgezeichnet  tonisierendes  Mittel  bekannt; 
leider  verliert  er,  wie  O.  Liebreich  nachgewiesen 
hat,  bei  längerem  Konservieren  und  Lagern  durch  Ab¬ 
scheidung  gerbsäurehaltigen  Materials  an  Wirksamkeit, 
sodaß  nur  ein  frisch  zubereiteter  und  schnell  verbrauch¬ 
ter  Chinawein  gewünschte  Effekte  zu  erzielen  vermag. 
Andere  Chinaweine,  hergestellt  durch  Auflösung  der 
Chinaalkaloide  in  Wein,  besitzen  durchweg  intensiv 
bitteren  Geschmack,  werden  daher  leicht  auch  weniger 
empfindlichen  Patienten  widerlich,  ganz  abgesehen  da¬ 
von,  daß  größere  Dosen  alkoholischer  Chininlösung  vom 
Magen  aus  schlecht  vertragen  werden  (O.  Liebreich). 
Es  ist  daher  zur  Gewinnung  eines  von  diesen  Übel¬ 
ständen  möglichst  freien  Präparates  der  Zusatz  anderer 
geeigneter  Tonica  erforderlich.  Die  Lösung  dieser  Frage 
scheint  mir  in  Vial’s  tonischem  Weine  trefflich  gelungen. 
Derselbe  besteht  aus  Fleischextrakt,  Chinarinde  und 
Kalklaktophosphat,  aufgelöst  in  altem  spanischen  Edel¬ 
weine;  je  30  ccm  davon  enthalten  die  wirksamen  Be¬ 
standteile  von  30  g  Fleisch,  2  g  Chinarinde  und  30  Centi- 
gramm  Kalklaktophosphat.  Der  Geschmack  ist,  das  sei 
hier  schon  vorausgeschickt,  relativ  angenehm,  der  eines 
guten  Malagaweines  mit  leicht  bitterem  Nachgeschmack, 
so  daß  er  auch  von  empfindlichen  Personen,  Damen, 
Kindern,  nur  ganz  vereinzelt  refüsiert  wird.  Ein  Blick 
auf  die  Zusammensetzung  allein  läßt  schon  a  priori  er¬ 
kennen,  daß  wir  es  hier  mit  einer  äußerst  glücklichen 
Kombination  energisch  wirkender  tonisierender  Stoffe 
zu  tun  haben  müssen,  und  diese  theoretische  Annahme 
hat  die  Erfahrung  der  Praxis  vollauf  bestätigt.  Es  würde 
zu  weit  führen,  wollte  ich  auf  die  pharmakodynamischen 
Wirkungen  jeder  einzelnen  Komponente  des  näheren 
eingehen,  sie  sind  jedem  Arzt  bekannt;  zusammengefaßt 
kann  man  mit  A.  M  o  e  1 1  e  r  sagen:  „Vial’s  Wein  erfüllt 
gemäß  seiner  physiologischen  Grundsätze  die  drei  Postu- 
late  als  Tonikum,  Roborans  und  Excitans.“ 

Daß  er  dieses  wirklich  ganz  ausgezeichnet  tut,  davon 
habe  ich  mich  in  meiner  Anstalt  und  privatärztlichen 
Tätigkeit  als  Nerven-  und  Irren-Arzt  sehr  häufig  über¬ 
zeugen  können.  Bei  Schwächezuständen  und  Er¬ 
schöpfungszuständen  im  Gefolge  funktioneller  und  or¬ 
ganischer  Nerven-  und  Geisteskrankheiten  habe  ich  ihn 
vielfach  angewendet  und  er  hat  mir  bei  objektivster  Be- 


22 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  2. 


urteilung  so  treffliche  Dienste  geleistet,  daß  ich  ihn  trotz 
seines  einzigen  Nachteiles,  seines  relativ  hohen  Preises, 
von  M.  4.50  per  Fl.,  wo  es  nur  eben  möglich,  verordne. 
Dreimal  täglich  ein  Likörgläschen  voll,  vor  den  Mahl¬ 
zeiten  gereicht,  ist  die  Dosis,  die  ich  zu  therapeutischen 
Zwecken  niemals  überschritten  habe.  Üble  Neben-  und 
Nachwirkungen  habe  ich  bei  Innehaltung  dieser  Dar¬ 
reichungsmenge  in  keinem  Falle  beobachtet,  wenn  auch 
Magen-  und  Darmfunktion  subjektiv  und  objektiv  patho¬ 
logisch  alteriert  war.  Ganz  im  Gegenteile,  gerade  bei 
totaler  Anorexie,  hat  Vial’s  Wein  sich  als  treffliches  und 
appetitanregendes  Stomachikum  bewährt.  Nur  zur  Kenn¬ 
zeichnung  der  Unschädlichkeit  des  Präparates  will  ich 
hier  erwähnen,  daß  ich  zu  Versuchszwecken,  allerdings 
bei  gesunden  Personen,  viel  größere  Dosen,  1j2 — 1  Flasche 
pro  die,  habe  nehmen  lassen,  ohne  daß  außer  leichtem 
Magendrucke  und  hier  und  da  etwas  Übelkeitsgefühl 
besondere  nachteilige  Folgen  des  Genusses  sich  bemerk¬ 
bar  gemacht  hätten.  Das  Fundament  jeder  Medikation, 
„Primum  nihil  nocere“  ist  bei  diesem  Mittel  fest  und 
sicher  gegründet. 

Von  den  zahlreichen  Fällen  meiner  Beobachtung 
will  ich  im  folgenden  nur  einige  wenige  herausgreifen 
und  kurz  skizzieren.  Alle  sind  sorgfältig  beobachtet 
und  vorurteilsfrei  nach  jeder  Richtung  hin  beurteilt  und 
bewertet.  Ich  darf  wohl  behaupten,  daß  bei  allen  der 
erzielte  Erfolg  in  der  Hauptsache  dem  Vial  zuzu¬ 
schreiben  war  und  nicht  etwa  anderen  mitwirkenden 
Faktoren. 

1.  F.  S.,  49  Jahre  alt,  Kaufmann.  Tabes  dorsalis.  Ohne 
auf  die  nähere  Symptomatologie  des  Leidens  näher  einzugehen, 
will  ich  nur  hervorheben:  Bei  Aufnahme  hochgradige  Unter¬ 
ernährung  und  Erschöpfungszustand.  Körpergewicht  des  1,69  m 
grossen  Patienten  52,7  kg.  Haut  trocken,  welk,  runzelig. 
Totale  Anorexie.  Häufige  gastrische  Krisen,  nach  denen  die 
Nahrungsaufnahme  tagelang  völlig  sistiert  ist.  Übliche  sym¬ 
ptomatische  Behandlung;  daneben  als  einziges  Stomachikum  und 
Tonikum  dreimal  täglich  1  Likörgläschen  Vial’s  Wein.  Der¬ 
selbe  wird  gern  genommen,  von  Anfang  an  gut  vertragen. 
Schon  nach  acht  Tagen  ist  eine  erhebliche  Besserung  des 
Appetits  zu  konstatieren:  derselbe  steigert  sich  im  Verlaufe 
einiger  Wochen  immer  mehr,  lässt  auch  trotz  der  fortbestehen¬ 
den,  allerdings  etwas  seltener,  in  zwei-  bis  dreiwöchigen  Inter¬ 
vallen  auftretendeu  gastrischen  Krisen  nicht  mehr  nennenswert 
nach.  Das  Körpergewicht  hebt  sich  langsam,  aber  stetig,  nur 
nach  den  Krisen  ist  jeweilig  ein  geringer  Rückgang  darin  zu 
verzeichnen.  Mit  Besserung  des  Ernährungszustandes  subjek¬ 
tive  und  objektive  Besserung  des  Allgemeinbefindens,  Schwinden 
der  seelischen  Depression.  P.  wird  nach  achtmonatiger  Be¬ 
handlung  sehr  erheblich  gebessert  mit  einem  Plus  an  Körper¬ 
gewicht  von  14,4  kg  entlassen/ 

2.  W.  B.,  32  Jahre  alt,  Gastwirt.  Multiple  Sklerose. 
Manifest  und  diagnostiziert  besteht  die  Erkrankung  seit  drei 
Jahren.  In  dem  letzten  Vierteljahre  erhebliche  Magen-  und 
Darmslörung,  völlige  Appetitlosigkeit.  Rückgang  des  Körper¬ 
gewichtes  innerhalb  dieser  Zeit  von  79,1  kg  auf  63,2  kg.  Vial, 
gern  genommen  und  gut  vertragen,  wirkt  aulfallend  günstig; 
das  häufige  Erbrechen  sistiert  bald,  Hungergefühl  stellt  sich 


ein;  nach  halbjähriger  Behandlung  ist  das  Körpergewicht  wieder 
auf  77  kg  gestiegen.  Patient  befindet  sich  noch  in  Behandlung. 

3.  F.  K.,  18  Jahre  alt,  Kontoristin.  Chorea  minor 

(Aussenpraxis).  Anämisches,  sehr  schwächliches  Mädchen.  Ge¬ 
wicht  bei  1,67  m  Grösse  nur  42,4  kg.  Nahrungsaufnahme  sehr 
schlecht,  hat  Ekel  vor  allen  Speisen;  oft  Erbrechen.  Mitral- 
insuffiezinz  auf  dem  Boden  eines  vor  \ier  Jahren  durchgemachten 
Gelenkrheumatismus,  sonst  innere  Organe  gesund.  Bettbehand¬ 
lung  zu  Hause,  die  von  den  einsichtigen  Angehörigen  streng 
durchgeführt  wird.  Als  Stimulans  und  Roborans  einzig  Vial 
in  üblicher  Dosis.  Nach  zehnwöchiger  Behandlung  ist  das 
Körpergewicht  um  13,1  kg  gestiegen,  sinkt,  nachdem  Patientin 
das  Bett  verlassen  darf,  innerhalb  der  ersten  vier  Wochen  trotz 
Vial  und  guter  Nahrungsaufnahme  wieder  um  1,6  kg,  steigt 
dann  aber  nochmals  weiter  an.  Wurde  Vial  ausgesetzt,  war 
jedesmal  ein  deutlicher  Rückgang  des  Appetits  unverkennbar. 
Nach  im  ganzen  viermonatiger  Behandlung  beträgt  das  Körper¬ 
gewicht  des  blühend  und  frisch  aussehenden  Mädchens  63,1  kg. 
Geheilt  entlassen. 

4.  R.  B,  62  Jahre  alt.  Oberlehrer.  Morphinismus.  Leiden 
besteht  seit  zirka  2  Jahren.  Körperlich  elend,  verfallen,  nur 
Haut  und  Knochen.  Nahrungsaufnahme  minimal,  viel  Er¬ 
brechen,  oft  Durchfälle  profuser  Art.  Schnelle  Entziehungskur, 
blande  Diät,  von  Anfang  an  daneben  Vial.  Bezüglich  Hebung 
von  Appetit  und  Körperkräftigung  gewohnter  Effekt.  Patient 
wurde  nach  1  Y2 jähriger  Behandlung  in  geschlossener  Anstalt 
als  „geheilt4*  entlassen.  Während  der  ganzen  Kur  wurde  Vial 
beibehalten;  vorübergehende  Aussetzung  war  stets  von  Nachteil 
bezüglich  Appetit  und  Kräftezustand.  Körpergewicht  bei  der 
Aufnahme  54,3  —  beim  Ausscheiden  76,9  kg. 

5.  J.  R.,  27  Jahre  alt,  cand.  phil ,  Neurasthenie  (speziell 
Beteiligung  der  sexuellen  Sphäre:  Impotentia  coeundi).  Früher 
exzessiv  masturbiert  und  ab  und  an  auch  heute  noch.  Pollutiones 
nimiae  nocturnae  ac  diurnae  ohne  Orgasmusgefühl.  Psychische 
und  somatische  Erschöpfung.  Appetitlos.  Greisenhaftes  Aus¬ 
sehen.  Körpergewicht  53,9  kg.  Äusserst  depressive  Stimmungs¬ 
lage;  Suizidideen,  die  er  nach  eigener  Angabe  nur  aus  Mangel 
an  Initiative  und  Energie  nicht  in  die  Tat  umsetzen  kann. 
Psychotherapie,  Vial.  Der  Appetit  hebt  sich  in  wenigen  Wochen 
mächtig;  Gewicht  steigt  langsam,  aber  progredient  an;  die 
Körperkräfte  nehmen  subjektiv  und  objektiv  erheblich  zu.  Die 
Gemütsdepression  weicht  und  macht  hoffnungsfroher  Stimmung 
Platz  Heute  nach  drei  vierteljähriger  Behandlung  ist  Patient 
als  fast  genesen  zu  bezeichnen.  Sein  Körpergewicht  beträgt  zur 
Zeit  71,9  kg.  Vial  will  Patient  nicht  mehr  missen. 

Auch  in  rein  psychiatrischen  Fällen  habe  ich  unser 
Präparat  mit  grossem  Erfolge  häufig  angewandt.  Die 
besten  Resultate  habe  ich  mit  ihm  erzielt  bei  Kata- 
tonikern,  Paranoikern  mit  Vergiftungsideen,  Angst¬ 
psychosen,  Zirkulären  in  der  depressiven  Phase,  auch 
bei  somatisch  stark  reduzierten  Paralytikern  — .  überall 
hat  es  mir  bei  Bekämpfung  von  Appetitlosigkeit,  Er- 
schöpfungs-  und  Schwächezuständen  für  kürzere  oder 
längere  Zeit  so  treffliche  Dienste  geleistet,  wie  man  sie 
bei  optimistischer  Auffassung  kaum  erhoffen  durfte.  Ich 
empfehle  daher  insbesondere  den  Fachkollegen  Vials 
tonischen  Wein  als  eines  der  besten  und  dankbarsten 
Mittel  zur  Hebung  von  Appetit  und  Körperkraft. 


Nr.  2. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


23 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeines. 

Über  Alkohol  im  Felde  macht  der  Berliner  Universitäts¬ 
professor  Dr.  med.  Schwalbe  an  leitender  Stelle  in  der  Frank¬ 
furter  „Umschau“  (1914  Nr.  52)  bemerkenswerte  Ausführungen. 
Er  nimmt  darin  auf  die  bekannte  Stellung  und  das  Beispiel 
des  Kaisers  in  dieser  Frage  und  den  entschiedenen  Standpunkt 
der  deutschen  Kriegs-Sanitätsordnung  Bezug,  ferner  auf  die 
tausendfältigen,  wissenschaftlich  bearbeiteten  Erfahrungen.  Als 
deren  Ergebnis  fasst  er  zusammen:  „Immer  wieder  ist  es  fest¬ 
gestellt  worden,  dass  die  Anregung,  die  der  Alkohol  bei  Stra¬ 
pazen,  insbesondere  bei  Bergbesteigungen,  starken  Marsch¬ 
leistungen  usw.  gewährt,  nur  kurze  Zeit  dauert  und  meist  von 
einer  Herabsetzung  der  Kraft  und  der  Willensenergie  schnell 
abgelöst  wird.  Ebenso  hat  man  bei  Schülern,  Arbeitern  u.  a. 
durch  experimentelle  Versuche  den  Nachweis  geliefert,  dass  die 
Auffassungsfähigkeit  durch  Alkoholgenuss  beeinträchtigt,  die 
geistige  Ausdauer  und  Leistung  vermindert  werden  kann.  Von 
weiteren  Schädigungen  des  Alkoholgenusses,  insbesondere  der 
Alkoholexzesse,  an  dieser  Stelle  ganz  zu  geschweigen.“  Pro¬ 
fessor  Schwalbe  bezieht  sich  dann  auf  die  Erklärung 
des  preussischen  Kriegsministeriums,  dass  die  Zusendung 
grösserer  Alkoholmengen  zum  Feldheer  in  keiner  Weise  unter¬ 
stützt  oder  geduldet  werden  solle,  und  dass  als  freiwillige 
Gaben  (Liebesgaben)  ausser  Rotwein  alkoholhaltige  Getränke 
nicht  mehr  genommen  würden,  und  urteilt  hierüber:  „In  der 
Tat  muss  es  vom  hygienischen  Standpunkte  als  sehr  erfreulich 
bezeichnet  werden,  dass  an  den  bisherigen  Vorschriften  der 
Heeresleitung  im  Interesse  der  Gesundheit  und  der  Schlagkraft 
unserer  Armee  nicht  gerüttelt  werden  soll.  Man  kann  allenfalls 
seine  Bedenken  dagegen  unterdrücken,  dass  die  Soldaten  unter 
den  in  der  Kriegssanitätsordnung  vorgesehenen  Umständen 
einen  Schluck  Alkohol  zu  sich  nehmen,  aber  man  soll  anderer¬ 
seits  berücksichtigen,  dass  bei  den  regelmässigen,  auf  Quantität 
und  Qualität  unkontrollierbaren  Alkoholsendungen,  die  in  Form 
von  Liebesgaben  direkt  an  unsere  Soldaten  geliefert  werden, 
dem  Missbrauch  Tür  und  Tor  geöffnet  ist  und  die  Folgen 
sowohl  für  den  Einzelnen,  wie  für  einen  ganzen  Truppenteil 
recht  unerfreulich  sein  können.“  Der  Verfasser  erinnert  dabei 
an  die  Gefahren,  die  aus  den  Wirkungen  und  Nachwirkungen 
des  Alkoholgenusses  sich  für  die  Kampffähigkeit  der  Soldaten, 
für  ihren  Widerstand  gegen  Kälte  und  Krankheiten,  den  Ver¬ 
lauf  von  Operationen  (insbesondere  Erschwerung  der  Narkose) 
und  der  Wund-  und  Krankheitsheilung  ergeben,  und  bemerkt 
noch:  „Mancher  Erschöpfungszustand  dürfte  nicht  nur  auf  die 
enormen  Strapazen,  sondern  auch  zum  Teil  wenigstens  auf  ein 
Übermass  von  Alkohol  zurückzuführen  sein.“  Neumann. 

K  u  n  e  r  t  (Breslau).  Das  heutige  Zahnelend  und  der 
einzige  Weg  zu  seiner  Überwindung.  (Deutsche  zahnärztliche 
Wochenschrift  1915.  XVIII.  No.  14). 

Der  dermalige  Weltkrieg  ist  nicht  bloss  ein  Waffengang 
grössten  Stils,  sondern  er  bringt  auch  eine  Umwälzung  auf  allen 
Gebieten  mit  sich.  Mit  grösserem  Recht  als  von  der  französischen 
Revolution  werden  spätere  Geschlechter  vom  Weltkrieg  1914/15 
eine  neue  Zeit  datieren.  Die  ruhige  Sicherheit,  in  welcher  sich 
bis  jetzt  die  herrschenden  Anschauungen  und  ihre  Vertreter 
wiegten,  wird  erheblich  gestört  werden,  wenn  gleich  das  Be¬ 
harrungsvermögen  in  der  geschichtlichen  Entwicklung  allzu 
sprunghafte  Neuerungen  verhüten  wird.  Jedenfalls  kehrt  aber 
die  Mehrzahl  der  denkenden  Persönlichkeiten  mit  einer  Fülle 
neuer  Eindrücke  aus  dem  Felde  zurück,  und  je  häufiger  sie 
beobachteten,  dass  die  Tatsachen  keineswegs  immer  mit  den 
offiziellen  Lehren  übereinstimmten,  um  so  eher  werden  sie  zu 
deren  kritischen  Revision  geneigt  sein.  Wir  gehen  da  einer 
interessanten  Zeit  entgegen,  in  welcher  die  bisherigen  Macht¬ 
haber  sich  gegen  neue  Ideen  zu  verteidigen  haben  werden.  Der 
Ausgang  kann  nicht  zweifelhaft  sein. 

Derlei  neue  Ideen  sind  auch  im  weiten  Gebiet  der  Medizin 


zu  erwarten,  nicht  zum  wenigsten  in  der  Ernährungslehre. 
Denn  das  Experiment  im  grossen  hat  zum  mindesten  Zweifel 
an  den  Standartzahlen  für  Eiweiss  usw.  erweckt.  Die  Labo¬ 
ratoriumsversuche  an  geduldigen  Hunden  und  Menschen  werden 
kaum  noch  überall  als  entscheidend  angesehen  werden.  In 
dieses  Kapitel  gehören  auch  die  Bemühungen  von  Zahnarzt 
Dr.  K  u  n  e  r  t  um  ein  Vollkornbrot.  Zu  wiederholten  Malen 
und  auch  im  vorliegenden  Aufsatz  erklärt  er  das  Streben  nach 
möglichst  feinem,  möglichst  weissem  Brot  für  unzweckmässig. 
Denn  einmal  beraubt  man  sich  durch  die  Entfernung  der  Ge- 
treidehülse  höchst  wichtiger  Bestandteile,  und  zum  zweiten  er¬ 
kranken  die  Zähne  mangels  ausgiebiger  Kau-Notwendigkeit.  In 
Verfolgung  C  u  v  i  e  r’scher  Ideen  könnte  mau  von  der  Er¬ 
krankung  der  Zähne  auf  anderweitige,  korrelative  Erkrankungen 
hinweisen.  K  u  n  e  r  t  entwickelt  seine  Anschauungen  so  klar 
und  folgerichtig,  dass  man  sich  ihnen  kaum  entziehen  kann. 
Hoffentlich  macht  dieser  Krieg,  wie  für  so  manche  andere  Ver¬ 
besserungen,  auch  für  diese  die  Bahn  frei. 

Buttersack. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Blumenau,  Über  die  Moro-Doganoffsche  Reaktion 
und  über  eine  neue  Tropfenpflasterreaktion.  (Zeitschrift  f. 
Tuberkulose,  Bd  XXII,  Heft  2.) 

Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  kommt  B.  zu  dem  Schluss, 
dass  die  von  Moro  vorgeschlagene  perkutane  Reaktion 
durch  die  Modifikation  der  Tropfenpflasterreaktion 
äussert  vereinfacht,  absolut  unschädlich  ist,  dem  Kranken  keine 
unangenehmen  Empfindungen  verursacht,  einen  minimalen  Zeit¬ 
aufwand  erfordert,  so  dass  sie  für  Massenuntersuchungen  in  den 
Schulen  und  Lazaretten  vollkommen  geeignet  ist,  und  dass  sie, 
was  die  Hauptsache  ist,  hinsichtlich  der  Empfindlichkeit  der 
v.  Pirquetschen  Reaktion  fast  nicht  nachsteht. 

Die  Technik  der  neuen  Methode  ist  folgende:  Auf  die 
sorgfältig  mit  Benzin  oder  Äther  abgeriebene  Haut  der  Beuge¬ 
fläche  des  Vorderarms,  in  der  Nähe  der  Ellenbogenfalte  wird 
ein  Tropfen  unverdünnten  Tuberkulins 
aufgetragen  und  darauf  ein  viereckiges  Stück  amerikanischen 
Heftpflasters  geklebt,  jedoch  so,  dass  der  Tropfen  nicht  über 
den  Rand  des  Pflasters  hinausfliesst. 

Die  charakteristische  Knötcheneruption  tritt  gewöhnlich 
innerhalb  24  Stunden,  weit  häufiger  nach  48  Stunden  auf. 

Kant-  Nervi. 

H.  Haupt:  Beitrag  zur  Schutz-  und  Heilimpfung  gegen 
die  Tuberkulose  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen.  (Zeit¬ 
schrift  f.  Tub.  Bd.  XXII,  Heft  5.) 

Aus  der  sehr  interessanten  Arbeit  möchte  ich  hier  nur 
anführen,  was  der  Verf.  zusammenfassend  erwähnt,  nämlich  dass 
die  Tuberkulose  der  Meerschweinchen  und  Kaninchen  durch 
Tuberkulin,  Tuberkuloseserum  und  Sero¬ 
vakzin  „Höchst“,  Siero  - Vaccino  -  Bru- 
schettini,  Tebean,  Bovotebeau,  Tebe- 
s  a  p  i  n  oder  Milchsäuretuberkelbazillen 
nach  Much,  weder  bezüglich  des  Lebensalters,  noch  der 
Tuberkuloseverbreitung,  noch  besonderer  Heilbestrebungen  des 
Organismus  noch  des  Gesamtergebnisses  in  den  einzelnen  Ver¬ 
suchsreihen  derartig  beeinflusst  wird,  dass  Schlüsse  auf  die 
günstige  Wirkung  irgend  eines  der  Mittel  gegenüber 
einem  der  einzelnen  Beurteilungspunkte  gezogen  werden  könnten. 
—  Ungünstig  scheint  Bo  votebean  auf  die  Lungen- 
und  Lebertuberkulose  der  Meerschweinchen  gewirkt  zu  haben. 

Kant-  Nervi. 


24 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  2. 


Innere  Medizin. 

Prof.  W  a  1  k  o.  Über  Rückfallfieber.  (Wiener  klinische 
Wochenschrift.  No.  19;  1915.) 

Der  Verfasser  bespricht  an  der  Hand  von  190  Fällen 
seine  Beobachtnngen  über  den  Verlauf  des  Rückfallfiebers.  Die 
Intervalle  zwischen  den  einzelnen  Fieberanfällen  schwankten 
zwischen  8  Tagen  und  4  —  6  Wochen.  Die  Anfälle  wechselten 
auch  in  ihrer  Intensität.  Der  Anfall  begann  meist  plötzlich 
ira  besten  Wohlsein.  Magen  -  Darmbeschwerden  ähnelten  sehr 
den  Dysenterie  -  Katarrhen,  Nasen-  und  Darmblutungen  traten 
nicht  selten  auf.  Zu  Beginn  des  Anfalls  trat  fast  stets  eine 
schwere  vorübergehende  Anämie  auf.  Der  Herzmuskel  wurde 
durch  das  Rekurrensgift  sehr  oft  stark  geschädigt  (Obduktion : 
fettige  Degeneration  des  Myokards).  Gelegentlich  enthielt  der 
Urin  Eiweiss  und  Zylinder.  Vielfach  traten  während  der  Fieber¬ 
periode  Reizerscheinungen  des  Zentralnervensystems  in  den 
Vordergrund.  Milzschwellung  war  häufig.  Jedoch  waren  jene 
Fälle  die  schwersten,  wo  kein  Milztumor  bestand  oder  derselbe 
besonders  lange  unverändert  bestehen  blieb.  Dagegen  war  das 
rasche  An-  und  Abschwellen  mit  relativ  günstigem  Verlauf 
verbunden.  Mischinfektionen  verliefen  stets  schwer.  Therapeutisch 
wirkte  das  Neosalvarsan  intravenös  stets  prompt.  Die  wirk¬ 
samste  Dosis  war  0,6,  Rezidive  waren  danach  selten  (20  Proz.) 
und  stets  sehr  leicht.  Das  Neosalvarsan  bewährte  sich  in  allen 
Stadien,  auch  zur  Zeit  der  Entfieberung. 

Job.  W  e  i  c  k  s  e  1. 

H.  Schwermann:  Blutuntersuchungen  bei  Lungen¬ 
tuberkulose.  (Zeitschrift  f.  Tub..  Bd.  XXII,  Heft  5.) 

An  den  Untersuchungen  Schw.’s.  geht  hervor,  dass  das 
rote  Blutbild  durch  die  reine,  unkomplizierte  Lungen¬ 
tuberkulose  in  den  ersten  Stadien  nur  wenig  verändert  wird; 
man  findet  alle  Werte  von  leicht  anämischen  bis  zu  normalen. 
—  Mitunter  findet  man  auch  in  fortgeschrittenen  Fällen  nor¬ 
male  und  übernormale  Zahlen,  Befunde,  die  oft  in  Widerspruch 
stehen  mit  der  Blässe  der  äusseren  Haut. 

Erst  bei  den  schweren  Fällen,  sowie  vor  allem  bei  den 
schwersten  fieberhaften  Prozessen  lässt  sich  regelmässig  eine 
deutliche,  oft  recht  erhebliche  Abnahme  der  Zahlen  für  den 
Hämoglobingehalt  und  die  Erythrozyten  fest¬ 
stellen.  Auch  bei  Darmtuberkulose  sowie  nach  schweren  Lungen¬ 
blutungen  ist  der  Gehalt  des  Blutes  sowohl  an  Farbstoff  wie 
an  roten  Blutzellen  oft  stark  herabgesetzt.  —  Die  Pneumo¬ 
thoraxbehandlung  übt  nicht  nur  auf  die  tuberkulöse 
Erkrankung  einen  günstigen  Einfluss  aus,  sondern  scheint,  so¬ 
weit  Schw.  aus  dem  einen  von  ihm  untersuchten  Fall  einen 
Schluss  ziehen  zu  können  glaubt,  auch  eine  Besserung 
der  Blutbeschaffenheit  zu  bewirken,  indem  sowrohl  der  Hämo¬ 
globingehalt  wie  besonders  die  Zahl  der  Erythro¬ 
zyten  eine  deutliche  V  ermehrung  zeigen. 

Kant-  Nervi. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Dr.  I  r  k.  Über  zwei  Fälle  von  Kotphlegmone  und  Kotabszeß 
nach  Schuß  Verletzung  des  Bauches  durch  Schrapnellfiillkugeln. 
(Wiener  klinische  Wochenschrift.  No.  17;  1915  ) 

Der  Verfasser  berichtet  eingehend  über  2  günstig  verlaufene 
Fälle  von  Bauchschüssen  mit  Komplikationen.  In  beiden  Fällen 
handelte  es  sich  um  penetrierende  Verletzungen  des  Abdomens. 
Beide  Male  lag  der  Einschuss  in  der  linken  Leistengegend.  In 
beiden  Fällen  kam  es  zur  Bildung  eines  ausgedehnten  Kotabs¬ 
zesses  von  der  Einschussöffnung  ausgehend.  Bei  dem  einen 
kam  noch  auf  der  dem  Einschuss  entsprechenden  Rückenseite 
eine  Kotphlegmone  hinzu.  Das  infizierte  Gebiet  muss  gründlich 
freigelegt  werden.  Der  Kot  muss  durch  Gummidrains  abgeleitet 
werden.  Dabei  muss  sehr  vorsichtig  verfahren  werden.  Ver¬ 
meidung  das  intakte  Peritoneum  zu  öffnen  und  die  rasch  ge¬ 
bildeten  noch  zarten  Verklebungen  und  Adhäsionen  des  Darmes 
einzureissen.  Die  gespaltene  Phlegmone  und  die  unterminierten 
Hauttaschen  werden  durch  lockere  Gazetamponade  weit  offen 
gehalten.  In  der  Klinik  kommen  diese  Patienten  in  ein  per¬ 
manentes  Wasserbad,  welches  eine  ideale  Reinhaltung  der 


eiternden  Wunden  und  vor  allem  auch  das  Auftreten  von 
Dekubitus  verhindert.  Wenn  dies  nicht  vorhanden,  dann  wird 
die  ganze  Wandfläche  mit  steriler  Gaze  und  sterilen  Kissen,  die 
leicht  gewechselt  werden  können,  bedeckt. 

J  o  h.  W  e  i  c  k  s  e  1. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

San. -Rat  D  r.  Wiszwianski:  Demonstration  von 
Kriegsneurosen  und  -Neuralgien,  besonders  Ischias.  (Demon¬ 
strationsabend  d.  Kriegsärztl.  Abende,  am  29.  Juni  1915  i.  d. 
König!  Charitö-Poliklinik  f.  Nervenmassage.) 

Der  Demonstration  schickte  der  Vortragende  einige  einleitende 
Worte  über  die  Bedeutung  der  Nervenmassage  für  die  Diagnose 
und  die  Behandlung  funktioneller  Schmerzzustände  voraus.  Die 
Untersuchung  auf  N  erven  punkte  setzt  da  ein,  wo  die  andern 
Methoden  aufhören,  die  bisher  sich  nur  mit  der  Feststellung 
begnügten,  ob  das  Leiden  ein  organisches  oder  ein  funktionelles 
ohne  anatomische  Grundlagen  wäre.  Auf  den  locus  doloris 
wurde  weniger  eingegangen,  da  man  mit  der  Behandlung 
des  Grundleidens  schon  genug  getan  zu  haben  glaubte.  Ging 
man  nuu  durch  Anwendung  physikalischer  oder  mechanischer 
Massnahmen  mehr  auf  die  lokale  Behandlung  der  Schmerz¬ 
quellen  ein,  so  klammerte  man  sich  zu  sehr  an  den  anatomischen 
Verlauf  der  Nerven,  während  die  Nervenmassage  dank  der  ver¬ 
feinerten  Technik  die  sensiblen  Nervenpunkte  aufsucht  und  be¬ 
handelt,  unabhängig  von  dem  Vorhandensein  der  sogenannten 
Valleix’schen  Punkte.  Aus  diesen  Gründen  erklären  sich  auch 
die  überraschenden  Erfolge  bei  der  Behandlung  der  Ischi  as,  die 
in  den  seltensten  Fällen  den  Stamm  des  Nerven  ergreift  und 
mehr  von  den  Seiten  ästen  aus  therapeutisch  zu  fassen  ist.  Die 
Erfahrung  lehrt,  dass  diese  so  weit  verbreitete  Erkrankung  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  einer  allgemeinen  neuralgischen 
Disposition  des  ganzen  Körpers  mit  nur  vorübergehender  Lokali¬ 
sation  an  einem  Beine  beruht.  Die  Druckpunkte  beginnen  meist 
schon  am  Cucullaris,  steigern  sich  im  Verlaufe  der  Rücken¬ 
muskulatur,  bis  sie  oft  ihren  Höhepunkt  an  der  Crista  oss.  ilei 
erreichen.  Andere  sehr  wichtige  Punkte  finden  sich  im  N. 
cutaneus  fern,  lateralis,  an  der  Bifurkationsstelle  der  Gastroknemii, 
an  den  Bauchdecken  und  in  der  Inguinalfalte  der  befallenen  Seite. 
Die  Dauer  der  Behandlung  schwankt  in  der  Regel  zwischen 
10 — 30  Massagen.  Die  event!  aufzuwerfende  Frage,  wie  weit 
diese  Behandlung  vor  Rezidiven  schützt,  kommt  in  unseren 
Fällen,  wo  es  sich  um  Heeresangehörige  handelt,  nicht  in  Frage. 
Hier  ist  als  erstes  Ziel  die  rasche  Heilung  und  Erreichung  der 
Felddienstfähigkeitzu  betrachten,  Auch  auf  einen  anderen 
Vorteil,  den  die  Nervenmassage  bietet,  weist  der  Vortragende 
hin.  Bei  guter  Ausbildung  und  längerer  Übung  ist  der  Arzt 
bei  der  Untersuchung  der  Schmerzpunkte  nicht  auf  die  Angaben 
des  Patienten  angewiesen,  da  er  selbst  die  Stellen  fühlen  uud 
nachweisen  kann.  So  ist  denn  die  Nervenpunktuntersuchung 
in  gewisser  Beziehung  als  objektiver  Nachweis  subjektiver  Be¬ 
schwerden  zu  betrachten  und  man  ist  in  vielen  Fällen  imstande, 
den  Nachweis  zu  führen,  ob  die  Angaben  des  Patienten  auf 
Wahrheit  beruhen  oder  ob  Simulation  vorliegen  könnte.  Steht 
es  ja  doch  fest,  dass  der  Begriff  der  Kriegsneurose  kein  ima¬ 
ginärer  ist.  Meist  handelt  es  sich  um  junge  und  kräftige  Leute 
mit  mehr  oder  weniger  vorhandenen  oder  ererbten  nervösen 
Grundlagen,  von  denen  die  Betreffenden  ihrer  oft  ländlichen 
Herkunft  gemäss  keine  Kenntnis  haben  und  die  nach  anfangs 
gut  überstandenen  Kriegsstrapazen  denselben  oft  im  weiteren 
Verlauf  des  Feldzuges  erliegen.  Solche  Leute  klagen  eben  über 
bestimmte  Schmerzen  und  wissen  nichts  vom  Lasögue’schen 
Symptom  bei  der  Ischias,  geschweige  denn  von  Nervenpunkten. 
Es  erfolgte  sodann  die  Vorstellung  einer  grossen  Reihe  von 
Kriegsneurosen,  allgemeinen  Neuralgien  des  ganzen 
Körpers  und  besonders  von  Ischias-  Fällen  in  allen  Stadien 
der  Behandlung  und  Besserung,  die  sich  nicht  nur  subjektiv 
durch  die  Angaben  des  Patienten,  sondern  auch  durch  Nach¬ 
lassen  der  Druckempfindlichkeit  der  in  Frage  kommenden 
Nervenpunkte,  in  vielen  Fällen  auch  durch  Herabsetzung  der 
Muskelspannung  bezüglich  völligem  Erlöschen  des  Lasöguö’schen 
Symptoms  geltend  machte. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbrim  der  Medizin. 


Unter  tlMrkung  hervorragender  Tadimänner 

herausgegeben  von 

L.  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  G.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt.  Leipzig. 

.  C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 


Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  3 

Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  Q.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

30.  Oktober 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 

Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


A 


Kehlkopfdiphtherie  und  ihre  Behandlung.1) 

Von  Dr.  F.  Cuno. 

(Aus  Dr.  Christ’s  Kinderhospital  zu  Frankfurt  am  Main.) 

Wie  die  anderen  epidemisch  auftretenden  Krank¬ 
heiten  in  ihren  Symptomen  und  Lokalisationen  manch¬ 
mal  im  Laufe  der  Zeiten  wechseln,  so  können  wir  dies 
auch  bei  der  Diphtherie  beobachten. 

Während  in  den  Jahren  1885 — 93  die  Diphtherie 
besonders  häufig  den  Kehlkopf  befiel,  sehen  wir  seit 
1905  ein  auffallend  starkes  Zurückgehen  dieser  Lokali¬ 
sation. 

Die  folgende  Zahlenreihe,  in  deren  I.  Reihe  die 
Zahl  der  wegen  Diphtherie  aufgenommenen  Kinder,  in 
deren  II.  und  III.  Reihe,  als  prägnantestes  Zeichen 
schwerster  Kehlkopfdiphtherie,  die  Zahl  der  jedes  Jahr 
operierten  Fälle  und  ihre  Mortalität,  verzeichnet  ist, 
veranschaulicht  dies  sehr  deutlich. 


Jahrgang : 

1885 

86 

87 

88 

89 

90 

91 

92 

93 

i/m 

91 

IV 

942) 

Zahl  der  Diphtherie-Fälle 

55 

88 

105 

86 

121 

247 

337 

301 

290 

214 

87 

Zahl  der  operierten  Kinder 

22 

27 

26 

33 

41 

73 

97 

78 

77 

51 

9 

Mortalität  der  operiert.  Kinder 

16 

22 

20 

20 

32 

40 

61 

57 

45 

25 

4 

Jahrgang: 

1895 

96 

97 

98 

99 

1900 

1 

2 

3 

4 

5 

Zahl  der  Diphtherie-Fälle 

295 

170 

158 

152 

156 

127 

158 

174 

195 

139 

84 

Zahl  der  operierten  Kinder 

23 

20 

19 

18 

37 

38 

32 

37 

32 

19 

10 

Mortalität  der  operiert.  Kinder 

4 

9 

2 

8 

19 

9 

10 

11 

14 

10 

2 

Jahrgang: 

CO 

o 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

Zahl  der  Diphtherie- Fälle 

64 

67143 

99 

123 

128 

162 

216 

145 

Zahl  der  operierten  Kinder 

8 

10 

16 

11 

4 

8 

11 

11 

8 

Mortalität  der  operiert.  Kinder 

2 

2 

2 

— 

1 

— 

3 

5 

2 

Bei  den  wegen  Kehlkopfdiphtherie  aufgenommenen 
Kindern  können  wir  in  der  Regel  drei  verschiedene 


9  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  des  ärztlichen  Vereins  zu 
Frankfurt  am  Main  am  10.  August  1915  zur  Feier  des  60  jährigen 
Doktorjubiläums  von  Heinrich  Rehn. 

*)  Am  1.  Oktober  1894  setzte  die  Heilserumbehandlung  ein. 


Typen  unterscheiden.  Wenn  auch  ein  direktes  Weiter¬ 
wandern  der  Rachendiphtherie  auf  den  Kehlkopf  dank 
der  Heilserumbehandlung  kaum  noch  beobachtet  wird, 
so  kommen  doch  auch  heute  noch  zahlreiche,  besonders 
ältere  Kinder  zur  Aufnahme,  deren  Rachen,  Schlund 
und  Kehlkopfeingang  mit  dicken  Membranen  aus¬ 
tapeziert  ist.  Drückt  man  die  Zunge  herunter,  so  kann 
man  manchmal  den  Kehlkopfdeckel,  das  sonst  so  zier¬ 
liche  Organ,  dickwulstig  hervorragen  sehen.  Fühlt  man 
mit  dem  Finger  nach,  so  hat  man  das  Gefühl,  als  ob 
der  Kehlkopfeingang  mit  dickem  Plüsch  überzogen  sei, 
und  man  kann  nur  mit  Mühe  die  einzelnen  Gebilde 
differenzieren.  Schweres  Daniederliegen  des  ganzen 
Organismus,  Odem  der  Kieferwinkel-  und  Unterkinn¬ 
drüsen,  schlechte  Herztätigkeit,  Neigung  zu  Blutungen, 
Eiweiss  im  Urin,  leichte  Benommenheit  und  blassblaues 
Aussehen  kennzeichnen  diese  Fälle,  bei  denen  durch 
Übergreifen  der  Diphtherie  auf  den  Kehlkopf  zu  der 
Diphtherievergiftung  noch  die  Kohlensäure- Vergiftung 
hinzu  getreten  ist. 

So  schlecht  die  Prognose  in  diesen  Fällen  ist,  so¬ 
viel  besser  ist  sie  bei  der  anderen  Form  der  Kehlkopf¬ 
diphtherie.  Auf  den  Mandeln  haften  nur  noch  kleine 
Beläge,  der  Kehlkopfeingang  ist  gering  ödematös,  auf 
der  scharf  geröteten  Epiglottis  sitzt,  wie  eine  Krone,  ein 
kleiner  Belag  auf.  Das  Gesicht  ängstlich  verzogen,  mit 
blassblauen  Lippen  sitzen  oder  stehen  die  Kinder  in 
einem  Winkel  des  Betts.  Der  Husten  ist  bellend,  die 
Stimme  in  der  Regel  heiser.  Trotz  der  Luftnot  folgen 
die  Atemzüge  langsam  aufeinander.  In-  und  Exspiration 
sind  lang  gedehnt.  Das  Kind  „zieht“.  Alle  Atmungs¬ 
muskeln  sind  in  Tätigkeit.  Mit  jeder  Einatmung  wird 
der  Kehlkopf  tief  heruntergezogen,  die  Zwischenrippen¬ 
räume,  die  Herzgrube  und  der  untere  Teil  des  Brust¬ 
beins  tief  eingezogen,  bezw.  durch  den  äusseren  Luft¬ 
druck  eingedrückt.  Dabei  ist  der  Leib  aufgetrieben, 
der  Magen  mit  Luft  überfüllt,  der  Puls  sehr  be¬ 
schleunigt,  bei  der  Einatmung  oft  aussetzend. 

Mit  dem  geringen  Luftquantum,  das  der  verengerte 
Spalt  noch  durchlässt,  können  die  Kinder  einen  vollen 
Tag,  oft  noch  länger  auskommen. 

Wird  es  nun  versäumt,  dem  Kind,  bevor  seine  Herz¬ 
kraft  ganz  erlahmt,  Hilfe  zu  bringen,  so  melden 
sich  auch  bei  ihm  die  Zeichen  der  Kohlensäurever¬ 
giftung. 

Das  vorher  so  stürmische  Krankheitsbild  nimmt  nun 
in  trügerischer  Weise  ruhigere  Formen  an,  die  dem 
Nichtkenner  Besserung  des  Zustands  vortäuschen.  Die 
grosse  Unruhe  hört  auf,  die  vorher  so  tiefen  Einziehungen 


Nr.  3. 


26 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


lassen  nach.  Bald  aber  wird  das  Kind  blass,  die  Nase 
spitz,  die  Gliedmassen  kühl  und  der  Puls  nicht  mehr 
fühlbar.  Selten  nur  springt  es  nochmal  auf.  In  einem 
Erstickungsanfall  oder  nach  kurzem  Trachealrasseln  er¬ 
löst  der  Tod  das  Kind. 

Während  bei  den  bisher  beschriebenen  Typen  den 
stürmischen  Symptomen  doch  eine  gewisse  Vorbereitung 
voraus  geht,  werden  wir  bei  der  Form,  die  H  e  u  b  n  e  r 
als  ,,larvierte  Form“  der  Kehlkopfdiphtherie  bezeichnet 
hat,  durch  das  plötzliche  Auftreten  des  Kehlkopfkroups 
überrascht. 

Diese  Form  illustriert  am  besten  ein  Fall  aus  der 
täglichen  Praxis.  Eines  Tags  wird  in  die  Poliklinik  ein 
einjähriges  Kind  gebracht,  weil  es,  wie  die  Mutter  sagt 
„schwer  zahnt“.  Die  Untersuchung  ergibt  das  Vor¬ 
handensein  einer  Rhinitis.  Der  rötlich  gelbe  Nasenfluss 
erweckt  sofort  den  Verdacht  auf  Diphtherie,  die  auch 
bakteriologisch  bestätigt  w'ird. 

Die  auf  den  nächsten  Tag  bestellte  Mutter  kommt 
nicht  und  ist  auch  nicht  aufzufinden.  Drei  Tage  später 
wird  das  Kind  mit  schwerer  Asphyxie,  die  sofortigen 
Eingriff  nötig  macht,  gebracht.  Nach  dem  Bericht  der 
Mutter  sei  das  Kind  erst  in  der  letzten  Nacht  unruhig 
geworden. 

Um  gegen  solche  Überraschungen  gesichert  zu 
sein,  untersuche  ich  seit  Jahren  jeden  Säugling  mit 
Schnupfen  bakteriologisch  mit  drei  Abstrichen  (2  Nase, 
1  Rachen). 

Wie  gestaltet  sich  nun  die  Behandlung  der  Kehl¬ 
kopfdiphtherie  in  unserem  Spital?  Kommt  ein  Kind 
auch  nur  mit  dem  Verdacht  auf  Kehlkopfdiphtherie  zur 
Aufnahme,  so  erhält  es  sofort  Heilserum  injiziert.  Seit 
seiner  Anwendung,  Oktober  1894,  ist  die  Mortalität  der 
Diphtheriefälle,  die  früher  30 — 45  Proz.  betrug,  auf  10 
Proz.  1),  ja  in  manchen  Jahren  auf  6  Proz.  herunter  ge¬ 
gangen. 

Bei  Kehlkopfdiphtherie  gebe  ich  sofort  mindestens 
3000  1.  E.  intramuskulär;  bei  der  foudroyanten  Form 
der  Diphtherie,  wie  sie  hier  zuerst  geschildert  wurde, 
injiziere  ich,  wenn  möglich  intravenös.  Das  hat  bei 
kleinen  Kindern  und  Säuglingen,  wenn  die  Herzkraft 
schon  so  daniederliegt,  dass  man  kaum  den  Puls  noch 
fühlen  kann,  oft  grosse  Schwierigkeiten.  Aber  ich  habe 
die  Überzeugung,  mit  der  intravenösen  Injektion  schon 
manches  sonst  verlorene  septische  Kind  erhalten  zu 
haben. 

Bei  Kindern,  die  schon  einmal  Heilserum  erhalten 
haben,  spritze  ich  nur  subkutan  und  sehr  langsam  ein. 
Wie  ich  schon  vor  2  Jahren  auf  Grund  eines  Materials 
von  207  mehrfach  gespritzten  Kindern  auseinander 
setzen  konnte,  habe  ich  wegen  des  eventuellen  Eintritts 
von  Anaphylaxie  nur  sehr  geringe  Bedenken.  2) 

Von  inneren  Medikamenten  erhalten  die  Kinder  so¬ 
fort  Apomorphinmixtur  (0,02 — 0,03  auf  100,0  ein-  bis 
zweistündlich  einen  Kaffeelöffel).  Die  Expektoration  wird 
dadurch  auffallend  erleichtert,  und  durch  seine  geringe 
narkotische  Wirkung  der  Hustenreiz  günstig  beeinflusst. 
Ist  der  Reiz  sehr  stark,  so  halte  ich  mit  Opium,  Pan- 
topon  und  Adrenalininhalant  nicht  zurück. 

Immer  wieder  ermuntern  die  Schwestern  die  Kinder 
zum  Trinken.  Durch  jeden  Schluckakt  wird  der  aus¬ 
getrocknete  Schlund  angefeuchtet  und  die  event.  durch 
Auflagerungen  verbackenen  Aryknorpel  bewegt. 

Mit  Kaffee,  Kognakwasser,  Champagner,  Kampfer- 
Koffein-  und  Adrenalininjektionen  suche  ich  die  sinkende 
Herzkratt  hochzuhalten.  Vom  Inhalieren  bin  ich  bei 
solchen  Fällen  ganz  abgekommen,  da  ich  fand,  dass  die 
Luftnot  der  Kinder  dabei  noch  stieg. 

Lnter  dieser  Behandlung  sehe  ich  auch  anfangs 


schwer  bedrohlich  aussehende  Zustände  in  16 — 24  Stunden 
langsam  vorübergehen.  Lang  andauernde  Heiserkeit 
zeichnet  in  der  Regel  diese  Fälle  aus.  Manchmal 
können  die  Stenoseerscheinungen  sich  auch  tagelang 
hinziehen.  Ich  habe  Kinder  noch  5  Tage  nach  der 
Aufnahme  operieren  müssen,  bei  denen  die  Stenose 
nicht  mehr  durch  die  diphtheritischen  Auflagerungen 
und  Schwellungen,  sondern  durch  inspiratorische  Lähmung 
bedingt  war. 

Über  den  Zeitpunkt,  wann  operiert  werden  soll, 
sind  die  Ansichten  geteilt.  Ich  bin  für  das  Abwarten 
und  richte  mich  weniger  nach  den  äusseren  Zeichen  der 
Atemnot,  als  nach  dem  Ergebnis  der  Auskultation.  Aus¬ 
kultiert  man  solch  ein  stenotisches  Kind,  so  hört  man  über 
dem  7.  Halswirbel  ein  äusserst  scharfes,  pfeifendes  Ge¬ 
räusch,  wie  die  Luft  durch  den  verengerten  Kehlkopf¬ 
spalt  hindurch  gezogen  wird.  Über  dem  Oberlappen 
hört  man  in  der  Regel  noch  normales  Atmungsgeräusch, 
während  es  über  den  Unterlappen,  je  tiefer  man 
herunter  geht,  um  so  schwächer  wird.  Hört  man  nun 
beim  schwer  stenotischen  Kind  »dieses  pfeifende  Ge¬ 
räusch  über  den  7.  Halswirbel,  über  den  Unterlappen 
gar  keines,  und  hinten  über  den  Oberlappen  nur  noch 
abgeschwächtes  Atmungsgeräusch,  so  ist  der  Moment 
für  den  Eingriff  gekommen. 

Dafür  stehen  uns  Intubation  und  Tracheotomie  zur 
Verfügung.  Mein  Vorgänger  im  Amt,  Dr.  A.  Glöck¬ 
ler,  übte  nur  die  Tracheotomie  aus.  1898  lernte  ich 
bei  Prof.  R  a  n  k  e  in  München  intubieren  und  konnte 
1901  über  unsere  Intubationsresultate  berichten.1) 
Nachdem  ich  mich  aber  überzeugt  hatte,  dass  die  Re¬ 
sultate  der  primären  Tracheotomie  bei  uns  wenigstens 
den  Resultaten  der  Intubation  gleich  kamen,  wenn  nicht 
sogar  übertrafen,  so  verliess  ich  1905  die  Methode  der 
Dauerintubation. 

Der  Beruf  eines  Intubators  ist,  wenn  man  nicht 
immer  in  der  Nähe  des  intubierten  Kindes  ist,  ein 
sehr  aufreibender.  Mit  der  Tracheotomie  schwindet 
die  Sorge,  mit  der  Intubation  fängt  sie  aber  erst 
recht  an. 

Die  Dauerintubation  gab  ich  auf,  die  temporäre  In¬ 
tubation  habe  ich  aber  beibehalten.  Daher  intubiere  ich 
jedes  zu  tracheotomieren.de  Kind  vor  der  Operation. 
Der  Erfolg  ist,  dass  das  Kind  die  in  der  Luftröhre  und 
Bronchen  angesammelten  Schleimmassen  und  Membranen 
aushustet  und  wieder  Sauerstoff  in  die  Lunge  aufnehmen 
kann.  Sofort  verändert  sich  sein  Aussehen.  Die  blass¬ 
blaugraue  Farbe  schwindet,  die  Lippen  werden  wieder 
rosig,  der  Puls  kräftiger  und  regelmässig.  Hustet  ein 
Kind  nach  der  Intubation  nicht  aus,  so  ist  die  Prognose 
als  schlecht  zu  bezeichnen.  Nach  zirka  10  Minuten 
narkotisiere  ich  das  Kind  und  mache  in  der  Regel  die 
untere  Tracheotomie.  Den  Hautlängsschnitt  habe  ich 
beibehalten,  da  mir  der  Querschnitt  die  versprochenen 
Vorteile  nicht  gebracht  hat.  Dann  geht  es,  genau  in 
der  Mittellinie,  scharf  in  die  Tiefe.  Die  Gewebe 
werden  dabei  beiderseits  mit  Pinzetten  hochgezogen  und 
wird  dadurch  jede  Gefässverletzung  zu  vermeiden  ge¬ 
sucht. 

Da  das  Kind  intubiert  und  narkotisiert  ist,  so  sind 
die  vorher  so  prall  gefüllten  Venen  zusammengefallen, 
und  ist  das  Operationsfeld  fast  so  ruhig,  wie  bei  einer 
Operation  an  der  Leiche.  Die  untere  Faszie  wird  mit 
Dreikanthäkchen  eingerissen  und  die  Luftröhre  breit 
freigelegt.  Dann  wird  die  Tube,  die  das  Kind  während 
des  Eingriffs  so  ruhig  hat  atmen  lassen  und  mich  durch 
ihre  harte  Kante  die  bei  Säuglingen  oft  so  weiche  Luft¬ 
röhre  viel  besser  hat  fühlen  lassen,  herausgezogen,  die 
Luftröhre  eingeschnitten  und  die  Kanüle  herein  geführt. 
Ist  die  Atmung  nach  Eröffnung  der  Luftröhre  schlecht, 


9  Mortalitätssatz  von  4000  Diphtlieriefällen 
2)  D.  in.  W.  1914  Nr.  20. 


9  M.  in.  W.  1901  Nr.  20. 


Nr.  3. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


27 


will  das  Kind  nicht  aushusten,  weil  die  Bronchen  mit 
Membranen  gefüllt  sind,  so  bougiere  ich  sie  mit 
Rose  r’schen  Ringsonden.  Hat  auch  dies  keinen  Er¬ 
folg,  so  ist  der  Fall  aussichtslos. 

Sowie  das  Kind  sich  etwas  erholt  hat,  kommt  es 
vor  den  grossen  Dampfspray,  dessen  Vorlage  mit  Kalk¬ 
wasser  gefüllt  ist.  Er  wird  dauernd  angewandt,  sowie 
der  Husten  des  Kindes  einen  trockenen  Charakter  an¬ 
nimmt. 

Die  Ernährung  des  Kindes  macht  uns  keine 
Schwierigkeiten,  da  wir  gleich  mit  der  Magensonde, 
bezw.  Katheter,  durch  Mund  oder  Nase  füttern. 

Das  innere  Röhrchen  der  Kanüle  wird,  so  oft  es 
verstopft  ist,  gewechselt,  das  äussere  bleibt  ruhig 
liegen. 

Das  so  häufig  nach  unterer  Tracheotomie  auf¬ 
tretende  Hautemphysem  macht  mir  keine  Sorgen;  nach 
2 — 3  Tagen  ist  es  wieder  zurückgegangen.  Zeigen  sich 
im  ausgehusteten  Schleim  geringe  Blutspuren,  ein  Zeichen, 
dass  die  Kanüle  scheuert,  so  wird  sofort  eine  kürzere, 
oder  eine  Schlitzkanüle  eingeführt. 

Schon  am  III.  Tag  nach  dem  Eingriff  wird  ver¬ 
sucht,  die  Kanüle  zu  entfernen,  und  lasse  ich  mich  auch 
von  Fieber,  das  in  der  Regel  durch  Pneumonie  bedingt 
ist,  nicht  davon  abhalten.  Durch  dieses  rasche  Vor¬ 
gehen  habe  ich  in  den  letzten  10  Jahren  keine  De- 
kanülementsschwierigkeiten  mehr  gehabt.  Sollte  es  ein¬ 
mal  nicht  so  programmässig  gehen,  so  führt  mich  eine 
eventuell  mehrtägige  Dauerbehandiung  mit  fixierten 
Tuben sicher  zum  erwünschten  Ziel.  Kanülards,  die 
früher  zu  den  unerwünschten,  fast  unvermeidlichen  In¬ 
sassen  einer  Diphtherieabteilung  gehörten,  habe  ich  seit 
dieser  Zeit  nicht  mehr  gehabt. 

Die  Mortalitätszahl  (s.  Zahlenreihe)  überrascht  ein¬ 
mal  durch  den  Wechsel  in  den  einzelnen  Jahren,  dann 
aber  auch  durch  die  immer  noch  vorhandene  Höhe. 

Sie  wird  bedingt  durch  das  Alter  der  operierten 
Kinder,  die  Schwere  der  Diphtherieerkrankung,  Croup 
des  Bronchialbaums,  Entzündungen  der  Lunge,  des 
Rippenfells  und  des  Herzbeutels.  Auch  habe  ich  in  der 
langen  Reihe  der  Jahre  dreimal  Arrosion  der  Anonyma 
erlebt. 

Aus  meinen  Darlegungen  geht  hervor,  dass  auch  jetzt 
noch,  trotz  Heilserumbehandlung,  Anwendung  von  In¬ 
tubation  und  Tracheotomie,  Kehlkopfdiphtherie  be¬ 
sonders  bei  jüngeren  Kindern  mit  zu  den  gefährlichsten 
Krankheiten  gehört. 


Neues  auf  dem  Gebiete  der  medikamentösen 

Therapie. 

Von  Apotheker  Otto-  Frankfurt  a.  M. 

Seit  dem  Beginne  des  gegenwärtigen  Krieges  hat 
die  Therapie,  insbesondere  die  medikamentöse  Therapie, 
nicht  aufgehört,  ihren  Weg  weiter  zu  verfolgen.  Wie 
auf  fast  allen  Gebieten  trat  auch  auf  diesem  durch  den 
Krieg  und  seine  Folgen  keine  Stockung  ein.  Das  Er¬ 
gebnis  ist  allerdings  ein  bescheideneres  als  es  in  Friedens¬ 
zeiten  gewesen;  dies  ist  aber  ohne  weiteres  erklärlich 
durch  die  Inanspruchnahme  eines  grossen  Teiles  der 
sonst  auf  diesem  Gebiete  Tätigen  von  seiten  der  Militär¬ 
behörde.  Trotzdem  kann  man  aus  der  folgenden  Zu¬ 
sammenstellung  ersehen,  dass  man  es  in  Deutschland 
verstanden  hat,  während  der  Kriegszeit  chemisch-phar¬ 
mazeutisch  weiter  zu  arbeiten  und  auch  auf  diesem  Ge¬ 
biete  der  Medizin  Fortschritte  zu  machen. 

Der  Massenverbrauch  von  Arznei-  und  Verband¬ 
mitteln  durch  die  Sanitätsanstalten  der  Heeresverwaltung 


liess  verschiedene  neue  Präparate  entstehen,  die  Vor¬ 
handenes  ergänzen,  Anderes  ersetzen  sollten. 

In  erster  Linie  kommt  hier  ein  Ersatz  des  Kaut¬ 
schukpflasters  in  Betracht,  da  die  im  Reiche  vor¬ 
handenen  Gummibestände  bei  dem  grossen  Verbrauche 
zur  Kraftwagenbereifung  und  vielem  anderen  knapp 
werden.  Es  entstanden  nach  dem  Vorbilde  des  be¬ 
kannten  Mastisol  die  verschiedensten  Präparate,  die  dem 
gleichen  Zwecke  einer  schnellen  und  sicheren  Verband¬ 
fixierung  dienen  sollen.  Am  beachtenswertesten  von 
diesen  ist  wohl  die  mit  Vulnofix  bezeichnete  Harz¬ 
lösung.  der  chemischen  Fabrik  Helfenberg  vorm.  Eugen 
Dieterich.  Dieselbe  ist  in  der  Hauptsache  aus  in¬ 
ländischen  Harzen  hergestellt,  kommt  in  einfacher  und 
konzentrierter  Form  in  den  Handel  und  hat  den  Vor¬ 
zug,  eine  sogenannte  „abgestumpfte“  Harzlösung  zu  sein. 
Gleichem  Zwecke  dient  der  sogenannte  Lyma  Wund¬ 
firniss  der  chemischen  Fabrik  Franz  Pilinay  in  Dres- 
den-N.  und  das  holländische  Präparat  Colvesin.  Die 
Nachteile  der  Fixation  von  Verbänden  mit  Harzen  statt 
Kautschuckzubereitungen  sind  bekannt;  in  Ermangelung 
ausreichender  Kautschuk -Vorräte  muss  man  jedoch 
damit  zufrieden  sein,  dass  diese  Methode  ihren  Zweck 
voll  und  ganz  erfüllt. 

Besonders  gross  war  die  Nachfrage  nach  Mitteln 
zur  Vertreibung  von  Ungeziefer  für  unsere  im  Osten 
stehenden  Truppen.  Eine  grosse  Zahl  neuer  Präparate 
tauchte  zu  diesem  Zwecke  auf  und  auch  heute  noch 
werden  neue  Zusammensetzungen  hierfür  angeboten. 
Ihre  Wirkung  beruht  durchweg  auf  den  Eigenschaften 
des  Phenols,  nachdem  die  Praxis  gelehrt  hat,  dass  das 
vielgepriesene  Fenchelöl  und  Anisol  vorübergehend  wohl 
den  Träger  schützen,  dessen  Kameraden  aber  um  so  mehr 
der  Plage  aussetzen.  Unsere  Heeresverwaltung  hat  durch 
Entlausungsanstalten  und  reichliche  Lieferung  zum  Teil 
in  eigenen  Betrieben  hergestellten  Kresolpuders 
für  unsere  Truppen  gesorgt.  Es  ist  ihr  auch  gelungen, 
hierdurch  das  Auftreten  von  Infektionskrankheiten  auf 
ein  Mindestmass  zu  reduzieren. 

Infolge  der  Unterbrechung  der  Zufuhr  von  Japan¬ 
kampfer  wurden  die  vorhandenen  Bestände  desselben 
von  der  Regierung  beschlagnahmt.  Sie  werden  je  nach 
Bedarf  für  Injektionszwecke  den  Apotheken  des  Landes 
in  geringer  Menge  überlassen;  zum  externen  Gebrauche 
ist  man  auf  künstlichen  Kampfer  angewiesen. 
Mängel  haben  sich  bei  seiner  Verwendung  extern,  intern 
und  auch  subkutan  nicht  herausgestellt. 

Eine  grössere  Zahl  neuer  Präparate  waren  bestimmt 
zur  Wundbehandlung. 

P  e  1 1  i  d  o  1  und  Pellidolsalbe  der  A.  G.  Kalle 
&  Co.  Biebrich  a.  Rh.  hat  sich  zur  raschen  Epithelisie¬ 
rung  granulierender  Wundflächen,  bei  exsudativer  Diathese 
bei  Säuglingen,  Dermatitis,  juckenden  und  nässenden 
Ekzemen,  Decubitus  usw.  vorzüglich  bewährt.  Die  An- 
wendung  erfolgt  ausschliesslich  zum  äusserlichen  (je¬ 
brauch  in  P'orm  von  2  prozentigen  Salben  und  5  pro- 
zentigem  Puder.  Es  ist  Diacetylamido-azotoluol,  ein 
gelb-  bis  ziegelrotes  Pulver,  unlöslich  in  Wasser,  leicht¬ 
löslich  in  Äther,  Alkohol,  Chloroform  usw.  sowie  in 
Fetten  und  Ölen;  mit  wässerigen  Säuren  und  Alkali¬ 
lösungen  ist  es  infolge  leichter  Verseifung  unverträglich. 

Unter  dem  Namen  „Granulierendes  Wundöl  Knoll“ 
wird  neuerdings  ein  gereinigtes  Mineralöl  von  der  Firma 
Knoll  &  Co.  in  Ludwigshafen  a.  Rh.  in  den  Handel  ge¬ 
bracht,  welches  die  Eigenschaft  besitzen  soll,  direkt  auf 
das  Bindegewebe  einzuwirken.  Es  soll  sich  besonders 
auch  zur  Behandlung  stark  zerklüfteter  Wunden  eignen. 

Ein  anderes  ähnliches  neues  Wundheilmittel,  Bene¬ 
gran  genannt,  stellt  einen  Kohlenwasserstoff  von  nied¬ 
rigem  Schmelzpunkte  dar,  dem  je  nach  der  beabsich¬ 
tigten  Wirkung  entsprechende  Arzneimittel  beigemengt 
werden  können.  In  gewöhnlichem  Zustande  eine  wachs« 


»)  M.  m.  W.  1903  Nr.  18. 


28 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  3. 


artige  Masse,  wird  es  vor  dem  Gebrauche  durch  Er¬ 
wärmen  im  Wasserbad  auf  90°  geschmolzen  und  auf 
die  Wunden  aufgepinselt.  Verbandmaterial  soll  dabei 
nur  in  ganz  geringer  Menge  oder  gar  nicht  nötig  sein. 
Der  Heilungsprozess  soll  sehr  schnell  vom  Grunde  und 
vom  Rande  der  Wunde  aus  erfolgen.  Es  ruft  starke 
Hyperämie  hervor,  die  besonders  bei  Sehnenscheiden- 
und  Gelenkentzündungen  sowie  bei  Krampfadern  einen 
raschen  Erfolg  herbeiführt.  Noch  deutlicher  ist  die  Wir¬ 
kung  bei  Furunkeln  und  Karbunkeln.  Hergestellt  wird 
es  von  der  „Pharmazeutischen  und  chemischen  Spezial¬ 
gesellschaft,  Regensburger  Str.  15  in  Berlin.“ 

Das  schon  seit  einiger  Zeit  im  Gebrauche  befindliche 
Leukozon,  ein  hochwertiges  Calciumperborat,  fand 
wegen  seiner  stark  desodorierenden  und  desinfizierenden 
Wirkung  in  der  Wundbehandlung  starke  Verwendung. 
Es  wird  mit  Talkum  als  Streupulver  und  in  Form  von 
Wundstäbchen  wegen  seiner  hohen  Desinfektionskraft 
und  der  durch  reichliche  Sauerstoffabgabe  bedingten 
raschen  Wundheilung  allgemein  geschätzt.  Seine  Wir¬ 
kung  kommt  der  neuerdings  wieder  mehr  gebrauchten 
Wasserstoffsuperoxyd- Alkoholmischung  gleich. 

Bei  ausgedehnten  Staphylodermien  des  Stammes,  die 
bei  Kriegsverletzten  häufiger  zu  beobachten  waren,  emp¬ 
fiehlt  Prof.  Dr.  C.  Bruck  eine  Tetrachlorkohlenstoffseifen- 
lösung  unter  dem  Namen  Pelliform,  das  auch  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  bei  der  Behandlung  gegen 
tierische  Parasiten  Gutes  leistet. 

Ein  reines  verhältnismässig  ungiftiges  Desinfektions¬ 
mittel,  das  sich  nach  Schottelius  dem  Lysol  um 
nahezu  das  Doppelte,  der  Kresolseife  um  das  Dreifache 
in  der  Wirkung  als  überlegen  erwiesen  haben  soll,  ist 
das  Sagrota  n.  Dieses  Chlorxylenol-Sapo-Kresol  ist 
wasserlöslich  und  enthält  ein  molekulares  Gemisch  von 
Chlorxylenol  und  Chlorkresol  in  Seife  gelöst. 

Providoform  oder  Tribromnaphthol  wird  von 
Bechhold  als  ungiftiges  in  Alkohol  leicht  lösliches  Des- 
infiziens  von  hervorragender  bakterizider  Eigenschaft 
empfohlen. 

Als  Hilfsmittel  bei  der  Behandlung  von  Mund-  und 
Rachenerkrankungen  findet  Rhodaform  oder  Hexa- 
methylentetraminmethvlrodanid  innere  Anwendung.  Trotz 
eines  Rhodanwasserstoffgehaltes  von  2 7,7  %  soll  es  ganz 
unschädlich  sein.  Es  ist  ein  färb-  und  geruchloses  Pul¬ 
ver,  das  sich  wenig  in  kaltem,  besser  in  heissem  Wasser 
ohne  Zersetzung  löst. 

In  der  Augenpraxis  bei  Diplobazillen-Konjunktivitis 
findet  Fluorescein-Zink  Verwendung.  Es  ist  ein 
rotgelbes,  schwer  lösliches  Pulver  und  wird  als  möglichst 
feiner  Staub  in  den  Konjunktivalsack  eingeführt  und 
dort  verteilt.  Eine,  höchstens  zwei  Einpulverungen 
sollen  genügen,  den  Patienten  wieder  herzustellen. 

Gegen  septische  Erscheinungen  hat  sich  nach 
Rosenstein  Argotoxal,  atoxylsaures  Silber,  als 
wertvolles  Hilfsmittel  erwiesen.  Es  findet  intramusculär 
und  in  Verbindung  mit  Piperazin  auch  intravenös  An¬ 
wendung. 

Ähnlich  ist  Zweck  und  Wirkung  einer  auf  dem 
Wege  elektrischer  Zerstäubung  hergestellten  kolloiden, 
sterilen  Silberlösung  namens  Electrocollargol. 
Es  ist  eine  im  durchfallenden  Lichte  klare  Flüssigkeit 
mit  0,2  pro  Mille  kolloidalem  Silber,  die  durch  ein 
Schutzkolloid  haltbar  gemacht  ist.  Der  Fabrikant,  che¬ 
mische  Fabrik  Heyden  A.-G.  in  Radebeul,  bringt  es  in 
Ampullen  ä  5  ccm  in  den  Handel.  Es  dient  ebenso 
wie  das  von  der  chemischen  Fabrik  Reisholz  bei  Düssel¬ 
dorf  hergestellte  Dispargen  als  Ersatzmittel  für  die 
französische  Spezialität  Electrargol  Clin.  Dispargen  wird 
auf  chemischem  Wege  hergestellt  und  enthält  als  Schutz¬ 
kolloid  ein  Abbauprodukt  des  Glutins.  In  trockener 
Form  enthält  es  30  Prozent  metallisches  Silber  und  wird 
in  2  prozentiger  Lösung  zu  2 — 5  ccm  injiziert. 


Ein  anderes  Silberpräparat  ist  das  Argobol,  eine 
gelblich  -  weisse  in  Wasser  unlösliche  Mischung  von 
20  Teilen  Silberphosphat  mit  80  Teilen  Bolus  alba  in 
der  Form,  dass  jedes  Bolusteilchen  mit  einer  dünnen 
Schicht  des  Silbersalzes  überzogen  ist.  P  u  p  p  e  1  ver¬ 
wendete  es  mit  gutem  Erfolge  bei  akuten  und  chronischen 
Gonorrhöen  und  anderen  eitrigen  Entzündungen  der 
Scheide  und  Gebärmutter. 

Die  Verwendung  von  Bolus  als  Träger  oder  in 
Verbindung  mit  anderen  Arzneimitteln  nimmt  immer 
grösseren  Umfang  an.  So  stellt  das  Bolusal  eine  auf 
nassem  Wege  gewonnene  Kombination  von  reinstem 
sterilisiertem  Bolus  mit  frisch  gefälltem  Aluminium¬ 
hydroxyd  dar,  das  bei  Hyperacidität,  Darmkatarrhen 
und  gegen  Flatus  Anwendung  finden  soll.  Unter  dem 
Namen  Carbolusal  kommt  es  noch  mit  Tierkohle 
gemischt  als  kräftiges  Absorptionsmittel  in  Anwendung. 
Hergestellt  wird  es  von  Dr.  Rud.  Reiss  in  Berlin-Char- 
lottenburg. 

Andere  ähnliche  kolloide  Mischungsprodukte  sind 
die  unter  dem  Sammelnamen  S  a  1  u  s  i  1  von  der  Firma 
Krewel  &  Co.  G.  m.  b.  H.  in  Köln  hergestellten  Prä¬ 
parate.  Sie  bestehen  im  wesentlichen  aus  Kieselsäure 
oder  kieselsäurehaltigen  Körpern,  denen  nach  einem 
besonderen  Verfahren  grosse  Mengen  Flüssigkeiten,  Bal¬ 
same  usw.  zugesetzt  sind,  ohne  dass  der  Träger  seine 
Eigenschaft  als  trockenes,  staubfreies  Pulver  verloren 
hat.  Durch  die  Bindung  der  Kolloide  an  die  chemischen 
Lösungen  wird  erreicht  bei  allen  sezernierenden  Flächen 
das  Sekret  durch  das  Kolloid  selbst  zur  Aufsaugung  zu 
bringen  und  gleichzeitig  die  Wirkung  des  heilenden 
Medikamentes  zu  ermöglichen.  Dr.  A.  R  o  e  s  e  n 
wandte  Salusil  mit  40  °/o  Ichthyol  oder  50  °/o  Bals. 
peruvian.  und  anderem  in  der  Augenheilkunde  mit  gutem 
Erfolge  an. 

Die  Salvarsantherapie  fand  eine  Bereicherung  durch 
die  Herstellung  des  Salvarsan  -Natriums  von 
gleichen  Eigenschaften,  gleicher  Dosierung  und  gleicher 
Wirkung  wie  Neo-Salvarsan. 

Dr.  J.  Fabry  und  Dr.  J.  Selig  berichten  über 
gute  Erfolge  mit  Kupfer-Salvarsan.  Man 
benötigt  zur  Anwendung  Zuckerlösung,  Natronlauge  und 
den  ganzen  Apparat,  den  man  im  Anfangsstadium  der 
Salvarsantherapie  brauchte.  Die  letzten  Arbeiten  Ehr- 
lichs  vor  seinem  Tode  beschäftigten  sich  mit  der  Ein¬ 
wirkung  dieses  Präparates  bei  Trypanosomen  -  Er¬ 
krankungen. 

A  r  s  a  1  y  t ,  salzsaures  Bismethylaminotetramino- 
arsenobenzol,  wurde  von  Werner  und  M  ü  h  1  e  n  s 
bei  Syphilis  und  Malaria  am  Menschen  erprobt. 
G  i  e  m  s  a  empfiehlt  es  gegen  die  Einflüsse  der  Spiro¬ 
chäten  bei  Tieren.  Seine  chemische  Zusammensetzung 
baut  sich  auf  der  Formel  des  Atoxyls  auf  und  kommt 
dieser  nahe.  Einen  wesentlichen  Fortschritt  diesem 
gegenüber  kann  man  nicht  feststellen. 

Das  Gesagte  bezieht  sich  ebenso  auf  das  Phenyl- 
disulfaminotetraoxydiaminoarsenobenzol,  das  von  Trois- 
fontaines  unter  dem  Namen  Ludyl  gegen  Syphilis 
verwandt  wurde.  Die  Versuche  hiermit  sind  noch  nicht 
abgeschlossen.  Sein  hoher  Arsengehalt  von  33  °/„  würde 
es  allen  vorgenannten  Arsenpräparaten,  deren  Gehalt  an 
Arsen  nur  20  °/0  im  Mittel  beträgt,  überlegen  erscheinen 
lassen,  wenn  es  nicht  ebenso  wie  diese  zur  Lösung  in 
Wasser  den  Zusatz  von  Alkalien  erforderte. 

Gleichfalls  gegen  Lues  findet  nach  Löhe  Testi- 
jodyl,  ein  Jodeiseneiweisspräparat,  Anwendung.  Es 
soll  den  Vorzug  besitzen,  das  Jod  erst  im  Darme  abzu¬ 
spalten  und  auch  bei  längerer  Darreichung  nicht  die 
üblichen  Jodreaktionen  hervorzurufen.  Im  Handel  er¬ 
scheint  es  in  Tablettenform. 

Einige  neue  Gichtmittel  sind  zu  verzeichnen.  Agut- 
tan  ist  der  geschützte  Name  für  Oxychinolinsalicyl- 


Nr.  3 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


29 


säureester  der  Firma  Athenstaedt  &  Redecker  in  Heme¬ 
lingen  bei  Bremen.  Man  gibt  es  zu  1,0 — 1,5  pro  die. 

Jriphan  der  chemischen  Fabrik  Dr.  Walther 
Wolff  &  Co.  G.  m.  b.  H.  Elberfeld  ist  das  Strontium¬ 
salz  der  2-Phenylcinchoninsäure.  Es  besitzt  den  Ver¬ 
zug,  ohne  Nebenwirkungen  ein  schnelles  Nachlassen  der 
Schmerzen,  Abkürzung  des  Gichtanfalles  und  rasche 
Verkleinerung  der  Anschwellungen  herbeizuführen.  Die 
Ausscheidung  der  Harnsäure  wird  wesentlich  vermehrt. 
Man  gibt  drei-  bis  viermal  täglich  1 — 2  Tabletten  in 
Wasser. 

Ohne  Einwirkung  auf  die  harnsaure  Diathese,  jedoch 
dem  Atophan  ähnlich,  ist  das  S  y  n  t  h  a  1  i  n ,  der  Methyl¬ 
ester  der  2-Piperonylchinolin-4-Carbonsäure.  Dasselbe 
ist  ein  in  Wasser  unlösliches,  in  Alkohol  schwer,  da¬ 
gegen  in  Chloroform  leicht  lösliches  krystallinisches  Pul¬ 
ver  von  gelblicher  Farbe.  Sein  therapeutischer  Wert 
bedarf  erst  noch  genauerer  Feststellung. 

Dagegen  hat  Lampe  bei  eingehender  Beobachtung 
in  seiner  Klinik  mit  einer  Kombination  von  0,5  Acitrin, 
das  ist  Phenylcinchoninsäureäthylester,  mit  0,0003  Colchi- 
cin  hervorragende  Erfolge  erzielt.  Die  Verminderung 
der  Colchicindosis  wird  durch  das  Acitrin  zum  minde¬ 
sten  ausgeglichen  und  der  Gesamteffekt  erhöht. 

Weitere  Chininpräparate,  die  zum  Teil  neu  zum 
Teil  nach  langer  Vergessenheit  wieder  zur  Anwendung 
kommen,  sind  das  Chinidin  als  salzsaures  Salz, 
das  J  n  s  i  p  i  n  und  das  Pyroc  hinin.  Die  beiden 
erstgenannten  werden  von  Dr.  Werner  als  prompt 
wirkende  Mittel  gegen  Malaria  warm  empfohlen.  Bei 
zweimal  täglicher  Gabe  von  0,2  Chinidin,  mur.  gelang 
es  stets,  die  Parasiten  innerhalb  dreier  Tage,  das  Fieber 
noch  schneller  zum  Verschwinden  zu  bringen.  Jnsipin 
kommt  in  Schokoladetäfelchen  mit  je  0,25  pro  Stück 
in  den  Handel  und  wird  als  Prophylacticum  bevorzugt. 
Das  Pyrochinin  stellt  ein  Doppelsalz  der  Kampfersäure 
mit  Chinin  und  Pyramidon  dar  und  findet  als  Anti- 
pyreticum  und  Analgeticum  Anwendung. 

Anschliessend  sei  auf  das  bereits  bekannte  Äthyl- 
hydrocuprein  hingewiesen,  das  als  Optochin.  basic. 
und  hydrochloricum  wegen  seiner  überraschend 
guten  Wirkung  gegen  Pneumokokken  und  Malaria¬ 
parasiten  zu  zahlreichen  Arbeiten  anregte.  Auch  in  der 
Augenheilkunde  findet  es  Anwendung.  Es  wird  her¬ 
gestellt  von  den  vereinigten  Chininfabriken  Zimmer 
&  Co.  Frankfurt  a.  M. 

Eine  grössere  Anzahl  neuer  Schlaf-  und  Nerven¬ 
beruhigungsmittel  sind  inzwischen  aufgetaucht.  Nach 
v.  F  e  i  1  i  t  s  c  h  ist  C  a  1  m  o  n  a  1  oder  Bromcalcium- 
urethan  ein  gern  genommenes  und  von  unangenehmen 
Nebenwirkungen  freies  ausgesprochenes  Schlafmittel. 

D  i  a  1  oder  Diallvlbarbitursäure,  im  Handel  auch  in 

_  w  J 

Tablettenform  unter  dem  Namen  D  i  a  1  -  C  i  b  a  ,  ent¬ 
spricht  der  Wirkung  des  Veronals  und  ist  nach  julius¬ 
berge  r  ein  wertvolles  Sedativum  und  Hypnoticum, 
das  sich  bei  allen  möglichen  nervösen  Zuständen  und 
ausgesprochenen  Psychosen  bewährt  hat. 

Etwas  altbekanntes,  das  Extract.  Crataegi 
oxyacanthae  findet  mit  Recht  als  Sedativum  des 
Nervensystems,  des  Herzens  und  der  Gefässe  erneute 
Beachtung.  Nach  R  e  n  o  n  wird  es  zweckmässig  mit 
Thiosinamin  kombiniert  dargereicht.  Durch  längeren 
Gebrauch  erzielt  man  eine  dauernde  Blutdruckernied¬ 
rigung. 

Foligan,  bestehend  aus  einem  alkoholischen  Ex¬ 
trakte  von  Orangenblättern,  wirkt  nach  Epstein  und 
Valko  in  Dosen  von  0,1  — 1,0  als  Sedativum,  1,0 — 1,5 
als  Schlafmittel.  Seine  Harmlosigkeit  und  sein  auch  bei 
längerem  Gebrauche  unverminderter  Wirkungswert  emp¬ 
fehlen  seine  Anwendung,  zumal  posthypnotische  Er¬ 
scheinungen  dabei  nicht  beobachtet  wurden. 

M  ekonal  bezeichnet  der  Fabrikant  Apotheker 


Sch  w  i  ck  in  Schildesche  bei  Bielefeld  ein  zusammen¬ 
gesetztes  Schlafmittel  in  Tablettenform.  Jede  Tablette 
enthält  neben  Geschmackskorrigentien  0,003  Morph,  mur. 
0,15  Natr.  diaethvlbarbituric.  und  0,3  Acid.  acetylosali- 
cylic. 

Als  wichtiges  Morphinersatzpräparat  empfiehlt  Dr. 
K.  Kolb  das  Paralaudin  der  Firma  Knoll 
&  Co.  in  Ludwigshafen  a.  Rh.  Es  ist  Diacetyldihydro- 
morphin  und  soll,  wie  auch  das  Dihydromorphin  vor 
dem  Morphin  den  Vorzug  besitzen,  nicht  oder  nur  in 
weit  geringerem  Maße  zur  Gewöhnung  anzuregen.  Es 
kann  wie  Morphin  auf  jede  Art  gereicht  werden.  Die 
Dosierung  des  Diacetyldihydromorphin.  hydrochloric. 
erfordert  die  ein-  bis  zweifache,  die  des  Dihydromorphin. 
hydrochloric.  die  zweifache  Gabe  im  Vergleich  zu  Mor¬ 
phin.  mur. 

Gleiche  narkotische  Wirkung  wie  dem  Morphin 
wird  dem  Panchelidon  zugeschrieben.  Es  ent¬ 
hält  nach  den  Angaben  des  Herstellers,  Adlerapotheke 
von  B,  Schumacher  in  Jüchen  Rhld.,  sämtliche  Alcaloide 
und  Pflanzensäuren  sowie  ein  Harz  aus  Chelidonium 
majus.  Es  soll  als  Specificum  gegen  Affektionen  der 
inneren  Lebersubstanz  sowie  als  schmerzstillendes  Mittel 
bei  Magen-  und  Darmschmerzen  usw.  Anwendung  finden. 
In  den  Handel  kommt  es  in  flüssiger  Form;  die  Dosis 
ist  drei-  bis  fünfmal  täglich  20 — 50  Tropfen.  Es  ist  an¬ 
zunehmen,  dass  die  Anwendung  des  Panchelidons 
grösseren  Umfang  annehmen  wird. 

Gegen  Inanitionszustände ,  Nervosität,  allgemeine 
Schwäche,  sowie  bei  Beri  -  Beri  bewährte  sich  nach 
Hüssy  ein  aus  Reiskleie  hergestelltes  Vitaminpräparat, 
ein  schwach  hygroskopisches  Pulver,  genannt  Orypan. 

Ein  wichtigeres  Nährmittel  stellt  die  Karamose 
dar,  hergestellt  von  E.  Merck,  Darmstadt.  Es  besteht 
aus  Polymerisationsprodukten  des  Zuckers,  hat  braunes 
Aussehen  und  stellt  ausschliesslich  chemisch  reines 
Zuckerkaramel  vor.  Das  Präparat  zeigt  wohl  die  che¬ 
mischen  Eigenschaften  des  Traubenzuckers,  vergärt 
jedoch  nicht  und  hat  einen  bitterlichen  aber  nicht  un¬ 
angenehmen  Geschmack.  Es  wird  von  Prof.  Dr.  F. 
Umber  als  kalorisch  wertvolle  Bereicherung  der  Diätetik 
in  leichten  Fällen  des  Diabetes  mellitus  bezeichnet,  so¬ 
fern  dem  Patienten  etwas  Kohlehydrat  gegeben  werden 
soll.  Die  Dosis  beträgt  50,0 — 100,0  pro  die.  Auch  in 
der  Kinderpraxis  findet  es  als  Verdauungsmittel  An¬ 
wendung,  wozu  es  wegen  seines  Nährwertes  und  der 
Unmöglichkeit,  Gärungserscheiuungen  im  Darme  hervor¬ 
zurufen,  besonders  empfohlen  wird. 

Die  mehrjährigen  Arbeiten  von  Prof.  Dr.  Spiess, 
Frankfurt  a.  M.,  führten  nach  Beendigung  der  klinischen 
V ersuche  zur  Herausgabe  des  Aurocantan,  einer 
Verbindung  von  Cantharidin  mit  Gold  zur  intravenösen 
Behandlung  der  Tuberkulose.  Es  ist  ein  weisses,  leicht¬ 
lösliches  Pulver  mit  einem  Goldgehalt  von  38,94  % 
und  ist  Cantharidyläthylendiaminaurocyanid. 

Glycirenan  wird  ein  Nebennierenpräparat 
genannt,  das  in  besonderem  Zerstäuber  zu  Nebel  verteilt 
und  eingeatmet  bei  Asthma  bronchiale  und  chronischem 
Bronchialkatarrh  empfohlen  wird. 

Eine  sterile  Suspension  von  Calomel  und  mercurisali- 
cylsulfosaurem  Natrium  in  Paraffin,  liquid,  kommt  unter 
dem  Namen  M  e  r  c  o  i  d  in  Fläschchen  a  12  ccm  in 
den  Handel.  1  ccm  enthält  je  0,04  der  beiden  Kompo¬ 
nenten. 

Die  bisher  üblichen  Röntgenkontrastmittel  setzten 
sich  im  Körper,  sobald  sie  in  flüssiger  Suspension  ge¬ 
geben  wurden,  rasch  zu  Boden.  Diesem  Übelstande 
sucht  die  Firma  E.  Merck  in  Darmstadt  abzuhelfen 
durch  Herstellung  eines  Barium  sulfuric.  puriss.,  dessen 
einzelne  Partikelchen  an  spezifisch  leichte  Körper  fest 
angekettet  sind.  Dieses  neue  üitobarium  ge¬ 
nannte  Präparat  wird  flüssig  genommen,  besitzt  ange- 


30 


Nr.  3. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


nehmen  Geschmack,  wird  aber  auch  ohne  Geschmacks- 
korrigens  zum  rektalen  Gebrauch  geliefert. 

Die  fortgesetzten  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der 
Digitalisforschung  führten  F.  Wratsch  ko  zur  Her¬ 
stellung  des  I)  i  g  o  s  i  d,  eines  saponinfreien,  nach  be¬ 
sonderem  \  erfahren  aus  der  Droge  gewonnenen  Digi¬ 
talispräparates.  Es  gibt  sowohl  die  Digitoxin-  wie 
Gitalinreaktion  und  präsentiert  sich  als  ein  weisses, 
amorphes  Pulver  von  grosser  Haltbarkeit  und  leichter 
Dosierbarkeit.  Pharmakologische  und  klinische  Versuche 
damit  sind  noch  im  Gange. 

Nach  den  Angaben  des  Prof.  Thoms  stellt  unter 
dem  Namen  Purostrophan  die  chemische  Fabrik 
Güstrow  ein  Strophantuspräparat  her,  das  sich  dadurch 
auszeichnet,  dass  es  auch  bei  längerer  Aufbewahrung 
unverändert  bleibt,  was  neuerdings  von  den  bisher 
üblichen  Strophantuszubereitungen  bestritten  wird. 

Noventerol,  ein  neues  Darmadstringens,  ist 
das  Aluminiumsalz  einer  I  annin-Eiweissverbindung  mit 
50%  Tannin  und  4%  Aluminium.  Der  Fabrikant  Dr. 
V.  V  olff  in  Elberfeld  gibt  die  Dosis  auf  dreimal 
täglich  2  Tabletten  ä  0,5  an. 

Zur  rektalen  Anwendung  als  Spülmittel  bei  ver¬ 
schiedenen  Darmerkrankungen  dient  das  ßeniform 
des  chemischen  Instituts  Dr.  Ludw.  Oestreicher  in  Ber¬ 
lin  W.  Es  ist  ein  Kupferoxydsaccharat. 

Bei  Ulcus  molle  kommt  neuerdings  eine  Lösung  von 
Cuprum  amidoaceticum  in  Gebrauch. 

Zur  Behandlung  chronischer  Herz-  und  Nieren¬ 
krankheiten  empfiehlt  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  A.  Hoff- 
mann,  Düsseldorf,  das  Aethylsalizoyltheobromin,  wel¬ 
ches  unter  dem  Namen  Theacy  Ion  von  der  Firma 
E.  Merck  in  Darmstadt  hergestellt  wird.  Es  ist  eine 
chemisch  einheitliche  Substanz,  die  erst  durch  die  Al- 
kalizität  des  Darmes  in  ihre  Komponenten  zerspalten 
wird.  Den  anderen  Theobrominpräparaten  soll  es  in 
vielen  Fällen  überlegen  sein.  Einzeldosis  0,5 — 1,0,  Tages¬ 
dosis  1,0 — 4,0.  Es  wird  in  kurzer  Zeit  im  Handel  zu 
haben  sein. 


Die  bekannten  regelmässig  erscheinenden  Berichte 
unserer  grossen  Firmen,  Gehes  Codex,  Riedels  Mentor, 
die  Berichte  der  Firmen  E.  Merck  -  Darmstadt,  Zimmer 
&  Co.- Frankfurt  a.  M.  und  Brückner,  Lampe  &  Co.- 
Berlin  boten  neben  den  Veröffentlichungen  der  grossen 
medizinischen  Zeitschriften  die  Unterlagen  für  obige 
Ausführungen. 


Ein  neues  und  billiges  Darmheilmittel! 

Von  Dr.  med.  Ratner,  Wiesbaden. 

Der  Knoblauch  (allium  sativum)  soll,  wie  Dr.  M  arco- 
vici  jüngst  in  der  Wiener  Klinisch.  Wochenschrift  mit¬ 
teilte,  ein  vorzügliches  Mittel  in  Form  von  Infus  oder 
Klysma  sogar  gegen  infektiöse  Darmkrankheiten,  wie 
Ruhr  und  Cholera  sein!  Zahlreiche  Beobachtungen 
in  dem  jetzigen  Weltkrieg  liegen  darüber  vor.  Es  sind 
schon  sogar  findige  Köpfe  auf  dem  Plan,  welche  den 
Knoblauch  mit  Salol  kombinieren  und  das  Präparat 
Allphen  nennen.  Aber  die  Hauptsache  bleibt  doch  der 
Knoblauch!  Ja  die  alten  Knoblauchjuden  waren 
weise!  Bei  jeder  Darmstörung,  auch  der  Kinder,  pflegten 
sie  altbackenes  Hausbrot  mit  Knoblauch  und  Salz  festzu¬ 
reiben  —  und  es  zum  Verzehren  den  Kranken  zu  reichen. 
Und  es  half  meist!  Schon  der  Talmud  schrieb  (Trae. 
Baba  Kamah  32  a)  vor  beinahe  2000  Jahren  vom  Knob¬ 
lauch,  ’)  er  mache  das  Gesicht  strahlend  und  töte 
die  Kleinwese  n  in  den  Därmen.  Es  gibt  also  nichts 
Neues  unter  der  Sonne  .  .  .  ! 

Vielleicht  ist  auch  darauf  die  Tatsache  zurückzu¬ 
führen,  dass  bei  Cholera-  und  Ruhrepidemien  verhältnis¬ 
mässig  viel  weniger  Juden  erkranken  und  sterben.  Weil 
sie  eben  Knoblauch  reichlich  gemessen!  Wie  dem  auch  sei, 
jedenfalls  ist  dieses  Mittel  billig  und  leicht  zu  beschaffen! 

0  Eine  kurze  Notiz  hierüber  ist  unterdessen  in  der  „frankfurter 
Zeitung«,  2.  Migbl.  v.  28  August  d.  J.  von  mir  erschienen.  Diese 
Notiz  hat  das  „Hamburger  Israelitische  Familienblatt«  in  Nr.  36  vom 
8.  September  d.J.vx  örtlich  ohne  Quellenangabe  abgedruckt. 


Referate  und 


Allgemeines. 

Paquer,  Sonntagsruhe  und  soziale  Hygiene.  (Arch.  f. 
soz.  Hygiene,  Bd.  8,  H.  1). 

^  Schon  frühzeitig  hat  man  in  England  den  Wert  der 
Sonntagsruhe  eines  ganzen  Volkes  erkannt;  wird  doch  bei 
richtiger  Anwendung  der  Ruhe  die  für  die  arbeitsreiche  Woche 
nötige  Spannkraft  auf  diese  Weise  immer  wieder  erneuert. 

In  Deutschland  dagegen  misst  man  der  absoluten  Sonntags¬ 
ruhe  immer  noch  nicht  die  richtige  Bedeutung  bei,  andererseits 
erfüllt  sie  bei  uns  nicht  den  richtigen  Zweck.  Schuld  daran 
ist  \oi  allem  der  Alkoholismus,  wie  mau  unter  anderem  aus 
den  Unfallsstatistiken  sieht. 

Der  Sonntag  dient  eben  nicht  der  Erholung,  sondern  wird 
von  dem  der  vollen  Freiheit  ungewohnten  Volke  zu  Exzessen 
aller  Art  benützt.  Soll  der  richtige  Erfolg  einer  Sonntagsruhe 
ein  treten,  so  kommt  es  darauf  an,  den  Alkoholismus  einzu¬ 
dämmen  und  das  Volk  zu  Genüssen  edlerer  Art  heranzubilden. 

_  Schütz. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

R  e  s  c  h  ,  Geisteskrankheiten  und  Krieg.  (Allgemeine 
Zeitschrift  für  Psychiatrie  und  psychisch-gerichtliche  Medizin 
Band  72,  Heft  2,  1915.; 

\  erfasser  bejaht  den  Einfluss  eines  Krieges  auf  die  Er¬ 
krankungen  an  Geistesstörung  und  stützt  sich  teils  auf  die 
Statistiken  früherer  Kriege  teils  auf  seine  eigenen  Beobachtungen 


Besprechungen. 


in  der  Bayreuther  Irrenanstalt  und  dem  Reservelazarett 
Bayreuth  I.  Es  werden  zunächst  die  einzelnen  Krankheitsformen 
nach  ihrer  Häufigkeit  besprochen,  wobei  mit  Recht  ein  Unter¬ 
schied  gemacht  wird  zwischen  solchen,  die  infolge  der  Mobil¬ 
machung  oder  während  des  Dienstes  in  der  Garnison  erkrankt 
sind  oder  auch  während  der  Ausbildung  als  abnorm  auffielen, 
und  solchen,  die  am  Feldzuge  selbst  teilgenommeu  haben.  Als¬ 
dann  wird  ausgeführt,  wie  für  diese  Armen  gesorgt  wird.  Mit 
einigen  Worten  wird  darauf  auf  die  Prognose  eingegaugen  und 
die  Frage  der  Dienstbeschädigung  ventiliert.  Zum  Schluss  die 
Bemerkung,  dass  wir  nicht  zu  schwarz  zu  sehen  brauchen  bezgl. 
der  Zahl  der  Geisteskranken  im  jetzigen  Kriege. 

Wern.  H.  Becker,  Herborn. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

I.  Sch  erer  und  0.  K  u  t  v  i  r  t :  Über  die  Beziehung 
der  Mittelohrentzündung  zu  den  Krankheiten  des  Säuglings¬ 
alters.  Aus  k.  k.  böhmischen  Klinik  für  Krankheiten  der  Neu¬ 
geborenen,  Säuglinge  und  Wöchnerinnen  in  der  k.  böhm.  Landes¬ 
findelanstalt  in  Prag.  Vorstand:  Prof.  Dr.  Franz  Scherer, 
Primärarzt.  (Jahrb  für  Kinderheilkunde.  Bd  32,  Heft  3.) 

Die  Verf.  besprechen  die  Zusammenhänge  zwischen  Mittel¬ 
ohrenentzündung  und  Pädatrophie,  Eklampsie,  Ekzem  des  Ge¬ 
sichtes,  Vakzination,  Furunkulosis,  Pemphigus  simplex,  sowie 
ihre  Therapie. 

Die  Mittelohrentzündung  tritt  um  so  leichter  ein,  wenn 


Nr.  3. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


31 


mechanische  Insulte  (z.  B.  häufiges  Erbrechen  bei  Ernährungs¬ 
störungen,  Niesen  bei  Rhinitis,  Husten  bei  Pharyngitis,  Bron¬ 
chitis  und  Pneumonie)  eine  Erkrankung  begleiten.  Bei  Eklampsie 
kommt  es  sehr  häufig  zu  einer  eitrigen  Mittelohrentzündung 
Verff.  weisen  dringend  darauf  hin.  bei  jeder  Eklampsie  oder 
hei  meningealen  Erscheinungen  die  Ohren  zu  untersuchen  und 
schon  bei  geringsten  Veränderungen  des  Trommelfells  die  Para¬ 
zentese  vorzunehmen.  Adolf  H.  Brau  n  (München). 

F.  Schleissner:  Zur  Ätiologie  des  Scharlachs. 
(Aus  der  pädiatrischen  Klinik  im  Franz-Josef-Kinderhospitale. 
Direktor:  Prof.  Ganghofner,  und  dem  hygienischen  Institute. 
Vorstand:  Prof.  Bail  der  k.  k.  deutschen  Universität  in  Prag.) 
(Jahrb.  f.  Kinderheilkunde.  Bd.  32.  H.  3.) 

Nach  den  A  rbeiten  von  Grünbaum,  0  a  n  t  a  c  u  z  ö  n  e , 
Bernhardt,  Hectoen  u.  a.  ist  es  möglich,  bei  höheren  und 
niederen  Affen  durch  Verimpfung  von  virulentem  Scharlach¬ 
material  ein  Krankheitsbild  zu  erzeugen,  das  dem  menschlichen 
Scharlach  sehr  ähnlich  ist.  Als  Infektionsmodus  wurde  die 
Insufflation  24  ständiger  Bouillonkulturen  in  Rachen  und  Nase 
der  Versuchstiere  gewählt.  Subkutane  Injektionen  hatten  nach 
1  —  2  Tagen  den  Tod  der  Tiere  ohne  besondere  klinische  Er¬ 
scheinungen  zur  Folge  In  12  von  27  Versuchen  gelang  durch 
die  Insufflation  eine  Infektion,  die  sich  in  Fieber,  Angina, 
Exanthem  und  Himbeerzunge  äusserte  und  nach  10 — 12  Tagen 
eine  grosslamellöse  Abschuppung  zur  Folge  hatte.  Kein  Tier 
starb.  Durch  Einpinselung  des  Rachensekrets  konnten  gesunde 
Tiere  infiziert  werden.  Reinfektionen  gelangen  nicht.  Verf. 
hält  den  Scharlach-Streptococcus  für  den  wahrscheinlichen  Er¬ 
reger  des  Scharlachs.  Braun. 

0.  Bossert:  Kasuistischer  Beitrag  zur  Ichthyosis 
congenita,  (Aus  der  Uni v.-Kinder- Klinik  zu  Breslau.  Direktor: 
Prof.  Dr.  Tobler.  (Jahrb.  f.  Kdhlke.  Bd.  32.  H.  3.) 

Da  in  der  pädiatrischen  Literatur  noch  keine  Original¬ 
beschreibung  des  Krankheitsbildes  der  Ichthyosis  congenita  (nach 
der  Klassifizierung  Rieckes)  existiert,  beschreibt  Verf.  dasselbe 
an  Hand  eines  beobachteten  typischen  Falles.  Es  handelte  sich 
um  ein  lebensschwaches,  nach  4  Tagen  gestorbenes  Kind,  das 
neben  Hemmungsbildungen  der  äusseren  Sinnesorgane  eine 
lederartige  Verdickung  der  Haut  aufvvies.  Die  Haut  war  be¬ 
sonders  auf  der  Brust,  am  Bauch,  auf  dem  Kopf,  aber  auch  an 
andern  Stellen  gesprungen.  Der  Körper  zeigte  durch  diese 
Hautbeschaffenheit  eine  gewisse  Starrheit  und  Unbeweglichkeit. 

Braun. 

V.  P  o  u  1  s  e  n.  2l/9 jährige  Erfahrungen  mit  Eiweiß- 
milch.  (Aus  dem  Königin-Louise-Kinderhospital  in  Kopenhagen) 
Direktor-:  Prof.  Monrad.  (Jahrbuch  f.  Kdhlke.  32.  Band. 
Heft  3.) 

Das  Material  des  Verf.  umfasst  124  Fälle  und  zwar  85 
Kinder  unter,  38  Kinder  über  einem  Jahr.  Von  den  im  1. 
Lebensjahr  stehenden  und  mit  Eiweissmilch  behandelten  Kindern 
litten  29  an  Cholerine  (Intoxikation),  7  an  Gastroenteritis  acuta, 
42  an  Dyspepsia  chronica  und  8  an  Atrophia  infantum. 
Ausserdem  wurde  ein  Teil  der  genannten  Verdauungsstörungen 
durch  andere  Affektionen  kompliziert.  Nach  seinen  Erfahrungen 
kommt  Verf.  zum  Schluss,  dass  Ei  weissmilch  bei  Cholerine  die 
ebensoguten  andern  Behandlungsmethoden  nicht  verdrängen 
kann,  bei  Gastroenteritis  acuta  nur  dann  indiziert  ist,  wenn 
;  die  Besserung  bei  der  gewöhnlichen  diätetischen  Behandlung 
ausbleibt,  bei  Atrophie  keine  Vorteile  bietet,  aber  bei  Dyspepsia 
chronica  schnelle  und  gute  Resultate  gibt  und  einen  wesent¬ 
lichen  Fortschritt  in  der  Behandlung  dieser  Störung  darstellt. 
Verf.  beginnt  mit  kleinen  Dosen  Eiweissmilch,  steigert  schnell 
und  ersetzt  nach  vierwöchentlicher  Behandlung  die  Eiweissmilch 
allmählich  durch  andere  Kost.  Nach  seiner  Ansicht  verdient 
Nährzucker  als  Zusatz  zur  Eiweissmilch  nur  da  den  Vorzug, 
wo  der  Stuhl  irritierend  wirkt  und  wo  mehr  als  4  Proz.  Zucker 
zugefügt  werden  soll.  Manche  Kinder  bevorzugen  Abkochungen 
der  Eimeissmilch  mit  Gries. 

Bei  den  verdauungsgestörten  38  Kindern  über  1  Jahr 
wurde  zunächst  der  Versuch  gemacht,  mit  anderer  Behandlung 
fertig  zu  werden.  Erst  beim  Versagen  derselben  wurde  Ei  weiss¬ 
milch  herangezogen.  Das  Resultat  der  beobachteten,  schweren 
Fälle  war  29  mal  (5  akute,  24  chronische  Fälle)  gut,  9  mal 
schlecht.  Verf.  rät  den  Versuch  mit  Eiweissmilch  aufs  dringendste 
bei  Verdauungskrankheiten  älterer  Kinder  an,  wo  die  üblichen 
diätetischen  Massnahmen  die  erwünschte  Wirkung  vermissen  lassen. 


In  einem  theoretischen  Anhang  nimmt  Verf.  Stellung  zur 
Theorie  der  Wirkung  der  Eiweissmilch  und  resümiert  nach 
kritischer  Berücksichtigung  der  Finkelsteinschen  Anschauungen, 
dass  bis  jetzt  noch  keine  befriedigende  Erklärung  für  die  gute 
Wirkung  der  Eiweissmilch  gegeben  worden  ist.  Braun. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

H  e  1  w  i  g  :  Der  Einfluß  mineralischer  Lösung  auf  das 
Blutbild  und  die  Phagozytose.  (Zeitschr.  für  Balueologie,  Kli¬ 
matologie  usw.  1915.  No.  5  —  G). 

Der  Einfluss  der  Glasjäger  Mineralquelle  —  Kieselbrunnen 
und  Siliziumheilquelle  —  geht  dahin,  dass  eine  explosive  Neu¬ 
bildung  und  Reifung  der  leukozytären  Elemente,  und  Zuri'ick- 
treten  der  Lymphozyten  im  Blute  eintritt.  Ferner  wird  der 
opsonische  Index  —  Zunahme  der  Fresslust  der  w  Blk.  deut¬ 
lich  gesteigert  Krebs-  Aachen. 

J.  NovotnL  Behandlung  mit  Kohlensäuereschnee. 
(Casopis  lekaruo  ceskych.  1914,  Nr.  26.) 

Bei  der  Behandlung  der  verschiedenen  Arten  der  Naevi, 
des  Lupus  erythematosus,  Ulcus  rodens,  Lupus  vulgaris  wurden 
mit  Kohlensäureschnee,  der  entweder  komprimiert  oder  mit 
Äther  sulfuricus  gemengt  zur  Anwendung  gelangte,  gute  Resul¬ 
tate  erzielt.  Er  wirkt  intensiver  als  Chloräthyl,  ist  billiger 
und  sicherer  als  flüssige  Luft  und  seine  Applikation  ist  einfach 
und  ungefährlich.  G.  Mühlstein  (Prag). 


Medicamentöse  Therapie. 

Dr.  Arthur  Hirschfeld.  Aus  der  hydrothera- 
peut.  Anstalt  der  Univers.  Berlin  (Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr. 
Brieger).  Untersuchung  über  die  Beeinflussung  des  erhöhten 
Blutdrucks  bei  Arteriosklerotikern  durch  Rhodalzid.  —  (Zentral¬ 
blatt  für  die  gesamte  Therapie,  Heft  11,  1914.) 

Patienten  der  Poliklinik,  die  einen  erhöhten  Blutdruck  auf¬ 
wiesen,  wurden  auf  ihren  Rhodangehalt  im  Speichel  untersucht 
und  erhielten  dann  Rhodalzid,  täglich  3  Tabletten  nach  dem 
Essen.  Der  Behandlung  unterzogen  wurden  Patienten  mit  Herz¬ 
hypertrophie,  Arteriosklerose  und  chronischer  Nephritis.  Alle 
Patienten  vertrugen  das  Mittel  gut.  Herzschädigende  Einflüsse 
machten  sich  niemals  geltend.  Die  Resultate  der  einzelnen 
Untersuchungen  wurden  auf  Kurven  eingetragen. 

Aus  den  Versuchen  geht  eine  deutliche  Beeinflussung  des 
Blutdrucks  durch  das  Rhodanpräparat  hervor.  Man  sieht,  dass 
in  einzelnen  Fällen  eine  Herabsetzung  des  maximalen  Druckes 
bis  zu  GO  mm  Hg  eintreten  kann. 

Die  Kurve  I  zeigt  bei  einem  Arteriosklerotiker  eine  durch¬ 
schnittliche  Herabsetzung  des  Druckes  um  30  mm  Hg,  die  auch 
4  Wochen  nach  dem  Auf  hören  der  Medikation  noch  fortbestand. 
Ähnliche  Verhältnisse  finden  wir  in  Kurve  II  und  III.  Ein 
sehr  unregelmässiger  Verlauf  ist  in  der  Kurve  IV  zu  beob¬ 
achten.  Es  tritt  hier  zuerst  ein  starker  Abfall  des  Blutdruckes 
um  34  mm  Hg  ein,  der  einer  vorübergehenden  Steigung 
weichen  muss.  Hierauf  fällt  die  Kurve  wieder  und  zwar  um 
60  mm  Hg  unterhalb  des  ersten  Niveaus  Aber  auch  diese 
Senkung  bleibt  nicht  bestehen  und  ca.  7  Wochen  nach  der 
Aussetzung  des  Mittels  ist  der  Blutdruck  wieder  auf  der  alten 
Höhe.  Gibt  man  nun  von  neuem  Rhodalzid,  so  tritt  wieder 
ein  Fallen  des  Blutdrucks  ein. 

Kann  man  so  bei  unseren  Arteriosklerotikern  im  all¬ 
gemeinen  nach  Rhodalzid  ein  deutliches  Sinken  der  Blutdruck¬ 
kurve  beobachten,  so  ist  dies  nicht  immer  der  Fall,  wenn  bei 
unsern  Patienten  als  Ursache  des  erhöhten  Blutdrucks  eine 
Nephritis  vorhanden  ist.  Zwar  findet  man  auch  hier  eine 
Blutdrucksenkung.  Diese  ist  aber  nicht  so  stark  und  lange 
dauernd,  wie  die  bei  den  einfachen  Arteriosklerotikern. 

Wenn  man  bei  Patienten  mit  erhöhtem  Blutdruck  Rhod¬ 
alzid  verabreicht,  so  muss  man  sich  darüber  klar  werden,  ob  man 
nicht  durch  die  Herabsetzung  des  Blutdrucks  dem  Patienten 
mehr  schaden  kann  als  nützen.  Es  gibt  fraglos  Arterio¬ 
sklerotiker,  die  so  au  ihren  erhöhten  Blutdruck  adaptiert  sind, 
dass  sie  auf  eine  Herabsetzung  nur  mit  einem  Kollaps  ant¬ 
worten.  Man  muss  daher  mit  der  Anwendung  recht  vorsichtig 
sein.  Vielleicht  wird  man  erst  versuchen  müssen,  durch  kleinere 
Dosen  zu  ermitteln,  wie  der  betreffende  Patient  auf  kleinere 
Blutdruckherabsetzungen  reagiert. 


32 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  3. 


Vielen  A rteriosklerotikern  ist  aber  ihr  erhöhter  Blutdruck 
lästig,  und  ihre  Beschwerden  sind  mehr  oder  weniger  auf  diese 
Erhöhung  zurückzuführen.  In  solchen  Fällen  wird  man  nach 
ungern  bisherigen  Erfahrungen  erwarten  dürfen,  den  Blutdruck 
herabsetzen  zu  können.  N  e  u  m  a  n  n. 

Prof.  Dr.  C.  Bachem,  Assistent  des  Instituts.  Nov- 
enterol,  ein  neues  Darinadstringens.  (Aus  dem  Pharmakolo¬ 
gischen  Institut  der  Universität  Bonn.) 

Noventerol  ist  das  Aluminiumsalz  einer  Tannineiweiss¬ 
verbindung  mit  einem  Gehalt  von  ungefähr  50  Proz.  Tannin 
und  4  Proz.  Aluminium  und  empfiehlt  sich  zur  Verwendung 
als  Darmadstringens.  Der  Hauplvorteil  des  Präparates  liegt 
darin,  dass  es  vom  Magensaft  sehr  wenig  angegriffen  wird.  Die 
stopfende  Wirkung  wird  durch  die  Aluminiumkomponente  ge¬ 
steigert.  Das  Präparat  ist  völlig  geruch-  und  geschmacklos. 
Bachem  zählt  infolgedessen  als  Vorzüge  des  Präparats  gegen¬ 
über  den  bisherigen  Tannineiweiss-Präparaten  auf: 

1.  Seine  Resistenz  gegenüber  dem  Magensaft  ist  wesentlich 
höher.  Hieraus  ergibt  sich  eine  besondere  Bekömmlichkeit, 
da  der  Magen  mehr  geschont  wird. 

2.  Die  Löslichkeit  im  Darm  ist  durch  die  erhöhte  Resistenz 
gegenüber  dem  Magensaft  nicht  herabgesetzt,  sodass  sich  ein 
wesentlich  günstigeres  Verhältnis  zwischen  Unlöslichkeit  im 
Darm  ergibt  als  bei  den  bisherigen  Tannin-Eiweisspräparaten. 

3.  Die  adstringierende  bezw.  desinfizierende  Wirkung  wird 
durch  die  Aluminiumkomponente  erhöht 

Das  Noventerol  kommt  in  leicht  zerfallenden  Tabletten  zu 
0,5  g  (25  Stück  =  1, —  Mk.)  in  den  Handel.  (Herstellende 
Firma:  Chemische  Fabrik  Dr.  Walther  Wolff  &  Co.  G.  m.  b.  G., 
Elberfeld.)  N  e  u  m  a  n  n. 

Dr.  K.  Kolb,  Direktor  des  städt.  Krankenhauses  (Ver¬ 
einslazarett)  zu  Schwenningen  a.  N.  Ein  Beitrag  zu  dem  Kapitel 
der  Wundbehandlung;:  Erfahrungen  mit  einem  neuen,  auf  das 
Bindegewebe  einwirkenden  Mineralöl  (granulierendes  Wundöl- 
Knoll).  (Württ.  Mediz.  Korrespondenz  Blatt,  1915.) 

Autor  stellte  mit ,. granulierendem  Wundöl  Knoll“  bei  einem 
zahlreichen  Krankenmateriale  eingehende  Versuche  an,  über 
deren  Ergebnisse  nachfolgend  berichtet  sei: 

Giesst  man  von  dem  Mineralöl  in  eine  frische  Wunde  mit 
stark  zerfetzten  Wundflächen  einige  Tropfen  und  bedient  sich 
beim  Verbandwechsel  ständig  des  Öles  weiter,  so  kann  man 
schon  nach  einigen  Tagen  die  Beobachtung  machen,  dass  sich 
die  Wuudbuchten  mit  starken,  kräftigen  Granulationen  ausfüllen 
und  der  Grund  der  Wunde  sich  mit  solchen  überzieht.  Die 
Epithelialisierung  der  Granulationen  ging  auch  meist  sehr  rasch 
von  statten.  Diese  Beobachtungen  hat  Autor  bei  seinen  ver¬ 
wundeten  Soldaten  so  oft  machen  können,  dass  er  sich  des 
Wundöls  mit  besonderer  Vorliebe  bei  stark  zerklüfteten  Wunden 
bediente.  Aber  nicht  nur  bei  sauberen,  frischen  Wunden, 
sondern  auch  bei  stark  eiternden,  infizierten  Wunden  war  der 
Einfluss,  den  das  Öl  auf  die  Heilung  der  Wunde  ausübt,  äusserst 
günstig.  Schon  im  Verlauf  einiger  Tage  nahm  die  eiterige 
Sekretion  der  Wunde  ab,  und  schon  bald  bemerkte  man  kräftige 
Granulationen  an  einzelnen  Stellen  des  Wundbodens,  die  bald 
den  ganzen  Wundbodeu  bedeckten.  Besonders  waren  die  Granu¬ 
lationen,  die  das  Wundöl  hervorrief,  kräftig  und  straff.  Man 
bemerkte  nach  der  Anwendung  desselben  schlafle  Granulationen 
nicht  mehr,  die  mit  Argentum  hätten  geätzt  werden  müssen. 
Die  Überhäutung  der  Granulationen  bot  auch  meist  keine 
Schwierigkeit,  sie  ging  wie  bei  der  sonstigen  Wundheilung  vor 
sich.  Eine  Beeinflussung  der  Epithelbildung  konnte  bei  der 
Anwendung  des  Öles  nicht  bemerkt  werden.  Die  Narben  der 
mit  Öl  behandelten  Wunden  erwiesen  sich  meist  als  sehr  kräftig 

Die  Anwendung  des  Öles  kann  besonders  für  Fälle  emp¬ 
fohlen  werden,  bei  denen  es  sich  um  grosse,  stark  zerklüftete 
und  gebuchtete  Wunden  handelt.  Autor  erblickte  für  die 
Wundbehandlung  in  der  Anwendung  des  Wundöls  in  mehr¬ 
facher  Hinsicht  Vorteile: 

1.  Die  Wundheilung  verlief  bei  Verwendung  des  Wundöls 
rascher  wie  sonst. 

2.  Die  Granulationen,  die  das  Wundöl  hervorrief,  waren 
straff  und  kräftig.  Glasige,  schlaffe  Granulationen  be¬ 
merkte  man  nicht. 

3.  Die  Granulationsbildung  setzte  sehr  rasch  und  reichlich 
ein.  Der  Granulationswall  bot  einen  Schutz  gegen  In¬ 


fektion  dem  Körper  gegenüber.  In  der  bindegewebs- 
anregenden  Wirkung  des  Öles  muss  zugleich  seine  Be¬ 
deutung  für  die  Behandlung  der  Infektion  einer  Wunde 
gesucht  werden. 

4.  Das  Wundöl  hat  auf  Epithelialisierung  der  Granulationen 
keinen  nachteiligen  Einfluss  ausgeiibt.  N  e  u  m  a  n  n. 


Bücherschau. 

Die  Leibesübungen,  ihre  Anatomie,  Physiologie  und  Hygiene 
sowie  „Erste  Hilfe“  bei  Unfällen.  Von  Dr.  med.  Johannes 
M  ü  1  1  e  r  ,  Oberlehrer  und  Arzt  an  der  Königl.  Preussischen 
Landesturnanstalt  Spandau,  Stabsarzt  a.  D  ,  378  S.,  240  Ab¬ 
bildungen.  Verlag  von  B.  G.  Tcubner  in  Leipzig  und  Berlinl9l4. 

Von  den  zahlreichen  populären  Abhandlungen  über  die 
Leibesübungen  unterscheidet  sich  das  vorliegende  Buch  ganz 
erheblich  Wenn  es  auch  populär  und  leicht  verständlich  ge¬ 
schrieben  ist,  so  ist  doch  die  Grundlage,  auf  der  sich  das  Buch 
aufbaut,  strengste  Wissenschaftlichkeit  und  Sachlichkeit.  Es 
ist  aus  der  Praxis  eines  Mannes  hervorgegangen,  der  als  Arzt 
und  Lehrer  an  der  Landesturnanstalt  die  Bedürfnisse  derer 
kennt,  welche  die  Leibesübungen  besonders  zu  pflegen  haben. 
Seine  Entstehung  verdankt  es  den  Vorträgen,  die  Verf.  amtlich 
zu  halten  hatte.  Die  Einteilung  des  Buches  ist  durchaus  zweck¬ 
mässig.  Nach  allgemeinen  Vorbemerkungen,  die  in  populärer 
Form  einen  Überblick  über  die  Gewerbelehre  und  allgemeine 
Anatomie  geben,  wird  in  dem  ersten  Teil  der  äussere  Aufbau 
des  menschlichen  Körpers  behandelt  und  zwar  der  Stamm,  die 
unteren  Gliedmassen  und  die  oberen  Gliedmassen,  der  normale 
Aufbau  der  Knochen,  der  Gelenke  und  Bänder  sowie  die 
Muskulatur  und  die  häufigsten  krankhaften  Formveränderungen, 
die  auch  der  Laie  kennen  und  beachten  soll,  z.  B.  die  Skoliose, 
die  Hernien,  X-  und  O-Beine,  der  Plattfuss  usw.  Bei  der  Be¬ 
schreibung  der  Muskulatur  hat  Verf.  nicht  die  übliche  Art, 
zuerst  die  oberflächlichere,  dann  die  tiefere  Muskulatur  zu  be¬ 
sprechen  vorgezogen,  sondern  den  wissenschaftlicheren  Weg  ge¬ 
wählt  und  statt  der  anatomischen  Lage,  die  mechanischen  Wir¬ 
kungen  als  Grundlage  der  Einteilung  zu  Grunde  gelegt.  Da¬ 
mit  kann  man  dem  Laien  einen  schnelleren  Überblick  über  die 
Bedeutung  der  einzelnen  Muskelgruppen  und  ihre  physiologische 
Funktion  vor  Augen  führen. 

Der  zweite  Teil  beschäftigt  sich  mit  inneren  Organen,  und 
zwar  werden  zusammenhängend  die  Anatomie  und  die  Physio¬ 
logie  der  einzelnen  Organe  besprochen.  Auch  hier  werden 
wiederum  diejenigen  pathologischen  Veränderungen,  welche  das 
Publikum  interessieren,  zweckmässig  zur  Darstellung  gebracht. 
Besonders  wichtig  sind  die  wertvollen  Hinweise  auf  die  Ürsachen 
verschiedener  Schädigungen,  z.  B.  die  Hervorhebung  des  Alko¬ 
holismus  und  seiner  Folgen. 

Der  dritte  Teil  behandelt  die  Physiologie  und  Hygiene  der 
einzelnen  Leibesübungen.  Besonders  eingehend  wird  der  Ein¬ 
fluss  der  Leibesübungen  auf  die  einzelnen  Körperorgane  ge¬ 
schildert,  wodurch  dem  Sporttreibenden  oder  dem  Turner  wert¬ 
volle  Richtlinien  gegeben  werden. 

Der  vierte  Teil  besteht  aus  einem  Abriss  der  „Ersten  Hilfe“, 
der  übrigens  zu  dem  mässigen  Preise  von  75  Pfg.  getrennt  zu 
beziehen  ist.  Auch  dieser  Abschnitt  reiht  sich  den  anderen 
würdig  an.  Verf.  hat  es  ausgezeichnet  verstanden,  das  Wichtige 
vom  Unwichtigen  zu  trennen,  die  wissenschaftlichsten  Sachen 
möglichst  klar  darzustellen  und  sich  von  der  in  ähnlichen 
Werken  leider  oft  zur  Kurpfuscherei  verlockenden  genauen  Dar¬ 
stellungsart  der  Therapie  fernzuhalten.  Die  Angaben  beziehen 
sich  ganz  richtig  auf  weiter  nichts  als  auf  die  „Erste  Hilfe“. 
Angenehm  berührt  in  der  Darstellung  die  recht  zweckmässige 
deutsche  Nomenklatur,  die  namentlich  bei  den  Muskelgruppen 
vielfach  vom  Verf.  herrührt. 

Das  Buch,  welches  dem  Generalstabsarzt  der  Armee  Pro¬ 
fessor  Dr.  Schjerning  gewidmet  ist,  verfolgt  den  Zweck, 
ein  L ehrbuch  der  medizinischen  Hilfswissenschaft  für  Turnlehrer, 
Turner  und  Sportleute  zu  sein.  Es  dürfte  sich  aber  auch  ganz 
besonders  als  Grundlage  für  Samariterkurse,  Ausbildung  von 
Krankenpflegern,  Feuerwehrleuten  u.  a.  empfehlen.  Ausstattung, 
Druck  und  Abbildungen  sind,  wie  es  bei  dem  Verlage  Teubner 
nicht  anders  zu  erwarten  ist,  ausgezeichnet. 

Hirsch  (Bad  Salzschlirf). 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbrim  der  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  mitwirkung  hervorragender  Tadimänner 


herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 


Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  4 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 

Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  10.  November 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  Krankheiten  des  Rückbildungsalters 
und  des  Seniums. 

Fortbildungsvortrag  von  Privatdozent  Dr.  Niessl  von  Mayendorf, 

Leipzig. 

M.  H. !  Sie  wissen  aus  der  Pathologie  der  Geistes¬ 
krankheiten,  dass  die  Evolutions-  und  Involutionsphasen 
des  menschlichen  Organismus  ganz  besonders  häufig 
zum  Anlass  des  Auftretens  von  Geisteskrankheiten  wer¬ 
den.  Die  Gefahr,  beim  Eintritt  in  die  Reife,  beim  Ver¬ 
lassen  derselben,  geisteskrank  zu  werden,  sei  in  der 
psychopathischen  Anlage  gegeben,  welche  entweder  durch 
abnorm  stürmische  und  intensive  Veränderungen  der 
Gewebe,  insbesondere  der  Gefässe  die  Psyche  endogen 
alteriere  oder  sehr  plötzlich  die  Widerstandskraft  gegen 
äussere  Schädlichkeiten  herabsetze,  so  dass  eine  An¬ 
passung  an  dieselben  nicht  mehr  gelingt.  Es  erschöpft 
diese  Einteilung  durchaus  nicht  den  Umkreis  wirklicher 
Möglichkeiten,  und  tritt  durch  Einführung  des  inhalts¬ 
losen  und  subjektiv  schwankenden  Faktors  der  Dispo¬ 
sition  aus  dem  Rahmen  streng  wissenschaftlicher  Klassi¬ 
fizierung.  Sie  hat  aber  einen  didaktischen  Wert,  indem 
sie  vereinfacht,  und  das  Programm  unserer  therapeu¬ 
tischen  Bestrebungen  nach  zwei  Richtungen  ausschauen 
lässt,  nach  dem  inneren  und  nach  dem  äusseren 
Feind. 

Der  innere,  das  anscheinend  ganz  unbegründete 
vorzeitige  und  rasch  eintretende  oder  abnorm  hohe 
Grade  der  Rückbildung  erreichende  Altern,  die  Organ¬ 
erkrankungen,  welche  ausschliesslich  oder  mit  Vorliebe 
die  sich  rückbildenden  Gewebe  heimsuchen,  der  äussere, 
bei  welchem  die  Abnützung  als  ätiologisches  Moment 
so  greifbar  zu  Tage  liegt,  dass  wir  in  ihm  eine  hin¬ 
reichende  Erklärung  für  den  Zusammenbruch  der  psy¬ 
chischen  Existenz  finden. 

Gegen  prämature  Senescenz,  auf  degenerativer 
Basis,  in  deren  Gefolge  Geisteskrankheiten  auftreten 
können,  wird  man  natürlich  nur  prophylaktische  Mass¬ 
nahmen  anempfehlen,  d.  h.  bereits  in  der  Reifezeit  welke 
und  widerstandsunfähige  Individuen  in  Verhältnisse  ver¬ 
setzen,  welche  nur  bescheidene  Ansprüche  an  die  geringe 
Leistungsfähigkeit  stellen,  für  eine  geregelte,  eher  pedan¬ 
tische  Lebensweise  sorgen,  Alkohol  und  Nikotin  ver¬ 
bieten  und  schwere  Gemütsbewegungen  von  den  Ge¬ 
fährdeten  ferne  halten.  Von  diesen  banalen  Ratschlägen 
darf  man  sich  jedoch  nicht  versprechen,  dass  ihre  Be¬ 
folgung  mit  mathematischer  Sicherheit  die  Jugend  ver¬ 
längern  werde.  Es  ist  z.  B.  nichts  weniger  als  bewiesen, 
dass  der  Säufer  schnell  altert.  Andererseits  findet  man 
bei  degenerierten  Familien  ein  sich  vererbendes  vor¬ 


zeitiges  Altern  trotz  peinlichster  Lebensführung.  Man 
kann  dann,  insbesondere,  wenn  ausser  vererbter  Anlage 
zu  frühzeitiger  seniler  Involution,  auch  Disposition  zur 
Geisteskrankheit  besteht,  —  dieselbe  braucht  sich  zuvor 
noch  nicht  bemerkbar  gemacht  zu  haben  —  nur  noch 
die  Geisteskrankheit  selbst  behandeln. 

Anders  verhält  sich  die  Sache,  wenn  eine  kräftige 
Persönlichkeit  aus  kerngesunder  Familie  in  den  Über¬ 
gangsjahren  unter  der  Last  einer  aufreibenden  Tätigkeit 
zusammenbricht  und  senile  Symptome  erkennen  lässt. 
Hier  kann  der  praktische  Therapeut  mit  Erfolg  ein- 
greifen.  Ausspannen,  Abschliessen  von  nahegehenden 
Geschäften,  Ruhe,  Schlaf  soviel  als  möglich,  desgleichen 
reichlichste  Nahrungszufuhr,  kurzum  eine  tonisierende 
Behandlung,  wie  wir  sie  weiter  unten  detaillierter  be¬ 
sprechen  werden.  Es  gelingt  auf  diese  Weise,  die  be¬ 
obachteten  Zeichen  seniler  Schwäche  wieder  zum  Ver¬ 
schwinden  zu  bringen,  dem  Kranken  seiner  Familie  und 
seinem  Beruf  wiederzugeben,  bei  dessen  Erfüllung  ihm 
eine  gewisse  Schonung  geboten  wird. 

M.  H.!  Dieser  erste  Überblick  gestattet  uns  die 
Behandlung  der  Psychosen  des  Rückbildungsalters  und 
des  Seniums  in  eine  Therapie  der  Alterserscheinungen 
an  sich  und  in  eine  solche  der  durch  abnorme  Zustände 
der  Seniscenz  hervorgerufenen  Geisteskrankheiten  ein¬ 
zuteilen. 

Wenn  das  Alter  als  solches  „Krankheit“  genannt 
wird,  so  trifft  dieser  Name  besonders  für  die  alternde 
Psyche  zu.  An  ihr  gewahren  wir  tagtäglich  Züge,  welche 
wir  utriert  bei  den  Geisteskrankheiten  des  Greisenalters 
wieder  finden.  Rasche  Ermüdbarkeit,  Reizbarkeit, 
schlechte  Merkfähigkeit,  häufige  Gedächtnislücken  für 
die  Jüngstvergangenheit,  Rührseligkeit,  gesteigerte  ge¬ 
mütliche  Labilität,  Schlaflosigkeit,  Kopfdruck,  andauernde 
Ängstlichkeit,  sind  Symptome,  welche,  wie  Ihnen  bekannt, 
für  das  vorgeschrittene  Lebensalter  charakteristisch  sind. 
Wir  haben  über  einen  ganz  gleichen  Komplex  von  Er¬ 
scheinungen  bereits  gesprochen,  als  wir  das  Vorläufer¬ 
stadium  der  progressiven  Paralyse  von  der  idiopathischen 
Neurasthenie  differentialdiagnostisch  trennten  und  die 
unterschiedlichen  Behandlungsweisen  beider  erwogen. 

Ehe  wir  eine  spezielle  Therapie  gegen  die  senile 
Neurasthenie  vorschlagen,  wird  es  angezeigt  sein,  auch 
für  dieses  Krankheitsbild  die  differentialdiagnostischen 
Kriterien  in  Hinblick  auf  die  jugendliche  Nerven¬ 
schwäche  Veranlagter  oder  die  erworbene  Form  der 
nervösen  Erschöpfung  im  Mannesalter  mit  einigen 
Strichen  anzudeuten. 

So  wenig  Sicheres  wir  heute  noch  über  das  patho- 


Nr.  4. 


34  FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


logische  Wesen  der  Neurasthenie  wissen,  so  viel  scheint 
festzustehen,  dass  der  subjektiv  empfundene,  abnorm 
starke  und  schnelle  Energieverbrauch  auf  einen  unge¬ 
wöhnlichen  Stoffwechselumsatz  zurückführbar  ist,  wofür 
auch  die  Phosphaturie  spricht.  Es  ist  nun  gerade  durch 
die  therapeutischen  Erfolge  bei  der  Neurasthenie  be¬ 
wiesen,  dass  durch  Ruhe,  insbesondere  durch  reich¬ 
lichen  Schlaf,  ein  \\  iederaufbau  der  gespaltenen  Stoff¬ 
wechselprodukte  möglich  ist,  welcher  dem  Kranken  in 
dem  Gefühl  wiedererlangter  Kraft  bewusst  wird.  Die 
krankhaft  geänderten  \  orgänge  bei  der  Neurasthenie 
beruhen  höchst  wahrscheinlich  nicht  auf  anatomischen 
Abnormitäten  der  Gewebe,  sondern  auf  einem  patho¬ 
logischen  Chemismus  des  Nervensystems  während  des 
Lebens. 

Die  präsenile  Neurasthenie  dürfte  sich  von  der 
idiopathischen  Form  wohl  hauptsächlich  dadurch  unter¬ 
scheiden,  dass  dieser  pathologische  Chemismus  nicht  die 
letzte  Ursache  der  abnormen  neurasthenischen  Reaktions¬ 
weise  des  Nervensystems  darstellt,  sondern  die  Folge 
bestimmter  Gewebsveränderungen  ist,  die  sich  im  all¬ 
gemeinen  mit  der  senilen  Arteriosklerose  decken.  Es 
ist  daher  begründet,  wenn  sich  die  therapeutischen  Vor¬ 
kehrungen  bei  der  präsenilen,  und  der  Nervenschwäche 
des  ( jreisenalters  mit  dem  gegen  die  aus  kongenitaler 
Anlage  hervorgegangene  geringe  nervöse  Widerstands¬ 
fähigkeit  im  Gebrauch  stehenden  Heilmittelschatz  keines¬ 
wegs  decken.  Die  Therapie  wird  auf  die  senile  Arterio¬ 
sklerose  ebensowohl  Rücksicht  zu  nehmen  haben  als  auf 
die  neurasthenischen  Symptome. 

Da  arterio-sklerotisch-neurasthenische  Erscheinungen 
den  meisten  senilen  Geistesstörungen  vorangehen,  ja  zu¬ 
weilen  diese  aus  jenen  geradezu  zu  entspringen  scheinen, 
so  ist  ein  Überblick  über  die  modernen  Heilbestrebungen 
gegen  die  Arteriosklerose  des  Nervensystems  unseren 
Ausführungen  über  die  Therapie  der  senilen  Geistes¬ 
störungen  voranzuschicken. 

V  enn  ich  die  Behandlung  der  Hirnarteriosklerose 
ins  Auge  fasse,  so  möchte  ich  Ihnen  drei  Richtungen 
nennen,  in  denen  sich  die  Tendenzen  Ihres  Heilplanes 
zu  bewegen  haben  werden.  1.  Die  Ruhigstellung  des 
Zentralnervensystems.  2.  Die  Jodbehandlung.  3.  Die 
Hydrotherapie. 

So  selbstverständlich  uns  das  erste  Postulat  der 
I  herapie  erscheinen  mag,  es  bedarf  gerade  bei 
den  in  Rede  stehenden  Krankheitszuständen  einer  er¬ 
läuternden  Einschränkung.  Während  Liegekuren  bei 
jüngeren,  körperlich  herabgekommenen,  nervösen  Indi¬ 
viduen  oft  von  den  überraschendsten  Erfolgen  belohnt 
werden,  sind  sie  nach  meinen  Erfahrungen,  sobald  sich  an 
dem  Kranken  Zeichen  von  Senescenz  vorfinden  oder 
solche  nach  den  Klagen  desselben  zu  vermuten  sind, 
bedenklich  und  kontraindiziert.  Selbst  wenn  der  Kranke 
nach  der  Bettruhe  verlangt,  wenn  er  vorgibt,  so  erschöpft 
zu  sein,  dass  er  nicht  aufstehen  könne,  gebe  man  nicht 
nach,  sondern  lasse  ihn  zum  mindesten  im  Lehnstuhl 
aufrecht  sitzen  und  im  Zimmer  mehrmals  am  Tage  ein 
\  iertelstiindchen  auf  und  ab  gehen.  Wir  wissen,  dass 
sich  an  jugendlichen  Organismen,  so  lange  sie  nicht 
kachektisch  sind,  infolge  längeren  Liegens  im  Bett  keiner¬ 
lei  Zirkulationsstörungen  einstellen,  bei  älteren  Menschen 
dagegen  beobachten  wir  gar  bald,  dass  die  Extremi¬ 
täten,  welche  nicht  bewegt  werden,  selbst  wenn  sie  sich 
unter  der  Decke  befinden,  also  die  Beine,  insbesondere 
deren  distale  Abschnitte,  die  Füsse  und  die  Zehen  kalt 
werden,  und  diese  abnorme  Temperaturerniederung  auch 
'on  dem  Kranken  sehr  unangenehm  empfunden  wird. 
V  ärmllaschen  mögen  oft  eine  subjektive  Erleichterung 
der  Kranken  bedeuten,  ich  halte  jedoch  bei  rigiden 
Arterien  die  lokale  vehemente  'Wärmeein Wirkung  für 
keineswegs  irrelevant. 

Ausser  der  Zirkulation  leidet  an  alten  Leuten  bei 


längerer  Bettruhe  bekanntlich  der  Stuhlgang  und  mit 
diesem  die  ganze  Verdauung,  der  Appetit.  Obstipationen 
und  Magenverstimmungen  haben  aber  hartnäckige  Schlaf¬ 
losigkeit  zur  Folge,  die  wieder  zu  Schwäche-,  Reiz-  und 
Depressionszuständen  während  des  Tages  führt. 

Die  Ruhigstellung  des  alternden  Zentralnerven¬ 
systems  darf  also  nicht  als  allzugrosse  Beschränkung 
der  Bewegungsfreiheit  verstanden,  ja  sie  darf,  und  das 
ist  für  unser  Gebiet  besonders  wichtig,  auch  den  Kranken 
seiner  gewohnten  Tagesarbeit  nicht  völlig  ent¬ 
ziehen,  sie  darf  ihn  nicht  seiner  Interessenkreise  plötzlich 
berauben,  sie  darf  keine  psychische  Ruhigstellung 
werden  wollen.  Wenn  es  sich  auch  empfiehlt,  Persön¬ 
lichkeiten  von  der  ihnen  obliegenden  Last  schwerer 
Verantwortlichkeit  zu  befreien,  so  darf  dies  nur  gleich¬ 
sam  hinter  dem  Rücken  des  Kranken  geschehen,  er  darf 
nicht  merken,  dass  man  ihn  jetzt  für  weniger  suffizient 
hält  als  früher.  Die  Rücksichtnahme  auf  diese  Emp¬ 
findlichkeit  ist  vom  therapeutischen  Standpunkt  sehr 
wichtig. 

Zweifellos  bezieht  sich  Ziehens  Mahnung  bei 
ausgebrochener  seniler  Demenz,  den  Kranken  in  den 
gewohnten  häuslichen  Verhältnissen  zu  belassen,  auf  die 
eben  berührte  psychische  Eigenart  des  Greisenalters 
oder  der  dem  Greisenalter  sich  Nahenden. 

Die  geistige  Bewegung,  welche  man  dem  Kranken 
gestatte,  sei  pedantisch  geregelt,  der  gewohnten  Be¬ 
tätigung  in  Umfang  und  Inhalt  verwandt,  die  körper¬ 
lichen  Motionen  rationell  abwechselnd. 

Andauerndes  Sitzen,  selbst  wenn  es  gewohnheits- 
mässig  ist,  untersage  man.  Das  Betreiben  eines  Sportes 
gestatte  man  nur  in  engen  Grenzen  und  nur  wenn  der 
Kranke  denselben  früher  gepflegt  hat.  Alkohol  und 
Tabak  würde  ich,  wenn  die  Herztätigkeit  intakt  und 
der  Kranke  deren  Genuss  huldigt,  nicht  mit  einem  Male 
aufgeben,  jedenfalls  aber  auf  ein  Minimum  reduzieren 
lassen. 

Die  grosse  Rolle,  m.  H.,  welche  die  Jodpräparate 
in  der  Therapie  der  arteriosklerotischen  Erkrankungen 
spielen,  ist  durch  eine  wissenschaftliche  Erklärung  bis 
heute  noch  nicht  begründet.  Man  hat  an  eine  Ver¬ 
minderung  der  Viscosität  des  Blutes,  an  eine  blutdruck¬ 
erniedrigende  Wirkung  gedacht,  durch  Messungen 
aber  festgestellt,  dass  wir  nach  Einnahme  von  Jodver¬ 
bindungen  sowohl  ein  Steigen  als  ein  Absinken  des  Blut¬ 
drucks  sich  einstellen  kann.  Früher  wurden  ausschliess¬ 
lich  die  Jodalkalien  verordnet,  wie  Sie  wissen  in  Gaben 
von  0,2 — 0,5 — 1,5,  also  in  steigenden  Dosen.  Die  Prä¬ 
parate  werden  in  Milch  oder  Selterswasser  genommen. 
Es  ist  Ihnen  bekannt,  dass  oft  sehr  bald  nach  Einver¬ 
leibung  von  Jodverbindungen  Erscheinungen  hervortreten, 
welche  sicher  mit  derselben  in  ursächlichem  Zusammen¬ 
hang  stehen.  Die  charakteristischesten  sind  der 
Schnupfen,  die  Magenbeschwerden,  das  Kopfweh,  die 
Akne.  Es  bleibt  dann  nichts  übrig,  als  mit  der  Jod¬ 
medikation  vollständig  auszusetzen.  Gewöhnlich  ver¬ 
schwinden  die  angeführten  störenden  Symptome  gar 
bald.  Es  gibt  Menschen,  die  eine  besondere  Idiosyn¬ 
krasie  gegen  die  Jodalkalien  zeigen  und  man  wird  dann 
an  ihrer  Stelle  mit  den  neueren  und  neuesten  Jodprä¬ 
paraten,  welche  wegen  langsamerer  Resorption  den 
Kranken  weit  weniger  der  Gefahr  des  Jodismus  aus¬ 
setzen  sollen,  einen  Versuch  machen.  Das  Jodkalium 
wird  von  gewissen  Internisten  als  direktes  Herzgift  und 
daher  bei  Arteriosklerose  als  kontraindiziert  betrachtet.  Zu 
neuen  Präparaten  gehören  dasjodipin,  eine  dem  Bromipin 
analoge  Zusammensetzung  des  Jod  mit  Sesamöl,  die  Jod- 
glidine  (10  °/0  Jod),  Jodeiweissverbindungen  und  das 
Jodival  sowie  das  Sajodin  (10  °/0  Jod),  Verbindungen  des 
Jod  mit  Fettsäuren.  Neuerdings  ist  man  mit  dem  Jodo- 
sotopan  wieder  zu  den  anorganischen  Jodverbindungen 
zurückgekehrt  oder  verordnet  das  Jodocitin,  eine  Kom- 


Nr.  4. 


35 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


bination  des  Jod  mit  dem  Lezithin.  Letztere  beide  in 
Tabletten  form. 

Die  Hydrotherapie  beschränkt  sich  am  besten  auf 
die  Bäderbehandlung.  Kalte  Packungen  und  Duschen 
sind  selbst  bei  kongestiven  Zuständen  und  kräftigem 
normalen  Herzen  für  Arterioskeroiker  seit  langem  be¬ 
rechtigter  Weise  in  Misskredit  gekommen.  Die  Kontrak¬ 
tionen  der  kleinen  und  kleinsten  Arterien  sind  doch  für 
die  Herzarbeit  ein  zu  jäh  anschwellender  Widerstand, 
als  dass  seine  Bewältigung  keine  Übeln  Konsequenzen 
für  das  Herz  nach  sich  ziehen  sollte.  Ich  möchte  das¬ 
selbe  für  die  kalten  See-  und  Meerbäder  behaupten.  Zu¬ 
lässig  wäre  das  Baden  nur  in  solchen  Seen,  welche  im 
Sommer  eine  durchschnittliche  Wassertemperatur  von 
18  0  besitzen.  Von  Kurorten,  welche  gegen  die  Arterio¬ 
sklerose  in  Frage  kommen,  nenne  ich  Marienbad,  Kis- 
singen,  Salzschlirf,  Homburg  v.  d.  H. 

Das  einzige,  was  uns  von  der  Heilkraft  der  Bäder 
physiologisch  fassbar  ist,  ist  die  Regelung  der  Kreis¬ 
laufverhältnisse  durch  Beseitigung  spastischer  Zustände 
in  den  letzten  Verzweigungen  der  Endarterien.  Alles 
sonstige  ursächliche  Wissen  von  chemischen  Einflüssen 
in  den  Badewässern  gelöster  Stoffe  auf  den  Körper  des 
Badenden  ist  uns  verschlossen.  Wenn  wir  z.  B,  einen 
alten  Herrn  nach  Gastein  schicken  und  er  kehrt  nach 
einer  Badekur  physisch  und  psychisch  verjüngt  wieder, 
so  dürfen  wir  zwar  behaupten,  dass  seine  körperliche 
Regeneration  mit  dieser  in  einem  kausalen  Zusammen¬ 
hang  stehen,  —  denn  dies  beweist  die  Erfahrung  —  wir 
können  aber  bei  einiger  Ehrlichkeit  nicht  sagen,  welcher 
Bestandteil  oder  welche  Beschaffenheit  der  Therme  ein 
heilkräftiger  Faktor  gewesen  ist,  eben  so  wenig  als  wir 
irgend  welche  Anhaltspunkte  dafür  gewinnen  können, 
warum  in  dem  einen  Falle  die  erhoffte  Wirkung  eintritt, 
in  dem  anderen  aber  ausbleibt.  Dass  suggestive  Ein¬ 
flüsse  bei  einem  Erfolg  eine  Rolle  spielen,  scheint  mir 
unzweifelhaft. 

Ein  Eingehen  auf  besondere  Arten  von  Bädern 
(Sauerstoff-,  Kohlensäure-,  Sarrasonsche-,  Ozet-,  elek¬ 
trische  Wechselstrombäder)  erscheint  mir  in  Anbetracht 
der  heute  nur  sicher  gestellten  Wärmeregulierung  der 
Haut  durch  das  temperierte  Wasser  von  dem  Stand¬ 
punkt  wissenschaftlicher  Erörterungen  belanglos.  Hin¬ 
gegen  wird  vorsichtige  Massage,  etwa  in  Form  des 
Zanderns  von  vielen  Kranken  als  sehr  wohltuend  emp¬ 
funden  und  regt  gleich  den  Bädern  die  Zirkulation 
kräftig  an. 

Wenn  man  mir,  m.  H.,  den  Vorwurf  einer  Oligo- 
pragmasie  im  Gegensatz  zu  dem  verwirrenden  Reichtum 
des  heute  gangbaren  Heilmittelschatzes  machen  will,  so 
bin  ich  mit  diesem  wohl  zufrieden,  denn  er  beweist  meine 
Opposition  zu  jener  gedankenlosen  Richtung,  welche 
mit  dem  Blendwerk  neuer  Namen  und  Kombinationen 
ein  frisches,  vielversprechendes  Aufgebot  gegen  die 
hartnäckigen  Feinde  unserer  Gesundheit  vorgaukelt. 

Die  Geisteskrankheiten  des  Rückbildungsalters  und 
des  Seniums  können  fast  in  alle  Formen  sich  kleiden, 
welche  den  Psychosen  des  Mannesalters  eigen  sind.  Wir 
wissen,  dass  sich  Epilepsien  und  Hysterien  erst  im  Senium 
entwickeln,  wir  wissen,  dass  das  periodische,  das  zirku¬ 
läre  Irresein,  der  Ausdruck  „Irresein“  ist  hier  sehr 
unglücklich  gewählt,  und  würde  besser  durch  „patho¬ 
logische  Stimmungsschwankungen“  zu  ersetzen  sein,  — 
zuweilen  im  vorgerückten  Alter  erst  ausbricht,  welches 
gewissermassen  in  seinen  physiologischen  Abweichungen 
den  Boden  einer  gewissen  Disposition  zu  den  krankhaft 
übertriebenen  Exkursionen  der  Stimmungsschwankungen 
abgibt.  Halluzinatorische  Zustände  mit  Wahnbildungen 
oder  solche  ohne  Sinnestäuschungen  sind  in  den  späteren 
Lebensaltern  nichts  Ungewöhnliches.  Hingegen  fehlen 
jene  stabileren,  chronischen  Zustände,  welche  mit  charak¬ 
teristischen  Eigenheiten  die  jugendlichen  Psychosen  zu 


einer  Gesamtheit  hervorheben  und  die  systematisierten 
Wahnideen  der  chronischen  Paranoia.  Wenn  wir  im 
hohen  und  höchsten  Alter  stehende  Paranoiker  in  den 
Anstalten  antreffen,  welche  stets  auffallend  attent  und 
scharfsinnig  sind,  so  stammt  deren  Krankheit  aus  der 
Jugend  oder  dem  Mannesalter  und  ragt  in  das  Geistes¬ 
leben  des  Greises  mit  solcher  Lebhaftigkeit  hinein,  dass 
die  gesamte  Persönlichkeit  von  einem  Tonus  strammer 
Intelligenz  belebt  wird. 

Die  senile  Demenz,  als  „die“  Krankheit  des  Greisen- 
alters  zu  bezeichnen,  halte  ich  für  eine  Gewohnheitslüge 
eines  atavistischen  Schematismus.  Die  Demenz  ist  in 
allen  Lebensaltern  bereits  ein  Defektzustand,  der  Aus¬ 
gang  einer  Krankheit,  nicht  diese  selbst.  Wo  sie  schein¬ 
bar  ohne  das  Zwischenglied  jener  Reaktionen  des  zere¬ 
bralen  Organes,  welche  pathologisch  veränderte,  aber 
noch  auslösbare  Funktionen  bekunden,  zur  klinischen 
Beobachtung  gelangt  (Dementia  senilis  simplex),  da  sind 
die  Symptome  der  zum  Untergang  des  Nervengewebes 
führenden  Krankheit  zu  wenig  für  die  laienhafte  Um¬ 
gebung  palpabel,  weil  nicht  störend  gewesen. 

LIngeachtet  dieses  Polymorphismus  der  in  der  Rück¬ 
bildung  und  im  Senium  auftretenden  Geisteskrankheiten, 
sind  doch  alle  Psychosen  durch  bestimmte  wieder¬ 
kehrende  Züge,  die  wir  aus  der  klinischen  Erfahrung 
als  senile  erkannt  haben,  ausgezeichnet. 

Meine  Darstellung  würde  aus  den  ihr  durch  das 
Thema  gezogenen  Schranken  heraustreten,  wollte  ich 
Ihnen  diese  Kriteria  hier  einzeln  aufführen.  Das  gehört 
in  das  Gebiet  der  Symptomenlehre. 

Worauf  ich  aber  bei  dem  Hinweis  auf  das  Charak¬ 
teristisch-Senile  Gewicht  legen  wollte,  ist  die  Tatsache, 
dass  die  Therapie  der  Geisteskrankheiten  nicht  in  einer 
Wiederholung  der  Therapie  der  Psychosen  der  Jugend 
und  des  Mannesalters  aufgeht,  sondern  dass  auf  die 
senilen  Eigentümlichkeiten  in  der  Therapie  besonders 
Rücksicht  genommen  werden  muss. 

Ich  beginne  mit  der  Dementia  senilis.  Dieser  geht 
ein  Prodromal-  und  Initialstadium  voraus,  wie  dies  bei 
der  Dementia  paralytica  der  Fall  ist.  Nirgends  finde 
ich  dasselbe  so  packend  und  lebenswahr  gezeichnet  als 
von  unserem  noch  unerreichten  Exquiral,  seltsamer  Weise 
von  dem  gründlichen,  umfassenden,  lange  aus  reicher 
eigener  Erfahrung  schöpfenden  Ziehen  fast  ganz 
übersehen. 

Eine  im  Senium  auftretende  Neurasthenie  erhält  da¬ 
durch  einen  ominösen  Anstrich,  dass  sie  ohne  genügende 
Ursache  ausbricht  und  aller  Therapie  trotzt.  Im  übrigen 
muss  auf  den  oben  skizzierten  besonderen  Charakter  der 
prodromalen,  die  progressive  Paralyse  einleitenden  Neur¬ 
asthenie  verwiesen  werden.  In  beiden  Fällen  handelt 
es  sich  um  eine  aus  tiefgreifenden  Hirnrindenprozessen 
hervorgehende  Konstitutionsanamolie  im  Gegensatz  zu 
der  auf  dem  Boden  ererbter  Anlage  sich  entwickelten. 
Ich  möchte  nicht,  wie  von  Krafft  -  Ebing,  das 
differentialdiagnostische  Hauptgewicht  auf  das  Vor¬ 
handensein  oder  Fehlen  der  Krankheitseinsicht  legen, 
dieselbe  fehlt  erst  in  fortgeschritteneren  Stadien  der 
Verblödung,  deren  Anfänge  dem  nicht  fachlich  Ge¬ 
schulten  allerdings  oft  unerkannt  bleiben,  sondern,  wie 
gesagt,  auf  das  subjektiv  und  objektiv  Unmotivierte  der 
über  einen  durchaus  nicht  Nervenschwachen  herein¬ 
brechenden  Nervenzerrüttung  und  auf  die  U nbeeinfluss- 
barkeit  der  sonst  durch  entsprechende  hygienische  Vor¬ 
kehrungen  so  leicht  zu  bessernden  Neurasthenie.  Sym- 
ptomatologisch  wird  die  den  Demenzzuständen  voran¬ 
eilende  Neurasthenie  in  ihrer  gesamten  Erscheinung 
kaum  Bilder  aufwerfen,  die  mit  Wahrscheinlichkeit  auf 
diese  oder  jene  diagnostische  und  prognostische  Fährte 
sicher  zuleiten,  man  wird  vielmehr  einzelne  zu  ver¬ 
wertende  Züge  geradezu  suchen  müssen.  Als  solche 
würden  gelten  transitorisch-psychotische  Zustände,  Bilder 


36 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  4. 


von  vorübergehender  Desorientiertheit,  welche  der  unkom¬ 
plizierten  Nervenschwäche  niemals  eigen  sind.  Die  Exi¬ 
stenz  neurasthenischer  Dämmerzustände  (v.  Krafft- 
Ebing)  muss  ich  in  Abrede  stellen.  Ferner  ist  der 
subjektive  Standpunkt  gegenüber  Gedächtnislücken 
zwischen  dem  genuinen  Neurastheniker  und  dem  Kandi¬ 
daten  einer  senilen  Demenz  ein  zuweilen  grundverschie¬ 
dener.  Ein  kleiner  Gedächtnisdefekt  wird  von  dem  Neur¬ 
astheniker  ungemein  peinlich  empfunden,  es  wird  ihm 
derselbe  zum  Anzeichen  beginnender  schwerer  Er¬ 
krankung,  so  dass  weit  weniger  der  Gedächtnisdefekt 
als  die  Bestürzung  über  ihn  und  Furcht  vor  schwerer 
Erkrankung  als  pathologische  Erscheinung  anmutet.  Die 
gemütliche  Labilität  ist  bis  in  das  explosiv  Kindische 
gesteigert,  urplötzliche,  wild  leidenschaftliche  Ausbrüche, 
welche  einzudämmen  die  Besonnenheit  in  gesunden  Tagen 
vermochte,  wechseln  mit  einem  albernen  rührseligen 
Wesen  und  mit  Weinen  ab.  Differentialdiagnostisch 
wichtig  ist  die  noch  nirgends  gewürdigte  Gedächt¬ 
nisschwäche  für  Affekte,  als  Vorbote 
einer  paralytischen  oder  senilen  Demenz.  Die  Kranken 
vergessen  stark  affektbetonte  Erlebnisse  sehr  schnell, 
während  der  vergesslichste  Neurastheniker  gerade  diese 
nicht  vergessen  kann,  weil  bei  dem  Wiedererwachen  ge¬ 
wisser  Vorstellungen  stets  die  mit  ihnen  verbundenen 
Affekte  abnorm  lebhaft  werden.  Neben  dieser  patho¬ 
logischen  Reizbarkeit  macht  sich  eine,  dem  Fachmann 
unschwer  erkennbare,  Einbusse  des  sonst  zielbewussten 
Strebens  sowie  der  normalen  Willensfestigkeit  bemerk¬ 
bar.  Die  Umgebung  des  Kranken  meldet  kurzum  eine 
Charakterveränderung.  Mit  diesem  sind  nur  einige 
Streiflichter  auf  das  spezifische  Gepräge  der  pro¬ 
dromalen  Neurasthenie  der  senilen  Demenz  geworfen. 
Sie  mögen  hinreichen,  um  die  Einleitung  spezieller,  für 
andere  Formen  der  Neurasthenie  nicht  gebotener  thera¬ 
peutischer  Massnahmen  zu  rechtfertigen. 

Während  ich  in  den  meisten  Fällen  genuiner  Neur¬ 
asthenie  die  Behandlung  dem  Kranken  ohne  besondere 
Bedenken  selbst  in  die  Hand  gebe,  da  die  Störung 
intellektueller  und  gemütlicher  Funktionen  weit  mehr 
subjektiv  empfunden,  als  objektiv  sich  geltend  macht, 
vor  allem  aber  die  Gefahr  unvermuteten  Auftauchens 
psychischer  Alienationen  nicht  besteht,  lege  ich  bei  den 
prodromalen  Neurasthenien  Gewicht  auf  eine  Behand¬ 
lung  unter  steter  ärztlicher  Aufsicht,  sei  es, 
dass  häufige  Besuche  des  Arztes  im  Hause  bei  ge¬ 
nügender  Wachsamkeit  der  Familienmitglieder  die  Be¬ 
dingungen  einer  zuverlässigen  Kontrolle  bieten,  sei  es, 
und  das  wird  wohl  in  den  meisten  Fällen  das  Tun¬ 
lichere  sein,  eine  Anstalt,  die  erforderliche  Garan¬ 
tien  steter  Beobachtung  bietet.  Ich  meine  natürlich 
keine  geschlossene  Anstalt,  sondern  eine  offene, 
jedoch  eine  solche,  deren  Einrichtungen 
den  in  Geisteskrankheit  ausbrechen¬ 
den  Kranken  zu  beherbergen  ge¬ 
statten,  und  ihn  nicht,  wie  dies  gar  nicht  so 
selten  vorkommt,  einfach  an  die  Luft  setzen,  weil  die 
Statuten  des  Sanatoriums  die  Aufnahme  Geisteskranker 
ausschliessen.  Vorbedingung  für  das  Gelingen  einer 
Kur  ist,  dass  der  Kranke  freiwillig  oder  durch  Gründe 
überzeugt,  die  Anstalt  aufsucht  und  die  Ent¬ 
fernung  aus  der  Familie  gut  verträgt. 

Es  ist  durchaus  keine  als  Liickenbüsser  dienende 
Phrase  gewesen,  wenn  ich  an  das  Kopfende  meiner  für 
den  praktischen  Arzt  bestimmten  Ratschläge  bei  der 
Behandlung  von  Geisteskrankheiten  die  persön¬ 
liche  Eignung  des  Irrenarztes  als  das 
A  und  O  der  ganzen  Therapie  gewürdigt  und  ideal¬ 
altruistische  \  eranlagung  sowie  Bildung  und  praktische 
Menschenkenntnis  als  die  bei  Anstellungen  allerdings 
kaum  je  in  Betracht  gezogenen,  aber  in  Wahrheit  un¬ 
erlässlichsten  Postulate  aufgestellt  habe.  Die  aus¬ 


gesprochenen  Wahrheiten  waren  trivial  genug  und  lagen 
so  offen  am  Tage,  dass  sie  sich  selbst  bewiesen.  Wo 
sich  getroffene  Empfindlichkeit  regte,  und  leider  geschah 
dies  auf  gar  mancher  Seite,  da  sah  ich  die  Not¬ 
wendigkeit  und  Schärfe  meiner  Kritik 
vollauf  gerechtfei tigt. 

M.  H.!  Was  mit  dem  prodromalen  Neurastheniker 
zu  geschehen  habe,  das  ist  so  recht  ein  Problem  des 
denkenden,  des  ethischen  Irrenarztes.  Sein  Taktgefühl 
muss  ihn  davor  bewahren,  den  Kranken  merken  zu 
lassen,  dass  er  das  Schlimmste  befürchte,  und  doch 
darf  er  in  den  empfohlenen  Massnahmen  nichts  ausser 
acht  lassen,  was  nicht  die  Möglichkeit  einer  plötzlich 
hervorbrechenden  Psychose  im  Auge  hätte. 

Sie  werden  mich  bei  meinen  Verordnungen  der 
Monotonie  zeihen,  wenn  Sie  hören,  dass  ich  Ihnen  gegen 
das  quälendste  Symptom  der  prodromalen  Neurasthenie 
die  Agrypnie  bei  Nacht  das  Parald  ehyd  wieder 
empfehle.  Ich  kenne  keinen  Ersatz  für  dasselbe.  Je 
mehr  sich  meine  Erfahrungen  mit  diesem  Medikament 
ausbreiten,  um  so  fester  wird  mein  Glaube  an  seine 
unumschränkte  Anwendbarkeit,  während  wir  bei 
allen  anderen  Hypnoticis  gelegentlichen  Überraschungen 
ausgesetzt  sind.  Man  ordiniere  von  4  Gramm  aufwärts. 
Bei  späteren  Stadien  der  Arteriosklerose  hat  es  über¬ 
dies  den  Vorteil,  dass  es  die  Herztätigkeit  in  keiner 
Weise  alteriert.  Man  lasse  den  Schlaftrunk  nie  auf 
nüchternen  Magen  nehmen,  weil  sonst  leicht  heftiges 
Aufstossen,  ja  selbst  Erbrechen  die  Folge  sein  kann. 
Man  kombiniere  das  Paraldehyd  stets  mit  einem  sehr 
kräftigen  Corrigens,  welches  den  Übeln  Geruch  zu  ver¬ 
decken  geeignet  ist  (grössere  Mengen  von  Syrupus 
corticis  aurantii,  Syrupus  Rubi  Idaei,  ein  Wein  mit 
starkem  Aroma).  Starker  Meteorismus  infolge  unver¬ 
dauter  Ingesta  kann  zwar  nach  schnellem  Einschlafen 
stundenlanges  Wachliegen  bewirken,  dann  tritt  aber  der 
Schlaf  wieder  ein  und  kann  die  normale  Dauer  weit 
überschreiten.  Nach  dem  Erwachen  erfreut  sich  der 
Kranke  eines  Gefühls  der  Frische,  des  Gestähltseins,  er 
wird  euphorisch,  die  gesteigerte  Blutzufuhr  zum  Kopf 
infolge  starker  Arteriendilatationen  macht  sich  durch 
Rötung  des  Antlitzes  sichtbar,  durch  das  Gefühl  von 
Hitze  und  leichten  Schwindel  subjektiv  wahrnehmbar. 

Das  einverleibte  Paraldehyd  bleibt  zweifellos  einige 
Zeit,  mindestens  einen  Tag  im  Körper,  z.  T.  zweifellos 
im  Magen  zurück,  da  sich  nach  der  Nahrungsaufnahme 
auch  am  nächsten  Tage  sehr  bald  Ermüdung  und  ein 
sehr  kategorisches  Schlafbedürfnis  einstellt.  Benommen¬ 
heit  des  Kopfes  oder  Kopfschmerzen  belästigen  den 
Kranken  am  Tage  nach  der  Einnahme  des  Medikamentes 
zumeist  nicht,  nervöse  Leute  werden  darnach  auffallend 
ruhig,  hingegen  lässt  die  für  geistige  Arbeit  notwendige 
Anspannung  der  Hirnfunktionen  bald  nach. 

Sicher  beeinträchtigen  grössere  Paraldehyddosen  die 
Verdauungstätigkeit  des  Magens  am  zweiten  Tage,  ja 
es  kann  direkt  zu  Magenschmerzen  kommen.  Ich  habe 
Magenbeschwerden  ähnlicher  Art  auch  nach  Bromural 
nachweisen  können,  ohne  dass  die  prompte  Herbei¬ 
führung  des  Schlafes  wie  durch  das  Paraldehyd  gelungen 
wäre.  Der  üble  Geruch,  welchen  der  Atem  des  Kranken 
am  folgenden  Tage  verbreitet,  ist  von  mir  wiederholt 
hier  als  Mangel  dieses  sonst  vorzüglichsten  und  unge¬ 
fährlichsten  Schlafmittels  geklagt  worden.  Da  sich  aber 
der  prodromale  Neurastheniker  meistenteils  ohnehin  in 
einer  Anstalt  befindet,  ist  eine  Geruchsbelästigung  wenig 
rücksichtsvoller  Umgebung  nicht  zu  befürchten.  Von 
psychiatrischer  Seite  wird  eine  Kombination  des  Paral¬ 
dehyd  mit  einem  lauwarmen  Bad  am  Abend  empfohlen. 

Dem  notwendigen  Erfordernis  der  Beruhigung  des 
Nervensystems  wird  durch  die  Abgeschlossenheit  der 
Anstalt  gewährleistet.  Man  halte  den  Kranken  nicht 
im  Bett,  versuche  keine  Mastkur,  sondern 


Nr.  4 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


37 


lasse  ihn  sich  möglichst  viel  im  Freien  aufhalten  und 
suche  ihn  zu  regelmässigen,  allerdings  nicht  zu  langen 
Spaziergängen  zu  bewegen.  Die  Kost  sei  nahrhaft,  im 
allgemeinen  der  Gewohnheit  des  Kranken  entsprechend, 
jedoch  nicht  zu  eiweissreich.  Auch  beschränke 
man  die  Flüssigkeitszufuhr  zum  Körper. 

Natürlich  wird  man  bei  schwereren  arteriosklero¬ 
tischen  Veränderungen  des  Herzens  und  der  Gefässe 
die  genannten  Medikationen  mit  den  bekannten  Cardi- 
acis  kombinieren. 

Eine  spezilische  Bäderbehandlung,  wie  von  S  trü¬ 
be  11  empfohlene  elektrische  Wechselstrombäder  würde 
ich  nur  dann  versuchen,  wenn  andauernde  Spasmen 
kleinster  Arterien,  kalte  Hände  und  Füsse  den  Kranken 
unausgesetzt  belästigen,  geregelte  Bewegung,  warme 
Wohnräume  und  Betten  keinen  Erfolg  haben  und  der 
Kranke  sich  selbst  von  hydrotherapeutischen  Mass¬ 
nahmen  etwas  verspricht. 

Dabei  gehört  es  zu  den  wichtigsten  Pflichten  des 
Arztes,  der  Psyche  des  Kranken  unausgesetzte  Auf¬ 
merksamkeit  zu  schenken.  Sobald  zweifellos  psycho¬ 
pathische  Symptome,  wenn  auch  nur  sporadisch  und 
ganz  vereinzelt  bemerkbar  werden,  ist  eine  Überführung 
in  eine  geschlossene  Anstalt  geboten.  Der 
Wechsel  einer  offenen  Anstalt  mit  einer  geschlossenen 
ist  immer  leichter  als  eine  Verbringung  des  Kranken 
aus  seiner  Häuslichkeit  direkt  in  die  geschlossene  Anstalt. 

Das  Initialstadium  der  Dementia  senilis  hat  wie  das 
der  Dementia  paralytica  und  zwar  viel  häufiger  als  das 
erstere  einen  ausgesprochen  manikalischen 
Charakter.  Die  Manie  erreicht  selten  die  Grade  der 
Tobsucht,  welche  schon  das  Laienauge  als  Geistes¬ 

störung  anspricht.  Sie  macht  sich  vor  allem  sozial  auf¬ 
fällig.  Der  Kranke  wird  unruhig,  erregt,  reizbar,  gerät 
in  Konflikte.  Er  schläft  wenig,  fühlt  sich  jedoch  nach 
durchwachter  Nacht  nicht  ermattet.  Er  täuscht  sich 

über  seine  Jahre  hinweg  und  sieht  sich  im  kräftigsten 
Mannesalter  und  in  der  Jugend.  Eine  abnorm 
gesteigerte  Sexualität  tritt  in  den 
Vordergrund.  Da  wir  in  dem  Wesen  der  Demenz 

einen  Defekt  der  Gefühle  erblicken,  da  die  feineren 

Hemmungen  erfahrungsgemäss  zuerst  verschwinden,  ist 
es  verständlich,  dass  die  hervorbrechenden  Triebe  das 
Individuum  willenlos  beherrschen.  Der  Kranke  wird  so 
unvermeidlich  kriminell.  (Fortsetzung  folgt.) 


Neuer  Anhaltspunkt  zur  Bestimmung  der  Herz 
grenzen,  weiterer  Beitrag  zur  Herzschwäche, 
ihrer  Behandlung  und  ihrer  Bedeutung  für 
den  Herzschlag. 

W.  P 1  ö  n  i  e  s,  Hannover. 

Wendet  man  zur  Bestimmung  der  Herzgrenzen  die 
bereits  bekannte  Gleitpalpation  an,  deren  Genauigkeit 
des  Resultats  ich  nur  rühmend  bestätigen  muss,  so  wird 
fast  immer,  mindestens  in  99  %>  eine  unangenehme  bren¬ 
nende,  selbst  schmerzhafte  Empfindung  beim  Untersuchten 
ausgelöst,  sobald  man  den  Herzrand  erreicht,  sodass  uns 
derselbe  genau  die  Herzgrenze  angeben  kann.  Bedin¬ 
gung  ist,  dass  er  seine  volle  Aufmerksamkeit,  am  besten 
mit  geschlossenen  Augen,  um  seine  Angabe  nicht  zu 
beeinflussen,  auf  diese  auszulösende  Empfindung  richtet. 
Die  Gleitpalpation  macht  man  am  besten  mit  dem  Zeige¬ 
finger,  selbstredend  im  Bereiche  der  Interkostalräume, 
indem  man  ausserhalb  der  zu  erwartenden  Herzgrenze 
aufsetzt  und  unter  g  i  e  i  c  h  m  ä  s  s  i  g  e  m,  mässigen 
Druck  nach  dem  Herzen  zu  streicht.  Zweckmässig  ist 
es  aber,  mit  der  andern  Hand  durch  mässigen  Druck 
die  Haut  vor  Verschiebung  zu  schützen.  Der  Unter¬ 
sucher  selbst  hat,  sobald  er  die  Herzgrenze  erreicht, 
das  Gefühl  eines  Hindernisses,  als  sollte  der  Finger 


über  eine  Erhöhung  mit  stärkerer  Konsistenz  gehen. 
Bei  normalen  Ilerzgrenzen,  bei  denen  der  rechte  Ilerz- 
rand  stets  der  Mittelinie  entspricht,  kann  man  selbst¬ 
redend  nur  den  linken  und  linken  oberen  Herzrand  in 
dieser  Weise  bestimmen,  denn  auch  das  nicht  erweiterte 
Herz  reagiert  mit  dieser  Empfindung  beim  Untersuchten. 
Der  rechte  Sternalrand  reagiert  auf  Druck  bei  der  Gleit¬ 
palpation  mit  ähnlichen  Empfindungen,  und  daher  geben 
uns  die  relativ  seltenen  Fälle,  in  denen  rechter  Herz¬ 
rand  und  Sternalrand  zufällig  einmal  zusammenfallen, 
die  Herzerweiterung  damit  ganz  geringfügig  ist,  keine 
Klarheit  in  der  Grenzbestimmung  mit  dieser  Methode. 
Da  man  nicht  genug  Beweise  für  die  Genauigkeit 
der  Grenzbestimmung  des  Herzens  haben  kann,  so  wende 
ich  bei  meinen  Untersuchungen  immer  zuerst  die  Stäb¬ 
chenperkussion  mit  ihren  nie  trüglichen  Resultaten,  dann 
die  Grenzbestimmung  mit  dem  Bazzi-Bianchi’schen  Pho¬ 
nendoskop,  dann  meine  bereits  veröffentlichte  Methode 
der  Auskultophonation  und  erst  zuletzt  die  Gleitpalpa¬ 
tion  an,  um  auch  dem  Kranken  ausser  dem  hörbaren 
Beweise  der  Auskultophonation  noch  einen  fühlbaren, 
weit  mehr  imponierenden  Beweis  zu  geben.  Bei  ein¬ 
mal  fehlendem  Nachweise  dieses  Symptoms  der  brennen¬ 
den  Empfindung  versäume  man  nicht,  in  aufrechter 
Stellung  nochmalige  Prüfung  vorzunehmen,  wo  es  dann 
deutlich  auftritt,  da  das  Herz  der  Brustwand  mehr  an- 

liegL 

Auf  die  Wichtigkeit  des  Erkennens  der  Herzerweite¬ 
rung  für  die  Diagnose  gastrogener  Gärungs-  und  Zerset¬ 
zungsprozesse,  für  die  Herzfehler,  für  die  kausale  Behand¬ 
lung  des  Asthmas,  für  die  mehr  oder  weniger  bedenklichen 
Zustände  der  Herzschwäche,  die  bedenklich  bei  interkur¬ 
renten,  fieberhaften  Krankheiten,  besonders  Infektions¬ 
krankheiten  ist  und  ihren  Ausgang  —  ob  Tod  oder 
Genesung  —  wesentlich  mit  beeinflusst,  habe  ich  be¬ 
reits  an  anderen  Stellen  genügend  hingewiesen.  Und 
doch  wird  die  Herzerweiterung  nach  vorliegenden 
langjährigen  Erfahrungen  mindestens  in  90  "/o,  auch 
von  Autoritäten  übersehen!  Wegen  der  enormen 
Wichtigkeit  der  Herzerweiterung  für  Krankheitsbild 
und  kausale  Therapie  beginne  ich  in  jedem  Falle 
mit  der  peinlichen  Untersuchung  des  Herzens.  Seine  Er¬ 
weiterung  gibt  mir  sofort  die  wichtigsten  Schlüsse  für 
die  weiter  zu  erwartenden  Resultate  der  Unter¬ 
suchung  wegen  der  Gesetzmässigkeit  des  Verhaltens 
zwischen  Herzerweiterung  und  Magenerweiterung  und 
ihrer  Ursache,  der  gastrogenen  Gärungen  und  Zersetzun¬ 
gen  und  gibt  mir  ferner  bei  der  Abhängigkeit  der  funk¬ 
tionellen  Störungen  des  Zentralnervensystems  von  den 
gastrogenen  genannten  Prozessen  sofort  auch  einen  tiefen 
Einblick  in  die  zu  erwartenden  zerebralen  Stö¬ 
rungen. 

Die  Herzerweiterung  bedingt  fast  immer  Herz¬ 
schwäche.  Die  Fälle  machen  eben  eine  Ausnahme, 
in  denen  Herzerweiterung  nicht  erheblich  ist  und  gleich¬ 
zeitig  Arteriosklerose,  Schrumpfniere,  übertriebener  Sport 
oder  schweres  Arbeiten  u.  a.  Herzschwäche  noch  nicht 
aufkommen  Hessen.  Es  gibt  aber  auch  eine  Herzschwäche 
bei  normalen  Herzgrenzen,  die  sogar  recht  erheb¬ 
liche  Grade,  8-9  Teilstriche  des  Sahli’schen  Mano¬ 
meters  (statt  14 — 15  bei  Frauen,  15 — 16  bei  Männern) 
erreichen  kann.  Ich  wende  mich  —  bewusst  der  grossen 
Wichtigkeit  für  die  kausale  Behandlung  der  Herz¬ 
schwäche  —  seit  vielen  Jahren  der  Ergründung  der 
U  r  s  a  c  h  e  n  dieser  Flerzschwäche  zu.  Ich  fand  diese 
Herzschwäche  neben  normalen  Herzgrenzen  vor  allem 
bei  Magenläsionen  und  Läsionen  des  Duodenums,  die 
nicht  von  gastrogenen  Gärungen  und  Zersetzungen  be¬ 
gleitet  waren.  Unterernährung,  Blutarmut  oder  starke 
Verminderung  der  Muskelleistungen  mit  ihrer  physiolo¬ 
gischen  Rückwirkung  auf  den  Herzmuskel  können  es 
allein  nicht  sein  und  zwar  deshalb,  weil  diese  Herz- 


38 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  4. 


schwäche  schon  nach  8  Tagen  der  Behandlung  von 
selbst  mehr  oder  weniger  völlig  verschwand,  wenn 
die  richtige,  die  Läsionen  nicht  verletzende  reizende 
Diät  und  völlige,  strikte  durchgeführte  Ruhe  befolgt 
waren.  Es  sind  dies  zwei  Faktoren,  die  physiologisch 
eher  eine  Herabsetzung  der  Herzkraft  herbeiführen 
sollten.  Das  Körpergewicht  hatte  in  den  meisten  Fällen 
sich  nicht  verändert,  vorhandene  Blutarmut  war  selbst¬ 
redend  sichtlich  noch  nicht  gebessert.  Die  Kotunter¬ 
suchung  gab  hier  den  Aufschluss.  In  allen  diesen 
Fällen  war  die  Blutreaktion  des  Kots  äusserst  stark, 
mindestens  stark  positiv  vor  Einleitung  der  Behandlung, 
um  bei  der  zweiten  Untersuchung  erheblich  geringer 
oder  ganz  verschwunden  zu  sein.  Es  ist  also  die  Ursache 
der  Herzschwäche  hier  die  latente  Blutung  aus  den 
Magenläsionen,  aus  den  sehr  häufig  gleichzeitig  beste¬ 
henden  Läsionen  des  Duodenums,  während  die  Läsionen 
des  Dickdarms  bei  dem  Fehlen  ihrer  Ursache,  der 
gastrogenen  Gärungen  und  Zersetzungen,  wenig  hier  in 
Betracht  kommen,  wenn  sie  nicht  gerade  aus  früher 
bestandenen  Gärungen  und  Zersetzungen  als  Residuen 
infolge  ungeeigneter  Diät  noch  vorhanden  sind.  Diese 
latenten  Blutungen  erklären  uns  die  Anämie,  die  in 
der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  nach  dreissigjährigen 
Erfahrungen  nur  sekundär  ist,  was  wieder  äusserst 
wichtig  für  ihre  allein  erfolgreiche  kausale  Therapie  ist. 
Sie  erklären  uns  die  Abmagerung  trotz  dem  Fehlen 
von  gastrogenen  Gärungen  und  Zersetzungen,  trotz 
unverändertem  guten  Appetit,  damit  unveränderter 
Nahrungszufuhr.  Bei  vorhandenen  Gärungen  und  Zer¬ 
setzungen  im  Magendarmkanal  wirken  natürlich  auch 
diese  Prozesse  neben  den  latenten  Blutungen  zur  Stei¬ 
gerung  der  sekundären  Anämie,  der  Unterernährung 
mit.  Die  dann  gleichzeitig  vorhandene  Herzerweiterung 
erhöht  als  weiterer  bedeutender  Faktor  die  Herzschwäche, 
auf  die  selbstredend  als  Circulus  vitiosus  sekundäre 
Anämie  und  Unterernährung  noch  eiuwirken  müssen. 
Hinsichtlich  der  Wertigkeit  der  einzelnen  Faktoren  bei 
der  Auslösung  der  Herzschwäche  dürften  die  latenten 
Blutverluste  nach  vorliegenden  langjährigen  Erfahrungen 
die  grösste  kausale  Wichtigkeit  beanspruchen.  Bei 
der  enormen  Bedeutung  der  Bekämpfung  der  Herz¬ 
schwäche  für  das  Leben,  bei  der  Wichtigkeit  ihrer  Besei¬ 
tigung  besonders  bei  gleichzeitigen  Herzfehlern  halte 
ich  gerade  wegen  der  enormen  Häufigkeit  der  Magen-, 
Duod  enumläsionen  es  in  allen  Fällen  von  Herzschwäche 
geboten,  eine  Kotuntersuchung  vorzunehmen,  um  die 
Ursache  der  Herzschwäche  zu  ergründen  und  die 


kausale  Therapie  mit  ihren  Dauererfolg  en 
danach  einzurichten. 

Die  Bekämpfung  der  Herzschwäche  mit  Herzmitteln, 
von  denen  Kampfer,  Koffein  die  wichtigsten  sind,  bleibt 
stets  gerechtfertigt  im  Falle  der  Not,  um  augenblicklich 
die  Herzkraft  zu  heben,  einer  Katastrophe  vorzubeugen, 
nicht  aber  ihre  dauernde  Anwendung  für  die  weitere 
Behandlung,  wo  immer  die  allein  berechtigte  kausale 
Therapie  einzusetzen,  die  symptomatische  Behandlung 
aber  mit  ihren  Augenblickserfolgen  auszuscheiden  hat. 
So  hatte  ich  noch  vor  6  Wochen  den  Fall  einer  drohen¬ 
den  Plerzlähmung  bei  einem  22  Jahre  alten  Fräulein  K., 
die  ich  bewusstlos,  pulslos  mit  kaum  hörbaren,  irregulä¬ 
ren  Herztönen,  dazu  noch  in  sitzender  Stellung  (!)  gestützt 
von  der  ratlosen  Umgebung  antraf.  Sofort  flache  Lage 
des  Körpers,  Brust-Herzmassage  bis  zum  Wiedereintritt 
der  bereits  erloschenen  Atmung,  dann  erst  2  Kampfer¬ 
einspritzungen.  Die  Untersuchung  des  Körpers  später 
ergab  relativ  geringe  Herzerweiterung  (RD  =  4, 1  D  =  8  cm), 
latente  Läsionen  des  Magens,  Duodenums,  die  wie  die 
Blutarmut,  wegen  der  sie  vergeblich  behandelt  worden 
war,  nach  dem  Bestände  der  Symptome  nach  zu  urteilen 
bis  in  die  .Schulzeit  zurückreichten,  sowie  Colitis  ulcerosa. 
Die  Untersuchung  des  Kots  am  nächsten  Tage  ergab 
hochgradigst  positive  Blutreaktion,  die  Herzkraft  betrug 
7  —  8  Teilstriche  des  Sahli’schen  Manometers.  Die  Pa¬ 
tientin  geht  ihrer  völligen  Genesung  entgegen.  Die 
schweren  Erscheinungen  der  drohenden  Herzlähmung 
waren  —  wohl  zufällig  —  bei  einer  oft  schon  ausgeführten 
Nasenspülung  aufgetreten,  die  ein  Nasenspezialist  we¬ 
gen  gleichzeitigen  chronischen  Nasenleidens  verordnen 
musste. 

Die  vielen  Opfer  des  Herzschlags,  die  namentlich 
bei  beginnender  Badesaison,  anderen  sportlichen  oder 
beruflichen  Anstrengungen  u.  a.  beobachtet  werden, 
sind  wahrscheinlichst  solche  Fälle  mit  oft  ganz  latenter, 
schon  lange  bestandener  Herzschwäche,  denen  in  der 
überwältigenden  Mehrzahl  latente  Läsionen  des  Magen¬ 
darmkanals,  meist  noch  mit  Gärungen  und  Zersetzungen 
kompliziert,  zu  Grunde  liegen  dürften.  Ein  sehr  verdienter 
Architekt  W.,  bei  dem  ich  starke  Herzerweiterung  und 
Herzschwäche,  Magenläsion  und  sekundäre  Anämie  neben 
sekundären  zerebralen  Störungen  funktionellen  Charakters 
festgestellt  hatte,  fiel  am  nächsten  Tage  in  einem  Sana¬ 
torium  bei  Dresden,  in  das  er  ohne  mein  Wissen  ge¬ 
gangen  war,  unter  einer  kalten  Dusche  einem  Herzschlag 
zum  Opfer. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Akute  gelbe  Leberatrophie  bei  Syphilis. 

Ein  weiterer  Beitrag.  Von  Dr.  B  e  n  d  i  g 
Ausführlicher  Bericht  über  einen  Fall  von  akuter 
gelber  Leberatrophie  mit  Sektionsbefund  nebst  allge¬ 
meinen  Betrachtungen:  Es  steht  allgemein  fest,  dass 
Syphilis  allein  die  Ursache  sein  kann.  Ob  jedoch  nicht 
noch  andere  Momente  zu  berücksichtigen  sind  —  handelt 
es  sich  doch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  um  Schwangere, 
deren  Körperzellen  vielleicht  nicht  genügende  Wider¬ 
standskraft  gegen  Schädigungen  haben  und  deshalb  so¬ 
wohl  durch  die  Lues  als  auch  durch  das  Quecksilber 
und  die  im  Salvarsan  enthaltene,  die  Maximaldosis  bei 
weitem  überschreitende  Arsenmenge  in  Mitleidenschaft 
gezogen  werden  könnten  — ,  diese  Gedanken  werden 
zur  Erwägung  gestellt,  zumal  anscheinend  nach  Ein¬ 


führung  des  Salvarsans  solche  Fälle  häufiger  zur  Beob¬ 
achtung  gekommen  sind.  (M.  m.  Wschr.  Nr.  34,  1915.) 

Autoreferat. 


Ueber  Tierblutkohle  und  insbesondere  ihre 
Verwendung  bei  Typhus  abdominalis 
und  Paratyphus. 

Von  Assistenzarzt  Dr  C  o  m  o. 

(Aus  dem  Baracken- Lazarett  Zellerrasen  Wiirzburg). 

Schon  seit  über  einem  halben  Jahr  arbeitet  der  Ver¬ 
fasser  mit  der  Tierblutkohle  von  B  o  p  p,  chemische 
Fabrik  Frei- Weinheim  a.  Rh. 

Mit  dem  Präparat  wurden  behandelt  Typhus  abdo¬ 
minalis,  Paratyphus,  Dysenterie,  zwei  Endemien  von 


Nr.  4. 


39 


FORTSCHRITTE 


Fleisch-  und  Wurstvergiftungen,  Darmkatarrhe,  akuter 
und  chronischer  Natur.  Der  Effekt  war  bei  allen  be¬ 
handelten  Fällen  ein  gleich  vorzüglicher. 

Die  Wirkungsweise  der  Tierblutkohle  auf  die  Durch¬ 
fälle  ist  eine  fast  momentane.  Ihre  Anzahl  ist  zunächst 
in  den  ersten  10  -  12  Stunden  nach  Verabreichung  nicht 
selten  vermehrt,  ihre  Konsistenz  aber  bereits  breiig.  Der 
Geruch  der  Stühle  speziell  bei  Dysenterie  ist  sehr  ge¬ 
ring.  Bei  Typhus  und  Paratyphus  und  Ruhr  stellen  sich 
längstens  in  2  —  5  Tagen  geformte  Stühle  ein. 

Nebenher  geht  eine  ausserordentliche  Besserung  des 
Allgemeinbefindens.  Die  schmerzhaften  Sensationen  im 
Leib,  Kolikschmerzen,  Kollern  und  Tenesmen  verschwin¬ 
den,  die  Patienten  werden  frischer  und  lebhafter  und 
meist  gehen  auch  die  Temperaturen  herunter.  Durch¬ 
weg  nach  4  —  6  Wochen,  vom  ersten  Behandlungstage 
an  gerechnet,  sind  die  Typhen  und  Paratyphen  bazil¬ 
lenfrei. 

Nicht  unerwähnt  bleiben  soll  noch  folgendes  schein¬ 
bar  nebensächliches  Moment,  das  aber  unter  besonderen 
Verhältnissen,  z.  B.  in  Seuchenlazaretten  hinter  der  Front 
mit  starker  Belegung  doch  grosse  Bedeutung  erlangt. 
Die  Tierblutkohle-Stühle  sind  tiefschwarz;  es  dürften' 
daher  selbst  die  geringsten  Verunreinigungen  des  Pa¬ 
tienten,  der  Bett-  und  Leibwäsche  und  der  Umgebung 


DER  MEDIZIN. 


kaum  übersehen  werden  können.  Warte-  und  Pflege¬ 
personal  werden  hierdurch  leichter  kontrolliert,  Desin¬ 
fektionsmassnahmen  erleichtert  und  die  Gefahr  der  Über¬ 
tragung  vermindert. 

Bei  Wurst-  und  b  leischvergittung  bewährt  sich  die 
Blutkohle  durch  ihre  stark  giftabsorbierende  Wirkung 
ganz  besonders.  Bei  keinem  von  den  beobachteten 
zwanzig  Fällen  waren  Anzeigen  von  Botulismus  ein¬ 
getreten.  Die  Durchfälle  standen  auch  hier  in  über¬ 
raschend  kurzer  Zeit. 

Bei  den  akuten  und  chronischen  Darmkatarrhen  war 
oft  schon  nach  10—12  Stunden  fester  Stuhl  erzielt. 

Die  gewöhnliche  Einzeldosis  beträgt  80  gr  in  300  gr 
Wasser;  bei  schweren  Fällen  werden  2  mal  80  gr  in 
300 — 500  gr  Wasser  auf  einmal  genommen,  tagsüber 
noch  eine  weitere  Dosis  von  80  gr  in  300  gr  Wasser 
schluckweise.  Nüchtern  genommen,  scheint  die  Wir¬ 
kung  rascher  einzutreten.  Die  warmen  Aufschwemmun¬ 
gen  werden  umgleich  wohltuender  empfunden  als  die 
kalten. 

Von  prinzipieller  Bedeutung  ist  die  Forderung,  dass 
in  allen  bällen  die  1  ierblutkohle  selbst  wenn  bereits 
fester  Stuhl  wieder  eingetreten  ist,  auch  dann  noch  für 
3-5  Tage  weiter  gegeben  werden  muss.  (M.  m. 
V  sehr.  34,  1915.)  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

J  o  1  1  y  ,  Menstruation  und  Psychose.  (Archiv  für 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Band  55,  Heft  3,  1915.) 

Die  eingehende  Arbeit  stützt  sich  auf  nahezu  100  Stellen 
in  der  Literatur  und  auf  eigene  Beobachtungen,  entstammend 
der  Antonschen  Klinik  zu  Halle  a  S.  Nach  einleitender  Be¬ 
sprechung  teilt  Verfasser  sein  Thema  in  2  Teile;  zunächst  be¬ 
handelt  er  den  Einfluss  der  Menses  auf  Entstehung  und  Ver¬ 
lauf  der  Psychosen.  J.  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  man  von 
der  früher  üblichen  Überschätzung  der  Menstruation  und  ihrer 
Störungen  als  Ursache  von  Psychosen  allmählich  mehr  und 
mehr  zurückgekommen  ist  und  dass  die  zu  dem  Menstruations¬ 
vorgang  deutliche  Beziehungen  zeigenden  Geistesstörungen  ver¬ 
hältnismässig  selten  sind  Diese  seltenen  Fälle  werden  von 
ihm  gruppiert  in: 

1.  Fälle,  in  denen  die  Psychose  vor  Eintritt  der  ersten 
Menses  auf  trat,  einen  an  4  wöchentliche  Termine  gebundenen 
Verlauf  zeigte  und  mit  Eintritt  der  ersten  Menses  meist  zur 
Heilung  kam. 

2.  Fälle,  in  denen  die  Psychose  in  Zusammenhang  mit 
den  ersten  Menses  auftritt. 

3.  Fälle,  in  denen  die  Psychose  im  Zusammenhang  mit 
!  späteren  Menses  auftritt  und  bei  mehrmaligem  Auftreten  einen 

menstruellen  Typus  zeigt 

4.  In  der  Menopause  auftretende  Fälle. 

5.  Die  sogenannte  epochale  Menstruationspsychose. 

In  der  Zusammenfassung  dieses  ersten  Kapitels  stellte  Ver¬ 
fasser  eine  Anzahl  von  Thesen  auf,  von  denen  mir  die  wichtigste 
scheint:  „Eine  eigene  Menstruationspsychose  als  klinische  Ein¬ 
heit  gibt  es  nicht,  ebensowenig  wie  eine  eigene  Graviditäts-, 
Puerperal-  oder  Laktationspsychose.  Es  gibt  aber  Fälle,  die 
eigenartige  Beziehungen  zur  Menstruation  darbieten,  indem  sie 
in  ursächfichera  Zusammenhang  mit  der  Menstruation  und  zwar 
meist  prämenstruell  auftreten.“ 

Der  zweite  Teil  der  Arbeit  ist  überschrieben  :  ,, Einfluss  der 
Psychose  auf  die  Menstruation.“  Hier  dürfte  den  Leser  fast 
ausschliesslich  die  Zusammenfassung  interessieren,  aus  der  ich 
die  mir  am  wichtigsten  scheinenden  Sätze  in  folgendem  zitiere: 
„Ein  mindestens  zweimaliges  Ausbleiben  der  Menses  fand  sich 
besonders  bei  akuten  bezw.  akut  beginnenden  Psychosen,  kam 
aber  auch  im  Beginn  und  späteren  Verlauf  chronischer  Psychosen 


vor.“  „Wenn  auch  in  prognostischer  Beziehung  die  alte  Er¬ 
fahrung  bestätigt  werden  kann,  dass  im  allgemeinen  Wieder¬ 
eintritt  der  Menses  mit  gleichzeitiger  psychischer  Besserung 
günstig  ist,  dagegen  ohne  Besserung  einen  ungünstigen  Aus¬ 
gang  befürchten  lässt,  muss  man  im  einzelnen  Fall  doch  vor¬ 
sichtig  sein,  da  die  Menses  sich  sehr  verschieden  verhalten 
können,  z.  B.  der  Wiedereintritt  der  Menses  der  Besserung  um 
Monate  vorausgehen  kann.“  „Bemerkenswert  ist,  dass  das 
Symptom  der  Amenorrhoe  nicht  nur  bei  solchen  Psychosen  be¬ 
obachtet  wird,  die  wie  Paralyse  auf  einer  schweren  Vergiftung 
des  Körpers  beruhen,  oder  wie  die  katatonen  und  hebephrenen 
Geistesstörungen  mit  Störungen  der  inneren  Sekretion  im  Zu¬ 
sammenhang  stehen,  oder  wie  Amentia  meist  auf  eingreifende 
Stoffwechselstörungen  zurückzuführeu  sind,  sondern  auch  bei 
Manie  und  Melancholie,  die  doch  als  rein  funktionelle  Psychosen 
betrachtet  zu  werden  pflegen.“  Mit  Recht  nimmt  Verfasser 
mehrfach  auf  die  A  b  der  h  aide  n  sehen  Entdeckungen  Bezug 
und  spricht  zum  Schluss  die  Hoffnung  aus,  dass  uns  spätere 
Untersuchungen  der  inneren  Drüsensekretion  einmal 
darüber  Aufschluss  geben  werden, 

Wern.  H.  Becker,  Herborn. 

H  e  b  o  1  d  ,  Der  Tod  infolge  epileptischen  Anfalls.  (Archiv 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Band  55,  Heft  3,  1915.) 

Der  Verfasser  gibt  aus  seiner  ihm  als  Direktor  unterstellten 
Anstalt  29  Fälle  wieder,  mit  Auszug  aus  der  Krankengeschichte 
und,  was  als  gleich  wichtig  zu  erachten  ist,  mit  Leichenbefund. 
Er  unterscheidet,  den  Tod  im  epileptischen  Zustand  und  im 
Status  epilepticus  von  vorneherein  aus  seinem  Thema  ausschaltend, 
Fälle,  wo  der  Kranke  durch  die  Lage  auf  dem  Gesicht  im 
Bett  erstickt;  dann  Fälle,  in  denen  der  Epileptiker  in  der 
Rückenlage  im  Anfälle  von  dem  Erstickungstode  ereilt  wird; 
auch  der  Komplikation  durch  Aspiration  von  Speisen  wild  dabei 
gedacht.  Dann  kommen  die  Fälle,  in  denen  der  Tod  die 
Patienten  bei  ihrer  Beschäftigung,  bei  den  täglichen  Verrich¬ 
tungen  und  gelegentlichen  Unternehmungen  und  Gängen  über¬ 
rascht;  auch  hier  bilden  Gelangen  von  Speisebrei  in  die 
Bronchien  eine  erschwerende  Komplikation.  Es  folgt  der  Tod 
im  Wasser  und  der  Tod  durch  Fall  aufs  Gesicht.  Diesen  plötz¬ 
lichen  Todesfällen  reiht  H.  die  Fälle  mit  „Tod  nach  3  bis 
4  Stunden“  an,  dann  einen  mit  „Tod  nach  18  Stunden“,  einen 
mit  „Tod  nach  21  Stunden“  und  einen  mit  „Tod  am  dritten 


40 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  4. 


Tage“  [Basisfraktur].  Mehrere  Fälle  folgen,  die  zeigen,  dass 
man  sich  auch  bei  der  Diagnose  Schädelbruch  täuschen  kann. 
Zum  Schluss  geht  Verfasser  noch  auf  die  Unfälle  ein,  denen 
der  Epileptiker  besonders  ausgesetzt  ist,  und  sucht  dann  die 
einzelnen  Todesarten  in  ein  Schema  zu  bringen,  das  im  Original 
nachgelesen  werden  mag.  Wern.  H.  Becker,  Herborn. 


Medicamentöse  Therapie. 

Priv.-Doz.  Dr.  F.  Rost,  chirurg.  Klinik  d.  Univ.  Heidel¬ 
berg.  Über  Stoffe,  die  das  Bindegewebe  zum  Wachstum  an- 
regcn.  (Feldärztliche  Beilage  zur  Münch.  Med.  Wochenschrift 
1915,  Nr.  25.) 

Bei  der  Behandlung  von  Wunden,  die  mit  grösseren  Sub¬ 
stanzverlusten  verbunden  sind,  kommt,  abgesehen  von  der  nach 
den  üblichen  und  bekannten  Regeln  der  allgemeinen  Chirurgie 
durchgeführten  Bekämpfung  der  Infektion  1.  die  Ausfüllung 
der  Defekte  mit  Grauulationsgewebe  und  2.  die  Überhäutung 
(Epithelialisierung)  der  Granulationen  in  Betracht. 

Bei  der  Heilung  infizierter  Wunden  wird  das  Wachstum 
der  Granulationen  einmal  erzeugt  durch  in  den  Bakterienleibern 
enthaltene  Stoffe  und  zweitens  durch  Zufallsprodukte  körper¬ 
eigener  Zellen.  Durch  Begünstigung  eines  dieser  beiden  Faktoren 
kann  das  Granulationsgewebe  indirekt  zur  stärkeren  Wucherung 
veranlasst  werden  In  dem  Bestreben,  einen  solchen  Stoff  aus¬ 
findig  zu  machen,  wurde  nach  eingehenden  umfangreichen  Ver¬ 
suchen  festgestellt,  dass  vereinzelte  Öle  mineralischen  Ursprungs 
am  stärksten  und  typischsten  bindegewebsanregend  wirkten. 
Diese  Wirkung  ist  jedoch  nicht  auf  einen  einzelnen,  sondern 
auf  mehrere  chemische  Körper  zurückzuführen.  Auf  diese 
Weise  lässt  sich  die  klinische  Beobachtung  erklären,  dass  es 
nämlich  bei  der  Anwendung  chemisch  reiner  Stoffe  zu  einer 
weniger  starken  und  besonders  weniger  konstanten  Anregung 
des  Bindegewebes  kommt,  als  wenn  man  Gemische  verschieden¬ 
artiger  chemischer  Körper  gebrauchte. 

Ein  derartiges,  vom  Verfasser  regelmässig  auf  seine  binde- 
gewebsanregende  Fähigkeit  hin  tierexperimentell  geprüftes  Öl 
bringt  die  Firma  Knoll  &  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh.,  in  den 
Handel.  Autor  stellte  mit  diesem  Präparat  über  2  Jahre  bei 
den  verschiedensten  chirurgischen  Patienten  Versuche  an,  deren 
Ergebnis  nachfolgend  kurz  zusammengefasst  ist: 

Das  Wundöl  hat  den  Zweck,  überall  dort,  wo  Substanz¬ 
verluste  bindegewebig  ausgefüllt  werden  sollen,  das  Granulations¬ 
gewebe  zum  Wachstum  anzuregen.  Es  wurde  zu  diesem  Zwecke 
in  genau  gleicher  Weise,  wie  es  mit  dem  Perubalsam  geschieht, 
jedesmal  beim  Verbandwechsel  in  die  Wunde  hineingegossen, 
wobei  man  nur  dafür  sorgen  muss,  dass  es  möglichst  mit  allen 
Taschen  und  Buchten  der  Wunde  in  Berührung  kommt.  Man 
sah  bei  dieser  Behandlung  gerade  auch  z.  B.  bei  den  Schuss¬ 
verletzungen  mit  grossen  und  tiefen  Weichteildefekten  einen 
überraschend  schnellen  Wundschluss.  Die  entstehenden  Granu¬ 
lationen  waren  straff,  nicht  weich  und  schwammig.  Die  Über¬ 
häutung  der  Granulationen  mit  Epithel  ging  schnell  von 
statten. 

Wunden  mit  grossen  Substanzverlusten  gebrauchten  zu 
ihrer  Heilung  sehr  viel  kürzere  Zeit,  wenn,  wie  das  bei  der 
Anwendung  dieses  Wundöles  der  Fall  war,  das  Granulations¬ 
gewebe  rasch  den  Defekt  ausfüllt.  Durch  „granulierendes 
Wundöl  Knoll“  wurde  das  bei  grossen  Wunden  oft  sehr  un¬ 
angenehme  Festkleben  der  trockenen  Verbandstoffe  verhindert, 
ohne  dass  es  andererseits,  wie  bei  Salben  verbänden,  zu  einer 
Verminderung  der  Saugkraft  der  Gaze  gekommen  wäre.  Die 
Behandlung  von  Wunden  mit  grossen  Substanzverlusten  wurde 
durch  die  Verwendung  des  genannten  Präparates  wesentlich 
gefördert. 

Auf  andereu  chirurgischen  Gebieten  wurde  das  Präparat 
in  erster  Linie  zur  Behandlung  von  Fisteln  aller  Art  gebraucht. 
In  den  Fällen,  wo  die  Eiterung  aus  der  Fistel  nicht  durch 
irgend  einen  Fremdkörper,  Sequester  oder  dergl.  bedingt  war, 
konnte  man  bei  dieser  Behandlung  recht  Gutes  sehen,  besonders 
wenn  es  sich  um  die  Ausfüllung  grosser  Hohlräume,  von  denen 
die  Fistel  ausgeht,  handelte.  So  konnte  wiederholt  der  Schluss 
von  grossen,  gegen  jede  andere  Behandlung  sehr  renitenten 


Empyemhöhlen  und  ebenso  von  grossen  osteomyelitischen  Höhlen 
beobachtet  werden.  In  letztere  Gruppe  waren  auch  eine  Anzahl 
von  Fällen  zu  zählen,  in  denen  sich  eine  solche  Knochenhöhle 
im  Anschluss  au  Granatsteckschüsse  entwickelt  hatte.  Autor 
empfiehlt  also  das  „granulierende  Wundöl  Knoll“  überall  dort, 
wo  es  in  der  Wundbehandlung  darauf  ankommt,  das  Granu¬ 
lationsgewebe  zu  einem  energischen  Wachstum  lokal  anzuregen. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Bücherschau. 

H.  Graul,  Über  die  Therapie  des  Diabetes  mellitns. 
24  S.  Leipzig  1913.  75  Pfg.  (Volkmanns  Sammlung  klinischer 
Vorträge  Nr.  681,  Innere  Medizin  Nr.  220.) 

Der  Aufsatz  behandelt  die  symptomatische,  auf  die  Be¬ 
seitigung  oder  Verminderung  der  Glykosurie  gerichtete  Therapie 
der  Zuckerharnruhr  beim  Leicht-  und  Schwerdiabetiker  in  ihren 
wesentlichen  Zügen,  gibt  auch  übersichtliche  Analysen  erlaubter 
Speisen  (unter  5  Proz.  Kohlenhydrat),  Diätzettel,  namentlich 
solche  für  strengere  Gemüsekost  und  schliesslich  eine  Noorden- 
sche  Äquivalenttabelle  für  Kohlenhydrate.  Auch  die  gegen 
Azidose  zu  treffenden  Massnahmen  sind  berücksichtigt.  Zur 
Orientierung  dürfte  das  Schriftchen  wohl  geeignet  sein. 

H.  Vierordt,  Tübingen. 

Bresge  n  ,  M.  Die  Nasenheilkunde  in  den  letzten  fünfzig 
Jahren.  Souderabdruck  aus  dem  Archiv  für  die  Geschichte 
der  Naturwissenschaften  und  der  Technik.  6.  Band. 
Leipzig,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel,  1913.  Seiten¬ 
zahl  19. 

Böhm,  M.  Die  chirurgisch  -  orthopädische  Behandlung  der 
Lähmungen.  Sonderabdruck  aus  „Berliner  Klinik“,  Februar 
1914,  Heft  308.  Berlin  W.  35,  Fischer’s  med.  Buchhand¬ 
lung,  H.  Kornfeld  Seitenzahl  15.  Preis  0,60  Mark. 
Hirt,  E.  Wandlungen  und  Gegensätze  in  der  Lehre  von 
den  nervösen  und  psychotischen  Zuständen.  Aus  Würz¬ 
burger  Abhandlungen.  Bd.  19,  Heft  3.  Würzburg,  Verlag 
von  Gurt  Kabitzsch,  1914.  Preis:  Brosch.  1,70  Mark. 

I  d  e  ,  Amrum.  Die  Nordseeluftkur,  ihre  Grundlagen,  Wir¬ 
kungen,  Methodik  und  Indikationen.  Berlin,  Allgemeine 
Medizinische  Verlagsanstalt  G.  m.  b.  II.,  1914.  Seiten¬ 
zahl  92. 

Lissmann,  P.,  München.  Geburtenrückgang  und  männ¬ 
liche  sexuelle  Impotenz.  Würzburg,  Verlag  von  Curt 
Kabitzsch,  Kgl.  Univ.-Verlagsbuchhändler,  1914.  Seiten¬ 
zahl  37.  Preis  1,50  Mark. 

Michaelis,  P  Das  Impfgesetz  für  das  Deutsche  Reich 
vom  8.  April  1874.  Leipzig,  Druck  und  Verlag  von 
Philipp  Reclam  jun.  Seitenzahl  68. 

Schweninger,  E.  Zur  Krebsfrage.  Berlin,  Verlag  von 
S.  Fischer,  1914.  Seitenzahl  47.  Preis:  geh.  1,00  Mark. 
V  ö  1  p  e  1  ,  O.,  Frankfurt  a.  M.  Experimentelle  Beiträge  zur 
Lehre  vom  Ertrinkungstod.  Mit  einer  Abbildung  im  Text. 
Sonderabdruck  aus  der  Vierteljahrschrift  f.  gerichtl.  Med. 
u.  öffentl.  Sanitätswesen.  3.  Folge,  Berlin,  Verlag  von 
August  Hirschwald.  Seitenzahl  39. 

Z  i  e  m  k  e  ,  E,  Kiel.  Der  Ritualmord  in  Kiew  und  die  ärzt¬ 
lichen  Sachverständigen.  Sonderabdruck  aus  der  „Deutschen 
med.  Wochenschrift“,  No.  42,  1913.  Leipzig,  Verlag  von 
Georg  Thieme.  Seitenzahl  13. 

Ziemke,  E. ,  Kiel.  Weitere  Untersuchungen  über  die 
forensische  Bedeutung  der  Spektroskopie  und  Spektrophoto- 
graphie  im  violetten  Teil  des  Spektrums.  Sonderabdruck 
aus  der  Vierteljahrschr.  f.  gerichtl.  Med.  u.  öffentl.  Sanitäts¬ 
wesen,  3.  Folge.  Berlin,  Verlag  von  August  Hirschwald. 
Seitenzahl  20. 

Ziemke,  E.,  Kiel.  Zur  Entstehung  sexueller  Perversitäten 
und  ihre  Beurteilung  vor  Gericht.  Sonderabdruck  aus  dem 
Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Band  51 
Heft  2.  Berlin,  Verlag  von  August  Hirschwald,  Seiten¬ 
zahl  26. 

Ziemke,  E  ,  Kiel.  Geisteskranke  Verbrecher.  Sonder- 
ahdruck  aus  „Medizinische  Klinik“,  No.  19.  Berlin,  Verlag 
von  Urban  &  Schwarzenberg.  Seitenzahl  15. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Torfsdiritic  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  fadintänner 

herausgegeben  von 

L  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  G.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt.  Leipzig. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  5 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 

Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  20.  November 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  Krankheiten  des  Rückbildungsalters 
und  des  Seniums. 

Fortbildungsvortrag  von  Privatdozent  Dr.  Niessl  von  Mayendorf, 

Leipzig. 

(Schluss.) 

M.  H.l  Ich  lese  tagtäglich  von  schweren  Ver¬ 
urteilungen  kriminell  gewordener,  bis  dahin  aber  un¬ 
bescholtener  Greise.  Ich  weiss  nicht,  ob  diese  Justiz- 
irrtümer  auf  Beschränktheit  und  Oberflächlichkeit  der 
Gerichte  oder  mangelhafter  psychiatrischer  Ausbildung 
der  Gerichtsärzte  beruhen.  Will  man  einen  solchen 
Delinquenten  richtig  beurteilen,  dann  darf  man  sich 
nicht  mit  einer  Plauderei  unter  vier  Augen  zufrieden 
geben  und  dabei  den  abgeschmackten  Scherz  einer  so¬ 
genannten  Intelligenzprüfung  inszenieren.  Es  ist  kindisch¬ 
albern,  aus  derartigen  schematischen  Beurteilungen  des 
Gedankenablaufs  Schlüsse  auf  den  gesamten  Geisteszu¬ 
stand  zu  ziehen.  Der  einzige  Weg,  welcher  uns  zum 
Ziele  führen  kann,  ist  eine  möglichst  vollständige  Ana¬ 
lyse  des  gegenwärtigen  psychischen  Zustandsbildes,  mit 
dem  Charakter  der  Persönlichkeit  zusammengehalten. 
Es  möge  doch  endlich  einmal  Klarheit  darüber  werden, 
dass  unser  Handeln  von  unserem  Fühlen,  nicht 
von  unserem  Vorstellen  abhängt  und  dass 
bei  normalem  Vorstellungsleben  eine  krankhafte  Ände¬ 
rung  der  Gefühle  allein  hinreicht,  den  Menschen  zu 
Taten  zu  zwingen,  welche  seinem  Charakter  aus  ge¬ 
sunden  Tagen  schnurstracks  zuwiderlaufen. 

In  dieses  manikalische  Stadium  ragen  bereits  aus 
der  konsekutiven  Demenz  jene  Gedächtnislücken  herein, 
welche  dieser  ihr  eigentümliches  Gesicht  verleihen.  Es 
kommt  bei  der  gesteigerten  Produktivität  an  Vorstellungs¬ 
komplexen,  der  geringen  Haftbarkeit  derselben,  der 
mangelnden  Bereitschaft  des  Gedächtnisses,  Gedanken¬ 
gänge  aus  seinem  Schatze  wiederzuleben,  zu  kontra- 
spektiven  Konfabulationen,  zu  Selbsttäuschungen  der 
Kranken,  welche  zu  verhängnisvollen  Irrtümern  werden 
können,  indem  ein  wirklicher  Diebstahl  ein  dem  un¬ 
kundigen  Beurteiler  allerdings  vollständig  unverständ¬ 
liches,  aber  tatsächliches  Vergreifen  sein  kann. 

Die  subjektive  Verjüngung  in  der  maniakalischen 
Erhebung  gewinnt  an  Aktionsfähigkeit  durch  die  Locke¬ 
rung  jener  hemmenden  Kontinuität,  welche  die  präsen¬ 
ten  Vorstellungen  als  geschlossene  Kette  von  Er¬ 
innerungen  mit  der  Vergangenheit  verbindet.  Eine  Un¬ 
gebundenheit  dieser  Art  ist  der  luxurikanden  Gedanken¬ 
flucht  des  vollkräftigen  Gehirns  nicht  eigen.  Denken 
und  Handeln  gewinnt  in  diesem  durch  die  Richtung  auf 
bestimmte  Ziele  eine  verständlichere  Motivierung.  Daher 


das  unsinnig-lächerliche  Gebahren  des  senilen  Maniacus. 
Seine  kindische  Verliebtheit,  welche,  da  im  höheren  Alter 
die  Jugenderinnernngen  in  frischen  Farben  auferstehen, 
an  die  erste  Liebe  wieder  anknüpft,  wofür  der  grosse 
Hektor  Berlioz  ein  ergreifendes  Beispiel  darbietet.  Men¬ 
schen,  welche  an  Selbstsucht  in  ihrem  Lebensgang  ge¬ 
wohnt  waren,  fallen  der  Romantik  glühendster  Liebes- 
leidenschaft  zum  Opfer.  Die  üppigste  Phantasie  gaukelt 
ihnen  in  ihren  ungezügeltsten  Äusserungen  Erfolge  ihrer 
riesenhaften  Pläne  vor,  denen  sie  sich  willenlos  hingeben, 
um  erst  bei  deren  Scheitern,  bei  welchem  wie  bei  ihrem 
Entwerfen  die  Gedächtnislücken  grosse  Schuld  tragen, 
aus  ihren  Träumen  zu  erwachen. 

Hieraus  erhellt,  m.  H.,  die  Notwendigkeit  raschen 
ärztlichen  Eingreifens,  die  Unschädlichmachung  des 
Kranken  gegen  sich  und  seine  Umgebung.  E  s  i  s  t 
wichtig,  den  senilen  Maniacus  so 
bald  als  möglich  zu  entmündigen. 
Die  manischen  Zustände  anderer  Lebensalter  laufen  bei 
weitem  nicht  so  leicht  Gefahr,  antisozial  zu  werden  als 
wie  dieser.  Ein  Zuleichtnehmen  von  ärztlicher  Seite 
in  diesen  Fällen  ist  ein  zweifelloser  Kunstfehler.  Man 
kann  hier  auf  keinen  Einspruch  des  Kranken,  auf  keinen 
noch  so  heftigen  Wutanfall  desselben  Rücksicht  nehmen, 
sondern  muss  die  Bestellung  eines  Pflegers  schleunigst 
ins  Werk  setzen.  Hat  man  den  Kranken  nicht  im  neur- 
asthenischen  Vorstadium  bereits  in  die  Sicherheit  einer 
Anstalt  gebracht,  so  wird  man  jetzt  hierzu  geradezu 
genötigt.  Es  gibt  Fälle,  in  denen  das  ganz  leicht  ge¬ 
lingt,  wie  bei  der  progressiven  Paralyse,  andere,  in 
denen  sich  der  Patient  heftig  sträubt.  Es  fragt  sich,  ob 
man  hier  mit  einer  Hyoscin-Morphiuminjektion  (Hyoscini 
hydrobrom.  0,008  Morphini  hydrochlor.  0,01)  vorgehen 
soll.  Ziehen  gestattet  dieselbe  bei  den  Erregungszu¬ 
ständen  der  senilen  Demenz.  Man  versichert  zwar,  dass 
das  Hyoscin  keine  Gefahren  für  die  Herztätigkeit  mit 
sich  bringe,  bei  dem  so  stürmischen  Kontraktionszwang 
ausgebreiteter  Arterienbezirke  erscheint  mir  jedoch  eine 
plötzliche  Steigerung  der  Ansprüche  an  die  Herzkraft 
gewiss  und  die  Ungefährlichkeit  bei  bestehender  Arterio¬ 
sklerose  will  mir  nicht  einleuchten.  Man  versuche  durch 
interne  Darreichung  Nachgiebigkeit  zu  erzielen,  etwa 
durch  folgende  Dosierung: 

Rp.  Hyoscini  hydrobromici  0,003 

Natrii  bromati  .  .  .  10,0 

Codeini  phosph.  .  .  0,3 

Aquae  destill.  .  .  .  70,0 

Syrupi  Cort.  Aurantii  30,0 

M.  Ds.  Dreimal  täglich  einen  Esslöffel  in  einem 
Glas  Wasser  nach  der  Mahlzeit  und  unterstütze  die 


42 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  5. 


sedative  Wirkung  mit  einem  Dauerbad  von  26 — 27  °. 
Der  Kranke  bleibe  in  demselben  nur  zwei  Stunden,  man 
kann  jedoch  dasselbe  des  Morgens  und  des  Abends  ein¬ 
mal  verordnen.  Als  Ersatz  für  dieselben,  falls  die  Ver¬ 
hältnisse  des  Kranken  ein  solches  nicht  gestatten, 
kann  man  nach  Ziehen  eine  feuchtwarme  Packung 
von  33 — 36°  C.  geben  und  den  Kranken  in  derselben 
vierzig  Minuten  bis  zwei  Stunden  lassen.  Man  kontrol¬ 
liere  nach  Ziehens  Mahnung  des  öfteren  den  Puls, 
packe  nicht  zu  fest,  lasse  die  Arme  frei,  gebe  eine 
feuchte  Kompresse  (18°  C.)  auf  das  Haupt. 

Die  Nahrung  des  Kranken  im  Interesse  der  näch¬ 
sten  Angehörigen  ist  ferner  in  Plinblick  auf  die  Be¬ 
deutung  seines  letzten  Willens  sehr  wichtig. 
Der  Maniacus,  welcher  einerseits  unter  dem  Einfluss 
plötzlich  aufllackender,  übermächtiger  Impulse  handelt, 
andererseits  durch  schwere  Gedächtnisstörungen,  Er¬ 
innerungsfälschungen ,  Willensschwäche  äusserst  sug- 
gestibel  ist,  vermag  durch  ein  Testament  die  Seinen 
weit  leichter  zu  schädigen,  als  der  stumpfe  vollständig 
Demente,  dessen  offenkundiger  Mangel  an  Selbst¬ 
bestimmbarkeit  seinen  Verfügungen  jede  gesetzlich 
wirkende  Kraft,  auch  dem  Laien  in  die  Augen 
springend,  ausschliesst. 

M.  H.!  Es  ist  mir  nicht  zweifelhaft,  dass  wir  mit 
dem  klinischen  Begriff  „Dementia  senilis“  die  ver¬ 
schiedenartigsten  abnormen  psychischen  Zustände  des 
Greisenalters  zusammenfassen,  da  die  Aufstellung  an¬ 
geblich  spezifischer  Leichenfunde  als  Ausdruck  an  den 
Rindenganglien  angreifender  Krankheitsprozesse  doch 
nur  subjektivster  Willkür  und  der  Tendenz  entsprang, 
ganz  künstlichen  Klassifikationen  einen  wissenschaft¬ 
lichen  Firnis  zu  geben.  Das  Wesentlichste  aller  Formen 
der  Verblödung  ist  aber  eine  Abstumpfung  oder  ein 
Verlust  des  G  efühllebens,  die  der  senilen 
Demenz  zukommenden  Gedächtnisstörungen  finden  sich 
auch  bei  der  Presbyophrenie  W  ernickes  sowohl  als 
bei  der  polyneuritischen  Psychose  der  Trinker.  Wir 
vermögen  die  schwere  Erkrankung,  den  Defekt  der 
Gefühle  therapeutisch  in  keiner  Weise  zu  beeinflussen 
und  müssen,  abgesehen  von  den  später  zu  erwähnenden 
Komplikationen,  uns  lediglich  auf  die  Abwendung  der 
Gefahren  beschränken,  denen  der  Kranke  durch  seinen 
hilflosen  Zustand  ausgesetzt  ist.  Wie  bei  der  progressiven 
Paralyse  gibt  es  auch  bei  der  senilen  Demenz  ver¬ 
schiedene  Grade  der  sogenannten  Verblödung,  wenn  auch 
im  allgemeinen  dieselben  hier  nicht  jene  Höhe  erreichen 
wie  dort.  Es  gibt  Kranke,  die  zu  den  primitivsten  Ver¬ 
richtungen  des  Lebens  angehalten  und  bei  ihnen  unter¬ 
stützt  werden  müssen.  Man  muss  die  Kranken  an  und 
ausziehen,  man  muss  sie  füttern,  auf  den  Nachtstuhl 
führen.  Die  sie  betreuenden  Personen  sind  von  dem 
Arzt  zu  der  grössten  Geduld  zu  ermahnen. 
Jeder  Versuch,  auf  den  Kranken  erzieherisch  einwirken 
zu  wollen,  ist  entschieden  zu  widerraten.  Ganz  ver¬ 
fehlt  sind  sogenannte  methodische  Gedächtnisübungen, 
um  die  Merkfähigkeit  des  Kranken  zu  heben  oder 
ihm  die  verlorene  Fähigkeit,  rückläufige  Assozia¬ 
tionen  zu  bilden,  wieder  beibringen  zu  wollen.  Der 
Erfolg  bei  den  Verblödeten  ist  derselbe  wie  bei  den 
Idioten:  Störrigkeit,  Verbitterung,  Wutausbrüche. 

Hat  der  Kranke  das  Glück  einer  liebevollen,  sich 
aufopfernden  Familie  in  die  Obhut  gegeben  zu  sein,  ist 
es  die  Pflicht  des  behandelnden  Arztes  durch  eine  ein¬ 
leuchtende  Klarlegung  des  psychischen  Zustandes  des 
Kranken  derselben  zu  einer  richtigen  Beurteilung  seiner 
Äusserungen  und  Handlungen  zu  verhelfen.  Vor  allem 
darf  er  nicht  müde  werden,  darauf  hinzuweisen,  dass 
den  scheinbar  verständigen  Reden  eine  durch  Gedächt¬ 
nis-  und  Gefühlsstörungen  irregeleitete  Gedankenrichtung 
zugrunde  liegt,  dass  man  alles  nicht  in  dem  eigenen, 
sondern  in  einem  ganz  anderen  Sinne  nehmen  muss.  So 


werden  z.  B.  Erinnerungsdefekte  im  Verein  mit  den 
täuschenden  Erinnerungsfälschungen  zu  Substraten  von 
falschen  Anschuldigungen,  welche  keineswegs  Wahn¬ 
ideen,  sondern  normale  Reaktionen  eines  noch  funk¬ 
tionierenden  Schlussapparates  auf  eine  durch  lücken¬ 
hafte  Reproduktionsfähigkeit  entstellte  Wahrnehmungs¬ 
welt  sind.  Das  Pathologische  an  diesen  Denkvorgängen 
ist  das  nicht  Bewusstwerden  des  Defektes.  Man  lasse 
daher  den  Kranken  so  lange  ruhig  gewähren,  als  er 
durch  seinen  Irrtum  weder  sich  noch  anderen  schädlich 
wird.  Jedes  Überzeugen  wird  misslingen.  Befindet  sich 
der  Kranke  in  einer  Anstalt,  so  hat  der  Arzt  das  Warte¬ 
personal  zu  instruieren,  welches  in  seiner  Abwesenheit 
mit  den  Kranken  nach  bestimmt  gehaltenen  Vorschriften 
umzugehen  hat. 

Die  Dementia  senilis  soll  von  halluzinatorischen  Zu¬ 
ständen,  vornehmlich  des  Gehörs  kompliziert  werden. 
Wenn  es  an  sich  keineswegs  so  leicht  ist,  als  sich  der 
Laie  oder  der  unkundige  Irrenarzt  einzubilden  pflegt, 
das  Vorhandensein  einer  Sinnestäuschung  unter  den 
Äusserungen  eines  noch  denkfähigen  Gehirns  mit  Zu¬ 
verlässigkeit  zu  entdecken,  um  wie  viel  ungewisser  und 
vieldeutiger  erscheinen  solche,  mit  objektivlosen  Gehör¬ 
wahrnehmungen  beziehbare  Reaktionen  eines  bereits 
Blödsinnigen.  Dass  überhaupt  Sinnestäuschungen  bei 
dementen  Kranken  Vorkommen,  darüber  liegen  zu  zahl¬ 
reiche  positive  Angaben  von  seiten  derselben  vor,  um 
an  ihrem  Vorhandensein  zweifeln  zu  können.  Die 
Halluzinationen  eines  Verblödeten  besitzen  aber  einen 
ganz  anderen  Charakter  als  diejenigen  eines  noch 
psychisch- reaktionsfähigen  Geistesgestörten,  sie  sind 
ohne  jede  Affektbetonung.  Sie  sind  oft 
die  einzigen  noch  belebbaren  Vorstellungstrümmer  aus 
der  untergegangenen  Gedankenwelt  des  geistig  völlig 
Verarmten.  Dies  erklärt  sich  psychologisch  daraus,  dass, 
nach  dem  Gesetze  des  Parallelismus  der  Festigkeit  des 
Gedächtnisses  und  der  Stärke  der  Gefühlsbetontheit 
eines  Vorstellungskomplexes  die  erfahrungsgemäss  am 
stärksten  gefühlsbetonten  Wahnideen  und  Halluzinationen 
die  längste  Nachdauer  in  dem  zusammenschrumpfenden 
Bewusstseinsinhalt  bewahren.  Nun  fehlt  diese  Basis, 
welche  denselben  nicht  nur  ihre  Allgegenwart,  sondern 
auch  ihre  Standfestigkeit  verliehen.  Für  die  Behandlung 
des  dementen  Halluzinanten  ist  diese  Erkenntnis  eine 
wertvolle  Direktive.  Während  der  affektvolle  Hallu¬ 
zinant  gegen  sich  und  seine  Umgebung  äusserst  gefähr¬ 
lich  werden  kann  und  einer  dringenden  Internierung 
und  starker  Sedativa  bedarf,  sind  affektarme,  demente 
Halluzinanten  in  der  Regel  ganz  harmlos.  Dasselbe  gilt 
von  den  affektarmen  und  affektlosen  Wahnbildungen  der 
Dementen,  Vielleicht  wird  späterhin  die  Barheit  der  Ge¬ 
fühlsbetonung  ein  diagnostisches  Kriterium  für  Ver¬ 
blödungsprozesse  in  ihren  Frühstadien. 

Die  Apathie  des  Blödsinns  wird  von  Stimmungs¬ 
schwankungen  unterbrochen,  von  denen  die  traurigen  vor¬ 
herrschen  und  persistierend  sind.  Das  Gebahren  des 
Kranken  ist  ein  kindisch  weinerliches,  durch  äussere 
Umstände  kaum  motiviertes,  dabei  macht  sich  eine  grosse 
Monotonie  bemerkbar,  die  wohl  dem  senilen  Perse- 
verieren  der  Gedankengänge  wesensverwandt  ist.  Da¬ 
bei  besteht  grosse  Labilität,  ein  plötzliches  grundloses 
Umschlagen  in  die  konträre  Gemütslage.  Auch  hierin 
dokumentiert  sich  jene  Schwäche,  die  an  den  infantilen 
Gefühlstypus  gemahnt,  welcher  Lachen  und  Weinen  in 
demselben  Sacke  trägt.  Der  Inhalt  des  Jammerns  und 
Klagens  betrifft  ein  trübes  Ereignis,  oft  der  Längst¬ 
vergangenheit  angehörend.  Es  wird  Anlass  zu  Lebens¬ 
überdruss.  Ein  Suizid  ist  kaum  zu  befürchten. 

Die  Therapie  dieser  für  die  Mitwelt  sehr  peinlichen 
Depressionszustände  hat  vor  allem  den  reichlichsten  Ge¬ 
brauch  von  den  Opiaten  zu  machen.  Sie  drohen  mit 
einer  Gefahr  für  den  gealterten  Organismus.  Hat  man 


43 


Nr.  5.  FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


mit  den  genannten  Präparaten  kein  Glück,  dann  ver¬ 
suche  man  das  Pantopon,  welches  ja  auch  innerlich 
und  zwar  in  der  wohlschmeckenden  Form  des  Pantopon- 
Sirup  (2  mal  täglich  einen  Esslöffel)  verabreicht  werden 
kann.  Da  sich  mit  den  psychischen  Erscheinungen 
spastische  Zustände  der  kleinsten  Arterien  an  den  Ex¬ 
tremitäten  einstellen,  so  werden  aktive  Bewegungen  — 
bei  schwachen  Herzen  mit  Unterstützungen  von  Stimu¬ 
lanzen  —  rationale  Massage,  lauwarme  Bäder,  warme 
Betten,  bezw.  Wärmflaschen  mit  der  internen  Medika¬ 
tion,  zweckmässig  und  individuell  gehandhabt,  zu  ver¬ 
binden  sein. 

Eine  besondere  Beachtung  für  den  Therapeuten 
verdienen  die  für  die  senile  Demenz  sehr  charakteristischen 
nächtlichen  deliranten  Zustände.  Verlieren  senil  De¬ 
mente  selbst  bei  klarem  Bewusstsein  infolge  ihrer  Er¬ 
innerungsdefekte,  wohl  aber  auch  infolge  von  Assozia¬ 
tionsstörungen  den  Faden  einer  sich  im  Gespräche  ab¬ 
wickelnden  Gedankenkette  gar  leicht,  werden  sie  ver¬ 
wirrt  und  scheinen  sie  plötzlich  irre  zu  reden,  so  werden 
sie  des  Nachts,  schlaflos  liegend  im  dunkeln  Raume, 
beim  Mangel  herantretender  Sinnesreize,  wohl  auch  unter 
dem  Einfluss  innerer  Beängstigungen  örtlich  vollkommen 
desorientiert.  Die  innere  Unruhe  treibt  sie  aus  dem  Bett,  | 
sie  wandern  traumhaft  verloren  im  Zimmer  umher, 
stossen  Stühle  und  Tische  um,  räumen  die  Schränke 
aus,  werfen  alles  durcheinander,  streuen  das  Geld  auf 
den  Boden,  stecken  durch  sinnlose  unvorsichtige  Ma¬ 
nipulationen  das  Haus  in  Brand.  Dabei  sind  V  er- 
kennungen  der  Personen  im  feindlichen  Sinne  keine 
Seltenheit.  Die  Kranken  werden  aggressiv,  wenn  auch 
kaum  gefährlich.  Am  Morgen  ist  der  Kranke  zu  seiner 
früheren  Beurteilung  der  Situation  zurückgekehrt.  All’ 
das  zu  wissen  ist  für  den  psychiatrischen  Praktiker  sehr 
wichtig.  Befindet  sich  der  Kranke  in  einer  Anstalt,  so 
gehört  er  auf  die  Wachabteilung,  wird  er  zu  Hause  ge¬ 
pflegt,  dann  darf  er  nicht  allein  schlafen.  Man  ver¬ 
suche  den  stets  erregten  Kranken  durch  ein  grösseres 
Quantum  von  Paraldehyd  zu  beruhigen  ;  bleibt  die  Wir¬ 
kung  aus,  injiziere  man  eine  Ampulle  des  2  prozentigen 
Pantopons  „Roche“.  Die  Diät  zu  Delirien  Neigender 
muss  streng  geregelt  sein,  vor  allem  muss  man  länger 
währenden  Obstipationen,  die  bei  senil  Dementen  gar 
nicht  selten  sind,  durch  konsequente,  Magen  und  Darm 
nicht  belästigende  Purgantia  (Bitterwasser  ,  Extrakt. 
Rhamni  Phorsiand,  Purgen,  Rheum)  Vorbeugen.  Auch 
eine  vorsichtige  Massage  des  Bauches  befördert  häufig 
den  Stuhlgang.  Natürlich  hat  die  Zusammensetzung 
der  solchen  Kranken  zu  verabreichenden  Kost  auf  die 
Neigung  von  Retardationen  der  Defäkation  Rücksicht 
zu  nehmen. 

M.  H.  !  Die  Indolenz  fortgeschrittener  Stadien  der 
Verblödung  ist  die  Ursache  zweier  Gefahren,  welche 
nicht  rechtzeitig  abgewendet,  das  Leben  des  Kranken 
meistenteils  vernichten.  Es  ist  die  Aufgabe  des  kundigen 
Arztes,  dieselben  zu  kennen,  nicht  gering  zu  achten, 
ihnen  rechtzeitig  und  mit  aller  Umsicht  entgegen  zu 
treten. 

Das  Fehlen  des  Interesses  für  die  Vorgänge  seiner 
Umgebung,  die  Abwesenheit  aller  Willensimpulse  machen, 
dass  der  Kranke  träge  auf  einem  und  demselben  Platze 
verharrt,  am  liebsten  gar  nicht  das  Bett  verlässt,  ein  Ge¬ 
bühren,  welchem  die  Bequemlichkeit  des  Wartepersonals 
meist  ruhig  zusieht.  Es  ist  in  meinen  Augen  ein  Kunst¬ 
fehler,  wenn  der  Verantwortung  tragende  Arzt  ein 
solches  Vorgehen  der  Pfleger  billigt  und  den  Kranken 
Tage,  ja  Wochen  ununterbrochen  im  Bette  liegen 
lässt. 

Die  beiden  verhängnisvollen  Konsequenzen,  welche 
sich  aus  dieser  verkehrten  Massnahme  ergeben,  sind  der 
Druckbrand  und  die  P  neumonie. 

Ersterer  kommt  bei  der  senilen  Demenz  viel  seltener 


vor  als  bei  der  progressiven  Paralyse.  Er  ist  fast 
immer  durch  Nichtbeachtung  der  gegen  den  Dekubitus 
seit  langem  bekannten  und  in  Gebrauch  stehenden 
Präventivmassregeln  verschuldet.  Die  Ursache  der  lo¬ 
kalen  Nekrosen  am  Körper  des  senil  Dementen  ist  in 
der  Regel  nicht  wie  bei  der  progressiven  Paralyse  all¬ 
gemeine  Kachexie,  sondern  eine  ungenügende  Durch¬ 
blutung  der  Haut  an  den  gefährdeten  Stellen  infolge 
abnormer  Wandveränderungen  der  Arterien  oder  un¬ 
genügender  Plerzkraft.  Zur  Verhütung  desselben  wird 
man  daher,  abgesehen  von  den  bereits  bei  der  pro¬ 
gressiven  Paralyse  aufgeführten  Vorkehrungen  weiche 
Unterlage,  insbesondere  an  den  Prädilektionsstellen  des 
Druckbrandes,  häufige  Lageveränderung  im  Bett,  Ver¬ 
hütung  des  Liegens  in  der  Nässe,  das  Einreiben  der, 
bei  oftmaligen  Besichtigungen  des  Körpers  der  Kranken 
wahrgenommenen  roten  Partien  mit  Essig  oder  Al¬ 
kohol,  lauwarme  Bäder,  vorsichtige  Massage,  eine  die 
Herzkraft  regelnde  und  stählende  Therapie  einzuleiten 
haben,  also  Digitalis,  in  nicht  zu  hohen  Dosen  und  bei 
nicht  zu  hohem  Blutdruck  Strophantus.  Das  natürlichste 
Prophylaktikum  gegen  den  Druckbrand  ergibt  sich,  wie 
oben  angeführt,  von  selbst  und  zwar  aus  der  Ver¬ 
meidung  der  Bettbehandlung  nicht 
notwendig  bettlägeriger  Patienten. 
Selbst  eine  Abwechslung  des  Aufenthaltes  im  Bett  mit 
dem  Sitzen  im  Lehnstuhl  hält  die  Entwicklung  eines 
Dekubitus  hintan.  'Allerdings  ist  ein  sanfter,  wenn  auch 
energischer  und  unermüdlicher  Zuspruch  des  Wärters 
dem  torpiden,  trägen  Kranken  gegenüber  unbedingt  von 
Nöten.  Ebenso  wichtig  ist  eine  genaue  Besichtigung 
der  Analgegend  durch  den  Wärter  nach  jeder  Defäka¬ 
tion,  respektive  deren  Reinigung  und  Abtrocknung. 
Häufig  beobachtet  man  an  senil  Dementen,  welche  in¬ 
folge  "einer  Prostatahypertrophie  an  beständigem  Harn¬ 
träufeln  leiden,  hartnäckige  Ekzeme  an  den  inneren 
Seiten  der  Oberschenkel,  ohne  dass  der  Kranke  hierüber 
Klage  führt.  Man  muss  es  sich  daher  zur  Pflicht  machen, 
die  betreffenden  Stellen  zu  gewissen  Tagesstunden 
regelmässig  anzusehen  und  nach  den  üblichen  \  or- 
schriften  (Waschen,  Einfetten,  Einpudern)  zu  be¬ 
handeln. 

Ist  ein  Druckbrand  einmal  ausgebrochen,  und  hat 
er  grössere  Dimensionen  in  der  Fläche  und  liefe  er¬ 
reicht,  dann  ist  es  ebenso  schwierig,  seiner  Herr  zu 
werden,  als  bei  der  progressiven  Paralyse,  da  die 
senile  Involution  ebensowenig  eine  Heilungstendenz  auf¬ 
zubringen  vermag  als  der  fortschreitende  Körperverfall 
des  Paralytikers.  Die  Behandlung  eines  bereits  ent¬ 
wickelten  Druckgeschwürs  am  Körper  des  senil  De¬ 
menten  ist  daher  nach  denselben  Regeln  zu  versuchen, 
welche  wir  bei  der  Therapie  der  progressiven  Paralyse 
kennen  gelernt  haben. 

Dass  eine  kruppöse  Pneumonie  im  Greisenalter  die 
Szene  zumeist  beschliesst,  weil  das  Herz  den  plötzlich 
gesteigerten  Widerständen  nicht  mehr  gewachsen  ist, 
wird  Ihnen  allen  ja  geläufig  sein.  Sie  wissen  ferner,  dass 
oft  andauernde  Bettruhe,  etwa  durch  einen  Beinbruch 
diktiert,  wohl  wegen  der  gestörten  Zirkulationsver¬ 
hältnisse  in  der  Lunge  hinreicht,  die  Bildung  entzünd¬ 
licher  Exsudate  in  derselben  zu  begünstigen.  V  ie  ge¬ 
wissenlos  ist  es  demnach,  wenn  der  Anstaltsarzt,  welchem 
das  Leben  des  hilflos  Verblödeten  anvertraut  ist,  es 
unterlässt,  durch  aufmerksame  Beachtung  und  Regelung 
der  Lebensweise  der  Kranken  die  fast  stets  lokale 
Komplikation  abzuwenden. 

Seltener  als  die  kruppöse,  _  ist  es  die  herdförmige 
Pneumonie,  welcher  der  blödsinnige  Greis  zum  Opter 
fällt.  Es  handelt  sich  da  zweifellos  nicht  selten  um 
echte  Aspirationspneumonie,  welche  die  Fütterung  bei 
der  senilen  Demenz  als  eben  so  bedenklich  erscheinen 
|  lassen  als  bei  der  Dementia  paralytica. 


44 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Ist  die  Diagnose  einer  Pneumonie  sichergestellt,  so 
haben  Sie  das  ausfliehende  Leben  mit  dem  Ihnen  zur 
Verfügung  stehenden  Arsenal  stärkender  Herzmittel  zu 
bannen.  Ich  kenne  Fälle,  in  denen  von  innerer  The¬ 
rapie  unterstützt,  die  aufopfernde,  in  fortgesetzter,  un¬ 
ermüdlicher  Verabreichung  von  Injektionen  und  Sauer¬ 
stoffinhalationen  sich  betätigende  Zähigkeit  des  Wärters, 
selbst  bei  schwachem  Herzen,  die  anerkennendsten  Er¬ 
folge  zu  verzeichnen  gehabt  hat. 

Der  senilen  Demenz  nahe  verwandt,  mit  fliessenden 
Übergängen  in  dieselbe,  ist  der  oben  berührte  Sym- 
ptomenkomplex,  welchen  Wer  nicke  als  ein  für  eine 
Krankheit  hinreichendes  Signalement  erklärt  hat, 
welches  in  allopsychischer  Desorientiertheit,  „Konfabu¬ 
lationen“,  „mangelnder  Merkfähigkeit“  „retroaktiver 
Amnesie“  ihre  charakteristischen  Seiten  gewinnt. 
Ziehen  erblickt  das  Wesentliche  dieses  pathologischen 
Syndroms  in  einem  auffallenden  Kontrast  zwischen  der 
sehr  schweren  Gedächtnisstörung  und  der  über- 
1  aschenden  Klarheit  noch  vorhandener  vollkommen  nor¬ 
maler  Gedankengänge.  Der  springende  Punkt  scheint 
mir  aber  mit  dieser  differentialdiagnostischen  Grenze 
nicht  getroffen,  denn  die  Entbindbarkeit  und  der  Ab¬ 
lauf  normaler  Gedankenreihen  ist  von  der  Anwesenheit 
bestimmter  Gefühle  abhängig,  ein  Ersterben  des 
Gefühlslebens  ist  das  Wesentliche  für  die  Diagnose  der 
Demenz.  Man  kann  sich  das  Zustandekommen  des 
presbyophrenischen  Symptomenkomplexes  nun  un¬ 
gezwungen  dahin  erklären,  dass  der  der  senilen  De¬ 
menz  zugrunde  liegende  Hirnvorgang  in  dem  zirkum¬ 
skripten  Bestehen  der  Gedächtnisdefekte  seine  voll¬ 
entwickelte  Höhe  noch  nicht  erreicht  hat,  woraus  nicht 
verschiedene  pathologischen  Qualitäten,  nur  graduelle 
Unterschiede,  etwa  Entwickungsstufen  einer  und  der¬ 
selben  Krankheit  zu  erkennen  sein  würden.  Wenn  also 
eine  scharf  differentialdiagnostische  Scheidung  mit  den 
Merkmalen  klinischer  Symptomatologie  zwischen  seniler 
Demenz  und  Presbyophrenie  nicht  möglich  ist,  wenn 
man  sich  bei  vorurteilsloser  Hingabe  an  die  Er¬ 
scheinungen  am  Krankenbett  reine  Formen  weder 
dieser  und  jener  Spezies  nachweisen  kann,  wie  absurd 
muss  ein  Beginnen  sein,  das  klinisch  Schwankende  und 
Fliessende  anatomisch  fundieren  zu  wollen  ?  Es  ist 
schwer ,  an  die  bona  fides  eines  Autors  zu  glauben, 
welcher  vorgibt,  über  200  reine  Fälle  mit  Sektions¬ 
befund  (!)  untersucht  und  einen  spezifischen  Krank¬ 
heitserreger  für  die  Presbyophrenie  gefunden  zu 
haben. 

.  M.  H.  !  Unsere  Auffassung  von  der  Presbyophrenie 
als  eines  Stadiums  der  senilen  Demenz  will  nicht  auch 
eine  Einheitlichkeit  der  Therapie  befürworten.  Fand 
ich  doch  im  Gange  dieser  Ausführungen  auf  Schritt 
und  Tritt  Gelegenheit  daraufhinzuweisen,  dass  wir  aus¬ 
schliesslich  Symptome,  nicht  Krankheiten 
zu  bessern  oder  zu  beseitigen  vermögen.  Wenn  also 
ein  senil  Dementer  trotz  der  Lücken  seiner  Mneme  zeit¬ 
weise  logisch  denkt  und  richtig  urteilt,  so  muss  er  natür¬ 
lich  anders  behandelt  werden,  als  der  stupid  Blödsinnige, 
welcher  teilnahmslos  darniederliegt.  Es  ist  klar,  dass 
auch  der  Kranke  der  ersteren  Kategorie  wegen  der  ihn 
heimsuchenden  Desorientiertheit,  wegen  seiner  schweren 
Gedächtnisstörungen  zu  entmündigen  sein  wird,  die  Art 
und  Weise  aber,  wie  man  die  Bestellung  eines  Pflegers 
einleiten,  man  dem  Kranken  die  Besorgung  seiner  An¬ 
gelegenheiten  aus  den  Händen  nehmen  wird,  darf  keine, 
nach  einem  unwahren  Diagnosenschema  schablonenhaft 
zudiktierte,  sondern  dem  psychischen  Zustande  des 
Kranken  individuell  angepasste  sein.  Die  Kunst 
des  behandelnden  Arztes  ist,  es  den  Kranken  während 
seiner  lichten  Phase  von  seiner  Unfähigkeit,  seine  An¬ 
gelegenheiten  selbst  zu  besorgen,  zu  überzeugen,  ihn 
selbst  zu  einer  gewissen  Krankheitseinsicht  zu  bringen. 


Nr.  5. 


Selbstverständlich  wäre  es  ganz  verfehlt,  den 
Kranken  deshalb,  weil  er  vorübergehend  klar  ist,  für 
dispositionsfähig  zu  erklären.  Hervorheben  möchte  ich, 
dass  sich  gerade  bei  solchen  Kranken  eine  vernünftige 
Selbstbeurteilung  oft  sehr  schwer  erreichen  lässt,  da 
dieselben  längeren  Auseinandersetzungen  wohl  wegen 
ihrer  leichten  Ermüdbarkeit  aus  dem  Wege  gehen  und 
ausserordentlich  reizbar  sind.  Dass  man  auch  bei  der 
sogenannten  Presbyophrenie  mit  Gedächtsnisübungen 
nichts  ausrichtet,  dass  auch  die  bei  ihr  auftretenden 
deliranten  Zustände,  deren  Prävalieren  sogar  zur  Auf¬ 
stellung  einer  eigenen  Form  geführt  hat  ;  der  Umsicht 
des  Arztes  bedarf,  dass  man  die  so  häulige  Agrypnie 
mit  den  oben  angegebenen  Mitteln  zu  bekämpfen'  ver¬ 
suchen  wird,  möge  hier  kurz  bemerkt  werden. 

Unter  den  sonstigen  psychischen  Erkrankungen  des 
Greisenalters  ist  eine,  wegen  ihrer  Häufigkeit  in  prak¬ 
tisch-therapeutischer  Beziehung  sehr  wichtig.  Es  handelt 
sich  um  eine,  meist  stürmisch  einsetzende  Angstpsychose, 
deren  klinische  Physiognomie  sich  als  eine  Mischung 
melancholischer,  hypochondrischer,  paranoischer  Ele¬ 
mente  darstellt.  Bald  tritt  das  eine,  bald  das  andere  in 
den  Vordergrund.  Halluzinationen  des  Gehörs  fehlen 
wohl  niemals.  Die  Orientierung  ist  im  grossen  und 
ganzen  erhalten,  nur  vereinzelte  Verkennungen  oder 
vorübergehende  Störungen  desselben  kommen  vor.  Den 
Mittelpunkt  der  Wahnbildungen  bildet  die  Idee  des 
körperlichen  und  sozialen  Ruins  der  eigenen  Persönlich¬ 
keit  sowohl  als  der  nächsten  Angehörigen,  Die  längst 
bekannte  Alterspsychose  tendiert  zum  Selbstmord.  Aber 
auch  bei  Verhütung  desselben  ist  die  Prognose  sehr 
ernst  zu  stellen.  Schon  nach  wenigen  Wochen  ver¬ 
läuft  die  Geistesstörung  letal,  ohne  dass  sich  eine  pal- 
pable  Organerkrankung  als  Todesursache  intra  vitam 
oder  in  der  Leiche  feststellen  Hesse. 

Die  erste  Indikation  bei  der  Behandlung  dieser 
Psychose  ist  die  möglichst  frühe  In¬ 
ternierung  des  Kranken  schon  wegen  der  be¬ 
stehenden  Selbstmordgefahr.  Man  wird  alle  jene  Vor- 
sichtsmassregeln  in  Anwendung  bringen,  welche  bei  der 
Behandlung  der  Melancholie  ausführlich  geschildert 
wurden.  In  zweiter  Linie  hat  man  gegen  den  starken 
Affekt  und  die  Unruhe,  welche  den  Kranken 
beherrschen,  anzukämpfen.  Selbst  in  hohem  Alter  wird 
man  da  mit  Erfolg  protrahierte  Dauerbäder,  natürlich 
mit  den  die  geschwächte  Herzkraft  und  das  labile  Ge- 
fässsystem  berücksichtigenden  Kautelen,  verordnen,  wenn 
sich  die  Erregung  des  Kranken  zu  tobsüchtiger  Angst 
gesteigert  hat.  Es  braucht  wohl  nicht  besonders  betont 
zu  werden,  dass  auch  im  Bade  der  Kranke  strengstens 
zu  überwachen  ist,  dass  man  ihn,  wenn  er  wegen  seines 
störenden  Gebahrens  und  zu  eigener  Beruhigung  isoliert 
werden  muss,  nur  einer  geschulten  und  durchaus  zu¬ 
verlässigen  Wache,  welche  in  nicht  zu  langen  Zeit¬ 
räumen  abzulösen  ist,  anvertraut  werden  darf.  Um  den 
Kranken  im  Bade  zu  halten  und  die  unerträgliche  Herz¬ 
angst  zu  lindern,  habe  ich  mit  Erfolg  Morphiuminjek¬ 
tionen  (Morphini  hydrochl.  0,02,  Aquae  destill.  10,0,  eine 
Spritze  zu  injizieren)  angewendet,  während  mir  die 
innere  Opiumtherapie  vielfach  zu  versagen  schien.  Unter 
Umständen  wird  man  nicht  umhin  können,  den  Kranken 
auch  über  Nacht  im  Bade  zu  halten,  eine  Massnahme, 
bei  welcher  allerdings  das  Herz  und  der  Blutdruck 
wiederholtzu  kontrollieren  ist.  Drohtdas  ersterezu  erlahmen, 
der  letztere  zu  sinken,  ist  der  Kranke  aus  der  Wanne  zu 
entfernen  und  zu  Bett  zu  bringen.  Gleichzeitig  stimu¬ 
liere  man  die  Herztätigkeit  mit  Kampferinjektionen. 
Besondere  Vorsicht  ist  auch  bei  Personen  geboten, 
welche  zu  Kopfkongestionen  neigen.  Man  hat  dann 
dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  der  Baderaum  nicht  j  zu 
heiss  sei,  und  gebe  dem  Kranken  eine  kalte  Kompresse 
auf  das  Haupt.  Feuchte  Packungen  im  Bett  halte  ich 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


45 


Nr.  5 


bei  den  in  Rede  stehenden  Zuständen  für  kontraindiziert, 
weil  sie  die  Angst  des  Kranken  steigern. 

Die  Ernährung  stösst  auf  grosse  Schwierigkeiten, 
weil  der  Kranke  an  der  Wahnidee  leidet,  er  könne  das 
ihm  gereichte  Essen  nicht  bezahlen.  Trotzdem  ist  es 
mir  stets  gelungen,  nachdem  ich  die  Erregung  des 
Kranken  durch  sedative  Mittel  im  allgemeinen  gedämpft, 
durch  geduldigen  Zuspruch  und  mit  dem  sanfteren  Zwang 
der  Darreichung  und  Nötigung  zur  Nahrungsaufnahme 
mit  dem  Löffel,  denselben  zum  Essen  zu  bewegen.  Die 
gewaltsame  Sondenfütterung  halte  ich  nicht  nur  für  ent¬ 
behrlich,  sondern  in  Anbetracht  des  im  höchsten  Grade 
beängstigenden  Eindrucks,  welchen  die  Prozedur  auf  den 
Kranken  macht,  und  der  Unmöglichkeit,  bei  dem  Ringen  mit 
demselben  jedes  Eindringen  von  Speiseteilchen  in  die 
Luftwege  zu  verhindern,  für  sehr  bedenklich. 

M.  H.!  Es  gibt  ausser  diesem  „nihilistischen  Ver¬ 
folgungswahn“  der  Greise,  wie  ihn  die  Nomenklatur  der 
älteren  Psychiatrie  getauft  hat,  noch  sehr  viele  psycho¬ 
tische  Zustände,  aus  deren  eingehenderer  Kenntnis 
schärfer  umrissene  Krankheitsbilder  uns  einmal  entgegen¬ 
treten  werden  und  für  welche  die  Erfahrung  vielleicht 
spezifisch  wirkende  Medikamente  an  die  Hand  geben 
wird.  Heute  sind  wir  vorläufig  darauf  angewiesen, 
therapeutisch  -  symptomatisch  einzu¬ 
greifen.  Bekannt  sind  uns  bereits  die  akute  Verworren¬ 
heit,  im  höchsten  Alter  fast  stets  mit  letaler  Prognose. 
Die  Entwicklung  von  Cyklothvmien ,  Wahnbildungen 
im  Kleide  des  präsenilen  Verfolgungswahnes  von 
K  r  ä  p  e  1  i  n.  Ich  habe  die  letzte  Erkrankungsform 
selbst  im  hohen  Alter  und  darin  gar  nicht  so  selten  an¬ 
getroffen,  so  dass  ich  das  Attribut  „präsenil“  nicht  ge¬ 
nügend  gerechtfertigt  finde.  Weil  K  r  ä  p  e  1  i  n 'Zeichen 
von  Demenz  an  seinen  Kranken  vermisst  hat,  hält  er 
sie  für  nicht  senil.  Es  gibt  aber  auch  senile  und  nicht 
demente  Patienten. 

Die  verschiedenen  Geistesstörungen  und  psychischen 
Defektzustände,  welche  Herderkrankungen  des  Grosshirns 
(Blutungen,  Erweichungen)  begleiten,  ihnen  vorangehen 
oder  denselben  folgen,  werden  je  nach  ihrer  Er¬ 
scheinungsform  nach  den  gegebenen  Regeln  der  Therapie 
zu  behandeln  sein.  Dabei  wird  man  stets  die  Natu  r 
der  Herderkrankung,  ihre  Ursache,  ihren  vermut- 
lichenV  erlauf  als  bestimmenden  modifizierenden 
Faktor  der  gegen  die  komplizierende  Geisteskrankheit 
einzuschlagende  Richtung  der  Therapie  einzuschätzen 
haben. 


Ueber  neuere  therapeutische  Bestrebungen  in  der 

Medizin. 

Von  Dr.  M.  Kaufmann. 

Die  überwältigende  Flut  zum  Teil  minderwertiger 
Arbeiten  in  der  medizinischen  Literatur,  die  ins  Un¬ 
endliche  wachsende  Anzahl  so  oft  ganz  kritikloser 
Aufsätze,  kasuistischer  Beiträge  u.  a.  ruft  von  Zeit 
zu  Zeit  eine  Reaktion  in  Form  von  verschiedenen 
Vorschlägen  zur  Verbesserung  dieser  Zustände  hervor. 

Leider  sind  aber  diese  Projekte  ebenfalls  meist 
nicht  stichhaltig,  die  beabsichtigten  Reformen  sind  ober¬ 
flächlich  und  treffen  gewöhnlich  nicht  den  Kern  der 
Sache.  Zur  Illustration  dieser  Frage  will  ich  eine  vor 
kurzem  erschienene  und  dies  Thema  behandelnde  Ar¬ 
beit,  nämlich  das  Büchlein  von  Bou  s:  „Grundlinien 
der  therapeutischen  Methodik“  ’)  einer  Analyse  unter¬ 
werfen  und  einige  Bemerkungen  daran  anknüpfen. 

Prof.  Boas  beschränkt  sich  in  seinem  Buche  nur 
auf  das  Gebiet  der  Therapie,  auf  welchem  er  ver- 

x)  Grundlinien  der  therapeutischen  Methodik  in  der  inneren 
Medizin  von  Prof.  Dr.  S.  Boas.  Leipzig,  Thieme. 


schiedene  verwirrte  Ansichten  korrigieren  und  eine  ra¬ 
tionelle  Methodik  aufbauen  möchte. 

Der  Inhalt  des  Buches  ist  folgender:  „Der  angehende 
Arzt“,  sagt  der  Verfasser  in  der  Einleitung,  lernt  zuerst 
die  Methoden  der  Auskultation  und  Perkussion,  der 
chemischen,  bakteriologischen  und  mikroskopischen 
Untersuchung.  Beginnt  er  klinischen  Vorstellungen 
beizuwohnen,  so  werden  ihm  die  Methoden  der  Kranken¬ 
untersuchung  gezeigt  ....  Man  schärft  ihm  die 
Lehren  der  Aetiologie  und  des  Krankheitsverlaufes  ein. 
Die  Lehre  von  der  Prognose  wird  ausführlich  erörtert. 
In  den  Sektionssälen  lernt  er  die  Methoden  der  Au¬ 
topsie  ....  Überall  begegnen  wir  einer  zielbewussten, 
durch  jahrelanges  Ausprobieren  festgelegten  Methodik, 
die  auch  im  späteren  Leben  für  den  Arzt,  wie  für  den 
Forscher  die  gleiche  Geltung  behält  und  von  der  abzu¬ 
weichen  als  Fehler  betrachtet  wird.“ 

Anders  steht  es  mit  der  Therapie.  Der  angehende 
Arzt  lernt  zwar  die  Mittel  kennen,  die  bei  einzelnen 
Kranken  angewendet  wTerden,  hat  aber  nicht  die  Ge¬ 
legenheit  die  Reaktion  des  Organismus  auf  die  Heil¬ 
methode,  Komplikationen,  Abweichungen  und  Neben¬ 
wirkungen  kennen  zu  lernen,  das  Wie  und  Warum  der 
Heilmittelwirkung  bleibt  ihm  gänzlich  verborgen.  Er 
sieht  wohl  den  Anfang,  bisweilen  auch  das  Ende,  nicht 
aber  das  gesamte  Krankheitsbild,  wie  es  sich  unter 
dem  Einflüsse  der  angewandten  Heilmethode  gestaltet, 
er  lernt  mit  einem  Wort  nicht  die  Methode  in  der 
Therapie  und  nicht  die  Therapie  nach  einer  Methode. 
Wenn  er  in  späteren  Jahren  die  Wirkung  neuer  Mittel 
selbständig  erproben  will,  so  wird  der  Effekt  wiederum 
der  gleiche  sein:  das  Experimentieren  mit  einem 
Mittel,  aber  ohne  Kautelen,  ohne  System,  ohne  Me¬ 
thode. 

Um  zu  beweisen,  wie  schwer  es  ist  über  die  Wir¬ 
kung  verschiedener  einzelner  Faktoren  bei  der  Behand¬ 
lung  interner  Krankheiten  zu  urteilen,  macht  der  Ver¬ 
fasser  auf  die  verschiedenen  Fehlerquellen  die  bei  der 
Beurteilung  von  Heilmethoden  in  Betracht  kommen  auf¬ 
merksam. 

Zuerst  erinnert  er  an  die  Spontanheilungen  zahl¬ 
reicher  Krankheiten,  die  durch  den  Charakter  der  Krank¬ 
heit,  den  sog.  Genius  epidemicus  und  andere  unbe¬ 
kannte  Faktoren  beeinflusst  wird.  Deshalb  ist  es  sogar 
erfahrenen  Ärzten  schwer  etwas  über  die  Wirkung  von 
Heilmitteln  bei  Krankheiten  wie  Lungenentzündung, 
Erysipelas,  Masern,  Scharlach  auszusagen  und  die  Wir¬ 
kung  des  Heilmittels  von  der  Spontanheilung  abzu¬ 
grenzen. 

Eine  andere  Fehlerquelle  findet  Boas  darin,  dass 
bei  der  Beschreibung  von  Resultaten  nur  die  positiven 
Fälle  berücksichtigt  werden,  während  meistens  die  Zahl 
der  Fälle,  in  welchen  das  Mittel  überhaupt  angewandt 
wurde  und  in  welchem  es  fehlgeschlagen  hat,  gewöhn¬ 
lich  gar  nicht  angegeben  wird. 

Der  Wert  verschiedener  Mitteilungen  über  die  Wir¬ 
kung  vieler  Heilmittel  ist  auch  deshalb  sehr  gering, 
weil  neben  dem  Mittel  noch  ein  ganzer  therapeutischer 
Apparat  z.  B.  entsprechende  Diät,  Wasserheilmethoden 
usw.  angewandt  werden. 

Ein  Autor  z.  B.,  der  seine  Erfahrungen  über  Cho- 
logenbehandlung kundgibt,  empfiehlt  neben  der  Chologen- 
kur  seinen  Kranken  zehn  Gebote,  die  sich  auf  diä¬ 
tetische  Massregeln,  Tiefatmen,  Hautpflege,  Turn¬ 
übungen  beziehen. 

„Wer  diese  zehn  Gebote“,  sagt  mit  Recht  Boas, 
lange  genug  befolgt,  wird  unbedingt  eine  günstige  Wir¬ 
kung  auf  sein  Gallensteinleiden  bemerken  müssen  und 
zwar  ganz  ohne  Chologen  ja  ohne  jedes  andere  Mittel 
überhaupt. 

Genau  dasselbe  begegnet  man  in  der  stark  rekla¬ 
mierten  Eunatroltherapie. 


46 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  5. 


Wieder  werden  neben  dieser  die  gymnastischen 
Übungen,  besonders  das  Tiefatmen,  dazu  noch  heisse 
Bäder,  Einpackungen  der  Lebergegend  mit  heissen 
Sandsäcken  und  sogar  die  Anwendung  des  Karlsbader 
Wassers  empfohlen.  ,,So  hat  der  Kranke“  sagt  Ewald 
,,den  lieben  langen  Tag  unausgesetzt  mit  seiner  Kur  zu 
tun  und  man  kann  wohl  sagen,  dass  wer  dieselbe 
vvochen-  ja  monatelang  durchführen  kann,  eine  recht 
kräftige  Konstitution  haben  muss.“ 

Einen  grossen  Fehler  der  therapeutischen  Me¬ 
thode  sieht  Boas  in  der  Verschweigung  von  Neben¬ 
wirkungen  und  in  dem  Suggerieren  des  erwünschten  Er¬ 
folges. 

Boas  glaubt  sogar,  dass  es  Kranke  gibt,  welche  nur 
„um  den  guten  Doktor,  der  sich  so  viel  Mühe  gibt  nur 
ja  nicht  zu  betrüben“  einen  guten  Erfolg  heucheln  und 
ihm  von  einer  guten  Wirkung  erzählen.  (!  !) 

Die  Kombination  verschiedener  Methoden  und 
Mittel  erschwert  offenbar  das  Erkennen  der  Wirkung. 

Der  berühmte  französische  Neurologe  Brown- 
Sequard,  der  neben  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten 
Zeit  fand  um  in  London,  Paris  und  New- York  ärzt¬ 
liche  Praxis  auszuüben,  verordnete  Medikamente,  die 
ein  ganzes  Dutzend  der  stärksten  Alkaloide,  wie  Strych¬ 
nin,  Morphin,  Cominin,  Aconitin,  Atropin,  Curare  usw. 
enthielten. 

Ein  ungarischer  Arzt  hat  bei  der  Behandlung  der 
Epilepsie  eine  Methode  angegeben,  die  auf  Bromdar¬ 
reichung  und  Chlorentziehung  bestand.  Er  hat  ein 
lakto  vegetabilisches  Regime  angewandt  und  liess  das 
Kochsalz  im  Graubrot  durch  3  Gramm  Brom  er¬ 
setzen. 

Da  hier  mehrere  verschiedene  Faktoren  mitwirken, 
so  wäre  es  schwer  bei  einem  eventuellen  Erfolge  zu 
entscheiden,  was  hier  von  grösserer  Bedeutung  ist:  die 
Darreichung  von  Brom,  die  kochsalzarme  Nahrung 
oder  die  vegetabilische  Diät. 

In  ähnlicher  Weise  äussert  sich  Boas  über  den 
zweifelhaften  Wert  verschiedener  traditioneller  Mittel 
wie  Eisen,  Gentiana,  Tannin  usw. 

Als  ein  Panacäum  gegen  alles  Unheil  der  Thera¬ 
pie  empfiehlt  Boas  die  Gründung  von  speziellen  thera¬ 
peutischen  Kliniken. 

Sie  hätten  zur  Aufgabe  alte  und  neue  therapeu¬ 
tische  Methoden  nachzuprüfen,  die  Wirkung  einzelner 
Medikamente  zu  versuchen  und  Ärzte  in  die  rationelle 
Therapie  einzuleiten.  Diese  Unternehmungen  sollten 
nach  folgenden  Prinzipien  geleitet  werden.  Jedes  neue 
Mittel  sollte  bei  verschiedenen  Kranken  unter  ver¬ 
schiedenen  Umständen  geprüft  werden. 

Der  Kranke  sollte  zuerst  in  einen  Gleichgewichtszu¬ 
stand  gebracht  und  es  darf  der  Versuch  nicht  begonnen 
werden,  wenn  der  Kranke  z.  B.  wegen  Schmerzen  Mor¬ 
phium  bekommt. 

Selbstverständlich  muss  das  Präparat  chemisch  rein 
sein.  Dieselbe  Dosis  wird  allen  Kranken  verabreicht 
und  es  soll  jedesmal  kontrolliert  werden,  ob  das  Mittel 
tatsächlich  eingenommen  wurde. 

Täglich  sollten  die  Wirkung  und  eventuelle  Neben¬ 
wirkungen  genau  notiert  werden.  Wenn  man  über  eine 
grössere  Anzahl  gleichartiger  Kranke  verfügt,  ist  es  rat¬ 
sam  nur  der  einen  Hälfte  des  Krankenmaterials  das 
Medikament  zu  verabreichen,  bei  der  anderen  aber  die 
alleinige  Wirkung  der  Ruhe,  Ernährung  usw.  zu  be¬ 
obachten. 

Jede  suggestive  Beeinflussung  des  Kranken  ist  zu 
vermeiden.  Man  darf  ihm  die  erhoffte  Wirkung  des 
Mittels  nicht  im  voraus  ankündigen.  Man  soll  manch¬ 
mal  das  Medikament  durch  ein  indifferentes  Mittel  er¬ 
setzen,  um  die  vorübergehende  Wirkung  von  der  dau¬ 
ernden  zu  unterscheiden. 

Es  ist  notwendig  sich  durch  längere  Zeit  Nach¬ 


richten  von  dem  Gesundheitszustand  des  Kranken  zu 
verschaffen, 

Zu  diesem  Zwecke  schlägt  Boas  vor,  einen  syste¬ 
matischen  Nachforschungsdienst  einzurichten.  Die  ein¬ 
zige  Aufgabe  eines  sehr  zuverlässigen  Assistenten  wäre, 
mit  den  Kranken  nach  ihrer  Entlassung  aus  dem  Hospi¬ 
tal  in  dauerndem  Kontakte  zu  bleiben. 

Dies  ist  der  Inhalt,  der  sich  unter  Weglassung  ver¬ 
schiedener  unnötiger  Details  und  Wiederholungen,  aus 
dem  Büchlein  Boas'  zusammenstellen  liess. 

Unter  den  von  B.  aufgezählten  therapeutischen 
Sünden  unterscheidet  er  nicht  diejenigen,  die  als  Folge 
der  Unvollkommenheit  unseres  Wissens  zu  betrachten 
von  denen,  welche  durch  falsche  Beobachtungen,  un¬ 
logische  Konstruktionen  und  unrichtige  Darstellung  ent¬ 
standen  sind. 

Der  Stand  des  therapeutischen  Könnens  ist  un¬ 
zweifelhaft  von  dem  allgemeinen  Niveau  des  medi¬ 
zinischen  Wissens  abhängig.  Er  verändert  sich  je  nach 
den  Fortschritten  auf  dem  Gebiete  der  Physiologie,  Pa¬ 
thologie,  Chemie  und  der  Naturwissenschaften  im  all¬ 
gemeinen. 

Unser  Urteil  über  die  Wirkung  verschiedener  Me¬ 
dikamente  basiert  tatsächlich  manchmal  auf  ungenügender, 
kritikloser  Beobachtung.  Oft  aber  ist  es  deshalb 
lückenhaft,  weil  unsere  Kenntnisse  der  Funktionen  ver¬ 
schiedener  Organe  und  deren  Störungen  sehr  mangel¬ 
haft  sind.  Diejenigen  Elaborate  über  die  Wirkung 
des  Chologens  und  Eunatrols,  welche  Boas  kommen¬ 
tiert,  haben  in  Wirklichkeit  einen  sehr  kleinen  Wert 
und  dies  aus  zweierlei  Gründen:  erstens,  weil  die 
Verfasser  die  Wirkung  der  Mittel  nicht  genügend  von 
der  allgemeinen  Diät  abgegrenzt  haben,  zweitens  auch 
deshalb,  weil  wir  über  die  Bedeutung  der  Leber  im 
Organismus,  über  ihre  Funktionen  und  Mittel,  welche 
diese  Funktionen  imstande  sind  zu  beeinflussen,  gar  wenig 
wissen. 

Es  sind  uns  nur  einige  Tatsachen  genau  bekannt 
und  zwar,  dass  die  Leber  Galle  ausscheidet  und  Gly¬ 
kogen  bildet  ;  dagegen  gibt  es  eine  ganze  Reihe  von 
Fragen,  welche  wir  nicht  beantworten  können. 

Wir  wissen  z.  B.  weder  von  dem  Zusammenhang 
der  erwähnten  Produkte  noch  von  der  Entstehung  der 
Gallensäuren  und  des  Cholestearins,  noch  von  der  Her¬ 
kunft  der  Gallenfarbstoffe  usw.  usw. 

Es  ist  deshalb  kein  Wunder,  dass  wenn  wir  thera¬ 
peutisch  vorgehen  und  dieses  oder  jenes  gallentreibendes 
Mittel  empfehlen  wollen,  wir  gleichfalls  im  Dunkeln 
herumtappen. 

Boas  kritisiert  die  Anwendung  j  des  Eisens  bei  der 
Behandlung  der  Chlorose. 

Diese  Ansicht  ist  durchaus  nicht  neu.  Schon  Du- 
jardin-Beaumetz  war  der  Meinung,  dass  die  Bedeutung 
des  Eisens  bei  der  Behandlung  der  Blutarmut  nicht 
mehr  leistet  als  kaltes  Wasser,  Gymnastik  und  hy¬ 
gienische  Massregeln  im  allgemeinen. 

„Es  wäre  ein  Fehler“,  sagt  Eichhorst,  „den  Begriff 
der  Chlorose  im  therapeutischen  Sinne  mit  der  Not¬ 
wendigkeit  der  Eisenbehandlung  zu  identifizieren“. 
Auch  F.  A.  Hoffmann  hat  in  seinem  berühmten  Hand¬ 
buch  der  allgemeinen  Therapie  die  Einschränkung  der 
Eisenbehandlung  zu  Gunsten  der  hygienischen  Methoden, 
als  einen  grossen  Fortschritt  auf  diesem  Gebiete  be¬ 
zeichnet. 

Die  Ursache  der  ewigen  Misserfolge  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Blutarmut  ist  unsere  Unkenntnis  sowohl 
des  Wesens  dieser  Krankheit  wie  auch  der  Resorptions¬ 
bedingungen  des  Eisens  im  Organismus. 

Wir  können  also  deshalb  nicht  diejenigen  Fehl¬ 
griffe,  welche  durch  allgemeine  Insuffizienz  unseres 
Wissens  verursacht  Jsind,  als  Mängel  der  therapeutischen 
Methodik  bezeichnen. 


Nr.  5. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


47 


Anderseits  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  die 
medizinische  Literatur  durch  eine  Menge  wertloser 
Arbeiten  überschwemmt  wird,  die  nicht  nur  die  Wissen¬ 
schaft  nicht  vorwärts  bringen,  sondern  als  unnötiger 
Ballast  ihren  Fortschritt  hemmen.  Das  geschieht  aber 
nicht  nur  auf  dem  Gebiete  der  Therapie,  sondern  eben- 
solin  Bezug  auf  Aetiologie,  Diagnostik  usw.  Es  ist  des¬ 
halb  etwas  einseitig  wenn  Prof.  Boas  nur  in  der  I  he- 
rapie  Lücken  sieht  und  nur  für  den  Bau  der  thera¬ 
peutischen  Methodik  sorgt,  denn  gerade  eben  so  schlecht 
bestellt  ist  es  mit  der  gesamten  medizinischen  Me¬ 
thodik. 

Zur  Hebung  der  therapeutischen  Methodik  empfiehlt 
Boas  die  Gründung  spezieller  therapeutischer  Kliniken, 
in  denen  man  unter  strenger  Kontrolle  die  Anwendung 
verschiedener  Methoden  und  neuer  Mittel  versuchen 
könnte. 

Obgleich  die  internen  Kliniken  auch  jetzt  die  Ge¬ 
legenheit  nicht  unterlassen,  um  Versuche  mit  neuen 
Mitteln  anzustellen,  so  kann  man  prinzipiell  gegen 
die  Gründung  spezieller  therapeutischer  Kliniken 
nichts  einwenden,  es  ist  aber  fraglich,  ob  dieses  Mittel 
genügt. 

Was  soll  man  jedoch  mit  der  Kritiklosigkeit  der 
Arzte  anfangen,  wenn  sie  sich  auf  anderen  Gebieten  der 
medizinischen  Wissenschaft  offenbart? 

Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  die  Vorschläge 
Boas’  nicht  genügen,  dass  man  die  Ursachen  der 
Minderwertigkeit  der  medizinischen  Arbeiten  wo  anders 
suchen  muss  und  zwar  in  dem  ganzen  System  des  medi¬ 
zinischen  Unterrichtes. 

Das  medizinische  Studium  der  Jetztzeit  nimmt  das 
Gedächtnis  des  Studenten  viel  zu  sehr  in  Anspruch, 
überbürdet  es  mit  tausenden  von  Namen,  sorgt  dagegen 
zu  wenig  dafür  um  die  Fähigkeit  logisch  zu  denken, 
systematisch  zu  pflegen  und  zu  entwickeln. 

Der  zukünftige  Arzt  müsste  eigentlich  so  vorbereitet 
sein,  dass  er  an  jedes  Problem,  welchem  er  in  der  Praxis 
begegnen  wird,  näher  herantreten  und  es  methodisch 
auffassen  kann. 

Man  müsste  der  Ausbildung  des  Denkvermögens 
und  des  kritischen  Scharfsinns  des  zukünftigen  Arztes 
mehr  Aufmerksamkeit  schenken  und  ihn  mit  den  Prin¬ 
zipien  der  wissenschaftlichen  Untersuchung  genau  bekannt 
machen. 

In  das  Programm  des  medizinischen  Unterrichtes 
gehören  unbedingt  die  Logik  und  die  philosophische 
Propädeutik. 

Vom  für  alle  Fakultäten  obligatorischen  Unterricht 
in  der  Logik  sind  einzig  nur  die  Hörer  der  Medizin 
befreit. 

Wenn  ein  Chemiker  bei  Ausführung  einer  Analyse, 
ein  Botaniker  bei  der  Bestimmung  einer  Pflanze,  der 
Physiker  bei  seinen  Experimenten  —  mit  den  Grund¬ 
sätzen  der  Logik  und  besonders  der  induktiven  Methode 
vertraut  sein  müssen,  so  ist  die  Kenntnis  dieser  Prin¬ 
zipien  einem  Biologen  im  allgemeinen  und  einem  Arzte 
im  speziellen  geradezu  unentbehrlich.  Der  Mediziner 
hat  mit  Erscheinungen  zu  tun,  die  viel  mehr  kompli¬ 
ziert  sind  als  die  der  unorganischen  Natur,  er  muss 
deshalb  bei  seinen  Schlussfolgerungen  und  der  Beur¬ 
teilung  seiner  Beobachtungen  erst  recht  vorsichtig  sein. 
Es  müssen  ihm  alle  Methoden  der  wissenschaftlichen 
Untersuchung  geläufig  sein,  denn  in  den  verschiedenen 
Disziplinen  des  Gesamtbaues  der  Medizin  werden  ver¬ 
schiedene  Methoden  angewandt.  In  der  Physiologie, 
Pathologie,  Pharmakologie  usw.  kommt  hauptsächlich 
die  induktive  Methode  d.  h.  das  Experiment  und  die 
Beobachtung  in  Betracht.  Deduktion  und  Syllogismus 
werden  bei  der  Bestimmung  der  Prognose  und  der  The¬ 
rapie ,  die  statistische  Methode  bei  Feststellung  der 
Ätiologie  gebraucht. 


Indessen  ist  für  den  Durchschnittsarzt  sow’ohl  die 
Logik,  wie  die  Elemente  der  Philosophie  eine  wahre  ,, terra 
incognita“. 

Die  meisten  Ärzte  werden  wohl  keine  richtige  Ant¬ 
wort  geben,  wenn  man  sie  über  die  Methoden  der  medi¬ 
zinischen  Wissenschaften,  die  Grenzen  der  induktiven 
und  deduktiven  Methode,  über  den  Wert  der  statistischen 
Methode  fragt.  Von  dem  Bau  des  Syllogismus  haben  sie 
auch  nur  einen  ganz  dunklen  Begriff.  Allerdings  machen 
die  meisten  Menschen  ganz  richtige  Schlussfolgerungen, 
ohne  die  einzelnen  Teile  des  Syllogismus  zu  kennen. 
Ebenso  geht  es  vielen  Ärzten,  denen  die  Übung  und 
der  gesunde  Menschenverstand  die  theoretische  Vor¬ 
bildung  ersetzen.  Viele  von  ihnen  stellen  richtige  Dia¬ 
gnosen,  trotzdem  sie  von  den  logischen  Grundlagen  des 
Differenzierens  nichts  wissen. 

Es  sollte  aber  anders  sein. 

Der  Gedankengang  eines  Arztes  darf  nicht  eine 
instinktive  unbewusste  Gehirntätigkeit  sein,  er  soll  einen 
präzisen  streng  logischen  Prozess  darstellen. 

Der  medizinischen  Gedankenwelt  haftet  eine  Un¬ 
menge  von  Vorurteilen  und  Sophismen  an.  Wenn  wir 
auf  die  Geschichte  der  Medizin  zurücksehen,  so  werden 
wir  es  leicht  begreifen,  warum  diese  Wissenschaft  von 
unbewiesenen,  rein  empirischen  Indikationen  wimmelt, 
weshalb  in  ihr  so  viele  Mittel  angewandt  werden,  die 
nur  das  für  sich  haben,  dass  sie  durch  die  Tradition 
geheiligt  worden  sind. 

Im  Laufe  der  Jahrhunderte  haben  sich  der  medi¬ 
zinischen  Wissenschaften  verschiedene  falsche  ,  sogar 
widersinnige  Anschauungen  einverleibt,  mit  denen  nur  der¬ 
jenige  Arzt  kämpfen  kann,  der  mit  den  Waffen  der 
Logik  gut  ausgerüstet  ist. 

Es  wäre  interessant,  alle  Sophismen,  welche  in  der 
Medizin  Vorkommen  zusammenzustellen. 

Der  Satz  „cessante  causa  cessat  effectus“  wird  als 
Gesetz  betrachtet.  Indessen  hat  schon  Lotze  bewiesen, 
dass  die  Ursache  der  Krankheit  transitorisch  sein  kann, 
die  hervorgerufenen  Störungen  aber  dauernd  bleiben 
können. 

Ein  logischer  B'ehler,  gegen  den  die  Ärzte  sich 
meistens  verwahren,  ihn  trotzdem  aber  oft  begehen  ist 
das  Sophisma  :  ,,post  hoc  ergo  propter  hoc“.  W7ir  sind 
zu  sehr  geneigt  die  Veränderungen  im  Laufe  der  Krank¬ 
heit  dem  dargereichten  Mittel  zuzuschreiben  und 
sehen  deshalb  einen  kausalen  Zusammenhang  oft 
dort,  wo  es  sich  eigentlich  nur  um  eine  Koinzidenz 
handelt. 

Auf  demselben,  jedoch  umgekehrten  Sophisma  be¬ 
ruhen  die  Diagnosen,  die  auf  Grund  der  Veränderungen 
nach  Verwendung  eines  Mittels  gestellt  werden,  die 
sogenannte  Diagnose  „ex  juvantibus  et  nocentibus“.  Es 
kann  hier  ebenso  ein  kausaler  Zusammenhang  wie  ein 
zufälliges  Zusammentreffen  vorliegen.  Nicht  selten  linden 
wir  in  medizinischen  Arbeiten  einen  Fehler,  der  durch 
die  Logik  als  petitio  principii  gebrandmarkt  wird.  Er 
entsteht,  wenn  man  einen  dunklen  Begriff  durch  einen 
anderen  der  auch  nicht  ganz  klar  ist,  zu  erläutern  ver¬ 
sucht,  ebenso  wenn  man  das  als  Argument  zitiert,  was 
erst  eigentlich  bewiesen  werden  muss,  bolchen  Ge¬ 
dankengang  verspottet  Moliere,  indem  er  einen  Arzt 
die  Wirkung  des  Opiums  folgendermassen  erklären 
lässt:  „l’opium  endormit,  parce  qu’il  a  une  vertu  sopori- 
fique“. 

Hierher  gehören  auch  die  voreiligen  Diagnosen,  die 
anstatt  der  objektiven  Beschreibung  bei  der  Aufnahme 
des  Status  praesens  notiert  werden  z.  B.  „Tuberkulöse 
Veränderungen  in  den  Lungenspitzen“  an  Stelle  der 
Ergebnisse  der  Auskultation  und  Perkussion. 

Wenn  wir  die  Tatsachen,  die  Boas  in  seiner  Kritik 
der  modernen  Therapie  zusammengestellt  hat,  einer 
Analyse  unterwerfen,  so  stellt  sich  heraus,  dass  manche 


48 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  5. 


dieser  Mängel  auf  einer  ungenügenden  Entwicklung 
der  Physiologie  und  Pathologie  basieren,  andere 
wiederum  zu  den  oben  erwähnten  logischen  Fehlern 
gehören. 

Wenn  beispielsweise  ein  Arzt  auf  Grund  von  5 
Beobachtungen  irgend  ein  Mittel  gegen  Magenschmerzen 
empfiehlt,  wenn  ein  Gelehrter  auf  Grund  seiner  Sta¬ 
tistik  es  für  bewiesen  hält,  dass  Tabes  eine  Folge  von 
Lues  ist,  ein  anderer  aber  ebenfalls  auf  statistische  Daten 
gestürtzt  behauptet,  dass  Tabes  keinen  Zusammenhang 
mit  Syphilis  hat,  so  beweisen  solche  Schlussfolgerungen, 
dass  den  betreffenden  Autoren  sowohl  die  Anwendbar¬ 
keit  und  der  Grad  der  Sicherheit  der  statistischen  Me¬ 
thode,  wie  die  schon  von  Bacon  von  Verulam  fest¬ 
gestellten  Bedingungen  des  wissenschaftlichen  Experi¬ 
mentes  total  unbekannt  geblieben  sind. 

Einige  Symptome  der  Krankheit,  an  der  die  medi¬ 
zinische  Wissenschaft  laboriert,  sind  von  Boas  richtig  er¬ 
fasst  worden.  Die  Diagnose  und  die  Ätiologie  des 
Leidens  sind  aber  nicht  erschöpft  und  die  therapeutischen 
Vorschläge  nicht  genügend. 

Das  Gründen  von  therapeutischen  Kliniken  allein 
kann  nur  wenig  helfen,  ebenso  wenig  erfolgreich  er¬ 
weisen  sich  andere  von  Boas  vorgeschlagene  Mittel,  z.  B. 
die  Verschärfung  der  Zensur  von  seiten  der  Heraus¬ 
geber  der  medizinischen  Zeitschriften.  Boas  fordert 


nämlich,  dass  die  Redakteure  alle  Arbeiten,  welche  keine 
genaue  Krankheitsgeschichten  und  Angaben  über  Miss¬ 
erfolge  enthalten,  nicht  annehmen  sollen. 

Wir  dürfen  eine  Verbesserung  der  Misszustände 
in  der  medizinischen  Literatur  nur  durch  eine  totale  Um¬ 
gestaltung  des  ärztlichen  \  orbereitungsstudiums  er¬ 
warten.  Dazu  muss  man  aber  die  Logik  und  philo¬ 
sophische  Propädeutik  als  obligatorische  Fächer  in  die 
medizinische  Fakultät  einführen,1)  während  der  ganzen 
Studienzeit  auf  die  Verschärfung  des  kritischen  Denkens 
mehr  Gewicht  legen  und  die  Studierenden  an  exakte  Be¬ 
obachtungen  und  streng  logisches  Denken  gewöhnen. 
Dadurch  wird  sich  erst  der  wissenschaftliche  Wert  medi¬ 
zinischer  Arbeiten  erhöhen  lassen. 


c  uie  Log,  '  die  ».Wissenschaft  der  Wissenschaften“  wie  sie  I 
S.  Mi  11  genannt  hat  bildet  das  höchste  Kriterium  der  menschlichen 
Forschung  und  ihre  Gesetze  sind  überall,  zu  jeder  Zeit  und  für  jede 
einzelne  Wissenschaft  obligatorisch;  trotzdem  aber  haben  ver¬ 
schiedene  Wissenschaften  gewisse  Besonderheiten  ihrer  Methodik 
hme  L°g!k  an  medizinische  Wissenschaft  angewandt,  ist  also  voll¬ 
ständig  berechtigt  In  der  ganzen  Weltliteratur  gibt  es  aber  abge¬ 
sehen  von  dem  wenig  gelungenen  Kapitel,  welches  der  Medizin  in 
Bains  „Logik“  gewidmet  ist,  nur  ein  Werk,  das  dieses  Thema  be- 
landelt,  nämlich  das  in  polnischer  Sprache  erschienene  und  auch  ins 
deutsche  übersetzte  vorzügliche  Werk  von  W.  Bieganski :  Medizinische 
Logik,  Kritik  der  ärztlichen  Erkenntnis“  1908. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

R  e  i  s  s  :  Der  Wert  der  Agglutinationsprobe  bei  Typhus¬ 
geimpften.  (M.  m.  W.  1915,  38.) 

Verf.  weist  ausführlich  und  energisch  darauf  hin,  dass  bei 
Geimpften  auch  bei  Werten  von  1  :  400  die  Gruber- Wi  dalsche 
Probe  nicht  beweisend  ist  Denn  bei  irgend  welchen  Krank¬ 
heiten  geht  der  Titer  von  Patienten,  die  vor  Jahren  mal  Typhus 
hatten,  noch  in  die  Höhe.  Hier  fehlen  leider  Angaben  darüber 
ob  sich  auch  während  der  Krankheit  der  Titer  wie  bei  Typhus 
verändert ;  denn  gerade  auf  dieses  Steigen  des  Titers  legte  man 
vor  dem  Kriege  grossen  Wert.  R.  kommt  zu  dem  Resultat, 
dass  bei  Geimpften  „dem  Agglutinationstiter  des  Serums,  wie 
hoch  er  auch  sei,  jeder  diagnostische  Wert  abgesprochen  werden“ 
rauss-  B  o  e  n  h  e  i  m. 

Hubert:  „Die  Bedeutung  der  Vorgeschichte,  des  Be¬ 
fundes  und  der  Wassermannschen  Reaktion  für  die  Erkennung 
der  syphilitischen  Ansteckung  in  den  breiteren  Volksschichten« 
(M.  m.  W.  1915,  39.) 

Verf.  zeigt  an  seinem  grossen  Material  die  überaus  grosse 
Häufigkeit  der  Syphilis,  für  deren  Erkennung  die  W  a  s  s  er¬ 
mann  s  c  h  e  Reaktion  sehr  wichtig  ist,  wobei  man  aber  nicht 
vergessen  darf,  dass  dies  nur  ei  n  diagnostisches  Mittel  ist. 
Im  übrigen  muss  auf  die  beiden  Tabellen  der  Arbeit  verwiesen 
werden-  ..  Boenheim. 

L  a  q  u  e  u  r  :  t  ber  die  Unschädlichkeit  der  Typhusschutz¬ 
impfungen.  (M.  m.  W.  1915,  38.) 

Auf  Grund  seiner  grossen  Erfahrungen  kommt  Verf.  zu 
dem  Resultat,  dass  die  Impfungen  nie  mit  Schädigungen  ver¬ 
bunden  sind.  Er  sah  nur  fast  stets  eine  lokale  Reaktion.  Die 
Pulsfiequenz  stieg  nach  den  Impfungen  um  1,3  Schlag  pro 
Minute.  L.  wendet  sich  gegen  ein  Nichtaufbrauchen  der  Flaschen 
und  gegen  das  Ausglühen  der  Nadeln  an  Stelle  des  Auskochens. 

Boenheim. 

Ziersch:  Beobachtungen  bei  Typhussohiitzireimiiftei;. 
(M.  m.  W.  1915,  39.) 

Verf.  untersuchte  bei  45  Patienten  die  Seren  mehr  oder 
weniger  lange  (2  Tage  bis  6  Monate)  nach  der  Impfung  nach 
Gruber  - W  i  d  a  1  und  fand  diese  Reaktion  in  18  Fällen 
o-itiv,  in  2  <  Fällen  negativ.  Während  er  hier  keine  Gesetz- 1 


mässigkeit  feststellen  konnte,  fand  er,  dass  nach  Typhusschutz¬ 
impfungen  sehr  bald  eine  lang  anhaltende  Leukopenie  eintritt. 
„Eine  „negative  und  positive  Phase“  im  Anschluss  an  die 
einzelnen  Impfungen  konnte  nicht  erkannt  werden.“  Das 
prozentuale  Blutbild  ähnelt  dem  des  Typhus  abdominalis. 

Boenheim. 

W  o  1  f  :  Zur  Frage  der  prophylaktischen  Impfung  gegen 
Tetanus.  (M.  m.  W.  1915,  39.) 

Verf.  tritt  hierfür  ein  bei  verdächtigen  Wunden,  evtl,  will 
er  die  doppelte  der  bisher  gebräuchlich  gewesenen  Dosen  an¬ 
gewandt  haben.  Dagegen  erklärt  er  es  für  belanglos,  wenn  die 
Impfung  erst  nach  einigen  Stunden  oder  am  nächsten  Tage 
stattfindet.  Boenheim. 


Innere  Medizin. 

M  a  t  t  h  e  s  :  Über  die  Zahl  und  die  Formen  der  weißen 
Blutkörper  beim  Fleckfieber.  (M.  m.  W.  1915,  40.) 

M.  kommt  nach  seinen  Blutuntersuchungen  zu  dem  Er¬ 
gebnis,  dass  man  häufig,  wenn  auch  nicht  immer,  eine  mässige 
Leukozytose  findet.  Die  Fälle  von  Fleckfieber,  bei  denen  die 
Leukozytenzahl  einen  kleinen  Wert  zeigt,  haben  dasselbe  Bild 
wie  Masern.  Boenheim. 

Ehret:  Zur  Kenntnis  der  akzidentellen  Herzgeräuschc 
bei  Kriegsteilnehmern,  (M.  m.  W.  1 9  L5,  40.) 

Bei  direkt  von  der  Front  kommenden  Pat.  findet  man  oft 
Geräusche  am  Herzen,  die  auch  mit  Störungen  der  Herzschlag¬ 
folge  (Extrasystolen  usw.)  einhergehen  können.  Die  Geräusche 
fallen  meist  in  die  Systole.  Hört  man  neben  dem  Geräusch 
nicht  noch  den  reinen  Ton,  so  muss  man  bei  der  Beurteilung 
vorsichtig  sein.  „Das  Geräusch  ist  auf  der  Höhe  oder  gegen 
die  Höhe  der  Einatmung  aufiallend  laut,  auf  der  Tiefe  oder 
gegen  die  Tiefe  der  Expiration  ganz  verschwunden  oder  kaum 
zu  hören.  Auch  genau  das  umgekehrte  kommt  vor.“  Am 
häufigsten  hört  man  sie  an  der  Spitze,  dann  im  2.  Interkostal¬ 
raum  links.  Boenheim. 

Meyer:  Fieberloser  Typhus.  (M.  m.  W.  1915,  40.) 

Verf.  führt  3  Fälle  auf.  Da  es  sich  um  junge,  kräftige 
Leute  handelt,  so  kann  man  nicht  mit  Ort  n  er,  Fräntzel 


Nr.  5. 


49 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


und  Strubbe  annehmen,  dass  der  Körper  nicht  mehr  die 
Kraft  der  Reaktion  hat  Das  wahrscheinlichste  ist,  „dass 
Typhusbazillen  bei  geringfügigen  klinischen  Erscheinungen  ohne 
Temperatursteigerung  in  der  Blutbahn  kreisen  können“,  wenn 
man  annimmt,  dass  eine  natürliche  oder  künstlich  geschaffene 
Immunität  besteht.  Boenheim. 

Kafka:  Untersuchung  tuberkulös-meningitisclier  Punktions¬ 
flüssigkeiten  mit  Hilfe  der  Ninhydrinreaktion.  (M.  m.  W. 
1915,  40.) 

Die  Untersuchung  nach  dieser  Probe  bringt  diagnostisch 
gegen  andere  akute  Meningitiden  nicht  weiter.  Dialysiert  man 
den  Liquor  gegen  Aq.  dest ,  so  ist  eine  Unterscheidung  gegen 
Erkrankungen,  die  mit  einer  Vermehrung  von  Liquoreiweiss 
einhergehen,  möglich.  Boenheim. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Horn,  Paul.  Zur  Heilbarkeit  der  Schreekneu rosen  nach 
Abfindung.  (Zeitschrift  für  Bahn-  und  Bahnkassenärzte  1915, 
Nr.  9.) 

Die  Schreckneurose  —  eine  Sonderart  der  Unfallneurosen 
—  ist  eine  ausgesprochene  Psychoneurose.  Sie  ist  charakteri¬ 
siert  auf  psychischem  Gebiete  durch  eine  allgemeine  Exaltation 
eventl.  mit  vorübergehender  Verwirrtheit  und  durch  fixierte 
Angstaftekte,  auf  körperlichem  Gebiete  durch  Alteration  des 
vasomotorischen  Systems  (z.  B.  Pulsbeschleunigung,  Erhöhung 
des  systolischen  Blutdruckes,  Dermographie  u  a.).  Steigerungen 
des  systolischen  Blutdruckes  bei  Ausschluss  organischer  Kompli¬ 
kationen  legt  Verfasser  pathognomonische  Bedeutung  bei. 

Die  Heilungsaussichten  der  unkomplizierten  Schreckneurose 
sind  durchaus  günstig,  aber  an  bestimmte  Bedingungen  ge¬ 
knüpft. 

1.  Geregelte  Beschäftigung  ist  sobald  als  möglich  in  die 
Wege  zu  leiten. 

2.  Die  Entschädigungsfrage  ist  durch  einmalige  Kapitalabfin¬ 
dung  möglichst  innerhalb  der  ersten  Monate  nach  dem 
Unfall  zu  erledigen. 

Heilung  tritt  um  so  rascher  ein,  je  eher  die  Abfindung 
erfolgt.  Langwierige  Verhandlungen  und  Haftpflichtprozesse 
haben  eine  unheilvolle  Wirkung  auf  die  Prognose.  Einberufung 
eines  ärztlichen  Schiedsgerichtes  oder  rechtsverbindliche  Einigung 
auf  einen  unparteiischen  ärztlicheu  Gutachter  lassen  den  Klage¬ 
weg  vermeiden.  Leider  ist  die  einmalige  Kapitalabfiudung 
durch  die  geltenden  Gesetze  beschränkt.  Nach  §  843,  3  B.  G.  B. 
ist  sie  nur  zulässig,  wenn  ein  besonderer  Antrag  des  Verletzten 
sowie  ein  wichtiger  Grund  zur  Abfindung  vorliegt.  Verfasser 
wünscht  eine  Erweiterung  des  Paragraphen  dahin,  dass  auch 
auf  alleinigen  Antrag  des  Haftpflichtigen  Kapitalabfindung  statt 
Rente  zugesprochen  werden  kann.  Bedenken  gegen  die  Ab¬ 
findung  erwachsen  nur  selten,  in  Fällen,  wo  die  Möglichkeit 
totaler  Simulation  vorliegt,  oder  aus  wirtschaftlichen  Gründen 
(z.  B.  drohende  Pfändung,  voraussichtliche  Verschleuderung  des 
Kapitals).  Solche  Fälle  werden  sich  unschwer  aussondern 
lassen. 

Jetzt  vorwiegend  übliche  Entschädigungsverfahren  sind 
folgende : 

1.  Lebenslängliche  bezw.  Dauerrenten  auf  unbestimmte 
Zeit.  Diese  entsprechen  nicht  mehr  den  neueren  An¬ 
schauungen  über  die  Prognose  nervöser  Unfallstörungen 
und  sollten  ohne  besonders  schwerwiegende  Gründe 
überhaupt  nicht  mehr  in  Anwendung  treten. 

2.  Kurzfristige  vorläufige  Renten  für  2 — 3  J.  mit  Ver¬ 
schiebung  des  Entscheidungsabschlusses  auf  die  Zu¬ 
kunft.  Auch  sie  erfüllen  ihren  Zweck  nicht,  weil  sie 
von  vornherein  nur  eine  einstweilige,  keine  definitive 
Erledigung  der  Entscheidungsangelegenheit  darstelleu. 
Solange  aber  Ansprüche  und  Aussichten  auf  Rente 
oder  spätere  Abfindung  bestehen,  solange  kommen  die 
Begehrungsvorstellungen  der  Rentenempfänger  nicht 
zur  Ruhe. 

3.  Einen  annehmbaren  Notbehelf  stellen  die  gerichtlich 
festgesetzten,  zeitlich  begrenzten,  fallenden  Reuten  dar, 
bei  denen  der  Rentenempfänger  von  vornherein  weiss, 
dass  nach  einem  gewissen  Zeitraum  die  Rente  ohne 


weiteres  in  Wegfall  kommt.  Aber  auch  hier  besteht 
noch  immer  die  Möglichkeit,  eine  neue  Haftpflichtklage 
zu  erheben,  wenn  der  Patient  nach  Ablauf  der  Rente 
sich  nicht  als  geheilt  betrachtet.  Nur  die  einmalige 
Kapitalabfindung  schliesst  jedes  Wiederaufleben  von 
Prozessen  und  Rentenbestrebungen  aus.  Sie  ist  das 
zweckmässigste  Entschädigungsverfahren  im  sozialen 
und  medizinischen  Interesse  des  Unfallverletzten,  wie 
im  Interesse  des  haftpflichtigen.  -  Verfasser  belegt 
seine  Ansichten  mit  überzeugendem, eigenem, kasuistischem 
und  statistischem  Material.  Seine  Ausführungen  ver¬ 
dienen  besondere  Beachtung  in  jetziger  Zeit,  wo  unter 
den  Kriegsverletzten  die  Zahl  der  Schreckneurosen  keine 
geringe  ist.  Enge  (Lübeck). 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

H.  W  o  1  1  i  n  :  Über  Darminvaginationen  im  Kin desalt err 
Aus  der  chirurg.  Abt.  des  Kaiser-Frauz-Josef  Kinderspitals 
Vorstand:  Reg.-Rat  Prof.  Bayer  in  Prag.  (Jahrb.  für  Kinder¬ 
heilkunde.  32.  Baud,  Heft  4.) 

Verf.  bespricht  an  Hand  von  20  Fällen  die  Aussichten 
der  Operation,  deren  Prognose  um  so  günstiger  ist,  je  älter  das 
Kind  und  je  kürzer  die  Invagination  ist.  Im  ersten  Lebens¬ 
jahre  kommen  die  Kinder,  weil  den  Symptomen  nicht  die  gleiche 
Bedeutung  zugemessen  wird,  wie  bei  älteren  Kindern,  meist  ver¬ 
spätet  zur  Operation,  deren  Resultat  dann  natürlich  schlechter 
ist,  um  so  mehr,  als  der  Säugling  weniger  Widerstandsfähig¬ 
keit  besitzt.  Braun. 

H.  L.  K  o  w  i  t  z  :  Über  bakterielle  Erkrankungen  der 
Harnorgane  im  Säuglingsalter  (sog.  Pyelocystitis.)  Aus  der 
Kinderabteilung  der  Krankenanstalt  Altstadt,  Magdeburg.  Ober¬ 
arzt  Prof.  Dr.  H.  Vogt  (Jahrb.  für  Kinderheilkunde.  32.  Band, 
Heft  4  ) 

Die  Infektion  kommt  fast  ausnahmslos  vom  Darm  aus 
auf  dem  Blutwege  zustande.  Verf.  schlägt  vor,  bei  solchen 
Infektionen  in  Zukunft  nicht  mehr  von  Cystitis  oder  Pyelitis 
zu  sprechen,  sondern  richtiger  von  „herdförmiger  bakterieller 
Nephritis“  oder  „Colinephritis“.  Braun. 

L  e  s  c  h  k  e  :  Über  die  lokale  Behandlung  der  Diphtherie 
mit  Tribrom-/?-Naphtol  (Providoform).  (M.  m.  W.  1915,  41.) 

Verf.  behandelte  eine  Reihe  von  Diphtherie-Kranken  lokal 
mit  Providoform,  da  Bechhold  nachgewiesen  hat,  dass  dieses 
Mittel  besonders  stark  auf  Diphtheriebazillen  wirkt,  schon  in 
einer  Lösung  von  1:400  000,  während  es  andere  Bakterien¬ 
stämme  erst  in  stärkerer  Konzentration  tötet.  Verf.  liess  frisch 
zubereitete  homogene  Emulsion  von  einem  Esslöffel  5  Proz. 
alkoholischer  Tinktur  auf  ein  Glas  Wasser  kräftig  zerstäubt  ein- 
atmen.  Der  Erfolg  war  der,  dass  die  Membranen  sich  schneller 
abstiessen  und  dass  subjektive  Erleichterung  ein  trat.  Selbst¬ 
verständlich  wurde  auch  gespritzt.  Eine  Bazillen freiheit  trat 
schneller  ein.  Hier  dürfte  wohl  ein  gutes  Prophylaktikum  vor¬ 
liegen,  wenn  sich  die  günstigen  Berichte  weiter  bestätigen. 

Boenheim. 

E.  Glanzmann:  Erfahrungen  über  Eiweißmilch  und 
ihre  Ersatzpräparate.  Aus  der  päd.  Klinik  Bern.  Dir.:  Prof. 
Dr.  Stooss  (Jahrb.  für  Kinderheilkunde.  32.  Band,  Heft  4.) 

In  der  sehr  lesenswerten  Arbeit  bespricht  Verf.  in  glück¬ 
licher  Mischung  von  Theorie  und  Praxis  die  Stellung  der  Ei¬ 
weissmilch  in  der  Therapie  der  Ernährungsstörungen,  ihre  genaue 
Indikationsstellung  und  die  Grenzen,  innerhalb  derer  sie  Erfolg 
gewährleistet,  sowie  die  Ersatzpräparate  der  Eiweissmilch.  Bei 
diesen  sehen  alle  Autoren  als  wesentlich  die  Anreicherung  mit 
Eiweiss  und  die  Reduktion  der  Molke  an.  Verf.  glaubt,  dass 
man  auch  auf  die  Molkenreduktion  verzichten  könne,  und  stellt 
in  dieser  Richtung  Versuche  an.  Braun. 

M.  Kaufmann  -  Wolf:  Zur  Frage  der  Übertrag¬ 
barkeit  der  Dermatitis  exfoliativa  neonatorum.  Aus  der  kgl. 
Univ. -Poliklinik  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  in  Berlin. 
Dir.  Geh.  Med.  Rat  Prof.  Dr.  E.  Lesser.  (Jahrb.  für  Kinder¬ 
heilkunde.  32.  Band,  Heft  4.) 

Mitteilung  eines  Falles  von  Dermatitis  exfoliativa,  bei  dem 
Übertragung  vom  Kind  auf  die  Mutter  unzweifelhaft  festgestellt 
wurde.  B  raun. 


50 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  5 


Medicamentöse  Therapie. 

W  i  r  g  1  e  r  ,  Über  ein  neues  Silberkolloid  „Dispargen“. 
—  (M.  med.  Wschr.  Nr.  25,  1915.)  Feldärztl.  Beilage. 

Veranlasst  durch  die  experimentellen  Versuche  Prof.  Voigts 
hat  Verf.  ausgedehnte  klinische  Versuche  mit  dem  von  der 
Chemischen  Fabrik  Reis  holz  G.  m.  b.  H.  in  Reisholz  bei 
Düsseldorf  hergestellten  neuen  Silberkolloid  „Dispargen“  an¬ 
gestellt  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dass  dieses  Mittel  das 
Elektrargol  in  seiner  Wirkung  zu  übertreffen  scheint,  ohne  die 
Nachteile  anderer  kolloidaler  Silberlösungen  in  höherem  Grade 
zu  besitzen.  Bisher  herrschte  allgemein  die  Meinung,  dass  für 
intravenöse  Injektionszwecke  nur  die  durch  elektrische  Zer¬ 
stäubung  gewonnenen  kolloidalen  Metalllösungen  verwendet 
werden  können.  Prof.  Voigt  hat  aber  nachgewiesen,  dass  es 
hauptsächlich  auf  die  Höhe  des  Dispersionsgrades  ankommt  und 
es  ist  gelungen,  diesen  für  Dispargeu  auf  chemischem  Wege 
höher  zu  stellen  (durchschnittlich  14  /uju),  als  den  des  auf  elek¬ 
trischem  Wege  erzeugten  Elektrargols  (durchschnittlich  15  ju/u). 
Die  Möglichkeit,  die  auf  chemischem  Wege  durch  Fällung  ge¬ 
wonnenen  Lösungen  zur  Trockne  zu  verdampfen  und  zum  Ge¬ 
brauche  wieder  aufzulösen,  birgt  einen  Vorteil  zu  Versand  und 
Aufbewahrungszwecken  in  sich.  Bei  den  aut  elektrolytischem 
Wege  gewonnenen  Lösungen  ist  es  bisher  nicht  gelungen,  ein 
Trockenpräparat  herzustellen.  Das  Dispargen  kann  wegen  des 
hohen  Silbergehaltes  in  kleinen  Mengen  in  2 — 5  ccm  als  2- 
prozentige  Lösung  injiziert  werden.  Eine  Isotonisierung  der 
Dispargenlösung  ist  in  diesen  kleinen  Mengen  nicht  erforderlich, 
was  für  die  Verwendung  des  Dispargens  bezw.  dessen  Lösung 
von  grosser  Bedeutung  ist,  weil  durch  das  Isotonisieren  der 
Dispersionsgrad  des  Präparates  ungünstig  beeinflusst  und  dieses 
seine  Vorzüge  gegenüber  den  anderen  kolloidalen  Silberpräpa¬ 
raten  einbüssen  würde.  Ebenso  leidet  der  Dispersionsgrad  des 
Präparates  bei  dem  üblichen  Sterilisieren,  da  sich  die  disperse 
Phase  in  diesem  Falle  ebenfalls  vergrössert.  Wie  nun  auch 
durch  Professor  Prausnitz  am  hygienischen  Institut  in  Graz 
festgestellt  wurde,  tritt  eine  Selbststerilisierung  der  Lösung 
innerhalb  48  Stunden  ein.  Nach  diesem  Befunde  sollte  die 
peinlichst  genau  bereitete  Lösung  erst  48  Stunden  nach  der 
Herstellung  verwendet  werden. 

Hinsichtlich  des  Preises  besteht  zwischen  Elektargol  und 
Dispargen  ein  bedeutender  Unterschied  zu  Gunsten  des 
Dispargen. 

Die  besten  Wirkungen  des  Dispargen  wurden  bei  recht¬ 
zeitiger  Anwendung  desselben  im  Beginne  einer  septischen  Er¬ 
krankung  beobachtet;  in  solchen  Fällen  genügte  oft  eine  In¬ 
jektion,  um  die  Temperatur  auf  normale  Höhe  herabzudrücken 
und  auch  bis  zur  vollständigen  Heilung  festzuhalten,  wobei 
auch  die  lokalen  Krankheitserscheinungen  in  viel  kürzerer  Zeit, 
als  mau  dies  gewöhnlich  beobachten  kann,  zum  Abklingen  ge¬ 
bracht  wurden. 

Seine  Unschädlichkeit  rechtfertigt  die  frühzeitige  Einspritzung 
durchaus  und  bei  der  Anwendung  in  diesen  Frühstadien  werden 
auch  die  schönsten  Erfolge  zu  zeitigen  sein.  Zweckmässig  und 
erfolgreich  ist  einzig  und  allein  die  Einspritzung  in  die  Blut¬ 
adern.  Jede  andere  Form  erscheint  nutzlos,  die  unter  die  Haut 
schafft  bloss  ein  örtliches  Silberlager,  das  ganz  unwirksam  ab¬ 
gebaut  und  ausgenützt  wird  und  zu  Entzündungen  am  Orte  der 
Einspritzung  führt.  Die  Einspritzungen  können  ohne  jeden 
Schaden  jeden  Tag  wiederholt  werden.  Das  Dispargen  wurde 
sowohl  auf  der  chirurgischen  Klinik,  als  auch  auf  anderen 
Grazer  Kliniken,  besonders  auf  der  Frauenklinik  bei  puerperalen 
Prozessen  in  einer  Reihe  von  Krankheitsfällen  wie  Erysipel, 


Typhus,  Meningitis,  Tetanus  mit  den  besten  Erfolgen  ange¬ 
wendet. 

Aus  der  Beobachtungsreihe  gibt  Verf.  dann  einige  be¬ 
sonders  markante  Fälle  bekannt  u.  a.  einen  solchen  von  schwerer 
Meningitis  cerebrospinalis  in  dem  mit  3  Injektionen  sowohl  die 
Temperatursteigeruugen  als  auch  alle  schweren  Erscheinungen 
von  seiten  des  Zentralnervensystems  zum  Schwinden  gebracht 
und  weiter  2  Fälle  von  schwerem  Tetanus,  die  nach  der  ersten 
Injektion  von  Dispargen  derart  günstige  Beeinflussung  zeigten, 
dass  die  Wirkung  des  Präparates  unverkennbar  war. 

N  e  u  m  a  n  n. 

Ein  ganz  vorzügliches  Präparat  ist  das  Lenicet-Mundwasser 
„in  fester  Form“. 

Bei  Pharyngititen  und  Katarrhen  der  Nasenschleimhäute, 
wo  profuse  Mengen  von  Schleim  sich  entwickeln,  leistet  es  vor¬ 
zügliche  Dienste.  —  Der  Geschmack  des  Präparates  ist  ein 
höchst  angenehmer,  reizt  nicht  die  entzündeten  Schleimhäute, 
wirkt  vielmehr  anästhesierend,  vor  allem  aber  wirkt  es  stark 
desodorierend,  indem  jeder  Geruch  aus  der  Mundhöhle  z.  B  bei 
eitriger  Mandelentzündung  vollkommen  verschwindet.  Dasselbe 
beobachtet  mau,  wenn  man  das  Präparat  dem  Inhalationswasser 
zusetzt,  wie  beim  Emser-Salz,  um  leichtere  Lösung  der  Schleim¬ 
massen  aus  den  Bronchien  zu  erzielen.  Bei  vielen  Influenza¬ 
kranken  ist  es  mit  vorzüglichem  Erfolge  gegeben  worden :  zum 
Gurgeln,  zu  Nasenspülungen  und  zu  Inhalationen.  — 

Auch  in  der  Form,  in  der  es  verabreicht  wird,  liegt  eine 
grosse  Bequemlichkeit:  eine  Tube  mit  drehbarem  Deckel,  aus 
dessen  Öffnung  eine  Messerspitze  voll  in  das  leere  Glas  fällt, 
in  das  man  dann  lauwarmes  Wasser  giesst,  und  die  Solution 
ist  gebrauchsfertig.  — 

Möge  das  treffliche  Präparat  recht  grosse  Verbreitung 
linden,  es  verdient  es  in  der  Tat!  Es  adstringiert,  desodoriert 
lind  ist  vollkommen  ungiftig;  es  besitzt  einen  angenehmen  Ge¬ 
ruch  und  Geschmack  und  ist  namentlich  auch  in  der  Kinder¬ 
praxis  nicht  genug  zu  empfehlen. 

Dr.  med.  B  e  r  t  h  o  1  d  ,  prakt.  Arzt,  Dresden. 


Bücherschau. 

Erhard,  Gedanken  und  Meinungen  des  Lazarett- 
Gehilfen  Neumann.  Zweite  vermehrte  Auflage.  (München  1915, 
Verlag  der  ärztlichen  Rundschau  Otto  Gmelin.) 

„Ridendo  dicere  verum“  könnte  man  über  das  interessante 
kleine  Büchlein  als  Motto  setzen.  Der  Verfasser  hat  es  ver¬ 
standen  in  unterhaltender  Form  mancherlei  zur  Sprache  zu 
bringen,  was  jeder  praktisch  tätige  Arzt  nur  bestätigen  kann. 
So  übermässig  ketzerisch  sind  die  Ansichten  des  Autors  eigent¬ 
lich  gar  nicht,  wie  er  vielfach  annimmt.  Vieles  erkennt  auch 
die  Schulmedizin  an,  wenn  sie  es  auch  manchmal  nicht  in  so  klarer 
und  einfacher  Weise  zum  Ausdruck  bringt,  wie  es  Erhard 
in  seinem  Büchlein  tut.  Alles  in  Allem  ein  lesenswertes,  zum 
Nachdenken  anregendes  Schriftchen  eines  mit  offenen  Augen 
durchs  Leben  gehenden  Praktikers.  —  R. 

Leopold  Kätscher,  Leipzig  -  L.  Fernau.  Die 
sicherste  Art  der  Cholerabekämpfung.  Mit  einem  Anhang  über 
die  beste  Typhusbehandlung. 

Der  Verfasser  tritt  in  seiner  Broschüre  sehr  für  die 
hydriatische  Behandlung  der  Cholera  und  des  Typhus  ein. 
Durch  zahlreiche  Literaturangaben  sucht  er  den  Wert  dieser 
Behandlung  zu  beweisen.  Wenn  diese  hydriatische  Behandlung 
wirklich  mit  dem  Erfolg  durchgeführt  werden  könnte,  wie  der 
Verfasser  angibt,  wie  viele  Menschen  könnten  uns,  zumal  jetzt 
im  Kriege,  erhalten  bleiben.  J.  W  e  i  c  k  s  e  1. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbrim  der  medizln. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 

herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

c.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  6 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


30.  November 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Asepsis  oder  Antisepsis? 

Von  Dr.  Krombach,  zurzeit  Chirurg  an  einem  Festungslazarett. 

Es  mag  bei  manchem  Leser  vielleicht  Befremden  er¬ 
regen,  in  einer  Zeitschrift,  die  sich  die  Aufgabe  gestellt 
hat,  über  die  Fortschritte  in  der  Medizin  zu  berichten, 
eine  Frage  aufgeworfen  zu  sehen,  die  für  viele  nur  noch 
geschichtliches  Interesse  hat.  Der  grosse  Krieg  hat  dem 
einzelnen  Kriegschirurgen  ein  so  reiches  Material  an  Ver¬ 
wundeten  zu  versorgen  gegeben,  wie  er  sonst  wohl  nur 
selten  in  langjähriger  Praxis  zu  sehen  bekommt.  Da 
liegt  es  doch  sehr  nahe,  an  der  Hand  der  reichen  Er¬ 
fahrungen,  die  wir  jetzt  gesammelt  haben,  unsere  An¬ 
schauungen  über  Wundbehandlung  einer  Prüfung  zu 
unterziehen.  Die  Sorge  für  das  Wohl  unserer  Ver¬ 
wundeten  verpflichtet  uns,  uns  nicht  mit  der  erfreulichen 
Tatsache  zu  begnügen,  dass  unsere  Resultate  so  unend¬ 
lich  viel  besser  sind  als  in  den  Kriegen  der  vorantisep¬ 
tischen  Zeit,  sondern  wir  müssen  immer  weiter  nach  Ver¬ 
besserungen  streben.  Wir  müssen  uns  auch  wieder  auf 
Hilfsmittel  besinnen,  auf  die  wir  in  der  Friedenspraxis, 
deren  V  erhältnisse  doch  in  vieler  Beziehung  andere  sind, 
haben  verzichten  können.  Es  wäre  nicht  das  erste  Mal, 
dass  in  dem  rastlosen  Vorwärtsschreiten  unserer  Wissen¬ 
schaft  etwas  Bewährtes  in  V  ergessenheit  geraten  ist,  das 
für  geeignete  Fälle  doch  wieder  hervorgeholt  zu  werden 
verdient. 

Die  streng  aseptische  Wundbehandlung,  die  sich 
aus  dem  ursprünglichen  Lister  sehen  antisep¬ 
tischen  Verfahren  in  dem  Streben  nach  immer  grösserer 
Vervollkommnung  zunächst  nur  für  die  vom  Chi¬ 
rurgen  selbst  gesetzten  Wunden  entwickelt  hat,  ist 
schliesslich  zum  Normalverfahren  geworden  auch  für  die 
Behandlung  der  akzidentellen  Wunden,  ja  sogar  auch 
für  die  nachweisbar  schwer  verunreinigten.  Aus  dem 
modernen  chirurgischen  Krankenhaus  sind  die  antisep¬ 
tischen  Mittel  sozusagen  verschwunden.  Die  seit  einigen 
Jahren  viel  geübte  Jodpinselung  ändert  an  dem  Prinzip 
nichts,  da  sie  ja  nach  der  ursprünglichen  Anweisung 
nur  auf  die  umgebende  Haut  beschränkt  werden  soll, 
um  die  sekundäre  Infektion  von  der  Haut  aus  zu  ver¬ 
hindern.  Gegen  die  einmal  in  die  Wunde  hinein¬ 
geratenen  Keime  erklärten  wir  von  vornherein  unsere 
Ohnmacht  und  überliessen  es  den  Abwehrkräften  des 
Körpers  mit  ihnen  fertig  zu  werden.  Die  antiseptischen 
Mittel  wurden  nicht  allein  für  unfähig  erklärt,  den  Kör¬ 
per  in  diesem  Kampf  zu  unterstützen,  sondern  sogar  für 
schädlich,  weil  sie  die  Gewebe  in  der  Entfaltung  ihrer 
natürlichen  Kräfte  hemmen  sollten.  Diese  in  der  Friedens¬ 
praxis,  wo  die  aseptischen  Wunden  eine  viel  wichtigere 


Rolle  spielen,  bewährten  Grundsätze  wurden  ohne  Ein¬ 
schränkung  auch  aut  die  Kriegsverletzungen  übertragen. 
Die  Berichterstatter  aus  den  letzten  Kriegen  wurden 
nicht  müde,  uns  immer  wieder  darauf  hinzuweisen,  dass 
Schussverletzungen  aseptisch  zu  behandeln  seien. 

Mit  unserer  Frage  hängt  eine  andere  eng  zusammen, 
die  ich  ebenfalls  kurz  erörtern  muss,  ich  meine  die 
chirurgische  Behandlung  der  frischen  Schusswunde.  Es 
war  ja  nur  konsequent,  dass,  wenn  man  dem  Körper 
allein  die  Aufgabe  überlassen  wollte,  mit  den  Infektions¬ 
keimen  fertig  zu  werden,  man  ihn  in  dieser  Arbeit  auch 
nicht  stören  wollte,  dass  man  frische  Schusswunden  mög¬ 
lichst  in  Ruhe  Hess.  Eine  frische  Schusswunde  sollte  ein 
Noii  me  tangere  sein.  Wenn  nicht  eine  Blutung  zu 
stillen,  eine  Amputation  vorzunehmen  ist,  oder  sonst  eine 
Organverletzung  einen  Eingriff  erfordert,  dann  hat  der 
Arzt  an  der  frischen  Wunde  nichts  zu  tun,  als  aseptisch 
zu  verbinden  und  für  geeignete  Lagerung  und  Ruhig¬ 
stellung  zu  sorgen.  Das  sind  die  Grundsätze,  nach  denen 
wir  wohl  alle  unsere  kriegschirurgische  Tätigkeit  begonnen 
haben. 

So  richtig  diese  Grundsätze  für  die  Versorgung  in 
der  vordersten  Linie  ohne  Zweifel  sind,  so  sicher  ist, 
dass  sie  für  die  Lazarettbehandlung  wenigstens  für  einen 
grossen  Teil  der  F'älle  einer  Abänderung  bedürfen.  Für 
die  glatten  Gewehrschüsse,  die  in  den  ersten  Kriegs¬ 
wochen  auf  dem  westlichen  Kriegsschauplatz  das  Haupt¬ 
kontingent  an  Verwundeten  ausmachten,  genügt  eine 
Behandlung  nach  den  oben  aufgestellten  Grundsätzen 
auch  vollkommen,  selbst  wenn  komplizierende  Knochen¬ 
verletzungen  vorliegen.  Ja  ein  Mehr  wäre  eine  durchaus 
zu  verwerfende  Polypragmasie.  An  sich  sind  ja  auch 
diese  Wunden  als  infiziert  zu  betrachten.  Da  aber  keine 
ausgedehnten  Gewebszertrümmerungen  und  relativ  ein¬ 
fache  Wundverhältnisse  vorliegen,  heilen  sie  in  der 
überwiegenden  Zahl  der  Fälle  ohne  erhebliche  klinische 
Zeichen  der  Infektion  ab.  Man  spricht  von  aseptischer 
Heilung.  Von  Heilung  per  primam  intentionem  zu  reden, 
wie  es  auch  geschehen  ist,  ist  nicht  am  Platze,  da  es  auch 
bei  noch  so  glattem  Schusskanal  immer  zu  einem  gewissen 
Gewebszerfall  kommt. 

Ganz  anders  steht  es  dagegen  um  die  mit  ausgedehnten 
Zertrümmerungen  an  Knochen  und  Weichteilen  einher¬ 
gehenden  schweren  Verletzungen  durch  Querschläger 
und  Granatsplitter.  Diese  Wunden,  besonders  die  durch 
Sprengstücke  verursachten  sind  unter  allen  Umständen 
als  schwer  infiziert  anzusehen.  Eine  aseptische  Heilung 
ist  bei  ihnen  ausgeschlossen.  Dass  man  auch  für  diese 
Verletzungen  als  Regel  autgestellt  hat,  ruhig  abzuwarten, 
war  sicherlich  zu  weit  gegangen.  Mir  scheint,  dass  da- 


52 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  6. 


bei  Erinnerungen  aus  der  vorantiseptischen  Zeit,  in  der 
es  noch  möglich  war,  gerade  durch  die  chirurgischen 
Eingriffe  die  Infektion  von  einem  auf  den  andern  zu 
übertragen,  eine  Rolle  gespielt  haben.  Man  muss  sich 
eigentlich  wundern,  dass  unsere  guten  Erfahrungen  bei 
der  Behandlung  der  Schädelschüsse  uns  nicht  stutzig  ge¬ 
macht  haben.  Schon  in  der  vorantiseptischen  Zeit  hat 
das  möglichst  frühzeitige,  chirurgische  Angreifen  dieser 
Wunden  soviel  bessere  Resultate  ergeben  als  das  Ab¬ 
warten,  dass  schon  in  den  kriegschirurgischen  Tage¬ 
büchern  des  18.  Jahrhunderts  auf  die  \\  ichtigkeit  und 
Notwendigkeit  der  frühzeitigen  Trepanation  hingewiesen 
wird.  Wieviel  Segen  haben  wir  in  diesem  Krieg  davon 
gesehen  und  Schaden  so  gut  wie  nie.  Geschadet  ist  nur 
worden,  wo  man  nicht  jede,  auch  die  kleinste  Kopfwunde 
gründlich  revidiert  hat.  Erst  Erfahrungen,  wie  sie  wohl 
jeder  einzelne  hat  machen  müssen,  haben  uns  dazu  ge¬ 
führt,  die  frühzeitige  aktive  chirurgische  Versorgung 
auch  an  anderen  schweren  Wunden  zu  versuchen.  Im 
Anfang  ist  wohl  mancher,  in  der  falschen  Lehre  be¬ 
fangen,  mit  einem  gewissen  Bangen  daran  gegangen, 
solche  frischen  Wunden  ausgiebig  zu  spalten  und  zu 
drainieren.  Auch  mir  ist  es  so  gegangen,  und  erst  als 
ich  zu  meiner  Freude  die  gefürchtete  Reaktion  auf  den 
Eingriff  ausbleiben  sah,  bin  ich  kühner  geworden  und 
habe  solche  Wunden,  auch  wenn  sie  noch  keine  Zeichen 
schwerer  Infektion  darboten,  nach  diesen  Grundsätzen 
behandelt.  Einen  Schaden  habe  ich  davon  niemals  ge¬ 
sehen,  aber  sehr  viel  Nutzen.  Ich  glaube,  es  gilt  heute 
auch  wohl  allgemein  als  Regel,  dass  solche  schweren 
Granatverletzungen  frühzeitig  chirurgisch  zu  revidieren 
sind.  Durch  Inzisionen  und  Gegenöffnungen  ist  für  mög¬ 
lichst  guten  Sekretabfluss  zu  sorgen,  alle  Fremdkörper 
und  losen  Knochensplitter  sind  möglichst  zu  entfernen. 
Selbstverständlich  wird  man  sich  nicht  darauf  versteifen, 
unter  allen  Umständen  jeden  Granatsplitter  herauszu¬ 
holen. 

Es  lag  nun  sehr  nahe,  dass  man  sich  bei  solchen 
frühzeitigen  Wundreinigungen  der  in  der  Friedenszeit 
ganz  aus  der  Mode  gekommenen  Wundspülungen  be¬ 
diente,  die  einmal  die  mechanische  Reinigung  wesent¬ 
lich  unterstützen,  dann  aber  auch  sicher  eine  grosse 
Menge  oberflächlicher  Wundkeime  herausschaffen.  Ein 
schonenderes  Verfahren  als  das  Ausspülen  mit  dem 
Wasserstrahl  kann  es  ja  nicht  geben.  Ich  habe  im  An¬ 
fang  zu  diesen  Spülungen  mehr  in  der  Absicht,  auf  diese 
Weise  immer  eine  keimfreie  Spülflüssigkeit  zur  Hand  zu 
haben,  schwache  Kresolseifenlösung  benutzt.  Bald  bin 
ich  aber  dazu  übergegangen,  gerade  die  frischen  Granat¬ 
verletzungen  ausgiebig  mit  3  Proz.  Karbollösung  aus¬ 
zuspülen.  Schon  rein  mechanisch  ist  von  der  Karbol¬ 
lösung  eine  sichere  Wirkung  zu  erwarten,  weil  sie  in 
einen  innigeren  Kontakt  mit  dem  Gewebe  tritt  als  die 
schleimige,  fadenziehende  Kresolseifenlösung.  Im  letzten 
Winter  und  Frühjahr,  wo  ich  reichlich  Gelegenheit 
hatte,  schwere  Granatsplitterverletzungen  am  ersten  oder 
zweiten  Tag  nach  der  Verletzung  in  Behandlung  zu 
nehmen,  habe  ich  dieses  Verfahren  ausgiebig  angewandt 
und  bin  mit  den  Erfolgen  ausserordentlich  zufrieden  ge¬ 
wesen.  Eine  Anzahl  der  Fälle  zeigte  schon,  obwohl 
kaum  24  Stunden  seit  der  Verletzung  vergangen  waren, 
Erscheinungen  schwerer  Infektion.  Bei  anderen  war  dies 
noch  nicht  der  Fall,  aber  nach  den  Erfahrungen  mit  der  ab¬ 
wartenden  aseptischen  Behandlung  solcher  Verletzungen 
mit  Sicherheit  zu  erwarten.  Bei  den  Fällen  mit  sehr 
grossen  Wundbuchten  und  bei  Verletzung  der  grossen 
Gelenke  habe  ich  nur  die  Vorsicht  gebraucht,  mit  einer 
indifferenten  Lösung  nachzuspülen  und  einen  Alkohol¬ 
verband  angelegt.  Gerade  bei  den  Verletzungen  der 
grossen  Gelenke,  deren  ernste  Prognose  ja  bekannt  ist, 
meine  ich,  einen  sehr  günstigen  Einfluss  gesehen  zu 
haben.  Ich  glaube,  dass  man  mit  solchen  antiseptischen 


Spülungen  die  in  der  Wunde  noch  zurückbleibenden 
Keime  in  ihrer  Lebenskraft  doch  erheblich  schädigen 
kann,  ohne  dass  man  die  natürlichen  Schutzvorrichtungen 
des  Gewebes  ausschaltet. 

Man  wird  nicht  verlangen,  dass  ich  die  Überlegen¬ 
heit  der  antiseptischen  Behandlung  solcher  Fälle  durch 
statistische  Zahlen  beweise.  Diese  Aufgabe  kann  denen 
Vorbehalten  bleiben,  die  später  einmal  das  jetzt  in  den 
Krankengeschichten  aufgespeicherte  Riesenmaterial  zu 
sichten  haben.  Bei  dem  Material  des  einzelnen  spielt 
die  Schwere  des  einzelnen  Falles  und  manches  andere 
eine  viel  zu  grosse  Rolle.  Zahlenunterschiede,  wie  sie 
sich  bei  vergleichenden  Statistiken  aus  der  Zeit  vor  und 
nach  L  i  s  t  e  r  ergaben,  sind  aus  naheliegenden  Gründen 
natürlich  nicht  zu  erwarten.  Der  Vorzug  der  anti¬ 
septischen  Behandlung  dieser  Fälle  braucht  sich  ja  auch 
nicht  ausschliesslich  in  den  Endresultaten  zu  offenbaren, 
sondern  kann  sich  oft  viel  mehr  in  dem  klinischen  Ge¬ 
samtverlauf  ausdrücken.  So  glaube  ich  entschieden 
die  Beobachtung  gemacht  zu  haben,  dass-  die  Wunden 
sich  bei  den  täglichen  Karbolspülungen  schneller  reinigen  . 
und  frische  Granulationsbildung  zeigen.  Vielleicht  ist 
dies  ein  Ausfluss  einer  gewissen  Ätzwirkung,  die  bei 
diesen  Fällen  aber  durchaus  nichts  schadet,  da  sie  ja 
nur  einen  natürlichen  Vorgang  beschleunigt. 

Mit  einer  gewissen  Genugtuung  habe  ich  gesehen, 
dass  v.  H  e  r  f  f  (Münch.  Mediz.  Wochenschrift  1915, 
Nr.  17)  in  einer  sehr  lesenswerten  Studie  über  die 
Wirkungsweise  der  verschiedenen  antiseptischen  Mittel 
der  Karbolsäure  einen  ersten  Platz  einräumt.  Weil  sie 
bei  grosser  Wasserlöslichkeit  keine  festen  Verbindungen 
mit  den  Körpereiweissen  eingeht,  hält  er  sie  einer  grösseren 
Tiefenwirkung  für  fähig  und  sieht  in  ihr  ein  sehr  zu¬ 
verlässiges  Mittel,  die  gewöhnlichen  Eitererreger  in  einer 
Wunde  in  ihrer  Entwicklung  zu  schädigen.  Er  beklagt 
es  geradezu,  dass  man  sich  dieser  Vorzüge  der  Karbol¬ 
säure  nicht  mehr  bei  Behandlung  der  Kriegsverletzten 
bedient. 

Bei  Durchsicht  der  einschlägigen  Literatur,  soweit 
sie  mir  zur  Verfügung  steht,  kann  ich  feststellen,  dass 
die  Stimmen,  die  einer  antiseptischen  Behandlung  der 
schweren  Schusswunden  das  Wort  reden,  sich  immer 
zahlreicher  hervorwagen.  Auch  bei  unseren  feindlichen 
Fachgenossen  hat  sich  diese  Wandlungvollzogen.  Einzelne 
wie  der  Engländer  Cheyne  gehen  sogar  sehr  rück¬ 
sichtslos  mit  antiseptischen  Mitteln  gegen  die  Wund¬ 
keime  vor.  Auch  der  bekannte  französische  Chirurg  Doyen 
hat  sich,  „veranlasst  durch  die  vielen  Todesfälle  im  An¬ 
fang“  zum  Kriegsantiseptiker  bekehrt. 

Die  Zahl  der  in  Deutschland  empfohlenen  Mittel  ist 
gross.  Am  meisten  empfohlen  und  auch  tatsächlich  an¬ 
gewandt  wird  Wasserstoffsuperoxyd.  Geradezu  als 
Spezifikum  wird  es  betrachtet  in  dem  Kampf  gegen  die 
Erreger  der  Gasphlegmone.  Ich  glaube  jedoch,  dass  man 
mit  Schlüssen,  die  man  aus  guten  Erfahrungen  bei  Be¬ 
handlung  der  Gasphlegmone  ableitet,  vorsichtig  sein 
muss.  Nach  meinen  Erfahrungen  hängt  die  Prognose 
der  Gasphlegmone  in  erster  Linie  davon  ab,  dass  sie 
rechtzeitig  in  sachgemässe  chirurgische  Behandlung 
kommt,  eine  Eigenschaft  die  sie  mit  manchen  anderen 
chirurgischen  Krankheiten  gemein  hat.  Kommt  man 
frühzeitig,  bevor  es  zu  schweren  Allgemeinerscheinungen 
gekommen  ist,  dazu,  ausgiebig  zu  spalten,  dann  ist  die 
Behandlung  dieser  schweren  Wundkomplikation  durch¬ 
aus  dankbar.  Ohne  Zweifel  erfreut  sich  Wasserstoff¬ 
superoxyd  der  grossen  Beliebtheit  wegen  seiner  voll¬ 
kommenen  Ungiftigkeit,  sicherlich  ein  grosser  Vorzug. 
Die  rein  mechanische  Wundreinigung,  die  durch  das 
Aufschäumen  erzielt  wird,  wird  durch  eine  gründliche 
Ausspülung  ebenso  sicher  und  bequem  erreicht.  Was 
die  Furcht  vor  unangenehmen  Nebenwirkungen  betrifft, 
so  muss  ich  zum  Schluss  nochmals  betonen,  dass  ich 


Nr.  6 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


53 


von  den  Spülungen  mit  3  Proz.  Karbollösungen  unter 
den  oben  angegebenen  Vorsichtsmassregeln  niemals  einen 
Schaden  gesehen  habe.  Wenn  die  Gefahr,  damit  zu 
schaden,  wirklich  so  gross  wäre,  dann  müsste  sich  das 
bei  der  Behandlung  so  grosser  Wunden  doch  einmal  ge¬ 
zeigt  haben.  Gegenüber  den  von  manchen  geübten 
Pinselungen  der  Wunden  mit  Jodtinktur  hat  die  Karbol 
behandlung  den  Vorzug  der  Schmerzlosigkeit, 

Über  den  Krieg  hinaus  dürfen  wir  für  die  Friedens¬ 
praxis  die  Lehre  ziehen,  dass  eine  verständige  anti¬ 
septische  Behandlung  verunreinigter  Wunden  durchaus 
erlaubt  und  sogar  geboten  ist.  Karbolspray  und  feuchter 
Karbolverband  sollen  deswegen  aber  nicht  wieder  auf¬ 
erstehen. 


Ueber  die  Prognose  der  Unfallneurosen. 

Von  Dr.  Paul  Horn-Bonn,  Oberarzt  am  Krankenhause  der 

Barmherzigen  Brüder. 

Eines  der  umstrittensten  Gebiete  der  gesamten 
inneren  Medizin,  um  das  bereits  eine  fast  unübersehbar 
gewordene  Literatur  entstanden  ist,  haben  von  jeher 
die  Unfallneurosen  dargestellt.  Nicht  nur  Fragen  rein 
klinischer  Natur  und  ihre  Abgrenzung  gegenüber  Simula¬ 
tion  haben,  besonders  anfangs  der  90  er  Jahre,  lange 
Zeit  im  Mittelpunkt  der  Diskussion  gestanden,  sondern 
auch  die  Frage  nach  der  Prognose  nervöser  Unfallfolgen 
hat  zu  langwierigen  Erörterungen  geführt.  Überblickt 
man,  nachdem  jetzt  mehrere  Dezennien  seit  dem  ersten 
Bekanntwerden  der  Unfallneurosen  verflossen  sind,  rück¬ 
schauend  den  von  der  Forschung  zurückgelegten  Weg, 
so  lässt  sich  zusammenfassend  sagen,  dass  im  allgemeinen 
mit  der  Änderung  unserer  Anschauungen  über  das 
Wesen  der  Unfallneurosen  auch  eine  Wandlung  in  der 
Prognosebeurteilung  einhergegangen  ist. 

Bekanntlich  fassten  die  älteren  Autoren,  vor  allem 
Erichsen,  Leyden,  Erb  und  Be  rnhardt 
die  ursprünglich  mit  dem  Namen  „  r  a  i  1  w  a  y 
s  p  i  n  e“  belegten  nervösen  Störungen  als  Erscheinungen 
einer  organischen  Rückenmarksschädigung  auf.  So 
schreibt  Erichsen  in  seiner  grundlegenden  Arbeit 
„On  railway  and  other  injuries  of  the  nervous  System“ 
(Deutsch  von  Kelp,  Oldenburg  1868)  :  ,,Das  ganze  Ge¬ 
folge  der  Nervenerscheinungen,  welche  durch  Stossen, 
Schütteln  und  Schlagen  gegen  den  Körper  entstehen, 
und  welche  für  die  sogen.  Rückgratserschütterung  als 
charakteristisch  beschrieben  sind,  ist  in  der  Wirklichkeit 
als  der  Entzündung  der  Rückgratshäute  und  des  Marks 
angehörend  zu  betrachten“.  Dementsprechend  sah 
Erichsen  auch  die  Prognose  als  mindestens  dubiös 
an.  Ein  Teil  der  Fälle  führe  sofort  oder  allmählich  zum 
Tode  und  nur  dann  sei  die  Möglichkeit  einer  vollkommenen 
Wiederherstellung  nicht  zu  bezweifeln,  „wenn  die 
Symptome  das  erste  Stadium  nicht  überschritten,  wenn 
keine  Entzündung  in  Mark  und  Häuten  stattgefunden 
und  wenn  der  Patient  sonst  jung  und  gesund“  sei. 
Diese  E  r  i  c  h  s  e  n’sche  Anschauung  hat  lange  Jahre 
hindurch  auf  die  ganze  Neurosenforschung  einen  be¬ 
stimmenden  Einfluss  ausgeübt  und  noch  jetzt  gibt  es, 
wie  ich  wiederholt  in  Gutachten  feststellen  konnte,  Arzte, 
die  das  Wesen  der  Unfallneurosen  in  einer  schweren 
Schädigung  der  nervösen  Zentralorgane  erblicken.  Ge¬ 
wiss  gibt  es  Fälle  von  Hämatomyelie,  von 
Blutungen  in  die  Meningen  und  son¬ 
stigen  organischen  Läsionen,  die  an  das 
E  r  i  c  h  s  e  *n’sche  Bild  erinnern  und  trotz  ihres  häufig 
in  klinischer  Beziehung  rein  funktionellnervösen 
Krankheitsbildes,  besonders  in  den  späteren  Stadien  der 
Erkrankung,  wo  die  akuten  Erscheinungen  (Blasen- 
Mastdarmstörungen,  motorische  und  sensible  Lähmungs- 
und  Reizerscheinungen  usw.)  zurückgegangen  sind,  einer 
organischen  Grundlage  nicht  entbehren,  doch  han¬ 


delt  es  sich  hier  zweifellos  um  Ausnahmefälle.  Auch 
die  Schädelbasisbrüche,  die  ja  fast  stets  zu 
einem  rein  funktionellnervösen  Zustandsbilde  führen,  ob¬ 
wohl  sie  im  Grunde  genommen  sicher  eine  or¬ 
ganische  Schädigung  darstellen,  haben  nur 
ausnahmsweise  ernstere  Spätfolgen  (Opticusatrophie, 
Entwicklung  einer  lokalisierten  Arteriosklerose  der  Ge¬ 
hirnbasis  u.  ä.).  Das  Gros  der  Unfallneurosen,  mögen 
sie  nun  nach  Schreck,  Kopfkontusion,  allgemeiner  Er¬ 
schütterung,  sonstiger  lokaler  Läsion  oder  Intoxikation  ent¬ 
standen  sein,  ist  aber  zweifellos  frei  von  ernste  ren 
organischen  Schädigungen.  Schon  M  o  e  1  i ,  der  das 
E  r  i  c  h  s  e  n’sche  Bild  der  „railway  spine“  erheblich 
erweiterte  und  modifizierte,  hat  darauf  hingewiesen,  dass 
der  Schwerpunkt  der  Erkrankung  keineswegs  stets  in 
spinalen,  sondern  häufiger  noch  in  zerebralen  und  be¬ 
sonders  in  psychischen  Alterationen  zu 
suchen  ist  und  dass  bei  ihrem  Zustandekommen  nicht 
nur  der  rein  mechanischen  Erschütterung,  sondern  auch 
dem  bei  dem  Unfall  einwirkenden  Schreck  eine  wesent¬ 
liche  Bedeutung  zugeschrieben  werden  muss,  eine  An¬ 
schauung,  die  durch  die  Beobachtungen  von  W  i  1  k  s  , 
Put  n  am,  Thomsen  und  Oppenheim  ihre 
volle  Bestätigung  fand.  Vor  allem  aber  haben  die 
klassischen  Untersuchungen  von  C  h  a  r  c  o  t  über  das 
Wesen  der  von  ihm  als  traumatische  Hy¬ 
sterie  aufgefassten  Erkrankungen  eine  ausschlag¬ 
gebende  Wendung  herbeigeführt  und  das  frühere  Dogma 
der  organischen  Schädigung  zu  Fall  gebracht.  Aber 
nicht  nur  hinsichtlich  der  Krankheitsätiologie  sind  damit 
der  Forschung  vollkommen  neue  Wege  erschlossen 
worden,  sondern  auch  die  Prognose  der  Unfallneurosen 
konnte  von  da  an  in  weniger  trübem  Lichte  betrachtet 
werden. 

Immerhin  fehlte  es  nicht  an  Stimmen,  die  trotz  aller 
Anerkennung  des  in  der  Hauptsache  psychogenen  Ur¬ 
sprungs  der  Erkrankung  nach  wie  vor  an  ihrer  pessi¬ 
mistischen  Beurteilung  festhielten.  Insbesondere  haben 
die  Anschauungen  Oppenheims,  der  bei 
Charakterisierung  des  Zustandsbildes  der  „traumatischen 
Neurosen“  geradezu  trostlose  Krankheitstypen  beschrieb, 
auf  Jahre  hinaus  ihren  Einfluss  beibehalten.  Ja  es  kam, 
vielfach  in  missverständlicher  Deutung  der  von 
Oppenheim  beschriebenen  Krankheitsbilder,  so  weit, 
dass  die  Ideenassoziation  Unfall  —  „traumatische  Neu¬ 
rose“  —  dauernde  Invalidität  fast  dogmatischen  Cha¬ 
rakter  annahm.  Oppenheim  selbst  vertrat  den 
Standpunkt,  dass  vollständige  Heilung  „selten“,  wesent¬ 
liche  Besserung  „bei  geeignetem  Regime“  „nicht  unge¬ 
wöhnlich“  sei,  betonte  aber,  dass  die  Zahl  derjenigen, 
bei  denen  auch  nach  Abschluss  des  Entschädigungs¬ 
verfahrens  das  Leiden  seinen  Fortgang  nehme,  grösser 
sei  als  die  Zahl  der  Gebesserten  bezw.  Geheilten. 
Auch  ein  von  der  medizinischen  Fakultät  der  Univer¬ 
sität  Berlin  am  5.  Mai  1891  erstattetes  Obergutachten 
hob  hervor,  dass  Fälle  von  Heilung  nur  wenig  und  nur 
mit  langem  Verlaufe  bekannt  geworden  seien. 
Richter  äusserte  sogar  die  Ansicht,  dass  die  „trau¬ 
matischen  Neurosen“  „nicht  selten“  in  der  Weise  ver¬ 
liefen,  dass  sie  den  Patienten  schliesslich  in  die  Irren¬ 
oder  Pflegeanstalt  brächten.  Auch  Bruns,  Sachs 
und  Freund,  Bailey,  Verhoogen,  Fran¬ 
co  t  t  e  ,  G  a  u  p  p  ,  H  u  g  u  e  n  i  n  ,  u.  a.  haben  sich 
im  ganzen  sehr  zurückhaltend  über  die  Prognose  der 
Unfallneurosen  ausgesprochen.  Nur  vereinzelt  (Fr. 
Schultze,  Sänger)  wurden  gegenteilige  Ansichten 
laut. 

Völlige  Klarheit  und  einen  wohl  endgültigen  Um¬ 
schwung  in  der  Prognosebeurteilung  haben  aber  erst 
die  eingehenden  katamnestischen  Untersuchungen 
der  letzten  Jahre  in  überzeugender  Weise  erbracht.  So 
fand  W  i  m  m  e  r  (Kopenhagen),  dass  von  104  in  den 


54 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  6. 


Jahren  1898  bis  1907  vom  dänischen  Arbeiterversicherungs- ,  bei  den  Rentenempfängern  keine  schwerere  war  als  bei 


rate  behandelten  Fälien,  die  sämtlich  die  erste  Rate  der 
in  Dänemark  vorgesehenen  z  w  e  i  z  e  i  t  i  g  e  n  K  a  - 
pitalabfindu  ng  erhalten  hatten,  54  Patienten 
bei  der  Nachuntersuchung  als  im  praktischen  Sinne  ge¬ 
heilt  und  16  weitere  Fälle  bis  zur  2.  Entscheidung  als 
so  weit  gebessert  anzusehen  waren,  dass  die  im  dänischen 
Unfallversicherungsgesetz  vom  7.  Januar  1898  vorge¬ 
sehene  zweite  Kapitalabfindung  nicht  mehr  in  Frage 
kam.  Im  ganzen  konnte  W  i  m  m  e  r  feststellen,  dass 
von  63  Fällen  „reiner“  traumatischer  Neurose  (bei  Aus¬ 
schluss  von  Schädelverletzungen)  unter  dem  Einflüsse 
der  zweizeitigen  Kapitalabfindung  93,6  Proz.  als  im  so¬ 
zialen  Sinne  dauernd  geheilt  anzusehen  waren.  Auch 
N  ä  g  e  1  i  (Zürich,  jetzt  Tübingen)  konnte  für  die 
Schweiz  nachweisen,  dass  von  138  abgefundenen  Fällen 
von  „traumatischer  Neurose“  115  (=  83  Proz.)  bei  der 
Nachprüfung  als  voll  erwerbsfähig  zu  betrachten  waren; 
bei  den  übrigen  war  aber  ebenfalls  ,  eine  durch  die 
Neurose  als  solche  bedingte  Erwerbseinbusse 
nicht  anzunehmen.  Ebenso  ermittelte  R  i  1  1  s  t  r  ö  m 
(Stockholm)  unter  103  abgefundenen  Unfallneurotikern 
90  Proz.  Arbeitsfähige.  Als  prognostisch  günstigste 
Formen  bezeichnet  ß  i  1  1  s  t  r  ö  m  die  lokalen  und 
monosymptomatischen  Hysterien,  während  er  Prozessauf¬ 
regungen  und  Entschädigungen  seitens  der  Versicherungs¬ 
gesellschaften  als  heilunghemmendes  Moment  betrachtet. 
Aber  auch  bei  den  Rentenempfängern  war 
nachzu  weisen  (Wassermeyer,  Sch  aller, 

Fr.  S  c  h  u  1  t  z  e  und  Stursberg),  dass  „die  Vor¬ 
hersage  der  Unfallneurosen  keineswegs  ungünstig“  sei, 
konnten  doch  W  assermeyer  unter  21  Fällen 
9,5  Proz.  Geheilte  und  28,5  Proz.  Gebesserte,  S  c  h  a  1  1  e  r 
unter  43  Fällen  9,3  Proz.  Geheilte  sowie  S  c  h  u  1  t  z  e 
und  Stursberg  unter  172  Fällen  25,5  Proz.  Ge¬ 
heilte  oder  Gebesserte  ausfindig  machen.  Vergleicht 
man  indessen  diese  bei  Rentenempfängern  gewonnenen 
Resultate  mit  den  Abfindungsergebnissen,  so  unterliegt 
es  nicht  dem  geringsten  Zweifel,  dass  die  P  r  o  - 
gnosebeiRentenempfä  n  gernsich  un¬ 
vergleichlich  ungünstiger  gestaltet 
als  bei  abgefundenen  Fällen. 

Auch  meine  eignen  Untersuchungen,  die  sich  sowohl 
auf  Rentenempfänger  als  auch  auf  Abgefundene  er¬ 
streckten,  haben  mir  in  eklatantester  Weise  gezeigt, 
dass  die  weitere  Gestaltung  des 
Krankheitsverlaufes  bei  Unfallneu¬ 
rosen  zum  grossen  Teile,  wenn  nicht 
ausschliesslich,  von  der  Handhabung 
des  Entschädigungsverfahrens  ab¬ 
hängt.  Unter  einem  Material  von  136  a  b  ge¬ 
fundenen  Unfallneurotikern  (nervöse  Erkrankungen 
nach  Eisenbahnunfällen)  konnte  ich  durch  eingehende 
katamnestische  Untersuchungen  bereits  wenige  Jahre 
nach  der  Abfindung  feststellen  : 

Heilung  im  sozialen  Sinne  bei .  70  Pioz. 

wesentliche  Besserung  bei .  16  ,, 

keine  Änderung  bei . 11,8  „ 

Verschlimmerung  bei  . .  2,2  ,, 

Demgegenüber  Hess  sich  unter  31  Renten¬ 
empfängern  desselben  Materials  nur  in 
2  Fällen  im  Laufe  des  Rentenverfahrens  eine  derartige 
Besserung  konstatieren,  dass  eine  Rentenminderung  vor¬ 
genommen  werden  konnte.  27  Fälle  blieben  unverändert 
und  2  zeigten  eine  Verschlimmerung.  Dabei  hebe  ich 
ausdrücklich  hervor,  dass  schwerwiegende  Komplikationen, 
z.  B.  Alkoholismus,  Herzleiden,  Arteriosklerose,  wie  sie 
bei  den  unverändert  gebliebenen  Abgefundenen  anzu¬ 
treffen  und  als  heilunghemmendes  Moment  anzusehen 
waren,  bei  den  Rentenempfängern  eine  viel  g  e  - 
r  i  n  g  e  r  e  Rolle  spielten  als  bei  den  Abgefundenen, 
und  dass  ferner  die  Unfallschädigung  an  und  für  sich 


den  übrigen  Fällen.  Auch  der  Umstand,  dass  ein  grosser 
Teil  der  Rentenempfänger  vom  Unfallstage  an  bis  zur 
ersten  Rentenfestsetzung  eine  zum  Teil  sogar  bedeutende 
Besserung  erfuhr,  beweist,  dass  es  sich  keineswegs  um 
von  vornherein  hoffnungslose  Fälle  handelte.  Um  so 
schwerwiegender  fällt  ins  Gewicht,  dass  mit  dem 
Augenblick  der  Rentenfestsetzung 
in  vielen  Fällen  der  bis  dahin  günstige  Heilungsverlauf 
eine  direkte  Hemmung  erfuhr  oder  sogar 
ein  starker  R  ü  c  k  s  c  h  1  a  g  erfolgte,  sicher  ein 
Hinweis,  dass  die  Ursache  der  mangelnden  Heilungs¬ 
tendenz  bei  Unfallneurosen  vielfach  im  Rentenver¬ 
fahren  als  s  o  1  c  h  e  m  zu  suchen  ist.  Auch  bei 
meinen  späteren  Untersuchungen  über  Schreck- 
n  e  u  r  o  s  e  n  war  festzustellen  ,  dass  die  Renten¬ 
empfänger  in  gleicher  Weise  wie  die  noch  unerledigten, 
meist  prozessierenden  Fälle  sich  bemühten,  unter  allem 
Umständen  ihren  Krankheitszustand  zu  konser¬ 
vieren;  haben  doch  derartige  Patienten,  solange  sie 
noch  Aussicht  auf  irgendwelche  Unfallentschädigung  be¬ 
sitzen,  nur  in  den  wenigsten  Fällen  ein  Interesse  daran, 
gesund  zu  werden  und  finden  wir  doch  gerade  bei  ihnen 
immer  wieder  Versuche,  durch  Vortäuschung  von  Krank¬ 
heitssymptomen  ihren  tatsächlichen  Zustand  in  un¬ 
günstigerem  Lichte  erscheinen  zu  lassen.  Ganz  besonders 
bei  den  Eisenbahnunfallverletzte  n  ,  die 
ja  in  der  Regel  erheblich  höhere  Entschädigungen  be¬ 
ziehen  als  Unfallverletzte  Arbeiter,  machen  sich 
Simulationsversuche  oft  in  krassester  Form 
bemerkbar.  Jedenfalls  konnten  wir  bei  54,1  Proz. 
unserer  Fälle  starke  Aggravation  (partielle  Simulation) 
objektiv  nachweisen.  Aber  auch  bei  den  übrigen  Gruppen 
von  Unfallneurotikern  tritt  das  Bestreben,  die  einmal  er¬ 
kämpfte  Rente  unter  Benutzung  jedweder  Mittel  sich  zi 
erhalten,  immer  wieder  zu  Tage.  Vor  allem  haben  abei 
die  mit  dem  Entschädigungskampf  verbundenen  Sorgen 
Aufregungen  und  Ärgernisse  zweifellos  einen  unheil 
vollen  Einfluss  und  trüben  sicher  die  Heilungsaussichtei 
in  weitestem  Masse.  Nicht  nur  die  Suggestionen  Drittel 
und  die  eignen  Befürchtungs-  und  Begehrungsvorstellungen 
sondern  auch  die  vielfachen  Vernehmungen,  ärztlichei 
Untersuchungen  und  Anwaltsbesprechungen  wirken  aui 
die  Dauer  ungünstig  ein,  so  dass  es  nicht  wunder  nehmei 
kann,  dass  ursprünglich  günstig  erscheinende  Fälle  irr 
Laufe  des  Entschädigungskampfes  zu  „R  e  n  t  e  n 
kampfneurosen“  sich  entwickeln. 

Derartige  verschleppte  Fälle,  die  Jahn 
lang  prozessieren,  die  nie  zur  Ruhe  kommen,  imme 
neue  Beschwerden  Vorbringen  und  nach  hypochondrisch 
querulatorischer  Richtung  sich  verändern,  haben  zweifei 
los  eine  weniger  günstige  Prognose  als  solche,  die  inner 
halb  der  ersten  Monate  ihre  definitive  finanzielle  Er 
ledigung  finden.  Dass  die  einmalige  Kapitalabfindunj 
auf  die  Prognose  des  Falles  um  so  günstiger  wirkt,  j 
früher  sie  stattfindet,  dürfte  daraus  zu  ent 
nehmen  sein,  dass  unter  meinem  Material  die  ir 
ersten  Jahre  Abgefundenen  in  90  Proz.  der  bälh 
die  nach  dem  1.  Jahre  Abgefundenen  in  80  Proz.,  di 
nach  dem  2.  Jahre  Abgefundenen  in  70  Proz.  und  di 
nach  dem  3.  Jahre  Abgefundenen  nur  in  55  Proz.  de 
Fälle  Heilung  oder  wesentliche  Besserung  erkenne 
Hessen. 

Aber  auch  die  Art  des  vorliegende 
Symptomenbildes  ist  für  die  Prognos« 
beurteilung  von  Bedeutung.  Die  günstigsten  Heilung! 
aussichten  haben  zweifellos  die  Sc  hr  ec  kn  eurosei 
d.  h.  diejenigen  Erkrankungsformen,  bei  denen  der  Unfa 
lediglich  in  einer  starken  emotionellen  Einwirkung  b» 
stand  und  keine  körperliche  Verletzung  erfolgte.  Von  insg« 
samt  79  abgefundenen  Schreckneurotikern  unseres  Ml 
terials,  über  deren  weiteres  Ergehen  ich  nähere  Mi 


Nr.  6. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


55 


teilungen  erhalten  konnte,  waren  im  Durchschnitt  2  Jahre 
nach  der  Abfindung 

geheilt  im  soz.  Sinne  58  Fülle  =  73,4  Proz.  |  ^  proz 

wesentlich  gebessert  11  „  =  14,0  „  I  ’ 

unverändert  .  .  9  „  =11,4  „  \  ,  0  ,  p 

verschlimmert  .  .  1  Fall  =  1,2  „  j  ’ 

Unter  65  Fällen  von  Kommotionsneur  osen 
zerebrale  n  T  y  ps  (Contusio  capitis  und  Commotio 
cerebri)  fand  sich  Heilung  im  soz.  Sinne  bei  70  Proz., 
unter  20  Fällen  von  K  o  m  m  o  t  i  o  n  s  n  e  u  rosen 
spinalen  Typs  (Commotio  spinalis)  bei  55  Proz. 
und  bei  59  Fällen  von  Neurosen  nach  son¬ 
stiger  lokaler  Läsion  (Kontusion,  Zerrung 
usw.)  bei  71  Proz.  Im  allgemeinen  kann  man  sagen, 
dass  die  leichteren  Formen  von  Schreckneurosen  oft 
schon  in  wenigen  Monaten  zum  Abklingen  kommen 
(Reichardt,  S  t  i  e  r  1  i  n),  dass  die  mittelschweren, 
nichtkomplizierten  Fälle  durchschnittlich  innerhalb  zweier 
Jahre  soweit  ausheilen,  dass  eine  Erwerbsbeschränkung 
nicht  mehr  besteht  und  dass  nur  in  sehr  schweren,  ver¬ 
alteten  und  organisch  komplizierten  Fällen  mit  einer 
längeren  Heilungsdauer  zu  rechnen  ist.  Bei  Rommo¬ 
tionsneurosen  zerebralen  wie  spinalen  Typs  dürfte  in 
abzufindenden,  nichtkomplizierten  Fällen  im  Durchschnitt 
ein  3  bis  5  jähriger  Verlauf  zugrunde  zu  legen  sein, 
während  die  Neurosen  nach  lokaler  Verletzung  sowie 
nach  Intoxikationen  (Verbrennungen,  septischen  Er¬ 
krankungen  usw.)  je  nach  den  vorliegenden  Sym= 
ptomen  bald  ein  rascheres,  bald  ein  langsameres 
Abklingen  erwarten  lassen.  Im  ganzen  ist  jeden¬ 
falls  daran  festzuhalten,  dass  im  Falle  recht¬ 
zeitiger  Kapitalabfindung  alle  nicht 
komplizierten  Unfallneurosen  mit  überwiegender  Wahr¬ 
scheinlichkeit  in  wenigen  Jahren  zum  völligen  Abklingen 
kommen. 

Liegen  Komplikationen  mit  orga¬ 
nischen  Leiden,  z.  B.  schwerer  Arteriosklerose, 
Lues,  Herzleiden,  Tuberkulose,  Diabetes  mellitus  oder 
mit  Alkoholismus  vor  oder  besteht  eine  schwere  psy¬ 
chopathische  Konstitution,  so  ist  im  all¬ 
gemeinen  mit  einem  etwas  längeren  Verlaufe  zu  rechnen, 
wobei  es  dann  weiterhin  natürlich  von  ausschlaggebender 
Bedeutung  ist,  ob  das  komplizierende  Leiden  ebenfalls 
durch  den  Unfall  in  Mitleidenschaft  gezogen  worden  ist 
oder  nicht.  Auch  die  Komplikation  von  Commotio 
cerebri  mit  Schädelbasisbruch  erfordert 
grössere  Vorsicht  und  Zurückhaltung.  Jedenfalls  kann 
man  bei  den  mit  schweren  organischen  Komplikationen 
einhergehenden  Krankheitsformen  die  bei  den  „nicht¬ 
komplizierten“  Fällen  gewonnenen  Erfahrungen  nur  mit 
Vorbehalt  verwerten  und  wird  trotz  aller  Vorzüge  der 
baldigen  Kapitalabfindung  doch  in  einzelnen  Fällen  zu 
einem  abwartenden  Verfahren  raten.  Nur  bei 
schwerer  psychopathischerKonslitu- 
tion,  die  in  der  Regel  das  Zurückgehen  der  durch 
den  Unfall  bedingten  Schädigung  bezw.  Verschlimmerung 
nur  um  1  bis  2  Jahre  verzögert,  ist  wie  bei  den  nicht¬ 
komplizierten  Fällen  alsbaldige  Abfindung 
am  Platze  ;  kommen  auch  solche  Fälle  im  Hinblick  auf 
die  bestehende  Konstitution  nicht  zur  Ausheilung  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes,  so  pflegt  doch  nach  Weg¬ 
fall  des  Entschädigungskampfes  langsam  —  mitunter 
aber  auch  wie  bei  vielen  Unfallneurotikern  überraschend 
schnell!  —  derjenige  Zustand  sich  wiederherzustellen, 
der  vor  dem  Unfälle  bestand.  Im  übrigen  muss  natür- 
ich  die  eingehende  Untersuchung  und  Beobachtung  des 
Einzelfalles  die  Entscheidung  treffen,  wie  ja  überhaupt 
gerade  bei  den  Unfallneurosen  strengste  Individualisierung 
geboten  ist  und  alle  Angaben  obenerwähnter  Art  nur  als 
allgemeine  Richtlinien  betrachtet  werden 
können. 


Dass  auch  die  neuere  Rechtsprechung 
unseren  jetzigen  Anschauungen  über  die  Prognose  ner¬ 
vöser  Unfallfolgen  Rechnung  getragen  hat,  möchte  ich 
nur  nebenbei  erwähnen.  Auch  das  Eingehen  auf  manche 
Reform  Vorschläge  (Abänderung  des  §  843, 3  B.  G.  B., 
Erhöhung  der  Äbfindungsgrenze  bei  gewerblichen  Un¬ 
fällen  auf  33  V3  Proz.  u.  a  )  würde  mich  an  dieser  Stelle 
zu  weit  führen.  Ebenso  brauche  ich  nur  kurz  zu  er¬ 
wähnen  ,  dass  langwierige  Behandlungen, 
Sanatoriumsaufenthalte  usw.  nur  in 
Ausnahmefällen  tatsächliche  Erfolge  bringen.  Immerhin 
sollte  in  jedem  Falle  wenigstens  ein  Behand¬ 
lungsversuch  gemacht  werden,  haben  uns  doch 
noch  die  jüngsten  Mitteilungen  von  Nonne  gezeigt, 
dass  beispielsweise  Neurosen  bei  Kriegsteilnehmern  auf 
suggestivem  Wege  in  oft  überraschend  kurzer 
Zeit  zum  Schwänden  kommen.  Auch  bei  herunterge¬ 
kommenen,  blutarmen,  entkräfteten  Individuen  ist  eine 
Behandlung  durchaus  am  Platze.  Im  einen  oder  anderen 
Falle  kann  es  immerhin  gelingen,  die  Störungen  zu  be¬ 
seitigen,  ehe  die  Entschädigungsangelegenheit  zur  Auf¬ 
rollung  kommt  ;  leider  sind  aber  die  meisten  Patienten, 
vor  allem  die  Haftpflichtfälle,  schon  vorher  durch  gute 
Freunde  und  Winkeladvokaten  auf  übertriebene  Ent¬ 
schädigungsansprüche  hingelenkt  worden.  Fälle,  in 
denen  gröbere  Simulation  nacbzuweisen  ist,  sind  von 
vornherein  für  jede  Behandlung  aussichtslos.  Der 
Schwerpunkt  der  ganzen  Neurosenfrage  bleibt,  das 
möchte  ich  zum  Schlüsse  nochmals  mit  allem  Nachdruck 
hervorheben,  zweifellos  die  Handhabung  der 
ganzen  Entschädigungsangelegen¬ 
heit.  Auch  der  Einfluss  des  behandeln¬ 
den  Arztes  ist  natürlich  oft  von  entscheidender  Be¬ 
deutung  und  in  dieser  Hinsicht  kann  nicht  eindringlich 
genug  gefordert  werden,  die  immer  noch  oft  vertretene 
Auffassung  der  Unteilbarkeit  der 
Unfallneurosen  endgültig  aufzugeben. 
V or  allem  ist  aber  auch  notwendig,  darin  stimme  ich 
Nonne  vollkommen  bei,  die  unglückselige  Be¬ 
zeichnung  „traumatische  Neurose“, 
die  vielfach  nichts  anderes  ist  als  ein  Deckmantel  für 
alle  möglichen  unklaren,  schlecht  untersuchten  h  älle  und 
der  noch  immer  das  Odium  der  „Unheilbarkeit“  nervöser 
Unfallfolgen  anhaftet,  unter  allen  Umständen 
zu  vermeiden  und  sie  zu  ersetzen,  wie  ich  schon 
früher  wiederholt  gefordert  habe,  durch  die  Bezeichnung 
„Unfallneurosen“  mit  ihren  klaren,  eindeutigen,  fest  um¬ 
schriebenen  Untergruppen:  Schreckneurosen,  Kommo- 
tionsneurosen  zerebralen  und  spinalen  Typs,  Neurosen 
nach  sonstigen  lokalen  Läsionen,  Intoxikationsneurosen 
und  Mischformen,  zu  denen  als  „sekundäres  Stadium“ 
der  Llnfallneurosen  dasjenige  der  Rentenkampfneurosen 
hinzutritt.  Nur  bei  klarer  Erfassung  und  Differenzierung 
der  einzelnen  Krankheitsformen  wird  auch  die  Beur¬ 
teilung  der  Prognose  auf  gefestigter  Grundlage  stehen. 

Leitsätze. 

1.  Die  Unfallneurosen  stellen  prinzipiell 
heilbare  Erkrankungen  dar. 

2.  Für  die  Weitergestaltung  sind  ausschlaggebend 
einerseits  die  Handhabung  der  Ent- 
schädigu  ngsan  gelegen  heit,  andererseits 
das  Fehlen  oder  Vorhandensein  von  Komplika¬ 
tionen.  Auch  der  Einfluss  des  behandelnden  Arztes 
ist  oft  von  grundlegender  Bedeutung. 

3.  Bei  baldiger  Kapita.labfin  d  u  n  g  ist  in  der 
Regel  in  wenigen  Jahren  völlige  soziale 
Wiederherstellung  zu  erwarten  ,  während 
bei  langwierigen  Prozessen  sowie  bei  Renten- 
ge  Währung  die  Heilung  verzögert  wird. 

4.  Bei  Komplikationen  mit  organischen 
Erkrankungen  richtet  sich  die  Prognose  zum  grossen 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  6 


5b 


Teil  nach  der  Natur  des  Grundleidens  und  erfordert  J 
vorsichtigere  Beurteilung. 

5.  Notwendig  ist,  den  N  amen  „traumatische 
N  e  u  r  o  s  e“,  mit  dem  vielfach  immer  noch  der  Begriff 
der  Unheilbarkeit  verbunden  wird  ,  fallen  zu 
lassen  und  ihn  je  nach  dem  vorliegenden  Krankheits¬ 
bilde  durch  die  differenzierten  Bezeichnungen  :  Schreck¬ 
neurosen,  Kommotionsneurosen  zerebralen  und  spinalen 
Typs,  Neurosen  nach  sonstigen  lokalen  Läsionen,  In¬ 
toxikationsneurosen  sowie  Rentenkampfneurosen  (sämt¬ 
lich  Untergruppen  der  „U  nfallneurose  n“)  zu  er¬ 
setzen. 

Literatur. 

1.  Bai  ley:  Prognos.  of  traumat.  Hyst.  Med.  Record. 

Aug.  24.  1901. 

2.  Bernhardt  und  K  ro  n  t  h  a  1  :  Fall  von  sog.  traumat. 
Neurose  mit  Sektionsbefund.  Neur.  Zentralblatt  1890. 

3.  B  i  1  1  s  t  r  ö  m  :  Studien  über  die  Prognose  traumatischer 
Neurosen.  Hygiea  Nor.  1910. 

4.  Bruns:  Die  traumatischen  Neurosen,  in  Nothnagel. 
Bd.  XII.  1901. 

5.  C  h  a  r  c  o  t :  Neue  Vorlesungen  über  die  Krankheiten  des 
Nervensystems.  Deutsch  1886. 

6.  E  r  i  c  h  s  e  n  :  On  railway  and  other  injuries  of  the  nervous 
System.  London  1866.  Deutsch  von  Kelp,  Oldenburg  1868. 

7.  Francotte:  Quelques  observations  etc.  Bull,  de  l'acad. 
royale  de  med.  de  Belg.  28.  Februar  1903. 

8  F  r  i  e  d  e  1  :  Zur  Prognose  der  traumatischen  Neurose. 
Mon.  f.  Psych  u.  Neur.  Bd.  25,  3. 

9.  Gaupp:  Einfluss  der  deutschen  Unfallgesetzgebung  usw. 
M.  m.  W.  1906,  46 

10.  Horn:  Über  nervöse  Erkrankungen  nach  Eisenbahnunfällen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  ihrer  Beeinflussung  durch  Kapital¬ 
abfindung  bezw.  Rentenverfahren.  Bonn  1913,  Marcus  u.  Weber. 

11.  Horn:  Über  Simulation  bei  Unfallverletzten  und  Invaliden. 
Ärztl.  Sachv.  Zeitung  1913,  11  und  12. 

12.  Horn:  Über  die  neuere  Rechtsprechung  bei  Unfallneu¬ 
rosen  Berlin  1915.  Rieh.  Schoetz. 

13.  Horn:  ÜberSchreckneurosen  in  klin.  und  unfallrechtlicher  Be¬ 
ziehung.  D.  Zeitschr  f.  Nervenh.  Bd.  53.  1915. 

14.  Horn:  Zur  Heilbarkeit  der  Schreckneurosen  nach  Ab¬ 
findung.  Zeitschrift  für  Bahn-  und  Bahnkassenärzte  1915,  9. 

15.  Huguenin:  Die  Prognose  der  traumatischen  Neurose. 
Korresp  -Blatt  f.  Schweizer  Ärzte  1904,  19. 

16.  La  quer:  Die  Heilbarkeit  nervöser  Unfallfolgen.  Halle 

1912. 

17.  Moel  i:  Über  psych.  Störungen  nach  Eisenbahnunfällen. 
Berl.  klin  W.  1881,  6. 

18.  Nägeli:  Nachuntersuchungen  bei  traumat.  Neurosen. 
Korresp.-Blatt  für  Schweizer  Ärzte,  1910,  2  und  3 

19.  Nonne:  Soll  man  wieder  „traumatische  Neurose"  bei 
Kriegsverletzten  diagnostizieren?  Med.  Klin.  1915,  31, 

20.  Oppenheim:  Die  traumatischen  Neurosen.  Berlin  1889 
und  1892 

21.  Placzek:  Müssen  Unfälle  nervöse  Folgen  haben?  Med. 
Klin.  1913,  49-52. 

22.  R  e  i  c  h  a  r  d  t  :  Über  die  Folgen  psych.  Vorgänge  auf 
Körper  und  Seele.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  1914,  2 
und  3. 

23.  Richter:  Verlauf  traumatischer  Neurosen.  Berl.  Klin.  W. 

Heft  74.  1895. 

24.  Rigi  er:  Über  die  Folgen  der  Verletzungen  auf  Eisen¬ 
bahnen.  Berlin  1879. 

25.  R  i  g  1  e  r :  Die  Bekämpfung  der  traumatischen  Neurose 
usw.  Zeitschrift  für  Versicherungsmedizin  1909,  6. 

26.  Sachs  und  Freund:  Erkrankungen  der  Nerven  nach 
Unfällen.  Berlin  1899. 

27.  Sänger.  Die  Beurteilung  der  Nervenerkrankungen  nach 
Unfall  Stuttgart  1896 

28.  Sänger:  Nerv.  Folgezustände  nach  Eisenbahnunfällen.  M.  f. 
Psych.  u  Neurol  Bd.  X  1901. 

29.  S  c  h  a  1  1  e  r  :  Unfallneurosen.  Diss.  Tübingen  1910. 

30.  Fr.  Schultze:  Sammlung  klin.  Vortr  1890 

31.  ,,  Weiteres  über  Nervenerkrankungen  und 

Trauma.  Zeitschrift  f.  Nervenh. 

32.  Fr.  Schultze  u.  Stursberg:  Erfahrungen  über  Neu¬ 
rosen  nach  Unfällen.  Wiesbaden  1912,  Bergmann 

33.  S  t  i  e  r  1  i  n  :  Über  die  mediz.  Folgezwdände  der  Katastrophe 
von  Courrieres  etc.  Berlin  1909. 

34.  Verhoogen:  Sur  les  pronostic  de  l’hyst.  traumat. Journ. 
med.  de  Bruxelles  1903,  33. 

35.  Wassermeyer:  Über  den  Verlauf  posttraumat.  Nerven¬ 
krankheiten.  Diss.  Bonn  1902. 

36.  Wimmer:  Über  die  Prognose  der  traumatischen  Neuros° 
und  ihre  Beeinflussung  durch  die  Kapitalabfindung.  Zentral-Blatt  f. 
Nervenh.  u.  Psych.  1906. 


Der  Zucker  als  antiseptisches  und  Wund- 

heilmittel. 

Von  Dr.  med.  Ratner  -  Wiesbaden. 

Die  epochemachende  Entdeckung  L  i  s  t  e  r  s  in  der 
letzten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  wirkte  wie  ein 
mächtiger  Blitzstrahl  auf  die  medizinischen  Anschauungen 
damaliger  Zeit. 

Wie  berauscht  standen  die  Ärzte  vor  der  wuchtigen 
Tatsache  und  warfen  alle  bisherigen  Anschauungen  der 
damaligen  Wundheillehre  über  den  Haufen.  Alles  sah  das 
Heil  im  chemischen  Desinfektionsmittel  ....  Die 
chemisch-pharmazeutische  Industrie  war  auf  der  Suche 
nach  neuen  Desinfektionskörpern,  arbeitete  fieberhaft  — 
und  so  entstand  eine  ganze  Reihe  organischer  Wund¬ 
heilmittel,  speziell  aus  der  Benzol-  und  Teergruppe,  aber 
auch  manches  anorganische  wie  das  Sublimat ,  das 
aluminium  aceticum.  Allmählich  aber  gaben  beobachtete 
Tatsachen  den  Chirurgen  viel  zu  denken.  Denn  die 
chemischen  Desinfektionsmittel  waren  meist  gar  nicht 
so  unschuldig,  bildeten  vielmehr  giftige  Substanzen, 
welche  sog.  Nebenerscheinungen  verursachten,  die  nicht 
selten  wahre  Intoxikationen  waren,  trotz  aller  Vor¬ 
sicht  bei  der  Anwendung.  Und  so  kam  die  Idee  auf, 
nach  mehr  m  echanischen,  ungiftigen  Wundheil-  und 
antiseptischen  Mitteln  zu  suchen.  Zuerst  bewiesen  Ver¬ 
suche  mit  Alkohol,  —  welcher  äusserlich  angewandt  bei¬ 
nahe  ungiftig  ist,  —  dass  er  ein  mächtiges  Agens  für 
die  Aseptik  in  sich  enthält.  Dann  kamen  die  Jod¬ 
bepinselung  des  Operationsfeldes,  die  Bolus  alba  usw. 
an  die  Reihe. 

Nun  wird  nach  jüngsten  Versuchen  auch  der  Zucker 
unter  die  Desinfektions-  und  Wundheilmittel  aufgenommen. 
Man  bedenke,  welcher  Vorteil,  welche  Bequemlichkeit,  in 
dem  in  jedem  Haushalt  zu  habenden  Süssstoffe  sofort 
bei  jeder  Verwundung  ein  gutes  Heilmittel  an  der  Hand 
zu  haben  ! 

Zuerst  wurde  der  Zucker  als  Fleischkonservierungs¬ 
mittel  angewandt.  Nach  dem  „Centralblatt  für  Zucker¬ 
industrie“  ist  der  Zucker  sehr  geeignet  zur  Fleisch¬ 
konservierung,  da  er  infolge  seiner  Beschaffenheit  frei 
von  Bakterien  ist  und  zweifellos  anti¬ 
septische  Eigenschaften  besitzt.  Das 
Fleisch  erleidet  durch  den  Zucker  eine  Beize,  wird 
hart  und  zu  einem  festen  Blocke,  in  welchem  alle 
Eigenschaften  des  frischen  Fleisches 
enthalten  bleiben.  Legt  man  frisch  geschlachtetes  Fleisch 
in  Zucker  (Puderzucker),  so  wird  der  austretende  Fleisch¬ 
saft,  das  Blut  usw.  durch  diesen  aufgesogen  ;  das  Fleisch 
wird  allmählich  ausgetrocknet,  behält  aber  seine  Be¬ 
standteile  bei.  So  konserviertes  Fleisch  kann  in  Gefässen 
z  B.  den  Soldaten  ins  Feld  zur  Verpflegung  mitgegeben 
werden,  da  es  nach  Öffnung  des  Verschlusses  und 
Entnahme  von  Stücken  nicht  dem  Verderben  ausgesetzt 
ist.  Ebenso  lassen  sich  Geflügel,  Fisch,  Früchte  auf 
dieselbe  Weise  konservieren.  (Dass  wir  im  Kochsalz  ein 
gutes  Nahrungskonservierungsmittel  besitzen,  ist  ja  seit 
uralter  Zeit  bekannt!  Welleicht  beruht  auch  darauf 
das  strenge  Gebot  bei  den  Juden,  Fleisch  vor  der 
Verwendung  eine  Stunde  lang  zu  salzen  nachdem  es 
vorher  im  Wasser  1/2  Stunde  eingeweicht  wurde.  Un¬ 
gesalzenes  Fleisch,  welches  drei  Tage  nach  dem 
Schlachten  gelegen,  darf  überhaupt  bei  Juden 
nicht  mehr  genossen  werden  !  Sehr  vernünftige 
sanitäre  Massregel  zur  Vermeidung  von  Massenver¬ 
giftungen  durch  Botulismus,  wie  sie  noch  vor  gar  nicht 
langer  Zeit  in  Berlin  vorgekommen  sind  !) 

Zur  Verwendung  des  Zuckers  für  antiseptische  Wund¬ 
behandlung  war  nur  ein  Schritt  !  Wie  Dr.  F  a  c  k  e  n  - 
heim  (Kassel)  in  der  Münch.  Med.  Wochenschrift 
29,  1915  mitteilt,  hat  er  Kristallzucker  in  einem  Kriegs¬ 
lazarett  nicht  nur  bei  gutartigen, sondern  auch  bei  stark- 


57 


Nr.  6. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


eiternden  grossenVerwundungen  nebstSubstanzdefekten  Verband.  Also:  Simplex  signum  veritatis!  Einfach 
mit  grossartigem  Erfolg  angewandt.  Die  Heilung  ging  und  praktisch.  Möchte  man  da  nicht  unsern  polyprag¬ 
glatt  und  rasch  vor  sich,  die  früher  übelriechenden,  matischen  Ileilmitteljägern  mit  Recht  das  Dichterwort 
eiternden  Flächen  reinigten  sich  nach  einigen  Tagen  und  Zurufen  :  „Wozu  in  die  Ferne  schweifen,  sieh’,  das 


zeigten  gute  Granulationen.  Bedeckt  wird  die  Wund¬ 
fläche  nur  mit  Zellstoff  und  darüber  abschliessenden 


Gute  liegt  so  nah’“! 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Ein  Heimstättengesetz  für  unsere  Krieger. 

Von  K o  1  b -München. 

Ausgehend  von  der  voraussichtlichen  Mietsteigerung, 
die  auch  nach  dem  siegreichen  Ende  des  jetzigen 
Krieges  zu  erwarten  ist,  wird  ein  Reichsgesetz 
vom  Verein  für  Bodenreform  vorgeschlagen,  das  den 
heimkehrenden  Kriegern  den  Erwerb  einer  Heimstätte 
durch  Hergabe  billigen  Bodens  gegen  massige  unkünd¬ 
bare  Rente  und  mittelst  günstigen  Baudarlelms  für  Stadt 
und  Land  ermöglicht. 

Ausser  den  bekannten  gesundheitlichen  Schäden  der 
bisherigen  W  ohnungsnot  wird  besonders  auf 
ihren  Zusammenhang  mit  dem  Geburtenrückgang  und 
dann  ihre  Ursachen  und  Bekämpfung  hingewiesen.  Nicht 
nur  die  ungesund  gebauten,  sondern  noch  viel 
mehr  die  teueren  Wohnungen  sind  zu 
bekämpfen.  Dazu  ist  aber  vor  allem  die  Be¬ 
schaffung  billigen  Bodens  nötig,  da  die  namentlich  durch 
die  Spekulation  erhöhten  Kosten  des  Bodens  die  Her¬ 
stellung  der  Häuser  unverhältnismässig  verteuert. 

Die  Annahme  des  Gesetzes  ist  darum  — ■  in  Rück¬ 
sicht  auf  unsere  verdienten  Krieger,  wie  auf  das  Ge¬ 
meinwohl  —  vor  allem  auch  von  den  Ärzten  mit  aller 
Kraft  zu  befürworten.  (M.  m.  Wschr.,  Nr.  35,  1915.) 

Autoreferat. 


Frühdiagnose  der  Wirbeltuberkulose  mit  einigen 
therapeutischen  Bemerkungen. 

Von  Dr.  Th.  J  a  n  s  s  e  n  in  Davos. 

Bei  der  jetzigen  aussichtsreichen  Behandlungsweise 
der  Wirbeltuberkulose  ist  die  frühzeitige  Diagnose  wich¬ 
tig,  zumal  da  bei  falscher  Beurteilung  der  in  Frage 
kommenden  Fälle  grosser  Schaden  angerichtet  werden 
kann  durch  eine  falsche  Therapie. 

An  einer  Reihe  von  Beispielen,  die  vorgeführt 
werden,  kann  man  sehen,  wie  oft  eine  Wirbeltuberkulose 
verkannt  wird,  weniger  mit  tuberkulösen  Drüsen  und 
Lungeninfiltrationen  in  der  Hilusgegend,  als  mit  Pleu¬ 
ritis,  Neuralgie,  Lumbago,  Ischias  und  Appendizitis 
kommen  Verwechslungen  vor.  Oft  rezidivierende  Pleu¬ 
ritis,  besonders  nach  längerem  Gehen  hat  nicht  selten 
ihren  Grund  in  einer  Spondylitis.  Lumbago-  und  Ischias¬ 
ähnliche  Schmerzen  beruhen  häufig  auf  einer  Erkrankung 
der  Wirbelsäule,  appendizitisähnliche  Schmerzen  führen 
manchmal  zu  einer  Entfernung  des  Wurmfortsatzes,  wo 
es  gar  nicht  nötig  wäre. 

Die  ersten  Symptome  einer  beginnenden  V  irbel- 
säulentuberkulose  bestehen  meist  in  Beschwerden  bei 
längerem  Stehen  und  Sitzen.  In  etwas  weiter  vor¬ 
geschritteneren  Fällen  treten  Schmerzen  nach  längerem 
Spazierengehen  auf,  und  zwar  ausser  an  den  erkrankten 
Stellen  oft  auch  am  oberen  und  unteren  Ende  der  \  er- 
tebra,  die,  wenn  sie  einseitig  ausstrahlen,  leicht  mit  Pleu¬ 
ritis  verwechselt  werden,  bei  doppelseitigem  Auftreten 


eine  Art  von  Gürtelgefühl  darstellen.  Bei  tieferem  Sitz 
der  Erkrankung  sind  die  Nervendruckschmerzen  meist 
nicht  am  Mac  Burneyschen  Punkt,  sondern  an  der 
Innenkante  der  Darmbeinschaufel  und  im  weiteren  Ver¬ 
lauf  des  nervus  ileo-inguinalis  lokalisiert,  häufiger  ais  im 
Ischiadicusgebiet.  Später  wird  die  Diagnose  leichter 
durch  Einsinken  eines  Prozessus,  darauf  tritt  erst  der 
Gibbus  auf. 

In  der  Behandlung  hat  die  konservative  Methode 
die  chirurgische  mehr  verdrängt,  aber  nicht  die  ortho¬ 
pädische,  die  absolut  nötig  ist  neben  der  Bestrahlung 
mit  Sonnen-  und  Quarzlicht.  Die  Ruhigstellung  wird 
durch  Lagerung  auf  Hirsespreumatratze  erzielt,  durch 
eine  besondere  Vorrichtung  das  schonende  Umbetten 
erleichtert.  Die  Ganzbestrahlung  wird  Teilbestrahlungen 
vorgezogen.  Nach  Konsolidierung  ist  noch  mindestens 
ein  Jahr  lang  ein  Stützkorsett  zu  tragen. 

Die  Erfolge  im  Hochgebirge  sind  meist  recht  gute, 
auch  in  vorgeschritteneren  Fällen.  (M.  M.  V  sehr.  Nr.  35, 
1915.)  Autoreferat. 


Ueber  die  Kühlung  der  Röntgentherapieröhren 
mit  siedendem  Wasser. 

Von  Dr  Bucki,  Berlin. 

Während  man  bisher  ängstlich  darauf  bedacht  war, 
die  Temperatur  des  Wassers  in  den  sogenannten  Wasser¬ 
kühlröhren  nie  so  hoch  steigen  zu  lassen,  dass  das 
Wasser  etwa  anfängt  zu  kochen,  so  haben  uns  die  neu¬ 
esten  Untersuchungen  gezeigt,  dass  dieser  Umstand  nicht 
etwa  unerwünscht  ist,  sondern  im  Gegenteil  sogar  ganz 
besondere  Vorteile  in  sich  birgt.  Während  man  bisher 
befürchtete,  dass  die  Röhre  durch  die  erhöhte  Tempe¬ 
ratur  bis  zum  Siedepunkt  des  Wassers  dazu  neigte,  weich 
zu  werden,  haben  die  Versuche  gezeigt,  dass  dies  durch¬ 
aus  nicht  der  Fall  ist,  sondern  im  Gegenteil,  dass  die 
Röhre  durch  die  Konstanz  der  Temperatur  bei  100° 
in  ihrem  Härtegrad  viel  konstanter  bleibt  während  eines 
Betriebes,  der  ihr  früher  nie  hätte  zugemutet  werden 
dürfen  (bis  5  Milliamp.  Belastung!!).  Die  Konstanz  der 
Temperatur  wird  aber  gerade  dadurch  erreicht,  dass 
das  Wasser  zum  Sieden  gebracht  wird,  da  ja  dann  das 
Wasser  bekanntlich  immer  eine  Temperatur  von  100° 
haben  muss.  Auffallend  ist  der  ruhige  und  schöne  Gang 
der  Röntgenröhren  bei  dieser  Temperatur,  sodass  diese 
Beobachtung  die  Annahme  gestattet,  dass  die  Röhren 
bisher  durch  die  anderen  Kühlmethoden  unterkühlt 
worden  sind.  Bei  dem  Betrieb  mit  dem  siedenden 
Wasser  wird  die  Röhre  auf  das  Äusserste  geschont,  ihre 
Lebensdauer  wird  ganz  enorm  verlängert.  Im  übrigen 
fallen  alle  umständlichen  Kühlvorrichtungen,  Pumpen  usw. 
vollkommen  fort,  sodass  der  Betrieb  wesentlich  verein¬ 
facht  wird.  Die  Siederöhren  werden  von  der  Firma 
C.  H.  F.  Müller  in  Hamburg  hergestellt.  (M.  m.  Wschr. 
Nr.  34,  1915.)  Autoreferat. 


58 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  6. 


Referate  und  Besprechungen. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Hess  (Strassburg.)  Die  Azidität  dos  Säuglingsmagens. 
(Ztschr.  f.  Kinderhlke.  12.  Bd.  6.  H.) 

Erst  mit  etwa  9  Monaten  zeigt  der  Magen  des  Säuglings 
die  für  die  Pepsinwirkung  erforderliche  Höhe. 

Strauss  -  Mannheim. 

Reiche  (Berlin):  Lues  congenita  bei  Frühgeburten. 
(Ztschr.  f.  Kinderhlke.  i2.  Bd.  6.  Heft) 

Unter  200  beobachteten  Frühgeburten  waren  10  sichere 
Fälle  von  Lues,  von  denen  8  im  1.  bis  2.  Monat  starben. 

Strauss  -  Mannheim 

Reiche  (Berlin):  Das  Wachstum  der  Frühgeburten  in 
den  ersten  Lebensmonaten.  (Zeitschrift  für  Kinderheilkunde. 
12.  Band,  0.  Heft.) 

Aus  Untersuchungen  an  100  Fällen  von  frühzeitig  ge¬ 
borenen  Kindern  mit  einem  Geburtsgewicht  von  840  g  bis 
2500  g,  von  denen  78  als  gesund,  27  als  krank  zu  betrachten 
waren,  ergibt  sich  als  wesentliches  Resultat,  dass  das  extra¬ 
uterine  Wachstum  gesunder  Frühgeburten  annähernd  nach  den¬ 
selben  Gesetzen  erfolgt,  als  wenn  sie  noch  im  Mutterleibe  sich 
befänden.  Strauss-  Mannheim. 

V  as  (Budapest):  Erklärung  der  Entstehungsweise  des 
Spasmus  nutans  beim  Kinde  mit  Hilfe  des  Bedingungsreflexes. 
(Jahrb.  f.  Kinderhlke.  Bd.  82.  H.  2.) 

Die  eigentümlichen,  horizontalen  oder  vertikalen,  unwill¬ 
kürlichen  Kopfbewegungen  beim  Säugling  und  kleinen  Kinde, 
gewöhnlich  mit  Nystagmus  verknüpft,  sind  schon  von  Raudnitz 
auf  den  Aufenthalt  in  schlecht  beleuchteten  Räumen  zurück¬ 
geführt  worden,  wodurch  das  Kind  gezwungen  wird,  seine  kopf¬ 
bewegenden  Muskeln  forciert  zu  innervieren.  Der  gleiche 
Zwang  kann  auch  in  gut  beleuchteten  Wohnungen  bestehen, 
wenn  das  Kind  veranlasst  wird,  seinen  Blick  beständig  gegen 
einen  glitzernden  Gegenstand  hin  zu  wenden.  In  diesen  hier¬ 
durch  ständig  überanstrengten  Muskeln  treten  abnorme  Inner¬ 
vationen  auf  und  dadurch  entwickelt  sich  als  pathologischer 
Bedingungsreflex  die  ständige  spastische  Bewegung. 

Strauss-  Mannheim. 

Marie  Baum  (Düsseldorf':  Die  Kriegswochenhilfe. 
(Zeitschrift  für  Sfiuglingsfürsorge.  Bd.  8,  No.  9.) 

Ausführliche  Wiedergabe  der  beiden  Bundesratsverorduungen, 
die  vom  Standpunkt  des  praktischen  Mutter-  und  Kinderschutzes 
nicht  hoch  genug  veranschlagt  werden  können  und  als  wichtiger 
Grundstein  für  die  Friedensarbeit  begriisst  werden. 

S  trauss  -  Mannheim. 

B  atk  i  n  (Zürich):  Die  Dicke  des  Fittpolsters  bei  ge¬ 
sunden  und  kranken  Kindern.  (Jahrb.  f.  Kinderhlke.  Bd.  82. 
Heft  2.) 

Nach  dem  Vorgang  Oders  wurde  versucht,  mittels 
Kaliberzirkels  die  Dicke  der  Hautfett  -  Falte  an  verschiedenen 
Stellen  des  Körpers  zu  bestimmen  und  damit  (durch  Halbierung 
der  gewonnenen  Zahl)  ein  objektives  Mass  des  Fettpolsters  zu 
bekommen.  Kontrolle  an  der  Leiche  ergaben  die  annähernde 
Richtigkeit  des  Resultats.  Strauss-  Mannheim. 

Mary  Eisenstädt  (Zürich):  Die  Säuglingssterblich¬ 
keit  in  den  Städten  der  Schweiz,  spec.  in  Davos  der 
Jahre  1900 — 1909.  (Ztschr.  f.  Säuglfürs.  Bd.  8,  No.  9.) 

Während  bei  den  meisten  deutschen  Städten  aus  bekannten 
Ursachen  ein  bedeutender  Sommergipfel  der  Säuglingssterblich¬ 
keit  zu  konstatieren  ist,  stellt  diese  Arbeit  unter  18  schweizerischen 
Städten  nur  bei  4  einen  ausgesprochenen  Sommergipfel,  bei  4 
andern  eine  gleiche  Höhe  der  Sterblichkeit  im  Sommer  und 
Winter,  bei  10  Städten  sogar  eine  höhere  Winter-  als  Sommer¬ 
sterblichkeit  der  Säuglinge  fest.  Strauss-  Mannheim. 

Peter  i  (Budapest):  Die  Röntgen- Untcrsuchungsi'rgcbiiisse 
des  Dickdarms  im  Säuglings-  und  im  späteren  Kindesalter. 
(Jahrb.  f.  Kinderhlke.  Bd.  82.  H.  2.) 

Die  Untersuchungen  erfolgten  zum  Teil  unter  Anwendung 
von  Baryumstärke  Klysmen,  zum  Teil  unter  oraler  Verabreichung 
einer  mit  Thorium oxydat  vermischten  Milchgrütze.  Die  letzteren 


Versuche  ergaben  als  physiologisches  Resultat,  dass  die  Füllung 
des  Colon  bei  grösseren  Kindern  7  —  8  Stunden  nach  der  Ver¬ 
zehrung  des  Thorium-Breis  beginnt,  dass  das  Colon  in  der  10. 
bis  18.  Stunde  vollkommen  gefüllt  und  nach  22  —  30  Stunden 
wieder  entleert  ist.  Strauss-  Mannheim. 

D  u  t  o  i  t  (Montreux):  Über  Syphilis  hereditaria  praecox 
et  tarda.  —  (Der  Kinderarzt.  Bd  2G,  No.  10)  bringt  nur  eine 
Zusammenfassung  bekannter  Tatsachen. 

Strauss-  Mannheim. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Weygandt,  Kriegspsychiatrische  Begutachtungen. 
(Münchener  mediz.  Wochenschrift.  No.  37.  Feldärztliche  Bei¬ 
lage,  1915.)  — 

Die  Erfahrungen  sind  gesammelt  im  „Reservelazarett 
Friedrichsberg“.  W.  unterscheidet  3  verschiedene  dem  Psychiater 
vorkommende  Fragen:  1.  Dienstfähigkeit.  2.  Dienstbeschädigung 
3.  Zurechnungsfähigkeit  Ad.  1.  Diejenigen,  welche  wir  mit 
unseren  modernen  Untersuchungsmethoden  und  bei  der  Ver¬ 
feinerung  unseres  klinischen  Eikennens  alle  noch  zu  den 
Psychotischen  rechnen,  sind  nicht  allesamt  generell  als  dienst¬ 
untauglich  anzusehen.  „Manche  Fälle  von  Schock  und  Er¬ 
schöpfung  können  wieder  vollkommen  dienstfähig  werden  und 
recht  zahlreiche  Fälle  von  Hysterischen,  auch  Epileptischen 
und  manchen  anderen  Störungen  leichterer  Art  können  sich 
doch  soweit  erholen,  dass  sie  wenigstens  als  garnisondienst¬ 
tauglich  zu  bezeichnen  sind ;  unter  Umständen  vermögen  sie 
auch  in  der  Etappe  und  Armierungsarbeit  noch  gute  Dienste 
zu  leisten.  Auf  manche,  wie  Hysteriseh-Pseudologistische,  könnte 
der  Dienst  bei  den  Armierungstruppen  geradezu  therapeutische 
Wirkung  ausüben  “  Jnfektions-  und  Alkoholdeliranten  können 
nach  der  Heilung  sehr  wohl  wieder  dienstfähig,  selbst  felddienst¬ 
fähig  sein  und  garnisondienstfähig  ist  auch  die  überwiegende  Mehr¬ 
zahl  der  Psychopathen.  Ad. 2.  FastallePsychosen  könueu  wenigstens 
durch  den  Kriegsdienst  ausgelöst  werden  ;  es  kommt  darauf  an,  was 
vorher  bestand.  A  ls  zweckmässig  empfiehlt  W. folgende  Formulierung 
für  die  vom  Arzt  zu  beantwortende  Frage:  „ob  sich  ein  Zu¬ 
sammenhang  des  krankhaften  Zustandes  mit  der  Kriegsteilnahme 
aunehmen  lässt.“  Beziigl.  der  traumatischen  Neurose  folgt  dann 
eine  eingehende  Polemik  gegen  die  Anschauungen  Oppen¬ 
heims,  deren  Befolgung  seitens  der  Gutachter  eine  lawinen¬ 
artige  Vermehrung  der  Renten hysteriker  verursachen  würde. 
Ad.  3.  Nur  in  einem  kleinen  Teil  seiner  Fälle  konnte  W.  den 
Schutz  des  §  51  zubilligen,  noch  seltener  glatte  Ablehnung  des¬ 
selben,  manchmal  wurde  die  Zurechnungsfähigkeit  als  fraglich, 
die  Unzurechnungsfähigkeit  als  wahrscheinlich  hingestellt,  mehr¬ 
fach  wurde  die  Unzurechnungsfähigkeit  abgelehnt  unter  Hervor¬ 
hebung,  dass  doch  eine  nicht  bedeutungslose  geistige  Minder¬ 
wertigkeit  vorliege  Bezügl.  der  Diagnosen  der  Untersuchungs¬ 
gefangenen  waren  Epilepsie  in  */4  aller  Fälle  vertreten,  dann 
mehrfach  Alkoholstörungen,  vereinzelt  auch  Paralyse,  Hirn¬ 
syphilis,  Hebephrenie  und  Dementia  praecox. 

Wern.  H  Becker-  Herborn. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

A  1  b  u  :  Die  Regelung  der  Diät  bei  Marienbader  Kuren. 
(Z.  f.  Baln.,  Klimatol.  u  Kurort-Hyg.  VIII,  2/4). 

Die  Diät  ist  abhängig  von  den  Indikationen  eines  Kur¬ 
ortes.  Dabei  sind  „strenge  Indikationen  und  Kontraindikationeu“ 
nicht  mehr  anzuerkennen;  denn  am  gleichen  Kurort  finden  ent¬ 
gegengesetzteste  Zustände  erfolgreiche  Behandlung,  weil  es  an¬ 
kommt  „nicht  auf  die  qualitative  und  quan¬ 
titative  Zusammensetzung  der  Quellen 
allein,  sondern  auf  die  individuelle  Art 
der  Verabreichung  und  auf  Kombination 


Nr.  6. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


59 


mit  allen  übrigen  Heilfaktoren  des  Kur¬ 
orte  s“. 

Die  Quellenwirkung  ist  verschieden  je  nach  Menge,  Tem¬ 
peratur,  Häufigkeit  des  Trinkens,  sowie  nach  dem  Genuss  in 
Ruhe  oder  hei  reichlicher  Bewegung.  — 

Marienbad,  früher  bloss  Dorado  der  Fettleibigen,  ist 
heute  als  einer  der  ersten  Luft-  und  Terrainkurorte  der  ge¬ 
eignetste  Platz  für  Neurastheniker,  Fettleibige, 
Herzkranke  und  ältere  Leute.  Bei  dieser  Indi¬ 
kationserweiterung  kann  von  einheitlicher  Diät  nicht  mehr  die 
Rede  sein,  da  die  Diät  nicht  der  Quellenzusammensetzung, 
sondern  der  Krankheit  anzupassen  ist. 

Fettleibige,  Neurastheniker  und  chronisch  Obstipierte  ziehen 
grössten  Nutzen  aus  vegetarischer  Diät,  die  zu 
Unrecht  ein  Stiefkind  der  ärztlichen  Praxis  ist  und  dringendste 
Empfehlung  verdient  Der  gegen  sie  erhobene  Vorwurf  der 
Geschmacklosigkeit  und  Monotonie  ist  bei  Beherrschung  der 
Kochkunst  grundfalsch,  ihre  Einführung  in  die  Speisehäuser  ist 
sehr  wünschenswert. 

Für  Fettleibige  und  Obstipierte  sind 
grobe,  schwer  verdauliche  Formen  zu  wählen,  zellulosereiche 
Vegetabilien,  die  füllen,  sättigen,  Schlacke  bilden,  durch  ihre 
Menge  und  Bildung  organischer  Säuren  und  Gase  peristaltisch  an- 
regen,  aber  weniger  nähren.  Kombinationen  mit  Buttermilch, 
Kefir,  Yoghurt,  Obst  sind  vorteilhaft.  Getränke  (Zitronen¬ 
limonade  mit  Saccharin,  Apfelwein,  auch  Kaffee,  Tee,  Selters) 
brauchen  nicht  beschränkt  werden  bei  Fettleibigen,  nur  die  nähr¬ 
stoffreichen  Suppen  sind  auszuschalten. 

Bei  Nervösen  setzt  vegetarische  Kost  in  Dauer  von 
4 — 6  Wochen  durch  Wegfall  der  Fleischbasen  und  Salze  die 
Reizempfiudlichkeit  des  Nervensystems  herab. 

In  ihrer  laktovegetabilen  Fo  r.m  eignet  sich 
die  vegetarische  Kostwahl  zur  Behandlung  von  M  agen  ■ 
und  Duodenalgeschwüren,  chronischen 
Katarrhen  mit  Diarrhoe,  gastrogen en 
Diarrhoen,  atrophierender  Gastritis, 
nervöser  Achylie,  Enteritis,  Colitis, 
harn  saurer  Diathese  usw. ,  wobei  feinverteilte, 
breiige  Konsistenz  der  Nahrung  nötig  ist.  Die  kalkhaltige 
Rudolfsquelle,  dem  Wildungerwasser  nahestehend,  ist  dabei  ein 
trefflich  nutzbarer  Heilfaktor. 

Auch  bei  Leberschwellungen  und  chro¬ 
nischer  Appendizitis  wird  sich,  wenn  auch  nicht 
rein  vegetarische  Diät,  so  doch  reichlicher  und  regelmässiger 
Genuss  von  Salaten,  Gurken,  Obst,  Kompott  und  Gemüsen  zur 
rascheren  Darmentlastung  empfehlen.  Die  angebliche  Unver¬ 
einbarkeit  einer  solchen  Diät  mit  der  Trinkkur  ist  wissenschaft¬ 
lich  abgetan.  Vielmehr  ist  die  so  erzielte  ausgiebige  Mischung 
verschiedenster  Salze  höchst  erwünscht  ,,zur  Erhaltung  und 
Herstellung  eines  konstanten  und  normalen  Salzgemisches  im 
Blute“. 

Weiterhin  ist  bei  Arteriosklerose  und  Ple¬ 
thora  vera  schlackenreiche,  weniger  ausnutzbare  Nahrung 
angezeigt.  Alkohol,  Kaffee  und  Milch  (wegen  des  Kalkgehaltes!) 
sind  zu  meiden. 

Nach  fast  allgemeiner  wissenschaftlicher  Anschauung  ist 
der  Kaloriengehalt  unsrer  Tagesnahrung  zu  hoch,  insbesondere 
der  Eiweissgehalt  infolge  abundanten  Fleischgenusses.  Quan¬ 
titative  Nahrungseinschränkung  ist  da¬ 
her  oft  die  wichtigste  Behandlung.  Hierzu 
ist  eine  Ausgestaltung  der  Speisehäuser  zu  förmlichen  diätetischen 
Pensionen  zu  fordern,  in  denen  abgewogene  Fleisch-  und 
Nahrungsportionen  gereicht  werden,  wobei  eine  etwaige  Lebens¬ 
verteuerung  durch  grösseren  Kurerfolg  unstreitig  aufgewogen 
würde. 

Hinsichtlich  der  mit  dein  stark  eisenhaltigen  Ambrosius¬ 
brunnen  behandelten  Blutarmut  endlich  ist  mit  Sicher¬ 
heit  zu  sagen,  dass  die  früher  so  beliebte  Milchkost  bei  den 
ohnehin  meist  pastösen  Mädchen  nicht  berechtigt  erscheint,  sich 
vielmehr  wiederum  frische  Gemüse,  Salate,  Obst  bewähren,  also 
eine  an  Salzen  reiche  Nahrung.  Auch  hier  stört  die  Trinkkur 
keineswegs. 

Badekuren  endlich  sind  nur  im  Verein  mit 
diätetischen  Massnahmen  als  erfolgversprechend  zu  erachten. 
Das  Gleiche  gilt  für  hydriatische  Prozeduren, 


z.  B.  bei  Fettleibigen,  und  für  die  elektrische  Methode  der 
Entfettung  nach  B  e  r  g  o  n  i  6.  „Die  Regelung 
der  Diät  ist  und  bleibt  der  Angelpunkt 
b  e i  jeglicher  Behandlung  von  Verdau- 
ungs  -  und  Stoff  w  ec  hselkrankh  eite  n“. 

Th.  Viern  stein  -  Kaisheim. 


Medicamentöse  Therapie. 

\  oi  gt  ,  Göttingen:  Über  kolloidales  Silber.  —  Was  für 
kolloidales  Silber  wird  intravenös  injiziert?  (Therap.  Monatsh. 
Nr.  9,  1914.) 

Für  seine  Versuche  zum  Zwecke  des  Studiums  der  Ver¬ 
teilung  und  des  Schicksals  des  kolloidalen  Silbers  im  Säuge¬ 
tierorganismus  hat  Verf.  eine  Reihe  von  kolloidalen  Silber¬ 
präparaten  versucht,  um  unter  diesen  dasjenige  herauszufinden, 
welches  zur  intravenösen  Injektion  am  geeignetsten  wäre.  Nach¬ 
dem  der  Silbergehalt  der  einzelnen  Präparate  bestimmt  worden 
war,  wurden  von  den  festen  kolloidalen  Silberpräparaten 
Lösungen  bezw.  Hydrosole  hergestellt.  Sodann  wurde  der 
Lineardurchmesser  der  einzelnen  submikroskopischen  Silber¬ 
teilchen  bestimmt  Die  Resultate  dieser  Untersuchungen,  welche 
mit  dem  neuen  Mikroskop  von  Zsigmondy  gefuuden  wurden, 
sind  folgende : 


Präparat 

Ausgangs- 

konzen- 

tration 

Proz. 

Verdünnung 
derselben 
zum  Zählen 

Teilchen¬ 
zahl  in  u  3 
der  Aus¬ 
gangs- 
Lösung 

Linear- 
durch- 
messerder 
Teilchen 
in  ju/x 

l2prozentiges  Kallargol 

9,576 

1  :  80 000 

1400 

18,7 

Fulmargin,  stark 

0,12 

1 :  640 

13,4 

L  0,3 

Elektrargol 

0,2 

1 :  200 

5,18 

15,45 

Argoferment 

0,042 

1:200 

2,1 

26,7 

R.  u.  Sch.,  trocken 

0,1 

1 :  600 

8,41 

14,2 

Carey  Lea 

1,6 

1 : 8000 

131,5 

21,9 

Neumann. 

Bernstein  (Cöpenick  :  Mundwsser  in  fester  Form. 
iD.  zahnärztl.  Wschr.  Jahrg.  18.  Nr.  38) 

Bernstein  berichtet  zunächst  über  die  Einwirkung 
des  Lenicet-Mundwassers  in  fester  Form  auf  Reinkulturen  von 
Bakterien,  die  der  Mundhöhle  entstammten,  und  auch  über  die 
direkte  Einwirkuug  auf  Speichel;  auf  Grund  der  Versuche 
kommt  er  zu  dem  Ergebnis,  dass  das  Lenicet-Mundwasser  eine 
bemerkenswerte  antiseptische  Wirksamkeit  gegenüber  Fäulnis- 
und  Eiterbakterien  entfaltet.  Infolge  dieser  hervorragenden 
autiseptischen  Eigenschaft  benutzte  Bernstein  das  Lenicet- 
Mundwasser  in  starker  Lösung  bei  eiuer  grossen  Anzahl 
ulzeröser  Stomatitiden  wie  auch  zur  Wundbehandlung  im 
Munde  mit  gutem  Erfolg;  hiernach  ist  die  Verwendung  des 
Mundwassers  bei  einfachen  katarrhalischen  Erscheinungen  sowie 
in  schwächerer  Lösung  zur  täglichen  Mundpflege  durchaus 
empfehlenswert.  In  der  von  Prof.  Sch  roeder  geleiteten 
chirurgisch-prothetischen  Abteilung  des  Zahnärztlichen  Universitäts- 
Institutes  zu  Berlin  ist  nach  Bernstein  das  Lenicet-Mund¬ 
wasser  in  fester  Form  ein  sehr  willkommenes  Hilfsmittel  bei 
der  Behandlung  von  Kieferschussverletzungen  und  zwar  zur 
Reinigung  der  mit  Schienen  versehenen  Kiefer.  Die  Patienten 
des  Universitäts-Institutes  benutzen  es  gern  wegen  seines  an¬ 
genehmen  erfrischenden  Geschmacks.  Als  besonders  empfehlens¬ 
wert  hebt  Bernstein  die  Verwendung  des  Lenicet- 
Mundwassers  in  fester  Form  bei  der  Reinigung  von  künstlichen 
Gebissen  hervor;  es  wird  aus  der  sehr  handlichen  Streudose 
direkt  auf  die  Prothese  gestreut  und  mit  eiuer  feuchten  Zahn¬ 
bürste  gründlich  gesäubert. 

Die  praktische  mit  Streuvorrichtung  versehene  Metalldose 
ist  ebenfalls  ein  grosser  Vorzug  beim  täglichen  Gebrauch,  sowie 
auf  Reisen  und  im  Felde. 

Hersteller  des  Lenicet-Mundwassers  in  fester  Form  ist 
Dr.  Rudolf  Reiss,  Rheumasan-  und  Lenicet-Fabrik,  Charlotten¬ 
burg  4.  N  e  u  m  a  n  n. 


60 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  6. 


Bücherschau. 


Prof.  Dr.  A.  Albu  (Berlin):  Grundzüge  für  die  Er¬ 
nährung  von  Zuckerkranken,  nebst  praktischen  Anweisungen  für 
die  Diabetesküche  (nach  weiland  Dr.  Gilberts  Diabetesküche).  Ver¬ 
lagsbuchhandlung  Carl  Marhold,  Halle  a.  S.  Preis  gebunden 

Mark  4.-  .  . 

Das  kleine  Werk  hält  vollkommen,  was  es  dem  Titel  nach 
verspricht.  In  wohltuender  Kürze,  fortwährend  den  erfahrenen 
Praktiker  und  dabei  wissenschaftlichen  Therapeuten  verratend, 
bringt  der  Verfasser  zunächst  die  Grundzüge  und  Sätze  für  die 
Feststellung  der  Diät  der  Zuckerkranken  (Teil  I).  Mit  Recht 
ist  dabei  grösster  Nachdruck  auf  das  Wesen  und  das  ursäch¬ 
liche  Verständnis  des  Diabetes  gelegt,-  neben  der  Toleranz¬ 
prüfung  die  Notwendigkeit  der  Feststellung  der  individuell  stark 
schwankenden  Ausnutzung  der  Kohlehydrate  im  allgemeinen 
wie  speziellen  —  betont  und  an  praktischen  Beispielen  und 
Tabellen,  die  sich  vielleicht  noch  übersichtlicher  gestalten  Hessen, 
der  praktisch  so  heilsame  Erfolg  der  genauen  Zuckerstofi  Wechsel - 
Untersuchung  jedes  Diabetikers  dargelegt.  Besonders  eifreulich 
ist  es,  dass  Albu  der  kritiklosen  Anwendung  der  praktisch 
sicherlich  überschätzten  Haferkureu  entgegentritt,  dafür  den  Wert 
der  Gemüsekureu  und  besonders  der  vegetarischen  Kuren  her¬ 
vorhebt  und  zu  allgemeiner  Bedeutung  bringt.  In  diesem  Sinne 
werden  im  II.  Teil  (Nahrungsmitteltabellen)  ausführlich  die 
einzelnen  Nahrungsmittel  erwähnt  und  erörtert,  uud  mancher 
Arzt  wird  wertvolle  Angaben  besonders  bei  den  vielfach  noch 
ungekannten  Gemüsen,  besonders  denjenigen,  die  ohne  Ein¬ 
schränkung  erlaubt  sind,  finden.  Die  4  Tabelle  dieses  II.  Teiles 
(Gleichwertigkeitstabelle)  bildet  in  praktischer  Hinsicht  den 
Höhepunkt  bezüglich  der  Brauchbarkeit:  die  grosse  Bedeutung 
von  Mass  und  Gewicht  für  jeden  schwereren  Diabetes  wird  so 
am  natürlichsten  zur  strengen  Pflicht  gemacht  Im  III.  Teil 
(besondere  Nahrungsmittel  für  Zuckerkranke)  kritisiert  der  Ver¬ 
fasser  äusserst  geschickt  und  wahr:  schon  dieses  Kapitel  allein 
müsste  von  jedem  praktischen  Arzte  gelesen  wei’den.  Es  folgen 
„Prophylaktische  Ratschläge  und  Prognose  des  Diabetes“ 
(Teil  IV)  und  schliesslich  die  „Diabetesküche“  (Teil  V).  Die 
einzelnen  Bestandteile  der  Nahrung  werden  besprochen,  die 
schmackhafte  und  zweckentsprechende  Zubereitung  jeder  einzelnen 
Gattung  hervorgehoben  (besonders  wieder  Gemüse  und  Gelöes) 
und  an  zahlreichen,  äusserst  brauchbaren  Rezepten,  die  sich  bis 
auf  die  kleinsten  Küchengeheimnisse  und  Kniffe  erstrecken,  mit 
Beispielen  belegt.  — 

Im  ganzen  ein  Buch,  das,  wie  wenige,  geeignet  und  be¬ 
stimmt  ist,  Gemeingut  der  Ärzte  jeder  Richtung  zu  werden.  An 
diesem  Urteil  ändern  auch  einige  Kleinigkeiten  nichts:  So 
Hesse  sich  vielleicht  die  Gesamtübersicht  zwecks  praktischer 
Handhabung  noch  zweckdienlicher  gestalten,  der  Wert  der 
absoluten  Zahl  der  Zuckerausscheidung  gegenüber  der  leider 
noch  so  verbreiteten  (auch  bei  Ärzten !)  Prozentberechnung 
müsste  stärker  betont  werden  ;  auch  mit  der  Alkoholfrage  und 
dem  Worte  „ererbt“  dürfte  mancher  nicht  einverstanden  sein  usw. 
All  das  tritt  jedoch  bei  der  im  übrigen  hervorragenden  Dar¬ 
stellung  und  Abfassung  des  Büchleins  ganz  in  den  Hintergrund. 

Z  a  d  e  k. 


Reaktion  und  muss  vor  Licht  geschützt  aufbewahrt  werden. 
Für  die  Reise  seien  die  genau  dosierten  Tabletten  ä  0,25  oder 
0,5  empfohlen. 


Interessante  Mitteilungen  macht  Unna  über  seine  Ver¬ 
suche,  das  jetzt  so  selten  gewordene  Glyzerin  in  der  Ordination 
auszuschalten.  Bekannt  ist  der  Ersatz  desselben  durch  Sir. 
simplex,  Sir.  communis  oder  eine  konzentrierte  Lösung  von 
Calc.  chlorat.  cryst.  Das  wirksame  Prinzip  des  Glyzerins  bei 
jeder  Art  der  Anwendung  ist  seine  wasseranziehende  Eigenschaft,, 
die  sowohl  durch  Zucker  mehr  noch  durch  Chlorcalcium  voll 
erreicht  wird.  Auch  das  Gleitbarmachen  von  Instrumenten  oder 
operierenden  Händen  wird  durch  letzteres  erreicht.  Je  nach 
Bedarf  kann  man,  um  Glyzerin  auszuschalten,  reine  oder  rohe 
Zuckerlösung  mitChlorcalciumlösung  in  jedem  Verhältnis  mischen.. 
Erprobte  und  empfehlenswerte  Formeln  sind 


Statt:  Glyzerin  1(0, — 
pro  Clysma 


Calc.  chlorat.  cryst.  40, — 

Aqu.  dest.  40, — 

Sir.  simplex  20, — 
pro  Clysma 
Wie  nebenstehend 
anstatt  Glyzerin  80,  — 

Rep. Calc.  chlorat.  40,  — 

Aqu.  dest.  15, — 

Sir.  simpl.  25, — 

bei  Zusatz  von  Ichthyol,  überhaupt  wo  eine  braune  Farbe  zu 
lässig  ist,  empfiehlt  sich  an  Stelle  von  Sir.  splx.  die  Ordination' 
von  Sir.  communis. 

Auch  intern  kommt  den  genannten  Ersatzmitteln  die  gleiche 
Wirkung  zu  wie  dem  Glyzerin. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeiten  ausreichender  Glyzerin¬ 
beschaffung  verdienen  obige  Ausführungen  grösste  Beachtung 
und  weiteste  Verbreitung. 


Gelat.  alb. 
Aqu.  dest. 
Zinc.  oxyd. 
Glyzerin. 


30,— 

70,- 

20,— 

80,— 


- 


Neuere  Medikamente. 


Das  bisher  nur  in  flüssiger  Form  hergestellte  Ch  ole  val, 
von  Dr  Duf'aux  in  die  Therapie  eingeführt,  wird  neuerdings 
auch  in  fester  Form  in  den  Handel  gebracht.  Heisteller  ist 
die  Firma  E.  Merck  in  Darmstadt.  Es  ist  ein  haltbares 
10  Proz.  Silber  enthaltendes  Präparat  mit  Natr.  choleinic  als 
Schutzkolloid;  es  ist  geruchlos,  leicht  löslich  von  schwach  alkalischer 


Die  Verwendung  von  Carbo  ligni  und  Carbo  animalis- 
gegen  Flatus  und  ähnliche  Darmstörungen  aller  Art  nimmt  in 
der  Allgemeinheit  dauernd  an  Umfang  zu.  Schon  seit  langem 
bekannt  und  eingebürgert  beginnt  jetzt  erst  der  Wert  dieser 
Kohlepräparate  beim  Laienpublikum,  aber  auch  bei  der  Ärzte¬ 
welt  voll  gewürdigt  zu  werden.  Im  Auslande  war  der  Gebrauch, 
der  Kohlepräparate  ein  viel  verbreiteterer  als  bei  uns,  man  be¬ 
gnügte  sich  hier  sogar  zumeist  mit  der  Anwendung  der  fran¬ 
zösischen  Pastilles  du  Dr.  Belloc  uud  der  Tabloids  der 
Firma  Burrough,  Wellcome  and  Co. 

Auch  hierin  hat  der  Krieg  eine  Wandlung  gebracht 
Die  Firmen  E.  Merck,  Darmstadt,  C.  Boehringer  &  Söhne, 
Mannheim  und  Knoll  &  Co.,  Ludwigshafen  bringen  Tabletten, 
sogenannte  Compretten,  ä  0,25  Carbo  sanguinis  (Carbo  animalis) 
zu  50  Stück  in  den  Handel.  Der  bisherige  Vertreter  der  oben¬ 
genannten  Firma  B.  VV.  &  Co.  —  C.  Linkenheil  —  stellt  eine 
Packung  von  Holzkohleprimoids  in  gleicher  Form  her,  wie 
bisher  die  englische  Firma.  Von  dem  österreichischen  Verein 
für  chemische  und  metallurgische  Produktion  in  Wien  wird  eine 
besonders  zum  innerlichen  Gebrauche  bestimmte  Tierkohle 
unter  dem  geschützten  Namen  Carbovent  hergestellt  und  ver¬ 
trieben 

Das  beste  auf  diesem  Gebiete  ist  das  unter  dem  Namen. 
„Flatillol“  von  der  Apotheke  am  Eschenheimer  Turm  in 
Frankfurt  a.  Main  hergestellte  Präparat  gegen  Blähungen^ 
Hyperacidität  und  gastrische  Beschwerden  aller  Art.  Es  besteht 
aus  einer  Mischung  von  vegetabilischer  und  animalischer  Kohle 
nebst  einem  Zusatz  von  Magnesia  usta  und  Benzonaphthol  und 
ist  schwach  aromatisiert.  Die  Anwendung  erfolgt  je  nach  Be¬ 
darf  stündlich  1  —2  Tabletten  trocken  oder  mit  etwas  in¬ 
differenter  Flüssigkeit.  Otto. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortsdtriltc  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  7 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  Q.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


10.  Dezember 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  Prüfung  der  Zusammenhangsfrage  der  trau¬ 
matischen  Knochen-  und  Gelenktuberkulose. 

Von  Dozent  Dr.  Molineus  -  Düsseldorf. 

(Nach  einem  Vortrage  gehalten  an  der  Akademie  für  praktische 

Medizin  in  Düsseldorf.) 

Weit  schwieriger  als  die  prozentuale  Bewertung  von 
Unfallfolgen  ist  für  den  ärztlichen  Sachverständigen  die 
Prüfung  der  Zusammenhangsfrage  eines  Leidens  mit 
einem  Unfälle.  Die  Klärung  der  Zusammenhangsfrage 
von  Erkrankungen  aller  Art  mit  einem  Unfälle  hat  seit 
dem  Bestehen  der  sozialen  Versicherungsgesetzgebung 
eine  immer  grössere  Bedeutung  erlangt,  weil  immer  mehr 
seitens  der  versicherten  Arbeiter  bei  allen  möglichen 
Leiden  und  Erkrankungen  die  hierdurch  bedingte  Er¬ 
werbsbeschränkung  ursächlich  auf  einen  erlittenen  Unfall 
zurückgeführt  wird.  Dies  gilt  besonders  von  der 
Knochen-  und  Gelenktuberkulose.  Geradezu  erschreckend 
ist  die  grosse  Zahl  von  Fällen,  in  denen  seitens  der 
Versicherten  ein  tuberkulöses  Knochenleiden  mit  einem 
LTnfalle  in  Zusammenhang  gebracht  wird.  Wenn  man 
dann  weiterhin  berücksichtigt,  dass  derartige  Fälle  in 
der  weitaus  grösseren  Mehrzahl  zu  dauernd  schwerer 
Schädigung  des  Betroffenen  führen  (durch  Resektion 
von  Gelenken,  Amputation  von  Gliedern)  und  dass  diese 
Fälle  sehr  häufig  die  hohe  Hinterbliebenenrente  be¬ 
dingen,  die  Berufsgenossenschaften  und  auch  die  Privat¬ 
versicherungsgesellschaften  also  in  diesen  Fällen  ausser¬ 
ordentlich  hohe  Entschädigungen  zu  leisten  haben,  sofern 
die  Ansprüche  anerkannt  werden  müssen,  so  wird  man 
ohne  weiteres  das  grosse  Interesse  der  Versicherungs¬ 
träger  an  der  Klärung  dieser  Zusammenhangsfrage  zu 
würdigen  wissen. 

Als  Vertrauensarzt  der  Rheinischen  landwirtschaft¬ 
lichen  Berufsgenossenscbaft,  einer  der  grössten  unserer 
Berufsgenossenschaften,  habe  ich  auf  Grund  des 
hier  gesammelten  Materials  feststellen  können,  dass 
die  Fälle,  in  denen  der  Zusammenhang  zwischen 
einem  tuberkulösen  Knochen-  oder  Gelenkleiden  mit 
einem  Unfälle  behauptet  wird,  im  Jahre  nach  Hunderten 
zählen.  Und  die  Fälle,  in  denen  seitens  der  Berufs¬ 
genossenschaft  oder  den  Instanzen  die  Zusammenhangs¬ 
frage  anerkannt  wurde,  belasten  diese  Berufsgenossen¬ 
schaft  sehr  erheblich.  Ähnlich  wird  dies  in  mehr  oder 
weniger  grossem  Masse  auch  bei  den  übrigen  Berufs¬ 
genossenschaften  usw.  der  Fall  sein. 

Sehen  wir  uns  die  betreffenden  Fälle  näher  an,  so 
finden  wir  in  den  Attesten,  vor  allen  Dingen  in  den¬ 
jenigen  des  behandelnden  Arztes,  immer  wieder  den 
Satz:  „Tuberkulose  der  Knochen  und  Gelenke  entsteht 
sehr  leicht  und  insbesondere  nach  leichten  Verletzungen. 


Durch  den  Unfall  ist  ein  wenig  widerstandsfähiger  Ort 
(locus  minoris  resistentiae)  geschaffen  worden,  an  dem 
die  im  Körper  bereits  latent  vorhanden  gewesenen 
Tuberkelbazillen  sich  ansiedeln,  wachsen  und  vermehren 
konnten;  die  Knochentuberkulose  ist  daher  Unfallfolge.“ 
M.  H.  So  leicht  lässt  sich  diese  Zusammenhangsfrage 
nun  doch  nicht  entscheiden.  Wenn  auch  der  geradezu 
berüchtigte  obige  Satz  sich  in  vielen  Obergutachten 
immer  wieder  findet,  und  wenn  auch  ein  hervorragender 
Autor  (R  e  n  v  e  r  s)  einstens  ausführte,  dass  die  meisten 
ossalen  Gelenktuberkulosen  auf  Traumen  zurückzuführen 
seien,  wenn  auch  nicht  in  jedem  Falle  ein  Trauma  nach¬ 
gewiesen  werden  könne,  so  werden  Sie  mit  mir  am 
Schlüsse  darin  übereinstimmen,  dass  das  Gegenteil  dieser 
Ansicht  richtig  ist,  dass  die  Tuberkulose  der  Knochen 
und  Gelenke  sehr  selten  nach  Traumen  entsteht  und 
dass  es  hierzu  nicht  eines  sehr  leichten  Unfalls  bedarf, 
sondern  dass  eine  wesentliche,  grössere  Gewaltein¬ 
wirkung  verlangt  werden  muss.  Sie  werden  mit  mir 
auf  Grund  der  vorliegenden  Krankengeschichten  weiter¬ 
hin  darin  übereinstimmen,  dass  die  Zusammenhangsfrage 
sich  nicht  nur  durch  ein  kurzes  Attest  mit  dem  eben 
angeführten  Schlusssätze  erledigen  lässt,  sondern  dass 
es  gerade  bei  der  Knochen-  und  Gelenktuberkulose 
eines  sehr  eingehenden  Studiums  jedes  einzelnen  Falles 
bedarf,  einer  scharfen  Prüfung  der  ganzen  Verhältnisse, 
insbesondere  der  Vorgeschichte,  wollen  wir  ein  auch 
nur  einigermassen  zutreffendes  Urteil  fällen.  Wie  ge¬ 
sagt,  die  Klärung  dieser  Frage  gehört  zu  den 
schwierigsten  Aufgaben,  vor  die  der  ärztliche  Sachver¬ 
ständige  gestellt  wird. 

Welches  sind  nun  die  Fragen,  die  sich  der  Gut¬ 
achter  bei  der  Prüfung  des  Zusammenhangs  vorzu¬ 
legen  hat? 

Ich  formuliere  dieselben  wie  folgt : 

1.  Kann  ein  Unfall  (ganz  gleich  welcher  Art) 
eine  Tuberkulose  ursächlich  erzeugen 
und  gegebenenfalls,  wie  sind  diese  Fälle  zu 
deuten  ? 

2.  Bei  Verneinung  der  ersten  Frage  :  wie  «ind  die 
Fälle  zu  erklären,  in  denen  eine  Knochen-  oder 
Gelenktuberkulose  bei  einem  augenscheinlich  vor¬ 
her  nicht  tuberkulös  erkrankten  Menschen  nach 
einem  Trauma  ziemlich  sicher  beobachtet 
worden  ist  ? 

3.  Kann  ein  Unfall  eine  bestehende  Tuberkulose 
wesentlich  verschlimmern ,  kann  er  in  diesem 
Falle  zu  einer  Miliartuberkulose  führen? 

M.  H.l  Die  erste  Frage:  „Kann  ein  Unfall 
eine  Knochen-  oder  Gelenktuberkulose  ursächlich  er- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr. 


t>2 


zeugen“  ist  —  abgesehen  von  der  sogenannten  Impf¬ 
tuberkulose,  wo  der  Tuberkelbazillus  erst  mit  der  Ver¬ 
letzung  in  den  Körper  hineingelangt,  —  grund¬ 
sätzlich  zu  verneinen.  Sehen  wir  von  der 
Impftuberkulose  ab,  so  müssen  wir  —  darin  sind  sich 
wohl  alle  Autoren  einig  —  den  Satz  aufstellen  :  Ein 
Trauma  kann  keine  Tuberkulose  der  Knochen  und  Ge¬ 
lenke  ursächlich  erzeugen,  es  muss  ein  primärer 
Herd  im  Körper  vorhanden  sein! 

Fälle  von  Impftuberkulose  sind  gar  nicht  selten,  ich 
denke  hier  z.  B.  an  die  vielfach  bei  Obduktionen  Tuber¬ 
kulöser  beobachteten  Fälle,  wo  bei  Zuziehung  einer 
Schnittwunde  der  Tuberkelbazillus  mit  in  die  Wunde 
eindrang,  an  die  mehrfach  beobachteten  Fälle,  in  denen 
ein  Tuberkulöser  durch  Aussaugen  einer  Wunde  diese 
mit  dem  im  Speichel  vorhanden  gewesenen  Tuberkel- 
bazillus  infizierte  ;  weiter  gehören  hierhin  die  tuberkulösen 
Erkrankungen  von  Vorhautwunden  nach  der  Be¬ 
schneidung  infolge  des  rituellen  Aussaugens  der  Wunden 
durch  Rabbiner,  die  an  Tuberkulose  litten. 

Wir  verneinen  also  —  von  der  Impftuberkulose  ab¬ 
gesehen  —  die  ursächliche  Entstehung  einer  Tuberkulose 
durch  ein  Trauma. 

Wenden  wir  uns  nun  z  u  d  e  r  2.  Frage: 
„Wie  sind  die  Fälle  zu  deuten,  in  denen  eine  Knochen¬ 
oder  Gelenktuberkulose  bei  einem  anscheinend  vorher 
nicht  tuberkulös  erkrankten  Menschen  nach  einem  Trauma 
ziemlich  sicher  beobachtet  worden  ist? 

Hier  finden  wir  zwei  Ansichten  vertreten,  die  sich 
direkt  gegenüberstehen.  Gehen  wir  auf  die  ver¬ 
schiedenen  Ansichten  der  Autoren  näher  ein,  so  treffen 
wir  damit  den  Kernpunkt  der  Zusammenhangsfrage. 

Wie  schon  in  der  von  mir  gestellten  Frage  betont, 
soll  die  traumatische  Knochen-  und  Gelenktuberkulose 
bei  einem  anscheinend  vorher  nicht  tuberkulös  erkrankten 
Menschen  beobachtet  worden  sein,  Ich  formulierte  die 
Frage  mit  Absicht  „anscheinend  gesund“,  weil. wir  be¬ 
reits  bei  der  Prüfung  der  ersten  Frage  grundsätzlich 
verneinten,  dass  ein  Trauma  eine  Knochen-  oder  Ge¬ 
lenktuberkulose  ursächlich  erzeugen  könne.  Der  Tuberkel¬ 
bazillus  muss  also  auch  in  diesen  Fällen  bereits  vor  dem 
Trauma  —  wenn  auch  unbewusst  —  vorhanden  gewesen 
sein.  Der  Ausdruck  „gesund“  hat  also  hier  nur  be¬ 
dingungsweise  Geltung. 

Kommen  wir  nunmehr  zu  der  einen  Ansicht,  die 
auch  bis  heute  noch  von  der  weitaus  grösseren  Zahl 
der  Autoren  vertreten  wird.  Der  Unfall,  das  Trauma, 
trifft  am  Ort  der  Einwirkung  einen  latenten,  abge¬ 
kapselten  tuberkulösen  Herd.  Die  abschliessende  Kapsel 
wird  durch  das  Trauma  gesprengt  und  nun  erfolgt  eine 
Aussaat  der  Tuberkelbazillen  in  das  zertrümmerte  Ge¬ 
webe,  die  Bazillen  finden  einen  für  ihre  Ansiedelung  und 
für  ihr  Wachstum  günstigen  Nährboden,  die  bisher 
latente  Tuberkulose  kommt  am  Orte  der  Einwirkung 
zur  Entwicklung,  wir  haben  eine  traumatische  Knochen¬ 
oder  Gelenktuberkulose. 

Die  Vertreter  dieser  Ansicht  halten  auch  nicht  allein 
an  der  Forderung  fest,  dass  die  Tuberkulose  sich  am 
Orte  der  traumatischen  Einwirkung  unbedingt  entwickeln 
muss,  nein,  man  macht  noch  eine  weitere  Konzession.  Un¬ 
bestritten  steht  bis  heute  fest,  dass  die  abgekapselten  latenten 
tuberkulösen  Herde  zeitweise  floride  werden,  die  Bazillen 
gelangen  in  ein  Blut-  oder  Lymphgefäss,  —  letzteres  in 
der  Regel  —  wo  sie  bald  meist  zu  Grunde  gehen. 
Kommt  aber  ein  derartig  fiorider  Prozess  an  eine  durch 
ein  Trauma  für  die  Entwicklung  der  Tuberkulose  ge¬ 
schaffene  günstige  Stelle,  so  können  sich  die  Tuberkel¬ 
bazillen  in  gleicher  Weise  hier  ansiedeln  und  vermehren. 
Diese  Fälle  sind  als  metastatische  Tuber¬ 
kulose  aufzufassen.  In  neuerer  Zeit  wird  dagegen 
die  Ansicht  sehr  lebhaft  vertreten,  dass  im  Blute  ständig 
kreisende  1  uberkelbazillen  sich  am  Orte  der  Verletzung 


ansiedeln  und  hier  zu  der  tuberkulösen  Knochen-  und 
Gelenkerkrankung  führen. 

Ist  diese  Ansicht  von  der  sogenannten  Bazillämie, 
das  ständige  Vorkommen  von  Tuberkelbazillen  im 
strömenden  Blute,  als  richtig  anzuerkennen  ? 

Die  bezüglichen  Untersuchungen  von  Rosen¬ 
berger,  Kurashige  -  Osaka ,  Rumpf, 
Liebermeister,  Klara  Kennerknecht 
sind  sehr  eingehende  gewesen  und  die  Autoren  sind  von 
dem  Vorkommen  der  Tuberkelbazillen  im  strömenden 
Blute  —  selbst  bei  anscheinend  gesunden  Menschen 
so  überzeugt,  dass  man  mit  ihnen  übereinstimmen  müsste, 
wenn  einer  von  ihnen  ausführt;  „Und  wie  anders  er¬ 
scheint  uns  die  traumatische  Tuberkulose,  wenn  so 
häufig  Tuberkelbazillen  im  Blute  kreisen!“ 

Aber  meine  Herren,  so  oft  noch  das  Vorkommen 
von  Tuberkelbazillen  im  strömenden  Blute  behauptet 
wurde,  so  oft  ist  auch  der  Gegner  aufgetreten,  der  das 
Vorkommen  verneinte,  wenigstens  in  seiner  Allgemein¬ 
heit.  So  führt  T  h  i  e  m  in  seinem  Vortrage  über  die 
Beziehungen  von  Unfällen  zu  Krebs  und  Tuberkulose 
(Jahreskurse  für  ärztliche  Fortbildung  19 1  I ,  XII)  folgen¬ 
des  aus:  „Ein  beständiges  Kreisen  von  Tuberkelbazillen 
im  Blute  Tuberkulöser  findet  nicht  statt.  So  oft  dies 
von  einzelnen  Autoren  behauptet  worden  ist,  so  oft  hat 
sich  bei  Nachuntersuchungen  durch  zuverlässige  Be¬ 
obachter  diese  Behauptung  als  unrichtig  erwiesen.  Freie 
Schwindsuchtsstäbchen  werden  im  Blute  nur  in  ganz 
schweren  Fällen  gefunden,  meistens  kurz  vor  dem  Tode 
als  sogenannte  prämortale  Erscheinung“.  Und  in  einer 
mir  vorliegenden  Arbeit  von  Haas  (v.  Brun  s’  Bei¬ 
träge  zur  klinischen  Chirurgie  Bd.  XC.  Heft  1)  zieht 
der  Verfasser  auf  Grund  von  Versuchen,  die  er  bei 
Tieren  anstellte,  denen  Blut  von  24  mit  den  verschiedensten 
Formen  der  chirurgischen  Tuberkulose  behafteten 
Kranken  intraperitoneal  eingeimpft  worden  war,  folgende 
Schlussfolgerungen  : 

1.  Das  Bestehen  einer  ständigen  tuberkulösen 
Bazillämie  bei  chirurgisch  Tuberkulösen  kann 
nicht  anerkannt  werden.  Der  erfahrungsgemäss 
zeitweilige  Übertritt  von  Tuberkelbazillen  in 
die  Blutbahn  kann  natürlich  nicht  bestritten 
werden  (hämatogene  Ausbreitung  der  Tuber¬ 
kulose)  ; 

2.  als  diagnostisches  Hilfsmittel  kann  ein  Nachweis 
von  Tuberkelbazillen  im  Blute  kaum  heran¬ 
gezogen  werden,  da  ein  eventuell  positiver  Be¬ 
weis  rein  zufälliger  Natur  ist.  Nicht  jeder 
Untersucher  ist  so  glücklich,  gerade  zur  Zeit 
einer  vorübergehenden  Bazillämie  Blut  entnommen 
zu  haben ; 

3.  eine  prognostische  Bedeutung  kommt  einem 
durch  mikroskopische  Untersuchungen  und  Tier¬ 
versuch  sichergestellten  Bazillenbefund  erst  recht 
nicht  zu. 

Wir  sehen  also,  dass  die  Ansicht  der  allgemeinen 
Bazillämie  eine  derartig  bekämpfte  ist,  dass  wir  die 
Bazillämie  allgemein  als  Ursache  der  traumatischen  Ge¬ 
lenk-  und  Knochentuberkulose  nach  dem  heutigen  Stand¬ 
punkte  der  Wissenschaft  nicht  heranziehen  können. 
Eine  Nachfrage  bei  einer  grossen  Zahl  von  Chefärzten 
von  Lungenheilstätten  hinsichtlich  ihres  Standpunktes 
zur  Frage  der  Bazillämie  ist  übereinstimmend  im  ver¬ 
neinenden  Sinne  beantwortet  worden.  Dass  zeitweise  ein 
Übertritt  von  Tuberkelbazillen  in  die  Blutbahn  erfolgt 
und  dass  in  diesem  Falle  der  Tuberkelbazillus  sich  an 
einem  verletzten  Körperteile  festsetzen  und  dort  sich 
verbreiten  kann  usw.,  habeich  bereits  zugegeben.  Wie  ge¬ 
sagt,  sind  diese  Fälle  doch  zu  vereinzelt,  um  die  von 
mir  in  der  Frage  gewünschte  Klärung  der  traumatischen 
Knochen-  und  Gelenktuberkulose  zu  geben.  Die  erste 
Richtung,  die  davon  ausgeht,  dass  durch  den  Unfall  ein 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


63 


Nr.  7. 


bisher  latenter  tuberkulöser  Prozess  betroffen  worden 
ist,  trifft  nach  meinem  Dafürhalten  auch  heute  noch  das 
Richtige.  Ich  habe  oben  ja  zugegeben,  dass  ‘auch  ver¬ 
einzelt  derartige  Tuberkulosen  infolge  des  zeitweisen 
Übertritts  von  Bazillen  in  die  Blutbahn  entfernt  vom 
Orte  der  Verletzung  entstehen  können.  Würde  die 
Bazillämie  in  ihrer  Allgemeinheit  auch  nur  einige  Be¬ 
rechtigung  beanspruchen  können,  so  müsste  die  Zahl  der 
traumatischen  Knochen-  und  Gelenktuberkulosen  ja  ins 
Ungeheuerliche  steigen,  denn  die  Vertreter  der  Bazillämie 
führen  ja  aus,  dass  nicht  nur  bei  nachweisbar  tuberkulös 
erkrankten  Personen,  sondern  auch  bei  solchen,  bei 
denen  die  klinische  Untersuchung  keine  Anzeichen 
tuberkulöser  Natur  feststellen  konnte,  Tuberkelbazillen 
im  strömenden  Blute  sehrhäufig  gefunden  worden 
seien.  Nun  hält  man  dem  gegenüber,  dass  der  Körper 
eine  ganze  Reihe  von  Immunstoffen  in  sich  führe,  dass 
es  also  nur  unter  ganz  besonders  günstigen  Bedingungen 
zur  Ausbildung  einer  lokalisierten  Knochen-  oder  Gelenk¬ 
tuberkulose  nach  Trauma  kommen  könne.  M.  II.  Das 
ist  nach  meinem  Dafürhalten  nur  eine  durch  nichts  be¬ 
gründete  Behauptung,  um  nicht  die  Theorie  der  Bazil¬ 
lämie  einfach  ganz  über  den  Haufen  zu  werfen.  Würde 
ein  derartiger  Gegengrund  nicht  angeführt  werden 
können,  fiel  das  ganze  Gebäude  der  Bazillämie  in  sich 
zusammen. 

Sind  wir  uns  darüber  klar,  wie  die  Fälle  von  so¬ 
genannter  traumatischer  Knochen-  und  Gelenktuber¬ 
kulose  zu  deuten  sind,  so  müssen  wir  uns  weiter  fragen, 
welche  Forderungen  müssen  im  gegebenen  Falle  ver¬ 
langt  werden,  soll  ein  Zusammenhang  der  Knochen-  und 
Gelenktuberkulose  mit  einem  Unfälle  mit  grösserer 
Wahrscheinlichkeit  (wie  dies  ja  vom  Reichsversicherungs¬ 
amt  als  oberste  Instanz  der  Unfallversicherung  verlangt 
wird)  bejaht  werden. 

Zunächst  möchte  ich  hier  auf  die  experimentellen 
Versuche  hinweisen,  die  in  dieser  Richtung  gemacht 
worden  sind.  Wenn  auch  das  Tierexperiment  als  Beweis 
für  die  Möglichkeit  eines  Zusammenhangs  einer  Knochen- 
und  Gelenktuberkulose  mit  einem  Unfälle  ohne  weiteres 
für  den  Menschen  nicht  herangezogen  werden  kann, 
bezw.  die  negativen  Ergebnisse  nicht  für  das  Gegenteil 
verwertet  werden  können,  so  ergeben  sich  aus  den  bis¬ 
her  angestellten  Experimenten  doch  ganz  wertvolle 
Schlüsse,  die  man  bei  der  Prüfung  der  Zusammenhang¬ 
frage  nicht  ganz  ausser  acht  lassen  darf. 

Die  ersten  diesbezüglichen  Experimente  machte 
S  c  h  ü  1  1er  (Experimentelle  Untersuchung  über  die 
Entstehung  und  Ursachen  der  tuberkulösen  Gelenkent¬ 
zündung,  Stuttgart)  in  den  Jahren  1878 — 1880.  Diese 
Ergebnisse  können  aber  nicht  verwertet  werden,  weil 
die  ersten  Arbeiten  über  den  K  o  c  h’schen  Bazillus  erst 
1882  erschienen.  Weitere  Versuche  eingehendster  Art 
machten  Courmond,  D  o  r,  Honseil,  P  e  t  r  o  w. 
Die  teilweise  positiven  Ergebnisse  wurden  widerlegt 
durch  die  mit  grösster  Sorgfalt  ausgeführten 
Versuche  von  Rodet  und  Jeanbrau  im  Jahre  1004, 
weiterhin  durch  den  Spanier  Ribera  ySans. 

In  keinem  einzigen  balle  gelang 
es,  mit  absoluter  Sicherheit  eine 
traumatische  Tuberkulose  zu  er¬ 
zeugen,  denn  in  fast  derselben  Zahl  trat  nach  Ein¬ 
spritzungen  des  Tuberkelbazillus  die  Tuberkulose  an  den 
verletzten  als  auch  nicht  verletzten  Knochen  und  Ge¬ 
lenken  auf  1  Wir  stehen  daher  heute  immer  noch  auf  dem 
Grundsätze  ;  weder  das  Experiment  noch  die  klinische 
Erfahrung  haben  mit  absoluter  Sicherheit 
bisher  den  Beweis  für  den  Zusammenhang  einer 
Knochen-  oder  Gelenktuberkulose  mit  einem  Trauma  er¬ 
bracht  ! 

Weiterhin  möchte  ich,  bevor  ich  die  Bedingungen 
für  den  Zusammenhang  aufstelle,  noch  auf  die  Statistik 


einer  Anzahl  Autoren  eingehen,  die  sich  mit  der  Zu¬ 
sammenhangsfrage  eingehend  beschäftigt  haben.  Die 
Prozentsätze  schwanken  eigentlich  zwischen  0  und  100 
Proz.  ,  so  nimmt  Bauer  in  fast  100  Proz.  der  Fälle 
den  Zusammenhang  an,  Taylor  in  53  Proz.  der 
Wirbelsäulentuberkulosen,  K  ön  ig  in  20  Proz.  der 
Kniegelenkstuberkulosen,  II  a  h  n  in  13  Proz.  der  Sprung¬ 
gelenkstuberkulosen  ,  P  i  e  t  r  z  i  k  o  w  s  k  i  in  8,0, 
J  e  a  n  n  e  1  in  5,5  Proz.,  W  u  1  1  s  t  e  i  n  in  5  Proz.  und 
Garree  in  5  Proz.  der  Wirbelsäulentuberkulosen, 
L  i  n  i  g  e  r  in  höchstens  5  Proz.  aller  Fälle  von  Knochen- 
lind  Gelenktuberkulose. 

Gelegentlich  eines  Vortrages  von  Einiger  im 
November  1913  im  Verein  der  Ärzte  für  Versicherungs- 
Medizin  für  Rheinland  und  Westfalen  in  Düsseldorf 
wurde  von  den  Anwesenden  der  Prozentsatz  der  post- 
traumatischen  Knochen-  und  Gelenktuberkulosen  fast 
übereinstimmend  auf  höchstens  2  Proz.  der  Fälle  ge¬ 
schätzt.  Ich  glaube,  dass  wir  uns  auf  den  Satz  von 
5  Proz.,  den  in  letzter  Zeit  eine  Reihe  von  namhaften 
Autoren  vertreten,  einigen  können. 

Das  Reichsversicherungsamt  folgt  in  seiner  Recht¬ 
sprechung  einem  Vorschlag  von  T  h  i  e  m  (Bericht  er¬ 
stattet  auf  der  am  9.  Juni  1911  im  Reichtagsgebäude 
abgehaltenen  Ausschusssitzung  des  Deutschen  Zentral¬ 
komitees  zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose,  Monatsschrift 
für  Unfallheilkunde  1911,  Heft  6)  wonach  in  25  Proz. 
der  Fälle  der  Zusammenhang  der  Tuberkulose  mit  einem 
Trauma  als  wahrscheinlich  zu  erachten  ist.  Dieser 
Prozentsatz  ist  jedenfalls  sehr  hoch  gegriffen.  Aber 
halten  wir  an  ihm  fest  und  berücksichtigen  wir  diesen 
Prozentsatz  zum  Schlüsse  nochmals! 

Da  wir  nun  nach  dem  heutigen  Standpunkte  der 
Wissenschaft  den  Zusammenhang  einer  Knochen-  und 
Gelenktuberkulose  mit  einem  Trauma  nicht  grundsätz¬ 
lich  ablehnen  können,  stelle  ich  bei  der  Prüfung  der 
Zusammenhangsfrage  folgende  Bedingungen: 

1.  das  Unfallereignis  muss  als  solches  sichergestellt 
sein  ; 

2.  der  Unfall  muss  auch  seiner  ganzen  Natur  nach 
geeignet  sein  eine  Knochen-  oder  Gelenktuber¬ 
kulose  hervorzurufen  ; 

3.  direkte  Unfallfolgen  müssen  festgestellt  worden 
sein; 

4.  der  Verlauf  des  tuberkulösen  Knochen-  oder  Ge¬ 
lenkleidens  muss  einen  für  die  traumatische  Ent¬ 
stehung  charakteristischen  Verlauf  genommen 
haben. 

M.  H.!  Sind  diese  Bedingungen  in  den  uns  zur 
Begutachtung  vorgelegten  Fällen  in  mehr  oder  weniger 
grossem  Masse  erfüllt,  dann  dürfen  wir  auf  Grund  der 
wissenschaftlichen  Erfahrungen  behaupten,  dass  ein  Zu¬ 
sammenhang  der  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  mit 
grösserer  Wahrscheinlichkeit  besteht.  Ein  mir  in  diesen 
Tagen  vorgelegter  Fall  von  Kniegelenkstuberkulose  er¬ 
füllte  die  Bedingungen  in  ziemlich  hohem  Masse,  wenn¬ 
gleich  auch  hier  keine  absolute  Sicherheit  dafür  spricht, 
dass  es  sich  um  eine  posttraumatische  I  uberkulose 
handelt.  Man  weiss  auch  in  diesem  Falle  eben  nicht, 
wie  der  Zustand  des  Knies  vor  dem  Unfälle  war,  ob 
nicht  damals  schon  ein  fiorider  tuberkulöser  Prozess  — 
vielleicht  unbewusst  —  bestand.  Der  Fall  liegt  folgender- 
massen  :  Ein  50  jähriger  Holzhauer  stürzt  am  8.  November 
1913  im  Walde  zu  Boden  und  schlägt  mit  dem  rechten 
Knie  auf  einen  Baumstumpf  auf.  Die  Schmerzen  sind 
ganz  erhebliche,  der  Mann  muss  die  Arbeit  sofort  ein¬ 
stellen,  er  wird  von  einem  Mitarbeiter  nach  Hause  ge¬ 
führt.  Der  Arzt  ward  nach  3  Tagen  zugezogen,  er 
findet  eine  kleine  blutunterlaufene  Stelle,  ferner  einen 
leichten  Erguss  ins  Gelenk.  Als  Ursache  für  diese  Ver¬ 
änderungen  wird  der  Unfall  beim  ersten  Besuche  des 
Arztes  direkt  angeschuldigt.  Der  Zustand  des  Knies 


64 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  7 


bessert  sich  innerhalb  10  Tagen  derart,  dass  der  Ver¬ 
letzte  die  Arbeit  wieder  aufnehmen  kann.  Nach  acht 
Wochen  treten  nun  in  dem  verletzten  Kniegelenk  plötz¬ 
lich  grössere  Schmerzen  auf,  das  Gelenk  schwillt  an, 
der  Arzt  wird  erneut  zugezogen,  der  die  Ueberführung 
ins  Krankenhaus  anordnet.  liier  wird  die  Diagnose  auf 
Kniegelenkstuberkulose  gestellt.  M.  H.  Sie  werden  mir 
darin  beistimmen,  dass  ich  der  Berufsgenossenschaft 
empfahl,  die  Ansprüche  des  Verletzten  anzuerkennen, 
denn  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  spreche  für  einen 
Zusammenhang  des  tuberkulösen  Kniegelenkleidens  mit 
dem  angeschuldigten  Unfälle. 

Liegen  denn  die  Fälle  von  angemeldeter  trauma¬ 
tischer  Tuberkulose  immer  so  klar?  Ich  glaube  be¬ 
haupten  zu  dürfen,  dass  unter  den  nach  vielen  Hunderten 
von  der  Rheinischen  landwirtschaftlichen  Berufsgenossen¬ 
schaft  entschädigten  Tuberkulosefällen  auch  nicht  ein 
einziger  Fall  annähernd  so  klar  wie  der  eben  geschilderte 
liegt.  Mein  Vorgänger  —  Prof.  Einiger  in  Frankfurt 
am  Main  — ,  der  sich  ja  mit  der  Frage  der  traumatischen 
Knochen-  und  Gelenktuberkulose  seit  vielen  Jahren  ein¬ 
gehend  beschäftigte,  hat  100  Krankengeschichten  ohne 
besondere  Auswahl  zusammengestellt.  Vergleichen  Sie 
diese  Fälle  in  Bezug  auf  das  Unfalldatum,  der  ersten  Zu¬ 
ziehung  ärztlicher  Hülfe  und  der  Anmeldung  der  An¬ 
sprüche,  so  werden  Sie  höchst  erstaunt  sein,  wie  ausser¬ 
ordentlich  dunkel  die  Fälle  von  sogenannter  traumatischer 
Knochen-  und  Gelenktuberkulose  liegen. 

Wenden  wir  uns  zur  ersten  Forderung:  ,,Das  Unfall¬ 
ereignis  muss  als  solches  sichergestellt  sein“. 

Bei  Prüfung  der  Unfallakten  in  einschlägigen  Fällen 
linden  wir  immer  wieder,  dass  dieses  Unfallereignis  eben 
nicht  sichergestellt  ist,  der  Unfalltag  kann  vielfach  auch 
nicht  nur  annähernd  bezeichnet  werden.  Obwohl  nach 
gesetzlicher  Vorschrift  die  Unfallanzeige  binnen  3  Tagen 
zu  erstatten  ist,  wenn  sie  auch  eine  nur  teilweise  Er¬ 
werbsbeschränkung  von  mehr  als  3  Tagen  zurücklässt, 
werden  in  Tuberkulosefällen  die  Unfallanzeigen  ich 
möchte  wohl  sagen  ausnahmslos  —  so  spät  erstattet, 
dass  eine  Klärung  des  Falles  schon  aus  diesem  Grunde 
meist  unmöglich  ist.  Vor  Ablauf  eines  halben  Jahres 
wird  die  Anzeige  fast  nie  erstattet,  meist  liegt  1  Jahr, 

1  V,  Jahr  und  noch  mehr  dazwischen,  recht  häufig  wird 
der  angebliche  Unfall  erst  kurz  vor  Ablauf  der  zwei¬ 
jährigen  Verjährungsfrist  angemeldet.  Und  wie  wird  die 
erste  Frage  in  der  Anzeige  nach  dem  Unfalldatum  be¬ 
antwortet?  Immer  wieder  in  geradezu  typischerWeise; 
in  der  ersten  Hälfte  des  Monats  Februar,  oder  im  April, 
oder  im  Sommer,  im  Herbste  usw.  Augenzeugen 
können  nur  in  höchst  seltenen  Fällen  angeführt  werden, 
meist  handelt  es  sich  bei  den  Zeugen  um  Personen,  die 
alsbald  nach  dem  Unfälle  Kenntnis  von  demselben  er¬ 
langt  haben  wollen,  die  weiterhin  bekunden  sollen,  dass 
der  Rentensucher  früher  gesund  war.  Liegt  das  Unfall¬ 
ereignis  schon  so  in  zweierlei  Hinsicht  recht  dunkel,  so 
gewinnt  der  angeschuldigte  Unfall  meist  dadurch  noch 
an  Unwahrscheinlichkeit,  dass  der  Arzt  erst  sehr  spät, 
vielfach  erst  nach  1/i  Jahre  oder  noch  später  zugezogen 
worden  ist,  dem  Arzte  gegenüber  anfangs  auch  keine 
Ursache  für  die  Entstehung  des  tuberkulösen  Leidens 
angeschuldigt  worden  ist.  Vom  behandelnden  Arzte  — 
und  das  ist  fast  immer  der  Fall  —  wird  der  Betreffende 
immer  wieder  nach  einem  Unfälle  befragt,  Nachbaren 
oder  andere,  etwas  aufgeklärte  Rentenempfänger  (dies 
geschieht  sehr  häufig  in  grösseren  Krankenanstalten,  wo 
mehrere  Unfallverletzte  untergebracht  sind)  weisen  den 
an  Tuberkulose  Erkrankten  auf  die  Möglichkeit  einer 
unfallweisen  Entstehung  hin,  schliesslich  ist  auch  ein 
Unfall  leichter  Art  (denn  ein  solcher  muss  es  ja  sein) 
gefunden,  durch  das  fortwährende  Nachdenken  dichtet 
sich  der  Sachverhalt  immer  mehr  und  schliesslich  steht 
die  ganze  unfallweise  Entwickelung  des  Leidens  (vielfach 


im  guten  Glauben)  fest.  Der  Unfall  wird,  wie  auch 
T  h  i  e  m  ausführt,  vielfach  dem  Kranken  geradezu 
suggeriert  bezw.  in  ihn  hineinexaminiert.  Wer  stösst 
sich  nicht  einmal  ans  Knie  ?  Wer  tritt  nicht  einmal  mit 
dem  Fusse  schief  auf  u.  dergl.  ?  Fälle  leichtester  Art 
können  aber  nicht  für  eine  traumatische  Tuberkulose 
verantwortlich  gemacht  werden,  wir  müssen  verlangen, 
dass  durch  das  Trauma  eine  Verletzung  der  Gefässe,  des 
Gewebes  stattgefunden  hat. 

Kann  also  der  Unfall  nicht  einwandfrei  nach¬ 
gewiesen  werden,  war  der  Unfall  weiterhin  seiner  Natur 
nach  nicht  geeignet  eine  Knochen-  und  Gelenktuber¬ 
kulose  zu  erzeugen,  so  muss  seitens  des  Gutachters  eine 
Verneinung  der  Zusammenhangsfrage  erfolgen. 

Wie  stellt  sich  denn  das  Reichsversicherungsamt 
zu  dieser  Frage?  In  einer  mir  dieser  Tage  vorgelegten 
Entscheidung  (vom  18.  6.  1914  I  a.  11489/13)  wird 

folgendes  ausgeführt:  „Es  liegt  also  für  den  Nachweis 
eines  Unfalles  als  erste  Entstehung  des  Leidens  nichts 
mehr  vor  als  die  Behauptung  des  Klägers  selbst,  die 
zum  Nachweis  um  so  weniger  ausreicht,  als  das  Ver¬ 
halten  des  Klägers  in  der  Zeit  nach  dem  angeblichen 
Unfall  gegen  die  Annahme  eines  Unfalles  spricht.  Es 
mag  sein,  dass  die  Geringfügigkeit  der  Verletzung  ge¬ 
eignet  ist,  den  Umstand  zu  erklären,  dass  der  Kläger 
den  Unfall  nicht  sofort  anzeigte.  Allein  der  Kläger  hat 
auch  dann  noch  nichts  von  einem  Unfälle  erwähnt,  als 
die  Folgen  der  Verletzung  schlimmer  wurden  und  er 
genötigt  war,  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen, 
auch  dann  nicht,  als  der  Arzt  ihn  auf  die  Notwendigkeit 
einer  Nachbehandlung  hinweis.  Er  hat  auch,  obwohl 
bei  der  heute  verbreiteten  Kenntnis  der  Unfallgesetz- 
gebung  allgemein  bekannt  ist,  dass  die  Inanspruchnahme 
ärztlicher  Hilfe  keine  Unkosten  verursacht,  wenn  sie 
seitens  eines  Versicherten  infolge  eines  Einfalls  geschieht, 
die  weitere  Inanspruchnahme  des  Arztes,  die  ihm  nahe¬ 
gelegt  war,  unterlassen  und  ist  erst  drei  Monate  später 
mit  der  Behauptung  hervorgetreten,  dass  das  Leiden  in¬ 
folge  eines  Unfalles  entstanden  sei.  Bei  dieser  Sach¬ 
lage  ist  die  Gewährung  einer  Entschädigung  zu  Recht 
versagt.“ 

Weiterhin  hat  das  R.  V.  A.  in  seiner  Entscheidung 
vom  13.  1.  1903  I  a.  7160/02  hinsichtlich  der  ver¬ 
späteten  Anmeldung  eines  Einfalls  bei  einem  tuber¬ 
kulösen  Fussgelenkleiden  folge*  des  ausgeführt  : 

„Tuberkulöse  Knochen-  und  Gelenkentzün¬ 
dungen  entstehen  nach  ärztlicher  Erfahrung  meist 
ohne  erkennbare  Ursache  — .  ohne  Unfall  — .  Eis 
muss  daher  ein  besonders  strenger  Nachweis 
einer  erheblichen  Verletzung  verlangt  werden, 
soll  ausnahmsweise  eine  tuberkulöse  Ent¬ 
zündung  ursächlich  auf  eine  äussere  Gewaltein¬ 
wirkung  zurückgeführt  werden.  Dieser  Nachweis 
ist  hier  nicht  erbracht.  Das  ganze  Verhalten  des 
Mannes  spricht  dagegen,  insbesonders  die  erheb¬ 
lich  verspätete  Anmeldung  des  Unfalls.  Wenn 
der  Kläger  jetzt  die  Verspätung  der  Geltend¬ 
machung  seiner  Ansprüche  mit  seiner  Unkenntnis 
des  Bestehens  der  Unfallgesetzgebung  ent¬ 
schuldigen  will,  so  verdient  diese  Angabe  keinen 
Glauben,  nachdem  das  Unfallgesetz  seit  14  Jahren 
in  Kraft  ist  und  seine  wohltätigen  Wirkungen 
wohl  schon  in  jeder  Ortschaft  des  Deutschen 
Reiches  geäussert  hat,  der  Kläger  überdies  als 
Betriebsunternehmer  Jahr  für  Jahr  seine  Beiträge 
an  die  landwirtschaftliche  Berufsgenossenschaft 
hat  entrichten  müssen.“ 

Derartige  Entscheidungen  sind  recht  zahlreich  er¬ 
gangen  und  der  Begutachter  soll  berücksichtigen,  dass 
die  Unfallgesetzgebung  mehr  als  25  Jahre  zurückliegt, 
die  noch  immer  wiederkehrende  Ansicht  von  der  Un- 


Nr.  7- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


65 


kenntnis  der  Unfallgeselzgebung  heute  also  erst  recht 
keine  Berücksichtigung  mehr  finden  kann. 

Wenn  auch  die  Geringfügigkeit  der  immer  wieder 
angeschuldigten  Unfälle  eine  gewisse  Verspätung  der 
Unfallanmeldung  zu  entschuldigen  vermag,  die  Anzeige 
muss  dann  aber  spätestens  in  der  Zeit  erstattet  werden, 
wo  das  Leiden  einen  ernsteren  Charakter  annahm.  Aber 
auch  dann  wird  die  Anzeige  noch  nicht  erstattet.  In 
vielen  Fällen  erst  nach  der  Amputation  oder  Resektion 
eines  Gelenkes.  Jetzt  wird  von  den  Leuten  wieder  aus¬ 
geführt,  man  habe  mit  der  Anzeige  noch  warten  wollen 
fm  guten  Glauben,  das  Leiden  nehme  einen  gutartigen 
Verlauf.  Diese  Ausweichungen  können  nicht  berück¬ 
sichtigt  werden. 

Wenden  wir  uns  der  zweiten  Forderung  zu:  „direkte 
Unfallfolgen  müssen  festgestellt  sein“,  so  liegen  die 
Fälle  von  traumatischer  Tuberkulose  auch  in  dieser  Hin¬ 
sicht  nicht  minder  im  Dunkeln.  Wie  schon  bei  der 
Prüfung  der  ersten  Frage  betont,  wird  ärztliche  Hilfe 
meist  erst  nach  Monaten  zugezogen,  so  dass  sachver¬ 
ständige  Beobachtungen  fast  nie  vorhanden  sind,  diese 
müssen  aber  bei  der  Prüfung  der  Zusammenhangsfrage 
unbedingt  verlangt  werden.  Eine  sehr  beachtenswerte 
Entscheidung  hat  das  R.  V.  A.  in  dieser  Hinsicht  ge¬ 
fällt.  In  der  Entscheidung  vom  21.  Juni  1906  La. 
2069/06  begründet  das  R.  V.  A.  die  Ablehnung  der 
Ansprüche  bei  einem  tuberkulösen  Kniegelenksleiden  wie 
folgt : 

„Es  kann  dahingestellt  bleiben,  ob  der  Unfall, 
wie  das  Schiedsgericht  annimmt,  lediglich  auf 
Grund  der  Angaben  der  Klägerin  und  ihres  Ehe¬ 
mannes,  als  ausreichend  erwiesen  angesehen 
werden  kann.  Denn  selbst  wenn  davon  auszu¬ 
gehen  ist,  dass  der  Unfall  sich  in  der  von  der 
Klägerin  behaupteten  Weise  ereignet  hat,  so  recht¬ 
fertigt  sich  dennoch  der  von  der  Beklagten  ein¬ 
genommene  ablehnende  Standpunkt,  weil  jeglicher 
Beweis  dafür  fehlt,  dass  jener  Unfall  von  ursäch¬ 
licher  Bedeutung  für  dasjenige  Leiden  gewesen 
ist,  wegen  dessen  die  Klägerin  am  26.  April  1905 
Anspruch  auf  Unfallrente  erhoben  hat.  Dieser 
Nachweis  ist  durch  keines  der  von  den  Vor¬ 
instanzen  eingeholten  ärztlichen  Gutachten  ge¬ 
führt  und  auch  durch  weitere  Beweiserhebung 
deshalb  nicht  mehr  zu  erbringen,  weil  die 
Klägerin  es  unterlassen  hat,  ärztliche  Hilfe  als¬ 
bald  in  Anspruch  zu  nehmen.  Es  fehlen  daher 
sachverständige  Beobachtungen  über  die  unmittel¬ 
baren  Folcren  des  Unfalles  und  ihre  weitere  Ent- 

o 

Wicklung,  die  für  die  Nachprüfung  des  streitigen 
Zusammenhanges  unerlässlich  sind.  Der  Umstand, 
dass  das  linke  Bein  der  Klägerin,  wie  sie  be¬ 
hauptet  und  unter  Beweis  stellt,  vor  jenem  Unfall 
gesund  gewesen  ist,  genügt  allein  nicht,  um  den 
Zusammenhang  zwischen  dein  jetzt  bestehenden 
Leiden  und  dem  Unfall  ausser  Zweifel  zu  setzen. 
Denn  bei  der  Länge  der  Zeit,  die  zwischen  dem 
Unfall  vom  12.  September  1904  und  der  erst¬ 
maligen  ärztlichen  Untersuchung  vom  11.  Juni 
1905  liegt,  ist  die  Möglichkeit,  dass  in  der 
Zwischenzeit  eine  andere,  dem  Betriebe  nicht  zu¬ 
zurechnende  Schädigung  auf  das  erkrankte  Knie 
schädigend  eingewirkt  hat  und  für  den  jetzigen 
Zustand  verantwortlich  zu  machen  ist,  keineswegs 
ausgeschlossen.“ 

Auch  hier  findet  der  Gutachter  einen  sehr  zu  be¬ 
achtenden  Punkt,  der  bei  der  Zusammenhangsfrage  ein¬ 
gehend  zu  prüfen  ist.  Lassen  sich  iiber  die  unmittelbaren 
Unfallfolgen  keine  Beweise  erbringen,  wird  insbesondere 
ärztliche  Hilfe  erst  sehr  spät  zugezogen,  so  kann  der 
Gutachter  nichts  anderes  erklären,  als  —  die  Angaben 
des  Mannes  als  glaubhaft  vorausgesetzt  ,  dass  die 


M  ö  g  1  i  c  h  k  eit  eines  Zusammenhanges  nicht  ausge¬ 
schlossen  ist.  In  solch  dunkel  liegenden  Fällen  kann 
von  einer  grösseren  Wahrscheinlichkeit  oder  gar 
Sicherheit  eines  Zusammenhanges  naturgemäss  keine 
Rede  sein. 

Die  zweite  Bedingung :  „Der  Unfall  muss  auch  seiner 
ganzen  Natur  nach  geeignet  sein  eine  Knochen-  oder 
Gelenktuberkulose  zu  erzeugen“  haben  wir  schon  kurz 
bei  der  Prüfung  der  ersten  Bedingung  gestreift.  Die  zu 
Anfang  meines  \  ortrages  angeführte  Schlussfolgerung, 
dass  die  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  sich  insbe¬ 
sondere  an  geringfügige  Verletzungen  sehr  leicht  an- 
schliesse,  ist  eine  grundfalsche.  In  diesei  Hinsicht  führt 
T  h  i  e  m  folgendes  aus  :  „Örtliche  Tuberkulose  tritt 
häufiger  nach  Verstauchungen  der  Gelenke  auf,  sowie 
nach  unvollkommenen  oder  vollständigen  Verrenkungen. 
Vet hältnismässig  selten  beobachtet  man  örtliche  lubei- 
kulose  nach  den  Brüchen  der  .  langen  Röhrenknochen. 
Aus  diesen  Erfahrungen  hat  sich  die  noch  weit  ver¬ 
breitete  Anschauung  bei  den  Ärzten  entwickelt,  es  sei 
geradezu  kennzeichnend  für  die  posttraumatische  Tuber¬ 
kulose,  dass  sie  nach  geringfügigen  Verletzungen  ent¬ 
stehe.  Diese  Behauptung  ist  in  der  uneingeschränkten 
Fassung  unrichtig.  Nicht  die  Grösse  der  Gewaltem- 
wirkung,  welche  dem  Bruche  eines  langen  Röhren- 
knochens  vorausging,  ist  der  Entwicklung  des  I  uberkel- 
bazillus  hinderlich,  sondern  nur  die  gewaltige  dem 
Bruch  folgende  Gewebswucherung  und  die  Kallus¬ 
bildung.  Da,  wo  diese  nicht  so  mächtig  auftritt,  wie 
bei  den  Brüchen  der  kleinen  Hand-  und  kussknochen 
oder  der  Rippen  oder  bei  Rissbrüchen,  ist  die  post¬ 
traumatische  Tuberkulose  keineswegs  etwas  Seltenes. 
T  hie  m  sagt  dann  weiter  :  Es  muss  also  auch  für  die 
posttraumatische  Tuberkulose  ein  gewisser,  wenn  auch 
nicht  übermässig  hoher  Grad  der  Gewalteinwirkung  ver¬ 
langt  werden.  Niemals  kann  sie  durch  einen  Nasen¬ 
stüber  erzeugt  werden!“  Wenn  ich  mich  1  h  i  e  m  auc  i 
nicht  darin  anschliesse,  dass  die  posttraumatische  1  uber- 
kulose  durchaus  nichts  Seltenes  sei,  so  verlange  ich 
ebenfalls  für  die  traumatische  Knochen-  und  Gelenk¬ 
tuberkulose  eine  Gewalteinwirkung,  die  geeignet  ist,  die 
über  dem  Knochen  liegenden  Gewebsteile  erheblich  zu 

die  Weichteile  hindurch  den  darunter 
wirksam  zu  erreichen. 

. .  uns  zur  dritten  Bedingung : 

. Direkte  ^Unf allfolgen  müssen  festgestellt  sein  !“  Ist  die 
Zweite  Bedingung  erfüllt,  lag  ein  geeigneter  Unfall  vor, 
fine  erhebliche  äussere  Gewalteinwirkung,,  so  wird  die 
dritte  Bedingung  ohne  weiteres  gegeben  sein  Ls  können 
diese  Unfallfolgen  bestehen  in  einer  mehr  oder  weniger 
.rossen  Hautverfärbung,  einer  blutunterlaufenen  Stelle, 
n  einer  leichten  Schwellung,  in  einem  Hinken  odei 
lerM  Wie  wichtig  die  Feststellung  derartiger  Folgen 
:ür  den  späteren  Verlauf  ist,  haben  wir  gesehen  aus  den 
Entscheidungen  des  Reichsversicherungsamts,  m  denen 
der  Zusammenhang  abgelehnt  wurde,  \\  ti  sac  ivei 
ständige  Beobachtungen  über  die  unmittelbaren  l  ntall- 

folgen  nicht  beigebracht  werden  konnten. 

Die  vierte  Bedingung,  die  ich  stellte,  lautete. 
„Der  Verlauf  des  tuberkulösen  Knochen-  oder  Ge  en  .- 
eidens  muss  einen  für  die  traumatische  Entstehung 
charakteristischen  Verlauf  genommen  haben.  Die 
Erscheinungen  können  geringfügiger  Natui  sein,  w<i 
sie  grössere,  so  klingen  sie  vielfach  zunächst  ab,  um  dann 
nach  einiger  Zeit  wieder  heftiger  in  die  Erscheinung  zu 
treten,  meistens  wird  das  tuberkulöse  Leiden  nach  einem 
Vierteljahr  klar  erkennbar  zu  Tage  treten  Im  allge¬ 
meinen können  wir  sagen:  das  tuberkulöse  Leiden  da.  t 
nicht  v  o  r  4  Wochen  und  nicht  nac  h  6  Monaten  olten¬ 
kundig  werden.  Fälle,  in  denen  das  Leiden  früher  zu 
Tacre  tritt,  müssen  als  wesentliche  Verschlimmerungen 
alter  Tuberkulose  gedeutet  werden,  während  später  er- 


verletzen  und  durch 
liegenden  Knochen 
Wenden  wir 


66 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


kennbare  Fälle  in  der  Regel  nicht  mehr  auf  den  Unfall 
bezogen  werden  können.  Es  müssen  im  Krankheitsver¬ 
lauf  die  sogenannten  Brückenerscheinungen  gegeben  sein, 
ganz  symptomlos  darf  das  Leiden  in  den  ersten  b  Monaten 
nie  verlaufen. 

In  der  weitaus  grössten  Mehrzahl  der  angemeldeten 
Fälle  von  traumatischer  Tuberkulose  müssen  die  An¬ 
sprüche  zu  Ungunsten  des  Antragstellers  entschieden 
werden,  wenn  wir  diese  4  Bedingungen  stellen  und  die 
Krankengeschichte  daraufhin  eingehend  prüfen.  Wir 
werden  dann  nur  in  höchst  seltenen  Fällen  von  einer 
grösseren  V  ahrscheinlichkeit  eines  Zusammenhanges 
sprechen  können. 

Nachdem  wir  nun  die  gewissermassen  ursächliche 
traumatische  Entstehung  der  Knochen-  und  Gelenktuber¬ 
kulose  ei  örtert  haben,  bliebe  noch  die  weitere  Frage, 
vor  die  der  Gutachter  oft  gestellt  wird,  zu  prüfen,  *ob 
ein  Trauma  imstande  ist  eine  bestehende  Knochen-  oder 
Gelenktuberkulose  wesentlich  zu  verschlimmern.  Diese 
krage  wird  von  allen  Autoren  übereinstimmend  bejaht. 
W  ir  müssen  aber  auch  hier  Bedingungen  stellen,  die 
den  vorigen  im  wesentlichen  gleichkommen.  Der  Unfall 
muss  einwandfrei  nachgewiesen  sein,  er  darf  auch  hier 
kein  ,, Nasenstüber“  sein,  die  wesentliche  Verschlimmerung 
des  Leidens  muss  alsbald  in  die  Erscheinung  treten, 
nach  4  Wochen  werden  wir  in  der  Regel  eine  wesent¬ 
liche  Verschlimmerung  eines  tuberkulösen  Leidens  durch 
ein  voraufgegangenes  1  rauma  nicht  mehr  anerkennen 
können. 

Auf  eins  ist  hier  aber  noch  besonders  zu  achten  : 
das  tuberkulöse  Leiden  darf  sich  nicht  im  letzten  Stadium 
befunden  haben,  es  darf  keine  Wahrscheinlichkeit  dafür 
bestehen,  dass  das  Leiden  auch  ohne  das  Trauma  den¬ 
selben  Verlauf  genommen  haben  würde,  sondern  das 
I  rauma  muss  die  ungünstige  Wendung  in  dem  tuber¬ 
kulösen  Leiden  gebracht  haben.  Man  denke  hier  an 
die  Fälle,  wo  der  Unfall  eigentlich  nicht  das  primäre, 
sondern  das  sekundäre  Ereignis  ist,  an  den  schliesslichen 
Einbruch  eines  tuberkulösen,  kariösen  Fussknochens  usw. 
In  dieser  Hinsicht  sind  mehrere  Entscheidungen  des 
Reichsversicherungsamts  sehr  bemerkenswert.  So  heisst 
es  z.  B.  in  der  Entscheidung  des  R.  V.  A.  vom  13.  No¬ 
vember  1909  la.  7961/09:  Nach  dem  eingehenden 
und  überzeugenden  Gutachten  des  Med. -Rats  Dr.  FI.  vom 
15.  September  1909  bestand  bei  dem  D.  schon  unab¬ 
hängig  von  dem  Unfall  vom  Herbst  190/  eine  tuber¬ 
kulöse  Erkrankung  von  Knochen  am  Fusse,  eine  An¬ 
sicht,  welche  dadurch  eine  Bestätigung  findet,  dass  auch 
der  \  ater  des  Klägers,  wie  in  einem  früheren  Rekurs¬ 
verfahren  festgestellt  ist,  an  einer  tuberkulösen  Er¬ 
krankung  litt,  sodass  im  vorliegenden  Falle  erbliche  An¬ 
lage  bestand.  Diese  bei  dem  Kläger  vorhandene  ihrer 
Natur  nach  sich  allmählich  entwickelnde  Krankheit  trat 
zum  ersten  Male  in  die  Erscheinung  und  kam  dadurch 
dem  Kläger  zum  Bewusstsein,  als  er,  vielleicht  infolge 
dei  Knochenerkrankung,  mit  dem  küsse  umknickte. 
Dass  dieses  Umknicken  die  Krankheit  hervorgerufen  hat, 
ist  demnach  ausgeschlossen /Es  ist  aber  auch  in  keiner  Weise 
wahrscheinlich  gemacht,  dass  dieser  Unfall  eine  wesent¬ 
liche  Weiterentwicklung  oder  Beschleunigung  des  schon 
bestehenden  Leidens  herbeigeführt  hat.  Vielmehr  muss 
angenommen  werden,  dass  die  Krankheit  auch  bei  jeder 
anderen  Gelegenheit  in  die  Erscheinung  treten  konnte 
und  sich  auch  ohne  den  als  Betriebsunfalf  angesprochenen 
Vorgang  im  wesentlichen  in  derselben  Art"  und  Zeit  zu 
dem  jetzigen  Zustande  entwickelt  hätte.“ 

Meine  Herren  ! 

Ich  komme  zum  Schlüsse.  Ich  darf  wohl  sagen,  dass 
c  en  \  ei  sicherten  sowohl  von  den  Ärzten,  als  auch  von 
den  Instanzen  bei  der  Begutachtung  der  Tuberkulose 
as  Unfalltolge  das  grösste  Wohlwollen  gezeigt  wird, 
lanchmal  geht  dieses  Mitleid  entschieden  zu  weit  und 


Nr.  7. 


das  Gerechtigkeitsgefühl  leidet  darunter.  W7ie  ein  be¬ 
kannter  Gutachter  einstens  in  der  Ärztlichen  Sachver¬ 
ständigen  -  Zeitung  ausführte,  ist  Mitleid  auf  Kosten 
anderer  eine  recht  bequeme  Sache.  Auch  möchte  ich 
hier  auf  den  \  ortrag  des  Senatsvorsitzenden  des  Reichs¬ 
versicherungsamts  Geheimrat  Dr.  Bassenge  vom 
7.  Juni  1911  in  der  Sitzung  des  Ausschusses  des  Deut¬ 
schen  Zentralkomitees  hinweisen,  der  zum  Schlüsse 
lautete:  „Es  ist  nicht  eine  Beihilfe,  eine  Unterstützung 
oder  eine  WTohltat,  die  gefordert  wird,  sondern  es 
handelt  sich  um  einen  Rechtsanspruch,  auf  Gewährung  einer 
bestimmten  Entschädigung,  der  bei  dem  Vorliegen  der 
gesetzlichen  Voraussetzungen  unter  allen  Umständen  an¬ 
zuerkennen,  bei  ihrem  Fehlen  aber  abzulehnen  ist. 
Dieses  Recht  muss  in  seinen  Grundlagen  echt,  wahr  und 
lauter  sein.  Der  Nutzen,  der  dem  Einzelnen  vielleicht 
dadurch  erwächst,  dass  man  anstelle  objektiver  Er¬ 
wägungen  dem  Gefühle  persönlichen  Mitleids  oder  Wohl¬ 
wollens  für  den  Erkrankten  zu  weiten  Raum  gibt,  gleicht 
die  Schäden  nicht  aus,  welche  durch  eine  derartige  Be¬ 
handlung  der  Sache  der  Ethik,  des  Rechts  im  Volks¬ 
leben  geschlagen  werden.“ 

Die  Versicherten  suchen  natürlich  nach  einer  LJr- 
sache  für  die  tuberkulöse  Erkrankung,  die  sie  ja  früher 
nicht  gehabt  haben,  ein  Unfall  macht  einen  besonderen 
Eindruck,  er  haftet  länger  im  Gedächtnis.  Entwickelt 
sich  zufällig  in  der  Nähe  der  verletzten  Stelle  eine 
Tuberkulose,  so  wird  sie  selbstverständlich  dem  Unfall 
zur  Last  gelegt,  vielfach  in  gutem  Glauben.  Wir  als 
Ärzte  müssen  aber  der  Sachlage  tiefer  auf  den  Grund 
gehen,  wir  müssen  uns  fragen,  weicht  der  vorliegende 
Fall  wesentlich  von  einem  spontan  entstandenen,  nor¬ 
mal  verlaufenden  Tuberkulosefall  ab,  oder  ist  die  Tuber¬ 
kulose  mit  hoher,  an  Gewissheit  grenzender  Wahrschein¬ 
lichkeit  wesentlich  durch  den  Unfall  verschlimmert 
worden.  Man  berücksichtige  den  gewissermassen  als 
Kompromiss  gedachten  Vorschlag  Thiems,  dass 
in  75  Proz.  der  Fälle  die  Tuberkulose  ohne  Trauma 
entsteht. 

Das  Wichtigste  ist  die  Führung  einer  genauen 
Krankengeschichte  vom  Tage  des  Unfalls  ab.  Die  ersten 
ärztlichen  Atteste  müssen  sehr  eingehende  sein,  sonst 
schwebt  der  ganze  Fall  in  der  Luft  und  man  ist  nur 
auf  Konstruktionen  angewiesen.  Später  nützt  in  vielen 
Fällen,  wenn  meist  Jahre  verstrichen  sind,  auch  der  er¬ 
fahrenste  und  berühmteste  Obergutachter  nichts  mehr 


Warum  verdaut  sich  der  Magen  nicht  selbst? 

Von  Dr.  med.  Rainer-  Wiesbaden. 

Diese  krage  hatte  bereits  Claude  Bernard  vor  langer 
Zeit  dahin  zu  beantworten  gesucht,  dass  die  lebende 
Schleimhaut  gegen  Verdauung  widerstandsfähig  sei.  Der 
neueren  serologischen  Forschung,  welche  so  viele  Schutz¬ 
körper  (Antigene)  im  Organismus  entdeckte,  lag  es  nahe, 
besondere  Alexine  für  den  Magendarmtraktus  anzunehmen, 
welche  ihn  vorZerstörung  durch  seine  eigenen  Verdauungs¬ 
säfte  schützen.  Nun  hat,  wie  in  dem  skandinavischen 
Archiv  für  Physiologie  Nr.  31  Dr.  Langenskiöld  mitteilt, 
das  Experiment  beide  Annahmen  als  falsche  Hypothese 
erwiesen.  Es  hat  sich  nämlich  gezeigt,  dass  sowohl  der 
lebende  Magen  als  auch  der  Darm  im  Magen-  bezw. 
Pankreassaft  verdaut  werden  können.  Dagegen  ist  dabei 
eine  zufällige  Tatsache  zu  Tage  getreten,  welche  eine  sehr 
plausible  Antwort  auf  die  im  Titel  genannte  Frage 
erteilt  Wenn  man  nämlich  die  Schleimhaut  des  Magens 
oder  eine  Darmschlinge  während  der  Verdauung  d.  h. 
während  ihre  Wände  vom  Chymus  umspült  werden,  in 
die  Verdauungssäfte  legte,  dann  blieb  die  sog.  Selbst¬ 
verdauung  aus  !  Diese  Tatsache  legt  ja  die  Annahme  als 


Nr.  7. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


wahrscheinlich  nahe,  dass  in  den  Eiweissabbau- 
Produkten  des  regulären  Verdauungs¬ 
breies  die  Schutztruppen  gegen  die 
Selbstverdau  ungzu  suchen  seien. 

Mir  scheint  es,  dass  man  dadurch  die  Entstehung 
des  sog.  Magengeschwürs  auf  sehr  plausible  Weise  er¬ 
klären  kann.  Bekanntlich  entsteht  letzteres  auf  dem 
Boden  eines  chronischen  Magenkatarrhes.  Da  aber  beim 
catarrhus  ventriculi  chronicus  die  Verdauungskraft  des 
Magens  geschädigt  ist,  so  sind  auch  die  Abbauprodukte 
anormal  —  und  dadurch  passiert  es,  dass  an  einer 
Stelle  der  Magenwand  die  Schutztruppen  fehlen,  wo¬ 
durch  dann  leicht  Erosion  der  Schleimhaut  durch  den 
eigenen  Magensaft  —  und  das  Magengeschwür  zustande 
kommen.  Sehr  probabel !  Vielleicht  ist  aber  auch  das 
Carcinoma  ventriculi  resp.  auch  recti  desselben  Ur¬ 
sprungs?  Hier  wäre  vielleicht  der  Schlüssel  zur 
rationellen  Therapie  ? 


Rhodalcid  und  seine  Anwendung. 

Ein  neues  Präparat  mit  19,4  %  gebundener  Rhodanwasserstoffsäure. 

Von  Apotheker  Otto-  Frankfurt  a.  M. 

Seit  langem  ist  bekannt,  dass  die  Rhodan  Verbindungen 
im  menschlichen  Organismus  eine  Rolle  spielen.  Ihr 
Vorhandensein  im  Speichel  wurde  durch  T  reve- 
r  a  n  u  s ,  Tiedeman  n  und  Gmelin  festgestellt; 
im  Urin  wiesen  Gscli  eidien  und  Munk,  in  den 
Nasen-  und  Konjunktivalsekreten  Keller  und  M  u  n  k 
Rhodanverbindungen  nach.  Eine  reichhaltige  Literatur 
baut  sich  auf  den  im  Anschlüsse  an  jene  Feststellungen 
vorgenommenen  Untersuchungen  auf.  Heute  vertritt  man 
nach  den  Arbeiten  von  Bruylantes  und  K  o  b  e  r  t 
allgemein  die  Auffassung,  dass  das  Rhodan  im  Organis¬ 
mus  durch  Verfall  des  Adenins  (Diaminopurin)  entsteht, 
welches  bei  weiterer  Oxydation  unter  Bildung  von  Harn¬ 
säure  (Trioxypurin)  CN-Wurzeln  abspaltet,  die  mit 
oxydiertem  Schwefel  in  Gegenwart  von  Alkalien  die  be¬ 
kannten  Thiocyanverbindungen  eingehen. 

Bezeichnend  ist  es,  dass  man  bei  Tieren,  welche 
das  Adenin  in  ihren  Sekreten  unverändert  abscheiden, 
in  den  Lymphgefäss-  und  Speichelabsonderungen  Rho¬ 
danverbindungen  nicht  finden  konnte.  Ebenso  zeigen 
Gichtiker,  bei  denen  ja  die  Harnsäure  in  der  Haupt¬ 
sache  nicht  weiter  gespalten  sondern  im  Körper  abge¬ 
lagert  wird  ,  in  ihrem  Speichel  und  anderen  Se¬ 
kreten  einen  auffallenden  Mangel  an  Sulfocyanver- 
bindungen. 

Die  ersten  gründlichen  Untersuchungen  über  die 
Wirkungen  der  Rhodanzufuhr  in  den  Organismus  unter¬ 
nahmen  Claude  Bernard,  Pelican  und 
Stscheno  w.  Sie  fanden  das  Rhodankalium  relativ 
unschuldig.  P  a  s  c  h  k  i  s  arbeitete  schon  bei  seinen 
Tierversuchen  mit  grossen  Dosen  von  Rhodankalium 
und  fand  neben  einer  Steigerung  der  Reflexempfindlich¬ 
keit  Erhöhung  des  Blutdruckes  und  Vermehrung  der 
peristaltischen  Bewegungen.  Treupel  und  E  d  i  n  g  e  r 
setzten  diese  Untersuchungen  fort  und  konstatierten  eine 
intensive  Einwirkung  der  Rhodanalkaliverbindungen  auf 
den  Stoffwechsel.  Die  Beobachtungen  von  Paschkis 
fanden  sie  aber  nicht  bestätigt.  A.  Meyer  bestätigte 
dagegen  die  Resultate  von  Treupel  und  E  d  i  n  g  e  r, 
während  Kabdebo  als  Ergebnis  seiner  Versuche  die 
Behauptung  aufstellte,  dass  den  Rhodanverbindungen 
keinerlei  Einfluss  auf  den  Stoffwechsel  zuzusprechen  sei. 
K  o  n  d  o  beobachtete  nach  Verabreichung  von  orga¬ 
nischen  Rhodanalkaliverbindungen  eine  starke  Ver¬ 
minderung  der  Harnsäure ;  Kleczinsky  fand  die 
Rhodanalkalien  gährunghemmend  ;  Garnier, 
Schlagenhauffen,  Sanarelli  und 
M  ü  1  1  e  r  bestätigen  übereinstimmend  seine  anti¬ 


67 


septische  Wirkung.  Dagegen  widerspricht  Schlegel 
dieser  Behauptung,  räumt  jedoch  ein,  dass  organische 
Rhodanverbindungen  bei  der  Therapie  der  Hautkrank¬ 
heiten  antiseptisch  erfolgreich  angewendet  werden. 
Loh  m  a  n  n  und  M  i  c  h  e  1  weisen  besonders  darauf 
hin,  dass  dem  Rhodangehalt  des  Speichels  eine  wichtige 
Rolle  in  der  Verhütung  der  Zahnkaries  zugeschrieben 
werden  muss.  Martinotti  veröffentlichte  seine  Er¬ 
fahrungen  mit  Rhodannatrium  bei  Tuberkulose. 
Schmitt  und  Bettma  n  n  stellten  umfangreiche 
Versuche  mit  Rhodanpräparaten  bei  Luetikern  an,  ins¬ 
besondere  über  die  Einwirkungen  des  Rhodans  im 
Speichel  bei  Stomatitis  mercurialis  und  anderen  ent¬ 
zündlichen  und  geschwürigen  Prozessen  in  der  Mund¬ 
höhle.  Wie  M  u  n  k  konnten  auch  diese  beiden  Autoren 
feststellen,  dass  als  Folge  der  Hg  und  K  J  Behandlung 
eine  Abnahme,  oft  sogar  ein  völliges  Aufhören  des 
Rhodangehaltes  im  Speichel  und  saure  Reaktion  des¬ 
selben  auftrat,  sahen  jedoch  nach  Verabreichung  von 
Rhodan  in  Form  von  Rhodalcid  (nach  N  erking)  eine 
wesentliche  Besserung,  die  sie  dem  darnach  wieder  auf¬ 
tretenden  Rhodangehalt  des  Speichels  zuschreiben.  Sie 
berechneten  den  Rhodangehalt  im  Mundspeichel  beim 
normalen  Menschen  auf  Grund  zahlreicher  Unter¬ 
suchungen  auf  0,003  bis  0,01  Proz.  Von  einigen 
Autoren  wird  das  Fehlen  des  Rhodangehaltes  im  Mund¬ 
speichel  sogar  zu  diagnostischen  Zwecken  empfohlen, 
bei  Pertussis,  Tuberkulose,  Arteriosklerose  vor  allem  bei 
Gicht.  B  e  n  t  1  e  y  und  L  e  R  o  y  stellten  die  Tatsache 
fest,  dass  selbst  stark  verdünnte  Natriumrhodanid- 
lösungen  (1:40000)  die  aus  Kalzium-  und  Magnesium¬ 
verbindungen  entstehenden  Harnsteine  mit  grosser 
Leichtigkeit  auflösten.  A.  Scheuer  empfiehlt  den 
internen  Gebrauch  auch  bei  gewissen  Hautkrankheiten. 

Seitdem  die  chemische  Fabrik  R  e  i  s  h  o  1  z  G.  m. 
b.  H.  in  Reisholz  bei  Düsseldorf  auf  Grund  der  Erfolge 
der  Behandlung  mit  Rhodanalkalien  auf  Anregung  von 
Dr.  N  e  r  k  i  n  g  eine  organische  Rhodanverbindung 
unter  dem  Namen  „Rhodalcid“  herstellt,  hat  die  An¬ 
wendung  einen  grösseren  Umfang  angenommen,  zumal 
Erfolge  bisher  nicht  ausgeblieben  sind. 

Rhodalcid  (Warenzeichen  und  D  R.  P.  Nr.  243  425) 
ist  ein  Rhodaneiweisspräparat,  welches  in  Tabletten 
ä  0,25  g  ä  0,049  g  HCNS  in  den  Handel  kommt.  Das¬ 
selbe  ist  ungiftig  und  kann  längere  Zeit  ohne  Schaden 
genommen  werden.  Indiziert  ist  seine  Anwendung  nach 
Michel,  Lohmann,  Nerking,  Scheuer, 
Stein  kämm,  M  e  n  c  h  e  und  vielen  anderen  bei 
Caries  dentium,  Stomatitis  aphtosa  und  ulcerosa,  An¬ 
gina,  Heufieber,  Glossitis,  ferner  bei  Kräfteverfall,  Anämie, 
Entzündungen  und  Vereiterungen  der  Nebenhöhlen,  so¬ 
wie  bei  harnsaurerDiathese,  Arteriosklerose  und  lanzinieren- 
den  Schmerzen  der  Tabiker.  Wegen  seiner  unschäd¬ 
lichen  und  ungiftigen  prompt  reagierenden  Wirkung  wird 
es  gern  gegeben  und  zwar  8  Tage  lang  dreimal  täglich, 
weitere  8  Tage  lang  zweimal  täglich  eine  Tablette, 
nach  8  tägiger  Pause  14  Tage  lang  eine  Tablette. 
Wenn  nötig,  besonders  bei  Gichtikern,  wiederholt  man 
die  Kur  mit  zweiwöchentlichen  Pausen.  Pathologische 
Veränderungen  des  Harnes  traten  nicht  auf,  Albuminurie 
wurde  niemals  beobachtet,  eine  bestehende  blieb  unver¬ 
ändert,  Herz-  und  Nervensystem  bleiben  völlig  unbe¬ 
rührt.  Zu  beachten  ist,  dass  starke  Säuren,  insbesondere 
Mineralsäuren,  während  der  Rhodankur  zu  vermeiden 
sind.  Eisenpräparate  dagegen  können  unbesorgt  gleich¬ 
zeitig  verabreicht  werden. 


68 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Kt  *1 

Nr.  / 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Behandlung  der  Lungentuberkulose  mit  inten¬ 
sivem  rotreichem  Licht. 

Von  H.  Gerliartz. 

Mitteilungen  über  das  Ergebnis  der  Bestrahlung  des 
Thorax  von  Phthisikern  des  3.  Stadiums  mit  rotreichem 
Bogenlampenlicht  und  rein  rotem  Neonlicht.  Die  Pro¬ 
gredienz  des  Leidens  verringerte  sich.  Es  konnte  eine 
Besserung  sowohl  des  Allgemeinbefindens  wie  dei 
Lungenerscheinungen  festgestellt  werden.  \  erringerung 
von  Fieber,  Husten,  Rasselgeräuschen,  Auswurfmenge, 
Puls-  und  Atemfrequenz.  —  Tierversuche  an  einem 
Material  von  63  Meerschweinchen  fielen  günstig  aus. 
(M.  m.  Wschr.  Nr.  35,  1915.)  Autoreferat. 


Imprägnierte  Schutzringe  gegen  Ungeziefer,  ein 
neues  Mittel  und  Verfahren  zur  Bekämpfung  der 

Läuseplage. 

Von  Oberapotheker  R.  B  o  li  1  m  a  n  n  , 
aus  den  städtischen  Krankenanstalten  zu  Dortmund. 

(Feldärztl.  Beilage  der  Münch,  med.  Wochenschrift  1915 

Nr.  35  Seite  1206.) 

Verfasser  weist  auf  die  sehr  weitgehenden  An¬ 
forderungen,  die  an  ein  ideales  Ungeziefermittel  gestellt 
werden  müssen,  hin.  Er  verlangt,  dass  es  zunächst  den 
Körper  frei  von  Ungeziefer  macht  und  ihn  dann 
aber  auch  dauernd  davon  frei  hält. 

Als  ein  solches  Mittel  sind  die  von  ihm  angegebenen 
„i  m  prägnierten  Schutzring  e“  zu  be¬ 
trachten. 

Durch  ein  neues  Verfahren,  welches  darin  besteht, 
dass  die  als  wirksam  bekannten  Mittel  (ätherische  Öle, 
Anisol,  Trikresol,  Paradichlorbenzol  usw.)  zu  einer  Masse 
vereinigt  sind,  welche  die  Wirksamkeit  der  einzelnen 
Substanzen  erhöht,  wird  eine  dauernde,  d.  h.  wochen¬ 
lange  Wirkung  gewährleistet  und  eine  einfache  und  be¬ 
queme  Anwendung  ermöglicht. 

Die  bekannten  Mittel  (Flüssigkeiten,  Salben,  Puder 
usw.)  müssen  wegen  ihrer  Flüchtigkeit,  die  durch  die 
Körperwärme  noch  erhöht  wird,  täglich  mehrere  Male 
angewendet  werden,  wodurch  ein  Entkleiden  nötig  wird  ; 
und  vielfach  ein  Beschmutzen  der  Hände  nicht  zu  ver¬ 
meiden  ist,  wodurch  wieder,  -  da  es  meistens  an  Wasch¬ 
gelegenheit  fehlt  —  die  mit  denselben  angefassten  Speisen 
usw.  unappetitlich  werden  und  auch  die  Augen  ge¬ 
schädigt  werden  können.  Abgesehen  von  der  Unhand¬ 
lichkeit  aller  dieser  Mittel,  der  umständlichen  An¬ 
wendungsmöglichkeit  usw.,  können  dieselben  aber  auch 
Schädigungen  verursachen.  Durch  wiederholte  Ein¬ 


reibungen  mit  ätherischen  Ölen  können  Hautausschläge 
entstehen.  Puder  haben  den  Nachteil,  dass  sie  nicht 
haften  bleiben.  Von  der  Verwendung  von  Salben  ist 
deshalb  abzuraten,  weil  dieselben  die  Wäsche  und  die 
Kleider  dauernd  verschmieren,  und  der  Soldat  stets 
das  unangenehme  Gefühl  des  Beschmiertseins  am 
Körper  hat. 

Alle  diese  Nachteile  und  Schäden  werden  bei  den 
imprägnierten  Schutzringen  vermieden. 

Dieselben  lassen  sich  leicht  verpacken 
und  verschicken,  sind  nicht  zerbrechlich 
usw.  Sie  bestehen  aus  einem  Leib- 
ring,  welcher  das  am  Körper  befind¬ 
liche  Ungeziefer  vertreibt  und  vernichtet. 

(Die  Nisse  werden  wohl  nicht  geschädigt, 
da  sie  äusserst  widerstandsfähig  sind  ; 
die  daraus  entwickelten  Läuse  gehen  aber 
rasch  zugrunde.)  Ein  H  a  1  s  r  i  n  g, 

2  Arm-  und  2  Bein-Ri  n  g  e  ver¬ 
hindern,  dass  der  Körper  überhaupt 
von  Läusen  befallen  werden  kann,  in¬ 
dem  die  natürlichen  Zuschlupfstellen  ge¬ 
schützt  sind.  (Vergi.  Abbildng.)  Der 
Träger  solcher  Ringe  merkt  von  dem  Vorhandensein  kaum 
etwas,  die  Wirkung  ist  eine  glänzende,  vollkommene  und 
dauernde,  dabei  für  den  Körper  und  die  Umgebung  des  i 
Trägers  weder  unangenehm  noch  lästig,  noch  irgendwie 
gesundheitsschädlich.  Der  Körper,  die  Hände  und  Finger 
werden  nicht  beschmutzt.  Zum  Schutze  des  Kopfes  j 
während  der  Ruhepausen  dient  die  imprägnierte  K  o  p  f- 
haub  e. 

Der  Preis  der  imprägnierten  Schutzringe  ist  im  j 
Vergleich  zu  anderen  Mitteln,  die  täglich  angewandt 
werden  müssen  und  deren  täglicher  Verbrauch  doch 
mindestens  5  Pfennige  Kosten  pro  Mann  verursacht,  ein 
äusserst  billiger. 

Die  Schutzringe  erfüllen  somit  alle  Ansprüche,  die 
an  ein  ideales  Ungeziefer-,  Vernichtungs-  und  Schutz¬ 
mittel  gestellt  werden  müssen. 

Sie  dienen  nicht  nur  zur  Entlausung,  sondern  auch 
als  Schutz-  und  Vorbeugungsmittel ,  sowohl  den 
Soldaten  im  Felde,  wie  auch  den  Ärzten  und 
dem  Sanitätspersonal  in  den  Lazaretten, 
Lazarettzügen,  Gefangenenlagern  usw. 

Die  Schutzringe  sind  der  beste  Schutz  gegen  die 
Läuseplage  und  damit  gegen  das  Fleckfieber. 

(Die  Herstellung  und  den  Vertrieb  hat  seit  kurzem 
die  Fabrik  mediz.  Verbandstoffe  von  W.  Weis- 
weiler  in  Köln-Dellbrück  übernommen.) 


\ 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


69 


Nr.  7. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

R.  W.  Allen,  London.  Die  Vakzinetherapie  und  Vak- 
zinediagnostik, 

R.  W.  Allen,  London.  Die  Vakzinetherapie,  ihre 
Theorie  und  praktische  Anwendung.  Nach  der  vierten  Auflage 
des  Originals  deutsch  herausgegeben  von  R  u.  S.  K  r  o  n  - 
London,  Dresden  und  Leipzig.  Theodor  Steinkopf  1914.  340 

Seiten.  Geh.  10  Mark. 

„Die  grossen  Fortschritte,  welche  die  Vakzinetherapie 
während  der  letzten  zehn  Jahre  gemacht  hat,  und  die  Erfolge, 
die  sie  erzielt  hat,  berechtigen  zu  der  Frage,  warum  sie  immer 
noch  verhältnismässig  wenig  in  der  allgemeinen  Praxis  zur  An¬ 
wendung  kam.  Besonders  in  England  und  Amerika  hat  sie 
viele  Anhänger  gefunden,  während  sie  in  Deutschland  verhält¬ 
nismässig  wenig  Anklang  gefunden  hat,  was  um  so  auffallender 
ist,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Tuberkuliutherapie,  der  schliess¬ 
lich  mehr  oder  minder  dieselben  Prinzipien  zugrunde  liegen, 
gerade  in  Deutschland  die  meisten  Anhänger  hat,“  so  spricht 
der  Herausgeber  des  Buches.  Ich  kann  wohl  als  Grund  dafür 
anführen,  dass  die  Therapie  bei  Akne  und  Furunkulose  mit 
abgetöteten  Staphylokokken  in  der  Hauptsache  doch  im  Stich 
gelassen  hat  Und  um  die  Vakzinetherapie  bei  anderen  Er¬ 
krankungen  zur  allgemeinen  Anwendung  zu  bringen,  ist  eine 
genaue  bakteriologische  Diagnose  unbedingt  erforderlich,  um 
die  spezifische  Therapie  folgen  lassen  zu  können  und  gerade 
darin  liegt  der  wunde  Tunkt.  Die  Vakzinetherapie  bleibt  da¬ 
her  nur  bakteriologisch  gut  geschulten  Ärzten  und  einigen 
wenigen  Laboratorien  Vorbehalten.  —  Das  Buch  enthält  eine 
vorzügliche  Anordnung  des  Stoffes.  Nach  einer  kurzen  Dar¬ 
stellung  der  Immunilätslehre,  der  Antikörper,  deren  Wesen, 
Quellen  und  Funktionen  folgt  eine  genaue  Beschreibung 
der  Opsoninetechnik,  der  Herstellung  des  Vakzins  und  seiner 
Anwendungsweise,  des  Prinzipes  der  Vakzinetherapie  und  einiger 
Ursachen  des  Misserfolges.  Im  weiteren  bespricht  A  llen 
die  für  die  spezielle  Behandlung  in  Betracht  kommenden  bak¬ 
teriellen  Erkrankungen  Nach  den  von  Allen  berichteten 
Erfolgen  der  Vakzinetherapie,  z.  B  bei  Septikämie,  wäre  es 
angebracht,  bevor  man  die  Vakzinetherapie  beiseite  legt,  in 
allen  zu  Gebote  stehenden  Fällen  wenigstens  eine  Prüfung  vor¬ 
zunehmen  und  sich  sein  eigenes  Gebäude  aufzubauen. 

Das  Werk  enthält  manche  Fingerzeige  für  den  Praktiker. 
Ich  kann  es  daher  auf  das  wärmste  empfehlen 

Schür  mann. 

Prof.  Dr  med  Lange  und  Dr.  med.  R  o  o  s  ,  Über  den 
Befund  von  Typliusbaziilen  im  Blute  von  Kaninchen  nach  Ver¬ 
impfung  in  die  Gallenblase.  (Arb.  a  d.  Kaiser!.  Gesundhtsamte. 
Bd.  50,  II.  1,  1915.) 

Die  schwierige  Technik  der  Injektion  von  Typhusbazillen 
in  die  Gallenblase  von  Kaninchen  führte  zu  einem  ganz  ver¬ 
schiedenartigen  Ausfall  der  Versuche  und  veranlasste  Lange 
und  R  o  o  s  zu  den  verschiedensten  Änderungen  der  Versuche 
und  ihrer  Technik.  Die  chronologische  Darstellung  dieser 
Versuche  ist  hochinteressant,  kann  aber  ihrer  Kompliziertheit 
halber  nicht  im  Referat  besprochen  werden.  Die  sehr  zahl¬ 
reichen  Untersuchungen  führten  zu  dem  Ergebnis,  dass  es  für 
den  geübten  Experimentator  lediglich  Sache  der  Technik  und 
des  Willens  ist,  die  in  die  Gallenblase  eingespritzten  Typhus¬ 
bazillen  bereits  nach  1  bis  2  Minuten  im  Ohrvenenblut  er¬ 
scheinen  zu  lassen  oder  nicht.  Der  Übertritt  der  Typhus¬ 
bazillen  in  das  Blut  findet  nämlich  direkt  an  der  Einstichstelle 
oder  in  deren  nächster  Umgebung  durch  die  Blutkapillaren 
der  Gallenblase  statt.  Ist  das  der  Fall  gewesen,  so  lassen 
sich,  wie  gesagt,  die  Typhusbazillen  schon  nach  1 —  2  Minuten 
im  Ohrenvenenblut  nachweisen.  Gelang  die  Technik  „glatt“ 
(wie  Lange  und  R  o  o  s  sagen),  so  fällt  der  Bazillen-Nach- 
weis  im  Blut  negativ  aus.  Von  andern  Körper- 
stellen  her,  die  ebenfalls  reich  mit  Kapillaren  versorgt 
sind,  wie  vom  Dünndarm,  von  der  Harnblase,  von  gereizten 
Hautstellen  usw.  findet  ein  rascher  Übertritt  der  lyphuskeime 
in  den  Blutkreislauf  nicht  statt.  Im  Ohrvenenblut  lassen 


sich  die  Typhusbazillen  meist  schon  nach  30  Minuten,  stets 
aber  nach  GO  Minuten  nicht  mehr  nachweisen.  Sie  werden 
durch  die  bakteriziden  Kräfte  des  Blutes  vernichtet,  teilweise 
auch  in  den  Kapillaren  der  inneren  Organe  abgefangen.  Durch 
die  Gallenblasenimpfung  werden  die  Tiere  zu  Typhusbazillen- 
trägorn,  gleichgültig,  ob  ein  rascher  Übertritt  ins  Blut  statt¬ 
findet  oder  nicht.  '  Durch  Exstirpation  der  Gallenblase  nach 
kurzer  Zeit  (etwa  G  Minuten)  lässt  sich  das  verhindern,  ebenso 
erfolgt  es  nicht  bei  Obliteration  der  Gallenblase.  Auch  bei 
direkter  Injektion  in  die  Leber  findet  ein  sofortiger  Übertritt 
der  Bazillen  ins  Blut  statt.  Diese  Art  der  Einspritzung  ist  der 
intravenösen  gleichzusetzen.  Eine  Reihe  Nebenbefunde  von 
lediglich  bakteriologischem  Interesse  sind  im  Original  nach¬ 
zulesen.  H.  G  r  ä  f  -  Hamburg. 


Medikamentöse  Therapie. 

Dr.  K.  Kolb,  Direktor  des  städt.  Krankenhauses  (Vereins- 
lazarettj  zu  Schwennigen  a.  N.  Über  Erfahrungen  bei  (1er 
Wundbehandlung  mit  einem  auf  das  Bindegewebe  einwirkenden 
Öle  mineralischen  'Ursprungs,  dem  „granulierenden  Wundöl 
KnolF1.  (Feldärztliche  Beilage  zur  Münch.  Med.  Wochenschr. 
19  5,  Nr.  25.) 

Die  Behandlung  frischer  Wunden  mit  stark  zerfetzter 
Wundfläche  mit  „granulierendem  Wundöl  Knoll“  fiel  schon 
nach  einigen  Tagen  auf,  dass  sich  die  Buchten  und  der  Grund 
der  Wunde  rasch  mit  äusserst  kräftigen  und  straffen  Granu¬ 
lationen  überzogen,  die  bald  die  ganze  Wunde  ausfüllten.  Die 
Überhäulung  dieser  Granulationen  ging  in  normaler  Weise  von¬ 
statten.  Dieser  günstige  Einfluss,  den  das  Präparat  auf  die 
Wundheilung  ausübte,  machte  sich  nicht  nur  bei  sauberen, 
frischen  Wunden,  sondern  auch  bei  stark  eiternden  oder  mit 
eitrigen  Borken  belegten  Wunden  geltend.  Die  eitrige  Sekretion 
nahm  im  Verlaufe  einiger  Tage  ständig  ab  und  bald  zeigten 
sich  schon  kräftige  Granulationen  an  einzelnen  Stellen  der 
Wundfläche,  die  den  ganzen  Wuudboden  bedeckten.  Die  Granu¬ 
lationen,  die  das  „granulierende  Wundöl  Knoll“  hervorrief, 
waren  besonders  kräftig  und  straff.  Die  Epithelialisierung  der 
Granulationen  verlief  wie  bei  der  gewöhnlichen,  unbeeinflussten 
Wundheilung.  Die  Narben  der  mit  dem  Präparat  behandelten 
Wunden  waren  meist  sehr  kräftig  und  breit  und  machten  vor¬ 
übergehend  oft  einen  keloidartigen  Eindruck. 

Autor  zog  aus  seinen  Erfahrungen  nachfolgende  Schlüsse: 
Die  Wundheilung  verlief  bei  Anwendung  des  Wundöls  rascher 
als  sonst.  Die  Granulationen  waren  straff  und  kräftig,  glasige, 
schlaffe  Granulationen  konnten  nicht  beobachtet  werden.  Während 
die  Granulationsbildung  rasch  und  reichlich  einsetzte,  war  ein 
nachteiliger  Einfluss  auf  die  Epithelialisierung  der  Granu¬ 
lationen  nicht  zu  bemerken.  N  e  u  m  a  n  n. 

Dr.  R.  W  erner,  Ludwigshafen  a.  Rh.  Über  Stoffe, 
die  das  Bindegewebswachstum  zu  beeinflussen  vermögen. 
(Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  133,  S.  354  — 3 GG.) 

In  der  chirurgischen  Klinik  Heidelberg  war  es  aufgefallen, 
dass  gewisse  Schmieröle  Stoffe  enthalten,  die  das  Bindegewebe 
zu  Wucherungen  anzuregen  vermögen.  Die  Firma  Knoll  &  Co., 
Ludwigshafen  a.  Rh.  hatte  sich  die  Klärung  dieser  Beobachtung 
zur  Aufgabe  gestellt  und  machte  eine  grosse  Zahl  von  Stoffen, 
die  mit  den  Schmierölen  in  irgendwelche  Beziehung  gebracht 
werden  konnte,  der  biologischen  Prüfung  im  Laboratorium  der 
Klinik  zugänglich. 

So  waren  daselbst  die  Paraffina  liquida  verschiedener 
Pharmakopoen,  das  Benzol,  das  Naphthalin,  das  Anthracen,  das 
Cymol,  die  verschiedensten  Terpene,  die  Haupt  Vertreter  der 
Phenole  und  Kreosote,  die  bekanntesten  Kampfer,  das  Pyridin, 
Piperidin,  Chinolin  und  Acridin  und  reine  Naphten säuren,  so¬ 
wie  Salze  dieser  letzteren  auf  ihre  Fähigkeit,  das  Wachstum 
des  Bindegewebes  zu  beeinflussen,  systematisch  geprüft  worden. 
Die  Paraffina  liquida  hatten  gar  nicht  gewirkt,  die  Terpene  zum 
Teil  auffallend,  die  Phenole  nur  in  geringem  Masse.  Die  Basen 


70 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  7 


und  Säuren  hatten  zum  Teil  zu  stark  gereizt.  Am  meisten 
schienen  ungesättigte  Gruppen  bei  der  Anregung  zu  Granu¬ 
lationen  mitzusprechen.  Es  waren  also  gewisse  disponierende 
Momente  ausfindig  gemacht  worden ,  aber  die  Wirkung 
eines  ausgesuchten  und  von  seinen  störenden  Begleitstoffen  be¬ 
freiten  Mineralöls  war  gleichwohl  durch  keinen  der  genannten 
Stoffe  erreicht  worden.  Auf  nicht  vorbehandelte  Mineralöle  des 
Handels  war  gar  kein  Verlass,  denn  selbst  vollkommen  harmlos 
erscheinende  Bezüge  hatten  grosse  Enttäuschungen  gebracht. 
Die  Art  und  Weise  der  Reinigung  beeinflusst  den  pharmako¬ 
logischen  Charakter  eines  Mineralöls  offenbar  ebenso  stark  wie 
sein  Ursprung.  Ein  von  allen  die  Wirkung  irgendwie  beein¬ 
trächtigenden  Begleitstoffen  ohne  Einbusse  an  therapeutisch 
wertvollen  Bestandteilen  befreites  Öl  wird  von  der  birma 
Kuoll  &  Co.  auf  den  Markt  gebracht.  Die  Überwachung  einer 
steten  Gleichwertigkeit  dieses  Präparates  hat  Herr  Priv.-Doz 
Dr.  med  Rost,  Heidelberg,  übernommen.  N  e  u  m  a  n  n. 

Bukovsky  u.  Fiala:  Syphilis  und  Arsenpräparate. 

(Casopis  lökaruo  öesk^ch.  1914,  Nr.  31.) 

Die  Autoren  versuchten  die  verschiedenen  Arsen präparate 
(Salvarsan,  Neosalvarsan,  Hectin,  Hectarpyose,  Eresol)  bei  rund 
1300  Fällen  und  bevorzugen  nunmehr  auf  Grund  ihrer  Er¬ 
fahrungen  das  Salvarsan.  Dasselbe  wird  in  Dosen  von  6,3 
bis  6,6  g  in  alkalischer  Lösung  (lb  cm  3  Wasser)  intramuskulär 
injiziert.  Dasselbe  stellt  keinen  Ersatz  der  konventionellen 
Behandlung  der  Syphilis  dar,  sondern  nur  eine  glückliche  Er¬ 
gänzung  der  alten  Behandlungsmethoden  Die  Sklerosen  heilen 
unter  Salvarsan  nicht  besser  als  unter  Quecksilber;  nur  die 
serpiginösen  Geschwüre  kommen  durch  Salvarsan  fast  sofort 
zum  Stillstand.  Die  Roseola  geht  unter  Quecksilber  rascher 
zurück,  dagegen  ist  die  Papulosa  gegen  Salvarsan  sehr  emp¬ 
findlich.  Die  besten  Resultate  erzielt  man  mit  Salvarsan  bei 
malignen  Formen,  bei  Spätformen  und  bei  Idiosynkrasie  gegen 
Quecksilber  und  Jod.  G.  Mühlstein  (Prag-) 


Allgemeines, 

Rubner,  Die  Volksküchen.  (Hyg.  Rundschau  0,  1915.) 

Unser  berühmter  Ernährungsphysiologe  und  Hygieniker 
stellt  in  sehr  interessanter  Weise  die  in  den  Berliner  Volksküchen 
zum  Verbrauch  kommenden  Eiweiss-  und  Kohlehydratmengen 
pro  Kopf  nebst  den  Kalorien  seit  1866  übersichtlich  zusammen. 
Der  relative  Eiweissverbrauch  mit  der  Nahrung  hat  sicli  seit 
1866  in  den  Berliner  Volksspeiseeinrichtungeu  vermindert;  dies 
rührt  nach  Kiskalt  vom  Rückgang  am  Konsum  von 
Leguminosen  her.  Auf  Einzelheiten  kann  hier  natürlich 
nicht  eingegangen  werden.  Interessenten  sei  die  sehr  anregende 
Originalarbeit  zum  Studium  empfohlen. 

R  a  t  n  e  r ,  Wiesbaden. 

Küster  und  G  ü  n  z  1  e  r:  Vergleichende  Versuche  über 
ungeziefertötende  Mittel.  (Hygienische  Rundschau  13,  1915.) 

Die  Frage,  ein  sicher  die  Ungezieferplage  besei 
tigendes  Mittel  zu  finden,  ist  unstreitig  brennend. 
Leiden  doch  die  Krieger  im  Felde  arg  darunter,  abgesehen  von 


der  grossen  Gefahr  der  Verbreitung  ansteckender 
Krankheiten  durch  Ungeziefer,  wie  Flecktyphus  durch 
Läuse,  wodurch  die  Bevölkerung  direkt  bedroht  werden  könnte! 
Die  Abtötung  durch  überhitzten  und  gespannten  Dampf  ist 
bereits  beim  Feldheer  eingeführt  worden,  speziell  zur  Entlausung 
von  Kleidungsstücken.  Allein  dies  setzt  die  Einrichtung  eines 
kostspieligen,  grossen  Apparats  voraus.  Deswegen  sind  vielfach 
in  den  mediz.  Zeitschriften  (Deutsche  Mediz.  Wochenschr., 
Münchener  Mediz  Wochenschr.  usw.)  Vorschläge  gemacht 
worden,  auf  einfachere  Weise  der  Läuseplage  Herr  zu  werden. 
So  von  Kiskalt  durch  Behandeln  mit  Schwefelkohlenstoff,  Dri- 
galski  empfiehlt  hierzu  Sublimatlösung  (l  prozent.).  Andere 
empfehlen  Formalin,  Salfarkase,  Formakosin,  Eucalyptusöl, 
Lausoform,  Epicid  usw.  Verfasser  haben  sich  nun  der  löb¬ 
lichen  Aufgabe  unterzogen,  die  zahlreich  empfohlenen  Unge¬ 
ziefervertilgungsmittel  durch  vergleichende  Versuche  auf  ihren 
vollen  Wert  zu  prüfen. 

Auf  Grund  ihrer  sorgfältigen,  zahlreichen  Versuche  stellten 
sie  zuerst  folgende  Anforderungen  an  ein  Läusevertilgungsmittel: 

1.  das  Läusevertilgungsmittel  muss  für  den  Menschen  un¬ 
giftig  und  nicht  feuergefährlich  sein; 

2.  muss  es  in  grösseren  Mengen  leicht  beschaffbar, 
billig  und  die  Anwendung  einfach  sein; 

3  muss  es  rasch  und  sicher  wirken  und  darf  nicht  all¬ 
zu  flüchtig  sein; 

4.  darf  es  Kleiderstoffe  weder  angreifen  noch 
beschmutzen 

In  vergleichenden  Tabellen  wurden  nach  obigen  Voraus¬ 
setzungen  zahlreiche  Resultate  der  Untersuchung  an  vielen 
Substanzen  zusammengestellt  Auf  Grund  einer  schliesslichen 
Bewertungstabelle  werden  Globol,  Trikresol  und 
Lausofan  als  die  besten  bezeichnet.  Ausführliches  über 
die  Zusammensetzung  dieser  Mittel  müssen  in  der  Originalarbeit 
nachgelesen  werden.  Jedenfalls  ist  diese  Untersuchung  sehr 
verdienstvoll  und  von  grosser  Tragweite. 

R  a  t  n  e  r,  Wiesbaden. 

Wesenberg,  Die  Trinknassersterilisation  mit  Chlor¬ 
kalk  im  Felde  (Hyg.  Rundschau  8,  1915). 

„Die  Beschaffung  einwandfreien  Trinkwassers  für  die  im 
Felde  stehenden  Truppen  ist  eine  der  wichtigsten  und  wohl 
auch  schwierigsten  Aufgaben!“ 

Die  sorgfältigen  nach  eigenem  Verfahren  angestellten 
bakteriologischen  Untersuchungen  des  Verfassers  haben  ergeben: 

Durch  Zusatz  von  Chlorkalk  in  einer  Menge,  die  0,15  g 
aktivem  Chlor  in  einem  Liter  Wasser  entspricht,  gelingt  es,  die 
als  Infektionsträger  in  Betracht  kommenden  Bakterien  innerhalb 
iO  Min.  sicher  abzutöten,  selbst  dann,  wenn  das  Wasser  so 
stark  verschmutzt  ist,  dass  es  unappetitlich,  wenn  nicht  gar  un- 
geniessbar  erscheint. 

Durch  Hinzufüguug  von  Orthizon  (eine  feste  Verbindung 
von  Wasserstoffsuperoxyd  mit  Carbamid)  wird  das  Wasser  von 
jeglichem  Beigeschmack  befreit. 

Ein  besonders  hierfür  konstruierter  Apparat¬ 
kasten  ist  von  Fried.  Bayer  &  Cie.  in  Leverkusen  hergestellt 
worden.  R  a  t  n  e  r ,  Wiesbaden. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang 


1915/16. 


Tomchrim  der  Medizin. 


Unter  miiwirkung  hervorragender  fadimänner 

herausgegeben  von 

L.  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

c.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  8 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7 


20.  Dezember 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Eine  neue  Methode  der  Epilepsiebehandlung. 

Von  Dr.  med.  W.  Münch,  Frankfurt  a.  M. 

Zu  der  Kategorie,  von  Krankheiten,  deren  Erforschung 
auch  heute  noch  der  medizinischen  Wissenschaft  grosse 
Schwierigkeiten  bereitet,  gehört  in  erster  Linie  die  Epi¬ 
lepsie.  Ist  auch  der  Krankheitsbegriff  „Epilepsie“  ähnlich 
dem  des  Rheumatismus  in  der  Neuzeit  ein  genauer 
fixierter  geworden,  so  bietet  doch  die  sogenannte  „genuine“ 
Epilepsie,  auf  deren  Behandlung  sich  meine  neuen  Heil¬ 
versuche  erstrecken,  noch  recht  viel  Rätselhaftes. 

Die  F  orm,  in  der  die  genuine  Epilepsie  in  die  Er¬ 
scheinung  tritt,  kann  bekanntlich  eine  recht  vielseitige, 
wechselnde  sein.  Gerade  die  in  bestimmten  Intervallen 
auftretenden  Anfälle  bei  einer  Anzahl  Epileptiker  haben 
eine  gewisse,  wenn  auch  vielleicht  nur  äussere  Ähnlich¬ 
keit  mit  denjenigen  bei  der  harnsauren  Diathese.  Bei 
beiden  Krankheiten  kommt  es  zu  regelmässig  erfolgenden 
„Entladungen“.  Der  Arthritiker  leidet  an  einer  Harn¬ 
säureintoxikation  und  entledigt  sich  der  Harnsäure  aus 
dem  Blute  durch  Abscheidung  in  die  Gelenke  usw.,  der 
Epileptiker  steht  unter  der  Einwirkung  von  noch  un¬ 
bekannten  Stoffwechselprodukten,  die  durch  die  starke 
Muskelaktion  im  Anfall  verbrannt  werden  dürften.  Ich 
fasse  die  Entladung  als  eine  Art  Notventil  des  Körpers 
auf.  Die  Kranken  fühlen  sich  bei  beiden  Krankheiten 
im  Intervall  im  allgemeinen  wohl.  Plötzlich  setzt  — 
oft  völlig  unerwartet  der  — .  Anfall  ein.  Manche  Arthritiker 
haben  gewisse  Vorboten,  die  die  nahende  Explosion  an¬ 
kündigen,  aber  auch  bei  vielen  Epileptikern  ist  dies  der 
Fall,  man  denke  nur  an  die  „Aura“.  Diese  Ähnlichkeit 
bei  beiden  Krankheitsbildern  brachte  mich  auf  den  Ge¬ 
danken,  bei  Epilepsie  ein  Mittel  zu  versuchen,  das  sich 
nach  den  Beobachtungen  V  olkmars  und  anderer  Ärzte 
gegen  die  Erscheinungen  der  harnsauren  Diathese  be¬ 
währt  hat.  Ich  will  nicht  auf  die  Erklärungen  Volk¬ 
mars  eingehn,  die  er  zur  Begründung  der  Heilwirkung 
des  Formaldehyd  -  Natriumbisülfit  gegeben  hat.  Der 
therapeutische  Effekt  ist  jedenfalls  in  einer  Anzahl  Fälle 
nicht  zu  bestreiten.  Ich  stellte  mir  vor,  dass  durch  täg¬ 
liche,  längere  Zeit  durchgeführte  Injektionen  der  10  proz. 
Lösung  von  Formaldehydnatriumbisulfit  die  im  Blute 
zirkulierenden  toxischen  Produkte  gebunden  würden. 
Der  Erfolg  der  Behandlung  schien  meiner  Auffassung 
Recht  zu  geben.  Bei  dem  ersten  Epileptiker,  den  ich 
behandelte,  hörten  nach  mehrwöchiger  Injektionskur  die 
nächtlichen  Anfälle  ganz  auf.  Heilte  fühlt  sich  Patient 
vollkommen  wohl  und  munter.  Bemerken  möchte  ich, 
dass  ich  in  diesem  Falle  zuvor  vergeblich  mit  allen  er¬ 
denklichen  Mitteln  Versuche  gemacht  hatte.  Bei  einer 


in  der  Mitte  der  20  er  Jahre  stehenden  Epileptika,  die 
schon  seit  mehreren  Jahren  äusserst  heftige,  jeden  Freitag 
auftretende  Anfälle  mit  Zungenbiss,  Bewusstseinsver¬ 
lust  usw.  hatte,  blieben  die  Erscheinungen  nach  etwa 
14  Tagen  bis  3  Wochen  vollständig  weg,  um  bis  heute 
nicht  wiederzukommen.  Ähnlich  gings  bei  einem  Kranken 
Ende  der  20  er.  Bei  verschiedenen  Patienten  traten  nach 
Beseitigung  der  Attacken  Ausfallserscheinungen  wie  Kopf¬ 
weh,  Müdigkeit  usw.  auf,  jedoch  nicht  in  dem  Grade, 
wie  es  Binswanger  von  Patienten  angibt,  vornehm¬ 
lich  solchen  mit  serienweisen  Anfällen,  bei  denen  nach 
Beseitigung  der  Attacken  durch  Brom  die  inter- 
paroxistischen  Krankheitserscheinungen  mit  vermehrter 
Macht  auftraten  (Kopfdruck,  Angstgefühl,  neuralgiforme 
Beschwerden).  Die  mit  Brom  behandelten  Patienten 
sehnen  Entladungen  geradezu  herbei,  weil  sie  dann  in 
der  Zwischenzeit  freier  uiid  gesunder  seien.  Ich  habe 
bis  jetzt  etwa  10  Epileptiker  mit  durchweg  gutem  Er¬ 
folg  injiziert.  Ausser  den  Formaldehyd-Natriumbisulfit- 
injektionen  liess  ich  3  mal  täglich  Kapseln  aus  Methylen¬ 
blau  medicinale  und  Zinkum  valerlänicum  einnehmen, 
um  die  sogenannte  „epileptische  Veränderung“  der  mo¬ 
torischen  Grosshirnrinde,  deren  Wesen  in  einer  Über¬ 
empfindlichkeit  mit  der  Neigung^u  „Entladungen“  be¬ 
stehen  soll,  zu  beeinflussen.  Bisweilen  tritt  nach  der  Ein¬ 
nahme  der  Kapseln  Brennen  in  der  Harnröhre  auf,  das 
meist  bald  von  selbst  verschwindet.  Eventuell  nimmt 
man  etwas  Muskatnuss  Dies  neue  Mittel  wird  von  der 
Engelapotheke  zu  Frankfurt  a.  M.  unter  der  Bezeichnung 
„Antiepileptikum  Dr.  Münch“  in  den  Handel  gebracht. 
Die  Injektionen  erfolgen  mehrere  Wochen  lang  täglich 
zu  5  bis  10  ccm.  Spritzt  man  nur  5  ccm  ein,  so  kann 
man  ein  steriles  Gummikäppchen  über  den  Hals  der 
Ampulle  ziehen.  Es  wird  nur  intravenös  eingespritzt. 
Die  Technik  ist  sehr  einfach  und  leicht  ambulant  aus¬ 
zuführen.  Man  staut  eine  Vene  am  Arm  durch  Anlegen 
eines  Gummischlauches  und  sticht  eine  feine  Rekord¬ 
kanüle  im  spitzen  Winkel  ein,  lässt  einige  Tropfen  Blut 
ablaufen  und  setzt  nach  Abnahme  des  Schlauches  die 
gefüllte  Spritze  auf.  Vor  und  nach  Gebrauch  wird  die 
Spritze  mit  1  proz.  Karbolwasser  gereinigt.  Die  Haut¬ 
partie  an  der  Einstechstelle  wird  nur  mit  Brennspiritus 
abgerieben.  Ein  Verband  ist  unnötig. 

Die  intravenöse  Einverleibung  macht,  wie  schon 
Volkmar  hervorhebt,  nicht  die  geringsten  Neben-  oder 
Folgeerscheinungen.  Sogar  nicht  einmal  die  geringste 
Hautreizung  ist  an  der  Einspritzungsstelle  zu  beobachten. 
Bisweilen  tritt  rasch  vorübergehendes  Frösteln,  manch¬ 
mal  auch  Schüttelfrost  und  Müdigkeit  zu  Anfang  der 
Behandlung  auf.  Weder  von  Volkmar  noch  von  mir 


71 


Fortschritte  der  medizin. 


Nr.  8. 


wurden  je  schädliche  Folgen  beobachtet,  trotzdem  ich 
selbst  etwa  2000  Injektionen  bei  harnsaurer  Diathese 
gemacht  habe.  Ausserdem  machte  ich  mir  selbst  ohne 
Schaden  wiederholt  Injektionen.  Deshalb  halte  ich  Ver¬ 
suche  mit  dem  Mittel  bei  einer  so  therapeutisch  unzu¬ 
gänglichen  Krankheit  wie  der  genuinen  Epilepsie  für 
unbedingt  gerechtfertigt.  Hier  kann  nicht  die  Theorie 
entscheiden,  sondern  allein  der  praktische  Erfolg.  Auch 
Tierversuche,  die  Volkmar,  Rost  und  Franz 
anstellten,  ergaben  die  absolute  Unschädlichkeit  des 
Formaldehydnatriumbisulfit.  Es  reagiert  gemäss  seiner 
Zusammensetzung  schwach  sauer.  Die  Komplex¬ 
abspaltung  vollzieht  sich  nicht  stürmisch,  sondern  sukzes¬ 
sive.  Wichtig  ist  natürlich,  dass  das  Salz  vollkommen 
chemisch  rein  ist.  Ich  habe  in  Gemeinschaft  mit  einem 
Vetter,  der  Chemiker  ist,  ein  eignes  Verfahren  aus¬ 
gearbeitet  Kochsalzzusatz  wurde  vermieden,  um  die 
Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes  herabzusetzen.  Es  sollen 
bekanntlich  HämophiU,  die  eine  äusserst  geringe  Ge¬ 
rinnungsfähigkeit  des  Biutes  aufweisen,  niemals  an  Epi¬ 
lepsie  erkranken. 

Der  erste  Forscher,  der  auf  Grund  seiner  Experi¬ 
mente  die  „gfenuine“  Epilepsie  nicht  als  ein  reine  ner¬ 
vöse  Krankheit,  sondern  als  eine  Stoffwechselanomalie 
auffasste,  war  K  r  a  i  n  s  k  y.  Nach  diesem  Autor  hat 
die  genuine  Epilepsie  ihren  Grund  in  einer  Verunreinigung 
durch  irgend  ein  Produkt  der  Metamorphose.  Das 
pathologische  Produkt  des  Stoffwechsels,  das  den  epi¬ 
leptischen  Anfall  bedingt  und  durch  diesen  wieder  zer¬ 
stört  wird,  wurde  auf  verschiedenen  Wegen  zu  ergründen 
gesucht.  K.  injizierte  2  ccm  defibrinierten  Blutes,  das 
er  einem  Kranken  während  des  Status  epileptikus  ent¬ 
nommen  hatte,  einem  Kaninchen  subkutan.  2 — 3Minuten 
später  erfolgte  ein  typischer,  epileptischer  Anfall.  Kon- 
trolluntersuchungen  mit  dem  in  den  anfallsfreien  Zeiten 
entnommenen  Blute  ergaben  keine  toxischen  (krampf¬ 
erregenden)  Wirkungen.  Auch  das  Blut,  das  einem 
Epileptiker  in  der  Periode  des  dem  Anfall  vorausgehenden, 
schweren  epileptischen  Zustandes  entnommen  wurde,  rief 
Paralyse  mit  periodisch  wiederkehrenden  Anfällen  hervor. 
Nach  den  Anfällen  liess  sich  diese  Bluttoxität  nicht  oder 
nur  unsicher  feststellen.  Das  in  der  Anfallszeit  ent¬ 
nommene  Blut  besitzt  anscheinend  die  Eigenschaft,  in 
dem  Organismus  deS  Kaninchens,  dem  es  injiziert  wurde, 
eine  periodische  Produktion  desselben  Giftes  hervorzu¬ 
rufen,  das  in  dem  ei-ftgeführten  Blut  enthalten  ist.  Er 
fand,  dass  im  Epileptikerblut  Karbaminsäure  und  Am¬ 
moniak  in  gesteigerten  Mengen  vorhanden  ist.  Das 
Wesen  der  Epilepsie  besteht  nach  seiner  Ansicht  in  einer 
periodischen  Bildung  des  karbaminsauren  Ammoniums 
im  Organismus;  dieser  Stoff  ruft  die  Anfälle  hervor  und 
zerfällt  während  derselben  in  Harnstoff  und  Wasser. 
Kauf  f  mann  stellte  die  Theorie  der  toxischen 
Epilepsie  auf.  Binswanger  neigt  zu  der  Ansicht, 
dass  die  Anhäufung  bestimmter,  giftig  wirkender  Sub¬ 
stanzen  im  Blute  während  der  epileptischen  Ladung  eine 
Folge  der  durch  pathologische  Nervenreize  veränderten 
Arbeitsleistung  der  Zentralnervenzellen  ist,  während  durch 
die  Entladung  eine  Entfernung  dieser  Toxine  stattfindet. 
Nach  seiner  Auffassung  ist  gerade  im  Hinblick  auf  die 
Verschiedenheit  der  Versuchsergebnisse  der  Schluss  nahe¬ 
liegend,  dass  nur  eine  Gruppe  von  Epileptikern  mit  diesen 
Stoffwechselstörungen  behaftet  ist. 

Die  Diagnose  der  Epilepsie  im  allgemeinen  lässt 
sich  meist  schon  aus  einem  Anfall  stellen  ;  indessen  darf 
man  sich  damit  nicht  begnügen.  Erst  wenn  wiederholte 
typische  Anfälle  aufgetreten  sind,  geht  man  einiger- 
massen  sicher.  Am  schwierigsten  sind  die  Formen  des 
„petit  mal“  zu  erkennen  und  zu  beurteilen.  Vor  allem 
muss  man  die  sogenannten  epileptiformen  Anfälle,  die 
bei  anderen  Krankheiten  symptomatisch  auftreten,  mit 
Sicherheit  ausschliessen.  Krämpfe  können  das  erste 


Zeichen  einer  Gehirngeschwulst  sein  und  dürfen  dann 
nicht  mit  dem  Namen  ,, epileptisch“  belegt  werden.  Als 
organisch  bedingt  ist  am  bekanntesten  die  jaksonsche 
Rindenepilepsie,  bei  der  gewöhnlich  grob  anatomische 
Veränderungen  an  der  Gehirnoberfläche  zu  finden  sind. 
Die  Krämpfe  befallen  meist  ganz  umschriebene  Muskel¬ 
gruppen  und  gehen  ohne  Bewusstseinsstörung  einher. 
Als  ,,R  eflexepilepsie“  wird  eine  Gruppe  zu¬ 
sammengefasst,  bei  der  sich  nachweisbare  Ursachen  an 
der  Körperoberfläche  oder  im  Körper  selbst  finden  z.  B. 
Narben  der  Haut,  Phimose  usw.  An  alle  diese  Formen 
muss  man  bei  der  Diagnosenstellung  denken.  Meine 
Methode  bezieht  sich,  wie  schon  erwähnt,  nur  auf  das 
Krankheitsbild  der  ., genuinen“  Epilepsie. 


Erwägungen  über  den  „Beitrag1)  zur  Kenntnis 
der  echten  Typhlitis  (und  Perityphlitis)  in  der 
Schwangerschaft“  von  Rud.  Th.  Jaschke. 

Von  Dr.  Emil  Ekstein.  Teplitz-Schönau. 

Die  gegenüber  dem  Kliniker  ungleich  höhere  Ver¬ 
antwortung  des  Praktikers  veranlasst  Letzteren  sich  oft 
sehr  eingehend  mit  klinischer  Kasuistik  zu  beschäftigen, 
nachdem  speziell  für  die  operative  Geburtshilfe  und  Gynä¬ 
kologie  des  Praktikers  der  Ausspruch  „probieren  geht 
überstudieren“  aus  oben  genanntem  Grunde  wenig  Gel¬ 
tung  besitzen  kann  und  soll. 

Unsere  Kliniken  sind  mit  grossem  Erfolge  gewisser- 
massen  Versuchsstationen  für  neue  Operationsmethoden 
geworden,  welche  erst  nach  gründlicher  Erprobung,  auch 
Eigentum  der  Praktiker,  soweit  dies  eben  möglich  ist, 
werden,  beziehungsweise  werden  sollen. 

In  unserer  rasch  lebenden  Zeit  sind  klinische  Ope¬ 
rationsmethoden  rapid  erstanden,  viel  gepriesen,  aber 
auch  rapid  wieder  von  der  wissenschaftlichen  Bildfläche 
verschwunden.  Wer  den  Werdegang  unserer  operativen 
Gynäkologie  in  den  letzten  20  Jahren  verfolgt  hat,  wird 
von  dieser  oft  ephemären  „in  Erscheinung  treten“  einer 
ganzen  Reihe  von  Operationsmethoden  Kenntnis  besitzen. 

Der  gynäkologische  geburtshilfliche  Praktiker  mit 
chirurgischer  Vor-  und  Ausbildung  musste  demzufolge 
mit  der  Zeit  zur  Erkenntnis  kommen,  sich  gegenüber 
klinischen  Neuerungen  etwas  reserviert  zu  verhalten  und 
entsprechend  dem  Quod  licet  —  im  eigensten  und  Inter¬ 
esse  seiner  Klientel  einen  gewissen  durch  eigene,  gute 
Erfahrungen  wohlfundierten  Konservatismus  bewahren. 

Klinische  Kasuistik  bis  in  alle  Einzelheiten  ist  für 
den  Praktiker  daher  ausserordentlich  lehrreich,  wenn 
demselben  eben  seine  Praxis  das  häufige  Aufsuchen  der 
Klinik  allmählich  unterbindet.  Der  von  Jaschke 
veröffentlichte  Fall  von  echter  Typhlitis  (und  Perityphlitis) 
in  der  Schwangerschaft  bietet  in  verschiedener  Richtung 
gerade  für  den  Praktiker  so  viel  Interessantes,  dass  es 
—  die  Autorität  Jaschke’s  hoch  in  Ehren  —  nicht 
ejne  Kritik  bedeuten  soll,  wenn  ich  auf  Grund  meiner 
Erfahrungen  als  Praktiker  für  die  Praxis  diesen  Fall  ent¬ 
sprechend  zu  erwägen  versuchen  will. 

Eine  Ipara,  3  Wochen  ante  terminum,  Schädellage, 
wird  am  4.  Juli  der  Klinik  überwiesen,  nachdem  am 
2.  Juli  ohne  bestimmte  lokale  Beschwerden  nachmittags 
Temperatursteigerungen  bis  über  38°  eingetreten  waren. 
Am  3.  Juli  morgensTemperaturabfall,  Wohlbefinden, abends 
39°.  Vor  2  Jahren  hatte  die  Frau  mehrere  Anfälle  von 
Blinddarmreizung  durchgemacht. 

Bei  der  Aufnahme  in  die  Klinik  39,6  T.  104  P., 
zwei  Stunden  später  38°  T.  100  P.  Diagnose:  akute 
Appendizitis  mit  Vorbehalt.  1 1/8  Stunden  später  Ope¬ 
ration,  Flankenschnitt,  wobei  dünner  Eiter  im  Strom  ent¬ 
leert  wird,  Gazetamponade  Hierauf  Umlagerung  zur 


9  Zentralblatt  f.  Gyn.  39.  Jahrg.  Nr.  37,  vom  11.  Okt.  1915. 


Nr.  8. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


78 


Entbindung  durch  Hysterotomia  anterior  mit  nachfolgen¬ 
der  Wendung  und  Extraktion  des  kurz  ante  Operationen! 
abgestorbenen  Kindes. 

Nach  Vollendung  des  vaginalen  Kaiserschnittes 
wiederum  Umlegung  zur  Fortsetzung  der  primären 
Laparotomie,  wobei  durch  Erweiterung  des  Schnittes 
lediglich  die  Perforation  des  Appendix  ausgeschlossen 
und  die  Konstatierung  der  Typhlitis  erreicht  wird,  Zeichen 
einer  Peritonitis  über  das  Erkrankungsgebiet  hinaus 
nirgends  gefunden  wurden.  Ein  Esslöffel  voll  Eiter  wird 
im  Douglas  gefunden,  welcher  erst  bei  der  Entleerung 
des  Uterus  dahin  abgeflossen  ist,  was  vermutlich  durch 
Wegnahme  der  einen  Teil  der  medianen  Abszesswand 
bildenden  Partien  von  Ligamentum  latum  mit  den  Adnexen 
geschah.  Der  freie  Rand  des  rechten  Ovariums  ist  mit 
Eiterflocken  bedeckt,  das  rechte,  ganz  offene  abdominelle 
Tubenende  hochrot,  geschwellt. 

Nach  dieser  Revision  wird  das  Erkrankungsgebiet 
von  der  übrigen  Bauchhöhle  durch  Gazeservietten  abge¬ 
kammert.  Der  Verlauf  war  am  2.  Tage  bei  38,2  T.  und 
Puls  124—136  am  3.  Tage  bei  38,4—39°  T.  und  P.  140 
bis  160,  Erbrechen  und  Singult  us  der  einer  dif¬ 
fusen  Peritonitis,  welcher  die  Frau  am  4.  Tage  erlag. 

Bei  der  relativen  Seltenheit  der  eitrigen  Typhlitis 
bei  Graviität  war  aus  den  Darlegungen  Jaschke’s 
in  bezug  auf  Therapie  und  konsequenten  Verlauf  von 
vornherein  zu  erwarten,  dass  der  Fall  letal  enden  musste 
und  eine  diffuse  Peritonitis  unaufhaltsam  gewesen  ist. 
Aus  diesem  Grunde  kann  man  wohl  in  Erwägung  ziehen, 
ob  die  diffuse  eitrige  Peritonitis  zu  verhindern  gewesen 
wäre,  ob  und  inwieweit  der  vaginale  Kaiserschnitt  an  der 
Entstehung  derselben  beteiligt  war,  ferner  ob  überhaupt 
unter  den  geschilderten  Umständen  ein  vaginaler  Kaiser¬ 
schnitt  in  der  Folge  auszuführen  empfehlenswert  erscheint. 

In  Rücksicht  auf  das  Fehlen  stürmischer  peritonealer 
Erscheinungen  im  ganzen  Krankheitsbilde  und  selbst  bei 
der  kurzen  klinischen  Beobachtungszeit  des  Falles  er¬ 
scheint  die  Vornahme  der  Laparotomie  mittels  Flanken¬ 
schnitts  dennoch  vollständig  gerechtfertigt,  umsomehr 
als  durch  den  erzielten  Effekt,  Entleerung  des  dünnen 
Eiters  im  Strom,  der  beste  Beweis  für  die  Indikation 
dieses  Eingriffes  erbracht  wurde. 

Wäre  die  Pat.  nicht  gravid  gewesen,  so  wäre  durch 
diesen  Eingriff,  die  Gazedrainage  nicht  zu  vergessen, 
der  Fall  wohl  erledigt  gewesen. 

Die  Pat.  war  aber  gravid,  3  Wochen  ante  terminum, 
aber  nicht  kreissend. 

Nun  ist  es  wohl  jedem  Operateur,  welcher  sich 
speziell  mit  Adnexoperationen  beschäftigt,  zur  Genüge 
bekannt,  wie  tolerant  das  intakte  Peritoneum  gegen 
Eiter  oder  infektiöse  Mikroorganismen  sich  verhält,  wie 
wenig  tolerant  aber  dasselbe  sich  verhält,  wenn  dasselbe 
in  seiner  Kontinuität  gestört  ist. 

Die  foudroyant  verlaufende  diffuse  Peritonitis, 
welche  geradezu  typisch  am  3.  Tage  zum  Exitus  führt, 
ist  bei  Exstirpationen  von  Adnexen  mit  schweren  Ver¬ 
wachsungen  aus  der  Zeit,  wo  diese  Tumoren  wahllos 
operativ  angegangen  wurden  ebenso  bekannt  und  stets 
durch  die  Propagation  schwerer  Infektionserreger, 
gleichviel  ob  diese  Tumoren  intakt  oder  geplatzt  ex - 
stirpiert  wurden,  durch  die  oft  vielfachen  Verletzungen  des 
Peritoneums  erklärt  worden.  Der  Konservatismus  in  der 
Therapie  dieser  Adnextumoren,  welcher  in  den  letzten 
Jahren  Platz  gegriffen  hat,  spricht  diesbezüglich  eine 
deutliche  Sprache. 

Schliesslich  und  nicht  zuletzt  ist  das  Abbauvermögen 
des  Peritoneums  gegenüber  chronisch  entzündlicher 
Produkte  (Bauchfelltuberkulose)  als  Heilfaktor  ebenso 
bekannt,  wie  die  gewaltige  Tendenz  desselben,  bei  akuten 
eitrigen  Prozessen  vor  und  nach  Entleerung  des  Eiters 
die  spontane  Abkammerung  des  Eiterherdes  gegen  die 
freie  Bauchhöhle  in  verhältnismässig  kurzer  Zeit  zu 


schaffen,  eine  typisch  in  Erscheinung  tretende  Eigen¬ 
schaft,  welcher  durch  Zuwarten  von  aussen  die  nötige 
Zeit  gelassen  werden  muss.  Von  verschiedenen  hier  ge¬ 
schilderten  Standpunkten  erscheint  die  Möglichkeit  ins 
Auge  gefasst  werden  zu  können,  dass  durch  den  vaginalen 
Kaiserschnitt  drei  Wochen  ante  terminum,  der  diffusen 
tödlich  verlaufenen  Peritonitis  zum  mindesten  ein  Vor¬ 
schub  geleistet  worden  zu  sein  scheint  und  zwar  aus 
folgenden  Gründen:  Durch  die  rapide  Entleerung  und 
dadurch  unverhältnismässige  Verkleinerung  des  Uterus 
wurde,  wie  der  Befund  der  Laparotomie  erwies,  infolge 
Umgruppierung  der  Bauchorgane  die  bereits  spontan 
erfolgte  Abkammerung  des  Peritoneums  nicht  nur  ge¬ 
stört,  sondern  zerstört,  so  dass  ein  Esslöffel  voll  Eiter 
in  den  Douglas  abfliessen  konnte  und  daselbst  eben  ver¬ 
schmiert  wurde. 

Die  Eröffnung  der  Eiterhöhle  zur  Entleerung  des 
manifest  hochgradig  virulenten  Eiters  mit  nachfolgender 
Gazedrainage  muss  zur  Kategorie  der  unreinen  Ope¬ 
rationen  gezählt  werden  und  die  hierdurch  frei  ge¬ 
wordenen  virulenten  Keime  konnten  erfahrungsgemäss 
unter  gar  keinen  Umständen  die  für  einen  vaginalen 
Kaiserschnitt  unbedingt  vorauszusetzende  Asepsis  garan¬ 
tieren  lassen. 

Diese  beiden  hier  angeführten  Tatsachen  rechtfertigen 
die  Erwägung,  dass  ein  abwartendes  Verfahren  in  bezug 
auf  die  Entbindung  der  Frau,  selbst  bei  abgestorbenem 
Kinde,  eine  Abkammerung  des  Eiterherdes  mit  Bestimmt¬ 
heit  hatte  zustande  kommen  lassen,  ohne  dass  damit  die 
Prognose  verschlechtert  worden  wäre.  Da  aber  der 
entleerte  Eiter  manifest  virulent  war,  so  wäre  auch  bei 
Zuwarten  mit  der  Uterusentleerung  die  Gefahr  einer 
diffusen  Peritonitis  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  vermeiden 
gewesen. 

„Die  Sterblichkeit  des  Zögerns“  nach  Babler  bei 
der  Appendizitis  lässt  auf  den  vorliegenden  Fall  wohl 
keinen  so  vollkommenen  Schluss  zu,  nachdem  bei  der 
Appendizitis,  insbesondere  nach  erfolgter  Perforation  des 
Appendix,  infolge  des  verhältnismässig  raschen  Verlaufes 
der  Eiter  sich  in  die  freie  Bauchhöhle  ergiesst,  ohne  dass 
es  in  dieser  kurzen  Zeit  zu  einer  Abkammerung  des  Eiter¬ 
herdes  kommen  kann.  Bei  solch  stürmischen  Verlauf 
kann  das  Zögern  des  Arztes  oder  Patienten  verhängnis¬ 
voll  werden.  Zeichen  eines  stürmischen  Verlaufs  fehlten 
in  dem  vorliegendem  Falle  von  Typhlitis  suppurativa 
insbesondere  von  Seite  des  Peritoneums  und  es  wäre  nach 
dem  Befund  zu  schliessen,  die  Gefahr  der  Verbreitung 
des  Eiters  in  die  freie  Bauchhöhle  bei  noch  früherer 
Eiterentleerung  und  vaginalem  Kaiserschnitt  mangels 
Verwachsungen  noch  grösser  gewesen.  Der  von  Ja  s  chk  e 
zitierte  Fall  von  E.  Opitz  (Zeitschrift  f.  Geb.  u.  Gyn. 
1913)  unterscheidet  sich  wesentlich  von  dem  hier  vor¬ 
liegendem,  indem  es  sich  dort  um  eine  Kreissende 
handelt,  welche  im  7. — 8.  Monat  der  Schwangerschaft 
mit  Blinddarmentzündung  der  Klinik  zugeführt  wurde. 
Hier  wurde  im  Sinne  unserer  Asepsis  der  vaginale 
Kaiserschnitt  zuerst  vorgenommen  und  hierauf  erst  die 
Eiterentleerung  durch  Laparotomie.  Fieberfreier  \  erlauf 
und  Heilung.  Ob  der  prinzipielle  Standpunkt  von  Opitz 
für  die  Vornahme  des  vaginalen  Kaiserschnittes  in  solchen 
Fällen  überhaupt  gerechtfertigt  und  ob  das  Abwarten 
einer  spontanen  Entbindung  nicht  auch  zum  Ziele  führen 
würde,  dürfte  nach  meinen  Erwägungen  nicht  so  ganz 
von  der  Hand  zu  weisen  sein.  Auf  alle  Fälle  muss  der 
durch  eine  vaginale  Entbindung  zustande  kommenden 
Umgruppierung  der  Bauchorgane  eine  causa  movens 
für  die  Entstehung  einer  diffusen  Peritonitis  mit  in  Be¬ 
tracht  gezogen  werden. 

J  a  s  c  h  k  e  müssen  wir  es  sehr  danken,  dass  er 
in  so  eingehender  sachlicher  Weise  diesen  hall  der 
Oeffentlichkeit  übergibt,  welcher  für  das  Vorgehen  des 
j  Praktikers  Belehrung  und  Anregung  bietet. 


74 


Nr.  8. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Zwei  Unfälle  bei  einem  Tuberkulösen,  von  denen 
der  zweite  mit  dem  Tode  in  Zusammenhang 

gebracht  wird. 

Von  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  B.  Riedel-  Berlin. 

Der  39jährige  Werkmeister  B.  wollte  am  10.  Juli  1911 
einen  80  Kilo  schweren  Zylinder  auf  eine  Drehbank  heben 
und  will  gleich  an  demselben  Abend  etwas  Blut  im  Aus¬ 
wurf  zu  wiederholten  Maien  bemerkt  haben.  Am  19.  Juli 
erfolgte  eine  heftige  Lungenblutung  und  es  wurde  zum 
ersten  Male  ein  Arzt  zugezogen.  Die  Blutung  wieder¬ 
holte  sich  und  stand  nach  10  Tagen.  Eine  nachweisbare 
Lungenerkrankung  konnte  nicht  festgestellt  werden.  Nach 
fünfwöchentlichem  Krankenlager  erholte  sich  der  Patient, 
so  dass  er  seinen  Dienst  teilweise  wieder  aufnehmen 
konnte.  Am  18.  September  traf  ihn  ein  zweiter  Unfall. 
Er  sprang  von  einer  Leiter,  die  an  einen  umstürzenden 
Mast  gelehnt  war,  ungefähr  6  Meter  hoch  herab,  zog 
sich  eine  Verstauchung  des  rechten  Fussgelenks  und 
starke  Erschütterung  des  ganzen  Körpers  zu  und  musste 
das  Bett  hüten.  Nach  einigen  Tagen  wieder  Lungen- 
bluten;  dann  Abnahme  der  Kräfte  und  Husten;  schliess¬ 
lich  Mitte  Dezember  1911  Kopfschmerzen,  Nackenstarre, 
Zuckungen,  Irrereden,  Bewusstlosigkeit  und  am  5.  Januar 
1912  Exitus.  Die  physikalischen  Erscheinungen  waren 
gering  gewesen;  rechts  glaubte  man  eine  schwache 
Schallverkürzung  nachweisen  zu  können.  Die  Sektion 
ergab  in  der  linken  Lungenspitze  mehrere  alte,  kirschen¬ 
grosse,  abgekapselte  und  verkalkte  Tuberkelknoten,  da¬ 
neben  3  hirsekorngrosse,  frische  Herde.  Rechts  einige 
Verwachsungen,  ebenfalls  alte  Herde,  daneben  zahlreiche 
Gruppen  von  miliaren,  grauen  Knötchen;  ausserdem  die 
Zeichen  tuberkulöser  Hirnhautentzündung.  Das  Gut¬ 
achten  brachte  die  Lungenblutungen  mit  dem  ersten 
Unfall  in  Zusammenhang,  der  auch  die  alte  Tuberkulose 
zum  Auftlackern  gebracht  hätte.  Der  zweite  Unfall  hätte 
eine  weitere  Verschlimmerung  hervorgerufen,  die  Er¬ 
schütterung  Lungenblutungen  verursacht  und  die  Weiter¬ 
entwicklung  zur  Hirnhauttuberkulose  und  den  Tod  be¬ 
günstigt.  Ein  Gegengutachten  leugnet  jeden  Zusammen¬ 
hang  zwischen  Unfällen  und  Tod;  betonte  das  späte 


Auftreten  der  ersten  Lungenblutung  und  auch  die  spät 
einsetzende  Hirnhautentzündung,  zu  der  es  voraussicht¬ 
lich  auch  ohne  Unfall  gekommen  wäre.  Anspruch  auf  Hin¬ 
terbliebenenrente  und  Sterbegeld  wurde  zurückgewiesen, 
nur  wegen  der  Fuss Verstauchung  eine  40proz.  Erwerbs¬ 
beschränkung  angenommen  Das  vom  Schiedsgericht, 
an  das  Berufung  eingelegt  ist,  eingeforderte  Obergut¬ 
achten  verneint  den  Zusammenhang  zwischen  Unfällen 
und  Ilirnhauttuberkulose.  Die  Kontinuität  der  Ver¬ 
schlimmerung  wird  vermisst.  Eine  Lungenblutung,  die 
ausgeheilt  ist  und  keine  dauernde  Verschlechterung  des 
ganzen  Krankheitsbildes  hervorruft,  kann  nicht  drei 
Monate  nachher  für  den  Eintritt  einer  miliaren  Tuber¬ 
kulose  herangezogen  werden.  Das  Schiedsgericht  sondert 
die  beiden  Unfälle  und  billigt  der  Witwe  aus  dem  ersten 
keine  Rentenansprüche  zu.  Solche  kommen  erst  13 
Wochen  nach  einem  Unfall  in  Frage.  Innerhalb  dieser 
Karenzzeit  hat  sich  jedoch  B.  auf  dem  Wege  der 
Besserung  befunden  und  seine  Tätigkeit  zum  Teil  wieder 
aufgenommen,  sich  auch  der  zweite  Unfall  ereignet. 
Aus  diesem  billigt  das  Schiedsgericht  der  Witwe  Rente  usw. 
zu.  Bei  den  sich  widersprechenden  Gutachten  trat  es 
dem  des  behandelnden  Arztes  bei  und  stellte  sich  auf 
den  Standpunkt,  dass  der  zweite  Unfall  durch  die  in 
keinem  Gutachten  widerlegte  Erschütterung  des  Körpers 
die  kaum  ausgeheilte  Lungenblutung  hervorgerufen,  da¬ 
durch  die  Weiterverbreitung  der  Tuberkulose  begünstigt 
und  damit  indirekt  den  Eintritt  des  Todes  verursacht  habe. 

Der  gegen  den  Bescheid  des  Schiedsgerichts  beim 
Reichsversicherungsamt  eingelegte  Rekurs  wurde  zurück¬ 
gewiesen.  Das  Gutachten  weist  die  Möglichkeit  des 
Zusammenhanges  der  zweiten  Blutung  mit  dem  zweiten 
Unfall  nicht  von  der  Hand.  Der  Schreck,  die  plötzliche 
Anspannung  aller  Kräfte  in  Verbindung  mit  der  Er¬ 
schütterung  hätten  eine  Blutung  aus  der  kranken  Lunge 
ausgelöst  und  dadurch  eine  Verschlimmerung,  die  endlich 
zum  Tode  führte,  herbeigeführt.  Der  andauernde 
Schwächezustand  nach  der  Blutung  sei  nicht  durch  diese 
erklärt,  sondern  deute  auf  eine  eingetretene  Ver¬ 
schlimmerung  des  Leidens  hin. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Ueber  die  Beeinflussung  von  Erkrankungen  des 
Nervensystems  durch  den  Apparat  von  Bergonie. 

Von  Dr.  J.  L  ö  w  y. 

(Aus  der  med.  Universitätsklinik  R.  v.  Jahsch,  Prag.) 

Der  von  Buxbaum  modifizierte  Apparat  von 
Bergonie  wurde  zunächst  zur  Erziehung  von  Ent¬ 
fettungskuren  mit  dem  Erfolge  angewendet,  dass  Ge¬ 
wichtsabnahmen  nur  dann  erzielt  werden,  wenn  gleich¬ 
zeitig  eine  entsprechende  Regelung  der  Diät  vorge¬ 
nommen  wird.  Enteroptose  stellt  eine  Kontraindikation 
dieses  Verfahrens  dar. 

Verschieden  kann  sich  jedoch  die  Indikationsstellung 
bei  funktionellen  Erkrankungen  des  Nervensystems  dar¬ 
stellen.  Bei  Beschäftigungsneurosen  kann  ein  Erfolg  er¬ 
zielt  werden,  während  funktionelle  Störungen  auf  hyste¬ 
rischer  Basis  unverändert  bleiben  können. 


Inaktivitätsatrophien  nach  ausschliesslicher  Ver¬ 
letzung  (Schussverletzung)  der  Muskulatur  können  im 
allgemeinen  rasch  gebessert  werden. 

Muskelatrophien,  die  auf  Nervenläsionen  zurückzu¬ 
führen  sind,  können  durch  das  Verfahren  nach  Ber¬ 
gonie  rascher  gebessert  werden  als  durch  die  sonst 
übliche  Therapie.  Auch  die  Behandlung  von  durch 
Hemiplegien  bedingten  Lähmungen  hat  befriedigende 
Resultate  ergeben. 

Bei  Läsionen  des  Rückenmarkes  ist  der  therapeutische 
Effekt  abhängig  von  Art  und  Umfang  des  Krankheits¬ 
prozesses.  Bei  alleiniger  Beteiligung  der  motorischen 
Bahnen  des  Rückenmarkes  kann  eine  völlige  Restitution 
der  Motilität  erfolgen;  bei  Mitbeteiligung  der  sensiblen 
Bahnen  verschlechtert  sich  die  Prognose  bedeutend.  Ein 
guter  Erfolg  wurde  bei  einer  Paraparese  beider  unterer 
Extremitäten  nach  Abortus  erzielt,  während  eine  Kom- 


Nr.  8 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


75 


pression  des  Rückenmarkes  infolge  Spondylitis  völlig 
unbeeinflusst  blieb.  (Ztschr.  f.  phys.  u.  diät.  Therapie. 
Bd.  XIX.)  Autoreferat. 


Ein  einfacher  Apparat  zur  quantitativen  Be¬ 
stimmung  von  Eiweiss,  selbst  in  den 
kleinsten  Mengen. 

Von  W  e  i  s  s  -  Frei  bürg. 

(M.  m.  Wschr.  30,  1015.) 

Dr.  We  iss  ,  Freiburg,  beschreibt  einen  neuen,  ein¬ 
fachen  Glasapparat,  mit  welchem  selbst  kleinste  Mengen 
Eiweiss,  noch  ein  Zehntel  Milligramm  innerhalb  wenigen 
M  inuten  bestimmt  werden  können.  Der  Apparat  besteht  aus 
einem  Reagensglase,  welches  oben  und  unten  ausgebaucht 
ist,  bei  5  ccm  die  erste,  und  weiter  nach  oben  ain 
dünnem  Teile  eine  Anzahl  Graduationsmarken  trägt. 
Als  Reagens  dient  eine  Lösung  von  Phosphorwolfram¬ 


säure,  welche  so  konzentriert  ist,  dass  ein  gewisses 
Quantum  gerade  noch  imstande  ist  ein  Zehntel  Milli¬ 
gramm  Eiweiss  zu  deutlicher  Trübung  zu  bringen.  Diese 
Lösung  wird  in  den  Apparat  bis  zur  Eichungsmarke  U 
gebracht,  und  dann  von  verdünntem  Harn  so  viel  zu¬ 
gegeben,  bis  gerade  eine  Trübung  entsteht.  Sobald 
dieses  eingetreten  ist,  liest  man  den  Stand  der  Flüssig¬ 
keit  ab.  Man  hat  nun  die  Menge  Harn,  in  welcher  ein 
Zehntel  Milligramm  Eiweiss  enthalten  ist,  und  findet  auf 
der  Begleittabelle  direkt  den  entsprechenden  Gehalt  an 
Eiweiss  in  1000  "Feilen.  Wichtig  ist,  dass  alle  Flüssig¬ 
keiten  ganz  klar  filtriert  sind,  und  dass  man  Harn  in 
solcher  Verdünnung  verwendet,  dass  nur  0,1  ccm  Harn 
zur  Verwendung  gelangt.  Die  Tabelle  ist  für  ver¬ 
schiedene  Verdünnungen  ausgearbeitet,  so  dass  man 
durch  einen  Vorversuch  zunächst  die  ungefähr  nötige 
Verdünnung  feststellt,  und  dann  erst  den  eigentlichen 
Versuch  ausführt. 

Der  Preis  des  Apparates  ist  Mk.  5,50  mit  Reagens 
für  20  Untersuchungen,  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Offermann,  Über  die  serologischen  Untersuchungs- 
methoden  als  Hilfsmittel  zum  Nachweis  der  Trypanosomenkrank¬ 
heiten,  im  besonderen  der  Beschälseuche.  (Arb.  a.  d.  Kaiserl. 
Gesundhtsamte.  Bd.  50,  Heft  1,  1915.) 

Die  Komplementbindung  und  die  Agglutination  erwiesen 
sich  nach  den  Versuchen  von  Offerman  n  als  wertvolle 
diagnostische  Hilfsmittel  zur  Feststellung  der  gefährlichen,  viel¬ 
fach  latent  verlaufenden  Beschälseuche  der  Pferde,  wo  diese  als 
einzige  Trypanosomiasis  der  Pferde  in  Frage  kommt.  Eine 
Differenzierung  der  Beschälseuchetrypanosomen  gelingt  damit 
jedoch  nicht,  da  beide  Reaktionen  Gruppenreaktionen  sind. 
Die  Kompleinentbindung  lieferte  bessere  Ergebnisse  als  die 
Agglutination.  Die  spezifischen  Antikörper  traten  im  Blute  der 
infizierten  Tiere  bei  der  Komplementbindung  schon  nach  0  bis 
11,  im  Durchschnitt  nach  9  Tagen  auf,  bei  der  Agglutination 
nach  6  bis  27,  im  Durchschnitt  nach  13  Tagen;  also  kurz 
nach  der  Infektion  und  ohne  dass  die  infizierten  Tiere  irgend¬ 
welche  Krankheitserscheinungen  zeigten.  Das  Auftreten  der 
Antikörper  war  zeitlich  und  in  der  Menge  verschieden  nach  Indi¬ 
viduum  und  Kraukheitsverlauf.  Die  Antikörper  gingen  viel¬ 
fach  im  Verlaufe  der  Krankheit  zurück,  um  gegen  das  Ende 
hin  wieder  anzusteigen.  Eine  Regelmässigkeit  dieser  Er¬ 
scheinung  konnte  nicht  festgestellt  werden.  In  keinem  Fall 
verschwanden  sie  ganz  aus  dem  Blute.  Sera  gesunder  Kaninchen 
besassen  vielfach  eine  geringe  die  Hämolyse  hemmende  Wir¬ 
kung,  aber  nicht  regelmässig  und  nie  bei  Verwendung  von 
0,01  ccm  Serum.  Agglutinine  konnten  in  normalem  Kauinchen- 
serum  nicht  nachgewiesen  werden.  Bei  steriler  Aufbewahrung 
lassen  sich  die  Antikörper  noch  nach  Monaten  im  Serum  nach- 
weisen.  Zur  Agglutination  müssen  frische  Trypanosomenauf¬ 
schwemmungen  verwandt  werden,  da  ältere  in  ihrer  Wirkung 
’nachlassen. 

Dr.  rer.  nat.  E.  H  a  i  1  e  r  ,  Die  Abtötung  von  Milzbrand 
sparen  an  Häuten  und  Fellen  durch  Natronlauge.  (Arb.  a.  d 
Kaiserl  Gesundhtsamte.  Bd.  50,  Heft  1,  19F5.) 

Da  die  in  der  Gerbereitechnik  angewandten  gewöhnlichen 
und  angeschärften  Äscher  eine  sichere  Desinfektionswirkuug 
bei  milzbrandinfizierten  Häuten  und  Fellen  nicht  ausüben, 
wurden  von  H  a  i  1  e  r  nach  dem  Vorbild  der  Pickelung  ähn¬ 
liche  Versuche  durch  Desinfektion  mit  Natronlauge  angestellt. 
Praktisch  hätte  die  Behandlung  der  Häute  und  Felle  mit 


Natronlauge  vor  der  Pickelung  (Einlegen  in  2  prozentige  Salz¬ 
säure  und  10  Teile  Na  CI)  den  Vorzug,  dass  sich  dabei  Ein¬ 
weichen,  Äscherung  und  Desinfektion  in  einem  Prozesse  vor¬ 
nehmen  Hessen.  Ob  jedoch  durch  die  Behandlung  mit  Natron¬ 
lauge  vielleicht  die  Verwendbarkeit  der  Häute  und  Felle  zu 
einzelnen  Lederarten  beeinträchtigt  wird,  konnte  im  Labo¬ 
ratorium  sversuch  nicht  festgestellt  werden.  Das  zu  prüfen  ist 
Sache  der  Praxis.  Bezüglich  der  Bindung  für  Natronlauge 
verhielten  sich  die  Häute,  ja  sogar  die  einzelnen  Hautstücke 
verschieden.  Es  Hessen  sich  also  nicht,  wie  bei  der  Salzsäure, 
bestimmte  Beziehungen  aufstellen.  LTntersucht  wurden  etwa 
6  bis  700  etwa  0  cm2  grosse  Stücken  von  4  milzbrandhaltigen 
Rinderhäuten,  einem  Schaf-  und  einem  Ziegenfell  Diese 
wurden  bei  einer  Temperatur  von  15 — 20“  C  mit  0,5 — 1  prozen¬ 
tiger  Natronlauge  behandelt,  der  in  einzelnen  Versuchen  Koch¬ 
salz  in  Mengen  von  s0,7 — 10  Proz.  zugesetzt  war.  Die  Er¬ 
gebnisse  waren,  dass  es  nötig  ist,  mindestens  das  10  fache  des 
Fellgewichtes  an  Lauge  anzuwenden.  Dann  werden  durch  eine 
1/£>  prozentige  Natronlauge  mit  einem  Zusatz  von  o  — 10  Proz. 
Kochsalz  bei  72  ständiger  Einwirkung  bei  Zimmertemperatur  in 
fast  allen  Hautstückchen  Milzbrandsporen  abgetötet.  Aus- 
nahmebefunde  kommen  vor,  ebenso  wie  bei  der  Pickelung,  doch 
dürften  sie  praktisch  nicht  viel  zu  bedeuten  haben:  Eine  gleich¬ 
zeitige  Nachprüfung  der  von  C  o  n  r  a  d  i  zur  Isolierung  von 
Diphtheriebazillen  empfobleuen  Ölstäbchenmethode  ergab  keine 
unbedingte  Überlegenheit  bezüglich  des  sicheren  Nachweises  der 
Milzbrandkeime  gegenüber  dem  bisher  angewandten  unmittel¬ 
baren  Ausstreichen  der  Emulsion  Ein  unverkennbarer  Vorzug 
der  Petrolätherausschüttelung  ist  aber,  dass  mehrere  die  Agar¬ 
platten  schnell  überwuchernde  Bakterienarten  dabei  ausgeschaltet 
werden,  dass  man  daher  mit  einer  kleineren  Zahl  von  Platten 
auskommen  kann  und  Erkennung  und  Nachweis  der  Milzbrand¬ 
kolonien  einfacher  und  bequemer  ist. 

Dr.  Luis  F  i  1  e  n  s  k  i  (Buenos  Aires),  Zur  Frage  (1er 
Verpackung  der  behufs  Vornahme  der  bakteriologischen  Fleisch¬ 
beschau  zur  Versendung  kommenden  FPisebproben.  (Arb.  a.  d. 
Kaiserl.  Gesundhtsamte.  Bd.  50.  Heft  1,  1915.) 

Zur  Nachahmung  der  natürlichen  Verhältnisse  bei  der 
Fleischbeschau  wurden  ausser  den  ohne  besondere  \  orsichls- 
m assregeln  entnommenen  und  in  undurchlässiges  Papier  einge¬ 
schlagenen  Muskel-  und  Organproben  (Milz,  Lymphdrüsen), 
auch  künstlich  infizierte  untersucht.  Von  41  Muskelproben 
von  frisch  geschlachteten  Rindern  waren  11  keimhaltig, 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  8. 


7  b 


30  keimfrei.  Von  9  Pferdefieisehproben  waren  5  keimhaltig. 
Die  Infektion  war  sicher  nachträglich  erfolgt.  Die  künstliche 
Inlektion  erfolgte  durch  Injektion  von  Aufschwemmungen  von 
Fleisch yergiftungsbakterien,  Kokken,  Koli,  Milzbrand  und  Rot¬ 
laufbazillen.  Als  Packmaterial  wurden  geprüft:  1.  Kleie  (und 
Sagemehl'.  2.  Brennspiritus.  3.  Essig.  4.  Sublimatlösung. 
5.  Pickelflüssigkeit  nach  Schattenfloh  d.  h.  2  prozentige  Salz¬ 
säurelösung  und  10  g  Kochsalz.  6.  Borax.  7.  Chlorkalk. 
Die  Kleie  eignet  sich  zur  Verpackung  von  Fleisch-  und  Organ¬ 
proben  am  besten,  wegen  ihrer  noch  stärker  austrocknenden 
\\  irkung  als  Sägemehl.  Durch  die  Oberflächenaustrocknung 
hält  sie  eine  Ausseninfektion  zurück  und  bewahrt  die  im 
Innern  enthaltenen  Keime  gut  vor  einer  Sekundärinfektion. 
Auch  der  Brennspiritus  verhindert  eine  Ausseninfektion  der 
Proben  sicher,  er  übt  jedoch  eine  gewisse  schädigende  Wirkung 
auf  die  in  den  oberflächlichen  Schichten  befindlichen  Bakterien 
aus.  Tiefenkeime  wurden  nicht  beeinflusst.  Das  Einschlagen 
in  mit  Brennspiritus  nur  leicht  getränkte  Tücher  dürfte 
sich  hauptsächlich  für  grössere  Proben  empfehlen.  Auch  die 
Versuche  mit  Pickelflüssigkeit  fielen  günstig  aus.  Ihrer  all¬ 
gemeinen  Anwendung  dürfte  entgegen  stehen,  dass  sie  nicht 
überall  erhältlich  ist.  Die  Verwendung  von  Essig,  Sublimat¬ 
lösung,  Borax  und  Chlorkalk  ist  trotz  den  mit  einzelnen  von 
diesen  Mitteln  erzielten  guten  Resultaten  für  die  Praxis  nicht 
anzuraten. 


Innere  Medizin. 

Schlesinger.  Die  Herzkrankheiten  und  Herz¬ 

störungen  der  Soldaten  im  Felde.  (M.  m.  W.  1915  Nr.  42.) 

Verfasser,  der  eine  Abteilung  eines  Feldlazarettes  leitet, 
meint,  dass  die  einzelnen  Formen  bei  Soldaten  recht  verschieden 
oft,  verglichen  mit  der  Zivilbevölkerung  Vorkommen.  Bei  seinen 
171  Fällen  unterscheidet  er  : 

1.  alte,  jetzt  dekompensierte  Herzklappenfehler  und  ältere 
organische  Herz-  und  Gefässkrankheiten  Er  unter¬ 
scheidet  hier  2  Gruppen,  von  denen  die  eine  sich,  z.  T. 
wenigstens,  aus  Kriegsfreiwilligen  rekrutiert  und  die  die 
Strapazen  wochenlang  aushält,  während  die  zweite 
(truppe,  die  aus  Leuten  derselben  Jahresklasse  besteht, 
schon  in  der  ersten  oder  in  der  zweiten  Woche  zu¬ 
sammenklappte.  Das  wesentliche  dürfte  hier  die 
„psychische  Konstitution“  sein.  Die  Dekompensation 
wird  meist  auch  durch  „psychische  Erregung“  aus¬ 
gelöst. 

2.  Akute  Endokarditis.  Kam  gehäuft  im  Oktober  (rheuma¬ 
toide  Erkrankungen)  und  im  Februar  (influenzaartige 
Erkrankungen)  vor. 

3  Toxische,  insbesondere  thyreotoxische  Herzstörungen. 
Eine  Struma  war  meist  (10:14)  nur  als  Nebenbefund 
aufzufassen. 

4.  Konstitutionelle  Herzmuskelschwäche.  Anatomische 
Grundlage  war  in  einer  Herzgefässhypoplasie  zu  sehen 
Ihre  Zahl  unter  den  Kriegsteilnehmern  soll  verhältnis¬ 
mässig  gross  sein. 

5.  Dilatation  und  Hypertrophie  des  Herzmuskels.  Verf. 
weist  darauf  hin,  dass  ein  systolisches  Geräusch  meist 
über  dem  ganzen  Herzen,  ja  mitunter  am  lautesten  über 
der  Pulmonalis  zu  hören  ist  Der  Blutdruck  war  hoch. 
Meist  bestand  Tachykardie.  Eine  Restitutio  ad  integrum 
ist  hier  kaum  zu  erwarten. 

0.  Herzneurosen  Etwa  die  Hälfte  aller  Fälle.  Meist 
handelt  es  sich  um  eine  sensible  Neurose.  Klinische 
Erscheinungen  sind  Pulsbeschleunigung,  Labilität  des 
Pulses  und  respiratorische  Arythmie,  ferner  Pulsation 
im  Epigastrium  und  Jugulum,  sowie  systolisches  Ge¬ 
räusch  im  2.  Interkostalraum.  Dazu  kommen  vaso¬ 
motorische  Phänomene.  Solche  Kranke  will  Verf.  in 
der  Etappe  heilen  lassen,  da  sonst  das  Krankheits¬ 
gefühl  der  Patienten  zu  gross  wird. 

Hering  ,  Zur  Erklärung  des  plötzlichen  Todes  bei 
Angina  pectoris.  (M.  m.  W.  1915  Nr.  44.) 

Da  die  klinische  Beobachtung,  sowie  die  pathologische 
Fntersuchung  den  plötzlicheu  Tod  bei  Angina  pectoris  nicht 
erklären  konnte,  untersuchte  H.  die  Frage  im  Tierexperiment 
und  kam  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  Tod  durch  Herzkammer¬ 


flimmern,  d.  h.  durch  fibrilläre  Kontrakturen  der  Herz¬ 
muskulatur  ein  tritt.  Was  den  Einfluss  der  Sklerose  der  Herz¬ 
arterien  anbeGngt,  so  hat  „Koronararterienverschluss“  nur  im 
Verein  mit  anderen  Koeffizienten  Herzkammerflimmern  zur 
F jlge.  Zu  diesen  Koeffizienten  gehören,  so  weit  bis  jetzt  be¬ 
kannt,  als  disponierende  die  Grösse  der  Arterie,  die  Funktion 
des  von  ihr  besorgten  Bezirkes,  die  Narkose,  die  Blutung,  die 
Nebenverletzungen.  Als  auslöseude  Koeffizienten  kommen 
nacheinander  in  Betracht :  Der  Koronararterienverschluss,  die 
lokale  Ischämie,  die  lokale  Vergiftung,  wahrscheinlich  als 
wesentlich  die  Kohlensäure  und  schliesslich  die  heterotopen 
Herzreize. 

Die  heterotopen  Herzreize  sind  die  unmittelbar  das  Flimmern 
auslösenden  Koeffizienten,  denn  wir  wissen  heute,  dass  das 
Flimmern  die  Folge  des  höchsten  Grades  einer  heterotopen 
Reizbildung  ist  So  ist  die  Sklerose  also  nur  disponierendes 
Moment.  Herzkammerflimmern  mag  nun  aber  durchaus  nicht 
immer  tödlich  sein.  Es  kann  auch  vorübergehen.  Für  die 
Therapie  ist  wichtig,  dass  alles  vermieden  werden  muss,  was  die 
heterotope  Reizbildung  fördert. 

Hess,  Spezifische  Pneumoniebehandlung  mit  Optocliin 
(Aethylhydrocuprein).  (M.  m.  W.  1915  Nr.  45.) 

Verf.  hat  81  Fälle  von  Pneumonie  mit  Optochin  behandelt 
und  81  ohne  Optochin.  In  der  ersten  Serie  hatte  er  12,3  Proz., 
in  der  zweiten  17,2  Proz.  Todesfälle  Selbstverständlich  musste 
in  einigen  Fällen  neben  Optochin  auch  noch  zu  Digalen  usw., 
gegriffen  werden.  Die  Obduktion  der  Verstorbenen  ergab,  dass 
mehrere  Fälle  eine  Mischinfektion  hatten,  in  einem  Fall  bestand 
eine  Polyserositis,  einmal  eine  Myodegeneratio.  Fünfmal  wurde 
eine  septische  Milz  gefunden. 

Klinisch  fiel  das  häufige  Auftreten  einer  Pseudokrise  auf. 
Das  Mittel  wurde  angenehm  empfunden.  Verf.  hält  für  die 
beste  Form  eine  Dosierung  in  Pillen  (6x0,2'.  1,5  g  pro  die 

sollen  nicht  überschritten  werden. 

Jessen,  Zur  Behandlung  der  Blutinfektion.  (M.  m.  W. 

19  5  Nr.  45.) 

Intravenöse  1  proz.  Milchsäure-Injektion  ist  bei  Strepto- 
und  Staphylokokken-Infektion,  bei  rheumatischen  Erkrankungen  ■ 
und  bei  beginnender  Tuberkulose,  aber  nicht  bei  Abszessen  von 
günstigem  Einfluss. 

W  eichardt,  Über  die  unspezifische  Behandlung  von 
Infektionskrankheiten.  (M.  m.  W.  1915  Nr.  45.) 

Ausgehend  von  den  Erfolgen,  die  man  bei  Typhus  mit  , 
Injektionen  von  Typhusimpfungstoff  erzielt  hat,  ei  innert  Verf. 
daran,  dass  man  durch  vorsichtige  Spaltung  von  Eiweiss  Stoffe 
herstellen  kann,  die,  injiziert,  Temperatursturz,  Atemver¬ 
langsamung  und  Sopor  hervorrufen.  Nach  Kochsalzinjektion 
findet  eine  Leistungssteigerung  statt.  Zur  Messung  dient  ihm 
die  Drüsensekretion  (Milchdrüsen  älterer  Ziegen). 


Kinderheilkunde. 

Scherer  und  K  u  t  v  i  r  t  (Prag):  Die  Beziehung  der 
Mittelohrentzündung  zu  den  Krankheiten  des  Säuglingsalters. 
(Jahrb.  f.  Kinderhlke.  Bd.  82.  H.  2  ) 

Erörterung  des  Zusammenhangs  zwischen  deu  Erkrankungen 
des  Mittelohrs  mit  den  verschiedenen  Ernährungsstörungen  des 
Kindes  und  mit  den  Affektiouen  der  oberen  und  tieferen  Luft¬ 
wege,  sodann  mit  dessen  verschiedenen  Allgemeinerkrankungen. 

Strauss  -  Mannheim. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Laudenheimer,  Die  Anamnese  der  sog.  Kriegs- 
psychoneurosen.  (M.  med.  Wschr.,  38,  1915.) 

Aus  seinen  interessanten  Erhebungen  von  Patienten  die 
den  verschiedensten  Gesellschaftsklassen  entstammten,  zieht  L. 
folgende  Schlüsse : 

Ausschlaggebendes  Moment  für  die  psychisch-nervösen  Er¬ 
krankungen  im  Felde  ist  die  Disposition.  Als  disponierend  im 
weiteren  Sinne  hat  auch  die  Zugehörigkeit  zu  den  höheren  oder 
gehobenen  Berufen  zu  gelten. 

Am  stärksten  disponiert  sind  die  ängstlich-depressiven 
Konstitutionen.  Die  sehr  seltenen  Fälle,  wo  anscheinend  bei 


Nr.  8. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nichtdisponierten  durch  Kriegsereignisse  psychoneurotische 
Störungen  entstehen,  äussern  sich  in  hysteroiden  Symptomen 
und  schliessen  sich  vorwiegend  an  Granatexplosionen  an. 

Für  Wiederherstellung  der  Felddienstfähigkeit  ist  die 
Prognose  bei  den  Ängstlich-Depressiven  am  schlechtesten,  bei 
den  einfachen  Neurasthenikern  =  (Erschöpften)  am  günstigsten. 

Epileptoide  Konstitutionen,  auch  ohne  epileptische  Anfälle 
sind,  weil  zu  Konflikten  mit  der  Disziplin  neigend,  im  Felde 
bedenklich. 

Die  beiden  letzten  Punkte  scheinen  für  den  bei  der  Aus¬ 
hebung  tätigen  Arzt  besonders  wichtig.  Wan  sollte  nachweis¬ 
lich  ängstlich  depressive,  sowie  epileptoide  Konstitutionen  mög¬ 
lichst  vom  Frontdienst  fernhalten,  bezw.  ihre  relativ  frühzeitige 
Rückkehr  aus  dem  Feld  als  natürliche  und  zweckmässige  Aus¬ 
lese  betrachten. 

Dagegen  braucht  man  bei  der  Aushebung  Neurasthenischer 
und  der  leichteren  nicht  angst-neurotischen  Psychopathen  weniger 
ängstlich  zu  sein,  —  R 


Medikamentöse  Therapie. 

Nach  Dr.  med.  Nerlinger’s  Angaben  bringt  die  Oblaten  - 
fabrik  von  Johann  Schmidt,  Nürnberg  unter  dem  Namen 
,,G  u  1 1  a  m  y  1“  eine  Sorte  von  capsul.  amylac.  in  den  Handel, 
die  dazu  bestimmt  sind  flüssige  Ärzeneimittel  geschmackfrei 
reichen  zu  können.  Die  Füllung  erfolgt  vom  Patienten  selbst 
direkt  vor  dem  Einnehmen.  Der  geringe  Preis  —  20  Stück 
kosten  50  Pfg.  —  lässt  ihre  Verwendung  in  geeigneten  Fällen 
empfehlenswert  erscheinen. 

Die  Lenicetpräparate  der  Rheumasan-  und 
Lenicetfabrik  von  Dr.  Rudolf  Reiss,  Charlotten  bürg,  haben 
neuerdings  eine  Vermehrung  erfahren. 

Das  Lenicet  selbst,  bisher  als  Wund-  und  Kinderpuder 
sowie  in  verschiedener  Salbenform  gebräuchlich,  stellt  ein  reines 
polymerisiertes  Touerdeazetat  vor,  das  als  Desinfektionsmittel 
bei  völliger  Geruchlosigkeit  rein  und  kombiniert  mit  Thymol, 
Glyzerin,  Bolus  usw.  Jodoform  völlig  ebenbürtig  ist.  In  Ver¬ 
bindung  mit  Superoxyd  und  Menthol  als  Mundwasser  in  fester 
Form  entwickelt  es  beim  Gebrauch  aktiven  Sauerstoff,  entfernt 
den  Zahnstein  und  strafft  die  Schleimhäute  des  Mundes  und 
des  Rachens. 

Lehireuin  ist  für  den  Laryngologen  von  Wichtigkeit.  Es 
wirkt  hämostatisch  und  schmerzlindernd  und  wird  bei  infizierten 
Wunden  zur  Tamponade  mit  Erfolg  gebraucht.  Auch  bei 
feuchten  Katarrhen  hat  es  sich  als  Schnupf-  und  Streupulver 
zum  Einblasen  bestens  bewährt. 

Als  Desinficiens  und  Desodorans  der  Mundhöhle  zu 
Wasch-  und  Desinfektionszwecken  analog  dem  Wasserstoff¬ 
superoxyd  gelangt  das  Liquat  zur  Anwendung.  Es  stellt  ein 
Salz  dar.  von  dem  eine  grosse  Messerspitze  voll  in  ca.  200  ccm 
Wasser  gelöst  werden.  Neben  essigsaurer  Tonerde  und  H202 
enthält  es  schwefelsaures  Natrium  und  Borat.  Seiner  be¬ 
quemen  handlichen  Form  und  leichten  Löslichkeit  wegen  eignet 
es  sich  vornehmlich  für  die  Reise  und  für  die  Landpraxis. 
In  Verbindung  mit  Jod  stellt  das  Jod-Lenicet  ein  10  Proz. 
Jod  enthaltendes  staubfeines  Pulver  vor,  das  als  Ersatz  für 
Jodtinktur  bei  Wurzelhautentzündung  gute  Dienste  leistet.  Es 
ist  mit  einem  Wattebäuschchen  aufgetragen  schmerzlos,  wird 
rasch  resorbiert  und  greift  die  Schleimhaut  fast  gar  nicht  an, 
jedenfalls  viel  weniger  als  die  Tinct.  Jodi. 

Unter  dem  Namen  „Jod-Prothämi  n“  bringt  die 
Firma  Goedecke  u.  Co  ,  chemische  Fabrik,  Leipzig  und  Berlin 
N.  4  ein  hochjodiertes,  geruchloses  und  leicht  resorbierbares 
Jodeiseneiweisspräparat  in  den  Handel,  das  wegen  seiner 
Billigkeit  (50  Tabletten  ä  0,4  =  0,04  Jod  kosten  2,00  Mark) 
und  seiner  sonstigen  Eigenschaften  vor  den  anderen  bekannten 
Jodpräparaten  —  Sajodin,  Jodglidine  usw.  —  den  Vorzug  ver¬ 
dient.  Es  wird  gebraucht  bei  allen  Fällen,  in  denen  eine 
länger  dauernde  Jodmedikation  angezeigt  ist  und  zwar  3  bis 
4  mal  täglich  1—2  Tabletten  leicht  zerkaut  mit  ein  wenig 
Flüssigkeit,  wie  Tee,  Kakao,  Milch  oder  Wasser.  Gleichzeitig 


wirkt  es  durch  seinen  Eisen-  und  besonders  Eiweissgehalt  als 
Nährmittel.  Verstärkt  ist  diese  Eigenschaft  in  den  Prothämin- 
Malz-Dragees,  die  nach  Prof.  Salkowski  und  Prof  Polland  bei 
Schwächezuständen  infolge  darniederliegender  Ernährung, 
Chlorose,  Anämie,  Neurasthenie  und  besonders  bei  Tuberkulose 
und  Skrofulöse  der  Kinder  eiu  neues  Roborans  von  eminenter 
Wichtigkeit  vorstellen. 

Prof.  Kafemann  empfiehlt  das  von  der  Trisalven-Gesellschaft 
inKönigsberg  i  Pr.  hergestellte  Trisalven  als  zuverlässiges  Mittel. 
Es  ist  eine  Kombination  von  Sublimat  mit  Phenolkampfer,  die 
beide  in  einer  odorierenden  Substanz  gelöst  sind  und  denen 
zugleich  eiu  fixierend  wiikendes  Harzgemisch  beigefugt  ist 

„Enterosan“  der  chemischen  Fabrik  Knoll  u.  Co. 
in  Ludwigshafen  a.  Rh.  ist  eine  in  verdünnten  Säuren  schwer- 
lösliche  Kalkverbindung  der  Gerbsäure  mit  ca.  85  Proz. 
Tannin  und  15  Proz.  Kalzium.  Es  wird  intern  als  Pulver  oder 
Tabletten  zu  0,5  g  3  bis  G  mal  pro  Tag  gegen  Diarrhöen  aller 
Art,  auch  infektiösen  Ursprungs,  gegeben  und  vereinigt  in  sich 
die  gefässverengende  Wirkung  des  Kalkes  mit  der  gerbenden 
und  schwach  desinfizierenden  des  Tannins.  Es  wurde  auf  dem 
östlichen  Kriegsschauplätze  mit  viel  Erfolg  und  in  grossem 
Massstabe  an  Stelle  des  Tannalbins  augewendet  ohne  dasselbe 
völlig  zu  verdrängen.  Besonders  in  der  Kinderpraxis  empfiehlt 
sich  seine  Verwendung.  Otto. 

I.  W.  Roth,  D  D.  S.,  Red  Hill,  Pa.,  Meine  Er¬ 
fahrungen  mit  Bromural  in  der  Zahnheilkunde.  (The  Dental 
Summary  Bd.  35  Nr.  5.) 

Autor  hatte  mit  Bromural  in  seiner  Praxis  ausgezeichnete 
Resultate  zu  verzeichnen  in  allen  Fällen,  in  denen  eine  seda¬ 
tive  Wirkung  erwünscht  war.  Das  Präparat  wurde  in  Dosen 
von  1-3  Tabletten  je  nach  Lage  der  Verhältnisse  verabreicht. 
In  Dosen  von  5 — 10  Grains  (1  —  2  Tabletten)  bewährte  sich 
Bromural  als  Nervenberuhigungsmittel,  in  Dosen  von  10 — 15 
Grains  (2  —  3  Tabletten)  als  mildes  Hypnotikum.  Irgend¬ 
welche  Klagen  über  unerwünschte  Nebenwirkung  fanden  nie¬ 
mals  statt.  Auch  zur  Vorbereitung  auf  zahnärztliche  Eingriffe 
bewährte  sich  das  Mittel.  Zwar  wurden  die  durch  die  zahn¬ 
ärztliche  Behandlung  hervorgerufenen  Schmerzen  nicht  beseitigt, 
aber  schmerzhafte  Operationen  wurden  von  nervösen  Patienten 
weniger  unangenehm  empfunden  und  es  konnte  eine  gewisse 
Willenslosigkeit  beobachtet  werden.  Bei  längeren  zahnärztlichen 
Sitzungen  wurde  Bromural  20 — 30  Minuten  vorher  verabreicht. 
Es  empfiehlt  sich  die  Tabletten  in  Flüssigkeit  zu  nehmen  (lau¬ 
warmes  Wasser  oder  Milch)  in  welcher  sie  leicht  zerfallen. 

N  e  u  m  a  n  n. 

Der  fördernde  Einfluss  von  Arsen-Regenerin  und  Regenerin  auf  Blut¬ 
bildung,  Körpergewicht  und  zur  Hebung  des  Allgemeinbefindens  und 
die  gute  Bekömmlichkeit  dieser  Lezithin-Eisen-  und  Arsen- 

Kombination. 

In  der  Frage  der  Stärkung  Kriegsverwundeter  durch 
Blutverluste  oder  schwere  Krankheiten  Geschwächter,  wie  auch 
zum  Ausgleich  von  Schädigungen  des  Nervensystems  bei 
Frauenleiden  aller  Art  spielt  die  kombinierte  Arsen -Eisen¬ 
medikation  eine  bedeutende  Rolle.  — 

Da  solche  Kuren  oft  Wochen  und  Monate  durchgeführt 
werden  müssen,  ist  es  eiu  Haupterfordernis,  dass  solche  Medi¬ 
kationen  sich  durch  Wohlgeschmack,  Wohlbekömmlichkeit  (kein 
Magendrücken,  keine  Verstopfung)  und  durch  unbegrenzte 
Haltbarkeit  (keine  Rostabscheidung,  keine  Entwicklung  von 
Schwefelwasserstoffgeruch)  sich  auszeichnen.  In  jahrelanger 
Praxis  haben  sich  nun  die  besonders  bekömmlichen  Arsen¬ 
lezithin-Eisen  und  Lezithineisen-Präparate,  Arsen-Regenerin  und 
Regenerin  durch  Wohlbekömmlichkeit  und  das  Fehlen  der 
oben  genannten  unangenehmen  Nebenerscheinungen  bei  vor¬ 
züglicher  Wirkung  ausgezeichnet.  Bereits  im  Jahre  19C9  be¬ 
richtet  Weissmann  in  der  Ärztlichen  Rundschau  München 
auf  Grund  eingehender  Beobachtungen  am  Krankenbette  und 
der  Ergebnisse  der  Blutkörperchenzählungen,  sowie  der  Fest¬ 
stellung  des  Hämoglobingehaltes,  dass  das  Regenerin  sich  in 
Fällen  von  akuter  Anämie  nach  Blutverlusten,  von  Anämie 
nach  schweren  Krankheiten  und  in  Fällen  echter  typischer 


78 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  8. 


Chlorose,  «las  Arsen- Regenenn  speziell  in  Fällen  von  Magen- 
Do  rmschwäcbe,  in  Fällen  von  Skrofulöse,  englischer  Krankheit  und 
Tuberkulose,  sowie  in  allen  mit  Anämie  einhergehenden  nervösen 
Störungen,  wie  Migräne,  Neurasthenie  sich  bewährt  haben  und 
eine  wertvolle  Bereicherung  des  Arzneischatzes  bilden.  — 

1910  erschien  eine  Arbeit  von  Döllung  über  recht 
beachtenswerte  Erfolge  mit  den  Regenerin-Präparaten.  Bei 
Blutanomalieu  z.  B.  Anämie,  Chlorose,  ferner  bei  Unter¬ 
ernährungszuständen  bei  Schwäehezuständen  verschiedener 
Ätiologie,  bei  Neurasthenie  und  Neuroseformen,  bei  Rachitis. 
Skrofulöse,  bei  Erschöpfungen  z.  B  nach  längerer  an¬ 
dauernder  Laktation,  nach  Infektionskrankheiten  z  B. 
Pneunomie,  Pleuritis,  Bronchitis  usw.  war  die  Wirkung 
sowohl  quoad  vitam  als  auch  quoad  valetudinem  eine  recht 
günstige.  Von  Arsen-Regenerin  konnte  D.  einen  überaus 
zweckmässigen  Gebrauch  machen.  Bei  funktionellen  Nerven¬ 
leiden,  bei  Schwäche  und  Erschöpfungszuständen  bei  Base¬ 
dowscher  Erkrankung  bei  anämisch  -  chlorotischen  Bluter¬ 
krankungen  während  «ler  Rekonvaleszenzperiode  im  Anschluss 
an  infektiöse  kontagiöse  Leiden  bei  Haut-  und  Sexualer¬ 
krankungen  — 

Regenerin  wirkt  als  Regenerin  flüssig  oder  in  Tabletten¬ 
form  seinem  Namen  völlig  entsprechend,  in  bevorzugtem  Grade 
belebend  regenerierend  auf  den  Gesamtstoffwechsel  und  den 
Gesamthaushalt  des  menschlichen  Organismus.  —  Eine  weitere 
Arbeit  erschien  1 9 13  aus  dem  Kinderspital  der  allgemeinen 
Poliklinik  Wien,  Vorstand  Professor  Hamburger,  von 
D  i  e  t  1. 

Das  Arsen-Regenerin  bezw.  Regenerin  stellt  nach  diesem 
Autor  eine  treffliche  Waffe  dar  als  Roborans  und  zur  Hebung 
des  Allgemeinbefindens,  das  auch  von  Kindern  gerne  genommen, 
niemals  irgend  welche  üble  Nebenwirkung  hat  und  einen  sicht¬ 
bar  fördernden  Einfluss  auf  Blutbildung  und  Körpergewicht 
ausübt.  Es  kann  überall  empfohlen  werden,  wo  eine  Eisen- 
Arsen-Therapie  indiziert  erscheint,  namentlich  in  der  ab¬ 
wechselnden  Darreichung  im  Sinne  von  N  o  ©  r  d  e  n  (zuerst 
Arsen-Regenerin  dann  Regenerin)  bei  Erwachsenen  wie  auch  in 
der  Kinderpraxis.  — 

Aus  der  Frauenpraxis  wird  noch  besonders  mitgeteilt,  dass 
auch  in  Fällen  von  chronischen  Schwächezuständen,  da  reine 
Eisen-Arsen-Kombination  und  auch  andere  Eisen-Arsen-Präpa¬ 
rate  wegen  sich  einstellender  Nebenerscheinungen  ausgesetzt 
werden  mussten,  Regenerin  und  Arsen-Regenerin  gut  bekommen 
sind,  keinerlei  unangenehme  Folgeerscheinungen  zeitigten,  die 
nervösen  Beschwerden  erheblich  zurückgingen  und  das  Körper 
gewacht  sich  in  kurzer  Zeit  erheblich  steigerte. 

Hersteller  Dr.  R.  &  Dr.  O.  Weil,  Fabrik  ehern,  pharm. 
Präparate,  Frankfurt  a.  M. 


Über  Buccosperin,  ein  Kombinations-Präparat  zur 
inneren  Behandlung  der  Gonorrhoe. 

Balsamica,  innere  Antiseptica  und  Diuretica  sind  die 
3  Gruppen  von  inneren  Mitteln  der  Gonorrhoetherapie,  mit 
denen  wir  die  Reizerscheinungen,  das  Brennen  und  Jucken  in 
der  Harnröhre,  sowie  die  Schmerzen  bei  der  Miktion  beseitigen 
können. 

Während  die  Balsamica  im  wesentlichen  eine  adstrin¬ 
gierende  Wirkung  auf  die  Harnröhrenschleimhaut  ausiiben, 
wirken  die  inneren  Antiseptica,  besonders  Hexamethylentetramin 
und  Salizylpräparate,  rein  antibakteriell,  sie  sterilisieren  den 
Harn  und  die  Harnwege.  Die  Diuretica  schliesslich,  in  erster 
Reihe  Fol.  Bucco,  wirken  diluierend. 

\  on  dem  Gesichtspunkt,  ausgehend ,  dass  der  physio¬ 
logische  Effekt  einer  Substanz  bei  Kombination  mit  einer  anders¬ 


artig  wirkenden  verstärkt  werden  kann,  wurden  die  Buccosperin 
Kapseln,  eine  Kombination  von  Diureticum,  Balsamicum  un< 
Antiseptikum,  in  die  Therapie  der  Harnkrankheiten  einge 
führt,  bür  die  Auswahl  der  einzelnen  Komponenten  aus  dei 
drei  genannten  Gruppen  kamen  nur  solche  Mittel  in  Frage,  di 
möglichst  frei  von  schädlichen  Nebenwirkungen  sind.  Di 
V  ahl  des  Balsamicums  war  am  schwierigsten,  denn  die  meiste) 
xon  ihnen,  wie  Extr.  Pichi,  Ol.  Santali,  Terpentinöl,  Kawa 
Kawa  usw.  verursachen  fast  immer  lästige  Erscheinungen  wi 
Übelkeit,  Aufstossen,  Magendrücken  und  Erbrechen.  Länger 
eingehende  Beobachtungen  darüber,  dass  die  Elimination  de 


Kopaivabalsams  sehr  langsam  erfolgt,  Hessen  annehmen,  dass 
er  sehr  milde  wirkt,  wenngleich  auch  er  nicht  ganz  frei  von 
Nebenwirkungen  auf  die  Magenschleimhaut  ist.  Um  jeder  Reiz¬ 
erscheinung  von  seiten  des  Magens  vorzubeugen,  wurden  die 
erst  im  Dünndarm  löslichen  Kapseln  für  das  Kombinations¬ 
präparat  gewählt,  wodurch  der  Kopaivabalsam  durch  langsame 
Resorption  vom  Darm  aus  in  die  Zirkulation  gelangt;  die 
Ausscheidung  durch  die  Nieren  findet  ganz  allmählich  statt  und 
daraus  erklärt  sich  die  eminent  milde  Wirkung  des  Kopaiva¬ 
balsams. 

Als  Diureticum  wurden  die  von  altersher  geschätzten 
Fol.  Bucco  gewählt  und  zwar  im  Interesse  erhöhter  phar- 
makodynamischer  Wirkung  in  Form  eines  im  Vacuum  her¬ 
gestellten  Extraktes. 

Zur  Erhöhung  des  therapeutischen  Effekts  der  Buccosperin- 
kapseln  wurden  von  den  inneren  Antisepticis  das  von  den  Uro¬ 
logen  am  meisten  geschätzte  Hexamethylentetramin  gewählt,  denn 
dieses  beseitigt  auf  Grund  seiner  vorzüglich  harnsäurelöseuden 
und  bakteriziden  Wirkung  besser  als  jedes  andere  Mittel  prompt 
die  ammouiakalische  Gärung  des  Harns.  Dieses  auf  rein 
theoretischen  Erwägungen  aufgebaute  Kombinationspräparat  hat 
sich  nunmehr  in  der  Praxis  glänzend  bewährt  und  zwar  ganz 
besonders  bei  akuter  Cystitis  colli  und  bei  der  Urethritis 
posterior,  ohne  unangenehme  Wirkungen  auf  die  Nieren,  ohne 
Aufstossen  oder  andere  Magen besch werden  zu  zeigen. 

N  e  u  m  a  n  n. 

Meyer  (Essen),  Die  Versorgung  der  Zivilbevölkerung 
mit  Arzneimitteln.  (Die  Krankenversicherung  21/15.) 

M.  weist  darauf  hin,  dass  vielfach  in  letzter  Zeit  in  den 
Apotheken  sich  der  Brauch  herausgebildet  habe  an  Stelle  der 
von  den  Ärzten  verordneten  Spezialpräparate  selbsthergestellte 
Arzneimittel  zu  verabfolgen.  —  Um  dies  zu  verhüten,  werden 
schärfere  Zwangsbestimmungen  in  Vorschlag  gebracht.  —  Soweit 
kann  man  den  Ausführungen  von  M.  nur  beistimmen,  denn 
tatsächlich  erlebt  man  in  der  Praxis  bei  manchen  Spezial¬ 
präparaten  bessere  und  schnellere  Resultate  als  wie  sie  die 
ähnlich  zusammengesetzten  Ersatzpräparate  ergeben.  —  Bedenk¬ 
lich  ist  aber  der  2.  von  M.  gemachte  Vorschlag,  die  sogenannten 
Patentmedizinen  auch  den  Drogerien  zum  Verkauf  zu  über¬ 
lassen,  denn  dadurch  würde  wohl  nur  der  Kurpfuscherei  weiter 
in  erheblichem  Grade  Vorschub  geleistet;  die  vorhandenen 
Apotheken  dürften  als  Verkaufsstellen  vollauf  genügen. 

N  e  u  m  a  n  n. 

Hoffman  n,  Über  Salvarsannatrium  und  die  kombi¬ 
nierte  Quecksilbersalvarsanbehandlung.  (D.  med.  Wochschr 

44,  15.) 

Das  Salvarsannatrium  ist  nach  den  bisherigen  Beobachtungen 
ein  gutes  Ersatzmittel  des  Altsalvarsans,  da  es  weniger  Neben¬ 
erscheinungen  macht,  sehr  einfach  anzuwenden  ist  und  auf  alle 
Erscheinungen  der  Syphilis  und  die  serologische  Reaktion  etwa 
ebensogut  wirkt,  wie  das  alte  Mittel  Über  seinen  Dauererfolg 
lässt  sich  noch  nichts  Bestimmtes  sagen,  indessen  ist  auf  Grund 
der  bisherigen  Erfahrungen  wohl  zu  erwarten,  dass  es  bei  Be¬ 
achtung  der  serologischen  Kurve  uud  Verabfolgung  von  wenig¬ 
stens  fünf  Infusionen  in  frischesten  Fällen  und  zwei  bis  drei 
über  das  Negativwerden  der  Wa.  R.  hinaus  in  allen  übrigen 
auch  bei  der  Abortivkur  eine  ähnlich  günstige  Wirkung  ge¬ 
währleistet.  N  e  u  m  a  n  n. 


Allgemeines. 

K  ü  1  b  s,  Weitere  Beiträge  zur  Frage  :  Arbeitsleistung  und 
Organentwicklung.  (M.  m  W.  1915  Nr.  43.) 

Verfasser  untersuchte  in  Flandern  10  Hunde,  die  Lasten 
von  150  bis  250  kg  zu  ziehen  vermochten.  Er  stellte  fest, 
dass  das  proportionale  Herzgewicht  0,5  — 10,0  Prom.,  betrug, 
wie  in  früheren  Versuchen.  Die  Zahlen  der  einzelnen  Herz¬ 
abschnitte  ergaben  keine  gleichmässigen  Ergebnisse,  so  dass 
hieraus  keine  Schlüsse  gezogen  werden  konnten.  Ziemlich  gut 
entwickelt  waren  Lunge  und  Leber.  Über  Niere  und  Milz  ist 
nichts  Besonderes  zu  sagen.  Haut  und  subkutanes  Fett  sind 
bei  allen  flandrischen  Hunden  erheblich  geringer  beteiligt, 
während  das  Skelettsystem  schwerer  war. 


Nr.  8. 


79 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Müller  (Würzburg),  Über  die  Hungereinpfindiing.  (D. 
med.  Wschr.  44,  15.) 

Aus  den  von  M.  gegebenen  Darlegungen  kann  entnommen 
werden,  dass  das  Hungergefühl  keine  einheitliche  Empfindung 
ist.  Es  setzt  sich  vielmehr  aus  mehreren  Organempfindungen 
zusammen.  Die  Vorgänge,  die  diesen  Organempfindungen  zu- 
grundeliegen,  wie  der  Speichelfluss,  die  Hungerkontraktionen 
des  Magens  scheinen  vom  Paläenkephalon  ausgelöst  zu  werden. 
Die  Verarmung  des  Blutes  an  abbaufähigen  Stoffen  ist  es 
wohl,  die  diese  Innervationen  verursacht.  Aber  auch  im 
Neenkephalon  im  Grosshirn  bedingt  der  Mangel  des  Blutes  an 
Nährstoffen  gewisse  Organempfindungen,  die  sich  in  Beein¬ 
trächtigung  der  geistigen  Leistungsfähigkeit,  im  Schwindel  oder 
im  Flimmern  vor  den  Augen  und  in  Schwächezuständen  äussern 
können.  N  e  u  m  a  n  n. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Am  Sonntag,  den  24.  Oktober  1915  fand  die  Jahres¬ 
versammlung  der  Deutschen  Gesell¬ 
schaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechts¬ 
krankheiten  unter  reger  Beteiligung  der  Vertreter  der 
staatlichen  Behörden  und  eines  zahlreichen  Publikums  statt. 

Als  erster  Redner  sprach  Professor  Blaschko,  der 
einen  Überblick  über  die  vielseitige  Kriegstätigkeit  der  Deutschen 
Gesellschaft  gab.  Er  wies  zunächst  darauf  hin,  dass  die 
durch  den  Krieg  verursachte  Massentrennung  von  Männern  und 
Frauen  mit  Notwendigkeit  zu  einer  Zunahme  des  ausserehe- 
liehen  Geschlechtsverkehrs  und  dadurch  zu  einem  Ansteigen 
der  Geschlechtskrankheiten  führen  müsse,  was  um  so  bedauer¬ 
licher  sei,  als  unter  den  Erkrankten  sich  eine  grosse  Zahl  von 
Verheirateten  und  vom  Lande  Stammenden,  die  bisher  von  den 
Geschlechtskrankheiten  wenig  berührt  waren,  befinden. 

Von  dieser  Erkenntnis  ausgehend  hat  die  Gesellschaft  nun 
vom  Beginn  des  Krieges  an  eine  umfangreiche  Aufklärungs¬ 
tätigkeit  entfaltet  und  viele  Millionen  belehrender  Flugschriften 
und  Merkblätter  in  den  heimischen  Garnisonen  und  draussen 
im  Felde  verbreitet,  aber  sie  hat  auch  in  dem  Bewusstsein, 
dass  diese  Warnungen  vielfach  in  den  Wind  geschlagen  werden, 
ständig  Fühlung  mit  den  Militär-  und  Zivilbehörden  gesucht, 
um  durch  geeignete  Verwaltungsmassnahmen  eine  direkte  Ein¬ 
wirkung  auf  die  Herabminderung  der  Erkrankungsziffer  zu 
gewinnen.  Massregeln  wie :  Schliessung  der  Animierkneipen 
und  Bordelle,  Abkürzung  der  Polizeistunde  und  des  Abendur¬ 
laubs,  Schaffung  von  alkoholfreien  Soldatenheimen,  Über¬ 
wachung  der  Strassenprostitution,  der  Winkelhotels  und  Ab¬ 
steigequartiere  müssen  die  Gelegenheiten  zur  Verführung  ein¬ 
dämmen,  hygienische  Massnahmen  die  Infektionsgefahr  ver¬ 
ringern.  Regelmässige  Gesundheitsuntersuchuugen  der  Soldaten, 
Zwang  zur  Prophylaxe,  reichliche  Gelegenheit  zur  sorgfältigen 
und  gründlich  durchgeführten  spezialistischen  Behandlung  haben 
denn  auch  jetzt  zu  einer  wesentlichen  Verringerung  der  Krank¬ 
heitsziffer  geführt.  Da  jedoch  Erfahrungen  aus  früheren  Kriegen 
uns  lehren,  dass  mit  Friedensschluss  die  Geschlechtskrankheiten 
wieder  stark  anzusteigen  pflegen  und  eine  Verschleppung  der 
Krankheiten  in  die  Familie  und  somit  eine  Verseuchung  der 
ganzen  Nation  zu  befürchten  steht,  so  wird  für  die  Gesellschaft 
in  Zukunft  ein  verstärktes  Mass  von  Arbeit  zu  erwarten  sein. 
Der  Redner  gedachte  auch  in  seinem  Bericht  der  beiden  grossen 
im  abgelaufenen  Jahr  verstorbenen  Männer,  welche  sich  um 
den  Kampf  gegen  die  Geschlechtskrankheiten  unsterbliche  Ver¬ 
dienste  errungen  haben  :  Paul  Ehrlich  und  Alfred 
F  o  u  r  n  i  e  r. 

Im  Anschluss  daran  ergriff  Geheimrat  N  e  i  s  s  e  r  das 
Wort  zu  seinem  Vortrage  „Welche  Lehren  können  wir  aus  den 
während  des  Krieges  gewonnenen  Erfahrungen  für  den  weiteren 
Kampf  gegen  die  Geschlechtskrankheiten  ziehen  ?“  Der  Kampf 
gegen  die  Geschlechtskrankheiten  ist  deshalb  so  schwierig,  weil 
unzählige  Menschen  sich  nicht  giusheilen  lassen  und  zum  Teil 
unbewusst  die  Krankheit  weiter  verschleppen,  dann  aber,  weij 


der  aussereheliche  Geschlechtsverkehr  so  ungeheuer  verbreitet 
ist.  Erweiterung  der  Behandlungsmöglichkeit  in  Hospitälern 
und  Ambulatorien,  möglichst  kostenfreie  Behandlung  für  den 
Einzelnen  ist  die  erste  Hauptaufgabe.  Eine  grosszügige  Organi¬ 
sation  schaffen  auf  diesem  Gebiete  bereits  die  Landes- 
▼  ersicherungs  an  stalten,  welche  für  die  während 
des  Krieges  an  venerischen  Krankheiten  behandelten  Kriegs¬ 
teilnehmer  besondere  Beratungsstellen  einrichten 
wollen,  durch  die  eine  dauernde  Überwachung  aller  Venerischen 
eingeleitet  werden  soll.  Auch  die  Krankenkassen  sollten  ihre 
Mitglieder  einer  jährlichen  oder  besser  halbjährlichen  ärzt¬ 
lichen  Untersuchung  unterziehen,  um  so  die  unbeachteten  und 
nicht  ausgeheilten  Geschlechtsleiden  einer  Behandlung  zuzu¬ 
führen.  Damit  die  Behandlung  der  Geschlechtsleiden  mehr 
als  bisher  Sache  der  praktischen  Ärzte  werde,  müssen  diese 
Krankheiten  endlich  einer  obligatorischen  Prüfung  im  Staats¬ 
examen  unterzogen  werden.  Der  grossen  Verbreitung  des 
wilden  Geschlechtsverkehrs  wirksam  entgegenzutreteu,  ist  un¬ 
endlich  viel  schwerer.  Natürlich  werden  wir  weiter  fortfahren, 
durch  weitgehende  Aufklärung  belehrend  und  warnend  zu 
wirken.  Aber  dass  das  nicht  ausreicht,  hat  uns  wiederum  die 
letzte  Zeit  gezeigt.  Der  weitverbreiteten  Ansicht,  dass  ge¬ 
schlechtliche  Abstinenz  direkt  gesundheitsschädlich  sei,  muss 
man  entgegentreten.  Aber  man  muss  sich  auch  an  die  nun 
einmal  bestehende  Tatsache  des  stark  verbreiteten  ausserehelichen 
Verkehrs  halten  und  dessen  Gefährlichkeit  bekämpfen.  Das 
jetzige  im  wesentlichen  polizeiliche  System  der  Überwachung  der 
Prostitution  muss  ein  sanitäres  werden,  die  bisher  mit  der 
Kontrolle  verbundene  Entehrung  muss  fortfallen.  Dann  wird 
es  möglich,  den  Kreis  der  ärztlich  Überwachten  erheblich 
zu  vergrössern  und  damit  auch  die  sogenannte  heimliche  Pro¬ 
stitution  zu  treffen.  Seine  persönliche  Meinung  präzisiert 
N  e  i  s  s  e  r  dahin,  dass  die  Prostituierten  in  eigener  Wirtschaft 
und  Wohnung  nur  in  bestimmten  Strassen  wohnen  sollen,  da 
hierdurch  die  Überwachung  erleichtert,  hygienische  Vorbeugungs- 
massnahraen  besser  durchführbar,  öffentliche  Verkehrsstrassen 
vom  Prostitutionsmarkt  befreit  werden.  Auch  sollten  alle 
Prostituierten  einer  regelmässigen  ambulanten  Salvarsanbehand- 
lung  unterzogen  werden,  eine  Massregel,  die  auf  N  e  i  s  s  e  r  s 
Vorschlag  in  den  eroberten  Gebieten  jetzt  mehrfach  mit  Erfolg 
durchgeführt  ist.  Das  allerwichtigste  ist  und  bleibt  die  Ein¬ 
führung  der  Schutzmittel.  Gewiss  ist  der  auch  in 
Deutschland  leider  zu  konstatierende  Geburtenrückgang  in 
erster  Linie  ein  gewollter,  daneben  aber  wird  durch  die  Ge¬ 
schlechtskrankheiten  Zahl  und  Lebensfähigkeit  des  Nachwuchses 
stark  herabgemindert,  die  Anwendung  der  Schutzmittel  wird 
also  den  Geburtenrückgang  keineswegs  befördern.  Bei  dem 
grossen  Ausfall  heiratsfähiger  Männer  sind  wir  nicht  nur  be¬ 
rechtigt,  sondern  verpflichtet,  alle  Mittel  und  Wege  anzuwenden, 
die  zur  Gesundung  des  Volkes  beitragen. 

Bei  den  Neuwahlen  wurde  der  Reichstagsabgeordnete 
Dr.  Struve  in  den  Vorstand  gewählt. 


Bücherschau. 

Z  i  e  m  k  e  ,  E.,  Kiel.  Glossen  und  Strafgesetzentwürfe.  Sonder¬ 
abdruck  aus  „Medizinische  Klinik“,  1912,  No.  12 — 16. 
Berlin,  Verlag  von  Urban  &  Schwarzenberg.  Seitenzahl  20 

Friedrich,  Berlin-Steglitz.  Die  Untersuchung  des  Magen¬ 
inhalts  ohne  Sonde.  Aus  „Berliner  Klinik,  Heft  310, 
April  1914“.  Berlin  1914,  Fischer’*  med.  Buchhandlung. 
H.  Kornfeld.  Seitenzahl  23,  Preis  0,60  Mk. 

Hager,  Magdeburg.  Die  Wrightsche  Opsoninlehre  und  die 
spezifische  Behandlung  der  Tuberkulose.  Sonder- Abdruck 
aus  der  „Deutschen  Ärzte-Zeitung“,  Heft  5,  März  1908. 
Seitenzahl  12. 

Koenigsfeld  und  P  r  a  u  s  n  i  t  z.  Über  Wachstums¬ 
hemmung  der  Mäusekarzinome  durch  Allylderivate.  Souder- 
abdruck  aus  der  „Deutschen  med.  Wochenschrift,  No.  50. 
1913“.  Verlag  von  Georg  Thieme-Leipzig.  Seitenzahl  7. 


80 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  8. 


Koenigsfeld,  Über  Versuche  zur  Immunisierung  gegen 
Mäusekrebs.  Abdruck  aus  dem  Zentralblatt  f.  Bakterio¬ 
logie,  Parasitenkunde  u.  Infektionskrankheiten.  I.  Abteilung 
Jena,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

Koenigsfeld  ,  Beobachtungen  und  Studien  über  die 
Metastasenbildung  beim  Mäusekrebs.  Mit  4  Tafeln.  Ab¬ 
druck  aus  dem  Zentralblatt  f.  Bakteriolegie,  Parasitenkunde 
u.  Infektionskrankheiten.  Heft  4/5.  1913.  Jena,  \  erlag 

von  Gustav  Fischer. 

R  i  t  s  c  h  1  ,  Prof.  Dr.  Freiburg  i.  B.,  Leicht  und  billig 
herstellbare  Medieo- mechanische  Einrichtungen.  Mit  38  Abbild, 
im  Text,  Stuttgart,  Verlag  von  Ferd.  Enke.  1915. 

Verf.  weist  darauf  bin,  dass  durch  den  Krieg  auch  die 
medico-mecbaniscbe  Behandlung  eine  ungeahnte  Ausdehnung 
erfahren  bat  und  viel  Gutes  zu  stiften  berufen  ist.  —  Leider 
sind  die  maschinellen  Einrichtungen  recht  teuer  und  nicht  jedes 
kleine  Lazarett  ist  in  der  Lage  sie  zu  beschaffen,  sondern  ist 
auf  „behelfsmässige“  Medicomechanik  angewiesen.  —  Wie  sie 
mit  einfachsten  Mitteln  durchgeführt  wird,  lehrt  in  klarer  und 
einfacher  Darstellung  R  i  t  s  c  h  l’s  Buch  (Preis  1,20  Mark), 
das  übrigens  auch  dem  Erfahrensten  manche  Anregung  bietet. 
—  Ueber  den  Krieg  hinaus  behält  es  für  den  Praktiker 
seine  Bedeutung,  denn  mit  den  einfachen  Hilfsmitteln  wie  sie 
hier  angeführt  sind,  lässt  sich  jede  Bauernstube  in  ein  medico- 
mechanisches  Institut  verwandeln.  R. 


Notiz. 

Der  Verband  mittlerer  Reichs-Post-  und  Telegraphen- 
Beamten  Berlin  NO  18,  schreibt  uns: 


Das  Interesse  der  Wissenschaft  an  den  Fragen  des  Be¬ 
amtentums  ist  bisher  auffällig  gering  gewesen.  LTber  die  Lage 
der  übrigen  grossen  Bevölkerungsschichten,  insbesondere  der 
Landwirte,  der  Handwerker,  der  Privatangestellten,  der  Tech¬ 
niker,  der  Arbeiter  usw.  sind  teils  amtliche,  teils  private  Er¬ 
hebungen  angestellt  und  wissenschaftlich  bearbeitet  worden,  über 
die  Lage  des  Beamten  Standes  fehlt  dagegen  jede  solche  Er¬ 
hebung  und  Bearbeitung.  Auch  für  die  Erforschung  und  den 
Ausbau  des  Beamtenrechts  mangelt  es  in  wissenschaftlichen 
|  Kreisen  bisher  an  tieferem  Interesse. 

Um  diesem  Missstande  nach  Möglichkeit  abzuhelfen,  hat 
der  Verband  mittlerer  Reichs-Post-  und  Telegraphen  -  Beamten 
aus  Anlass  seines  25  jährigen  Bestehens  eine  Stiftung  in  Höhe 
von  30  000  Mark  errichtet,  deren  Zinserträgnis  von  L500  Mark 
jährlich  zur  wissenschaftlichen  Bearbeitung  von  Beamtenfragen 
verwendet  werden  soll.  Für  Doktor-Dissertationen  über  Be¬ 
amtenfragen  würden  beispielsweise  die  Druckkosten  aus  der 
Stiftung  bestritten  werden  können,  geeignete  Broschüren,  die  im 
Verlage  der  G.  m.  b.  H.  „Deutscher  Postverband“  erscheinen 
könnten,  würden  honoriert  und  unter  den  40  000  Mitgliedern 
des  Verbandes  vertrieben  werden  können.  Für  gewisse  Fragen, 
an  deren  möglichst  vielseitiger  Bearbeitung  der  Beamtenstand 
ein  besonderes  Interesse  hat,  sollen  Preisausschreiben  unter  den 
Wissenschaftlern  veranstaltet  werden. 

Erfordert  es  das  Bedürfnis,  so  wird  das  Stiftungsvermögen 
entsprechend  erhöht  werden.  Die  Mittel  dazu  sind  vor¬ 
handen. 

Wir  bitten  Sie,  Ihrem  Leserkreise  hiervon  mit  dem  Hinzu¬ 
fügen  Kenntnis  zu  geben,  dass  Bewerbungen  an  den  Verband 
mittlerer  Reichs  -  Post-  und  Telegraphen-Beamten  in  Berlin 
NO  18,  Gr.  Frankfurter  Str.  53,  zu  richten  sind  und  dass  ded 
Verband  bereit  ist,  geeignete  Themata  zu  bezeichnen  unr 
statistische  und  andere  Unterlagen  zur  Verfügung  zu  stellen. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortsdiritk  der  Medizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  mitwirkung  Hervorragender  Tadintänner 


herausgegeben  von 

L.  Edinger, 

Frankfurt  a/M. 


L.  von  Criegern, 

Hildesheim. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 

Verantwortliche  Schriftleitung: 


Dr. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 

Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  9 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 

Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  30.  Dezember 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Aus  der  Kgl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Königs¬ 
berg  i.  Pr. 

Direktor :  Geh.  Med.  Rat  Prof.  Dr.  G.  W  i  n  t  e  r. 

Die  Therapie  der  retinierten  Eihaut-  und 
Plazentarreste. 

Von  Privatdozent  Dr.  B  e  n  t  h  i  n. 

Die  Erfahrung,  dass  bei  Eihaut-  und  Plazentar¬ 
retention  nicht  allzuselten  Fieber  auftritt,  die  Furcht, 
dass  aus  einer  reinen  lokalen  Infektion  eine  Allgemein¬ 
infektion  entstehen  könnte,  führte  zur  Anschauung,  dass 
man,  gleichgültig  ob  direkt  post  partum  oder  erst  im 
späteren  Wochenbett,  ohne  Rücksicht  darauf  ob  Fieber 
vorhanden  war  oder  nicht,  die  piinzipielle  Entfernung 
empfahl.  Einige  Autoren  in  Frankreich  und  Amerika 
gingen  sogar  soweit,  dass  sie,  auch  wenn  kein  begrün¬ 
deter  Verdacht  auf  Retention  vorlag,  in  jedem  Infek¬ 
tionsfalle  den  Uterus  austasteten,  in  der  Meinung,  damit 
eventuell  die  Ursache  des  Fiebers  beseitigen  zu  können. 

Gegen  diesen  Radikalismus  machte  als  erster  W  i  n  te  r1) 
auf  dem  Strassburger  Kongress  1909  Front.  Auf  Grund 
seiner  klinischen  Erfahrungen  befürwortete  er  vielmehr, 
sich  möglichst  abwartend  zu  verhalten. 

Inzwischen  haben  sich  auch  andere  Kliniken  mit 
dieser  ausserordentlich  wichtigen  Frage  beschäftigt. 
Winter  selbst  hat  kürzlich  die  bisher  veröffentlichten 
Resultate  einer  eingehenden  Kritik  unterzogen.  Unsere 
eigenen  in  den  letzten  Jahren  gesammelten  Beobachtungen 
haben  in  einer  Dissertation  durch  Kienapfel2)  unter 
meiner  Leitung  eine  eingehende  Bearbeitung  gefunden. 

Wenn  auch  heute  namentlich  über  die  Behandlung 
der  Plazentarretention  volle  Einigkeit  noch  nicht  erreicht 
ist,  so  ist  doch  das  vorliegende  Material  gross  genug, 
um  ein  abschliessendes  Urteil  der  Allgemeinheit  unter¬ 
breiten  zu  können.  — 

Ist  die  Möglichkeit  des  Spontanabgangs  von  zurück¬ 
gebliebenen  Eiteilen  vorhanden  ?  Besteht  die  Ansicht, 
die  auch  heute  noch  von  vielen  Ärzten  besonders  in  der 
Praxis  gehegt  wird  zu  Recht,  dass  Eiresiduen  schwere 
Puerperalfieber  hervorrufen  ? 

Die  Beantwortung  dieser  Fragen  bildet  offenbar  die 
Basis  für  jede  Diskussion  über  dieses  Thema! 

Wie  der  Organismus  überhaupt  das  Bestreben  hat, 
jeglichen  abnormen,  seiner  Funktion  hinderlichen  Inhalt 
zu  eliminieren,  so  versucht  auch  der  Uterus  sich  von 
unbrauchbaren,  schädlichen  Schlacken  zu  befreien.  Bleiben 
pathologischer  Weise  Teile  der  Sekundinae  zurück,  so 
bemüht  sich  der  Uterus  auch  diese  auszustossen.  Je  nach 
der  Grösse,  Adhärenz  währt  der  Prozess  verschieden 
lange.  Eihäute  werden  meist  ziemlich  bald  entleert.  Im 


allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  sie  gewöhnlich  schon 
innerhalb  einiger  Tage,  oft  bereits  am  ersten  oder  zweiten 
Wochenbetttage  abgehen.  Selten  werden  sie  länger  als 
eine  Woche  zurückgehalten.  Im  Gegensatz  dazu  ver¬ 
zögert  sich  die  Herausbeförderung  der  Piazentarstücke 
häufig.  Zwar  haben  wir  in  der  Klinik  Fälle  beobachtet, 
in  denen  die  fehlenden  Plazentarstücke  in  den  ersten 
Wochenbetttagen  in  den  Vorlagen  sich  vorfanden,  in 
anderen  Fällen  jedoch  kann  bis  zur  Ausstossung  längere 
Zeit,  Wochen  selbst  Monate  darüber  hingehen.  So  haben 
wir  einen  Fall  erlebt,  die  beim  Eintritt  in  die  Klinik  sich 
bereits  65  Tage  nach  der  Geburt  befand. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Retention  von  mehr 
oder  minder  grossen  Eiteilen,  besonders  in  den  extremen 
Fällen  für  die  Körper  nicht  gleichgültig  sein  kann.  Die 
schlecht  ernährten  Gewebsmassen  fallen  der  Nekrose 
anheim.  Die  mangelhafte  Involution  des  Uterus  setzt 
der  Resorption  freiwerdender,  blutfremder  toxischer 
Stoffe  geringe  Hindernisse  in  den  Weg.  Kommt  es  durch 
Verlegung  des  Abflusswegs  zu  Stauungen  des  Lochial- 
sekrets,  so  können  schwere  toxische  Zustände  die  Folge 
sein.  Dazu  kommt,  dass  namentlich  bei  Plazentarretention 
Blutungen  auftreten  können,  die,  wenn  auch  nicht  immer 
lebensbedrohlich,  doch  zur  weiteren  Schwächung  des 
Körpers  führen  können.  Vor  allen  Dingen  aber  bietet 
dies  intrauterin  gelegene  nekrotische  Material  einen 
ausserordentlich  günstigen  Nährboden  für  jegliche  Art 
von  Bakterien,  die  durch  den  in  solchen  Fällen  mangelhaft 
verschlossenen  Zervikalkanal  leicht  in  den  Uterus  propa¬ 
gieren  und  das  Uterusinnere  infizieren  können.  Es  nimmt 
deshalb  nicht  Wunder,  wenn  bei  Eihaut  und  Plazentar¬ 
retention  Temperatursteigerungen  auftreten.  Es  muss 
jedoch  betont  werden,  dass  Fieber  nicht  immer  aufzu¬ 
treten  braucht.  Das  trifft  speziell  auf  die  Fälle  mit  Ei¬ 
hautretention  zu.  Unter  Berücksichtigung  der  in  der 
Literatur  niedergelegten  und  unserer  eigenen  Erfahrungen 
blieben  von  1307  Fällen  die  weitaus  grössere  Mehrzahl, 
71,1  Proz.  völlig  fieberfrei.  Tritt  eine  Fiebersteigerung 
im  Wochenbett  auf,  so  klingt  es  bemerkenswerterweise 
meist  nach  kurzer  Zeit,  nach  1 — 3tägiger  Dauer  ab. 
Länger  dauernde,  wie  sehr  hohe  Temperaturen  mit 
stärkeren  Störungen  des  Allgemeinbefindens  treten  nur  aus¬ 
nahmsweise  in  die  Erscheinung.  Etwas  ungünstiger  be¬ 
züglich  des  Fiebers  sind  die  Fälle,  die  schon  intrauterin 
infiziert  sind,  die  schon  unter  der  Geburt  fiebern. 
Immerhin  sind  Fälle  genug  bekannt,  in  denen  trotz 
fieberhafter  Geburt,  trotz  Retention  von  Eihäuten  eine 
sofortige  dauernde  Entfieberung  erfolgte.  Das  ganze 
Krankheitsbild  verläuft  unter  dem  Bilde  des  einfachen 
Resorptionsfiebers  oder  der  lokalisierten  Endometritis. 


82 


Fortschritte  der  Medizin. 


Nr.  9 


Nacherkrankungen  im  Anschluss  an  Eihautretentionen  in 
Form  von  parauterinen  Infektionsprozessen  werden 
üusserst  selten  gefunden  (0,66  Proz.)  Gewöhnlich  sind 
sie  leichter  Natur.  Wenn  Schwererkrankungen  Vorlagen, 
so  konnte  der  einwandfreie  Beweis,  dass  die  Eihaut¬ 
retention  daran  schuld  war,  nie  geliefert  werden.  Stets 
lag  die  Möglichkeit,  dass  die  Retention  auf  eine  andere 
Weise  erzeugt  sein  konnte,  vor.  Bei  dem  einzigen 
schweren  Krankheitsfall,  der  unter  603  Fällen  mitgeteilt 
wurde  —  es  handelt  sich  um  einen  parametranen  Abszess 
— -  konnte  nicht  ausgeschlossen  werden,  dass  die  Infektion 
von  vorangegangenen  Scheidenspülungen  ihren  Ausgang 
genommen  hatte.  "Todesfälle  als  reine  Folge  von  Ei¬ 
hautretention  sind  bisher  nicht  beobachtet  worden. 

Wir  können  also  unsere  Erfahrungen  bezüglich  der 
Eihautretention  dahin  resümieren:  Die  Möglich- 
keitdes  spontanen  Abgangs  besteht, 
meist  erfolgt  sie  sogar  recht  schnell. 
Schwere  Störungen  im  Wochenbett 
werden  äusserst  selten  beobachtet. 
Zurückgebliebene  Eihautreste  können 
als  Ursache  von  Puerperalfieber 
nicht  verantwortlich  gemacht  werden. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  retinierten  Pla¬ 
zentarstücken.  Wie  schon  erwähnt,  können  sie  zuweilen 
lange  Zeit  zurückgehalten  werden.  Da  es  sich  sehr  häufig  um 
eine  pathologische  Adhärenz  handelt,  so  ist  das  Plazentar¬ 
stück  manchmal  derartig  innig  verlötet,  dass  selbst  die 
mechanische  Lösung  erst  unter  Schwierigkeiten  gelingt. 
Je  fester  die  Plazenta  anhaftet,  um  so  schwerer  ist  natür¬ 
lich  die  spontane  Lösung.  Immerhin  ist  der  spontane 
Abgang,  wenn  auch  verzögert,  so  doch  möglich.  Je 
nach  den  Beobachtern  werden  verschiedene  prozentuale 
Angaben  gemacht.  Da  die  Mehrzahl  der  Ärzte  bisher 
in  jedem  Falle  bei  erwiesener  Plazentarretention  aktiv 
vorging,  so  sind  die  Mitteilungen  über  Spontanabgang 
gering.  Infolgedessen  schwanken  die  Angaben  auch 
zwischen  11  Proz.  (Hör  mann)3)  und  40 Proz.  (Dehnike)4). 
Dementsprechend  ist  auch  der  Mittelwert  von  22  Proz. 
sicherlich  zu  gering.  Man  kann  wohl  annehmen,  dass 
etwa  die  Hälfte  aller  retinierten  Plazentarstücke  spontan 
abgehen,  vorausgesetzt,  dass  man  genügend  lange  ab¬ 
wartet.  Durch  die  lange  Dauer  der  Retention  ist  die 
Möglichkeit  einer  Keimaszension  eine  erheblich  grössere 
als  bei  den  Eihäuten,  die  ja  sehr  bald  ausgestossen 
werden.  \  or  allen  Dingen  aber  ist  zu  berücksichtigen, 
dass  zwischen  der  Plazenta  und  der  Uteruswand  und 
damit  mit  dem  mütterlichen  Organismus  durch  die  weiten 
intervillösen  Räume  viel  innigere  Beziehungen  bestehen. 
Die  Untersuchungen  von  Warnekros5)  haben  er¬ 
geben,  dass  unter  geeigneten  Bedingungen  Bakterien 
die  Plazenta  durchdringen  können.  Es  muss  also  mit 
der  Möglichkeit  eines  Übertritts  von  Keimen  in  die 
Blutbahn  gerechnet  werden.  Nach  den  bisher  gemachten 
Beobachtungen  ist  aber  eine  Verbreitung  der  Infektion 
durch  die  Plazenta  hindurch  eine  seltene  Erscheinung. 
Aber  wenn  auch  durch  die  allmähliche  Lösung  der 
Polypen  Keime  in  die  Blutbahn  gelangen  können,  unsere 
zahlreichen  Untersuchungen6)  bei  retinierten  Plazentar¬ 
teilen  bei  Abort  haben  gezeigt,  dass  selbst  bei  Gegen¬ 
wart  der  gefährlichen  hämolytischen  Streptokokken  nie 
ernste  Schädigungen  eintreten.  Zudem  bildet  offenbar 
der  bei  jedem  Infektionsprozess  entstehende  Granulations¬ 
wall  einen  so  wirksamen  Schutz,  dass  eine  aktive  In¬ 
vasion  von  Keimen  aufgehalten  wird.  Besteht  danach 
auch  theoietisch  die  Gefahr  einer  Weiterverbreitung  des 
ursprünglich  lokalisierten  Infektionsprozesses,  so  zeigen 
doch  die  klinischen  Erfahrungen,  insbesondere  die  Fälle, 
die  erst  im  Spätwochenbett  in  die  ärztliche  Beobachtung 
kommen,  dass  der  Verlauf  ein  völlig  fieberfreier  sein 
kann  und  dass  in  praxi  die  Gefahr  eines  Fortschreitens 
der  Infektion  kaum  besteht.  Unter  149  bisher  veröffent¬ 


lichten.  Fällen  von  länger  dauernder  Plazentarretention 
verliefen  44  Proz.  fieberfrei.  Fieberte  auch  die  grössere 
Hälfte,  so  war  doch  in  55  Proz.  das  Fieber  leichter  Natur. 
Nur  6  Proz.  mit  einem  Todesfall  fieberten  schwer.  In 
keinem  von  diesen  letzten  Fällen  konnte  ein  unmittelbarer 
Zusammenhang  mit  der  Plazentarretention  konstruiert 
werden.  Wenn  Schwererkrankungen  eintraten,  so  waren 
stets  operative  Eingriffe,  wie  eine  manuelle  Plazentar¬ 
lösung,  Wendung,  Tamponade,  bei  Placenta  praevia  vor¬ 
her  gegangen,  geburtshilfliche  Operationen,  die  schon 
ohnehin  wegen  der  Infektionsgefahr  eine  zweifelhafte 
Prognose  bieten.  Wir  kommen  deshalb  zu  der  Schluss¬ 
folgerung:  Auch  der Sponta nabgang  von 
Plazentarstücken  ist  möglich.  Zwar 
kann  die  Möglichkeit  eines  Fort¬ 
schreitens  des  Infektionsprozesses 
nicht  ganz  ausgeschlossen  werden, 
aber  Beweise  dafür,  dass  die  Plazentar¬ 
retention  an  sich  schwerepuerperale 
Infektionen  veranlasst,  fehlen. 

Wie  sind  nun  die  Resultate,  wenn  Eihaut-  und 
Plazentarreste  entfernt  werden? 

Grosse  Beobachtungsserien  sind  über  die  Beseitigung 
von  retinierten  Eihäuten  vorhanden.  In  den  letzten  Jahren 
sind  über  244  Fälle  Mitteilungen  gemacht  worden.  Die 
Entfernung  geschah  entweder  digital  oder  instrumentell 
oder  durch  Spülungen.  Gewöhnlich  gab  Fieber  die  In¬ 
dikation  zum  Eingreifen.  Wenn  auch  in  einer  Reihe  von 
Fällen  Entfieberung  eintrat,  so  erkrankten  doch  eine  An-  [ 
zahl  mehr  oder  minder  schwer.  In  einigen  Fällen  aber 
folgte  eine  Verschlimmerung  derart  rasch,  dass  ein  Zu¬ 
sammenhang  mit  der  Ausräumung  nicht  geleugnet  werden 
konnte.  Nicht  weniger  als  sieben  Frauen  =  2,8  Proz. 
starben ! 

Noch  schlechter  sind  die  Erfolge  der  aktiven  Be¬ 
handlung  von  Plazentarresten.  Von  150  Fällen  starben  ( 
10  Patientinnen.  Die  Mortalität  beträgt  also  6,6  Proz.  , 
Besonders  unglücklich  war  der  Verlauf  in  den  Fällen, 
in  denen  die  Entfernung  bei  bereits  bestehender  uteriner 
Infektion,  bei  Fieber,  vorgenommen  wurde.  Von  ins¬ 
gesamt  105  Fällen  verliefen  nur  34  fieberfrei,  41  er¬ 
krankten  leicht,  20  schwer  und  10  Frauen  starben.  Selbst  | 
wenn  wir  zwei  Todesfälle  in  Abzug  bringen,  in  dem 
einen  Fall  soll  der  Tod  nach  Kollargolinjektion  | 
(L  u  c  h  s  i  n  g  e  r) 7)  erfolgt  sein,  der  andere  Fall 
(S  c  h  r  ö  d  e  r) 8)  starb  an  Embolie,  so  beträgt  die 
Sterbeziffer  doch  noch  7  Proz.  Demgegenüber  war  der 
Verlauf  erheblich  besser,  wenn  bei  Fieberfreiheit  ent-  | 
weder  sofort  post  partum  oder  im  späteren  Wochenbett 
ausgeräumt  wurde.  Vier  Frauen  erkrankten  allerdings 
schwer,  aber  unter  62  Fällen  war  kein  letaler  Ausgang 
zu  verzeichnen. 

Die  schlechten  Erfolge  der  aktiven  Therapie  setzen 
nach  den  Erfahrungen,  wie  wir  sie  bei  fieberhaften 
Aborten  gemacht  haben,  nicht  in  Erstaunen.  Bei  den 
Eihautresten  liegen  die  Verhältnisse  ja  insofern  günstiger, 
als  eine  so  enge  Verbindung  mit  dem  mütterlichen  Ge¬ 
webe  nicht  besteht.  Bei  Plazentarpolypen  ist  das  anders. 
Ihre  Lösung  macht  dem  ausräumenden  Finger  zuweilen 
sogar  ungeahnte  Schwierigkeiten.  Ist  die  Uterushöhle 
infiziert,  wie  es  ja  bei  fieberhaften  Fällen  stets  der  Fall 
ist,  so  können  die  Keime  in  die  Umgebung  hinein 
massiert  werden.  Wird  gar  noch  die  Kürette  benutzt, 
so  werden  grössere  Wundfiächen  geschaffen,  vor  allem 
aber  wird  der  Körper  des  besten  Schutzmittels  durch 
die  Ausräumung  beraubt.  Der  Leukozytenwall  wird 
unterbrochen,  zerstört,  und  damit  den  Keimen  Gelegen¬ 
heit  zur  Ausbreitung  gegeben.  Weniger  zu  fürchten  ist 
die  durch  die  Ausräumung  hervorgerufene  akute  Bak¬ 
teriämie.  Mit  den  Keimen  im  Blut  wird  der  Organismus 
bald  fertig,  soweit  er  überhaupt  noch  Schutzkräfte  zur 
Verfügung  hat. 


Nr.  9. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Die  Art  und  die  Lokalisation  der  Erkrankung  spielt 
ausserdem  auch  eine  grosse  Rolle.  Sind  vor  und  bei 
der  Ausräumung  schon  parauterine  Erkrankungen  vor¬ 
handen,  so  ist  eine  Verschlimmerung  um  so  mehr  zu 
fürchten. 

Zweifellos  hängt  der  Verlauf  auch  von  der  Art  der 
Infektionserreger  ab.  Leider  stehen  uns  bislang  nur  sehr 
spärliche  bakteriologische  Kontrollen  zur  Verfügung. 
Öffenbar  aber  spielen  die  hämolytischen  Streptokokken,  die 
nicht  allzuselten  angetroffen  werden,  auch  hier  eine 
bedenkliche  Rolle.  Zwar  kann  jede  Keimart  gelegent¬ 
lich  pathogen  werden,  aber  diese  Krankheitserreger 
müssen  doch  als  besonders  gefährlich  bezeichnet  werden. 

Bei  vorhandenem  Fieber  bedeutet  jeder  Eingriff  für 
die  Frau  eine  Gefahr.  Schadet  doch  zuweilen  schon 
eine  vorsichtige  Untersuchung.  So  haben  wir  eine  Frau 
beobachtet,  die  nach  jeder  Exploration  einen  Schüttel¬ 
frost  bekam  und  hoch  fieberte. 

Dass  die  konservative  Therapie  viel  gefahrloser  ist, 
das  zeigen  schon  die  vorher  angeführten  Beobachtungen. 
Trotzdem  in  allen  diesen  Fällen  nicht  einmal  eine  ärzt¬ 
liche  Behandlung  stattgefunden  hatte,  sondern  nur  ab¬ 
gewartet  war,  waren  die  Resultate  doch  noch  viel  besser 
als  die  bei  aktiver  Behandlung  gezeitigten.  Weder  bei 
Eihautretention  noch  bei  Plazentarretention  ein  Todesfall, 
der  mit  Recht  auf  das  Abwarten  hätte  zurückgeführt 
werden  können.  Wurden  bewusst  konservative  Mass¬ 
nahmen  getroffen,  so  war  der  Erfolg  noch  offensicht¬ 
licher! 

So  fieberten  von  103  Fällen  von  Eihautretention  49 
ganz  kurze  Zeit.  Von  9  Fällen,  die  intra  partum  ge¬ 
fiebert  hatten,  fiel  3  mal  die  Temperatur  sofort  ab,  eine 
fieberte  einen,  2  Frauen  2  Tage.  In  den  beiden  letzten 
Fällen  lag  eine  Polyarthritis  gonorrhoica  resp.  eine 
Streptokokkeninfektion  vor.  Alles  in  allem  wurde  nur 
in  4  Fällen  eine  leichte  parametrane  Erkrankung  fest¬ 
gestellt.  In  allen  Fällen  war  der  Entlassungbefund  ein 
normaler.  Beachtenswert  ist,  dass  der  Aufenthalt  in  der 
Klinik  im  Durchschnitt  nicht  das  übliche  Mass  der 
Wochenbettsbehandlung  von  10  Tagen  überschritt. 

Über  wirklich  konservativ  behandelte  Fälle  von 
Plazentarretention  liegen  leider  nur  wenige  Angaben  vor, 
weil  die  spontane  Ausstossung  mit  Ausnahme  von 
D  e  h  n  i  k  e  und  Luchsinger  sonst  nicht  ernstlich 
angestrebt  wurde.  Insgesamt  sind  nur  22  Fälle  der  Kritik 
zugängig.  Zwar  ist  nicht  in  allen  Fällen  angegeben 
worden,  ob  die  expektative  Behandlung  bei  bestehendem 
Fieber  einsetzte  oder  nicht,  niemals  aber  trat  eine 
Schwererkrankung  auf,  nie  wurde  ein  Todesfall  be¬ 
obachtet.  Der  eine  von  S  chauta  veröffentlichte  Todesfall, 
wird  durch  ihn  selbst  auf  eine  Infektion  intra  partum 
zurückgeführt.  Häufiger  jedoch  wurde  mit  dem  spon¬ 
tanen  Abgang  gleichzeitige  Entfieberung  beobachtet. 
(3  Fälle  von  D  e  h  n  i  k  e  ,  4  Fälle  von  Schaut  a9), 

2  Fälle  aus  unserm  Material.) 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
die  konservative  Therapie  bessere  Hei¬ 
lungschancen  bietet  als  die  aktive  Aus¬ 
räumung.  Haben  wir  die  Berechtigung  auf  Grund 
dieser  Erfahrungen  in  jedem  Falle  von  Eihaut  und 
Plazentarretention  die  konservative  Behandlung  anzu¬ 
wenden  ?  Nach  allen  Erfahrungen,  die  mit  retinierten 
Eihäuten  gemacht  wurden,  sicherlich.  Hier  steht  es  fest, 
dass  die  Retention  keinen  grösseren  Schaden  stiftet, 
während  andererseits  die  aktive  Beseitigung  Gefahren 
mit  sich  bringt.  Die  spontane  Ausstossung  erfolgt  be¬ 
sonders  unter  Ergotinmedikation,  meist  so  rasch  und 
prompt,  dass  schon  aus  diesem  Grunde  von  einem  Ein¬ 
griff  abgesehen  werden  kann.  Die  spontane  Erledigung 
bietet  bei  Plazentarretention  zweifellos  auch  die  beste 
Prognose.  Leider  aber  wissen  wir,  dass  die  Selbst¬ 
entleerung  doch  in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen  aus- 


83 


bleibt  oder  doch  erst  so  spät  auftritt,  dass  ein  ausser¬ 
ordentlich  langer  klinischer  Aufenthalt  notwendig  wäre. 
—  Stets  besteht  die  Gefahr  einer  Infektion.  Wir  haben 
zwar  den  Nachweis  geführt,  dass  diese  auf  das  Endo¬ 
metrium  lokalisiert  bleibt,  aber  so  sicher  sind  wir  doch 
nicht,  dass  wir  mit  aller  Sicherheit  die  Möglichkeit  einer 
Propagation  in  die  Umgebung  ausschliessen  könnten. 
Zudem  sind  Blutungen  stets  zu  fürchten.  Sind  sie  auch 
nur  selten  lebensbedrohlich,  so  sind  sie  doch  oft  stärker, 
als  wir  sie  bei  Aborten  auftreten  sehen.  Ausserdem 
aber  schwächen  sie  den  Organismus  und  können  durch 
Erlahmung  der  bakteriziden  Kräfte  indirekt  der  Infektion 
Vorschub  leisten.  In  der  Klinik  ist  ärztliche  Hilfe  jeder¬ 
zeit  zur  Hand,  Verblutungen  sind  nicht  zu  fürchten.  In 
der  Praxis,  besonders  auf  dem  Lande  aber  liegen  die 
Verhältnisse  anders;  hier  besteht  die  Gefahr  der  Ver¬ 
blutung  doch.  Aus  diesen  Gründen  befürworten  wir 
direkt  post  partum  stets  die  Entfernung  von  Plazentar¬ 
stücken.  Stets  aber  muss  der  Eingriff  strikt  indiziert 
sein.  Der  Verdacht  muss  begründet  sein.  Asepsis, 
Fieberfreiheit,  nicht  infizierter  Geburtskanal  vorausgesetzt, 
ist  dann  die  Prognose  nicht  so  schlecht.  Nur  3  von 
unsern  12  sofort  ausgeräumten  Fällen  fieberten.  Man 
muss  sich  aber  darüber  klar  sein,  dass  es  sich  um  einen 
intrauterinen  Eingriff  handelt  und  dass  Unglücksfälle 
auch  hier  Vorkommen  können.  Kommt  eine  Frau  im 
Spätwochenbett  erst  in  die  Behandlung,  so  handelt  es 
sich  darum,  ob  Fieber  vorhanden  ist  oder  nicht.  Zeigen 
genaue  Temperaturmessungen  keine  Erhöhung  der  Körper¬ 
wärme,  so  sind  die  Chancen  auf  Fleilung  besser.  Ist 
der  Allgemeinzustand  gut,  eine  Anämie  nicht  vorhanden, 
so  wird  man  den  Spontanausgang  in  der  Klinik  ruhig 
abwarten  können,  ist  jedoch  der  Grad  der  Anämie  so 
stark,  dass  weitere  Blutungen  deletär  wirken  können,  so 
kann  ausgeräumt  werden.  Für  die  Praxis  wird  man  bei 
fieberfreien  Fällen  in  Anbetracht  der  oben  erwähnten 
Gründe,  die  Entfernung  vornehmen  können.  Immerhin, 
der  oben  angeführte  Todesfall  mag  zeigen,  dass  die 
Prognose  doch  zweifelhaft  ist.  Sind  hämolytische  Strepto¬ 
kokken  nachgewiesen,  so  ist,  wenn  keine  vitale  Indikation 
vorliegt,  von  der  Ausräumung  auf  jeden  Fall  abzuraten. 
Die  hämolytischen  Streptokokken  können  im  Verlaufe 
der  exspektativen  Behandlung,  wie  die  Untersuchungen 
bei  fieberhaften  Aborten  ergeben  haben,  verschwinden. 
Erfolgt  dann  auch  trotz  Abwartens  keine  spontane  Aus¬ 
stossung  der  Plazentarteile,  so  ist  die  Gefahr  doch  ge¬ 
ringer  zu  veranschlagen. 

Alle  fieberhaften  Fälle  aber  sollten,  wenn  irgend 
möglich  konservativ  behandelt  werden,  besonders  dann, 
wenn  neben  der  Plazentarretention  sich  noch  parauterine 
Infektionsprozesse,  Parametritiden,  Adnexentzündungen, 
Thrombophlebitiden,  Peritonitiden  entwickelt  haben.  In 
diesen  Fällen  ist  jegliches  Manipulieren,  jede  Unter¬ 
suchung  zu  vermeiden.  Ich  verweise  auf  die  zahlreichen 
Todesfälle  bei  komplizierten  unvollständigen  Aborten 
bei  aktiver  Behandlung.  Die  Erfolge  der  konservativen 
Therapie  sind  so  offensichtlich,  dass  man  ihr  auf  das 
Entschiedendste  das  Wort  reden  muss.  Freilich  können 
starke  Blutungen  alle  guten  Vorsätze  zu  nichte  machen. 
Ehe  der  Heilplan  aber  in  so  verantwortungsvoller  Weise 
umgestossen  wird,  muss  man  die  Gefahr  der  Blutung 
und  die  Gefahr  einer  postoperativen  Weiterverbreitung 
der  Infektion  sehr  sorgfältig  gegeneinander  abwägen. 
Der  Begriff  der  Verblutungsgefahr  ist  ein  relativer.  Das 
geht  schon  daraus  hervor,  dass  in  dieser  Beziehung  die 
verschiedensten  Angaben  gemacht  werden.  Die  Indi¬ 
kation  zum  Eingreifen  bei  verhaltenen  Plazentarstücken 
wegen  V  erblutungsgefahr  wurde  beispielsweise  von  einigen 
nur  auf  24  Proz.,  von  andern  dagegen  auf  80  Proz.  ver¬ 
anschlagt  Wir  selbst  haben  demgegenüber  unter  unsern 
25  Fällen  nur  einmal  eine  besorgniserregende  Anämie 
gesehen.  In  allen  andern  Fällen  war  sie  nie  so  aus- 


84 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  9. 


geprägt,  die  Blutung  nie  so  foudroyant,  dass  sofort  einge¬ 
griffen  hätte  werden  müssen! 

Zur  Durchführung  der  abwartenden  Behandlung  ist 
die  Fernhaltung  aller  äusseren  Noxen,  absolute  Ruhelage 
durchaus  geboten.  Die  spontane  Ausstossung  wird  durch 
nicht  zu  knapp  bemessene  Gaben  von  Mutterkorn¬ 
präparaten,  die  gleichzeitig  stärkere  Blutung  hintenan¬ 
halten,  zu  fördern  gesucht.  Sehr  zu  empfehlen  ist  die 
Applikation  einer  Eisblase.  Grosse  Sorgfalt  ist  auf  eine 
gute  Ernährung  zu  verwenden.  Bei  vorhandener  In¬ 
fektion  gilt  es  den  Körper  möglichst  widerstandsfähig  im 
Kampfe  mit  den  Bakterien  zu  machen. 

Liegen  Eihäute  oder  Plazentarreste  gelöst  im  Zervikal¬ 
kanal,  so  steht  natürlich  nichts  im  Wege  sie  zu  entfernen. 
Die  aktive  Behandlung  beginnt  erst 
mit  dem  Augenblick  des  intrauterinen 
Eingriffs.  Wird  oder  muss  ausgeräumt  wer¬ 
den,  dann  so  schonend  wie  möglich.  Jede  Aus¬ 
räumung  stellt,  auch  wenn  kein  Fieber  besteht,  einen 
gefährlichen  Eingriff  dar.  Die  Lösung  von  Plazentar¬ 
resten  gehört  aber  zu  den  schwierigsten  Operationen  in 
der  Nachgeburtsperiode.  Peinlichste  Asepsis  ist  eine 
conditio  sine  qua  non.  Narkose  ist  unter  allen  Umständen 
nötig  um  jede  übermässige  Quetschung  zu  vermeiden. 
Dass  jedes  scharfe  Instrument,  besonders  die  Curette  zu 
vermeiden  ist,  bedarf  nach  dem  Vorausgegangenen  kaum 
noch  besonderer  Erwähnung.  Der  Finger  allein  soll  die 
Ablösung  vornehmen.  Die  Zerstörung  des  schützenden 
Granulationswalles  wird  hierdurch  am  ehesten  verhütet. 
Die  Herausbeförderung  der  gelösten  Massen  kann  man 
sich  durch  Anwendung  der  W  i  n  t  e  r’ sehen  Abortzange 
sehr  erleichtern. 

Die  Befolgung  der  wohlbegründeten  therapeutischen 
Grundsätze  wird  fraglos  zur  Besserung  der  Erfolge  bei 
Eihaut-  und  Plazentarretention  in  der  Praxis  beitragen. 


Literatur: 

1.  Winter,  Über  lokale  Behandlung  der  puerperalen  Infektions¬ 

krankheiten.  Verhandl.  d.  deutsch.  Gesellsch.  f.  Gyn.  Strassburg 
1909.  Über  Bedeutung  und  Behan.  lung  retinierter  Plazentarreste. 
Monatsschrift  f.  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  39,  1914. 

2.  Kienapfel,  Über  Bedeutung  und  Behandlung  von  retinierten 

Eihäuten  und  Plazentarstücken.  Dokt  -Dissert,  Königsberg. 

3.  H  ö  r  m  a  n  n  ,  Soll  man  Plazentarreste  nach  reifer  Geburt  ent¬ 

fernen  oder  nicht?  Monatsschr.  Bd.  34.  5.  412.  1911. 

4.  Dehnike,  Die  Therapie  der  Eihaut-  und  Plazentarretention 

Prakt.  Ergebnisse  d.  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  4.  5.  79. 

5.  Warnekros,  Plazentare  Bakteriämie.  Archiv  f.  Gyn.  Bd.  2. 

5.  362. 

6.  B  e  n  t  h  i  n  ,  Zur  Behandlung  des  fieberhaften  Aborts.  Zeitschrift 

f.  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  73,  1913.  Wie  kann  man  üble  Ausgänge 
bei  fieberhaften  Aborten  vermeiden?  Deutsch,  med.  Wochen¬ 
schrift.  No.  16,  1914.  Die  exspektative  Behandlung  fiebe;harter 
Aborte.  Verhandl.  d.  deutsch.  Ges.  f.  Gyn.  1913. 

7.  Luchsinger,  Zur  Behandlung  retinierter  Plazentarreste  St. 

Petersburger  med.  Wochenschr.  1911.  No.  24. 

8.  Schröder,  Verh.  der  Nordostdeutschen  Gesellsch  f.  Gyn. 

Monatsschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  31.  5.  516. 

9.  Schauta,  Sollen  Plazentarreste  gelöst  werden?  Wiener  klin 

Wochenschrift.  XXV.  1912.  No.  1. 


Zur  Schmierseifebehandlung. 

Von  Generalarzt  a.  D.  Dr.  Kappesser,  Darmstadt. 

In  einem  mir  übersandten  wissenschaftlichen  Unter¬ 
nehmen:  „Ärztliche  Sammelblätter“  von  Albert  Fleck, 


Berlin  ist  in  Nr.  20  vom  20.  Oktober  1915  unter  der 
Überschrift:  K  appesser'sche  Schmierseifenkur  ein 

etwas  dunkler  Inhaltsbericht  von  meinem  Aufsatz  in 
Nr.  48  der  „Fortschritte  der  Medizin“  abgedruckt,  welchem 
dann  am  Schluss  der  Berichterstatter  aus  Eigenem  wört¬ 
lich  beifügt:  „Verfahren:  Jeden  2.  Tag  25,0  Sap.  Kalini 
viridis  purissimi  20 — 25  Minuten  lang  einreiben,  bis  die 
Haut  glänzend  aber  trocken  ist  (!).  Nach  30 
Minuten  den  Teil  abwaschen,  abtrocknen  und  einpudern. 
So  jedesmal  andere  Hautstellen  und  in  gleichem  Turnus 
wiederholen.“  — 

Da  durch  solch  widersinnige  Wiedergabe  das  ganze 
so  wohltätige  Heilverfahren  in  Misskredit  geraten  könnte, 
halte  ich  mich  zu  nachstehender  Richtigstellung  ver¬ 
anlasst. 

Bei  meiner  Methode,  wie  sie  von  mir  seit  bald  50 
Jahren  geübt  wurde  und  auch  von  vielen  Andern  nach 
mir  mit  schönem  Erfolg,  habe  ich  bei  chronisch  skrofu¬ 
lösen  und  tuberkulösen  Krankheitsprozessen,  wie  auch 
den  Folgen  gestörter  Entwicklung,  wie  Verbiegung  der 
Wirbelsäule  (siehe  meinen  Aufsatz:  Ermüdungskrankheit, 
ein  Beitrag  zur  Behandlung  der  Rückgratsverkrümmungen 
in  Zeitschr.  f.  Schulgesundheitspflege)  —  stets  2-,  höchstens 
3 mal  die  Woche  einen  Tee-  bis  Esslöffel  voll,  je  nach 
dem  Alter  des  Kranken  von  der  gewöhnlich  käuflichen, 
honigartig  besseren  Schmierseife  abends  auf  dem  Rücken 
10 — 15  Minuten  lang  mittels  der  wiederholt  in  laues 
Wasser  getauchten  Hand  zu  Schaum  verreiben  und  dann 
lauwarm  abwaschen  lassen.  Das  von  manchen  zur  ver¬ 
meintlichen  Verstärkung  der  Wirkung  beliebte,  ab¬ 
weichende  Verfahren,  den  Seifenschaum  auf  der  Haut 
über  Nacht  hängen  und  eintrocknen  zu  lassen,  ist  vielleicht 
mit  Veranlassung  zu  hier  und  da  verlautenden  Klagen 
über  Reizung  empfindlicher  Haut  durch  die  vermeintlich 
zu  scharfe  Seife.  Ich  selbst  habe  zu  solchen  niemals 
Veranlassung  gehabt. 

In  akut  verlaufenden  Fällen,  wie  skroful.  Augen¬ 
entzündungen,  Ohreiterungen  und  Ergüssen  in  die  Hohl¬ 
räume  des  Körpers  habe  ich  die  Einreibung  auch  zeit¬ 
weise  täglich  oder  jeden  zweiten  Tag  machen  lassen. 
Besonders  in  letzteren  Fällen,  wo  sich  das  Mittel  ganz 
besonders  als  kräftiges  Resorbens  erwies,  habe  ich  einige 
Male  bei  Brustfellergüssen,  besonders  aber  bei  jenen 
hartnäckigen  Sehnenscheiden-  und  Muskelentzündungen, 
wie  sie  oft  bei  Wäscherinnen  und  Köchinnen,  aber  auch 
bei  gewissen  Plandwerkern  als  sogen.  „Vergreifen“  Vor¬ 
kommen, überraschende  Resultate  erzielt,  indem  die  Kranken 
sich  selbst  die  Seife  in  beide  Handteller  und  die  Innen¬ 
seite  der  Vorderarme  einrieben;  vielleicht  wegen  der 
hier  zahlreichen  Hauttalgdrüsen. 

Da  es  bis  jetzt  noch  nicht  wissenschaftlich  feststeht, 
welchen  Sonderbestandteilen  des  gemischten  Stoffs,  den 
wir  Schmierseife  nennen,  die  eigentliche  Heilwirkung 
zusteht,  so  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  ob  die  von 
manchen,  wie  auch  oben  in  der  Einleitung  gemachten 
Vorschläge,  dieselbe  durch  die  jedenfalls  teurere  Sap. 
virid,  Kalini  depurativ.  zu  ersetzen,  das  Richtige  wäre, 
da  möglicherweise  gerade  durch  die  „Depuration“  dieser 
wichtige  Bestandteil  könnte  verloren  gehen.  —  Hat  doch 
auch  s.  Zt.  der  Vorschlag,  den  Lebertran  durch  wohl¬ 
schmeckendere  Fette,  Butter  und  Baumöl  zu  ersetzen 
bis  jetzt  wenig  Anklang  gefunden. 


Nr.  9. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


85 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Lieber  die  unspezifische  Therapie  von  Infektions¬ 
krankheiten. 

Von  Wolfgang  Weichert  -  Erlangen. 

Es  mehren  sich  die  Angaben  von  Autoren,  die  fanden, 
dass  Tvphus  und  andere  Infektionskrankheiten  durch 
Injektion  von  Albumose,  aber  auch  von  anderen,  ganz 
unspezifischen  Mitteln,  günstig  beeinflusst  werden.  W.  er¬ 
klärte  diese  Befunde  mit  der  von  ihm  und  seinen  Mit¬ 
arbeitern  schon  seit  langem  studierten  Protoplasma¬ 
aktivierung  : 

Man  kann  zeigen,  dass  durch  höhermolekulare  Ei¬ 
weissspaltprodukte  Leistungssteigerung  her- 
vorgerufen  wird,  durch  Kurvenserien  am  isolierten,  er¬ 
müdeten  Froschherzen  wird  diese  Leistungssteigerung 

gezeigt. 

Grössere  Dosen  bewirken  Minderleistungen.  V  .  zeigte, 
dass  durch  die  allerverschiedensten  Einflüsse,  bei  richtiger 
Dosierung,  der  Stoffwechsel  so  beeinflusst  werden  kann, 
dass  leistungssteigernde  Spaltprodukte  entstehen. 


Ausser  an  isolierten  Organen  können  Protoplasma¬ 
aktivierungen,  die  zu  Leistungssteigerungen  führen,  in 
für  die  Praxis  geeigneter  Weise  an  der  Verfolgung  der 
Leukozvtentätigkeit  oder  an  der  Vermehrung  der  Drüsen¬ 
sekretion  studiert  werden.  Zu  diesem  Zwecke  hält  Ver¬ 
fasser  ältere,  seit  Jahren  nicht  mehr  belegte  Ziegen  bei 
gleicher  Nahrung.  Die  gleichmässige  Mi’.chmengen  liefern¬ 
den  Ziegen  werden  dann  mit  den  aktivierenden  Mitteln 
eingespritzt  und  an  der  Steigerung  der  Milchproduktion 
die  jedesmalige  und  allgemeine  Leistungssteigerung  ge¬ 
messen. 

Schon  Mittel,  die  sonst  als  indifferent  gelten,  können 
so  als  leistungssteigernd  erkannt  werden.  Es  genügen 
schon  gering-chemische,  oft  auch  physikalische  Einflüsse, 
um  die  Entstehung  leistungssteigernder  Spaltprodukte 
zu  veranlassen. 

Hinweis  auf  die  früheren  Arbeiten  des  \  erf.  über 
diesen  Gegenstand  im  Handbuch  von  Kolle-V  asser¬ 
mann.  Aufl.  2.  Band  II.  1914.  Ermüdungsstoffe. 
(M.  m.  Ws  ehr.  45,  15.)  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Dr.  L  e  v  y  ,  Beobachtunsen  über  RiickfalUieber.  — 
Seuchenlazarett  Lügumkloster.  (Münch,  m.  Woch. ,  1915 
Nr.  37.) 

Bei  kriegsgefangeneu  Russen  fielen  zahlreiche  Hydrämien. 
Anschwellungen  an  den  Beinen.  Ödeme  der  Augenlider,  mit 
unbekannter  Herkunft  auf.  Systematische  Blutuntersuchungen 
ergaben,  dass  es  sich  um  Rückfallfieberkranke  handelte .  die 
vielfach  nicht  zur  ärztlichen  Behandlung  gekommen  waren,  und 
die  bei  jedem  Fieberanstieg  Rekurrensspirochäten  autwiesen. 
[Der  Blutstropfen  wird  nach  Lufttrocknung  2 — 10  Min.  in 
Äther  -  Alkohol  fixiert,  dann  in  (10  Proz.)  Gentianaviolett- 
Karbolsäure  (5  Proz.  -lösung)  gefärbt.  Die  Spirochäten  sind 
alsdann  tiefdunkelviolett  und  sehr  leicht  zu  erkennen.]  Verf. 
hält  die  bei  jedem  Anfall  auftietenden  Ödeme  für  eine  Hert- 
schädigung  durch  Ausscheidung  von  Spirochäten- Endotoxinen. 
Wichtig  ist  das  Fehlen  von  Eiweiss  im  Harn.  0.3 — 0.45  Neo- 
salvarsan  Hess  prompten  Fieberabfall  ersehen.  Zur  Heilung  ge¬ 
nügte  meist  eine  einzige  Injektion.  Die  Rekurrenserkrankung 
war  oft  duroh  Fleokfieber  verdeckt :  die  Diflferentialdiagnose  ist 
durch  AutVinden  der  Spirochäten  zu  sichern  bezw.  es  besteht 
Mischinfektion.  V  i  e  r  n  s  t  e  i  n  -  Kaisheim. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Bericht  über  einige  Neuerscheinungen  auf  dem  («ebieto  der 
Chirurgie  und  Orthopädie. 

Von  F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s - Kes.-l.azarett  München  K. 


I .  Tr  a  u  m  atisches  Öde 


m 


In  Nr.  36  der  M  m,  W.  wird  aus  der  chirurgischen  Uni¬ 
versitätsklinik  tu  Jena  von  S  t  r  oh  me  y  er  ein  interessanter 
Beitrag  zur  Ätiologie  des  erst  io  den  letzten  10  Jahren  von 
Sekret  a  n  und  \  u  l  1  i  e  t  gescbatlenen  Krankheitsbildes 
gcr  traunmtisohen  (kleine  geliefert.  Das  traumatisehe  (klein  ist 
ümsichtlieb  seiner  Ätiologie  noch  wenig  geklärt,  und  es  ist  be- 
hrcitlicb,  dass  der  Begritl  „traumatische  (klein“  sich  in  der 


letzten  Zeit  zu  einem  Sammelbegriff  für  alle  solche  Er¬ 
scheinungen  ansgebildet  hatte,  bei  denen  brettharte  Infiltration 
und  scharfe  Absetzung  dieser  Infiltration  das  Charakteristikum 
bildeten,  ohne  dass  jedoch  im  einzelnen  die  Ätielogie  berück¬ 
sichtigt  werden  konnte.  Die  Kenntnis  dieser  Ödeme  beschränkt 
sich  bis  heute  noch  auf  Hand-  und  Fussrücken,  jedenfalls  aut 
Gebiete,  in  denen  Sehnenscheiden  verlaufen  —  eine  Tatsache, 
die  bei  Erklärung  dieses  Krankheitsbildes  nicht  übersehen  werden 
kann. 

Strohmeyer  stellt  nun  mit  seinem  Fall  eine  Ditieren- 
zieruug  der  traumatischen  Ödeme  aut,  womit  wir  der  Ätiologie 
dieser  Ödeme  für  einzelne  Fälle  um  ein  bedeutendes  Mücti 
näher  gekommen  sind.  Es  handelt  sieb  in  diesem  Fall  um  ein 
Ödem,  hervorgerufen  durch  einen  Fremdkörper  im  2.  Ioter- 
metakarpalraum,  nach  dessen  Fxstirpatiou  sich  im  Verlauf  \on 
2  Wochen  die  charakteristischen  Zeichen  des  traumatischen 
Ödemes  manifestierten  —  starke,  dorsale,  brettharte,  druck¬ 
empfindliche  Schwellung.  Die  übliche  Therapie  HeissLnt, 
Massage  —  brachte  nur  vorübergehende  Erweichung.  Lediglich 
zur  histologischen  Untersuchung  wurde  die  Narbe  exstirj 
mit  dem  überraschenden  Resultat,  dass  nach  S  Tagen  das 
Ödem  verschwunden  war.  Demzufolge  wurde  die  Ursache  des 
Ödemes  in  au  der  Narbe  befindlichen,  unbekannten  Morten 
gesehen.  Starke,  bis  stellenweise  zum  Verschluss  führende 
Schwellung  der  Endothelien  der  Lymphbahnen  bildet  tüi 
Stroh  m  eyer  eine  Erklärung  für  ein  Eindringen  eines 
Stortes.  der  zur  chronischen,  aut  den  Handrücken  lokalisiert 
gebliebenen  Lvmphangitis  mit  dem  Bilde  des  traumatischen 
(kleines  geführt  hat.  An  der  Quantität  und  Qualität  des  reiz- 
ausübenden  Stortes,  wie  in  der  Hinderung  seiner  weiteren  Resorp¬ 
tion  durch  Verschluss  der  Lviuphgeiässe  sieht  Stroh- 
m  e  v  e  r  den  Grund  für  die  lokale  Entzündung,  die  nun 
durch  frühzeitige  Exstirpation  des  reizausübenden  Stortes  zur 
Norm  zurückging. 

Diese  toxische  Erklärung  des  traumatsichen  Ödemes  ist 
natürlich  nur  bei  Vorhandensein  von  Fremdkörpern  verwendbar, 
macht  aber  den  vollständig  geglückten  Versuch,  eiue  Differen- 
zierung  hinsichtlich  der  Ätiologie  iu  dem  weiten  Begriff:  trau- 


86 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  9 


matisches  Odem  zu  schaffen.  Bedauerlich  ist,  dass  Stroh- 
m  e  y  e  r  sein  \  erfahren  der  Narbenexstirpation  nicht  genauer 
gekennzeichnet  hat,  von  dem  Gedanken  aus,  dass  bei  der  Ex¬ 
stirpation  das  zusammenhängende  Paket  der  Sehnenscheiden 
des  Handrückens  miteröffnet  wurde. 

2.  Schmuckprothese  und  Arbeits¬ 
prothese. 

Referat  zu  den  Veröffentlichungen  von  Bade  und 
S  p  i  t  z  y  in  Nr.  34  d.  M.  m.  W. 

Da  vor  Beginn  dieser  Krieges  die  Frage  des  künstlichen 
Armersatzes  noch  wenig  aktuell  war,  pflegte  man  sich  im 
grossen  und  ganzen  mit  dem  üblichen  Bandagistenarm,  der 
zugleich  Schmuck-  und  Arbeitsprothese  seiu  sollte,  zu  begnügen 
und  überliess  es  hauptsächlich  dem  Bandagisten,  sich  mit  dem 
Ausbau  des  Armersatzes  zu  beschäftigen.  Heute  ersieht  die 
Orthopädie  als  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  in  sozialer  Hin¬ 
sicht,  den  Kriegs  in  validen  durch  entsprechende  Ersatzstücke 
den  \  erlust  von  Gliedmassen  am  wenigsten  fühlbar  zu  machen 
Die  bis  jetzt  schon  gemachten  Erfahrungen  haben  in  Deutsch¬ 
land  fast  allgemein  zu  dem  Ergebnis  geführt,  dass  Schmuck- 
und  Arbeitsprothese  nicht  e  i  n  Begriff  sein  können.  Diese 
Erwägungen  gehen  von  2  sozialen  Gesichtspunkten  aus:  1.  Der 
Invalide  als  vollwertiger  Mensch  und  2.  der  Invalide  als  voll¬ 
wertiger  Arbeiter.  Unsere  Heeresverwaltung  will  ebenfalls 
diesen  Standpunkt  einnehmen,  indem  jedem  verstümmelten 
Soldaten  neben  einer  seinem  Beruf  zusprechenden  Arbeits¬ 
prothese  eine  Maskierungsprothese  zum  äusseren  Ausgleich  der 
\  erstümmelung  beschafft  werden  wird.  Bis  jetzt  war  man  in 
erster  Linie  noch  auf  den  bekannten,  „künstlichen“  Arm  der 
Bandagisten  angewiesen,  der  zwar  kunstvoll  und  teuer  ist,  aber 
unsere  heutigen  Forderungen  in  keiner  Weise  deckt.  Bei  der 
Arbeit  hindert  er  mehr,  als  er  nützt  und  lediglich  als  Schmuck¬ 
prothese  ist  er  viel  zu  teuer  und  kompliziert.  Aus  diesen  Ge¬ 
sichtspunkten  heraus  konstruierte  Bade-  Hannover  seine 
Schmuckprothese,  die  so  glänzend  einfach  und  ideal  ist,  dass 
sie  die  uneingeschränkte  Zustimmung  der  Orthopäden  für  ihren 
Zweck  gefunden  hat.  B  i  e  s  a  1  s  k  i  nennt  sie  das  „Ei  des 
Kolumbus“  in  Lösung  der  Schmuckprothesenfrage.  Ich  bin 
dei  Überzeugung,  dass  wi:  bald  in  jedem  Maskierungsarm  das 
Bade  sehe  Prinzip  —  wenigstens  angedeutet  —  vorfinden 
veiden.  Bade  stellte  sich  in  der  Bekämpfung  des  üblichen 
Bandagistenarmes  5  Aufgaben  :  Sein  Arm  muss  als  Schmuck- 
piothese  mindestens  dasselbe  leisten  als  der  übliche  künstliche 
Arm,  er  muss  sich  dem  gegenwärtigen  Handelsmarkt  anpassen 
im  i  oitfall  des  Leders,  er  muss  viel  billiger,  bequemer  und 
leichter  sein  und  darf  sich  nicht  schneller  abnutzen.  Diese 
Aufgaben  sind  voll  und  ganz  gelöst. 

Der  Bandagist  schafft  seinen  Arm  von  aussen  nach  innen, 
indem  er  an  die  äusseren,  schweren  Stützschienen  die  gewalkten, 
teuren  Lederhülsen  legt  Bade  arbeitet  von  innen  nach 
aussen  im  Sinne  der  Anatomie  mit  den  einfachsten  Hilfsmitteln. 

4  facher  Draht  ist  das  Skelett  für  Ober-  und  Unterarm,  das  nach 
Durchlaufen  einer  Holzscheibe  in  seine  einzelnen  Drähte  auf¬ 
gelöst  zu  Phalangen  ausläuft;  der  5.  Finger  wird  als  neuer 
kurzer  Draht  angefügt.  Watte,  Binden  und  Trikot  werden  zu 
\\  r  eich  teilen  und  Plaut  dieses  Armes  Die  mit  Watte  montierten 
ingerdrähte  werden  mit  einem  Handschuh  überzogen,  Es 
ist  einleuchtend,  dass  sich  mit  diesen  Hilfsmitteln  die  Konturen 
eines  Armes  natürlicher  nachbilden  lassen  als  mit  dem  starren, 
verschienten  Bandagistensystem.  Die  zu  kleinen  Vorrichtungen 
nötigen  Gelenk-  und  Greifbewegungen  werden  durch  Biegen  "des 
Drahtskelettes  mit  dem  gesunden  Arm  ausgeführt.  Interessant 
und  neu  ist  die  Art  der  Befestigung  dieses  Armes  an  den 
Stumpf.  Der  4  fache  Armdraht  löst  sich  am  proximalen  Teil 

nach  Durchlaufen  einer  Holzscheibe  in  seine  4  Bestandteile  auf, 
die  Drähte  umgreifen  den  mit  Trikot  überzogenen  Stumpf 
becherförmig.  Mit  Zelluloid  getränkten  Binden  umwickelt 
Lade  das  Drahtgestell  am  Stumpf,  lässt  sie  trocknen  und 
erhalt  auf  diese  Weise  eine  tadellose,  billige  Ansatzhülse.  Die 
endgültige  Befestigung  geschieht  über  Brust  und  Rücken  unter 
der  gesunden  Achsel  mittels  Gurt.  Ohne  fremde  Hilfe  kann 
diese  Prothese  von  dem  Träger  angelegt  werden. 

Nach  dem  Gesagten  erscheint  mir  diese  Schmuckprothese 
B  a  d  e  s  wegen  ihrer  einfachen,  billigen,  leichten,  gut  zu  er¬ 


neuernden  Beschaffenheit  als  die  brauchbarste  von  allen  bis¬ 
herigen  Erscheinungen,  und  es  ist  mit  Freuden  zu  begrüssen, 
dass  wir  durch  diesen  Arm  von  dem  nichts  Ganzes  uud  nichts 
Halbes  darstellenden,  üblichen  Bandagistenarm  freigekommen 
sind,  vielleicht  zum  Leidwesen  der  Bandagisten,  aber  zum  Vor- 
|  teil  unserer  Invaliden. 

Hat  somit  die  Frage  der  reinen  Schmuckprothese  in  über¬ 
raschender  Weise  und  kurzer  Zeit  eine  brauchbare  Lösung 
durch  Bade  gefunden,  so  stehen  wir  mit  Beschaffung  von 
vollwertigen  Arbeitsprothesen  zum  grössten  Teil  noch  auf 
experimentellem  Boden,  wenngleich  auch  auf  diesem  Gebiete 
schöne  Fortschritte  zu  verzeichnen  sind.  Der  gewisse  Rück¬ 
stand  in  dieser  Frage  liegt  in  ihrer  Vielfältigkeit  begründet, 
da  jede  Arbeitsprothese  den  sozialen  Forderungen  ihres  Trägers 
Rechnung  tragen  muss.  Das  ist  das  Grundprinzip  der  Wieder¬ 
verwendungsmöglichkeit  unserer  jetzigen  Invaliden  Drehorgel 
und  Bettelmusik  wird  heutzutage  nicht  mehr  das  Brot  für 
unsere  Kriegsinvaliden  sein,  und  es  ist  ein  gutes  Zeichen, 
welch’  intensiver  Eifer  zur  glücklichen  Erledigung  der  Arbeits¬ 
prothese  allenthalben  aufgewandt  wird. 

S  p  i  t  z  y  -  Wien  fordert  mit  seiner  Arbeit  die  Orthopäden 
auf,  Prothesen  zu  konstruieren,  deren  funktionelle  Beweglichkeit 
zur  Arbeitsverrichtung  von  den  Mukeigruppen  des  gesunden 
Armes  ausgehen  soll  und  führt  als  Beispiel  seineu  Fall  an, 
der  den  Beruf  als  Kirchendiener  mit  Hilfe  einer  derartig  ge¬ 
bauten  Prothese  wieder  ausführt  Mit  diesem  Fall  ist 
S  p  i  t  z  y  noch  Anhänger  der  veralteten  Methode  der  Identität 
von  Arbeits-  und  Schmuckprothese.  Der  Mechanismus  dieser 
Arbeitsprothese  beruht  auf  Funktion  des  Deltamuskels  des 
Stumpfes,  indem  hierdurch  durch  Schnürzug  (Fixationspunkt 
der  Schnur  ist  am  Leibriemen)  Flexion  des  Vorderarms  be¬ 
wirkt  wird.  Durch  Zugübertragung  von  Bewegung  der  ge¬ 
sunden  Schulter  auf  den  Daumen  der  Prothese  wird  Adduk¬ 
tionsschluss  des  Daumens  zum  Festhalten  vom  Gegenständen 
erzielt.  Der  Gedanke  dieser  Zugübertragung  von  gesunden  Arm 
auf  die  Prothese  kommt  von  Amerika,  macht  eine  derartige 
Prothese  kompliziert  und  teuer,  ist  in  sozialer  Hinsicht  nur 
für  Invalide  in  Repräsentationsstellungen  verwendbar  und 
scheidet  demnach  von  dem  Begriff  Arbeitsprothese  im  engeren 
Sinne  des  Wortes  aus.  Ausserdem  ist  die  Erlernung  dieser 
Zugübertragung  äusserst  schwierig  und  mühsam,  und  es  ist  auch 
dem  geschicktesten  Prothesenträger  nicht  gelungen,  die  dem 
Zuschauer  unmotiviert  erscheinenden  Bewegungen  des  gesunden 
Armes  zu  verdecken.  Ich  bin  der  Ansicht,  dieses  Prinzip 
ruhig  Amerika  zu  überlassen  und  sich  umsomehr  mit  wirklich 
brauchbaren  Arbeitsprothesen  für  unsere  Arbeits  wollenden  In¬ 
validen  zu  befassen.  Diesem  Gedanken  entsprechen  die  4 
weiteren  Veröffentlichungen  von  reinen  Arbeitsprothesen 
Spitz  y’s  weit  mehr.  Sie  sind  schon  von  dem  leitenden  Satz 
B  i  e  s  a  1  s  k  i’s  getragen,  dass  der  beste  Arbeitsarm ersatz  der 
Stumpf  —  und  ist  er  noch  so  klein  —  selbst  ist.  S  p  i  t  z  y 
führt  hier  für  die  kurzen,  und  mit  Ansatzstück  versehenen  Pro¬ 
thesen  den  Ausdruck  „sensible“  Prothese  ein  und  beweist  nur 
damit,  dass  auch  er  der  in  Deutschland  schon  allgemein  ver¬ 
tretenen  Ansicht  für  kurze,  möglichst  jedes  Gelenk  vermissen 
lassende  Arbeitsprothesen  die  Brauchbarkeit  zuerkeunt.  So  benutzt 
auch  S  p  i  t  z  y  für  einen  Tischler,  auf  den  allerdings  schwer¬ 
lich  der  Ausdruck  einarmig  heutzutage  nach  Anwendung  finden 
kann,  da  die  Amputation  am  unteren  Drittel  des  Vorderarmes 
stattfand,  weichlederne  Stumpfüberzüge,  an  die  entsprechende 
Werkzeuge  befestigt  sind. 

Gut  und  neuartig  erscheint  mir  bei  einem  im  Schulter- 
gelenk  exartikulierten  Drechsler  die  Prothese,  die  lediglich  aus 
einer  durch  Gurte  an  der  Mitte  der  Brustseite  befestigten  Holz¬ 
platte  besteht  und  vorn  in  Einlochung  die  nötigen  Werkzeuge 
trägt.  Für  einarmige,  landwirtschaftliche  Arbeiter  hält 
S  p  i  t  z  y  gleichfalls  das  oben  geschilderte  Prinzip  der  mög¬ 
lichst  kurzen  Arbeitsprothese  für  das  erfolgreichste,  indem  er  nur 
den  kurzen  Oberarmstumpf  mit  einfacher  Lederprothese,  die  am 
Ireien  Ende  eine  Metallhülse  zur  Verstärkung  und  Schutz 
trägt,  umgibt  und  mit  Riemen  zum  Befestigen  der  Werkzeuge 
versieht. 

Durch  diese  Arbeiten  Bad  e’s  und  S  p  i  t  z  y’s  ist  die 
Scheidung  von  Schmuck-  und  Arbeitsprothese  —  Begriffe,  die 
man  früher  immer  miteinander  vereinigen  wollte  —  auch 


Nr.  9. 


Fortschritte  der  Medizin. 


87 


öffentlich  praktisch  erprobt,  zu  Tage  getreten,  eine  Tatsache,  an  i 
deren  weiteren  Aushau  in  den  orthopädischen  Werkstätten  und 
sonst  tüchtig  gearbeitet  wird. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Glan  zra  a  n  n  ,  Erfahrungen  über  Eiweiss-Milch  und 
ihre  Ersatzpräparate.  (Jahrb.  f.  Kinderh.,  82.  Bd.  Heft  4.) 

In  eingehender,  die  Grundlagen,  Indikationen  und  Ziele 
der  Eiweiss-Milch-Therapie  ausführlich  erörternder  Arbeit  werden 
die  guten  Erfahrungen  der  Berner  Kinderklinik  (Prof.  Stooss) 
mit  der  Meyer-Finkelstei  n’schen  Ei  weismilch  und 
ihren  Ersatzpräparaten  (Larosan,  Plasmon  ,  Pflanzenmilch)  be¬ 
schrieben.  S  t  r  a  u  s  s  -  Mannheim. 

Iv  a  u  f  m  a  n  n  -  W  o  1  f  ,  Zur  Frage  der  Übertragbarkeit 
der  Dermatitis  exfoliativa  neo  latorum.  (Jahrb.  f  Kind.,  82.  Bd  , 
Heft  4.) 

Zum  erstenmal  wird  hier  die  Übertragung  der  Dermatitis 
exfoliativa  (Ritter)  vom  Kind  auf  die  Mutter  beobachtet, 
bei  der  sich  die  Krankheit  typisch  an  der  Brust  zeigte,  an  der 
das  Kind  gestillt  wurde.  S  t  r  a  u  s  s  -  Mannheim. 

Koch,  H.,  Initialfieber  der  Tuberkulose.  (Zeitschr.  für 
Kdh ,  13.  Bd.,  1.  u.  2.  Heft.) 

In  drei  Fällen  der  Wiener  Kinderklinik  konnte  das  Früh¬ 
stadium  der  Tuberkulose  beobachtet  werden,  die  Zeit  der  mut¬ 
masslichen  Infektion  bis  zum  erstmaligen  Auftreten  der 
P  i  r  q  u  e  t’schen  Reaktion;  es  wurde  bei  allen  dreien  unge¬ 
fähr  in  der  7.  Woche  nach  dem  wahrscheinlichen  Termin  der 
Infektion,  in  der  Zeit  in  der  auch  Pirquet  positiv  wurde, 
ein  sonst  nicht  erklärliches  Fieber  festgestellt,  das  der  Ver¬ 
fasser  als  „Tnitialfieber  der  Tuberkulose“  bezeichnen  möchte. 

Strauss-  Mannheim. 

Koch,  H.,  Die  Tuberkulinbeliandlung  im  Kindesalter. 
(Zeitschr.  f.  Kdhlkde.,  13.  Bd.,  1.  und  2.  Heft.) 

Eingehende  Schilderung  der  an  der  Wiener  Kinderklinik 
Pirquets  eingeführten  Methode  der  Tuberkulinbehandlung 
beim  Kinde.  Sie  unterscheidet  sich  von  der  sonst  üblichen 
hauptsächlich  darin,  dass  die  Tuberkulindosis  in  einer  grösseren 
Flüssigkeitsmenge  (10 — 20  ccm)  gelöst  verabreicht  und  mit  der 
Stelle  der  Injektion  möglichst  gewechselt  wird ;  beides  zu  dem 
Zwecke,  eine  lokale  Reaktion  der  Injektionsstelle  zu  vermeiden. 
Die  Anfangsdosis  beträgt  1/10M  mg  AT  und  steigt  in 
geometrischer  Progression  bei  rascher  Steigerung  durch  7,  bei 
mittler  durch  13,  bei  langsamer  durch  25  Dosen  zur  Enddosis 
von  1  mg;  die  Möglichkeit  der  Steigerung  ist  gegeben,  wenn 
allgemeine  Reaktionen  (Fieber  und  subjektive  Symptome)  und 
Lokalreaktionen  an  den  erkrankten  Stellen  ausbleiben.  Unter 
45  Fällen  wurden  38  durch  die  Tuberkulin-Injektionen  günstig 
beeinflusst,  was  sich  zum  Teil  in  Rückgang  der  entzündlichen 
Erscheinungen,  Verschwänden  der  Tuberkelbazillen  im  Sputum, 
zum  Teil  im  Aufhören  von  Husten  und  Sputum  äusserle.  Un¬ 
günstigen  Einfluss  hatte  die  Kur  nur  bei  wenigen  Fällen 
schwerer  phthisischer  Prozesse  über  beiden  Lungen.  Sonst  aber 
ist  ihre  Anwendung  zu  empfehlen. 

S  t  r  a  u  s  s  -  Mannheim. 

Prof.  L.  T  o  b  1  er  ,  Zur  Technik  der  diagnostischen  Blut¬ 
entnahme  und  der  intravenösen  rnjektion  beim  Säugling. 
(Monatsschr.  f.  Kdhlkd.,  Bd.  13,  Nr.  8.) 

Der  verdienstvolle  unlängst  verstorbene  Breslauer  Pädiater 
gibt  hier  einen  neuen  Weg  zur  Venenpuuktion  beim  Säugling 
an.  Die  Schwierigkeit,  bei  der  Kleinheit  und  Verborgenheit 
der  Kubitalvene  beim  Säugling  diese  ohne  Freilegung  zu  punk¬ 
tieren,  hat  zum  Vorschlag  geführt,  hierzu  die  Temporal-Venen 
oder  die  Vena  jugul.  externa  zu  benutzen.  Statt  ihrer  versuchte 
T  o  b  1  e  r  mit  gutem  Erfolg  vom  hintern  Winkel  der  grossen 
Fontanelle  aus  oder  durch  die  noch  offene  Sagittalnaht  den 
Sinus  longitudinal,  superior,  den  sagittalen  Blutleiter  der  Dura, 
zur  Punktion  und  intravenösen  Injektion  zu  benutzen. 

Strauss  -  Mannheim. 

Prof.  Hans  Vogt,  Über  Kampferabszesse.  (Monats¬ 
schr.  f.  Kdhkde.,  Bd.  13,  Nr.  8)  schildert  ein  ihm  häufig  be¬ 
gegnendes  Auftreten  von  Hautabszessen  bei  Kampfer-Injektionen 
von  Kindern,  für  die  er  einen  Fehler  in  der  Technik  ausschliessen 
zu  können  glaubt.  Strauss-  Mannheim. 


Dr.  In  ge  borg  Jacobsen  und  Dr.  Adolf 
H.  Meyer,  Untersuchungen  über  den  Keuchhustenbazillus 
( Bordet- Gengou’schen  Bazillus).  (Archiv  für  Kinderheilkunde. 
G4.  Bd.,  5.  und  6.  Heft.) 

Bordet-Gengou  vom  Pasteur-Institut  zu  Brüssel 
veröffentlichten  im  Jahre  D06  eine  Abhandlung,  worin  sie  den 
Keuchhusten-Bazillus  gefunden  zu  haben  behaupteten  ;  sie  be¬ 
schrieben  ihn  als  kleinen  ovoiden  Bazillus,  der  in  dem  Aus¬ 
wurf  von  Patienten  mit  frischem  Keuchhusten  auftritt.  In  den 
folgenden  Jahren  sind  dann  eine  Reihe  von  Arbeiten  er¬ 
schienen,  die  die  Ergebnisse  dieser  Forscher  zum  Teil  bestätigt 
zum  Teil  aber  auch  bestritten  haben;  insbesondere  in  Deutsch¬ 
land  ist  man  noch  keineswegs  von  der  Spezifität  des  Bord  et- 
G  e  n  g  o  u’schen  Bazillus  für  die  Ätiologie  des  Keuchhustens 
überzeugt.  J  acobsen  und  Meyer  untersuchten  im 
ganzen  37  Keuchhustenpatienten  ;  bei  14  von  IG  Patienten,  die 
bis  zu  3  Wochen  gehustet  hatten,  wurde  der  Bazillus  rein  ge¬ 
züchtet;  bei  Patienten,  die  eine  Woche  länger  gehustet  hatten, 
gelang  die  Züchtung  viel  seltener ;  wenn  die  Patienten  über 
1  Monat  gehustet  hatten  und  bei  Komplikation  mit  verbreiteter 
Bronchitis  oder  Bronchopneumonie,  gelang  sie  überhaupt  nicht 
Übertragungsversuche  auf  Affen  fielen  negativ  aus.  Die  Spezifität 
des  Erregers  glauben  sie  jedoch  aus  den  Komplementbindungs¬ 
versuchen  mit  dem  Serum  Erkrankter  und  Genesender  scldiessen 
zu  dürfen,  die  fast  ausnahmslos  positiv  gefunden  wurden. 

Julius  Strauss  -  Mannheim. 

Dr.  L.  Bernhard,  städt.  Schularzt  in  Berlin,  Über  den 
Einfluss  der  Sommerferien  auf  die  Diphtherie-  und  Scharlach¬ 
sterblichkeit.  (Archiv  für  Kinderheilkunde.  64.  Bd.  Heft  5 
und  6.) 

Um  der  Frage  näher  zu  treten,  ob  durch  die  Schule  eine 
nennenswerte  Verbreitung  von  Scharlach  und  Diphtherie  statt¬ 
findet,  hat  man  den  Einfluss  der  Ferien  auf  die  Zahl  der 
Krankheits-  uud  Todesfälle  geprüft  und  H  a  r  rin  gt  o  n,  der 
den  Gegenstand  auf  dem  3.  internationalen  Kongress  für  Schul¬ 
hygiene  in  Paris  behandelte,  meinte,  dass  die  Schliessung  der 
Schulen  während  des  Sommers  nicht  der  einzige  Grund  für  die 
Abnahme  der  Erkrankungen  in  dieser  Zeit  sei,  da  diese  schon 
vor  Schulschluss  beginne  und  schon  gegen  Ende  der  Ferien  sich 
ein  Wiederansteigen  zeige.  Verfasser  versucht  nun  den  Einfluss 
der  Ferien  auf  die  Häufigkeit  von  Diphtherie  und  Scharlach  da¬ 
durch  zu  prüfen,  dass  er  die  Statistik  Berlins  mit  der  einiger 
rheinischer  Städte  verglich,  in  welchen  die  Sommerferien  4  bis 
5  Wochen  später  beginnen.  In  der  Tat  findet  er  nun,  dass  die 
niedrigsten  Sterbeziffern  an  diesen  Krankheiten  in  Berlin  im 
Juli,  in  den  rheinischen  Städten  im  August,  also  in  den  ent¬ 
sprechenden  Ferienmonaten,  zutreffen.  Nun  sind  aber  die 
Differenzen  gegen  die  Nachbarmonate  in  beiden  Fällen  sehr 
gering  und  zudem  muss  man  damit  rechnen,  dass  ein  grosser 
Prozentsatz  der  Schulkinder  während  der  Ferien  verreist  und 
damit  die  Mortalitätsziffer  entlastet.  Man  könne  demnach  nicht 
sagen,  dass  die  Schule  den  wesentlichsten  Einfluss  auf  die 
Verbreitung  der  beiden  Krankheiten  ausübe. 

Strauss-  Mannheim. 

Kurt  Blüh  dorn,  Biologische  Untersuchungen  über 
die  Darmflora  des  Säuglings.  (Monatsschrift  für  Kinderheilk., 
Bd.  13,  Nr.  7.) 

Experimentell-wissenschaftliche  Versuche,  durch  Einwirkung 
von  Stuhlbakterien  im  Reagenzglas  auf  verschiedene  Arten  von 
Milch,  auf  Zucker,  Eiweiss  in  verschiedenen  Kombinationen 
die  praktischen  Wirkungen  der  Eiweissmilch,  Buttermilch  usw. 
theoretisch  zu  erklären. 

Strauss  -  Mannheim. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Meyer,  Praktische  Erfahrungen  mit  dem  Fürstenauschen 
Intensimeters.  (D.  med.  Wschr.,  44,  15.) 

Die  Bedenken,  welche  der  Verwendung  von  Selenzellen 
zu  Röntgenstrahlenmessungen  früher  entgegenstanden,  sind  durch 
die  Konstruktion  des  Fürstenauschen  Intensimeters  und  die  bei 
ihm  venvendete  Selenzellenart  behoben  ;  insbesondere  spielen 
Trägheit  und  Ermüdung  keine  Rolle  mehr.  M.  erblickte  nach 


88 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  9. 


seinen  bisherigen  eingehenden  Erfahrungen  in  dem  Intensimeter 
infolge  der  mit  ihm  verknüpften  wesentlichen  Vereinfachung 
der  Methodik  und  der  Objektivität  der  Zeigerablesung  einen 
erheblichen  Fortschritt  für  die  Dosierung  und  Härtemessung  der 
Röntgen  strahlen.  N  e  u  m  a  n  n. 

Prof.  Hans  Aron,  Die  Bedeutung  von  Extraktstoffen 
lür  die  Ernährung.  (Monatsschrift  f.  Kinderheilkde,  Bd.  13, 
Nr.  8.) 

Diese  Arbeit  ist  ein  Beitrag  zu  den  neueren  Forschungen 
auf  dem  Gebiet  der  Chemie  der  Ernährungsstoffe,  das  seinen 
besonderen  Ausdruck  in  der  Lehre  Funks  von  den  Vitaminen 
fand;  es  handelt  sich  um  die  Frage,  ob  es  ausser  Eiweiss,  Fett, 
Kohlehydraten  und  Mineralstoffen  noch  andere  Nahrungsstoffe 
gibt,  die  für  den  diätetischen  Effekt  einer  Nahrung  bedeutungs¬ 
voll  sein  können,  insbesondere  die  sog.  Extraktivstoffe.  Ihr 
Einfluss  auf  die  Sekretion  der  Verdauungssäfte  ist  ja  seit  den 
P  a  w  1  o  w’schen  Untersuchungen  zur  Genüge  bekannt  ;  es  ist 
aber  auch  möglich,  dass  sie  in  vielen  Fällen  lebenswichtige 
Komponenten  der  Nahrung  bilden  können.  Aron  untersuchte 
den  Einfluss  der  Extraktstoffe  der  Getreidekleie  im  Tierversuch 
auf  das  Gedeihen  junger  Ratten.  Er  fand  in  einer  Reihe  von 
Versuchen,  dass  diese  bei  ausreichender  Ernährung  mit  Eiweiss, 
Fett,  Kohlehydraten  und  Salzen  nicht  gediehen,  aber  sich  so¬ 
fort  erholten  und  rapid  besserten ,  wenn  er  ihnen  eine  gewisse 
Menge  des  Kleieu-Extraktes  in  kleinen,  einmaligen  Tagesdosen 
verabreichte.  Diese  Versuche  werfen  ein  Licht  auf  manche 
Ernährungsstörungen  des  Säuglings,  insbesondere  die  B  a  r  1  o  w’sche 
Krankheit  (die  ja  möglicherweise  durch  einen  derartigen  Mangel 
an  zur  Zeit  noch  nicht  bekannten  Nährstoffen  veranlasst  wird 
und  deren  Heilung  in  neuerer  Zeit  durch  einen  Gelberüben- 
Extrakt  versucht  worden  ist)  und  auf  die  Tatsache,  dass  bei 
der  künstlichen  Ernährung  des  Säuglings  manchmal  eiue  kleine 
Änderung  in  der  Nahrungszusammensetzung,  wie  Ersatz  des 
Zuckers  durch  Mehl,  einen  überraschenden  Erfolg  für  das  Ge¬ 
deihen  des  Säuglings  haben  können. 

Strauss  -  Mannheim. 


Neuere  Medikamente. 

Die  Erfolge,  die  man  mit  Optochin  in  der  Behandlung 
von  Pneumokokkeninfektionen  erzielt  hat,  veranlassten  Dr. 
L  e  v  y  ,  Köln-Bayenthal,  dasselbe  Mittel  gegen  Gonorrhoe  an¬ 
zuwenden.  Er  berichtet  darüber  in  Nr.  42  der  Berliner  klin. 
Wochenschrift. 

Darnach  bezeichnet  er  das  Optochin  auf  Grund  seiner  in 
25  Fällen  erzielten  Erfolge  als  wirksames  Unterstützungs¬ 
mittel  in  der  Gonorrhoebehandlung  und  zwar  war  der  Ein¬ 
fluss  bei  chronischen  Fällen  ein  noch  günstigerer  als  bei 
akuten. 

Das  Optochin  kam  in  1  prozentiger  Lösung  sechsmal  am 
Tage  als  Injektion  zur  Anwendung  und  wurde  tadellos  ver¬ 
tragen.  Die  Schmerzen  beim  Urinieren  Hessen  sehr  bald  nach, 
die  Sekretion  wurde  bedeutend  vermindert,  verlor  ihren  eiterigen 
Charakter  und  wurde  hell  und  dünnflüssig.  Die  Gonokokken 
verminderten  sich  rasch,  nach  4  Tagen  fanden  sich  nur  noch 
vereinzelte  im  Ausstrichpräparat,  auch  wenn  vorher  Unmengen 
vorhanden  gewesen  waren.  In  Fällen,  die  nach  achttägiger  Be¬ 
handlung  mit  Optochin  noch  nicht  geheilt  waren,  liess  L  e  v  y 
nebenbei  noch  Protargol  anwenden  und  erzielte  dann  in  kurzer 
Zeit  völligen  Erfolg. 

Die  Münchener  medizinische  Wochenschrift  bringt  in  Nr. 
36  und  Nr.  4L  Berichte  von  Prof.  Dr.  Blind  und  Dr. 
Gustav  Harter  über  „Kriegschirurgische  Erfahrungen 
mit  P  e  1  1  i  d  o  1‘*  und  „Pellidolsalbe  als  Ekzemheilmittel“. 

Blind  bestätigt  die  günstigen  Erfahrungen  bei  der  Be¬ 
handlung  ausgedehnter  granulierender  Wundflächen  mit  Pellidol 
insbesondere  mit  2  Proz.  Pellidolvaseline,  wenn  es  sich  darum 
handelt,  eine  rasche  und  sichere  Überhäutung  herbeizufiihrn  in 
Fällen,  in  denen  die  altbewährten  chirurgischen  Wund¬ 
verschlussmethoden  nicht  zur  Anwendung  kommen  können. 
Hier  tritt  das  Pellidol  als  Ersatz,  gegebenenfalls  auch  als 
unterstützendes  Hilfsmittel,  mit  verblüffend  rascher  Wirkung  ein 


mit  nur  seltenen  und  dann  leicht  überwindlichen  Reizer¬ 
scheinungen.  Die  verhältnismässig  derbe  Decke,  die  durch 
Pellidolüberhäutung  erzielt  wird,  hebt  der  Verfasser  ganz  be¬ 
sonders  hervor.  Im  Bilde  zeigt  er  den  raschen  Erfolg  bei 
Schussverletzung  und  schwerem  Frostschaden. 

Harter  tritt  der  Beobachtung  Dr.  A  r  n  old 
S  t  ö  r  z  e  r’s  entgegen,  die  derselbe  „Ueber  einen  Fall  von 
Ekzem  nach  Anwendung  von  Pellidolsalbe“  in  Nr.  37  der 
Münchener  med.  Wochenschrift  veröffentlicht.  Er  hat  im 
Gegensatz  hierzu  seit  1  l/2  Jahren  Pellidolsalbe  direkt  als  Ekzem¬ 
heilmittel  bisher  ausnahmslos  mit  bestem  Erfolge  angewandt 
und  beschreibt  den  Fall  eingehend,  der  ihn  durch  Zufall  hierzu 
führte.  Er  vertritt  die  Ansicht  nach  seinen  Erfahrungen  leb¬ 
haft  für  die  Anwendung  von  Pellidolsalbe  bei  Ekzemkranken 
eintreten  zu  müssen  und  fordert  zur  Nachprüfung  auf. 

„Zur  Entwicklung  der  Kalktherapie“  veröffentlicht  Prof. 
Dr.  O.  L  o  ew  in  Nr  35  1915  der  Ärztlichen  Rundschau  eine 
Zusammenstellung  der  Erfahrungen  und  wissenschaftlichen 
Grundlagen,  welche  bei  der  Behandlung  mit  Kalksalzen  bisher 
massgebend  waren.  Die  Zufuhr  von  mindestens  1  g  Kalk  täg¬ 
lich  für  den  Menschen  ist  eine  bekannte  Notwendigkeit,  die 
bei  der  üblichen  Ernährung,  wobei  Fleisch,  Brot  und  Kartoffeln 
die  Hauptrolle  spielen,  nicht  erreicht  wird.  Durch  den  Genuss 
von  Gemüse  uud  Obst  wird  dem  Körper  Kalk  zugeführt,  jedoch 
nicht  in  genügender  Menge.  Diese  sowohl  wie  die  Cerealien 
enthalten  den  Kalk  neben  Magnesium,  jedoch  im  umgekehrten 
Verhältnis  der  normalen  Zusammensetzung  des  Blutserums. 

Die  therapeutische  Verwendung  von  Kalksalzen  hat  des¬ 
halb  schon  früher  stattgefunden,  aber  erst  die  Beobachtungen 
von  Hamburger  über  den  günstigen  Einfluss  der  Kalk¬ 
zufuhr  bei  Phagozytose,  die  Untersuchungen  von  W  r  i  g  h  t 
über  den  Einfluss  der  Kalksalze  auf  die  Koagulation  des 
Blutes  sowie  die  Feststellungen  von  C  h  i  a  r  i  und  J  a  - 
nuschke  über  die  Einwirkung  der  Kalksalze  auf  Hemmung 
der  Transsudate  und  Exsudate  führten  zu  einer  eigentlichen  und 
zielbewussten  Kalktherapie,  die  heute  längst  in  die  allgemeinen 
Ordinationen  des  praktischen  Arztes  Eingang  gefunden  hat. 
Prof.  Emmerich  brachte  1913  und  1915  in  der  Münchener 
medizinischen  Wochenschrift  seine  Erfahrungen  und  günstigen 
Resultate  mit  erhöhter  Kalkzufuhr  bei  Heufieber  zur  öffent¬ 
lichen  Kenntnis.  In  der  ärztlichen  Rundschau  1915  Nr.  6 
wird  der  günstige  Einfluss  der  Kalkzufuhr  bei  einer  Regen¬ 
bogenhautentzündung  berichtet.  Auch  bei  Menstruations-Ano¬ 
malien  wird  eine  längere  Zeit  dauernde  Kalkdarreichung 
empfohlen. 

Die  übliche  Ordinationsform  war  Calcium  chloratum  100,0 
in  Aqua  destillata  400,0  löffelweise  drei-  bis  viermal  täglich 
zu  nehmen.  Sie  wurde  wegen  des  bitteren  salzigen  Geschmackes 
bald  durch  Calcium  chloratum  Tabletten  ersetzt,  mit  denen  der 
Praktiker  aber  auch  oft  unzufrieden  war.  Prof.  Dr.  L  ö  w 
veranlasste  daher  im  Verein  mit  Prof.  Emmerich  die 
chemische  Fabrik  Joh.  A.  Wülfing  in  Berlin  ein  Präparat  her¬ 
zustellen,  welches  allen  Anforderungen  im  Geschmack,  sicherer 
Dosierung,  bequemer  Handhabung  und  vor  allen  Dingen  in 
einer  möglichst  weitgehenden  Kalkretention  im  Körper  entsprechen 
sollte. 

Dieses  Präparat  liegt  unter  dem  geschützten  Namen  K  a  1- 
z  a  n  in  einer  vorläufigen  Kriegspackung  vor  mir  und  besteht 
in  Tabletten  form  aus  Calcium  lacticum  mit  einem  Zusatze  von 
milchsaurem  Natron,  der  durch  Übergang  in  Karbonat  dem 
Blut  die  richtige  Alkaleszenz  gibt  und  dadurch  die  Retention 
des  Kalkes  wesentlich  erhöht.  Das  Kalzan  hat  sich  bisher  in 
allen  Fällen  wo  eine  Kalkzufuhr  angebracht  ist,  ausser  den 
oben  angeführten  Beispielen  auch  bei  alimentärer  Diabetes, 
exsudativer  Diathese,  Tetanie  vor  allen  Dingen  bei  schwangeren 
und  stillenden  Frauen  sowie  bei  zahnenden  Kindern,  hervor¬ 
ragend  bewährt  und  man  kann  mit  gutem  Gewissen  auf  das¬ 
selbe  empfehlend  hinweisen. 

Dr.  Rudolf  v.  Iloesslin  in  München  -  Neuwittels¬ 
bach  kommt  in  der  Münchener  medizinischen  Wochenschrift 
auf  die  Sauerstoffbäder  zurück  und  empfiehlt  als  billigste,  be¬ 
quemste  und  sachgemässeste  die  mit  H  e  p  i  n  bereiteten.  Hepin 
ist  eine  nach  den  Angaben  von  Römer  und  Much  von  dem 
Behringswerk  in  Marburg  hergestellte  Katalase,  die  imstande 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


89 


Nr. 


9. 


ist  in  einer  Menge  von  0,075  ccm  aus  100  ccm  3  Proz. 
Wasserstoftsuperoxydlösung  1  Liter  Sauerstoff  frei  zu  machen. 
Die  Zubereitung  des  Bades  ist  äusserst  einfach  Einem  Voll¬ 
bad  wird  1  Liter  3  proz.  Wasserstoffsuperoxydlösung  zugesetzt, 
sodann  der  Inhalt  eines  Originalfläschchens  Hepin,  der  gerade 
ausreicht  das  Wasserstoffsuperoxyd  völlig  zu  zerlegen.  Es  ent¬ 
wickeln  sich  also  im  Bade  zirka  10  Liter  reiner  Sauerstoff  und 
zwar  beginnt  dies  ungefähr  10  Minuten  nach  dem  Zusammen- 
mischen.  Dann  ist  das  Bad  gebrauchsfertig  und  in  kurzer  Zeit 
ist  der  Körper  mit  unzähligen  kleinen  Gasbläschen  völlig  be¬ 
deckt.  Der  Hauptvorzug  der  Hepinbäder  besteht  in  der  ganz 
gleichmässigeu  Verteilung  des  Gases  im  Wasser  und  dem  nied¬ 
rigen  Preise.  Die  Bäder  können  in  jeder  Wanne  zubereitet 
werden,  da  das  Hepin  die  Wannen  nicht  angreift. 

Ein  dem  Veronal  nahestehendes  neues  Brompropyldiäthyl- 
barbitursäure-Präparat  bringt  die  Firma  E.  Merck,  Darmstadt, 
unter  dem  Namen  D  i  o  g  e  n  a  1  in  den  Handel.  Dasselbe  hat 
die  bekannten  sedativen  Eigenschaften  des  Veronals  in  ge¬ 
milderter  Form  und  lässt  den  Bromkomponenten  einen  grösseren 
Wirkungswert  Es  wird  daher  bei  starken  chronischen  Er¬ 
regungen  wie  bei  leichteren  Uuruhezuständen  sowie  bei  ein¬ 
fachen  neurasthenischen  Angstzuständen  von  Serejski  in 
Nr.  32  der  Deutschen  medizinischen  Wochenschrift  als  Be¬ 
ruhigungsmittel  warm  empfohlen.  Bei  allen  Formen  von 
Nervenkrankheiten  und  Psychosen,  bei  Epilepsie,  als  Schlaf¬ 
mittel  zumal  bei  leichterer  Schlafstörung  und  als  wohltuendes 
Entspannuugsmittel  während  der  Morphiumentziehung  hat  es 
sich  nach  den  Beobachtungen  in  der  psychiatrischen  Klinik  in 
München  als  recht  brauchbar  erwiesen.  Als  mittlere  Dosis  be¬ 
währt  sich  dreimal  täglich  1,0  g,  in  leichteren  Fällen  dreimal 
täglich  1/2  g.  Ein  kumulierender  Effekt  wurde  nicht  festgestellt. 
Nach  den  Untersuchungen  im  pharmakologischen  Institut  der 
Universität  Erlangen  ist  es  lokal  indifferent.  Es  dürfte  eine 
glückliche  Bereicherung  der  bekannten  Sedativa  vorstellen. 

Otto-  Frankfurt  a.  M. 

N.  Hillerbrand  jun.,  Über  ein  neues  Wundheil- 
inittel  :  „Das  granulierende  Wundöl-Knoll“.  (Münch.  Tierärztl. 
Wochenschrift,  1915,  Nr.  3fi ) 

Die  Verhältnisse,  unter  denen  in  der  Veterinärmedizin  die 
Wundheilung  häufig  vor  sich  zu  gehen  hat,  sind  derartige,  dass 
ein  das  Bindegewebew’achstum  energisch  förderndes  Mittel  hoch 
willkommen  erscheinen  muss.  Als  solches  bewährte  sich  das 
von  der  chemischen  Fabrik  Knoll  u.  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh. 
in  den  Handel  gebrachte  Wundöl,  wie  aus  den  Versuchen  des 
Verfassers  hervorgeht. 

In  allen  Fällen  konnte  nach  3 — 4  tägiger  Anwendung 
der  günstige  Einfluss  des  Öles  beobachtet  werden.  Die  Wunden 
reinigten  sich  rasch  und  bedeckten  sich  mit  straffem,  frisch¬ 
farbigem  Granulationsgewebe,  das  verhältnismässig  bald  den 
Defekt  ausfüllte.  Die  Eitersekretion  nahm  bald  ab  und  blieb 
bis  zur  Abheilung  minimal.  Wulstige,  unschöne  Narben 
konnten  nirgends  gefunden  werden,  sondern  nach  Ausfüllen 
des  Defektes  erfolgte  glatte  Überhäutung.  Bemerkenswert 
günstig  war  der  Einfluss  auf  die  Gewebserneuerung  in  mehreren 
Fällen  tiefer  Scheidenrisse  nach  Schwergeburten,  bei  Klauen¬ 
geschwüren  und  bei  Dekubitus. 

Das  ,,Wundöl-Knoll“  hat  sich  in  jedem  Falle  seiner  An¬ 
wendung  als  vorzügliches  Mittel  zur  Erzeugung  einer  kräftigen 
Granulation  enviesen.  Die  damit  verbundenen  Eigenschaften  : 
rascher  Heilverlauf,  Schutzwall  gegen  Infektion,  Fehlen  jeder 
unerwünschten  Nebenwirkung  lassen  das  Mittel  als  eine  sehr 
wertvolle  Neuerung  erscheinen,  die  speziell  für  die  Verhältnisse 
der  Veterinärmedizin  sehr  nützlich  werden  dürfte. 

N  e  u  m  a  n  n 


Wichtige  gerichtliche  Entscheidungen. 

Prozessneurose  und  Unfallhaftung. 

Der  Kläger  behauptet,  am  29.  November  1911  während 
einer  Eisenbahnfahrt  von  Nakel  nach  Tempelburg  durch  das 
plötzliche  Bremsen  des  Zuges  und  den  dadurch  verursachten 
Ruck  mit  dem  Kopfe  so  heftig  gegen  die  Wand  des  Abteils 
geschlagen  zu  sein,  dass  er  Verletzungen  des  Hinterkopfes  und 


der  Schulter,  vor  allem  aber  einen  heftigen  Nerveuchok  erlitten 
habe,  der  dauernd  seine  Erwerbsfähigkeit  erheblich  beeinträchtige. 
Er  verlangt  vom  Beklagten  Ersatz  der  Heilungskosten  sowie 
Zahlung  einer  einmaligen  Abfindung  von  70  000  Mark.  Das 
Landgericht  hat  den  Klageanspruch  dem  Grunde  nach  festge¬ 
stellt,  das  Oberlandesgericht  dagegen  nur  die  Heilungskosten 
und  den  Erwerbsverlust  bis  zum  29.  November  19 1 2  zuge¬ 
billigt.  Die  gegen  dieses  Urteil  eingelegte  Revision  wurde  vom 
Reichsgericht  zurückgewiesen  mit  folgender 

Begründung: 

Der  Streit  der  Parteien  bewegt  sich  für  die  vom  Kläger 
beschrittene  Revisionsinstanz  allein  darum,  ob  das  Berufungs¬ 
gericht  mit  Recht  die  Folgen  des  Unfalls  für  die  Gesundheit 
und  für  die  Erwerbsfähigkeit  des  Klägers  auf  die  Zeit  eines 
Jahres  beschränkt  und  die  Nervenkrankheit,  an  der  der  Kläger 
nach  seiner  Behauptung  fortdauernd  leidet,  aus  dem  ursächlichen 
Zusammenhänge  mit  dem  Unfall  ausgeschaltet  hat.  Es  ist 
Frage  der  Feststellung  des  einzelnen  Falles,  ob  zwischen  einem 
Unfälle  und  einer  zeitlich  nach  diesem  entstandenen  Er¬ 
krankung  des  Verletzten  ein  ursächlicher  Zusammenhang  im 
Rechtssinue  besteht  oder  nicht.  Die  rechtliche  Voraussetzung 
für  die  Annahme  eines  solchen  ist  nach  der  Entscheidung  des 
erkennenden  Senats,  dass  der  Unfall  nicht  nur  die  äussere 
Veranlassung  für  die  Erkrankung  bildete,  sondern  einen 
Körperzustand  selbst  ursächlich  herbeiführte,  aus  dem  dann 
die  spätere  Erkrankung  sich  entwickelte.  Für  die  sog.  Prozess¬ 
neurose,  die  Nervenerkrankung,  die  die  dauernde  und  eindring¬ 
liche  Beschäftigung  mit  dem  Entschädigungsanspruch  im  Ver¬ 
letzten  hervorruft,  ist  ein  ursächlicher  Zusammenhang  mit  dem 
Unfall,  der  eine  Körperverletzung  zur  Folge  .hatte,  überall  da 
anzunehmen,  wo  die  Körperverletzung  selbst  nervöse  Krankheits- 
erscheiuungen  hervorgerufen  hat,  die  durch  die  Prozessauf¬ 
regung  dann  verschlimmert  wurden,  oder  wo  zwar  eine  nervöse 
Erkrankung  zunächst  nicht  hervortrat,  der  allgemeine  Krank¬ 
heitszustand  aber  dann  eine  nervöse  Erschöpfung  herausbildete; 
er  besteht  nicht,  wenn  die  durch  die  Verletzung  verursachte 
Krankheit  geheilt  oder  geschwunden  war,  und  später  allein  der 
Prozess  auf  Grund  einer  vorhandenen,  aber  nicht  durch  den 
Unfall  erzeugten  oder  verschlimmerten  nervösen  Anlage  die 
Nervenaufregung  erzeugte.  Im  gegebenen  Falle  hat  der  Un¬ 
fall  zwar  vorübergehende  nervöse  Erscheinungen  geringerer  Art 
bei  dem  Kläger  unmittelbar  hervorgerufen ;  er  war  aufgeregt 
und  in  trüber  weinerlicher  Stimmung.  Das  Berufungsge¬ 
richt  nimmt  aber  an,  dass  nach  dem  Befunde  der  Verletzung 
und  der  Krankheitserscheinungen,  die  sie  erzeugte,  der  Unfall 
das  gegenwärtige’  nervöse  Leiden  des  Klägers  nicht  hervor¬ 
gerufen  haben  könne  und  nicht  hervorgerufen  habe,  der  Zu¬ 
stand  vielmehr  allein  durch  die  Prozessaufregung  als  die 
alleinige  selbständige  Ursache,  wahrscheinlich  auf  Grund  einer 
schon  vor  dem  Unfälle  vorhanden  gewiesenen  neurasthenischen 
Veranlagung  entstanden  sei.  Der  Revision  ist  darin  bei¬ 
zustimmen,  dass  für  die  Frage  des  ursächlichen  Zusammen¬ 
hanges  die  weitere  Frage,  ob  der  Verletzte  in  die  Zwangslage 
versetzt  war,  seinen  Schadenersatzanspruch  im  Rechtswege  zu 
verfolgen,  oder  ob  er  selbst  die  Aufregungen  des  Prozesses 
schuldhaft  durch  Eigensinn  oder  durch  Überspannung  seiner 
Forderungen  herbeigeführt  hat,  zunächst  ohne  Bedeutung  ist. 
Erst  wenn  tatsächlich  festgestellt  ist,  dass  der  Unfall  und  die 
von  ihm  bewirkte  Körperverletzung  auch  nervöse  Krankheits¬ 
erscheinungen  hervorgerufen  hat,  aus  denen  sich  möglicher¬ 
weise  die  ,, Prozessneurose“  entwickeln  konnte,  kommt  als 
weiteres  Mittelglied  die  Zwangslage  der  Rechtsverfolgung  in 
Betracht,  um  tatsächlich  den  Zusammenhang  herzu¬ 
stellen.  Und  dann  erst  ist  auch  für  den  Einwand  des  mit¬ 
wirkenden  eigenen  Verschuldens  des  \  erletzten  durch  Erhebung 
übertriebener  Ansprüche  Raum.  Da  im  gegebenen  halle  jene 
Möglichkeit  in  tatsächlicher  Würdigung  unanfechtbar  verneint 
ist,  kommt  es  auf  die  Richtigkeit  und  die  prozessgerechte  oder 
prozesswidrige  Feststellung  der  Umstände,  ob  eine  Zwangslage 
für  den  Kläger  bestand,  nicht  weiter  an. 

Urteil  des  R.  G.  vom  7.  Oktober  1915.  VI  1  <6-/1915. 

(Mitgeteilt  von  Dr.  Hans  Berthold,  Leipzig.) 


90 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  9. 


Rechtsfolgen  falscher  Heilbehandlung  durch  einen  Xaturheil- 

kun  di  gen. 

Am  11.  Dezember  1908  geriet  der  Steinbrecher  R.  aus  B. 
bei  der  Arbeit  im  Steinbruche  unter  einen  stürzenden  Schleif 
stein  und  erlitt  hierbei  einen  Bruch  des  rechten  Oberschenkels. 
In  der  Folge  liess  sich  R.  von  dem  Beklagten  behandeln,  mit 
dem  Ergebnisse,  dass  an  der  Bruchstelle  die  beiden  Knochen¬ 
enden  sich  nicht  aneinander,  sondern  nebeneinander  legten  und 
das  Bein  infolgedessen  erheblich  gekürzt  wurde.  Die  Klägerin 
hat  für  den  Verunglückten  nach  dem  Gewerbeunfallver¬ 
sicherungsgesetze  vom  30.  Juni  1900  Aufwendungen  gemacht, 
zahlt  ihm  noch  gegenwärtig  eine  Rente  und  nimmt  Herwegen 
auf  Ersatz  unter  Berufung  auf  §  140  des  genannten  Gesetzes 
den  Beklagten  in  Anspruch.  Die  Vorinstanzen  haben  den 
Auspruch  für  begründet  erachtet.  Vom  Reichsgericht  wurde 
die  Sache  zurückverwiesen  mit  folgender 

Begründung: 

Das  Berufungsgericht  hat  ausgesprochen ,  dass  auch  der 
vom  Beklagten  durch  seine  verfehlte  Heilbehandlung  dem  R. 
zugefügte  Schaden  als  durch  den  Unfall  entstanden  im  Sinne 
des  §  140  des  Gewerbeunfallversicherungsgesetzes  anzusehen 
sei:  auch  für  diese  Schadensfolge  sei  daher  die  Ersatzpflicht 
der  Klägerin  dem  Verunglückten  gegenüber  eingetreten.  Etwaige 
Ersatzansprüche  des  R.  gegen  den  Beklagten  seien  daher  in 
der  Tat  auf  die  Klägerin  übergegangen.  Die  Revision  bestreitet 
dies  :  das  Berufungsgericht  habe  bei  diesen  Ausführungen  über¬ 
sehen,  dass  in  Fällen  von  Körper-  und  Gesundheitsverletzungen 
für  Schadensvergrösserungen,  die  auf  ärztliche  Kunstfehler 
bei  der  durch  die  Verletzung  notwendig  gewordenen  Behand¬ 
lung  zurückzuführen  seien,  ein  adäquater  Kausal¬ 
zusammenhang  mit  der  Tat  des  Erstschädigers  nur  inso¬ 
weit  anzuerkennen  sei,  als  der  ärztliche  Kunstfehler  bei  der 
Behandlung  auf  der  Unvollkommenheit  der  Wissenschaft  und 
ihrer  Ausübung  beruht,  mit  der  überall  gerechnet  werden  muss 
und  deren  Wirksamwerden  mithin  einem  erfahrungsgemässen 
Regelverlauf  entspricht  Habe  dagegen  der  Arzt  alle  Regel  und 
Erfahrung  gröblich  ausser  Acht  gelassen,  so  sei  der  Misserfolg 
der  Heilung  auf  dieses  Verhalten  des  Arztes  als  alleinige  Ur¬ 
sache  im  Rechtssinne  zurückzuführeu.  Diesen  Ausführungen 
der  Revision  war  indessen  ein  Anlass,  das  Urteil  aufzuheben,  | 
nicht  zu  entnehmen.  Das  Berufungsgericht  gründet  die  von 
dei  Revision  angegriffene  Annahme  des  Kausalzusammenhanges, 
wie  die  Urteilsbegründung  in  ihrem  Zusammenhänge  zur  Ge¬ 
nüge  ergibt,  auf  eine  im  wesentlichen  tatsächliche  Würdigung 
von  Umständen,  die  der  Lage  des  Falles  entnommen  sind.  In 
diesem  Sinne  vor  allem  wird  auf  das  grosse  Ansehen  der  sog. 
Kuochenflicker  hingewiesen,  das  diese  insbesondere  bei  der 
ländlichen  Bevölkerung  geniessen  und  das  den  R.  zur  Er¬ 
wartung  einer  zweckentsprechenden  und  unschädlichen  Heilung 


bringen  „musste“.  War  dem  so,  und  entspricht  jene  Wert¬ 
schätzung  der  „Naturheilkundigen“  in  der  Tat  in  so  hohem 
Grade  den  in  dem  Lebenskreise  des  Verunglückten  herrschenden 
Anschauungen,  so  kann  es  nicht  für  rechtsirrig  erachtet  werden, 
wenn  das  Berufungsgericht  im  vorliegenden  Falle  die  An- 
gehung  des  Beklagten  durch  R.  nicht  als  einen  ungewöhnlichen, 
nicht  vorhersehbaren  Verlauf  der  Dinge  angesehen  hat.  Da¬ 
gegen  war  der  Revision  in  anderer  Richtung  der  Erfolg  nicht 
zu  versagen.  Zwar  kann  ein  Selbstverschuldeu  des  R.,  wie  die 
Revision  will,  in  dessen  Zutrauen  zu  der  Leistungsfähigkeit  des 
,, Knochenflickers“  nach  Sachlage  noch  nicht  ohne  weiteres  ge¬ 
funden  werden.  Stand  hierbei  R  unter  dem  Banne  allgemein 
in  der  ländlichen  Bevölkerung  verbreiteter  Anschauungen,  so 
stellt  die  Angehung  des  Beklagten  für  sich  allein  noch 
nicht  eine  Ausserachtlassung  der  im  Verkehr  geschuldeten 
Sorgfalt  dar.  Zu  beachten  sind  indessen  weiter  die  besonderen 
Umstände  des  vorliegendes  Falles  :  trotz  der  Erklärung  des 
Beklagten,  er  habe  gar  keinen  Mut,  au  die  Sache  heranzugehen, 
es  handle  sich  um  einen  sehr  schweren  Fall,  es  sei  für  R. 
besser  ins  Krankenhaus  zu  gehen,  —  trotz  des  Hinweises  auf 
die  Möglichkeit  einer  ein  tretenden  Verkürzung  des  Beines  hat 
R.  den  Beklagten  durch  Drängen  und  Zureden  zur  Übernahme 
der  Behandlung  bestimmt.  In  diese  m  Verhalten  R.s  kann 
ein  Selbstverschulden  gefunden  werden.  Ob  und  aus  welchen 
Gründen  das  Berufungsgericht  ein  Selbstverschulden  auch  in 
diesem  Sinne  verneinen  zu  sollen  geglaubt  hat,  lässt  die  Ur¬ 
teilsbegründung  nicht  erkennen 

Urteil  des  R.G.  vom  4.  Oktober  1915.  VI.  171./ 1915. 

Berthold. 


Bücherschau. 

Sommer,  Ernst,  Röntgen  -  Taschenbuch.  (Röntgen- 
Kalender.  VI.  Band.  Mit  94  Illustrationen.  Otto  Nemuich 
Verlag  1914. 

Der  vorliegende  Band  des  bekannten  Taschenbuches  reiht 
sich  würdig  seinen  Vorgängern  au.  Namentlich  in  thera¬ 
peutischer  Beziehung  enthält  dieser  Band  einige  recht  wichtige 
Beiträge,  vom  Herausgeber  selbst  ist  die  Röntgentherapie  in  der 
Gynäkologie,  von  Pför  ringer  die  —  leider  bei  den  prak¬ 
tischen  Ärzten  noch  zu  wenig  bekannte  —  Therapie  der  sog. 
chirurgischen  Tuberkulose  bearbeitet.  Schöne  Ausblicke  er¬ 
öffnet  die  Arbeit  von  Küpferle,  Über  die  Einwirkung  der 
Röntgenstrahlen  auf  die  experimentelle  Tuberkulose  und  die 
Arbeit  von  N  agelschmidt,  Über  die  Radiotherapie  der 
Tumoren.  —  Kurze  Mitteilungen  von  technischen  Fabriken 
über  wesentliche  Neuerungen  ergänzen  in  zweckmässiger  Weise 
den  reichen  Inhalt  des  Taschenbuches.  R. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortschritte  der  Medizin. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner 


L  Brauer, 

Hamburg. 


L.  von  Criegern, 

Hildesheim. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 


herausgegeben  von 

L.  Edinger, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 


Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  10 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 

Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  10.  Januar 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  in  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  Osteomyelitis  und  Unfall. 

Von  Med. -Rat  Dr.  R  i  e  g  e  r  -  Breslau. 

Der  folgende  Fall  erscheint  für  die  grundsätzliche 
Beurteilung  der  Beziehungen  zwischen  Osteom  yelitis 
und  Unfall  nicht  unwichtig.  Seine  ausführliche  Ver¬ 
öffentlichung  dürfte  um  so  mehr  gerechtfertigt  sein,  als 
aus  ihm  erhellt,  wie  notwendig  die  genaue  Kenntnis  der 
Vorgeschichte  für  die  Entscheidung  derartiger  Fälle  ist. 

Der  Haushälter  Pf.  aus  G.  erlitt  im  Juni  1912  eine 
Quetschung  am  rechten  Schienbeine  und  erkrankte  im 
November  desselben  Jahres  an  einer  Knochenhaut-  und 
Knochenmarkentzündung  des  Schienbeines,  welche  zu 
einer  Erwerbsverminderung  führte.  Die  Fuhrwerks- 
Berufsgenossenschaft  in  B.  lehnte  durch  Bescheid  vom 
4.  Juli  1913  die  Zahlung  einer  Un4alirente  ab.  Sie  be¬ 
stritt,  dass  Pf.  im  Juni  1912  einen  Betriebsunfall  erlitten 
habe  und  seine  Erwerbsverminderung  eine  Unfallfolge 
sei.  Pf.  klagte  auf  Aufhebung  dieses  Bescheides.  Das 
Oberversicherungsamt  B.  verurteilte  am  /.  Januar  1914 
die  Berufsgenossenschaft,  dem  Kläger  vom  15.  September 
1912  ab  eine  Rente  von  40  Proz.  zu  gewähren.  Das 
Reichsversicherungsamt  hob  am  9.  Februar  1915  das 
Urteil  des  Königlichen  Oberversicherungsamtes  auf,  und 
stellte  den  Bescheid  der  Beklagten  vom  4.  Juli  1913 
wieder  her.  Diese  Entscheidung  erfolgte  auf  Grund  des 
folgenden  ärztlichen  Gutachtens,  welches  Medizinalrat 
Dr.  R  i  e  g  e  r  in  Br.  am  24.  Februar  1914  erstattete  und 
welchem  die  Heilanstalt  für  Unfallverletzte  in  B.  beitrat. 

Im  Aufträge  der  Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft 
Sektion  1  hierselbst  gebe  ich  in  der  Unfallsache  des 
Kutscher  Pf.  auf  Grund  des  Inhaltes  der  vorliegenden 
Akten  der  Berufsgenossenschaft  und  des  Königlichen 
Oberversicherungsamtes  das  folgende  ärztliche  Gut¬ 
achten  ab. 

Pf.  ist  am  3.  November  1880  geboren.  Über  den 
Hergang  des  angeblichen  Unfalles  ist  wenig  bekannt, 
Augenzeugen  sind  nicht  vorhanden.  Man  ist  allein  auf 
die  Angaben  des  Pf.  angewiesen.  Erst  als  er  ins 
Krankenhaus  zu  K.  aufgenommen  worden  war,  wo  er 
wahrscheinlich  auf  den  möglichen  Zusammenhang  seiner 
Krankheit  mit  einem  Unfälle  hingewiesen  wurde,  fand 
am  12.  November  1912  die  Unfallmeldung  statt.  Bei 
der  Unfalluntersuchung  am  27.  November  1912  gab  Pf. 
an,  vor  ungefähr  5  Monaten  sei  er  um  Mitternacht  eines 
Tages  auf  dem  Wege  nach  dem  Pferdestalle  im  Dunklen 
in  der  Hofeinfahrt  über  eine  Kiste  gestolpert,  habe  mit 
dem  rechten  Schienbeine  an  diese  stark  angeschlagen 
und  sei  hingefallen.  Er  habe  Schmerzen  gespürt,  habe 
aber  bis  zum  11.  November  seine  Arbeit  weiter  ver¬ 


richtet.  Nach  Angabe  des  Krankenhausarztes  sei  durch 
das  Schlagen  an  die  Kiste  eine  Knochenhautentzündung 
entstanden. 

Im  Verhandlungstermine  des  Königlichen  Ober¬ 
versicherungsamtes  ergänzte  Pf.  seine  Angaben  dahin, 
die  Kiste  an  der  er  sich  gestossen  habe,  sei  eine  leere 
Sektkiste  gewesen,  sie  sei  etwa  0,5  m  hoch  gewesen  und 
habe  etwa  0,5  m  von  der  Wand  entfernt  gestanden. 
Das  Küchenmädchen  G.  gibt  am  10.  Oktober  1913  an, 
Pf.  habe  sie  eines  Morgens  gefragt,  wer  die  Kiste  dahin 
gestellt  hätte,  er  sei  darüber  gefallen.  Die  Ortskranken¬ 
kasse  K.  teilt  am  4.  Februar  1913  mit,  Haushälter  Pf. 
habe  sich  am  11.  November  1912  krank  gemeldet  und 
sei  am  gleichen  Tage  ins  Kreiskrankenhaus  aufgenommen 
worden.  Am  12.  November  1912  berichtet  der  Hotel¬ 
besitzer  G.  in  K.,  in  der  Unfallanzeige,  Pf.  habe  vom 
15.  März  1911  bis  gestern  seinen  Dienst  getan. 

Der  Arzt  Mo.  in  K.  schreibt  am  17-  d.  Mts.,  ge¬ 
nauere  Angaben  könne  er  nicht  machen,  weil  ihm  sein 
Tagebuch  abhanden  gekommen.  So  weit  er  sich  er¬ 
innere,  habe  er  Pf.  wegen  einer  Quetschung  des  rechten 
Schienbeines  etwa  8  Tage  lang  behandelt.  Einen  Befund 
am  Knochen  habe  er  nicht  erhoben.  Pf.  sei  bald  seiner 
alten  Beschäftigung  nachgegangen.  Im  November  oder 
Ende  Oktober  sei  Pf.  mit  einer  Osteomyelitis  zu  ihm 
gekommen,  weswegen  er  dann  ins  Krankenhaus  über¬ 
wiesen  wurde. 

Kreisarzt  Dr.  T.  in  K.  schreibt  in  seinem  Gutachten 
vom  12.  Januar  1913  folgendes.  „Pf.  gab  an,  er  habe 
sich  vor  etwa  1/2  Jahre  mit  dem  rechten  Schienbein  an 
eine  Kiste  gestossen.  Bei  der  Aufnahme  ins  Kreis¬ 
krankenhaus  (Tag  ist  nicht  angegeben)  bezeichnete  er 
immer  eine  markstückgrosse  Stelle  am  Schienbein  als 
sehr  druckschmerzhaft;  jede  Behandlung  blieb  ohne  Ein¬ 
fluss.  Eine  Woche  lang  traten  jedoch  auch  andere 
Druckschmerzstellen  auf.  An  einem  Tage  war  eine 
markstückgrosse  Stelle  auf  dem  rechten  Fussrücken  so 
schmerzhaft,  dass  Pf.  sich  den  Fuss  kaum  bewegen  Hess; 
am  folgenden  Tage  war  diese  Stelle  druck-  und  schmerz¬ 
frei,  und  der  Fuss  konnte  wieder  regelmässig  bewegt 
werden,  dagegen  war  jetzt  das  gleiche  Bild  am  linken 
Fusse  festzustellen.  Diese  Bildung  von  Druckschmerz¬ 
stellen  wechselte  einige  Male,  um  dann  zu  verschwinden. 
Da  nun  bekannt  war,  dass  Pf.  ein  starker  1  rinker  war, 
bestand  bei  den  Stellen  an  den  Füssen  der  Verdacht  aut 
Nervenentzündung  auf  alkoholischer  Grundlage.  Die 
Druckstelle  am  Schienbein!  blieb  andauernd  dieselbe. 
Daher  wurde  nach  etwa  14  lagen  in  Halbnarkose  aut 
die  Stelle  eingeschnitten.  Dabei  wurden  Knochenhaut  und 
Knochen  gesund  gefunden.  Die  kleine  V  linde  wurde  ge- 


92 


Nr.  10. 


FORTSCHRITTE 


näht.  Nun  setzte  eine  kleine  Eiterung  ein,  die  zur  Ent¬ 
fernung  der  Fäden  und  zu  offener  Wundbehandlung 
nötigte.  Pf.  sollte  nun  zur  Röntgendurchleuchtung  nach 
Breslau  gebracht  werden,  er  verfiel  aber  in  ein  längeres 
schweres  Delirium,  und  wurde  dadurch  transportunfähig. 
Während  des  Deliriums  war  er  nicht  im  Bett  zu  halten, 
er  knickte  um  und  zog  sich  eine  Entzündung  des  rechten 
Kniegelenkes  zu,  auch  entleerte  er  einmal  Blut  aus  der 
Harnröhre.  Während  der  Wundbehandlung  stiess  sich 
eines  Tages  aus  der  Schienbeinwunde  ein  kleines  Knochen¬ 
stückchen  mit  zerfressenen  Rändern,  1  cm  lang,  0,5  cm 
breit,  ab  ;  bald  darauf  folgte  ein  grösseres  Knochenstück 
von  Markstückgrösse.  In  der  jetzt  offenen  Markhöhle 
waren  schwammige  Massen  vorhanden.  Die  Zerstörung 
des  Knochens  ging  weiter.  Eines  Tages  war  das  Schien¬ 
bein  an  der  Stelle  ganz  durchgebrochen.  Das  Delirium 
liess  jetzt  nach  und  der  Kranke  wurde  ins  St.  Josef- 
Krankenhaus  nach  Breslau  übergeführt.“ 

Der  Assistenzart  dieses  Krankenhauses  berichtet  am 
13.  Februar  1913  folgendes:  Pf.  sei  am  24.  Dezember 
1912  aufgenommen  worden.  Er  war  fieberfrei,  zeigte 
aber  noch  leichte  Zeichen  des  Delirium  tremens.  Der 
rechte  Unterschenkel  zeigte  an  seiner  Aussenseite  (?) 
ungefähr  zwischen  oberem  und  mittlerem  Drittel  ein  im 
Durchmesser  3 — 4  cm  grosses  Geschwür  mit  schmierigen 
Rändern  und  Boden.  Die  Umgebung  war  blaurot  ver¬ 
färbt.  An  dieser  Stelle  war  der  Unterschenkel  regel¬ 
widrig  beweglich  und  zwar  infolge  eines  Schienbeinbruches. 
Ein  Unfall  wurde  nicht  angegeben,  deshalb  wurde  an 
einen  Knochenbruch  infolge  Geschwulstbildung  gedacht. 
Die  nach  dieser  Richtung  angestellten  Untersuchungen 
Hessen  diesen  Verdacht  ausschliessen,  Schmerzen  waren 
wenig  vorhanden.  Unter  feuchten  Verbänden  und  unter 
Perubalsam  reinigte  und  verkleinerte  sich  das  Geschwür 
allmählich,  so  dass  am  29.  Januar  1913  der  erste  Gips¬ 
verband  zur  Heilung  des  Knochenbruches  angelegt 
werden  konnte.  Die  Wunde  war  am  13.  Februar  fast 
ganz  geheilt,  der  Knochenbruch  noch  nicht  ganz  fest. 
—  Über  die  Entstehung  des  Schienbeinbruches  noch  be¬ 
sonders  befragt,  gab  Pf.  an,  er  sei  im  Krankenhause  zu 
K.  auf  dem  Abort  gefallen  und  müsse  sich  dabei  das 
Bein  gebrochen  haben.  Er  sei  damals  geistig  nicht  völlig 
klar  gewesen. 

Pf.  wurde  am  10.  April  1913  aus  dem  Kranken¬ 
hause  entlassen.  Am  7.  Januar  1914  stellte  Dr.  Z.  fest: 
„Am  oberen  Drittel  des  rechten  Unterschenkels  an  dem 
verdickten  Schienbeine  eine  etwa  4  cm  lange  und  1  cm 
breite  Narbe,  die  in  ihrer  Mitte  durch  eine  Fistel  Eiter 
entleert.  Der  ganze  Unterschenkel  ist  nach  aussen  ver¬ 
bogen.  Es  besteht  also  jetzt  der  gleiche  Zustand  wie 
bei  der  Entlassung  aus  dem  Krankenhause.“ 

Das  Oberversicherungsamt  erkannte  den  Zustand 
des  Pf.  als  Unfallfolge  an  und  sprach  ihm  eine  Rente 
von  40  Proz.  zu. 

Gutachten. 

Die  Beurteilung  des  Falles  vom  rechtlichen  und  ärzt¬ 
lichen  Standpunkt  ist  deshalb  so  ausserordentlich  schwierig, 
weil  die  Unterlagen  äusserst  mangelhaft  und  lückenhaft 
sind.  Das  trifft  ganz  besonders  auf  die  ärztlichen  Be¬ 
kundungen  zu.  Der  Arzt  Mo.  glaubt  am  17.  Februar 
1914,  den  Pf.  wegen  einer  Quetschung  am  rechten 
Schienbein  etwa  8  Tage  behandelt  zu  haben.  Am 
Knochen  habe  er  keinen  Befund  erhoben  und  Pf.  sei 
bald  seiner  alten  Beschäftigung  nachgegangen.  Später 
im  November  (?)  sei  Pf.  mit  einer  Osteomyelitis  zu  ihm 
gekommen,  weswegen  er  ins  Krankenhaus  eingewiesen 
worden.  Der  Arzt  äussert  sich  nicht  darüber,  ob  er  im 
November  selber  die  Diagnose  Osteomyelitis  festgestellt 
habe  und  aus  welchen  Gründen,  oder  ob  er  nachträg¬ 
lich,  als  er  von  dem  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit 
erfuhr,  zu  der  Diagnose  gekommen  sei,  oder  ob  er  später 


DER  MEDIZIN 


die  anderweitig  gestellte  Diagnose  auch  zu  der  seinigen 
gemacht  habe.  Er  äussert  weiter  am  17-  d.  Mts.,  er 
könne  nicht  sagen,  ob  die  Knochenentzündung  mit  dem 
Unfälle  im  Juni  Zusammenhänge. 

Ob  Pf.  sich  im  Juni  einen  Krankenschein  bei  der 
Ortskrankenkasse  geholt  habe,  steht  ebenfalls  nicht  fest. 
Der  Arbeitgeber  G.  gibt  an,  Pf.  habe  vom  15.  März 
1911  bis  10.  November  1912  seinen  Dienst  getan.  Die 
Ortskrankenkasse  K.  bezeugt,  Pf.  habe  sich  am  11.  No¬ 
vember  1912  krank  gemeldet.  Aus  der  Summe  dieser 
Tatsachen  muss  ich  schliessen,  dass  Pf.  im  Juni  1912 
seinen  Dienst  nicht  unterbrochen  habe.  Wie  oft  er  etwa 
im  Juni  beim  Arzt  gewesen  und  ob  dies  auf  Kranken¬ 
kassenkosten  geschah,  steht  nicht  fest. 

Nimmt  man  mit  dem  Oberversicherungsamte  an,  dass 
Pf.  im  Juni  eine  Quetschung  des  rechten  Schienbeines 
erlitten  hat,  so  kann  diese  nicht  sehr  arg  gewesen  sein, 
andernfalls  würden  alsbald  schlimmere  Folgen  eingetreten 
sein,  jedenfalls  waren  die  leichten  Folgen,  die  vor  allem 
offenbar  in  Schmerzen  bestanden,  bald  verschwunden 
und  vergessen.  Es  ist  ja  bekannt,  dass  sich  jeder  Mensch 
ab  und  zu  an  die  vordere  vorspringende  Schienbein¬ 
kante  stösst:  dadurch  entstehen  Schmerzen,  schlimme 
Folgen  treten  in  der  Regel  nicht  ein. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  die  Erkrankung  des  rechten 
Unterschenkels  vom  11.  November  1912  eine  Folge  der 
im  Monat  Juni  stattgehabten  Quetschung  ist.  Dr.  T. 
nimmt  das  an.  Wir  erfahren  nun  leider  nichts  Genaues 
über  den  Sitz  der  Erkrankung  —  erst  der  Arzt  M.  teilt 
uns  am  13.  Februar  1913  mit,  dass  zwischen  oberem 
und  mittlerem  Drittel  des  Unterschenkels  ein  Geschwür 
liege,  —  nichts  über  den  Untersuchungsbefund,  über  den 
Fieberverlauf,  über  den  Zeitpunkt  der  Operation;  denn 
mindestens  nach  dem  operativen  Eingriffe,  als  die  Ent¬ 
zündung  einsetzte,  muss  Fieber  bestanden  haben.  Fest¬ 
gestellt  wurde  eine  markstückgrosse  Druckschmerzstelle 
am  rechten  Schienbeine,  dann  aber  auch  am  rechten 
Fussrücken  und  am  linken  Fusse,  anscheinend  auch  noch 
an  wechselnden  anderen  Stellen.  Derartige,  auf  sub¬ 
jektiven  Angaben  der  Kranken  beruhende  Befunde  lassen 
sich  immer  schwer  verwerten.  Ich  möchte  mich  dem  wieder 
aufgegebenen  Urteil  des  Dr.  T.  anschliessen  und  die 
Druckschmerzstellen  als  Ausdruck  alkoholischer  Nerven¬ 
entzündung  auffassen,  deren  Entstehung  durch  eine  Un¬ 
fallverletzung  ausgeschlossen  ist. 

Da  nun  die  erste  Druckschmerzstelle  am  Schienbein 
länger  bestehen  blieb,  schnitt  Dr.  T.  auf  diese  Stelle 
ein.  Wir  erfahren  nichts  davon,  dass  etwa  vorher  Fieber 
oder  eine  erhebliche  Rötung  oder  Anschwellung  der 
Gegend  eingetreten  oder  die  Schmerzhaftigkeit  sehr  zu¬ 
genommen  hätte.  Beim  Einschneiden  wurden  Knochen¬ 
haut  und  Knochen  gesund  gefunden.  Die  kleine  Operations¬ 
wunde  wurde  vernäht. 

Bis  zu  diesem  Augenblicke  sind  keinerlei  Zeichen 
einer  Erkrankung  des  Schienbeinknochens  nachgewiesen, 
keinerlei  Zeichen  von  Entzündung  oder  Eiterung. 

Die  nunmehr  eintretende  Eiterung  an  der  Operations¬ 
stelle  mit  ihren  Folgen  kann  nur  dem  unerwarteten  Zu¬ 
tritt  von  Entzündungskeimen  in  die  gesunde  Operations¬ 
wunde  zugeschrieben  werden. 

Diese  Entzündung  setzte  sich  von  den  Operations- 
wundfiächen  auf  die  Knochenhaut  fort,  sie  führte  zur 
Knochenhaut-  und  Knochenentzündung.  Wahrscheinlich 
war  auch  ein  kleiner  Teil  des  Knochens  bei  der  Operation 
von  der  Knochenhaut  entblösst  und  der  ernährenden 
Blutgefässe  beraubt  worden.  Kurz,  die  Rindenschichten 
des  Schienbeinknochens  waren  ohne  Nahrungszufuhr, 
sie  mussten  absterben.  Es  stiess  sich  von  selbst  ein 
kleines  abgestorbenes  Knochenstückchen  und  später,  da 
die  Entzündung  der  Knochenhaut  in  die  Umgebung,  und 
das  Absterben  des  Knochens  weiter  in  die  Tiefe  fort- 
schritt,  ein  markstückgrosses  Knochenstück  ab.  Dadurch 


Nr.  10. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


93 


wurde  die  Markhöhle  des  Knochens  bloss  gelegt.  Erst 
im  Josef-Krankenhause,  wo  Pf.  am  24.  Dezember  1912 
mit  einem  3 — 4  cm  im  Durchmesser  grossen  Geschwür 
eintraf,  welches  schmierige  Ränder  und  schmierigen 
Grund  aufwies,  wurde  der  Entzündung  Einhalt  getan, 
und  nun  trat  ziemlich  rasche  Heilung  ein,  sodass  Pf. 
schon  am  10.  April  entlassen  werden  konnte.  Dieser 
rasche  und  günstige  Verlauf  der  Knochenerkrankung 
spricht  dafür,  dass  die  Erkrankung  sich  in  den  äusseren 
Schichten  des  Schienbeinknochens  abspielte  und  nicht 
etwa  in  der  Markhöhle  begann.  Der  ganze  Krankheits¬ 
verlauf  erlitt  eine  erhebliche  Verzögerung  dadurch,  dass 
nebenher  durch  Hinfallen  des  Pf.  im  Delirium  der 
Schienbeinknochen  gerade  an  derjenigen  Stelle  brach, 
welche  krank,  und  durch  Verlust  von  Knochenmasse  ver¬ 
jüngt  und  leichter  zerbrechlich  geworden  war. 

Nach  den  bisherigen  Erörterungen  steht  fest,  dass 
Pf.  im  November  oder  Dezember  1912  an  Osteomyelitis 
des  rechten  Schienbeines  erkrankte,  und  dass  der  am 
/.  v.  Mts.  von  Dr.  Z  festgestellte  Zustand  des  rechten 
Unterschenkels  eine  Folge  dieser  Osteomyelitis  ist.  Diese 
Erkrankung  ist  aber  erst  nach  der  von  Dr.  T.  im 
Krankenhause  vollzogenen  Operation  zum  Ausbruch  ge¬ 
kommen  und  ist  durch  die  Folgen  der  Operation  ver¬ 
ursacht,  nicht  aber  durch  die  Quetschung  des  rechten 
Unterschenkels,  welche  5  Monate  vorher,  im  Juni,  durch 
den  Unfall  erfolgte. 

Hier  muss  ich  das  Zustandekommen  der  Osteomyelitis 
kurz  erörtern. 

Die  akute  Osteomyelitis  (Knochenhaut-  und  Knochen¬ 
markentzündung)  entsteht  etwa  im  vierten  Teile  aller 
Fälle  im  Anschluss  an  eine  Gewalteinwirkung  und  an 
der  Stelle  dieser  Gewalteinwirkung. 

Die  Ursache  ist  in  der  Regel  ein  Bluterguss  in  die 
Markhöhle  des  Knochens  oder  unter  die  Knochenhaut. 
Kreisen  zufällig  im  Blute  des  Verletzten  Infektionskeirne, 
Eitererreger,  so  siedeln  sie  sich  leicht  im  Blutergusse 
an,  und  bringen  die  Krankheit  hervor.  Als  Unfallfolge 
kann  die  Krankheit  nur  dann  angesehen  werden,  wenn 
sie  kurze  Zeit  nach  der  Verletzung  und  an  der  Stelle 
der  Verletzung  zum  Ausbruche  kommt.  Professor 
H  e  i  n  e  k  e  gibt  im  Lehrbuche  der  Arbeiterver¬ 
sicherungsmedizin  S.  113  an,  dass  zwischen  Verletzung 
und  Ausbruch  der  Krankheit  höchstens  2 — 3  Wochen 
dazwischen  liegen  dürfen;  je  schwerer  die  Verletzung, 
desto  länger  werden  die  Bedingungen  zur  Entstehung 
der  Erkrankung  fortdauern.  Die  vom  Knochenmarke 
ausgehenden  Entzündungen  neigen  mehr  zu  späterem 
Eintritte  wie  die  von  der  Knochenhaut  ausgehenden. 

Der  behandelnde  Arzt  Mo.  konnte  nach  dem  an¬ 
geblichen  Unfälle  eine  Knochenerkrankung  nicht  fest¬ 
stellen,  Pf.  sei  bald  seiner  alten  Beschäftigung  nach¬ 
gegangen.  Damit  will  der  Arzt  offenbar  sagen,  Pf.  habe 
seine  Beschäftigung  gar  nicht  unterbrochen.  Die  geringe 
Quetschung  heilte,  wie  in  den  bei  weitem  meisten  ähn¬ 
lichen  Fällen,  in  kurzer  Zeit,  ohne  jede  weiteren  Folgen, 
eine  Osteomyelitis  trat  nicht  ein.  Pf.  ging  regelmässig 
seiner  Arbeit  nach  bis  zum  10.  November.  Mo.  lässt 
auch  die  Frage  offen,  ob  die  Knochenentzündung  vom 
November  mit  dem  Unfälle  vom  Juni  in  ursächlichem 
Zusammenhänge  stehe.  Die  Geringfügigkeit  der  Ver¬ 
letzung  und  die  lange  Zwischenzeit  bis  zum  November 
lassen  einen  solchen  Zusammenhang  gänzlich  aus- 
schliessen. 

Wir  haben  oben  bereits  gesehen,  dass  die  Knochen¬ 
hautentzündung  des  Schienbeines,  wrelche  sich  an  die  im 
November  oder  Dezember  stattgehabte  Operation  an¬ 
schloss,  mit  dieser  in  ursächlichem  Zusammenhänge 
stand.  Vor  der  Operation  waren  keine  Rötung,  keine 
Schwellung  der  Haut  der  betreffenden  Gegend  des 
Unterschenkels,  kein  Fieber  wahrzunehmen,  auch  bei 
der  Operation  selbst  wurden  Knochenhaut  und  Knochen 


völlig  gesund  befunden.  Erst  durch  die  Infektion  der 
gesunden  Operationswundflächen  entstanden  Knochen¬ 
haut-  und  Knochenentzündung,  welche  zur  Abstossung 
von  Knochenteilen  führten,  zum  Knochenbruche  und  zur 
mangelhaften  Heilung  des  Unterschenkels. 

Es  fragt  sich  nun,  welche  Krankheit  im  November 
zum  operativen  Eingriff  führte  und  ob  diese  Krank¬ 
heit  durch  die  Unfallverletzung  vom  Juni  1912  ver¬ 
ursacht  war. 

Am  11.  November  bestand  zunächst  eine  markstück¬ 
grosse  auf  Druck  schmerzhafte  Hautstelle  über  dem 
rechten  Schienbeine.  An  dieser  Stelle  wurde  später  der 
operative  Eingriff  gemacht.  Ob  es  dieselbe  Stelle  war, 
die  etwa  im  Juni  gequetscht  worden  war,  ist  nicht  weiter 
erforscht  worden.  Ausser  dieser  Stelle  traten  in  den 
nächsten  Tagen  abwechselnd  an  verschiedenen  Stellen 
beider  Füsse  und  Unterschenkel  ähnliche  Hautstellen  auf. 
Das  Auftreten  dieser  verschiedenen  Druckschmerzstellen 
spricht  durchaus  dagegen,  dass  sie  Folgen  einer  einzigen 
gequetschten  Stelle  sein  könnten.  Auch  für  eine  Ver¬ 
schleppung  des  Infektionsstoffes  von  einem  ersten  kranken 
Herde  nach  andern  Stellen  spricht  der  ganze  spätere 
Krankheitsverlauf  nicht.  Sämtliche  Erscheinungen 
sprechen  vielmehr  dafür,  dass  sich  die  Krankheit  aus¬ 
schliesslich  in  der  Haut  und  ihren  Bestandteilen  ab¬ 
spielte.  Wir  müssen  dahingestellt  sein  lassen,  ob  es 
sich  um  eine  Plautnervenerkrankung  auf  alkoholischer 
(Neuritis  alcoholica),  oder  auf  rheumatischer  Grundlage, 
um  eine  Erythemform,  handelte.  Dass  diese  Krankheit 
sicherlich  nicht  durch  die  Quetschung  des  Schienbeines 
im  Juni  verursacht  war,  geht  schon  daraus  hervor,  dass 
sie  sich  nicht  auf  eine  Stelle,  die  Stelle  der  Quetschung, 
beschränkte.  Wenn  die  Beschwerden  an  den  später  er¬ 
krankten  Stellen  verschwenden,  während  sie  an  der 
ersten  Stelle,  die  als  Unfallverletzungsstelle  angesprochen 
wurde,  bestehen  blieben,  so  ist  das  psychologisch  wohl 
zu  erklären. 

Zusammenfassung. 

Die  Quetschung  des  rechten  Unterschenkels,  welche 
Pf.  im  Juni  1912  erlitt,  war  geringfügig,  sie  heilte  in 
kurzer  Zeit  vollständig  aus,  führte  zu  keiner  Knochen¬ 
erkrankung  und  hinterliess  keine  dauernden  Folgen.  Im 
November  1912  erkrankte  Pf.  an  einem  Hautleiden  auf 
nervöser  oder  rheumatischer  Grundlage;  dasselbe  stand 
nicht  in  einem  ursächlichem  Zusammenhänge  mit  der  im 
Juni  stattgehabten  Quetschung  des  rechten  Unterschenkels. 
Das  Hautleiden  gab  im  November  oder  Dezember  die 
Veranlassung  zu  einem  operativen  Eingriffe,  gelegent- 
lichdessen  ausdrücklich  die  volle  Gesundheit  von  Knochen¬ 
haut  und  Schienbeinknochen  festgestellt  wmrde.  Im  An¬ 
schlüsse  an  die  Operation  entstand  durch  Wundinfektion 
eine  Entzündung  der  Operationswundflächen,  die  auf 
die  Knochenhaut  Übergriff  und  eine  regelrechte  Osteo¬ 
myelitis  acuta  infectiosa  zuwege  brachte.  Diese  führte 
zu  den  noch  jetzt  bestehenden  Folgen  am  rechten  Unter¬ 
schenkel.  Diese  Osteomyelitis  kann  nicht  durch  eine 
Quetschung  des  Knochens  im  Juni  unmittelbar  verursacht 
sein,  eine  so  lange  Zwischenzeit  zwischen  Verletzung 
und  Ausbruch  der  Krankheit  entspricht  nicht  den  Regeln 
dieser  Krankheit.  Der  jetzige  Zustand  des  rechten  Beines 
ist  demnach  die  mittelbare  Folge  des  im  November  auf¬ 
getretenen  Plautleidens.  Da  nun  das  Hautleiden  unab¬ 
hängig  von  der  im  Juni  erfolgten  Quetschung  entstanden 
ist,  steht  der  jetzige  Zustand  des  Beines  auch  in  keinem 
mittelbaren  ursächlichen  Zusammenhänge  mit  der 
Quetschung,  er  ist  nicht  P'olge  des  PTnfalles, 


Nr.  10 


94 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Zur  Bekämpfung  der  Läuseplage  im  Kriegs¬ 
gefangenenlager  in  Reichenberg. 

Von  Dr.  Emil  Ekstein,  k.  k.  Reg.-Arzt  i.  V.  d.  Ev  und  Chefarzt. 

Am  1 7-  Dezember  1914  wurde  ich  zum  Chefarzt  des 
zu  errichtenden  Kriegsgefangenenlagers  in  Reichenberg 
bestimmt  und  oblag  mir  die  sanitäre  Einrichtung  und 
Beaufsichtigung  desselben  bis  zum  7.  September  1915. 

Wurde  dieses  Kriegsgefangenenlager  auch  4  Kilo¬ 
meter  weit  von  der  Stadt  entfernt  errichtet,  so  war  mir 
sofort  klar,  dass  das  ganze  Augenmerk  darauf  gerichtet 
sein  muss,  es  zu  verhindern,  dass  durch  die  zahlreichen 
im  Lager  beschäftigten  Bauarbeiter,  Arbeiterschaft  und 
die  Bewachungsmannschaft  des  Kriegsgefangenenlagers 
in  die  reichbevölkerten,  mit  der  Stadt  Reichenberg  eng 
zusammenhängenden  Ortschaften  Infektionskrankheiten 
aus  dem  Lager  verschleppt  werden. 

Kamen  auch  zahlreiche  Gefangenentransporte  aus 
der  Gefangenenzerstreuungsstelle  Josefstadt  nach  Quaran- 
tänisierung  und  Entlausung  daselbst  in  das  Reichenberger 
Lager,  so  trafen  später  diese  Gefangenentransporte  direkt  ] 
aus  dem  Armeebereich  ein,  teilweise  auch  schon  quaran- 
tänisiert  und  entlaust. 

Wie  es  aber  bei  raschen  und  grossen  Transporten 
Gefangener  nicht  anders  möglich  sein  kann,  war  speziell 
die  Entlausung  bei  all  diesen  Transporten  keine  voll¬ 
ständige,  sodass  in  kürzester  Zeit  bereits  wieder  von 
einer  Verlausung  der  Kriegsgefangenen  gesprochen 
werden  konnte. 

Die  natürliche  Folge  davon  war,  dass  ich  mich  in 
erster  Reihe  mit  der  Entlausungsfrage  eingehend  be¬ 
schäftigen  musste,  welche  damals  ebenso  wie  für  die 
Front  auch  für  das  Hinterland,  insbesondere  für  die  zu 
errichtenden  Kriegsgefangenenlager  hochaktuell  ge¬ 
worden  war. 

Entsprechend  dem  Vi  r  c  h  o  w’schen  Satze:  Die 
Prophylaxis  ist  die  beste  Medizin,  musste  die  Bekämpfung 
der  Läuseplage  als  die  beste  Prophylaxis  gegen  ver¬ 
schiedene  Infektionskrankheiten  gelten,  vorausgesetzt, 
dass  die  Laus  wirklich  den  Zwischenträger  von  In¬ 
fektionserregern  verschiedener  Provenienz  abzugeben 
imstande  sein  sollte.  In  erster  Reihe  wurde  das  so  ge¬ 
fürchtete  Fleckfieber  als  diejenige  Infektionskrankheit 
hingestellt,  welche  von  infizierten  Läusen  propagiert 
werden  soll. 

Meine  diesbezüglichen  Erfahrungen  sprechen  nicht 
dafür,  nachdem  ich  in  genannter  Zeit  keinen  einzigen 
ausgesprochenen  Fall  von  Fleckfieber  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  obgleich  erst  anfangs  März  1915  wegen 
verspäteter  Fertigstellung  der  Entlausungsanstalt  mit  der 
Entlausung  der  Kriegsgefangenen  begonnen  werden 
konnte. 

Die  Zahl  der  Kriegsgefangenen,  welche  in  dieser  ganzen 
Zeit  sich  im  Lager  befanden,  belief  sich  auf  zirka  70 000, 
wobei  der  durchschnittliche  Stand  21  000  und  selbst  einige 
Zeit  hindurch  43 — 50  000  täglich  erreichte.  Nachdem 
das  Fleckfieber  im  Zerstreuungslager  Josefstadt  ziemlich 
heftig  herrschte  und  von  dort  Kriegsgefangene  dem 
Kriegsgefangenenlager  Reichenberg  zugeschoben  wurden, 
lag  die  Voraussetzung  sehr  nahe,  dass  trotz  der  Quaran¬ 
täne,  bei  der  nachgewiesenen  unvollkommenen  Ent¬ 
lausung  sowohl  unter  den  Kriegsgefangenen ,  gewiss 
aber  unter  den  Läusen  Bazillenträger  hätten  vorhanden 
sein  können  oder  müssen,  welche  eine  Fleckfieber¬ 
infektion  hervorzurufen  imstande  gewesen  wären.  Nichts 
von  alledem  geschah,  trotz  der  Verlausung  der  Kriegs¬ 
gefangenen  trat  im  Lager  kein  Fleckfieber  auf. 

Wie  sich  die  Wissenschaft  zu  dieser  Frage  stellt 
und  was  die  Literatur  darüber  berichtet,  ist  mir  in  dieser 
kriegsbewegten  Zeit  nicht  zur  Kenntnis  gelangt  und 
glaube  ich  mit  der  geschilderten  Erfahrung  per  exclusionem 
zur  Ätiologie  des  Fleckfiebers  Beitrag  geleistet  zu  halben. 


Es  erübrigt  mir  nur  noch  Zusagen,  dass  alle  Präparate 
zur  Abtötung  der  Läuse,  welche  von  massgebender  Stelle 
verordnet  und  reichlich  dem  Lager  zugeschoben  wurden, 
ihren  Zweck  nicht  erfüllten  und  halte  ich  es  aus  diesem 
Grunde  für  zwecklos,  alle  die  Namen  dieser  oft  ephemär 
angepriesenen  Präparate  usw.  anzutühren. 

Nachdem  mir  die  Tatsache  bekannt  war,  dass  die 
Kälte  der  grösste  Feind  der  Läuse  ist,  traf  ich  die  An¬ 
ordnung,  dass  die  Kriegsgefangenen  täglich  zu  bestimmter 
Zeit  ihre  Wohnbaracken  zu  verlassen  und  sich  solange 
als  möglich  in  freier  Luft  aufzuhalten  haben.  Es  wurde 
strengstens  darauf  gesehen,  dass  diese  Anordnung  be¬ 
folgend  die  Wohnbaracken  während  dieser  Zeit  gründ¬ 
lich  durch  Öffnen  der  Fenster  und  Türen  durchgelüftet 
wurden. 

In  den  Monaten  Januar  und  Februar  war  neben  dem 
Scheren  des  Kopfhaares  dies  der  einzig  mögliche  Behelf 
zur  Bekämpfung  der  Läuseplage,  denn  erst  Anfang 
März  1915  wurde  die  Entlausungsanstalt  fertig  und  in 
Betrieb  gesetzt. 

In  meinem  Zivilberuf  als  Frauenarzt  stand  ich  der 
Entlausungsfrage  aus  naheliegenden  Gründen  vollkommen 
fern,  meine  Kenntnisse  über  das  Leben  und  Treiben  der 
Laus  waren  demzufolge  für  meine  Tätigkeit  als  Chefarzt 
des  damals  grössten  Kriegsgefangenenlagers  im  Korps¬ 
bereiche  gleich  Null. 

Durch  gütige  Mitteilungen  des  Herrn  k.  k.  Ober¬ 
tierarztes  Herzog  in  Reichenberg,  welchem  ich  hier 
gleich  meinen  besten  Dank  sagen  möchte,  wurde  ich 
dahin  belehrt,  mich  zur  Abtötung  der  Läuse  des  Kreolins 
zu  bedienen,  welches  als  Pacolin  oder  Dendrol  oder 
Karbolineum  nach  den  reichlichen  Erfahrungen  des 
Herrn  Herzog  als  sicherstes  und  ungefährliches  Mittel 
sich  ihm  diesbezüglich  bewährt  hatte.  In  einer  Versamm¬ 
lung  der  Lagerchefärzte  im  April  1915  wurde  durch  Herrn 
k.  k.  Oberstabsarzt  Professor  Dr  Schattenfroh  in 
Wien  diese  prompte  Wirksamkeit  der  Kresolpräparate 
bestätigt. 

Von  vornherein  war  es  mir  klar,  dass  die  Entlausung 
in  einem  Gefangenenlager,  wo  Gefangene  in  Baracken 
zu  je  2 — 300  Mann  untergebracht  wurden,  keine  so  ein¬ 
fache  Sache  sein  konnte,  um  so  mehr,  als  die  Kleiderlaus 
sich  ungemein  zahlreich  und  rasch  vermehrt,  wenn  ich 
ferner  in  Erwägung  zog,  dass  trotz  Aufwendung  aller 
verfügbaren  Mittel  es  sich  nicht  verhüten  liess,  dass  ent¬ 
lauste  Gefangene  immer  wieder  mit  verlausten  oder  nicht 
vollständig  entlausten  Gefangenen  oder  deren  Sachen 
in  Berührung  kommen,  wodurch  eine  neuerliche  Infektion 
mit  Länsen  zustande  kommen  musste. 

Wie  ich  untrüglich  aus  Erfahrung  belehrt  wurde, 
genügte  zur  Entstehung  einer  neuen  Läuseinfektion  das 
Bändchen,  an  dem  jeder  Gefangene  ein  Amulett  trägt, 
von  welchem  er  sich  auch  im  Bade  nicht  trennen  wollte, 
an  dem  immer  wieder  Läese  gefunden  wurden. 

Aus  diesem  Grunde  können  Laboratoriumsversuche  mit 
Mitteln  zur  Entlausung  für  ein  Kriegsgefangenenlager  nicht 
massgebend  sein,  wo  die  Kontaktinfektion  nur  sehr  schwer 
zu  vermeiden  ist.  Hierin  liegt  der  circulus  vitiosus  der 
Entlausungsfrage  für  Kriegsgefangenenlager,  welcher  hier 
sehr  schwerwiegend  ist,  wo  es  sich  darum  handelt,  voll¬ 
ständigentlauste  Kriegsgefangene  für  Arbeitsdetachements 
stets  bereitgestellt  zu  erhalten. 

Das  Scheren  und  Baden  der  Kriegsgefangenen  und 
die  Desinfektion  aller  ihrer  Bekleidungssorten,  Decken, 
Strohsäckej  Brotsäcke,  Tornister,  Ledersachen,  kurz  ihrer 
vollständigen  Ausrüstung  bildet  die  Basis,  auf  welcher  sich 
die  Entlausung  gründet. 

Unerlässlich  kommt  aber  hier  hinzu,  dass  die  V  ohn- 
baracken  der  entlausten  Kriegsgefangenen  ebenfalls  einer 
gründlichen  Entlausung  unterzogen  werden,  damit  eben 
die  Kriegsgefangenen  nicht  verlauste  l  bikationen  nach 
ihrer  Entlausung  wieder  beziehen. 


Nr.  10. 


95 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Es  war  mir  zur  Gewissheit,  dass  die  im  Lager  be¬ 
findlichen  Kriegsgefangenen  nur  dann  vollständig  als 
entlaust  betrachtet  werden  konnten,  wenn  die  genannten 
Bedingungen  strengstens  erfüllt  und  die  Entlausung  nicht 
nur  strengstens  organisiert,  sondern  meine  Vorschriften 
auch  strengstens  durchgeführt  würden,  was  bei  der  be¬ 
kannten  Indolenz  russischer  Kriegsgefangener  nicht  so 
leicht  zu  erreichen  sein  würde.  Vorweg  muss  ich  be¬ 
merken,  dass  es  durch  energisches  Vorgehen  in  der  Tat 
erreicht  wurde,  mit  Ausnahme  der  am  Beginn  des  Ent¬ 
lausungsbetriebes  abtransportierten  zwei  Kolonnen  Kriegs¬ 
gefangener,  sämtliche  Kriegsgefangene  vollständig  ent¬ 
laust  zu  erhalten,  somit  das  Kriegsgefangenenlager  als  voll¬ 
ständig  entlaust  betrachten  zu  können,  sodass  alle  zu 
Arbeiten  aus  dem  Lager  in  das  Hinterland  abgeschickten 
Kriegsgefangenen  vollkommen  entlaust  waren.  In  Rück¬ 
sicht  auf  die  geschilderten  Umstände  wurden  die  Kriegs¬ 
gefangenen  aus  den  acht  Lagergruppen  in  ununter¬ 
brochener  Reihenfolge  in  den  vorhandenen  drei  Bade- 
bezw.  Entlausungsanstalten  und  soweit  es  die  Witterung 
zuliess  auch  in  offener  Badeanstalt  im  Freien  gebadet 
und  stets  alle  Bekleidungssorten  usw.  sowie  die  Baracken 
desinfiziert. 

Die  Zahl  der  Kriegsgefangenen,  welcher  dieser 
Prozedur  täglich  unterzogen  werden  konnten,  betrug 
12—1400. 

Über  die  Einrichtung  der  Entlausungsanstalten  zu 
sprechen  halte  ich  für  überflüssig,  da  sich  die  Einrichtung 
aus  dem  Vorgang  der  Entlausung  ergibt.  Zu  bemerken 
ist  aber,  dass  dieselben  musterhaft  eingerichtet  waren  und 
technisch  tadellos  geleitet  wurden. 

Bevor  ich  den  Vorgang  der  Entlausung  schildere, 
muss  ich  über  eine  Beobachtung  etwas  eingehender 
sprechen,  welche  hier  ganz  wesentlich  in  Betracht 
kommt. 

Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  der  strömende  Dampf 
von  100"  C  jedes  Lebewesen  in  kürzester  Zeit  zum  Ab¬ 
sterben  bringt,  und  war  anzunehmen,  dass  auch  die 
Läuse  in  den  Bekleidungssorten  usw,  welche  in  die 
grossen  Dampfdesinfektoren  gebracht  wurden,  unter 
strömendem  Dampf  von  100°  C  in  der  Zeit  von  10  bis 
15  Minuten  getötet  werden  mussten. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  Eiern  (Nissen)  der 
Läuse.  Dieselben  besitzen  eine  verhältnismässig  harte 
Chitinhülle,  welche  trotzdem  gewiss  keinen  Widerstand 
gegen  den  strömenden  Dampf  in  bezug  auf  Abtötung 
leisten,  wenn  der  Dampf  eben  direkt  auf  dieselben 
einzuwirken  vermag. 

Die  Nisse  werden  aber  von  den  Läusen  mit  sichtlich 
instinktivem  Verstand  in  den  unzugänglichsten  Falten  der 
Mäntel,  Blusen,  Hemden  und  Hosen,  ferner  in  den 
Schlupfen  und  Nähten  der  Ledersorten  derartig  ab¬ 
gelagert,  dass  sie  durch  das  sie  vollständig  umgebende 
Tuch,  Leinen  oder  Leder  selbst  gegen  lOOgradige 
Dampfhitze  gut  isoliert  sind. 

Diese  doppelte  Isolierung  der  Nisse  setzt  die  Ab¬ 
tötungsmöglichkeit  der  Nisse  durch  einfache  Dampfhitze 
demnach  wesentlich  herab,  sodass  eben  die  Abtötung 
nicht  erfolgen  kann,  sondern  durch  diese  vermehrte  Er¬ 
wärmung  der  Nisse  eine  rapide  Weiterentwicklung  der 
Nisse,  das  ist  ein  Auslaufen  derselben,  also  junge  Läuse- 
brut  zustande  kommt. 

Als  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme 
dienten  mir  jene  zwei  bereits  erwähnten  Transporte  von 
Kriegsgefangenen,  welche  obzwar  bereits  einmal  schon 
entlaust,  knapp  vor  ihrem  Abtransport,  wie  dies  auch  in 
der  Folge  stets  gehandhabt  wurde,  nochmals  entlaust, 
nach  3  —  4  Tagen  in  ihrem  Bestimmungsort  laut  Meldung 
total  verlaust  ankamen. 

Aus  diesem  Grunde  und  in  Erwägung,  dass  Essig¬ 
säure  das  Chitin  leicht  löst,  traf  ich  die  Anordnung,  dass 
alle  Bekleidungssorten  usw.  mit  einem  Gemisch  von 


5  prozentiger  Essigsäure  und  3  prozentiger  Kreolinlösung 
vor  der  Dampfdesinfektion  mittels  Anstrichmaschinen 
bespritzt  wurden.  Durch  die  Essigsäure  sollte  die  Chitin- 
hiille  eben  gelöst  und  durch  den  mit  Essigsäure  ge¬ 
sättigten  Dampf  die  Essigsäure  unter  Druck  in 
alle  die  verborgenen  Nissenester  getrieben  werden  und 
so  nach  Lösung  der  Chitinhülle  die  Nisse  für  die  Ab¬ 
tötung  durch  den  Dampf  präpariert  werden.  Dem  mit 
Kreolin  gesättigten  Dampf  schrieb  ich  eine  verstärkte 
Wirkung  für  die  Abtötung  der  Läuse  zu. 

Zahlreiche  Untersuchung  der  Bekleidungssorten  nach 
dieser  Art  der  Essigsäure-Kreolin-Dampfdesinfektion 
durch  10 — 15  Minuten  ergaben,  dass  die  Nisse  schwarz 
waren,  demnach  abgetötet,  während  bei  der  einfachen 
Dampfdesinfektion  Nisse  oft  in  unverändertem  Zustand 
gefunden  wurden. 

Nachdem  Ledersorten,  Schuhe,  Riemen  usw.  durch 
Dampfdesinfektion  einfach  unbrauchbar  wurden,  ordnete 
ich  an,  dass  dieselben  in  grosse  mit  einer  5  prozentigen 
wässrigen  Essigsäure-Kreolinlösung  gefüllte  Gefässe  ge¬ 
bracht  wurden,  woselbst  sie  durch  10  Minuten  verblieben 
und  im  Trockenraum  hernach  getrocknet  wurden,  ohne 
schadhaft  zu  werden. 

Die  Reinigung  und  Desinfektion  der  Baracken  Hess 
ich  wie  folgt  vornehmen : 

Sobald  die  Kriegsgefangenen  einer  Baracke  zur  Bade¬ 
anstalt  abgegangen  waren,  wurde  die  Baracke  reingefegt. 
Zur  Desinfektion  wurde  eine  5prozentige  Kreolinlösung 
anfangs  mittels  Feuerspritze,  später  mittels  Dampf  in 
der  Baracke  zerstäubt  und  nachher  die  Pritschen  und 
Wände  bis  in  Manneshöhe  mittels  Anstreichmaschine 
jedesmal  mit  Kreolin  angestrichen. 

Durch  das  liebenswürdige  und  dankenswerte  Ent¬ 
gegenkommen  des  Kommandos  der  Reichenberger  heuer- 
wehr  wurde  mir  zum  Zwecke  der  Barackendesinfektion 
die  Dampfspritze  zur  Verfügung  gestellt.  An  den 
Dampfkessel  dieser  Spritze  mit  seinem  12  Atmosphären- 
Druck  wurde  ein  30  m  langer  Gummischlauch  anmon¬ 
tiert,  welcher  als  Dampfverteiier  diente,  der  Kessel  selbst 
mit  einer  5 prozentigen  wässrigen  Kreolinlösung  gespeist. 

Auf  diese  Weise  wurden  die  Baracken  mit  einem 
unter  8 — 12  Atmosphären  dem  Kessel  entströmenden 
5  proz.  Kreolin-Dampf  gründlichst  desinfiziert,  wodurch 
mit  verstärkter  Sicherheit  die  Läuse  daselbst  abgetötet 
wurden. 

Die  Entlausung  der  Kriegsgefangenen  selbst  wurde 
in  folgender  Weise  vorgenommen: 

Vor  dem  Verlassen  der  Wohnbaracken  wurden  die 
Strohsäcke  entleert,  das  verlauste  Stroh  verbrannt  und 
alle  Habseligkeiten  mitgenommen,  Wertgegenstände  ab¬ 
gegeben.  Die  Kriegsgefangenen,  20 — 30  an  Zahl  betreten 
den  Auskleideraum ,  woselbst  alle  Bekleidungssorten 
ausser  Ledersorten  in  flache  Längsbündel  zusammen¬ 
gebunden  und  mit  einer  Blechnummer  versehen  werden, 
dasselbe  geschieht  mit  dem  Schuhwerk  und  Ledersorten. 
Jeder  Kriegsgefangene  erhält  eine  gleichnummerierte 
Biechnummer,  welche  er  an  einer  Schnur  um  den  Ilals 
trägt. 

Aus  dem  Auskleideraum  betritt  der  Kriegsgefangene 
den  Scherraum,  woselbst,  falls  dies  nicht  schon  früher 
geschehen,  Kopf-  und  Barthaar  kurz  geschnitten  wird. 

Hierauf  geht  es  in  den  Wasch-  und  Doucheraum. 
Beim  Betreten  dieses  Raumes  erhält  jeder  Kriegsge¬ 
fangene  eine  Hand  voll  Schmierseife  und  eine  giosse 
Waschbürste.  In  einem  20  cm  tieten  mit  warmem 
Wasser  gefüllten  Bassin  werden  vorerst  die  küsse  ge¬ 
reinigt  und  der  ganze  Körper ,  insbesondere  die  be¬ 
haarten  Teile  fünf  Minuten  mit  Schmierseife  eingerieben 
und  dann  fünf  Minuten  mit  nassen  Bürsten  gebürstet, 
wobei  strenge  darauf  gesehen  wird,  dass  sich  die  Kriegs¬ 
gefangenen  gegenseitig  den  Rücken  gründlich  bürsten 
und  reinigen.  Ist  dies  geschehen,  werden  die  warmen 


96 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  10 


Douchen  geöffnet,  worunter  sich  die  Kriegsgefan¬ 
genen  gründlich  mit  ihren  Bürsten  vom  Seifenschaum 
reinigen,  wozu  wieder  fünf  Minuten  gewährt  werden. 
Hierauf  erhält  jeder  Kriegsgefangene  ein  Abwischtuch 
zum  Abtrocknen  und  begibt  sich  in  die  Gruppe  der  Ge¬ 
badeten  in  den  Ankleideraum,  woselbst  durch  eine  mit 
einer  beweglichen  eisernen  Klappe  verschlossene  Öffnung 
die  bereits  desinfizierten  und  getrockneten  Bekleidungs¬ 
sachen,  Stiefel  usw.  dieser  Gruppe  aus  dem  Trocken¬ 
raum  zugeschoben  werden.  In  einer  dem  Ankleideraum 
angrenzenden  Halle  erwarten  die  Kriegsgefangenen 
ihren  Abtransport  ins  Lager. 

Es  sei  hier  noch  hervorgehoben,  dass  der  Desinfek¬ 
torenraum  durch  eine  Wand  in  zwei  Räume  geteilt  ist, 
sodass  der  Laderaum  und  Entladeraum  der  Desinfektoren 
vollständig  von  einander  getrennt  sind  und  nur  durch  eine 
kleine  Öffnung  die  in  Bottichen  desinfizierten  Stiefel 
und  Ledersorten  durch  den  Entladeraum  zum  Trocken¬ 
raum  zugeschoben  werden  können.  Ferner  wurden  das 
Reinigen  und  Douchen  der  Kriegsgefangenen  mittels 
Kommando  durchgeführt,  um  den  Entlausungsbetrieb 
für  eine  möglichst  grosse  Zahl  Kriegsgefangener  einzu¬ 
richten. 

An  der  Hand  reichsdeutscher  Erfahrungen  ,  welche 
ich  zufällig  durch  einige  Veröffentlichungen  kennen  zu 
lernen  Gelegenhiet  hatte,  welche  dahin  gehen,  dass  eine 
vollständige  Entlausung  in  einem  Kriegsgefangenenlager 


nicht  möglich  sei,  möchte  ich  zusammenfassend  folgende 
Leitsätze  für  die  Bekämpfung  der  Läuseplage  in  Kriegs¬ 
gefangenenlagern  aufstellen  : 

1.  Kresolpräparate  :  Kreolin,  Pacolin,  Dendrol,  Lysol, 
Karbolineum  sind  wirksame  Mittel  gegen  Läuse  bei  Per¬ 
sonen  und  Sachen  sowohl  in  3  bis  5  prozentiger 
wässeriger  Lösung  oder  in  der  gleichen  Stärke  als 
Zusatz  zur  Dampferzeugung  bei  der  Dampfdesinfektion. 

2.  5  prozentige  Essigsäure-Kreolinlösung  bildet  ein 
ausgezeichnetes  Unterstützungsmittel  zur  Abtötung  der 
Kleidernisse  bei  der  Dampfdesinfektion. 

3.  Die  Reinigung  der  Kriegsgefangenen  durch 
Scheren  der  Haare  und  Baden  bei  gleichzeitiger  Desin¬ 
fektion  aller  Bekleidungssorten  und  ganzen  Habseligkeiten  i 
muss  in  jedem  Kriegsgefangenenlager  ununterbrochen  i 
betrieben  werden,  doch  gleichzeitig  dabei  stets  auch  die 
Dampfdesinfektion  der  Wohnbaracken  derselben. 

4.  Tägliche  Lüftung  und  Reinigung  der  Wohn¬ 
baracken  sowie  längerer  Aufenthalt  der  Kriegsgefangenen 
im  Freien  (Exerzieren  usw.)  bilden  eine  wesentliche 
Unterstützung  für  eine  vollständige  Entlausung. 

5.  Mindestens  einmal  wöchentlich  sind  die  Kriegs¬ 
gefangenen  ärztlich  auf  Läuse  zu  perlustrieren. 

Nur  in  lückenloser  Durchführung  geschilderter  Mass¬ 
nahmen  ist  es  möglich,  die  Läuseplage  in  Kriegsge¬ 
fangenenlagern  wirksam  zu  bekämpfen. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Ueber  die  therapeutische  Verwendung  des  kolloi¬ 
dalen  Silbers. 

Von  Dr.  J.  Voigt. 

Auf  Grund  mehrjähriger  experimenteller  Unter¬ 
suchungen  (cf.  Biochem.  Ztschr.)  und  praktischer  Er¬ 
fahrungen  gibt  Verf.  einen  Überblick  über  die  wichtigsten 
Punkte,  die  für  eine  therapeutische  Verwendung  kolloi¬ 
dalen  Silbers  in  Frage  kommen.  Im  Gegensatz  zu  der 
bisher  empfohlenen  2  proz.  Kollargollösung,  [die  übrigens 
nur  in  den  Bestreben  mit  möglichst  hochprozentigem 
Hydrol  zu  arbeiten,  gewählt  ist,  nicht  etwa  auf  Grund 
kolloid-chemischer  Erwägungen  !|  hat  sich  ihm  ein  Silber- 
hydrosol  von  0,4 — 0,5  Proz.  am  besten  bewährt.  Die 
Anwendung  sollte  eigentlich  nur  in  Form  der  intravenösen 
Injektion  von  10  —  30  ccm  geschehen.  Danach  gelangt 
das  Silber  hauptsächlich  in  3  grosse  Depots,  die  alle 
drei  für  die  Biutbereitung  von  Bedeutung  sind :  Leber, 
Milz  und  Knochenmark. 

Auch  das  kolloidale  Silber  stellt  kein  Allheilmittel 
dar,  richtig  und  rechtzeitig  angewendet, 
beeinflusst  es  den  Zustand  der  Verwundeten  mit  sog. 
septischen  Kurven  vielfach  recht  günstig.  Wegen  der 
Neigung,  sich  im  Knochenmark  abzulagern,  ist  seine 
Verwendung  auch  bei  Schussfrakturen  und  Osteomyelitis 
zu  versuchen. 

Zum  Schluss  gibt  Verf.  noch  ein  Rezept  zur  Be¬ 
reitung  einer  Salbe  von  kolloidalem  Silber.  (M.  m. 
Wschr.  35,  15.)  Autoreferat. 


Ueber  Naphthalinentlausung  und  ihre  Methode. 

Von  Dr.  F.  Len  z. 

Die  Lenz  sehe  Methode  der  Naphtalinentlausung 
verzichtet  darauf,  mit  einem  Schlage  restlose  Läusefrei- 


heit  erreichen  zu  wollen,  was  bei  Massenbetrieb  mit 
keiner  Methode  gelingt.  Es  wird  vielmehr  eine  Ent¬ 
lausung  nach  dem  Prinzip  der  fraktionierten  Sterilisierung 
erzielt.  Die  Verlausten  erhalten  des  Abends  eine  Hand¬ 
voll  sehr  fein  gepulverten  Naphtalins  in  die  Halsöffnung 
der  Kleider  gestreut  und  müssen  mit  den  Kleidern , 
schlafen;  am  nächsten  Morgen  sind  die  meisten  Läuse  > 
tot,  aber  nicht  die  Eier.  Da  diese  nach  3  —  5  Tagen 
schlüpfen,  wird  die  Einstreuung  dann  wiederholt  mit 
dem  Erfolg,  dass  nunmehr  auch  die  frisch  geschlüpften  i 
Läuse  sterben.  Nach  einigen  weiteren  Tagen  findet  i 
eine  abermalige  Wiederholung  statt  und  nötigenfalls  noch 
einmal,  mit  dem  Erfolg,  dass  alle  Läuse  aussterben  bevor 
die  junge  Brut  wieder  fortpflanzungsfähig  wird.  Die 
Methode  ist  im  Schützengraben  anwendbar.  (M.  m. 
Wschr.  45,  15.)  Autoreferat. 


„Beitrag  zur  Differentialdiagnose  des  Rückfall¬ 
fiebers“. 

Von  Dr.  C  a  y  e  t  -  Diedenhofen. 

Fall  von  Tuberkulose  kombiniert  mit  Rückfallfieber. 
Differentialdiagnostisch  kamen  in  Frage  Pneumonie, 
Appendizitis,  Typhus,  Miliartuberkulose.  Der  Nachweis 
der  Rekurrens  -  Spirochäten  klärte  die  Sachlage  auf. 
Ansteckung  auf  einer  Gefangenen-Abteilung.  Heilung 
der  Rekurrenserkrankung  durch  intravenöse  Injektion 
von  0,45  Neosalvarsan.  (M.  m.  Vrschr.  40,  1915.) 

Autoreferat. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


97 


Nr.  10. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Krumb  liaar  und  Musser,  Diagnostischer  Wert 
der  perkutanen  Tuberkulinprobe  (Moro),  (The  americ.  journ  of 
the  med.  scienc.  1914,  Nr.  4,  S.  540.) 

Aut  Grund  ihrer  Untersuchungen  halten  die  Verfasser  die 
Ansicht,  dass  positive  Reaktionen  bei  Erwachsenen  von  ge¬ 
ringem  oder  keinem  Wert  sind,  für  irrig.  Vielmehr  ist  die 
konstante  positive  Reaktion  in  allen  unzweifelhaften  frühen  und 
massigen  Tuberkulosefällen  ein  strenger  Beweis  für  die  Spezi¬ 
fität  der  Reaktion.  Die  negative  Reaktion  in  90  Proz.  der 
weit  vorgeschrittenen  Fälle  deutet  an,  dass  der  körperliche 
Widerstand  überwunden,  die  Antikörper  verschwunden  und  die 
Gewebe  nicht  mehr  auf  die  Probe  reagieren.  Ebenso  wie  bei 
Lungentuberkulose  ist  die  Probe  bei  Pleuritis,  Gelenk¬ 
erkrankungen,  abdominaler  Tuberkulose  (gegen  Typhus)  zu  ver¬ 
wenden.  Nur  in  seltenen  Fällen  gibt  wiederholte  Anwendung 
ein  verschiedenes  Resultat.  v.  Schnize  r. 


Innere  Medizin. 

S  a  ne  way,  Frühsymptome  des  Ösophaguskarzinoms. 
(The  americ.  journ.  of  the  med.  scienc.  1914,  Nr.  4,  S.  583). 

Gewöhnlich  wird  die  Dysphagie  als  solches  angegeben. 
Sie  ist  jedoch  konstant  nur  bei  Ivardiakarzinomen.  die  auf 
den  Ösophagus  übergreifen,  bei  reinen  Ösophaguskarzinomen 
ist  sie  wenn  überhaupt,  fast  immer  nur  temporär,  auf  lange 
Zeit  wieder  verschwindend. 

Weitere  Frühsymptome :  Gefühl  im  Halse,  wie  wenn  eine 
Zahnbürstenborste  verschluckt  sei ;  dumpfer  Druck  bis  ausge¬ 
sprochener  Schmerz  hinter  dem  Brustbein,  oft  als  Neurasthenie 
fälschlicherweise  angesehen  ;  Husten,  Schleimansammlung  im 
Halse;  Anorexie ;  Schmerzen  am  linken  unteren  Rippenrand. 
Im  weiteren  Verlaufe  tritt  allerdings  Dysphagie  mehr  in  den  Vor¬ 
dergrund.  v.  Schnizer. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

C  o  n  n  e  r  und  D  o  w  n  e  s  ,  Spontane  Milzruptur  bei 
Typhus.  (The  americ.  jour.  of  the  med.  scienc.  1914,  Nr  3 
S.  332)  ' 

Verfasser  gibt  einen  durch  Splenektomie  geheilten  selbst¬ 
beobachteten  Fall  von  der  bei  Typhus  recht  seltenen  spontanen 
Milzruptur,  die  häufig  bei  tropischer  Malaria  beobachtet  wird 
und  eine  Zusammenstellung  von  12  Fällen,  die  alle,  teilweise 
trotz  Operation  letal  verliefen.  Die  Diagnose  ist  wenn  daran 
gedacht  wird,  nicht  schwierig  und  gründet  sich  auf  die 
lokalen  (Schmerz,  Empfindlichkeit,  Muskelrigidität)  und  all¬ 
gemeinen  Symptome.  Sie  ist  nur  schwierig  in  vorgeschrittenen 
Fällen,  wo  Apathie  und  Delirium  das  Bild  verschleiern. 
Spontanheilung  sehr  selten;  im  allgemeinen  gibt  nur  möglichst 
frühe  Entfernung  der  Milz  Aussicht  auf  Heilung. 

v.  Schnizer. 

A.  W.  Meyer,  Die  Behandlung  der  Bauchschuss- 
\  erletzun gen  im  Felde.  (Münch,  med.  Wochenschr.  1915,  Nr  34 
S.  1163.)  '  ’ 

Verfasser  ist  gestützt  schon  aut  seine  Erfahrungen  im 
Balkankrieg  Gegner  der  konservativen  Behandlung.  Hinsicht¬ 
lich  der  Indikation  zur  Laparotomie  ist  die  Entscheidung 
namentlich  tür  den  Truppenarzt  nicht  immer  leicht.  Zusammen¬ 
fassend  ist  er  folgender  Anschauung:  Sofort  operieren  jeden 
Bauchschuss  aus  etwa  unter  400  m  Entfernung  (Sprengwirkung\ 
Querschläger-  und  Granatverletzungen.  Die  Verwundeten 
können  die  Fragen  über  die  Entfernung  meist  ganz  genau  be¬ 
antworten.  Ebenso  sind  sofort  zu  operieren  Fälle,  in  denen  un¬ 
stillbares  Erbrechen  oder  andauernder  Brechreiz  nach  der  Ver¬ 
letzung  eine  schwere  Eingeweideverletzung  nahelegen.  Ferner 
alle  Bauchverletzungen  mit  irgendwie  schweren  Blutungen  be¬ 
sonders  bei  Netz-  und  namentlich  bei  Milzzerreissungen,  welch’ 


letztere  eigentlich  nur  bei  möglichst  schnellem  Eingriff  eine 
günstige  Prognose  geben.  Jedenfalls  dürfte  dem  Chi  rurgen 
die  Unterscheidung  zwischen  innerer  Blutung  und  Schok  nicht 
allzu  schwer  fällen. 

Bei  Leberlochschüssen  ohne  Sprengwirkung  kann  unter 
Umständen  die  Blutung  rasch  stehen  und  dann  ist  die  konser¬ 
vative  Behandlung  augezeigt. 

Schwieriger  ist  die  Indikationsstellung  bei  Bauchschüssen 
mit  wahrscheinlicher  Darmverletzung  aus  grosser  Entfernung, 
namentlich  wenn  noch  die  klinischen  Erscheinungen  gering 
sind.  Konservative  Behandlung  kann  da  nur  bei  tangentialen 
Schüssen  des  Darms  mit  wenigen  Perforationen,  die  eventuell 
Verklebung  oder  Abszess  möglich  erscheinen  lassen  in  Frage 
kommen. 

Zeit  der  Operation  :  Möglichst  kurz  nach  der  Verletzung. 
Euderlen  verlangt  8  Stunden  Verfasser  hat  noch  nach 
18  und  22  Stunden  mit  Erfolg  operiert.  Später  als  1 1/.,  Tag 
nach  der  Verletzung  zu  operieren,  ist  bei  Bauchschüssen  mit 
schweren  Erscheinungen  zwecklos,  bei  solchen  ohne  schwere 
Erscheinungen  ein  Fehler.  v.  Schnizer 


Augenheilkunde. 

Coros,  Der  Wert  der  Bindebautdeckuug  im  Kriege. 
(Münch.  M.  Wchschr.  1915,  Nr.  35,  S.  1196.) 

Verfasser  hat  in  34  Fällen  von  Augen  Verletzung  die 
Bindehautdeckung  vorgenommen  und  schreibt  ihr  besonders  die 
verhältnismässig  guten  Erfolge  zu  (in  13  Fällen  Erhaltung 
eines  brauchbaren  Visus).  Nicht  zu  lange  nach  der  Verletzung 
ausgeführt  hält  sie  sekundäre  Infektionen  und  sympathisierende 
Augenentzündung  hintan  und  schafft  schnelle  und  solide  Ver¬ 
narbung.  Die  Technik  ist  sehr  einfach  und  auch  vom 
Chirurgen  nach  Vorübung  an  der  Leiche  nicht  allzu  sclnver 
zu  erlernen,  so  dass  sie  billigerweise  im  Kriegs-  oder  auch  im 
Feldlazarett  innerhalb  der  ersten  12 — 24  Stunden  wohl  immer 
auszuführen  ist.  v.  Schnizer. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

E.  Klose,  Die  Hypertonien  im  Säuglingsalter.  (Aus 
der  Kgl.  Universitätskinderklinik  zu  Breslau.  [Direktor; 
Prof.  T  o  b  1  e  rj.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  32.  Band. 
Heft  5.) 

Eine  umfangreiche,  mit  grossem  kasuistischen  Material 
und  Literaturverzeichnis  versehene  Arbeit,  welche  dieses  noch 
wenig  behandelte  Gebiet  zu  ordrien  sucht.  Verf.  grenzt  zu¬ 
nächst  die  Hypertonien  von  anderen  Zuständen  ab,  die  häufig 
mit  ihnen  zusammen  geworfen  werden  Es  sind  jene  Muskel¬ 
spannungen  im  1.  Lebensjahr,  welche  durch  Wochen  und 
Monate  bestehen  und  bei  stoffwechselgestörten  Säuglingen  ohne 
nachweisbare  Erkrankung  der  Zentralnervensystems  auftreten. 
Sie  dürfen  nicht  mit  den  tonischen  Spasmen  verwechselt 
werden,  welche  durch  Schädigung  des  Zentralnervensystems 
hervorgerufen  werden  (z.  B.  bei  Littlescher  Krankheit,  Poren¬ 
zephalie,  Tetanie).  Der  Tonus  der  Muskulatur  wird  jetzt  meist 
als  Reflexphänomen  aufgefasst.  Reize  von  der  Peripherie  — 
es  wirkt  hier  vor  allem  die  tiefe  Sensibilität  mit  —  fliessen 
dem  Zentralnervensystem  zu  und  bewirken  eine  tonische  In¬ 
nervation  der  Muskeln.  ILypertouien  kommen  nach  Verf. 
hauptsächlich  in  den  ersten  vier  Monaten  vor,  doch  man  trifft  ver¬ 
einzelte  Fälle  bis  zum  7.  Lebensmonat  an.  Die  Jahreszeit 
hat  auf  ihre  Entstehung  keinen  Einfluss.  Knaben  zeigen  sie 
weit  häufiger  als  Mädchen. 

Das  klinische  Bild  ist  sehr  mannigfaltig.  Befallen  werden 
besonders  die  Beugemuskeln  der  Extremitäten,  u.  zw.  sind  die 
Flexionshypertonien  der  unteren  Extremitäten  häufiger  als  die 
der  oberen.  Die  Streckhypertonien  der  unteren  Extremitäten 
sind  viel  seltener.  Sie  werden  oft  von  Adduktionshypeitonie 
begleitet  und  geben  dann  zu  Verwechslung  mit  Littlescher  oder 


98 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  10 


anderer  Krankheit  leicht  Veranlassung.  An  den  seltener 
stärker  betroffenen  Armen  kommt  es  zu  Beugespannuugen,  die 
sich  oft  auf  die  Finger  fortsetzen.  Die  Ilände  stehen  krampf¬ 
haft  zur  Faust  geballt,  doch  kommt  nie  Geburtshelferhaud  oder 
Pfötchenstellung  vor.  Greift  die  Spannung  auf  die  Nacken¬ 
oder  Rumpfmuskulatur  über,  so  kann  es  zu  echtem  Opisthotonus 
kommen.  Unter  Umständen  findet  sich  allgemeine  Hypertonie, 
von  der  nur  die  mimische  Muskulatur  verschont  bleibt.  Die 
betroffenen  Kinder  zeichnet  meist  eine  erhöhte  Agilität  aus, 
doch  sind  in  manchen  Fällen  die  Bewegungen  auch  verlang¬ 
samt  und  schwerfällig.  Die  Sehnenreflexe  sind  lebhaft,  aber 
nicht  gesteigert.  Das  Fazialisphänomen  fehlt. 

Ein  Zusammenhang  zwischen  Muskelentwicklung  und 
Hypertonie  besteht  keineswegs  stets.  Es  lassen  sich  zwei 
Typen  von  Hypertonikern  unterscheiden :  solche  mit  normaler 
oder  starker  und  solche  mit  schwacher  oder  atrophischer 
Muskelentwicklung  Die  Muskelentwicklung  ist  besonders 
stark  bei  der  „konstitutionellen“  Hypertonie,  welche  von  Ge¬ 
burt  an  besteht,  und  beim  typischen  Mehlnährschaden. 

Die  Hypertonie  ist  keine  Äusserung  der  spasmophilen 
Diathese.  Sie  ist  auch  unabhängig  von  der  Rachitis.  Verf. 
stellt  eine  Hypothese  über  die  Pathogenese  der  Hypertonie  auf. 
nach  welcher  ihre  Entstehung  durch  Veränderungen  in  der 
Muskelsubstanz  unter  Vermittlung  des  Nervensystems  auf 
reflektorischem  Wege  möglich  sei.  Sie  erklärt  aber,  wie  Verf. 
betont,  die  Erscheinungen  nicht  restlos. 

Von  Einfluss  auf  ihre  Entstehung  ist  jedenfalls  einseitige 
Ernährung  (z.  B.  mit  Kohlehydraten),  doch  lässt  sich  bei  einer 
Reihe  von  Fällen  (wie  z.  B.  bei  der  konstitutionellen  Hyper¬ 
tonie)  ein  Einfluss  der  Ernährung  nicht  feststellen.  Durch 
diätetische  Massnahmen  sind  die  Hypertonien  nur  sehr  lang¬ 
sam  zu  beeinflussen.  Phosphorlebertran,  Kalziumetc.  sind  wirkungs¬ 
los.  Nur  im  Chloralhydratschlaf  schwinden  sie.  Es  gibt 
Fälle,  bei  denen  die  Hypertonien  plötzlich  aus  unbekannten 
Gründen  schwinden.  Braun-  München. 

A.  Baginsky,  Zum  25.  Jahrestage  des  Bestandes  des 
Kaiser-  und  Kaiserin-Friedrich- Kinderkrankenhauses  in  Berlin. 
(Archiv  für  Kinderheilkde.  65.  Bd.  1  /2.  Heft.) 

Im  therapeutischen  Anhang  dieser  Festschrift  gibt  B  a- 
g  i  n  s  k  y  aus  seiner  reichen  Erfahrung  einige  beachtens¬ 
werte  Ratschläge.  So  empfiehlt  er  das  Jodkalium  —  worauf 
er  schon  in  seinem  Lehrbuch  hinwies  —  bei  der  Behandlung 
der  akuten  entzündlichen  Krankheiten  des  Respirations-  und 
Zirkulationsapparates  rheumatischer  Herkunft,  vor  allem  bei 
schwerer  Peri-  und  Endokarditis  und  besonders  dann,  wenn 
sie  mit  Pneumonie  und  Pleuritis  kombiniert  sind.  Er  gibt  1 
bis  3  g  pro  die  und  sah  in  bedrohlichen  Fällen  gute  Erfolge. 
Daneben  können  unbeschadet  Mittel  der  Salizyl gruppe,  Herz¬ 
mittel  und  Diuretika  gegeben  werden. 

Bei  der  Behandlung  der  Kompensationsstörungen  des 
Herzens,  vor  allem  bei  rheumatischer  Peri-  und  Endokarditis, 
hebt  er  das  Strophantin  hervor,  das  bei  diesen  schmerzhaften 
und  bedrohlichen  Zuständen  intravenös  gegeben  gute  Dienste 
tut.  B.  verwendet  Strophantin  Böhringer  und  zwar  bei  Kindern 
von  8  bis  13  Jahren  in  Dosen  von  0,2  bis  0,6  mg. 

Braun-  München. 

E.  S  t  e  i  n  e  r  t  und  E.  Flusser,  Hereditäre  Lues 
und  Wassermannsche  Reaktion.  (Archiv  für  Kinderhlkde. 
56.  Bd.  1./2.  Heft) 

Aus  diesem  Aufsatz  ist  zu  entnehmen  :  In  jedem  Stadium 
der  Lues  können  Frauen  klinisch  und  serologisch  gesunde 
Kinder  gebären.  Von  der  schwangeren  Mutter  wird  die  Lues 
frühestens  7  Wochen  nach  der  Infektion  auf  das  Kind  über¬ 
tragen.  Von  den  Kindern  florid  luetischer  Mütter  des  2.  Sta¬ 
diums  blieben  45  Proz.  klinisch  und  serologisch  frei  von 
luetischen  Erkrankungen.  Hereditär  luetische  Mütter  können 
luetische  Kinder  gebären.  Latent  luetische  Mütter  gebären 
seltener  luetische  Kinder  als  florid  luetische.  Luetische  Frauen 
können  auch  zu  einer  Zeit  luetische  Kinder  gebären,  wo  ihre 
Lues  klinisch  uud  serologisch  nicht  nachweisbar  ist.  Bei  here¬ 
ditär  luetischen  Kindern  geht  in  vielen  Fällen  positive  Wa.  R. 
dem  Ausbruch  der  klinischen  Symptome  voraus.  Im  Säug¬ 
lingsalter  gibt  es  eine  Lues,  die  nur  an  positiver  Wa.  R.  er¬ 
kannt  werden  kann,  da  sie  sonst  keine  Erscheinungen  macht. 
Bei  hereditär  luetischen  Kindern  findet  sich  mitunter  negative 


Wa.  R.  bei  floriden  Erscheinungen,  die  Mütter  zeigen  dann  in 
80  Proz.  der  Fälle  auch  negative  oder  unbeständige  Reaktion. 
Im  Wochenbett  kann  eine  bei  der  Geburt  positive  Reaktion 
negativ  werden,  oder  umgekehrt  Positive  Wa.  R.  bei  nicht 
luetischen  Kindern  ist  eine  sehr  seltene  Ausnahme.  Bei  Säug¬ 
lingen  mit  akuten  Infektionskrankheiten  in  seltenen  Fällen 
positive  Wa.  R. 

Braun-  München. 

E.  R  e  i  s  s  und  F.  Weih  e  ,  Kasuistischer  Beitrag  zur 
Ätiologie  des  Scharlachs  und  zur  Frage  des  Wundseharlachs. 

Verfasser  weisen  darauf  hin,  dass  der  Wundscharlach, 
der  früher  eine  gefürchtete  Kriegsseuche  war,  jetzt  im  Kriege 
sehr  selten  beobachtet  wird.  Sie  teilen  die  Krankengeschichten 
zweier  im  Frankfurter  Krankenhaus  behandelter  Kriegsver- 
wuudeter  mit,  deren  Skarlatina  als  Wundscharlach  gedeutet 
wurde,  und  weiterhin  den  Fall  eines  Knaben,  der  an  eitriger 
Meningitis  und  später  au  Scharlach  erkrankte,  der  sich  auch 
als  Wundscharlach  auffassen  lässt. 

Braun-  München. 

R.  Kronen  b  erg,  Azidität  und  Pepsinverdauung  im 
Säuglingsinagen.  (Aus  der  Universitätskinderklinik  in  Breslau. 
[Direktor.  Prof.  L.  T  ob  1  e  r.]  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde. 
32.  Bd.  Heft  5.) 

Verf.  fasst  das  Resultat  seiner  Ausführungen  zusammen: 
„Die  Milch  bedarf  zu  peptischer  Verdauung  einer  geringeren 
Azidität  als  koaguliertes  Eiereiweiss.  Dieses  geringere  Aziditäts¬ 
bedürfnis  kann  im  Säuglingsmagen  befriedigt  werden.“ 

Braun-  München. 


Medikamentöse  Therapie. 

Hornstein,  Über  Cinol  als  Läusebekämpfungsmittel. 
(Münch,  med.  Wochenschr.,  22/1915.) 

Hornstein  gibt  seine  in  der  truppenärztlichen  Praxis 
gesammelten  Erfahrungen  über  „Cinol“,  die  als  durchaus  be¬ 
friedigend  und  gut  bezeichnet  werden,  wieder. 

Die  Bekämpfung  der  Kleiderläuse  in  vorderster  Linie  tief 
im  Argonnenwalde  stösst  auf  eine  Reihe  ineinandergreifender 
Schwierigkeiten,  so  dass  H.  und  mit  ihm  wohl  die  Mehrzahl 
seiner  Kollegen  und  Kameraden  sich  längst  klar  sind,  dass 
eiue  Ausrottung  der  „Bienen“  hier  vorne  praktisch  gar  nicht  in 
Frage  kommt.  Sie  sind  herzlich  froh,  ein  Mittel  zu  haben,  das 
sie  von  Zeit  zu  Zeit  angewandt,  von  dem  Ungeziefer  immer 
wieder  befreit,  mit  dem  sie  sich  bei  der  herrschenden  Raum¬ 
behinderung  durch  Decken  usf.  immer  wieder  der  Reihe  nach 
infizieren.  Bei  der  Suche  nach  einem  solchen  Mittel  entstand 
manche  Enttäuschung,  eines  entpuppte  sich  als  Schwindel¬ 
mittel,  das  beanstandet  wurde,  und  bei  einem  anderen  wurden 
direkt  unangenehme  Wirkungen  erlebt  (Furunkulose  durch  Ver¬ 
ätzungen). 

Die  Anwendungsform  des  Cinol  ist  recht  einfach  und  be¬ 
quem,  sowie  nicht  aufdringlich  und  störend  durch  Geruch.  Es 
kommt  als  Seife  in  kleinen  Packungen  (zum  Preise  von  50  Pfg.) 
in  den  Handel,  die  für  3  bis  4  Einreibungen  des  ganzen 
Körpers  ausreichen  ;  die  einzelnen  Einreibungen  werden  alle  3 
bis  4  Tage  vorgeuommen  nach  (möglichster)  Reinigung  des 
Körpers.  Auftreten  von  Reizungen  der  Haut  hat  H.  nicht 
beobachtet. 

Die  Frage,  ob  Cinol  die  Läuse  dauernd  abtötet  oder  fern¬ 
hält,  kann  H.  nicht  beantworten,  möchte  aber  doch  bemerken, 
dass  er  sie  nicht  verneinen  möchte.  Neumanu. 


Bücherschau. 

K.  A.  Knudsen,  Turnerische  Übungslehre.  Druck 
und  Verlag  von  B.  G.  Teubner,  Leipzig  und  Berlin  1915. 

Verfasser  ist  dänischer  Turninspektor  und  verfolgt  mit 
vorliegendem  Buch  hauptsächlich  den  Zweck,  den  jugendlichen 
Körper  turnerisch  und  zugleich  naturgemäss  zu  schulen,  was 
ein  wesentlich  ander  Ding  ist,  als  den  erwachsenen  ausge¬ 
bildeten  Körper  sportlich  zu  üben.  Das  Buch  ist  sehr  klar 
und  verständlich  geschrieben  und  verdient  in  den  einschlägigen 
Kreisen  die  weiteste  Verbreitung.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tomdiritte  der  Medizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  fadtmänner 


L.  von  Criegern, 

Hildesheim. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 


herausgegeben  von 

L.  Edinger, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 


Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  11 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


20.  Januar 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


(Aus  dem  Festungslazarett  3,  Kolpinghaus,  Köln  a.  Rhein.) 

Ueber  offene  Wundbehandlung. 

Von  Dr.  Fritz  Wette. 

Die  Wundbehandlung  hat  im  Lauf  der  letzten  Jahr¬ 
zehnte  grosse  Wandlungen  durchgemacht.  Die  anti¬ 
septische  Wundbehandlung  L  i  s  t  e  r  s  wurde  abge¬ 
löst  durch  die  aseptische,  und  in  der  aseptischen 
Periode  wechselte  eine  Methode  die  andere  ab,  je  nach 
den  persönlichen  Anschauungen  und  Erfahrungen. 
Während  man  noch  vor  10  Jahren  frische  Wunden  z.  B. 
bei  Laparotomien  durch  grosse  von  den  Knien  bis  zu 
den  Brustwarzen  reichende  Okklusivverbände  schützen 
zu  müssen  glaubte,  begnügt  man  sich  jetzt  mit  einem 
kleinen  Schutzverband,  der  gerade  die  Wunde  bedeckt. 
Die  Anschauungen  über  die  Gefährlichkeit  der  Luft-  und 
Hautkeime  haben  sich  eben  sehr  gewandelt,  so  sehr,  dass 
z.  B.  zur  V  e  r  t  h  jetzt  bei  aseptischen  Operationen 
auf  jede  Desinfektion  des  Operationsfeldes  verzichten 
zu  können  glaubt. 

Grosse  Verschiedenheiten  bestehen  in  der  Behand¬ 
lung  eitriger  Wunden.  Der  eine  bevorzugt  feuchte  Ver¬ 
bände,  der  andere  erklärt  sie  für  schädlich,  der  eine 
lobt  Salben  der  andere  Pulververbände. 

Erst  in  der  neueren  Zeit  haben  wir  gelernt,  die 
natürlichen  Heilfaktoren  Luft,  Licht  und  Sonne  in  aus¬ 
giebigem  Masse  auch  für  die  Wundbehandlung  zu  ver¬ 
werten.  Wir  wussten  schon  früher,  dass  in  den  Tropen 
oft  die  schwersten  Wunden  ohne  Behandlung  und  unter 
ungünstigen  äusseren  Verhältnissen  in  überraschend 
schneller  und  günstiger  Weise  zur  Ausheilung  gelangten. 

Bernhard  berichtete  dann  vor  einigen  Jahren 
über  günstige  Erfahrungen,  die  er  in  der  Schweiz  bei 
frischen  und  eitrigen  Wunden  mit  Anwendung  der  Luft 
und  Sonne  gemacht  hatte.  Es  haben  dann  wohl  viele 
Kollegen  versucht,  hier  und  da  die  Wunden  der  Ein¬ 
wirkung  von  Luft  und  Sonne  auszusetzen,  aber  plan- 
mässig  angewendet  wurde  die  Methode  wohl  kaum. 
Dann  kam  R  o  1  1  i  e  r  mit  seinen  verblüffenden  Erfolgen 
der  Sonnenbehandlung  bei  Tuberkulosen,  besonders  auch 
bei  schweren  eitrigen,  fistulösen  Erkrankungen.  Seitdem 
hat  man  auch  bei  uns  die  Sonnen-  und  Lichtbehandlung 
bei  Tuberkulosen  ausgiebig  in  Anwendung  gezogen,  so¬ 
weit  unser  Klima  das  zulässt. 

Die  zahlreichen  Kriegsverletzungen,  von  denen  die 
meisten  infiziert  sind,  boten  dann  Gelegenheit,  grössere 
Erfahrungen  zu  sammeln  über  die  offene  Wundbehand¬ 
lung.  Ich  habe  schon  im  Anfang  des  Krieges,  als  wir 
noch  reichlich  Sonne  hatten,  Wert  darauf  gelegt,  eine 
Anzahl  von  Verletzungen,  namentlich  schwere  eitrige 


Fälle  stundenweise  der  Einwirkung  der  Sonnenstrahlen 
auszusetzen  und  habe  die  austrocknende  und  epitheli- 
sierende  Wirkung  schätzen  gelernt. 

Angeregt  durch  die  Veröffentlichung  von  Schede 
über  offene  Wundbehandlung  (Nr.  42,  Münch.  Med. 
Woch.  1914)  habe  ich  dann  planmässig  und  in  aus¬ 
giebigem  Masse  die  offene  Wundbehandlung  vor  allem 
bei  schweren  eitrigen  Fällen  durchgeführt  und  kann  vor¬ 
wegnehmen,  dass  die  Erfahrungen  ausnahmslos  sehr 
günstige  waren. 

Die  bisher  übliche  Behandlung  eitriger  Wunden  mit 
abschliessenden  trockenen  oder  feuchten  Verbänden  ist 
für  viele  Fälle  die  denkbar  ungünstige  Behandlungsform, 
und  es  ist  eigentlich  erstaunlich,  dass  man  nicht  längst 
auf  den  naheliegenden  Ausweg  der  offenen,  verbandlosen 
Behandlung  gekommen  ist. 

Nehmen  wir  einen  Fall  von  schwerer  infizierter 
Schussfraktur  des  Ober-  oder  Unterschenkels  mit  aus¬ 
gedehnten  Weichteil-  und  Knochenverletzungen  und 
massenhafter  Absonderung  jauchigen,  stinkenden  Eiters, 
Fälle,  wie  sie  in  jedem  Lazarett  alltäglich  Vorkommen. 
Die  ordnungsmässige  Behandlung  bildet  für  Arzt  und 
Pflegepersonal  eine  wahre  Sisyphusarbeit.  Eine  Rein¬ 
haltung  der  Verbände  und  Unterlagen  ist  praktisch  un¬ 
möglich.  Schon  nach  wenigen  Stunden  ist  auch  der 
dickste  Gaze  -  Watteverband  mit  Eiter  durchtränkt. 
(Nebenbei  ist  Watte  für  derartige  Verbände  ganz  un¬ 
geeignet,  da  die  Aufsaugungskraft  derselben  sehr  gering 
ist  und  der  Eiter  einfach  hindurchfliesst,  sodass  bei  der 
Abnahme  der  eiterdurchtränkten  Verbände  die  Watte 
oft  ganz  sauber  erscheint.  Zellstoff,  Mooskissen  usw. 
sind  praktischer  und  billiger).  Durch  den  Verband  läuft 
der  Eiter  ins  Bett,  sammelt  sich  in  den  Unterlagen,  der 
Patient  liegt  gewissermassen  dauernd  in  einem  feuchten 
Eiterverband.  Welche  Gefahren  darin  liegen  bezüglich 
der  Infektion  des  Pflege-  und  Wartepersonals,  sei  nur 
nebenbei  erwähnt. 

Ein  häufiger  Wechsel  des  Verbandes  ist  meist  nicht 
angängig,  weil  jeder  Wechsel  infolge  des  Ablösens  der 
mit  der  Wundfläche  verklebten  Verbandstoffe  und  wegen 
der  notwendigen  Lageveränderung  für  die  Patienten  mit 
Schmerzen  verbunden  ist,  und  weil  die  Wunde  dadurch 
immer  wieder  gereizt  wird  und  zu  erneuter  Resorption 
anregt. 

Ist  die  Abflussöffnung  ungenügend,  so  treten  häufig 
Sekretverhaltungen  ein,  die  unbemerkt  unter  dem  \  er- 
band  oft  grossen  Umfang  annehmen  können.  Dazu 
kommt  der  bei  jauchigen  Eiterungen  oft  unerträgliche, 
durchdringende  Geruch,  der  sich  unter  dem  luft¬ 
abschliessenden  Verband  immer  weiter  steigert,  und  der 


100 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  11. 


oft  so  stark  ist,  dass  er  bis  auf  die  Korridore  dringt 
und  die  Absonderung  des  Kranken  von  den  andern  er¬ 
fordert. 

Allen  diesen  Unannehmlichkeiten  entgeht  man  durch 
Anwendung  der  offenen,  verbandlosen  Wundbehandlung. 
Ich  habe  im  Anfang  manchmal  Schwierigkeiten  bei  den 
Patienten  und  dem  Pflegepersonal  gehabt,  denen  es  nicht 
in  den  Kopf  wollte,  dass  man  so  schrecklich  aussehende 
Wunden  ganz  ohne  Verband  liess.  Nachdem  sie  sich 
daran  gewöhnt  hatten,  waren  beide  Teile  dankbar,  die 
Patienten  wegen  der  ersparten  Schmerzen,  das  Pflege¬ 
personal  wegen  der  ersparten  Arbeit. 

Vorbedingung  ist  wie  bei  jeder  Wundbehandlung, 
dass  man  für  Ableitung  der  Wundsekrete  nach  der 
tiefsten  Stelle  sorgt.  Liegt  die  Wunde  oben  und  muss 
der  Eiter  nach  oben  steigen,  so  ist  der  Abfluss  natürlich 
schlecht  und  die  Gefahr  des  Weiterkriechens  der  Eiterung 
unter  der  Haut  und  den  Muskeln  ist  gross.  Man  er¬ 
weitert  in  solchen  Fällen  zweckmässig  die  Wunde  und 
legt  auf  der  unteren  Seite  am  tiefsten  Punkt  eine  nicht 
zu  kleine  Gegenöffnung  an,  führt  ein  Drain  ein,  sodass 
der  Eiter  nun  ungehindert  nach  unten  abfliessen  kann. 

Ein  wichtiger  Bestandteil  der  Behandlung  ist  für 
viele  Fälle  die  Ruhigstellung  der  verletzten  Glieder,  die 
immer  noch  am  besten  und  einfachsten  mittels  Gips¬ 
verbandes  geschieht  in  Form  der  gefensterten  oder  der 
sogenannten  Brückengipsverbände.  Zentraler  und  peri¬ 
pherer  Teil  des  Gliedes  werden  gesondert  eingegipst, 
nach  Möglichkeit  extendiert  und  mittels  einer  Brücke 
von  Bandeisen,  das  man  sich  nach  Bedarf  zurechtbiegt, 
starr  und  unbeweglich  verbunden. 

Ob  bei  Frakturen  im  einzelnen  Fall  Gips-  oder 
Streckverband  angewandt  werden  soll,  ist  hier  nicht  zu 
erörtern.  Ein  Schema  lässt  sich  darüber  überhaupt  nicht 
aufstellen.  Beide  Behandlungsarten  haben  ihre  Be¬ 
rechtigung.  Hier  sollen  sie  nur  insofern  erwähnt  werden, 
als  die  offene  Wundbehandlung  sich  bei  beiden  ohne 
Schwierigkeit  durchführen  lässt.  Wendet  man  Heft¬ 
pflaster-  oder  Nagelextension  an,  so  wird  die  Unter¬ 
stützungsfläche  geteilt  derart,  dass  man  das  Glied  auf 
zwei  Kissen  lagert,  sodass  zwischen  beiden  ein  hohler 
Raum  entsteht,  durch  welchen  das  Wundsekret  ablaufen 
kann.  Bei  der  Zuppingerschiene,  die  wir  bei  den  meisten 
Beinbrüchen  verwenden,  wird  an  der  Unterstützungs¬ 
fläche  an  Stelle  der  Wunde  ein  Loch  ausgespart. 

Dringend  empfehlen  möchte  ich  die  Ruhigstellung 
im  Gipsverband  für  eine  Reihe  von  Fällen  schwerer 
eitriger  Frakturen,  die  trotz  wochenlanger  Behandlung 
mit  Streckverbänden  keine  Neigung  zur  Heilung  zeigen, 
sich  im  Gegenteil  verschlimmern,  dauernd  weiter  hoch 
fiebern  und  schliesslich  die  Amputation  nahelegen.  In 
solchen  Fällen  sollte  man  noch  einen  Versuch  mit  der 
Ruhigstellung  im  Gipsverband  machen.  Ich  habe  mehr¬ 
mals  gesehen,  wie  danach  ein  auffallender  Umschwung 
eintrat,  die  Entzündungserscheinungen  zurückgingen,  das 
Glied  abschwoll,  die  Temperatur  nach  wenigen  Tagen 
abfiel,  das  Allgemeinbefinden  sich  hob,  sodass  ich  einige 
Male  direkt  den  Eindruck  hatte,  durch  den  Gipsverband 
gliederhaltend  gewirkt  zu  haben.  Offenbar  war  vorher 
durch  die  fortwährenden  Lageveränderungen  beim  Ver¬ 
bandwechsel,  bei  der  Verrichtung  von  Bedürfnissen  usw. 
die  Resorption  des  Infektionsstoffes  immer  wieder  von 
neuem  angeregt  worden. 

Die  Normalbehandlung  einer  eitrigen  Schussfraktur 
am  Bein  gestaltet  sich  etwa  folgendermassen  : 

Nach  gehöriger  Wundversorgung,  besonders  bezüg¬ 
lich  Ableitung  des  Wundsekrets  nach  der  tiefsten  Stelle, 
wird  ein  Brückengipsverband  angelegt.  Das  Bein  wird 
auf  zwei  Kissen  gelagert,  sodass  die  Wundstelle  hohl¬ 
liegt.  Darunter  wird  ein  Eiterbecken  gestellt.  Über  die 
Wundstelle  wird  ein  Drahtbügel  mit  einem  Gazeschleier 
zur  Abhaltung  der  Fliegen  gestellt,  und  damit  ist  eigent¬ 


lich  die  Wundversorgung  beendet.  Die  Wunde  wird 
sich  selbst  überlassen.  Man  ist  immer  wieder  überrascht 
zu  sehen,  wie  schnell  und  günstig  sich  das  Aussehen  der 
Wunde  verändert.  Die  Abschwellung  des  Gliedes  geht 
meist  rasch  vonstatten,  die  Eiterabsonderung  wird  ge¬ 
ringer,  der  üble  Geruch  verschwindet  bei  dem  unge¬ 
hinderten  Luftzutritt  sehr  schnell,  die  Sauberhaltung  der 
Betten  und  Unterlagen  ist  denkbar  einfach. 

Die  austrocknende  Wirkung  der  Luft  ist  sehr  gross. 
Der  Eiter  trocknet  ein  und  legt  sich  in  Borken  auf  die 
Wundfläche.  Diese  Borken  müssen  täglich  mit  der 
Pinzette  entfernt  werden,  was  schmerzlos  geschehen  kann. 
Erscheint  die  Austrocknung  zu  stark,  so  kann  man  die 
Wunde  zeitweise  berieseln  mit  Wasserstoffsuperoxyd 
oder  der  Einwirkung  feuchter  Dämpfe  aussetzen.  Hält 
man  zeitweise  die  Anwendung  von  Salben,  feuchten  Ver¬ 
bänden,  Ätzmitteln  usw.  für  notwendig,  so  steht  dem 
nichts  im  Wege.  Ebenso  pflege  ich  in  manchen  Fällen 
die  Heissluttdouche,  Heissluftbäder,  Bestrahlung  mit  der 
Höhensonne  anzuwenden. 

Ein  grosser  Vorteil  der  offenen  Behandlung  ist  der 
Umstand,  dass  man  die  Wunde  stets  vor  Augen  hat, 
sodass  Veränderungen,  Entzündungen,  Eiterverhaltungen 
sofort  bemerkt  werden. 

Bettlage  braucht  bei  leichteren  Fällen  nicht  unbe¬ 
dingt  eingehalten  zu  werden.  Die  Patienten  können  auf¬ 
stehen;  man  befestigt  zum  Beispiel  am  Arm  unter  der 
Wunde  ein  Eimerchen  oder  sonst  einen  Behälter,  in  den 
der  Eiter  abfliessen  kann;  oder  man  klebt  einen  Zell¬ 
stoffring,  wie  sie  B  r  a  u  n  angegeben  hat,  um  die  Wunde 
und  spannt  darüber  einen  Gazeschleier. 

Bei  grossen  Wunden  mit  ausgedehnten  Zertrümme¬ 
rungen  der  Weichteile  und  Knochen  macht  es  oft 
Schwierigkeiten,  das  Glied  im  Gipsverband  in  der 
richtigen  Stellung  zu  fixieren,  weil  infolge  der  Wund¬ 
verhältnisse  der  Abstand  der  beiden  Gipshälften  so  gross 
gewählt  werden  muss,  dass  das  Glied  nicht  mehr  ge¬ 
nügend  unterstützt  wird  und  nach  der  tiefsten  Stelle  ein¬ 
sinkt,  sodass  die  Knochenachse  geknickt  ist.  Man  kann 
sich  dann  so  helfen,  dass  man  zwischen  den  Gipsteilen 
ein  der  Form  des  Gliedes  angepasstes  Stück  Aluminium 
oder  Weissblech  anlegt,  an  dem  der  Wundstelle  ent¬ 
sprechend  ein  Loch  ausgeschnitten  wird  und  dessen 
Enden  ähnlich  wie  bei  einer  Wage  von  4  Zügen  ge¬ 
halten  werden.  Die  Züge  werden  auf  der  Höhe  des 
oberen  Bandeisenbügels  oder  an  einem  besonders  an¬ 
gebrachten  Galgen  befestigt.  Noch  einfacher  ist  es,  die 
Einknickungsstelle  durch  Gazebindenzügel  hochzuhalten. 
So  lassen  sich  alle  Schwierigkeiten  leicht  umgehen,  was 
sich  bei  der  praktischen  Durchführung  von  selbst  ergibt. 

Die  offene  Wundbehandlung  ist  im  hiesigen  Lazarett 
an  einer  sehr  grossen  Anzahl  von  Fällen,  bei  schweren 
Fällen  fast  regelmässig  durchgeführt  worden.  Irgend¬ 
welche  Nachteile  haben  sich  in  keinem  Fall  ergeben. 
Die  Patienten  waren  ausserordentlich  zufrieden  damit, 
der  Zustand  der  Wunden  besserte  sich  meist  in  auf¬ 
fallender  Weise.  Die  Pflege  ist  denkbar  einfach  und 
zeitsparend,  die  Ersparnis  an  Verbandmaterial  ist  enorm. 
Die  Vorteile  sind  so  grosse,  dass  ich  nicht  anstehe,  die 
Methode  als  einen  der  grössten  Fortschritte  in  der 
Wundbehandlung  anzusprechen,  die  der  Krieg  uns  ge¬ 
bracht  hat.  Es  wäre  wünschenswert,  dass  diese  Be¬ 
handlungsform  eine  weitere  Verbreitung  und  Anwendung 
fände,  als  sie  jetzt  trotz  der  mannigfachen  Veröffent¬ 
lichungen  darüber,  die  ausnahmslos  günstig  lauteten,  ge¬ 
funden  zu  haben  scheint. 


Nr.  11. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


101 


Scopolamin-Morphium  bei  der  Behandlung  akuter 
Erregungszustände  Geisteskranker. 

Von  Oberarzt  Dr.  Enge,  Heilanstalt  Strecknitz-Lübeck. 

Die  Behandlung  akuter  Erregungszustände  Geistes¬ 
kranker  beansprucht  nicht  nur  das  Interesse  des  Fach- 
bezw.  Anstaltsarztes,  sondern  ganz  besonders  auch  das 
des  praktischen  Arztes.  Gehört  sie  doch  gewissermassen 
zur  „ersten  Hilfeleistung  in  frischen  Fällen'4,  für  die  ja 
in  der  Regel  der  zunächst  anwesende  praktische  Arzt 
zuständig  ist.  Die  Aufgabe,  vor  die  er  gestellt  wird, 
ist  gewöhnlich  die,  dass  er  der  heftigen  Erregung  eines 
Geisteskranken  um  seiner  selbst  und  seiner  Umgebung 
willen  möglichst  rasch  Herr  werden  oder  einen  tobenden 
Geisteskranken  für  die  Überführung  in  eine  Anstalt  zu¬ 
gänglich  machen  soll.  Da  es  sich  hierbei  fast  stets  um 
Erregungszustände  handelt,  bei  denen  eine  akute  Gefahr 
in  irgend  einer  Beziehung  vorhanden  ist  und  die  deshalb 
schnelle  Hilfe  erfordern,  so  kommen  die  sonst  üblichen 
Behandlungsmethoden  —  Bettruhe,  Vollbäder  von  längerer 
Dauer,  feuchte  Einpackungen  —  nicht  in  Betracht,  sondern 
hier  wird  die  Anwendung  von  arzneilichen  Beruhigungs¬ 
mitteln  nötig.  Die  Zahl  der  zur  Verfügung  stehenden 
arzneilichen  Beruhigungs-  und  Schlafmittel  ist  sehr  be¬ 
trächtlich  und  wächst  noch  von  Jahr  zu  Jahr.  Der  grössere 
Teil  derselben  aber  schaltet  für  den  vorliegenden  Zweck 
und  für  die  allgemeine  Praxis  ohne  weiteres  aus,  einmal 
weil  ihre  Anwendung  nur  per  os  oder  per  rectum  möglich 
ist,  diese  Applikationsweise  aber  für  wirklich  schwer  Er¬ 
regte  kaum  in  Frage  kommt,  zum  andern,  weil  der  Ein¬ 
tritt  der  Wirkung  ein  viel  zu  langsamer  ist.  Es  kommen 
nur  Mittel  in  Frage,  die  sich  leicht  und  bequem  einver¬ 
leiben  lassen  (subkutane  Injektion),  die  ferner  sicher  und 
rasch  wirken  und  dabei  für  den  Kranken  gefahrlos  sind. 

Nach  andrer  und  eigenen  Erfahrungen  bildet  es  fast 
die  Regel,  dass  der  praktische  Arzt,  wenn  er  zu  einem 
schwer  erregten  Geisteskranken  gerufen  wird,  zur 
Morphiuminjektion  greift  —  fast  immer  mit  negativem 
oder  zum  mindesten  doch  mit  ganz  ungenügendem  Er¬ 
folge.  Diese  weit  verbreitete  Gepflogenheit  ist  dringend 
zu  widerraten.  Langjährige  Erfahrungen  haben  gelehrt, 
dass  die  alleinige  Anwendung  von  Morphium  bei  akuten 
Erregungszuständen  keine  ausreichende  sedative  Wirkung 
ausübt.  Sie  ist  ausserdem  gefährlich,  denn  man  muss 
zu  relativ  hohen  Dosen  greifen,  um  überhaupt  irgend 
eine  Wirkung  zu  erzielen.  Es  gibt  auch  kaum  ein  zweites 
Mittel,  bei  dem  die  individuelle  Reaktion  so  verschieden 
und  unberechenbar  ist,  als  wie  beim  Morphium.  Nicht 
selten  ruft  eine  mässige  einmalige  Morphiumdosis  schon 
schwere  und  unliebsame  Erscheinungen  hervor.  Handelt 
es  sich  um  eine  schwere  motorische  Erregung,  so  ist 
einzig  und  allein  Scopolamin  und  seine  Verbindung 
mit  M  o  rphium  am  Platze.  Die  Verbindung  mit 
Morphium  ist  ganz  besonders  da  angezeigt,  wo  Angst¬ 
affekte  eine  Rolle  bei  der  Auslösung  der  Erregung 
spielen,  was  nicht  nur  bei  der  Melancholie,  sondern  bei 
allen  möglichen  anderen  Psychosen  auch  gelegentlich 
der  Fall  ist.  Für  den  Nichtpsychiater  wird  es  allerdings 
nicht  immer  leicht  sein,  sich  darüber  ein  Bild  zu  ver¬ 
schaffen.  Daher  kann  man  für  die  allgemeine  Praxis 
am  besten  den  Rat  erteilen,  die  Kombination  des  Scopo- 
lamins  mit  Morphium  bei  allen  Erregungszuständen 
jedweder  Herkunft  anzuwenden.  Man  kann  dies  um  so 
unbedenklicher  tun,  als  zwischen  den  beiden  Mitteln  be¬ 
züglich  eventueller  Nebenerscheinungen  ein  gewisser 
Antagonismus  besteht,  sodass  z.  B.  einzelne  ungünstige 
Nebenerscheinungen  des  Scopolamins  durch  Morphium 
awsgeglichen  werden  und  auch  umgekehrt. 

Scopolaminum  hydrobromicum  hat  im  deutschen 
Arzneibuch  5.  Ausgabe  1910  Aufnahme  gefunden.  Es 
ist  ein  Alkaloid  aus  Scopolia  atropoides  und  bildet  farb¬ 
lose,  in  Wasser  leicht  lösliche  Kristalle.  Es  ist  an  Stelle 


des  früher  gebräuchlichen  Hyoscins  getreten,  mit  dem 
es  chemisch  nicht  völlig  identisch  ist.  Das  Arzneibuch 
schreibt  vor:  Wird  Hyoscinum  hydrobromicum  verordnet, 
so  ist  dafür  Scopolaminhydrobromid  abzugeben.  Nach 
neuerdings  abgeschlossenen  Prüfungen  bleibt  das  Scopo¬ 
laminhydrobromid  in  wässrigen  Lösungen,  die  lege  artis 
hergestellt  sind,  in  allen  physikalischen,  chemischen  und 
pharmakologischen  Eigenschaften  unverändert,  sodass 
der  Praktiker  nicht  nötig  hat,  die  Lösungen  jedesmal 
frisch  herzustellen.  Für  die  Kombination  von  Scopolamin 
mit  Morphium  wird  von  der  Firma  Riedel-Berlin  ein 
Präparat  unter  dem  gesetzlich  geschützten  Namen 
Scopomorphin  in  zugeschmolzenen  und  sterilisierten 
Ampullen  in  den  Handel  gebracht.  Die  gebrauchsfertigen 
Ampullen  (zu  1,1  oder  2,2  ccm  Inhalt)  enthalten  pro 
ccm  0,0006  g  „Scopolamin.  hydrobrom.  „Riedel“  u. 
0,015  g  Morphium  hydrochlor.  „Riedel“.  Das  Präparat 
empfiehlt  sich  für  den  Gebrauch  in  der  Praxis  sehr;  es 
ist  jahrelang  haltbar.  Was  die  Dosierung  anlangt, 
so  gibt  das  Arzneibuch  für  das  Scopolamin  als  grösste 
Einzelgabe  0,0005  g,  als  grösste  Tagesgabe  0,0015  g 
an.  Diese  Dosen  sind  unbedenklich 
zu  überschreiten. 

Verwendet  man  Scopolamin  allein,  so  ist  als  Minimal¬ 
dose  3/4  mg  zu  empfehlen.  Bei  sehr  hochgradiger  Er¬ 
regung  und  kräftigen  Individuen  kann  man  von  vorn¬ 
herein  ohne  jede  Gefahr  1  mg  geben,  manche  gehen 
auch  noch  darüber  hinaus  ( 1 1/2  mg). 

Dosen  von  J/2  mg—  1  mg  können  nach  l/2 — 2  stün- 
diger  Pause  wiederholt  werden,  was  aber  kaum  jemals 
nötig  zu  werden  pflegt. 

Bei  der  Verbindung  des  Scopolamins  mit  Morphium 
genügt  im  Mittel  1/2  mg  Scopolamin,  dazu  1  ctg  Morphium 
(Ziehen).  Nach  Grober  verbindet  man  1/2  mg  Scopo¬ 
lamin  mit  1 1/2  ctg  Morphium.  Ich  injiziere  seit  vielen 
Jahren  regelmässig  als  erste  und  alleinige  Dosis  1  mg 
Scopolamin,  dazu  iy2  ctg  Morphium.  Bei  dieser  Dosierung 
habe  ich  niemals  üble  Zufälle  oder  schädliche  Wirkungen 
und  niemals  ein  Versagen  des  Mittels  gesehen. 

Wirkung  und  Wirkungsverlauf  ist 
folgender: 

Scopolamin(-Morphium)  wirkt  —  sein  allergrösster 
Vorzug  —  sehr  schnell.  Nach  der  Injektion  des  Mittels 
tritt  nach  wenigen  Minuten  bis  spätestens  x/2  Stunde 
Beruhigung  und  Schlaf  ein.  Zunächst  stellt  sich  das 
Gefühl  von  Schwere  in  den  Gliedern  ein;  zunehmende 
Mattigkeit  der  Zunge,  der  Gliedmassen  mit  ausge¬ 
sprochenen  Koordinationsstörungen  (Lallen,  Taumeln) 
folgen.  Die  Kranken  erblassen  und  der  eigentliche 
Schlaf  tritt  oftmals  ganz  plötzlich  ein.  Für  den  Neuling 
hat  dieses  Schlafbild  etwas  Beängstigendes.  Der  Schlaf 
dauert  gewöhnlich  viele  Stunden  und  die  Beruhigung 
dauert  auch  nach  Erwachen  längere  Zeit  fort  und  die 
Erregung  ist  geringer  geworden.  Als  Nebenerscheinungen 
kommen  nur  in  Betracht  einige  subjektive  Missempfin¬ 
dungen  wie  Gefühl  der  Trockenheit  im  Halse  im  Beginn 
der  Wirkung,  nach  dem  Gebrauch  oft  für  längere  Zeit 
noch  Durstgefühl,  ab  und  zu  Müdigkeit.  Objektiv  tritt 
schon  nach  einmaliger  Gabe  eine  Pupillenerweiterung, 
eventuell  rechts  und  links  verschieden,  und  eine  Reaktions- 
abschwächung  ein,  die  über  Tage  sich  erstrecken  kann. 
Diese  Tatsache  muss  man  zur  Vermeidung  diagnostischer 
Irrtümer  wissen.  Die  Verbindung  des  Scopolamins  mit 
Morphium  wirkt  auf  die  angeführten  Erscheinungen 
günstig,  d.  h.  mildernd  ein. 

Dass  die  Mehrzahl  der  praktischen  Ärzte  das 
Scopolamin  für  ein  höchst  gefährliches  Mittel  hält,  dessen 
Anwendung  gescheut  wird,  ist  eine  1  atsache,  der  man 
immer  wieder  begegnet.  Die  Beseitigung  dieses  \  or- 
urteils  liegt  im  Interesse  von  Arzt  und  Patient.  Man 
nehme  zur  Kenntnis,  dass  Scopolamin  zu  irgendwelchen 
Bedenken  nicht  den  geringsten  Anlass  gibt.  Es  ist  in 


102 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  11. 


Dosen  von  1/2— 3/4—  1  tng  sicher  ganz  ungefährlich.  Ganz 
besonders  gilt  das  von  seiner  Verbindung  mit  Morphium, 
während  letzteres  allein  schon  in  geringen  Dosen  häufig 
nicht  ungefährlich  ist.  Die  Richtigkeit  der  ausgesprochenen 
Ungefährlichkeit  des  Scopolamins  hat  sich  in  der  Irren¬ 
anstaltspraxis  zweifelsfrei  erwiesen  ;  hier  wird  das  Scopo- 
lamin  in  ausgedehntem  Masse  angewendet  und  es  ist 
bisher  kein  Fall  bekannt  geworden,  wo  es  ernste 
.Schädigungen  oder  gar  etwa  einmal  den  Tod  herbei¬ 
geführt  hätte.  Selbst  nach  erstmaligen  Dosen  von  2  und 
selbst  3  mg,  die  auch  ahgewendet  worden  sind,  hat  man 
keine  wirklich  bedrohlichen  Erscheinungen,  nur  längeren 
Schlaf  und  ein  längeres  Roma  beobachtet.  Scopolamin 
ist  bei  Arteriosklerose,  bei  Herzerkrankungen,  selbst  bei 
akuter  Endokarditis  (z.  B.  bei  Chorea  rninor),  bei  aller¬ 
hand  gleichzeitig  bestehenden  körperlichen  Erkrankungen 
angewendet  worden,  üble  Folgen  hat  man  nicht  erlebt. 
Scopolamin  (-Morphium)  besitzt  zahlreiche  Vorzüge,  die 
nochmals  nachstehend  hervorgehoben  seien. 

1.  Es  wirkt  sicher;  Versager  gehören  zu  den  aller¬ 
grössten  Seltenheiten. 

2.  Es  wirkt  schnell. 

3.  Es  ist  unter  Berücksichtigung  der  angegebenen 


Dosierung  und  Kombination  ungefährlich.  Sub¬ 
jektive  Nebenerscheinungen  sind  kaum  nennens¬ 
wert.  Das  Mittel  kennt  kaum  irgendwelche  Kon-|l 
traindikationen. 

4.  Seine  Applikationsweise  ist  die  bequeme  und 
immer  durchführbare  subkutane  Injektion. 

5.  Es  hat  keine  kumulative  Wirkung,  es  kann  längere 
Zeit  fortgegeben  werden  und  auch  nach  längerem 
Gebrauch  ist  plötzliche  Entziehung  gefahrlos. 

G.  Es  ruft  keine  Angewöhnung  hervor,  sodass  eine 
Steigerung  der  Dosen  nicht  erforderlich  wird. 

7-  Idiosynkrasie  gegen  Scopolamin  kommt  kaum  vor 

8.  Das  Mittel  hat  den  grossen  Vorzug  der  Billig¬ 
keit.  Scopolamin  hydrobrom.  0,01  kostet  10  Pf 
Die  von  mir  geübte  Dosis  von  Scopolamin  0,001 
und  Morphium  0,01.5  kostet  gegenwärtig  8  Pfennige 

Alle  diese  Eigenschaften  machen  es  zu  einem  vor 
züglichen  Mittel,  wenn  es  sich  darum  handelt,  einen 
schwer  erregten  Geisteskranken  in  der  Anstalt,  gam 
besonders  aber  in  der  Praxis,  wo  andere  Hilfsmitte 
nicht  verfügbar  sind,  rasch  und  sicher  zu  beruhigen, 
Seine  Verwendung  in  der  Hand  des  praktischen  Arztesj 
ist  angelegentlich  zu  empfehlen. 


jj 

Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeine  Pathologie. 

V.  Chlumsky,  Die  Ursachen  des  Schmerzes  nach 
Lokalanästhesie  mit  Kokainpräparaten.  (Revue  v  neuropsycho- 
pathologii.  1915.  Nr.  7  —  8.) 

Die  Hauptursache  des  Nachschmerzes  ist  die  Giftigkeit 
des  zur  Lösung  des  Medikamentes  benützten  destillierten 
Wassers.  Die  Lösungsflüssigkeit  soll  für  die  Gewebe  indifferent 
sein;  dann  geht  nicht  ein  Teil  des  Medikaments  zur  Betäubung 
des  durch  die  Flüssigkeit  bedingten  Schmerzes  verloren.  Als 
indifferente  Flüssigkeiten  bewährten  sich  Blutserum,  seröse  Exsu¬ 
date  und  Liquor  cerebrospinalis  und  als  künstlicher  Ersatz 
eine  Schleichlösung,  die  statt  der  vorgeschriebenen  0,2  Proz. 
Kochsalz  0,9  Proz.  enthält.  Zur  subkutanen  Injektion  empfiehlt 
der  Autor  als  Suspensionsflüssigkeit  für  das  Medikament  reines 
öl.  G.  M  ü  h  1  s  t  e  i  n  -  Prag. 


Innere  Medizin. 

E.  Maixner,  Lungenarteriensklerose.  (Casopis  lekarüo 
cesk^ch.  1914,  Nr.  32.) 

Die  sekundäre  Sklerose  der  Art.  pulmonalis  ist  speziell  bei 
Mitralstenose  und  Lungenemphysem  einer  Diagnose  zugänglich, 
wenn  die  Sklerose  hochgradig  und  ausgebreitet  ist.  Die  Dia¬ 
gnose  stützt  sich  auf  die  ungewöhnlich  hochgradige  allgemeine 
Zyanose  mit  Dyspnoe,  auf  eventuelle  Hämophysen  (besonders 
bei  Mitralstenose)  und  den  physikalischen  Befund  :  hochgradige 
Dilatation  der  rechten  Kammer  und  Dilatation  des  Stammes 
der  Art.  pulmonalis  ;  letztere  verrät  sich  durch  eine  Dämpfung 
am  linken  Rand  des  Manutrium  sterni,  durch  eine  systolische 
Pulsation  und  ein  systolisches  Geräusch  unterhalb  des  linken 
Schlüsselbeins  und  durch  die  Skiaskopie  (bei  Emphysem  nur 
durch  diese.)  Ein  diastolisches  Geräusch  über  der  Pulmonalis 
ist  sehr  selten,  da  die  Pulmonalklappen  an  dem  sklerotischen 
Prozess  sehr  selten  beteiligt  sind;  gewöhnlich  dürfte  es  bei 
Mitralstenose  vom  linken  venösen  Ostium  fortgeleitet  sein.  — 
Die  primäre  Sklerose  lässt  sich  nicht  erkennen. 

G.  Mühlstein-  Prag. 


Psychiatrie  und  Neurologie.  i 

Laudenheimer,  Die  Anamnese  der  sogenannter 
Kriegspsyckonenrosen.  (Münch,  med.  Wochenschr.,  Nr.  38 
Feldärzt-liche  Beilage,  1915.)  — 

Der  Verfasser  hat  in  seinem  Nervensauatorium  in  diese) 
Kriegszeit  allerlei  Militärpersonen  zu  Gesicht  bekommen,  vor 
denen  es  ihm,  zumal  er  sie  z.  T.  schon  vorher  kannte,  nich 
schwer  fiel,  eine  eingehende  Anamnese  zu  bekommen.  Er  be 
richtet  über  52  Fälle,  die  er  einteilt  in  17  Ängstlich  -  Depri 
mierte,  10  Neurasthenische,  11  Hysteroide,  4  Epileptoide  um1 
10  Psychopathen.  Die  Ängstlich-Deprimierten  waren  der  Kon 
stitution  nach  ängstlich  befangen,  pedantisch  gewissenhafte,  mt 
übertriebenem  Verantwortungsgefühl  ausgestattete  Charaktere  ode 
auch  leicht  verstimmbare,  zum  Pessimismus  neigende  Naturen 
Brave  Leute,  aber  zum  Kriegshandwerk  a  priori  herzlich  weni« 
geeignet.  Felddienstfähig  wurde  von  den  17  keiner  wieder 
Von  den  10  Neurasthenischen  gaben  mit  einer  Ausnahme  alb 
zu,  schon  lauge  vor  dem  Krieg  nervenschwach  gewesen  zu  sein' 
aber  6  =  60  Prozent  gingen  wieder  geheilt  ins  Feld.  Den 
exogenen  Moment  der  Kriegsstrapazen  schreibt  L.  hier  eint, 
grössere  Ätiologie  zu  als  dem  psychisch-konstitutionellen.  Di' 
Hysteroiden  teilt  Verfasser  in  2  Klassen  :  Erstens  die  vor  den 
Kriege  nicht  nachweisbar  krank  Gewesenen,  die  vielmehr  in 
Anschluss  an  eine  Granatexplosion  oder  ein  ähnliches  schwere! 
Kriegstrauma  akute  Symptome  bekommen  hatten,  und  zweitem 
die  Hysteriker,  deren  Leiden  chronisch  verlaufen  war  und  nur 
im  Kriege  sich  langsam  gesteigert  hatte;  in  der  letzten  Grupp' 
waren  auch  <1  ie  einzigen  von  L  beobachteten  Rentenjäger  zi 
finden.  Bei  den  Epileptoiden  war  durchweg  das  konstitutionell' 
Moment  zweifellos,  das  exogene  belanglos.  Ebenso  war  be 
den  Psychopathen  bereits  vor  dem  Krieg  psychopathische  Reak 
tion  sicher  nachzuweisen  gewesen.  Interessant  ist  die  Berufs 
Statistik  Laudenheimers:  Bauern  und  ungelernte  Hand 
arbeiter  sind  unter  den  funktionellen  Nervenkranken  überhaup 
nicht  vertreten,  während  sie  bei  den  übrigen  Soldaten  fast  l/: 
der  Gesamtzahl  ausmachen.  Die  höheren  Berufe  (unter  denei 
Verfasser  akademisch  Gebildete,  Kaufleute,  Lehrer,  Techniker 
Künstler  usw.  zusammen  fasst)  stellten  zur  psychisch  -  nervöser 
Gruppe  den  höchsten  Prozentsatz,  fast  60  Prozent  der  Fälle 
während  sie  bei  den  nervengesunden  Soldaten  nur  16  Prozen 


Nr.  11. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


103 


ausmachen.  Zum  Schluss  fasst  L.  des  Ergebnis  seiner  Arbeit 
in  4  Thesen  zusammen,  die  im  Original  nachgelesen  werden 
mögen.  Werner  H.  Becker-  Herborn. 

E  Friedländer.  Einige  Erfahrungen  mit  Morphium- 
Skopolamin  und  Trivalin  resp.  Trivalin-Hyoscin  bei  der  Behand¬ 
lung  schwerer  Erregungs-  und  Angstzustände.  (Psychiatrisch- 
Neurologische  Wochenschrift,  Nr  35/  '6,  1915/16) 

Eine  lehrreiche  Veröffentlichung.  Während  sonst  unsere 
Fachpresse  überschwemmt  wird  mit  Aufsätzen  von  Autoren,  die 
diese  oder  jene  neuerschienene  Mittel  vom  Schlafmittelmarkt  er¬ 
probt  zu  haben  glauben  und  nun  der  Ärztewelt  die  Mitteilung 
machen,  dass  unser  Arsenal  an  Sedativis  eine  wertvolle  Be¬ 
reicherung  erfahren  habe,  dass  sie  dieses  Mittel  nicht  mehr 
entbehren  möchten,  dass  Nebenwirkungen  keiner  Art  beobachtet 
worden  wären  usw.  spricht  der  Artikel  F  riedländers 
im  Gegensatz  zu  der  Meinung  des  Herstellers,  „dass  bei  den 
schweren  Erregungs-  und  Angsizuständen  Geisteskranker  das 
Trivalin  und  Trivalin-Hyoscin  keineswegs  geeignet  sei,  das 
Morphium  und  Morphium  -  Skopolamin  zu  ersetzen“.  Mir 
waren  diese  Resultate  besonders  interessant,  da  auch  ich  mit 
dem  Mittel  trübe  Erfahrungen  gemacht  habe  (meine  diesbezüg¬ 
liche  Auslassung  befindet  sich  noch  im  Druck  !) ;  doch  bezogen 
i  sich  meine  Versuche  nur  auf  4  Patienten,  Fried  länder 
dagegen  teilt  uns  10  Fälle  eingehend  mit,  seine  Versuche  ver¬ 
dienen  daher  mehr  Beachtung  und  da  ihnen  ausserdem  noch 
die  Priorität,  allerdings  nicht  der  Versuchszeit  wohl  aber  der 
Drucklegung  zukommt,  so  stehe  ich  nicht  an,  dem  Leser  noch 
in  extenso  das  Fried  länder  sehe  Resultat  hier  wiederzu¬ 
geben. 

1.  Morphium-Skopolamin  in  einer  Dosis  von  0,015  bis 
i  0,03  Morphium  und  0,0005  bis  0,001  Skopolamin  ist  das 

wirksamste  und  relativ  ungefährlichste  Mittel  zur  raschen 
Koupierung  schwerer  Erregungs-  und  Angstzustände. 

2.  Trivalin  und  Trivalin-Hyoscin  sind  in  der  Wirkung  in 
solchen  Fällen  absolut  unzuverlässig  und  ausserdem  schon  in 
mässigen  Dosen  nicht  ungefährlich 

|  3.  Morphium  und  Skopolamin  werden  am  besten,  in  50- 

prozentigem  Alkohol  gelöst,  intramuskulär  injiziert,  da  diese 
Lösungen  absolut  steril,  lange  haltbar  sind  und  der  Alkohol 
gleichzeitig  günstig  auf  die  Herztätigkeit  wirkt.  In  manchen 
Fällen  ist  ausserdem  eine  gleichzeitige  Kampferinjektion  zu 
empfehlen. 

Werner  H.  Becker  -  Herborn. 

Meyer,  Beitrag1  zur  Kenntnis  des  Einflusses  kriegerischer 
Ereignisse  auf  die  Entstehung  geistiger  Störungen  in  der  Zivil¬ 
bevölkerung  und  zu  der  der  psychischen  Infektion,  (Archiv  für 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten,  56.  Band,  1.  Heft, 
1915.)  — 

Der  bekannte  Psychiatrieordinarius  in  Königsberg  hatte 
Gelegenheit,  anlässlich  des  Einfalls  der  Russen  in  Ostpreussen, 
eine  Mutter  mit  ihren  beiden  Töchtern  gleichzeitig  in  seine 
Klinik  aufzunehmen.  Bei  allen  dreien  lag  „eine  gewisse  kon¬ 
stitutionelle  Schwäche“  vor,  ein  „Mangel  an  Widerstandskraft  am 
Nervensystem“.  Dazu  kamen  als  auslösendes  Moment  der 
Psychose  zunächst  die  Russenfurcht,  das  Verlassen  der  heimat¬ 
lichen  Scholle  und  die  quälende  Unsicherheit  der  Zukunft,  so¬ 
dann  erhebliche  körperliche  Anstrengungen  (Durchwandern  einer 
Nacht  in  Eis  und  Schnee,  völlig  unzureichende  Ernährung  und 
dergl.)  und  endlich  gegenseitige  psychische  Infektion,  wobei  aber 
auffallender  Weise  nichtder  alternden  Mutter  sondern  der  jüngeren 
Tochter  der  Löwenteil  des  Suggerierens  zufiel.  Bei  allen 
dreien  bestand  die  Erkrankung  bei  der  Aufnahme  in  die 
Klinik  noch  fort  und  entwickelte  sich  auch  anfangs  noch 
weiter.  Ganz  allmählich  ging  die  Aufhellung  vor  sich,  bis 
schliesslich  völlige  Krankheitseinsicht  die  wiedereintretende 
geistige  Gesundheit  markierte.  Es  hatten  also  tatsächlich  die 
kriegerischen  Verhältnisse  und  ihre  Folgen  die  Erkrankung 
ausgelöst.  Die  Art,  wie  die  Besserung  mit  ganz  allmählicher 
Aufklärung  sich  einstellte,  spricht  nach  M.s  Meinung  gegen 
eine  eigentlich  psychogene  Störung.  M.  hält  diese  Art  von 
Geistesstörung  mehr  für  „symptomatische  psychotische  Pro¬ 
zesse“.  Wern.  H.  Becker-  Herborn. 

Kronthal,  Ueber  den  Seelensitz.  (Archiv  für 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten ,  Band  56.  1.  Heft 

1915.)  — 


: 


Eine  neue  Erörterung  über  eine  alte  Frage.  Schwierig" 
keiten,  die  als  Problem  die  Menschheit  von  Anbeginn  an  stets 
beschäftigt  haben  und  stets  beschäftigen  werden,  können  unmöglich 
auf  einer  8  Druckseiten  langen  Abhandlung  restlos  gelöst 
werden,  und  wenn  Wissbegierige  meinen,  nunmehr  im  aufge¬ 
klärten  20.  Jahrhundert  mit  seinem  unerhörten  Hochstand 
menschlichen  Wissens  und  Könnens  und  in  dem  führenden 
Blatt  gerade  der  deutschen  Irrenheilkunde,  wo  doch  die  deutsche 
Wissenschaft  in  diesem  Weltkriege  sich  so  sieghaft  bewiesen 
hat,  die  klare  und  endgültige  Antwort  auf  jene  allbewegende 
Frage  zu  findtn,  dann  versagt  natürlich  auch  Kronthal. 
Und  doch  sind  seine  Ausführungen  nicht  uninteressant.  Er 
packt  das  heikle  und  wenig  fruchtbringende  Thema  folgender- 
massen  an:  Ich  streite  mich  nicht  mit  Psychiatern,  welche  sich 
Philosophen,  Theologen  oder  Naturheilkundige  nennen,  auch  nicht 
mit  solchen,  die  behaupten,  die  Naturwissenschaft  allein  genüge 
nicht,  um  sich  mit  der  normalen  oder  kranken  Seele  zu  be¬ 
schäftigen,  dazu  gehöre  auch  Philosophie,  sondern  nur  mit 
Psychiatern,  die  das  erkenntnistheoretische  Grundgesetz  aner¬ 
kennen  :  „Was  wir  von  uns  und  der  Welt  wissen,  sind  nur 
Urteile  über  eigene  Empfindungen“.  Wer  anders  denkt,  mit 
dem  ist  „Verständigung  unmöglich“.  Von  jenem  Satz  aus¬ 
gehend  ist  die  Seele  die  Summe  der  Reflexe.  Und  der  Reflex 
hat  keinen  Sitz  Wollte  man  ihm  seinen  Sitz  in  der  Nerven¬ 
zelle,  im  Gehirn  oder  sonstwo  anweisen,  dann  muss  man  logischer¬ 
weise  ebenso  kalkulieren :  Das  Feuer  hat  seinen  Sitz  in  der 
Kohle.  Vielmehr  ergibt  sich  als  logische  Schlussfolgerung: 
Weil  Seele  die  Summe  der  Reflexe  ist  und  weil  die  Nervenzelle 
durch  Aufheben  der  Fibrillenisolierung  die  Höhe  der  Reflex¬ 
summe  bestimmt,  sind  die  Beziehungen  der  Nervenzellen  zur 
Seele  sehr  enge.  Die  alte  Erfahrung,  nach  der  die  Nerven¬ 
zelle  kausal  mit  der  Seele  verbunden  ist,  entspricht  der  Wirk¬ 
lichkeit,  aber  nicht  in  dem  überlieferten  Sinne,  dass  die  Nerven¬ 
zelle  die  Seele  produziert,  sondern  ganz  allein  in  dem  Sinne, 
dass  die  Nervenzelle  die  Höhe  der  Seele  bestimmt.  Die  Seele 
ist  ein  Geschehen,  sitzt  weder  im  Gehirn  noch  sonst  in  einem 
Organ.  Seele  ist  die  Summe  der  Reflexe.  Deshalb  ist  Seele, 
wo  Leben  ist.  Werner  H.  Becker  -  llerborn. 


Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten  der 
Harn-  und  Geschlechtsorgane, 

Dreuw,  Die  Läuseplage  und  ihre  Bekämpfung. 
Berlin  1915,  Fischer’s  med.  Buchhandlung,  H.  Kornfeld. 

D.  fasst  in  seiner  Flugschrift  alle  bisher  erschienenen 
Untersuchungsergebnisse  über  die  Frage  der  Läusebekämpfung 
übersichtlich  zusammen  und  gibt  damit  dem  Arzt  sowohl  als 
auch  dem  Laien  die  Möglichkeit  an  die  Hand,  sich  über  die 
von  der  Heeresverwaltung  zur  Reinigung  und  gegen  die  Ver¬ 
lausung  der  Truppen  geschaffenen  Massnahmen  (Entlausungs¬ 
anstalten,  Badezüge  usw.)  zu  unterrichten.  Weiterhin  werden 
auch  die  zuverlässigen  unter  den  in  so  reichlicher  Menge  auf 
den  Markt  gebrachten  Läuse-  und  Ungezieferbekämpfungsmittel 
angeführt,  die  eine  für  jeden  Umstand  passende  Auswahl  er¬ 
lauben.  Gans 

P.  G.  U  n  n  a,  Hamburg.  Kriegsaphorismen  eines  Derma¬ 
tologen.  (Berl.  klin.  Wochenschrift  1915,  Nr.  22  — 27). 

Kalte  Füsse. 

Die  wichtigste  Ursache  der  „kalten  Füsse“  ist  die  Feuchtig¬ 
keit.  Nicht  die  von  aussen  aus  nassen  Schützengräben  in  die 
Stiefel  dringende,  sondern  das  gasförmige  Wasser,  welches  bei 
dem  starken  Kapillarsystem  der  Fusssohle  dauernd  in  grossen 
Mengen  abgesondert  wird.  Dieses  Hautwasser  verwandelt  durch 
seine  Kondensation  zu  tropfbar  flüssigem  Wasser  alle  Strümpfe 
in  feuchte  Umschläge,  die  durch  beständige  Wasserverdunstung 
so  viel  Kälte  erzeugen,  dass  dadurch  der  wohltätige  Umschlag 
in  Wallungshyperämie  an  den  Füssen  erschwert  wird ;  wo  er 
ganz  verhindert  wird,  haben  wir  das  Leiden:  kalte  I  üsse. 


104 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  II. 


Behandelt  man  die  Strümpfe  durch  folgende  Flüssigkeit: 
Collodium  triplex .  12 


Colophonium .  4 

Ol.  Ricini .  4 

Spiritus .  16 


Aether .  64 

100 

so  werden  sie  am  Fuss  auch  nicht  mehr  zum  feuchten  Umschlag 
und  halten  warm.  Es  bleiben  ausser  den  feuchten  Strümpfen 
noch  zwei  andere  feuchte  Hüllen :  die  feucht  werdende  Horn¬ 
schicht  des  Fusses  selbst  und  das  feuchte  Innenleder  der  Stiefel. 

Man  kann  das  Innenleder  und  die  innere  Zeugauskleidung 
eines  jeden  Stiefels,  die  sehr  wasserliebend  sind,  ebenfalls  sehr 
einfach  in  eine  ziemlich  trocken  bleibende  Schicht  verwandeln, 
wenn  man  von  obiger  Mischung  je  nach  der  Grösse  des  Stiefels 
30 — 50  g  unter  Umschwenken  hineingiesst  und  die  rasch  ein¬ 
gesogene  Flüssigkeit  an  einem  warmen  Ort  der  Verdunstung 
überlässt.  Im  Felde  leistet  den  gleichen  Dienst,  allerdings 
weniger  gut,  Leinöl,  wenn  man  desselben  habhaft  werden  kann. 
Die  innere  Bekleidung  saugt  dieses  Öl  sehr  rasch  auf,  der 
Überschuss  wird  ausgewischt  und  die  so  behandelten  Stiefel  in 
der  Wärme  gut  getrocknet,  am  besten  am  Fusse  selbst. 

Die  Hornschicht  des  Fusses  wird  durch  sorgfältiges,  häu¬ 
figes  Einfetten  mit  einem  der  gebräuchlichen  Fussfette  oder 
mit  einer  Mischung  von  Talg  und  Leinöl  vor  bleibender  Durch¬ 
feuchtung  bewahrt. 

Endlich  ist  noch  eines  zweiten  sehr  wuchtigen  Punktes  zu  ge¬ 
denken;  er  betrifft  die  gute  Durchblutung  der  Fusshaut.  Alle  ge¬ 
nannten  warmhaltenden  Mittel  nützen  nämlich  nichts,  wenn  der  Betr. 
enge  Stiefel  trägt.  Also  lieber  zu  weite,  als  zu  enge  Stiefel. 


Quecksilbergleitpuder  (Pulvis  fluens  hydrargyri). 

Zur  feinsten  Verteilung  ätherischer  öle  an  der  Körper¬ 
oberfläche  stellen  die  verstäubbaren  Gleitpuder  die  praktischste 
Form  dar.  Es  ist  daher  auch  einleuchtend,  dass  unser  einzigstes 
flüssiges  Metall,  das  Quecksilber,  durch  Gleitpuder  auf  den 
höchsten  Grad  feiner  Verteilung  gebracht  werden  kann.  Damit 
aber  das  Quecksilber  so  fein  verteilt  bleibt,  und  nicht  wieder, 
seiner  sonstigen  Neigung  nach,  zu  grösseren  Kügelchen  zu¬ 
sammenläuft,  muss  man  dafür  sorgen,  dass  die  allerfeinsten 
Tröpfchen  sich  sofort  mit  einer  Haut  von  oxydiertem  Metall 
(Hg  2  ü.  und  Hg  O.)  überziehen,  die  das  Zusammenlaufen  ver¬ 
hindert.  Mit  anderen  Worten:  Man  muss  gleichzeitig  mit  der 
mechanischen  Verteilung  für  die  Gegenwart  von  viel  Luft  und 
einem  Sauerstoff-Katalysator  sorgen. 

Wir  besitzen  nun  keine  Pulver,  welche  mehr  Luft  ent¬ 
hielten  als  das  Lycopodium  und  die  zu  seinem  Ersatz  dienenden 
„Gleitpuder“.  Benetzen  wir  mithin  eines  dieser  Pulver  mit 
Terpentinöl,  als  Katalysator  des  Luftsauerstoffs  und  verreiben 
diese  Mischung  mit  Quecksilber,  so  ist  in  2  Minuten  das  Queck¬ 
silber  bereits  verschwunden  (Fachausdruck:  getötet)  und  wir 
haben  ein  graues  (bei  Lycopodium  gelbliches)  trockenes  Pulver 
vor  uns,  welches  mikroskopisch  bereits  sehr  feine  Metallkügel¬ 
chen  aufweist,  die  sich  bei  weiterem  Reiben  bis  zu  jeder  ge¬ 
wünschten  Feinheit,  <1.  i.  bis  zur  Grenze  der  mikroskopischen 
Erkennbarkeit,  verteilen  lassen.  Indem  man  die  Menge  (Ge 
wicht  des  Gleitpuders)  2-,  4-,  oder  9  mal  so  gross  nimmt 
wie  die  des  Quecksilbers,  erhält  man  ein  Pulvis  fluens  von 
33  x/3,  20  oder  10°/o  Quecksilbergehalt. 


Syphilide. 

Wenn  auch  im  Felde  eine  gründliche  Syphilisbehandlun^ 
selbst  in  den  Feldlazaretten  natürlich  nicht  möglich  ist,  sc 
lassen  aber  einzelne  sekundäre  und  besonders  tertiäre  Haut¬ 
syphilide  sehr  wohl  eine  ambulante  Behandlung  zu.  In  solchen 
Fällen  verordnet  U.  die  Beklebung  grösserer  Hautflächen 
Rumpf  und  Extremitäten,  mit  Quecksilber-Zinkoxyd-Guttaplast 
Wo  Guttaplaste  nicht  zu  beschaffen  sind,  ist  die  wenig 
schmerzhafte  und  ebenfalls  fast  vergessene  Lewin’sche  Subli¬ 
matinjektion  (0,01  jeden  oder  jeden  zweiten  Tag)  zu  empfehlen 
und  meistens  völlig  ausreichend. 

Hydrargyri  bichlorati  corrosivi  0,5 

Natr.  chlorati . 0,5 

Aqua  dest . 50,0 


M.  S.  z.  Injektion  (1  Spritze  =  0,01  Hg  C1.2)  oder  die  Be¬ 
handlung  mit  Quecksilberpillen,  deren  kriegsmässige  Formel 
lauten  würde : 

Ung.  hydrargyri  cinerii  10,0 
Magnesiae  ustae  .  .  4,0 
Rad.  Althaeae  .  .  10,0 

M.  f.  pil.  Nr.  100,  täglich  2-4  Pillen  (ä  0,03).  Auch  die 
Behandlung  mit  10°/0  Quecksilbergleitpuder  hat  sich  bewährt. 

Alle  diese  Kuren  können  ja  die  gründliche  Behandlung 
in  den  Krankenhäusern  nicht  ersetzen,  wohl  aber  unter  den 
erschwerenden  Verhältnissen  des  Kriegsdienstes  manchen  Mann 
dem  Dienste  erhalten. 

Lupus,  die  primäre  Hauttuberkulose. 

Jeder  Arzt  kann  sich  in  leichten  Fällen  selbst  helfen  und 
zwar  mit  sehr  einfachen  Mitteln  ,  die  glücklicherweise  in  jeder 
Feldapotheke  vorrätig  sind.  Salizylsäure,  Chlorzink  und  Creosot. 
Die  seit  19  Jahren  bewährte  „grüne  Lupussalbe“ 

Acidi  salicylici,  Liq  stibii  chlorati  ää  2,0 


Extr.  Cannabis,  Creosoti  ää  4,0  . 

Adipis  lanae  8,0 

heisst  feldmässig: 

Acidi  salicylici,  Zinci  chlorarti  ää  2,0 

Opii,  Creosoti  ää  4,0 

Adipis  lanae  8,0 

ist  mithin  eine  braune  Salbe. 


Hiermit  werden  grössere  Lupusflecke  unausgesetzt  bis  zur 
Heilung  bedeckt;  die  bestrichene  Stelle  beklebt  man  mit 
dünnstem  Guttaperchapapier  bezw.  Zink-Kautschukpflaster  ‘I 
oder  Leukoplast.  Ein  Verbandwechsel  ist  nur  ein-  bis  zwei¬ 
mal  in  der  Woche  nötig.  Auf  diese  Weise  werden  auch  die  ; 
vorzüglich  wirkenden  und  seit  1886  sich  bewährenden  Salizyl- 
Kreosot-Guttaplaste  im  Felde  ersetzt 

Eine  andere  Art  der  Applikation  ist  die  einfache  Aetzung. 
Winckler  hat  die  Salicylsäure  zweckmässigerweise  hierfür  durch 
Milchsäure  ersetzt,  statt  Antimonchlorid  nimmt  er  Chlorzink. 
Verfasser  zieht  die  Mischung: 

Acidi  lactici 

Liq.  stibii  chlorati  ää  5,0 

vor.  Sie  bildet  wohl  das  rascheste  und  beste  aller  Lupusmittel 
überhaupt.  Man  pinselt  alle  Lupusknötchen  ein-  oder  zweimal 
damit  an  und  sowie  sich  —  meist  am  nächsten  Tage  —  eine  1 
Entzündung  der  Haut  einstellt,  heilt  man  durch  einen  Anstrich  1 
mit  der  Zinkschwefelkreidepaste. 

Wo  Acid.  lacticum  und  Liq.  stibii  chlorati  in  Feindesland 
nicht  aus  einer  Apotheke  requiriert  werden  können,  muss  man 
sich  mit  Salizylsäure  und  Sublimat  behelfen,  und  verschreibt 
alle  drei  Mittel  am  besten  in  Form  des  folgenden  Kollodiums: 

Acid.  salicylici.  1 
Sublimati  1 

Creosoti  3 

Collodii  20 

M. 


Das  Sublimat  -f  Salizylsäure  -f-  Kreosot-Kollodium  wird 
zur  Zeit  immer  nur  auf  eine  etwa  talergrosse  Stelle  der  Lupus¬ 
fläche  aufgepinselt  und  sowie  danach  Nässen  eintritt,  mittels 
der  Zinkschwefelkreidepaste  abgeheilt,  während  ein  neues  Stück 
der  Fläche  bepinselt  wird.  Gans. 

Sekundäre  tuberkulöse  Hautleiden 


Es  kommen  hier  in  Betracht  die  an  tuberkulöse  Drüsen¬ 
oder  Knochenerkrankungen  sich  anschliessenden,  sekundären 
Formen  der  Hauttuberkulose,  relativ  gutartige  Erkrankungen, 
die  man  dermatologischerseits  als  Skrophuloderma  oder  tuber¬ 
kulöses  Gumma,  chirurgischerseits  als  kalte  Abszesse  zu  be¬ 
zeichnen  pflegt  Man  kann  solche  Fälle  mit  einfachen  Mitteln 
ambulatorisch  behandeln  und  dienstfähig  erhalten  :  durch  Leber¬ 
tran  und  Kali  causticum. 


Die  Verseifung  des  Lebertrans  mit  Kali  causticum  geht 
nach  folgendem  Rezept  und  besonders  leicht  vor  sich: 

Kali  caustici  84,0 

Ol.  jecoris  aselli  500,0 


NTr.  11. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


105 


Aq.  destill.  475,0 

Spiritus  q.  s.  (cca  20,0) 

M. 

Die  entstehende  Seife  ist  eine  überfettete,  eine  sogenannte 
Salbenseite,  da  3 — 4  p.  Ct.  mehr  .Lebertran  genommen  ist 
als  sich  verseifen  lässt.  Dadurch  ist  man  imstande,  dieselbe 
lange  Zeit  täglich  einschäumen  zu  lassen,  ohne  dass  die  Haut 
leidet. 

Der  Patient  streicht  die  Salbenseife  mit  der  Hand  auf, 
taucht  die  Hand  in  Wasser  und  verschäumt  die  Seife  auf  der 
ganzen  Hautregion.  Hierbei  wird  die  Seife  rasch  trocken  und 
die  Hand  muss  von  neuem  befeuchtet  werden.  Nach  4-5- 
maliger  Anfeuchtung  der  Hand  und  Verschäumung  ist  die 
Salbenseife  der  Haut  einverleibt. 

Alle  tuberkulösen  Affektionen  in  grösserem  oder  geringerem 
Grade  werden  von  der  überfetteten  Lebertran-Kali-Seife^  sehr 
günstig  beeinflusst,  auch  tuberkulöse  Periostitiden  und  Sehnen¬ 
scheidenentzündungen,  ja  oberflächlich  liegende  Knochenherde, 
sodann  alle  Formen  von  Tuberkuliden  und  alle  tuberkulösen 
Drüsen. 


Ersatz  für  Weizenstärke. 

Eine  gute  und  einfache  Behandlung  des  erysipelatoiden 
Ekzems,  die  sogar  noch  mehr  leistet  als  Mehl  und  Stärke,  ist 
die  Auftragung  vou  Kühlpasten  in  möglichst  dicker  Schicht. 

Kühlpasten  sind  Mischungen  von  Wasser,  Puder  und  Fett. 
Ihren  Hauptbestandteil  bilden  die  alkalisch  reagierenden  Erden* 
Kalkkarbonat  und  .Magnesiumkarbonat.  Als  Puder  besorgen 
sie  die  Eintrocknung  der  Haut  und  Beseitigung  des  Exsudats 
und  des  Ödems,  in  besonders  hohem  Masse  das  Magnesium¬ 
karbonat.  Die  alkalische  Reaktion  derselben  beseitigt  aber 
gleichzeitig  und  darin  übertreffen  sie  das  Mehl  auch  die 
Hyperämie  der  Haut  und  die  Schmerzen. 

In  der  Pasta  Zinci  mollis : 

Olei  lini,  Aquae  calcis  ää  30 

M.  adde 

Zinci  oxydati,  Calc.  carbon.  ää  q.  s.  (etwa  20) 

M. 

ist  nun  dieses  kühlende  Kalkwasser-Leinöl-Liniment  durch  den 
Zusatz  der  alkalisch  reagierenden  Mischung  von  Zinkoxyd 
und  Kreide  in  eine  Kühlpaste  verwandelt,  die  beim  erysipela¬ 
toiden  Ekzem,  sowie  bei  sonstigen  starken  Hautentzündungen 
jeder  Art  als  erstes  Mittel  \  ortreff liches  leistet,  —  natürlich 
auch  bei  Verbrennungen  chemischer  und  thermischer  Natur, 
wie  sie  im  Felde  oft  genug  Vorkommen.  Die  44  °/0  der  Zink- 
oxyd  -|-  Kreidemischung  sorgen  dabei  für  eine  vorläufig  ge¬ 
nügende  Antisepsis,  die  beim  Gebrauch  des  Leinöl-Kalkwasser¬ 
liniments  allein  nicht  vorhanden  sein  würde. 

Bei  vernachlässigten  Fällen  mit  übelriechendem,  reichlichem 
Sekret,  kann  man  den  antiseptischen  Effekt  noch  durch  Be¬ 
nutzung  des  Chlorkalks  statt  der  Kreide  steigern,  wobei  zu 
bemerken  ist,  dass  die  Eintrocknung  durch  Chlorkalk  noch 
bedeutender  ist  als  die  durch  Kreide.  Die  Formel  lautet: 

Olei  lini,  Aq.  calcis  ää  30 

Zinci  oxydati,  Calcariae  chlorati  ää  q.  s 
M.  S.  Pasta  Zinci  mollis  chlorata. 

Die  Pasta  Zinci  mollis  sollte  also  überall  dort  zur  Ver¬ 
wendung  kommen,  wo  man  früher  bloss  mit  grossen  Msngen 
von  Mehl  oder  Stärke  Entzündungen  zu  beseitigen  versuchte. 
Sie  ist  in  jeder  Feldapotheke  rasch  herstellbar. 

Es  hat  sich  nun  bei  den  Versuchen,  das  Stärkemehl  in 
allen  gebräuchlichen  Pasten  und  Pudern  durch  mineralische 
Puder  zu  ersetzen,  gezeigt,  dass  wir  ersteres  wirklich  ganz  gut 
entbehren  können.  In  den  Pasten  tritt  Kieselgur  (Terra  silicea) 
mit  Vorteil  für  Amylum  ein,  da  es  den  Zweck  der  Pasten, 
nässende  Hautflächen  trocken  zu  legen,  vermöge  seiner  stark 
eintrocknenden  Eigenschaften,  weit  rascher  und  besser  erfüllt, 
z-  B  in  folgenden  amylumfreien  Vorschriften 

1*  asta  Zinci 


Terrae  silicea 

5 

Zinci  oxydati 

25 

Olei  arachidis 

10 

Adipis  suilli 

60 

M. 

Pasta  Zinci  sulfurata 


Terrae  siliceae 

5 

Zinci  oxydati 

15 

Sulfur  praec. 

10 

Ol  arachidis 

10 

Adipis  suilli 

60 

M. 

Kieselgur  eignet  sich  ihrer  scharfkantigen  Beschaffenheit  und 
mangelnden  Haftung  wegen  nicht  gut  zu  Hautpudern.  Dagegen 
kann  in  diesen  das  Amylum  mit  \  orteil  durch  die  verschiedenen 
Arten  der  kieselsauren  Tonerden  (Kaolin,  Bolus  alba,  Bolus 
lubia)  sowie  durch  Magnesium  carb.  und  Talcum  ersetzt  werden, 
z.  B  in  folgendem  ohne  Weizen-  und  Reisstärke  hergestellten 
hautfarbenen  Puder  für  Seborrhoeen  und  seborrhoische  Ekzeme 
des  Gesichtes : 


Pulvis  cuticolor. 


Boli  rubr.  0,5 

Boli  albae  2,5 

Magnes.  carbon.  4,0 

Zinci  oxydati  5,0 

Talei  8,0 

M. 


Gans. 


Medikamentöse  Therapie. 

K.  Klein,  Di»  Kumulation  der  Stropliantine  bei  der 
akuten  und  chronischen  Vergiftung.  (Lekafske  Rozhledy.  21. 
(3.)  Nr.  25.  Igl4.) 

Untersuchungen  an  Katzen  lehren,  dass  grosse  Dosen  erst 
nach  einigen  Stunden,  aber  längere  Zeit  hindurch  wirken. 
Kleine,  an  sich  unwirksame  Dosen  bedingen  eine  Vergiftung, 
die  tödlich  verlaufen  kann.  Extrem  kleine  Dosen  führen  zu 
einer  Angewöhnung,  die  aber  sehr  labil  ist  und  sehr  leicht, 
wenn  auch  ganz  allmählich  in  Vergiftung  übergehen  kann, 
während  die  Vergiftung  nach  grossen  Dosen  plötzlich  hervor¬ 
bricht.  Der  verlässlichste  Indikator  der  Vergiftung  ist  die  Sali- 
vation.  Für  die  Therapie  ergibt  sich  aus  den  Versuchen  der 
Beweis,  dass  es  möglich  ist,  den  Organismus  durch  kleine  Dosen 
lange  Zeit  hindurch  unter  Digitaliswirkung  zu  halten,  nur  ist 
grosse  Vorsicht  am  Platze,  da  nach  grossen  Dosen  plötzlich, 
nach  kleinen  Dosen  unter  prämonitorischen  Symptomen  die 
Katastrophe  eintreten  kann  Strophantin  Böhringer  und  g- 
Strophantin  Thoms  sind  gleichwertig ;  das  Quabain  Hoffmann- 
La  Roche  ist  giftiger  als  die  beiden  ersteren. 

G.  Mühlstein  -  Prag. 

V.  V  i  t  e  k  ,  Salvarsan  und  Tabes  dorsalis.  (Revue  v 
neuropsychopathologii.  1914.  Nr.  7-8.) 

Bei  einem  45  jährigen  Manne,  der  vor  20  Jahren  Lues 
akquiriert  hatte  und  seit  8  Jahren  die  typischen  Symptome  der 
Tabes  dorsalis  darbot,  besonders  aber  an  lanzinierenden 
Schmerzen  litt,  trat  nach  einer  Salvarsaninjektion  eine  hoch¬ 
gradige  Besserung  ein.  Nach  einem  halben  Jahre  wurde,  weil 
die  Symptome  wiedergekehrt  waren,  eine  neuerliche  Salvarsan¬ 
injektion  gemacht  und  seither  fühlt  sich  der  Kranke  frei  von 
ernsten  Beschwerden. 

G.  Mühlstein  -  Prag. 

Dr.  Fiedler,  Über  granulierendes  Wundöl  Knoll.1) 
Aus  dem  Reservelazarett  Marien-Hospital  in  Düsseldorf.  (Deutsche 
Medizin.  Wochenschrift  1915,  Nr.  39,  S.  1162.) 

Das  Präparat  fand  in  über  100  Fällen  Verwendung.  Bei 
flächenhaften  Wunden  wurde  eine  schnelle  Reinigung  der 
Wunde  und  gute  Granulationsbildung  erzielt.  Ausserdem  konnte 
der  Eindruck  gewonnen  werden,  als  ob  die  Überhäutung  der 
Wunde  von  Rande  her  und  von  etwa  stehengebliebenen  Epithel¬ 
inseln  schneller  vor  sich  ginge.  Bei  einem  Fall  von  Ver¬ 
brennungen  zweiten  Grades  an  beiden  Handrücken  und  Unter¬ 
armen,  bei  dem  die  eine  Hand  mit  granulierendem  Wundöl 
Knoll,  die  andere  in  der  üblichen  Weise  mit  Dermatolsalbe 
behandelt  wurde,  ergab  sieh,  dass  die  Narbe  der  mit  Wundöl 
behandelten  Hand  bedeutend  nachgiebiger  war  und  sich  in 
ihrer  Beschaffenheit  eher  der  normalen  Haut  näherte,  als  bei 
der  nicht  mit  Wundöl  behandelten  Hand. 


*)  Unter  der  Bezeichnung  Granugenol  im  Handel. 


106 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  11 


Als  Hauptgebiet  für  Behandlung  mit  granulierendem  Wundöl 
Knoll  kommen  Wunden  mit  grösserem  Substanzverlust  und  Ge- 
webszerfetzuug  in  Betracht.  Bei  solchen  Wunden  wurde  ein 
ausserordentlich  schnelles  Abstossen  der  Gewehsteile  und  Aus¬ 
granulieren  der  Wunde  beobachtet.  Zugleich  war  die  Sekretion 
der  Wunden  bedeutend  weniger  stark  als  bei  der  sonst  üblichen 
Behandlung  mit  feuchten  Verbänden. 

Die  dritte  Kategorie  der  mit  Wundöl  behandelten  Wunden 
waren  Höhlenwunden  mit  engen  Ausführungsgängen.  Aseptische 
Wunden  dieser  Art,  z.  B.  nach  Exstirpation  von  tuberkulösen 
Lymphdrüsen ,  granulierten  bemerkenswert  schnell  aus  Von 
Empyemen  fanden  5  Fälle  mit  Wuudöleinspritzungen  Behand¬ 
lung.  Heilung  trat  hier  nur  schnell  ein,  wenn  der  Abfluss  aus 
der  Höhle  zugleich  gut  war. 

Höhlenwunden  nach  Operation  von  perityphlitischen 
Abszessen  heilten  sämtlich  mit  Wundöleinspritzung  sehr 
schnell  aus 

Neuerdings  wurde  begonnen,  granulierendes  Wundöl  Knoll 
auch  zur  Anregung  von  Kallusbildung  bei  schlecht  heilenden 
Knochenbrüchen  einzuspritzen.  Es  scheint,  dass  die  Kallus¬ 
bildung  durch  das  Präparat  beeinflusst  wird,  jedoch  lässt  sich 
ein  abschliessendes  Urteil  hierüber  noch  nicht  bilden. 

N  e  u  m  a  n  n. 

P  y  r  e  n  o  1  als  E  x  p  e  k  t  o  r  a  n  s  ist  gerade  jetzt  zur 
Zeit  der  Hochflut  katarrhalischer  Affektionen  der  Atmungs¬ 
organe  ein  besonders  geschätztes  Medikament  von  zuverlässiger 
Wirkung.  Die  Verflüssigung  zähen  Btonchialsekrets  bei  gleich¬ 
zeitiger  Beschränkung  der  Neubildung,  Lösung  der  schädlich 
wirkenden  Bronchialspasmen  und  Milderung  des  Hustenreizes 
neben  mild  einsetzender  Antipyrese  wird  in  der  umfangreichen 
einschlägigen  Literatur  von  allen  Autoren  hervorgehoben,  u.  a. 
von  Loeb  an  dem  grossen  Krankenmaterial  des  Augusta- 
Hospitals  in  Berlin.  (Berliner  klin.  Wochenschrift  Nr.  41,  04.) 
Dass  diese  Gesaratwirkung  des  Pyrenol  weder  mit  den  ein¬ 
fachen  noch  den  mit  Narkotizis  kombinierten  sog.  Solventien 
zu  erreichen  ist,  hat  in  eingehender  Darstellung  der  bei  den 
katarrhalischen  Affektiouen  der  Atmungsorgane  vorliegenden 
speziellen  pathologischen  Verhältnisse  Johannissohn 
in  den  „Fortschritten  der  Medizin“  (Nr.  47.  13)  pharma¬ 
kologisch  begründet.  Die  Expektoration  wird  wesentlich  ge¬ 
fördert.  Schon  am  2.  oder  3.  Tage  kann  man  diese  Wirkung 
des  Pyrenols  beobachten.  Der  Schleim  wird  ganz  leicht,  ohne 
jede  Krampfäusserung  zum  Auswurf  gebracht  und  bringt  den 
Patienten  wesentliche  Erleichterung. 

Ein  grosser  Vorteil  des  Pyrenols  kommt  dabei,  worauf 
Sternberg  in  der  Aerztiichen  Rundschau  (Nr.  31.  03)  hinweist, 
noch  zur  Geltung  :  „Seine  Unschädlichkeit  gibt  in  der  Praxis 
die  Möglichkeit,  es  auch  bei  Schwerkranken,  bei  Arteriosklerose, 
Dilatation  des  rechten  Ventrikels,  in  der  vollen  wirksamen 
Dosis  geben  zu  können.  Ein  solches  Mittel  verdient  unsere 
Beachtung  in  hohem  Grade.  Dosierung  :  Erwachsene  3 — 6  x 
tgl.  1  Tablette  ä  0,5,  Kindern  Solution  von  2,0 — 4,0:  100  mit 
Sir.  Rub.  Jd.  20,  —  2  stündlich  1  Kinderlöffel. 


Wichtige  gerichtliche  Entscheidungen. 

Unfall  einer  Geisteskranken  infolge  mangelnder  Aufsicht  der  Kranken¬ 
schwester. 

(Nachdruck  verboten.) 

Die  Klägerin  erkrankte  am  6.  Juni  1912  auf  der  Reise 
unter  Zeichen  einer  geistigen  Störung,  wurde  auf  Ersuchen 
ihres  Ehemannes  vorläufig  in  das  Krankenhaus  der  Beklagten 
aufgenommen  und  sprang  dort,  während  sie  nur  mit  einer  hilfs¬ 
weise  zur  Pflege  verwendeten  Kranken  B  zusammen  wTar,  aus 
einem  Fenster  des  zweiten  Stockwerkes,  wodurch  sie  schwere 
Verletzungen  erlitt.  Sie  erhob  aus  eigenem  Rechte  und  als 
Rechtsnachfolgerin  ihres  Mannes,  sowie  der  städtischen  Betriebs¬ 
krankenkasse  in  Karlsruhe,  die  nach  dem  Unfall  die  Kosten 
der  Krankenhilfe  übernommen  hatte,  Schadenersatzansprüche 
auf  Grund  Vertrages  und  wegen  unerlaubter  Handlung.  Sie 
verlangte  Erstattung  von  Auslagen,  Entrichtung  einer  Geld¬ 
rente  und  Feststellung  der  Ersatzpflicht  bezüglich  des  weiteren 
Schadens.  Die  Klage  wurde  abgewiesen,  die  Berufung  der 


Klägerin  zurückgewiesen.  Auf  die  von  ihr  eingelegte  Revision 
verwies  das  Reichsgericht  die  Sache  an  die  Vorinstanz  zurück 
mit  folgender 

Begründung: 

Das  Berufungsgericht  unterstellt,  dass  zwischen  der 
Klägerin  oder  ihrem  Manne,  auf  dessen  Ersuchen  die  Klägerin, 
wenn  auch  zunächst  nur  vorläufig,  in  das  Krankenhaus  der 
Beklagten  aufgenommen  worden  war,  und  der  Beklagten  ein 
Vertragsverhältnis  bestand,  erklärt  aber  die  Klage  gleichwohl 
für  unbegründet,  weil  ein  Verschulden  der  Krankenhausbe¬ 
diensteten  nicht  erwiesen  sei.  Das  ist,  soweit  die  Oberschwester 
R.  in  Frage  kommt,  rechtsirrig.  Wenn  ihr  auch  der  Mann  der 
Klägerin  von  den  Zeichen  geistiger  Störung,  die  zur  Inanspruch¬ 
nahme  des  Krankenhauses  führten,  nichts  gesagt  hatte,  so 
wusste  sie  doch  von  ihm,  dass  die  Klägerin  nach  der  Auf¬ 
nahme  geäussert,  hatte,  sie  wolle  sich  die  Pulsader  öffnen  und 
in  den  Fuss  schiessen,  weshalb  er  auch  ersuchte,  Haarnadeln 
und  ähnliche  Gegenstände  aus  der  Nähe  der  Kranken  zu  ent¬ 
fernen  Kam  sie  nun  auch,  wie  das  Berufungsgericht  annimmt, 
auf  Grund  ihrer  Unterhaltung  mit  der  Kranken  und  mit  Rück¬ 
sicht  auf  frühere  Erfahrungen  zu  der  Meinung,  dass  eine 
geistige  Störung  nicht  vorliege  und  ein  Selbstmordversuch 
nicht  zu  befürchten  sei,  so  musste  sie  doch  bei  der  Anwendung 
der  im  Verkehr  erforderlichen  Sorgfalt  (§  276  BGB.)  damit 
rechnen,  dass  sie  sich  täuschen  könne.  Sie  hätte  daher,  wenn 
sie  die  Kranke  nicht  gleich  in  dem  für  Geisteskranke  bestimmten 
Raume  unterbringen  wollte,  mindestens  dafür  sorgen  müssen, 
dass  während  ihrer  Abwesenheit  die  Kranke,  sich  einen  Schaden 
nicht  zufügen  konnte.  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  war  es 
schon  bedenklich,  dass  sie  die  Aufsicht  der  B  überliess,  die 
selbst  krank  war  und  ein  Leiden  am  rechten  Arm  hatte.  In 
jedem  Falle  aber  musste  die  Oberschwester  die  B.  über  ihre 
Obliegenheiten  genau  unterrichten.  Dazu  genügte  nicht,  dass 
sie  die  B.  anwies,  die  Kranke  im  Auge  zu  behalten.  Sie 
musste  auch  sagen,  warum  und  nach  welcher  Richtung  eine 
Beobachtung  geboten  sei.  Das  ist  nicht  geschehen.  Die  Ober¬ 
schwester  sagte  der  B.  nichts  von  den  Äusserungen  des  Mannes 
der  Klägerin  und  traf  nicht  einmal  Anordnungen  bezüglich 
der  Schliessung  der  offenstehenden  Fenster.  Dass  der  Unfall 
auch  bei  entsprechender  Belehrung  der  B.  eingetreten  wäre,  ist 
nicht  anzunehmen  und  wird  auch  vom  Berufungsgericht  nicht 
angenommen.  Dauach  ist  das  Berufungsurteil  aufzuheben  und 
bei  der  neuen.  Verhandlung  davon  auszugehen,  dass  der  Un¬ 
fall  auf  einem  Verschulden  der  Oberschwester  beruht,  das  die 
Beklagte  unter  den  Voraussetzungen  des  §  278  BGB.  in 
gleichen  Umfange  zu  vertreten  hat  wie  eigenes  Verschulden. 

Urteil  des  RG.  vom  5.  November  1915.  III.  230  /1915. 

(Mitgeteilt  von  Dr.  Hans  Berthold,  Leipzig.)  $  J 


Bücherschau. 

D  i  e  t  z  ,  Tuberkulosebekämpfung  und  verwandte  Be¬ 
strebungen  im  Grossherzogtum  Hessen  im  Jahre  1913.  , 
Berlin  1914. 

Der  Bericht  über  den  Stand  der  Tuberkulosebekämpfung 
im  Grossherzogtum  Hessen,  der  alljährlich  dem  Deutschen 
Zentralkomitee  zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in  Berlin  er¬ 
stattet  wird,  ist  diesmal  „auf  die  verwandten  Bestrebungen“  aus¬ 
gedehnt  worden.  Da  die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  als 
Volkskrankheit  in  der  Praxis  zu  fast  allen  Bestrebungen  der 
Bekämpfung  von  gesundheitlichen  oder  sittlichen  Volksschäden 
Beziehung  gewinnt,  so  gibt  der  diesjährige  Bericht  eine  Über¬ 
sicht  über  den  grössten  Teil  der  Wobl fahrtspflege  in  Hessen. 

Als  im  Jahre  1900  der  Heilstätten  verein  in  Hessen  ge¬ 
gründet  wurde,  glaubte  man  mit  dem  Bau  und  Betrieb  von 
Heilstätten  für  Lungenkranke  im  wesentlichen  die  Aufgabe 
der  freiwilligen  Vereinstätigkeit  erfüllt  zu  haben.  Es  stellte 
sich  bald  heraus,  dass  der  Behandlung  des  Kranken  vielfach 
die  Fürsorge  für  den  Genesenden  zu  folgen  habe,  dass  es  gelte, 
die  Frühstadien  der  Erkrankung  rechtzeitig  herauszufinden  und 
sie  der  Behandlung  zuzuführen,  und  dass  die  Fürsorge  nicht 
nur  dem  Kranken,  sondern  auch  seiner  Familie  zuzuwenden 
sei,  um  die  Weiterverbreitung  der  Tuberkulose  zu  ver¬ 
hindern. 


Nr.  11 

i 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


107 


So  sind  neben  die  Heilstätten  die  Fürsorgestellen  für 
Lungenkranke  getreten  und  für  solche  Kranke,  die  bei  häuslicher 
Pflege  eine  grosse  Ansteckungsgefahr  für  ihre  Angehörige,  be¬ 
sonders  die  Kinder  bilden,  die  Heimstätten  für  Tuberkulöse. 
Die  vorbeugende  Fürsorge  wandte  sich  weiter  den  von  der 
Tuberkulose  bedrohten  Kindern  zu,  und  als  weiteres  Glied  ent¬ 
stand  im  Jahre  1913  die  Lupusheilstätte  in  Giessen.  Die  Er¬ 
folge  der  dort  geübten  Behandlung  fordern  dazu  auf,  sie  auf 
die  Behandlung  der  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  zu  über¬ 
tragen,  die  im  Kindesalter  so  schwere  Verheerungen  an¬ 
richtet. 

Daneben  wurde  unermüdlich  an  der  Belehrung  weiter 
Volksschichten  über  die  Vermeidung  der  Übertragung  der 
Tuberkulose  gearbeitet ;  das  Tuberkulose- Wandermuseum  gab 
hierfür  einen  kräftigen  und  nachhaltigen  Anstoss.  Der  Kampf 
gegen  die  leichtsinnige  Verbreitung  der  Seuche  durch  verseuchte 
Wohnungen,  Kleider,  Betten  und  Wäschestücke  muss  auf  das 
energischste  weitergeführt  werden. 

Die  Fürsorge  im  Hause  des  Kranken  brachte  die  Für¬ 
sorgestellen  in  Berührung  mit  der  Wohnungspflege.  Die  Tuber¬ 
kulose  kann  als  Wohnungskrankheit  bezeichnet  werden,  weil 
an  sich  ungesunde  oder  durch  unzweckmässige  Benutzung 
ungesund  gewordene  Wohnungen  Brutstätten  für  Tuberku¬ 
lose  sind. 

Die  Tuberkulosebekämpfung  führt  zu  den  Organisationen 
zur  \  erbesserung  der  Krankenpflege,  insbesondere  zur  Errich¬ 
tung  von  Krankenpflegestationen  auf  dem  Lande  (eine  Auf¬ 
gabe,  die  bisher  im  Kreise  Erbach  wohl  am  besten  gelöst  ist) 
und  zu  der  Tätigkeit  der  Hauspflegevereine,  die  bei  Erkrankungen 
der  Mutter  die  Familie  in  der  Wirtschaftsführung  stützen  und 
so  die  Familie  Zusammenhalten. 

An  allen  Bestrebungen,  die  auf  die  Hebung  der  Volks¬ 
gesundheit  zielen,  an  der  Säuglings-  und  Kinderfürsorge,  dem 
Ausbau  der  Schulgesundheitspflege,  der  Verbreitung  der  Volks  • 
bäder ,  der  Belehrung  des  Volkes  über  gesundheitsgemässe 
Lebensweise  und  richtige  Ernährung  nimmt  die  Tuberkulose¬ 
fürsorge  teil,  gibt  dazu  mannigfache  Anregung  und  schöpft 
selbst  aus  ihr  Nutzen 

Die  Fürsorge  für  Lungenkranke  beteiligt  sich  an  der 
Krüppelfürsorge,  da  ein  grosser  Teil  der  Verstümmelung  von 
Gliedern  und  Wirbelsäule  durch  Knochen-  und  Gelenktuber¬ 
kulose  verursacht  wird.  Sie  nimmt  endlich  teil  an  der  Be¬ 
kämpfung  der  grössten  Feinde  der  Volksgesundheit,  des  Alko¬ 
holismus  und  der  Geschlechtskrankheiten,  weil  auch  sie  ein 
Nährboden  für  die  Tuberkulose  sind. 

In  vorbildlicher  Weise  sind  die  sich  gegenseitig  ergänzenden 
und  tragenden  Massnahmen  in  die  Wirklichkeit  umgesetzt 
worden  bei  dem  Versuch  der  planmässigen  Tilgung  der  Tuber¬ 
kulose  in  dem  Dorfe  Ileubach  im  Odenwald,  dem  am  stärksten 
von  der  Tuberkulose  heimgesuchten  Orte  des  Grossherzog¬ 
tums. 

Der  Rückgang  der  Sterblichkeit  an  Lungentuberkulose  im 
Grossherzogtum  Hessen,  der  seit  1890  von  Jahrfünft  zu  Jahrfünft 
zu  verfolgen  ist,  beweist,  dass  die  grossen  Anstrengungen  im 
Kampf  gegen  die  verheerende  Volksseuche  nicht  erfolglos 
waren.  —  R. 


Nun  ist  es  Stauffacher  gelungen,  durch  Vorbehandlung 
seiner  Präparate  mit  verdünnten  Lösungen  von  Säurefuchsin 
und  Nachfarben  mit  Ehrlichs  Fuchsin-Methylenblau  sowohl 
im  Blaseninhalt,  wie  in  den  Geweben  und  im  Blut  massen¬ 
hafte  kleine  Körperchen  der  verschiedensten  Grössen  (0  1  a  bis 

l.P  Td  mchr>  und  formen  (Kügelchen,  Birnen,  Würstchen 
Sicheln  usw.)  sichtbar  zu  machen.  Die  Kultur  gelang  in 
N  i  c  o  1 1  e’schen  Röhrchen  und  zwar  traten  hier  ausser  den  er¬ 
wähnten  Gebilden  Leptomonasformen  auf,  und  zwar  in  zwei 
Typen,  einem  kurzen,  dicken  von  zirka  45  fx  Länge  und  3  u 

Breite,  und  eiuem  langen  dünnen  von  100 _ 120  u  und 

1-2  fi  Breite.  Durch  deren  chromidialen  Zerfall  entstehen 
die  zuerst  gesehenen  winzigen  Derivate. 

Die  Lebewesen  stehen  somit  den  Trypanosomen  nahe 
Stau  ffacher  reiht  sie  systematisch  in  die  Ordnung  der 
Euflagellaten,  Abt.  Monadiuen,  ein  und  nennt  sie  Aphthomonas 
infestans  (infestare  =  verwüsten).  Butter  sack 

Kromayer,  Ärztliche  Kosmetik  der  Haut.  V.  Serie 
Heft  8  der  Vorträge  über  praktische  Therapie  von  Prof,  d' 
Schwalbe.  Leipzig  1914.  Verlag  von  Georg  Thieme. 

Behandelt  unter  modernen  Gesichtspunkten  die  Ver- 
hornungs-  und  Gefässanomalien  (rauhe  Haut,  Rosacea,  Naevi 
usw.),  die  Talgdrüsenerkrankungen  (Akne,  Comedonen  usw.), 
Pigmentanomalieen ,  Geschwülste  ( Hypertroph  ieen,  Verrucae, 
Naevi)  und  die  Haarerkrankungen  in  übersichtlicher,  erschöpfen¬ 
der  aber  doch  kurzer  Weise. 

v.  Schnizer  -  Mülhausen  i.  E. 

Aigner,  E ,  München.  Die  Wahrheit  über  eine  Wunder¬ 
heilung  von  Lourdes.  Eine  ärztliche  Studie.  Zweite  er¬ 
weiterte  Auflage  (6.  Tausend  ■.  Frankfurt  am  Main  1914, 
Neuer  Frankfurter  Verlag.  G.  in.  b.  H.  Seitenzahl  30 ’ 
Preis  0,40  M. 

Arndt,  Th.,  Dresden.  Untersuchungen  über  die  Wirkungen 
einiger  neuer  Derivate  der  2  —  Phenylchinolin-  4 _  kar¬ 

bonsäure  im  Vergleich  mit  dem  Atophan  und  Azitrin. 
Inaugural-Dissertation  zur  Erlangung  der  Doktorwürde  in 
der  Medizin  und  Chirurgie  der  hohen  medizinischen  Fakul¬ 
tät  der  Schlesischen  Friedrich-WIlhelros-Universität  zu 
Breslau  vorgelegt.  Görlitz  1914.  Seitenzahl  28 

Asch,  R.,  Breslau.  Diagnostische  und  therapeutische  Rat¬ 
schläge  für  den  gynäkologischen  Praktiker.  Aus  „Medi¬ 
zinische  Klinik,“  Heft  6.  1914.  Berlin  1914,  Verlag  von 
Urban  u.  Schwarzenberg.  Preis  des  Heftes  1  M.  & 

Bainbridge,  New- York.  Possible  Errors  in  the  Dia- 
gnosis  of  Abdominal  Cancer  —  A  Plea  for  Exploratoiy 
Laparotomy  —  Illustrative  Gases.  Oktober  1914.  Re¬ 
printed  from  New  York  State  Journal  of  Medicine. 
Seitenzahl  8. 

Bainbridge,  New-Tork.  Arterial  Ligation,  with  Lym- 
phatic  Block,  in  the  Traetment  of  Advanced  Cancer  of 
the  Pelvic  Organs  —  A  Report  of  Fifty-Six  Cases. 
Reprinted  from  the  American  Journal  of  Obstetrics  and 
Diseases  of  Women  and  Children.  Vol.  68,  No.  4,  1913. 
Seitenzahl  22. 


II  o  ff  mann,  Hie  Kunst  ans  dem  Gesicht  Krankheiten 
zu  erkennen  und  zu  heilen.  2.  Auflage  der  neuen  Ausgabe 
Leipzig,  Verlag  von  Krüger  &  Co. 

Es  ist  ein  Verdienst  des  Verlags,  dieses  im  Jahre  1800 
von  Hoffmann  veröffentlichte  Schriftchen  der  Vergessenheit  ent¬ 
rissen  zu  haben.  Allerdings  ganz  auf  dem  Boden  der 
Humoralpathologie  stehend,  zeigt  es  welche  Bedeutung  früher 
der  pathologischen  Physiognomik  beigelegt  wurde,  einem  Ge¬ 
biete,  das  heutzutage  vielleicht  zu  sehr  vernachlässigt  wird.  Eiu 
interessantes  Schriftchen.  v.  Schnizer. 

Stauffacher,  Heinrich  (Frauenfeld),  Der  Erreger 
Ur  Maul-  und  Klauenseuche.  Aus:  Zeitschrift  für  wissen¬ 
schaftliche  Zoologie  Bd.  115.  1.  Heft.  —  Sonderabdruck, 
Leipzig  1915.  W.  Engelmann,  55  Seiten  mit  29  Figuren  im 
Text  und  2  Tafeln.  —  Mk.  2.80. 

Wir  Alteren  erinnern  uns  ganz  wohl  noch  des  Eifers,  mit 
welchem  vor  einigen  Jahren  dem  Erreger  der  Maul-  und 
Klauenseuche  nachgespürt  worden  ist.  Die  Resultate  waren 
nicht  befriedigend,  und  so  schien  das  Interesse  daran  abgeflaut. 


Bainbridge,  New-York.  Technic  of  the  Intra-Abdomi¬ 
nal  Administration  of  Oxygen.  Reprinted  from  the 
American  Journal  of  Surgery,  Oktober  1913.  Seiten¬ 
zahl  8. 

Bennecke,  A.  Die  freie  Ärztewahl  und  die  Rostocker 
allgemeine  Ortskrankenkasse  Rostock  i.  Mecklenburg. 
1914,  Verlag  von  G.  B.  Leopolds  Universitäts-Buchhand¬ 
lung.  Seitenzahl  26.  Preis  80  Pfg 

B  i  r  s  t  e  i  n  ,  J.  Individualpsychologische  Darstellung  eines 
nervösen  Symptoms.  Sonderabdruck  aus  „Zentralblatt  für 
Psychoanalyse  und  Psychotherapie.  Medizinische  Monats¬ 
schrift  für  Seelenkunde.  Wiesbaden  1914,  Verlag  von 
J.  F.  Bergmann. 

Boas,  K.,  Halle.  Aus  meiner  kriminalistischen  Sammel¬ 
mappe.  II.  1.  Aus  der  niederländischen  Kriminalstatistik. 
Leipzig  1914,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel. 

Boas,  K.,  Halle.  Aus  der  forensischen  Psychiatrie. 
Kritisches  Sammelreferat.  Sonderabdruck  aus  Band  V, 
Heft  5.  Stuttgart  1913,  Verlag  von  Ferdinand  Enke. 


108 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  11. 


Bunnemann,  Otto,  Ballenstedt.  Über  ^  psychogene 
Schmerzen.  Sonderabdruck  aus  Band  XXXIV,  Heft  2 
der  Monatsschrift  für  Psychiatrie  und  Neurologie.  Berlin, 
Verlag  von  S.  Karger.  Seitenzahl  32. 

B  ü  r  g  i  ,  E„  Bern.  Die  Wirkung  der  Arzneigemische.  Rek¬ 
toratsrede,  gehalten  an  der  79.  Stiftungsfeier  der  Universi¬ 
tät  Bern  am  22.  November  1913.  Bern  1914,  Akade¬ 
mische  Buchhandlung  von  Max  Drechsler.  Seitenzahl  31. 
Preis  1,20  M. 

Fuchs,  W.,  Emmendingen.  Epilepsie  und  Epilepsiebehand- 
lung.  (Aus  der  Grossherzogi.  Badischen  Heil-  und  Pflege¬ 
anstalt  Emmendingen).  Gewidmet  zur  25- Jahrfeier  der 
Anstalt.  Leipzig  1914.  Repertorien  -  Verlag.  Seiten¬ 
zahl  4-3. 

Grosser,  Berlin.  Behandlung  der  Furunkulose.  Sonder¬ 
abdruck  aus  ,, Allg.  Med.  Zentral-Zeitung“,  1914,  Nr.  13. 
Verlag  von  Oskar  Coblenz.  Seitenzahl  4. 

Hedinger,  Herff,  Hunziker,  Quervain, 
S  t  ä  h  e  1  i  n.  Die  Krebskrankheit  und  ihre  Bekämpfung. 
Fünf  Vorträge  auf  Veranlassung  der  Schweizerischen  Ver¬ 
einigung  für  Krebsbekämpfung  gehalten.  Basel  1914, 
Verlag  von  Kober  0.  F.  Spittlers  Nachfolger.  Preis  geh. 
1,50  M  Seitenzahl  1 1 2. 

Hirsch,  M.,  Bad  Salzschlirf.  Zur  Frage  der  Arteriosklerose 
vor  dem  30.  Lebensjahre.  Sonderabdruck  aus  „Medi¬ 
zinische  Klinik,  1913,  Nr.  28.“  Berlin.  Verlag  von 
Urban  u.  Schwarzenberg.  Seitenzahl  9. 

Hauser,  Rostock.  Über  die  Vakzinediagnostik  und 
Therapie  bei  der  Gonorrhoe  der  Frau.  Aus  „Berliner 
Klinik“  Mai  1914,  Heft  311.  Berlin,  Fischer’s  med.  Buch¬ 
handlung,  H.  Kornfeld,  Seitenzahl  16.  Preis  des  Heftes 
60  Pfg. 

H  a  i  1  e  r  &  R  i  m  p  a  u.  Versuche  über  Abtötung  von 

Typhusbazillen  im  Organismus  des  Kaninchens.  II.  An¬ 

wendung  von  halogen  substituierten  Aldehyden  der  Methan¬ 
reihe.  &Sonderabdruck  aus  „Arbeiten  aus  dem  Kaiser¬ 
lichen  Gesundheitsamte“  Band  XL VII,  Heft  2,  Berlin 
1914,  Verlag  von  Julius  Springer. 

H  ailer  &  Ungermann.  Weitere  Versuche  über  die 
Abtötung  von  Typhusbazillen  im  Organismus  des  Ka¬ 

ninchens.  III.  Anwendung  von  ein-  und  mehrwertigen 
Phenolen  und  Phenoläthern.  Sonderabdruck  aus  „Ar¬ 

beiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte“,  Band 
XLVII,  lieft  2.  Berlin  1914,  Verlag  von  Jul.  Springer. 

Koenigsfeld  &  Prausnitz.  Zur  Frage  der  Filtrier¬ 
barkeit  transplantabler  Mäusekarzinome.  Mit  1  Text¬ 
figur.  Sonderabdruck  aus  dem  „Zentralblatt  für  Bakterio¬ 
logie,  Parasitenkunde  und  Infektionskrankheiten“.  Jena 
1914,  Verlag  von  Gustav  Fischer. 

K  ü  s  t  e  r  ,  Berlin.  Über  Diogenal.  Sonderabdruck  aus 
„Klinik  für  psychische  und  nervöse  Krankheiten“  Halle 
a.  d.  Saale,  Verlag  von  Carl  Marhold.  Seitenzahl  11. 

Kl  eb  s  ,  C.  Die  Variolation  im  18.  Jahrhundert.  Ein 
historischer  Beitrag  zur  Immunitätsforschung.  Giessen 
1914,  Verlag  von  A.  Töpelmann  (vorm.  J.  Ricker).  Seiten¬ 
zahl  78. 

Koenigsfeld,  H.,  Breslau.  Über  Versuche  zur  Immu¬ 
nisierung  gegen  Mäusekrebs.  Mit  4  Textfiguren.  Sonder¬ 
abdruck  aus  dem  „Zentralblatt  für  Bakteriologie,  Parasiten¬ 
kunde  und  Infektionskrankheiten“.  Jena  1914,  Verlag  von 
Gustav  Fischer. 

K  a  1  1  e  r  t  ,  E.  Untersuchungen  über  Maul-  und  Klauen¬ 
seuche.  II.  Mitteilung.  Beiträge  zur  Histogenese  und 


Histologie  der  Maul-  und  Klauenseucheblase,  insbesondere 
auch  zur  Frage  des  Vorkommens  von  Einschlusskörper¬ 
chen  in  den  spezifisch  veränderten  Teilen  bei  Maul-  und 
Klauenseuche.  (Hierzu  Tafel  XIII  und  XIV.)  Sonder¬ 
abdruck  aus  „Arbeiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheits¬ 
amte“,  Heft  4.  1914.  Berlin  1914,  Verlag  von  Julius 
Springer. 

K  a  1  1  e  r  t  ,  E.  Untersuchungen  über  Maul-  und  Klauen¬ 
seuche.  I.  Mitteilung.  Über  die  Bedeutung  der  von 
Beteghschen  Körperchen  in  der  Aphthenlymphe.  Sonder¬ 
abdruck  aus  „Arbeiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheits¬ 
amte“,  Heft  4,  1914.  Berlin  1 9 14,  Verlag  von  Julius 
Springer. 

L  i  s  s  a  u  ,  S-,  Prag.  Beobachtungen  mit  dem  neuen  Herz¬ 
mittel  „Digimorval“.  Sonderabdruck  aus  „Therapeutische 
Monatsberichte“,  Heft  4,  Apr:l  1914.  Seitenzahl  3. 

Festschrift  zur  Einweihung  des  neuen  städtischen 
Krankenhauses  (Vereinigte  städtische  und  Thiem’sche 
Heilanstalten.)  Kottbus  1914.  Seitenzahl  167. 

O  r  1  o  w  s  k  i  ,  Berlin.  Der  Tripper  Laienverständlich  dar¬ 
gestellt.  2.  Ergänzte  Auflage  Wiirzburg  1914.  Verlag 
von  Kurt  Kabitzsch.  Seitenzahl  47.  Preis  90  Pfg. 

Öttinger,  W.,  Breslau.  Die  Rassenhygieue  und  ihre 
wissenschaftlichen  Grundlagen.  Aus  „Berliner  Klinik“ 
Heft  3 1 2,  Juni  1914.  Berlin,  Fischer’s  med.  Buchhand¬ 
lung,  H.  Kornfeld.  Seitenzahl  77.  Preis  1,20  M. 

Porten,  von  der.  Zur  Behandlung  des  Delirium  tremens 
mit  Veronal.  Sonderabdruck  aus  der  Münchener  med. 
Wochenschrift,  1914,  Nr.  21.  Seitenzahl  2. 

Pokschischewsky,  N.  Über  die  Biologie  der  Pseudo¬ 
milzbrandbazillen.  Beiträge  zur  Difterentialdiaguose  der  , 
Milzbrand-  und  Pseudomilzbrandbazillen.  Sonderabdruck 
aus  „Arbeiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte“  ; 
Heft  4,  1914.  Berlin,  Verlag  von  Julius  Springer. 

Segesser,  Fr.,  St.  Gallen,  Schweiz.  Die  Hungerkuren. 
Physiologisches,  Methodik,  Erfolge,  Misserfolge.  Wissen-  f 
schaftliche  Abhandlung  über  das  Fasten  für  Ärzte  und 
gebildete  Laien.  Dresden  1914,  Verlag  von  Holze  u.  Pahl. 
Seitenzahl  148.  Preis  geh.:  2,50  M.,  geh.:  3,20  M. 

Stern,  H.,  New-York.  Das  hygienische  ABC  für  Herzkranke. 
Mit  6  Abbildungen  im  Text.  Würzburg  1914,  Verlag 
von  Kurt  Kabitzsch.  Seitenzahl  150.  Preis:  brosch.  2,50  M., 
geb.  3  M. 

S  t  a  r  c  k  ,  H.,  Heidelberg-Karlsruhe.  Lehrbuch  der  Öso¬ 

phagoskopie.  2.  grösstenteils  neubearbeitete  Auflage.  Mit 
10  Abbildungen  und  ausführlichem  Literaturverzeichnis. 
Würzburg  1914,  Verlag  von  Kurt  Kabitzsch.  Seitenzahl  1 
271.  Preis:  brosch.  8  M.,  geb.  9  M. 

Stein,  R.  O,  Wien.  Die  Fadenpilzerkrankungen  des  ' 
Menschen.  Mit  78  Abbildungen  auf  3  schwarzen,  18 
Drei-  und  11  Vierfarbendrucktafeln.  München  1914,  Ver¬ 
lag  von  J.  F.  Lehmann.  Seitenzahl  99.  Preis  10  M. 

Sch  uhmacher,  J.,  Berlin.  Zur  Desinfektion  mit  Jod¬ 
tinktur  in  statu  nascendi  und  ihren  haltbaren  Ersatz  in 
fester  Form.  Sonderabdruck  aus  der  „Deutschen  mediz. 
Wochenschrift“,  Nr.  22.  1914.  Verlag  von  Georg  Thieme- 

Leipzig.  Seitenzahl  3. 

Weygandt,  W.,  Hamburg.  Soziale  Lage  und  Gesundheit 
des  Geistes  und  der  Nerven.  Aus  „Würzburger  Abhand¬ 
lungen  aus  dem  Gesamtgebiet  der  praktischen  Medizin“. 
Würzburg  1914,  Verlag  von  Kurt  Kabitzsch.  Preis  des 


Heftes  1,70  M. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tomdiritt«  der  Ifledizin. 

Unter  Ittitwirkisitfl  hervorragender  Taebmänner 

herausgegeben  von 

L.  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  G.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt  Leipzig 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  12 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 

Verlag  Johndorff  &  Co  ,  Q  m.  b.  H.,  Berlin  NW  87.  30.  lanuar 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7.  j|  J 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Drei  Fälle  von  kongenitaler  Hypoplasie  der 

Hoden. 

Von  Dr.  Boenheim. 

Seit  Brown -Sequard  1889  der  Societe  de  Bio¬ 
logie  zu  Paris  über  seine  Versuche  mit  1  lodensaft- Ein¬ 
spritzungen  berichtete,  ist  eine  immense  Arbeit 
in  der  Erforschung  der  Organe  mit  innerer  Se¬ 
kretion  geleistet  worden  Unter  Organen  mit  innerer 
Sekretion  oder  hormonbildenden  Organen  verstehen  wir 
„alle  Organe,  welche  nachgewiesenermassen  solche,  die 
Funktionen  entfernter  Feile  anregende  oder  überhaupt 
beeinflussende  Stoffe  liefern“  (Biedl).  Sie  verlassen  also 
nicht,  wie  die  Exkrete  der  Drüsen,  den  Körper,  sondern 
treten  in  die  Blutbahn  ein  und  üben  ihre  Wirkung  an 
irgend  einer  anderen  Stelle  aus.  Die  Arbeiten,  die  sich 
mit  diesen  Körpern  beschäftigen,  haben  aber  nicht  nur 
ein  theoretisches  Interesse.  Sie  sind  vielmehr  von  grosser 
praktischer  Bedeutung,  da  ihre  Resultate  zur  Bekämpfung 
von  Krankheiten  führten,  denen  die  Medizin  bis  dahin 
erfolglos  gegenüber  stand.  Ich  erinnere  nur  an  die 
moderne  Therapie  des  Kretinismus,  der  Prostatahyper¬ 
trophie  durch  Kastration  usw. 

Ich  will  im  folgenden  über  3  F'älle  berichten,  bei 
denen  als  Zufallsbefund  eine  Unterentwicklung  der  Hoden 
beobachtet  wurde.  WTnn  ich  auch  hier  in  Kriegszeiten 
nicht  genaue  Untersuchungen  anstellen  konnte,  z.  B.  auf 
Sloffwechseluntersuchungen  verzichten  musste,  wenn  mir 
auch  ferner  hier  nur  eine  mangelhafte  Einsicht  der 
Literatur  möglich  war,  so  glaube  ich  doch,  dass  diese 
Fälle  als  kasuistischer  Beitrag  von  Interesse  sein  dürften 
Ich  lasse  nun  zunächst  die  Auszüge  aus  den  Krankheits¬ 
geschichten  folgen  : 

No.  1.  A.  H.  geb.  1887,  Korbmacher. 

Anamnese:  Von  den  11  Geschwistern  des  Patienten 
leben  noch  6,  von  denen  eins  dem  Pat.  im  Körperbau 
ähnelt.  Aus  der  Schule  ging  er  mit  13 x/2  Jahr  aus  der 
2.  Klasse  ab.  Als  Kind  will  er  viel  gegrübelt  haben. 
Er  w'ar  viel  mit  Mädchen  zusammen,  spielte  mit  Puppen 
Seit  seinem  19.  Lebensjahr  hat  er  geschlechtlichen  Ver¬ 
kehr.  Verheiratet  ist  er  seit  1911.  Seine  Frau  ist  jetzt 
gravide. 

Status:  Es  handelt  sich  um  einen  Menschen  von 
grazilem  Knochenbau.  Seine  Hauptmasse  sind: 

Länge:  158  cm. 

Brustumfang:  in  Ruhe  88  cm,  im  Exspirium  80,  im 
Inspirium  90  cm. 

Leib  esumfang  in  Nabelhöhe:  80  cm. 

Länge  des  Brustbeins  10,5. 

Vom  Jugulum  bis  zur  Symphyse:  53. 


Von  der  Spina  iliac.  ant.  sup.  bis  oberen  Rand  der 
Patella:  45  bis  Malleolus  ext.  87. 

Umfang  der  Mitte  des  Oberarms  27,  der  Mitte  des 
Oberschenkels  47  cm. 

Die  Muskulatur  ist  mässig-  entwickelt. 

__  o 

Das  Fettpolster  ist  sehr  reichlich  entwickelt,  be¬ 
sonders  an  den  Extremitäten,  am  Leib  und  an  der  Brust, 
w'O  die  stark  entwickelten  Mammae  femininen  Typ  zeigen. 
Die  Haut  ist  weich  und  zart  und  fast  unbehaart.  Die 
Haare  fehlen  auf  der  Brust  und  am  Bauch  ganz.  In 
der  Achselhöhle  sind  sie  mässig  entwickelt,  ebenso  im 
Gesicht  (Pat.  lässt  sich  alle  4  Wochen  rasieren).  Kopf¬ 
haare  o.  B.  Pubes  o.  B.  Alles  in  allem  macht  Pat. 
einen  femininen  Eindruck. 

Innere  Organe;  am  Herzen  der  Befund  einer 
Mitralstenose. 

Schilddrüse  vergrössert  (kurzer,  dicker  Hals). 

Nervensystem:  auffallend  starkes  Schwitzen.  Die 
linke  Lidspalte  ist  enger  als  die  rechte.  Bindehaut  — 
und  Rachenrtflexe  sind  aufgehoben,  der  Hornhautreflex 
ist  stark  abgeschwächt.  Sonst  kein  abweichender  Be¬ 
fund  der  Reflexe. 

Psychisch  macht  Pat.  einen  trägen  Eindruck.  Sohul- 
kenntnisse  gut.  Er  spricht  mit  hoher  Stimme. 

Geschlechtsorgane;  Penis:  normal. 

Testes  :  klein,  etwa  Erbsengrösse. 

No.  2.  B.  geb.  1890.  Kaufmann. 

Anamnese:  Aus  der  Familienanamnese  sei  hervor¬ 
gehoben,  dass  sämtliche  Geschwister  des  Pat.  verheiratet 
sind  und  Kinder  haben. 

Er  spielte  in  seiner  Jugend  mit  Soldaten,  prügelte 
sich  mit  anderen  Kindern,  mochte  nie  Puppen.  Aus 
Poussieren  und  Flirten  machte  er  sich  nie  etwras.  Nicht 
verheiratet. 

Status:  Es  handelt  sich  um  einen  Mann  von  normal 
kräftigem  Knochenbau. 

Seine  Hauptmasse  sind: 

Grösse  167  cm.  Gewicht  75  kg. 

Brustumfang  in  Ruhe  96,  im  Exspirium  95,  im  In¬ 
spirium  103  cm. 

Bauchumfang  in  Nabelhöhe  88  cm. 

Länge  des  Sternums:  16  cm. 

Vom  Ingulum  bis  zur  Symphyse  58  cm. 

Länge  des  Arms  vom  Caput  humeri  bis  Proc.  styl, 
ulnae  65  cm. 

Länge  von  der  Spina  iliac.  ant.  sup.  bis  Malleolus 
ext.  102  cm. 

Umfang  des  Oberschenkels  44,5. 

Umfang  des  Oberarms  30  cm. 

Die  Muskulatur  ist  gut  entwickelt.  Das  Fettpolster 


110 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  12. 


ist  ausserordentlich  stark  entwickelt,  besonders  am  Ab¬ 
domen,  an  der  Brust,  sowie  an  den  Oberschenkeln. 
Die  Haut  ist  weich  und  zart,  die  Behaarung  ist  mangel¬ 
haft.  Das  Kopfhaar  ist  mässig  entwickelt.  Schnurr¬ 
und  Backenbart  fehlen  vollständig,  so  dass  Patient 
sich  trotz  seiner  25  Jahre  noch  nie  hat  rasieren 
lassen.  Auf  Brust  und  Bauch  fehlen  bis  auf  ganz  kümmer¬ 
liche,  spärliche  Pubes  die  Haare  vollständig.  In  der 
Achselhöhle  geringe  Behaarung. 

Die  Mammae  sind  stark  entwickelt.  Auch  fühlt 
man  etwa  handtellergrosse  Drüsenkörper,  so  dass  die 
Brust  einen  durchaus  femininen  Eindruck  macht.  Das 
Becken  ist  breit  und  tlach. 

Die  Atmung  hat  rein  costalen  Charakter. 

Von  Organen  sei  nur  angeführt,  dass  die  Mandeln 
sehr  gross  sind  und  ferner  dass  die  Schilddrüse  ver- 
grössert  ist. 

Nervensystem  :  Rachen-  und  Konjunktivalreflex  sind 
aufgehoben,  Kornealreflex  stark  herabgesetzt.  Dermo- 
graphie.  Sonst  normaler  Befund  des  Nervensystems. 
Genitalia:  Der  Penis  ist  klein,  etwa  1,5  cm  lang,  und 
dünn  (Dicke  eines  Bleistiftes).  Das  Skrotum  ist  von  nor¬ 
maler  Grösse  und  durch  die  Raphe  stark  eingeschnürt, 

so  dass  die  beiden  Teile  hier¬ 
durch  das  Aussehen  von  Labia 
majora  bekommen.  Die  Tes¬ 
tes  sind  rudimentär,  etwa  von 
Erbsengrösse,  und  zwar  ist 
der  rechte  grösser  und  dicker, 
während  der  linke,  der  tiefer 
steht,  noch  etwas  kleiner  ist. 
Die  Nebenhoden  sind  von 
der  Grösse  der  Testes,  also 
im  Verhältnis  sehr  gross. 

No.  3.  P.  R.  39  Jahre  alt. 
Arbeiter. 

Anamnese:  Sämtliche  Ge¬ 
schwister  des  Pat.  sind  ver¬ 
heiratet  und  haben  Kinder. 
Über  sein  eigenes  Ge¬ 
schlechtsleben  gibt  er  an, 
dass  er  seit  einem  Monat  ver¬ 
heil  atet  sei.  Seine  Frau  sei 
nicht  schwanger.  Aus  Ver¬ 
kehr  mit  Frauen  habe  er  sich 
nichts  gemacht,  so  dass  er 
bis  zu  seiner  Ehe  ohne  ne- 
schlechtliehen  Verkehr  ge¬ 
lebt  habe.  Auch  jetzt,  in 
seiner  Ehe,  sei  ihm  dieser 
gleichgültig.  In  seiner  Ju¬ 
gend  hat  Pat.  nicht  mit  Sol¬ 
daten  gespielt,  sondern  mit 
Puppen,  die  er  sich  selbst  aus  Flicken  machte. 

Status :  Es  handelt  sich  um  einen  Patienten  von 
kräftigem  Knochenbau,  bei  dem  die  Länge  der  Extremi¬ 
täten  auffällt.  (S.  Bild).  Seine  Hauptmasse  sind: 
Grösse:  174. 

Brustumfang  in  Ruhe  88,  im  Exspirium  87,  im  In- 
spirium  93.  Die  rechte  Seite  ist  kräftiger  entwickelt  als 
die  linke  (46,5  :  41,5). 

Länge  des  Brustbeins:  23  cm. 

Von  der  Symphyse  bis  zum  Jugulum  54  cm. 

Umfang  (handbreit  unter  der  Symphysis)  des  Ober¬ 
schenkels  53. 

Umfang  des  Oberarms  27  cm. 

Becken  o.  B. 

Die  Kieferknochen  sind  breit. 

Die  Muskulatur  ist  gut  entwickelt.  Das  Fettpolster 
ist  regelrecht,  eher  gering  mit  Ausnahme  der  Ober¬ 
schenkel.  Die  Haut  ist  weich  und  blass.  Das  Kopfhaar 
ist  normal  Schnurr-  und  Backenbart  fehlen.  In  der 


linken  Achselhöhle  geringe  Behaarung,  die  rechts  wie 
auch  auf  Brust  und  Bauch,  mit  Ausnahme  ganz  weniger 
Pubes,  vermisst  werden. 

Die  Stimme  ist  hoch. 

Die  inneren  Organe  o.  B. 

Nervensystem:  Rachen-,  Bindehaut-  und  Hornhaut¬ 
reflexe  fehlen  Dermographie.  Ovarie.  Sonstige  Re- 
ilexe  usw.  o.  B. 

Genitalia;  Die  Geschlechtsorgane  sind  klein  und 
machen  den  Eindruck,  als  wenn  sie  einem  kleinen  Jungen 
angehörten.  Die  Testes  sind  links  etwa  1  x/.l  cm,  rechts 
2  cm  gross  bei  einer  Dicke  von  l/2  cm  und  einer  Breite 
von  3/4  cm.  Verhältnismässig  gross  sind  die  Neben¬ 
hoden. 

Blutbild:  weisse  Blutkörperchen  1 1  700,  rote  3  100  000. 
Hämoglobin  nach  Gowers-Sahli  80. 

In  der  Röntgenaufnahme  des  Schädels  fallen  die 
grossen  Stirnhöhlen  auf.  , 

Die  Sella  turcica  ist  flach,  auf  keinen  Fall  ver- 
grössert.  S.  Abbildung. 


Wir  sehen  also  in  den  drei  eben  mitgeteilten  Fällen, 
so  verschieden  sie  auch  sonst  sind,  dass  die  Keimdrüsen 
(kongenital)  hypoplastisch  sind.  Wir  wollen  uns  deshalb 
zunächst  kurz  mit  der  Anatomie  der  Testes  beschäftigen. 
Makroskopisch  interessiert  uns  nur  im  Hinblick  auf 
Fall  3,  dass  normaliter  ein  nicht  unbeträchtlicher  Grössen¬ 
unterschied  vorkommt,  und  zwar  derart,  dass  der  linke 
Hoden  der  grössere  ist,  während  wir  im  letzten  Fall  I 
den  umgekehrten  Befund  erhoben.  Wichtiger  für  unsere 
Frage  ist  die  mikroskopische  Anatomie.  Seit  der  Mitte  I 
des  vorigen  Jahrhunderts  ist  bekannt,  dass  im  Hoden  ) 
neben  den  germinativen  Zellen  noch  andere  Vorkommen, 
die  nach  ihrem  Entdecker  Leydig  benannt  sind  und  die 
nach  ihrer  Lage  auch  als  Zwischenzellen  bezeichnet  . 
werden.  Während  man  früher  in  diesen  Zellen  trophische 
Elemente  sah,  weiss  man  heute,  dass  in  ihnen  ein  „inneres 
Sekret“  gebildet  wird,  das  die  sekundären  Geschlechts- 
Mer  kmale  beeinflusst.  Bei  Zugrundegehen  der  Samen- 


h.  12. 


FORTSCHRITTE 


ildner  kommt  es  zu  einer  Hypertrophie  des  Interstitiums, 
o  dass  es  dadurch  z.  B.  erklärlich  wird,  dass  durch 
töntgenstrahlen,  die  elektiv  auf  die  germinativen  Zellen 
wirken,  der  Geschlechts-Charakter  nicht  verändert  wird. 
\uch  im  normalen  Leben  wechselt  der  Anteil  der 
I 'wischenzellen  im  Laufe  der  verschiedenen  Lebens- 
.erioden,  was  wir  am  besten  mit  Biedl  folgender massen 
usdriicken  können:  „\'on  der  Geburt  bis  etwa  zum 
Beginn  der  Pubertät,  in  jener  Altersperiode,  wo  die 
exuelle  Divergenz  in  somatischer  Beziehung  am  wenigsten 
usgeprägt  ist,  erscheint  auch  die  interstitielle  Drüse 
elativ  am  wenigsten  entwickelt.  Die  Pubertät  wird 
lurch  eine  mächtigere  Entwicklung  der  Zwischenzellen 
ingeleitel,  während  die  histologische  Untersuchung  der 
loden  alter  Tiere  und  des  Menschen  im  Greisenalter 
i  ine  deutliche  Abnahme  der  Menge  und  Grösse,  eine 
uch  im  auffallenden  Pigmentreichtum  und  Mangel  an 
'elleinschlüssen  sich  manifestierende  Atrophie  der  inter- 
titiellen  Zellen  ergibt.“  Ein  weiteres  Eingehen  auf  das 
[/erhalten  der  Levdigschen  Zellen  bei  pathologischen 
Zuständen  würde  hier  zu  weit  führen.  Eine  genaue  Zu- 
ammenstellung  der  bekannten  Tatsachen,  der  Probleme 

I.nd  der  Literatur  findet  man  bei  Biedl.  Uns  genügt 
tier  darauf  hinzuweisen,  dass  man  bei  Sektionen  bei 
Urophie  des  Hodens  oft  Vermehrung  der  interstitiellen 
Zellen,  mitunter  mit  Pigmentablagerung,  fand. 

Wie  beeinflusst  nun  eine  Atrophie  der  Hoden  das 
Geschlechtsleben  ?  Während  uns  im  Fall  1  der  Patient 
;  ngab,  dass  er  geschlechtlich  sehr  rege  sei,  so  dass  ihm 
eine  Frau  sogar  nicht  genügt,  hörten  wir  von  den  beiden 
ndern  Patienten,  dass  sie  ohne  Libido  wären.  Zur  Er- 
lärung  dieser  zunächst  befremdenden  Tatsachen  müssen 
■vir  bedenken,  dass  der  Geschlechtstrieb  nicht  nur  durch 
•las  innere  Sekret  der  Hoden  ausgelöst  wird,  sondern 
uch  cerebral  bedingt  ist,  wenn  man  auch  den  Haupt- 
l.nteil  an  der  Auslösung  der  Libido  in  die  Hodenhormonen 
'  erlegt.  Auch  hängt  ja  von  dem  Grade  der  Atrophie 
iel  ab.  So  schreibt  z.  B.  Ziemssen,  dass  die  ge- 
chlechtliche  Funktion  nur  bei  höchstem  Grade  der 
Urophie  der  Keimdrüsen  aufgehoben  wird,  dass  Ver¬ 
feinerung  und  Schlaffheit  des  Hodens  dagegen  die 
)otenz  kaum  beeinträchtigen.  Wenn  uns  auch  durch 
liese  Tatsachen  das  Verhalten  des  Patienten  in  Fall  1 
licht  ganz  unerklärlich  ist,  so  sei  doch  gesagt,  dass  es 
licht  das  gewöhnliche  ist,  dass  man  vielmehr  in  der 
^.eorel  ein  Verhalten  wie  in  den  beiden  anderen  Fällen 
rifft. 

Betrachten  wir  nun  die  Veränderung  in  den  Eigen- 
ichaften,  die  durch  eine  Atrophie  der  Geschlechtsdrüsen 
lervorgerufen  werden,  so  ist  das  Auffallende  das,  dass 
liese  Aeuderung  durchaus  nicht  immer  in  derselben 
Dichtung  vor  sich  geht.  Immer  findet  eine  Änderung 
les  Wachstums  statt,  das  eine  Mal  aber  wird  das  Längen¬ 
wachstum,  das  andere  Mal  das  Fettwachstum  beeinflusst, 
o  dass  nach  Tandler  und  Gross  2  Typen  von 
Kastraten  existieren.  Auch  in  unseren  Fällen  sind 
>eide  Typen  vertreten.  In  Fall  1  und  2  fällt  die  starke 
Entwicklung  des  Fettes  auf,  während  in  Fall  3  die  langen 
Extremitäten,  sowie  die  vorspringenden,  breiten  Super- 
.ilialbogen  und  das  breite  Kinn  die  Aufmerksamkeit  auf 
ich  lenken.  Da  wir  wissen,  dass  die  Hypophyse  von 
mtscheidendem  Einfluss  auf  das  Knochenwachstum  ist 
ich  erinnere  an  die  Akromegalie),  so  liegt  es  nahe, 
laran  zu  denken,  dass  die  direkte  Beeinflussung  des 
Knochen  Wachstums  nicht  von  der  Keimdrüse,  sondern 
’on  der  Hypophyse  ausgeht  Eine  ausreichende  Ant- 
vort  lässt  sich  heute  darauf  noch  nicht  geben.  Von 
len  meisten  Autoren  wird  eine  Vergrösserung  der  Hypo¬ 
physe  bei  Kastraten  und  bet  Eunuchoiden  angegeben; 
iber  röntgenologisch  ist  nur  selten  eine  Vergrösserung 
ler  Sella  turcica  nachweisbar,  so  auch  in  unserem  Falle 
licht.  Hierher  gehört  auch  der  sich  in  der  Literatur 

n 


DER  MEDIZIN.  111 


findende  Hinweis,  dass  die  Steigerung  des  Wachstums 
zur  Zeit  der  Pubertät  stattlindet.  Unsere  dahingehende 
krage  wurde  allerdings  von  unserm  Patienten  negiert. 
Hier  sei  auch  noch  bemerkt,  dass  die  beiden  Formen 
sich  auch  in  ihrem  Blutbild  nach  Guggenheimer 
unterscheiden  sollen,  dass  man  bei  dem  Typ  mit  Körper¬ 
wachstum  eine  Vermehrung  des  Hämoglobingehaltes  und 
der  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  finden  soll,  was  für 
unseren  Fall  nicht  zutrifft. 

Konstant  findet  man  bei  Eunuchoiden  und  bei 
Kastraten  eine  Änderung  in  der  Behaarung,  nicht  etwa 
in  dem  Sinne,  dass  sie  femininen  Charakter  annähme. 
Vielmehr  handelt  es  sich  immer  um  ein  Spärlicher  werden. 
Während  das  Kopfhaar  eher  dichter  wird,  fehlt  die  Be¬ 
haarung  ganz  im  Gesicht,  am  Rumpf  und  an  den  Ex¬ 
tremitäten.  Nur  in  der  Achselhöhle  findet  man  einen 
Anflug,  und  auch  die  Pubes  sind  verkümmert.  Die  An¬ 
ordnung  der  letzteren  ist  nie  so,  dass  sie  nach  oben 
durch  eine  horizontale  Linie  abschneiden  Auch  in  un¬ 
seren  3  Fällen  konnte  man  noch  die  für  den  Mann  nor¬ 
male  Form  eines  Dreiecks  angedeutet  finden. 

In  Bezug  auf  die  Stimme  konnten  wir  jedesmal  fest¬ 
stellen,  dass  sie  ihren  kindlichen  Charakter  behalten 
hatte.  xMso  auch  hier  ist  kein  Umschlag  ins  Weibliche, 
wie  das  ja  aus  der  Geschichte  der  Kirchenchöre  be¬ 
kannt  ist;  man  kastriert  Knaben,  um  Sopranstimmen  zu 
erhalten. 

Dass  die  Psyche  verändert  wird,  ist  verständlich. 
Man  findet  oft  einen  phlegmatischen  Charakterzug  bei 
Kastraten,  so  bei  uns  in  Fall  1.  Jedoch  wird  nicht  be¬ 
obachtet,  dass  die  Eigenschaften,  die  dem  weiblichen 
Geschlecht  zugeschrieben  werden,  bei  ihnen  in  den 
Vordergrund  treten.  So  hörten  wir  von  einem  unserer 
Patienten,  dass  er  sich  als  Kind  gerne  mit  den  andern 
jungen  rumprügelte  und  dass  er  am  liebsten  mit  Sol¬ 
daten  spielte,  während  uns  allerdings  die  beiden  andern 
als  Mussebeschäftigung  ihrer  Kindheit  Spielen  mit  Puppen 
angaben. 

Wir  haben  oben  schon  die  Wechselbeziehungen  der 
Keimdrüsen,  bezw.  ihres  interstitiellen  Anteils,  mit  der 
Hypophyse  besprochen  und  müssen  nun  noch  die 
Wechselbeziehungen  zu  einigen  anderen  Organen  be¬ 
trachten. 

Das  Persistieren  der  Thymus  wird  auf  den  Einfluss 
der  Keimdrüsen  bezogen.  Wichtiger  ist  der  Einfluss 
auf  die  Glandula  thyreoidea.  Tandler  und  Gross 
(zitiert  nach  Biedl)  fanden  eine  bedeutende  Verkleinerung 
der  Schilddrüse  bei  der  Sektion.  Um  so  auffallender 
ist  es,  dass  wir  zweimal  eine  Vergrösserung  palpieren 
konnten.  Allerdings  ist  ja  damit  noch  nicht  gesagt,  ob  es  sich 
um  eine  Vermehrung  funktionstüchtigen  Gewebes  handelt. 
Dass  es  sich  aber  bei  den  von  Tandler  und  Gross 
erhobenen  Befunden  wohl  doch  nicht  um  einen  allge¬ 
mein  gültigen  Status  handeln  dürfte,  dafür  spricht, 
meiner  Meinung  nach,  dass  bei  Kastraten  und  Eu¬ 
nuchoiden  nicht  häufiger  Intelligenzdefekte  beobachtet 
werden. 

Auch  zwischen  Nebennieren  und  Keimdrüsen  be¬ 
steht  eine  Wechselwirkung,  der  Art,  dass  nach  Kastration 
eine  Hypertrophie  der  ersteren  eintritt.  Damit  hängt 
vielleicht  auch  das  Verhalten  von  Kastraten  gegenüber 
von  per  os  zugeführten  grossen  Mengen  Traubenzucker 
zusammen.  Es  ist  bekannt,  dass  nach  130 — 200  g 
Traubenzucker,  nüchtern  genommen,  nach  etwa  1  St. 
Zucker  im  Urin  nachweisbar  ist,  und  zwar  für  die  Dauer 
von  etwa  3  Stunden.  Unter  gewissen  pathologischen 
Umständen  besteht  nun  eine  Herabsetzung  der  Toleranz¬ 
grenze.  Man  hat  dies  u.  a.  bei  kastrierten  Tieren  und 
bei  Frauen  nach  der  Ovariotomie  beobachtet,  während 
meines  Wissens  keine  Beobachtungen  über  den  Einfluss 
der  Kastration  bei  Männern  auf  den  Kohlehydratstoff¬ 
wechsel  vorliegen,  wie  auch  nicht  über  seine  Abweichungen 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


1 12 


Nr.  12. 


bei  Eunuchoiden.  Hei  der  Änderung  des  Kohlehydrat- 
Stoffwechsels  müssen  wir  uns,  wie  oben  beim  Längen¬ 
wachstum,  die  Frage  vorlegen,  ob  die  letzte  Ursache  in 
den  Keimdrüsen  liegt.  Wissen  wir  doch,  dass  der  Kohle¬ 
hydratstoffwechsel  von  vielen  Organen  beeinflusst  wird, 
von  denen  wir  hier  nur  2  heranziehen  wollen:  die  Neben¬ 
nieren  und  die  Schilddrüse  Dass  die  ersteren  bei 
Kastraten  hypertrophieren,  haben  wir  schon  oben  aus¬ 
geführt.  Nun  ist  bekannt,  dass  das  Sekret  des  einen 
Anteils  der  Nebennieren,  das  Adrenalin,  injiziert, 
Glykosurie  hervorruft.  Andererseits  bringt  der  Ausfall 
der  Keimdrüsen  der  Literatur  zufolge  eine  Verkleinerung 
der  Schilddrüse  mit  sich,  und  bei  Hypothyreosis  finden 
wir  eine  Erhöhung  der  Toleranzgrenze  für  Zucker. 
Diesen  Widerspruch  könnten  wir  lösen,  wenn  wir  an¬ 
nehmen,  dass  die  Beeinflussung  der  Nebennieren  die 
stärkere  ist.  Nun  ist  es  aber  gar  nicht  nötig,  voraus¬ 
zusetzen,  dass  die  Kohlehydratstoffwechsel  =.  Beein¬ 
flussung  nur  indirekt  von  den  Keimdrüsen  stattflndet; 
denn  Stolper  hat  im  Tierexperiment  durch  Verfütterung 
von  Keimdrüsentabletten  (er  nahm  Ovarialtabletten)  die 
Adrenalinglykosurie  herabsetzen  können. 

In  unserm  ersten  Fall  hatten  wir  während  der  [Be¬ 
handlung  zweimal  Gelegenheit,  Traubenzucker  in  grösserer 
Menge  zu  geben.  Patient  bekam  einmal  150  g,  das 
andere  Mal  250  g.  Da  wir  bei  dem  Patienten  eine  Ver- 
grösserung  der  Schilddrüse  festgestellt  hatten,  so  er¬ 
warteten  wir  eine  um  so  stärkere  Herabsetzung  der 
Toleranzgrenze.  Unser  Erwarten  wurde  aber  nicht  er¬ 
füllt.  Wir  konnten  keinmal  mit  unseren  klinischen  Me¬ 
thoden  Zucker  im  Urin  nachweisen.  Eine  Erklärung  für 
dieses  Verhalten  können  wir  nicht  geben,  und  wir  wollen 
zunächst  weitere  [Beobachtungen  bei  männlichen  Kastraten 
abwarten  und  nur  hinzufügen,  dass  auch  Umber  in 
seinem  Buch  „Ernährung  und  Stoffwechselkrankheiten“ 
einen  Fall  mit  erhöhter  Kohlehydrattoleranz  mitteilt. 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  sämtliche  drei  Patienten  neurasthenisch 
waren,  wie  u.  a.  auch  aus  dem  Verhalten  ihrer  Reflexe 
hervorgeht. 

Von  einer  Literatur- Angabe  sehe  ich  ab,  da  ich  an 
meinem  jetzigen  Aufenthaltsort  keine  Möglichkeit  des 
Nachprüfens  meiner  Notizen  habe.  In  der  Hauptsache 
folgte  ich  der  Darstellung  von  Biedl:  Innere  Sekretion. 


Diabetes-Behandlung  mit  Levurinose. 

Von  Dr.  med.  Jiingerich,  Spezialarzt  für  Stoffwechselkrankheiten 

in  Berlin. 

In  den  letzten  Jahren  ist  ein  schon  im  Altertum  be¬ 
kannt  gewesenes  Heilmittel,  welches  dann  später  ziem¬ 
lich  in  Vergessenheit  geraten  ist,  wieder  zu  Ehren  ge¬ 
kommen,  die  Hefe.  Neben  der  äusserlichen  Anwendung 
bei  Hautkrankheiten,  Ekzemen,  Furunkeln,  neben  der 
Verordnung  von  Hefepräparaten  zur  örtlichen  Applikation 
in  der  Gynäkologie  hat  sich  auch  der  innerliche  Ge¬ 
brauch  der  Hefe  bei  den  verschiedenen  Dermatosen  sehr 
gut  bewährt.  Hierzu  ist  nun  noch  ein  recht  wichtiges 
Indikationsgebiet  gekommen,  der  Diabetes. 

Besonders  eingehende  V  ersuche  über  die  Wirkung 
der  Hefe  bei  Diabetes  hat  Leo  vor  nunmehr  fast  20 
Jahren  angestellt.  Er  berichtete  darüber  auf  dem  16. 
Kongress  für  innere  Medizin  im  Jahre  1898.  Es  wrar 
ihm  bei  seinen  Tierversuchen  möglich  gewesen, 
Hunde,  die  er  durch  Darreichung  vergorener  Zucker¬ 
lösung  diabetisch  gemacht  hatte,  durch  subkutane  Ein¬ 
spritzung  von  I  lefesaft  vollkommen  zuckerfrei  zu 
machen. 

Durch  verschiedene  Autoren  wurden  diese  Versuche 
im  Laufe  der  folgenden  Jahre  fortgesetzt,  und  es  zeigte 


sich,  dass  auch  beim  Menschen  durch  Darreichung  von 
Hefe  die  Zuckerausscheidung  durch  den  Urin  herab¬ 
gesetzt  oder  sogar  völlig  unterdrückt  werden  konnte, 
ln  welcher  Weise  diese  tatsächlich  beobachtete  Wirkung 
zustande  kommt,  darüber  sind  die  Ansichten  durchaus 
noch  nicht  geklärt.  Am  plausibelsten  erscheint  mir  noch 
die  Theorie  B  a  umgartens,  dass  dem  Diabetiker 
ein  gewisses  Feiment  fehle,  das  es  ermögliche,  das  in¬ 
takte  Zuckermolekül  zu  zerlegen,  um  daun  die  Abbau¬ 
produkte  oxvdieren  zu  können.  B  aumgarten 
stützt  sich  dabeigewissermassen  auf  die  Lepinesche  Theorie 
über  die  Ätiologie  des  Diabetes.  Aus  der  Tatsache,  dass 
nach  totaler  Pankreas- Exstirpation,  —  wie  Mering  und 
Minkowski  durch  eine  Anzahl  interessanter  Versuche 
bewiesen  hatten,  Glykosurie  auftrat,  schloss  Lepine,  dass 
das  Pankreas  normaler  Weise  ein  gly kolytisches  Ferment 
produziere,  das  die  Aufgabe  habe,  den  Blutzucker  zu 
zerstören.  Dies  fehlende  Ferment  soll  nun  gewisser- 
massen  durch  die  zugeführte  Hefe  ersetzt  werden.  Die 
Hefe  enthält  bekanntlich  ein  zuckerspaltendes  Ferment, 
die  Zymase,  welche  den  Zucker  in  seine' Abbauprodukte 
zerlegt;  gibt  man  also  dem  Diabetiker  Hefe,  so  ermög¬ 
licht  man  es  ihm,  die  Kohlehydrate  richtig  auszunutzen. 

In  der  Tat  haben  denn  auch  die  zahlreichen  Ver¬ 
suche  mit  Hefe  durchweg  günstige  Resultate  ergeben. 
Man  muss  selbstverständlich  diejenigen  Fälle  von  vorn¬ 
herein  ausscheiden,  bei  denen  die  Zuckerkrankheit  auf 
besondere  andere  Ursachen,  z.  B.  Verletzungen  des  Ge¬ 
hirns  usw.  zurückzuführen  ist.  Wendet  man  jedoch  die 
Hefe  nur  in  denjenigen  Fällen  an,  in  denen  es  sich  um 
Diabetes  infolge  von  inneren .  Stoffwechselstörungen 
handelt,  so  sind  die  Erfolge  der  Hefetherapie  recht 
günstige. 

Die  Anwendung  der  frischen  Bierhefe,  deren  man 
sich  früher  wohl  bediente,  erscheint  wenig  zweckmässig 
wegen  der  sehr  geringen  Haltbarkeit  derselben  und 
wegen  des  faden,  widerlichen  Geschmacks.  Die  che¬ 
mische  Industrie  hat  daher  eine  ganze  Reihe  recht  brauch¬ 
barer  Trockenhefe-Präparate  hergestellt,  unter  denen  ich 
mit  besonderer  Vorliebe  schon  seit  Jahren  die  Levurinose- 
Blaes  anzuwenden  pflege.  Es  scheint  mir  vor  anderen 
Trockenhefepräparaten  den  Vorzug  einer  erheblich 
stärkeren  Wirksamkeit  zu  besitzen,  was  wohl  auf  die 
Art  der  Zubereitung  zurückzuführen  sein  dürfte,  bei 
welcher  die  Hefe  nicht  in  ihrem  natürlichen  Bau  und 
ihrer  natürlichen  Zusammensetzung  geändert  wird,  wie 
dies  bei  den  mit  Äther  oder  Alkohol  oder  durch  Trocknen 
in  der  Hitze  hergestellten  Hefepräparaten  der  Fall  ist. 
Die  Levurinose  hat  jedenfalls  eine  recht  hohe  enzymatische 
bezw.  Gärwirkung. 

Aus  der  Zahl  der  von  mir  beobachteten  Fälle  möchte 
ich  kurz  einige  hervorheben. 

1.  Friedrich  K.,  Schriftsteller,  53  Jahre  alt,  leidet  seit  Jahren 
an  Diabetes.  Er  ist  insofern  erheblich  belastet,  als  ein  Onkel 
an  Zuckerkrankheit  gelitten  hat  und  sein  Vater  ziemlich  schwer 
gichtkrank  war.  Er  selbst  hat  recht  üppig  gelebt  und  in  seinen 
Jugendjahren  reichlich  Alkohol  genossen.  Der  Zuckergehalt 
beträgt  bei  beliebiger  Kost  bis  zu  6  Proz ,  bei  Innehaltung 
einer  strengen  Diät  sinkt  er  auf  etwa  1  Proz.  herab  Zucker¬ 
frei  ist  K.  bisher  trotz  aller  Heilmittel  und  Karlsbader  Kuren 
noch  nicht  gewesen  seit  Beginn  der  Erkrankung.  Der  Patient, 
der  früher  anderweitig  behandelt  worden  war,  hatte  lange  keinen 
Arzt  gebraucht,  da  er  die  ihm  gegebenen  Anordnungen  je 
nach  seinem  schlechten  oder  guten  Befinden  befolgte  oder  nicht. 
Ging  es  ihm  schlecht,  hatte  er  irgendwelche  Beschwerden,  so 
befolgte  er  eine  strengere  Diät,  Hessen  die  Beschwerden  nach, 
so  ass  er,  was  ihm  schmeckte.  Ich  untersuchte  bei  Beginn 
der  Behandlung  den  Urin  und  fand  6,3  Proz.;  die  Haupthe- 
schwerden  des  Patienten  bestanden  zur  Zeit  in  hochgradiger 
Mattigkeit  und  Furunkelbildung  an  verschiedenen  Stellen  des 
Körpers.  Ich  Hess  den  Patienten  strenge  Diät  halten  und 
verordnete  Levurinose  in  der  üblichen  Dosis.  Der  Zuckerge- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  12. 


1 13 


halt  sank  nach  drei  Tagen  auf  3, 1  Proz.,  nach  G  Tagen  auf 
1,6  Proz  Bei  einer  nach  10  Tagen  vorgenommenen  Unter¬ 
suchung  war  der  Zuckergehalt,  obwohl  die  strengen  Diätvor¬ 
schriften  inzwischen  ganz  erheblich  gemildert  worden  waren, 
auf  0,G  Proz.  gefallen  Ich  liess  den  Patienten,  der  sich  nur 
ungern  an  Einschränkungen  in  seiner  Lebensweise  gewöhnen 
wollte,  w:ederzu  gemischter  Kost  zurückkehren,  gab  aber  weit  rhin 
Levurinose.  Der  Zuckergehalt  blieb  dauernd  auf  etwa  0,6  bis 
1,2  Proz.,  und  stieg  selbst  nach  Unmässigkeiten,  die  der  Patient 
sich  zuschulden  kommen  liess,  nicht  höher  als  1,5  Proz.  Es 
erscheint  also  in  diesem  Falle  sicher,  dass  durch  die  Zuführung 
von  Levurinose  der  Organismus  des  Kranken  befähigt  wurde, 
selbst  grössere  Mengen  von  zuckerbildenden  Stoffen  gut  zu 
verarbeiten,  ohne  darauf  mit  einer  erheblicheren  Erhöhung  des 
Zuckergehaltes  im  Urin  zu  reagiereu. 

2.  Frau  Ernestine  L.,  Kaufmannswitwe,  54  Jahre  alt, 
Vater  an  Zuckerkrankheit  gestorben,  leidet  ebenfalls  seit  etwa 
8  Jahren  an  Diabetes.  Zahlreiche  Kuren,  die  meist  völlig  er¬ 
folglos  waren.  Der  Aufenthalt  in  Karlsbad  hat  jedesmal  eine 
beträchtliche  Abnahme  des  Zuckergehalts  zur  Folge.  Dasselbe 
Ziel  wird  ab:r  auch  hier  durch  Innehaltung  strengerer  Diät 
erreicht.  Für  gewöhnlich  beträgt  der  Zuckergehalt  bis  zu  5,5 
Proz ,  bei  strenger  Diät  sinkt  er  gewöhnlich  bis  etwa  2  Proz , 
auch  etwas  weniger.  Die  Patientin  ist  recht  naschhaft  und  hat 
grosse  Vorliebe  für  Süssigkeiten,  Kuchen,  Konditorwareu  und 
es  ist  ausserordentlich  schwer,  sie  von  den  Genuss  dieser  für 
sie  schädlichen  Dinge  abzuhalten  Sie  suchte  mich  auf,  weil 
sie  in  letzter  Zeit  sehr  über  Kopfschmerzen  zu  klagen  hat, 
sich  re<  ht  abgeschlagen  fühlt  und  an  Trockenheit  im  Hals 
leidet.  Zuckergehalt  7,1  Proz,  ein  Resultat,  das  die  Patientin 
selbst  erschreckt.  Aceton,  Acetessigsäure  nicht  vorhanden. 
Spuren  von  Eiweiss.  —  Die  Patientin,  welche  jetzt  selbst  Angst 
bekommen  hat,  befolgt  die  ihr  gegebenen  Verhaltungsmassregeln 
und  Diätvorschriften  ziemlich  genau  und  nimmt  Levurinose. 
Eine  Vergleichufig  des  Zuckergehaltes  bei  den  verschiedenen 
Untersuchungen  ergibt  folgende  Resultate: 


17. 

9. 

14 

...  7,1 

Proz. 

20. 

9. 

14 

...  6,3 

5) 

24. 

9. 

14 

...  3,2 

99 

30. 

9. 

14 

...  0,9 

5. 

10. 

14 

...  1,2 

?? 

11. 

10. 

14 

...  0,8 

99 

15 

10. 

14 

...  1,0 

n 

21. 

10. 

14 

...  0,9 

59 

und  weiterhin  Schwankungen  zwischen  0,7  und  1,4  Proz,  nach 
Diätfehlern  etwas  mehr. 


3.  Dr  jur.  F.  W.,  43  Jahre  alt,  seit  mehreren  Jahren 
zuckerkrank.  Früher  viel  Alkohol  getrunken,  sehr  gut  gelebt. 
Schwankungen  des  Zuckergehaltes  •  zwischen  2  und  5  Proz.  je 
nach  Innehaltung  der  Diätvorschriften.  Nach  Kur  in  Karls¬ 
bad  auf  einige  Tage  zuckerfrei,  dann  aber  wieder  zwischen  den 
oben  genannten  Zahlen  schwankend.  Die  Levuriuosekur  hatte 
folgende  Wirkungen  bei  anfangs  strenger,  dann  nachsichtiger  Diät. 
3.  10.  14  .  .  .  3,2  Proz. 


10.  10.  14 
16.  10.  14 
24.  10.  14 
31.  10.  14 

5.  11.  14 

11.  11.  14 


0,7 
0,5 
frei 
frei 
Spuren 
Spuren 


In  diesem  Falle  war  die  Kur  von  geradezu  überraschendem 
Erfolge  gewesen  Hand  in  Hand  mit  der  Verringerung  des 
Zuckergehaltes  ging  natürlich  auch  eine  ganz  wesentliche 
Besserung  des  Allgemeinbefindens.  Der  Patient,  der  sich  vorher 
sehr  abgeschlagen  fühlte  und  über  Schmerzen  in  allen  Gliedern 
klagte,  sagte,  er  hätte  sich  seit  vielen  Jahren  nicht  so  frisch 
und  gesund  gefühlt  wie  jetzt  bei  der  Levurinose-Kur. 

4.  Alfred  A  ,  Bankbeamter,  37  Jahre  alt,  leidet  sei  drei 
Jahren  an  Diabetes,  angeblich  infolge  starker  seelischer  Er¬ 
regungen  entstanden  Der  Zuckergehalt  betrug  meist  zwischen 
1,5  und  3  Proz  Das  den  Patienten  am  meisten  belästigende 
Symptom  ist  der  starke  Durst  sowie  die  recht  häufig  auftretenden 
Furunkel.  Augenblicklich  hat  der  Patient  einen  ziemlich 
grossen,  bereits  eröffneten  Furunkel  am  Gesäss,  ausserdem  einen 


Hautausschlag  zwischen  den  Beinen.  Die  Levuriuosekur  hatte 
folgende  Wirkung; 


21. 

10. 

11  . 

.  2,2  Proz 

25. 

10.  14  . 

•  1,2  „ 
.0,1  „ 

31. 

10.  14  . 

10. 

11 

14  . 

.  Spuren 

16. 

11. 

14  . 

.  0,3  Proz 

22. 

11. 

14  . 

.  frei 

28. 

11. 

14  . 

.  Spuren 

4. 

12. 

14  . 

frei 

und  auch  weiterhin  blieb  der  Urin  zuckerfrei,  obwohl  der  Patient 
allmählich  zu  gemischter  Kost  zurückgekehrt  war 

In  mehreren  anderen  Fällen,  deren  Aufzählung  zu  weit 
führen  würde,  waren  die  Resultate  ganz  ähnliche 

Ich  bin  daher  der  Ansicht,  dass  wir  in  der  Levuri nöse 
ein  sehr  wertvolles  Hefepräparat  besitzen,  welches  gerade  bei 
Diabetes  recht  gute  Dienste  leistet  Irgendwelche  unangenehmen 
Nebenwirkungen  hat  das  Präparat  nicht.  Ich  möchte  dasselbe 
daher  den  Kollegen  zu  diesbezüglichen  Nachprüfungen  sehr 
empfehlen 


Sammelbericht  aus  der  geburtshilflichen  Literatur. 

Von  Dr.  Kurt  Franken  stein,  Köln 

An  dem  .grossen  Materiale  der  Wiener  Frauenklinik 
konnten  Richter  und  H  i  e  s  s  (1)  feststellen,  dass 
die  physiologische  Breite  für  die  erste  Geburt  zwischen 
dem  17.— 26.  Lebensjahre  liegt,  ihr  Optimum  zwischen 
dem  18. — 23.  Jahre.  Vom  26.  Lebensjahre  ab  vollzieht 
sich  der  Übergang  ganz  allmählich,  sodass  wir  vom 
29.  Jahre  ab  mit  der  raschen  Zunahme  der  Kompli¬ 
kationen  rechnen  müssen.  Hirsch  (2)  stellte  die 
Resultate  zusammen,  die  anamnestische  Befragungen  der 
Frauen  in  der  Kl  ein  sehen  Poliklinik  in  München  er¬ 
gaben.  Er  konnte  feststellen,  dass  das  Schicksal  der 
Kinder  von  Multiparen  mit  steigender  Kipderzahl  immer 
trauriger  wird.  Unter  Berücksichtigung  der  Stilldauer 
stellte  sich  heraus,  dass  in  keiner  Gegend  das  Stillwesen 
so  sehr  darniederliegt,  als  in  Bayern  südlich  der  Donau. 
Dabei  sind  die  Mütter  betreffs  der  Ersatzmittel  für  die 
Säuglingsnahrung  recht  gut  beraten  ;  nur  wird  meist  viel 
zu  früh  damit  begonnen.  Es  lässt  sich  einwandfrei  an 
seinem  Materiale  nachweisen,  dass  eine  genügend  lange 
Stillperiode  hohe  Gewähr  und  Schutz  gegen  alle  an  das 
kindliche  Leben  herantretende  Fährlichkeiten  bietet.  Bei 
längerer  Stilldauer  fordern  die  einzelnen  Krankheiten 
immer  weniger  Opfer.  Zwischen  kindlicher  Rhachitis 
und  Ernährung  besteht  ein  deutlicher  Zusammenhang. 
Die  Stillungsnot  lässt  sich  bei  den  unehelichen  Kindern 
besonders  zeigen. 

v.  Feilenberg  und  D  ö  1  1  (3)  fanden,  dass 
die  normalen  Antikörper,  Bakterienagglutinine,  Bakterio- 
lysine  und  Hämagglutinine  bei  Mutter  und  Kind  sich 
verschieden  verhalten  ;  es  scheint,  dass  diese  Stolfe  weder 
vor  der  Geburt  von  der  Mutter  auf  das  Kind  übergehen, 
noch  nach  der  Geburt  durch  das  Stillgeschätt.  Die 
Arbeiten,  die  sich  in  der  Berichtszeit  mit  der  Abder¬ 
halden  sehen  Reaktion  beschäftigen,  zeichnen  sich  da¬ 
durch  aus,  dass  sie  die  Richtigkeit  derselben  anerkennend, 
versuchen  auf  ihr  weiter  aufzubauen.  Am  interessantesten 
sind  die  Ausführungen  Schottland  ers  (8),  der 
glaubt  die  paradoxen  Resultate  der  Reaktion  dadurch 
erklären  zu  können,  dass  er  sie  nicht  von  Stof! wechsel- 
produkten  des  Eies  abhängig  macht,  sondern  sie  für  ein 
Resultat  eines  irgendwie  reagierenden  epithelialen  Se¬ 
kretes  hält,  das  ebensowohl  aus  der  Decidua  als  aus  den 
Lutein-  und  Thekaluteinzellen  stammen  kann.  Mayer 
(7)  untersuchte  mit  der  Reaktion  nach  entsprechender 
Modifikation  eine  ganze  Reihe  von  Erkrankungen,  be¬ 
sonders  solcher  bei  denen  er  hofft  Beziehungen  zu  den 
Ovarien  zu  finden.  K  j  a  e  r  g  a  r  d  (6)  fand  leichte 


114 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  12. 


Andeutungen  positiver  Reaktion  bei  Nichtgraviden  im 
prämenstruellen  Stadium.  R  e  h  n  e  (5)  versuchte  die 
Reaktion  in  der  Tiermedizin,  ohne  bisher  hinreichend 
sichere  Resultate  zu  verzeichnen.  Akimoto  (4)  gibt 
lediglich  an,  dass  er  die  gleichen  Erfahrungen  mit  der 
Reaktion  gemacht  habe,  wie  es  der  Erfinder  der  Methode 
selbst  angegeben  hat.  Serologisch  interessant  ist,  dass 
v.  Zubrzycki  (9)  nachweisen  konnte,  dass  Schwan- 
gerenserum  ebenso  wie  das  Serum  von  Karzinomkranken 
mit  der  Meiostagminreaktion  positive  Ergebnisse  zeigte; 
das  Plazenataserum  verhielt  sich  wie  normale  Sera. 
Fellner  (10)  fand  in  der  Plazenta,  den  Eihäuten,  den 
korpusluteumhaltigen  Ovarien  lipoidartige  Stoffe,  welche 
bei  subkutaner  und  intraperitonealer  Injektion  brunst¬ 
ähnliche  Erscheinungen  hervorriefen.  Plazentarextrakte 
erzeugten  beim  überlebenden  Kaninchenuterus  lang¬ 
dauernde  Kontraktionen. 

Van  Tussenbroek  (11)  konnte  eine  Mehr¬ 
sterblichkeit  der  weiblichen  Bevölkerung  Amsterdams 
an  Tuberkulose  im  Zusammenhänge  mit  Schwanger¬ 
schaft  und  Wochenbett  nicht  feststellen.  Eine  allgemeine 
Anweisung  für  die  Unterbrechung  der  Schwangerschaft 
bei  Tuberkulose  findet  in  ihren  Zahlen  keine  Unter¬ 
stützung.  Kehrer  und  Dessauer-(12)  konnten 
an  der  Lebenden  durch  bestimmte  Anordnung  der 
Apparatur  und  zwei  Röntgenaufnahmen  ganz  exakte 
Messungen  des  geraden  Durchmessers  des  Becken¬ 
einganges  vornehmen.  Weber  (13)  studierte  die  In¬ 
fektionsgefahr  der  Uterustamponade  bakteriologisch  und 
fand,  dass  eine  Tamponade  mit  antiseptischer  Gaze  der 
mit  steriler  unbedingt  vorzuziehen  sei.  Auch  die  anti¬ 
septische  Gaze  hält  sich  aber  nicht  länger  als  7  Stunden 
keimfrei;  um  diese  Zeit  zu  erhöhen,  muss  man  die  Gaze 
mit  Kampferöl  oder  mit  Perhydrol  tränken.  Im  wesent¬ 
lichen  wird  die  längere  oder  kürzere  Keimfreiheit  der 
eingelegten  Gaze  bedingt  durch  den  primären  Keim¬ 
gehalt  des  Uterus  und  durch  die  Art  der  Tamponaden¬ 
ausführung.  Berger  (15)  schildert  einen  Fall,  wo 
eine  Frau  in  25  Jahren  30  Schwangerschaften  durch¬ 
gemacht  hat.  P  e  t  e  r  s  (17)  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  wir  jetzt  mit  Bestimmtheit  wissen,  dass  das  be¬ 
fruchtete  Eichen  bei  einer  Schwangerschaft  niemals  der 
Ovulation  entstammte,  die  zur  Mestruation  gehörte, 
welche  wir  als  die  letzte  bezeichnen.  Wir  rechnen  aber 
nach  wie  vor  die  Schwangerschaftsdauer  von  dem  Beginn 
der  letzten  Regel  ab.  Es  wäre  an  der  Zeit  auf  diese 
Verhältnisse  an  der  Hand  umfangreicher  Sammelstatistiken 
einzugehen  und  die  tatsächliche  Sch waugerschaftsdauer 
festzulegen  unter  Berücksichtigung  der  Tatsache,  dass 
die  zur  Schwangerschaft  gehörende  Ovulation  18 — 19  Tage 
nach  dem  Beginn  der  letzten  Regel  erfolgt. 

A  h  1  f  e  1  d  (18)  regt  von  neuem  die  Frage  über 
den  Einfluss  der  präliminaren  Scheidenspülungen  auf  die 
Wochenbettsmorbidität  an  und  gibt  die  nötige  genaue 
Versuchsanordnung  an.  Zweifel  (19)  empfiehlt  auf 
Grund  seiner  Versuche  bei  normalen  Schwangeren  von 
jeder  Scheidenspülung  ante  partum  abzusehen;  bei 
Schwangeren  mit  pathologischem  Scheidensekret  dürfte 
es  zweckmässig  sein,  erst  mit  1 — 21  Kochsalzlösung  die 
Scheide  mechanisch  zu  reinigen  und  dann  mit  100  bis 
200  ccm  einer  halb-promilligen  Sublimatlösung  durch¬ 
zuspülen.  Schweizer  (20)  empfiehlt  statt  dessen  im 
gleichen  Falle  Spülungen  mit  Milchsäure.  Engel- 
h  o  r  n  und  W  i  n  t  z  (21)  veröffentlichen  sehr  interessante 
vorläufige  Versuche.  Sie  impften  mit  einem  bestimmten 
Plazentarextrakt,  dem  „Pjazentin“  und  erhielten  bei 
Schwangeren  positiven,  bei  Nichtgraviden  negativen 
Ausschlag.  Leichte  Andeutungen  einer  Reaktion  zeigten 
sich  kurz  vor  der  Menstruation.  Definitiv  sicher  dia¬ 
gnostisch  verwertbar  scheint  ihre  Methode  noch  nicht. 
Keller  (22)  fand  während  der  Gravidität  starke  Vaku- 
larisation  im  Ovarium,  Wachstum  der  Theca-luteinzellen 


usw.  Eireifung  und  Follikelberstung  sistierten  während 
dieser  Zeit,  die  Rückbildung  des  Corpus  luteum  geht 
keineswegs  gesetzmässig  vor  sich. 

Die  Beziehungen  der  Schilddrüse  zur  Schwanger¬ 
schaft  stellt  Schmauch  (24)  so  dar,  dass  eine  nor¬ 
male  Gravidität  mit  gesundem  Endprodukt  nur  möglich 
sei,  wenn  die  Schilddrüse  stärker  sezerniert.  Dies  soll 
nicht  der  Entgiftung,  sondern  nur  dem  Zwecke  dienen, 
das  mütterliche  Blut  und  die  Gewebe  anzureichern. 
Aus  diesem  Überschuss  nährt  sich  die  Frucht.  H  o  f  - 
m  a  n  n  (23)  fand  bei  Schwangeren  mit  normaler  Thy¬ 
reoidea  die  Gerinnungszeit  des  Blutes  etwas  beschleunigt, 
stärker  noch  bei  Hypothyreosen;  durch  die  Geburt  wird 
die  Gerinnungszeit  noch  mehr  verkürzt.  Im  Wochenbett 
stellen  sich  allmählich  wieder  normale  Gerinnungsver¬ 
hältnisse  her.  Nach  Müller  (25)  bilden  Geburt  und 
Schwangerschaft  die  Hauptdisposition  zu  Erkrankungen 
der  Schilddrüse.  Normale  Schilddrüse  in  der  Schwanger¬ 
schaft  ist  in  Kropfgegenden  selten;  die  Zahl  der  Gravidi¬ 
täten  erhöht  diese  Disposition.  Anschwellungen  der 
Drüse  sind  dabei  meist  vorübergehend.  Der  endemische 
Kropf  spielt  in  der  Ätiologie  des  allgemein  gleichmässig 
verengten  Beckens  im  Kanton  Bern  die  Hauptrolle. 
Lehmann  (26)  hält  die  habituelle  Schwangerschafts¬ 
unterbrechung  für  eine  Hypofunktion  der  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion,  ohne  dass  es  uns  mit  unseren  Hilfs¬ 
mitteln  möglich  wäre,  diese  Annahme  zu  sichern  oder 
die  Primärerkrankung  einer  Drüsengruppe  festzustellen. 
Infolgedessen  hält  er  die  erfolgreiche  Therapie  mit  Jod¬ 
kali  und  Eisen  für  eine  kausale  Therapie,  die  vielleicht 
die  Funktion  der  inneren  Drüsen  günstig  beeinflusst. 

Jungmann  (28)  .beschreibt  zwei  Fälle  von 
schwerer  Anämie  in  der  Gravidität,  die  wohl  als  Gra¬ 
viditätstoxikose  aufzufassen  sind.  Ludwig  (29) 
handelt  den  Ileus  in  Verbindung  mit  den  Gestations- 
vorgängen  klinisch  im  Zusammenhänge  ab;  er  sieht  in 
den  Verschiebungen  des  Abdominalinhaltes  in  der 
Schwangerschaft  das  auslösende  Moment  für  den  Ileus. 
Rosen  stein  (30)  macht  auf  die  erschreckend  hohe 
Mortalität  der  Appendizitis  in  der  Schwangerschaft  auf¬ 
merksam,  die  nur  durch  frühzeitige  Diagnose  und 
Operation  gebessert  werden  kann.  K  r  e  i  s  s  (31)  und 
Eisen  bach  (32)  stellen  übereinstimmend  fest,  dass 
die  Komplikation  von  Herzfehler  und  Schwangerschaft 
lediglich  von  der  Beschaffenheit  des  Herzmuskels  ab¬ 
hängt.  Der  günstige  Erfolg,  den  B  a  r  b  e  y  (33)  bei  der 
Behandlung  einer  Ischias  in  der  Gravidität  mit 
Ringer  scher  Lösung  'sah,  legt  ihm  den  Schluss  nahe, 
dass  es  sich  hier  um  eine  Schwangerschaftstoxikose  ge¬ 
handelt  habe.  Die  Arbeiten  34—36  sind  nur  kasuistischen 
Inhaltes,  v.  Neugebauer  (37)  macht  Bemerkungen 
über  die  Häufigkeit,  Diagnose  usw.  bei  isochroner  hete- 
rotoper  Zwillingsschwangerschaft 

Über  Abort  schreiben  E  b  e  1  e  r  (38),  der  für  die 
aktive  Behandlung,  Trau  gott  (39),  der  für  die  ex- 
spektative  Behandlung  eintritt;  H  o  f  m  a  n  n  (40)  nimmt 
die  Einleitung  des  Abortes  zugleich  mit  der  Tubensterili¬ 
sation  per  laparatomiam  vor. 

S  e  1  1  h  e  i  m  (42)  macht  aufmerksam,  dass  bei  der 
natürlichen  Geburt  die  Kraft  der  Wehen  nicht  nur  als 
vis  a  tergo  wirkt,  sondern  auch  als  vis  ab  omni  latere 
während  der  Wehe  verformend  auf  den  Fruchtkörper 
einwirkt.  Am  nächsten  kommt  der  natürlichen  Geburt 
die  Expression  nach  Kri  steiler,  während  bei  der 
Zange  nur  die  Zugkraft  in  Erscheinung  tritt,  eine  Ver¬ 
formung  besonders  der  Schultern  aber  gerade  wie  bei 
der  Extraktion  am  Beckenende  ausbleibt.  Schneider 
(43)  konstruierte  eine  Zange,  deren  Löffel  mit  den 
Stielen  um  eine  senkrecht  auf  die  Löffelfläche  stehende 
Achse  beweglich  verbunden  sind.  Zum  Einführen  wird 
der  Löffel  festgestellt,  nach  Schluss  der  Zange  diese 
Fixierung  gelöst.  Diese  ,,  Adaptionszange“  soll  die 


Nr.  12 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


115 


Weichteilverletzungen  vermindern  und  die  Operation  er¬ 
leichtern.  Der  unglückselige  Forzeps  intrauterinus  Neu- 
wirth  belastet  die  Literatur  der  Berichtszeit  noch  drei¬ 
mal  (44 — 4b).  G  a  b  a  s  t  o  n  (4/)  schlägt  vor,  um  das 
manuelle  Eingehen  zur  Lösung  der  Plazenta  zu  umgehen, 
die  retinierte  Plazenta  von  der  Nabelvene  aus  durch 
sterile  Kochsalzlösung  aufzuspritzen.  Er  verursacht  hier¬ 
durch  ein  retroplazentares  Ilydrom,  das  zur  vollständigen 
Ablösung  der  retinierten  Plazenta  führt,  und  hofft,  dass 
der  hierdurch  bedingte  Wehenreiz  zur  Ausstossung  der 
Plazenta  führt.  G  r  ä  f  (48)  empfiehlt  die  manuelle 
Aortenkompression  zur  Stillung  postpartaler  Blutungen, 
K  r  e  i  s  s  (49)  zu  dem  gleichen  Zwecke  die  intravenöse 
Injektion  von  Ilypophysin. 

K  ü  s  t  n  e  r  (50)  gibt  eine  ausführliche  Übersicht 
über  seine  extraperitonealen  Kaiserschnitte;  er  stellt  fest, 
dass  diese  Methode  bei  ihm  alle  Verfahren  verdrängt 
habe,  die  als  Konkurrenzoperationen  gelten  können. 
Zur  Hauptsache  wendet  er  ihn  an,  bei  knöchernen  Ver¬ 
engerungen  der  Geburtswege,  sobald  es  evident  ist,  dass 
das  Kind  lebend  das  Becken  nicht  wird  passieren  können, 
gleichgültig  ob  die  Kreissende  infiziert  war  oder  nicht. 
Keine  Mutter  ist  einer  Puerperalinfektion  erlegen;  der 
klassische  Kaiserschnitt  hätte  in  der  Hälfte  seiner  Fälle 
nicht  mehr  gemacht  werden  dürfen.  Fuchs  (51) 
hält  die  Spontangeburt  bei  totaler  Ankylose  beider  Hüft¬ 
gelenke  bei  Kopflage  für  möglich,  bei  Beckenendlage 
ist  der  Kaiserschnitt  wegen  des  beschränkten  Zuganges 
zur  unteren  Beckenapertur  im  Interesse  des  Kindes  an¬ 
gezeigt.  Einen  seltenen  Fall  von  Eklampsie  bei  Abort 
schildert  B  o  1  1  a  g  (52),  ebenso  selten  ist  der  Fall  von 
Zweifel  (53).  Polemischer  Natur  gegen  Nacke  ist 
der  Artikel  von  Lichten  stein  (54).  Schiller 
(55)  präzisiert  den  Standpunkt  der  Königsberger  Klinik 
bezw.  der  Eklampsiebehandlung.  Prinzipiell  wird  an  der 
Frühentbindung  festgehalten,  als  Ideal  wäre  die  Ent¬ 
bindung  bei  Auftreten  der  prämonitorischen  Symptome 
anzusehen.  Bei  ausgetragener  Gravidität  besonders  Erst¬ 
gebärender  käme  der  Kaiserschnitt  in  Frage,  bei  Früh¬ 
geburten  und  Mehrgebärenden  der  vaginale  Uterusschnitt. 
In  den  Fällen,  bei  denen  das  Zeitintervall  zwischen  Aus¬ 
bruch  der  Erkrankung  und  Entbindung  sehr  gross  ist, 
kann  die  Operation  die  Katastrophe  herbeiführen,  hier 
tritt  das  konservative  Verfahren  nach  Stroganoff  in 
Wirkung,  ebenso  kommt  dieses  in  Betracht,  wenn  die 
äusseren  Verhältnisse  einer  operativen  Entbindung  a  tout 
prix  entgegen  stehen.  A  s  c  h  n  e  r  (56)  glaubt,  dass 
bei  der  posteklamptischen  Amnesie  eine  Störung  der 
Psyche  vorliege,  weil  sie  sich  nicht  nur  auf  die  Tage 
der  Bewusstlosigkeit  beschränkt. 

Guggisberg  (57)  fand,  dass  ausser  der  Hypo¬ 
physe  noch  andere  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  er¬ 
regend  auf  die  Motion  des  graviden  Uterus  wirken,  be¬ 
sonders  Extrakte  von  Thyreoidea  und  Plazenta. 
Lindem  a  n  n  und  A  s  c  h  n  e  r  (58)  untersuchten 
eine  Reihe  vasokonstriktorischer  Mittel  und  fanden,  dass 
diese  in  gleicher  Weise  wehenerregend  wirken.  Mos- 
b  a  c  h  e  r  (59)  konnte  zeigen,  dass  Thyreoidea  im  Tier¬ 
experiment  abortierend  wirke,  bei  der  kreissenden  Frau 
war  Beigabe  von  Adrenalin  zur  Wehenverstärkung 
nötig,  die  Wirkung  blieb  hinter  der  Pituitrinwirkung 
zurück.  O  e  r  t  e  1  (60)  zieht  das  Laudanon  in  der  Ge¬ 
burtshilfe  dem  Morphium  vor,  das  weniger  die  Wehen¬ 
tätigkeit  beeinflusst  und  weniger  auf  das  Atemzentrum 
des  Kindes  wirkt ;  auch  bei  Eklampsie  sah  er  gute  Er¬ 
folge  von  dem  neuen  Mittel.  Aus  den  gleichen  Gründen 
bevorzugt  Klaus  (61)  das  Narkophin,  das  nur  den 
Nachteil  hat,  dass  die  Schmerzlinderung  erst  nach  einer 
Viertelstunde  eintritt.  Esch  (62)  arbeitete  eine  Indi¬ 
vidualisierung  der  Pantopon-Skopolamindarreichung  intra 
partum  aus  unter  Berücksichtigung  des  Körpergewichtes. 
Er  erkennt  als  Kontraindikationen  dieser  Mittel  alle  Ge¬ 


burten,  bei  denen  von  vornherein  eine  Verzögerung  der 
Geburt  zu  erwarten  oder  bei  denen  eine  Beschleunigung 
de  rselben  erwünscht  ist.  Ein  Vorteil  seiner  Methode  ist, 
dass  bei  Auftreten  von  unerwünschten  Nebenerscheinungen 
die  Behandlung  sofort  abgebrochen  werden  kann. 

II  e  n  n  e  (63)  hält  die  Reposition  der  vorgefallenen 
Nabelschnur  auf  einem  zusammengeknüllten  Tuche  für 
ein  absolut  sicheres  Verfahren.  N  e  b  e  s  k  y  (64)  bringt 
umfangreiche  Untersuchungen  über  Nabelsclmurzer- 
reissung  sub  partu.  Er  hält  den  freien  Fall  des  Kindes 
für  genügend,  um  eine  vollständige  Abreissung  der  Nabel¬ 
schnur  herbeizuführen;  besonders  prädisponiert  ist  das 
fötale  Drittel  der  Schnur.  Die  Zerreissung  kann  auch 
allein  durch  die  W'ehenkraft  bei  kurzer  Schnur  ver¬ 
ursacht  werden  ;  spontane  und  artefizielle  Durchtrennung 
der  Nabelschnur  ist  nicht  zu  differenzieren.  Das  Ver¬ 
halten  der  Sülze  und  der  Windungen  der  Schnur  sind 
ohne  Belang.  Küster  (65)  berichtet  über  eine  Ge¬ 
burt  nach  Vaginofixation,  bei  der  die  Patientin  an  Uterus¬ 
ruptur  mit  Luftembolie  zugrunde  ging;  er  plädiert  für 
nicht  zu  langes  Abwarten  bei  derartigen  Komplikationen 
und  hält  es  für  sicher  statt  einer  Vaginifixur  lieber  der 
vaginalen  Plastik  einen  Alexander  -  Adams  folgen  zu 
lassen.  Jonas  (66)  beschreibt  zwei  Fälle  von  Uterus¬ 
inversion,  bei  denen  er  neben  einer  Atonie  des  Uterus 
eine  starke  Ilerabsetzung  der  blutdruckerhöhenden  Sub¬ 
stanzen  im  Serum  feststellen  konnte.  T  r  a  u  g  o  t  t  (67) 
konnte  von  neuem  zeigen,  dass  zum  Zustandekommen 
der  spontanen  oder  artefiziellen  endogenen  Infektionen 
die  im  Vaginalsekret  Kreissender  vorhandenen  Strepto¬ 
kokken  eine  gegenüber  anderen  Faktoren  nur  ganz  unter¬ 
geordnete  Rolle  spielen.  Das  Material  der  Strassburger 
Frauenklinik  zeigte  (68),  dass  weder  die  bakteriologische 
Scheidensekretuntersuchung  noch  die  Blutuntersuchung 
imstande  ist,  bezw.  der  Diagnose  und  Prognose  puer¬ 
peraler  Infektionen  sichere  und  eindeutige  Unterlagen 
zu  geben.  Knapp  (69)  weist  darauf  hin,  dass  das 
Friihaufstehen  der  Wöchnerinnen  die  Involution  des  Uterus 
begünstigt,  deshalb  kann  es  auch  die  Entstehung  von 
Lage  Veränderungen  hintanhalten. 

Crede-Hörder  (70  u.  71)  setzt  seinen  dankens¬ 
werten  Kampf  gegen  die  Blenorrhoe  der  Neugeborenen 
fort.  H  a  1  b  a  n  (72)  meint,  dass  das  Absterben  einer 
Zwillingsfrucht  während  der  Schwangerschaft  eventl.  zu 
erkennen  ist;  er  schildert  einen  Fall,  bei  dem  ein  akutes 
Hydramnion  im  fünften  Monat  verschwand,  während  der 
zweiten  Hälfte  der  Gravidität  dauernd  Wehen  bestanden 
und  in  der  letzten  Zeit  eine  quer  über  die  Vorderfläche 
des  Uterus  verlaufende  Furche  zu  konstatieren  war. 
Kasuistisches  Interesse  beanspruchen  die  Arbeiten  von 
Diamant  und  Gail  (73  u.  74);  die  Arbeit  von 
Lejbowitsch  (75)  enthält  nichts  Neues  über  die 
Riesenkinder.  N  e  b  e  s  k  y  (76)  konnte  einen  Fall  von 
Caput  succedaneum  beobachten,  bei  dem  an  der  Basis 
eine  deutliche  Schnürfurchenbildung  nachweisbar  war. 
Er  konnte  zeigen,  dass  diese  Furche  so  stark  ausgebildet 
sein  kann,  dass  es  zu  tieferen  Defekten  bis  zur  Nekrose 
und  deren  üblen  Folgen  kommen  kann.  Gröne  (78) 
fand  in  vier  Fällen  ein  epidurales  Hämatom  im  Rücken¬ 
markskanal,  dessen  Ätiologie  nicht  klar  war.  I  rotz  ge¬ 
nauer  Obduktion  liess  sich  ein  1  rauma  der  V  irbelsäule 
nicht  nachweisen. 

1.  J.  Richter  u.  W.  H  i  e  s  s.  Über  das  bei  der 
ersten  Geburt  günstigste  Alter.  Monatsschrift  für  Geb  u  Gyn. 
Bd.  39.  Heft  6,  p.  625. 

2.  Georg  Hirsch,  München.  Beitrage  zur  Stillungs¬ 
not.  Monatsschrift’ für  Geb  u.  Gyn.  Band  39.  Heft  1,  p  64. 

3.  R  v.  F  e  1  1  e  n  b  e  r  g  u.  A.  D  ö  1  1.  Uber  die  bio¬ 
logischen  Beziehungen  von  Mutter  und  Kind.  Zeitschrift  füi 
Geb.  u.  Gyu.  Band  75,  p-.285. 

*  4.  R.  Akiiraot  o.  Über  die  Abderhaldensche  Reaktion 

und  ihre  Anwendungen.  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Nr.  2. 


116 


Fortschritte  der  Medizin 


5.  K.  B  e  h  n  e  Lässt  sich  mit  dem  Abderhaldenschen 
Dial)  sierverfahren  bei  Kühen  die  Trächtigkeit  frühzeitig  er- 
kennen  ?  Zentralblatt  für  Gyn.  19  4.  Nr.  2. 

6-  H  S.  Kjaer  gaar  d  Zur  Frage  der  Abderhalden¬ 
schen  Reaktion  bei  Gravidität  und  Menstruation.  Zentralblatt 
für  Gyn.  1914  Nr.  7 

7.  A.  Mayer,  Tübingen.  Über  das  Abderhaldensche 
Dialysierverfahren.  Münchner  med.  Wochenschrift  1914,  p  G7. 

8.  *J.  Schottländer.  Zur  Theorie  der  Abderhalden¬ 
schen  Schwangerschaftsreaktion,  sowie  Anmerkungen  über  die 
innere  Sekretion  des  weiblichen  Genitales.  Zentralblatt  für 
Gyn.  1914.  Nr.  12. 

9  J.  R.  v.  Zu  b  r  s  y  c  k  i.  Die  Meiostagminreaktion  in 
der  Geburtshilfe.  Gyn.  Rundschau  1914,  p  847. 

10.  Gottfried  Fellner  Experimentelle  Unter¬ 
suchung  über  die  Wirkung  von  Gewebsextrakten  aus  der  Pla¬ 
zenta  und  den  weiblichen  Sexualorganen  auf  das  Genitale 
Archiv  für  Gyn.  Band  100,  p  G41. 

11.  Katharina  v.  T  u  s  s  e  n  b  r  o  e  k.  Der  Einfluss 
der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes  auf  die  Sterblich¬ 
keit  der  weiblichen  Bevölkerung  an  Tuberkulose.  Archiv  für 
Gyn.  Band  101,  p.  84. 

1 2.  E  Kehrer  u.  F.  Dessau  er,  Dresden  Ver¬ 
suche  und  Erfahrungen  mit  der  röntgenologischen  Becken- 
mcssung.  Münchner  med.  Wochenschrift  1914,  p.  22. 

1  1  F  r  a  n  z  \\  eher,  München.  Die  Tamponade  in 
Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Münchner  med.  Wochenschrift 
1914,  p.  181. 

■7.  F  P  r  i  m  s  a  r  Beitrag  zur  Abderhaldenschen 
Schwangei  Schaftsreaktion  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Nr.  12. 

15  B.  Berger  Ein  Fall  von  besonderer  Fertilität 
(kombiniert  mit  konstanten  Blutungen  in  der  sch wangei Schafts 
freien  Zeit).  Zentralblatt  für  Gyn.  1  9  1 4.  Nr.  10 

IG.  G  B  a  u  m  gart,  Cassel  u.  H.  B  e  n  e  k  e  ,  Halle 
4jährige  Amenorrhoe  nach  Atmokausis,  ausgetragene  Gravidität; 
Geburtsbeendigung  durch  Entfernung  des  graviden  Uterus. 
Monatsschrift  für  Geb  u.  Gyn.  Bd.  39  Heft  G,  p  G3ö. 

17  Peters.  Schwangerschaftsdauer  Zentralblatt  für 
Gyn.  19.4.  Heft  9. 

18.  I  A  h  1  f  e  1  d  Der  Mechanismus  der  Scheiden¬ 

spülungen  ante  partum.  Zentralblatt  für.  Gyn.  1914.  Nr  51 

19  E  Zweifel  Versuche  zur  Beeinflussung  des 
Bakteriengehaltes  der  Scheide  Schwangerer  durch  medikamen¬ 
töse  Spülungen.  Monatsschrift  für  Geb.  u.  Gyn  1 9 1 4,  p.  459 

2  '.  B  S  c  h  w  e  i  z  e  r.  Über  die  Berechtigung  der  Milch¬ 
säurespülungen  in  der  Schwangerschaft.  Zentralblatt  für  Gyn 
19,4.  He't  9. 

21.  Ernst  Engelhorn  u.  Hermann  W  i  n  t  z. 
Über  eine  neue  Hautreaktion  in  der  Schwangerschaft.  Münch, 
med  Wochenschrift  1914,  p.  G89. 

22.  R.  Kelle  r.  Über  Veränderungen  am  Follikelapparat 
des  Ovariums  während  der  Schwangerschaft  Beiträge  für  Geb 
u.  Gyn.  Band  10,  p  13. 

23.  E  Hofman  n.  Zur  Blutgerinnung  und  zum  Blut¬ 
bilde  bei  normalen,  hyperthyreotischen  und  hypotbyreotischen 
Schwangeren  und  Wöchnerinnen.  Zeitschrift  für  Geb.  u  Gyn. 
Bd.  75,  p.  246. 

24.  G.  Schmauch,  Chikago.  Die  Schilddrüse  der 
brau  und  ihr  Einfluss  auf  Menstruation  und  Schwangerschaft. 
Monatsschrift  für  Geb.  u.  Gyn  1913.  Heft  G,  p.  662 

25^  B.  Mülle  r.  Das  Verhalten  der  Glandula  thyreoidea 
im  enoemischeu  Kropfgebiet  des  Kantons  Bern  zu  Schwanger¬ 
schaft,  Geburt  und  Wochenbett  Zeitschrift  für  Geb.  u.  Gyn. 
Band  75,  p.  2G4. 

2G.  Franz  Lehmann.  Über  habituelle  Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung  und  innere  Sekretion  Archiv  für  Gyn. 
Band  101,  p  205. 

27.  H.  Jf  i  n  s  e  1  m  a  n  n.  Untersuchungen  über  das 
proteo-  bezw.  peptolytische  Vermögen  des  Serums  bei  Schwanger¬ 
schaftsalbuminurie.  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Heft  7. 

28  Paul  Jungmann  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Schwangerschaftsanämie.  Münchner  med.  Wochenschrift  1914 
p.  414. 

29.  b  ritz  Ludwig  Ileus  bei  Schwangerschaft, 
Geburt  und  Wochenbett.  Zeitschrift  für  Geb.  u.  Gyn.  Bd.  75,  p.  324. 


Nr.  11 


30.  M.  Rosenstein,  Breslau  Appendizitis  und 
Gravidität.  Monatsschrift  für  Geb.  u.  Gyn  Bd  39.  Heft  I. 
p.  27. 

31.  P  h  K  r  e  i  s  s.  Herzfehler  und  Schwangerschaft. 
Zentralblatt  für  Gyn  1914.  Nr.  50. 

32.  M.  Eisen  bach  Über  Herzerkrankung  und 
Schwangerschaft.  Beiträge  für  Geb.  u  Gyn.  Bd  19,  p,  39. 

33.  A  Barbe  y.  Behandlung  eines  Falles  von  Ischias 
in  der  Schwangerschaft  mit  Ringer  scher  Lösung.  Zentral¬ 
blatt  für  Gyn  1914.  Nr.  3. 

34  R.  M  a  r  e  k.  Über  einen  Fall  von  Schwangerschafts- 
akromegalie  Zentralblatt  für  Gyn  1914.  Heft  7. 

35.  L  P  i  s  c  a  c  e  k.  Über  Uterusdivertikel  und  ihre 
Beziehung  zur  Schwangerschaft.  Gynäkologische  Rundschau  j 
1914.  Heft  1,  p  1. 

3G  K  H.  ()  h  n.  a  n  n  Ein  Fall  von  Uterus  bicornis 
mit  ausgetragener  Schwangerschaft  im  rechten  Horne.  Gyn. 
Rundschau  19i4,  p  738. 

37.  Fr  v.  Neugebauer.  Eine  neue  Serie  von 
isochroner,  heterotoper  Zwillingsschwanget schäften,  das  eine  Ei 
intrauterin,  das  andre  extrauterin  implantiert,  nebst  Schluss-  : 
folgerungen.  G)n.  Rundschau  p  849. 

38.  F  E  b  e  1  e  r.  Zur  Abortbehandlung.  Zeitschrift  für 
Geb  u  Gyn.  Band  75,  p  411. 

39.  M  a  r  c  1  T  r  a  u  g  o  t  t  Aktive  und  konservative 

Behandlung  des  Streptokokkenaborts  und  ihre  Resultate  Zeit¬ 
schrift  für  Geb.  u.  Gyn  Band  75,  p.  275.  i 

40.  E.  II  o  f  m  a  n  n.  Zur  einzeitigen  Aborteinleitung  und 

Tubensterilisation.  Zeitschrift  für  Geb  und  Gyn.  Band  75,  1 

p.  32d. 

41.  K  u  n  t  z  s  c  h  Über  Torpidität  des  Uterus  und  aus¬ 
getragene  Giavidität  trotz  Retention  einer  intrauterinen  Tampo¬ 
nade  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Heft  5. 

42.  Hugo  S  e  1  1  b  e  i  m  Über  einen  wesentlichen 
Untei schied  zwischen  natürlicher  Geburt  und  künstlicher  Ent¬ 
bindung  Beiträge  zur  Geb.  u  Gyn  Baud  1 9,  p  l. 

43  Otto  Schneider,  Heidelberg  Über  eine  neue 
Geburtszange  und  ihre  Anwendung.  Münchner  med.  Wochen¬ 
schrift  1913,  p.  2790. 

44.  A.  Martin  Der  Forceps  intrauterinus  Neuwirth 
Monatsschrift  für  Geb.  u  Gyn  Band  39  Heft  1,  p.  1. 

45.  O.  P  i  e  r  i  n  g  Bemerkungen  zu  Neu  wirf  hs  Forceps 
intrauterinus  Zentralblatt  für  Gyn.  19*4.  Nr.  2. 

4G.  K.  Neuwirth.  Schlusswort  zum  Forceps  intra-  1 
utcrinus.  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Nr.  10. 

47.  J  u  a  n  A.  G  abaston  ^uenes  Aires.)  Eine  neue 
Methode  künstlicher  Plazentarlösung.  Münchner  med.  Wochen-  j 
schritt  1 9 1 4,  p.  671. 

48.  E  Graf.  Ein  vergessener  geburtshilflicher  Hand¬ 
griff.  Münchner  med  Wochenschrift  18  3,  p.  2910. 

49  P  h  Kreise  Die  Bekämpfung  der  postpartalen  i 
Blutungen  durch  intravenöse  Hypophysininjektion.  Zentralblatt 
für  Gyn.  1914.  Nr.  3  , 

50.  O.  K  ü  s  t  n  e  r.  Weitere  Erfahrungen  über  den  ex¬ 
traperitonealen  Kaiserschnitt,  seine  Indikationsstelluug  und 
Methodik.  Zentralblatt  für  Gyn  1914.  Nr.  10. 

51.  H.  Fucli  s.  Kaiserschnitt  wegen  totaler  Ankylose 
beider  Hüftgelenke.  Monatsschrift  für  Geb.  u.  Gyn.  1914, 
p.  477. 

52.  K.  B  o  1  1  a  g.  Ein  seltener  Fall  von  Früheklampsie. 
Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Nr.  2. 

53.  E.  Zweifel.  Eklampsie  nach  Totalexstirpation 
wegen  Uterusruptur  mit  schwerer  Anämie  bei  einer  Viel¬ 
gebärenden.  Zentralblatt  für  Gyn.  1914  Heft  5. 

54.  Lichtenstein.  Kritische  Bemerkungen  zur 
Schnellentbindung  bei  der  Eklampsie.  Zentralblatt  für  Gyn. 
1914.  Heft  5. 

55.  A.  Schiller.  Zur  Eklampsiebehandlung  auf 
Grund  der  Erfahrungen  der  Königsberger  Universitätsklinik. 
Monatsschrift  für  Geb.  u  Gyn  39.  Heft  2,  p  148. 

56.  Bernhard  A  s  c  h  n  e  r.  Über  die  posteklamp¬ 
tische  Amnesie.  Zeitschrift  für  Geb  und  Gyn.  Band  75,  p  405 

57.  Hans  Guggisberg  Über  die  Wirkung  der 
inneren  Sekrete  auf  die  Tätigkeit  des  Uterus.  Zeitschrift  für 
Geb.  u.  Gyn.  Band  75,  p.  231. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  12. 


58.  Walter  Lindem  an  n  und  Bernhard 
A  s  c  h  n  e  r.  Über  Natur  und  Verbreitung  vasokonstrik- 
torischer  und  wehenerregender  Substanzen  im  Körper.  Münch, 
med.  Wochenschrift  1913,  p.  2779. 

59.  Emil  Mohbacher.  Klinisch  -  experimentelle 
Beiträge  zur  Frage:  Thyreoidea  und  Wehentätigkeit  Zeitschr. 
für  Geb.  u  Gyn  Band  75,  p.  362. 

60.  Christian  Orte  1.  Laudanon  in  der  Geburts¬ 
hilfe.  Münchner  med.  Wochenschrift  1914,  p.  694. 

61.  H  Klaus,  Prag.  Über  Verwendung  von  Nar- 
<ophin  in  der  Geburtshilfe.  Münchner  med.  Wochenschrift 
1914,  p.  186. 

62.  F.  Esch,  Marburg.  Über  Dosierung  und  Erfolge 
iron  intramuskulären  Pantopou  -  Skopolamininjektionen  bei 
Kreissenden.  Münchner  med.  Wochenschrift  1914,  p.  690. 

63.  H.  Henne.  Zur  Reposition  der  vorgefallenen 

Kabelschnur  Zentralblatt  für  Gyn.  1913.  Nr.  51. 

64.  0.  N  e  b  e  s  k  i.  Beitrag  zur  Nabelschnurzerreissung 
ntra  partum.  Archiv  für  Gyn.  Baud  100,  p.  601. 

65.  H.  Küster,  Breslau.  Über  Geburt  nach  ope¬ 
rativer  Antefixation.  Monatsschrift  für  Geb.  u.  Gyn.  39. 
[Ieft  2,  p.  168. 

66.  W.  Jona  s,  Über  puerperale  Uterusinversion.  Zen- 
ralblatt  für  Gyn.  1913.  Nr.  52. 

67.  M.  T  r  a  u  g  o  t  t.  Über  die  Ätiologie  und  Prophy- 
axe  der  endogenen  puerperalen  Infektion.  Zentralblatt  für 
3yn.  1913.  Nr.  52. 

68.  Hans  v.  Hecker.  Beitrag  zur  Bewertung  der 
bakteriologischen  Scheidensekret-  und  Blutuntersuchung  für  die 


Diagnose  und  Prognose  puerperaler  Infektionen.  Beiträge  für 
Geb.  u.  Gyn  Band  19,  p.  89. 

69.  Ludwig  K  n  a  p  p.  Klinische  Untersuchungen 
zur  Beurteilung  des  Spätwochenbettes  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  des  „Frühaufstehens“.  Archiv  für  Gyn.  Band  100. 
p.  540. 

70.  Grede-Hörder.  Warum  konnte  die  Blennorrhoe 
nicht  abnehmen?  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Nr.  ü. 

tl.  Crede  -  II  örder.  Wie  kann  die  Blennorrhoe 
wirksam  verhütet  werden?  Zentralblatt  für  Gyn.  Nr.  6,  1914. 

72.  J.  H  a  1  b  a  n.  Zur  Kenntnis  der  Zwillingsschwanger¬ 
schaften  Zentralblatt  für  Gyn.  1914.  Heft  9. 

t3.  Z.  Dia  m  a  n  t.  Ein  Fall  von  Drillingsschwanger¬ 
schaft  in  demselben  Eileiter.  Zentralblatt  für  Gyn  1914 
Nr.  3. 

74.  P.  Gail.  Beitrag  zur  Kasuistik  der  Drillings¬ 
geburten.  Zentralblatt  für  Gyn.  1914  Nr.  3. 

75.  J.  Lejbowitsch,  Breslau.  Die  Häufigkeit  und 
geburtshilfliche  Bedeutung  der  Riesen kinder.  Monatsschr.  für 
Geb.  u.  Gyn  39  Heft  2,  p.  162. 

76.  O.  Nebesky,  Innsbruck  Beitrag  zur  Kenntnis 
des  Caput  succedaneum.  Monatsschrift  für  Geb.  u.  Gyn.  1913. 
Heft  6,  p.  655. 

7  7.  P  h.  Iv  r  e  i  s  s  ,  Dresden.  Anus  urethralis  Monats¬ 
schrift  für  Geb.  u.  Gyn.  39.  Heft  3,  p.  340. 

78.  O.  G  r  ö  n  e.  Epidurales  Hämatom  im  Rückenmarks¬ 
kanal  bei  Neugeborenen.  Zentralblatt  für  Gyn.  1913.  Nr.  51. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Boehncke  K.  E.  und  R.  Koch  (Frankfurt  a.  M.), 
Veränderungen  an  der  Hypophyse  durch  Diphtherietoxin.  (Zschr 
f.  Immun.  Forsch.  XXI.  Heft  1.  S.  1  — 15.) 

Bei  sehr  grossen  Toxindosen  mit  foudoyrantem  Verlauf 
finden  sich  keine  erheblichen  Veränderungen  an  der  Pars  inter- 
raedia  (=  Mittellappen  =  Epithelsaum),  dagegen  starke  bei 
kleineren  Dosen,  welche  den  Tod  erst  zwischen  dem  3.  und 
20.  Tag  herbeiführen.  Für  den  Arzt,  der  sich  nicht  mit  dem 
Status  praesens  eines  Patienten  zufrieden  gibt,  sondern  auch 
vor-  und  rückwärts  schaut,  ist  die  Notiz  von  höchstem  Interesse, 
dass  auch  minimale  Diphtherietoxindosen,  welche  gar  keine 
Krankheitserscheinungen  ausgelöst  hatten,  über  mindestens 
3  Monate  hinweg  degenerative  Prozesse  an  der  pars  intermedia 
hinterliessen. 

Der  moderne  Physiolog,  welcher  mit  Störungen  der  Funk¬ 
tion  der  sog.  inneren  Sekretion  zu  rechnen  gelernt  hat,  wird 
diese  Notiz  ad  notam  nehmen  und  nach  Analogien  suchen. 

Butter  sack. 

T.  F  e  1  1  m  e  r  ,  Bonn.  Differenzierung  verschiedener 
Pilzeiweisse  mit  Hilfe  von  Immunitätsreaktionen  und  Tierver¬ 
suchen.  (Zeitschrift  für  Immunitätsforschung  und  experimen¬ 
telle  Therapie.  1.  Teil.  Originale.  Bd.  XXII.) 

Eiweissstoffe  aus  Pilzen  können  im  Tierkörper  Präzipitine 
und  komplementbindende  Stoffe  erzeugen,  die  in  den  meisten 
Fällen  spezifisch  auf  das  zur  Immunisierung  verwendete  Pilz- 
eiweiss  reagieren. 

Durch  Pilzeiweisslasseu  sich  Tiere  anaphylaktisch  machen.  Der 
Reaktionskörper  ist  mit  dem  Serum  auf  andere  Tiere  übertrag¬ 
bar  und  löst  passive  Anaphylaxie  aus.  Der  anaphylaktische 
Reaktionskörper  kann  als  spezifisch  bezeichnet  werden. 

Sch. 


Ohrenheilkunde. 

A.  Denker,  Zur  Heilbarkeit  der  otogenen  und  trau¬ 
matischen  Meningitis.  (Zeitschrift  f.  Ohrhlkde.  Band  70. 
Heft  34.) 

Im  Anschluss  an  die  Mitteilung  sehr  lesenswerter  Kranken¬ 
geschichten  beschäftigt  sich  Vf  mit  einigen  Fragen  der  Dia¬ 
gnose,  Therapie  und  Prognose  der  eitrigen  Meningitis.  Die 
Diagnose  einer  solchen  wird  durch  ein  steriles  Lumbalpunktat 
I  nicht  ausgeschlossen.  Findet  sich  ein  trübes,  leukozytenreiches, 
unter  hohem  Druck  entleertes  Exsudat,  so  kann  man  bei  ent¬ 
sprechenden  klinischen  Erscheinungen  trotz  Fehlens  von  Bak¬ 
terien  eine  diffuse,  eitrige  Entzündung  annehmen. 

Der  bisher  herrschende  Nihilismus  in  der  Therapie  ist  un¬ 
berechtigt,  die  Heilung  einer  eitrigen  Meningitis  durch  zielbe¬ 
wusstes  Vorgehen  in  manchen  Fällen  ist  verbürgt.  Gegen  die 
vorgeschlagene  ausgiebige  Freilegung  und  Spaltung  der  Hirn¬ 
haut  und  Drainage  des  Subarachnoidealraums  jedoch  verhält 
D.  sich  skeptisch,  er  beschränkt  sich  auf  Ausräumung  des 
primären  Herdes  in  Mittelohr  und  Labyrinth,  wiederholte  Lum¬ 
balpunktionen,  Urotropin.  Lassen  sich  hiermit  in  einzelnen 
Fällen  Erfolge  erreichen,  so  ist  doch  auch  vor  übertriebenem 
Optimismus  zu  warnen  ;  in  der  Mehrzahl  der  Meningitisfälle 
versagt  die  Therapie  und  bei  hochinfektiösen  Fällen  scheint  die 
Operation  fast  aussichtslos.  Solche  Meningitiden,  die  sich  an 
chronische  Otitis  auschliessen,  geben  bessere  Prognose. 

Besteht  bei  Schädelbrüchen,  die  sich  auf  das  Schläfenbein 
erstrecken,  eine  akute  oder  chronische  Otitis  media,  oder  tritt 
eine  solche  hinzu,  so  rät  D.  zur  Präventivoperation.  Strittig 
ist  eigentlich  nur  die  Operation  bei  chronischer  Otitis, 
da  hierbei  oft  auch  ohne  Eingriff  Meningitis  ausblieb.  Da 
aber  eine  Heilung  durch  Kallusbildung  oft  nicht  eintritt,  so 
schwebt  die  Gefahr  der  Infektion  des  Schädelinhalts  jahrelang 
über  solchen  Verletzten  ;  daher  tritt  Denker  für  die  Opera¬ 
tion  ein.  Arthur  M  e  y  e  r  -  Berlin. 


118 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  12. 


Bücherschau. 

V  oigtländers  Quellenbücher.  —  R.  V  oigt¬ 
länders  Verlag  in  Leipzig. 

Die  historische  Aufgabe  des  XIX  Jahrhunderts  war  diese 
gewesen,  den  Sinn  für  das  Tatsächliche  zu  erwecken  im  Gegen¬ 
satz  zu  den  spekulativen  Verirrungen  der  vorangegangeuen 
Natur-Philosophie,  und  man  kann  füglich  behaupten,  dass  diese 
Aufgabe  glänzend  gelöst  worden  ist  Fast  zu  gut,  möchte  man 
sagen.  Denn  das  Herausarbeiten  der  einzelnen  Tatsache  hatte 
sich  unter  der  Flagge  der  exakten  Forschung  in  manchen 
Köpfen  so  einseitig  entwickelt,  dass  sie  darüber  das  Vor-  und 
Nachher  ganz  vergassen.  Es  war  deshalb  eine  natürliche  Re¬ 
aktion,  dass  sich  daran  ätiologische  Bedürfnisse  anschlossen, 
und  gleichfalls  logisch  war  es,  dass  das  Interesse  weiterhin 
von  den  einzelnen  mikrobotanischen  Kleinwesen  sich  der  Gesamt¬ 
situation  zuwandte,  Betrachtungen,  wie  sie  dermalen  als  Kondi¬ 
tionismus  und  verwandte  Ideen  in  die  Erscheinung  treten. 
Von  hier  aus  ist  nur  ein  kleiner  Schritt  zu  historischen 
Studien,  welche  die  Fäden  des  Konditionismus  aufdecken 
sollen. 

In  ähnlicher  Weise  hat  schon  vor  100  Jahren  Laennec 
gesagt  :  „Rien  n’est  plus  interessant  dans  une  Science  que  la 
marche  meme  de  cette  Science.“ 

Nun  erfordern  historische  Studien  ebenso  viel  angeborne 
Begabung  wie  z.  B.  die  Experimentalforschung.  Wer  sie  nicht 
hat,  ist  nur  ein  ,  Begebeuheitsberichter“ ,  wie  G.  Chr. 
Lichtenberg,  oder  ein  ,,  Antiquar“,  wie  W  oodr  o  w 
Wilson  sich  ausdrückten,  und  gleicht  dem  Laboratoriums¬ 
künstler,  der  sich  mit  immerhin  anerkennenswertem  Eifer  um 
irgendeine  Experimentalaufgabe  bemüht,  ohne  sich  deren  Ein¬ 
ordnung  in  den  grossen  Entwicklungsgang  der  Wissenschaft 
bewusst  zu  sein.  Die  Geschichte  mit  ihren  zahllosen  Impondera¬ 
bilien  lässt  sich  nicht  nach  mechanischen,  chemischen  oder 
sonstigen  Gesetzen  der  exakten  Wissenschaften  rekonstruieren. 
Man  muss  sich  vielmehr  in  sie,  wie  in  ein  lebendiges  Gebilde, 
was  sie  ja  auch  ist,  mit  einem  gewissen  Takt  hineinfühlen. 
Man  muss  lernen,  von  dem  Piedestal  der  eigenen  Zeit  herunter¬ 
zusteigen  und  sich  in  ganz  andere  Anschauungsweisen  und 
Vorstellungskreise  einzuleben.  Das  ist  freilich  nicht  so  ganz 
einfach  ;  denn  wir  wurzeln  viel  fester  in  der  Gegenwart  und 
benützen  die  heute  geltenden  Ideen  viel  mehr  als  Krücken 
unseres  Denkens,  als  wir  wohl  zumeist  ahnen.  Aber  wer  sich 
die  genügende  Beweglichkeit  des  Geistes  bewahrt  hat,  wird 
immer  mit  reichem  Gewinn  von  solchen  Ausflügen  in  andere 
Zeiten  zurückkehren :  er  hat  sein  eigenes  Milieu  unter 
einem  andei'en  Winkel  gesehen  und  mit  P.  M  i  c  h  e  1  erkannt, 
„que  dans  le  passö,  les  gens-lä  n’etaient  ni  des  fous  ni  des 
sots“. 

Der  Zugang  zu  den  stummen  Zeugen  der  Vergangenheit 
wird  immer  schwieriger,  je  weniger  die  alten  Sprachen  gepflegt 
werden  können  Deshalb  ist  es  ein  guter  Gedanke,  die  alten 
Schriftsteller  in  modernem  Deutsch  zu  Wort  kommen  zu 
lassen. 

Mit  lebhaftem  Erstaunen  wird  der  Leser  iu  Corne¬ 
lius  Celsius  „G  rund  fragen  der  Medizi  n“ 
(Band  3)  überraschende  Ähnlichkeiten  mit  Gedanken  finden, 
die  auch  uns  bewegen.  Dinge  wie:  Disposition,  Konditionismus 
(S.  24),  Hydrotherapie  (S.  42),  kritische  Beleuchtung  der  dialek 
tischen  Gewandtheit  (S.  19),  der  Überschätzung  der  Anatomie 
(S.  20),  Klagen  über  die  vielen  Kunstausdrücke  (S.  25  ,  aber 
auch  moderne  Krankheiten  wie  subphrenischer  Abszess  (S.  71), 
Raynaud’sche  Gangrän  (S.  72)  sind  schon  zu  Christi  Zeiten 
eingehend  erörtert  worden 

Im  Flug  durch  die  Jahrhunderte  führt  uns  Grober- 
Jena  in  dem  Band  30  :  Die  Entdeckung  der  Krank¬ 
heitserreger.  Bei  einer  Neuauflage  wäre  vielleicht  noch 


Joh.  Fernelius  Ambianus  zu  erwähnen,  dessen 
Mutmassungen  über  den  Syphiliserreger  da  und  dort  Interesse 
finden  werden  :  Efficiens  luis  venereae  causa  occulta  est,  quat 
licet  admodum  et  fere  corporis  expers  sit  sensusque  nostros 
efiugiat,  non  simplex  tarnen  et  solitaria  existit,  sed  in  humore 
aut  alio  quovis  corpore  inhaerescit,  quo  ut  subjecto  quodam  et 
vehiculo  utitur  (Therap.  univ.  seu  medendi  rationis  libri  VII 
Frankofurti  MDLXXXI,  Pag.  cap.  III  pag.  498). 

Auch  Girolomo  Fracastoro,  der  Begründer  dei 
modernen  Ansteckungslehre  (1483 — 1553)  darf  nicht  vergesset 
werden. 

Band  32  bringt  unter  dem  Titel  :  aus  der  Entwick- 
lungsgeschichtederlebendigenSubstanj 
eine  Geschichte  der  Zellenlehre  von  G.  Brückner  in. 
klarer  Form  und  zeigt,  wieviel  Geistesbemühüngen  erforderlich 
waren,  um  dieses  Fundament  unserer  heutigen  Anschauungen 
sicher  zu  stellen. 

Der  Druck  ist  gut,  der  Preis  mit  0,60  bis  1  M.  pro 
Bändchen  billig.  Buttersack. 


Neuere  Medikamente. 


Hellsirin:  Ist  ein  Syrupus  Guajacoli  compos,  6°/0ige  syrupöse 
Lösung  des  Guajacol.  compos.  „Hell“  mit  Zusatz  von  5°/, 
Tinct  Chinae  compos  in  einer  Mischung  von  Syr.  cortic 
aurant.  und  Syrup.  capillor.  Veneris.  Die  Heilwirkung  des 
Hellsirin  liegt  in  der  Phthiseotherapie,  sowie  bei  anderei 
tuberkulösen  und  skrofulösen  Erkrankungen,  ferner  akuter 
und  chronischen,  infektiösen  Leiden  des  Respirations 
traktes.  Das  Vorhandensein  von  Petrosulfol  (Ichthyol) 
verleiht  dem  Präparat  eine  günstige  Wirkung  zur  Be 
Schränkung  des  krankhaft  gesteigerten  Stoffumsatzes ,  be 
sonders  durch  seinen  antifermentativeu,  fäulnishinderndei); 
Einfluss  im  Darm,  wodurch  Gelegenheit  zur  Hebung  des 
Ernährungszustandes  gegeben  wird.  Wird  auch  von  schwacher 
Personen  und  Kindern  gut  vertragen.  Die  Darreichuug  er 
folgt  3  mal  tätlich  zu  Anfang  mit  einem,  später  2—3  Tee[ 
löffeln,  allein  oder  mit  Milch,  Wein  und  dergl.,  bei  Kinderi 
entsprechend  weniger.  Fabrikanten:  G.  Hell  &  Co.,  Troppai 
und  Wien  I. 

Helmitol :  Anhydromethyleucitronensaures Hexamethylentetramin 
Weisses  Kristallpulver  von  saurer  Reaktion.  Löslich  ir 
10  Teilen  Wasser,  fast  uulöslich  in  Alkohol  und  Äther 
Verbessertes  und  verstärktes  Blasenantisepticum  für  dei 
innerlichen  Gebrauch,  erteilt  dem  Harn  saure  Reaktion 
Wird  vorzüglich  vertragen  bei  Blasenkatarrhen  und  ähnlicher 
Erkrankungen  der  Harnwege.  Als  Unterstützungsmittel  bei 
der  lokalen  Gonorrhoetherapie,  als  Prophylacticum  bei  Käthe 
terisationen  und  als  Desinficiens  in  der  Typhus-Reconvales 
cenz.  Prophylacticum  gegen  Scharlachnephritis. 

Dosis:  lg  3  — 4  mal  tägl.  in  Wasser  oder  in  Forn 
von  Tabletten.  (Helmitoltabletten  ä  0,5  g  Nr.  XX  Original 
packung.)  (Bayer.)  Ij 

Hexameeol :  Hexamecol  ist  eine  Molekularverbindung  vor 
Guajacol  und  Hexamethylentetramin.  Es  ist  dazu  bestimmt 
dem  Organismus  das  Guajacol  durch  Kutanapplikation  zu 
zuführen.  Es  bildet  farblose  Kriställchen ,  welche  den  Ge 
ruch  nach  Guajacol  besitzen.  Von  der  Haut  wird  es  ausser 
ordentlich  leicht  resorbiert  und  ist  im  Gegensatz  zu  Guajacol, 
von  welchem  65°/o  darin  enthalten  sind,  fast  ungiftig  un< 
von  bedeutend  geringerer  Reizwirkung.  Es  wird  besonder 
als  schmerzstillendes  Mittel  bei  pleuritischen  Beschwerde) 
empfohlen  und  eignet  sich  in  der  Dermatologie  zur  Behänd 
lung  der  Urticaria,  von  Pruritus  vulvae  und  anderer  Haut 
krankheiten,  bei  welchen  vor  allem  der  Juckreiz  zu  beseitige) 
ist 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 

Tortschrittc  der  IHedizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  miiwirkung  hervorragender  Tadimänner 

herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  13 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
...  .  .  Verlag  Johndorff  &  Co.,  Q.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW  7 


10.  Februar 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


(Aus  der  privaten,  klinischen  Untersuchungs-  und  Be¬ 
obachtungsstation  für  Kranke  und  Unfallverletzte  von 
Dr.  med.  K.  Rinderspacher,  Dortmund) 

Lieber  Drucksteigerung  im  Cerebro  -  Spinalkanal 
nach  Kopfverletzungen. 

Von  Dr.  med.  Karl  Rinderspacher,  Spezial-Arzt  f.  inn.  Med. 

In  Heft  I\  der  Zeitschi ift  für  Versicherungsmedizin, 
Jahrg.  1914  habe  ich  angeregt,  die  Lumbaldruck¬ 
messung  in  Fällen  von  Kopfverletzungen  zur  Klärung 
des  Krankheitsbildes  heranzuziehen.  Zur  weiteren  Kritik 
der  damals  entstandenen  Fragen  habe  ich,  um  ein  mög¬ 
lichst  objektiv  geartetes  Vergleichsmaterial  zu  gewinnen, 
inzwischen  alle  die  Fälle  von  Kopfverletzungen,  in  denen 
der  Verdacht  auf  eine  organische  Läsion  im  Schädel- 
||innern  in  Frage  kommen  konnte,  nach  den  damals  ge¬ 
gebenen  Gesichtspunkten  untersucht. 

Rein  technisch  sei  bemerkt,  dass  zu  allen  Punktionen 
die  gleiche  Stahlnadel  von  1,2  mm  lichter  Weite  und 
13  cm  Länge,  sowie  die  gleiche  Steigleitung  von  400  mm 
!'  Vlessbereich  und  3  mm  lichter  Weite  verwandt  wurden, 
tpie  Lagerung  der  Patienten  war  ausnahmslos  von  Be- 
»sginn  an  horizontal  und  der  Einstich  erfolgte  in  der  Höhe 
i  zwischen  drittem  und  vierten  Lendenwirbelbogen  in  der 
Mittellinie.  Beim  Ansetzen  der  Steigleitung  gingen  in 
der  Regel  5 --7  Tropfen  der  Flüssigkeit  verloren,  um 
die  Ausflussgeschwindigkeit  zu  kontrollieren.  Die  Ab¬ 
lesung  erfolgte  frühestens  nach  fünfmaligem,  regelrechtem 
Atmen.  Zur  Beruhigung  der  Patienten  wurde  ab  Januar 
1914  mit  gutem  Erfolg  die  Anästhesierung  mit  dem 
Chloräthyl-Spray  vorgenommen.  Die  Desinfektion  erfolgte 
mit  Jod-Alkohol.  Nach  der  Punktion  wurden  mindestens 
drei  bis  vier  Stunden  Bettruhe  innegehalten. 

Bei  den  16  zur  Untersuchung  und  Beobachtung  ein¬ 
gewiesenen  Kopfverletzungen  wurde  die  Punktion  nie 
verweigert.  Dauernde  ungünstige  Folgen  bezüglich  der 
Entschädigungsfrage  ergaben  sich,  auch  bei  stark  quäru- 
latorisch  veranlagten  Patienten  nicht.  Es  wurde  bei 
der  Beurteilung  der  Druck  von  160  mm  Wasser  als  die 
grenze  des  Normalen  angesehen.  Quincke  (1)  und 
3  a  h  1  i  (2)  betrachten  die  Druckhöhen  von  60  bis  150  mm 
ils  normal.  Die  weitaus  grösste  Zahl  der  als  erhöht 
ingesprochenen  Drucke  liegt  weit  über  dieser  Höchst¬ 
grenze  von  160  mm. 

Das  Ergebnis  der  Untersuchungen  fasse  ich  in  fol¬ 
genden  kurzen  Krankengeschichten  zusammen,  wobei 
bedeutet :  J)  =  Name,  Alter,  Stand.  2)  =  Datum  und 
Hergang  des  Unfalles.  3)  =  Erster  Befundbericht. 
')  =  Befund  nach  Abschluss  des  Heilverfahrens. 

)  =  Datum  und  subjektive  Beschwerden  bei  der  Auf¬ 


nahme  auf  der  hiesigen  Station.  e)  =  Objektiver  Be¬ 
fund  bei  der  hiesigen  Aufnahme.  •)  =  Datum  der 
Lumbalpunktion,  Höhe  des  Druckes  bei  normaler  At¬ 
mung,  Höhe  beim  Pressen  und  Charakter  der  Lumbal¬ 
flüssigkeit.  8)  =  Objektive  Zeichen  für  das  Vorliegen 
von  Simulation  oder  Aggravation :  Hierbei  bedeutet 
Hoesslin  =  Fehlen  des  Zurückschneilens  bei  plötzlicher 
Unterbrechung  des  Versuches,  den  gebeugten  Arm 
passiv  zu  strecken;  Romberg  —  Schwanken  bei  Augen- 
fussschluss,  welches  bei  abgelenkter  Aufmerksamkeit  ver¬ 
schwindet;  Dynamometer  =r  Nachweis,  dass  bei  ge¬ 
beugtem  Hand-  und  Ellbogengelenk  am  Dvnarr.ometer 
mehr  Kraft  entfaltet  wird,  als  bei  gestrecktem  Hand- 
und  Ellbogengelenk,  was  physiologisch  unmöglich  ist 
(Rumpf). 

Fall  I  und  II:  siehe  ausführlichen  Bericht  in  Zeit¬ 
schrift  der  Versicherungsmedizin,  1914,  Heft  4. 

Fall  III:  0  August  H.  30  Jahre,  Flammofenarbeiter.  2)  14. 
12.  08:  Schlag  einer  Wagendeichsel  gegen  die  rechte  Ge¬ 
sichtshälfte.  3)  Völlig  schlafsüchtig,  Puls  54,  rechte  Ge¬ 
sichtshälfte  stark  blutunterlaufen,  aus  dem  rechten  Nasen¬ 
loch  fliesst  Blut.  Diagnose:  Commotio,  wahrscheinlich  mit 
Basisbruch.  4)  23.  12.  08.  Augen  stehen  etwas  vor.  Puls 
G0,  lebhafte  Schreibhaut,  alle  Reflexe  lebhaft,  33  1/3  %. 
Klagen  über  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Erbrechen  bei 
starken  Anstrengungen.  L  29.  9.  13:  Unverträglichkeit 
für  Geräusche,  pressende  Kopfschmerzen,  besonders  hei 
Witterungswechsel,  viel  Nasenbluten,  Gefühl  als  sei  der 
Kopf  zu  klein.  6)  Pulsverlangsamung,  Steigerung  der 
Kniescheibenreflexe,  empfindliche  Verdickung  am  linken 
Unteraugenhöhlenrand,  bei  Witterungswechsel  auffallend 
apathisches  Verhalten.  7)  30.  9.  13:  2G0 — 280  mm;  ?; 

normal.  8)  Hoesslin  lieg;  Romberg  neg.;  Dynamometer  neg. 
Fall  IV  :  0  Theodor  K.  41  Jahie,  Vorzeichner.  2)  27.  1.  03: 
Fall  mit  dem  Hinterkopf  auf  eine  Schiene.  s)  ?  4)  1.  4. 
04:  Schwindel  und  Kopfschmerzen,  Blutandrang  zum 
Kopf,  sehr  erregt,  unruhiger,  Schlaf,  Brechreiz  nach  An¬ 
strengungen,  Puls  HO  uud  weich,  Zittern  der  Lider  und 
der  Zunge,  Kuiescheibenreflexe  lebhaft,  Herzfrequenz  wech¬ 
selnd.  Dermographie.  5)  5.  11,  13:  Kopfschmerzen  als 
würden  die  Augen  herausgetrieben ;  Herzklopfen,  Aufge¬ 
regtheit,  Globusgefühl,  Ohrensausen.  6)  Leichte  Beeinfluss- 
barkeit  des  Blutdruckes,  zeitweises  Aussetzeu  des  Pulses, 
Rötung  des  Kopfes  beim  Bücken,  Zittern  der  ausgestreckten 
Hände ,  Schwindelerscheinungen  heim  Drehen  um  die 
Körperachse,  Gesichtsfeldeinengung  für  Farben,  chronischer 
Blasenkatarrh.  Bei  psychischer  Erregung  eigenartige  Be¬ 
nommenheit.  7)  12.  11.  13:  2 1 8 — 225  mm;  ?;  normal. 
8)  Negativ. 

Fall  V :  4)  Heinrich  G.,  58  Jahre,  Kesselschmied.  2)  20.  3. 
1900:  Auftreffen  einer  Panzerplatte  auf  den  Kopf.  s)  Bei 


120 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  13. 


Aufnahme  Symptome  von  Shock.  Drei  Rippen  gebrochen, 
Hautemphysem,  Blutauswurf,  linker  Augapfel  durch  retro¬ 
bulbäre  Blutung  vorgewölbt.  Linke  Hüfte  geschwollen 
und  blutunterlaufen.  Viertägige  Urinverhaltung  Linkes 
Bein  verkürzt.  4)  13.  11.  1900:  Ab  und  zu  Kopfschmerzen 
und  Schwindel,  rasche  Ermüdung  des  linken  Beines 
wegen  Beckenbruch.  50 °/0  durch  den  Beinschaden  Später 
(1905  wegen  Hysterie)  auf  70°/0  erhöht.  5)  28.  10.  13: 
Schwäche  in  der  ganzen  rechten  Seite,  zeitweise  schwind¬ 
lig,  angeblich  Urin  besch  werden.  6)  Verengerung  der 
H  arnröhre,  Vergrösserung  der  Vorsteherdrüse,  Alters¬ 
weitsichtigkeit,  Verkürzung  und  Bewegungsbeschränkung 
des  linken  Beines.  7)  31.  10.  13:  125 — 132  mm;  ?; 
normal.  8)  Hoesslin  pos.;  Dynamometer:  pos.  leugnet  I 
sicher  empfundenen  Schmerz;  Zittern  der  Hände  ist  vor¬ 
getäuscht;  gibt  grössere  Bewegungsbehinderung  des  Beines 
an  als  tatsächlich  besteht. 

Fall  VI:  l)  Otto  M.  51  Jahre,  Kohlenlader.  2)  11.  4. 
12.  Fall  2  m  tief  auf  den  Hinterkopf  in  einen  Kohlen¬ 
bunker.  3)  Puls  leicht  irregulär,  68 — 58  Pulse.  Gewisse 
Benommenheit;  mehrfach  Erbrechen,  einmal  mit  Blutbei- 
mengung.  Mehrfache  epileptiforme  Krampfanfälle.  Druck 
auf  den  rechten  Unterkiefer  gegen  den  Gehörgang  sehr 
empfindlich.  N.  abducens  rechts  gelähmt.  Soll  aus  der 
rechten  Nase  geblutet  haben.  . 4)  13.  7.  12.  Verminderte 
Sehkraft  rechts,  Kopfschmerzen  und  Schwindel.  Schläfen¬ 
arterien  leicht  geschlängelt,  Puls  120,  Beklopfendes  Kopfes 
nicht  empfindlich,  Augenbewegungen  ungestört,  2 5 0 / 0  Ueber- 
gangsrente.  5)  29.  1 1 .  13.  Kopfschmerzen  bei  Witterungs¬ 
wechsel,  morgens  angeblich  wie  betrunken,  leichtes  Pir¬ 
schrecken.  6j  Altersweitsichtigkeit,  Lungenemphysem,  leb¬ 
hafte  Kniescheibenreflexe,  Arteriosklerose.  7)  2.  12.  13: 
115  — 130  mm:  ?;  Normal.  8)  Hoesslin  pos. 

Fall  VII:  4)  Ferdinand  Z.  35  Jahre,  Giessgrubenmann.  2)  2.  2. 
06:  Aufschlagen  einer  schweren  Lagerhülse  auf  den  Kopf 
aus  beträchtlicher  Höhe.  3)  ?;  Bei  Aufnahme  des  2  Heil¬ 
verfahrens;  28.  5.  06  komplizierter  Schädelbruch,  schlaffe 
Granulationen,  Sprache  leicht  gestört,  Intelligenz  beein¬ 
trächtigt,  Patellarreflexeerhöht,  rechts  Fussklonus,  Cremaster¬ 
reflex  fehlt,  Narbe  liegt  der  Dura  auf  und  ist  damit  ver¬ 
wachsen.  Bei  Druck  auf  die  Narbe  starke  Kopfröte. 
4)  14.  8.  07:  Leicht  schwindelig  und  bewusstlos  beim 
Bücken.  Kopfschmerzen.  Objektiv  Status  idem,  nur  die 
Narbe  ist  überhäutet.  80  bis  100 °/0.  5)  27.  12.  13. 

Kopfschmerzen  bei  Witterungswochsei,  starken  Kopfdruck, 
Schwindelgefühl,  auffallend  guter  Schlaf.  6)  Ausgedehnte, 
empfindliche  Narbe  am  Scheitel,  Haut  verwachsen,  überall 
knöchern  geschlossen.  Starke  Plattfussbildung.  Sehr 
lebhafte  Kniescheibenreflexe.  In  der  Nasenhöhle  starke 
Wucherungen.  Zeitweise  Verlangsamung  des  Pulses  auf 
12  Schläge  in  je  1/i  Minute.  Auffallende  Interesselosig¬ 
keit  bei  Witterungswechsel.  7)  2.  1.  14:  214 — 240  mm; 
340  mm;  norma.  8)  Negativ. 

Fall  VIII:  4)  Josef  D.  28  Jahre,  Hilfsarbeiter.  2)  5.  7.  1911: 
Fall  von  einer  Diele  2  %  m  tief  auf  Kopf  und  Schulter. 
3)  Puls  langsam,  völlig  bei  Bewusstsein,  aus  dem  linken 
Ohr  fiiesst  Blut,  Lähmung  des  linken  Facialis.  Diagnose 
Basisbruch.  4)  30.  11.  11.  In  der  dritten  Woche  nach 
dem  Unfall  Kopfschmerzen  besonders  beim  Drehen  Zeit¬ 
weises  Ohrensausen  und  Schwindel.  Vielleicht  noch 
Alteration  der  Hirnhäute.  20  %  Uebergangsrente.  5)  20. 
1.  14.  Reissen  im  Kopf,  rechts  schlechtes,  links  aufge¬ 
hobenes  Gehör.  6)  Blass,  labiles  Verhalten  des  Pulses, 
meist  starke  Beschleunigung  der  Herzaktion.  Alte  luxatio 
claviculae.  Ist  sehr  starker  Zigarrettenraucher  7)  22.  1. 
14:  135  —  150  mm;  170  mm;  normal.  8)  Hoesslin  pos; 
Dynamometer  pos. ;  sucht  bei  der  Gehör.sprüfung  Taubheit 
vorzutäuschen. 

Fall  IX:  L  Wilhelm  H.  33  Jahr,  Transportarbeiter.  2)  13.6. 
08  :  Sturz  in  eine  Grube  mit  dem  Kopf  voran.  3)  Sensorium 
nicht  ganz  frei,  Puls  54,  einmal  Erbrechen,  starke  Blutung 
aus  dem  rechten  Ohr,  im  Nacken  quere  Muskelquetsch¬ 
wunde  bis  zum  Schädelknochen;  Pulsverlangsamung; 
rechtseitige  Abduzenslähmung.  4)  28.  2.  09 :  Sausen  im 
rechten  Ohr,  Stiche  im  Kopf,  droht  angeblich  hinzufallen  ; 


bei  Ruhe  gehe  es  besser.  Rechter  Gehörgang  ganz  verlegt, 
taub.  Wegen  Hysterie  und  Neurose  50%.  5)  16.2.13: 

Ohrensausen  rechts,  rechts  taub,  duselig,  Uebelheit,  Schlaf¬ 
sucht.  6)  Schwerhörigkeit  rechts,  rechts  Labyrinth  erhöht 
reizbar,  starke  Abnahme  der  Pulsfrequenz  beim  Liegen. 
Objektiv  nachweisbare  Kopfschmerzen,  unsicherer  Hang.l 
Benommenheit.  Leicht  erhöhter  Blutdruck.  1)  23.  2.  14:1 
250 — 265  mm;  340  mm;  normal.  8)  Romberg  positiv. 

Fall  X:  *)  Heinrich  B.  35  Jahre,  Maschinist.  2)  27.  2.  05 :  l 
Losspringen  eines  Zahnes  von  einem  Zahnrad  und  Auf¬ 
treffen  auf  die  Stirne.  3|  Komplizierter  Bruch  des  linkeu 
Stirnbeines,  Eisenstück  bis  zur  Hirnhaut  vorgedrungen, 
letztere  nicht  verletzt.  Verschiedene  Weichteilwunden  an 
Arm  und  Schulter.  4)  26.  7.  07:  Kopfschmerzen  besonders 
bei  Hitze.  Arbeitet  seit  13.  4.  05.  Druckempfindliche 
Narbe  Schmerz-  und  Temperaturempfindung  aufgehoben, 
Gaumenreflex  fehlt,  Geruch  und  Geschmack  herabgesetzt. 
Magen  vorgetrieben  und  druckempfindlich.  Schläfenarterien 
geschlängelt.  5)  10.  3.  14:  Schmerzen  im  Kopf  bei 
Witterungswechsel ,  Rückenschmerzen ,  Schwindelgefühl, 
Rheuma  im  rechten  Arm.  Starker  Schnapstrinker.  6)  Narben 
belanglos,  Herabsetzung  des  Geschmackes,  Geruches  und 
Empfindungsvermögens  der  Haut,  Arteriosklerose,  Alters- 
schwe  hörigkeit,  Altersweitsichtigkeil,  schlechter  Ernährungs¬ 
zustand.  7)  13.3.  14.  125  -  135  mm;  140  mm;  normal. 

8)  Hoesslin  positiv;  Dynamometer  pos,;  gibt  eine  falsche 
Darstellung  seines  Unfalles,  um  die  Folgen  gefährlicher 
darzustellen. 

Fall  XI.  4)  27  Jahre,  Montagearbeiter.  2)  17.  11.  13:  Fall 
mit  dem  Kopf  auf  eine  gusseiserne  Zahnstange.  3)  Tief- 
benommen,  Knochenriss,  Trepanation,  Eröffnung  eines 
Astes  des  Längssinus  ausserhalb  der  Dura,  Tamponade, 
tagelang  tief  benommen.  4)  7.  3.  14:  Zeitweise  Stirn¬ 
kopfschmerzen,  Narbe  nicht  empfindlich,  Gefühl  als  springe 
der  Kopf  auseinander  beim  Husten  und  Niesen.  Schwindel 
beim  Leiternsteigen.  Gang  leicht  schwankend,  Romberg 
pos.  40%.  5)  6  4.  14:  Schlafsucht,  Schwindel  beim 

Bücken.  Pulsieren  im  Kopf,  Schmerzen  beim  Witterungs¬ 
wechsel,  Kopf  wie  zu  eng,  Erbrechen  mit  nachheriger  Er¬ 
leichterung  ohne  besondere  Uebelkeit.  6)  Vom  Unfall 
unabhängige  Sehstörungen,  eigen  artig  benommenes  Sensorium, 
Erbrechen  (besonders  bei  Witterungswechsel),  Steigerung 
der  Patellarreflexe  7)  8.4  14.  165  — 170  mm;  180  mm; 
Flüssigkeit  enthält  1  Million  rote  Blutkörperchen  im  cbmm 
in  gleichmässiger  Verteilung.  8)  negativ. 

Fall  XII:  4)  August  B.  24  Jahr,  Dreher.  2)  2.  1.  08:  Fall 
mit  dem  Hinterkopf  auf  den  gefrorenen  Boden.  3)  Be¬ 
wusstlos,  Puls  48,  Erbrechen,  Zunge  weicht  nach  links 
ab,  später  epileptische  Anfälle.  4)  Anfang  April  08: 
Schwindel  und  Kopfschmerzen,  Romberg  leicht  pos.  Zunge 
weicht  nach  links  ab  und  zittert.  Patellarreflexe  lebhaft  20°, '0. 

5)  15.  4.  14:  Stets  Kopfschmerzen,  vor  14  Tagen  letzter 
epileptischer  Anfall,  öfters  starke  Schwindelaufälle,  auch 
bei  der  Arbeit.  Bisher  im  April  3  bis  4  mal.  6)  Zunge 
weicht  geringfügig  nach  links  ab,  lebhafte  Kniescheiben¬ 
reflexe.  7)  17.  4.  14.  195 — 200  mm;  360  mm;  normal. 

8)  negativ. 

FaP  XIII:  4)  Hugo  L.  35  .Jahre,  Schlosser.  2)  13.  1.  14: 
Nasenbeiubruch  infolge  Schlages  gegen  die  Stirne  und  die 
Nase  von  einem  herabfallenden  Rohr.  3)  Trennung  der 
knorpeligen  und  knöchernen  Nasenscheidewand.  Keine 
Bewusstlosigkeit.  2  Minuten  später  Würgen  und  Schwindel¬ 
anfall.  Später  Vereiterung  eines  Blutergusses  in  die  Nasen¬ 
scheidewand.  4)  11.  4.  l4:  Keine  Verlegung  der  Nase 
mehr,  starkes  Hämmern  in  den  Schläfen,  Unbesinnlichkeit 
bei  der  Arbeit,  leichte  Erregbarkeit,  erhebliche  Pulsbe¬ 
schleunigung.  5)  22.  4  12:  Bei  Aufregungen  und  Ge¬ 
räuschen  starke  Kopfschmerzen  Zittern  der  Beine  beim 
Treppensteigen.  Globusgefühl.  c)  Blutdruck  180  —  190  mm 
bei  weichen  Arterien,  Pulsbeschleunigung  nach  Kuiebeugeu 
auf  160—  180  Schläge  in  der  Minute,  starke  Aorten- 
insuflizienz.  Zittern  des  Körpers  und  der  Hände,  Wechseln 
der  Gesichtsfarbe.  7)  28  4.  14.  124  —  133  mm;  200  mm; 
normal.  8)  Negativ. 


Nr.  13. 


121 


FORTSCHRITTE 


Fall  XIV:  l)  Paul  R.  44  Jahr,  Dreher.  2,  20.  9.  07.  Fall 
mit  der  linkeu  Schläfe  auf  den  Betonboden.  3)  Kurze 
Bewusstl  jsigkeit,  später  3  Tage  lang  tiefe  Bewusstlosigkeit, 
Puls  04  und  unregelmässig.  Stuhl  und  Urin  lässt  Patient 
unter  sich.  4)  5.  5.  09  :  Stark  ergraut,  Puls  etwas  be¬ 
schleunigt.  Hinterkopf  klopfempfindlich,  Patellarreflexe  stark 
gesteigert,  rechts  mehr  als  links.  Fussklonus.  Gegen 
Alkohol  sehr  empfindlich.  30  °/0.  10.  10.  12:  Vom 

Unfall  abhängige  Rindenepilepsie.  5)  2.  5.  14:  Monatlich 
ein  epileptischer  Anfall  aber  nur  nachts  auftretend.  Starke 
Träume.  Schwindelanfälle,  Gedächtnisschwäche,  Gefühl 
als  sei  der  Kopf  zu  eng.  (!)  Starke  Krampfaderbildung, 
Patellarreflexe  sehr  lebhaft,  Bauchdeckenrefiex  rechts  stärker 
als  links,  Skrotalreflex  links  stärker  als  rechts,  leichte 
Arteriosklerose,  rechte  Hand  zittert,  Pulsbeschleunigung. 

7)  7.  5  14.  105  —  170  mm;  230  mm;  normal.  8)  Negativ. 
Fall  XV  :  4)  Ferdinand  B.  34  Jahr,  Zuschläger.  2)  11.  2.  10: 

Ein  umherfliegendes  Stück  Eisen  trifft  B.  auf  den  Scheitel 

8)  Quetschwunde  bis  zum  Knochen,  Blutung  aus  der 

Nase.  Knochenhaut  durchtrennt.  Puls  08.  21.  2.  Wieder¬ 
aufnahme  des  Heilverfahrens,  nachdem  zuhause  Uebel- 
keit  und  Erbrechen  aufgetreten  waren.  Objektiv  nichts 
Besonderes  4>  Anfang  Mai  1910:  Kopfschmerz,  Binde¬ 
haut  der  Augen  gerötet,  Puls  nach  Bücken  132.  Keine 
Neurose.  10  °/0.  Circa  3/4  Jahre  später  vereinzeltes  Er¬ 
brechen  nach  den  Mahlzeiten,  welches  langsam  zunimmt 
5)  0.  5.  14:  Erbrechen  nach  jedem  Essen  ohne  Uebelkeit. 
Kopfschmerzen,  besonders  im  Liegen.  Schlaflosigkeit  wegen 
innerer  Unruhe.  Allgemeine  Hinfälligkeit.  6)  Erbrechen 
nach  jeder  Mahlzeit,  bei  normaler  Sekretionstätigkeit  der 
Magenschleimhaut.  Starker  Singultus.  Abschwächung  des 
Rachen-,  Hornhaut-  und  Augenbindehautreflexes.  Starke 
psychische  Depression,  kurz-dauernde  Zitteranfälle  an 
Armen  und  Beinen  nach  Aufregungen.  7)  7.  5.  14.  52 
bis  00  mm ;  140  mm;  normal.  8)  Hoesslin  pos.  Rom¬ 

berg  pos. 

Fall  XVI:  0  Friederike  T.  40  Jahre.  2)  Ostern  1912  operative 
Eröffnung  der  linken  Stirnhöhle  und  deren  Rückwand. 
8)  Genaueres  nicht  zu  eruieren.  4)  Seitdem  sich  steigernde 
Kopfschmerzen  mit  zeitweisem  Erbrechen.  5)  17.  9.  13: 
In  Behandlung  genommen  :  Starke  Kopfschmerzen.  Sclnvin- 
delgefühl  beim  Bücken,  Nackensteifigkeit,  zeitweise  Er¬ 
brechen  mit  oder  ohne  Uebelkeit.  8)  Erbrechen,  im  Ver¬ 
lauf  der  Behandlung  mehrmals  starke  Kopfschmerzenan¬ 
fälle  mit  deutlicher  Nackenstarre  und  Andeutung  des 
Kernig’schen  Phänomens.  Puls  dauernd  zwischen  55  und 
00.  Vorübergehender  Dickdarmkatarrh,  Anthrarkosis  pul¬ 
monum.  7)  2.  10.  13.  190  —  205  mm;  ?;  normal.  8) 
negativ. 

Bezüglich  des  Zusammenhanges  des 
Lumbaldruckes  mit  einer  organischen 
V  erletzung  des  Schädelinnern  ergibt 
sich,  dass  10  Fälle  mit  einer  abnormen  Drucksteigerung 
(I,  II,  III,  IV,  VII,  IX,  XI,  XII,  XIV,  XVI)  beobachtet 
wurden,  wovon  9  Fälle  (I,  II,  III,  \  II,  IX,  XI,  XII,  XIV, 
XVI)  sicher  oder  doch  sehr  wahrscheinlich  mit  einer  die 
Dura  affizierenden  Verletzung  einhergehen.  Das  sind 
90  Proz.  Fall  IV7  erlaubt  keine  Entscheidung  über  das 
Vorliegen  einer  solchen  Verletzung,  spricht  aber  jeden¬ 
falls  nicht  gegen  eine  solche,  d.  h.:  Die  Er¬ 
fahrung  bestätigt,  dass  chronische 
Drucksteigerungen  im  Gehirnrücken¬ 
markskanal  nach  Kopfverletzungen 
mit  grösster  W ahrschein lichkeit 
auf  eine  statt  gehabte  organische 
Schädigung  im  Schädelinnern  hin  • 
weisen. 

Geht  man  umgekehrt  von  den  Fällen  mit  vorauf¬ 
gegangener  organischer  Schädigung  aus  und  stellt  ihnen 
die  Zahl  der  mit  Drucksteigerungen  einhergehenden 
gegenüber,  so  zeigt  sich,  dass  von  14  Fällen  (die  oben 
genannten  und  ausserdem  V,  VI,  VIII,  X,)  mit  sicherer 
oder  sehr  wahrscheinlicher,  organischer,  innerer  \  er- 
etzung  9  Fälle  (s.  oben)  mit  Drucksteigerung  einhei- 


DER  MEDIZIN 


j  gehen,  d.  h.  64  Proz.  Also  nicht  jede,  aber 
doch  die  M  ehrzahl  d  e  r  F  ä  1  1  e  mit  or¬ 
ganischen  Schädigungen  i  s  t  von  einer 
abnormen  Drucksteigerung  auf  die 
Dauer  gefolgt. 

Das  vorliegende  Material  ist  zu  klein,  um  der  Frage 
naher  zu  treten,  ob  sich  aus  der  Höhe  des  wahrge¬ 
nommenen  Druckes  oder  der  Tatsache  der  Druck¬ 
steigerung  selbst  Rückschlüsse  auf  die  Art  der  vor¬ 
liegenden  Verletzung  ziehen  lassen.  Dagegen  lassen 
sich  vielleicht  aus  der  Beobachtung  der 
Druckhöhe  beim  Pressen  gewisse  Schlüsse 
auf  die  Beschaffenheit  der  noch  be¬ 
stehenden  organischen  Verletzungs¬ 
folgen  ziehen:  Seit  Januar  1914  habe  ich  bei  den 
Punktionen  systematisch  solche  Messungen  vorgenommen. 
Es  fand  sich  ein  beträchtlicher  Unterschied  der  hierbei 
gemessenen  Druckhöhen  je  nachdem  wir  auch  bei  ge¬ 
wöhnlicher  Atmung  eine  Steigerung  finden  oder  nicht. 
Bei  ersteren  stieg  der  Druck  ganz  unverhältnismässig 
höher  und  insbesondere  auffallend  viel  rascher  an.  Diese 
Steigerung  ist  ohne  Frage  von  einem  evtl.  Reizzustand 
der  Hirnhäute  unabhängig,  stellt  vielmehr  eine  Be¬ 
günstigung  derjenigen  Faktoren  dar,  welche  normaler¬ 
weise  zu  dem  Ansteigen  des  Druckes  beim  Pressen  bei¬ 
tragen,  d.  h.  es  muss  entweder  eine  reichlichere  An¬ 
wesenheit  von  Blutgefässen  an  bestimmten  Stellen  der 
Hirnhäute,  oder  aber  eine  leichtere  Ausdehnungsfähig¬ 
keit  derselben  bei  Drucksteigerungen  angenommen 
werden.  Beide  Eigenschaften  zeigt  für  gewöhnlich  das 
Narbengewebe.  Der  Schluss  liegt  also  nahe,  dass 
sich  die  abnorme  Druckerhöhung 
beim  Pressen  in  hohem  Grade  von 
dem  Vorliegen  von  Narben  ge  webe, 
resp.  reichlicher  Blutgefässbildung  in  deren  Umgebung 
abhängig  zeigen  wird.  Beobachtungen  bei 
Wirbelbrüchen,  die  an  anderer  Stelle  besprochen  werden 
sollen,  veranlassen  mich,  diese  Beziehungen  mindestens 
als  bei  weiteren  Untersuchungen  der  Beachtung  wert  zu 
bezeichnen. 

Mit  diesem  Hinweis  bin  ich  schon  an  die  Frage 
nach  dem  Wesen  der  besprochenen 
Anomalie  herangetreten.  Ich  zeigte  früher  (3), 
dass  die  Hirnhäute  der  Sitz  der  Ursache  sein  müssen. 
Tatsächlich  gehen  alle  beobachteten  Fälle  von  Druck¬ 
steigerungen  mindestens  mit  einer  die  Dura  in  Mitleiden¬ 
schaft  ziehenden  Affektion  einher  (nur  Fall  IV  lässt  hier¬ 
über  nichts  Bestimmtes  erkennen).  Der  entzündliche 
Vorgang,  der  allenfalls  hier  ursächlich  in  Betracht  ge¬ 
zogen  werden  könnte,  eine  chronische  Meningitis  serosa 
muss  ausgeschlossen  werden:  Es  wurden  selbst  bei  lang 
dauernden  Drucksteigerungen  beträchtlichen  Grades  nie 
Stauungspapillen,  fortschreitende  Intelligenzdefekte,  Ver- 
grösserung  des  Schädels,  abnormer  Eiweiss-  oder  Zellen¬ 
gehalt  der  Spinalllüssigkeit  festgestel.lt.  Somit  bleibt  nur 
der  vage  Begriff  einer  „Hirnhautreizung“.  Schönborn 
(4)  wies  darauf  hin,  wie  unbefriedigend  ein  derartiger, 
pathologisch- anatomisch  nicht  zu  rechtfertigender  Begriff 
ist.  Unserer  Erkenntnis  ist  daher  ein  Dienst  erwiesen, 
wenn  wir  versuchen,  die  wahrgenommene  klinische  Er¬ 
scheinung  eindeutiger  zu  erklären.  M.  E.  ist  dies  auf 
folgende  Weise  möglich:  Eine  ohne  fortschreitende 
Folgen  bleibende  Erhöhung  des  Binnendruckes  im  Ge¬ 
hirnrückenmarkskanal  kann  nur  so  gedacht  werden,  dass 
das  physiologische  Gleichgewicht  zwischen  Resorption 
und  Sekretion  gewahrt  bleibt.  Wir  wissen,  dass  beide 
Funktionen  der  serösen  Häute  in  weitem  Umfange  von 
mechanischen  Druckverhältnissen  abhängig  sind.  Eine 
Verletzung  der  Hirnhäute  vermag  einmal  durch  Narben¬ 
bildung  die  resorbierende  Fläche  zu  verkleinern,  indem 
sie  ihre  Funktionsfähigkeit  schwächt  oder  stellenweise 
gar  aufhebt ;  oder  aber  sie  führt  durch  vermehrte  Ge- 


122 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  13. 


fässbildung  und  damit  stärkere  Durchblutung  zu  einer 
Vermehrung  der  Sekretion.  Im  ersteren  Falle  wird  eine 
erhöhte  Druckbildung  nötig  werden,  um  die  noch  übrige 
resorbierende  Fläche  zur  Resorption  in  höherem  Masse 
als  bisher  anzuregen,  evtl,  auch  die  Sekretion  entsprechend 
der  Leistungsfähigkeit  der  Resorption  einzudämmen.  Im 
zweiten  ball  wird  der  Druck  ansteigen,  bis  eine  gewisse 
Höhe  desselben  eine  entsprechend  höhere  Resorption 
gewährleistet  und  die  vermehrte  Sekretion  wiederum 
entsprechend  einschränkt.  Die  Druckerhöhung 
tritt  m.  E.  somit  als  II  e  i  1  f  a  k  t  o  r  zur 
Herbeiführung  eines  Gleichgewichtes 
zwischen  Resorption  und  Sekretion 
auf,  wodurch  eben  der  Charakter 
einer  fortschreitenden  Erkrankung 
ausgeschlossen  ist.  Die  Vermehrung  der 
Sekretion  durch  reichlichere  Durchblutung  der  Hirnhäute 
könnte  allenfalls  noch  als  Reizzustand  der  Meningen  auf¬ 
gefasst  werden,  die  Druckerhöhung  durch  Verkleinerung 
der  resorbierenden  Fläche  dagegen  nicht.  In  dieser  Be¬ 
ziehung  bedarf  somit  das  in  meiner  früheren  Abhand¬ 
lung  Gesagte  der  Korrektur.  Die  Darstellung  des  Wesens 
der  Druckerhöhung  ist  völlig  vereinbar  mit  unseren  oben 
erörterten  Erfahrungen,  dass  wahrscheinlich  alle  Fälle 
mit  chronischer  Druckerhöhung  mit  einer  Verletzung  des 
Schädelinnern  einhergehen,  dass  aber  nicht  alle  or- 
organischen  Schädigung  zu  einer  nachfolgenden  Druck¬ 
erhöhung  führen  müssen.  Die  Auffassung  der  Druck¬ 
erhöhung  als  ein  Heilungsvorgang  hindert  auch  nicht, 
dass  eben  diese  nach  aussen  hin  als  Ursache  subjektiver 
und  objektiver  Krankheitserscheinungen  auftritt. 

Bezüglich  der  subjektiven  Symptome 
beherrschte  der  Kopfschmerz  das  Krankheits¬ 
bild.  Aus  den  Krankengeschichten  ist  eine  für  den  vor¬ 
liegenden  Zustand  typische  Charakterisierung  desselben 
schwer  zu  entnehmen.  Es  rührt  dies  daher,  dass  ich  in 
diese  prinzipiell  nur  freiwillige  Angaben  des  Patienten 
auf  die  Frage  nach  seinen  jetzigen  Beschwerden  auf¬ 
nehme.  In  sehr  sinnfälliger  Übereinstimmung  haben  die 
\  erletzten  aber  bei  näherem  Befragen  ihre  Kopf¬ 
schmerzen  als  „pochend“,  „hämmernd“,  „als  wenn  das 
Herz  im  Kopf  sässe“  beschrieben  und  über  ein  Gefühl 
Klage  geführt:  „als  berste  ihnen  der  Kopf“,  „als  sei 
der  Kopf  zu  klein“,  „als  sei  ein  Band  um  den  Kopf 
gelegt“. 

Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  bezüglich  der  Klage 
über  Schlafsucht.  Nur  zwei  Patienten  haben 
spontan  diese  Klage  vorgebracht.  Andere  gaben  sie  auf 
Befragen  zu,  bei  andern  gewann  ich  den  Eindruck,  als 
besorgten  sie  Misstrauen  gegen  ihre  anderen  Beschwerden, 
wenn  sie  einen  besonders  guten  Schlaf  zugeben  würden. 
Jedenfalls  zeigte  die  Beobachtung  in  allen  Fällen,  mit 
Ausnahme  von  Fall  XVI,  einen  nicht  wesentlich  ge¬ 
störten  Schlaf. 

Als  drittes  bei  den  Fällen  mit  Druckerhöhung  auf¬ 
fallend  häufiges  Symptom  —  auch  hier  stütze  ich  mich 
vorwiegend  auf  die  Ergebnisse  näheren  Befragens  — 
ist  die  Klage  über  Nacken  schmerzen  oder  in 
den  Nacken  ausstrahlende  Kopfschmerzen  zu  nennen. 
Im  Palle  X\  I  steigerte  sich  diese  Klage  bis  zur  objektiven 
Nackenstarre  mit  Andeutung  des  K  e  r  n  i  g  ’  sehen 
Phänomens.  Demgegenüber  zeigten  die  sonstigen  Klagen 
über  Schwindelgefühl,  Erregung,  Blutandrang  zum  Kopf 
und  zahlreiche  andere  neurasthenische  Beschwerden,  die 
von  den  Fällen  mit  und  ohne  Druckerhöhung  hervor¬ 
gebracht  wurden,  bei  näherem  Befragen  keine  für  die 
erstere  Gruppe  typische  Charakterisierung. 

Unter  den  objektiven  Krankheitssym¬ 
ptomen  des  hier  besprochenen  posttraumatischen  Zu¬ 
standes  kommt  dem  Nachweis  der  Druckerhöhung 
durch  die  Lumbalpunktion  die  Hauptbedeutung  zu.  Da¬ 
neben  war  in  6  Fällen  (I,  II,  III,  VII,  IX,  XVI)  der 


Nachweis  einer  auffallenden  Pulsverlangsamung 
zu  führen.  Konstant  war  dieses  Zeichen  hier  somit 
ebenso  wenig  wie  bei  sonstigen  Fällen  von  Ilirndruck 
(Ilydrocephalus,  tumor  cerebri). 

Das  gleiche  V  erhalten  zeigt  das  Symptom  des  E  r  - 
brechen  s.  Es  war  in  4  Fällen  (I,  II,  XI,  XVI) 
nachzuweisen  und  zeigte  sich  besonders  im  F'alle  I  auf¬ 
fallend  abhängig  von  dem  Bestehen  der  Druckerhöhung. 
Das  sogenannte  „Würgen“  dagegen  wird  häufiger,  aber 
auch  gleichermassen  von  Fällen  reiner  Neurastheniegeklagt, 
die  normalen  Lumbaldruck  aufweisen.  Charakteristisch 
für  das  durch  den  erhöhten  Druck  ausgelöste  Erbrechen 
hat  die  nahezu  völlige  oder  gänzliche  Freiheit  von  Übel¬ 
sein  zu  gelten  (zerebrales  Erbrechen). 

Von  den  sonstigen  Symptomen  kann  lediglich  eine 
mehrfach  beobachtete  (i/ III,  IV,  VII,  IX,  XI,)  eigen¬ 
artige,  ohne  Beeinträchtigung  der  psychischen  Leistungs¬ 
fähigkeit  auftretende  Benommenheit  Anspruch 
darauf  machen,  für  das  Bestehen  einer  chronischen  Druck¬ 
steigerung  charakteristisch  zu  sein.  Sie  war  in  den 
Fällen  besonders  in  die  Augen  springend,  welche  über 
Schlafsucht  klagten  (I,  IX,  VII,  Xi.) 

Daneben  machen  sich  freilich  noch  zahlreiche,  rein 
funktionelle  Störungen  von  seiten  des  Nervensystems 
bemerkbar,  die  aber,  da  sie  Charakteristisches  nicht  bieten, 
später  Erwähnung  finden  sollen. 

Nach  V  orstehendem  haben  wir  also  in  den  Fällen 
von  Druckerhöhung  es  mit  einem  klinisch  recht  gut  um¬ 
schriebenen,  posttraumatischen  Krankheitszustand  zu  tun, 
dessen  ätiologische  und  pathologisch-anatomische  Zu¬ 
sammenhänge  ebenfalls  dem  Verständnis  zugänglich  sind. 
Ich  halte  es  daher  für  zweckmässig,  in  der  P'olge  eine 
kurze,  prägnante  Bezeichnung  dafür  zu  gebrauchen 
und  schlage  den  Namen  seröse  Hypertonie 
vor  (Hypertonia  serosa  cerebro-spinalis  posttraumatica). 
Die  Berechtigung  einer  solchen  Begrifisbildung  steht 
und  fällt  mit  ihrem  Wert  für  die  Klinik.  Dieser  ist  m. 
E.  nicht  zu  unterschätzen.  Zwei  Punkte  interessieren 
nächst  der  Diagnose  die  Klinik,  die  Prognose  und  die 
Therapie,  beide  insbesondere  in  der  Unfallpraxis  von 
eminenter  Bedeutung. 

Bezüglich  der  Prognos  e  des  vorgetragenen 
Krankheitsbildes  ist  aus  den  gegebenen  theoretischen 
Erwägungen  zu  folgern,  dass  sie  bezüglich  des 
Lebens  günstig,  bezüglich  völliger 
objektiver  und  subjektiver  Heilung 
dagegen  mindestens  vorsichtig  ge¬ 
stellt  werden  muss.  Nach  den  Beobachtungen  bei  Hirn¬ 
geschwülsten  darf  man  jedoch  erwarten,  dass  durch 
Gewöhnung  an  die  veränderten  Druckverhältnisse 
mit  der  Zeit  ein  teilweises  bis  völliges  Abklingen  der 
sekundären  Folgeerscheinungen  der  Hypertonie  eintreten 
kann.  Der  Grad  der  Gewöhnung  wird  allerdings  ebenso 
wie  bei  andern  Arten  von  Drucksteigerungen  (tumor) 
auch  hier  individuell  sehr  verschieden  sein.  Diese  theo¬ 
retisch  deduzierte  Voraussage  wird  von  den  mitgeteilten 
Krankengeschichten  in  vollem  Umfange  bestätigt.  Die 
Druckerhöhung  sowohl  wie  ihre  subjektiven  und  objek¬ 
tiven  Begleiterscheinungen  wurden  noch  viele  Jahre,  im 
Falle  IV  sogar  1 1  Jahre  nach  dem  Unfälle  wahrgenommen 
und  bewirkten  eine  beträchtliche  Erwerbsbeschränkung. 
Wir  sehen  aber  den  Grad  der  wahrgenommenen  Druck¬ 
erhöhung  in  keinem  der  seit  dem  Unfall  verflossenen 
Zeit  entsprechenden  Verhältnis  stehen,  ebensowenig  die 
noch  anzunehmende  Erwerbsbeschränkung.  Die  Ge¬ 
wöhnung  ist  somit  in  hohem  Masse,  wie  vorauszusehen 
war,  von  der  Individualität  des  Verletzten,  wahrscheinlich 
auch  von  der  meist  unkontrollierbaren  Ausdehnung  der 
organischen  Schädigung,  von  der  Lebensweise  des  Ver¬ 
letzten  und  anderem  beeinflusst.  Das  bisher  gesammelte 
Material  erscheint  daher  zu  gering,  um  etwaigen  all¬ 
gemeingültigen  Beziehungen  zwischen  dem 


Nr.  13. 


FORTSCHRITTE  ÜER  MEDIZIN. 


123 


Grad  der  Hypertonie,  der  seit  dem 
Unfall  verflossenen  Zeit  und  der 
jetzigen  Arbeitsfähigkeit  nachzugehen. 
Diese  für  die  Unfallbegutachtung  äusserst  wichtige  Frage 
bleibt  weiteren  Beobachtungen  zur  Beantwortung  über¬ 
lassen.  Dessen  ungeachtet  werden  die  bisherigen  Be¬ 
obachtungen  schon  heute  im  gegebenen  Einzelfall  sehr 
wertvolle,  manchmal  sogar  ausschlaggebende  Fingerzeige 
bei  der  Beurteilung  liefern  können. 

Auch  auf  dem  Gebiet  der  Therapie  vermag 
m.  E.  der  durch  die  Aufstellung  des  Krankheitsbildes 
der  Hypertonie  gewonnene  Gesichtspunkt  befruchtend 
zu  wirken:  Es  wird  zu  priiten  sein,  ob  neben  allgemein 
ableitenden  Massnahmen  die  Anwendung  narben¬ 
erweichender  Mittel  (Fibrolysin)  günstige  Resultate  zu 
erzielen  vermag.  Ein  diesbezüglicher,  von  mir  einge¬ 
leiteter,  aber  noch  nicht  abgeschlossener  Versuch,  Fall 
XVI,  erscheint  mir  mindestens  der  Nachprüfung  wert. 
Ferner  werden  wiederholte  Punktionen,  in  desolaten 
Fällen  evtl,  auch  entlastende  Operationen  in  Erwägung 
zu  ziehen  sein. 

Ich  wende  mich  einigen  differentialdia¬ 
gnostischen  Bemerkungen  zu,  lediglich  in 
der  Absicht,  hierdurch  die  Vorteile  des  hier  vor¬ 
geschlagenen  Krankheitsbegriffes  zu  illustrieren.  Zu¬ 
nächst  ein  Wort  zur  Frage  der  Simulation  und 
Aggravation:  mit  geradezu  erstaunlicher  Exakt¬ 
heit  lässt  sich  an  Hand  der  Krankengeschichten  nach- 
weisen,  dass  die  Fälle  von  posttraumatischer  seröser 
Hypertonie  frei  von  objektiven  Simu- 
lations  -  und  Aggravations-Versuchen 
sind.  Fall  IX  macht  hier  allein  eine  Ausnahme,  indem 
er  Schwanken  bei  Augenfussschluss  darbietet,  welches 
bei  abgelenkter  Aufmerksamkeit  verschwindet.  Doch 
zeigte  er  bei  der  Beobachtung  mit  Sicherheit  einen 
schwankenden  Gang.  Es  handelt  sich  also  evtl,  doch 
um  eine  entschuldbare,  psychische  Selbstbeeinflussung. 
Die  Rückwirkung  dieser  Erkenntnis  auf  die  Beurteilung 
der  vorgebrachten  subjektiven  Beschwerden  und  des 
ganzen  Falles  liegt  auf  der  Hand,  zumal  die  andern  Ver¬ 
letzten  meist  hochgradig  aggravierten  und  unsere  Hülfs- 
mittel,  die  Berechtigung  subjektiver  Kopfbeschwerden 
nachzuweisen,  recht  beschränkte  sind.  Fall  XV  war 
besonders  lehrreich  in  dieser  Hinsicht,  da  bei  ihm  das 
Erbrechen  stark  für  eine  Druckerhöhung,  die  nach¬ 
gewiesenen  hysterischen  Stigmata  und  besonders  die 
starken  Simulationsversuche  aber  gegen  eine  solche 
sprachen. 

Bei  der  Beurteilung  der  hier  besprochenen  Ver¬ 
letzungsfolgen  wird  sehr  häufig  die  Hysterie  mit 
dem  Krankheitsbild  der  serösen  Hypertonie  in  Kon¬ 
kurrenz  treten.  In  dieser  Hinsicht  sind  Fall  II  und  XV 
von  grossem  Interesse,  weil  sie  in  Übereinstimmung  mit 
dem  Ergebnis  der  Lumbalpunktion  auch  in  ihrem 
äusseren  Verlauf  die  Verschiedenartigkeit  der  Genese 
ihres  sonst  sehr  ähnlichen  objektiven  Krankheitszustandes 
erkennen  lassen:  Fall  II,  mit  Druckerhöhung  einher¬ 
gehend,  zeigt  seine  Beschwerden  seit  seiner  Verletzung 
in  ununterbrochenem  Zusammenhänge  und  bleibt  frei 
von  Aggravation.  Fall  XV,  mit  normalen  Druckverhält¬ 
nissen,  dagegen  ist  erst  arbeitsfähig  und  fast  völlig  frei 
von  subjektiven  Beschwerden  ;  nach  3/4  Jahren  entwickelt 
sich  langsam  das  hysterische  Krankheitsbild  unter  gleich¬ 
zeitigem  Auftreten  von  allerlei  Täuschungsversuchen. 
Rein  differential  -  diagnostisch  ist  ausserdem  das  ver¬ 
schiedene  Verhalten  der  Punktion  resp.  der  dabei  statt¬ 
findenden  Druckerniedrigung  gegenüber  ausserordentlich 
markant:  Fall  II  zeigt  nach  der  Druckerniedrigung  kein 
Erbrechen  mehr,  Fall  XV  bleibt  von  der  Punktion  völlig 
unbeeinflusst,  erfährt  eher  sogar  eine  gewisse  Ver¬ 
schlimmerung  in  der  ersten  Zeit-  Beachtet  man  die 
ausserordentlich  verschiedenartige  versicherungstech¬ 


nische  Beurteilung,  welche  hysterische,  also  rein  funk¬ 
tionelle,  und  organische  Erkrankungen,  wie  die  seröse 
Hypertonie,  erfahren  müssen,  so  erhellt  daraus  die 
Wichtigkeit,  diese  letzteren  Krankheitsfälle  aus  der 
Masse  der  posttraumatischen  Krankheitszustände  nach 
Kopfverletzungen  zu  isolieren. 

Besonderes  Interesse  gewinnt  die  Besprechung  der 
traumatischen  Neurose.  Sind  doch  alle  bisher 
von  mir  beobachteten  Fälle  von  Hypertonie  unter  diesen 
Begriff  subsumiert  worden.  Es  frägt  sich,  haben  wir 
die  bei  nachgewiesener  Druckerhöhung  vorhandenen  sub¬ 
jektiven  und  objektiven  Störungen  als  Folgen  dieser 
Druckerhöhung  oder  lediglich  als  nervöse,  davon  un- 
abhängigejfunktionelle  Begleiterscheinungen  zu  betrachten, 
oder  aber  liegt  eine  Kombination  beider  vor?  Das  Er¬ 
brechen  in  Fall  II  und  die  Steigerung  der  Kniescheiben¬ 
reflexe  im  Fall  III  gingen  nach  der  Druckerniedrigung 
zurück;  die  Unfähigkeit,  Urin  und  Stuhl  anzuhalten 
(Fall  I)  schwand  nach  ausgiebiger  Punktion  ;  im  gleichen 
Falle  behob  sich  die  starke  Benommenheit.  Nach  Ana¬ 
logie  der  Beobachtungen  bei  anderweitig  bedingten 
Drucksteigerungen  müssen  wir  auch  die  durch  die  Be¬ 
obachtung  in  unseren  Fällen  mehrfach  "sichergestellte 
Schlafsucht  als  durch  diese  bedingt  ansehen.  Beweis 
genug,  dass  wir  eine  Reihe  objektiver,  nervöser  Be¬ 
gleiterscheinungen  und  zwar  gerade  diejenigen,  die  wir 
als  besonders  häufig  bei  der  Hypertonie  auftretend  er¬ 
kannt  haben,  als  unmittelbare  Folgen  der  Drucksteigerung 
anzusehen  haben.  Auf  der  anderen  Seite  begegnen  wir 
zahlreichen  subjektiven  und  objektiven  funktionellen 
Störungen,  deren  Zusammenhang  mit  der  Drucksteigerung 
nicht  nachzuweisen  ist:  Zittererscheinungen, Dermographie, 
innere  Unruhe,  psychische  Depression  oder  Erregung, 
erhöhte  Reizbarkeit  aller  Sinnesorgane,  hysterische 
Stigmata,  Herzfunktionsstörungen,  Nervenschmerzen 
und  vieles  andere,  Symptome,  welche  in  gleicher  Weise 
auf  die  Fälle  von  Hypertonie  und  diejenigen  ohne  Druck¬ 
steigerung  verteilt  sind.  Es  sind  dies  nach  unserer 
zeitigen  Auffassung  rein  funktionelle  Störungen  des 
Nervensystems  im  Sinne  der  traumatischen  Neurose. 
Wir  werden  also  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Hyper¬ 
tonie  die  charakteristischen  Symptome 
derselben  mit  funktionellen  Stö¬ 
rungen  aus  dem  Gebiet  der  trauma¬ 
tischen  Neurose  durchsetzt  finden. 

Lässt  sich  nun  nachweisen,  dass  eine  bestimmte 
Gruppierung  funktioneller  Störungen  der  traumatischen 
Neurose,  welche  nach  der  kürzlich  von  Horn  (5)  ge¬ 
gebenen  Einteilung  als  charakteristisch  anzusehen  ist, 
besonders  häufig  sich  dem  Krankheitsbild  der  Hypertonie 
beigesellt?  Horn  hat  treffend  darauf  hingewiesen, 
dass  sich  bei  zunehmender  zeitlicher  Distanz  der  Unter¬ 
suchung  vom  Unfall  der  charakteristische  Symptom¬ 
komplex  stark  verwischt.  Gehen  wir  dementsprechend 
von  den  Gutachten  nach  Abschluss  des  Heilverfahrens 
aus,  so  treten  zwei  Formen  deutlich  hervor:  Das  Bild 
der  Schreckneurose  (III,  IV,  VII)  mit  vor¬ 
wiegender  Alteration  des  Blusgefässsystems  und  die  so¬ 
genannten  reinen  Fälle  (II,  IX,  XI,  XII,  Xl\  ,  X\  I) 

mit  lediglich  unvermeidlichen  zere¬ 
bralen  Alterationen.  Dagegen  fanden  sich 
keine  lokalen  Neurosen  oder  Neurosen,  wie  sie  Horn 
als  typisch  nach  allgemeinen  Erschütterungen  be¬ 
schrieben  hat. 

Unterzieht  man  die  Fälle  mit  sicherer  organischer 
Läsion  im  Schädelinnern  ohne  nachfolgende  Druck¬ 
steigerung  (V,  VI,  VIII,  X)  einer  ähnlichen  Durchsicht, 
so  fällt  bei  ihnen  ein  auffallend  rascher  Heilungs¬ 
verlauf  und  eine  nahezu  völlige  Freiheit  von  funk¬ 
tionellen  Störungen  nach  Abschluss  des  Heilverfahrens 
in  die  Augen.  Recht  interessant  ist  der  weitere  V7erlauf 
dieser  Fälle;  Fall  V  bietet  fünf  Jahre  nach  seinem  Un- 


124 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  13. 


falle  die  Zeichen  einer  hysterischen  Gefühlslähmung  und 
starken  hypochondrisch  -  quärulativen  Charakter  dar. 
Fall  VI,  ein  stark  gealterter  Mann,  leidet  an  zunehmenden, 
allein  schon  durch  die  Arteriosklerose  verständlichen  Be¬ 
schwerden,  die  er  aber  dem  Unfall  zur  Last  legt.  Fall 
VIII  klagt  drei  Jahre  später  über  zahlreiche  subjektive 
Beschwerden  und  leidet  an  einer  stits  gleichbleibenden 
beträchtlichen  Pulsbeschleunigung.  Die  Beobachtung 
ergibt  einen  täglichen  Verbrauch  von  12 — 20  Zigaretten. 
Fall  X  endlich  bietet  2 1/,  Jahre  später  das  Bild  einer 
„Neurose“,  Pulsbeschleunigung,  Dermographie,  Magen¬ 
druck,  lässt  aber  gleichzeitig  den  begründeten  Verdacht 
auf  chronischen  Alkoholismus  zu.  Ist  es  nicht  auffallend, 
dass  sich  gerade  in  den  Fällen,  bei  denen  die  Ver¬ 
letzung  so  günstig  abheilte,  dass  eine  dauernde  Störung 
des  Binnendruckes  der  Schädelkapsel  ausblieb,  die  nach¬ 
träglich  auftretenden  nervösen  Störungen  offensichtlich 
vom  Unfall  unabhängig  sich  erweisen?  In  nicht  zu  ver¬ 
kennendem  Zusammenhänge  damit  steht  die  Beobachtung, 
dass,  im  Gegensatz  zu  den  Fällen  von  Hypertonie,  diese 
ausgesprochene  Täuschungsversuche  darboten. 

Demgegenüber  zeigen  die  Fälle  mit  Drucksteigerung 
von  Anfang  an  einen  gleichbleibenden  oder  höchstens 
gleichmässig  abnehmenden  Grad  ihrer  subjektiven  Be¬ 
schwerden  und  werden  frei  von  Alkohol-  und  Tabak¬ 
missbrauch  oder  sonstigen  Momenten  gefunden,  welche 
ihre  Beschwerden  erklärten.  Die  Frage,  ob  die  Hyper¬ 
tonie  dem  Fortbestehen  einzelner  funktioneller,  dem  Bild 
der  traumatischen  Neurose  zuzurechnender  Symptome 
besonders  günstig  ist,  konnte  nicht  entschieden  werden. 
Teils  ist  das  Material  hierfür  zu  wenig  umfangreich, 
teils  Hessen  Einheitlichkeit  und  Ausführlichkeit  der 
Zwischengutachten  im  Stich. 

Nach  Vorstehendem  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass 
die  Fälle  von  organischen  Verletzungen  im  Schädel- 
innern,  welche  späterhin  keine  Druckerhöhung  zeigen, 
auch  schon  beim  Abschluss  des  Heilverfahrens  eine  solche 
nicht  darbieten.  Unter  Berücksichtigung  des  eben  ge¬ 
schilderten  verschiedenartigen  Verlaufes  der  Fälle,  je 
nachdem  eine  Drucksteigerung  eintritt  oder  nicht,  lässt 
die  Untersuchung  des  Verletzten  nach  den  hier 
gegebenen  Gesichtspunkten  zurzeit  des  Abschlusses 
des  Heilverfahrens  als  besonders  wichtig 
erscheinen.  Zweifellos  könnte  auf  diese  Weise 
durch  frühzeitige  Hinzuziehung  des  internen  Gutachters 
ein  Wegfall  der  häufig  zur  Auslösung  einer  Rentenhysterie 
oder  einer  Simulation  führenden  langjährigen,  höheren 
,, Übergangsrenten“  und  eine  von  vornherein  wesentlich 
klarere,  prognostische  Beurteilung  des  F'alles  herbei¬ 
geführt  werden,  ein  Umstand,  welcher  der  Erhaltung 
der  Arbeitskraft  der  Versicherten  sowohl  als  auch  den 
Versicherungsträgern  zugute  kommen  würde. 

Die  früher  von  mir  angeregte  F'rage,  ob  durch  die 
hier  gegebenen  Gesichtspunkte  eine  Trennung  der 
Kontusio  von  der  Kommotio  cerebri 
(Bergmann)  möglich  ist,  muss  vom  theoretischen 
Standpunkte  aus  bejaht  werden ;  doch  mit  der  Ein¬ 
schränkung,  dass  nur  dann  die  Hirnquetschung  sich 
durch  eine  Drucksteigerung  bemerkbar  machen  kann, 
wenn  mit  den  Läsionen  der  Gehirnmasse  auch  solche  der 
Hirnhäute  gesetzt  worden  sind,  was  praktisch  wohl  stets 
der  Fall  sein  wird.  Für  das  chirurgische  Vorgehen  kurz 
nach  dem  Unfälle  wird  eine  solche  Unterscheidung  keine 
Bedeutung  gewinnen  können.  Ihr  Wert  liegt  in  der 
Möglichkeit  einer  präziseren  Prognosestellung.  Berück¬ 
sichtigt  man,  dass  selbst  bei  dem  so  günstigen  Ab¬ 
findungsmodus  der  Eisenbahnverwaltung  Horn  unter 
136  Fällen  noch  14  Proz.  findet,  welche  sich  nicht  ge¬ 
bessert  (2,2  Proz.  davon  sogar  verschlimmert)  haben,  so 
erhellt  daraus  für  die  Unfallversicherung  die  Forderung, 
gerade  die  Prognose  äusserst  kritisch  zu  stellen.  Liegt 
nicht  der  Gedanke  nahe,  dass  wenigstens  ein  Teil  dieser 


von  H  o  r  n  vorgetragenen  Fälle  von  „traumatischer  Neu¬ 
rose“  nach  Kopfverletzungen,  die  auf  die  sonst  so  günstig 
wirkende  Abfindung  nicht  reagierten,  unter  das  hier  auf¬ 
gestellte  Krankheitsbild  gehörte  ?  Seine  Angabe,  dass 
sicher  in  einem  Teil  der  Fälle  die  schwere  und  die  or¬ 
ganische  Komplikation  zu  dem  ungünstigen  Verlauf  bei¬ 
getragen  habe,  macht  dies  zum  mindesten  sehr  wahr¬ 
scheinlich. 

Weitere  differential-diagnostische  Bemerkungen  er¬ 
übrigen  sich.  Zum  Schluss  möchte  ich  nur  noch  hin- 
weisen  auf  die  W  i  r  k  u  n  g  des  hier  formulierten  Krank¬ 
heitsbildes  hinsichtlich  der  praktischen  Gestaltung 
der  Begtachtung:  Der  Nachweis  eines  normalen 
Lumbaldruckes  war  in  drei  Fällen  die  einzige  Möglich¬ 
keit,  die  vom  Gesetz  verlangte  wesentliche  Änderung  in 
den  der  Beurteilung  zugrunde  liegenden  Verhältnissen 
nachzuweisen  (V,  VI,  VIII).  In  vier  Fällen  (II,  XII, 
XIV,  XV)  konnte  durch  den  Nachweis  eines  normalen 
Druckes  die  damit  gewährleistete  gute  Prognose  zum 
Vorteil  des  Versicherten  und  Versicherungsträgers  die 
Abfindung  empfohlen  werden.  In  zwei  weiteren  Fällen 
(IV,  IX)  führte  der  Nachweis  einer  Drucksteigerung  zu 
einer  vorsichtigeren  Beurteilung:  Langsamerem  Renten¬ 
kürzungsverfahren,  resp.  Beibehaltung  der  bestehenden 
Rentenhöhe.  Im  Fall  XI  war  das  Ergebnis  der  Lumbal¬ 
punktion  sogar  Veranlassung,  das  nur  dadurch  als 
dringend  erkannte  Heilverfahren  wieder  aufzunehmen. 

Ohne  die  Bedeutung  des  hier  gegebenen  Gesichts¬ 
punktes  zu  überschätzen,  glaube  ich  doch  ein  gewisses 
Gefühl  der  Sicherheit  hervorheben  zu  müssen, 
welches  durch  ihn  in  die  Beurteilung  der  nach  Kopf¬ 
verletzungen  zurückbleibenden  nervösen  Beschwerden 
hineingetragen  wurde.  Wir  wissen,  dass  die  Wirkung 
solcher  Störungen  auf  die  Erwerbsfähigkeit  des  Patienten 
in  überwiegendem  Masse  von  der  psychischen  Reaktion 
des  Einzelnen  der  Arbeit  gegenüber  abhängt  Art  dieser 
Arbeit,  Stimmung,  Lebensgewohnheiten,  äussere  persön¬ 
liche  und  seelische,  ja,  Witterungseinflüsse  werden  diese 
Reaktion  und  damit  den  Grad  der  Erwerbsfähigkeit 
ändern.  Bewusst  oder  unbewusst  spielen  bei  solchen 
Schwierigkeiten  der  Beurteilung  der  momentane  Ver¬ 
dienst  des  Verletzten,  Entscheidungen  des  R.  V.  Ai 
grundsätzlicher  Art,  Charakter  des  Untersuchten  (ob 
dem  Arzt  sympathisch  oder  nicht),  eine  bedeutende,  nicht 
selten  ausschlaggebende  Rolle.  Ich  empfand  es  als  einen 
Vorteil,  dass  dem  Gutachter  in  den  zur  Hypertonie  ge¬ 
hörigen  Fällen  objektive  Anhaltspunkte,  wie  Druck¬ 
erhöhung,  davon  abhängige  objektive  und  subjektive 
Symptome,  die  Möglichkeit  einer  Gewöhnung  und  der 
Ausschluss  von  Simulations-  und  Aggravationsverdacht 
erhebliche  positive  Anhaltspunkte  an  die  Hand  gegeben 
wurden.  Umgekehrt  verschaffte  der  Nachweis  normaler  i 
Druckverhältnisse  für  die  übrigen  Fälle  die  Möglichkeit, 
unberechtigten  Ansprüchen  energischer  entgegenzutreten. 
Ich  habe  den  bestimmten  Eindruck, 
dass  durch  Aufstellung  des  Krankheitsbildes  der  serösen 
Hypertonie  eine  gerechtere  Beurteilung 
der  E  r*w  e  r  b  s  b  e  s  c  h  r  ä  n  k  u  n  g  und  damit 
eine  gerechtere  Verteilung  der  Renten- 
b  e  z  ü  g  e  ermöglicht  würde. 

Literaturverzeichnis: 

1.  Quincke,  D  m.  W.  1905  Nr.  47. 

2.  Sahli,  Lehrb.  D.  klin.  Untersuchungsmethoden,  Leipzig 

1909. 

3  Rin  d  erspacher,  Zeitschrift  f.  Versicherungsmedizin, 

1914  Heft  4 

4.  Schönborn,  D.  Arch.  f.  clin.  Med.  1905. 

5  Horn,  über  nervöse  Erkrankungen  nach  Eisenbahnunfällen, 

Alb.  Jahn,  Bonn  1913. 


Nr.  13 


125 


FORTSCHR ITTR  DER  MEDIZIN, 

Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Zur  Pathologie  der  Zwillingsschwangerschaft 

Von  Prof.  Dr.  Walther. 

(Repertorium  der  prakt.  Medizin.  Heft  21  u.  22.) 

In  Anbetracht  der  vielfachen  Störungen,  die  eine 
mehrfache  Schwangerschaft  mit  sich  bringen  kann,  er¬ 
örtert  der  Verf.  an  der  Hand  eigener  Erfahrungen  in 
der  konsultativen  Praxis  die  Gefahren,  die  schon  in 
der  Schwangerschaft,  besonders  aber  bei  der  Geburt 
auftreten  können.  In  der  Schwangerschaft  ist  die 
Komplikation  mit  Nephritis,  sodann  aber  auch  mit 
Hydramnion  besonders  beachtenswert.  Bei  eineiigen 
Zwillingen  kommt,  wenn  auch  selten,  das  akute 
Hydramnion  vor.  Auch  Missbildungen  sind  bei  eineiigen 
Zwillingen  zu  beachten.  Verf.  teilt  einen  schweren  Ge¬ 
burtsfall  mit,  der  durch  einen  acardiacus  veranlasst 
wurde.  Von  besonderem  klinischen  Interesse  ist  das 
Zusammentreffen  der  Zwillingsschwangerschaft  mit 
Eklampsie.  Bei  dem  Zwillingsabort  sind  die  Blutungen 
mitunter  recht  beträchtlich.  Die  seltene  Komplikation 
des  Zwillingsabortus  mit  Blasenmole  des  einen  Eies  wird 
erwähnt.  Von  besonderem  Interesse  für  die  Praxis  sind 
die  Gefahren  der  Geburt  bei  Zwillingen,  weil  er- 
fahrungsgemäss  die  Hebammen,  wenn  nicht  vorher  schon 
Komplikationen  vorhanden  waren,  erst  bei  oder  nach  der 
Geburt  (des  ersten  Zwillings)  zum  Arzte  zu  schicken 
pflegen.  Bei  der  Geburt  sind  es  die  Falschlagen  der  Frucht, 
die  in  48  Proz.  der  Fälle  Vorkommen  und  zu  Störungen 
Anlass  geben  können,  insbesondere  bei  der  zweiten 
Frucht.  Zu  der  sogen,  unterbrochenen  Geburt  (d.  i.  Ver¬ 
zögerung  der  Geburt  des  zweiten  Kindes)  teilt  Verf.  ein 
Beispiel  mit,  das  die  Gefahren  illustriert,  die  1.  in  Fieber, 

2.  in  vorzeitiger  Lösung  der  Plazenta  bestehen.  Die 
Geburt  des  zweiten  Zwillings,  die  in  85  Proz.  der  Fälle 
innerhalb  2  Stunden  erfolgt,  soll  jedenfalls  nicht  zu  sehr 
verzögert  sein.  Sehr  wichtig  sind  auch  die  mechanischen 
Störungen,  z.  B.  das  Kreuzen  der  Köpfe.  Von  besonderer 
Bedeutung  ist  bei  jeder  Zwillingsgeburt  die  Nachgeburts¬ 
zeit,  die  auch  bei  regelmässigem  Verlauf  mit  stärkerer 
Blutung  einhergeht.  Sehr  gefährlich  ist  die  vorzeitige 
Lösung  der  Plazenta  vor  der  Geburt  des  zweiten  Kindes. 
Schliesslich  ist  der  Zustand  post  partum  wegen  der 
Gefahr  der  Atonie  und  das  Wochenbett  wegen  der  ver¬ 
zögerten  Rückbildung  noch  zu  beachten.  Bezüglich 
Einzelheiten,  auch  der  Kasuistik  sei  auf  das  Original 
verwiesen,  das  jetzt  als  gesondertes  Heft  erscheinen 
wird.  Autoreferat. 


Ueber  ein  neues,  mehr  mechanisches  Wund¬ 
desinfektionsmittel,  „Scobitost“  genannt. 

Mitteilung  von  Dr.  med.  Rat  n  er,  Wiesbaden. 

Die  Wunddesinfektion  in  ihrer  eminenten 
Wichtigkeit  und  ganz  speziell  in  schwerer  Kriegs¬ 
zeit  mit  den  unvermeidlichen  schrecklichen  und  gefähr¬ 
lichen  Verwundungen,  bildet  eine  der  wichtigsten 
Fragen  der  Hygiene  und  Prophylaxe  ...  Wer 
kennt  nicht  den  ominösen  „Spitalbrand“  früherer  Zeiten 
und  seine  gefahrvolle  Ausbreitung?  Es  ist  deshalb  stets 
mit  Freuden  zu  begrüssen,  über  neue,  billige,  im  Felde 
leicht  zu  handhabende  Wunddesinfektionsmittel  zu 
verfügen  .  .  .  Die  mechanische  Wirkung  des  Alkohols 
bei  der  Asepsis  kennen  wir,  ebenso  des  Jods  .  .  .  Nun 
ist  ein  Mittel  —  wie  vorliegende  Berichte  aus 
grossen  Krankenhäusern  besagen  —  da,  das,  aus 
gerösteten  Sägespänen  dargestellt,  als  schwarzes 
Pulver  auf  grosse  eitrige,  ja  jauchige  Wund¬ 


flächen  gestreut,  die  W undsekretion  sowie  die  Infektion 
hemmt,  ja  beseitigt!  Es  soll  sich  auch  für 
schwere  Kriegsverwundungen  sehr  bewährt 
haben. 

Gepulvertes  Holz,  speziell  R  i  n  d  e  als  Wundheilungs¬ 
mittel  zu  gebrauchen,  diese  Idee  ist  uralt,  speziell  im 
Orient  seit  grauer  Vorzeit  verbreitet.  Schon  vor  vielen, 
vielen  Jahrhunderten  pflegten  diejüdischen 
Beschneider  (M  6  h  a  1  i  in)  zur  schnellen 
Heilung  das  wunde  Glied  ohne  jegliche 
Bedeckung  nur  mit  gepulvertem,  altem 
Holz  zu  bestreuen,  als  man  noch  von  Antiseptik 
nicht  die  leiseste  Ahnung  hatte.  (Jetzt  nur  noch  i  n 
Polen  im  Gebrauch  !) 

Also  das  Aufleben  einer  alten  Idee  in  mo¬ 
derner  borm!  Nicht  alleinselig  machende  synthetisch¬ 
chemische  Antiseptika,  mit  ihren  m  a  n  c  h  m  a  1  u  n  a  n  g  e- 
n  e  h  m  e  n  Nebenwirkungen,  sondern  auch  m  e  c  h  a  n  i- 
s  c  h  e  Mittel  sind  wirksam.  Oder  sind  die  bei  Röstung 
des  Holzes  entstehenden  Kresole,  Phenole  usw.  mit  wirk¬ 
sam  ?  Jedenfalls  ist  das  Scobitost  der  Beachtun  g 
und  des  weiteren  S  tudiums  wert ! 


Beobachtungen  an  einem  Falle  von  paroxysmaler 

Hämoglobinurie. 

Von  Privatdozent  Dr.  Hugo  P  r  i  b  r  a  m  ,  Prag.  (I.  Assistent  der 

Klinik  R.  v.  J  a  k  s  c  h.) 

(V  ortrag,  gehalten  im  Verein  deutscher  Ärzte  in  Prag, 
am  5.  November  1915). 

Der  vorgestellte  Soldat  zeigt  die  typischen  Sym¬ 
ptome  einerparoxysmalen  Hämoglobinurie.  Beobachtungen 
an  dem  Falle: 

1.  Durch  Kältetraumen  traten  zuerst  nur  frustrane 
dann  manifeste  Anfälle  mit  Hämoglobinurie  auf. 

2.  Lordose  allein  sowie  Marschfrieren  in  Lordose  führten 
weder  zur  Ausscheidung  von  Blut,  noch  von  Eiweiss 
oder  Urobilin. 

3.  Nach  einem  frustranen  xAnfall  stieg  die  Erythro¬ 
zytenzahl  offenbar  durch  Eindickung  des  Blutes.  Dies 
bewies  die  Zunahme  der  Trockensubstanz  und  der 
Refraktion  des  Serums. 

4.  Die  Resistenz  der  Erythrozyten  gegen  Saponin 
war  bei  wiederholten  Untersuchungen  normal,  nach  dem 
Kälteversuche  erhöht,  wahrscheinlich  infolge  der  Zer¬ 
störung  der  weniger  resistenten  Blutzellen.  Die  Resistenz 
gegen  hypisotonische  Lösungen  war  etwas  wechselnd, 
im  allgemeinen  normal. 

5.  Fünf  Bestimmungen  des  Cholesteringehaltes  des 
Serums  vor  und  nach  Kälteversuchen  hatten  folgendes 
Ergebnis.  Vor  und  nach  dem  Kälteversuch  änderte  sich 
der  Cholesterinspiegel  des  Blutes  nicht.  Zur  Zeit  des 
frustranen  Anfalles  war  viel,  zur  Zeit  der  manifesten 
Anfälle  wenig  Cholesterin  im  Serum  nachweisbar.  Auch 
in  einem  früher  beobachteten  Falle  mit  frustranen  An¬ 
fällen  hatte  der  Autor  hohe  Cholesterinwerte  gefunden. 

6.  Die  Do  n  a  th  -  La  n  dst  e  i  n  er’sche  Reaktion 
war  zur  Zeit  des  frustranen  Anfalles  negativ,  zur  Zeit 
der  manifesten  Anfälle  positiv. 

Aus  diesen  Befunden  lässt  sich  mit  einiger  Wahr¬ 
scheinlichkeit  ein  Zusammenhang  zwischen  Cholesterin¬ 
stoffwechsel  und  Auftreten  der  Hämoglobinurie  ableiten: 
Bei  hohem  Cholesteringehalt  Ausfall  oder  Verminderung 
der  Hämolyse  in  vitro  und  in  vivo,  ein  Zusammenhang, 
der  um  so  mehr  an  Wahrscheinlichkeit  gewinnt,  als 
Cholesterinzusatz,  wie  man  durch  Lindblom  weiss. 


126 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  13. 


das  Auftreten  der  Kaltehämolyse  in  vitro  hemmt  und 
Cholesterinzufuhr  den  Verlauf  der  paroxysmalen  Hämo¬ 
globinurie  günstig  beeinflussen  kann. 

7-  Die  Wassermann  sehe  Reaktion  war  bei 
wiederholten  Untersuchungen,  auch  nach  reichlicher 
Cholesterinzufuhr  positiv. 

Durch  Cholesterinzufuhr  per  os  gelang  es  nicht,  die 
Erkrankung  zu  beeinflussen  und  eine  wesentliche  Er¬ 
höhung  des  Cholesterinspiegels  des  Blutes  zu  erzielen. 

Die  Beobachtungen  an  diesem  Kranken  mussten 
unterbrochen  werden,  da  der  Kranke  die  Klinik  von 
Jaksch  verlassen  musste,  sodass  es  vorläufig  nicht  mög¬ 
lich  war,  durch  Wiederholung  und  Variation  der  Ver¬ 
suche  die  Resultate  auf  ihre  Allgemeingültigkeit  und 
Konstanz  zu  prüfen.  Sie  seien  bei  der  Seltenheit  der 
Erkrankung,  auch  jetzt  zu  Kriegszeiten,  daher  bereits 
jetzt  kurz  mitgeteilt.  (Autoreferat.) 


Neues  über  Keuchhustenbehandlung. 

In  der  Therapie  des  Keuchhustens  erfreut  sich  das 
vor  ungefähr  6  Jahren  allgemein  bekannt  gewordene 
Droserin  einer  von  Jahr  zu  Jahr  steigenden  Beliebtheit. 
Die  erste  Veröffentlichung  von  Chi  eff  i  „Über  ein 
neues  Mittel  gegen  Keuchhusten“.  Ärztliche  Rundschau 
München  1910  führte  zu  den  klinischen  Feststellungen, 
dass  das  Droserin  einen  beachtenswerten  Fortschritt  in 
der  Therapie  des  Keuchhustens  bildet,  und  wegen  seiner 
guten  Wirkung  und  seines  angenehmen  Geschmackes 
zu  empfehlen  sei.  Weiter  berichtet  v.  Mur  alt  im 
Correspondenzblatt  für  Schweizer  Ärzte  1912:  „Droserin 
gegen  Keuchhusten“,  dass  von  allen  bisher  bekannten 
inneren  Keuchhustenmitteln  Droserin  das  beste  ist. 
Dieses  Urteil  wurde  bestätigt,  durch  kurze  Mitteilung  aus 
der  Königl.  Universitäts  -  Kinder  -  Klinik  und  Poliklinik 
München  durch  Professor  von  Pfaundler,  dass  das 
Droserin  in  geeigneten  Krankheitsfällen  sich  insbesondere 
bewährt  hat.  In  eingehender  Inaugural  Dissertation  kam 
1912  Bandorf  in  der  Universitätskinderklinik  Pro¬ 
fessor  Dr.  Jamin  ,  Erlangen  zu  dem  Ergebnis:  „Dro¬ 


serin  ist  ein  Fortschritt  in  der  Keuchhustentherapie,  es 
verdient  versucht  zu  werden,  da  es  keine  schädlichen 
Nebenwirkungen  entfaltet  und  als  durchaus  harmlos  be¬ 
zeichnet  werden  kann;  es  ist  empfehlenswert  bei  jedem 
Keuchhustenfall,  speziell  bei  jedem  frischen  einen  Ver¬ 
such  zu  machen  und  das  Droserin  drei  Wochen  lang  zu 
verabreichen.  — 

In  der  Berliner  klinischen  Wochenschrift  veröffent¬ 
lichte  alsdann  1915  Cramer,  dass  ersieh  den  anderen 
Empfehlungen  desDroserins  nur  warm  anschliessen  könne, 
und  erklärt  selbst  das  Droserin  als  ein  besonders  natür¬ 
liches  und  dabei  völlig  unschädliches  Mittel  (Vorzug  vor 
Chinin  oder  Bromoform)  gegen  Keuchhusten. 

Aus  dem  Jahre  1914  liegen  eine  ganze  Reihe  ärzt¬ 
licher  Mitteilungen  aus  der  Praxis  vor,  unter  anderen 
von  dem  Universitätsprofessor  Dr.  Hecker,  der  das 
Droserin  für  eines  der  erfolgreichsten  Keuchhustenmittel 
hält,  unter  dessen  Anwendung  Zahl  und  Heftigkeit  der 
Anfälle  bald  nachlassen;  besonders  empfiehlt  sich  die 
frühzeitige  Anwendung;  ferner  eine  Mitteilung  von 
Universitätsprofessor  Dr.  Trumpp,  welcher  auch  den 
schleimlösenden  Effekt  von  Droserin  II  und  seine  mil¬ 
dernde  Wirkung  auf  quälenden  Hustenreiz  besonders 
hervorhebt.  Professor  Trumpp  hat  mit  Nutzen  bei 
verschiedenen  Arten  von  Reiz-  und  Keuchhusten  das 
Droserin  verwendet,  Im  letzten  Jahre  hat  die  her¬ 
stellende  Firma  Dr.  R.  und  Dr.  O.  Weil  in  Frankfurt 
a.  M.  ausser  den  Droserin-Tabletten  ärztlichen  Wünschen 
entsprechend  auch  die  Sirupform,  den  Droserin-Sirup 
eingeführt  und  die  antispasmotische  Wirkung  durch  einen 
geringen  Kalzium-Brom- Valerianatgehalt  noch  verstärkt. 
Auch  diese  Droserinsirupform  erfreut  sich  in  der  Privat- 
und  besonders  preiswerten  Kassenpackung  vielseitiger 
Anwendung  bei  hartnäckiger  Pertussis  speziell  auch  im 
krampfartigen  Stadium  bei  infektiösen  Katarrhen  der 
Respirationsorgane  mit  starkem  oder  quälendem  Husten¬ 
reiz,  Katarrh  des  Pharynx,  Influenza,  Masernhusten.  In 
all  diesen  Fällen  hat  sich  das  Droserin  in  der  wissen¬ 
schaftlichen  Therapie  einen  festen  Platz  errungen. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Dr.  Wilhelm  Müller,  ehemaliger  Assistent  am 
Institut  für  experimentelle  Therapie  des  allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  Eppendorf  -  Hamburg,  Erste  Erfahrungen  mit  Deycke- 
Muchs^hen  Tuberkulosepartialantigenen  im  Hochgebirge.  (Münch, 
med.  Wochenschr.  1915,  Nr  4l.) 

Die  von  Müller  eingeführte  Therapie  mit  Tuberkulose¬ 
partialantigenen  ist  nicht  leicht.  Sie  verlangt  einen  mit  ex¬ 
perimentell-therapeutischen  und  serologischen  Kenntnissen  aus¬ 
gerüsteten  Arzt  und  erfordert  sorgfältigste. Anpassung  an  das 
individuelle  Verhalten  der  Patienten.  Die  ständige  Verabreichung 
der  Antigene  muss  genau  kontrolliert  und  überwacht  werden. 
Die  Behandlung  mit  Partialantigenen  richtet  sich  danach,  ob 
man  es  mit  den  Albumintüchtigen  bei  Lungentuberkulose  oder 
den  Fettüchtigen  bei  chirurgischer  Tuberkulose  zu  tun  hat. 
^  ährend  der  Behandlung  ist  auf  Fieber,  Sputummenge,  die 
physikalischen  Symptome  der  Lunge  und  das  Allgemeinbefinden 
zu  achten.  Gewöhnlich  sind  mit  der  Kur  leichte  Temperatur¬ 
steigerungen  verbunden.  Die  Sputummenge  wird  durch  die 
erste  Kur  gewöhnlich  nicht  beeinflusst,  ja  es  zeigt  sieb  sogar 
bisweilen  fine  leichte  Zunahme  des  Baziliengehaltes.  Vielfach 


tritt  jedoch  gleich  zu  Anfang  eine  Änderung  im  morphologischen 
Verhalten  der  Bazillen  ein,  die  kümmerlicher,  unansehnlicher 
und  schwerer  färbbar  werden.  2  —  3  Kuren  zu  je  12  Injektionen 
genügen  zumeist  noch  nicht  zur  Heilung.  Auffallend  und 
wichtig  ist  eine  starke  Steigerung  der  Phagozytose  durch  die 
Kur.  Bei  Albumintüchtigen,  wo  nur  Fettkörper  verabreicht 
wurden,  sah  Verf.  schon  nach  12  Injektionen  Lympho-  und 
Leukozyten  vollgestopft  mit  Bazillen.  Zur  genaueren  Information 
bedarf  es  einer  Einsicht  des  Originals  Dem  Verfasser  wäre 
eine  etwas  grössere  Allgemeinverständlichkeit  der  Darstellung 
zu  wünschen,  sie  würde  der  Verbreitung  des  anscheinend  brauch¬ 
baren  aber  noch  sehr  wenig  bekannten  Verfahrens  entschieden 
nützen.  H.  G  r  ä  f  -  Hamburg. 

Dr.  E.Unge  r  m  a  n  n  ,  Reg.  Rat,  früherer  wissenschaft¬ 
licher  Hilfsarbeiter  im  Kaiserlichen  Gesundheitsamt,  Unter¬ 
suchungen  über  Tuberkuloseantikörper  und  Tuberkulose  Überempfind¬ 
lichkeit.  (Arbeiten  a.  d.  Kaiserl  Gesundheitsamte,  Bd.  48. 
Heft  3,  1915.) 

Man  nahm  früher  auf  Grund  vieler  Versuche  einen  engen 
Zusammenhang  an  zwischen  Tuberkuloseimmunität  und  Tuber- 
kulosenüberempfindlichkeit.  Die  in  den  Jahren  1910 — 1912 


127 


Nr.  13. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


von  Un  ger  m  a  n  n  im  Kaiserlichen  Gesundheitsamte  unter 
Leitung  von  Prof.  N  e  u  f  e  1  d  unternommenen  und  erst  jetzt 
veröffentlichten  Versuche  haben  nun  folgendes  ergeben:  Bei 
aktiv  immunisierten  Tieren  besteht  kein  Grund  zu  der  Annahme, 
dass  phagozytäre  Serumkörper  bei  der  Tuberkuloseimmunität 
eine  ausschlaggebende  Rolle  spielen.  Ein  beträchtlicher  Grad 
von  Immunität  kann  vorhanden  sein,  ohne  dass  sich  gleich¬ 
zeitig  eine  nennenswerte  Zunahme  der  phagozytär  wirkenden 
Stoffe  im  Serum  nachweisen  lässt.  Anderseits  ist  eine  erhebliche 
Steigerung  des  gssonischeu  Index  nicht  gleichbedeutend  mit  einer 
kontrollierbaren  Steigerung  der  Immunität  der  betreffenden  Tiere. 
Eine  Spezifität  der  phagozytären  Serumkörper,  die  eine  Differenzie¬ 
rung  des  Typus  humauus  und  bovinus  ermöglichen  liesse,  wurde 
bei  den  aktiv  immunisierten  Tieren  in  keinem  Fall  festgestellt. 
Die  bei  der  Untersuchung  der  Überempfindlichkeit  zur  Sensibili¬ 
sierung  angewandten  Tuberkelbazillenpräparate  waren  folgende: 
1.  Lebende  Tuberkelbazillen  (Typus  humanus);  2.  im  Dampf 
abgetötete  Tuberkelbazillen;  3.  zermahlene  Tuberkelbazillen; 

4.  in  völlig  trockenem  Zustande  durch  Erhitzung  auf  150°  ab¬ 

getötete  Tuberkelbazillen  (Löfflers  Impfstoff);  5.  Alttuberkulin 
(von  Typus  bumanus  gewonnen) ;  6.  filtrierte,  aber  nicht 

gänzlich  tuberkelbazillenfreie  Nährbouillon,  auf  welcher  eine 
Tuberkelbazillenkultur  sechs  Wochen  gewachsen  war.  Be¬ 
merkt  sei,  dass  gleichzeitig  die  toxische  Minimaldosis  der 
Präparate  ausgewertet  wurde.  Dabei  hatten  die  am  meisten 
toxische  Wirkung  die  lebenden  Bazillen.  An  zweiter  Stelle 
stehen  uaeh  Löfflers  Verfahren  abgetötete  Bazillen  ;  an  dritter 
im  Dampf  abgetötete;  an  vierter  das  Tuberkulin;  an  fünfter 
die  filtrierte  Kulturbouillon.  Es  gelingt  auch  mit  abgetöteten 
Tuberkelbazillen  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen  eine 
typische  Tuberkuloseüberempfindlichkeit  zu  erzeugen,  deren 
Nachweis  jedoch  weniger  regelmässig  gelingt  und  viel  grössere 
Antigendosen  erfordert  wie  bei  tuberkulös  infizierten  Tieren. 
Am  günstigsten  war  die  sensibilisierende  Wirkung  der  nach 
Löfflers  Verfahren  abgetöteten  Bazillen.  Mit  Alttuberkulin 
konnte  auch  bei  mehrfacher  Anwendung  grösserer  Dosen  keine 
nachweisbare  Sensibilisierung  gesunder  Meerschweinchen  erreicht 
werden.  Der  Tod  erfolgte  teils  in  der  akuten  Form  des  ana¬ 
phylaktischen  Schocks,  teils  im  Verlauf  des  2.  bis  4.  Tages. 
Bei  vielen  mit  grossen  Dosen  abgetöteter  Bazillen  intravenös, 
vorbehandelteu  Meerschweinchen  ergab  sich  ein  Sektionsbefund 
der  mit  dem  bei  aktiver  Tuberkulose  weitgehende  Ähnlichkeit 
hatte,  besonders  eine  sehr  starke  Milzvergrösserung.  Das  Vor¬ 
handensein  von  Überempfindlichkeit  konnte  bei  solchen  Tieren 
nicht  immer  nachgewiesen  werden. 

Schütz,  Zur  Funktionsprüfung  des  Kreislaufs  (speziell 
bei  Ei  schöpf  nngs-  und  Fieberzuständen).  (D.  m.  W.  47.  15.) 

Es  wurden  besonders  bei  bettlägerigen  Kranken  wieder¬ 
holt  untersucht  Puls  und  Blutdruck,  und  zwar  nach  2  Schemata: 

I.  Schema:  1.  Puls  im  Liegen,  2.  Puls  gleich  nach  Aufsetzen, 
3.  1/2  Minute  nach  Aufsetzen,  4.  nach  neuerlichem  Hinlegen, 

5.  1/s  Minute  darauf,  6.  nach  Aufstehen,  7.  1/2  Minute  darauf, 
8.  nach  10  maliger  tiefer  Kniebeuge  und  dann  jede  1/2  Minute. 

II.  Schema:  1.  Puls  im  Liegen,  2.  Blutdruck  im  Liegen,  3. 
Blutdruck  gleich  nach  Aufsetzen,  4.  1  Minute  darauf,  5.  gleich 
nach  neuerlichem  Hinlegen,  6.  Aufstehen  lassen  und  Blutdruck 
messen,  7.  gleich  darauf  Puls  zählen,  8.  Blutdruck  eine  Minute 
darauf,  8  a  ev.  2  Minuten  darauf,  9.  Hinlegen  lassen,  Blutdruck 
messen  und  Puls  zählen.  —  Die  Untersuchungen  bestätigten 
die  bereits  bekannte  Tatsache,  dass  man  aus  der  Zeit, 
die  ein  durch  körperliche  Anstrengung  gesteigerter  Pulsschlag 
zum  Zurückgehen  auf  die  Norm  braucht,  einen  Rückschluss 
auf  die  Herzkraft  ziehen  kann.  Bei  Erschöpfungszuständen 
fand  Sch.  beim  Übergang  aus  liegender  und  stehender  Stellung 
einen  sehr  starken  Rückgang  des  Blutdruckes  bis  zu  50  mm. 
Bei  fortschreitender  Besserung  wurde  die  Differenz  geringer. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Ernst  Engelhorn,  stellvertretender  Direktor  der 
Klinik.  (Aus  der  Grossherzogi.  Sächs.  Universitäts-Frauenklinik 
Jena),  Zur  Behandlung  der  Ausfallserscheinungen.  (Münch, 
med.  Wochenschr.  1915,  Nr.  45.) 

An  Stelle  der  sonst  in  der  Praxis  zur  Bekämpfung  der 


klimakterischen  Beschwerden  angewandten  Mittel  wie  Verab¬ 
reichung  von  Ovarialpräparaten,  Migränin,  Phenazetin,  Brom¬ 
salzen  und  allgemeinen  hygienisch  diätetischen  Massnahmen 
(Reduktion  von  Ei weiss,  Betonung  der  Pflanzenkost,  Waschungen, 
Bäder,  alkoholische  Ilautabreibuugen  usw.),  die  alle  oft  erfolg¬ 
los  bleiben,  empfiehlt  Engelhorn  die  Anwendung  des 
Aderlasses.  Der  Allerlass  findet  heute  auf  den  verschiedensten 
Gebieten  der  Medizin  wieder  Anwendung  und  hat  sich  ja  auch 
bei  der  Eklampsie  vielfach  ausgezeichnet  bewährt.  Engelhorn 
hat  ihn  nun  bei  einer  Reihe  von  Patientinnen  angewandt,  bei 
denen  die  nervösen  Störungen  besonders  Herz  und  Gefässe  be¬ 
trafen  und  sich  in  Ilitzewallungen  nach  dem  Kopf,  fliegender 
Röte,  Schweissausbrüchen,  Ohnmacht,  Schwindelgefühl  und 
Flimmern  vor  den  Augen  äusserten.  Der  meist  erhöhte  Blut¬ 
druck  sank  regelmässig  sofort  um  20  mg  Hg  nach  Ab- 
lassuug  von  etwa  100  ccm  Blut  aus  der  Kubitalvene.  Auf¬ 
fallend  war  das  subjektive  Gefühl  der  Besserung,  das  sich  bei 
allen  Frauen  am  nächsten  Tage  einstellte  und  das  von  allen 
wohltuend  empfunden  wurde.  In  einzelnen  Fällen  musste  der 
Aderlass  nach  8  —  14  Tagen  noch  ein  oder  das  andere  Mal 
wiederholt  werden,  brachte  aber  auch  dann  die  gewünschte 
Erleichterung.  Auch  bei  den  durch  Dysfunktion  des  Ovars 
bedingten  nervösen  Störungen  der  Entwicklungsjahre  wandte 
Verfasser  bei  Versagen  sonstiger  Mittel  vereinzelt  den  Aderlass 
an.  Die  Erfolge  waren  gut  und  ermutigen  zu  weiteren  Ver¬ 
suchen.  H.  G  r  ä  f  -  Hamburg. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Holzknecht  und  Wachtel,  Das  Fremdkörpertelephon.  (M. 
m.  Wochenschr.  37.,  15.) 

Infolge  des  Krieges  sind  zu  den  alten  eine  Unmenge  neuer 
Methoden  zum  röntgenologischen  Nachweis  von  Fremdkörpern 
gekommen,  die  zum  Teil  recht  kompliziert  sind,  ohne  bessere 
Resultate  zu  geben,  wie  die  relativ  einfachen  Methoden  von 
Fürstenau  und  Wachtel.  Nun  ist  aber  nicht  zu  verkennen, 
dass  die  genaueste  Lokalisation  an  der  Oberfläche  sehr  wenig 
nützt,  wenn  wie  es  häufig  der  Fall  ist,  bei  der  Operation  alle 
Formen  verändert  und  der  Gleichgewichtszustand  gestört  wird. 
Man  findet  nichts  und  beschliesst,  mit  Sonde  und  Skalpell  die 
Wunden  zu  durchsuchen,  um  nach  solchem  planlosen  Ver¬ 
wüsten  vielleicht  hart  neben  der  erst  angenommenen  Stelle  den 
im  Blut  schlecht  sichtbaren  Fremdkörper  zu  finden.  Wir  haben 
eben  die  elastisch  weichen,  durch  Blutung,  Eiterung,  Nekrose 
unsichtigen  Gewebe  unseres  Körpers  und  nicht  die  Übungs¬ 
kartoffel  vor  uns  und  man  fühlt,  es  fehlt  noch  etwas,  was  die 
Hand  des  Chirurgen  an  den  einen,  oft  kleinen  Punkt  des 
Fremdkörpersitzes  hinführt. 

Wir  können  den  Fremdkörper  hundertmal  berührt  haben, 
ohne  es  zu  wissen  und  glauben  anderseits  oftmals,  wenn  wir 
mit  unseren  Instrumenten  an  Bindegewebszüge,  Periostrippen, 
Gefässe  usw.  kommen,  den  Fremdkörper  vor  uns  zu  haben. 
So  fasst  man  oft  einen  derben  Gegenstand  mit  der  Kornzange 
und  zieht  ihn  mühsam  hervor.  Es  ist  aber  nicht  der  Fremd¬ 
körper.  Es  fehlt  also  ein  Zeichen,  dass  wir 
den  Fremdkörper  berühren. 

Hier  setzt  nun  das  von  den  Autoren  genial  erdachte  Fremd¬ 
körpertelephon  ein,  das  nach  Art  der  gewöhnlichen  Telephone  ge¬ 
baut,  dem  Operateur  bei  der  Operation  anzeigt,  wenn  eine  von 
ihm  in  die  Wunde  eingeführte  Nadel  den  Fremdkörper  be¬ 
rührt. 

Das  Fremdkörpertelephon  ist  ein  vor¬ 
züglicher,  einfacher,  stets  bereiter 
Operations  behelf.  Die  Röntgenuntersuchung 
bezeichn  et  dem  Operateur  vorder  Operation 
die  Gegend,  das  Fremdkörpertelephon 
während  der  Operation  den  Punkt,  wo 
der  Fremdkör  perliegt.  Neumann. 

Grosskopf,  Der  Seidenbau  in  Deutschland.  Kurze 
Anleitung  nach  langjährigerErfahruug  zusammengestellt.  (Ilmenau, 

Schröters  Verlag  1914.) 

Allerorten  sind  Organisationen  und  Vereine  in  dankens¬ 
wertester  Weise  am  Werke  für  unsere  Kriegsbeschädigten  zu 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  13. 


128 


sorgen  und  ihnen  neue  Erwerbsmöglichkeiten  zu  schaffen. 
Dabei  ist  auch  von  verschiedenen  Seiten  auf  die  Seidenraupen¬ 
zucht  hingewiesen  worden,  die  bereits  früher  einmal  in  Deutsch¬ 
land  in  hoher  Blüte  stand.  G.  gibt  in  kurzeu  Zügen  praktische 
Hinweise  dafür,  wie  der  Seidenbau  gewinnbringend  sich  wieder 
einbürgern  lässt,  und  als  Nebenerwerb  gedacht,  scheint  sich 
hier  für  unsere  Invaliden  ein  gangbarer  Weg  zu  eröffnen.  Es 
ist  entschieden  wünschenswert,  dass  an  zahlreichen  Stellen 
Versuchsstationen  eingerichtet  werden  zur  Unterweisung  ge¬ 
eigneter  Leute,  denn  wer  sich  ohne  genaue  Unterweisung  mit 
der  Zucht  der  Seidenraupen  beschäftigen  wollte,  würde  wohl 
böses  Lehrgeld  zu  bezahlen  haben.  R. 

Medikamentöse  Therapie. 

Vierteljahrsbericht  über  •  die  Fortschritte  auT  dem  Gebiete  der 
medikamentösen  Therapie. 

Von  Apotheker  Otto  -  Frankfurt  a.  M. 

I)as  verflossene  letzte  Viertel  des  Jahres  1915  brachte  nur 
«inige  wenige  Neuheiten  auf  dem  Gebiete  der  medikamentösen 
Therapie.  Die  Ursachen  hierfür  liegen  so  klar  auf  der  Hand, 
dass  sie  einer  Darlegung  nicht  bedürfen.  Genau  genommen 
ist  der  Mediziner  für  alle  Fälle  mit  einer  so  grossen  Zahl  er¬ 
probter  Mittel  ausgerüstet,  dass  ein  Stillstand  in  der  Erzeugung 
neuer  medizinisch-chemischer  Produkte,  der  in  diesem  Falle 
noch  lange  keinem  Rückgänge  gleichkommt,  wohl  von  keiner 
Seite  schwer  empfunden  werden  wird.  Diejenigen  Ärzte,  die 
während  der  ganzen  Kriegsdauer  im  Felde  insbesondere  bei 
der  Truppe  im  Gefechtsbereiche  stehen,  werden  nach  ihrer  Rück¬ 
kehr  an  sich  schon  einiges  nachzuholen  haben,  wenn  auch  die 
Sanitätsverwaltung  durch  Überweisung  der  medizinischen  Presse 
und  gelegentliche  Vorträge  und  Versammlungen  im  Etappen¬ 
gebiete  das  wissenschaftliche  Interesse  zu  unterhalten  bemüht  ist. 

Ueber  Neuerscheinungen  und  neue  Erfahrungen  haben  wir 
im  verflossenen  Quartal  regelmässig  berichtet,  auch  technische 
Neuerungen  nicht  unerwähnt  gelassen. 

So  referierten  wir  über  Rhodalzid,  Jodprothaemin, 
Guttamylkapseln,  Lenicetpräparate,Optochin, 
Pellidolsalbe,  Hep  in -  Sauer  stoffbäder,  Chole- 
valum  siccum,  Glyzerinersatz,  neue  Kohle- 
präparate,  die  Kalktherapie  mittels  K  a  1  z  a  n , 
D  i  o  g  e  n  a  1  und  Trisalven,  das  Neueste  auf  dem  Ge¬ 
biete  der  sexuellen  Desinfektion. 

Das  bereits  früher  erwähnte  granulierende  Wundöl  der 
Firma  Knol  1- Ludwigshafen  ist  inzwischen  unter  dem  Namen 
Granugenol-Knoll  dem  Hersteller  geschützt  worden. 

Nicht  unangebracht  erscheint  es  auf  einige  Präparate  hin¬ 
zuweisen,  die  zwar  schon  seit  einiger  Zeit  bekannt  und  im 
Gebrauch  sind,  über  die  aber  inzwischen  neue  Erfahrungen 
gemacht  und  veröffentlicht  worden  sind. 

So  stellt  die  chemisch-pharmazeutische  Fabrik  von  Doktor 
G.  Henningin  Berlin- W.  die  unter  dem  Namen  der  P  er  a  quin* 
Salbe  bekannte  dauernd  haltbare  Wasserstoffsuperoxydsalbe 
neuerdings  in  konzentrierter  (20  proz.)  Form  her,  so  dass  es 
dem  Arzte  möglich  ist  dieselbe  in  jeder  gewünschten  Stärke 
zu  ordinieren.  Peraquin  „fest“  ist  bekanntlich  eine  Ha  O,  = 
Karbamid Verbindung,  die  mit  reinster  Vaseline  in  Salbenform 
gebracht  zur  Wundbehandlung  Anwendung  fiudet. 

Unter  dem  Namen  Ant  oxikokain  bringt  die  chemische 
Fabrik  Zofiugen  A.  G.  vorm.  Siegfried  laut  Schweiz.  Apotheker- 
Zeitung  1915  Nr.  44  ein  Präparat  in  den  Handel,  das  die 
Höchster  Novocain-Suprarenintabletten  in  der  Schweiz,  schliess¬ 
lich  auch  anderswo,  entbehrlich  machen  und  womöglich  ver¬ 
drängen  soll.  Chemisch  ist  dasselbe  identisch  mit  Novocain. 

Unsere  Feinde  im  Westen  bemühen  sich  nach  wie  vor 
Beginn  des  Krieges  unserem  Salvarsan  Gleiches  oder  Besseres 
gegenüberzustellen  Verstärkt  werden  diese  Bemühungen  durch 
grossen  Bedarf  und  Fehlen  der  Zufuhr.  Die  Münchener  Med. 
Wochenschrift  berichtet  in  Nr.  42  von  1915  über  das  von 
Monneyrat,  dem  Erfinder  des  Hektin,  hergestellte  G  a  1  y  1, 
ein  Derivat  des  Arsenobenzols.  Trotz  unerwünschter  Nebener¬ 
scheinungen  (Dyspnoe,  kleiner  Puls,  Magenschmerzen  u.  a.) 
glaubt  A.  F  oerster  vom  Lock  Hospital  in  London,  dass 
das  Galyl  dem  Salvarsan  in  jeder  Beziehung  ebenbürtig  ist. 
(Siehe  den  Lancet  vom  18.  Sept.  1915.)  Eine  amerikanische 
Firma  —  The  Intravenous  Products  Co.  in  Dever,  Colorado 


—  kündigt  zum  gleichen  Zwecke  ein  organisches  Arsenpräparat 
in  Kombination  mit  Hydrarg.  und  Natr.  jodat.  an.  Es  kommt 
unter  dem  Namen  V  e  n  arsen  in  steriler  Lösung  in  Am¬ 
pullen  in  den  Handel.  Wie  weit  hierbei  Patentverletzungen 
in  Betracht  kommen,  entzieht  sich  noch  der  Beurteilung.  Die 
Höchster  Farbwerke  vorm.  Meister,  Lucius  und 
Brüning  haben  bereits  Gelegenheit  gehabt  die  Angaben  der 
The  Intravenous  Products  Co.  über  Zusammensetzung  und 
Arsengehalt  des  Veuarsens  nachzuprüfen  und  festzustellen,  dass 
dieselben  unzutreffend  sind.  Die  Menge  des  arsenhaltigen 
Körpers  beträgt  annähernd  0,4  nicht  0,0  wie  die  Amerikaner 
augeben,  das  ist  ausgerechnet  auf  metallisches  Arsen  0,1384 
statt  0,2470  wie  deklariert. 

Brass  icam  in  ist  ein  Mixtum  Compositum  aus  Extr. 
Thymi,  —  Eukalypti  und  Brassicae  das  von  H  r  c  h.  Haller 
in  Berlin  N.-W.  gemixt,  in  den  Handel  gebracht  und  gegen 
Asthma,  Rronchitis,  Keuchhusten  et  alia  warm  empfohlen  wird. 

Die  chemische  Fabrik  Astra  A.-G.  der  schwedischen 
Apotheker  bringt  nach  dem  Therap  Monatsh.  1915,  H.  11, 
ein  neues  Digitalispräparat  unter  dem  Namen  D  i  g  i  t  o  t  a  1 
als  Pulver,  Tabletten  und  in  flüssiger  Form  teils  in  Glyzerin 
und  verdünntem  Alkohol  gelöst,  teils  in  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  in  Ampullen  in  den  Handel.  Der  Gedanke,  damit 
dem  schwedischen  Volksvermögen  die  Ausgaben  für  Digaleu 
zu  sparen,  liegt  nahe.  Nach  R  i  s  i  n  g  kommt  bei  der  Dar¬ 
stellung  ein  neues,  für  die  Digitalistherapie  interessantes  Prinzip 
zur  Anwendung,  welches  eine  Kontrolle  darüber  gestattet,  dass 
das  Präparat  alle  in  den  Digitalisblättern  vorkommenden  Aktiv¬ 
substanzen  enthält.  Eine  Nachprüfung  dieses  Prinzips  und 
seiner  Kontrolle  muss  bis  auf  weiteres  Vorbehalten  bleiben. 

Verschiedenerlei  Präparate  existieren,  die  alle  oder  die 
wichtigsten  Komponenten  des  Opiums  enthalten  und  allesamt 
erstreben  dem  Arzte  ein  dem  Morphin  gleichwertiges  aber 
weniger  toxisches  Narkoticum  zu  bieten.  Nach  dem  Pantopon 
der  Firma  Hoff  mann  =  1  a  Roche,  auf  welche  wir 
gelegentlich  zurückkommen  werden,  erschien  das  1 1  s  op  o  n  von 
der  gleichen  Zusammensetzung.  Die  ehern.  Fabrik  Nassovia 
in  Wiesbaden  bringt  unter  dem  Namen  G  1  y  c  o  p  o  n  ein 
Präparat  heraus,  das  die  sämtlichen  Alkaloide  des  Opiums 
als  glyzerinphosphorsaure  Salze  enthält  und  als  gleichwertiger 
Ersatz  für  Pantopon  wohl  empfohlen  werden  kann.  Etwas 
ähnliches  stellt  das  Laudanon  der  Firma  C.  H.  Boehringer 
Sohn,  Nieder-Ingelheim  a.  Rhein  vor.  Es  ist  ein  Gemisch  von 
Morphin  mit  den  wichtigsten  Nebenalkaloiden  des  Opiums  — 
Narcotin,  Codein,  Papaverin,  Thebain  und  Narcein  —  als 
salzsauren  Salzen  in  zwei  Stärken,  Laudanon  I  für  wenig 
Empfindliche  und  Laudanon  II  für  Empfindliche.  Die  Dosierung 
entspricht  der  des  Morphins.  In  den  Handel  gelangt  es  als 
Pulver,  Tabletten  ä  0,01  und  Ampullen  ä  0,02.  Die  Münch. 
Med.  Wochenschrift  Nr.  16  und  46  sowie  die  Deutsche  Zahn¬ 
ärztliche  Zeitung  Nr.  30  und  37  berichten  über  dasselbe  und 
loben  die  Konstanz  der  Zusammensetzung  mit  günstigster 
Wirkung.  Es  sei  im  pharmakologischen  Sinne  als  ein  synthe¬ 
tisches  Opium  zu  betrachten.  (Schluss  folgt.) 

Notiz. 

Am  1.  und  2.  Mai  1916  findet  eine  ausserordent¬ 
liche  Tagung  des 

Deutschen  Kongresses  für  Innere  Medizin  in  Warschau 
statt.  Zur  Verhandlung  kommen  die  Krankheiten,  die 
im  Kriege  besondere  Wichtigkeit  erlangt  haben;  in  Aus¬ 
sicht  genommen  ist  die  Besprechung  von  Abdominal¬ 
typhus,  Ruhr,  Fleckfieber,  Cholera,  Herzkrankheiten  und 
Nephritis.  Es  werden  nur  Referate  mit  anschliessender  Dis¬ 
kussion  abgehalten;  freie  Vorträge  sind  ausgeschlossen. 

Zur  Tagung  werden  zugelassen  die  Militär-  und 
Zivilärzte,  welche  dem  Deutschen  Reiche  und  den  ver¬ 
bündeten  Staaten  angehören  ;  Angehörigen  neutraler  und 
feindlicher  Staaten  kann  der  Zutritt  nicht  gestattet  werden. 

Da  die  Tagung  im  besetzten  Gebiet  stattfindet, 
muss  jeder  Teilnehmer  mit  einem  vorschriftsmässigen 
Passe  versehen  sein ;  die  dabei  zu  erfüllenden  Bedingungen, 
sowie  die  Bestimmungen  für  die  Anmeldung  zur  Teilnahme 
werden  in  der  Fachpresse  noch  bekannt  gegeben  werden. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


—Zi  1915/16. 

Tortschritic  der  IHedizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  lUif  wir  Rung  hervorragender  Tathmänner 

herausgegeben  von 


L.  von  Criegern, 

Hildesheim. 


L.  Edinger, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

\  erantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  14 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
.....  Verlag  Johndorff  &  Co.,  O.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


20.  Februar 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Aus  der  Nervenheilstätte  Roderbirken  bei  Leichlincren.) 

Aphasie  als  Unfallfolge. 

Von  Chefarzt  Dr.  Ernst  Beyer. 

\  om  Oberversicherungsamt  in  C.  wurde  mir  der 
95  jährige  Landwirt  P.  B.  aus  K.  zur  Beobachtung  über- 
viesen  zwecks  Begutachtung  über  die  Frage,  um  wieviel 
Vozent  die  Erwerbsfähigkeit  zur  Zeit  noch  durch  die 
folgen  des  Unfalls  vom  13.  Juni  1914  herabgesetzt  ist. 

Aus  den  Akten  ergab  sich,  dass  B.  beim  Strohholen 
.om  Scheunenboden  durch  die  Einsteigeöffnung  kopfüber 
lerabgestiirzt  war,  indem  er  zuerst  drei  Sprossen  der 
^eiter  durchschlug  und  dann  mit  dem  Kopf  zuerst  auf 
iie  Tenne  aufschlug.  Er  blieb  bewusstlos  liegen  und 
A7urde  in  diesem  Zustande  am  nächsten  Morgen  in  die 
chirurgische  Klinik  in  G.  verbracht,  wo  er  bis  zum  28. 
|uli  verpflegt  wurde.  Ein  Gutachten  oder  Krankheits¬ 
bericht  aus  der  Klinik  war  in  den  Akten  nicht  vor- 
landen. 

Am  29.  November  stellte  Dr.  B.  in  E.  folgendes 
est :  kann  nur  mit  Nachhülfe  kurze  Strecken  gehen; 
;ann  kaum  sprechen  und  ist  auf  dem  linken  Auge  blind. 
Ziehen  und  Schmerzen  auf  der  linken  Kopfseite.  Pat. 
>pricht  stockend  und  nicht  zusammenhängend.  Lähmungen 
bestehen  nicht.  Über  dem  linken  Scheitel-  und  Schläfen¬ 
bein  eine  druckempfindliche  Narbe,  unter  der  der  aut- 
^eklappte  Schädelknochen  noch  nicht  knöchern  verheilt 
st.  100  Proz.  Erwerbsunfähigkeit. 

Die  Nachuntersuchung  durch  Dr.  B.  am  9.  Mai  1915 
ergab :  kann  ohne  Stock  gehen  und  zu  Hause  leichte 
Arbeiten  verrichten.  Besonders  bei  Witterungswechsel 
leftige  Kopfschmerzen.  Der  Schädelknochen  zeigt  leicht 
knöcherne  Heilung  und  ist  treppenförmig  abgesetzt.  Das 
inke  Auge  erkennt  jetzt  Licht  und  seitlich  bewegliche 
ind  feste  Gegenstände  bis  auf  3  m  Entfernung  Sprache 
ioch  stockend,  aber  doch  wesentlich  besser  wie  zuletzt. 
Zusammenhängend  kann  er  nicht  sprechen.  -  Besserung 
les  Seh-  und  Sprachvermögens.  Heilung  der  Kopf- 
vunde.  Besserung  der  Erwerbsfähigkeit  um  30  Proz. 

Als  daraufhin  die  bisherige  100  prozentige  Rente 
mf  70  Proz.  herabgesetzt  wurde,  erhob  B.  Einspruch 
ind,  als  dieser  von  der  Landwirtschaftlichen  Berufs- 
jenossenschatt  zurückgewiesen  wurde,  legte  er  Berufung 
-in.  Zur  Verhandlung  vor  dem  Oberversicherungsamt 
:rhob  der  Vertrauensarzt  Dr.  K.  folgenden  Befund:  Be¬ 
fragung  zeigt,  dass  der  U.  alle  Fragen  wohl  versteht; 
he  Antworten  sind  manchmal  sehr  stockend,  als  suche 
er  ein  Wort;  manchmal  ganz  geläufig,  besonders  die 
^wischen reden  zum  Ausdruck  seines  Nichtvermögens. 
Hit  dem  linken  Auge  will  er  jetzt  gar  nichts  sehen  können, 


nicht  einmal  Lichtschein.  Der  „Krampfanfall“  (am  27. 
Juli  1915)  ist  nach  der  Beschreibung  eine  Ohnmacht  ge¬ 
wesen.  Es  deutet  manches  darauf,  dass  die  Klagen  des 
V  erletzten  entweder  auf  Übertreibung  oderauf  psychischen 
(seelischen)  Hemmungen  beruhen.  Deshalb  halte  ich  Be¬ 
obachtung  und  Begutachtung  durch  einen  Nervenarzt 
für  angezeigt.  — 

B.  wurde  am  5.  November  1915  in  Roderbirken 
aufgenommen.  Er  selbst  war  nicht  imstande,  über  sich 
und  sein  Vorleben,  über  den  Unfall  und  dessen  Folgen 
verwertbare  Angaben  zu  machen.  Aus  seinen  abgerissenen 
Antworten  und  Äusserungen  war  zu  entnehmen,  dass  er 
von  dem  Unfall  selbst  nichts  weiss,  seither  an  Schmerzen 
an  der  linken  Seite  des  Hinterkopfes  leidet,  dass  diese 
bei  Witterungswechsel  besonders  schlimm  sind,  und  dass 
er  zwei-  oder  dreimal  einen  Anfall  gehabt  hat,  zuletzt 
am  vorigen  Mittwoch  (3.  November).  Bezüglich  seiner 
Arbeitsfähigkeit  Hess  sich  erkennen,  dass  er  nicht  viel 
leisten  könne,  wobei  er  auf  seinen  Kopf  deutet.  An 
manchen  Tagen  könne  er  gar  nichts  tun  und  müsse 
liegen. 

Die  Untersuchung  ergab:  Grosser  kräftiger  Mann 
von  gesundem  Aussehen.  Grösse  1,72  m,  Gewicht 
67,5  kg.  Oberhalb  des  linken  Oh  res  befindet  sich  eine 
Narbe  in  Form  eines  unten  offenen  Dreiviertelkreises  von 
etwa  10  cm  Durchmesser,  in  deren  Verlauf  der  scharfe 
Knochenrand  zu  fühlen  ist.  Die  Fläche  innerhalb  des 
Kreises  ist,  namentlich  im  oberen  Teil,  nach  innen  ge¬ 
drückt,  aber  festgewachsen.  Der  hintere  Teil  der  Narbe 
ist  druckempfindlich.  Hierhin  deutet  B.  auch,  wenn  von 
seinen  Kopfschmerzen  die  Rede  ist.  Das  Hörvermögen 
soll  vermindert  sein,  doch  ist  nichts  sicheres  zu  ermitteln. 
Das  linke  Auge  steht  etwas  nach  aussen,  fixiert  nicht, 
bewegt  sich  aber  mit.  Die  Pupillen  sind  zeitweise  un¬ 
gleich,  reagieren  gut.  Das  linke  Auge  soll  nur  an  der 
Aussenscite  Lichtschein  erkennen.  Mit  dem  rechten 
sieht  er  gut.  Es  hat  zuweilen  den  Anschein,  als  ob 
rechts  das  Gesichtsfeld  eingeschränkt  ist.  Genauere 
Feststellung  indessen  gelingt  nicht.  Bei  geschlossenen 
Augen  tritt  kein  Schwanken  ein.  Die  Zunge  wird  grade 
vorgestreckt,  ist  nicht  belegt,  zittert  nicht.  Auch  in  den 
ausgespreizten  Händen  kein  Zittern;  sie  sind  an  der 
Innenseite  verarbeitet  und  schwielig.  An  den  inneren 
Organen  kein  auffälliger  Befund.  Puls  72,  regelmässig. 
An  den  Armen  sind  Reflexe  nicht  auszulösen;  die  Knie¬ 
sehnenreflexe  sind  beiderseits  gleich,  lebhaft,  aber  nicht 
gesteigert.  Kein  Fussklonus  auslösbar.  Die  grobe 
Kraft  ist  beiderseits  gleich.  B.  kann  auf  jedem  Bein 
einzeln  gleich  gut  stehen.  Prüfung  des  Gefühlsvermögens 
ist  undurchführbar. 


130 


Nr.  14. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Die  Sprache  des  Untersuchten  ist  erheblich  gestört. 
Er  spricht  nur  in  abgehackten  Sätzen.  Auf  Fragen  be¬ 
ginnt  er,  sachgemäss  zu  antworten,  stockt  aber  gewöhn¬ 
lich  vor  dem  Hauptwort  und  bringt  dies  nicht  heraus 
Er  spricht  dann  drum  herum  und  sagt  Sätze  ohne  Zu¬ 
sammenhang,  wobei  zuweilen  das  fehlende  Wort  in  einer 
andern  Verbindung  noch  herauskommt.  Es  sagt  oft: 
„ich  weiss  es“  und  regt  sich  sichtlich  auf,  dass  er  das 
Wort  nicht  finden  kann.  Vielfach  hilft  er  sich  durch 
Handbewegungen.  Vorgehaltene  Gegenstände  erkennt 
er  und  deutet  ihre  Benutzung  durch  Ausdrucksbewegungen 
an.  Besonders  schlecht  kann  er  Namen  und  Benennungen 
aussprechen,  z.  B.  die  Namen  seiner  Kinder  bringt  er 
nicht  heraus.  Verhältnismässig  gut  dagegen  gelingt  ihm 
die  Angabe  von  Zahlen,  z.  B.  zählt  er  die  vorgehaltenen 
Finger,  nennt  richtig  die  Zeit  auf  der  Uhr,  auch  Geld¬ 
stücke.  Lesen  kann  er  nur  mühsam  und  teilweise  buch¬ 
stabierend  wie  ein  ungeübtes  Kind.  Zum  Schreiben  auf¬ 
gefordert,  muss  ihm  jedes  Wort  mehrmals  vorgesprochen 
werden.  Die  Schrift  selbst  ist  sauber  und  fehlerfrei. 
Zahlen  schreibt  er  schneller  und  richtig. 

Fragen,  welche  besondere  Überlegung  erfordern, 
müssen  mehrfach  wiederholt  werden  und  werden  vielfach 
nicht  entsprechend  beantwortet,  manche  offenbar  nicht 
verstanden.  Kopfrechnen,  selbst  einfacher  Aufgaben, 
gelingt  trotz  mehrfachen  Vorsprechens  teils  gar  nicht, 
teils  falsch.  Zum  Zählen  nimmt  B.  die  Finger  zu  Hülfe, 
auch  bei  Geldstücken.  Über  seinen  hiesigen  Aufenthalt 
und  den  Zweck  seines  Hierseins  kann  er  sich  nicht  aus¬ 
sprechen.  Nach  seiner  Rente  befragt,  nennt  er  den 
früheren  und  dann  den  jetzigen  Betrag.  „Wollte  gern 
alles  machen,  wenn  ich  nur  könnte  —  manche  i  age, 
dass  ich  gar  nichts  —  dann  lieg  ich  so  müde,  will  sagen, 
dass  meinem  Onkel,  dass  ich  Arbeit  hätte.“ 

Während  seines  hiesigen  Aufenthalts  vom  5.  bis 
13.  November  verhielt  B.  sich  ruhig  und  geordnet.  Die 
Stimmung  war  gleichmütig,  nicht  klagsam.  Er  war  nicht 
gern  allein,  sondern  hielt  sich  immer  bei  andern  Kranken 
auf.  Von  selbst  sprach  er  kaum.  Wenn  er  etwas  sagen 
sollte,  fehlten  ihm  die  Worte,  auf  die  es  ankam.  Es 
fiel  auf,  dass  er  an  manchen  Tagen  zeitweise  ausgiebiger 
reden  konnte.  So  konnte  er  bei  einer  Untersuchung  am 
10.  die  Namen  der  Kinder  und  seinen  Geburtstag  (aber 
nicht  die  Jahreszahl)  nennen,  die  er  am  6.  -nicht  gewusst 
hatte.  Auch  war  deutlich  zu  bemerken,  dass  er  nach 
längerer  Unterhaltung  bald  ermüdete  und  dann  schlechter 
sprechen  konnte. 

In  den  Räumen  der  Heilstätte  lernte  er  nicht  sich 
zurechtfinden.  Sein  Zimmer  fand  er  nur  nach  der 
Nummer  4,  die  er  sich  endlich  gemerkt  hatte.  Zum 
Zimmer  des  Arztes  im  Verwaltungsgebäude  musste  er 
immer  wieder  durch  einen  andern  Kranken  geführt 
werden. 

Irgend  welche  Klagen  brachte  er  nicht  vor.  Nach 
Kopfschmerzen  gefragt,  deutete  er  zum  Fenster  und 
sagt:  „Ach  das  andere  Wetter,  das  ist  — .“  Spricht 
dann  davon,  er  hätte  gerne,  dass  „das  von  Mittwoch“ 
hier  vorgekommen  sei,  damit  ihm  hier  geholfen  werde. 
Bezüglich  der  Rückreise  meint  er,  dass  er  allein  reisen 
wolle“  von  da  ab  wo  es  durchgeht  nach  G.,  dann  könnte 
ich  das.“ 

Ein  Anfall  ist  hier  nicht  vorgekommen. 

Nach  diesen  Ergebnissen  der  Untersuchung  und  Be¬ 
obachtung  habe  ich  folgendes  Gutachten  erstattet : 

Bei  B.  findet  sich  ausser  den  nicht  genau  ab¬ 
zugrenzenden  Beeinträchtigungen  des  Sehens  und  Hörens 
und  den  körperlichen  Beschwerden  (Kopfschmerzen)  eine 
erhebliche  Störung  auf  geistigem  Gebiet,  welche  sich  in 
einer  Erschwerung  der  Auffassung,  der  Merkfähigkeit 
und  der  Überlegung  und  in  schneller  Ermüdbarkeit  seiner 
geistigen  Leistungsfähigkeit  äussert,  am  auffälligsten  aber 
in  einer  Störung  seines  Sprachvermögens.  Dieser  Aus¬ 


fall  ist  eine  Form  der  „Aphasie“.  Ausserdem  sind  bei 
ihm  Anfälle  von  Bewusstlosigkeit  aufgetreten,  über  deren 
Erscheinungsweise  mir  nichts  Näheres  bekannt  ist. 

Die  Sprachstörung  lässt  mit  Sicherheit  auf  eine 
Schädigung  in  der  linken  Grosshirnhalbkugel  schliessen 
und  zwar  in  jener  Gegend,  welche  als  „Sprachzentrum“ 
bekannt  ist.  Diese  liegt  gerade  an  der  Stelle,  an  welcher 
nach  dem  Untersuchungsbefund  eine  operative  Eröffnung 
des  Schädels  vorgenommen  worden  ist.  Es  ist  daher 
ausser  Frage,  dass  eine  Verletzung  des  Gehirns  statt¬ 
gefunden  hat,  die  ohne  Zweifel  durch  den  am  13.  Juni 
1914  erfolgten  Sturz  auf  den  Kopf  verursacht  worden  ist. 

Die  Aussichten  auf  eine  Besserung  des  Krankheits¬ 
zustandes  sind  ungünstig.  Die  heilbaren  böigen  der 
Hirnverletzung  sind  heute,  1/  Monate  nach  dem  Unfall, 
als  beseitigt  anzusehen.  Was  jetzt  noch  an  Ausfalls¬ 
erscheinungen  vorhanden  ist,  kann  nicht  mehr  ausge¬ 
glichen  werden,  weil  die  verlorenen  Gehirnteile  nicht 
wieder  nachwachsen  können. 

Nach  allgemeinen  Erfahrungen  ist  sogar  zu  erwarten, 
dass  die  durch  den  Unfall  verursachten  Schädigungen 
der  Geistestätigkeit  bei  B.  allmählich  eine  weitere  Ver¬ 
minderung  seiner  geistigen  Fähigkeiten  zur  böige  haben 
werden,  sodass  noch  ein  weiterer  Rückgang  seines  Be¬ 
findens  eintreten  wird.  Ausserdem  ist  zu  befürchten, 
dass  die  Anfälle,  welche  durch  die  Einwirkung  der  Ver¬ 
narbung  im  Gehirn  hervorgerufen  werden,  immer  wieder¬ 
kehren  und  sogar  häufiger  und  schwerer  werden.  Wenn 
an  der  verletzten  Steile  des  Gehirns  sich  Ilohlräume 
bilden  (Cysten),  so  können  dadurch  vollständige  epilep¬ 
tische  Anfälle  ansgelöst  werden.  Durch  ein  Heilverfahren 
ist  daran  nichts  zu  bessern. 

Infolge  des  Unfalles  und  der  dabei  erlittenen  Hirn¬ 
verletzung  ist  B.  dauernd  vollständig  erwerbsunfähig. 
Er  ist  wohl  noch  imstande,  zeitweise  leichte  Arbeit  zu 
verrichten,  zu  der  eine  besondere  geistige  und  körper¬ 
liche  Anstrengung  nicht  erforderlich  ist.  Er  kann  aber 
nichts  leisten,  was  Denkvermögen,  Überlegung  und 
eigenen  Antrieb  beansprucht,  namentlich  was  über  ge- 
wohnheitsmässige  Tätigkeit  hinausgeht.  V or  allem  kann 
er  im  Verkehr  mit  andern  Menschen  nicht  erwerbsmässig 
tätig  sein,  weil  er  sich  nicht  genügend  verständlich 
machen  und  den  Reden  der  Andern  nicht  genügend 
folgen,  auch  z.  B.  nicht  rechnen  kann.  Die  ihm  ver¬ 
bliebene  Arbeitsfähigkeit  kann  also  nur  in  besonders 
günstigen  Verhältnissen,  im  Schutze  der  Angehörigen, 
und  auch  nicht  regelmässig  ausgeübt  werden,  also  einen 
zahlenmässig  zu  schätzenden  Wert  nicht  besitzen.  Auf 
dem  allgemeinen  Arbeitsmarkt  kann  B.  mit  seiner  Arbeits¬ 
fähigkeit  nichts  mehr  erreichen. 

Somit  kam  mein  Gutachten  zu  dem  Schluss,  dass 
B.  infolge  des  am  13.  Juni  1914  erlittenen  Unfalls  zu 
100  Proz.  erwerbsunfähig  ist  und  voraussichtlich  bleiben 
wird. 

Nachträglich  gingen  mir  von  Flerrn  Dr.  P.  aus  der 
Chirurgischen  Klinik  in  G.  noch  einige  wertvolle  Mit¬ 
teilungen  zu,  aus  denen  sich  im  wesentlichen  ergab,  dass 
bei  B.  am  20.  Juni  1914  in  Lokalanästhesie  links  ein 
parietal  -  okzipitaler  Knochen  -  Periostlappen  aufgeklappt 
worden  war.  Es  wurde  ziemlich  reichlich  epiduraler 
Kruor  entfernt.  Nach  Eröffnung  der  Dura  Blutung  aus 
mehreren  kleineren  arteriellen  Gefässen  (kleines  Hämatom). 
Hirnsubstanz  mehrfach  gequetscht  und  hämorrhagisch 
verändert.  Einige  Hirnbrocken  entfernt.  Partielle  Dura- 
naht  nach  Tamponade  des  Hämatoms.  Der  Entlassungs¬ 
befund  am  28.  Juli  1914  besagt:  Wundheilung  glatt. 
Nur  leichte  rechtseitige  Fazialisparese  zurückgeblieben. 
Sprache  nur  teilweise  wiedergekehrt  (motorische  und 
sensorische  Aphasie). 

Wenn  diese  Mitteilungen  auch  die  Wissbegier  des 
Neurologen  bezüglich  der  Lokalisation  nicht  ganz^  be¬ 
friedigten,  so  haben  sie  doch  in  dankenswerter  Weise 


Nr.  14 


FORTSCHRITTE  HER  MEDIZIN. 


131 


das  Gutachten  bestätigt.  Wäre  dieser  Auszug  aus  der 
Krankengeschichte  schon  in  den  Akten  enthalten  ge¬ 
wesen,  so  wäre  es  nicht  dazu  gekommen,  dass  die  vom 
Unfall  zurückgebliebene  Aphasie  bei  zwei  Gutachten 
unerkannt  geblieben  ist  und  sogar  den  Verdacht  auf 
Übertreibung  erweckt  hat.  Wie  man  sieht,  genügt  es 
nicht,  Unfallverletzte  möglichst  bald  in  eine  Klinik  oder 
ein  Krankenhaus  zu  bringen.  Es  ist  vielmehr  auch  not¬ 
wendig,  dass  man  sich  über  die  dortgemachten  Be¬ 
obachtungen  berichten  lässt ! 

Aber  auch  ausser  der  Verkennung  der  Aphasie  ist 
die  von  dem  ersten  Gutachter  angegebene  Besserung 
der  Erwerbsfähigkeit  tatsächlich  noch  nicht  begründet 
gewesen.  Er  zieht  nicht  in  Betracht,  wodurch  denn 
eigentlich  der  völlige  Verlust  der  Erwerbsfähigkeit  ver¬ 
ursacht  gewesen  war.  Die  angeführten  Besserungen, 
Heilung  der  Kopfwunde  und  Besserung  des  Seh-  und 
Sprachvermögens,  sind  ohne  wirkliche  Bedeutung  für 
die  Hebung  der  Erwerbsfähigkeit,  Insbesondere  ist  es 
vollkommen  gleichgültig,  dass  bei  sehfähigem  rechten 
Auge  das  bisher  blinde  linke  Auge  jetzt  Licht  und  seit¬ 
lich  bewegliche  und  feste  Gegenstände  bis  auf  3  m  Ent¬ 
fernung  erkennen  kann.  Aber  auch  die  Besserung  der 
Sprache  beweist  nicht  viel,  da  ausdrücklich  angegeben 
ist,  dass  der  Untersuchte  zusammenhängend  nicht  sprechen 
kann.  Endlich  ist  die  Heilung  der  Kopfwunde  ohne 
Einfluss  auf  die  Erwerbsfähigkeit,  denn  die  damit  ver¬ 
bundenen  Beschwerden  (Kopfschmerzen)  sind  unverändert, 
beeinträchtigen  also  nach  wie  vor  das  Befinden  und  da¬ 
mit  die  Leistungen. 

Dass  B.  jetzt  wieder  zeitweise  etwas  arbeiten  kann, 
gibt  er  selbst  zu,  und  seine  schwieligen  Hände  bestätigen 
es.  Aber  diese  Arbeitsfähigkeit  ist  nur  mit  Hülfe  der 
Angehörigen  verwertbar;  sie  ist  keine  Erwerbsfähigkeit. 
Der  Ausfall  auf  geistigem  Gebiet  lässt  die  eigene  Aus¬ 
nutzung  der  körperlichen  Leistungen  nicht  zu. 

Es  hätte  noch  die  Frage  aufgeworfen  werden  können, 
ob  die  Aphasie  nicht  etwa  auf  einen  Schlaganfall  zurück¬ 
zuführen  wäre,  der,  dem  Unfall  voraufgegangen,  diesen 
erst  verursacht  hätte.  Diese  Möglichkeit  ist  von  vorn¬ 
herein  nicht  abzuweisen  und  könnte  in  manchen  Fällen 
von  Wichtigkeit  sein.  Sie  ist  aber  bei  B.  auszuschliessen. 
Abgesehen  davon,  dass  das  Lebensalter  des  Mannes 
und  das  Fehlen  einer  Veranlassung  zu  einer  Hämorrhagie, 
Embolie  oder  Thrombose  dagegen  sprechen,  ist  darauf 
hinzuweisen,  dass  beim  jetzigen  Befunde  keinerlei  hemi- 
plegische  Erscheinungen  vorhanden  waren,  die  nach  einer 
gewöhnlichen  Apoplexie  im  Gebiet  der  Arteria  fossae 
Silvii  auch  nach  Jahresfrist  zweifellos  noch  erkennbar 
hätten  sein  müssen  (Paresen,  Muskelspannungen,  Reflex¬ 
steigerungen).  Vielmehr  handelt  es  sich  um  eine  reine 
Hirnrindenverletzung,  wie  auch  der  nachträglich  bekannt 
gewordene  Befund  der  chirurgischen  Klinik  bestätigt 
hat,  und  für  diese  kann  nach  Lage  des  Falles  eine  andere 
Ursache  als  der  Fall  auf  den  Kopf  nicht  verantwortlich 
gemacht  werden. 

In  klinischer  Beziehung  ist  der  Fall  keineswegs  er¬ 
schöpft,  doch  würde  weiteres  Eingehen  keine  be¬ 
friedigenden  Ergebnisse  liefern,  solange  die  Sektion  nicht 
das  letzte  Wort  gesprochen  hat.  Immerhin  bietet  er 
aber  praktisches  Interesse,  zumal  in  der  jetzigen  Zeit, 
da  bei  Kriegsbeschädigten  ein  so  reiches  und  vielseitiges 
Material  an  Kopfverletzungen  zur  Untersuchung  kommt 
und  bezüglich  der  Erwerbsfähigkeit  beurteilt  werden 
muss.  Nicht  nur  für  die  Diagnose,  sondern  auch  wegen 
der  wirtschaftlichen  Bedeutung  ist  es  wichtig,  auf  apha- 
sische  Störungen  zu  achten. 


Ueber  das  „Citobaryum“,  ein  neues  Röntgen- 

Kontrastmittel. 

Von  Dr.  R  i  g  1  e  r  -  Darmstadt. 

In  Nr,  27,  1914  der  „Deutschen  medizinischen 

Wochenschrift“  hat  Bauermeister  -  Braunschweig 
ein  neues  Röntgen- Kontrastmittel  —  das  Citobaryum 
—  beschrieben,  das  vor  den  bisher  gebräuchlichen 
Mitteln  in  mancherlei  Hinsicht  Vorteile  bietet,  und  auf 
das  ich  deshalb  die  Aufmerksamkeit  der  Kollegen  er¬ 
neut  lenken  möchte. 

Die  grundlegenden  Versuche  von  Rieder- 
München,  über  die  Sichtbarmachung  von  Magen-  und 
Darmkanal  wurden  bekanntlich  mit  Bismutum  subnitricum 
ausgeführt.  Die  Mehrzahl  der  Röntgenologen  ist  dann 
von  diesem  Kontrastmittel  allmählich  abgekommen,  weil 
sich  bei  der  immerhin  beträchtlichen  Menge  des  Mittels, 
die  anzuwenden  notwendig  war,  bisweilen  Schädigungen 
zeigten.  Meist  ging  man  dann  zum  Bismutum  carbonicum 
über,  das  für  völlig  ungiftig  gilt,  und  jetzt  sind  wohl 
die  Mehrzahl  der  Röntgenologen,  schon  aus  pekuniären 
Gründen,  zum  Bariumsulfat  übergegangen. 

Irgend  welche  nachteilige  Wirkung  von  diesem 
Mittel  ist  auch  niemals  bekannt  geworden,  abgesehen 
von  den  verhängnisvollen  Verwechslungen  zwischen 
Bariumsulfat  und  Bariumsulfit.  Man  muss  sich  eben  zur 
Regel  machen,  stets  auf  dem  Rezept  anzugeben,  dass 
Bariumsulfat  verlangt  wird  in  reinster  Form  und  zwar 
zu  Röntgenzwecken  zu  innerem  Gebrauch.  Zu  berück¬ 
sichtigen  ist  stets  bei  Anwendung  des  Bariums,  dass  die 
Entieerungszeit  des  Magens  eine  andere  ist.  wie  nach 
Füllung  mit  Bismutum  subnitricum.  Die  Entleerung 
geht  schneller  vor  sich,  sodass  also  die  in  den  Lehr¬ 
büchern  angegebenen  Bismut  -  Entleerungszeiten  für 
Barium  nicht  zutreffend  sind. 

Ein  sehr  angenehmes  F'rühstück  ist  die  Bariummahl¬ 
zeit  nun  gerade  nicht.  In  trinkbar  flüssiger  Form  lässt 
sich  das  gewöhnliche  Baryum  dem  Patienten  nicht  ein¬ 
verleiben,  resp.  es  erfolgt  nach  der  Einnahme  die  Sedi- 
mentierung  so  schnell,  dass  ein  gutes  Übersichtsbild  des 
Magens  nicht  zu  erlangen  ist. 

Zweifellos  lässt  sich  nun  aber  eine  an  sich  wenig 
gut  schmeckende  Mahlzeit  in  flüssiger  Form  leichter  be¬ 
wältigen  wie  in  Breikonsistenz.  Man  muss  selber  einmal 
einen  derartigen  Bariumbrei  geschluckt  “haben,  um 
verstehen  zu  können,  dass  es  Patienten  mit  emp¬ 
findlichen  Magen,  die  an  und  für  sich  schon  appetitlos 
sind,  schwer  fallen  muss,  ihn  in  den  notwendigen  Quan¬ 
titäten  zu  nehmen,  selbst  wenn  der  Brei  nach  dem 
guten  Rezept  hergestellt  wird,  welches  sich  in  dem  vor¬ 
trefflichen  Leitfaden  des  Röntgenverfahrens  von 
Fürstenau,  Immelmann  und  Schütze 
findet.  Hinzu  kommt  noch  die  etwas  umständliche  Zu¬ 
bereitung  des  Breis  und  die  relativ  lange  \  orbereitungs- 
zeit,  die  die  Fertigstellung  erfordert. 

Diesen  Nachteilen  hilft  nun  tatsächlich  das  von  der 
Firma  E.  Merck  auf  Veranlassung  von  B  auer- 
m  e  i  s  t  e  r  hergestellte  neue  Präparat  „Citobaryum“ 
sehr  gut  ab.  Das  Präparat  kann  ebensogut  in  Brei¬ 
form,  wie  in  trinkbar  flüssiger  Form  gegeben  werden. 
Auch  im  Trinkglas  bleibt  das  neue  Kontrastmittel 
längere  Zeit  in  guter  Suspension  und  ergibt  deshalb 
auch  vortreffliche 'Übersichtsbilder  des  Magens.  Ferner 
ist  die  Zubereitung  eine  äusserst  einfache,  die  ganze 
Kocherei  fällt  fort.  Zur  Herstellung  genügt  etwas 
warmes  Wasser.  Man  hat  den  weiteren  Vorteil,  dass 
man  sich  nach  Belieben  Kontrastmanlzeiten  von  ver¬ 
schiedener  Konsistenz  herstellen  kann.  Ganz  dünn¬ 
flüssige  und  auch  dickflüssigere.  Erstere  namentlich 
auch  zur  ersten  Schirmbeobachtung  und  zur  Anwendung 
als  Klysma.  In  letzterer  Beziehung  hatte  ich  bisher  noch 
keine  Gelegenheit  Versuche  anzustellen,  doch  bin  ich 


132 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  14. 


überzeugt,  dass  sich  das  Citobaryum  auch  bei  rektaler 
Anwendung  gut  bewähren  dürfte. 

Dass  das  Citobaryum  wesentlich  lieber  von  den 
Patienten  genommen  wird,  wie  die  Wismutmahlzeit  oder 


das  alte  Baryum,  hatte  ich  wiederholt  Gelegenheit  bei 
Patienten  zu  beobachten,  die  ich  früher  mit  einer  anderen 
Kontrastmahlzeit  untersucht  hatte.  Alle  diese  lobten, 
ohne  dass  ich  sie  auf  das  veränderte  Präparat  aufmerk¬ 


sam  machte,  den  leidlich  angenehmen  Geschmack  und 
erkannten  es  an,  dass  sich  das  Citobaryum  wesentlich 
leichter  nehmen  lasse,  wie  das  ihnen  bei  der  ersten 
Untersuchung  Vorgesetzte  Röntgenfrühstück.  Irgend 
welche  Störungen  bei  der  Ausscheidung  des  Kontrast¬ 
mittels  habe  ich,  seitdem  ich  Citobaryum  anwende,  nicht 
mehr  beobachtet. 

Es  kam  mir  nun  vor  allem  darauf  an,  zu  prüfen, 
ob  die  Austreibungszeit  mit  Citobaryum  sich  in  wesent¬ 
lichen  Punkten  von  der 
unterscheidet,  wie  wir  sie 
nach  Bismutum  subnitri- 
cum  und  Baryumsulfat  in 
der  gewöhnlichen  Art  an¬ 
nehmen.  Dabei  ergab  sich 
nun,  dass  der  normale 
Magen  in  der  Regel  das 
Citobaryum  nach  etwa 
l  V2 — 2  Stunden  abge¬ 
geben  hat.  Meist  lindet 
sich  das  Kontrastmittel  be¬ 
reits  nach  3'/2 — 4  Stunden 
im  aufsteigenden  Dick¬ 
darm.  Nicht  unerwähnt 
will  ich  lassen,  dass  ich 
auffallend  häuligbeidenUn- 
tersuchungen  den  Wurm- 
fortsatz  zu  Gesicht  be¬ 
kommen  habe. 

Die  hier  beigefügten  Bil¬ 
derzeigen  erstens  einen  mit 
Citobaryum  in  trinkbar  flüssiger  Form  gefüllten  Magen, 
20  Minuten  nach  Aufnahme  des  Frühstücks.  Von  den 
auf  der  zweiten  Abbildung  sichtbaren  Reagenzgläsern 
ist  das  erste  mit  einer  Wismutsuspension  gefüllt,  das 
zweite  mit  trinkbar  flüssiger  Citobaryumlösung,  Aufnahme, 
etwa  20  Minuten  nach  der  Fertigstellung.  Es  fällt  dabei  ohne 
weiteres  der  grosse  Unterschied  in  die  Augen,  d.  h.  bei 
der  Wismutaufschwemmung  ist  bereits  die  Sedimentierung 
vollkommen  erfolgt,  die  bei  Citobaryum  nur  in  geringem 
Grade  eintrat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

O.  Prankenberger:  Bestellt  ein  Zusammenhang  zwischen 
akuter  Angina  und  mcteorologisehen  Einflüssen?  (pjasopis  lekafuo 
ceskych.  1914.  Nr.  28  —  39). 

Diese  Frage  wird  auf  Grund  des  Materials  der  tschechischen 
laryngologischen  Klinik  in  Prag  während  der  Jahre  1911 
(224  Fälle),  1912  (154)  und  1913  (160)  negiert.  Die  Kälte 
ist  ohne  Einlluss,  denn  es  kamen  während  der  kalten  Jahres¬ 
zeit  weniger  Anginen  vor  als  während  der  Sommermonate; 
ebenso  ist  die  relative  Feuchtigkeit  der  Luft  belanglos,  denn 
zwischen  dem  trockenen  Jahr  1911  und  dem  feuchten  Jahr 
1913  ist  kein  Unterschisd,  in  dem  feuchten  Jahr  1912  war 
die  Zahl  der  Anginen  etwas  grösser.  Die  Menge  der  Nieder¬ 
schläge  spielt  ebenfalls  keine  Rolle:  das  trockene  Jahr  1911 
zählte  mehr  Anginen  als  die  feuchten  Jahre  1912  und  1913. 
An  windigen,  trockenen  Tagen  wurden  nur  etwa  2  °/0  mehr 
Anginen  gezählt  als  an  Regentagen  und  an  den  auf  diese 
folgenden  Tagen,  wenn  die  Gassen  feucht  und  staubfrei  waren. 
Diese  Resultate  berechtigen  den  Autor  zu  dem  Schlüsse,  dass 


die  Erkältung  als  Krankheitsursache  nicht  in  Betracht  kommeiii 
könne,  G.  Mühlstein  -  Prag. 

Dr.  K.  Franz:  Das  Pappataci  —  oder  Phlebstom- 
fieber.  ((  asopis  lekafuo  ceskych.  1914.  Nr.  34.) 

In  den  niedrig  gelegenen  Gegenden  von  Dalmatien,  Herze 
govvina  und  des  Küstenlandes  kommt  eine  Infektionskrankheit 
vor,  die  sich  durch  plötzlich  einsetzendes  Fieber,  grosse  Kopf¬ 
schmerzen,  Muskelschmerzen,  Erbrechen  und  auffallende  Hin¬ 
fälligkeit  auszeichnet;  sichtbare  Schleimhäute  rot;  manchmal 
Nasenbluten;  neben  dieser  nervösen  gibt  es  eine  gastrointestinale 
Form:  belegte  Zunge,  Foetor,  Appetitslosigkeit,  Obstipation 
und  nachher  Diarrhoe.  Am  2.  Tage  sinkt  das  Fieber  und 
verschwindet  am  3.  Tage.  Prognose  gut.  Der  Erreger  ist  ein 
noch  unbekanntes  Virus,  das  Berkefeld-  und  Ghamberlandfiltei 
passiert;  aber  es  lebt  im  Blute,  da  man  durch  Injektion  des 
selben  die  Krankheit  erzeugen  kann.  Die  Inkubationsfrist 
dauert  3  —  10  Tage.  Nach  dem  7.  Tage  finden  sich  im  Blute 
Immunkörper,  die  das  Virus  binden;  die  Übertragung  geling! 
nicht  mehr.  Auffallend  ist  die  Leukopenie.  Die  Infektion 


Nr.  14. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


133 


entsteht  durch  den  Stich  des  Weibchens  von  Phlebstomus 
pappatasii ;  ehestens  6  Tage  nach  dem  Stich  treten  die  ersten 
Krankheitserscheinungen  auf.  Die  Therapie  beschränkt  sich 
auf  Linderung  der  Schmerzen.  Prophylaxe:  Luflzug  im  Schlaf¬ 
zimmer  (die  Mücke  weicht  dem  Luftzug  aus\  kein  Licht  hei 
offenen  Fenstern,  Schliessen  der  Fenster'  bei  aufziehendem  Ge¬ 
wölk,  Desinfektion  der  Zimmerdecke  mit  1  Proz.  Formalin. 

G.  M  ü  h  1  s  t  e  i  n  -  Prag. 

W.  Libensky:  Die  Elektrokardiographie  und  ihre 

Bedeutung  für  die  heutige  Diagnostik  der  Herzkrankeiten. 
(Qasopis  lekarüo  ceskych.  1914.  Nr.  27 — 29.) 

Der  Autor  demonstriert  die  Bedeutung  der  Elektrokardio¬ 
graphie  für  die  Diagnose  an  folgendem  Fall:  Ein  TOjähriger 
Mann  litt  an  innerer  häufiger  werdenden,  schliesslich  mit  Krämpfen 
verbundenen  Anfällen  von  Bewusstlosigkeit  ohne  Dyspnoe. 
Herzdämpfung  nach  links  verbreitert.  Puls  33  in  der  Minute. 
Skiaskopisch  sah  man,  dass  sich  der  rechte  Vorhof  mehr  als 
doppelt  so  oft  kontrahierte  als  die  linke  Kammer.  Nach  Atro¬ 
pin  verschwanden  die  Anfälle,  ohne  dass  sich  die  Pulsfrequenz 
änderte.  Das  Elektrokardiogramm  zeigte  eine  totale  Dissoziation 
des  Vorhofs- und  Kammerkomplexes.  Es  handelte  sich  demnach 
um  eine  Leitungstörung  an  der  Atricventrikulargrenze.  (Stokes- 
Adamsche  Krankheit.)  G.  Mühlstein-  Prag. 

Prof.  Dr.  J.  Thomayer:  Die  Bedeutung  der  Akzentuation 
des  diastolischen  Aortentons*  piasopis  lekafuo  ceskych.  1914.) 
Nr.  26  ) 

Bei  Akzentuation  des  diastolischen  Aortentons  und  Hyper¬ 
trophie  des  Herzens  findet  sich  in  der  Pegel  ein  hoher  Blut¬ 
druck,  der  eben  die  Akzentuation  bedingt.  Thoma3rer  fand  aber 
manchmal  einen  normalen  Blutdruck.  In  solchen  Fällen  kon¬ 
statierte  er  (auch  durch  die  Autopsie)  eine  Dilatation  der  an¬ 
steigenden  Aorta  auf  luetischer  Basis.  Er  führt  einen  derartigen 
Fall  an,  bei  dem  das  Skiagramm  eine  deutliche  aneurysma¬ 
artige  Erweiterung  der  Aorta  ascendens  zeigte.  Diese  Erscheinung 
erklärt  Th.  in  folgender  Weise:  in  dem  erweiterten  Teile  der 
Aorta  befindet  sich  jedenfalls  eine  grössere  Blutmenge  als 
normal;  diese  bedingt  eine  Mehrleistung  des  Herzens  und 
Hypertrophie  desselben  und  einen  intensiveren  Anprall  des 
rückkehrenden  Blutes  gegen  die  Aortenklappe. 

G.  Mühlstein  - Prag. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Dr.  F.  Erfurth,  (Neues  Stadt.  Krankenh.  zu  Cottbus' 
Bericht  über  146  Fälle  von  Brüchen  des  Fersenbeins.  (S.  A 
Monatsschr.  f.  Unfallheilk.  1915,  Nr.  10,  9  S.) 

Bemerkungen  allgemeiner  Natur  über  Ursachen,  Diagnose 
und  Behandlung,  sowie  Analyse  der  Heilergebnisse  auf  Grund 
der  Renten  Verhältnisse  von  146  Fällen. 

Die  Verletzung  wird  sehr  häufig  verkannt,  was  zum  grossen 
Teil  daran  liegt,  dass  die  Gelegenheit  zur  Anfertigung  von 
Röntgenbildern  nicht  ausgenützt  wird, 

M.  Schwab-  Berlin-Wilmersdorf,  z.  Zt.  Saarbrücken. 

Prof.  A.  El  sch  nig-Prag,  Zur  Frage  der  Verhütung 
postoporativer  Infektionen.  (S.  A.  v.  Graefe’s  Arch  f.  Ophth. 
89.  Bd.  3  1915.) 

Polemik  gegen  Lindner  über  postoperative*  Iritiden 

M.  S  c  h  w  a  b- Berlin- Wilmersdorf,  z.  Zt.  Saarbrücken. 

San. -Rat  Dr.  W.  Dosque  t- Berlin,  Über  offene  und 
klimatische  Behandlung  von  eiternden  Wunden,  Frostschäden 
und  Verbrennungen.  (S.  A.  Zschr.  f.  ärztl.  Fortb.  1915,  Nr. 
22,  17  S.) 

Der  Verf.  wendet  schon  seit  Jahren  die  offene  Wundbe¬ 
handlung  an,  aber  nicht  als  Heliotherapie,  sondern  als  Klimato- 
therapie,  indem  er  den  Körper,  bezw.  seine  einzelnen  Teile  neben 
der  natürlichen  Belichtung  dem  ständigen  Wechsel  der  gesamten 
Atmosphäre  (1.  den  gewöhnlichen  Schwankungen  der  Aussen- 
temperatur,  2.  dem  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  und  3.  vor 
allem  der  Bewegung  derselben)  aussetzt.  Er  bewerkstelligt  dies 
111  eigens  diesem  Zweck  angepasst  gebauten  Krankenräumen, 
die  neben  dem  Vorzug  der  grösseren  Hygiene  gegenüber  den 
üblichen  Krankenhausbauten  auch  den  der  grösseren  Billigkeit 
haben. 


Diese  I)  o  s  q  u  e  t’scben  Baulichkeiten  werden  in  Wort  und 
Bild  dargestellt  und  die  in  ihnen  erzielten  Erfolge  mitgeteilt. 

M.  Sch  w  a  b  -Berlin-Wilmersdorf,  z.  Zt.  Saarbrücken. 

Regierungsrat  Prof.  Dr.  Küster,  Mitglied  des  Kaiser¬ 
lichen  Gesundheitsamtes,  Vergleichende  Untersuchungen  über  die 
Wirkung  neuer  Händedesinfektionsmethoden.  (Arb.  a.  d.  Kaiser], 
Gesundheitsamte  Bd.  48,  Heft  3,  19,5.) 

Da  der  natürliche  Keimgehalt  der  Hände  so  gross  ist, 
dass  es  für  die  Beurteilung  der  Wirkung  eines  Desinfektions¬ 
mittels  belanglos  ist,  ob  die  Hände  vorher  gewaschen  wurden 
oder  nicht,  wenn  sie  nur  allgemeingesprochen  „sauber“  waren, 
so  war  es  bei  Küsters  Versuchen  von  Bedeutung,  dass 
kein  vorheriger  Gebrauch  eines  anderweitigen  Desinfiziens 
stattgelunden  hatte,  dem  eine  Dauerwirkung  zukommt.  Einige 
Versuche  sind  durch  Nichtbeachtung  dieser  Voraussetzung  un¬ 
brauchbar  geworden.  Boi  der  Desinfektion  kommt  es  nicht 
darauf  an,  wie  eine  Hand  gereinigt  wird,  sondern  das  beste 
Desinfektionsverfahren  kann  versagen,  wenn  es  seine  Leistungs¬ 
fähigkeit  an  einer  „ungepflegten  Hand“  beweisen  soll.  Die 
Versuchsergebnisse  des  einen  Dieners  beweisen  das  schlagend. 
Künstliche  Infektion  der  Hand  erwies  sich  als  unbrauchbar, 
es  wurde  nur  auf  die  „bodenständigen  Keime“  der  Hände 
Rücksicht  genommen.  Die  Annahme,  die  Keimzahl  der  Hände 
nähme  beim  Waschen  mit  Wasser  und  Seife  zu,  stimmt  nicht. 
Durch  Auflockerung  der  Haut  wird  der  Erfolg  der  Abimpfung, 
die  Keimabgabe  grösser.  Geprüft  wurden  die  Desinfektions¬ 
verfahren  1.  nach  Schumburg  :  Gebrauch  von  96  prozentigem 
Alkohol  4-  1(2Proz.  Salpetersäure  oder  4-  1  Proz.  Formalin; 
2.  nach  v.  Mikulicz:  Desinfektion  mit  Seifen spiritus ;  3,  nach 
v.  Herff:  Gebrauch  von  Acetonalkohol ;  4.  nach  Ahlfeld  : 

Alkoholwaschung;  5  nach  Liermann ,  Gebrauch  von  Bolusseife 
und  Boluspaste;  6.  Desinfektion  mit  Marquarts  Festalkol. 
Welche  Methode  die  bessere  ist,  wagt  Küster  nicht  zu  ent¬ 
scheiden.  „Brauchbar“  sind  alle  5.  Zahlenmässig  ergab  die 
Händedesinfektion  nach  Ahlfeld  die  besten  und  gleichmässigsten 
Erfolge,  ihr  sehr  nahe  kommt  das  Verfahren  nach  v.  Mikulicz. 
Beide  Methoden  wurden  jedoch  von  allen  Untersuchern  sehr 
angreifend  empfunden  und  wirkten  auf  den  Pflegezustand  der 
Haut  ungünstig  ein,  wenn  nicht  nachträglich  Glyzerin  oder  ein 
anderes  Hautpflegemittel  gebraucht  wurde.  Die  Desinfektion 
nach  Schumburg,  v.  Herff,  Liermann  und  mit  Marquarts  Fest¬ 
alkol  ergaben  etwas  höhere  Keimbefunde,  aber  sie  wurden 
besser  vertragen.  Den  besten  kosmetischen  Einfluss  übte  die 
Bolusmethode  Liermann  aus.  Sie  hinterlässt  kein  Gefühl  der 
Härte  und  Spannung  an  den  Händen  und  beeinträchtigt  das 
Tastgefühl  nicht,  was  zweifellos  ein  grosser  Vorteil  von  ihr  ist. 

H.  Graf-  Hamburg. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Prof.  Dr  W  alter  -  Giessen,  Zur  manuellen  Losung  der 
Plazenta.  (Sonderabdruck  aus  Heft  21  u.  22,  IX.  Jahrg  19 1 5 
der  „Gynäkologischen  Rundschau“.) 

Verf.  welcher  die  manuelle  Lösung  der  Plazenta  zu 
den  gefährlichen  geburtshilflichen  Operationen  auf  Grund  der 
Mortalität  von  10  — 15°  0  mit  vollem  Recht  zählt,  wendet  sich 
in  erster  Reihe  gegen  jene  „erfahrenen“  Praktiker,  welche  über¬ 
eilt  und  iudikatiouslos  diese  Operation  ausführen,  und  dieselbe 
als  gefahrlos  bezeichnen.  Auf  Grund  eigener  und  fremder 
Erfahrungen  rät  Verf.  in  nicht  genug  anzuerkennender  Weise 
bei  der  Nachgeburtslösung  stets  den  in  allen  Lehrbüchern  fest¬ 
gelegten  Indikationen  strengstens  gerecht  zu  werden  und  weist 
auf  den  Rat  Ahlfelds  hin,  niemals  ohne  Grund  den  Ablauf  der 
Nachgeburtszeit  zu  beschleunigen. 

Die  kurze  Darstellung  der  Aetiologie  der  Blutungen  in 
der  Nachgeburtsperiode  nebst  Beschreibung  der  beiden  Hand¬ 
griffe,  wie  sie  Verfasser  und  Piskacek  lehrt,  geben  ein  klares 
Bild  für  Hebammen  sowohl  als  für  den  praktischen  Arzt,  um 
sich  der  Folgen  einer  kritiklosen  Ausführung  der  Nachgeburts¬ 
lösung  bewusst  zu  werden.  Möge  dieser  Beitrag  Walthers  vom 
besten  Erfolge  begleitet  sein.  E  k  s  t  e  i  n  -  Teplitz  Schönau. 


134 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  14. 


Aus  der  Univ.  Frauenklinik  in  Leipzig  (Direktor  Geh.  Rat. 
Prof.  Dr.  Zweifel). 

Prof.  Dr.  Lichten  stein  -  Leipzig,  Eigenbluttrans- 
fusion  bei  Extrauteringravidität  und  Uterusruptur  (Sonderdruck 
aus  der  Münchener  med.  Wochenschrift  1915,  Nr.  47.) 

Einleitend  schildert  Verfasser  die  Schwierigkeiten  und 
Schäden  der  Transfusion  artfremden  und  artgleichen  Blutes 
zwecks  Heilung  schwerer  Anämien  verschiedenster  Aetiologie. 
Als  Goltz  und  Schwarz  die  Ursache  des  Verblutungstodes  nicht 
mehr  in  der  veränderten  Qualität  sondern  in  der  veränderten 
Quantität  des  Blutes  mit  konsekutivem  Sinken  des  Blutdruckes, 
der  Blutbewegung  und  der  rhytmischen  Tätigkeit  des  Herzens 
fanden,  trat  an  Stelle  der  Bluttransfusion  die  Infusion  von 
isotonischen  Salzlösungen.  Dabei  wurde  eben  nur  das  Serum 
ersetzt,  das  oft  wenige  Blut,  welches  noch  vorhanden  war  wesent¬ 
lich  verdünnt,  wodurch  der  Verblutungstod  oft  auch  nicht  ver¬ 
mieden  werden  konnte,  was  Verf.an  der  Hand  zweier  einschlägigen 
Fälle  von  Extrauteringravidität  beweist.  Thies  war  der  erste, 
welcher  die  Eigenbluttransfusion  bei  drei  Fällen  von  Extra¬ 
uteringravidität  subkutan  und  intravenös  vornahm,  in  dem  er 
das  Blut  aus  der  Bauchhöhle  ausschöpfte,  durch  Mull  seihte 
und  mit  einer  physiologischen  Kochsalzlösung  3  :  2  versetzte. 
Zweifel  und  Sick  hegten  Bedenken  gegen  diese  Methode,  wegen 
der  dabei  entstehenden  Blutgerinnsel  und  der  dadurch  bedingten 
Lebensgefahr  und  riet  Zweifel  das  Blutgemisch  nach  der  alten 
Methode  vorher  mit  Holzstäbchen  zwecks  Defibrinierung  zu 
schlagen. 

In  der  Zweifelsclien  Klinik  wurden  mit  der  Eigenblut¬ 
transfusion  im  ganzen  9  Fälle  von  geplatzter  Extrauteringravi¬ 
dität  und  ein  Fall  von  Uterusruptur  mit  Erfolg  behandelt,  wor¬ 
unter  bei  vier  Fällen  das  Leben  nur  noch  an  einem  Faden 
hing.  Verf.  schildert  den  Verlauf  dieser  Fälle,  welcher 
durchweg  als  günstig  bezeichnet  werden  muss  und  sollen  mit  der 
Eigenbluttransfusion  in  erster  Reihe  bei  frischen  Extrauterin¬ 
graviditäten  nach  Tubenusur  weitere  Erfahrungen  gesammelt 
werden,  dasselbe  gilt  für  die  Uterusruptur  Verfasser  schildert 
zum  Schluss  die  Vorbereitung  des  Blutes,  die  Technik  der  Eigen¬ 
bluttransfusion  und  den  Zeitpunkt  der  Vornahme  derselben. 
Verfasser  empfiehlt  für  die  Transfusion  die  linke  Armvene  zu 
benutzen,  den  hierzu  nötigen  Hautschnitt  nicht  längs,  sondern 
quer  zur  Vene  auszuführen.  Nur  in  dringendsten  Fällen  soll 
die  Transfusion  vor  der  ausgeführten  Bauchoperation  gemacht 
werden.  Zur  Transfusion  wird  ein  Ventilspritzenapparat 
empfohlen. 

Verf  hat  mit  dieser  Publikation  sowohl  Gynäkologen, 
als  auch  Chirurgen  für  die  Bekämpfung  schwerer  Anämien 
wertvollen  Beitrag  geleistet.  E  k  s  t  e  i  n  -  Teplitz  Schönau. 

Dr.  Johannes  T  r  e  b  i  n  g,  I.  Assistent  der  Klinik, 
Levurinose  in  der  Frauenpraxis.  (Aus  der  Prof.  v.  Bardeleben- 
schen  Poliklinik  für  Frauenleiden  in  Berlin.  (Zentralbl.  für 
Gynäkologie  Nr.  49,  1915.) 

Die  Bierhefe  wurde  von  Th.  Laudau,  O.  Abraham  und 
E.  Crombach  zur  Beseitigung  des  weiblichen  Ausflusses  zuerst 
verwendet.  Nachdem  eine  exakte  Verabreichungform  derselben 
nicht  zu  erzielen  war,  gleichzeitig  unangenehme  Erscheinungen 
bei  der  Verabreichung  eintraten,  wurde  von  der  ehern.  Fabrik 
J.  Blaes  in  Lindau  die  Levurinose  hergestellt,  welche  eine  durch 
kalten  Luftstrom  getrocknete  Bierhefe  darstellt  und  eine  grosse 
Haltbarkeit  und  Konservierungsfähigkeit  besitzt,  dabei  aber 
auch  Energie  und  Zuverlässigkeit  Eine  ganze  Reihe  Autoren 
haben  diese  gute  Wirkung  bei  verschiedenen  Hautkrankheiten 
gastrointestinalen  Ursprungs,  Sloffwechselanomalien  und  Obsti¬ 
pation  mit  bestem  Erfolge  intern  erprobt.  Hirschfeld  benützte 
Levurinose  mit  Erfolg  bei  der  vaginalen  Behandlung  des 
Fluor,  worauf  Verf  ebenfalls  dieselbe  in  35  Fällen  zur  An¬ 
wendung  brachte,  und  sich  folgerichtig  nur  auf  solche  Fälle 
beschränkte,  bei  denen  keine  Komplikationen  durch  andere  Er 
krankungen  der  Geschlechtsorgane  bestanden.  Ein  Teelöffel 
Levurinose  wurde  durch  das  Spekulum  in  die  Vagina  gebracht 
und  mittels  Tarapondruck  8  —  9  Stunden  daselbst  fixiert,  worauf 
Spülungen  mit  Kamillen  oder  Zinc  chlorat.  und  Aq.  dest.  aa. 
ausgeführt  werden.  Auf  Grund  dieser  Erfolge  bei  vaginaler 
Anwendung  und  auch  auf  Grund  der  Erfolge  bei  der  Dar- 
reiehuug  per  os  empfiehlt  Verf  Levurinose  bei  Einhaltung  der 
genannten  Indikationen  aufs  beste.  Ekstein-  Teplitz  Schönau. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

A.  Heveroch:  Die  Patellarreflcxc  bei  der  trau¬ 

matischen  Neurose,  ((josopis  lekarüo  ceskych  1914.  Nr.  33) 

Beim  Beklopfen  der  Quadricepssehne  entsteht  oft  ausser 
der  Zuckung  des  Unterschenkels  (Patellarreflex)  eine  Zuckung 
der  ganzen  Extremität  oder  des  ganzen  Körpers  (Überrasehungs- 
reaktion  nach  Heveroch).  Diese  letztere  blasst  bei  wiederholter 
Beklopfung  ab ;  auch  bei  Simulanten  wird  sie  infolge  Ermüdung 
ungleichmässig ;  der  Patellarreflex  bleibt  jedoch  bei  ^klinisch 
erfahrenen  Untersuchern  immer  gleich  lebhaft.  Heveroch  empfiehlt 
daher  folgendes  Verfahren  :  die  Quadricepssehne  wird  bald  mit 
der  rechten,  bald  mit  der  linken  Hand,  bald  mit  beiden  Händen 
wiederholt  beklopft;  zeitweise  lässt  man  den  Untersuchten  zu¬ 
schauen  und  unterbricht  die  Reihe  der  Beklopfungen  durch 
eine  unvollständige  Beklopfung,  indem  man  zum  Schlag  ausholt, 
ohne  wirklich  zu  klopfen.  Eine  Reaktion  im  letzten  Falle  ist 
natürlich  kein  Patellarreflex.  Auch  bei  diesem  Vorgang  wird 
der  Patellarreflex  bei  verschiedenen  Untersuchern  je  nach  ihrer 
klinischen  Erfahrung  und  Übung  verschieden  ausfallen. 

G.  Mühlstein-  Prag. 

Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten  Ser 
Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

Erich  Müller-  Berlin -Rummelsburg,  Zur  Therapie 
der  angeborenen  Syphilis  nebst  einigen  klinischen  Bemerkungen. 

Die  bisher  allgemein  geübte  Behandlung  der  angeborenen 
Syphilis  war  eine  ganz  unverständlich  unzureichende. 

M.  behandelt  jetzt  folgen derm assen :  Die  einzelne  Kur  be¬ 
steht  entweder  aus  12  Calomel-  und  8  Neo-S. -Injektionen  oder 
aus  einer  6  wöchentlichen  Schmierkur  und  gleichfalls  8  Neo-S. 
Spritzen. 

Beide  Kuren  dauern  etwa  je  3  Monate. 

Nach  dieser  ersten  Kur  tritt  eine  Pause  von  einem  Viertel¬ 
jahre  ein,  hierauf  beginnt  die  zweite  Kur  in  gleicher  Weise  und 
nach  einer  zweiten  Ruhepause  von  einem  Vierteljahr  folgt  die 
dritte  Kur  in  derselben  Ausdehnung. 

Die  angewandten  Dosen  sind  die  folgenden: 

0,001  g  Calomel  und  0,015  g  Neo  S. 
pro  Kilogramm  Körpergewicht.  Das  Neo-S.  wird  im  allge¬ 
meinen  bei  Säuglingen  intravenös  gegeben,  und  zwar  in  die 
Venen  des  Schädels,  des  Fussgelenkes,  die  Vena  jugularis  oder 
neuerdings  nach  dem  Vorschläge  von  L.  Tobler  —  Mschr. 
f.  Kindhlk.  1915,  Bd.  13  Nr.  8  -  in  den  Sinus  longitudinalis. 

Die  Anzahl  der  Einzelkuren  wird  durch  den  Ausfall  der 
Wa.-R.  bestimmt.  V.  verfährt  dabei  seit  vielen  Jahren  nach 
einem  ganz  bestimmten  Grundsätze.  Die  Wa-R  wird  direkt 
vor  jeder  Kur,  und  jetzt  etwa  8 — 10  Tage  —  früher  4  Wochen 
—  nach  der  Kur  geprüft.  Der  Ausfall  der  Prüfung  vor  der 
Kur  ist  für  die  Zahl  der  Kuren  massgebend.  Jedes  Kind  erhält 
nach  der  ersten  negativen  Wa.-R.  noch  zwei  weitere,  sozusagen 
prophylaktische  Kuren,  wenn  im  Verlaufe  dieses  Zeitraums 
ein  Umschlag  zur  positiven  Wa.  R  nicht  mehr  eintritt.  Zeigt 
sich  doch  noch  einmal  eine  positive  Reaktion,  so  erhöht  sich 
die  Anzahl  der  Kuren  sinngemäss,  bis  das  Ziel  erreicht  ist. 

Die  von  M.  jetzt  geübte  Therapie  ist  keine  neue,  sondern 
nur  eine  dem  Vorgehen  der  Syphilidologen  bei  der  Lues  der 
Erwachsenen  angepasste. 

Die  Gesamtkur  besteht  also  im  günstigsten  halle  aus 
3  Einzelkuren,  deren  jede  etwa  1/i  Jahr  währt  und  erstreckt 
sich  auf  einen  Zeitraum  von  1  */4  bis  1  1  2  Jahren,  was  eine 
wesentliche  zeitliche  Abkürzung  gegenüber  der  alten  Methode 
bedeutet  Gans. 

P.  G.  U  n  n  a- Hamburg,  Kriegsaphorismen  eines  Derma¬ 
tologen.  (Berl  klin.  Wochenschrift  19:5,  Nr.  18.) 

VIII.  Pyodermie.  —  Impetigo  Bock  hart. 

Die  Fox’sche  Impetigo  ist  eine  stets  oberflächlich  bleibende, 
unschuldige  Affektion,  die  Bockhart’sche  Impetigo  beherbergt 
die  echten  Eiterkokken  und  führt  daher  leicht  zur  Furunkulose 
und  leider  auch  hin  und  wieder  zur  Sepsis  Bei  jener  sieht 
mau  anfangs  nur  selten  ein  seröses  Bläschen,  sondern  meist 
einen  roten  Fleck  und  dann  bald  eine  dicke,  fibrinöse,  honig¬ 
gelbe  Kruste,  bei  dieser  hebt  ein  reiner  Eitertropfen  rasch  die 
Hornschicht  halbkuglig  zu  einer  einkämmerigen.  nicht  gedeihen, 
gelben  oder  gelbgrünen  Blase  hervor,  die  einige  Tage  stellen 


Nr.  14 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


135 


bleibt  und  dann  zu  einer  braunen  Kruste  eintrocknet.  Bei 
jener  platzen  die  Blasen  rasch  und  das  gerinnende  Sekret 
verklebt  die  Haare  (an  Kinderköpfen)  zu  dicken  harten  Borken. 
Bei  dieser  ziehen  sich  die  Blasen  an  den  grösseren  Haaren 
(der  Extremitäten  Erwachsener  zeltartig  in  die  Höhe,  ohne  zu 
platzen  und  Gerinnungsprodukte  auf  die  Haut  zu  setzen.  Jene 
besitzt  eine  typische  Lokalisation  an  der  feuchtgehaltenen  Haut 
der  Kinder  (um  Nase,  Mund  und  Augen).  Diese  hat  keine 
typische  Lokalisation,  aber  als  gewöhnlichen  Ausgangspunkt 
einen  vernachlässigten  Furunkel,  eine  eiternde  Wunde  oder  ein 
Geschwür. 

Von  diesen  Eiterkokkenherden  aus  wird  die  Bockhart- 
sche  Impetigo  entweder  langsam  durch  den  kratzenden  Nagel 
oder  rasch  durch  feuchte  Verbände,  Breiumschläge,  durch  Ein¬ 
packungen  und  Abreibungen  der  Haut,  durch  reibende  Ver¬ 
bandstücke,  ja  selbst  schon  durch  unvorsichtiges  Trockenreiben 
nach  dem  Bade  über  den  Körper  verbreitet.  Das  ist  die  Ent¬ 
stehungsweise  der  meisten  echten  Pyodermien  (generalisierten 
Fällen  von  Bockhart’s  Impetigo  ) 

Das  Wichtigste  der  Behandlung  ist  die  Prophylaxe.  Wo 
die  gebräuchlichsten  Friedensmittel  (Quecksilberkarbolguttaplast, 
Ichthyolguttaplast,  Ichthyol  pur)  nicht  zur  Hand  sind,  ist  die 
Zink-Schwefel- Kreide-Paste  empfehlenswert,  besonders  wenn  die 
Eiterstellen  und  die  Ausgänge  der  umliegenden  Haare  vorher 
mit  konzentrierter  Karbolsäure  leicht  betupft  werden.  Im 
Lazarett  wird  der  ganze  Körper  lange  und  gründlich  abgeseift, 
nachdem  sämtliche  Eiterblasen  geöffnet  sind.  Alle  durch  das 
Abseifen  ihrer  Hornschicht  beraubten  Impetigines  werden  sodann 
samt  ihrer  Umgebung  mit  einer  Zink-Schwefel-Kreide-Paste  be¬ 
deckt.  Länger  dauernde  feuchte  Umschläge,  welche  die  Horn¬ 
schicht  mazerieren,  sind  ebenso  zu  vermeiden  wie  alle  mechanischen 
Beschädigungen  der  Hornschicht  (anhaltender  Druck,  Reiben, 
Kratzen.) 

IX.  Erysipel. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift  1915,  Nr.  18.) 

Im  kaustischen  und  kohlensauren  Ammoniak  besitzen 
wir  ein  nahezu  sicheres  inneres  Mittel  gegen  Erysipel. 

Am  besten  gibt  man: 

Ammon,  carbonici  5,0 

Liq.  ammon.  anisati  5,0 

Aquae  ad  200,0 

Syr.  simpl.  20,0 

M.  S.  Esslöffelweise  stündlich  bis  zweistündlich. 

Für  die  äussere  Anwendung  am  besten  bewährt  hat  sich 
das  Ichthyol.  (Dieses  ist  ein  Ammoniaksalz!)  Die  Auftragung 
des  reinen  Mittels  auf  die  Haut  und  die  Bedeckung  mit  Watte 
ist  die  beliebteste  Form;  aber  sie  ist  wenig  sparsam  und  etwas 
umständlich.  Ebenso  wirksam  und  weniger  kostspielig  ist  die 
eines  wasserlöslichen  Ichthyolfirnisses(Ichthyolalbumosenfirnis  oder 
Ichthyolgelanth )  und  dessen  Bedeckung  mit  irgend  einem  Puder 
ohne  Binden.  (Schwanapotheke  Hamburg.) 

Stets  muss  die  Ichthyoldecke  eine  Handbreit  über  die  äusserste 
Grenze  des  Erysipels  hinüber  auf  die  gesunde  Haut  reichen, 
und  wo  die  Grenze  vom  wandernden  Erysipel  dennoch  über¬ 
schritten  wird,  sofort  ergänzt  werden. 

X.  Frost  und  Frostbeulen. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift  1915,  Nr.  19.) 

Eiue  an  Frost  (Peruiosis)  leidende  Haut  fühlt  sich  kalt 
an  und  ist  bläulichrot,  in  ihr  ist  der  Blutstrom  verlangsamt 
und  der  Widerstand  in  den  Gefässen  vermehrt  Es  besteht 
eine  Stauungshyperämie. 

Während  bei  der  Erfrierung  eine  Anämie  der  Gesamt¬ 
haut  vorangeht,  kommt  es  bei  Frost  nur  zu  einer  Anämie  der 
obersten  Blutkapillaren  mit  weisslicher  Verfärbung  dieser  Haut¬ 
schicht,  während  die  unteren  und  subkutanen  Schichten  mit 
langsam  strömendem  Blut  überfüllt  sind. 

Um  Frost  zu  heilen,  muss  erstens  die  Stauungshyperämie 
in  Wallungshyperämie  Umschlägen;  die  allzu  tätigen  Arterien¬ 
muskeln  müssen  gelähmt  werden.  Sodann  gilt  es  die  Ge¬ 
dunsenheit  der  Haut,  das  leichte  Oedem,  welches  den  I  rost 
wegen  der  Stromverlangsamung  des  Blutes  stets  begleitet,  fort¬ 
zuschaffen.  Dazu  dient  in  erster  Linie  die  Wärme  in  lorm 
sehr  heisser  Fussbäder  und  zweitens  Massage.  Am  besten 
kombiniert  man  beides,  indem  man  in  den  heissen  Seifenbädern 


die  Füsse  in  der  Richtung  von  den  Zehen  zur  Ferse  kräftig 
und  langsam  streicht.  Man  kann  mit  chemischen  Mitteln  beides 
gleichzeitig  bewirken.  Dazu  dienen  einerseits  unsere  Epispastica, 
andererseits  unsere  eintrocknenden,  reduzierenden,  anämisieren- 
den,  komprimierenden  Mittel. 

Man  kombiniert  die  eintrocknende  und  reduzierende  Zink¬ 
schwefelkreidepaste  mit  Epispasticis  wie  K  a  m  p  f  e  r  und 
Terpentinöl  und  reibt  damit  die  Füsse  morgens  und  abends 
ein. 

Sulfur  dep. 

Calci  i  carbon. 

Camphora  e 

01  terebintinae  ää  5,0 

Ung.  zinci  30,0 

M. 

Bestehen  richtige  Frostbeulen,  so  bestreicht  man  diese  für 
sich  mit: 

Tinct  jodi  15,0 

Acidi  tannici  5,0 

M. 

Selbstverständlich  sind  dabei  Füsse  und  Hände  möglichst 
vor  Kälte  zu  schützen  und  dürfen  nur  heiss  gewaschen  werden. 

Ist  Ichthyol  vorhanden,  so  streicht  man  unverdünnt  über 
Sohle,  Seiten  kanten  und  Zehen  und  lässt  es  da  eintrocknen. 
Dann  beklebt  man  den  so  eingefirnissten  Fuss  mit  drei  breiten 
Leukoplaststreif’en,  von  denen  der  erste  die  Sohle  von  hinten 
nach  vorn  bedeckt  und  über  die  Zehen  nach  oben  bis  zur 
Mitte  des  Fussrückens  reicht,  während  die  andern  Streifen  die 
Seiten  des  Fusses  decken.  Ein  solcher  Verband  beseitigt  die 
Beschwerden  alle  mit  einem  Male  und  kann  1  bis  2  Wochen, 
d.  h.  bis  zur  Heilung,  liegen  bleiben.  Gans. 


Medikamentöse  Therapie. 

Vierteljahrsbericht  über  die  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
medikamentösen  Therapie. 

Von  Apotheker  O  t  t  o  -  Frankfurt  a.  M.  (Schluss.) 

Neue  Berichte  liegen  vor  über  die  günstigen  Wirkungen 
des  Bromural  der  Firma  K  n  o  1  1  &  Co.  Ludwigshafen 
a.  Rhein.  So  schreibt  J.  W.  R  o  t  h  in  The  Dental  Summary 
Band  35  Nr.  5  über  die  nervenberuhigende  Wirkung  von 
1 — 2  und  die  milde  hypnotische  Wirkung  von  2— 3  Tabletten 
bei  der  Behandlung  Zahnkranker.  Er  konstatierte  auch  bei 
nervösen  Patienten  eine  gewisse  Willenlosigkeit  nach  der  Dar¬ 
reichung,  die  er  oft  und  regelmässig  mit  Erfolg  vor  zahn¬ 
ärztlichen  Sitzungen  benutzte. 

Dr.  Th.  Runck,  Leiter  des  Vereinslazarettes  zu  Rhein¬ 
gönheim  berichtet  in  der  Medizin.  Klinik,  1915  Nr.  37  über 
die  spezifische  Eigenschaft  des  bereits  oben  erwähnten  Gran  u- 
genol,  das  Wachstum  des  interstitiellen  Bindegewebes  in  selek¬ 
tiver  Weise  anzuregen.  Besonders  lobt  er  die  straffe  Konsistenz, 
gesunde  Farbe  und  gute,  feste  Qualität  des  durch  Granugenol 
erzielten  Neugewebes.  Dabei  erzielte  er  auch  eiue  Verminderung, 
teilweise  völlige  Beseitigung  der  bekannten  tiefen,  trichter¬ 
förmigen  Narben,  die  sonst  bei  grösserem  bubstauzverlust 
kaum  vermeidlich  sind.  Durch  die  Verhinderung  des  Ein¬ 
trocknens  des  Verbandes  gestaltete  sich  dessen  Neuanlegung 
wesentlich  leichter  und  schmerzloser.  Dasselbe  berichtet  Dr 
Fiedler  vom  Reserve! azarett  Marien-Hospital  in  Düssel¬ 
dorf  in  Nr.  39  der  Deutschen  Medizinischen  Wochenschrift  1915. 
Er  machte  auch  recht  zufriedenstellende  Versuche,  das  Granu¬ 
genol  in  Höhlenwunden  nach  Operationen  von  perityphilitischen 
Abszessen  sowie  zur  Anregung  von  Kallusbildung  bei  schlecht 
heilenden  Knochen brüchen  einzuspritzen.  N.  H  i  1  le  r  br  an d  jun. 
bestätigt  in  der  Münchener  tierärztlichen  Wochenschrift  1915 
Nr.  30  diese  Beobachtungen  nach  seinen  Erfahrungen  in  der 
Veterinärpraxis. 

Unter  dem  Namen  G  e  1  o  p  o  1  stellt  die  Firma  G.  Pohl, 
Schönbaum-Danzig  dünndarmlösliche  Gelatine-Kapseln  a  0,3 
Phenylcinchoninsäure  her,  über  deren  Eigenschaften  auf  die 
Vermehrung  der  Ausscheidung  und  Hemmung  der  Neubildung 
von  Harnsäure  wir  vor  kurzem  berichteten.  In  dieser  I  orm 
wird  dem  schlechten  Geschmacke  und  der  mitunter  auftretenden 
Belästigung  des  Magens  vorgebeugt.  Seine  schmerzstillenden, 


136 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  14. 


antifebrilen  und  antiphlogistischen  Eigenschaften  hei  Arthritis 
gonorrhoica,  Neuralgie,  Hemicranie,  Ischias,  Lumbago  und  be¬ 
sonders  Gelenkrheumatismus,  kommen  hierdurch  noch  vorteil¬ 
hafter  zur  Geltung. 

Die  Calciumtherapie  hat  durch  die  Anregung  von  Prof. 
Dr.  Sticker.,  Berlin,  eine  neue  Anregung  erfahren.  Auf 
seine  Veranlassung  stellt  die  chemische  Fabrik  G  oe  d  ec  ke  &  Co., 
Leipzig  und  Berlin  unter  dem  Namen  Sanocalcin  ein 
leichtlösliches  sterilisierbares  Calziumsalz  her,  das  in  molekularem 
Verhältnis  aus  Calzium  glyzerophosphat  -f-  Calziumlakto- 
phosphat  besteht  Es  kommt  in  Ampullen  in  den  Handel 
rein  ä  0,1  und  in  Kombination  mit  Tuberkulin  oder  Arsen 
ä  0,01. 

Ebenfalls  schon  bekannt  ist  das  Spasmosan  der  Gehr. 
W  eil,  Frankfurt  a.  M.  Es  stellt  ein  glyzerophosphorsaureu 
Kalk  enthaltendes  Brombaldrianpräparat  vor,  das  als  Nervinum, 
Sedativum  und  Antepileptikum  vor  anderen  den  Vorzug  be¬ 
sitzt,  keinen  Bromismus  hervorzurufen.  Seine  Ilauptindikation 
ist  das  Gebiet  der  genuinen  Epilepsie,  worin  es  nach  Rudolf 
Heinrich,  München  und  A.  Frän  kel,  Berlin  von 
keinem  anderen  Präparate  erreicht  wird. 

P.  G.  U  n  n  a  -  Hamburg,  Die  Wirkung  des  Höllensteins. 
(I)ermat.  Wochenschr.  Bd.  CO,  1915.) 

Bei  der  Bindung  des  Höllensteins  durch  das  Eiweiss  des 
Gewebes  wird  Salpetersäure  frei,  die  teils  als  solche,  teils  als 
salpetrige  Säure  zur  Resorption  gelangt.  Damit  sind  aber  die 
Bedingungen  zu  allen  Symptomen  gegeben,  die  man  als  Tiefen¬ 
wirkung  des  Höllensteins  bezeichnen  kann:  nachhaltiger  Schmerz, 
Verbesserung  der  stockenden  Blutzirkulation,  Abschwellung 
entzündlicher  Schwellungen  usw.  Diese  ,,  Tiefen  Wirkungen“  sind 
aber  allgemein  die  Wirkung  der  Sauerstoffsäuren  (Salpetersäure, 
Chromsäure,  Pikrinsäure,  Permangansäure,  Perchlorsäure  usw.) 

Wenn  man  mithin  die  Wirkung  des  Höllensteins  zweck¬ 
mässigerweise  derjenigen  der  Sauerstoffsäuren  angliedert,  so 
soll  damit  durchaus  nicht  geleugnet  werden,  dass  der  Silber¬ 
komponente  des  Höllensteins  eine  wesen  tliclie  Bedeutung  zu¬ 
kommt. 

Wir  haben  gelernt,  dass  dieselbe  —  und  nicht  nur  in 
Iouenform  —  erhebliche  Wirkungen  in  therapeutischer  Beziehung 
entfalten  kann.  Diese  treten  aber,  da  sie  in  gleicher  Richtung 
wie  die  der  oxydierenden  Salpetersäure  liegen,  beim  Höllenstein 
in  ihrer  Besonderheit  weniger  deutlich  zutage.  Gans. 

Dr.  \  örne  r  -  Leipzig,  Zur  Anwendung  der  Levurinose 
hei  Hautkrankheiten.  (Münch,  med.  Wochenschr.  1915,  Nr.  46.) 

Die  L  evurinose  hat  sich  bei  heftig  juckenden 
Neui o-Dermatitiden,  Acne,  Furunkulose,  Follikulilis,  Pruritus 
localis,  Prurigo  der  Kinder  gut  bewährt.  Für  den  Erfolg  der 
Levurinosekur  ist  in  jedem  Falle  ungemein  wichtig,  eine  Redu¬ 
zierung  und  Regulierung  der  Diät  aufs  nachdrücklichste  zu 
veranlassen.  Gans. 

P  y  r  e  n  o  1  als  Expektorans  ist  gerade  jetzt  zur 
Zeit  der  Hochflut  katarrhalischer  Affektioneu  der  Atmungsorgane 
ein  besonders  geschätztes  Medikament  von  zuverlässiger  Wirkung. 
Die  \  erfiiissigung  zähen  Bronchialsekrets  bei  gleichzeitiger 
Beschränkung  der  Neubildung,  Lösung  der  schädlich  wirkenden 
Bronchialspasmen  und  Milderung  des  Hustenreizes  neben  mild 
einsetzender  Antipyrese  wird  in  der  umfangreichen  einschlägigen 
Literatur  von  allen  Autoren  hervorgehoben,  u.  a.  von  Loeb 
an  dem  grossen  Kranken  material  des  Augusta-Hospitals  in 
Berlin.  (Berliner  klin.  Wochenschrift  Nr.  41.  04.)  Dass  diese 
Gesamtwirkung  des  Pyrenol  weder  mit  den  einfachen  noch  den 
mit  Narcoticis  kombinierten  sogenannten  Solveutien  zu  erreichen 
ist,  hat  in  eingehender  Darstellung  der  bei  den  katarrhalischen 
Affektioneu  der  Atmungsorgane  vorliegenden  speziellen  patho¬ 
logischen  Verhältnisse  Johannissohn  in  dieser  Zeitschrift 
(Nr.  47.  13)  pharmakologisch  begründet.  Die  Expek¬ 

toration  wird  wesentlich  gefördert.  Schon  am  2.  oder  3.  Tage 
kann  man  diese  Wirkung  des  Pyreuols  beobachten.  Der  Schleim 
wird  ganz  leicht,  ohue  jede  Krampfäusserung  zum  Auswurf  ge¬ 
bracht^  und  bringt  den  Patienten  wesentliche  Erleichterung. 

Ein  grosser  Vorteil  des  Pyrenols  kommt  dabei,  worauf 
Sternberg  jn  der  Ärztlichen  Rundschau  (Nr  31,  03)  hinweist, 
noch  zut  Geltuug :  „Seine  Unschädlichkeit  gibt  in  der  Praxis 


die  Möglichkeit,  es  auch  bei  Schwerkranken,  bei  Arteriosklerose, 
Dilatation  des  rechten  Ventrikels,  in  der  vollen  wirksamen 
Dosis  geben  zu  können.  Ein  solches  Mittel  verdient  unsefe 
Beachtung  in  hohem  Grade.  Dosierung:  Erwachsene  3 — 6  x 
tägl.  1  Tablette  ä  0,5,  Kindern  Solution  von  2,0  —  4,0:100 
mit  Sir.  Rub.  Jd.  20,  2  stündlich  1  Kinderlöffel. 

N  e  u  m  a  n  u. 

In  dem  soeben  erschienenen  „Lexikon  der  gesamten 
Therapie  des  praktischen  Arztes“  ( Erster  Band 
A— L.)  von  Oberstabsarzt  Dr.  Walter  Guttmann  (Verlag  Urban 
&  Schwarzenberg-Berlin) finden  „Fermcntin-Eisen-Arsentabletten“, 
„Salizyl-Schwefel-Fermentin“  und  Gelonida  Aluminii  subacetici 
Nr.  I.“  der  Firma  Goedecke  &  Co.,  (Berlin)  Erwähnung  bei 
Akne  vulgaris  (Seife  und  Gelonida),  bei  Alopecia 
areata  und  seborrhoica  (Seife  und  Arsen-Eisen- 
Fermentintabletten),  bei  Herpes  tonsurans  und  bei  Ekzem 
des  Kopfes,  des  Gesichts,  des  Rumpfes  und  der  Gliedmassen, 
j  (die  „Arsen-Fermentintabletten“  zur  Hebung  des  Allgemeinbe¬ 
findens,  die  „Gelonida  Aluminii  subacetici“  zur  Darmdesinfektion 
und  die  „Salizyl-Schwefel-Fermentinseife“  für  die  lokale  Be¬ 
handlung.!  Die  Seife  hat  insofern  eine  günstige  Zusammen¬ 
setzung,  als  sowohl  bei  Akne,  als  bei  Ekzem  das  Salizyl  in 
Verbindung  mit  der  neutralen  Seife  die  hyperkeratotische  Horn¬ 
schicht  in  schonendster  Weise  erreicht,  indem  der  Schwefel 
und  das  Nuklein  des  Fermentins. bakterizide  und  antiekzematöse 
Wirkung  entfalten  und  die  übrigen  Bestandteile  der  Seife  eine 
reduzierende  Wirkung  auf  den  Akne-  und  Ekzemprozess  aus- 
üben.  Die  Zusammensetzung  der  „Fennentm-Eisen-Arsen- 
Tabletten“  darf  wohl  die  wirksamste  Kombination  zur  Hebung 
des  Allgemeinbefindens  und  zur  Blutbildung  genannt  werden. 
Die  Gewichtszunahme  selbst  schwächlicher  Personen  zeigt  sich 
in  einigen  Wochen  in  markanter  Weise.  Will  der  Arzt  bei 
seinen  Patienten  Gewichtszunahme  erzielen,  zusammen  mit 
Hebung  des  Allgemeinbefindens  und  der  Blutvermehruug,  so 
gibt  es  kein  besseres  Mittel  als  „Arsen-Eiseu-Fermentintabletten“, 
indem  zu  den  roborierenden  Eigenschaften  der  beiden  ersten 
Ingredienzien  noch  das  leukozytenbildende  Fermentin  wirksam 
hinzutritt.  Näheres  hierüber  siehe  in  den  betreffenden  Kapiteln 
des  „Guttmann  sehen  Lexikon  der  gesamten  Therapie  des  prak¬ 
tischen  Arztes  mit  Einschluss  der  therapeutischen  Technik“, 
das  unter  Mitarbeit  von  50  Fachgenosseu  erscheint  und  mit 
dessen  Herausgabe  sich  Guttmann  ein  zweifelloses  Verdienst 
erworben  hat,  insofern,  als  die  erprobten  therapeutischen  Methoden 
dem  Arzte  bequem  zugänglich  gemacht  werden. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Nachtrag  zu  dem  Artikel;  Glyzerinersatz*) . 


Es  hat  sich  bei  längerem  Gebrauche  des  Sirup-Zink- 
1  e  i  m  s  herausgestellt,  dass  derselbe,  falls  er  länger  als  ein 
bis  zwei  Tage  auf  der  Haut  verweilt,  zu  spröde  wird,  zu  sehr 
spannt  und  vorzeitig  abblättert.  Dieser  Nachteil  wird  behoben 


durch  einen  Zusatz  von  10  °/0  Öl 


Gelatine  .... 

.  .  15 

Zinc.  oxydat. 

.  .  15 

Olei  olivar.  . 

.  .  10 

Syrup  domestic.  . 

.  .  20 

Aqua  destill. 

.  .  40 

M  Adde  Thymoli 

.  .  0,01 

D 


e  Formel  lautet  dann: 


P.  G.  U  n  n  a. 

Bannet,  Prof.  Dr.  (Bonn),  Die  Hand  und  ihr  Ersatz.  Mit 
18  Abbildungen  (Verlag  von  Leopold  Voss,  Leipzig  und  Ham¬ 
burg.)  Preis  60  Pfennige. 

Das  nach  einem  Kriegsvortrag  verfasste  Schriftchen  ist 
sehr  flott  geschrieben  und  bietet  auch  dem  Arzt  manche  An¬ 
regung.  In  erster  Linie  freilich  wendet  es  sich  an  den  ge¬ 
bildeten  Laien  und  an  den  Kriegsbeschädigten  selbst,  der  aus 
den  Ausführungen  Bonnets  manchen  Trost  schöpfen  kann. 
Vor  allem  ist  die  Lektüre  des  Buches  auch  allen  denen  sehr 
zu  empfehlen,  die  sich  mit  der  Fürsorge  für  unsere  Kriegsbe¬ 
schädigten  zu  befassen  haben,  und  sich  auf  dem  Gebiet  erst 
einarbeiten  müssen.  In  sachlicher  Beziehung  sei  noch  erwähnt, 
dass  auch  Bonnet,  wie  es  richtiger  Weise  wohl  jetzt  überall 


*)  Abteil  nckt  in  der  Hamburger  Aeizie  Oorrespoudenz  Nr.  4t  vom 
14.  November  1915. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


137 


r.  14. 


«schiebt,  auch  für  die  scharfe  Trennung  von  Schmuck-  und 
.rbeitsprothese  bei  Verstümmelungen  der  oberen  Extremität 
<n  tritt.  R. 

|  Ledderhose,  Prof  Dr ,  Strassburg,  Die  Arthritis 
■formans  als  Allgemeinerhrankung.  (Strassburg  1915.  Karl 
1  Trübners  Verlag.  Preis  2  Mark.) 

Auf  dem  grossen  Gebiet  der  Erkrankungen  der  Gelenke 
Irrscht  trotz  mancher  eingehenden  Forschung  in  der  letzten 
!>it  doch  noch  manche  Unklarheit  und  der  Praktiker  wird 
lufig  im  Zweifel  sein,  unter  welchen  der  landläufigen  Begriffe 
<  im  gegebenen  Falle  die  worhandenen  Gelenkveränderungen 
jbsummieren  soll. 

Deshalb  ist  die  vorliegende  Schrift  besonders  dankbar  zu 
hgrüssen,  in  der  uns  Ledderhose,  gestützt  auf  seine  grosse  Er- 
hrung,  mit  klaren  Zügen  das  scharfumrissene  Bild  der 
rthritis  deformans i  zeichnet  und  sie  von  ähnlichen  Krankheits- 
jldern  scheidet.  Ähnlich  wie  wir  es  schon  aus  der  französischen 
iteratur  gewöhnt  sind,  sieht  L.  in  der  A.  d.  den  Ausdruck 
<aer  allgemeinen  Diathese,  die  sich  namentlich  bei  älteren 
euten  ziemlich  häufig  findet. 

An  der  Hand  der  Ausführungen  von  L.  ist  es  jedenfalls 
m  dem  Praktiker  leicht  die  einzelnen  chronischen  Gelenker¬ 
ankungen  zu  sondern  und  den  therapeutisch  richtigen  Weg 
^Zuschlägen.  Nach  einer  Allgemeinbetrachtung  werden  in 
dir  übersichtlicher  Weise  auch  die  einzelnen  Gelenke  des 
Körpers  durchgenommen,  uud  schliesslich  noch  auf  die  soziale 
ödeutung  dieser  Erkrankung  verwiesen,  namentlich  bei  der 
validenversicherung.  R. 

Thomas  Lewis,  Klinik  der  unregelmässigen  Herztätig- 
■it,  (Übersetzt  von  Otto  Wuth.  Verlag  Gurt  Kabitzsch. 
'ürzburg.) 

In  übersichtlicher  Anordnung  bespricht  der  bekannte  Ilerz- 
cezialist  die  Erkrankungen,  die  sich  in  einer  unregelmässigen 
erztätigkeit  offenbaren  und  bei  denen  man  sich  noch  gar  zu 
’t  mit  der  Diagnose:  Herzmuskelerkrankung  begnügt.  Der 
erfasser  bespricht  in  klarer  Weise  die  Sinus- Unregelmässig- 
fiten,  den  Herzblock,  die  vorzeitige  Kontraktion,  die  einfache 
iroxysmale  Tachykardie,  das  Vorhof-Flimmern,  das  Vorhof- 
lattern  und  den  Pulsus  alternaus.  Nach  einer  kurzen 
efinition  bespricht  er  das  Wesen  der  Erkrankung  und  erläutert 
durch  zahlreiche  Diagramme  und  Kurven  der  A.  radialis 
id  der  Herzspitze.  Besonders  hervorzubeben  ist,  dass  der 
erfasser  zeigt,  wie  man  in  der  Regel  ohne  grossen  Apparat 
diglich  durch  die  klinische  Beobachtung  die  Erkrankung  er- 
snnen  kann.  Dass  auch  die  Prognose,  Pathologie  und  Therapie 
isführlich  besprochen  ist,  sei  nur  kurz  erwähnt.  Ein  ausge- 
fichnetes  Buch,  das  in  präziser  Form  alles  Wissenswerte  bringt! 

H  Li  pp,  Untersuchungsinethoden  für  Lazarett-Labora- 
■rien  und  praktische  Ärzte'.  (Lehmann’s  Verlag,  München.) 

Unter  diesem  Titel  ist  der  4.  Teil  des  „Taschenbuches  des 
eldarztes“  erschienen,  der  in  flüssigem  Stil  die  erprobten 
ntersuchungsmethoden  bringt,  daneben  aber  auch  die  neueren 
cht  vernachlässigt  (es  enthält  sogar  Proben,  die  erst  1915 
iröftentlicht  sind/.  In  übersichtlicher  Anordnung  wird  der 
achweis  der  wichtigsten  pathologischen  Stoffe  gebracht.  Aller- 
ngs  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Auswahl  uns  nicht  durch  - 
eg  glücklich  gewählt  zu  sein  scheint.  So  dürfte  sowohl  für 
;n  Feldarzt,  als  auch  für  den  Militärarzt  des  Heimatgebietes 
uch  für  den  praktischen  Arzt)  der  Nachweis  von  Pentose, 
>n  Melanin  u.  v.  a.  m.  überflüssig  sein.  Auch  der  Nachweis 
ichtigerer  Körper,  wie  der  der  Harnsäure  im  Blut,  dürfte  wohl 
im  Laboratorium  zu  überlassen  sein.  —  Anerkennenswert 
t,  dass  der  Verfasser  auf  die  Fehlerquellen  aufmerksam  macht 
id  bei  fast  allen  Proben  praktische  Verbesserungen  augibt. 


Wichtige  gerichtliche  Entscheidungen. 

Zum  Kapitel  der  ärztlichen  Standcsehrc. 

(Nachdruck  verboden.) 

Der  Kläger  trug  sich  im  Jahre  19.0  mit  der  Absicht,  in 
irlin  wissenschaftliche  Studien  zu  treiben  und  wollte  aus 
‘esem  Grunde  die  Stellung  als  leitender  Arzt  eines 
rankenhauses,  die  er  seit  12  Jahren  inne  hatte,  aufgeben. 


Der  Beklagte  trat  mit  ihm  in  Verhandlungen.  Diese  führten 
zu  der  Vereinbarung,  dass  der  Beklagte  dem  Kläger  als  Ent¬ 
schädigung  bei  der  Übernahme  der  bezeichneten  Stellung  5000 
Mai  k  zahlen  sollte.  Die  aus  Anlass  der  Vereinbarung  er¬ 
richtete,  von  beiden  Teilen  vollzogene  Urkunde  vom  22.  Nov. 
1910  enthält  ausser  dem  Entschädigungsversprechen  die  Worte: 
„Ehrenwörtliche  Diskretion  selbstverständlich.“  Nach  dem  Zu¬ 
standekommen  der  Vereinbarung  wurde  dem  Beklagten  die 
freiwerdende  Stelle  für  die  Zeit  vom  1.  Januar  1911  au  über¬ 
tragen.  Der  Kläger  fordert  jetzt  vom  Beklagten  die  Zahlung 
der  5000  Mark  Das  Landgericht  erachtete  das  Abkommen 
vom  22.  November  1910  für  sittenwidrig  uud  wies  die  Klage 
ab.  Das  Oberlandesgericht  verurteilte.  Das  Reichsgericht  stellte 
sich  wieder  auf  den  Standpunkt  der  ersten  Instanz  und  führt 
in  den 

Gründen 

seines  Urteils  aus  :  Nach  der  Darstellung  des  Klägers  sollten 
die  5000  Mark  u.  a.  eine  Entschädigung  dafür  darstellen,  dass 
er  dem  Beklagten  mit  dessen  Eintritt  in  die  Stelle  des  Kranken- 
hausleiters  eine  Reihe  von  Werten  überliess,  die  er  während 
seiner  12  jährigen  Tätigkeit  geschaffen  haben  will.  In  dieser 
Hinsicht  hat  er  ausgeführt,  das  Elisabethkrankenhaus  sei  vom 
ersten  Bett  an  bis  zu  dem  Umfange,  den  es  mit  45  Betten 
bei  seinem  Weggang  gehabt,  sein  Werk  gewesen  und  von  ihm 
unter  Aufwendung  beträchtlicher  eigener  Mittel  auf  diese  Stufe 
der  Entwickelung  gebracht  worden.  Ihm  habe  das  Recht  zu¬ 
gestanden,  einen  Teil  der  Betten  mit  Kranken  zu  belegen,  für 
deren  Behandlung  ihm  das  Honorar  gebührt  habe.  Das  Ober¬ 
landesgericht  meint,  dass  hiernach  zur  Beanstandung  des  Ent¬ 
schädigungsversprechens  aus  dem  Gesichtspunkte  der  guten 
Sitten  kein  Anlass  vorliege.  Mit  dieser  Auffassung  wird  es 
den  Umständen  des  Falles  nicht  gerecht.  Der  Kläger  liess 
es  sich  angelegen  sein,  einen  Nachfolger  zu  finden.  Er  suchte 
nach  einem  solchen  und  pflog,  nachdem  der  Beklagte  als 
Bewerber  aufgetreten  war,  mit  diesem  Verhandlungen.  Diese 
Bemühungen  hatten  nur  Sinn  und  Zweck,  wenn  er  beabsichtigte, 
denjenigen,  welchen  er  als  seinen  Nachfolger  ins  Auge  fasste, 
der  Krankenhausverwaltung  zur  Anstellung  zu  empfehlen.  In 
dieser  Weise  ist  er  denn  auch  später  verfahren.  Für  die  Be¬ 
urteilung  des  Wertes  seines  Vorschlags  war  es  von  Wichtig¬ 
keit,  ob  er  unter  Umständen  erfolgte,  welche  seine  Unparteilich¬ 
keit  in  Frage  stellten.  Liess  sich  der  Kläger  dafür,  dass  er  die 
von  ihm  bekleidete  Stelle  aufgab  und  dadurch  einem  anderen 
Arzt  den  Eintritt  in  diese  ermöglichte,  eine  Entschädigung 
versprechen,  so  wurde  die  Unbefangenheit  seines  Urteils  über 
den  Versprechenden  und  die  Zuverlässigkeit  der  Empfehlung 
leicht  beeinträchtigt.  Die  Krankenhausverw7altung  hatte  deshalb 
ein  erhebliches  Interesse  daran,  dass  sie  von  dem  Abkommen 
der  Parteien  Kenntnis  erhielt.  Die  Mitteilung  hiervon  war  für 
sie  von  umso  grösserer  Bedeutung,  als  es  sich  um  die  Stelle  des 
Krankenhaus  1  e  i  t  e  r  s  handelte,  die  ein  besonderes  Mass  von 
wissenschaftlicher  und  sittlicher  Befähigung  voraussetzte  und 
deren  sachgemässe  Besetzung  wegen  des  erhöhten  Vertrauens, 
das  vom  Publikum  Aerzten  in  dieser  Stellung  entgegen  gebracht 
wird,  zugleich  im  öffentlichen  Interesse  lag.  Verabredeten  daher 
die  Parteien  die  Geheimhaltung  des  Übereinkommens,  so  setzten 
sie  sich  hierdurch  mit  den  Anforderungen  in  Widerspruch,  die 
vom  Standpunkt  des  sittlichen  Empfindens  der  Gesamtheit  aus 
an  ihr  Verhalten  zu  stellen  sind.  Es  ist  ohne  weiteres  anzu¬ 
nehmen,  dass  sie  zur  Vermeidung  des  Anscheins,  die  Empfehlung 
de-  Beklagten  durch  den  Kläger  sei  verkauft,  auf  das  Ver¬ 
sprechen  der  Geheimhaltung  grossen  Wert  legten  und  ohne  das 
Versprechen  die  Vereinbarung  über  die  Zahlung  der  5000  Mk. 
nicht  getroffen  haben  würden.  Die  Nichtigkeit  des  Versprechens 
hat  daher  die  Nichtigkeit  des  Entschädigungsabkommens  zur 
Folge. 

Urteil  des  RG.  vom  10.  Dezember  19:5  III.  320/1915. 

(Mitgeteilt  von  J)r.  Haus  Berthold,  Leipzig.' 


Zur  rechtlichen  Stellung  der  Kassenärzte. 

(Nachdruck  verboten  ) 

Am  9.  Juli  1913  schlossen  die  Streitteile  einen  Vertrag 
durch  den  der  Kläger  als  Kassenarzt  der  Beklagten  auf  10 
Jahre  vom  1.  Januar  1914  ab  angestellt  wurde.  Er  übernahm 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  14. 


138 


<iie  Tätigkeit,  legte  sie  aber  nach  etwa  3  Monaten  auf  Ver¬ 
langen  der  Beklagten  nieder.  Am  27.  Juni  1914  erhielt  er 
ein  Schreiben  der  Beklagten,  worin  sie  den  Vertrag  wegen 
Irrtums  anfocht  und  dem  Kläger  fristlos  kündigte.  Sie  machte 
demnächst  geltend,  der  Vertrag  sei  unverbindlich,  weil  er  von 
der  Aufsichtsbehörde  nicht  genehmigt  sei,  und  bezeichnet  als 
Aufechtungsgrund  und  als  wichtigen  Grund  zur  Kündigung 
den  Umstand,  dass  der  Kläger  im  Gebrauche  des  rechten  Arms 
und  der  rechten  Hand  behindert,  deshalb  ungeeignet  sei,  die 
kassenärztliche  Tätigkeit  wahrzunehmen.  V  on  der  höchsten 
Verwaltungsbehörde  sei  ihr  aufgegeben  worden,  deshalb  den 
Vertrag  anzufechten  und  die  Kündigung  vorzunehmen.  Der 
Kläger  erhob  Klage  auf  Feststellung,  dass  der  Vertrag  gültig 
und  die  Kündigung  unwirksam  seien.  Sämtliche  Instanzen 
gaben  der  Klage  statt,  das  Reichsgericht  mit  folgender 

Begründung: 

Für  die  Befugnis  des  Vorstandes  der  beklagten  Orts¬ 
krankenkasse  zum  Abschluss  des  Vertrages  mit  dem  Kläger 
massgebend  sind  die  §§  23  und  35  des  Krankenversicherungs¬ 
gesetzes  vom  10.  April  1892.  Nach  §  23  soll  das  zu  errichtende 
Kassenstatut  Bestimmung  treffen  über  den  Umfang  der  Be¬ 
fugnisse  des  Vorstandes,  der  §  35  regelt  die  Vertretungsmacht 
des  Vorstandes,  ohne  ihn  für  den  Abschluss  von  Verträgen 
an  das  Erfordernis  einer  Genehmigung  der  Aufsichtsbehörde 
zu  binden.  Dem  §  2.i  des  Gesetzes  gemäss  trifft  das  bis 
1.  Januar  1914  in  Geltung  gewesene  Statut  der  Beklagten 
Bestimmungen  über  den  Umfang  der  Vorstandsbefügnisse,  und 
zwar  im  §  46  Abs.  2  Nr.  3  dahin,  dass  die  Verträge  mit  den  j 
Aerzten  der  Genehmigung  der  Aufsichtsbehörde  bedürfen.  Auf 
Grund  der  Ermächtigung  des  Gesetzes  konnte  die  Satzung  hin- ! 
sichtlich  der  Vertretungsmacht  des  Vorstandes  auch  Bestimmungen 
treffen,  die  lediglich  das  innere  Verhältnis  zwischen  Aufsichts¬ 
behörde  und  Kasse  regeln  sollen.  Dass  dies  zutrifit  bei  der 
Bestimmung  im  §  46,  nimmt  das  Berufungsgericht  an.  Die 
Satzungen  der  Ortskrankenkasse  als  einer  öffentlich-rechtlichen 
Körperschaft  sind  eine  Norm  des  objektiven  Rechts.  Das 
Reichsgericht  hat  in  zahlreichen  Entscheidungen  den  Satzungen 
öffentlich-rechtlicher,  auf  gesetzlicher  Grundlage  beruhender. 
Körperschaften  diese  Eigenschaft  zugesprochen.  Bei  dem  be¬ 
schränkten  Geltungsgebiet  der  Satzung  der  beklagten  Kasse 
kann  auf  eine  Verletzung  der  Satzung  durch  unrichtige  An¬ 
wendung  und  Auslegung  die  Revision  nicht  gestützt  werden. 
Steht  aber  unangreifbar  fest,  dass  der  etwaige  Mangel  der 
Genehmigung  des  Vertrags  durch  die  Aufsichtsbehörde  ohne 
Bedeutung  für  dessen  Gültigkeit  und  Rechtswirksamkeit  ist, 
so  braucht  weder  darauf  eingegangen  zu  werden,  ob  etwa  der 
Vorstand  unter  der  Herrschaft  der  Reichsversicherungsordnung 
und  der  neuen  Satzungen  den  Vertrag  genehmigen  oder  be¬ 
stätigen  konnte  und  genehmigt  oder  bestätigt  hat,  noch  darauf, 
ob  eine  die  Gültigkeit  des  Vertrags  von  der  Genehmigung  der 
Aufsichtsbehörde  abhängig  machende  Satzungsbestimmung  nach 
dem  Gesetze  überhaupt  zulässig  gewesen  sein  würde.  Das 
Berufungsgericht  verneint  die  Anfechtbarkeit  des  Vertrags 
wegen  Irrtums  aus  §  119  BGB.  mit  dreifacher  Begründung. 
Es  führt  aus,  die  Beklagte  habe  sich  nicht  über  Eigenschaften 
des  Klägers  geirrt,  habe  vielmehr  den  Umfang  der  Behinderung 
seines  rechten  Armes  beim  Vertragschlusse  gekannt.  Ihr 
etwaiger  Irrtum  habe  sich  höchtens  auf  die  Folgen  der 
Armlähmung  bezogen,  überdies  beständen  die  von  ihr  ange¬ 
nommenen  Folgen  gar  nicht.  Die  Anfechtung  sei  nicht  unver¬ 
züglich  erfolgt.  Die  letzte  Begründung  schlägt  schon  durch. 
Aber  auch  die  oberlandesgerichtliche  Kennzeichnung  des  an¬ 
geblichen  Irrtums  ist  nicht  zu  beanstanden.  Diese  Begründung 
wird  durch  die  Feststellung  getragen,  dass  eine  Beeinträchtigung 
der  Vertragsleistungen  des  Klägers  durch  den  Zustand  seines 

Armes  nicht  stattgefunden  hat. 

Urteil  des  RG.  vom  3.  Dezember  1915.  111.  170/1915. 

(Mitgeteilt  von  Dr.  Hans  Berthold,  Leipzig.) 

Neuere  Medikamente. 

Lycetol :  Dimethylpiperaziutartrat.  Weisses,  in  Wasser  leicht 
lösliches,  geruchloses  Pulver  von  angenehm  säuerlichem  Ge¬ 
schmack,  Reaktion  sauer.  Wirksames  harnsäurelösendes 
Mittel  bei  Gicht,  chronischem  Gelenkrheumatismus,  Nieren- 
und  Blaseugries,  Nierenkolik,  Nierensteinen  etc 

Dosis:  1  —  1  1  /*  g  2  mal  täglich  gelöst  in  einer  Flasche 


alkalischen  Wassers,  (Apollinaris,  Selter  etc.)  bei  gleichzeitige! 
Einnahme  von  etwas  kohlensaurer  Magnesia  (I  %  g) 
(Lycetol tabletten  ä  1  g.  Nr.  X  Originalpackung.)  (Bayer.; 
31agnesiumperhydr<il:  Aus  Magnesiumsuperoxyd  und  Magnesium 
oxyd  bestehend,  spaltet  im  sauren  Magensaft  Wasserstoff¬ 
superoxyd  ab,  das  in  Wasser  und  Sauerstoff  zerfällt.  Des¬ 
infizierende  Wirkung  im  Magendarmkanal,  Erhöhung  dei 
Schleimsekretion,  Verstärkung  der  Peristaltik.  Oxydations¬ 
wirkung. 

Indikationen:  Chron.  Intoxikationen  infolge  Stoff 
Wechselstörungen,  Meteorismus,  Gärungsdyspepsien,  Pylorus 
stenose,  Magenstauung,  dyspept.  Angina  pectoris,  Hyperazidität 
Azidose,  Diabetes. 

Anwendung:  3  mal  tägl.  l/2 — 1  Teelöffel  25°/, 
Magnesiumperhydrol  in  Wasser  oder  3  mal  tägl.  1 — 3  Tabl 
ä  0,5  g  (Merck). 

3Inlzextrakt-Pulver  (Liebe)  mit  Lecithin  (4 

Indikation:  Neurasthenie,  Nervenschwäche.  Derselbi 
Malzextrakt  wird  auch  mit  Hämol  und  Hämogallol  herge 
stellt.  (J.  P.  Liebe,  Dresden.) 

Malztiopon  : 

Chemische  Konstitution:  Malzkohlehydrati 
in  inniger  Bindung  mit  Rein-Eiweiss.  Genauere  Zusammen 
Setzung:  Eiweiss  45 °/0,  Kohlehydrate  42  °/0,  Lecithin  0,6 °/t 
Fett  0,8°/oi  Salze  1,3  °/o>  (Wasser  9,2  °/0). 

Resorptionsverhältnisse  und  Wirkung* 
weise:  Malztropon  ist  wohlschmeckend  und  leicht  vertrag 
lieh,  auch  für  angegriffenen  Magen;  es  wird  nahezu  voll 
kommen  resorbiert.  Die  Wirkung  ist  daher  die  eines  hoch 
konzentrierten  Nährmittels,  in  welchem  die  gebrannten  Malz 
kohlehydrate  (Farbmalze)  Eiweiss  sparend  wirken.  Besonder 
bewährt  ist  Malztropon  zur  Anregung  und  Unterhaltung  de 
Milchsekretion  bei  stillenden  Frauen. 

Art  der  Darreichung  und  Dosierung:  Ii 
Pulverform  mehrmals  täglich  1  bis  2  gehäufte  Teelöffel  ii 
Milch,  Kakaooder  anderen  Getränken.  (Tropouwerke  Mülheim 
Mammin-Poehl :  Synergetische  Gruppe  der  Brustdrüsen  ausge 
suchter  Kühe  (Tscherkessen-Rasse)  nach  besonderem  Ver 
fahren  toxinfrei  hergestellt. 

Wirkungsweise:  Spezifisches  Stypticum  und  Adstringens 
Antiphlogisticum  bei  Hyperämien  der  weiblichen  Sexuah 
Myomen,  uterinen  Blutungen,  Meno-  und  Metrorrhagien ;  bej 
letzteren  Indikationen  tritt  die  Wirkung  prompt  ein,  währen 
die  Behandlung  der  Myome  je  nach  Sitz  des  Tumors,  ferne 
auch  in  Rücksicht  auf  Alter  und  sonstige  persönliche  Um 
stände,  längere  Zeit,  bisweilen  Monate  hindurch  dauern  wird 
Vorsicht  bei  Gravidität  wegen  Abort. 

Darreichungsform:  Intern  A. — 6  mal  täglich  j 
2-3  Tabletten  Mammin-Poel  ä  0,3— 0,5  nach  den  Mahl 
Zeiten,  subkutan  Mammin-Poehl  pro  inj.  1-2  tägig  je 
Ampulle. 

Bücherschau. 

J.  Sandek,  Kosmetik.  (Aus  Natur  und  Geistesweli 
Bändchen  489  von  B.  G.  Teubner,  Berlin  19 1 5.) 

Das  kleine  Büchlein  verfolgt  die  Tendenz,  den  wissen 
schaftlichen  Charakter  der  Kosmetik  nachzuweisen.  Für  Laiei 
bestimmt,  will  es  in  ihren  Kreisen  die  Überzeugung  wecken 
dass  der  berechtigte  Wunsch  einer  persönlichen  Verschöneruu« 
alle  Aussicht  hat,  bei  der  Wissenschaft  volles  Verständnis  um 
nachhaltige  Hilfe  zu  finden. 

Es  will  die  Möglichkeit  einer  streng  wissenschaftliche] 
Behandlung  kosmetischer  Mängel  beleuchten  und  das  fachlich 
Können  zu  dem  ebenso  ungenierten  wie  unzulänglichen  Kur 
pfuschertum  in  Gegensatz  stellen. 

Seinen  Zweck  sucht  der  Verfasser  durch  eine  flotte  um 
doch  sachliche  Darstellung  zu  erreichen,  die  auch  den  Lese 
an  den  Stoff'  zu  fesseln  weiss.  In  anerkennenswerter  Weis 
hat  es  S.  verstanden,  die  kurze  Abhandlung  in  ihrer  ganzei 
Anlage  trotzdem  so  zu  gestalten,  dass  einmal  der  Laie  di 
heutige  wissenschaftliche  Anerkennung  und  Wertschätzung  de 
Kosmetik,  ihren  reichen  Hilfsschatz  an  mechanischen,  physika 
lischen  und  chemischen  Behandlungsmethoden  kennen  lerne) 
kann  und  dass  er  deshalb  den  Arzt  als  leitenden  um 
beratenden  Mitarbeiter  gerade  hier  gerne  anerkennen  wird  um 
muss  Gans. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbritte  der  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Tadimänner 


herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 

Wiesbaden. 


Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  15 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87. 

Alleinige  Inseratenannahme  durch  Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Berlin  NW.  7. 


29.  Februar 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  Behandlung  der  Lues  congenita. 

Von  Dr.  ined.  A.  Brau  n. 

In  der  Behandlung  der  kongenitalen  Lues  hat  sich 
die  Pädiatrie  lange  Zeit  in  dem  gewiss  nicht  tadelns¬ 
werten  Bestreben,  den  schon  vorhandenen  Schaden  nicht 
zu  vergrössern,  zurückhaltend  gezeigt.  Mit  Rücksicht 
auf  die  weittragenden  Folgen,  welche  die  angeborene 
Syphilis  über  die  Person  des  Trägers  hinaus  besitzt,  hat 
man  sich  in  neuerer  Zeit  mehr  und  mehr  zu  einem  ak¬ 
tiveren  Vorgehen  entschlossen,  vor  allem,  als  Ehr¬ 
lich  s  Salvarsanbehandlung  in  den  Heilschatz  einge¬ 
führt  wurde,  und  als  die  Ausbildung  der  W  a  s  s  e  r  - 
mann  sehen  Reaktion  einigermassen  Schlüsse  auf  die 
Behandlungsresultate  zuliess.  Die  Behandlung  der  kon¬ 
genitalen  Lues  ist,  wenn  auch  dankbar,  keineswegs 
leicht  und  wird  daher  von  manchen  Autoritäten  ins 
Krankenhaus  verlegt.  Es  sind  bekanntlich  eigene  Pflege¬ 
heime  ins  Leben  gerufen  worden,  welche  sich  die  Auf¬ 
zucht  und  Behandlung  der  erblich  kranken  Kinder 
in  den  ersten  vier  Lebensjahren  zum  Ziel  gesetzt 
haben. 

Eine  rationelle  Behandlung  der  Lues  congenita  gipfelt 
in  einer  gründlichen  Behandlung  der  Eltern,  resp.  der 
Mutter.  Nur  so  lässt  sich  einer  Infektion  in  utero  und 
einem  Absterben  der  Frucht  Vorbeugen.  Eine  solche 
Behandlung  mit  Salvarsan  und  Quecksilber  würde  wohl 
auch  im  Beginne  der  Schwangerschaft  nicht  zu  spät 
kommen,  da  die  Infektion  des  Fötus  nach  Stein  e  rt 
und  F  1  u  s  s  e  r  frühestens  7  Wochen  nach  Infektion 
der  Mutter  eintritt,  und  eine  kombinierte  Salvarsan- 
Quecksilberkur  von  den  Graviden  ohne  Schaden  ver¬ 
tragen  wird  (E.  M  e  y  e  r).  Es  liegt  in  der  Natur  der 
Sache,  dass  eine  solche  energische  Behandlung  der 
mütterlichen  Syphilisüberträgerin  in  vielen  Fällen  nicht 
zur  Durchführung  gelangt.  Ebensowenig  lässt  sich  die 
Forderung,  jedes  von  einer  luetischen  Mutter  geborene 
Kind  antiluetisch  zu  behandeln,  auch  wenn  es  weder 
klinisch  noch  serologisch  syphilitische  Anzeichen  bietet, 
erfüllen  ,  da  in  sehr  vielen  Fällen  erst  die  Mani¬ 
festation  der  Lues  die  Mütter  ihr  Kind  zum  Arzte 
bringen  lässt. 

Unter  den  neueren  Arbeiten,  welche  sich  mit  der  Lues 
congenita  beschäftigen,  ist  zunächst  eine  Abhandlung 
von  A.  B  a  g  i  n  s  k  y  (Ther.  d.  Gegenwart  1915,  I) 
beachtenswert,  der  die  Verschiedenheiten  des  klinischen 
Bildes  der  hereditären  Syphilis  unter  Schilderung  der 
einzelnen  Erscheinungsformen  ins  Gedächtnis  ruft.  Es 
gibt  Kinder,  denen  man  auf  den  ersten  Blick  ihre  Krank¬ 
heit  ansieht,  und  andere,  bei  denen  auch  der  geübteste 


Diagnostiker  wegen  des  anscheinend  vorzüglichen  Ge¬ 
sundheitszustandes  versagen  muss,  bis  eines  Tages  un¬ 
trügliche  Zeichen  den  Wurm  im  roten  Apfel  erkennen 
lassen.  Nach  Baginskys  Anschauung  hat  die  Be¬ 
handlung  dem  klinischen  Bilde  Rechnung  zu  tragen, 
mögen  in  dessen  Vordergrund  nun  Erscheinungen  seitens 
der  Hautgebilde,  des  Magen-Darmkanals,  des  Nerven¬ 
systems  oder  Urogenitalsystems  stehen.  Ganz  besondere 
Sorgfalt  ist  in  jedem  Falle  der  Pflege  und  Ernährung 
zuzuwenden.  Was  die  Verwendung  antiluetischer  Mittel 
angeht,  so  gibt  er  deren  äusserer  Applikation  den  Vor¬ 
zug  vor  der  Aufnahme  per  os.  Er  schätzt  vor  allem 
Sublimatbäder  und  bei  nicht  allzuschlechtem  Zustand  der 
Kinder  die  Schmierkur.  Er  gibt  mindestens  30  lauwarme 
Sublimatbäder  (0,5 — 1,0  g  Sublimat  pro  10  Liter  Wasser) 
von  10  Minuten  Dauer  hintereinander  mit  einmaliger 
Unterbrechung  in  jeder  Woche.  Bei  der  Schmierkur 
lässt  er  0,5— 2,0  g  Quecksilbersalbe  in  der  üblichen 
Weise  6  Tage  lang  einreiben  und  gibt  dann  einen  Ruhe¬ 
tag  mit  Bad.  Von  den  innerlich  zu  nehmenden  Queck¬ 
silbermitteln  empfiehlt  er  das  Hydrargyrum  jodatum  fla- 
vum  (0,005 — 0,01  zweimal  täglich),  verwirft  aber  das 
Calomel.  Dagegen  schätzt  er  das  durch  das  Salvarsan 
in  den  Hintergrund  gedrängte  Jodkalium,  von  dem  er 
bei  nicht  zu  jungen  Kindern  neben  einer  Schmierkur  2 
bis  3  g  täglich  3  bis  4  Wochen  lang  in  Milch  ver¬ 
abfolgt. 

Unter  den  Quecksilber-Injektionsmitteln  verwendet 
er  das  Sublimat  (Hydrarg.  bichlor.  Natrium  chlorat. 
ää  0,2  Aqu.  dest.  10,0)  von  welcher  Lösung  er  wöchent¬ 
lich  ad  nates  subkutan  oder  intramusculär  bei  ganz 
jungen  Kindern  \'10,  bei  älteren  2  10— Vi>  ccm  einspritzt. 
Salvarsan  kann  vor  oder  nach  -  dem  Quecksilber  schon 
bei  ganz  jungen  Säuglingen  in  angepasster  Dosis  ge¬ 
geben  werden  und  hilft  beim  Versagen  der  anderen 
Mittel  manchmal  noch.  B  a  g  i  n  s  k  y  verwendet  Neosal- 
varsan  intraglutäal  mit  10  tägigen  Intervallen,  beginnend 
mit  0,01  g  oder  noch  weniger.  Intravenöse  Injektionen 
werden  von  B  a  g  i  n  s  k  y  wegen  ihrer  Gefährlichkeit 
verworfen.  Er  behandelt  so  lange,  bis  luetische  Er¬ 
scheinungen  nicht  mehr  vorhanden  sind  und  die  Kinder 
gedeihliche  Entwicklung  zeigen.  Dann  wartet  er  ohne 
Rücksicht  auf  den  positiven  oder  negativen  Ausfall  der 
W  assermann  sehen  Reaktion  ab. 

Wesentlich  energischer  und  eingreifender  ist  das 
Vorgehen  E.  M  ü  1  1  e  r’s  (Berl.  klin.  Wochenschr.  1915, 
40),  der  in  systematischer  Weise  die  Kinder  lange  Zeit 
behandelt  und  dabei  den  Ausfall  der  W  ass  erm  a  n  n- 
schen  Reaktion  zur  Richtschnur  nimmt.  Seine  Erfahrungen 
stützt  er  auf  grosses  Material  und  lange  Beobachtungs- 


140 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  15 


zeit.  Er  verwendet  kombinierte  Neo-Salvarsan- Queck¬ 
silberkuren,  deren  Anzahl  sich  nach  dem  Ausfall  der 
Wasser  m  a  n  n  sehen  Reaktion  bemisst.  Nach  der 
ersten  negativen  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehen  Reaktion  er¬ 
hält  jedes  Kind  noch  zwei  prophylaktische  Kuren. 
Die  Gesamtkur  erstreckt  sich  so  über  1 1/i  bis  1  '/2  Jahre, 
die  Einzelkur  nimmt  zirka  3  Monate  in  Anspruch. 

Zu  einer  Einzelkur  verwendet  E.  M  ü  1  1  e  r  ent¬ 
weder  12  Calomel-  und  8  Neo-Salvarsan-Injektionen  oder 
8  Neosalvarsan-Injektionen  zu  einer  6  wöchentlichen 
Schmierkur.  Bei  Säuglingen  vermeidet  er  wegen  der 
Empfindlichkeit  der  Haut  die  Schmierkur  und  wendet 
diese  erst  vom  2.  Lebensjahre  ab  an.  Das  Neosalvarsan, 
das  von  den  Säuglingen  sehr  gut  vertragen  wird,  gibt 
Müller  in  Dosen  von  0,015  g,  das  Calomel  von 
0,001  g  pro  Kilo  Körpergewicht  unter  Abrundung  der 
Gewichte  beim  Calomel  nach  unten,  beim  Neo-Salvarsan 
nach  oben. 

Das  Calomel  wird  in  die  Nates  oder  Oberschenkel¬ 
muskulatur  gespritzt,  das  Neosalvarsan  gibt  er  intravenös 
(u.  zw.  in  die  Schädel-  und  Fussgelenkvenen,  in  die  V. 
jugularis  oder  in  den  Sinus  longitudin-alis) ,  nur  in 
Äusnahmefällen  intramuskulär.  Die  Injektionen  werden 
mit  einer  0,5  ccm  fassenden  zehngeteiiten  Rekordspritze  j 
und  einer  3,  4,  5  proz.  CalomelaufschwTemmung  in 
Olivenöl  vorgenommen.  Zwei  Teilstriche  (=  0,1  ccm) 
enthalten  dann  3,  4,  5  usw.  mg  Calomel.  Bei  grösseren 
Kindern  verwendet  er  mit  Vorliebe  die  40  proz.  Z  i  e  h- 
1  e  r  sehe  Lösung  mit  der  dazugehörigen  Spritze.  Die 
zur  Einspritzung  verwandte  Flüssigkeitsmenge  ist  also 
sehr  gering  (bei  kleinen  Kindern  0,05 — 0,1  ccm,  bei 
grösseren  0,2  — 0,3  ccm).  Müller  schreibt  das  seltene 
Auftreten  von  Infiltrationen  dieser  Flüssigkeitsein¬ 
engung  zu. 

Bei  der  Schmierkur  lässt  Müller  1  g  Salbe  pro 
10  kg  Körpergewicht  20  Minuten  lang  einreiben,  geht 
aber  nicht  über  4  g.  Nach  der  Einreibung  wird  das 
Kind  noch  3  Stunden  im  gleichen  Zimmer  bei  ge¬ 
schlossenen  Fenstern  und  Türen  gehalten.  Eine  Woche 
Schmierkur  ist  äquivalent  2  Calomelinjektionen. 

Im  einzelnen  würde  sich  die  Behandlung  mit  der 
kombinierten  Calomel-Neo-Salvarsankur  so  vollziehen, 
dass  in  die  1.,  4.,  7-,  10.,  13.  und  14.  Woche  je  2  Ca¬ 
lomelinjektionen,  in  die  dazwischen  liegenden  Wochen 
je  eine  Neo-Salvarsan-Injektion  fallen.  In  Abständen 
von  Vierteljahren  folgen  sich  die  zweite  und  dritte  Kur. 

Die  kombinierte  Schmier-Neo-Salvarsankur  wird  in 
derselben  Reihenfolge  ausgeführt,  nur  dass  an  Stelle  der 
Calomelinjektionen  eine  Schmierkur  tritt. 

Was  die  Technik  der  Blutentnahme  und  der  intra¬ 
venösen  Injektion  beim  Säugling  angeht,  so  hat  Tobl  er 
(Monatsschrift  f.  Kinderh.  1915,  8)  eine  neue  Methode 
angegeben.  Die  bisherigen  Verfahren  zur  Blutentnahme 
beim  Säugling  waren  unzureichend,  die  zur  intravenösen 
Injektion  schwierig  und  gefährlich.  Tobler  kam  nun 
auf  den  Gedanken,  den  Sinus  sagittalis  zur  Punktion 
wie  zur  Injektion  zu  benutzen.  Seine  Grösse,  seine  kon¬ 
stante  Lage  und  die  Festigkeit  seiner  Wand  bieten  Vor¬ 
teile,  wie  sie  sonst  von  den  zarten  Venen  des  Säuglings 
für  die  genannten  Operationen  nicht  gewährt  werden. 
Die  perkutane  Sinuspunktion  Toblers  bietet  weiterhin 
den  Vorteil,  dass  ein  Einschnitt  zur  Venenfreilegung 
umgangen  wird,  und  dass  mit  einiger  Geschicklichkeit 
ungewollte  Läsionen  zu  vermeiden  sind.  Da  der  Sinus 
nach  hinten  dicker  wird,  sticht  man  am  besten  nach 
Tobler  in  der  Mitte  zwischen  grosser  und  kleiner  Fon¬ 
tanelle  ein,  oder,  falls  die  Sagittalnaht  schon  zum  Teil 
oder  ganz  geschlossen  sein  sollte,  im  hintersten  Winkel 
der  grossen  Fontanelle. 

Die  Punktion  wird  mit  einer  sterilen  Glas-  oder  Re¬ 
kordspritze  vorgenommen,  deren  Stempel  leicht  gleitet. 
Sie  wird  mit  einer  Platinkanüle  von  0,05  mm  Aussen- 


stärke  und  2 1/2  cm  Länge  armiert.  Nach  Jodstrich  und  j 
ev.  Rasieren  der  betr.  Stelle  wird  „streng  median  mit 
schräg  nach  hinten  zielender  Nadelspitze“  durch  die  ! 
Decken  des  Sinus  (äussere  Flaut,  Galea,  supraperiostaler 
Spaltraum,  Periost  und  Dura)  gestochen.  Die  Kanüle  ;i 
muss  gut  spitz  sein,  damit  man  nicht  durch  zu  grossen  i 
Kraftaufwand  die  gegenüberliegende  Sinuswand  durch-  | 
bohrt.  Das  Kind  wird  bei  der  Punktion  sitzend  mit 
fixiertem  Kopf  gehalten.  Die  rechte  Hand  des  Arztes  j 
stützt  sich  am  Schädel  des  Kindes  und  fixiert  die  I 
Spritze,  während  die  linke  langsam  den  Stempel  anzieht. 
Vor  allen  Injektionen  ist  durch  Aspiration  festzustellen,  ' 
dass  man  sich  auch  im  Sinus  befindet.  Die  Einstich¬ 
stelle  wird  mit  Gaze  und  Leukoplast  geschlossen. 

Wie  schon  vorher  bemerkt  wurde,  hat  auch  E.  Müller 
diese  Toblersche  Methode  zu  Salvarsaninjektionen  neben 
anderen  benutzt. 


Zur  Behandlung  des  Gelenkrheumatismus 

mit  Apyron. 

Von  Dr.  Felix  Boenheim,  Berlin. 

In  den  80  er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  wurde 
die  Salizylsäure  in  die  Therapie  der  Polyarthritis  acuta 
eingeführt,  und  ihre  prompte  Wirkung  lässt  in  ihr  ein 
spezifisches  Mittel  sehen.  Da  die  freie  Säure  aber  eine 
Reihe  unangenehmer  Nebenwirkungen,  besonders  auf 
den  Magen  hat,  so  zieht  man  ihr  das  Natriumsalz  vor, 
zumal  in  der  Wirkung  prinzipiell  kein  Unterschied  ist, 
da  auch  die  freie  Salizylsäure  im  menschlichen  Orga¬ 
nismus  in  das  Natriumsalz  übergeführt  wird.  Durch  die 
Darreichung  des  Salizylsäuren  Natriums  werden  zwTar 
die  vom  Magen  ausgehenden  Nebenwirkungen  der  Sali¬ 
zylsäure  gemildert,  aber  die  übrigen  Nebensymptome 
wie  Ohrensausen  usw.  bleiben  unverändert. 

Die  chemische  Industrie  ist  deshalb  bemüht  ge¬ 
wesen,  Derivate  der  Salizylsäure  herzustellen,  die  die 
Wirkung  der  letzteren  aber  ohne  die  Nebenwirkungen 
besitzen,  und  so  entstanden:  Salol,  Aspirin,  Salophen, 
Salipyrin,  Salit  u.  a. 

Von  diesen  Präparaten  hat  in  neuerer  Zeit  das 
Aspirin  die  grösste  Bedeutung  erlangt,  d.  h.  eine  Sali¬ 
zylsäure,  in  der  das  Wasserstoffatom  d§r  phenolartigen 
Hydroxylgruppe  durch  den  Azetylrest  CH3CO  ersetzt 
ist.  Da  die  Azetylsalizylsäure  (Aspirin)  aber  nicht 
wasserlöslich  ist,  und  einen  säuern,  für  viele  Patienten 
unangenehmen  Geschmack  und  bei  Hyperazidität  des 
Magens  schädlichen  Einfluss  hat,  so  ist  man  dazu  über¬ 
gegangen,  die  Azetylsalizylsäure  in  neutrale,  wasserlös¬ 
liche  Salze  überzuführen,  deren  neutrale  Lösung  die 
Azidität  des  Magens  wenig  oder  gar  nicht  beeinflusst. 
Ein  solches  Salz  liegt  in  dem  „Apyron“,  dem  azetyl- 
salizylsaurem  Lithium  der  Firma  Johann  A.  Wülfing, 

prx  /  x  r  • 

Berlin  SW  48  vor.  Aus  der  Formel  C6H4<Tr — .  CO 

ergibt  sich  ein  Gehalt  von  96,3  Proz.  Azetylsalizylsäure 
und  3,7  Proz.  Lithium,  sodass  das  Apyron  seinem  Ge¬ 
halt  nach  fast  der  reinen  Azetylsalizylsäure  gleichkommt. 

Aus  diesen  Zahlen  lässt  sich  a  priori  schüessen,  dass 
die  Wirkung  des  neuen  Mittels  sich  nicht  wesentlich  von 
der  Azetylsalizylsäure  oder  des  Aspirins  unterscheiden 
wird,  denn  der  geringe  Lithiumgehalt  des  Apyrons  setzt 
den  Azetylsalizylsäuregehalt  desselben  nur  unwesentlich 
herab.  Das  Apyron  stellt  also  ein  Azetylsalizylsäure- 
Präparat  dar,  bei  dem  die  bewährten  Eigenschaften  der 
Azetylsalizylsäure  (Aspirin)  mit  den  Vorzügen  der 
Wasserlöslichkeit  und  neutralen  Reaktion  des  Präparates 
verbunden  sind. 

Bei  meiner  Prüfung  des  Apyrons  habe  ich  die  An¬ 
gaben  von  W.  Jansen1)  über  die  Eigenschaften  des 


Nr.  15. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


141 


Apyrons  voll  und  ganz  bestätigt  gefunden.  Auch  nach 
meiner  Prüfung  erwies  sich  das  Apyron  frei  von  Salizyl¬ 
säure  bezw.  salizylsaurem  Salz. 

Was  nun  den  Hauptvorzug  des  Apyrons  vor  der 
Azetylsalizylsäure  anlangt,  so  liegt  derselbe  in  der  voll¬ 
kommen  klaren  Wasserlöslichkeit  des  Präparates.  Die 
Firma  bringt  deshalb  auch  für  subkutane  Injektionen  das 
Apyron  in  Ampullen  form  in  den  Handel,  und  zwar  löst 
sich  der  Inhalt  einer  Ampulle  (1  g)  in  2  ccm  destilliertem 
Wasser.  Dieser  guten  Löslichkeit  des  Apyrons  ent¬ 
spricht  auch  seine  schnelle  Ausscheidung,  die  verglichen 
mit  Natrium  salicylicum  bezw.  Aspirin* 2)  1  l  bezw.  7 'Stunden 
schneller  vor  sich  zu  gehen  pflegt.  Dementsprechend 
ist  auch  die  Wirkung  prompter.  Was  die  Zeitdauer  der 
Apyronausscheidung  anlangt,  so  konnten  wir  noch  nach 
24  Stunden  das  per  os  gegebene  Mittel  noch  deutlich 
im  Urin  nachweisen. 

Mit  der  schnellen  Resorption  des  Apyrons  steht 
auch,  wie  gesagt,  die  prompte  Wirkung  im  Zusammen¬ 
hang.  Nach  Apyron  tritt  bereits  nach  15  Minuten  nach 
der  Darreichung  starke  Perspiration  ein,  während  nach 
Aspirin  die  volle  Schweissabsonderung  erst  nach  30  bis 
40  Minuten  auftrat.  Die  Diaphorese  nach  Apyron  ist 
bedeutend  stärker,  als  nach  Aspirin. 

Was  die  Verträglichkeit  des  Mittels 
angeht,  so  sei  zunächst  mitgeteilt,  dass,  wo  eine  Eiweiss¬ 
ausscheidung  auftrat,  diese  auf  hohes  Fieber  zurück¬ 
zuführen  war,  da  das  Albumen  mit  dem  Sinken  der 
Temperatur  aus  dem  Urin  verschwand.  Subjektiv  war 
die  Bekömmlichkeit  des  M  i  t  t  e  1  s  in  allen 
Fällen  ganz  ausgezeichnet.  Apyron  wurde  gern  ge¬ 
nommen,  auch  von  solchen  Patienten,  die  Aspirin  und 
andere  Salizylpräparate  nicht  gut  vertrugen.  In  keinem 
Falle  konnten  wir  Nebenerscheinungen  von  seiten  des 
Magens  beobachten ;  auch  hörten  wir  niemals  Klagen 
über  Ohrensausen  oder  Appetitmangel.  Als  besonders 
charakteristisch  für  die  Bekömmlichkeit  des  Apyrons 
verweisen  wir  auf  die  Krankengeschichten  No.  2  und  3. 

Fragen  wir  uns  nun,  wie  das  Mittel  auf  die  Gelenk- 
affektion  wirkt,  und  ob  es  Rezidive  und  Erkrankungen 
des  Herzens  verhindert,  so  können  wir  unsere  Antwort 
dahin  formulieren:  —  der  objektive  Erfolg  übertrifft  nach 
unseren  Erfahrungen  nur  wenig  den  ähnlicher  Präparate, 
insofern  als  es  wohl  etwas  schneller  zum  Abklingen  der 
Gelenkerscheinungen  kommt,  jedoch  Rezidive  oder  Er- 
krankungen  des  Herzens  nicht  häufiger  als  sonst  ver¬ 
mieden  werden  Dies  ist,  da  das  Apyron  nichts  weiter 
als  eine  wasserlöslich  gemachte  Azetylsalizylsäure  ist, 
wohl  auch  nicht  zu  verlangen. 

Zur  Illustrierung  der  klinischen  Wirkungen  des 
Apyrons  sollen  einige  Krankengeschichten 
im  Auszuge  folgen : 

N  o.  1.  E.  K.  32  J  a  h  r  e  a  1  t.  Erkältete  sich  im 
Februar  und  leidet  seitdem  an  Schmerzen  in  den  Ge¬ 
lenken.  Kam  ins  Lazarett  am  9.  Mai.  Das  linke  Fuss- 
gelenk  ist  stark  geschwollen.  Das  rechte  Knie  ist  eben¬ 
falls  geschwollen.  Ausserdem  Schmerzen  im  linken  Ell¬ 
bogen,  wo  bei  der  Aufnahme  kein  Befund  feststell¬ 
bar  war. 

Am  Herzen  wurde  der  erste  Ton  an  der  Spitze  als 
unrein  festgestellt.  Temperatur  39,1  Grad. 

Diagnose:  Polyarthritis  acuta. 

Therapie:  Packungen,  Schwitz¬ 

bäder,  Aspirin  4  mal  1,0  g  pro  die. 

Am  18.  Mai  war  die  Temperatur  normal.  Gelenke 
abgeschwollen.  Schmerzen  angeblich  noch  sehr  stark. 
Am  19.  steigt  die  Abendtemperatur  wieder  auf  37,3  Grad. 
So  bleibt  das  Verhalten  unter  Aspirin-Medikation  un¬ 
verändert  bis  zum  26  ,  wo  das  Aspirin  durch  Apyron 


9  W.  Jansen:  Therapie  der  Gegenwart  1914,  Heft  2,  Seite  58. 

2)  Vergl.  Pinczower,  Therapeutische  Monatshefte  1910. 


ersetzt  wird.  Jetzt  lassen  die  Schmerzen  schnell  nach, 
sodass  Patient  am  1.  Juni  aufstehen  kann.  Am  5.  Juni 
klagt  Patient  wieder  über  Schmerzen,  sodass  E.  K  ,  der 
einige  1  age  ohne  Medikamente  auskam,  wieder  Apyron 
bekommt.  Am  7.  Juni  ist  eine  geringe  Schwellung  des 
rechten  Grundgelenkes  des  kleinen  Fingers  nachweisbar. 
Einige  Tage  später  ist  auch  das  rechte  Handgelenk 
wieder  geschwollen.  Am  15.  Juni  kommt  es  zu  einer 
kleinen  Temperatursteigerung,  aber  bereits  am  17.  ist 
objektiv  kein  krankhafter  Befund  mehr  zu  erheben. 
Patient  gibt  auch  keine  Beschwerden  mehr  an.  Töne 
am  Herzen  rein,  aber  dumpf. 

Das  Aspirin,  das  Patient  zwar  gut 
ertrug,  hatte  nach  den  akuten  Er¬ 
scheinungen  keinen  Erfolg  mehr, 
besonders  auch  nicht  als  schmerz¬ 
stillend.  Hier  griff  das  Apyron  mit 
gutem  Erfolg  ein.  Es  verhinderte  zwar  nicht 
die  Rezidive,  jedoch  beeinflusste  es  sie  günstig. 

N  o.  2.  R.  S.,  31  J  a  h  r  e  a  1  t.  Hatte  1910  einen 
Gelenkrheumatismus.  Ende  April  1915  erkrankte  er  mit 
Schmerzen  in  den  Gelenken.  Im  Lazarett  wurde  auch 
eine  Affektion  des  Herzens  festgestellt.  Er  bekam 
Aspirin  und  Digalen.  Am  5.  Juni  wurde  er  zu  mir  ver¬ 
legt.  Neben  zahlreichen  neurasthenischen  Erscheinungen 
war  Schwellung  ohne  Rötung  am  linken  Handgelenk, 
Knie  und  Fussgelenk  feststellbar.  Am  Herzen  leise 
Töne,  sonst  ohne  Befund. 

Diagnose:  Polyarthritis. 

Therapie:  Apyron. 

Am  9.  Juni  gibt  Patient  spontan  an,  dass  er  das 
Apyron  besser  vertrage,  als  das  Aspirin.  Am  13.  war 
an  keinem  Gelenke  mehr  eine  Schwellung  vorhanden. 
Allerdings  klagte  Patient  noch  über  Schmerzen  in  der 
rechten  Schulter. 

Das  Bemerkenswerte  an  diesem  F'all  ist,  dass  Patient, 
der  ein  starker  Neurastheniker  ist,  von  selbst  angibt, 
ihm  bekomme  Apyron  besser  als  Aspirin.  Ausser¬ 
dem  fällt  die  prompte  Wirkung  des 
Apyrons  ins  Auge,  denn  bereits  nach 
8  Tagen  war  Patient  ohne  klinische 
Erscheinungen,  während  er  mit  As¬ 
pirin  ohne  Erfolg  über  einen  Monat 
behandelt  worden  war. 

Noch  ein  Beispiel  möge  die  bessere  Verträglichkeit 
des  Apyrons  illustrieren. 

N  o.  3.  A.  H.,  28  Jahre  a  1  t.  Leidet  seit 
seinem  12.  Jahre  an  jährlich  rezidivierendem  Gelenk¬ 
rheumatismus.  Am  Herzen  bei  seiner  Einlieferung  am 
23.  März  typischer  Befund  einer  Mitralstenose.  Schwellung 
und  Rötung  am  linken  Fuss-,  rechtem  Knie-  und  an  den 
Fingergelenken  beiderseits.  Temperatur  38,2  Grad. 

Diagnose:  Gelenkrheumatismus 

und  Mitralstenose. 

Therapie:  Aspirin  und  Bäder. 

Die  Temperatur  sank  schnell.  Im  übrigen  änderte 
sich  der  Befund  nur  wenig.  Am  25.  März  wurde  der 
Patient  zu  mir  verlegt.  Hier  bekommt  der  Patient  die¬ 
selben  Dosen  Apyron  (3  mal  1  g  pro  die).  Auch  mit 
Apyron  wurde  keine  wesentliche  Besserung  erzielt.  Wohl 
aber  wurde  das  Mittel  lieber  genommen  und  besser  ver¬ 
tragen,  da  Patient  nach  Aspirin  öfters  Ohrensauen  und 
Brechreiz  gehabt  hatte;  nie  aber  nach  Apyron. 

Die  Krankenblätter,  aus  denen  eine  prompte  Wirkung 
des  Apyrons  analog  solchen  Fällen,  die  mit  Aspirin  oder 
ähnlichen  Mitteln  behandelt  wurden,  hervorgeht,  will  ich 
hier  übergehen  und  mich  mit  der  kurzen  Mitteilung  be¬ 
gnügen,  dass  sowohl  leichte,  als  auch  schwere  Fälle  be¬ 
handelt  wurden.  Dagegen  möchte  ich  noch  eine  Kranken¬ 
geschichte  hier  anführen,  wo  sich  unter  unseren  Augen 
ein  schwerer  Herzfehler  entwickelte. 

No.  4.  F.  S.,  2 7  Jahre  alt.  Hatte  vor  8  Jahren 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  15. 


142 


einen  ( jelenkrheumatismus ,  mit  dem  er  16  Wochen  zu 
Bett  lag.  A  m  24.  M  a  i  meldete  er  sich  wegen  Schwellung 
und  wegen  Schmerzen  beider  Fuss-  und  Kn 
krank. 

Aufnahmebefund :  Kräftiger,  gut  ernährter,  grosser 
M  ann.  Über  der  Lunge  Giemen.  Herz  o.  B.  Fuss- 
und  Kniegelenke  stark  geschwollen  und  gerötet. 

Diagnose:  Gelenkrheumatismus.  Bronchitis.  Therapie: 
Schwitzen.  4x1,0  Apyron. 

28.  Mai:  Die  Rötung  ist  geschwunden.  Schwellung 
zwar  zurückgegangen,  aber  noch  immer  erheblich.  Die 
Schmerzhaftigkeit  ist  bedeutend  gebessert.  Kleine  Be¬ 
wegungen,  die  bei  der  Einlieferung  unmöglich  waren, 
können  ausgeführt  wrerden.  1.  Ton  an  der  Spitze  unrein. 

3.  Juni:  Die  Beweglichkeit  in  den  Gelenken  ist 
eine  gute.  Die  Schwellung  der  Fuss-  und  Kniegelenke 
ist  verschwunden  ;  dagegen  ist  das  rechte  Schultergelenk 
geschwollen.  Die  Temperatur  ist  langsam  gefallen. 

8.  J  uni:  Starke  Kreuzschmerzen.  Temperatur  38,  3. 

9.  Juni:  In  der  Nacht  bekam  Pat.  starkes  Schütteln. 
Er  fühlt  sich  sehr  elend  und  sieht  verfallen  aus. 

Herz:  Rechte  Grenze:  linker  Rand  des  Brustbeins; 
linke  Grenze:  ein  Querfinger  breit  ausserhalb  der  Brust¬ 
warzenlinie;  obere  Grenze:  4.  Rippe.  Im  6.  Intercostal- 
raum  fühlt  man  ein  deutliches  Schwirren.  Hier  hört 
man  in  der  Mammillarlinie  ein  langgezogenes  svstolisches 
Geräusch. 

Puls:  beschleunigt,  stark  gespannt,  mässig  gefüllt. 

11.  Juni;  Temperatur  gestiegen  auf  39,5°.  Fuss- 
und  Kniegelenke  sind  stark  geschwollen. 

13.  Juni:  An  Stelle  der  Apyron-Tabletten  bekommt 
Pat.  3  mal  täglich  1  Ampulle  subkutan.  An  den  Ge¬ 
lenken  keine  Veränderung.  Herzbefund  wie  am  9. 

17.  Juni:  Fuss-  und  Kniegelenke  sind  wieder  frei. 
Dagegen  ist  das  rechte  Handgelenk  geschwollen.  Das 
systolische  Geräusch  ist  leiser  geworden. I 

19.  Juni:  Plötzlicher  neuer  Temperatur- Anstieg 
auf  40,2.  Das  rechte  Handgelenk  und  die  Fingergelenke 
sind  stark  geschw’ollen.  Pat.  klagt  über  die  Apyron- 
spritzen,  die  er  durch  Tabletten  zu  ersetzen  bittet."  Die 
Injektionsstellen  sind  gerötet  und  ein  wenig  geschwollen. 

28.  Juni:  Sämtliche  Gelenke  sind  frei  von  Schwellung 
und  Rötung.  Herzbefund  unverändert. 

Meine  Erfahrungen  mit  Apyron  möchte  ich  dahin 
zusammenfassen,  dass  wir  in  demselben  ein  Mittel  be¬ 
sitzen,  das  vor  Azetylsalizylsäure  (Aspirin)  den  Vorzug 
der  Wasserlöslichkeit  und  des  neutralen  Geschmackes 
besitzt,  dabei  auch  in  allen  Fällen  angewandt  werden 
kann,  wo  Azetylsalizylsäure  indiziert  ist.  Über  meine 
Erfahrungen  mit  Apyron  zu  subkutanen  Injektionen  kann 
ich  noch  nicht  berichten  mit  Ausnahme  von  einem  Falle, 
wo  die  Injektion  vor  der  Darreichung  per  os  keine  Vor¬ 
teile  bot,  ausserdem  der  Patient  infolge  von  Herzschwäche 
das  Mittel  wie  Salizylpräparate  überhaupt  nicht  gut  er¬ 
tragen  konnte.  Im  allgemeinen  konnte 
Apyron  nach  meinen  Erfahrungen  selbst 
da  noch  mit  Erfolg  weiter  verabreicht 
werden, -wo  Azetylsalizylsäure  (Aspirin) 
wegen  unangenehmer  Nebenwirkungen 
vorzeitig  ausgesetzt  werden  musste.  Nur 
möchte  ich  noch  erwähnen,  dass  ich  bei  gewissen  neur¬ 
algischen  Fällen  z.  B.  bei  Ischias,  eine  prompte  Wirkung 
nicht  beobachtet  habe. 


iegelenke 


Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische  Übersicht  von  Pr.  B  1  ü  m  e  1 ,  Halle  a.  S.,  Spezialarzt  für 
Hals-  und  Lungenkrankheiten. 

1.  T  u  b  e  r  k  u  1  o  s  e. 

V  erhütung  und  Bekämpfung  der 
Tu  berkulos'e. 

Die  grösste  Arbeit  dieser  Art  fällt 
den  Fürsorgestellenzu.  Denn  von  unseren 
zirka  700  000  Tuberkulösen  können  im  Jahre  nur  un¬ 
gefähr  61  000  Erwachsene  in  Heilanstalten  behandelt 
werden.  Also  mehr  wie  der  Kranken 

bleiben  an  ihrem  Wohnort  und  bieiben,  da  sie  meist 
ärmeren  Bevölkerungsschichten  angehören,  zum  grössten 
Teil  den  Fürsorgestellen  überlassen.  Wir  haben  jetzt 
in  Deutschland  1416  solche  Stellen.  Der  Ilauptwert  ist 
auf  Untersuchung  der  Familienangehörigen  zu  legen, 
denn  die  Tuberkulose  überträgt  sich  am  häufigsten  auf 
die,  die  mit  Schwindsüchtigen  zusammen  wohnen  und 
schlafen.  Loeffler(l)  empfiehlt  T  u  b  e  rkulin- 
Dispensarien  nach  W  i  1  k  i  n  s  o  n.  Ich  kann 
mich  dieser  allgemeinen  Empfehlung  nicht  anschliessen. 
Bisher  war  die  Arbeit  der  Fürsorgestellen  in  Deutsch¬ 
land  mehr  beschränkt  auf  den  Schutz  der  Ge¬ 
sunden  vor  den  Kranken  und  auf 
Stellung  der  Frühdiagnose.  Das  muss 
auch  so  bleiben,  wenn  die  Fürsorgestellen  Wert  darauf 
legen,  durch  die  Ärzte  gefördert  zu  w’erden.  Eine  Kon¬ 
kurrenz  dürfen  sie  nicht  sein,  Behandlung  ist 
also  nicht  ihre  Sache.  Natürlich  gibt  es 
Ausnahmen,  z.  B.  auf  dem  Lande.  Hier  ist  gewöhnlich 
nur  ein  Arzt  ansässig,  der  sich  also  selber  Konkurrenz 
macht.  Er  kann,  wenn  er  will,  die  Tuberkulinbehandlung 
an  Besuchern  der  Fürsorgestellen  unentgeltlich  ausführen 
und  zwar  mit  sehr  gutem  Erfolg,  wie  mich  der  Bericht 
der  Fürsorgestelie  Bockwitz  im  Kreise  Lieben, 
werda  (1800  Einwohner,  Leiter:  D  r.  K  ü  h  n  e)  lehrte- 
In  Halle  werden  in  der  Fürsorgestelle  mit  Tuber- 
kulin  diejenigen  Personen  n  a  c  h  behandelt ,  die  auf 
öffentliche  Kosten  in  Anstalten  gewesen 
sind.  —  In  Österreich  sind  vor  allem  durch  die  Be¬ 
mühungen  von  S  u  e  s  s  für  die  Bahnangestellten  Für¬ 
sorgestellen  mit  ambulanter  Tuberkulinbehandlung  ein¬ 
gerichtet  worden. 

Von  dem  steigenden  Wert  der  F'ürsorgestellen  er¬ 
zählen  ihre  Berichte.  So  hatte  Stettin  (2)  im  letzten 
Jahre  1540  Erstuntersuchte,  davon  waren  36  Proz.  von 
Ärzten  gemeldet.  Pischinger  (3)  be¬ 
richtet  aus  Aschaffen  bürg  ebenfalls  über 
steigende  Zahlen.  Sehr  klar  unterrichtet  uns  Liebe 
(4)  in  seinem  kleinen  Schriftchen:  ,,Die  Schwindsucht 
und  ihre  Bekämpfung“  über  den  Gegenstand. 

Über  den  Wert  der  Tube  rkulosebe- 
kämpfung  im  Säuglingsalter  hören  wir 
von  Effler-Danzig  (5),  dass  von  58  Säuglingen 
in  Familien  mit  offener  Tuberkulose  33  schon  im  Säug¬ 
lingsalter  infiziert  waren.  Es  zeigte  sich,  dass  die  Kinder, 
deren  Familien  schon  eine  Belehrung  über  Verhütung 
der  Ansteckung  und  Isolierung  in  der  Wohnung  erfahren 
hatten,  ehe  die  Kinder  zur  Welt  kamen,  am  wenigsten 
durch  Schwer-Infektionen  gefährdet  waren.  Weniger 
gut  waren  die  Verhältnisse  dort,  wo  erst  nach  der 
Geburt,  am  schlechtesten  dort,  wo  überhaupt  die  Ver- 
hütungsmassregeln  nicht  bekannt  waren.  Die  Isolierung 
des  Kranken  oder  des  Neugeborenen  in  oder  ausser 
dem  Plause  ist  dringend  zu  fordern,  denn  die  Tuber¬ 
kulosebekämpfung  im  Säuglingsalter 
ist  von  entscheidendem  Wert  für  die 
gesamte  Tuberkulosebekämpfung. 
(Ref.  kann  dem  nur  beipflichten,  und  hält  deshalb 
Säuglingsheime,  die  die  Kinder  sofort  nach 


Nr.  15. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


143 


der  Geburt  aus  der  Familie  herausnehmen,  für  ein 
dringendes  Erfordernis.  Für  ein-  und  zweijährige  Kinder 
ist  ja  die  Ansteckung  am  gefährlichsten.  Ältere  Kinder 
kann  man  tagsüber  in  Bewahranstalten  geben,  nachts¬ 
über  in  Schlafhäuser.)  Nicht  so  zweckmässig  ist  es, 
die  Kinder  erst  in  späteren  Jahren  aus  der  Familie 
herauszunehmen,  wie  es  der  sächsische  Volks- 
heilstättenverein  in  der  Kinderkolonie 
A  d  e  1  s  b  e  r  g  tut.  Er  nimmt  Kinder  über  sechs  Jahre, 
die  krank  oder  gefährdet  sind,  solange  auf,  bis  sie  ent¬ 
sprechend  gekräftigt  sind,  oder  die  häuslichen  Verhält¬ 
nisse  sich  gebessert  haben.  Die  Kinder  werden  in 
Gartenbau,  Landwirtschaft  und  im  Hause  beschäftigt. 
Icke  r  t  (6).  Ich  würde  auch  empfehlen  in  Form  des 
oeuvre  Grancher  die  Kinder  aufs  Land  in  gesunde 
Familien  zu  geben,  wie  es  die  Breslauer  Fürsorge¬ 
stelle  tut,  diese  Einrichtung  hat  den  Vorzug  der  Ein¬ 
fachheit  und  Billigkeit. 

Sehr  bemerkenswerte  Feststellungen  macht  Dörner 
(7)  in  einer  Arbeit,  die  vergleichende  Untersuchungen 
über  T  uberkuloseverbreitung  in  2  ver¬ 
schiedenen  Bezirken  Badens  bringt.  Es 
handelt  sich  um  je  10  Orte,  in  denen  die  Verhältnisse 
vor  1880  und  nachher,  also  vor  und  nach  Einführung 
vermehrter  Industrie,  verglichen  werden.  Im  Kehler 
Kreis  ist  die  Bevölkerung  während  der  Zeit  grössten¬ 
teils  bei  landwirtschaftlicher  Arbeit  geblieben,  während 
im  Schwetzinger  Kreis  die  landwirtschaftliche 
Beschäftigung  vor  der  industriellen  stark  zurücktrat. 
Hier  nahm  auch  die  Wohnungsdichtigkeit  stärker  zu 
und  die  Ernährung  änderte  sich  insofern,  als  die  land¬ 
wirtschaftlichen  Produkte  nicht  wie  im  andern  Kreis 
meist  am  Orte  blieben,  sondern  in  die  grossen  Städte 
abwanderten. 

Während  nun  in  P  r  e  u  s  s  e  n  der  Gipfel  der 
Tuberkulose-Sterblichkeit  für  beide  Geschlechter  im  er¬ 
werbsfähigen  Alter  liegt,  und  bei  den  Männern  die 
Sterblichkeit  in  dieser  Zeit  durchweg  höher  ist  als  bei 
den  Frauen,  sind  die  Verhältnisse  für  Baden  andere. 
Die  Werte  sind  für  das  weibliche  Geschlecht  im  erwerbs¬ 
fähigen  Alter  durchweg  höher  als  für  das  männliche,  der 
Gipfel  der  Sterblichkeit  fällt  allerdings  auch  in  dies  Alter 
und  die  Abnahme  ist  in  diesen  Jahren  beim  männlichen 
Geschlecht  stärker  als  beim  weiblichen. 

Für  das  Wachsen  der  Tuberkulose¬ 
sterblichkeit  ist  vor  allem  die  Um¬ 
gestaltung  der  wirtschaftlichen  Ver¬ 
hältnisse  mit  ihren  Folgen  verant¬ 
wortlich.  Sie  haben  hier  eine  Übersterblichkeit 
der  Frau  bewirkt,  die  sich  besonders  im  erwerbsfähigen 
Alter  zwischen  20  und  30  Jahren  zeigt  und  in  dem 
Schwetzinger  Bezirk  3  mal  so  gross  ist  wie  in 
dem  mehr  landwirtschaftlich  tätigen  Kehler. 

In  einer  wirkungsvollen  Prophylaxe 
liegt  auch  nach  Dörner  der  Schwerpunkt  der  Tuber¬ 
kulosebekämpfung.  Die  Heilstätten  können  aber 
nach  dieser  Richtung  hin  nicht  wirken,  denn  sie 
nehmen  ja  gerade  die  Kranken  nicht  auf,  die  eine  ernste 
Gefahr  für  ihre  Umgebung  bilden,  die  Schwerkranken. 
Dann  können  sie  —  und  das  habe  ich  selbst  immer 
wieder  betont  —  nur  einem  geringen  Teil  der  Tuber¬ 
kulösen  die  Möglichkeit  einer  wirklichen  Heilung  geben. 
Und  selbst  bei  diesen  ist  der  Erfolg  zweifelhaft,  da  sie 
wieder  in  die  ungesunden  Verhältnisse,  in  denen  sie 
krank  geworden  sind,  zurückkehren  (s.  auch  8). 

Da  die  FVau  sich  auch  an  der  Industriearbeit  be¬ 
teiligt,  ist  ihre  Übersterblichkeit  vor  allem  auf  über¬ 
mässige  Inanspruchnahme  ihrer  Kräfte 
zurückzuführen.  Für  Besorgung  der  Hauswirtschaft, 
Kinderpflege,  Betreiben  von  etwas  Landwirtschaft  und 
Mitarbeit  in  der  Industrie  reichen  eben  ihre  Kräfte  nicht. 
Im  Vordergründe  der  Industrie  steht  in  dem  fraglichen 


Kreise  die  Zigarrenmacherei,  in  der  die 
Hälfte  aller  Arbeiter  unter  20  Jahren  alt  und  61,6  Proz. 
dieser  Jugendlichen  Frauen  sind.  Die  Betätigung  in 
dieser  Arbeit  führt  zu  einem  vorzeitigen  Siechtum,  erstens 
weil  diese  Arbeit  besonders  schädlich  ist,  dann  weil  bei 
keiner  anderen  Industriearbeit  Muskelkräfte  so  wenig 
beansprucht  werden,  endlich,  weil  die  Arbeit  in  gebückter 
Haltung,  abgeschlossen  von  der  Luit  geleistet  wird. 
Ausserdem  werden  krüppelige  und  kranke  Personen  in 
dieser  Arbeit  am  meisten  beschäftigt. 

Weil  also  ungünstige  wirtschaftliche  Verhältnisse, 
die  die  Widerstandsfähigkeit  des  Körpers  untergraben, 
die  Tuberkulosesterblichkeit  steigern,  liegt  die  Bekämpfung 
der  Tuberkulose  als  Volkskrankheit  vor  allem  auf  wirt¬ 
schaftlichem  Gebiet. 

Der  ungünstige  Einfluss  der  tuberkulösen  Mutter 
auf  das  Kind  ist  am  grössten  im  1.  und  2.  Lebensjahr, 
und  demgemäss  ist  die  Sterblichkeit  hier  sehr  hoch. 
Mit  zunehmendem  Alter  lässt  aber  dieser  ungünstige  Ein- 
tluss  immer  mehr  nach  und  die  Tuberkulose  scheint  beim 
Erwachsenen  da  am  häufigsten  aufzutreten,  wo  die  In¬ 
fektionsgefahr  in  der  Jugend  am  geringsten  war.  Früh¬ 
zeitige  Infektion,  wenn  sie  der  Körper  erträgt,  schafft 
eben  eine  gewisse  Immunität  gegen  spätere  Infektionen. 
Diese  kann  aber  nicht  mehr  ausreichen,  wenn  der  Körper 
in  seiner  Widerstandsfähigkeit  durch  Krankheiten,  Auf¬ 
enthalt  in  schlechten  Wohnungen,  Arbeitsüberhäufung, 
Unterernährung  geschädigt  wird.  Dann  ist  anzunehmen, 
dass  nicht  nur  die  schon  im  Körper  haftenden  Tuberkel¬ 
bazillen  Gelegenheit  zur  Vermehrung  und  pathogenen 
Wirksamkeit  haben,  sondern  der  Körper  auch  den  von 
aussen  ihn  treffenden  Masseninfektionen,  die  von  Schwer¬ 
tuberkulösen  ausgehen,  erliegt. 

Deshalb  ist  eine  Förderung  der  gesundheitlichen 
Entwicklung  des  Körpers  und  eine  Isolierung  der 
Schwertuberkulösen  erforderlich,  ebenso  wie  eine  Sa¬ 
nierung  der  Wo  hnungs  Verhältnisse 
auf  dem  Lande  (vor  allem  Kampf  gegen  die  Un¬ 
sauberkeit). 

Dörner  führt  die  Arbeit  von  D  i  e  t  z  (9)  für 
die  L.-V.-A.  Hessen  an,  der  die  Sanierung  eines  Be¬ 
zirkes  versuchte  durch  Wohnungs-Fürsorge,  Bekämpfung 
des  Alkoholismus,  durch  Gewährung  von  Bädern,  Milch¬ 
frühstück  an  die  Schuljugend,  durch  Zahnpflege  usw. 

Wichtig  ist  die  Beschaffung  von  Bauplätzen,  billige 
Hergabe  von  Grund  und  Boden  durch  die  Gemeinden. 
Das  ist  auch,  wie  ich  zu  meiner  Freude  feststellen  kann, 
schon  von  den  Behörden  aufgefasst  worden.  Denn 
Halle  hat  z.  B.  soeben  Bestimmungen  erlassen,  die 
auf  eine  Förderung  des  Klein  wohnungsbaus 
abzielen.  Die  Stadt  gewährt  an  gemeinnützige  Bau¬ 
vereinigungen  oder  private  Unternehmer,  die  Klein¬ 
wohnungsbauten  errichten  und  deren  dauernde  Benutzung 
zu  diesem  Zweck  sicher  stellen,  billigen  Grund  und 
Boden,  soweit  städtisches  Gelände  in  Betracht  kommt, 
sogar  zum  Selbstkostenpreise.  Dann  unterstützt  sie  die 
Bauenden  bei  Beschaffung  der  Grunderwerbs-  und  Bau¬ 
kapitalien  und  zwar  durch  Bürgschaftsübernahme  für 
Kapitalien  bis  zu  80  Proz.  der  entstandenen  Grund¬ 
erwerbs-  und  Baukosten,  Gewährung  von  ersten  und 
zweiten  Hypotheken,  Übernahme  von  Geschäftsanteilen 
gemeinnütziger  Baugenossenschaften  und  durch  Be¬ 
günstigungen  bezügi.  der  Strassenausbau-  und  Kanali¬ 
sierungskosten. 

Solche  Massnahmen  sind  auch  andernorts  durchzu- 
führen  und  im  Kampfe  gegen  die  l  uberkulose  sehr  zu 
empfehlen.  Doch  nun  zurück  zu  Dörner!  Nach 
ihm  entspricht  die  hohe  Kindersterblichkeit  auch  hoher 
Tuberkulosesterblichkeit,  infolge  der  durch  die  Infektion 
häufiger  akut  verlaufenden  Tuberkulosefälle,  wie  infolge 
der  schlechten  überfüllten  Wohnungen  und  der  Unsauber¬ 
keit,  die  der  Entwicklung  der  Tuberkulose  gleich  günstig 


144 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  15. 


sind.  Ferner  ist  es  für  die  Kindergesundheit  von  grossem 
Nachteil,  wenn  die  Frau  durch  Teilnahme  an  der  Industrie 
von  der  Fliege  und  Aufzucht  der  Kinder  ferngehalten 
wird. 

Der  starke  Rückgang  der  Tuberkulosesterblichkeit 
im  höheren  Alter  und  die  Zunahme  der  Krebsfälle  ist 
wohl  darauf  zurückzuführen,  dass  Krebsfälle  früher 
weniger  erkannt  und  als  ,, Auszehrung“  der  Tuberkulose 
zugezählt  wurden.  Deshalb  ist  die  Abnahme  der  Tuber¬ 
kulosesterblichkeit  mehr  nach  der  Sterblichkeit  im  er¬ 
werbsfähigen  Alter  zu  beurteilen. 

Aus  dieser  kurzen  Besprechung  der  D  ö  r  n  e  r  sehen 
Arbeit  geht  hervor,  wie  reich  sie  an  Anregungen  ist. 
Es  kann  deshalb  nur  empfohlen  werden,  sie  möglichst  im 
Original  nachzulesen.  Vollmer-Köln  (8)  macht 
auf  die  jetzt  viel  erörterte  Tatsache  aufmerksam,  dass 
die  Tu  berkulosesterblichkeit  im  sch  ul¬ 
pflichtigen  Alter  seither  eher  steigt 
als  fällt.  Man  sollte  deshalb  mehr  Wert  auf  ihre 
Bekämpfung  legen:  1.  durch  Unterweisung  von  Lehrern 
und  Eltern  über  Gefahr  und  Eigentümlichkeit  der  Tuber¬ 
kulose  ;  2.  durch  Fernhalten  gefährdeter  (nicht  gefähr¬ 
dender  ?  Ref.)  Lehrer  und  Kinder  von  der  Schule; 
3.  durch  Sorge  für  gesundheitlich  freie  Abwicklung  des 
Unterrichtsbetriebes,  um  die  körperliche  Widerstands¬ 
fähigkeit  von  Kind  und  Lehrer  zu  kräftigen.  Diese 
Forderungen  sind  natürlich  vor  allem  durch  Schulärzte 
im  Hauptamt  zu  fördern. 

So  wertvoll  diese  Anregungen  sind,  muss  ich  doch 
dagegen  betonen,  dass  die  Herausnahme  des 
Gesunden  oder  Kranken  aus  d  e  r  Fa¬ 
rn  i  1  i  e  schon  vor  der  Schulzeit  noch 
wichtiger  ist.  (s.  o.) 

Der  Ansicht  ist  auch  K  n  o  1  1  (9).  In  30  Proz.  der 
in  die  Heilstätte  A  e  g  e  r  i  eingewiesenen  Züricher 
Kinder  konnte  er  eine  Infektionsgelegenheit  zu  Hause 
nachweisen.  •  Er  fordert  deshalb  eine  Entfernung  der 
Ansteckungsquelle  aus  dem  Lebenskreis  des  Kindes,  be¬ 
vor  es  aus  der  Anstalt  zurückkehrt.  Allerdings  macht 
die  Infektionsgelegenheit  allein  nach  K  n  o  1  1  noch 
keine  manifeste  Tuberkulose.  Viel  zur  Erwerbung  der 
1  uberkulose  tragen  die  ökonomischen  Verhältnisse  mit 
ihren  auf  die  Widerstandsfähigkeit  wirkenden  Umständen, 
die  Zahl  der  Geschwister,  das  Alter  und  die  Lebens¬ 
haltung  der  Eltern  bei.  Ungünstig  ist,  wenn  die  Mutter 
älter,  oder  der  Altersunterschied  zwischen  den  Ehegatten 
sehr  gross  ist  oder  beide  Eltern  bei  der  Geburt  des 
Kindes  älter  sind. 

Von  den  Wohnungen,  aus  denen  die  Kinder  kamen, 
waren  7 2  Proz.  zu  beanstanden,  und  nur  4,9  Proz  der 
Kinder  waren  ausreichend  gestillt  worden.  Der  Grund 
hierfür  lag  zum  grossen  Teil  an  der  Beschäftigung  der 
Mutter  ausserhalb  des  Hauses.  (Frauenarbeit 
siehe  oben.) 

Die  Trennung  der  Kranken  von  den  Gesunden 
wird  immer  mehr  durchzuführen  gesucht.  So  haben 
Charlotten  bürg,  Köln  und  Stettin  be¬ 
sondere  Tuberkulosekrankenhäuser 
gebaut  und  Berlin  ist  ihnen  mit  der  neueröffneten 
Friedrichstadt-Klinik  unter  der  Leitung 
von  A  r  t  u  r  M  a  y  e  r  nachgefolgt.  M.  (10)  macht 
besonders  darauf  aufmerksam,  dass  jetzt  §  184  der 
Reichsversicherungs-Ordnung  vor¬ 
sieht,  dass  Kassenmitglieder  —  auch 
ohneihre  Zustimmung  —  bei  offner 
Lungentuberkulose  möglichst  in  ein 
Krankenhaus  überwiesen  werden 
sollen.  Diese  Bestimmung,  nach  der  viel  mehr  ge¬ 
handelt  werden  sollte,  ist  für  die  Angehörigen  von 
ausserordentlich  grossem  Wert,  und  wenn  dem  Tuber¬ 
kulösen  Räume,  wie  sie  Berlin,  Charlotten- 
b  urg  und  andere  Städte  gebaut  haben,  zur  Verfügung 


stehen,  wird  er  sie  auch  aufsuchen.  Er  darf  sich  nur 
nicht  selbst  als  lästiger,  kaum  besserbarer  Kranker  be¬ 
trachtet,  sehen. 

Schmittmann  -  Düsseldorf  (11)  berichtet  über 
die  günstigen  Erfahrungen,  die  die  Landesversicherungs- 
Anstalt  Rh  einland  damit  gemacht  hat,  dass  sie 
schwerkranke  Tuberkulöse  in  besondere  Ab¬ 
teilungen  kleiner  Krankenhäuser  und  in 
besondere  Krankenhäuser  grosser 
Städte  aufnahm.  So  wurden  im  Jahre  1907:  zu¬ 
sammen  162,  im  Jahre  1912:  zusammen  521  Per¬ 
sonen  dort  verpflegt.  Die  Kosten  betrugen  im 
Durchschnitt  2  Mk.  den  Tag.  Die  Invalidenrente 
wurde  mit  zur  Deckung  verwendet.  Dagegen  wurde 
—  und  das  möchte  Referent  als  besonders  wertvoll 
und  zweckmässig  betonen  —  den  Angehörigen  eine 
laufende  Unterstützung  gezahlt,  damit  die 
Kran  ken  auch  eingeliefert  wurden.  Um  ihnen  den  Auf¬ 
enthalt  angenehm  zu  machen  und  sie  festzuhalten,  ist 
gute  ärztliche  Behandlung  und  liebevolle  Pflege  nötig. 
Leichte  Arbeit,  eine  gewisse  Zerstreuung,  Liegekur, 
etwas  Bewegungsfreiheit  müssen  den  Kranken  gewährt  i 
werden.  Beim  Bau  solcher  Heime  ist  darauf  zu  sehen, 
dass  sie  nicht  zu  teuer  werden,  damit  auch  Ortsverwal¬ 
tungen  und  Armenverbände  die  Häuser  benutzen. 

Vielleicht  wäre  ein  Zwang  zur  Unter¬ 
bringung  bei  denen  auszuüben,  die  ihre  Familie  sehr 
gefährden.  Auch  Fürst  (12)  beschäftigt  sich  mit  der 
Verteilung  der  offenen  und  geschlossenen  Tuberkulose 
in  M  ü  nche  n.  Für  den  geringen  Rückgang  der  Tuber¬ 
kulosesterblichkeit  im  Kindes-  und  schulpflichtigen  Alter 
macht  er  mit  K  a  u  p  unsere  soziale  Gesetzgebung  ver¬ 
antwortlich.  Denn  die  Invalidenrentner  verlieren  beim 
Aufsuchen  eines  Krankenhauses  gewöhnlich  ihre  Rente. 
Um  diese  der  Familie  zu  erhalten,  bleiben  sie  zu  Hause 
und  übernehmen  Wirtschaft  und  Kinderpflege.  Sie 
sorgen  also  für  immer  neue  Ansteckungen.  In  Berlin  , 
starben  nach  Fürst  52  Proz.  aller  an  Tuberkulose 
Gestorbenen  in  Krankenhäusern,  inMünchen 
nur  30  Pro  z.  und  wie  ich  hinzufügen  möchte  in 
Halle  noch  weniger,  zirka  25  Proz.  Da  die  Heil¬ 
stätten  diesen  Kampf  nicht  besonders  unterstützen  und 
fördern  können,  empfiehlt  Fürst:  1.  Schaffen  von  ge¬ 
eigneten  Isolieranstalten,  am  besten  von  kleinen  Pflege¬ 
heimen  für  die  Endstadien  der  Tuberkulose.  2.  Gründung 
von  Wohnhäusern  für  Tuberkulöse  in  besonderen  Stadt¬ 
bezirken  nach  den  Beispielen  von  Stockholm  und 
K  ö  1  n.  3.  Heranziehung  von  Hauspflegerinnen  bei  Er-  : 
krankung  der  Frau  in  der  Familie.  4.  Anmeldung  der 
aus  städtischer  Krankenhauspflege  in  die  Familie  zurück¬ 
kehrenden  Kranken  mit  offener  Tuberkulose  (an  die 
Fürsorgestelle  zur  weiteren  Überwachung).  —  Ich  kann 
mich  der  Empfehlung  von  Tuberkulose  -  Wohnhäusern 
nicht  in  dem  Masse  anschliessen,  weil  das  Herausbringen 
der  Ansteckungsquelle  aus  der  Familie  d  imit  nicht  er¬ 
reichtwird.  Die  übrigen  Vorschläge  Fürst’s  sind  sehr 
zu  empfehlen.  Wichtig  ist,  dass  den  Familien  der  In¬ 
validenrentner  ein  Teil  der  Rente  in  Form  von  An¬ 
gehörigenunterstützung  belassen  bleibt. 

Einen  gleichfalls  sehr  zweckmässigen  Vorschlag 
macht  Neubert  (13).  Er  wünscht  die  Einrich¬ 
tung  von  Arbeitsplätzen  für  tuberkulöse  In¬ 
validen  gegen  Stundenlohn,  vielleicht  auch  gegen  Zu¬ 
schüsse,  die  sich  nach  der  Grösse  der  Familie  richten. 
Möglich  wäre  es  auch,  dass  man  noch  für  ein  geringes 
Geld  Mittagessen  lieferte,  um  so  den  Invaliden  den  ganzen 
Tag  über  ausserhalb  des  Hauses  an  seiner  Beschäftigungs¬ 
stelle  festzuhalten.  Als  geeignete  Arbeiten  kämen  im 
Sommer  Gartenarbeiten,  im  Winter  Papierarbeiten, 
Kisten-Nageln,  Korb-  und  Rohrflechten  in  Betracht. 
N  e  u  b  e  r  t  schlägt  solche  Beschäftigungen  vor,  deren 
Erzeugnisse  sich  vor  dem  Vertrieb  keimfrei  machen 


Nr.  15. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


145 


lassen.  Selbstverständlich  können  sich  solche  Einrich-  meisten  Fällen  liegen  Jahre  zwischen  der  Gewährung  der 
tungen  nicht  selbst  erhalten,  sondern  bedürfen  der  Zu-  Invalidenrente  und  dem  Ableben,  und  der  Wunsch  sich 
schiisse  von  Gemeinden.  (Ich  würde  als  Beschäftigung  zu  beschäftigen,  wird  von  hustenden  Kranken,  die 
noch  Buchbinder,  Schreibstubenarbeit  u.  a.  empfehlen.)  schwere  körperliche  Arbeit  nicht  mehr  verrichten  können. 

Ich  halte  den  Gedanken  für  sehr  gesund.  Wir  in  der  Fürsorgestelle  täglich  gehört.  Auch  für  die  Ge- 
vermindern  so  tagsüber  die  Ansteckungsgefahr  für  die  sunden  wäre  solch  Arbeitsplatz  nach  der  Richtung  hin 
Familie,  ohne  neue  Ausgaben.  Denn  was  wir  jetzt  an  nützlich,  dass  Heimarbeit  oder  Beschäftigung  im  Nahrungs- 
Armenunterstützungen  geben,  würden  wir  so  für  geleistete  mittelgewerbe  von  den  Tuberkulösen  nicht  in  dem  bis- 
Arbeit  zahlen.  Das  wäre  in  sittlicher  und  menschlicher  herigcn  Umfange  getrieben  würde. 

Beziehung  ein  entschiedener  Fortschritt.  Denn  in  den  "  Fortsetzung  folgt. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Die  stärksten  Nerven. 

Eine  Plauderei  von  Dr.  med.  R  a  t  n  e  r  ,  Wiesbaden.' 

Irgend  jemand  tat  den  Ausspruch,  dass  im  gegen¬ 
wärtige  Weltkriege  nur,  wer  die  stärksten 
Nerven  hat,  siegen  werde.  Nach  70/71  hiess  es: 
,,Der  tüchtigste  Volksschullehrer  hat  gesiegt“.  Jetzt 
aber  soll  es  von  den  starken  Nerven  abhängen.  Die 
Neurologen  und  Seelenärzte,  welche  ihre  eigenen  Nerven 
im  Dienste  um  die  Erhaltung  der  ihrer  Mitmenschen 
ruinieren,  dürfen  sich  darauf  etwas  zugute  tun.  Von 
ihnen  und  ihrer  Tüchtigkeit  also  hängt  der  Endsieg  im 
Völkerringen  ab  ...  !  Sonst  pflegen  sich  die  Nerven¬ 
ärzte  keiner  besonderen  Gunst  zu  erfreuen,  man 
begegnet  ihnen  eher  mit  Misstrauen,  man  verkennt  ihre 
besten  Absichten.  Ja . was  sind  denn  eigent¬ 

lich  „starke“  Nerven?  Bekanntlich  sollen  ja  die  Wilden 
die  „stärksten“  Nerven  besitzen  .  .  .  ,  denn  sie  sind  von 
der  Kultur,  welcher  die  Schuld  an  unserem  „nervösen 
Zeitalter“  zugeschrieben  wird,  nicht  beleckt,  sind  nicht 
*  „von  des  Gedankens  Blässe  angekränkelt  .  .  .  Und 
dennoch  haben  sie  sich  in  diesem  Krieg  bewährt  ?  Mit 
nichten !  Sie  unterlagen  auch  sonst  im  Kampfe  mit  der 
„zivilisierten“  Rasse.  Was  ist  es  also,  das  den  Aus¬ 
schlag  gibt?  Wie  muss  es  mit  den  „starken“  Nerven 
beschaffen  sein?  Es  ist  ja  einerseits  wahr,  dass  die 
grossen  Ansprüche,  welche  die  Kultur  an  das  Nerven¬ 
system  stellt,  das  ewige  Hasten  und  Jagen,  das  stete 
Bestreben  dem  Konkurrenten  um  eine  Nasenlänge  voraus 
zu  sein,  dasselbe  aufreiben,  „abnützen“.  Allein  anderer¬ 
seits  sind  es  aber  gerade  die  Segnungen  der 


Kultur,  welche  das  Nervensystem  konservieren,  erhalten. 
Vor  allem  sind  es  die  grossen  Errungenschaften  der 
Technik,  wel  che  Menschenkraft  ersparen 
— -  und  mithin  übergrosse  Anstrengung  vermeiden  lassen. 
Sodann  ist  es  die  fortgeschrittene  Heilkunde,  die  moderne 
Hygiene  und  Prophylaxe,  welche  die  Nerven  schonen, 
evtl,  die  verloren  gegangene  Elastizität  derselben 
wiederherstellen  lehren.  Die  Schul- 
h  y  g  i  e  ne  vollends  lehrt,  durch  fach-  und 
sac  h  gemäss  e  Erziehung,  durch  a  1  1  s  e  i  t  i  g  e 
Ausbildung  die  Erwerbung  einer  harmonischen 
Geistes-  und  Gemütsverfassung.  Und  darauf  kommt  es 
hauptsächlich  an.  Was  die  alten  Römer  zu  den  Kar¬ 
dinaltugenden  neben  der  Tapferkeit  und  der 
virtus  zählten,  nämlich  die  moderitas,  d.  h.  die  M  äss  i  gu  n  g 
oder  wie  Horaz  sich  so  schön  in  der  bekannten  Ode 
ausdrückt:  „aequam,  memento,  rebus  in  arduis  servare 
mentem  oder  Kaltblütigkeit,  —  das  hat  eine  vernünftige 
moderne  Erziehung  im  Auge.  Das  wilde  Drauflosgehen, 
der  Chauvinismus,  der  wütige  Hass  —  ist  kein 
Patriotismus.  Man  kann ,  wie  Zeus,  dem 
Gegner  grollen,  zürnen,  aber  trotzdem  die 
Vernunft  nicht  verlieren.  Blinde  Wut  ist  ein  Zeichen 
der  Ohnmacht. 

Darin  also  besteht  die  Stärke  der  Nerven:  sich 
beherrschen,  die  Situation  objektiv 
überschauen  —  und  das  Nötige  planmässig  ge¬ 
schehen  lassen.  Ilindenburg  ist  das  beste  Beispiel  da¬ 
für.  Und  darum  mag  wohl  der  Ausspruch  vom  Siege 
der  stärksten  Nerven  in  diesem  Sinne  sich  be¬ 
wahrheiten  ! 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

K.  Greif:  Die  Dysphagie  und  ihre  Behandlung  bei  der 
Larynxtuberkulose.  (pasopis  lekarüo  ceskych.  1914.  Nr.25  26.) 

In  der  Klinik  Frankenberger  in  Prag  bewährte  sich  folgender 
Vorgang-;  Bei  leichter  und  schwerer  Form  der  Tuberkulose 
wird  Mentholöl  aufgepinselt;  sind  Ulzerationen  vorhanden,  wird 
Orthoform  appliziert.  Bei  den  schweren  Formen  leistet  die 
passive  Hyperaemie  gute  Dienste,  jedoch  muss  der  Allgemein¬ 
zustand  noch  eine  gute  Prognose  erlauben.  Bei  den  kacliek- 
tischen,  sub  fiuem  vitae  befindlichen  Fällen  mit  Dysphagie 


und  Otalgie  können  nur  Injektionen  eines  Anaesthetikums  in 
den  Nervus  laryngeus  superior  Linderung  verschallen.  Greif 
injizierte  hei  18  Fällen  (17  Tuberkulosen,  1  Karzinom)  ein 
Gemisch  von  Eukain  ß  und  80  °/0  igen  Alkohol  (0.15:30)  und 
erzielte  17  mal  ein  Verschwinden  der  Dysphagie  und  immer 
eine  Beseitigung  der  Otalgie.  Die  Besserung  hielt  bis  zu  20 
Tagen  an.  (Auch  mit  der  Heliotherapie  werden  in  leichteren 
Fällen  Besserungen  erzielt.)  G.  M  ü  h  1  s  t  e  i  n  -  Prag. 

J.  Hnätek:  Zur  Diagnose  der  ein  3Ialum  llustii  vortäu¬ 
schenden  Erkrankungen  der  obersten  Halswirbel,  (pasopis 
lekafuo  ceskych.  1914.  Nr.  24.) 


146 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  15. 


Steifigkeit  der  Halswirbelsäule,  die  zur  Unbeweglichkeit 
des  Kopfes  führt  und  wegen  Schmerzen  den  Kranken  zwingt, 
beim  Aufrichten  und  Niederlegen  des  Kopfes  denselben  zwischen 
beide  Hände  zu  fassen,  bezeichnete  Rust  als  pathognomonisch 
für  Caries  des  Atlas  und  des  Epistropheus.  Man  fand  dieses 
Symptom  auch  schon  bei  Karzinom  und  Fraktur.  Hnätek 
beschreibt  nun  je  einen  Fall  von  Gelenkrheumatismus,  Syphilis 
und  Gicht;  bei  allen  3  Fällen  deckten  sich  die  klinischen 
Symptome  und  die  Lokalisation  des  Krankheitsprozesses  mit  dem 
Malum  Rustii;  man  muss  demnach  stets  auch  an  ein  „Pseu- 
domalum“  Rustii  denken.  G.  M  ü  h  1  s  t  e  i  n-Rrag. 

F.  R.  Mühlhaus  -  München,  Belichte  über  Neuer¬ 
scheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Chirurgie  und  Orthopädie. 
1.  Taschenbuch  des  Feldarztes.  III.  Teil:  Kriegsorthopädie  von 
Prof.  Dr.  F.  Lange  und  Prof.  Dr.  J.  Trurnpp.  Lehmann’s 
Verlag,  München. 

Trurnpp  und  Lange  haben  sich  der  dankenswerten  Auf¬ 
gabe  unterzogen,  den  Ärzten,  die  ohne  speziell  orthopädische 
Kenntnisse  au  Stellen  arbeiten,  wo  derartige  Kenntnisse  er¬ 
forderlich  sind,  ein  Buch  an  die  Hand  zu  geben,  in  dem  in 
übersichtlicher  Form  mit  guten  Abbildungen  das  Wesentliche 
der  Orthopädie  klargelegt  wird,  sodass  auch  der  Nichtorthopäde 
in  der  Lage  ist,  sich  die  nötige  orthopädische  Behandlungs¬ 
methode  anzueignen  und  dadurch  wirkungsvoll  dazu  beizutragen, 
die  Schäden  dieses  Krieges  durch  Bekämpfung  des  drohenden 
Krüppeltums  zu  verringern. 

Trurnpp  gibt  im  ersten  Kapitel  des  Buches  eine  vorzügliche 
und  genaue  Schilderung  der  Transportorganisation  der  Ver¬ 
wundeten  vom  Augenblicke  der  Verwundung  bis  zur  Ankunft 
im  Ileimatlazarett,  wobei  ihm  seine  persönlichen  im  Felde  ge¬ 
wonnenen  Erfahrungen  eine  kritische  Würdigung  dieser  Frage 
gestatten  Ausgehend  von  der  Tatsache,  dass  schon  die  Art 
des  Transportes  auf  den  weiteren  Wundverlauf  ihre  Wirkung 
ausübt  —  zumal  bei  Verletzungen,  bei  denen  eine  spätere 
orthopädische  Behandlung  gegeben  ist,  ist  man  bestrebt,  die 
Verwundeten  möglichst  wenig  umzubahren.  Als  ideale  Forderung 
wäre  in  Lösung  dieser  Frage  aufzustellen,  Schwerverwundete 
auf  der  zu  Anfang  belegten  Bahre  bis  zur  einsetzenden  Heimats¬ 
behandlung  zu  belassen.  Das  ist  natürlich  nur  ausführbar  bei 
Tragen,  die  dem  Verwundeten  ein  bequemes  Liegen  für  längere 
Dauer  gestatten.  Die  Hängemattentragbahre  nach  Lange  und 
Trurnpp  erfüllt  diese  Forderung  vollkommen.  Der  Transport 
auf  Wagen  ist  heutzutage  in  erster  Linie  auf  die  Kraftwagen 
übergegangeu,  da  sie  sich  vermöge  grösserer  Geschwindigkeit, 
besserer  Fahrbereitschaft  und  schonungsvollerer  Transportmög¬ 
lichkeit  den  Pferdewagen  in  jeder  Beziehung  überlegen  erwiesen 
haben.  Mit  Verweis  auf  das  diesbezügliche,  ausführlichere 
Buch  von  Flemming  schildert  Trurnpp  mit  guten  Abbildungen 
unterstützt  die  einzelnen  Systeme  der  Krankenkraftwagenein¬ 
richtungen,  die  neben  vollkommener  Raumausnützung  eine  gute 
Federung  der  aufgehängten  Bahren  erstreben  sollen.  Eine  Be¬ 
schreibung  der  Beförderungsart  auf  Eisenbahn  und  Schiff  durch 
einerseits  glänzend  eingerichtete  Lazarettzüge,  andererseits  durch 
die  erschütterungsfreie  Transportierung  auf  dem  Wasserweg 
beschliesst  das  erste  Kapitel,  dem  sich  die  Kapitel  der  rein¬ 
orthopädischen  Fragen  anschliessen. 

Das  Kapitel  der  Behandlung  von  Schussfrakturen  wird 
von  beiden  Autoren  gemeinsam  besprochen.  Welche  von  den 
verschiedenen  Schienensystemen  in  den  vorderen  Sanitäts- 
formationeu  zur  Anwendung  kommen  mögen,  immer  muss  das 
Anlegen  solcher  Verbände  unter  dem  Gesichtspunkte  vor  sich 
gehen,  auch  genaueste  Fixation  hersteilen  zu  wollen.  Es  haben 
sich  mancherlei  Deformitäteu  manifestiert,  die  den  Verwundeten 
zum  Krüppel  werden  Hessen,  die  aber  vielleicht  durch  früh¬ 
zeitig  schärfere  Erkenntnis  wesentlich  hätten  gemildert  werden 
können.  Da  bis  jetzt  noch  keine  brauchbaren  Methoden  aus¬ 
gearbeitet  sind,  Schussfrakturen  der  grossen  Röhrenknochen 
schon  in  den  vordersten  Formationen  in  wirksame  Extensiou 
mit  gleichzeitiger,  transportsichernder  Fixation  zu  nehmen,  muss 
man  sich  darauf  beschränken,  wenigstens  unbedingte  Fixation 
des  verletzten  Extremitätenabschnittes  mit  den  benachbarten 
Gelenken  zu  erreichen,  um  dem  Patienten  sowohl  Schmerzen  zu 
ersparen  und  ihm  hierdurch  die  zur  Abwehr  der  Infektion 
nötige  Körperwiderstandsfähigkeit  zu  erhalten,  als  auch  um  | 


eine  grössere  Dislokation  der  Fragmente  zu  verhindern.  Beides 
sind  Faktoren,  die  für  die  weitere  funktionelle  Vollwertigkeit, 
der  betreffenden  Extremität  von  grösster  Bedeutung  sind.  Lange 
konstruierte  daher  eine  sehr  praktische  billige  Fixations-  Trans¬ 
portschiene  aus  Bandeisen  und  Pappdeckelhülsen.  Die  Forderungen 
die  er  an  eine  brauchbare  Feldschiene  stellt,  Einfachheit,  all¬ 
gemeine  Verwendbarkeit,  Billigkeit,  gute  Fixation,  leichtes  Ge¬ 
wicht,  schnelles  Anlegen,  Verbandwechsel  in  der  Schiene 
und  Sparsamkeit  des  Verbandmaterials  erfüllt  Lange’s  Trans¬ 
portschiene  in  brauchbarer  Weise.  Die  Oberscheukelschiene 
soll  durch  Flexionsstellung  im  Kniegelenke  noch  gleichzeitig 
Extensionswirkung  erzielen  im  Prinzip  der  Beugung  über  die 
kürzere  Unterlage.  Ähnlich  sind  die  Schienen,  die  Lange  bei 
Schussfrakturen  der  oberen  Extremität  verwendet. 

Fixationsschienen  sollten  auch  für  den  weiteren  Transport  , 
in  die  Heimat  überall  da  Verwendung  finden,  wo  im  Feld¬ 
lazarett  aus  irgendwelchen  Gründen  auf  die  Anlage  eines  , 
Gipsverbandes  verzichtet  werden  muss.  —  Und  die  Tatsache,  j 
dass  nicht  alle  Schussfrakturen  im  Feldlazarett  in  Gips  fixiert 
werden  können,  zeigt  sich  oft,  sei  es  wegen  starken  Ändrangs 
Verwundeter,  sei  es  infolge  ungenügender  technischer  Ein¬ 
richtungen  und  Kenntnisse  hierzu.  L.  und  T.  schildern  den 
Langeschen  Gipstisch,  seine  Improvisierung,  das  Anlegen  von 
Gipsverbänden  usw ,  sodass  es  dem  hierin  weniger  erfahrenen  ; 
Feldarzt  sehr  erleichtert  wird,  diese  Technik  richtig  anzuwenden,  j 

Schon  der  Arzt  ira  Feldlazarett  soll,  wenn  irgend  nur 
möglich,  anstreben,  bei  Schussfrakturen  mit  grösserer  Ver-  ( 
kürzung  neben  genauer  Fixation  Extensionswirkung  zu  geben; 
denn  je  früher  die  Extensionswirkung 
ein  setzt,  desto  bessere  Resultate  lassen  , 
sich  für  die  Folgezeit  erzielen.  Bis  jetzt 
kommt  für  einen  Extensionstranspoit  lediglich  noch  der  exten-  | 
dierte  Gipsverband  in  Fiage,  der  jedoch  wegen  der  verursachenden  i 
Schwierigkeiten  nur  selten  Verwendung  findet.  Daher  gelangen  , 
die  meisten  Schussfrakturen  entweder  in  einfachem  Gips  oder  • 
geschient  mit  Winkelstellung  der  Fragmente  in  die  Heimats¬ 
lazarette,  wo  sie  oftmals  noch  von  einer  Hand  in  die  andere  ; 
übersiedeln,  bevor  sie  zur  endgültigen  Behandlung  kommen. 
Das  ist  ein  Fehler,  der  besonders  in  der  Anfangszeit  des  Krieges 
gemacht  wurde.  Schussfrakturen  müssen  sofort,  wenn  möglich  • 
mit  Umgehung  dazwischenliegender  Etappen-  und  Kriegslazarette 
in  die  innere  Heimat  abgeschoben  werden  und  hier  sollen  so-  ! 
fort  mit  Verbandstechnik  vertraute  Ärzte  die  endgültige  Be-  i 
handlung  übernehmen-  So  wird  es  gelingen,  dem  Übel  der 
Extrem itäten Verkürzung  wirksam  zu  begegnen.  Es  ist  bekannt,  . 
dass  öfiers  selbst  einfache,  subkutane  Knochenbrüche  der  unteren 
Extremität,  die  vom  Felde  eingeliefert  werden  und  bei  denen 
schon  eine  längere  Zeit  nach  der  Verletzung  verstrichen  ist,  > 
Verkürzung  manifestieren  lassen.  Das  gibt  zu  denken,  lässt 
sich  aber  bei  unseren  heutigen  Transportverbänden  und  den  i 
grossen  Entfernungen  der  Kriegsschauplätze  nicht  vermeiden. 
Wird  dann  in  der  Heimat  in  dem  Stadium  einer  wenn  auch 
nur  geringen  Konsolidation  die  gebräuchliche  Extensionsmethode 
angewandt,  so  kann  zwar  sehr  oft  die  Verkürzung  noch  reduziert 
werden,  jedoch  meistens  auf  Kosten  der  Gelenkbänder  und 
Gelenkkapsel,  die  ihrerseits  auf  diese  starken  Streckverbände 
gewöhnlich  mit  Schlottergelenksbildung  antworten  unter  der 
Prognose  einer  späteren  Arthritis  deformans.  Darum  sollte  man  bei 
Frakturen,  die  nicht  sofort  vom  Feld-  in  Heimatlazarette  ver¬ 
bracht  werden  und  bei  denen  somit  schon  eine  längere  Zeit 
nach  dem  Trauma  verflossen  ist,  mit  der  Anwendung  von  sehr 
starken  Zugverbänden  vorsichtig  sein  und  den  Ausgleich  der 
Verkürzung  eher  einer  später  vorzunehmenden  Osteotomie  über¬ 
lassen.  So  wird  der  diffizile  Apparat  der  Gelenke  nicht  ge¬ 
schädigt  und  die  Möglichkeit  der  späteren  Arthritis  deformans  ' 
beseitigt.  Anders  verhält  es  sich  mit  Schussfrakturen,  die 
frisch  vom  Feld  ins  Heimatlazarett  gelangen.  Trurnpp  und 
Lauge  haben  die  von  der  Friedenspraxis  übernommene  Scheu, 
eiternde  Frakturen  mit  Korrektion  der  Fragmentstellung  im  Sinne 
der  Extension  zu  behandeln,  überwunden  und  damit  glänzende 
Resultate  erzielt,  sodass  sie  grundsätzlich  auch  jede  eiternde 
Fraktur  mit  starker  Deformierung  sofort  nach  der  frühzeitig  u 
Einlieferung  extendieren  Bei  der  Art  von  Kriegsverletzungen 
mit  grossen  Wundverhältnissen  ist  eine  Eiterabflussverlegung 
durch  Exteusion  weniger  zu  befürchten,  tritt  dennoch  Eiter- 


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Nr.  15 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Verhaltung  ein,  so  kann  durch  Gegeninzision  leicht  ein  neuer 
Abflusskanal  gebildet  werden.  Trumpp  und  Lange  fordern  in 
Wundbehandlung  der  frühzeitig  extendierten  Schussfrakturen 
konservatives  Vorgehen.  Auch  hier  glaube  man  nicht  unter 
allen  Umständen  Knochen-  und  Geschosssplitter  entfernen  zu 
müssen,  indem  dadurch  gleichzeitig  neue  Lymphspalten  der 
Infektion  eröffnet  werden.  Lediglich  gute  Drainage  ist  neben 
guter  Extension  in  Fixation  die  Hauptforderung.  Dass  das 
Verfahren  der  Extension  frischer  vereiterter  Schussfrakturen 
seine  Berechtigung  hat,  beweisen  auch  die  guten  Resultate,  die 
u.  a  Bade,  Biesalski,  Hohmann  und  Bier  hiermit  gemacht, 
wenngleich  andere  Chirurgen  wiederum  vor  dem  Redressieren 
vereiterter  Schussfrakturen  warnen.  Immerhin  bedeutet  die 
Methode  von  Lange  und  Trumpp  einen  Fortschritt  auf  dem  Ge¬ 
biete  der  Frakturenbehandlung.  Vom  orthopädischen  wie 
chirurgischen  Standpunkt  muss  ja  unter  allen  Umständeu  ein 
möglichst  exakter  Ausgleich  der  Verkürzungen  angestrebt  werden. 
Wenn  nun  gefordert  wird,  Schussfrakturen  älteren  Datums 
lediglich  in  gute  Fixation  zu  nehmen,  und  den  Ausgleich  der 
späteren  Osteotomie,  ev.  der  früher  möglichen  parakallösen 
Osteotomie  zu  überlassen,  so  hat  dies  Verfahren  entschieden 
auch  seine  anerkannte  Berechtigung.  Man  soll  mit  Ausführung 
dieser  Operation  nicht  gar  zu  lange  warten,  da  durch  die  Ver¬ 
kürzung  des  Extremitätenabschnittes  eine  entsprechende  Ver¬ 
änderung  in  anatomischer  und  physiologischer  Richtung  der 
betreffenden  Organe  stattgefunden  hat,  andererseits  muss  man 
wieder  Sicherheit  der  Abwesenheit  von  virulenten  Infektions¬ 
trägern  in  der  alten  Narbe  —  besonders  bei  der  kallösen 
Osteotomie  haben.  Bei  dieser  Therapie  fällt  fort,  was  schon 
oben  angedeutet  wurde:  die  Gefahr  der  überstreckten  Gelenk¬ 
bänder  und  Gelenkkapsel  mit  der  Pi’ognose  der  späteren  Arthritis 
deformans.  Solange  unsere  gebräuchlichen  Extensionsmethoden 
noch  darauf  beruhen,  die  Streckwirkung  des  Zuges  auf  dem 
Wege  der  Gelenkbänder  an  den  frakturierten  Knochen  zu  leiten, 
ist  die  Gefahr  der  Kapseldehnung  gegeben.  Natürlich  ver¬ 
ringert  sich  diese  Gefahr,  je  früher  die  Fraktur  in  Extension 
kommt.  Ist  einmal  auch  nur  geringe  Konsolidation  eingetreten 
—  und  erfahrungsgemäss  setzt  die  Kallusbildung  auch  bei 
vereiterten  Frakturen  durch  die  ausgedehnte  Periostreizung  der 
Schussfrakturen  meistens  sehr  frühzeitig  und  vermehrt  ein  — 
so  sollte  der  Ausgleich  der  Verkürzung  um  jeden  Preis  nicht 
das  Ziel  der  Therapie  sein,  da  durch  übermässigen,  wochenlang 
liegenden  Streckverband  die  Gelenke  überdehnt  werden,  in  den 
meisten  Fällen  ein  Erguss  stattfindet  und  sich  zu  dem  Leiden 
der  doch  nicht  ganz  ausgeglichenen  Verkürzung  die  Möglich¬ 
keit  der  späteren  Arthritis  deformans  gesellt.  Kommt  man 
mit  einem  mässigen  Streckverband  nicht  zum  endgültigen  Ziel, 
so  extendiere  man  m.  E.  nicht  weiter,  sondern  begnüge  sich 
vorläufig  mit  der  besseren  Stellung  der  Fragmente  und  greife 
später  zur  Osteotomie. 

Es  sei  gestattet,  auch  an  dieser  Stelle  auf  die  Hülsen¬ 
extension  von  Oppenheim  hinzuweisen,  ein  Verfahren,  das  die 
grösste  Beachtung  finden  sollte;  denn  vielleicht  kann  es  mit 
Hilfe  dieses  Verfahrens  gelingen,  bei  vielen  Fällen  von  Knochen¬ 
brüchen  die  Zugwirkuug  unter  Ausschaltung  der  Gelenke  direkt 
auf  den  verletzten  Knochen  wirken  zu  lassen,  sodass  die  Mög¬ 
lichkeit  der  Schlottergelenksbildung  ausgeschlossen  bleibt 

Wie  die  Behandlung  der  Schussfrakturen  gespannte  Auf¬ 
merksamkeit  der  Chirurgen  und  Orthopäden  und  aller  derer, 
die  an  solcher  Stelle  arbeiten,  erforderte,  ebenso  ist  in  dem¬ 
selben  Masse  für  eine  möglichst  vollständige  Beseitigung  der 
Rückstände  von  Knochen-  und  Gelenk  Verletzungen  durch  intensive 
mediko-mechanische  Behandlung  zu  sorgen.  Lange  und  Trumpp 
geben  in  ihrem  Buch  eine  vorzügliche,  fachmännische  Anleitung 
zur  Behandlung  von  Kontrakturen  und  Gelenksversteifungen. 
Es  kommt  nicht  nur  darauf  an,  dass  die  Verwundeten  ihre 
vorgeschriebenen  Übungen  an  Apparaten  zur  aktiven  und 
passiven  Mobilisierung  der  Gelenke  ausführen,  sondern  es  bedarf 
ärztlicher  Kontrolle  (an  Hand  von  Zeichnungen)  und  genaue 
Beobachtung  der  Gelenke  vor  und  nach  den  Übungen,  um 
auch  wirklichen  Nutzen  zu  erreichen.  Rohe  Versuche,  Gelenke 
zu  mobilisieren,  sind  unter  allen  Umständen  zu  vermeiden  und 
haben  meistens  gegenteiligen  Erfolg.  Der  Pat.  soll  zwar  über 
die  Wirkung  der  Mobilisationsübungen  an  seinen  Gelenken 
durch  hierbei  leicht  auftretende  Schmerzen  eine  Kontrolle  haben, 


jedoch  müssen  die  Schmerzen  nach  Beendigung  der  Übung 
auf  hören  und  dürfen  keine  Rötung  und  Schwellung  des  Ge¬ 
lenkes  zur  Folge  haben.  Unterstützt  werden  die  mediko-mecha- 
nischen  Übungen  durch  Heissluft-Massage,  Quarzlampe,  Bäder 
und  Myoboratorbehandlung.  Es  ist  oft  erstaunlich,  welch* 
glänzende  Resultate  sich  im  Laufe  einer  derartigen  intensiven 
Behandlung  ergeben,  wobei  jedoch  eiserner  Fleiss  und  Energie 
des  Patienten  für  den  guten  Erfolg  mitbestimmend  ist. 

Ergeben  sich  auch  trotz  fleissiger  mediko-mechan.  Übungen 
keine  Besserungen  über  ein  bestimmtes  Stadium,  so  rät  Lange 
zu  einem  früher  viel  angewandten  Verfahren,  dem  vorsichtigen 
Versuch  der  weiteren  Mobilisation  in  Narkose.  Erfolge  hierbei 
bleiben  aber  immer  sehr  unbestimmt. 

Bei  N ervenschussverletzungen  besteht  die  Aufgabe  darin, 
bis  zum  Zeitpunkt  der  operativen  Restitution,  die  nicht  vor 
2 — 4  Monaten  stattfindet,  durch  sinngemässe  Schienung  eine 
Überdehnuug  der  von  dem  gelähmten  Nerven  innervierteu 
Muskelgruppe  zu  verhindern.  Nervenoperationen  sollen  nur 
von  erfahrener  Hand  ausgeführt  werden  Vor  Ablauf  von 
8  Monaten  kann  bei  der  langsamen  Heilungstendenz  der  zer¬ 
störten  Nervenbahnen  von  keinem  endgültigen  Resultat  einer 
Nerveunaht  gesprochen  werden.  Diese  Zeit  wird  mit  mediko- 
mechanischen  Übungen  und  Elektrisieren  ausgefüllt. 

Im  Schlusskapitel  bespricht  Lange  die  orthopädischen 
Hilfsapparate,  Einlagen  und  künstlichen  Glieder  Interessant 
ist  die  von  östereichischen  Ärzten  Eiseisberg,  Hoehenegg  und 
Spitzy  abweichende  Haltung  gegenüber  der  sog.  Immediat- 
prothesen  der  unteren  Extremität.  Lange  und  Trumpp  gehen 
von  der  Erkenntnis  aus,  dass  die  zeitweiligen  Gips-  und  Leder¬ 
behelfsprothesen  als  erster  Beinersatz  dem  Pat.  besonders  ein¬ 
drucksfähig  bleiben,  und  der  Pat.  sich  zu  stark  an  diese  Gang¬ 
methode  gewöhnt,  sodass  er  für  seinen  endgültigen  Beinersatz 
Gangeigentümlichkeiten  mitbringt,  die  den  zweckmässigen  Ge¬ 
brauch  einschränken 

Das  Buch  von  Lange  und  Trumpp  gibt  in  seinem  Inhalt 
und  Zusammensetzung  eine  vorzügliche  Übersicht  über  den 
heutigen  Stand  der  orthopädischen  Behandlungsmethoden  in 
Rücksicht  auf  den  Krieg.  Jeder  Arzt,  der  an  Stellen  arbeitet, 
wo  orthopädische  Kenntnisse  erforderlich  sind,  wird  das  Er¬ 
scheinen  dieses  Buches  mit  Freuden  begrüssen.  Dem  Buch  ist 
die  weiteste  Verbreitung  zu  wünschen.  Vielleicht  berücksichtigen 
die  Verfasser  in  einer  der  nächsten  Auflagen  den  Stand  der 
heutigen  Prothesentechnik  noch  ausführlicher,  um  auch  auf 
diesem  Gebiet  der  Kriegsorthopädie  einen  guten  Leitfaden  zu 
geben. 

2.  Taschenbuch  des  Feldarztes.  I.  Teil:  Kriegsehirurgie  von 
Prof.  Dr.  A.  Schönwerth.  Vierte,  neubearbeitete  Auflage.  Leh¬ 
mann ’s  Verlag,  München. 

Das  Buch  verdankt  seine  Entstehung  einem  Bedürfnis  des 
Nichtchirurgen,  der  aus  seiner  Disziplin  herausgenommen  sich 
im  Feld  den  veränderten  Anforderungen  gegenübersieht.  Es 
will  nichts  Neues  bringen  und  macht  keinen  Anspruch  darauf, 
Lehrbuch  zu  sein,  jedoch  will  es  Begleiter  und  Berater  für  den 
Arzt  sein,  der  unseren  Truppen  in  nicht  stabilen  Formationen 
folgt.  Dass  das  Buch  in  kurzer  Zeit  seine  vierte  Auflage  er¬ 
lebte,  beweist  seine  Notwendigkeit. 

Dieser  vermehrten  Auflage  hat  Schönwerth  in  dem  ersten 
Teil,  der  besonders  dem  nichtchirurgischen  Feldarzt  gewidmet 
ist,  seine  persönlichen  Kriegserfahrungen  zugrunde  gelegt  und 
bespi’icht  an  Hand  von  guten  Abbildungen  die  Verschiedenheit 
der  Wundversorgung  sowohl  auf  dem  Truppenverbandsplatz, 
Hauptverbandsplatz  als  auch  im  Feldlazarett  in  knapper,  jedoch 
vollkommen  ausreichender  Form.  Schadlose  Transportfähigkeit 
der  Verwundeten  aus  den  vordersten  Sanitätsformationen  (T. 
V.  P.  und  H.  V.  P.)  zu  erreichen,  ist  das  Leitmotiv  der  Wund¬ 
versorgung  dieser  Stellen.  Hier  kein  Suchen  nach  Geschossen, 
keine  Sondierung  der  fast  durchweg  als  infiziert  geltenden 
Schusswunden,  auch  nicht  zu  Diagnosezweckeu.  Kein  Ab¬ 
tragen  eines  Hirnverfalles,  hier  keine  Laparotomie.  Genaueste 
Fixierung  von  Frakturen,  Gelenkschüssen  und  grossen  Weich¬ 
teilzerstörungen,  absolut  tadelloses  Anlegen  der  Verbände  zur 
Verhütung  sekundärer  Infektion,  Technik  der  Unterbindung 
verletzter  grösserer  Gefässe  und  der  prophylaktischen  Tracheo¬ 
tomie,  Einführen  des  Katheters  und  Injektionen  müssen  in 
erster  Linie  die  Tätigkeit  der  Ärzte  auf  T.  V.  P.  und  H.  V.  P. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  15 


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bei  Massenandrang  der  Verwundeten  sein,  während  dem  Feld¬ 
lazarett  wegen  günstigerer  äusserer,  die  Asepsis  garantierender 
Verhältnisse  die  weiteren  dringlichen  chirurgischen  Massnahmen 
Vorbehalten  sein  sollen.  Hier  ist  in  den  meisten  Fällen  Revision 
der  Wunde  geboten;  desgl.  ist  Verbandwechsel  bei  den  grössten¬ 
teils  vollständig  durchbluteten  und  damit  Infektionsausbreitung 
zulassendeu  Verbänden  angezeigt.  Im  Feldlazarett  ist  bei 
Schädelverletzungen  —  Tangential-  und  Steckschüssen  —  mit 
bedrohlichen  Erscheinungen  unbedenklich  Entfernung  der 
Knochen-  und  Geschosssplitter  auszuführen,  Hämatothorax  mit 
Empyembildung  durch  Rippenresektion  zu  öffnen  und  Amputation 
bei  schwerer  Infektion  auf  die  einfache,  offene  Stichmethode 
auszuführen. 

Schönwerth  rät  bei  Schussverletzungen  der  Bauchhöhle  zur 
strengkonservativeu  Behandlung,  indem  er  nur  bei  schweren 
Blutungen  innerhalb  der  Bauchhöhle  Operation  im  Feldlazarett 
anrät,  da  die  Verbandsplätze  für  Laparotomien  wegen  äusserer 
Verhältnisse  durchaus  ungeeignet  sind.  Nach  Sch.  Ansicht 
können  Bauchschüsse  nur  innerhalb  der  ersten  G  Stunden  nach 
der  Verletzung  operativ  behandelt  werden.  Diese  vor  und  zu 
Anfang  des  Krieges  allgemein  gültige  Regel  hat  bekanntlich 
im  weiteren  Laufe  des  Krieges  seine  unbestrittene  Gültigkeit 
für  viele  Chirurgen  verloren,  und  die  vergleichenden  Statistiken 
aus  der  neuesten  Literatur  haben  für  eine  Anzahl  Chirurgen 
die  operative  Therapie  der  Bauchschüsse  den  Spontanheilungen 
gegenüber  als  das  erstrebenswerte  Ziel  gezeigt  Man  ist  der 
Meinung,  dass  es  doch  weniger  als  Zufallserscheinung  anzusehen 
ist,  dass  eine  Bauchveidetzung  mit  Perforation  des  Darmtraktus 
operativ  zur  Heilung  kommt  —  in  einigen  Fällen  wurde 
36  Stunden  nach  der  Verletzung  mit  Erfolg  laparotomiert  — 
als  dass  eine  solche  Verletzung  spontan  heilt.  Jedoch  ist  zur 
Laparotomie  ein  gut  ausgebildeter,  erfahrener  Fachmann  er¬ 
forderlich,  um  die  Erfolgsmöglichkeit  auf  ein  Maximum  zu 
bringen.  So  wird  für  den  nichtchirurgischen  Feldarzt  kaum 
die  Lage  gegeben  sein,  eine  Laparotomie  zum  Verschluss  von 
Darmperforation  auszuführen.  Jedenfalls  sind  die  Angaben, 
die  Schönwerth  über  das  Verhalten  eines  Feldarztes  gegenüber 
Bauchschüssen  macht,  für  den  nichtchirurgischen  Arzt  auf  den 
Verbandsplätzen  vollkommen  angezeigt,  doch  muss  m.  E.  der 
Feldarzt  wissen,  dass  er  dem  Verwundeten  durch  möglichst 
schnelle  Abtransportierung  in  das  nächste  laparotomiefähige 
Feldlazarett  den  grössten  Dienst  erwiesen  hat. 

In  einem  gesonderten  Kapitel  spricht  Sch.  über  Unter¬ 
bindungen  und  Aufsuchen  grösserer  Gefässe.  Die  topographi¬ 
schen  Verhältnisse  werden  durch  entsprechende  Abbildungen 
in  anschaulicher  Weise  klar  gelegt. 

Ein  Situatiousplan  über  die  militärische  Einteilung  der 
vorderen  Sanitätsformationen  beschliesst  den  ersten  Teil  des 
Buches, 

Der  2.  und  3.  Teil  entstammen  verändert  dem  „Vade¬ 
mekum  für  den  praktischen  Arzt“  von  demselben  Verfasser. 
Beide  Teile  unterstützen  den  ersten  Teil  durch  weitere  Aus¬ 
führungen,  schildern  besonders  ausführlich  die  chirurgischen 
Behandlungsmethoden  und  bildeu  für  den  Nichtchirurgen  eine 
zweckmässige  Ergänzung  in  Erklärung  der  Technik  der  vorzu¬ 
nehmenden  Massnahmen. 

Die  Durchführung  der  kurzen  Übersicht  der  Kriegschirurgie 
für  den  Feldarzt  ist  vorzüglich.  Schön werth’s  Buch  wird  ein 
brauchbarer  Berater  für  jeden  nichtchirurgischen  Feldarzt  seiiL 


Bücherschau. 

Georg  Büchner  -  München,  Angewandte  Jonenlchre. 
(München  1912.  —  Verlag,  J.  F.  Lehmann.  —  155  Seiten.)  | 
Gewaltiger  und  einschneidender  ist  seit  den  Tagen  der 
Reformation  kaum  ein  anderer  Zeitabschnitt  gewesen  als  der 
heutige.  Nicht  bloss  auf  politischem,  militärischem,  Wirtschaft-  ( 
lichem  Gebiet :  auch  im  Reich  des  synthetischen  und  analytischen 
Denkens.  Macht  sich  dort  das  Bestreben  bemerklich,  von  einer 
vorwiegend  atomistisch-mechanistischen  Weltanschauung  zu  einer 
mehr  philosophisch-religiösen  zurückzukehren,  so  sucht  die  neue 
Jonteu-Lehre  die  letzten  Vorgänge  in  der  belebten  wTie  nicht- , 
belebten  Substanz  zu  entschleiern,  und  indem  sie  darlegt,  dass 


hier  wie  dort  die  gleichen  Vorgänge  und  Gesetze  herrschen, 
weist  sie  den  suchenden  Geist  ganz  von  selbst  über  ihr  Gebiet 
hinaus:  Der  nun  einmal  nicht  wegzuleugnende  Unterschied 
zwischen  lebendig  und  tot  muss  dann  eben  in  einer  verschiedenen 
Anordnung  dieser  Gesetze  und  Vorgänge  bestehen,  und  diese 
verschiedene  Anordnung  erfordert  ihrerseits  besondere  Einflüsse, 
welche  hinter  den  Dingen  und  Vorgängen  liegen. 

Von  der  Natur  der  Lösungen  geht  die  neue  Lehre  aus  und 
führt  über  die  Gesetze  des  osmotischen  Drucks  und  der  elektro¬ 
lytischen  Dissoziation  in  die  Tiefen  der  Elektrochemie  bezw.  der 
elektrochemischen  Physiologie. 

Für  uns  Ältere  ist  das  Lesen  dieses  Buches  nicht  ganz 
leicht.  Neue  Bilder,  neue  Vorsteliuugsreihen  entrollen  sich  auf 
jeder  Seite.  Allein  wir  können  uns  dem  nicht  entziehen,  wenn 
wir  mit  dem  weiterschreitenden  geistigen  Leben  Schritt  halten 
wollen.  Man  ist  versucht,  die  neue  Wissenschaft  mit  G  a  1  v  a  nis 
Entdeckung  zu  vergleichen  und  Du  Bois  —  Reymonds 
Worte  auf  sie  zu  übertragen;  dass  sie  in  der  Welt  der  Physiker 
und  Physiologen  den  gleichen  Sturm  und  die  gleichen  nach¬ 
haltigen  Wirkungen  entfalten  werde,  wie  der  dermalen  tobende 
Sturm  im  politischen  Gefüge  Europas.  Buttersack. 


P.  G.  U  n  n  a -Hamburg,  Chemie  der  Zelle.  (Festschr. 
z.  Feier  des  25  jähr.  Bestehens  des  Eppendorfer  Krankenhauses, 
Leipzig -Hamburg,  Leop.  Voss.  1914.  —  20  Seiten  mit  1  färb. 
Tafel.) 

Laen  nec  hat  einmal  gesagt:  „Rien  n’est  plus  interessant 
dans  une  Science  que  la  marche  meme  de  cette  Science.“  — 
Die  vorliegende  Abhandlung  des  verdienten  Forschers  ist  eine 
deutliche  Illustration  dazu.  Sie  führt  uns  vor,  wie  in  organi¬ 
scher  Entwicklung  seit  den  Zeiten  der  Entdeckung  der  Zelle 
unsere  Kenntnisse  dieser  Gebilde  sich  erweitert  und  vertieft 
haben.  Unna  zeigt,  wie  es  durch  verschiedene  Farbstoffe 
gelingt,  die  verschiedenen  Elemente  der  Zelle  zu  erkennen, 
und  durch  Lösungsmittel,  sie  der  chemischen  Analyse  zuzu- 
führen.  So  stellt  sich  ihm  „jedes  Zellelement,  als  ein  Mosaik 
von  sauren  und  basischen,  sauerstoffspeichernden  und  -ver¬ 
zehrenden  Eiweissen“  dar. 

Wir  registrieren  das  mit  vielem  Scharfsinn  Erarbeitete 
mit  Dank,  werden  aber  die  Zelle  nicht  als  ein  Mosaik  ver¬ 
schiedener  Eiweissarten  betrachten,  sondern  als  einen  Organis- 
muss  im  kleinen,  wenn  man  will,  als  einen  ju-  oder  gar  fifi- 
Kosmos.  Während  der  Weltkrieg  langsam  unser  Verständnis 
für  die  Lebensgesetze  in  der  Völkeiphysiologie  und  -Psychologie 
weckt,  sehen  wir  andererseits  die  Grenzen  des  Lebens  sich  bis 
ins  molekulare  Gebiet  vorschieben.  Fürwahr,  eine  grosse  Zeit 
auch  in  den  Wissenschaften  !  Buttersack. 


Erich  Harnack  -  Halle  a.  S  ,  Die  gerichtliche 
Medizin  mit  Einschluss  der  gerichtlichen  Psychiatrie  und  der 
gerichtlichen  Beurteilung  von  Versicherungs-  und  Unfallsachen. 
(Leipzig,  Akademische  Verlagsgesellschaft  1914.  —  448  Seiten. 
Preis  Mk.  12. — ,  gebunden  13.50.) 

Victor  Cousin  hat  einmal  gesagt :  „Le  raisonnement 
est  un  instrument  aussi  bon  pour  l’erreur  que  pour  la  verite.“ 
Bücher,  wie  das  vorliegende,  schützen  vor  falschem  Raisonne¬ 
ment.  Harnack  hat  in  Gemeinschaft  mit  Prof.  H  a  a  s  1  e  r 
und  Prof.  S  i  e  f  e  r  t  (Halle)  ein  Werk  geschaffen,  welches 
Medizinern  und  Juristen  in  eleganter  Sprache  und  in  klarer 
überzeugender  Darstellung  die  für  das  Forum  erforderlichen 
Tatsachen  und  Gedankengänge  vermittelt. 

Ganz  besonders  wertvoll  erscheint  mir  die  von  Professor 
S  i  e  f  e  r  t  bearbeitete  gerichtliche  Psychiatrie  mit  der  pracht¬ 
vollen  Besprechung  der  Frage  der  Zurechnungsfähigkeit.  Es 
wäre  zu  wünschen,  dass  recht  viele  Juristen  sich  diese  Aus¬ 
führungen  zu  eigen  machten. 

Bei  der  ausgedehnten  Entwicklung  des  Versicherungs¬ 
wesens  wird  vielen  das  betr.  Kapitel  aus  der  Feder  von  Prof. 
H  a  a  s  1  e  r  willkommen  sein. 

Die  Entwicklung  der  Dinge  nach  dem  Krieg  wird  das 
Werk  noch  mehr  schätzen  lehren,  als  man  heute  vielleicht  an¬ 
nimmt. 

Der  Druck  ist  vorzüglich.  Buttersack. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang 


1915/16. 


fortschritt«  der  Medizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  lfliiwirkung  hervorraaender  Tatbmämur 

herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser. 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Nr.  16  Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


10.  März 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  Behandlung  einer  schweren  Schussverletzung 
aus  der  Kieferstation  von  Geh.  Rat  Prof.  Dr. 

Warnekros,  Berlin. 

Von  Zahnarzt  Schoppe  r. 

Bild  1.  Grenadier  K.  wird  10  Tage  nach  seiner 
Verwundung,  da  er  zirka  8  Tage  auf  der  Reise  war,  in 
ziemlich  erschöpftem  Zustande  in  ein  Berliner  Lazarett 
eingeliefert.  Ein  Gewehrschuss  hat  fast  den  ganzen 
Unterkiefer  mit  Mundboden,  Kinn  und  Unterlippe  fort¬ 
geschossen,  rechts  ist  noch  ein  Kieferstumpf  mit  den 
beiden  letzten,  noch  festen  Molaren,  links  nur  der  auf- 


B  i  1  d  II  zeigt  einen  am  ersten  Tage  in  Eile  mit 
Hülfe  einer  plastischen  hartwerdenden  Abdruckmasse 
angelegten  Notverband,  der  am  Kopfe  befestigt  ist. 
Er  ist  dem  Patienten  eine  Wohltat,  hebt  ihm  die  Zunge, 
erleichtert  ihm  das  Sprechen  und  die  Nahrungsaufnahme 
wesentlich,  indem  er  das  Schlucken  ermöglicht,  und 
wirkt  hierdurch  auch  psychisch  sehr  vorteilhaft  auf  den 
Verletzten  ein.  Nachdem  die  Wunde  gereinigt  worden, 
wird  mit  Hilfe  der  Leitungs- Anästhesie  des  Mandibularis 
die  rechtsseitig  bestehende  starke  Kieferklemme  beseitigt. 
Der  Kieferstumpf  mit  den  beiden  Zähnen  war  voll¬ 
kommen  disloziert,  nach  oben  und  innen  verzogen  und 


steigende  Ast  mit  einem  lockeren  Weisheitszahn  stehen 
geblieben.  Die  Zunge  hat  den  Halt  verloren,  ist  nach 
unten  gesunken.  Im  Oberkiefer  sind  die  Zähne  teilweise 
ausgeschossen  und  zerschmettert,  der  harte  Gaumen  ist  an 
der  Grenze  zum  weichen  durchlöchert.  Der  Patient 
vermag  nicht  zu  schlucken,  die  Ernährung  ist  auch  nicht 
durch  Schlundsonde,  sondern  nur  durch  Schlauch  in  den 
Magen  möglich,  Sprache  unverständlich. 

Die  Behandlung  richtet  sich  zunächst  darauf,  den 
Allgemeinzustand  physisch  und  psychisch  zu  heben 
durch  möglichste  Wiederherstellung  der  Mundfunktionen, 
insbesondere  Ermöglichung  der  Nahrungsaufnahme  und 
Wiederherstellung  des  Sprachvermögens.  In  zweiter 
Linie  die  Wundheilung,  die  Behandlung  und  Erhaltung 
und  richtige  Einstellung  der  Kieferstümpfe  und  Zähne 
und  die  vorläufige  Prothese  in  Rücksicht  auf  eine  spätere 
plastische  Deckung  der  Weichteildefekte  durch  den 
Chirurgen  einzurichten. 


in  dieser  Lage  fest  und  unbeweglich  geworden  und 
störte  erheblich.  Nachdem  die  Anästhesie  die  Spannung 
der  Muskulatur  aufgehoben,  gelingt  es  allmählich,  den 
Kieferstumpf  in  seine  normale  Lage  zur  Artikulation 
mit  den  Antagonisten  des  Oberkiefers  zu  reponieren  und 
durch  sofort  angebrachte  technische  Drahtvorrichtung 
in  Verbindung  mit  dem  Verband  so  festzuhalten.  Patient 
kann  den  Kieferstumpf  nun  bewegen  und  nach  Anlegen 
des  ganzen  Notverbandes  sofort  aus  der  Flasche  trinken. 
In  den  nächsten  Tagen  wird  der  provisorische  Verband 
verbessert,  die  Zahn-  und  Kieferbehandlung  in  Angriff 
genommen.  Der  Gaumendefekt  wird  durch  eine  ein¬ 
fache  Gaumenplatte,  mit  Klammern  an  den  Zähnen  ab¬ 
nehmbar  befestigt,  verschlossen  und  damit  ein  Eindringen 
von  Speisen  und  Flüssigkeiten  vom  Munde  in  den  Nasen¬ 
raum  verhindert.  Die  Zähne  und  Wurzeln  des  Ober¬ 
kiefers  werden  auf  das  sorgfältigste  konservierend  be¬ 
handelt,  verlorenes  durch  Stiftzähne  und  Goldkronen 


150 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN.  Nr.  16. 


ersetzt,  sodass  der  Oberkiefer  bald  wieder  her¬ 
gestellt  ist.  Der  Unterkiefer  bekommt  eine  Prothese, 
auf  der  rechten  Seite  an  den  noch  festen  Zähnen  be¬ 
festigt,  auf  der  linken  gegen  den  Oberkiefer  angelehnt. 
Dem  Muskelzug,  der  die  Kiefernstümpfe  dislozieren 
würde,  muss  durch  mechanische  Vorrichtungen  entgegen¬ 
gearbeitet  werden. 

Bild  III  zeigt  die  Wunde  verheilt  und  den  ent¬ 
standenen  und  zu  deckenden  Defekt. 

Bild  IV.  Die  Unterkieferprothese,  die  später  als 
Unterlage  für  die  Plastik  dienen  soll  und  der  zu 
schaffenden  Kinnpartie  die  Konfiguration  geben  soll,  vor 
allem  dem  Patienten  die  Nahrungsaufnahme  ermöglicht, 
besonders  auch  dadurch,  dass  sie  den  verloren  ge¬ 
gangenen  Mundboden  wiederherstellt  und  die  Zunge  hält. 

Bild  V.  Eine  prothetische  Deckung  des  Defektes, 
von  Künstlerhand  (Frau  Oberbürgermeister  Reiche, 
Berlin)  modelliert,  die  den  Defekt  vorläufig  bis  zur 
plastischen  Arbeit  des  Chirurgen  schliesst  und  dem 
Patienten  bis  dahin  einigermassen  die  verloren  ge¬ 
gangenen  Teile  auch  in  der  Funktion  ersetzt.  Die  Pro¬ 
these  besteht  aus  vulkanisiertem  Kautschuk,  wird  am 
Kopfe  und  mit  einem  Verband,  zur  Aufsaugung  des 
Speichels  mit  Gaze  gepolstert,  befestigt.  Der  Verband 


Einmal  konnten  die  Streptokokken  nur  eine  Begleit¬ 
erscheinung,  eine  Misch  -  Infektion  bedeuten:  dagegen 
sprach  jedoch  der  positive  Befund  auch  in  scheinbar  un¬ 
komplizierten  Fällen.  Dann  sprach  wohl  gegen  ihre 
ätiologische  Bedeutung  der  Umstand,  dass  Streptokokken¬ 
infektionen  im  allgemeinen  keine  Immunität  hervorrufen, 
wie  wir  sie  beim  Scharlach  nach  Überstehen  der  Krank¬ 
heit  anzunehmen  gewöhnt  sind,  sondern  im  Gegenteil 
eher  eine  Disposition  zu  Neu  -  Erkrankungen  schaffen; 
allein  es  könnte  sich  vielleicht  um  einen  von  dem  ge¬ 
wöhnlichen  Eiter  -  Streptokokkus  verschiedenen  und  nur 
morphologisch  ihm  ähnlichen  Erreger  handeln.  Versuche 
ihn  mit  unsern  feinen  bakteriologischen  Untersuchungs¬ 
methoden  zu  differenzieren,  sind  allerdings  bisher  nicht 
gelungen  und  die  serologischen  Prüfungen  mittels  Ag¬ 
glutination  und  Komplementbildungsreaktion  haben  seine 
ätiologische  Bedeutung  für  den  Scharlach  nicht  zu  be¬ 
weisen  vermocht.  Interessant  sind,  wie  hier  eingeschaltet 
werden  möge,  die  vereinzelt  bei  Scharlach  und  zwar  nur 
während  der  Erkrankung  gefundenen  positiven  Wasser¬ 
mann-Reaktionen,  die  zuerst  von  Much  in  Hamburg 
angegeben,  dann  lebhaft  bestritten  und  nun  wieder  bei 
der  Untersuchung  von  55  Scharlachpatienten  in  18  Fällen 
von  Jakobowicz  (1904  Jahrb.  f.  Kinderheilkunde 


kann  so  luftdicht  angelegt  werden,  dass  mit  Hülfe  der 
Oberlippe  der  Luftabschluss  erreicht  ist  und  hiermit  die 
Saugefähigkeit  wieder  hergestellt  ist.  Dadurch  ist  es  dem 
Patienten  möglich,  zu  rauchen,  zugleich  ein  Beweis,  wie 
wesentlich  ihm  für  die  Ernährung  damit  geholfen  worden. 

Die  Wiederherstellung  der  Mundfunktionen  durch 
zahnärztliche  Arbeit  hat  den  Patienten  lebensfähig  er¬ 
halten  und  eine  wohltätige  psvchische  Einwirkung  aus¬ 
geübt.  Für  alle,  auch  die  schwersten  Kiefer- Verletzungen 
sind  damit  vertraute  Zahnärzte  hinzuzuziehen,  die  mit 
ihren  technischen  Ilülfsmitteln  den  Erfolg  gewährleisten. 
Der  Chirurg  und  der  Zahnarzt  müssen  Zusammen¬ 
arbeiten. 


Fortschritte  in  der  Erforschung  des  Scharlach. 

Von  Dr.  Julius  S  t  ra  u  ss  -  Mannheim,  z.  Z.  Stabsarzt  am  Reserve¬ 
lazarett  Nürtingen. 

Die  Ätiologie  des  Scharlach  ist  bis  heute  trotz  ein¬ 
gehendster  Forschung  noch  in  Dunkel  gehüllt.  Von  den 
bei  dieser  Erkrankung  mikroskopisch  bisher  nachgewie¬ 
senen  und  als  ursächlich  angenommenen  Bakterien  hat 
sich  keines  in  allen  oder  nur  den  meisten  Fällen  nach- 
weisen  lassen;  aber  alle  Forschungen  haben  die  überaus 
häufige  Anwesenheit  von  Streptokokken  sowohl  im  Blut 
als  im  Nasen-Rachen-Sekret  ergeben.  An  diese  Tatsache 
hat  man  nun  verschiedene  Schlussfolgerungen  geknüpft. 


Bd.  79)  bestätigt  wurden;  die  Reaktion  trat  in  diesen 
Fällen  gewöhnlich  nach  dem  Abklingen  der  akuten  Sym¬ 
ptome  ein  und  verschwand  wieder  nach  Ablauf  der 
Krankheit.  Der  ursächlichen  Bedeutung  der  Strepto¬ 
kokken  suchte  man  durch  das  Tierexperiment  näher  zu 
kommen.  Die  Übertragung  des  Scharlach  -  Virus  auf 
Affen  ist  auf  verschiedene  Art  versucht  worden.  1904 
hatte  Grünbaum  mitgeteilt,  dass  ein  Schimpanse, 
den  er  mit  einem  Tonsillar- Abstrich  von  einem  Scharlach¬ 
kranken  im  Rachen  infiziert  hatte,  an  einer  Angina  ton¬ 
sillaris  und  Roseola  erkrankt  war;  dann  erschienen  1911 
drei  Arbeiten,  die  den  Schluss  gestatteten,  dass  der 
Scharlach  bei  Affen  experimentell  erzeugt  werden  kann. 
Die  Übertragung  war  zum  Teil  mit  dem  Blut  Scharlach¬ 
kranker,  zum  Teil  mit  dem  Zungenbelag  oder  Angina- 
Abstrich  erfolgt;  die  Krankheitssymptome  bei  den  Äffen 
waren  akute  Temperatursteigerungen,  Drüsenschwellung, 
Himbeerzunge  und  eine  nachfolgende  lamellöse  Ab¬ 
schuppung.  Die  Exantheme  selbst  waren  weniger  cha¬ 
rakteristisch.  Von  einer  andern  Seite  fasste  Schleiss- 
ner  seine  Versuche  an  (1915,  Jahrb.  f.  Kinderheilkunde 
Bd.  81):  er  verwendete  lediglich  Reinkulturen  von  Schar¬ 
lachstreptokokken  als  Infektionsmaterial;  die  Stämme 
waren  aus  Leichenblut  eines  am  2.  Tag  verstorbenen  fou- 
droyanten  Scharlachfalles,  aus  dem  Eiter  einer  schweren 
Scharlach-Otitis,  aus  Venenpunktionsblut  und  schliesslich 
von  Scharlach-Anginen  gewonnen.  Als  Infektionsmodus 
wählte  er,  um  den  natürlichen  Verhältnissen  möglichst 


151 


Nr.  16.  FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


nahe  zu  kommen,  die  Einblasung1  der  Kulturen  mittels 
eines  Gebläses  in  Rachen  und  Nase  der  Versuchstiere, 
wobei  besonders  auf  die  Tonsillen  reichlich  Infektions¬ 
material  gebracht  wurde.  Bei  12  von  27  Versuchen  ge¬ 
lang  eine  Infektion,  die  sicli  in  Fieber,  Angina,  Exan¬ 
them  und  Himbeerzunge  äusserte  und  nach  10  —  12  Tagen 
zu  grosslamellöser  Abschuppung  führte  Sämtliche  Tiere 
blieben  am  Leben.  Durch  Einpinselung  ihres  Rachen¬ 
sekrets  war  ihre  Erkrankung  wieder  auf  gesunde  über¬ 
tragbar.  Versuche,  erkrankte  Tiere  zu  reinfizieren,  ge¬ 
langen  nicht,  so  dass  eine  Immunität  zu  bestehen  scheint. 
Ebenso  misslangen  alle  Versuche,  mit  keimfreien  Filtraten 
der  Bouillon-Kulturen  zu  infizieren.  Schl  eissner 
glaubt  damit  die  letzte  der  Koch  sehen  Forderungen 
zum  Nachweis  der  Spezifität  des  Krankheitserregers  er¬ 
bracht  zu  haben.  Immerhin  sind  wohl  seine  positiven 
Erfolge  nicht  zahlreich  und  nicht  eindeutig  genug,  um 
ein  abschliessendes  Urteil  zu  ermöglichen. 

Bei  dieser  Unsicherheit  der  ätiologischen  Grundlage 
steht  der  Theorie  natürlich  noch  reichlich  Spielraum 
zur  Verfügung  und  sie  hat  sich  nach  den  verschiedensten 
Seiten  hin  entwickelt.  Am  gründlichsten  ging  hier 
Szontagh  vor  (1913,  Med.  Klinik  Nr.  41),  der  die 
Spezifität  der  Erkrankung  überhaupt  negiert  und  ihre 
eigentümlichen  Erscheinungen  als  anaphylaktische  Re¬ 
aktionserscheinungen  eines  sensibilisierten  Individuums 
auffasst.  „Wenn  zu  der  einfachen  Angina  noch  Über¬ 
empfindlichkeitserscheinungen  hinzutreten,  so  entsteht 
das  Proteusbild,  das  man  mit  dem  Namen  der  Skarla- 
tina  belegt  hat.  Sie  ist  keine  kontagiöse  Erkrankung, 
wie  ihm  seine  Erfahrung  zeige.  Veranlasst  wird  sie 
durch  einen  ubiquitären  Erreger  bei  besonderer  Dispo¬ 
sition  des  Erkrankten ;  eine  Immunität  gibt  es  nicht.“ 
Im  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  1914,  Bd.  80  kommt 
Szontagh  noch  einmal  auf  seine  Theorie  zurück  in 
einem  Aufsatz  „Das  Kontagiositätsproblem“.  Er  geht 
von  der  Kontagiosität  der  Masern  aus,  die  weder  im 
Stadium  der  Inkubation  noch  der  Rekonvaleszenz  an-' 
steckend  seien;  auch  durch  Gegenstände  seien  sie  nicht 
übertragbar.  Der  Mechanismus  der  Kontagiosität  setze 
also  unbedingt  ein  volabiles  Kontagium  voraus,  die  An¬ 
nahme  eines  lebenden  Giftes  (Bakterien,  Kokken)  reiche 
hierzu  nicht  aus.  Die  Kontagiosität  des  Kranken  be¬ 
ginne  erst  in  dem  Momente,  in  welchem  die  im  Or¬ 
ganismus  entstandenen  Toxine  an  den  Schleimhäuten 
und  der  Haut  ihre  Wirkung  entfalten,  mit  andern 
Worten,  wenn  der  Körper  Sensibilisations- Erscheinungen 
zeige;  das  ansteckende  Agens  müsse  an  die  Reaktions¬ 
körper  gebunden  sein.  Es  sei  also  zur  Übertragung  der 
Krankheit  auf  einen  andern  gleichfalls  eine  Disposition 
Voraussetzung  und  zwar  in  Form  einer  Sensibilisation, 
die  häufig  durch  alimentäre  Störungen  veranlasst  sei. 
Ähnlich  seien  die  Verhältnisse  bei  der  Skarlatina.“  — 
Diese  ketzerischen  Ansichten  müssen  natürlich  den  leb¬ 
haftesten  Widerspruch  hervorrufen,  insbesondere  weil 
mit  ihnen  unsere  sämtlichen  Absonderungs-  und  Des¬ 
infektions-Massnahmen  vollkommen  in  Frage  gestellt 
würden.  Gewiss  müssen  nicht  sämtliche  Menschen  in 
der  Umgebung  eines  Scharlachkranken  von  der  Infektion 
befallen  werden  und  gewiss  ist  ein  Individuum  zeitweise 
der  Infektion  unzugänglich,  ohne  dass  damit  gewähr¬ 
leistet  wäre,  dass  es  nicht  später  einmal  von  der  Krank¬ 
heit  ergriffen  würde.  Das  ist  eben  der  für  jede  In¬ 
fektionserkrankung  vorauszusetzende  Begriff  der  Dis¬ 
position,  dessen  Grundlagen  uns  freilich  noch  nicht  klar 
liegen.  Auch  zur  Erklärung  der  Masern-Kontagiosität 
bedarf  es  wohl  nicht  dieser  komplizierten  Annahme. 
Einmal  sind  doch  einige,  wenn  auch  nicht  sehr  zahlreiche 
Fälle  der  Übertragung  von  Masern  durch  gesunde  Dritte 
nachgewiesen.  Und  zur  Erklärung  der  mangelnden  In¬ 
fektiosität  im  Inkubationsstadium  können  wir  uns  doch 
ganz  gut  in  Analogie  mit  andern  Infektionen  vorstellen, 


dass  es  im  allgemeinen  der  Entwicklung  und  Vermehrung 
der  Keime  im  menschlichen  Körper  bedarf,  um  eine 
Übertragung  auf  andere  zu  ermöglichen  und  dass  diese 
Entwicklung  erst  mit  dem  Auftreten  der  ersten  klinischen 
Symptome  im  Prodromalstadium  gegeben  ist. 

Die  Annahme,  dass  es  bei  Scharlach  keine  Immuni¬ 
tät  und  Infektiosität  gäbe,  steht  doch  in  krassem  Wider¬ 
spruch  zur  alltäglichen  Erfahrung.  Gewiss  kommen 
Zweit-  und  Mehr-Erkrankungen  bei  einem  Individuum 
vor.  In  einem  Aufsatz  von  Lämmerhirt  (1913 
Med.  Klinik  Nr.  37)  wird  erwähnt,  dass  er  unter  etwa 
400  Fällen  3  mal  eine  Neu  -  Erkrankung  gesehen  habe, 
H  e  u  b  n  e  r  unter  358  :  6,  Henoch  nur  1,  Ba¬ 
gin  s  k  y  nur  vereinzelte.  Auch  F  i  s  c  h  1  gibt  an, 
dass  er  in  20  Jahren  nur  1  mal  eine  zweimalige  Er¬ 
krankung  an  Scharlach  gesehen  habe.  Vor  einigen 
fahren  habe  ich  ein  Kind  mit  7  Jahren  an  typischem 
Scharlach  behandelt,  das  ich  3  Jahre  zuvor  an  gleich¬ 
falls  sicherem  Scharlach  in  Behandlung  hatte;  und  ein 
andermal  sah  ich  ein  Rezidiv  bei  einem  3  jährigen  Kind 
in  der  6.  Woche  auftreten,  das  wie  die  vorhergehende 
Erkrankung  ohne  Komplikation  verlief.  Aber  diese 
Vorkommnisse  ausbleibender  Immunität  gehören  zu  den 
Ausnahmen,  von  denen  keiner  unserer  ärztlich  -  wissen¬ 
schaftlichen  Erfahrungssätze  frei  ist.  Für  die  Kontagio¬ 
sität  des  Scharlach  weiss  wohl  jeder  Arzt  Beispiele  an¬ 
zuführen  und  jedes  Krankenhaus  mit  seinen  durch  irr¬ 
tümliche  Scharlach- Aufnahmen  verar.lassten  Haus-Infek¬ 
tionen.  Freilich  darf  dies  wie  gesagt  nicht  dahin  er¬ 
weitert  werden ,  dass  jeder,  der  mit  einem  Scharlach¬ 
kranken  zusammenkommt,  selbst  daran  erkranken  müsse, 
wenn  er  die  Krankheit  nicht  schon  vorher  überstanden 
hat ;  das  ist  ja  glücklicherweise  bei  keiner  Infektions¬ 
krankheit  der  Fall.  Immerhin  ist  soviel  richtig,  dass 
gerade  beim  Scharlach  diese  Verschonung  der  der  In¬ 
fektionsmöglichkeit  Ausgesetzten  und  überhaupt  der 
Modus  der  Weiterverbreitung  ganz  besondere  Eigen¬ 
tümlichkeiten  oft  aufweist.  Es  ist  oft  unmöglich,  die 
Krankheitsquelle  aufzufinden,  auch  wenn  wir  daran 
denken,  dass  die  in  der  Umgebung  Scharlachkranker 
auftretenden  einfachen  Anginen  (an  die  sich  übrigens 
auffallend  häufig  gleichfalls  Nephritis  anschliesst)  die 
Träger  und  Überträger  des  Krankheitskeimes  darstellen 
können.  Wir  wissen  noch  nicht,  ob  und  wie  lange  dieser 
an  leblosen  Gegenständen  haftet  und  mit  ihnen  über¬ 
tragen  wird.  F  i  s  c  h  1  („Vom  Scharlach“  1913  Med. 
Klinik  Nr.  9)  führt  einen  Fall  seiner  Praxis  an,  bei  dem 
er  aus  den  verschiedensten  Gründen  darauf  schliessen 
zu  können  glaubt,  dass  eine  Mutter,  die  etwa  3  W  ochen 
nach  Genesung  ihrer  beiden  Kinder  vom  Scharlach  selbst 
daran  erkrankte,  sich  diese  Infektion  durch  Benützung 
eines  Darm-Irrigators  zugezogen  habe ,  der  vorher  bei 
ihren  kranken  Kindern  in  Gebrauch  gewesen  war.  Auch 
wodurch  ein  Scharlachkranker  die  Infektion  auf  den 
andern  überträgt,  ist  durchaus  nicht  festgestellt.  Dass 
dies  bei  Beginn  der  Krankheit,  in  den  Anfangsstadien, 
viel  weniger  leicht  der  Fall  ist  als  später  zur  Zeit  der 
Rekonvaleszenz,  erhellt  aus  manchen  Erscheinungen.  In 
einer  Einzimmer  -  Wohnung  sah  ich  vor  einigen  Jahren 
das  eine  von  2  Kindern,  ein  3  jähriges  Mädchen,  an  Schar¬ 
lach  erkranken,  ohne  dass  das  andere,  ein  vierjähriger 
Junge  befallen  wurde.  Die  Kinder  waren,  wie  unter 
diesen  Umständen  selbstverständlich,  in  dieser  Zeit  in 
innigster  Berührung  miteinander.  Am  5.  Krankheitstage 
gelang  es  mir  endlich,  die  Mutter  von  der  Notwendig¬ 
keit  zu  überzeugen,  das  erkrankte  Kind  ins  Kranken¬ 
haus  zu  verbringen.  Der  kleine  Junge  blieb  gesund.  Als 
aber  nach  etwa  6  Wochen  das  vollkommen  genesene 
Mädchen  wieder  ins  Haus  resp.  ins  Zimmer  zurückkam, 
erkrankte  am  4.  Tag  ihrer  Heimkehr  auch  der  Junge. 
Ähnliche  Fälle ,  nur  vielleicht  nicht  so  klar  beweisend 
wie  dieser,  sind  ja  als  Heimkehr  -  Fälle  in  der  Literatur 


152 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


ausserordentlich'  häufig  erwähnt.  K  okall.  Stadt- 
pnysikus  in  Brünn,  berichtet  aus  den  Jahren  1908  u.  09 
von  20  Fällen,  in  denen  Kinder  nach  43—50  tägigem 
Spital- Aufenthalt  nach  etwa  5—14  Tagen  zu  Haus  Ge¬ 
schwister  angesteckt  haben,  trotz  eingehender  häuslicher 
Desinfektion.  Auch  B  a  g  i  n  s  k  y  teilte  im  „Verein 
für  innere  Med.“  1912  eine  Reihe  von  Beobachtungen 
mit,  dass  Kinder  nach  6  wöchentlichem  Krankenhaus- 
Aufenthalt  zu  Haus  Infektionen  verursachten.  Da  man 
glaubte,  dass  vielleicht  die  Abschuppung  das  Krankheits¬ 
gift  weiter  verbreitete,  hat  man  eine  möglichste  Des¬ 
infektion  der  äussern  Haut  durch  Seifenwaschungen, 
Sublimatbäder  usw.  vörzunehmen  gesucht  und  insbe¬ 
sondere  in  England  hat  M  i  1  n  e  durch  Einreibungen 
des  ganzen  Körpers  mit  Eukalyptus-Öl  diese  Heimkehr¬ 
fälle  zu  verhüten  gesucht.  Allein  eingehende  Nachunter¬ 
suchungen  mit  diesem  Mittel  zeigten  die  Erfolglosigkeit 
des  Verfahrens  und  es  ist  wohl  anzunehmen,  dass  die 
Erreger  hauptsächlich  im  Nasenrachenraum  der  Genesen¬ 
den  sich  aufhalten.  Seine  Reinhaltung  durch  Gurge¬ 
lungen  und  Spülungen  vUird  daher  möglichst  ange¬ 
strebt. 

Es  ist  klar,  dass  gerade  bei  einer  Krankheit,  deren 
spezifischer  Erreger  noch  nicht  festgestellt  ist  und  deren 
Identität  deshalb  nicht  bakteriologisch  bewiesen  werden 
kann,  um  so  mehr  Wert  auf  die  klinischen  Erscheinungen 
gelegt  werden  muss  und  dass  diese  zu  diagnostischen 
Zwecken  deshalb  aufs  eingehendste  untersucht  werden, 
insbesondere  mit  Rücksicht  darauf,  ob  nicht  die  eine 
oder  andere  Krankheitserscheinung  als  pathognomonisch 
angesehen  werden  könnte.  Ich  möchte  in  dieser  Arbeit, 
die  in  erster  Linie  die  Erforschungen  der  letzten  Jahre 
berücksichtigen  will,  von  der  Betrachtung  der  altbe¬ 
kannten  klassischen  Erscheinungen  des  Scharlach  ab- 
sehen:  dem  plötzlichen  Beginn  mit  hohem  Fieber,  Er¬ 
brechen,  Angina,  Drüsenschwellungen ,  dem  En-  und 
Exanthem ,  Himbeerzunge  usw.  Sehr  häufig  ist  die 
Frage  zu  entscheiden,  ob  ein  vorhandenes  Exanthem 
ein  arzneiliches,  ein  septisches  oder  sonst  infektiöses, 
ein  Serum  -  Exanthem  ist  oder  ob  es  sich  um  Scharlach 
handelt.  U  m  b  e  r  hat  1912  (Med.  Klinik  Nr.  8)  die 
Urobilinogen  -  Reaktion  des  Harns  zu  diesem  Zweck 
empfohlen  in  Form  der  Ehrlich’  sehen  Amidobenzal- 
dehyd-Reaktion.  10  Tropfen  des  Reagens  zu  10  ccm 
frisch  gelassenen  Urins  hinzugefügt  färbt  diese  in  der 
Kälte  schön  rot.  Er  fand  die  Reaktion  zum  Unterschied 
bei  sonstigen  Exanthemen  in  96  %  der  Scharlach-Fälle 
positiv  und  H  esse  aus  der  Joch  m  a  n  n  ’  sehen 
Klinik  bestätigt  die  Wichtigkeit  dieser  Urobilinogen- 
Reaktion  zur  Differentiaidiagnose. 

Es  hängt  diese  Reaktion  höchstwahrscheinlich  mit 
einer  anderen  Beobachtung  zusammen,  auf  die  Rach- 
R  e  u  s  s  in  einer  Arbeit  über  „Scharlach  und  Ikterus“  hin¬ 
gewiesen  haben.  Sie  finden  fast  regelmässig  bei  wSchar- 
lach  eine  ikterische  Verfärbung,  eine  Gelbtönung  der 
Haut,  die  auf  dem  Höhepunkt  des  Ausschlags  am  deut¬ 
lichsten  ist  und  dann  allmählich  verschwindet.  Sie  bildet 
eine  wesentliche  Komponente  der  typischen  Scharlach¬ 
farbe.  Sie  ist  wohl  einerseits  auf  eine  Leberschädigung, 
andrerseits  auf  einen  erhöhten  Zerfall  von  roten  Blut¬ 
körperchen  insbesondere  in  der  Haut  zurückzuführen. 
In  der  Tat  gelang  es  mir,  seitdem  ich  darauf  achtete, 
in  den  meisten  Fällen  ausgesprochenen  Scharlach-Exan¬ 
thems  diesen  leichten  gelblichen  Schimmer  auf  seinem 
Höhestadium  zu  konstatieren.  Übrigens^  enthalten  die 
Lehrbücher  schon  seit  H  e  n  o  c  h  den  Hinweis  auf  diese 
Gelbtönung  des  Scharlach- Ausschlags. 

Eine- weitere  differentialdiagnostische  Handhabe  bot 
Döhle  mit  der  Bekanntgabe  der  Leukozvten-Ein- 
schlüsse.  Als  solche  beschrieb  er  1911  eigentümliche 
Einschlüsse,  die  er  bei  Scharlach-Kranken  in  den  poly¬ 
nukleären  Leukozyten  fand  und  die  er  für  pathognomo- 


Nr.  16. 


nisch  hielt.  Die  Einschlüsse  haben  verschiedene  Form, 
bald  kleine  und  grössere  kugelige  Körperchen,  bald 
mehr  längliche  Stäbchen  oder  halbmondförmige  Gebilde, 
meist  mehrere  (2 — 4)  in  einem  Leukozyten.  Sie  treten 
bald  nach  Beginn  der  Erkrankung  auf,  nehmen  nach 
dem  3.  Tag  ab  und  verschwinden  meist  nach  dem  10. 

Tag.  Sie  sind  als  Reaktionsprodukte  der  Zelle  auf 
toxische  Produkte  der  Bakterien  aufzufassen,  vielleicht 
auch  als  Zerfallsprodukte  von  Spirochäten.  Döhle 
spricht  sich  über  ihre  diagnostische  Bedeutung  dahin 
aus  :  Finden  sich  im  Blut  von  scharlachverdächtigen 
Kranken,  das  in  den  ersten  Tagen  nach  Ausbruch  der 
Krankheit  zur  Untersuchung  kommt,  die  Leukozyten- 
Einschliisse  nicht,  so  ist  es  kein  Scharlach  ;  finden  sie 
sich,  so  ist  es  höchstwahrscheinlich  Scharlach.  Mit  dieser 
Einschränkung  nach  der  positiven  Seite  hin  wird  der 
Wert  dieses  diagnostischen  Hilfsmittels  auch  von  den 
meisten  Nachuntersuchern  bestätigt.  Resanoff 
(1914)  kommt  nach  Untersuchungen  an  646  Kindern 
(darunter  325  Scharlachkranken)  zu  dem  Schluss,  dass 
der  positive  Befund  zur  Diagnose  nicht  genügt,  dass 
aber  der  negative  mit  ziemlicher  Sicherheit  gegen  Schar¬ 
lach  spreche;  auch  Isenschmid  und  S  ehe¬ 
rn  e  n  s  k  y  kommen  bei  ihren  Untersuchungen  zu  dem¬ 
selben  Resultat.  Auch  dem  sonstigen  Verhalten  des 
Blutbild  _s  bei  Scharlach  hat  man  vermehrte  Aufmerk¬ 
samkeit  geschenkt  und  Roth  bestätigt  in  seinen  „zyto- 
logischen  Untersuchungen  bei  Scharlach“  die  schon  früher 
festgestellte  Tatsache,  dass  in  den  meisten  Fällen  eine 
beträchtliche  Vermehrung  der  eosinophilen  Leukozyten 
bestehe,  während  von  einer  allgemeinen  Leukozytose 
nicht  gesprochen  werden  kann. 

Des  weiteren  hat  dann  L  e  e  d  e  ein  differential- 
diagnostisches  Merkmal  für  Scharlach  angeben  zu  können 
geglaubt,  das  in  der  Literatur  als  das  Rumpel- 
L  e  e  d  e  ’  sehe  Zeichen  vermerkt  wird.  Er  staut  den 
Arm  des  Patienten  10 — 15  Minuten  lang  wie  bei  Bier’ 
scher  Stauung.  In  der  Haut  der  Ellenbeuge  finden  sich 
alsdann  zahlreiche  Petechieen.  Ein  negativer  Ausfall 
der  Probe  soll  auch  hier  last  sicher  gegen  Scharlach 
sprechen,  der  positive  kann  nur  im  Zusammenhang  mit 
andern  Symptomen  zur  Diagnose  des  Scharlach  ver¬ 
wendet  werden.  Übrigens  machte  schon  v.  P  i  r  q  u  et 
im  Abschnitt  „Scharlach“  des  Pfaundler- 
Schlossmann  ’  sehen  Handbuches  1906  darauf 
aufmerksam,  dass  man  manchmal  in  den  Falten  der 
Haut  (Achsel,  Ellenbogen)  feinste  Blutpunkte  bemerke, 
die  rein  mechanisch  zu  erklären  seien.  „Man  kann  diese 
Erscheinung  sehr  gut  künstlich  hervorrufen,  wenn  man 
zwischen  beide  Daumen  und  Zeigefinger  einen  Haut¬ 
kegel  aufhebt  und  presst.  Die  Haut  gesunder  Kinder 
muss  man  sehr  stark  kneifen,  um  eine  Blutung  hervor¬ 
zurufen  ;  jede  hyperämische  Haut  aber  gibt  solche 
Blutungen,  wenn  auch  nicht  so  leicht  als  die  Haut  beim 
Scharlach.  Der  Unterschied  ist  aber  nicht  genügend 
markant,  um  dieses  Symptom  differentialdiagnostisch  ver¬ 
werten  zu  können.“ 

Feer  machte  auf  die  sog.  Nagellinie  aufmerk¬ 
sam,  eine  quer  vom  Nagelbett  aus  gegen  die  Peripherie 
vorrückende  Riefe,  welche  sich  mit  beginnender  Des¬ 
quamation  bildet  und  diese  um  Monate  überdauert,  so 
dass  aus  ihrem  Vorhandensein  retrospektive  auf  über¬ 
standenen  Scharlach  geschlossen  werden  könne.  Allein 
F  i  s  c  h  1  hält  dieses  Zeichen  nicht  für  verlässlich,  da 
es  bei  Scharlach  oft  vermisst  und  von  ihm  z.  B.  bei 
Typhus  beobachtet  wurde.  Übrigens  sagt  Feer  selbst 
in  seinem  Lehrbuch  (1914),  dass  man  ähnliche  Nagel¬ 
veränderungen  nach  vielen  akuten  Krankheiten  sieht, 
aber  selten  so  ausgesprochen  Ihre  Gegenwart  kann 
z.  B.  bei  Nephritis  Bedeutung  erlangen  zur  nachträg¬ 
lichen  Diagnose  von  Scharlach. 

So  kann  man  keinem  dieser  von  verschiedenen 


Nr.  16. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


1 53 


Forschern  angegebenen  Zeichen  eine  direkt  beweisende 
Bedeutung  für  die  Diagnose  des  Scharlach  zusprechen 
Die  eigentümliche  Verlaufsform  des  Scharlachs,  bei 
dem  so  häufig  scheinbar  unabhängig  vom  Verlauf  der 
ersten  Attacke  und  durch  einen  gesunden  Intervall  von 
ihr  getrennt  in  der  3.  Woche  neue  und  unerwartete 
Krankheitszeichen  auftreten ,  haben  immer  wieder  zu 
neuen  Theorien  als  Erklärung  dieses  merkwürdigen  Ver¬ 
laufs  geführt;  die  alte  Anschauung,  dass  die  Nephritis 
durch  die  Ausscheidung  der  Krankheitprodukte  entstehe, 
genügte  nicht  mehr,  als  man  fand,  dass  gleichzeitig  mit 
ihr  oder  auch  ohne  sie  andere  Symptome  auftreten 
können.  Cederberg  (1914  Berl.  Kl.  W.  Nr.  2) 
erklärt  die  primären  Symptome  als  toxische,  vom  Pri- 
mär-Affekt  ausgegangene,  die  späteren  als  durch  Anti¬ 
körper  veranlasst.  Am  eingehendsten  betrachteten  diese 
Verhältnisse  P  o  s  p  i  s  c  h  i  1  1  und  W  e  i  s  s  in  einer 
grösseren  Arbeit  über  Scharlach.  Sie  fassen  diese 
Krankheit  als  eine  rekurrierende  auf,  ohne  sich  über 
den  Modus  näher  zu  äussern  oder  eine  Erklärung-  dafür 
zu  versuchen.  Nach  Ablauf  der  meist  kurz  dauernden 
Störungen  des  Krankheitsbeginns  tritt,  so  ist  ihre  Auf¬ 
fassung,  eine  Ruhepause  in  allen  Krankheitsäusserungen 
ein  ;  es  erscheint  das  charakteristische  „grosse  Intervall“. 
Dann  wird  das  Kind  von  neuem  krank  :  sie  nennen  dies 
„das  zweite  Kranksein“,  in  welchem  die  Nephritis  nur 
eine  Teilerscheinung  ist.  Diese  wie  alles  übrige  darin, 
ist  keine  Nachkrankheit,  sondern  die  Scharlacherkrankung 
selbst,  die  noch  in  vollem  Gange  ist.  Hierher  gehören 
1.  Fieber,  2.  Drüsenschwellungen,  3.  Veränderungen  des 
Rachens,  4.  Nephritis,  5.  das  Scharlach-Herz.  Es  ist 
jedenfalls  ausserordentlich  verdienstlich,  die  Aufmerk¬ 
samkeit  auf  die  verschiedenen  Formen  der  Gefahren  in 
dieser  Zeit  des  Scharlachs  zu  lenken ,  die  sich  bisher 
fast  allein  auf  die  Nieren  konzentriert  hatte.  Gerade 
mit  Bezug  auf  ihre  Erkrankung  haben  die  Arbeiten  dieser 
Forscher,  übrigens  in  Bestätigung  früherer  Angaben,  an 
einem  grossen  Material  von  1372  frischen  Scharlach¬ 
fällen  den  Beweis  zu  erbringen  gesucht,  dass  die  Diät, 
insbesondere  die  fleischlose  Diät,  ohne  jeden  Einfluss  auf 
die  Verhütung  der  Scharlach  -  Nephritis  sei.  Sie  haben 
von  den  1372  Fällen  die  Hälfte  mit  Milchdiät,  die  Hälfte 
mit  Fleischdiät  (Suppe,  Braten,  gesottenes  Fleisch)  er¬ 
nährt  und  zwar  alternierend  je  nach  der  Aufnahme; 
dabei  zeigte  sich  keinerlei  Unterschied  bezüglich  der 
Entstehung  der  Nephritis;  die  Verfasser  kommen  daher 
zu  dem  Schlüsse,  dass  wir  keinerlei  Einfluss  auf  die 
Verhütung  dieser  Komplikation  hätten.  Trotz  des  Be¬ 
weiswertes  dieser  grossen  Zahlen  möchte  ich  aus  prak¬ 
tischen  F'rfahrungen  heraus  dieser  Ansicht  nicht  bei¬ 
treten.  Denn  auffallend  schwere  Formen  von  Scharlach- 
Nephritis,  zum  Teil  mit  anschliessender  Urämie,  und  im 
Verhältnis  zu  den  behandelten  Scharlachfällen  eine  auf¬ 
fallend  grosse  Zahl  sah  ich  bei  solchen  Kindern,  deren 
Scharlach  von  den  Eltern  nicht  erkannt  und  die  daher 
ohne  therapeutische  Behandlung,  insbesondere  auch  ohne 
Bettruhe  und  Diät  geblieben  waren.  Im  Einklang  mit 
der  Meinung  der  beiden  Forscher  würde  eine  Unter¬ 
suchung  B  o  d  e  ’  s  stehen  (1914  Jahrb.  f.  Kdh.  Bd.  79); 
er  hat  unter  3500  Scharlachfällen,  die  im  Laufe  der 
Jahre  1899  -  1912  im  Rigaer  Kinderspital  behandelt 
wurden  ,  die  Verteilung  der  Nephritis  in  360  Familien 
mit  830  Gliedern  untersucht  und  konnte  dabei  eine 
zweifellose  Familiendisposition  konstatieren,  eine  Tat¬ 
sache,  auf  die  vor  ihm  M  a  t  h  e  s  an  der  Hand  von 
3000  Fällen  des  Hamburg -Eppendorfer  Krankenhauses 
hingewiesen  hatte.  Er  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  es 
Familien  gibt,  in  denen  die  Scharlach-Nephritis  gehäuft 
vorkommt.  Da1|  Beobachtungen  bei  Infektionen  ge¬ 
schlossener  Kreise  (Anstalten,  Waisenhaus)  nicht  dafür 
sprechen,  dass  etwa  die  [gleichartige  Qualität  des  infi¬ 
zierenden  Virus  für  dieses  gehäufte  Auftreten  der  Schar¬ 


lach-Nephritis  in  bestimmten  Familien  in  Frage  komme, 
glaubt  er,  dass  die  familiäre  Disposition  in  Form  here¬ 
ditärer  Nierenschwäche  hierbei  eine  Rolle  spiele. 

Die  Frage  des  Einflusses  der  Diät  auf  den  Verlauf 
des  Scharlach  führt  uns  bereits  hinüber  auf  das  Gebiet 
der  Therapie.  Eine  Reihe  neuer  Heilmittel  wurden  in 
den  letzten  Jahren  in  ihrer  Einwirkung  auf  den  Verlauf 
des  Scharlach  geprüft.  So  haben  Hirschfelder 
und  S  c  h  1  u  t  z  das  Äthvlhydrocuprein  (Optochin)  ver¬ 
sucht  (Berl.  Kl.  W.  1915  Nr.  38),  ohne  einen  Einfluss 
auf  den  Verlauf  insbesondere  auf  die  Fieberdauer  kon¬ 
statieren  zu  können.  Daiber  (Med.  Kl.  1911,  Nr.  10) 
empfahl  Jodipin-Einspritzungen ,  doch  sind  seine  Beob¬ 
achtungen  zu  wenig  eingehend,  um  irgendwelche  Be¬ 
weiskraft  zu  haben.  Dann  hat  man  vor  allem  das  Sal- 
varsan  in  den  Bereich  der  Scharlach-Therapie  zu  ziehen 
versucht.  Glaser  (Deutsche  med.  W.  1914,  Nr.  38) 
meint,  dass  drei  Tatsachen  die  Behandlungsversuche  des 
Scharlach  mit  Salvarsan  rechtfertigen  :  Der  in  manchen 
Fällen  positive  Ausfall  der  Wassermann'  sehen 
Reaktion  auf  der  Höhe  der  Krankheit,  die  gute  Be¬ 
einflussung  schwerer  nekrotischer  Entzündungsprozesse 
im  Rachen  wie  der  Angina  Vincenti  durch  das  Salvar¬ 
san  und  die  Erfolge  des  Mittels  bei  verschiedenen  Pro- 
tozoen-Krankheiten,  da  möglicherweise  auch  der  Schar¬ 
lach-Erreger  unter  sie  zu  zählen  sei.  Er  sah  bei  der 
Dosierung  von  0,1  g  Salvarsan  auf  10  kg  Körpergewicht, 
z.  T.  intravenös  z.  T.  subkutan  verabreicht,  einen 
günstigen  Einfluss  auf  die  Scharlach  -  Angina ,  auf  das 
Fieber  und  die  Benommenheit,  keine  Beeinflussung  der 
Komplikationen ,  insbesondere  nicht  der  septischen  Er¬ 
scheinungen.  Als  unangenehme  Neben  -  Erscheinungen 
beobachtete  er  in  der  Hälfte  der  Fälle  Schüttelfrost, 
Erbrechen  und  Durchfall.  Vor  ihm  hatte  insbesondere 
L  e  n  z  m  a  n  n  bei  20  schweren  Fällen  die  intravenöse 
Applikation  von  Salvarsan  vorgenommen  und  dabei 
gleichfalls  lytischen  Temperaturabfall,  Besserung  des 
Allgemeinbefindens,  insbesondere  aber  schnelle  Abhei¬ 
lung  der  Rachenaffektion  und  Verhütung  weiterer 
Komplikationen  feststellen  zu  können  geglaubt.  Auch 
Kle  mperer  bei  Behandlung  von  39  Fällen  und 
Jochmann  bei  117  Fällen  bestätigten  den  günstigen 
Einfluss  des  Salvarsan  auf  den  Verlauf  der  nekrotischen 
Angina  bei  Scharlach,  ohne  dass  sie  eine  Beeinflussung 
des  Auftretens  von  Nachkrankheiten  hätten  beobachten 
können.  L  e  n  z  m  a  n  n  hat  dann  1914  in  der  Iher. 
d.  Ggw.  über  47  schwere  Fälle  berichtet,  die  unter  An¬ 
wendung  von  Neosalvarsan  bis  auf  2  zur  Heilung  kamen. 
Er  gab  davon  0,15  intravenös  täglich  oder  jeden  2.  1  ag, 
bis  ein  deutlicher  Erfolg  eintrat ,  höchste  Gesamt¬ 
menge  0,8. 

Sehr  pessimistisch  spricht  sich  B  a  r  asch  (D.  med. 
W.  1915  Nr.  1)  über  unsere  therapeutische  Beeinflussung 
des  Scharlach  im  Hinblick  auf  seine  „Zehn  Jahre  der 
Scharlachstatistik“  aus,  da  er  von  keinem  Mittel  eine 
wesentliche  Beeinträchtigung  der  Mortalität  konstatieren 
kann. 

Bei  dieser  Sachlage  dachte  man  schon  längst  daran, 
eine  Serum  -  Behandlung  des  Scharlach  zu  versuchen. 
Und  es  sind  in  dieser  Beziehung  hauptsächlich  zwei  Wege 
beschritten  worden.  Einmal  ging  man  von  der  Über¬ 
zeugung  der  Streptokokken-Infektion  beim  Scharlach  aus 
und  versuchte  die  Wirkung  spezieller  Streptokokken- 
Sera,  dies  ist  der  Weg  hauptsächlich  Mosers  und 
A  r  o  n  s  o  n  s.  Zum  andern  versuchte  man  mit  Rück¬ 
sicht  auf  unsere  Unkenntnis  des  Erregers  das  Serum 
von  Scharlach  -  Rekonvaleszenten  zur  Heilung  frischer 
Fälle  zu  verwenden. 

Die  Erfolge  mit  dem  Moserschen  Serum  erscheinen 
nicht  gerade  absolut  beweisend,  aber  doch  höchst  be¬ 
achtenswert.  Moser  ging  bei  der  Darstellung  seines 
Serums  von  der  Vorstellung  aus,  dass  die  Streptokokken 


154 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr  16. 


des  .Scharlachs  eine  Gruppe  mit  spezifischen  Eigen¬ 
schalten  darstellen.  Er  verwendete  daher  zur  Immuni¬ 
sierung  der  Pferde  nur  solche  Streptokokken,  welche 
aus  dem  Herzblute  von  an  Scharlach  Verstorbenen  rein 
gezüchtet  sind.  Er  züchtet  den  Streptokokkus  zum  Un¬ 
terschied  vom  Serum  Aronsons  auf  der  Bouillon  ohne 
Tierpassage  weiter,  um  zu  vermeiden,  dass  derselbe  in 
seinen  Eigenschaften  verändert  werde. 

Ein  Nachteil,  der  dem  Moser  sehen  Serum  bis 
jetzt  anhaftet,  sind  die  grossen  Dosen  (mindestens  200  g), 
welche  noch  zur  deutlichen  Heilwirkung  notwendig  sind 
und  die  eine  häufige  Entstellung  der  Serum  -  Krankheit 
zur  Folge  haben.  Schick  berichtet  daher  von  der 
V  iener  Klinik,  dass  er  dort  nur  in  den  schwersten 
Fällen  das  Serum  anwende,  dass  er  aber  unzweifelhaft 
günstige  Erfolge  davon  gesehen  habe;  insbesondere  sei 
seine  Wirkung  auffallend  gut  bei  den  rein  toxischen 
Fällen,  doch  müsse  die  Injektion  in  den  ersten  3  Krank¬ 
heitstagen  vorgenommen  werden.  Zuletzt  hat  noch 
Axenow  im  Jahrb.  f.  Kdh.  1915,  Bd.  81  über  1335 
Fälle  des  Petersburger  Kinderspitals  berichtet,  die  mit 
dem  M  o  s  e  r  sehen  Serum  1905-  13  behandelt  wurden, 
von  im  ganzen  21  000  aufgenommenen  Scharlachfällen. 
Von  den  Behandelten  starben  2 7,3  °/0,  eine  an  sich  ge¬ 
wiss  hohe  Zahl,  aber  doch  günstig  insofern,  als  nur  die 
Kinder  mit  schlechter  Prognose  mit  Serum  behandelt 
wurden.  Er  verlangt  gleichfalls  zur  Erzielung  einer 
Wirkung  Anwendung  in  den  ersten  3  Tagen  in  einer 
Menge  von  nicht  unter  150  ebem,  die  auf  einmal  appli¬ 
ziert  werden  soll.  Unter  diesen  Bedingungen  sah  er  Ab¬ 
fall  der  Temperatur,  Besserung  des  Allgemeinzustandes, 
des  Pulses  und  der  Atmung,  dagegen  keine  Beeinflussung 
der  Komplikationen. 

Noch  vielversprechender  sind  die  Versuche  mit  Re¬ 
konvaleszenten  -  Serum,  die  insbesondere  an  der  Frank¬ 
furter  medizinischen  Universitäts  -  Klinik  vorgenommen 
wurden.  Re  iss  und  Mertz  haben  zuletzt  darüber 
in  der  Münchn.  Med.  Woch.  1915,  Nr.  35  ausführlich  be¬ 
richtet.  Als  Indikation  für  die  Anwendung  des  Serums 
gilt  nur  die  primäre  Scharlach  -  Intoxikation  und  zwar 
wurden  vom  1.  8.  14  bis  1.  8.  15  von  413  Scharlach¬ 
fällen  nur  33  akut  toxische  mit  Serum  behandelt  (3  Todes¬ 
fälle,  wovon  jedoch  2  bei  der  Beurteilung  ausscheiden). 
Das  Hauptmerkmal  für  die  Wirkung  des  Serums  war 
die  völlige  Umkehr  des  Gesamtzustandes  :  die  Zyanose 
verschwand,  der  Puls  wurde  kräftig,  regelmässiger  und 
weniger  frequent,  die  Atmung  ruhig,  das  Bewusstsein 
hellte  sich  auf.  Die  Temperatur  fiel  nach  1  — 14  Stun¬ 
den  kritisch  ab,  um  meistenteils  fast  normal  zu  bleiben. 
Die  Infusion  erfolgte  intravenös  in  Menge  von  50  bis 
100  ccm.  Auch  mit  Normal-Serum  trat  Erfolg  ein,  aber 
nicht  so  prompt ;  ebenso  in  2  Fällen  mit  Moser-Serum, 
wobei  jedoch  ein  Serum  -  Exanthem  auftrat.  Bei  allen 
Injektionen  trat  1/4-'1/2  Stunde  post  inj.  Schüttelfrost  auf, 
der  in  3  Fällen  zu  vorübergehendem  Kollaps  führte. 
Bei  der  Methode  der  Herstellung  und  Verabreichung  ist 
bemerkenswert:  Als  Blutspender  benutzt  man  Scharlach¬ 
rekonvaleszenten  der  3.  bis  4.  Krankheitswoche  (18.  bis 
24.  Tag),  die  sonst  gesund  insbesondere  frei  von  Lues 
und  Tuberkulose  sind,  deren  Verlauf  nicht  septisch  war 
und  die  seit  einiger  Zeit  fieberfrei  sind.  Man  entnimmt 
der  Armvene  bei  Kindern  100,  bei  Erwachsenen  200  ccm 
Blut  mittels  Kanüle  von  mittlerem  Kaliber  direkt  in 
Zentrifugengläser  unter  peinlichster  Asepsis.  Nach  1  stün- 
digem  Zentrifugieren  wird  das  Serum  abpipettiert  und 
in  einem  sterilen  Glaskolben  gesammelt,  dann  je  25  bis 
50  ccm  in  sterilen  Glasampullen  unter  Zusatz  von  5  Trop¬ 
fen  5  proz.  Karbollösung  eingeschmolzen,  nachdem  vor¬ 
her  eine  Probe  zur  Prüfung  der  Sterilität  entnommen 
ist.  Im  Eisschrank  aufbewahrt  kann  das  Serum  bis  zu 
4  Monaten  benutzt  werden.  Die  Infusion  des  Serums 
muss  intravenös  erfolgen,  50  ccm  beim  Kinde,  mehr  je 


nach  der  Schwere  des  Falles.  Ihre  Technik  wird  von 
den  Verfassern  genau  angegeben.  Als  Indikation  wird 
noch  einmal  der  schwere  Zustand  des  primären  Schar¬ 
lach  angegeben,  bestehend  im  V ersagen  des  Zirkulations- 
Apparates  und  schwerer  Beeinträchtigung  der  psychischen 
Funktionen,  während  die  sekundären  Komplikationen 
(Drüsen-Abszesse,  Endokarditis,  Urämie)  durch  das  Serum 
nicht  beeinflusst  werden.  Als  Zeit  sind  die  ersten  4  bis 
5  Tage  der  Erkrankung  als  geeignet  zur  Injektion  an¬ 
zusehen. 

Wenn  auch  diese  günstigen  Resultate  einer  Rekon¬ 
valeszenten  -  Serum  -  Therapie  noch  der  weiteren  Be¬ 
stätigung  bedürfen  und  der  Wirkungskreis  dieser  Me¬ 
thode  von  vornherein  ein  beschränkter  zu  sein  scheint, 
so  sind  sie  doch  ausserordentlich  wertvoll,  da  sie  die 
Hoffnung  auf  Hilfe  eröffnen  gerade  für  die  Fälle,  denen 
gegenüber  unsere  Ohnmacht  uns  bisher  am  deutlichsten 
zum  Bewusstsein  kommt 


Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische  Übersicht  von  Dr.  B  1  ü  m  e  1 ,  Halle  a.  S.,  Spezialarzt  für 
Hals-  und  Lungenkrankheiten. 

Fortsetzung. 

Auf  die  Schädlichkeiten  des  Alkoholismus 
wird  von  Knoll  (9)  und  Holitscher  (14)  hinge¬ 
wiesen.  In  Trinkerfamilisn  fand  der  erste  öfter  schlechte 
Wohnungen,  schlechte  Lebenshaltung  und  Tuberkulose. 
Holitscher  fand,  dass  Trinker,  d.  h.  solche,  die 
täglich  3  Liter  Bier  oder  gleiche  Mengen  Alkohol  in 
Form  von  Schnaps  zu  sich  nehmen,  im  Alter  von  16 
bis  25  Jahren  unter  tuberkulösen  Heilstättenpfleglingen 
nur  5  Proz.  sind,  im  Alter  von  25  —  30  Jahren  20,5  Proz., 
zwischen  35  und  45  Jahren  39  Proz.  und  über  45  Jahre 
64  Pro  z.,  d.  h.  der  Tuberkulöse  wird  in  den  meisten 
Fällen  nicht  Alkoholiker,  aber  der  Alkoholiker  läuft  Ge¬ 
fahr,  tuberkulös  zu  werden,  weil  seine  Widerstandsfähig¬ 
keit  gegen  die  Tuberkulose  im  höheren  Alter  sehr  stark 
abnimmt.  Die  Nüchternheit  ist  auch  der  Grund,  wes¬ 
halb  bei  Frauen  im  höheren  Alter  die  Sterblichkeit  viel 
geringer  ist  als  beim  Manne. 

Sehen  wir  im  Alkoholismus  der  Eltern  auch  für  die 
Kinder  eine  wesentlich  grössere  Krankheitsbereitschaft 
für  Tuberkulose,  so  verschlechtert  erbliche  Belastung 
mit  Tuberkulose  allein  nach  Curschmann  (15)  die 
Prognose  durchaus  nicht.  In  Friedrichsheim 
machten  die  erblich  Belasteten  20  Proz.  aus,  standen 
aber  nicht  anders  da  wie  die  Nichtbelasteten.  Nach 
Curschmann  prädisponiert  zwar  die 
hereditäre  Belastung  für  die  Erwerbung 
der  Tuberkulose,  fördert  aber  gleich¬ 
zeitig  das  Weiterschreiten  der  erwor¬ 
benen  Krankheit  nicht.  Nein,  eher  begünstigt 
sie  die  Besserung  und  Heilung.  Curschmann 
nimmt  daher  an,  dass  bei  den  sogenannten  Belasteten 
eine  von  den  Eltern  überkommene,  oder  auch  vielleicht 
durch  öftere  kleine,  wieder  überwundene  Infektionen 
erworbene  immuntätsfördernde  Eigenschaft  besteht. 
Andererseits  werden  allerdings  diese  Immunitäts¬ 
bestrebungen  des  Organismus  infolge  der  erhöhten  Ex¬ 
position  gelegentlich  durch  massive  Infektionen  gestört, 
die  zur  manifesten  Erkrankung  führen. 

H  a  r  t  ’s  Feststellungen  über  die  Disposition 
der  Lungenspitzen  zur  Tuberkulose 
werden  von  Küchen  hoff  (16)  zu  stützen  gesucht. 
Nach  ihm  führen  der  hohlrunde  und  der  runde  Rücken 
zu  leichten  kyphotischen  Krümmungen  des  oberen  Teiles 
der  Brustwirbelsäule  und  damit  zur  Raumbeeinträchtigung 
der  Lungenspitzen.  Die  Folge  ist  eine  persistierende 


Nr.  16. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


155 


Schmorl  ’sche  Rinne  und  die  Birch-Hirsch- 
f  e  1  d  ’  sehe  Verkrümmung  des  hinteren  oberen  Spitzen¬ 
bronchus.  Die  tuberkulöse  Infektion  der  Lungen  erfolgt 
auch  duichaus  nicht  immer  in  der  Spitze.  Die  Spitzen¬ 
tuberkulose  zeigt  aber  sehr  oft  die  Neigung  voranzu¬ 
schreiten,  während  die  primäre  Tuberkulose  der  übrigen 
Teile  meistens  zur  Ausheilung  neigt.  Die  Gründe  dafür 
müssen  hauptsächlich  in  mechanischen  Verhältnissen 
liegen. 

Einen  neuen  Beitrag  zur  Pathologie  der  Tuberkulose 
liefert  Hart  (17).  Er  fand  bei  63,4  Proz.  der  Sek¬ 
tionen  kranke  Lungenspitzen.  (Lubarsch:  62,2  Proz., 
Arth  68  Proz.,  Beitzke  51,4  Proz.)  Die  Unter¬ 
schiede  erkären  sich  aus  örtlichen  Verschiedenheiten. 
Wichtig  ist,  dass  nicht  wie  durch  N  a  e  g  e  1  i  bei  fast 
allen  Sektionen  von  Erwachsenen  Tuberkuloseerschei¬ 
nungen  gefunden  wurden.  In  der  Hälfte  der  Fälle  fand 
Hart  geheilte  und  latente  Tuberkulose,  in  den  anderen 
fortschreitende.  Im  höheren  Alter  kamen  kaum  noch 
progrediente,  sondern  meistens  nur  noch  latente  F'älle 
vor.  Die  Tuberkuloseinfektion  ist  also  um  so  ungefähr¬ 
licher,  je  vorgeschrittener  das  Lebensalter  ist,  in  dem 
sie  einen  Menschen  befällt.  Römer’s  Ansichten 
können  ganz  zu  Recht  bestehen,  denn  die  gefundenen 
Spitzenherde  waren  vielfach  jünger.  Am  meisten 
sprechen  mechanische  Verhältnisse  für 
die  erhobenen  Befunde. 

2.  Diagnostik. 

In  der  Tuberkulindiagnostik  wird  in 
letzter  Zeit  von  den  verschiedenen  Formen  wieder  mehr 
die  subkutane  bevorzugt.  Die  Reaktion  am 
Krankheitsherd  wäre  das  Einzige,  das  diese 
Bevorzugung  rechtfertigen  kann  Ich  sah  sie  nicht  oft 
genug,  um  mich  nicht  in  den  meisten  Fällen  mit  der 
Pirquet  sehen  Hautprobe  begnügen  zu  können. 
Auffällig  ist,  dass  auf  eine  Rundfrage  der  „Medizinischen 
Klinik“  die  Mehrzahl  der  Autoren  antwortete,  dass  sie 
auf  aktive  Tuberkulose  schliesse,  wenn  die  Sub¬ 
kutanprobe  positiv  sei.  Die  Anstaltsärzte 
und  Tuberkulosespezialisten  stehen  meistens  in  einem 
gewissen  Gegensatz  zu  dieser  Ansicht. 

Welche  Vorsicht  man  gebrauchen  muss,  will  man 
die  Impftuberkulose  des  Meerschwein¬ 
chens  zur  Sicherung  der  Diagnose  heranziehen,  darauf 
weist  Feyerabend  (19)  hin.  Es  fanden  sich  unter 
den  Versuchstieren  mehrfach  tuberkulöse  Meer¬ 
schweinchen  und  es  Hess  sich  nachweisen,  dass  die 
Ansteckung  auf  eine  kranke  Ziege  zurückzuführen  war. 
Der  Bazillus  wies  den  Typus  bovinus  auf. 

Mit  den  Abderhaldenschen  Dialysier- 
verfahren  arbeiten  Jessen  (20)  und  Gumpertz 
(21).  Die  Versuche  förderten  bemerkenswerte  Ergeb¬ 
nisse  zutage,  wenn  sich  auch  sicher  ein  diagnostischer 
Schluss  weder  aus  dem  positiven  noch  aus  dem  nega¬ 
tiven  Ausfall  der  Reaktion  ziehen  lässt.  Nur  soviel  lässt 
sich  sagen,  dass  die  Abderhalden  sehe  Reaktion 
besonders  unter  Anwendung  von  tuberkulösen  Organen 
als  Antigen  entschieden  häufiger  bei  Tuberkulose  positiv 
ausfällt  als  bei  anderen  Erkrankungen,  aber  auch  bei 
diesen  kommt  sie  nicht  so  selten  vor. 

Über  einen  modifizierten  Komplementbindungs¬ 
versuch  berichten  Zweig  und  G  e  r  s  o  n  (22).  Sie 
fanden  positiven  Ausfall  in  12  Proz.  der  Fälle,  vor  allen 
auch  bei  Frühfällen.  Für  die  Praxis  wäre  natürlich  die 
Methodik  noch  zu  umständlich,  wenn  sie  sich  bei  Nach¬ 
prüfungen  anderer  bewährte,  müsste  sie  doch  den  Kliniken 
und  Laboratorien  Vorbehalten  bleiben. 

Die  Frage  der  Tuberkelbazillen  im  Blut 
wird  in  ruhigen  Formen  weiter  erörtert.  M  o  e  v  e  s  (23) 
konnte  bei  70  Proz.  der  tuberkulösen  Meerschweinchen 
im  Tierversuch  Tuberkelbazillen  nachweisen.  Rauten¬ 


berg  (24)  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  ein  regelmässiges 
Vorkommen  von  Tuberkelbazillen  im  strömenden  Blut 
des  Menschen  in  Abrede  gestellt  werden  muss,  sogar  bei 
Miliartuberkulose  gibt  es  Perioden  ohne  nachweisbare 
Bazillaemie. 

Der  borscher  bestätigt  damit  ebenso  wie  die  letzten 
Autoren  und  jüngst  auch  Artur  Mayer  (25)  die 
Seltenheit  der  Bazillaemie.  Mayer  fand  sämtliche 
Tierversuche  negativ.  Eine  sehr  wichtige  Feststellung 
machte  er  bezüglich  der  Mobilisierung  von 
virulenten  Bazillen  durch  Tuber¬ 
kuli  n  i  n  j  e  k  t  i  o  n.  Sie  liess  sich  nicht  erweisen, 
im  Gegensatz  zu  den  früheren  Feststellungen  von  R  a  - 
b  i  n  o  w  i  t  s  c  h  und  B  a  c  m  e  i  s  t  e  r.  Das  spräche 
für  die  Ungefährlichkeit  der  Subku¬ 
tan  p  r  o  b  e.  Mayer  stellte  auch  fest,  dass  die 
tuberkelbazillenähnlichen  Stäbchen  in  der  Milch  stillender 
Frauen  keine  Tuberkelbazillen  sind.  Das  Finden  von 
Tuberkelbazillen  im  Blut  —  —  so  betont  M  a  y  e  r  mit 
der  Mehrzahl  der  übrigen  Autoren  —  —  ist  für  die 
Diagnose  und  Prognose  der  Tuberkulose  gleich- 
g  ü  1  t  i  g. 

Zur  Sicherung  der  Diagnose  bei  Erwachsenen,  bei 
denen  kein  Sputum  zu  erhalten  ist  und  vor  allem  in  der 
Paediatrie  empfehlen  Schöne  und  W  eiss  e  n  - 
f  e  1  s  (26)  Ätherausschüttelungen  der  Faeces,  deren 
Bodensatz  —  sie  werden  vorher  mit  Wasser  verrührt 
und  zentrifugiert  —  gefärbt  wird.  Die  Bazillen  stammen 
—  —  entgegen  Rabi  nowitsch  —  —  nicht  aus 
der  Galle,  sondern  aus  verschlucktem  Sputum  her.  Die 
Bestimmung  des  Eiweissgehalts  vom  Sputum  und 
dessen  Wert  für  Prognose  und  Diagnose  nimmt  noch 
immer  einen  verhältnismässig  breiten  Raum  ein.  Ich 
wies  schon  früher  darauf,  dass  seine  vorsichtige  Be¬ 
wertung  hier  und  da  m  i  t  helfen  kann  zur  Diagnose  und 
Schwankungen  manchmal  prognostisch  verwertet  werden 
können.  Sich  nur  auf  solche  Diagnose  festlegen,  nur 
sie  entscheiden  lassen,  hiesse  verhängnisvolle  Irrtümer 
begehen.  Warme  Fürsprecher  sind  der  Eiweissreaktion 
des  Sputums  in  Gelderblom  (27)  und  M  e  1  i  k  - 
j  a  n  z  (28)  entstanden.  Während  der  erste  sich  dahin 
entscheidet,  dass  das  Auftreten  von  Eiweiss  im  Sputum 
bei  Lungentuberkulose  von  einem  frischen  Prozess  in 

o 

der  Lunge  zeugt  und  die  Schwankungen  im  Eiweiss¬ 
gehalt  prognostische  Schlüsse  zulassen,  hält  der  letzte 
die  Eiweissprüfung  für  ein  wichtiges  Frühzeichen  der 
Lungentuberkulose  und  ein  ebenso  wichtiges  progno¬ 
stisches  Zeichen. - Auf  der  anderen  Seite  lehnt 

Schneider  -  Bonn  (29)  die  Eiweissprüfung  bei 
Lungentuberkulose  als  nicht  spezifisch  ab.  Denn  sie 
versagte  bei  mehr  als  15  Proz.  Sie  hängt  mit  dem 
Eitergehalt  des  Sputums  zusammen  und  hat  keine  be¬ 
sondere  diagnostische  Bedeutung. 

M  a  1  i  v  a  -  Greifswald  (30)  bringt  bemerkenswerte 
Beiträge  zur  Chemie  desSputu  ms.  Er  unter¬ 
suchte  die  N.- Ausscheidung,  meist  bei  offenen  Tuber¬ 
kulosen,  in  dem  er  die  Hämoptoiker  ausschloss.  Er 
fand,  dass  der  N. -Gehalt  des  Sputums  für  den  einzelnen 
Fall  mit  ziemlich  gleichbleibender  Form  der  Erkrankung 
innerhalb  der  klinischen  Breite  eine  recht  konstante 
Grösse  ist.  Eine  Zunahme  des  N. -Gehalts  ist  wohl  zu¬ 
meist  auf  eine  Steigerung  der  exsudativen  Vorgänge 
zurückzuführen.  Beim  Vergleich  verschiedener  Patienten 
lässt  sich  aber  durch  die  chemische  Bestimmung  nicht 
erkennen,  wieviel  auf  den  begleitenden,  nicht  spezifischen 
Katarrh  kommt,  auch  beim  Vergleich  verschiedener 
Krankheiten  wie  Tuberkulose,  Pneumonie  in  Lösung, 
Bronchiektasien  usw.  ist  in  differentialdiagnostischer  Be¬ 
ziehung  die  einzelne  Stickstoffbestimmung  unbrauchbar. 
Bei  ein  und  derselben  Person  kann  jedoch  die  zahlen- 
mässige  Darstellung  des  Stickstoffgehalts  einen  Anhalts¬ 
punkt  geben,  ob  Fortschreiten  der  Erkrankung  und 


156 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  16. 


Reininfektionen  auf  dem  Bronchial- Wege  vorhanden  sind. 

Über  die  klinische  Diagnose  der  beginnenden  Lungen¬ 
tuberkulose  und  über  nichttuberkulöse  Spitzen¬ 
erkrankungen  liegen  3  Arbeiten  vor.  Ich  habe  über 
diesen  Gegenstand  des  öfteren  gearbeitet,  zuletzt  auch 
zusammenfassend  in  dieser  Zeitschrift  (31,  32,  33).  Auch 
Richter-  Wölfeisgrund  (34)  hat  schon  früher  wie 
jetzt  wieder  auf  den  Wert  der  K  r  ö  n  ig  sehen  Schall¬ 
felder,  auf  die  Verwechslung  der  Tuberkulose  mit 
Kollapsinduration  hingewiesen.  Er  warnt  besonders  vor 
einer  Überschätzung  des  Wertes  der  Durchleuchtung.  — 
—  Litzner  (35)  macht  auf  die  Verwechslung  mit 
Pneumokoniosen,  Kollapsindurationen,  Tumoren,  Echino¬ 
kokkus  aufmerksam.  Hier  kann  uns  nach  meiner  Er¬ 
fahrung  allerdings  das  Röntgenbild  vor  manchen  Irr- 
tümern  bewahren.  —  —  B  1  u  m  •  München- 

Gladbach  (36)  gibt  eine  treffende  Ergänzung  zu 
der  von  mir  in  meinen  letzten  Arbeiten  öfter  erwähnten 
Arbeit  von  Z  i  c  k  g  r  a  f  (37).  Auf  der  Durchgangs¬ 
station  für  Lungenkranke  wurden  13  Proz.  als  ungeeignet 
zurückgewiesen.  43  waren  im  klinischen  Sinne  nicht 
krank.  Geringfügige  Verlängerung  und  Verschärfung 
des  Expiriums  allein  verbunden  mit  einer  leichten  Schall¬ 
verkürzung  genügt  nicht  für  die  Diagnose  der  Tuber¬ 
kulose,  wenn  nicht  eine  entsprechende  Anamnese 
und  sichere  Erscheinungen  tube  rku  lö  ser  Gift¬ 
wirkungen  (Anämie,  Nachtschweisse,  leichte  Fieber¬ 
bewegungen,  Appetitlosigkeit  usw.)  dazukommen.  (Der 
negative  Ausfall  der  Tuberkulinprüfung  kann  zwar 
manche  Fälle  ausschliessen  lassen,  aber  nach  meiner  An¬ 
sicht  noch  lange  nicht  genug.)  Bei  vorsichtiger  Beur¬ 
teilung  des  physikalischen  Befundes  und  der  Temperatur 
fand  man  unter  359  Fällen  24  mal  Kollapsindurationen. 
Die  Zahlen  halte  ich  eher  für  zu  klein  als  zu  gross.  Die 
Reihe  Nichttuberkulöser,  die  sich  in  Heilanstalten  immer 
noch  befinden,  wird  bestimmt  noch  unterschätzt.  Als 
Fürsorgearzt  staunt  man,  wenn  man  die  „Tuberkulösen“ 
vor  und  nach  der  Kur  sieht.  Es  sind  über  20  ja  bis 
zu  30  Proz.  Nichttuberkulöse  darunter.  Die 
wiederholten  Hinweise  exakter  Diagnostiker  —  —  ich 
nenne  ausser  den  erwähnten  noch  Mayer  (s.  früh.  Ref.) 

— .  haben  aber  doch  das  eine  gefruchtet,  dass  die 
Vertrauensärzte  der  Landes-Versicherungsanstalten  be¬ 
reits  mehr  und  mehr  Tuberkulinproben  anwenden  und 
längere  Beobachtung  der  Kranken  vornehmen.  So  wird 
hoffentlich  die  Zeit  nicht  mehr  fern  sein,  da  in  Anstalten 
sich  fast  nur  Tuberkulöse  befinden  und  nicht,  wie 


U  1  r  i  c  i  aus  M  ü  .1  1  r  o  s  e  schreibt,  sich  bei  36  Proz. 
der  Eingew’iesenen  nicht  mit  hinreichender  Sicherheit  die 
Diagnose  Tuberkulose  begründen  liess. 

Uber  Rhe  umatismus  und  Tuberkulose 
schreibt  M  e  n  z  e  r  (38)  und  über  Rheumatismus 
tuberkulosus  Nohl  - Mühlheim  (39)  M.  ver¬ 
tritt  seine  schon  hinreichend  bekannten  Ansichten  über 
den  akuten,  subakuten  und  chronischen  Gelenkrheuma¬ 
tismus,  der  eine  bakterielle  Infektion  der  oberen  Luftwege 
darstelle.  ZurTherapie  dieser  chronischen  oder  latenten  In¬ 
fektion  bedarf  es  nicht  des  Salizyls,  sondern  warmer 
Umschläge  und  Bäder  oder  Vakzination  mit  Strepto¬ 
kokken  -  Vakzine,  und  weil  häufiger  die  Erreger  auch 
Tuberkelbazillen  sind,  auch  einer  Tuberkulinkur. 

Wenn  wir  auch  Menzer  nicht  so  weit  folgen 
dürfen,  dürfen  w'ir  es  eher  Nohl,  der  mit  einer  reichen 
gut  kritisch  beobachteten  Kasuistik  seine  Ansicht  be¬ 
legt.  Für  larvierte  Tuberkulose  gibt  er  folgende  Formen 
an:  Inaktiv-latente  Tuberkulose  ohne  oder  ohne  nennens¬ 
werte  klinische  Symptome,  die  durch  spezifische  Dia¬ 
gnostik  aber  zu  erkennen  ist.  Dann  aktiv-latente  Tuber-  i 
kulose,  d.  h.  echte  tuberkulöse  Erkrankung  irgend  eines 
Organs,  die  sich  aber  unter  anderen  Symptomen  ver¬ 
birgt;  3.  die  tuberkulöse  Intoxikation,  ohne  die  Lokali¬ 
sation  echter  Tuberkulose  oder  als  Nachspiel  klinisch 
geheilter  Tuberkulose,  einerseits  ohne  deutliche  örtliche 
Veränderungen,  andererseits  als  tuberkulöse  Intoxikation 
mit  örtlichen  deutlichen  Veränderungen  (entzündliche 
I  uberkulose,  Paratuberkulose, Rheumatismus  tuberculosus 
articularis  usw.).  Es  ist  durchaus  förderlich,  die  Arbeit 
im  einzelnen  nachzulesen,  weil  wir  in  Deutschland  bei 
diesen  Intoxikationen,  die  die  Franzosen  besonders 
durch  Poncet  so  gut  kennen,  wenig  gewohnt  sind 
an  Tuberkulose  zu  denken.  Andererseits  liegt  natürlich 
auch  wieder  die  Gefahr  vor,  dass,  was  man  nicht  dia¬ 
gnostizieren  kann,  als  Tuberkulose  angesehen  wird.  Die 
Therapie  ist  die  der  Tuberkulose,  auch  Tuberkulin. 

Die  Diagnostik  kleiner  Kavernen  — '  — 
darauf  macht  v.  H  o  e  s  s  1  i  n  (40)  aufmerksam  —  — 
ist  ohne  Röntgenstrahlen  sehr  schwierig.  PI.  fand  in 
mehreren  Höhlen  Blut  und  stellte  fest,  dass  in  die  Lunge 
ergossenes  Blut  nicht  gerinnt.  Auch  initiale 
Blutungen  geschehen  oft  in  Hohlräume  von  beträcht¬ 
licher  Grösse.  Das  Blut  wurde  aus  den  Höhlen  langsam 
resorbiert.  Ausbreitung  des  Prozesses  infolge  der  Blutung 
(durch  Y  erschleppung  der  Krankheitskeime)  wurde  in 
keinem  Fall  festgestellt. 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeine  Pathologie. 

P.  G.  U  n  n  a  -  Hamburg,  Die  Herkunft  der  Plasmazellen. 
(Virchows  Arch.  214.  Band  1918,  S.  320 — -339  mit  2-farbigen 
Tafeln.) 

Die  Plasmazellen  entstehen  nicht,  wie  Neisser  und 
Marse  halko  meinten,  aus  Lymphozyten,  sondern  aus 
Bindegewebszellen  aller  Art.  Instruktive  Abbildungen  zeigen 
den  Entwicklungsgang.  Buttersack. 

Welzel,  Einseitige  Steigerung  der  Körpertemperatur. 
(Med.  Kl.  47.  15.) 

Das  Auftreten  von  Fieber  bei  Hysterischen  ist  immer 
noch  viel  umstritten,  da  es  natürlich  im  gegebenen  Falle  sehr 
schwer  ist,  alle  andern  Gründe  für  sein  Auftreten  mit  Sicher¬ 
heit  auszuschliessen.  Dies  scheint  mir  auch  auf  den  von  W. 
beschriebenen  Fall  zuzutreffen,  bei  dem  mehrere  Tage  lang 


eine  ganz  auffällige  Temperaturdifferenz  zwischen  der  Messung 
in  der  rechten  und  linken  Achselhöhle  trotz  aller  Kautelen 
feststellbar  war. 

Es  war  nämlich  dem  Auftreten  der  Temperaturdifferenz, 
bei  dem  allerdings  wohl  Hysterischen,  ein  Unfall  vorhergegangen, 
der  immerhin  das  Zentralorgan  organisch  geschädigt  haben 
könnte,  wenn  auch  klinisch  nichts  nachweisbar  war. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Rumpf  -Frankfurt,  Erfahrung  über  die  Nachbehandlung 
von  Verwundeten  und  Unfallverletzten.  (M.  m.  Wochschr.  50.  15.) 

Auf  Grund  seiner  Erfahrung  bei  der  Nachbehandlung 
von  Verwundeten  und  Verletzten  betont  R.,  dass  die  funktionelle 
Behandlung  so  früh  wie  möglich  einsetzen  soll,  wenn  angängig  i 


Nr.  10. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


schon  zu  der  Zeit,  in  der  die  Wundbehandlung  noch  nicht 
abgeschlossen  ist.  Bei  der  Anlegung  von  Verbänden  ist  dafür 
zu  sorgen,  dass  die  nichtverletzten  Gelenke  beweglich  bleiben 
und  dass  die  Muskulatur  möglichst  wenig  leidet.  Das  was 
gesund  ist,  muss  gesund  bleiben! 

Für  die  Nachbehandlung  der  Folgezustände  nach  Ver¬ 
wundungen  und  Verletzungen  ist  die  Güte  des  Massagepersonals 
ausschlaggebend.  Ein  wirklich  gut  ausgebildeter  Masseur  und 
Heilgymnast  ersetzt  die  besten  Apparate;  es  fehlt  uns  aber  selbst 
in  grossen  Krankenhäusern  durchaus  an  derartigen  Leuten. 
Auf  die  Massage  und  Heilgymnastik  wird  von  uns  in  Deutsch¬ 
land  noch  zu  wenig  Gewicht  gelegt ;  der  Grund  hierfür  ist  da¬ 
rin  zu  suchen,  dass  unsere  Aerzte  in  der  Massage  und  Heil¬ 
gymnastik  nicht  genügend  ausgebildet  werden. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Innere  Medizin. 

Ehret,  Zur  Kenntnis  der  Herzschädigungen  hei  Kriegs¬ 
teilnehmern.  (M.  Med.  Wschr.  Feldärztl.  Beil.  20,  18.  V.  15.) 

Der  Prozentsatz  von  6,6  Herzkranken  erscheint  ein  sehr 
beträchtlicher ;  er  ist  entschieden  grösser  als  im  bürgerlichen 
Krankenmaterial  Dies  entspricht  der  Tatsache,  dass  der  Krieg 
an  das  Herz  weit  grössere  Anforderungen  stellt,  als  der  Zivil¬ 
beruf,  wo  das  Gefühl  des  „nicht  mehr  können“  sich  früher  in 
Ruhe  umsetzen  darf  und  kann,  abgesehen  davon,  dass  noch 
andere  Schädlichkeiten,  Alkohol,  Rauch,  vielleicht  im  Felde  eine 
grössere  Rolle  spielen  und  auf  die  dauernd  überanstrengten 
Herzen  noch  ungünstiger  einwirken,  als  dies  im  Frieden  der  Fall 
ist.  Weiter  unten  im  Kap  Herzmuskelerkrankungen 
(treten  öfter  scheinbar  ohne  richtige  Ursache  auf,  nachdem 
fieberhafte  Erkrankung,  z.  B  Angina,  vorhergegangen  war). 

„Starkes  Rauchen  und  Alkoh  Jgenuss  scheinen  bei  Leuten  mit 
überstandener  Infektion  besonders  ungünstig  zu  wirken.“  — 
„Ebenso  häufig  wie  akute  Schädigungen  finden  sich  chronische  Ver¬ 
änderungen  des  Herzmuskels  bei  aus  dem  Felde  eingelieferten 
Kranken  mit  Herzbeschwerden.  Als  Ursache  der  bestehenden 
chronischen  Myocarditis  Hessen  sich  fast  in  sämtlichen  Fällen 
entwender  vorangegangener  Gelenkrheumatismus  oder  Alkohol¬ 
missbrauch  (2  Fälle  von  richtigem  sogenannten  Münchener 
Bierherz)  oder  Syphilis  nachweisen.“  Neu  m  a  n  n 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

K.  B  a  i  s  c  h  -  Stuttgart,  Erfolge  der  Mpsothoriuinbetaand- 
lung  bei  100  Uteruskarzinomeii.  (Sonderdruck  a.  d.  Münchener 
med.  Wochenschr.  1915,  Nr.  49.) 

Seit  Februar  1914  hat  Verf.  alle  Uterus  und  Scheiden¬ 
karzinome  mit  verschwindenden  Ausnahmefällen  mit  Mesothorium 
und  Radium  behandelt  und  mit  den  ersten  100  Fällen  die  Be¬ 
handlung  abgeschlossen,  wovon  der  erste  Fall  l3/4  Jahre,  der 
hundertste  Fall  sechs  Monate  zurückliegt  und  genaue  Kontrolle 
über  diese  Fälle  geübt. 

Von  Dauerresultaten  spricht  Verfasser  folgerichtig  nicht, 
sondern  hält  seine  Ergebnisse  lediglich  für  die  Frage  der 
Strahlenbehandlung  operabler  und  beginnender  Karzinome  mass¬ 
gebend. 

Verf.  teilt  diese  Fälle  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Aus¬ 
breitung  des  Karzinoms  und  der  Operabilität  in  3  Gruppen  ein. 

Erste  Gruppe,  die  völlig  inoperablen  Fälle  in  der  Zahl 
von  43.  Hiervon  sind  20  gestorben,  22  sind  ungeheilt  geblieben 
nur  1  Pat.  geheilt.  Bei  letzterer  handelte  es  sich  um  ein 
Rezidiv  nach  abdomineller  Radikaloperation. 

Zweite  Gruppe,  Eben  noch  operable  Fälle  mit  nicht  bis 
zur  Beckenwand  reichender  karzinomatöser  Infiltration  eines 
oder  beider  Parametrien  in  der  Zahl  von  20  Fällen.  Davon 
sind  4  gestorben,  6  ungeheilt,  10  geheilt.  Bei  den  geheilten 
Fällen  war  makroskopisch  oder  palpatorisch  nichts  Verdäch¬ 
tiges  mehr  nachzuweisen,  demnach  vorläufig  50  °/0  Heilung. 

Dritte  Gruppe.  Auf  den  Uterus  beschränkte,  gut  operier¬ 
bare  Karzinome  in  der  Zahl  von  37  Fällen.  Davon  —  der 
älteste  liegt  l3/4  Jahre,  der  jüngste  6  Monate  zurück  —  sind 
5  gestorben,  4  ungeheilt,  28  geheilt,  demnach  vorläufig 
75"/0  Heilung.  Von  diesen  37  Fällen  waren  acht  beginnende 
Fälle,  wo  das  Karzinom  nur  auf  eine  Muttermundslippe  be¬ 


schränkt  war,  welche  sämtlich  innerhalb  einer  Zeit  von  22  —  6 
Monaten  geheilt  sind. 

Von  57°/o  operablen  Patienten  sind  also  9  gestorben, 
demnach  wären  nach  dem  Prozentsatz  der  Mortalität  der  er¬ 
weiterten  Karzinomoperation,  welcher  16%  mindestens  beträgt, 
diese  Patienten  nach  Verf.  bereits  früher  als  nach  der  Strahlen¬ 
behandlung  gestorben,  wobei  die  Operabilität  in  gleicher  Höhe 
wie  bei  Wertheim,  Schauta,  Krönig  und  Döderlein  steht. 
Verf.  bespricht  noch  13  Fälle  von  Rezidiv  nach  früheren 
vaginalen  oder  adominellen  Totalexstirpationen,  von  denen 
4  geheilt,  4  ungeheilt  und  5  gestorben  sind,  ferner  15  Korpus¬ 
karzinome,  von  denen  4  gestorben  und  11  geheilt  wurden, 
welche  eigentlich  in  die  aufgezählten  drei  Gruppen  hineinge¬ 
hören. 

Nachdem  Verf.  die  immer  noch  nicht  abgeschlossene 
Technik  der  Mesothorium-Radiumtherapie  kurz  dargelegt,  fasst 
er  auf  Grund  seiner  klinisch  einwandfreien  Beobachtung  dieser 
100  Fälle  seine  diesbezüglichen  Erfahrungen  wie  folgt  zu¬ 
sammen: 

1.  Radium  und  Mesothorium  versagt  bei  völlig  inoperablen 
Fällen,  bilden  aber  das  beste  Palliativmittel. 

2.  Die  bei  operablen  Fällen  erzielten  vorläufigen  Heilungen 
iibertreflfen  bisher  die  durch  Operation  in  derselben  Beobach¬ 
tungszeit  erreichbaren  Resultate. 

3.  Operable  Fälle  geben  eine  um  so  günstigere  Prognose 
je  weniger  weit  das  Karzinom  vorgeschritten  ist. 

Diese  vorläufigen  Resultate  des  Verf.  bilden  eine  ganz 
bemerkenswerte  Ergänzung  der  im  Jahre  1913  auf  der  denk¬ 
würdigen  Hallenser  Tagung  der  deutschen  Gesellschaft  für 
Gynaekologie  erstatteten  ersten  Berichte  über  die  Strahlenbe¬ 
handlung  bei  Uteruskarzinom,  zu  welcher  Verf.  bereits  damals 
Beitrag  ,  leistete.  E  k  s  t  e  i  n  -  Teplitz-Schönau. 

Dr.  W.  Rausch-  Stuttgart,  Heilung-  eines  Vulva-Karzi¬ 
noms  mit  dem  Zeller’schen  Verfahren.  (Sonderdruck  aus  der 
Münchener  mediz.  Wochenschrift  1915,  Nr.  47.) 

Verf.  behandelte  eine  messerscheue  Patientin,  bei  welcher 
er  und  Professor  B  a  i  s  c  h  -  Stuttgart  ein  Caucroid  der  Clitoris 
und  des  rechten  Labiucus  ohne  inguinale  Drüsenschwellung 
konstatiert  hatten,  nach  dem  Zeller’schen  Verfahren. 

Nach  vier  Wochen  war  das  14  Tage  nach  Applikation 
der  Zeller’schen  Pasta  in  toto  nekrotisierte  Cancroid  heraus¬ 
gefallen,  die  dadurch  entstandene  granulierende  Höhle  völlig 
überhäutet.  Während  dieser  Zeit  waren  die  regionären  Lymph- 
drüsen  zu  einem  hühnereigrossen  Paket  angeschwollen,  welche 
sich  durch  Röntgenbehandlung  wesentlich  verkleinerten.  Eine 
mikroskopische  Untersuchung  der  erkrankten  Teile  wurde  nicht 
vorgenommen.  Nach  3/4  Jahren  war  das  Cancroid  noch  geheilt 
die  Lymphdriisen  jedoch  noch  vergrössert.  Pat.  hat  um  15  Pfund 
zugenommen  Auf  Grund  dieser  Erfahrung  will  Verf.  das 
Zeller’sche  Verfahren  wieder  in  Erinnerung  bringen.  (Die 
Pasta  gleicht  der  von  Cosmi  Hebra.  Ref.) 

E  k  s  t  e  i  n  -  Teplitz-Schönau. 


Medikamentöse  Therapie. 

Scheffen,  Romauxan,  ein  eisenhaltiges  Nähr-  und  Kräf¬ 
tigungsmittel.  (Kl.  therap  Wochenschr.  1915,  Nr.  43.) 

Das  Romauxan  wurde  im  besonderen  in  einigen  Fällen 
von  Schulanämie,  Skrofulöse,  Neurasthenie,  Anämie  nach  Blut¬ 
verlusten,  Chlorose  und  Morbus  Basedow,  verabreicht.  Ausser¬ 
dem  wurde  es  mit  gutem  Erfolge  bei  mehreren  in  der  Ent¬ 
wicklung  zurückgebliebenen  kleineren  Kindern  angewandt.  Ein 
1^2  jähriges  Kind,  das  schwer  zahnte  und  häufig  an  Krampf¬ 
anfällen  litt,  erhielt  3  Monate  lang  Romauxan.  Die  Zahnung 
verlief  leichter,  die  Krampfanfälle  blieben  nach  4  Wochen 
gänzlich  aus.  Nach  3  Monaten  war  eine  Gewichtszunahme 
vou  7  Pfund  zu  verzeichnen. 

Bei  stillenden  Müttern  ist  Romauxan  ebenfalls  ein  nicht 
zu  unterschätzendes  Unterstützungsmittel. 

Das  Romauxan  ist  als  ein  ausgezeichneter  Blutbildner  und 
als  vorzügliches  Nähr-  und  Kräftigungsmittel  zu  bezeichnen. 
Es  ist  sehr  gut  bekömmlich  und  kann  bei  Erwachsenen  und 
Kindern  in  den  verschiedensten  Formen  Anwendung  finden. 
Der  Kostenpunkt  ist  sehr  mässig.  N  e  u  m  a  n  n. 


158 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  16 


Bücherschau. 

Carl  Oppenheimer-  Berlin  -  Grunewald  ,  Stoi'f- 
wcchselfermente.  (Sammlung  Vieweg,  Heft  22.  —  Braunschweig 
1915.  —  92  Seiten,  Mk.  2.80.) 

Der  Verlag  Fr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig  bespricht 
in  handlichen  Heften  Tagesfragen  aus  den  Gebieten  der  Natur¬ 
wissenschaften  und  Technik.  So  hat  sich  z  B.  Heft  3  mit 
dem  Bleriotflugapparat,  Heft  6  mit  Brennereifragen,  Heft  13 
mit  Kalenderwesen  beschäftigt.  Im  vorliegenden  Heft  bespricht 
Oppenheimer  die  beim  Stoffwechsel  tätigen  Fermente. 
Unter  Stoffwechsel  begreift  er  1.  die  synthetischen  Vorgänge  in 
der  lebendigen  Substanz.  2.  die  Abnutzungsvorgänge  durch 
Hydrolyse.  3.  den  Energie-Verbrauch  durch  Oxydationen. 

Die  Fermente  kann  man  sich  teils  ziemlich  lose  im  Zell- 
innern  denken,  teils  fester  mit  dem  Protoplasma  verbunden 
und  nur  bei  dessen  plötzlicher  Zertrümmerung  erhältlich.  Eine 
dritte  Gruppe  von  Fermenten  ist  überhaupt  nicht  von  der 
lebenden  Substanz  zu  trennen. 

Oppenheimer  führt  den  Leser  mit  sicherer  Hand 
in  dieses  Gebiet,  das  noch  voller  Fragen  und  Rätsel  ist,  und 
erweckt  in  ihm  sicherlich  die  Überzeugung,  dass  die  Zukunft 
der  Physiologie  zum  guten  Teil  dieser  Mikrochemie  angehört, 
au  deren  Wiege  wir  offenbar  stehen.  Was  mag  in  25  Jahren 
aus  den  Ansätzen  von  heute  geworden  sein  ?  „La  Science  ne 
progresse  qu’en  se  detruisant  tous  les  25  ans“  (Pasteur). 

Buttersack. 

Prof.  Dr.  H.  Gocht,  Anleitung  zur  Anfertigung  von 
Schienenverbänden.  Mit  35  Textabbildungen.  20  Seiten. 
(Verlag  von  Ferd.  Enke,  Stuttgart.  Preis  1.20  Mk.) 

Der  Verfasser  schildert  in  dieser  kurzen  Broschüre  eine 
bestimmte  Art  von  Schienenverbaudstechnik,  die  ihre  praktischen 
Erfolge  während  der  ersten  6  Kriegsmonate  in  den  vorderen 
Sanitätsformationen  ergeben  hat  und  demzufolge  im  besonderen 
den  Forderungen  dieser  Formationen  angepasst  worden  ist. 
Hier  kann  in  Zeitabschnitten  einer  enormen  Verwundeten  Ver¬ 
sorgung  nur  ein  sorgsam  und  einfach  durchgeführtes  Schema 
seine  Aufgabe  erfüllen,  das  mit  den  einfachsten  Behelfsmitteln 
in  kürzester  Zeit  die  bestmöglichste  Abtransportierung  der  Ver¬ 
wundeten  garantiert,  während  spezifisch  individuelle  Behandlung 
der  einzelnen  Fälle  doch  den  weiter  zurückliegenden  Lazaretten 
oder  der  weniger  beanspruchten  Zeit  im  Interesse  des  schnelleren 
Abtransportes  überlassen  bleiben  muss.  Besonders  gilt  an  den 
vorderen  Stellen  für  Extremitätenfrakturen  das:  „nil  nocere‘‘  in 
Beziehung  auf  den  Transport.  G.  geht  hierbei  in  erster  Linie 
von  dem  Grundsatz  aus  der  unbedingten  Immobilisation  des 
verletzten  Extremitätenabsclinittes  mit  Einbeziehung  der  an¬ 
grenzenden  Geleukpartien,  fordert  Fensterung  oder  Brückeu- 
verbände  bei  ausgedehnten  Zerstörungen,  warnt  vor  dem  Ge¬ 
brauch  der  Volkmann’schen  Schiene  zu  Immobilisationszwecken 
und  schafft  hauptsächlich  mit  Schusterspan,  Bandeisen  und 
Mullbinden  einen  brauchbaren,  billigen  Ersatz  der  Cramer- 
schiene.  Seine  biegsamen  Bandeisen-Spanschienen  werden  in 
verschiedenen  Längen  auf  Vorrat  hergestellt,  sodass  die  Ver¬ 
wendungsmöglichkeit  dieser  Schiene  bei  Extremitätenfrakturen 
durch  Zusammenbinden  einzelner  Schienen  unbegrenzt  ist  (ähn¬ 
lich  der  Cramerschiene)  und  eine  schnelle  Versorgung  der 
Verwundeten  gestattet.  In  mit  guten  Abbildungen  und  mit  Mass- 
verhältnissen  belegten  Schemata  gibt  Verf'.  eine  klare  Uebersicht 
über  diese  Verbandstechnik.  Besonders  gut  erscheint  mir  der 
Immobilisationsverband  der  unteren  Extremität  mit  dem  am 
Talo-Crural-Gelenk  senkrecht  stehenden  kurzen  Schienen,  die 
gleichzeitig  zur  Fixation  des  Fussgelenkes  in  rechtwinkliger 
Stellung  benützt  werden  und  somit  schon  frühzeitig  eine  Spitz- 
fussstellung  bekämpfen.  Die  kleine  Broschüre  erfüllt  voll¬ 
kommen  den  Zweck,  eine  Anleitung  zur  Anfertigung  von  brauch¬ 
baren  Transportschieneuverbänden  zu  geben.  Eine  kritische 
Besprechung  anderer  Schienen  Systeme  enthält  diese  Broschüre 
nicht.  F.  R  Mühlhaus  -  München. 

The  Svedberg  (Upsala),  Pie  Materie.  (Ein 
Forschungsproblem  in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Deutsch 
von  Dr.  H.  Finkeistein.  Leipzig  1914.  Akadem.  Verlagsg. 
162  S.,  Mk.  6.50  bezw.  7.50.) 


„Man  kann  sich  über  alles  verständigen,  nur  nicht  über 
Dinge,  an  welche  das  menschliche  Begriffsvermögen  nicht  hin¬ 
anreicht,  und  gerade  über  solche  Begriffe  hat  man  18  Jahr¬ 
hunderte  hindurch  gestritten.“  Dieser  Satz  unseres  grossen 
M  o  1  t  k  e  wird  durch  die  vorliegende  Studie  aufs  neue  illustriert. 
Der  gelehrte  Verfasser  führt  uns  in  anregender  Weise  durch 
die  Jahrtausende  und  legt  dar,  wie  man  sich  seit  den  Griechen 
bis  auf  die  heutigen  Forscher  mit  dem  Problem  der  Materie 
abgefunden  hat.  Gewiss  sieht  unsere  dermalige  Wissenschaft 
anders  aus  als  jene  von  Anaximenes,  Heraklit, 
Anaxagoras  usw.  Allein  bei  genauerem  Zusehen  er¬ 
kennt  man  doch,  dass  wir  uns  noch  im  gleichen  Vorstellungs¬ 
kreis  bewegen.  Das  ist  auch  weiter  nicht  wunderbar:  liegen 
doch  nur  kaum  90  Generationen  zwischen  uns  und  jenen 
Denkern. 

Das  flüssig  geschriebene  Buch  wird  jeden  fesseln,  ebenso¬ 
wohl  durch  seinen  Inhalt,  wie  durch  die  Gedanken,  die  sich 
unwillkürlich  darüber  hinaus  daranknüpfen. 

Bu  ttersack. 

W.  Wund  t,  Sinnliche  und  übersinnliche  Welt.  (Alf. 
Kröners  Verlag  1914.  Leipzig  423  S.,  Mk.  8. —  bezw.  9.) 

Nur  mit  Ehrfurcht  nimmt  man  ein  Buch  zur  Hand,  in 
welchem  ein  Forscher  von  welthistorischer  Bedeutung  am  Ende 
eines  arbeitsreichen  Lebens  gewissermassen  sein  Glaubensbe¬ 
kenntnis  ablegt.  Die  Kritik  macht  halt  vor  einer  Persönlich¬ 
keit,  wo  diese  sich  selbst  als  organisches  Produkt  von  Geschichte, 
Erkenntnistheorie  und  Metaphysik  gibt.  Erscheinungen  wie 
Wun  dt  sind  Geschenke  der  immer  tätigen  Schöpfung,  die 
uns  fördern,  indem  wir  sie  studieren. 

Gerade  in  unseren  Tagen  fragt  sich  gewiss  manch  einer, 
ob  wir  in  einem  Chaos,  in  einem  allgemeinen  Zusammenbruch 
leben,  oder  ob  hinter  den  Ereignissen  voll  Schrecken  irgend 
eine  leitende  Hand  steht  Gewiss  ist  das,  was  W  u  n  d  t  über 
die  verschiedenen  möglichen  Weltbilder  sagt,  über  Sein  und 
Erscheinung,  Sein  und  Bewusstsein,  in  dem  positivistischen 
Kapitel:  Wahrheit  und  Wirklichkeit,  und  in  dem  metaphysischen: 
Die  Einheit  des  Seins,  von  bleibendem  Wert.  Aber  für  den 
Augenblick  fesseln  doch  wohl  die  „überindividuellen  Einheiten“ 
als  die  ewigen  Richtkräfte  der  sittlichen  Welt  im  geschichtlichen 
Leben  den  Leser  am  meisten.  Wenn  W  u  n  d  t  von  der  ab¬ 
geklärten  Höhe  seiner  philosophischen  Warte  darlegt,  wie 
„selbst  das  unseren  sittlichen  Wertgefühlen  Widerstreitende 
als  ein  Faktor  geschichtlicher  Entwicklung  ein  wichtiges  Motiv 
sittlicher  Entwicklung  werden  kann,“  so  eröffnet  er  uns  be¬ 
ruhigende  Aussichten  in  die  Zukunft.  Das  Bewusstsein,  dass 
die  Zeiteu  des  Leids  nur  Durchgangsstationeu  sind,  erfüllt  uns 
mit  neuem  Mut  und  Zuversicht. 

Freilich  ist  damit  das  Gebiet  der  exakten  Naturwissenschaft 
weit  überschritten.  Aber  ist  sie  wirklich  das  einzige,  des  mensch¬ 
lichen  Geistes  würdige  Forschungsgebiet?  — -  Die  Not  der  Zeit 
lehrt  uns,  Blicke  hinter  die  Kulissen  des  Wäg-  Sicht-  und 
Mikroskopierbaren  zu  tun.  Wer  in  und  nach  dem  Krieg  die 
religiösen,  metaphysischen  Bedürfnisse  seines  Herzens  befriedigen 
will,  wird  in  W  u  n  d  t  s  Testament  einen  treuen  Führer 
finden.  Buttersack. 


P.  G.  U  n  n  a  -  Hamburg,  Pie  Sauerstofforte  und  Reduk- 
tionsorte.  (Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie,  Band  87,  Abt.  1 
S.  96 — 150  mit  6  Tafeln.  1915.  Friedr.  Cohen,  Bonn.) 

Im  Verfolge  seiner  biochemischen  Studien  kommt  Unna 
mit  Hilfe  einer  Methylenblau-Rongalitweissfärbung  dazu,  in 
den  Geweben  Reduktionsorte  (Keratin,  Myosin,  Neurin)  und 
Sauerstofforte  (Granoplasma ,  Kernkörperchen,  saure  Kerne, 
Knorpelgrundsubstanz)  nachzuweisen.  Bei  den  letzteren  kann 
man  wieder  labile  und  stabile  unterscheiden,  in  welch  letzteren 
sich  ständig  und  automatisch  Peroxydsauerstoff  aufspeichert. 

Die  Arbeit  ist  in  der  Hauptsache  färbetechnischen  Er- 
eröterungen  gewidmet,  bringt  aber  auch  manches  allgemein 
Interessante,  z.  B.  die  abnorme  Sauerstoffverteilung  in  und 
nach  dem  Tode,  die  Wirkung  von  Giften,  die  Zerstörung  der 
Leukozyten  durch  die  Gonokokken,  so  dass  in  Umkehrung  der 
üblichen  Vorstellungen  Unna  die  Phagokokken  den  Phago¬ 
zyten  gegenüberstellt.  B  utters  ack. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbrim  der  IHedim 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  IHiiwirkung  hervorragender  Tadimänner 

herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


(i.  Köster, 

Leipzig 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
\  erlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannalime  durch  20.  März 
Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Vom  Rechte  des  Arztes  zur  Verweigerung  des 
Zeugnisses  und  des  Gutachtens. 

Von  Dr.  Hans  Lieske,  Leipzig. 

Bekanntlich  bedroht  das  Strafgesetzbuch  !)  den  un¬ 
befugten  Geheimnisbruch  des  Arztes  mit  Strafe. 

Weiter  berechtigt  die  Strafprozessordnung  2)  die 
Ärzte  zur  Verweigerung  des  Zeugnisses  hinsichtlich 
dessen,  was  ihnen  bei  Ausübung  ihres  Berufes  an¬ 
vertraut  ist. 

In  diesen  beiden  Thesen  kann  eine  Zweifelsfrage  lie¬ 
gen.  Ihre  Lösung  aber  führt,  wenn  sie  richtig  ist,  zu 
einer  gewissen  Inkonsequenz.  Vorerst  die  Frage.  Sie  lautet: 

Dürfen  Arzte  hinsichtlich  des  ihnen  Anvertrauten 
überhaupt  Zeugnis  ablegen,  wenn  sie  hierzu  nicht  aus¬ 
drücklich  ermächtigt  sind,  oder  bindet  nicht  vielmehr 
das  Schweigegebot  des  Strafgesetzbuches  absolut,  so 
dass  jede  Kundgabe  von  Berufsgeheimnissen  unbefugt 
ist  ? 

Hier  greift  der  unzweideutige  Wortlaut  der  Prozess¬ 
ordnung  aufklärend  ein,  sofern  er  zur  Geheimhaltung 
des  Anvertrauten  vor  Gericht  zwar  berechtigt,  nicht 
aber  verpflichtet.  Also  ist  Ablegung  oder  Verweigerung 
des  Zeugnisses  in  des  Arztes  freies  Ermessen  gestellt. 

In  der  Angabe  eines  von  dem  Richter  geforderten 
Zeugnisses  kann  eine  „unbefugte“  Offenbarung  in  straf¬ 
rechtlichem  Sinne  nie  begründet  sein.  3)  4)  „Auch 
wenn  der  Zeuge  durch  sein  Reden  einen  noch  so  gro¬ 
ben  Vertrauensbruch  seinem  Gewährsmann  gegenüber 
begeht,  darf  und  muss  das  Gericht  sich  über  solchen 
Verrat  hinwegsetzen  und  den  das  Geheimnis  unbefugt 
Preisgebenden  als  Zeugen  vernehmen.“ 5)  Das  Stau¬ 
nen  ob  solcher  Lösung  ist  nur  allzuberechtigt.  Ver¬ 
gegenwärtigt  man  sich  den  Zweck  des  Verbots  des 
Geheimnisbruches,  so  muss  die  Durchbrechung  jenes 
Prinzips  der  Pflicht  zur  Verschwiegenheit  schlechterdings 
unerfindlich  erscheinen.  Der  Kranke  soll  um  seiner 
selbst  willen,  wie  letzten  Endes  zugunsten  des  an  einer 
durchgreifenden,  erfolgreichen  Gesundheitspflege  auf 
das  lebhafteste  interessierten  Staates  in  vollstem  Ver¬ 
trauen  zur  Diskretion  seines  medizinischen  Beraters  ab¬ 
solute  Offenheit  walten  lassen  können.  Eine  solche 
Möglichkeit  zu  garantieren,  wurde  der  Geheimnisbruch 
unter  Strafe  gestellt.  Natürlich  hat  nun  kein  Patient 
am  Verborgenbleiben  von  Krankheiten,  deren  Be¬ 
kanntwerden  ihm  gleichgültig  sein  kann,  irgend  welches 
Interesse.  Erst  wenn  Erkrankungen  in  Frage  kommen, 
die  in  den  Augen  der  Mitwelt  dem  Kranken  zum 
Nachteil  oder  zur  Unehre  gereichen,  erst  dann 
setzt  das  Schutzbedürfnis  ein.  In  demselben  Augenblick 


aber  hakt  auch  das  Gesetz  aus.  Den  höchsten  Prozent¬ 
satz  der  Leiden,  die  jeder  davon  Befallene  ängstlich 
verbergen  möchte,  stellen  natürlich  die  sog.  „geheimen 
Leiden“,  also  vor  allem  die  Geschlechtserkrankungen. 
Wie  nötig  gerade  hier  rückhaltlose  Offenheit  tut,  weiss 
jeder  Mensch.  Hier  müssen  also  die  gesetzgeberischen 
Kautelen  insonderheit  einsetzen,  um  einen  starken  Ver¬ 
trauensschutz  zu  verbürgen. 

Geschlechtskranke  können  aber  um  ihrer  Krankheit 
willen  recht  leicht  in  Gerichtsverhandlungen  wegen  er¬ 
littener  Beleidigungen  oder  angeblich  oder  auch  tat¬ 
sächlich  verübter  Körperverletzungen  verwickelt  werden. 
Der  Arzt  wird  solchenfalls  meist  der  einzige  Zeuge  von 
Belang  sein.  Zweifellos  verbessert  es  also  seine  Position 
dem  Kranken  gegenüber  erheblich,  wenn  ihn  das  legislato¬ 
rische  Postulat  absoluter  Diskretion  deckt.  Die  Vorschrift 
der  Strafprozessordnung  über  die  Berechtigung  zur  Able¬ 
gung  des  Zeugnisses  muss  danach  eine  Sinn-  und  Zweck¬ 
widrigkeit  manifestieren.  Es  ist  deshalb  vorgeschlagen 
worden,  durch  Gesetzesnormen  dafür  zu  sorgen,  dass 
das  Geheimnis  nur  in  einem  engen  Kreis  bekannt  und 
dadurch  der  an  der  Geheimhaltung  Interessierte  mög¬ 
lichst  nicht  geschädigt  wird.  Ein  solcher  Ausweg 
scheint  nach  Finger 6)  auch  den  Wünschen  der  Ärzte 
zu  entsprechen,  um  ihre  Gewissenskollisionen  als  Zeugen 
vor  Gericht  zu  mindern.  Hierdurch  meint  Finger  auch 
dem  Übel  steuern  zu  können,  dass  de  facto  zum  Scha¬ 
den  der  Rechtspflege  die  Aussage  meist  verweigert  wird. 
Über  den  Schaden  für  die  Rechtspflege  zufolge  der 
Zeugnisverweigerung  lässt  sich  indes  streiten.  Bei 
der  Regelung  der  Zeugnispflicht  verdienen  vornehmlich 
zwei  Interessenten  legislarorische  Betrachtung,  es  ist 
der  Dritte,  der  das  Geheimnis  dem  Zeugen  anver¬ 
traut  hat  und  der  Staat,  der  gern  in  das  Geheimnis 
eindringen  möchte.  Weshalb  der  selber  gar  nicht 
interessierte  Zeuge  die  Entscheidung  darüber  ab¬ 
geben  soll,  ob  das  Geheimnis  gewahrt  wird,  ist 
schlechterdings  nicht  einzusehen.  Entweder  erscheint 
das  Vertrauensverhältnis  dem  Staat  als  der  Respektierung 
bedürftig:  dann  darf  er  es  nicht  durch  den  Vertrauens¬ 
mann  nach  Lust  und  Belieben  verletzen  lassen  ;  oder  es  er¬ 
scheint  ihm  nicht  als  so  wichtig,  dass  die  strafprozes¬ 
suale  Wahrheitsforschung  darunter  leiden  müsste;  dann 
darf  er  nicht  dem  Vertrauensmanne  zu  Liebe  von  dem 
Eindringen  in  das  Geheimnis  Abstand  nehmen.  Nicht 
der  Geheimnisempfänger  ist  es  ja,  auf  den  es  ankommt, 
sondern  der  Geheimnisgeber,  nicht  dem  Schutze  jenes, 
sondern  dem  Schutze  dieses  gilt  das  Beweisverbot7). 
Der  hier  proklamierten  Forderung,  nach  welcher  sich 
der  Staat  unter  Berücksichtigung  der  kundgetanen 


160 


Fortschritte  der  Medizin. 


Nr.  ta 


Antithesen  für  ein  aut-aut  entscheiden  soll,  gebührt 
gewiss  Beifall.  Sonst  würde  eine  Nervosität  der  Kran¬ 
ken  und  der  Ärztewelt  geboren  oder  gepflegt,  die  zu 
dem  Nutzen  einer  dem  Arzt  bewilligten  alternativen 
Entscheidung  ausser  jedem  Verhältnis  steht. 

In  der  Erkenntnis  der  Notwendigkeit  eines  Wandels 
des  heutigen  Zustandes  ist  man  schliesslich  auf  den 
Vorschlag  verfallen,  dass  der  Inhalt  ärztlicher  Zeugen¬ 
aussagen  nie  zur  Grundlage  werden  dürfe  eines  zum 
Nachteile  des  Subjekts  des  Geheimnisses  etwa  einzu¬ 
leitenden  Strafverfahrens.  Ein  Beispiel  hierfür: 

Der  H.  ist  we.;en  Körperverletzung  der  N.  angeklagt, 
weil  ihm  zur  Last  gelegt  wurde,  dass  er  sie  infiziert 
habe.  Solchenfalls  soll  nun  die  Aussage  des  Arztes 
der  N.,  der  bei  dieser  schon  früher  eine  Krankheit 
wahrgenommen  hat,  wohl  im  Prozess  gegen  H.  zu  dessen 
Freispruch  verwertet  werden  dürfen,  nicht  aber  die 
Grundlage  eines  neuen  Verfahrens  gegen  die  N.  bilden 
können.8)  Mir  scheint,  hier  wird  auf  Umwegen  ein 
Resultat  gesucht,  zu  dem  ein  gerader  Weg  führt. 
Bleiben  wir  einmal  bei  dem  gegebenen  Beispielsfalie 
und  vergegenwärtigen  wir  uns  dazu,  dass  der  Richter 
zu  einer  V  erurteilung  nur  kommen  darf  bei  der  vollen 
Überzeugung  von  der  Schuld  des  Angeklagten:  eine 
geschlossene  Indizienkette  ist  hierzu  also  erforderlich. 
Nun  muss  aber  der  Richter  bei  dem  Manko  einer 
ärztlichen  Zeugenaussage  immer  mit  der  Möglichkeit 
rechnen,  dass  die  angeblich  Angesteckte  bereits  infiziert 
war,  dass  also  die  Infektion  nicht  von  dem  Inkulpaten 
ausgegangen  ist  oder  auch,  dass  letzterer  schliesslich 
von  seiner  Krankheit  überhaupt  nichts  gewusst  hat. 
Ein  lückenloser  Schuldbeweis  wird  darum  kaum  jemals 
lücken,  er  würde  denn  mit  Hilfe  des  Arztes  erbracht, 
onach  muss  die  Überzahl  der  Fälle  eine  Freisprechung 
ergeben,  ohne  dass  um  ihrer  Herbeiführung  willen  dem 
Arzte  die  Berechtigung  einer  Zeugenaussage  über  an¬ 
vertraute  Dinge  eingeräumt  zu  werden  braucht.  Kaum 
konstruierbare  Ausnahmen  aber  vermögen  natürlich 
eine  Durchbrechung  des  Prinzips  der  absoluten  Ge¬ 
heimniswahrung  nimmermehr  zu  motivieren.  Sollte  man 
fürder  also  das  Zeugnis  des  Arztes  über  ihm  anver¬ 
traute  Dinge  bei  der  Erforschung  der  Schuld  ausschal¬ 
ten  wollen,  so  wäre  dem  Werte  der  Genehmigung  zum 
Verrate  des  Anvertrauten  damit  jede  Basis  endgültig 
entzogen.  De  lege  ferenda  wird  nach  alledem 

eine  Änderung  der  Strafprozessordnung  auch  in  dieser 
Richtung  lebhaft  zu  erwägen  sein,  wobei  es  den 
Stimmen  und  den  gemachten  Erfahrungen  der  Ärzte 
beschieden  ist,  den  Reformatoren  die  bedeutungsvollsten 
Anregungen  zu  geben. 

Doch  nun  zurück  zum  heutigen  Rechte. 

Wen  will  das  Strafgesetz  in  seine  Satzungen  ein¬ 
beziehen,  wenn  es  den  Ärzten  ein  Zeugnisverweigerungs¬ 
recht  einräumt?  Diese  Frage  kann  den  Vertretern 
der  medizinischen  Wissenschaft  nicht  gänzlich  gleich¬ 
gültig  sein.  Vielmehr  haben  sie  ein  berechtigtes  Inter¬ 
esse  daran,  den  Kreis  möglichst  eng  gezogen  zu  sehen. 
Denn  was  für  die  Schweigepflicht  des  Strafgesetzbuches 
gilt,  das  gilt  auch  von  dem  Schweigerecht  der  Straf¬ 
prozessordnung.  Der  Staat  würde,  unterstellte  er  aus¬ 
schliesslich  die  Ärzte  dem  Gesetze,  damit  die  Aus¬ 
übung  der  Heilkunde  seitens  der  geprüften  Medizinal¬ 
person  fördern9).  Und  dies  tut  er  auch  tatsächlich. 
Denn  nach  der  Gewerbeordnung  dürfen  sich  aus¬ 
schliesslich  geprüfte  Medizinalpersonen  Ärzte  nennen. 
Es  muss  aber  angenommen  werden,  das  die  Schöpfer 
des  Strafgesetzes  die  allgemein  gültigen  termini  technici 
in  dem  Sinne  angewandt  haben,  in  dem  sie  alferwärts  ver¬ 
standen  werden.  Der  Eimvurf,  dass  namentlich  Natur¬ 
ärzte  und  Kurpfuscher  durch  Indiskretionen  grosses 
Unheil  stiften  können  und  deshalb  mit  Fug  und  Recht 
dem  Gesetze  untertan  sein  müssten,  geht  fehl.  Freilich 


will  das  Gesetz  durch  das  Zeugnisverweigerungsrecht 
der  Verhinderung  der  Heilung  von  Menschen  steuern. 
Wenn  es  dabei  aber  ausschliesslich  die  berufenen  Ver¬ 
treter  der  Heilkünde  ins  Auge  fasst,  so  hat  es  den 
Schutzwürdigen  gegenüber  genug  getan.  Denen,  die 
ihre  Genesung  an  inkompetenter  Stelle  suchen,  erteilt 
das  Gesetz  aber  wie  dargelegt,  in  seinen  Normen  gleich¬ 
sam  einen  Ratschlag,  indem  es  die  rechte  Quelle  unter¬ 
streicht. 

Auch  den  im  Ausland  approbierten  Ärzten  wil  d  man 
das  Zeugnisverweigerungsrecht  abzusprechen  haben. 
,,Es  ist  unrichtig  zu  glauben,  dass  Approbation  durch 
einen  ausserdeutschen  Kulturstaat  der  in  Deutschland 
erfolgten  Approbation  rücksichtlich  der  Bestimmungen 
der  Strafprozessordnung  gleichzustellen  sei.  Die 
Gewerbeordnung  dokumentiert,  dass  nach  der  in 
ihr  vertretenen  Anschauung  nur  die  in  Deutschland 
erfolgte  Approbation  genügende  Garantien  bietet10). 
Verfechter  der  entgegengesetzten  Auffassung  haben  dem¬ 
gegenüber  daran  erinnert,  dass  in  Deutschland  eine 
bedeutende  Anzahl  weiblicher  Ärzte  praktiziert.  Diesen 
war  früher  die  Erlangung  inländischer  Qualifikation 
durch  die  deutsche  Gesetzgebung  verschlossen,  was  zur 
Folge  hatte,  dass,  wie  Auerbach  n)  ausführt,  die  weib¬ 
lichen  Ärzte  fast  alle  im  Auslande  nach  Beendigung 
regelrechter  medizinischer  Studien  das  Staatsexamen 
bestanden  und  ihre  Approbation  als  Ärzte  dortselbst 
erlangten.  Ein  vor  längerer  Zeit  ergangener  Beschluss 
des  Frankfurter  Landgerichts  (Frankfurter  Zeitung  vom 
24.  8.  1901)  hat  nun  den  im  Ausland  approbierten  Ärz¬ 
tinnen  (und  Ärzten)  das  Zeugnisverweigerungsrecht  ab¬ 
gesprochen.  Die  in  einem  solchen  Entscheid  liegende  Härte 
soll  nicht  verkannt  werden,  solange  er  gegen  die  wirkt, 
denen  trotz  ihres  V ollbesitzes  der  an  sich  dazu  erforderlichen 
Qualitäten  gesetzliche  Formalien  die  Approbation  ver- 
schliessen.  Seitdem  aber  der  Erlangung  der  inländischen 
Qualifikation  nichts  mehr  im  Wege  steht,  hat  der  ge¬ 
kennzeichnete  Gerichtsentscheid  seine  rigorose  Wirkung 
zum  guten  Teil  eingebüsst.  Soweit  man  nicht  also  da¬ 
für  kämpft,  allen  mit  der  „Heilung“  des  Publikums  sich 
befassenden  Personen  ein  Recht  zur  Verweigerung  des 
Zeugnisses  zu  geben,  sondern  dieses  Recht  für  den  er¬ 
strebt,  der  „der  Heilkunst  und  Heilwissenschaft  sich 
berufsmässig  widmet  und  nach  Erledigung  regelmässiger 
wissenschaftlicher  Studien  ein  wissenschaftliches  Staats¬ 
examen  abgelegt  hat“,  hat  die  hier  gestreifte  Streit¬ 
frage  bei  der  heutigen  Gesetzgebung  für  die  Ärztewelt 
kein  brennendes  Interesse  mehr. 

Weit  wichtiger  ist  die  Feststellung,  was  der  Arzt 
als  ihm  anvertraut  zu  betrachten  hat,  bezw.  wieweit  er 
unter  Berufung  auf  das  ihm  bei  Ausübung  seines  Berufs 
Anvertraute  sein  Zeugnisverweigerungsrecht  ausdehnen 
darf.  Der  Zweck  des  Gesetzes  führt  ohne  weiteres  da¬ 
zu,  nicht  ausschliesslich  die  unter  der  Auflage  der  Ge¬ 
heimhaltung  mitgeteilten  Tatsachen  vor  Gericht  ver¬ 
schweigen  zu  dürfen.  Der  Patient  kann  zu  der  Bitte 
um  Diskretion  schon  deshalb  ausserstande  sein,  weil 
er  die  Natur  seines  Leidens  oft  garnicht  kennt.  Soll 
hier  nicht  Vernunft  zum  Unsinn  werden,  so  wird  man 
annehmen  müssen,  dass  das  Diskretionsersuchen  dadurch 
ersetzt  wird,  dass  sich  der  Kranke  in  des  Arztes  Be¬ 
handlung  begibt  und  dem  Arzte  dadurch  einen  Einblick 
in  seinen  körperlichen  Zustand  verschafft,  vorausgesetzt, 
dass  dieser  Einblick  dem  Arzte  den  Schluss  nahelegt, 
dem  Kranken  möchte  eine  Kundgabe  des  Leidens, 
wenn  er  es  kennte,  unangenehm  oder  nachteilig  sein. 
Lässt  sich  ein  solches  Interesse  des  Kranken  an  der 
Verschwiegenheit  des  Arztes  vernünftigerweise  nicht 
einmal  mutmassen,  so  hiesse  es  unter  Umständen  den 
Begriff  des  An  Vertrauens  überspannen,  obschon  ich  zu¬ 
gebe,  dass  man  hierüber  zweifelhaft  sein  kann.  Meines 
Erachtens  aber  involviert  ein  Anvertrauen  doch  wohl 


Nr.  17 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


161 


eine  Mitteilung,  die  man  nur  einem  bestimmten  Adres¬ 
saten.  keinesfalls  aber  jedem  Menschen  machen  würde. 
Wenn  also  ein  Arzt  bei  II.  erzählt:  ,,Ich  komme  eben 
von  ihrem  Freunde  Y\,  der  Ärmste  hat  sich  den  Fuss 
verstaucht“,  so  wird  der  Arzt  vernünftiger  Deutung  zu¬ 
folge  nichts  ihm  ,, Anvertrautes“  preisgegeben  haben. 
Freilich  kommt  man  bei  solcher  Terminologie  unter  Um¬ 
ständen  leicht  ins  Uferlose,  während  es  doch  zweck¬ 
dienlich  ist,  gerade  liier  scharf  umrissene  und  möglichst 
eng  gesteckte  Grenzen  zu  ziehen. 

o  n 

Natürlich  ist  der  Arzt  nicht  lediglich  im  Hinblick 
auf  körperliche  oder  geistige  Gebrechen  seines  Patienten 
zeugnisverweigerungsberechtigt.  Vielmehr  gilt  sein  Recht 
zur  Verweigerung  der  Aussage  eben  rücksichtlich  aller 
Dinge,  die  ihm  bei  der  Ausübung  seines  Berufs  an- 
vertraut  sind.  Exempla  docent. 

Ein  Arzt  kommt  zu  einem  Kranken  und  konstatiert 
eine  schwere  Gemütserkrankung.  Hierdurch  wird  er  zu 
Fragen  nach  der  Entstehungsgeschichte  der  Krankheit  ver¬ 
anlasst,  wobei  er  von  dem  gänzlichen  Vermögensverfall 
der  Familie  Kenntnis  erhält.  Zweifellos  bildet  auch 
diese  Kundgabe  ein  Objekt  des  Zeugnisverweigerungs¬ 
rechtes.  — >  Ein  zweiter  Fall. 

Der  zu  dem  Patienten  gerufene  Arzt  stellt  Lues  fest. 
Er  erörtert  angesichts  dessen  die  Frage  nach  der  heredi¬ 
tären  Belastung  und  hört,  dass  schon  der  Vater  Syphi¬ 
litiker  war.  Solchenfalls  wäre  dem  Arzt  auch  gegen¬ 
über  dem  Vater  des  Patienten  bei  Erörterungen  über 
den  Gesundheitszustand  ein  Zeugnisverweigerungsrecht 
erwachsen;  beruht  doch  auch  hier  seine  Mitwisserschaft 
auf  dem  ihm  bei  Ausübung  des  Berufs  Anvertrauten. 
Das  Strafrecht  nimmt  .  an,  im  Zweifel  gelte  das  dem 
Arzte  in  der  Praxis  Mitgeteilte  als  ihm  anvertraut,  eine 
Annahme,  die  in  gleichem  Masse  auf  die  Strafprozess¬ 
ordnung  zutrifft.  Letzten  Endes  entscheidet  natürlich 
nur  das  Gepräge  des  einzelnen  Falles,  ob  der  Patient 
zum  Arzte,  oder  ob  der  Mann  zum  Mann  gesprochen 
hat.  Kuriert  der  Arzt  einen  Kranken,  der  ihm  beiläufig 
erzählt,  er  habe  sich  in  zwei  Wochen  zu  duellieren,  so 
kann  man  nicht  sagen,  der  Arzt  habe  von  dem  Duell 
in  seiner  Eigenschaft  als  solcher  Kenntnis  bekommen 

Kürzlich  hatte  sich  übrigens  das  Reichsgericht  mit 
der  hier  behandelten  Frage  zu  befassen.  Ohne  damit 
wesentlich  Neues  auszusprechen,  erklärte  es  unter  dem 
8.  Oktober  1909  12)  angesichts  der  Verweigerung  des 
Gutachtens  seitens  des  Dr.  A.,  der  sich  dabei  auf  seine 
Pflicht  zur  Verschwiegenheit  berufen  hatte,  die  Wei¬ 
gerung  für  berechtigt.  Denn  der  Arzt  durfte  sein  Gut¬ 
achten  nicht  nur  in  Ansehung  dessen  verweigern,  was 
ihm  bei  Ausübung  seines  Berufs  mündlich  oder  schrift¬ 
lich  von  Person  zu  Person  anvertraut  war,  sondern  auch 
bezüglich  anderer  Wahrnehmungen,  die  er  bei  der  in 
Frage  kommenden  Gelegenheit  infolge  seiner  Zuziehung 
als  Arzt  gemacht  hatte.  Hinsichtlich  des  Verteidigers 
sagen  die  Motive  ausdrücklich,  zur  Verweigerung  des 
Zeugnisses  genüge  es,  dass  der  Zeuge  in  seiner  Eigen¬ 
schaft  als  Verteidiger  von  der  betreffenden  Tatsache 
Kenntnis  genommen  habe.  Nach  dem  Zwecke  des  Ge¬ 
setzes  muss  das  Gleiche  aber  auch  für  Ärzte  gelten. 

Dieses  Urteil  leitet  über  zu  einigen  Worten  über 
die  Pflicht  zur  Erstattung  und  die  Befugnis  zur  Ver¬ 
weigerung  von  Gutachten.  Zur  Abgabe  medizinischer 
Gutachten  sind  die  Ärzte  nach  §  70  Abs.  1  St.  P.  O. 
verpflichtet.  Dort  heisst  es  : 

„Der  zum  Sachverständigen  Ernannte  hat  der  Er¬ 
nennung  Folge  zu  leisten,  wenn  er  zur  Erstattung  von 
Gutachten  der  erforderten  Art  öffentlich  bestellt  ist, 
oder  wenn  er  die  Wissenschaft,  die  Kunst  oder  das 
Gewerbe,  deren  Kenntnis  Voraussetzung  der  Begut¬ 
achtung  ist,  öffentlich  zum  Erwerbe  ausübt  oder  wenn 
er  zur  Ausübung  derselben  öffentlich  bestellt  oder  er¬ 
mächtigt  ist.“ 


Nach  dieser  Wortfasssung  ergibt  sich  die  Notwendig¬ 
keit,  auch  nicht  mehr  praktizierende  Ärzte  der  Pflicht 
zur  Erstattung  von  Gutachten  zu  unterwerfen,  weil  sie 
„zur  Ausübung  der  Wissenschaft  öffentlich  ermächtigt 
sind.“  Ein  Ausspruch  des  O.  L.  G.  München  vom  16. 
November  1897  verpflichtet  auch  Universitätsprofessoren, 
sich  als  Sachverständige  vernehmen  zu  lassen,  wenn  die 
Wissenschaft,  deren  Kenntnis  Voraussetzung  der  Begut¬ 
achtung  ist,  Gegenstand  ihrer  Lehraufgabe  ist.  13)  Die 
Tätigkeit  des  Gutachters  aber  erstreckt  sich  auch  auf 
die  Vornahme  der  zur  Abgabe  des  Gutachtens  erforder¬ 
lichen,  sachverständigen  Untersuchung. 

Über  das  Gutachtenverweigerungsrecht  lässt  sich  nach 
Kenntnisgabe  des  Rechts  zur  Verweigerung  des  Zeug¬ 
nisses  nichts  Neues  sagen.  Es  genügt  hier  der  Hinweis 
auf  §  76  St.  P.  O.  Er  lautet: 

„Dieselben  Gründe,  welche  einen  Zeugen  berechtigen, 
das  Zeugnis  zu  verweigern,  berechtigen  einen  Sachver¬ 
ständigen  zur  Verweigerung  des  Gutachtens.  Auch  aus 
anderen  Gründen  kann  ein  Sachverständiger  von  der 
Verpflichtung  zur  Erstattung  des  Gutachtens  entbunden 
werden.“  Nach  den  Ausführungen  Belings  14)  wird  nun 
die  Bedeutung  des  Rechts  zur  Auskunftsverweigerung 
häufig  dadurch  illusorisch  gemacht,  dass  die  Praxis 
keinen  Anstand  nimmt,  Durchsuchungen  und  Beschlag¬ 
nahmen  vorzunehmen,  um  als  Beweismittel  für  die 
Untersuchung  bedeutungsvolle  Gegenstände  zu  Tage 
zu  fördern.  „Weigert  z.  B.  ein  Arzt  sein  Zeugnis  über 
die  vertraulichen  Mitteilungen,  die  ihm  der  Patient  ge¬ 
macht  hat,  so  wird  einfach  dem  Arzte  das  Kranken¬ 
journal  weggenommen  und  an  der  Hand  der  dort  enthal¬ 
tenen  Aufzeichnungen  das  Nötige  doch  ermittelt.“ 

Ein  solches  Vorgehen  ist  indes  durchaus  ungesetzlich. 
Die  Strafprozessordnung  schliesst  vielmehr  gegenüber 
den  zur  Verweigerung  des  Zeugnisses  Berechtigten 
dieses  Zwangsmittel  ausdrücklich  aus. 


M  §  300. 

2)  §  52. 

s)  Vergl.  Löwe,  St.  P.  O,  Berlin  1907,  12.  Aull.  S.  298. 

4)  Vergl.  auch  Olshausen,  St.  Q.  B.  Berlin  1910,  S.  1240,  wo¬ 
selbst  die  Zweifelhaftigkeit  der  Frage  anerkannt  wird. 

B)  Beling,  die  Beweisverbote  als  Grenzen  der  Wahrheitsforschung 
im  Strafprozess.  S.  20. 

6)  Finger  in  der  vergleichenden  Darstellung  des  deutschen  und 
ausländischen  Strafrechts.  Bes.  7.  Bd.  VIII,  S.  367. 

7)  Beling,  1.  c. 

8)  Finger  1.  c. 

9)  Finger  S.  354 

10)  P.otschild  in  Goldammers  Archiv,  45.  Jahrg.  S.  419. 
u)  Jur.  Wochenschrift  Bd.  3 1 ,  S.  381  ff. 

12)  Abgedruckt  in  der  deutschen  Juristenzeitung  1910,  Nr.  1,  S.  81. 

13)  Löwe,  S.  338. 

14)  1.  c. 


Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische  Übersicht  von  Dr.  Blümel,  Halle  a.  S.,  Spezialarzt  für 
Hals-  und  Lungenkrankheiten. 

Fortsetzung 

3.  Physikalische  Behandlung. 

Über  die  Auswahl  der  Lungenkranken 
für  die  VolksheiJ  Stätte  bringt  Grau-Rons- 
dorf  (41)  eine  gute  Zusammenfassung.  Ilervorheben 
möchte  ich  daraus  die  Forderung,  dass  die  Sichtung 
durch  ein  Zentralkrankenhaus  geschehen  soll.  — 
Schultes-Grabowsee  (42)  berichtet  über  den 
Krankenzugang  in  der  von  ihm  geleiteten  \  olksheilstätte. 
Von  den  Patienten  hatten  32  Proz.  eine  offene,  70  Proz. 
überhaupt  eine  Tuberkulose.  Bei  12,8  Proz.  war  es 
zweifelhaft,  ob  eine  Tuberkulose  bestand,  17,2  Proz. 
waren  nicht  tuberkulös.  Sonst  wird  bei  dem 
Durchschnitt  der  Anstalten  die  Zahl  der  Nichttuber- 


162 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN* 


kulösen  auf  5  Proz.  geschätzt,  weil  genaue  Beobachtungs¬ 
stationen  die  Aufnahme  Gesunder  verhüten.  —  — .  Ich 
halte  das,  wie  schon  oben  ausgeführt,  einstweilen  nur 
für  einen  Wunsch;  seine  wirkliche  Durchführung  liegt 
noch  in  weiter  Ferne.  Keinem  wäre  sie  willkommener 
wie  uns  Tuberkuloseärzten  in  der  Praxis.  Denn  wir 
sehen  wie  einerseits  immer  noch  gedrängt  wird,  vom 
Publikum  aus,  nach  Neuerrichtung  von  Heilanstalten, 
anderseits  die  ganze  Not  aber  daher  kommt,  dass  die 
Nichttuberkulösen  den  Kranken  den  Platz  wegnehmen; 
denn  wenn  1/8  der  Aufgenommenen  keine  sichere  Tuber¬ 
kulose  hat,  könnten  soviel  Tuberkulöse  jedes  Jahr  mehr 
aufgenommen  werden.  Erst  damit  hätten  wir  ein  Urteil 
über  die  wirkliche  Leistung  des  Heilverfahrens.  Denn 
was  nützt  uns  eine  Erfolgsstatistik,  in  der  nach  5  Jahren 
50  Proz.  Dauererfolge  vorhanden  sein  sollen,  wobei  aber 
über  die  Hälfte  von  Nicht-Tuberkulösen  gestellt  werden. 
Dem  Anstaltsarzt  ist  aus  den  Verhältnissen  kein  Vor¬ 
wurf  zu  machen.  Er  hat  einen  schweren  Stand  in  der 
ganzen  Sache.  Und  schliesslich  bildet  sich  bei  ihm  sicher 
eine  gewisse  Einseitigkeit  in  der  Beurteilung  der  Fälle 
heraus,  die  bei  einer  so  weitgehenden  Spezialisierung  ja 
gar  nicht  zu  vermeiden  ist.  Wer  lange  in  Anstalten 
war,  merkt  das  am  besten,  wenn  er  wieder  in  die 
Praxis  tritt. 

Vergleichende  Betrachtungen  über  wichtige  K  limate 
bei  der  Tuberkulosebehandlung  werden  von 
Schröder  und  Müller  (43)  mitgeteilt.  Es  wurden  die 
Klimatypen  von  Wyk  auf  Föhr  (feucht  -  kühles  See¬ 
klima),  Schömberg  (Mittelgebirge),  Frankfurt  a. 
Main  (Niederungsklima),  Nizza  (trocken-warmes  See¬ 
klima)  und  Davos  (Höhenklima)  verglichen.  Danach 
gibt  es  Klimaoptima  für  Tuberkulose  in  Mitteleuropa 
nicht.  Es  lassen  sich  aber  hier  in  den  verschiedensten 
geographischen  Lagen  bald  nach  der  einen,  bald  nach 
der  anderen  Richtung  hin  die  klimatischen  Eigenschaften 
und  Vorzüge  finden,  die  für  unseren  Kampf  gegen  die 
Tuberkulose  gleichwertig  benutzbar  sind.  Im  übrigen 
heilt  —  — «  und  in  alledem  kann  Referent  Schröder 
voll  beistimmen  —  —  die  Tuberkulose  in  unserem 
heimischen  Klima  genau  wie  überall,  wenn 
der  Kranke  an  geeigneten  Plätzen  mit  zweckmässigen 
Einrichtungen  für  seine  Kur  richtig  und  sachgemäss  be¬ 
handelt  wird.  Ein  spezifisch  Tuberkulose  heilendes 
Klima  gibt  es  nicht,  aber  das  Klima  kann  ein  wichtiges 
Unterstützungsmittel  unserer  Therapie  bilden.  Vorerst 
werden  wir  Mühe  haben,  das  Publikum  hiervon  zu  über¬ 
zeugen.  V iele  Wirkungen,  die  lediglich  Folge  der  Heraus¬ 
nahme  aus  der  Umgebung  und  des  Sanatoriumaufenthaltes 
überhaupt  sind,  werden  dem  Klima  fälschlich  zuge¬ 
schrieben.  W  elche  Fehlschlüsse  hier  gezogen  werden 
davon  überzeugen  wir  uns  am  besten,  wenn  wir  die  in 
Heilanstalten  erzielten  Erfolge  mit  denen  vergleichen, 
die  die  Kranken  am  selben  Ort,  wenn  sie  sich  nur  in 
privater  Verpflegung  dort  befinden,  haben.  Es  ist  eben 
doch  das  Zweckmässigste,  wenn  man  seine  Kranken 
wegschickt,  sie  nicht  in  offene  Kurorte,  sondern  in  gut 
geleitete  Anstalten  zu  geben,  auch  lieber  in  deutsche 
Anstalten  als  in  offene  noch  so  schön  gelegene  ausser- 
deutsche  Kurorte,  trotz  der  guten  Erfolge,  über  die 
Bratz  (44)  aus  Nervi  berichtet. 

In  der  Ernährung  Lungenkranker  sind  wir 
mehr  und  mehr  von  der  Mast  mit  tierischem  Eiweiss 
abgekommen.  Da  ist  es  um  so  bemerkenswerter,  wenn 
Hornemann  und  Thomas  (45)  bei  verschiedener 
Fütterung  von  Schweinen  zu  dem  Ergebnis  kommen: 
die  reichliche  Eiweissernährung  übt  eine  direkt  schützende 
Wirkung  gegen  die  Tuberkulose  aus 

Die  Sonnenlichtbehandlung  hat  sich  in  der 
Therapie  der  chirurgischen  Tuberkulose  schnell  Bürger¬ 
recht  erworben.  Bei  Anwendung  in  der  Lungentuber¬ 
kulosebehandlung  ist  Vorsicht  nötig.  Darauf  weist  auch 


Nr.  17- 


v.  Schrötter  (46)  hin,  der  im  übrigen  vor  allem  den 
Vorzug  der  natürlichen  gegenüber  der  künstlichen  Be¬ 
sonnung  betont.  Wir  haben  es  ja  bei  der  Lungentuber¬ 
kulose  zumeist  mit  Erwachsenen,  weniger  mit  Kindern 
zu  tun,  das  V  erschicken  an  andere  Orte  wird  hier  also 
schwieriger  und  kostspieliger  sein.  Deshalb  werden  wir 
das  Gute  nehmen  müssen,  wo  es  sich  findet  und  auch 
die  künstliche  ,.11  ö  h  e  n  so n  n  e‘*  statt  der  oft  nicht  aus¬ 
reichend  verfügbaren  natürlichen  benutzen.  Wie  weit 
das  bei  Lungentuberkulose  von  Nutzen  ist,  muss  ein 
eingehendes  Studium  erst  lehren.  Ob  wir  uns  den  be¬ 
geisterten  Empfehlungen  von  Krüger-Plauen  (47) 
in  ganzem  Umfange  anschliessen  können,  erscheint  noch 
dahingestellt.  Ich  bin  mit  Nachprüfungen  über  den 
Gegenstand  beschäftigt. 

Über  gute  Erfolge  bei  Behandlung  von  Lungen¬ 
tuberkulose  mit  R  ö  n  t  ge  n  s  t  r  ahl  e  n  berichten  de  la 
Camp  und  Küpferle  (48).  Die  Hauptsache  ist  eine 
richtige  Anwendung.  Man  nimmt  harte  Strahlen,  wählt 
das  Bestrahlungsfeld  ungefähr  20  qcm  gross  und  15  bis 
25XOberfiächeneinheiten  bei  18— 22  cm  Fokusentfernung. 
Zu  grosse  Dosen  geben  zu  starke  Allgemein-  und  Lokal¬ 
reaktionen.  Die  Pause  zwischen  den  einzelnen  Be¬ 
strahlungen  soll  2—8  Tage  betragen.  Alle  erkrankten 
Teile  werden  einmal  durchbestrahlt.  Die  Autoren  be¬ 
handelten  15  Fälle,  davon  7  des  2.,  4  des  1.  Stadiums. 
Diese  letzten  werden  alle  sehr  günstig  beeinflusst,  auch 
von  den  7  Fällen  des  2.  Stadiums  wurden  4  geheilt  in 
3— .3y2  Monaten.  Zuerst  wird  eine  Zu-,  dann  eine  all¬ 
mähliche  Abnahme  der  katarrhalischen  Erscheinungen 
wahrgenommen.  Anstelle  der  tuberkulösen  Granulationen 
entwickelt  sich  ein  Bindegewebe. 

Den  Wert  hydrotherapeutischer  Massnahmen 
bei  Lungentuberkulose  schildert  B  r i  e  ge  r- B  erli  n  (49). 
Er  verwirft  die  schematische  und  verlangt  eine  Wasser¬ 
behandlung  von  Fall  zu  Fall.  Sie  bildet  nach  seiner 
Ansicht  mit  einen  Hauptbestandteil  der  Tuberkulose¬ 
behandlung. 

Eine  zusammenfassende  Arbeit  über  die  neuen  im- 
muniserenden  und  therapeutischen  Mittel  gibt  Junker- 
Cottbus  (50).  Von  Rosenbachs  Tuberkulin  und 

I.  K.  Spengler  sah  er  keinen  bedeutenden  Einfluss, 
auch  in  der  Chemotherapie  sind  die  Erfolge  noch  nicht 
bedeutend.  Gold  in  Form  von  Aurum  kalium  cyanat. 
hat  einen  mehr  elektiven  Einfluss  wie  Kupfer,  ist  aber 
differenter  als  dies.  Für  die  allgemeine  Praxis  sind  die 
Mittel  noch  nicht  reif.  Hier  steht  wie  auch  sonst  die 
physikalisch-diätetische  Behandlung  noch  ganz  im  Vorder¬ 
gründe,  vielleicht  neben  einer  sachgemässen  Tuberkulin¬ 
behandlung.  (s.  u.) 

4.  Tierexperimente  zur  spezifischen 

Behandlung. 

Fuchs-Kaufbeuren  (51)  fand,  dass  ein  Schutz 
gegen  Erkrankung  oder  Heilung  bei  bestehender  Tuber¬ 
kulose  bei  Meerschweinchen  durch  Tuberkulin  nicht  zu 
erzielen  war.  Aronsohn -Berlin  (52)  stellt  folgende 
Betrachtungen  an :  der  Nachweis  der  hypothetischen 
Antikörper,  die  das  unschädliche  Tuberkulin  in  ein  Gift 
überführen,  könnte  geliefert  werden 

1.  durch  die  Methode  der  Komplementablenkung ; 

2.  durch  die  Möglichkeit,  normale  Tiere  durch  die 
Vorbehandlung  mit  Tuberkulin  zu  sensibilisieren; 

3.  durch  die  passive  Übertragung  der  Tuberkulin¬ 
empfindlichkeit  von  tuberkulösen  Tieren  auf  ge¬ 
sunde. 

Die  völlig  eindeutigen  Experimente  waren  negativ 
und  schliessen  mit  Sicherheit  das  Vorhandensein  von 
Reaktionskörpern  (Ambozeptoren)  im  Serum,  die  für  das 
Giftigwerden  des  Tuberkulins  verantwortlich  zu  machen 
sind,  aus.  Die  Tuberkulinwirkung  ist  demnach  nicht 
als  anaphylaktischer  Vorgang  aufzufassen.  A.  erklärt  die 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


1 03 


Nr.  17. 


Reaktion  so:  die  in  allen  Bakterienleibern  enthaltenen 
Gifte  bewirken  eine  Schädigung  der  Leukozyten,  die  in 
allen  tuberkulösen  Herden  zahlreich  vorhanden  und  be¬ 
sonders  vulnerabel  sind.  Sie  gehen  durch  Injektion 
kleiner  Mengen  von  Bakterien  zugrunde  Dies  Zu¬ 
grundegehen  der  weissen  Blutkörperchen  führt  zu  den 
lieberhatten  Allgemeinreaktionen.  Bei  der  Anwendung 
des  Tuberkulins  für  Heilzwecke  ist  deshalb  ein  immuni¬ 
sierender  Erfolg,  was  den  Tierversuch  betrifft,  nicht  zu 
erreichen.  Der  günstige  klinische  Erfolg  kann  nur  in 
der  Anregung  auf  die  Leukozyten  gesehen  werden. 

Durch  lösliche  Substanzen,  auf  welche  Art  sie  auch 
immer  aus  den  Tuberkelbazillen  hergestellt  sein  mögen,  ist 
keine  Immunisierung  gegen  Tuberkulose  zu  erreichen. 
Immunisierende  Wirkung  kommt  nur  den 
\  ollbakterien  zu,  und  zwar  1.  den  schonend  ab¬ 
getöteten,  2.  den  in  ihrer  Virulenz  künstlich  abge¬ 
schwächten,  3.  den  für  den  betreffenden  Organismus 
avirulenten  (Friedmanns  Bakterien).  Durch  weitere 
experimentelle  Forschung  ist  zu  entscheiden,  welche 
dieser  drei  Methoden  für  die  Behandlung  des  Menschen 
zu  empfehlen  ist,  (dass  es  die  F  r  ie  dmann  sehe  in  der 
jetzigen  Form  nicht  ist,  darüber  s.  weiter  unten.) 

5.  Allgemeines  über  Tuberkuline. 

Allgemeines  über  Tuberkulin  bringt  Ruppel  (53). 
Die  Träger  der  spezifischen  Wirkung  sind  nach  ihm 
1.  Nukleinsäure,  2.  Nuklein,  3.  Nukleoalbumin.  Im  übrigen 
sind  Deyke  und  Much  mit  ihren  Partialantigenen 
(s.  früh.  Referat)  einen  Koch  analogen  Weg  gegangen. 
Much  (54)  selbst  berichtet  ausführlicher  über  seine  Be¬ 
strebungen,  die  einzelnen  Partialantigenen  durch  Au  fi¬ 
sch  liessung  des  Tub  e i  ke lb  az i  1 1  u  s  therapeutisch 
wirksam  zu  machen.  Die  Auflösung  ist  durch  die  Milch¬ 
säure  gelungen,  wie  hier  früher  schon  ausgeführt.  M. 
weist  auch  nach,  dass  im  Tierkörper  bazillenauflösende 
Stoffe  vorhanden  sind.  Es  scheint  sich  bei  der  Tuber¬ 
kulose  um  eine  zelluläre  Immunität  zu  handeln.  Bei 
Tuberkulin  ist  das  säurelösliche  Partialantigen  allein  im¬ 
stande,  tuberkulöse  Meerschweinchen  zu  töten.  An  die 
Erythrozyten  ist  die  zelluläre  Immunität  sicherlich  nicht 
gebunden.  (Spengler  vertritt  in  seinem  I.-K.  die  ent¬ 
gegengesetzte  Ansicht,  wohl  zu  Unrecht.  Ref.) 

6.  Erfahrung  mit  spezifischen 
Präparaten. 

Arima  (55)  fand,  dass  sich  die  Tuberkelbazillen 
im  strömenden  Blut  vermindern  und  schliesslich  ver¬ 
schwinden,  infolge  Tuberkulinbehandlung  (also  keine 
Mobilisierung).  Die  Dosen  müssen  aber  ziemlich  gross 
sein  (0,5 — 1  ccm).  Die  Dauer  der  Tuberkulinbehandlung 
soll  6 — 8  Monate  betragen. 

v.  H  o  1 1  e  n- F  ri  e  d  r  i  c  hsh  e  i  m  (56)  verwandte 
1  uberkulol.  Die  spezifische  Behandlung  ergab  gegen¬ 
über  Nichtspezifisch  -  Behandelten  z.  B.  im  3.  Stadium 
38  Proz.  gegen  33,7  Proz.  Arbeitsfähige.  Tuberkulol 
enthält  das  Tuberkulosegift  sehr  rein,  in  unveränderter 
Form  und  dabei  stark  konzentriert,  v.  H.  behandelte 
580  Fälle  mit  allen  3  Arten  Tuberkulol  (A,  B,  C). 
Der  rasche  Injektionstypus,  jeden  3.  Tag  spritzen,  um 
/.u  hohen  Dosen  zu  kommen,  wurde  wieder  verlassen. 
Die  besten  Erfolge  gab  Tuberkulol-C.  Trotz  der 
unangenehmen  Begleiterscheinungen  der  Reaktionen 
glaubte  v.  II.  gerade  nach  stärkeren  Reaktionen 
eine  wesentliche  Besserung  des  Lungenbefundes  ge¬ 
sehen  zu  haben.  Die  grossen  Dosen  schaffen  die 
besten  Erfolge.  Die  Bazillen  verloren  bei  Tuber¬ 
kulinbehandlung  26  Proz.,  bei  Tuberkulolbehandlung 
40,65  Pro/,.,  sodass  bei  der  letzten  Therapie  eine  Über¬ 
legenheit  von  14,6  Proz.  herauskommt.  Auch  die  klinischen 
Lrfolge  waren  wesentlich  bessere. 

Iche  verwende  seit  zirka  4  Jahren  fast  ausschlieslich 
1  uberkulol.  So  überlegene  Wirkungen  sah  ich 
allerdings  nicht,  glaube  auch  kaum,  dass  man  sie  so 


statistisch  erfassen  kann.  Über  die  Vorzüge  des  Präpa¬ 
rates  gegenüber  anderen  (s.  57  u.  58).  Die  Stärke  der 
verschiedenen  Tuberkulinpräparate  verglich  Kollert 
(59).  Durch  intrakutane  Impfung  am  Menschen  lässt 
sich  eine  Stärkeskale  der  Tuberkuline  feststellen, 
die  unseren  klinischen  Erfahrungen  auch  fast  entspricht. 

Schulz-Charlottenburg  (60)  empfiehlt  wieder 
das  Ei  se  n  tuberkul  in  ,  weil  es  alle  spezifischen  Be¬ 
standteile  des  I  uberkulins  enthält,  und  wegen  seiner  ge¬ 
ringen  toxischen  Wirkung  sehr  gut  ambulant  anzuwenden 
ist.  (Das  Präparat  ist  eben  ein  stark  abgeschwächtes 
Alttuberkulin,  daher  seine  mildere  Wirkung.  Ref.) 

Sehr  günstige  Berichte  liegen  über  dasRosenbachsche 
Tuberkulin  vor,  bei  chirurgischer  Tuberkulose  von 
Lichtenstein  (61)  und  Cuno  (62),  bei  Lungentuber¬ 
kulose  von  Bergmann  -Pose  n  (63).  Die  Autoren 
beginnen  fast  alle  mit  Originallösungen  des  Präparates, 
während  ich  bei  Lungentuberkulose  jedenfalls  rate,  mit 
der  zehnfachen  Verdünnung  anzufangen.  Auch  meine 
Erfahrungen  waren  gute.  Gesteigert  wird  am  besten 
um  die  Hälfte  der  vorhergehenden  Dosis,  in  1  /.,-  bis 
1  wöchigen  Zwischenräumen. 

Gleichfalls  günstig  wird  über  ein  neueres  Mittel,  das 
Tub  e  rkulo  semucin-W  eleminsky  berichtet. 
Pachner-Meran  (64)  ist  allerdings  nicht  sehr 
kritisch  in  seiner  Meinungsäusserung.  Er  behandelte 
86  Fälle  in  der  Anstalt,  nachdem  er  das  Präparat  schon 
früher  in  der  Ambulanz  gebraucht  hatte.  Es  ist  schwer, 
da  grösstenteils  die  subjektiven  Besserungen  betont 
werden,  sich  von  der  Wirksamkeit  des  Mittels  den  rich¬ 
tigen  Begriff  zu  machen.  Ich  bin  der  Ansicht,  dass 
man  das  mit  anderen  Präparaten  auch  erreicht.  Gegen 
Tuberkulin  hat  der  Autor  ein  Vorurteil.  Es  kommen 
nach  ihm  dafür  nur  1.  und  2.  Stadien  in  Betracht,  und 
auch  diese  nur,  wenn  sie  unkompliziert  sind.  Das  ist 
ungerechtfertigt  und  zeugt  von  einer  völligen  Verkennung 
der  Lage.  Nach  anatomischen  Begriffen  entscheiden 
wir  die  Anwendung  des  Tuberkulins  schon  lange  nicht 
mehr,  sondern  nach  klinischen.  Und  da  können  dritte 
Stadien  mit  mancherlei  Komplikationen  noch  sehr  dank¬ 
bare  Gegenstände  der  Behandlung  sein.  Also  von  dem 
Standpunkt  aus  ist  eine  Empfehlung  anderer  Präparate 
nicht  gerechtfertigt. 

Kritischer  urteilt  Gut  h  -Kl  adn  o  (65).  Erarbeitete 
mit  Tuberkulomuzin-W  eleminsky  purum,  das 
4  mal  so  stark  ist  wie  das  alte  Präparat.  Er  sah  einen 
sehr  schnellen  Rückgang  der  katarrhalischen  Erschei¬ 
nungen  und  empfiehlt  das  Mittel  besonders  für  2.  und 
3.  Stadien  und  für  fieberhafte  Fälle.  Man  beginnt  mit 
einem  Teilstrich  der  1  prozentigen  Lösung  und  steigt 
anfangs  um  das  Doppelte,  dann  um  die  Hälfte,  bis 
deutliche  Stichreaktion  auftritt,  in  Zwischenräumen  von 
1 — 2  Wochen.  Fieber  und  Allgemeinreaktionen  sind  zu 
vermeiden.  Bei  Stillstand  oder  fehlender  Besserung  ist 
eine  Tuberkulinkur  anzuschliessen.  Besonders  ist  das 
Mittel  bei  Drüsentube  rkulose  und  dort,  wo  andere 
Präparate  versagen,  anzuwenden.  (Ich  bin  mit  Nach¬ 
prüfungen  des  Präparates  beschäftigt.) 

Über  Tuberkulose  des  Kindesalters  gibt  Müller- 
Berlin  (66)  eine  allgemeine  Übersicht,  die  ihn  auch  eine 
günstige  Prognose  für  das  Friedman  nsche  Tuber- 
kulosemiltel  stellen  lässt.  Inzwischen  sind  aber  die 
praktischen  Erfahrungen  doch  andere  geworden.  So 
berichten  Vulpius  und  Laubenheim  er  (67)  über 
sehr  ungünstige  Erfahrungen.  V.  sah  in  keinem  von 
46  behandelten  Fällen  eine  Änderung,  die  man  hätte 
dem  neuen  Mittel  zuschreiben  können.  Aber  er  erlebte 
einmal  einen  Todesfall  und  einmal  einen  sehr  be¬ 
drohlichen  Kollaps  nach  der  Simultaninjek¬ 
tion.  Er  hält  das  Präparat  eben  für  sehr  giftig  und 
widerrät,  es  in  die  Blutbahn  selbst  zu  bringen.  L.  unter¬ 
suchte  13  Ampullen  des  Mittels.  Davon  enthielten  nur 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


164 

zwei  die  Schildkrötenbazillen  in  Reinkultur,  der  Inhalt 
der  übrigen  zeigte  sich  stark  verunreinigt  mit  ver¬ 
schiedenen  Arten  von  Bakterien,  darunter  mit  solchen, 
die  sich  im  Tierversuch  als  sehr  virulent  erwiesen,  wie 
Staphylococc.  pyogenes  aureus.  Dass  die  intravenöse 
Injektion  eines  derartigen  Materials  die  schwersten  Er¬ 
scheinungen  hervorrufen  kann,  ist  ohne  weiteres  selbst¬ 
verständlich.  - Meine  eignen  Erfahrungen  an  7  Fällen 

von  Lungentuberkulose  decken  sich  mit  den  Ergebnissen 
von  Vulpius:  lauter  Versager.  ln  einem  Falle 
(1.  Stadium  der  Tuberkulose,  kräftiges  sonst  gesundes 
LSjähriges  Mädchen)  erlebte  ich  einen  so  lebensbedroh¬ 
lichen  Kollaps  nach  der  Simultaninjektion,  dass  ich  auf 
die  weitere  Anwendung  des  Mittels  verzichtet  habe  und 
seine  allgemeine  Anwendung  in  der  Praxis  dringend 
widerraten  muss. 

Die  ambulante  Tuberkulinbehandlung  wird  be¬ 
sonders  von  Suess  - Wien  (08)  befürwortet.  Er  berichtet 
von  ihrer  Anwendung  in  den  Fürsorgestellen  der  Öster¬ 
reichischen  Staatsbahn. 

Zwei  neue  Formen  der  Anwendung  des  Alttuber¬ 
kulins  oder  des  Tuberkulins  Beraneck  werden  empfohlen. 
Sahli  bevorzugt  den  T uberkulinschnepper,  P  e t  ru  s  ch  ky 
Einreibungen  in  die  unverletzte  Haut.  Über 
die  erste  Methode  berichtet  Dü  bi  (09).  Mit  dem 
Schnepper  werden  multiple  Stichreaktionen  erzeugt,  auf 
die  ein  Tropfen  Tuberkulinlösung  ausgestrichen  wird. 
Die  Konzentration  der  Tuberkulinlösung  wechselt  von 
1  Proz.  steigend  immer  um  das  Doppelte  der  vorigen 
Konzentration.  Die  Reaktionen  sind  sehr  verschieden, 
von  einer  Papel  bis  zum  knotigen  Infiltrat.  Bei  Ver¬ 
impfung  auf  alte  Stellen  sind  die  Reaktionserscheinungen 
heftiger.  In  Zwischenräumen  von  3  Tagen  wird  die 
Dosis  solange  gesteigert,  bis  ohne  Allgemeinreaktion 
gute  Lokalreaktion  erzielt  wird.  Dann  wird  durch  Ver- 


Nr.  17. 


mehrung  der  Impfstellen  die  Dosis  gesteigert,  weil  bei 
Verteilung  auf  mehrere  Hautstellen  die  Allgemeinreaktion 
geringer  wird.  Die  Erfolge  sind  sehr  günstig. 

Ich  habe  mir  den  S  a  h  1  i  sehen  Schnepper  angeschaflt 
und  bin  mit  Nachprüfungen  beschäftigt,  erwähne  aber, 
dass  man  eine  ähnliche  Therapie  schon  früher  machte, 
denn  seit  Jahren  ist  uns  die  Pirquetsche  Impfung  ge¬ 
läufig,  die  ich  in  Form  der  P  e  tru  s  c  hky  sehen  Modi¬ 
fikation  anwende,  mit  der  Spitze  einer  Kanüle  wird  ein 
liegendes  Kreuz,  dessen  Striche  je  1  —  1  y2  cm  lang  sind, 
gekratzt.  So  lassen  sich  sehr  einfach  die  kutanen 
Impfungen  auch  ausführen,  sind  auch  schon  von  anderen 
(W  a  1 1  e  r  s  t  e  i  n)  so  angewandt  worden.  Man  nimmt  erst 
die  Konzentration  geringer,  dann  vergrössert  man  die 
Impfschnitte,  dann  vermehrt  man  sie,  indem  man  parallel 
dem  einen  und  dem  anderen  Strich  einen  zweiten, 
dritten  usw.  macht.  Wie  weit  Sahli’s  Methode  hier 
überlegen  ist,  muss  die  Zeit  erst  lehren. 

Viel  Wert  hat  die  P  e  t  r  u  sc  h  ky  sehe  (70,  71)  Me¬ 
thode  der  Tuberkulineinreibung,  weil  sie  den 
Zweck  hat,  den  Kranken  selbst,  wenn  auch  unter  zeit¬ 
weiliger  Kontrolle  des  Arztes,  die  Behandlung  ausführen 
zu  lassen.  In  Familien,  in  denen  Tuberkulose  vorge¬ 
kommen  ist,  ist  die  Behandlung  an  allen  Personen  mit 
positivem  Pirquet  durchzuführen.  Wo  eine  offene  Tuber¬ 
kulose  in  der  Wohnung  ist,  wünscht  P.,  dass  alle  jüngeren 
Familienmitglieder  prophylaktisch  behandelt  werden. 
Das  Verfahren  ist  zur  Massenbehandlung  sicher 
sehr  geeignet.  Das  Tuberkulin  wird  durch  Glyzerin¬ 
zusatz  verdünnt:  eine  Lösung  1  :  25,  eine  1  :5  und  das 
reine  Präparat  werden  angewandt.  Es  wird  alle  drei 
Tage  eingerieben,  abwechselnd  auf  den  Unter-  und 
Oberarmen.  Bei  Entzündungen  der  Haut  sind  10  Tage 
Pause,  bei  Temperatursteigerungen  ebensolche  Zwischen¬ 
räume,  oder  ein  Zurückgehen  in  der  Dosis  nötig. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Die  Kompressionsfraktur  des  Calcaneus  als 
typische  Seekriegsverletzung. 

Von  Magnus,  Marburg. 

Die  Verletzung  wurde  im  Anschluss  an  ein  See¬ 
gefecht  bei  7  Leuten  beobachtet ;  zweimal  war  die 
Fraktur  doppelseitig,  dreimal  kompliziert.  Für  die 
Actiologie  massgebend  war  der  Umstand,  dass  allemal 
im  nächstuntern  Raum  eine  Granate  schwersten  Kali¬ 
bers  krepiert  war.  Dadurch  hatte  sich  das  dünne  Deck 
mit  grosser  Gewalt  und  Schnelligkeit  nach  oben  be¬ 
wegt  und  dem  darauf  stehenden  Manne  die  Fusswurzel 
zerschlagen.  —  Die  Therapie  bestand .  im  Redrasse¬ 
ment,  das  jedoch  wegen  der  Fettemboliegefahr  erst 
nach  zwei  Wochen  erfolgen  darf,  Fixierung  der  Spitz- 
fuss-Klumpfussstellung  im  Gipsverband,  der  allmäh¬ 
lich  in  eine  offene  Lade  übergeht,  und  von  der  vierten 
Woche  ab  in  funktioneller  Behandlung ;  Bettruhe  bis 
zum  Ablauf  des  zweiten  Monats,  dann  Plattfusseinlage 
für  mindestens  ein  Jahr.  Erfreuliche  Endresultate. 

(M.  Kl.  47/15.)  Autoreferat. 

Exanthem  und  Rezidiv  bei  Meningitis  epidemica. 

Von  M.  Morgenstern,  Assistenzärztin. 

Zwei  Fälle  von  Meningitis  epidemica,  die  rezi¬ 
divierend  verliefen.  Eine  Patientin  hatte  bei  jedem  Rezi¬ 


div  ein  typisches  Exanthem,  dessen  differential  dia¬ 
gnostische  Unterscheidung  vom  Flecktyphus-Exanthem 
besprochen  wird.  (D.  m.  Wschr.  46.  15.) 

Autoreferat. 

Beitrag  zur  plastischen  Operation  des  Daumen¬ 
ersatzes. 

Von  Dr.  Hoeham  mer 

Durch  Explosion  eines  Granatzünders  wurde  einem 
jungen  die  rechte  Hand  sehr  schwer  verstümmelt,  der 
Zeigefinger  und  Mittelfinger  wurden  samt  den  Meta- 
karpen  abgerissen,  desgleichen  der  Daumen  samt  dem 
Os  multangulum  maj.  und  min.  Die  ganze  Hand  be¬ 
stand  demnach  nurmehr  aus  dem  vierten  und  fünften 
Finger,  von  denen  beim  vierten  Finger  das  Grundge¬ 
lenk  stark  versteift  war.  Da  in  diesem  Zustande  die 
Hand  völlig  wertlos  war,  entschloss  sich  Dr.  Hör¬ 
hammer.  den  Daumen  durch  eine  Transplantation  einer 
grossen  Zehe  zu  ersetzen,  damit  die  Hand  wieder 
einige  Greiffähigkeit  erlange.  Die  Zehen-Transplanta- 
tion  wurde  nach  dem  Prinzip  von  Nicoladoni  vorge¬ 
nommen  nur  mit  der  Modifikation,  dass  die  grosse 
Zehe  vom  entgegengesetzten  Fusse  bezogen  wurde  und 
die  Lappenbildung  nicht  dorsal,  sondern  seitlich  ge¬ 
schah.  Dadurch  wurde  einerseits  die  Lage  für  den 
Patienten  eine  überaus  leicht  erträgliche  und  anderer¬ 
seits  bot  der  grosse  ovale  seitliche  Lappen  der  grossen 


Nr.  17. 


165 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Zehe  eine  sehr  breite  Ernährungsfläche.  Die  An¬ 
frischung  an  der  Hand  wurde  entsprechend  dem  brei¬ 
ten  Lappen  vorgenommen.  Bei  der  Transplantation 
wurde  die  Strecksehne  und  Beugeseime  der  Zehe,  eben¬ 
so  die  Gelenkkapsel  mit  den  entsprechenden  Gebil¬ 
den  am  Daumen  vereinigt.  Die  Exartikulation  der  Zehe 
wurde  im  Grundgelenk  vorgenommen.  Nach  17  Tagen 
erfolgte  die  Durchtrennung  der  Ernährungsbrücke, 
ohne  dass  irgend  welche  Zirkulationsstörungen  am 
transplantierten  Daumen  eintraten.  Der  fixierende 
Gipsverband  wurde  an  einem  Galgen  suspendiert,  was 
von  dem  Patienten  überaus  angenehm  empfunden 
wurde. 

Das  Resultat  war  ein  ausserordentlich  zufrieden¬ 
stellendes,  denn  obwohl  die  ganze  Daumenballen-Mus¬ 
kulatur  fehlte,  kann  der  Junge  trotzdem  nicht  unbe¬ 
deutende  aktive  Beugung  und  Streckung  des  Daumens 
an  der  Basis  machen  und  der  Knabe  ist  imstande, 
mit  dem  Daumen  und  den  beiden  Fingern  Gegen 
stände  zu  erfassen  und  festzuklammern,  so  dass  er  wieder 
Stabübungen  beim  Turnen  macht  und  mit  der  rechten 
Hand  schreibt. 

Es  ist  dies  der  erste  Fall,  bei  dem  die  Zehe  vor¬ 
der  anderen  Seite  bezogen  wurde  und  wo  bei  einer  so 
ausgedehnten  Verletzung  und  beim  Fehlen  der  Daumen¬ 
ballen-Muskulatur  eine  Transplantation  vorgenommen 
wurde. 

Die  Entfernung  der  Zehe  hat  dem  Patienten  nicht 
die  geringste  Beeinträchtigung  des  Gehvermögens  ver¬ 
ursacht,  (M.  m.  Wschr.  49, 15) 

Autoreferat. 

Primäres,  generalisiertes  Spindelzellsarkom  der 

Lymphdrüsen. 

Von  Prof.  D.  P.  v.  B  a  u  m  g  a  r  t  e  n  -  Tübingen. 

Verfasser  berichtet  über  einen  Fall  von  Sarkoma- 
tose  der  Lymphdrüsen,  der  klinisch,  von  N  a  e  g  e  1  i 
beobachtet,  unter  dem  Bilde  einer  „Lymphadenosis 
aleukaemica“  auftrat.  Die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  zweier  probeexzidierter  Knoten  ergab  aber  in 
beiden  statt  des  erwarteten  lymphadenoiden  Gewebes 
die  Struktur  eines  typischen  fasikulären  Spindelzell¬ 
sarkoms.  Die  Krankheit  führte  i3/4  Jahr  nach  dem 
Hervortreten  der  ersten  Drüsenschwellungen  unter 
Jiydnopischen  Erscheinungen,  Zyanose  und  Dyspnoe 
zum  Tode.  Wiederholte  Blutuntersuchungen  hatten  bei 
normaler  Gesamtleukozytenzahl  eine  fortschreitende 
starke  Verminderung  der  Lymphozytenzahl 
nachgewiesen  (Naegel  i). 

Durch  die  Sektion  und  die  sehr  genaue  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  der  Leichenorgane  wurde 
festgestellt,  dass  hier  der  bisher  noch  nicht  beschrie¬ 


bene  Fall  eines  primären,  generalisierten  Spindelzcll- 
sarkoms  der  Lymphdrüsen  vorlag.  Ausser  in  den 
letzteren  war  es  nur  noch  in  der  Brust  haut  zur 
Bildung  eines  etwas  grösseren  Knotens  und  zahlreicher 
kleiner  Knötchen  von  Spindelsarkomgewebe  gekom¬ 
men. 

Pathologisch-anatomisch  steht  der  beschriebene  Ge¬ 
schwulstfall  unter  den  sonstigen  allgemeinen  gcschwulst  • 
förmigen  Erkrankungen  des  lymphatischen  Systems 
der  sogenannten  Lymphosar k omatose  am  näch¬ 
sten.  Das  „Lymphosarkom“  ist  allerdings  histologisch 
kein  eigentliches  Sarkom,  sondern  ein  Lymphozytom 
oder  Lymphoblastom  (Ribbert),  aber  immerhin  doch 
eine  echte  Geschwulst,  keine  blosse  Hyperplasie  des 
lymphadenoiden  Gewebes,  wie  die  leukämischen  und 
aleukämischen  Lymphadcnosen  es  sind.  Die  primär 
multiple  Entwicklung  in  den  Lymphdrüsen,  das  Fort¬ 
schreiten  von  einer  Lymphdrüsengruppe  auf  die  andere 
bis  zu  mehr  oder  weniger  vollständiger  Ueberflutung 
des  gesamten  lymphatischen  Apparates  teilt  der  vor¬ 
liegende  Fall  ebenso  mit  den  Fällen  von  generalisieren¬ 
dem  Lymphosarkom,  wie  die  fast  ausschliess¬ 
liche  Verbreitung  auf  dem  Lymphweg.  Es  ist  bisher 
diese  grosse  Neigung  der  Ausbreitung  auf  dem  Lymph- 
wege  mit  Zurücktreten  der  Ausbreitung  auf  dem  Blut¬ 
wege  als  eine  Eigentümlichkeit  des  sog.  L  y  m  p  h  o  - 
sarkoms  gegenüber  dem  echten  Sarkom  betrachtet 
worden.  Der  vorliegende  Fall  lehrt  aber,  dass  auch 
ein  typisches  Sarkom  ganz  das  gleiche  Verhalten  zeigen 
kann.  In  dieser  Feststellung  ist  die  Be¬ 
deutung  der  mitgeteilten  Beobachtung  be¬ 
gründet.  Die  Kliniker  und  die  pathologischen  Ana¬ 
tomen  werden  künftig  in  Fällen  von  allgemeinen  ge¬ 
schwulstförmigen  Erkrankungen  des  lymphatischen 
Systems,  welche  von  den  bekannten  Lymphomatösen 
klinisch  und  makroskopisch-anatomisch  mehr  oder  weni¬ 
ger  abweichen,  an  ein  primäres  generalisiertes  Spindel¬ 
zellsarkom  (Lymphomatosis  sarcomatosa  fusicellularis) 
zu  denken  haben.  (Berl.  kl.  Wschr.  47/15.)  Autoreferat. 

Der  Fuss-  und  Zehenverband. 

Von  Dr.  F.  Schult  z  e,  Duisburg. 

Bei  Anwendung  des  Gipsverbandes  wurde  bisher 
wenig  Wert  auf  die  Behandlung  der  Zehen  gelegt. 
Der  von  F.  Schultze  angegebene  Fusszehengipsver- 
band  sorgt  für  eine  sichere  korrekte  Haltung  der  Zehen 
im  Verband.  Vorbedingung  ist  die  vorherige  Korrek¬ 
tur  der  Zehen,  welche  sehr  selten  sich  normal  verhal¬ 
ten.  Die  Methode  ist  nicht  allein  wertvoll  bei  den 
schwersten  Fussdeformitäten,  sondern  auch  bei  der  Be¬ 
handlung  eines  jeden  Fusses  im  Gipsverbande. 

(D.  med.  Wschr.  1915.)  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Fr  i  e  d  e  m a  n  n-Berlin:  Die  Bedeutung  der  Anaphylaxie 
für  den  prakt.  Arzt.  —  (Ther.  .d.  Gegw.  1915/XII.) 

Die  Abhandlung  stellt  eine  wertvolle  und  erschöpfende 
Arbeit  dar,  welche  den  ärztlichen  Praktiker  in  kurzen,  klaren 
Zügen  über  ein  schwieriges,  ihm  sehr  wissensnotwendiges  Ge¬ 
biet  der  modernen  Heilkunde  unterrichtet,  und  zerstreut  wirk¬ 
sam  die  pessimistischen  Gedanken,  welche  bei  vielen  Ärzten 
hinsichtlich  der  Serumbehandlung  wegen  der  fatalen  Mög¬ 
lichkeit  anaphylaktischer  Erscheinungen  Platz  gegriffen  hatten. 


Ausgedehnte  prophylaktische  Seruminjektionen  gelegent¬ 
lich  der  letzten  Berliner  Diphtherie-Epidemie  hatten  nämlich 
die  Befürchtung  rege  gemacht,  ob  durch  diese  vorbeu¬ 
gende  Maßnahme  nicht  etwa  eine  zweite,  therapeuti¬ 
sche,  Injektion  unmöglich  oder  doch  sehr  gefahrvoll  ge¬ 
macht  würde. 

Anaphylaxie  ist  ein  Zustand  von  „Schutzlosigkeit“  des 
Körpers  infolge  Überempfindlichkeit  gegen  die  Einspritzung 
artfremden  Eiweißes.  Dieser  als  „Serumkrankheit“  bezeichnet© 
Symptomenkomplex  (Fieber,  Erbrechen,  Drüsen-  und  Gelenk¬ 
schwellungen,  Ödeme,  Exantheme!)  hat  bei  Erstinjizierten  eine 


166 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  17 


8 — 13  tägige  Inkubation,  bei  Zweitinjizierten  eine  viel  kürzere, 
nämlich  von  einigen  Stunden  (bei  „sofortiger“  Reaktion)  bis  zu 
3 — 4  Tagen  (bei  sogen,  „beschleunigter“  Reaktion). 

Der  einmal  mit  Pferdeserum  gespritzte  Mensch  ist  gegen 
dieses  Serum  „überempfindlich“  und  antwortet  auf  den  Ein¬ 
tritt  von  Pferdeserum  in  seine  Blutbahn  mit  der  Serum¬ 
krankheit.  Diese  Überempfindlichkeit  beruht  auf  dem  Auf¬ 
treten  von  Eiweiß-Antikörpern,  die  vom  gespritzten  Menschen 
gebildet  werden,  und,  mit  Pferdeserum  zusammentreffend,  un¬ 
ter  giftigen  Erscheinungen  reagieren. 

Bei  Erstinjizierten  ist  der  Eintritt  der  Vergiftung  nach 
der  erwähnten,  langen  Inkubation  möglich,  wenn  der  gespritzte 
Körper  die  von  ihm  erzeugten  Antikörper  ins  Blut  geschickt 
hat,  wo  sie  mit  noch  vorhandenen  Resten  des  Pferdeserums 
Zusammenstößen  können. 

Anders  bei  Zweitinjizierten,  wenn  die  Reininjektion  wenige 
Wochen  nach  der  ersten  Spritzung  stattfindet:  hier  stößt 
das  neue  Pferdeserum  auf  die  bereits  im  Blute  vorhandenen 
Antikörper  und  verursacht  rascheste  Reaktion. 

Nur  langsam  gelangen  die  Antikörper  wieder  zum  Ver¬ 
schwinden  aus  dem  Organismus.  Intravenöse  Spritzung  von 
Meerschweinchen  führt  stürmisch  unter  Krämpfen  und  Dyspnoe 
zum  Tod  der  Tiere:  pathologisch-anatomisch  findet  sich 
starke  Lungenblähung,  auf  Krampf  der  Bronchialmuskulatur 
beruhend. 

Erliegt  nun  aber  das  Tier  dem  anaphylaktischen  Shock 
nicht,  was  bei  bloß  subkutaner  Einverleibung  oder  bei  unzu¬ 
reichenden  Serummengen  der  Fall  ist,  so  tritt  wieder  Verlust 
der  Überempfindlichkeit  ein;  das  Tier  ist  gegen  weitere  Serum¬ 
injektion  geschützt:  Antianaphylaxie. 

Die  erwähnte  hochgradige  Überempfindlichkeit  der  Meer¬ 
schweinchen  drohte  nun  auf  die  Serumbehandlung  beim  Men¬ 
schen  einen  lähmenden  Einfluß  zu  nehmen. 

Eine  derartige  Übertragung  der  Ergebnisse  des  Tierex¬ 
perimentes  auf  den  Menschen  ist  indes  durchaus  vorschnell, 
da  nach  allen  klinischen  Erfahrungen  die  menschliche  Ana¬ 
phylaxie  nicht  entferntest  vergleichbar  ist,  vielmehr  praktisch 
gar  nicht  in  Betracht  kommt,  besonders  nicht  beim  Diph¬ 
therie-Serum,  bei  dem  als  prophylaktische  Dosis  die  geringe 
Serummenge  von  1  ccm  genügt.  Es  konnten  in  Deutschland 
während  der  ganzen  Zeit  der  Serumbehandlung  bloß  2  Fälle 
von  Serumtod  festgestellt  werden,  von  denen  der  eine  Fall 
sogar  ein  erstgespritztes  Kind  betraf! 

Immerhin  muß  der  Arzt  auf  anaphylaktische  Erscheinun¬ 
gen  als  Beigabe  der  Serumtherapie  vorbereitet  sein. 

Eine  solche  Serumkrankheit  tritt  zunächst  auf  bei  be¬ 
stehender  Serum-Idiosynkrasie,  zu  welcher  Asthmatiker  eine 
gewisse  Neigung  zeigen. 

Für  Reinjektionen  kommen  ferner  folgende  Gesichts¬ 
punkte  in  Frage: 

1.  Zeitabstand  zwischen  1.  und  2.  Injektion. 

Die  Überempfindlichkeit  tritt  nicht  vor  dem  6.  Tage 
nach  der  1.  Injektion  auf.  Es  können  daher  Reinjek¬ 
tionen,  wie  z.  B.  namentlich  bei  Diphtherie,  in  kurzen 
Zwischenräumen  ohne  anaphylaktische  Reaktion  schad¬ 
los  ausgeführt  werden.  Ähnlich  liegen  die  Dinge  bei 
den  wiederholten,  kurzfristig  folgenden  Injektionen  bei 
Genickstarre. 

2.  Dauer  des  anaphylaktischen  Zustandes. 

Sie  ist  nicht  genau  bestimmbar.  Meist  ist  die  Über¬ 
empfindlichkeit  nach  6  Monaten  erloschen,  Bestehenblei¬ 
ben  bis  zu  5  Jahren  jedoch  bekannt. 

3.  Art  der  zweiten  Serumzufuhr. 

Der  direkte  Weg  durch  die  Vene  ist  als  gefahrvoller 
zu  meiden  zugunsten  der  subkutanen  bezw.  intramusku¬ 
lären  Injektion. 

4.  Menge  des  2.  Serums. 

Um  diese  möglichst  gering  zu  halten,  sind  starke, 
hochwertige  Sera  zu  wählen,  bei  denen  schon  mit  geringen 
Serummengen  genügende  Antitoxinmengen  einverleibt  wer¬ 
den  können. 

Um  aber  gleichwohl  größere  Serummengen  geben  zu 
können,  stumpft  man  die  Überempfindlichkeit  erst  durch 
eine  kleine  Injektion  von  weniger  als  tödlicher  Dosis  ab, 
macht  das  Versuchstier  auf  diese  Weise  wieder  unemp¬ 
findlich  und  gibt  dann  die  große  Dosis. 

In  Anwendung  dieses  Grundsatzes  auf  den  überem¬ 
pfindlichen  Menschen  injiziert  man  vor  der  großen  thera¬ 
peutischen  Gabe  erst  eine  kleine  Serummenge  von  1  ccm, 


die  nur  geringe  anaphylaktische  Beschwerden  auslösen 
wird,  und  dann,  nach  4  Stunden,  die  volle  Heildosis. 

5.  Zur  Prophylaxe  ist  nach  mehrfachen  Vorschlägen 
nicht  Pferde-,  sondern  Rinder-  oder  Hammelserum  zu 
nehmen. 

Die  Überempfindlichkeit  ist  eine  streng  spezifische. 
Diesem  theoretisch  wohldurchdachten  Vorschlag  steht  in¬ 
des  die  relativ  hohe  Giftigkeit  der  in  Aussicht  genomme¬ 
nen  Tiersera  hinderlich  gegenüber.  — 

Die  Heilerfolge  der  Serumbehandlung  und  die  Erfolge  der 
prophylaktischen  Injektion  sind,  wie  Verf.  auch  statistisch 
im  Einzelnen  schlagend  nachweist,  so  glänzend,  daß  die  zwei 
einzigen  Todesfälle  durch  Serum  gar  nicht  in  Betracht  kommen. 
Übergroße  Ängstlichkeit  vor  Anaphylaxie  darf  nie  abhalten, 
die  nach  Umständen  lebensrettende  Injektion  auszuführen. 
Trotzdem  muß  der  Arzt  über  die  möglichen  Gefahren  der 
Injektion  genau  unterrichtet  sein. 

V  i  e  r  n  s  t  e  i  n-Kaisheim. 


Innere  Medizin. 

Strauß.  Prof.  BerL:  Zuekorinfusionen  bei  Cholera.  — 
(Ther.  d.  Gegw.  1915,  X.) 

Verfasser  hat,  wie  bei  schweren  .Nierenerkrankungen,  mit 
durchschlagendem  Erfolge  auch  bei  Cholera  zu  intravenösen 
Infusionen  einer  isotonischen  Traubenzuckerlösung  gegriffen 
(wiederholte  Dosen  einer  etwa  4  1/3  °/o  igen,  sterilen,  wässrigen 
Lösung  chemisch  reinen  Traubenzuckers  bei  40°  Wärme). 
Bei  bestehender  Herzschwäche  wurden  5 — 10  Tropfen  einer 
Adrenalinlösung  1:1000  zugesetzt. 

Wegen  der  enorm  nierenschädigenden  Wirkung  ist  da¬ 
gegen  nach  Verfasser,  entgegen  herkömmlicher  Übung,  von 
Kochsalzinfusionen  dringend  abzuraten. 

Die  Zuckerlösung  hat  nicht  allein  nutritiven  Wert  (2 
Liter  4  x/2  °/o  iger  Lösung  liefern  360  Kalorien!),  sondern  wirkt 
hauptsächlich  giftverdünnend  und  zirkulationsanregend. 

Zur  Ausführung  der  Infusion  benutzt  Verfasser  die  von 
ihm  schon  früher  angegebene  Venenpunktionsnadel,  die  auch 
vielfach  Verwendung  bei  der  heutigen  Salvarsantherapie  ge¬ 
funden  hat. 

Verfasser  sieht  in  der  Traubenzuckerlösung  auch  das  ge¬ 
eignetste  Mittel  bei  anderen  schweren  Intoxikationen  und  In¬ 
fektionen  mit  Nierenschädigung.  Der  Traubenzuckerlösung  ge¬ 
bührt  unbedingt  der  Vorzug  vor  der  physiologischen  Kochsalz¬ 
lösung.  Viernstei  n-Kaisheim. 

J.  Boas,  Prof.,  Berlin:  Meine  Erfahrungen  über  die 
Behandlung  der  Cholelithiasis. —  (Ther.  d.  Gegw.  1915/XII.) 

Verf.  beschuldigt  den  Krieg  „mit  seinen  gewaltigen  Ein¬ 
wirkungen  auf  das  Nervensystem,  mit  seinen  elementaren  Um¬ 
wälzungen  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse,  der  Lebens-  und 
Ernährungsbedingungen“,  daß  er  bei  Militär  wie  Zivil  eine 
im  Frieden  ungekannte  Krankheitshäufung  gezeitigt  habe.  Dies 
gelte  auch  für  die  Cholelithiasis,  die  spezifische  Krankheit 
verheirateter  Frauen,  welche  eben  wieder  vom  Kriege  am 
meisten  getroffen  seien,  was  in  verschiedenster  Weise,  durch 
Sorgen,  wirtschaftliche  Schwierigkeiten  oder  Vernachlässi¬ 
gung  der  Gesundheit  Anlaß  gebe  zur  Entwicklung  von  Gallen¬ 
steinleiden  oder  zum  Wiederauf  flackern  alter  Prozesse. 

Ziel  der  Therapie  ist:  Entfernung  der  Steine  und  Be¬ 
seitigung  der  steinbildenden  Faktoren. 

In  beider  Hinsicht  leiste  die  Chirurgie  unstreitig  Jas 
Beste,  wogegen  die  innere  Medizin  in  ihrem  Können  be¬ 
scheidener  sei. 

Ihre  Aufgaben  sind:  Lösung  der  Steine,  oder  wenigstens 
Entfernung  derselben  aus  Blase  und  Gallen  wegen  sowie  Ver¬ 
hütung  von  Steinneubildung. 

Die  innere  Behandlung  der  Cholelithiasis  hat  dreierlei 
Erfordernissen  gerecht  zu  werden: 

1.  Der  Kupierung  des  Anfalles. 

2.  Der  Schaffung  eines  Latenzstadiums. 

3.  Der  Bekämpfung  oder  Beseitigung  von  Komplikationen. 

Hinsichtlich  der  Kupierung  des  Anfalles  betont 

Verf.  mit  Recht  und  in  sehr  verdienstlicher  Deutlichkeit, 
daß  die  geübte  durchgängige  Anwendung  narkotischer,  krampf- 
stillenderj  Mittel  ohne  zwingenden,  durch  die  Heftigkeit  der 
Attacke  gegebenen  Grund,  ein  unvernünftiger  Eingriff  in  das 
Selbsthilfebestreben  der  Natur  ist,  sich  des  oder  der  Fremd¬ 
körper  zu  entledigen.  Statt  Gebrauchs  der  Morphiumspritze 


Nr.  17. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Iö7 


sei  der  Patient  aufzuklären,  daß  er  aus  geduldigem  Ertragen 
der  Schmerzen  des  Anfalles  größeren  Vorteil  ziehe  als  aus 
einer  Morphiumdosis,  dank  der  die  Steine  liegen  blieben.  Man 
suche  mit  kleinsten  narkotischen  Dosen  auszukommen  und 
behelfe  sich  mit  heißen  Applikationen,  Tees.  Außerordentlich 
erfolgreich  erweist  sich  die  bei  den  Ärzten  beinahe  unbe¬ 
kannte  lokale  Blutentziehung  (Blutegel  oder  Skarifikationen 
mit  Bierscher  Stauung  über  der  Gallenblase!). 

Bezüglich  Schaffung  des  Latenzstadiums  führt 
Boas  aus:  Ein  spezifisches  Mittel  fehlt.  Lösung  der  Steine 
durch  chemische  Mittel  ist  ein  ,, naiver  Gedanke“,  der  \  er¬ 
such  ihrer  Entfernung  durch  Cholagoga  (Chologen,  Cholelysin, 
Eunatrol,  Probilin)  braucht  dagegen  nicht  absolut  nutzlos  zu 
sein. 

Hinweise  für  die  einzuschlagende  Therapie  werden  durch 
die  Betrachtung  der  den  Anfall  auslösenden  Bedingungen  ge¬ 
geben:  habituelle  Obstipation,  Funktionsstörungen  des  Magens, 
Achylia  gastrica,  bei  welch  letzterer  halbverdauter  Magenin¬ 
halt*  ins  Duodenum  gelangt  und  dort  durch  mechanische  Kom¬ 
pression  des  Duct.  choledochus  oder  durch  Mikrobeneinwande¬ 
rung  veranlassend  wirkt.  Ebenso  können  Art  und  Menge  dei 
Ingesta  auslösend  werden:  bei  dem  zumeist  nächtlichen  Auf¬ 
treten  der  Anfälle  ist  kein  Zweifel  an  dem  Konnex  der  Anfälle 
mit  Überladungen  des  Magendarmkanals.  Disponierend  wirkt 
endlich  Enteroptose.  ... 

Dadurch  steht  stets  die  diätetische  Behandlung 
im  Vordergründe,  welche  Verf.  im  Einzelnen  bespricht. 

Ergänzend  tritt  der  Gebrauch  von  Mineralwässern 
hinzu.  Verf.  nimmt  in  dieser  Beziehung  einen  bemerkens¬ 
werten,  vom  Herkömmlichen  erheblich  abweichenden,  _  indes 
von  ihm  ausgiebig  begründeten  Standpunkt  ein:  Die  Kurort¬ 
behandlung  in  Dauer  von  4  W  ochen  in  Karlsbad  ist  ungenü¬ 
gend,  wenn  sie  von  der  Rückkehr  ins  alte  Leben  abgelöst 
wird!  Die  Kur  muß  erzieherisch  auf  das  ganze  nachherige 
Verhalten  und  Leben  wirken.  Bezüglich  der  Art  der  Quellen 
hängt  Verf.  nicht  sklavisch  am  Glauben  an  Karlsbad,  sondern 
bevorzugt  ebensosehr,  wenn  nicht  noch  mehr,  Marienbad, 
Tarasp,  Mergentheim.  Der  Brunnengenuß,  um  wirksam  zu 
sein,  muß  aber  auf  1/i,  sogar  1  Jahr  als  „Dauerkur“  ausge¬ 
dehnt  werden,  da  nur  dann  Aussicht  auf  Latenz  bestehe.  V  on 
Mergentheimer  Karisqueile  hat  Verf.  die  besten  Erfolge  ge- 
sehen. 

Skeptisch  ist  die  innere  Behandlung  dann  zu  beurteilen, 
wenn  Konkremente  nach  ihrem  Austritt  aus  der  Gallenblase 
den  Choledochus  obturieren,  wobei  die  Gefahr  der  Cholämie 
auftaucht,  oder  wenn  schwere  entzündliche  Prozesse  in  der 
Blase  oder  den  Gallenwegen  bestehen. 

Letztere  heilen  zwar  oft  selbst  bei  stürmischen  Erscheinun¬ 
gen,  Fieber,  Schüttelfrösten,  aus,  wobei  Diät,  Eisblase  fund 
mäßig  Narkotika  anzuwenden  sind.  In  schweren  Fällen  ist 
systematische  Kalomel-Behandlung  durch  mindestens-  4  Wochen 
(3x  täglich  0,1  unter  Beachtung  der  Stomatitis!)  zu  wählen 
und  ergibt  ausgezeichnete  dauernde  Heilerfolge. 

Für  die  innere  Therapie  recht  unfruchtbar  erscheinen 
chronische  Cholezystitis  sowie  Verwachsungen. 

Verf.  geht  sodann  zur  Erörterung  der  Indikationen  zur 

Operation  übern  ,, 

Immer  wiederholte,  therapeutisch  erfolglos  bekämpfte  An¬ 
fälle  mit  konsekutivem  Kräfteverfall  und  Gefahr  des  Morphi¬ 
nismus;  schwere  berufliche  Beeinträchtigung;  Ikterus  mit  Ver¬ 
legung  des  Choledochus  ist  absolute  Indikation  zu  frühester 
Operation.  Ebenso  absolut  zu  erachten  sind  chronische  Chole¬ 
zystitis  und  Pericholezystitis,  die,  innerlich  behandelt,  nie 
Dauerheilungen  ergeben. 

Über  Rezidive  nach  Gallensteinoperationen  sagt  Verf.  zum 
Schlüsse,  es  sei  schwer  zu  entscheiden,  ob  eg  sich  jedesmal 
um  echte  Steine  oder  um  Adhäsionsbildungen  handle.  Die 
Chirurgen  sprächen  auch  von  Neurosen.  Durch  die  moderne 
Cystektomie  und  lange  Hepatikusdrainage  sind  Rückfälle  übri¬ 
gens  seltener  und  in  ihren  Erscheinungen  weit  milder  als  die 
ursprünglichen  Beschwerden.  Selbst  von  Chirurgen  wird  Dei 
Rezidiven,  und  auch  zur  Nachkur  nach  Operation,  ein  Brun¬ 
nengebrauch.  wie  z.  B.  in  Karlsbad,  angeraten. 

Viernstei  n-Kaisheim. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Dr.  0.  Orth.  Traumatische  rechtsseitige  Rectusruptur. 

(M.  Kl!  1916,  Nr.  1,  S.  12.) 


Ein  Mann  verspürte  beim  Sprung  in  den  Sattel  unten 
rechts  im  Bauch  einen  Schmerz,  der  beim  Husten  sehr  stark 
war.  Nach  kurzer  Ohnmacht  Erholung.  Nachher  wurde  er  von 
einem  steigenden  Pferd,  das  er  halten  sollte,  in  die  Höhe 
gezogen  und  verspürte  sofort  an  dieser  früheren  Stelle  einen 
intensiven  Schmerz,  der  ihn  am  Gehen  hinderte.  Befund: 
harter  fester  Tumor  im  rechten  Rektus  unter  dem  Nabel, 
Dämpfung  darüber,  weiches  Abdomen,  kein  Zeichen  einer  Darm¬ 
verletzung,  Brechreiz.  Operation:  vollständige  Ruptur  des 
rechten  Rektus  mit  Zerreissung  von  Ästen  der  epigastr.  inf. 
Naht.  Heilung  nach  10  Tagen. 

Differentialdiagnostisch  kommt  bei  kleinen  Rissen  mit 
Beteiligung  der  Aponeurose  eine  direkte  Hernie  in  Etage. 
Brechreiz:  durch  Reizung  des  Peritoneums  durch  den  Blut¬ 
erguß  zu  erklären. 

v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 


A.  Kirchenberger:  Zur  Frage  der  Schädelschüsse. 
(Münch,  med.  Wochenschrift  Nr.  4,  1916.) 

Verfasser  rät,  zwar  ausreichend  zu  operieren,  dabei  aber 
jede  überflüssige  Schädigung  zu  meiden.  Weitaus  die  meisten 
Fälle  können  in  Lokalanästhesie  mit  Kokainersatz  —  Adrenalin 
operativ  behandelt  werden,  wobei  die  Schockwirkung  einer 
Narkose  ausgeschaltet  wird.  Skopolamin  anzuwenden  wird 
widerraten  wegen  Erhöhung  des  Blutdruckes  als  auch  wegen 
Atmungsstörungen.  Die  Schnittführung  verlängert  bei  Tangen¬ 
tialschüssen  die  Schußwunde  nur  um  weniges,  bei  Durch¬ 
schüssen  genügt  Verbindung  von  Ein-  und  Ausschuß.  Periost¬ 
abhebung  hat  nur  im  Bezirk  der  zu  entfernenden  Knochen¬ 
partie  zu  geschehen,  um  Taschenbildung  und  Nekrose  zu  ver¬ 
hüten.  Alle  Schädelschüsse  sind  möglichst  sofort  einem  ope¬ 
rationsfähigen  Lazarett  zuzuführen  und  dort  mindestens  zwei 
Wochen  zu  stationieren. 

Nowakowski-Posen:  Beitrag  zur  Bekämpfung  von 
Kollapsen  bei  Ausgebluteten. 

Intravenöse  und  subkutane  Kochsalzinfusionen  haben  bei 
ausgebluteten  Kriegsverletzten  nicht  den  Erwartungen  ent¬ 
sprochen,  die  man  nach  den  Erfahrungen  der  Friedenspraxis 
zu  stellen  berechtigt  war. 

N.  sieht  mit  Garre  den  Grund  hierfür  in  der  durch 
Strapazen  verminderten  Herzkraft  der  Verwundeten. 

N.  verwendet  daher  Tropfeinläufe,  wodurch  der  Flüssig¬ 
keitsersatz  auf  natürliche  Weise  und  besser  vor  sich  ge^ht  und 
die  Herzkraft  weniger  stark  beansprucht  wird.  2—3  Liter 
Kochsalzlösung  pro  die  läßt  man  einlaufen.  Die  Ausführung 
der  Tropfeinläufe  kann  wegen  der  nicht  erforderlichen  Steri¬ 
lität  dem  Sanitätspersonal  überlassen  bleiben.  Treten  bei  Aus¬ 
gebluteten  Kollapse  auf,  so  lassen  diese  sich  wiederholenden 
Kollapszustände  wirksam  beeinflussen  durch  mehrmalige  In¬ 
halation  von  Sauerstoff,  der  aus  den  Sauerstoffbomben  mit 
dem  Drägerschen  Inhalationsapparat  appliziert  wird. 

N.  hat  mit  dieser  kombinierten  Einlauf-Inhalations-Me- 
thode  bei  Kollapsen  Ausgebluteter  gute  Erfolge  erzielt. 

M  ü  h  1  h  a  u  s. 

Möhring:  Eine  Schiene  für  den  Kriegsgebrauch. 

(M.  m.  Wschr.  4.  16.)  _ 

Bis  jetzt  ist  die  Einführung  einer  Einheitsschiene  pei 
den  vorderen  Sanitätsformationen  noch  nicht  erfolgt  und  fco 
ist  es  auch  in  vielen  Fällen  der  Findigkeit  der  betretenden 
Stellen  überlassen,  Schienensysteme  auszuarbeiten,  die  den 
Anforderungen  am  vollkommensten  zu  entspiechen  sc  i 
nen  M.  nimmt  hierzu  verzinkten  Eisendraht  .von  4— b  mm 
Durchmesser  und  Steifgaze.  Die  Technik  der  Herstellung  ist 
einfach  und  billig  und  findet  Verwendung  für  obere  als 
auch  für  untere  Extremität.  Durch  das  Anlegen  der  mit  noch 
feuchter  Steifgaze  bedeckten  Schiene  _  modellieren  sich  die 
Konturen  des  betreffenden  Gliedabschnittes  m  diese  Schiene 
ein,  wodurch  die  Fixation  noch  besonders  gesichert  wird. 

F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s-Munchen. 


Augenheilkunde. 

Prof.  Dr.  Elschnig-Prag.  Kriegsverletzungen  des  Au¬ 
ges.  (M.  Kl.  1915,  Nr.  20.)  . ,  , 

Präexistente  Augenerkrankungen  die  erst  im  Felde  be¬ 
kannt  wurden  oder  Zufallsbefunde  bei  Verwundeten  usw 
waren  ziemlich  zahlreich:  hochgradige  Myopie  ohne  Aus¬ 
gleich  durch  Gläser,  Choriditis,  Retinitis  pigmentosa  Horn- 
finarben,  sogar  beiderseits.  2  Fälle  von  Stauungspapille 


168 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  17 


infolge  von  Tumoren,  und  zwar  durchaus  bei  Soldaten  die 
von  der  Front  kamen.  Verfasser  zieht  darauf  den  (nach  den 
Erfahrungen  des  Referenten  keineswegs  so  allgemeingültigen) 
Schluß,  daß  die  gegenwärtige  Kampfweise  im  allgemeinen 
an  Sehtüchtigkeit  und  organisches  Nervensystem  des  Solda¬ 
ten  relativ  geringe  Anforderungen  stelle. 

Recht  zahlreich  waren  die  indirekt  durch  Kriegsverlet¬ 
zungen  erzeugten  bekannteren  Augenerkrankungen  infolge 
schwerer  Schädelverletzungen,  dann  Hemianopie,  Parese  der 
oculopapillaren  Fasern  des  Sympathicus. 

Recht  interessant  sind  einige  schwere  Fälle  mit  schweren 
Allgemein-Störungen  ohne  Verwundung  infolge  von  Granat¬ 
explosionen  in  nächster  Nähe:  Commotio  cerebri  mit  Störun¬ 
gen  der  Psyche  und  der  vasomotorischen  Sphäre:  auffallend 
weite  oder  ungleiche  Pupillen  mitunter  alternierend  beides 
bei  normaler  Reaktion  mit  fehlenden,  sonst  bei  der  traumati¬ 
schen  Neurose  beobachteten  Ermüdungserscheinungen  im  Ge¬ 
sichtsfelde.  Gleichzeitig  regelmäßige  hysterische  Stigmata. 
Recht  interessant  ist  ferner  ein  Fall  von  langsam  in  7  Wochen 
zunehmender  Neuritis  optica  nach  Durchschuß  entlang  der 
Schädelbasis.  Heilung  durch  Unterbindung  der  Carotis  interna 
(Aneurysma). 

2  mal  kam  Exophthalmus  zur  Beobachtung  durch  chroni¬ 
sche  Periostitis  der  orbita,  bezw.  durch  Aneurysma  arterio- 
venosum  der  Carotis  interna  im  Sinus  cavernosus  nach  Schu߬ 
verletzung  bedingt.  Verhältnismäßig  häufig  waren  die  hysteri¬ 
schen  _  Anomalien  des  _  Sehorgans  im  Anschluß  an  kleine 
organische  Läsionen,  die  sich  schwer  unterscheiden  von  den 
simulierten  Sehstörungen.  Bei  beiden  erzielten  starke  fara- 
dische  Ströme  bald  wieder  Diensttauglichkeit.  Verhältnismäßig 
gering  waren  die  schweren  Zertrümmerungen  des  Auges,  die 
meist  gleich  letal  endeten.  Zu  erwähnen  sind  weiterhin  die 
an  schwere  Kriegsverletzungen  sich  anschließenden  Nasenneben¬ 
höhlenaffektionen.  5  Fälle  von  Tränensackblennorhoe. 

Gering  an  Zahl  waren  Trachom  und  Augengonorrhoe 
(1  mal),  während  über  Erwarten  groß  die  Zahl  kleiner  Ver¬ 
letzungen  des  Auges  waren:  Chorioidalruptur.  Wichtig  ist 
darin  der  Glaskörperersatz,  den  Verfasser  3  mal  bei  Fremd¬ 
körperverletzung  angewandt  hat. 

Wird  dies  frühzeitig  bewerkstelligt,  so  können  viele  Augen 
mit  traumatischen  Glaskörperblutungen  gerettet  oder  in  ihrer 
Form  erhalten  werden. 

Verfasser  verlangt  für  alle  Verwundeten-Stationen,  nament¬ 
lich  an  den  sogenannten  Quarantäne-Stationen  Augenärzte  als 
Konsiharärzte.  v.  Schnizer. 


Medikamentöse  Therapie. 


Glanduitrin-Tonogen  wird  nach  Ansicht  des  Verf.  künftig¬ 
hin  ausgedehnte  Verwendung  finden. 

(Referent  kann  aus  eigener  Erfahrung  bei  einem  schwer¬ 
sten  Falle  von  Asthma  bronchiale,  sowie  einem  Falle  von 
Oedema  pulmonum  bei  einem  Basedow-Kranken  bestätigen, 
daß  die  Injektion  von  Adrenalin  unbeschadet  der  promp¬ 
ten  kupierenden  Wirkung,  mit  sehr  peinlich  empfundenen 
Nebenerscheinungen  verknüpft  ist,  wie  starkes  Schwindel-  und 
Ohnmachtsgefühl,  Angt,  und  Klopfen  in  dein  Ohren,  ein  Kom¬ 
plex,  dem  indes  nach  ca.  15  Minuten  schon  eine  profuse 
Expektoration  mit  sofortiger  subjektiver  und  objektiver  Besse¬ 
rung  zu  folgen  pflegt.) 

V  i  e  r  n  s  t  e  i  n-Kaisheim. 


Bücherschau. 

W  i  1  h.  O  s  t  w  a  1  d  ,  .Moderne  Naturphilosophie.  I.  Die 
Ordnungswissenschaften.  (Akad.  Verlagsg.  in  Leipzig  1914.  — 
410  S.,  Mk.  12. —  bezw.  13,50.) 

Zu  den  interessantesten  Erscheinungen  unserer  Zeit  gehört 
unstreitig  Wilhelm  Ostwald.  Ob  sein  Charakterbild 
in  der  Geschichte  schwanken  wird,  ist  mir  zweifelhaft;  da  er¬ 
scheint  er  wohl  eher  als  Typus  des  Übergangsmenschen  vom 
XIX.  zum  XX.  Jahrhundert,  stolz  auf  die  Leistungen  seiner 
Wissenschaft  uud  stolz  auf  sie  vertrauend  in  die  Zukunft 
blickend.  In  der  Gegenwart  freilich  schwankt  sein  Bild  aller¬ 
dings  in  erheblichen  Breiten;  denn  den  Idola  theatri,  wie 
Bacon  die  Meinungen  der  Schulen  nannte,  spielt  er  übel 
mit,  und  das  ist  allen  denen  höchst  unbequem,  die  gewöhnt 
sind,  auf  eines  Meisters  Worte  zu  schwören. 

Das  vorliegende  Buch  behandelt  nach  einer  geistreichen 
Einleitung  über  das  Philosophieren  und  seine  Schwierigkeiten 
die  Erfahrung,  die  Sprache  und  ihre  Unzulänglichkeit,  die  Be¬ 
griffe  und  die  Sinne.  Im  wesentlichen  ist  das  Buch  aber  der 
Logik  und  der  Mathematik  gewidmet. 

Je  nach  den  Zeitumständen  sind  noch  2  weitere  Bände 
über  die  energetischen  und  die  biologischen  Wissenschaften  in 
Aussicht  genommen.  Vielleicht  fragt  mancher:  was  gehen 
mich  die  Ordnungswissenschafteu  und  die  ganze  Naturphilo¬ 
sophie  an  ?  Zumal  in  der  dermaligen  Zeit,  in  welcher  die  Er¬ 
eignisse  mit  ungeahnter  Energie  an  uns  heranbranden,  ist  der 
Sinn  wenig  auf  das  kontemplative  Gebiet  eingestellt.  Wer 
aber  dennoch  Müsse  zum  Lesen  findet,  wird  seine  helle  Freude 
haben  an  der  Urwüchsigkeit  des  Denkens  uud  an  der  glänzenden 
Darstellung.  Buttersack. 


Bela  Purjesk:  Therapeutische  Erfahrungen  mit  Glan¬ 
duitrin-Tonogen,  mit  besonderer  Berücksichtigung  bei  Asthma 
bronchiale.  —  (Ther.  d.  Gegw.  1915,  X.) 

Auf  der  inneren  Klinik  der  Universität  Klausenburg  (Un¬ 
garn)  angestellte  Versuche  mit  Glanduitrin-Tonogen  bei  Asth¬ 
ma  bronchiale  fielen  zufriedenstellend  insofern  aus,  als  das 
Mittel,  subkutan  bezw.  intravenös  einverleibt,  stets  und  sicher 
imstande  war,  die.  Dauer  des  einzelnen  Anfalles  abzukürzen, 
nicht  aber,  die  zeitlichen  Zwischenräume  zwischen  2  Anfällen 
zu  verlängern.  In  letzterer  Hinsicht  erwies  sich  das  Präparat 
vielmehr  wirkungslos.  Dagegen  gelang  es  mit  ihm  auch  in 
Fällen  von  kardialer  und  nephritischer  Dyspnoe,  sowie  bei 
Ödema  pulmonum  verschiedenen  Ursprungs,  immer  rasch  die 
bedrohlichen  Symptome  zum  Schwinden  zu  bringen. 

Glanduitrin-Tonogen  enthält  in  1  ccm  0.2  mg  Extrakt  der 
Glandula  pituitaria,  sowie  0,0005  mg  Adrenalin. 

.  Adrenalin  wirkt  nach  den  bisherigen  Untersuchungen  durch 
Reizung  der  peripheren  Nervenendigungen,  Glanduitrin  dage¬ 
gen,  indem  es  direkt  an  den  Muskeln  angreift.  Beide  haben 
vorübergehend  Blutdrucksteigerung  zur  Folge.  Die  Wirkung 
auf  den  Bronchialbaum  ist  in  einer  Erweiterung  der  Bronchiolen 
mit  lebhafter  Sekretion  und  erleichterter  Expektoration  zu 
sehen. 

Der  Adrenalin-Bestandteil  des  Präparates  bringt  nach  An¬ 
nahme  des  VerT.  einen  die  günstige  Gesamtwirkung  vorüber¬ 
gehend  störenden  Nachteil  mit  sich,  weil  in  den  meisten  Fällen 
unmittelbar  nach  Einverleibung  des  Tonogens  Herzbeklem¬ 
mung,  Angstgefühl,  Blässe,  Ohrensausen  und  Schwindel  sich 
zeigte,  auch  Brechreiz,  Stuhl-  und  Harndrang.  Diese  Er¬ 
scheinungen  schwanden  jedoch  raschest  und  machten  der  er¬ 
wünschten  Endwirkung  Platz. 


Notiz. 


Tagesordnung  zur  Ausserordentlichen  Tagung  des 
deutschen  Kongresses  für  Innere  Medizin  am  1.  und 
2.  Mai  1916  in  Warschau. 

Montag,  1.  Mai,  9V2  Uhr:  Eröffnungssitzung. 

Abdominal  t  y  p  h  u  s.  Referenten:  Generaloberarzt 
Geheimrat  v.  Krehl  ;  Generalarzt  Hünermann. 

I  aratyphus.  Referent:  Generalarzt  Geheimrat  Stintzing. 
Herzkrankheiten  bei  Kriegsteilnehmern. 

Referent:  Professor  Wenckebach. 
Nierenentzündungen  im  Felde.  Referent  : 

Generaloberarzt  Geheimrat  Hirsch. 

Zur  Diskussion  eingeladen :  Stabsarzt  d.  R.  Prof.  Bruns ; 

Oberarzt  Dr.  Jungmann. 

Abends  Kameradschaftliches  Beisammensein. 

Dienstag,  2.  Mai,  9  Uhr: 

Fleckfieber.  Referent:  Generaloberarzt  Prof.  Brauer. 
Biologie  der  Laus.  Referent :  Prof.  Hase. 

Zur  Diskussion  eingeladen  :  Dr.  Munck. 

Schutz  des  Heeres  gegen  Cholera.  Referent: 

Oberstabsarzt  Prof.  Hofmann. 

Ruhr.  Referenten:  Generaloberarzt  Geheimrat  Matthes; 
Geheimrat  Prof.  Kruse. 

Anschliessend  an  die  Sitzungen  und,  wenn  erforderlich, 
am  3.  Mai  werden  Führungen  durch  die  ständigen  und  kriegs- 
mässigen  medizinischen  und  sanitären  Einrichtungen  und  An¬ 
stalten  Warschaus  veranstaltet. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tomdirm«  der  medizin 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  IHitwirknnfl  benwraflender  Tatbmänner 

herausgegeben  von 


L 


von  Criegern, 

Hildesheim. 


L.  Edinger, 

Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

\  erant  wörtliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  18 


Erschcmt  am  10..  20.  und  30  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
\  erlag  Johndorf,  *  co„  O.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  lnser.lenann.hme  durch 

üel.  dorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  März 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Mittelrheinische  Chirurgen  Vereinigung. 

Sitzung  vom  8.  und  9.  Januar  1916  zu  Heidelberg. 

Vorsitzender :  Prof.  M.  Wilms. 

Bericht  von  Prizatdoz.  Dr.  Franke-  Heidelberg. 

8.  Januar  1916.  Nachmittags. 

i.  Kopfschüsse:  Herr  G  u  1  e  k  e  -  Strassburg. 
Einleitender  Vortrag 

G.  wählt  die  Einteilung  in  Diametral-Tangential-  und 

Steckschüsse,  die  zugleich  bestimmend  ist  für  unser  ver¬ 
schiedenartiges  Eingreifen.  Bei  den  Diametral¬ 
schüssen  ist  die  Verletzung  von  Schädel  und  Hirn 
meist  so  schwer,  dass  der  Tod  sofort  eintritt.  Nur 
wenn  ein  verhältnismässig  kleines  Geschoss  Knochen 
und  Gehirn  mit  verminderter  Gewalt  glatt  durch¬ 
schlägt,  ohne  lebenswichtige  Zentren  zu  treffen,  be¬ 
kommen  wir  die  Verletzten  in  Behandlung.  Einschuss 
durch  Haut  und  Knochen  meist  klein,  Ausschuss  eben- 
so,  gelegentlich  auch  etwas  grösser.  Zertrümmerung  des 
Gehirns  verhältnismässig  gering  mit  wenig  kleinen 
Knochensplittern,  da  die  Splitter  vom  Ausschuss  nach 
aussen  fortgerissen  werden.  Deshalb  Gehirnödem  ge¬ 
wöhnlich  viel  geringer  als  bei  Tangentialschüssen.  Bei 
aseptischem  Verlaufe  kann  ohne  weiteres  Heilung  ein- 
t Feten,  auch  wenn  zeitweise  Hirnbrei  abfloss.  Kommt 
eine  Infektion,  so  ergreift  sie  selten  den  ganzen  Schuss¬ 
kanal,  häufig  aber  die  Mitte  desselben. 

Aehnlich  liegen  die  Verhältnisse  beim  Steckschuss, 
der  in  gewissem  Sinne  einen  abgeschwächten  Durch¬ 
schuss  darstellt.  Fragmente  der  Tabula  interna  meist 
grösser  umd  in  nächster  Nähe  des  Einschusses.  Bei 
noch  matterem  Auftreffen  kann  das  Geschoss  im,  oder 
dicht  hinter  dem  Knochen  auf  der  intakten  Dura  liegen 
bleiben ;  die  Lamina  interna  ist  dann  stets  mehr  zertrüm¬ 
mert,  als  die  externa.  Auch  wenn  nur  die  Aussenseite  des 
Knochens  getroffen  wurde  oder  selbst  wenn  die  äussere 
Haut  intakt  blieb  (Prellschuss)  findet  man  die  Ta¬ 
bula  interna  sehr  häufig  frakturiert.  Die  Erscheinun¬ 
gen  sind  zunächst  gering,  sofern  keine  lebenswichtigen 
Zentren  getroffen  wurden,  im  weiteren  Verlaufe  aber 
entsteht  um  das  steckengebliebene  Geschoss  häufig 
ein  Abszess. 

Die  relativ  schwersten  Veränderungen  an  Knochen 
und  Gehirn  findet  man  bei  den  Tangential-  und  Seg- 
mentalschüssen,  weil  grosse  Teile  des  Knochens  her¬ 
ausgesprengt  und  die  Knochenstücke  senkrecht  zum 
Schusskanal  oft  weit  in  das  Gehirn  auseinandergestreut 
werden.  Daher  auch  sehr  ausgedehntes  posttraumati¬ 


sches  Hirnödem  und  als  dessen  Folge  mehr  oder  weni- 
gei  grosser  Prolaps.  Dieser  Prolaps  hat  zunächst  wenig 
zu  bedeuten,  in  den  meisten  Fällen  aber  kommt  später 
die  Infektion  dazu  und  neben  dem  traumatischen  das 
entzündliche  Hirnödem.  Der  Prolaps  wächst  dann 
rapid,  verschliesst  die  ganze  Schädelöffnung,  behindert 
den  Abfluss  und  kann  durch  Abschnürung  tarn  Knochen- 
nng  gangränös  werden  (gefährlicher  Prolaps  nach 
Vilm  s).  Sofortige  Operation  kann  noch  helfen,  wenn 
es  gelingt,  den  Abfluss  aus  der  Wunde  in  Gang  zu 
bringen  und  die  Eiterherde  in  der  Tiefe  zu  entleeren. 
Sonst  Tod  an  Encephalitis  oder  Meningitis.  Auch 
=päter  bestehen  noch  Gefahren  für  diese  Patienten 
durch  Zysten  oder  Abszesse,  die  sich  an  Stelle  des  ver- 


ausgiebi- 


gerade 


loren  gegangenen  Gehirnteiles  unter  der  Narbe  entwik- 
keln  können,  und  die  im  besten  Falle  stets  zurückblei¬ 
bende  ausgedehnte  Narbe  zwischen  Gehirn  und  Schä¬ 
delwunde  führt  häufig  zu  Epilepsie.  Endlich  ist  später 
noch  'der  meist  zurückbleibende  Defekt  im  Schädel¬ 
knochen  zu  beseitigen.  Die  Frage,  ob  man  operieren 
soll  oder  nicht  muss  entschieden  werden  auch  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  Schädigungen,  die  eint 
gen  Trepanation  folgen  können.  Wenn  n 
Hirnbrei  aus  der  Wunde  fliesst,  so  lassen  oft  die  kli¬ 
nischen  Erscheinungen  und  die  äussere  Untersuchung 
der  Wunde  keinen  sicheren  Schluss  auf  die  Art  und 
die  Schwere  der  Verletzung  zu.  Deshalb  ist  prinzipiell 
jede  Schädelschusswunde  zu  revidieren  und  erst  nach 
dieser  genauen  Orientierung  die  Indikation  für  das 
weitere  Vorgehen  zu  .stellen.  Je  grösser  die  Hirnläsion 
und  das  Loch  in  der  Dura,  desto  grösser  die  Gefahr 
der  Infektion,  die  wir  gerade  mit  unserem  Eingriff 
bekämpfen  wollen.  Deshalb  dürfen  wir  bei  kleinem 
Ein-  und  Ausschuss  konservativ  verfahren;  das  ist  bei 
der  Mehrzahl  der  Durchschüsse.  Abszesse,  die  wir  mit 
unserm  Eingriff  doch  nicht  erreichen  würden,  kom¬ 
men  bei  diesen  Fällen  ohnehin  häufig  in  der  Mitte 
des  Schusskanals  im  Gehirn  vor.  Die  äusseren  Wun¬ 
den  sollen  aber  auch  bei  diesen  Fällen  exzidiert,  even¬ 
tuell  vorgequollenes  Hirn  und  Knochensplitter  ent¬ 
fernt  und  die  Wunden  lose  tamponiert  werden,  um 
eine  sekundäre  Infektion  von  aussen  zu  vermeiden. 

Aehnlich  verhalten  sich  die  Steckschüsse,  bei  denen 
aber  das  Geschoss,  wenn  irgend  möglich,  entfernt  wer¬ 
den  sollte  und  zwar  sofort  bei  der  Wundversorgung, 
wenn  es  in  der  Knochenwunde  liegt  und  ohne  weiteres 
erreichbar  ist.  Im  übrigen  ist  vor  breiter  Trepana¬ 
tion  frischer  Fälle  zur  Geschossextraktion  o  h  n  e  Rönt¬ 
genbilder  zu  warnen.  Nur  Zeichen  von  Infektion 
berechtigen  bei  Steckschüssen  zur  breiten  Eröffnung 


1?0  FORTSCHRITTE 


des  Schädels,  ohne  dass  man  auch  dann  unter  allen 
Umständen  die  Extraktion  des  Geschosses  erzwingen 
müsste.  Abszesse  um  das  Geschoss  und  auch  sonst 
in  unerreichbarer  Tiefe  des  Schusskanales  führen 
öfters  zur  tödlichen  Meningitis. 

Bei  den  viel  schwereren  Verletzung  durch  Tangen¬ 
tialschüsse  muss  immer  operiert  werden  und  zwar  mög¬ 
lichst  früh,  weil  beim  Zuwarten  die  Infektionsgefahr 
steigt  und  die  Orientierung  im  Gehirn  schwerer  wird 
bezüglich  dessen,  was  gesund  oder  zertrümmert  ist. 
Strengste  Asepsis  und  eine  gewisse  chirurgische  Tech¬ 
nik  sind  unerlässlich.  Alles  infektiöse  Material  muss 
entfernt  werden,  die  gequetschten  Wundränder  werden 
exzidiert,  aber  das  Loch  im  Schädel  nicht  zu  stark  er¬ 
weitert,  weil  sonst  die  Gefahr  der  Meningitis  steigt. 
Zum  Schluss  wird  die  Höhle  im  Gehirn  mit  dem  Fin¬ 
ger  ausgetastet  und  dabei  alle  Knochensplitter  entfernt. 
Kochsalzausspülung,  nicht  unter  Druck,  erleichtert  die 
Reinigung.  Die  Wunde  wird  mit  weichem  Drain  ver¬ 
sorgt  und  bleibt  offen,  da  mit  der  primären  Naht, 
wie  sie  Stich,  Schmied  e  n  und  B  ä  r  ä  n  y  emp¬ 
fahlen,  nur  schlechte  Erfahrungen  gemacht  wurden. 
Auch  andere  Methoden  der  Drainage  leisten  zweifellos 
gutes,  wenn  man  sie  beherrscht  und  richtig  anwendet. 
Nach  der  Operation  tritt  fast  stets  als  Folge  des  Trau¬ 
mas  Hirnödem  und  ein  Prolaps  auf,  den  man  aber 
nicht  durch  kompinierende  Verbände  oder  gar  durch 
Abtragen  bekämpfen  darf,  denn  er  verschwindet  spon¬ 
tan,  wenn  nicht  entzündliche  Erscheinungen  dazu  kom¬ 
men.  Im  letzteren  Falle  wächst  der  Prolaps  rapid,  die 
Pulsation  in  ihm  hört  auf,  weil  sich  sein  Stiel  am  zu 
eng  werdenden  Knochenring  einklemmt  und  der  Pa¬ 
tient  bietet  das  Bild  des  Hirnabszesses.  Nur  eine  schnell 
vorgenommene  zweite  Operation  mit  ausgiebiger  Er¬ 
weiterung  der  Knochenwunde,  Eröffnung  und  Ablei¬ 
tung  des  Herdes  in  der  Tiefe  kann  dann  noch  helfen. 
Exzision  eines  Stückes  aus  der  Decke  des  Hirnabs¬ 
zesses  hat  W  i  1  m  s  empfohlen,  um  den  längeren  Eiter¬ 
abfluss  zu  sichern.  Meningitis  und  progrediente  Ence¬ 
phalitis  sind  die  zwei  gefürchtetsten  Komplikationen 
im  weiteren  Verlauf  und  beide  können  noch  nach  Mona¬ 
ten  auftreten.  Auch  die  eitrige  Meningitis  kann  aus¬ 
heilen,  allerdings  in  seltenen  Fällen.  Die  frühzeitige 
Lumbalpunktion  ist  nicht  zu  empfehlen,  weil  man  durch 
sie  die  Infektion  ausbreiten  kann.  Man  soll  vielmehr 
zuerst  den  Ausgangspunkt  der  Meningitis  suchen  und 
breit  eröffnen.  Im  weiteren  Verlauf  sind  dann  wieder¬ 
holte  Lumbalpunktionen  nützlich.  Urotropin  wurde 
lange  Zeit  ohne  jeden  Nutzen  gegeben. 

Auch  nach  vielen  Monaten  droht  den  Patienten 
noch  Hirnabszess  und  Zyste;  oft  ohne  dass  jemals 
irgend  welche  Erscheinungen  bestanden,  kommt  plötz¬ 
lich  das  schwere  Krankheitsbild.  Das  Auffinden  des 
Abszesses  durch  die  äussere  Untersuchung  ist  zu¬ 
weilen  so  schwer,  dass  wir  die  Probepunktion  trotz 
ihrer  Gefahren  nicht  ganz  entbehren  können.  Entlang 
der  Nadel  wird  dann  sofort  inzidiert,  ohne  vorher  zuviel 
Eiter  abzusaugen.  Die  Prognose  der  Abszesse  ist  keine 
gute,  auch  bei  zartestem  Vorgehen.  Immerhin  wurden 
von  22  Fällen  7  vorläufig  gerettet. 

Eine  weitere  Spätfolge  ist  die  Epilepsie,  die  wohl 
am  besten  durch  Ablösen  der  Narbe  und  Implantation 
eines  Fettlappens  zu  behandeln  ist. 

Nach  alle  dem  ist  die  Prognose  immer  ernst  und 
besonders  mit  der  Wiedereinstellung  in  den 
Dienst  kann  man  nicht  vorsichtig  genug  sein.  Ver¬ 
wundete  mit  schweren  Schädel-  und  Hirnschüssen  dür¬ 
fen  nicht  wieder  zurück  an  die  Front.  Auch  bei  den 
leichteren  Fällen,  bei  denen  die  Dura  intakt  blieb, 
sollte  man  sehr  vorsichtig  sein,  selbst  wenn  die 
Knochenlücke  wieder  geschlossen  ist. 

Diskussion:  Herr  Wilms:  Ein  Teil  der 


DER  MEDIZIN.  Nr.  18. 


frischen  Schüsse  kann  genäht  werden.  Beide  Wege 
sind  richtig. 

Herr  Ernst  demonstrierte  an  der  Hand  von 
Schnitten  durch  das  Gehirn  entsprechender  Fälle 
(photographiert  und  als  Diapositiv  projiziert),  den  Weg, 
auf  dem  sehr  häufig  nach  Abszessen  die  Meningitis 
entsteht.  Es  erfolgt  nämlich  oft  der  Durchbruch  des 
Eiters  in  einen  Ventrikel;  von  da  aus  kriecht  die  Eite¬ 
rung  entlang  der  Plexus  choreoidei  an  die  Schädel¬ 
basis. 

Herr  Pas  so  w:  Die  Drainage  muss  richtig  ge¬ 
macht  werden,  dann  sind  verschiedene  Methoden  mög¬ 
lich.  Unter  Umständen  kann  man  doch  frische  Wun¬ 
den  nähen.  Die  Leute  sollen  lange  liegen  bleiben. 
Besonders  zu  unterstreichen  ist,  dass  die  Leute  mit 
grossen  Ausnahmen  nicht  wie  d  er  dienstfähig 
werden.  Sie  sind  eine  Gefahr  für  sich  selbst  und  die 
Truppe. 

Herr  v.  Beck  berichtet  über  70  behandelte 
Schädelschüsse.  3  Fälle  von  tangentialem  Infanterie¬ 
schuss,  die  er  frisch  bekam,  hat  er  sofort  genäht  und 
sie  sind  geheilt.  Frische  Verletzungen  soll  man  nicht 
drainieren,  Abszesse  drainieren,  aber  nicht  tamponieren. 

Herr  Colmers  betont  mit  Guleke  die  ernste 
Prognose.  Man  soll  nach  Bäräny  frische  Fälle  von 
Tangentialschüssen  nähen.  Auch  Steck-  und  Durch¬ 
schüsse  haben  recht  trübe  Prognose. 

Herr  König  ist  mit  der  Naht  frischer  Fälle  nicht 
einverstanden.  Die  schlimmsten  Fälle,  die  er  gesehen 
hat,  waren  die  verschlossenen,  und  er  hält  es  deshalb 
für  leichtsinnig,  wenn  man  die  Bäränysche  Methode 
allgemein  empfiehlt. 

Herr  S  t  e  i  n  t  h  a  1  unterscheidet  3  Formen  der 
Abszesse  und  zwar  1.  Rindenabszesse,  die  gut  werden 
nach  Inzision,  nicht  nach  Punktion;  2.  subkortikale 
Abszesse,  die  gleichfalls  meist  gut  werden  nach  In¬ 
zision;  3.  exzentrisch  der  Wunde  subkortikal  liegende 
Abszesse,  die  alle  nicht  gut  werden.  Der  Transport 
soll  vermieden  werden,  besonders  der,  oft  auf  Drängen 
der  Leute  vorgenommene,  Transport  von  einem  Re¬ 
servelazarett  zum  andern. 

Herr  Hotz  bemerkt  demgegenüber,  dass  transpor¬ 
tierte  Schädelschüsse  oft  nicht  direkt  nach  dem  Trans¬ 
port,  sondern  später  erkranken. 

2.  Herr  Hotz:  Ueber  Schädelplastik. 

Die  Indikationen  für  die  Operation  sind  gegeben 
durch  zarte  leicht  verletzbare  Narben,  durch  ent¬ 
stellende  grosse  Narben,  durch  Narben,  die  eine  Ver¬ 
letzung  des  Gehirns  zulassen,  endlich  durch  Epilepsie 
und  psychische  Beschwerden.  Es  ist  wichtiger  zu 
fragen,  w  a  n  n  soll  operiert  werden,  als  w  i  e  soll  man 
operieren  und  da  ist  zu  betonen,  dass  man  nur  ausge¬ 
heilte  Fälle  operieren  sollte. 

Nach  der  Grösse  der  Lücke  im  Knochen  unter¬ 
scheidet  man  etwas  willkürlich  1.  rinnenförmige  kleine 
Defekte,  2.  mittlere  bis  etwa  daumengliedgrosse,  3.  ganz 
grosse  bis  handtellergrosse.  Epilepsie  machen  unter 
diesen  am  meisten  die  mittleren.  Man  findet  bei  der 
Operation  in  der  Tiefe  straffe  Narben  und  Verwach¬ 
sungen.  Bei  diffusen  ödematösen  Narben  kommt  es 
nicht  zu  Epilepsie.  Deshalb  ist  ein  diffuses  Oedem 
besser,  als  die  Fettplastik.  Die  Epilepsie  findet 
man  am  häufigsten  bei  Verwachsungen  über  der 
motorischen  Zone  und  sie  tritt  oft  sehr  früh¬ 
zeitig  auf.  Bei  Epilepsie  und  geheilten  Wunden 
soll  man  plastisch  vergehen  mit  Knochendeckung,  bei 
offenen  Wunden  mit  Epilepsie  ist  die  Revision  der 
Wunde  ohne  Plastik  zu  wählen.  Auch  frische  Fälle 
hat  Hotz  plastisch  gedeckt,  um  Epilepsie  zu  vermei¬ 
den  und  hat  tatsächlich  keine  Epilepsie  kommen  sehen. 

Unter  den  Plastiken  hat  die  Autoplastik  den  Vor¬ 
zug  vor  der  Heteroplastik.  An  der  Stirne  wurde  die 


Nr.  18. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


171 


freie  Knochentransplantation  gewählt,  um  weitere 
entstellende  Narben  zu  vermeiden.  Es  wurden  mit  Vor¬ 
teil  die  nötigen  Stücke  tangential  der  Vorderseite  der 
Klavikula  entnommen.  Am  behaarten  Schädel  wurde 
die  Methode  von  Garre  benutzt  und  19 mal  der 
Periostlappen  direkt  auf  das  Gehirn  gelegt.  Bei  der 
Bildung  des  Lappens  ist  grosse  Wärmeerzeugung  durch 
das  Instrument  zu  vermeiden  und  man  bedient  sich 
am  besten  des  Meisseis.  Eine  Fettplastik  unter  dem 
Periostlappen  wurde  nur  gemacht  bei  den  Fällen  mit 
straffer  Narbe,  nicht  aber  bei  denen  mit  ausgedehntem 
Oedem  des  Gehirns. 

D  i  s  k  u  s  s  i  o  n :  Herr  Perthes:  Oberflächliche 
Tangentialschüsse  (zum  Vortrag  Guleke)  werden 
besser  nicht  operiert,  weil  sie  nach  dem  Eingriff  nicht 
besser  werden  und  das  rührt  davon  her,  dass  die 
Schädigung  im  Gehirn  bei  diesen  Fällen  oft  nicht  unter 
der  äusseren  Verletzung,  sondern  an  einer  weit  entfern¬ 
ten  Stelle  im  Gehirn  liegt. 

Zur  Plastik  der  Dura  (Vortrag  Hotz)  nimmt 
Perthes  Netz,  weil  dieses  eine  gesunde  unverletzte 
Oberfläche  hat.  Darüber  macht  er  die  Knochenplastik. 
Der  Schädel  soll  ganz  geschlossen  werden.  Er  hat  bis¬ 
her  5  Fälle  von  Epilepsie  so  behandelt  ;  den  ersten 
im  Jahre  1912.  In  3  Fällen  hörten  zunächst  die 
Krämpfe  nicht  auf,  sondern  erst  später  nach  einer 
Reihe  von  Monaten.  Unter  sorgfältiger  Auswahl  der 
Fälle,  die  vor  allem  nicht  infiziert  sein  dürfen,  ist  die 
prophylaktische  Operation,  wie  sie  von  PI  o  t  z  ausge¬ 
führt  wurde,  wohl  angezeigt. 

Herr  Reich  hat  derbe  Narben  oder  Zysten  nur 
zweimal  unter  25  Fällen  gefunden.  An  der  Grenze 
des  Defektes  ist  die  Vernarbung  besonders  stark.  Das 
Narbenödem  stammt  her  von  einem  behinderten  Blut- 
lind  Lymphabfluss.  Es  kann  lange  Zeit  bestehen  blei¬ 
ben  und  sich  noch  nach  1  —  Jahren  finden.  Es 
können  sich  daraus  Arachnoideal-  oder  Kortikalzysten 
entwickeln,  denn  man  findet  in  der  Umgebung  der 
Zysten  oft  noch  das  Oedem  oder  aber  es  bilden  sich 
daraus  feste  Narben.  Bei  ausgebrochener  Epilepsie 
soll  man  operieren  und  zwar  nicht  nur  die  Lücke 
schliessen.  Die  Frühoperation  bei  den  Schädeldefekten 
ist  zu  empfehlen,  denn  es  bestehen  oft  latente  Beschwer¬ 
den,  die  nach  der  Entlassung  der  Patienten  schnell  zu¬ 
nehmen.  Den  primär  gedeckten  Fällen  dagegen  geht 
es  oft  am  besten.  Unter  25  Fällen  waren  7  mit  Abs¬ 
zessen,  von  denen  einer  starb.  Im  ganzen  3  heilten 
nicht  primär.  Das  Oedem  muss  exstirpiert  und  der 
entstehende  Defekt  plombiert  werden. 

Herr  G.  B.  Schmidt:  Man  soll  nach  Horsley 
bei  Abszessen  nicht  punktieren  oder  schneiden,  sondern 
mit  einem  stumpfen  Instrument  Vorgehen,  und  wenn 
man  Eiter  findet,  durch  spreizen  des  Instrumentes  die 
Lücke  erweitern;  das  ist  am  schonendsten.  Bei  Aus¬ 
tauschgefangenen  hat  er  eine  Reihe  von  Fällen  ge¬ 
sehen,  die  in  Frankreich  mit  Silberplatten  plastisch  ge¬ 
deckt  wurden.  Nur  bei  einem  lag  die  Platte  noch  an 
Ort  und  Stelle.  Alle  andern  hatten  sie  in  der  Tasche. 

Wenn  er  selbst  plastische  Operationen  macht,  so 
legt  er  den  Hautschnitt  zickzackförmig  durch  die 
Narbe,  weil  dann  die  Ränder  besser  ernährt  sind. 

Herr  Hof  mann  (Mannheim):  Freie  Transplanta¬ 
tionen  können  nekrotisch  werden  und  ferner  in  den 
Defekt  einsinken.  Die  Müller- Königsche  Methode  mit 
gestielten  Lappen  macht  Wülste  und  die  kahle  Stelle 
der  Narbe  bleibt  bestehen  j  Wegen  der  Dicke  der 
Lappen  ist  die  Orientierung  oft  schwer.  Bei  dünnen 
Knochen  kann  man  beim  Abmeisseln  zu  tief  kommen 
und  einen  neuen  Defekt  machen.  Das  Verfahren  von 
Garre  mit  gestielten  Lappen  der  Haut  und  einen 
darunter  für  sich  gestielten  Periostknochenlappen  ist 
besser.  Demonstrationen  von  nach  den  verschiedenen 


Methoden  operierten  Fällen.  Eine  Lähmung,  die  früher 
bestand  und  sich  zurückgebildet  hatte,  kann  nach  der 
Plastik  wieder  auftreten.  Zum  Schluss  bespricht  er 
eine  eigene  Methode  der  Plastik,  bei  der  die  äussere 
Narbe  exzidiert  und  darunter  zur  Deckung  der  Knochen¬ 
lücke  ein  brückenförmig  gestielter  Periostlappen  ge¬ 
bildet  wird. 

Herr  Lex  er  (Jena):  Es  muss  bei  der  Deckung 
des  Defektes  auch  die  Narbe  am  Hirn  entfernt  und  die 
entstehende  Lücke  durch  Fett  ausgefüllt  werden.  Peri¬ 
toneum  wird  schwielig.  Die  freie  Transplantation  ist 
gut,  aber  sie  muss  richtig  ausgeführt  werden.  Gute 
Blutstillung  ist  unerlässlich,  das  Fett  darf  nicht  ge¬ 
quetscht  werden  und  es  darf  auch  zu  keiner  „leichten 
Infektion“  kommen,  sonst  gibt  es  immer  Narben.  Die 
Technik  soll  jeder  so  machen,  wie  er  sie  am  besten 
kann.  Er  selbst  nimmt  Fett  in  Verbindung  mit  dem 
Periostknochenstück  von  der  Vorderfläche  der  Tibia 
und  legt  die  Fettschicht  nach  innen.  Die  dünne  Fett¬ 
schicht  an  der  Vorderseite  des  Unterschenkels  genügt. 

Man  soll  mit  der  Deckung  recht  lange  warten, 
mindestens  xf\ — 3/4  Jahre,  denn  es  gibt  noch  oft  kleine 
Abszesse  in  älteren  Narben.  Eine  Reihe  alter  Narben, 
die  Lexer  exzidierte  und  bakteriologisch  untersuchen 
liess,  gab  viel  positive  Resultate. 

3.  Bei  einer  kurzen  Diskussion  über  das  Thema 
„a  ntiseptische  Wundbehandlu  n  g“  ohne  ein¬ 
leitenden  Vortrag,  befürwortet  Herr  Ritter  das  aus¬ 
giebige  Exzidieren  aller  frischen  Wunden.  Damit  ver¬ 
meidet  man  Gasphlegmonen.  Auch  Stauung  tut  gutes. 
Er  wäscht  und  bürstet  nach  der  Umschneidung  die 
Wunden  aus  und  behandelt  sie  weiter  mit  Perubalsam 
oder  Wundöl  (Knoll).  Man  muss  darnach  fleissig  ver¬ 
binden. 

Es  sprechen  zu  dem  Thema  weiter :  Herr  v.  Beck, 
Enderlen,  Teutschländer,  Aschoff,  Wilms, 
Hotz,  Simon,  König,  Perthes,  Franke,  Col- 
mers,  Hagemann.  N icht  alle  stimmen  mit  Ritter 
in  diesem  radikalen  Vorgehen  überein. 

4.  Ueber  Gasphlegmone,  Herr  Hage¬ 
ln  a  n  n.  Einleitender  Vortrag. 

Es  gibt  verschiedene  Typen  unter  den  Gasphleg¬ 
monen  und  deshalb  liegen  auch  mancherlei  Versuche 
der  Klassifizierung  vor.  Die  Unterscheidung  nach  epi- 
faszialen  und  subfaszialen  Formen  von  Payr  ist  nicht 
gut.  Das  gibt  es  bei  allen  Phlegmonen  und  ist  kein 
Unterschied  in  den  einzelnen  Fällen.  Besser  ist  die 
Einteilung  von  Kausch:  1.  in  leichte  Formen,  bei 
denen  die  Muskeln  wenig  beteiligt  sind,  die  Haut  in¬ 
takt  und  das  Allgemeinbefinden  gut  ist  und  die  in 
Heilung  ausgehen;  2.  schwere  Formen  mit  zweifelhaf¬ 
tem  Ausgang;  3.  fudroyante  Formen  mit  tödlichem 
Ausgang. 

Nach  eigenen  Beobachtungen  unterscheidet  Hage¬ 
mann  auch  3  Formen  und  zwar:  1.  Im  Vordergründe 
steht  die  Gasbildung.  Das  klinische  Bild  ist  das  einer 
mehr  oder  weniger  schweren  Infektion.  Kein  Geruch; 
Beschwerden  gering.  Im  weiteren  V erlaufe  zunder¬ 
artiger  Zerfall  der  Muskulatur,  Verschlechterung  des 
Allgemeinbefindens,  event.  Tod. 

2.  Die  Gasbildung  ist  gering.  Als  erstes  Symptom 
findet  man  Schmerzen  distal  von  der  Wunde.  Starker 
Geruch,  oft  kommen  vereinzelte  Gasblasen  aus  der 
Wunde.  Die  Muskulatur  in  fauligem  Zerfall  wie  bei 
einer  Wasserleiche,  aber  nicht  wie  Zunder.  Frühzeitige 
Gangrän.  Ausgedehnte  Thrombose  der  Gefässe.  Tem¬ 
peraturen  höher  als  bei  1. 

3.  Im  Vordergründe  steht  die  Eiterung.  Der  experi¬ 
mentelle  Gasbrand  F  r  ä  n  k  e  1  s  entspricht  am  meisten 
der  Form  1.  Im  Tierexperiment  ist  Kombination  von 
Gasbildern  und  Eiterkokken  besonders  schwer  im 
Gegensatz  zum  Menschen,  wo  bei  Eiterbildung  das 


172 


Nr.  18 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Krankheitsbild  leichter  zu  sein  pflegt.  Aber  nicht  nur 
der  Fränkelsche  Bazillus  kann  das  Krankheitsbild  her- 
vorrufen,  sondern  beispielsweise  auch  anärobe  Strepto¬ 
kokken.  Daher  das  verschiedene  Krankheitsbild. 
Sicheres  ist  indessen  darüber  noch  nicht  zu  sagen. 

Die  I  herapie  ist  gleichmässig  für  alle  drei  For¬ 
men.  Bei  subkutanen  Phlegmonen  macht  man,  wenn 
möglich,  Schnitte  vom  gesunden  ins  gesunde.  Bei 
tiefen  Phlegmonen  wird  die  Wunde  erweitert  und  alle 
Muskelinterstitien  vollständig  gespalten  unter  sorg¬ 
fältiger  Schonung  der  Nerven  und  Gefässe.  Wo  dies 
radikale  Verfahren  nicht  zum  Ziele  führt,  nützt  auch  die 
Amputation  nichts.  Amputiert  wurde  nur  bei  gleich 
zeitig  bestehenden  Zertrümmerungen  der  Knochen  und 
bei  Verletzungen  der  grossen  Gefässe,  oder  wenn  be 
reits  ausgedehnte  Gangrän  eingetreten  war. 

Die  Prognose  ist  nicht  so  schlecht  als  es  anfangs 
schien.  Die  frühzeitige  Diagnose  ist  wichtig  und  der 
Schmerz  ein  besonders  charakteristisches  Frühsym¬ 
ptom. 

Prophylaktisch  von  Bedeutung  ist  die  Behandlung 
frischer  Granatsplitterverletzungen,  die  besonders  zur 
Gasphlegmone  disponieren.  Die  Wunden  müssen  ge¬ 
spalten  und  ihre  Taschen  erweitert  werden.  Dann 
wurde  mit  Karbolwasser  ausgespült. 

Diskussion:  Herr  Garre:  Die  Muskelinter¬ 
stitien,  soweit  sie  erkrankt  sind,  zu  spalten,  ist  wichtig. 
Es  wurde  z.  B.  in  manchen  Fällen  vom  Knie  bis  zum 
Fuss  durchgespalten. 

Herr  Simon  hat  ein  Jahr  nach  der  Verletzung  und 
5  Monate  nach  Heilung  aller  Wunden  und  Fieberlosig- 
keit  bei  einer  komplizierten  Fraktur  Knochennaht  ge¬ 
macht.  Gleich  nach  der  Verletzung  hatte  ein  Gasabs¬ 
zess  bestanden.  Gasphlegmone  und  Tod  nach  70  Stun¬ 
den  waren  die  Folge.  Es  müssen  noch  Bakterien  in 
den  Geweben  gewesen  sein. 

Herr  v.  Beck  spricht  von  der  chronisch  gan- 
gräneszierenden  progredienten  Phlegmone,  die  patho¬ 
logisch  anatomisch  auf  einer  Thrombophlebitis  beruht, 
ausgehend  von  Kleiderresten  in  der  Wunde.  Baktero- 
logisch  findet  man  Anärobe  und  Strepto-  oder  Staphylo¬ 
kokken.  Grosse  Inzisionen  und  oft  auch  die  Amputa¬ 
tion  führen  nicht  immer  zum  Ziel.  Der  Exitus  erfolgt 
dann  meist  nach  3 — 4  Monaten. 

Herr  As  c  hoff:  Bei  tödlich  verlaufenden  Fällen 
ist  die  Ursache  immer  eine  reine  Intoxikation,  keine 
Sepsis;  denn  wenn  man  1 — 2  Stunden  nach  dem  Tode 
die  Sektion  macht,  findet  man  nirgends  im  Blut  und 
den  Organen  Bakterien  oder  Gasblasen. 

Eine  scharfe  Trennung  zwischen  malignem  Oedem 
und  Gasphlegmone  ist  nicht  vorhanden.  Es  gibt  Ueber- 
gänge  von  einem  zum  andern.  Deshalb  ist  es  möglich, 
dass  wir  mit  der  Impfung  weiterkommen  auch  bei  der 
Gasphlegmone  und  dass  uns  dabei  die  Erfahrungen 
am  Tier  über  den  Rauschbrand  nutzen. 

Herr  Ritter  hält  daran  fest,  dass  sich  bei  seinen 
Fällen  auch  schon  2  Stunden  nach  dem  Tode  immer 
Gasblasen  in  den  inneren  Organen  fanden. 

Herr  Wulls  t  ein:  Bei  der  Sektion  von  Gas¬ 
phlegmonen  findet  man  keine  Thrombose  der  Gefässe. 
Die  Gangrän  hat  ihre  Ursache  in  der  Spannung  der 
Gasblasen  im  Gewebe. 

Herr  M  e  i  s  e  1 :  Bei  langsam  verlaufenden  Gas¬ 
phlegmonen  fehlt  der  Schmerz.  Dann  kann  das  Rönt 
genbild  die  Gasansammlung  in  der  Tiefe  frühzeitig 
aufdecken  (Demonstration). 

Herr  Sauerbruch:  Nach  experimentellen  Unter¬ 
suchungen  kann  man  unter  aseptischen  Kau- 
telen  Gasbildung  hervorbringen,  und  es  kann  dabei 
Gangrän  auftreten  einfach  durch  mechanische  Schädi¬ 
gung  der  Gewebe.  Das  stimmt  zur  klinischen  Beobach¬ 
tung  (Wu  liste  in). 


Die  Anschauung  von  As  c  hoff,  dass  der  Tod  bei 
der  ( lasphlegmone  durch  Intoxikation  erfolgt,  ist  die 
richtige. 

Es  folgen  zum  Schluss  des  ersten  Abends  noch 
eine  Reihe  von  Demontrationen,  die  aber  zum  kurzen 
Referat  meist  nicht  geeignet  sind. 

5.  Herr  Drümer  demonstrierte  sein  Instrumen¬ 
tarium  der  Röntgenstereoskophie  und  Lagebestimmung 
von  Geschossen. 

6.  Herr  M  e  i  s  e  1  das  Verfahren  zur  Bestimmung 
von  F  remdkörpern  mit  Hilfe  eines  aufgelegten  Gitters. 

7.  Herr  Steinthal  zeigt  eine  Reihe  von  Gesichts- 
vcrletzungen  an  der  Hand  von  projizierten  Diaposi¬ 
tiven,  vor  und  nach  der  Plastik. 

8.  Herr  Wilms  zeigt  die  von  Zins  er  ange¬ 
fertigte  künstliche  Nase. 

9.  Herr  Hackenbruch  bespricht  seine  be¬ 
kannte  Methode  des  Gipsverbandes  mit  Distraktions¬ 
klammern,  den  er  jetzt  nur  noch  mit  Watte  polstert. 
Er  ist  immer  anzuwenden  für  alle  Frakturen.  Man  muss 
distrahieren  solange  bis  der  Patient  ohne  Schmerzen 
umhergehen  kann.  Die  Gelenke  werden  auch  nach  Zer¬ 
trümmerung  sofort  beweglich.  Er  legt  nach  der  Sitzung 
selbst  einen  solchen  Verband  an. 

10.  Herr  Krämer  demonstriert  seinen  aseptischen 
Schnellverband. 

1  1 .  Herr  Heide  n  h  a  i  n  zeigt  seine  Trepanations¬ 
instrumentarium  :  eine  verbesserte  Fraise  und  ein  ver¬ 
bessertes  Dalgrensches  Instrument. 

12.  Herr  Wu  11  st  ein  zeigt  zwei  Patienten  mit 
alten  Frakturen  an  der  unteren  Extremität,  bei  denen 
er  Verkürzungen  von  7  und  9  cm  mit  Hilfe  der  Stein- 
mannschen  Nagelung  vollständig  ausgleichen  konnte. 


Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
erkrankungen. 

Kritische  Übersicht  von  Dr.  B  1  ü  m  e  1 ,  Halle  a.  S.,  Spezialarzt  für 
Hals-  und  Lungenkrankheiten. 

Fortsetzung. 

7.  Spezifische  Chemotherapie. 

Grosse  Fortschritte  für  die  Behandlung  der 
1  uberkulose  sind  auf  diesem  chemotherapeutischen  Wege 
bisher  nicht  erzielt  worden.  Darauf  macht  auch 
Meissen  (72)  aufmerksam  in  einem  sehr  gut  unter¬ 
richtenden  Aufsatz  über  Kupferanwendung  im  Tier¬ 
versuch  und  am  Menschen.  Bei  Lungentuberkulose  sah 
auch  Eggers-Bonn  (73)  nicht  sehr  eindeutige  Wir¬ 
kungen.  Er  behandelte  15  Fälle,  davon  die  Llälfte  mit 
Erfolg.  Das  Kupfer  wurde  in  Form  von  Einreibungen 
und  Pillen  gegeben. 

Sehr  viel  bessere  Erfahrungen  sind  in  der 
Behandlung  der  Hauttuberkulose  mit  Kupfer¬ 
mitteln  gesehen  worden.  Die  grössten  Fortschritte 
verdanken  wir  hier  Strauss- Barmen  (74,  75),  der 
unermüdlich  für  die  Anwendung  des  Kupfers  eintritt. 
Und  wenn  man  seine  Erfolge  nach  den  Kranken¬ 
geschichten  und  den  Abbildungen  beurteilt,  muss  man 
sie  ausgezeichnet  nennen.  Strauss  benutzt  sogenannte 
Lekuzytsalbe,  eine  Lezithin  -  Kupfer  -  Verbindung  mit 
10  Proz.  Cykloform.  Die  äussere  Kupterbehandlung 
wird  mit  der  inneren  kombiniert  und  zwar  gibt  man 
dragierte  Pillen,  die  5,0  mg  Kupfer  enthalten,  dreimal 
täglich  eine  bis  dreimal  täglich  zwei.  Eggers  (73) 
sah  ebenfalls  bei  lupösen  und  verrukösen  Ulcerationen 
sehr  günstige  Resultate. 

Meine  wenigen  persönlichen  Erfahrungen  haben 
mich  bei  Lungentuberkulose  die  Behandlung 
einstellen  lassen  Die  intravenöse  Behandlung 


Nr.  lcS. 


FC)  R  TSCH  R ITT E  DER  MEDIZIN. 


173 


habe  ich  nach  wenigen  Injektionen  aufgegeben.  Die 
Einnahme  des  Kupfers  per  os  verschlechterte  den  Appetit 
sehr,  ebenso  aber  leider  auch  die  Inhalation.  St  raus  s 
war  so  liebenswürdig,  mir  durch  die  Firma  Bayer  &  Co. 
die  Präparate  zur  Verfügung  stellen  zu  lassen.  Ich  habe 
aber  die  Versuche  zum  grössten  "Feil  eingestellt.  Am 
besten  gefallen  hat  mir  noch  die  Inhalation  einer  Kupfer¬ 
emulsion.  Ich  wandte  sie  in  6  Fällen  an,  musste  sie 
aber  in  allen  Fällen  wegen  der  dvspeptischen  Wirkungen 
weglassen.  Die  zirka  8  Wochen,  in  denen  die  Behand¬ 
lung  durchgeführt  wurde,  ergaben  in  allen  Fällen  eine 
erhebliche  Beschränkung  des  Auswurfes,  in  manchen 
Fällen,  trotzdem  sie  schon  monatelang  in  Behandlung 
waren,  um  70  Proz.  Das  war  eine  einwandfrei  merk¬ 
bare  Veränderung.  Die  katarrhalischen  spezifischen  Er¬ 
scheinungen  änderten  sich  allerdings  nur  in  2  Fällen  so, 
dass  man  auskultatorisch  eine  Abnahme  feststellen  konnte. 
Nach  diesen  Erfahrungen  halte  ich  bei  Lungentuber¬ 
kulose  der  Kupferbehandlung  in  der  jetzigen  Form  die 
Tuberkulinbehandlung  für  weit  überlegen.  Denn  den 
Magen  müssen  wir  uns  leistungsfähig  erhalten  bei  unsern 
Kranken. 

8.  O  p  e  r  a  t  i  v  e  Behandlung. 

Über  die  Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
chirurgie  berichtet  Borchard  (76)  im  Zusammen¬ 
hänge.  D  e  n  e  k  e  (77)  und  B  r  e  c  c  i  a  (78)  berichten 
über  die  Frage  des  künstlichen  Pneumothorax. 
Samson  (70)  bringt  dazu  eine  neue  Kasuistik.  Er 
betont  vor  allen  die  soziale  I  n  d  i  k  a  t  i  o  n  ,  wenn 
Zeit  zur  Liegekur  und  Geld  zur  Anstaltskur  fehlt.  Bei 
Erkrankungen  der  gesunden  Seite,  vor  allem  wenn  sie 
sich  im  Unterlappen  finden,  ist  der  Pneumothorax  nicht 
angebracht  13  von  22  Fällen  wurden  sehr  günstig  be¬ 
einflusst,  besonders  viel  sehr  schwere  Fälle.  Alle  wurden 
entfiebert.  Bei  7  verlor  sich  der  Auswurf  ganz.  5  mal 
fand  sich  eine  Pleuritis,  als  Folge  zu  hohen  Drucks, 
wie  S.  meint.  —  Ich  kann  der  Empfehlung  des  Pneu¬ 
mothorax  nur  zustimmen.  Auch  meine  Erfahrungen  sind 
in  über  der  Hälfte  der  Fälle  günstige. 

Real-Dav  os  (80)  berichtet  über  einen  bei  be¬ 
stehender  Schwangerschaft  angelegten  Pneumothorax, 
der  jedenfalls  der  Grund  war,  dass  die  Kranke  Sectio 
caesarea  und  Wochenbett  sehr  gut  überstand. 

Ausführlicher  möchte  ich  auf  die  Brunssche 
A  r  beit  (81)  eingehen,  die  der  Theorie  des 
P  neumothorax  gewidmet  ist.  Die  Bedeutung 
der  Zirkulationsverminderung  für  die  Heilungsvorgänge 
in  den  tuberkulösen  komprimierten  Lungen  liegen  da¬ 
rin:  1.  in  der  komprimierten  luftleeren  Lunge  vermag 
das  Blut  sich  weder  mit  Sauerstoff  anzureichern,  noch 
seine  Kohlensäure  abzugeben.  Sauerstoffmangel  aber 
erschwert  empfindlich  die  Lebensbedingungen  der  Tuber¬ 
kelbazillen,  die  bekanntlich  ein  ganz  ausserordentlich 
grosses  Sauerstoffbedürfnis  haben.  2.  Die  Verlangsamung 
der  Blutzirkulation  hat  natürlich  auch  eine  Verlang¬ 
samung  der  Lymphbewegung  im  Gefolge.  Damit  aber 
ist  die  Ausbreitung  der  Tuberkelbazillen  in  die  Nach¬ 
barschaft  auf  Blut-  und  Lymphbahnen  erschwert.  3.  Durch 
die  Veranlagung  der  Blut-  und  Lymphbewegung  sind 
auch  die  Resorptionsbedingungen  für  die  Toxine  der 
Tuberkelbazillen  wesentlich  verschlechtert.  Das  sieht 
man  am  ersten  durch  das  schnelle  Nachlassen  der 
toxischen  Erscheinungen  (F'ieber,  Nachtschweisse,  Ab¬ 
magerung,  Appetitlosigkeit). 

Hagegen  beruht  die  in  der  komprimierten  Lunge 
vorhandene  Gewebsneubildung  nicht  auf  der  Zirkulations¬ 
verlangsamung.  Sie  ist  kein  Zeichen  einer  Heilungs¬ 
tendenz,  sondern  trägt  durchweg  entzündlichen  Charakter. 
Sie  zeigt  sich  in  Verdickung  der  Pleura  pulmonalis, 
Hineinziehung  breiter  Septen  dieses  Bindegewebes  in 
das  Lungengewebe  hinein,  Bildung  von  entzündlichen 


Infiltraten  in  der  Umgebung  der  Bronchen,  die  sich  von 
da  in  die  Umgebung  der  die  Bronchen  begleitenden  Ge- 
fässäste  fortsetzen.  Es  kommt  also  zupleu- 
r  o  g  e  n  e  r  Wucherung  des  interlobulären 
und  bronchogener  Vermehrung  des  peri¬ 
bronchialen  Bindegewebes  in  d  e  r  kom¬ 
primierten  Lunge.  Aber  das  entzündliche  ge¬ 
wucherte  Stützgewebe  kann  in  erkrankten  Lungen  die 
bindegewebige  Abgrenzung  der  tuberkulösen  Herde 
fördern,  also  die  Kollapstherapie  kann  doch  auf  diesem 
Umwege  den  Heilungsvorgang  unterstützen. 

Durch  Kompression  werden  auch  in  den  gesunden 
Lungenlappen  allerdings  die  kleinen  Bronchien  zusammen¬ 
gedrückt  (K  a  u  f  m  a  n  n)  und  obliterieren  zum  Teil. 
Das  ist  nach  der  Beendigung  der  Pneumothorax-Be¬ 
handlung  hinderlich,  tritt  aber  bei  dem  sonstigen  Erfolg 
der  Behandlung  mehr  in  den  Hintergrund. 

Die  Einengung  der  Lungenstrombahn  führt  ander¬ 
seits  zu  einer  Hypertrophie  des  rechten  Herzens,  wenn 
sich  auch  die  Gefässe  der  nicht  komprimierten  Lunge 
etwas  erweitern  und  dadurch  einen  gewissen  Ausgleich 
schaffen. 

M  a  y  e  r  -  B  e  r  1  i  n  empfiehlt  die  extra-  und  intra¬ 
pulmonale  Pneumolyse,  wenn  wegen  V  erwachsungen 
ein  Pneumothorax  nicht  möglich  ist.  Seine  Technik  ist 
ähnlich  der  früher  von  Bär  und  Jessen  hier  be¬ 
schriebenen.  —  Gwerder  (83)  empfiehlt  statt  solider 
dauernder  Plomben  temporäre,  in  Form  von  geschlossenen 
oder  gestielten  Gummiblasen,  die  man  von  aussen  auf¬ 
blasen  kann,  um  so  auch  eine  langsame  Ablösung  der 
Pleura  zu  erzielen.  (Im  Tierversuch  erprobt.) 

9.  Medikamentöse  Behandlung. 

Die  Zahl  der  Veröffentlichungen  ist  gegen  früher 
auffallend  gering  geworden,  ein  gutes  Zeichen  dafür, 
dass  die  medikamentöse  Behandlung  zu  Gunsten  der 
anderen  Methoden  an  Boden  verliert.  A  1  exander- 
Berlin  (84)  wandte  mit  sehr  gutem  Erfolg  Kamp  f  e  r 
an  als  Anhydrotikum,  Antipvretikum  und  als  eiterungs¬ 
hemmendes  Mittel  (gleich  den  Terpenen).  Bei  schwerei 
chronischer  Herzinsuffizienz  mit  Bronchitis  gibt  er  täglich 
0,1 — 0,2  Kampfer,  geht  bestehendes  Fieber  bei  Tuber¬ 
kulose  nicht  herunter,  gibt  er  täglich  Dosen  von  0,03, 
0,05  bis  zu  0,2  Kampfer.  Über  die  Erfolge  der  Kamp¬ 
ferbehandlung  bei  fiebernden  Tuberkulösen  wurde  hier 
schon  früher  aus  der  von  Ritter  geleiteten  Heilan¬ 
stalt  sehr  Günstiges  berichtet.  R.  gibt  1  —2  ccm  Ol. 
camphorat.  täglich. 

Seifeneinreibungen  werden  seit  Jahren 
bei  Skrofulöse  vor  allem  angewandt,  auch  S  u  dian- 
Krewel  (Sapo  kalin.  compos.  mit  Schwefel)  hat  sich 
vielfach  bewährt.  Allerdings  so  glänzende  Erfahrungen, 
wie  sie  M  o  s  b  e  r  g  (85)  beschreibt,  sah  ich  nicht.  Zur 
Massenbehandlung  empfehle  ich  eher  die  Petruschky- 
sche  Tuberkulinbehandlung  (s.  o).  Sie  wirkt  unzweifel¬ 
haft  zuverlässiger.  —  Ob  die  von  F  i  s  c  h  e  1  und 
S  c  h  ö  n  w  a  1  d  (86)  empfohlenen  Jod-Kampfer-Guaja- 
kolseife  „Sputolysin“  zur  perkutanen  Anwendung  als 
Expektorans,  Husten,  Schmerzen  stillendes  und  ent- 
fieberndes  Mittel  sich  bewährt,  darüber  habe  ich  keine 
eignen  Erfahrungen.  Wenn  ich  mich  an  das  Praevalidin 
seligen  Angedenkens  erinnere  und  an  das  Cerometum 
von  Stepp,  so  ist  allerdings  mein  Vertrauen  gering. 
Ich  empfehle  daher  eher  die  sonst  gebräuchliche  An¬ 
wendung  von  jedem  einzelnen  Konstituens. 

10.  Behandlung  der  Komplikationen. 

Mautz-Edmundstal  (87)  untersuchte  die 
Magenfunktion  bei  100  Phthisikern. 
In  über  der  Hälfte  der  Fälle  wurde  gestörte  Motilität 
gefunden,  bei  2/3  zu  geringe  Säurewerte.  Von  diesen 
wies  wieder  1/3  sogar  Anacidität  auf.  Hvper- 
acidität  zeigten  nur  3  Fälle.  Die  Anacidität  war  zumeist 
bei  vorgeschrittenen  Fällen  vorhanden  (hier  fand  sie 


174 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


auch  Perm  i  n ,  s.  mein  oben  erwähntes  Buch).  50  Proz. 
der  Untersuchten  hatten  subjektive  Beschwerden.  Er¬ 
folg  brachten  3  mal  wöchentliche  M  agenspülungen 
mit  Kochsalz  oder  bei  Hyperacidität  mit  Karlsbader  Salz. 
Medikamente  oder  Stomachika  brachten  keinen  Erfolg. 
Als  neues  Antidiarrhoikum.  auch  für  Phthisiker,  empfiehlt 
Weil  (88)  R  e  s  a  1  d  o  1  -  Bayer  (Resorcinbenzoyl 
Carbonsäureester). 

Grosse  Verdienste  um  die  Erforschung  der  Ver¬ 
hältnisse  bei  Pleuritis  hat  sich  K  ö  n  i  g  e  r  •  Er¬ 
langen  (89)  erworben.  Nach  ihm  sind  alle  idiopathi¬ 
schen  Pleuritiden  nahezu  tuberkulöser  Herkunft.  Günstige 
oder  ungünstige  Wirkung  der  Pleuritis  ist  durch  mecha¬ 
nische  Ursachen  allein  nicht  zu  erklären.  Es  ist  eine 
chemische  Wirkung  vorhanden.  Die  mechanischen  Ver¬ 
hältnisse  beeinträchtigen  aber  oft  die  günstige  physiolo¬ 
gische  Wirkung  der  Pleurareaktion.  Diese  Kenntnis  ist 
sehr  wesentlich  für  die  Behandlung,  weil  man  versuchen 
soll,  mit  der  Heilung  der  Pleuritis  auch  die  Tuberkulose 
zum  Stillstand  zu  bringen.  Gewisse  Fälle  weit  vorge¬ 
schrittener  oder  rasch  fortschreitender  Tuberkulose  wird 
man  nicht,  andere  aber,  besonders  Anfangsfälle,  schon 
punktieren.  Es  ist  deshalb  von  Fall  zu  Fall  zu  unter¬ 
scheiden,  ob  die  mechanische  Wirkung  einen  besonderen 
Reiz  schafft. 

Eine  neue,  von  Schmidt-Halle  empfohlene 
Technik  bei  der  Pleurapunktion  wandte  Bessel-Lorck 
(90)  an.  Man  punktiert  und  insuffiiert  gleichzeitig  und 
kann  so  grosse  Flüssigkeitsmengen  in  einer  Sitzung, 
ohne  dass  es  zu  Kollaps  kommt,  entfernen.  Wiederan¬ 
sammlung  des  Exsudats  und  Adhaesionsbildung  wird 
nicht  immer  vermieden,  aber  der  Krankheitsverlauf  wird 
im  allgemeinen  abgekürzt.  Man  kann  die  Flüssigkeit 
durch  Luft  oder  Stickstoff  ersetzen.  (Luft  genügt  nach 
Schmidts  und  eigenen  Erfahrungen);  um  Wiederan¬ 
sammlung  zu  verhüten,  muss  man  darauf  achten  dass 
das  Exsudat  völlig  entfernt  wird,  dass  möglichst  am 
tiefsten  Punkt  sich  die  Einstichöffnung  des  Troikars 
befindet.  Das  erreicht  man  durch  Lagerung  zwischen 
zwei  Betten,  wie  es  Schmidt  empfiehlt,  oder  wie 
ich  es  auch  übe,  dadurch  dass  man  den  Kranken  in 
gewissen  Lagen  die  den  Abfluss  des  letzten  Flüssig¬ 
keitsrestes  erlauben,  mit  Hilfe  einer  anderen  Person 
halten  lässt.  Vor  allem  ist  wichtig,  dass  wir  dreist  Luft 
eintliessen  lassen  und  nicht  wie  früher  das  sorglich  ver¬ 
hüten. 

Über  die  chirurgische  B  eh  a  n  diu  ng  der 
tuberkulösen  Pleuraexsudate  schreiben 
Spengler  und  Sauerbruch  (91).  Bei  allen 
grösseren  Lungenherden,  die  nach  bestehenden  An¬ 
schauungen  für  die  Pneumothoraxbehandlung  geeignet 
sind,  empfehlen  sie  die  teilweise  Entfernung  der  Flüssig¬ 
keit  und  eine  entsprechende  Stickstoffnachfüllung.  Auch 
bei  pleuritischen  Ergüssen,  die  keine  Neigung  zur 
Resorption  zeigen,  ist  diese  Behandlung  anzuwenden. 
Bei  Exsudaten  in  den  offenen  Pleuraraum  kommt  früh¬ 
zeitige  und  ausgiebige  Eröffnung  der  Brusthöhle  in 
Frage.  Bei  Pyopneumothorax:  Entfernung  des 
Exsudats  durch  Punktion,  später  extrapleurale  Thorako- 
plastik  über  dem  unteren  Abschnitt  des  Brustkorbes. 
Nach  einigen  VTochen  nimmt  man  die  Verkleinerung  des 
Thoraxabschnittes  in  derselben  Weise  vor.  Die  Resultate 
sind  ausgezeichnete,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  die 
Fälle  früher  immer  ganz  verloren  waren.  Von  13  Fällen 
starben  3  unmittelbar  infolge  des  Eingriffes,  3  weitere 
später.  Die  anderen  sind  durchgekommen,  vier  von 
ihnen  sind  sogar  wieder  praktisch  arbeitsfähig. 

Mayer  -  Berlin  (92)  beschäftigt  sich  mit  den 
Exsudaten,  die  nach  Anlegung  eines 
Pneumothorax  im  Laufe  der  Nachfüllungen 
auftreten.  Bei  48  Operierten  sah  er  in  18  Fällen  ein 
Exsudat.  Zwischen  Drucksteigerung  und  Exsudatbildung 


Nr.  18 


bestehen  gewisse  Beziehungen.  Fast  immer  sehen  wir 
zu  Beginn  Fieber,  das  sehr  lange  anhalten  kann.  M. 
nahm  chemische,  serologische  und  zvtologische  Unter¬ 
suchung  des  Exsudats  vor.  Nach  ihm  spricht  Eiweiss¬ 
gehalt  für  ein  entzündliches  Exsudat.  Er  steigt  mit 
zunehmendem  Druck  und  sinkt  mit  Beginn  der  Resorption. 
Die  Pleura  ist  ganz  erheblich  in  ihrer  Resorptionsfähig¬ 
keit  geschädigt  durch  die  herabgesetzte  Resorption  der 
Lunge  und  vielleicht  eine  Laesion  der  Pleura.  Exsudate 
mit  reichlichen  eosinophilen  Zellen  zeigen  im  Gegensatz 
zu  den  daran  ärmeren  eine  deutliche  Neigung  zur  Re¬ 
sorption.  Es  gibt  keinen  einheitlichen  Typus  der  Exsu¬ 
date,  sondern  4  verschiedene.  —  Die  Behandlung  besteht 
in  baldiger  Entfernung  und  Ersatz  des  Exsudats  durch 
Stickstoff.  Aber  wegen  der  Erhöhung  des  Druckes  ist 
Vorsicht  geboten.  Deshalb  wird  die  Autosero- 
t  h  e  r  a  p  i  e  empfohlen,  die  subkutane  Injektion  eines 
ccm  des  Exsudats.  Die  Wirkung  beruht  auf  dem  Ge¬ 
halt  von  spezifischen  Antistoffen  im  Exsudat,  deshalb  ist 
auch  der  Erfolg  verschieden  Bei  septischen  Exsudaten 
empfiehlt  M.  Spülung  mit  Kochsalz  oder  solche  mit 
1,2 —  1  prozentiger  Lysoformlösung.  Mit  den  Stickstoff- 
nachfüllungen  muss  natürlich  ausgesetzt  werden. 


I  Teil 

der  Literaturangaben. 

1.  Löffler.  Welche  Massnahmen  sind  zur  weiteren 
Eindämmung  der  Tuberkulose  als  Volkskrankheit  erforderlich? 
(D.  m.  W.  1913,  Nr.  50.) 

2.  Jahresbericht  1912/13  des  Vereins  zur  Bekämpfung  der 
Tuberkulose  in  Stettin. 

3.  Pischinger.  Jahresbericht  1912  der  Auskunfts¬ 
und  Fürsorgestelle  für  Lungenkranke  in  Asch  affen  bürg. 

4.  L  i  e  b  e.  Die  Schwindsucht  und  ihre  Bekämpfung. 
Turmbücherei.  Band  6.  Preis  30  Pfg,  38  S. 

5.  E  f  f  1  e  r.  Die  Tuberkulosebekämpfung  im  Säuglings¬ 
alter;  Erfolge,  Mittel,  Aussichten.  (D.  m.  W.  1914,  Nr.  7 
und  8.) 

G.  Icker  t.  Die  Bewahrung  des  Kindes  vor  der  Tuber¬ 
kulose.  (D.  m.  W.  1913,  Nr.  46.) 

7.  D  ö  r  n  e  r.  Vergleichende  Untersuchungen  über  Tuber¬ 
kuloseverbreitung  in  2  verschiedenen  Bezirken  Badens.  (Beitr. 
z.  Kl.  d.  Tbk.  Band  30,  Heft  1.) 

8.  Vollmer  Die  Tuberkulose  im  schulpflichtigen 
Alter  und  ihre  Bekämpfung  (ebenda,  Band  29.  Heft  3.) 

9.  K  n  o  1  1.  Die  ,, Skrofulösen4  der  Züricher  Heilstätte 
von  1885  bis  1911  (ebenda). 

10.  M  a  y  e  r.  Die  Friedrichstadtklinik  für  Lungenkranke 
zu  Berlin.  (Berlin,  1914,  Verlag  August  Hirschwald.) 

11.  Schmitt  man  n.  Die  Unterbringung  Tuberkulöser 
im  vorgeschrittenen  Krankheitsstadium  in  Invalidenheimen  für 
Tuberkulose  (Tuberculosis,  1913,  Nr.  9) 

12.  F  ü  r  s  t.  Welche  Vorschläge  ergeben  sieh  aus  der 
Verteilung  der  offenen  und  geschlossenen  Formen  von  Tuber¬ 
kulose  in-  und  ausserhalb  der  städtischen  Krankenanstalten 
M  ü  n  c  h  e  n  s  für  die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in  München? 
(Zschr.  f.  Tbk  Band  21.  Heft  5.) 

13  Neu  her  t.  Über  Arbeitsplätze  für  tuberkulöse  In¬ 
validen  (Tuberkulosis,  1914  Heft  2.) 

14.  Holitscher.  Alkoholismus  und  Tuberkulose. 

(Beitr.  z  Kl.  d.  Tbc.  Band  29  Heft  2.) 

15.  C  u  r  s  c  h  m  a  n  n,  Die  erbliche  Belastung  als  patho- 

gnostischer  Faktor  für  die  Entstehung  der  Lungentuberkulose 
und  ihre  Bedeutung  für  den  Verlauf  der  Erkrankung  (Tuber¬ 
kulosis,  1914,  Nr.  2). 

IG.  Kiichenhoff.  Über  die  Bedeutung  von  Wirbel¬ 
säulenanomalie  für  die  Entstehung  von  Lungentuberkulose. 
(Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc.  Band  29  Heft  2.) 

17.  Hart.  Beitrag  zur  Pathologie  der  Tuberkulose.  (M. 
Kl.  Nr.  50,  1913.) 

18.  Umfrage  über  die  diagnostische  Bedeutung  der  subku¬ 
tanen  Tuberkulinreaktiou.  (M.  Kl.  1913,  Nr.  48.) 


Nr.  18. 


FORTSCHRITTE  HER  MEDIZIN. 


19.  Feyerabend.  Über  spontane  Meerschweinchen¬ 
tuberkulose.  (Beitr.  z.  K.  d.  Tbc.  Band  29  Heft  1.) 

20.  J  essen.  Über  Untersuchungen  mit  dem  A  b  der- 
h  a  1  d  e  n  sehen  Dialysierverfahren  bei  Tuberkulösen  (ebenda. 
Band  28.  Heft  3.) 

21.  G  u  in  p  e  r  t  z.  Erfahrungen  mit  dem  Abder¬ 
halden  sehen  Dialysierverfahren  bei  Tuberkulose  ebenda, 
Band  30.  Heft  1). 

22.  Zweig  und  G  e  r  s  o  n.  Zur  Serodiagnostik  der 
Tuberkulose  (ebenda,  Band  29.  Heft  3). 

23.  M  o  e  w  e  s  Tuberkelbazillen  im  Blut.  (D.  m.  W. 
1914,  Nr.  10.) 

24.  Rautenberg.  Zur  Frage  der  Bazillaemie  bei 
Tuberkulose  (ebenda). 

25.  Mayer  Über  das  Vorkommen  von  Tuberkelbazillen 
im  strömenden  Blute  und  in  der  menschlichen  Milch.  (Zschr. 
f.  Tbc  Baud  21,  Nr.  5.) 

26.  Schöne  und  Weissenfels.  Nachweis  uud 
Bedeutung  der  Tuberkelbazillen  in  den  Faeces  (ebenda,  Bd.  21. 
Nr.  3). 

27.  Gelderbio  m.  Über  den  Eiweissgehalt  im  Sputum 
Tuberkulöser.  (D.  m.  W.  1913,  Nr.  41.) 

28.  Melikjanz.  Die  quantitative  Eiweissbestimmung 
im  Sputum  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Diagnose  und  Prognose 
von  Lungenkrankheiten.  (Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc.  Band  30. 
Heft  1.) 

29.  Schneider.  Die  diagnostische  Bedeutung  des 
Nachweises  von  Eiweiss  im  Sputum  von  Lungenkranken. 
(Zentralblatt  für  innere  Medizin  1913,  Nr.  41.) 

30.  M  a  1  i  v  a.  Beitr.  z.  Chemie  des  Sputums  (Deutsches 
Archiv  f.  kl  Medizin.  Band  112.  Heft  3  und  4). 

31.  B  1  ü  m  e  1.  Über  Kollapsinduration  der  rechten 
Lungenspitze  bei  chronisch  behinderter  Nasenatmung  und  ihre 
Differentialdiagnose  gegen  Tuberkulose  der  Lunge.  (M.  m.  W. 
1908,  Nr.  30.) 

32.  B  1  ü  m  e  1.  Aktuelles  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
tuberkulose.  (M.  m.  W.  Nr.  51,  1913.) 

33.  B  1  ü  m  e  1.  Die  Fehldiagnose  ,, Lungentuberkulose“ 
bei  Erkrankungen  der  oberen  Luftwege.  (Fortschritte  der 
Medizin  1913.  Nr.  27  und  28.) 

34.  Richter.  Bemerkungen  zur  Diagnose  der  be¬ 
ginnenden  Lungenspitzentuberkulose.  (D.  m.  W.  1913,  Nr.  31.) 

35.  L  i  t  z  n  e  r.  Zur  Diagnostik  und  Klinik  der  nicht¬ 


1 75 


tuberkulösen  Erkrankungen  der  Lungenspitzen.  (M.  m.  W. 
1913.  Nr.  44.) 

36.  B  1  u  m  Über  Lungenspitzenkatarrhe  nichttuberkulöser 
Natur.  (Zschr.  f.  ärztl.  Fortbldg  1913.  Nr.  24.) 

37.  Zickgraf.  Kritische  Bemerkungen  zur  Auslese 
von  Lungenheilstättenpatienten.  (Zentralblatt  für  inn.  Medizin 
1913.  Nr.  12.) 

38.  M  e  n  z  e  r.  Rheumatismus  und  Tuberkulose  (B  kl 
W.  1913.  Nr.  48.) 

39.  N  o  h  1.  Rheumatismus  tuberculosus  und  andere 
Fälle  larvierter  Tuberkulose.  (Beitr.  z.  Kl  d.  Tbc.  Band  29. 
Heft  2.) 

40.  v.  H  o  e  s  s  1  i  n.  Klinisch  -  röntgenologische  Unter¬ 
suchungen  über  Lungen  kavernen  mit  Flüssigkeitsspiegel. 
(Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.  Band  112,  Nr.  5 
und  6.) 

41.  Grau.  Über  die  Auswahl  für  die  Volksheilstätten. 
(Tuberkulosis  1913.  Nr.  11.) 

42.  Schultes.  Der  Krankenzugang  in  einer  deutschen 
Volksheilstätte  im  ersten  Halbjahr  1913.  (560  Fälle.)  Sonder¬ 
druck  für  die  Tuberkulosekonferenz  in  Berlin). 

43  Schröder  und  v.  Mülle  r.  Vergleichende  Be¬ 
trachtung  wichtiger  Klimate  für  die  Tuberkulosetherapie.  (Zschr. 
f.  Tbc.  Band  21.  Heft  6.) 

44.  Brat  z.  Bericht  über  die  Erfolge  der  Behandlung 
Tuberkulosekranker  im  Winter  1912/13  in  Nervi.  (Ebenda. 
Band  21.  Heft  3.) 

45.  Hornemann  und  Thomas.  Ernährung  bei 
Tuberkulose  im  Tierexperiment.  (D.  m.  W.  1913.  Nr.  48.) 

46.  v.  Schrotte  r.  Zur  Heliotherapie  der  Tuberkulose 
(M.  Kl.  1913.  Nr.  51.) 

47.  Krüger  Zur  Tuberkulosebehandlung  (mit  Quarz¬ 
licht).  (Allgem.  mediz.  Zentralzeitung  1914  Nr.  5  u.  6.) 

48.  de  l  a  Camp  und  K  ü  p  f  e  r  1  e  Über  die  Be¬ 
handlung  der  Lungentuberkulose  mit  Röntgenstrahlen.  (M.  Kl 
1913.  Nr.  49.) 

49.  B  r  i  e  g  e  r.  Lungentuberkulose  und  Hydrotherapie. 
(D.  m.  W.  1913.  Nr.  50.) 

50.  J  u  n  k  e  r.  Neuere  immunisierende  und  medikamen¬ 
töse  Tuberkulosemittel.  (Zeitschrift  für  ärztliche  Fortbildung 
1913.  Nr.  23.) 

51.  F  u  c  h  s.  Tierexperimentelle  Untersuchungen  über 
Tuberkulose.  (M.  m.  W.  1914.  Nr.  4  ) 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Prof.  E  h  r  e  t  -  Strassburg  i.  E.,  Zur  Kenntnis  der  Herz¬ 
schädigungen  bei  Kriegsteilnehmern.  (Münch,  m.  Wochenschr 
1915,  Nr.  20  S.  689  —  692.) 

Verfasser  legt  seine  Erfahrungen  aus  dem  Marinelazarett 
Hamburg  nieder.  Er  hat  ganz  bestimmte  Herzschädigungen 
gesehen :  Herzmuskelschwäche,  nervöses  Herzklopfen  (rein 
psychogen  oder  durch  Gifte),  Herzmuskel-  und  Herzklappeuerkran- 
kungen  und  dann  häufiger  als  im  Frieden  jugendliche  Arterio¬ 
sklerose  infolge  der  Kriegsstrapazen.  v.  Schnizer. 

Ilasebrock,  Herzschwäche  bei  Kriegsteilnehmern. 
(Hamburger  Ärztekorrespondenz  Nr.  17,  1915.) 

Verfasser  gibt  gelegentlich  einer  Diskussion  folgende 
Deutung  der  Herzdilatation  :  im  Kreislauf  bestehen  zwei  hinter¬ 
einander  geschaltete  Druckpumpen :  eine  periphere  vasomotorische 
und  eine  zentrale:  das  Herz. 

Im  Normalen  sind  unter  Vorherrschaft  des  Herzens  die 
Pumpen  aufeinander  abgestimmt.  Die  geschwächte  Herzpumpe 
aber  versagt  im  Auffangen  und  in  der  Weiterbeförderung  und 


nun  verursachen  die  Triebkräfte  der  peripheren  Pumpe  er¬ 
weiternde  Innendruckstauung  und  damit  Dilatation. 

v.  Schnizer. 

Dr.  Trappe,  Ein  sehr  altes  und  einfaches  aber  sehr  wirk¬ 
sames  Verfahren  zur  Bekämpfung  der  Läuseplage  im  Felde.  (M. 
m.  Wochenschr.  1915,  Nr.  37,  S.  1266.) 

Der  Hauptsitz  der  Läuse  bezw.  der  Nissen  ist  in  den. 
Rockkragen,  um  den  Hosenbund  herum  und  in  den  Nähten¬ 
der  Schritte.  Verfasser  schlägt  Belehrung  der  Mannschaften- 
über  die  Nissen,  die  die  wenigsten  kennen,  vor  und  mecha 
nische  Entfernung  und  zwar  offiziell  täglich  1/2  Stunde. 

Damit  will  er  wenigstens  im  Sommer  den  Dampfsterilisier¬ 
apparat  überflüssig  machen.  Das  Verfahren  ist  meiner  Er¬ 
fahrung  nach  nicht  sicher  genug.  Erfolg  bei  der  Entlausung, 
die  gründlich  und  doch  in  verhältnismässig  kurzer  Zeit  vor  sich 
gehen  kann,  verspricht  eine  sofortige  gründliche  Reinigung  des 
Körpers  und  Dampfsterilisation  der  Ausrüstuug  nicht  des  ein¬ 
zelnen,  sondern  der  ganzen  Belegschaft  und  gründliche  Reini¬ 
gung  des  Quartiers,  endlich  regelmässiges  Waschen  der  Stroh¬ 
säcke  v.  Schnizer. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


176 


Nr.  18 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Dr.  H.  Ha.  sei)  rock,  Der  atavistische  Spannungsfuss 
als  Ursache  von  Fussbeschwerden  und  Felddienstuntüchtigkeit. 
(Münch,  in.  Wocheuschr.  1915,  Nr.  29,  S.  997.; 

Es  handelt  sich  um  eine  durch  eine  angeborene  dispositio¬ 
nelle  Hypertonie  bestimmter  Muskeln  bedingte  Neigung  zur 
Einnahme  einer  Stellung  des  Fusses,  die  an  Hohlklauenfuss 
und  pes  equino  varus  anklingt.  Charakteristisch  ist  auch  das 
Ausspannen  der  Hacksehne,  die  einer  Fusshebung  über  einen 
rechten  Winkel  energisch  widerstrebt  Also  eine  richtige 
Neurose-Therapie:  Beseitigung  der  Druckempfindlichkeit  durch 
energische,  individualisierende  Massage  und  eine  besondere 
Stützsohle.  Im  Felde  Sohleneinlagen  mit  Korkkeil. 

v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 

Prof.  Dr.  F.  Jessen-  Davos,  Die  operative  Behand¬ 
lung  der  Lungentuberkulose.  (Würzburger  Abhandlungen  XV. 
Band  4.  u  5.  Heft.  Würzburg,  Verlag  von  Curt  Kabitzsch, 
1915.) 

Verfasser  gibt  ein  Bild  des  gegenwärtigen  Standes  der 
Chirurgie  der  Lungentuberkulose,  die  heute  schon  unentbehrlich, 
weil  die  vorgeschrittene  Lungentuberkulose  zum  grösseren  Teile 
ein  mechanisches,  also  ein  konstitutionellbakterielles  Problem 
ist  und  die  bei  strenger  Indikation  nur  ein  sehr  kleines  Risiko 
erfordert.  Es  wird  besprochen,  die  Exstirpation  der  tuber¬ 
kulösen  Lunge  bei  isolierten  bindegewebig  abgegrenzten  oder 
totalen  Kavernen  eines  Lappens  bezw.  einer  Lunge,  die  Eröffnung 
einer  Kaverne  (schlechte  Chancen),  der  künstliche  Pneumo¬ 
thorax.  Hier  ist  es  interessant  auf  die  Indikationsstellung 
näher  einzugehen.  Sichere  Indikation  liegt  vor  bei  schwerer 
einseitiger  Erkrankung  mit  geringen  oder  keinen  Adhäsionen 
bei  gesunder  anderer  Seite.  Erlaubte  Indikation:  bei  schwerer 
Erkrankung  einer  Seite  mit  frischen  oder  nicht  zu  alten 
Adhäsionen  und  gesunder  anderer  Seite  oder  bei  geringer  Er¬ 
krankung  der  anderen  Seite  möglichst  ohne  Zerfall  (am  besten 
Oberlappenerkrankung)  oder  bei  schwerer  Erkrankung  einer 
Seite  ohne  Adhäsionen  mit  bedrohlicher  protrahierter  Blutung, 
wenn  die  andere  Seite  gesund  ist. 

Zweifelhafte  Indikation:  Schwere  Erkrankung  einer  Seite 
und  wenig  zerfallene  Erkrankung  des  anderen  Unterlappens, 
von  schwerer  Blutung  einer  Seite  bei  nicht  zu  grosser  Er¬ 
krankung  der  anderen  unter  Voraussetzung  vorübergehender 
Dauer  des  Pneumothorax.  Gegenindikation  :  Ausgedehnte  zer¬ 
fallene  Erkrankung  der  besseren  Seite  oder  feste  dicke  ausge¬ 
breitete  Schwarte  auf  der  für  den  Pneumothorax  in  Frage 
kommenden  Seite  oder  schwere  Komplikationen  anderer  Organe. 
Zu  beachten  dabei:  Laryuxtuberkulose  wird  durch  den  Fortfall 
der  Sputumpassage  nach  dem  Pneumothorax  nur  gut  beeinflusst 
und:  oft  sind  Diarrhoen  und  Albuminurien  Tuberkulöser  nur 
Ausdruck  der  Intoxikation. 

Des  weiteren  werden  besprochen  die  extrapleurale  Thorako- 
plastik,  die  Kavernenplombierung  und  Pleurolyse,  die  Phreniko¬ 
tomie  und  Dehnung  des  Sympathikus,  Unterbindung  der  Art. 
pulmon.  und  verwandte  Methoden  und  die  Operationen  au  der 
oberen  Brustapertur.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Franz  und  Kühner:  Cher  die  Impfung  von  Schwange¬ 
ren,  Wöchnerinnen  und  Neugeborenen.  (Aus  der  Hebammen¬ 
lehranstalt  in  Wien.)  (Zeitsehr.  f.  Kinderheilk.  Bd.  13,  Heft 
3  und  4.) 

Die  anläßlich  vermehrter  Blatterngefahr  in  der  Anstalt 
vorgenommenen  Pocken-Impfungen  lassen  folgende  allgemeine 
Schlußfolgerungen  zu:  In  einem  wenn  auch  geringen  Teile 
der  Fälle  wird  durch  Vakzination  der  schwangeren  Mutter 
eine  Unempfänglichkeit  für  Vakzine  beim  Neugeborenen  her¬ 
vorgerufen.  Die  Impfung  des  Neugeborenen  ist  mit  keinerlei 
Schädigung  verbunden;  die  Revakzination  der  Schwangeren 
und  Wöchnerinnen  unterscheidet  sich  in  ihrem  Verlauf  nicht 
von  dem  anderer  Erwachsener.  S  t  r  a  u  ß-Mannheim. 

Specht,  Über  die  Geburt  bei  Minderjährigen.  (Zentral¬ 
blatt  f.  Gyn.  1916  Nr.  3.) 

Vorliegende  Arbeit,  welche  später  noch  ausführlicher  und 
mit  vollständiger  Literaturangabe  erscheinen  soll,  behandelt  ein 


für  den  praktischen  Arzt  ungemein  wichtiges  Thema  und  ist 
für  ein  Referat  infolge  dieser  seiner  Wichtigkeit  nicht  gut 

geeignet. 

Deshalb  soll  auf  diese  höchst  aktuelle  Arbeit  die  Aufmerk¬ 
samkeit  aller  Praktiker  gerichtet  werden.  Specht  kommt 
auf  Grund  seiner  Beobachtung  von  21  Erstgebärenden  im  Alter 
von  höchstens  IG  Jahren  zu  folgenden  Schlusssätzen: 

Die  Menstruation  tritt  bei  minderjährigen  Erstgebärenden 
früher  auf,  das  Becken  eilt  in  seiner  Entwicklung  durchschnitt¬ 
lich  dem  Alter  voraus,  Länge  und  Gewicht  der  Kinder  nehmen 
mit  dem  Alter  der  Mutter  zu.  Knabengeburten  überwiegen  die 
von  Mädchen.  Günstiger  als  normal  waren  :  weniger  häufige 
Schwangerschaftsbeschwerden,  kürzere  Dauerder  Geburt,  seltenere 
Dammverletzungen,  geringerer  Blutverlust,  geringere  kindliche 
Morbidität,  geringere  mütterliche  Morbidität  und  Mortalität  im 
Wochenbett. 

Ungünstiger  als  normal  waren  :  häufigeres  Vorkommen  der 
Eklampsie,  Beckenendlagen,  Wehenschwäche  und  Frühge¬ 
burten. 

Normalen  Verhältnissen  gleich  waren  die  Häufigkeit  der 
Kunsthilfe  und  die  kindliche  Mortalität. 

Specht  sah  die  Geburten  der  Minderjährigen  zum  wenigsten 
nicht  ungünstiger  als  eine  normale  Geburt  verlaufen. 

E  k  s  t  e  i  n  -  Teplitz-Schönau. 

Salus-  Prag,  Über  mein  erfolgreiches  Vorgehen  beim 
Danimschufz.  (Zentralblatt  f  Gyn.  1916,  Nr.  3.) 

Verf.  erlebte  bei  dem  in  Seitenlage  nach  allgemein  aner¬ 
kannten  Vorschriften  ausgeführten  Dammschutz  besonders  bei 
Erstgebärenden  Dammrisse  zweiten  auch  dritten  Grades.  Aus 
diesem  Grunde  ging  Verf.  zu  einem  Verfahren  über,  welches 
er  bei  aufeinanderfolgenden  20  Geburten,  auch  Zangenentbin¬ 
dungen  mit  vorzüglichem  Erfolge  an  wandte  und  deshalb  den 
Geburtshelfern  zur  Nachprüfung  vorlegt. 

Nach  den  bisherigen  Verfahren  obliegt  es  dem  kindlichen 
Schädel  den  Damm  zu  dehnen,  Verf.  will  aber  diese  Dehnungs¬ 
arbeit  nicht  mehr  dem  Schädel  so  ganz  überlassen,  sondern 
bat  diese  Dehnung  mit  seinen  Fingern  unterstüzt,  wie  folgt: 

Sobald  der  Schädel  am  Beckenboden  angelangt,  zwischen 
Schamlippen  sichtbar  ist,  führt  Verf.  zwischen  Schädel  und 
Damm  zwei  Finger  der  rechten  Hand  ein,  dreht  dieselben  bei 

Beginn  der  Presswehen  so,  dass  die  Handfläche  gegen  den 

Damm  der  Kreissenden  gewendet  ist.  Diese  beiden  Finger 

werden  während  der  Wehe  den  Damm  entlang  geführt,  so 
zwar,  dass  der  Damm  durch  diese  Gleitbewegung  eben  stärker 
gedehnt  wird  als  dies  der  Schädel  allein  zuwege  bringt.  In  der 
Wehen  pause  werden  die  Finger  entfernt,  bei  einsetzenden  Press¬ 
wehen  jedoch  wieder  eingeführt,  ja  sogar  statt  zwei,  vier  Finger 
und  so  die  Dehnung  des  Beckenbodens  fortgesetzt. 

Bei  besonders  hartgespanntem  Damme  wird  neben  dieser 
Dehnung  noch  eine  Art  Massage  in  Form  einer  Erschütteruugs- 
dehnung  vom  Verf.  empfohlen.  Dieser  Erweiterung  des  in 
jedem  folgenden  Zeitabschnitte  von  dem  nachrückenden  Schädel 
beanspruchten  Dammabschnittes  durch  vorher  erfolgende  Deh¬ 
nung  durch  zwei  bis  vier  Finger  der  rechten  Hand  führte  Verf. 
auch  bei  Zangeuentbindung  mit  Erfolg  durch 

(Den  Hebammen,  welche  95  Proz.  der  normalen  Geburten 
leiten,  sind  derartigeManipulationen  quoad  infectionem  strengstens 
untersagt.  Ref )  E  k  s  te  i  n  -  Teplitz-Schönau. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Zoltan  Barabäs:  Sensible  Störungen  bei  postdiphtheriti- 
sehen  Lähmungen.  (.Jahrb.  f.  Kinderh.  82.  Nr.  6.) 

Bei  Untersuchungen  an  16  Fällen  schwerer  postdiphthe- 
ritischer  Lähmungen  konnte  der  Verfasser  in  etwa  der  Hälfte 
der  Fälle  gleichzeitig  dissoziierte  sensorische  Lähmungen  fest¬ 
stellen  und  zwar  die  Herabsetzung  resp.  die  Aufhebung  des 
Schmerzgefühls  bei  unveränderter  Erhaltung  der  übrigen  Ge¬ 
fühlsqualitäten.  Die  Aufhebung  des  Schmerzgefühls  war  in 
diesen  Fällen  eine  vorübergehende  und  prognostisch  ohne  Be¬ 
deutung.  S  t  r  a  u  ß-Mannheim. 

E.  M  e  y  e  r-Königsberg:  Funktionelle  Nervenstörungen 
bei  Kriegsteilnehmern  nebst  Bemerkungen  zur  traumatischen 
Neurose.  (Deutsche  medizin.  Wochenschrift,  Nr.  51,  1915.) 


Nr.  18 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


177 


Der  in  einem  wissenschaftlichen  Verein  gehaltene  Vor¬ 
trag  knüpft  an  an  eine  vorjährige  gleichartige  Veröffent¬ 
lichung,  deren  Erfahrungen  sich  jetzt  erweitert  haben.  Unter 
1126  Aufnahmen  fand  M.  148  solche,  die  er  „als  Psychgenien, 
pathologische,  psychogene  Reaktionen  oder  hysterische  Störun¬ 
gen“  rechnet.  128  waren  Kranke  mit  psychopathischer  Ver¬ 
anlagung,  die  offenbar  sehr  weit  umgrenzt  wird,  denn  „bei 
etwa  einem  Drittel  von  ihnen  beobachteten  wir  ausgesprochene 
pathologische  Reaktionen  teils  auf  körperlichem  Gebiet,  h 
Form  von  Anfällen,  Zittern  und  dergl.  mehr,  teils  unter  dem 
Bilde  pathologischer  Erscheinungen  als  Erregungs-,  Depres- 
sions-  und  auch  öfter  Dämmerzustände“.  76  Fälle  endlich 
waren  darunter,  die  M.  als  traumatische  Neurose  auf  faßt,  und 
[mit  deinen  M.  isich  besonders  eingehend  beschäftigt.  Aller¬ 
dings  sei  die  Frage  nach  dem  Verlauf  der  traumatischen 
Neurose  noch  nicht  einer  abschließenden  Beantwortung  zu¬ 
gänglich.  Verfasser  vertritt  dann  den  Standpunkt,  daß  zwar 
die  Begehrungsvorstellungen  bei  der  traumatischen  Neurose 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  imstande  seien,  die  lange  Dauer 
und  die  schwierige  therapeutische  Beeinflußbarkeit  der  trau¬ 
matischen  Neurose  zu  bedingen,  daß  sie  aber  die  eigentliche 
Ursache  der  Erkrankung  nicht  abgäben.  47  traumatische  Neu¬ 
rosen  waren  vor  dem  Kriegsdienst  entstanden,  von  denen 
nur  5  noch  eine  Steigerung  im  Felde  erfahren  hatten.  Die 
übrigen  29  waren  im  Kriege  entstanden,  und  zwar  17  mal 
nach  Kopfverletzungen,  5  mal  nach  anderen  Verletzungen,  der 
Rest  waren  einfache  Unfälle.  Bei  einem  Drittel  aller  trau¬ 
matischen  Neurosen,  die  im  Kriege  entstanden  waren,  waren 
Geistes-  oder  Nervenkrankheiten  vorausgegangen  und  mehrfach 
andere  mitwirkende  Momente,  wie  chronischer  Alkoholismus, 
zu  beschuldigen.  Zum  Schluß  spricht  Meyer  die  tröstliche 
Ansicht  aus,  daß  die  nervösen  Kriegserkrankungen  uns  ge¬ 
zeigt  haben,  wie  sehr  die  seelischen  Erschütterungen  fand 
die  kolossalen  körperlichen  Anstrengungen  ein  mit  einem  hoch 
organisierten  Nervensystem  ausgestattetes  zivilisiertes  Volk 
zwar  affizieren  kann,  aber  wie  widerstandsfähig  sich  dennoch  das 
heranwachsende  Geschlecht,  dem  der  Unkenruf  der  Entartung 
so  oft  vorausgegangen  war,  gezeigt  hat. 

Wern.  H.  Becke  r-Herborn. 

J  o  1 1  y:  Über  die  Dienstfähigkeit  und  Rentenfrage  bei 
nervenkranken  Soldaten.  (Münchener  medizinische  Wochen¬ 
schrift,  Nr.  50,  1915.)  — 

Im  Gegensatz  zu  Meyer  kennt  Jolly  nur  einen  sehr  eng 
umschriebenen  Kreis,  in  den  er  seine  wenigen  Fälle  von 
traumatischer  Neurose  hineintut.  Er  hält  Kapitalabfindung 
statt  fortlaufender  Rente  für  die  einzig  richtige  Art  der  Ver¬ 
sorgung.  Im  übrigen  enthält  der  recht  lesenswerte  Aufsatz 
Auslassungen  über  alle  möglichen  Formen  von  Nervenkrank- 
heiten,  sogar  die  Geisteskrankheiten  werden  gestreift.  Das 
Reservelazarett  in  Nürnberg  I  enthält  offenbar  ein  großes  dies¬ 
bezügliches  noch  dazu  sehr  fluktuierendes  Material,  das  Ver¬ 
fasser  eingehend  studiert  hat.  Auch  5  Abbildungen  illustrieren 
seine  Ausführungen.  Wern.  H.  Becke  r-Herborn. 

Sauer,  Enuresis  und  Hypnose  im  Felde.  (Münch.  Medi-. 
zin.  Wochenschrift,  Nr.  3,  Feldärztliche  Beilage,  1916.) 

Verf.  polemisiert  zunächst  scharf  gegen  Boehme,  der 
die  Enuresis  mit  „einseitigen,  übertrieben  spezialistischen“ 
Maßnahmen  behandelt  sehen  wolle.  Die  Vielheit  der  von 
Boehme  empfohlenen  Therapie  beweise  allein  schon  „die  ganze 
Ratlosigkeit,  die  auf  dem  Gebiete  der  Enuresistherapie  heute 
noch  herrscht“.  Verf.  hält  allein  die  Hypnose  für  zweckmäßig, 
rühmt  seine  Erfolge  in  dieser  Hinsicht  und  empfiehlt,  es  ihm 
nachzumachen.  „In  jeder  Division,  zum  mindestens  in  jedem 
Korps,  werden  sich  Ärzte  finden,  die  hypnotisieren“. 

Man  wird  im  allgemeinen  sich  mehr  auf  Sauers  als  auf 
Boehmes  Seite  stellen.  Jedoch  erscheint  es  Ref.  gewagt,  allein 
der  Hypnose  das  Wort  zu  reden.  Warum  soll  nicht  auch  die 
Wachsuggestion  in  vielen  Fällen  genügendes  leisten?  —  Die 
Hauptsache  ist  doch,  daß  der  Patient  Autoritätsglauben  be¬ 
sitzt,  den  ernsten  Willen  zum  Gesundwerden  hat  und  daß  er 
sieht,  daß  der  Arzt  sich  große  Mühe  mit  ihm  und  seiner 
Heilung  gibt.  Dazu  wird  sich  eine  Lokalbehandlung  nicht 
ganz  immer  vermeiden  lassen,  wodurch  dann  also  das  „Re¬ 
gister“  Boehme  doch  noch  wieder  zu  Ehren  käme.  Im  übrigen 
muß  man  natürlich  Sauer  Recht  geben,  der  die  Enuretiker 
statt  dem  Urologen  dem  Nervenarzt  zugeführt  sehen  will, 
isolange  die  Sache  rein  nervös  ist,  was  Sauer  durch  den  Erfolg 
oder  Mißerfolg  der  Hypnose  feststellen  will.  Da  muß  ich  noch 


einmal  widersprechen:  nicht  der  Erfolg  der  neurologischen 
Behandlung  darf  maßgebend  sein,  sondern  die  vorherige  Fest¬ 
stellung  des  Urologen,  daß  ein  organisches  Leiden  nicht  vor¬ 
liege;  so  halten  wirs  doch  in  andern  Fällen  auch. 

Wern.  H.  Becke  r-Herborn. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Wilhelm  Klehmet:  Wohlstand  und  Säuglingssterb¬ 
lichkeit.  (Zeitschrift  f.  Säuglingsfürsorge  Bd.  8,  Nr.  10/11.) 

In  einer  Anzahl  bereits  früher  erschienener  Arbeiten  wur¬ 
den  auf  Anregung  von  Prof.  Pedper  in  Greifswald  für  die 
Provinz  Pommern  die  einzelnen  für  die  Säuglingssterblich¬ 
keit  als  ursächlich  in  Betracht  kommenden  Faktoren:  Geburts¬ 
ziffer,  Bevölkerungsbewegung,  Familienstand,  Jahreszeit,  Woh¬ 
nungsklima,  Stillwert  behandelt.  In  der  vorliegenden  Arbeit 
untersucht  der  Verfasser  durch  Vergleich  der  Steuervertei¬ 
lung  und  der  Säuglingssterblichkeit  in  den  einzelnen  Re¬ 
gierungsbezirken  unter  genauer  Berücksichtigung  der  einzel¬ 
nen  Stadt-  und  Landgemeinden,  ob  ein  gesetzmäßiger  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  Wohlstand  und  Säuglingssterblichkeit 
sich  feststellen  lasse,  wie  er  von  anderer  Seite  für  gewistse 
Städte  konstatiert  ist  und  im  allgemeinen  wohl  als  sicher  an¬ 
genommen  werden  darf.  Es  ist  interessant,  daß  bei  dieser 
ins  einzelne  gehenden  Untersuchung  für  Pommern  ein,  derartiger 
gesetzmäßiger  Zusammenhang  nicht  festgestellt  werden  konnte. 
In  den  Landgemeinden  zeigt  sich  für  Köslin-Land  das  merk¬ 
würdige  Resultat,  daß  die  Ziffer  der  Säuglingssterblichkeit 
um  so  niedriger  ist,  je  ärmer  der  Kreis,  während  für  den 
Regierungsbezirk  Stettin-Land  dieser  Satz  keine  Gültigkeit  hat; 
in  den  Stadtgemeinden  läßt  sich  ein  gesetzmäßiger  Einfluß 
dar  Wohlhabenheit  auf  die  Säuglingssterblichkeit  weder  in  gün¬ 
stigem  noch  in  ungünstigem  Sinn  konstatieren,  während  die  Ab¬ 
hängigkeit  der  Säuglingssterblichkeit  von  der  Höhe  des  Still- 
wertes  für  die  einzelnen  ländlichen  und  städtischen  Kreise 
in  die  Augen  springt.  Es  ist  sicher,  daß  nicht  die  Armut 
an  sich  der  ausschlaggebende  Faktor  für  die  Höhe  der  Säug¬ 
lingssterblichkeit  ist,  sondern  daß  dabei  eine  Reihe  von  Ur¬ 
sachen  zusammen  wirken.  S  t  r  a  u  ß-Mannheim. 


Augenheilkunde. 

Prof.  Dr.  A.  El  s  chn  ig-Prag,  Snpraokulare  Irisreposition. 
(Klinische  Monatsblätter  für  Augenheilkunde,  Februar— März 
1915  ) 

Eine  Methode  der  Lösung,  die  Interessenten  im  Original 
nachlesen  müssen.  v.  Schnizer. 

Privatdozent  Dr.  Cords  (Bonn).  Der  Wert  der  Binde¬ 
hautdeckung  im  Kriege.  (Münch.  M.  Wschr.  1915,  Nr.  35, 
S.  1196.) 

Verfasser  bespricht  seine  Erfahrungen  aus  einem  Kriegs¬ 
lazarett:  in  34  Fällen  führte  er  Bindehautdeckungen  aus.  Da¬ 
von  waren  10  Verletzungen  durch  Artilleriegeschosse,  6  durch 
Handgranaten,  10  durch  Minen,  1  durch  Gewehrgranate, 

2  anderweitig. 

Die  im  übrigen  bekannte  Technik  müssen  Interessenten 
im  Original  nachlesen.  Verfasser  erzielte  13  mal  einen  brauch¬ 
baren  Visus,  7  mal  nach  Starextraktion,  9  mal  einen  Visus¬ 
rest.  Hiervon  6  mal  dichte  Glaskörpertrübungen,  1  mal  hin- 
teirer  Polstar,  1  mal  totale  Aniridie.  12  Augen  blieben  blind, 
2  mal  Panophtalmie,  3  mal  Glaskörperabszeß,  1  mal  Horn¬ 
hautvereiterung,  2  mal  chronische  Uveitis,  4  mal  tiefe  v  er- 
letzungen.  Sympathische  Ophthalmie  kam  nie  vor.  Verfasser 
schreibt  der  Bindehautdeckung  Schutz  vor  sekundären  Infek¬ 
tionen  und  sympathisierender  Entzündung  zu,  namentlich  wenn 
sie  nicht  zu  lange  nach  der  Verletzung;  ausgeführt  wird.  Die 
lebende  Bindehaut  ist  das  beste  Antiseptikum,  die  beste  Asepjsis. 

v.  Schnizer. 

E.  v.  S  h  r  a  m  1  i  k  -  Freiburg-B.,  Argyrose  des  Tränen¬ 
sacks.  (Klinische  Monatsbl.  f.  Augenheilkunde  1915,  April- 
Mai.) 

An  der  Hand  eines  Falles  führt  Verfasser  aus,  dass  die 
modernen  Silbersalze  Protargol  und  Argyrol  die  Schleimhaut 
besonders  gefährden  und  warnt  davor  Silberverbindungen  längere 
Zeit  hindurch  ohne  ständige  Kontrolle  in  den  Bindehautsack 
einzuträufeln.  v.  Schnizer. 


178 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  18 


Bücherschau. 

Oberarzt  Dr.  Erich  Plate  u.  Dr.  August  Dethleffsen: 
Die  physikalische  Therapie  im  Feld-  und  Heimlazarett.  (Mit 
90  Abbildungen  Taschenbuch  des  Feldarztes  V.  Teil.  J.  F. 
Lehmanns  Verlag,  München  1916,  188  S.  Preis  4  Mk.) 

Als  5.  Teil  des  rühmlich  bekannten  Taschenbuches  des 
Feldarztes  ist  jetzt  die  physikalische  Therapie  in  Feld  und 
Heimlazarett  von  Oberarzt  Dr.  E.  Plate  u.  Dr.  August 
Dethleffsen  erschienen.  In  ausserordentlich  klarer 
Sprache  und  knapper  Zusammenfassung  bringt  das  Buch  auf 
188  Seiten  eine  enorme  Menge  von  Wissen  und  praktischer 
Kenntnis.  Alles,  was  das  Buch  bringt,  beruht  auf  eigener 
Erfahrung  und  ist  gründlich  erprobt,  und  auf  Grund  dieser 
reichen  Erfahrung  sind  eine  Reihe  sehr  brauchbarer  Apparate 
konstruiert.  Es  ist  geuau  angegeben,  in  welcher  Weise  diese 
benutzt  werden  sollen.  Es  ist  also  nicht  nötig,  erst  mühsam 
zu  experimentieren,  sondern  man  braucht  sich  bei  ihrer  Be¬ 
nutzung  nur  an  Plates  klare  Vorschriften  zu  halten.  Das 
Hauptgewicht  legen  die  Autoren  aber  nicht  auf  diese  Apparate, 
nein,  sie  gehen  gerade  auf  die  einfachsten  Verhältnisse  ein,  wie 
sie  das  Feldlazarett  und  die  Privatpraxis  bieten.  Gleich  im 
Feldlazarett,  bei  frischen  Wunden,  soll  von  der  physikalischen 
Therapie  Gebrauch  gemacht  werden,  nicht  erst  in  den  späteren 
Stadien  der  Verwundung.  Es  kommt  alles  darauf  an  durch  ihre 
Anwendung  der  Bildung  von  zu  starkem  Narbengewebe  und  von 
Versteifungen  vorzube  ugen.  Die  Verff.  weisen  mit  Nach¬ 
druck  auf  die  Erfahrungstatsache  der  Schwierigkeit  der  Be¬ 
handlung  von  Narbengewebe  hin.  Die  Bedeutung  der  Mediko- 
mechanik  wird  ja  mehr  und  mehr  erkannt.  Grossen  Wert 
legen  die  Verff.  noch  darauf,  die  Funktion  der  Muskeln  genau 
zu  prüfen.  (Beobachtung  beim  Ausziehen  und  Nacktgehen). 
Auf  die  Bedeutung  der  Funktion  der  Muskeln  für  die  Gelenke 
ist  in  jüngster  Zeit  auch  von  Weintraud  hingewiesen 
worden.  Wie  wichtig  diese  ist,  erhellt  z.  B.  auch  aus  den 
häufigen  Plattfussbeschwerden.  Bei  diesen  sind  nach'  Ansicht 
der  Autoren  in  erster  Linie  Fussübungen  am  Platze  und  nicht 
Plattfusseinlagen.  Von  den  vielen  Kunstgriffen  der  Praxis 
möchten  wir  noch  erwähnen  die  Lösung  der  Muskelkontrakturen 
im  Bad,  den  schrägen  Sitz  bei  versteifter  Hüfte,  die  Lagerung 
der  Kranken  im  Bett  bei  Ischias  und  Beinwunden,  die 
Unterstützung  durch  Sandsäcke,  die  Wechselduschen  durch 
Giesskaunen  und  die  Sandbäder.  Nach  kurzen  einleitenden 
Bemerkungen  über  Schwitzprozeduren  und  Massage  besprechen 
die  Verf.  systematisch  die  Anwendung  der  physikalischen 
Therapie  in  den  verschiedenen  Stadien  der  Verwundungen,  um 
dann  schliesslich  zur  Behandlung  der  inneren  Organe  und  Er¬ 
krankungen  des  Nervensystems,  der  Bewegungsorgane,  Rheuma¬ 
tismus,  Ischias  und  der  Gelenke  überzugehen.  Bei  der  Be¬ 
sprechung  der  Arthritis  chronica  infectiosa  weisen  sie  ganz  be¬ 
sonders  auf  die  Tatsache  hin,  dass  die  meisten  Gelenkergüsse 
steril  sind  und  dass  deshalb  vor  der  sinnlosen  Punktion  der 
Gelenke  nicht  oft  und  nicht  dringlich  genug  gewarnt  werden 
kann.  Eine  Warnung,  der  sich  Ref.  nur  durchaus  anschliessen 
muss.  Einige  Ratschläge  für  die  Einrichtung  eines  kleinen 
Institutes  für  physikalische  Therapie  bilden  den  Schluss  des 
vorzüglichen  kleinen  Buches.  90  ausgezeichnete,  instruktive 
Abbildungen  von  Apparaten,  Behandlungsverfahren  und  dia¬ 
gnostisch  wertvollen  Fällen  erhöhen  seinen  Wert  noch  erheblich. 
Es  wird  seinen  Weg  machen  und  vielen  Ärzteu  daheim  und 
im  Felde  ein  willkommener  Helfer  sein  und  wird  sicher  unge¬ 
zählten  Verwundeten  und  Kranken  zur  Genesung  verhelfen. 

H.  G  r  ä  f  -  Hamburg. 

Neuere  Medikamente. 

Jodinetalerrin:  7,5  %  Jod,  7,5%  Eisen,  8%  Phosphorsäure 
Resorption  findet  erst  im  Darme  statt. 


Indikationen:  Skrofulöse,  Rhachitis,  Anämie  bei 
Lues,  Hauterkrankuugen. 

Dosis:  3 — 4  mal  tägl.  1 — 2  Tabletten  vor  oder  nach 
der  Mahlzeit  mit  Wasser  oder  Milch,  für  Kinder  die  Hälfte. 
Originalglas  50  Tabletten  ä  0,25  g.  (Dr.  Wolf  &  Co.,  Elber¬ 
feld.) 

Jodostarin  :  Unter  den  organischen  Jodpräparaten,  die  für  den 
internen  Gebrauch  bestimmt  sind,  weist  Jodostarin  das 

Dijodid  der  Tarinssäure,  den  maximalen  Jodgehalt  von 
47,5%  auf.  Trotzdem  ist  seine  Toxizität  ausserordentlich 
gering;  Kaninchen  vertragen  bis  zu  4  g  pro  Kilogramm 

Körpergewicht.  Es  kommt  in  Form  von  Tabletten  ä  0,5 

in  den  Handel.  Dieselben  sind  vollständig  geschmack-  und 
geruchlos,  belästigen  den  Magen  nicht,  da  sie  erst  im  alka¬ 
lischen  Darmsaft  gespalten  werden  und  das  Jod  von  hier 
aus  zur  Resorption  gelangt.  Sein  Indikationsgebiet  umfasst 
alle  Fälle  der  Jodtherapie. 

Jodothyrin:  Jodverbindung  aus  der  Schilddrüse,  Bräunlich 
weisses,  fast  geruchloses,  nach  Milchzucker  schmeckendes 
Pulver.  1  g  der  Substanz  gleich  0,3  mg  Jod.  Organische 
Jodverbindung.  Enthält  den  wirksamen  Bestandteil  der 

Hammel-Schilddrüse.  Einziges  derartiges  Präparat  mit  genau 
bestimmtem  Gehalt  an  Jodsubstanz.  Bei  Kropf,  Myxoedem, 
Cretinismus,  Fettsucht,  bei  der  fettleibigen  Form  der  Bleich¬ 
sucht,  Ekzem,  engl.  Krankheit  der  Kinder. 

Dosis:  Für  Erwachsene  0,3  g  2 — 6  mal  täglich;  für 
Kinder  0,3  g  1 — 3  mal  täglich  —  langsam  steigend.  —  Jodo- 
thyrintabletten  ä  0,3  g.  Nr.  XXV  Originalpackung.  (Bayer.) 

Jodsntopan  : 

Che  m.  Kons  t  i  t  u  t  i  o  n  :  Jodeisenpräparat  mit  sedativer 
Wirkung,  ca.  20%  Jod.  (Siehe  Sotopan.) 

Wirkungsweise:  Wie  alle  Jodpräparate,  ist  aber  durch 
die  Bromwirkung  besonders  wirkungsvoll  und  völlig  ausnütz¬ 
bar  und  durch  Ca-Gehalt  frei  von  Intoxikationswirkuug 
(kein  J  o  d  i  s  m  u  s). 

Res  orption:  Eine  gute  und  ohne  Nebenerscheinung. 

Indikationen:  Wie  alle  Jodpräparate :  Arterio¬ 
sklerose,  Anginapectoris,stenokardische  Erscheinungen,  Asthma 
bronchiale,  Bronchitis,  Emphysem,  Struma;  Skrofulöse,  Lues. 

Art  der  Darreichung;  Rp.  Tabl.  Jodsotopan 
Dos.  I.  (30  Tabletten.)  Ds.  3  —  6  mal  täglich  2 — 4  Tabletten 
nach  den  Mahlzeiten  zu  nehmen.  (Verfürth-München.) 

Jodtropon  : 

Chemische  Konstitution:  Jod  fest  organisch 
gebunden  an  Eiweiss  des  Tropon. 

Resorptionsverhältnisse  und  Wirkungsweise: 
Das  Jod  wird  im  Magen  und  Darm  nicht  frei,  übt  somit 
keine  Reizwirkung  aus;  es  wird  vielmehr  in  seiner  Verbindung 
mit  Eiweiss  resorbiert,  sodass  das  Jod  in  gebundener,  un¬ 
giftiger  Form  im  Blute  kreisend  au  den  Ort  der  Wirkung, 
in  die  Gewebe  des  Körpers  gelangt.  Die  Ausscheidung  im 
Urin  erfolgt  ebenfalls  in  organischer  Bindung;  nur  geringe 
Spuren  verlassen  den  Körper  in  anorganischer  Form.  Hier¬ 
durch  werden  die  Erscheinungen  des  Jodismus  vermieden 
und  mit  kleinen  Joddosen  gute  Heilerfolge  erzielt. 

Art  der  Darreichung  und  Dosierung:  In 
Tabletten  ä  0,05  g  Jod,  täglich  4 — 6  Stück.  Nur  in  Aus¬ 
nahmefällen  (maligne  Lues)  ist  die  Verordnung  einer  höheren 
Gabe  erforderlich;  bei  Arteriosklerose  wird  mit  1 — 2  Tabletten 
pro  die  begonnen  und  in  schweren  Fällen  allmählich  auf 
8 — 10  Tabletten  gestiegen.  Aber  auch  wesentlich  grössere 
Dosen  werden  wochen-  und  monatelang  gut  vertragen. 

Bemerkenswert  ist  der  angenehme,  nicht  an  Jod 
erinnernde  Geschmack  (leicht  nach  Ananas). 

Indikation:  Vollwertiger,  von  Nebenwirkungen  freier 
Ersatz  des  Jodkali  bei  allen  Krankheiten,  in  denen  Jod  an¬ 
gezeigt  ist.  (Troponwerke  Mülheim.) 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


^  l§l3/lfe. 

Tortschrille  der  Ifledim 


L.  Brauer, 

Hamburg 


Unter  IHiiwirknng  benwraaender  Tadmänner 

herausgegeben  von 

L  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  h.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


(i.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  19 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zun)  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 
Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswa'de  bei  Berlin. 


10.  April 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Mittelrheinische  Chirurgenvereinigung. 

Sitzung  vom  8.  und  9.  Januar  1916  zu  Heidelberg. 

Vorsitzender:  Prof.  M.  W  i  1  m  s. 

Bericht  von  Privatdoz.  Dr.  F  r  a  n  k  e  -  Heidelberg.  (Schluss.) 

9.  Januar  1916.  Vormittags. 

1.  Herr  Perthes:  Komplizierte  Frakturen.  Ein¬ 
leitender  Vortrag- 

o.  • 

Unter  den  komplizierten  Schussfrakturen  sind 
nicht  alle  infiziert,  wenigstens  praktisch  nicht,  und  an 
der  Hand  eines  grossen  zu  einer  Statistik  verarbeite- 
|  ten  Materials  hat  sich  gezeigt,  dass  mehr  Infanterie¬ 
ais  Granatverletzungen  aseptisch  heilen.  Dazwischen 
stehen  die  Frakturen  durch  Schrapnell.  Auch  die  Mor¬ 
talität  verhält  sich  ähnlich,  nur  übertreffen  in  dieser 
Hinsicht  die  Verletzungen  durch  Schrapnell  noch  die 
durch  Granate.  Die  Mortalität  ist  bei  den  einzelnen 
Körperregionen  die  grösste  am  Kniegelenk.  Unter  den 
einzelnen  Formen  bedarf  es  eines  besonderen  Hinweises 
auf  die  Fälle,  bei  denen  ein  ganzes  Stück  aus  dem 
Knochen  herausgesprengt  wurde.  Da  muss  eine  Ver¬ 
kürzung  Zurückbleiben  und  wenn  beispielsweise  am 
Vorderarm,  von  zwei  Knochen  nur  der  eine  in  dieser 
IVeise  verletzt  wurde,  so  kann  im  weiteren  Verlauf 
zur  Vermeidung  einer  schlechten  Stellung  eine  Opcra- 
I  tion  am  gesunden  Knochen  nötig  werden.  Ferner  sieht 
man  zuweilen  typische  Biegungsfrakturen  entstehen, 
wenn  das  Geschoss  mit  grosser  Gewalt  durch  die 
Weichteile  nahe  am  Knochen  vorbeiflog,  ohne  ihn 
selbst  zu  berühren. 

Die  Behandlung  hat  in  erster  Linie  die  In¬ 
fektion  zu  bekämpfen.  Der  Transport  schadet  den 
Verletzten.  Die.  Fraktur  muss  inmobilisiert  werden 
und  bereits  vorhandene  Temperatursteigerungen  können 
nach  der  Ruhigstellung  ohne  weiteres  verschwinden. 
Grosse  Granatverletzungen  soll  man  vorher  operativ 
behandeln,  säubern  und  offen  lassen.  Ax  hausen  hat 
die  Operation  aller  Zertrümmerungen,  auch  durch  In¬ 
fanterieschüsse  entstandener,  verlangt;  die  Asepsis 
könne  dabei  lax  sein.  Auf  diesem  extremen  Stand¬ 
punkte  steht  Perthes  nicht,  denn  die  durch  Infan¬ 
teriegeschoss  zersprengten  Knochenstücke  sind  asep¬ 
tisch  im  Gegensatz  zu  den  Granatverletzungen.  Und 
die  Knochensplitter  werden  als  wertvolles  Material  ein¬ 
gebaut  bei  der  Heilung.  Pseudoarthrosen  sind  dadurch 
seltener.  Die  Wunden  sind  während  des  Sommers  offen 
und  mit  Sonnenbestrahlung  behandelt  worden.  Die 
Behandlung  muss  an  den  einzelnen  Orten  eine  ver¬ 
schiedene  sein.  Im  Feldlazarett  soll  man  im  wesent¬ 


lichen  fixierende  Verfahren  und  nicht  die  Extension 
verwenden,  weil  man  unverhofft  zum  Abtransport  ge¬ 
zwungen  werden  kann.  Der  Wundverband  muss  ohne 
Abnahme  der  Fixierung  möglich  sein.  In  dieser  Be¬ 
ziehung  steht  der  Gipsverband  obenan,  gefenstert  oder 
mit  Bügeln.  Für  den  Oberarm  ist  die  Schiene  nach 
Borchers  besser.  Goldammer  verlangt  immer  die 
Schiene  als  ersten  Verband,  bis  sich  das  Schicksal 
des  Patienten  entschieden  habe,  besonders  bis  man 
sähe,  ob  Eiterung  eintritt  oder  nicht.  Das  ist  nach 
Perthes  falsch,  denn  es  begünstigt  die  Infektion. 
Auch  in  den  Hauptverbandsplätzen  soll  gegipst  wer¬ 
den,  besonders  bei  Oberschenkeln  und  unter  den  Ver¬ 
hältnissen  wie  sie  im  Osten  waren.  Der  Einwand,  dass 
die  Möglichkeit  der  Kontrolle  fehle,  ist  nicht  zu¬ 
treffend.  Auch  Ruhe  und  Gips  sind  in  der  vorderen 
Linie  bei  der  Sanitätskompagnie  möglich. 

In  den  Heimatlazaretten  kommt  dann  die  Sorge 
um  richtige  Stellung  und  Mobilisierung  der  Gelenke. 
Da  ist  deshalb  mehr  dem  Extensionsverband  in  Semi¬ 
flexion  der  Vorzug  zu  geben,  nach  der  Steinmannschen 
Methode  besonders  dann,  wenn  man  wegen  der  Wunde 
keine  Heftpflasterstreifen  anbringen  kann  und  bei  ver¬ 
alteten  Fällen.  Kombinationen  von  Fixierung  und  Ex¬ 
tension,  wie  die  Fxtensionslatte  nach  v.  Hacker, 
die  Lang  sehe  Schiene  usw.  kommen  nur  für  kurze 
Transporte  und  bei  den  Verhältnissen  des  Westens 
in  Betracht ;  der  Extensionsgipsverband  nach  Lange 
fixiert  nur  die  Situation,  die  beim  Anlegen  bestand  und 
macht  die  Gelenke  immobil.  Der  Hackenbruchsche 
Gipsverband  hat  diese  Fehler  nicht,  kann  aber  nur 
von  sorgfältig  geschulten  Aerzten  verwendet  werden. 

Die  operative  Behandlung  von  frischen  Schuss- 
frakturen  ist  nicht  zu  empfehlen  wegen  der  Infektions¬ 
gefahr. 

Unter  1045  Fällen  sind  57  gestorben,  davon  an 
Tetanus  13,  Gasphlegmone  6,  Sepsis  25  (darunter  10 
ausgehend  vom  Kniegelenk),  septischen  Blutungen  1  i 
(alle  am  Oberschenkel),  Empyem  1,  Embolie  1. 

Amputiert  wurden  44  Fälle. 

Sequester  soll  man  nicht  zu  früh  entfernen,  denn 
sie  begünstigen  die  Kallusbildung. 

Höhlen  im  Knochen  behandelt  man,  wie  bei  der 
Osteomyelitis  durch  Bildung  einer  flachen  Mulde,  am 
Oberschenkel  besser  durch  Hineinlegen  gestielter  Mus¬ 
kellappen. 

Pseudoarthrosen  sind  am  häufigsten  am  Oberarm. 
Der  Gallus  kann  ausserdem  lange  biegsam  bleiben ; 
daher  muss  man  lange  Zeit  nachkontrollieren,  wenn 
die  Patienten  schon  aufstehen  um  nachträgliche  Ver- 


180 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  10. 


biegungcn  zu  vermeiden.  Auch  Refraktionen  im  Kallus 
können  auftreten  selbst  bei  aseptischer  Heilung  und 
zwar  meist  nach  3  Monaten,  aber  auch  noch  nach 
1 1  Monaten. 

Unter  4276  gesammelten  Fällen  von  Knochen  und 
Gelenkschüssen  sind  1638  wieder  dienstfähig  gewor¬ 
den,  darunter  über  100  Oberschenkelfrakturen.  Es  be¬ 
darf  intensiver  Weiterarbeit  auf  diesem  Gebiete. 

Diskussion:  Herr  Borchers:  Demonstration 
an  Patienten.  Modifikation  des  Middeldorfschen  Drei¬ 
ecks  aus  einer  Kramerschiene,  80  cm  lang,  10  cm  breit. 
Die  Innenrotation  des  Oberarms  wird  vermieden.  Der 
Wund  verband  bei  liegender  Schiene  ist  stets  möglich. 

Herr  Colmers  verwendet  bei  seinen  Gipsver¬ 
bänden  Bügel  aus  Schmiedeeisen,  die  weite  Strecken 
der  Extremität  frei  lassen  und  Eingriffe  bei  liegendem 
Verband  möglich  machen.  Die  Gipsbinden  muss  man 
selbst  machen.  Fehlt  es  einmal  an  Gips,  so  kann  man 
für  kurzen  einmaligen  Transport  mit  Latten  schienen; 
auch  für  den  Oberschenkel  genügen  2  Latten,  die  eine 
von  der  Achselhöhle  zum  äusseren  Knöchel,  die  andere 
vom  Brustbein  bis  zum  Knie. 

Herr  G  u  r  a  d  z  e  spricht  für  den  Langeschen  Gips¬ 
verband. 

Herr  Diimer  behandelte  Oberschenkelfrakturen 
im  Sitzbett,  so  dass  beide  Beine  liegen  wie  auf  einem 
planum  inclinatum  duplex.  Man  kann  überall  dazu  beim 
Verbinden,  kann  früh  bewegen  und  grosse  Schübe  von 
Verletzten  schnell  erledigen.  Das  Oberschenkelstück 
muss  zu  verlängern  sein.  Die  Dislokation  gleicht  sich 
bei  der  Methode  aus. 

Herr  Wu  liste  in:  Der  Langesche  Gipsverband 
stammt  von  Dollinger.  Den  Verband  von  Dümer  ver¬ 
wendet  er  selbst  oft.  Demonstration  einer  improvisier¬ 
ten  Schiene  für  die  untere  Extremität,  in  der  man  auch 
extendieren  kann.  Strecken  durch  Schrauben  oder 
Federzug;  auch  als  Gehverband  zu  benutzen. 

Herr  Hackenbruch:  Bei  Defektschüssen 
braucht  man  keine  Verkürzung  zu  bekommen.  Der 
Markkallus  arbeitet  am  meisten  bei  der  Ueberbrük- 
kung  des  Defektes,  wird  aber  erst  spät  fest.  Früh¬ 
zeitiges  Gehen  ist  dabei  von  Nutzen.  Lobt  seinen  Gips¬ 
verband  mit  Klammen. 

Herr  König:  Die  Frakturen  sind  oft  infiziert, 
auch  Infanterieschüsse.  Deshalb  müssen  Fenster  in 
den  Gipsverband.  Richtige  Fixierung  ist  gegen  In¬ 
fektion  sehr  wichtig.  Man  sollte  den  Soldaten  eine 
leichte  Schiene  mitgeben  in  den  Schützengraben,  wie 
sie  König  selbst  angab,  damit  sie  sich  nach  der  Ver¬ 
letzung  sofort  selbst  schienen  können.  Mastisol  auf  die 
Wunde  zu  schmieren  ist  vom  Uebel.  Der  Gipsverband 
soll  in  der  Heimat  abgenommen  werden  und  dann 
mobile  Methoden  folgen.  Steinmannsche  Nagelung 
hat  er  viel  mit  Erfolg  angewandt.  Schmerzen  in  der 
Fraktur  sind  ein  Zeichen  dafür,  dass  der  Kallus  noch 
nicht  fest  ist.  Der  Kallus  geht  in  erster  Linie  aus  vom 
Periost  und  nicht  vom  Mark.  Im  Röntgenbild  muss 
man  kontrollieren  ob  der  Kallus  schon  fertig  ist,  be¬ 
vor  der  Patient  aufsteht. 

Herr  Perthes:  Mangel  an  Kalksalzen  ist  nicht 
allein  massgebend  für  die  Refraktur,  die  in  einem 
seiner  Fälle  noch  auftrat  nach  3  Monaten  des  Um¬ 
hergehens.  Im  Lang  eschen  Gipsverband  kann  man 
Frakturen  nicht  weiter  ausgleichen. 

Herr  Ahrens:  Zur  Behandlung  von  Knochen¬ 
höhlen  ist  der  S  c  h  e  d  e  s  ch  e  Blutschorf  nach  Desin¬ 
fektion  der  Höhle  mit  Jodtinktur  zu  empfehlen.  Bei 
drohender  Infektion  des  Schorfes  kann  Bier  sehe 
Stauung  oft  noch  die  Situation  retten.  Auch  Beck  sehe 
Paste  wurde  mit  Erfolg  zur  Plombierung  von  Knochen¬ 
höhlen  verwendet. 

Herr  Guleke  lobt  den  Gipsverband.  Die  zuerst 


verwendete  Extension  hat  er  aufgegeben,  weil  Pseud- 
arthrosen  dabei  häufig  sind.  Das  Fenster  muss  der 
in  den  Gips  schneiden,  der  den  Verband  anlegte,  damit 
es  nicht  übersehen  wird.  Die  Nagelextension  darf  man 
nicht  machen  bei  Fällen,  die  eventuell  transportiert 
werden  müssen,  also  nicht  in  den  Feldlazaretten.  Das 
Ausräumen  aller  Knochensplitter  ist  nicht  gut.  Es  gibt 
Pseudarthrosen  und  Verkürzungen.  Guleke  hat  dar¬ 
nach  einmal  eine  Verkürzung  von  20  cm  gesehen. 
Ausserdem  reizen  Sequester  zur  Kallusbildung.  Wenn 
man  extendiert,  so  darf  man  wegen  der  drohenden 
Pseudarthrose  nicht  zu  energisch  vorgehen.  Die  Opera¬ 
tion  einer  Pseudarthrose  soll  man  erst  vornehmen,  wenn 
die  Fistel  geheilt  ist,  aber  dann  nicht  zu  lange  warten, 
weil  die  Knochenatrophie  fortschreitet  und  die  Muskeln 
sich  retrahieren.  Gelegentlich  macht  er  die  Drahtnaht, 
aber  nicht  immer.  Freie  Transplantation  von  Periost 
oder  Knochen  soll  man  frühestens  6  Wochen  nach 
Heilung  der  Wunden  machen.  Am  Vorderarm  soll 
man  bei  Pseudarthrose  eines  Knochens  nicht  am  ge¬ 
sunden  resezieren,  sondern  in  die  Lücke  des  kranken 
Knochen  interponieren.  Besser  noch  ist  eine  seitliche 
Ucberbriickung  des  Defektes,  weil  die  Interposition 
am  Vorderarm  technisch  schwierig  ist. 

2.  Herr  Ludloff  hat  ein  Verfahren  von  E  din¬ 
ge  r  zur  Ueberbrückung  von  Defekten  im  Nerven  am 
Menschen  angewandt.  Es  werden  die  beiden  Nerven¬ 
enden  in  ein  mit  Gallerte  gefülltes  Arterienröhrchen 
gesteckt.  Der  Erfolg  ist  gut,  selbst  in  desolaten  Fällen. 
Die  Funktion  kommt  früh,  schon  nach  etwa  6  Wochen. 
Man  muss  darauf  achten,  dass  ganz  frische  Nerven- 
querschnitte  in  die  Gallerte  kommen.  Braun  in  Mel¬ 
sungen  liefert  die  Röhrchen.  Passende  Kaliber  müssen 
ausgesucht  werden. 

3.  Herr  Stoffel:  Bei  Einbettung  von  Nerven  im 
Narbengewebe  muss  man  nicht  nur  die  peri-,  sondern 
auch  die  endoneurale  Neurolyse  machen.  Das  ist  tech¬ 
nisch  oft  sehr  mühsam,  am  leichtesten  bei  frischen 
Fällen.  Umscheidung  mit  Kalbsarterie  ist  der  Faszie 
vorzuziehen,  denn  ein  mit  Faszie  umscheideter  Fall 
bessert  sich  nur  sehr  langsam.  Der  Erfolg  beginnt  in 
diesen  Fällen  oft  sehr  früh,  zuweilen  schon  am  Abend 
nach  der  Operation  zu  kommen. 

Dann  Demonstration  von  Fällen  querer  Nerven¬ 
naht.  Auch  an  einem  Ischiadikus  nach  35  Tagen  be¬ 
ginnende  Funktion.  Ein  quer  genähter  Ulnaris  bekam 
in  ganz  rätselhafter  Weise  noch  am  Abend  des  Opera¬ 
tionstages  seine  Funktion  zurück.  Beweisend  für  die 
Funktion  des  Nervus  ulnaris  sind  Kontraktionen  des 
Musculus  Flexor  carpi  ulnaris. 

4.  Herr  Gunkel:  Bildung  von  Strecksehnen  der 
Hand  aus  Faszienstreifen.  Demonstration  eines  operier¬ 
ten  Falles  mit  guter  Funktion. 

5.  Herr  Bai  sch:  Operative  Behandlung  von  Ge¬ 
lenkverletzungen.  Demonstration.  1.  Einer  Arthrodese 
in  Abduktionsstellung  bei  schwerer  Zertrümmerung  des 
Schultergelenkes  ;  2.  mobilisierte  Gelenke  durch  Faszien- 
lappen-Interposition.  (Ellenbogen  und  Kniegelenke  in 
je  zwei  Fällen.) 

6.  Herr  Hage  mann  zeigt  eine  Schiene  für  Patien¬ 
ten  mit  Radialislähmung,  die  die  Grundglieder  der 
Finger  elastisch  in  Strecksteilung  bringt  und  die  Hand 
wieder  brauchbar  macht. 

7.  Herr  Heidenhain:  Röntgenbehandlung 
eiternder  Fisteln.  Bei  subkutanen  Eiterungen  in  reni¬ 
tenten  Fällen,  wo  ein  Sequester  oder  ein  Fremdkörper 
als  Ursache  auszuschliessen  ist,  sollte  man  es  mit 
Röntgenbestrahlungen  versuchen.  In  einigen  Fällen 
gutes  Resultat  und  schnelle  Heilung,  in  anderen  Besse¬ 
rung,  in  dritten  kein  Erfolg.  Die  Bedingungen  für  die 
Wirkung  sind  ganz  unklar.  Behandlung  mit  kleinen 


Nr.  19. 


181 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Dosen.  Alte  Fisteln  mit  der  Methode  zu  behandeln, 
ist  zwecklos. 

8.  Herr  Port  (Heidelberg):  Kieferbrüche  und  Kie- 
|  ferplastik.  Zusammenarbeit  von  Chirurgen  und  Zahn¬ 
arzt  ist  sehr  wichtig.  Stücke  vom  Unterkiefer  und  Zähne 
müssen  möglichst  geschont  und  erhalten  werden.  Die 
Wunden  jauchen  oft  sehr  stark.  Berieselung  mit  Malle- 
brei'n  wird  empfohlen,  welches  vor  Wasserstoffsuper¬ 
oxyd  den  Vorteil  hat,  dass  es  nicht  schäumt.  Ver¬ 
schleppte  Fälle  sind  im  Resultat  viel  schlechter  als 
von  vornherein  richtig  behandelte.  Die  Granatsplitter 
Verletzungen  sind  die  schlimmeren.  Der  Unterkiefer  ist 
häufiger  verletzt  als  der  Oberkiefer.  Demonstration  der 
Schienen  für  Unterkieferfrakturen  an  Gipsmodellen  und 
an  Patienten.  Nach  der  Kieferbehandlung  folgt  event. 
die  Plastik  der  Weichteile  durch  den  Chirurgen. 
Demonstration  von  Patienten.  Die  Heilung  der  Unter 
kieferfraktur  ist  oft  nach  6  Wochen  noch  nicht  be¬ 
endet.  Man  soll  die  Patienten  mindestens  3  Monate 
beobachten.  Auf  Einzelheiten  des  Vortrages  einzu¬ 
gehen,  wäre  nur  an  der  Hand  von  Abbildungen  mög¬ 
lich. 

9.  Herr  Dupuis  zeigt  im  Aufträge  von  Herrn 
Geh.  Rat  Passow  künstliche  Nasen  und  Ohren,  die 
zweifellos  die  Leistungen  der  Chirurgen  an  Schönheit 
wohl  immer  übertreffen. 

10.  Herr  E.  Schmidt:  Demonstration  von  Mus¬ 
kelplastiken. 

1 .  Deltoideus  ersetzt  durch  die  vordere  obere  Partie 
des  Trapecius.  Technik  der  Operation  nicht 
leicht.  Resultat  genügend.  Der  Patient  hatte 
die  Benützung  des  Pectoralis  major  verweigert. 

2.  Deltoideus  ersetzt  durch  den  lateralen  Trizeps¬ 
kopf.  Resultat  wiederum  befriedigend.  Der 
Patient  hatte  die  Benützung  der  Rumpfmuskeln 
verweigert. 

3.  Kurzer  Bizepskopf  überpflanzt  auf  die  Sehne 
des  Trizeps  als  Ersatz  des  letzteren.  Resultat 
gut. 

4.  Naht  des  Nervus  medianus,  Ulnaris  und  radialis 
in  der  Achselhöhle.  Der  N.  musculocutaneus 
wurde  in  den  schweren  Narben  nicht  gefunden. 
Daher  Ersatz  des  Musculus  biceps  aus  der  vor¬ 
deren  Partie  des  latissimus  dorsi.  Erfolg  der 
Muskelplastik  gut.  Nervenheilung  noch  nicht 
abgeschlossen. 

11.  Herr  Propping  i.  V.  von  Herrn  Rehn: 
Ueber  Amputationen.  Man  darf  nicht  zu  konservativ 
sein  in  der  Extremitätenchirurgie,  um  zu  vermeiden, 
dass  man  Patienten  an  Sepsis  verliert,  statt  zu  ampu¬ 
tieren.  Wendet  sich  gegen  die  Amputation  mit  dem 
einzeitigen  Zirkelschnitt  und  macht  selbst  Hautfaszien¬ 
lappen. 

Diskussion:  Herr  Brodnitz:  Demonstration 
,  eines  Instrumentes  zum  Zurückhalten  der  Weichteile 
bei  Amputationen.  Herr  Bor chers  ist  gleichfalls 
gegen  den  einzeitigen  Zirkelschnitt.  Lappenschnitte 
sind  vorzuziehen,  wenn  auch  der  Stumpf  kürzer  wird. 
Die  Heilung  geht  damit  schneller  vor  sich  und  das 
Resultat  ist  sicherer  wenn  man  im  gesunden  operiert. 
Bei  frischen  Fällen  besteht  noch  keine  Phlegmone  und 
diese  Indikation  für  den  einzeitigen  Zirkelschnitt  fällt 
dabei  fort.  Auch  die  Reamputation  chronisch  granu¬ 
lierender  Stümpfe  ist  nicht  so  leicht  und  kein  kleiner 
Eingriff,  bei  dem  oft  Infektion  der  Wunde  eintritt. 
Das  Resultat  des  einzeitigen  Zirkelschnittes  kann  ge¬ 
bessert  werden  durch  Heftpflasterzug,  aber  das  ist  auch 
kein  Grund  für  ihn,  denn  der  Zentimeter  Knochen  hat 
nur  Wert,  wenn  der  Stumpf  sehr  kurz  ist,  z.  B.  hoch 
oben  am  Oberschenkel  und  das  ist  auch  die  Domäne 
des  Zirkelschnittes.  Nach  der  Amputation  werden  keine 


Nähte  gemacht,  sondern  zwischen  die  Lappen  wird 
lose  Gaze  gelegt. 

9.  Januar  1916.  Nachmittags. 

1 .  Herr  W  u  1 1  s  t  e  i  n :  Prothesen.  Einleitender 
Vortrag. 

Es  ist  unmöglich  die  Ausführungen  des  Vortragen¬ 
den  kurz  zu  referieren,  in  denen  er  den  Ersatz  der  oberen 
und  unteren  Extremität  behandelte,  gestützt  auf  ein 
grosses  Demonstrationsmaterial.  Man  sah,  wie  fieber¬ 
haft  an  diesem  Kapitel  gearbeitet  wird,  und  wie  viel 
Brauchbares  bereits  entstanden  ist.  Trotzdem  schliesst 
W  ullstein:  Wir  dürfen  unsere  Erwartungen  nicht 
zu  hoch  schrauben,  nicht  Künstler  auf  der  Prothese 
bewundern  und  glauben,  Gott  weiss  wie  weit  wir  schon 
gekommen  wären.  Was  der  Durchschnittsmensch  mit 
der  Prothese  leistet,  muss  uns  massgebend  sein  und 
wir  müssen  viel  weiter  kommen.  Wir  werden  noch  Jahre 
brauchen,  um  das  Nötige  für  die  einzelnen  Berufe  zu 
finden.  Die  Uebungswerkstätten  müssen  viel  Berufs¬ 
zweige  lehren,  damit  die  Leute  Gelegenheit  haben, 
das  zu  finden,  wozu  sie  ihre  Neigung  treibt,  denn  zweier¬ 
lei  muss  man  lieben  im  Leben :  die  Ehefrau  und  den 
Beruf.  Der  Beruf  wird  am  besten  so  gewählt,  dass  das 
verlorene  Glied  nicht  mehr  in  Betracht  kommt.  Dann 
werden  die  Leute  Vollarbeiter  und  haben  vollen  Lohn. 
Eine  Rente  sollen  sie  ausserdem  haben  dafür,  dass  sie 
täglich  die  Chikanen  der  Prothese  ausstehen  und  auf 
mancherlei  Vergnügen  verzichten  müssen.  Erst  wenn 
die  Arbeitsprothesen  weiter  gediehen  sind,  werden  wir 
in  der  Berufswahl  freier.  Die  Lehrzeit  soll  für  die 
Leute  verkürzt  werden,  im  allgemeinen  vielleicht  auf 
1  Jahr;  für  manche  Berufe,  z.  B.  Dreher,  genügen  schon 
3  Monate.  Wir  selbst  aber  müssen  auf  diesem  Gebiet 
nicht  nur  Aerzte,  sondern  Sozialpolitiker  sein. 

Langanhaltender  Beifall  folgt  den  Ausführungen. 

Diskussion:  Herr  M  e  y  b  u  r  g  zeigt  eine  Reihe 
von  Behelfsprothesen  wie  sie  im  Res. -Lazarett  in  Ett¬ 
lingen  unter  seiner  Leitung  angefertigt  werden. 

Herr  Perthes  zeigt  Gehbänkchen  zum  Ersatz 
von  Krücken,  genannt  Handkrücken. 

2.  Herr  Wilms:  Nervenverletzung  und 
Naht.  Einleitender  Vortrag. 

Man  soll  früh  operieren,  denn  man  verkürzt  damit 
die  Krankheitsdauer,  hat  keine  Distraktion  der  Nerven¬ 
enden,  keine  Schwielen  und  kann  eingesprengte 
Knochenstückchen  leicht  entfernen,  ohne  den  Nerven 
resezieren  zu  müssen.  Ausserdem  sind  die  Nerven¬ 
enden  gewöhnlich  nach  dem  Ausschuss  zu  abgewichen 
und  das  ist  sehr  ungünstig  für  die  Heilung.  Die  Naht¬ 
stelle  muss  umscheidet  werden,  am  besten  mit  prä¬ 
parierten  Arterien.  Faszie  macht  Schwielen.  Auch 
Muskel  und  Fett  sind  zur  Umscheidung  denkbar;  Fett 
ist  besser  als  Muskel.  Gute  Asepsis  und  Technik 
sind  nötig.  Geht  die  Naht  nicht,  dann  muss  man  dem 
Nerven  eine  Brücke  bauen,  am  besten  mit  Arterien¬ 
röhrchen  (E  ding  er).  Einpflanzen  der  Stümpfe  in 
einen  benachbarten  Nerven  nach  Hofmeister  ist 
wohl  nicht  so  gut,  ebenso  nicht  das  Umschlagen  eines 
Nervenlappens.  Die  z.  T.  sehr  schnellen  Erfolge  sind 
noch  unklar.  Diskussion:  Herr  Arnsperger  hat 
bei  älteren  Verletzungen  Nervenlösungen  gemacht  und 
zwar  auch  endoneurale.  Resultate  gut.  Nur  ein  Miss¬ 
erfolg. 

Her  Guleke  ist  für  Frühoperation.  Warnt  vor 
Faszie  zur  Einscheidung  und  nimmt  selbst  Muskel. 
Unter  48  Fällen  von  Nervennaht  hat  er  10  Misserfolge. 
In  38  Fällen  hat  die  motorische  Funktion  wieder  be¬ 
gonnen.  Bis  zum  Beginn  der  Wiederherstellung  ver¬ 
gingen  bei  Naht  in  der  Achselhöhle  5 — 6  Monate,  am 
Oberarm  4  Monate,  am  Vorderam  ein  Vierteljahr. 

Herr  S  t  e  i  n  t  h  a  1 :  Die  Indikation  zur  Operation  ist 


182 


FORTSCHRITTE  HER  MEDIZIN. 


Nr.  1() 


gegeben  i .  durch  vollständige  Lähmung  mit  totaler 
Entartungsreaktion,  2.  wenn  sich  eine  partielle  Läh¬ 
mung  nach  einiger  Zeit  nicht  bessert,  3.  wenn  sich 
Paresen  verschlechtern.  4.  bei  schweren  neuritischen 
Erscheinungen. 

Eine  Kontraindikation  liegt  vor  1.  bei  partieller  Ent- 
nrtungsreaktion.  denn  der  Operation  kann  komplette 
Lähmung  folgen.  2.  bei  noch  bestehender  oder  erst 
kürzlich  abgeschlossener  Eiterung.  3.  wenn  sich  Pare¬ 
sen  bessern,  4.  wenn  sich  lange  Zeit  Sequester  aus- 
stossen  und  Schwielen  bilden,  5.  bei  schwerer  Degenera¬ 
tion  der  Muskeln,  denn  es  sind  dann  meist  die  grossen 
Gefässe  verletzt  gewesen.  6.  bei  partiellen  Lähmungen 
die  funktionell  wenig  stören. 

Bericht  über  153  Fälle  darunter  18  Nervenaus¬ 
lösungen,  5  ohne  Erfolg,  2  ohne.  Nachricht,  11  ge¬ 
bessert.  —  40  Nervennähte.  Bei  der  Plastik  lassen 
alle  Methoden  im  Stich  ausser  der  S  t  o  f  f  e  1  sehen. 
Von  den  40  Fällen  wurden  i  1  gebessert.  Im  Frieden 
hat  man  bei  der  Naht  70  °/'o  Erfolge  berechnet.  Im 
Kriege  sind  es  weniger  wegen  der  Schwere  der  Ver¬ 
letzungen.  Immerhin  ist  das  Resultat  besser,  als  man 
anfangs  dachte.  Man  soll  nur  saubere  Schnitte  anein¬ 
ander  bringen,  dann  topographisch  nähen  nach  Stoffel 
und  nur  das  paraneurale  Gewebe  fassen  mit  der  Naht.! 
Einscheidung  der  Naht  in  Fett  oder  Muskel  oder! 
Faszie.  Die  Resultate  sind  mit  Einscheidung  besser. 
Ueber  die  Auffaserung  hat  S  t  e  i  n  t  h  a  1  noch  keine  j 
Erfahrung. 

Herr  Bittrolff:  Tierversuche  über  das  zur  Um¬ 
scheidung  verwendete  Material  ergaben:  In  Formol 
gehärtete  Kalbsarterien  und  zelluloidähnliches  Material 
sind  gut.  Fett  bringt  wechselnden  Erfolg;  Faszie  und 
Muskel  machen  starke  Schwielen  und  sind  unbrauchbar 

H  err  Rost  berichtet  über  die  Resultate  der  Ner¬ 
vennaht  an  den  Patienten  der  Klinik  in  Heidelberg. 

1 .  Indikationsstellung  wie  Steinthal.  Ganz  leichte 
Fälle  wurden  nicht  operiert..  2.  Bezüglich  der  Zeit  ist 
es  ziemlich  gleichgültig  ob  man  in  den  ersten  Tagen 
oder  nach  Monaten  operiert,  aber  zu  lange  soll  man 
nicht  warten.  3.  a)  Man  darf  den  Nerven  stark  deh¬ 
nen,  b)  Umscheidung  verhindert  Verwachsungen.  Ohne1 
dieselbe  sind  die  Resultate  schlecht,  c)  Auf  die  innere 
Topographie  der  Nerven  wird  nicht  Rücksicht  genom¬ 
men  ohne  sichtliche  Fehler.  4.  Nachbehandlung  wichtig 
und  zwar  individuell,  nicht  in  Massenbetrieben. 

Herr  Stoffel  bespricht  eine  Methode  der  Ner 
vennaht,  die  Spannung  vermeidet.,  Am  geeignetsten 
sind  die  I‘ älle  mit  ausgesprochener  Narbenspindel.  Ver¬ 
ständlich  nur  mit  Zeichnungen. 

Herr  Edinger:  Die  Tubulation  allein  nützt 
nichts,  weil  schon  die  kleinste  Blutung  den  Nerven 
beim  Auswachsen  stört.  Durch  seine  Röhrchen  soll 
der  Wachstumswiderstand  fortgenommen,  nicht  allein 
die  Leitung  gemacht  werden;  denn  Nervensubstanz 
kann  man  im  Agar  auswachsen  lassen.  Mit  dem  Ver¬ 
fahren  hat  in  14  Fällen  keiner  versagt. 

Herr  Ahrens  nahm  bisher  nur  Faszie  zur  Ein¬ 
scheidung  und  will  jetzt  Edinger  versuchen.  Waren 
bei  seinen  Fällen  zwei  Nerven  nebeneinander  verletzt, 
so  legte  er  beide  in  eine  Scheide,  damit  auch  die 
Neurotisation  von  einem  auf  den  andern  möglich  war. 

Herr  Heile:  Das  Resultat  der -Querschnittsnaht 
war  bei  seinen  Fällen  nie  eine  vollständige  Heilung, 
sondern  nur  eine  mehr  oder  weniger  partielle.  Seine 
Edinger-Fälle  sind  noch  zu  frisch.  Ein  gewisser  Pessi¬ 
mismus  ist  wohl  berechtigt  und  darauf  muss  man  die 
Aerzte  aufmerksam  machen,  ferner  darauf,  dass  der 
Erfolg  lange  braucht. 

Herr  Auerbach  befürwortet  sehr  die  Frühopera¬ 
tion,  ausgenommen  ganz  leichte  Fälle.  Gallalit  wird  vor 
3 — 4  Monaten  nicht  resorbiert  und  bewährt  sich  zur 


Hinscheidung  der  Nerven.  Die  Resultate  werden  be¬ 
urteilt  mit  Id  eile.  Schussverletzungen  können  die  Ner¬ 
ven  auf  weite  Strecken  schädigen,  oft  bis  ins  Gang¬ 
lion.  Daher  rührt  wohl  die  Renitenz  mancher  Fälle. 
Die  präexister.tcn  Anastomosen,  besonders  am  Arm, 
müssen  grösser  sein,  als  man  sich  rorstellt.  Ambu¬ 
lante  Behandlung  der  Operierten  ist  bald  möglich,  denn 
die  Leute  können  bald  arbeiten  und  brauchen  keine 
Krankenhauspflege.  Da  kann  man  sparen.  Die  Fälle 
sollen  möglichst  in  einer  Hand  bleiben. 

Herr  M  eisei  bat  bisher  Faszienrohre  mit  Blut 
gefüllt  und  zur  Plastik  verwendet.  Resultate  schlecht. 

Herr  Ludloff:  Die  Besserung  ist  durch  prä¬ 
existente  Anastomosen  allein  nicht  zu  erklären,  denn 
sonst  müssten  sie  auch  bei  jeder  Tubulierung  auf- 
treten. 


Beiträge  zur  Hefetherapie  mit  „Biozyme“. 

Von  Dr.  med.  A.  G  i  n  s  b  11  r  g  ,  Berlin. 

Die  Verwendung  der  Hefe  zu  therapeutischen 
Zwecken,  die  schon  im  grauen  Altertum  bekannt,  dann 
aber  lange  Zeit  in  Vergessenheit  geraten  war,  hat  in 
den  letzten  Jahrzehnten  eine  aussei  ordentliche  Ver¬ 
breitung  gefunden.  Schon  Idippokrates  hatte  zwar 
nicht  die  Hefe  selbst,  wohl  aber  die  Hefe- Asche  zu 
Spülungen  der  weiblichen  Geschlechtsteile  empfohlen. 
Die  Verwendung  der  ungebrannten  Hefe  finden  wir 
zuerst  bei  Dioskurides,  sodann  aber  vornehmlich  bei 
Plinius  erwähnt,  und  zwar  hebt  der  Letztere  besonders 
die  ausserordentlich  günstige  Wirkung  derselben  bei 
Hautleiden  und  Hautausschlägen  hervor.  Auch  in 
späteren  Zeiten  finden  wir  die  therapeutische  Ver¬ 
wendung  der  Bierhefe  und  Weinhefe  häufiger  in  der 
Literatur  erwähnt. 

Es  ist  nicht  leicht,  die  Ursache  zu  erklären,  warum 
dann  geraume  Zeit  die  Hefetherapie  fast  völlig  in 
Vergessenheit  geriet,  da  doch  ihre  Verwendung  ver¬ 
hältnismässig  einfach  und  ihre  Erfolge  unbestreitbar 
günstige  waren.  Es  mag  dies  zum  Teil  daran  gelegen 
haben,  dass  man  mit  dem  Aufblühen  der  Pharmakologie 
mehr  zur  Verordnung  der  sonstigen  Arzneistoffe  schritt 
und  die  biologischen  Präparate  vernachlässigte,  zum 
Teil  mag  auch  der  Umstand  dazu  beigetragen  haben, 
dass  die  frische  Bierhefe  sich  nicht  lange  hält  und 
täglich  frisch  beschafft  werden  musste,  solange  man 
noch  keine  Dauer-Hefe-Präparate  kannte  und  dass  auch 
der  fade  Geschmack  der  frischen  Hefe  vielen  Patienten 
zu  widerlich  war. 

Zweifellos  bedeutete  daher  die  Herstellung  von 
Trockenhefe-Präparaten  einen  wesentlichen  Fortschritt, 
der  die  Wiedereinführung  der  LIefetherapie  ganz 
wesentlich  unterstützt  hat.  Wir  besitzen  jetzt  bereits 
eine  ganze  Anzahl  derartiger  Präparate,  welche  trotz 
ihrer  verschiedenen  Fehler  und  Mängel,  über  die  weiter¬ 
hin  zu  sprechen  sein  wird,  mit  recht  guter  Wirkung 
verordnet  werden.  In  Betracht  kommt  vor  allen 
Dingen  die  örtliche  Anwendung  bei  gynäkologischen 
Affekttonen,  sowie  besonders  die  innerliche  Anwendung 
bei  Hautkrankheiten,  Furunkulose,  und  auch  bet 
Diabetes. 

Erst  vor  wenigen  Jahren  wurde  durch  eine  Reihe 
sehr  interessanter  V  ersuche  festgestellt,  dass  die  meisten 
der  im  Handel  befindlichen  Trockenhefe-Präparate 
nur  eine  ganz  minimale  Hefewirkung  entfalten  können, 
da  bei  den  Herstellungsverfahren  erhebliche  behler 
begangen  werden.  In  den  meisten  Fällen  wird  zur 
Herstellung  der  Trockenhefe-Präparate  die  Bierhefe, 
das  Abfallprodukt  der  Brauereien,  benutzt.  Nun 
bestehen  aber  die  Bierhefezellen,  fast  ausschliesslich 


Nr.  19. 


FORTSCHRITTE  HER  MEDIZIN. 


18.1 


aus  toten  und  kranken  Zellen,  welche  dann  natur- 
gemäss  durch  die  bei  der  Fabrikation  unumgänglich 
notwendigen  Reinigungsprozesse  und  sonstigen  Proze¬ 
duren  noch  mehr  geschädigt  werden. 

Im  Gegensatz  zu  den  meisten  Hefepräparaten  wird 
die  „Biozyme“,  das  Hefepräparat  der  Firma  Vial  &  Uhl- 
niann  in  Frankfurt  a.  Main,  nicht  aus  der  Bierhefe, 
sondern  aus  rein  gezüchteter,  mit  speziellen  Nähr¬ 
salzen  ernährter  Kulturhefe  hergestellt.  Während  bei 
verschiedenen  der  bekannten  Trockenhefe- Präparate 
grosse  M  engen  von  Kartoffelstärke  oder  Maisstärke ! 
(fast  bis  50  "/„)  beigemengt  sind,  ist  Biozyme  ein  hoch¬ 
wertiges  Trockenhefe- Präparat,  welches  keinerlei 
Stärkezusatz,  dagegen  fast  nur  lebende  Hefezellen 
enthält  und  in  bezug  auf  seine  Wirkung  etwa  der  vier¬ 
fachen  Menge  frischer  Hefe  entspricht. 

Es  sind  verschiedentlich  Gärversuche  mit  den 
bekannten  Präparaten  vorgenommen  worden,  z.  B. 
in  der  Grossherzoglichen  chemischen  Prüfungs¬ 
anstalt  in  Darmstadt,  im  Laboratorium  der  Landes¬ 
heilanstalt  Uchtspringe,  von  Dr  Brachmann  (Ärztliche 
Rundschau  1913  Heft  4),  die  alle  zu  dem  überraschen¬ 
den  Ergebnis  geführt  haben,  dass  die  prozentualen 
Vergleichszahlen,  welche  sich  aus  zahlreichen  Gärkraft¬ 
bestimmungen  ergaben,  bei  den  verschiedenen  bisher 
gebräuchlichen  Trockenhefe- Präparaten  zwischen  1,2 
und  2,4%  schwankten,  bei  Biozyme  aber  100,0  u/„ 
erreichten,  d.  h.  mit  anderen  Worten,  dass  die  Gär¬ 
kraft  der  gewöhnlichen  Trockenhefe-Präparate  ganz 
minimal  war,  während  die  Gärkraft  der  Biozyme 
nachweislich  der  Gärkraft  der  vierfachen  Menge  frischer 
Bäckerhefe  entspricht. 

Das  gleiche  Resultat  ergaben  auch  die  mit  ver¬ 
schiedenen  Trockenhefe-Präparaten  angestellten  Ver¬ 
suche  zur  Bestimmung  des  Verlustes  an  Kohlensäure 
bei  Zusatz  von  1  gr  Trockenhefe  zu  25  ccm  Trauben- 
zuckerlösung.  Der  durch  Entwicklung  von  Kohlen- 
säure  resultierende  Gewichtsverlust  betrug  bei  Biozyme 
nach  3  Stunden  0,449,  nach  6  Stunden  0,955,  nach 
9  Stunden  0,985,  nach  24  Stunden  1,033  gr,  während 
bei  Anwendung  der  übrigen  Trockenhefe-Präparate 
sich  nach  3  Stunden  nur  0,009  bis  0,011,  nach  6  Stunden 
nur  0,010  bis  0,020,  nach  9  Stunden  nur  0,015  bis  0,021 
und  nach  24  Stunden  nur  0,021  bis  0,056  gr  Kohlen¬ 
säure  entwickelten.  Diese  Versuche  dürften 
schlagend  beweisen,  dass  die  Biozyme  den  gebräuch¬ 
lichen  Hefepräparaten  an  Wirksamkeit  bedeutend  über¬ 
legen  ist. 

Die  praktischen  Versuche  am  Krankenbett  bestätigten 
in  der  Tat  die  Richtigkeit  der  Laboratoriumsversuche. 
Ich  hatte  Gelegenheit,  die  Präparate  in  zahlreichen 
Fällen  von  Furunkulose,  Dermatosen  verschiedener 
Art  anzuwenden  und  war  in  allen  Fällen  von  dem 
Erfolge  ausserordentlich  befriedigt.  Auch  bei  Patienten, 
bei  denen  bereits  Hefekuren  mit  anderen  Präparaten 
vergeblich  angewendet  worden  waren,  war  der  Erfolg 
oft  ein  überraschender. 

1.  24-jähriger  Kaufmann  leidet  seit  seinem  14.  Lebens¬ 
jahre  an  „unreinem  Blut“.  Fortwährend  Bildung  von  Furunkeln 
an  allen  möglichen  Körperteilen,  gegen  die  bisher  alles  Mögliche 
vergeblich  angewandt  worden  ist.  Meist  gingen  die  Furunkel 
unter  Anwendung  von  Zugpflastern  von  selbst  auf,  oft  aber 
musste  auch  eingeschnitten  werden.  Äusserlich  sind  schon 
allerlei  Salben  versucht  worden,  auch  Bäder  mit  verschiedenen 
Ingredienzien  hatten  wenig  Erfolg  Innerlich  ist  ebenfalls  schon 
viel  versucht  worden.  Zeitweise  brachte  Schwefelblüte  Besserung 
Arsenkuren  waren  ohne  jede  Wirkung.  Auch  eine  Hefekur 
mit  einem  trockenen  Hefepulver  hat  der  Patient  schon  durch¬ 
gemacht,  doch  weiss  er  sich  des  Namens  des  Präparates  nicht 
mehr  zu  erinnern.  Der  Erfolg  dieser  Hefekur  war  ebenfalls 
gleich  Null.  Ich  verordnete  Biozyme,  das  ohne  Schwierigkeit 


genommen  wurde  und  schon  in  kurzer  Zeit  wesentliche  Besserung 
herbeiführte.  Als  der  Patient  in  meine  Behandlung  kam,  hatte 
er  auf  dem  Rücken  und  Gesäss  zusammen  drei  grosse  Furunkel, 
während  man  an  etwa  sieben  Stellen  die  Überreste  geheilter 
Furunkel  sehen  konnte  und  an  zwei  Stellen  bereits  die  Anfänge 
neuer  Furunkel  sich  zeigten.  Auf  dem  linken  Oberschenkel 
ebenfalls  ein  grosser  Furunkel,  ebenso  ein  solcher  von  mittlerer 
Grösse  im  Nacken.  Bei  gleichzeitiger  Lokalbehandlung  der 
Furunkel  mit  Breiumschlägen  und  essigsaurer  Tonerde  (nach 
dem  jeweiligen  Zustande)  erhielt  der  Patient  viermal  täglich 
l/2  Teelöffel  voll  Biozyme  Die  vorhandenen  Furunkel  heilten 
innerhalb  eines  Zeitraumes  von  etwa  10  Tagen  ab,  es  bildeten 
sich  sodann  nach  einander  noch  drei  neue,  erst  ein  solcher 
auf  dem  Nacken,  dann  einer  im  Rücken  und  auf  dem  Gesäss 
Als  diese  abgeheilt  waren,  bildete  sich  kein  neuer  Furunkel 
mehr.  Nach  etwa  drei  Monaten  suchte  der  Patient  mich  wieder 
auf.  Nachdem  er  die  Kur  seit  etwa  drei  Wochen  unterbrochen 
hatte,  hatte  sich  im  Rücken  ein  neuer  —  allerdings  nur  kleiner 
Furunkel  gebildet.  Ich  liess  gleich  wieder  Biozyme  weiter  ge¬ 
brauchen  mit  dem  Resultat,  dass  der  Furunkel  schnell  abheilte, 
und  der  Patient  während  der  nächsten  Zeit  bisher  freige¬ 
blieben  ist. 

2.  Ella  G  ,  24  Jahre  alt,  ziemlich  blutarm  und  schwäch¬ 
lich,  leidet  seit  einer  ganzen  Reihe  von  Jahren  an  sehr  unreiner 
Haut,  häufigen  Pickeln  und  Mitessern  im  Gesicht,  auf  der 
Brust  und  Rücken.  Augenblicklich  hat  sie  zwei  etwa  hasel¬ 
nussgrosse  Knoten  im  Gesicht,  einen  gleichen  zwischen  den 
Schulterblättern  und  ausserdem  zahlreiche  rote  entzündete  Flecken 
im  Gesicht  und  auf  der  Brust.  Zahlreiche  Salben  waren  ohne 
Erfolg.  Der  Stuhlgang  lässt  sehr  zu  wünschen  übrig.  Auch 
in  diesem  Falle  hatte  die  Biozyme-Kur,  die  örtlich  durch  An¬ 
wendung  von  Zinkpaste  unterstützt  wurde,  einen  recht  erfreu¬ 
lichen  Erfolg.  Die  Furunkel  heilten  schnell  ab,  die  Pickel 
schwanden  allmählich,  die  Haut  wurde  frischer  und  glatt.  Als 
nach  längerer  Zeit  sieb  wieder  einige  Hautuureinigkeiten  zeigten, 
genügte  eine  kurze  Kur  mit  Biozjmie,  dieselben  schnell  wieder 
zu  beseitigen. 

3.  Fritz  S,  35  Jahre  alt,  leidet  seit  anderthalb  Jahren  an 
einem  chronischen  Ekzem  an  der  rechten  Hand.  Die  bisherige 
Behandlung  mit  den  verschiedenen  Salben  brachte  vorüber¬ 
gehend  geringe  Besserung.  Trockenhefebehandlung  innerlich  mit 
einem  ziemlich  weitverbreiteten  Trockenhefepräparat  ohne  Er¬ 
folg.  Ich  gab  Biozyme  innerlich,  liess  allerdings  gleichzeitig 
eine  örtliche  Behandlung  mit  Teersalbe  wieder  beginnen,  die 
bereits  früher  mit  vorübergehender  Besserung  angewandt  worden 
war.  Der  Erfolg  war  ausserordentlich  günstig.  Schon  nach 
14tägiger  Behandlung  war  die  Tendenz  zur  Abheilung  des 
lästigen  Ekzems  deutlich  zu  erkennen.  Nach  insgesamt  nicht 
ganz  drei  Monate  währender  Behandlung  war  das  Ekzem  völlig 
verschwunden. 

In  zahlreichen  ähnlichen  Fällen  waren  die  Erfolge 
gleich  günstige.  Ich  möchte  daher  den  Kollegen  die 
Anwendung  dieses  neuen  Trockenhefe-Präparates 
angelegentlich  empfehlen,  da  dasselbe  nachweislich  vor 
den  bisher  gebräuchlichen  Trockenhefe-Präparaten  . 
folgende  Vorzüge  besitzt  : 

Es  besteht  nicht  aus  Bierhefe,  sondern  aus  reiner 
mit  besonderen  Nährsalzen  gezüchteter  Kulturhefe  und 
enthält  keinerlei  Zusatz  von  Stärke,  es  enthält  fast 
nur  lebende  Hefezellen  und  ist  in  bezug  auf  Gärkraft  der 
frischen  Hefe  gleichwertig  ;  ja  sogar  entspricht  in  dieser 
Hinsicht  1  gr  Biozyme  4  gr  frischer  Hefe.  Besonders 
bemerkenswert  ist,  dass  Biozyme  nach  meinen  Er¬ 
fahrungen  das  einzige  Hefepräparat  ist,  welches  einen 
leidlichen  Geschmack  hat.  Von  zahlreichen  Patienten 
wurde  es  deswegen  bevorzugt. 


184 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  19 


Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Lungen¬ 
erkrankungen, 

Kritische  Übersicht  von  Dr.  Blümel,  Halle  a.  S.,  Spezialarzt  für 
Hals-  und  Lungenkrankheiten. 

Schluss. 

Uber  Hämoptoe  berichtet  zusammenfassend 
Hochhaus-Köln  (93).  Hervorgehoben  sei  auch, 
dass  er  auch  auf  den  verschiedenen  Ursprung  der 
Blutung  hinweist,  wie  Nase,  Nasenrachenraum,  Kehlkopf, 
Bronchen,  kruppöse  und  bronchopneumonische  Lungen¬ 
entzündung,  Lungentumoren,  —  Stauungen,  —  Lungen¬ 
infarkt,  Arteriosklerose  der  Lungenarterien,  Aneurysma. 
Als  I  herapeutika  werden  die  bekannten,  hier  öfter  be¬ 
sprochenen  Mittel,  vor  allem  Kochsalz,  auch  intravenös 
(5  ccm,  einer  10  prozentigen  Lösung)  Gelatine,  Pferde¬ 
serum,  Pneumothorax  empfohlen. 

Uber  tuberkulöse  Perikarditis  bringt 
Wolff-Ha  m  b  u  r  g  (94)  eine  eingehende  Studie. 
Die  Erkrankung  entsteht  zumeist  durch  Fortleitung  von 
den  benachbarten  Lymphdrüsen  des  Mediastinums,  des 
Hilus,  von  der  Pleura  u.  a.,  teils  ist  sie  hämatogenen 
Ursprungs.  Von  16  genau  registrierten  Fällen  von 
tuberkulöser  Perikarditis  waren  8  unter,  8  über  60  Jahr 
alt.  Die  Erkrankung  ist  also  bei  älteren  Personen  nicht 
so  selten.  Bei  20  von  21  Fällen  handelte  es  sich  um 
eine  fibrinöse,  nur  einmal  um  eine  rein  seröse  Ent¬ 
zündung.  Bei  7  von  16  Fällen  wurde  ein  Ausgangs¬ 
punkt  für  die  Tuberkulose  nicht  gefunden.  Das  anato¬ 
mische  Bild  der  tuberkulösen  Perikarditis  ist  wenig  prä¬ 
gnant,  in  allen  Fällen  wurde  eine  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  vorgenommen.  Bei  älteren  Leuten  ist  bei  Peri¬ 
karditis  fibrinosa  beim  kehlen  von  anderer  Ätiologie  an 
1  uberkulose  zu  denken.  Die  Prognose  ist  keine  absolut 
schlechte.  Der  Prozess  kann  unter  Verwachsung  des 
I  Ierzbeutelblattes,  unter  Verkalkung  der  Synechien  aus¬ 
heilen. 

Schönberg  (95)  berichtet  über  einen  Fall  von 
primärer  Nieren  tuberkulöse  und  be¬ 
tont,  dass  für  die  Ätiologie  der  Schrumpfniere  auch  die 
1  uberkulose  herangezogen  werden  muss. 

von  Muralt-Davos  (96)  betrachtet  die 
nervösen  undpsychischen  Störungen 
der  Lungentuberkulösen.  Er  fand  eine 
leichte  Ermüdbarkeit  bei  psychischen  und  phy¬ 
sischen  Leistungen.  In  diesem  Zustand  zeigten  sich  die 
Kranken  leicht  empfindlich  und  reizbar,  auch  sonst 
stach  eine  gewisse  Feigheit,  Überempfindlichkeit  gegen 
Schmerzen  und  Wehleidigkeit  hervor,  eine  gewisse 
Willensschwäche.  Auch  eine  grosse  Suggestibilität  be¬ 
stand.  Der  Grund  der  geschilderten  Störungen  liegt 
nach  v.  M.  in  der  Intoxikation  des  Körpers  mit  Tuber¬ 
kuloseproteinen. 

Ich  bin  der  Ansicht,  dass  diese  Erscheinungen  wie 
Schlüsse  teils  infolge  der  Anstaltsbehandlung  auftraten. 
In  Görbersdorf  sah  icli  das  auch.  Aber  nach 
meinen  Erfahrungen  in  der  freien  Praxis  unterscheiden 
sich  die  Tuberkulösen  bezüglich  ihrer  Psyche  durchaus 
nicht  nachteilig  von  anderen  Chronisch-Kranken.  In 
der  Anstalt  fehlt  ja  auch  das  geeignete  Vergleichungs¬ 
material.  Ich  möchte  deshalb  diese  schon  sonst  als 
tuberkulöse  Intoxikationen  beschriebenen  Zeichen  nicht 
in  dem  Umfange  bestätigen.  Wir  sehen  solche  schwer¬ 
toxischen  Erscheinungen  natürlich  bei  Tuberkulose, 
aber  auffällig  zumeist  bei  hochfiebernden  ,  akuten 
Formen. 

Engel-  Berlin  (97)  bringt  einen  Beitrag  zur 
Behandlung  der  Skrofulöse.  Sie  entsteht  nach 
ihm  auf  dem  Boden  einer  exsudativen  Diathese.  Die 
letzte  behandelt  man  unter  Vermeidung  von  Überernährung, 
indem  man  den  Genuss  von  Milch,  Eiern,  Fett,  auch 
der  Kohlehydrate  einschränkt.  Dagegen  gibt  man  viel 
Heisch,  und  vom  2.  Jahre  ab  nur  4,  vom  dritten  ab  nur 


3  Mahlzeiten.  Man  muss  aber  Unterschiede  machen,  ob 
es  sich  um  eretische,  meist  magere  oder  torpide,  fette, 
pastöse  Kinder  handelt.  Den  ersten  gibt  man  5  bis  6 
Mahlzeiten,  lässt  abends  V2  1  Sahne  auf  einmal  trinken, 
der  dann,  da  er  die  Nacht  über  verdaut  wird  und  so 
keine  Appetitsstörung  macht.  Im  übrigen  werden  emp¬ 
fohlen  :  Tuberkulinbehandlung,  Lebertran  (nicht  mehr 
wie  2  Esslöffel  täglich),  Schmierseife  (2 — 3  mal  wöchent¬ 
lich),  Aufenthalt  an  der  See,  im  Hochgebirge,  vor  allem 
in  der  Sonne. 

Behandlung  mit  Röntgenstrahlen  führte 
Bittrol  ff  -  Heidelberg  (98)  bei  Rippen- 
und  Brustbeintuberkulose  aus.  Von  30 
Fällen  erhielt  er  über  21  später  Nachricht.  17  Mit¬ 
teilungen  waren  davon  verwertbar.  11  Kranke  waren 
davon  geheilt  geblieben,  2  wahrscheinlich  geheilt,  3 
wesentlich  gebessert.  Die  Erfahrungen  können  als 
ausserordentlich  günstig  bezeichnet  werden,  wenn  man 
bedenkt,  wie  lange  Jahre  sonst  oft  Fisteln  bestehen 
bleiben. 

II.  Nichttuberkulöse  Erkrankungen. 

Über  Keuchhusten  liegen  3  Arbeiten  mir  vor,  eine 
gute  allgemeine  bringt  Ritter-Berlin  (99).  Er 
empfiehlt  von  Medikamenten  am  meisten  das  Bromoform, 
daneben  zweckmässige  Ernährung,  Freiluftbehandlung, 
möglichst  ohne  Ortswechsel,  und  wenn  der  Ort  ge¬ 
wechselt  wird,  dann  unter  Abschluss  von  den  gesunden 
Kindern.  Ochsenius-Chemnitz  (100)  wendet 
eine  fast  tägliche  Pinselung  des  Rachens 
m  i  t  1—2  prozentiger  Argentum  nitricum- 
Lösung  an.  Er  sah  davon  sehr  gute  Erfolge,  so 
Abkürzungen  des  Verlaufs  in  der  Art,  dass  Anfälle 
nach  drei  Wochen  nicht  mehr  auftraten.  Intensität  und 
Anzahl  der  Anfälle  lassen  bald  nach,  wenn  die  Pinselung 
frühzeitig  schon  vorgenommen  wird.  —  Gramer- 
Zehlendorf  (101)  empfiehlt  Droserin- 
tabletten,  2  bis  3  stündlich  eine,  je  nach  dem 
Alter.  Die  Tabletten  enthalten  das  peptonisierende 
Ferment  der  Droseraceen,  fleischfressender  Pflanzen. 

Hötzel-Sauberbac  h  (102)  wandte  bei  Pneu¬ 
monien  Ol.  camphora  t.  in  Dosen  von  je 
10  ccm,  (bei  Kindern  5)  an,  früh  und  abends.  Er  sah 
davon  ausgezeichnete  Wirkungen,  meistens  erfolgte  eine 
Lysis  und  zwar  am  3.  oder  4.  Tag.  Diese  Behand¬ 
lung  wurde  vor  2  bis  3  Jahren  aus  Amerika  empfohlen. 
Im  allgemeinen  hat  sie  sich  nicht  eingebürgert.  Ich 
ziehe  auch  bei  Pneumonien  1— 2  stündliche  Kampfer¬ 
gaben  vor,  die  man  zeitweise  zweckmässig  mit  Koffein 
(0,2  subkutan)  wechseln  lässt.  Wir  nehmen  eine  spezi¬ 
fische  Wirkung  nicht  in  dem  Sinne  wie  H.  an,  wohl 
aber  eine  Wirkung,  die  dahin  geht,  dass  ein  guter  er¬ 
regender  und  tonisierender  Effekt  auf  den  peripheren 
Kreislauf  erzielt  wird.  Lind  diese  Regulierung  wollen 
wir  ja  bei  dem  meist  sehr  geschädigten  peripheren  Kreis¬ 
lauf  erreichen.  (Da  die  Kampferwirkung  im  Laufe 
einer  Stunde  ungefähr  auftritt,  erscheint  es  notwendig, 
um  dauernd  eine  Wirkung  zu  haben,  1—2  stündlich  die 
Dosen  zu  wiederholen.) 

Von  anderen  Erkrankungen  der  Lunge  wird 
noch  der  Echinoccocus  besprochen.  Behren- 
r  o  1;  h  -Greifswald  (103)  empfiehlt  für  die  Diagno¬ 
stik  vor  allem  das  Röntgenverfahren,  weil  es  mit  seiner 
Hilfe  leicht  gelinge,  die  kreisrunden  intensiven  Schatten 
der  Zysten  zu  finden.  Die  Behandlung  ist  bei  para¬ 
pleural  gelegenen  Herden  eine  chirurgische,  bei  zentral 
gelegenen  eine  konservative. 

Einen  neuen  transportablen  Apparat  zur  Einatmung 
komprimierter  und  Ausatmung  in  verdünnte  Luft  emp¬ 
fiehlt  S  p  i  e  s  s  (104).  Bei  Behandl  ung  von  Asthma 
br  onchiale  und  E  mph  y  se  m  bewährte  sich  S  teiner- 
Budapest  (105)  Lipojodin-Giba.  Das  Mittel 


Nr.  10. 


Fortschritte  der  medizin. 


185 


ist  von  angenehmem  Geschmack,  macht  keine  Magenbe¬ 
lästigungen,  und  wird  langsam  und  gleichmässig  resor¬ 
biert.  Man  gibt  täglich  1  bis  2  Tabletten  (Originalglas 
zu  10  Tabletten  1  Mark,  zu  20  Stück  1,90  Mark).  Im 
Anschluss  an  diese  Empfehlung  weist  St.  auf  das  hin, 
was  für  die  Güte  eines  Jodmittels  aus¬ 
schlaggebend  ist  :  1.  die  Verbindung  soll  in 

Fetten  und  Ölen  löslich  sein,  2.  die  Jodbindung  soll  so 
fest  sein,  dass  sie  von  verdünnten  Säuren  und  Laugen 
keine  Veränderung  erleidet,  3.  die  Resorption  der  Ver¬ 
bindung  und  Abspaltung  des  Jods  soll  gleichmässig 
langsam  vor  sich  gehen.  4.  Die  Substanz  soll  starke 
lipotrope  und  neurotrope  Eigenschaft  besitzen,  also 
polytrop  sein.  J  o  d  k  a  1  i  ist  nicht  sehr  geeignet, 
weil  es  nur  in  Wasser  löslich  ist.  Resorption  und  Aus¬ 
scheidung  erfolgen  auch  sehr  rasch.  (In  4  —  5  Minuten 
nach  Einnahme  im  Speichel  und  Urin  nachweisbar,  nach 
12  Stunden  sind  schon  40  bis  50  Proz.  des  einge¬ 
nommenen  Jodkalis  entfernt.)  Nicht  besser  sind  die 
Jodalbumine  wie  Jodomenin  ( Jodbismutalbumin  mit 
4,5  Proz.  Jodgehalt),  Projodin  (jodiertes  Milchalbumin 
mit  6,0  Proz.,  Jodtropon  (Jodalbumin)  mit  3  Proz. 
Jodalbacid  (jodöses  Eialbumin)  mit  5,6  Proz.,  Jodeigon 
(grösstenteils  unorganisch  gebunden)  mit  20  Proz  ,  Jod- 
g  1  i  d  i  n  e  (organisch  gebunden)  mit  3,5  Proz.  Jod¬ 
gehalt.  Sie  werden  ebenso  schnell  resorbiert  und  aus¬ 
geschieden  wie  Jodkali  und  sind  dabei  unverhältnis¬ 
mässig  teuer,  besonders,  wenn  man  den  Jodgehalt 
des  Jodkalis  (J5  Proz.)  mit  dem  dieser  Mittel  vergleicht. 
Dagegen  besitzen  die  J  o  d  f  e  t  t  s  ä  u  r  e  Ver¬ 
bindungen  starke  Speicherung sfähig- 
k  e  i  t.  Sie  zerfallen  in  solche  mit  niedrigem  Jodgehalt 
(J  o  d  i  v  a  1  :  17  Proz.,  J  o  d  i  p  i  n  10  und  25  Proz., 
S  a  j  o  d  i  n  26  Proz.)  und  solche  mit  hohem  Jodgehalt 
wie  L  i  p  o  j  o  d  i  n  (41,06  Proz.  Jod).  Sajodin  soll 
nach  St.  den  Nachteil  besitzen,  eine  Kalziumseife  zu 
sein  und  deshalb  häufiger  Magendarmstörungen  zu 
machen  ;  auch  soll  es  sich  infolge  zu  langsamer  Jodab¬ 
spaltung  zu  lange  aufspeichern  und  so  unkontrollierbai  e 
Joddepots  bilden.  Demgegenüber  soll  die  Jodab¬ 
sonderung  aus  Lipojodin  sehr  gleichmässig  vor  sich 
gehen  (Beginn  nach  120  Minuten  und  Ende  in  70  bis 
90  Stunden)  und  das  Mittel  eine  10  fache  Lipo- 
tropie  und  Leurotropie  besitzen  als  Sajodin.  (Bei 
Jodival  und  Jodkali  begann  die  Ausscheidung  nach 
10  bis  20  Minuten  und  endete  nach  30  bis  46  Stunden, 
bei  Sajodin  nach  3  bis  5  Stunden  und  endete 
in  zirka  140  Stunden).  Ich  würde  das  nun  für  kein 
so  grosses  Unglück  und  für  keinen  Nachteil  des 
Präparates  halten,  sondern  möchte  Jodipin  und  Sajodin 
abgesehen  von  den  sonst  noch  erwähnten  Nachteilen  als 
brauchbare  Jodpräparate  empfehlen.  Der  Vorzug  des 
Lipojodins  bleibt  natürlich  bestehen.  Überlegen  ist  ihm 
•eber  noch  das  Jo  dostarin  mit  47,5  Jodgehalt,  das 
in  Tabletten  von  0,25  g  in  den  Handel  kommt.  Es 
enthält  in  jeder  Tablette  0,16  g  Jod  gegenüber  0,012  g 
in  einer  Tablette  Lipojodin.  Dabei  kosten  20  Tabletten 
nur  1,60  Mark.  Hätte  also  Jodostarin,  was  mir  nicht 
bekannt  ist,  dieselbe  Speicherungsfähigkeit  wie  Lipo¬ 
jodin,  so  würde  das  Präparat  weit  billiger  in  der  An¬ 
wendung  sein,  da  es  in  einer  Tablette  mehr  wie  den 
10  fachen  Jodgehalt  besitzt.  Jedenfalls  kommt  alles  auf 
die  Verträglichkeit ,  Lösungsverhältnisse  und  Spei¬ 
cherungsfähigkeit  an,  nur  das  kann  der  Grund  sein,  dass 
man  mit  den  gegenüber  den  grossen  Jodmengen  des 
Jodkali  kleinem  Jodkonsum  ebenso  günstige  Wirkungen 
erzielt.  Ich  habe  das  Lipojodin  wie  das  Jodostarin  in 
über  100  Fällen  seit  Jahresfrist  mit  allerbestem  Erfolg 
angewandt  und  die  anderen  Mittel  zumeist  verlassen. 
Zweckmässig  ist  es,  mit  grösseren  Dosen  der  Präparate 
zu  beginnen,  so  in  den  ersten  beiden  Tagen  mit  je  4 
Tabletten,  dann  je  drei,  dann  e  zwei,  um  dann  auf  zwei 


mal  !/i  zu  bleiben,  um  nach  14  Tagen  mal  einige  Tage 
ganz  jodfrei  zu  leben. 

6  loetta  (106)  arbeitete  über  experimentelle  Patho¬ 
logie  und  I  herapie  des  Asthma  bron.chiale  und 
fand:  die  Expirationsbehinderung  und  ebenso  die  er¬ 
schwerte  Inspiration  ist  ausschliesslich  auf  Funktions¬ 
störung  der  Bronchialmuskulatur  zurückzu¬ 
führen.  Es  erhöht  sich  beim  Bronchokonstriktions- 
(Asthma)  Anfall  das  Expirationsvolumen  (Residual-  und 
Reserveluft),  sodass  die  Inspiration  von  einer  erhöhten 
Mittellage  aus  einsetzen  muss.  Durch  Injektion  von 
Atropin  und  Adrenalin  wird  dieser  pathologische  Zu¬ 
stand  wieder  rasch  in  den  normalen  zurückverwandelt. 
Als  Erklärung  für  diesen  dyspnoischen  Zustand  des 
Asthmatikers  ist  auszuführen:  1.  die  erhöhte,  ungewohnte 
und  unökonomische  Arbeitsleistung;  2.  die  Vergrösserung 
des  gesamten  Volumens  der  Lunge  und  dementsprechend 
eine  Erschwerung  der  Zirkulation,  die  ihrerseits  wieder 
eine  Mehrleistung  des  rechten  Ventrikels  verlangt: 
3.  eine  subjektive  sensible  Quote,  bewirkt  durch  das  an¬ 
dauernd  vermehrte  Volumen  des  Brustkorbes  bezw. 
seines  Inhalts  entsprechend  den  Druck-  und  Zerrungs¬ 
erscheinungen. 

Curschmann  -Mainz  (107)  teilt  einen  Fall  von 
Bronchotetanie  beim  Erwachsenen  mit.  Bisher  sind 
die  Fälle  vor  allem  bei  Säuglingen  beschrieben  worden. 
Der  Kranke  litt  seit  Jahren  an  Bronchialasthma,  hatte 
aber  alle  Zeichen  einer  latenten  Tetanie  (Chvostek-  und 
Erbsches  Zeichen).  Auf  Kalziumgaben  (Kalzium  lactic. 
1,0  viermal  täglich)  verschwanden  die  Anfälle.  Kalzium 
dämpft  die  Erregbarkeit  des  zentralen  und  peripheren 
Neurons  und  wirkt  sekretionshemmend.  Das  Mittel  muss 
monatelang  fortgereicht  werden,  der  Organismus  kann 
es  in  erheblichen  steigenden  Mengen  zurückhalten,  z.  B. 
(in  59  Tagen  64  g).  Später  kann  man  auf  2 — 12  g  den 
Tag  zurückgehen.  Adrenalin  ist  hier  kontraindiziert. 

Ebenfalls  Kalzium  in  Form  von  Chlork.dzium 
crystall.  pur.  (100:500  Aqu.  dest  3mal  täglich  einen 
Teelöffel)  in  einem  V4  Glas  Wasser)  empfehlen 
Emmerich  und  Loew  (108).  Das  Mittel  bewährte 
sich  in  allerdings  monate-,  ja  jahrelanger  Anwendung 
als  Heilmittel  bei  Heufieber.  Auch  andere  Vorzüge 
rühmen  ihm  die  Autoren  nach:  Erhöhung  der  körper¬ 
lichen  Leistungsfähigkeit,  Besserung  des  Schlafes,  Hebung 
der  Widerstandsfähigkeit  gegen  Infektionskrankheiten, 
Steigerung  der  Diurese  und  damit  Gewichtsabnahme. 
(Leider  sind  diese  Empfehlungen  in  die  Tagespresse  so¬ 
fort  übergegangen,  und  ich  werde  z.  B.  fortgesetzt  um 
die  Verordnung  dieses  Allheilmittels  angegangen:  Noch 
unangenehmer  ist,  dass  Autoren,  ungewollt  natürlich,  zu 
Schrittmachern  für  ein  anderes  Mittel  wurden,  das  jetzt 
mit  Riesenreklame  an  Lungentuberkulose  vertrieben 
wird:  das  Kalziol.  Das  ist  im  Interesse  unserer 
Kranken  sehr  zu  bedauern.  Aber  nach  dem  famosen 
Beispiel,  das  neulich  im  Reichstag  gegeben  wurde,  wo 
ein  Abgeordneter  —  —  natürlich  Nichtarzt  —  —  den 
Reichskanzler  nach  dem  Stande  der  Anwendung  von 
„M  a  1  1  e  b  r  e  i  n“  fragt  und  ihm  gleichfalls  einige 
sehr  empfehlende  Worte  mit  auf  den  Weg  gibt,  nimmt 
uns  ja  nichts  mehr  Wunder.  Die  ablehnende  Antwort 
des  Dezernenten  war  die  richtige.  Es  würde  eine  bei¬ 
spiellose  Reklame  werden,  wenn  in  dieser  Form  für 
medizinische  Präparate  gewirkt  würde.  Hier  traf  es  ja 
nun  ein  Mittel,  über  dessen  Unbrauchbarkeit  bei  der 
Tuberkulosebehandlung  ich  schon  in  früheren  Referaten 
ausführlich  sprach.) 

II.  Teil 

der  Literaturangaben. 

52.  Aronsohn.  Experimentelle  Untersuchungen  über 
Tuberkulin  und  Tuberkulose.  (D.  m.  W.  1914,  Nr.  10.) 

53.  R  u  p  p  e  1.  Tuberkuline.  (D.  m.  W.  1913,  Nr.  50.) 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  i<i. 


186 


54.  M  u  c  h.  Neue  Tuberkuloseprobleme  (Tuberkulosis 
1013,  Nr.  9.) 

55.  A  r  i  m  a.  Die  Verminderung  der  Tuberkelbazillen 
im  strömenden  Blut  bei  der  Tuberkulinbehandlung.  (Zschr.  f 
Tbc.  Band  21,  Nr.  4.) 

5G.  v.  Holten.  Das  Tuberkulol  und  seine  Wirkung 
im  Verhältnis  zu  der  anderer  Tuberkuline.  (Beitr.  z.  Kl.  d. 
Tbc.  Band  30.  Heft  1.) 

bi.  B  1  ü  m  e  1.  Die  Wahl  unter  den  verschiedenen  Tuber¬ 
kulinen.  (M.  m.  W.  1 9 1 1 ,  Nr.  34.) 

58.  B  1  ü  m  e  1.  Die  ambulante  Behandlung  der  Lungen¬ 
tuberkulose.  Lehrbuch.  (Urban  und  Schwarzenberg  1913. 
0, —  Mk.) 

59.  Kollert.  Über  die  Stärke  der  verschiedenen  Tuber¬ 
kulinpräparate.  (Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc.  Band  30.  Heft  1.) 

00.  Schultz.  Weitere  Mitteilungen  über  Eisentuber¬ 
kulin.  (Ebenda  Band  29.  Heft  1.) 

61.  Lichtenstein.  Erfahrungen  mit  dem  Tuber¬ 
kulin  Rosenbach  bei  der  Behandlung  chirurgischer  Tuberkulosen. 
(Archiv  f.  kl.  Chirurgie.  Band  102.  Heft  4.) 

02.  C  u  n  o.  Erfahrungen  mit  Tuberkulin  Rosenbach. 
(M.  m.  W.  1913,  Nr.  45.) 

03.  B  e  r  g  m  a  n  n.  Unsere  Erfahrungen  mit  Tuberkulin 
Rosenbach.  (Therapie  der  Gegenwart  1913,  Nr.  11.) 

64.  P  a  c  h  n  e  r.  Beobachtungen  über  die  Wirksamkeit 
des  Tuberkulosemuzius  Weleminsky  in  der  Anstalts¬ 
behandlung.  (Zschr.  f.  Tbc.  Band  21.  Heft  0.) 

05.  G  u  c  h.  Über  Tuberkulosemucin  Weleminsky.  (Ebenda. 
Band  21.  Heft  6.) 

06.  Mülle  r.  Die  Tuberkulose  im  Kindesalter,  ihre  Be¬ 
handlung  und  Prophylaxe.  (M.  Kl.  19 i 4,  Nr.  4.) 

07.  V  u  1  p  i  u  s  und  Laubenheimer.  Ein  Todes¬ 
fall  infolge  Anwendung  des  Friedmann  sehen  Tuber¬ 
kulosemittels.  (D.  m.  W.  1914,  Nr.  10.) 

08.  S  u  e  s  s.  Über  ambulatorische  Tuberkulinbehandlung. 
(M.  Kl.  1914,  Nr.  4.) 

69.  D  ü  b  i.  Über  die  wissenschaftlichen  Grundlagen  der 
Sahli  sehen  Methode  der  Behandlung  der  Tuberkulose  durch 
multiple  kutane  Tuberkulinimpfung.  i^ßeitr.  z  Kl.  d.  Tbc. 
Band  29.  Heft  2.) 

70.  Petruse  h  k  y.  Grundriss  der  spezifischen  Diagnostik 
und  Therapie.  (Leineweber,  Leipzig,  gebd.  5, —  Mk.) 

71.  Petruschky.  Über  eine  Vereinfachung  der 
spezifischen  Therapie  für  die  spezifische  Tuberkulosebekämpfung 
im  grösseren  Stil.  (Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc.  Band  30.  Heft  1  ) 

72.  Meissen.  Zur  Chemotherapie  der  Tuberkulose. 
Die  Toxizität  des  Kupfers.  (Zschr.  f.  Tbc.  Band  21.  Heft  5.) 

73.  Eggers.  Erfahrungen  mit  der  Kupferbehandlung 
bei  innerer  und  äusserer  Tuberkulose.  (Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc. 
Baud  29.  Heft  2.) 

74.  S  t  r  a  u  s  s.  Die  äussere  Tuberkulose,  spez.  Haut- 
luberkulose  und  ihre  Behandlung  mit  Lezithinkupfer  (Lekutyl). 
tSirahleutherapie.  Band  3.  Heft  2.) 

75.  Straus  s.  Weiterer  Beitrag  ^Anleitung)  zur  Be¬ 
handlung  der  Haut-  und  chirurgischen  Tuberkulose  mit  Lekutyl 
t  Lezithin kupfer).  (M.  Kl.  1914,  Nr.  2.) 

76.  Borchardt.  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Lungeuchirurgie  (Zeitschrift  für  ärztliche  Fortbildung  Bd.  21. 
lieft  13). 

77.  D  e  n  e  k  e.  Über  den  künstlichen  Pneumothorax. 
^Tuberkulosis  1  9 1 3,  Nr.  11) 

78.  B  r  e  c  c  i  a.  Zur  Frage  des  künstlichen  Pneumo¬ 
thorax.  (Beitr.  z  Kl.  d.  Tbc  Band  29.  Heft  1.) 

79.  S  a  m  s  o  n.  Weitere  Erfahrungen  mit  dem  künstlichen  | 
Pneumothorax  bei  Lungentuberkulose  (Zschr.  f.  Tbc  Bd  21 
lieft  3.) 

80.  Real.  Künstlicher  Pneumothorax  während  der 
Schwangerschaft.  (Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc.  Band  29.  Heft  3.) 

81.  Brun  s.  Über  die  praktische  Bedeutung  der  Zirku- 
lationsänderungen  durch  einseitigen  Lungenkollaps  bei  thera¬ 


peutischen  Eingrifien  an  der  Lunge.  (Beitr.  z.  Kl.  d.  Tbc 
Band  29.  Heft  2.) 

82.  Mayer.  Die  Behandlung  der  kavernösen  Phthise 
durch  extra-  und  intrapulmonale  Pneumolyse.  (D.  m.  W  1913 
Nr.  48.) 

83.  G  w  erde  r.  Die  Plombierung  der  tuberkulösen 

Lunge.  (M.  m.  W.  1913.  Nr.  48.) 

84.  Alexander.  Meine  Behandlungsmethode  der 
Lungentuberkulose  mit  subkutanen  Injektionen  von  Ol.  camphorat 
offic.  (M.  Kl.  1913,  Nr  52.) 

85.  M  o  s  b  e  r  g.  Sudianbehandlung  der  Tuberkulose 

(M.  Kl.  1914,  Nr.  0.) 

80.  F  i  s  c  h  e  1  und  Schönwald.  Beitrag  zur  ender- 
matischen  Behandlung  der  Lungentuberkulose.  (M.  Kl.  1914, 
Nr.  5.) 

87.  M  a  u  t  z.  Prüfung  der  Magenfunktionen  bei  Tuber¬ 
kulose.  i Zschr.  f.  Tbc.  Band  2l.  Heft  3) 

88.  Weil  Über  Diarrhoe  und  unsere  Autidiarrhoica 

(D.  m.  W.  1913,  Nr  40) 

89.  K  ö  n  i  g  e  r  Neuere  Forschungen  über  die  Be¬ 

ziehungen  zwischen  Pleuritis  und  Tuberkulose  (Tuberkulosis 
1913,  Nr.  11.) 

9>'.  B  e  s  s  e  1  Punktion  und  Insuff  lation  bei  exsudativer 
Pleuritis.  (Zschr.  f.  Tbc  Band  21.  Heft  3.) 

91.  Spengler  und  Sauerbruch.  Die  chirurgische 
Behandlung  der  tuberkulösen  Pleuraexsudate.  (M.  m.  W.  19  4, 
Nr  1.) 

92.  M  a  y  e  r.  Experimentelle  und  klinische  Mitteilungen 
über  die  nach  Pneumothoraxoperationen  auftretenden  Pleura¬ 
ergüsse  (Beitr.  z.  Kl.  d  Tbc.  Baud  29  Heft  1  ) 

93.  Hochhaus.  Über  Hämoptoe.  ^Tuberkulosis  1  9 1 3. 
Nr.  11.) 

94  Wolf  f.  Über  tuberkulöse  Perikarditis.  (Beitr.  z. 
Kl.  d  Tbc.  Band  30.  Nr.  1.) 

95  Schönberg.  Über  tuberkulöse  Schrumpfnieren. 
(Zschr.  f.  kl  in  Mediz.  Band  78.  Heft  5 — 0.) 

96.  v.  M  ural  t.  Die  nervösen  und  psychischen 
Störungen  der  Lungentuberkulosen.  (M.  Kl.  1913,  Nr.  44 
und  40.) 

97.  Engel  Die  Skrofulöse  und  ihre  Behandlung.  (M. 
Kl.  51,  1913.) 

98.  Bittrolf  f  Die  Behandlung  der  Rippen-  und 
Brustbeintuberkulose  mit  Röntgenstrahleu.  (M.  m.  W.  1914, 
Nr.  7.) 

99  Ritter.  Das  Problem  des  Wesens  und  der  Be¬ 
handlung  des  Keuchhustens.  (D.  m.  W.  19:4,  Nr  6) 

100.  0  c  h  s  e  n  i  u  s.  Über  Keuchhusten  und  seine  Be¬ 
handlung  (Therapie  d.  Gegenwart  1913.  Heft  11.) 

10'.  Cr  a  m  e  r.  Keuch  husten behandlung  mit  Droserin. 
(B.  Kl.  W  1913,  Nr.  49) 

102.  II  ö  t  z  e  1.  Neue  Gesichtspunkte  für  die  therapeutische 
Anwendung  des  Kampfers  in  bezug  auf  die  Behandlung  der 
Lungenentzündung.  (M.  m.  W.  19  3,  Nr.  50.) 

103.  Bell  ren  roth.  Zur  Diagnose  und  Therapie  des 
Lungenechinokokkus.  (D.  m.  W.  1913,  Nr.  46.) 

104.  S  p  i  e  s  s.  Neuer  transportabler  Apparat  zur  Ein¬ 
atmung  komprimierter  und  Ausatmung  in  verdünnte  Luft.  (D. 
m.  W.  1913,  Nr.  51.) 

105.  Steiner.  Behandlung  von  Asthma  bronchiale 
und  Emphysem  mit  Lipojodin.  (D.  m.  W.  1913,  Nr  51.) 

100.  C  1  o  e  t  t  a.  Zur  experimentellen  Pathologie  und 
Therapie  des  Asthma  bronchiale  (Archiv  f  expermt.  Pathol 
u.  Pharmak.  Band  73.  Heft  3.) 

107.  Curschmann.  Zur  Frage  der  Bronchotetanie 
der  Erwachsenen  und  ihre  Behandlung  mit  Kalzium.  (M.  m. 
W.  1914,  Nr.  6.) 

1 08.  Emmerich  und  L  o  e  w  :  Erfolgreiche  Behand¬ 
lung  des  Heufiebers  durch  lange  Zeit  fortgesetzte  tägliche  Chlor¬ 
kalziumzufuhr.  (M.  m  W.  1913,  Nr.  48,) 


Nr.  19. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


187 


Referate  und  Besprechungen. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

F.  R.  Mühlhaus,  Berichte  über  die  Neuerscheinungen 
aut  dem  Gebiete  der  Chirurgie  und  Orthopädie.  —  Hoh- 
mann,  Lange  und  Schede  in  München,  Kriegsortho¬ 
pädie  in  der  Heimat.  Fortsetzung  und  Schluss.  (M.  m.  W. 
lyl6,  Nr.  7.  u.  8.) 

H  o  h  m  a  n  n  betont  bei  Besprechung  der  Nerven¬ 
verletzungen  die  Notwendigkeit  des  operativen  Vor¬ 
gehens,  da  bei  Nervenschuss  Verletzungen,  bei  denen  lang  dauernde 
medico-tnechanische  Behandlungen  das  funktionelle  Bild  der 
betreffenden  Extremität  nicht  weiter  zu  beeinflussen  vermögen, 
nur  durch  die  operative  Therapie  die  Wiederkehr  der  Nerveu- 
funktion  möglich  ist.  Jeder  verletzte  Nerv,  der  faradisch  uuer- 
regbar  bleibt,  galvanisch  vielleicht  noch  geringe  Muskelreaktion 
aufweist,  hat  nur  Aussicht,  nach  operativer  Beseitigung  des 
Leitungshindernisses  stromdurchgäugig  zu  werden 

Freilich  sind  wir  ja  noch  nicht  soweit,  schlechtweg  von 
einem  allgemeinen  positiven  Resultat  der  Nervennähte  sprechen 
zu  können.  Es  stehen  leider  noch  sehr  häufig  die  theoretischen 
Annahmen  absolut  in  keinem  günstigen  Verhältnis  zu  den  tat¬ 
sächlichen  Erfolgen,  sodass  man  teilweise  in  Bewertung  der 
Nervenoperationen  zwecks  funktioneller  Restitution  der  Sehnen¬ 
verpflanzung  den  Vorzug  gegeben  hat  Andererseits  sind  aber 
die  Nervennähte  dieses  Krieges  noch  zu  jungen  Datums,  um 
schon  jetzt  eine  endgültige  Prognose  hierüber  abgeben  zu 
können. 

Hohmann  hat  reiches  Material  an  Nervennähten  gesammelt 
und  steht  auf  dem  Standpunkt  der  frühzeitigen  Operation. 
(Demonstration  von  Fällen,  die  6 — 8  Wochen  nach  der  Ver¬ 
letzung  mit  Erfolg  genäht  wurden.)  Nach  Heilung  der  äusseren 
Wunde  ist  die  Indikation  zum  Freilegen  des  Nerven  gegeben. 

Neurome  sind  ebenfalls  operativ  anzugehen,  da  in  dem 
narbig-durohwucherten  Perineurium  die  Ursache  der  Kontinui¬ 
tätstrennung  der  Nervenbahnen  zu  erblicken  ist.  Bei  kompletter 
Kontinuitätstrennung  kommt  die  Resektion  des  Neuroms  in 
Frage,  bei  inkompletter  Trennung  die  Ausbettung  des  Nerven 
aus  dem  Narbengewebe  mit  partieller  Naht,  sodass  der  intakt 
gebliebene  Nerventeil  sich  der  Entspannung  gemäss  in  eine 
Schleife  legt. 

Hohmann  hat  seine  Nervennähte  sowohl  nach  Foramitti 
mit  Umscheidung  des  genähten  Nervens  mittels  präparierter 
Kalbsarterie,  als  auch  mit  Isolierung  der  Nahtstelle  durch 
transplantierte  Faszienlappen  ausgeführt  und  hierbei  in  beiden 
Methoden  keine  wesentlich  unterschiedlichen  Resultate  erzielt. 
Die  Nervennaht  an  sich  soll  möglichst  nur  in  Perineuriumnaht 
bestehen.  Die  Nachbehandlung  wird  in  sorgsamer  medico- 
mechanischer  und  galvanischer  Therapie  bestehen,  jedoch  ist 
vor  Ablauf  eines  grösseren  Zeitabschnittes  (6  —  8  Monate)  bei 
der  eminent  langsamen  Regenerationsfähigkeit  der  Nervenapparate 
keine  endgültige  Prognose  der  Nervennaht  zu  stellen. 

Jedenfalls  steht  das  Gebiet  der  Nervennähte  noch  auf 
experimentellem  Boden  und  die  lebhafte  Literatur  über  dieses 
Kapitel  beweist  die  Ungeklärtheit. 

Lange  spricht  über  Ersatz  gelähmter  Muskeln  durch 
Sehnenverpflanzung  gesunder  Muskeln.  Sein  Be¬ 
streben  geht  dahin,  die  weniger  funktionswichtigen  Muskeln 
zum  Ausgleich  der  funktionsuutüchtig  gewordenen  wichtigen 
Muskelpartien  zu  verwerten.  Die  Demonstration  zweier  Fälle,  bei 
denen  M.  teusor  fasciae  und  M.  gracilis  den  gelähmten 
Quadriceps  erfolgreich  ergänzen,  spricht  für  die  Leistungsfähig¬ 
keit  dieser  Methode  am  Oberschenkel. 

Auch  die  Frage  der  Handfunktion  wird  nach  Ablauf  der 
gewöhnlichen  Wartezeit  von  6  —  8  Monaten  nach  erfolgter 
Nervennaht  bei  unbefriedigendem  Resultat  in  der  Sehnenver¬ 
pflanzungsmethode  ihre  letzte  Lösung  finden.  Doch  sind  hier 
die  Verhältnisse  wegen  der  geringen  Zahl  weniger  wichtiger 
Muskeln  ungleich  schwieriger  als  am  Oberschenkel.  Wahr¬ 
scheinlich  wird  man  bei  Lähmungserscheinungen  der  Finger¬ 


muskulatur  eher  auf  die  Beweglichkeit  des  Handgelenkes  ver- 
zichten  zu  Gunsten  brauchbarer  Fingerbewegungen. 

Zur  Mobilisation  versteifter  Gelenke  empfiehlt  Lange 
das  unblutige  Redressement  unter  Blutleere,  ein 
Verfahren,  das  nur  Anwendung  bei  Gelenkverhältnissen  finden 
kann,  bei  denen  die  Versteifung  nicht  auf  primärer  Infektion 
beruht,  sondern  sich  als  Folgeerscheinung  der  Inaktivität  mani¬ 
festiert.  Dies£  Methode  ist  in  erster  Linie  bei  Inaktivitäts¬ 
versteifungen  der  Finger  und  Handgelenke  am  Platz.  Schede 
schildert  auch  eine  Schultergelenkversteifung,  die  aus  einer 
Schussverletzung  des  Deltamuskels  mit  Eiterung  aus  dem 
Schultergelenke  resultierte.  Durch  Redressieren  in  Narkose 
trat  zwar  im  Gelenke  selbst  keine  Besserung  der  Beweglichkeit 
auf,  jedoch  gelang  es  nun  dem  Pat.  mit  Zuhilfenahme  der 
Skapula  die  Elevationsmöglichkeit  des  Armes  um  60  0  zu  er¬ 
höhen.  Selbstverständlich  trat  in  diesem  Fall  des  Redresse¬ 
ments  eines  primär  infizierten  Gelenkes  für  kurze  Zeit  wieder 
eine  Fistelbildung  auf.  Im  übrigen  empfiehlt  Schede,  um 
der  Schwerkraft  entgegenzuarbeiten  und  um  so  einerseits  eine 
Überdehnung  des  Deltamuskels,  andererseits  eine  Verkürzung 
der  Armadduktoren  zu  verhüten,  die  Dauerbehandlung  des 
versteiften  Schultergelenkes  in  den  von  ihm  konstruierten 
Apparaten,  eine  Methode,  die  sich  auch  gut  bewährt  hat. 

Bei  vollständigen  Ankylosen  bleibt  noch  die  blutige 
Gelenkmobilisation  mit  Interposition  von  transplantierten  Faszien¬ 
oder  Muskellappen  übrig.  Die  Resultate  derartiger  Eingriffe 
vermögen  natürlich  nicht  .die  Beweglichkeit  normaler  Gelenk¬ 
verhältnisse  herzustellen  ;  das,  was  erreicht  werden  soll,  ist  die 
gewollte  Pseudarthrose,  womit  auch  funktionell  brauchbare  Er¬ 
folge  erzielt  werden,  ohne  sich  dabei  in  die  Gefahr  der 
Bildung  eines  Schlottergelenkes  zu  begeben.  Lange  schildert 
ausführlich  die  Technik  der  blutigen  Mobilisation  des  Ellen¬ 
bogengelenkes,  eine  Operation,  die  grosse  Geschicklichkeit  an 
den  Operateur  stellt  Die  Skelettmassen  der  Ankylose  werden 
vollständig  freipräpariert  sowohl  auf  der  Aussen -Rückseite  mit 
der  Kocher’schen  Schnittführung  als  auch  auf  der  Beugeseite 
uuter  Freipräparieren  des  Radialis  und  Ulnaris  und  unter 
Hochheben  der  gesamten  Beugeweichteilmassen  mit  Einschluss 
des  Medianus  und  der  grossen  Gefässe.  So  bekommt  man 
das  ankylosierte  Gelenk  frei  und  meisselt  in  exakter  Arbeit 
die  Verhältnisse  eines  normalen  Gelenkes  heraus  Interposition 
von  Fett-  oder  Muskellappen  bewahrt  vor  neuerlichem  Zu¬ 
sammenwachsen. 

Die  Resultate  Lan  ge’s  mit  dieser  Operation  sind  als 
recht  erfreulich  zu  bezeichnen.  Bei  den  infiziert  gewesenen 
Gelenkverhältnissen  ist  freilich  bei  jeder  derartigen  Operation 
mit  der  Möglichkeit  der  Infektionsaufflackerung  zu  rechnen, 
doch  ist  wegen  der  schönen  Resultate,  die  Lange  mit  der 
blutigen  Ellenbogengelenksmobilisation  erzielt  hat,  trotz  des 
Risikos  diese  Methode  zu  empfehlen. 

Die  Übersicht ,  die  Hoh  m  a  n  n ,  Lange  und 
Schede  für  die  Kriegsorthopädie  in  der  Heimat  gegeben 
haben,  greift  in  klaren  Worten  das  Wesentliche  heraus  und 
wird  mit  dazu  beitragen,  den  in  den  Heimatlazaretten  chirurgisch 
und  orthopädisch  tätigen  Ärzten,  die  auf  diesem  Gebiete  eine 
weniger  spezielle  Ausbildung  erfahren  haben,  die  erforderlichen 
Massnahmen  stets  vertrauter  zu  machen  zum  Heil  uuserer  ver¬ 
wundeten  Soldaten. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Prof.  Dr.  Ernst  Weber,  Über  ein  neues  Verfahren 
zur  objektiven  Feststellung  bestimmter  nervöser  Störungen  und 
ihre  Beseitigunir.  (Die  Ther.  d.  Ggw.  1916,  Heft  1). 

Verfasser  prüft  auf  plethysmographischem  Wege  das  Ver¬ 
halten  der  Gefässuerven  durch  objektive  Registrierung  der  Ver¬ 
änderungen  der  Weite  der  Blutgefässe  bei  bestimmten  Reizen, 
von  denen  er  festgestellt  hat,  dass  ih:e  Wirkung  auf  die  Blut¬ 
gefässe  eine  zentral  verursachte  ist,  also  auf  den  ganzen  Körper 


188 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  19 


sich  erstreckt,  dass  sie  ferner  bei  sich  normal  verhaltenden 
Menschen  immer  in  der  gleichen  Weise  eintritt  und  nur  bei 
Schädigungen  des  Zentralorgans  durch  allerlei  Einflüsse  in  ver¬ 
änderter,  ja  völlig  umgekehrter  Weise  eintritt. 

Strauss  -  Mannheim. 

Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

G.  Klemperer,  l’rovidoforin  bei  Diphtheriebazillenträgern. 
(Ther.  d.  Ggwart.  1916,  Heft  1). 

Zur  Anwendung  gelangte  die  Pinselung  mit  unverdünnter 
5°/0  Tinktur  des  Providoforms  und  zwar  wurden  alle  Patienten, 
die  am  Schluss  der  dritten  bis  vierten  Krankheitswoche  noch 
nicht  bazilleufrei  waren,  vier  bis  acht  Tage  lang  'täglich  einmal 
mit  der  Tinktur  energisch  im  Ilals  gepinselt  Die  Wirksamkeit 
des  Providoforms  entsprach  ungefähr  derjenigen  der  Jodtinktur. 
Als  ein  in  allen  Fällen  wirksames  Mittel  ist  auch  das  Provido- 
form  nicht  zu  bezeichnen.  Straus  s -Mannheim. 

Dr.  Ernst  Schloss,  Zur  Therapie  der  Rhachitis.  (J. 
f.  Kinderhk.,  83.  Bd,  Heft  1  u.  frühere). 

In  zahlreichen  schon  früher  veröffentlichten  Stoff wechsel¬ 
versuchen  hatte  Schloss,  zum  Teil  in  Gemeinschaft  mit  Frank, 
die  Wirkung  des  Lebertrans,  der  Kalksalze  und  der  gleich¬ 
zeitigen  Verabreichung  beider  auf  den  Salzstoffwechsel  des 
Säuglings  untersucht  und  stellt  nun  als  Resultat  zusammen¬ 
fassend  fest:  Beim  Brustkind  ist  das  Resultat  der  alleinigen 
Lebertrauzugabe  nicht  eindeutig,  die  Möglichkeit  einer  günstigen 
Wirkung  jedoch  festgestellt.  Bei  der  alleinigen  Kalktherapie 
(Calc.  acetic)  wird  nur  die  Kalk-,  nicht  auch  die  Phosphorsäure¬ 
bilanz  verbessert;  bei  kalk-  u.  phosphorhaltigen  Präparaten 
(Tricalciumphosphat  oder  organische  Präparate  wie  Plasmon, 
Tricalcol)  bessern  sich  beide.  Das  Maximum  der  Wirksamkeit 
im  Stoffwechselversuch  kommt  jedoch  immer  der  kombinierten 
Behandlung  mit  Lebertran  und  Kalkphosphorpräparaten  zu. 
Ganz  ähnlich  ist  das  Resultat  der  Stoffwechselversuche  bei 
künstlich  genährten  Kindern.  Die  günstige  Wirkung  setzt  sich 
auch  nach  Aussetzen  der  Therapie  noch  fort. 

Strauss-  Mannheim 


Medikamentöse  Therapie. 

v.  T  h  u  r  n  e  r  und  Fr.  Th.  Münzer,  Über  Carbovent, 
eine  neue  Tierkohle.  (Die  Ther.  d  Ggwart  1916,  Heft  1). 

Die  Verfasser  sahen  gute  Resultate  bei  typhösen  Prozessen 
von  der  Verabreichung  von  2 — 3  Esslöffel  Kohle  in  1  2  Liter 
Wasser  pro  Tag.  Strauss-  Mannheim. 

G.  Klemperer,  Solarson,  ein  wasserlösliches  Arsen¬ 
präparat  aus  der  Elarsongruppe.  (Ther.  d.  Ggwart  19 16,  Heft  1). 

1  °/o  fge  Solarsonlösung  in  laugsam  steigenden  Mengen 
subkutan  injiziert  hatte  günstige  Wirkung  in  Fällen  von  sekundärer 
Anämie,  allgemeiner  Schwäche,  Neurasthenie  und  Neuralgie. 

Strauss  -  Mannheim. 


Bücherschau. 

F  assbender,  Die  technischen  Grundlagen  der  Elektro¬ 
medizin.  (Verlag  von  Friedrich  Viebig  &  Sohn,  Brauusch weig.) 

Mit  Recht  weist  der  Verfasser  darauf  hin,  dass  der  Arzt, 
der  sich  mit  Elektromedizin  beschäftigt,  auch  die  physikalischen 
Grundlagen,  wenigstens  einigermassen  beherrschen  muss,  der 
Techniker,  bezw.  der  Physiker  muss  mit  dem  Mediziner  Zu¬ 
sammengehen.  Sie  müssen  sich  gegenseitig  zu  ergänzen  suchen. 
Man  muss  zugeben,  dass  es  Fassbender  gelungen  ist,  in 
der  vorliegenden  Schrift  die  teilweise  recht  schwierigen  physi¬ 
kalischen  Probleme  auch  einem  auf  diesem  Gebiete  weniger 
bewanderten  leicht  fassbar  zu  machen,  ohne  ihn  mit  Neben¬ 
sächlichem  zu  stark  zu  belasten. 

Es  werden  nacheinander  abgehandelt  die  Diathermie,  die 
elektrische  Temperaturmessung  in  der  Medizin,  die  Röntgen¬ 
technik  und  der  Elektrokardiograph.  N  e  u  m  a  n  n. 

Steckei,  Der  Wille  zum  Schlaf.  (Altes  und  Neues 
über  Schlaf  und  Schlaflosigkeit.  Ein  Vortrag.  Wiesbaden, 
Verlag  von  J.  F.  Bergmann,  1915,  Preis  1.40  Mk.) 

Es  ist  eigentlich  erstaunlich,  wie  wenig  wir  über  den 


Schlaf,  über  das  Zustandekommen  des  Schlafes  und  über  die 
während  desselben  sich  im  Gehirn  abspielenden  Vorgänge 
wissen.  Bei  der  Lektüre  des  Stecke  l’schen  Buches  kommt 
dem  Leser  das  so  recht  zum  Bewusstsein.  S  t  e  c  k  e  1  hat  in 
sehr  anziehender  Weise  das  Wenige,  was  wir  physiologisch 
wissen,  zusammengetragen  und  manches  Eigene  dazugegeben. 
Man  folgt  seinen  Ausführungen  gern  und  es  ist  recht  interessant, 
sich  von  dem  Traumdeucer  Steckei  über  Schlaf  und  Träume 
befehlen  zu  lassen  und  aus  seinen  Ausführungen  zu  ersehen, 
wie  so  manche  leichte  Brücke  aus  dem  Reiche  des  Aberglaubens 
hinüberführt  in  das  Gebiet  der  festbegrüudeten  Wissenschaft. 

N  e  u  m  a  n  u. 

R öhmheld,  Von  militärärztlicher  Beurteilung  und  Behand¬ 
lung  der  Magen-  und  Darmkrankheiten  im  Krieg.  (Sep.  Druck 
aus  Deutsche  med.  Wochenschrift,  47,  1915.) 

In  den  sehr  beachtenswerten  Ausführungen  tritt  der  Ver¬ 
fasser  dafür  ein,  die  an  Magen-  und  Darmkrankheiten  leiden¬ 
den  Kriegsbeschädigten  besonders  hierfür  eingerichteten  Laza¬ 
retten  zuzuführen,  weil  nur  auf  diese  Weise  das  Heer  von 
der  unnötigen  Belastung  durch  früher  oder  später  doch  un¬ 
brauchbar  werdende  Verdauungskranke  bewahrt  wird.  In  den 
allgemeinen  Lazaretten  kann  auf  diese  Kranken  meist  nicht 
die  nötige  Zeit  verwandt  werden  und  es  kommt  dann  nicht  zu 
einer  klinisch  exakten  Diagnose,  welche  aber  für  die  Prognose 
und  damit  auch  für  die  Frage  der  Dienstbrauchbarkeit  und  die 
Form  der  Dienstfähigkeit  absolut  notwendig  ist. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Neuere  Medikamente. 

Jothion :  Dijodhydroxypropan.  Dicke,  schwach  gelbliche 

Flüssigkeit  von  eigenartigem  Geruch  und  neutraler  Reaktion. 
Jodgehalt  ca.  80%.  In  Wasser  fast  unlöslich,  in  Alkohol, 
Äther  und  fetten  Ölen  leicht  löslich. 

Neues  Jodpräparat  für  epiderma  tische 
A  n  w  e  n  d  u  n  g.  Ersatz  für  interne  Jodkalimedikation, 
sowie  für  Jodtinktur,  Jodkalisalbe,  Jodvasolimente  etc.  Vor- 
tiefl liehe  Resorbierbarkeit  (bis  zu  50  °/o)  bei  gleichzeitigem 
Fehlen  übler  Nachwirkungen.  Bei  tertitären  syphilitischen 
Aflektionen,  Knochenhaut-  und  Gelenkentzündungen,  Blut¬ 
ergüssen,  Drüsenanschwellungen ,  Pleuritis,  Bronchialasthma, 
Arteriosklerose,  Prostatitis,  Nebenhodenentzündung,  tuber¬ 
kulösen  Periostitiden  usw.  In  der  Gynäkologie  als  Ersatz 
für  Ichthyol,  Thigenol  usw. 

Anwendung:  Zum  Einpinseln  auf  die  Haut  in  5 
bis  10  bis  20ü/0iger  Verdünnung  mit  Olivenöl  oder  mit 
Alkohol-Glyzerin  (3—5%)  zum  Einreiben  in  Form  von 
b  10 — 20%iger  Lanolin-Vaselin-Salbe.  Bei  Metritiden : 
2°/uioe  Vaginalkugeln  („Jovagin**  der  Austria-Apotheke  in 
Wien).  (Bayer.) 

Isatophan  :  8-Methoxy-2-Phenylchinolin*4-carbonsäure. 

Indikationen:  Siehe  Atophan.  Isatophan  hat  bei 
gleicher  Wirkung  einen  besseren  Geschmack  als  Atophan. 

Anwendung  und  Dosierung:  Vgl.  Atophan. 

Originalpackung:  Röhrchen  zu  20  Tabl.  ä  0,5  g. 
Chemische  Fabrik  auf  Aktien  (vorm.  E.  Schering). 

Isopral:  Trichlorisopropylalkohol.  Leicht  flüssige,  schon  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  sublimierbare  Kristalle  von  kampfer¬ 
artigem  Geruch  und  etwas  stechendem  Geschmack.  In  Alkohol 
und  Äther  ist  Isopral  leicht,  in  kaltem  Wasser  zu  ca  3  % 
löslich 

H  y  p  n  o  t  i  c  um  u.  a.  Ersatz  für  Chloralhydrat,  geringe 
Wirkung  auf  die  Herztätigkeit.  Besondere  Indikationen: 
Epilepsie,  Eklampsie  der  Kinder. 

Dosis:  0,5 — 0,75  —  1  g  bei  leichter  und  mittelschwerer 
Schlaflosigkeit;  1  — 1,5  bis  2  g  bei  Erregungszuständen. 

Darreichung:  In  Lösung  mit  Aq.  menth.  pip.  am 
besten  in  Form  von  Dragees.  Als  Klysma  mit  schleimigen 
Vehikeln.  Einreibungen  in  50%iger  Lösung  (mit  Alkohol 
und  Ricinusöl).  (Bayer.) 

Isopraltabletten  ä  0,25  resp.  0,5  g.  Nr.  X  oder  Nr.  XX. 
Originalpackung. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


— 1915/16. 

Tortschritte  der  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  mitwirkung  hervorragender  Tattonänner 

herausgegeben  von 

I..  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

V  erant  wörtliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  20 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


20.  April 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Neueres  zur  Klinik  der  Nephritis. 

Von  Dr.  G.  Löffler. 

Nach  einem  Vortrag  im  ärztlichen  Verein  zu  Frank¬ 
furt  a.  M.,  am  3.  Januar  1916. 

Der  Ausbau  der  pathologischen  Physiologie  und 
ihr  Einfluss  auf  fast  alle  Gebiete  der  inneren  Medizin 
brachte  im  letzten  Jahrzehnt  einen  grossen  Wandel 
unserer  klinischen  Betrachtungsweise.  Während  man 
es  früher  als  höchstes  Ziel  ansah,  alle  Krankheits- 
Äusserungen  auf  bestimmte  pathologisch-anatomische 
Zustandsbilder  zurückzuführen,  ging  das  Streben  immer 
mehr  dahin,  festzustellen,  inwiefern  die  Funktion 
der  einzelnen  Organe  bei  bestimmten  Erkrankungen 
sich  ändere.  Die  daraus  sich  ergebende  Einteilung 
mancher  Organ  -  Erkrankungen  nach  f  u  n  k  t  i  o  - 
nellen  Gesichts  punkten  hat  zweifelsohne 
nicht  nur  auf  die  medizinische  Wissenschaft,  sondern 
auch  auf  unser  therapeutisches  Handeln  vielfach  be¬ 
fruchtend  gewirkt.  Ich  darf  in  diesem  Zusammenhang 
nur  kurz  'an  die  ’Neueinteilung  der  Ernährungsstörungen 
in  frühestem  Kindesalter  auf  Grund  von  Stoffwechsel¬ 
versuchen  und  Belastungsproben  durch  Finkeistein 
und  seine  Schule  erinnern;  man  gibt  heute  wohl  allge¬ 
mein  zu,  dass  diese  Ergebnisse  auf  pädiatrischem  Ge¬ 
biete  allein  schon  einen  starken  Erfolg  der  neuen  klini¬ 
schen  Beobachtungsweise  darstellen.  Wie  Sie  in  der 
vorletzten  Sitzung  in  zwei  Vorträgen  hörten,  sind  viel¬ 
fältige  Untersuchungen  im  Gange,  um  auch  die  von 
.jeher  sich  schwierig  gestaltende  Einteilung  der  ent- 
i  zündlich-degenerativen  Nierenerkrankungen  nach  dem 
unterschiedlichen  Verhalten  gegenüber  verschiedenen 
Funktionsprüfungen  endlich  in  befriedigender  Form 
■  durchzuführen.  Diese  Versuche  und  Untersuchungen 
waren  an  die  Namen  Schlayer  und  Monakow 
im  wesentlichen  gebunden.  Die  Ergebnisse  dieser  be¬ 
deutsamen  Forschungen  haben  in  mehr  als  einer  Rich¬ 
tung  keine  restlose  Befriedigung  erweckt ;  sie  haben 
vor  allem  den  Wunsch,  für  die  bei  den  Nephropathien 
so  schwierigen  Prognosen-Stellungen  bessere  Hand¬ 
haben  zu  erhalten,  in  der  Hauptsache  unerfüllt  ge¬ 
lassen.  Die  Mitteilungen  des  Herrn  von  Noorden, 
der  aus  der  reichen  Fülle  seiner  persönlichen  Erfah¬ 
rungen  einiges  berichtete,  waren  zwar  geeignet,  die 
Erwartungen  auf  die  Förderung  der  Prognosenstel¬ 
lung  durch  funktionelle  Methoden,  namentlich  die  Jod- 
k  a  1  i  -  Probe  neu  zu  beleben.  Bedauerlicherweise  stehen 
gerade  bei  der  Jodkali-Probe,  wie  ich  noch  des  Näheren 
zu  zeigen  haben  werde,  die  Ergebnisse  des  Herrn  von 
Noorden  mit  denen  Volhards  nicht  im  Einklang.  Ob 


die  Divergenz  sich  etwa  aus  der  unterschiedlichen 
Methodik  der  Jodkali-Probe  erklären  lässt,  bedarf  noch 
der  Nachprüfung.  Aber  wir  dürfen  nicht  übersehen, 
dass  in  der  Frage  der  Prognose  nur  ein  Teil  des 
Nephritis-Problems  verankert  liegt;  noch  wichtiger  ist 
auf  diesem,  in  den  letzten  Jahren  viel  erörtertem  Ge¬ 
biete  die  Diagnostik.  Hier  nun  werden  wir  immer 
wieder  zu  einer  pathologisch-anatomischen  Betrach¬ 
tungsweise  gedrängt  werden,  nicht  etwa  nur  aus  Freude 
am  Systematisieren,  sondern  aus  wissenschaftlichen 
und  praktischen  Gründen.  Zunächst  wird  es  stets  das 
Jdeal  ärztlichen  Schaffens  bleiben,  Krankheits-Aeusse- 
rungen  auf  ihre  pathologisch-anatomische  Grundlage 
zurückzuführen ;  dann  aber  können  wir  auch  nur  eine 
einigermassen  verlässliche  Voraussage  über  den  Ver¬ 
lauf,  besonders  der  Nierenerkrankungen  treffen,  wenn 
wir  bestimmte  funktionelle  Störungen  auf  ganz  be¬ 
stimmte  vorübergehende  oder  dauernde  Zustands¬ 
änderungen  der  Niere  selbst  und  ihrer  beiden  wesent¬ 
lichen  Einrichtungen,  Tubuli  und  Glomeruli,  zurück¬ 
zuführen  vermögen.  Aus  diesen  Bedürfnissen  heraus 
wird  der  Kliniker  immer  wieder  zu  den  bis  vor  kurzem 
üblichen  Einteilungen  der  entzündlich-degenerativen 
N  ierenerkrankungen  nach  pathologisch-anato¬ 
mischen  Prinzipien  gedrängt  werden.  Und  deshalb 
müssen  auch  die  Arbeiten  des  Mannheimer  Internisten 
Volhard  zur  Frage  der  Bright 'sehen  Nierenkrank¬ 
heit  das  grösste  Interesse  nicht  nur  der  forschenden, 
sondern  auch  der  praktisch  tätigen  Aerztewelt  finden. 
Volhard  glückte  es  in  steter  Zusammenarbeit  mit  dem 
Prosektor  Fahr  ein  System  der  Nephropathien  auf¬ 
zustellen,  das  die  Funktionsstörungen  der  beiden  Nie- 
ren-Abschnitte,  aber  auch  der  mit  ihnen  in  innigem 
Zusammenhang  befindlichen  anderen  lebenswichtigen 
Organe,  Gefässsystem,  Herz  und  Hirn  aus  ganz  be¬ 
stimmten  pathologischen  Veränderungen  dieser  Organe 
erklärt.  Volhard  kam  zu  seinen  Ergebnissen  durch 
Benutzung  einerseits  der  gleichen  funktionellen  Prü¬ 
fungsmethoden,  wie  sie  von  Schlayer  und  Monakow 
angewandt  wurden;  andererseits  aber  zog  er  in  den 
Kreis  seiner  eingehenden  Beobachtungen  alle  uns  von 
früher  herbekannten  krankhaften  Symptome  bei  Nieren¬ 
leiden:  Oedeme,  spezif.  Gewicht  und  Harnmenge  bezw. 
deren  Abweichung  von  der  Norm,  Albuminurie,  Augen- 
hintergrunds-Veränderungen,  krankhafte  Erscheinun¬ 
gen  vonseiten  des  Herzens,  der  Gefässe  und  Nerven; 
als  von  ihm  speziell  geübte  Untersuchungs¬ 
methoden  imponieren  uns  dann  noch  die  Konzen¬ 
trationsprobe,  die  Prüfung  des  Wasseraus¬ 
scheidungsvermögens  und  ganz  besonders  die 


100 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  20. 


genaueste  Beobachtung  des  Blutdrucks 
bei  den  verschiedenen  Gruppen  von  Nieren¬ 
erkrankungen.  Ueber  die  Wirkung  dieser  Untersuchun¬ 
gen  wird  im  weiteren  Verlaufe  noch  einiges  zu  sagen 
sein.  Jedenfalls  wird  die  Heranziehung  bekannter 
Symptome  und  unschwer  durchzuführender  Unter¬ 
suchungen  gerade  dem  Praktiker  das  Volhard’sche 
System  von  vornherein  sympathisch  machen.  Was  nun 
aber  die  auf  Grund  umfassender  Einzelbeobachtungen 
getroffenen  Diagnosen  für  jeden  beachtenswert  macht, 
ist  der  schon  berührte  Umstand,  dass  Volhard  durch 
die  Zusammenarbeit  mit  dem  pathologischen  Anatomen 
die  Gelegenheit  hatte,  eine  grosse  Anzahl  der  von  ihm 
gestellten  Diagnosen  durch  den  autoptischen  Befund 
zu  überprüfen  und  bestätigt  zu  finden.  Ein  rascher 
Blick  auf  die  von  Volhard  vorgenommene  Neugrup¬ 
pierung  der  Nephropathien  zeigt  uns  eine 
Dreiteilung  in  a)  degenerative  Erkrankun- 
g  e.n  oder  Nephrosen,  b)  entzündliche  Er¬ 
krankungen  oder  Nephritiden,  c)  arterioskle¬ 
rotische  Erkrankungen  oder  Sklerosen.  Bei  den 
Nephritiden  ist  eine  Unterteilung  in  2  wesentlich  ver¬ 
schiedene  Formen  zu  beachten,  in  die  diffusen  Glomeru¬ 
lonephritiden  und  die  herzförmigen  Nephritiden,  bei 
den  Sklerosen  eine  Zweiteilung  in  blande  oder  gutartige 
und  in  bösartige  Sklerosen,  welch  letztere  kurz  als 
„Kombinationsform“  bezeichnet  werden. 

Und  nun  lassen  Sie  mich  versuchen,  in  tunlichster 
Kürze  darzulegen,  durch  welche  charakteristischen 
Merkmale  sich  die  3  bisher  unter  dem  Begriff  der 
Bright 'sehen  Nierenkrankheiten  subsummierten  Er¬ 
krankungsgruppen  und  ihre  Unterabteilungen  von 
einander  unterscheiden,  durch  welche  Hilfsmittel  wir 
die  Unterscheidung-  in  der  Praxis  herbeizuführen  ver¬ 
mögen,  und  inwiefern  unser  diagnostisches  und  progno¬ 
stisches  Können  durch  das  neue  System  gefördert  wird. 

Den  breitesten  Raum  in  Volhards  klinischer  Metho¬ 
dik  nimmt  die  Blutdruckbestimmung  ein,  der 
wir  darum  unser  besonderes  Augenmerk  zuzuwenden 
haben.  Durch  sie  allein  können  wir  die  Gruppe  der 
Nephrosen  ohne  Blutdrucksteigerung  von  der  grossen 
Mehrzahl  der  Nephritiden  mit  Blutdrucksteigerung 
unterscheiden;  und  weiterhin  genügt  die  Beachtung 
gradueller  Unterschiede  in  der  Höhe  des  gesteigerten 
Blutdrucks,  allerdings  unter  gleichzeitiger  Berücksich¬ 
tigung  auffälliger  Herz  Veränderungen,  um  der  3. 
Gruppe,  den  Sklerosen,  eine  Sonderstellung  zu  sichern. 
Als  obere  Grenze  des  normalen  Blutdrucks  betrachtet 
Volhard  Werte  von  110 — 120  mm  Hg  bei  Erwachsenen. 
Steigerungen  darüber  sind  zu  beachten,  als  ausgeprägte 
Hypertension  aber  erst  Werte  von  140  mm  Hg  an  zu 
betrachten.  Die  höchsten  Blutdruckwerte,  bis  280  mm 
Hg,  werden  von  den  Sklerosen  verursacht,  ausserdem 
auch  von  manchen  diffusen  Nephritiden  im  Endsta¬ 
dium.  Im  2.  Stadium  der  diffusen  Nephritis  war  der 
höchste  beobachtete  Wert  240  mm  Hg  und  von  32 
Fällen  stiegen  überhaupt  nur  5  über  200  mm  Hg;  im 
akuten  Stadium  der  diffusen  Nephritis  hielt  sich  der 
Blutdruck  fast  immer  unter  180 — 200  mm  Hg.  Fast 
noch  wichtiger  jedoch  als  die  absolute  Höhe  des  Blut¬ 
drucks  und  wertvoll  zumal  in  prognostischer  Hinsicht 
ist  die  Beachtung  seiner  Konstanz  oder  andererseits 
Labilität.  Das  erhellt  am  deutlichsten  wrohl  aus  der 
Tatsache,  dass  die  Fortdauer  des  Blutdrucks  nach  einer 
scheinbar  abgelaufenen  akuten  Nephritis  den  Schluss 
zulässt,  dass  die  entzündlichen  Nierenveränderungen 
in  Wirklichkeit  fortdauern.  Wir  sollten  ange¬ 
sichts  der  prognostischen  Wichtigkeit  des 
Blutdrucks  bei  der  diffusen  Nephritis  es 
uns  darum  zur  Regel  machen,  häufige  Blut¬ 
druckbestimmungen  anzustellen  und  zwar 
wiederholt  in  zeitlichen  Zwischenräumen 


auch  bei  den  gleichen  Erkrankungsfällen. 
Dies  ist  um  so  dringlicher  zu  fordern,  als  die  sogen, 
transitorischen  Hypertonien,  die  unter  unserer  Behand¬ 
lung  zur  Norm  absinken,  oftmals  doch  den  Beginn 
einer  konstanten  Hypertonie  als  Ausdruck  dauernder 
Nierenschädigung  darstellen.  Von  schlimmster  Pro¬ 
gnose  sind  plötzliche  Schwankungen  des  Blutdrucks  nach 
oben,  die  Pal  als  Gefässkrisen  bezeichnet  hat;  sie  er¬ 
eignen  sich  bei  den  schwersten  Nephritiden  und  Kom¬ 
binationsformen  und  weisen  dann  stets  auf  eine 
drohende  Katastrophe  in  Gestalt  einer  Urämie  bezw. 
Eklampsie  oder  einer  Hirnblutung  ev.  Erweichung  hin. 
Die  Blutdrucksteigerung  fehlt,  wie  wir  schon  sahen, 
bei  den  Nephrosen,  ausser  wenn  zufällig  einmal  eine 
akute  Sklerose  zu  einer  degenerativen  Nierenerkran¬ 
kung  hinzutritt  oder  wenn  es  bei  den  durch  metalli¬ 
sches  Gift  bedingten  nekrotisierenden  Nephrosen  gleich 
im  Beginne  zu  Urämie  kommt  und  durch  letztere 
dann  Hypertension  ausgelöst  wird;  die  Hypertonie  fehlt 
weiter  in  den  seltenen  Fällen  von  ganz  leichter,  rasch 
vorübergehender  diffuser  Glomerulitis,  sodann  bei  der 
ganzen  2.  Abteilung  der  Nephritiden,  den  herzförmigen 
Nephritiden,  die  hauptsächlich  durch  den  Mangel  des 
Blutdrucks  gegenüber  diffusen  Entzündungen  gekenn¬ 
zeichnet  sind ;  schliesslich  kann  die  Blutdruckerhöhung 
fehlen  auch  bei  diffuser  Nephrose  stärkeren  Grades, 
wenn  extrarenale  Einflüsse,  wie  hohes  Fieber,  toxische 
Plerz-  und  Gefässschwäche  die  allgemeine  Gefäss- 
reaktion  hinanhalten.  Da  Herzschädigung  bei  den 
schweren  Formen  von  Nephritis  und  der  Kombinations¬ 
form  der  Sklerose  keine  Seltenheit  sind,  und  so  eine 
geringe  oder  fehlende  Blutdrucksteigerung  vorgetäuscht 
werden  kann,  hat  beispielsweise  Monakow  die  hohe 
Wertung  der  Blutdruckmessung  für  die  Einteilung  der 
Nephropathien  nicht  gutgeheissen.  Doch  mit  der  ja 
stets  erforderlichen  Kritik  werden  wir  dieses  einfach 
zu  erhebende  Symptom  in  der  überwiegenden  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  diagnostisch  verwerten  können. 

Grade  weil  aber  dieses  Symptom  nicht  immer  ein¬ 
deutig  ist,  müssen  wir  uns  um  so  eindringlicher  den 
anderen  krankhaften  Erscheinungen  und  Ergebnissen 
funktioneller  Prüfungen  zuwenden.  Wir  haben  in  einem 
früheren  Vortrage  gehört,  dass  die  Schlayer’sche 
Schule  aus  der  verzögerten  Ausscheidung  von  J  o  d  k  a  1  i 
auf  eine  Schädigung  der  gewundenen  Harnkanälchen, 
aus  verzögerter  und  quantitativ  unvollkommener  Milch¬ 
zuckerausscheidung  auf  eine  Erkrankung  der  Glomeruli 
schloss.  Da  liegt  die  Erwartung  wohl  nahe,  dass  wir 
die  Nephrosen  des  Volhard'schen  Systems  an  der  Jod- 
kali-Pnobe,  die  Nephritiden  und  Sklerosen  an  dem  Aus¬ 
fälle  der  Milchzucker--Probe  erkennen  müssten. 
Volhard  hat  denn  auch  in  grösstem  Massstabe  die 
einfache  Jodkali-Probe  durchgeführt,  viel  weniger,  aber 
zur  Urteilsbildung  doch  genügend  oft,  die  Milchzucker¬ 
einspritzungen.  Die  Beschränkung  Volhards  bei  der 
letzteren  Probe  rührt,  wie  ich  hervorheben  möchte,  da¬ 
her,  dass  er  nach  Milchzucker-Lösung-Injektion  in  die 
Blutbahn,  obwohl  diese  unter  den  grössten  Kautelen 
vorgenommen  war,  wiederholt  Hämaturie  von  Wochen 
langer  Dauer  erlebte.  Bedenken  wir  zudem,  dass  nach 
den  Erfahrungen  des  Herrn  von  Noorden  sich  auch 
wiederholt  nach  Milchzuckereinspritz  ungen  Schüttel¬ 
fröste  einstellten,  so  werden  wohl  Wenige  Neigung 
verspüren,  dieses  diagnostische  Verfahren  bei  ihren 
Patienten  anzuwenden.  Zudem  erscheint  die  Anstel¬ 
lung  dieser  Schlayerschen  Untersuchungen  nach  dem 
Ergebnis  von  Volhards  Versuchen  mit  diesen  körper¬ 
fremden  Substanzen  nicht  als  eine  wissenschaftliche 
Notwendigkeit.  Milchzucker  wurde  bei  den  Nephrosen 
schon  verzögert  ausgeschieden,  obwohl  dieses  für  Ge- 
fässschädigung  sprechende  funktionelle  Prüfungsmittel 
der  Erwartung  nach  normal  hätte  ausgeschieden  wer- 


Nr.  20. 


191 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


den  sollen ;  Volhard  macht  nun  hier  die  Konzession, 
dass  die  anatomisch  normalen  Gefässe  wahrscheinlich 
funktionell  geschädigt  waren  und  dadurch  positive 
Milchzucker-Proben  ergaben.  Die  Milchzucker-Aus¬ 
scheidung  erfolgte  nämlich  bei  allen  übrigen  Nephro¬ 
pathien  des  Volhardschen  Systems  der  Erwartung  ge¬ 
mäss  verzögert  und  zwar  im  wesentlichen  um  so  mehr, 
je  stärker  die  Gefässe  geschädigt  waren.  Diese  Ergeb¬ 
nisse  lassen  also  die  Milchzucker-Probe  als  äusserst 
feines  Reagenz  auf  Gefässschädigung  erkennen,  machen 
sie  aber  zu  differential-diagnostischen  Zwecken  völlig 
ungeeignet.  —  Und  wie  steht  es  mit  Volhards  Ergeb¬ 
nissen  bei  der  Jodkali-Probe?  Jodkali  wurde  gerade 
bei  sicheren  Nephrosen  mit  hochgradiger  Tubulischädi¬ 
gung  innerhalb  48  Stunden  ausgeschieden,  was  Vol¬ 
hard  noch  als  normal  auffasst  (in  Uebereinstimmung 
mit  Schlayer),  während  bei  Nephritiden  aller  Stadien 
und  Ausdehnung  seine  Ausscheidung  bis  zu  80  Stun¬ 
den  verzögert  war  und  auch  bei  gutartigen  wie  bösarti¬ 
gen  Sklerosen  bis  zu  75  Stunden,  einmal  bis  95  Stun¬ 
den  sich  hinzog.  Der  Mangel  an  Gesetzmässigkeit  bei 
der  Jodkali-Ausscheidung  zeigt  sich  aber  auch  darin, 
dass  ohne  ersichtlichen  äusseren  Grund  die  Ausschei¬ 
dungsdauer  im  gleichen  Falle  merkwürdig  wechselte 
und  zwar  nach  Rückgang  aller  übrigen  krankhaften 
Symptome  mitunter  länger  währte  als  auf  der  Höhe  der 
Krankheit.  Dies  alles  macht  leider  die  Verwendbarkeit 
des  Jodkali  zu  Zwecken  der  Prognose  illusorisch.  Ein 
weiterer  Missstand,  den  Volhard  feststellen  musste, 
ist  der,  dass  Jod  sowohl  wie  Milchzucker  in  der  Aus¬ 
scheidungsdauer  von  extrarenalen,  besonders  kardialen 
Umständen  abhängig  sind. 

Nachdem  also  unsere  Erwartungen  auf  die  Plilfe 
der  Schlayerschen  Proben  für  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Nephrosen  und  Nephropathien  mit  Gefäss¬ 
schädigung  enttäuscht  wurden,  dürfen  wir  es  um  so 
mehr  begrüssen,  dass  zwei  leicht  zu  erhebende  und  all¬ 
bekannte  Symptome  die  Diagnostizierung  von 
Nephrosen  ermöglichen,  —  wenigstens  unschwer  in 
deren  Stadium  I  und  II.  Diese  beiden  Symptome  sind 
Oe  de  m  e  bezw.  Höhlen-Hydrops  und  hochgradige 
Albuminurie.  Wo  diese  beiden  vereint  vorhanden 
sind,  dürfen  wir  mit  Sicherheit  Degeneration  der  Tu- 
buli-Epithelien  annehmen ;  und  wenn  dann  Blutdruck¬ 
steigerung  fehlt,  können  wir  die  reine  Form  der  Neph¬ 
rose  diagnostizieren,  ist  dagegen  der  Blutdruck  ge¬ 
steigert,  so  müssen  wir  die  sogenannte  ,, Mischform“ 
annehmen,  kurz  gesagt  Nephrose  plus  Nephritis, 
in  seltnen  Fällen  und  bei  begründetem  Verdacht  auf 
universelle  Arteriosklerose,  allenfalls  auch  Nephrose 
plus  Sklerose.  Differentialdiagnostisch  wichtig  gegen¬ 
über  den  Nephritiden  ist  noch,  dass  der  Urin  bei 
Nephrosen  Blut  weder  chemisch  noch  mikroskopisch 
nachweisbar  enthält. 

Nachdem  wir  nun  so  die  Nephrosengruppe  von 
den  anderen  Nephropathien,  wie  ich  denke,  klar  abge¬ 
grenzt  haben,  lässt  sich  nur  noch  wenig  über  die 
Symptomatologie  der  Nephrosen  selbst 
sagen.  Der  Urin  enthält  bei  den  Nephrosen,  wie  schon 
erwähnt,  viel  Eiweiss  und  zwar  meistens  10 — 20  °/00. 
Entsprechend  hoch  ist  das  spezifische  Gewicht,  näm¬ 
lich  1030 — 1050.  Die  Urinmenge  ist  im  Stadium  I 
und  II  gering.  Die  Höhe  der  Albuminurie,  die  geringe 
Urinmenge  im  Oedem-Stadium  und  die  Oedeme  selbst 
erwecken  wohl  bei  den  meisten  von  vornherein  den 
Verdacht,  dass  eine  schwere  Nierenschädigung  vor¬ 
liegen  müsse.  Dieser  Schluss  ist  zunächst  einmal  be¬ 
züglich  der  Oedeme  irrig.  Nach  Volhards  Auffassung 
von  der  Genese  der  Haut-  und  Höhlenwassersucht  ist 
diese  extrarenal,  deutlicher  gesagt  vaskulär  bedingt ; 
indirekt  ist  sie  allerdings  auf  die  Niere  zurückzuführen, 
insofern  als  die  krankhafte  Durchlässigkeit  der  Gefässe 


auf  die  Wirkung  toxischer  Stoffe  zurückzuführen  ist, 
die  bei  der  Degeneration  der  Tubuli-Epithelien  ent¬ 
stehen.  Im  übrigen  ist  im  Stadium  I  und  II  einzig  die 
Cl-Ausscheidung  im  U rin  gestört,  und  auch 
diese  Erscheinung  —  die  uns  therapeutisch  zur  Be¬ 
schränkung  der  Cl-Einfuhr  in  der  Nahrung  bestimmt  — 
darf  nicht  als  die  Folge  geschädigter  Nierenfunktion 
betrachtet  werden ;  vielmehr  ist  auch  die  NaCl-Re- 
t  e  n  t  i  o  n  nach  Volhard  extrarenal  bedingt  und 
im  engsten  Zusammenhang  mit  dem  Mechanismus  der 
Oedeme,  lässt  darum  mit  dem  Nachlassen  der  Oedeme 
ihrerseits  nach.  Dass  die  Nierenfunktion  im  akuten 
und  während  des  grössten  Teils  des  chronischen 
Stadiums  bei  den  Nephrosen  nicht  gestört  ist,  beweisen 
uns  die  verlässlichsten  Prüfungen  der  N ieren- 
funktion,  nämlich  die  Bestimmung  des  Rest-N 
im  Blute,  des  Wasserausscheildungs-V  er- 
mögens  und  der  Konzentrationskraft  der 
kranken  Niere.  Auf  Methodik  und  Bedeutung  dieser 
Prüfungen  will  ich  nachher  noch  zu  sprechen  kommen. 

Jetzt  zunächst  noch  etwas  vom  III.  oder  End¬ 
stadium  der  Nephrosen,  das  anatomisch  charak¬ 
terisiert  ist  durch  narbige  Schrumpfung  des 
Organs.  Die  Diagnostik  dieses  dritten  Stadiums  ist 
wesentlich  schwieriger,  weil  meistens  kein  Oedem  mehr 
besteht  und  dann  auch  die  Albuminurie  nur  gering 
ist.  Gekennzeichnet  ist  dieses  Stadium  durch  Polyurie 
und  niedriges  spezifisches  Gewicht  von  1003 — 1005, 
ganz  wie  bei  den  Endstadien  der  Nephritis  und  Sklero¬ 
sen,  wenn  es  bei  diesen  zur  Schrumpfung  kommt.  Das 
dritte  Stadium  der  Nephrosen  unterscheidet  sich  aber 
von  dem  der  anderen  beiden  Gruppen  unverkennbar 
—  durch  das  Fehlen  der  Blutdruckerhöhung. 
Eine  gewisse  Schädigung  der  Nierenfunktion  ist  an 
der  Einschränkung  des  Konzentrationsvermögens  in 
diesem  Stadium  erkennbar,  aber  die  Erhaltung  des 
guten  HoO-  und  N-Ausscheidungs  Vermögens  zeigt  uns, 
dass  die  Funktionsstörung  auch  im  Endstadium  keine 
grosse  ist  —  ganz  im  Gegensatz  zu  dem  der  übrigen 
Gruppen.  Darum  ist  auch  die  Prognose  der  Nephrosen 
als  relativ  gut  zu  bezeichnen.  Auch  bei  chronischem 
Verlaufe  und  Ausgang  in  Schrumpfung  erfolgt  der 
Tod  solcher  Patienten  nicht  durch  Versagen  der  Niere. 

Nur  weniges  ist  über  die  Unterart  der  Nephrosen, 
die  nekrotisierenden  Nephrosen  des  Vol¬ 
hardschen  Systems  zu  bemerken.  Sie  sind  die  Folge 
der  Einverleibung  exogener,  ungeformter  Gifte  und 
ihr  Prototyp  ist  die  „Sublimat-Niere“.  Ihre  Diagnose 
ergibt  sich  wohl  in  der  Regel  aus  der  Anamnese. 
Klinisch  stimmen  sie  mit  den  eigentlichen  Nephrosen 
durch  die  fehlende  Hypertonie  der  Gefässe  überein, 
unterscheiden  sich  aber  von  diesen  durch  die  mangelnde 
Oedemneigung.  Im  Verlaufe  unterscheiden  sich  die 
leichteren  Vergiftungen,  die  nach  anfänglicher  Polyurie 
und  geringer  Albuminurie  zur  Norm  zurückkehren,  von 
den  ganz  schweren,  rasch  zum  Exitus  führenden  Fällen, 
bei  denen  hochgradige  Oligurie  und  Albuminurie  oder 
sofort  Anurie  dem  Krankheitsbilde  das  ernsteste  Ge¬ 
präge  geben;  in  diesen  letzteren  Fällen  kommt  es  ■ — 
entgegen  der  Regel  —  zu  Blutdrucksteigerungen,  die 
aber  reflektorisch  von  der  Anurie,  nicht  von  den  Nieren- 
gefässen  ausgelöst  ist. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  den  am  häufigsten  uns 
beschäftigenden  entzündlichen  Nierenerkrankungen,  den 
Nephritiden  zu,  so  interessiert  uns  am  lebhaftesten 
die  Unterabteilung,  der  die  überwiegende  Mehrheit  der 
Nephritiden  zugehört;  sie  umfasst  die  Fälle,  bei  denen 
eine  diffuse  Glomerulitis  vorliegt.  Charakterisiert 
sind  sämtliche  Glomerulo-Nephritiden,  wie  Sie  sich 
erinnern  wollen,  durch  Blutdruckerhöhung  verschiede¬ 
nen  Grades  und  verschiedener  Konstanz.  Im  übrigen 
bestehen  manche  Unterschiede,  je  nachdem  wir  es  mit 


192 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


dem  akuten  oder  I.  Stadium,  dem  chronischen  II.  oder 
dem  Endstadium,  gen.  Stadium  III,  zu  tun  haben.  Die 
beiden  letzteren  Stadien  gehen  stets  aus  dem  akuten 
hervor.  Das  klingt  im  ersten  Augenblicke  vielleicht 
selbstverständlich,  ist  es  aber  nicht,  wenn  wir  bedenken, 
\vie  oft  wir  in  der  Praxis  chronische  Nephritisfälle  des 
II.,  ja  des  Endstadiums  zu  Gesicht  bekommen,  bei 
denen  weder  von  ärztlicher  Seite  noch  von  den  Patien¬ 
ten  selbst  das  in  solchen  Fällen  leichte  Stadium  der 
akuten  Entzündung  beobachtet  worden  war.  Wichtiger 
noch  ist  die  Beherzigung  dieser  Tatsache  des  B  e  - 
ginnes  jeder  Nephritis  mit  einem  akuten 
Stad  i  u  m ,  aus  praktischen,  in  dem  Begriffe  Prophy¬ 
laxe  gipfelnden  Gründen.  Die  Fälle,  bei  denen  das 
akute  Stadium  latent  bleibt,  sind  besonders  bedauerlich, 
weil  uns  bei  diesen  meistens  die  Möglichkeit  rechtzeiti¬ 
ger  therapeutischer  Massnahmen  und  damit  auch  eine 
Beeinflussung  des  ganzen  Krankheitsverlaufes  benom¬ 
men  ist.  Glücklicherweise  sind  das  die  Ausnahmen  und 
gewöhnlich  tritt  die  akute  Nephritis  mit  merklichen 
Symptomen  in  Erscheinung.  Da  ist  zunächst  die  Häma¬ 
turie  zu  nennen,  die  fast  immer  gleich  zu  Beginn  vor¬ 
handen  ist,  während  sie  bei  den  Nephrosen  fehlt  und 
die  auch  bei  dem  chronischen  Stadium  II  durch  ihr 
Auftreten  jeweils  auf  ein  akutes  Rezidiv  hinweist.  Die 
Albuminurie  ist  bei  den  reinen  Nephri¬ 
tiden  meistens  geringgradig;  höhere  Grade 
sprechen  für  Kombination  mit  Nephrose,  für  die  sogen. 
„Mischformen“,  diese  sind  jedoch  nicht  ohne  wei¬ 
teres  als  prognostisch  ungünstiger  zu  betrachten ;  die 
Prognose  verschlechtert  sich  nur  dann,  wenn  neben 
hochgradiger  Albuminurie  auch  hoher  Blutdruck  und 
starke  Oedeme  gefunden  werden.  Was  nun  die  Oedem- 
frage  bei  der  akuten  Glomerulonephritis  und  den  Neph¬ 
ritiden  überhaupt  anbelangt,  so  kann  ich  sie  im  Sinne 
Volhards  kurz  dahin  beantworten,  dass  das  Oedem 
bei  der  Nephritis  nur  fakultativ  vorkommt.  Es  gibt 
viele  Nephritisfälle,  die  dauernd  ohne  Hydrops  ver¬ 
laufen.  Starker  Hydrops  spricht  jedenfalls  für  „Misch¬ 
form“.  Die  Harnmenge  ist  im  Anfänge  der  akuten 
Nephritis,  auch  ohne  dass  Oedem  vorhanden  ist,  ge¬ 
ring  und  das  spezifische  Gewicht  dabei  ziemlich  hoch. 
Kommt  es  gleich  zu  Anurie,  wie  ich  dies  unlängst  erst 
in  einem  Falle  von  schwerstem  Scharlach  erlebte,  dann 
ist  die  Prognose  übel.  Von  ungünstiger  prognostischer 
Bedeutung  ist  auch  niedriges  spez.  Gewicht  bei  Oli¬ 
gurie.  In  solchen  Fällen  liegt  bereits  im  akuten  Stadium 
Niereninsuffizienz  vor.  Im  allgemeinen  aber  ist  die 
Nierenfunktion  im  akuten  Stadium  nicht  oder  nur  wenig 
beeinträchtigt.  Die  zuweilen  zu  beobachtende  Funk¬ 
tionsbeschränkung  betrifft  das  H20  -  A  u  s  s  c  he  i - 
dungs  vermögen.  Da  dessen  Bestimmung  eine  sehr 
einfache,  bei  der  nötigen  Kritik  aber  durchaus  verläss¬ 
liche  Methode  der  Funktionsprüfung  darstellt,  so  lassen 
Sie  mich  das  von  anderer  Seite  hierüber  Vorgetragene 
noch  rasch  etwas  erweitern.  Die  durch  Verabreichung 
von  ix/2  Liter  Wasser  erfolgende  H20-B  e  1  a  s  t  u  n  g  s- 
probe  kann  ergeben,  dass  das  Ausscheidungsvermö¬ 
gen  der  Niere  für  HsO  „qualitativ“  oder  „quantitativ“ 
beeinträchtigt  ist.  Man  spricht  von  einer  qualitativen 
Schädigung,  wenn  nicht  nach  2  Stunden  die  grössere 
Hälfte  der  aufgenommenen  Flüssigkeit  und  nach  4 
Stunden  diese  fast  ganz  ausgeschieden  ist;  in  quanti¬ 
tativer  Hinsicht  geschädigt  nennt  man  das  H20-Aus- 
scheidungsvermögen,  wenn  in  24  Stunden  noch  nicht 
einmal  die  1  1/2  Liter  ausgeschieden  sind,  in  solchem 
Falle  spricht  man  auch  von  verschleppter  Diurese.  Da 
bei  Oedem-Neigung  extrarenale  Momente  in  der  H20- 
Ausscheidung  bezw.  Verhaltung  die  Hauptrolle  spielen 
und  nicht  die  Nierenfunktion,  so  ergibt  sich  von  selbst, 
dass  man  bei  Oedem-Bereitschaft  die  Wasserbelastungs- 
Probe  nicht  anstellen  kann.  Im  akuten  Stadium  der 


Nr.  20. 


Nephritis  finden  wir  nun  mitunter  die  als  verschleppte 
Diurese  bezeichnetc  Ausscheidungsstörung  in  qualita¬ 
tiver  Hinsicht.  Für  die  Therapie  ergibt  sich 
daraus  eine  Mahnung  zur  Vorrsicht  mit  der 
üblichen  Flüssigkeitszufuhr  in  solchen  Fällen,  da  sonst 
das  Herz  zu  schwer  belastet  wird.  Volhard  hält  auf 
Grund  eigner  Beobachtung  die  Gefahr  der  Herzinsuffi¬ 
zienz  bei  der  akuten  Glomerulonephritis  für  gar  nicht 
gering.  Eine  weitere  recht  ernste  Gefahr  im  Verlaufe 
der  akuten  Nephritis  ist  —  abgesehen  von  dem  schon 
erwähnten  raschen  Eintritt  tödlicher  Anurie  —  das 
Auftreten  von  Eklampsie.  Sie  führt  zwar  im  allgemeinen 
nur  bei  der  Schwangerschaft-Nephritis  zum  Exitus, 
kann  aber  bei  schwachen  Herzen  auch  sonst  bedroh¬ 
lich  werden.  Diese  eklamptischen  Zufälle  der  akuten 
Glomerulo-Nephritis  scheidet  Volhard  scharf  von  den 
echt  urämischen  Zuständen  infolge  schwerer  Nieren¬ 
insuffizienz  und  von  den  pseudourämischen  Anfällen 
bei  den  Nieren-Sklerosen.  Da  man  alle  diese  Zustände 
früher  als  urämisch  bezeichnete,  betont  Volhard  mit 
Recht,  dass  der  Begriff  Urämie  nur  für  die  Fälle 
reserviert  werden  darf,  wo  hochgradige  N. -Retention 
im  Blute  nachgewiesen  wird.  Bei  Pseudourämie  handelt 
es  sich  im  Gegensatz  dazu  um  vorübergehende  Spasmen 
der  Hirngefässe  und  deren  Folgen,  bedingt  wahrschein¬ 
lich  durch  Vermehrung  des  Adrenalin  im  Blut.  Bei 
den  mit  Reiz-  oder  Ausfalls-Erscheinungen  von  seiten 
des  Gehirns  verknüpften  eklamptischen  Anfällen  oder 
deren  Aequivalenten  handelt  es  sich,  wie  es  Widal 
wohl  am  treffendsten  ausdrückt,  um  Chlorurämie  und 
dadurch  bedingtes  intra-  oder  extrazelluläres  Hirnödem. 
Beachtenswert  ist  die  m.  W.  von  anderer  Seite  bisher 
nicht  veröffentlichte  Beobachtung  Volhards,  dass  leichte 
Grade  von  Oedemen  bei  hohem  Blutdrucke  zu  Eklamp¬ 
sie  disponieren,  starkes  und  fehlendes  Oedem  ihren 
Ausbruch  weniger  befürchten  lassen.  Abgesehen  von 
den  eben  geschilderten  Gefahren,  verlaufen  die  meisten 
akuten  diffusen  Nephritiden  günstig,  d.  h.  sie  gehen 
meist  in  kürzerer  oder  längerer  Zeit  in  Heilung  über. 
Monate  lang  kann  es  bis  zu  der  doch  noch  eintretenden 
Heilung  bei  den  „Mischformen“  dauern. 

Nicht  selten  geht  jedoch  die  akute  Nephritis  in 
ein  chronisches  Stadium  über.  Wir  erkennen 
dies,  wie  schon  früher  erwähnt,  an  der  Persistenz 
der  Blutdrucksteigerung.  Bei  chronischem 
Verlaufe  beobachten  wir  zunächst  ein  Stadium,  das 
relativ  symptomarm  ist,  auf  jeden  Fall  aber  keine  Er¬ 
scheinungen  von  Niereninsuffizienz  aufweist  und  ge¬ 
rade  dadurch  sich  charakterisiert.  Die  Albuminurie  ist 
in  diesem  Krankheits-Abschnitt  meistens  recht  eerina. 
Hämaturie  finden  wir  selten;  desgleichen  Oedeme  leich¬ 
teren  Grades.  Nur  die  Nykturie  d.  h.  Verlegung  der 
hauptsächlichen  Harnausscheidung  auf  die  ^Nachtzeit,,  — ■  : 
ein  Symptom,  auf  das  zuerst  Quinke  hinwies,  bringt 
auch  den  Laien  mitunter  auf  den  Verdacht,  dass  seine 
Niere  nicht  gesund  ist.  Sie  ist  auch  in  dieser  Phase 
der  Ausdruck  einer  leichten  Schädigung  des  H20- 
Ausscheidungs-Vermögens,  das  übrigens  beim  Be¬ 
lastungsversuch  mitunter  „überschiessend“  ist,  insofern 
als  in  den  ersten  4  Stunden  mehr  als  1  1/2  Liter  Urin 
ausgeschieden  werden.  Wenn  die  Nephritiker  im  2. 
Stadium  nicht  einer  interkurrenten  Krankheit  erliegen, 
so  gelangen  sie  mit  der  Zeit  in  das  gefürchtete  3.  oder 
Endstadium,  das  durch  zunehmende  Nierenfunktions¬ 
störung  ausgezeichnet  ist.  Wie  lange  es  bis  zum  Ein¬ 
tritt  dieses  Stadiums  dauert,  —  das  hängt  ausschliesslich 
von  der  Heftigkeit  der  akuten  Nephritis  und  der 
Grösse  des  nach  ihrem  Ablaufe  noch  vorhandenen  funk¬ 
tionstüchtigen  Nierenrestes  ab.  Klinisch  bietet  uns  auch 
hier  wieder  am  ehesten  die  Blutdruck  - Be  stim- 
mung  eine  Handhabe  für  die  Beurteilung, 
wie  rasch  oder  langsam  das  chronische  Stadium  ver- 


Nr.  20. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


193 


laufen  wird.  Je  niedriger  der  Blutdruck,  desto  günsti¬ 
ger  ist  im  allgemeinen  die  Prognose,  aber  schliesslich 
kommt  es  doch  dahin,  dass  ein  grosser  Teil  der  Glome- 
ruli  ausgeschaltet  ist  und  nur  noch  ein  kleiner  Rest 
des  Nierengewebes  die  seine  Kräfte  übersteigenden  Auf¬ 
gaben  leisten  soll.  So  beobachten  wir  dann  die  als 
äusserste  Kraftanstrengung  zu  betrachtende,  aber  doch 
minderwertige  „Diurese  des  Nierenrestes“.  Ihr  Merk¬ 
mal  ist  Verlust  der  Variabilität  in  der  Funktion 
der  Niere.  Die  Variabilitäts-Fähigkeit  oder  Unfähig¬ 
keit  erkennen  wir  durch  die  planmässige  Beobachtung 
des  spezifischen  Gewichtes  des  Urins,  das  seinerseits 
wieder  der  Ausdruck  für  die  Konzentrations-Fähigkeit 
der  Niere  ist.  Ihre  Prüfung  bietet  uns  zusammen  mit 
der  des  vorhin  erörterten  H20-Ausscheidungs Vermö¬ 
gens  einen  gewissen  Ersatz  für  die  verlässlichste,  aber 
umständlichste  F  unktionsprobe,  die  wir  in  der  Be¬ 
obachtung  des  N-Ausscheidungsvermögens  besitzen. 
Für  die  Feststellung  des  Konzentrations¬ 
vermögens  mittels  des  spezifischen  Gewichtes  gibt 
es  zwei  Möglichkeiten:  nämlich  i.  die  Beobachtung 
der  Spontanvariationen  der  innerhalb  24  Stun¬ 
den  entleerten  Einzelportionen  des  Urins  und  2.  die 
weit  mehr  besagende  Probe  auf  die  maximale  Kon¬ 
zentrationsfähigkeit  der  N  iere  während  einer 
dem  Patienten  auferlegten  Trockendiät.  Letztere 
macht  uns  von  Zufälligkeiten  ziemlich  unabhängig  und 
sie  allein  wenden  wir  darum,  wenn  wir  einigermassen 
wissenschaftlich  beobachten  wollen,  zur  Prüfung  der 
Variabilität  der  Nierenfunktion  an.  —  falls  der  oft  unbe¬ 
zwingbare  Durst  der  chronischen  Nephritiker  dies  ge¬ 
stattet.  Bei  der  Konzentrationsprobe  nun  finden  wir 
im  3.  Stadium  den  Verlust  der  Variabilität,  die  Er¬ 
scheinung  der  sogen,  echten  Hyposthenurie.  Das 
spezifische  Gewicht  bleibt  trotz  Trockendiät  bei  leid¬ 
licher  d.  h.  in  dieser  Phase  gewöhnlich  vermehrter 
Urinausscheidung  niedrig  (1006— 1005) ;  späterhin,  wenn 
dann  bei  weiterer  Verschlimmerung  die  Polyurie  sich 
in  eine  Pseudonormalurie  verwandelt,  zeigt  sich  eine 
Fixation  des  spez.  Gewichtes  auf  1010 — 1013.  Neben 
dem  Konzentrationsvermögen  der  Niere  leidet  im  End¬ 
stadium  der  diffusen  Nephritis  auch  das  LEO- Aussehen 
dungsvermögen,  doch  erst  später  als  das  Konzentra¬ 
tionsvermögen.  Schon  berührt  habe  ich  ein  weiteres 
für  das  Endstadium  der  diffusen  Nephritis  als  patho- 
gnomisch  zu  bezeichnendes  Symptom  die  Polyurie. 
Die  allgemeine  Anschauung  vom  Wesen  dieser  Polyurie 
geht  heute  wohl  dahin,  dass  sie  eine  zwangsmässige 
folge  des  eingeschränkten  Konzentrationsvermögens 
ist,  bedingt  durch  die  Verhaltung  von  Kochsalz  und 
N  im  Blute.  Durch  grössere  Urinmengen  sucht  die 
Niere  noch  die  Einbusse  von  Konzentrationskraft  aus¬ 
zugleichen.  Solange  ihr  dies  gelingt,  kommt  es  darum 
nicht  zu  Insuffizienz-Erscheinungen;  erst  wenn  die 
Niere  mehr  und  mehr  erlahmt,  kommt  es  zu  den  für 
das  Leben  gefahrvollen  Graden  namentlich  von-  N- 
Verhaltung,  zur  gefährlichen  Erhöhung  des  N-Spiegels 
im  Blute,  lieber  die  Bedeutung  der  Rest  N-Besti  m- 
mung  im  Blute  für  die  Funktionsprüfung  der  kran¬ 
ken  Niere  hat  Herr  Günzburg  kürzlich  ja  eingehend 
gesprochen.  Darum  möchte  ich  dem  nur  hinzufügen, 
dass  auch  die  zahlreichen  Volhard’schen  Untersuchun¬ 
gen  in  dieser  Richtung  die  Ueberlegenheit  der  Rest 
N-Bestimmung  in  diagnostischer  und  prognostischer 
Beziehung  über  alle  anderen  Prüfungsmethoden  erge¬ 
ben  haben.  Insbesondere  erhellt  aus  seinen  Versuchen 
aufs  deutlichste,  dass  die  Bestimmung  der  N-Bilanz 
allein  uns  kein  verlässliches  Bild  von  der  Anspruchs¬ 
fähigkeit  der  kranken  Niere  für  die  Eiweissschlacken 
der  Nahrung  und  damit  für  die  bedeutsamste  Nieren¬ 
funktion  gibt.  Es  kann  mitunter  N-Gleichgewicht  bei 
Erhöhung  des  Rest  N-  im  Blute  konstatiert  werden. 


Das  Gegenteil  habe  ich  allerdings  dieser  Tage  erlebt, 
eine  negative  N-Bilanz  von  0,5%,  bei  23  mgr.  Rest- 
N.  Dies  zeigt,  dass  die  N-Bilanz  auch  nicht  unter¬ 
schätzt  werden  darf.  Weiterhin  fand  aber  Volhard  die 
bedenkliche  latsache,  dass  die  prozentige  N-Konzen- 
tration  im  Urin  kaum  beträchtlich  schien  in  Fällen, 
deren  Rest-N-Spiegel  für  Azotämie  sprach.  Von 
den  Rest-N-Untersuchungen  Volhards  verdient  noch 
die  Feststellung  vermerkt  zu  werden,  dass  wir  aus 
der  Höhe  des  Rest  N-Spiegels  nicht  ohne  weiteres 
auf  die  Gefahr  der  Urämie  schliessen  dürfen;  er  fand 
nämlich  noch  bei  einem  Rest-N-Werte  von  195  mgr. 
in  100  ccm  Blut  günstigen  Ausgang.  Im  allgemeinen 
freilich  schliesst  hoher  Rest-N-Spiegel  die  Neigung  zur 
Urämie  in  sich.  Neben  diesen  Erscheinungen  schwer¬ 
ster  Nieren-Insuffizienz  im  Endstadium  der  diffusen 
Nephritis  kommt  es  auch  zu  Symptomen  schwerer  Herz¬ 
insuffizienz,  dadurch  zu  Atemnot,  kardialen  Oedemen 
und  Stauungsbronchitis,  doch  ist  dies  ebenso  bekannt 
wie  das  häufige  Vorhandensein  von  Augenhintergrund- 
Veränderungen  in  dieser  Krankheits-Phase.  Das  Ende 
pflegt  dann  auch  gewöhnlich  unter  dem  Bilde  der 
Herzinsuffizienz  zu  erfolgen  oder  es  kommt  zu  einem 
echten  urämischen  Zustande,  der  sich  durch  Foetor  uri- 
nosus,  Hinfälligkeit,  dyspeptische  Erscheinungen,  Mus¬ 
kelunruhe  verrät  und  schliesslich  in  grosse  Atmung 

O  o 

und  Koma  ausklingt. 

Nur  weniges  brauche  ich  von  den  herdförmi¬ 
gen,  durch  Bakterien  selbst,  nicht  ihre  Toxine  ver¬ 
ursachten  Nephritiden  zu  sagen.  Ihre  beiden  Un¬ 
tergruppen,  die  septisch-interstitielle  und  die  bei  in¬ 
fektiöser  Endokarditis  in  seltenen  Fällen  beachtete 
embolische  Herdnephritis  pflegen  symptomenlos  von 
seiten  der  Niere  zu  verlaufen,  die  Grundkrankheit  be¬ 
herrscht  das  Krankheitsbild ;  nur  zufälliger  Albumen- 
befund  und  zuweilen  Nierenschmerzen  können  uns  an 
eine  herdförmige  Nephritis  denken  lassen,  die  stets 
durch  fehlenden  Blutdruck  sich  von  einer  diffusen 
Nephritis  unterscheidet.  Die  etwas  häufigere  Unter¬ 
gruppe  der  herdförmigen  Glomeruloneph¬ 
ritis  akuter  und  chronischer  Natur  ist  gleichfalls 
durch  fehlende  Blutdrucksteigerung  von  der  diffusen 
Nephritis  unterschieden,  gibt  sich  aber  als  Entzündung 
—  im  Gegensatz  zu  Nephrosen  —  durch  häufige  rezi¬ 
divierende  Hämaturie  zu  erkennen.  Diese  Hämaturien 
sind  im  chronischen  Stadium  zuweilen  regelmässig 
mit  Nierenkoliken  verknüpft,  daher  der  Name  „Neph¬ 
ritis  dolorosa“.  Sonst  verlaufen  sie  völlig  uncharakte¬ 
ristisch  mit  keinerlei  Zeichen  gestörter  Nierenfunk¬ 
tion,  ohne  Oedeme  und  mit  ganz  geringer  oder  fehlen¬ 
der  Albuminurie.  Ihre  Prognose  ist  entsprechend  gut. 

Lassen  Sie  mich  nun  noch  rasch  das  Wesentliche 
der  Nieren  Sklerosen  skizzieren,  der  III.  Gruppe 
des  Volhardschen  Systems.  Sklerose  der  kleinen  und 
kleinsten  Nierengefässe  gab  der  Krankheitsgruppe  be- 
rechtigtermassen  die  Bezeichnung,  da  sie  das  Primäre 
bei  der  ganzen  Erkrankung  sind;  Symptome  der  Ar¬ 
teriosklerose  überhaupt  sind  es,  die  im  Symptomen- 
komplex  beherrschend  vorwiegen  und  zwrar  manch¬ 
mal  in  einem  Alter,  in  dem  man  sonst  noch  keine 
Arteriosklerosen  vermutet,  nämlich  schon  vor  dem  30. 
Jahr.  Bei  der  1.  Untergruppe,  der  blanden  Sklerose, 
weist  überhaupt  in  vielen  Fällen  nur  der  hohe  Wert 
der  arteriellen  Hypertonie  auf  die  Erkrankung  der 
Nieren  hin  und  selbst  Albuminurie,  wenigstens  renal 
bedingte,  fehlt  sehr  oft.  Dagegen  machen  sich  kardiale 
und  vaskuläre  Erscheinungen  für  Kranke  und  Arzt 
in  dieser  Gruppe  oft  beunruhigend  bemerkbar..  Eine 
besondere,  eben  durch  die  Nierensklerose  bedingte 
Note  erhalten  die  Herzerscheinungen  dadurch,  dass 
wir  relative  Insuffizienz  des  muskelstarken,  meist  hoch¬ 
gradig  hypertrophischen  Herzens  beobachten.  Diese 


1Q4 


FORTSCHRITTE 


besondere  Form  der  Insuffizienz  ist  dadurch  ausge¬ 
zeichnet,  dass  sie  sich  lange  Zeit  nicht  bemerkbar 
macht,  dass  weder  Beschleunigung  noch  Irregularität 
noch  Stauungen  auf  Herzschädigung  himveisen.  Zeit¬ 
weiliges  Druck-  oder  Schwindelgefühl,  Klopfen  in  den 
Ohren  während  der  Nacht,  kardiales  Asthma  weisen  in 
diesen  Fällen  meist  zuerst  auf  die  richtige  Spur.  Wenn 
dann  im  II.  und  III.  Stadium  die  Herzinsuffizienz 
stärkere  Grade  annimmt,  kommt  es  natürlich  zu  den 
Ihnen  ja  allen  bekannten  Aeusserungen  des  insuffizien¬ 
ten  Herzens,  das  aber  bei  der  blanden  Nierensklerose 
auffallend  lange  therapeutisch  beeinflussbar  bleibt;  ein 
Symptom  soll  nach  Volhard  allerdings  bei  seinem  Auf¬ 
treten  die  Prognose  trüben  —  der  Pulsus  alternans.  Auf 
seiten  des  Gefässsystems  zeigt  sich  die  Sklerose  vor 
allem  durch  aus  heiterem  Himmel  erfolgende  Blutun¬ 
gen  oder  lokale  Erweichungen  im  Gehirn,  dann  aber 
vor  allem  durch  die  von  Volhard  als  Pseudo  urä- 
m  ie  bezeichneten,  durch  Gefässspasmen  bedingte,  vor¬ 
übergehende  heftige  Schwindelanfälle,  Aphasien,  Amau¬ 
rosen,  lokale  Lähmungen  oder  Krämpfe.  Der  Verlauf 
dieser  blanden  Nierensklerosen  ist  überaus  chronisch, 
ausschliesslich  von  der  Herzkraft  abhängig.  Auch  bei 
der  2.  Untergruppe  der  Nierensklerosen,  die  als  narbige 
genuin  e  Sehr  u  m  p  f  n  i  e  r  e  der  Kliniker  bezeich¬ 
net  worden  ist,  von  Volhard  wegen  der  Vereinigung 
von  Sklerosen  und  herdförmiger  Glomerulonephritis 
kurz  K  o  m  binationsfor  m  genannt  wird,  kann  das 
Krankheitsbild  zunächst  und  zwar  Jahre  lang  dem  der 
blanden  Sklerosen  entsprechen.  Mit  einem  Schlage 
jedoch  ändert  sich  der  Zustand  dieser  vorwiegend  dem 
männlichen  Geschlecht  angehörenden  Kranken  mit 
„Kombinationsform“  in  dem  Augenblicke,  wo  die 
Nierenentzündung  hinzutritt  ;  dabei  braucht  letztere  gar 
nicht  ausgedehnt  zu  sein.  Die  vorher  kräftigen,  oft 
polyzythämischen  Kranken  werden  plötzlich  blass  und 
grau,  ihr  Blut  ausgesprochen  anämisch,  sie  verfallen 
sichtbar  körperlich  und  geistig,  oft  innerhalb  weniger 
Wochen  und  nun  überstürzen  sich  alle  die  bei  der 
blanden  Sklerose  schon  erwähnten  krankhaften  Er¬ 
scheinungen  vonseiten  des  Herzt  ns  und  der  Gefässe, 
nur  dass  sie  dazu  noch  viel  bedrohlicher  in  Erschei¬ 
nung  treten,  und  insbesondere  die  Störungen  im  Be¬ 
reiche  der  Hirngefässe  häufig  zu  schweren  psychischen 
Störungen  führen;  und  zu  diesen  Aeusserungen  des 
schwer  geschädigten  Kreislaufapparates  treten  nun 
noch  in  zunehmendem  Grade  die  beim  Endstadium  der 
diffusen  Nephritis  geschilderten  schweren  Insuffizienz- 
erscheinungen  vonseiten  der  Niere.  So  kommt  es  bei 
den  Fällen  von  Kombinationsformen  meist  innerhalb 
weniger  Wochen,  im  günstigsten  Falle  innerhalb  Jahres¬ 
frist  zu  einem  jämmerlichen  Ende  entweder  durch 
Heizinsuffizienz  oder  Apoplexie,  gewöhnlich  aber  durch 
echte  Urämie,  ln  prognostischer  Hinsicht  ist  wichtig, 
dass  Volhard  fast  bei  allen  diesen  Kombinationsformen 
im  Beginne  des  Umschlags  der  blanden  Sklerose  in 
die  maligne  eine  ausgesprochene  Neuroretinitis  fest¬ 
stellen  konnte.  Mit  Auftreten  dieses  Symptoms  erfährt 
die  Prognose  traurigste  Gestaltung,  da  —  wie  Volhard 
sagt  —  die  schleichende  Nephritis  unbekannter  Aetio- 
logie,  die  eine  vorher  arteriosklerotische  Niere  befällt, 
trotz  rechtzeitiger  Behandlung  eine  stets  unheilbare 
Krankheit  ist. 

Ich  bin  am  Schlüsse  meines  Ueberblickes  über 
die  Ergebnisse  der  Volhardschen  Arbeiten  angelangt 
und  will  nur  noch  die  nahe  liegende  Frage  beantwor¬ 
ten,  ob  und  inwieweit  das  neue  System  für  die  Nephro¬ 
pathien  die  oft  beklagten  Schwierigkeiten  zu  beheben 
vermag?  Ich  hatte  mehrfach  in  der  letzten  Zeit  Ge¬ 
legenheit,  in  der  Privatpraxis,  im  Gumpertzschen  Sie¬ 
chenhaus  und  in  dem  dieser  Anstalt  angegliederten 
Vereinslazarett  bei  Nierenkranken  die  Probe  aufs 


DER  MEDIZIN.  Nr.  20. 


Exempel  zu  machen.  3  Fälle  von  chronischer  Nephrose, 
3  von  diffuser  Nephritis  im  II.  Stadium,  2  Sklerose¬ 
fälle  entsprachen  gut  den  Volhardschen  Einteilungs¬ 
prinzipien.  Dabei  zeigte  uns  ein  aus  dem  Ffclde  er¬ 
schöpft  heimgekehrter  21  jähriger  Infanterist,  wie 
schwierig  unter  Umständen  auch  bei  sorgsamster  Beob¬ 
achtung  Diagnose  und  Prognose  werden  können.  Bei 
ihm  stieg  der  Blutdruck  bis  vor  etwa  14  Tagen  nie 
über  1 1 3  mm  Hg,  es  bestand  ganz  geringgradige 
Albuminurie  und  erst  nach  stundenlangem  Zentrifu¬ 
gieren  wurden  mehrere  granulierte  Zylinder  und  Ery¬ 
throzyten  gefunden,  dabei  aber  bestand  Zwangspolyurie 
und  fielen  Konzentrations-  und  Wasserproben  sowie 
N-Bilanz  unbefriedigend  aus.  Im  Anfänge  war  das 
Herz  nach  beiden  Seiten  dilatiert  und  das  Gesicht  etwas 
gedunsen.  Aus  dieser  Herzschädigung  dürfte  sich  die 
Verschleierung  der  Blutdrucksteigerung  erklären,  die 
nun  doch  vor  14  Tagen  erstmals  in  einer  Höhe  von 
135  mm  Hg  festzustellen  war.  Es  geht  dem  Patienten 
nach  energischer  Diät  und  Bettruhe  zwar  etwas  besser 
und  doch  muss  ich  nach  den  seitherigen  Beobachtun¬ 
gen  annehmen,  dass  eine  diffuse  Glomerulonephritis 
im  III.  Stadium  und  zugleich  Myokardveränderungen 
am  PI  erzen  vorliegen.  Dieser  Fall  hat  mir  so  recht  vor 
Augen  geführt,  dass  in  atypischen  Fällen  selbst  bei 
Anlehnung  an  das  Volhardsche  System  die  ganze 
Stufenleiter  klinischer  Untersuchungsmethoden  ein¬ 
schliesslich  der  Rest  N-Bestimmung,  insbesondere  auch 
häufige  Blutdruckbestimmungen  nötig  sind,  um  uns 
zu  einer  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  und  Prognose  zu 
bringen.  Halten  wir  diese  sich  unter  Umständen  er¬ 
gebende  Notwendigkeit  im  Auge,  hüten  uns  also,  allzu¬ 
viel  von  dem  neuen  System  zu  verlangen  und  zu  er¬ 
warten,  so  wird  es  sich  nach  meiner  Ueberzeugung 
auch  bei  weiterer  Nachprüfung  bewähren,  unsere  Dia¬ 
gnosen-  und  Prognosenstellung  künftighin  leichter  und 
klarer  gestalten. 


Ueber  die  Anwendung  von  „Togal“  bei  Rheuma¬ 
tismus,  Gicht  und  Erkältungskrankheiten. 

Von  Dr.  med.  O  1  1  e  n  d  o  r  f ,  ordinierender  Arzt  an  einem 

Reservelazarett 

Man  ist  in  den  letzten  Jahren  mehr  und  mehr  von 
der  ausschliesslichen  Salizylbehandlung  bei  Rheumatis¬ 
mus  abgekommen;  zwar  verwendet  man  in  geeigneten 
Fällen  noch  immer  gern  die  „Mixtura  antirheumatica“, 
welche  bekanntlich  im  wesentlichen  aus  Natrium  sali- 
cylicum  besteht,  wo  es  aber  irgend  angeht,  sucht  man 
statt  dessen  kombinierte  Präparate  anzuwenden,  denen 
die  toxischen  Eigenschaften  der  reinen  Salizylsäure 
fehlen. 

Die  grosse  Beliebtheit,  welcher  sich  auf  allen  Ge¬ 
bieten  der  modernen  Therapie  die  kombinierten  Arznei¬ 
mittel  erfreuen,  ist  ja  nicht  nur  auf  ihre  bequeme  Dosie¬ 
rung  zurückzuführen,  sondern  vor  allen  Dingen  auf  den 
Umstand,  dass  bei  derartigen  Kombinationen  die  Wir¬ 
kungen  der  einzelnen  Komponenten  sich  gegenseitig 
erhöhen  und  verstärken  ,  sodass  es  mit  Hilfe  dieser 
zusammengesetzten  Medikamente  in  den  meisten  Fällen 
gelingt,  mit  verhältnismässig  kleinen  und  vollkommen 
unschädlichen  Dosen  der  darin  enthaltenen  differenten 
Stoffe  denselben  Effekt  zu  erreichen,  zu  dessen  Er¬ 
langung  früher  grössere  —  oft  bereits  toxisch  wirkende 
Dosen  einer  der  Komponenten  nötig  waren.  Durch 
Anwendung  der  kombinierten  Arzneimittel  werden  also 
auf  ziemlich  einfache  und  bequeme  Weise  die  schäd¬ 
lichen  Nebenwirkungen  und  unangenehmen  Begleit¬ 
erscheinungen  der  früheren  Medikation  ausgeschaltet. 

Besonders  wichtig  ist  dies  gerade  bei  der  Salizyl¬ 
säure,  diesem  Spezifikum  für  Rheumatismus  und  rheu- 


Nr.  20 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


195 


matische  Erkrankungen  der  verschiedenen  Art.  Ich 
erinnere  mich  noch  jener  jetzt  längst  vergangenen  Zeiten, 
in  denen  man  fast  jedem  Rheumatismuskranken  so  grosse 
Dosen  Salizyl  einverleibte,  dass  die  ersten  Vergiftungs- 
erscheinungenjOhrensausen,  Herzklopfen,  Magenreizungen 
eintraten.  Und  ich  bin  überzeugt  davon,  dass  manche 
im  \  erlaufe  eines  Gelenkrheumatismus  eingetretene  Herz¬ 
affektion  ganz  gut  hätte  vermieden  werden  können, 
wenn  die  Salizylsäure  in  etwas  vorsichtiger  Dosierung 
gegeben  worden  wäre. 

Heutzutage  wird  eine  reine  Salizyltherapie  bei 
Rheumatismus  wohl  nur  noch  ganz  vereinzelt  verordnet. 
Unter  den  modernen  Rheumatismus  -  Mitteln  möchte  ich 
nun  die  Kollegen  besonders  audh  auf  das  „Togal“  hin- 
weisen,  ein  kombiniertes  Arzneimittel,  welches  sich  nach 
meiner  Erfahrung  ausgezeichnet  bewährt  hat. 

„Togal“  ist  sehr  zweckmässig  aus  mehreren  Stoffen 
zusammengesetzt,  deren  günstige  Wirkung  bei  rheuma¬ 
tischen  und  gichtischen  Erkrankungen  allgemein  bekannt 
ist.  Es  besteht  nach  den  Untersuchungen  des  vereidigten 
Handelschemikers  Dr.  W  i  n  c  k  e  1  in  München  im 
wesentlichen  aus  folgenden  Substanzen  : 

64,3  7o  Acidum  acetylosalicylicum, 

4,06 ''/o  Chinintannat, 

12,6%  Lithimnsalicylat, 

6,6  %  Stärke, 

10,6%  Asche,  in  der  Hauptsache  aus  Magnesia  usta 
oder  Magnesiumsuperoxyd  und  aus  Bolus 
bestehend. 

Über  die  Wirkung  der  Salizylsäure  bezw.  des 
Acidum  acetylosalicylicum  haben  wir  bereits  oben  ge¬ 
sprochen.  Dass  Chinin  ein  sehr  gutes  Antineuralgicum 
ist,  ist  ebenfalls  bekannt.  Daneben  übt  es  eine  toni- 
sierende  Wirkung  auf  die  Magenschleimhaut  aus,  die  ja 
durch  ausschliessliche  Salizylanwendung  leicht  geschädigt 
wird. 

Die  Lithiumsalze  bewirken  bekanntlich  eine  ver¬ 
mehrte  Harnsäure- Ausscheidung,  sodass  ihre  Anwendung 
besonders  bei  Gicht  wertvoll  ist.  Sicherlich  besteht 
aber  auch  bei  den  meisten  Formen  des  Rheumatismus 
eine  Ansammlung  von  Harnsäure,  die  durch  diese  Kom¬ 
ponente  des  Togal  gelöst  und  ausgeschieden  werden 
dürfte. 

Der  Zusatz  von  Magnesium  -  Superoxyd  und  Bolus 
ist  sehr  zweckmässig,  um  Verdauungsstörungen  und 
abnorme  Gärungserscheinungen  zu  verhindern  und  eine 
günstige  Resorption  des  Mittels  durch  den  Magendarm¬ 
kanal  herbeizuführen.  Aber  abgesehen  hiervon  kommt 
auch  dem  Magnesium-Superoxyd  nach  meinen  Beobach¬ 
tungen  eine  günstige  Wirkung  auf  die  Oxydationsvor¬ 
gänge  im  Organismus  zu.  Dieselben  werden  durch  den 
im  Körper  abgespaltenen  Sauerstoff  angeregt  und  ge¬ 
fördert,  es  tritt  eine  Lösung  und  Ausscheidung  der  an¬ 
gesammelten  Harnsäure  und  sonstigen  Stoffwechsel¬ 
schlacken  ein,  und  durch  die  Sauerstoffzufuhr  wird  die 
Verbrennung  im  Köfper  gefördert,  dadurch  die  ver¬ 
mehrte  Bildung  von  Harnsäure  usw.  verhütet. 

Aus  der  Zusammensetzung  des  „Togal“  ergibt  sich 
ohne  weiteres  das  Indikationsgebiet,  welches  für  seine 
Anwendung  in  Betracht  kommt.  Ich  habe  es  vornehm¬ 
lich  verordnet  bei  Rheumatismus,  und  zwar  sowohl  Ge¬ 
lenkrheumatismus  als  auch  Muskelrheumatismus,  Gicht, 
Neuralgie,  Neuritis,  Ischias,  Influenza  und  fieberhafter 
Mandelentzündung.  Die  Wirkung  war  durchweg  eine 
recht  gute.  Irgendwelche  toxische  Erscheinungen  oder 
unangenehme  Nebenwirkungen  habe  ich  nicht  beobachtet. 
Selbst  von  Herzkranken  wurde  es  gut  vertragen,  ohne 
dass  Herzbeschwerden  auftraten. 

Einige  wenige  der  von  mir  beobachteten  Fälle 
möchte  ich  im  folgenden  kurz  schildern: 

1.  Ernst  K. ,  Kaufmann,  36  Jahre  alt,  leidet  seit 
etwa  10  Jahren  ausserordentlich  häufig  an  Muskelrheu¬ 


matismus  in  den  verschiedenen  Muskelgruppen  ,  insbe¬ 
sondere  bei  Witterungswechsel  treten  die  Beschwerden 
ott  so  hettig  auf,  dass  der  Patient  meist  mehrere  läge 
das  Bett  hüten  muss.  Salizyl  hilft  an  sich  recht  gut 
gegen  die  Schmerzen ,  doch  verträgt  der  Patient  nur 
sehr  geringe  Dosen,  da  er  bei  grösseren  Dosen  sofort 
sehr  heftiges  Herzklopfen  und  äusserst  unangenehme 
Magen-Darm-Reizungen  bekommt.  Er  hat  daher  einen 
grossen  Widerwillen  gegen  alle  Salizylpräparate  und 
erklärte  mir,  lieber  die  Schmerzen  aushaltep  zu  wollen, 
als  die  unangenehmen  Nebenwirkungen  des  Salizyls  zu 
ertragen;  insbesondere  scheut  er  sich  vor  den  danach 
eintretenden  Herzbeklemmungen  und  Angstgefühlen.  — 
Ich  verordnete  Togal,  und  zwar  zunächst  dreimal  täg¬ 
lich  1  Tablette  und  als  diese  Dosis  gut  vertragen  wurde, 
ging  ich  zu  dreimal  täglich  zwei  Tabletten  über.  Es 
traten  keinerlei  ungünstige  Nebenwirkungen  auf,  die 
Schmerzen  in  den  befallenen  Muskeln  Hessen  sehr  schnell 
nach,  und  schon  nach  8  Tagen  konnte  der  Patient  seinen 
Dienst  wieder  vollkommen  versehen. 

2.  Hans  D.,  38  Jahre  alt,  leidet  seit  etwa  6  Jahren 
an  harnsaurer  Diathese,  die  sich  wiederholt  in  gichtischen 
Beschwerden  verschiedener  Art  bemerkbar  macht.  Er 
kam  in  meine  Behandlung  mit  sehr  starker  Anschwellung 
des  rechten  Oberarms,  besonders  der  Schultergegend, 
sehr  heftigen  furchtbar  quälenden  Schmerzen  in  den 
befallenen  Teilen.  Der  Arm  war  hierdurch  völlig  ge¬ 
brauchsunfähig.  Auch  dieser  Patient  hat  grosse  Ab¬ 
neigung  gegen  Salizyl,  da  er  dasselbe  bei  früheren  Be¬ 
schwerden  schon  wiederholt  angewandt  hat  und  danach 
stets  recht  unangenehme  Nebenerscheinungen  ,  ins¬ 
besondere  auch  Herzbeschwerden  zu  beklagen  hatte. 
Ich  verordnete  dreimal  täglich  zwei  Tabletten  Togal 
neben  einer  örtlichen  Behandlung  mit  Heissluft  und  ge¬ 
eigneten  Einreibungsmitteln.  —  Die  Wirkung  war  auch 
in  diesem  Falle  eine  recht  günstige  ;  in  den  ersten  drei 
Tagen  trat  allerdings  nur  eine  merkliche  Linderung  der 
vorhandenen  Schmerzen  ein,  während  die  Schwellung 
und  Gebrauchsunfähigkeit  des  Armes  noch  blieb.  So¬ 
dann  aber  zeigte  sich  rasche  Besserung  dieser  Symptome. 
Hand  in  Hand  damit  ging  eine  reichliche  Ausscheidung 
von  Harnsäure  und  harnsauren  Salzen  im  Urin.  Auch 
kohlensaure  Salze  wurden  im  Harn  in  reichlicher  Menge 
gefunden.  Das  spezifische  Gewicht  desselben  betrug 
1029,  der  Gesamtsäuregehalt  94  (mit  1  :  10  Normal 
Natronlauge  gemessen).  Nach  insgesamt  dreiwöchent¬ 
licher  Behandlungsdauer  war  der  Arm  wieder  vollkommen 
bewegungsfähig. 

3.  Artur  W.,  42  Jahre  alt,  früher  stets  gesund  ge¬ 
wesen,  erkrankte  infolge  von  Erkältung  (Durchnässung) 
an  äusserst  heftiger  Ischias.  —  Die  Schmerzen  waren  so 
heftig,  dass  der  Patient  sich  nicht  im  Bett  umdrehen 
konnte.  Auch  das  Aufrichten  im  Bett  war  ihm  nur 
unter  sorgfältiger  Unterstützung  und  unter  grossen 
Schmerzen  möglich. 

Der  sonst  kräftige  Patient  war  vollkommen  hülflos 

ö 

geworden.  Da  die  Schmerzen  geradezu  unerträglich 
waren,  musste  er  zweimal  täglich  eine  Morphium-Injek¬ 
tion  erhalten.  Aspirin,  das  er  bereits  selbst  vor  meiner 
Ankunft  in  grösseren  Dosen  genommen  hatte,  brachte 
zwar  reichliche  Schweisssekretion ,  jedoch  nur  geringe 
Linderung  der  Beschwerden  hervor.  Ausserdem  stellte 
sich  danach  Ohrensausen  und  völlige  Appetitlosigkeit, 
verbunden  mit  Übelkeit  und  Erbrechen  ein.  Letzteres 
war  besonders  unangenehm,  da  bei  den  durch  das 
Brechen  verursachten  Körperbewegungen  die  Schmerzen 
sich  erheblich  steigerten.  Ich  verordnete  neben  örtlicher 
Anwendung  von  Heissluft  und  Einreibungen  Togal, 
dreimal  täglich  drei  Tabletten.  Die  Schmerzen  Hessen 
schon  am  zweiten  Tage  etwas  nach;  am  vierten  Tage 
waren  sie  einigermassen  erträglich  und  steigerten  sich 
nur  gegen  Abend  wieder  so  sehr,  dass  noch  eine 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  20, 


100 


Morphium-Einspritzung  gemacht  werden  musste.  Doch 
genügte  es  an  diesem  und  den  beiden  folgenden  Tagen, 
dem  Patienten,  der  an  den  ersten  Tagen  zweimal  täg¬ 
lich  0,04  Morphium,  insgesamt  also  Ö,0K  pro  die  be¬ 
kommen  hatte,  einmal  abends  0,02  zu  geben.  Vom 
siebenten  Tage  ab  konnte  intolge  der  günstigen  Wirkung 
des  1  ogal  auf  Morphium  verzichtet  werden,  nur  am 
neunten,  zwölften  und  vierzehnten  Krankheitstage  stei¬ 
gerten  sich  die  Schmerzen  wieder,  so  dass  abends  noch 
je  eine  kleine  Injektion  von  0,02  gegeben  werden 
musste.  \  on  dann  ab  konnte  Morphium  ganz  fort¬ 
gelassen  werden.  Die  Besserung  schritt  dann  ganz  all-  1 
mählich  und  langsam  weiter  fort,  und  nach  insgesamt 


vier  Wochen  war  der  Patient  wieder  voll  arbeitsfähig 
Gerade  in  diesem  recht  schweren  Fall  hat  mir  das  Togal 
ausgezeichnete  Dienste  geleistet. 

Erwähnen  möchte  ich  noch,  dass  ich  das  Togal 
ferner  häufiger  mit  sehr  gutem  Erfolge  bei  Neuralgien, 
besonders  auch  bei  1  rigeminus-Neuralgie  verordnet  habe, 
ebenso  bei  Migräne,  und  sodann  als  Ersatz  tür  Aspirin 
bei  fieberhafter  Mandelentzündung,  fieberhaften  Bron¬ 
chialkatarrhen  und  den  verschiedenen  influenzaartigen 
Erkrankungen.  In  allen  Fällen  leistete  das  Präparat 
recht  gute  Dienste,  so  dasss  ich  es  den  Kollegen  zur 
Nachprüfung  angelegentlich  empfehlen  kann. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Hirschfeld  (Berlin),  Beiträge  zur  Behandlung'  der 
Nierenkranken.  (Berl.  kl.  Wschr.  46/15.) 

Die  Ereignisse  der  Arbeit  lassen  sich  in  folgenden  Sätzen 
zusammenfassen : 

Durch  eine  sehr  eiweissarme  Kost,  die  etwa  40  g  Eiweiss 
im  ganzen  und  30  g  resorbierbares  Eiweiss  uud  ungefähr  5  g 
Kochsalz  enthält,  gelingt  es  bei  Nierenkranken,  und  zwar  be¬ 
sonders  in  Fällen  von  Schrumpfnieren,  eine  weitgehende 
Besserung  zu  erzielen.  Die  Nahrung  besteht  vorzugsweise  aus 
Vegetabilien,  Kartoffeln,  Reis,  grünem  Gemüse,  Sahne,  Zucker, 
und  grossen  Mengen  von  Obst  in  jeder  Form. 

Der  Urin  sinkt  dabei  zumeist  auf  3/4  1  in  24  Stunden, 
die  Reaktion  ist  dabei  meist  alkalisch  oder  amphoter,  seltener 
noch  schwach  sauer.  In  diesem  letzteren  Fall  kann  der  Urin 
durch  Gaben  von  1  —  2  g  Natrium  bicarbonicum  oder  Natrium 
citricum  täglich  alkalisch  gemacht  werden.  Zugleich  mit  dem 
Eintritt  der  alkalischen  Reaktion  verringert  sich  oft  der  Ei- 
weissgehalt  sehr  rasch  und  kann  in  einzelnen  Fällen  sogar 
völlig  verschwinden. 

Der  Harn  enthält  bei  dieser  eiweissarmen  Kost  in  24 
Stunden  etwa  5  g  N  (—  11  g  Harnstoff),  5-6  g  Kochsalz 
und  an  festen  Bestandteilen  im  ganzen  ungefähr  25  g  gegen¬ 
über  60  —  70  g,  die  bei  eiweissreicher  Ernährung  entleert 
werden.  Das  spezifische  Gewicht  schwankt  zumeist  zwischen 
1011  und  1014. 

Eine  Senkung  des  Blutdruckes  stellt  sich  bei  der  eiweiss- 
und  salzarmen  Ernährung  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle 
nach  etwa  2  Wochen  ein. 

Bei  Verabreichung  einer  eiweissreichen  Mahlzeit  an  Nieren¬ 
kranke,  die  derartig  eiweissarm  einige  Wochen  ernährt  waren, 
stellt  sich  in  der  Regel  mehrere  Stunden  später  eine  Polyurie 
ein.  Muskeltätigkeit  verlangsamt  das  Eintreten  dieser  Harnflut. 
Bei  Störungen  in  der  N-Ausscheidung  wird  auch  durch  die  ge¬ 
steigerte  Muskeltätigkeit  die  Ausfuhr  von  Stickstoff  verlangsamt. 
Reichlichere  Eiweisskost  empfiehlt  sich  daher  bei  Nephritikern 
nur  dann,  wenn  sie  unmittelbar  darauf  möglichste  Körperruhe 
halten. 

In  den  folgenden  Aufsätzen  will  H.  noch  genauer  auf  die  Art 
und  Weise  der  Ernährung,  den  Einfluss  einzelner  Nahrungs¬ 
mittel,  die  Anzeigen  und  Gegenanzeigen  dieser  Behandlungs¬ 
methode  eingehen  und  einige  auf  diagnostischem  und  thera¬ 
peutischem  Gebiet  liegenden  Ergebnisse  mitteilen. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

F.  R.  Mühlhaus  -  Res.  Laz.  München  K.  Berichte 
über  Neuerscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Chirurgie  und 
Orthopädie.  —  Sauerbruchs  willkürlich  bewegliche  Hand. 

Die  Versuche,  die  Muskel-  und  Sehnenreste  eines  Ampu¬ 
tationsstumpfes  als  Kraftquellen  für  die  willkürliche  Bewegung 


von  künstlichen  Gliedern  auszunutzen,  reichen  auf  die  siebziger 
Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  zurück.  Doch  gelangten  alle 
früheren  Versuche  über  theoretische  Bedeutung  nicht  zum 
praktischen  Erfolg. 

Sauerbruch  -  Zürich  hat  nun  die  Methode  der  Kraft¬ 
verwertung  der  kontraktilen  Stumpfmuskulatur  des  Armes  neuer¬ 
dings  praktisch  umgesetzt  und  auch  in  kurzer  Zeit  schon  er¬ 
mutigende  Resultate  erzielt 

Sein  Verfahren  gliedert  sich  in  einen  chirurgischen  und 
einen  technischen  Teil. 

Der  chirurgische  Abschnitt  kann  als  gelöst  angesehen 
werden  und  es  sei  in  Kürze  das  interessante  Verfahren  der 
operativen  Ausbildung  der  koutraktionsmässig  wirkenden  Muskel 
oder  Sehnengruppen  angedeutet.  Im  Gegensatz  zu  früheren 
Autoren  bilden  für  Sauerbruch  Muskel-  uud  Sehnen¬ 
gruppen,  nicht  einzelne  Sehnen-  oder  Muskelbäuche  den  Kraft¬ 
ausgangspunkt.  Durch  diese  Zusammenziehung  mehrerer 
Muskelsysteme  ist  ein  wirkungsvolleres  Kraftvermögen  gesichert. 
Würde  man  z.  B.  an  einem  längeren  Unterarmstumpf  die  ein¬ 
zelnen  Sehnen  einzeln  ausnutzen,  so  wäre  als  Resultat  vielleicht 
eine  kompliziert-bewegliche  Hand,  die  funktionelle  Kraft  des 
Faustschlusses  aber  jedenfalls  so  minimal,  dass  praktisch-wirk¬ 
same  Ausnutzung  dieser  Hand  nicht  möglich  wäre. 

Nehmen  wir  einen  längeren  Oberarmstumpf  an,  so  schafft 
Sauerbruch  aus  den  beiden  Antagonistenguppen  2  vor- 
springende  Kraftwülste,  die  durch  eine  längsverlaufende  Haut¬ 
brücke  von  einander  getrennt  sind.  Zum  Ilerausheben  der 
Wulste  ist  erforderlich,  dass  die  Absetzung  des  Knochens  primär 
auch  ausgiebig  erfolgte  und  die  Weichteilmassen  bei  der  Ampu¬ 
tation  bestmöglich  geschont  sind. 

Die  Kraftwülste  werden  längs  durchbohrt  und  durch  sie 
hindurch  mittels  Kornzange  ein  plastisch-gebildeter  Hautkanal 
gezogen.  Gebildet  wird  dieser  Kanal  entweder  aus  der  Haut 
des  Oberarmes  selbst,  in  dem  ein  1 — 2  cm  breiter  Hautstreifen 
gestielt  abpräpariert  wird,  der  eingewendet  und  eingenäht 
polartig  durch  den  Muskelwulst  gezogen  wird,  oder  der  Kanal 
wird  aus  der  Thoraxwand  entliehen.  Die  freien  Wände  der 
Hautkanäle  werden  somit  von  der  Hornhautschicht  gebildet, 
wordurch  der  Kanal  schadlos  belastungsfähig  wird. 

Durch  den  Kanal  wird  ein  Elfenbeinstab  gelegt,  der  durch 
seitliche  Scheiben  fixiert  bleibt.  Ein  Bügel  setzt  an  den  Enden 
des  Stabes  an  und  vermittelt  die  Kraftübertragung  zur  künst¬ 
lichen  Hand. 

So  ist  die  chirurgische  Vorarbeit  zweckmässig  erledigt. 
Sauerbruch  hat  durch  fleissiges  Üben  bei  seinen  Pat.  ganz 
beträchtliche  Kraftleistungen  aufzuweisen.  Es  beträgt  z.  B.  die 
Hubkraft  der  Muskelstumpfkontraktion  an  einem  Oberarm  bei 
4 — 6  cm  Kontraktionsverkürzung  10  kg. 

Bei  Amputationen  der  Friedenschirurgie  und  bei  annehm¬ 
baren  Verhältnissen  der  Kriegschirurgie  lässt  sich  die  Bildung 
der  Muskelwülste  und  der  Hautkanäle  mit  der  Amputation  in 


Nr.  20. 


FORTSCHRITT 


einer  Sitzung  erledigen,  was  bisher  natürlich  nur  in  Nach¬ 
operationen  geschah. 

Die  Frage  der  praktischen  Anwendung  kann  ihre  völlige 
’  Lösung  erst  finden,  wenn  es  orthopädisch- technisch  gelungen 
ist,  ein  künstliches  Glied  herzustellen,  das  auch  die  volle  Aus¬ 
nutzung  der  chirurgisch  freigewordenen  Kraft  garantiert.  Bis¬ 
her  ist  dies  noch  nicht  gewünscht  gelungen,  aber  es  steht  zu 
hoffen,  dass  der  rege  Eifer  auch  diese  Schwierigkeit  über¬ 
winden  hilft. 

Macht  nun  die  Methode  Sauerb  r  uclis  die  bis  jetzt  neu- 
geschaffenen  Prothesen  wertlos?  Ich  glaube,  diese  Frage,  all¬ 
gemein  gehalten,  verneinen  zu  können.  Denn  es  handelt  sich 
ja  bei  der  geschilderten  Methode  nicht  um  ein  prinzipiell 
die  orthopädische  Prothesentechnik  umstürzendes  System, 
sondern  um  eine  wertvolle  Bereicherung  des  älteren  Prothesen¬ 
systems  durch  Ausnutzung  ruhender  Kräfte  und  somit  Be¬ 
lebung  der  toten  Prothesen.  Dadurch  verliert  der  Prothesen¬ 
träger  immer  mehr  das  Gefühl,  in  seiner  Prothese  lediglich  ein 
maschinelles  Verbindungsstück  mit  dem  Arbeitsobjekt  zu  sehen. 
Ausserdem  sind  auch  alle  bisher  ausgelieferten  Prothesen  noch 
nicht  aus  den  Anfangsstadien  ihrer  Entwicklung  heraus,  sodass 
sich  m.  E.  nach  leicht  eine  Kombination  dieser  Arten  im  An¬ 
schluss  an  Sauerbruchs  Verfahren  herstellen  lässt. 

Ich  konnte  mich  bisher  augenscheinlich  nur  von  dem 
•chirurgischen  Teil  der  Sauerbruchschen  Methode  in¬ 
formieren,  bin  aber  nach  dem,  was  ich  gesehen  habe  und  was 
ich  von  berufener  Seite  über  die  technisch-praktische  Ver¬ 
wendungsmöglichkeit  erfahren  habe,  auch  der  Meinung,  dass 
die  Methode  Sauerbruchs  nicht  nur  dazu  dienen  wird,  in 
Verbesserung  der  „Gesellschaftsprothese“  zweckdienlich  zu  sein, 
snndern  dass  das  wichtigere  Kapitel  der  Arbeitsprothesenfrage 
auch  seinerseits  brauchbare  Verwenduugsgebiete  für  sie  auf¬ 
weist. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

E  1  i  s  Esten-Mölle,  Lund.  Prof.  Dr.,  Aktiv?  oder  ab¬ 
wartende  Eklampsiebeliandlung  ?  (Monatsschrift  für  Geburts¬ 
hülfe  und  Gynäkologie.  Band  XLIII.  Heft  2.  Februar 
1916.) 

Auf  Grund  der  neueren  Erkenntnis,  dass  das  Ei  die 
Giftquelle  für  Eklampsie  bildet,  sollte  jede  Eklamptica  sofort 
entbunden  werden.  Dadurch  sank  die  frühere  Mortalität  von 
20—25  %  auf  etwa  10  —  15  %.  S  trog  an  off  und 
Zweifel  empfehlen  statt  der  Schnellentbindung  eine  modi¬ 
fizierte  Narkosenbehandlung  mit  guten  Erfolgen,  5—  8  °/0  Mor¬ 
talität.  Diese  Erfolge  sind  besser  als  die  Vf’s,  welcher  mit 
einer  individualisierenden  aktiven  Behandlung  bis  1908  9,7 G°/(, 
bis  i 9  1 5  13,10%  Mortalität  hatte. 

Verf.  unterzog  darauf  hin  die  Eklampsiebehandlung  in 
den  letzten  drei  Jahren  einer  erneuten  Prüfung,  um  dadurch 
die  Unsicherheit  in  der  Behandlung  der  Eklampsie  aus  der 
Welt  zu  schaffen.  Die  Geschichte  der  Eklampsie  lehrt,  dass 
G.  Veit  mit  Narkosebehandlung  mit  Morphium  3,3%  Mor¬ 
talität  erzielte,  später  aber  viel  schlechtere  Resultate  hatte, 
v.  Winkel  hatte  bei  exspektativer  Behandlung  7,6%,  später 
.  21,8%  Mortalität,  während  Kacke  bloss  3,8%  Mortalität 
bei  aktiver  Behandlung  erzielte.  Nach  Lichtenstein 
sind  die  bisher  erschienenen  Eklampsiestatistiken  irreführend, 
indem  bei  Frühentbindungen  nur  in  %  der  Fälle  die  Anfälle 
aufhören,  so  dass  die  Sterblichkeit  nach  Frühentbindung  nicht 
wesentlich  besser  ist  als  nach  anderen  Methoden,  weil  die 
Wochenbettseklampsie  eine  relativ  hohe  Mortalität  auf  weist. 
Bei  der  Frühentbindung  spielt  nach  Lichten  stein  die 
Blutentziehung,  nicht  die  Entfernung  des  Eies  für  die  Eklampsie 
die  Hauptrolle,  womit  Lichtenstein  die  abwartende  Behandlung 
argumentiert.  Verf.  weist  diese  Argumentierung  Lichten- 
s  t  e  i  ns  zurück  und  begründet  dies  damit,  dass  die  Eklampsie 
nicht  vom  ersten  Anfall  zu  datieren  ist,  der  nur  das  erste 
Symptom  der  Krankheit  ist,  welche  nach  Paul  Par  als 
Eklampsismus  eben  schon  vorher  vorhanden  ist,  ohne  dass  Anfälle 
eintreten.  Verf.  hat  in  31  Fällen  Symptome  von  Eklampsis¬ 
mus  1  Tag  bis  5  und  mehrere  Wochen  von  dem  ersten  An¬ 
fall  konstatiert.  Dasselbe  konnten  Alb  eck  und  Leopold 
M  a  y  e  r  feststellen.  Damit  glaubt  Vf.  die  Argumentierung 


ü  DER  MEDIZIN.  197 


Lichtensteins  zu  widerlegen.  Wenn  auch  die  Resultate 
Z  w  e  i  f  e  1  s  und  St  roganoffs  zu  Gunsten  der  ab¬ 
wartenden  Methode  sprechen,  kann  Vf.  die  aktive  Behandlung 
nicht  verlassen,  vom  Grundsatz  ausgehend,  dass  nur  die  Ent¬ 
fernung  des  Eies,  von  welchem  die  Krankheit  ausgeht,  die 
Krankheit  beseitigen  kann  Verf.  steht  auf  dem  Standpunkt, 
die  Schwangerschaft  noch  vor  dem  Auftreten  der  Anfälle  zu 
unterbrechen,  wo  trotz  klinischer  interner  Behandlung  die 
Symptome  des  Eklampsismus  nicht  zurückgehen.  Verf.  hat 
dies  in  28  Fällen  in  den  letzten  3  Jahren  getan,  welche  in 
einer  Tabelle  dargestellt  werden.  Das  Resultat  für  die  Mütter  ist 
ein  gutes,  alle  Mütter  haben  die  Gehurt  durchgemacht,  gesund 
oder  gebessert  die  Klinik  verlassen.  Für  die  Kinder  betrug  die 
Mortalität  25%.  Lichtenstein  37,3%.  Die  Technik 
des  aktiven  Verfahrens,  welche  Verf.  an  wandte,  war  in  5  Fällen 
der  vaginale  Kaiserschnitt,  in  23  Fällen  der  Blasenstich,  dem 
Verf.  dabei  den  Vorzug  gibt,  weil  die  Narkose  als  schädlich 
ausgeschaltet  werden  kann.  Der  Blasenstich  wird  so  ausge¬ 
führt,  dass  die  Portio  im  Spekulum  eingestellt,  durch  Hegar- 
stifte  soweit  geöffnet  wird,  dass  mit  einer  Hackenzange  die  Blase 
eingerisseu  werden  kann. 

Verf.  hält  auf  Grund  seiner  diesbezüglichen  Erfahrungen 
die  Beweisführung  für  die  abwartende  Eklampsiebehandlung 
für  keineswegs  unanfechtbar  und  sieht  die  Aufgaben  einer 
rationellen  Eklampsiebehandlung  nicht  in  der  Richtung  der 
Narkosenbehandlung,  sondern  in  einer  Verbesserung  der  aktiven 
Methode  In  dem  Masse  als  die  Schwangerschaft  wegen 
Eklampsismus  unterbrochen  wird,  in  demselben  Masse  wird 
auch  die  Eklampsie  seltener  werden. 

E  k  s  t  e  i  n  -Teplitz. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Zoltän  Barabäs,  Sensible  Störungen  bei  postdiphtherischen 
Lähmungen.  (Mitteilung  aus  der  mit  dem  Stephanie-Kiuder- 
Spital  verbundenen  pädiatrischen  Universitätsklinik  in  Budapest. 
Vorstand:  Hofrat  Dr.  Johann  v.  Bokay  o.  ö.  Professor).  (Jahr¬ 
buch  f.  Kinderh.  32.  Bd.,  6.  Heft) 

Die  Prüfung  der  Sensibilität  bei  Kindern  ist  schwierig, 
weshalb  denn  auch  bei  den  meisten  Autoren  nur  ungenaue  An¬ 
gaben  über  sensible  Ausfälle  bei  der  Kinderdiphtherie  zu  finden 
sind.  Bei  allen  von  B  a  r  a  b  ä  s  mitgeteilten  Fällen  kamen 
mehr  oder  minder  erhebliche  motorische  Lähmungen,  ungefähr 
in  der  Hälfte  der  Fälle  auch  sensible  Störungen  vor.  Diese 
hatten  den  Charakter  einer  dissozierten  sensorischen  Lähmung: 
Aufhebung  der  Schmerzempfindlichkeit  bei  normalem  Verhalten 
der  übrigen  Empfindungsqualitäten.  Mit  Besserung  der  klinischen 
Erscheinungen  kommt  nach  und  nach  das  Gefühl  für  Schmerz 
wieder.  Wegen  ihres  transitorischen  Charakters  kann  die  Emp¬ 
findungsstörung  nicht  in  gleiche  Linie  gestellt  werden  mit  der 
dissoziierten  sensorischen  Lähmung  bei  labesund  Syringomyelie. 

Braun-  München. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

G.  B  e  s  s  a  u,  Über  Ernährungsstörungen  ex  correlatione. 
(Aus  der  Kinderklinik  de  kgl.  Universität  Breslau.)  Monats¬ 
schrift  L  Kinderh.  XIII.  Bd.  Nr.  10. 

Verfasser  behandelt  in  seinen  sehr  lesenswerten  Aus¬ 
führungen  ein  wichtiges  Kapitel  des  Ernährungsproblems:  das 
gegenseitige  Verhältnis  der  einzelnen  Nährstoffe  in  der  Nahrung 
und  ihre  Stellung  in  der  Pathologie  der  Ernährungsstörungen, 
ex  alimentatione.  Im  Gegensatz  zum  Erwachsenen  fallen  beim 
Säugling  schon  ganz  geringe  Korrelationsänderungen  der  Nähr¬ 
stoffe  ins  Gewicht.  Die  einzelnen  Bestandteile  der  künstlichen 
Säuglingsnahrung  sind  an  sich  harmlos,  erst  eine  Verschiebung 
ihres  gegenseitigen  Verhältnisses  in  der  Nahrung  vermag  die 
Bedingungen  für  das  Entstehen  einer  akuten  oder  chronischen 
Ernährungsstörung  zu  liefern  K  on  einer  isolierenden  Be¬ 
trachtung  der  einzelnen  Nährstoffe  ist  gerade  bei  den  chronischen 
Ernährungsstörungen  kein  Gewinn  zu  erhoffen,  vielmehr  nur 
|  von  der  Würdigung  unzweckmässiger  Korrelation  der  Bestand¬ 
teile  der  Kuhmilch. 

Voraussetzung  für  das  Entstehen  der  alimentären  akuten 


198 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  20. 


Ernährungsstörung  ist  die  Gärung,  für  das  Entstehen  einer  Wichtige  gerichtliche  Entscheidung« 

chronischen  (Milchnährschaden)  die  Fäulnis.  Bessau  stellt  da-  T  S  **  Ciungen. 

mit  einen  „Faulnährschaden“  dem  Gärnährschaden  gegenüber.  1  «gerechtfertigte  Entlassung  eines  leitenden  Anstaltsarztes. 

Braun  -  München.  ,  (Nachdruck  verboten.) 

n  T  tt  „  au  .  „T  ,  .  Die  Beklagte  hatte  durch  Vertrag  vom  27.  Dez  1907  de» 

.„  Ö-V  L  Ä'r  t"  V8  ?r  ,"'eb‘ion  b,‘‘  d«r  Kläger  zum  Leiter  ihrer  Anstalt  beftellt.  Sie  kündigte  zum 

Äb»rf,TÄh(  32  M  a'Qmyeob^  !<;•.. Juni19"’  schlr  aber  »™  30.  März  1911  mit  dem 

tt  „  ;  ,  ,  ,  /  ,  •  ’  ,  e  .).  ,  _  ,  Klager  einen  neuen  Vertrag,  wonach  er  nur  Dirigent  für  die 

.  .®  L, beobachtete  eine  pyelocystitische  Endemie  —  wie  Fürsorgearbeit  sein  sollte,  während  die  eigentliche  Leitung  der 

seiner  Zeit  Trumpp  im  Anschluss  an  Enteritis  follicularis  -  Anstalt  dem  bisherigen  Assistenten  und  stellvertretenden  f  eiter 
nach  e.ner  Bronchitis  von  grippeartigem  Charakter  ohne  »arm-  Professor  Dr.  L  übertragen  wurde!  Dernlue ^  Vertrag  so  he 
erschein ungen.  _  Aus  den  Begleitumständen  schliesst  Verfasser,  bis  zum  30.  .Juni  1914  gelten  und  am  1.  Juli  1911  in  Kraft 

treten.  Auf  Grund  einer  Revision  der  Arbeitsräume  und  wegen 
des  Inhaltes  VOn  tlroi  Hon  1/onh  _ l*  , 


dass  es  sich  bei  den  von  ihm  beobachteten  Fällen  um  eine ,  e.clc.t.  aUi  wuuu  einer  rvevision  nor  Arhn,terä„mo  n 

descendierende  F°rm  der  Pyelocystitis  gehandelt  habe,  hält  es  des  Inhaltes  von  drei  Denkschriften  des  Klägers  kündigte  ihm 
aber  lui  unwahrscheinlich,  dass  alle  Pvlocvstide»  auf  odeirdie  Rntrio„io  ir...  i  0  m 


aber  für  unwahrscheinlich,  dass  alle  Pylocystiden  auf  gleiche 
W  eise  entstehen.  Braun-  München. 


die  Beklagte  Ende  Sept.  1911  ohne  Einhaltung  einer  Kün¬ 
digungsfrist.  Der  Kläger  erhob  daraufhin  Klage  auf  Fest- 
Ernst  Schloss:  Zur  Therapie  der  Rachitis.  Schluss- 1  stelluiLS  ,ler  Vertragsfortdauer  und  Zahlung  des  Gehaltes  bis 
mitteilung.  (Aus  dem  Grossen  Friedrichs- Waisenhaus  der  Stadt  Zum  '  ertragsablaufe  im  Betrage  von  22  000  M.  Die  Vor- 
Berlin  in  Rummelsburg  [Chefarzt,  Prof.  Erich  Müller])  (Jahr-  uis'auzen  der  Klage  statt.  Das  Berufungsgericht  machte 

buch  f.  Kinderh.  32.  Bd  ,  G  Heft.)  J  insbesondere  die  Zahlung  des  Gehaltes  vom  1  Okt.  1911  ah  von 

Verfasser,  der  in  den  vorangegangeuen  Veröffentlichungen  Entlassiuiff^abhänffi!^8  ^rSsMR  Verdienst  nacb  (ler 

■  Üb-  .Witkong  von  Lebertran  und  Kalk- 1  tmÜS^t  J ^M^Tus  älu  ^ 

Gründen: 

Das  Berufungsgericht  geht  davon  aus,  dass  die  von  der  Be- 


seine  Versuche  über  __  _ 

salzen  auf  den  Stoffwechsel  bei  Rachitis  mitgeteilt  hat,  zieht  in 
der  vorliegenden  die  Bilanz  aus  den  Resultaten  seiner  Versuchs¬ 
reihen.  Die  Versuche  wurden  bei  Ammen-,  Fett-  und  Eiweiss- 
milch  vorgenommen.  Bei  der  Analyse  wurden  in  allen  Ver¬ 
suchen  vorwiegend  Kalk,  Phosphorsäure  und  meist  auch  Stick¬ 
stoff  berücksichtigt. 

Als  Ergebnisse  seiner  Versuche  bei  natürlicher  (Frauen¬ 
milch)  Ernährung  sind  hervorzuheben  :  Alleinige  Zugabe  von 
Lebertran  scheint  günstig  zu  wirken.  Kalk  allein  ist  nicht 
brauchbar,  sondern  nur  in  der  Verbindung  mit  phosphorhaltigen 
Präparaten  und  zwar  mit  anorganischen  (besonders  Tricalcium- 
phosphat)  oder  organischen.  Im  Anfaugsstadium  scheint  die 
Zugabe  von  Lebertran  zu  diesen  anorganischen  oder  organischen 
Kalkphosphorpräparaten  nötig,  im  Heilungsstadium  überflüssig 
zu  sein.  Phosphorlebertran  besitzt  keinen  Vorzug  vor  Lebei^ 
trän,  sie  sind  vollkommen  gleich  zu  setzen. 

Braun-  München. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Grabley,  Paul  (Berlin- Woltersdorfer  Schleuse.)  Zur 
Literatur  und  Kasuistik  der  Mineralsalztherapie.  (Ztschr  f 
physik.  u.  diät.  Therap.  XIX.  1915.  12.  Heft.  S  453-369  ) 

Es  ist  eine  alte  Beobachtung,  dass  jede  neue  wissenschaft¬ 
liche  Erkenntnis  ihre  Wellen  in  das  Gebiet  der  praktischen 
Medizin  branden  lässt.  So  auch  die  Elektro- und  Biochemie,  diese 
jüngsten  Kinder  der  Molekular-Physik  und  -Chemie  Jeder  kennt 
heutzutage  die  Theorie  der  Lösungen,  wobei  dieSalzein  ihre  f  einsten 
leile,  die  Jonten,  zerfallen,  welche  mit  ungeheuerer  Geschwindig¬ 
keit  das  Lösungsmittel  durcheilen  und  indem  sie  auf  die  Be¬ 
grenzungen  tiefien,  dort  den  osmotischen  Druck  ausüben,  und 
indem  sie  elektrisch  geladen  sind,  als  Elektrone  elektrische 
Spannungen  erzeugen. 

Die  im  engsten  Raume  enthaltenen  Energien  lassen  alle 
Kalorien  weit  hinter  sich,  die  wir  durch  die  Verbrennungs¬ 
prozesse  gewinnen  können,  und  so  musste  eine  Bewegung  er¬ 
setzen,  welche  diese  Dinge  für  die  Heilung  des  kranken  Men¬ 
schen  nutzbar  machen  will. 

Dei  A  oi liegende  Aufsatz  schildert  diese  Bewegung  auf 
Grund  von  96  Literatur-Nummern.  Zugleich  ist  Grabley 
auch  selbst  dabei  beteiligt.  Denn  er  hat  ein  besonderes  Mineral¬ 
salzgemisch  eingeführt  und  berichtet  von  wunderbaren  Er¬ 
folgen  bei  schlecht  heilenden  Wunden,  ausgedehnten  Knochen¬ 
verletzungen,  Kriegsneurosen,  Erschöpfungszuständen,  Rachitis, 
Neurasthenie,  Lymphatismus,  Anämieen,  Obstipation,  Fettsucht’ 
Gicht,  Arteriosklerose,  Diabetes.  Natürlich  muss  man  das  Ge¬ 
misch  lauge  genug  nehmen. 

Die  chemischen  Überlegungen  sind  ohne  Zweifel  richtig. 
Nur  glaube  ich,  dass  die  Rechnung  ohne  die  physiologische 
Eigonwilligkeit  des  Organismus  angestellt  ist.  Indessen,  da  an 
Kranken  der  genannten  Arten  kein  Mangel  herrscht,  so  kann 
der  Beweis  der  tatsächlichen  Wirksamkeit  des  Präparates 


ta 


relativ  bald  erbracht  sein. 


Buttersack. 


klagten  behaupteten  Tatsachen,  nämlich  die  Aneignung  von 
Privatvorteilen  auf  Kosten  der  Anstalt,  der  Inhalt  der  zum 
Teil  schwere  Beleidigungen  des  Vorsitzenden  und  anderer  Mit- 
gliedei  des  Kuratoriums  enthaltenden  Denkschriften  und  die 
damit  zusammenhängenden  Vorgänge,  an  sich  geeignet  seien, 
einen  wichtigen  Grund  zur  fristlosen  Kündigung  des  Dienst¬ 
verhältnisses  nach  §  626  BGB.  zu  bilden.  Es  kommt  aber 
auf  Grund  einer  eingehenden  Würdigung  des  Ergebnisses  der 
Verhandlung  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  gegen  den  Kläger  fest- 
gestellten  Tatsachen  weder  einzeln  für  sich  noch  alle  zusammen 
die  fristlose  Kündigung  rechtfertigten.  Die  Würdigung  ent¬ 
spricht  dem  §  286  ZPO.  Ein  wichtiger  Grund  im  Sinne  des 
§  626  BGB.  liegt  vor,  wenn  nach  Lage  der  Umstände  dem 
einen  Teil  nicht  zuzumuten  ist,  das  Vertragsverhältnis  wider 
seinen  Willen  fortzusetzen.  Ein  Verschulden  des  anderen 
Teils  ist  dabei  grundsätzlich  ebensowenig  erforderlich,  als  eine 
Schädigung  desjenigen,  der  kündigen  will.  Das  ist  aber  vom 
Berufungsgericht  nicht  verkannt  worden.  Wenn  es  an  ver¬ 
schiedenen  Stellen  hervorhebt,  dass  ein  schuldhaftes  oder 
schädigendes  Verhalten  des  Klägers  nicht  nachgewiesen  sei,, 
so  erklärt  sich  dies  daraus,  dass  dem  Kläger  ein  solches  Ver¬ 
halten  von  der  Beklagten  vorgeworfen  worden  war,  und  ergibt 
als  die  Meinung  des  Berufungsgerichts  auch  nur,  dass  das  Ver¬ 
halten  des  Klägers  in  den  fraglichen  Punkten  bei  dem  Mangel 
eines  Verschuldens  oder  eines  Schadens  nicht  so  schwerwiegend 
sei,  um  die  Kündigung  im  vorliegenden  Falle  zu  rechtfertigen. 
Das  Berufungsgericht  verkennt  ferner  nicht,  dass  die  Stellung,, 
die  dem  Kläger  in  den  Verträgen  eingeräumt  war,  eine  Ver¬ 
trauensstellung  war,  die  nur  bei  Fortdauer  des  Vertrauens  und 
gegenseitiger  Achtung  bestehen  konnte.  Wenn  es  dabei  nicht 
besonders  hervorhebt,  dass  der  Kläger,  was  namentlich  für  die 
Verwendung  von  Vorräten,  Einrichtungen  und  Angestellten  der 
Beklagten  zu  Privatzwecken  des  Klägers  in  Betracht  kam,  auch 
alles  unterlassen  musste,  was  sein  Ansehen  bei  den  unter¬ 
geordneten  Angestellten  zu  untergraben  geeignet  war,  so  folgt 
daraus  nicht,  dass  das  Berufungsgericht  diesen  Gesichtspunkt 
übersehen  hat.  Das  Berufungsgericht  lässt  endlich  nicht  un¬ 
beachtet,  dass  der  Kläger,  was  seine  Ausführungen  in  den 
Denkschriften  betrifft,  nicht  durch  sein  Verhalten  den  Mit¬ 
gliedern  des  Kuratoriums  ein  weiteres  Zusammenarbeiten  mit 
ihm  unmöglich  machen  durfte.  Bei  der  Prüfung  der  Frage,, 
ob  die  in  den  Denkschriften  erhobenen  Angriffe  einen  wichtigen 
Grund  im  Sinne  des  §  626  BGB  bildeten,  darf  aber  nicht  ein¬ 
seitig  davon  ausgegangen  werden,  wie  diese  Angriffe  von  den 
Angegriffenen  empfunden  wurden.  Die  Beklagte  kann  dem 
Klager  einen  begründeten  Vorwurf  nicht  aus  Äusserungen 
machen,  die  eine  durch  das  Verhalten  ihrer  eigenen  Organe 
lei  vorgerufene,  nach  den  Umständen  gerechtfertigte  Kritik 
enthalten,  und  auch  insoweit,  als  dies  nicht  zutrifft,  muss  be- 
mcksichtigt  werden,  wie  der  Kläger  die  Verhältnisse  ansah 
und  nach  den  ihm  bekannten  Umständen  ansehen  durfte 
Urteil  des  Rü.  vom  4.  Jan.  1916.  III.  184/1915 

(Mitgeteilt  von  Rechtsanwalt  Dr.  Berthold,  Leipzig.) 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortschritte  der  Ihedim 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Iflitwirkung  hervorragender  facbmänner 

herausgegeben  von 

L  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  21 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  in.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  April 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Eine  neue  Operationsmethode  des  Mastdarm¬ 
vorfalls  der  Frau. 

Von  Prof.  Dr.  Albert  Sippel  (Frankfurt  a.  Main). 

Der  ausgebildete  Mastdarmvorfall  der  Frau  gehörte 
von  jeher  zu  den  Dingen  ,  welche  man  unter  dem  Be¬ 
griffe  der  „Crux  medicorum“  zusammen  zu  fassen  pflegte. 
Noch  mehr  freilich  war  es  die  Crux  mulierum !  Äusserst 
qualvoll  für  die  von  ihm  Heimgesuchten  und  dabei  ein 
für  den  Arzt  nur  schwer  oder  überhaupt  nicht  zu  be¬ 
seitigendes  Übel  —  das  war  das  traurige  Bild,  welches 
der  Mastdarmvorfall  der  Frau  in  früheren  Zeiten  bot 
Sehr  zahlreich  sind  die  operativen  Vorschläge,  welche 
man  im  Laufe  der  Jahre  zur  Beseitigung  des  Leidens 
gemacht  hat.  Die  grosse  Zahl  dieser  Vorschläge  be¬ 
weist,  dass  keiner  derselben  eine  wirkliche  Lösung  der 
Frage  brachte.  Entweder  waren  sie  nur  für  einzelne 
halle  geeignet,  oder  sie  brachten  nur  unvollkommenen 
Erfolg,  oder  aber  der  Erfolg  war  ein  nur  vorüber¬ 
gehender  mit  früher  oder  später  eintretendem  Rezidiv. 

Es  gibt  nach  Art  der  Entstehung  und  nach  dem 
anatomischen  \  erhalten  zwei  verschiedene  For¬ 
men  des  M  astdarm  Vorfall  s.  Die  eine  kommt 
zustande,  indem  zunächst  die  unmittelbar  über  dem  Anus 
befindliche  Partie  des  Rektum,  also  die  Pars  analis,  vor 
die  Afteröffnung  heraustritt,  und  nach  und  nach  immer 
höher  gelegene  Abschnitte  der  Pars  pelvina  und  even¬ 
tuell  der  Flexur  folgen.  Der  Vorfall  beginnt 
also  unten  uud  schreitet  nach  oben  fort. 
Die  besten  operativen  Erfolge  bei  dieser  Form  des 
Prolapses  ergab  seither  die  Methode  von  L.  R  e  h  n  und 
Del  o  rm  e.  Sie  besteht  in  einer  zirkulären  Ablösung 
der  Schleimhaut  von  dem  vorgefallenen  Stück  des  Darms, 
beginnend  am  Analrand  und  fortschreitend  bis  zur  Spitze 
des  Vorfalls.  Durch  Katgutnähte  wird  die  entstehende 
manschettenartige  Wunde  zu  einem  ringförmigen  Wulst 
zusammengezogen,  sodass  der  vorher  auf  der  Spitze  des 
Vorfalls  gelegene  Schieimhautwundrand  mit  dem  Haut¬ 
rand  der  Afteröffnung  vereinigt  wird.  Hierdurch  wird 
der  Vorfall  zurückgebracht.  Der  ringförmige  Wulst 
gibt  eine  meist  genügende  Stütze  gegen  das  Wieder- 
herabtreten  des  Darms.  Wirklich  normale  Ver¬ 
hältnissewerden  auf  diesem  Wege  nicht 
erreicht. 

Die  zweite  Art  des  Mastdarmvorfalls  der  Frau  ent¬ 
steht,  indem  zunächst  der  oberste  Abschnitt  der  vor¬ 
deren  Wand  der  Pars  pelvina  recti  herabtritt.  Er  stülpt 
sich  in  den  unterhalb  gelegenen  Darmteil  hinein,  zieht 
seine  benachbarten  und  die  oberhalb  gelegenen  Partien 
nach  und  tritt  durch  die  Pars  analis  hindurch  und  aus 


dem  Anus  heraus,  sodass  eine  vollständige  Invagination 
der  Pars  pelvina  recti  und  bei  stärkeren  Graden  der 
Entwickelung,  der  unteren  d  eile  der  Flexur  durch  die 
Pars  analis  hindurch  stattfindet.  Diese  letztere  bleibt, 
da  sie  mit  ihrer  Umgebung,  dem  Levator  ani,  in  fester 
Verbindung  steht,  in  ihrer  normalen  Lage.  Man  fühlt 
demnach  oberhalb  des  Analrandes  rings  herum  das  Mast¬ 
darmrohr  in  der  Länge  von  einigen  wenigen  Zenti¬ 
metern  erhalten  und,  am  oberen  Rande  dieses  Ringes 
die  Umschlagstelle  des  invaginierten  prolabierten  Darm¬ 
abschnitts.  Während  also  bei  der  ersten  Form  des 
Mastdarmvorfalls  das  ganze  Rektum  vom  Analrand  ab 
aufwärts  herabtritt,  bleibt  bei  der  zweiten  Form  die 
Pars  analis  an  normaler  Stelle.  Besteht  ein  solcher  Vor¬ 
fall  lange  Zeit  hindurch,  so  kann  schliesslich  durch  den 
anhaltenden  Zug  des  prolabierten  Darmabschnitts  auch 
die  Pars  analis  von  ihrer  Unterlage  gelöst  und  mit 
herabgezogen  werden,  sodass  das  Endresultat  das  gleiche 
ist,  wie  bei  der  ersten  Entstehungsweise.  Jedenfalls 
aber  kommt  diese  zweite  Form  im  Gegensatz  zur 
ersteren  in  der  Weise  zustande,  dass  sie  mit  dem  Herab¬ 
treten  des  obersten  Rektumabschnitts  be¬ 
ginnt  und  von  oben  nach  unten  fort¬ 
schreitet. 

Mit  dem  Herabtreten  des  Rectum  ist  bei  beiden 
Formen  eine  starke  Dehnung  der  Douglas  ’  sehen 
Falten,  ein  starkes  Herabtreten  des  Douglas  ’  sehen 
Raumes  und  eine  Dehnung  und  Lösung  der  Verbin¬ 
dungen  des  Rektum  mit  seiner  Umgebung  ver¬ 
bunden. 

Diese  2te  Form  des  Mastdarmvorfalls,  die  Invagi- 
nationsform,  wie  ich  sie  nennen  möchte,  ist,  so 
lange  die  Pars  analis  an  normaler  Stelle  bleibt,  mit  der 
Rehn-Delorme  sehen  Methode  nicht  zu  heilen.  Man 
müsste  die  Naht  und  Wulstbildung  in  das  Lumen  des 
Darms  oberhalb  der  Pars  analis  verlegen.  Das  scheint 
technisch  nicht  ausführbar.  Wenn  dies  trotzdem  mög¬ 
lich  wäre,  so  würde  der  stützende  und  verengernde 
Ringwulst  oberhalb  des  Sphinkter  und  Levator  ani  zu 
liegen  kommen.  Dadurch  aber  würde  die  ungenügende 
Stützkraft  der  Beckenbodenmuskulatur  kaum  verstärkt 
werden. 

Vor  jetzt  23/4  Jahren,  als  mir  die  Aufgabe  gestellt 
wurde,  einen  faustgrossen  derartigen  Invaginationsprolaps 
mit  erhaltener  Pars  analis  bei  einer  61  jährigen  Frau  zu 
heilen,  entwarf  ich  einen  Operationsplan,  der 
a  u  s  g  i  n  g  von  der  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  und  dem  Ent¬ 
stehungsmechanismus  des  Leidens,  und 
der  den  Zweck  hatte,  die  normalen  Ver¬ 
hältnisse  wieder  herzustellen. 


20Ö 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  21. 


Den  Beginn  nimmt  diese  Form  des  Vorfalls,  wie 
schon  gesagt,  an  der  vorderen  Wand  des  obersten,  am 
Douglas'  sehen  Raum  gelegenen  Abschnitts  der  Pars 
pelvina  recli.  Sie  erschlafft,  wird  gedehnt  und  buchtet 
sich  in  das  Darmlumen  hinab.  Ihr  folgt  das  Rektum  in 
seiner  ganzen  Circumferenz.  Gleichzeitig  werden  die 
Douglas’schen  Falten  gedehnt,  der  Douglas  selbst  wird 
stark  herabgezogen  und  kann  bei  hochgradiger  Ent¬ 
wickelung  des  Vorfalls  in  diesen  herabtreten.  Zugleich 
findet  natürlich  eine  Lockerung  und  Lösung  der  Ver¬ 
bindungen  des  Rektum  mit  seiner  Umgebung  statt. 
Mein  Plan  erstrebte  nun  eine  Wiederverengerung  und 
Straffung  der  gedehnten  und  erschlafften  vorderen  Mast¬ 
darmwand,  eine  feste  Verankerung  derselben  auf  ihrer 
Umgebung  und  ein  Verlagern  des  Douglas’schen  Raumes 
nach  oben  an  seine  normale  Stelle.  Erreicht  wurde 
dies  gesteckte  Ziel  auf  folgende  Weise  :  Reposition  des 
Vorfalls.  Mediane  Spaltung  der  hinteren  Scheidenwand 
in  ihrer  gesamten  Länge  und,  daran  anschliessend,  des 
Dammes.  Der  Schnitt  dringt  durch  bis  zum  Douglas¬ 
peritoneum,  der  vorderen  Mastdarmwand,  dem  Levator 
und  dem  Sphinkter  ani.  Fortsetzung  des  Schnitts  nach 
oben  durch  den  untersten  Feil  der  hinteren  Cervixwand 
bis  zum  Peritoneum.  Auseinanderklappen  der  Wunde  ) 
und  breites  Freilegen  der  vorderen  Mastdarmwand  und 
der  vorderen  Muskelfaszienplatten  des  Levator  ani. 
(Mm.  puborectales).  Emporschieben  des  uneröffneten 
Douglasperiloneum.  Vernähung  der  vorderen  Mastdarm¬ 
wand  zu  Längsfalten,  bis  eine  genügende  Straffung  und 
Verengung  erzielt  ist.  Vereinigung  der  Cervixwunde 
mit  2  Saturen,  welche  die  vordere  Mastdarmwand  breit 
mit  fassen  und  auf  die  hintere  Cervixwand  fixieren. 
Vereinigung  der  Scheidenwundränder  durch  eben  solche 
die  vordere  Mastdarmwand  breit  mitfassende  Nähte  bis 
herab  zur  Höhe  des  Levator  ani.  Dann  von  unten  nach 
oben  fortschreitend  Vereinigung  der  beiden  Schenkel 
des  Levator  durch  Nähte,  welche  ebenfalls  die  vordere 
Mastdarmwancl  breit  mitfassen  und  so  auf  der  hinteren 
Levatorfläche  verankern.  Vereinigung  der  übrigbleiben¬ 
den  Scheidendammwunde  wie  bei  einer  Colpoperineo- 
rhaphie. 

Der  lange  Zeit  hindurch  vorhanden  gewesene  grosse 
Vorfall  hatte  eine  dauernde  Dehnung  und  Erschlaffung 
des  Sphinkter  ani  bewirkt  und  damit  ein  Incontinentia 
alvi.  Es  wurde  deshalb  der  im  Vorstehenden  geschil-  I 
derten  Operation  eine  dreieckige  Anfrischung  der  hinteren 
Rektalwand  hinzugefügt  mit  der  Basis  aussen  am  Ilaut- 
rand,  der  Spitze  im  Rektum.  Vereinigung  dieser  W  unde 
wie  bei  Colporhaphia  posterior. 

Die  Heilung  dieser  Operationswunden  erfolgte  ohne 
jede  1  emperaturerhöhung  durchweg  per  primam.  Nur 
die  beiden  untersten  im  Mastdarmlumen  gelegenen  Nähte 
schnitten  etwas  durch  und  vernarbten  dann  unter  Gra- 
nulationsbildung.  Der  Vorfall  ist  dauernd  (bis  jetzt 
2%  Jahr)  beseitigt.  Palpation  vom  Rektum  aus  ergibt 
vollkommen  normale  Verhältnisse.  Der  in  der  ersten 
Zeit  nach  der  Operation  nicht  völlig  genügende  Sphink- 
terenschluss  wurde  bald  normal.  Ich  nehme  an,  dass 
dies  darauf  beruht,  dass  der  nicht  mehr  durch  den  Pro¬ 
laps  dauernd  gedehnt  gehaltene  Schliessmuskel  seinen 
I  onus  wieder  erlangt  hat.  Alles  in  allem  genommen 
ist  die  Frau  gesund,  als  hätte  sie  nie  einen  Mastdarm¬ 
vorfall  gehabt. 

Inzwischen  wurde  vor  3/4  Jahren  ein  zweiter  Mast- 
darmvoifall  bei  einer  jüngeren  Frau  nach  derselben 
Methode  operiert.  Es  handelte  sich  um  die  gewöhnliche 
von  unten  nach  oben  fortscheitende  Form  des  Prolapses. 
Auch  dieser  Fall  ist  dauernd  vollkommen  geheilt. 

\  oraussetzung  für  die  Erzielung  eines  guten  Erfolgs  j 
mit  meiner  Methode  ist,  dass  die  inneren  Genitalien 
mit  samt  dem  Levator  ani  soviel  Halt  haben,  dass  eine  i 
\  erankerung  des  Rektum  an  ihnen  eine  genügende  | 


Stütze  findet.  Sind ,  wie  in  unserem  ersten  Fall,  die 
Scheidenwände  erschlafft,  so  fügt  man  eine  vordere  und 
hintere  Colporhaphie  hinzu.  Ist  auch  der  Haltapparat 
des  Uterus  insuffizient,  so  ist  eine  breite  feste  Ventri- 
fixur  des  Uterus  anzuschliessen.  Damit  hat  eine  Tuben¬ 
sterilisation  Hand  in  Hand  zu  gehen,  wenn  es  sich  um 
eine  Frau  im  gebärfähigen  Alter  handelt.  — 

Die  notwendige  Festigung  des  Levator  erfolgt,  wo 
sie  fehlt,  durch  die  einen  Teil  der  Operation  bildende 
Naht  dieses  Muskels  von  selbst.  Die  Nähte  müssen  mit 
dauerhaftem  Jodkatgut  ausgeführt  werden. 

Beschränkt  sich  das  Leiden  auf  die  unteren  Ab¬ 
schnitte  des  Rektum,  wie  dies  bei  dem  gewöhnlichen 
von  unten  nach  oben  zu  entstehenden  Prolaps  der  Fall 
sein  kann,  so  ist  es  nicht  nötig,  die  mediane  Spaltung 
der  hinteren  Scheidenwand  bis  in  das  Scheidengewölbe 
oder  gar  bis  in  die  Cervix  fortzusetzen.  Es  genügt 
eine  Inzision,  welche  der  Ausdehnung  des  prolabierten 
Rektumabschnitts  entspricht. 

Ich  glaube,  dass  die  bei  der  Operation  angewen¬ 
deten  Prinzipien  richtig  sind.  Der  Dauererfolg  in  beiden 
Fällen  bestätigt  es.  Ausserdem  hat  die  Methode  den 
Vorzug,  tatsächlich  die  normalen  Verhältnisse  wieder  zu 
schaffen.  Ein  weiterer  Vorzug  ist  ihre  relative  Gefahr¬ 
losigkeit. 


Neuere  Arbeiten  über  die  Chemie  und  Physiologie 

der  Eiweisskörper. 

Von  Dr.  Egon  Eichwald. 

Vor  einiger  Zeit  hat  Willstätter  in  einem 
zusammenfassenden  Referat  über  das  Chlorophyll  und 
die  Blütenfarbstoffe  ausgeführt,  dass  die  organische 
Chemie  die  Periode  der  Strukturchemie  mehr  oder 
weniger  bereits  überwunden  hat  und  sich  von  Tag  zu 
Tag  immer  entschlossener  an  die  Erforschung  der 
eigentlichen  lebendigen  Substanzen  heranwagt.  Ausser 
für  die  erwähnten  Forschungen  W  illstätters 
gilt  dies  noch  für  eine  Reihe  anderer  Arbeiten.  Arbeiten 
über  den  Blut-  und  Gallenfarbstoff,  solche  amerikanischer 
Forscher  über  Nucleinsäuren,  Arbeiten  über  Fette,  Lipo¬ 
ide  und  Eiweisskörper  beweisen,  wie  sehr  man  am 
Werk  ist,  aus  der  im  Verlauf  des  vorigen  Jahrhunderts 
geschaffenen  Strukturchemie  die  Folgerungen  zu  ziehen 
für  die  Substanzen  der  Organismen. 

Wir  wollen  uns  hier  kurz  über  ein  für  den  Arzt  be¬ 
sonders  wichtiges  Spezialgebiet,  das  Gebiet  der  Eiweiss¬ 
körper  orientieren  und  vor  allem  einen  Blick  tun  auf  die 
Probleme,  die  heute  innerhalb  der  Eiweisschemie- 
und  -physiologie  im  Vordergrund  des  Interesses  stehen. 
Zunächst  handelt  es  sich  darum,  ein  Urteil  über  die  Z  u- 
sam  men  Setzung  der  einzelnen  Eiweisskörper  zu 
gewinnen.  Der  entscheidende  Schritt  in  der  analytischen 
Erforschung  des  Eiweisskomplexes  wurde  1901  von 
Emil  Fischer  durch  die  Entdeckung  der  so¬ 
genannten  Estermethode  getan.  Bei  der  Zersetzung 
des  Eiweiss  mit  Hilfe  von  Säuren  oder  durch  Fermente 
entstehen  ausser  den  das  Eiweiss  zusammensetzenden 
Amidosäuren  noch  zahlreiche  andere  Verbindungen,  die 
zum  Bestand  des  Eiweissmoleküls  gehören.  Eine 
Trennung  von  diesen  Verbindungen  sowie  auch  der 
einzelnen  Amidosäuren  untereinander  war  im  allgemeinen 
nicht  möglich,  bis  E.  Fischer  fand,  dass  die  Ester 
einer  Reihe  vom  Amidosäuren  z.  B.  von  Glycocoll, 
Alanin,  Leucin  sich  unter  vermindertem  Druck  leicht 
destillieren  und  von  dem  zurückbleibenden  Gemisch 
abtrennen  lassen.  Durch  diese  Methode  wurde  es  dann 
möglich,  einen  wenigstens  vorläufigen  Einblick  in  die 
quantitative  Zusammensetzung  zahlreicher  Eiweisskörper 
zu  gewinnen.  Man  zersetzte  das  Eiweiss  zunächst  mit 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


201 


Nr.  21. 


Salzsäure,  veresterte  das  Zersetzungsprodukt  sodann 
mit  Alkohol  und  gasförmigem  Chlorwasserstoff  und 
trennte  die  erhaltenen  Ester  durch  Destillation  ab.  Man 
fand  so  als  neue  Eiweissbausteine  vor  allem  eine  dem 
Leucin  sehr  ähnliche  Substanz,  das  sogenannte  Nor- 
leucin. 

Für  die  Amidosäuren  mit  aromatischem  Kern,  wie 
Tyrosin  und  Phenylalanin,  sowie  für  Diaminosäuren,  wie 
Lvsin,  Ornithin,  sowie  für  das  Arginin  Histidin  und 
Tryptophan  hatte  man  besondere  Abscheidungs¬ 
methoden  mit  Phosphorwolframsäure  resp.  Quecksilber¬ 
salzen. 

In  der  physiologischen  Forschung  wurde  bald  ein 
anderes  Problem  der  Eiweisschemie  von  grösserer  Be¬ 
deutung ;  nämlich  die  analytische  Erkennbarkeit  einer 
wenn  auch  geringen  Abspaltung  v  o  n  Amido¬ 
säuren  aus  einem  grösseren  Komplex.  Ebenso 
wichtig  ist  der  Nachweis,  dass  sich  aus  einem  höheren 
Eiweisskörper  z.  B.  einem  Pepton  eine  wenn  auch  ge¬ 
ringe  Menge  freier  Amidogruppen  gebildet  hat. 

Nach  E.  Fischer  besteht  das  Eiweiss  ja  aus 
zahlreichen  Amidosäuren,  die  polypeptidartig  miteinander 
verbunden  sind  z.  B. 

Glycylglycin  CH,  NH, .  CO  -  NH .  CHS  cg„  a“2 

Glycocoll :  CH.,NH2.CO 

OH. 

Bei  der  Einwirkung  von  ei  weissspaltenden  Fer¬ 
menten  sowie  hydrolysierenden  Chemikalien  findet  eine 
Aufspaltung  nach  folgendem  Schema  statt: 

CH2  NH2.  CO  —  NH  .  CIL  CO  +  HOCH,  =  NIL  CO 

OH  OH 

+  NH2CHoCO 

OH. 

Mit  andern  Worten  :  Es  hat  sich  eine  freie  Amido- 
gruppe  gebildet. 

Auf  dem  Nachweis  dieser  freien  Amidogruppe  be¬ 
ruhen  die  beiden  wuchtigsten  Methoden  zur  quantitativen 
Verfolgung  der  Eiweissspaltung  :  Die  Sö  re  Ilse  n’sche 
Formoltitration  und  die  van  S  1  y  k  e’sche  Methode 
mit  Hilfe  von  Natriumnitrit. 

Die  S  ö  r  e  n  s  e  n’sche  Methode  fusst  darauf,  dass 
die  Amidosäuren  durch  die  Wirkung  der  basischen  NH, 
Gruppe  nicht  als  Säuren  titrierbar  sind.  Wohl  aber  ist 
dies  der  Fall,  wenn  man  zu  ihrer  Lösung  vorher  For¬ 
maldehyd  hinzusetzt.  Der  Formaldehyd  reagiert  dann 
nach  folgender  Formel  mit  der  Amidogruppe  : 

CH2  NH2 .  CO  +  HCO  =  CH, .  CO  +  ITO. 

OH  H  N  .  CH2  OH 

Die  NH2-Gruppe  ist  jetzt  durch  den  Formaldehyd 
ihrer  basischen  Eigenschaften  beraubt  und  die  Amido- 
säure  wie  jede  andere  Säure  titrierbar.  Hat  man  also 
vor  dem  Zusatz  des  Formaldehyds  auf  den  Neutral¬ 
punkt  eingestellt,  so  kann  man  nach  dem  Zusatz  die 
vorhandenen  Amidosäuren  mit  grosser  Schärfe  be¬ 
stimmen. 

Diese  Methode  zählt  zu  den  wichtigsten  analytischen 
Hilfsmitteln  der  modernen  Eiweisschemie.  Ebenso  wert¬ 
voll  ist  die  v.  S  1  y  k  e’sche  Methode.  Sie  beruht  dar¬ 
auf,  dass  eine  Amidogruppe  mit  salpetriger  Säure  zu¬ 
sammengebracht  Stickstoff  entwickelt. 

CO  CH2  NH ,  +  HNO,  =  HO  +  CO  .  CH2  OH  +  N2. 
OH  OH 

Den  entwickelten  Stickstoff  fängt  man  in  einem 
kalibrierten  Gefäss  auf  und  berechnet  aus  seinem  Volum 
die  Anzahl  der  in  einem  Eiweissgemisch  vorhandenen 
Amidogruppen.  Man  kann  auf  diese  Art  ganz  genau 
den  Fortschritt  der  Eiweissverdauung,  bei  der  immer 
mehr  freie  Amidogruppen  auftreten,  verfolgen. 

Auch  einige  qualitative  Eiweissreaktionen  für  den 
Verlauf  der  Eiweiss-  und  Polvpeptidspaltuug  müssen  wir 
kurz  betrachten  :  Berühmt  geworden  ist  die  Ninhydrin- 


reaktion.  Da  die  höheren  Eiweisskörper  zu  den  kollo¬ 
idalen,  nicht  dialysierbaren  Stoffen  gehören ,  so  ver¬ 
mögen  sie  eine  tierische  Membran  nicht  zu  durchdringen. 
Es  wird  also  in  der  Aussenllüssigkeit,  die  die  Membran 
umspült,  keine  Reaktion  mit  Ninhydrin  eintreten  (Blau¬ 
färbung  beim  Kochen  eines  Peptons  mit  Ninhydrin- 
lösüng).  Sobald  aber  der  Eiweisskörper  eine  Zer¬ 
setzung,  einen  Abbau  erleidet,  entstehen  dialysa.ble  Pep¬ 
tone,  die  durch  den  Dialysierschlauch  passieren  und 
jetzt  mit  Ninhydrin  eine  mehr  oder  weniger  intensive 
Blaufärbung  geben. 

Auf  einem  gänzlich  andern  Prinzip  fusst  die  von 
Abderhalden  viel  benutzte  optische 
Methode.  Alle  Eiweisskörper  sind  optisch  aktive  Sub¬ 
stanzen  d.  h.  sie  drehen  die  Ebene  des  polarisierten 
Lichtes.  Aber  diese  Drehung  ist  verschieden  je  nach 
der  Natur  des  Eiweisskörpers.  Findet  also  durch  fermen- 
lative  Zersetzung  ein  Abbau  des  Eiweisses  statt,  so  wird 
man  in  einem  hinlänglich  exakten  Polarisationsapparat 
eine  Änderung  der  optischen  Drehung  konstatieren 
können.  Es  ist  dies  wohl  eine  der  exaktesten  Methoden, 
den  Abbau  eines  Eiweisskörpers  festzustellen. 

Da  es  uns  hier  darum  zu  tun  ist,  auf  einem  sehr 
engen  Raum  gleichsam  programmatisch  die  Hauptpro¬ 
bleme  der  modernen  Eiweissforschung  darzulegen,  so 
müssen  wir  das  sehr  interessante  und  praktisch  wichtige 
Gebiet  der  Eiweissspaltung  verlassen  und  uns  kurz  dem 
synthetischen  Gebiet  zuwenden.  Zwei  Richtungen  sind 
es  da,  die  hauptsächlich  von  Belang  sind :  Die  che¬ 
mische  und  fermentative  Synthese. 
Die  chemische  Synthese  sucht  vor  allem  durch  die  oben 
erwähnte  Methode  der  Polypeptiddarstellung  Amido¬ 
säuren  in  möglichst  hoher  Zahl  und  von  möglichst  ver¬ 
schiedener  Zusammensetzung  aneinanderzufügen.  Auch 
sucht  sie  die  Amidosäuren  selbst  synthetisch  zu  gewinnen. 
Dies  ist  für  fast  alle  bekannten  Amidosäuren  gelungen. 
Eine  besondere  Schwierigkeit  lag  darin,  dass  in  der 
Natur  die  Amidosäuren  nur  als  optisch  aktive  Körper 
Vorkommen,  mit  Ausnahme  natürlich  des  Glycocolls, 
aber  es  macht  heute  keine  Mühe  mehr,  diese  optisch 
aktiven  Formen  darzustellen.  Indem  man  nun  diese 
Amidosäuren  nach  den  Methoden  der  Polypeptid-Synthese 
miteinander  vereinigt,  hat  man  schrittweise  immer  mehr 
ei  weissähnliche  Körper  erhalten.  E.  Fischer  hat 
ein  Polypeptid  aus  18  Amidosäuren  ,  Abder¬ 
halden  und  F  o  d  o  r  aus  19  Amidosäuren  dargestellt. 
Diese  Polypeptide  geben  die  Biuretreaktion  d.  h.  Violett¬ 
färbung  mit  Kupfersulfat  und  Kalilauge,  eine  Reaktion, 
die  nur  höhere  Eiweisskörper  geben.  Auch  sonst  haben 
diese  Polypeptide  bereits  zahlreiche  Eigenschaften  mit 
Peptonen  gemeinsam. 

Die  Synthese  derartiger  ,, Riesenmoleküle“  ist  keines¬ 
wegs  eine  wissenschaftliche  Spielerei.  Ihr  Wert  liegt 
darin,  dass  man  in  ihnen  dem  Eiweiss,  speziell  den  Pep¬ 
tonen  in  vieler  Hinsicht  nahestehende  Verbindungen  hat, 
deren  Zusammensetzung  man  bis  ins  Kleinste  kennt. 
Es  ist  dadurch  möglich,  viele,  besonders  physikalisch¬ 
chemische  Probleme  der  Eiweissforschung  mit  einer  ganz 
anderen  Bestimmtheit  zu  bearbeiten,  als  dies  bei  den 
ihrer  Zusammensetzung  nach  unbekannten  natürlichen 
Produkten  der  Fall  ist. 

Notwendige  Vorbedingung  ist  allerdings,  dass  im 
natürlichen  Eiweiss  in  der  Tat  polypeptidartige  \  er- 
bindungen  vorliegen.  Dieser  Nachweis  ist  deshalb  nicht 
leicht,  weil  bei  einer  hinreichend  kräftigen  Aufspaltung, 
wie  sie  nötig  ist,  um  zu  den  niederen,  bekannten  Poly¬ 
peptiden  zu  gelangen,  leicht  eine  vollständige  Spaltung 
bis  zu  den  Amidosäuren  eintritt.  Durch  sehr  vorsichtige 
Zersetzung  haben  E.  Fischer  und  E.  Abder¬ 
halden  trotzdem  diesen  sehr  wichtigen  Nachweis 
zu  führen  vermocht  und  aus  der  Seide  z.  B.  das  Glycyl- 
d-alanin,  aus  Elastin  des  1-Leucyl-d-alanin  gewonnen. 


202 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  21 


Hierdurch  erst  ist  streng  wissenschaftlich  die  Be¬ 
rechtigung  erwiesen  worden,  die  Ergebnisse  der  Poly¬ 
peptid  forschung  auf  das  Eiweiss  zu  übertragen. 

Langsamer  sind  die  Fortschritte  der  f  ermen- 
t  a  t  i  v  e  n  Eiweisssynthese.  Sehr  viele  Ferment¬ 
reaktionen  sind  sogenannte  umkehrbare  Reaktionen  d.  h. 
es  wird  z.  ß.  durch  eine  Peptase,  ein  eiweissspaltendes 
Ferment,  nicht  nur  Ehveiss  gespalten,  sondern  auch 
unter  veränderten  Bedingungen  aus  den  Spaltstücken 
wieder  Eiweiss  zusammengesetzt.  Brailsford 
Robertson  sowie  Abderhalden  konnten 
solche  Bedingungen  realisieren ;  da  aber  nur  ganz  ge¬ 
ringe  Mengen  Eiweiss  sich  gebildet  haben,  so  kommt 
diesen  Versuchen  vorläufig  noch  keine  besondere  Be¬ 
deutung  zu. 

Es  ist  klar,  dass  derartig  umfangreiche  Arbeiten, 
wie  sie  die  moderne  Eiweissforschung  geleistet  hat,  von 
einschneidender  Wirkung  auf  die  Lehre  vom  Eiweiss¬ 
stoffwechsel  sein  mussten.  Auch  hier  nur  kurz  das 
Allernot  wendigste. 

Zunächst  wurde  der  Nachweis  geführt,  dass  zur  Er¬ 
nährung  statt  Eiweis  ein  Gemisch  der  verschiedenen 
Amidosäuren  vollständig  ausreichend  ist.  Damit  ist 
nicht  gesagt,  dass  der  Abbau  im  Magendarmkanal  auch 
wirklich  allemal  so  weit  geht,  und  die  Darmwand  keine 
höher  zusammengesetzten  Verbindungen ,  Polypeptide 
oder  gar  Peptone  passieren  lässt.  Wohl  aber  ist  dadurch 
der  Nachweis  von  den  hohen  synthetischen  Eigen¬ 
schaften  des  Organismus  geführt.  Vor  allem  ergibt  sich 
von  da  aus  ein  ganz  anderes  Verständnis  der  so¬ 
genannten  arteigenen  Substanzen.  Die  Serologie 
hatte  zum  ersten  Male  diesen  Begriff  schärfer  um¬ 
schrieben.  Erst  durch  den  Nachweis,  dass  ein  sehr 
weitgehender  Abbau  des  Eiweiss  im  Magendarmkanal 
stattfindet,  wird  es  jedoch  verständlich,  w  i  e  der  Orga¬ 
nismus  es  anfängt,  aus  einem  beliebigen  Nahrungs- 
eiweiss  arteigenes  Eiweiss  darzustellen.  So  nämlich,  dass 
er  zunächst  eine  weitgehende  Zersetzung  des  Nahrungs- 
eiweisses  herbeiführt  und  dann  nachträglich  aus  dem 
Zersetzungsgemisch  sich  mit  Hilfe  seiner  Fermente  das 
arteigene  Eiweiss  aufbaut.  W.  Berg1)  hat  auch 
morphologisch  den  Nachweis  der  Eiweisssynthese  aus 
stark  abgebautem  Eiweiss  führen  können.  Er  wies 
nach,  dass  nach  Verfütterung  von  Erepton  d.  h.  ver¬ 
dautem  Eiweiss  sich  sehr  bald  in  der  Leber  hungernder 
Kaninchen  Eiweissablagerungen  morphologisch  erkennen 
Hessen. 

Der  grosse  Wert  dieser  Untersuchungen  Hegt 
aber  auf  einem  andern  Gebiete.  Im  Laufe  der  letzten 
Jahre  hat  man  immer  deutlicher  erkannt,  dass  man  mit 
den  üblichen  schematischen  Begriffen  über  die  Natur 
der  Nahrungsmittel  nicht  mehr  ausreicht.  Forschungen 
über  Beri-beri,  Skorbut  sowie  andere  Krankheiten  haben 
ergeben  oder  wenigstens  höchst  wahrscheinlich  gemacht, 
dass  ausser  den  bisher  bekannten  Gruppen  noch  andere 
Stoffe  unbe  kannter  Natur  notwendig  sind,  um  ein 
dauerndes  Gleichgewicht  zu  erhalten.  Für  das  Eiweiss 
ist  aber  durch  die  genauere  Kenntnis  seiner  Zusammen¬ 
setzung  klar  geworden,  dass  man  das  Eiweiss  in  seiner 
Bedeutung  für  die  Ernährung  keineswegs  als  einen 
Komplex  setzen  darf,  der  in  allen  Fällen  der  gleiche  ist, 
sondern  dass  man  die  Zusammensetzung  des 
Eiweiss  aus  den  einzelnen  Amido¬ 
säuren  berücksichtigen  muss.  Es  kann  offenbar  sehr 
wohl  der  Fall  sein,  dass  der  Organismus  hinreichende 
Menge  der  einen  Amidosäure  zur  Verfügung  hat,  jedoch 
infolge  des  Mangels  einer  andern  Komponente  nicht 
imstande  ist,  das  für  ihn  notwendige  Eiweiss  aufzubauen. 
Offenbar  muss,  wenn  dies  der  Fall  ist,  arteigenes  Eiweiss 
das  geeignetste  Ernährungsmaterial  liefern  und  in  der 


lat  führen  Stoffwechselversuche,  die  Ch.  W  ol  f2)  aus¬ 
geführt  hat,  zu  diesem  Ergebnis. 

Neuere  Arbeiten  Abderhalde  n's  greifen  die 
I'  rage  in  umfassender  Weise  an.  Sie  sind  in  der  Weise  voll- 
lührt  worden,  dass  den  Versuchstieren,  meistens  Ratten, 
ein  Gemisch  aller  nötigen  Amidosäuren  gegeben  wurde, 
jedoch  diejenige  Amidosäure,  deren  Einfluss  nian 
studieren  wollte,  aus  dem  Gemisch  vorher  entfernt  wurde. 
Da  diese  Entfernung  technisch  häufig  grosse  Schwierig¬ 
keiten  darbot,  so  sind,  wie  Abderhalden  selbst 
betont,  die  \  ersuche  nicht  immer  hinreichend  eindeutig. 
Soviel  geht  jedoch  daraus  hervor,  dass  der  Organismus 
nicht  imstande  ist,  einzig  mit  Amidosäuren  der  alipha¬ 
tischen  Reihe  auszukommen.  Die  aromatischen  Amido¬ 
säuren,  wie  1  y rosin  und  Phenylalanin  sind  lebensnot¬ 
wendige  Substanzen;  eine  dieser  Verbindungen  ist 
wenigstens  für  die  Herstellung  des  Eiweissmoleküls  un¬ 
entbehrlich.  Dasselbe  ist  der  ball  für  Tryptophan.  Für 
andere  Amidosäuren,  wie  Histidin,  Lysin,  Arginin,  lässt 
sich  noch  kein  abschliessendes  Urteil  fällen. 

Es  erübrigt  sich,  auf  die  Bedeutung  hinzuweisen, 
die  derartige  Versuche  auch  für  die  Pathologie  haben. 
Sobald  durch  irgendeine  Stoffwechselstörung  der  nor¬ 
male  Verlauf  der  Ernährung  auch  nur  für  eine  der 
notwendigen  Amidosäuren  durchbrochen  wird,  müssen 
Störungen  der  mannigfaltigsten  Art  die  Folge  sein.  Dass 
solche  Störungen  möglich  sind,  wissen  wir.  Beim 
Cystinuriker  wird  Cystin 

^  H, — S  —  S  CH,,  beim  Alkaptouriker 
CH.  NIL  C1I  NIC 
CO  CO 

OH  OH 

Homogentisinsäure,  augenscheinlich  durch  Störung  des 
Stoffwechsels  der  aromatischen  Amidosäuren,  ausge¬ 
schieden.  Auch  Ausscheidung  von  Diaminoverbindungen 
ist  in  der  Pathalogie  bekannt. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  die  steigende  Erkenntnis 
der  Chemie  und  Physiologie  der  Eiweiskörper  uns  noch 
weitere  derartige  Anomalien  auffinden  und  zu  den 
symptomatischen  Erscheinungen  in  Beziehung  sitzen 
lässt.  Die  Anwendung  auf  die  Therapie  ergäbe  sich 
dann  von  selbst. 


Die  Geburtenabnahme  und  der  Weltkrieg. 

Von  Dr.  Heinrich  P  u  d  o  r. 

„Die  stetig  -zunehmende  und  unter 
den  gegenwärtigen  Verhältnissen  ganz 
naturgemäße  Geburtenabnahme  be¬ 
droht  des  deutschen  Volkes  Zukunft 
mehr  als  alles  jetzige  Wüten  seiner 
Feinde.“  C.  C  Eiffe. 

Der  Zug  der  Völker  geht  von  Ost  nach  West. 
In  dieser  Richtung  erfolgten  die  grossen  Kriegszüge 
des  Altertums,  in  dieser  Richtung  erfolgte  die  Völker¬ 
wanderung,  in  dieser  Richtung  erfolgt  heute  der  Druck 
von  Asien  auf  Europa  —  und  in  dieser  Richtung  er¬ 
folgt  auch  die  Völkerungs  abna  h  m  e.  Die  Frucht¬ 
barkeit  der  Völker  ist  am  grössten  in  Ostasien  und 
sie  nimmt,  je  weiter  man  nach  Westen  fortschreitet, 
desto  mehr  ab.  Im  russischen  Osten  ist  sie  noch 
so  gross,  dass  Russland  sich  sogar  die  Opfer  dieses 
Weltkrieges  1914/16  leisten  kann  —  im  westlichen 
Frankreich  ist  sie  beinahe  auf  den  Nullpunkt  ange¬ 
langt.  In  Deutschland  ist  sie,  wie  bekannt,  immerhin 
noch  ganz  „anständig“,  aber  wir  dürfen  uns  darüber 
keiner  Täuschung  hingeben,  dass  mit  jedem  Jahr  die 
slawische  Bevölkerungsgefahr,  —  wie  gesagt  trotz  der 
Verluste  des  Krieges  —  für  uns  bedrohlicher  wird 
und  die  asiatische  Gefahr  näher  rückt :  Schon  beginnen 


')  Biochem.  Zeitschr.  61.  428.  1914. 


2)  Biochem.  Zeitschr.  63.  58.  1914. 


Nr.  21 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


203 


die  Engländer  des  Ostens  China  zu  japanisieren  und 
zu  militarisieren.  Und  wir  dürfen  uns  auch  darüber 
keiner  Täuschung  hingeben,  dass  die  Verluste,  die  uns 
der  männermordende  Krieg  bringt,  nicht  nur  unsere 
augenblickliche  Bevölkerungszahl  herabsetzen,  son 
dern  auch  der  nächst  künftigen  Bevölkerungsvermeh  | 
rung  Abbruch  tun,  selbst  dann,  wenn  es  wahr  ist, 
dass  die  Völker  nach  Kriegen  die  Tendenz  der  Bevölke¬ 
rungszunahme  zeigen.  Die  Verluste  sind  eben  doch 
zu  beträchtlich.  Dazu  kommt,  dass  infolge  der  Be- 
gleitumstände  des  Krieges  wie  mangelhafte  Ernäh¬ 
rung,  die  Säuglings-  und  allgemeine  Sterblichkeit 
grösser  wird.  In  London  soll  die  Säuglingssterblich¬ 
keit  nach  den  „Times“  im  ersten  Vierteljahr  1915 
50  0/0  höher  gewesen  sein,  als  im  vorangegangenen 
Jahr.  In  Deutschland  war  die  Geburtenzahl  schon  vor 
dem  Kriege  auf  etwa  28  auf  das  Tausend  gesunken1) 
gegenüber  42,6  im  Jahre  1876  und  sie  dürfte  gegen 
wärtig  auf  etwa  20,  wenn  nicht  noch  tiefer,  weiter  ge¬ 
sunken  sein.  In  Frankreich  beträgt  die  Geburtenzahl 
nach  einer  Statistik  des  Pariser  „Journal“  nur  noch 
den  fünften  bis  sechsten  Teil  der  Geburtshäufigkeit 
vor  dem  Kriege  und  war  doch  damals  schon  niedrig 
genug.  Auffällig  und  nur  als  eine  Art  letzter  Selbst¬ 
hilfe  der  Natur  zu  erklären  ist  dabei  der  stark  stei¬ 
gende  Geburtenüberschuss  der  Knaben  gegenüber  dem 
der  Mädchen. 

Nachdem  aber  Russland  durch  Gesetz  vom  5.  Nov. 
1906  die  Agrarreform  Stolypin-Kriwoschein  einge¬ 
leitet  hat,  ist  wie  gesagt  anzunehmen,  dass  es  einen 
noch  so  unglücklichen  Ausgang  dieses  Krieges  ver¬ 
hältnismässig  rasch  überstehen  wird  und  wir  wollen 
sehr  auf  der  Hut  sein,  zu  glauben,  dass  die  russische 
Gefahr  durch  das  Vorrücken  unserer  Heere  selbst  bis 
Kiew  und  bis  zum  Peipus  auf  absehbare  Zeit  beseitigt 
wäre.  Das  kommt  vor  allem  auf  den  Friedensschluss 
an !  Aber  jedenfalls  ist  hundertmal  zu  wiederholen,  dass 
die  jährliche  Quote  der  russischen  Bevölkerungsmeh- 
rung  in  den  letzten  Jahren  bis  zu  3  Millionen  Men¬ 
schen  betragen  hat,  gegenüber  etwas  mehr  als  0,8 
Millionen  in  Deutschland,  dass  die  russische  Bevölke¬ 
rung  seit  1870  sich  mehr  als  verdoppelt  hat  —  sie 
wurde  1870  auf  etwa  80  Millionen  geschätzt,  sie  be¬ 
trug  nach  der  Volkszählung  von  1896  mehr  als  125 
Millionen  und  sie  beträgt  heute  über  170  Mill. 2)  — 
dass  die  schon  erwähnte  Agrarreform  das  ganze  Land 
einer  Neugeburt  entgegenführt  und  dass  die  sibirische 
Kolonisation  zu  einer  Quelle  der  Kraft  für  ganz  Russ- 
•  land  wird :  man  rechnet  allein  für  Westsibirien  für 
das  nächste  Jahrzehnt  mit  einer  Bevölkerung  von  20 
bis  25  Millionen  Menschen.  Dabei  ist,  wie  das  Verbal 
ten  der  sibirischen  Regimenter  im  Kriege  zeigt,  auch 
die  „Qualität“  dieser  sibirischen  Bevölkerung  eine  vor¬ 
zügliche,  und  wir  werden  einen  Fehler  begehen,  wenn 
wir  uns  damit  trösten  und  darauf  stützen  wollen,  dass 
wir  an  Qualität  ersetzen,  was  wir  an  Zahl  einbüssen. 
So  ganz  Unrecht  hat  also  Bernhard  Shaw  nicht,  als 
er  den  europäischen  Krieg  als  den  europäischen  Selbst 
mord  zu  Gunsten  Russlands  bezeichnete. 

Was  sollen  wir  also  tun?  Die  Mittel  und  Wege, 
die  ergriffen  werden  müssen,  sind  zahllos  und  eins 
muss  ins  andere  greifen  und  von  den  verschiedensten 

')  Sie  betrug  beispielsweise  in  München 

im  Jahre  180;.)  5,7  pro  Hundert 

»  11  1900  3,5  ,,  „ 

„  „  1909  2,7  „ 

1911  17 

M  fl  1  7  l  X  i  )  I  tf  ft 

(vergl.  Heudelnng,  die  ehelose  und  unehelose  Fruchtbarkeit  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  Ungarns,  München  19(9.  und  üroth  und 
Hahn,  Säuglingsverhältnisse  in  Bayern,  Zeitschr.  d.  kgl.  Bayr  Statist. 
I.andesamts,  1910,  Heft  1  ). 

2J  Nach  dem  Russ.  Stat.  Jahrbuch  von  1910  betrug  sie  im  Jahre 
1858  74,6  im  J.  125,9  und  im  J  163,8  Millionen 


Richtungen  aus  muss  dem  gesteckten  Ziele  nachge¬ 
gangen  werden  —  vom  Mutterschutz,  Säuglingshygien  ■ 
bis  zur  Wohnungshygiene,  von  der  Geburtenprämie 
bis  zur  Junggesellensteuer,  von  der  allgemeinen  Ge¬ 
sundung  der  Lebensweise  und  Ertüchtigung  der  Kräfti¬ 
gung  der  Gesamtbevölkerung  bis  zur  Entindustriali- 
sierung  und  Wiedererrichtung  der  Bevölkerunggs- 
existenz  auf  der  Grundlage  des  Landbaues,  von  der 
Ausrottung  des  Prostitutionsübels  bis  zur  sittlich-reli¬ 
giösen,  ins  Innerste  greifenden  Wieder-  und  Neuge¬ 
burt  des  Volkes! 

Das  Steckenpferd  der  Bevölkerungs-Enthusiasten 
ist  bisher  immer  der  Säuglingsschutz  und  der  Mutter¬ 
schutz  gewesen  und  zweifellos  sind  clic  Vorschläge, 
die  in  dieser  Richtung  z.  B.  die  deutsche  Vereinigung 
für  Säuglingsschutz  und  ihr  Vorsitzender  v.  Behr- 
Pinnow  gemacht  hat 1),  sehr  beachtenswert. 

Aber  die  Wurzel  des  Uebels  treffen  sie  nicht  und 
die  Quelle  des  Heilstromes  finden  sie  nicht.  Das  er¬ 
hellt  schon  daraus,  dass  das  alte  Rom,  als  es  in  der 
Lex  Poppaea  die  Junggesellensteuer  und  die  Geburten¬ 
prämie  einführte,  dem  Untergang  trotzalledem  ent¬ 
gegenging.  Verfasser  hat  selbst  schon  vor  Jahren,  als 
er  (im  Jahre  1907)  die  Monatsschrift  „Kultur  der 
Familie“  herausgab,  diese  und  andere  Vorschläge  ge¬ 
macht  und  er  hat  vor  allem  darauf  hingewiesen,  dass 
der  Ausgang  aller  dieser  Reformen  in  einem  Wiederauf¬ 
bau  und  Neuaufbau  des  Familienideals  liegen  müsse 
und  dass  vor  allem  die  Familien,  aus  denen  die  Ge¬ 
burten,  soweit  sie  Daseins-  und  Geschlechteraussich- 
ten  haben2),  hervorgehen,  wieder  fester  gegründet  wer¬ 
den  müssen.  Die  Kraft  des  Staates  und  Volkes  wurzelt 
in  der  Familie.  Die  Sicherheit  des  Bestandes  eines 
Staates  hängt  von  der  Qualität  seiner  Familienorgani¬ 
sationen  ab.  Deutschland  ist  grösser  geworden  als 
Frankreich,  weil  es  einen  tieferen  Familiensinn  und 
demzufolge  einen  reicheren  Kindersegen  und  folglich 
auch  mehr  Soldaten  hatte  als  Frankreich,  in  welchem 
der  Malthusianismus  die  Familien  und  das  Volk  zu¬ 
grunde  gerichtet  hat.  Auch  England  dankt  seine  bis¬ 
herige  Grösse  wesentlich  dem  ausserordentlich  ent- 
wickelten  Familiensinn  seiner  Bewohner.  Und  Amerika 
wiederum  ist  gross  geworden,  weil  es  von  beiden,  vom 
Deutschen  und  vom  Engländer,  den  Familiensinn  er¬ 
erbte.  Sonst  wäre  es  längst  aus  den  Fugen  gegangen. 
Ueberall,  wo  Völker  zugrunde  gehen,  liegt  die  Ur¬ 
sache  in  der  Zerstörung  des  Familienlebens,  vergleiche 
Spanien,  die  Länder  des  Orients,  das  alte  Rom.  Auch 
ein  Vergleich  zwischen  dem  Familienleben  in  Russ¬ 
land  und  demjenigen  in  Japan  ist  nach  dieser  Rich¬ 
tung  interessant.  Weiter  war  die  ausserordentliche  .Kul¬ 
turblüte  des  alten  Hellas  nur  möglich,  (weil  das  Familien¬ 
leben  in  Griechenland  heilig  «war,  vergleiche  die.  Odyssee 
und  Ilias,  welche  beide  die  grossartigsten  Hymnen 
auf  die  Heiligkeit  des  Familienlebens  sind.  Selbst  die 
hohe  Blüte  der  italienischen  Renaissance  basierte  nebst¬ 
bei  auf  einer  tiefinnerlichen  Erneuerung  des  Familien¬ 
lebens,  wie  man  an  den  ewig  wertvollen  künstlerischen 
Darstellungen  des  Familienlebens  von  Malern  wie 
Rafael  unter  dem  Namen  „Heilige  Familie“  sieht. 

Wenn  wir  aber  vorhin  sagten,  dass  die  Grösse 
Deutschlands  auf  die  Festigkeit  der  deutschen  Familien¬ 
organisation,  auf  der  Wahrheit.  Echtheit,  Innerlichkeit 

Wir  führen  die  wichtigsten  an:  1  Baldiger  Erlaß  eines 
Wohnungsgesetzes.  2.  Höhere  Besoldung  an  Verheiratete  und  be¬ 
sonders  an  kinderreiche  Angestellte.  3  Schwangerenhilfe  und  Still¬ 
geld.  4.  Bestrafung  der  Anpreisung  von  Verhütungsmitteln.  5.  Zwangs¬ 
weise  Reichsmutterschaftsversicherung.  6.  Reichsammengesetz.  7.  Steuei 
für  Unverheiratete  und  stärkere  steuerliche  Heranziehung  der  kinder¬ 
losen  Ehepaare.  . 

2)  Es  werden  nach  der  Statistik  im  Deutschen  Reiche  jährlich 

etwa  180,000  uneheliche  Kinder  geboren. 


Nr.  21 


?04 _  FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


und  Herzlichkeit  des  deutschen  Familienlebens  beruhe, 
so  ist  auf  der  anderen  Seite  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
auch  an  den  Eichbaum  deutschen  Familienlebens  die 
Axt  gelegt  ist,  dass  viel  Unwahrheit,  Aeusserlichkeit, 
Falschheit,  Lüge  sich  eingeschlichen  hat  —  statt  dass 
dieses  Familienleben  immer  mehr  vertieft  werde,  immer 
mehr  gefestigt,  immer  mehr  beinnerlicht  werde  und 
immer  mehr  das  gesamte  Volk  umfasse.  Der  Mal¬ 
thusianismus  hat  sich  schon  seit  mehr  als  25  Jahren 
wie  ein  Ciift  in  das  deutsche  Familienleben  eingefressen. 
Der  immer  stärker  werdende  Existenzkampf  hat  ihm 
die  materiellen  Grundlagen  genommen.  Philosophische 
V  ahnsysteme  und  falsch  verstandene  oder  falsch  aus¬ 
gelegte  und  falsch  angewandte  sozialistische  Systeme 
haben  an  seinen  theoretischen  Grundlagen  gerüttelt. 
Dazu  kam  der  allgemeine  Zug  der  Oberflächlichkeit 
und  Aeusserlichkeit.  Die  Autorität  der  Kirche  ging 
vielfach  verloren,  ohne  dass  etwas  Besseres  an  die 
Stelle  treten  konnte.  Das  Schlimmste  war  vielleicht 
dies,  dass  die  heranwachsenden  Geschlechter  dem 
Schutze  der  Familie  entrissen  und  in  Schulen  unter¬ 
richtet  (weniger  erzogen)  wurden,  in  denen  das  Familien¬ 
leben  keine  oder  nur  eine  ganz  untergeordnete  Be¬ 
rücksichtigung  erfuhr. 

Vas  heisst  das,  „Famihen-Kultur“  ?  Kultur  heisst 
auf  deutsch  Pflege.  Also  um  Pflege  der  Familie  und 
des  Familiensinnes  handelt  es  sich.  Im  weiteren  Sinne 
umfasst  die  Kultur  das  ganze  Gebiet  der  Gesittung 
und  des  inneren,  geistigen  Lebens  eines  Volkes.  Also 
will  „Lamilien-Kultur“  das  Familienprinzip  in  Anwen¬ 
dung  bringen  auf  die  Kultur,  auf  das  innere  und 
geistige  Leben  des  Volkes  und  auf  seine  Gesittung. 
Ja,  Kulturprinzip  soll  geradezu  als  Familienprinzip  ge¬ 
fasst  und  behandelt  werden.  Alle  wichtigen  Kultur¬ 
fragen  sollen  nach  dem  Wert,  den  sie  für  das  Fami- 
lienpi  inzip  haben,  geprüft  werden.  Das  letztere,  als 
der  wahre  „Rocher  de  bronce“  (Felsen  von  Erz)  soll 
der  Prüfstein  der  Kultur,  zunächst  unserer  deutschen 
Kultur  werden.  Prof.  Tönnies  sagte:  „Aller  Kultus 
ist  ja  ursprünglich  Haus-  und  Herd-Kultus.  Von  Haus 
und  Herd  darf  auch  der  Kultus  sich  erneuern.“  Das 
Wort  Familie  ist  also  in  dem  Wort  Kultur  eigentlich 
schon  enthalten.  Im  deutschen  Volkscharakter  ist  der 
Sinn  für  Familienleben  tief  ausprägt.  „Das  grösste 
Weik,  das  du  tun  kannst,  ist  eben  dies,  dass  du  dein 
Kind  recht  erziehest.“ 

Natürlich  müssen  für  einen  grösseren  Kinderreich¬ 
tum  der  Familien  auch  die  wirtschaftlichen  Bedingun¬ 
gen  geschaffen  werden. 

Also  auf  der  einen  Seite  staffelweise  Erhöhung  der 
Steuern  für  kinderarme  Familien  und  Junggesellen 
und  auf  der  andern  Seite  Beamtenbesoldung  abge- 
stult  nach  der  Anzahl  der  Kinder.  Hierfür  einzutreten 
ist  Sache  einer  nationalen  Familienpolitik.  Und  Fami¬ 
lienpolitik  brauchen  wir  in  weit  höherem  Masse  als 
Kolonialpolitik.  Lenser  nationales  Blut  im  Lande  zu 
^halten  und  so  zu  pflegen,  dass  jeder  männliche 
Stämmling  eine  Familie  mit  sechs  Buben  gründet, 
eieren  jeder  das  gleiche  tut,  und  hierfür  die  wirtschaft¬ 
lichen  und  sozialen  Bedingungen  zu  schaffen,  das  ist 
das  Wichtigste,  was  wir  tun  können,  vom  Standpunkt' 
unseres  Volkes,  unseres  Vaterlandes  und  unserer 
Rasse. 

Man  wage  nur  an  die  Zustände  zu  denken,  die  uns 
das  grossstädtische  Wohnungswesen  nach  dem  Kriege 
bringen  wird!  Auf  der  einen  Seite  unerschwingliche 
Mieten,  auf  der  andern  alle  Missstände  einer  unheil¬ 
vollen  Gründerperiode,  die  schon  jetzt  ihre  Schatten 
voi  auswirft.  Dabei  weist  der  grosse  Berliner  Verein 
für  Kleinwohnungswesen  darauf  hin,  dass  die  Säug¬ 
lingssterblichkeit  in  den  Mietskasernen,  besonders  in 
den  Seitenflügeln  ohne  Querlüftung,  erschreckend  hoch 


sei.  Er  gibt  auch  Mittel  zur  Bekämpfung  der  Miss¬ 
stände  J)  an. 

Oder  man  denke  an  die  schon  jetzt  jeder  ratio¬ 
nellen  Bevölkerungspolitik  Hohn  sprechende  amtlich 
geduldete  gewerbsmässige  Unzucht.  Erwähnt  sei  hier¬ 
bei,  dass  Verfasser  in  dem  Aufsatz  zur  Straffreiheit 
der  gewerbsmässigen  Unzucht  in  der  Zeitschrift  „Der 
Gerichtssaal“  (81.  Bd.  4. — 6.  H.)  nachdrücklich  für  die 
Aufhebung  jeder  Art  gewerbsmässiger  Prostitution  ein¬ 
getreten  ist  und  dass  der  Sächsische  Landesverein  für 
Innere  Mission  in  Liebereinstimmung  mit  dem  Deut¬ 
schen  Sittlichkeitsverein  gefordert  hat,  dass  die  ge¬ 
werbsmässige  Unzucht  als  solche  mit  klaren  Worten 
unter  Strafe  gestellt  wird,  und  dass  insbesondere  grund¬ 
sätzlich  die  in  der  gegenwärtigen  Reglementierung 
und  Kasernierung  liegende  amtliche  Duldung  der  Pro¬ 
stitution  aufgehoben  wird.  —  Nicht  nur  das  Zeugen  und 
Gebären  schafft  diejenigen  Menschen,  welche  wir  für 
diesen  Völkerkampf  brauchen,  sondern  vor  allem  das 
Bilden,  Pflegen  und  Erziehen  der  Kinder  innerhalb 
der  Familiengemeinde.  Denn  nicht  allein  Körperkraft, 
sondern  sittliche  Kraft  ist  notwendig.  Die  Körperkraft 
stand  immer  gerade,  wenn  die  Völker  vor  dem  Ruin 
standen,  in  Gestalt  von  Athletentum  auf  der  Höhe,  wie 
beim  alternden  Rom.  Aber  gerade  bei  den  Germanen 
war  es  immer  die  Uebereinstimmung  der  leiblichen 
und  sittlichen  Kraft  und  Grösse,  die  sie  hat  Grosses 
vollbringen  lassen  ....  1813  ebenso  wie  zu  alten  Zei¬ 
ten,  als  sie  das  Römertum  überwanden  und  ebenso  zu 
den  Zeiten  der  Wikinger  auf  Island,  ebenso  zur  Zeit 
der  Blüte  der  Hansa.  Es  ist  keine  Frage:  Wir  sind 
konstitutionell  so  weit  heruntergekommen,  dass  wir  zu 
sittlichem  Ernst  unfähig  geworden  sind.  Es 
fehlt  rein  physiologisch  an  Rückgrat.  Das  eigentlich 
Rassenmässige  ist  bereits  in  Verfall  geraten.  Deshalb 
dieses  furchtbare,  den  tiefer  Blickenden  mit  Erschüt¬ 
terung  schlagende  Komödie-Spielen.  Lind  fast  scheint 
es  schon  zu  spät,  aufs  neue  den  Versuch  zu  machen, 
sittliche  Grundsätze  unserem  Volke  wie  Eisen  ins 
Blut  giessen.  Aber  der  Versuch  soll  gemacht  werden. 
Vielleicht  heisst  es  auch  hier:  wenn  die  Not  am  gröss¬ 
ten,  ist  uns  Gott  am  nächsten.  Lind  unser  Volk  hat  sich 
immer  erst  ermannt,  wenn  es  am  tiefsten  darniederlag. 

Erfreulicherweise  hat  die  deutsche  Staatsregierung 
auf  die  Resolution  des  Abgeordnetenhauses  in  einem 
Nachtragsetat  für  1913  kinderreichen  Unterbeamten 
und  mittleren  Beamten  mit  einem  3000  Mk.  nicht  über¬ 
steigendem  Gehalt  in  allen  Verwaltungen  unter  Ab¬ 
stufung  nach  der  Zahl  der  Kinder  Teuerungszulagen 
zu  gewähren  ....  beschlossen,  dieser  Resolution  jetzt 
keine  Folge  zu  geben,  jedoch  in  eine  eingehende  Prü¬ 
fung  der  Frage  der  Gewährung  von  Familienzulagen 
einzutreten,  zu  welchem  Zweck  zunächst  die  Grund¬ 
lage  hierfür  beschafft  wird,  die  nur  eine  geeignete 
Statistik  geben  kann.  An  und  für  sich  steht  man  der 
Gewährung  von  Familienzulagen  durchaus  sympathisch 
gegenüber,  zumal  der  Rückgang  der  Geburten  jede 
Massnahme  als  notwendig  erscheinen  lässt,  die  dieser 
bedrohlichen  Erscheinung  Einhalt  zu  tun  geeignet  ist. 

In  Australien,  wo  auf  1000  Frauen  zwischen  15 
und  50  Jahren  110  Geburten  kommen  (gegenüber  145 
in  Deutschland)  ist  am  10.  Oktober  1912  ein  Gesetz 
zur  Gewährung  von  Mutterschaftsprämien  in  Kraft  ge¬ 
treten,  welches  wie  der  „Tag“  vom  14.  Juni  1913  be¬ 
richtet.  bestimmt,  dass  jede  in  Australien  wohnhafte 


9  1.  Erneute  Inangriffnahme  der  Realkreditfrage. 

2.  Erhöhung  des  bestehenden  Wohnungsfürsorgefonds. 

3  Ausdehnung  der  öffentlichen  Hilfe  auf  die  Kleinwohnungs¬ 
fürsorge 

4.  Übernahme  der  Sicherheite  1  für  Zweite  Hypotheken  auf 
Kleinwohnungsbauten,  seitens  der  Reichsversicherungsai.stah 
und  Landesversicherungsanstalten. 


Nr  21. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


205 


Frau  das  Recht  hat,  bei  einer  staatlichen  Kasse  den 
Betrag  von  hundert  Mark  zu  erheben,  wenn  sie 
einem  Kinde  das  Leben  schenkt,  welches  in 
Australien  oder  an  Bord  eines  von  oder  nach 
Australien  gehenden  Schiffes  geboren  wird.  Kein 
Anrecht  auf  die  Prämie  haben  Frauen  und  Mädchen 
asiatischer  Abstammung  oder  der  australischen  farbi¬ 
gen  Arbeiterbevölkerung.  Diese  Einrichtung  ent¬ 
spricht  dem  neuerdings  scharf  hervortretenden  Bestre¬ 
ben,  Australien  nur  mit  Angehörigen  der  weissen  Rasse 
zu  bevölkern.  Bis  i.  März  1913  sind  bereits  40150 
Gesuche  gestellt  und  38  704  gewährt  worden.  Dies 
entspricht  einem  Prozentsatz  von  etwa  90  0/0  aller  Ge¬ 
burten. 

Nach  der  Revue  Medicale  betrug  die  mittlere 
Lebensdauer  in  den  Ländern  Europas  im  Durch¬ 
schnitt  in  ganz  Europa  39  Jahre.  Im  einzelnen  ergaben 
sich  folgende  Altersdurchschnitte : 


Schweden  und  Norwegen 

Jahre 

5° 

Monate 

0 

Dänemark 

48 

2 

Irland 

48 

1 

England  und  Schottland 

45 

5 

Belgien 

44 

1 1 

Schweiz 

44 

4 

Holland 

44 

0 

Russland 

45 

7 

Frankreich 

45 

6 

Preussen 

39 

4 

Italien 

39 

•2 

Portugal 

36 

0 

Rumänien 

35 

1 1 

Griechenland 

35 

4 

Oesterreich 

34 

2 

Bulgarien 

35 

7 

Türkei 

35 

5 

Spanien 

32 

4 

Während  in  Spanien  die  mittlere  Lebensdauer  18 
Jahre  unter  derjenigen  in  Schweden  und  Norwegen 
liegt,  gibt  es  Hundertjährige,  Achtzig-  und  Sechzig¬ 
jährige  in  Spanien  annähernd  so  viele  wie  in  Skan¬ 
dinavien.  Der  Grund  soll  darin  liegen,  dass  die  Kin¬ 
dersterblichkeit  in  Spanien  besonders  gross  ist.  In 
Schweden  dagegen  werden  89  o/0  aller  neugeborenen 
Kinder  durch  die  Mutter  oder  durch  eine  Amme1)  er¬ 
nährt  (in  England  77  o/0  [?]}  Holland  65  0%  in  Frank¬ 
reich  61 V2  %,  Preussen  581/ 2 ,  Italien  57,  in  Oester¬ 
reich  56,  in  Spanien  52). 

Also  die  Kurve  der  durchschnittlichen  Lebens¬ 
dauer  entspricht  derjenigen  der  Säuglingsernährung. 
Zufolge  der  hygienischen  Massnahmen  ist  indessen  das 
durchschnittliche  Lebensalter  der  Bevölkerung  gestie¬ 
gen  ....  im  Jahrzehnt  1870  bis  1880  lebte  ein  Deut- 

I  scher  durchschnittlich  35,85  Jahre,  im  Jahrzehnt  1900 
bis  1910  aber  44,82  Jahre,  und  auf  dieser  Hinauf¬ 
setzung  des  durchschnittlichen  Lebensalters  beruht 
seit  1876  unsere  Bevölkerungszunahme,  nicht  also  etwa 
auf  der  Zunahme  der  Geburten,  wie  in  Russland  und 
Ostasien. 

Aber  auch  dies  alles  trifft  noch  nicht  den  Punkt, 
an  dem  zwecks  Beseitigung  des  Geburtenrückganges 
der  Hebel  angesetzt  werden  muss:  das  Volk  selbst 
als  solches  muss  wieder  an  der  Scholle  angekettet 
werden,  es  muss  sozusagen  der  Erde  und  es  muss 
dem  Lande  wiedergegeben  werden :  Zur  Natur,  zur 
Mutter  Erde  und  zum  Lande  müssen  wir  zurück  .... 
dort  liegen  die  Quellen  der  Fruchtbarkeit  für  Volk  und 


*)  Schweden  hat  sich  deshalb  auch  vordem  durch  besonders 
fruchtbare  Ehen  ausgezeichnet.  Man  lese  P.  Fahlbeck’s  Buch  über 
den  schwedischen  Adel,  wonach  die  durchschnittliche  Ehe  des  schwe¬ 
dischen  Adels  10 — 12  Geburten  aufwies. 


Völker  von  Anbeginn  bis  in  alle  Ewigkeit.  Und  des¬ 
halb  ist  eins  der  wichtigsten  Hilfsmittel  zur  Bevölke- 
1  ungsvermehrung  die  Wiederaufhebung  der  Freizügig 
Leit.  Kein  Zweifel,  Deutschland  ist  in  den  letzten 
Jahrzehnten  in  seiner  Agrar-  und  Mittelstandsgesetz¬ 
gebung  abwärts  geschritten,  den  Weg  entlang,  den 
England  ihm  vorausgegangen  ist:  mit  welchem  Erfolge 
zeigt  dei  drohende  Untergang,  dem  England  jetzt  ent- 
gegengeht.  Das  Schicksal  aller  Völker,  die  zur  In¬ 
dustrialisierung  und  Ueberindustrialisierung  und  Kapi¬ 
talisier  ung  übergehen  und  einem  flüchtigen  glänzenden 
Entwicklungsrausch  die  Dauer  ihrer  Existenz  zum 
Opfer  bringen  !  Moltke  hat  einmal  gesagt :  das  Deutsche 
Reich  kann  zugrunde  gehen,  ohne  dass  ein  Schuss 
lallt,  nämlich  wenn  die  deutsche  Landwirtschaft  zu- 
gi  undc  geht.  Aber  auch  die  ungesunden  Erscheinun¬ 
gen  dei  UeberindustriaLsierung  und  des  Grossstadt- 
und  Grossindustriestadtwesens  können  nur  dadurch  be¬ 
hoben  werden,  dass  das  Land  und  der  Landbau  und 
die  Landwirtschaft  sowohl  in  ihrer  volkswirtschaft¬ 
lichen  Bedeutung  als  in  ihrer  eminenten  kulturellen, 
volksorganischen  und  volkaufbauenden  Bedeu¬ 
tung  mehr  zu  Worte  kommen.  Gerade  wir  Deutschen 
sind  unserer  Vergangenheit  nach  und  unserer  Volksbe¬ 
schaffenheit  nach  ein  landbauendes  Volk,  und  von 
ganzem  Herzen  und  von  ganzer  Seele  ein  Acker¬ 
bauvolk,  und  unsere  Zukunft  liegt  nicht  nur  auf 
dem  Wasser  und  nicht  in  der  Luft  und  nicht 
in  der  Stadt,  sondern  auf  dem  Lande.  Aus 
dem  Lande  und  der  Landwirtschaft  kommt  das  ge¬ 
sunde  Blut,  kommt  die  Nachkommenschaft,  kommt  der 
Nachwuchs  für  unser  Heer,  kommt  auch  zum  grossen 
Teil  der  Nachwuchs  für  die  Industriearbeiterschaft. 
Und  endlich  kommt  aus  dem  Lande  —  unser  täglich 
Brot.  Zudem  stehen  alle  unsere  Industrien  mit  dem 
Lande  insofern  in  engstem  Zusammenhang,  als  sie  ihr 
Rohmaterial  aus  dem  Lande  erhalten,  vom  Erz  bis  zu 
den  Spinnstoffen. 

Die  deutsche  Landwirtschaft  —  zu  ihrem  höchsten 
Ruhme  kann  es  gesagt  werden,  hat  gerade  in  den 
letzten  Jahrzehnten  ihre  grossen  Aufgaben  erfüllt,  denn 
sie  hat,  abgesehen  davon,  dass  sie  uns  ein  starkes  [ung- 
deutschland,  reichlichen  Nachwuchs,  gesundes  Blut 
und  gesunde  Lebensauffassung  geschenkt  und  erhal¬ 
ten  hat,  uns  ernährt,  sie  hat  bis  zu  95  o/0  die  deutsche 
Bevölkerung  mit  Nahrungsmitteln  versorgt. 

Wenn  nun  in  Berlin  im  Jahre  1907  38,26  0/0  der 
ortsanwesenden  Bevölkerung  zugewandert  war,  und  in 
Hamburg  36,07  %,  so  hat  Ostpreussen  von  den  hier  ge¬ 
borenen  Menschen  25,67  %  der  ortsanwesenden  Be¬ 
völkerung  abgegeben.  Bei  dieser  Gelegenheit  mögen 
auch  folgende  überaus  wichtigen  Zahlen  angeführt  wer¬ 
den  :  Von  allen  Stadtgebürtigen  Deutschlands  waren 
im  Jahre  1907  7,54  o/0  auf  dem  Lande  ansässig  — 
d.  h.  fast  alle  Stadtgeborenen  bleiben  in  den  Städten. 
Aber  von  allen  Landgebürtigen  gingen  30,49  0/0  in  die 
Städte.  Also  fast  ein  Drittel  des  jährlichen  Bevölke¬ 
rungswachstums  geht  dem  Lande  verloren!  Und  wei¬ 
ter  beachte  man  im  Zusammenhang  mit  der  Freizügig¬ 
keit  und  dem  Heimaltssinn,  dass  nur  50,87  o/0  aller 
Ortsanwesenden  des  Reiches  in  ihrer  Geburtsgemeinde 
ansässig  waren:  das  heisst,  die  Hälfte  wird  der  Hei¬ 
mat  untreu ! 

Wenn  uns  nun  a"ber  der  Weltkrieg  in  seinem  Frie¬ 
densschluss  Neuland  im  Osten  bringen  sollte,  dann 
kann,  ebenso  wie  das  Neuland  im  Westen  die  In¬ 
dustrialisierungsgefahr  noch  vergrössert,  die  Agrarisie- 
rung  unseres  Volkes  in  die  Wege  geleitet  werden,  dann 
können  die  Gefahren  der  bisherigen  industriellen  Ent¬ 
wicklung  beseitigt,  dann  kann  der  Landhunger  unseres 
Volkes,  wie  er  gottlob  noch  vorhanden  ist,  gestillt 
werden  und  der  Familienanbau  auf  der  Scholle  wird 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN’. 


20b 


Nr.  21. 


uns  neue  Fruchtbarkeit,  wird  uns  jede  gewünschte 
Volksvermehrung  bringen  —  auf  dem  einzigen  von  der 
Natur  gegebenen  Wege.  Und  es  wird  mit  dem  Volke 
sein,  wie  es  mit  dem  einzelnen  Menschen  ist  und  wie 
es  mit  dem  Riesen  Antäus  war,  der,  wenn  immer  er 
sich  schwach  fühlte,  die  Erde  berührte  und  bei  ihr 
sich  neue  Kraft  holte:  so  werden  auch  Völker  neu¬ 
geboren . 

Und  das  sind  alles  nichts  weniger  als  Utopien  oder 


Phantasien  —  nur  noch  eine  einzige  nüchterne  Tat¬ 
sache  sei  angeführt:  in  Ostpreussen  ist  die  Tauglich¬ 
keitsziffer  mehr  als  das  Doppelte  so  hoch  als  in 
Berlin.  Die  Frage  des  Wiederaufbaues  der  deutschen 
Wehrkraft  aber  ist  für  sich  allein  so  notwendig  und 
dringend,  dass  der  hier  vorgeschlagene  Weg  der  Hei¬ 
lung  von  der  mangelnden  Fruchtbarkeit  des  Volkes 
auch  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  Erfüllung  fordert. 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeine  Pathologie. 

H  e  1  1  y- Würzburg:  Pathologische  und  epidemiologische 
Kriegsbeobachtungen.  —  (M.  m.  W.-Sch.  19 IG,  Heft  3. 

Feldärztl.  Beil.) 

Bei  dem  hohen  Stand  der  ärztlichen  Wissenschaft  der 
Mittelmächte  sind  epidemische  Seuchenausbreitungen  glücklich 
vermieden  worden.  Gleichwohl  haben  sich  durch  das  Ab¬ 
strömen  zahlreicher  Fälle  von  allen  Fronten  Erfahrungen  über 
Infektionskrankheiten  ergeben,  die  im  Frieden  nicht  oder  nur 
bei  bedeutenden  Epidemien  zu  machen  gewesen  wären. 

So  wurden  ungewöhnliche  Krankheitsbilder,  wie  hämorrha¬ 
gische  Typhusroseolen,  die  zur  Verwechslung  mit  Fleckfieber  ver¬ 
leiten  konnten,  beobachtet,  ferner  das  Auftreten  grosser,  erhabener 
papulöser,  Roseolen,  möglichenfalls  im  Zusammenhang  mit  vorauf¬ 
gegangener  Schutzimpfung  entstanden.  Abnorme  Verhältnisse 
zeigten  sich  weiterhin  in  der  ausserordentlichen  Bösartigkeit  der 
Masern  im  ersten  Kriegswinter,  die  sehr  zahlreich  mit  abszedierenden 
Pneumonien  und  exitus  letalis  in  der  1.  Krankheitswoche  kom¬ 
pliziert  waren.  Es  handelte  sich  um  Bosniaken,  in  deren  Heimat 
Masern  selten  sind,  und  die  deshalb  von  Haus  aus  der  immu¬ 
nisatorischen  Wirkung  entbehren.  —  Das  gewöhnlich  als  un- 
charakteristisch  angegebene  Obduktionsbild  des  Tetanus  liess 
Hirn-  uud  Meningealödem  ersehen,  rote  Hepatisation  beider 
Unterlappen,  Muskelzerreissungeu  im  Oberschenkel  und  Zwerch¬ 
fell  mit  Hämorrhagien,  Erscheinungen,  welche  indes  fehlten, 
sobald  der  Tetanus  durch  schwere  septische  Prozesse  von  der 
Wunde  aus  kompliziert  war  —  Verf.  schildert  noch  eine  länd¬ 
liche  Choleraepidemie,  verursacht  durch  einen  Urlauber,  wobei  die 
Übertragung  der  Vibrionen  vom  Brunnen  des  einen  Gehöftes 
durch  einen  Abzweigkanal  ins  Nachhargehöft  stattfand.  Im 
Abzweigkanal  wurde  Wäsche  gereinigt.  —  Die  Wiedergabe  von 
3  Blatternautopsien  bildet  den  Schluss  der  interessanten  kurzen 
Hin  weise  auf  die  Eigenart  und  Neuigkeit  mancher  unserer  dies¬ 
bezüglichen  Erfahrungen  des  Krieges. 

V  iernstein  -Kaisheim. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Adle  r:  Der  diagnostische  Wert  der  Gonokokken  Vakzine. 
—  (Meli.  m.  W.-Sch.  1916,  Heft  3.) 

Für  die  praktisch  so  wichtige  Frage  der  Dauerausheilung 
der  Gonorrhoe  ist  der  Nachweis  der  Gonokokken  im  Ausfluss, 
in  Flocken,  im  Harn  oder  Prostatasekret  bezw.  das  Fehlen  von 
Gonokokken  von  ausschlaggebender  Bedeutung.  Eine  lediglich 
mikroskopische  oder  selbst  urethroskopische  Untersuchung  des  Ge¬ 
heilten  erweist  sich  dabei  aber  als  unzuverlässig  Deshalb  hat  Verf. 
hei  einigen  Hunderten  , .geheilter“  Gonorrhoiker  Gonokokkenvak¬ 
zine,  „Gonargin“,  intramuskulär  in  die  Glutäen  eingespritzt,  u.  zw. 
in  der  hohen  „diagnostischen“  Dosis  von  5U  — 100  Millionen 
abgetöteter  Keime  (Die  dosis  therapeutica  ist  sehr  viel  niedriger!) 
Nach  dieser  „provokatorischen  Vakzine-Injektion“  sah  Verf.  oft 
noch  Gonokokken  in  den  Sekreten  wieder  auftrete  n, 
deren  Nachweis  naturgemäss  mikroskopisch  geführt  wurde.  Es 
erschien  nur  beachtenswert,  dass  es  sich  vielfach  um  Degene¬ 
rationsformen  von  Gonokokken  handelte,  um  gequollene,  kugelige. 


oder  kleinere,  geschrumpfte  Eh  mente,  die  vom  Normaltyp  auch 
durch  ihre  meist  extrazelluläre  Tage  abwichen.  Der  vor  der 
Vakzine-Injektion  schon  völlig  ausgebliebene  Ausfluss  trat  viel¬ 
fach  reichlich  und  eitrig  durch  die  Vakzination  wieder  auf. 
Aber  selbst  wenn  er  in  einzelnen  Fällen  ausblieb,  liess 
infolge  der  Injektion  die  urethroskopische  Untersuchung 
dennoch  verdächtige,  gerötete  Stellen  der  Harnröhrenschleim- 
haut  erkennen,  die  die  Anwesenheit  von  Gonokokken  verrieten. 
Die  Gonokokken  pflegten  nach  der  Einspritzung  in  1 — 9 
Tagen  zu  erscheinen. 

Verf.  weist  wiederholt  auf  die  Wichtigkeit  der  beschriebenen 
Degenerationsformen  von  Gonokokken  für  die  Diagnose  der 
Gonorrhoe  hin.  Viernstei  n- Kaisheim. 


Innere  Medizin. 

S  t  r  a  ss  er,  Alois  (Wien):  Zur  Diagnose  des  Flecktyphus. 
(Ztschr.  f.  physik.  u.  diät.  Therapie  XIX.  1915.  11.  Heft. 
S.  321  —  326.) 

Str.  zeigt  an  einem  erkrankten  Arzt,  bei  welchem  zwei  hervor¬ 
ragende  Kliniker  die  Diagnose:  Flecktyphus  abgewiesen  hatten, 
wie  schwierig  u.  U.  die  Erkennung  dieser  Krankheit  ist.  Die 
sichere  Infektionsquelle  (ein  Konzentrationslager),  die  Inkuba¬ 
tionszeit,  das  ausgedehnte  Exanthem  mit  petechialer  Umwand¬ 
lung,  das  Fehlen  der  Darmsymptome,  die  grau  belegte  Zunge, 
der  rapide  Verfall  der  Herzkraft,  die  quälende  Schlaflosigkeit 
mit  Delirien  Hessen  den  Verf.  an  seiner  Diagnose  festhalten. 

Eine  gleichzeitige  Spiralfraktur  des  Tibia  erschwerte  das 
Krankenlager  und  die  Behandlung.  Butter  sack. 

Fle  i  n  e  r  -  Heidelh ,  Prof.:  Situs  viscerum  inversus  mit 
Eventration  des  rechtsgelagerten  Magens  und  Staunngsektasie  der 
Speiseröhre.  —  (Mchn  m  Weh -Sch.  1916,  Heft  4.) 

Fall  von  regelmässigem  Erbrechen  von  Jugend  auf  bei 
einer  2?  jährigen  verheirateten,  und  einmal  regelrecht  gravid 
gewesenen  Dame,  bei  der  wegen  Diagnose  auf  Sanduhrmagen 
die  Gastro-Enterostomie  angeraten  worden  war. 

Die  klinische  und  genaue  röntgenologische  Untersuchung 
ergab,  dass  die  rechte  Zwerchfellkuppe  abnorm  hoch  stand  hei 
normaler  Lage  der  Brustorgane,  während  der  ganze  Magen 
nach  rechts  und  oben  in  den  freien  Raum  der  Kuppe  gerückt 
war.  Die  durch  diese  Aufwärtsschiehung  und  Rechtsverlagerung 
zu  lang  gewordene  Speiseröhre  knickte  seitlich  ab  und  buchtete 
sich  sackartig  aus,  so  dass  in  Wirklichkeit  bloss  Speiseröhren- 
erbrechen  aus  dem  Blindsack  bestand,  während  erst  der  Über¬ 
lauf  des  Genossenen  aus  dem  Sacke  in  den  Magen  gelangte 
Letzterer  liess  im  Gegensatz  zur  ursprünglichen  Annahme  keine 
motorische  Insuffizienz  erkennen.  Der  Dickdaim  war  ganz 
nach  links  verlagert. 

Fleiner,  der  den  Zustand  primär  als  eine  Entwicklungs¬ 
hemmung  der  rechten  Lunge  auffasst  mit  konsekutiver  Raum¬ 
ausnutzung  in  der  Bauchhöhle,  riet  von  Operation  ab,  da 
motorische  Insuffizienz  in  keiner  Weise  vorliege,  und  hielt 
Spülungen  des  Speiseröhrenektasie  für  ausreichend,  um  sauere 
Gärung  des  dort  stagnierenden  Inhalts  zu  verhindern,  und 


Nr.  21. 


207 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


damit  das  saure  Erbrechen  zu  bekämpfen  bezw.  auf  ein  Mindest¬ 
mass  zu  beschränken. 

Instruktive  Röntgenbilder  sind  der  Arbeit  beigegeben. 

V  i  ernst  ein  -  Kaisheim. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

.  H  o  h  m  a  u  n ,  F.  Lange  und  Schede-  München : 

Kriegsorthopädie  in  der  Heimat. 

Im  ärztlichen  Verein-München  gehaltene  Vorträge.  Hoh- 
mann  betont  die  Wichtigkeit  der  Abduktionlagerung  der  betr 
Extremität  aut  längere  Dauer,  wenn  es  sich  um  Beschädigungen 
des  Humeruskopfes  handelt  Hierdurch  kommt  es  zur  beab¬ 
sichtigten  Deltoideus-  und  Gelenkkapselverkürzung,  Schlotter- 
geleuksbildung  wird  verhütet  und  es  wird  aktive  Bewegung 
des  Armes  bis  zur  Horizontalen  erreichbar. 

In  einem  Fall  von  Schussfraktur  des  Schenkelhalses,  die 
durch  Gips-  und  Extensiousverbände  nicht  zur  Konsolidation 
zu  bringen  war,  erzielte  H.  durch  Nagelung  des  Schenkelhalses 
mit  einem  vernickelten  Stahlnagel  von  8  cm  Länge  in  Ab¬ 
duktion-  und  Innenrotationstellung  das  Resultat. 

Schede  stellt  Schussfrakturen  vor,  bei  denen  es  ihm 
gelang,  durch  Infraktion  eine  erhebliche  Verminderung  der 
Verkürzung  zu  erhalten.  Für  Infraktion  sind  nur  Fälle  ge¬ 
eignet.  bei  denen  die  Verkürzung  in  erster  Linie  auf  allzu 
winkliger  Fragmentstellung  basiert.  Zu  achten  ist  dabei  auf 
tadellose  Fixation  des  proximalen  Fragmentes,  während  die  In¬ 
fraktionsbewegung  das  distale  Fragment  abduziert.  Die  Neu¬ 
stellung  wird  durch  Gipsfixation  sicher  gestellt. 

Bei  grossen,  frischen  Knochendefekten  rät  Sch.,  zunächst, 
wenn  irgend  möglich,  von  der  Ausräumung  der  Knochensplitter 
abzustehen,  da  ihm  die  lebendigen  Knochensplitter  als  Inseln 
im  Knocheudefekt  erscheinen,  von  denen  der  periostalcallöse 
Zusammenschluss  des  Defektes  nur  begünstigt  wird. 

Lange  zeigt  einen  Fall,  wo  es  gelang,  eine  6,5  cm 
betragende  Verkürzung  des  Femurs  durch  Z-förmige,  paracallöse 
Osteotomie  auf  1,5  cm  zu  reduzieren.  Die  durch  die  Z-förmige 
Durchtrennung  ermöglichte  Verlängerung  wurde  in  stark 
extendiertem  Gipsverband  zur  Konsolidation  gebracht. 

Bei  einer  einfachen  Schenkelhalsfraktur  wurde  nach  mehr¬ 
maligen  vergeblichen  Versuchen  unter  Kontrolle  des  Röntgen¬ 
schirmes  eine  Verhakung  der  Fragmente  erreicht,  die  eine  Ver¬ 
meidung  der  coxa-vara-Bildung  resultieren  liess. 

F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s-  München. 

G.  H  o  h  m  a  n  n,  F.  Lange  und  F.  Schede  in 
München:  Kriegsorthopädie  in  der  Heimat.  Fortsetzung. 

Sc  hede  bespricht  orthopädische  Apparate,  wobei  er  zuerst 
dje  W  ichtigkeit  der  individuellen  Plattfusseinlagen  betont.  Die 
^  erwendung  von  Einlagen  ist  nicht  nur  bei  ausgesprochenem 
Plattfuss  angezeigt,  sondern  überhaupt  bei  allen  Schmerzen,  die 
infolge  Belastung  des  Fusses  auftreten. 

Bei  Spitzfussstellung  nach  Ischiadicus-  oder  Peronaeusver- 
letzung  gilt  unser  Hauptaugenmerk  der  Verhütung  des  Über¬ 
ganges  dieses  schlaffen  Spitzfusses  in  das  Stadium  des  kontrakten 
Spitzfusses,  wie  wir  ihn  bei  Verkürzung  der  Achillessehne  und 
Wradenschussverletzung  erleben.  Da  in  diesem  Stadium  die 
Dorsalflexion  des  Fusses  behindert  ist,  die  Belastungsmomente 
des  Fussgewölbes  in  andere  Richtungen  treten,  so  wird  einer¬ 
seits  der  Gang  hinkend,  andererseits  treten  pathologische  Ver¬ 
änderungen  an  den  Metatarsal-Köpfchen  in  Form  einer  Periostitis 
auf.  Daher  muss  der  Spitzfuss  dauernd  in  Dorsalflexion  ge¬ 
halten  werden  sowohl  im  Bett,  als  auch  bei  ambulanten  Patienten 
durch  Schienen  nach  Schede  und  Lange  und  durch 
endgültige  Schienenschuhe. 

Gehapparate  zur  Fixierung  und  Entlastung  des  Beines 
finden  Anwendung  bei  schlecht  und  langsam  konsolidierenden 
Frakturen  bei  Gelenkentzündungen,  bei  Belastungsdeformitäten 
und  bei  Lähmungen  nach  Verletzung  der  Wirbelsäule. 

Lange  weist  bei  der  Besprechung  von  Prothesen  auf  die 
Notwendigkeit  hin,  den  Bau  der  Prothesen  nicht,  wie  es  in 
Friedenszeiten  üblich  war,  ausschliesslich  den  Bandagisten  zu 
überlassen,  sondern  fordert  zu  diesem  wichtigen  Kapitel  aktive 
Mitarbeit  der  Arzte.  F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s- München. 


F.  D  e  r  g  a  n  z- Laibach:  Beitrag  zur  Peritonitistherapie. 

Die  Ätherauswaschungsmethode  der  perionitisch  erkrankten 
Bauchhöhle,  die  aut  den  Franzosen  S  o  u  1  i  g  o  u  x  zurück¬ 
führt,  ist  auch  für  Verf.  der  Beschluss  in  der  chirurgischen 
Versorgung  der  Bauchhöhle  durch  Eingiessen  von  50 — 200 
Ath.  sulf.  pur.  Da  das  Gefässsystem  der  Haut  und  des  Ge¬ 
hirnes  als  ektodermale  Gebilde  im  antagonistischen  Gleichgewicht 
zum  Gefässsystem  des  entodermal  entstehenden  Intestinaltraktus 
steht,  wird  der  durch  die  Entzündungsreizungen  der  Bauchhöhle 
gestörte Gefässgleichgewichtszustand  wiederhergestellt  durch  Äther¬ 
reizung  der  gelähmten  Vasokonstriktoren  des  Darmes.  Bald  ein¬ 
setzende  Rötung  des  Gesichtes  und  Belebung  des  Sensoriums  sind 
die  markanten  Zeichen  für  verstärkten  Füllungszustand  des  Gefäss- 
systems  der  Haut  und  des  Gehirnes. 

Der  nach  den  Ätherwaschungen  beobachtete  und  bei  der 
Norm  verweilende  Temperaturabfall,  der  auch  bei  Fällen 
stärkster  pathologischer  Veränderungen  manifestierte,  bedarf 
noch  der  theoretischen  Klärung. 

D.  hat  auch  bei  Fällen  primärer  Synovitis  serosa  oder 
purulenta  mit  der  Ätherwaschung  gute  Erfolge  gesehen. 

Zu  beachten  ist,  dass  bei  äthergewaschenen  Patienten 
Narkotika  in  der  weiteren  Behandlung  auszuschliessen  sind, 
da  der  durch  starke  Ätherapplikation  für  Narkotika  hyper- 
sensibilisierte  Körper  durch  die  zu  intensive  Wirkung  der 
Narkotika  (Morphiu)  geschädigt  werden  könnte. 

Gleichwohl  die  theoretische  Seite  der  Ätherwaschmethode 
noch  der  weiteren  Klärung  bedarf,  steht  Verf.  geschützt  durch 
zahlreiche  brillante  Erfolge  nicht  davon  ab,  diese  Methode 
wärmstens  zu  empfehlen. 

F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s  -  München. 

P-  J  aussen  -  Düsseldorf:  Die  abschliessende  Sequestro- 
tomie  nach  Schussfraktur. 

Das  Heimatlazarett  en  chirurgisch  tätigen 

Ärzte  so  wichtige  Kapitel  der  chronischen  Knochenfisteln 
nach  Schussfraktur  bespricht  J.  in  klarer,  überzeugender  Weise. 
Immer  zahlreicher  werden  die  Bilder  der  dauernd  sezernierenden 
Fisteln,  die  eine  Unmenge  Verbandstoff  erfordern,  die  Pat. 
sichtlich  herunterbringen  und  oft  die  so  notwendige  medico- 
mechanische  Nachbehandlung  immer  weiter  hinausschieben. 

Diesem  Zustand  vermag  nur  die  wirklich  gründliche 
operative  Revision  der  Wund  Verhältnisse  ein  endgültiges  Ende 
bereiten.  Der  Fremdkörper  —  und  stets  handelt  es  sich  um 
Fremdkörper,  die  die  Eiterung  unterhalten  —  müssen  entfernt 
werden,  da  die  spontane  Abstossung  der  Sequester,  Geschoss¬ 
splitter  oder  Kleiderfetzen  auf  mechanische  Hindernisse  stösst. 

Durch  Röntgenaufnahmen  in  verschiedenen  Ebenen  erhält 
man  ein  klares  Bild  der  Knochen  Verhältnisse  in  bezug  auf  den 
Fremdkörper.  Gute  Unterstützung  hierin  findet  man  durch 
Injektion  in  die  Fistel  von  Wismut-Paraffin.  Bei  der  Operation 
erweist  sich  als  brauchbare  Wegleitung  zur  Sequesterhöhle  eine 
Injektion  von  konzentrierter  steriler  Methylenblaulösung.  Ein 
unbedingtes  Erfordernis  ist  es,  ausgiebig  zu  operieren  durch 
Schnittführung  weit  ins  Gesunde.  So  nur  schafft  man  den 
nötigen  Überblick,  so  nur  ist  aus  dem  Gesunden  heraus 
Orientierung  im  veränderten  Krankheitsgewebe  möglich,  nur 
so  wird  der  Knochen  breit  und  rinnenförmig  unter  Periost¬ 
schonung  aufgemeisselt  und  der  Sequester  zum  ,, Herausfallen“ 
freigemacht.  Jede  Naht  ist  zu  meiden.  Lockere  Tamponade 
und  Ausgiessen  der  Operationswunde  mit  Knoll’s  granu¬ 
lierendem  Wundöl  wird  ein  Ausfüllen  der  Wunde  mit  ge¬ 
sunden  Granulationen  von  unten  herauf  bewirken. 

Die  zeitliche  Indikation  zur  radikalen,  abschliessenden 
Sequesirotomie  richtet  sich  nur  nach  der  kallösen  Festigung 
der  Fraktur,  worüber  das  Studium  der  Röntgenplatte  Auf¬ 
schluss  gibt. 

Die  Scheu  vor  der  breiten  Freilegung  des  Eiterherdes 
muss  überwunden  werden.  Lediglich  Narbenöffnung  und  Aus- 
kratzen  mit  dem  Löffel  wird  nicht  zum  Aufhören  der  Sekretion 
aus  der  Fistel  führen.  Die  breite,  radikale  Sequestrotomie 
wird  Arzt  und  Pat.  viel  Mühe  und  Verdruss  ersparen. 

F.  R.  M  ii  h  1  h  a  u  s-  München. 


208 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  21. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Rothacke  r- Jena:  Einige  Fälle  von  Hypertbyreoidis- 
inus,  darunter  3  von  akutem  Basedow  bei  Kriegsteilnehmern, 
zur  Stütze  der  neurogenen  Entstehung  dieser  Krankheit.  — 
(M.  m.  W.-Sch.  1916,  Heft  3,  Feldärztl.  Beil.) 

Schilderung  von  6  Basedow-Fällen,  die  auf  nervöser 
Grundlage  akut  entstanden,  und  nach  Wegfall  des  nerven¬ 
erregenden  Momentes  ausheilteu,  darunter  3  Militärpersonen. 
Ursachen  waren:  psychische  Erregung  familiärer  Natur,  Über¬ 
arbeitung  beim  Studium,  Aufregungen  durch  Trommelfeuer,  im 
Schützengraben,  bei  langdauernder  Artilleriebeschiessung. 

Durch  die  dargelegten  Fälle  erhielt  die  „neurogene“ 
Theorie  Oswalds  von  der  Entstehung  des  Basedow  eine 
neue  Stütze.  Oswald  behauptet  im  Gegensatz  zu  den  \  er- 
tretern  der  „thyreogenen“  Richtung,  deren  Haupt  Möbius 
ist,  und  die  erst  jüngst  durch  Abderhaldens  Fermeut- 
nachweise  gefestigt  worden  zu  sein  scheint,  dass  für  die  Ent¬ 
stehung  von  Basedow  ausser  der  Schilddrüsenhypersekretion 
immer  eine  nervöse  Disposition  in  Form  eines  irgendwie  ge¬ 
schädigten  Nervensvstems  vorhanden  sein  müsse:  Das  Primäre 
sei  stets  ein  durch  irgendwelche  extrathyeroidal  gelegene  Ursache 
gesqhädigtes  Nervensystem;  erst  sekundär  komme  durch  die  Ein¬ 
wirkung  des  Schilddrüsensekretes  die  Struma  zustande.  Die 
Schilddrüse  erfahre  ihre  Impulse  vom  Nervensystem,  sie  sei  in 
dieses  „eingeschaltet“  und  wirke  sozusagen  als  Multiplikator, 
indem  sie  ein  das  Nervensystem  ansprechendes  Produkt 
liefere. 

Vergl.  hierzu  Oswalds  Arbeit  in  Mch.  m.  W.-Sch.  1915, 
Heft  27  !  Viernstein  -  Kaisheim. 

Sauer  -  München:  Enuresis  und  Hypnose  im  Felde.  — 

( Mch.  m.  W.-Sch.  1916,  Heft  3,  Feldärztl.  Beil.) 

Yerf.  hält  die  Enuresis,  welche  im  Felde  als  nocturna, 
wie  auch  —  seltener  —  diurna  vorkommt,  für  eine  Neurose, 
u.  zw.  hysterische  oder  neurastherische  Erscheinung,  die  viel¬ 
fach  vererbt  ist,  manchmal  seit  früher  Jugend  besteht,  manch¬ 
mal  erst  im  Felde  plötzlich  (Explosion  einer  Granate!)  auftritt. 
Die  Annahme  eines  urologischen  Leidens  ist  nicht  gerecht¬ 
rechtfertigt. 

Die  Hypnose  gibt  als  einzige  Behandlungsmethode  günstige 
Erfolge  schon  in  1 — 3  Sitzungen.  Dabei  wird  von  anderen 
Massnahmen,  insbes.  ivon  Dienstbefreiung,  selbst  von  der  Be* 
Schränkung  der  Getränkezufuhr,  völlig  abgesehen.  Die  hypnotische 
Behandlung  ist  ganz  unbedenklich  und  sollte  im  Felde  aus¬ 
gedehnt  geübt  werden,  wofür  in  allen  Formationen  gewiss  geübte 
Ärzte  ausreichend  vorhanden  wären.  Hartnäckigere  Fälle  jedoch 
wären  hinter  der  Front  in  Lazaretten  einer  tiefergehenden  psj^cho- 
therapeutischen  Behandlung  zu  unterwerfen.  — 

(Referent  verfügt  aus  eigener  Tätigkeit  in  letzter  Zeit  über 
einen  Enuresis-Fall  bei  einem  schwer  psychopathischen  Straf¬ 
gefangenen,  der  nach  einer  unerheblichen  Kontusion  in  der 
Gegend  des  Perineums  ohne  jede  nachweisbare  anatomische, 
organische  Erkrankung  bezw.  Verletzung  Enuretiker  wurde, 
wobei  im  Lazarett  die  Erscheinungen  unter  psychischer  Beein¬ 
flussung  rasch  in  1 — 2  Tagen  vollständig  verschwanden, 
um  jedoch  bei  Rückkehr  des  Mannes  zur  alten  Arbeit  (Land¬ 
wirtschaft)  sofort  wiederzukommen.  Simulation  ist  ausge¬ 
schlossen.)  Viernstein  -  Kaisheim. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Rascher:  Atropin  bei  Eklampsia  infantum.  —  (Mchn. 
m.  W.-Sch.  1916,  Heft  1.) 

Verf.  injizierte  bei  einem  Mädchen  mit  hochgradigem 
eklamptischen  Anfall  während  dessen  Dauer  0,0001  Atropin- 
sulf.,  indem  er  rasch  den  Inhalt  einer  Ampulle  von  0,001  Ge¬ 
halt  mit  9  ccm  gekochten  Wassers  mischte,  und  hiervon  eine 
Pravazspritze  voll  aufsaugte:  Prompter  Erfolg! 

Verf.  regt  weitere  Versuche  an  und  verweist  auf  die  an 
gleicher  Stelle  veröffentlichten  Erfahrungen  Bösl’s  mit 
Methylatropin  bromat.  (Mch.  m.  W.-Sch.  1907,  Heft  37). 
Letzteres  sei  wegen  relativer  Ungiftigkeit  bei  Kindern  zu  be¬ 
vorzugen.  Viernstein  -  Kaisheim. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Nadel,  Valy, :  Lichtbehandlung  schwerer  Phlegmonen. 
(Ztschr.  f.  physik.  u.  diät.  Therapie  XIX.  1915.  11.  Heft. 
S.  332—342.) 

Bestrahlungen  mit  elektrischem  Blaulicht  (5 — 6  Blau¬ 
lampen,  bis  zu  4  Stunden)  brachte  derbe,  fortschreitende  Phleg¬ 
monen  zum  Stehen  und  zur  Erweichung,  so  dass  man  mit 
kleinen  Einschnitten  zur  Entleerung  der  Verflüssigungen  aus¬ 
kam.  Sequester  stiessen  sich  rascher  ab,  schlecht  heilende 
Wunden  reinigten  sich  und  begannen,  gut  zu  granulieren. 

Nebenwirkungen  traten  nicht  auf. 

Die  auf  14  Krankengeschichten  basierte  Arbeit  bestätigt 
damit  schon  mehrfach  Mitgeteiltes.  Wenn  einmal  die  Hände 
der  Chirurgen  nicht  bloss  das  Messer  führen,  sondern  auch 
die  strahlenden  Energien  verwenden,  wird  die  Chirurgie  der 
Zukunft  ein  wesentlich  anderes  Aussehen  annehmen. 

Buttersack. 

Amol  d- Leipzig:  Über  Blutveränderungen  bei  der 
Tiefenbestrahluug  maligner  Tumoren.  (Münch,  m.  Wochenschrift 
1916,  Nr.  5.) 

Die  am  hämatopoetischen  Apparat  im  Tierexperiment  be¬ 
obachteten  Vorgänge,  dass  schon  nach  wenig  energischer  Rönt¬ 
genbestrahlung  Kernzerfall,  bindegewebige  Entartung  des 
lymphoiden  Gewebes  und  Untergang  der  Zellen  der  Milzpulpa 
und  des  Knochenmarkes  auftritt,  haben  des  weiteren  spezifisch¬ 
analysierte  Veränderungen  im  Blutstrom  konstatieren  lassen 
derart,  dass  unmittelbar  nach  der  Bestrahlung  eine  polynukleäre 
Leukozytose  einsetzt,  während  die  Lymphozyten  eine  mehr  oder 
weniger  intensive  Verringerung  anzeigen.  Nach  Ablauf  einiger 
Tage  zeigt  eine  Blutbestimmung  wieder  normale  Zahleuwerte. 
Da  u.  a.  W  ö  h  1  e  r  auch  beim  Menschen  schon  nach  Be¬ 
strahlung  von  D/2 — 3  Minuten  Dauer  regelmässig  einsetzende 
Hyperleukozytose  sah,  so  wurde  es  natürlich,  dass  die  Kenntnis 
dieser  Blutbestandteilsänderung  neben  rein  theoretischem  Interesse 
zur  praktisch-angewandten  Bedeutung  kam 

So  schildert  Verf.,  dass  am  Krankenhaus  Skt.  Georg-Leipzig 
auf  Veranlassung  von  Läwen  bei  der  Bestrahlung  maligner 
Tumoren  regelmässig  die  Blutveränderung  festgestellt  wurde. 

Die  Geschwülste  —  operabele  wie  inoperabele  Fälle  — 
wurden  freigelegt  und  nach  Exzisiou  oder  bestmöglichster  Ent¬ 
fernung  der  Geschwulstmassen  direkt  unter  Offenlassen  der 
Operationswuude  1 — 2  Stunden  bestrahlt,  um  einerseits  einen 
hohen  Nutzeffekt  der  applizierten  Strahlendosis  zu  erhalten, 
andererseits  um  zu  verhüten,  dass  grössere  Mengen  der  Abbau¬ 
produkte  des  bestrahlten  Tumors  resorbiert  werden  können. 
Die  Leukozytenzahl  wurde  vor  und  nach  der  Operationsbe¬ 
strahlung  bestimmt,  desgleichen  bei  den  späteren  perkutanen 
Nachbestrahlungen. 

Dabei  ergab  sich,  dass  nach  den  ersten  Bestrahlungen  die 
Leukozytenwerte  gewaltig  anschnellten  (in  einigen  Fällen  um  das 
3  —  4  fache  wie  vor  der  Betrahlung),  die  neutrophilen  Leukozyten 
dagegen  mässig  austiegen  und  Myelozyten,  die  an  sich  schon 
sehr  häufig  als  pathologische  Bestandteile  im  Blutstrom  kar- 
zinomatöser  Fälle  zirkulieren,  stärkeren  Anstieg  dokumentierten 
Nach  mehreren  Bestrahlungen  (7 — 8)  zeigen  auch  die  Leuko¬ 
zyten  merkliche  Tendenz  zum  Abfall  unter  die  Norm,  was 
Verf.  auf  eine  Schädigung  resp.  Erschöpfung  des  leukopoetischen 
Apparates  durch  Röntgenstrahlen  zurückführt. 

Daraus  ergab  sich  für  Verf.  der  Grundsatz,  nicht  zu  be¬ 
strahlen,  wenndie  Leukozyten  unter  4000  zählen,  sondern  ersts 
durch  Interponiereu  einiger  Ruhetage  normale  Zahlenwerte  ab¬ 
zuwarten. 

Umgekehrte  Erscheinungen,  dass  nach  Bestrahlung  statt 
Hyperleukozytose  Hypoleukozutose  einsetzt,  finden  ihre  Er¬ 
klärung  in  Schädigung  des  lymphatisch-myeloischen  Systems 
durch  die  im  Tumor  gebildeten  Toxine  oder  durch  Zerfalls¬ 
elemente. 

Für  die  praktische,  energische  Tiefenbestrahlung  resultiert 
aus  den  Darlegungen  Arnolds,  vor  und  nach  Bestrahlung 
sowTohl  Leukozyten,  als  auch  Myelozyten  und  Lymphozyten 
zahlenmässig  zu  kontrollieren,  um  hierdurch  vor  Spätschädigungen 
durch  Röntgenstrahlen  bewahrt  zu  bleiben. 

F.  R.  Mühlhau  s-  München. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Torischrille  der  Medizin 

Unter  miiwirkung  hervorragender  fatbmänner 

lierausgegeben  von 

L  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  (i.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M  Darmstadt.  Leipzig. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  22 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  tu.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


10.  Mai. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  die  Behandlung  der  umschriebenen 
Ausfallssymptome  bei  den  Schußverletzungen 

des  Gehirnes. 

Von  Prof.  Kurt  G  o  1  d  s  t  e  i  n  Frankfurt  a./M. 

Die  Behandlung  der  Schussverletzungen  des  Schä¬ 
dels  und  des  Gehirnes  gehört  zu  den  schwierigsten 
Aufgaben,  vor  die  der  Krieg  uns  Aerzte  gestellt  hat. 
Hat  es  der  Chirurg  vorwiegend  mit  der  Behandlung 
der  Verletzung  selbst  und  ihrer  direkten  Folgen,  der 
Gefahren,  die  in  der  Infektion,  in  der  Knochenlücke 
usw.  liegen,  zu  tun,  so  interessieren  den  Neurologen, 
der  ja  die  Verletzten  gewöhnlich  erst  zu  sehen  bekommt, 
wenn  die  chirurgische  Behandlung  im  wesentlichen  ab¬ 
geschlossen  ist,  die  Funktionsstörungen,  die  durch  Zer¬ 
störung  des  Hirngewebes  bedingt  sind.  Mit  ihrer  Be¬ 
handlung  möchte  ich  mich  hier  etwas  näher  beschäfti¬ 
gen.  Auch  hierbei  möchte  ich  mich  auf  die  Bespre¬ 
chung  der  Behandlung  der  umschriebenen 
Ausfallserscheinungen  beschränken,  wie  sie 
durch  den  umschriebenen  Hirndefekt  bedingt  sind. 
Nicht,  als  ob  ich  die  Behandlung  der  allgemeinen  zere¬ 
bralen  Funktionsstörungen  für  weniger  bedeutungsvoll 
hielte  —  im  Gegenteil,  sie  erscheint  mir  besonders 
wichtig  und  deshalb  einer  eingehenden  Erörterung  be¬ 
dürftig.  Das  würde  aber  über  den  Rahmen  dieses 
kleinen  Aufsatzes  hinausgehen,  in  dem  ich  —  einer 
freundlichen  Aufforderung  der  Schriftleitung  der  „Fort¬ 
schritte“  gern  folgend  —  vor  allem  die  Behandlung 
der  lokalisierten  Störungen  besprechen  möchte.  Ich 
werde  an  den  Allgemeinerscheinungen  allerdings  nicht 
ganz  vorübergehen  können,  weil  sie,  wie  wir  sehen 
werden,  sich  auch  bei  den  Verletzten  mit  umschriebe¬ 
nen  Störungen  oft  mehr  oder  weniger  ausgesprochen 
finden. 

Die  Zahl  der  Verletzten  mit  umschriebenen  Aus¬ 
fallserscheinungen  ist  in  diesem  Kriege  eine  ausser¬ 
ordentlich  grosse.  Die  enorme  Durchschlagskraft  der 
Geschosse  lässt  diese  oft  durch  den  Schädel  und  das 
Gehirn  hindurchgehen  und  umschriebene  Defekte  an 
ihnen  erzeugen,  ohne  das  Gehirn  in  seiner  Gesamtheit 
schwer  zu  schädigen.  Als  Effekt  hiervon  treten  die  ver 
schiedensten  umschriebenen  Ausfälle  auf  wie :  einfache 
Lähmung,  Apraxie,  Aphasie,  Anarthrie,  Anästhesie, 
Alexie,  Agraphie,  Agnosie  verschiedener  Art,  Seelen¬ 
blindheit,  Tastlähmung,  umschriebene  Störungen  des 
Gedächtnisses,  besonders  der  Merkfähigkeit,  Störungen 
der  Willensregungen,  der  Aufmerksamkeit  usw.  Es  ist 
wohl  keine  Frage,  dass  all  diese  Störungen,  wenn  sie 
bestehen  bleiben,  geeignet  sind,  den  Verletzten  in 


schwerster  Weise  für  sein  ganzes  Leben  zu  schädigen 
und  ihn  ähnlich  wie  ein  körperlicher  Defekt,  ja  noch 
mehr  wie  ein  solcher,  zu  einem  Krüppel  machen.  So 
wird  ein  Kranker  mit  einer  Aphasie  in  den  meisten 
Fällen  seinem  Berufe  nicht  mehr  nachgehen  können, 
ja  fast  zu  jedem  Berufe  unfähig  sein.  Das  gleiche  gilt 
von  dem  Ausfall  der  geübten  Bewegungen,  wie  wir  ihn 
bei  Apraktischen  finden,  von  der  Tastlähmung,  von 
den  Störungen  der  Merkfähigkeit,  der  Willensregung 
usw. 

Was  sollen  wir  nun  gegen  diese  umschriebenen 
Störungen  tun?  Sollen  wir  sie  der  Heilkraft  der  Natur 
überlassen,  und  einfach  abwarten,  ob  eine  Wieder¬ 
kehr  der  Funktion  eintritt  oder  nicht?  Es  ist  keine 
Frage,  dass  ein  Teil  der  Störungen  schon  nach  kurzer 
Zeit  sich  von  selbst  bessert.  Aber  dies  ist  keineswegs 
immer  der  Fall;  ja,  es  bleibt  eine  recht  grosse  Zahl  von 
Verletzten  zurück,  bei  denen  die  Ausfälle  von  selbst 
gar  nicht  oder  sehr  unvollkommen  und  erst  nach  sehr 
langer  Zeit  zurückgehen.  Sollen  und  können  wir  hier 
nicht  in  irgend  einer  Weise  unterstützend  eingreifen  ? 
Wir  können  es  durch  eine  geeignete  Uebungs- 
beha n  d  1  u  n g.  Es  wird  davon  meistens  abgesehen, 
weil  die  Aerzte  dem  Erfolg  einer  solchen  pessimistisch 
gegenüberstehen.  Sie  sehen  einerseits  in  der  An¬ 
strengung,  die  die  Uebungsbehandlung  mit  sich  bringt, 
eine  Gefahr  für  die  Verletzten,  sie  sagen  sich  anderer¬ 
seits,  was  gut  wird,  wird  auch  von  selbst  gut  und  ein 
wirklicher  Erfolg  von  der  Uebungsbehandlung  sei 
kaum  zu  erwarten.  Beide  Argumente  sind  nicht  stich¬ 
haltig.  Die  Gefahr  einer  Ueberanstrengung  lässt  sich 
durch  eine  zweckmässige  Gestaltung  der  Uebungsbe¬ 
handlung  sehr  wohl  vermeiden.  Wenn  man  im  beson¬ 
deren  auf  den  psychischen  und  körperlichen  Allgemein¬ 
zustand  weitgehende  Rücksicht  nimmt  —  was  eigent¬ 
lich  selbstverständlich  ist  —  so  besteht  diese  Gefahr 
überhaupt  kaum.  Was  das  zweite  Argument  betrifft, 
so  beruft  man  sich  gewöhnlich  auf  die  allerdings  recht 
dürftigen  Erfolge  der  Uebungsbehandlung  bei  ähn¬ 
lichen  Zuständen  aus  der  Friedenspraxis.  Nun  ist  auch 
hier  dieser  Standpunkt  meiner  Meinung  nach  nicht 
gerechtfertigt.  Setzt  man  die  allerdings  sehr  viel  Zeit 
und  Geduld  erfordernde  Behandlung  nur  lange  genug 
fort,  so  erreicht  man  auch  hier  viel  mehr  als  allgemein 
angenommen  wird. x)  Andererseits  liegen  hier  die  Aus¬ 
sichten  für  eine  Besserung  viel  ungünstiger  als  bei 
unseren  Hirnverletzten.  Das  Neuerlernen  verloren  ge¬ 
gangener  Leistungen  setzt  eine  beträchtliche  Leistungs- 


Ü  cf.  hierzu  bes.  die  Arbeiten  Gutzmanns. 


210 


FORTSCHRITTE  HER  MEDIZIN. 


Nr.  22. 


fiihisrkeit  des  nicht  zerstörten  Gehirnes  voraus,  (irade 

o 

diese  ist  aber  bei  den  lokalisierten  Erkrankungen  im 
Frieden  immer  mehr  oder  weniger  beeinträchtigt, 
handelt  es  .'ch  doch  gewöhnlich  um  Folgen  von  Er¬ 
krankungen,  die  das  ganze  Gehirn  schädigen,  wie  Ar¬ 
teriosklerose,  Tumoren  usw.  oder  um  alte  Individuen, 
deren  Geh:  ne  an  sich  nur  eine  reduzierte  Leistungs¬ 
fähigkeit  und  vor  allem  Restitutionsfähigkeit  besitzen. 
In  dieser  Hinsicht  liegen  aber  die  Verhältnisse  bei 
unseren  Hirn  verletzten  ganz  anders  und  zwar  beson¬ 
ders  günstig.  Es  handelt  sich  von  vornherein  um  be¬ 
sonders  leistungsfähige,  gesunde,  jugendliche  Gehirne, 
der  umschriebene  Defekt  braucht  das  übrige  Ge¬ 
hirn  gar  nicht  besonders  geschädigt  zu  haben.  Es 
scheint  mir  kein  Zweifel  darüber,  dass  das  jugend¬ 
liche  Gehirn  eine  sehr  beträchtliche  Fähigkeit  zum 
Neuerwerb  von  Leistungen  besitzt.  Wenn  eine  Besse¬ 
rung  nicht  eintritt,  so  liegt  das  daran,  dass  das 
Gehirn  nicht  in  der  geeigneten  Weise  zum 
Neuerwerb  angeregt  worden  ist.  Diese  ge¬ 
eignete  Anregung  ist  unbedingt  notwendig.  Es  ist  aber 
falsch,  zu  sagen,  die  Natur  helfe  sich  selbst;  was  gut 
wird,  wird  auch  von  selbst  gut.  Der  Verletzte  muss  viel¬ 
mehr  wie  das  Kind  lernen,  und  er  kann  das  noch  weni¬ 
ger  wie  das  Kind  ohne  äussere  Hilfe,  weil  ihm  die 
Unbefangenheit  des  Kindes  fehlt,  die  diesem  das  Lernen 
im  einfachen  Verkehr  mit  der  Umgebung  so  erleichtert. 
Unsere  Hirnverletzten  sind  oft  sehr  geniert,  schliessen 
sich  wegen  ihres  Defektes,  der  ihnen  sehr  wohl  zum 
Bewusstsein  kommt,  von  der  Umgebung  ab.  Dadurch 
fixiert  sich  der  Defekt  immer  mehr.  Es  ergibt  sich  dar¬ 
aus,  dass  es  zu  verwerfen  ist,  diese  Kranken  nach 
Abschluss  der  chirurgischen  Behandlung  einfach  in  die 
Heimat  zu  entlassen. 

Nur  eine  systematische  Uebungsthera- 
p  i  e  bietet  dem  Hirn  verletzten  die  Mög¬ 
lichkeit,  seinen  Defekt  wieder  a  u  s  zü¬ 
gle  i  c  h  e  n. 

Diese  Anschauung  beruht  nicht  nur  auf  theoreti¬ 
scher  Ueberlegung,  sondern  findet  ihre  Bestätigung 
in  den  Erfahrungen,  die  derjenige,  der  die  Uebungs- 
behandlung  in  richtiger  Weise  ausführt,  zu  seiner 
Freude  immer  wieder  machen  kann.  Wochen  und 
Monate  lang  hat  der  Verletzte  im  Lazarett  gelegen, 
ohne  dass  sich  jemand  um  den  Funktionsdefekt  küm¬ 
mert  und  ohne  dass  eine  nennenswerte  Besserung  des¬ 
selben  eintritt.  Nun  kommt  er  zur  Uebungsbehandlung. 
Nach  kurzer  Zeit,  oft  schon  nach  den  ersten 
Hebungen,  tritt  eine  fortschreitende  Besserung  ein.  Die 
kurze  Mitteilung  der  folgenden  Beobachtung  möge 
dies  illustrieren. 

30  jähriger  Oberlehrer.  Schussverletzung  am  2.  April  1915. 
Rechtsseitige  Hemiplegie,  Vollständiger  Sprachver- 

1  u  s  t.  Verständnis  erhalten.  Nach  3l/2  Monaten,  während 
denen  die  Wunde  heilte,  der  Allgemeinzustand  gut  wurde,  noch 
völliges  Fehlen  der  Laut  bil  düng.  Die  Worte  ach 
Gott,  ach  ne  erhalten. 

Am  14  Juli  1914  Beginn  der  Übungsbe- 
1»  a  n  d  1  u  n  g.  Übungen  zur  Bildung  der  einzelnen  Laute 
durch  Ablesen  vom  Munde  des  Lehrers,  Abtasten  etc.  I  n 
wenigen  Tagen  werden  einzelne  Laute 
wie  m,  p,  t,  n,  f,  ch,  a  gelernt,  manche  nach  den  ersten  Übungen. 

7  Tage  nach  Beginn  der  Übung  kann 
der  Pat.  fast  alle  Laute  sprechen,  ja  sogar 
schon  einzelne  Worte,  namentlich  nachsprechen  und  lesen, 
14  Tage  nach  dem  Beginn  schon  eine  ganze  Reihe  Worte. 

2  M  on  ate  nach  dem  Beginn  lernt  er  an  der 
Hand  eines  Bilderbuches  in  8  — 14  Tagen  eine 
grosse  Zahl  von  Worten.  Die  Sprache  besteht  noch 
aus  einzelnen  Worten. 

2  3  Monate  nach  Beginn  kann  er  schon 

kleine  Sätze  bilden,  meist  spricht  er  agrammatisch.  Die 
grammatische  Konstruktion  wird  jetzt  besonders  geübt.  5  Monate 


nach  Beginn  der  Behandlung  ist  Pat.  imstande 
sich  gut  zu  verständigen,  auch  der  grammatische  Auf¬ 
bau  ist  besser.  Die  Besserung  schreitet  dauernd  weiter  fort 

ln  diesem  Falle  ist  es  eindeutig  zu  beweisen,  dass 
der  Verletzte  vor  Beginn  der  Uebungsbehand- 
1  u  n  g  trotz  der  Monate  langen  Behandlung  im  Laza¬ 
rett  und  trotz  Heilung  der  Wunde  und  gutem  allge¬ 
meinen  Befinden  so  gut  wie  nichts  von  den  ver¬ 
lorenen  Funktionen  von  selbst  w  i  e  d  e  r  ge¬ 
wonnen  hat,  aber  sofort  nach  Einsetzen 
der  Uebungsbehandlung  überraschend 
schnell  die  ersten  Laute  zu  bilden  lernte 
n  n  d  d  a  n  n  dauernd  gute  Fortschritte 
machte,  so  dass  er  nach  14  Tagen  fast  alle 
Laute  sprechen  konnte  und  nach  wenigen 
Monaten  im  Stande  war,  sich  zu  verständi¬ 
gen.  Es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  der  Verletzte 
ohne  Uebungsbehandlung  noch  heute  ebenso  weit  wäre 
wie  vor  Beginn  derselben  oder  jedenfalls  keine  wesentlichen 
Fortschritte  gemacht  hätte.  Der  Fall  ist  um  so  beweisen¬ 
der,  als  es  sich  um  einen  intelligenten,  gebildeten 
Mann  handelt,  der  sich  seines  Defektes  bewusst  war, 
darunter  sehr  litt  und  wenn  es  ihm  möglich  gewesen 
wäre,  sehr  gerne  seine  verlorenen  Funktionen  allein 
wieder  gewonnen  hätte.  Er  selbst  ist  auch  davon  über¬ 
zeugt,  dass  er  den  Erfolg  nur  der  Uebungsbehandlung 
zu  verdanken  habe. 


Selbst  wenn  aber  nicht,  wie  im  vorliegenden  Falle,  die 
Besserung  wirklich  nur  der  Uebungsbehandlung  zu  dan¬ 
ken  ist,  sondern  eine  Besserung  auch  von  selbst  auftritt, 
so  erleichtert  die  Behandlung  doch  jedenfalls  den  Neu¬ 
erwerb  und  beschleunigt  damit  die  Heilung.  Auch 
dann  ist  sie  also  segensreich.  Deshalb  müssen  wir  für 
die  lokalisierten  psychisch-nervösen  Defekte  die  Uebungs¬ 
behandlung  ebenso  fordern,  wie  sie  bei  körperlichen 
Verletzungen  jetzt  eine  Selbstverständlichkeit  ist.  Der¬ 
artige  Ueberlegungen  haben  bei  verschiedenen  Aerz- 
ten  den  Wunsch  wach  werden  lassen,  die  Uebungs¬ 
behandlung  in  systematischer  Weise  auszuüben.  So 
haben  auser  mir1),  soweit  ich  unterrichtet  bin,  beson¬ 
ders  H  artmann 2)  in  Graz,  Poppelreuter 3)  in 
Köln,  Gutzmann l)  in  Berlin,  F  r  ö  s  c  h  e  1  s 5)  in  Wien 
(letztere  beide  ausschliesslich  für  Sprachgeschädigte) 
eine  systematische  Uebungsbehandlung  in  die  Wege 
geleitet. 

Die  Uebungsbehandlung  muss  sich  auf  eine  ein¬ 
gehende  psychologische  Analyse  des  De¬ 
fektes  wie  der  erhaltenen  Funktionen  und  die  Unter¬ 
suchung  des  allgemeinen  psychischen  Zustandes  sowie 
eine  genaue  Feststellung  des  körperlichen  Zustandes 
des  Kranken  stützen  ;  je  mehr  sie  all  diesen  Momenten 
angepasst  wird,  desto  mehr  wird  sie  erreichen.  Es 
wird  deshalb  nur  der  sachkundige,  spezialistisch 
aus  ge  bildete  Neurologe  zum  Lehrer  des 
II  im  verletzten  berufen  sein.  Aber  er  wird  sich 
zweckmässiger  Weise  mit  dem  Pädagogen  zu  gemein¬ 
samer  Arbeit  verbinden.  Gerade  der  Pädagoge  wird 
bei  der  Auswahl  der  Methoden  des  LJnterrichtes,  so¬ 
wie  bei  seiner  rein  technischen  Ausgestaltung  ein 
sehr  wertvoller  Berater  und  Mitarbeiter  des  Arztes  wer¬ 
den.  Hier  ersteht  ein  neues,  ungemein  aussichtsreiches 
Feld  gemeinsamer  Arbeit  des  Arztes  und  des  Päda¬ 
gogen.  Die  Behandlung  ist  selbst  bei  nur  wenigen 
Kranken  ausserordentlich  zeitraubend  und  anstrengend, 

- - 

B  Übungsschulen  für  Hirnverletzte  Zentralbl.  f.  cliiurg  u  me¬ 
chanische  Orthopädie  1915. 

2)  München  md.  Wochenschr.  1915. 

3)  Erfahrungen  und  Anregungen  zu  einer  Kopfschuss-Invaliden- 
fiirsorge.  Heusers  Verl.  1915. 

4)  Berl.  Klin.  Wochenschr  1915. 

5)  Medizin.  Klinik  1915.  N.  50. 


Nr.  22. 


211 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


os  dürfte  deshalb  am  zweckmässigsten  sein,  wenn  sich 
eine  Reihe  von  Personen  zu  gemeinsamer  Arbeit  ver¬ 
binden  —  etwa  ein  sachkundiger  Arzt  mit  mehreren  Päda¬ 
gogen  oder  einem  Pädagogen  und  mehreren  ge¬ 
eigneten  Laien  —  und  die  ganze  Einrichtung  nach  Art 
einer  Schule  gestaltet  wird.  Auf  Einzelheiten  der 
Organisation  dieser  Schule  für  Hirn  verletzte 
sowie  der  Behandlung  kann  ich  hier  natürlich  nicht 
cingchcn:  ich  möchte  nur  einige  wesentliche  Punkte 
hervorheben:  Die  Behandlung  muss  absolut 
individuell  sein.  Die  Defekte  sind,  in  den  ein¬ 
zelnen  Fällen  so  verschieden,  dass  jeder  Verletzte  oe- 
sonders  behandelt  werden  muss.  Mit  dem  Einzel¬ 
unterricht  wird  zweckmässig  ein  g  e  m  eins  a  m  e  r 
Unterricht,  vor  allem  in  den  Elementarfächern 
verbunden.  Auch  sollte  immer  Gelegenheit  zu  körper¬ 
licher  Beschäftigung,  Handfertigkeit  und  Werkstätten¬ 
unterricht  vorhanden  sein,  was  nicht  nur  für  die  Besse¬ 
rung  der  Lähmungen,  sondern  auch  zur  Hebung  des 
psychischen  und  körperlichen  Allgemeinzustandes  sehr 
wertvoll  ist. 

Bei  der  Auswahl  der  zu  behandelnden  Kranken 
sind  die  Fälle  mit  organischen  Störungen  v  o  n 
denen  mit  funktionellen  zu  trennen.  Letztere 
bedürfen  einer  gesonderten  Behandlung.  Ebenso  ist 
auf  die  neben  den  organischen  Störungen  bestehenden 
funktionellen  Störungen  besonders  zu  achten. 

Die  Behandlung  soll  möglichst  frühzeitig 
begonnen  werden.  Ich  halte  es  nicht  für  notwendig 
und  nicht  für  berechtigt,  bis  zur  vollständigen  Hei¬ 
lung  der  Wunde  und  bis  zum  Verschwinden  aller  zere¬ 
bralen  Allgemeinerscheinungen,  wie  Schwindel,  Kopf¬ 
schmerzen,  abnorme  Ermüdbarkeit,  Krämpfe  usw.  zu 
warten.  Wir  würden  dann  bei  dem  oft  monatelangen  Be¬ 
stehen  dieser  Allgemeinerscheinungen  erst  sehr  spät, 
zu  spät,  mit  der  Uebungsbehandlung  beginnen  können. 
Selbstverständlich  wird  aber,  wenn  wir  so  frühzeitig 
mit  der  Behandlung  beginnen,  neben  derselben  eine  be¬ 
sonders  genaue,  ärztliche  Beobachtung  einhergehen 
müssen.  Nur  eine  solche  kann  überhaupt  die  Kranken 
vor  einer  Schädigung  und  den  Arzt  vor  Misserfolgen 
schützen.  Man  sollte  es  nie  vergessen,  dass  es  sich 
bei  unseren  Hirnverletzten  um  kranke  un d 
nicht  um  gesunde  Individuen  handelt,  die 
etwas  lernen  sollen.  Deshalb  wird  die  Uebungs- 
schule  auch  am  besten  im  Rahmen  eines  Lazarettes 
errichtet,  in  dem  für  eine  ärztliche  Behandlung  in 
jeder  Hinsicht  gesorgt  werden  kann.  Allerdings  wird 
man,  wenn  möglich,  die  Schule  räumlich  von  den  Kran¬ 
kensälen  trennen,  schon  um  in  den  Verletzten  das  Ge¬ 
fühl  zu  erzeugen,  dass  sie  nicht  mehr  als  Kranke  be¬ 
trachtet  werden,  was  zweifellos  von  Vorteil  für  ihren 
nervösen  Gesamtzustand  ist. 

Dieser  nervöse  Gesamtzustand,  die  leichte  Erreg¬ 
barkeit,  die  psychische  und  körperliche  Ermüdbar¬ 
keit,  sowie  die  Störungen  des  Gedächtnisses,  im  beson- 
sonderen  der  Merkfähigkeit  für  frische  Eindrücke  usw. 
—  kurz  die  Störungen,  die  wir  als  Folge  der  neben 
dem  lokalen  Defekt  bestehenden  Allgemeinschädigung 
des  Gehirnes  fast  in  jedem  Falle  finden,  erschweren  die 
Behandlung  der  lokalisierten  Defekte  oft  in  hohem 
Masse,  sie  zwingen  uns  immer  nur  kurze  Zeit  die 
Uebungen  fortzusetzen  und  sie  dafür  öfter  am  Tage 
zu  wiederholen,  was  natürlich  die  Organisation  des 
ganzen  Unterrichts  kompliziert.  Sie  sind  auch  für  den 
Erfolg  der  ganzen  Uebungsbehandlung  von  sehr 
wesentlicher  Bedeutung.  Unsere  Verletzten  verhalten 
sich  infolge  der  Allgemeinstörungen  ähnlich  wie  die 
Hirnverletzten,  die  von  vornherein  keine  lokalisierten 
Ausfälle  haben.  Auch  wie  deren  Leistungsfähigkeit 
später  sein  wird,  darüber  ist  heute  noch  kein  sicheres 
Urteil  zu  fällen.  Was  die  militärische  Dienstfähigkeit 


betrifft,  so  wird  nur  in  ganz  seltenen  Fälen,  man  könnte 
sagen  last  nie  die  Felddienstfähigkeit  wieder  erlangt. 
Die  meisten  Hirnverletzten  werden  militärdienstuntaug¬ 
lich.  Aber  auch  in  der  Ziviltätigkeit  wird  ihre  Arbeits¬ 
fähigkeit  gewöhnlich  keine  volle  werden,  selbst  wenn  es 
gelingt,  den  umschriebenen  Defekt  fast  vollständig  zu 
beseitigen.  Es  wird  natürlich  unser  Ziel  sein  müssen, 
den  Kranken  soweit  zu  bringen,  dass  er  in  seinem 
früheren  Beruf  wieder  tätig  sein  kann.  Das  wird  nur 
i ii  den  leichteren  Fällen  oder  unter  besonders  günsti¬ 
gen  Umständen  der  Fall  sein.  Nicht  selten  werden  wir 
zufrieden  sein  müssen,  wenn  der  Verletzte  überhaupt 
wieder  arbeitsfähig  wird  und  wenn  er  imstande  sein 
wird,  einen  neuen  Beruf  auszuüben,  der  seiner  sozialen 
Stellung,  seiner  Bildung  einigermassen  entspricht.  Man 
wird  sich  dabei  nach  der  Art  des  vorliegenden  Defektes 
und  seiner  Ersetzbarkeit  durch  andere  Leistungen  rich¬ 
ten  müssen  und  die  Behandlung  schon  im  Hinblick 
auf  den  künftigen  Beruf  einrichten.  Leider  wird  aber 
nicht  einmal  dieses  Ziel  immer  zu  erreichen  sein. 
Es  wird  eine  Zahl  von  Verletzten  bleiben,  die  nicht 
einmal  mehr  arbeitsfähig  in  irgend  einem  Berufe  wer¬ 
den.  Auch  dann  ist  aber  unsere  Arbeit  nicht  umsonst 
gewesen.  Wir  müssen  bei  den  Heilbestrebungen  der 
Hirn  verletzten  von  anderen  Gesichtspunkten  ausgehen 
als  bei  den  körperlich  Verletzten,  und  zwar  deshalb,  weil 
diese,  so  bedauernswert  sie  uns  erscheinen,  doch,  selbst 
wenn  sie  dauernde  körperliche  Defekte  behalten,  viel 
besser  daran  sind  als  wie  die  Hirnverletzten,  die  nicht 
nur  an  ihrem  Körper  geschädigt  sind,  sondern 
an  dem  Edelsten,  was  der  Mensch  besitzt,  an 
ihrer  Seele.  Sie  werden  durch  ihren  Defekt  nicht  nur 
leistungsunfähig,  sondern  laufen  Gefahr,  aus  der  Ge¬ 
meinschaft  ihrer  Mitmenschen  ausgeschlossen  zu  wer¬ 
den  und  sogar  die  Möglichkeit  eines  wirklichen  Zu¬ 
sammenlebens  mit  ihren  nächsten  Angehörigen  einzu- 
büssen  und  so  völlig  zu  vereinsamen.  Selbst  wenn  es 
in  einem  Falle  nur  gelingen  sollte,  durch  die  Uebungs¬ 
behandlung  dem  Verletzten  allein  diese  Beziehungen 
zu  erhalten,  so  lohnt  doch  die  aufgewandte  Mühe,  zu 
der  wir  verpflichtet  sind.  Glücklicherweise  wird  aber 
die  Zahl  derer,  bei  denen  wir  nicht  mehr  erreichen, 
voraussichtlich  eine  kleine  sein. 


Neue  Beobachtungen  und  Erfahrungen  mit 
bekannten  Medikamenten. 

Von  E.  Otto,  Frankfurt  a.  Main. 

Über  günstige  Erfolge  mit  A  d  a  1  i  n  als  Sedativum 
und  leichtes  Hypnotikum  in  Gegenden,  deren  klimatische 
Verhältnisse  das  Wohlbefinden  des  Europäers  durch 
allgemeine  nervöse  Unruhe  und  Schlaflosigkeit  beein¬ 
trächtigen,  berichtet  Dr.  Arnold  M  a  s  a  r  i  y-Mün- 
chen  in  Nr.  28  1914  der  Münchener  medizinischen  Wochen¬ 
schrift.  Er  beobachtete  an  sich  selbst,  an  Neuankömm¬ 
lingen  und  auch  an  länger  anwesenden  Europäern 
im  südlichen  und  nördlichen  Ägypten  sowie  in  den 
höheren  Regionen  der  Sierra  Nevada  die  günstige 
Wirkung  des  Adalins  bei  der  ganz  allgemein  auftreten¬ 
den  Erscheinung,  dass  Europäer  trotz  starker  körper¬ 
licher  Ermüdung  infolge  der  hohen  I  emperatur  und  des 
milden  Klimas  weder  Nachts  noch  am  1  age  Schlaf  fin¬ 
den  können.  Er  hält  es  zur  Erleichterung  der  Akklima¬ 
tisation  für  Patienten  und  Gesunde,  die  nach  tropischen 
Ländern  reisen,  für  unentbehrlich.  Ebenso  günstige 
Resultate  erzielte  er  mit  Adalin  bei  raschem  Übergange 
aus  Tiefland  in  Hochgebirge.  Die  hierbei  stets  auf¬ 
tretenden  Störungen  der  Atmung  und  des  Herzschlages 
wurden  fast  völlig  ausgeschaltet.  Es  gelang  ihm  wieder- 


212 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  22. 


holt  den  Ausbruch  einer  Bergkrankheit  zu  unterdrücken 
durch  das  Darreichen  von  0,5  Adalin  pro  Nacht  3  bis 
4  Tage  hintereinander.  Er  empfiehlt,  gestützt  auf 
diese  Erfahrungen,  das  Adalin  für  genannte  Zwecke 
und  fordert  zu  weiteren  Beobachtungen  auf. 

Seine  Erfahrungen  mit  dem  Antigonorrhoikum 
C  h  o  1  e  v  a  1  in  der  dermatologischen  Universitätsklinik 
zu  Prag  teilt  Privatdozent  Dr.  E.  Klausner  in  Nr.  50  1915 
der  Münchner  medizinischen  Wochenschrift  mit. 
C  ho  1  e  v  a  1 ,  über  das  wir  bereits  berichteten,  ist  ein 
kolloidales,  10°/0  Argentum  enthaltendes  Silberpräparat 
mit  gallensaurem  Natrium  als  Schutzkolloid  und  wird 
nach  den  Angaben  von  Dufaux  bei  Merck  in  Darmstadt 
in  Tablettenform  hergestellt.  Bisher  kam  es  durch 
Löhlein  (Klin.  Montshefte  für  Augenheilkunde)  gegen 
Blennorrhoe  und  gonorrhoische  Augenerkrankungen  in 
Anwendung.  Klausner  verfolgte  die  Anregung 
Dufaux’s  das  Präparat  wegen  seiner  gonokokkentötenden 
und  sekretlösenden  Eigenschaften,  die  durch 
eine  adstringierende  Wirkung  erhöht  wird,  bei  der 
Behandlung  der  Harnröhrengonorrhöe  des  Mannes 
zur  Anwendung  zu  bringen.  Bei  ca.  200  Patienten, 
die  er  dauernd  kontrollieren  konnte,  Hess  er 
dreimal  täglich  1/4  und  "/o  Cholevallösungen 
spritzen  und  die  Flüssigkeit  10  Minuten  auf  die  Schleim¬ 
häute  einwirken.  In  allen  Fällen  brachte  er  die 
Gonorrhöe  in  3  —  4  Wochen  zur  Heilung,  mitunter 
schon  in  14  Tagen.  Er  Hess  jedoch  stets,  um  durchaus 
sicher  zu  gehen,  die  Einspritzungen  4  Wochen  lang 
durchführen,  besonders  bei  chronischen  Erkrankungen, 
die  seit  vielen  Monaten  vergeblich  mit  den  üblichen 
Antigonorrhoicis  behandelt  worden  waren.  Kompli¬ 
kationen  leichter  Art  traten  nur  in  3  Fällen  ein 
und  waren  von  den  Patienten  selbst  verschuldet. 
Die  Worte  D  u  f  a  u  x  ’s,  dass  „das  Choleval  schneller, 
radikaler  und  glatter  als  alle  bekannten  Tripper¬ 
mittel  die  Gonorrhöe  der  Harnröhre  zur  Heilung  bringt“ 
findet  Klausner  nach  seinen  Beobachtungen  völlig 
bestätigt. 

Spezial-Präparate. 

Nach  und  nach  beginnt  sich  eine  Wirkung  des 
Krieges  in  der  medikamentösen  Therapie  insofern  zu 
zeigen,  als  der  Zuwachs  an  neuen  chemischen  Präparaten, 
die  der  Behandlung  Kranker  dienen  sollen,  geringer 
wird.  Kein  Einsichtiger  wird  in  dieser  Tatsache  einen 
Schaden  oder  einen  Verlust  sehen.  Von  den  ungeheuer 
vielen  Neuerscheinungen  der  letzten  Jahre  waren  doch 
nur  sehr  wenige  berufen  die  medikamentöse  Therapie 
wenigstens  einige  Zeit  zu  beeinflussen.  Die  überwiegend 
grosse  Mehrzahl  versank  nach  kurzem  wieder  in  den 
Abgrund  der  Vergessenheit,  ohne  dass  eine  Lücke 
geblieben  wäre.  Die  Hoffnung,  dass  der  Krieg  auch  auf 
diesem  Gebiete  eine  erwünschte  gründliche  Reinigung 
bringen  würde,  hat  sich  zwar  nicht  ganz  erfüllt.  Die 
Verminderung  der  Zahl  der  Neuerscheinungen  ist  aber 
ganz  gewiss  zu  begrüssen. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  Spezialitäten  oder 
Spezialpräparaten.  Vor  mir  liegt  ein  Prospekt  einer 
med.-chem.  Fabrik  in  Stuttgart-Cannstatt,  der  mit  nicht 
weniger  als  25  neuen  natürlich  wortgeschützten  Namen 
ebenso  viele  Neuheiten  bringt,  die  im  Grunde  genommen 
gute  alte  Bekannte  jedes  praktischen  Arztes  sind  und 
deshalb  keinen  Anspruch  haben  können  ihrer  schönen 
Namen  wegen  als  eine  Bereicherung  des  Arzneischatzes 
gelten  zu  dürfen.  Es  ist  schwierig  in  solchen  Fällen 
die  Spreu  vom  Weizen  zu  trennen,  denn  es  soll  nicht 
verkannt  werden,  dass  eine  gute  Komposition  ebenfalls 
einen  Fortschritt  bedeuten  und  einen  medikamentösen 
Wert  repräsentieren  kann;  eine  gewissenhafte  Bericht¬ 
erstattung  vermeidet  es  jedoch  den  an  sich  beschränkten 
Raum  einer  Zeitschrift  wie  der  vorliegenden  mit  der 


Aufzählung  unendlich  vieler  neuer  Medikamenten- 
bezeichnungen  noch  mehr  einzuengen.  Es  würde 
geradezu  das  Gegenteil  der  Absicht  herbeiführen,  wollte 
man  dem  Leser  zumuten,  alle  Bezeichnungen  der  fast 
täglich  auftauchenden  Neuerscheinungen  durchzusehen 
und  womöglich  zu  behalten.  Die  richtige  Auswahl  wird 
hier  im  Interesse  des  Lesers  Hegen  und  durch  dessen 
Vermittlung  auch  der  Allgemeinheit  zu  Gute  kommen. 
Wir  unterlassen  es  aus  diesen  Gründen  die  oben  er¬ 
wähnten  25  nomina  nova  einzeln  aufzuführen.  An  ge¬ 
eigneter  Stelie  werden  die  geigneten  Präparate  ange¬ 
messene  Erwähnung  finden.  Dies  gilt  auch  für  die  un¬ 
gezählten  Neuheiten  gleicher  Art  anderer  Hersteller, 
sofern  nicht  ein  Wirkungswert  von  berufener  Seite  fest- 
nestellt  worden  ist.  Der  Berichterstatter  glaubt  hierdurch 
dem  Leserkreise  der  „Fortschritte  der  Medizin“  nur 
einen  Dienst  zu  erweisen. 

„Studien  über  den  Einfluss  mehrerer 
Salze  auf  den  Fortpflanzungsprozess“ 
betitelt  sich  eine  Arbeit  weiland  Rudolf  Emmerich 
und  Oskar  L  ö  w,  die  in  Bd.  84  des  „Archiv  für 
Hygiene“  das  Ergebnis  eingehender,  vergleichender 
V ersuche  über  die  Wirkung  der  Zufuhr  von  Calciumchlorid 
bei  Tieren  auf  deren  Zeugungskraft  und  Lebensfähigkeit 
der  Brut  schildert.  An  Hand  zahlreicher  Tabellen  über 
den  Wirkungswert  von  Chlorkalzium,  Chlorkalium, 
Chlornatrium  und  Chlormagnesiumzusatz  zur  Fütterung 
stellen  die  beiden  Autoren  durch  Ermittlung  der  Zahl 
und  des  Gewichtes  der  geworfenen  Tiere  einen  wesent¬ 
lichen  Unterschied  zu  Gunsten  des  Chlorkalziumzusatzes 
fest.  Sie  gehen  bei  ihrer  Arbeit  von  den  bisherigen 
Erfahrungen  der  Kalzium  therapie  aus.  In  allen 
Fällen  bei  Mäusen,  Meerschweinchen  und  Kaninchen 
erzielten  sie  bei  einer  regelmässigen  Zugabe  von  7,5  mg 
der  Salze  bei  der  Chlorkalziumreihe  die  grössten  Er- 
folge  gegenüber  der  Verabreichung  der  anderen  ge¬ 
nannten  Salze  und  der  zusatzlosen  Kontrolle.  Sie  be¬ 
stätigten  damit  den  grossen  Einfluss,  den  man  bisher 
schon  bei  der  Zufuhr  von  Chlorkalzium  zum  tierischen 
Organismus  festgestellt  hatte.  Sie  reichten  kristallisiertes 
Salz  in  wässeriger  Lösung. 

Für  den  Gebrauch  beim  Manschen  sind  eine  grosse 
Zahl  Präparate  entstanden,  die  bezwecken  den  metall¬ 
ischen  adstringierenden  Geschmack  des  Salzes  zu 
beseitigen  und  eine  gleichmässige  genaue  Dosierung  zu 
ermöglichen.  Verschiedene  davon  wurden  an  dieser 
Stelle  bereits  genannt;  es  entstehen  aber  fortgesetzt  noch 
neue  Präparate  für  diesen  Zweck,  die  den  anderen  zu¬ 
mindest  nicht  nachstehen. 

Die  Firma  Goedecke  &  Co.  Leipzig  und  Berlin, 
die  bekannte  Ilerstellerin  der  Gelonida  Tabletten,  bringt 
nach  den  Angaben  des  Prof.  Dr.  S  t  i  c  k  e r -  Berlin  unter 
dem  Namen  S  a  n  o  c  a  1  c  i  n,  Calciumglycerophosphat  und 
Calciumlactophosphat  in  Ampullen  auch  in  Verbindung 
mit  Tuberkulin  und  mit  Arsen  in  den  Handel,  über  die 
schon  berichtet  wurde 

Unter  dem  Namen  N  o  r  m  a  1  i  n  stellt  die  che¬ 
mische  F'abrik  Plelfenberg  A.  G.  0,75  g  schwere  Ta¬ 
bletten  her,  die  je  0,25  g  kristallisiertes  CaCL  enthalten. 
Dieselben  kommen  in  Glaszylindern  ä  15  Stück  in  den 
Handel  zum  Preise  von  60  Pf.  Sie  entsprechen  in  Bezug 
auf  Dosierung  und  angenehmes  Einnehmen  den  Chlor¬ 
kalzium-Compretten  (MBK)  der  Firma  E.  Merck, 
Darmstadt,  über  die  Prof.  Dr.  Seifert,  Würzburgin 
Nr.  27  1915  der  Münchener  medizinischen  Wochenschrift 
gutachtend  berichtet.  Zur  Pharmacia  elegans  zu 
rechnen  ist  das  Glvkalzium  effervescens  Ritsert,  das 
eine  nicht  zerfliessliche,  aber  wasserlösliche  kristallisierte 
Lactose-Verbindung  des  Chlorkalziums  darsteilt. 
Man  lässt  3-4  mal  täglich  einen  Kaffeelöffel  oder  ein 
Massglas  voll,  wie  es  jeder  Flasche  beigefügt  ist,  ent- 


Nr.  22. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


213 


weder  trocken  oder  in  einem  Glase  frischem  Wasser, 
Mineralwasser,  Wein,  Milch  usw.  nehmen.  Dieses 
Brausesalz  enthält  ca.  20%  Calcium  chloratum  crystalli- 
satum.  Jedenfalls  bildet  es  das  Medikament  in  der  be¬ 
kömmlichsten  und  leichtest  zu  nehmenden  Form  und 
ist  für  die  Privatpraxis  bestens  zu  empfehlen. 

Gleichem  Zwecke  dienen  die  Calcium-Quellen  in 
Bad-Sodenthal  im  Spessart  und  Bad-Suderode  im  Harz. 
Man  gibt  von  beiden  Wässern  bei  jeder  Hauptmahlzeit 
40  g,  und  lässt  die  Kur  längere  Zeit  —  nach  Angaben 
des  Badearztes  ein  Jahr  lang  fortsetzen. 

Neuheiten. 

Seit  kurzem  erscheint  das  in  Tablettenform  weit  be¬ 
kannte  Pyrenol  auch  in  Form  von  Sirup,  der  die  ex- 
pektorierende  und  antifebrile  Wirkung  des  Pyrenols  mit 
der  sedativen  des  Eriodiktyon-  Extraktes  verbindet. 


Pyrenolsirup,  hergestellt  von  der  che¬ 
mischen  Fabrik  Goedecke  &  Co.,  Berlin,  wird  3— 6  mal 
täglich  Erwachsenen  esslöffel-,  Kindern  teelöffelweise 
gegeben  und  kommt  in  Flaschen  zu  ca.  150  g  ä  2  Mk. 
in  den  Handel.  Neben  rascher  Wirkung  bei  Pertussis, 
Asthma  und  Pneumonie  verbindet  es  angenehmen  Ge¬ 
schmack  mit  der  bequemsten  Pyrenoldarreichung. 

Nachdem  einzelne  Krankenkassen  das  Digalen  aus 
ihrem  Verordnungsbereiche  gestrichen  haben,  bringt  die 
Firma  bauth  &  Co.,  Mannheim  ihr  Herzmittel  Disotrin 
in  Erinnerung.  Dasselbe  kommt  in  Tropfen,  Tabletten 
und  Ampullenform  in  den  Handel.  Eine  besonders 
kräftige  Dosis  wird  als  Collaps-Disotrin  nur  in  Am¬ 
pullen  geliefert. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Ein  Beispiel  zur  Wirkung  der  Sapo  viridis. 

Exempla  docent. 

Ein  Mädchen,  von  keiner  Seite  belastet  (Vater  und 
Mutter  zur  Zeit  noch  in  guter  Verfassung,  zählen  zu¬ 
sammen  157  Jahre)  war  im  ersten  Lebensjahre  durch 
eine  damals  epidemisch  bei  Kindern  herrschende  Proc- 
titis  an  den  Rand  des  Grabes  gebracht  worden.  Kaum 
hatte  sie  sich  etwas  davon  erholt,  als  über  Nacht  fast 
ohne  sonstige  Krankheitserscheinungen  eine  Anschwel¬ 
lung  der  Lymphdrüsen  am  Halse  bei  ihr  entstand,  so 
dass  die  ganze  Halsseite  vom  Ohr  bis  zum  Schlüsselbein 
davon  ausgefüllt  wurde  und  so  das  richtige  Bild  der 
Scrofa  sich  darbot.  Einzelne  weiche  Stellen  Hessen  auch 
an  die  baldige  Notwendigkeit  eines  chirurgischen  Ein¬ 
griffes  denken. 

Vorerst  wollte  ich  es  aber  mit  der  Schmierseife  versu¬ 
chen,  die  ich,  je  etwa  einen  Teelöffel  voll  täglich,  später 
jeden  dritten  Tag  morgens  vor  dem  Bade  mittels  der 
befeuchteten  Hand,  zehn  Minuten  lang  in  den  Rücken 
einreiben  Hess*).  Der  Erfolg  war  ein  höchst  erfreulicher, 
denn  nach  kaum  zwei  Monaten  war  jeder  Rest  von  Ver¬ 
härtung  oder  Anschwellung  verschwunden.  Nachdem 
das  Kind  dann  im  9.  Jahr  eine  schwere  Diphteritis 
überstanden  hatte,  erkrankte  sie  im  12.  an  einer  Con- 
junktivitis,  der  man  anfangs  wenig  Beachtung  schenkte. 
Als  aber  nach  und  nach  Verschlimmerung  eintrat  und 
Trübung  der  Hornhaut  und  Lichtscheu  entstand,  wurde  die 
Mithilfe  eines  erprobten  hiesigen  Augenarztes  in  Anspruch 
genommen.  Aber  trotz  seiner  energischen  Behandlung 
verschlimmerte  sich  der  Zustand  immer  mehr,  so  dass  man 
schliesslich  das  Schlimmste  befürchten  musste.  In  dieser 
Not  erinnerte  ich  mich  der  früheren  günstigen  Erfolge 
der  Schmierseife.  Gleich  die  erste  Abendeinreibung 
hatte  einen  glänzenden  Erfolg.  Denn  am  anderen 
Morgen  waren  die  Lider  nicht,  wie  seither,  verklebt,  und 
die  Lichtscheu  gänzlich  geschwunden,  dass  die  Augen 
freudig  geöffnet  wurden.  Die  Besserung  ging  dann  so 
rasch  vorwärts,  dass  man  glaubte,  da  sich  gerade  grosser 
Familienbesuch  ankündigte,  das  Weitere  der  Natur  über¬ 
lassen  zu  können.  Nach  ein  paar  Tagen  machte  sich 
aber  wieder  eine  bedenkliche  Verschlimmerung  durch 

•)  Ich  bin  später  davon  abgekommen,  auf  die  Einreibung  ein 
Bad  folgen  zu  lassen,  weil  es  mir  schien,  dass  die  Wirkung  dadurch 
abgeschwächt  würde.  (Verf.) 


Auftreten  neuer  Reizerscheinungen  bemerklich,  dass 
man  eilig  wieder  zu  dem  bewährten  Mittel  greifen  musste, 
und  mit  dessen  Hilfe  wurde  dann  auch  volle  Heilung 
ohne  bleibenden  Schaden  erzielt.  Die  Leidende  hat 
sogar  noch  später  als  Dilettantin  der  Malkunst  Aner¬ 
kennenswertes  geleistet. 

Sie  wuchs  sich  dann  zu  einer  stattlichen  Erscheinung 
aus  mit  besonders  entwickeltem  Haarwuchs,  der  bis 
fast  zur  Kniekehle  reicht,  dass  sie  sich  wie  in  einen 
Mantel  darein  hüllen  kann.  Sie  klagte  nur  über  häufige, 
körperliche  Ermüdung,  während  die  ziemlich  spät  einge¬ 
troffenen  Catamenien  eher  etwas  zu  stark  waren.  Es 
wurden  verschiedene  Eisenpräparate  dagegen  versucht; 
den  meisten  Erfolg  hatte  einmal  eine  planmässige  Kur 
mit  der  Dürkheimer  arsenigen  Maxquelle. 

Im  25.  Jahre  hat  sie  sich  verheiratet  und  nach 
einem  halben  Jahr  trat  Gravidität  ein,  die  im  allgemeinen 
regelmässig  verlief,  mit  Ausnahme  eines  zuletzt  allzu¬ 
starken  Leibesumfangs,  als  dessen  Ursache  ein  Übermass 
von  Fruchtwasser  sich  bei  der  Entbindung  erwies. 

Das  Kind,  ein  wohlausgebildeter  Knabe,  gedieh 
anfangs  prächtig  an  der  Mutterbrust.  Leider  drohte 
trotz  guten  Willens,  diese  natürliche  Nahrungsquelle 
nur  zu  bald  zu  versiegen  und  es  musste  die  Masche 
zur  Hilfe  genommen  werden.  Da  stellte  sich  nun  bald 
bei  dem  Kind  eine  unliebsame  Störung  der  Verdauung 
ein.  Hartnäckige  Verstopfung  wechselten  ohne  sicht¬ 
bare  Ursache  mit  ebensolchem  Durchfall,  wozu  sich  oft 
auch  noch  plötzliches  Ausbrechen  der  Nahrung  gesellte, 
und  gar  manchmal  musste  der  arme  Schelm  wegen 
drohenden  Darmkatarrhs  auf  Hungerdiät  gesetzt  werden. 
Schlimmer  aber  war  noch,  dass  bei  der  Mutter  bald  nach 
Absetzung  des  Säuglings  die  Catamenien  als  geradezu 
Gefahr  drohende  Hämorrhagien  sich  wieder  einstellten. 
Ein  zu  Rat  gezogener  Frauenarzt  stellte  allgemeine  Er¬ 
schlaffung  der  Beckenweichteile  fest  und  verordnete  das 
Tragen  eines  Pessars,  worauf  die  Blutungen  sich  einiger- 
massen  verringerten,  aber  immer  noch  für  die  Zeit 
mehrtägige  Bettruhe  notwendig  machten. 

Ich  war  von  allem  Anfang  an  der  Überzeugung, 
dass  die  hartnäckigen  Verdauungstörungen  bei  dem 
Kind  auf  ererbter  Veranlagung  zu  skrofulöser  Erkran¬ 
kung  der  Verdauungsorgane  beruhe,  bür  meine  des- 
fallsigen  Vorschläge  musste  ich  jedoch  längere  Zeit  das 


214 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


•Schicksal  des  Propheta  inpatria  über  mich  ergehen  lassen. 
Erst  als  im  Beginn  des  dritten  Jahres  bei  sonst  präch¬ 
tiger  Leibesentwicklung  eine  bedenkliche  Neigung  für 
Kniebohrer  sich  einstellte,  fand  ich  Gehör  und  es  wurde 
die  übliche  Schmierseifeneinreibung  zur  Anwendung 
gebracht. 

Jetzt,  nach  etwa  4  Monaten  erfahre  ich,  dass  seit 
dieser  Zeit  bei  dem  Knaben  jede  Störung  der  Ver¬ 
dauung  verschwunden  ist  und  er  jetzt  jede  gemischte 
Kost,  auch  ungekochtes  Obst  verträgt,  das  ihm  vorher  leider 
immer  vorenthalten  blieb.  Wichtiger  aber  noch  ist  die 
Nachricht,  dass  die  Mutter  sich  jetzt  so  wohlfühle,  wie  seit 
Jahren  nicht  mehr,  dass  Schwere  und  Müdigkeit  in  den 


Nr.  22 


Gliedern  ganz  verschwunden  seien,  so  dass  sie  frei  und 
ungehemmt  ihren  häuslichen  Aufgaben  nachkommen 
könne  und  dass  sie  demnächst  das  Pessarium  abzulegen 
gedenke.  —  Nach  meiner  Überzeugung  ist  dieser  Erfolg 
allein  darauf  zurückzuführen,  dass  die  Mutter  mit  eigener 
Hand  die  Einreibung  bei  dem  Sohn  besorgt  hat.  Ich 
habe  schon  früher  und  erst  kürzlich  wieder  darauf  hin¬ 
gewiesen,  dass  gerade  die  an  Schweissdrüsen  reiche, 
innere  Handfläche  besonders  geeignet  ist,  um  die  Sapo 
viridis  dem  Körper  und  der  Nährflüssigkeit  desselben 
zuzuführen.  —  Sapienti  sat. 

Dr.  Kappesser,  Darmstadt 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeine  Pathologie. 

U  n  ii  a:  Eine  gute  Doppclfärbung  für  gewöhnliche  und 
saure  Kerne.  (Ztsclir.  f  wissenscliaftl.  Mikroskopie  und  für 
rnikroskop.  Technik.  Bd.  31,  1914,  S.  289.) 

Die  Alkohol-Celloidin-Schnitte  kommen  5  Minuten  in 
Böhmer  sehe  Mischung  (Hämateinlösung  und  Alaun) 
werden  dann  extra  10  Minuten  lang  in  Leitungswasser  gespült: 
dann  sind  alle  Kerne  blau.  Dann  Umfärbung  aller  Kerne 
in  rot:  20  Minuten  in  1  °/0  Safraninlösung  (Marke  0.  Grübler), 
Abspülen  in  Leitungswasser  und  Differenzierung  in  einer 
Mischung  von  Tannin  (25°/0)  und  Pikrinsäure  1%0  2—5 
Minuten  lang  je  nach  der  Dicke  des  Schnitts.  Dann  10  Min. 
in  Wasser:  gewöhnliche  Kerne  blauviolett,  Mitosen  und  Kera- 
tohyalin  dunkelblauviolett.  Kernkörperchen  und  saure  Kerne 
gelbrot  bis  braunrot.  v.  Schuizer. 

Prof.  Axhausen  -  Berlin :  Die  deformierende  Gelenk¬ 
entzündung.  (Arthritis  deformans  im  Lichte  neuer  Forschung) 
(Berl.  klin.  Wchschr.  1915,  Nr.  47.) 

Die  Auffaserung  und  Abscbleissung  des  Knorpels  ist,  wie 
Verfasser  experimentell  bewiesen  hat,  eine  Folge  der  Nekrose. 
Verfasser  will  dies  keineswegs  als  allseitig  unantastbar  hinstellen, 
sondern  diese  seine  Anschauung  nur  Pommers  und 
v.  Stubenrauchs  Angriffen  gegenüber  verteidigen. 

v.  Schnizer. 

E  isen  m  e  n  g  e  r,  Rud.,  (Hermannstadt):  Die  künstlich 
erzeugten  intraabdominalen  Druck  Schwankungen  als  vielseitige  Heil- 
faktoren.  (Ztschr.  f.  physik.  u.  diät.  Ther.  XIX.  1915  11  Heft 
S.  320  —  331.) 

Der  Titel  enthält  alles  Wesentliche.  Verf  hält  sein  Ver¬ 
fahren  —  ich  glaube  mich  an  einen  vor  Jahren  von  ihm 
konstruierten  Apparat  zu  erinnern  —  für  angezeigt  bei  Herz¬ 
schwäche  aller  Art,  bei  sekretorischer  und  motorischer  In¬ 
suffizienz  des  Magen-Darmtraktus  und  seines  Drüsenapparats, 
bei  Plethora  abdominalis,  gastrischen  Krisen,  bei  Emphysem 
und  chronischer  Bronchitis,  Lungenödem,  Bronchialasthma  und 
Schlaflosigkeit.  Buttersack. 


Innere  Medizin.  - 

Prof.  H  Straus  s- Berlin.  Einflüsse  des  Kriegs  auf  die 
\ erdauungskrankheiten.  (Jahreskurse  für  ärztliche  Fortbildung 
März  1915.) 

Abgesehen  von  Typhus  und  Dysenterie  fand  man  wohl 
durch  die  Art  der  Nahrung  bedingt  eine  Reihe  von  Ulcera 
ventriculi  und  duodeni  sowie  Cholelilhiasis,  Hie  monatelang  und 
länger  latent  waren,  wieder  manifest  werden.  Dasselbe  gilt 
für  chirurgische,  auch  akut  hämorrhagische  Kolitis  und 
chronische  Typhlitiden.  Leicht  verständlich  sind  ferner  die 
psychogenen  Magenerkrankungen. 


Von  grösserer  Bedeutung  als  diese  sind  die  akuten  Darm- 
I  katarrhe,  oft  Dysenterie  ähnlich,  aber  nicht  auf  dieser  Grund- 
I  läge.  Bemerkenswert  war  dabei  in  manchen  Fällen  eine  an 
Appendizitis  erinnernde  Druckempfindlichkeit  in  der  Blinddarm¬ 
gegend  und  die  seltene  aber  prognostisch  ernste  Komplikation 
mit  Gelenkrheumatismus.  Der  bakteriologische  und  der  klinische 
Begriff  Ruhr  decken  sich  keineswegs.  Ausschlag  gibt  die 
bakteriologische  bezw.  serologische  Untersuchung.  Bedeutungs¬ 
voller  als  im  Frieden  sind  die  Begriffe  des  disponierenden 
Moments  und  der  individuellen  Widerstandskraft. 

Therapeutisch  besteht  wohl  noch  die  alte  Regel,  die  Be¬ 
handlung  mit  einem  Abführmittel  zu  beginnen  (Colomel,  Ricinus). 
Neuerdings  sind  jedoch  diesen  Desinfektionsbestrebungen  gegen¬ 
über  die  Adsorptionsbestrebungen  (Bolus  alba  und  Tierkohle 
mit  Bitterwasser)  in  Vordergrund  getreten. 

Die  von  manchen  Autoren  geübte  Calomeltherapie  in 
häufigen  kleinen  Dosen,  die  C  a  n  t  a  n  i  sehe  Klysmenbehand¬ 
lung  und  die  Tanninpräparate  haben  in  der  neueren  Literatur 
keine  besondere  Empfehlung  erfahren.  Wohl  aber  schätzt 
Verfasser  Dermatol-Opiumklistiere  und  Heideibeerpräparate. 
Ausserdem  Wärme  und  Analeptica.  v.  Schnizer. 

E  L  e  h  m  a  n  n,  Prof.,  Tübingen:  Paratyphus  A  im 
Felde.  —  (  Mchn.  m  W  -Sch  19 IG,  Heft  3,  Feldärztliche 
Beilage.) 

Eine  aut’  27  Heeresangehörige  sich  ausdehnende  Epidemie 
im  Bereiche  des  Festungsgebietes  Ulm  war  in  ihrem  Ursprung 
auf  einen  Soldaten  zurückzuleiten,  der  Dauerausscheider  von 
Para  A- Bazillen  war 

Para-A  (Bazillus  entdeckt  1898  von  G  w  y  n)  ist  im 
Frieden  in  Deutschland  im  Gegensatz  zum  ubiquitären  Typhus 
sehr  selten  gewesen,  und  muss  vielmehr  als  ein  Fieber  der 
Tropen  und  Subtropen  aufgefasst  werden. 

Im  gegenwärtigen  Kriege  wird  er  von  den  exotischen  Hilfs¬ 
truppen  unserer  Feinde  eingeschleppt.  Auch  die  vordem  im 
Frieden  beobachteten  Fälle  ereigneten  sich  an  der  Westgrenze 
und  an  der  Küste,  wie  z.  B.  der  Fall  des  Hamburger  Heizers, 
ein  Beweis,  dass  überseeische  Einschleppung  gegeben  ist. 

Auch  der  für  die  Ulmer  Epidemie  anzuschuldigende  deutsche 
Bazillenträger,  ein  Kriegsfreiwilliger,  war  denn  auch  1906 — II 
als  Fremdenlegionär  in  Nördafrika  gewesen,  woselbst  Para¬ 
typhus  A  schon  sehr  häufig  vorkommt.  Noch  bedeutendere 
Frequenz  weist  Indien  auf,  dessen  Truppen  die  vermittelnde 
Rolle  spielen  können,  ebenso  Japan. 

Bei  dieser  Sachlage  ist  auch  bei  uns  mit  zahlreicheren  Er¬ 
krankungen  jetzt  zu  rechnen,  was  bei  dem  nicht  immer  gut¬ 
artigen  Verlauf  der  Infektion  Anlass  zu  besonderer  Vorsicht 
gibt.  Andrerseits  verläuft  die  Erkrankung  zumeist  leicht,  oder 
larviert,  im  Bilde  der  Bronchitis  und  Infi  icnza,  wodurch  ein 
Ubersehen  leicht  möglich  wird,  und  zu  einer  grösseren  Aus¬ 
dehnung  der  Infektion  führen  kann.  Die  Isolierung  des  Bazillus 


Nr.  22. 


Fortschritte  der  Medizin. 


215 


aus  dem  Stuhle  ist  sehr  schwer,  leicht  dagegen  aus  dem  Blute. 

Nach  allem  ist  Paratyphus-A  entgegen  bisheriger  Annahme 
kein  Nah  rungsmittel  vergiftet,  sondern  er  wird  durch  Kontakt 
mit  Bazillenträgern  übertragen.  Er  ist  von  Paratyphus-B 
strengstens  zu  trennen.  Viernstein  -Kaisheim. 

Steiner:  Über  Fremdkörper  in  den  unteren  Luftwegen 
und  ihre  Entfernung.  (Prag.  m.  Wchschr.  1915.  Nr.  23.) 

An  der  Hand  einiger  recht  interessanter  Fälle  spricht 
Verfasser  den  direkten  Methoden  der  Besichtigung  der  unteren 
Luftwege  das  Wort  und  zwar  möglichst  frühzeitig  angewandt 
von  berufner  Hand.  Bei  aspirierten  Knochenstückchen  lässt 
das  Röntgenbild  häufig  im  Stich:  Das  Fehlen  eines  Schattens 
kann  nicht  für  das  Nichtvorhandensein  eines  Knochens  ver¬ 
wertet  werden.  Anders  bei  metallischen  Fremdkörpern  (Nägeln). 
Hier  ist  der  positive  Bildbefund  ohne  weiteres  pathognomonisch, 
bei  negativem  Ausfall  ist  falls  Anamnese  und  subjektive  Er¬ 
scheinungen  auf  einen  Fremdkörper  hinweisen,  auch  bei 
fehlenden  sonstigen  klinischen  Erscheinungen  die  Broncho¬ 
skopie  zur  Stellung  der  Diagnose  zu  verwerten.  Diagnostisch 
für  die  Anwesenheit  eines  Fremdkörpers  in  Trachea  und 
Bronchien  ist  ein  trockener,  harter,  heiserer  Husten.  Ebenso  wichtig, 
wichtiger  jedenfalls  als  der  perkutorische  und  auskultatorische 
Befund  sind  die  nach  dem  im  Anfang  meist  stürmischen  Er¬ 
scheinungen,  denen  ein  längeres  relatives  Wohlbefinden  folgt, 
auftreteuden  Symptome:  nicht  wieder  verschwindender  Husten 
mit  blutigem,  später  auch  übe’riechendem  Auswurf.  Sein- 
wichtig  ist  die  Anamnese:  Prof.  P  i  c  k  -  Kiel  bespricht  einen 
Fall:  ein  14jähriger  Knabe  hatte  einen  Knochen  verschluckt 
und  wurde,  da  nichts  darauf  hinwies  und  die  Röntgenplatte 
nur  einen  undeutlichen  als  Granulation  angesprochenen  Schatten 
ergab,  angeblich  wegen  Diphtherie  tracheotomiert  und  monatelang 
vergebens  dekanuliert,  bis  der  Fremdkörper  schliesslich  aus¬ 
gehustet  wurde. 

Im  allgemeinen  soll  sowohl  bei  akuten  wie  bei  chronischen 

oft  monatelang  dauernden  Fällen  nicht  lange  zugewartet 

werden,  sondern  möglichst  früh  nach  dem  diagnostisch  sichersten 

und  therapeutisch  rationellsten  Mittel,  der  Tracheobronchoskopie 

gegriffen  werden.  v.  Schnizer. 

©  © 

Dr.  Orth:  Nekrotisierende  Cholezystitis  typhosa.  (D.  med 
Wchschr.  1915.  Nr.  47.) 

An  der  Hand  eines  Falles  demonstriert  Verfasser  die 
seltene  Cholezystitis  typhosa,  einer  schweren,  ganz  akut  im 
Deferveszenz-Rekonvaleszens-Stadium  im  Lebergallengang  ein¬ 
setzenden  Infektion  deszendierenden  Charakters  (für  Typhus 
typisch).  Die  Infektion  trug  auch  zur  Entstehung  von  Gallen^ 
stein  bei  (erhöhter  Cholesteringehalt  des  Blutes  im  Deferveszens- 
Stadium).  Die  bei  der  Operation  gefundenen  Verhältnisse 
sprachen  mikro-  wie  makroskopisch  für  einen  frischen  Fall. 

v.  Schnizer. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Rumpf:  Die  Hernien  der  linea  alba  im  Kriege. 
(M.  med.  Wochenschr.  1915.  Nr.  31.  S.  1070.) 

Verfasser  widerspricht  der  Ansicht  des  Dr.  Plaschkes- 
Wien,  wonach  die  Hernien  im  Kriege  zugenommen  haben 
sollen,  gestützt  auf  seine  Untersuchungen  bei  Mannschaften. 
Darnach  entstehen ,  ebenso  wie  die  Unfallpraxis  im 
Frieden  zeigt,  Schenkel-  und  epigastrische  Hernien  meist 
unbemerkt  und  sind  nur  äusserst  selten  als  Unfällfolge  an¬ 
zusehen.  v.  Schnizer. 

O.  Witze  1-  Düsseldorf :  Die  Schädelfistel  und  der  Gehirn¬ 
abszess  nach  Schussverletzung. 

Die  ungeheure  Gefahr  bei  Schädelfisteln  liegt  in  der 
Progrediens  des  latenten  Gehirnabszeszes  zum  Ventrikel,  ohne 
dass  besondere  klinische  Anzeichen  hierauf  aufmerksam  machen 
können,  da  die  Raum  Veränderung  im  Gehirn  nur  auf  in  Flüssig¬ 
keit  umgesetzter  Substanz,  nicht  auf  produktiv  Hinzukommendem, 
Beengendem  beruht.  Deshalb  ist  besonders  den  noch  nicht  aus¬ 
reichend  trepanierten  Hirn-Schädelverletzungen  grösste  Auf¬ 
merksamkeit  zuzuwenden  und  jede  Fistel,  die  nur  mässig  und 
oftmals  noch  zeitweise  sezerniert,  erfordert  nochmals  gründliches, 
chirurgisches  Eingreifen. 


Der  Knochendefekt  wird  mit  dem  Euer  nie  unter  Taler¬ 
grösse  erweitert;  die  Dura  muss  mindestens  auf  1  2  cm  in  der 
peripheren  Begrenzung  des  infiltrierten  Duraabschnittes  gut 
übersichtlich  sein.  Absolute  Blutstillung  ist  erforderlich.  Die 
infiltrierte  Dura  wird  abgetragen,  vorsichtig  etwaige  Knochen¬ 
splitter  entfernt.  Zu  beachten  bleibt,  dass  die  Dura  über  die 
membranöse  Verwachsung  mit  der  Granulationsfläche  hinaus 
nicht  verletzt  wird,  da  anderenfalls  die  Eröffnung  des  Inter- 
meningealraumes  mit  Ausfluss  von  Liquor  gegeben  ist.  Wird 
der  anliegende  Abszess  bei  der  oberflächlichen  Reinigung  nicht 
entleert,  so  suche  man  nur  bei  bedrohlichen  Symptomen,  ihn 
sofort  zu  eröffnen. 

Durch  die  ausgiebige  Freilegung  des  Fistelausganges 
werden  die  al lg.  Druckverhältnisse  geändert,  der  progrediente 
Abszess  wird  seinen  Weg  von  der  Richtung  des  Ventrikels 
weg  zur  Oberfläche  nehmen  und  die  katastrophale  Perforation 
in  das  Ventrikelsystem  bleibt  verhindert. 

F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s  -  München. 

v.  T  a  p  p  e  i  n  e  r  Greifswald:  Erfahrungen  bei  malignen 
Phlegmonen.  (D  med.  Wsch.  1915,  Nr.  51.) 

Entgegen  den  sonst  während  des  Feldzuges  publizierten 
Ansichten,  die  nur  einen  graduellen  Unterschied  an  nehmen, 
trennt  Verfasser  die  Gasphlegmone  scharf  von  der  noch  bös¬ 
artigen  mit  livider  bis  ins  Dunkelbraune  spielende  Verfärbung 
der  Haut-Inkubation:  bei  der  ersteren  2—4  Tage,  bei  der 
letzteren  1/2 — 1  Tag. 

Meist  Folge  von  Sprengstücken  von  Granaten,  Schrapnells 
und  Minen,  sind  es  mit  Stein-  und  Holzteilen  und  mit 
lehmiger  Erde  verunreinigte  unter  den  unbedeutenden  Haut¬ 
wunden  buchtenreiche  ausgedehnte  Weichtelzertrümmerungen 
zeigende  Wunden.  Beide  Phlegmonen  können  nebeneinander 
Vorkommen. 

Die  erstere  darf  nicht  verwechselt  werden  mit  dem  nicht 
selten  namentlich  bei  Verletzungen  der  platten  Muskeln  des 
Rückens  und  Bauches  auftretenden  Hautemphysem  Beste 
Therapie:  ausgedehnte  Spaltung  vom  Gesunden  bis  ins 
Gesunde,  offene  Wundbehandlung.  Feste  Tamponade  ist 
immer  von  Schaden.  Bei  gleichzeitigen  Knochenbrüchen  rettet 
oft  nur  frühzeitige  Amputation.  v.  Schnizer. 

Geh.  Med. -Rat  Prof.  W  i  t  z  e  1  -  Düsseldorf :  Die  Auf¬ 
gaben  und  Wege  fiir  den  Hand-  und  Arniersatz  der  Kriegs¬ 
beschädigten.  (Münch,  med.  Wchschr.  1915.  Nr.  44.  S.  1991.) 

Die  Leistungen  der  teuern,  leicht  verletzlichen  Prothesen 
älteren  und  neueren  Datums  sind  im  Grunde  genommen 
keineswegs  besser  als  die  der  einfachen  Arbeitsarme,  weil  auf 
wesentliche  Kosten  der  Kraft  hiermit  nur  ganz  bestimmte  Ge¬ 
schicklichkeiten  erreicht  werden,  die  für  den  Arbeiter  weniger 
von  Belang  sind. 

Für  den  Arbeiter  eignet  sich  nach  den  Düsseldorfer  Er¬ 
fahrungen  am  besten  der  genauer  beschriebene,  den  anatomischen 
Bau  und  die  bisherige  Schulweisheit  gänzlich  nichtachtende 
Jagenber  g’sche  Arbeitsarm,  ein  am  Arm  und  der 
Schulter  festangefügtes  Hebelstück  mit  verschiedenen  in  einem 
Sack  mitgenommenen  Werkzeugen,  auf  die  vom  Körper  her 
möglichst  viel  Kraft  und  Geschicklichkeit  übertragen  werden 
kann.  Natürlich  ist  ein  Sonntagsarm  nötig. 

v.  Schnizer. 

Sanitätsrat  A  u  1  1  e  r  und  Dr.  E.  M  o  s  s  e.  Der  Gips- 
verband  bei  Oberarmfrakturen.  (D.  med  Wchsch.  Nr.  51. 
1915.) 

Die  Verfasser  machen  bei  Oberarmfrakturen  auf  den 
G  1  ä  s  s  n  e  r  sehen  Gipsverband  aufmerksam,  der  dadurch 
dass  er  Schultergelenk  und  Thorax  mit  einbezieht,  den  Streck¬ 
verbänden  und  auch  den  Triangel  verbänden  überlegen  ist, 
weil  er  die  Fixation  der  Frakturenden  besser  garantiert  und 
den  Kranken  nicht  ans  Bett  fesselt. 

Technik  einfach:  Gipsbinden  auf  Tiikot-  oder  Flanell¬ 
binden,  Schutz  hervorragender  Knochenenden  und  der  Atem¬ 
bewegungen  des  Thorax  durch  Watte,  Verstärkung  durch 
Schusterspan  und  Längstouren.  Material  42  Fälle. 

v.  Schnizer. 

E  r  1  a  c  h  e  r-Graz:  Beiträge  zur  Kontraktürenbehandlung. 

Eine  Rekapitulation  des  von  Schede  angegebenen  Ver¬ 
fahrens  der  Dauerbehandlung  von  Kontrakturen  mittels  ent- 


216 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  n 


sprechender  Apparate.  Verf.  empfiehlt,  diese  Dauerbehandlung 
mit  gleichzeitiger  Hierscher  Stauung  zu  kombinieren  und  täg¬ 
lich  galvanische  Reizung  der  betreffenden  Muskelgruppen  aus- 
zuführen.  F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s- München 

K.  W  o  h  1  g  e  m  u  t  h:  Zur  Pathologie  und  Therapie  der 
Unterschenkelgeschwüre. 

Dr.  H.  Wohlgemut  h:  Dymal  in  der  Kriegschirurgie. 
(Berliner  klin.  Wchschr.  1915,  Nr.  45.) 

Behandlung  der  Unterschenkelgeschwüre:  Trockenverband 
mit  Dy  mal.  Derselbe  leistet  auch  bei  Streifschüssen  mit 
grossen  und  grösseren  Substanzverlusten  und  bei  Höhlen¬ 
wunden  mit  starker  Sekretion  Gutes.  v.  Schnizer. 


Ohrenheilkunde. 

Uffe  norde:  Die  an  der  Göttinger  Ohrenklinik  üb¬ 
lichen  Verfahren  der  Mastoidopcrationen.  Erweiterte  typische 
Aufmeissei ung.  (Ztschr.  f.  Ohrheilk.  Bd.  71,  H.  1  —  2.) 

Die  typische  Aufrneisselung  macht  U.  stets  in  lokaler 
Anästhesie.  Der  Hautschnitt  ist  nicht,  wie  sonst  üblich,  bogen¬ 
förmig,  sondern  geradlinig  und  senkrecht  und  berührt  die 
Ansatzfläche  der  Ohrmuschel.  So  wird  ein  besseres  Anein¬ 
anderliegen  der  Wundränder  erreicht.  Das  Antrum  wird  breit 
eröffnet,  die  Corticalis  der  Warzen fortsatz-Spitze  grundsätz¬ 
lich  entfernt.  Auf  Glättung  der  Wundhöhle  wird  kein 
Wert  gelegt,  da  stehenbleibende  Knochenleisten  die  Aus¬ 
füllung  der  Wundhöhle  durch  Granulationen  fördern;  mit 
gleicher  Absicht  wird  ein  Teil  der  hinteren  Gehörgangswand 
reseziert.  Die  Wunde  wird  vernäht,  mit  Ausnahme  des  mittleren 
Teils,  in  welchen  ein  kurzer  Glastrichter  eingelegt  wird.  Durch 
diesen  wird  ein  schmaler  Gazestreifen  in  das  Aidrum  ein¬ 
geführt. 

Die  Totalaufmeisselung  ^  Radikaloperation)  der  Mittelohr¬ 
räume  weist  wenig  Besonderheiten  auf.  In  den  Gehörgang 
wird  an  der  Grenze  der  hinteren  und  oberen  Wand  nahe  der 
Muschel  ein  Längsschnitt  geschnitten;  mittelst  eines  durch 
diesen  gezogenen  Gazezügels  wird  die  Concha  während  der 
Operation  nach  vorn  gezogen  und  so  die  Haken  erspart.  Die 
Pauke  und  das  Trommelfell  werden  im  Interesse  der  Funktion 
so  wenig  wie  möglich  angerührt.  Die  Gegend  der  Fenster  wird 
durch  Verschmälerung  des  Facialis-Sporns  von  vorn  her  nach 
Möglichkeit  freigelegt.  — 

Die  sogen,  konservative  Radikaloperatiou  wendet  U.  nur 
an,  wenn  die  Pauke  frei  von  Eiterung  uud  gegen  den  (er¬ 
krankten)  epitympanalen  Raum  abgeschlossen  ist.  Namentlich 
aber  stellt  sich  in  akuten  Fällen,  die  sich  Monate  lang  hin¬ 
zogen,  oft  das  Bedürfnis  nach  einer  erweiterten  Aufrneisselung 
ein.  Andere  Indikationen  sieht  U.  in  Fällen  akuter,  kom¬ 
plizierter  Eiterung,  die  zum  Durchbruch  in  den  Gehörgang 
geführt  haben ;  sowie  bei  Tuberkulose,  wenn  die  Pauke  frei 
ist.  In  diesen  Fällen  werden  das  Antrum  und  audere  Krank¬ 
heitsherde  eröffnet,  die  hintere  Gehörgangswand  bis  auf  eine 
schmale  mediale  Spange  reseziert,  der  Aditus  eröffnet  und 
Plastik  aus  dem  häutigen  Gehörgaug  gemacht.  Trommelfell, 
Knöchelchen  und  laterale  Attikuswand  bleiben  unangetastet. 
Es  folgt  primäre  Naht.  Vf.  berichtet  über  12  in  letzter  Zeit 
so  behandelte  Fälle.  Arth.  Meyer. 

H  u  g,  (Luzern):  Ein  Fall  von  Pansinuitis  gangraenosa 
(scarlatinosa  ?)  (Zeitschr.  f.  Ohrheilk.  B.  71,  H.  1 — 2.) 

Eine  3G  jährige  Frau  erkrankte  plötzlich  an  starkem 
Schnupfen  mit  hohem  Fieber  Die  Nase  war  mit  fibrinösen 
Membranen  austapeziert,  die  Streptokokken  fast  in  Reinkultur 
aufwiesen  Schnell  bildete  sich  Benommenheit,  Protrusio  bulbi 
beiderseits  und  Chemosis  aus,  am  Augenhintergrund  Papillitis.  Am 
linken  innern  Augenwinkel  ein  Infiltrat.  —  In  oberflächlicher 
Narkose  wurden  Stirn-,  Kiefer-,  Siebbein-  und  Keilbeinhöhlen 
beiderseits  breit  eröffnet.  Aus  allen  Höhlen  drang  jauchiger 
Gestank.  Die  Schleimhaut  graugrün,  kein  Tropfen  Eiter,  der 
Knochen  gelb  und  blutleer.  Ausräumung  aller  Zellen  und 
Reinigung  der  Wundhöhle  mit  H2  02.  —  Zunächst  schwerer 
Zustand:  Schüttelfrost  mit  Temperatur  von  412,  Herzkollaps. 
Cheyne-Stokes,  Zuckungen,  koma-ähnlicher  Sopor,  Inkontinenz. 
Unerträglicher  Foetor.  Mit  Kampfer-  und  Digalen-Injektionen 


und  Kochsalzinfusion  wird  die  Lebensgefahr  allmählich  über¬ 
wunden;  nach  5  —  6  Tagen  beginnt  das  Aussehen  der  Wunde 
sich  zu  bessern,  die  ersten  Zeichen  vou  Bewusstsein  sich 
wieder  einzustellen,  die  Temperatur  langsam  zu  sinken.  Nach 
Abstossung  mehrerer  Sequester  trat  Heilung  ein.  —  Es  handelt 
sich  fraglos  um  einen  Fall  von  Meningitis  bei  gangränöser 
Nebenhöhlenerkrankung.  Skarlatinöse  Ätiologie  kann  nach 
dem  Verlaufe  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  angenommen 
werden,  obgleich  weder  Exanthem  noch  Schuppung  beobachtet 
wurden.  Infektionsgelegenheit  war  vorhanden. 

Arth.  Meyer. 


Augenheilkunde. 

Prof.  E  1  8  c  h  n  i  g-Prag;  Tarsorrhaphie.  (Zeitschrift  für 
Augenheilkunde.  Bd.  XXXIII  Heft  5/6.) 

Eiue  der  F  u  c  h  s  sehen  Tarsorhaphie  gleichartige  Methode, 
die  dadurch  dass  die  Cilien  beider  Lider  vollkommen  intakt 
bleiben,  nicht  entstellend  wirkt.  v.  Schnizer. 

Dr.  Th.  B  a  k  a  b  a  u  -  Lemberg:  Über  den  orbitogenen 
Hirnabszess.  (Prag.  med.  Wchschr.  1915,  Nr.  3.) 

Au  der  Hand  eines  Falles  führt  Verfasser  aus,  dass  die 
Annahme  Elschn  i  g  s  zutreffe,  dass  der  orbitogene  Hirn¬ 
abszess  häufiger  vorkomme  als  man  annimmt. 

Wesentlich  ist  das  Versagen  des  Liquorbefundes.  Auch 
der  vorliegende  Fall  bestätigt  die  Ansicht  Elschn  igs,  bei 
Verdacht  auf  Hirnabszess  die  Lumbalpunktion  abzulehnen. 
Bemerkenswert  ist  die  rasche  Rückbildung  des  Hirnprolapses, 
so  dass  das  Bedenken  El  sehn  igs,  Gefahr  einer  dauernden 
Bulbusverdrängung  durch  einen  Hirnprolaps,  wegfällt. 

Verdacht  und  Diagnose  des  orbitogenen  Hirnabszesses  ruht 
auf  der  exaktesten  neurologisch-klinischen  Beobachtung.  Eine  im 
Ablauf  eines  Hirnabszesses  auftretende  Neuritis  optica  und  ein  mehr 
für  Meningitis  sprechender  Befund  hat  keine  besondere  Be¬ 
deutung.  v.  Schnizer. 

Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Ebel,  S.:  Erweiterung  des  Anwendungsgebietes  ultravioletter 
Strahlen.  (Zschr.  f.  physik.  u.  diät.  Therapie  XIX.  1915. 
12.  Heft.  S.  370/71.) 

Verf.  glaubt,  5  Fälle  von  Nephritis,  Pleuritis,  Asthma 
bronchiale  und  Adipositas  universalis  durch  einige  Bestrahlungen 
mit  künstlicher  Höhensonne  günstig  beeinflusst  zu  haben.  Das 
mag  der  Fall  sein.  Allein  der  Leser  wird  durch  die  fragmen- 
tarschen  Krankengeschichten  nicht  restlos  überzeugt. 

Buttersack. 

Dr.  B.  Steiner:  Über  Inhalationstherapie.  (Prag,  m 
Wchschr.  1915.  Nr:  15.) 

Verfasser  spricht  der  von  manchen  verworfenen  Inhalations¬ 
therapie  als  wirksames  die  Allgemeinbehandlung  unterstützendes 
Hilfsmittel  zur  Behandlung  von  Erkrankungen  der  Atmungs¬ 
organe  namentlich  von  Katarrhen  der  Luftwege  das  Wort  und 
empfiehlt  das  Reissmannsche  Verfahren,  das  durch 
warme  trockene  Luft  wirkt  und  zwar  in  den  entferntesten 
Luftwegen,  in  denen  die  kleinsten  CI  Na-Kristalle  intensive 
Wirkungen  hervorbringen.  v.  Schnizer. 

Prof.  G  1  a  x- Abbazia:  Können  die  Küsten  und  Inseln  des 
österr-ungar.  Adriagebietes  unseren  Kranken  einen  notwendigen 
Ersatz  bieten  für  die  Kurorte  der  ital.  u.  franz.  Riviera.  (Zeitschr.  f. 
Balneologie  usw.  1.  Jan.  1916.) 

Diese  Frage  wird  von  dem  langjährigen  Kenner  des 
Adriagebietes,  sofern  Klimafaktoren  allein  in  Betracht  kommen, 
autoritativ  bejaht:  er  zieht  sogar  die  Einflüsse  des  feuchtwarmen 
Küsten-  und  Inselklimas  Dalmatiens  dein  mehr  kontinentalen  der 
ital.  u.  franz  Riviera  für  viele  Krankheitsfälle  vor:  so  scheint 
ihm  ein  Aufenthalt  in  Abbazia,  Lussin,  Lovrana  und  Brioni  als 
Übergang  vom  Norden  nach  dem  Süden  (Ägypten  usw.)  und 
umgekehrt  besonders  vorteilhaft  Diese  Kurorte  besitzen  auch 
jeglichen  Komfort  selbst  für  anspruchsvollste  Reisende,  während 
die  Küste  Dalmatiens  dessen  noch  vorläufig  grösstenteils  ent- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


217 


behrt.  Aber  auch  das  wird  kommen,  und  dann  würde  dieses 
schöne  Land  und  die  adriatische  Küste  nicht  nur  klimatisch, 
sondern  auch  in  jeder  anderen  Beziehung  imstande  sein,  den 
Erholungsbedürftigen  usw.  die  Riviera  unserer  Feinde  mehr  wie 
zu  ersetzen.  Kreb  s- Aachen. 

Max  M  e  y  e  r:  Über  plethysmographische  Unter¬ 
suchungen  in  natürlichen  Kohlensäure-Bädern.  (Zeitschr.  f 
Balneologie  usw.  .Tahrg.  1915/10,  Nr.  18,  19  u.  20.) 

Das  Hauptergebnis  dieser  in  Nauheim  angestellten  Unter¬ 
suchungen  beruht  darin,  dass  der  Verf.  im  Gegensatz  zu 
0  t  f  r  i  e  d  M  ü  1  1  e  r  glaubt  nachgewieseu  zu  haben,  dass  j 
eine  reaktive  E  r  w  e  i  t  e  r  u  n  g  der  peripheren  Gefässe  im  j 
natürl.  CO.,-Bad  in  der  Tat  vorhanden  ist.  Hand  in  Hand 
mit  der  Gefässerweiterung  geht  eine  Herabsetzung  der  Gefäss- 
spannung  und  eine  Verringerung  der  Widerstände  im  Kreis¬ 
lauf. 

Meyer  teilt  auch  nicht  die  Auflassung  M  ü  Ilers 
und  seiner  Mitarbeiter,  dass  im  CO.,-Bad  ein  gegensätzliches 
Verhalten  zwischen  Kapillaren  und  peripheren  Arterien 
besteht  und  bestreitet  die  im  C02-Bad  von  Meller  ange¬ 
nommene  Neigung  zur  Gefässzusammenziehung.  Der  Gefäss- 
er Weiterung  geht  nur  eine  Verengerung  voran,  die  jedoch  von 
kurzer  Dauer  ist.  Die  Ursache  für  die  unabhängig  von  der 
Temperatur  des  Badewassers  erfolgende  Gefässerweiterung  ist 
nicht  nur  in  der  Resorption  des  C02  durch  die  Haut  also  auf 
chemischem  Wege  zu  suchen,  sondern  auch  in  der  Reinigung 
des  Zentralnervensystems  Krebs-  Aachen. 

Medikamentöse  Therapie. 

B  a  c  m  e  i  s  t  e  r:  Die  Kupierung  von  Piieuniokokken- 
iniektionen  bei  tuberkulösen  Lungenkranken  durch  Optochin.  — 
(Mchn  m.  W -Sch.  1916,  Heft  1.) 

Dem  Chininderivat  Optochin  (Athylhydrokupreiu,  kommt 
eine  spezifische  Heilwirkung  zu  hei  Pneumokokkeninfektionen, 
insbesondere  hei  Lungenentzündungen,  bei  denen  möglichst 
frühzeitige  Darreichung  des  Präparats  zu  vorzeitiger,  dauernder 
Entfieberung  führt.  Fussend  auf  dieser,  auch  in  der  Literatur 
bereits  zahlreich  niedergelegten  Erfahrung,  hat  Verf.  das 
Optochin  mit  Erfolg  .  an  Tuberkulösen  bei  Erkältungsbronchi¬ 
tiden  erprobt,  deren  oft  verhängnisvolle  Bedeutung  für  das 
Weiterschreiten  oder  Wiederaufflackern  alter  tuberkulöser  Herde 
und  Prozesse  bekannt  ist.  Optochin  wurde  täglich  5  —  8  mal 
zu  je  0,2  g  gereicht,  mithin  etwa  2 ständig.  Über  2,0  g  sei 
nie  zu  gehen  Toxische  Nebenwirkung  zeigte  sich  nur  einmal: 
Urticaria.  Es  trat  dagegen  stets  auffallend  rasche  Entfieberung 
ein  mit  subjektiver  und  objektiver  Besserung.  Im  Gegensatz  zu 
diesen  guten  Ergebnissen  bei  den  sekundären  Erkältungs¬ 
bronchitiden  der  Tuberkulösen  scheint  das  Optochin  bei  höherem, 
tuberkulösem,  Fieber  zu  versagen. 

Viernst  e  n  -Kaisheim. 

Peperhove:  „Kalziumkompretten“,  ein  geeignetes 
Calcium-ehloratum-Präparat  als  Antiliydroticum.  —  (Mchn.  m. 
W.-Schr.  1916,  Heft  2.) 

Versuche,  die  Verf.  mit  Calcium  chloratum  in  wässriger 
Lösung  zur  Bekämpfung  tuberkulöser  Nachtschweisse  angestellt 
hatte,  scheiterten  wegen  des  unangenehmen  Geschmackes  des 
Mittels. 

In  den  von  Merck-Böhringer-Knoll  („MBK“)  als  Heu¬ 
schnupfenmittel  hergestellten  „Kalziumkompretten“,  enthaltend 
je  0,1  Calc.  chlorat.  crystallis.,  wurde  dagegen  ein  wirksames, 
bequemes,  und  den  Geschmack  ansprechendes  Präparat  ohne 
schädliche  oder  unangenehme  Nebenwirkungen  gefunden.  Es 
wurden  3,  dann  2,  schliesslich  1  Stück  gereicht. 

Die  von  Wülf  i  ng  - Berlin  hergestellten  „Kalzantabletten“ 
werden  gleichfalls  als  erfolgverheissend  empfohlen.  * 

V  i  e  r  n  s  t  e  i  n- Kaisheim. 

G  e  1  1  h  a  u  s  -  Rüstringen:  Einige  Beobachtungen  bei 
Kollargol Injektionen  in  kleinen  Dosen.  (Münch,  m.  Wochenschrift 
Nr.  6,  1916.) 

In  Bekämpfung  von  Entzündungskrankheiten  hat  Verf. 
bei  genügend  frühzeitiger  Behandlung  durch  glutäale  Injektion 
von  0,3— 0.5  g  einer  1  proz.  Kollargollösung  befriedigende 
Resultate  erzielt.  So  kamen  u.  a.  in  diese  Bekundung:  Furun¬ 
kulose,  Panaritien,  krepitierende  Sehnenscheidenentzündung. 


Erysipel,  Appendizitis,  Peritonitis,  beginnendes  Puerperalfieber, 
Gonorrhoe,  Ulcus  genitale,  Pneumonie.  Die  erste  Injektion 
bringt  die  beste  Wirkung.  Stark  virulente  Infektionen  und 
Spätstadien  sind  jedoch  durch  Kollargol  un beeinflussbar.  Es 
empfiehlt  sich  frühzeitigste  Injektion. 

Nach  Verf.  Ansicht  schädigt  das  Kollargol  in  kleinen 
Dosen  einerseits  die  Infektionskeime,  andererseits  wirkt  es  an¬ 
regend  auf  eine  Leukozytenverjüngung.  Ulcus  genitale  auf 
luetischer  Basis  bleibt  durch  Kollargol  unverändert,  während 
Ulcus  molle  sehr  gute  Heilungstendenz  zeigte 

F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s- München. 


Allgemeines. 

L  e  w  a  n  d  o  w  s  k  i,  A  (Berlin):  Die  militärische  Vor¬ 
bereitung  der  Jugend.  Zeitschr.  f.  ärztl.  Fortbildung  XII.  1915, 
Nr.  20.) 

Die  Forderungen  der  Zeit  decken  sich  mit  denen  der 
praktischen  Hygiene,  dass  die  Jugend,  die  in  Schul-  oder 
Fabriksälen  körperlich  zu  verkümmern  droht,  kriegstüchtiger 
entwickelt  werden  muss.  L.  wirkt  an  militärischerseits  ge- 

u 

troftenen  Einrichtungen  mit  und  berichtet,  dass  von  den  jungen 
Leuten  eigentlich  nur  2  —  5  °/0  ungeeignet  für  die  Jugendwehr¬ 
kompagnien  sind.  Sein  Vorschlag,  die  Schwächlinge  in  be¬ 
sonderen  Ivompagnieen  auszubilden  und  dadurch  zu  kräftigen, 
erscheint  beachtenswert.  Ganz  besonders  aber  möchte  ich  die 
Idee  befürworten,  die  Zeit  von  der  Schulentlassung  bis  zum 
Eintritt  ins  Heer  für  die  körperliche  Entwicklung  unter  einer 
straffen  Leitung  zu  verwenden.  Die  sich  selbst  überlassenen 
jungen  Leute  geben  sich  —  die  tägliche  Erfahrung  lehrt  es  — 
dem  Tabak,  dem  Bacchus  und  der  Venus  hin  und  setzen  deren 
Schädigungen  einen  um  so  geringeren  Widerstand  entgegen,  je  mehr 
ihr  Organismus  noch  unfertig  ist.  Da  besteht  zwischen  studieren¬ 
der  und  Arbeiter-Jugend  kein  Unertschied.  Sachverständige 
behaupten,  dass  die  18-jährigen  gesünder  seien  als  die 
20-jährigen,  und  wünschen,  dass  dieser  Gesundheitszustand  er¬ 
halten  bleiben  möge.  Eine  militärische  Vorbereitung  wäre  da 
eine  glückliche  Lösung.  Für  gute  Erfolge  in  körperlicher  wie 
namentlich  moralischer  Hinsicht  könnte  man  garantieren. 

Buttersack. 


Bücherschau. 

Prof.  Dr.  C.  Adam:  Die  Behandlung  von  Kriegsver¬ 
letzungen  und  Kriegskrankhelten  in  den  Heimatlazaretten.  ].  Teil. 
Verlag  von  G.  Fischer,  1915. 

Vom  Zentralkomitee  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen 
in  Preussen  herausgegebene  l?  Vorträge,  die  in  Berlin  während 
des  Krieges  j  9 1 5  von  Autoritäten  gehalten  wurden. 

Gerade  die  Erfahrungen  aus  den  Lazaretten  im  Heimat¬ 
gebiet  sind,  weil  stabileren  Verhältnissen  entsprungen,  für 
jeden  Feldarzt  in  hohem  Grade  wissenswert.  v.  Schnizer. 

Rotter,  Generalarzt:  Merkblätter  für  Feldunterärzte.  — 
(Mch  in.  W.-Sch.  1916,  Heft  1-5) 

Von  Fachärzten  aller  Disziplinen  zusammengestellte  kurze 
und  klare  Winke  diagnostischer  und  therapeutischer  Natur,  die 
nicht  bloss  für  den  angehenden  Arzt,  sondern  auch  für  den  älteren 
Praktiker  wertvoll  erscheinen,  zu  eingehenderem  Referat  an 
dieser  Stelle  sich  jedoch  nicht  verwerten  lassen.  Die  Lektüre 
der  Merkblätter  ist  sehr  zu  empfehlen. 

Viernsteiu  -  Kaisheim. 

Geist  der  Medizin.  Analytische  Studien  über  die  Grund¬ 
ideen  der  Vormedizin,  Urmedizin,  Volksmedizin,  Zaubermedizin, 
Berufsmedizin  von  Dr.  O  s  k  a  r  v.  H  o  v  o  r  k  a  ,  Ordinarius 
des  Nied.  Österreichischen  Kinderhauses  Gugging  bei  Wien. 
(Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u  k.  Hof-  und  Universitäts- 
buehhändler,  Wien  und  Leipzig  1915) 

Im  vorliegenden  Buche  entwirft  der  Autor  ein  aut  dem 
Gebiete  der  Volksmedizin  und  Geschichte  der  Medizin  durch 
seine  zahlreichen  Arbeiten  bestbekannter  Forscher  ein  Bild 
der  Entwicklung  der  Medizin  von  ihren  ersten  Anfängen  bis 
zu  der  heutigen  hoch  entwickelten  Stufe.  Ausgehend  von  den 
primitiven  Heilbestrebungen  der  Urmenschen,  die,  ähnlich  wie 
die  Tiere,  einfache  Reflexbewegungen,  als:  Reiben.  Lecken. 
Saugen,  Kratzen,  usw.  in  methodische  Heilverfahren,  wie  Massage, 


218 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  22 


Skarifikation,  Schröpfen,  Tätowieren,  Scheuern,  umsetzten,  ent-  dem  einen  Gedanken  beseelt:  gesund  werden  um 
wirft  er  ein  meisterhaftes  Bild  der  Heilkunde  aus  jenen  fernen  jeden  Preis,  gleichviel,  ob  mit  diesem 
Zeiten,  wo  es  noch  keine  geschulten  Berufsärzte,  sondern  nur  oder  jenem  Mittel,  w  e  n  n  e  s  nur  hilft!  Er 


Volkschirurgen,  Schröpfer,  Blutentzieher.  Zauberpriester,  weise 
Frauen  gab,  bis  in  die  neue  Zeit,  wo  die  Schulmedizin  mit 
ihren  praktisch  ausgebildeten  Ärzten  und  theoretischen  Forschern, 
mit  ihren  hochentwickelten  Heil-  und  Untersuchungs-Armen- 
tarium  eine  hohe  Entwicklungsstufe  erreichte  Während  in 
der  Epoche  der  V  ormedizi  n  die  Menschen  hinsichtlich 
ihrer  Heilbestrebungen  wenig  von  den  Tieren  sich  unterschieden, 
machte  sich  in  der  nachfolgenden  Periode,  die  der  Autor  als 
die  der  U  r  m  e  d  i  z  i  n  bezeichnet,  ein  Fortschritt  in  dem 
Sinne  geltend,  dass  einige  Kulturmittel,  welche  den  Urmenschen 
von  den  Tieren  absonderten,  wie:  verschiedene  Werkzeuge, 
Feuer  und  Wasser  in  den  Dienst  der  Medizin  gestellt  wurden. 

Es  folgt  hierauf  die  animalische  Epoche,  in 
welcher  sich  der  erste  Einfluss  des  Seelenglaubens  auf  den 
Menschen  geltend  machte.  Da  hat  sich  die  Volksmedizin 
in  inniger  Verbindung  mit  der  Zaubermedizin  entwickelt  und 
zum  erstenmal  hat  sich  der  Volksarzt  als  eine  besondere 
Klasse  gesondert. 

Dieser  hat  zweifellos  —  wie  häufig  noch  heute  —  zu 
den  leicht  zugänglichen  und  oft  äusserst  wirksamen,  echt  mensch¬ 
lichen  Mitteln  des  tröstenden  Wortes,  der  beruhigenden  Ein¬ 
wirkung  des  Zuredens  gegriffen;  um  den  Schmerz  zu  lindern 
und  die  Hoffnung  auf  Genesung  wachzuhalten. 

Die  verbale  Wachsuggestion  ist  in  ihre  Rechte  getreten 
und  als  dereu  Vertreter  sehen  wir  die  Medizinmänner  der 
Naturvölker  und  der  Naturstämme  der  neuen  Welt,  die  Schamane, 
die  Priesterärzte,  die  Gesundbeter  der  neuen  Zeit,  das  Feld  be¬ 
herrschen.  Da  aber  das  tröstende  Wort  allein  nicht  immer 
genügt,  musste  der  Volksarzt  frühzeitig  zu  bestimmten  Mitteln, 
Vorkehrungen,  Handlungen,  Vorrichtungen  greifen.  So  entstan¬ 
den  die  Heilmittel. 

In  dieser  Epoche  ging  noch  die  Medizin  mit  der  Religion 
innig  gepaart  einher. 

Viel,  viel  später  kam  es  zur  Gründung  der  ersten  Schulen 
für  den  medizinischen  Beruf,  welche  die  Schulmedizin 
und  die  Ausbildung  der  ersten  praktischen  Berufsärzte  zur 
Aufgabe  hatte. 

In  diesem  Kapitel  wird  die  ganze  Geschichte  der  Medizin 
von  ihrem  historischen  Aufang.  die  um  das  Jahr  3000  v. 
Christ,  datiert,  bis  in  die  neueste  Zeit  übersichtlich,  in  ge¬ 
drängter  Kürze  —  wohl  allzukurz  skizziert 

Der  Autor  gliedert  die  Berufsmedizin  in  die  Schul-  und 
wissenschaftliche  Medizin,  deren  Entstehung  mit  den  grossen 
Entdeckungen  des  16.  Jahrhunderts,  wie  derjenigen  der  Buch- 
druckerkuust,  der  Entdeckung  Amerikas  usw.  zu  Beginn  der 
Neuzeit  temporär  zusammenfällt. 

Die  ursprüngliche  Schulmedizin  hat  trotz  ihrer  scheinbaren 
Gelehrsamkeit  noch  lange  nicht  den  Anspruch  einer  Wissen¬ 
schaftlichkeit  im  heutigen  Sinne.  Sie  tritt  ebenso  wie  die 
Volksmedizin  rein  empirisch,  dann  praktisch  selbständig  auf, 
später  versucht  sie  auf  spekulativem  Wege  vorwärts  zu  kommen 
und  erst,  als  diese  Richtung  sich  als  falsch  erwiesen,  verlegt 
sie  die  Reflektion  auf  die  gesunde  Basis  der  Naturbeobachtuug 
und  schaffte  eigene  theoretische  Fächer  zur  Unterstützung  der 
praktischen  Bedürfnisse. 

Hier  liegen  also  die  Anfänge  der  wissenschaftlichen  Medizin. 
Zum  Schlüsse  stellt  Verfasser  eigene  Gesetze  der  Krankenbe¬ 
handlung  und  Grundsätze  der  Heilkunde  auf,  die  als  Vorläufer 
der  heutigen  zünftigen  Medizin  gelten  können. 

Sehr  beachtenswert  sind  die  Schlussbemerkungen,  welche 
die  kulturelle  Bedeutung  der  Medizin  hervorhebeu: 

,,Die  Anfänge  der  Medizin  fallen  mit  der  Menschwerdung 
zusammen,  bauen  sich  zunächst  auf  den  einfachsten  Reflexvor¬ 
gängen  auf,  erweitern  sich  auf  Grund  einer  jahrhunderttausend- 
langeu  Erfahrung  zu  empirischen  Leitmotiven  und  wachsen 
schliesslich  mit  den  komplizierten  Vorgäugen  des  entwickelten 
menschlichen  Geistes  innig  zusammen.  Obwohl  nun  die  End-, 
glieder  dieser  schier  unabsehbaren  Entwicklungskette,  welche 
zu  ihrer  Entfaltung  Hunderttausende,  ja  vielleicht  einiger 
Millionen  von  Jahren  bedurfte,  unendlich  kompliziert  sind, 
müssen  wir  dennoch  eingestehen,  dass  die  Elementarmotive  der 
Heilkunde,  die  Grundsätze  der  allgemeinen  Therapie,  welch 
letztere  ja  den  Hauptinhalt  der  Medizin  bildet,  seit  Urzeiten 
dieselben  geblieben  sind.  Der  kranke  Mensch  wird  nur  von 


verlangt  von  ihm  Heilung  oder  zumindest  Linderung  des 
Schmerzes.  Darum  versucht  er  es  zuerst  selbst,  gelingt  es  nicht, 
so  wendet  er  sich  voll  Vertrauen  an  den  Arzt.  Die  Sache  des 
Letzteren  ist  es,  das  richtige  Mittel  in  richtiger  Weise  zu  wählen. 
Dem  Arzte  fällt  jedoch  wiederholt  die  Aufgabe  zu,  nicht  nur 
das  körperliche,  sondern  auch  das  seelische  Leiden  zu  lindern. 
Gesegnet  der  Arzt,  der  es  richtig  versteht;  Heil  dem  Kranken, 

der  sich  ihm  an  vertraut . Der  Vormensch  rieb  sich  die 

schmerzende  Stelle  mit  dem  Mohnsafte  ein,  der  heutige,  wissen¬ 
schaftliche  hochgebildete  Arzt  —  greift  zur  Morphiumspritze, 
Wie  verschieden  ist  die  Ausführung,  wie  gleichbedeutend  jedoch  j 
die  beabsichtigte  Wirkung! 

„Der  Geist  der  Medizin  ist  leicht  zu  fassen  .  .  . 

Das  Buch  ist  überaus  interessant  und  lehrreich.  Für 
jeden  Arzt,  der  seinen  Gesichtskreis  über  den  Rahmen  der 
Medizinflasche  hinaus  erweitern  will,  wird  es  eine  köstlich 
unterhaltende  Lektüre  bilden,  deren  Nutzanwendung  auch  in 
der  Praxis  sich  geltend  machen  kann.  Dr.  A  Iber  t. 

W  i  1  h  e  1  m  W  a  1  d  s  c  h  m  i  d  t,  Die  Unterdrückung 
der  Fortpflanzungsfähigkeit  und  ihre  Folgen  für  den  Organis¬ 
mus.  Preisgekrönte  Arbeit  der  Medizinischen  Fakultät  der 
Universität  Tübingen,  Verlag  von  Ferdinand  Enke,  Stuttgart 

Eine  kompilatorische  Arbeit,  deren  Wert  hauptsächlich  in 
einer  fleissigen  und  sehr  sorgfältigen  Zusammenstellung  der 
einschlägigen  Literatur  (ca.  800  Nummern)  und  Zitierung  der 
vielfach  diametral  entgegengesetzten  Aussprüche  hervorragender 
Fachmänner,  besteht  die  eine  einheitliche  Ansicht  über  diese  Frage 
nicht  zulassen.  Während  eine  Reihe  von  Autoren  die  ge¬ 
schlechtliche  Befriedigung  als  ein  unentbehrliches  organisches 
Bedürfnis,  etwa  wie  das  Essen,  Trinken,  Schlafen,  die  Ent¬ 
leerung  der  Exkrete  usw.  betrachten,  dessen  Unterdrückung 
Geist  und  Körper  schädige  —  vertreten  andere  den  Stand¬ 
punkt,  dass  Jedermann  —  Mann  wie  Weib  —  bei  einiger 
Willensstärke  und  Besonnenheit  die  sinnlichen  Triebe  dauernd 
überwinden  könne. 

Das  Merkblatt  der  deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfunh 
der  Geschlechtskrankheiten  vom  Jahr  1903  (^6  l)  stellte  folgendeg 
Satz  auf:  „Enthaltsamkeit  im  geschlechtlichen  Verkehr  ist  nach 
dem  übereinstimmenden  Urteil  der  Ärzte  im  Gegensatz  zn 
einem  viel  verbreiteten  Vorurteil  in  der  Regel  nicht  gesund¬ 
heitsschädlich/4 

Gleichwohl  ist  diese  Maxime  nicht  für  jeden  Menschen 
anwendbar,  weil  eben  die  Menschen  verschieden  veranlagt  sind 
und  auch  in  sexualibus  mächtig  von  einander  differieren. 

Angesichts  der  so  verschiedenartigen  und  diametral  ent- 
gegengesetzten  Urteile  der  Autoren  gewinnt  mau  den  Eindruck, 
dass  persönliche  Erfahrungen  einzelner  Autoren  hinsichtlich 
ihrer  Vita  sexualis  ihre  Ansichten  über  die  natürliche  Stärke 
des  Geschlechtstriebes  individuell  beeinflussten.  Für  denjenigen, 
der  die  sexuelle  Abstinenz  leicht  ertragen  kann,  liegt  der 
Glaube  nahe,  dass  es  sich  bei  anderen  ähnlich  verhält,  während 
derjenige,  der  sinnlich  veranlagt  ist  geneigt  ist  anzunehmen, 
dass  der  Geschlechtstrieb  mächtig  nach  Befriedigung  dränge 
und  der  Verzicht  auf  diese  Geist  und  Körper  schädige. 

Im  allgemeinen  muss  man  sagen,  dass  ein  normaler  Mensch  1 
bis  zu  einem  gewissen  Alter  ohne  Schädigung  seiner  Gesund¬ 
heit  die  sexuelle  Abstinenz  verträgt.  Mit  Energie,  Willenskraft 
und  Selbstzucht  lässt  sich  zweifellos  viel  —  doch  nicht  alles 
erreichen.  Es  gibt  aber  Individuen,  die  unter  den  besten  Vor¬ 
sätzen  dem  Zwange  unterliegen,  wenn  der  Geschlechtsdrang  eine 
gewisse  Höhe  erreicht,  das  ganze  Sinnen  und  Denken  gefangen 
nimmt  und  alle  Bemühungen  den  sexuellen  Drang  durch  geistig 
oder  körperlich  angestrengte  Arbeit  zu  meistern,  an  der  Ge¬ 
walt  der  geschlechtlichen  Begierde  kläglich  scheitern. 

Das  Buch,  das  von  der  Tübinger  Fakultät  preisgekrönt  wurde, 
ist  wohl  eine  für  den  jungen  Autor  (er  ist  Kandidat  der 
Medizin)  recht  anerkennenswerte  und  gediegene  Leistung, 
lässt  jedoch  ein  selbständiges,  auf  eigene  Erfahrungen  fussendes 
Urteil  und  originelle  Ansichten  vermissen,  die  eben  jeder 
Publikation  ihren  eigentlichen  Wert  verleihen. 

Dem  Arzt  wie  dem  Juristen,  die  in  gleicher  Weise  an 
dieser  wichtigen  Frage  interessiert  sind,  wird  es  immerhin 
gute  Dienste  leisten.  Dr.  A  1  1  e  r  t. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33  Jahrgang. 


1915/16. 


Tomdirim  der  Ittcclizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  IHitwirkung  hervorragender  Tad)männer 

iierausgegeben  von 

1  •  v2n  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

V  erantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


(i.  Köster, 

Leipzig 


Nr,  23 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


20.  Mai. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Zur  Diagnose  und  Behandlung  der  Epilepsie  in 
der  ärztlichen  Praxis. 

Von  Oberarzt  Dr.  Enge,  Heilanstalt  Strecknitz-Lübeck. 

Uebei  die  F  ortschritte  der  Epilepsieforschung  gibt 
es  zahlreiche  zusammen  fassende  und  kritisch  sichtende 
1  Arbeiten  und  Sammelreferate.  Für  den  ärztlichen  Prak¬ 
tiker  haben  besonders  zwei  Fragen  Interesse: 

1.  Wann  dai  f  man  eine  Epilepsie  diagnostizieren  ? 

2.  Wie  behandelt  man  die  Epilepsie? 

Binswanger,  Weber  u.  a.  Epilepsie¬ 
forscher  vertreten  nachdrücklich  den  Standpunkt,  die 
Epilepsie  als  klinische  Krankheitseinheit  festzuhalten. 

Binswanger  definiert  die  Epilepsie  folgender¬ 
maßen  : 

„Die  Epilepsie  ist  eine  ausgeprägt  chronische  Er¬ 
krankung  des  Zentralnervensystems,  welche  durch  die 
verschiedensten  Ursachen  hervorgerufen  wird  ;  ihre 
|  Krankheitsäußerungen  bestehen  entweder  in  öfters 
.  wiederkehrenden  Krampfanfällen  mit  Bewußtlosigkeit 
\  oder  in  I  eilerscheinungen  dieser  Anfälle  oder  in  psycho¬ 
pathischen  Begleit-  und  Folgeerscheinungen.  Im  Mittel¬ 
punkte  dieser  klinisch-symptomatologisch  definierten  Er¬ 
krankung  steht  der  epileptische  Anfall,  die  paroxys¬ 
malen  Entladungen,  die,  wie  heute  allgemein  bekannt 
t  ist,  die  verschiedensten  Formen  an  nehmen  und  auch  als 
)  rein  psychische  Äquivalente  auftreten  können.“  (Zeit- 
schr.  f.  ärztl.  Fortb.  1 Q 1 1 ,  Nr.  17.) 

Weber  bezeichnet  die  Epilepsie  als  eine  chro- 
i  nische  Erkrankung  des  Nervensystems,  gekennzeichnet 
I  durch  periodisch  auftretende  von  Bewußtseiusverlust 
|  begleitete  Anfälle  und  durch  Bewußtseinsveränderungen, 
die  nach  längerer  Krankheitsdauer  zu  eigenartiger  Cha- 
i  rakterveränderung  und  Demenz  führen.  (M  med  W 
1912,  Nr.  31  u.  32.)  V  '  ’ 

Demnach  ist  ein  ganz  bestimmter  Symptomen- 
1  komplex  und  ein  charakteristischer  Verlauf  oder  Aus¬ 
gang  ausschlaggebend  für  die  Diagnose  der  „echten 
Epilepsie“  ;  aus  dem  Auftreten  des  einen  oder  anderen 
i  Svmptomes  z.  B.  eines  Anfalles,  oder  einer  plötzlichen 
Verstimmung  oder  einer  Bewußtseinstrübung  darf  man 
noch  nicht  die  Diagnose  „Epilepsie“  stellen.  Für  die 
praktische  Diagnosenstellung  werden  im  einzelnen  noch 
folgende  Richtlinien  gegeben :  (W  eher,  Bins¬ 

wanger,  cit.  loco.) 

1.  Das  ausschlaggebendste  diagnostische  Merkmal 
ist  der  Krampfanfall,  um  welches  sich  die 
anders  gearteten  paroxysmalen  Entladungen  gewisser¬ 
maßen  herumlagern.  '  Unter  Krampfanfällen  sind 
motorische  Reiz-  und  Ausfallserscheinungen  zu  ver-  | 


stehen,  die  nur  das  charakteristische  der  kurzen  Dauer 
und  des  Bewußtseinsverlustes  haben.  Dabei  gestattet 
ein  einmaliger  Krampfanfall  noch  nicht  die  Diagnose 
Epilepsie,  sondern  die  Anfälle  müssen  p  eri  o  d  i  s  c  h 
auftreten.  Ebenso  ist  es  erforderlich,  daß  die  An¬ 
läße  mit  Bewußtseinsverlust  einhergehen. 
Krampfanfälle  bei  erhaltenem  Bewußtsein,  z.  B.  wie  bei 
der  J  a  c  k  s  o  n  sehen  Epilepsie,  gehören  nicht  zur 
echten  Epilepsie.  Der  klassische,  typische  epileptische 
Anfall  setzt  sich  zusammen  aus:  Aura,  Bewußtlosigkeit, 
allgemein  tonischer  und  nachfolgender  klonisciier  Krampf 
der  gesamten  Körpermuskulatur,  stuporöses  Nachstadium. 
Außer  dieser  vollentwickelten  Form  gibt  es  natürlich  auch 
rudimentäre  und  abortive  Anfälle.  Aber  nur  diejenigen 
K  rankheitsbilder,  bei  denen  der  e  p  i  1  e  p  t  i  s  c  h  e 
Anfall,  d.  h.  die  motorische  Reiz¬ 
komponente,  in  mehr  oder  weniger  Ausprägung 
vorhanden  ist,  können  zur  echten  Epilepsie  zugezählt 
werden.  Beim  Fehlen  jeglicher  Anfälle  ist  die  Diagnose 
nicht  zu  stellen. 

2.  Zur  Diagnose  der  „echten  Epilepsie“  verhilft  das 
periodische  Auftreten  von  vorübergehenden  psy¬ 
chischen  Veränderungen,  die  man  schlechtweg  als 
D  ä  mmerzust  ä  n  d  e  bezeichnet.  Dabei  hat  man 
unter  Dämmerzuständen  nicht  nur  eigentliche  Bewußt¬ 
seinstrübungen  zu  verstehen,  sondern  ganz  verschieden¬ 
artige  psychische  \  eränderungen  z.  B.  Stimmungs¬ 
schwankungen  depressiver  und  manischer  Art,  auch 
Verlangsamung  des  Denkens,  Sprechens,  Handelns,  ohne 
daß  die  Orientierung  dabei  gestört  ist.  Die  Schwierig¬ 
keit  des  Erkennens  dieser  Zustände  liegt  darin,  daß  sie 
oftmals  in  leichtester  Form  auftreten  und  dann  nur  fest¬ 
gestellt  werden  können,  wenn  man  das  Verhalten  vor  und 
nach  dem  Anfall  genau  kennt,  was  natürlich  für  den 
Praktiker,  der  den  Patienten  nur  selten  sieht,  besonders 
schwierig  ist. 

3.  Für  die  Diagnose  der  „echten  Epilepsie“  kommt 
Ausgang  und  Verlauf  in  Frage.  Die  echte 
Epilepsie  nimmt  einen  chronischen  Verlauf,  der  allmäh¬ 
lich  zu  dauernden  psychischen  Veränderungen  führt, 
namentlich  in  Form  eines  eigenartigen  Charakters  und 
einer  eigenartigen  Demenz.  Für  die  Praxis  gilt  nach 
Weber  der  Satz,  daß  eine  durch  periodische  Krampf¬ 
anfälle  und  Dämmerzustände  gekennzeichnete  Epilepsie, 
die  nach  5  bis  10  jähriger  Dauer  nicht  zu  den  eben 
genannten  Veränderungen  geführt  hat,  nicht  zur  echten 
Epilepsie  gehört.  Für  die  epileptische  Charakterver¬ 
änderung  sind  abnorm  gesteigerte  affektive  Reizbarkeit, 
Mangel  an  ethischer  Vertiefung,  egocentrische  Auffassung 
des  Verhältnisses  zur  Umgebung  charakteristisch.  Auch 


220 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  23. 


für  die  epileptische  Demenz  sind  bestimmte  Züge  spezi¬ 
fisch  :  Verlangsamung  der  Vorstellungstätigkeit,  mangel¬ 
haftes  Unterscheidungsvermögen,  Abnahme  des  Gedächt¬ 
nisses  bei  erhaltener  Merkfähigkeit. 

4.  Der  Beginn  des  Leidens  kann  zur  Siche¬ 
rung  der  Diagnose  führen.  Die  echte  Epilepsie  ist  eine 
Frühepilepsie.  Die  Mehrzahl  der  Fälle  der  echten  Epi¬ 
lepsie  beginnt  im  2.  und  3.  Lebensjahr  (selten  im  1. 
Lebensjahr),  andere  beginnen  im  6.  — 12.,  viele  noch  im 
10. — 20.  Lebensjahr.  Ganz  selten  sind  schon  die  Fälle, 
wo  die  Krankheit  erst  im  25.  —  30.  Lebensjahr  beginnt 
Diejenigen  Fälle,  die  erst  nach  dem  30.  Lebensjahr  be¬ 
ginnen,  gehören  nicht  zur  echten  Epilepsie.  Wenigstens 
gilt  der  Satz  für  die  Praxis. 

Auch  wenn  man  sich  an  diese  Richtlinien  hält, 
d.  h.  einen  bestimmten  Symptomenkomplex  und  den 
Krankheitsverlauf  ins  Auge  fasst,  gibt  es  oftmals 
noch  grosse  differential-diagnostische  Schwierigkeiten, 
z.  B.  besonders  gegenüber  der  Hysterie.  Vor  allem  sei 
dem  Praktiker  vor  Augen,  dass  eine  Epilepsie  nur  auf 
Grund  einer  ganz  subtilen  Anamnese  und  auf  Grund 
einer  ganz  gründlichen  und  sachverständigen  Unter¬ 
suchung  zu  diagnostizieren  möglich  ist.  Was  die  Fest¬ 
stellung  und  Art  der  Krampfanfälle  anlangt,  so  wird  er 
gut  tun,  zuverlässige  Zeugen  des  Leidens  hinzuzuziehen, 
wenn  er  nicht  selbst  in  der  Lage  gewesen  ist,  Anfälle 
mit  eigenen  Augen  zu  sehen,  was  nicht  immer  leicht 
glückt.  Soviel  über  die  Diagnose  der  Epilepsie. 

Wie  behandelt  man  die  Epilepsie? 

Das  souveräne  Mittel  gegen  die  Epilepsie  sind  die 
B  r  o  m  s  a  1  z  e.  Sie  haben  nicht  nur  eine  unbestrittene 
Wirkung  der  Beruhigung  eines  erregten  und  überreizten 
Nervensystems,  sondern  auch  eine  spezifische  krampf¬ 
hemmende  Wirkung.  Alle  Geheimmittel  gegen  Epilepsie 
verdanken,  wenn  sie  überhaupt  Erfolg  hatten,  diesen 
dem  beigemengten  Brom.  Zu  bevorzugen  ist  das 
Bromnatrium.  Es  hat  einen  etwas  höheren  Bromgehalt 
als  das  Bromkalium.  Ferner  fällt  der  nachteilige  Ein¬ 
fluss  der  Kaliverbindung  auf  das  Herz  weg;  bekannt¬ 
lich  gelten  alle  Kaliverbindungen  mehr  oder  weniger 
als  Herzgifte.  Die  Mischung  der  verschiedenen  Brom¬ 
salze,  z.  B.  die  bekannte  Erle  n  me  y  er  sehe  Lösung 
Bromkalium,  Bromnatrium,  Bromammonium  in  dem  Ver¬ 
hältnis  der  drei  Salze  von  1  :  1  :  l/..,  hat  keine  besonderen 
nachweisbaren  Vorteile.  Man  kommt  ganz  gut  mit  dem 
Bromnatrium  aus. 

Kommen  Epileptiker  in  Anstaltsbehandlung ,  so 
hört  man  gar  nicht  selten  von  vornherein  den  Einwand : 
„Mir  hat  Brom  nicht  geholfen.“  Genauere  Nach¬ 
forschung  ergibt  dann,  dass  nur  selten  eine  „methodische 
Brombehandlung“  stattgefunden  hat.  Dies  ist  nicht 
allein  Schuld  der  Ärzte,  sondern  liegt  auch  daran,  dass 
beim  Laienpublikum  das  Brom  z.  T.  in  Misskredit  ge¬ 
raten  ist.  Es  sagt  ihm  nach,  dass  es  verdumme  und 
außerdem  den  Magen  schädige  und  deshalb  stößt  der 
Arzt,  der  bei  einem  Epileptiker  eine  Bromkur  durch¬ 
führen  will,  oftmals  auf  hartnäckigen  Widerstand. 

Was  man  unter  einer  „m  ethod  ischen  Br  o  m- 
k  u  r“  zu  verstehen  hat,  sei  in  folgendem  kurz  ausein¬ 
ander  gesetzt.  Sie  umfaßt 

1.  die  rein  medikamentöse  Behandlung  d.  h.  die  Dar¬ 
reichung  der  Bromsalze. 

2.  Die  gleichzeitige  physikalische  diätetische  Behand¬ 
lung  und  die  Regelung  der  gesamten  Lebensweise. 

Zu  1 .  Die  D  o  s  i  e  r  u  n  g  des  Mittels  muß  streng 
individualisierend  erfolgen.  Man  muß  mit  kleinen  Dosen 
beginnen,  sie  allmählich  steigern,  bis  man  die  wirksame 
Dosis  erreicht  hat,  d.  h.  bis  keine  Anfälle  mehr  auf- 
treten. 

Man  wird  im  Durchschnitt  bei  Kindern  mit  3  g, 
bei  Erwachsenen  mit  6  g  Brom  beginnen  und  diese  in 
drei  Tagesdosen  verabfolgen.  Wichtig  ist  es,  die  ein¬ 


zelnen  Bromgaben  in  gehöriger  Verdünnung  zu  reichen, 
z.  B.  auf  ein  Glas  Wasser  oder  Milch  oder  auf  einen 
gefüllten  Teller  Suppe.  Denn  alle  hochprozentigen 
Salzlösungen  rufen  leicht  Magenverstimmungen  hervor. 
Haben  die  Anfälle  längere  Zeit  sistiert,  so  wird  man  die 
Bromgaben  allmählich  herabmindern  und  schließlich  auf 
ein  ganz  geringes  Maß  2—1  g  als  Tagesdosis  beschränken, 
Mengen,  die  erfahrungsgemäß  der  Organismus  ohne  jede 
schädliche  Nebenwirkung  jahrelang  erträgt.  Die  Ent¬ 
wöhnung  vom  Brom  muß  sich  ganz  allmählich  voll¬ 
ziehen.  Binswanger  hat  es  sich  zur  Regel  ge¬ 
macht,  daß  ein  Epileptiker  3  Jahre  anfallsfrei  sein  muß, 
bevor  er  das  Brom  ganz  weglassen  darf.  Die  regel- 
m  ä  ß  i  g  e  und  andauernde,  eventuell  jahrelange 
D  a  r  r  e  i  c  h  u  n  g  des  Broms  ist  eine  wichtige  Be¬ 
dingung,  wenn  das  Brom  eine  volle  Wirkung  haben  soll. 

Selbstverständlich  muß  der  Arzt  die  Gefahr  kennen, 
die  längere  Brommedikation  in  sich  birgt.  Am  wichtig¬ 
sten  ist  der  akute  Bromismus.  Sein  Herannahen 
kündigt  sich  an  durch  Stumpfheit  und  Interesselosigkeit, 
neurologisch  durch  Herabsetzung  der  Haut-  und 
Schleimhautreflexe.  In  ausgesprochenen  und  schweren 
f  ällen  zeigt  sich  fast  ein  paralytisches  Bild,  Tremor, 
Gang-  und  Sprachstörungen  u.  a.  Sind  die  Er¬ 
scheinungen  nur  leichte,  so  kann  man  ruhig  abwarten, 
ohne  die  Bromdosis  zu  verringern,  ob  der  Zustand  nicht 
ohne  weitere  Maßnahmen  wieder  schwindet.  Bei  schweren 
akuten  Symptomen  ist  es  angezeigt,  die  dargereichte 
Brommenge  herabzumindern  oder  wenn  die  Erscheinungen 
auch  dann  noch  nicht  zum  Schwinden  kommen,  einige 
1  age  lang  der  Nahrung  einige  g  Kochsalz  extra  zuzu- 
f ügen  (eventuell  Kochsalzklistiere  oder  Kochsalzinfu¬ 
sionen).  Die  sofortige  gänzliche  Unterbrechung  der 
Bromkur  ist  nur  in  den  seltensten  Fällen  angezeigt,  da 
dadurch  der  Erfolg  der  bisher  eingeleiteten  Kur  ernst¬ 
lich  gefährdet  wird. 

Der  chronische  Bromis  m  u  s  äußert  sich, 
kurz  gesagt,  in  einer  allgemeinen  schweren  Ernährungs¬ 
störung,  daher  auch  Kachexie  genannt.  Er  läßt  sich 
vermeiden  durch  hygienisch  diätetische  Maßnahmen,  auf 
die  noch  eingegangen  werden  soll.  Ist  er  aber  einge¬ 
treten,  so  müssen  ebenfalls  die  Bromdosen  herab¬ 
gemindert  werden  oder  der  Nahrung  reichlich  Kochsalz 
zugesetzt  werden.  Die  günstige  Wirkung  des  Koch¬ 
salzes  beruht  auf  dem  Antagonismus  zwischen  Brom  und 
Chlor. 

Line  mehr  unangenehme  wie  gefährliche  Neben¬ 
erscheinung  bei  Bromdarreichung  stellen  Haut- 
a  f  f  e  k  t  i  o  n  e  n  ,  vornehmlich  die  Bromakne, 
dar,  wie  sie  ziemlich  häufig  aufzutreten  pflegen.  Sie 
erfordern  weder  Herabmindern  noch  Aussetzen  der 
Bromdosen.  Gibt  man  nebenher  F  o  w  1  e  r  sehe 
Lösung  in  der  bekannten  an-  und  absteigenden  Weise, 
so  tritt  meist  rasch  Heilung  ein.  Bei  hartnäckigeren 
f  ormen  hat  sich  mir  auch  hier  die  Darreichung  von 
Kochsalz,  etwa  10  g  pro  die  über  einige  Tage  ausge¬ 
dehnt,  gut-  bewährt.  Äußerlich  kann  man  eine  Salbe 
verwenden,  wie  z.  B. 

Rp. 

Resorcin 

Bulv.  Amyli 

Zinc.  oxydat.  ää  4.0 

Vaselin  12.0 

M.  f.  Unguentum 

Zu  2.  Die  Bromkur  muß  unbedingt  ergänzt  werden 
durch  eine  physikalisch-diätetische 
B  e  h  a  n  d  1  u  n  g  und  durch  eine  hygienische 
Regelung  der  gesamten  Lebens¬ 
weise. 

Zu  letzterer  gehört  vor  allem  die  unbedingte  Ent¬ 
halt  u  n  g  v  o  m  A  1  k  o  h  o  1  in  jeder  Form  und  auf 
|  Jahre  hinaus,  wenn  nicht  überhaupt  für  alle  Zeit.  Der 


Nr.  23. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


221 


Alkohol  ist  und  bleibt  das  schwerste  Gift  für  den  Epi¬ 
leptiker.  Hier  genügt  ein  einmaliger  Hinweis  nicht. 
Gewöhnlich  stehen  Epileptiker  ihrem  Leiden  mit  einem 
,  gewissen  Optimismus  gegenüber,  sehr  oft  sind  sie  auch 
vergeßlich.  Der  praktische  Arzt  scheue  deshalb  nicht 
die  Mühe,  den  Epileptiker  immer  wieder  darauf  hinzu¬ 
weisen,  daß  auch  nicht  ein  einziges  Mal  ein  Versehen 
voi kommen  darf,  da  ein  einziges  Versehen  durch  Alko¬ 
holgenuß  das  in  Jahren  Gewonnene  mit  einem  Schlage 
zu  nichte  machen  kann.  Auch  die  Angehörigen  und 
die  Umgebung  des  Kranken  kläre  der  Arzt  möglichst 
darüber  au!,  das  Verständnis  der  Umgebung  ist  oftmals 
für  den  Erfolg  der  Kur  ebenso  wichtig,  wie  der 
eigene  Wunsch  und  das  Wollen  des  Kranken,  von 
seinem  Leiden  befreit  zu  werden. 

Von  I  o  u  1  o  u  s  e  und  R  i  c  h  e  t  wurde  in 
die  Behandlung  der  Epilepsie  die  s  a  1  z  a  r  m  e  Er¬ 
nähr  u  n  g  eingeführt.  Pharmakologische  Unter¬ 
suchungen  hatten  festgestellt,  daß  bei  der  Bromtherapie 
anfänglich  eine  Aufspeicherung  des  Broms  im  Organis¬ 
mus  (Blutserum)  stattfindet,  daß  ein  Teil  des  Chlorge¬ 
haltes  im  Organismus  durch  Brom  ersetzt  wird  und  daß 
zwischen  epileptischen  Anfällen  und  dem  Chlorgehalt 
des  Blutes  ein  Zusammenhang  besteht,  dahingehend,  daß 
man  durch  Herabsetzung  des  Chlorgehaltes  das  Auf¬ 
treten  der  Krampfanfälle  verhindern  kann.  Auch  kann 
man  bei  Verringerung  der  Kochsalzzufuhr  mit  weit 
weniger  Brom  auskommen. 

Für  die  allgemeine  Praxis  eignet  sich  trotzdem  die 
I  oulouse-Richet  sehe  Diät,  die  kurz  gesagt 
eine  weitgehende  Einschränkung  der  Chloride  in  der 
Nahrung  zum  Ziele  hat,  aus  den  verschiedensten  Gründen 
nicht.  Die  einförmige  und  wenig  schmackhafte  salz¬ 
arme  Kost  verursacht  Appetitlosigkeit,  wird  meist  nach 
sehr  kurzer  Zeit  vom  Kranken  verweigert,  wodurch  der 
Ernährungszustand  ungünstig  beeinflußt  wird.  Salzarme 
Gerichte  durch  allerhand  Gewürze  und  Kräuter  u.  a. 
Geschmackskorrigentien,  wie  vorgeschlagen ,  schmack¬ 
hafter  zu  machen,  erfordert  eine  komplizierte  Küchen¬ 
technik  und  eignet  sich  ebenso  wenig  für  den  gewöhn¬ 
lichen  Familienhaushalt  wie  für  eine  Anstaltsküche.  Auch 
diejenigen  Nahrungsmittel,  in  denen  man  das  Kochsalz 
durch  Bromsalz  ersetzt  hat,  wie  z.  B.  Brombrot  und 
Bromzwieback,  ferner  Sedobroltabletten ,  d.  s.  Brom¬ 
bouillonwürfel,  eignen  sich  für  die  Durchschnittspraxis 
nicht,  schon  ihres  hohen  Preises  wegen.  Schließlich 
steigert  auch  ein  starker  Chlorentzug  die  Gefahr  des 
Bromismus.  In  der  Praxis  wird  man  einer  möglichst 
reizlosen  Ernährung,  die  in  der  Tat  am  besten  geeignet 
ist,  den  Ausbruch  von  Anfällen  zu  verhüten,  nahe 
kommen,  wenn  man  einmal  eine  Milchdiät  bevorzugt, 
andererseits  die  Eiweißzufuhr  zu  Gunsten  der  Fette  und 
Kohlehydrate  einschränkt.  Das  letztere  geschieht,  indem 
man  den  Epileptiker  nur  einmal  täglich  Fleisch  zirka 
300  g  genießen,  auch  Fische  bevorzugen  läßt.  In  die 
Milchdiät  läßt  sich  dadurch  Abwechselung  bringen,  daß 
man  sie  rein,  als  Milchschokolade,  Milchsuppe  oder  in 

[Form  von  Milchspeisen  verabreicht.  Auf  diese  Weise 
kann  man  täglich  1  bis  2  1  Milch  zuführen,  ohne  daß 
der  Genuß  lästig  wird. 

Wichtig  ist  natürlich,  daß  man  auf  alle  Fälle  ein 
gutes  Allgemeinbefinden  des  Kranken  anstrebt.  Milde 
hydrotherapeutische  Maßnahmen  werden  den  Stoff¬ 
wechsel  anregen.  Von  allergrößter  Bedeutung  ist  die 
Regelung  des  Stuhlganges.  Verstopfung  bedingt  sehr 
häufig  die  Auslösung  von  Anfällen.  Im  allgemeinen  ist 
körperliche  Arbeit  —  namentlich  Feld-  und  Gartenar¬ 
beit  —  für  den  Epileptiker  von  Vorteil.  Bekommt  man 
frische  Fälle  in  Behandlung,  so  soll  man  nach  Bins- 
w  a  n  g  e  r  s  Vorschlag  sie  wie  andere  Schwerkranke 
wochenlang  ins  Bett  legen  und  erst  aufstehen  lassen, 
wenn  die  Anfälle  wochenlang  sistiert  haben. 


In  erster  Zeit,  bis  der  Kranke  sich  an  die  Bromme¬ 
dikation  und  die  verordnete,  meist  veränderte,  Lebens¬ 
weise  gewöhnt  hat,  muß  der  Arzt  seinen  Patienten 
öfterer,  d.  h.  etwa  alle  8  l  äge  sehen,  muß  öfterer  sein 
Körpergewicht  kontrollieren  und  ihm  immer  aufs  neue 
wieder  die  für  ihn  nötigen  Lebensregeln  einschärfen. 

Zum  Schluß  sei  noch  erwähnt,  wie  man  dem  Status 
epilepticus.  der  gefürchteten  Anhäufung  von  Krampfan¬ 
fällen  mit  schwersten  Allgemeinerscheinungen  in  der 
Praxis  erfolgreich  begegnet.  Hier  kommt  in  erster 
Linie  das  Amylenhydrat  in  Betracht.  Da  es  sich  um 
benommene  Kranke  handelt,  die  nicht  schlucken,  ge¬ 
schieht  die  Applikation  als  Klysma,  1-2  g  bei  Kindern, 
4  g  bei  Erwachsenen  pro  Dosis.  Die  leichte  Löslichkeit 
in  Wasser  bedingt  schnelle  Resorption  und  Wirkung. 
Da  es  die  Schleimhäute  etwas  reizt,  kann  man  ein 
schleimiges  Vehikel  befugen,  z.  B. 

Rp. 

Amylenhydrat  4.0 
Aq.  dest.  50.0 
Muc.  Gummi,  arab.  20.0 
MDS.  Zum  Klistier. 

Diese  Dosis  kann  unbedenklich  binnen  24  Stunden 
2  mal,  auch  3  mal,  gegeben  werden 

Die  Durchführung  einer  solchen  methodischen  Brom¬ 
behandlung  ist  gewiß  mühevoll,  aber  sie  ist  doch  auch 
dankbar.  Denn  diejenigen  Fälle  von  Epilepsie,  die  nach 
den  angegebenen  Grundsätzen  behandelt,  nicht  zum 
mindesten  sehr  augenfällige  Besserungen  aufweisen,  sind 
recht  selten 


Fortschritte  in  der  Pathologie  und  Therapie 

der  Diphtherie. 

Von  Dr.  Julius  Straus s,  Kinderarzt  in  Mannheim, 
z  Z.  Stabsarzt  am  Reservelazarett  Nürtingen. 

Das  letzte  Jahrzehnt  hat  in  vielen  deutschen  Gross¬ 
städten,  in  Hamburg,  Bremen,  Stuttgart  und  ganz  besonders 
in  der  letzten  Zeit  auch  in  Berlin  ein  Aufflackern  der  in 
den  Städten  ja  jederzeit  glimmenden  Diphtherie-Epidemien 
gebracht,  die  in  mancher  Beziehung  eine  eingehendere 
Beschäftigung  mit  dieser  Erkrankung  und  eine  Revision 
früherer  Ansichten  hervorgerufen  haben. 

Zwar  zu  dem  klinischen  und  pathologischen  Bilde 
der  Diphtherie,  das  seit  Jahrzehnten  feststeht,  konnten 
wenig  neue  Züge  beigebracht  werden,  um  so  mehr 
beschäftigte  sich  die  Forschung  mit  der  nunmehr 
20  Jahre  alten  Serum-Therapie  und  dem,  was  thera¬ 
peutisch  und  klinisch  mit  ihr  zusammenhängt.  Immer¬ 
hin  sind  auch  in  klinischer  und  epidemiologischer 
Beziehung  manche  neue  Tatsachen  in  dieser  letzten 
Zeit  berichtet  worden.  So  wurden  von  verschiedenen 
Seiten  merkwürdige  Lokalisationen  der  Diphtherie 
beobachtet,  die  zwar  nicht  neu,  aber  immerhin  selten 
sind:  Bokav  sah  sie  bei  zwei  Säuglingen  mit  diphtheri- 
tischem  Schnupfen  am  Alveolarfortsatz  des  Oberkiefers 
lokalisiert,  David  beobachtete  eine  primäre  diphtheritische 
Lungenentzündung  bei  einem  9  jährigen  Knaben,  Reiche 
sekundäre  Diphtherie  der  Magenschleimhaut.  Ceelen 
beschreibt  bei  einem  3  jährigen  Mädchen  den  seltenen 
Fall  einer  Ösophagus- Diphtherie ;  andere  sahen  Haut- 
Diphtherien,  die  an  der  Ohrmuschel,  am  Ellbogen  oder 
am  After  sich  festsetzten.  Freifeld  fand  Diphtherie- 
Bazillen  im  Harn  eines  10  Monate  alten  Mädchens  und 
von  besonderem  Interesse  sind  die  pathologisch¬ 
anatomischen  Befunde  Liedkes  (1914  D.  med.  W.  N.  12), 
der  bei  7  Fällen  tödlich  verlaufender  Diphtherie  in 
jedem  Falle  die  Löfflerschen  Bazillen  in  sämtlichen 
untersuchten  Organen  fand,  so  dass  nicht  nur  von 
Intoxikation,  sondern  Allgemein-Infektion  hierbei 
gesprochen  werden  musste. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Besonders  eingehend  wurde  die  Hamburger  Epidemie 
von  Reiche  in  klinischer  und  wie  wir  später  sehen 
werden  auch  in  therapeutischer  Beziehung  verwertet 
(Med.  Klinik  1913  N.  41  u.  a.,  Zeitschrift  für  klinische 
Medizin  1915);  er  sah  von  Oktober  1909  bis  30. 
September  1913  auf  seiner  Krankenhaus-Station  7314 
Diphtheriekranke,  von  denen  886  (mithin  12,1%)  starben; 
unter  diesen  886  Gestorbenen  finden  sich  aber  201 
innerhalb  der  ersten  24  Stunden  zum  Exitus  Gekommene. 
Er  hatte  unter  seinen  7314  Diphtheriekranken  Beteili¬ 
gungen  des  Larynx  insgesamt  863  (wovon  507 
zur  1  racheotomie  und  von  diesen  282  zum  Exitus 
führten),  ferner  diphtheritische  Beteiligungen  der  Nase 
1421,  der  Augen  51,  der  Zunge  und  Lippen  96,  des 
Mittelohrs  8,  der  I  laut  44,  der  Vulva  8.  Nephritis  sah 
er  dabei,  ungerechnet  die  zahlreichen  leichten  Albu¬ 
minurien  242,  darunter  22  mal  bei  seinen  leichten 
(2257)  ballen.  Manche  Komplikationen  sind  verhältnis¬ 
mässig  spärlich  vertreten.  So  berichtet  Knack  (Zeit¬ 
schrift  f.  Infektionsk.  1915)  aus  einem  Jahr  unter  500 
Diphtheriefällen  über  8  Eonsillar- Abszesse,  während 
unter  Reiche  s  zahlreichen  Fällen  sich  nur  1  solcher  (bei 
einer  34  jährigen  brau)  fand.  Bei  Reiche's  schweren 
b ällen  traten  besonders  häufig  (177  mal)  die  Erschei¬ 
nungen  hämorrhagischer  Diathese  auf.  In  einem  Teil 
seiner  bälle  fand  er  unabhängig  von  der  Schwere  der 
Erkrankung  Herpes  facialis  meist  am  3.  Krankheitstag. 
Unter  seinen  7314  Fällen  trat  19  mal  Appendizitis  auf, 
darunter  4  mal  auf  der  Höhe  der  primären  Er¬ 
krankung,  die  übrigen  später.  Er  hält  die  Mitbeteili¬ 
gung  des  Appendix  nicht  von  der  spezifischen  diphthe¬ 
ritischen  Angina  beherrscht,  sondern  von  der  Rachen- 
Entzündung  als  solcher  und  der  sie  begleitenden  Misch¬ 
infektion.  Diese  Beteiligung  des  Wurmfortsatzes  scheint 
im  ganzen  selten  zu  sein,  von  Bagin  sky  in  seiner 
grossen  Monographie  über  „Diphtherie  und"  diphtheri- 
tischer  k roup“  (Wien  1913)  finde  ich  sie  zum  Beispiel 
nicht  erwähnt.  Ich  selbst  sah  vor  einigen  Jahren  bei 
einem  8  jährigen  Jungen,  während  ich  ihn  an  Rachen- 
Diphtherie  behandelte  und  während  noch  Belag  da  war,  eine 
pet  forierende  Appendizitis  auflreten,  die  zur  Operation 
kam  und  ausheilte.  In  dem  Eiter,  der  sich  am  per¬ 
forierten  Appendix  befand  und  von  dem  ich  einen 
Abstrich  dem  Krankenhaus  zur  bakteriologischen 
Untersuchung  übergab,  wurden  von  diesem  Diphtherie- 
Bazillen  festgestellt. 

Interessant  sind  Reiche’s  statistische  Untersuchungen 
über  Mehrfach-Erkrankungen  an  Diphtheritis.  Diese 
sind  ja  längst  bekannt,  aber  im  ganzen  werden  sie  doch 
für  selten  gehalten,  so  dass  noch  manche  Autoren  von 
einer  Immunität  bei  Diphtherie  sprechen,  Unter  m  ein  en 
zahlreichen  Diphtheriepatientchen  war  bis  heute  keines, 
das  ich  zweimal  an  Diphtherie  zu  behandeln  gehabt  hätte; 
wohl  aber  ist  es  mir  ausserordentlich  oft  vorgekommen, 
dass  die  Eltern  erzählten,  das  Kind  habe  früher  schon  öfter 
„einen  Ansatz  von  Diphtherie“,  wie  sie  sich  regelmässig 
ausdrückten,  gehabt,  Fälle,  deren  genaue  Schilderung 
meist  keinen  Zweifel  darüber  Hess,  dass  es  sich  um 
mehr  oder  minder  schwere  Anfälle  lacunärer  Angina 
gehandelt  habe.  Diesem  letzteren  Einwand  begegnet 
Reiche  in  seiner  Aufstellung  in  exakter  Weise  dadurch, 
dass  er  nur  solche  Patienten  berücksichtigt,  die  entweder 
früher  anlässlich  ihrer  diphtheritischen  Erkrankung 
tracheotomiert  worden  waren  oder  in  seiner  Klinik  selbst 
behandelt  und  bakteriologisch  sicher  gestellt  waren. 
Uotz  dieser  Kautelen  kann  er  unter  4761  Diphtherie- 
Fällen  der  Zeit  vom  März  1911  bis  Juni  1913  nicht 
weniger  als  47  V  ieder-Erkrankungen  an  Diphtherie 
nach  einem  Intervall  von  ’/i  bis  vielen  Jahren  feststellen; 
ausserdem  beobachtete  er  aber  noch  171  sichere  Rezi¬ 
dive,  bei  denen  wohl  noch  als  Folgeerscheinung  der  ersten 
Infektion,  aber  nach  Ablauf  ihrer  klinischen  Zeichen 


Nr.  23 


im  Verlauf  eines  Vierteljahrs  eine  Neuerkrankung  der 
ersten  folgte.  Es  ist  von  hohem  Interesse,  dass 
diese  zweite  Erkrankung  gar  keine  gesetzmässige 
Beziehung  zur  ersten  aufwies,  dass  sie  bald  harmloser 
bald  weit  schwerer  als  diese  verlief;  zum  Teil  sogar 
zum  I  ode  führte,  während  die  erste  leicht  verlaufen 
war.  Ein  schützender,  immunisierender  Einfluss  der  ersten 
Erkrankung  auf  die  zweite  ist  nicht  zu  erkennen,  weder 
für  kurze  noch  für  längere  Zeiten.  Die  Mehrzahl  der 
Rezidive  (mehr  als  die  Hälfte  der  Beobachtungen)  trat 
in  der  2.  und  3.  V  oche  ein,  was  den  Gedanken  nahe 
legt,  dass  in  dieser  Zeit  der  Körper  des  Genesenden 
eine  herabgesetzte  Widerstandskraft  zeigt,  während  er 
nach  dieser  Zeit  eine  allmählich  steigende  Abwehr¬ 
fähigkeit  aufweist. 

In  der  Frage  der  Beziehungen  der  F9iphtherie-Er- 
krankungen  zur  sozialen  Lage  sind  die  Ansichten  noch 
recht  geteilte.  Feer  z.  B.  schreibt  in  seinem  Lehrbuch 
1914:  Schmutz  und  Unreinlichkeit  leisten  der  Ver¬ 
breitung  der  Krankheit  Vorschub,  so  dass  sie  die  sauber 
gehaltenen  Kinder  der  Wohlhabenden  weniger  befällt  wie 
das  Proletariat  und  mit  einem  gewissen  Recht  als 
„Schmutzkrankheit“  bezeichnet  wird.  Bei  einem  Ver¬ 
gleich  der  Morbidität  der  einzelnen  Hamburger  Stadt¬ 
kreise  während  der  letzten  Epidemie  mit  ihrem  an  der 
Besteuerung  und  der  Art  der  Wohnungsverhältnisse 
erkennbaren  Wohlstand  oder  Rückstand  kann  Reiche 
diese  Beziehungen  nicht  bestätigen  (Med.  Kl.  1913, 
X,  33  )  Auch  in  den  reichen  Stadtteilen,  die  vorwiegend 
von  Einfamilienhäusern  besetzt,  von  zahlreichen  Gärten 
und  Anlagen  unterbrochen  und  von  vielen  Strassen 
durchzogen  sind,  ist  die  prozentuale  Erkrankungsziffer 
der  Kinder  nicht  geringer  als  in  den  engräumig  bebau¬ 
ten,  die  Mietskasernen  und  Hinterhäuser  aufweisen. 
Es  ist  hier  allerdings  daran  zu  denken,  dass  in  den 
armen  Quartieren  wahrscheinlich  manche  leichteren 
diphtheritischen  Anginen  nicht  zur  ärztlichen  Kenntnis 
und  Statistik  gelangen,  ein  Umstand,  der  vielleichtauch 
von  Einfluss  auf  die  geringere  Mortalitätsziffer  der  Er¬ 
krankten  der  wohlhabenden  Stadtteile  sein  dürfte. 
Übrigens  haben  schon  früher  Abel  in  für  Stockholm, 
Godard  für  Brüssel,  Körösi  für  Budapest  ähnliche  Be¬ 
obachtungen  veröffentlicht,  durch  die  der  geringe  Ein¬ 
fluss  sozialer  Faktoren  für  die  Diphtherie-Erkrankungen 
dargelegt  wurde,  während  Albu  für  Berlin  und  Flügge 
für  Breslau  zu  entgegengesetzten  Resultaten  gekommen 
sind.  Bagin  sky  1.  c.). 

So  sicher  die  Beziehungen  des  von  Löffler  1884 
gefundenen  Bazillus  zur  Ätiologie  der  Diphtherie  sind 
und  so  sicher  der  Satz:  Keine  Diphtherie-Erkrankung 
ohne  Löfflerbazillen  auch  nach  den  neuesten  Forschungen 
gilt,  so  haben  sich  doch  mit  Bezug  auf  diesen  Bazillus 
gerade  in  den  letzten  Jahren  einige  auffallenden  Ergebnisse 
gezeigt.  Zwar  ist  sein  \  orkommen  im  Munde  Gesunder 
schon  seit  langem  bekannt  und  vereinzelt  wurde  er  in 
so  zahlreichen  Fällen  bei  Untersuchung  Gesunder  gefun¬ 
den,  dass  man  direkt  von  seiner  ,,Ubiquität“  sprach  und 
daran  dachte,  dass  zu  ihm  noch  ein  zweites  uns  vor¬ 
läufig  unbekanntes  Moment  hinzutreten  müsse,  um  den 
Ausbruch  der  Diphtherie-Erkrankung  zu  veranlassen. 
Aber  die  Untersuchungsergebnisse  sind  durchaus  nicht 
übereinstimmend.  In  den  Charlottenburger  Schulen 
ergab  der  Abstrich  bei  Gesunden  durchweg  negative 
Befunde;  Dialektoff  fand  1914  unter  69  Zöglingen 
7  Bazillenträger,  im  Kinderheim  unter  37  Untersuchten 
2;  Seligmann  fand  in  den  letzten  Epidemiezeiten  in 
einer  Klasse  von  51  Kindern  9,  in  einer  anderen  von 
46  Schülern  8  als  Bazillenträger.  Die  wichtige  F'rage 
bei  den  positiven  Befunden  ist  die,  ob  es  sich  wirklich 
stets  um  virulente  Diphtherie- Bazillen  oder  nur  um  ihm  ähn¬ 
liche  avirulente  Pseudo-Diphtherie-Bazillen  handelt  Die 
Durchsicht  der  neueren  Literatur  gibt  keine  einheitliche 


Nr.  23 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


223 


Antwort  auf  diese  Frage.  B  u  t  te  r  m  i  1  c  h  (1914  D.  med. 
Woch.  Nr.  12)  stellt  fest,  dass  avirulente  Diphtherie- 
Bazillen  bei  Säuglingen  Vorkommen  (er  fand  sie  bei  16% 
der  Untersuchten),  die  nicht  beachtet  zu  werden  brauchen. 
Zum  Teil  wird  ein  solcher  Unterschied  negiert  und 
die  Übergangsmöglichkeit  der  einen  Form  in  die  andere 
behauptet,  wie  es  schon  früher  Roux  und  Jersin  ge¬ 
lungen  ist,  aus  echten  Diphtherie-Bazillen  avirulente  zu 
züchten,  zum  'Feil  wird  die  Entscheidung  ihrer  Virulenz 
ausschliesslich  durch  den  Tierversuch  für  möglich 
gehalten,  während  andere  angeben,  Diphtherie-  und 
Pseudo-Diphtherie-  Bazillen  durch  Färbung  und  Kultur¬ 
versuche  allein  mit  Sicherheit  unterscheiden  zu  können. 

Diese  scheinbar  theoretischen  Betrachtungen  über  das 
Vorkommen  des  Löffler-  oder  ihm  ähnlicher  Bazillen  bei 
Gesunden  sind  von  ausserordentlicher  Wichtigkeit  für 
die  Prophylaxe  der  Diphtherie.  Sind  alle  Individuen 
mit  derartigen  Befunden  als  infektiös  zu  betrachten  und 
demgemäss  zu  behandeln?  Es  liegt  nach  den  obigen 
Schilderungen  nahe,  praktisch  nur  diejenigen,  deren 
Virulenz  erwiesen  ist,  d.  h.  die  selbst  eine  Diphtherie- 
Erkrankung  durchgemacht  haben,  und  die  Conradials 
Hauptträger  bezeichnet,  als  infektiös  anzusehen,  die 
andern  als  Nebenträger  zu  vernachlässigen;  immerhin 
besteht  Veranlassung,  von  den  letzteren  die  Bazillen¬ 
träger  aus  der  unmittelbaren  Nähe  Diphtheriekranker 
doch  wieder  auszunehmen.  R  i  e  b  o  1  d  (Münchn.  Med. 
W.  1914,  Nr.  17)  schildert  eine  Epidemie  der  Ferien¬ 
kolonie  Fichtenhain,  die  er  mit  grösster  Wahrscheinlich¬ 
keit  auf  Infektion  durch  einen  Bazillenträger  zurückführt. 
Durch  einen  solchen  aus  der  Umgebung  eines  diphtherie¬ 
kranken  Kindes  —  also  einen  Nebenträger  im  obigen 
Sinne  —  wurde  eine  geschlossene  Epidemie  von  9  Fällen 
hervorgerufen,  daneben  entstanden  weitere  7  anscheinend 
gesunde  Bazillenträger.  Immerhin  wird  sich  in  der 
Prophylaxe  die  grösste  Aufmerksamkeit  den  Bazillen¬ 
trägern,  die  selbst  die  Krankheit  überstanden  haben, 
zuwenden  müssen.  Schon  seit  langem  weiss  man, 
dass  Diphtherie-Rekonvaleszenten  noch  wochen-  und 
monatelang  nach  Ablauf  ihrer  Erkrankung  Diphtherie¬ 
bazillen  auf  ihren  Schleimhäuten  beherbergen  und  In¬ 
fektionen  verursachen  können.  Bei  den  allermeisten 
tritt  allerdings  innerhalb  3 — 4  Wochen  eine  Bazilien- 
Befreiung  auf  (nach  Jochmann  in  80  %  nach  3  Wochen), 
aber  bei  manchen  dauert  dies  doch  bis  zu  8  Wochen 
(vielleicht  bei  2 — 3%  so  lange),  bei  einzelnen  sogar 
mehrere  Monate. 

Infolge  dieser  Erfahrungen  hat  man  z.  B.  in  Char¬ 
lottenburg  und  Halle  in  den  letzten  Jahren  die  schul¬ 
ärztliche  Anordnung  getroffen,  dass  kein  Rekonvaleszent 
nach  Diphtherie  zur  Schule  darf,  ehe  2-3maliger 
Rachen- Abstrich  durch  den  Schularzt  ihn  als  bazillen¬ 
frei  erwiesen  hat.  Lbid  man  hat  mit  dieser  Vorsichts- 
massregel  recht  gute  Erfolge  erzielt.  Bachauer  berichtet 
(Münch.  Med.  W.  1914)  über  die  „Diphtherie-Bekämpfung 
in  den  Volksschulen  Augsburgs“.  Er  hat  sämtliche 
Genesenden  von  Diphtherie  und  ihre  Geschwister  vor 
der  Aufnahme  des  Schulbesuchs  einer  bakteriologischen 
Untersuchung  unterzogen,  bei  gehäuftem  Diphtherie-Auf¬ 
treten  in  der  Schule  auch  bei  einfachen  Hals-Entzündungen 
und  wenn  diese  Massregeln  nicht  genügten,  eventuell 
sämtliche  Kinder  der  Klasse.  Auch  Kassowitz  in  Wien 
hat  dieselben  Massnahmen  in  einem  diphtheriever¬ 
seuchten  Kindergarten  mit  gutem  Erfolg  durchgeführt. 
Schliesslich  ist  von  Interesse,  dass  in  der  letzten  Zeit  in 
München  eine  Vorschrift  der  Polizeidirektion  bestimmte, 
dass  Diphtherie-Genesene  erst  nach  zweimaliger  bak¬ 
teriologischer  Untersuchung  wieder  zur  Schule  dürfen, 
eine  Bestimmung,  die  deshalb  notwendig  wird,  weil 
manche  Eltern  sich  nicht  dazu  verstehen  wollen,  ihre 
scheinbar  längst  gesunden  Kinder  immer  noch  von  der 
Schule  zurückzuhalten. 


Um  die  vereinzelt  so  lange  Dauer  der  Persistenz  der 
Diphtherie- Bazillen  zu  beheben  und  die  Rekonvales- 
centen  von  ihren  Bazillen  zu  befreien,  hat  man 
die  verschiedensten  Wege  eingeschlagen.  Die  all¬ 
gemein  üblichen  Gurgelungen  mit  antiseptischen 
Wässern  (Borsäure,  Wasserstoffsuperoxyd,  Kal.  per- 
mangan.,  Formaminttabletten)  oder  das  Aufblasen  von 
Natr,  socojodol,  oder  Pyozyanase  haben  in  hartnäckigen 
Fällen  zu  keinem  Erfolg  geführt ;  auch  die  von  ameri¬ 
kanischer  Seite  empfohlenen  Spraybehandlungen  mit 
Bouillonkulturen  von  Staphylococcus  pvogenes  und  von 
Milchsäure- Bazillen  haben  aus  erklärlichen  Gründen 
wenig  Anhänger  gefunden.  Strauch  empfahl  Jod¬ 
pinselung  des  Rachens  und  der  Mandeln  mit  gewöhnlicher 
Jodtinktur  drei  Tage  hintereinander,  Abel  das  Einblasen 
von  Jod  in  Dampfform,  das  durch  Erhitzen  von  Jodo¬ 
form  gewonnen  wird.  Auch  Pinselungen  mit  bakteri¬ 
zidem  Serum  führten  zu  keinem  Erfolg,  wahrscheinlich 
weil  die  Bäzillen  zum  Teil  im  Sekret  der  Lacunen  der 
Tonsillen  stecken  und  von  hier  zeitweise  an  die  Ober¬ 
fläche  treten.  Aus  diesem  Grunde  hat  man  auch  die 
Tonsillektomie  für  diese  Dauerfälle  empfohlen  und  aus¬ 
geführt  und  sehr  günstige  Resultate  hat  Jochmann  da¬ 
durch  gehabt,  dass  er  die  Mandeln  dieser  Bazillenträger 
täglich  mit  dem  Hartmann’schenTonsillenquetscher  be¬ 
arbeitete  und  die  Patienten  dann  mit  W  asserstoff  gur¬ 
geln  Hess;  es  gelang  ihm  die  Zeit  der  Bazillen- Persistenz 
durch  diese  Massregel  wesentlich  abzukürzen.  Es  steht 
zu  hoffen,  dass  mit  dem  Herauslinden  der  Bazillenträger, 
ihrer  Isolierung  und  mit  der  energischen  Bekämpfung 
ihrer  Infektionskeime  die  Prophylaxe  der  Diphtherie 
weiterhin  gefördert  werden  wird. 

Von  besonderer  Bedeutung  dürften  die  grossen 
Patientenzahlen  der  letztjährigen  Epidemien  für  die 
Beurteilung  des  Wertes  der  Diphtherie  Serum-Thera¬ 
pie  sein;  ihre  Gegner  konnten  auf  die  vor  Einführung  der 
Behring’schen  Therapie  im  Jahre  1895  bereits  begonnene 
Abnahme  der  Diphtherie-Morbidität  und  der  auffälliger¬ 
weise  damit  meist  einhergehenden  Abnahme  der  Letali¬ 
tät  hinweisen.  Besonders  Kassowitz  hatte  in  erster 
Linie  darauf  geglaubt,  dass  die  Statistik  der  Serum- 
Zeit  aus  diesem  Grunde  nichts  Beweisendes  habe.  Und 
es  ist  bemerkenswert,  dass  bei  diesen  ausgedehnten  und 
schweren  Epidemien  der  letzten  Jahre  die  rein  statisti¬ 
schen  Ergebnisse  in  der  Tat  keine  besondere  Beweis¬ 
kraft  für  den  Heilwert  der  Serum-Therapie  bieten. 
Gewiss,  die  Mortalitätsziffer  erreicht  trotz  der  Schwere 
der  Epidemie  z.  B.  in  Hamburg  kaum  die  niedrigste 
Ziffer  der  Vor-Serumperiode,  aber  sie  ist  doch  so  hoch 
(bis  13%),  dass  ein  so  erfahrener  Kliniker  wie  Rumpel 
sich  bei  der  grossen  Diskussion  1909  im  Hamburger 
ärztlichen  Verein  ausserordentlich  skeptisch  über  den 
Wert  der  Serum-Therapie  aussprechen  konnte  und  auch 
Reiche  urteilt  nach  dem  Verlauf  der  Epidemie,  „die  ihm 
seine  bedingungslose  Gläubigkeit  an  den  Erfolg  der 
Serum-Therapie  genommen  habe“:  Die  Serumbehandlung 
konnte  die  nicht  unbeträchtliche  Erhöhung  der 
Sterblichkeitsziffer  der  Diphtherie  nicht  verhindern, 
wiewohl  eine  grosse  Anzahl  der  Patienten  in  Hamburg, 
rund  die  Hälfte  aller  Erkrankungen,  den  Spitälern  zu¬ 
geführt  wurde  und  die  Menge  der  bei  ihnen  verwandten 
Immunitäts  -  Einheiten  gewaltig  gegen  früher  gesteigert 
wurden.  Das  sind  wohl  zu  beachtende  W  orte  der  Kritik, 
die  unsere  Beobachtungen  nur  immer  noch  schärfen 
muss,  wollen  wir  zu  sicheren  Resultaten  gelangen.  W  ir 
wissen,  dass  die  Statistik  nicht  die  verlässige  hührerin 
ist,  als  die  sie  der  Nimbus  der  grossen  Zahlen  er¬ 
scheinen  lässt  und  wir  sind  daher  gewohnt,  unser  Urteil 
in  erster  Linie  aus  unsern  unmittelbaren  Eindrücken  am 
Krankenbett  zu  schöpfen.  Wissen  wir  doch  hei  den 
statistischen  Zahlen  nie,  ob  nun  auch  wirklich  alle  Pa¬ 
tienten  mit  Serum  behandelt  worden  sind  und  nament- 


224  FORTSCHRITTE 


lieh,  ob  dies  rechtzeitig  und  mit  der  erforderlichen  Dosis 
geschah  Hier  hat  in  erster  Linie  die  Beobachtung  am 
einzelnen  Kranken  zu  entscheiden  und  sie  lässt  unsden  gün¬ 
stigen  Einfluss  der  Serum-Behandlungen  unzweifelhaft  er¬ 
kennen.  Noch  nie  ist  es  m  i  r  begegnet,  dass  eine  Rachen¬ 
diphtherie,  die  als  solche  in  Behandlung  kam,  nach  der  Se¬ 
rum-  Behandlung  etwa  noch  auf  den  Kehlkopf  übergegangen 
w  äre,  was  in  der  früheren  Zeit  nicht  allzu  selten  vorkam. 
Selbst  beim  Zuwarten  im  balle  einer  leichteren  oder 
noch  nicht  sicher  erkennbaren  Tonsillar  -  Diphtherie, 
dia  sich  dann  unerwartet  weiter  ausdehnte  —  ich  habe 
in  diesen  Ausnahmefällen  mir  die  tägliche  Grösse  des 
Belags  regelmässig  durch  Skizze  festgehaiten  und  eine 
\  erantwortung  fiir  weiteres  Zuwarten  beim  Fortschreiten 
des  Belags  stets  abgelehnt,  —  ist  durch  etwas  spätere 
Einspritzung  ein  Weiterschreiten  stets  noch  verhindert 
worden;  und  der  bei  solchen  Fällen  meist  innerhalb 
24  48  Stunden  eintretende  Umschwung  der  lokalen 

und  Allgemein  -  Erscheinungen  war  oft  geradezu  ver¬ 
blüffend.  Andererseits  war  m  i  r  von  fast  experimentellem 
Wert  der  ball  eiuer  1  onsillar-Diphtherie  beim  7jährigen 
Jungen  einer  Dame,  die  als  überzeugte  Homöopathin 
die  Serum  -  Behandlung  ihres  Kindes  unter  keinen  Um¬ 
ständen  zuliess.  Der  Fall  ging  zwar  in  Heilung  über, 
ich  erinnere  mich  aber  nicht,  jemals  bei  einem  Fall  mit 
Serum  -  Behandlung  den  lokalen  Prozess  von  einer  ge¬ 
lingen  1  onsilar  -  Diphtherie  aus  so  ungehindert  über 
Gaumen,  Rachen  und  Nase  weiterschreiten  gesehen  zu 
haben  wie  in  diesem  ohne  Serum  behandelten. 

Mit  seiner  grossen  Erfahrung  am  Krankenbett 
während  der  Hamburger  Epidemie  kommt  Reiche  trotz 
aller  Kritik  und  trotz  viel  r  Misserfolge  zu  dem  Resul¬ 
tat,  tür  die  Behandlung  der  Diphtherie  an  der  Serum  - 
Therapie  festzuhalten  und  Much  (Med.  Kl.  1910  Nr.  3), 
der  in  derselben  Epidemie  tätig  war,  kommt  zu  dem 
Schluss :  Die  Anwendung  der  Serum  -  Therapie  und 
zwar  die  möglichst  frühe  hat  einen  ganz  gewaltigen 
I  Ieilwert;  Lenhartz  spricht,  gestützt  auf  seine  Erfahrungen 
in  2800  Fällen,  von  der  Entdeckung  des  Heilserums 
als  der  grossartigsten  Errungenschaft  deutscher 
Forschung  (Hamburger  Diskussion  1909).  Auch  Feer 
mit  seiner  reichen  Erfahrung  nennt  die  Entdeckung  der 
Serum  -  1  herapie  durch  Behring  den  grössten  Triumph 
und  Segen  der  wissenschaftlichen  Therapie,  durch  wel¬ 
che  die  Diphtherie  ihre  Schrecken  grossenteils  ein- 
gebüsst  hat  und  endlich  spricht  B  a  g  i  n  s  k  y  nach  seiner 
aus  7000  Fällen  gewonnenen  Erfahrung  *  seine  Über¬ 
zeugung  dahin  aus,  dass  er  es  für  eine  unverantwortliche 
l  nterlassungssünde  betrachte,  wenn  seitens  eines  Arztes 
die  Serum  -  Behandlung  bei  Diphtherie  abgelehnt  wird. 

Dass  die  Statistik,  die  eine  Zusammenfassung  aller 
Einzelerlahrungen  sein  sollte,  mit  diesen,  selbst  nicht  so 
ganz  übereinstimmen  will,  kann  wie  erwähnt  an 
mancherlei  l  rsachen  liegen,  in  erster  Linie  wohl  darin, 
dass  zur  sicheren  Wirkung  des  Serums  bestimmte  Vor¬ 
aussetzungen  unerlässlich  oder  wenigstens  sehr  wünschens- 
w'ert  sind.  Das  wichtigste  scheint  hier  die  Zeit  der 
Anwendung  zu  sein,  d.  h.  die  Frühzeitigkeit.  Wenn 
die  durch  die  Diphtherie  gebildeten  Toxine  bestimmte 
Schäden  schon  gesetzt  haben,  wenn  sie  sich  einmal 
test  verankert  haben,  dann  kann  die  Hilfe  durchs  Anti¬ 
toxin  olt  nicht  mehr  erfolgen.  Bezeichnend  in  dieser 
Beziehung  erscheint  mir  die  1  atsache,  dass  unter  den 
vielen  Ärzten  und  Krankenschwestern,  die  während  der 
Hamburger  Epidemie  bei  Ausübung  der  Pflege  an 
I  fiphtherie  erkrankten  —  Lenhartz  allein  berichtet  über 
32  derartige  Fälle  —  soweit  ich  ersehen  konnte,  nicht 
einer  der  Krankheit  erlegen  ist ;  das  dürfen  wir  doch 
wohl  ausschliesslich  dem  Umstand  zuschreiben,  dass 
hier  die  Krankheit  in  den  ersten  Anfängen  erkannt 
wurde  und  sofort  die  spezifische  Behandlung  einsetzen 
konnte.  Die  grossen  Statistiken  der  Krankenhäuser, 


DER  MEDIZIN.  Nr.  23. 


die  mit  Sicherheit  beweisen,  dass  mit  jedem  früheren 
Lag  der  Einspritzung  vom  ersten  Krankheitstag  an 
gerechnet  die  Prozentzahl  der  Geheilten  ganz  wesent¬ 
lich  steigt,  wird  auch  durch  die  Hamburger  Statistiken 
vollkommen  bestätigt;  indes  hebt  Reiche  mit  Recht 
hervor,  dass  dieses  Zahlenverhältnis  neben  den  Ver¬ 
zügen  früherer  Krankenhausbehandlung  überhaupt 
wesentlich  auch  dadurch  bedingt  ist,  dass  die  am  ersten 
Krankheitstag  ins  Krankenhaus  Aufgenommenen  neben 
schweren  auch  alle  leichten  Fälle  enthalten,  während  die 
späteren  Aufnahmen  eben  bereits  gesiebt  sind,  d.  h.  im 
wesentlichen  schwerere  Fälle  enthalten.  Dieser  hier 
ganz  offenkundige  Mangel  der  Statistik  fällt  jedoch  bei 
der  Beobachtung  in  der  Praxis  weg,  die  in  gleicher 
Weise  die  leichten  und  schweren  Fälle  zum  Vergleich 
bekommt,  und  auch  diese  bestätigt  den  Satz,  dass  die 
Wirkung  des  Serums  umso  prompter  ist,  je  früher  sie 
einsetzt. 

Die  Art  der  Serum-Anwendung  ist  schon  auf  die 
verschiedenste  Weise  versucht  worden.  Man  hat  das 
Serum  einfach  als  Arznei  oral  oder  im  Klysma  verab¬ 
reicht,  allein  mit  durchaus  wenig  ermutigendem  Erfolge, 
wenn  auch  Gumberleege  (191  1  in  einer  englischen  Zeit¬ 
schrift)  wieder  in  4  jähriger  praktischer  Anwendung  recht 
gute  Erfolge  damit  gehabt  haben  will.  Dagegen  erscheint 
eine  neben  der  sonstigen  Applikation  von  Lorey  aus 
dem  Eppendorfer  Krankenhaus  berichtete  (Med.  Klinik 
1912,  Nr.  26)  lokale  Anwendung  des  Serums  besonders 
mittels  Spray’s  auf  Rachen  und  Kehlkopf  lebhafte  Be¬ 
achtung  zu  verdienen,  da  der  Autor  von  entschieden 
günstiger  Beeinflussung  berichten  kann.  Die  Ilaupt- 
anwendungsform  bleibt  aber  immer  die  direkte  Einver¬ 
leibung  sei  es  subkutan,  intramuskulär  oder  intravenös. 
Die  in  der  Praxis  am  häufigsten  angewandte  ist  sicher 
noch  heute  die  subkutane,  wie  sie  von  Anfang  empfohlen 
wurde  und  ich  habe  mit  ihr  durchaus  günstige  Erfah¬ 
rungen  in  bezug  auf  ihre  Beeinflussung  des  lokalen  Pro¬ 
zesses  und  des  allgemeinen  Befindens  gemacht  Allein 
einige  neuere  Forschungen  lassen  doch  bestimmte  Vor¬ 
züge  der  intramuskulären,  vielleicht  auch  der  intravenösen 
für  manche,  insbesondere  für  schwerere  Fälle  annehmen. 
Es  ist  einleuchtend,  dass  es  nicht  darauf  ankommt, 
eine  bestimmte  Antitoxin-Menge  einzuführen,  sondern 
das  Antitoxin  möglichst  rasch  an  das  im  Blut  kreisende 
Toxin  heranzubringen,  womöglich  ehe  dasselbe  seine 
Schäden  am  Herzen  oder  den  Nerven  hat  anrichten 
können.  Nun  haben  Untersuchungen  Morgen  roths 
und  Levys  1911  ergeben,  dass  nach  Injektion  des  Serums 
in  die  Muskulatur  nach  etwa  4 — 5  Stunden  die  5  bis 
20  fache  Menge  von  Antitoxin-Einheiten  resorbiert  war, 
als  dies  nach  subkutaner  Einverleibung  der  Fall  ist.  Die 
Resorption  von  der  Muskulatur  her  ist  eben  durch  den 
Reichtum  an  Lymphgefässen  eine  bessere  als  von  der 
Haut  her.  Da  diese  Art  der  Applikation  nicht  schwie¬ 
riger  und  vor  allem  nicht  schmerzhafter  für  den  Patienten 
ist  als  die  subkutane  und  in  gleicher  Weise  wie  diese 
am  besten  an  der  Aussenseite  des  Oberschenkels  vor¬ 
genommen  werden  kann,  dürfte  es  sich  mit  Rücksicht 
auf  diese  Erkenntnisse  empfehlen,  in  der  Praxis  künftig 
diese  intramuskuläre  Injektion  statt  der  bisher  geübten 
subkutanen  vorzunehmen.  Am  raschesten  geht  natürlich 
die  Neutralisation  des  Toxins  durch  das  Antitoxin  bei 
der  intravenösen  Injektion  vor  sich.  Allein  für  die  allge¬ 
meine  Praxis  hat  diese  doch  gewisse  Bedenken.  Eine 
intravenöse  Injektion  bei  einem  schwer  erkrankten  Kinde 
ist  immerhin  ein  Eingriff,  den  man  nicht  leichten  LIerzens 
vornehmen  wird,  zumal  da  bei  Kindern  hierzu  sehr  häufig 
die  Freilegung  der  Vene  erforderlich  ist  und  auch  der 
Karbolgehalt  des  Serums  bei  grösseren  Dosen  hierbei 
wohl  nicht  gleichgültig  sein  kann.  Durch  die  Unter¬ 
suchungen  Morgenroths  ist  zudem  festgestellt,  dass  nach 
intravenöser  Einverleibung  das  Serum  rascher  wieder 


Nr.  23. 


FORTSCHRITTE  OER  MEDIZIN. 


99- 


aus  dem  Blute  verschwindet  und  das  ist  gewiss  von 
Bedeutung,  solange  vom  lokalen  Prozess  aus  noch  neue 
Toxin-Nachschübe  zu  erwarten  sind;  im  Gegensatz  hier¬ 
zu  bleibt  bei  der  intramuskulären  Injektion  immer  noch 
ein  gewisses  Depot  i.i  Reserve.  Immerhin  wird  man 
in  besonders  schweren  Fällen  zur  intravenösen  Appli¬ 
kation  greifen  können;  Fette  (Med.  Kl.  1909  Nr.  50) 
berichtet  davon  Günstiges,  wenn  er  auch  noch  nicht  ab¬ 
schliessend  über  ihren  Vorzug  vor  der  subkutanen  In¬ 
jektion  in  schweren  Fällen  urteilen  will.  Alber  (Jahrb. 
f.  Kinderheilkunde  1914,  Bd.  80),  der  über  die  auch  in 
Bremen  in  den  letzten  Jahren  auftretende  Epidemie  be¬ 


richtet,  glaubt  bei  intravenöser  Applikation  raschere  und 
zuverlässigere  Resultate  gesehen  zu  haben  als  bei  intra¬ 
muskulärer.  Aus  den  oben  erwähnten  theoretischen  Er¬ 
wägungen  heraus  endlich  empfiehlt  Seidel  (Münchn. 
Med.  W.  1915  Nr.  36)  die  gleichzeitig  ausgeführte  intra¬ 
venöse  und  intramuskuläre  Injektion,  von 'welchem  kom¬ 
binierten  Verfahren  er  die  besten  Erfolge  hatte.  Es  soll 
jedoch  nicht  verschwiegen  werden,  dass  eine  Reihe  von 
Autoren  durch  die  intravenöse  Applikation  keine  wesent¬ 
lich  besseren  Erfolge  erzielte  als  durch  die  früher  ge¬ 
übten.  .  Fortsetzung  folgt. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Zur  Wirkung  intern  gereichten  Jods  auf  die 

Hoden. 

Von  Stabsarzt  a.  D.  Dr.  Gru  m  m  e 

II  u  f  e  1  a  n  d  sprach  seiner  Zeit  die  Vermutung 
aus,  dass  die  Hoden  durch  Jodkuren  atrophieren  können. 
F  r  i  e  d  r  i  c  h  sagte  1913  auf  dem  Chirurgenkongress, 
Kinder  könnten  durch  lange  Joddarreichung  dauernd 
steril  werden.  Seither  wurde  die  Frage  experimentell 
untersucht.  Durch  subkutane  Injektion  ver¬ 
schiedener  Jodpräparate,  auch  Jod¬ 
ei  w  e  i  s  s  ,  erzielten  sowohl  Adler  wie  auch  M  a  - 
j  e  r  u  s  ,  ersterer  stets,  letzterer  nur  in  einzelnen  Fällen, 
bei  Tieren  vorübergehende  Sterilität,  die,  ausser  wenn 
Jodkali  benutzt  wurde,  mit  völligem  Hodenschwund  und 
Azoospermie  einherging.  Durch  Verfüttern  von  Jodfett 
machten  Lo  eb  und  Z  ö  p  p  r  i  t  z  Mäuse  steril,  ohne 
entsprechenden  objektiven  Befund. 

Verfasser  verfütterte  an  einen  Kaninchenbock 


während  zweier  Monate  Jodeiweiss  (Jodtropon) 
in  ganz  ausserordentlich  hohen  Gaben ,  welche  die  von 
Adler  unter  die  Haut  gespritzten  um  das  vielfache 
übertrafen.  Es  trat  binnen  viermonatiger  Beobachtungs¬ 
zeit  kein  Hodenschwund  ein ,  während  solcher  bei 
Adlers  Jodeiweisseinspritzungen  in  wenigen  Tagen 
sich  einstellte. 

Die  verfütterten  Joddosen  betrugen  bis  zu  60  Ta¬ 
bletten  Jodtropon  ä  0,05  Jod  =  3  g  Jodum  purum  pro 
die,  eine  für  ein  Tier  von  5  Pfund  Gewicht  überaus 
grosse  Menge.  In  Form  von  Jodkali  hätten  schon 
kleinere  Dosen  das  Tier  getötet.  Es  ist  interessant, 
dass  trotzdem  eine  Hodenschädigung  nicht  beobachtet 
wurde.  Man  darf  vermuten,  dass  die  parenterale  Jod¬ 
einverleibung  in  ihrer  Wirkung  mit  der  oralen  Dar¬ 
reichung  nicht  übereinzustimmen  braucht.  —  Die  Ver¬ 
suche  sollen  fortgesetzt  werden.  (Arch.  f.  exp.  Path.  u. 
Pharm  ,  Bd.  79,  II.  5/6).  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

E.  F  1  a  t  a  u  und  J.  Handels  m  a  n  n.  Experimen¬ 
telle  Untersuchungen  zur  Pathologie  und  Therapie  der  Me¬ 
ningitis  cerebrospinalis  epidemica.  (Ztsehr.  f.  d.  ges.  Neurol. 
u.  Psysch.,  Bd.  31,  Heft  1—3,  S.  1  191 6).  Ref.  W.  M  i  s  c  h. 

An  Hunden  wurden  sehr  ausgedehnte  Versuche  angestellt, 
die  einerseits  die  Erzeugung  einer  experimentellen  Cerebro - 
spinalmeningitis  und  andererseits  die  Behandlung  derselben  be¬ 
zweckten.  Die  Versuche  wurden  auf  dem  Wege  der  Lumbal¬ 
punktion  ausgeführt,  und  zwar  wurden  einerseits  pyogene 
Bakterien  (Streptokokken,  Staphylokokken),  andererseits  die  die 
sogen.  Genickstarre  erzeugenden  Bakterien  (Weichselbaumscher 
Meningokokkus  und  Fränkelscher  Pneumokokkus)  angewandt. 
Zu  therapeutischen  Zwecken  wurden  Antipneumokokkenserum, 
chemische  Mittel  (Urotropin,  Metallpräparate)  und  chirurgische 
Eingriffe  (Trepanation  mit  nachfolgender  Durchspülung  des 
Zentralnervensystems)  angewandt  Im  ganzen  wurde  an  72 
Hunden  experimentiert,  wobei  das  Zentralnervensystem  fast 
sämtlicher  Tiere  nachfolgend  mikroskopisch  untersucht  wurde. 

Während  die  Versuche  mit  virulenten  Strept.o-  und  Staphy¬ 
lokokken  weder  klinisch  noch  pathologisch-anatomisch  nennens¬ 
werte  Erscheinungen  ergaben,  liess  sich  durch  die  intralumbale 
Injektiou  von  Meningokokken  eine  schwache  Entzündung  der 


Hirn-  und  Rückenmarkshäute  erzeugen;  dabei  waren  klini¬ 
sche  Erscheinungen,  ausser  deutlichen  Alterationen  des  Liquors, 
fast  gar  nicht  vorhanden,  so  dass  also  histologische  Alteratio¬ 
nen  weit  deutlicher  auftraten,  als  dies  nach  den  klinischen  Er¬ 
scheinungen  anzunehmen  war.  Eine  deutlichere  Genickstarre¬ 
erkrankung  wies  der  Hund  bei  Infektionen  mit  Pneumokokken 
auf.  Hierbei  fand  sich  der  auch  beim  Menschen  häufig  be¬ 
obachtete  Vorgang,  dass  die  klinischen  Erscheinungen  spurlos 
verschwinden  können,  so  dass  die  Kranken  ihre  frühere  Lebens¬ 
weise  wieder  aufnehmen,  während  der  Liquor  cerebrospinalis 
trotzdem  noch  längere  Zeit  Pleozytose  aufweist.  Der  Krank¬ 
heitsverlauf  der  Genickstarre  der  Hunde  war  ein  ganz  ver¬ 
schiedener:  In  einigen  Fällen  verlief  die  Erkrankung  blitzartig 
in  15-17  Stunden;  in  anderen  Fällen  waren  die  Anfangser¬ 
scheinungen  unbedeutend,  während  später  plötzlich  und  sehr 
rasch  akute,  zum  Tode  führende  Symptome  auftraten  ;  wieder 
andere  Fälle  zeigten  in  den  ersten  Tagen  akute,  sehr  deut¬ 
liche  Erscheinungen,  denen  später  eine  sukzessive  Besserung 
bis  zur  völligen  Genesung  folgte ;  in  andern  Fällen  war  der 
Verlauf  ein  äusserst  chronischer,  und  in  andern  Fällen  end¬ 
lich  waren  gar  keine  deutlichen  Krankheitserscheinungen  vor¬ 
handen,  und  doch  kam  es  progressiv  zu  einer  immer  stärkeren 
Abmagerung,  Kachexie,  und  nach  einigen  Wochen  zum  Exitus. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  23. 


226 


Pathologisch-anatomisch  fanden  sich  hei  den  Pneumo¬ 
kokkentieren  je  nach  der  Zeit,  in  der  sie  nach  der  Injektion 
getötet  wurden,  mehr  oder  weniger  starke  Infiltrationen  der 
Rückenmarks-  und  der  Hirnhäute,  sowie  grosse  Schwärme  von 
Pneumokokken  nicht  nur  in  den  Hirnhäuten  selbst,  sondern 
auch  in  den  in  die  Rinde  eindringenden  Gefässeo  bis  in  die 
tiefen  Rindenschichten.  Bei  den  mit  Serum  behandelten  Tieren 
fand  sich  zwar  eine  Verzögerung  der  Meningitis,  aber  ein 
Aufhalten  des  Prozesses  liess  sich  nicht  erzielen ;  nur  bei 
einer  Serie  von  Tieren,  die  drei-  bis  sechsmal  mit  je  100 
Einheiten  gespritzt  worden  waren,  wurde  beobachtet,  dass  die 
in  dieser  Weise  behandelten  Hunde  der  Meningitis  nicht  erlagen 
während  die  Kontrolltiere  an  derselben  krank  winden  und 
starben.  Am  stärksten  war  der  entzündliche  Vorgang  im 
Gehirn  stets  an  den  einander  zugekehrten  Windungsflächen 
und  folglich  in  den  Furchen  ausgeprägt.  Die  Meningenin¬ 
filtration  bestand  anfangs  überwiegend  aus  Leukozyten,  später 
waren  Leukozyten  und  Lymphozyten  zu  etwa  gleichen  Teilen 
beteiligt.  Die  Veränderungen  der  Hirnsubstanz  selbst  waren 
bei  den  verschiedenen  Fällen  verschiedene;  während  in  einigen 
Fällen  die  Rindenzellen  ganz  unverändert  waren,  fanden  sich 
in  anderen  Entzündungsherde  (Encephalitis  corticalis)  nebst 
der  sog.  diffusen  Rindeninfiltration,  wobei  die  Infiltration  kei¬ 
nen  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  den  Gefässen  zeigte; 
in  einzelnen  Fällen  fanden  sich  lokalisierte  Abszesse  sowohl 
im  Gehirn  wie  im  Rückenmark.  Insbesondere  Hessen  sich 
Rückenmarksabszesse  sehr  häufig,  nämlich  in  8  von  31  Fällen, 
in  denen  eine  Meningitis  cerebrospinalis  experimentell  erzeugt 
wurde,  beobachten ;  es  werden  drei  verschiedene  Typen  dieser 
experimentellen  Rückenmarksabszesse  unterschieden  ,  nämlich 
die  Erweichungsabszesse,  die  durch  Erweichung  der  Hinter¬ 
stranggegend  und  zuweilen  auch  der  grauen  Substanz  entstehen, 
dann  die  Zentralkanalabszesse,  bei  denen  der  ganze  Zentralkanal 
mit  Eiter  erfüllt  ist,  und  die  Blockabszesse,  die  den  Zentralkanal 
en  masse,  samt  seiner  unmittelbaren  Umgebung,  einnehmen 
und  die  Gestalt  einer  kompakten  Eitermasse  zeigen,  in  der 
die  Konfiguration  des  Zentralkauals  verschwindet.  Diese  Abs¬ 
zesse  fanden  sich  nur  in  solchen  Fällen,  in  denen  eine  starke 
Meningeninfiltration  vorlag,  sie  entstehen  aber  nicht  durch 
direkten  Übergang  der  Entzündung  von  den  Häuten  auf  das 
Zentralgewebe,  sondern  infolge  eines  gewaltigen  Entzündungs¬ 
vorganges  in  den  Gefässen;  sie  lagen  stets  in  der  Sagittallinie 
des  Rückenmarksquerschnittes,  und  die  Infiltration  bezog  sich 
stets  auf  die  in  der  vorderen  Furche  (Art  spinalis  ant.  und 
deren  Fortsetzung  Art.  sulci)  oder  im  hinteren  Septum  ver¬ 
laufenden  Gefässe  (Art.  sulci  post.).  In  diesen  Fällen  beson¬ 
ders  liess  sich  häufig  das  Phänomen  einer  leukozytären  Neu- 
rophagie  beobachten,  und  Verfass,  sind  der  Überzeugung, 
dass  die  von  ihnen  experimentell  bei  Pneumokokkenmeuingitis 
erzeugte  Neurophagie,  und  speziell  die  leukozytäre,  eine  aktive 
die  Vernichtung  der  Nervenzellen  bezweckende  Erscheinung 
darstellt.  Hinsichtlich  der  Bakterien  selbst  wurde  festgestellt, 
dass  schon  eine  Stunde  nach  der  intravertebralen  Pneumo¬ 
kokkeninjektion  mikroskopisch  sowohl  im  Rückenmark,  wie 
auch  im  Gehirn  und  Kleinhirn  Pneumokokken  nachweisbar  sind. 

Endlich  werden  noch  die  Resultate  der  therapeutischen 
Massnahmen  besprochen  Hinsichtlich  der  Behandlung  mit  Anti¬ 
pneumokokkenserum  ergab  sich,  dass  die  wiederholten  Ein¬ 
spritzungen  von  Antipneumokokkenserum  den  weiteren  Fort¬ 
schritt  der  cerebrospiualen  Pneumokokkenmeningitis  hemmen, 
dass  die  Fortschrittshemmung  der  Meningitis  desto  länger  an¬ 
hält,  je  früher  die  Serumbehandlung  begonnen  wird,  und  dass 
Genesung  erzielt  werden  kann,  wenn  die  Behandlung  recht¬ 
zeitig  und  systematisch  durchgeführt  wird.  Hinsichtlich  der 
Urotropinbehandlung  führten  die  gemachten  Beobachtungen 
zu  den  Schlüssen,  dass  das  prophylaktisch  per  os  bei  Hunden 
angewandte  Urotropin  möglicherweise  auf  den  entzündlichen 
Vorgang  in  den  Häuten  hemmend  ein  wirkt,  dass  das  subkutan 
und  das  intravertebral  verabreichte  Urotropin  dagegen  keine 
spezielle  Wirkung  auf  den  Verlauf  des  entzündlichen  Vor¬ 
gangs  ausübt,  und  das  endlich  das  intra vertebral  benutzte  For¬ 
malin  ein  zu  schmerzhaftes  Mittel  darstellt,  um  bei  der  Me¬ 
ningitisbehandlungbenutzt  zu  werden.  Aus  den  Versuchen  mit 
Siberpräparaten  und  mit  Durchspülung  der  Subarachnoidalräume 
Hessen  sich  keine  sicheren  Schlüsse  ziehen.  Misch. 


M.  B  o  r  n  s  t  e  i  n.  Experimentelle  und  pathologisch¬ 
anatomische  Untersuchungen  über  die  Kompression  des  Rücken¬ 
marks.  (Ztschr.  f.  d  ges.  Neurol.  u.  Psych.,  Bd.  31,  Heft. 
1-3,  S-  184.  19 IG'. 

Zur  Erzielung  einer  Riickenmarkskumpression  wurden  in 
30  Versuchen  Hunden  Laminariastäbchen  und  andere  Fremd¬ 
körper  zwischen  Dura  und  Wirbel  eingefiibrt,  wo  sie  einige 
Minuten  bis  eine  Woche  oder  bis  zum  Tode  belassen  wurden. 
Es  handelte  sich  darum,  das  Wesen  des  anatomischen  Vor¬ 
ganges  der  Rückenmarkskompression  selbst  besser  zu  erleuchten 
durch  Anwendung  von  neuesten  mikroskopischen  Untersuchungs¬ 
methoden  und  die  Frage  der  Spezifität  der  beobachteten  Ver¬ 
änderungen  für  die  Kompressionsvorgänge  zu  untersuchen. 
Weiter  wurde  versucht,  das  Verhältnis  zwischen  den  histologi- 
sehen  Veränderungen  und  der  Nervenfunktion  festzustellen. 
Daraus  entstand  eine  Frage  von  prinzipieller  Bedeutung,  und  zwar 
ob  bei  Anwendung  der  neuesten  histologischen  Untersuchungs¬ 
methoden  derjenige  Zustand  der  Gewebe  festzusetzen  sei,  der 
dem  aktiven  oder  inaktiven  Zustande  des  Organs  entspricht. 

Die  beobachteten  histologischen  Veränderungen  waren 
folgende:  Bei  einer  kurz  dauernden  Kompression  tritt  meistens 
eine  Erweiterung  des  Zentralkanals,  nebst  Oedem  des  Nerven¬ 
gewebes  auf  (künstlich  ?)  die  Häute  weisen  in  solchen  Fällen 
keine  pathologischen  Alterationen  auf.  Bei  länger  andauernder 
Kompression  erleiden  die  Nervenzellen  eine  bald  stärkere,  bald 
schwächere  Chromatolyse;  es  stellt  sich  eine  Proliferation  der 
Gliazellen  ein,  in  der  weissen  Substanz  setzt  eine  immer  stär¬ 
ker  werdende  Quellung  der  Achsenzylinder  an  ;  einige  der¬ 
selben  unterliegen  allmählich  einem  Zerfall  und  Atrophie.  Auch 
schreitet  die  Proliferation  der  Glia  fort.  Es  entstehen  spezielle 
Typen  von  Gliazellen-Myeloklasten  und  -Myelophagen,  die  die 
Reste  der  zurückgebliebenen  Nervenfasern  in  sich  aufnehmen 
und  dieselben  zu  Fett  verarbeiten.  Bei  noch  längerem  An« 
halten  der  Kompression  pflegt  gewöhnlich  eine  Duralverdickung 
in  Form  von  Bindegewebshyperplasie  einzutreten  (bei  nor¬ 
malem  Aussehen  der  Pia),  wobei  das  Nervengewebe  selbst 
einem  stärkeren  Zerfall  unterliegt:  die  Rückenmarksstruktur 
wird  gänzlich  verschwommen,  die  Nervenzellen  verkümmern 
meistens,  und  die  erhaltenen  weisen  öfters  bedeutende  Atrophie¬ 
veränderungen  auf  (mitunter  vollständige  Chromatolyse,  laterale 
Kernlage),  die  Fasern  quellen  zu  ungeheuren  Dimensionen  an, 
verkümmern  endlich  ganz,  und  an  ihrer  Stelle  vermehren  sich  die 
gliogenen  Zellen,  die  Reste  von  Faserzerfall  in  Gestalt  von 
Fett  enthalten,  welches  durch  dieselben  Zellen  den  Blutge- 
fassen  zugeführt  wird.  Die  Gefässe  selbst  beginnen  zu  proli- 
ferieren,  mitunter  kommt  es  zur  sogenannten  Auflösung  der 
Gefässe:  die  immer  mehr  proliferierenden  Endothelial-  und 
die  Adventitiazcllen  überschreiten  endlich  die  Gefässe  und 
kommen  zwischen  andern  Zellen  zu  liegen  ;  es  entsteht,  ein 
Chaos,  in  dem  öfters  die  Zellen  eines  Typus  von  anderen 
kaum  zu  unterscheiden  sind.  —  Somit  liegt  bei  der  Rücken¬ 
markskompression  ursprünglich  ausschliesslich  eine  mechanisch 
erzeugte  Stauung  der  Lymphe  des  Blutes  und  der  Zerebrospi¬ 
nalflüssigkeit  vor,  wodurch  ein  Oedem  des  Nervengewebes 
herbeigeführt  wird,  Erst  wenn  das  längere  Zeit  andauernde 
Oedem  zu  einer  mehr  ausgedehnten  Atrophie  der  Nervenele- 
mente  (.Fasern,  Zellen)  zu  führen  beginnt,  setzt  eine  Gliapro- 
liferation,  Bildung  von  Gliazellen  von  einem  besonderen  Typus 
ein;  endlich  kommt  es  zu  einer  Zellenproliferation  in  den 
Gefässwänden,  und  es  entsteht  dann  eine  Reaktionsentzündung, 
die  als  eine  sekundäre  Erscheinung  aufzufassen  ist. 

Ein  Vergleich  der  histologischen  Veränderungen  mit  der 
Nervenfunktion  ergab,  dass  der  Zustand  der  Nervenfunktion 
sich  nicht  parallel  den  anatomischen  Veränderungen  verhielt. 
Es  kann  die  Funktion  aufgehoben  werden,  trotzdem  keine 
sichtbaren,  ernsteren  Veränderungen  des  Nervengewebes  er¬ 
mittelt  werden  können ;  auf  der  anderen  Seite  können  die 
histologischen  Veränderungen  ganz  deutlich  zum  Vorschein 
kommen,  es  kann  Atrophie  zahlreicher  Fasern  festgestellt 
werden,  es  entstehen  Lücken  in  der  weissen  Substanz,  ohne 
dass  dadurch  die  Funktion  deutlich  beeinträchtigt  zu  werden 
braucht.  Es  ist  dies  eine  Tatsache  von  prinzipieller  Bedeu¬ 
tung,  die  den  Schluss  erlaubt,  dass  es  mit  Hilfe  der  bisherigen 
mikroskopischen  Untersuchungsmethoden  unmöglich  ist,  be¬ 
stimmte  anatomische  Veränderungen  im  Nervengewebe  zu  er- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


22  7 


Nr.  23. 


mittelu,  die  den  Fuuktionsausfall  hei  Kompressionsvorgängen 
erklären  können.  Mise  h. 

S  t  e  r  t  z.  Beiträge  zu  den  posttyphösen  Erkrankungen 
des  Zentralnervensystems.  (Ztschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  u  Psych., 
Bd.  30,  H.  4/5,  S.  533.  1916). 

Es  werden  17  Fälle  von  verschiedenartigen  postt}rphösen 
Erkrankungen  des  Zentralnervensystems  kurz  mitgeteilt.  Bei 
dem  ersten  Fall  fand  sich  nach  Typhus  eine  zerebrale  Hemi¬ 
parese,  die  auf  Embolie  zurückgeführt  wird.  Ein  zweiter  Fall 
wies  die  Symptome  einer  unvollständigen  Querschnittsmyelitis 
in  Höhe  des  5.  und  6.  Dorsalwirbels  auf,  wobei  nicht  zu  ent¬ 
scheiden  war,  ob  die  Beteiligung  dieser  Wirbel  nur  eine  sekundäre 
war  oder  ob  ein  primär  spondylitischer  Prozess  auf  das  Mark 
übergegriffen  hatte  ;  jedenfalls  wiesen  die  anfänglich  erheblichen 
Neuralgien  im  Rücken  und  der  oberen  Bauchgegend  auf  eine 
Beteiligung  der  hinteren  Wurzeln  hin  Der  dritte  Fall  zeigte 
nach  Typhus  einen  Verlust  des  Geschmacks  und  Geruchs;  da 
sich  daneben  noch  Störungen  der  Trigemini  und  Acustici  und 
leichtere  Affektionen  der  Occipitales  und  der  grossen  Nerven- 
stämme  an  den  Beinen  nachweisen  Hessen,  so  wird  hier  die 
Anosmie  und  Ageusie  als  die  Begleiterscheinung  einer  Polyneuritis 
mit  einer  dominierenden  Lokalisation  in  den  betreffenden 
Nerven  aufgefasst;  die  Prognose  der  Geschmacks-  und  Ge¬ 
ruchslähmung  erscheint  angesichts  der  langen  Dauer  nicht 
günstig.  Bei  dem  4.  Fall  trat  eine  beiderseitige  Abduzensparese 
mit  anderen  Resten  cerebrospinaler  Symptome  besonders  hervor, 
die  auf  eine  Typhusraeningitis,  durch  die  der  leichtverletzliche 
Abduzens  geschädigt  worden  ist,  zurückgeführt  werden.  Die 
nächsten  drei  Fälle  betrafen  eine  hysterische  Pseudodemenz, 
einen  Stuporzustand,  der  die  Differentialdiagnose  zwischen  Hebe- 
phrenie  und  ueurasthenisehem  Erschöpfungszustand  offen  Hess, 
und  eine  schwere  Hysterie  nach  Typhus.  Es  folgen  eine 
ganze  Anzahl  von  Fällen  mit  polyneuritischen  Symptomen,  die 
nach  Typhus  in  leichterem  Grade  sehr  häufig  sind,  aber  auch 
schwere  Erscheinungen  hervorbringen  können ;  besonders  häufig 
scheint  der  Ulnaris  betroffen  zu  werden  Bei  zwei  dieser 
Fälle  war  gleichzeitig  eine  Myelitis  vorhanden  mit  Muskelatrophien, 
spinalen  Seusibilitätsstörungen  und  spastischen  Reflexen;  ein 
anderer  dieser  Fälle  wies  in  der  vorgeschrittenen  Typhus¬ 
rekonvaleszenz  ganz  akute  Neuritissymptome  auf,  unter  denen 
eine  Ataxie  der  Beine  das  Bild  derartig  beherrschte,  dass  es 
äusserlich  einer  schweren  Tabes  ähnlich  war.  Ganz  besonders 
häufig  wurden  trophische  Störungen  nach  Typhus  beobachtet, 
insbesondere  Haarausfall  und  Wachstumsstörungen  der  Nägel. 
Ein  Fall  zeigte  das  Krankheitsbild  der  Syringomyelie,  dessen 
Entstehung  nicht  ganz  klar  ist;  vielleicht  war  eine  Hämatomyelie 
der  Medulla  cervicalis  und  oblongata  eingetreten  oder  es  be¬ 
stand  schon  vorher  eine  latente  Syringomyelie,  die  durch  die 
toxisch-infektiösen  Schädigungen  manifest  wurde.  Weiter  werden 
noch  drei  Fälle  angeführt,  bei  denen  sich  auf  der  Basis  eiuer 
degnerativ-psjxhopathischen  Konstitution  funktionelle  Störun¬ 
gen  nach  dem  Typhus  einstellten:  bei  dem  einen  stellte  sich 
ein  schwerer  neurasthenischer  Zustand  mit  zahlreichen  Anfällen 
von  Flimmerskotom  und  passagerer  einseitiger  Hemianopsie 
ein ;  ein  anderer  Patient  wies  eigenartige  Mitbewegungen  der 
Extremitäten  auf ;  und  bei  einem  letzten  Fall  traten  inter¬ 
mittierende  Auffassungs-  bezw.  Hörstörungen  nach  Typhus  auf, 
die  als  funktionell-neurasthenische  Erscheinungen  aufgefasst 
wurden. 

Das  Material  stammt  aus  dem  Typhusgenesungsheim 
in  Spa.  W.  Misch,  Berlin. 


Medikamentöse  Therapie. 

Buccosperin. 

In  dem  Buccosperin  besitzen  wir  für  die  interne  Be¬ 
handlung  der  Krankheiten  der  Harnwege  ein  ideales  Heil¬ 
mittel,  das  seine  Wirksamkeit  einer  mit  Vorbedacht  gewählten 
Kombination  von  Balsamicum,  Diureticum  und  Harnantisep- 
ticum  verdankt.  Das  Prinzip  der  Kombination  ist  in  der  Me¬ 
dizin  uralt;  bereits  in  der  Rezejffur  der  alten  Ärzte  finden 
wir  eine  besondere  Vorliebe  für  lange  Kombinationsrezepte, 
die  zweifellos  einer  durch  praktische  Erfahrung  geschärften 
Beobachtungsgabe  entsprungen  ist.  Wissenschaftlich  begründet 


wurde  diese  Kombinationstherapie  durch  E  h  r  1  i  c  h  und 
B  ü  r  g  i  Der  grosse  Wert  dieser  Kombinationstherapien  liegt 
darin,  dass  wir  bei  Kombination  mehrerer  Arzneistoffe  mit 
minimalen  Dosen  das  gleiche  oder  mehr  erzielen,  als  in  der 
Einzel  Verordnung  selbst  höherer  Dosen.  Offenbar  werden 
Arzneistoffe  durch  \  erbindung  mit  einer  heterogenen  Substanz 
in  ihrer  pharmakodynamischen  Wirkung  quantitativ  und 
qualitativ  verändert. 

Von  dieser  Tatsache  ausgehend,  wurde  in  den  Buceosperin- 
Kapseln  eine  Kombination  bestehend  aus  reinstem  Copaiva-Balsam 
(Balsamikum),  aus  ätherischem  Bucco-Extrakt  (als  Diuretikum) 
sowie  aus  Kampfersäure,  Salol,  Hexamethylentetramin,  Salizyl- 
und  Benzoesäure  (als  Harnautiseptica)  geschaffen,  und  zwar 
enthält  jede  Kapsel  ä  0,3  Gramm  Inhalt  0,2  Copaiva-Balsam, 
während  der  Rest  von  0,1  aus  den  obengenannten  Harnan- 
tisepticis  und  dem  Diuretikum  besteht.  Durch  Verwendung 
der  minimalen  Dosen  sind  schädliche  Nebenwirkungen,  wie  sie 
auch  in  Fällen  von  idiosynkrasie  gegen  einzelne  Medikamente 
bekannt  sind,  im  Buccosperin  a  priori  ausgeschlossen.  Die 
ideale  Wirkung  deckt  sich  mit  dem  wissenschaftlich  begrün¬ 
deten  Aufbau  des  Präparates. 

Die  Verwendung  des  Copavia-Balsams  als  Balsamicum  an 
Stelle  des  sonst  so  bevorzugten  Sandelöls  wurde  in  den  Bucco- 
sperin-Kapseln  mit  voller  Überlegung  bevorzugt.  Wohl  be¬ 
steht  eine  Abneigung  gegen  Copaiva-Balsam,  der  angeblich 
allerlei  unangenehme  Nebenwirkungen,  wie  Aufstosseu,  Übel¬ 
keit,  Exantheme  etc.  verschulden  soll.  Indessen  hat  sich  durch 
die  Untersuchungen  Beckers1)  herausgestellt,  dass  diese 
Nebenwirkungen  nicht  dem  reinen  Copaiva-Balsam,  sondern 
dessen  Verfälschungen  zuzuschreiben  sind.  Die  Ausschaltung 
jeder  Nebenwirkung  beim  Buccosperin  wird  noch  dadurch 
unterstützt,  dass  Kapseln  verwendet  werden,  welche  sich  erst 
im  Dünndarm  lösen  und  langsam  dort  zur  Resorption  ge¬ 
langen.  Daher  sind,  wie  Frankl2),  Grave3)  und 
Karo4)  betonen,  selbst  bei  langem  Gebrauch  niemals  irgend 
welche  lästigen  Nebenerscheinungen  bei  der  Verwendung  des 
Buccosperin  beobachtet  worden  Frankl  und  Grave 
heben  besonders  hervor,  dass  die  Patienten  Buccosperin  ohne 
jede  Störung  nehmen  konnten.  Als  besonders  geschätzten 
therapeutischen  Erfolg  priesen  die  Kranken  mit  akuter  Cystitis 
colli  das  Aufhören  von  vorher  fast  unerträglichen  Miktions¬ 
schmerzen. 

Eine  angenehme  Nebenwirkung  der  Buccosperin-Kapseln5) 
beruht  auf  der  die  Peristaltik  des  Darm  anregenden  Tätigkeit; 
unter  Gebrauch  von  Buccosperin  regelt  sich  der  Stuhlgang  ohne 
weitere  Abführmittel.  Dosis  2 — 3  stdl.  1  Kapsel. 


Bücherschau. 

F  1  e  s  c  h:  Die  Entstehung  der  ersten  Lebensvorgänge. 
Jena,  Gustav  Fischer. 

Nach  einem  kurzen  historischen  Überblick  bespricht  der 
Verfasser  den  Unterschied  zwischen  organischem  und  anorgani¬ 
schem  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dass  erst  im  Zusammen¬ 
treffen  vieler  Eigenschaften  das  Wesen  des  Lebens  liegt.  Dann 
benutzt  er  Ehrlichs  Seitenkettentheorie  zur  Erklärung 
von  Lebensvorgängen.  Ausführlich  bespricht  er  dann  „die 
Formentwicklung  der  Lebewesen  als  Produkte  physikalischer 
Vorgänge“,  und  zwar  der  Diffusion  und  Osmose.  Zum  Schluss 
weist  er  darauf  hin,  dass  die  Versuche  zur  Aufklärung  der 
Frage,  ob  es  eine  Urzeugung  gibt,  unter  falschen  Bedingungen 
angestellt  werden  wird. 

Das  kleine  Heftchen  bringt  auf  knapp  30  Seiten  so  eine 
Menge  interessanter  Probleme.  Selbstverständlich  handelt  es 
sich  bei  diesem  in  Lille  gehaltenen  Vortrag  nicht  um  neue 
Forschungen,  so  dass  der,  der  die  Literatur  bis  in  die  letzte 
Zeit  verfolgt  hat,  kaum  Unbekanntes  treffen. 

ßoenheim. 


')  Südd.  Apotheker-Zeitg.  1916.  23. 

2)  Berl.  Kl.  Wochenschr.  1911.  13. 

3)  Grave  Fol.  Urolog  Bd.  VI,  1911. 

4)  Karo  Deutsche  med.  Wochenschrift  1911,  14. 

5)  Herstellende  Firma :  Dr.  Rudolf  Reiss,  Charlottenburg  4 
und  Wien  VI/2. 


228 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  23 


Dr.  I.  C  e  m  a  c  h:  Differential- diagnostische  Tabellen  if er 
inneren  Krankheiten.  I.  F.  Lehrmanns  Verlag,  Müncheu. 

Preis:  3.50  M.  2.  Aufl. 

Für  den  Studierenden  bildet  das  Erlernen  der  Sym¬ 
ptomatologie  der  inneren  Krankheiten  eine  Fülle  von  Schwierig¬ 
keiten,  verlangt  ein  grosses  Mas»  von  Fleiss  und  genügende  Übung 
am  Krankenbett.  Der  Praktiker,  braucht  gar  zu  oft  eine  kurze 
Orientierung  in  zweifelhaften  Fällen,  und  kann  sich  hierzu 
mangels  Zeit,  nicht  erst  wieder  in  die  Ausführlichkeit  der  Lehr¬ 
bücher  vertiefen.  Hier  schafft  das  vorliegende  Werkchen  einen 
ausgezeichneten  Ersatz,  und  gibt  damit  das  schematisiert  wieder, 
was  die  grossen  Lehrbücher  an  Symptomatologie  enthalten. 
Gleichzeitig  ist  es  für  den  Studiereuden  ein  gutes  Repetitorium, 
wenn  er  zuvor  ein  breit  angelegtes  Lehrbuch  durchgearbeitet 
hat.  In  der  Erkenntnis  der  praktischen  und  lehrreichen  Seite 
schematisierter  Krankheitsdarstellungen  haben  auch  mehrere 
Lehrbücher  der  inneren  Diagnostik  bei  schwer  auseinander 
zu  haltenden  Krankheitsbildern,  solche  aufgenommen,  um  sie 
der  Auffassung  der  Studierenden  näher  zu  bringen.  Die  Auf¬ 
gabe,  die  Differentialdiagnosen  der  inneren  Krankheiten,  in 
schematischen  Vergleichstabellen  darzustellen  wurde  im  vor¬ 
liegenden  Buch  ganz  hervorragend  gelöst,  und  gibt  Zeugnis 
von  einem  seltenen  Geschick,  übersichtlich  und  klar  zu  ge¬ 
stalten.  In  der  Beschränkung  zeigt  sich  auch  hier  der  Meister. 

F  e  i  t  h,  Nürnberg. 


Neuere  Medikamente. 

Uontbin:  Eine  Tannin-Ei  weiss- Verbindung  in  keratinierter 
Form.  Es  ist  ein  feines,  lichtbraunes,  geruch-  und  geschmack¬ 
loses  Pulver,  unlöslich  in  Wasser,  teilweise  löslich  in  Alkohol, 
Äther,  sowie  in  alkalischen  Salzlösungen.  Das  Präparat  hat 
sich  bewährt  als  promptes  Antidiarrhoicum  und  besitzt  Wirkung 
bei  akuten,  besonders  aber  subakuten  und  chronischen 
Enteritiden ;  für  Säuglinge  erfolgreich  angewendet  bei  akuten 
und  chronischen  Dünn-  und  Dickdarmkatarrhen ,  sowie  bei 
Cholera  infantum.  Durch  seine  die  ganze  Darmlänge  an¬ 
haltende  Wirkung  ist  es  ein  brauchbares  Hämostatikum. 
Wie  dem  Tannin  kommt  dem  Honthin  ein  direkter  Einfluss 
auf  die  Bakterien  des  Darmes  und  auf  Toxine  zu.  Indessen 
fehlen  dem  Honthin  die  die  Appetenz  und  Verdauung  mächtig 
störenden  Nebenwirkungen  der  Gerbsäure,  da  es  sein  Tannin 
erst  unter  dem  Einfluss  des  alkalischen  Darmchylus  und 
auch  dann  nur  allmählich  freigibt.  Gegeben  wird  Honthin 
im  allgemeinen  3 — 5  mal  täglich  in  Dosen  von  1  g,  Säug¬ 
lingen  von  0,2 — 0,3  g,  am  besten  trocken  oder  in  Oblaten 
unter  Nachtrinken  von  Wasser.  (G.  Hell  &  Co.,  Troppau 
und  Wien  I.) 

Hormonal  :  Aus  der  Milz  gewonnener  Zellpress-Saft. 

Indikationen:  Chronische  Stuhlverstopfung,  Darm- 
atonie,  ileusartige,  postoperative  und  peritonitische  Darm¬ 
lähmungen.  Hormonal  bewirkt  eine  Darmperistaltik  in 
physiologischem  Sinne.  In  geeigneten  Fällen  erfolgt  nach 
einmaliger  Injektion  auf  lange  Zeit  hinaus  Stuhlgang. 

Anwendung  und  Dosierung:  Bei  chronischer 
Obstipation  wird  das  Präparat  intramuskulär,  in 
schweren  Fällen  und  bei  akuten  Darmlähmungen  intra¬ 
venös  injiziert.  Die  Injektionsmenge  beträgt  für  Er¬ 
wachsene  je  nach  der  Schwere  des  Falles  20—30  —  40  ccm. 
Kinder  erhalten  entsprechend  weniger.  Das  für  intramus) 
kuläre  Injektion  bestimmte  Präparat  (in  braunen  Flaschen¬ 
enthält  einen  Zusatz  von  0,25  %  Beta-Eucain.  hydrochloric.  ; 
für  intravenöse  Injektionen  wird  ein  eucainfreies  Hormonal 


(in  blauen  Flaschen)  hergestellt.  Die  intramuskuläre  In¬ 
jektion  erfolgt  in  steriler  Weise  in  die  Glutäen  (links  und 
rechts  je  die  Hälfte).  Um  sicher  in  den  Muskel  zu  injizieren, 
muss  man  eine  entsprechend  lange  Nadel  beim  Manne 
mindestens  8  — 10  cm,  bei  Frauen  10 — 12  cm  tief  hinein¬ 
stechen.  Die  intravenöse  Injektion  erfolgt  unter  den  üblichen 
Kautelen  am  zweckmässigsten  in  die  Armveue  an  der  Ell- 
beuge.  (Vorsicht  nach  erschöpfenden  Krankheiten !)  Morphium¬ 
injektionen  beeinträchtigen  die  Hormonalwirkung  und  sind 
daher  während  der  Hormonalbehandlung  zu  meiden. 

Original-Packung:  Für  intramuskuläre  Injektion 
braune  Flaschen  ä  20  ccm.  Für  intravenöse  Injektion  blaue 
Flaschen  ä  20  ccm.  Chemische  Fabrik  auf  Aktien  (vorm. 
E.  Schering). 

Hydropyrin-Grifa  D.  R.-P. :  Wasserlösliches  Lithiumsalz  der 
Acetylsalicylsäure  mit  einem  Gehalt  von  90  —  95%  reinem 
Lithiumacetylsalicylat. 

I  n  d  i  k  atio  nen:  Antirheumaticum,  Antipyre- 
ticum,  Autineuralgicum.  Vollkommen  wasser¬ 
löslich,  daher  für  die  Kinderpraxis  geeignet. 

Dosierung:  1  Originalröhre  20  Tabletten  ä  0,5  g 
und  in  Pulverform  5,0 — 8,0/150  D.  S.  3  mal  täglich  1  Ess. 
löffel  voll,  sowie  als  Zusatz  zu  Infuseu  und  Decocten  (Haase: 
Berlin.) 

Jodelia:  Bekannter  Jod-Eisen  -  Lebertran  bei  Skrofulöse, 

Anämie,  Tuberkulose  in  Originalflaschen. 

Anwendung:  Kinder  anfangs  abends  einen  Kaffee¬ 
löffel  —  später  2  mal  tägl.  (morgens  und  abends).  Erwachsene 
ebenso  1—2  Esslöffel.  Saure  Speisen  und  rohes  Fleisch 
sind  zu  meiden.  (Lahusen.)  Origiualflaschen, 

Jodipin  :  Chem.  Verbindung  von  Jod  und  Sesamöl.  Innerl 
keine  Jodabspaltuug  im  Magen,  Resorption  als  Jodfettsäure 
im  Darm,  gelangt  zu  allen  Geweben,  wo  Jod  in  statu  nascendi 
frei  wird.  Jodausscheidung  gleichmässiger  und  langsamer 
als  nach  Jodkali.  Jodipin  gibt  mildere,  aber  gleichmässigere 
und  kontinuierlichere  Jodwirkung  als  Jodkali,  Jodismus  ist 
seltener,  fehlt  fast  ganz  bei  Jodipininjektionen. 

Indikationen:  Asthma,  Bronchitis, Emphysem,  Arterio¬ 
sklerose,  Angina  pectoris,  Stenocardie,  tertiärsyphilit.  Erkran¬ 
kungen,  Gehirnlues,  Aktinomykose,  akute  fieberhafte  Infektionen, 
Streptokokkensepsis,  Pyämie,  Puerperalfieber,  Scharlach  etc. 

Anwendung:  Innerl.  3  mal  tägl.  i  Teelöffel  bis  1 
Esslöffel  10  °/0  Jodipin,  oder  3  mal  tägl.  2 — 3  Jodipintabletten. 
Subkut.  tägl.  3 — 5  ccm  stark  erwärmtes  25  °/o  Jodipin  in 
das  Unterhautzellgewebe  der  Brust  oder  Bauchhaut,  oder  in 
die  Glutäen.  (Merck-Darmstadt.) 

Jodival  :  Jodpräparat  mit  47%  Jod. 

Indikationen:  Lues,  Asthma,  Arteriosklerose  usw. 

Dosis:  3  mal  täglich  1  Tablette. 

Packung:  Originalröhrchen  mit  10  und  20  Tabletten. 

Fabrik:  Knoll  &  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh. 

Jodocitin  2.  D.  R.  P. :  Jo  d-L  e  c  i  t  h  i  n-E  i  we  i  s  s-P  r  äp  a  r  a  t. 
Jede  Tablette  enthält  0,06  g  Jod  gebunden  an  Lecithin-  und 
Ei  weiss-Substanzen. 

Indikationen:  Arteriosklerose,  Lues,  speziell 
nach  Hg.-  und  Salvarsankuren,  Asthma  bronchiale  und 
cardiale,  Skrofulöse,  Apoplexie,  Tabes  dorsalis,  Exsudate, 
Gicht,  chronischer  Gelenkrheumatismus,  Struma,  Skleritis  usw. 

Dosierung:  1  Originalröhre  Jodocitin-Tabletten  20 
Stück  D.  S.  3  mal  täglich  1 — 2  Tabletten  während  oder  nach 
der  Mahlzeit  zu  nehmen.  Die  Tabletten  sind  weder  zu  zer- 
beissen,  noch  zu  zerkauen,  sondern  entweder  im  ganzen 
herunterzuschlucken  oder  in  kleine  Stücke  zu  zerbrechen  und 
mit  etwas  Wasser  herunterzuspülen.  (Haase,  Berlin.) 


, 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tomcbrim  der  Hüedizin. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Ittiiwirkiing  bervorragender  Tadimänner 

herausgegeben  von 

L-  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


(i.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  24 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  Mai. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Sammelbericht  aus  der  inneren  Medizin. 

Von  Dr.  W  o  1  t*e  r  -  Kayna. 

Bei  der  Beratung  des  Medizinalwesens  hat  Ministe¬ 
rialdirektor  Kirchner  im  Abgeordnetenhaus  sehr 
interessante  Mitteilungen  über  den  Umfang  der  Seuchen 
während  des  Krieges  gemacht.  Er  hob  hervor,  dass 
insgesamt  nur  300  Cholerafälle  in  der  Armee  vorge¬ 
kommen  seien.  Vom  Typhus  teilte  er  mit,  dass  diese 
Krankheit  überhaupt  keine  Rolle  mehr  spiele.  Eine 
genaue  Statistik  über  die  Seuchen  werden  wir  natürlich  erst 
nach  dem  Frieden  erhalten;  schon  jetzt  aber  ist  vieles 
und  wertvolles  aus  dem  Material,  das  zur  Verfügung 
stand,  erarbeitet  worden. 

Als  aus  persönlicher  Erfahrung  den  meisten  Ärzten 
unbekanntes  Krankheitsbild  trat  uns  das  Fleckfieber,  der 
Typhus  exanthematicus  entgegen.  Die  letzte  grössere 
Arbeit  über  das  Fleckfieber  war  die  Cursch- 
m  a  n  n  sehe  Monographie  (1)  in  Nothnagels  Spez. 
Pathol.  und  Therap.  C.  hatte  in  den  Jahren  1876—79 
in  Moabit  6 77  Fälle  zu  beobachten  Gelegenheit.  Die 
Schilderung  der  Krankheit  ist  klassisch.  Überholt  sind 
aber  seine  Ansichten  über  die  Art  der  Übertragung. 
Dass  das  Contagium  in  der  Ausatmungsluft  der  Kranken, 
in  seinen  Hautausdünstungen  sitze,  hält  C.  für  fraglich. 
Er  ist  der  Ansicht,  dass  es  den  staubförmigen  Teilchen, 
die  die  Luft  der  Umgebung  des  Kranken  erfüllen,  an¬ 
hafte,  besonders  den  Kleidern,  Gardinen,  Möbeln,  kurz 
den  Gegenständen  mit  rauher  Oberfläche. 

Unsere  Ansichten  darüber  haben  die  neueren  Er¬ 
fahrungen  völlig  gewandelt.  Es  scheint  festzustehen, 
dass  der  Überträger  die  Kleiderlaus  ist  und  sollte  sie 
es  nicht  allein  sein,  so  ist  sie  es  unbestritten  in  der 
überwältigenden  Mehrzahl  der  Fälle.  Mit  Rücksicht 
darauf  ist  das  Interesse  an  der  Kleiderlaus,  die  sonst 
wenig  Beachtung  fand,  stark  gestiegen.  Wir  wollen  von 
diesen  Arbeiten  nur  die  von  W  ü  1  k  e  r  (2)  ei  wähnen,  die 
Näheres  über  die  Lebensweise  der  Pediculi  vestimenti 
enthält,  und  die  vor  allem  sich  auch  experimentell  mit 
den  Temperaturen  beschäftigt,  die  die  Tiere  und  ihre 
Nissen  vertragen.  Trockene  Hitze  tötet  in  1—2  Minuten 
die  Läuse  bei  55°,  die  Eier  bei  60",  Temperaturen  von 
— 0,2"  töten  in  24  Stunden  nicht. 

Angaben  über  die  Lebensbedingungen  der  Laus 
finden  sich  auch  in  der  kurzen  und  wertvollen  Arbeit 
Brauers:  Erkennung  und  Verhütung  des  Flecktyphus 
und  Rückfallfiebers.  (3)  Allerdings  eine  sichere  Dia¬ 
gnose  lässt  sich  nach  Brauers  Ausführungen  bei  den 
ersten  Krankheitsfällen  klinisch  kaum  stellen.  Die  prodro¬ 
malen  Erscheinungen  sind  beim  Flecktyphus  gering.  Von  j 


grosser  Wichtigkeit  sind  die  Roseolen.  Beim  Feld¬ 
soldaten  bietet  aber  die  Haut  an  und  für  sich  schon  ein 
buntes  Bild,  und  selbst  wenn  man  es  nur  mit  Roseolen 
zu  tun  hat,  ist  die  Entscheidung  schwer.  Als  Hilfs¬ 
mittel  hat  man  die  künstliche  Stauung  he  rangezogen 
Man  staut  2  —  3  Minuten  mittelstark  und  erhält  darauf 
zahlreiche  Petechien.  Baumgarten  (4)  hat  diese 
Erfahrung  bestätigt  gefunden  und  weist  darauf  hin,  dass 
sie  ein  sichtbarer  Ausdruck  der  von  Fränkel  beschrie¬ 
benen  Veränderung  der  Gefässe  und  der  dadurch  ent¬ 
standenen  Zerreisslichkeit  sei.  M  a  y  e  r  h  o  f  e  r  (5)  hat 
dies  Phänomen  bei  allen  Roseolen  (Typhus,  Paratyphus 
und  Fleckfieber)  gefunden  und  sieht  in  ihm  einen  Be¬ 
weis  für  anatomische  Veränderungen  entzündlicher  Natur. 
Damit  ist  in  der  Stauung  ein  typisches  Merkmal  der 
Fleckfieberroseola  nicht  gegeben.  Wertvoll  ist  aber 
trotzdem  die  Roseola  für  eine  exakte  Diagnose.  Frän- 
k  e  1  (6)  hat  wiederholt  darauf  hingewiesen,  dass  es  nur 
ein  sicheres  Erkennungszeichen  für  das  Fleckfieber  gebe: 
die  histologische  Untersuchung  der  Roseola.  Man  findet 
an  herausgeschnittenen  Roseolen:  Wandnekrosen  der 
beteiligten  Arterienäste  und  perivaskuläre  Infiltrate,  die 
den  Gefässen  abschnittsweise  aufsitzen.  Poin- 
d  e  c  k  e  r  (7)  hat ,  um  dies  diagnostische  Hilfsmittel 
möglichst  zugänglich  zu  machen,  ein  histologisches  Feld¬ 
besteck  angegeben ,  mit  dem  die  Exzision  und  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  der  exzidierten  Roseoie  aus¬ 
geführt  wird. 

Jürgens  (8)  äussert  sich  über  die  Epidemiologie 
des  Fleckfiebers.  Nach  ihm  genügt  zur  Erklärung  der 
Übertragung  allein  die  Übertragung  durch  die  Laus. 
Allerdings  müsse  man  bei  der  Frage  der  Ausbreitung 
der  Seuche  auch  manches  andere  beachten,  was  bei 
allen  anderen  Epidemieen  ebenfalls  mitspiele. 

O.  M  ü  1  1  e  r  (9)  hebt  als  diagnostisch  Wichtigstes 
den  raschen  ungehemmten  Fieberanstieg  mit  gleich¬ 
zeitiger  Milzschwellung  urtd  den  ersten  Anzeichen  des 
charakteristischen  Exanthems  hervor.  Neben  der  sehr 
wertvollen  klinischen  Darstellung  gibt  er  eine  inter¬ 
essante  Angabe  der  Mortalität.  Sie  beträgt  bei  den 
jungen  russischen  Soldaten  5%,  bei  den  etwas  älteren 
russischen  Ärzten  25"/0,  bei  den  deutschen  Sanitäts¬ 
mannschaften  30"/0,  bei  den  älteren  deutschen  Ärzten 
50 — 60°/0. 

Die  Therapie  ist  nach  ihm  —  und  diese  Angabe 
ist  die  herrschende  —  symptomatisch.  Die  zahlreichen 
Versuche,  die  Krankheit  anderweitig  zu  behandeln  (auch 
Salvarsan  versagte)  sind  vorläufig  als  verfehlt  zu  be¬ 
trachten. 

Über  Mittel  gegen  Läuse  finden  wir  ebenfalls  bei 


230 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  24 


M  ii  1  1  e  r  Angaben  ;  ebenso  hat  W  ü  1  ke  r  eine  Reihe 
der  zahllosen  Mittel  erprobt.  Auf  die  ungeheuer  grosse 
Zahl  der  Veröffentlichungen  über  die  Substanzen,  die 
die  Läuse  vom  Menschen  fernhalten  oder  sie  abtöten 
sollen,  einzugehen,  verbietet  der  Raum.  Gerade  die 
gewaltige  Menge  der  angepriesenen  Mittel  beweist  wohl, 
dass  ein  absolut  wirkendes  nicht  vorhanden  ist.  Aus 
persönlicher  Erfahrung  kann  ich  dem  p-Dicldorbenzol 
vor  anderen  den  Vorzug  geben.  Es  hat  sich  auch 
(B.  No  c  h  t  &  Halberkann)  (10)  anderweitig 
ausserordentlich  bewährt  und  besitzt  ausserdem  den 
Vorzug  der  Billigkeit. 

Die  Hauptarbeit  bei  der  Bekämpfung  des  Fleck¬ 
typhus  wird  dem  Hygieniker  zufallen.  Es  wird  sich  in 
erster  Linie  um  Entlausung  der  Menschen,  ihrer  Kleider, 
Wäsche,  Wohnräume  usw.  handeln.  Die  Zahl  der  Ver¬ 
öffentlichungen  über  Entlausungsanstalten,  bei  denen  die 
Entlausung  mit  Dampf,  mit  heisser  Luft,  mit  Schwefel 
usw.  vorgenommen  wird,  ist  ebenfalls  sehr  gross.  Die 
Läusefreiheit  der  Menschen  und  Unterkunftsräume  ist 
ein  Wall  gegen  die  Weiterverbreitung  des  Flecldiebers, 
und  S  i  e  b  e  r  t  (11)  weist  mit  Recht  darauf  hin,  dass 
ein  läusefreier  Fleckfieberkranker  so  gut  wie  keine  An¬ 
steckungsgefahr  für  seine  Umgebung  bietet. 

Sehr  interessante  Ergebnisse  haben  die  Arbeiten 
über  den  Abdominal-Typhus  erbracht.  Spielt  auch  nach 
Kirchners  Angaben  zur  Zeit  der  Typhus  keine 
Rolle  mehr,  so  hat  es  doch  im  Spätherbst  1914  genügend 
Krankenmaterial  gegeben.  Ausserdem  aber  ist  eine  Frage 
aktuell  geworden ;  die  der  Wirksamkeit  der  Schutzimpfung. 
Auf  genaue  Angaben  werden  wir  auch  hier  aus  begreif¬ 
lichen  Gründen  bis  nach  dem  Frieden  verzichten  müssen; 
die  allgemeine  Durchführung  der  Schutzimpfung  bei  den 
Truppen  und  das  Erlöschen  der  Seuche  spricht  jeden¬ 
falls  schon  eine  deutliche  Sprache.  Für  die  französische 
Armee  liegt  eine  Tabelle  (12)  vor,  die  ausserordentlich 
für  die  Schutzimpfung  spricht.  Es  starben  von  an  kli¬ 
nisch  sicherem  Typhus  Erkrankten  (vom  2.  Aug.  14  bis 
1.  Juli  15) 

von  nicht  Geimpften  17,4% 

»  1  X  „  6,0  „ 

»  2  x  „  4,0, 

n  ^  X  v  2,5  „ 

»  4  x  „  1,9  „ 

Goldscheider  und  K  r  o  n  e  r  (13)  berichten 
über  ihre  Erfahrungen  bei  einer  Armee  im  Herbst  und 
Winter  1914/15:  „Die  Impfungen  waren  von  günstigem 
Einfluss  auf  die  Schwere  der  Erkrankung.  Die  zwei¬ 
malige  Impfung  war  von  besserem  Erfolg  als  die  ein¬ 
malige,  die  dreimalige  von  besserem  als  die  zweimalige.“ 
berner  fanden  sie  bei  den  Geimpften  weniger  häufig 
Komplikationen  als  bei  den  Ungeimpften;  sie  fanden 
eine  Verminderung  der  Nachschübe  und  eine  leichtere 
und  schnellere  Rekonvaleszenz.  Vor  allem  fanden  sie 
bei  den  Geimpften  eine  erheblich  geringere  Mortalität 
als  bei  den  Ungeimpften. 

Auch  H  i  r  s  c  h  (14)  kann  Günstiges  über  die 
Schutzimpfung  berichten.  Die  Morbidität  wird  nach 
seinen  Erfahrungen  allerdings  nicht  wesentlich  beein- 
llusst.  ,,  Dagegen  wird  der  Krankheitsverlauf  meist 
leichter,  er  nähert  sich  mehr  den  abortiven  Formen  und 
dem  infantilen  Typhus  mit  seinen  von  Anfang  an 
steileren  Kurven.“  „Ein  besonders  schwerer  Krankheits¬ 
verlauf  dagegen  ist  zu  beobachten  bei  Fällen,  die  im 
Inkubations-  oder  Initialstadium  eines  Typhus  geimpft 
wurden.“  Auch  Scho  1  z  (15)  fand,  dass  die  Schutz¬ 
impfung  die  Schwere  der  Erkrankung  mildert,  die 
Dauer  verkürzt  und  den  letalen  Ausgang  vieler  Fälle 
abwendet.  Die  Unschädlichkeit  der  Schutzimpfung  wird 
von  Laqu  e  u  r  (16)  einer  besonderen  Untersuchung 
gewürdigt.  Er  verfügt  über  ca.  5000  Impfungen  und 
hat,  allerdings  bei  peinlicher  Sauberkeit,  keine  erheb¬ 


lichen  Reaktionen  erlebt.  In  weniger  als  1  °/o  musste 
der  Dienst  einen  Tag  ausgesetzt  werden.  Dass  die 
Schutzimpfung  möglich  ist,  ohne  den  Gefechtswert  der 
Truppe  zu  beeinträchtigen,  wird  jeder  Truppenarzt  be¬ 
stätigen  können,  auch  der,  dem  sich  für  die  Aseptik 
grosse  Schwierigkeiten  geboten  haben. 

Eine  besondere  Frage  ist  die  der  Diagnoseerschwe¬ 
rung  durch  die  Impfung.  Durch  die  Vakzination  ist 
ein  leichter  Typhus  verursacht  und  naturgeinäss  erleidet 
dadurch  das  Blut  die  Veränderungen,  die  ein  solcher 
setzt.  So  weist  Ickert  (17)  darauf  hin,  dass  sich 
das  Blutbild  bei  der  Schutzimpfung  ebenso  wie  durch 
eine  Typhuserkrankung  verändert.  Scholz  (15)  betont 
die  Einschränkung  der  Anwendung  der  W  i  d  a  1  sehen 
Serumreaktion  durch  die  erfolgte  Immunisierung  und 
ebenfalls  die  Veränderung  des  Blutbildes.  Allerdings 
hielt  diese  nicht  zu  lange  vor.  4 — 6  Wochen  nach  der 
letzten  Impfung  fand  er  bei  gesunden  Geimpften  bereits1 
wieder  normale  Werte  und  Zellen.  Auch  S  t  i  e  v  e  (18)* 
fand  das  Gleiche:  die  Gruber-Widal  sehe  Reak¬ 
tion  hat  ihren  Wert  verloren.  Das  Blutbild  bietet  3  bis 
4  Wochen  (höchstens  6  Wochen)  nach  der  letzten 
Impfung  wieder  normale  Befunde.  Nach  ihm  wird 
Leukopenie  nach  dem  20.  Tage,  besonders  bei  starker 
Verminderung  der  Lymphozyten  und  Fehlen  der  Eosino¬ 
philen  unbedingt  für  Typhus  sprechen.  Dass  die 
(Trüber-  W  i  d  a  1  sehe  Reaktion  wertlos  geworden 
ist,  stellen  auch  Hage  und  Ko  rff-Petersem 
(19)  fest. 

Auch  über  die  Therapie  des  Typhus  ist  viel  gear¬ 
beitet  worden.  Neu  sind  die  Versuche  mit  Typhus¬ 
vakzinen,  über  die  eine  grosse  Reihe  von  Arbeiten  vor¬ 
liegen.  Reiter  (20),  der  sich  sehr  vorsichtig  über 
den  Wert  der  Vakzinetherapie  äussert,  glaubt  doch  am 
eine  Herabsetzung  der  Krankheitsdauer  und  Verringe¬ 
rung  der  Mortalität  durch  sie.  Ihm  scheint  eine  vor¬ 
sichtige  Vakzinetherapie  begründet,  und  er  empfiehlt 
eine  wiederholte  subkut  me  Injektion  kleinerer  Mengen 
(beginnend  mit  0,3,  steigend  bis  0,5).  Von  grösseren 
Dosen  hat  er  keine  bessere  Wirkung  beobachtet. 

Sehr  zurückhaltend  lautet  auch  das  Gutachten,  das 
der  Sanitätsrat  von  Ungarn  (21)  erstattet  hat.  Es 
wurden  verschiedene  Vakzinearten  angewendet  ,  über 
die  aber  ein  Urteil  nicht  abgegeben  wird.  Empfohlen 
wird  die  subkutane  Injektion;  die  prompter  wirkende 
intravenöse  soll  wegen  vorgekommener  Todesfälle  nur 
erfahrenen  Ärzten  Vorbehalten  bleiben.  An  erster  Stelle 
käme  in  Frage  die  Vakzine  nach  B  e  s  r  e  d  k  a.  Es 
handelt  sich  hierbei  um  mit  tierischem  Immunserum  be¬ 
handelte  Bakterien.  1  ccm  enthält  eine  halbe  Platinöse 
Typhusbäzillen.  Ausserordentlich  günstig  sind  Szecsys 
(22)  Erfahrungen  mit  ihm.  Er  schreibt  begeistert  von 
dieser  Behandlungsweise  und  hat  eine  Mortalität  von 
2%  zu  verzeichnen. 

Überhaupt  lauten  die  Berichte  über  Erfahrungen  mit 
der  Vakzinebehandlung  fast  sämmtlich  günstig.  Gold- 
scheider  und  Aust  (23)  sahen  bei  70  Injektionen 
55  Fieberremissionen  von  0,5  —2,0°.  Bei  einer  Reihe 
von  Fällen  war  die  Injektion  der  Beginn  der  völligen 
Entfieberung. 

Mit  der  Äthervakzine  nach  Vincent  (durch 
Äther  abgetötete  Bakterien)  hat  Holler  (24)  gear¬ 
beitet.  Seine  Erfahrungen  sind  derart  zufriedenstellend, 
dass  er  die  Überzeugung  aussprechen  kann  :  „Der  Vak¬ 
zinetherapie  gebührt  unter  den  bisherigen  gebräuchlichen 
Behandlungsmethoden  des  Typhus  abdom.  volle  Be¬ 
achtung.“ 

K  oranyi  (25)  berichtet  über  die  Vakzine  Ichi- 
k  a  w  a  s.  Es  handelt  sich  hierbei  um  mit  Rekonvales¬ 
zentenserum  sensibilisierte  Bakterien.  Dosen  von  0,4 
bis  0,5  lassen  einen  beträchtlichen  Teil  der  Fälle  bei 
zeitiger  Anwendung  abortiv  verlaufen.  Decastello 


Nr.  24. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN.  231 


(20)  legt  weniger  Gewicht  auf  die  Art  der  Vakzine. 
Nach  seinen  Erfahrungen  ist  dies  wenig  massgebend. 
Wichtig  ist  für  ihn  vor  allem  die  Dosierung.  Und  da 
rät  er  zu  kleineren  Dosen.  Die  Injektion  ist  zu  wieder¬ 
holen,  sobald  die  Temperatur  wieder  in  Fieber  über 
38°  übergeht. 

Zum  Schluss  sei  noch  eine  Arbeit  erwähnt,  die  einen 
anatomischen  Beweis  für  die  Wirksamkeit  der  Vakzine¬ 
therapie  enthält,  die  von  V  i  e  s  n  e  r  (27).  Durch  Ver¬ 
gleich  der  von  ihm  erhobenen  Darmbefunde  bei  der 
Obduktion  mit  der  Krankheitsdauer  kommt  er  zu  der 
Überzeugung,  dass  vom  anatomischen  Standpunkt  der 
Vakzinetherapie  eine  kurative  Wirkung  nicht  abzu¬ 
sprechen  sei. 

Das  Neue  in  der  Behandlung  des  Typhus  besteht 
in  der  Vakzinebehandlung.  Von  der  von  M  o  r  i  t  z 
zuerst  empfohlenen  Pyramidonbehandlung  hat  T  a  - 
b  o  r  a  (28)  wieder  Gebrauch  gemacht.  Er  gab  7  Ess¬ 
löffel  einer  1  %  Pyramidonlösung  in  24  Stunden.  Da¬ 
neben  unter  Umständen  kühle  Waschungen,  keine  Bäder. 
Seine  Erfolge  waren  gut.  5,3%  Mortalität.  In  einer 
anderen  Arbeit  wird  die  Pyramidonbehandlung  von 
anderem  Gesichtspunkt  aus  gewertet.  Wortmann 
(29)  will  die  Pyramidongaben  so  bemessen  haben,  dass 
allein  die  Temperaturschwankungen  gemildert  werden. 
Damit  fällt  eine  Schädigung  des  Herzens  fort.  Bäder 
werden  nur  verabreicht,  wenn  die  Pyramidonwirkung 
noch  nicht  erfolgt  ist  oder  aufgehört  hat. 

Eine  Reihe  von  Arbeiten  beziehen  sich  auf  die  durch 
Typhus  an  anderen  Organen ,  abgesehen  vom  Darm, 
hervorgerufenen  Störungen.  Da  ist  es  in  erster  Linie 
das  Herz,  dessen  Beteiligung  oder  Nichtbeteiligung  von 

(grossem  Wert  ist.  G  r  ö  d  e  1  (30)  berichtet  eingehend 
über  seine  Untersuchungen  an  grossem  Material.  Er 
unterscheidet  bei  der  Betrachtung  3  Perioden  :  1.  Die 

Fieberperiode,  2.  das  erste  Stadium  der  Rekonvaleszenz, 

3.  das  zweite  Stadium  der  Rekonvaleszenz.  In  der 

1.  Periode,  die  die  relativ  niedrige  Pulskurve  beherrscht, 
kommt  es  nicht  selten  zu  Erscheinungen  von  Herz¬ 
schwäche,  zu  einer  Veränderung  des  Pulses,  zur  Erweite¬ 
rung  des  linken  Ventrikels  und  zu  systolischem  Geräusch 
über  Pulmonalostium  oder  Herzspitze.  In  der  Mehrzahl 
der  Fälle  gehen  diese  Symptome  jedoch  zurück,  ohne 
Störungen  zu  hinterlassen.  G  r  ö  d  e  1  kann  Cursch- 
m  a  n  n  s  Ausspruch  :  „Chronische  auf  Typhus  zurück¬ 
zuführende  Myocarditis  ohne  oder  mit  dauernder  Dila¬ 
tation  habe  ich  bisher  nur  vereinzelt  beobachtet!“  voll 
bestätigen.  —  In  der  2.  Periode  fand  G  r  ö  d  e  1  häu¬ 
figer  Bradykardien  als  Pulsbeschleunigungen.  Am 
wichtigsten  ist  das  Verhalten  des  Zirkulationsapparates 
in  der  3.  Periode.  Hier  fand  G.  nur  in  30 — 40%  nor¬ 
male  Werte,  60— 70%  der  Kranken  zeigten  Tachy¬ 
kardie,  bei  40 — 50%  fand  er  erhöhten  Blutdruck.  Der 
Pulsrhythmus  zeigte  keine  Besonderheiten ,  nur  bei 
wenigen  fanden  sich  Extrasystolen.  Gefässpulsationen 
fanden  sich  ebensowenig.  Häufig  fand  sich  ein  systo¬ 
lisches  Geräusch.  Orthodiagraphisch  fand  er  nur  ein¬ 
mal  eine  deutliche  Vergrösserung  und  bei  2 — 3% 
leichte  Vergrösserungen.  Er  kommt  zu  dem  Schluss, 
dass  eine  posttyphöse  Myocarditis  ganz  ausserordentlich 
Kelten  auftritt  und  sagt  dann  weiter:  „Ich  glaube,  wir 
/dürfen  sonach  als  eine  häufige  Begleiterscheinung  der 
/  Typhusrekonvaleszenz  ein  Krankheitsbild  bezeichnen, 
f  welches  charakterisiert  ist  durch  Tachykardie  und  Blut¬ 
druckerhöhung,  einzeln  oder  kombiniert ,  systolische 
Herzgeräusche,  relativ  gute  muskuläre  Herzleistungs¬ 
fähigkeit,  geringe  subjektive  Erscheinungen.“  G  r  ö  d  e  1 
weist  darauf  hin,  dass  für  diese  Störungen  im  Nerven¬ 
system  des  Zirkulationsapparates  sehr  wohl  Stoffwechsel¬ 
störungen  in  Frage  kommen  können.  P  1  a  s  c  h  k  e  (31) 
hat  den  Magensaft  von  Typhusrekonvaleszenten  einer 
Untersuchung  unterzogen  und  dabei  auffallend  häufig 


Subazidität  oder  keine  freie  Salzsäure  gefunden.  Prak¬ 
tisch  zieht  er  daraus  den  Schluss,  eine  Diät  zu  verab¬ 
folgen,  die  der  bei  chronischen  Magenkatarrhen  ent¬ 
spricht. 

Lyon  (32)  weist  auf  die  leichten  Wirbelerkran¬ 
kungen  bei  Typhusgenesenden  hin,  die  im  Gegensatz 
zu  den  seltenen  schweren  Wirbelerkrankungen  häufig 
sind.  Sie  können  Grund  zu  recht  heftigen  subjektiven 
Beschwerden  geben,  doch  sind  sie  prognostisch  durchaus 
günstig  zu  beurteilen.  Riedel  (33)  schreibt  über  die 
chirurgischen  Erkrankungen  beim  Typhus.  Knochen¬ 
herde  entwickeln  sich  am  häufigsten  an  den  Rippen  und 
in  der  Tibia.  Ihre  chirurgische  Behandlung  bietet  keine 
Besonderheiten. 

1.  C  urschmann,  Fleckfieber;  in  Nothnagel  Spez 
Pathol.  und  Therap.  III.  Band,  II.  Teil,  1.  Abtlg.  1900. 

2.  W  ü  1  k  e  r,  Zur  Frage  der  Läusebekämpfung.  Mü. 
med.  W.  1915,  18. 

3.  Brauer,  Erkennung  und  Verhütung  des  Fleck¬ 
typhus  und  Rückfall  fiebers,  Würzburg,  Kabitzsch,  1015. 

4.  Baum  garten,  Küustl.  Stauung  als  diagnost.  und 
differeutialdiagnost.  Hilfsmittel  beim  Fleckfieber.  Mü.  m.  W. 
1916,  Nr.  2. 

5.  Mayerhofer,  Künstl.  petechiale  Umwandlung  der 
Roseolen  als  ein  diagnost.  Hilfsmittel.  Mü.  m.  W.  1916,  5 

6.  Frankel,  Zur  Fleckfieberdiagnose.  Mü,  m.  W. 
L9 1 5,  24. 

7.  Poindecker,  Diagnose  des  Fleckfiebers  im  Felde 
Mü.  m.  W.  1916,  5. 

8.  J  iirgens,  Zur  Epidemiologie  des  Fleckfiebers.  Bl. 
kl.  W.  1915,  25. 

9.  Müller,  Fleckfieber.  Med.  Klin.  1915.  Nr.  45 
bis  47. 

10.  N  o  c  h  t  und  Halberkann,  Beiträge  zur  Läuse- 
frage.  Mü.  m.  W.  19 15,  18. 

11.  Siebert,  Fleckfieberepidemie.  Hambg.  med.  Über¬ 
seehefte  Nov.  1915. 

12.  Die  Resultate  der  Typhusschutzimpfung  in  der  französ. 
Armee.  Brit.  med.  Jour.  1.  I.  16. 

13.  Goldscheider  und  Kroner,  Über  den  Ein¬ 
fluss  der  Typhusschutzimpfung  auf  die  Typhuserkrankungen 
bei  der  .  .  .  Armee  im  Herbst  und  Winter  1914/15.  Bin.  kl. 
W.  1915  Nr.  36—38. 

14.  Hirsch.  Über  atypische  Verlaufsformen  des  Typhus 
im  Felde.  Bl.  kl.  W.  1915,  30. 

15.  Bemerkungen  zur  Symptomatologie  und  Therapie  des 
Unterleibstyphus.  Scholz.  I).  m  W.  1915,  49. 

16.  Laqueur,  Die  Unschädlichkeit  der  Typhusschutz¬ 
impfung.  M.  m.  W.  1915,  38. 

17.  Ickert,  Einfluss  der  Typhusschutzimpfung  auf  das 
weisse  Blutbild.  Brauers  Beitr.  Inf.  4  G.  2. 

18.  Stieve,  Die  Leukozyten  bei  der  Typhusschutz¬ 
impfung.  Dtsch.  Arch.  f.  Kl.  Med.  1915,  4  und  5. 

19.  Hage  und  Korff-Petersen,  Typhusschulz¬ 
impfung  und  Diagnose.  D.  m.  W.  1915,  45. 

20.  Reiter,  Über  therapeutische  Typhusvakzination. 
D.  m.  W.  1915,  38. 

21.  Vakzinebehandlung  Typhuskranker.  D.  m.  W. 
1915,  32. 

22.  Szecsy,  Die  Behandlung  des  Typh.  abdom.  mit 
Besredkas  Vakzine.  D  m.  W.  1915,  33. 

23.  Goldscheider  und  Aust,  Über  die  spezif. 
Behandlung  des  Typh.  abd.  mit  abgetöteten  Kulturen  von 
Typhusbazillen.  D.  m.  W.  1915,  13. 

24.  Holler,  Zur  Vakzinetheraphie  des  Tpyh.  abd. 
Ztschr.  für  klin.  Med.  LXXXI ,  5  und  6.  Med.  Klin.  1915, 
23,  24. 

25.  Iv  o  r  ä  n  y  i ,  Zur  Vakzinabehandlung  des  Typh.  abd. 
Wien,  kl  W.  1915,  4. 

26.  D  e  c  a  s  t  e  1  1  o,  Vakzinetherapie  des  Abdominal¬ 
typhus,  Wien.  m.  W.  1915,  52. 

27.  Wiesner,  Vakzinetherapie  des  Abdominaltyphus. 
Wien  m.  W.  1915,  49. 


232 


FORTSCHRITTE 


28.  T  abora,  Pyramidonbehandlung  des  Typhus  Mü. 
in.  W.  1915,  13. 

29.  Wortmann,  H  a  c  k  r  a  d  t  und  Qu  i  v  i  n, 
Kombinierte  Pyramidon-Bädertherapie  bei  Typhus.  Therap. 
Mthfte.  1915,  12. 

30.  G  r  ö  d  e  1,  Typhus  und  Zirkulationsapparat.  D.  m. 
W.  1915,  50. 

31.  Plaschke,  Typhusgastritis,  Wien.  kl.  W.  1915,  42. 

32.  L  y  o  n  ,  Wirbelerkrankungen  in  der  Typhusrekon¬ 
valeszenz  M.  Kl.  1915,  51. 

33.  Riedel,  Chirurgisches  über  Typhus.  Mttlg  a.  d. 
Grenzgeb.  d.  Med.  u.  Chir.  1915.  5. 


Neue  Mitteilungen  über  wichtige  Medikamente. 

Von  E.  Otto-  Frankfurt  a.  M. 

Solche  Mitteilungen  liegen  vor  aus  der  wissen¬ 
schaftlichen  Abteilung  der  chemischen  Fabrik  Knoll 
und  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh.  Diese  stellt  bekannt¬ 
lich  seit  Jahren  nach  den  Angaben  des  Heidel¬ 
berger  Pharmakologen  Prof.  Dr.  Go  1 1  1  i  e  b  das 
Digipuratum  her,  das  sich  durch  die  Höhe 
seines  Wirkungswertes,  völlige  Gleichmässigkeit  in  der 
Wirkung  und  dauernde  Haltbarkeit  vor  allen  anderen 
Digitalispräparaten  und  nicht  zuletzt  vor  der  Droge 
selbst  auszeichnet.  Das  Digalen  der  französischen  Fa. 
Hoffmann  -  la  Roche  in  der  Schweiz,  dessen  Verbrauch 
in  Deutschland  einen  bedeutenden  Umfang  angenommen 
hatte,  besitzt  vor  dem  Digipuratum  auch  nicht  die  ge¬ 
ringsten  Vorzüge. 

Digipuratum  war  bisher  in  Tabletten  a  1  g  im 
Handel,  die  je  8  Froscheinheiten  im  Werte  entsprechen. 
F,s  kommt  nunmehr  auch  in  flüssiger  Form  (alkoho¬ 
lischer  Lösung)  für  den  internen  Gebrauch  in  Packungen 
ä  10  ccm  und  in  Ampullen  ä  0,1  Substanz  enthaltend 
zur  intravenösen  Injektion  in  den  Verkehr.  Die  Vor¬ 
züge  dieses  Präparates ,  das  unter  ständiger  physiolo¬ 
gischer  Kontrolle  durch  das  Heidelberger  pharmako¬ 
logische  Institut  steht,  bestehen  in  erster  Linie  darin, 
dass  es  sämtliche  Bestandteile  der  Pflanze  an  Gerb¬ 
säure  gebunden  in  stets  konstanter  Zusammensetzung 
enthält,  wobei  natürlich  die  grosse  Menge  unwirksamen 
Ballastes,  der  der  Droge  anhaftet,  völlig  bei  Seite  fällt. 
Ferner  ist  es  unbegrenzt  haltbar  und  bietet  die  Mög¬ 
lichkeit  durch  entsprechende  Dosierung  eine  kumulative 
Wirkung  auszuschalten.  Dies  kommt  besonders  in  Be¬ 
tracht  bei  der  Notwendigkeit  den  Körper  für  längere 
Zeit  unter  einer  genügenden  Digitaliswirkung  zu  halten. 
I1  ür  diese  chronischen  Digitaliskuren  eignet  sich  am 
besten  die  Digipuratumlösung  zum  Einnehmen  (1  ccm  = 
1  Digipuratumtabl.  =  0,1  starkwirk.  Fol.  digital.)  be¬ 
sonders  durch  die  schnelle  Resorption  bei  kurzer  Auf¬ 
enthaltsdauer  im  Magen ,  wodurch  alle  zugeführten 
Glykoside  schnell  zur  Wirkung  kommen. 

\  ielfach  wird  es  in  Kombination  mit  Diuretin  bei 
Störungen  des  Kreislaufs  gegeben.  Der  niedrige  Preis  des 
Digipuratum  im  Vergleiche  mit  seinem  Wirkungswerte 
gegenüber  anderen  Digitalispräparaten  ist  ein  weiterer 
von  der  Heeresverwaltung  und  den  Krankenkassenver¬ 
bänden  anerkannter  Vorzug. 

S  o  1  a  r  s  o  n. 

In  der  „Therapie  der  Gegenwart“  vom  Januar  1916 
berichtet  G.  Klemperer  nach  seinen  Erfahrungen 
am  städtischen  Krankenhaus  Moabit  in  Berlin  über 
Sol  arson,  ein  wasserlösliches  Arsenpräparat  der 
Elarsongruppe  Nachdem  das  Elarson  seit  ca.  3  Jahren 
von  vielen  Ärzten  und  in  zahlreichen  Kliniken  als  sehr 
brauchbares  Arsenpräparat  bei  Anämien,  Schwäche- 


DER  MEDIZIN.  Nr.  24- 


Zuständen  und  Neurosen  zur  Vermehrung  der  Blut¬ 
körperchen  und  zur  Hebung  der  Kräfte  reichliche  An¬ 
wendung  gefunden  hat  ist  es  nunmehr  den  Farben- 
fabriken  Bayer  &  Co.,  Elberfeld,  gelungen,  dasselbe  in 
wasserlöslicher  F'orm  herzustellen  und  damit  den  einzigen 
Übelstand  der  Elarsonpräparate  zu  beseitigen.  Prof. 
Dr.  Klemperer  übernahm  die  klinische  Prüfung 
und  fand,  dass  das  Solarson  alle  die  Eigenschaften  eines 
Arsenpräparates  in  erhöhtem  Masse  besitzt,  die  es  zu 
einem  klinisch  wertvollen  machen.  Es  verursacht  bei 
der  Unterhauteinspritzung  keinerlei  lokale  Reaktionen, 
ist  leicht  resorbierbar,  wird  auch  von  empfindlichen 
Patienten  anstandslos  vertragen  und  zeigt  die  typischen 
Arsenwirkungen  ohne  schädliche  Nebenerscheinungen, 
bei  Innehaltung  der  medikamentösen  Dosen.  Die  Dar¬ 
reichung  erfolgte  in  1%  iger  Lösung  10 — 12  Tage  lang 
je  1  ccm  mit  Wiederholung  nach  8  tägiger  Pause.  Die 
Elberfelder  Farbenfabriken  bringen  das  Elarson  ausser 
in  Substanz  in  gebrauchsfertigen  Ampullen  mit  0,7%  iger 
Kochsalzlösung  in  Verkehr.  Der  beobachtete  Erfolg 
war  in  allen  Fällen  ein  ausgezeichneter.  Nach  den 
Krankengeschichten  ,  deren  einzelne  Wiedergabe  der 
Raum  verbietet ,  waren  die  Wirkungen  so  augenfällig, 
dass  darnach  an  der  typischen  Arsenwirkung  des  Solar- 
sons  ein  Zweifel  nicht  möglich  ist.  Indiziert  ist  seine 
Anwendung  bei  sekundären  Anämien,  Appetitlosigkeit, 
allgemeinen  Schwächezuständen,  Neurasthenie,  Neuralgien, 
Basedow  und  Uhorea  und  es  erscheint  berufen  die  Vielen 
unsympathische  Kakodylbehandlung  zu  ersetzen.  Jeden¬ 
falls  tritt  der  angesehene  Verfasser  und  bestens  be¬ 
kannte  Kliniker  n  ich  seinen  Erfahrungen  warm  für 
dieses  Präparat  ein ,  nachdem  er  es  sogar  am  eigenen 
Leibe  probiert  und  gut  befunden  hat. 

Darmadstringentia. 

Ena’e  vorigen  Jahres  brachte  die  Fa.  Knoll  &  Co, 
Ludwigshafen  a.  Rh.  unter  dem  Namen  Enterosa  n 
eine  in  verdihfnten  Säuren  schwerlösliche  Kalkverbindung 
der  Gerbsäure  mit  einem  Gehalt  von  15  "/0  Kalk  und 
85%  Gerbsäure  in  Tablettenform  ä  0,25  g  in  den  Handel, 
das  die  gerbende  und  schwach  desinfizierende  Wirkung 
der  Gerbsäure  mit  def  exsudathemmenden  und  gefäss- 
verengenden  des  Kalkös  in  sich  vereint.  Es  soll  sich 
zur  Bekämpfung  von  Diarrhöen  aller  Art  auch  infektiöser 
oder  schwer  stillbarer  Natu1.1*  recht  gut  eignen. 

Genauere  Angaben  liege’,’!  vor  über  das  Präparat 
E  t  e  1  e  n  der  Farbenfabriken  vorfP.  F'riedr.  Bayer  &  Co. 
in  Leverkusen  bei  Cöln  a.  Rh.  In  N%  51  der  Münchener 
medizinischen  Wochenschrift  1915  befichtet  Prof.  Dr. 
Otto  Seifert,  Würzburg  und  Dr.  F.  L  o  e  w  e  n  - 
t  h  a  1  vom  städtischen  Krankenhause  in  Nürnberg  über 
die  prompte  stuhlstopfende  Wirkung  dieses"'  Triacetyl- 
gallussäureäthylesters  bei  allen  Diarrhöen  —  »auch  bei 
Kindern  —  insbesondere  bei  infektiösen  Durchfällen  wie 
Dysenterie,  Typhus,  Paratyphus,  Cholera  asiatic#  und, 
da  dasselbe  als  tropenfest  zu  bezeichnen  ist,  auch"  bei 
Amöbendysenterie.  In  leichteren  Fällen  reichen  Gaben 
von  0,5 — 4,0  drei-  bis  viermal  täglich  aus,  in  schwerere11 
Fällen  können  6,0 — 8,0  g  am  Tage  gegeben  werdet11. 
Es  empfiehlt  sich,  nach  dem  Aufhören  der  Diarrhöe  d<$s 
Mittel  noch  einige  Tage  in  fallender  Gäbe  weiter  zV 
geben.  Da  das  Präparat  schwerlöslich  ist,  gibt  man  eal 
zweckmässig  in  Pulver,  Pillen  oder  Tablettenform. ij 
Tannalbin  und  Tannigen  übertrifft  es  in  seiner  adstrin-  I 
gierenden  Wirkung  etwa  um  das  anderthalbfache. 

Als  besonders  glückliche  Kombination  ist  nach 
L  o  e  w  e  n  t  h  a  1  besonders  bei  dysenterieähnlichen 
Darmentzündungen  eine  Vereinigung  des  Etelens  mit 
Adrenalin,  jedenfalls  durch  dessen  Beeinflussung  der 
Gefässe  ;  auch  eine  gleichzeitige  Darreichung  von  Opium 
erwies  sich  als  erfolgreich  in  solchen  Fällen,  wo  Etelen 
allein  nicht  zum  Ziele  führte. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


233 


Nr.  24. 


Weitere  Mitteilungen  über  Etelen  liegen  vor  in  der 
Vierteljahresschrift  für  praktische  Pharmacie. 

Nach  seinen  Erfahrungen  im  Felde  berichtet  (»eh. 
Med.  Rat  Prof.  Dr.  C.  Hirsch  in  der  Deutschen 
medizinischen  Wochenschrift  1915  Nr.  40  über  die  Wir¬ 
kungen  verschiedener  Adstringentien.  Er  erwähnt  dabei 
besonders  lobend  als  schnell  und  zuverlässig  wirkend 
die  Bier  m  e  r  sehe  Ordination: 

Decoct.  Ratanhiae  450,— 

Extr.  Campechianae  8, — 

Sir.  cinnamomi  ad  500, — 

6  mal  pro  die  25  ccm. 

.  Verfasser  dieser  Zeilen  hatte  im  Felde  und  auch 
vor  dem  gegenwärtigen  Kriege  häufig  Gelegenheit  bei 
Koliken  mitunter  schlimmster  Art  die  ganz  hervor¬ 
ragenden  Erfolge  der  Ratanhiawurzel  festzustellen.  Am 
besten  bewährte  sich  die  Darreichung  in  flüssiger  Form: 

Tinct.  Ratanhiae 
Sir.  splx  ää  10, — 

oder  in  Kapseln  :  Extr.  Ratanhiae  0,75. 

Nach  Bedarf  4  bis  6  mal  täglich  eine  Kapsel. 

Dabei  war  eine  besondere  Diät  nicht  notwendig, 
so  dass  wie  im  Felde  so  besonders  auch  auf  Reisen 
diese  Medikation  zweckmässig  erscheint.  Fl  i  r  s  c  h 
empfiehlt  dabei  wenn  nötig  nach  Vorspülung  mit  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung  zweimal  täglich  einen  Einlauf 
von  2  Litern  0,5  prozentiger  Tanninlösung.  Die  An¬ 
wendung  der  stark  tanninhaltigen  Rad.  Ratanhiae  war 
früher  eine  weitverbreitete.  Sie  wurde  durch  die  che¬ 
mischen  Verbindungen  der  Gerbsäure  besonders  in  Ver¬ 
bindung  mit  Eiweiss  fast  völlig  verdrängt.  Es  ist  sehr 
die  Frage,  ob  die  Wiederaufnahme  dieser  alten  Ordi¬ 
nationen  als  ein  Rückschritt  zu  bezeichnen  wäre.  Jeden¬ 
falls  ist  es  empfehlenswert  in  gegebenen  Fällen  auf  die 
vorgeschlagenen  Formeln  zurückzugreifen  und  über  die 
\\  irkung  an  geeigneter  Stelle  zu  referieren.  Es  sei  dabei 
darauf  hingewiesen,  dass  ein  möglichst  gleichmässiges 
völlig  trockenes  Extrakt  Ratanhiae  zur  Anwendung 
kommen  soll,  wie  es  die  Firma  E.  Merck,  Darmstadt 
herstellt,  um  Versager  zu  vermeiden. 


Fortschritte  in  der  Pathologie  und  Therapie 

der  Diphtherie. 

Von  Dr.  Julius  Straus s,  Kinderarzt  in  Mannheim, 
z.  Z.  Stabsarzt  am  Reservelazarett  Nürtingen. 

(Fortsetzung  und  Schluss.) 

Was  die  Höhe  der  Antitoxin-Dosis  betrifft,  so  haben 
in  neuerer  Zeit  ausserordentlich  hohe  Dosen  Befürworter 
gefunden,  zum  Teil  bis  zu  1 00  000  A.  FF,  allein  wenn 
auch  in  besonders  schweren  Fällen  besonders  hohe  Dosen 
versucht  werden  können,  so  sind  doch  die  Mehrzahl  der 
F'orscher  bei  den  kleineren,  gegen  früher  allerdings  etwas 
erhöhten  Mengen  von  1500  bis  5000  Antitoxin-Einheiten, 
je  nach  dem  Alter  und  der  Schwere  des  F'alles  als  aus¬ 
reichend  geblieben.  Auch  aus  der  Zusammenstellung 
Reiche’s  ergibt  sich  keine  Besserung  im  Ileilungsver- 
hältnis  grosser  Patientengruppen  bei  beträchtlicher  Stei¬ 
gerung  der  Serumdosis  und  Baginsky  hält  die  Forderung 
der  enormen  Dosen  für  das  Gros  der  Fälle  jedenfalls 
übertrieben. 

Wenn  die  Erfolge  des  Serums  wie  oben  gesagt  auch 
nach  meinen  praktischen  Erfahrungen  in  bezug  auf  den 
lokalen  Prozess  ganz  augenscheinliche  sind  und  ein 
Weitergreifen  der  örtlichen  Erkrankung  dabei  zu  den 
Ausnahmen  gehört,  so  möchte  i  c  h  doch  hervorheben, 
dass  ich  eine  Anzahl  von  Patienten  an  Herz-  und  zwei 
auch  an  Schlinglähmung  nach  vollkommener  Abheilung 
des  Prozesses  im  Rachen  zugrunde  gehen  sah.  Diese  F'älle 
schwerer  postdiphtheritischer  Lähmungserschei¬ 


nungen  haben  in  ihrem  unei  warteten  Entstehen  und  ihrem 
Verl  auf  etwas  besonders  Tragisches.  Der  eine  F  all  von 
Schlinglähmung,  der  einige  Tage  durch  Sondenfütterung 
erhalten  werden  konnte,  betraf  einen  kräftigen  vierjäh¬ 
rigen  Jungen,  dessen  langsames  Hinsiechen  einen  unver¬ 
gesslich  traurigen  Eindruck  machte;  bei  dem  einen 
meiner  Ilerztodesfälle,  einem  3  jährigen  Knaben  war 
klinisch  besonders  merkwürdig  das  Herabsinken  der 
Pulszahl  auf  36  Schläge  in  der  Minute,  1  Tag  vor  dem 
Exitus.  Diese  traurigen  und  meist  unerwarteten  Todes¬ 
fälle  müssen  uns  zu  ernster  Überlegung  veranlassien. 
Spielt  hierbei  vielleicht  eine  zu  geringe  oder  zu  späte 
Applikation  des  Serums  eine  Rolle  oder  entstehen  dese 
Lähmungen  vollkommen  unabhängig  davon?  Es  hat  mir 
doch  sehr  viel  Bedenken  gemacht,  dass  der  eine  von 
meinen  postdiphtheritischen  Ilerztodesfällen  nach  einer 
vollkommen  lokalisierten  geringfügigen  Tonsillar-Diph- 
therie  bei  einem  10  jährigen  allerdings  von  jeher  stark 
anämischen  Mädchen  erfolgte,  bei  der  ich  erst  am  4. 
Krankheitstage  wegen  der  Hartnäckigkeit  der  Membran- 
Resistenz  spritzte.  Er  entsprach  ungefähr  dem  Krank¬ 
heitsbild,  bei  dem  auch  Feer  in  seinem  Lehrbuch  der 
Ansicht  ist,  ohne  Diphtherie-Serum  auskommen  oder 
wenigstens  abwarten  zu  können.  Die  übrigen  Lähmungs¬ 
fälle  allerdings  waren  sofort  bei  Beginn  der  Behandlung 
gespritzt  worden,  aber  es  lässt  sich  schwer  sagen  (in 
einem  Fall  handelte  es  sich  um  ein  auf  der  Fahrt  be¬ 
findliches  Schifferkind)  um  den  wievielten  Tag  der  Krank¬ 
heit  es  sich  handelte.  Im  ganzen  muss  ich  sagen,  dass 
ich  von  einer  frühzeitigen  Serum-Einverleibung  doch 
auch  eher  eine  Verhütung  der  schweren  Lähmungen  er¬ 
warten  zu  dürfen  glaube.  Die  Ansichten  der  Kliniker 
hierüber  sind  noch  keineswegs  einheitlich  Zum  Teil 
wird  dem  Antitoxin  jegliche  Bedeutung  für  die  Ent¬ 
stehung  oder  Verhütung  der  postdiphtheritischen  Läh¬ 
mung  abgesprochen,  zum  Teil  wird  von  einer  frühzeitigen 
Anwendung  eine  Verhütung  und  sogar  von  einer  späteren 
noch  ein  Einfluss  auf  schon  bestehende  Lähmungen  ver¬ 
mutet.  Immerhin  wird  von  der  Mehrzahl  der  Beobachter 
die  postdiphtheritische  Lähmung  meist  im  Anschluss  an 
schwere  und  spät  eingelieferte  Fälle  angegeben  und 
Baginsky  berichtet,  dass  er  Lähmungen  bei  den  am 
ersten  Tag  der  Erkrankung  mit  Serum  behandelten 
Kindern  überhaupt  nicht  mehr  zur  Beobachtung  bekom¬ 
men  habe.  Auf  eine  interessante  Weise  sucht  Klei  n- 
Schmidt  (Archiv  f.  Kinderh.  1915,  Bd.  64)  dieser  Frage 
näher  zu  treten,  indem  er  bei  den  Fällen  postdiphtheri¬ 
tischer  Lähmung  mittels  der  weiter  unten  angegebenen 
Schick’schen  Reaktion  den  Antitoxingehalt  im  Blute 
prüfte;  er  kommt  hierbei  zu  dem  Resultat:  „Diphtherie¬ 
lähmung  kann  auftreten  und  zum  Tod  führen  trotz  Vor¬ 
handenseins  von  Antitoxin  im  Blut  und  sie  kann  heilen 
trotz  Fehlens  von  Antitoxin  ;  ein  gesetzmässiger  Zu¬ 
sammenhang  mit  diesem  ist  also  auf  diesem  Wege  nicht 
nachweisbar.“  Die  von  französischen  Forschern  ange¬ 
gebene  Heilwirkung  grosser  Serumdosen  auf  postdiph¬ 
theritische  Lähmungen,  die  in  Deutschland  wenig  An¬ 
hänger  gefunden  hat,  würde  dadurch  ihre  theoretische 
Grundlage  verlieren.  Es  ist  jedoch  bemerkenswert,  dass 
Feer  in  einem  Vortrag  1915  in  der  Gesellschaft  der 
Ärzte  in  Zürich  über  einen  Fall  schwerer  postdiphthe¬ 
ritischer  Schlucklähmung  und  Herzschwäche  bei  einem 
14  jährigen  Knaben  berichtet,  der  eine  absolut  infauste 
Prognose  bot.  Nachdem  er  ihm  innerhalb  5  Tagen  im 
ganzen  27  000  A.  E.  intramuskulär  injizierte,  besserten 
sich  die  Erscheinungen  rapid  und  der  Fall  ging  in  Hei¬ 
lung  über. 

Seit  Einführung'  des  Serums  kennt  man  auch  die 
durch  seine  Anwendung  verursachten  Störungen,  die 
aber  in  ihrem  Zusammenhang  erst  vor  einigen  Jahren 
als  Serum-Krankheit  durch  eine  Monographie  von 
Pirquet  und  S  c  h  i  c  k  geschildert  wurden.  Sie  basiert 


Nr.  24 


234 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


wahrscheinlich  auf  einer  angeborenen  Empfindlichkeit 
gegen  die  parenterale  Einverleibung  fremden  Eiweisses; 
nach  Verlauf  eines  symptomlosen  Zeitraumes  von  7—  12 
Tagen  treten  manigfache  Störungen  auf:  Hautausschlag 
der  verschiedensten  Form,  z.  T.  urticariellen  oder 
scarlatinösen  oder  morbillenähnlichen  Aussehens, 
Fieber,  Gelenkschmerzen,  Ödeme,  Lymphdrüsen- 
schwellungen,  entweder  zusammen  oder  ’  als  Einzel- 
Symptome.  \  ielleicht  hängen  diese  Serumkrankheits- 
Erscheinungen  zum  Teil  auch  mit  der  Art  und 
Beschaffenheit  des  Serums  zusammen;  jedenfalls  ist  es 
m  i  r  aufgefallen,  dass  ich  in  den  ersten  Jahren  meiner 
1  ätigkeit  bei  der  Serum-Behandlung  derartige  Störungen 
häufiger  sah  als  in  den  letzten  bei  gleichbleibender 
Form  der  Applikation,  bisher  noch  subkutane  Injektion 
an  der  Aussenseite  des  Oberschenkels;  dagegen  hörte 
ich  vermehrte  Klagen  der  kleinen  Patienten  über  lokalen 
Schmerz  an  der  Injektionsstelle,  die  allerdings  inner¬ 
halb  1 — 2  lagen  unter  kühlenden  Umschlägen  meist 
vollkommen  verschwanden. 

Eine  ausserordentlich  lebhafte  Beachtung  haben 
dann  die  mit  der  wiederholten  Serum  -  Einverleibung 
zum  "Feil  verknüpften  Erscheinungen  gefunden,  die  man 
als  Anaphylaxie  (Schutzlosigkeit)  bezeichnet.  Sie  beruhen 
höchstwahrscheinlich  auf  der  Tatsache,  dass  bei  paren¬ 
teraler  Einverleibung  artfremden  Eiweisses  der 
Organismus  zur  Zerstörung  und  Verdauung  dieses  Ei¬ 
weisses  Stoffe  produziert,  die  z.  T.  als  Präcipitine  nach¬ 
gewiesen  werden  können  d.  h.  als  Stoffe,  die  mit  dem 
fremden  Eiweiss  im  Reagensglas  zusammengebracht 
eine  Fällung  in  demselben  hervorrufen,  z.  "  T.  als 
hermente,  welche  eine  Spaltung  und  Verdauung  dieses 
Eiweisses  bewirken.  Diese  im  Blut  sich  bildenden 
Stoffe  können  sich  verschieden  lange  darin  erhalten. 
Erfolgt  nun  nach  kurzer  oder  längerer  Zeit  eine  zweite 
Injektion  desselben  Serums,  so  rufen  diese  bereits  vor¬ 
handenen  oder  rascher  gebildeten  und  nicht  wie  bei  der 
Erstinjektion  sich  erst  allmählich  bildenden  Abwehrstoffe 
manchmal  eine  plötzliche  Eiweissspaltung  hervor,  deren 
Produkte  toxische  Wirkung  haben  können.  Die  hier¬ 
durch  veranlassten  krankhaften  Zustände  nennt  man  den 
anaphylaktischen  Symptomenkomplex.  Er  kann  sich  in 
schwerer  Dyspnoe,  Bewusstlosigkeit,  klonischen  und  to¬ 
nischen  Zuckungen  äussern,  die  den  unmittelbaren  Tod 
zur  F  olge  haben  können.  Sehr  leicht  und  häufig  lassen 
sich  diese  Folgeerscheinungen  im  Tierexperiment,  be¬ 
sonders  beim  Kaninchen,  herbeiführen  und  ihre  Kennt¬ 
nis  hat  für  die  praktische  Serum- Anwendung,  insbesondere 
für  ihre  Wiederholung  in  der  Praxis  die  lebhafteste 
Beunruhigung  hervorgerufen.  Allein  die  Erfahrung  der 
allermeisten  Autoren  lässt  die  Gefahr  der  Anaphylaxie 
für  den  Menschen  doch  ausserordentlich  gering  erscheinen. 
Zwar  sind  einige  Fälle  aber  doch  sehr  wenige  auch 
beim  Menschen  berichtet,  in  denen  eine  Reinjektion 
unter  den  obengeschilderten  Symptomen  zum  Tode 
führte.  Aber  ein  erfahrener  Kliniker  wie  B  a  g  in  s  k  y 
schreibt  (Archiv  f.  Kinderhlkde.  1915  Bd.  64);  Die 
Anaphylaxie-Gefahr  bei  der  Diphtherieserum-Behandlung 
spukt  nur  in  den  Laboratorien,  hat  aber  am  Kranken¬ 
bett  so  gut  wie  gar  keine  Bedeutung.  Auch  Jochmann 
(Med.  Kl.  1913  Nr.  24)  sagt:  es  ist  eine  unnötige 
Beunruhigung  in  die  Praktiker  hineingetragen  worden 
dadurch,  dass  man  Beobachtungen  am  Tierexperiment 
auf  den  Menschen  übertrug.  Unter  den  vielen  tausenden 
Serum- Injektionen  sah  er  zweimal  ernstere  Symptome, 
davon  betraf  eine  eine  Erstinjektion.  Lux  aus  der 
Rostocker  Klinik  hat  nie  anaphylaktische  Reaktionen 
beobachtet,  Cuno  (D.  med.  W.  1914  Nr.  20),  der  in 
seinem  Kinderkrankenhaus  gleichfalls  schon  20  Jahre 
lang  Diphtherie-Serum  anwendet,  darunter  bei  110 
Kindern  2 — 3  mal,  hat  nur  einmal  in  einem  Falle  direkt 
nach  der  Einspritzung  eine  leichte  Anaphylaxie  gesehen, 


bestehend  in  Schwellung  des  Gesichts,  Ödeme  der  Hände 
und  einem  grosslleckigen  Exanthem,  Erscheinungen,  die 
nach  einem  Tag  zurückgingen.  Mir  selbst  stehen  nur 
wenige  Erfahrungen  über  Reinjektion  zur  Seite,  da  ich 
von  prophylaktischen  Einspritzungen  im  allgemeinen  ab¬ 
sehe ;  bei  diesen  wenigen  zeigte  sich  niemals  eine  ana¬ 
phylaktische  Störung. 

Aber  auch  die  wenigen  bekannt  gewordenen  Fälle  von 
Anaphylaxie  genügten,  um  den  ärztlichen  Erfindungs¬ 
geist  anzuspornen,  die  hier  drohende  Gefahr  zu  um¬ 
gehen,  Das  erste,  was  speziell  auf  Behrings  Anregung 
hin  geschah,  war,  dass  man  um  die  Reinjektion  gleich¬ 
artigen  Eiweisses  vermeiden  zu  können,  neben  dem 
Pferde-Diphtherie-Serum  auch  ein  Rinder-Diphtherie- 
Serum  schuf.  Damit  war  ein  brauchbarer  Weg  gegeben, 
aber  es  ist  fraglich,  ob  er  nicht  neue  Gefahren  birgt. 
Wenigstens  sah  Ileubner  bei  einem  Säugling  schwere 
Störungen  nach  Einspritzung  von  Rinder-Serum  auf- 
treten  und  er  glaubt,  dass  dieses  bei  vielen  Säuglingen 
primär  toxisch  wirke.  Ruppel  (D.  med.  W.  1912  Nr.  14) 
glaubt,  dass  die  Toxizität  des  Tier-Eiweisses  im  Serum 
durch  längeres  Lagern  des  Serums  aufgehoben  werde, 
ohne  dass  dadurch  der  Antitoxingehalt  weiter  zurück¬ 
gehe.  Von  französischer  Seite  empfahl  man  zu  dem¬ 
selben  Zweck  eine  mässige  Erwärmung  des  Serums  auf 
57".  Eichholz  (Münchn.  med.  W.  1913  Nr.  46)  empfahl 
zur  Vermeidung  der  Anaphylaxie-Gefahr  eine  neue  Art 
der  Serum-Einverleibung  und  zwar  in  Form  eines 
Trockenserums,  das  in  reinem  Olivenöl  aufgeschwemmt 
injiziert  wird.  Er  meint,  dass  die  langsame  Resorption 
des  Trockenserums  keine  Anaphylaxie-Gefahr  auf- 
kommen  lasse.  Ob  aber  damit  auch  eine  prompte 
Wirkung  gewährleistet  wird  ?  Dann  wurde  von  Neufeld, 
Friedberger  und  Besredkagezeigt,dassman  im  Tierversuch 
die  Anaphylaxie  vermeiden  kann,  wenn  man  vor  der  Ein¬ 
verleibung  der  zweiten  Serumdosis  eine  subkutane  Vor¬ 
injektion  minimaler,  an  sich  unschädlicher  Mengen  5 — 6 
Stunden  vorausschickt  eventuell  tropfenweise,  meist 
0-5  ccm.  Sie  suchen  dadurch  eine  Sättigung  der  im 
Blut  kreisenden  Antikörper  zu  erzielen  und  bezeichnen 
die  dadurch  erreichte  Aufhebung  der  Anaphylaxie  als 
Antianaphylaxie ;  auch  durch  vorhergehende  Klysma- 
Verabreichung  des  Serums  oder  durch  die  fraktionierte 
Einverleibung  des  Diphtherie-Serums  innerhalb  50 — 60 
Minuten  soll  dasselbe  Resultat  erreicht  werden.  Auch 
Otto  und  II  ö  f  e  r  (Zeitschr.  f.  Hygiene  u.  Infekt-Krank¬ 
heiten  1915)  bestätigen  die  Erreichung  einer  Antianaphyla¬ 
xie  durch  eine  der  eigentlichen  Einspritzung  einige  Stunden 
vorausgehende  subkutane  Injektion  von  0,5 — 0,1  des 
Serums.  Sie  empfehlen  diese  Art  der  Schutzimpfung 
1.  bei  Personen,  die  früher  schon  injiziert  waren,  2.  die 
an  einer  sonstigen  Idiosynkrasie  oder  Diathese  leiden, 
3.  allgemein  vor  grossen  Dosen  oder  intravenösen  Appli¬ 
kationen.  Man  wird  sich  für  diese  Indikationen  also 
in  der  Praxis  an  die  leicht  durchzuführende  Art  der 
kleinen  Vorinjektion  vor  der  Hauptinjektion  halten 
dürfen. 

Neben  der  Serum-Therapie  wurde  natürlich  auch 
versucht,  sonstige  Mittel  ausfindig  zu  machen,  die  einen 
heilenden  Einfluss  bei  Diphtherie  besitzen  und  zum  min¬ 
desten  die  Serum-Therapie  unterstützen.  Gerne  werden 
hierzu  antiseptische  Wässer  in  Form  von  Gurgelungen, 
Ausspülungen  und  Inhalationen  angewandt,  Wasserstoff¬ 
superoxyd,  Kal.  permang.  oder  die  gerne  genommenen 
Formamint-Tablelten.  Ich  glaube  auch  von  der  Inhalation 
von  Kalkwasser  bei  meinen  Patienten  Gutes  gesehen 
zu  haben.  Sicher  ist  eine  gute  Mundpflege  und  ihre 
Unterstützung  durch  diese  Mittel  sehr  wichtig,  doch 
muss  davor  gewarnt  werden,  bei  der  Labilität  des 
Diphtherie-Herzens  dem  Patienten  stärkere  Aufregungen 
und  Anstrengungen  zuzumuten.  Von  neuen  Mitteln 
wurde  in  den  letzten  Jahren  insbesondere  die  Pyocyanase 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


235 


Nr.  24. 


empfohlen,  mit  der  Sonnenberger,  Knöspel  u.  a.  gute 
Erfolge  gesehen  haben,  während  Kliniker  wie  Moro 
keinen  Vorteil  davon  haben  erkennen  können.  Das  Cyan- 
Quecksilber  001/100  0  innerlich  wie  zum  Spülen  und 
Gurgeln  wird  von  Schulz  warm  empfohlen.  Freund  und 
mit  ihm  Kausch  berichten  über  gute  Erfahrungen  mit 
Jatren  puriss.  02— 05  dreimal  täglich  intern  oder  auf 
die  Mandeln  eingestäubt,  Leschke  (M.  Med.  W.  1915 
Nr.  41)  sah  eine  raschere  Abstossung  der  Beläge  und 
eine  schnellere  Erzielung  der  Bazillenfreiheit  im  Rachen 
von  lokaler  Behandlung  mit  Providoform  (Tribrom-/?- 
Naphtol),  von  dem  er  1  Esslöffel  einer  5°/0  Tinktur  auf 
1  Glas  Wasser  zum  Inhalieren  und  Gurgeln  verwenden 
Hess.  Für  die  Herz-  und  Gefässlähmungen  sind  ausser 
dem  Strychnin  besonders  Adrenalin  in  der  üblichen  Ver¬ 
dünnung  empfohlen  worden;  mit  Rücksicht  auf  Obduk¬ 
tionsbefunde  mit  Veränderungen  der  Hypophysis  cerebri 
bei  Diphtherie  hat  man  auch  das  Pitruitin  angewandt. 
Von  Digitalis  -  Präparaten  habe  ich  in  meinen  Fällen 
keinerlei  günstige  Beeinflussung  gesehen.  Reiche  empfiehlt 
beim  Versagen  des  Herzens  in  erster  Linie  Alkohol,  das 
sich  ihm  besser  bewährte  als  Digitalis  und  Adrenalin ; 
daneben  Coffein  in  subkutanen  Einspritzungen  und  für 
mehr  chronisch  roborierende  Zwecke  Strychnin. 

In  der  Frage  der  persönlichen  Prophylaxe  der  Diph¬ 
therie  —  von  der  allgemeinen  war  die  Rede  schon  bei 
der  Behandlung  der  Bazillenträger  —  wird  vielleicht  die 
schon  oben  erwähnte  Reaktion  eine  gewisse  praktische 
Bedeutung  erlangen,  die  Schick  in  Wien  vor  einigen 
Jahren  angab:  Durch  intrakutane  Injektion  von  Diphtherie- 
Toxin  in  der  Menge  von  01  einer  Verdünnung  von 
1  :  1000  wird  eine  Hautreaktion  erzielt,  die  bei  natür¬ 
lichem  Gehalt  des  Blutes  an  Antitoxin  oder  bei  künst¬ 
licher  Zuführung  desselben  unterbleibt.  Man  hat  diese 
Reaktion  bereits  dazu  angewandt,  um  bei  drohender 
Diphtherie-Infektion  solche  Individuen  herauszufinden, 
die  keine  natürlichen  Diphtherie- Antitoxine  im  Blut 
haben,  um  nur  sie  der  prophylaktischen  Impfung  zu 
unterziehen.  Von  Bedeutung  für  die  vorbeugende  Diph¬ 
theriebekämpfung  ist  ein  neues  von  Behring  erfundenes 
Verfahren,  über  das  er  auf  dem  Kongress  für  innere  Medizin 
berichtete;  es  beruht  im  Gegensatz  zur  passiven  Immuni¬ 
sierung  durch  sein  Serum  auf  einer  Anregung  zu  aktiver 
Antitoxinbildung  durch  Einverleibung  von  Diphtherie- 
Toxin.  Dieses  letztere  ist  hierbei  kein  reines  Diphtherie- 
Toxin,  sondern  eine  Mischung  von  Diphtherie-Toxin 
mit  Antitoxin,  also  ein  abgeschwächtes  Diphtheriegift. 
Die  dadurch  erreichte  Immunisierung  soll  bedeutend 
stärker  und  vor  allem  viel  länger  anhaltend  sein  als  die 
durch  Serum  erreichte  passive  Immunisierung.  Es  ist 
diese  Art  der  aktiven  Immunisierung  ja  im  Prinzip  die¬ 
selbe,  die  zur  Gewinnung  des  Diphtherie-Serums  bei 
Pferden  immer  schon  angewandt  wird.  Behring  empfiehlt 
bei  Neugeborenen  und  Säuglingen  mit  Injektion  von 
0,01  ccm,  bei  älteren  Kindern  mit  0,05  ccm  in  1  ccm 
Flüssigkeit  subkutan  oder  intramuskulär  zu  beginnen 
und  in  Abständen  von  3  bis  5  Tagen  zu  wiederholen 
bis  zu  deutlicher  lokaler  oder  allgemeiner  Reaktion,  die 
sich  äussert  in  Rötung,  Schwellung,  Druckempfindlich¬ 
keit  der  Injektionsstelle,  hier  und  da  Schwellung  der 
regionären  Lymphdrüsen.  Die  allgemeine  Reaktion  kam 
in  zumeist  nur  leichten  kurzdauernden  Fieberbewegungen 
zum  Ausdruck.  Die  Unschädlichkeit  des  Mittels  ist 
wohl  durch  zahlreiche  Versuche  erwiesen;  ein  sicherer 
Nachteil  ist  jedoch,  dass  der  Impfschutz  erst  einige  Zeit 
nach  der  ersten  Injektion  eintritt.  Inzwischen  haben 
Hahn  und  Sommer  (D.  med.  W.  1914  Nr.  I)  bereits 
praktische  Erfahrungen  mit  dem  Behring’schen  Schutz¬ 
mittel  veröffentlicht.  Sie  haben  bei  Epidemien  an  5 
kleineren  Orten  im  ganzen  633  Kinder  voll  immunsiert, 
ohne  erhebliche  Nebenwirkungen  zu  beobachten;  und 
zwar  halten  sie  die  intrakutane  Anwendung  in  die 


Rückenhaut  zwischen  den  Schulterblättern  für  die  zvveck- 
mässigste.  W  ährend  die  Epidemien  bei  der  übrigen  Be¬ 
völkerung  andauerten,  kamen  bei  diesen  Kindern  bisher 
nur  2  Erkrankungen  vor,*  davon  1  ganz  abortive,  1  mit 
negativem  Bazillenbefund;  diphtheritische  Erkrankungen, 
die  bei  Impflingen  während  der  ersten  zehn  Tage  nach 
der  Schutzimpfung  zum  Ausbruch  kamen,  während 
welcher  Zeit  serologisch  eine  Anti-Körpersteigerung 
noch  nicht  nachweisbar  ist,  verliefen  in  einigen  Fällen 
abortiv.  Auch  Bauer  (D.  med.  W.  1914  Nr.  10)  ver¬ 
öffentlicht  günstige  Erfahrungen  mit  dem  neuen  Mittel. 
Dass  bei  Beurteilung  derartiger  Erfolge  besonders  vor¬ 
sichtig  und  kritisch  verfahren  werden  muss,  ist  bei  der 
durchaus  verschiedenen  individuellen  Disposition  zur 
diphtheritischen  Erkrankung  klar.  Ich  war  oft  erstaunt, 
in  der  ärmeren  Praxis  zu  sehen,  wie  Kinder  bis  zum 
Beginn  der  ärztlichen  Behandlung  mit  ausgedehnter 
Diphtherie  mit  ihren  Geschwistern  aufs  engste  zusammen¬ 
gelebt  hatten,  ohne  dass  bei  diesen  eine  Infektion  er¬ 
folgte  ;  es  waren  darunter  selbst  solche,  die  in  einem 
Bett  mit  dem  Patienten  geschlafen  hatten.  Diese  Er¬ 
fahrung  findet  eine  interessante  Beleuchtung  durch  die 
neuerdings  gewonnene  Kenntnis,  dass  ein  grosser  Pro¬ 
zentsatz  von  Kindern,  die  noch  nie  Diphtherie  durch¬ 
gemacht  haben,  auf  die  Schick’sche  Impfung  mit  Diph¬ 
therietoxin  nicht  reagieren,  also  spezifisches  Antitoxin  in 
ihrem  Blute  haben.  Otto  fand  diesen  Antitoxin-Gehalt 
besonders  hoch  bei  Leuten  in  der  Umgebung  von  Diph¬ 
theriekranken.  Spirig  St.  Gallen  (Korresp. -Blatt  f. 
Schweizer  Ärzte  1913)  hat  bei  24  Familien  eines  Ortes, 
der  in  mehreren  Generationen  von  Diphtherie-Epidemien 
heimgesucht  war,  Untersuchungen  angestellt  und  bei  10 
eine  hereditäre  Übertragung  der  Immunität,  bei  14  eine 
hereditäre  Übertragung  der  Disposition  zur  Erkrankung 
gefunden.  Die  einmal  vorhandene  Qualität  in  diesem 
oder  jenem  Sinn  blieb  erhalten.  Immerhin  ist  sicher,  dass 
für  Krankenanstalten  und  sonstige  Gemeinschaften  prophy¬ 
laktische  Serum- Einspritzungen  sehr  günstig  wirken ; 
dafür  sprechen  auch  die  in  den  letzten  Epidemien  ge¬ 
wonnenen  Erfahrungen.  Lux  berichtet  aus  der  Rostocker 
Klinik,  dass  die  auf  die  Diphtherie-Station  verlegten 
nichtdiphtheritischen  Anginen  durch  Serum-Injektion  aus¬ 
nahmslos  vor  Infektion  behütet  wurden  ;  Reiche  hat  in 
29  Monaten  im  ganzen  286  Personen  dem  Diphtherie¬ 
pavillon  überwiesen,  die  suspekte  aber  nicht  diphtheri¬ 
tische  Rachenbeläge  hatten  und  sie  dort  verschieden 
lange  in  den  gleichen  Räumen  mit  den  Diphtheriekranken 
nach  einer  alsbald  beim  Eintritt  erfolgten  Serum-Injek¬ 
tion  beobachtet  und  behandelt.  Trotz  der  wahrschein¬ 
lich  eher  zur  Infektion  disponierten  Rachenschleimhaut 
erlebte  er  in  dieser  ganzen  Gruppe  nicht  eine  einzige 
Hausinfektion  mit  Diphtherie,  während  gleichzeitig  von 
dem  ungeimpften  Ärzte-  und  Pflegepersonal  4  Assistenten 
und  18  Schwestern  und  Pflegerinnen  an  Diphtherie  er¬ 
krankten. 

Auch  für  die  allgemeine  ärztliche  "Tätigkeit  ist  von 
manchen  Seiten  die  prophylaktische  Serumbehandlung  der 
Geschwister  befürwortet  und  ausgeführt  worden.  Allein 
ich  fand  in  der  Praxis,  dass  sich  dies  doch  nicht  so  ohne 
weiteres  durchführen  lässt.  Einmal  ist  schon  bei  der 
Serumbehandlung  des  Erkrankten  selber  recht  häufig 
ein  gewisser  Widerstand  der  Eltern  zu  überwinden,  der 
bei  einer  Einspritzung  der  Gesunden  noch  weit  grösser 
ist  und  neue  Nahrung  findet,  wenn  einmal  zufällig  ein 
solches  mit  der  Serumkrankheit  auf  die  Einverleibung 
antwortet.  Dann  sind  auch  die  pekuniären  Momente 
immerhin  in  Betracht  zu  ziehen  und  endlich  wissen  wir, 
dass  die  passive  Immunität  doch  im  wesentlichen  nur 
für  2-3  Wochen  ausreicht.  Ich  habe  in  der  Regel  des¬ 
halb  davon  abgesehen  und  nur  die  Vorsicht  gebraucht, 
vor  dem  jedesmaligen  Besuch  des  Diphtheriekranken  die 
streng  davon  abgetrennten  Geschwister  in  Hals  und 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  24. 


2  36 


Nase  zu  untersuchen.  Eine  etwaige  Erkrankung  würde 
dann  so  frühzeitig  behandelt  werden  können,  dass  das 
Risiko  des  Zuwartens  nicht  gross  erscheint.  Und  in 
der  Tat  ist  mir  kein  Fall  voTgekommen,  der  mir  eine 
Änderung  dieses  Verhaltens  nahegelegt  hätte.  Darum 


erscheint  mir  auch  der  Nutzen  der  neuerdings  von  Beh¬ 
ring  angegebenen  aktiven  Schutzimpfung  für  die  Allge¬ 
meinpraxis  von  keiner  so  grossen  Bedeutung  dank  des 
Heilmittels,  das  uns  derselbe  Forscher  in  die  Hand  ge- 
' geben  hat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Dr.  W  ortraann,  A.  Hacksadt  und  M  Qui¬ 
rin.  Über  eine  kombinierte  Pyramidon  -  Bäder -Therapie. 

(Therap.  Monatsh.  1915,  Dezember,  S.  G52). 

Die  Gesichtspunkte  für  Kombinierung  von  Bädern  undPyra- 
midon  stellen  Verfasser  wie  folgt  zusammen:  Pyramidon  ist  nur 
Antisepticum,  kein  Typhusspezificum.  In  ca.  6°/0  der  Fälle 
ist  es  unwirksam,  Bäder:  nur  wenn  die  Pyramidonwirkung 
noch  nicht  eingesetzt  hat  oder  nicht  mehr  besteht.  Contra 
indikatiou  :  Schlechter  Puls  und  das  bei  einigen  Kranken  nach 
Pyramidon  auftretende  starke  Schwitzen.  Pyramidon  kann 
vermindert  oder  weggelassen  werden,  wenn  Puls-  und  Tempe¬ 
raturkurve  parallel  verlaufen.  Die  Absicht  beim  Pyramidon 
ist  nicht,  das  Fieber  abzukürzen  oder  zu  erniedrigen  (seine 
vernichtende  Wirkung  auf  die  Typhusbazillen  und  deren 
Toxine)  sondern  lediglich  um  die  das  Herz  schädigenden  Tem¬ 
peraturschwankungen  besonders  nach  Fastigium  aufzuheben 
oder  zu  erniedrigen.  Also  lediglich  beruhigende  Wirkung  auf 
die  erregten  wärmeregulierenden  Zentren,  wozu  kleine  Pyrami- 
dongaben  genügen. 

Die  weseentlihen  Vorteile  dieser  kombinierten  Behandlung 
finden  die  Verfasser  im  folgenden:  Verkürzung  der  täglichen 
Fieberschwankungan  nach  Beendigiung  des  Fastigiums  auf  2/3 
und  die  dadurch  dem  Herzen  ersparten  hohen  Anforderungen. 
Ebenso  Schonung  der  Herzkraft  durch  den  geringen  Prozentsatz 
an  Bädern.  Die  Verfasser  hoffen  noch  weiteren  Erfahrungen 
in  ihrem  Sinne  zu  begegnen.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 

Prof.  H.  S  t  r  a  u  s  s.  Krieg  und  Verdauungskrank¬ 
heiten.  (Ztschr.  f.  ärztl.  Fortbldg.  1916,  Nr.  1,  S.  8.) 

Manche  Krankheitsbilder  sind  häufiger  vor  Augen  ge¬ 
kommen  als  sonst.  So  bekam  Verfasser  Fülle  von  Chole¬ 
cystitis  bei  jungen  Männern  im  Kriege  häufiger  zu  sehen  als 
sonst  im  Frieden,  vielleicht  mit  leichten  nicht  manifest  ge¬ 
wordenen  Typhusinfekten  zusammenhängend,  die  leicht  Cho¬ 
lecystitis  erzeugen.  Dasselbe  gilt  für  Icterus  catarrhalis  in 
diesen  Altersklassen,  der  jedoch  aufs  Konto  einer  Paratyphus¬ 
infektion  zu  setzen  ist. 

Dann  waren  die  Fälle  leichter  oder  leichtester  akuter 
Colitis  haemorrhagica  namentlich  im  vorigen  Herbst  häufiger 
als  im  Frieden.  Ätiologisch  kein  einheitliches  Krankheitsbild, 
beruhen  sie  auf  dem  Paratyphus  —  dann  auf  dem  Dysenterie¬ 
erreger.  Die  Differentialdiagnose  ist  oft  schwierig,  weil  ein¬ 
mal  bei  Ruhrfällen  die  Bakteriologie  der  Fäces  sehr  eng  be¬ 
grenzt  ist :  Finger  konnte  z.  B.  in  600  Fällen  nur  bei 
20°/0  den  Nachweis  erbringen.  Dazu  kommen  die  neuerlichen 
Bedenken  gegen  die  Beweiskraft  der  Fäces:  einmal  erfolgt 
bei  akuten  Dysenterieen  die  Bildung  der  Agglutinine  manch¬ 
mal  recht  spät,  oft  erst  einige  Wochen  nach  der  Infektion. 
Dann  ist  von  verschiedenen  Seiten  darauf  hintrewiesen  worden, 
dass  Ruhrbazillen  auch  Mit-  und  Neben-Agglutinine  für  Typhus¬ 
bazillen  und  umgekehrt,  dass  Typhusbazillen  auch  Mit-  oder 
Neben-Agglutinine  für  kurze  Shigha-Bazillen  erzeugen  können 
Immerhin  gilt  noch  der  alte  Satz,  wenn  sonst  das  Bild  auf 
Dysenterie  stimmt,  ein  positiver  Ausfall  der  Agglutinations¬ 
probe  den  Verdacht  stützt  Wenn  die  akute  Feldcolitis  meist 
so  leicht  verlief,  so  dürfte  dies  daher  kommen,  dass  viele 
Soldaten  latent  leichtest  mit  Dysenterie  infiziert  wurden  und 
dadurch  eine  gewisse  Immunisierung  gegenüber  schweren  Dy- 
seuterieinfekten  erwarben.  Nach  des  Verfasseis  Untersuchung 


mag  dies  gerade  im  Felde  enorm  häufig  sein  Ebenso  stehen 
die  chronischen  Residualcolitiden  in  recht  eimer  Beziehung 
zum  Dysenterieinfekt.  Auch  beim  Zivil  war  Dysenterie  und 
Typhus  häufiger  als  sonst. 

Therapie:  In  akuten  Formen  ist  Verfasser  nicht  für  die 
Klsymenbehandlung,  wohl  aber  bei  chronischen  Prozessen  und 
zwar  mit  Heidelbeerextrakt.  Auch  Heidelbeerkonfekt  per  os 
und  rectum,  ebenso  die  Kohlebehandlung,  wichtig  auch  für 
die  chronischen  Formen  eine  zarte  lang  und  vorsichtig  durch¬ 
geführte  Diät.  Schwierig  kann  das  Ernährungssytem  oft  werden 
für  die  Entlassenen.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r, 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Sehrt-  Freiburg.  Die  konservative  Behandlung  schwe¬ 
rer  Gelenkschussverletzungen  mit  Dauerstauung.  (M.  m.  W 

10  1916.) 

Verf.  hat  auf  Anraten  von  Bier  eine  grosse  Anzahl 
von  schweren  Gelenkschüssen  mit  Stauung  behandelt  und  ist 
hiermit  bei  Fällen,  die  frühzeitig,  d.  i.  3—4  mal  24  Stunden 
nach  der  Verletzung  in  Behandlung  kamen  zu  Resultaten  ge¬ 
langt,  wie  sie  kaum  von  einer  aktiveren  Behandlungsmethode 
in  solch  gleichmässiger  Sicherheit  erreicht  werden  können  Auch 
für  die  spätere  funktionelle  Wertigkeit  des  Gelenkes  ist 
die  Stauungsbehandlung  der  Gelenksinzision  und  Drainage 
überlegen,  da  durch  jede  Kontaktvermeidung  des  Gelenkappa¬ 
rates  mit  Drains  usw.  eine  Möglichkeit  der  sekundären  Ver¬ 
steifung  verringert  bleibt. 

Die  Technik  der  Stauung  richtet  sich  nach  B  i  e  r’s 
System.  Die  Gummibinde  wird  unter  sehr  mässigem  Zug 
oberhalb  der  Wunde  angelegt.  Der  Puls  der  peripheren  Ar¬ 
terien  muss  stets  fühlbar  bleiben,  die  Haut  rot  und  warm 
sein.  Sehrt  lässt  die  Binde  6—7  Tage,  bei  schweren 
Verletzungen  10  — 14  Tage  liegen,  wobei  es  natürlich  zu  enor¬ 
men  Stauungsschwellungen  kommt.  Die  Patienten  äusseru 
Schmerzlosigkeit  in  der  verletzten  Extremität.  Aktive  Bewe¬ 
gungsübungen  setzen  früh  ein  am,  4.— 10.  Tag  in  der  Stauung, 
wobei  die  locker  aufgelagerten  Verbandstoffe  kein  Hindernis 
bieten.  Aussichtslose  Fälle  erfordern  im  weitern  Verlauf 
aktive  Therapie.  F.  R.  M  ü  h  1  h  a  u  s. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Gennerich.  Neue  Forschungsergebnisse  über  die 
Entstehung  von  Tabes  und  Paralyse.  (Zeitschr.  f.  d.  ges. 
Neurol.  u.  Psych.,  Bd.,  30,  H.  ^  /5.  S.  54  5  1916.) 

Die  Beobachtungen  über  eine  verschiedene  Virulenz  des 
Syphilisgiftes  ergaben  oft  einen  deutlichen  Zusammenhang  mit 
dem  Alter  der  Infektion  im  Ueberträger.  Infektion  von  einer 
Primärsyphilis  führt  zu  heftigen  Erscheinungen  mit  gleichzeitig 
heftigen  Abwehrreaktionen  im  Organismus,  während  Infektion 
von  späteren  Stadien  her  eine  schleichend,  oft  ganz  latent 
verlaufende  Syphilis  hervorruft.  Bei  frühzeitigen  und  heftigen 
Abwehrreaktionen  des  Orgauismus  überwiegen  bei  weitem  die  nor¬ 
malen  ^Liquores,  während  es  bei  sch  wacher  Jm  munkörperbildungweit 
häufiger  zur  Fortentwicklung  der  meningealen  Infektion  kommt. 
Von  entscheidender  Bedeutung  für  die  Art  des  sich  aus  dem 
meningealen  Herd  entwickelnden  Kraukheitsvorgangs  ist  der 


Nr.  24. 


237 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Zustand  der  Pia  mater.  Die  Frage,  wann  es  zur  gummösen 
Hirn syphilis,  bezw.  zur  Metasyphilis  kommt,  ist  dahin  zu  beant¬ 
worten,  dass  hierüber  lediglich  der  funktionelle  Zustand  der 
infiltrierten  Pia  entscheidet,  je  nachdem  noch  ein  Abschluss 
der  nervösen  Substanz  gegen  den  Liquor  vorhanden  und  da¬ 
mit  eine  Etablierung  der  Abwehrvorgänge  des  Organismus  im 
Nervengewebe  möglich  ist  oder  nicht.  Durch  den  verschiedenen 
Grad  der  I  iascluidigung  au  den  einzelnen  Stellen  erklärt  sich 
der  bekannte  histologische  Befund  der  Metalues,  nämlich  das 
charakteristische  Nebeneinander  von  entzündlichen  Veränderun¬ 
gen  (wo  die  Pia  noch  dicht  hält)  und  primärer  Nekrose  (w'O  die 
Pia  funktionell  durchlöchert  ist).  Bestätigt  wird  diese  Auf¬ 
fassung  durch  die  Ergebnisse  der  Salvarsanbehandlung  bei  Lues 
cerebrospinalis  und  Metasyphilis,  dass  nämlich  die  Tabes 
gegen  endolumbale  Salvarsanbehandlung  besonders  empfindlich 
ist  und  hier  bei  geringster  Dosisüberschreitung  schwere 
Nervenschädigungen  eintreten  können,  während  Fälle  von 
Lues  cerebrospinalis  mit  erheblichen  Liquorveränderungen 
ohne  jede  Störung  das  20  fache  der  Salvarsandosis  vertragen, 
als  die  angegebenen  Todesfälle.  Demnach  ist  zu  schliessen, 
dass  die  Pia  bei  Tabes  viel  durchlässiger  ist,  als  in  solchen 
Fällen,  in  denen  eine  funktionelle  Piaschädigung  durch  den 
syphilitischen  Granulationsprozess  noch  nicht  stattgefunden 
hat.  Hieraus  geht  auch  die  Unzulänglichkeit  der  Syphilis- 
Allgemeinbehandlung  bei  metasyphilitischen  Krankheitsprozessen 
ohne  weiteres  hervor.  W.  Misch,  Berlin. 

A.  K  n  a  u  e  r.  Über  den  Einfluss  normaler  Seelen¬ 
vorgänge  auf  den  arteriellen  Blutdruck.  (Zeitschr.  f.  d.  ges. 
Neuro! .  u.  Psych ,  Bd.  30,  H.  4/5,  S.  319.) 

Mittels  des  Sphygmographen  wurden  Untersuchungen  über 
das  \  erhalten  des  Blutdrucks  bei  verschiedenen  normalen 
Seelenvorgängen  angestellt.  Es  ergab  sich,  dass  bei  Rechen- 
und  Zählarbeit  stets  die  Erscheinungen  einer  Blutdrucksteigerung 
auftraten,  die  nach  gefundener  Antwort  durch  die  der  Blut- 
druckßenkung  abgelöst  wurden.  Ebenso  sind  auch  einfache 
Assoziations Vorgänge  und  Gemütsbewegungen  durch  unange¬ 
nehme  und  vielleicht  auch  durch  angenehme  Reize,  mit  vor¬ 
übergehenden  Steigerungen  des  arteriellen  Blutdrucks  verknüpft. 
Demnach  verhält  sich  in  diesen  Fällen  die  Kurve  des  arteriellen 
Blutdrucks  gerade  umgekehrt  wie  die  Plethysmogräphenkurve. 
Die  Erhöhung,  bezw.  Senkung  des  Blutdrucks  erfolgt  stets 
gleichmässig  sowohl  für  den  systolischen  wie  für  den  diasto¬ 
lischen  Blutdruck.  Der  rein  peripher-physiologische  Zustand 
der  Muskelkontraktion  scheint  den  Blutdruck  nur  wenig  zu 
beeinflussen,  während  jede  Willens-  und  Aufmerksamkeitsan- 
ßpannung  mit  einer  prompten  Steigerung  des  arteriellen  Blut¬ 
drucks  verknüpft  ist.  Praktisch  lassen  sich  die  Beobach¬ 
tungen  dahin  verwerten,  dass  bei  Unfallkranken,  die  über 
motorische  Schwäche  klagen,  durch  Haltungsversuche  in  Ver¬ 
bindung  mit  graphischer  Aufzeichnung  des  arteriellen  Blutdrucks 
sich  feststellen  lässt,  ob  sie  sich  ordentlich  bemühen,  ihre 
Muskeln  zu  gebrauchen.  Von  psychiatrisch-klinischem  In¬ 
teresse  sind  die  Beobachtungen,  dass  auch  im  Bereiche  des 
normalen  Seelenlebens  ein  ängstlicher,  gespannter  Gemütszu¬ 
stand  zu  einer  Erhöhung  des  Blutdrucks  führt,  in  ähnlicher 
Weise  wie  die  zirkuläre  Depression. 

Zusammenfassend  geht  aus  den  Versuchen  hervor,  dass 
Spannung  und  Erregung  den  Blutdruck  psychisch  gesunder 
Individuen  sowohl  für  kurze  Zeitspannen  wie  auch  unter  Um¬ 
ständen  für  Stunden  und  Tage  erheblich  steigern  können, 
während  besonders  psychische  Beruhigung  erniedrigend  auf  ihn 
wirkt.  W.  Misch,  Berlin. 

Dr.  O.  N  a  e  g  e  1  i  -  Bern.  Die  endolumbale  Salvarsan- 
Therapie  bei  syphilitischen  Erkrankungen  des  Zentralner¬ 
vensystems.  (Ther.  Monatshefte  1915,  Nr.  12,  S.  645). 

Zur  umfassenden  und  intensiven  Ausnutzung  des  Sal- 
varsan  haben  Wechselmann  und  Marinesco 
direkt  in  den  Lumbalsack  eingespritzt,  während  Swift 
und  E 1  1  i  s  wegen  der  Nachteile  dieser  Methode  über¬ 
haupt  nicht  frisch  gelöstes ,  sondern  bereits  im  Körper  des 
Patienten  usw.  verarbeitetes  Salvarsan  verwandten.  Und 
zwar  so,  dass  der  Patient  Salvarsan  erst  intravenös  bekommt 
und  dann  das  nach  einer  Stunde  entnommene,  nach  besonderer 
im  Original  nachzulesender  Weise  vorbereitete  Blut  endo- 
lumbal. 


Seine  Bewertung  der  Hauptmodifikation  der  endolumbalen 
Behandlungsmethoden  gibt  nun  Verfasser  wie  folgt:  Die  intra¬ 
spinal  verabreichten  Salvarsandosen  können  den  Gesamtorga¬ 
nismus  nicht  steriliseren  und  infolgedessen  auch  keine  Dauer¬ 
heilung  zustande  bringen.  Deshalb  ist  auch  die  eine  oder 
andere  Abart  der  lokalen  Therapie  bei  syphilitischen  Er¬ 
krankungen  des  Zentralnervensystems  verwerflich.  Aus  dem¬ 
selben  Grunde  ist  es  aus  wissenschaftlichen  Gründen  kaum 
erfoi dei lieh,  die  endolumbale  Behandlung  allein  zu  verwenden, 
um  ihre  Wirksamkeit  beurteilen  zu  können. 

Beide  endolumbalen  Methoden  sind  brauchbar,  keine  ist 
der  anderen  überlegen.  Nur  ist  die  S  w  i  f  t  -  E  1  1  i  s  'sehe 
Methode  der  Gennerich-v.  Schubert  ’schen  insofern 
unterlegen,  als  sie  sich  nicht  dosieren  lässt.  Beide  Methoden 
lassen  sich  aber  noch  vervollkommnen. 

Die  endolumbale  Methode  ist  immer  zu  versuchen  wo 
man  mit  einer  guten  spezifischen  Behandlung  nicht  zum  Ziele 
kommt,  also  bei  gegen  diese  refraktärer  zerebrospinaler  Sy¬ 
philis,  Tabes  und  Paralyse.  Ganz  besonders  bei  der  letz¬ 
teren 

Die  endolumbale  Methode  ist  noch  vollständig  im  Sta¬ 
dium  der  Versuche.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r 

B.  Karbowski.  Experimentelle  Untersuchungen 
über  Labyrintherkrankung  und  deren  Beziehung  zur 
Meningitis.  (Zeitschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  u.  Psych.  Bd  31 
H.  1—3,  Seite  157.  1916). 

Es  werden  die  Labyrinthentzündungen  nach  experimen¬ 
teller  Pneumokokkenmeningitis  an  Hunden  untersucht.  Es 
ergab  sich,  dass  in  sämtlichen  Fällen,  in  denen  das  Bild  der 
Meningitis  voll  zur  Entwicklung  kam,  der  entzündliche  Prozess 
von  den  Hirnhäuten  auf  das  Labyrinth  überging.  Von  den 
Meningen  geht  der  Prozess  durch  den  Aquaeductus  cochleae 
auf  das  Labyrinth  über;  im  Labyrinth  verbreitete  sich  der  Prozess 
in  derSchneckeper  continuitatem,  dagegen  fand  der  Uebergang  auf 
den  Vorhof  auf  dem  Blutwege  statt  Ferner  wurde  festgestellt,  dass 
primär  circumskripte  Labyrintheiterungen  Vorkommen  können 
und  dass  Ektasien  des  häutigen  Labyrinthes  bei  akuten  Pro¬ 
zessen  möglich  sind.  Durch  die  Unwegsamkeit  des  Aquaeduc¬ 
tus  cochleae  wird  keine  Kollabierung  des  häutigen  Laby¬ 
rinthes  hervorgerufen,  W.  Misch,  Berlin. 

B.  F  r  i  d  e  r  i  c  i.  Über  Dipsomanie.  (Arch  f  Psych 
Bd.  56,  H.  2,  S.  538.  1916.) 

Es  werden  7  Fälle  von  Dipsomanie  mitgeteilt.  Bei  sechs 
dieser  Fälle  besteht  kein  Zweifel  über  die  von  Verf.  aufge¬ 
stellte  Behauptung,  die  Dipsomanie  sei  nicht  epileptischer  Natur. 
Bei  keinem  dieser  Fälle  finden  sich  epileptische  Anfälle  oder 
epileptische  Antezedentien  erwähnt,  keiner  der  Patienten  hat 
an  nächtlichem  Aufschreien,  Bettnässen,  Krämpfen  oder  der¬ 
gleichen  Zeichen  epileptischer  Erkrankung  in  der  Jugend  ge¬ 
litten,  bei  keinem  sind  Schwindelanfälle,  Ohnmächten  oder 
sonstige  Zustände  veränderten  Bewusstseins  oder  typische  epi¬ 
leptische  Anfälle  bemerkt  worden.  Bei  dem  letzten  Fall  end¬ 
lich  enviesen  sich  die  von  ihm  geschilderten  Schwindelanfälle 
als  durch  Anämie  verursacht,  und  es  wurde  auch  während 
seiner  Beobachtung  kein  einziger  Epilepsie-artiger  Anfall  ge¬ 
sehen.  Auch  von  Entartung  kam  bei  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Dipsomanen  keine  Rede  sein.  Verf.  schliesst 
sich  daher  der  Anschauung  anderer  Forscher  an,  dass 
die  Dipsomanie  eine  Psychose  sui  generis  ist,  dass 
die  Dipsomanen  nicht  unbedingt  Degenerierte  sind  und  dass 
nicht  immer  Alkoholmissbrauch  in  der  Aszendenz  oder  bei 
dem  Erkrankten  selbst  vorher  bestanden  hat.  Auffallend  ist, 
dass  von  den  sieben  Fällen  nicht  weniger  als  5  den  Versuch 
machten  oder  die  Absicht  hatten,  nach  einem  Anfall  sich  das 
Leben  zu  nehmen,  was  der  in  der  Literatur  vertretenen  An¬ 
sicht,  Dipsomanen  verübten  in  ihrer  gedrückten  Stimmung  nach 
dem  Anfall  nie  Selbstmord,  widerspricht.  W.  Misch,  Berlin. 

W.  Wilde.  Zur  Kenntnis  des  Hornerschen  Sym- 
ptomenkomplexes.  (Arch.  f.  Psych,  Bd.  56,  H.  2,  S.  560.  1916.) 

Es  werden  sechs  Fäle  von  Sympthicusläsion  mitgeteilt, 
die  4  mal  durch  direkte  Schussverletzung  und  2  mal  durch 
Aneurysma  verursacht  wurde.  Alle  6  Fälle  wiesen  Augen¬ 
erscheinungen  auf,  die  als  Ilornerscher  Symptomenkomplex 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  24, 


bekannt  sind.  Bei  sämtlichen  Fällen  war  die  Papille  auf  der 
gelähmten  Seite  um  die  Hälfte  kleiner  als  auf  der  gesunden, 
die  Lidspalte  enger,  und  bei  allen  handelte  es  sich  um  eine 
Ptosis  Sympathien.  Bei  allen  reagierte  die  verengerte  Pupille 
auf  Lichteinfall  gut,  Konvergenz  war  stets  vorhanden  In  drei 
Fällen  war  ein  leichter  Enophthalmus  zu  verzeichnen,  in 
einem  Falle  erschien  der  Bulbus  aut  der  kranken  Gesichts¬ 
seite  stärker  vaskularisiert.  In  allen  Fällen  trat  am  be¬ 
troffenen  Auge  auf  Atropineinträufelung  eine  Erweiterung  der 
Pupille  ein,  während  auf  Adrenaliueinträufeluug  keine  Pupillen¬ 
erweiterung  erfolgte.  In  allen  Fällen  fühlte  sich  ferner  die 
kranke  Gesichtshälfte  wärmer  au  als  die  gesunde,  in  drei  Fällen 
schwitzte  die  kranke  Gesichtshälfte  stärker,  während  in  einem 
Fall  Anidrosis  der  kranken  Gesichtshälfte  bestand.  Trophische 
Erscheinungen,  leichtes  Abmagern  der  kranken  Gesichtshälfte 
fand  sich  in  zwei  Fällen. 

Es  bestand  in  allen  Fällen  von  Hornerschem  Symptomen- 
komplex  mit  Sympathicusläsion  die  Konstanz  der  okulopupillären 
Symptome,  während  die  vasomotorischen  und  trophischen  Er¬ 
scheinungen  wechselnd  waren.  Ob  dies  eine  Folge  der  in 
jedem  Falle  verschiedenartig  oder  in  verschiedener  Höhe  ge¬ 
troffenen  Sympathicusfasern  ist,  lässt  sich  nicht  entscheiden. 

W.  Mise  h,  Berlin. 

Medikamentöse  Therapie. 

B  r  o  m  b  e  r  g.  Einige  Erfahrungen  mit  dem  Antigo- 
norrhoikum  „Clioleval“.  (Med.  Weekbl.,  1916,  8.  April.) 

Verf.  hat  das  Choleval  in  etwa  25  klinischen  Fällen 
meist  frischer  Gonorrhoea  anterior  in  Form  einer  Glyzerin- 
Tragant  -  Emulsion  verwandt.  Die  Einspritzungen  wurden 

2  mal  am  Tage  durch  das  Pflegepersonal  ausgeführt,  die 
Emulsion  mittels  eines  abschliessenden  Verbandes  8 — 4  Stun¬ 
den  in  der  Urethra  zurückgehalten.  Nach  einigen  Tastver¬ 
suchen  stellte  er  fest,  dass  die  Konzentration  von  1/2°/o  das 
Optimum  darstellte.  Bei  Kranken  mit  sehr  akuten  Erschei¬ 
nungen  wurde  mit  1/4°/0  begonnen.  Nach  1  wöchiger  Behand¬ 
lung  mit  1/2%iger  Aufschwemmung  wurde  die  Konzentration 
auf  1  4%  herabgesetzt,  mit  dieser  noch  1  Woche  laug  fortge¬ 
fahren  und  dann  schliesslich  während  8  —  14  Tagen  nur  noch 
1  mal  am  Tage  gespritzt.  Fast  in  allen  Fällen  hatte  nach 
den  ersten  8  Tagen  der  Ausfluss  aufgehört;  es  wurde  nur 
noch  eine  wässerige  Flüssigkeit  ausgeschiedeu,  die  Schmerzen 
bei  der  Miktion  blieben  aber  gewöhnlich  in  mehr  oder  weniger 
starkem  Masse  bestehen.  Bei  den  mit  Protargol  in  abnehmender 
Konzentration  von  2  — 1/4%  behandelten  Kontrollfällen  dauerte 
es  im  allgemeinen  8—10  Tage  länger,  ehe  der  Ausfluss  ver¬ 
schwunden  war,  auch  war  bei  diesem  Mittel  die  Anzahl  der 
Fälle,  die  in  das  chronische  Stadium  übergingen,  grösser  als 
bei  dem  Choleval.  Mit  letzterem  hat  Verf.  ausserdem  kom¬ 
plizierende  Urethritis  posterior  bis  jetzt  nicht  beobachtet. 
Komplikation  sowie  ein  Übergang  in  das  chronische  Stadium 
lassen  sich  übrigens  durchweg  vermeiden,  wenn  man  mit  den 
Einspritzungen  aufhört ,  sobald  der  eitrige  Ausfluss  einer 
schleimig-wässerigen  Absonderung  Platz  gemacht  hat,  und 
eine  Wärmebehandlung  mittels  der  erhitzbaren  Metallsonde, 
zunächst  täglich,  dann  jeden  2.  Tag,  folgen  lässt.  In  den 
meisten  Fällen  konnte  bei  dem  Choleval  schon  nach  4 — 8 
Tagen  mit  dieser  Wärmetherapie  begonnen  werden,  bei  dem 
Protargol  erst  nach  10 — 20  Tagen.  Mit  Choleval  und 
Wärmetherapie  betrug  die  Behandlungsdauer  10  Tage  bis 

3  Wochen,  ohne  Wärmetherapie  4 — 6  Wochen.  Mit  Protargol 
betrug  sie  resp-  2 — 4  Wochen  und  4 — 5  bis  8 — 9  Wochen. 
—  Das  Choleval  wurde  auch  in  1/2%  iger  Lösung  bei  etwa 
19  Kranken  erprobt,  die  die  Einspritzungen  selbst  vornehmen 
konnten.  Die  Resultate  waren  die  gleichen  wie  nach  Be¬ 
handlung  mit  der  Gtyzerin-Tragant-  Aufschwemmung.  Die 
Behandlungsdauer  betrug  auch  hier  4—6  Wochen  ohne 
und  2—3  Wochen  mit  Wärmetherapie.  —  In  3  von  5  Fällen 
konnte  mit  2%  iger  Cholevallösung  abortive  Heilung  erzielt 
werden.  —  Verf.  fordert  zu  weiteren  Versuchen  mit  dem  neuen 
Mittel  auf,  zumal  es  sich  dem  bis  jetzt  meist  gebrauchten 
Antigonorrhoikum  tatsächlich  überlegen  gezeigt  hat.  Nach¬ 
teilige  Folgen  hat  er  in  keinem  seiner  Versuchsfälle  gesehen. 

N  e  u  m  a  n  n. 


H  i  1  1  e  r.  Über  das  ,, Wundöl  KnoII“  (Granugenol). 

(Medizin.  Klinik,  1916,  Nr.  15.) 

Bei  der  vom  Verfasser  beschriebenen  Erkrankung  handelte 
es  sich  um  einen  sehr  hartnäckigen  Fall  von  fistulösen  Eite¬ 
rungen  an  der  rechten  Hinterbacke  eines  66  jährigen  Patienten. 
Das  Leiden  entstand  aus  einer  Aknepustel,  welche  wahr¬ 
scheinlich  infolge  wiederholter  Infektion  mit  Kolibazillen  bei 
der  Defäkation  sich  zu  einer  abszedierenden  Phlegmone  ent¬ 
wickelte.  Der  Abszess  wurde  gespalten,  entleerte  reichliche 
Mengen  Eiters  und  blieb  seitdem  in  kontinuierlicher  mässiger 
Eiterabsonderung.  Die  Nachbehandlung  scheint  eine  sehr  un¬ 
sorgfältige  gewesen  zu  sein. 

Als  Prof.  H.  die  Behandlung  des  Falles  übernahm, 
konnte  auf  der  rechten  Hinterbacke  eine  länglich  ovale  ca. 
3 — 5  cm  breit  klaffende  Wunde  festgestellt  werden,  welche 
unregelmässig  vertieft  und  mit  grauem,  eitrigem  Belag  be¬ 
deckt  war.  Die  Haut  der  Umgebung  liess  sich  stellenweise 
abheben;  die  genauere  Untersuchung  ergab,  dass  drei  Fistel¬ 
gänge  von  4 — 5  cm  Länge  unter  der  Haut  in  verschiedeueu 
Richtungen  und  eine  in  die  Tiefe  zwischen  die  Gesässmuskeln 
verliefen. 

Zunächst  wurde  andauernde  Bettruhe,  sowie  täglich 
morgens  nach  der  Stuhlentleeruug  ein  15  Minuten  langes 
Sitzbad  in  l°/0  warmer  Kresollösung  verordnet.  Darnach 
fand  Austupfung  der  Wunde  mit  Gazestreifen  und  Bestäubung 
der  Wundfläche  mit  Jodoformpulver  statt.  Darüber  kam  eine 
Biudeneinwicklung  des  Gesässes  und  der  Hüfte.  Die  4 
Fistelgänge  wurden  täglich  mit  dem  von  der  Chem.  Fabrik 
K  n  o  1  1  &  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh.,  zur  Verfügung  ge¬ 
stellten  Granugenol  kräftig  ausgespritzt  und  die  ganze 
Wundhöhle  mit  in  Granugenol  getränkten  Gazestreifen  be¬ 
legt. 

Von  Tag  zu  Tag  sah  man,  wie  das  Aussehen  der  Wunde 
sich  besserte :  An  Stelle  des  grauen  Belages  wucherten  frisch¬ 
rote  Granulationen  auf  der  ganzen  Fläche  hervor,  die  eitrige 
Sekretion  nahm  allmählich  ab,  Lücken  wurden  ausgefüllt  und 
die  Fistelgänge  verkürzten  sich.  Nach  12  Tagen  waren 
drei  Fisteln  geschlossen ;  von  den  Rändern  der  Haut  zog 
sich  bereits  ein  Epithelsaum  zur  Mitte.  Nach  3  Wochen 
war  die  Wunde  ganz  ausgefüllt  und  die  Fistelgänge  —  bis 
auf  eine  kleine  Stelle  am  unteren  Wundrande  —  waren  durch 
feste  Narben  geschlossen.  Nach  6  Wochen  konnte  der 
Patient  völlig  geheilt  entlassen  werden. 

Dieser  auffallende  Erfolg  bei  einem  11  Monate  bestehen¬ 
den  Leiden  ist  wohl  nur  der  Einwirkung  des  Granugenols  auf 
die  Produktion  des  Bindegewebes  und  der  dadurch  herbeige¬ 
führten  Beschleunigung  des  Heilungsvorganges  zuzuschreiben. 
Grundbedingung  für  die  Wirkung  aber  ist  die  Forderung, 
dass  das  Präparat  mit  allen  Teilen  einer  Wunde,  zumal  bei 
zerfetzten  und  Höhlenwunden,  in  dauernde  Berührung  kommt. 

N  e  u  m  a  n  n. 


Bücherschau. 

Dr.  E.  M.  Kronfeld  -  Wien.  Der  Krieg  im  Aber¬ 
glauben  und  Volksglauben.  Hugo  Schmidt  Verlag,  München. 
1915. 

Nach  einer  sehr  interessanten  Einleitung  über  den  Aber¬ 
glauben  der  Jahrtausende  wird  zunächst  die  Astrologie  abge¬ 
handelt  wozu  Wallenstein  in  der  Hauptsache  umfang¬ 
reichen  Stoff  liefert.  Im  Kapitel  Amulette  und  Talismane 
findet  man  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  viele  allgemein  wenig 
bekannte  recht  merkwürdige  Angaben  in  dieser  Beziehung  selbst 
über  Koryphäen  der  Menschheit.  Weiterhin  werden  dann  die 
„Passauer  Kunst“,  Orakel-Prophezeiungen,  Glücks-  und  Un¬ 
glückstage,  Metalle  und  Edelsteine  im  Geheimglauben,  die 
Tiere  im  Kriege,  der  Wund-  und  Blutstillungszauber,  die  alte 
Wundapotheke  und  die  Zauberkräuter  im  Kriege  besprochen. 
Abgesehen  von  den  kulturgeschichtlich  recht  interessanten 
Daten  gibt  das  Buch  einen  weiten  Einblick  in  die  tiefsten 
Falten  der  menschlichen  Seele,  das  nicht  nur  für  Ärzte  sondern 
für  weiteste  Kreise  von  Interesse  ist.  Namentlich  auch  für  die 
im  Felde  stehenden  Kollegen.  v.  Sehniger. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortschritte  der  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Mitwirkung  hervorragender  Tachntänner 

herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


(i.  Köster, 

Leipzig. 


Nr,  25 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch  10  luni 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin.  J 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Geisteskrankheit  und  Invalidität. 

Von  Oberregierungsrat  K  r  a  u  s  s  -  Reutlingen. 

Schon  am  29.  Januar  1907  war  für  den  50  Jahre 
alten,  verheirateten,  aber  getrennt  von  seiner  Familie 
lebenden  Instrumentenmacher  Wilhelm  R  in  T.,  welcher 
durch  Beschluss  des  Kgl.  Amtsgerichtes  daselbst  vom 
30.  März  1906  wegen  Geisteskrankheit  entmündigt  wurde, 
von  seinem  Pfleger,  dem  Schuhfabrikarbeiter  W  in  T., 
der  Antrag  auf  Verwilligung  der  gesetzlichen  Invaliden¬ 
rente  gestellt  worden,  und  zwar  auf  Grund  eines  Gut¬ 
achtens  des  praktischen  Arztes  Dr.  M.  in  T.,  in  wel¬ 
chem  dem  R.  bezeugt  war,  dass  er  wegen  Dementia 
seit  15.  Dezember  1906  vielleicht  dauernd  völlig  erwerbs¬ 
unfähig  sei.  Der  Vorstand  der  Versicherungsanstalt 
Württemberg  hatte  darauf  mit  Bescheid  vom  8.  April 
190/  zwar  anerkannt,  dass  R.  seit  dem  genannten  Zeit¬ 
punkte  invalide  sei,  weil  aber  bis  dahin  an  Stelle  der 
gesetzlichen  Wartezeit  von  200  Beitragswochen  nur  156 
nachgewiesen  waren,  war  aus  diesem  Grunde  der  Renten¬ 
anspruch  abgelehnt  worden, 

Am  5.  Juni  1913  hat  der  Pfleger  des  R.  den  Ren¬ 
tenantrag  erneuert,  indem  er  geltend  machte,  sein  Pfleg¬ 
befohlener  sei  seit  1.  Mai  1913  dauernd  invalide.  Der 
neuerliche  Anspruch  stützt  sich  auf  ein  Gutachten  des 
praktischen  Arztes  Dr.  K.  in  T.,  in  welchem  die  Diag¬ 
nose  auf  Paranoia  lautet  und  bekundet  ist,  dass  R.  seit 
1.  Mai  1913  dauernd  um  2/3  (sollte  offenbar  heissen: 
mehr  als  2/3)  in  der  Erwerbsfähigkeit  beeinträchtigt  sei. 
Zu  ganz  einfachen  Arbeiten,  z.  B.  Pincettenfeilen,  sei  er 
noch  imstande.  Dem  Gutachten  sei  hier  noch  folgendes 
entnommen:  „Es  ist  nicht  möglich,  von  R.  eine  vernünf¬ 
tige  Antwort  zu  bekommen.  Er  springt  sofort  auf  sei¬ 
nen  Ideenkreis  über,  der  von  seinem  Verkehr  mit  hohen 
Persönlichkeiten  (Kaiser  und  König)  handelt.  Er  glaubt, 
dass  ihm  fortwährend  nachgestellt  werde,  es  seien  Wägen 
vor  dem  Haus,  um  ihn  abzuholen  usw.  Es  handelt  sich 
zweifellos  um  eine  chronische  Paranoia  mit  Verfolgungs¬ 
und  Grössenideen.  Der  Mann  ist  nicht  imstande,  eine 
geordnete  Tätigkeit  auszuüben,  da  er  den  grössten  Teil 
des  Tages  umherläuft.“ 

Obwohl  aus  weiteren  Erhebungen  ersichtlich  war, 
dass  R.  mit  Schleifen  und  Feilen  von  Pincetten  in  den 
letzten  Jahren  noch  ansehnliche  Beträge  verdient  hatte, 
äusserte  sich  der  Medizinalreferent  der  Versicherungs¬ 
anstalt  Württemberg  am  16.  Juni  1913  dahin;  „Vom 
ärztlichen  Standpunkt  aus  ist  R.  seit  dem  Jahre  1906 
als  invalide  im  Sinne  der  Reichsversicherungsordnung 
anzusehen  ;  soviel  dem  Antragsgutachten  des  Dr.  K.  in 


T.  zu  entnehmen  ist,  bestehen  die  Wahnideen  des  R. 
seit  Jahren  unverändert  fort.“ 

Am  25.  Juli  1913  pflog  das  verstärkte  Versicherungs¬ 
amt  in  T.  mündliche  Verhandlung  in  der  Rentensache 
und  gelangte  einstimmig  zu  der  Anschauung,  die  Krank¬ 
heit  des  R.  habe  sich  in  der  letzten  Zeit  so  herausge¬ 
bildet,  d  ass  er  als  invalide  anzusehen  sei. 

Nunmehr  lehnte  der  Vorstand  der  Versicherungs¬ 
anstalt  mit  Bescheid  vom  28.  Juli  1913  abermals  die 
Gewährung  der  begehrten  Invalidenrente  ab,  davon  aus¬ 
gehend,  dass  die  gesetzliche  Wartezeit  nach  wie  vor 
nicht  erfüllt  sei,  da  bei  R.  seit  dem  Jahr  1906  ununter¬ 
brochen  Invalidität  bestehe  und  die  nach  dieser  Zeit 
verwendeten  Invalidenversicherungsbeiträge  deshalb  nicht 
als  rechtsgültig  anzusehen  seien. 

Gegen  diesen  Bescheid  hat  der  Pfleger  des  R.  frist¬ 
zeitig  Berufung  eingelegt,  indem  er  geltend  machte,  der 
Zustand  des  R.  sei  erst  neuerdii  gs  ein  derartiger  ge¬ 
worden,  dass  die  Annahme  von  Invalidität  begründet 
erscheine.  Seither  habe  er  wie  andere  Arbeiter  auch 
immer  gearbeitet  und  nachweisbar  einen  Jahresarbeits¬ 
verdienst  von  900  M.  und  darüber  erzielt 

Im  Berufungsverfahren  liess  sich  Dr.  K.  in  T.  auf 
entsprechende  Anfrage  nochmals,  wie  folgt,  verlauten: 
„Der  1.  Mai  1913  als  Beginn  der  Invalidität  wurde  von 
mir  nach  Rücksprache  mit  der  Frau  des  R.  angenom¬ 
men,  da  man  in  solchen  Fällen  fast  ausschliesslich  auf 
Angaben  angewiesen  ist.  Es  erscheint  mir  nicht  un¬ 
möglich,  dass  R.  nach  dem  Jahr  1906  wieder  besser 
gearbeitet  hat  und  wieder  über  1/3  erwerbsfähig  wurde, 
denn  wenn  auch  sein  Leiden  ein  chronisches  ist,  so 
schliesst  es  doch  nicht  Schwankungen  aus,  die  eine, 
wenn  auch  nur  scheinbare,  Besserung  bedingen.  Der 
frühere  Rentenantrag  war  mir  völlig  unbekannt  bis 
heute.  R.  steht  wegen  seiner  geistigen  Störung  nicht  in 
Behandlung,  er  kommt  nur  von  Zeit  zu  Zeit  in  meine 
Sprechstunde  wegen  Fremdkörpern  in  der  Hornhaut.“ 
Der  Spruchkammervorsitzende  hielt  nähere  Er¬ 
hebungen  an  Ort  und  Stelle  über  die  Arbeitsleistung 
und  das  ganze  Verhalten  des  R.  für  geboten  und  be¬ 
schloss  eine  umfangreiche  und  eingehende  Vernehmung 
von  Zeugen,  die  am  30.  Dezember  1913  auf  dem  Rat¬ 
haus  in  T.  erfolgte,  Als  sachverständiger  Zeuge  wurde 
der  mehrgenannte  Dr.  K.  gehört.  Die  Beklagte  gab  im 
Anschlüsse  am  12.  Januar  1914  nachstehende  Erklärung 
ab  :  „Obgleich  vom  ärztlichen  Standpunkt  aus  Zweifel 
darüber  bestehen  können,  ob  R.  auf  dem  allgemeinen 
Arbeitsmarkt  verwendbar  und  demgemäss  als  erwerbs¬ 
fähig  im  Sinne  des  Gesetzes  anzusehen  ist,  so  nehmen  wir 
doch  mit  Rücksicht  darauf,  dass  der  tatsächliche  Arbeits- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


240 


Nr.  25 


verdienst  des  R  die  Mindestverdienstgrenze  andauernd 
erheblich  überschreitet,  keinen  Anstand,  die  Gültigkeit 
der  für  den  Rentenbevverber  seit  15.  Dezember  1906 
geleisteten  Versicherungsbeiträge  und  seine  Berechtigung 
zur  ferneren  Entrichtung  von  Invalidenversicherungs¬ 
beiträgen  anzuerkennen.“  Der  Kläger  W.  beharrte 
seinerseits  auf  der  Berufung  und  brachte  am  19.  Januar 
1914  vor  der  Ortsbehörde  für  die  Arbeiterversicherung 
in  1  .  vor,  der  Geisteszustand  des  R.  habe  sich  neuer¬ 
dings  noch  weiter  verschlimmert.  Es  sei  gegen  den¬ 
selben  eine  Lntersuchung  wegen  eines  Sittlichkeitsver¬ 
brechens  eingeleitet  worden.  Er,  der  Pfleger,  wolle 
dafür  besorgt  sein,  dass  R.  in  einer  Anstalt  Aufnahme 
finde. 

Bei  näherer  Erkundigung  ergab  sich,  dass  die  An¬ 
zeige  gegen  R.  wegen  Vornahme  unzüchtiger  Hand¬ 
lungen  an  Mädchen  unter  14  Jahren  (R.  St.  G.  B.  §  17b, 
Ziff.  3.)  bereits  anfangs  Dezember  1913  erstattet  worden 
war  und  die  Kgl.  Staatsanwaltschaft  R.  am  13.  Dezem¬ 
ber  1913  das  Verfahren  mangels  Nachweises  der  Zu¬ 
rechnungsfähigkeit  des  wegen  Geisteskrankheit  entmün¬ 
digten  Täters  (R.  St.  G.  B.  §  51)  eingestellt  hatte.  Die 
geplante  Unterbringung  des  R.  in  einer  Anstalt  schei¬ 
terte  infolge  seines  plötzlichen  Widerstandes  gegen 
diese  Massnahme.  Laut  Mitteilung  des  Kgl.  Oberamts 
in  T.  soll  nunmehr  die,  nötigenfalls  zwangsweise,  Ein¬ 
weisung  des  R.  in  eine  Irrenanstalt  in  die  Wege  ge¬ 
leitet  werden. 

Das  Kgl.  Württ.  Oberversicherungsamt,  Spruch¬ 
kammer  Reutlingen,  hat  die  Berufung  mit  rechtskräftig 
gewordener  Entscheidung  vom  18.  März  1914  als  un¬ 
begründet  abgewiesen.  Die  Entscheidungsgründe  lauten  : 

„  Die  örtliche  Beweisaufnahme  vom  30.  Dezember  1913 
hat  unzweifelhaft  ergeben,  dass  der  tatsächliche  Arbeits¬ 
verdienst  des  R.  seit  Jahren  andauernd,  und  so  auch 
noch  zur  Zeit,  da  der  angefochtene  Bescheid  erlassen 
wurde,  die  Mindestverdienstgrenze  erheblich  überschritten 
hat.  Die  Beklagte  hat  dies  nun  selbst  anerkannt.  R. 
hat  unter  anderem  bei  der  Firma  Adolf  Sch.,  Fabrik 
für  Chirurgie-Instrumente  in  T.,  verdient :  vom  1.  Januar 
bis  31.  Dezember  1909,  646,38  Mk.,  vom  1.  Januar  bis 
2.  Dezember  1910,  618,24  Mk.,  vom  17.  Juni  bis  5. 
September  1911,  1 74,98  Mk.,  vom  20.  Januar  bis  31. 

Dezember  1912,  645,98  Mk.  und  vom  1.  Januar  bis  24. 
Dezember  1913,  759,08  Mk.  Auch  im  Jahre  1914 

dauerte  die  Beschäftigung  fort  Es  handelte  sich  in 
der  Hauptsache  um  Heimarbeit,  doch  musste  R  eine 
Reihe  von  Arbeiten,  insbesondere  das  Schleifen  der 
Pinzetten,  in  der  Fabrik  selbst  tertigslellen,  weil  er  bei 
sich  zu  Hause  keinen  Motor  mehr  hatte.  Er  hatte  so 
in  der  Woche  etwa  l1  /»  — 2  Tage  in  der  Fabrik  zu  tun. 
Seine  Arbeit  stellte  sich  unter  diesen  Umständen  an 
sich  zweifellos  als  eine  versicherungspflichtige  Heim¬ 
arbeit  dar.  Ausserdem  aber  war  R.  in  den  Zeiten  vom  2. 
Dezember  1910  bis  17.  Juni  1911  und  dann  vom  5. 
September  1911  bis  20.  Januar  1912  aushilfsweise  ganz 
in  der  Fabrik  tätig.  Der  Werkführer  Emil  F.  bei  der 
Firma  Adolf  Sch.  hat  sich  dahin  ausgesprochen,  der 
Zustand  des  R.  sei  nach  seiner  Wahrnehmung  ein 
wechselnder.  Wenn  sein  Befinden  jeweis  ein  schlimmeres 
sei,  so  kommen  dementsprechend  auch  häufiger  F'ehler 
bei  seiner  Arbeit  vor.  Alles  in  allem  genommen  sei 
seine  Arbeitskraft  für  das  Geschäft  noch  eine  recht 
brauchbare  und  könne  er  als  mittelmässiger  Arbeiter 
bezeichnet  werden.  Fabrikant  Sch.  bezeugte,  dass  bei 
ihm  die  Geistesstörung  des  R.  noch  zu  keinen  An¬ 
ständen  geführt  habe,  derselbe  habe  sich  stets  als  gut¬ 
artig  erwiesen.  Auch  sonst  war,  insbesondere  von  amt¬ 
licher  Seite,  bis  Ausgangs  1913  kein  Anlass  zu  einem 
Einschreiten  gegen  R.  gegebeb,  da  derselbe  ein  harm¬ 
los  verrücktes  Benehmen  an  den  Tag  legte  und  kein 
öffentliches  Ärgernis  erregte.  Dr.  K.  in  T.,  der  bei 


Abgabe  seines  schriftlichen  Gutachtens  weder  die  Vor" 
akten  gekannt  hatte,  noch  über  die  tatsächlichen  Ar' 
beits-  und  Verdienstverhältnisse  des  R.  auch  nur  halb¬ 
wegs  unterrichtet  war,  hat  bei  der  örtlichen  Beweisauf¬ 
nahme  am  30.  Dezember  1913  erklärt,  dass  er  seine 
Ansicht,  R.  sei  seit  1.  Mai  1913  dauernd  invalide,  nicht 
mehr  aufrecht  halten  könne.  Bei  dieser  Sachlage  ist 
nun  zwar  im  Hinblick  auf  das  jetzt  vorliegende  Aner¬ 
kenntnis  der  Beklagten,  welches  mit  der  Revisionsent¬ 
scheidung  907  des  Reichsversicherungsamts  in  Amtl. 
Nachr.  1901  S.  431  im  Einklang  steht,  davon  auszu¬ 
gehen,  dass  die  gesetzliche  Wartezeit  bei  dem  Renten¬ 
anspruch  des  R.  erfüllt  wäre,  auf  der  anderen  Seite 
aber  kann  folgerichtig  nicht  anerkannt  werden,  dass  R. 
zur  Zeit,  da  sein  Rentenanspi  uch  von  neuem  abschlägig 
beschieden  wurde  —  28.  Juli  1913  --  schon  invalide  im 
Sinne  des  §  1255  Absatz  2  der  R.  V.  O.  war.  Bestand 
aber  Invalidität  damals  noch  nicht,  so  ist  der  ab¬ 
lehnende  Bescheid  um  deswillen  zu  Recht  ergangen. 
R.  V.  O.  §  1251.  Die  Berufung  konnte  daher  keinen 
Erfolg  haben. 

Dem  Kläger  steht  es  im  übrigen  frei,  da  sich  in¬ 
zwischen  nach  dem  Vorgetragenen  seit  Anfang  Dezem¬ 
ber  1913  die  massgebenden  Verhältnisse  wesentlich  ge¬ 
ändert  haben  (Wegfall  des  seitherigen  Momentes  der 
Harmlosigkeit),  von  neuem  Antrag  auf  Gewährung  von 
Invalidenrente  zu  stellen.  Es  wird  dann  Gelegenheit 
gegeben  sein,  über  den  Geisteszustand  des  R.  durch 
ein  einwandfreies  Gutachten  einer  Klinik  oder  Irren¬ 
anstalt,  welches  bislang  zu  vermissen  war,  auch  vom 
medizinischen  Standpunkt  aus  ein  endgültiges  und  siche¬ 
res  Urteil  zu  gewinnen. 


Uebersichtsreferate  der  Chirurgie. 

(Umfassend  Anfang  Januar  bis  Anfang  März.) 

Von  K.  W.  E  u  n  i  c  k  e  -  Elberfeld. 

Nervenchirurgie:  Die  Erfolge  sind  bis 
heute  äusserst  wechselnd  und  ungewiss  (Stoffe  1). 
Glänzende  Erfolge  und  gänzliches  Versagen  werden  be¬ 
richtet.  Sicher  scheint  die  einfache  Neurolvse  sehr  oft 
besten  und  raschesten  Erfolg  zu  geben,  während  die 
Wirkung  der  Naht  nach  Resektion  einer  Narbe  meist 
erst  spät  beobachtet  wurde  und  der  Erfolg  auch  oft 
völlig  ausblieb.  E  d  i  n  g  e  r  s  Methode,  über  die  Ur¬ 
teile  allerdings  nur  noch  in  relativ  sehr  geringen  Fällen 
vorliegen,  scheint  bessere  Resultate  zu  geben.  Es 
kommt  hierbei  darauf  an,  dass  der  Wachstumswider¬ 
stand  und  das  Auswachsen  des  Achsenzylinders  be¬ 
seitigt  wird  durch  eingeschaltete  Kalbsarterienstücke, 
die  mit  besonderem  Agar  gefüllt  sind.  Eine  besondere 
Technik  für  die  operative  Einschaltung  dieses  Präparats 
gibt  L  u  d  1  off  an.  O  p  p  e  n  h  e  i  m  warnt  vor 
Überschätzung  dieser  Methode.  Zur  Umscheidung 
nach  der  Nervennaht  wird  Fett  oder  Muskellappen  emp¬ 
fohlen  oder  Umscheidung  mit  Gefässwand;  vor  Ver¬ 
wendung  von  Fascie  wird  abgeraten  wegen  der  bei 
Schrumpfung  eingetretenen  Schnürung  (K  o  1  b)  Früh¬ 
operation  wird  zumeist  geraten  W  i  1  m  s  ,  G  u  1  e  k  e  , 
Auerbach;  aber  antiseptische  Wundverhältnisse 
sind  unbedingt  erforderlich.  S  p  i  t  z  y  bespricht  an 
Hand  von  240  Operationen  die  Indikation  zur  Frei¬ 
legung  des  verletzten  Nerven  und  ratet  auch  Plexus, 
fälle  operativ  anzugreifen,  aber  erst  nach  Beobachtung- 
K  r  u  e  g  e  r  will  Amputationsneurome  durch  Quet¬ 
schung  des  Nervenendes  verhindern. 

Wundbehandlung:  WM  1  d  ,  K  r  u  e  g  e  r, 
Braun,  Grunert  und  Sehrt  sprechen  sich  für 
offene  Wundbehandlung  aus.  H  e  r  c  h  e  r  und  M  e  y  e  r 


Nr.  25. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


241 


empfehlen  die  Zuckerbehandlung  eiternder  und  verun¬ 
reinigter  Wunden  und  K  üttner  die  Anwendung 
von  Bädern  bei  denselben.  Zur  Erysipelbehandlung 
will  Schüssler  das  von  N  e  u  m  a  n  n  empfohlene 
Metakresolanytol  mit  promptestem  Erfolg  verwenden. 
C  o  n  r  a  d  i  bespriclit  Aetiologie  und  Pathogenese  des 
Gasbrandes  und  M  a  r  q  u  a  r  d  t  erwähnt  zwei  Fälle 
von  Gasphlegmone.  Holzapfel  verwendet  gegen 
Pyocyaneus  Bolus  mit  sehr  guten  Erfolge.  T  a  y  l'o  r 
hält  C  hininum  hydrochloricum  in  l°/„  Lösung  für  ein  aus¬ 
gezeichnetes  Wunddesinfektionsmittel. 

Kopf  und  Hals:  Zumeist  behandelt  sind  die 
Schädelschüsse  mit  oder  ohne  Hirnbeinbeteiligung.  Für 
eine  möglichst  baldige  Revision  der  Schädelwunde  sind 
wohl  alle  Autoren  (G  u  1  e  k  e  ,  W  i  1  m  s  ,  König 
etc.  Milteirhein.  Chirurgentag).  Frey  ist  für  eine 
sofortige  Deckung  der  Knochenlücke  mit  Periost  und 
sieht  von  einer  Tamponade  ab,  um  so  Hirnprolaps  zu 
vermeiden.  Kärger  will  mit  Fascie  sofort  frische 
Defekte  decken  und  darüber  alles  primär  schliessen. 
II  o  f  m  a  n  w  gibt  eine  Methode  an  bei  der  Knochen 
und  Duraplastik  verbunden  ist.  Westerma  n  n  ist 
für  heteroplastische  Deckung  auf  Grund  eines  nach 
dieser  Methode  früher  erfolgreich  behandelten  Falles 
Zur  Blutungsbeschränkung  bei  der  M  ü  1  1  e  r  -  K  ö  n  i  g- 
sehen  Schädelplastik  empfiehlt  Wolf  f  die  temporäre 
Umstechung  der  art.  Temporal,  front,  und  der  art.  occi- 
pital.  bds.  v.  Hacke  r  gibt  Plastik  an  bei  penetriren- 
dem  Wangendefekt  und  nachfolgender  narbiger  Kiefer¬ 
klemme.  W  i  t  z  e  1  ratet  bei  Schädelfisteln  unbedingt 
nachzugehen  und  breit  zu  öffnen,  ebenso  bei  Hirn¬ 
abszess.  Zur  Sondierung  eignet  sich  für  das  Hirn  am 
besten  der  Finger,  da  er  am  wenigsten  Nebenverletzungen 
setzt.  H  a  b  e  r  1  a  n  d  empfiehlt  die  direkte  Ein¬ 
pflanzung  des  n.  Hypoglossus  in  die  Gesichtsmuskulatur 
bei  Facialislähmung.  Er  operierte  drei  Fälle  so  mit  Er¬ 
folg.  De  Quervain  beschreibt  seine  Technik  der 
Kropfoperationen.  Riedel  teilt  seine  Erfahrungen 
über  intrathoracale  Strumen  mit  und  ist  der  Meinung, 
dass  man  auch  ohne  Sternumspaltung  auskommen 
kann. 

Brust:  Leonhard  teilt  an  Hand  von  100 
Fällen  von  Brust-  und  Lungenschüssen  seine  diesbezüg¬ 
lichen  Erfahrungen  mit.  Die  Behandlung  soll  möglichst 
eine  konservative  sein.  Fast  sitzende  Haltung  ist  er¬ 
forderlich  und  es  wird  dies  durch  reichliche  Morphium¬ 
gaben  erzielt.  Temperatur  bis  zu  39  Grad  sind  unbe¬ 
denklich.  und  erfordern  keinen  chirurgischen  Eingriff. 
Hofbauer  zeigt  an  Hand  von  Abbildungen,  dass 
infolge  Anwachsens  des  Zwerchfells  an  die  Brustwand 
oft  beträchtliche  Beschwerden  nach  Brustverletzungen 
entstehen.  Zur  Behandlung  empfiehlt  er  methodische 
Lagerung  auf  die  gesunde  Seite  und  Atemübungen, 
Eine  neue  Methode  zur  Empyembehandlung  wird  von 
Schmerz  angegeben.  Menschen  stellt  das 
Zwerchfell  zum  Zweck  transdiaphrag.  Operationen  vor¬ 
übergehend  durch  Novocain-Blockierung  des  Phrenikus 
still.  Vorschläge  zu  einer  neuen  Methode  der  Clavicu- 
larbehandlung  macht  Orth,  indem  er  um  die  Fraktur¬ 
stelle  einen  Seidenfaden  führt,  der  mit  Gewicht  be¬ 
lastet  wird  und  so  soll  unter  gleichzeitiger  Röntgen¬ 
kontrolle  eine  Adaption  der  Bruchstücke  beqeum  mög¬ 
lich  sein,  zudem  kann  der  Patient  ausser  Bett  sein. 
Riedel  berichtet  über  das  Verhalten  des  Rippen¬ 
knorpels  und  -knochens  gegenüber  Infektionen.  Her¬ 
mann  und  Meyer  teilen  einen  Fall  von  bösartiger 
Neubildung  der  Lunge  mit;  M  itterstiller  einen 
solchen  vom  Mammasarkom  beim  Mann,  und  zwar  handelt 
es  sich  um  ein  Leiomyosarkom,.  das  einen  einzigartigen 
Fall  darstellt.  Zwei  Fälle  von  Geschossen  im  Herz¬ 
beutel  werden  von  Müller  und  N  e  u  m  a  n  n  unter 
Mitteilung  der  Krankengeschichten  beschrieben. 


Bauch:  kleiner  beschreibt  ausführlich  einen 
sehr  interessanten  hall  von  situs  viscerum  invers,  abdom. 
mit  Eventration  des  Magens  und  Stauungsectasie  der 
Speiseröhre.  De  rganz  wandte  die  französischer- 
seits  empfonlene  Aetherauswaschung  der  Bauchhöhle 
bei  Peritonitis  mit  bestem  Erfolge  an  und  empfiehlt  sehr 
diese  Methode.  Nach  T  r  o  e  1  1  soll  man  mit  der 
Unterbindung  einiger  Milzgefässe  anstatt  Splenectomie 
bei  Blutkrankheiten  mit  Milztumor  gute  Erfolge  erzielen. 
Boas  ist  gegen  eine  operative  Behandlung  des  ulcus 
duodeni  und  glaubt  in  den  allermeisten  Fällen  mit  in¬ 
terner  Therapie  Heilung  zu  erreichen.  Gegen  Rov¬ 
sings  Standpunkt  bei  Gastroptose  die  Gastopexie  an¬ 
zuwenden  wendet  sich  T  r  o  e  1  I.  H  a  n  s  gibt  eine  Me¬ 
thode  zum  Verschluss  des  künstlichen  Magenmundes  an, 
beider  ein  Einstülpungstrichter  gebildet  wird.  Dobber- 
t  i  n  behandelt  den  Verschluss  von  Eingeweidefisteln, 
T  r  i  e  b  i  n  g  liefert  einen  Beitrag  zur  I Iämorrhoidal- 
therapie,  Schoemacher  beschreibt  drei  Fälle  von 
akuter  pari.  Colondilation  und  zwei  Fälle  einer  Perfora¬ 
tion  einer  Append.  epiploica.  B  r  u  n  z  e  1  spaltet  das 
schlaffe  Ligam.  Poupatii  im  Bereiche  der  Lacuna.  mus- 
cul.  und  will  so  die  Radikaloperation  der  Schenkel¬ 
hernie  mit  viel  besserem  Erfolge  erzielen  Bei  Be¬ 
stehen  von  Bruch  und  Varicozele  schlägt  er  den  Bruch¬ 
sack  eng  um  den  Samenstrang.  Von  Kemp  f  wird 
ein  Fall  der  seltenen  Hernia  pectinea  mitgeteilt,  Gru- 
n  e  r  t  gibt  eine  komb.  Methode  bei  Radikalope¬ 
ration  der  Leistenhernie  an,  die  sich  dadurch  auszeich¬ 
net,  dass  er  die  Bassininaht  bis  an  den  Darmbeinstachel 
verlängert.  G  r  ö  n  d  a  h  1  fand  unter  400  Fällen  von 
Appendizitis  nur  zehnmal  Fremdkörper  und  nur  fünf¬ 
mal  Oxyuren  in  der  Appendix.  W  i  1  k  behandelte 
die  Nierenentzündung  durch  Nierenentkapselung  und  ist 
mit  dem  erzielten  Erfolge  zufrieden.  Das  Fernresultat 
der  an  Gravitztumor  Operierten  wird  von  Taschen 
als  günstig  angegeben  :  Ein  Drittel  aller  Operierten  war 
über  drei  Jahre  völlig  gesund.  Haidenhain 
glaubt  durch  schrittweises  Abklemmen  ohne  Isolierung 
der  Nierengefässe  eine  ebenso  sichere  aber  einfachere 
Versorgung  der  Nierengefässe  zu  haben.  Bonn  be¬ 
richtet  über  die  günstige  Anwendung  des  Katheterismus 
post,  bei  schweren  Urethralverletzungen  und  S  t  u  t  z  i  n 
bespricht  Kriegsverletzungen  des  Urogenitalsystems. 
L  i  e  k  behandelt  Bauch-,  insbesondere  Leberschüsse. 

Extremitäten:  Melchior  und  Wili- 
m  o  w  s  k  i  untersuchten  das  Verhältnis  des  Pulses  in 
gelähmten  Extremitäten  und  fanden  ,  dass  oft  eine 
Herabsetzung  der  Pulsgrösse  zu  konstatieren  war.  Je¬ 
doch  ist  dies  Symptom  zur  Erkennung  der  traumat. 
Aneurysmen  diagnostisch  wertlos,  da  ausser  Lähmung 
selbst  schon  ein  geringer  Druck,  wie  ein  Haematom, 
ein  Exsudat  oder  eine  Narbe  die  Pulsqualität  beein¬ 
flusst.  U  n  g  e  r  glaubt  die  Gangrän  nach  Unterbindung 
aufhalten  zu  können,  dadurch,  dass  er  periphei  von 
der  Unterbindung  Ringersche  Lösung  durchfliessen  lässt, 
wodurch  sich  ein  neuer  Kreislauf  ausbilden  kann.  Er 
selbst  machte  nur  Versuche  am  Tier,  konnte  die  ganze 
Extremität  nicht  retten,  war  aber  in  der  Lage,  tiefer 
als  sonst  erforderlich  gewesen  wäre,  zu  amputieren. 
R  y  d  i  g  i  e  r  empfiehlt  den  Knochenstumpf  nach 
Oberschenkelamputation  durch  plastische  Hautverschie- 
bung  zu  decken,  um  so  den  Amputationsstumpf  mög¬ 
lichst  lang  zu  erhalten.  H  o  f  m  a  n  n  macht  auf  die 
Sudecksche  Knochenatrophie  aufmerksam,  die 
seiner  Ansicht  nach  öfters  bei  den  Verwundungsfrak¬ 
turen  vorkommt.  Wegen  Pyaemie  nach  Extremitäten¬ 
verletzung  machte  Rost  Venenunterbindung.  Sehrt 
ist  für  konservative  Behandlung  schwerer  Gelenkschuss¬ 
verletzungen  mit  Dauerstauung  und  fand,  dass  bei  mög¬ 
lichst  früh  angewandter  Stauung  die  Resultate  über¬ 
raschend  waren.  Entsprechende  Erfolge  hatte  Lin- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


242 


Nr.  25. 


berge  r.  Flesch  gab  einen  kasuist.  Beitrag  zum 
Aneurysma  der  art.  femoralis.  T  r  o  e  1  1  ist  der  An¬ 
sicht,  dass  die  Tendovaginitis  crepitans  fast  stets  auf 
traumat.  Grundlage  beruht.  B  e  r  g  e  1  behandelte  die 
verzögerte  Callusbildung  und  Pseudarthrosen  mit  Fi¬ 
brininjektion.  Bei  der  Behandlung  von  Knochenbrüchen 
der  Extremitäten  tritt  Wettstein  für  Dauerexten¬ 
sion  bei  Muskelentspannung  ein.  Zur  Beseitigung  der 
Krallenhandstellung  bei  Ulnarislähmung  gibt  E  r  1  a  c  h  e  r 
eine  Spange  an,  Hildebrand  einen  Stützapparat 
der  II  and  bei  Radialislähmung  und  N  i  e  n  y  einen 
solchen  bei  Peroneuslähmung.  Für  ’  eine  einheitliche 
Längenmessung  der  Amputationsstümpfe  tritt  B  ä  h  r  ein 
und  zwar  soll  am  Bein  von  der  spina  ant.  sup.  ilei  und 
am  Arm  von  der  oberen  Akromionkante  aus  gemessen 
werden.  Zur  Behandlung  der  Schussbrüche  des  Ober- 
und  Unterarms  empfiehlt  v.  Besser  Trikotschlauch¬ 
extensionsverbände.  Bei  Schultergelenkversteifung,  d. 
h.  wenn  der  Arm  im  Gelenk  nicht  genügend  erhoben 
werden  kann,  erweiterte  Klapp  die  Kapsel  blutig 
und  lixierte  den  Arm  in  Elevation.  Der  Funktionser- 
tolg  war  sehr  befriedigend.  Die  stat.  und  mechan.  Ver¬ 
hältnisse  bei  Beinprothesen  behandelt  S  t  o  1  1  an  Hand 
von  Abbildungen.  Die  Herstellung  schwieriger  Imme- 
diatprothesen,  da  wo  es  sich  um  besonders  ungünstige 
Verhältn  isse  handelt,  bei  sehr  hoher  Amputation,  be¬ 
schreibt  S  e  i  d  1  e  r.  Er  verlängert  sozusagen  den 
Stumpf  durch  Anfügen  einer  Papphülse.  Die  Chirurg. 
Nachbehandlung  Kriegsverletzter  schildert  S  t  r  a  u  s  s 
in  knapper,  aber  die  wichtigsten  Momente  bietender 
Darstellung.  II  o  h  man  n,  Lange  und  Schede 
bringen  eine  Folge  von  Aufsätzen,  in  denen  alle  Ge¬ 
biete  der  Kriegsorthopädie  behandelt  werden  unter  Hin¬ 
zufügung  von  diesbezügl.  Fällen.  W  u  1  1  s  t  e  i  n  be¬ 
tont,  dass  bei  Amputationen  der  Stumpf  so  lange  wie 
nur  irgend  möglich  gemacht  werden  muss.  (Mittel¬ 
rhein.  Chirurgentag). 


Rousseau  als  Kinderarzt. 

Von  Dr.  Heinrich  P  u  d  o  r. 

„Observez  la  natnre  et  suivez 
la  route  qu’elle  vous  trace". 

Rousseau,  Emile. 

Wenn  von  der  Menschheit  alles  das  befolgt  würde, 
was  von  berühmten  und  hervorragenden  Männern  ihr 
zu  tun  anempfohlen  ist,  so  würde  sie  im  Zustande  der 
Vollkommenheit  leben,  wenngleich  man  auf  der  an¬ 
deren  Seite  bedenken  muss,  dass  es  ganz  naturnotwen- 
dig  ist,  dass  die  Praxis  hinter  der  Theorie  herhinkt 
und  schwerfällig  und  ganz  allmählich  die  Ergebnisse 
der  Theorie  sich  zu  eigen  macht.  So  ist  wenigstens 
im  allgemeinen  der  Stand  der  Dinge.  Auf  einzelnen 
Gebieten  freilich  ist  die  Kluft  und  der  Zwiespalt  zwi¬ 
schen  Theorie  und  Praxis  gar  zu  auffallend  und  ganz 
ungerechtfertigt  und  zudem  mehr  oder  weniger  hoff¬ 
nungslos.  Namentlich  auf  dem  Gebiete  der  Kinderauf¬ 
ziehung  stehen  die  Sachen  so  und  nicht  anders.  Seit 
Jahrhunderten  wird  gegen  das  bis  heute  übliche  System 
der  Kinderaufziehung  in  Wickelbetten  geschrieben, 
aber  in  Deutschland  zum  mindesten  entschliesst  man 
sich  nicht,  dem  Folge  zu  geben.  Besonders  im  18. 
Jahrhundert  (um  die  Mitte  desselben)  beschäftigte  die 
Frage  der  Kinderaufziehung  lebhaft  die  Geister.  Die 
Haarlemer  Akademie  hatte  auf  die  Lösung  dieser 
Fra  ge  einen  Preis  ausgesetzt,  welcher  dem  Genfer 
Ballexerd  zuerteilt  wurde  für  die  Arbeit :  Dissertation 
über  die  physische  Erziehung  der  Kinder.  In  Paris 
hatte  ein  berühmter  Arzt,  Desessart s,  eine  Schrift 
„Ueber  die  körperliche  Erziehung  der  Kinder  in  den 
ersten  Lebensjahren“  erscheinen  lassen.  Vorher  hatte 


schon  der  Naturforscher  Buffon  gegen  das  Ein¬ 
wickeln  der  Kinder  in  Steckkissen  geschrieben  und  sich 
zugunsten  des  Stillens  der  Mütter  verwandt.  Auch  der 
herrliche  Michel  Seigneur  de  Montaigne  hatte 
in  seinen  1580  erschienenen  Essays  über  Erziehung 
ähnliche  Ansichten  verfochten.  Und  nun  kam  glühend 
wie  ein  Meteor  Jean  Jacques  Rousseau  mit 
seinem  Emile,  in  welchem  er  die  ganze  menschliche 
Erziehung  auf  natürlicher  Grundlage  zu  errichten  be¬ 
strebt  ist  und  mit  der  Kleinkindererziehung  sich  ein¬ 
gehend  beschäftigt.  Und  Rousseau  erst  drang  durch, 
ward  gehört  und  anerkannt.  Buffon  selbst  sagte :  Es 
ist  wahr,  gesagt  haben  wir  das  alles,  aber  Rousseau 
allein  befiehlt  es  und  erzwingt  sich  Gehorsam. 

An  M ontaigne  erinnert  Rousseau  nament¬ 
lich  da,  wo  er  Abhärtung  statt  Verweichlichung  emp¬ 
fiehlt,  denn  das  Montaigne  sehe  Erziehungssystem 
ist  wie  das  des  150  Jahre  früher  in  Italien  wirkenden 
Vittorino  de  Feltre  *)  ein  spartanisches.  So  sagt  Rous¬ 
seau:  Härtet  die  Körper  der  Kinder  ab  gegen  die 
Rauheiten  der  Jahreszeiten,  der  Klimate,  der  Elemente, 
gegen  den  Hunger,  den  Durst,  die  Ermüdung;  taucht 
sie  in  die  Wasser  des  Styx!3) 

Besonders  liegt  es  Rousseau  am  Herzen,  die 
Unsitten  der  Wickelkissen  dem  Leser  vor  Augen  zu 
führen:  „Das  neugeborene  lynd  hat  das  Bedürfnis, 
seine  Glieder  auszustrecken  und  zu  bewegen,  um  sie 
aus  der  Erstarrung  zu  rcissen,  in  der  sie  so  lange 
Zeit,  zusammengezogen  zu  einem  Knäuel,  gelegen 
haben.  Man  streckt  sie  zwar  aus,  aber  man  verhindert 
sie,  sich  zu  bewegen ;  man  streckt  selbst  den  Kopf 
in  Kinderhäubchen,  als  ob  man  Furcht  hätte,  es  könne 
Lust  bekommen,  Lebenszeichen  zu  geben.  Im  Mutter¬ 
schosse  war  es  weniger  beengt,  weniger  geniert,  weni¬ 
ger  zusammengedrückt  als  in  seinen  Windeln;  ich  sehe 
nicht  ein,  was  es  mit  seiner  Geburt  gewonnen  haben 
soll.  Denn  der  einzige  Erfolg  ist,  dass  die  Zirkula¬ 
tion  des  Blutes  und  der  Säfte  gestört  wird,  dass  das 
Wachstum  und  Kräftigwerden  des  Kindes  gehindert 
und  seine  Konstitution  ungünstig  beeinflusst  wird.  In 
Ländern,  wo  man  diese  übertriebene  Vorsicht  nicht 
kennt,  sind  die  Menschen  gross,  stark  und  wohlpro¬ 
portioniert.  Aus  Furcht,  dass  die  Körper  durch  freie 
Bewegung  entstellt  werden  können,  beeilt  man  sich, 
sie  zu  entstellen,  indem  man  sie  einschnürt.  Sollte 
nicht  ein  so  grausamer  Zwang  Einfluss  ausüben  auf 
das  Gemüt  sowohl  wie  auf  das  Temperament  der  Kin¬ 
der?  Denn  ihr  erstes  Gefühl  ist  ein  Gefühl  des 
Schmerzes;  bei  allen  Bewegungen,  die  sie  ausführen 
müssen,  fühlen  sie  sich  beengt;  unglücklicher  als  ein 
in  hessein  liegender  Verbrecher  werden  sie  gepeinigt, 
werden  erregt  und  schreien.“ 

Des  weiteren  verbreitet  sich  Rousseau  über  die 
Kost  und  Nahrung  der  Ammen  und  bemerkt,  dass 
die  Milch,  wenngleich  im  animalischen  Kör  -  her¬ 
angebildet,  eine  vegetabilische  Substanz  sei,  1  :_i  dass, 
ähnlich  wie  im  Tierreich  die  Milch  der  Grasfresser 
süsser  und  heilsamer  sei,  als  diejenige  der  Fleisch¬ 
fresser,  die  Ammen  vegetabilische  Nahrung  einneh¬ 
men  sollten.  Das  die  Pflanzenkost  eine  leichter  ge¬ 
rinnende  Milch  erzeuge,  sei  kein  Nachteil,  sondern 
ein  Vorteil,  indem  sie  gerade  durch  das  Gerinnen  zur 
Ernährung  des  Säuglings  geeigneter  werde. 

Rousseau  kommt  weiter  darauf  zu  sprechen, 
dass  nächst  einer  geeigneten  Nahrung  gute  Luft  für 
Kind  und  Amme  das  notwendigste  Erfordernis  ist. 


\)  Die  berühmte  Casa  Giocosa,  die  noch  heute  eine  der  archi¬ 
tektonischen  Zierden  Italiens  bildet,  wurde  dem  Vittorino  von  Giovanni 
Francesco  Gonzaga  zu  Mantua  erbaut  und  als  Erziehungsanstalt  ein¬ 
gerichtet. 

2)  Dieses  und  alle  folgenden  Zitate  sind  dem  ersten  Buche  von 
Rousseaus  Emile  entnommen. 


243 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Reine  Landluft  sei  besser  als  verdorbene  Stadtluft  für 
beide  Teile.  „Die  Menschen  sind  nicht  dazu  geschaffen, 
im  Ameisenhaufen  eingepfercht  zu  leben,  sondern 
,  ausgebreitet  auf  der  ganzen  Erde,  die  sie  bebauen 
1  sollen.  Je  mehr  sie  sich  zusammenhäufen,  desto  mehr 
richten  sie  sich  zugrunde;  der  Mensch  ist  von  allen 
Wesen  dasjenige,  welches  am  wenigsten  in  Herden  Zu¬ 
sammenleben  kann.  Menschen,  zusammengepfercht 
wie  Hammel,  werden  sehr  bald  zugrunde  gehen.  Del¬ 
hi  auch  des  Menschen  ist  tödlich  für  seinesgleichen. 
Die  Städte  sind  der  Abgrund  des  menschlichen  Ge¬ 
schlechts.  Immer  ist  es  das  Land,  von  dem  aus  die 
Regeneration  der  entarteten  Rassen  erfolgt.  Schickt 
also  eure  Kinder  hinaus,  dahin,  wo  sie  inmitten  der 
grünenden  Felder  die  Kraft,  welche  man  in  der  schlech¬ 
ten  Luft  der  zu  stark  bevölkerten  Orte  der  Erde  ver¬ 
liert,  wiedergewinnen  können!” 

Was  das  Baden  der  kleinen  Kinder  betrifft,  so  er- 
■  scheint  Rousseau  die  Vorsicht,  dass  man  das  Was¬ 
ser  erwärmt,  nicht  durchaus  selbstverständlich,  wenn¬ 
gleich  sie  im  heutigen  Kulturleben  ratsam  sei.  Aber 
man  sollte  wenigstens  bestrebt  sein,  die  Kinder  all¬ 
mählich  an  immer  niedrigere  Temperaturen  zu  ge- 
,  wohnen.  „Diese  Sitte  des  Badens,  einmal  angenom¬ 
men,  darf  nicht  unterbrochen  werden,  und  man  tut 
,  gut,  sie  das  ganze  Leben  beizubehalten.  Ich  sehe  sie 
nicht  nur  von  der  Seite  der  Reinlichkeit  oder  der 
augenscheinlichen  Gesundheit,  sondern  ebenso  als  ein 
prophylaktisches  Heilmittel  an,  um  das  Zellengewebe 
i  fester  zu  machen,  derart,  dass  man  es  ohne  Gefahr 
den  verschiedenen  Wärme-  und  Kältegraden  aussetzen 
kann.“ 

Diese  Mahnungen  Rousse  a  u  s  verdienen  gerade 
heute  um  so  mehr  Beachtung,  als  die  Säuglingssterb¬ 
lichkeit,  z.  B.  bei  uns  in  Deutschland,  eine  furchtbare 
ist.  Bei  der  unlängst  stattgefundenen  Jahresversamm¬ 
lung  des  Vereins  für  öffentliche  Gesundheitspflege 
wurde  festgestellt,  dass  die  Mehrzahl  der  Todesfälle 
Kinder  der  ersten  Lebensmonate  betrifft.  Und  auf  der 
Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 
wurde  konstatiert,  dass  jeder  dritte  Todesfall  in 
Deutschland  auf  Tuberkulose  beruht,  dass  aber  die 
Tuberkulose  in  keinem  Alter  so  gross  ist,  wie  im  Kin¬ 
desalter  vom  ersten  bis  fünften  Jahre.  Und  wenn  wei¬ 
ter  als  bestes  Kampfmittel  die  peinlichste  Reinhal¬ 
tung  des  Säuglings  gefordert  wurde,  so  ist  dazu  zu  be¬ 
merken,  dass  eine  solche  beim  Wickelkissensystem  un¬ 
möglich  ist;  hier  vergiftet  sich  der  Säugling  immer¬ 
fort  durch  die  eigene  Ausdünstung,  und  die  Hautaus¬ 
dünstung  und  Hautatmung,  die  gerade  beim  Säugling 
ausserordentlich  gross  ist,  wird  gewaltsam  unterdrückt. 

Rousseau  fragt  nun,  woher  diese  unvernünftige 
Sitte  gekommen  ist,  und  er  antwortet :  „Daher,  dass 
die  Mütter  aus  Bequemlichkeit  ihre  Kinder  fremden 
Händen  anvertrauten,  die  ihrerseits  sich  so  wenig  als 
möglich  Mühe  machen  wollten.“  Ein  Kind,  das  sich 
frei  bewegen  kann,  würde  man  immerfort  bewachen 
müssen;  eingewickelt  und  eingebunden  wirft  man  es 
in  eine  Ecke,  ohne  sich  um  sein  Geschrei  zu  küm¬ 
mern.  Der  andere  Grund  für  die  Unsitte  der  Steckkissen 
sei  der,  dass  man  fürchtet,  die  ihrer  Freiheit  über¬ 
lassenen  Kinder  könnten  Bewegungen  versuchen,  die 
ihrer  Körperausbildung  schädlich  wären  und  Missbil¬ 
dungen  im  Gefolge  haben  könnten.  Aber  das  seien 
nichts  als  hohle  Redensarten,  die  durch  die  Erfah¬ 
rung  niemals  bestätigt  werden.  „Die  kleinen  Kinder 
vermögen  sich  kaum  zu  rühren,  —  wie  sollten  sie 
sich  Schaden  zufügen  können  ?“ 

Weiter  verbreitet  sich  Rousseau  über  das  Stil¬ 
len  besoldeter  Ammen.  Auch  diese  Frage  ist  aktuell; 
in  rühmlichster  Weise  hat  die  schon  erwähnte  Jahres¬ 
versammlung  des  Vereins  für  öffentliche  Gesundheits¬ 


pflege  als  Hauptmittel  zur  Verminderung  der  Säug¬ 
lingssterblichkeit  gefordert,  dass  die  Mütter  ihre  Pflich¬ 
ten  den  Säuglingen  gegenüber  erfüllen  (durch  Selbst¬ 
stillung).  Allerdings  scheint  die  Sitte  des  Stillens  durch 
besoldete  Ammen  zu  Rousse  aus  Zeit  in  weit  grösse¬ 
rem  Umfange  geherrscht  zu  haben  als  heute.  Denn 
Rousseau  ruft  pathetisch  aus:  „Ein  Mann,  der  es 
wagen  würde,  zuzulassen,  dass  seine  Frau  ihr  Kind 
selbst  stillt,  wäre  verloren  :  man  würde  ihn  einen  Mör¬ 
der  nennen,  der  sich  von  seinem  Weibe  befreien  wolle.“ 
Heute  stillen  sogar  Fürstinnen,  wie  die  Kaiserin  von 
Russland,  in  eigener  Person.  Aber  leider  sind  das 
Ausnahmen. 

Wenn  man  die  Frage  aufstellte,  sagt  Rousseau, 
ob  es  für  die  Kinder  gleichgültig  sei,  ob  sie  mit  Milch 
der  Mutter  oder  einer  anderen  Frau  ernährt  würden, 
so  dürfe  man  nicht  nur  die  physische  Seite  der  Frage 
in  Betracht  ziehen.  Die  Mutterliebe,  die  mütterliche 
Sorge  und  Pflege  könne  durch  nichts  ersetzt  werden. 
Entweder  empfinde  die  Amme  etwas  von  mütterlicher 
Zärtlichkeit  für  das  ihr  anvertraute  Kind;  dann  müsse 
die  Mutter  selbst  auf  ihr  Mutterrecht  teilweise  und 
zeitweise  verzichten,  und  dem  Kinde  mute  man  zu, 
die  Mutter  wie  ein  Kleid  zu  wechseln.  Oder  aber  die 
Ammen  empfinden  nichts  von  mütterlicher  Sorgfalt; 
dann  wieder  sei  das  Kind  in  (schlechten  Händen.  Rous¬ 
seau  bemerkt  hier  scharfsinnig,  dass  man,  wenn  man 
im  ersten  Fall  die  Ammen  als  blosse  Mägde  behandelt 
und  später  aus  dem  Hause  schickt,  die  Kinder  gerade¬ 
zu  zur  Undankbarkeit  erzieht;  man  lehrt  das  Kind,  die¬ 
jenige,  die  ihm  das  Leben  gab,  eines  Tages  ebenso 
zu  vernachlässigen,  wie  diejenige,  welche  es  mit  ihrer 
Milch  ernährt  hat.  „Wollt  ihr,  dass  jeder  zu  seinen 
ersten  Pflichten  zurückkehre,  so  beginnt  mit  den  Müt¬ 
tern.  Wenn  einmal  die  Frauen  wieder  Mütter  werden, 
werden  auch  die  Männer  wieder  Väter  und  Gatten  wer¬ 
den.  Und  wo  keine  Mutter,  da  kein  Kind.  Zwischen 
ihnen  sind  die  Pflichten  gegenseitig;  werden  sie  von 
der  einen  Seite  schlecht  erfüllt,  so  werden  sie  von 
der  anderen  Seite  vernachlässigt.“ 

Alsdann  kommt  Rousseau  auf  die  Kleidung  zu 
sprechen:  „Von  dem  Moment  an,  wo  das  Kind,  aus 
seiner  Umhüllung  befreit,  atmet,  dulde  man  nicht,  dass 
man  ihm  neue  Umhüllungen  gibt,  welche  es  noch  mehr 
beengen.  Keine  Kinderhäubchen,  keine  Wickelbänder, 
keine  Steckkissen;  nur  lockere  und  breite  Windeln, 
welche  alle  Glieder  in  Freiheit  lassen  und  nicht  so 
schwer  sind,  um  frische  Luft  abhalten  zu  können.“ 

Weiter  folgen  einige  interessante  Fingerzeige:  „Be¬ 
züglich  der  Gewöhnung  des  Kindes  an  Licht  muss 
man  acht  darauf  geben,  dass  das  Gesicht  immer  nach 
dem  Lichte  zu  gerichtet  ist,  wenn  man  verhüten  will, 
dass  das  Kind  schielen  lernt ;  denn  man  kann  beob¬ 
achten,  dass  es  die  Augen  immer  nach  dem  Lichte 
wendet.  Die  einzige  Gewohnheit,  welche  man  ein  Kind 
haben  lassen  darf,  ist  die,  keine  zu  haben;  man  trage 
es  auf  dem  rechten  Arm  nicht  mehr  als  auf  dem 
linken;  man  gewöhne  es  weder  daran,  zu  denselben 
Stunden  zu  essen  und  zu  schlafen,  noch  des  Tages  oder 
in  der  Nacht  allein  bleiben  zu  können.“  Diese  letztere 
Ansicht  Rousseau  s  dürfte  auch  heute  noch  lebhaf¬ 
tem  Widerspruch  begegnen. 

Ausführlich  verbreitet  sich  Rousseau  über  das 
Schreien  der  Kinder.  „Da  der  erste  Zustand  des  Kin¬ 
des  Schwäche  ist,  sind  seine  ersten  Stimmen  Klagen 
und  Tränen.  Das  Kind  fühlt  seine  Bedürfnisse  und 
kann  sie  nicht  befriedigen;  es  bittet  um  Hilfe  und 
Unterstützung  durch  Geschrei;  hat  es  Hunger  oder 
Durst,  so  weint  es,  ist  es  zu  kalt  oder  zu  warm,  so 
schreit  es;  hat  es  Bewegung  nötig  und  man  hält  es 
in  Ruhe,  will  es  schlafen  und  man  stört  es,  so  schreit 
es.  Entfernt  von  den  Kindern  mit  der  peinlichsten 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


244 


Ni 


■  o. 


Gewissenhaftigkeit  Dienstboten,  welche  sie  quälen, 
aufregen,  ungeduldig  machen;  sic  sind  ihnen  hundert¬ 
mal  schädlicher  als  die  Ungunst  der  Witterungen  und 
der  Jahreszeiten.  Wenn  ihr  aber  das  Hindernis  nicht 
entfernen  könnt,  so  bleibt  ruhig,  ohne  zu  liebkosen, 
andernfalls  wird  das  Kind  sich  erinnern,  was  es  tun 
muss,  um  geliebkost  zu  werden;  wenn  es  einmal  weiss, 
wie  es  nach  seinem  Willen  euch  beschäftigen  kann, 
ist  es  schon  euer  Meister,  und  alles  ist  verloren.“ 

Rousseau  ist  der  Ansicht,  dass  man  die  Kinder 
viel  zu  früh  entwöhnt.  „Die  Zeit,  zu  der  man  die  Kin¬ 
der  entwöhnen  soll,  ist  durch  den  Durchbruch  der 
Zahne  angezeigt.  Instinktmässig  nimmt  das  Kind  dann 
alles  in  den  Mund,  was  es  in  die  Hände  bekommen 
kann.  Und  man  glaubt  ihm  das  Zahnen  zu  erleichtern, 
indem  man  ihm  harte  Körper,  wie  Elfenbein,  als  Spiel- 
zcu&  gibt.  Ich  glaube,  man  irrt  sich.  Die  harten  Kör¬ 
per,  weit  entfernt,  das  Zahnfleisch  zu  erweichen,  ver¬ 
härten  es  und  vermehren  die  Schmerzen  beim  Durch¬ 
bruch  der  Zähne.  Man  kann  bei  jungen  Hunden  be¬ 
obachten,  dass  sie  viel  mehr  weiche  und  nachgiebige 
Stoffe,  in  die  sich  der  Zahn  eindrücken  kann,  sich  zu 
schaffen  suchen  als  harte.“ 

Diese  Bemerkung  Rousseaus  ist  durchaus  zu- 
treffend.  Das  Beissen  ist  eine  Tätigkeit  der  Zähne, 
wenn  sie  da  sind.  Aber  das  Beissen  lässt  sie  nicht  ent¬ 
stehen,  vielmehr  ist  es  die  Saugtätigkeit,  welche  die 
Zähne  entstehen  lässt.  Und  je  mehr  Gelegenheit  zur 
Saugtätigkeit  gegeben  wird,  desto  leichter  kommen 
die  Zähne.  Da  die  Saugtätigkeit  bei  künstlicher  Er¬ 
nährung  nicht  so  gross  ist,  wie  an  der  Mutterbrust, 
kann  man  beobachten,  dass  im  ersten  Falle  die  Zähne 
nicht  so  leicht  kommen,  wie  im  zweiten  Falle.  Ge¬ 
rade  in  diesem  ersten  Falle  suchen  aber  die  Kinder 
alsdann  nach  einem  Ersatzmittel  des  Saugens  und  be¬ 
mächtigen  sich  einer  Zahnbürste,  eines  Schwammes, 
einer  Nagelbürste,  ja,  man  kann  oft  genug  sehen,  dass 
sie  ihre  Kleiderzipfel  ins  Wasser  tauchen,  um  sie  da¬ 
nach  anzusaugen.  Weit  später  erst,  wenn  die  Zähne 
vollständig  zum  Durchbruch  gekommen  sind,  kann  es 
Nutzen  haben,  den  Kindern  harte  Gegenstände  zur 
„Uebiing  im  Beissen“  in  die  Hand  zu  geben. 

Genauer  kann  man  drei  verschiedene,  aufeinander 
folgende  Tätigkeiten  der  Zahnung  unterscheiden:  das 
Saugen,  das  Nagen  und  das  Beissen.  Zur  Beförderung 
der  zweiten  dieser  Tätigkeit  empfiehlt  Rousseau, 


getrocknete 


Früchte  in 


den  Kindern  Brotrinde  und 
der  betreffenden  Zeit  zu  geben. 

Was  die  Nahrung  des  Kindes  betrifft,  so  emp¬ 
fiehlt  Rousseau  am  meisten  Semmelbrei,  warnt  da¬ 
gegen  vor  Bouillon  und  Fleischsuppen. 

Sehr  energisch  warnt  Rousseau  auch  vor  der 
Sucht,  den  Kindern  das  Gehen  möglichst  früh  zu  ler¬ 
nen:  „Gibt  es  etwas  Törichteres,  als  die  Mühe,  welche 
bewirkt,  dass  sie  ihr  ganzes  Leben  schlecht  laufen, 
weil  man  sie  im  Laufen  schlecht  unterrichtet  hat.“ 
Das  klingt  vielleicht  paradox,  aber  es  ist  gleichwohl 
richtig,  denn  die  Kinder  lernen  das  Laufen  am  besten 
von  selbst,  und  eine  dritte  Person  kann  unmöglich 
den  Zeitpunkt  wissen,  wann  die  Beine  stark  genug  sind: 
wählt  man  den  Zeitpunkt  zu  früh,  so  sind  krumme 
Beine  die  unausbleibliche  Folge.  Zu  spät  kann  man 
den  Zeitpunkt  nicht  wählen,  weil  die  Kinder  zur  richti¬ 
gen  Zeit,  wofern  man  ihnen  Zeit  lässt,  das  Laufen 
von  selbst  lernen.  „Ansatt  Emil  in  ungesunder  Stuben¬ 
luft  verkümmern  zu  lassen,  wird  man  ihn  täglich  auf 
eine  Wiese  führen;  wenn  er  dort  hundertmal  fällt, 
desto  besser  ;  er  wird  nämlich  desto  besser  lernen,  sich 
zu  erheben.  Mein  Zögling  wird  sich  oft  stossen,  aber 
dafür  wird  er  immer  guter  Dinge  sein.  Eure  unglück¬ 
lichen  Kinder  dagegen  —  das  Alter  des  fröhlichen 
Spieles  vergehe  ihnen  ohne  Züchtigung,  Drohungen, 
Tränen,  Knechtschaft.  Menschen,  seid  menschlich,  lieht 
die  Kinder,  begünstigt  ihre  Spiele,  ihre  Vergnügen, 
ihren  schönen  Instinkt!  Man  darf  ein  Kind  nicht  zwin¬ 
gen,  stillzusitzen,  wenn  es  gehen  will,  noch  zu  gehen, 
wenn  es  stillsitzen  will.  Wenn  der  Wille  der  Kinder 
nicht  durch  unsere  Fehler  verdorben  ist,  wollen  sie 
nichts  Unnützes.  Es  ist  notwendig,  dass  sie  springen, 
dass  sie  laufen,  dass  sie  schreien,  wenn  sie  nur  Lust 
dazu  haben.“ 

Man  wird  gut  tun,  diese  Gedanken  Rousseaus 
zu  erwägen  und  zu  überdenken,  das  Beste  davon  zu 
behalten  und  ins  Leben  zu  übertragen.  Namentlich 
das  letztere  ist  notwendig,  denn  mehr  als  ein  Jahr¬ 
hundert  gilt  Rousseau  nun  schon  als  Apostel  der 
Natur  und  naturgemässen  Lebensführung,  aber  das 
Wenigste  erst  von  seinen  Forderungen  ist  für  das 
Leben  verwertet  worden.  Wir  schliessen  daher  mit 
den  Worten  Montaign  es:  „Wer  diesen  Gedanken 
gemäss  handelt,  wird  mehr  Vorteil  davon  haben,  als 
wer  sie  bloss  liest.“ 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeine  Pathologie. 

Stocke  r.  Über  die  Reimplantation  der  Keimdrüsen 
beim  Menschen.  (D  med.  W.  1916,  No.  7). 

Nach  Hinweis  auf  die  Anatomie  und  Physiologie  der 
Keimdrüsen  und  die  Ausfallserscheinungen  bespricht  der 
Verf.  deren  Vermeidung  Bei  Implantationen  verlangt  er 
autoplastische  Operationen,  was  er  nur  bei  Exstirpation  wegen 
maligner  Tumoren  für  unzulässig  hält.  Beurteilt  will  er  die 
Funktion  der  eingepflanzten  Keimdrüse  durch  die  Adrenalin¬ 
reaktion  haben,  natürlich  unter  Beachtung  der  klinischen 
Beobachtung.  Bei  jeder  Kastration,  sofern  nicht  die  ge¬ 
nannte  Kontraindikation  vorliegt,  soll  ein  Teil  des  Testis  oder 
des  Ovars  wieder  in  den  Körper  zurückgebracht  werden,  da  man 
ev.  viel  erreicht,  aber  niemals  schadet.  Böen  heim. 

T  reupel.  Die  Funktionsprüfung  der  Nieren  mit 
körperfremden  Substanzen.  (D.  med.  W.  1916,  No.  6). 

ln  dieser  ausgezeichneten  Arbeit  bringt  Tr.  nach  einem 


‘  kurzen  Ueberblick  über  die  Physiologie  der  einzelnen  Teile  der 
Niere  eine  Besprechung  der  iu  der  Hauptsache  von  Schlayer 
angegebenen  Funktionsprüfungsmethoden  und  beleuchtet  sie 
kritisch.  Für  den  Praktiker  kommen  wohl  diese  Methoden 
noch  nicht  in  Betracht,  da  ihr  Wert  für  die  menschliche 
Pathologie  noch  zu  zweifelhaft  ist.  Wichtig  ist  höchstens,  dass 
die  Ausscheidungsdauer  von  1  g  intravenös  injiziertem  Milch¬ 
zucker  länger  als  5  —  7  Stunden  dauert,  wenn  die  Gefässe 
funktionell  geschädigt  sind.  Bei  einer  Erkrankung  der  Tubuli 
wird  0,5  g  per  os  gegebenes  Jodkalium  noch  nach  mehr  als 
60  Stunden  im  Harn  nachgewiesen.  In  Bezug  auf  die 
Methode,  sowie  auf  die  sehr  interessanten  Verhältnisse  in  Be- 
!  zug  auf  die  Na  Cl-Ausscheidung  muss  auf  die  Original-Arbeit 
hingewiesen  werden.  B  o  e  n  h  e  i  in. 

S  i  m  m  o  n  d  s.  Über  Kachexie  hypophysären  Ur¬ 
sprunges.  Dr.  med.  W.  1916,  No.  7). 

Verf.  der  bereits  1914  über  einen  Fall  von  Kachexie 


245 


Nr.  25. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


infolge  einer  „hochgradigen  Verödung  des  Hirnanhanges“ 
berichtete,  macht  Mitteilung  von  2  Fällen  von  Kachexie,  bei 
denen  die  Sektion  ein  basophiles  Adenom  der  Hypophyse  er¬ 
gab.  Da  ein  weiterer  pathol.  Befund  nicht  erhoben  wurde, 
1  so  muss  die  „chronische  hochgradige,  letal  endigende  Kachexie“ 
hierauf  bezogen  werden.  Therapeutisch  ziehlt  S.  hieraus  den 
Schluss,  dass  man  bei  klinisch  ungeklärten  Kachexien  mit 
Hypophysispräparaten  Versuche  machen  soll. 

B  o  e  u  h  e  i  in. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

F  e  j  e  s.  Die  praktische  Bedeutung  der  Typhus-  und 
Choleraschutzimpfung.  (Dtsch.  med.  Woch  19 IG,  14.) 

Verf.  stellt  fest,  dass  nach  den  prophylaktischen  Im¬ 
pfungen  die  Zahl  der  Erkrankungen  abgenommen  hat.  In 
Bezug  auf  Typhus  schreibt  Verf.  dann  weiter,  dass  die  Er¬ 
krankungen  leichter  sind,  dass  vom  „Status  typhosus“  nicht 
mehr  gesprochen  werden  kann.  Die  einzigen  immer  vor- 
kommenden  Symptome  seien  Roseolen  und  geringe  Milz¬ 
schwellung. 

Kommt  es  nach  Choleraschutzimpfungen  zum  Ausbruch 
der  Krankheit,  so  wird  diese  kaum  beeinflusst.  Nur  die 
Funktion  des  Nervensystems  hat  einen  Nutzen.  Verf.  gibt 
dann  eine  Thoerie,  um  die  verschiedene  Wirkung  der  beiden 
Schutzimpfungen  zu  '  erklären.  B  o  e  n  h  e  i  m. 

Möllers  u.  0  e  li  1  e  r.  Zur  Frage  der  Mobilisierung 
der  Tuberkelbazillen  durch  Tuberkulin  (D.  med.  W.  19 IG.) 

Nach  einer  Reihe  von  Tierexperimenten  kommen  die  Verf. 
zu  dem  Resultat,  dass  eine  Verschleppung  von  virulenten 
Keimen  nach  Tuberkulineinspritzungen  nicht  nachgewieseu  ist. 
Auch  findet  man  bei  vorgenommenen  Blutuntersuchuugen  keine 
prozentual  erhöhten  positiven  Blutbefunde  während  der 
Tuberkulinreaktion.  B  o  e  n  h  e  i  m. 


Innere  Medizin. 

L  F.  Meyer.  Zur  Diätetik  der  Ruhr.  (Dtsch.  med 
Woch.  1916,  12.) 

So  sehr  sich  auch  die  blande  Diät  im  allgemeinen  bei  der 
Ruhrbehandlung  bewährt  hat,  so  verwirft  sie  doch  der  Verf., 
wenn  sie  nicht  in  wenigen  Tagen  zum  Erfolg  führt.  Sie  ist 
eine  Hungerdiät  und  kann  daher  zu  unliebsamen  Erscheinungen 
allgemeiner  Natur  und  auch  zu  solchen  im  Krei.slaufgebiet  führen 
Daneben  wird  auch  die  Immumität  bei  Unterernährung  ver¬ 
mindert,  Da  die  Ruhr  im  wesentlichen  den  Dünndarm  frei 
lässt,  wo  die  eigentliche  Verdauung  stattfindet,  so  kann  man 
ruhig  eine  ausreichende  Nahrung  geben.  Sie  darf  den  Dick¬ 
darm  nicht  reizen  und  muss  antidiarr’notisch  sein,  und  das  ist 
die  ei  weissreiche  Kost,  die  auch  in  der  Regel  lieber  von  den 
Patienten  genommen  wird.  Verf.  gibt  ein  Schema  in  seiner 
Arbeit,  dem  er  allmählich  andere  Nahrungsmittel  zufügt,  zum 
Schluss  Kommissbrot.  Gibt  man  dies  zu  früh,  so  tritt  ein 
Rückfall  ein,  der  aber  sofort  bei  Rückkehr  zu  Eiweissnahrung 

I verschwändet.  Dieses  neue  Fieber  hat  also  grosse  Aehnlich- 
keit  mit  dem  von  Finkeistein  beim  Säugling  beobachteten 
alimentären  Fieber.  B  o  e  n  h  e  i  m. 

Strauss.  Krieg  und  Verdauungskrankheiten.  (Ztsch 
für  ärztl.  Fortbildung  1916,  No.  1). 

Verf.  bespricht  u.  a.  ausführlich  die  akute  Colitis  hämor¬ 
rhagica,  die  ätiologisch  nicht  einheitlich  ist.  Es  handle  sich 
wohl  um  Paratyphus  Bac.  und  um  die  verschiedenen  Dysenterie- 
Erreger.  Gerade  die  Zahl  der  latenten  Minimal-Infekte  durch 
diese  letzteren  schätzt  er  sehr  hoch.  Bei  der  Prognose  spielt 
die  An-,  bezw.  die  Subazidität  des  Magens  eine  grosse  Rolle, 
weil  durch  diese  eine  Störung  in  der  Diiundarmverdauung  ein- 
tritt,  die  den  Lokalprozess  zu  einem  mehr  oder  weniger  dauer¬ 
haften  macht. 

Was  die  Therapie  anbelangt,  so  mag  nur  erwähnt  werden, 
dass  Verf.  in  der  Kohlebehandlung  einen  Fortschritt  sieht. 
Fleisch  lässt  er  erst  spät  reichen.  B  o  e  n  h  e  i  m. 

— 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

W.  Neumeiste  r.  Chirurgische  Erkrankungen,  ins- 
bf,S(?n.^ere  das  Mal  perforant  und  die  Knochen-  und  Qelenk- 
artektionen,  als  Frühsymptome  der  Syringomyelie.  fZtschr  f. 

d.  ges.  Neurol.  u.  Psych.,  Bd.  bO,  H  4/5,  S.  510.  1916). 

Es  werden  hier  besonders  die  chirurgischen  Symptome  der 
Syringomyelie,  die  ^  phlegmonösen  Entzündungen,  das  Mal 
perforant  und  die  Knochen-  und  Gelenkaffektionen  besprochen. 
Im  ganzen  wurden  unter  74  Fällen  von  Syringomyelie  16  Fälle, 
die  hiei  mitgeteilt  werden,  beobachtet,  bei  denen  chirurgische 
Erkrankungen  im  Voidergrunde  der  Symptomenreihe  standen, 
so  dass  hauptsächlich  deshalb  der  Chirurg  konsultiert  wurde. 
Die  Häufigkeit  der  chirurgischen  Erkrankungen  betrug  demnach 
bei  der  Syringomyelie  21  bis  22%.  In  9  Fällen  (55%) 
fand  sich  Mal  perforant,  in  5  Fällen  (30 >/0)  Spontanfrakturen 
und  Arthropathien,  in  je  einem  Fall  Panaritium,  Verbrennung, 
Erfrierung  und  Muskelruptur.  Der  Sitz  der  Arthropathien 
war  in  2  Fällen  das  Schultergelenk,  in  1  Fall  das  Handge¬ 
lenk,  einmal  die  Fusswurzel  (Plattfuss:  typ  pied  tabetique); 
der  Sitz  der  Spontan frakturen  war  2  mal  der  Unterarm,  ein¬ 
mal  der  Oberarm,  je  einmal  der  Ober-  und  Unterschenkel. 
Auffallend  in  dieser  Statistik  ist  die  Häufigkeit  des  Mal 
perforant  bei  der  Syringomyelie,  was  aber  mit  der  in  der  Ar¬ 
beit  gemachten  Erfahrung  zusammenhängt,  dass  der  Lumbo- 
sakraltypus  der  Erkrankung  eine  ziemlich  häufige  Lokalisations¬ 
form  bildet.  Von  den  16  Fällen  gehörten  nämlich  9  Fälle 
zum  Cervicaltyp,  und  7  Fälle  zum  Lumbosakraltypus.  Und 
während  der  erstere  meist  sehr  charakteristische  Symptome  auf¬ 
weist  und  selten  zu  Fehldiagnosen  führt,  gibt  es  bei  dem 
zweiten  Typus  eine  ganze  Anzahl  von  Fällen,  bei  denen  erst 
sehr  spät  ausgesprochene  neurologische  Symptome  in  Erscheinung 
treten,  während  oft  Jahre  hindurch  ein  Mal  perforant  oder  eine 
andere  Störung  trophischer  Natur  allein  vielleicht  neben  einer 
unsicheren  Sensibilitätsstörung  anscheinend  das  einzige  und 
erste  Symptom  darstellen  kann. 

Verf.  kommt  also  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  Lumbo¬ 
sakraltypus  der  Syringomyelie  zweifellos  häufiger  ist,  als  bisher 
angenommen  wurde,  und  dass  bei  ihm  die  trophischen  Störungen, 
also  die  chirurgischen  Erkrankungen,  besonders  im  Vorder¬ 
gründe  stehen,  mehr  als  im  Cervicaltyp,  der  sich  mehr  durch 
die  im  Vordergrund  stehenden  sensiblen  Symptome  auszeichnet. 
Es  wird  deshalb  dazu  aufgefordert,  alle  Fälle  von  Mal  perforant 
neurologisch  eingehend  zu  untersuchen.  Vor  allem  wird  darauf 
hingewiesen,  dass  trophische  Störungen,  die  schon  jahrelang  be¬ 
stehen,  zuerst  vielleicht  mit  einer  leichten  Störung  der  Sensibilität, 
ev.  angedeuteten  dissoziierten  Charakters  unbedingt  den  Verdacht 
auf  Syringomyelie  erwecken  müssen,  besonders  wenn  die  Sym¬ 
ptome  doppelseitig  sind;  Atrophien  an  den  Füssen  und  Unter¬ 
schenkeln,  sowie  das  Fehlen  des  einen  oder  anderen  Achilles¬ 
reflexes  können  die  Diagnose  sichern. 

Zum  Schlüsse  wird  noch  auf  zwei  Fälle  von  Syringomyelie 
nach  Trauma  eingegangen,  die  zur  Begutachtung  überwiesen 
worden  waren.  Es  wird  hier  von  dem  Gesichtspunkt  aus  ge¬ 
urteilt,  ob  das  betreffende  Trauma  eine  Hämatomyelie  hatte  zur 
Folge  haben  können  oder  nicht.  In  dem  einen  Falle,  der  nach 
einer  durch  Hufschlag  bedingten  Unterschenkelfraktur  sich 
entwickelte,  wird  die  traumatische  Entstehung  abgelehnt, 
während  bei  dem  anderen  Fall,  bei  dem  ein  Sturz  aus  10  Meter 
Höhe  stattgefunden  hatte,  das  Entstehen  einer  zentralen 
Hämatomyelie  angenommen  wird,  auf  deren  Basis  sich  in  der 
Folge  eine  Syringomyelie  entwickelt  hat.  Besonders  mit  Rück¬ 
sicht  auf  diesen  Fall  bekennt  sich  Verf.  zu  der  Ansicht  der¬ 
jenigen  Autoren,  die  den  Standpunkt  der  traumatisch-hämor¬ 
rhagischen  Entstehung  der  Syringomyelie  vertreten. 

W.  Misch. 

Pelz.  Über  hysterische  Aphasien.  (Arch.  f.  Psych., 
Bd.  56,  H.  2,  S.  445.  1916.) 

Es  werden  drei  Fälle  von  hysterischer  Aphasie  mitge¬ 
teilt,  die  durchaus  den  Charakter  einer  organischen  Aphasie 
trugen.  Bei  dem  ersten  Fall  handelte  es  sich  um  einen  Soldaten, 
der  aus  dem  Felde  mit  der  Angabe  einer  Gehirnerschütterung 
kam  und  in  der  ersten  Zeit  für  eine  wahrscheinlich  durch 
Hirnblutung  entstandene  totale  Aphasie  gehalten  wurde;  erst 
im  weiteren  Verlauf  wurde  die  hysterische  Natur  der  Er- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


246 


Nr.  25. 


krankung  erkannt,  insbesondere  dadurch,  dass  der  Patient  viel 
besser  verstand  als  aus  seinen  sprachlichen  und  motorischen 
Reaktionen  zu  erkennen  war,  und  dass  er  auf  plötzliche,  über¬ 
raschende  Fragen  prompte,  richtige  Antworten  in  fehlerfreier 
Sprache  gab.  Bei  dem  zweiten  Falle  einer  Haftpsychose  in 
Form  des  Ganserschen  Dämmerzustandes  fehlten  Störungen  der 
elementaren  Sprachfunktionen,  der  motorischen  und  der  senso¬ 
rischen,  gänzlich,  so  dass  die  Diagnose  ganz  sicher  war;  als  apha- 
sische  Symptome  fanden  sich  Agrammatismus,  Perseveration  und 
eine  Andeutungvon  amnestischer  Aphasie.  Bei  dem  dritten  Fall 
bestand  eine  Erschwerung  und  Verlangsamung  der  spontanen 
Leistung,  Andeutung  von  Agrammatismus  charakteristische 
amnestisch-aphasische  Erscheinungen,  Störung  der  Wortfindung 
und  sehr  typische  Umschreibungen  ;  Nachsprechen,  Lesen, 
Wort-  und  Sinnverständnis  waren  intakt. 

In  allen  drei  Beobachtungen  fanden  sich  also  eigentüm¬ 
liche  Sprachstörungen,  die  anscheinend  durchaus  mit  gewissen 
aphasischen  Einzelsymptomen  übereinstimmeu,  die  sich  aber 
alle  als  psychogen  bedingt  herausstellten.  Eine  Ueberein- 
stimmung  der  drei  Beobachtungen  unter  sich  nach  aphasischen 
Gesichtspunkten  bestand  nicht;  es  liess  sich  aus  ihnen  nicht 
das  Bild  einer  besondern  hysterischen  Aphasie  gewinnen,  in 
der  Weise,  dass  etwa  für  die  hysterische  Form  der  Aphasie 
bestimmte  Einzelsymptome  aphasischer  Sprachstörungen  oder 
bestimmte  solche  Symptomgruppen  regelmässig  und  kenn¬ 
zeichnend  wären.  Die  beschriebenen  aphasischen  Einzelsymptome 
sind  auch  nicht  konstant  und  nicht  scharf  ausgeprägt  genug, 
als  dass  sie  für  das  Studium  der  Lehre  von  den  Aphasien 
Wert  gewinnen  könnten.  Ein  gemeinsames  Bild  der  Sprach¬ 
störungen  in  den  drei  Fällen  liegt  dagegen  in  der  Aehnlich- 
keit  mit  den  Ganserschen  Zuständen;  insbesondere  lässt  sich 
nachweisen,  dass  im  allgemeinen  Verhalten  der  drei  Kranken 
eine  Reihe  von  Ganserschen  Einzelzügen  bestanden.  Ueber- 
haupt  ist  die  Kongruenz  der  eigenartigen  hysterischen  Aphasien 
mit  dem  Ganserschen  Symptom  leicht  erkennbar  und  ein 
gutes  Mittel,  die  Hysterie  zu  beweisen,  und  unabhängig  von 
der  Ausschliessung  organischer  Aphasie,  selbständig  die 
pseudoaphasische  Natur  der  Sprachstörung  erkennen  zu  lassen. 

W.  Mise  h,  Berlin. 


Hals-,  Nasen-,  Kehlkopf-  und  Ohrenleiden 

M  i  n  k  (Utrecht).  Die  Massage  der  Ohrtrompete. 

(Zeitsch.  f.  Ohrhlk.  Bd.  72,  H.  3.) 

Für  chronische  Mittelohrkatarrhe  mit  Schwellung-  der 
Tubenschleimhaut  hat  Mink  eine  Massage  der  Tuben wülste 
ausgedacht  und  erprobt.  Es  handelt  sich  nicht,  wie  man 
es  früher  mehrfach  versuchte,  um  eine  indirekte  Massage  von 
der  seitlichen  Halsgegend  aus,  sondern  es  wird  durch  die 
unteren  Nasengänge  ein  katheterförmig  gebogenes  Instrument, 
dessen  Schnabel  mit  Watte  umwickelt  ist,  eingeführt,  der 
Schnabel  in  die  Furche  zwischen  Nase  und  vorderen  Tuben¬ 
wulst  gebracht  und  durch  Längsdrehungen  des  Stiels  auf  und 
abgeführt.  Es  kann  auch  die  Rosenmülle  r’sche  Grube 
und  der  hintere  Tubenwulst  bestrichen  weiden.  Mink  rät, 
die  Massage  zunächst  an  sich  selbst  auszuprobieren,  um  sich 
die  nötige  Zartheit  der  Bewegungen  anzueignen.  Er  hat  an 
grösserem  Material  recht  gute  Erfahrungen  mit  seiner  Methode 
gemacht.  Arth.  M  e  y  e  r  (Berlin). 

J.  Zange  (Jena).  Gonorrhoische  Infektion  der  obe¬ 
ren  Luftwege  beim  Erwachsenen.  (Z  eitsch.  f.  Ohrhlk.  Bd. 

73,  H.  3.) 

Die  oberen  Luftwege  wrerden  beim  Erwachsenen  äusserst 
selten  von  gonorrhoischer  Erkrankung  befallen.  Die  Mund¬ 
höhle  erkrankt  etwas  häufiger  vermittelst  direkter  Übertragung, 
die  Nase  jedoch  nur  indirekt,  entweder  durch  den  mit  Tripper¬ 
eiter  beschmutzten  Finger  (oder  Taschentuch)  infiziert,  oder 
infolge  einer  spezifischen  Conjunctivitis,  deren  Sekret  sich 
durch  den  Träuennasenkanal  in  die  Nase  ergiesst.  Von  beiden 
Übertragungsarten  sind  nur  wenige  beglaubigte  Fälle  bekannt; 
einen  der  zweiten  Art  veröffentlicht  Verf. :  Einem  Chirurgen 
spritzte  bei  einer  Damm-Operation  gonorrhoischer  Eiter  ins 
Gesicht.  Es  stellte  sich  beiderseitige  Conjunctivitis  ein,  dann 
ein  blenuorrhoischer  Katarrh  der  Nase,  des  Nasenrachenraums, 


Rachens  und  Kehlkopfes.  Die  Affektion  verlief  ziemlich  gut¬ 
artig  in  Form  eines  eitrigen  Katarrhs  mit  sta  -ker  Rötung  und 
mässiger  ödematöser  Schwellung;  nirgend  kam  es  zur  Ero¬ 
sionsbildung.  Sie  heilte  unter  Protargolbehandlung  in  einigen 
Tagen.  —  Da  gerade  die  Nasenerkrankung  sehr  geringe  Be¬ 
schwerden  machte,  meint  Verf.,  dass  dieselbe  vielleicht  öfters 
im  Anschluss  an  blennorrhoische  Conjunctivitis  vorkomme 
und  übersehen  werde.  Arth.  Meyer  (Berlin). 

T  h.  R  ü  e  d  i  (Davos).  Beobachtungen  aus  Davos  über 
operative  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose.  (Zeitsch  f. 
Ohrhlk.  Bd.  73,  H.  3.) 

R  berichtet  über  eine  sehr  grosse  Anzahl  wegen  Larynx- 
Tuberkulose  operierter  Patienten.  Er  betrachtet  die  Kur  in 
Davos  als  erheblichen  Heilfaktor,  auch  für  die  Kehlkopfer¬ 
krankung,  in  allen  Fällen,  wo  der  Körper  noch  über  Reserve¬ 
kräfte  verfügt  Jedoch  ist  die  Heilung  ohne  örtliche  Be¬ 
handlung,  die  nur  operativ  sein  kann,  eine  seltene  Ausnahme. 
Er  bevorzugt  die  tiefe  Kaustik,  die  den  Zweck  hat  das  er¬ 
krankte  Gewebe  gründlich  zu  zerstören  (für  die  auch  Ref. 
wiederholt  oingetreten  ist),  nur  für  den  Kehldeckel  schnei¬ 
dende  Instrumente.  Die  Gesamtresultate  sind  recht  gut,  am 
besten,  wie  bekannt,  bei  Stimmbaudtuberkulose.  Auch  auf 
die  Lungen  wirkte  die  Kehlkopfbehandlung  in  günstiger 
Weise  zurück.  Verschlimmerungen  im  Anschluss  an  die  Be¬ 
handlung  sind  nicht  völlig  auszuschliessen,  aber  überaus  selten. 

Art  h.  Meyer  (Berlin). 


Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten 
der  Harn-  und  Geschlechtswege. 

W  i  1  d  b  o  1  z.  0  ber  die  metastatische  Prostatitis  (Corresp. 

für  Schweiz  Aerzte  19 IG.  6. 

Wenn  auch  die  meisten  Prostatitiden  auf  einer  Infektion 
mit  Gonokokken  beruhen,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen, 
dass  auch  alle  anderen  Entzündungserreger  diese  Erkrankung 
verursachen  können.  Der  häufigste  Weg  der  Erkrankung  ist 
der  durch  die  Harnwege  ;  die  Ausbreitung  kann  jedoch  auch 
auf  dem  Lymphwege  geschehen.  Verf.  sah  diese  Erkrankung 
14  mal  nach  Influenza,  22  mal  nach  leichter  Angina  oder  nach 
Darmstörungen.  Er  unterscheidet  eine  katarrhalische,  eine 
folliculäre  Prostatitis  und  die  parenchymatöse  Form.  Immer 
scheint  es  sich  aber  um  eine  Ausscheidungsinfektion  der  Drüse 
zu  handeln.  Symptome:  Schmerz  und  Druck  am  Damm  und 
im  Rektum,  Urindrang  mit  behindertem  Abfluss.  Häufig 
terminale  Hämaturie.  Differentialdiagnostisch  kommen  rein 
kongestive  Zustände  in  Frage.  Therapie:  Sitzbäder,  Ichthyol- 
suppositorien.  Zum  Schluss  weist  Verf.  noch  daraufhin,  dass 
nach  Y  oung  .,oft  Arthritiden,  Muskelrheumatismus,  Ischias 
ihren  Ausgangspunkt  von  einer  chronischen  Prostatitis 
nehmen. *•  Böen  heim. 


Wichtige  gerichtliche  Entscheidungen. 

Einfluss  der  Verweigerung  einer  Operation  auf  Schadens¬ 
ersatzansprüche. 

(Nachdruck  verboten.) 

Der  Kläger  ist  am  23.  Oktober  1910  bei  einem  Zusam- 
menstoss  seines  Fuhrwerkes  mit  einem  Triebwagen  der  Be¬ 
klagten  verletzt  worden.  Sein  Schadensersatzanspruch  auf  Er¬ 
satz  der  Heilungskosteu  und  seines  Verdienstausfalles  ist 
rechtskräftig  zu  3/4  dem  Grunde  nach  für  gerechtfertigt  erklärt. 
Im  Nach  verfahren  hat  ihm  das  Oberlandesgericht  Heilungs¬ 
kosten  und  eine  Erwerbsrente  bis  zum  G5.  Lebensjahre  zuge¬ 
sprochen.  Hiergegen  hat  die  Beklagte  Revision  eingelegt,  die 
vom  Reichsgericht  zurückgewiesen  wurde  mit  folgender 

Begründung: 

Streitig  ist  lediglich,  ob  d«m  Kläger,  weil  er  die  Opera¬ 
tion  des  Leistenbruchs  verweigert,  den  er  bei  dem  Unfall  sich 
zugezogen  hat,  ein  mitwirkendes  Verschulden  gemäss  §  254  BGB. 
zur  Last  zu  legen  ist.  Das  Berufungsgericht  geht  zutreffend  davon 
aus,  dass  dem  Kläger  die  Operation,  die  sich  gefahr-  und  fast 


Nr.  25. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


247 


schmerzlos  vornehmen  lasse,  zugemutet  werden  musste,  wenn  fest¬ 
stünde,  dass  er  dadurch  seine  Arbeitsfähigkeit  wiedergewinnen 
würde.  Dies  aber  verneint  das  Berufungsgericht.  Es  sei  ausge¬ 
schlossen,  dass  der  Kläger  durch  eine  noch  so  erfolgreiche  Ope¬ 
ration  seine  frühere  Arbeitskraft  wiedererlangen  würde.  Denn  die 
Gefahr  liege  nahe,  dass  der  operierte  Bruch  durch  Heben  schwerer 
Lasten,  wie  es  das  Gewerbe  des  Klägers  mit  sich  bringe 
wieder  hervortrete.  Da  ein  solcher  Fall  mit  Lebensgefahr 
verbunden  sein  würde,  so  müsste  der  Kläger  auch  nach  der 
Operation  sich  aller  mit  schweren  Lasten  verbundenen  Ar¬ 
beiten  enthalten.  Er  würde  also  trotz  der  Operation  in  sei¬ 
nem  Gewerbe  in  gleichem  Masse  behindert  bleiben,  wie  er  es 
jetzt  sei.  Es  ist  richtig,  was  die  Revision  geltend  macht,  dass 
der  Sachverständige  Dr.  A.,  auf  den  sich  das  Berufung ge- 
rieht  bezieht,  weder  von  einer  nahen  Gefahr  des  Rückfalls 
nach  Bruchoperationen  noch  von  einer  Lebensgefahr  beim 
Wiederhervortreten  des  Bruchs  spricht.  Diese  Abweichung 
kann  jedoch  zur  Aufhebung  des  Urteils  nicht  führen.  Dr  A. 
beziffert  die  Rückfälle  nach  Bruchoperationen  auf  5°/0.  Nach 
dem  vorgetragenen  Gutachten  des  Dr.  L.  sind  bei  dieser  Sta¬ 
tistik  alle  Operieiten,  also  auch  Kinder  und  sonstige  Per¬ 
sonen,  die  keine  schwere  Arbeit  verrichten,  gezählt.  Sie  <dbt 
also  auf  die  Frage,  die  hier  allein  sich  erhebt,  in  welchem 
Verhältnis  Operierte,  die  nach  der  Operation  schwere  Lasten 
heben  und  tragen,  wie  es  der  Kläger  tun  müsste,  einem  Rück¬ 
fall  ausgesetzt  sind,  keine  zutreffende  Antwort.  Dr.  L  scheint 
die  Rückfälle  bei  dieser  Personengruppe  auf  16—17%  zu 
bemessen.  Wenn  aber  selbst  nur  5%  Rückfälle  eintreten 
sollten,  so  konnte  das  Berufungsgericht,  ohne  sich  mit  dem 
Dr.  A  in  Widerspruch  zu  setzen,  die  Gefahr  des  Rückfalls 
als  nah  bezeichnen  und  ohne  Rechtsirrtum  den  Kläger  von 
der  Pflicht  entbinden,  sich  einer  Operation  zu  unterziehen, 
deren  Erfolg  in  der  hier  allein  erheblichen  Beziehung  so 
wenig  sicher  war,  die  also  nur  dazu  geführt  haben  würde, 
dass  der  Kläger  auch  jetzt  schon  schwere  Arbeiten  vermeiden 
musste,  um  einem  Rückfall  zu  entgehen.  Ob  ein  solcher 
Rückfall  —  das  Wiederhervortreten  des  Bruchs  -  mit  Lebens¬ 
gefahr  verbunden  sein  würde  —  was  das  Berufungsgericht 
vielleicht  aus  eigener  Sachkunde  beigefügt  hat,  —  ist  danach 
ohne  Belang. 

Urteil  des  RG.  vom  29.  Nov.  1915.  VI.  352.  1915. 

(Mitgeteilt  von  Dr.  Hans  Berthold,  Leipzig.) 


Neuere  Medikamente. 

Perugen  (Dr.  Evers):  Balsam  peruvian  syntheticum,  soll  absolut 
nierenunschädlich  sein. 

Indikation,  äusserlich:  Eczem,  Scabies,  Riss-, 
Kratz-,  Quetsch-,  Brandwunden,  Frostbeulen  und  -Wunden, 
Rp.  Argent.  nitric.  0.30,  Perugen  6,0,  Ungt.  simpl.  90,0 
(für  Ulcus  cruris).  Für  sonstige  äusserliche  Anwendung  ist 
1  Teil  Perugen  mit  2  Teilen  90  °/0  Weingeist  zu  mischen. 
Innerlich:  als  Expectorans  bei  Tuberkulose,  Pneumonien, 
Bronchitis.  Rp.  Perugen  3,0  Mucilag.  gi.  arab.  q.  s.  ut.  f. 
emulsio  adde  Aq.  dest.  ad  100,0  Spirit,  vini  Cognac  20,0 
Ds.  2  stündl.  1  Esslöffel. 

Physostol;  l(,/0  sterile  Lösung  von  Physostigminum  purissim 
(Riedel)  in  Olivenöl.  Verdirbt  nicht  so  leicht  als  die  ge¬ 
wöhnlichen  Lösungen.  Bei  Glaukom,  Ulcus  corneae,  Prolapsus 
iridis,  Ophthalmia  neonatorum,  zur  Beseitigung  von  Atropin- 
Mydriasis.  Ein  bis  mehrere  Tropfen  ins  Auge  träufeln  (wenn 
l"/0  Lösung  zu  stark,  mit  reinstem  Olivenöl  verdünnen). 
Originalgläschen  mit  Glasstab  5—6  g  Inhalt.  (Riedel.) 

Piperazin-Bayer;  Diaethylendiamin.  Wasserhelle  Kristalle  von 
alkalischer  Reaktion.  Harnsäure  lösendes  Mittel,  besonders 
bei  Gicht,  ferner  bei  Nierenkolik,  Nieren-  und  Blasensteinen. 

Dosis:  1-1,5  g  2  mal  tägl.  und  zwar  jede  Dosis  in 
einer  Flasche  alkalischen  Wassers  (Apollinaris,  Selters  oder 
dergl.)  gelöst  (Bayer.) 

Pneumokokkenserum  :  (Merck),  im  Tierversuch  prüfbar  und 
auf  Immunisationswert  kontrolliert. 

Anwendung:  bei  Pneumonie  200 — 400  I.  E.  subkutan 
oder  auch  intravenös  so  früh  als  möglich,  bei  Pneumo¬ 
kokkenmeningitis  wiederholt  200  I.  E.  intralumbal  nach 


Punktion  ;  bei  Ulcus  serpens  200—400  I.  E.  subkutan.  (Merek- 
Darmstadt). 

Inigodin  :  Bestandteile:  Zimt,  schwarzer  Hollunder,  ein  Glykosid: 
Phloroglyctanoid  und  Gerstenmalz,  starkes  Expectorans  bei 
Pertussis,  Pneumonie,  Bronchitis,  Asthma  bronchiale,  ist  frei 
von  toxisch  wirkenden  Substanzen  sowie  von  Alkohol,  wirkt 
günstig  auf  Appetit.  Säuglinge  stündl.  einen  Teelöffel,  Kinder 
bis  zu  5  Jahren  2  stündl.  einen  Kinderlöffel,  Kinder  über 
5  Jahre  und  Erwachsene  2  stündl.  einen  Esslöffel.  Die 

ersten  3  — 4  mal  gebe  man  doppelte  Dosis  hiervon.  (In 

Originalflaschen  der  Pnigodin  G.  m.  b.  H.) 


Bücherschau. 

M  unk,  Grundriss  der  gesamten  Röntgendiagnostik 
innerer  Krankheiten.  Leipzig  bei  Thieme. 

Dies  Buch  ist  geschrieben,  um  dem  Praktiker  die  Deutung 
von  Röntgenbildern  zu  ermöglichen.  Es  gibt  auch  Aus¬ 
weisungen,  wann  man  Durchleuchtungen,  wann  man  Aufnahmen 
vornehmen  lassen  soll.  Besonders  sei  hervorgehoben,  dass  auch 
die  übrigen  Methoden  der  Diagnostik  erwähnt  werden.  Nach  einer 
kurzen  Auseinandersetzung  über  das  Wesen  der  Röntgenslrahlen 
wird  die  Technik  der  einzelnen  Gebiete  durchgesprochen.  Dann 
werden  die  einzelnen  Organe  in  klarer  Weise  besprochen,  und  zwar 
an  der  Hand  von  Originalaufnahmen  der  2.  med.  Klinik  der 
Charite.  Das  Buch  erfüllt  seine  Aufgabe  in  guter  Weise  und 
gibt  eine  schöne  Einführung  in  das  grosse  Gebiet  der  Röntge¬ 
nologie  für  den  Nichtspezialisten.  Hervorgehoben  seien  die 
Kapitel  über  den  Kreislauf  und  über  die  Lunge. 

B  o  e  n  h  e  i  m. 

Prof.  Friedrich  Müller,  München,  z.  Z.  Rektor.  Über 
das  Altern.  Rede  gehalten  zum  Stiftungsfest  der  Ludwig 
Maximilians  Universität  am  26.  Juni  1915.  Verla«-  von 
Johann  Ambrosius  Barth  in  Leipzig. 

Zur  Zeit,  da  der  männermordende  Krieg  die  halbe  AVelt 
heimsucht  und  Millionen  kraftstrotzender,  frisch  pulsierender 
Leben  dahinrafft,  gewinnt  das  Thema  über  den  Wert  der  älteren 
Generation,  ihre  volkswirtschaftliche  und  nationalökonomische 
Bedeutung  für  den  Staat  erhöhtes  Interesse.  Hervorragende 
Männer  der  Wissenschaft:  Ärzte  und  Sozialpolitiker,  Hygieniker 
und  Volks  Wirtschaftler  haben  in  wissenschaftlich  bedeutsamen 
Publikationen  den  Wert  der  älteren  Individuen,  ihre  Leistungs¬ 
fähigkeit,  ihre  wirtschaftliche  und  soziale  Notwendigkeit  dar¬ 
getan  und  zur  Evidenz  erwiesen,  dass  auch  Männer  über 
das  jugendliche,  ja  selbst  über  das  reife  Mannesalter  hin¬ 
aus  einen  grossen  materiellen  Wert  für  den  Staat  noch  dann 
repräsentieren,  wenn  sie  über  das  geschlechtsreife  Alter  hinaus 
für  die  Erhaltung  der  Art  ihren  Wert  verloren  haben. 

In  der  vorliegenden  Rektoratsrede,  aus  der  sozusagen  das 
Kriegsgetöse  herauszuhören  ist,  analysiert  der  bekannte 
Münchener  Internist  die  Ursachen  des  Alters,  die  er  einerseits 
auf  eine  Verminderung  der  psychischen  Perzeptionsfähigkeit, 
andererseits  auf  eine  Erschöpfung  der  Ernährungsfähigkeit 
und  der  Lebensaktion  des  Zellprotoplasmas  zurückführt.  In 
objektiver  Weise  sichtet  er  die  verschiedenen,  vielfach  wider¬ 
sprechenden  Ansichten  hervorragender  Forscher,  wie: 
Metschnickoffs,  Pflügers,  Rubners,  Weismans,  Hufelands, 
Voits,  Tigertedts,  du  Bois’,  Herbert  Spencer’s,  u.  a.  über  das 
einschlägige  Thema,  von  denen  die  einen  das  Altern  vom  Aus¬ 
fall  das  Reinplasmas,  die  anderen  vom  Versiegen  der  Tätig¬ 
keit  gewisser  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  ableiten.  Hier  und 
da  taucht  sogar  wieder  die  alte  mystische  „Lebenskraft“  auf, 
die  wohl  als  längst  überwundener  Standpunkt  von  keinem 
exakten  Forscher  ernst  genommen  wird.  Unter  dem  geheimnis¬ 
vollen  „ Wachtstumstrieb“  Pflügers  und  Rubners  oder  unter 
dem  „vitalen  Kapital“  Spencers,  unter  dem  wissenschaftlichen 
Namen:  „Wachstums-  und  Regenerationstrieb“  taucht  sie  in 
neuer  Gewandung  wieder  auf.  Aus  dem  Vielerlei  der 
Meinungen  zieht  der  Autor  die  Schlussfolgerung,  dass  die 
lebendige  Substanz  (Biogene)  nur  ein  beschränktes  Mass  von 
Energieumwandlungen  leisten  könne  und  wenn  diese  Lebens¬ 
aktion  der  Zelle  erschöpft  wird,  da  stellt  sich  das  Alter  ein. 
—  Müller  verallgemeinert  den  Begriff  des  Alterns  dahin,  dass 


248 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  25. 


nicht  nur  der  Einzelmensch  dem  Schicksal  der  Altersveriiuderung 
verfällt,  sondern  auch  ganze  Geschlechter,  ja  ganze  Völker 
altern  und  vergehen  können.  Die  Zahl  der  ausgestorbenen, 
ehedem  blühenden  Geschlechter  ist  auffallend  gross  Zum  Teil 
erklärt  sich  diese  Erscheinung  durch  Inzucht,  zum  Teil  durch 
allgemeine  Kulturschäden.  —  Die  geistreiche  und  streng 
wissenschaftlich  gehaltene  Publikation  ist  als  wertvoller  Bei¬ 
trag  zu  dem  vielumstrittenen  und  jetzt  sehr  aktuellen  Thema 
des  Alterns  sehr  beachtenswert.  A  1  1  e  r  t. 

Prof.  Dr.  med.  et.  philos.,  H.  Griesbach.  Die 
Physiologie  und  Hygiene  der  Ernährung  in  populär- wissen¬ 
schaftlicher  Darstellung  und  die  Beschaffung  von  Nährwerten 
im  Weltkriege.  Verlag  von  Holze  &  Pahl,  Dresden 

In  vorliegender  Arbeit,  die  aus  mehreren  mit  physiolo¬ 
gischen  und  chemischen  Versuchen  verbundenen  Vorträgen 
entstanden  ist,  versucht  es  der  Verfasser  die  physiologischen 
Vorgänge  und  hygienischen  Gesichtspunkte^  die  bei  der  Volks¬ 
ernährung  in  Betracht  kommen,  in  gemeinverständliche  Form 
zu  kleiden  und  im  Anschluss  daran  auf  die  Bestrebungen  hin¬ 
zuweisen,  wie  sich  neue  im  Inlande  erreichbare  Quellen  zur 
Beschaffung  von  Nährwerten  erschlossen  lassen. 

In  klarer  und  anschaulicher  Art  schildert  er  das  Wesen 
der  Ernährung,  die  für  dieselbe  in  Betracht  kommenden  Stoffe 
und  deren  Eigenschaften,  die  Verarbeitung  und  Verwendung 
der  Nahrungsmittel,  den  Ernährungsbedarf  und  die  Kosten  der 
durchschnittlichen  und  der  minimalen,  zur  Erhaltung  des 
Körpergleichgewichtes  jedoch  noch  hinreichenden  Ernährung, 
ferner  die  physiologische  Ausnutzung,  die  Verdaulichkeit,  die 
zweckmässige  Art  der  Aufbewahrung  und  Zubereitung  der 
Nahrungsmittel  usw.  —  Ein  eigenes  Kapital  ist  der  Beschaffung 
der  Nährwerte  im  jetzigen  Kriege  gewidmet,  wo  Verfasser  mit 
Rücksicht  auf  den  durch  die  Absperrungspolitik  der  Feinde  hervor¬ 
gerufenen  Mangel  an  Rohmaterialien  einen  Ersatz  der  bisherigen 
Nahrungsmittel  durch  andere,  im  Inlaude  leicht  zu  beschaffende, 
propagiert,  die  uns  die  Chemie  und  moderne  Technik  an  die 
Hand  gibt.  Insbesondere  weist  er  auf  die  Hefe  hin,  welche 
die  biologische  Eigenschaft  besitzt  Zucker  in  Stärke  und 
stärkehaltige  Substanzen  wie  Getreide,  Kartoffeln,  Mais  in 
Gärung  zu  versetzen,  und  aus  Zucker,  welchem  Ammoniak, 
Schwefelsäure,  Phosphorsäue,  Magnesia,  Kalk  und  Kali  hinzu¬ 
gefügt  wird,  synthetisch  Eiweiss  aufzubauen.  Die  künstliche 
Beschaffung  des  wichtigsten  aller  Nährstoffe,  des  Eiweisses,  ist 
eine  der  grössten  Errungenschaften  der  modernen  Nahrungs¬ 
chemie,  die  zum  Teil  die  grossen  Opfer  wettmacht,  welche  der 
Krieg  uns  auferlegt,  —  Zum  Schluss  sagt  Verfasser:  Wenn 
jeder  einzelne  sich  vornimmt  an  den  Sparsamkeitsbestrebungen 
teilzunehmen,  wenn  insbesondere  die  wohlhabenden  Volks¬ 
schichten  diesem  Prinzip  zu  Gunsten  der  Nichtbemittelten 
huldigen,  und  wenn  die  chemische  Industrie,  wie  bisher  fort¬ 
fährt  Eiweiss  und  Brot  indirekt  aus  Luft  zu 
machen,  daun  haben  wir  keine  Ernährungssorgen  während  des 
Krieges  zu  befürchten. 

Strenge  Wissenschaftlichkeit  gepaart  mit  klarem  Sinn  für 
die  praktischen  Bedürfnisse  des  Lebens  spricht  aus  jeder  Zeile 
und  Arzt  wie  Laie,  der  Staatsmann  wie  der  Nationalökonom 
werden  aus  dem  Buche  reichliche  Belehrung  schöpfen. 

A  1  1  e  r  t. 

Dr.  W.  B  r  e  h  m  e  r.  Nahrungsmittelchemiker.  Wie 
ernähre  ich  mich  gut  und  billig?  Eine  Würdiguug  unserer 
Nahrungsmittel  nach  ihrem  Nährwert.  Berthold  Sturms 
Verlag.  Dresden, 

Die  Fortschritte,  die  in  der  Nahrungsmittelchemie  in  den 
letzten  Jahren  gemacht  wurden,  kommen  den  Laien  wenig  zu 
gute,  weil  die  Publikationen  meist  in  den  ihnen  schwer  zu¬ 
gänglichen  Zeitschriften  erfolgen  uud  überdies  nur  dem  Fach¬ 
mann  verständlich  sind.  Und  doch  ist  kein  Zweig  der  Natur¬ 
wissenschaften  so  sehr  berufen  Gemeingut  des  Volkes  zu 
werden  als  die  Wissenschaft  vom  „täglichen  Brot’4.  —  Mit 
dem  vorliegenden  Buche  beabsichtigt  nun  der  auf  dem  Gebiete 
der  Nahruugsmittelchemie  best  bekannte  Verfasser  allen  den¬ 
jenigen  einen  kurzen  Leitfaden  an  die  Hand  zu  geben,  welche 
sich  über  den  wahren  Wert  unserer  Nahrung  unterrichten 
wollen,  aber  nicht  genügend  Zeit  haben,  um  die  Fachzeit¬ 
schriften  zu  studieren.  Vor  anderen  einschlägigen  Publikationen 
zeichnet  sich  vorliegendes  Buch  in  vorteilhafter  Weise  dadurch 


aus,  dass  es  nicht  allein  die  chemische  Zusammensetzung  der 
Nahrungsmittel  beinhaltet,  sondern  auch  die  Gründe  analysiert, 
welche  ihre  physiologische  Ausnutzung  und  ihren  Preis  be¬ 
dingen. 

Vom  allgemeinen  Gesichtspunkte  der  Ernährung  und  des 
Bedürfnisses  des  Organismus  an  den  3  unentbehrlichen  Nahrungs- 
stoffeu:  Eiweiss,  Kohlenhydraten  und  Fett  ausgehend,  bespricht 
Verfasser  den  Gehalt  der  wichtigsten  Nahrungsmittel  an  jenen 
3  Grundstoffen  uud  weist  an  der  Hand  der  Mitteilungen  des 
Statistischen  Amtes  der  Stadt  Dresden  über  die  Preise  einzelner 
Nährprodukte  nach,  dass  auch  die  billigen  Nahrungsmittel 
einen  bedeutenden  Nährwert  besitzen,  und  dass  wir  viel  billiger 
leben  können  ohne  den  Körper  unterzuernähren.  So  besitzt 
z.  B.  der  Käse  trotz  seines  im  Durchschnitt  billigeren  Preises 
einen  höheren  Nährwert  als  Fleisch.  Ebenso  repräsentieren 
Fische  einen  nahezu  gleichen  Eiweissgehalt  wie  jenes,  obwohl 
sie  gleichfalls  billiger  sind  als  Fleisch.  —  Ohne  dem  streng 
vegetativen  Regime  das  Wort  zu  reden,  weist  Verfasser  nach, 
um  wieviel  billiger  man  mit  Pflanzenkost  leben  könne,  ohne 
dem  Körper  Abbruch  zu  tun,  da  sie  alle  für  den  Aufbau  des¬ 
selben  erforderliche  Nährstoffe  enthalten.  Allerdings  heisst: 
„sich  ernähren“  —  die  genossenen  Speisen  an-  uud  umlagern. 
Im  Verhältnis  dieser  beiden  Momente  liegt  nun  die  leichtere 
und  schwerere  Verdaulichkeit  der  Nahrungsmittel  und  in  weiterer 
Folge  ihr  Nährwert  für  den  Organismus.  Denn  je  leichter  die 
genossenen  Speisen  umgelagert  d.  h.  assimiliert  werden,  desto 
weniger  Energie  hat  der  Organismus  für  den  Assimilations¬ 
prozess  aufzubringen. 

In  der  ausserordentlichen  Zeit,  die  wir  jetzt  durchleben, 
wo  das  Durchhalten  mit  den  vorhandenen  Vorräten  nicht 
allein  ein  Gebot  individueller  Opportunität,  sondern  auch  im 
allgemeinen  volkswirtschaftlichen  Interesse  gelegen  ist,  ge¬ 
winut  das  Buch  an  aktueller  Bedeutung,  uud  jeder,  der  an  der 
Volksernähruug  und  dem  allgemeinen  Wohl  während  des 
Krieges  mittelbar  oder  unmittelbar  ein  Interesse  hat,  wird  das 
lehrreiche  Buch  mit  Gewinn  und  grossem  Genuss  lesen. 

Dr.  J.  A. 

Dr.  med.  J.  B.  Cathomas,  prakt.  Arzt  und  Spezialarzt 
für  Magen-  und  Darmkraukheiten  in  St.  Gallen  (Schweiz). 
Ratgeber  für  Magenkranke.  Zweite  Auflage,  Verlag  von  H. 
Schneider  &  Co.  St.  Gallen  1915. 

Ein  populär-wissenschaftliches  Büchlein,  das  zur  Aufgabe 
hat,  Magenkranke  über  die  Ursache,  Entstehung  und  die 
wichtigsten  Erscheinungen  der  häufigsten  Magenkrankheiten 
aufzukläreu  und  ihnen  über  die  Ernährung,  über  die  Diät, 
über  die  Art  und  Weise  der  Nahrungsaufnahme,  über  das 
Verhalten  nach  dem  Essen  und  über  die  Therapie  fach¬ 
männische  Ratschläge  zu  erteilen.  Insofern  die  Magenfunktiou 
bei  allen  organischen  Erkrankungen  mehr  oder  weniger  ge¬ 
stört  ist,  hat  das  Buch  auch  für  Nichtmagenkranke  einen 
Wert,  bei  denen  eine  rationelle  Ernährung  eine  raschere 
Rekonvaleszenz  ermöglicht. 

Ohne  den  Wert  des  Buches  schmälern  zu  wollen,  möchte 
ich  darauf  hinweisen,  dass  derartige  populär-wissenschaftliche 
Publikationen  vielfach  ihren  Zweck  verfehlen,  insofern  sie  dem 
Laien,  dem  ja  in  medizinischen  Dingen  die  kritische  Einsicht 
abgeht,  allerhand  Krankheiten  suggerieren,  andererseits  ihn 
mit  Umgehung  des  Arztes  zu  eigenmächtiger  Behandlung  ver¬ 
leiten,  wodurch  er  sich  natürlich  mehr  schadet  als  nützt. 
Wohl  hebt  Verfasser  im  Vorwort  ausdrücklich  hervor,  dass 
das  Buch  keineswegs  den  Arzt  ersetzen  soll,  gleichwohl  wird 
er  es  nicht  verhindern  können,  dass  der  Leser  aus  dem  Buche 
die  Konsequenzen  zieht  und  sich  von  allen  Krankheiten  be¬ 
fallen  glaubt,  die  er  darin  vorfiudet  —  eine  Tatsache  die 
jeder  Arzt  aus  eigener  Erfahrung  bestätigen  kann.  —  Recht 
eindringlich  und  wiederholt  hebt  Verfasser  hervor,  dass  mehr 
als  bei  allen  anderen  Krankheiten  —  bei  Magenaffektionen 
ärztliche  Hilfe  unentbehrlich  ist,  weil  keine  andere  Krank¬ 
heit  so  individuell  behandelt  werden  muss  und  die  Schablone 
nicht  verträgt  wie  diese.  Den  bescheidenen  Zweck  ein  Ratgeber 
für  Magenkranke  zu  sein,  erfüllt  das  Buch  in  hinlänglichem 
Masse  und  es  sei  solchen,  die  die  Selbstzucht,  besitzen  das 
Buch  bloss  als  Behelf  zur  Orientierung  und  Aufklärung,  nicht 
aber  als  Ersatz  für  den  Arzt  zu  betrachten  —  zur  Lektüre 
empfohlen.  — rt. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


Torisdiriti«  der  IHedizm 


1915/16. 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  IHitwirkung  berDorragender  Tatbmänner 

herausgegeben  von 

L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt, 


L.  von  Criegern, 

Hildesheim. 


Frankfurt  a/M. 

C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr,  26 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


20.  Juni. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  Nephritis  bei  Kriegsteilnehmern. 

Von  Dr.  v.  C  r  i  e  g  e  r  n  -  Hildesheim,  zurzeit  Regimentsarzt  eines 

Infanterie- Regimentes. 

Eine  Veröffentlichung  von  Albu  und  Schle¬ 
singer  in  Nr.  6  der  Berl.  Klin.  Woch.  von  1916  über 
Nierenerkrankungen  von  Kriegsteilnehmern  veranlasst 
mich,  zu  dem  gleichen  Thema  das  Wort  zu  ergreifen. 
An  und  für  sich  ist  ja  die  Tätigkeit  als  Truppenarzt 
nicht  geeignet ,  klinisch  wertvolle  Beobachtungen  zu 
machen,  da  schwerere  Fälle  an  Feldlazarette  abzugeben 
sind  und  auch  leichtere  keine  eingehende  Überwachung 
nach  modernen  Grundsätzen  gestatten,  sondern  der  Dienst 
gebieterisch  die  Beschränkung  auf  schleunigste  Wieder¬ 
herstellung  verlangt.  Besonders  eignen  sich  Nieren¬ 
erkrankungen,  die  als  solche  erkannt  sind,  durchaus  nicht 
zur  Weiterbehandlung  bei  der  Truppe.  Sie  erlauben  nur 
die  Aufnahme  von  Äugenblickseindrücken,  und  mit  sol¬ 
chen  allein  ist  niemandem  gedient.  Aber  ich  verfüge 
über  3  Sektionsfälle,  welche  im  Leben  nicht  den  Ver¬ 
dacht  einer  Nephritis  erweckt  haben,  unter  sich  einander 
ausserordentlich  ähneln,  viel  auffällig  von  dem  abweichen¬ 
des  bieten,  was  wir  in  Friedenszeiten  zu  sehen  gewohnt 
sind  und  sich  vor  allem  an  die  Alb  u -  Sc  hiesinge  r- 
schen  sowie  meine  eigenen  Gesamteindrücke  so  sehr  an- 
schliessen,  dass  sie  doch  ein  gewisses  Interesse  über  den 
Rahmen  des  Truppenteiles  selbst  hinaus  beanspruchen 
dürften. 

Meine  Erfahrungen  beziehen  sich  ausschliesslich  auf 
den  Osten.  Da  wird  von  allen  Truppenärzten  meines 
Gesichtskreises  der  Eindruck  eines  gehäuften  Auftretens 
von  Nierenerkrankungen  geteilt,  ebenso  wie  der  eines 
ungewöhnlichen  Verlaufes.  Besteht  hierin  Übereinstim¬ 
mung,  so  keineswegs  über  die  mögliche  Ursache.  Nur 
war  sicher  bereits  im  vorigen  Winter  eine  gewisse  Ver¬ 
mehrung  bemerklich,  wenn  auch  in  geringerem  Grade, 
als  im  gegenwärtigen,  im  Sommer  dagegen  eine  deutliche 
Abnahme.  Darüber  hinaus  hört  aber  die  Möglichkeit 
auf,  etwas  Bestimmtes  zu  sagen.  Einige  halten  nass¬ 
kaltes  Wetter,  andere  gerade  die  trockene  grosse  Kälte 
für  gefährlich;  Unregelmässigkeiten  der  Lebensweise 
haben  ja  zweifellos  alle  zu  ertragen  gehabt.  Salzreiche 
wie  im  Gegenteil  salzarme  Kost  sind  angeschuldigt  wor¬ 
den  ;  der  Genuss  von  Konserven  und  von  rohen  Gemüsen, 
speziell  ungekochten  Kartoffeln  und  Rüben;  natürlich 
fehlt  es  auch  nicht  an  Stimmen,  die  den  Alkoholgenuss 
angeschuldigt  haben.  Selbstverständlich  trifft  von  alledem 
etwas  zu,  da  die  gerügten  Diätfehler  häufig  genug  vor¬ 
gekommen  sind,  und  es  keine  Schwierigkeiten  macht, 
sie  sowohl  bei  Erkrankten  als  auch  bei  gesund  Geblie¬ 


benen  nachzuweisen.  Mir  scheint  nur  eine  gewisse  Unter¬ 
ernährung  auffällig,  die  ich  in  einer  Anzahl  von  aus 
verschiedenen  Gründen  vorgenommenen  Sektionen  (12 
ausser  den  hier  verwerteten)  nachweisen  konnte.  Es 
fand  sich  das  Unterhautfett  sowie  das  Fett  im  Mesen¬ 
terium  und  Omentum  als  auch  der  Nierenkapsel  völlig 
oder  fast  völlig  geschwunden,  während  die  Muskulatur 
einen  befriedigenden  Zustand  autwies.  Wenn  solche 
Leute  nun  noch  blutreich  waren,  so  musste  man  sie  als 
übertrainiert  bezeichnen.  Indessen  bedeutete  das  doch 
auch  wieder  eine  Schwächung,  denn  sie  waren  gegen 
Blutverluste  weniger  widerstandsfähig,  als  wir  es  in  den 
Zeiten  sehr  reichlicher  Ernährung  gesehen  hatten.  Waren 
solche  Leute  nun  auch  noch  anämisch,  so  schienen  sie 
uns  auch  von  den  landesüblichen  Erkrankungen  der  Ver¬ 
dauungsorgane  und  der  Respirationsorgane  besonders 
schwer  angegriffen  zu  werden  und  gegen  Erfrierungen 
wenig  widerstandsfähig  zu  sein. 

Erkrankungen  der  Verdauungsorgane  waren  häufig, 
besonders  Diarrhöen  ohne  und  mit  Blutabgang  haben  bei 
weitem  die  meisten  durchgemacht.  Aber  auch  Erkran¬ 
kungen  der  Respirationsorgane.  Al  eist  waren  sie  nicht 
schwer,  aber  ungewöhnlich  hartnäckig.  Die  Tonsillen 
waren  selten  stark  mitbeteiligt,  meist  nur  so,  dass  man 
eben  bei  sehr  sorgfältiger  Untersuchung  eine  Kleinigkeit 
bemerken  konnte.  Schwere  Infektionen  waren  sehr  sel¬ 
ten,  auch  die  Blutdiarrhöen  hatten  meist  keinerlei  Ruhr¬ 
bazillen.  Prophylaktischen  Impfungen  gegen  die  ver¬ 
schiedenen  Infektionen  waren  die  Leute  in  bekannter 
Weise  unterworfen  worden.  Geschlechtskrankheiten 
spielten  keine  Rolle. 

So  fiiessen  verschiedene  Ursachen  zusammen,  denen 
man  schon  im  ganzen  oder  auch  im  einzelnen  einen  Ein¬ 
fluss  auf  die  Entstehung  von  Nephritis  Zutrauen  könnte. 
Aber  ich  möchte  mich  doch  hüten,  damit  schon  die  Reihe 
der  zum  „Status  castrensis“  führenden  Einwirkungen  für 
erschöpft  zu  halten  im  Hinblick  auf  den  sehr  häufigen 
Befund  eines  Alilztumors  sowohl  beim  Lebenden  als  in 
der  Leiche.  (Die  gesprächsweise  hin  und. wieder  gehörte 
Meinung,  dass  dieser  mit  den  vorausgegangenen  Schutz¬ 
impfungen  zusammen  hängen  konnte,  möchte  ich  nicht 
teilen  im  Hinblick  auf  die  Tatsache,  dass  ich  ihn  bei 
einem  Verunglückten  angetroffen,  noch  in  der  ersten 
Hälfte  des  Krieges,  der  zufällig  den  Impfungen  ent¬ 
gangen  war.)  Alan  kann  hier  wohl  noch  die  Schwellung 
der  mesenterialen  Lymphdrüsen  anfügen,  die  mir  auch 
fast  regelmässig  bei  Obduktionen  begegnet  ist.  Es  kann 
doch  noch  eine  bisher  nicht  zu  fassende  Ursache  mit¬ 
spielen. 


250 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  26. 


Die  Eigentümlichkeit  der  nicht  zur  Autopsie  gekom¬ 
menen,  nur  ganz  kurz  beobachteten  Fälle  besteht  in 
einer  merkwürdigen  Unbestimmtheit  der  Symptome.  Die 
subjektiven  Klagen  weisen  durchaus  nicht  auf  die  Niere 
hin.  Am  verlässlichsten  ist  noch  die  Klage  über  grosse 
Mattigkeit:  sie  gab  uns  seit  langem  Veranlassung  zur 
Untersuchung  des  Urins.  Manchmal  fand  sich  Eiweiss 
sofort,  manchmal  auch  erst  nach  einigen  Tagen,  manch¬ 
mal  viel,  manchmal  wenig,  oft  verschwand  es  so  rasch 
wieder,  dass  Nachuntersuchern  an  anderer  Stelle  die  ge¬ 
stellte  Diagnose  zweifelhaft  wurde.  Ödeme  waren  sehr 
inkonstant;  selten  ausgebreitet  und  hartnäckig,  meist  ge¬ 
ringfügig,  oft  sonderbar  lokal  beschränkt;  oft  fehlten  sie. 
Es  ist  zweifelhaft,  ob  Ödeme  ohne  Eiweissbefund  im 
Urin  hierher  zu  rechnen  waren.  In  einigen  Fällen  sicher, 
wie  die  Nachuntersuchung  im  Feldlazarett  u.  dgl.  ergeben 
hat.  In  anderen  wohl  nicht;  speziell  wurden  unter  dem 
örtlichen  Einfluss  der  Kälte  Ödeme  beobachtet,  welche 
eine  besondere  Form  der  Erfrierung  darzustellen  schienen, 
ohne  Hautröte.  Über  den  mikroskopischen  Urinbefund 
konnten  wir  bei  der  Truppe  keine  Erfahrungen  sammeln, 
ebensowenig  genaue  Messungen  der  Urinmenge  vor¬ 
nehmen.  Der  Angabe  einer  verminderten  Urinausschei¬ 
dung  begegneten  wir  nur  sehr  vereinzelt  in  Fällen  star¬ 
ken  Odems.  Dagegen  scheint  Polyurie  auffallend  oft 
vorgekommen  zu  sein.  Aber  schon  hier  macht  sich  der 
Mangel  der  stationären  Beobachtung  geltend,  da  nervöse 
und  reflektorische  Polyurie  und  Pollakisurie  in  der  Kälte¬ 
periode  geläufige  Dinge  waren,  gegen  die  natürlich 
solche  Angaben  hätten  abgegrenzt  werden  müssen. 
Urämischen  Symptomen  sind  wir  kaum  begegnet,  nicht 
einmal  Kopfschmerz  ist  so  hervorgetreten,  dass  man  da¬ 
mit  hätte  in  der  Diagnostik  etwas  anfangen  können. 
Noch  viel  weniger  ist  über  die  Mitbeteiligung  des  Ge- 
fässapparates  zu  sagen,  da  funktionelle  Beschwerden 
seitens  desselben  im  Felde  ausserordentlich  häufig  sind, 
teils  mehr  im  Typus  des  Thyreoidismus,  teils  mehr  vom 
Charakter  der  Neurasthenie.  Im  Anfang  konnte  ich  mit 
dem  H  e  r  z  sehen  Apparat  mitunter  mässige  Blutdruck¬ 
steigerungen  nachweisen ;  später  ging  derselbe  zu  Bruch 
und  konnte  nicht  ersetzt  werden.  Aber  mässige  Blut¬ 
drucksteigerungen  werden  auch  ohne  Nephritis  oft  ge¬ 
nug  beobachtet,  Deutliche  Vergrösserungen  des  Herzens 
sind  sicher  Seltenheiten. 

Es  muss  zugestanden  werden,  bei  so  wenig  ausge¬ 
sprochenen  Symptomen  ist  die  Diagnose  der  Nephritis 
mitunter  eine  recht  prekäre  Sache,  und  wir  waren  uns 
Monate  lang  doch  nicht  recht  im  klaren,  ob  alles,  was 
wir  unter  diesem  Rubrum  führten,  auch  wirklich  dahin 
gehörte.  Erst  die  gleichlaufenden  Erfahrungen  anderer 
Truppenteile  gaben  uns  mehr  Zuversicht.  Und  noch 
weiter  wirkt  die  Unsicherheit  Ich  kann  nicht  sagen, 
haben  wir  akute  oder  subchronische  Fälle  vor  uns  ge¬ 
habt.  Für  mich  neigt  sich  die  Wagschale  sehr  zugunsten 
einer  ganz  allmählichen  schleichenden  Entstehung.  Wenn 
man  eine  Anamnese  bekam,  der  '  man  etwas  Zutrauen 
konnte,  so  wies  sie  doch  am  stärksten  auf  oft  Monate 
weit  zurückliegende  Erkrankung  an  Durchfall  u.  dgl.  hin, 
von  der  sich  der  Betreffende  nicht  recht  erholt  haben 
oder  seit  der  er  anfällig  geblieben  sein  wollte,  während 
vorausgegangene  Anginen,  wenn  überhaupt,  nur  selten 
und  dann  auch  meist  weit  zurückliegend  ermittelt  wer¬ 
den  konnten. 

So  kann  ich  von  dem  allgemeinen  Teile  scheiden, 
indem  ich  zusammenfasse:  es  traten  in  der  rauheren 
Jahreszeit  gehäuft  sehr  schleichende  Nephritiden  auf,  von 
mildem  Charakter,  wenig  ausgeprägten,  wechselnden 
Symptomen,  auf  dem  Boden  eines  „Status  castrensis*‘, 
an  dessen  Zustandekommen  neben  mancherlei  anderem 
eine  gewisse  Unterernährung  beteiligt  war.  Eine  Gefahr 
lag  in  dem  sehr  schleichenden  Verlauf,  weil  infolge  da¬ 
von  die  Möglichkeit  der  Vernachlässigung  bestand,  um 


so  mehr,  als  herzhafte  Leute  reinen  Ermüdungssym¬ 
ptomen  nach  Anstrengungen  und  Entbehrungen  wenig 
Bedeutung  beimessen.  So  kamen  denn  die  Kranken 
meist  dann  in  Behandlung,  wenn  sie  sich  irgend  einer 
Sache  nicht  mehr  gewachsen  fühlten  oder  infolge  zu¬ 
fälliger  anderer  Erkrankung ;  manche  mögen  überhaupt 
fern  geblieben  sein. 

Nun  zu  den  Sektionsfällen  selbst:  1.  Ersatzreservist 
G.,  32  Jahre  alt  (im  Zivil  Ingenieur).  Bei  der  Ablösung 
seines  Truppenteiles  aus  dem  Schützengraben  am  15.  De¬ 
zember  15  bei  starkem  Frost  machte  er  den  Eindruck 
eines  schwer  Betrunkenen,  roch  nach  Alkohol,  schwankte 
beim  Gehen  und  lallte  beim  Sprechen.  Er  gab  zu,  dass 
er  Schnaps  getrunken  habe,  bestritt  aber,  dass  es  viel 
gewesen  sei.  Er  musste  geführt  werden,  verlor  aber 
schliesslich  vollständig  die  Herrschaft  über  sich  und  war 
nicht  mehr  fortzubringen.  Auf  Anordnung  eines  be¬ 
gegnenden  Arztes  ward  er  gut  in  Decken  gehüllt  auf 
einem  Wagen  der  Revierstube  zugeführt  und  kam  dort 
nach  10  Uhr  abends  als  Leiche  an.  Erbrochen  hat  er 
nicht. 

G.  war  ein  schwächlicher  Mensch,  H3cm  gross,  bei 
78/76  cm  Brustumfang.  Im  Felde  war  er  seit  dem 
21.  Januar  15;  der  Dienst  hat  ihn  stets  sehr  angestrengt. 
Vom  10.  März  bis  10.  Mai  15  hat  er  wegen  einer  Haut¬ 
krankheit  in  einem  Reservelazarett  gelegen,  sonst  ist 
nichts  über  frühere  Krankheiten  zu  ermitteln  gewesen. 
Am  Morgen  seines  Todestages  hat  er  viel  über  Mattig¬ 
keit  geklagt,  sich  aber  nicht  krank  gemeldet.  Am  Tage 
vor  seinem  Tode  hat  er  von  zu  Hause  Schnaps  (Kognak¬ 
verschnitt  und  Magenbitter)  erhalten  und  davon  reichlich 
getrunken,  wieviel,  Hess  sich  nicht  feststellen,  doch  ge¬ 
wiss  nicht  mehr,  als  auch  sonst  einmal  von  einem  Sol¬ 
daten  ohne  Schaden  getrunken  wird.  Auch  andere 
haben  von  den  Schnäpsen,  allerdings  weniger,  ohne  Nach¬ 
teil  genossen. 

Ö  t 

Die  Obduktion  fand  am  16.  Dezember  statt.  Aus 
dem  Protokoll  ist  folgendes  mitzuteilen  ; 

a)  Totenstarre  noch  nicht  gelöst.  Kleidung  stark 
von  Urin  durchfeuchtet.  Zahlreiche  Kratzeffekte  an  der 
Haut.  Ödem  des  Unterhautbindegewebes  :  ca.  hand¬ 
tellergross  an  den  Streckseiten  beider  Unterarme;  an 
den  Streckseiten  beider  Unterschenkel  von  der  Mitte  bis 
oberhalb  der  Fussgelenke  ;  am  Hodensack  nur  sehr  ge¬ 
ring.  Muskulatur  leidlich  entwickelt,  braunrot;  Unter¬ 
hautfett  fehlt  fast  vollständig. 

b)  Kopfsektion  :  bis  auf  Gehirnödem  leichten  Grades 
ohne  Interesse. 

c)  Brustsektion:  Pleuren  frei;  an  den  Lungen 
mässiges  Emphysem;  auf  beiden  Spitzen  alte  schiefrige 
Indurationen;  beiderseits  einige  bis  bohnengrosse  schief¬ 
rige  Drüsen  am  Hilus.  Atmungsorgane  sonst  ohne  Be¬ 
sonderheit.  Schilddrüse  o.  B.  Thymus  geschwunden. 

Herzbeutel  sehr  fettarm,  enthält  ca.  2  Esslöffel  dun¬ 
kelgelbe  Flüssigkeit.  Das  Herz  erreicht  noch  nicht  die 
Grösse  der  Faust  der  Leiche;  beide  Ventrikel  im  Zu¬ 
stande  der  Kontraktion,  aber  nicht  leer,  in  den  Vorhöfen 
reichliches  flüssiges  Blut.  Muskulatur  derb,  bräunlich 
rot.  Endokard  glatt  und  spiegelnd,  der  Klappenapparat 
zart  und  schlussfähig,  Epikard  glatt  und  spiegelnd, 
der  Gefässapparat  zart  und  durchgängig;  das  subepikar¬ 
diale  Gewebe  ist  am  rechten  Ventrikel  von  gelatinöser 
Beschaffenheit.  —  Aorta  o.  B.  —  Aus  den  grossen  Venen 
fliesst  sehr  reichliches  flüssiges  Blut. 

d)  Bauchsektion:  Situs  normal;  Netz  und  Mesen¬ 
terium  fettfreie,  durchsichtige  Membranen.  Sehr  zahl¬ 
reiche  bis  haselnussgrosse  ziemlich  derbe  Mesenterial¬ 
drüsen.  Magen  klein,  enthält  zirka  30  ccm  einer  schlei¬ 
migen,  schokoladefarbenen  Flüssigkeit,  die  säuerlich  und 
nach  Rum  riecht.  Schleimhaut  nicht  gefault,  glatt, 
glänzend ,  hellfarbig ;  in  ihr  zahlreiche  hellrote  bis 
schwarzrote  Flecken,  die  sich  nicht  ab  wischen  lassen 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


251 


Nr.  26 


(Schleimhautblutungen).  Darm  teilweise  hyperämisch, 
sonst  o.  B. 

Leber  blutreich,  sonst  o.  B.  Gallenwege,  Pfortader, 
Pankreas  o.  B. 

Milz  etwas  vergrössert,  Kapsel  leicht  verdickt,  Blut¬ 
gehalt  reichlich. 

Beide  Nieren  sind  gleichartig,  Die  Fettkapsel  ist 
fast  vollständig  geschwunden  ;  die  bindegewebige  Kapsel 
haftet  stellenweise  etwas  an.  Einzelne  venulae  stellatae 
Verheyenii.  Blutgehalt  mittel,  eher  reichlich.  Grösse 
annähernd  normal.  Die  Rinde  ist  blutarm,  graugelb  und 
trübe,  zirka  5  —  6  mm  breit;  die  Grenzschicht  ist  infolge 
starker  Füllung  der  vasa  recta  hyperämisch.  Marksub¬ 
stanz  und  Pyramiden  frischrot,  anscheinend  normal.  — 
Ableitende  Harnwege  ohne  Besonderheit,  Blase  leer. 

Nebennieren  o.  B. 

e)  Diagnose:  Fettige  Entartung  der  Nierenrinde. 
Alkoholvergiftung. 

Dieser  Fall  erregte  so  sehr  unser  Erstaunen,  dass 
mit  der  Möglichkeit  des  Vorhegens  einer  Vergiftung 
gerechnet  wurde.  Wenn  auch  die  Niere  erkrankt  und 
in  der  Leiche  einiges  Ödem  gefunden  worden  war,  so 
schien  doch  die  Schwere  des  Leidens  ausser  Verhältnis 
zu  dem  schlimmen  Verlauf  zu  stehen.  Es  wurden  daher 
Leichenteile  (Niere  und  Magen),  sowie  Mageninhalt  und 
'  Blut  an  die  zuständige  Untersuchungsstelle  eingesandt. 
Von  dieser  ist  eine  sehr  eingehende  Untersuchung  zu¬ 
nächst  des  Msgeninhaltes  auf  Gifte  vorgenommen  worden. 
Aus  dem  darüber  erstatteten  Gutachten  seien  folgende 
Sätze  des  Abschlusses  mitgeteilt  : 

„Die  chemische  Untersuchung  der  Leichenteile  hat 
keine  Anhaltspunkte  dafür  gegeben  ,  dass  der  Soldat 
G.  durch  eines  der  bekannteren  und  leichter  zugäng¬ 
lichen  Gifte  zu  Grunde  gegangen  ist.  Es  wurden  ledig¬ 
lich  geringe  Mengen  Alkohol  in  den  Leichenteilen  er¬ 
mittelt,  die  nach  dem  qualitativen  Ausfall  der  Jodo¬ 
formreaktion  in  Gemeinschaft  mit  dem  spez.  Gewicht 
auf  zirka  3  gr  berechnet  auf  die  Gesamtmenge  der 
eingesandten  Leichenteile,  geschätzt  wird.  - 

Es  ist  im  vorliegenden  Falle  zu  berücksichtigen,  ob 
die  eingesandten  40  gr  Mageninhalt  nur  einen  Bruch¬ 
teil  des  gesamten,  in  der  Leiche  Vorgefundenen  Magen¬ 
inhaltes  darstellt ;  dementsprechend  müsste  die  ermittelte 
Menge  von  Alkohol  auf  die  Gesamtmenge  Mageninhalt 
noch  berechnet  werden.  Ebenso  muss  darauf  hinge¬ 
wiesen  werden,  dass  die  Möglichkeit  des  Vorhanden¬ 
seins  von  Alkohol  auch  in  den  übrigen  Organen  be¬ 
steht,  da  der  Alkohol  vom  Magen  aus  ins  Blut  geht 
und  sich  dann  bald  gleichmässig  an  alle  Organe  ver¬ 
teilt.“  gez.  Schmidt. 

Eingesandt  waren  260  gr  Blut.  Der  eingesandte 
Mageninhalt  war  der  gesamte  überhaupt  vorhandene. 
Die  ausdrückliche  Angabe  liegt  vor,  dass  der  Ver¬ 
storbene  nicht  erbrochen  hatte.  Macht  man  die  wohl 
kaum  zulässige  Annahme,  dass  die  vom  Untersuchungs- 
.  amt  gefundenen  3  gr  Alkohol  ein  Zehntel  des  im  Körper, 
in  den  Organen  verteilt  gewesen  sind,  so  würde  immer 
erst  die  Hälfte  der  bekannten,  von  Taylor  als  unterste 
tötliche  Dosis  für  den  Erwachsenen  angegebenen  heraus¬ 
kommen. 

Danach  ist  der  zunächst  aufgetauchte  Verdacht  auf 
eine  Vergiftung  durch  ein  zufällig  in  den  genossenen 
Schnaps  gelangtes  Gift  abzulehnen.  Auch  die  Annahme, 
dass  die  Menge  des  genossenen  Schnapses  schon  an 
und  für  sich  eine  tötliche  gewesen  wäre,  lässt  sich  nicht 
halten.  Da  aber  dem  Tode  G. ’s  als  letzter  äusserer  Anstoss 
der  Genuss  von  Alkohol  vorausging  und  G.  im  Rausche 
starb,  so  bleibt  nur  übrig,  dass  die  an  sich  (beim  ge- 
sundenen  Erwachsenen)  nicht  tötliche  Alkoholmenge 
letal  gewirkt  hat,  weil  G.  bereits  organisch  erkrankt 
war. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  eingeschickten 


Organe  ist  durch  ihren  Zustand  erschwert  worden,  (zur 
Konservierung  stand  nur  schlechter  Spiritus,  zum  Trans¬ 
port  nur  schlecht  schliessende  Gefässe  zur  Verfügung). 
Aus  dem  Bericht  interessiert  hier: 

„Im  allgemeinen  lässt  sich  feststellen,  dass  die  Epi- 
thelien  der  Nierenrinde,  teilweise  dissoziiert,  sehr  un¬ 
regelmässig  gestaltete,  schlecht  färbbare  Kerne  haben; 
im  Innern  der  Kanälchen  liegen  zerfallene  Zellen  und 
Detritusmassen  ,  ab  und  zu  hyaline  Zylinder.  Im 
grossen  und  ganzen  entspricht  das  mikroskopische 
Bild  dieser  Teile  dem  einer  subakuten,  tubulären,  dege- 
nerativen  Nephritis.  —  Von  den  geraden  Kanälchen 
sind  die  schmalen  Teile  der  Schleifenschenkel  relativ 
gut  erhalten,  kernreich,  während  die  breiten  Teile  den 
Rindenzellen  in  ihrem  Verhalten  entsprechen.  Die 
arteriellen  Gefässe  sind  sehr  verdickt,  insbesondere  die 
Intima,  die  auch  an  den  verschiedensten  Stellen  Ver¬ 
kalkungen  darbietet.  Die  Glomeruli  sind  im  grossen 
und  ganzen  unverändert. 

In  der  Magenschleimhaut  sind  die  oberen  Schichten 
zellig  infiltriert,  die  Drüsenepithelien  teilweise  gerunzelt 
und  abgestossen,  die  Kapillaren  reichen  hier  und  da 
sehr  stark  erweitert  bis  fast  an  die  Oberfläche;  wie 
weit  die  Epithelverluste  auf  der  Oberfläche  auf  cada- 
veröse  Veränderungen  zurückzuführen  sind,  lässt  sich 
kaum  entscheiden.  Die  tieferen  Drüsenschichten  er¬ 
scheinen  durchaus  normal,  jedenfalls  liegen  schwere 
Verätzungen  der  Schleimhaut  nicht  vor. 

gez.  K  a  i  s  e  r  1  i  n  g. 

Also  hat  die  abschliessende  Diagnose  zu  lauten  auf 
subakute  tubuläre  degenerative  Nephritis.  Plötzlicher 
Tod  nach  Alkoholexzess. 

Nur  wenige  Tage  später  kam  der  zweite  Fall  zur 
Beobachtung. 

II.  F.,  Musketier,  im  Zivil  Landwirt.  Am  25.  De¬ 
zember  fand  die  Ablösung  seines  Truppenteiles  aus  der 
gleichen  Stellung,  wie  in  Fall  I  statt.  F.  hatte  am  24. 
von  zu  Hause  Rum  bekommen,  davon  mehrmals  ge¬ 
trunken,  besonders  am  25.,  auch  anderen  davon  abge¬ 
geben,  die  ihn  ohne  Schaden,  allerdings  in  geringerer 
Menge,  als  F.  selbst,  genossen  haben.  Bereits  im 
Schützengraben  machte  er  auf  die  Umgebung  den  Ein¬ 
druck  eines  Betrunkenen,  er  beteiligte  sich  aber  an  der 
Ablösung.  Auf  dem  Marsche  blieb  er  infolge  von  Er¬ 
müdung  im  Schneesturm  gegen  6  Uhr  30  nachmittags 
zurück,  musste  gesucht  und,  da  er  sich  bereits  nicht 
mehr  aufrecht  erhalten  konnte,  auf  einer  Krankentrage 
nachbefördert  werden.  Er  schob  seinen  Zustand  der 
Begleitung  gegenüber  auf  den  genossenen  Rum.  Unter¬ 
wegs  hat  er  mehrmals  erbrochen.  Im  Revier  der  1  ruppe 
kam  er  bereits  in  sterbendem  Zustande  an  und  erlag 
allen  angewendeten  Massnahmen  zum  1  rotz  gegen  1 1  Uhr 
abends.  F.  war  erst  am  29.  Oktober  bei  der  1  ruppe 
eingetroffen,  er  war  164  cm  lang,  schwächlich  und  hatte 
ein  „anämisches“  Geräusch  am  Herzen.  Über  frühere 
Erkrankungen  Hess  sich  nichts  ermitteln;  nach  Aussage 
seiner  Umgebung  soll  er  gern  etwas  getrunken  haben. 

Die  Obduktion  fand  am  27.  Dezember  statt.  Aus 
dem  Protokoll  ist  folgendes  von  Bedeutung  : 

a)  Totenstarre  gelöst.  Am  Mund  angetrocknete 
missfarbige  Reste  von  säuerlichem  Geruch.  An  der  Haut 
einzelne  Kratzeffekte.  Muskulatur  nur  mässig  entwickelt, 
hellrot  gefärbt;  das  Unterhautfett  ist  bis  auf  wenige 
ziegelrote1)  Träubchen  geschwunden. 

b)  Kopfsektion  :  die  harte  Hirnhaut  hattet  zum 
grossen  Teil  der  Schädelkapsel  fest  an,  deren  tabula 
vitrea  nicht  durchsichtig,  sondern  weiss,  wie  mit  Zucker 

i)  Die  Färbung  des  Fettes  dürfte  aus  der  Nahrung  stammen  ; 
z.  B.  fand  L  ö  h  1  e  i  n  den  Farbstoff  des  Palmöles  im  Fett  des  von 
ihm  sezierten  Negers  wieder.  Es  sind  ja  häufiger  Fette  genossen 
worden,  die  sonst  für  die  menschliche  Ernährung  seltener  in  Betracht 
kamen. 


252 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  26 


bestreut  ist.  Ausserdem  zeigen  sich  auf  der  harten 
Hirnhaut  vielfach  braune  Auflagerungen ,  die  man  in 
form  eines  Häutchens  abziehen  kann.  (Pachvmenengitis 
externa  haemorrhagica  und  ossificans.)  Sonst  ausser 
leichtem  Gehirnödem  nichts  von  Interesse. 

c)  Brustsektion;  Respirationsorgane,  Schilddrüse  usw. 
ohne  Besonderheiten.  Pleuren  leer. 

Herzbeutel  fettarm,  mit  zirka  6U  bis  80  ccm  bern¬ 
steingelber  Flüssigkeit  gefüllt.  Das  Herz  übertrifft  etwas 
an  Grösse  die  Faust  der  Leiche,  es  enthält  nur  mässig 
reichliches,  mit  Gerinseln  untermischtes  Blut.  Der  rechte 
\  entrikel  ist  schlaff,  der  linke  im  Zustande  der  Kon¬ 
traktion.  Die  Muskulatur  ist  rot  gefärbt  und  weich. 
Das  Endokard  ist  glatt  und  spiegelnd.  Der  Klappen- 
apparat  ist  zart  und  schlussfähig.  Das  Epikard  ist  glatt 
und  spiegelnd.  Der  Gefässapparat  ist  zart  und  durch¬ 
gängig.  —  Die  Intima  der  Aorta  zeigt  oberhalb  der 
Klappen  einige  leichte  Verfettungen.  Aus  den  grossen 
Venenstämmen  fliesst  mässig  viel  Blut. 

d)  Bauchsektion  :  die  Bauchhöhle  ist  frei,  der  Situs 
normal.  Netz  und  Mesenterium  sind  spinnwebartige 
Membranen,  in  denen  sich  nur  einzelne  Träubchen 
ziegelroten  Fettes  finden.  Die  Mesenterialdrüsen  zirka 
bohnengross,  graurot,  ziemlich  fest. 

Der  Magen  ist  normal  gross  und  enthält  etwas 
gallig-schleimigen  Inhalt,  der  nicht  nach  Alkohol  riecht. 
Die  Schleimhaut  ist  glatt  und  blass ;  im  Verlauf  der 
grossen  Kurvatur  finden  sich  mehrere,  bis  linsengrosse, 
bräunlich-  bis  schwärzlichi  ote  Flecken,  über  denen  die 
spiegelnde  Schleimhaut  fehlt.  Darm  teilweise  hyperä- 
misch,  sonst  o.  B. 

Leber,  Gallenwege,  Pfortader  und  Pankreas  o.  B. 

Die  Milz  ist  etwa  um  ein  Drittel  vergrössert,  die 
Kapsel  gerunzelt,  die  Konsistenz  zähe,  der  Blutgehalt 
gering.  Auf  dem  Durchschnitt  ist  das  bindegewebige 
Stützgerüst  vermehrt ,  die  Follikel  sind  grau  und  ver¬ 
grössert. 

Beide  Nieren  sind  gleichartig.  Das  Fett  der  Fett¬ 
kapsel  ist  stark  geschwunden,  von  ziegelroter  Färbung- 
Die  bindegewebige  Kapsel  haftet  stellenweise  etwas  an- 
Einzelne  venulae  stellatae  Verheyenii.  Grösse  annähernd 
normal;  Blutgehalt  reichlicher  als  in  den  anderen  Or¬ 
ganen.  Die  Rinde  ist  graugelb  und  trübe,  zirka  6  mm 
breit;  die  Grenzschicht  infolge  von  starker  Füllung  der 
vasa  recta  hyperämisch.  Marksubstanz  und  Pyramiden 
frischrot,  anscheinend  normal.  —  Ableitende  Harnwege 
ohne  besonderen  Befund;  die  Blase  ist  stark  gefüllt  mit 
klarem  Urin. 

Nebennieren  regelrecht. 

e)  Diagnose:  Fettige  Entartung  der  Nierenrinde. 
Alkoholvergiftung. 

Von  den  Nieren  konnte  eine  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  vorgenommen  werden,  allerdings  war  der  Er¬ 
haltungszustand  des  Präparates  aus  demselben  Grunde, 
wie  bei  dem  vorigen  Falle,  nicht  mehr  ganz  befriedigend! 
Doch  Hess  sich  feststellen,  dass  es  sich  um  eine  sehr 
ausgebreitete  Erkrankung  der  gewundenen  Harnkanälchen 
handelte,  deren  Epithel  stark  von  Körnchen  und  hell¬ 
glänzenden  Fetttröpfchen  erfüllt  war.  Nur  selten  fanden 
sich  zwischen  den  Epithelzellen  einzelne  Leukozyten. 
Einzelne  Glomeruli  fielen  durch  ihre  Grösse  auf,  die  in 
der  Hauptsache  durch  \  ergrösserung  und  Vermehrung 
der  die  Schlingen  bedeckenden  Epithelien  bedingt  war. 
Die  Epithelien  der  Kapseln  waren  gleichfalls  gequollen 
und  verfettet.  Die  Gefässschlingen  enthielten  sehr  spär¬ 
liche  rote  Blutkörperchen,  meist  war  kein  Lumen  zu  er¬ 
kennen.  Es  überwogen  indessen  weit  die  unveränderten 
Glomeruli.  Im  Ganzen  war  der  Prozess  bei  weitem  am 
ausgeprägtesten  an  den  Harnkanälchen  der  Rinde.  Mehr 
nach  den  Pyramiden  zu  waren  blutgefüllte  Gefässe  zu 
erkennen,  doch  auch  hier  waren  in  den  geraden  Harn¬ 
kanälchen  einzelne  Epithelien  mit  Fetttröpfchen  und 


Körnchen  erfüllt.  Im  ungefärbten  Präparat  fanden 
sich  mehrfach  Kristalle  vom  Aussehen  des  oxalsauren 
Kalkes. 

Dadurch  war  also  die  makroskopische  Diagnose  be¬ 
stätigt.  Es  handelte  sich  um  fettige  Entartung  der 
Nierenrinde  und  zwar  um  eine  vorwiegend  tubuläre. 

Die  zweite  Diagnose  des  Falles  lautet  auf  Alkohol¬ 
vergiftung.  Nach  der  Anamnese  müsste  es  eine  akute 
gewesen  sein.  Da  ist  nun  ebenso,  wie  im  ersten  Falle, 
zu  erwägen,  ob  die  genossene  Alkoholmenge  eine  absolut 
tötliche  gewesen  ist.  Dieses  Mal  wurde  das  Unter¬ 
suchungsamt  nicht  wieder  in  Bewegung  gesetzt.  Der 
Kranke  hatte  erbrochen,  der  Mageninhalt  roch  nicht 
mehr  nach  Alkohol,  es  bestand  wenig  Aussicht  auf  ein 
lohnendes  Ergebnis  der  näheren  Untersuchung.  So  ist 
man  auf  die  Angaben  der  Umgebung  angewiesen.  Der 
war  es  in  beiden  Fällen  unbegreiflich,  dass  ein  so  „ge¬ 
ringes  Quantum“  einen  Menschen  getötet  haben  sollte. 
Ein  zurückgebliebener  geringer  Rest  war  unverdächtig, 
es  handelte  sich  anscheinend  um  billigen  Rum  :  ein  zu¬ 
gemischtes  Gift  kam  demnach  auch  hier  nicht  in  Frage. 
Die  abschliessende  Diagnose  musste  also  wie  im  ersten 
Falle  lauten:  vorwiegend  tubuläre,  degenerative  Nephritis, 
j  Tod  nach  Alkoholexzess. 

Man  könnte  nun  eine  solche  Veränderung  der  Nieren¬ 
rinde  wohl  einem  chronischen  Abusus  spirituosorum  Zu¬ 
trauen.  Doch  steht  dem  entgegen  dass  die  Truppe  seit 
Monaten  bis  etwa  gegen  Mitte  Dezember  hin  ,  nicht  in 
der  Lage  war,  sich  Alkoholika  in  nennenswerter  Menge 
zu  beschaffen.  Aber  zweifellos  wird  man  die  Mitwirkung 
der  Kälte  nicht  zu  gering  anschlagen  dürfen.  Aus  den 
mitgeteilten  Anamnesen  geht  zwar  hervor,  dass  von  Er¬ 
frierungen  der  beiden  Leute  nicht  die  Rede  sein  kann, 
aber  sie  hatten  doch  in  den  letzten  Tagen  vor  dem  Tode 
viel  unter  der  herrschenden  Kälte  zu  leiden.  Während 
die  Umgebung  die  Einwirkung  des  Alkohols  als  sehr 
unschuldig  beurteilte,  gab  es  Stimmen,  welche  die  beiden 
Todesfälle  als  Erschöpfung  durch  die  mehrtägige  Kälte 
ansahen.  Ohne  Sektion  hätte  man  also  sehr  schwanken 
können,  welchem  von  beiden  Faktoren  die  Schuld  zu¬ 
zuschieben  wäre. 

Um  so  einfacher  ist  die  Beurteilung  des  Falles  III, 
bei  dem  die  Mitwirkung  des  Alkohols  ausscheidet.  Mus¬ 
ketier  IL,  22  Jahre  alt,  im  Zivil  Kontorist,  war  erst  seit 
1.  Dezember  1915  bei  der  Truppe,  ein  schwächlicher 
Mann,  der  im  Dienst  leicht  ermüdete.  Über  frühere  Er¬ 
krankungen  ist  nichts  bekannt  geworden.  Am  16.  Ja¬ 
nuar  1916  war  er  zum  Essen  fassen  gegangen  und  wurde 
zirka  5  Uhr  nachmittags  durch  einen  Kameraden  ge¬ 
stützt  zurückgebracht.  Er  erklärte,  seit  einigen  Stunden 
Kreuzschmerzen  und  Mattigkeit  in  den  Beinen  zu  haben. 
Im  Sanitätsunterstande  erholte  er  sich  bald  wieder,  ass 
und  scherzte.  Dann  schlief  er  bis  gegen  4  Uhr  morgens, 
erwachte ,  unterhielt  sich  und  schlief  wieder  ein.  Um 
6  Uhr  versuchte  man  vergeblich  ihn  zu  wecken,  der 
Puls  war  auffallend  klein,  das  Bewusstsein  kehrte  nicht 
zurück  und  trotz  aller  angewandten  Gegenmassnahmen 
starb  H.  nach  2  Stunden.  Er  hatte  nicht  erbrochen. 

Die  Sektion  fand  am  19.  Januar  statt;  aus  dem 
Protokoll  ist  Nachstehendes  hervorzuheben; 

a)  Knochenbau  mit  den  Zeichen  überstandener  Ra¬ 
chitis  ;  Muskulatur  und  Fettpolster  mässig  entwickelt. 
In  einem  am  Unterschenkel  angelegten  Einschnitt  sammelt 
sich  in  kurzer  Zeit  etwras  gelbliche  Flüssigkeit  an.  In 
beiden  Leistengegenden  bindegewebig  indurierte  Drüsen. 
Keine  Narbe  am  Penis.  Kleidung  durch  Stuhlgang  ver¬ 
unreinigt. 

b)  Kopfsektion.  Ausser  geringfügigem  Gehirnödem 
nichts  Bemerkenswertes. 

c)  Brustsektion.  Pleuren  leer.  Herz  liegt  breit 
vor.  Atmungsorgane,  Schilddrüse,  Thymus;  nichts  be¬ 
sonderes. 


Nr.  2b. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


253 


Herzbeutel:  enthält  zirka  4  ccm  gelblicher  Flüssig¬ 
keit.  Perikard  und  Epikard  glatt  und  spiegelnd.  Ge- 
fässapparat  zart  und  durchgängig.  Das  Herz  ist  etwa 
ntaderthalbmal  so  gross  als  die  Faust  der  Leiche.  Die 
Vergrösserung  betrifft  ganz  überwiegend  den  linken 
Ventrikel,  dessen  Wandung  besonders  dick,  fest  und 
derb  ist.  Das  Myokard  ist  lleischrot  mit  eingesprengten 
trüberen,  fast  lehmfarbigen  Flecken.  Die  Höhlen  sind 
weit,  sie  enthalten  flüssiges  Blut  und  spärliche  Fett- 
gerinsel.  Endokard  glatt  und  spiegelnd,  Klappenappa¬ 
rat  zart  und  schlussfähig.  —  Die  grossen  Venen  ent¬ 
halten  reichlich  Blut. 

d)  Bauchsektion.  Situs  normal.  Fettgehalt  von 
Mesenterium  und  Omentum  gering ;  einzelne  alte  Adhae- 
sionen  ;  Mesenterialdrüsen  bis  bohnengross,  blassrot. 

Der  Magen  ist  kontrahiert  und  enthält  wenig  säuer¬ 
lich  riechenden  Schleim.  Schleimhaut  glatt  und  glänzend; 
sie  enthält  einzelne  ganz  kleine  Blutaustritte.  Darm 
o.  B. 

Fettleber-,  Gallenwege.  Pfortader  und  Pancreas 
o.  B. 

Die  Milz  ist  etwas  grösser  als  gewöhnlich,  aber  nach 
Form,  Farbe  und  Zeichnung  regelrecht. 

Beide  Nieren  sind  gleichartig,  etwas  kleiner  als 
normal,  an  der  Oberfläche  gelappt.  Die  Fettkapsel  ist 
fettarm,  die  bindegewebige  Kapsel  stellenweise  etwas 
adhaerent.  Auf  dem  Durchschnitt  ist  die  Rinde  blut¬ 
arm,  graugelb,  etwas  trübe  und  verschieden  breit,  im 
ganzen  wohl  etwas  verschmälert.  Marksubstanz  und 
Pyramiden  sind  frischrot,  nach  den  Spitzen  der  Pyra¬ 
miden  zu  heller ;  beiderseits  sind  in  einzelnen  Pvramiden 
feine,  helle  Strichzeichnungen  zu  erkennen.  -  Ableitende 
Harnwege  o.  B.  Die  Blase  ist  prall  gefüllt  mit  trübem 
Urin,  der  beim  Filtrieren  sich  klärt  und  beim  Kochen 
nach  Zusatz  von  Essigsäure  geringe  Trübung  auf¬ 
weist. 

Die  Nebennieren  sind  ohne  Abweichung. 

e)  Diagnose:  Entartung  der  Nierenrinde  (und  ka¬ 
tarrhalische  Nephrits).  Flypertrophie  des  liüken  Her¬ 
zens. 

Leider  ist  es  versäumt  worden,  etwas  von  der  Niere 
zur  mikroskopischen  Untersuchung  aufzubewahren.  Im¬ 
merhin  entspricht  die  Beschaffenheit  der  Nierenrinde 
durchaus  den  beiden  ersten  Fällen,  nur  war  dieselbe 
ausserdem  noch  verschmälert.  Also  lag  wohl  nur  ein 
späteres  Stadium  des  gleichen  Prozesses  vor,  damit 
würde  die  weiter  gefundene  Herzhypertrophie  gut  zu¬ 
sammen  stimmen.  Die  in  den  ersten  Fällen  auffällige 
Plyperaemie  der  vasa  recta  war  nicht  so  ausgeprägt, 
dafür  bestanden  Andeutungen  von  katarrhalischer  Neph¬ 
ritis  (Streifenzeichnung  in  den  Pyramiden,  Trübung  des 
Urins).  Also  während  die  beiden  ersten  Fälle  sich  unter¬ 
einander  sehr  glichen,  hatte  der  dritte  einige  Besonder¬ 
heiten  für  sich,  wenn  auch  keine  von  grundsätzlicher 
Bedeutung. 

Stellen  wir  unsere  Fälle  mit  dem  Sektionsfall  von 
Albu-Sc  hiesing  er  zusammen ,  so  kann  die 
grosse  Ähnlichkeit  im  anatomischen  Befund  nicht  ent¬ 
gehen.  Auch  hier  ist  der  Prozess  vorwiegend  in  der 
Rinde  entwickelt.  Die  gewundenen  Harnkanälchen  sind 
(wie  bei  uns)  in  erster  Linie  betroffen,  aber  darüber 
hinaus  sind  die  Glomeruli  durchgehends  schwer  erkrankt. 
Ausserdem  ist  die  Rinde  verbreitert.  Man  könnte  nun 
so  gruppieren,  dass  unsere  Fälle  I  und  II  ein  früheres 
Stadium  darstellen,  dass  Fall  III  und  der  F'all  Albu- 
Sc  h  1  e  s  i  n  g  e  r  zwei  verschiedene  Ausbildungen  eines 
späteren  Stadiums  bedeuten,  Morbus  Brightii  im  zweiten 
(Fall  Albu-S  chlesinger)  und  im  dritten  Sta¬ 
dium  (unser  F'all  H.).  An  eine  gleichartige  Ursache  aller 
vier  Fälle  zu  denken,  zwingt  natürlich  nichts. 

Gehen  wir  von  der  so  gewonnenen  Anschauung 
aus,  dass  von  Haus  aus  vorwiegend  tubuläre  Erkran¬ 


kungen  Vorgelegen  haben,  so  hätten  wir  mit  einem  fast 
symptomlosen  Verlauf  zu  rechnen.  Das  entspricht  einer¬ 
seits  dem,  was  in  unseren  Anamnesen  steht.  Anderer¬ 
seits  linden  wir  dadurch  den  Anschluss  an  die  im  ersten 
I  eile  erwähnten  häufigen  ,  aber  meist  sehr  leichten 
Affektionen ,  deren  unklare  Symptomatik  dadurch  auf¬ 
gehellt  wird.  Auch  die  Übereinstimmung  mit  vielen  der 
von  Albu-Sc  hlesinger  erörterten  klinischen 
Beobachtungen  wird  inniger.  Wir  haben  uns  den  Zu¬ 
sammenhang  so  vorzustellen,  dass  an  und  für  sich  leichte 
parenchymatöse  Erkrankungen  langsam  verlaufen,  meist, 
wie  gewöhnlich,  der  sicheren  Diagnostik  nicht,  höchstens 
der  Vermutung  zugänglich  sind,  bis  es  aus  irgend  einem 
Grunde  zur  Weiterausbreitung,  zur  diffusen  Nephritis 
kommt,  und  dann  auffallende  Harn  Veränderungen  ( Blut), 
Ödeme  oder  Urämie  einsetzen.  oder  aber  bis  das  Leiden 
überhaupt  in  eine  chronische  Form,  den  Morbus  Brightii 
zweiten  oder  dritten  Grades,  übero-eht. 

Nun  gelten  uns  die  tubulären  parenchymatösen 
Nephrosen  als  die  blandesten  F'ormen  der  Brightschen 
Krankheit.  Aber  in  den  Fällen  G.  und  F.  haben  sie 
doch  zum  Tode  geführt!  Das  ist  der  springende  Punkt 
und  das  für  die  Nierenerkrankung  der  Kriegsteilnehmer 
Charakteristische  !  Ein  an  und  für  sich  bei  geeignetem 
Verhalten  wohl  heilbares  Leiden  wird  unter  den  Kriegs¬ 
verhältnissen  plötzlich  äusserst  bedrohlich.  Und  nun 
tritt  der  Tod  auch  ganz  rasch  ein,  unter  Umständen, 
die  wir  von  der  Friedenspraxis  her  nicht  kennen,  es 
kommt  nicht  zur  Urämie,  sondern  zu  einem  raschen 
Versagen  der  Kräfte.  So  wie  die  letzten  Stunden  der 
drei  verlaufen  sind,  ist  das  Nachlassen  des  Kreislaufes 
am  meisten  hervorgetreten  und  hat  die  Richtschnur  für 
die  Heilversuche  abgegeben.  Es  hätte  sich  also  das 
schnell  entwickelt,  was  sich  bei  einer  ganzen  Anzahl 
von  Nierenkranken  langsam  heraus  bildet ,  die  am 
Herzen  sterben. 

Alle  drei  Fälle  ereigneten  sich  in  demselben  Regi- 
mente  und  in  kurzer  Zeit,  so  dass  wohl  schon  das  allein 
ein  gehäuftes  Auftreten  beweist.  Doch  sind  in  den 
Nachbarregimentern  auch  Fälle  vorgekommen,  die  ebenso 
wie  unsere  rasch  unter  unklaren  Symptomen  gestorben 
sind.  Da  keine  Sektionen  gemacht  wurden,  lässt  es  sich 
nicht  sagen,  ob  es  sich  gleichfalls  um  Nierenverände- 
rungen  gehandelt  hat:  sie  haben  die  Diagnose  der  letzten 
Einwirkung  erhalten,  die  dem  Tode  vorausgegangen 
war.  (Auch  in  unseren  Fällen  hätte  die  Diagnose  ohne 
Sektion  anders  gelautet!) 

Da  offenbar  die  Erschöpfung  der  Herzkraft  eine 
wesentliche  Bedeutung  hat,  so  sind  die  Herzbeschwerden 
der  F'eldzugsteilnehmer  mit  ein  paar  Worten  wenigstens 
zu  streifen.  Ganz  überwiegend  sind  dieselben  funk¬ 
tioneller  Natur.  Eine  Gruppe  für  sich,  die  sich  bei  den 
Jugendlichen  besonders  aufdrängt,  sind  die  Thyreoidosen. 
Dann  die  rein  neurasthenischen,  besonders  der  Schwäch¬ 
lichen,  der  Untrainierten  (Bequemen!)  und  der  Fetten. 
Endlich  die  der  Anaemischen  und  Unterernährten.  Und 
mit  dieser  letzten  Gruppe  erhalten  wir  wieder  Beziehungen 
zum  „Status  castrcnsis“  und  zu  unseren  Füllen. 

Im  Falle  F.  hatte  ich  bei  der  Nachuntersuchung  ein 
„anaemisches“  Geräusch  gehört.  Da  fast  alle  derartigen 
Befunde  im  Revier  nachuntersucht  worden  sind,  so  wird 
es  wohl  auch  bei  ihm  der  F'all  gewesen  sein.  Leider 
ist  keine  Notiz  darüber  aufzufinden,  speziell  nicht  ob 
der  Urin  untersucht  worden  ist.  Annehmbar  ist  es  ge¬ 
schehen,  und  zwar  ohne  Ergebnis.  Ich  erinnere  mich 
bei  dieser  Gelegenheit,  dass  ich  vor  Jahren  unter  dem 
Materiale  der  Medizinischen  Universitätspoliklinik  in 
Leipzig  nach  chlorotischen  Blutbefunden  bei  Männern 
gesucht  habe,  (gemeint  ist  Missverhältnis  zwischen  Hämo¬ 
globingehalt  und  Blutkörperchenzahl).  Ich  habe  auch 
einige  wenige  gefunden,  aber  alle  hatten  sie  leichte  Harn¬ 
veränderungen,  wie  sie  ambulanten,  sehr  leichten  Nephri- 


Nr.  26. 


2  54 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


tiden  entsprachen.  Vielleicht  könnten  derartige  Unter¬ 
suchungen  in  einem  Lazarett  mit  entsprechendem  Ma¬ 
teriale  wieder  aufgenommen  werden. 

Herzbeschwerden  bei  Unterernährten  begegneten 
uns  ferner  vielfach  bei  Leuten,  die  oft  vor  recht  langer 
Zeit,  stärkere  Diarrhöen,  meist  blutig  -  schleimiger  Be¬ 
schaffenheit,  überstanden  hatten.  Da  blieb  es  nicht  nur 
bei  funktionellen  („nervösen“)  Störungen  ,  sondern  es 
wurden  auch  Ödeme  leichten  Grades  beobachtet.  Selbst¬ 
verständlich  wurde  dann  der  Harn  wiederholt  mit  den 
zur  \  erfügung  stehenden  Mitteln  untersucht,  (also  nicht 
mikroskopisch),  und  die  regelmässige  Abwesenheit  von 
Eiweiss  festgestellt.  Geführt  haben  wir  die  Leute  als 
„kachektische  ?  Ödeme“.  Vermutlich  ist  kachektisch 
hier  gleichbedeutend  gewesen  mit  einem  gewissen  Grade 
von  Kreislaufschwäche,  wenn  sich  nicht  gelegentlich  uns 
nicht  fassbare  leichtere  formen  von  Nephritis  dahinter 
verborgen  haben. 

Sichere  Herzvergrösserung  ist  im  Felde  ein  sehr 
seltener  Befund.  Ich  habe  ihn  nie  ohne  Veränderungen 
im  Urin  erhoben. 

Endlich  möchte  ich  noch  der  Schleimhauthämorr- 
hagien  des  Magens  gedenken,  die  sich  in  unseren  3  Fällen 
gefunden  haben.  Wenn  dass  auch  an  und  für  sich  ein 
bedeutungsloses  und  vieldeutiges  \  orkommnis  ist,  so 
kann  doch  dadurch,  wie  Fall  G.  beweist,  der  Magen¬ 
inhalt  und  wohl  sicher  auch  das  Erbrochene  eine  blutige 
Farbe  annehmen.  Unklare  Blutbeimischung  leichten 
Grades  zum  Erbrochenen  sind  uns  wiederholt  begegnet. 
Immerhin  könnte  das  gelegentlich  einen  diagnostischen 
Hinweis  bilden. 


Um  zusammen  zu  fassen:  Bei  der  Nephritis  der 
Kriegsteilnehmer  im  engeren  Sinne  handelt  es  sich  um 
an  und  für  sich  leichte  aber  nicht  kurzdauernde,  mehr 
chronische  Leiden,  die  einerseits  zu  akuten  Verschlimme¬ 
rungen  neigen,  andererseits  zu  einem  plötzlichen  Ver¬ 
sagen  führen  können.  Die  Verhältnisse  des  Feldzuges 
werden  wohl  den  Boden  für  ihre  erste  Entwicklung 
ebenso  wie  die  Ursache  für  die  Chronizität  abgeben. 
Für  die  akuten  Zufälle  sind  dann  jeweilige  Gelegenheits¬ 
ursachen  massgebend.  Die  Einheitlichkeit  der  Gruppe 
ist  also  weder  eine  ätiologische  noch  eine  pathologische, 
sondern  eine  nosologische:  die  Gleichartigkeit  der  äusseren 
Umstände  bedingt  den  ungewöhnlichen  Verlauf. 

Ich  halte  es  für  ein  Verdienst  von  A  1  b  u  und 
Schlesinger,  dass  sie  die  Erfahrungen  bei  ihrem 
grossen  Materiale  veröffentlicht  haben;  wie  sie  mich  ver¬ 
anlasst  haben,  meine  geringen  Beobachtungen  mitzuteilen, 
so  steht  zu  hoffen,  dass  noch  andere  Arzte  aus  der 
Truppe  und  vor  allem  den  Lazaretten  zwischen  der 
Front  und  der  Heimat  mit  den  ihrigen  hervortreten 
werden.  Denn  das  Interesse  daran  ist  keineswegs  gering, 
sondern  die  weitere  Erforschung  wird  noch  manches 
Licht  werfen  auf  die  vereinzelten  ähnlichen  Fälle,  die 
wir  bereits  im  Frieden  in  Behandlung  gehabt  haben, 
sowie  auf  die  Frühstadien  der  verschiedenen  Formen  der 
chronischen  Nephritis  überhaupt.  Für  die  Wohlfahrt  der 
uns  anvertrauten  Soldaten  wird  die  eingehende  Be¬ 
schäftigung  mit  diesem  Leiden  um  so  fruchtbarer  sein, 
als  die  Grundsätze  der  Behandlung  und  Verhütung  fest¬ 
stehen  und  mit  verhältnismässig  geringen  Mitteln  sehr 
schlimmes  verhütet  werden  kann. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Pass  ler,  Prof,  Oberstabsarzt.  Dresden.  Die  chron. 
Infektionen  im  Bereich  der  Mundhöhle  und  der  Krieg,  insbes. 
ihre  Bedeutung  für  die  Wehrfähigkeit  und  die  Beurteilung 
von  Rentenansprüchen.  (Ther.  d.  Gegw.,  1915  X  u.  XI.) 

P.  entwickelt  über  die  Ursache  zahlreicher,  im  Frieden, 
wie,  gehäuft,  im  Kriege  beobachteter  Krankheitszustände  Ge¬ 
dankengänge,  welche  vielen  Ärzten  in  dieser  scharfen  Präzision 
neu  sein  dürften  Die  aus  den  beweiskräftigen  Darlegungen 
gezogenen  Schlussfolgerungen  hinsichtlich  der  Beurteilung  von 
Ren  teil  an  sprächen  auf  Grund  der  fraglichen  Erkrankungen  sind 
aber  schlechthin  so  wichtig,  dass  ein  eingehendes  Referat  der 
umfänglichen  Arbeit  nicht  unterbleiben  darf. 

P.  hat  sich  mit  der  gleichen  Materie  schon  vor  dem 
Kriege  beschäftigt  und  sieht  seine  Anschauungen  bei  Kriegs¬ 
teilnehmern  glänzend  bestätigt. 

Es  handelt  sich  um  die  an  den  verschiedensten  Organen 
zu  Erscheinung  gelangende  krankhafte  Wirkung  chronischer 
Streptokokkeninfektionen  in  der  Mundhöhle,  Zustände,  die  P. 
einfachheitshalber  als  ., chronisch  septische  Zustände“  der 
M  undhöhle  bezeichnet.  Diese  sind: 

1.  die  chronisch- eitrige  Tonsillitis, 

2.  Zahnaffektionen,  u.  zw., 

a)  Pulpitis  und  Wurzelsepsis  mit  ihren  lokalen  Folge¬ 
erscheinungen  (Periostitis,  Granulom), 
bl  alveoläre  Pyorrhoe, 

3.  eitrige  Nebenhöhlenerkrankungen. 

Chronische  Tonsillitis  ist  die  Ursache  der 

rekurrierenden  Anginen.  Diese,  wie  überhaupt  die  sogen.  Er¬ 
kältungskrankheiten,  sind,  aller  Erwartung  entgegen,  im 
Schützen grabeuleben  selten,  treten  aber  sofort  gehäuft  auf,  so¬ 
bald  mechanische  Reizungen  der  Schleimhäute  (Kohlenstaub, 
Strassenstaub)  stattfinden  bei  Märschen  und  im  rückwärtigen 


Unterkunftsquartier.  Gleiches  trifft  zu  für  die  chron. 
rekurrierende  Bronchitis. 

Die  Ausführung  der  Tonsillectomie,  deren  Vornahme  P. 
als  „unerhebliche“  Operation  zu  den  pflichtmässigen  Duldungen 
des  Soldaten  zählt*  hat  nach  zahlreichen  Beobachtungen 
dauernde  Genesung  von  solchen  Anginen  und  Bronchitiden 
geschaffen. 

Eitrige  Prozesse  am  Gebiss  wirken  in  gleicher 
Weise  chronisch  infizierend  auf  den  Organismus:  Oberlappen¬ 
bronchitiden,  die  mit  Spitzentuberkulose  vielfach  verwechselt 
werden,  Gelenkrheumatismen  sind  ihre  Folgen,  am  häufigsten 
aber  von  all  diesen  Fern  Wirkungen  sind  Störungen  von  Seite 
des  Herzens  und  der  Gefässe.  Bei  dieser  letzteren  Gruppe 
handelt  es  sich  nach  P.  teilweise  um  leichte  chronisch- toxische 
Schädigungen  des  Herzmuskels,  oder,  in  alten  Fällen,  auch  schon 
um  anatomische  Veränderungen  des  Myokards.  Es  ist  un¬ 
richtig  und  unbefriedigend,  von  ,, Herzneurosen“  oder  „Kriegs¬ 
herz“  bei  diesem  Zusammenhang  zu  reden,  da  die  als  „nervös“ 
angesprochenen  Symptome  der  Tachykardie,  der  Hyperhidrosis, 
labilen  Temperatur,  der  erhöhten  geistigen  und  körperlichen 
Ermüdbarkeit  und  Erschöpfung  usw.  lediglich  auf  Resorption 
von  Toxinen  der  eitrigen  Infektion  beruhen.  B  e  w  e  i  send 
hierfür  ist  die  durchschlagende  Wirkung 
einer  gründlichen  Sanierung  des  Ge¬ 
bisses. 

Eine  weitere  Gruppe  derartiger  Fernwirkuugen  findet  sich, 
wie  ja  natürlich,  im  Verdauungsapparat.  Auch  die  Appen¬ 
dizitis  ist  häufig  die  Folge  einer  Mundhöhlensepsis.  Fälle  von 
akuter  und  chronischer  Nephritis,  Dysurien,  letztere  oft  als 
„Blasenneurosen“  falsch  gedeutet,  vervollständigen  die  grosse 
Reihe  der  auf  dieser  septischen  Grundlage  möglichen  und  vor¬ 
kommenden  Krankheitskomplexe. 

Strikte  Durchführung  der  kausalen  Therapie  und  Abwendung 


Nr.  2(). 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


255 


von  der  völlig  nutzlosen  Bekämpfung  einzelner  Krankheits- 
symptome,  wie  eines  „Darmkatarrhes“,  lässt  nach  P.  und 
Ueberzeugung  eine  bedeutende  Vermehrung  der  Wehrmacht 
erwarten ;  ,,d  e  u  n  die  c  h  r  o  n  i  s  c  he  Mundhöhlen- 

sepsis  ist  tatsächlich  bei  uns  eine  der  ver¬ 
breitetsten  Volksseuchen,  vielleicht  die 
verbreitetst  e.“ 

Für  die  Beurteilung  von  Renten  ansprüchen  aus  solchen 
Folgeerkrankungen  zieht  nun  P.  nachstehende,  gerade  volks¬ 
wirtschaftlich  äusserst  bedeutsame  Schlüsse : 

„Es  ist  mit  Sicherheit  aus  dem  Kreise  dieser  Art  Kranker 
eine  überaus  grosse  Zahl  von  hohen  Rentenansprüchen  zu  er¬ 
warten.  Selbst  bei  wohlwollendster  Beurteilung .  wird 

man  die  Gewährung  von  Renten  auf  die  wirklich  im  Krieg 
erworbenen  Schäden  streng  beschränken,  wenn  nicht  der  All¬ 
gemeinheit  unerträgliche,  und  absolut  ungerechtfertigte  Lasten 
auferlegt  werden  sollen.  Ich  würde  es  für  durchaus  gerecht¬ 
fertigthalten,  wenn  man  Rentenansprechern,  bei  denen  chronisch 
septische  Zustände  der  Mundhöhle  bestehen,  wegen  der  ge¬ 
schilderten  Zustände  von  seiten  des  Herzens,  der  Gelenke 
usw.  nur  dann  eine  Rente  zubilligt,  wenn  sie  eine  Sanierung 
der  Mundhöhle  zulassen,  und  die  anderen  Leiden  nachher  fortbe- 
stehen.  Verfahren  wir  in  dieser  Weise,  so 
würden  wir  .  .  .  .  nicht  n  u  r  e  n  o  r  rn  e 

S  u  m  men  erspa  r  e  n  ,  sonde  r  n  auch  aus 
zahlreichen,  ewig  unzufriedenen  Renten- 
j  ä  g  e  r  n  zufriedene,  arbeitsfreudige  Menschen 
m  ache  n“.  Vier. p  stein  -  Kaisheim. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

B.  K  r  o  e  n  i  g  ,  Freiburg.  Grenzverschiebungen  zwischen 
operativer  und  nichtoperativer  Therapie  in  der  Gynäkologie 
und  Geburtshülfe.  (Monatsschrift  für  Geb.  und  Gyn.  April 

1916.) 

Verf.  welcher  seit  Jahren  zu  den  radikalen  operativen 
Gynäkologen  gezählt  wurde,  gelangt  auf  Grund  eingehender 
Nachforschungen  über  das  Befinden  und  die  Dauerresultate 
der  von  ihm  Operierten  zur  Erkenntnis,  dass  sich  an  einer 
grossen  Reihe  gynäkologischer  Krankheitsgruppen  Grenzver¬ 
schiebungen  zwischen  nichtoperativer  und  operativer  Therapie 
bereits  heute  vollzogen  haben  und  sich  noch  zu  vollziehen 
im  Begriffe  stehen.  Gonorrhoische  und  puerperal  septische 
eitrige  Prozesse  in  den  Tuben  und  Parametrien,  gonorrhoische 
Eiteransammlung  in  der  freien  Bauchhöhle,  tuberkulöse  Eiter¬ 
bildung  im  Bauchraum  und  in  den  weiblichen  Genitalien, 
Peritonealtuberkulose  sind  exspektativ  zu  behandeln.  Die 
operativen  Eingriffe  bei  Psychosen  des  Weibes,  welche  durch 
Anomalien  der  Genitalien  einst  indiziert  wurden,  weichen  dem 
exspektativen  Verfahren,  dasselbe  gilt  von  den  Lageanomalien 
des  Uterus  und  den  lagekorrigierenden  Operationen  derselben. 
Statt  der  ‘Myotomie  tritt  die  Röntgenbehandlung  immer  mehr 
in  ihrer  Vervollkommnung  herausgearbeitet,  für  Myome  in 
Aktion.  Was  die  Strahlenbehandlung  betrifft,  welche  an 
Stelle  der  Operation  beim  Karzinom  des  Uterus  mit  Ausschluss 
des  Korpuskarzinomes  zu  treten  berufen  sein  soll,  so  hat  Verf. 
auf  Grund  von  Statistiken  seiner  Freiburger  Fälle  von  190 
Karzinonioperierten  nach  3  Jahren  12 °/0,  nach  5  Jahren  5,85 %, 
nach  7  Jahren  3,4%,  nach  10  Jahren  0%  absolute  Heilungen 
erzielt.  Verf.  kommt  auf  Grund  seiner  Statistiken  sogar  zu 
dem  Resultate,  dass  die  durchschnittliche  Lebensdauer  nicht- 
operierter  Kollum-  und  Ovarialkarzinome  vom  Beginn  der 
ersten  klinischen  Symptome  au  gerechnet  grösser  ist,  als  der 
operierten.  Die  Röntgentherapie  verspricht  aber  bei  der 
eklatanten  Wirkung  auf  das  Karzinom,  ebenso  wie  die  Radium¬ 
behandlung  für  das  Korpuskarzinom  nach  ihrer  Vervoll¬ 
kommnung  die  operative  Therapie  zu  ersetzen,  wenn  nicht  zu 
überflügeln.  Das  Recht  des  Kindes  auf  Leben  hat  die 
chirurgische  Tätigkeit  in  der  Geburtshilfe  gezeitigt,  vaginaler 
und  abdomineller  Kaiserschnitt  traten  an  Stelle  der  Perforation 
des  Kindes.  Der  Dämmerschlaf  hat  die  geburtshilflichen 
Operationen  nach  Verf.  wesentlich  eingeschränkt.  Verf.  kommt 
zu  dem  Schlüsse,  dass  in  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie 
eine  Grenzverschiebung  zu  gunsten  der  nichtoperativen 


Therapie  stattgefunden  hat.  was  wiederum  nur  durch  die 
operative  Aera  geschehen  konnte,  welche  die  Vergleichmöglich¬ 
keiten  zwischen  Dauerresultaten  der  operativen  und  nicht 
operativen  Behandlung  gegeben  hat 

E  k  s  t  e  i  n  ,  Teplitz-Schönau. 

Prof.  Dr.  V.  Eller  m  a  n  n  ,  Kopenhagen.  Über  die 
Zeitdauer  der  Schwangerschaft  und  deren  Schwankungen. 

(Monatsschrift  f.  Geb.  u.  Gyn.  April  1916.) 

Über  die  mittlere  Dauer  der  Schwangerschaft  herrscht  so  ziem¬ 
lich  Einigkeit,  alle  Statistiken  zeitigen  als  Mittel  270  Tage,  nur 
über  die  Aussenwerte  nach  unten  und  oben  bestehen  grosse 
Meinungsverschiedenheiten.  In  Deutschland  und  Österreich 
wurde  in  den  Gesetzbüchern  als  bestimmte  Grenze  für  die 
Schwangerschaftsdauer  181  —  302  Tage  aufgenommen.  Auf 
Grund  einer  eigenen  Berechnung  basierend  auf  Statistiken 
einer  grossen  Zahl  von  Autoren  gelangt  Verf.  zu  folgenden 
Schlüssen:  Die  Durchschnittsabweichuug  ist  mit  10.1  Tage 
anzunehmen.  Die  Grenzen  für  die  Fälle  mit  einem  Kindesge¬ 
wicht  von  3 — 3,5  kg  sind  in  praxi  zu  230 — 310  Tage,  mit 
einem  Kindesgewicht  von  4  kg  und  darüber,  zu  238—318 
Tage  festzusetzen.  E  k  s  t  e  i  n  ,  Teplitz-Schönau. 

Dr.  Ludwig  F  u  h  r  m  a  n  u.  Über  Behandlung  des 
Puerperalfiebers.  (Monatsschrift  f.  Geb.  u.  Gyn.  April  1916.) 

Zwei  Millionen  Neugeborene  kosten  im  Deutschen  Reich 
jährlich  6000  mütterliche  Leben,  welche  das  Puerperalfieber 
hinwegrafft.  Der  Kettenkokkus  kann  diese  Infektion  verursachen, 
dieselbe  Infektion  kann  aber  nach  Verf.  ohne  jede  Schädigung 
für  die  Infizierte  abgehen  und  wie  Verf.  durch  seine  Unter¬ 
suchungen  an  2000  Frauen  nachweist,  beträgt  die  Zahl  der 
mit  streptokokkenfreiem  Vaginalsekret  Fiebernden  10%,  die 
Zahl  der  mit  im  Vaginalsekret  Streptokokken  führenden 
Fiebernden  bloss  9%.  Die  Hämolyse  ist  nach  Verf.  bei  der 
pureperalen  Infektion  ebensowenig  ausschliesslich  massgebend, 
wie  die  Bakterien  alle.  Wenn  auch  der  Streptococcus  septicus 
sehr  häufig  gefunden  wird,  so  sind  auch  Staphylokokken  und 
Bakterium  Coli  u.  a.  m.  gefunden  worden.  Trotz  der  Mannig¬ 
faltigkeit  der  Keime  ist  das  Krankheitsbild  der  Endometritis 
puerperalis  ein  gleichmässiges,  so  dass  sich  aus  dem  Obduktions¬ 
befund  auf  die  die  tödliche  Erkrankung  verursachenden  Mikro¬ 
organismen  keine  Schlüsse  ziehen  lassen.  Alle  diese  genannten 
Bakterien  müssen  demnach  ein  für  sie  selbst  unspezifisches, 
mit  gleichbleibender  Wirkung  für  den  Körper  versehenes  Gift 
produzieren,  wie  dies  die  parenteral  ein  verleibten  und  parenteral 
abgebauten  Eiweisse  imstande  sind.  Falls  dies  der  Fall  ist, 
dann  ist  auch  das  Fiasko  der  Serumtherapie  beim  Puerperal¬ 
fieber  erklärlich,  nachdem  keine  spezifische  Immunität  erzielt  werden 
kann.  Wird  aber  die  vorliegende  Infektion  durch  Abimpfung 
aus  dem  Endometrium  identifiziert,  so  kann  die  moderne 
Vakzinetherapie  zum  Ziele  führen,  was  vorläufig  erst  bei 
streng  lokalisierten  Infektionen  nachgewiesen  wurde.  Bei 
allgemeinem  Wochenbettfieber,  wo  Streptokokken  nachgewiesen 
wurden,  injiziert  Verf.  I  ccm  Streptokokkenvakzine  subkutan. 
Nach  dieser  Injektion  kann  eine  lokale  Reaktion,  Rötung, 
Schwellung,  Oeden  und  Schmerzhaftigkeit  an  der  Applikations¬ 
stelle  eintreten,  oder  eine  Allgemeinreaktion,  in  Form  einer 
Verschlimmerung  des  klinischen  Bildes.  Diese  Verschlimmerung, 
negative  Phase  genannt,  soll  prinzipiell  nicht  länger  als  12 — 24 
Stunden  dauern.  Dann  erst  darf  man  die  Injektion  in 
wesentlich  grösseren  Dosen  wiederholen,  Maximaldosen  sind 
noch  nicht  bestimmt.  Bleibt  die  Reaktion  aus,  so  ist  die 
negative  Phase  eben  schon  eingetreten,  dann  muss  der 
opsonische  Index  bestimmt  werden.  Nach  Verf.  scheitert 
in  einem  solchen  Falle  aber  die  Einführung  der  Vakzine¬ 
therapie  Theoretisch  weniger  bewiesen,  hat  sich  in  der  Praxis 
im  Gegensatz  zu  dieser  organischen  Theorie  die  An¬ 
wendung  der  anorganischen  Mittel,  des  löslichen,  metallischen 
Silbers,  als  Klysma  und  intravenös,  5  ccm  einer  2%  Lösung 
in  die  Vena  mediana  bewährt,  aber  ein  für  den  Praktiker 
nach  Verf.  wegen  Perforation  der  Vene  nicht  so  einfacher 
Eingriff.  Elektrargol  und  Fulmargin  sind  dem  Kollargol  nach 
Verf.  vorzuziehen.  Neben  der  Allgemeinbehandlung  sind 
antiseptische  Scheidenspülungen  vorzunehmen,  ferner  Tröpfchen¬ 
einläufe  mit  der  Martinschen  Kugel  mittels  dünnem  Nelaton- 
katheter  von  physiologischer  Kochsalzlösung,  welcher  Alkohol 


256 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  26. 


und  gezuckerter  schwarzer  Kaffee  zugesetzt  wird.  >  Ferner 
empfiehlt  \  etf  laue  bis  kühle  Ganzwaschungen  des  Körpers 
und  Mundspülungen  Falls  sterilisierte  Milch  nicht  vertragen 
wird,  sind  Nährklysmen  zu  machen.  Um  das  Tropfklystier 
auch  als  Nährklystier  zu  verwenden,  empfiehlt  Verf.  das 
Erepton  als  Zusatz,  das  sich  im  Wasser  leicht  löst. 

E  k  s  t  e  i  n  ,  Teplitz-Schönau. 


Bei  der  echten,  essentiellen,  genuinen  Epilepsie  liegt 
dagegen  ohne  anatomisches  Substrat  die  schon  charakterisierte, 
aus  dem  gestörten  Gesamtstoffwechsel  sich  herleitende,  also  I 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

G.  C.  Bolten.  (Haag-Holl.)  Die  Erklärung  der  Er¬ 
scheinungen  bei  Epilepsie.  (D.  Ztschr.  für  Nervenheilkunde, 
Bd.  52,  H.  1  /2.) 

Unter  dem  Sammelbegriff  „Epilepsie“  werden  Krankheits¬ 
zustände  verschiedenster  Ätiologie  zusammengefasst,  lediglich, 
weil  die  gemeinsame  Erscheinung  des  „Anfalles“  den  Eindruck 
klinischei  Gleichheit  hervorruft,  ähnlich  wie  bei  Diabetes  mellitus, 
der  nach  dem  Symptom,  nicht  nach  seinen  mehrfachen  Ur- 
sachen  benannt  ist.  Aus  dieser  heterogenen  Sammlung  sind 
alle  Zustände  mit  organischer,  anatomischer  Grundlage  auszu* 
schalten,  wie  Hydrocephalus  internus,  tuberöse  Sklerose,  Syphilis 
des  zentralen  Nervensystems  (Lues  hereditaria,  Paralyse, 
Lues  cerebri,  Meningoencephalitis  luetica),  Porencephalie, 
cerebrale  Kinderlähmung,  toxämische  Epilepsie  (Alkohol,  Nicotin, 
Blei,  Absinth,  Iribromkampfer),  traumatische  Epilepsie,  senile 
Epilepsie  (Gefässveränderungen),  Aflektepilepsie,  Gehirntumoren. 

Es  bleibt  dann  die  immer  noch  grosse  Gruppe  der  „ge¬ 
nuinen  Epilepsie.  Sie  teilt  sich  wieder  in  die  essentielle 
„echte“,  und  die  „symptomatische“  oder  „cerebrale“,  welch 
letztere  infolge  diffuser  Rindenentzündung  entsteht.  Stösst  man 
auch  diese,  als  auf  organisch-anatomischen  Veränderungen  be¬ 
ruhende  Form  ab,  so  bleibt  als  Rest  einzig  die  essentielle 
genuine  Epilepsie  übrig. 

»D  iese  ist  eine  Stoff  w  e"c  hselkrankheit, 
und  beruht  auf  chronischer  Vergiftuu0- 
sowohl  durch  S  t  o  f  f  w  e  c  h  s  e  l  p  r&o  d  u  k  t  °e 
unserer  Zellen  wie  durch  Abbau  p  r  odukte 
unserer  Nahrjungsstoffe,  u.  zw.  durch  ver¬ 
minderte  Abscheidung  von  Fermenten 
des  tr actus  intestinalis  und  des  intermediären 
S  t  o  f  f  w  e  c  h  s  e  1  s  und  dies  wieder  als  Folge  von 
Hypofuuktion  der  5  'S  c  h  i  Ud  d  r  ü  s  e  u  n*d  d  e  r 
Nebenschilddrüsen.“ 

Rein  klinische  Untersuchungsmethoden  versagen  beim 
Versuch,  cerebrale  und  essentielle  Epilepsie  zu  unterscheiden  : 
Liquor- Untersuchungen  auf  if  Überdruck,  Helligkeit,  zellige 
Elemente,  Eiweissgehalt  ergaben  keine  Unterschiede,  epileptischer 
Charakter,  Linkshändigkeit,  kombinierte  Blick-  und  Gesichts¬ 
wendung  im  Anfall  finden  sich  bei  beiden,  Stauungspapille 
dagegen  spricht  mehr  für  cerebrale  Form,  aphasische  Störungen 
und  Babinski’s  Phänomen  haben  nur  beschränkten  differential¬ 
diagnostischen  Wert.  Nur  die  genaueste  Anamnese  auf  kindliche 
Zuckungen,  Krämpfe,  „Fraisen“,  als  Ausdruck  frühjugendlicher 
Meningoencephalitis  sichert  vielfach  die  Unterscheidung.  Als 
symptomatisch  cerebrale  Formen  müssen  daher  auch  alle  nach 
Infektionskrankheiten  auftretenden  Epilepsien  aufgefasst  werden 
(Pneumonie,  Typhus,  Malaria,  Influenza,  Kinderkrankheiten, 
wie  Scharlach,  Pertussis,  Morbilli,  letztere,  selbst  wenn  4—5 
Jahre  seit  der  Erkrankung  bis  zum  ersten  Anfall  verstrichen 
sind!).  Einwandfreie  Klarlegung,  ob  cerebrale  oder  essentielle 
Form  vorliegt,  gibt  bloss  die  —  allerdings  unerwünschte  — 
Autopsie.  Der  Umstand  aber,  dass  beide  Arten  nicht  streng 
getrennt  gehalten  werden,  hat  in  die  ätiologische  Forschung 
der  Epilepsie  grosse  Verwirrung  gebracht. 

Bei  der  cerebralen,  symptomatischen  Form  sind  es  in 
frühester  Jugend  einsetzende  entzündliche  Verdickungen  und 
Verwachsungen  der  Meningen,  Ausgedehntheit,  Verbreitung 
und  Grösse  der  encephalitischen  Herde,  welche  die  Hirnrinde 
reizen  bezw.  die  Abfuhr  ihrer  Lymphe  und  des  venösen  Blutes 
so  behindern,  dass  Rindenvergiftung  durch  Retention  von 
Stoff  Wechselprodukten  eintritt,  und  dass  bei  bestimmter  Span¬ 
nung  der  Giftladung  durch  den  „Anfall“  eine  periodische  Ent¬ 
giftung  stattfindet. 


nicht  lokalbedingte,  Vergiftung  vor. 

Beweisend  hierfür  ist  nach  Boltens  überaus  interessanten 
Untersuchungen,  dass  die  rektale  Einverleibung  von  Press- 
saft  frischer  Schilddrüsen  ein  promptes 
Sistieren  der  Anfälle  zeitigte.  Dabei  waren  —  im  Gegensätze 
zu  der  abmagernden  und  herzbeschleunigenden  Wirkung 
künstlicher  Schiddrüsenpräparate  nie¬ 
mals  üble  Folgen  bemerkbar,  woraus  Bolten  zu  schliessen 
geneigt  ist,  dass  sämtliche  künstlichen  Schilddrüsenpräparate 
nicht  der  physilogischen  Schilddrüsenfunktion  gleichkommen. 

Die  Annahme  einer  Hypofunktion  der  Schilddrüse  und 
der  Epithelkörperchen  als  Ursache  der  essentiellen  genuinen 
Epilepsie  führt  nun  zu  folgenden  Überlegungen  : 

1.  Da  die  Schilddrüse  accelerierend  auf  den  Stoffwechsel 
wirkt,  ist  bei  Hypofunktion  Herabsetzung  des  Eiweiss-,  Fett- 
und  Salzstoffwechsels  gegeben,  desgleichen  des  Kohlehydratstoff¬ 
wechsels. 

2.  Die  sympathikusreizende  Wirkung  der  Schilddrüse 
bedingt  ferner,  dass  bei  Hypofunktion  trophische  Störungen, 
verlangsamte  Darmbewegung  und  verzögerte  Zirkulation  auf- 
tritt,  mithin  auch  C02-Überladung. 

3.  Die  Schilddrüse  beeinflusst  weiterhin  die  Abscheidung 
von  Fermenten,  wie  Katalase,  Phylokatalase  und  Nuclease. 

( Katalase,  in  allen  Organen  und  Geweben,  auch 
Reduktase  genannt,  zerlegt  H202  in  H20  und  0,  scheint 
demnach  O-Überträger  zu  sein.  —  Phylokatalase,  im 
Gehirn,  Muskel  und  Blutserum  reichlich,  scheint  inaktive 
Katalase  zu  reaktivieren.  —  Nuclease,  eigentlich  eine 
Gruppe  von  Fermenten  im  Gebiete  des  Eiweissstoff¬ 
wechsels,  spaltet  Nucleiusäure  in  Purinbasen  und 
Phosphorsäure.  Reichlich  vorhanden  in  den  Nieren, 
Testikeln,  der  Leber,  Milz  und  im  Gehirn,  spärlich  im 
Blut.) 

4.  Die  Schilddrüse  wirkt  accelerierend  auf  Peroxydase 
und  Lipase. 

(Peroxydasen  sind  eine  Fermentgruppe,  die  bei  An¬ 
wesenheit  von  H2  02  oxydierend  wirken,  z.  B.  auf 
Thyrosin.  —  Lipase  ist  ein  Pankreasferment,  das 
mit  Hilfe  der  Fette  in  Fettsäure  und  Glyzerin 
spaltet. — ) 

Der  Einfluss  der  Schilddrüse  auf  die  Darmfermente  und 
die  Fermente  des  intermediären  Stoffwechsels  ist  daher  ein  sehr 


grosser. 

Unzureichende  Fermentation  im  Falle  gestörter 
Schilddrüsen  funktion  führt  deshalb  zu  Störun¬ 
gen  im  Eiweissabbau,  bei  dem  toxischwirkende  Zwischen¬ 
produkte,  z.  B.  Aminosäuren,  sich  bilden.  Umgekehrt  aber 
führt  Schilddrüsen  fütterung  zu  einer  Steigerung  der 
Darmsaftsekretion.  Die  Schilddrüse  unterhält  mithin  einen  ge¬ 
wissen  Tonus  im  sympathischen  System  und  reguliert  die  Fer- 
menfabscheidung:. 

Ist  diese  Funktion  unzureichend  (angeborene  Störungen 
im  Ganglion  infirmum  nervi  sympathici  oder  aus  cerebralen, 
zentralen  Gründen?),  so  mindert  sich  der  Tonus  des  Sympa¬ 
thikus,  die  Darmbewegungen  verlangsamen,  die  Abscheidungen 
werden  ungenügend,  der  Lungengaswechsel  sinkt,  kurz  der 
Haushalt  des  Organismus  ist  gestört,  indem  der  Abbau  in 
unschädliche,  assimilierbare  Endprodukte  fehlt,  andererseits 
werden  auch  körpereigene  Stoffwechselprodukte  nicht 
unschädlich  gemacht:  es  kommt  zur  Intoxikation. 

5.  Für  die  Epithelkörperchen,  deren  in  die  Zirkulation 
gelangende  Stoffe  gänzlich  unbekannt  sind,  ist  der  Zusammen¬ 
hang  mit  Jetanie  bekannt,  indem  durch  Entfernung  dieser 
glandulae  parathyreoideae  ernste  Stoffwechselstörungen  mit  den 
Symptomen  der  Tetanie  auftreten.  Es  soll  sich  dabei  um 
Produkte  mit  Säurecharakter  handeln,  also  um  Azidose  des 
Blutes  auf  Grund  gestörter  Leberfunktion.  Nun  wird  bei 
experimenteller  Entfernung  der  Körperchen  gleichzeitig,  wahr¬ 
scheinlich  infolge  Läsion  der  Schilddrüsennerven,  auch  die 
Schilddrüse  selbst  geschädigt;  als  Folge  tritt  sodann  sowohl 
flpilepsie  wie  Tetanie  zugleich  auf. 

Diese  iatsachen  des  Expeiiments  bezw.  der  postoperativen 


Nr.  26. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


25  7 


Beobachtung  im  Verein  damit,  dass  Presssaft  frischer  Schild¬ 
drüsen  und  Nebenschilddrüsen,  rektal  gegeben,  günstige  Dauer¬ 
resultate  ersehen  liess,  gestattet  den  Schluss,  dass  Epilepsie 
auf  Insuffizienz  der  Schilddrüse  und  Nebenschilddrüsen  beruhen 
muss.  Bei  der  genuinen  Form  handelt  es  sich  um  angeborene 
Minderwertigkeit  dieser  Drüsen,  bei  der  postoperativen  dagegen 
um  artefizielle  Insuffizienz. 

Die  auf  dieser  Basis  gebildeten  toxischen  Stoffe  finden  in 
der  Hirnrinde  eine  grössere  Affinität  als  in  anderen  Organen; 
es  kommt  zu  reichlicher  Retention,  Höchstspannung  und  schliess¬ 
lich  zur  Entladung  im  periodischen  Anfall,  der  durch  die  mit  ihm 
verknüpfte  Erhöhung  der  Herztätigkeit,  Blutdrucksteigerung, 
durch  Atemvertiefung,  Schweisssekretion  und  Polyurie  die  Gifte 
aus  dem  Körper  entfernt  und  sofortiges  Wohlbefinden  schafft, 
bis  neuerliche  Ladung  den  alten  unerträglichen  Spannungszustand 
wieder  herbeiführt 

Die  Erklärung  des  Auftretens  der  genuinen  Epilepsie  ge¬ 
wöhnlich  und  mit  Vorzug  zur  Zeit  der  Pubertät  ist  darin  zu 
suchen,  dass  eben  um  diese  Zeit  die  mit  dem  Körperwachstum 
als  „Regulatoren**  innig  zusammenhängenden  3  Drüsen,  Schild¬ 
drüse,  Hypophyse  und  Thymus,  eine  physiologische  Involution 
erfahren.  Für  die  beiden  letzteren  Drüsen  ist  die  Rückbildung 
nach  Erfüllung  der  Aufgabe  sicher  erwiesen,  für  die  Schild¬ 
drüse  aber  zum  mindesten  in  der  Art  einer  Funktionsreduktion 
wahrscheinlich.  Ist  die  Thyreoidea  aber  schon  a  priori 
minderwertig  angelegt,  so  wird  die  physiologische  Rückbildung 
in  der  Pubertät  das  zulässige  Normalmass  überschreiten  und 
dauernde  Hypofunktion  zur  Folge  haben,  i.  e.  Stoff wechsel- 
intoxikation. 

Im  Gegensatz  hierzu  tritt  die  cerebrale  Epilepsie  vor¬ 
wiegend  in  der  Zeit  vor  der  Pubertät  schon  auf :  die  bereits 
in  frühester  Jugend  einsetzenden  entzündlichen  Prozesse  in 
Meningen  und  Hirnrinde  schreiten  rasch  vor  und  bedingen  iu 
der  skizzierten  Weise  die  baldige  Intoxikation  und  epileptischen 
Insulte  durch  mangelhafte  Abfuhrmöglichkeit  der  Stoffwechsel¬ 
produkte  des  Gehirns  auf  den  beeinträchtigten  Blut-  und 
Lymphbahnen. 

Man  kann  daher  hinsichtlich  der  Anfälle  sagen:  „Bei 
genuiner  Epilepsie  sind  die  Produkte  des  gesamten  Stoffwechsels, 
bei  der  cerebralen  Epilepsie  dagegen  sind  es  die  nicht  hin¬ 
reichend  abgeführten  Stoffwechselprodukte  der  Hirnrinde  selbst, 
welche  die  Intoxikation  verursachen“. 

Ein  weiterer,  wichtiger  Schluss  ist  folgender:  Da  die 
cerebrale  Epilepsie,  um  gleich  der  genuinen,  aus  dem  gesamten 
Stoffwechsel  schöpfenden,  die  für  den  Anfall  nötige  Toxin¬ 
menge  allein  durch  zirkulatorisclie  Hemm¬ 
nisse  aufzubringen,  eine  sehr  erhebliche  Ausdehnung  der 
entzündlichen  Rinden  Veränderungen  zur  notwendigen  Voraus¬ 
setzung  habeu  muss,  so  ergibt  sich,  dass  cerebrale  Epileptiker 
weit  schneller  als  genuine  infolge  Schädigung  der  nervösen 
Elemente  dement  werden.  Viernstein  -  Kaisheim. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

K  u  n  e  r  t  (Breslau).  Weissbrot  oder  Vollkornbrot? 

(Zeitschr.  f.  physikal.  und  diätet.  Therapie  XX.  1916.  1.  Heft. 
Seite  15/24.) 

Es  gibt  Naturen,  für  die  die  Meinung  des  augenblicklichen 
Professors  verbindlich  ist,  und  andere,  die  daneben  noch  die 
eigenen  Augen  aufmachen  und  das  eigene  Gehirn  funktionieren 
lassen.  Solche  Leute  stehen  den  gerade  herrschenden  Lehren 
skeptisch  gegenüber  und  legen  kühn  die  Sonde  der  Kritik  an  sie  an. 
Ein  interessantes  Beispiel,  dass  der  wahre  Fortschritt  weniger 
im  Entdecken  neuer  Tatsachen  als  im  Wegräumen  von  Irr- 
tümern  besteht,  bietet  die  Brotfrage.  Es  ist  ja  ohne  weiteres 
einleuchtend,  dass  das  Brot,  welches  unsere  Vorfahren  kräftig 
erhalten  hat,  dem  menschlichen  Organismus  zuträglich  sein 
muss.  Allein  dann  kam  die  verhängnisvolle  Kalorien-Physio- 
logie  und  setzte  die  Eiweisskörper,  Kohlehydrate  und  Fette 
auf  den  Thron.  So  kam  man  dazu,  das  Brot  immer  feiner, 
und  die  übrige  Nahrung  immer  „aufgeschlossener"  d.  h 
breiartiger  zu  gestalten,  und  war  von  der  Vortrefflichkeit 
dieser  Deduktionen  so  überzeugt,  dass  man  die  zunehmende 


Zahnfäule  und  die  immer  zarter  werdenden  Konstitutionen  gar 
nicht  bemerkte. 

Nun  haben  einige  normal  denkende  Männer  ihre  Stimme 
erhoben  und  tun  dar,  dass  das  alte  Vollkornbrot  eben  doch 
besser  war  als  das  weisse  Weizenmehlbrot.  Allein  Irrtümer 
haben  das  Fatale  an  sich,  dass  sie  gar  fest  sitzen,  und  so 
sehen  wir  uns  mitten  in  einem  Kampf  zwischen  naturgemässer 
und  wissenschaftlicher  Ernährung:. 

Ein  Zweifel,  auf  welcher  Seite  das  Richtige  liegt,  ist 
kaum  möglich.  Um  so  interessanter  ist  es,  den  Streit  zu  ver¬ 
folgen.  Man  erkennt  daraus,  dass  dies  Wort  von  der  „sieg¬ 
reichen"  Wahrheit  nicht  immer  gilt.  Ein  genaueres  Studium 
dieses  Streites  zeigt  in  instruktiver  Weise  die  Faktoren,  welche 
den  Irrtum  gebracht  haben  und  diejenigen,  die  nun  an  ihm 
festhalten,  und  so  wird  der  Streit  um  das  Brot  zu  einem 
Schulbeispiel  für  Fort-  und  Rückschritte  in  Kultur  und 
Wissenschaft.  Buttersack. 

G.  Schröder-Schöneberg.  Grundsätze  der 
Ernährung  Tuberkulöser  mit  bes.  Berücksichtigung  der 
Kriegszeit.  (Internat.  Centr.  Bl.  f.  d.  ges.  Tuberk.  Forschg., 
1915/XII.) 

Die  Sonderstellung  Tuberkulöser  in  der  Ernährung  wird 
in  der  gegenwärtigen  Zeit  der  „ernährungstechnischen  Vor¬ 
schriften“  leider  nicht  hervorgehoben. 

Bei  den  meisten  Kranken  besteht  Unterernährung  infolge 
toxischen  Einweisszerfalles.  Daher  hat  der  Tuberkulöse  „mehr 
Eiweiss  nötig  als  der  arbeitende  Gesunde“,  ausserdem  auch 
reichlich  Fett  und  Kohlehydrate,  um  den  Eiweissverlust  zu 
mindern.  Als  Kostmass  hat  zu  gelten:  150  — 180  Eiweiss, 
200 — 250Fett,500 — 550  Kohlehydrate  —  4585 — 5395  Kalorien, 
also  mehr,  als  von  Noorden  für  eine  Mastkur  fordert  (3580 — 
4645  Kalorien). 

Fett  ist  am  wichtigsten,  was  auch  empirisch 
längst  erwiesen  ist.  Von  ihm  ist  dem  Tuberkulösen  täglich 
zu  sichern:  1  Liter  Vollmilch,  100  g  durch  Butter,  Schmalz 
oder  Speck,  auch  durch  Käse,  ferner  durch  Nüsse,  welche 
stark  ölhaltig  sind,  durch  die  fettführende  Sojabohne,  und  durch 
Lebertran. 

Der  fehlende  Rest  ist  durch  Kohlehydrate  zu  ersetzen,  wo¬ 
bei  jedoch  vorsichtig  jede  Darmbelastung  zu  meiden  ist;  Frucht¬ 
gelees,  Dörrobst,  Honig,  leichte  Mehlspeisen,  Teigwaren  sind  zu 
wählen,  ferner  Leguminosen,  Kartoffel,  sogar  Kriegsbrot. 
Letzteres  ist  gut  zu  kauen,  und  wirkt  durch  diesen  Zwang  sogar 
erzieherisch  auf  den  Kranken,  alle  Nahrung  sorgfältig  zu 
zerkleinern. 

Fleisch  lässt  sich  einschränken.  Fische 
sind  wertvoll,  Eier  wenig  nötig.  Mehlspeisen,  Leguminosen, 
Brot,  spenden  Eiweiss.  Gelatine  spart  Eiweiss :  Kalbsknochen¬ 
schleimsuppen,  Fleischgelees. 

In  Württemberg  wurden  Heilstätte  nin- 
sassen  sehr  richtig  von  der  Einhaltung  der 
fleisch  -  und  fettlosen  Tage  dispensiert,  ein 
nachahme nsnotwendiger  V  organg. 

Höchst  bedeutsam  ist  die  jetzige  Verwendung  des  Tierblutes 
in  der  Volksernähruug.  Solche  Präparate  von  Wert  sind: 
Bovisan,  Sanol,  Carnalbin  der  Fleischersatzzentrale  Charlotten¬ 
burg. 

Unnütze  Ausgaben  für  Nährpräparate  sind  zu  sparen; 
man  kommt  mit  gemischter  Kost  von  geschilderter  Zusammen- 
setzimg  zumeist  aus. 

Bei  Tuberkulösen  gilt  ganz  besonders  der  Satz :  „qui  bene 
nutrit,  bene  curat“.  Viernstein  -  Kaisheim. 

Sternberg,  Wilh.  (Berlin).  Vorschlag  zur  Begrün¬ 
dung  eines  wissenschaftlichen  Zentralinstituts  für  kulinarische 
Technologie.  (Zeitschr.  f.  physik.  und  diätet.  Therapie  XX. 
1916.  2.  Heft.  Seite  37/51.) 

Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen  gibt  noch  keine 
Musik,  und  die  Lehre  von  den  Kalorienbedürfnissen  und 
dem  Kalorienwert  der  einzelnen  Nahrungsmittel  noch  keine 
Ernährung.  Hier  wie  dort  müssen  in  einer  Kompositionslehre 
die  verschiedenen  objektiven  und  subjektiven  Momente  zu¬ 
sammengefasst  werden,  vor  allem  auch  der  zeitlich  und  räumlich 
wechselnde  Geschmack. 

Der  Titel  sagt,  was  Sternberg  anstrebt:  eine  Verbindung 


258 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  26. 


der  Ernährungslehre,  wie  sie  dermalen  offiziell  au  den  Hoch¬ 
schulen  gelehrt  wird,  mit  den  zahlreichen,  bereits  existierenden 
technologischen  Spezialinstituten  für  Getreideverarbeitung, 
Zuckerindustrie,  Gärungstechnik,  Weinbau,  Obst-  und  Gemüse¬ 
bau,  Fischzucht,  Bienenzucht,  Konservierungstechnik,  Hotel- 
und  Küchenwesen  usw. 

Man  kann  es  dem  emsigen  Verfasser  nachfühlen,  dass  es 
ihn  schmerzt,  mit  seinen  Bestrebungen,  deren  Richtigkeit  eiu- 
leuchtet.  nicht  von  der  Allgemeinheit  anerkannt  zu  sein. 
Daraus  ergeben  sich  manche  polemische  Seitenhiebe  auf  Ein¬ 
richtungen  und  Personen,  welche  den  Genuss  des  höchst 
interessanten  Aufsatzes,  um  im  Bilde  zu  bleiben,  vielleicht  dem 
einen  oder  anderen  verpfeffern.  Aber  das  ist  immer  so  ge¬ 
wesen  :  Richtige  Gedanken  brauchen  immer  lange  Zeit,  ehe  sie 
angenommen  werden,  während  schillernde  Irrtümer  sofort  Bei¬ 
fall  finden.  Diese  Tatsache  ist  beinahe  als  differentialdia¬ 
gnostisches  Moment  zur  Bewertung  neuauftretender  Ideen  zu 
verwenden.  Buttersack. 

G  1  a  x  Jul.  (Abbazia).  Die  Balneotherapie  als  Heilfaktor 
bei  Kriegsverletzungen  und  -Erkrankungen.  (Zeitschrift  für 
physikal.  und  diätet.  Therapie  XX.  1916.  1.  Heft,  Seite  19.) 

Verf.  bespricht  die  verschiedenen  Kriegsschädiguugen  und 
die  dafür  in  Betracht  kommenden  deutschen  und  österreichisch¬ 
ungarischen  Kurorte.  Seine  Hinweise  und  Abwägungen  der 
Indikationen  für  die  einzelnen  Kurorte  sind  nicht  allein  an 
sich  lehrreich,  sondern  enthalten  auch,  nebenbei  eingestreut, 
eine  Menge  wertvoller  physiologischer  Bemerkungen. 

Buttersack. 

üisque  (Potsdam).  Elektrische  Behandlung  mit 
Metronom-Unterbrecher  und  lokale  Diathermie  bei  Schuss¬ 
verletzungen  in  der  ärztlichen  Praxis.  (Zeitschr.  f.  physikal. 
und  diätet.  Therapie.  XX.  1916.  1.  Heft.  Seite  12/14.) 

Durch  Einschaltung  eines  auf  Largo  oder  Andante  ein¬ 
gestellten  Metronoms  in  einen  elektrischen  Strom  erhält  man 
intensive,  nicht  zu  schmerzhafte  Muskelkontraktionen.  Auch 
bei  den  Nagelschmidt-Bergonie-Apparaten  ist  diese  Modifikation 
angebracht. 

Die  Diathermie  erscheint  dem  Verf.  als  allen  anderen 
Hitzeprozeduren  überlegen.  Butte  rs  ack. 


Allgemeines. 

Ein  Bild  vielseitiger  praktischer  Wohlfahrtsarbeit  während 
des  Krieges  entrollt  der  8.  Geschäfts-  und  2.  Kriegsbericht 
des  Berliner-Frauenvereines  gegen  den  Alkoholismus.  Der 
Verein  betrieb  5  Erfrischungshallen,  4  Erfrischungsräume  in 
Gerichtsgebäuden,  5  Erfrischuugskarren,  eine  Erfrischungshalle 
auf  dern  städtischen  Spielplatz  in  Charlottenburg- Westend 
und  die  Städtische  Wärmehalle  in  Charlotten  bürg,  ausserdem 

2  vorübergehende  Erfrischungsstellen.  Trotz  der  mancherlei 
Gegenwartsschwierigkeiten  wurden  doch  fast  778000  Portionen 
(alkoholfreie  Getränke  wie  Milch,  Kaffee  usw.  und  kleine 
Speisen)  verkauft.  Grossen  Anklang  fand  die  Einführung  von 
Limonaden  aus  frischen  Fruchtsäften.  Die  Fürsorgestelle  für 
Alkoholkranke  betreute  mit  962  Hausbesuchen  1 1 8  Personen 
(53  M.,  65  Fr.),  von  denen  27  enthaltsam  wurden.  Von  den 
8  Enthaltsamen,  welche  ins  Feld  zogen,  wurden  3  befördert, 

3  erhielten  das  Eiserne  Kreuz.  Von  den  eingezogenen  17 
Trinkern  wurde  einer  befördert,  keiner  ausgezeichnet.  Eine 
Reihe  von  Elternabenden  und  Vorträgen  dienten  grösstenteils 
der  Aufklärung  über  Volksernährung  und  über  Verantwort¬ 
lichkeit  der  deutschen  Frau  im  Kriege.  Kriegsnöte  suchten 
auch  die  mancherlei  Eingaben  an  Behörden  zu  beheben. 
Gemeinsam  mit  dem  gemeinnützigen  Verein  für  .Milchausschank 
wurde  wieder  weitere  umfangreiche  Kriegsarbeit  geleistet.  282 
Kisten  mit  Liebesgaben  im  Wert  von  rund  79  000  Mk.  wurden 
bisher  ins  Feld  gesandt,  zugleich  70  000  Flugblätter  und 
Schriften  verbreitet.  Die  hinausgesandten  Wollwaren  wurde» 
grossenteils  durch  etwa  40  Heimarbeiterinnen  hergestellt,  welche 
seit  November  1914  fast  5  200  Mk.  an  Arbeitslohn  damit  ver¬ 
dienten.  Heimatliche  Not  anderer  Art  suchte  das  Abendheim 
für  Frauen  und  Mädchen  zu  lindern,  das  mit  wirksamer  Unter¬ 
stützung  der  Stadt  im  hohen  Norden  von  Berlin  eröffnet  wurde, 


1  als  Petroleum  knapp  und  Feuerung  teurer  wurde.  Bald  gliederte 
sich  dem  Heim  eine  Fürsorge  (Behütung  und  Beschäftigung) 
für  Knaben  und  Mädchen  an.  Man  hofft,  das  Abendheim 
bis  zum  Friedensschluss  fortführen  zu  können,  ebenso  die 
Verpflegung  von  Verwundeten  auf  einem  Bahnhof.  (Der 
Jahresbericht  ist  kostenlos  von  der  Geschäftsstelle  des  Vereines, 
Berlin -Grunewald,  Orberstr.  1,  zu  beziehen.) 


Bücherschau. 

Dietz.  Planmässige  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in 
in  einer  stark  verseuchten  Landgemeinde.  (Zeitschrift  für 
Tuberkulose,  Bd.  25,  Heft  4,  1916.  Sonderdr.) 

In  der  Zeitschrift  für  Tuberkulose  Baud  21,  Heft  6  hat 
der  um  die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  so  hochverdiente 
Verfasser  bereits  kurz  die  Massnahmen  geschildert,  die  er  in 
der  Landgemeinde  Heubach  zur  planraässigen  Bekämpfung  der 
Tuberkulose  getroffen  hat. 

In  der  vorliegenden  Arbeit  wird  über  die  bisherigen, 
recht  viel  versprechenden  Resultate,  und  über  neu  eingerichtete 
Massnahmen  gesprochen.  Insbesondere  verdient  hier  die  Für¬ 
sorge  für  die  Kinder  vom  Säuglings-  bis  zum  schulpflichtigen 
Alter  besondere  Erwähnung.  Diese  Kinder  wurden  der  Auf¬ 
sicht  einer  Kindergärtnerin  unterstellt,  im  Winter  wurde  ein 
grosser  Saal  im  Rathaus  benutzt,  ebenso  bei  schlechtem 
Wetter,  während  bei  günstigem  Wetter  auf  luftiger 
Höhe  ein  grosser  Platz  im  Freien  mit  gedeckter  Halle, 
Plantschbad  und  verschiedenen  Spielen  zur  Verfügung 
stehen. 

Infolge  dieser  Massnahmen  und  der  allgemeinen  Sanierung 
des  Ortes  haben  sich  die  Gesund heitsverhältnisse,  namentlich 
der  Jugend,  schon  wesentlich  gebessert.  Schulversäumnisse 
kamen  viel  weniger  als  in  früheren  Jahren  vor.  Im  Jahre 
1914  herrschte  in  Heubach  nacheinander  Scharlach,  Masern, 
Diphtherie,  Keuchhusten  und  Lungenentzündung.  Alle  diese 
Krankheiten  wurden  gut  und  ohne  bleibende  Nachteile  über¬ 
standen.  Es  war  kein  einziger  Todesfall  zu  verzeichnen. 

R. 

G  e  r  h  a  r  t  z.  Die  Abgrenzung  der  Lungentuberkulose¬ 
formen  nach  klinischen,  hauptsächlich  röntgenologischen 
Zeichen.  (Mit  29  Abbildungen  im  Text.  Würzburg,  Verlag 
von  Kurt  Kabitzsch,  1916,  Preis  0,90  Mk.) 

Bei  der  Diagnostik  innerer  Erkrankungen,  vor  allem  Er¬ 
krankungen  der  Lunge,  wird  das  Röntgenverfahren  immer  noch 
viel  zu  wenig  angewandt.  Ist  doch  die  moderne  Technik  imstande 
zur  Klärung  mancher  dunkler  Fälle  wesentlich  beizutragen, 
und  auch  in  diagnostisch  einfachen  Fällen,  über  Ausdehnung 
und  Art  des  Krankheitsprozesses  wichtige  Fingerzeige  zu  geben. 
Selbstverständlich  ist  das  Röntgenverfahren  nicht  das 
diagnostische  Mittel,  sondern  e  i  n  diagnostisches  Mittel  zur  Er¬ 
kennung  der  Lungenerkrankungen.  Es  bedarf  die  Röntgen¬ 
untersuchung  stets  die  Kontrolle  durch  die  altbewährten 
klinischen  Untersuchungsmethoden.  Vielfach  aber  ergeben  sich  bei 
der  Röntgenuntersuchung  Veränderungen  im  Bereich  der  Lunge, 
die  klinisch  wenig  oder  gar  keine  Erscheinungen  machten, 
Und  jeder  erfahrenere  Röntgenologe  wird  schon  längst  die 
alte  Stadieneinteilung  über  Bord  geworfen  haben. 

An  ihre  Stelle  eine  wohl  charakterisierte  hauptsächlich 
auf  röntgenologischer  Untersuchung  basierende  Einteilung  bei 
Lungentuberkulosen  angebahnt  zu  haben,  ist  ein  grosses  Ver¬ 
dienst  des  Autors.  Er  zeichnet  in  klarer  Weise  und  in 
prägnanter  Kürze  die  Hauptformen,  wie  man  sie  bei  der  Rönt¬ 
genuntersuchung  immer  wieder  findet. 

Dem  Schriftchen  ist  weite  Verbreitung,  nicht  nur  bei  den 
Röntgenologen,  sondern  auch  bei  den  praktischen  Aerzten  dringend 
zu  wünschen.  Es  dient  dazu  auf  diesem  wichtigen  Gebiet  ein 
weiteres  Zusammenarbeitendes  Praktikers  mit  dem  Röutgenologen 
anzuregen,  und  das  gegenseitige  Verständnis  zu  fördern. 

R. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/1Ö. 


Tortschritte  der  Ihedizin. 


L  Brauer, 

Hamburg 


Unter  mitwirkung  hervorragender  facbmänner 

iierausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


(i.  Köster, 

Leipzig. 


Nr,  27 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 
Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  Juni. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Aus  dem  Sanatorium  für  Lungenkranke  in  St. 
Blasien.  (Leitender  Arzt:  Privatdozent  Dr.  Adolf 
B  a  c  m  e  i  s  t  e  r.) 

Die  Röntgentherapie  der  Lungentuberkulose. 

Von  Dr.  Edmund  Issel,  Assistenzarzt. 

Die  ersten  Versuche,  mit  Hilfe  der  Röntgenstrahlen 
heilend  auf  tiefliegende,  tuberkulöse  Gewebe  einzuwir¬ 
ken,  datieren  nunmehr  schon  20  Jahre  zurück.  Wenn 
die  damals  erzielten  Erfolge  zunächst  den  gehegten  Er¬ 
wartungen  nicht  entsprachen,  so  war  daran  hauptsäch¬ 
lich  die  noch  mangelhafte  Bestrahlungstechnik  schuld, 
die  es  nicht  erlaubte,  grössere  Mengen  strahlender 
Energie  ohne  Schädigung  der  oberflächlichen  Gewebe 
in  die  Tiefe  zu  schicken.  Im  Jahre  1896  stellten 
L  o  r  t  e  t  und  G  e  n  o  u  d  ,  ein  Jahr  später  Be  rgonie 
und  T  e  i  s  s  i  e  r  die  ersten  experimentellen  Versuche 
über  den  Einfluss  der  Röntgenstrahlen  auf  tuberkulös 
infizierte  Meerschweinchen  an.  Mikroskopische  Unter¬ 
suchungen  wurden  nicht  vorgenommen,  sondern  die 
Autoren  achteten  nur  auf  die  makroskopischen  Ver¬ 
änderungen,  welche  die  bestrahlten  Tiere  den  nichtbe- 
strahlten  gegenüber  aufwiesen,  und  auf  die  entsprechende 
Lebensdauer  der  Tiere.  Es  fiel  ihnen  eine  deutliche 
Sklerosierung  der  Pleurablätter  und  des  Peritoneums 
als  Folge  der  Röntgenwirkung  auf,  die  aut  eine  ge¬ 
steigerte  Heilungstendenz  der  tuberkulösen  Prozesse  hin¬ 
zudeuten  schien.  Da  man  aber  eine  zu  weitgehende 
Sklerosierung  bei  der  tuberkulösen  Lunge  befürchtete, 
so  riet  man  von  der  Behandlung  der  Lungentuber¬ 
kulose  mit  Röntgenstrahlen  ab.  Die  wenigen  damals 
mit  Röntgenstrahlen  behandelten  Fälle  von  Lungentuber¬ 
kulose  beim  Menschen  zeigten  keine  derartigen  Erfolge, 
dass  das  Verfahren  für  die  menschliche  Lungentuber¬ 
kulose  geeignet  erschien,  und  zwar  aus  dem  schon  an¬ 
fangs  erwähnten  Grunde  einer  mangelhaften  Röntgen¬ 
technik.  Von  5  von  Bergonie  und  Mongour 
behandelten  Fällen  blieben  3  ganz  unbeeinflusst,  bei 
zweien  schien  vorübergehend  eine  lokale  und  allgemeine 
Besserung  einzutreten.  Auch  T  e  i  s  s  i  e  r  gelang  es 
nicht,  beim  Menschen  eine  Besserung  der  tuberkulösen 
Lungenerkrankung  durch  Röntgenstrahlen  herbeizu¬ 
führen. 

1898  fand  Mühsam  durch  Experimente  an 
tuberkulös  infizierten  Meerschweinchen,  dass  die  Rönt¬ 
genstrahlen  die  Allgemeintuberkulose  der  Tiere  nicht 
aufhalten,  dagegen  die  lokale  Tuberkulose  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  abschwächen  können. 

Später  nahmen  verschiedene  französische  Autoren  : 
Chanteloube,  Descomp,  Rouillies, 


Coromilas  und  G  a  s  t  o  n  die  Bestrahlung  der 
Lungentuberkulose  beim  Menschen  wieder  auf,  ohne 
greifbare  Resultate  zu  erzielen.  Jessen  hielt  nach 
seinen  Erfahrungen  gewisse  Fälle  geeignet  für  die  Rönt¬ 
genbestrahlung. 

Erst  infolge  der  weiteren  Entwicklung  der  Röntgen¬ 
tiefentechnik,  die  hauptsächlich  durch  die  Behandlung 
tiefliegender  Geschwülste  gefördert  wurde,  sowie  infolge 
der  günstigen  Erfahrungen,  die  besonders  bei  den  Lym¬ 
phomen,  den  tuberkulösen  Halsdrüsen  ,  der  Haut-, 
Knochen-,  Gelenk-  und  Sehnenscheidentuberkulose  mit 
der  Röntgenbehandlung  gemacht  wurden,  erschien  es 
aussichtsreich,  trotz  der  früheren,  auf  rein  technische 
Gründe  zurückzuführenden  Misserfolge,  die  Röntgen¬ 
therapie  zur  Heilung  der  Lungentuberkulose  heranzu¬ 
ziehen.  Und  zwar  waren  es  Küpf  erl  e  und  Bac- 
m  e  i  s  t  e  r  an  der  Freiburger  medizinischen  Klinik, 
welche  durch  ausgedehnte,  später  ausführlich  zu  er¬ 
wähnende  Versuche  die  Grundlage  zu  einer  wirklich 
erfolgreichen  Röntgenbehandlung  der  Lungentuberkulose 
schufen. 

Auf  dem  10.  Röntgenkongress  1914  in  Berlin  be¬ 
richtete  Manfred  Fraenkel  über  80  von  ihm 
bestrahlte  Fälle  von  menschlicher  Lungentuberkulose, 
von  denen  64  einen  günstigen  Einfluss,  16  keine  nach¬ 
weisbare  Wirkung  der  Röntgenbestrahlung  zeigten. 
Die  günstigen  Erfolge  glaubte  Fr  aenkel  einer  drei¬ 
fachen  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  zuschreiben  zu 
müssen.  Einmal  einer  indirekten  Schädigung  der  Ba¬ 
zillen  infolge  der  durch  den  Reiz  vermehrt  gebildeten 
Abwehrstoffe;  weiterhin  einer  Schädigung  des  Tuberkels 
durch  Zerstörung  des  tuberkulösen  Gewebes  und  Er¬ 
satz  desselben  durch  Narbengewebe;  zuletzt  einer  Ent¬ 
giftung  des  Organismus  durch  Reizbestrahlungen  des 
Thorax  und  des  lymphatischen  Apparates.  Er  empfahl 
demgemäss,  die  Lungenherde  mit  grossen  Dosen,  daneben 
den  ganzen  Thorax  und  die  Milz  mit  mässigen  Dosen 
zu  bestrahlen. 

Da  die  beobachteten,  guten  Wirkungen  der  Rönt¬ 
genstrahlen  zum  Teil  nur  durch  Vermutungen  erklärt 
werden  konnten,  so  war  es  von  grösster  Wichtigkeit 
für  die  Förderung  der  ganzen  Frage  ,  den  Einfluss  der 
Röntgenstrahlen  auf  tuberkulöses  Lungengewebe  im 
Tierexperiment  nachzuweisen  und  die  dabei  am  Ge¬ 
webe  auftretenden  Veränderungen  anatomisch  zu  kon¬ 
trollieren. 

Die  ersten  Berichte  über  mikroskopische  Unter¬ 
suchungen  von  bestrahltem,  tiefliegendem,  tuberkulösem 
Gewebe  brachten  B  r  ii  n  i  n  g  s  und  A  1  b  r  e  c  h  t ,  die 
bei  künstlich  erzeugter  Kehlkopftuberkulose  bei  Kanin- 


260 


Fortschritte  der  Medizin. 


Nr.  27. 


chen  innerhalb  der  tuberkulösen  Herde  und  in  ihrer 
Umgebung  stark  vermehrte  Bindegewebsentwicklung 
und  stärkere  Neigung  zur  Abkapselung  des  erkrankten 
Gewebes  als  Folge  der  Bestrahlung  fanden. 

Die  eigentliche  Grundlage  für  die  Beurteilung  des 
Wertes  der  Röntgentiefenbestrahlung  bei  der  Lungen¬ 
tuberkulose  und  zugleich  die  Aufklärung  über  die  tat¬ 
sächliche  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  wurde  bereits 
vor  F  r  a  e  n  k  e  1  geschaffen  durch  die  oben  erwähnten, 
sehr  sorgfältigen,  an  einem  grossen  Tiermaterial  ausge- 
führten  experimentellen  Untersuchungen  von  K  ü  p  f  e  r  1  e 
und  ßacmeister.  Die  beiden  Autoren  bestrahlten 
die  experimentell  (sowohl  auf  aerogenem,  als  auch  auf 
hämatogenem  Wege)  erzeugte  Lungentuberkulose  beim 
Kaninchen  und  hatten  nach  Auffindung  der  zweck- 
mässigsten  Dosen  und  der  Bestrahlungsart,  wie  sich  an 
den  anatomischen  Präparaten  einwandfrei  nachweisen 
Hess,  einen  überaus  günstigen  Einfluss  der  Röntgen¬ 
strahlen  auf  die  bestrahlten  Lungen  zu  verzeichnen. 
Gegenüber  den  nichtbestrahlten  zeigten  die  bestrahlten 
Lungen  eine  viel  stärkere  Bindegewebsentwicklung  und 
bindegewebige  Abkapselung  der  tuberkulösen  Herde. 
Besonders  das  tuberkulöse  Granulationsgewebe  war  bei 
den  bestrahlten  Tieren  in  viel  stärkerem  Masse  als  bei 
den  nichtbestrahlten  durch  Bindegewebe  ersetzt.  Da  in 
jedem  Falle  durch  Übertragung  des  durch  Bestrahlung 
gewonnenen  Narbengewebes  auf  gesunde  Meerschwein¬ 
chen  diese  infiziert  werden  konnten,  so  war  der  Be¬ 
weis  erbracht,  dass  die  Tuberkelbazillen  im  Tierleib 
durch  Röntgenstrahlen  nicht  abgetötet  werden  können,  i 

Die  Ergebnisse  ihrer  Versuche  fassten  Küpferle 
und  Bacmeister  in  folgenden  Sätzen  zusammen  : 

1.  Durch  Anwendung  harter,  filtrierter  Röntgen¬ 
strahlen  ist  eine  beginnende,  experimentell  bei  Kanin¬ 
chen  gesetzte  Lungentuberkulose  zu  unterdrücken,  eine 
bereits  entstandene  zu  heilen. 

2.  Getroffen  wird  durch  die  Röntgenstrahlen  das  relativ 
schnell  wachsende,  tuberkulöse  Granulationsgewebe,  das 
in  Narbengewebe  umgewandelt  wird.  Eine  Einwirkung 
der  Röntgenstrahlen  auf  die  Tuberkelbazillen  selbst 
findet  nicht  statt. 

3.  Zur  Erzielung  der  Heilung  ist  eine  Strahlen- 
Optimaldosis  notwendig.  Zu  kleine  Dosen  in  langen 
Pausen  haben  keinen  Einfluss.  Sehr  grosse  Dosen  in 
schneller  I'olge  ohne  genügend  grosse  Reaktionspausen 
schädigen  das  normale  Lungengewebe  und  rufen  Bron¬ 
chitiden  und  Bronchopneumonien  hervor. 

4.  Es  ist  notwendig,  genügend  grosse  Energie¬ 
mengen  (im  Tierexperiment  20 — 33  Oberflächen¬ 
energie)  mit  Einschaltung  genügend  grosser  Reaktions¬ 
pausen  (3—5  Tage)  zuzuführen,  um  eine  Anregung  und 
Beschleunigung  des  Heilungvorganges  zu  erreichen. 

5.  Die  Heilung  durch  Röntgenstrahlen  lässt  sich 
bei  richtiger  Technik  bei  experimentell  gesetzter 
hämatogener  und  Aspirations-Tuberkulose  erreichen. 

Durch  diese  Erfahrungen  ermutigt,  brachten  nun 
Küpferle  und  Bacmeister  getrennt  die  Rönt¬ 
genbestrahlung  bei  der  menschlichen  Lungentuberkulose 
in  Anwendung.  Bald  zeigte  sich  auch  hierbei,  dass  bei 
richtiger  Auswahl  der  zur  Bestrahlung  geeigneten  Fälle 
beim  Menschen  die  beim  Tier  gewonnenen  guten  Re¬ 
sultate  ebenfalls  zu  erreichen  waren. 

Zunächst  berichtete  Küpferle  über  44  Fälle 
verschiedener  Stadien.  Er  sah  bei  den  Kranken  des 
L  Turban  'sehen  Stadiums  mit  aktiven  Erscheinungen, 
ebenso  bei  den  Kranken  des  2.  Stadiums  mit  teils  disse- 
minierten,  teils  konfluierenden  Herden  eine  günstige 
Beeinflussung,  während  er  bei  den  Kranken  des  3.  Sta¬ 
diums  mit  ausgedehnten  Krankheitserscheinungen  und 
Kavernenbildung  keine  nachhaltige  Besserung  erreichen 
konnte. 

Zu  Beginn  diesen  Jahres  hat  nun  Bacmeister 


die  an  dem  von  ihm  geleiteten  Sanatorium  mit  der 
Röntgentherapie  erhaltenen  Resultate  veröffentlicht.  Im 
Laufe  der  Behandlung  hatte  sich  bald  gezeigt,  dass 
weniger  die  Ausdehnung,  als  die  Form  und  der  Cha¬ 
rakter  der  tuberkulösen  Erkrankung  für  den  Erfolg  der 
Röntgenkur  ausschlagebend  sind.  Bacmeister  hält 
sich  deshalb  in  seiner  \  erüffentlichung  nicht  an  die 
Gerhardt-  T  u  r  b  a  n  'sehe  Stadieneinteilung,  son¬ 
dern  unterscheidet  eine  Gruppe  von  stationären,  zur 
Latenz  neigenden  Phthisen  ohne  F'ieber  mit  oder  ohne 
Bazillen,  eine  zweite  Gruppe  von  fieberhaften,  chronisch 
progredienten  Formen  und  stellt  diesen,  wie  wir  sehen 
werden,  günstig  zu  beeinflussenden  Gruppen  die  der 
akut  destruierend  verlaufenden  Fälle,  der  käsig  exsuda¬ 
tiven  und  ausgedehnt  akut  disseminierten  Formen  ent- 
I  gegen. 

Bei  den  beiden  ersten  Gruppen  waren  die  Erfolge 
durchweg  gute.  Sämtliche  behandelten  Patienten  er¬ 
holten  sich  rasch  nach  Einleitung  der  Röntgenbehand¬ 
lung,  enttieberten,  verloren  die  Bazillen  und  konnten 
nach  Abschluss  von  1  bis  2  Bestrahlungsfolgen  als  kli¬ 
nisch  geheilt  und  berufsfähig  entlassen  werden.  Es 
zeigte  sich,  dass  die  Kurzeit  sich  durch  die  Röntgen¬ 
behandlung  erheblich  abkürzen  lässt  und  die  Heilung 
schneller  und  sicherer  eingeleitet  wird.  Besonders  deut¬ 
lich  war  dies  bei  einzelnen  Fällen  zu  erkennen,  die 
viele  Monate  vor  der  Bestrahlungskur  ununterbrochen 
im  Sanatorium  beobachtet  wurden.  Bis  zur  Einleitung 
der  Röntgenbehandlung  waren  bei  ihnen  dauernd  die 
Zeichen  einer  langsamen  Progredienz  vorhanden;  mit 
der  Wirkung  der  Strahlentherapie  trat  der  Umschwung 
ein  und  rasche  Heilung  folgte. 

In  der  ersten  Zeit  der  Röntgentiefenbestrahlung 
wurden  auch  einige  Fälle  mit  schwer  destruierenden  und 
käsig  exsudativen  Formen,  zum  Teil  mit  fortschreiten¬ 
der,  ausgedehnter  Kavernenbildung  behandelt.  Nur  in 
einem  Falle  konnte  dabei  eine  deutliche  und  anhaltende 
Besserung  erreicht  werden,  während  die  anderen  Fälle 
keine  merkliche  Beeinflussung  wahrnehmen  Hessen.  Es 
ist  eben  nur  das  tuberkulöse  Granuiationsgewebe  der 
chronisch  verlaufenden  Formen  zu  treffen  und  zur  Ver¬ 
narbung  zu  bringen,  nicht  aber  eine  hoch  virulente, 
schnell  zur  völligen  Nekrose  führende  Infektion  günstig 
zu  beeinflussen.  Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  sieht 
man  jetzt  von  der  Röntgenbestrahlung  hochfieberhafter, 
schnell  progredient  verlaufender  Formen  ab. 

Die  Überlegung,  dass  bei  der  atmenden  Lunge  und 
bei  der  oft  erheblichen  Ausdehnung  der  tuberkulösen 
Erkrankung  in  diesem  grossen  Organ  weniger  günstige 
\  erhältnisse  für  den  Einfluss  der  Röntgenstrahlen  vor¬ 
handen  sind,  als  bei  den  erfahrungsgemäss  günstig  zu 
beeinflussenden  Tuberkulosen  ruhender  Organe,  Hess 
einen  besonders  guten  Erfolg  bei  der  durch  künstlichen 
Pneumothorax  komprimierten  und  ruhig  gestellten  Lunge 
erwarten.  Es  wurde  daher  eine  Anzahl  von  Fällen,  bei 
denen  wegen  einseitiger,  schwerer  Lungentuberkulose 
der  künstliche  Pneumothorax  angelegt  worden  war,  und 
bei  denen  der  gewünschte  Erfolg  ausgeblieben  war,  be¬ 
strahlt.  Auch  hier  traten  die  Besserung  des  Allgemein¬ 
befindens,  das  Verschwinden  der  Bazillen  und  elastischen 
Fasern  und  die  Besserung  des  lokalen  Befundes  erst 
während  der  Röntgenkur  oder  kurz  darnach  auf.  Eben¬ 
so  zeigte  sich  eine  günstige  Einwirkung  der  Röntgen¬ 
strahlen  bei  der  Nachbehandlung  von  Thorakoplastiken 
und  bei  den  so  häufigen  Bronchialdrüsentuberkulosen. 

Nach  all  diesen  Erfahrungen  lassen  sich  als  ge¬ 
eignet  für  die  Röntgentiefenbestrahlung  bezeichnen  alle 
stationären  und  chronisch  progredienten  (auch  mit 
leichten  Zerfallserscheinungen  einhergehenden)  Formen 
der  Lungentuberkulose,  weiterhin  die  durch  künstlichen 
Pneumothorax  oder  durch  Thorakoplastik  zusammenge¬ 
drückten  und  ruhig  gestellten  tuberkulösen  Lungen , 


Nr.  27. 


26 1 


FORTSCHRITTE 


ferner  die  Bronchialdrüsentuberkulose.  Dagegen  ist 
kein  Erfolg  zu  erwarten  bei  akut  destruierend  verlaufen¬ 
den,  bei  käsig  exsudativen  und  bei  den  ausgedehnt  akut 
disseminierten  Erkrankungsformen. 

Macht  man  sich  die  Wirkung  der  Röntgenstrahlen 
auf  das  tuberkulöse  Gewebe  klar,  wie  sie  bei  den  tier- 
experimentellen  Studien  sich  ergaben,  so  lassen  sich  die 
Erfolge  resp.  Misserfolge  bei  den  verschiedenen  Formen 
der  'Tuberkulose  verstehen.  Getroffen  wird  durch  die 
strahlende  Energie  nicht  der  Tuberkelbazillus,  sondern 
das  schnell  wachsende,  zellreiche,  tuberkulöse  Granula¬ 
tionsgewebe.  Dieses  wird  zerstört  und  durch  Bindege¬ 
webe  ersetzt,  d.  h.  im  Sinne  einer  beschleunigten  Natur¬ 
heilung  in  Narbengewebe  umgewandelt.  Nur  bei  lang¬ 
sam  progredienten  oder  stationären  Formen  lässt  der 
durch  die  Röntgenstrahlen  gesetzte  Reiz  den  Geweben 
genügend  Zeit,  das  durch  die  Bestrahlung  zerstörte  Ge¬ 
webe  durch  Bindegewebe  zu  ersetzen.  Bei  den  mit 
raschem  Zerfall  einhergehenden  Prozessen  wirkt  dieser 
Reiz  so  stark,  dass  der  Zerfall  beschleunigt  wird,  das 
relativ  langsam  wachsende  Bindegewebe  aber  nicht  mehr 
imstande  ist,  das  zerstörte  Gewebe  rasch  genug  zu  er¬ 
setzen  resp.  abzukapseln.  Ausserdem  wird  im  letztge¬ 
nannten  Falle  der  Körper  mit  einer  zu  grossen  Menge 
durch  den  Zerfall  freigewordener  Toxine  überschwemmt. 

Bei  der  anzuwendenden  Technik  kommt  es  nun 
hauptsächlich  darauf  an,  den  durch  die  strahlende  Ener¬ 
gie  hervorgerufenen  Reiz  richtig  abzustufen.  Dies  er¬ 
reicht  man  einmal  durch  Zuführung  einer  entsprechen¬ 
den  Oberflächenenergie  (der  Anzahl  X),  dann  durch 
Einhaltung  passender  Reaktionspausen.  Die  Bestrah¬ 
lungen  werden  derart  vorgenommen,  dass  von  einer 
in  einem  Bleikasten  eingeschlossenen  Röhre  die  Rönt¬ 
genstrahlen  durch  einen  Ausschnitt  auf  den  zu  be¬ 
strahlenden  Lungenabschnitt  (Feld)  fallen.  Die  Aus¬ 
schnitte  betragen  je  nach  Ausdehnung  der  Erkrankung 
12:8  cm,  8:8  cm  und  5:8  cm.  Die  Filterung  geschieht 
durch  3  mm  dicke  Aluminiumplatten.  Der  Fokusab- 

!  stand  von  der  Haut  beträgt  18—20  cm.  Jeder  kranke 
Herd  wird  in  einzelnen  Sitzungen  je  2  mal  von  vorne 
und  hinten  bestrahlt.  Als  Einzeldosis  gibt  Bac- 
m  e  i  s  t  e  r  im  allgemeinen  eine  Oberflächenenergie  von 
10 — 15  X;  so  bekommt  jeder  Herd  in  4  Sitzungen 
40—60  X.  Wöchentlich  werden  2,  höchstens  3  Be¬ 
strahlungen  gegeben,  um  für  die  einzelnen  Herde  ge¬ 
nügend  lange  Reaktionspausen  zu  gewinnen.  In  dieser 
Weise  werden  die  erkrankten  Lungenpartien  der  Reihe 
nach  durchbestrahlt.  Diese  sogenannte  Felderbestrah¬ 
lung,  bei  der  die  erkrankten  Herde  in  einzelne  Be 
Strahlungsfelder  eingeteilt  werden,-  hat  sich  als  die 
zweckmässigste  Form  der  Bestrahlung  sowohl  Küp- 
f  e  r  1  e  wie  Bacmeister  ergeben.  Man  hat  es 
dann  auch  in  der  Hand,  durch  Variierung  der  Reihen- 
.  folge  die  Reaktionspausen  für  die  einzelnen  Felder 
nach  Bedürfnis  zu  regulieren,  ohne  die  Bestrahlungen 
ganz  aussetzen  zu  müssen  und  dadurch  Zeit  zu  ver¬ 
lieren.  Am  praktischsten  zeichnet  man  nach  Bac¬ 
meister  die  Einteilung  der  Felder  auf  Grund  der 
klinischen  Untersuchung  und  des  Röntgenbildes  in  ein 
Schema  ein.  Im  allgemeinen  genügt  es,  jede  Lunge  in 
3  zu  bestrahlende  Felder  einzuteilen,  die  rechts  und 
links  der  Wirbelsäule  liegen.  Wendet  man  den  gröss¬ 
ten  Ausschnitt  dabei  an,  so  werden  die  meisten  Herde 
bei  einer  Bestrahlungsfolge  getroffen  werden.  Nur  bei 
den  ganz  disseminierten  Formen  müssen  bisweilen  auch 
seitliche  Felder  bestrahlt  werden.  Einige  Wochen  nach 
Abschluss  einer  Bestrahlungsserie  ergibt  die  klinische 
Untersuchung  die  Stellen,  die  einer  nochmaligen  Be¬ 
strahlung  bedürfen. 

Meistens  werden  die  oben  angegebenen  Röntgen¬ 
dosen  ohne  jede  Störung  vertragen.  Bei  manchen,  be¬ 
sonders  bei  nervösen  Patienten  findet  man  am  Be- 


DER  MEDIZIN. 


strahlungstag  ab  und  zu  die  Erscheinungen  eines 
leichten  Röntgenjammers,  leichte  Unruhe,  schlechte 
Stimmung,  Kopfschmerzen,  geringe  Temperaturstei¬ 
gerungen,  die  aber  0,5"  nicht  übersteigen  sollen.  Diese 
Beschwerden  sind  in  der  Regel  am  folgenden  Tag  ver¬ 
schwunden.  Sie  werden  hervorgerufen  durch  ein  ver¬ 
mehrtes  Freiwerden  von  1  oxinen  in  den  bestrahlten 
Lungenherden.  Oft  lassen  sich  durch  die  Einschiebung 
etwas  längerer  Reaktionspausen  die  Beschwerden  bessern. 
Treten  stärkere  I'iebererscheinungen,  mehrere  Tage  an¬ 
dauernd,  mit  ausgeprägten  Allgemeinbeschwerden  auf, 
wie  man  es  in  der  ersten  Bestrahlungszeit  bei  akut  pro¬ 
gredienten  Fällen  sehen  konnte,  so  stellt  man  die  Be¬ 
handlung  besser  ein.  Wenn  bei  chronisch  progredienten 
Fällen,  die  sich  zur  Bestrahlung  gut  eignen,  infolge  der 
Röntgenbestrahlung  subfebrile,  einige  Tage  andauernde 
Temperatursteigerungen  auftreten,  so  genügt  immer  die 
Einschaltung  einer  mehrtägigen  Pause,  um  die  Tem¬ 
peratur  wieder  dauernd  auch  während  der  folgenden 
Bestrahlungen  normal  zu  gestalten. 

Bei  richtiger  Auswahl  der  Fälle  nach  den  oben  ge¬ 
gebenen  Indikationen,  sowie  bei  genauer  Durchführung 
der  angegebenen  Technik,  die  den  Eigentümlichkeiten 
eines  jeden  F'alles  Rechnung  trägt,  können  Schädigungen 
durch  die  Röntgentiefenbestrahlung  nicht  eintreten.  Die 
bisher  erzielten  Erfolge  der  Röntgentherapie  sind  aber 
derart  günstige  und  in  die  Augen  fallende,  dass  ein 
weiterer  Ausbau  der  Methode  berechtigt  und  wünschens¬ 
wert  ist.  Nur  muss  man  sich  immer  der  Grenzen  der 
Bestrahlungstherapie  bewusst  bleiben.  Es  liegt  in  der 
Art  der  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  das  tuber¬ 
kulöse  Gewebe  begründet,  dass  ein  Erfolg  nicht  schon 
während  der  Bestrahlung  zu  erwarten  ist,  sondern  in 
den  der  Röntgenkur  folgenden  Wochen.  Die  Patienten 
fühlen  dabei  häufig  ziehende  Schmerzen  in  der  Umge¬ 
bung  der  Herde,  ohne  dass  dabei  eine  Temperatur¬ 
steigerung  beobachtet  wird. 

Zum  Schlüsse  sei  darauf  hingewiesen,  dass  von 
Bacmeister  ein  kombiniertes  Bestrahlungsverfahren, 
nämlich  eine  Folge  von  Quarzlicht-  und  Röntgenbe¬ 
strahlungen  angewendet  wird.  Von  der  Wirkung  des 
Quarzlichtes  wissen  wir  auch  durch  die  Versuche  am 
Kaninchen  von  K  ii  p  f  e  r  1  e  und  Bacmeiste  r, 
dass  eine  direkte  Beeinflussung  der  tuberkulösen  Lun¬ 
genherde  nicht  stattfindet.  Dass  aber  Allgemeinbestrah¬ 
lungen  mit  der  künstlichen  Höhensonne  eine  ausser¬ 
ordentlich  günstige  Wirkung  auf  das  Allgemeinbefinden 
und  den  Lungenprozess,  wie  sich  klinisch  nachweisen 
lässt,  an  Tuberkulose  oder  anderen  chronischen  Lungen¬ 
krankheiten  leidender  Kranker  ausüben,  darin  stimmen 
alle  Autoren  überein.  Über  die  Art  und  Weise,  wie  die 
ultravioletten  Strahlen  auf  den  Körper  wirken,  bestehen 
bisher  nur  Vermutungen.  Dass  die  vermehrte  Pigment¬ 
bildung  in  der  Haut  eine  Hauptrolle  spielen  muss,  wird 
von  S  t  r  a  u  s  s  ,  wie  von  andern  Autoren  besonders 
betont.  Man  kann  sich  mit  J  e  s  i  o  n  e  k  vorstellen, 
dass  die  roten  Blutkörperchen  das  im  Überschuss  ge¬ 
bildete  Pigment  in  gelöstem  Zustand  dem  Blut  und  den 
Organen  zuführen  und  so  unter  dem  Einfluss  des  als 
Katalysator  wirkenden,  starken  Lichtes  den  kranken 
Herden  beständig  Heilung  befördernde  Stoffe  über¬ 
mitteln.  Es  handelt  sich  dabei  vielleicht  um  eine  be¬ 
schleunigte  Übertragung  oxydativer  Stoffe,  durch  die 
eine  Umstimmung  der  immunisatorischen  Schutzkräfte 
des  Körpers  möglich  wäre.  Ein  Teil  der  beobachteten 
günstigen  Wirkung  auf  die  Lungen  besteht  sicherlich 
in  einer  Entlastung  des  Lungenkreislaufs  durch  die 
starke,  anhaltende  I  Iyperämisierung  der  Haut  nach  der 
Bestrahlung  mit  künstlicher  Höhensonne  und  die  damit 
einhergehende  Abschwellung  der  Schleimhäute  des 
Bronchialsystems.  Als  Allgemeinwirkung  der  reinen 
Quarzlichtbestrahlung  sah  man  bei  tuberkulösen  Lun- 


FORTSCHRITTE  OER  MEDIZIN. 


Nr.  27. 


genkranken  Rückgang  der  toxischen  Allgemeinerschei¬ 
nungen,  Gewichtszunahme,  Appetitssteigerung,  Schwin¬ 
den  von  Kopfschmerzen,  Nervosität  und  Mattigkeit. 

Das  von  Bacmeister  angegebene  kombinierte 
Bestrahlungsverfahren  benützt  diese  günstigen  Wir¬ 
kungen  des  Quarzlichtes  neben  denen  der  Röntgen¬ 
tiefentherapie  und  erzielt  dadurch  bessere  und  raschere 
Erfolge  als  bei  der  reinen  Röntgenbestrahlung.  Die 
bisweilen  bei  einfacher  Röntgenbehandlung  auftretenden 
Beschwerden  werden  durch  eine  Folge  von  Quarzlicht¬ 
bestrahlungen  leicht  beseitigt.  Es  ist,  als  ob  die  künst¬ 
liche  Höhensonne  auf  die  der  Röntgenbehandlung  fol¬ 
genden  Umsetzungen  regulierend  und  mildernd  ein¬ 
wirkte.  Die  nach  Quarzlichtbehandlung  bald  einsetzende 
Pigmentierung  der  Haut  gibt  für  eine  folgende  Rönt¬ 
genkur  ausserdem  einen  guten  Schutz  ab.  Eine  kom¬ 
binierte  Quarzlicht-Röntgenkur  wird  in  folgender  Weise 
ausgeführt.  Man  beginnt  mit  mindestens  6  Quarzlam¬ 
penbestrahlungen  und  zwar  am  besten  unter  Benützung 
von  2  Lampen  zu  gleicher  Zeit  für  Rücken  und  Brust. 
Diese  6  Bestrahlungen  können  je  nach  dem  Erfolg  ver¬ 
mehrt  werden.  Es  werden  wöchentlich  3  Bestrahlungen 
gegeben.  Hierauf  folgt  die  oben  geschilderte  Rönt¬ 
genbehandlung.  Den  Abschluss  bilden  wieder  6  Sit¬ 
zungen  mit  der  Quarzlampe.  Wie  viele  solcher  Folgen 
gegeben  werden  müssen,  hängt  von  dem  Ergebnis  der 
klinischen  Untersuchung  einige  Wochen  nach  Abschluss 
der  Bestrahlungskur  und  von  der  Ausdehnung  des  Lun- 
genpiozesses  ab,  da  bei  sehr  disseminierten  Erkran¬ 
kungen  nicht  jeder  Herd  bei  einer  Folge  genügend  ge¬ 
troffen  werden  kann. 


Neue  Grundlagen  der  Mineralwassertherapie. 

Von  Kurarzt  Dr.  Jos.  Schneider,  Karlsbad. 

Das  interessante  und  für  die  leidende  Menschheit 
wichtige  Thema  der  Behandlung  mit  Heilwässern  ist  in 
jüngster  Zeit  Vorwurf  neuer  experimenteller  Unter¬ 
suchungen  geworden,  die  sich  die  Erforschung  des 
Mineralstoffwechsels  bei  Tieren  und  Menschen  unter 
dem  Einfluss  von  Trinkkuren  zum  Ziel  esetzen.  — 

Bisher  fehlte  eine  wissenschaftliche  Begründung  der 
Aufsaugewirkungen  der  Trinkkuren,  die  von  den  meisten 
Ärzten  zwar  anerkannt  wurden,  deren  Zustandekommen 
jedoch  nicht  einwandfrei  erklärt  worden  war.  Man  be¬ 
half  sich  mit  der  Annahme,  die  Trinkkur  wirke  durch 
eine  gründliche  Durchspülung  des  Organismus,  da  man 
den  wirksamen  mineralischen  Bestandteilen  der  Mineral¬ 
wässer  'mit  Rücksicht  auf  ihre  minimale  Menge  einen 
entscheidenden  Einfluss  nicht  zugestehen  mochte.  Dies 
führte  dazu,  eine  spezifische  Wirkung  der  Mineralwässer 
überhaupt  zu  leugnen.  Gleichzeitig  damit  schwand 
die  Brunnendiät,  welche  der  Krankheitsdiät  Platz 
machte.  — 

Von  L  u  1 1  h  1  e  n  an  Kaninchen  durchgeführte 
Untersuchungen  des  Mineralstoffwechsels  hatten  die 
Feststellung  ermöglicht,  dass  es  durch  eine  bestimmte 
Nahrung  gelingt,  den  Bestand  an  gewissen,  in  den 
Körperzellen  stets  vorhandenen  Elementen  (den  Ka¬ 
tionen:  Magnesium,  Kalzium,  Natrium  und  Kalium)  zu 
verändern,  und  zwar  nicht  nur  den  Gesamtbestand,  son¬ 
dern  auch  das  Verhältnis,  in  dem  die  einzelnen  Ele¬ 
mente  (Kationen)  zu  einder  stehen.  Diese  können  sich 
im  Organismus  gegenseitig  verdrängen,  vertreten  und 
ersetzen,  ohne  dass  zunächst  die  Lebensäusserungen 
sichtbar  beeinflusst  wären.  Die  Tiere  verhielten  sich 
während  der  Versuche  normal.  — 

Spätere  von  Wiechowski  angestellte  Versuche 
erstreckten  sich  auf  die  Wirkungsweise  der  Mineral¬ 
quellen,  zuerst  vor  allen  anderen  des  Karlsbader  Mühl¬ 


brunnens.  Diese  Versuche  haben  ergeben,  dass  bei 
gleicher  Nahrungszufuhr  die  Versuchstiere  bei  Tränkung 
mit  60  cm3  destillierten  Wassers  (Versuchsdauer  je  7 
Tage)  1030,  bezw.  70  g  abgenommen,  bei  Tränkung 
mit  der  gleichen  Menge  Mühlbrunn  640  g,  bezw.  20  g 
zugenommen  haben.  Daiaus  geht  hervor,  dass  unter 
dem  Einflüsse  des  Mühlbrunnens  die  Nahrung  besser 
ausgenutzt  worden  ist  als  bei  Zufuhr  von  destilliertem 
Wasser. 

Es  kam  zum  Ansatz  von  mineralischen  Stoffen,  zur 
Veränderung  in  der  Bilanz  der  wichtigsten  Elemente, 
ferner  zu  einer  besseren  Ausnützung  der  Nahrung  und 
damit  zur  Gewichtszunahme.  Im  allgemeinen  kann 
demnach  von  einer  Änderung  der  mineralischen  Zu- 
sammensetzung  des  Organismus  durch  die  Trinkkur  ge¬ 
sprochen  werden.  Es  scheint  aber  nicht  so  sehr  darauf 
anzukommen,  was  für  Salze,  sondern  in  welchem  Mi¬ 
schungsverhältnis  die  Salze  dem  Körper  zugeführt 
werden.  Da  sich  die  Änderungen  auch  auf  die 
Reaktionsweise  des  Organismus  erstrecken  ,  ist  in  ihnen 
wohl  der  Hauptgrund  zu  suchen  für  die  verschiedene 
Heilwirkung  des  Karlsbader  Mühlbrunnens  und  anderer 
Mineralquellen,  je  nach  ihrer  Zusammensetzung. 

Interessant  und  überraschend  ist  die  Tatsache,  dass 
einige  berühmte  Quellen,  wie  die  von  Karlsbad  und 
zum  Teil  auch  von  Marienbad  (Kreuzbrunnen)  die  oben 
genannten  Elemente  in  fast  gleichem  Verhältnis  ent¬ 
halten  wie  die  menschliche  Blutflüssigkeit  (Serum). 
Vielleicht  spielt  gerade  dieser  Umstand  bei  der  kräftigen 
Heilwirkung  dieser  Quellen  eine  wichtige  Rolle.  — 

Auch  die  Nahrung  hat,  wie  die  Versuche  bestätigt 
haben,  bei  entsprechender  Zusammensetzung  Wirkungen 
auf  den  Mineralstoffwechsel.  Der  Trinkkur  angepasst, 
kann  sie  den  Kurerfolg  erzielen  und  verstärken  helfen. 
Die  alte,  empirisch  gefundene  Brunnendiät  kommt  so, 
durch  wissenschaftliche  Forschung  abermals  begründet 
und  erweitert,  zu  neuen  Ehren.  — 

Durch  diese  Ergebnisse  wird  der  etwas  nihilistischen 
Auffassung  der  Trinkkuren,  wie  sie  trotz  jahrhunderte¬ 
lang  und  millionenfach  in  den  Kurorten  gewonnener 
Erfahrung  noch  bei  manchen  Ärzten  bestand,  der  Boden 
entzogen.  — 


Neue  Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der 
Magendarmkrankheiten. 

Von  Dr.  Martin  Kaufmann  in  Mannheim. 

In  einer  wertvollen  Auseinandersetzung  wird  von 
H.  Elsner  und  H.  U  r  y  (Boas’  Archiv  Bd.  XXI 
H.  4,  1915)  ,,Der  diagnostische  Wert  des  Röntgenver¬ 
fahrens  befi  Speiseröhren-  und  Magenkrankheiten“ 
kritisch  beleuchtet.  Für  die  Diagnose  des  Speisenröhren¬ 
karzinoms  sprechen  sie  der  Röntgenuntersuchung  jeden 
Wert  ab,  da  Anamnese  und  Sondierung  die  Diagnose 
sicher  stellen  lassen,  für  die  Diagnose  eines  Kardia- 
karzinoms  kann  dagegen  die  Röntgenuntersuchung  von 
grosser  Bedeutung  sein,  wenn  die  Sonde  keine  Stenose, 
dagegen  das  Röntgenbild  eine  Stauung  des  Speisebreies 
zeigt.  Für  die  Diagnose  der  Kardiospasmus  bildet  die 
R.  eine  willkommene  Ergänzung,  da  sie  uns  das  Bild 
und  die  Form  der  erweiterten  Speiseröhre  wiedergibt 
(Ref.  möchte  hinzufügen,  dass  die  R.  auch  für  Diffe¬ 
rentialdiagnose  zwischen  Karzinom  und  Spasmus  an 
der  Kardia  von  grosser  Bedeutung  ist,  da  das  Bild  der 
Stauung  bei  beiden  Affektionen  ganz  verschieden  ist). 

-  Für  die  Diagnose  des  einfachen  Magengeschwüres 
ist  die  Bedeutung  der  R.  nur  beschränkt;  es  erleichtert 
nur  selten  durch  indirekte  Zeichen  (Spasmus,  Motilitäts¬ 
störung)  die  Diagnose.  Von  grosser  Wichtigkeit  für  die 
Diagnose  ist  das  Verfahren  für  die  Diagnose  des  Ulcus 


Nr.  27- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


263 


callosum  und  penetrans;  hier  lässt  das  Nisehensymptom 
allein  die  sichere  Diagnose  stellen;  leider  sieht  man  die 
Nische  nur  an  bestimmten  Stellen  (das  Nischensymptom 
ist  doch  recht  selten;  Ref.  sah  8 — 10  Nischen  bei  etwa 
500  Durchleuchtungen  von  Magenkranken).  Die  eigent¬ 
liche  Domäne  des  R.  ist  der  Sanduhrmagen:  hier  treten 
alle  anderen  Methoden  dagegen  in  den  Hintergrund. 
Dagegen  ist  für  die  Diagnose  der  Pylorusstenose  die  Sonde 
der  R.  weit  überlegen.  Für  die  Diagnose  des  Ulcus 
duodeni  erhalten  wir  nur  in  Ausnahmefällen  von  der  R. 
diagnostische  Anhaltspunkte  (Ref.  scheint  es  doch,  als  ob 
bei  sicherem  Ulcus  ausgesprochene  duodenale  Motilität 
für  Sitz  im  Duodeuum  spräche).  Bei  Karzinom  ist  die  R. 
meist  eine  wertvolle  Ergänzung,  selten  von  ausschlag¬ 
gebender  Bedeutung;  für  die  Frühdiagnose  ist  sie 
wertlos. 

Die  Röntgenuntersuchung  sollte  stets  erst  gemacht 
werden,  wenn  der  Patient  mit  allen  anderen  Methoden 
erschöpfend  durchuntersucht  ist;  sie  sollte  stets  entweder 
von  dem  Kliniker  selbst  oder  in  enger  Verbindung  mit 
ihm  vorgenommen  werden.  Durchaus  entbehrlich  ist 
sie  bei  sicherer  Gastritis,  sicherer  benigner  Achylie,  bei 
Atonie,  Ptose,  sicherer  Pylorusstenose,  sicherem  Ulcus 
simplex.  Bei  Differentialdiagnose  zwischen  Ulkus  und 
Neurose  versagt  sie  leider  meist.  Bei  Verdacht  auf 
Ulcus  callosum,  U.  penetrans  und  Sanduhrmagen  ist  sie 
unbedingt  vorzunehmen.  Bei  Karzinom  ist  sie  zwar 
entbehrlich;  wird  aber  doch  zweckmässig  meist  zur 
Ergänzung  der  Diagnose  vorgenommen  werden. 

"  Eine  Mitteilung  K  e  l  l  i  n  g  s  „Über  Röntgenunter¬ 
suchungen  des  Magens  mittels  einer  rastsoncle“  muss 
im  Original  nachgelesen  werden  (Boas’  Archiv  Bd.  XXI 
Nr.  5,  1915).  „Die  Handhabung  der  Sonde  geschieht 
so,  dass  man  das  untere  Sondenende  bis  über  die  Kar- 
dia  einführt,  dann  den  Magen  mit  Luft  anfüllt  und  nun 
die  Spirale  mit  dem  Knopf  vorwärts  schiebt.  Die  Kugel 
gleitet  dann  an  der  grossen  Kurvatur  entlang  nach  dem 
Pylorus.  Beim  Zurückziehen  sucht  man  an  der  kleinen 
Kurvatur  entlang  zu  schleifen.“  Es  gelingt  bei  einiger 
Übung,  an  den  Konturen  des  Magens  entlang  zu 
schleifen  und  grössere  Unebenheiten  festzustellen:  die 
kleinste  Unebenheit,  die  Vf.  erkennen  konnte,  hatte 
etwa  Walnussgrösse.  Da  die  Tastuntersuchung  vor  dem 
Röntgenschirm  vorgenommen  wird,  lässt  sich  in  auf¬ 
geblähten  Magen  die  Stelle  der  Unebenheit  feststellen. 
Vf.  hat  auch  einen  Apparat  konstruiert,  an  dem  die 
Kugel  der  Tastsonde  etwas  ausgehöhlt  ist  und  so  einen 
kleinen  scharfen  Löffel  darstellt,  der  Gewebe  mitnimmt; 
allerdings  schabt  er  im  Interesse  der  Ungefährlichkeit 
so  wenig,  dass  er  bei  harten  Karzinomen  versagt.  Will 
man  nur  auf  Ulzeration  untersuchen,  so  wird  auf  dem 
Löffel  ein  kleines  Schwämmchen  befestigt. 

In  Holzknechts  Institut  hat  E.  Ega  n  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  „Azidität  und  Entleerung“  des 
Magens  untersucht  (Boas’  Archiv  XXI  II.  6,  1915). 
„Ausgehend  von  der  Frage,  ob  .Salzsäure  auf  die  Magen- 
entleeruug  verzögernd  bezw.  Alkali  bescheunigend  wirke, 
ist  es  gelungen,  in  einer  Kombination  des  Dauerverweil¬ 
schlauches  mit  der  Röntgendurchleuchtung  eine  Methode 
zu  finden,  die  einerseits  für  diese  Frage  einwandfreie 
Resultate  liefert,  andererseits  für  die  Klärung  einer  Reihe 
von  Fragen  auf  dem  Gebiete  der  Magenentleerung  und 
Sekretion  zu  verwerten  ist.  Zur  Erprobung  der  prak¬ 
tischen  Durchführbarkeit  der  Methode  wurden  Unter¬ 
suchungen  an  12  vollständig  gesunden  jungen  Männern 
und  5  Magenkranken  vorgenommen  :  es  gelang  in  keinem 
Falle,  die  Magenentleerung  durch  Einführen  von  Salz¬ 
säure  zu  verzögern  bezw.  durch  Neutralisieren  dei  je¬ 
weilig  nachweisbaren  freien  Salzsäure  mittels  Sodalösung 
abzukürzen. 

,, Ergebnisse  neuerer  klinischer  Erfahrungen  iiber 
Magenkarzinom“  werden  Boas  Archiv  Bd.  XXI,  H.  6, 


1915)  von  E.  Schütz  mitgeteilt.  Aus  den  ausführ¬ 
lichen  F'rörterungen  des  erfahrenen  Wiener  Lehrers  sei 
wenigstens  das  Wesentlichste  angedeutet.  Der  Mit¬ 
teilung  liegen  222  sichere  Karzinomfälle  zugrunde.  Über¬ 
einstimmend  mit  anderen  Statistiken  fand  sich  ein  be¬ 
trächtliches  Überwiegen  der  Männer:  152  gegen  JO 
Frauen.  Unter  30  Jahren  war  1  Fall,  zwischen  30 — 40: 
15,  40—50:  43,  50  -  60:  103,  60-70:  47,  über  70:  13. 
Appetitlosigkeit  ist  eines  der  häufigsten  Symptome,  in 
3  F'ällen  war  es  das  alleinige,  normaler  Appetit  war  in 
12  Fällen,  Hungergefühl  in  1  Fall.  Schmerzbestand  in 
147  Fällen  (=67%)>  Erbrechen  in  108  (68  Pylorus,  42 
Korpuskarzinome),  kein  Erbrechen  in  114  (72  Korpus, 
42  Pylorus),  Bluterbrechen  in  12,  Dyspepsie  ohne  Schmerz 
und  Erbrechen  in  7,  Ekel  vor  Fleisch  und  rasche  Ab¬ 
magerung  sowie  Anaemie  in  den  meisten  Fällen.  Die 
Krankheit  bestand  unter  1  Monat  bei  13,  2 — 3  Monate 
bei  66,  4—6  Monate  bei  64,  J— 9  Monate  bei  22,  10  bis 
12  Monate  bei  28,  mehr  als  1  Jahr  bei  23  Fidlen.  Die 
Fälle  mit  sehr  kurzer  Dauer  der  Krankheit  dürften  aber 
bei  sehr  eingehender  Anamnese  viel  seltener  werden; 
umgekehrt  dürfte  ein  jahrelanges  Bestehen  von  Be¬ 
schwerden  auf  einem  zufälligen  Vorherbestehen  eines 
anderen  Magenleidens  beruhen.  Eine  häufige  Ent- 
stehung  des  Karzinoms  aus  einem  Ulkus  ist  nicht  wahr¬ 
scheinlich.  Von  14  F'ällen ,  die  bis  zu  2  Monaten  Be¬ 
schwerden  gehabt  hatten,  konnten  nur  5  noch  reseziert 
werden,  von  19  F'ällen  dagegen,  die  eine  Krankheits¬ 
dauer  von  9  Monaten  bis  zu  mehreren  Jahren  angaben, 
10;  erstere  sind  also  offenbar  maligner.  Der  Sitz  der 
Erkrankung  war  in  HO  Fällen  die  pars  pylorica,  in  112 
das  Korpus.  Magensaftuntersuchungen  wurden  in  197 
Fällen  vorgenommen:  180  =  90°/o  hatten  keine  freie  Salz¬ 
säure  (davon  hatten  nur  74  Milchsäure),  52  hatten  eine 
Achylie;  von  den  17  Fällen  mit  Salzsäure  hatten  12 
subazide,  5  normale  Werte.  Anazidität  und  Subazidität 
sind  bei  Nichtkarzinomatösen  recht  selten  (von  830  Fällen 
7,4  °/0).  Positiver  Ausfall  der  (im  Ätherextrakt  ausge¬ 
führten)  Milchsäurereaktion  spricht  mit  Sicherheit  für 
Karzinom.  Retention  fand  sich  in  84  Fällen  (=43%). 
—  Röntgenuntersuchungen  wurden  in  130  Fällen  vor¬ 
genommen  :  in  30  Fällen,  wo  die  Röntgenuntersuchung 
keinen  charakteristischen  bezw.  negativen  Befund  lieferte, 
war  die  klinische  Diagnose  in  25  Fällen  mit  Sicherheit 
auf  Karzinom  zu  stellen;  umgekehrt  fand  sich  für  Kar¬ 
zinom  charakteristischer  Röntgenbefund  bei  klinisch 
nicht  nachweisbarem  Tumor  in  33  Fällen  ;  in  16  davon 
war  die  Diagnose  ausschliesslich  auf  Grund  des  Röntgen¬ 
befunds  sicher  zu  stellen.  Der  Wert  der  Röntgenunter¬ 
suchung  besteht  weiter  in  der  Möglichkeit  der  Fest¬ 
stellung  eines  Skirrhus  sowie  eines  karzinomatösen  Sand¬ 
uhrmagens,  ferner  der  Feststellung  des  Sitzes  und  der 
Ausbreitung  usw,  —  Eine  relative  F  rühdiagnose  des 
Karzinoms 1  werden  wir  erreichen,  wenn  wir  möglichst 
frühzeitig,  d.  h.  dann,  wenn  frisch  aufgetretene  Magen¬ 
beschwerden  nach  14  Tagen  nicht  geschwunden  sind, 
unser  ganzes  diagnostisches  Rüstzeug  in  Anwendung 
bringen.  —  Was  die  Indikation  zur  Operation  anlangt, 
so  ist  sie  1.  absolut  indiziert  bei  allen  Fällen  von  Pylo¬ 
russtenose  sowie  bei  allen  Fällen  von  kallösem  penetrie¬ 
rendem  Ulkus  (falls  nicht  von  vornherein  deren  Unrese- 
zierbarkeit  feststeht),  2.  absolut  kontraindiziert  bei  nach¬ 
gewiesenen  Metastasen  oder  bei  Ergriffensein  der  Kardia, 
3.  relativ  indiziert,  d.  h.  dem  subjektiven  Ermessen  des 
Chirurgen  anheimgegeben,  in  allen  anderen  Fällen. 

„Über  die  Behandlung  von  gastrogenen  Diarrhöen 
mit  Salzsäure  -  Tierkohle“  berichtet  aus  Reservespital 
Nr.  4  in  Wien  O.  P  o  r  g  es.  (Therap.  Mo. -II.  Nr.  X, 
1915).  Die  Tierkohle  absorbiert  bis  zu  10  /„  CIH,  gibt 
sie  aber  an  Eiweisskörper  ab.  Die  Kombination  ermög¬ 
licht  es,  leichter,  als  durch  die  gewöhnlich  verabreichte 
verd.  Salzsäure  und  wirksamer  als  durch  Azidolpepsin, 


264 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  27. 


die  für  die  Behandlung  nötigen  relativ  grossen  Salz- 
säuremengen  einzuverleiben;  daneben  entfaltet  die  Tier¬ 
kohle  ihre  fäulniswidrigen  und  entgiftenden  Eigenschaften. 
Unter  6/  Soldaten  mit  chronischen  Durchfällen  hatten 
3(>  Anazidität;  von  42  chronischen  Diarrhöen  bei  Ruhr¬ 
rekonvaleszenten  waren  24  anazid  (eine  Mahnung,  in 
solchen  F  ällen  immer  die  Magensekretion  zu  prüfen). 
Bei  Darreichung  von  3  mal  täglich  1  gehäuften  Teelöffel 
des  I  ulvers  (eine  Reihe  von  Patienten  erhielten  ein 
Präparat  „Carboazid“  der  Budapester  Chem.  Fabrik 
(  j.  Richter)  nach  dem  Essen  verloren  die  Patienten,  die 
vorher  bei  leichter  Kost  Kollern,  Koliken,  Flatulenz, 
3  (i  dünne  .Stühle  gehabt  hatten,  Beschwerden  und 
Dui  chfälle;  bei  Komplikation  mit  Dickdarmkatarrhen 
waren  noch  hohe  Einläufe  mit  aufgeschwemmter  Tier¬ 
kohle,  später  abwechselnd  mit  0,2%  Tannin  zur  Heilung 
nützlich.  Nur  2  Fälle  verhielten  sich  völlig  refraktär, 
einige  (mit  Dünndarmkatarrhen  kompliziert)  wurden  nur 
wenig  gebessert,  bei  einer  Anzahl  von  Fällen  konnte 
sogar  gewöhnliche  Kost  ohne  Weitergebrauch  des 
Mittels  gegeben  werden ;  andere  allerdings  machten 
noch  weiterhin  eine  gewisse  Vorsicht  sowie  Weiter¬ 
gebrauch  des  Präparats  erforderlich. 

Auf  der  Würzburger  medizinischen  Klinik  hat  Jos. 
Schleicher  „Die  Methoden  zur  Prüfung  der 
äusseren  Pankreassekretion“  ausgeprobt.  (Boas’  Archiv 
Bd.  21,  II.  4,  1915.)  Als  zuverlässig  erwiesen  sich  ihm 
die  Methoden  zum  I  rypsinnachw'eis  von  Gr  ross  und 
Müll  er  sowie  die  Diastaseprobe  nach  W  o  h  1  g  e  - 
m  u  t  h  ,  auch  das  Boldireff-Volhard  sehe 
( )1 1  rühstück.  Das  V  internitz  sehe  Diagnostikum 
sowie  die  E  h  r  m  a  n  n  sehe  Probe  haben  sich  zwar  bis 
jetzt  gut  bewährt,  sind  aber  noch  nicht  genügend  nach¬ 
geprüft.  Die  Sch  m  i  d  t  sehe  Kernprobe  scheint 
weniger  sicher  zu  sein,  noch  weniger  die  Geloduratprobe 
nach  Schlecht  und  die  Sahli  sehen  Glutoid- 
kapseln.  ^  Für  akute  Fälle  genügen  der  qualitative  und 
quantitative  1  rypsin-  und  Diastasenach weis  aus  Faezes 
und  Urin  nach  Gross  und  W  o  h  1  g  e  m  u  t  h  ,  um 
Sicherheit  über  die  Pankreasfunktion  zu  geben  ;  wo  es 
Zeit  und  Zustand  der  Kranken  erlaubt  ,  ergänzt  man 
^  chun^  durch  die  anderen  Proben.  (Die  Arbeit 
enthält  ein  66  Nummern  umfassendes  Literaturver¬ 
zeichnis.) 

Liber  die  Behandlung  der  G  holelithiasis  verbreitet 
sich  (Th.  d.  G.  Nr.  12,  1915)  J.  Boas  („Meine  Er¬ 
fahrungen  über  die  Behandlung  der  Cholelithiasis“) :  Er 
legt  dar,  dass  die  innere  Medizin  trotz  aller  sogenannten 
„Spezifica“  weder  die  Steine  selbst  noch  die  lithogenen 
Faktoren  beseitigen  kann,  und  die  Chirurgie  wenigstens 
die  letzteren  nicht.  Die  innere  Medizin  hat  3  Aufgaben 
zu  erfüllen:  1.  den  Anfall  zu  kupieren.  Hierbei  sollte 
man  nicht  zu  rasch  zum  Morphin  greifen,  das  dem  Be- 
sti eben  dei  Natur  nach  Eliminierung  des  Fremdkörpers 
entgegenarbeitet  ,  sondern  zunächst  zu  heissen  Um¬ 
schlägen  und  Getränken,  ev.  zu  Pantopon ,  Papaverin, 
Kodein  usw.  ,  nur  im  äussersten  Notfall  zu  Morphin! 
Unter  Umständen  wirkt  eine  lokale  Blutentziehung  gut; 

2.  das  Latenzstadium  herbeizuführen.  Hier  ist  wichtig 
die  Bekämpfung  einer  habituellen  Obstipation,  die  Be¬ 
handlung  der  gestörten  Magenfunktion  (in  erster  Linie 
einer  Achylie,  doch  kommt  auch  das  Gegenteil  vor). 
Die  Nahrungszufuhr  ist  zu  regeln;  man  gibt  häufige, 
kleine  Mahlzeiten,  unter  Verbot  von  rohem  Obst,  Salaten, 
Schwarzbrot,  Gurken  usw.  Daneben  lange  Zeit  dauernde 
Mineralwasserkuren  (Marienbad,  Mergentheim,  Tarasp, 
Karlsbad).  3.  Komplikationen  zu  beseitigen.  Beim 
^  holedochusstein  erwartet  Vf.  von  der  inneren  Behand¬ 
lung  nicht  viel,  mehr  bei  den  Entzündungen  der  Gallen¬ 
blase;  hier  erfolgt  in  leichteren  Fällen  oft  schon  Fleilung 
durch  vorsichtige  Diät,  Fasblase  und  Narkotika;  in 
schweren  Fällen  hilft  oft  systematische  Kalomeldar- 


reichung;  3x0,1,  4  Wochen  lang.  Bei  chronischer  Chole¬ 
zystitis  ist  von  innerer  Behandlung  kaum  etwas  zu  er- 

~  u  ?PTeration  ist  indiziert:  1.  bei  gehäuften 
f  n  cl  en.  —  bei  Unmöglichkeit  einer  sachgemässen  Be¬ 
handlung,  3.  beim  Choledochusstein  mit  Ikterus,  4.  bei 
chronischer  L  holezystitis  und  Pericholezystitis ,  5  bei 
akuter  fieberhafter  Cholezystitis  bei  Erfolglosigkeit  der 
Kalomelkur.  s 


Als  „Zur  Zeit  empfehlenswerte  Abführmittel“  be¬ 
zeichnet  (1h.  d.  G.  Nr.  2,  1916)  E.  Benecke;  Pulv 
Magnes.  c.  Rheo  (1  kg  =  2,05  ,#).  Besonders  für  Kinder' 
niesserspitzen.  bis  teelöffelweise,  Rad.  Rhei  concis 
u ,40)  1-2  Stuck  der  l/2  cm  langen  Stückchen  kauen, 
,  “  rad-5,hei  4.— ),Cort.  frangulae  (M  1,25),  1  Ess- 

oiiel  in  3  lassen  Wasser  auf  2  Tassen  eingekocht,  Extr. 
trang  fluid  (M  3,10),  60  Tropfen  —  1  Esslöffel,  Phenol¬ 
phthalein  (. M  17.—)  ä0,25,  Istizin  (teuer!).  Calomel (J610.— ) 
ist  nur  bei  infektiösen  Verdauungsstörungen  zu  ver¬ 
wenden.  \  on  vielen  gebräuchlichen  Mitteln  wie  Ol. 
Ruzmi,  Senna,  Rad.  Liquirit.,  Manna,  Aloe  ist  uns  die 
Zufuhr  abgeschnitten  oder  erschwert. 

„Etelen“  ein  neues  Darmadstringens  (von  der  Firma 
B  iyer  u.  Co.  in  Leverkusen)  empfehlen  (M.  M.  W.  Nr.  51 
1915)  L  ö  w  e  n  t  h  a  1  („Klinische  Erfahrungen  über  ein 
neues  Darmadstringens  Etelen)  und  Seifert  lüber 
telen).  Es  handelt  sich  um  den  Triacetyläther  der 
Gallussäure,  ein  weisses ,  geschmackloses,  wasserunlös¬ 
liches  I  ulver.  Es  zeigt  keine  unangenehmen  Neben¬ 
wirkungen  und  wirkt  prompt  bei  den  mit  Durchfällen 
einhergehenden  Darmerkrankungen.  Die  Dosis  beträgt 
nach  S  e  l  feit  nur  J,5—2  g,  nach  Löwenthal 
d  .  £  ,  dichten,  7 — 8  g  bei  schweren  Durchfällen 

Bei  tuberkulösen  Durchfällen  übertrifft  es  nach  Seifert 
alle  andern  Mittel.  Bei  Dysenterie  wirkt  es  nach 
L  o  w  e  n  t  h  a  1  gut  in  Verbindung  mit  Adrenalin 

U  100% 6  la‘lg  3><  tä£Hch  15  TroPfen  der  Lösung 

Rittsteiner  (Hanau)  bringt  (M.  M.  W.  Nr  51, 
1915)  „Erfahrungen  über  leichte  Ruhrfälle“:  Er  verfügt 
über  70  Fälle.  Er  beobachtete  eine  typische  Tem¬ 
peraturkurve:  Die  anfangs  rasch  zur  Norm  sinkende 
1  emperatur  bleibt  etwa  1  Woche  normal,  erhöht  sich 
dann  wieder  mässig  und  schwankt  nun  periodisch  einige 
ZeW  Er  beobachtete  ferner  eigentümliche  Gärungs¬ 
stühle,  die  mit  dem  Steigen  der  Temperatur  auch  stärker 
hervortraten.  Demgemäss  sah  er  bei  kohlehydratfreier 
Diät  rasch  Besserung,  oft  Heilung  eintreten.  In  schweren 
Fällen  treten  hinzu  :  Bolus  (über  100-300  g),  ev.  in  Ver¬ 
bindung  mit  grossen  Opiumdosen,  Tannineinläufe,  Atro¬ 
pin  bei  spastischer  Verstopfung,  Adrenalin  bei  Kolik¬ 
schmerzen. 

„F2in  Mittel  zur  Bekämpfung  der  blutigen  Stühle“ 
das  in  Niederländisch  -  Indien  bei  den  Blutungen  der 
Amöbendysenterie  verwendet  wird,  empfiehlt  (Bkl.  W. 
Nr.  o,  1916)  Moszkowski  auf  Grund  seiner  Er¬ 
fahrungen  in  13  Fällen  (von  wahrscheinlich  typhösen  und 
paratyphösen  Erkrankungen).  Es  werden  ohne  vorher¬ 
gehendes  Reinigungsklistier  durch  ein  50  cm  hoch  ein¬ 
geführtes  Darmrohr  mittelst  einer  kleinen  Spritze  45  bis 
50  ccm  einer  Jodoformemulsion  (Jodof.  80,0,  Gummi 
arab.  100,0,  Aq.  dest.  180,0)  eingespritzt  und  2  —  3  Stunden 
gehalten.  Es  genügten  1  —  5  (einmal  9)  Klysmen,  um  in 
allen  Fällen  die  Blutungen  wie  die  profusen  Durchfälle 
zu  stillen  und  die  Tenesmen  zu  beseitigen;  von  den 
hohen  Jodoformdosen  (10-  1 1  g  pro  die)  wurde  nie  ein 
Schaden  beobachtet. 

„Über  G  olitis  suppurativa  und  Ulcus  chronicum  recti 
berichten  aus  dem  Moabiter  Krankenhaus  G.  Klempe- 
n  e  r  und  L.  Dürmer  (Th.  d.  G.  Nr.  1 1  und  12,  1915). 
Die  Symptome  der  suppurativen  Kolitis  sind  im  Anfang 
oft  geringfügig:  geringer  Blutabgang,  dann  Stuhldrang, 
eibschmerzen,  Durchfälle,  schliesslich  Eiterbeimengungen 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


265 


zum  Stuhl.  Manchmal  aber  treten  auch  ganz  akut  blutig¬ 
eitrige  Durchfälle  auf.  Allmählich  kann  der  dauernde 
eitrige  Entzündungsprozess  zu  Anämie  und  Kachexie 
führen;  in  anderen  Fällen  ist  das  Krankheitsbild  leicht, 
manchmal  auch  intermittierendes  Fieber.  Objektiv  findet 
man,  eventuell  erst  bei  genauerer  Untersuchung,  beim  Stuhl 
Blut  und  Eiter,  aufgelagert,  wenn  nur  die  unteren,  bei¬ 
gemischt,  wenn  auch  die  oberen  Kolonabschnitte  befallen 
sind;  doch  ist  der  Unterschied  nicht  durchgehend.  Oft 
sind  zahlreiche  Prüfungen,  eventuell  mikroskopisch  oder 
chemisch  zur  Diagnose  nötig.  In  jedem  Falle  muss  man 
bakteriologisch  untersuchen,  um  spezifische  Affektionen 
auszuschliessen.  Den  Schluss  der  Untersuchung  bildet 
die  Rektoskopie:  man  sieht  hochgradige  Entzündung, 
oft  Blutungen,  das  typische  ist  aber  der  Eiter,  der  teils 
von  der  Schleimhaut  produziert  wird,  teils  von  kleinen 
Ulzerationen  (nicht  über  Zehnpfennigstückgrösse)  her¬ 
stammt.  Sie  beginnen  meist  erst  10 — 15  cm  vom  Anus, 
machen  bei  der  Heilung  meist  keine  Narben.  Die  Aus¬ 
dehnung  nach  oben  kann  man  zwar  von  aussen  ver¬ 
muten,  aber  nicht  sicher  feststellen;  die  obere  Grenze 
bildet  die  Bauhinische  Klappe.  —  In  einzelnen  Fällen 
sieht  man  statt  dieser  Veränderungen  ein  grosses  meist 
einige  cm  über  dem  Anus  beginnendes  Geschwür  —  Ulcus 
chronicum  recti.  Seine  Prognose  ist  ganz  infaust,  seine 
Ätiologie  ist  noch  nicht  geklärt ;  angegeben  werden 
Lues,  Gonorrhoe,  Dysenterie,  Tuberkulose,  Traumen. 
Wahrscheinlich  ist  die  Ätiologie  keine  einheitliche.  Das 
klinische  Bild  deckt  sich  in  vielen  Fällen  mit  dem  der 
Colitis  suppurativa.  —  Der  Verlauf  der  C.  supp,  ist 
meist  sehr  chronisch,  mit  Besserungen  und  Verschlechte¬ 
rungen,  eventuell  in  Heilung  ausgehend,  die  allerdings  oft 
nur  eine  Scheinheilung  ist.  Von  Komplikationen  kommen 
in  Betracht:  lokale  Peritonitis  (selten  diffuse),  Throm¬ 
bosen  der  Femoralvenen,  Gelenkentzündungen,  Embolien, 
multiple  Neuritiden.  Die  Prognose  ist  sehr  schwer  zu 
stellen.  —  In  jedem  Fall  ist  zunächst  innerlich  zu  be¬ 
handeln.  Die  Behandlung  soll:  1.  Die  Reizuqg  der  er¬ 
krankten  Partien  durch  Kotreste  möglichst  zu  ver¬ 
mindern,  2.  den  Darm  durch  Spülung  vom  anhaftenden 
Sekret  zu  reinigen,  3.  desinfizierende  und  adstringierende 
Mittel  an  ihn  heranzubringen  versuchen.  Stets  ist  Bettruhe 
und  Warmhalten  des  Leibes  geboten.  Diätetisch  beginnt 
man  mit  flüssig  -  breiiger  Kost,  bei  der  man  vorsichtig 


steigende  Milchmengen  verabreicht;  sie  wdrd  meist  gut 
ertragen.  Auf  sorgfältiges  Kauen  ist  besonders  zu 
achten.  Nach  einigen  Wochen  geht  man  zu  Zwieback, 
Veissbrot,  dann  zu  püriertem  Fleisch,  Eiern,  Butter, 
dann  zu  leichten  Gemüsen  und  Apfelbrei  über.  Das 
subjektive  Befinden  des  Kranken  und  die  Kontrolle  des 
Stuhles  belehren  darüber,  ob  die  Zulage  vertragen  wird. 

Ebenso  wichtig  ist  die  lokale  Behandlung.  Man  gibt 
täglich  1  Klistier  von  1  1  dünnem,  lauwarmem  Kamillen¬ 
tee  und  lässt  es  1  —  2  Minuten  halten;  in  schweren  Fällen 
fügt  man  10  Tropfen  Opiumtinktur  hinzu.  Von  Tannin 
(1  Teelöffel  auf  1  1  Wasser)  haben  Vff.  nicht  viel  Gutes 
gesehen.  Günstiger  waren  die  Erfolge  mit  Bolus  und 
Tierkohle  (ää,  1 — 2  Esslöffel  zu  l/*  1  Wasser,  eventuell 
mit  10  Tropfen  Opium,  bis  zu  l/4  Stunde  halten  lassen). 
Zweimal  gaben  sie  auch  eine  Mischung  von  Bolusal  und 
Tierkohle  mit  gutem  Erfolg.  Jedem  derartigen  Klistier 
hat  eine  Kamillenspülung  voranzugehen.  Pulverbehand¬ 
lung  des  Rektums  wenden  Vff.  nicht  an,  da  ihnen  die 
häufige  Einführung  des  Romanoskops  wenig  empfehlens¬ 
wert  erscheint  Albu  hat  auch  mit  heissen  Gelatine¬ 
klistieren,  ferner  mit  gut  verriebenen  Dermatol-Öl-Emul- 
sionen  (100  ccm  als  Bleibeklistier)  Erfolge  erzielt.  — 
Innerlich  gibt  man  alle  Mittel,  die  auch  sonst  bei  Durch¬ 
fällen  empfohien  werden  (Tannalbin,  Wismut,  Dermatol). 
Ad.  Schmidt  gibt  Ipecacuanha  und  Elkossan  sowie 
Uzara;  Rosen  heim  empfiehlt  Kalomel  (10—12  x 
täglich  0,02).  Vff.  geben  auch  Bolus  (bezw.  Bolusal) 
und  Tierkohle  (3  X  täglich  1  Esslöffel).  —  Chirurgische 
Behandlung.  Etwa  dreimonatliche  Behandlung  ohne 
lokalen  Erfolg  bei  sinkendem  Körpergewicht  recht- 
fertigen  die  Zuziehung  des  Chirurgen.  Als  Operation 
kommt  die  Anlegung  des  Anus  praeternaturalis  in  Be¬ 
tracht;  da  man  nicht  weiss,  wie  hoch  der  Prozess  hinauf¬ 
reicht,  wäre  theoretisch  seine  Anlegung  am  Beginn  des 
Colon  ascendens  in  Betracht;  aber  da  der  Mensch  die 
Dickdarmverdauung  nicht  auf  die  Dauer  entbehren  kann, 
hat  man  ihn  an  tieferen  Stellen  ausgeführt  oder  nur  eine 
Fistel  angelegt,  die  nur  einen  Teil  des  Stuhles  ableitet 
und  Spülungen  ermöglicht;  eine  besondere  Form  stellt 
die  Appendicostomie  vor,  die  ohne  Kotverlust  Spülungen 
erlaubt.  —  Beim  Ulcus  chronicum  recti  ist  die  innere 
Iherapie  machtlos;  vielleicht  könnte  ein  frühzeitig  an¬ 
gelegter  Anus  praeternaturalis  Besserung  bewirken. 


Referate  und  Besprechungen. 


Psychiatrie  und  Neurologie.  i 

Frieda  Reichmann.  Klinische  Beobachtungen  an 
Schussverletzungen  peripherischer  Nerven.  (Archiv  f.  Psych. 
LVI.  1915,  H.  1.  S.  290.) 

Es  werden  eine  Anzahl  von  besonders  interessanten  Fällen 
von  Kriegsverletzungen  peripherischer  Nerven  mitgeteilt  und  im 
Anschluss  daran  über  die  organisch  bedingten  Folgezustände 
der  Schusslähmungen  nach  Ausschluss  der  sehr  häufigen 
psychogenen  Störungen  berichtet.  Besonders  auffallend  ist  der 
isolierte  Ausfall  einzelner  und  jedesmal  anderer  Funktionen 
ein  und  desselben  schussverletzten  Nerven:  oft  sind  nur  die 
motorischen,  oft  nur  die  sensiblen  oder  trophischen,  dann  wieder 
alle  Qualitäten  eines  Nerven,  bald  in  seinem  ganzen  Aus 
breitungsbezirk,  bald  in  einem  Teil  desselben  betroffen.  Auf 
die  anatomischen  Verhältnisse  lässt  sich  diese  Erscheinung 
nicht  allein  zurückführen,  und  wenn  auch  die  Höhe  der 
Läsion  eine  gewisse  Rolle  spielt,  so  erklärt  sie  allein  doch 
nicht  in  allen  Fällen  das  elektive  Betroffensein  der  ver¬ 
schiedenen  Versorgungsgebiete  eines  Nerven. 


Im  einzelnen  werden  zur  Symptomatologie  der  motorischen 
Störungen  nach  Schussverletzung  gegenüber  den  peripherischen 
Friedenslähmungen  folgende  Besonderheiten  hervorgehoben: 
Unter  den  51  von  Verf.  beobachteten  Schusslähmungen  des 
Ulnaris  wurde  die  Duchenuesche  Klauenhandstellung  relativ 
selten  beobachtet;  meist  fehlte  die  ausgesprochene  Beugestellung 
der  Nagelglieder,  und  der  drifte  Finger  war  meist  auffallend 
wenig  beteiligt.  Als  konstantes  Symptom  der  Ulnarisparese 
fand  sich  dagegen  ungeachtet  des  Sitzes  der  Läsion  die  fehlende 
Adduktion  der  Finger.  Einefür  Ulnarislähmung  pathognomonische 
Fingerstellung  ergab  sich,  wenn  die  Patienten  zum  Faust¬ 
schluss  aufgefordert  wurden  ;  der  Zeigefinger  wird  gut,  der  dritte 
leidlich,  der  vierte  und  fünfte  nur  in  der  Mittelphalanx  leicht 
gebeugt,  die  Ueberstreckung  der  Grundglieder  tritt  dann  deut¬ 
licher  als  in  der  Ruhelage  hervor.  Für  die  Medianuslähmung 
charakteristisch  fand  sich  beim  Faustschluss  eine  Hyperextension 
des  dritten  und  besonders  des  zweiten  Fingers,  bei  Ausfall  der 
Beugung  im  Mittel-  und  Endglied,  während  Grund-  und 
Nagelphalanx  des  4.  und  5.  Fingers  gut  gebeugt  werden; 


266 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  27. 


dieses  Bild  hält  Verf.  für  charakteristischer  für  die  Medianus¬ 
lähmung  als  die  bekannte  Affenhandstellung.  Die  motorische 
Radialislähmung  wuide  nicht  abweichend  von  den  verschiedenen 
Bildern  der  Friedenslähmung  gefunden.  Mehr  als  hei  anderen 
SchussLihmungen  fiel  hei  der  Peroneuslähmung  die  Ausdehnung 
<l<‘i  I  arese  auf  bestimmte  vom  Nerven  versorgte  Muskelgruppen 
auf  ,  am  häufigsten  wurde  die  isolierte  Paralyse  des  N.  peroneus 
superficialis  beobachtet!  unter  den  übrigen  vom  Peroneus  ver- 
soigten  Muskeln  blieb  relativ  häufig  der  AI.  extensor  digit. 
commun.,  seltener  der  M.  tihialis  verschont 

hin  die  sensiblen  Störungen  fanden  sich  zahlreiche  von 
dem  bisher  Bekannten  abweichende  Befunde.  Nur  in  relativ 
wenigen  Fällen  betreffen  die  sensiblen  Störungen  alle  Qualitäten 
in  gleicher  Intensität  und  Ausdehnung;  im  allgemeinen  fand 
sich  die  Annahme  einer  Dissoziation  der  sensiblen  Qualitäten 
in  dem  Sinne  bestätigt,  dass  eine  Dissoziation  der  Hautanalgesie 
mit  1  hermanästhesie  für  extreme  Temperaturen  einerseits,  der 
Hautanästhesie  mit  Thermhypästhesie  anderseits  beobachtet 
wurde.  Während  in  allen  Fälleu,  die  überhaupt  sensible 
Störungen  aufwiesen,  Schmerz-,  Temperatur-  und  Berührungs¬ 
empfindung  geschädigt  waren,  traten  Störungen  des  Lagegefühls 
vorwiegend  bei  Plexusverletzungen,  und  nur  in  seltenen  Fällen 
bei  Ulnaris-  und  Medianusläsionen  in  den  Fingergelenken,  bei 
Ischiadikussehüssen  auch  in  proximaleren  Gelenken  auf.  '  Die 
sensiblen  Versorgungsgebiete  der  Hand  weichen  in  fast  allen 
fällen  von  dem  bisher  Bekannten  ab:  Die  Grenze  zwischen 
Ulnaiis-  und  Radialisbereich  ist  auf  dem  Handrücken  meist 
ebenso  wie  au  der  Vola  -eine  Linie,  die  von  der  Mitte  des  4. 
f  ingers,  seltener  auf  der  Grenze  zwischen  4.  und  5.  Finger 
über  dem  Handrücken  verläuft.  Am  meisten  entspricht  dem 
gewohnten  Bilde  die  sensible  Versorgungszone  des  Medianus; 
sehr  häufig  ist  bei  Medianuslähmungen,  dass  der  Sensibilitäts¬ 
ausfall  nur  die  vom  Medianus  versorgten  Teile  der  Finger  be¬ 
trifft,  während  die  Handfläche,  besonders  die  Haut  über  dem 
Daumenballen  der  Sitz  einer  ausgeprägten  Hyperalgesie  ist 
Die  sehr  häufigen  Neuralgien  lassen  sich  nicht  in  allen  Fällen 
auf  Narbenkompression  zurückführen,  denn  sie  treten  meist 
ziemlich  rasch  nach  der  Schussverletzung  auf;  ob  es  sich  hier 
um  echte  Neuritiden  handelt,  möchte  Verf.  nicht  entscheiden. 
Auffallend  ist,  dass  diese  Neuralgien  am  weitaus  häufigsten  bei 
Plexus-  und  Ischiadicusverletzungen  sind.  Jedenfalls  geben 
diese  Erscheinungen  keinerlei  Indikation  zur  Operation,  Gneist 
gelingt  es  nach  eineiger  Zeit  mit  konservativer  Behandlung 
Besserung  zu  bringen,  bis  die  Epoche  der  primären  Reizer¬ 
scheinungen  überwunden  ist. 

Sehr  häufig  und  sehr  variabel  sind  die  trophischen 
Störungen.  Am  häufigsten  werden  folgende  Erscheinungen 
beobachtet:  DieLIautüber  dem  Ausbreitungsbezirk  des  betroffenen 
Nerven  ist  feucht,  ödematös  und  livide  verfärbt ;  sie  erscheint 
verdünnt,  leicht  vulnerabel  und  fühlt  sich  eigentümlich 
schwammig  an;  die  queren  Hautfalten  sind  verstrichen.  Daneben 
finden  sich  häufig,  aber  nie  gesetzmässig,  recht  wechselnde 
trophische  Störungen :  Temperatursteigerung,  Hyperhidrosis, 
Hypertrichosis  und  livide  Verfärbung  der  betreffenden  Haut¬ 
partien  einmal  und  in  anderen  Fällen  Kälte,  Blässe  und 
Anhidrosis.  In  keinem  Falle  fehlen  Atrophien,  und  zwar 
treten  sie  nicht  nur  in  den  gelähmten,  sondern  auch  in  anderen 
Muskeln,  und  zwar  so  rasch  nach  der  A^erletzung  auf,  dass 
sie  nicht  als  Inaktivitätsatrophien  aufgefasst  werden  können. 
Ein  Zusammenhang  zwischen  der  Art  der  Nervenläsion  und 
der  Eigenart  der  trophischen  Störung  liess  sich  nicht 
nach  weisen,  dagegen  fanden  sich  gewisse  Prädilektionstypen 
für  bestimmte  Nervengebiete.  Am  stärksten  und  häufigsten 
sind  die  tiophischeu  Störungen  in  den  vom  Aledianus  versorgten 
Gebieten  der  Finger,  wo  sie  bis  zu  Spont.inulzerationen  führen 
können;  im  Ulnarisgebiet  wurden  sie  am  häufigsten  als  gelblich 
gefärbte  trockene  borkige  Beläge  beobachtet;  für  die  Radialis¬ 
lähmung  ist  eine  Schwellung  des  Handrückens  besonders 
charakteristisch.  Konstant  treten  Veränderungen  an  den  Nägeln 
auf  in  Form  von  Gelbfärbung,  Glanzlosigkeit,  Rissigkeit, 
fehlender  Lunula  und  Wachstumsanomalien.  Auch  bei  hohem 
Sitz  der  Verletzung  sind  die  trophischen  Störungen  meist  distal 
lokalisiert;  bei  proximalem  Sitz  kann  auch  das  Knochen¬ 
system  von  atrophischen  Veränderungen  ergriffen  werden. 

Die  elektrischen  Störungen  weichen  gleichfalls  von  dem 


Bekannten  erheblich  ab.  Es  kommt  zwar  kein  Fall  ohne 

elektiische  Störung  vor,  aber  es  liess  sich  kein  gesetzmässiger 
Zusammenhang  zwischen  dem  Grad  der  Nervenschädigung 

und  dem  der  elektrischen  Störung  feststellen ;  insbesondere  lässt 
sich  die  totale  Kontinuitätsstörung  (Nervenzerreissung)  von  der 
partiellen  (Kompression)  elektrisch  nicht  unterscheiden;  insbe¬ 
sondere  fand  sich  eine  totale  Entartungsreaktion  über  Erwarten 
selten.  Verf.  kommt  daher  zu  dem  Schluss,  dass  der  Haupt- 
-  ^  U  tei  uchung  bei  peripherischen  Schuss- 

lähmungeu  vorläufig  nur  der  Differentialdiagnose  zwischen 

funktioneller  und  organischer  Lähmung  gilt. 

Hinsichtlich  der  Therapie  der  peripherischen  Schuss¬ 
lähmungen  kommt  Verf.  auf  Grund  ihrer  Erfahrungen  zu 

folgenden  leitenden  Gesichtspunkten;  Jede  Schusslähmung  ist 
zunächst  konservativ  zu  behandeln  (indirekte  und  direkte 
Galvanisation,  passive  und  aktive  Uebungen,  Massage,  Thermo- 
und  Hydrotherapie,  prophylaktische  Prothesenanlegung).  Eine 
Operation  ist  erst  indiziert  nach  sechswöchentlicher  konservativ¬ 
therapeutischer  Beeinflussung  ohne  Besserungstendenz,  voraus¬ 
gesetzt,  dass  die  primäre  Schusswunde  völlig  geheilt  ist  und 
keine  Bakterien  mehr  im  Wundgebiet  vermutet  werden  können. 
Je  weiter  peripheriewärts  lokalisiert  und  je  mehr  auf  isolierte 
Nervenstämrne  die  \  erletzung  beschränkt  ist,  desto  besser  ist 
die  Prognose  der  Operation;  Plexusschüsse  und  hohe  Ischiadicus¬ 
verletzungen  haben  für  Neurolyse  und  Nervennabt  die  un¬ 
günstigste  Prognose  Massgebend  für  die  Entscheidung  zur 
Operation  soll  auch  die  Schwere  der  Ausfallserscheinungen 
unter  Berücksichtigung  der  individuellen  Gebrauchsfähigkeit 
und  Gebrauchsnotwendigkeit  der  getroffenen  Aluskeln  sein. 
Die  Operationsmethode  wird  wegen  der  Unmöglichkeit  einer 
klinischen  Unterscheidung  zwischen  Kontinuitätstrennung  und 
partieller  Nervenschädigung  erst  während  der  Operation  ent¬ 
schieden;  ist  der  Nerv  in  seiner  Kontinuität  erhalten  und 
makroskopisch  intakt,  so  wird  Neurolyse  und  Einscheidung 
in  indifferentes  Gewebe  vorgenommen,  andernfalls  ist  Neu- 
rektomie  und  Nervennaht  indiziert.  Die  Nachbehandlung  ist 
die  gleiche  wie  die  primäre  Konservativtherapie. 

W.  M  i  s  c  h,  Berlin. 


Bücherschau. 

C.  S  c  h  w  e  r  d  t.  Die  Seekrankheit,  eine  akute  durch 
Traumen  bedingte  Stoffwechselstörung,  und  ihre  Verhütung. 

(G.  Fischer,  Jena  1914). 

Die  Seekrankheit  wird  aufgefasst  als  eine  akute  Enteroptose, 
die  durch  die  ständigen  Schiffsbewegungen  verursacht  wird. 
Verf.  wurde  daraufhingewiesen  durch  manometrische  Messungen 
in  Dann  und  Magen  an  Enteroptose-  und  Seekranken,  deren 
Ergebnisse  schon  ausführlich  anderweitig  beschrieben  wurden. 
Durch  die  Schiffsbewegungen  werden  die  Bauchorgane  auf-  und 
abgeschleudert,  was  bedeutende  Schwankungen  des  intraab¬ 
dominellen  Druckes  zur  Folge  hat.  Es  treten  nun  an  dem 
sich  im  Gleichgewicht  in  aufrechter  Stellung  haltenden  Menschen 
Spannungen  der  Bauchwand  hervor,  die  den  Bauchraum  ein¬ 
engen  und  die  inneren  Organe  in  höherem  Grade  festlegen; 
bei  weniger  widerstandsfähigen  Menschen  tritt  aber  bald  Er- 
müdung  und  Abspannung  ein,  so  dass  eine  Erschlaffung  der 
Bauchwand  und  damit  der  Anfang  zum  enteroptotischen  Zu¬ 
stand  resultiert.  Die  Folge  ist  eine  Ueberdehnung  der  Fixations¬ 
bänder  und  eine  Erweiterung  der  Hohlorgane,  insbesondere 
auch  der  Blutgefässe,  so  dass  eine  zunehmende  Rückstauung 
des  Blutes  in  die  unteren  Extremitäten  und  Ueberfülluug  von 
Blut  in  der  weiten  Bauchhöhle  entsteht.  Hierdurch  ist,  was 
sich  auch  aus  der  blassfahlen  Gesichtsfarbe  schliessen  lässt, 
eine  Anämie  des  Gehirns  und  der  Sinnesorgane,  besonders  aber 
des  Labyrinthes,  bedingt,  so  dass  diese  Organe  auf  stärkere 
Reize  wie  auf  ein  Trauma  reagieren  werden.  Das  schwerste 
küipei  liehe  lrauma  hat  dabei  das  Gehirn  auszuhalten,  da  es, 
selbst  durch  die  Anämie  an  Volumen  vermindert,  in  einer  in¬ 
folge  der  Anämie  vermehrt  angesaugten  Alenge  Liquor  herum¬ 
schwimmt  und  infolgedessen  in  eine  pathologische  Beweglich¬ 
keit  kommt.  Auch  das  bereits  durch  Anämie  und  Unterdrück 
der  Endolymphe  schwer  gereizte  Labyrinth  wird  durch  die  von 
dem  mit  den  Schiffsbewegungen  flottierenden  Gehirn  erzeugten 

o 


Nr.  27 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


267 


Liquorwellen  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Während  bei  der 
gradatim  eintretenden  Enteroptose  das  £raukheitsbild  von  den 
aus  dei  Dilatation  der  Hohlorgane  resultierenden  Stoffwechsel- 
Störungen  mit  folgender  Autointoxikation  intestinalen  und 
renalen  Ursprungs  und  der  Kohlensäureüberladung  beherrscht  wird, 
die  Blutstauung  aber  ganz  in  den  Hintergrund  tritt,  bilden  sich 
bei  der  Seekrankheit  wegen  der  kurzen  Dauer  des  Leidens  die 
Dilatationen  nicht  aus,  und  das  Krankheitsbild  wird  von  der 
grossen  Blutfülle  beherrscht.  Bei  der  Enteroptose  ist  daher  in 
der  Schädelhöhle  eine  Anämie  mässigen  Grades  zu  erwarten, 
so  dass  die  Symptome  von  seiten  des  Gehirns  und  der  Sinnes¬ 
organe,  insbesondere  des  Gleichgewichtssinnes,  fast  ganz  fehlen, 
während  bei  der  Seekrankheit  das  schwere  Trauma  des  Gehirns 
und  des  Labyrinths  mit  dem  von  ihm  ausgehenden  Schwindel 
vorherrscht. 

Zur  Verhütung  der  Seekrankheit  empfiehlt  Verf.  alles, 
was  das  köiperliche  ITauma  verhüten  kann.  Am  besten  sind 
körperliche  Arbeit  und  Tanz  nach  der  Musik,  freie  und  tiefe 
Atmung,  sowie  ständige  Uebung  in  der  Erhaltung  des  Gleich¬ 
gewichts;  sobald  man  ermüdet,  soll  man  sich  zur  Unterpolsterung 
der  grossen  Gefässe  auf  den  Bauch  auf  eine  gepolsterte  Unter¬ 
lage  legen.  Am  besten  wird  der  Schwindel  bekämpft  und 
überwunden  durch  die  Grazie,  die  eine  gute  Bahnung  zwischen 
Gleichgewichts-  und  Willenszentrum  schafft  und  durch  Uebung 
eiwoiben  werden  kann.  Für  leidende,  geschwächte  Personen 
muss  endlich  die  Technik  Vorrichtungen  finden,  die  die  See- 
krankheit  möglichst  ausschliessen  und  deren  eine  vom  Verf. 
erfundene  näher  beschrieben  wird. 

W.  Misch,  Berlin. 

W.  M.  van  der  S  c  h  e  er  und  F.  J.  S  t  u  u  r  m  a  n. 

Beitrag  zur  Kenntnis  der  Pathologie  des  Corpus  Striatum 
nebst  Bemerkungen  über  die  extrapyramidalen  Bewegungs¬ 
störungen.  (Zeitschr  f.  d.  ges.  Neurol.  u.  Psych.  XXX  i  9 1 5 
H.  2/3,  S.  90.) 

Bei  einem  G4  jähr.  Patienten  zeigten  sich  die  Erscheinungen 
einer  Hirnerkrankung  als  Kopfschmerzen,  Desinteressiertheit, 
Schläfrigkeit,  Verwirrtheit  und  Debilität.  Bei  der  Aufnahme 
in  die  Klinik  fanden  sich  als  Hauptsymptome:  Somnolenz, 
Incontinentia  urinae  et  alvi,  die  auch  bei  vollem  Bewusstsein 
vorhanden  gewesen  waren.  Steifigkeit,  ausgesprochene  Spannungs¬ 
zustände  bei  passiven  Bewegungen  ausschliesslich  auf  der 
linken  Seite;  Wassermann  war  negativ,  die  Prostata  war  ver- 
grössert,  aber  nicht  genügend,  um  die  Miktionsbeschwerden  zu 
erklären.  Bauch-  und  Cremasterreflexe  fehlten  links,  kein 
Babinski;  ab  und  zu  Zuckungen  rechts  wie  links,  in  den 
letzten  Tagen  eine  zweifelhafte  Parese  auf  der  rechten  Seite, 
ziemlich  viele  langsame  pseudospontane  Bewegungen,  die  haupt¬ 
sächlich  links  stattfänden,  während  die  andere  Körperhälfte 
ruhig  blieb;  Pupillen  waren  eng,  reagierten  aber;  Papillitis 
duplex.  36  Stunden  nach  einer  Lumbalpunktion  kam  der 
Patient  zum  Exitus.  Bei  der  Obduktion  fand  sich  ein  Tumor  des 
rechten  Corpus  striatum,  der  an  der  Stelle  des  Kopfes  des 
Nucleus  caudatus,  des  vorderen  Schenkels  der  Capsula  interna 
und  des  vorderen  Teils  des  Linsenkerns  gelegen  war;  auch 
wurde  eine  weiche  Stelle  mitten  im  Kopf  des  linken  Nucleus 
caudatus  gefunden. 

Von  besonderem  Interesse  sind  hier  zwei  Symptome:  Die 
Unreinlichkeit  und  der  eigentümliche  Muskelspannungszustand, 
leilweise  des  Rumpfes,  aber  namentlich  der  linken  Extremitäten. 
Für  das  erste  Symptom  eine  medulläre  Erkrankung  anzu¬ 
nehmen  fehlen  alle  Erscheinungen,  es  liegt  hier  vielmehr  eine 
zerebrale  Incontinentia  urinae  et  alvi  vor.  Wie  aus  zahlreichen 
angeführten  Fällen  aus  der  Literatur  hervorzugehen  scheint, 
ist  das  Corpus  striatum  als  ein  subkortikales  Zentrum,  das  die 
Blasenfunktion  beeinflusst,  anzusehen;  insbesondere  scheint  dem 
vorderen  Teil  des  Corpus  striatum  ein  Einfluss  auf  den 
Mechanismus  der  Miktion  zuzukommen.  Hinsichtlich  der  ein¬ 
seitigen  Muskelspannung  in  Rumpf  und  Extremitäten  fänden 
sich  folgende  Besonderheiten:  Ein  sehr  starker  Widerstand  bei 
passiver  Beugung  und  Streckung  der  linken  Extremitäten, 
ferner  die  Anspannung  sowohl  der  Beuger  wie  der  Strecker 
bei  den  passiven  Bewegungen  und  endlich  die  reflektorische 
Muskelanspannung  bei  der  geringsten  passiven  Bewegung  flexiver 
wie  extensiver  Art  sowie  bei  sensorischen  Hautreizen  :  besonders 
charakteristisch  war  das  plötzliche  Vorspringen  der  Sehnen  der 


Kniekehle  ohne  lokomotorischen  Effekt  bei  dem  geringsten  Reize. 
Diese  Erscheinungen  werden  mit  der  „tonic  inuervation“ 
Sherringtons  in  Verbindung  gebracht  und  aus  dem  vorliegenden 
I  all  der  Schluss  gezogen,  dass  sie  jedenfalls  auch  bei  subkortikalen 
Störungen  rein  Vorkommen  können,  was  ja  auch  schon  aus 
einem  Fall  von  Mills,  bei  dem  doppelseitige  Linsenkerner¬ 
weichungen  gefunden  wurden,  hervorging.  Auch  die  Incontinentia 
urinae  wird  mit  dem  linksseitigen  Spannungszustand  in  Ver¬ 
bindung  zu  bringen  versucht,  indem  der  Versuch  gemacht  wird, 
die  Asynergie  zwischen  Agonisten  und  Antagonisten,  das  Fehlender 
antagonistischen  Entspannung  bei  der  Kontraktion  der  Agonisten 
und  umgekehrt,  auch  auf  die  Blasenmuskulatur  zu  über- 
tragen-  W.  Mise  h,  Berlin. 


Wichtige  gerichtliche  Entscheidungen. 

Rechtsfolgen  falscher  Heilbehandlung  durch  einen  Natur¬ 
heilkundigen. 

Am  11.  Dezember  1908  geriet  der  Steinbrecher  R.  aus 
B.  bei  der  Arbeit  im  Steinbruch  unter  einen  stürzenden  Schleif¬ 
stein  und  erlitt  hierbei  einen  Bruch  des  rechten  Oberschenkels. 
In  der  Folge  liess  sich  R.  von  dem  Beklagten  behandeln,  mit 
dem  Ergebnisse,  dass  an  der  Bruchstelle  die  beiden  Knochen¬ 
enden  sich  nicht  aneinander,  sondern  nebeneinander  legten 
und  das  Bein  infolgedessen  erheblich  gekürzt  wurde.  °Die 
Klägerin  hat  für  den  Verunglückten  nach  dem  Gewerbeunfällver¬ 
sicherungsgesetze  vom  30.  Juni  1900  Aufwendungen  gemacht, 
zahlt  ihm  noch  gegenwärtig  eine  Rente  und  nimmt  hierwegen 
auf  Ersatz  unter  Berufung  auf  §  140  des  genannten  Gesetzes 
den  Beklagten  in  Anspruch.  Die  Vorinstanzen  haben  den 
Anspruch  für  begründet  erachtet.  Vom  Reichsgericht  wurde 
die  Sache  zurückverwiesen  mit  folgender 

Begründung: 

Das  Berufungsgericht  hat  ausgesprochen,  dass  auch  der 
vom  Beklagten  durch  seine  verfehlte  Heilbehandlung  dem 
R.  zugefügte  Schaden  als  durch  den  Unfall  entstanden  im 
Sinne  des  §  140  des  Gewerbeunfallversicherungsgesetzes 
anzusehen  sei:  auch  für  diese  Schadensfolge  sei  daher  die 
Ersatzpflicht  der  Klägerin  dem  Verunglückten  gegenüber  ein- 
getreten.  Etwaige  Ersatzansprüche  des  R.  gegen  den  Beklagten 
seien  daher  in  der  Tat  auf  die  Klägerin  übergegangen.  Die 
Revision  bestreitet  dies:  das  Berufungsgericht  habe  bei  diesen 
Ausführungen  übersehen,  dass  in  Fällen  von  Körper-  und  Ge¬ 
sundheitsverletzungen  für  Schadensvergrösserungeu,  die  auf 
ärztliche  Kunstfehler  bei  der  durch  die  Verletzung  not¬ 
wendig  gewordenen  Behandluug  zurückzuführen  seien,  ein 
adäquater  Kausalzusammenhang  mit  der  Tat  des  Erst- 
schädigers  n  u  r  insoweit  anzuerkennen  sei,  als  der  ärzt¬ 
liche  Kunstfehler  bei  der  Behandlung  auf  der  Unvollkommenheit 
der  Wissenschaft  und  ihrer  Ausübung  beruht,  mit  der  überall 
gerechnet  werden  muss  und  deren  Wirksamwerden  mithin 
einem  erfahrungsgemässen  Regelverlauf  entspricht.  Habe  da¬ 
gegen  der  Arzt  alle  Regel  und  Erfahrung  gröblich  ausser  acht 
gelassen,  so  sei  der  Misserfolg  der  Heilung  auf  dieses  Ver¬ 
halten  des  Arztes  als  alleinige  Ursache  im  Rechtssinne  zurück - 
Zufuhren.  Diesen  Ausführungen  der  Revision  war  indessen 
ein  Anlass,  das  Urteil  aufzuheben,  nicht  zu  entnehmen.  Das 
Berufungsgericht  gründet  die  von  der  Revision  angegriffene 
Annahme  des  Kausalzusammenhanges,  wie  die  Urteilsbegründung 
in  ihrem  Zusammenhänge  zur  Genüge  ergibt,  auf  eine  im 
wesentlichen  tatsächliche  Würdigung  von  Umständen,  die  der 
Lage  des  Falles  entnommen  sind.  In  diesem  Sinne  vor  allem 
wird  auf  das  grosse  Ansehen  der  sogen.  Knochenflicker  hinge- 
wiesen,  das  diese  insbesondere  bei  der  ländlichen  Bevölkerung 
gemessen  unddasden  R.  zur  Erwartung  einerzweckentsprechenden 
und  unschädlichen  Heilung  bringen  „musste“.  War  dem  so, 
und  entspricht  jene  Wertschätzung  der  „Naturheilkundigen“ 
in  der  Tat  in  so  hohem  Grade  den  in  dem  Lebenskreise  des 
Verunglückten  herrschenden  Anschauungen,  so  kann  es  nicht 
für  rechtsirrig  erachtet  werden,  wenn  das  Berufungsgericht 
im  vorliegenden  Fälle  die  Angehung  des  Beklagten  durch  R. 
nicht  als  einen  ungewöhnlichen,  nicht  vorhersehbaren  Verlauf 
der  Dinge  angesehen  hat.  Dagegen  war  der  Revision  in 
anderer  Richtung  der  Erfolg  nicht  zu  versagen.  Zwar  kann 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  27. 


268 


ein  Selbstverschulden  des  R.  wie  die  Revision  will,  in  dessen 
Zutrauen  zu  der  Leistungsfähigkeit  des  „Knochenflickers“  nach 
Sachlage  noch  nicht  ohne  weiteres  gefunden  werden.  Stand 
hierbei  R.  unter  dem  Banne  allgemein  in  der  ländlichen  Be¬ 
völkerung  verbreiteter  Anschauungen,  so  stellt  die  Au¬ 
ge  h  u  n  g  des  Beklagten  für  sich  allein  noch  nicht  eine 
Ausserachtlassung  der  im  Verkehr  geschuldeten  Sorgfalt  dar. 
Zu  beachten  sind  indessen  weiter  die  besonderen  LTmstände 
des  vorlegendeu  Falles :  trotz  der  Erklärung  des  Beklagten,  er 
habe  gar  keinen  Mut,  an  die  Sache  heranzugehen,  es  handle 
sich  um  einen  sehr  schweren  Fall,  es  sei  für  R.  besser  ins 
Krankenhaus  zu  gehen,  —  trotz  des  Hinweises  auf  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  eintretenden  Verkürzung  des  Beines  hat  R.  den 
Beklagten  durch  Drängen  und  Zureden  zur  Uebernahme  der 
Behandlung  bestimmt.  In  diese  m  Verhalten  R’s.  kann  ein 
Selbstverschulden  gefunden  werden.  Ob  und  aus  welchen 
Gründen  das  Berufungsgericht  ein  Selbstverschulden  auch  in 
diesem  Sinne  verneinen  zu  sollen  geglaubt  hat,  lässt  die  Urteils¬ 
begründung  nicht  erkennen. 

Urteil  des  RG.  vom  4.  Okt.  1915.  VI.  171.  1915. 

(Mitgeteilt  von  Dr.  Hans  B  e  r  t  h  o  1  d  ,  Leipzig.) 


Neuere  Medikamente. 

Calciglycin.  In  der  Therapie  der  Gegenwart  1916  S.  96 
berichtet  Prof.  A.  Loewy  über  das  Verhalten  des  Calciglycins 
im  Stoffwechsel  Dasselbe  war  ihm  von  der  Chemischen 
Fabrik  Arthur  Jaffe  zur  Prüfung  überwiesen.  Diese  Chlor- 
kalciumdiglykocollverbindung,  von  P.  Pfeiffer  zuerst  hergestellt, 
bildet  farblose,  prismatische,  in  Wasser  leicht  lösliche  Nadeln 
von  neutraler  Reaktion  und  schwach  salzigem  Geschmacke. 
Nach  den  Versuchen  des  Verfassers  ist  das  Calciglycin  ein 
wertvoller  Ersatz  für  reines  Chlorcalcium,  das  besonders  hin¬ 
sichtlich  der  Resorption  und  Kalkverwendung  im  Körper  sowie 
durch  seinen  angenehmen  Geschmack  dem  Chlorcalcium 
überlegen  ist.  Auch  der  Glykocollanteil  wurde  im 
Organismus  sehr  gut  verwertet;  auf  ihn  führt  Verfasser 
auch  die  beobachtete  Einschränkung  des  Stickstoffumsatzes 
zurück. 

Granugenol  „Knoll“.  Ueber  dieses  in  letzter  Zeit  vielge¬ 
nannte  Präparat  liegen  verschiedene  neue  Mitteilungen  vor. 
Dr.  med.  Seubert,  z.  Zt.  Chirurg  an  Reserve-  und  Vereins¬ 
lazaretten  in  Mannheim  hatte  Gelegenheit  in  etwa  100  Fällen 
die  eminente  Förderung  des  Wachstums  des  Granu¬ 
lationsgewebes  durch  das  Granugenol  festzustellen.  In  zwei 
Fällen  °von  ausgedehnten  Röntgen  Verbrennungen,  die  bekannt¬ 
lich  Monate  und  Jahre  zur  Heilung  benötigen,  konnten  durch 
Granugenolverwendung  ganz  augenfällige  Erfolge  erzielt  werden. 
In  der  Münch.  Mediz.  Wochenschr.  1916  No  12  berichtete 
der  Verfasser  über  die  einzelnen  Fälle.  Er  rät  in  derartigen 
Fällen  einen  Versuch  mit  Granugenol  dringend  au. 

Die  gleichen  Erfahrungen  machte  Dr.  W.  Dietrich  in 
einem  anderen  Reservelazarett  in  Mannheim  bei  Knochen¬ 
fisteln,  operativ  gesetzten  Defekten,  veralteten  grossen  Haut¬ 
geschwüren  als  Folge  von  Frostballen  und  Verbrennungen 
2._3.  Grades.  Die  Erfolge  waren  durchweg  eklatant,  — 
siehe  Münch.  Mediz.  Wochenschr.  1916.  No  7. 


In  Medizin.  Klinik  1916,  No.  15  berichtet  Oberstabsarzt 
a.  D.  Prof  Dr.  A.  Hiller,  Berlin-Schlachtensee,  über  seinen 
Erfolg  mit  Granugenol  Lei  einem  hartnäckigen  fistulösen  Abszess 
an  der  rechten  Hinterbacke  eines  65  jährigen  Patienten.  Durch 
dauernde  Infektion  mit  Ivolibazillen  bei  der  Defäkation  und 
anscheinend  ungenügende  Nachbehandlung  nach  einer  vor¬ 
angegangenen  Operation  hatte  sich  das  Leiden  zu  einer  abs- 
zedierenden  Phlegmone  entwickelt.  Von  den  vorhandenen 
4  Fistelgängen  waren  nach  12  Tagen  3  geschlossen,  nach 
6  Wochen  konnte  der  Patient  als  geheilt  entlassen  werden. 
Als  Grundbedingung  für  die  Wirkung  fordert  der  Verfasser, 
dass  das  Präparat  mit  allen  Teilen  einer  Wunde  in  dauernde 
Berührung  kommt. 

Joletran  iu  wohlschmeckenden  Tabletten  bringt  als  Ersatz 
für  den  zur  Zeit  seltenen  und  unerschwinglich  teueren  Leber¬ 
tran  die  chemische  Fabrik  Goedecke  &  Co.,  Berlin,  auf  den 
Heilmittelmarkt.  Jede  Tablette  enthält  0,01  Jod,  0,25 
Prothaemin  mit  0,02°/o  Eisen  und  0,075  Sanocalcin  und  ist 
leicht  verdaulich,  völlig  resorbierbar  und  dient  als  antiskrofulöses 
Mittel  besonders  zum  Aufbau  des  menschlichen  Organismus 
sowie  zur  Heilung  der  kongenitalen  Lues.  1  Origiualschachtel 
mit  60  Tabletten  Joletran  kostet  2,50  Mark. 

Laktosan  bezeichnet  das  Gärungsinstitut  Dr.  R.  Kusserow, 
Sachsenhausen  (Mark)  ein  von  ihm  hergestelltes  Heilmittel 
gegen  Zuckerkrankheit,  Furunkulose,  Magen-  und  Hautkrank¬ 
heiten,  Herzleiden  und  Nervosität.  Es  enthält  diejenigen 
Fermente,  welche  als  Darmflora  im  Organismus  bei  der  Ver¬ 
dauung  der  Speisen  und  der  Blutbildung  mitwirken,  uud  deren 
Fehlen  und  ungenügendes  Vorhandensein  die  Ursache  aller 
Stoffwechselkrankheiten  und  deren  Folgeerscheinungen  sein  sollen. 
Es  ähnelt  in  seiner  Zusammensetzung  dem  Lactobacilline  nach 
Metschnikoff  und  den  verschiedenen  Yoghurtdauerpräparaten 
und  wird  auch  wie  diese  gegeben.  Die  Dauer  der  Kur  wird 
auf  ein  Vierteljahr  angegeben.  Eine  grössere  Zahl  Kranken¬ 
berichte  sollen  den  Wert  des  Präparates  erhärten,  klinische 
Berichte  liegen  noch  nicht  vor,  doch  ist  anzunehmen,  dass  das 
Laktosan  in  geeigneten  Fällen,  die  wohl  sehr  zahlreich  sein 
dürften,  seinen  Zweck  erfüllt.  Der  Preis  für  100, —  g  beträgt 
2,00  Mark,  für  300,  -  g  5,00  Mark,  womit  man  3=4  Wochen 
auskommen  soll. 

Herbakol  ist  eine  Kombination  von  Kalium  sulfoguaja- 
colicum  mit  Eisen  und  Kalziumhypophosphiten  in  Form  eines 
angenehm  schmeckenden  Sirups.  Die  ärztliche  Standeszeitung 
„Die  Heilkunde“,  Wien,  berichtet  darüber  in  No.  2  des  XX.  Jahr¬ 
ganges.  Das  Mittel  ist  klinisch  erprobt  und  von  vielen  Seiten 
glänzend  begutachtet.  Seine  Abgabe  erfolgt  nur  auf  ärztliche 
Ordination.  Die  Dosierung  ist  für  Erwachsene  3  bis  4  Esslöffel 
voll  täglich,  Kindern  die  Hälfte,  Es  wird  hergestellt  in  Dr. 
A.  Hellmanns  Apotheke  „Zur  Barmherzigkeit“,  Wien  VII. 

Romauxan,  von  Dr.  Scheffen,  Köln  a.  Rh.,  ist  ein  eisen¬ 
haltiges  Nähr-  und  Kraftmittel,  das  im  besonderen  in  einigen 
Fällen  von  Schulanämie,  Skrofulöse,  Neurasthenie,  Anämie 
nach  Blutverlusten,  Chlorose  und  Morbus  Basedowii,  ausserdem 
aber  auch  bei  in  der  Entwicklung  zurückgebliebenen  Kindern 
mit  gutem  Erfolg  angewandt  wurde.  Es  ist  sehr  bekömmlich 
und  ein  guter  Blutbildner  bei  Kindern  und  Erwachsenen.  Die 
bisherigen  Erfolge  waren  sehr  ermutigend.  (Klinisch-Therapeut. 

I  Wochenschrift  43/1915.)  E.  Otto. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang 


1915/16. 


Tortscbrittc  der  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  miiwirkung  hervorragender  Tatömänner 

herausgegeben  von 

I-  von  Criegern.  L.  Edinger,  L  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

C.  L  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr,  28 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


10.  Juli. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Fersenbeinbrüche  als  Seekriegsverletzungen. 

Von  Privatdozent  Dr.  Georg  Magnus,  Marburg. 

Marine-Oberassistenzarzt  d.  R. 

Die  Frakturen  der  Fußwurzel,  besonders  des  Talus 
und  Calcaneus,  werden  durchaus  nicht  selten  beobachtet, 
seitdem  das  Röntgenbild  die  Diagnostik  hat  sichern 
helfen.  Das  klinische  Bild  hat  sich  so  scharf  umgrenzen 
lassen,  daß  ein  Erkennen  der  Verletzung,  auch  in  leichten 
Fällen,  kaum  Schwierigkeiten  machte.  Es  ist  dies  um 
so  wichtiger,  als  diese  Frakturen  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  halle  bei  Berufsunfällen  zustande  kommen, 
und  infolge  der  heftigen  und  lang  andauernden  Be¬ 
schwerden  die  Frage  der  Begutachtung  eine  sehr 
wichtige  und  verantwortungsvolle  ist. 

Fast  immer  ist  der  Sturz  auf  die  Füße  die  Ursache 
der  Verletzung ;  Dacharbeiter,  Schornsteinfeger  und 
Seeleute  sind  in  erster  Linie  gefährdet.  Der  fallende 
Körper  berührt  den  Boden  zuerst  mit  den  Fußsohlen. 
Hier  tritt  die  erste  Verzögerung  ein;  und  ehe  diese  sich 
der  übrigen  Masse  mitteilt,  hat  deren  kinetische  Energie 
den  Unterschenkel  in  das  Fußgewölbe  hineingetrieben. 
Daß  dessen  hinterer  Pfeiler  zuerst  einbricht,  ist  mechanisch 
gut  verständlich.  Die  fallende  Last  greift  ihn  zunächst 
an ;  und  außerdem  sind  die  vordem  Pfeiler  unter  sich 
durch  den  quer  gestellten  Metatarsalbogen  abgefedert. 
Die  Fußwurzel  bricht  zusammen,  das  Gewölbe  fällt  zu 
Boden.  Dabei  streckt  sich  der  Fuss,  und  der  mediale 
Rand  mit  dem  Os  naviculare  nähert  sich  der  Unterlage  : 
mit  einem  Schlage  ist  ein  ausgebildeter  Plattfuß  ent¬ 
standen,  oft  genug  allerschwersten  Grades. 

Daß  in  der  Regel  der  Calcaneus  bricht,  während 
der  Talus  intakt  bleibt,  liegt  *an  der  größeren  Härte 
des  letzteren.  Wo  Absprengungen  vom  Talus  beschrieben 
werden,  ist  die  Angabe  mit  Vorsicht  zu  verwerten,  da 
nicht  selten  der  Prozessus  posterior  als  selbständiges 
Sesambein  vorkommt  und  zu  Täuschungen  Veranlassung 
gibt;  zumal  wenn  dies  Sesambein  durch  die  Verschiebungen 
in  der  Umgebung  disloziert  wird. 

Diese  übliche  Ätiologie,  der  Fall  auf  die  Füße,  ließ 
sich  bei  einer  Anzahl  von  Calcaneusfrakturen  ausschließen, 
die  im  Anschluß  an  ein  Seegefecht  gehäuft  beobachtet 
wurden.  Unter  einer  kleinen  Anzahl  Verwundeter  von 
der  Besatzung  eines  kleinen  Kreuzers  hatten  nicht  weniger 
als  sieben  Leute  Calcaneusfrakturen,  zwei  davon 
doppelseitig.  Alle  gaben  übereinstimmend  an,  nicht 
auf  die  Füße  gefallen  zu  sein,  wozu  im  übrigen  gar  keine 
Gelegenheit  gewesen  war,  —  und  auch  keine  direkte 
Verletzung  der  Füße  erlitten  zu  haben.  Diese  letztere 
Beobachtung  ließ  sich  auch  objektiv  bestätigen;  obwohl 


nämlich  in  drei  Fällen  eine  Komplikation  durch  schwere 
Weichteilverletzungen  vorlag,  war  überall  das  Schuh¬ 
werk  unbeschädigt.  Einer  der  am  schwersten  Verletzten 
entsann  sich,  mehrere  Stunden  nach  der  Verwundung 
das  Blut  aus  dem  intakten  Stiefel  ausgegossen  zu 
haben. 

Wie  war  in  diesen  Fällen  die  Fraktur  zustande  ge¬ 
kommen?  Die  Nachforschung  nach  den  Treffern  im 
Schiff  führte  aut  die  richtige  Spur.  Es  stellte  sich 
nämlich  dabei  heraus,  daß  auf  sämtlichen  beteiligten  Ge¬ 
fechtsstationen  dieselbe  Beobachtung  gemacht  worden 
war :  im  nächstuntern  Raume  war  eine 
schwere  Granate  krepiert.  Der  im  Moment 
der  Explosion  enorm  ansteigende  Gasdruck  hatte,  wie 
sich  am  Schiffskörper  objektiv  feststellen  ließ,  die  Bord¬ 
wand  und  das  Deck  vor  sich  hergetrieben  und  auf  diese 
Weise  große  Aufbeulungen  der  dünnen  Platten  verur¬ 
sacht.  Die  Verwundeten  hatten  in  diesem  Augenblick 
einen  heftigen  Schlag  gegen  die  Sohlen  verspürt;  alle 
waren  hingestürzt,  zwei  gaben  an,  hochgeschleudert 
worden  zu  sein. 

Dieser  Vorgang  genügt  vollkommen,  um  die  Ver¬ 
letzung  mechanisch  verständlich  zu  machen.  Das  Deck, 
auf  dem  die  Füße  mit  der  ganzen  Belastung  des  Körpers 
stehen,  hebt  sich  plötzlich  mit  großer  Gewalt  und  großer 
Geschwindigkeit,  und  ehe  die  kleinsten  Teilchen  des 
Fußes  Zeit  haben,  der  Bewegung  nachzugeben  und  die 
ihnen  erteilte  Beschleunigung  der  auf  ihnen  lastenden 
Masse  des  übrigen  Körpers  mitzuteilen,  hat  die  Gewalt 
des  plötzlichen  Stoßes  von  unten  her  das  Fu߬ 
gewölbe  zerbrochen.  Die  Entstehung  der  Fraktur  ist 
also  physikalisch  durchaus  entsprechend  dem  Sturz  aus 
der  Hölie  auf  die  Füße:  hier  das  Moment  des  auf  die 
feste  Unterlage  herabfallenden  Körpers,  dort  die  gewalt¬ 
same  Aufwärtsbewegung  der  Unterlage  gegen  den  in 
Trägheit  ruhenden  Körper.  Beide  Male  muß  der  Fuß 
zuerst  sich  einer  Bewegungsänderung  anpassen,  und 
sobald  diese  Beanspruchung  die  Elasticitätsgrenze  über¬ 
schreitet,  bricht  das  Gewölbe  ein,  und  streckt  sich  zur 
Geraden. 

Die  W  eichteil  Verletzung,  welche  den 
Bruch  in  drei  Fällen  komplizierte,  lässt  sich  zwanglos 
durch  denselben  Mechanismus  erklären.  Die  Wunde 
bestand  überall  in  einem  queren  Einriß  der  Sohle  vom 
Sustentaculum  tali  ab.  In  der  Tiefe  sah  man  abgerissene 
Sehnen,  Knochenfragmente  vom  Fersenbein,  in  einem 
Fall  den  heftig  pulsierenden  Stumpf  der  Arteria  tibialis 
postica.  Die  Wunde  entsteht  dadurch,  dass  sich  beim 
Einbrechen  des  hintern  Pfeilers  das  Gewölbe  plötzlich 
streckt.  Im  Scheitel,  wo  die  Verschiebung  am  umfang- 


2/0 


Fortschritte  der  Medizin. 


Nr.  28. 


reichsten  und  energischsten  ist,  gibt  das  Gewebe  nach. 
Den  Beweis  dafür,  daß  die  Weichteile  von  innen  nach 
außen  reißen,  brachte  ein  vierter,  an  sich  unkompli¬ 
zierter  Fall;  hier  bestand  bei  intakter  Oberhaut 
ein  Spalt  im  Unterhautzellgewebe,  der  zuerst  mit  Blut 
gefüllt  war.  Dieses  resorbierte  sich  langsam,  und  es 
blieb  schließlich  eine  ganz  glatte,  weiße  Narbe  übrig, 
die  genau  wie  eine  Stria  aussah. 

Hie  Diagnose  der  Fraktur  ist  leicht.  Die 
Deformierung  des  Fußes  ist  kaum  zu  übersehen.  Die 
heftige  Druckempfindlichkeit  der  Ferse  und  das  in  der 
Regel  sehr  bald  auftretende  Hämatom  auf  der  Sohle 
führen  meist  sofort  auf  den  richtigen  Weg.  Die  Funktion 
des  oberen  Sprunggelenks  im  Sinne  der  Flexion  und 
Extension  des  Fußes  ist,  entsprechend  der  Intaktheit  der 
1  alusrolle,  wenig  oder  gar  nicht  behindert.  Dagegen  ist 
Pro-  und  Supination  stets  stark  eingeschränkt  oder  ganz 
aufgehoben.  Jeder  Versuch,  passiv  diese  Bewegung 
herbeizuführen,  löst  lebhafte  Schmerzen  aus.  Die  Form 
des  Fußes  ist  sehr  charakteristisch,  das  Gewölbe  ist 
gestreckt,  der  Fuß  dadurch  verlängert,  die  Knöchel 
sind  dem  Boden  angenähert,  die  Ferse  ist  verbreitert. 
Dadurch,  daß  sich  der  Talus  mit  seinen  hinteren  Partien 
in  den  Calcaneus  hineintreibt,  ist  der  Unterschenkel  nach 
hinten  zu  versetzt;  die  Verlängerung  des  Vorderfußes 
erscheint  infolgedessen  noch  erheblicher  als  sie  tatsäch¬ 
lich  ist.  Die  Spannung  der  Achillessehne  ist  vermindert; 
die  Gruben  zu  ihren  beiden  Seiten  sind  ausgefüllt,  ln 
manchen  Fällen  fühlt  man  Crepitation. 

Das  Röntgenbild  zeigt  alle  Übergänge  von 
einem  einfachen  Riss  durch  den  Fersenbeinkörper  bis 
zur  völligen  Zertrümmerung.  Der  Talus  ist  dadurch 
mit  seinen  hintern  Partien  mehr  oder  weniger  tief  in 
den  Calcaneus  hineingesunken  und  steht  im  ganzen 
mehr  horizontal.  Der  Kopf  ist  aufgebäumt  und  ragt 
über  das  Naviculare  hervor.  Eine  Verletzung  des  Talus 
ließ  sich  in  keinem  Falle  feststellen. 

Dagegen  wurden  weiter  oberhalb  mehrfach  Neben¬ 
verletzungen  beobachtet :  zweimal  Schrägbrüche 
der  1  ibia  unterhalb  der  Mitte,  zweimal  Abbrüche  vom 
1  ibiakopf.  Die  letzteren  betrafen  sonst  unverletzte  Beine, 
erstere  solche,  die  am  h  uß  schwere,  komplizierte 
Calcaneusfrakturen  aufweisen. 

Die  Behandlung  war  in  einem  Falle  die  blutige 
Operation.  Hier  lag  vor  der  Achillessehne  ein  beweg¬ 
liches  Knochenfragment  von  der  Größe  einer  halben 
Kirsche.  Dieses  wurde  entfernt,  und  dann  verlief  die 
Behandlung  ebenso  wie  in  den  übrigen  Fällen.  Die 
1  herapie  bestand  in  einem  einmaligen,  gewaltsamen 
Redressement  in  Narkose,  Fixation  im  Gipsverband  und 
frühzeitiger,  medico-mechanischer  Nachbehandlung  bei 
sehr  langer  Bettruhe.  Die  Redression  soll  nicht  vor 
Ablauf  der  zweiten  Woche  vorgenommen  werden,  da 
sonst  die  Gefahr  der  Fett-Embolie  besteht.  Nach  14  Tagen, 
in  denen  der  Fuß  auf  der  Schiene  liegt,  wird  der  Kranke 
narkotisiert,  dann  wird  der  verletzte  Fuß  gewaltsam  in 
Spitzfußklumpfuß-Stellung  gebracht  und  so  eingegipst. 
Der  Gipsverband  bleibt  10 — 14  Tage  liegen  und  wird 
schließlich  so  abgenommen,  daß  er  als  Hülse  weiter  ver¬ 
wendet  werden  kann.  Alle  Tage  wird  diese  Hülse  ent¬ 
fernt,  und  der  Fuß  wird  mit  Heißluft,  heißen  Bädern, 
Massage  und  Bewegungen  behandelt;  dann  wird  die 
Hülse  wieder  angewickelt.  Allmählich  geht  man  mit  der 
Fixation  zurück.  Solange  noch  Neigung  besteht,  in  die 
Plattfußstellung  zurückzukehren,  wird  wenigstens  der 
hintere  "Peil  der  Hülse  weiter  benutzt.  Besonders  für 
die  Nacht  ist  es  wünschenswert,  die  Fixation  lange  fort¬ 
zusetzen.  Eine  Belastung  des  verletzten  F'ußes  darf 
unter  keinen  Umständen  vor  Ablauf  des  2.  Monatserfolgen. 
Lind  auch  dann  ist  es  unbedingt  nötig,  dem  Kranken 
eine  Plattfußeinlage  zu  geben,  da  sonst  die  Gefahr  besteht, 
das  einigermaßen  wieder  hergestellte  Gewölbe  von  neuem  I 


durchzudrücken.  Diese  Einlage  muß  nach  einem  Gips¬ 
abdruck  des  Pußes  eigens  hergestellt  sein,  am  besten 
aus  Metall  getrieben.  Es  empfiehlt  sich  die  Anfertigung 
besonderer  .Stiefel,  und  zwar  verlangt  der  Absatz  vor 
allem  Berücksichtigung :  seine  innere  Seite  soll  länger 
und  höher  sein  als  die  Außenseite.  F'erner  muß  das 
Oberleder  auf  der  Außenseite  sehr  fest  gearbeitet  sein, 
um  ein  Abgleiten  des  Fußes  nach  außen  zu  verhindern. 
Die  medico-mechanische  Behandlung  wird  noch  lange 
fortgesetzt,  um  die  Versteifung  der  Gelenke  und  die 
Atrophie  der  Wade  zu  bekämpfen. 

Bei  den  komplizierten  Fällen  stand  die  infizierte 
V  linde  naturgemäß  im  Vordergründe.  Der  Verlust  an 
Knochensubstanz  war  fast  überall  sehr  groß,  die 
Sequestrierung  langsam,  die  Behandlung  durch  immer 
wieder  auftretende  Senkungen  und  Retensionen  erschwert. 
Einer  von  diesen  drei  Füßen  zeigt  noch  jetzt  nach 
20  Monaten  eine  offene  Wunde,  und  noch  immer  stoßen 
sich  Knochenstücke  ab.  Bei  einem  zweiten  ist  die  Wunde 
16  Monate  offen  gewesen. 

Die  Resultate  sind  anderwärts*)  bereits  publiziert 
worden,  haben  sich  jedoch  seitdem  noch  weiter  geklärt. 
Von  den  4  unkomplizierten  Fällen  wurde  einer  dienst¬ 
unfähig  entlassen.  Der  objektive  Befund  war  bei  ihm 
befriedigend;  es  fiel  jedoch  von  Anfang  an  ein  großer 
Mangel  an  gutem  Willen  auf.  Von  den  3  andern  blieb 
einer  garnisondienstfähig,  die  Testierenden  2  wurden 
borddienstfähig.  Unter  diesen  beiden  war  der  blutig 
Operierte;  bei  diesem  Manne  lag  außerdem  als  Neben¬ 
verletzung  ein  Abbruch  vom  Tibiakopf  vor. 

Die  3  komplizierten  Fälle  sind  endgültig  dienstun¬ 
fähig.  Bei  einem  ist,  wie  erwähnt,  die  Wunde  erst  vom 
16.  Monat  ab  geschlossen;  an  dem  betroffenen  Fuße 
ist  fast  der  ganze  Körper  des  Calcaneus  verloren  ge¬ 
gangen.  Das  andere  Fersenbein  ist  ebenfalls  gebrochen. 
Der  Gang  ist  unbeholfen,  watschelnd,  nur  mit  Hilfe  eines 
Stockes  und  nicht  über  eine  halbe  Stunde  hinaus  möglich. 
Der  zweite  komplizierte  Fall  hat  noch  immereine  offene 
Wunde,  aus  der  sich  ab  und  zu  Sequester  entleeren. 
Der  Gang  ist,  obwohl  am  gleichen  Bein  ein  Schrägbruch 
der  Tibia,  am  andern  ein  Abbruch  vom  Tibiakopf  be¬ 
stand,  sehr  befriedigend  geworden.  Der  Mann  geht  mit 
einem  Stock  mühelos  große  Strecken,  ohne  Stock  Wege 
von  einer  halben  Stunde,  und  so,  daß  man  ein  leichtes 
Hinken  eben  bemerkt.  In  seiner  Ziviltätigkeit  als  An¬ 
gestellter  eines  Magistrates  wird  er  nicht  behindert  sein, 
sobald  die  Wunde  erst  geschlossen  ist.  —  Der  dritte 
komplizierte  Fall  ist  sehr  erfreulich  ausgelaufen,  obgleich 
auch  am  andern  Bein  eine  Calcaneusfraktur  bestand, 
die  allerdings  geschlossen  war.  Dieser  Mann  benutzt 
überhaupt  keinen  Stock  mehr,  der  Gang  wird  als  „ein¬ 
wandfrei  “  bezeichnet.  In  seinem  Beruf  als  Werkführer 

ist  er  nicht  behindert.  —  Es  sind  also  von  den  7  Fällen 
nur  3  dienstfähig  geworden  ;  2  weitere,  —  beide  kom¬ 
pliziert,  einer  doppelseitig,  —  sind  für  ihren  Zivilberuf 
ohne  Einschränkung  fähig;  2  Resultate  schließlich  sind 
schlecht,  einer  davon  einseitig  und  einfach,  aber  ohne 
guten  Willen  und  ohne  Energie,  der  andere  doppel¬ 
seitig,  und  kompliziert,  dieser  trotz  des  Fehlens  von 
Nervenverletzungen  zweifellos  der  schwerste  Fall  der 
ganzen  Serie. 


Ueber  den  Versuch  der  beschleunigten  Herbei¬ 
führung  der  Krisis  bei  der  Pneumonie  mittels 
Salizylbehandlung. 

Von  Dr.  J.  Schütz  e-Berlin. 

Im  Jahre  1900  vertrat  ich  im  Meiningenschen  in 
einem  kleinen  Städtchen  den  Arzt  auf  einige  Wochen. 

*)  Med.  Klin.  1915.  Nr.  47.  Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie  1915.  Bd.  134. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


271 


Nr.  28. 


Als  er  die  Reise  antrat,  herrschte  eine  ziemlich 
starke  Influenzaepidemie  mit  Pneunomien.  (Nebenbei 
bemerkt  kamen  bei  dieser  Epidemie  eigentümliche  fieber¬ 
hafte,  meist  tötlieh  endende  Gelbsuchtsfälle  vor,  bei 
denen  die  Sektion  keine  andere  Ursache  als  sulzig 
zugeschwollene  Gallenausführungsgänge  ergab.)  Im 
Hinblick  auf  die  Schwere  dieser  Influenzafälle  unter¬ 
richtete  mich  der  sehr  gewissenhafte  Arzt  ausführlich 
über  seine  Behandlungsweise  und  die  damit  erzielten 
Erfolge.  Dabei  erwähnte  er  seine  Methode,  den  Verlauf 
der  Pneumonie  dadurch  zu  einem  •  ungefährlichen  zu 
machen,  daß  man  eine  möglichst  schnelle  Krisis  durch 
geeignete  Medikation  herbeizuführen  suche.  Er  empfahl 
mir  dazu  eine  Mischung  von  Antipyrin  und  Jodkali 
—  deren  Zusammensetzung  mir  entfallen  ist. 

Diese  Mischung  hat  den  Nachteil,  daß  das  Jodkali  und 
das  Antipyrin  sich  gegenseitig  leicht  ausfällen.  Später 
wurde  ich  Assistent  am  Marienstift  in  Braunschweig  und 
kam  dort  durch  den  Chefarzt  Professor  Felix  Franke  mit 
der  Behandlung  der  Influenza  und  deren  Begleiterkran¬ 
kungen  in  intensive  Berührung.  Dieser  riet  für  die  Medika¬ 
tion  zu  einer  Mischung  von  Salizylnatrium  und  Antipyrin. 
Und  mit  deren  Verabreichung  gelang  es  in  der  Tat  auch 
bei  Pneumonien  die  Krisis  möglichst  schnell  herbeizu¬ 
führen. 

In  eigener  9jähriger  Praxis  habe  ich  dann  diese 
Behandlungsweise  fortgesetzt  und  sie  nicht  nur  bei  In¬ 
fluenzapneumonien,  sondern  auch  bei  kruppösen  Lungen¬ 
entzündungen  benutzt  und  zwar,  wie  ich  sagen  darf, 
mit  sehr  gutem  Erfolg. 

Dieser  Erfolg  war  ein  um  so  besserer,  je  früher 
man  zu  den  Pneumonien  zugezogen  wurde.  Und  wenn 
ich  in  den  ersten  24  Stunden  nach  Krankheitsbeginn  den 
Patienten  in  Behandlung  bekam,  so  rechnete  ich  darauf, 
daß  er  in  48  Stunden  nach  begonnener  Behandlung  kriti¬ 
siert  hatte. 

Ich  habe  nun  in  meinen  alten  Patienten-Registern, 
soweit  sie  mir  noch  zur  Verfügung  stehen,  nachge¬ 
schlagen,  und  finde  da,  durch  9  Jahre  verteilt,  und  in 
verschiedenen  Ortschaften,  —  wodurch  wohl  ein  genius 
loci  et  morbi  von  vorneherein  auszuschalten  ist,  —  eine 
Zahl  von  68  Pneumoniefällen:  teils  bei  Kindern,  die 
mit  am  besten  auf  diese  Behandlung  reagieren,  teiis  bei 
kräftigen  Leuten  in  jungem  und  mittlerem  Alter,  teils 
aber  auch  bei  älteren,  kraftloseren  Personen.  Auch 
Alkoholiker  strengster  Observanz  befanden  sich  darunter. 

Von  diesen  68  Fällen  kritisierten  nach  begonnener 


Behandlung 

am 

0 

Tage 

17 

11 

3. 

Tage 

nachher 

1 1 

11 

4. 

11 

11 

12 

11 

5. 

91 

11 

10 

11 

6. 

11 

19 

3 

i  i 

7. 

11 

11 

3 

11 

8. 

9  9 

11 

0 

11 

9. 

19 

11 

2 

11 

10. 

11 

19 

3 

11 

11. 

11 

19 

1 

11 

12. 

11 

11 

Sa 

4 

66 

Längere  Zeit  hat  von  diesen  Fällen  keiner  zur  Krisis 
gebraucht.  Unter  den  erwähnten  68  Fällen  sind  endlich 
2  Todesfälle,  beide  am  sechsten  Tage  nach  begonnener 
Behandlung;  bei  dem  einen  war  Demenz  des  Patienten 
daran  Schuld,  daß  erst  spät  der  Arzt  zugezogen  wurde, 
—  die  Verwandten  hatten  die  Schwere  der  Krankheit  nicht 
rechtzeitig  erkannt,  bei  dem  andern  eine  hochgradige 
Nephritis.  Auffallend  ist  die  Gruppierung  der  Besserung 
in  den  ersten  Tagen,  bei  der  sich  ergibt,  daß  bis  zum  fünften 
Tage  der  Behandlung  von  68  Fällen  bereits  50  kritisiert 
hatten.  Man  darf  dabei  nicht  einwenden,  die  Behand¬ 
lung  habe  vielleicht  spät  eingesetzt  und  die  Krisis  sei 


|  deshalb  in  der  normalen  Zeit  eingetreten.  Das  ist  nicht 
der  Fall  gewesen ;  in  der  ziemlich  wohlhabenden  und 
mit  Ärzten  reich  versehenen  Gegend  wurde  der  Arzt 
meistens  frühzeitig  gerufen. 

Bei  den  länger  als  7  Tage  bis  zur  Krisis  brauchen¬ 
den  Fällen  handelte  es  sich  oft  um  Bildung  neuer 
Herde,  -  einmal  um  eine  ausgesprochen  kriechende 
b orm,  die  nach  und  nach  über  beide  Lungen  ging,  wo¬ 
bei  die  einzelnen  Herde  wieder  nacheinander  kritisierten 
und  zur  Lösung  kamen. 

Außer  dem  Medikament,  dessen  Konzentration  Sol. 
Natr.  salicyl.  7,0/147,0  Dimethylphenil-pyrazolon  ad  150,0 
war,  und  von  dem  die  ersten  Tage  bis  zum  Eintritt  der  Krisis 
Tag  und  Nacht  alle  zwei  Stunden  ein  Eßlöffel  genommen 
wurde,  wandte  ich  noch  alle  Stunden  einen  feuchten  Um¬ 
schlag  von  Zimmertemperatur  an,  der  auch  Tag  und 
Nacht  erneuert  wurde.  Die  regelmäßige  Erneuerung 
der  Umschläge  in  diesem  Turnus  unterblieb  nur  dann 
gelegentlich,  wenn  der  Patient  guten  Schlaf  gefunden 
hatte. 

Meist  ließ  sich  ca.  20  Stunden  vor  Einsetzen  der 
Krisis  vereinzeltes  feines  Knisterrasseln  hören,  nach 
Erb:  rein  inspiratorisches,  feinblasiges,  kleinblasiges, 
gleichblasiges  Rasseln  —  das  war  für  mich  das  Signal 
bis  zum  nächsten  Tag  die  Besserung  in  Aussicht  zu 
stellen;  nach  Einsetzen  der  Krisis  verstärkte  das  Knister¬ 
rasseln  sich  naturgemäß  an  Ausdehnung  und  Intensität. 

Der  weitere  Verlauf  war  dann  meist  so,  daß  die 
Lösung  der  Entzündung  nicht  sofort  nach  der  Krisis  in 
sehr  starkem  Maße  einsetzte,  sondern  daß  sie  eine  ge¬ 
wisse,  vielleicht  etwas  längere  Zeit  als  sonst  brauchte, 
und  bei  dem  großen  Wohlbefinden  der  Patienten  war 
es  infolgedessen  oft  schwer,  sie  bis  zu  beendeter  Lösung 
im  Bett  zu  halten. 

Die  Lösung  wurde  nun  mit  tagsüber  2 — 3  stdl.  ver¬ 
abfolgten  lauwarmen  Umschlägen  und  Medikamenten, 
die  als  Solventia  gelten,  unterstützt,  und  fast  in  allen 
Fällen  innerhalb  14  Tagen  bis  3  Wochen  eine  restlose  Ge¬ 
nesung  ohne  Komplikationen  erreicht.  Nur  1  mal  trat  ein 
kleiner  Lungenabszeß  ein,  der  nach  geraumer  Zeit  heilte. 
Pleuritiden  mit  geringem  Exsudat  waren  eine  außer¬ 
ordentliche  Seltenheit,  ja,  ich  kann  mich  kaum  an  ihr 
Auftreten  erinnern. 

Außer  diesen  68  Fällen  habe  ich  natürlich  noch 
viel  mehr  Pneumonien  behandelt,  aber  darüber  stehen 
mir  keine  Aufzeichnungen  mehr  zur  Verfügung,  da  es 
sich  um  Krankenkassen-Patienten  handelte.  Der  Typus 
war  aber  bei  diesen  werktätigen,  kräftigen  Leuten  auch 
der  der  schnellen  Entfieberung  —  womit  die  Gefahr,  die 
von  seiten  des  Herzens  droht,  gebannt  war.  Ich  habe  des¬ 
halb  fast  nie  außer  mäßig  starkem  Alkohol  in  mäßigen 
Gaben  als  Stimulans  und  Excitans  LIerztonika  anzuwenden 
brauchen,  nur  falls  das  Herz  schon  vorher  nicht  leistungs¬ 
fähig  gewesen  war,  habe  ich  gelegentlich  etwas  Iufus.  folior. 
digit.  verabreicht.  Sogleich  nach  der  Krisis  war  die  Herz¬ 
aktion  ruhig  und  regelmäßig,  fast  wie  in  gesunden  Tagen, 
höchstens  80 — 84  Schläge.  Ich  kann  mich  deshalb  auch 
nicht  besinnen  von  diesen  Kassen-Patienten,  außer  einem, 
bei  dem  sich  ein  Empyem  und  Lungenabszeß  bildete, 
einen  verloren  zu  haben.  Dieser  Gestorbene  war  ein 
Potator  strenuus  und  durch  eine  vorhergegangene  merk¬ 
würdige  Salzsäurevergiftung  geschwächt. 

Sonst  hat  gerade  bei  außerordentlich  starken  Pota- 
tores  die  Methode  nicht  versagt,  trotz  Delirium  tremens, 
wo  sonst  die  Aussichten  sehr  schlecht  gewesen  wären. 

Es  muß  also  nach  dem  Gesagten  den  Anschein  ge¬ 
winnen,  daß  außer  dem  Optochin,  auch  das  Salizyl,  — 
methodisch  angewendet  —  die  Eigenschaft  hat  als  eine 
Art  chemotherapeutisches  Spezifikum  gegen  Pneumonie 
zu  wirken.  Diese  Ehrenrettung  glaubte  ich  dem  alten 
guten  Mittel  noch  nachträglich  schuldig  zu  sein. 

Eine  Kontraindikation  oder  Idiosynkrasie  gegen 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


272 


Nr.  28. 


dieses  Mittel  kommt  außerordentlich  selten  vor.  ich.  Ich  darf  also  auf  Grund  meiner  Erfahrungen  den 
habe  es  kaum  jemals  aus  diesen  Gründen  auszusetzen  [  Kollegen  die  Anwendung  dieser  Behandlungsmethode 
brauchen.  dringlichst  empfehlen. 

Auch  die  Befürchtung  einer  zu  starken  Medikation  ' 
nach  der  von  mir  angegebenen  Konzentration  hat  sich  I 
als  nicht  stichhaltig  erwiesen 

O 


Kongressberichte. 


Bericht  über  die  außerordentliche  Tagung  des 
deutschen  Kongresses  für  innere  Medizin 

in  Warschau,  vom  1.  bis  3.  Mai  1916. 

Von  Dr.  O.  C  0  1  1  a  t  z  ,  Darmstadt. 

Nach  2  jähriger  Pause  hielt  der  deutsche  Kongress 
für  innere  Medizin  auf  besetztem  Feindesgebiet  in  der 
Hauptstadt  des  eroberten  Polens  seine  außerordentliche 
1  agung  ab.  Dieselbe  darf  als  äußerst  gelungen  be¬ 
zeichnet  werden  sowohl  wegen  der  großen  Anzahl  der  Teil¬ 
nehmer  (über  1500)  als  auch  wegen  der  Menge  und 
Gründlichkeit  der  Arbeitsleistung. 

In  den  Versammlungen,  die  am  1.  Tage  in  dem 
schön  geschmückten  Lichthofe,  am  2.  in  der  Aula  des 
Warschauer  Polytechnikums  (z.  Zt.  P  estungslazarett  II) 
stattfanden,  herrschte  das  Feldgrau  der  Uniformen  vor, 
unterbrochen  durch  die  bunten  Uniformen  der  öster¬ 
reichischen,  bulgarischen  und  türkischen  Sanitätsoffiziere 
und  das  Schwarz  des  verhältnismäßig  wenig  zahlreichen 
Ziviles. 

Eröffnet  wurde  der  Kongreß  durch  den  General- 
Gouverneur  von  Polen,  den  siegumwobenen  General  der 
Infanterie  von  Beseler  durch  folgende  Ansprache: 

Hochansehnliche  Versammlung!  Es  gereicht  mir  zur 
besonderen  Freude,  den  Deutschen  Kongreß  für  innere 
Medizin  hier  in  den  Mauern  Warschaus  begrüßen  zu 
können.  Ich  muss  allerdings  hinsichtlich  unserer  Gast¬ 
freundschaft  um  Nachsicht  bitten;  wollen  die  Herren 
nicht  vergessen,  daß  wir  hier  noch  in  einem  Kriegs¬ 
gebiet  und  im  Kriegszustände  leben  Es  wird  sich  da¬ 
her  vielleicht  manches  in  nicht  ganz  so  angenehmen 
Formen  abspielen  können,  wie  man  das  bei  einem  Kon¬ 
greß  sonst  gewöhnt  ist.  Ich  glaube  mich  aber  nicht  zu 
irren,  meine  Herren,  wenn  ich  annehme,  daß  viele  von 
Ihnen,  die  vom  Westen  her  oder  von  der  Heimat  oder 
aus  den  Ländern  unserer  Verbündeten  kommen,  doch 
schon  mit  besonderem  Interesse  einmal  die  Stadt  hier 
betreten  werden,  die  in  jeder  Beziehung  für  alles  das¬ 
jenige,  was  hier  im  Osten  vorgeht,  einen  Mittelpunkt 
bedeutet;  eine  Stadt,  die  politisch,  wirtschaftlich  und 
wissenschaftlich  nach  wie  vor  der  Mittelpunkt  des 
Polenlandes  ist,  eine  Stadt,  die  unter  einer  Hülle  von 
Vernachlässigung  und  Geschmacklosigkeit  einen  unge¬ 
messenen  Schatz  alter  Schönheit  birgt  in  ihren  Bauten, 
in  ihren  Kunstschätzen,  in  ihren  unvergleichlichen  Gärten. 
Aber,  meine  Herren,  noch  mehr  dürfte  Sie  vielleicht 
interessiert  haben,  auch  einen  Teil  des  weiten  Gebietes 
zu  durcheilen,  in  dem  wir  Schulter  an  Schulter  mit 
unseren  Bundesgenossen  dieses  Land  von  einem  Feinde 
gesäubert  haben,  der  es  seit  mehr  als  einem  Jahrhundert 
niedergehalten,  unterdrückt,  geknechtet  hat.  Wir  sind 
nicht  hierher  gekommen,  um  Polen  von  den  Russen  zu 
befreien,  wir  sind  hierhergekommen  im  Kampf  für  unsere 
gute  deutsche  Sache;  aber  wir  haben  es  mit  Freuden 
begrüßt,  daß  wir  neben  der  Vertretung  unserer  eigenen 
Sache  auch  ein  \\  erk  der  Befreiung  durchführen  konn¬ 
ten,  was  wohl  trotz  manchem,  was  dagegen  geredet 


wird,  von  Tausenden,  ja  vielleich  von  Millionen  tief 
empfunden  wird. 

Nun,  meine  Herren,  Sie  führen  andere  Dinge  her 
als  politische  und  militärische.  Sie  kommen  hierher,  um 
Ihrer  hohen  Wissenschaft  zu  dienen,  und  vielleicht  auch 
mit,  um  etwas  Erfahrungen  zu  sammeln,  die  der  Krieg 
hier  gezeitigt  hat.  Meine  Herren!  Wir  Soldaten,  die 
wir  berufen  gewesen  sind,  dem  Feind  ins  Auge  zu  sehen, 
gedenken  in  tiefer  Dankbarkeit  der  ungemessenen  Dienste, 
die  uns  die  Angehörigen  Ihres  Berufes  in  diesem  Kriege 
haben  zuteil  werden  lassen.  Es  sind  nicht  nur  die  Helfer 
auf  dem  Schlachtfelde  gewesen,  die  den  verwundeten 
Mann  gerettet,  verbunden  und  in  die  richtige  Pflege 
hineingebracht  haben,  sondern  von  gleichem  Wert,  von 
gleicher  Bedeutung  ist  die  reiche  Tätigkeit  der  Ärzte 
gewesen,  die  dafür  gesorgt  haben,  vorbeugend  die  Ge¬ 
sundheit  unseres  Heeres  zu  erhalten  und  kämpfend  und 
heilend  die  schleichenden  P'einde  niederzuwerfen,  die 
sich  neben  den  Waffen  des  P'eindes  an  uns  heran¬ 
machten.  Sie  haben  den  Kampf  aufgenommen  gegen 
„die  Pestilenz,  die  im  Finstern  schleicht,  und  die  Seuche, 
die  am  Mittage  verderbet“,  und  wir  haben  mit  Dank  an¬ 
zuerkennen,  dass  das,  was  schon  im  Jahre  1870  die 
deutschen  Ärzte  getan,  sich  in  diesem  Kriege  unter  un¬ 
endlich  schwierigeren  Verhältnissen  wiederholt  hat,  der 
Ruhm,  daß  wir  viel  weniger  Menschen  durch  Seuchen 
verloren  haben,  als  durch  den  Feind!  Meine  Herren! 
Mancher  Ihrer  Berufsgenossen  ist  als  treuer  Kamerad 
an  der  Seite  unserer  Soldaten  als  Mitstreiter  im  Kampf 
dahingesunken;  aber  es  wäre  undankbar  und  würde  das 
Bild  nicht  vollständig  geben,  wenn  ich  vergessen  wollte, 
daß  auch  mancher  brave  Arzt  sein  Leben  dahinge¬ 
geben  hat,  in  der  Pflege  der  Kranken,  inmitten  der 
furchtbaren  Seuchen,  die  leider  trotz  all-r  Mühen  sich 
immer  noch  nicht  A^ollständig  ausrotten  lassen  wollen. 
Ich  gedenke  besonders  der  wackeren  hingebenden  Ärzte 
meiner  hiesigen  Verwaltung,  die  ihre  Pflichttreue,  nament¬ 
lich  in  der  Pflege  von  Fleckfieberkranken  mit  dem  Tode 
besiegelt  haben. 

Nun,  meine  Herren,  das  Programm,  das  Ihnen  der 
\  orstand  Ihres  Kongresses  überreicht  hat,  schreibt 
Ihnen  Ihre  Tätigkeit  vor,  und  ich  hoffe  und  wünsche, 
daß  Sie  mit  dem  Gefühl  von  hier  zurückkehren  werden, 
reiche  Anregung  erhalten  zu  haben,  aber  auch  mit  der 
L  berzeugung,  daß  hier  im  Lande,  im  Heer  und  in  der 
Verwaltung,  soweit  Ihr  Beruf  in  Frage  kommt,  mit 
vollem  Verständnis,  voller  Hingebung  und  mit  den 
Waffen  der  Wissenschaft  gekämpft  wird.  Ich  wieder¬ 
hole  meinen  Gruß  und  sage  Ihnen,  daß  es  mir  eine 
Freude  ist,  die  Herren  so  zahlreich  zu  Ihrer  großen  und 
wichtigen  Arbeit  hier  versammelt  zu  sehen.  Ich  wünsche 
und  hoffe ,  daß  Ihre  Arbeit  gesegnet  und  frucht¬ 
bringend  sein  möge. 

Darauf  ergriff  das  Wort  der  Feld-Sanitäts-Chef  und 
General-Stabsarzt  der  Armee  Prof.  Dr.  von  S  c h  j  e  r  n  i n  g. 
Er  begrüßte  die  zahlreichen  Herren,  die  aus  Deutsch¬ 
land  und  den  verbündeten  Ländern  zu  diesem  Kongresse 


Nr.  28. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


2  73 


gekommen  waren,  und  hob  die  Leistungen  des  deutschen 
Feldsanitätswesens  in  diesem  Kriege  hervor.  Mehr  als 
24  000  Ärzte  stehen  im  Dienste  des  Heeres,  von  ihnen 
sind  zwei  Drittel  im  Felde  und  ein  Drittel  in  der  Heimat 
beschättigt.  3000  Arzte  sind  ausserdem  in  den  Laza¬ 
retten  des  Roten  Kreuzes  tätig.  Ferner  dienen  im  Heere 
400  Zahnärzte  und  1800  Apotheker,  sowie  92  000  Sani¬ 
tätsmannschatten.  Die  freiwillige  Krankenpflege  stellt 
in  der  Heimat  72000  und  im  Etappengebiet  22 000  Pflege¬ 
kräfte,  von  denen  besonders  6800  Krankenschwestern 
hervorgehoben  werden. 

Viele  Tausende  von  Kraftwagen  und  bespannten 
Kranken- Wagen  befördern  Verwundete  und  Kranke  von 
der  Truppe  in  die  Kriegslazarette,  von  wo  238  Laza¬ 
rettzüge  sie  in  die  Heimat  bringen.  Tausende  von  Ein¬ 
richtungen  zur  Sterilisierung  des  Wassers,  zur  Desinfektion 
und  zur  Röntgenunter  suchung  sind  bei  unsern  Truppen  im 
Gebrauch.  26  grosse  Felddampfwäschereien  dienen  zur 
Reinigung  der  Wäsche  für  die  Feldlazarette.  Zahllose  Ein¬ 
richtungen  bestehen  zur  Bekämpfung  der  Seuchen,  u.  a. 
18  große  Desinfektionsanstalten  an  der  Grenze,  in  denen 
täglich  100  000  Mann  mit  ihren  sämtlichen  Sachen  ge¬ 
reinigt,  entlaust  und  desinfiziert  werden  können,  Waggon¬ 
weise  gehen  fortwährend  von  dem  Haupt-Sanitäts- Depot 
Verbandmittel  und  ärztliche  Geräte  an  die  Front.  Aber 
alle  diese  Einrichtungen  würden  nichts  nützen,  wenn 
nicht  der  Geist  der  Vaterlandsliebe  und  treuester  Auf¬ 
opferung,  der  Geist  echter  Wissenschaftlichkeit  und  das 
Bewußtsein,  daß  es  um  die  Existenz  unseres  Vaterlandes 
geht,  in  den  Herzen  unserer  Ärzte  walten  würde.  Zum 
Zeichen  dafür  haben  wir  und  die  Vertreter  unserer  be¬ 
freundeten  Heere  uns  hier  versammelt,  um  Erfahrungen 
auszutauschen  und  das  Neueste  und  Beste  den  Heeren 
zuführen  zu  können.  In  diesem  Zeichen  werden  wir 
siegen. 

Darauf  folgte  die  Rede  des  Vorsitzenden  des  Kon¬ 
gresses,  des  Geh.  Medizinal-Rates  General-Oberarzt 
H  i  s.  Er  begrüßte  die  außerordentlich  zahlreich  er¬ 
schienenen  Mitglieder  und  Teilnehmer  des  Kongresses 
sowie  die  verbündeten  Delegierten:  aus  Österreich  Ge¬ 
neral-Oberstabsarzt  Thurm  waldt,  den  Sanitäts¬ 
chef  d.  k.  und  k.  Armee  Exzellenz  Ritter  von  T  o  r- 
1  e  y  ,  Oberstabsarzt  K  a  r  o  s  t  y  und  Baron  von 
Korany  i,  aus  der  Türkei  die  ärztliche  Mission 
unter  Führung  des  Chefs  des  türkischen  Sanitätswesens 
S  u  1  e  i  m  a  n  N  u  m  a  n  Pascha,  und  aus  Bul¬ 
garien  den  Chef  des  bulgarischen  Sanitätswesens  Oberst 
ßazaroff. 

Die  Versammlung  bezweckt  in  gemeinsamer  Be¬ 
ratung  die  Ergebnisse  bisheriger  Arbeit  auf  dem  Ge¬ 
biete  der  Kriegskrankheiten  festzustellen  und  daraus 
Anregung  und  Anleitung  zu  weiterem  Handeln  zu  ge¬ 
winnen  Während  dies  vor  einem  Jahre  nicht  zweck¬ 
mässig  gewesen  wäre,  weil  viele  Fragen  noch  in  der 
Schwebe  waren,  liegen  jetzt  nach  2  Kriegsjahren  ge¬ 
nügende  Erfahrungen  vor.  Unsere  Feinde,  denen  wir 
speziell  den  Krieg  erklärt  haben,  sind  die  Kriegsseuchen, 
und  Dank  unseren  Massnahmen  ist  die  Schlagfertig¬ 
keit  unserer  Truppen  niemals  ernstlich  durch  Seuchen 
gefährdet.  Der  Geist  Pettenkofers  und  Kochs, 
E  h  r  1  i  c  h  s  und  von  Behrings  leitete  unser 
Handeln.  Dank  gebührt  besonders  dem  Leiter  des 
Heeres-Sanitätswesens  Exzellenz  vonSchjerning 
für  die  sofoitige  Verwertung  jeder  neuen  Erkenntnis 
und  die  unvergleichliche  Organisation.  Leider  brachte 
gerade  der  Kampf  gegen  die  Seuchen  schwere  Ver¬ 
luste  in  den  Reihen  der  Forscher.  So  haben  Com  et, 
P  r  o  w  a  c  e  k  ,  Lüthje,  Jochmann,  Römer, 
4'  i  1  v  ihr  Leben  lassen  müssen.  Andere  Mitglieder 
wie  Loeb,  Meyer-Beetz,  Kirchheim 
sind  vor  dem  Feinde  gefallen. 

Neue  Krankheitsbilder  haben  wir  kennen  gelernt, 


ebenso  alte  in  neuer  Form.  Bekannte  Seuchen  sind  zum 
ersten  Male  in  ausgedehnten  Epidemien  uns  vor  Augen 
getreten.  Typhus  und  Ruhr  erschienen  unter  dem  Ein¬ 
flüsse  der  Schutzimpfung  in  neuer  unbekannter  Form. 
Bei  der  Behandlung  unserer  Patienten  haben  wir  im  all¬ 
gemeinen  den  Grundsatz  der  Übung  mehr  anwenden 
müssen  als  den  der  Schonung,  soweit  uns  die  Ver¬ 
waltung  des  Kapitals  der  körperlichen  Leistungsfähig¬ 
keit  unserer  Soldaten  oblag.  Bis  ins  Greisenalter  hinein 
sind  die  Ärzte  freudig  dem  Rufe  des  Kaisers  gefolgt, 
übermenschliche  Anstrengungen  wurden  geleistet  in  dem 
Bewußtsein,  einer  das  Einzelschicksal  überragenden 
großen  Sache  zu  dienen.  Gehoben  an  innerem  Werte 
wird  der  Ärztestand  aus  diesem  Kriege  hervorgehen. 

Nach  Absendung  eines  Huldigungstelegramms  an  den 
Kaiser  begann  das  erste  Referat. 

Hoff  mann:  Schutz  des  Heeres  gegen 

Cholera. 

Seit  dem  Jahre  1904  herrschte  in  Russland  be¬ 
ständig  Cholera,  welche  vom  Schwarzen  Meer  aus  sich 
immer  weiter  nach  Norden  verbreitete,  und  bedrohte 
durch  ausgedehnte  Epidemien  häufig  die  deutsche  Ost¬ 
grenze.  Während  des  Balkankrieges  hatte  sie  sich  be¬ 
sonders  in  Konstantinopel  und  Adrianopel  gezeigt  und 
beim  Ausbruch  das  jetzigen  Krieges  die  an  Galizien  an¬ 
grenzenden  russischen  Provinzen  Wolhynien  und  Podo- 
lien  ergriffen.  Im  August  brach  die  Cholera  auch  in 
Warschau  aus  und  wurde  durch  das  Eindringen  der 
russischen  Truppen  nach  Galizien  verbreitet.  Im  Sep¬ 
tember  1914  hatte  das  serbische  Heer  bereits  über 
12  000  Cholerafälle  und  durch  Gefangene  wurde  die 
Seuche  in  die  meisten  österreichischen  Kronländer  ver¬ 
schleppt,  wo  viele  Tausende  ihr  erlagen. 

In  weiser  Voraussicht  hatte  nun  das  preußische 
Kriegsministerium  sofort  die  obligatorische  Schutzimp¬ 
fung  gegen  Cholera  eingeführt,  gestützt  auf  die  gün¬ 
stigen  Erfahrungen,  die  man  in  Japan  und  Griechenland 
mit  ihr  gemacht  hatte. 

Ende  Oktober  1914  waren  bereits  die  meisten 
Truppenteile  durchgeimpft,  als  im  November  die  ersten 
Erkrankungen  im  Ostheere  und  in  den  russischen  Ge¬ 
fangenenlagern  auftraten.  Dank  der  Impfung  sind  von 
den  am  stärksten  bedrohten  deutschen  Truppen,  welche 
in  den  choleraverseuchten  Gegenden  Galiziens  und 
des  Bug-Gebietes  in  den  heißen  Sommermonaten  unter 
den  ungünstigsten  Verhältnissen  bis  in  die  Rokitno- 
Si'impfe  vorrückten,  nur  0,52 %  erkrankt.  Auch  die 
Sterblichkeitsziffer  der  Erkrankten,  die  bei  den  Nicht¬ 
geimpften  bis  zu  50%  betrug,  belief  sich  bei  den  vor¬ 
schriftsmäßig  2  mal  Geimpften  nur  auf  10,2  "/„.  Der 
Impfschutz  erlischt  nach  etwa  9  Monaten,  weshalb  die 
Impfung  nach  einem  halben  Jahre  wiederholt  werden 
muß.  Die  Eintragung  der  Impfungen  erfolgt  zur  Kon¬ 
trolle  ins  Soldbuch.  Eine  vorzügliche  Wirkung  erzielte 
auch  die  durch  besonders  angestellte  Truppenärzte 
durchgeführte  Schutzimpfung  der  Zivilbevölkerung  in 
den  stark  verseuchten  Gegenden  von  Polen  und  Ga¬ 
lizien.  Die  dort  herrschenden  Epidemien  ließen  bereits 
8  Tage  nach  der  Schutzimpfung  nach  und  waren  nach 
1  Monat  meist  erloschen.  Unter  der  Zivilbevölkerung 
Deutschlands  erkrankten  im  ganzen  /8  Personen  an 
Cholera,  fast  immer  handelte  es  sich  um  Einschleppung 
der  Krankheit  durch  russische  Gefangene.  Es  wurden 
nun  alle  von  der  Ostfront  kommenden  Kranken,  deut¬ 
sche  wie  russische,  unmittelbar  nach  ihrer  Ankunft  einer 
gründlichen  Desinfektion  unterzogen  und  einige  Zeit 
abgesondert  untergebracht.  Nachdem  auch  noch  die 
Bazillenträger  unter  den  gesunden  Gefangenen  heraus¬ 
gefunden  und  isoliert  worden  waren,  traten  keine  neuen 
Fälle  mehr  auf. 


274 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  28. 


Diskussion 

Schemen  sky  berichtet  über  Erfahrungen  der 
österreichischen  Truppen  hinsichtlich  der  Behandlung. 
Wichtig  ist  vor  allem  ordentliche  Pflege  im  Bett.  Er 
empfiehlt  Bolus- Behandlung  und  zweistündlich  7  Tropfen 
Opium  -  Tinktur ,  bei  Bedarf  Kochsalz-Infusionen;  die 
intravenösen  gaben  keine  besseren  Resultate  wie  die 
subkutanen. 

M  arcov  ici-Prag  empfiehlt  Alphen  (Salol- 
Knoblauch-Präparat)  sowohl  per  os  als  auch  Klysma. 

P  a  1  t  a  u  f  -  W  i  e  n  :  Die  Statistik  ergibt  grosse 
Unterschiede,  je  nachdem  man  nur  die  klinisch  aus¬ 
gesprochenen  Fälle  oder  auch  leichte  Diarrhoen  mit¬ 
zählt.  Notwendigkeit  der  bakteriologischen  Diagnostik. 

U  ngermann  -  Lichterfelde  spricht  über 
die  durch  die  Cholera-Impfungen  erzielte  Immunität. 
Der  Höhepunkt  derselben  tritt  am  3.  Monat  nach  der 
Impfung  auf.  Er  berichtet  über  Versuche  bei  Meer¬ 
schweinchen  durch  Verfütterung  von  Impfstoff  per  os 
eine  bequeme  Immunisierung  zu  erzielen.  Bei  den 
Schutzimpfungen  soll  jeder  Bodensatz  im  Impfstoff 
durch  Erwärmen  der  Fläschchen  auf  45°  und  nach- 
heriges  Schütteln  gleichmäßig  in  der  Flüssigkeit  ver¬ 
teilt"  werden. 

Professor  K  a  u  p  ,  Hygienereferent  beim 
österr.-ung.  A.-O.-K.,  berichtet,  dass  auch  bei  der  österr.- 
ung.  Armee  sich  die  Choleraschutzimpfung  vorzüglich 
bewährt  hat.  8  Tage  nach  Vollendung  der  letzten 
Impfungen  hörten  die  Neuerkrankungen  auf,  bei  den 
durchgeimpften  Truppen  kommen  höchstens  5%  Er¬ 
krankungen  vor  mit  auffallend  mildem  Verlauf  und  ge¬ 
ringer  Sterblichkeit:.  Die  Dauer  der  Schutzwirkung  ist 
auf  3 — 4  Monate  zu  veranschlagen,  deshalb  werden,  die 
gefährdeten  Truppen  bereits  nach  3  Monaten  wieder  ge¬ 
impft,  doch  genügt  dann  eine  einmalige  Impfung  mit 
2  ccm  Impfstoff. 

II.  Referat. 

Herzkrankheiten  bei  K  riegstei  1- 

n  e  h  m  e  r  n. 

Wenckebach-Wien:  Als  sich  im  Laufe 
des  Krieges  zahllose  Fälle  von  Herzkrankheiten  in  den 
Lazaretten  einstellten,  beauftragte  ihn  die  österreichische 
Heeresleitung  mit  der  speziellen  Untersuchung  dieser 
Kranken  und  stellte  ihm  ihr  gesamtes  Material  zur 
Verfügung.  Wenckebach  berichtet  nun  über  die 
Erfahrungen,  welche  er  an  diesem  Riesenmaterial  ge¬ 
macht  hat.  Die  namentlich  bei  den  Leuten  der  älteren 
Jahrgänge  häufige  Arteriosklerose  wird  durch  große  An¬ 
strengungen,  sowie  den  starken  Tabak-  und  Kaffeege¬ 
nuss  oft  erheblich  ungünstig  beeinflusst.  Schwere  Herz¬ 
muskelerkrankungen  mit  bedeutender  Herzerweiterung 
wui  den  im  Verlauf  der  Infektionskrankheiten,  nament¬ 
lich  nach  Typhus,  beobachtet.  Alle  diese  Fälle  nach¬ 
weisbarer  organischer  Herzerkrankungen  verschwinden 
aber  gegen  die  ungeheure  Menge  der  zweifelhaften 
Herzkrankheiten,  bei  denen  nur  subjektive  Beschwerden 
ohne  den  sicheren  objektiven  Befund  vorhanden  sind. 
Sie  bedeuten  einen  grossen  Verlust  für  die  Armee, 
fiillen  die  Lazarette  und  belasten  die  Staatsfinanzen.  Es 
handelt  sich  um  Leute  mit  ungenügendem  Körperbau 
und  fehlender  körperlicher  Übung,  also  ein  sehr  großes, 
minderwertiges  und  ungeeignetes  Material,  welches  dem 
Heere  zuströmte,  als  die  Anforderungen  bei  der  Aus¬ 
hebung  erheblich  herabgesetzt  und  viele  ungediente 
Leute  in  vorgeschrittenem  Alter  einberufen  wurden.  Es 
befinden  sich  unter  ihnen,  die  bis  dahin  eine  sitzende 
Lebensweise  geführt  hatten,  etwa  11%  Fälle  mit  mangel¬ 
hafter  Zwerchfellatmung  und  Pendelherz.  Meist  hatten  sie 
schon  vorher  an  allgemeiner  Nervosität  gelitten  und  weit 
mehr  noch  als  die  Strapazen  des  Felddienstes  bildete 
bei  ihnen  die  Gemütsverfassung  die  Ursache  ihrer 


Herzbeschwerden.  Besonders  ungünstig  .wirkte  stets  das 
Aussprechen  der  Diagnose  Herzfehler,  wodurch  hypo¬ 
chondrische  Vorstellungen  hervorgerufen  wurden.  Die 
richtige  Diagnose  hätte  meist  Neurasthenie  heißen  müssen. 
Fälle  von  Basedow’  scher  Krankheit  waren  selten. 
Wichtig  ist  eine  genaue  objektive  Untersuchung;  leider 
ist  unsere  Diagnostik  ungenau  und  unsere  Untersuchungs¬ 
methoden  sind  nicht  exakt  genug,  auch  die  Röntgen¬ 
methode,  deren  Hauptnutzen  in  einer  Kontrolle  der 
Perkussions-Figur  besteht.  Nicht  jedes  grosse  Herz  ist 
erweitert,  nicht  jedes  Geräusch  ist  pathologisch.  Zur 
Klärung  der  Verhältnisse  wurde  zunächst  das  Herz  der 
einberufetien  Landwehrleute  vor  dem  Kriegsdienst  unter¬ 
sucht.  Bei  Leuten  ohne  Herzbeschwerden  fand  sich  in 
13.9 0/°  der  Fälle  pathologischer  Herzbefund,  bei  denen 
mit  Beschwerden  in  15.8%  der  Fälle.  Es  wurden  ferner 
die  Leute  untersucht,  die  aus  dem  Schützengraben  ab¬ 
gelöst  wurden ;  bei  4 / °/0  fand  sich  Herzvergrößerung, 
selten  war  I  achycardie  dabei.  Im  übrigen  rufen  weder 
Granatkommotionen  noch  1  rommelfeuer  einen  besonderen 
objektiven  Befund  am  Fierzen  hervor.  Der  Krieg  liefert 
überhaupt  keine  neuen  Krankheitsbilder  am  Herzen.  Wir 
merken  am  Herzen  die  Grenzen  der  körperlichen  Leis¬ 
tungsfähigkeit  im  allgemeinen,  ohne  daß  das  Flerz  selbst 
verändert  ward.  Die  Behandlung  muss  darauf  abzielen 
die  körperliche  Leistungsfähigkeit  zu  steigern.  Nur  die 
allerschwersten  Fälle  dürfen  ins  Heimatlazarett  abge¬ 
schoben  werden.  Die  Mehrzahl  muss  im  Etappengebiet 
einer  geeigneten  Behandlung  unterzogen  werden,  die  in 
lauen  Bädern,  Packungen,  Turnunterricht  und  Terrain¬ 
kur  besteht. 

Diskussion. 

von  Romberg-München  bestätigt,  daß 
die  Mehrzahl  der  als  herzkrank  zugehenden  Soldaten 
nicht  herzkrank  ist.  Diese  falsche  Diagnose  ist  dann 
die  Ursache  der  Hartnäckigkeit  und  allmählichen  Stei¬ 
gerung  der  Beschwerden.  Allerdings  ist  die  physikcdische 
Diagnose  einer  Herzerkrankung  oft  schwierig.  Be¬ 
sonders  vorsichtig  muß  der  Röntgenbefund  beurteilt 
werden,  welcher  oft  irre  führt,  da  die  absoluten  Zahlen 
der  Herzmessung  schon  bei  Gesunden  äusserst 
wechselnd  sind.  Die  Anstrengung  bringt  den  Leuten 
zum  Bewußtsein,  daß  ihr  Herz  nicht  kräftig  ist.  Große 
übermäßige  Anforderungen  können  bei  jedem  eine  vor¬ 
übergehende  Herzerweiterung  verursachen,  aber  dauernde 
böigen  der  Überanstrengung  bei  vorher  gesunden  Herzen 
gibt  es  nicht. 

Hoffman  n-Düsseldo  r  f:  Die  sog.  funk¬ 
tioneilen  Herzbeschwerden  sind  meist  schwieriger  zu  be¬ 
urteilen,  als  die  organischen  Erkrankungen.  Selbst  an¬ 
haltende  Tachycardie  braucht  ihre  Ftrsache  garnicht 
im  Herzen  selbst  zu  haben.  Es  handelt  sich  meist  um 
llerzneurosen  mit  ziemlich  guter  Prognose;  das  größte 
Hindernis  für  die  Heilung  ist  oft  der  Arzt  mit  seiner 
falschen  Diagnose. 

Erich  Meyer-Straßburg  i.  Eis.  hat  an 
größerem  Material  dieselben  Beobachtungen  wie  Wencke¬ 
bach  gemacht,  pathologische  Herzvergrösserungen  sind 
sehr  selten.  Die  widersprechenden  Befunde  bei  ver¬ 
schiedenen  Untersuchern  erklären  sich  aus  der  Ver- 
scniedenheit  der  Methoden  der  Herzuntersuchung  an 
den  einzelnen  Universitäten.  Bei  Starkerschöpften  findet 
sich  häufig  sehr  verlangsamter  Puls  mit  30—40  Schlägen 
und  äußerst  niedriger  Blutdruck. 

Gerhardt  -  Würzburg  bestätigt  die  Ge¬ 
fahr  der  übereilten  und  falschen  Diagnose  einer  Herz¬ 
krankheit.  Die  richtige  Beurteilung  eines  Herzens  kann 
oft  erst  nach  längerer  Beobachtung  von  Herz,  Puls  und 
Atmung  zunächst  bei  Ruhe  und'  dann  bei  Übungsbe¬ 
handlung  erfolgen. 

Kaufmann-Wien  fand,  daß  häufig  Herz¬ 
erkrankungen  im  Felde  entstehen.  Die  aus  dem  Felde 


Nr.  28 


275 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


zurückkehrenden  Soldaten  zeigten  ferner  eine  ver¬ 
längerte  Ilerzdiagonale,  wie  diejenigen,  die  noch  nicht 
im  Felde  waren. 

Dietlen  -  Straßburg  hält  diese  Zunahme  der 
llerzmasse,  für  das  Zeichen  einer  I  Ierzverstärkung,  wie 
bekanntlich  Soldaten  des  2.  Dienstjahres  durch  die 
systematischen  Übungen  größere  Herzen  bekommen. 

Steyrer  -  I  nnsbruck.  fand  in  Tirol  viele 
Leute  mit  Herzfehlern  und  andere  mit  starken  Kröpfen, 
die  oft  Enormes  leisteten,  ohne  über  das  Herz  zu  klagen. 
„Der  Wille  macht  alles“.  Hei  den  Willensschwächen 
muß  in  erster  Linie  der  Wille  durch  psychische  Ein¬ 
wirkung  gestärkt  werden. 

Lennhoff-Berlin  hatte  in  einer  Anstalt 
für  Offiziere  hinter  der  östlichen  Front  vorzügliche  Er¬ 
folge  bei  der  Behandlung  von  nervösen  Herzbeschwerden 
und  fand,  daß  Offiziere  im  allgemeinen  schneller  zur 
Front  zurückkehrten  wie  ähnlich  erkrankte  Mann¬ 
schaften.  Die  Behandlung  in  der  Nähe  der  Front  ist 
mehr  zu  empfehlen,  wie  die  in  der  Heimat,  wo  bei 
mißlichen  häuslichen  Verhältnissen  die  Erregung  des  Her¬ 
zens  oft  gesteigert  wird. 

Goldscheider-Berlin:  Überanstrengte 

Organe  bekommen  eine  grössere  Erregbarkeit,  dies  gilt 
besonders  für  die  Psyche.  Der  Schwerpunkt  bei  der 
Behandlung  der  nervösen  Herzkranken  liegt  in  der 
psychischen  Behandlung.  Die  Leute  dürfen  nicht  ins 
Heimatsgebiet. 

Lichtwitz-Gö  t  t  i  n  g  e  n  hat  für  seine  Herz¬ 
kranken  Übungsgruppen  unter  Leitung  von  freiwilligen 
Offizieren  und  Akademikern  gebildet,  in  denen  die 
Leichtkranken  mit  Märschen,  Turnspielen  und  Schwim¬ 
men  bei  anregender  psychischer  Behandlung  beschäftigt 
werden. 

von  Schultzen,  Generalarzt,  Chef  der 
Medizinal-Abteilung  im  Kriegsministerium  zu  Berlin 
teilt  mit,  daß  die  beratenden  inneren  Mediziner  bei  ihren 
Revisionen  in  den  Heimatslazaretten  vielfach  bis  zu  25l,/u 
der  angeblich  Herzkranken  als  dienstfähig  bezeichnen 
könnten.  Richtige  Diagnose  ist  für  die  Beurteilung  der 
Leute  nach  dem  Kriege  zur  Vermeidung  einer  unge¬ 
rechtfertigten  Belastung  der  Reichskasse  durch  Renten¬ 
ansprüche  sehr  wichtig.  Die  Einrichtung  besonderer 
Herzabteilungen  oder  gar  reiner  Herzlazarette  würde 
die  Behandlung  und  Heilung  der  betreffenden  Kranken 
nur  erschweren  und  soll  deshalb  nicht  erfolgen. 

III.  Referat. 

Flecktyphus. 

1.  Berichterstatter  Brauer-Hamburg 
hat  schon  vor  dem  Kriege  in  Hamburg  häufig  ver¬ 
einzelte  Fälle  von  Flecktyphus  mit  allen  Mitteln  dei 
Klinik  genau  untersucht,  sodaß  die  Vorarbeiten  ge¬ 
macht  waren,  als  das  große  Material  des  Krieges  ihm 
entgegentrat.  Er  gibt  folgendes  klinisches  Bild: 

Das  Fleckfieber  ist  eine  scharf  umschriebene  In¬ 
fektionskrankheit,  die  epidemisch  und  endemisch  auf- 
tritt.  Die  Inkubationszeit  beträgt  in  der  Regel  12-14 
Tage,  selten  3  Wochen.  Prodromale  Erscheinungen 
fehlen  oder  sind  geringfügig,  dann  erfolgt  der  Krank¬ 
heitsausbruch  in  der  Hälfte  der  Fälle  mit  einem  Schüttel¬ 
frost.  Nach  einem  kurzen,  influenzaartiger.  Stadium 
kommt  das  2.  Stadium,  das  typhöse,  in  dessen  Be¬ 
ginn  das  charakteristische  Exanthem  auftritt.  Eine 
hohe  Continua  dauert  10—12  Tage.  In  ihr  kommt  es 
häufig  zu  geistiger  Stumpfheit  bei  völliger  Schlaflosig¬ 
keit  oder  zu  einem  Schüttelkrampfe  der  ganzen  Körper¬ 
muskulatur,  der  an  Paralysis  agitans  erinnert.  Außer  dem 
Zentralnervensystem  ist  das  Herz  schwer  geschädigt. 
Der  Ausschlag,  welcher  der  Krankheit  den  Namen  ge¬ 
geben  hat,  ist  durch  eine  Veränderung  der  Capillar- 
Gefässe  der  Haut  hervorgerufen,  eine  Periarteriitis  no¬ 


dosa,  letztere  tritt  herdförmig  auf  und  führt  zu  Zirkula¬ 
tionsstörungen  und  öfters  zu  Blutungen,  sodaß  anstelle 
der  anfänglichen  Roseolen  mehr  oder  weniger  ausgedehnte 
Petechien  auftreten.  Wichtig  ist  eine  gründliche  Reini¬ 
gung  der  Haut  zu  Beginn  der  Erkrankung,  um  das 
Auftreten  des  Exanthems  und  die  feinkleiige  IJautab- 
schuppung  besser  beobachten  zu  können.  Die  wichtigste 
Nachkrankheit  des  hleckfiebers  ist  die  besonders  an  den 
Füßen  auftretende  Gangrän.  In  der  Rekonvaleszenz  ist 
der  Puls  oft  noch  lange  verlangsamt  und  unregelmäßig. 
Die  Übertragung  der  Krankheit  erfolgt  ausschließlich 
durch  die  Kleiderläuse;  die  Epidemien  treten  oft  explo¬ 
sionsartig  in  erschreckender  Ausbreitung  auf.  Misch¬ 
infektionen  mit  Recurrens,  Typhus  abdominalis  und  In¬ 
fluenza  sind  beobachtet  worden. 

2.  Berichterstatter  Jürgens-Berlin. 
Während  früher  der  Flecktyphus  .als  unerbittlich  ihre 
Opfer  fordernde,  unheimliche  Seuche  ganze  Völker  da¬ 
hinraffte,  haben  wir  heute  das  Recht  zu  sagen,  wir  be¬ 
herrschen  die  Seuche;  wann  und  wo  auch  das  Fleck- 
fleber  auftreten  mag,  mit  Sicherheit  halten  wir  es  nieder, 
es  gibt  keine  Seuchengefahr  mehr.  Aus  dem  ansteckenden 
Flecktyphus  ist  somit  eine  nicluansteckende  Krankheit 
geworden.  Das  Fleckfieber  ist  nicht  von  Mensch  zu 
Mensch,  sondern  nur  durch  Vermittlung  der  Läuse 
übertragbar.  Der  kranke  Mensch  kann  nur  die  Läuse, 
nicht  aber  einen  anderen  Menschen  anstecken.  Was 
zwischen  Ansteckung  und  Krankheitsausbruch  im  Körper 
vorgeht,  wissen  wir  nicht,  sicher  ist  aber,  daß  die  Neu¬ 
erkrankungen  in  Abständen  von  2  Wochen  aufeinander 
folgen  und  daß  niemals  in  der  Zwischenzeit  eine  Laus 
am  Menschen  sich  infizieren  und  die  Infektion  weiter¬ 
geben  kann.  Wahrscheinlich  treten  erst  am  12.  Tage 
die  Krankheitserreger  in  eine  neue  Entwicklungsform 
ein,  die  auf  die  Laus  übergehen  und  in  deren  Körper 
ausreifen  kann.  Die  Laus  wird  erst  einige  Tage  nach 
dem  Blutsaugen  am  kranken  Menschen  angesteckt  und 
verliert  diese  Ansteckungsfähigkeit  bereits  in  wenigen 
Tagen.  Wahrscheinlich  können  auch  die  Eier  einer 
Fleckfieberlaus  infiziert  sein.  Das  Fleckfleber  verläuft 
gewöhnlich  ziemlich  gleichartig  und  nicht  so  vielge¬ 
staltig  wie  der  Bauchtyphus.  Konstante  Symptome  sind 
das  Fieber  und  der  Ausschlag.  Durch  einmaliges  Ueber- 
stehen  der  Krankheit  wird  eine  dauernde  völlige  Immunität 
erworben,  im  übrigen  besteht  bei  allen  Menschen  eine 
große  Empfänglichkeit.  Besonders  schlimme  Epidemien 
treten  auf,  sobald  durch  Hunger  und  Entbehrungen, 
Strapazen  und  schlechte  Wohnungsverhältnisse  die 
Körperwiderstandsfähigkeit  vieler  Menschen  gleichzeitig 
herabgesetzt  ist.  Praktisch  wichtig  ist,  daß  die  Läuse  nur 
während  des  fieberhaften  Stadiums  sich  infizieren  können, 
weder  in  der  Inkubationszeit  noch  während  der 
Rekonvaleszenz,  und  daß  die  Seuche  niemals  dort  auf¬ 
tritt,  wo  es  keine  infizierten  Läuse  gibt.  Man  hat  Fleck- 
fieberkranke  mit  Gesunden  in  derselben  Baracke  läuse- 
frei  untergebracht  und  es  erfolgte  keine  Ansteckung, 
während  draußen  die  starke  Epidemie  unverändert  weiter 
herrschte. 

IV.  Referat. 

Die  Biologie  der  Kleiderlaus. 

Berichterstatter  Hase-Jena. 

Der  Jenenser  Zoologe  hat  in  besonderem  Aufträge 
der  Heeresverwaltung  an  einem  riesigen  Material  monate¬ 
lang  die  Lebensweise  und  die  Fortpflanzung  der  Läuse 
studiert,  da  es  sich  herausstellte,  daß  man  bisher  sehr 
wenig  von  der  Laus  wußte.  Die  Läuse  vermehren  sich 
sehr  stark.  Sie  haben  außerordentlich  feine  Sinnesorgane; 
während  sie  für  Gerüche  fast  unempfindlich  sind,  werden 
Temperaturen  und  Wärmestrahlungen  sehr  sicher  von 
ihnen  empfunden.  Hungrige  Läuse  gehen  dem  Licht 
nach,  satte  verkriechen  sich  ins  Dunkel.  Außerordent- 


2  76 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  28. 


lieh  widerstandsfähig  sind  die  Läuse,  und  noch  mehr 
ihre  Eier  gegen  chemische  und  physikalische  Einflüsse. 
Kälte  bis  zu  5’  unter  Null  halten  sie  3  Tage  aus. 
5°/0iges  Formol  tötet  selbst  nach  24  Stunden  die  Nissen 
nicht  ab,  5%ige  Kresolseifenlösung  wirkt  unsicher.  Am 
empfindlichsten  ist  die  Laus  und  ihre  Eier  gegen  trockene 
Hitze.  Die  Laus  vermag  nur  strömendes,  warmes  Blut 
aufzunehmen,  saugt  oft  stundenlang  und  läßt  sich  selbst 
durch  das  Abschneiden  der  Fühler  und  Beine  darin  nicht 
stören.  Es  gibt  Menschen,  an  welche  die  Läuse  nicht 
gehen.  Andere  werden  an  die  Läuse  derartig  gewöhnt, 
daß  sie  dieselben  gar  nicht  mehr  spüren.  So  wurden 
bei  einem  Russen  3800  Läuse  bei  der  Reinigung  ab¬ 
gelesen. 

Diskussion. 

M  unk-Berlin  hat  in  allen  von  ihm  beobachteten 
Fällen  von  Fleckfieber  eine  konstante  Dauer  des  Fiebers 
ohne  Rücksicht  auf  die  Schwere  der  Fälle  feststellen 
können.  In  den  prognostisch  ungünstigen  Fällen  tritt 
schwere  Blutdrucksenkung  ein,  die  auf  der  Haut  zu 
livider  V erfärbung  führt.  Oefters  fand  er  Sprachstörungen 
infolge  von  Muskelhemmungen,  sowie  Trismus,  tonische 
und  klonische  Krämpfe. 

Rocha-Lima  teilt  seine  bereits  in  der  Deutschen 
Pathologischen  Gesellschaft  demonstrierten  Befunde  mit, 
welche  den  Zusammenhang  zwischen  Fleckfieber  und  dem 
von  ihm  Rikettia  Provazekii  genannten  Mikroorganismus 
erweisen. 

Töpfer  konnte  bei  infizierten  Läusen  eigentüm¬ 
liche  bakterienähnliche  Körperchen  nachweisen,  die  in 
mehr  als  500  gesunden  Läusen  niemals  zu  finden  waren. 
Die  Läuse  wurden  dadurch  infiziert,  daß  sie  tagelang 
unter  aufgeklebtem  Stoff  auf  der  Haut  von  Fieber¬ 
kranken  festgehalten  wurden.  In  den  ersten  3  Tagen 
abgenommen  enthielten  sie  noch  keine  Parasiten,  vom 
4.  l  äge  ab  zeigte  sie  ein  Teil  und  vom  7.  bis  8.  Tage 
an  sämtliche  Läuse  in  höherem  Grade.  Mit  derartigen 
Läusen  wurden  bei  Meerschweinchen  dieselben  karakteristi- 
schen  Fiebererscheinungen  hervorgerufen,  wie  sie  sonst 


nach  Einspritzung  von  Krankenblut  beobachtet  wurden. 

Stempell-Münster  i.  VV.  konnte  im  Darminhalt 
einiger  Fieberläuse  eigenartige  spindelförmige  Gebilde 
mit  kernähnlichen  Einschlüssen  nachweisen,  die  er  für 
Protozoen  hält.  Dieselben  Gebilde  fand  er  intrazellulär 
in  Fleckfieberleukozvten. 

Matthes  -  Königsberg  konnte  weder  mit 
Optochin  noch  mit  intravenöser  Injektion  von  frischem 
Rekonvaleszenten -Serum  auf  den  Verlauf  der  Krankheit 
einwirken. 

Schittenhelm-Kiel  bespricht  das  Blutbild 
bei  Fleckfieber. 

von  J  a  k  s  c  h  -  Prag  erwähnt  Fälle  mit  Zirkulations¬ 
störungen  anderNase  und  anderemit  fehlendem  Exanthem. 

Grober-Jena  hebt  ein  eintägiges  Absinken  der 
Temperatur  zwischen  dem  influenzaartigen  und  typhösen 
Stadium  hervor.  Gegen  Ende  des  tvphösen  Stadiums 
bemerkte  er  Störungen  der  Atmung  'mit  gleichzeitiger 
Glykosurie.  Er  erklärt  dies  durch  Gefäßveränderungen 
am  Boden  des  4.  Ventrikels. 

Rostoski-Dresden  bedient  sich  der  Blutstau¬ 
ung  nach  Dietzsch,  um  festzustellen,  ob  ein  Patient 
Fleckfieber  überstanden  hat  oder  nicht.  Pigment-Flecke 
werden  durch  dieselbe  wieder  bläulich  und  treten 
dort  wieder  auf,  w'O  sie  schon  verschwunden  waren. 

Kyrie  - Wien  und  Mo  rawitz-Wien  haben 
die  b  raenkelschen  Wandschädigungen  der  Hautkapillaren 
zu  einer  diagnostischen  Methode  ausgearbeitet.  Aus  der 
Roseola  wird  nach  Aufhebung  einer  leichten  Hautfalte 
mit  der  Schere  ein  Stück  exzidiert.  Die  daraus  ange¬ 
fertigten  Schnitte  zeigen  spezifische  - herdförmige  Wand¬ 
läsionen  mit  perivaskulären  Häufungen  von  großen, 
plasmareichen  Zellen,  sowie  halbmondförmige  wand¬ 
ständige  hyaline  Thromben. 

K  n  a  c  k  -  H  amburg  demonstriert  einen  Schutz¬ 
mantel  für  Arzte  und  Pflegepersonal  in  Form  eines 
Taucheranzuges,  dessen  Verschlüsse  das  Eindringen  der 
Läuse  verhindern. 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeine  Pathologie  und  pathol.  Anatomie. 

Bach,  Hugo.  Bad  Elster.  Störung  der  Schweiss¬ 
und  Talgsekretion  und  ihre  Behandlung.  (Ztsclir.  f.  physik. 
u.  diätet.  Ther.  XX.  1916.  4.  Heft.  S.  108/114.) 

Verf.  erörtert  die  interessante  Frage  des  Zusammenhangs 
von  Sekretionsanomalien  der  Haut  mit  allerlei  Erkrankungen. 
Unter  900  Patienten,  die  nach  Bad  Elster  kamen,  fand  er 
337  mal  solche  Sekretionsanomalien,  und  zwar  war  bei 
188  =  55,8 °/0  die  Schweiss-  und  Talgsekretion  gleichzeitig 
vermindert  bzw.  aufgehoben,  bei  103  =  30,7°  0  nur  die 

Schweiss-,  bei  46  =  13,5 °/0  nur  die  Talgsekretion. 

Von  den  337  Patienten  litten  160  an  Neuralgien, 
Rheumatismus  oder  Gicht,  2  an  Epilepsie,  je  1  an  Veitstanz, 
Ichthyosis,  Bettnässen,  Gallenstörungen,  Heuschnupfen. 

Eine  radikale  Heilung  ist  nicht  möglich.  Besserungen 
hat  B.  durch  Moorbäder,  künstliche  Höhensonne,  Einreibuno-en 

•  i  i  '  /  Ö 

nulder  Fette,  wollene  Unterkleider  erzielt. 

Es  ist  bedauerlich,  dass  die  Haut  in  der  Mediziu  eine  so 
untergeordnete  Rolle  spielt  und  dass  ein  Organ,  welches  so 
leicht  zugänglich  ist,  nicht  mehr  zu  diagnostischen  Zwecken 
ausgebeutet  wird  Buttersack. 

As.  Zlataroff,  Sofia.  Über  eine  neue  Art  von 
Glukosurie:  Glukosomethylpentosurie.  (Hoppe-Seyler’s  Zeit¬ 
schrift  f.  physiol.  Chemie.  Bd.  97.  H.  28/31.) 


Bei  der  polarimetrischen  Zuckerbestimmung  im  Harn  eines 
hochgradigen  Diabetikers  ergab  sich  ein  geringerer  Wert,  als 
der  titrimetrischen  Bestimmung  entsprochen  hatte.  Genauere 
Nachforschung  ergab,  dass  es  sich  wahrscheinlich  um 
Beimengung  einer  Methylpentose  handelt,  vielleicht  Rhamnose. 

Ein  Urteil  über  die  Herkunft  dieses  Zuckers  ist 
zur  Zeit  nicht  mit  Sicherheit  zu  gewinnen.  Die  Kost 
des  Patienten  unterschied  sich  nicht  von  der  aller  anderen. 

Egon  E  i  c  h  w  a  1  d. 

Heinrich  Wieland  und  Hermann  Sorge. 
Untersuchungen  über  die  Gallensäuren.  (Hoppe-Seyler’s  Zeit¬ 
schrift  f.  physiol.  Chemie.  Bd.  97.  1/27.) 

Es  wird  die  alte  Streitfrage,  ob  die  ausser  der  Cholsäure 
sich  hauptsächlich  noch  in  der  Galle  befindlichen  Säuren,  die 
Choleinsäure  und  die  Desoxycholsäure,  identisch  sind  oder  nicht, 
in  folgendem  Sinne  erledigt: 

Die  Choleinsäure  ist  die  additiouelle  Verbindung  der 
Desoxycholsäure  mit  einer  höheren  Fettsäure  z.  B.  Stearinsäure. 
Diese  additioneile  Verbindung  ist  sehr  stabil.  Ausser  mit 
Stearinsäure  vermag  die  Desoxycholsäure  sich  noch  mit  andern, 
auch  niederen  Fettsäuren  zu  verbinden,  sowie  mit  Kohlenwasser¬ 
stoffen,  sowie  andern  organischen  Stoffen  z.  B.  Benzoesäure, 
Kampfer,  Salol  etc. 

Die  Bedeutung  dieser  chemischen  Ergebnisse  liegt  darin, 
dass  sie  eine  Erklärung  für  das  Lösungsvermögen  der  Galle 


Nr.  28. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


2  77 


gegenüber  zahlreichen  wasserunlöslichen  Substanzen  liefert. 
Diese  werden  dadurch  leicht  resrobierbar. 

Egon  E  i  c  h  w  a  1  d. 

O.  Sch  u  ui  in.  Hämatin  als  pathologischer  Bestandteil 
des  Blutes.  (Hoppe-Seyler’s  Zeitschrift  f.  physiol.  Chemie. 
Bd  97.  32/52.) 

Bei  einer  Vergiftung  batte  O  Schümm  gefunden,  dass  im 
kreisenden  Blut  sich  bedeutende  Mengen  der  Abbauprodukte 
des  Blutfarbstoffes,  Hämatin,  vorfanden. 

Er  untersuchte  deshalb,  ob  sieb  auch  sonst  unter 
pathologischen  Verhältnissen  Hämatin  im  Blut  nachweisen 
lässt. 

Hämatin  tritt  auf  bei  Zuständen,  die  mit  abnormer  Zer¬ 
setzung  der  roten  Blutkörperchen  verbunden  sind,  z.  B.  bei 
Vergiftungen  durch  anorganische  oder  organische  Blutgifte,  bei 
Schwangerschaftseklampsie,  Malaria,  Sepsis  durch  den  Bazillus 
phlegmones  emphysematosae  Fraenkel,  bei  perniziöser  Anämie 
und  extrauteriner  Schwangerschaft.  Unter  günstigen  Um¬ 
ständen  verschwindet  der  Hämatingehalt  des  Blutes  häufig  in 
wenigen  Tagen.  Beziehungen  zwischen  dem  Gebalt  des  Blut¬ 
serums  an  Methämoglobin,  Hämatin  und  Bilirubin  haben  sich 
bisher  noch  nicht  finden  lassen.  Häufig  enthält  der  Harn  bei 
Anwesenheit  von  Hämatin  im  Serum  beträchtliche  Mengen  des 
Hämatin  im  Sediment. 

Besonders  wichtig  erscheint  es,  die  Einwirkung  der  Blut¬ 
gifte  auf  den  roten  Blutfarbstoff  einer  erneuten  Untersuchung 
zu  unterziehen,  da  man  bisher  nur  das  Auftreten  von 
Methämoglobin,  nicht  jedoch  des  von  Hämatin  genügend 
berücksichtigt,  hat.  Egon  E  i  c  h  w  a  1  d. 

B  ü  r  g  i.  Chlorophyll  und  Chlorosan.  (Corresp.  Bl.  f. 
Schweiz.  Ärzte.  1916  No.  15.) 

Von  den  chemischen  Beziehungen  zwischen  Blutfarbstoff 
und  Chlorophyll  ausgehend  kommt  B.  auf  den  Gedanken,  die 
Umwandlung  des  letzteren  in  den  ersteren  experimentell  nach¬ 
zuweisen  und  es  ev.  therapeutisch  zu  benutzen.  Dabei  erinnert 
er  an  den  Wert  der  grünen  Gemüse,  deren  Nahrungswert 
<  gering  ist.  Beim  Kaninchen  wirkte  Blattgrün,  besonders  in 
der  Kombination  mit  Eisen,  günstiger  auf  die  Besserung  des 
Hämoglobins  als  jedes  einzeln.  Die  Wirkung  auf  den  Erythro¬ 
zytenzahl  ist  weniger  ausgesprochen.  Beim  Menschen  erzielte 
B.  mit  seinem  Präparat,  dem  er  den  Namen  ,, Chlorosan“  gab, 
sehr  günstige  Resultate  (in  etwa  200  Fällen  angewandt).  Nicht 
t  nur  subjektiv  (Hebung  des  Appetits  etc.)  zeigte  sich  dies,  sondern 
auch  im  Blutbild.  Besonders  günstig  waren  die  Resultate 
1  bei  initialer  Lungentuberkulose. 

B  o  e  n  h  e  i  m. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Roseufeld,  Rud.,  A.  P.  Einfluss  der  vegetarischen 
Ernährung  auf  die  Muskelkraft.  (Ztschr.  f.  physik.  u.  diätet. 
Ther.  XX.  1916.  4.  Heft.  S.  97/107.) 

Verf.  hat  die  im  Titel  angegebene  Frage  mit  Hilfe  der 
z.  Z.  üblichen  Stickstoff-Harnsäure-  und  Kalorienrechnungen 
angegriffen  und  dazu  3  Versuchsreihen  bei  2  Personen  angestellt. 
Das  Resultat  lautet:  Die  laktovegetabilische  Kost  setzte  bei  der 
einen  Versuchs-Person  die  ergographische  Leistungsfähigkeit 
sehr  stark  herab,  eine  einzige  Fleischmahlzeit  liess  die  frühere 
Kraft  zurückkehren.  Vegetarische  Kost  schwächte  mehr,  als 
eine  Tanznacht. 

Beigabe  von  Fleischextrakt  zur  vegetarischen  Kost  blieb 
wirkungslos.  Buttersack. 


Allgemeines. 

Über  die  hereditären  Beziehungen  zwischen  Alkoholis¬ 
mus  und  Epilepsie.  Von  J.  S  t  u  h  1  i  k. 

Von  12600  in  der  psychiatrischen  Universitätsklinik  zu 
Zürich  in  den  Jahren  1870  bis  1913  aufgenommenen  Kranken 
litten  341  =  12,7°  0  an  Epilepsie.  Die  statistische  Ver¬ 
arbeitung  der  Krankengeschichten  führt  den  Verf.  zu  folgenden 
Schlusssätzen. 

1.  Unter  den  hereditär  belastenden  Krankheiten  spielt 


die  Epilepsie  selbst  keine  grosse  Rolle,  denn  nur  15,3°/0  sämt¬ 
lich  belasteter  Patienten  waren  gleichartig  belastet,  direkt  gleich¬ 
artig  nur  6,4°/0,  und  von  den  sämtlichen  untersuchten  Patienten 
wiesen  nur  9,5  0  unter  den  Verwandten  Epileptiker  überhaupt 
auf,  unter  direkten  Vorfahren  nur  4,1%. 

2.  Die  anderen  belastenden  Krankheiten  —  Hysterie, 
Dementiapraecox,  periodische  Erkrankungen,  Imbezillität,  Idiotie, 

organische  Geisteskrankheiten,  allgemeine  körperliche  Leiden  _ 

stehen  in  ihrer  Bedeutung  der  Epilepsie  weit  nach. 

3.  Bei  starker  Heredität  scheinen  die  ersten  Anfälle  etwas 
früher  aufzutreteu. 

4.  Unter  der  hereditär  belastenden  Krankheiten  bei  Epi¬ 
lepsie  ist  quantitativ  der  Alkoholismus  in  erster  Reihe  zu 
nennen,  denn  etwa  40%  aller  belasteten  Patienten  hatten 
alkoholische  Eltern  und  etwa  43%  hatten  unter  ihren  direkten 
Vorfahren  mindestens  einen  Alkoholiker.  Fast  30%  sämtlicher 
hereditär  belastenden  Momente  macht  der  Alkoholismus  aus. 
In  30%  der  Epilepsien,  bei  welchen  wir  überhaupt  etwas  Be¬ 
lastendes  finden,  ist  es  allein  der  Alkoholismus,  der  hereditär 
in  Betracht  kommt. 

5.  50%  aller  Fälle,  bei  welchen  die  Eltern  der  Patienten 
alkoholisch  waren,  hatten  ganz  gesunde  Vorfahren  und  Seiten¬ 
verwandte  ,  und  in  58%  solcher  Fälle  finden  wir  in  der 
Verwandtschaft  keine  andere  Krankheit  als  den  Alko¬ 
holismus. 

6.  In  den  Familien  der  Epileptiker  ohne  alkoholische 
Erzeuger  spielt  der  Alkoholismus  nur  eine  unbeträchtliche 
Rolle.  Umgekehrt  ist  der  Alkoholismus  der  Erzeuger 
relativ  um  ein  Vielfaches  häufiger  als  der  der  Seiten- 
verwaudten. 

7.  Es  ist  äusserst  wahrscheinlich,  dass  der  Alkoholismus 
der  Eltern  von  Epileptikern  nicht  eine  blosse  Ausdrucksforni 
einer  Familiendisposition  ist,  die  sowohl  Alkoholismus  als 
Epilepsie  erzeugt,  sondern  dass  er  eine  wichtige  Ursache 
der  Epilepsie  bildet. 

Korresp.-Bl.  f.  Schweizer  Ae.  1915/3. 

Alkohol  und  Militärtauglichkeit.  Bei  der  ordentlichen 
Frührjahssitzung  der  Gesellschaft  des  Ärzte  der  Kantons 
Zürich  am  2.  Februar  1915  hielt  der  Präsident  Dr.  H. 
Häberlin  eine  Ansprache,  in  der  er  u.  a.  über  seine  Er¬ 
fahrungen  bei  der  Mobilisation  berichtete  Er  untersuchte  zu¬ 
sammen  mit  zwei  jüngeren  Kollegen.  „Da  war  eine  Beob¬ 
achtung“,  sagte  Dr.  Häberlin,  ,,die  uns  schmerzlich  berührte, 
die  V  er  Wüstungen  durch  den  Alkohol. 
Keine  Zahlen  seien  angeführt,  nur  der  Gesamteindruck:  Die 
Dienstuntauglichkeit  vom  30  Jahre  an  und  besonders  um  und 
nach  dem  40.  ist  in  der  Hauptsache  bedingt  durch  den 
Alkoholismus.  Die  Diagnose  ist  nicht  immer  deutlich  und  unzwei¬ 
deutig,  aber  die  Mehrzahl  der  Myokarditiden,  Myodegenerationen, 
Magen-  und  Darmstörungen  stehen  direkt  und  indirekt  im  ur¬ 
sächlichen  Zusammenhang  mit  dem  abusu  des  Alkohols. 

Heute  ist  nicht  Zeit  und  Gelegenheit,  auf  dieses  Thema 
einzugehen.  Sollten  meine  beschränkten  Erfahrungen  keine 
ausnahmsweisen  sein,  sondern  andere  Ärzte  ähnliche  Er¬ 
fahrungen  machen,  dann  wird  es  unsere  ärztliche  Pflicht  sein, 
der  Sache  näher  zu  treten,  die  Grösse  der  Gefahr  festzustellen, 
die  nötigen  Schritte  zur  Besserung  zu  beraten,  zu  beantragen 
und  vor  allem  den  Kampf  ernsthafter  aufzunehmen  und  mit 
dem  guten  Beispiel  voranzugehen.“ 

Korresp.-Bl.  f.  Schweizer  Ae  19 15/28. 

Die  Volksbäder  und  die  Bekämpfung  der  Läuseplage. 

Es  ist  bekannt,  dass  durch  Kleiderläuse  schwere  Krank¬ 
heiten  übertragen  werden  können,  besonders  Fleck-Typhus 
und  Rückfallfieber.  Die  deutsche  Heeresverwaltung  hat  des¬ 
halb  alle  Vorsorge  getroffen,  unsere  tapferen  Krieger,  die  durch 
Berührung  mit  den  Feinden  von  diesem  Ungeziefer  befallen 
sind,  ebenso  wie  die  Kriegsgefangenen,  davon  zu  befreien; 
aber  dennoch  besteht  die  Gefahr,  dass  diese  widerlichen  und 
gefährlichen  Tiere,  besonders  auch  von  den  zur  Arbeit  ver¬ 
wendeten  Kriegsgefangenen,  in  die  Zivil-Bevölkerung  ver¬ 
schleppt  werden.  Auf  Anregung  des  Herrn  Ministers  hat  die 
Deutsche  Gesellschaft  für  Volksbäder 
eine  kleine  Schrift  herausgegeben,  in  der  auch  in  staatlichen, 
gemeindlichen,  privaten  Betrieben,  auf  Dörfern  und  in 


278 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  28. 


kleineren  Städten  leicht  beschaffbare  Mittel  und  Ein¬ 
richtungen  zur  Beseitigung  des  Ungeziefers  beschrieben 
werden. 

Die  kleine  Schrift  ist  gegen  vorherige  Einsendung  des 
Betrages  von  der  Geschäftsstelle  der  Deutschen  Ge- 


Seilschaft  für 

V  o  1 

k  s  b  ä 

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r  , 

Berlin 

Kurfürsten -Strasse  81,  zu 

beziehen 

zum  Preise  von 

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50, — 

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90,— 

jy 

1000 

V 

Medikamentöse  Therapie  u.  neuere  Medikamente. 

S  e  u  b  e  r  t.  Zur  Verwendung  des  Granugenols  „Knoli“. 

(Münchener  Medizin.  Wochenschrift,  1 91 G,  Nr.  12.) 

Autor  hatte  Gelegenheit,  Granugenol  in  etwa  lOu 
Fällen  zu  erproben  und  konnte  feststellen,  dass  nach  An¬ 
wendung  des  Präparates  das  Wachstum  des  Granulationsge¬ 
webes  eine  Anregung  erfährt  und  Heilung  ein  tritt.  In  zwei 
Fällen  von  ausgedehnten  Röntgenverbrenuuugen, 
die  bekanntlich  Monate  und  Jahre  jeder  Therapie  trotzen,  konn¬ 
ten  durch  Granugenolbehandlung  ganz  augenfällige  Erfolge 
erzielt  werden. 

In  einem  Falle  handelte  es  sich  um  eine  seit  einem  Jahr 
bestehende  fünfmarkstückgrosse  und  über  1  cm  tiefe  Röntgen¬ 
verbrennung  (Geschwür),  welche  trotz  aller  Mittel  nicht  geheilt 
werden  konnte.  Nach  6  wöchiger  Granugenolanweudung  füllte 
sich  das  Geschwür  völlig  mit  Granulationen  aus.  Die  Ver¬ 
narbung  setzte  vom  Rande  her  ein  und  der  Umfang  der 
Wunde  war  nur  noch  etwa  markstückgross.  Der  andere  Fall 
war  eine  seit  über  2  Jahren  bestehende  Verbrennung:  des 
Unterleibes  von  der  Symphyse  bis  zur  Nabelhöhe.  Nach 
1/i  jähriger  Granugenolbehandlung  fand  bis  auf  Handgrösse 
Vernarbung  statt. 

Der  Verfasser  rät  in  derartigen  Fällen  einen  Versuch 
mit  Granugenol  dringend  an.  N  e  u  m  a  n  n. 

Über  Droserin. 

Das  „D  r  o  s  e  r  i  n“,  ein  Drosera-Milchzucker-Präparat 
wird  von  verschiedenen  Seiten,  z.  Bsp.  der  Universitätsklinik 
in  Erlangen  und  der  Universitätsklinik  in  München  als  gutes 
Keuchhustenmittel  empfohlen.  Das  Droserin  ist  frei  von  Chinin 
und  Narcoticis.  Ausser  bei  Keuchhusten  bewährt  es  seine 
wertvollen  therapeutischen  Eigenschaften  bei  allen  infektiösen 
Katarrhen  der  Respirationsorgane  mit  starkem  und  quälendem 
Hustenreiz,  wie  Katarrh  des  Pharynx,  der  Bronchien,  Husteu- 
reiz  bei  Influenza,  Masern  etc. 

Das  Droserin  muss  möglichst  frühzeitig  zur  Anwendung 
kommen.  Bei  Kindern  unter  2  Jahren  wird  gewöhnlich 
Droserin  in  Normalstärke  verordnet  und  alle  2 — 3  Stunden 
eine  Tablette  in  etwas  Wasser  oder  Milch  verabreicht,  nötigen¬ 
falls  auch  während  der  Nacht.  Bei  Kindern  über  2  Jahren 
und  Erwachsenen  ist,  abgesehen  von  ganz  leichten  Fällen 
von  Anfang  an  Droserin  Stärke  II  zu  bevorzugen  und 
gleichfalls  alle  2 — 3  Stunden  eine  Tablette  in  Wasser 
oder  Milch  zu  geben.  Ausser  in  Tablettenform  ist  das 
Droserin  auch  noch  in  Form  eines  Sirups  zu  haben.  — 
Hier  ist  ein  Kalkbrombaldrianzusatz  gemacht.  Es  wird 
hiervon  2  -  stündlich  1  Kinder-  bis  1  Esslöffel  verdünnt 
oder  in  Wasser  oder  Milch  verabreicht. 

N  e  u  m  a  n  n. 

Diafor.  Unter  diesem  geschützten  Namen  bringt  die 
Fabrik  chem.  pharm.  Präparate  Dr.  Schütz  &  Co..  Bonn 
a.  Rh.  ein  nach  patentiertem  Verfahren  hergestelltes  neues 
Antipyreticum,  Antineuralgicum  und  Antirheumaticum  mit 
schwach  sedativer  Eigenschaft  in  den  Handel.  Diese  sedative 
Eigenschaft  gibt  dem  Präparat,  das,  aus  acetylsalicylsaurem 
Harnstoff  bestehend,  den  Magen  in  keiner  Weise  angreift 
und  leichter  löslich  ist  als  die  Acetylsalicylsäure,  nicht  unbe- 
tende  Vorteile  vor  den  letzteren  und  vor  dem  Aspirin,  zumal 
die  Acetylgruppe  auch  bei  längerem  Lagern  nicht  abgespalten 
und  daher  stets  eine  gleichmässige  Wirkung  erzielt  wird. 
Prof.  Dr.  Hübner,  Bonn  veröffentlicht  in  der  psychiatrisch¬ 


neurologischen  Wochenschrift  XVI.  Jahrgang  No.  17  seine  Er¬ 
fahrungen  mit  dem  Präparat,  die  er  bei  längerer  Versuchsdauer 
in  der  Köuigl.  psychiatrischen  Klinik  in  Bonn  gesammelt  hat. 
Er  reichte  es  mit  günstigem  Erfolge  bei  Schmerzen  verschiedenster 
Art:  Gelenkrheumatismus.  Trigeminusneuralgie,  Neurasthenie, 
Hj-sterie,  Herpes  zoster  usw.  und  spricht  ihm  wesentliche  Vor¬ 
züge  vor  dem  Aspirin  zu.  Diafor  kommt  in  Röhren  mit 
20  Tabl.  ä  0,G6  g  zu  1  Mk.  in  den  Handel.  Eine  Tablette 
entspricht  0,5  Acid-acetylosalicylic 

Baldrianol-Tabletten  bestehend  aus  Isovalarylcarbamid 
stellen  ein  Präparat  der  Fa.  Dr.  Arnold  V  o  r  w  i  n  k  e  1  -Berlin 
vor.  das  völlig  bromfrei,  geruch-  und  geschmacklos  die  Wirkung 
des  Baldrians  in  ausgezeichneter  Weise  verkörpert.  Bei  allen 
Leiden  nervöser  Natur,  bei  leichten  Erregungszuständen,  ner¬ 
vösem  Herzklopfen,  Hysterie,  Benommenheit  oder  Schmerzen 
des  Kopfes  bezw.  Migräne  ist  sein  Gebrauch  indiziert.  Gegen 
Schlaflosigkeit  lässt  man  vor  dem  Zubettgehen  2 — 3  Tabletten 
nehmen.  Die  Original-Packung  enthält  in  Steckkapselröhre 
30  Tabletten  ä  0,5  g. 

Joletran  bezeichnet  die  Fa.  Goedecke  &  Co ,  chem. 
Fabrik  Leipzig  und  Berlin  eine  Kombination  der  an  dieser 
Stelle  bereits  genannten  Präparate  Jod-Prothaemin  und  Sano- 
kalzin  Sie  sollen  ein  bequem  zu  reichender  Ersatz  für  Jod¬ 
eisenlebertran  in  Verbindung  mit  Kalk  sein  und  die  Wirkungen 
der  Lebertran-  mit  der  Kalktherapie  verbinden.  Die  gleich¬ 
mässige  Dosierung  und  geschickte  Zusammensetzung  können 
als  Empfehlung  angesehen  werden  für  Fälle,  in  denen 
aus  persönlichen  Gründen  die  Darreichung  von  Lebertran 
unmöglich  ist 

Neue  Organpräparate  sind  das  Testogan  und 
Thelygan  sowie  deren  Zusammenstellung  mit  Schilddrüsen- 
Extrakt.  Ferner  das  Hormo-Spermin,  Hör  m  o  - 
O  v  a  r  i  i  u  ,  Horm  o-Thyreoidin  und  Praecoxi  n 
der  Firma  Dr.  Henning,  Berlin  W. 

Testogan  verbindet  die  rasche  intensive  Wirkung  des 
Yohimbins  mit  der  langsameren  aber  anhaltenderen  der  Opo¬ 
therapie.  Es  ist  ein  Mittel  gegen  sexuelle  Insuffizienz  des 
Mannes,  das  dazu  verwendete  Extrakt  wird  aus 
Stierhoden  gewonnen;  das  Thelygan  hat  die  entsprechende  Zu¬ 
sammensetzung  und  Wirkung  für  weibliche  Patienten,  das  hier¬ 
zu  gebrauchte  Extrakt  stammt  aus  Kuhovarien.  Beide  kommen 
in  Ampullen  und  Tabletten  in  den  Handel.  Thyreo-Testogen 
und  Thyreo-Thetygan  sind  zu  Entfettungskuren  bestimmt. 
Sie  enthalten  die  wirksame  Substanz  von  je  l  g  frischer 
Schilddrüse  pro  Tablette.  Die  Hormo-Präparate  werden  nach 
einem  besonderen  Darstellungsverfahren  gewonnen,  das  die 
Hormone  in  besonders  grosser  und  wirkungsvoller  Menge  zur 
Wirkung  bringen  soll.  Mit  Hilfe  des  Hormo-Spermin  stellt 
die  Fabrik  ein  Specificum  gegen  Ejaculatio  praecox  dar,  das 
sie  mit  dem  Namen  Praecoxin  bezeichnet. 

Cignolin,  ein  Ersatzpräpatrat  des  Chrysarobins,  wird  von 
den  Farbenfabriken  vormals  Friedr.  Bayer  &  Co. hergestellt. 
Es  gehört  zu  der  Gruppe  der  Oxyanthranole,  ist  ein  gelbes 
Pulver  und  löst  sich  zu  1  °/0  in  Traumaticin,  1,5 °/0  in  Benzol 
sowie  in  Aceton  und  Alkohol.  Mit  Fetten  verbindet  es  sich 
leicht  und  wird  zweckmässig  mit  weisser  Vaseline  verarbeitet, 
nachdem  es  mit  einigen  Tropfen  Paraffin,  liquid,  angerieben 
worden  ist.  Prof.  Dr.  Galnowsky,  Dresden,  nach  dessen 
Angaben  die  Darstellung  erfolgte,  berichtet  darüber  S.  113 
der  Dermatologischen  Wochenschrift  1916. 

Nach  seinen  Erfahrungen  ist  die  Wirkung  des  Cignolins 
viel  stärker  als  die  des  Chrysarobins.  Er  empfiehlt  es  bssonders 
gegen  Psoriasis  als  Pinselung  zu  J/4  —  l°/n  in  Aceton  gelöst 
oder  als  0,05  0,l°/0  Salbe  mit  0,5°/0  Salizylsäure  und 

5%  Liquor  carbonis  detergens.  Er  glaubt  es  mit  gutem  Ge¬ 
wissen  als  gleichwertigen  Ersatz  für  Chrysarobin  den  Herren 
Kollegen  zur  weiteren  Erprobung  empfehlen  zu  dürfen. 

I 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang 


1915/16. 


Tortschrittc  der  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


ümer  Mitwirkung  hervorragender  Tatbmänner 

herausgegeben  von 

1  •  v2"  C,rieSern'  L.  Edinger,  L.  Hauser, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt. 

c.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  29 


Erscheint  am  10..  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


20.  Juli. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  Roseola  typhosa. 

Von  Eugen  Fraenkel,  Hamburg. 

In  der  klinischen  Diagnose  des  Unterleibstyphus  hat 
der  Nachweis  der  Roseolen  von  altersher  eine  große 
Rolle  gespielt.  Sie  sind  eines  der  Kardinalsymptome, 
auf  deren  Erscheinen  der  Arzt  mit  besonderer  Aufmerk¬ 
samkeit  fahndet,  um  bei  gleichzeitigem  Bestehen  eines 
auf  Typhus  verdächtigen  Fiebers  und  bei  dem  Vorhan¬ 
densein  eines  Milztumors  die  klinische  Diagnose  mit 
Nachdruck  begründen  zu  können.  Ihre  Lokalisation  an 
der  Haut  des  Bauches  und  Rückens  sowie  der  unteren 
Brustgegend  ist,  neben  dem  Zeitpunkt  des  Auftretens 
am  Ende  der  ersten  oder  Anfang  der  zweiten  Krank¬ 
heitswoche,  für  die  Typhusdiagnose  von  erhöhtem  Wert. 
Freilich  haben  namentlich  Beobachtungen  in  dem  jetzigen 
Kriege  gelehrt,  daß  nicht  selten  das  Roseolenexanthem 
ein  sehr  viel  ausgebreiteteres  ist  oder  wenigstens  sein 
kann,  und  so  durch  das  sehr  dichte  Auftreten  der  ein¬ 
zelnen  über  den  ganzen  Körper  verbreiteten,  auch  das 
Gesicht  nicht  verschonenden  Effloreszenzen  die  Beur¬ 
teilung  eines  solchen  Exanthems  sehr  erschwert  werden 
kann,  zumal  an  Orten,  wo  Pieckfieber  herrscht.  Bei 
diesem  ist  ja  das  Exanthem  in  der  Mehrzahl  der  Fälle, 
kurz  ausgedrückt,  ein  viel  massiveres,  und  es  wird  die 
Unterscheidung  eine  um  so  schwierigere  sein,  wenn,  wie 
gleichfalls  Erfahrungen  namentlich  auf  dem  östlichen 
Kriegsschauplatz  gelehrt  haben,  das  unter  Umständen 
auch  beim  Abdominaltyphus  sehr  reichliche  Exanthem 
eine  petechiale  Umwandlung  erfährt  und  damit  eine 
weitere  Übereinstimmung  mit  dem  Roseola-Exanthem 
des  Fleckfiebers  bietet.  Aber  trotz  dieser  äußeren  Ähn¬ 
lichkeiten  der  Roseolen  beim  Abdominaltyphus  und 
Fleckfieber  sind  beide  ihrem  anatomischen  Charakter 
nach  verschieden.  In  dieser  Beziehung  haben  die  letzten 
Jahre  eine  wesentliche  Erweiterung  unserer  Kenntnis 
gebracht.  Wir  sind  jetzt  imstande,  genauen  Aufschluß 
über  die  den  Roseolen  bei  beiden  Krankheiten  zu  Grunde 
liegenden  geweblichen  Veränderungen  zu  geben. 

Ich  entspreche  einer  seitens  der  verehrlichen  Schrift- 
leitung  an  mich  ergangenen  Aufforderung,  wenn  ich  in 
folgendem  eine  kurze  Darstellung  dessen  gebe,  was  wir 
über  die  lyphus-R  oseolen  wissen. 

Nachdem  es  Neuhauss  und  Thiemich  im 
Jahre  1886  und  1895  gelungen  war,  aus  Typhusroseolen 
Typhusbazillen  zu  züchten,  hatte  eine  große  Reihe  an¬ 
derer  Autoren,  bei  Nachprüfung  der  Angaben  der  ge¬ 
nannten  Forscher,  nur  negative  Resultate  zu  verzeich¬ 
nen.  Erst  Neufeld  gelang  es,  die  Ursachen  dieser 
Mißerfolge  aufzudecken  und  gleichzeitig  eine  Methode 


anzugeben,  die  den  Nachweis  der  Typhusbazillen  in 
dem  Gewebssaft  von  Typhusroseolen  mit  nahezu  ge¬ 
setzmäßiger  Regelmäßigkeit  ermöglichte  Diese  Methode 
besteht  bekanntlich  darin,  daß  man  die  mit  Alkohol  und 
Äther  gereinigte  Hautstelle  einritzt  und  etwas  Gewebs¬ 
saft  herauskratzt,  den  man  sofort  in  Bouillon  einbringt. 
Auch  auf  die  Pfautwunde  werden  gleich  einige  Tropfen 
Bouillon  aufgetragen,  um  die  etwa  austretenden  Blut¬ 
tropfen  zu  verdünnen.  Diese  werden  dann  in  Bouillon 
oder  in  das  Kondenswasser  von  Agarröhrchen  verimpft. 
Seit  wir  die  typhusbazillenwachstumfördernde  Eigen¬ 
schaft  von  steriler  Galle  kennen,  wird  solche  zu  flüssigen 
oder  festen  Nährböden  zugesetzt,  und  von  den  damit 
beimpften  Röhrchen  nach  mehrstündiger  Bebrütung  auf 
Lackmusnutrose  oder  Endoagar  übertragen.  Mit  dieser 
von  N  e  u  f  e  1  d  im  Jahre  1898  veröffentlichten  Methode 
war  der  Beweis  erbracht,  daß  die  Typhusroseolen  dem 
Eindringen  von  Typhusbazillen  in  die  Haut  ihre  Ent¬ 
stehung  verdanken.  Aber  über  ihren  Sitz  und  ihre 
Wirkung  auf  das  Hautgewebe  gaben  die  Neuf  eld- 
schen  Untersuchungen  keine  Auskunft.  Hier  setzten 
meine  eigenen  Untersuchungen  ein. 

Da  nach  den  N  e  u  f  e  1  d  schen  Angaben  in  den 
Roseolen  immer  nur  ganz  vereinzelte  Bazillenexemplare 
zu  erwarten  waren,  der  histologische  Nachweis  einzelner, 
einer  elektiven  Färbung  bekanntlich  nicht  zugängiger 
Typhusbazillen  so  gut  wie  aussichtslos  ist,  mußte  zu 
einem  kleinen  Kunstgriff  die  Zuflucht  genommen  werden, 
und  dieser  bestand  darin,  daß  ich  die  frisch  exzidierten, 
noch  lebenswarmen  Roseolahautstückchen  sofort  in 
Bouillon  brachte  und  während  12 — 18  Stunden  bei 
37  Grad  Celsius  stehen  ließ.  Dann  wachsen  an  solchen 
Stellen,  wo  sich  ein  oder  mehrere  Typhusbazillen  be¬ 
finden,  diese  zu  kleinen  ganz  charakteristischen  Häuf¬ 
chen  aus,  welche  sich  bequem  färben  lassen.  Dieses 
Verfahren  stellt  nichts  anderes  als 
eine  Züchtung  der  Bazillen  inner¬ 
halb  des  erkrankten  (Haut-)  Organes 
dar  und  hat  sich  für  das  Auffinden  der  Typhusba¬ 
zillen  in  der  Roseolahaut  glänzend  bewährt.  Denn  es 
hat  uns  einmal  ermöglicht,  in  den  Roseolen  die 
spezifischen  Bazillen  aufzufinden 
und  die  sich  an  den  Stellen  ihres  Sitzes  abspielenden 
Gewebsveränderungen  aufzudecken. 

Bezüglich  der  Lokalisation  der  Ba¬ 
zillen  ist  zu  bemerken,  daß  sie  sich  entweder  im 
Papillarkörper  oder  der  P.  reticul.  cut.  ansiedeln  unter 
Bevorzugung  des  ersteren. 

Hinsichtlich  der  in  den  einzelnen  Roseolen  zur  Be¬ 
obachtung  gelangenden  Bakterienhäufchen  walten  Ver- 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  29. 


schiedenheiten  ob.  Meist  begegnet  man  nur  einem 
einzigen.  Unter  11  von  mir  untersuchten  Roseolen  habe 
ich  nur  zweimal  multiple,  in  verschiedenen,  bisweilen, 
durch  bazillenfreie,  von  einander  getrennten  Papillen  an¬ 
gesiedelte  Bazillenhäufchen  angetroffen.  Die  Bazillen 
halten  sich  dabei  in  Gewebsspalten  oder  Kanälchen 
auf,  neben  welchen  die  durch  ihre  Wandstruktur  als 
solche  deutlich  erkennbaren  Hautarterien  resp.  Kapil¬ 
laren  verlaufen.  Ich  bin  deshalb  der  Ansicht,  daß  man 
es  vor  allem  mit  Rücksicht  auf  die  baumzweigartige 
oder  büschelförmige,  bisweilen  knäuelartige  Anordnung 
der  bazillenführenden  Kanälchen  mit  Hautlymph¬ 
gefäßen  zu  tun  hat.  Jedenfalls  ist  es  mir  nicht  gelun¬ 
gen,  in  sicher  als  Blutgefäße  zu  charakterisierenden 
Räumen,  Typhusbazillen  zu  entdecken. 

Am  Sitz  der  Typhusbazillen  und  in 
ihrer  unmittelbarsten  Umgebung  in  einer  Ausdehnung, 
die  der  Größe  der  einzelnen  Roseolen  entspricht,  kommt 
es  nun  zu  leicht  erkennbaren  Verände¬ 
rungen  im  H  a  u  t  g  e  w  e  b  e.  Sie  betreffen  entweder 
nur  eine  einzelne  Papille  oder  spielen  sich  an  mehreren, 
entweder  benachbarten  oder,  durch  Gruppen  intakter, 
getrennten  Papillen  ab.  Die  Papillen  schwellen  nicht 
unbeträchtlich  an,  und  ihr  Stroma  erscheint  viel  zell¬ 
reicher  als  normal.  Die  Vermehrung  der  zelligen  Ele¬ 
mente  ist  nicht  durch  Einwanderung  von  Leukozyten 
veranlasst,  sondern  kommt  ausschließlich  auf  Rechnung 
der  fixen  Gewebszellen  der  einzelnen  Papillen.  Gleich¬ 
zeitig  erfolgt  eine,  nur  im  Bereich  der  erkrankten  Pa¬ 
pillen  wahrnehmbare,  Lockerung  des  Zusammenhanges 
zwischen  ihr  und  der  bedeckenden  Oberhaut.  Fast  aus¬ 
nahmslos  ist  sowohl  die  Papillenschwellung  als  auch  die 
Ablösung  der  Oberhaut  am  intensivsten  im  Bereich  der 
Ansiedelung  der  Krankheitserreger  und  nimmt  mit  der 
größeren  Entfernung  von  diesen  allmählich  ab.  Das 
trifft  auch  für  jene  seltenen  Fälle  zu,  in  denen  es 
zu  einer  partiellen  Abtötung,  zu  einer  N  ekrobiose 
des  papillären  Stromas  und  der  be¬ 
deckenden  Oberhaut k  o  m  m  t,  wie  ich  es  nur 
zweimal  beobachtet  habe.  Das  eine  Mal  lag  dabei  eine 
ungewöhnlich  reichliche,  an  vielen  Stellen  des  Papillar¬ 
körpers  erfolgte,  Ansiedelung  von  Typhusbazillen  vor  ; 
in  dem  zweiten  Fall,  dem  einzigen  letal  verlaufenen, 
bestand  aber  nur  ein  einziger  Bazillenherd,  und  trotz¬ 
dem  die  ungewöhnlich  schwere  Schädigung  einzelner 
Papillen  und  der  sie  bedeckenden  Oberhaut.  Es  hängt 
also  der  Grad  der  Hauterkrankungen 
nicht  allein  von  der  Mengeder  in  den 
betreffenden  Hautabschnitt  e  i  n  ge¬ 
drungenen  Typhusbazillen  ab,  sondern 
es  spielen  dabei,  wie  bei  allen  bakteriellen  Erkrankungen, 
die  Virulenz  der  Krankheitserreger 
und  die  Widerstandsfähigkeit  der 
von  ihnen  befallenen  Gewebe  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Rolle. 

Recht  interessante  Ergebnisse  haben  die  Unter¬ 
suchungen  älterer,  nach  der  gleichen  Methode 
untersuchter  Roseolen  zu  Tage  gefördert.  Ich 
habe  bis  zu  11  Tage  alte  Roseolen  mikroskopisch  stu¬ 
diert  und  in  ihnen  noch  vermehrungs-  also  lebensfähige 
Bazillen  nachgewiesen.  In  zwei  so  alten  Roseolen  fand 
ich  nun  die  Bazillen  nicht  nur  im  Papillarkörper,  son¬ 
dern  auch  zwischen  ihm  und  der  bedeckenden  Oberhaut. 
Sie  waren  also  nur  durch  die  letztere  von  der  Außen¬ 
welt  getrennt.  Ob  die  Bazillen  hier  absterben  und  ver¬ 
schwinden  oder  nach  erfolgter  Lösung  der  bedeckenden 
dünnen  Oberhaut  noch  lebensfähig  an  die  Außenwelt 
gelangen  und  hier  möglicherweise  als  Quelle  für  wei¬ 
tere  Infektionen  in  Betracht  kommen,  vermag  ich  einst¬ 
weilen  nicht  zu  entscheiden,  aber  ich  halte  letzteres 
theoretisch  für  durchaus  denkbar.  Tatsächlich  kommt 
es  ja,  nach  den  Angaben  erfahrener  Kliniker,  an  den 


Stellen  des  Sitzes  der  Roseolen  zu  geringfügiger,  kleien¬ 
förmiger  Abschuppung,  besonders  da,  wo  die  Roseolen 
sich  sehr  reichlich  entwickelt  haben  und  länger  bestan¬ 
den.  Damit  sind  aber  die  Bedingungen  erfüllt,  die  die 
Ilerausbeförderung  im  Hautorgan  gelegener  Typhusba¬ 
zillen  ermöglichen.  Dieser  Modus  würde  manche,  ihrer 
Aetiologie  nach  unklare,  Erkrankung  an  Typhus  bei 
Personen  verständlich  machen,  die  mit  Dejektionen 
Typhuskranker  bestimmt  nichts  zu  tun  hatten;  jedenfalls 
nötigen  die  mitgeteilten  histologisch-bakteriologischen 
Feststellungen  dazu,  das  Pflegepersonal  Typhuskranker 
zu  peinlichster  Reinigung  ihrer  Hände  nach  jeglicher, 
dem  betreffenden  Patienten  gewährter  Hilfeleistung  an¬ 
zuhalten. 

Einer  ähnlichen  Ansicht  hat  übrigens  Singer 
schon  im  Jahre  1893  Ausdruck  verliehen,  auf  Grund 
der  Beobachtung  von  sogenannter  Follikulitis  bei  Typhus¬ 
kranken,  mit  kulturellem  Nachweis  von  Typhusbazillen 
in  diesen  Ilautherden.  Von  einer  derartigen  Hauterkran¬ 
kung  war  in  den  von  mir  untersuchten  Fällen  keine 
Rede,  sondern  es  handelte  sich  um  echte,  einfache 
Roseolen,  und  darin  liegt  der  wesentliche  Lhiterschied 
meiner  gegenüber  den  Singe  r’schen  Beobachtungen. 

Wie  hinsichtlich  des  Verhaltens  der  Typhusbazillen, 
die  noch  in  10  und  1  1  Tage  alten  Roseolen  als  lebens¬ 
fähig  festgestellt  worden  waren,  so  hat  auch  über  den 
weiteren  Verlauf  der  Gewebsveränderungen  die  Unter¬ 
suchung  solcher  älterer,  bereits  abgeblaßter  Roseolen 
lehrreiche  Aufschlüsse  erteilt.  Es  kommt  nämlich  zu 
regressiven  Veränderungen  an  den  vorher  geschwollenen, 
fixen  Gewebszellen  in  dem  Sinne,  daß  diese  zerfallen 
und  als  feinere  und  gröbere  Chromatinmassen  das  Haut¬ 
gewebe  durchsetzen.  Im  übrigen  ist  auch  bei  ihnen  die 
Lockerung  des  Zusammenhanges  zwischen  Papillarkörper 
und  der,  bisweilen  in  einzelnen  Schichten  abgestorbenen, 
Oberhaut  zu  erkennen.  Nach  und  nach  stößt  sich  diese 
in  Form  kleinster  Schüppchen  ab,  worauf  schließlich 
noch  kleine  braune  Fleckchen,  evtl,  längere  Zeit,  Zurück¬ 
bleiben.  Mit  der  weiterhin  erfolgenden  Aufsaugung  des 
in  den  erkrankten  Papillen  abgelagerten  zerfallenen 
Zell-  und  Kernmaterials  ist  die  Rückbildung  zur  Norm 
erfolgt.  Zur  Narbenbildung  kommt  es  an  den  Stellen 
des  früheren  Sitzes  von  Roseolen  niemals. 

Daß  in  total  abgeblaßten  Roseolen  tatsächlich 
Typhusbazillen  nicht  mehr  vorhanden  sind,  konnte  ich 
an  einer  4  Tage  nach  erfolgter  Abfieberung  des  betreffen¬ 
den  Patienten  herausgeschnittenen  (und  bebrüteten) 
Roseoie  nachweisen.  Hier  waren  nämlich,  trotz  der  Be¬ 
brütung  und  der  dabei  vor  sich  gehenden  Anreicherung 
etwa  im  Gewebe  noch  vorhandener  einzelner  Bazillen¬ 
exemplare,  die  charakteristischen  Bazillenherdchen  nicht 
mehr  aufzufinden.  Eine  Entscheidung  darüber,  ob  sie 
in  solchen  Fällen,  nach  Abstoßung  der  Oberhaut,  lebend 
oder  bereits  abgestorben  an  die  Außenwelt  befördert 
werden,  oder  an  Ort  und  Stelle  absterben  und  zerfallen, 
vermag  ich  nicht  zu  treffen.  Nur  soviel  steht  fest, 
daß,  nach  dem  Versagen  der  Anreicherung  zu  schließen, 
Typhusbazillen  in  lebens-  und  vermehrungsfähigem  Zu¬ 
stande  in  der  Haut  nicht  mehr  vorhanden  gewesen  sein 
können.  Histologisch  ließen  sich  aber  Veränderungen 
erkennen,  die  den  in  frischen  Roseolen  nachgewiesenen 
ähnlich  waren.  Man  sah  nämlich  noch  eine  Gruppe  von 
Papillen,  die  sich  durch  einen  gewissen  größeren  Kern¬ 
reichtum  auszeichneten.  Aber  die  Kerne  waren  nicht 
mehr  so  groß,  wie  in  den  jugendlichen  und  nicht  so 
unförmig  wie  in  jener  11  Tage  alten  Roseoie.  Es  war 
eben  mit  dem  Schwinden  der  Krankheitserreger  aus  der 
Roseoie  zu  einer  Abschwellung  der  Papille  in  toto  wie 
der  in  ihnen  vorhandenen  fixen  Gewebszellen  gekommen 
und  die  Rückbildung  zur  Norm  in  vollem  Gange. 

Wir  sind  somit  durch  die  histologische  Untersuchung 
einer  größeren  Anzahl  verschieden  alter  Typhusroseolen 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


zu  klaren  Vorstellungen  über  den  Sitz  der  Krankheits¬ 
erreger  und  die  histologischen  Vorgänge  gelangt,  die 
zur  Bildung  der  Roseolen  führen  und  deren  Ablauf  ver¬ 
anlassen. 

Es  haben  aber  diese,  lediglich  in  der  Absicht,  Auf¬ 
schluß  über  die  Lokalisation  der  Typhusbazillen  in  der 
Roseolenhaut  zu  geben,  unternommenen  Untersuchungen 
auch  Tatsachen  zu  Tage  gefördert,  die  m.  E.  nicht  nur 
praktisch  medizinische,  sondern  auch  epidemiologische 
Bedeutung  zu  gewinnen  geeignet  sind. 


Die  Balneotherapie  im  Kindesalter. 

Ein  Beitrag  zur  Prophylaxe  gegen  die  Tuberkulose. 

Von  Dr.  Krone,  Badearzt  in  Bad  Sooden  a.  d.  Werra. 

Auf  dem  letzten  Balneologenkongress  habe  ich 
über  die  Bedeutung  der  Balneotherapie  im  Kindes¬ 
alter  gesprochen.  Ich  folge  gern  einer  Aufforderung 
der  Schriftleitung,  um  an  der  Hand  meiner  dortigen 
Ausführungen  den  Kollegen  in  der  Praxis  klarzulegen, 
dass  diese  Bedeutung  vornehmlich  darin  zu  suchen  ist, 
dass  wir  Badeärzte  in  den  vorwiegend  von  Kindern 
besuchten  Bädern  uns  als  Baineotherapeuten  des  Kindes¬ 
alters  in  den  Dienst  der  Prophylaxe  gegen  die  Tuber¬ 
kulose  stellen. 

Wenn  wir  Baineologen  uns  unsere  kleine  Klientel 
daraufhin  ansehen,  welche  Leiden  es  sind,  die  uns  die 
Kinder  zuführen,  so  bekommen  wir  natürlich  alle  die¬ 
jenigen  Leiden,  die  wir  an  Kindern  wie  an  Erwachsenen 
beobachten  —  wie :  Erkrankungen  der  Kreislauforgane 
und  des- Nervensystems,  Katarrhe  der  oberen  Luftwege, 
Blutarmut  und  Rheumatismus  —  auch  bei  Kindern  zu 
Gesicht;  doch  in  allen  Kinderbädern  herrscht  eine  Er¬ 
krankung  vor,  die  den  Hauptprozentsatz  in  der  Kinder¬ 
praxis  ausmacht,  das  ist  die  Skrofulöse.  Ich  zähle  z.  B. 
in  meiner  Praxis,  wenn  ich  den  Durchschnitt  aller  Jahre 
nehme,  86%  der  behandelten  Kinder,  die  wegen  skrofu¬ 
löser  Erscheinungen  die  Badekur  gebrauchten,  und  nur 
14"/0,  die  sich  auf  die  übrigen  Krankheiten  verteilen- 

Die  Balneotherapie  im  Kindesalter  bedeutet  also 
der  Hauptsache  nach  eine  Balneotherapie  der  Skrofu¬ 
löse. 

Es  ist  hier  nicht  der  Platz,  auf  die  verschiedenen 
Theorien,  welche  über  das  Wesen  der  Skrofulöse  herr¬ 
schen,  einzugehen  ;  mögen  wir  uns  nun  auf  den  Stand¬ 
punkt  stellen,  dass  die  Skrofulöse  eine  Frühtuberkulose 
ist,  oder  mögen  wir  als  eine  Krankheitsbereitschaft  an¬ 
sehen,  die  in  einem  Körper  aus  minderwertigem  Bau¬ 
material  auf  alle  Fälle  einen  guten  Nährboden  für  die 
Entwicklung  der  Tuberkulose  abgeben  muss:  stets  stellt 
die  Skrofulöse  eine  Volkskrankheit  dar,  die  nicht  unter¬ 
schätzt  werden  darf,  und  die  mit  allen  Mitteln  bekämpft 
werden  muss. 

Nach  den  Ergebnissen  der  Statistik  und  der  Patho¬ 
logie  ist  das  Kindesalter  bis  zum  16.  Lebensjahr  das 
Hauptalter  der  Tuberkuloseinfektion  und  der  latenten 
Tuberkulose;  und  wenn  heute  der  zu  den  wichtigsten 
Aufgaben  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  gehörende 
Kampf  gegen  die  T  uberkulose  schon  im  Kindesalter 
aufgenommen  wird ,  so  gehört  die  Bekämpfung  der 
Skrofulöse,  an  der  wir  Baineologen  seit  langem  tätigen 
Anteil  nehmen,  in  diesen  allgemeinen  Kampf  mit  hinein. 

Als  im  vorigen  Herbst  auf  der  38.  Versammlung 
des  Deutschen  Vereins  für  öffentliche  Gesundheitspflege 
G  a  s  t  p  a  r  -  Stuttgart  das  Thema:  „Bekämpfung  der 
Tuberkulose  im  Kindesalter“  behandelte,  schlug  er  unter 
den  Kampfesmassnahmen  an  2.  Stelle  vor:  „Die  Ge¬ 
sundung  latenter  Fuberkulosefälle  durch  Massnahmen 
zur  Kräftigung  kränklicher  Kinder  in  Erholungsheimen, 


Bädern,  Walderholungsstätten,  Waldschulen  usw. 
An  diesen  Massnahmen  beteiligen  sich  die  Bäder  vor¬ 
nehmlich  durch  Aufnahme  der  skrofulösen  Kinder.  Sie 
gewähren  diesen  zunächst  die  Möglichkeit  einer  weit¬ 
gehenden  Umgestaltung  der  Verhältnisse,  unter  denen 
sie  erkrankt  sind,  sie  rufen  durch  den  Luftwechsel  und 
die  oft  veränderte  Ernährungsweise  eine  für  die  Kinder 
günstige  Umstimmung  des  Organismus  hervor  und  geben 
ihnen  vor  allem  in  den  Sol-  und  Seebädern  —  also  den 
Salzbädern  —  ein  dosierbares  Heilmittel,  das  sich  im 
Laufe  der  Jahre  vorzüglich  bewährt  hat. 

Rein  klimatische  Kurorte  zeitigen  zwar  in  ganz 
leichten  Fällen  von  Skrofulöse  oft  auch  schon  ganz 
gute  Resultate;  für  die  meisten  Skrofulösen  aber  emp¬ 
fiehlt  es  sich,  wenn  wir  uns  nicht  mit  einer  stückweisen 
Therapie  begnügen  wollen,  die  klimatische  Kur  mit 
Sole-  oder  Seebädern  zu  verbinden.  Gerade  wenn  wir 
bedenken,  dass  wir  uns  mit  der  Bekämpfung  der  Skro¬ 
fulöse  in  den  Dienst  der  Prophylaxe  gegen  die  Tuber¬ 
kulose  stellen,  müssen  wir  bestrebt  sein,  therapeutisch 
etwas  Ganzes  zu  leisten,  d.  h.  wir  müssen  den  ganzen 
klimato-  und  baineotherapeutischen  Apparat  in  Bewegung 
setzen. 

Mit  Recht  sagt  daher  C  o  r  n  e  t  in  seinem  Lehr¬ 
buch  über  die  Skrofulöse  bezüglich  der  Unterbringung 
skrofulöser  Kinder:  „Es  ist  eine  Inkonsequenz  vieler 
Ärzte,  auf  der  einen  Seite  die  Wichtigkeit  der  Hygiene 
zu  betonen,  gute  Wasserversorgung,  Unratabfuhr  und 
Kanalisation,  gesunde  Wohnungen,  Nahrungsmittelkon¬ 
trolle,  Isolierung  bei  etwaigen  Infektionserkrankungen, 
Kinderspielplätze,  Häuser  mit  Liegebalkons,  Beauf¬ 
sichtigung  der  Badeanstalten,  kurz  eine  gut  funktioni- 
rende  Sanitätspolizei  und  hundert  andere  Dinge  zu 
fordern,  dann  aber  Kranke,  die  in  der  Lage  sind,  alles 
für  die  Gesundheit  zu  tun,  nicht  an  solche  Orte  zu 
schicken,  die  Hunderttausende  sich  haben  kosten  lassen, 
um  allen  Anforderungen  zu  genügen,  sondern  sich  mit 
der  einfachen  Sommerfrische  oder  einem  schlecht  ein¬ 
gerichteten  Bade  zu  begnügen,  weil  er  „vielleicht  auch 
hinreicht,  Besserung  zu  erzielen“. 

Unsere  skrofulösen  Kinder  benötigen  eben  mehr 
als  einen  einfachen  Luftwechsel ;  sie  benötigen  eine 
ärztliche  Behandlung  und  Überwachung  an  Orten,  in 
denen  es  ihnen  an  gesundheitlicher  Fürsorge  an  nichts  fehlt. 
Deshalb  ist  es  auch  ein  Unding,  die  Überwachung  einer 
Badekur  bei  solchen  Kindern  den  Eltern  oder  Pflegern 
zu  überlassen  und  Kurvorschriften  womöglich  schon 
im  voraus  für  die  ganze  Badekur  zn  geben,  während 
doch  die  Bestimmung  über  jedes  weitere  Bad  von  der 
Reaktion  des  Patienten  auf  das  vorhergehende  abhängig 
gemacht  werden  sollte. 

Wohl  lassen  sich  bezüglich  der  Dosierung  unserer 
Salzbäder  gewisse  Normen  aufstellen,  aber  der  Haupt¬ 
sache  nach  bestimmt  der  Erfolg  —  unter  besonderer 
Berücksichtigung  des  Kräftezustandes  und  der  I^rreg- 
barkeit  des  Patienten  die  Dosierung;  und  dieser  Er¬ 
folg  kann  eben  nur  durch  den  beobachtenden  und  über¬ 
wachenden  Arzt  kontrolliert  werden.  Wir  würden  ent¬ 
schieden  in  unseren  Bädern  für  die  Prophylaxe  der 
kindlichen  Tuberkulose  durch  eine  rationelle  Bekämp¬ 
fung  der  Skrofulöse  weit  mehr  leisten  können,  wenn 
sich  nicht  die  Unsitte  —  teils  leider  sogar  mit  Unter¬ 
stützung  der  Kollegen  —  breit  gemacht  hätte,  viele 
Kinder  ohne  ärztliche  Überwachung  die  Kur  gebrauchen 
zu  lassen.  In  jeden  Jahre  kommt  es  oft  genug  vor  — 
ich  zähle  aus  den  Jahren  1905 — 1913  12ö  Fälle,  in 

denen  ich  Kinder  nach  1,  2  oder  3  Wochen  in  Be¬ 
handlung  bekam,  die  erst  ohne  Arzt  bezw.  nach  haus¬ 
ärztlichem  Rat  —  der  dann  noch  oft  genug  falsch  ver¬ 
standen  oder  falsch  befolgt  war  (es  fehlt  ja  die  Kon¬ 
trolle)  gekurt,  und  denen  grobe  Fehler  in  der  Dosierung 
der  Kurmittel  teils  leichtere,  teils  schwerere  Schädi- 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  29. 


gungen  verursacht  hatten;  —  die  Folge  dieser  meist 
auf  falscher  Sparsamkeit  basierenden  wilden  Kur  war 
dann  gewöhnlich  die,  dass  die  Kinder  ihre  Kur  nun 
weit  länger  ausdehnen  mussten,  als  dies  bei  sachge- 
mässer  ärztlich  ordinierter  bezw.  überwachter  Kur  not¬ 
wendig  gewesen  wäre. 

Und  wie  viele  Kinder  benützen  jährlich  unsere 
Bäder,  ohne  dass  einer  von  uns  Baineologen  sie  je  in 
seinem  Ordinationszimmer  zu  sehen  bekommt.  Gewiss 
es  kann  gut  gehen,  —  aber  gewöhnlich  kommt  das  dicke 
Ende  nach  und  dann  heisst  es  :  Das  Bad  ist  unsern 
Kindern  nicht  gut  bekommen. 

ir  Badeärzte  haben  doch  wahrlich  ein  Interesse 
daran,  dass  die  von  uns  vertretenen  Heilmittel  nun  auch 
richtig  zur  Anwendung  kommen;  und  deshalb  nehme 
ich  die  in  dem  vorliegenden  Aufsatz  gegebene  Gelegen¬ 
heit  wahr,  um  die  Herren  Kollegen  in  der  Praxis  um 
ihre  Unterstützung  zu  bitten.  Es  ist  doch  wirklich  kein 
unbilliges  Verlangen,  wenn  wir  im  Interesse  unserer 
Klientel  wünschen,  dass  unsere  Badekuren  unter  ärzt¬ 
licher  Kontrolle  geschehen.  Wir  stellen  doch  im  Grunde 
auch  Heilanstalten  dar,  und  es  würde  doch  keinem 
Patienten  einfallen,  in  einer  Heilanstalt  eine  Kur  auf 
eigene  Faust  ohne  ärztliche  Beratung  zu  machen;  es 
würde  erst  recht  keinem  Arzte  in  den  Sinn  kommen, 
dass  er  seinem  Patienten  Kurvorschriften  für  eine  Heil¬ 
anstalt  mitgäbe,  in  der  er  selbst  nicht  ärztlich  tätig 
sein  kann,  und  vollends  würde  sich  jeder  Kollege  wun¬ 
dern,  wenn  die  Heilanstalten,  denen  er  skrofulöse  Kinder 
überweist,  ohne  ärztliche  Aufsicht  wären. 

Wir  sind  ja  den  Herren  Kollegen,  welche  uns  die 
Patienten  in  die  Bäder  schicken,  nur  dankbar,  wenn 
sie  uns  bezüglich  ihrer  Klientel  schriftliche  Winke’geben; 
wir  wollen  ja  weiter  nichts,  als  dass  sich  der  Patient 
also  im  vorliegenden  Falle  das  skrofulöse  Kind,  von 
dessen  sachgemässer  Behandlung  so  sehr  viel  für  die 
Zukunft  abhängt  —  während  der  Badekur  unter  ärzt¬ 
liche  Aufsicht  stellt. 

Was  unsere  Salzbäder  in  der  Therapie  der  Skrofu¬ 
löse  —  und  damit  in  der  Prophylaxe  gegen  die  Tuber¬ 
kulose  —  schon  geleistet  haben  und  noch  leisten,  das 
zeigen  uns  vor  allen  Dingen  die  immer  zahlreicher 
werdenden  Heilstätten  für  Kinder  in  den  Sol-  und  See¬ 
bädern  und  die  Heilberichte  aus  denselben. 

.  Meine  persönlichen  Erfahrungen  erstrecken  sich 
allein  auf  das  Solbad  und  von  diesem  habe  ich  Dauer¬ 
erfolge  in  der  Skrofulosebehandlung  — ,  als  solche  sehe 
ich  das  Schwinden .  lokaler  Affektionen  und  Drüsenge¬ 
schwülste,  das  Schliessen  von  Fisteln,  die  Bildung  ge- 
sunder  Granulationen  an  offenen  Herden  neben  dauernder 
Gewichtszunahme  an  —  bei  einer  grossen  Zahl  von 
Kindern  gesehen,  besonders  wenn  dieselben  die  Bade¬ 
kur  mehrere  Jahre  hintereinander  wiederholten.  Ge¬ 
besset  t  schieden  fast  alle  Kinder  nach  Abschluss  der 
Kur,  wenigstens  dann,  wenn  diese  solange  durchgeführt 
worden  war,  wie  ich  es  ärztlich  für  nötig  hielt,  und 
wenn  nicht,  was  leider  sehr  häufig  der  Fall  ist,  die 
Eltern  von  vornherein  die  Kurdauer  bestimmten. 

Und  was  für  das  Solbad  gilt,  das  darf  das  Seebad 
wohl  in  gleicher  Weise  für  sich  in  Anspruch  nehmen. 
Jedenfalls  konnten  mir  Statistik,  ärztliche  Berichte  und 
eigene  Erfahrung  zeigen,  dass  die  Balneotherapie  in 
Sol-  und  Seebädern  sehr  wohl  imstande  ist,  die  Skrofu¬ 
löse  zu  heilen  und  so  an  der  rationellen  Bekämpfung 
der  1  uberkulose  mitzuarbeiten. 

V  enn  wir  die  Balneotherapie  im  Kindesalter  von 
diesem  Gesichtspunkt  aus  ansehen  —  und  meiner  Ansicht 
nach  liegt  ihre  Bedeutung  fast  ausschliesslich  auf  dem 
genannten  Gebiet  —  so  werden  wir  die  volkswirtschaft¬ 
liche  Bedeutung  unserer  Kinderbäder  voll  und  aanz 
verstehen:  „  Als  Heilstätten  für  die  Skrofulöse  stellen  sie 
sich  in  den  Dienst  der  Prophylaxe  gegen  die  Tuberkulose“. 


Zur  Technik  der  sekundären  Hautlappenplastik 
bei  Kriegsamputierten. 

Von  Hans  Hans.  Autoreferat. 

Verf.  beschreibt  in  der  Mediz.  Klinik  Nr.  47,  1915 
seine  Technik  der  sekundären  Hautlappenplastik  bei 
Kriegsamputierten  in  folgender  Weise  : 

Die  Hauptdruckstelle  des  menschlichen  Körpers,  die 
herse,  hat  über  dem  Knochen  nur  glatt  verschieb¬ 
liche  Haut,  Unterhautzellgewebe  und  etwas  sehniges 
Gewebe;  also  keine  Muskeln.  Solche  sind  auch  bei 
Stumpfdeckung  der  Planamputierten  überflüssig. 

Ein  Hautlappen  mit  Faszie  genügt.  Durch  die  Mit¬ 
übernahme  von  Faszie  in  den  Lappen  zur  Stumpfplastik 
wird  die  glatte  Verschieblichkeit  über  dem  Knochen 
besonders  gesichert.  Auch  bilden  sich  mit  den  Muskeln 
resp.  Sehnenstümpfen  seitliche  Verwachsungen,  so  daß 
das  Spiel  der  Antagonisten  ermöglicht  wird  und  auch 
Schleimbeutelbildung  über  dem  Knochenende  erhoff 
werden  kann. 

Für  die  Arme  wähle  man  den  Rumpf,  für  die  Beine 
das  andere  gesunde  Bein  als  Spenderstelle.  Auf  der 
jodierten  Haut  werden  mit  angefeuchtetem  Höllenstein- 
stilt  die  LImrisse  des  Hautlappens  angezeichnet,  ev.  nach 
vorheriger  Probe  mit  einem  Blatt  Papier. 

Die  Spenderstelle  kann  man  einige  Tage  vorher 
schon  zurecht  schneiden,  indem  man  ihre  beiden  Längs¬ 
seiten  einschneidet  und  den  einstweilen  doppelt-gestielten 
Lappen  ne  bst  der  Faszie  von  der  Unterlage  ab¬ 
präpariert.  Das  Klaffen  resp.  Schrumpfen  der  Ränder 
kann  man  durch  entsprechend  gelegte  Zugnähte  ver¬ 
hindern. 

Kurz  vor  der  endgültigen  Plastik  wird  dann  eine 
Schmalseite  noch  durchschnitten  und  der  Lappen  im 
rechten  Winkel  abgehoben.  Am  Stumpfe  frischt  man 
den  Wundrand  in  3/4  seines  Umfanges  durch  Ausschnei¬ 
den  und  Lösen  der  Anwachsungen  an.  Die  der  Zungen¬ 
basis  anliegende  Stumpfseite  läßt  man  zwecks  Vermeiden 
stärkerer  Retraktion  der  Haut  einstweilen  unverändert, 
da  sie  in  die  Naht,  weil  unter  dem  Stiel  liegend,  doch 
noch  nicht  kann  einbegriffen  werden. 

In  der  Nachbehandlung  ist  die  sichere  Fixierung 
der  Spenderstelle  am  Stumpf  sehr  wichtig,  aber  auch 
das  einzige  Schwierige.  Sehr  vorteilhaft  ist  die  Lage¬ 
rung  des  Kranken  derart,  daß  die  gebildete  Hautlappen- 
zunge ^  gewissermaßen  an  ihrer  Basis  aufgehangen  über 
den  Strumpf  ihrer  Schwere  nach  hinüberfällt.  Dann 
ist  auch  bei  mäßig  aseptischem  Verlauf  das  Durch¬ 
schneiden  der  Fäden  nicht  so  zu  fürchten. 

Die  Fixierung  erfolgt  durch  Gipsbinden  und  weit¬ 
reichende  Eisenbügelstangen,  was  besonders  eingehend 
beschrieben  wird  unter  Beifügung  von  Abbildungen. 

Empfehlenswert  ist,  um  Druckgeschwüre  zu  ver¬ 
meiden,  daß  die  einzelnen  I  eile  des  Gipsverbandes, 
soweit  möglich,  schon  vorher  angelegt  werden  und  pe- 
härtet  sind,  resp.  die  beteiligten  Gelenke  still  gestellt 
sind.  Bei  der  endgültigen  Plastik  können  dann  die  be¬ 
treffenden  Glieder  als  Ganzes  verschoben,  mit  Eisent 
Stangen  und  Gipsbinden  untereinander  verbunden  wer¬ 
den.  Dann  tritt  keine  Schnürung  oder  Eindellung  mi- 
Druckgeschwüren  mehr  ein. 

Schrittweises  Durchtrennen  der  Zungenbasis,  ev.  um¬ 
gekehrt  bogenförmig  zur  weiteren  Deckung  erfolgt  am 
10. — 20.  Tage. 

Die  bei  14  Fällen  erzielten  Resultate  waren  recht 
ermutigend.  Schon  vor  völliger  Stumpfdeckung  konnten 
die  Kranken  auf  dem  Stumpf  in  Interimsprothesen 
schmerzfrei  herumgehen. 


Nr.  29. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


283 


Kongressberichte. 

■'  i  .... 


Bericht  über  die  außerordentliche  Tagung  des 
deutschen  Kongresses  für  innere  Medizin 

in  W  a  r  s  c  h  a  u  ,  vom  1.  bis  3.  Mai  1916. 

Von  Dr.  O.  C  o  1  1  a  t  z  ,  Darmstadt  (Fortsetzung:). 

V.  Referat. 

Abdominal-Ty  p  h  n  s 

I .  Berichterstatter  von  K  reh  1, 
Heidelberg'.  (Wegen  Erkrankung  des  Referenten 
wird  sein  Manuskript  verlesen.) 

Der  Typhus  ist  vielgestaltiger  als  früher,  tritt 
häufig  unter  dem  Bilde  anderer  Krankheiten  auf.  Öfters 
beginnt  er  mit  einer  Appendizitis.  Ein  gemeinsames 
Symptom  aller  Fälle  ist  die  Milzvergrößerung,  die  wir 
im  Kriege  überhaupt  viel  öfter  finden  nach  allen  Infek¬ 
tionskrankheiten  und  bisweilen  nach  wiederholten  Im¬ 
pfungen.  Das  Krankheitsbild  des  Typhus  ist  nicht  des¬ 
wegen  verändert,  weil  es  sich  um  andere  Erreger  han¬ 
delt,  sondern  weil  der  Organismus  im  Felde  anderen 
körperlichen  und  seelischen  Schädlichkeiten  ausgesetzt 
ist  als  im  Frieden.  Nicht  zu  vergessen  ist,  daß  wir 
jetzt  nur  Typhusfälle  bei  Geimpften  zu  behandeln 
haben.  Durch  die  Schutzimpfung  ist  die  bakterielle 
Diagnose  sehr  erschwert,  da  nach  ihr  der  Agglutina¬ 
tionstiter  des  Blutes  für  die  Typhuserreger  ansteigt.  Es 
handelt  sich  dabei  um  eine  Gruppenagglutination.  Sicher¬ 
lich  sind  uns  noch  nicht  alle  Arten  der  Typhusbazillen 
bekannt.  Die  Schutzimpfung  bringt  oft  latente  Infek¬ 
tionen  zum  Ausbruch.  Es  gibt  sehr  viele  leichte  Fälle 
unter  dem  Bilde  von  Pneumonie,  Bronchitis,  Paratyphus, 
Ruhr,  Appendizitis  und  Ischias.  Es  gibt  viele  Nach¬ 
krankheiten,  die  auch  nach  den  leichtesten  Fällen  auf- 
treten.  Die  wichtigste  ist  die  Erkrankung  des  Herz¬ 
muskels.  Rezidive  wurden  sehr  oft  beobachtet,  manch¬ 
mal  auch  chronische  Fälle  von  verhältnismäßig  leicht 
verlaufenem  Typhus,  der  sich  über  mehrere  Monate  er¬ 
streckte.  Die  Behandlung  mit  Bädern  fiel  im  Felde 
fort,  ohne  daß  die  Fälle  deswegen  schwerer  verlaufen 
wären.  Antipyretica  wurden  nicht  systematisch  gegeben. 
Die  Ernährung  war  eine  kräftige  kalorienreiche,  bestand 
im  wesentlichen  aus  Milch,  Eiern,  Mehlspeisen,  Butter. 
Zucker  und  Wein.  Die  Behandlung  mit  Einspritzungen 
von  abgetöteten  Kulturen  und  mit  Rekonvaleszenten- 
Serum  ist  nicht  zu  empfehlen. 

II.  Berichterstatter  Dr.  H  ü  n  er¬ 

mann,  Armeearzt,  bespricht  den  Einfluß  der  Schutz¬ 
impfung  auf  Verhütung  und  Verlauf  des  Unterleibs¬ 
typhus.  Seit  dem  Oktober  1914  ist  bei  dem  gesamten 
Feldheere  sowie  bei  den  Ersatzmannschaften  in  der 
Heimat  und  dem  Sanitätspersonal  allgemein  die  Schutz¬ 
impfung  mit  dem  Impfstoff  von  Pfeiffer-  K  o  1  1  e 
durchgeführt.  Bei  vielen  Millionen  Impfungen  kam  ein 
einziger  Todesfall  vor,  bei  einem  Manne  mit  schwerer 
Myocarditis.  Der  ursächliche  Zusammenhang  mit  Herz¬ 
störungen  und  Nephritis  ist  abzulehnen.  Nach  der 
Schutzimpfung  treten  ein  :  1.  Milzschwellung,  2.  Leu¬ 

kopenie,  3.  positive  Gruber-Wida  l’sche  Reaktion. 
Es  ist  daher  die  Erkennung  leichter  Typhusfälle  im 
Anfang  schwierig,  aber  die  Impfung,  welche  im  Inku¬ 
bationsstadium  ausgeführt  wird,  beeinflußt  den  Krank¬ 
heitsverlauf  nicht  ungünstig,  hat  vielmehr  meist  einen 
leichten  Verlauf  zur  Folge. 

Als  die  Schutzimpfung  durchgeführt  war,  sank  die 
Zahl  der  Neuerkrankungen  im  Heere  sofort.  Der 
stärkste  Zugang  an  Typhuskranken  erfolgte  im  Dezember 
1914.  Er  betrug  1,5  %  der  Kopfstärke  und  war  somit 


14 mal  kleiner  als  der  im  Oktober  18/0  mit  21%  Er, 
krankungen.  Nach  einem  Jahre,  im  Dezember  1915 
hatte  sich  das  Bild  geändert,  ganze  Armeen  hatten  be¬ 
reits  keinen  einzigen  Typhusfall  mehr.  Im  Sommer 
1915  hatten  wir  eine  sehr  große  Zahl  von  Ruhrerkran¬ 
kungen,  blieben  aber  vom  Typhus  ziemlich  verschont. 
Gut  durchgeimpfte  Truppenteile,  welche  stark  ver¬ 
seuchte  Frontabschnitte  und  Stellungen  beziehen  mu߬ 
ten,  blieben  gesund.  Während  im  Frieden  bei  1000 
Typhusfällen  über  40  Erkrankungen  des  Pflegepersonals 
vorkamen,  ist  jetzt  diese  Zahl  unter  20  gesunken.  Na¬ 
mentlich  nach  der  Wiederimpfung  verläuft  der  Typhus 
außerordentlich  leicht.  In  Orten  des  besetzten  Feindes- 
gebietes,  wo  die  nichtgeimpften  Einwohner  die  schwer¬ 
sten  Erkrankungen  aufwiesen,  kamen  bei  unsern  durch¬ 
geimpften  Soldaten  nur  ganz  leichte  Fälle  vor,  bei 
denen  die  Diagnose  auf  Typhus  nur  schwer  zu  stellen 
war.  Die  Sterblichkeit,  welche  bei  Nichtgeimpften  9,6° /„ 
betragen  hatte,  betrug  bei  einmal  (mit  2  Einspritzungen) 
Geimpften  6,6 %,  und  bei  Wiedergeimpften  (mit  wenig¬ 
stens  4  Injektionen)  2,5  %.  Die  Zahl  der  Daueraus¬ 
scheider  verhält  sich  bei  den  Geimpften  zu  den  Nicht¬ 
geimpften  wie  8:31.  Die  Dauer  des  Impfschutzes  be¬ 
trägt  nur  wenig  über  ein  halbes  Jahr,  deshalb  ist  die 
Impfung  nach  6  Monaten  zu  wiederholen.  Es  ist  das 
Verdienst  von  Exz.  von  Schjerning,  daß  uns 
ein  Mittel  in  die  Hand  gegeben  ist,  welches  der  früher 
so  gefürchteten  Heeresseuche  ihren  Schrecken  nimmt. 

Prof.  K  a  u  p  ,  Hygienereferent  beim 
ö  s  t  e  r  r.  •  u  n  g,  A.-O.-K.  berichtet  über  die  Erfah¬ 
rungen.  welche  bei  der  österr.-ung.  Armee  mit  der 
Typhusschutzimpfung  gemacht  wurden.  Die  Erkran¬ 
kungen  der  Geimpften  zeigten  meistens  einen  milderen 
Verlauf.  Die  Anzahl  der  schweren  Fälle  betrug  bei 
Nichtgeimpften  44%,  bei  1  mal  Geimpften  29%,  und 
bei  2  mal  Geimpften  11%.  Sehr  bemerkenswert  war 
die  Herabsetzung  der  Sterblichkeit;  für  die  ganze  Armee 
betrug  die  Sterblichkeit  vor  Einführung  der  Schutz¬ 
impfung  16%,  nach  der  Durchimpfung  ging  sie  bei 
einzelnen  Armeen  bis  auf  2—  3%,  für  das  ganze  Heer 
auf  5,6 %  herunter.  Der  Impfschutz  ist  einige  Wochen 
nach  der  Impfung  am  stärksten  und  erlischt  nach  7—8 
Monaten.  Im  österr.-ung.  Heer  wird  deshalb  nach  7 
Monaten  wieder  geimpft.  Die  Erkrankungen  an  Unter¬ 
leibstyphus  sind  hier  unter  dem  Einfluß  der  Schutz¬ 
impfung  dauernd  zurückgegangen  und  betrugen  im 
letzten  Vierteljahr  etwa  0,25%  des  Verpflegungs¬ 
standes,  die  Mitwirkung  der  Schutzimpfung  an  diesem 
Rückgang  ist  unverkennbar. 

K  rause-Bonn  spricht  über  die  Nachkrank¬ 
heiten  nach  Typhus.  Dauerausscheider  von  Typhus¬ 
bazillen  wurden  in  4,1  %  der  Fälle  festgestellt.  Die¬ 
jenigen,  deren  Stuhl  dauernd  Bazillen  enthielten,  litten 
an  einem  chronischen  Leiden  des  Darmes  und  seiner 
Anhänge,  wie  Gallenblasenentzündung,  chronischen 
Darmgeschwüren  oder  Blinddarmentzündung.  Wo  dau¬ 
ernd  Bazillen  im  Urin  gefunden  wurden,  konnten 
Nierenbeckenentzündungen  nachgewiesen  werden.  Dauer¬ 
ausscheider  von  echten  Typhusbazillen  müssen  auf  alle 
Fälle  von  der  Truppe  weg  und  isoliert  werden.  Bei 
der  Behandlung  bewährte  sich  eine  sehr  fettreiche  Nah¬ 
rung  zur  Verhütung  der  Gallenstauung.  Ein  Drittel  der 
Leute  wurde  danach  bazillenfrei.  Die  Behandlung  der 
Pyelocystitis  war  nicht  sehr  aussichtsreich.  Entlassen 
dürfen  die  Leute  erst  werden,  wenn  bei  10  maliger 
Untersuchung  keine  Bazillen  gefunden  werden.  Sehr 


284 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  29- 


häufig  treten  nach  Typhus  Herzmuskelerkrankungen 
mit  dauernder  oder  paroxysmaler  Tachycardie  auf;  die 
Prognose  ist  günstig.  Recht  spät,  einmal  '0  Wochen 
nach  der  Entfieberung,  trat  eine  durch  Typhusbazillen 
verursachte  Osteomyelitis  auf,  deren  Diagnose  durch 
Röntgenuntersuchung  gesichert  wurde. 

Goldscheider-Berlin  schildert  das 
Krankheitsbild  und  die  Schwierigkeit  der  Diagnose  bei 
den  vielen  Typhusfällen  leichtester  Art,  die  wir  infolge 
der  Schutzimpfung  zu  sehen  bekommen.  Häufig  er¬ 
innern  sie  an  Influenza,  doch  ist  bei  dieser  nur  leichte 
vorübergehende  Milzschwellung  vorhanden,  niemals  von 
der  Größe  und  Dauer  wie  bei  Typhus. 

M  u  nk-Berlin  berichtet  über  günstige  Erfah¬ 
rungen  mit  der  Schutzimpfung.  Er  fand  bei'  Nichtge¬ 
impften  57  %  schwere,  31  °/0  mittelschwere,  12 %  leichte 
Fälle,  bei  Geimpften  dagegen  24%  schwere,  38%  mittel- 
schwere  und  38%  leichte  Fälle, 

F  riedberger-Grei  fswald  hebt  hervor, 
daß  seit  Einführung  der  Schutzimpfung  die  Typhus- 
Diagnose  serologisch  unmöglich  geworden  und  klinisch 
sehr  erschwert  ist.  Als  wichtiges  Symptom  zeigte  sich 
bei  Geimpften,  daß  bei  Ausbruch  des  Typhus  an  der 
früheren  Impfstelle  Rötung  und  Druckempfindlichkeit 
auftritt. 

von  Drigalski-Brüssel  weist  darauf 
hin,  daß  Mehl  und  Fett  bei  reichlicher  Darreichung  die 
Dauerausscheidung  von  Typhusbazillen  unterdrücken, 
da  sie  für  diese  keine  günstigen  Nährböden  liefern. 

Schittenhelm  -  Kiel  warnt  vor  Impfbe¬ 
handlung,  besonders  mit  intravenöser  Injektion  größerer 
Dosen  von  Impfstoff,  bei  frischen,  hochfiebernden  Fällen. 
Andererseits  scheinen  kleine  Dosen  in  steigenden  Men¬ 
gen  bei  sehr  lange  fiebernden  Typhuskranken  die  Ent¬ 
fieberung  einzuleiten. 

Conradi  konnte  mit  Hilfe  der  Anreicherungs¬ 
methode  in  Gallenröhrchen  aus  den  bei  Typhus  auf¬ 
tretenden  Roseolen  auch  dann  noch  Bazillen  züchten, 
wenn  die  Kultur  aus  dem  Blute  nicht  gelang. 

Lippmann-Frankfurt  a.  Main:  Wird 
ein  Mensch,  der  mit  Typhusbazillen  infiziert  ist,  sich 
aber  noch  im  Inkubationsstadium  befindet,  der  Schutz¬ 
impfung  unterworfen,  so  beschleunigt  diese  den  Aus¬ 
bruch  des  1  yphus  ohne  seinen  Verlauf  zu  erschweren. 
Es  kann  daher  bei  Personen,  die  der  Ansteckung  stark 
ausgesetzt  sind,  die  Impfung  jederzeit  ohne  Bedenken 
vorgenommen  werden. 

Benario  -  Frankfurt  a.  M  a  i  n  hat  im  Ge¬ 
gensätze  zu  Schittenhelm  bei  fiebernden  Typhus¬ 
kranken  von  der  intravenösen  Injektion  größerer  Dosen 
von  Typhusimpfstoff  gute  Erfolge  gesehen.  Allerdings 
ist  die  Zahl  seiner  Fälle  noch  zu  klein,  um  die  Frage 
definitiv  zu  entscheiden. 

VI.  Referat. 

Paratyphus. 

Berichterstatter  Stintzing -  Je  na: 
Als  Erreger  wurde  fast  immer  der  Paratyphus-B-Ba- 
zillus,  sehr  selten  der  Paratyphus  -  A  -  Bazillus  ge¬ 
funden.  Viele  Fälle  sind  gewiß  unter  der  Maske  von 
Typhus,  Ruhr,  Darmkatarrh  oder  Influenza  verborgen 
geblieben.  Vergiftungen  durch  Nahrungsmittel  kamen 
kaum  vor,  die  Ansteckung  erfolgte  meist  von  Mann  zu 
Mann,  da  es  außerordentlich  viel  Bazillenträger  gibt.  Be¬ 
sonders  sorgfältig  muß  das  Küchenpersonal  auf  Bazillen¬ 
träger  untersucht  werden.  Die  Paratyphus-B-Bazillen  ge¬ 
langen  schneller  ins  Blut  als  die  Typhusbazillen,  deshalb 
ist  das  Inkubations-Stadium  kürzer  und  der  Ausbruch  der 
Krankheit  ist  akuter  als  bei  Typhus.  Im  übrigen 
bietet  die  Krankheit,  welche  meist  in  den  heißen 
Sommermonaten  auftritt,  das  Bild  eines  abgekürzten, 
mittelschweren  Typhus.  Die  Rekonvalenszenz  und  | 


Bazillenausscheidung  dauert  meist  ein  Vierteljahr.  Die 
Sterblichkeit  beläuft  sich  bei  Paratyphus  B  auf  1,2%. 
Die  Anzahl  der  Dauerausscheider  ist  sehr  hoch,  etwa 
70  V0.  Stintzing  schlägt  vor,  künftighin  mit  der 
Typhusschutzimpfung  diejenige  gegen  Paratyphus  A  und 
B  zu  verbinden. 

Generalarzt  Schultz  en  -  Berlin, 
k  hei  der  Medizinalabteilung  des  Kriegsministeriums, 
teilt  mit,  daß  er  nach  eingehender  Beratung  mit  aner¬ 
kannten  Hygienikern  beschlossen  habe,  die  Daueraus¬ 
scheider  des  Paratyphus  ß  nicht  zu  berücksichtigen,  da 
ihre  Ausschaltung  wegen  ihrer  großen  Zahl  praktisch 
unmöglich  wäre. 

VII.  Referat. 

Ruhr. 

Berichterstatter  M  atthes  -  Kö¬ 
nig  s  b  e  r  g:  Die  Bezeichnung  Ruhr  ist  ein  klinische1" 
Begriff,  dem  ganz  verschiedene  Ursachen  zu  Grunde 
liegen  können.  Die  Ruhr  tritt  bei  den  Truppen  zu¬ 
nächst  in  leichter  Form  in  Gestalt  von  gehäuften  Diar¬ 
rhöen  auf,  sodaß  die  Erkrankten  meist  bei  der  Truppe 
im  Revier  behandelt  werden  konnten.  Als  Ursache 
wurden  Erkältungen,  Nahrungsschädlichkeit  oder  Über¬ 
müdung  angenommen.  Es  zeigte  sich  jedoch,  daß  diese 
Massenerkrankungen  infektiöser  Natur  waren,  weil 
nach  Aufnahme  derartiger  Durchfallkranker  ins  Lazarett 
dort  Schwestern  und  Krankenwärter  an  denselben  Diar¬ 
rhöen  erkrankten.  Oft  wurden  keine  Ruhrbazillen  ge¬ 
funden,  häufig  die  sog.  Pseudoruhrbazillen,  manchmal 
echte  Ruhrbazillen.  Der  Nachweis  der  Bazillen  mi߬ 
lingt,  wenn  das  Material  zu  spät  an  die  Untersuchungs¬ 
stellen  gelangt.  Die  Aussaat  der  Bazillen  zur  Züchtung 
soll  möglichst  direkt  am  Krankenbett  erfolgen.  Die 
leichten  Fälle  zeigen  nur  anfangs  einen  kurzen  Tempe¬ 
raturanstieg,  die  lange  andauernden  ein  unregelmäßiges 
Auf-  und  Absteigen  des  Fiebers.  Die  Stühle  sind  im 
Anfang  Gärungsstühle ,  der  Schmerz  bei  der  Ruhr 
wird  durch  Kontraktionen  des  Dickdarmes  verursacht, 
den  man  oft  in  ganzer  Länge  palpieren  kann.  Wichtig 
für  die  Diagnose  ist  die  Rektoskopie,  welche  uns  die 
Veränderungen  der  Darmschleimhaut  zeigt.  Letztere  er¬ 
scheint  anfangs  glasig,  geschwollen  und  stark  mit  Flüssig¬ 
keit  durchtränkt,  später  samtartig  und  mit  blutigem 
Schleim  bedeckt.  Vom  8.  Tage  an  können  Geschwüre 
in  großer  Ausdehnung  auftreten.  Die  Rektoskopie  ist 
beweisender  für  den  Stand  der  Heilung  als  die  bakterio¬ 
logische  Untersuchung.  Milzschwellung  fehlt  meist,  die 
Diazoreaktion  ist  regelmäßig  positiv.  Die  leichten  Fälle 
heilen  ohne  Arzneien  bei  Bettruhe  und  leichter  Diät; 
empfohlen  werden  frischer  weißer  Käse,  Yoghurt,  Ba¬ 
nanenmehl,  Molke  mit  Hafergrütze.  Die  Serumbe¬ 
handlung  mit  intravenöser  Verabreichung  von  min¬ 
destens  100  ccm  Serum  zeigte  günstige  Wirkung,  doch 
waren  dieselben  Erfolge  auch  mit  normalem  Pferdese¬ 
rum  zu  erzielen.  Die  sonst  empfohlenen  Mittel,  wie 
Rizinusöl,  Bolus,  Tierkohle,  Ratanhiadekokt,  Etelen, 
Kalcium-  Tannin  und  Wismut  wirkten  nicht  gleichmäßig. 
Narkotika  sind  meist  unentbehrlich.  Als  wirksamstes 
Mittel  erwiesen  sich  stets  Dauerauswaschungen  sowie 
kleine  Bleibeklystire  mit  10"/oiger  Dermatol-Emulsion.  Bei 
Entstehung  von  Epidemien  spielt  die  mangelhafte  Be¬ 
seitigung  der  Stuhlgänge  und  Übertragung  durch  Flie¬ 
gen  die  Hauptrolle.  Durch  Ortswechsel  der  Truppen 
ließen  sich  im  Felde  Ruhrepidemien  meist  zur  Er¬ 
löschung  bringen. 

Kruse-Berlin  bespricht  die  bakteriologischen 
und  epidemiologischen  Verhältnisse  der  Ruhr.  Dieselbe 
tritt  in  diesem  Kriege  leichter  auf  wie  früher,  weil 
neben  der  echten  Ruhr  besonders  viele  Pseudoruhrfälle 
Vorkommen.  Der  Nachweis  der  Bazillen  ist  immer 
möglich,  doch  müssen  die  Entleerungen  von  frischen 


Nr.  29. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


285 


Fällen  und  in  frischem  Zustand  untersucht  werden,  weil 
die  Pseudoruhrbazillen  leicht  von  anderen  Bakterien 
überwuchert  werden,  Die  Unterscheidung  der  einzelnen 
Rassen  der  Ruhr-  und  Pseudoruhrbazillen  ist  durch  eine 
gewisse  Veränderlichkeit  erklärt.  Die  Ansteckung  er¬ 
folgte  von  Person  zu  Person  durch  Vermittlung  von 
Dejektionsstoffen,  nur  ausnahmsweise  durch  Wasser  und 
Nahrungsmittel. 

S  c  h  i  1 1  e  n  h  e  1  m  -  Kiel  beobachtete  bei  einer 
Armee  4,5 °/0  Todesfälle  an  Ruhr,  darunter  mehrere 
Fälle  von  Spättod.  Zur  Behandlung  empfiehlt  er  Serum¬ 
injektionen  von  80 — 100  ccm. 

•Schüller-Wien  weist  auf  die  Schmerzhaftig¬ 
keit  in  der  Schienbeingegend  hin,  welche  nach  Ruhr 
auftritt  und  bei  welcher  kein  objektiver  Lokalbefund 
vorhanden  ist. 

H  i  s  -  B  e  r  1  i  n  beobachtete  nach  der  2.  Masuren¬ 
schlacht  eine  Ruhrepidemie,  bei  welcher  nur  in  30  %  der 
Fälle  Ruhrbazillen  gefunden  wurden.  Nach  8  Tagen 
war  bei  gutem  Quartier  und  geeigneter  Verpflegung 
die  ganze  Epidemie  erloschen.  Hinsichtlich  der 
spezifischen  Therapie  mit  Serum  sind  die  Meinungen 
noch  völlig  geteilt. 

Kauffmann- Halle  a.  d.  Saale  berichtet  im 
Aufträge  von  Prof.  Adolf  Schmidt  über  chronische 
Ruhr.  Nach  5  °/0  der  Ruhrfälle  bleibt  ein  chronischer 
Erschöpfungszustand  zurück,  bei  welchem  man 
3  Krankheitsbilder  findet:  1.  ein  chronischer  oder 
rezidivierender  Dickdarmkatarrh,  2.  ein  dyspeptischer 
Zustand  mit  mangelndem  Magensaft  und  vorl  iegendem 
Dünndarmkatarrh,  3.  eine  spastische  Dickdarmerkrankung 
ohne  Durchfälle. 

VIII.  Referat. 

Nierenentzündungen  im  Felde. 

Berichterstatter  Prof.  Hirsch,  Güt¬ 
tingen, 

Aus  allen  Armeen  wird  übereinstimmend  die 

I  außerordentliche  Zunahme  der  akuten  Nephritis  in  diesem 
Kriege  gemeldet.  Während  im  Kriege  70/71  die 
Nierenkranken  0,02  °/0  aller  erkrankten  Soldaten  aus¬ 
machten,  haben  wir  jetzt,  namentlich  seitdem  der  Land¬ 
sturm  und  sonstige  älteren  Leute  eingezogen  sind, 
außerordentlich  viel  Nierenkranke,  in  manchen  Feld¬ 
lazaretten  bis  10°/0  allerinnerlichen  Fälle.  Man  muß 
sich  fragen,  waren  diese  Leute  alle  vorher  nierengesund? 
Die  Jüngeren  sicher,  die  Altern  gewiß  nicht  alle.  Die 
Erkrankungen  häuften  sich  namentlich  im  Osten  bei 
den  Leuten  über  30  Jahre  und  betrafen  in  91  °/0 
die  Infanterie,  weniger  die  Kavallerie,  am  wenigsten  die 
Artillerie.  In  erster  Linie  erkrankten  diejenigen,  die 
längere  Zeit  der  Kälte  in  feuchten  Schützengräben 
ausgesetzt  waren.  Später  im  Bewegungskriege,  bildeten 
ausserordentliche  Marschleistungen  mit  wiederholten 
Durchnässungen  und  Schlafen  auf  nassem  Erdboden 
bei  oft  sehr  einseitiger  Ernährung  die  Ursache  der  Er¬ 
krankungen.  Abgesehen  von  Erkrankungen  alter  Leute, 
bei  denen  es  sich  um  das  Wiednrauftreten  eines  früheren 
Nierenleidens  oder  um  nicht  mehr  ganz  widerstands¬ 
fähige  Nieren  infolge  früherer  Schädigungen  handelte, 
boten  alle  Fälle  ein  ziemlich  charakteristisches  Bild  der 
akuten  Nephritis  mit  ausgesprochen  hydropischem 
Charakter.  Die  Ödeme  waren  meist  sehr  stark,  der 
Hydrops  hat  vorwiegend  extrarenale  Ursachen,  Retinitis 
albuminurica  wurde  nie  beobachtet.  Im  Anfang  bestand 
meist  Fieber,  oft  wurde  ein  mäßiger  Milztumor  gefunden. 
Der  Blutdruck  war  im  allgemeinen  nicht  wesentlich  er- 
höht;  wenn  sehr  hohe  Blutdruckzahlen  über  200  mm 
auftraten,  oder  eine  geringere  Blutdrucksteigerung  noch 
längere  Zeit  die  anfänglichen  schweren  Krankheitser¬ 
scheinungen  überdauerte,  so  lag  immer  das  Wieder- 
tmlllackern  eines  älteren  Nierenprozesses  vor.  Die  Urin¬ 


menge  war  zunächst  hochgradig  vermindert,  die  Ei¬ 
weißmengen  anfangs  sehr  hoch  6—10  %0.  In  60% 
der  b  Alle  war  der  Urin  bluthaltig.  In  einer  Anzahl  von 
Fällen  bestand  anfangs  Dysurie,  die  wahrscheinlich  auf 
Coli  Infektion  der  Blase  zurückzuführen  ist.  Anatomisch 
handelte  es  sich  um  eine  akute  Glomerulo-Nephritis  mit 
Epithel-Degeneration  der  Tubuli. 

Was  die  Ätiologie  anbetrifft,  so  dachte  man  zu¬ 
nächst  an  die  wiederholten  Schutzimpfungen,  aber  mit 
Unrecht,  weil  im  Heimatsgebiet  und  in  der  Etappe 
keine  gehäuften  Nierenerkrankungen  auftraten;  ebenso¬ 
wenig  ist  die  Rum-Zulage  anzuschuldigen.  In  manchen 
Fällen  war  eine  septische  Infektion  oderAngina  oder  Fur¬ 
unkulose  vorhergegangen,  doch  war  dies  nur  ein  geringer 
Prozentsatz.  Vielfach  suchte  man  die  Krankheitsursache 
in  einseitiger  Ernährung  bei  gleichzeitiger  übermäßiger 
Salzzufuhr. 

Wenn  sich  auch  gewisse  Beziehungen  zwischen 
Scorbut  und  Nephritis  nicht  leugnen  lassen,  so  fehlte  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  dieser  Zusammenhang.  Die 
Hauptursache  der  jetzigen  Kriegsnephritis  ist  die  Er¬ 
kältung,  welche  das  Quellgebiet  der  Nierentätigkeit,  die 
Kapillargefässe  der  Haut,  betrifft.  Die  Niere  wird 
längere  Zeit  anämisiert  und  anfällig,  sodaß  gewisse 
Stoffwechselprodukte  nun  schädlich  wirken.  In  %  °/„ 
der  Fälle  kam  es  zu  Urämie,  welche  als  Gehirnödem 
aufzufassen  und  am  besten  mit  Lumbal- Punktion  zu  be¬ 
handeln  ist.  Im  übrigen  muß  bei  der  Behandlung  von 
Nephritis  im  Anfang,  wo  es  sich  um  mangelhafte  Aus¬ 
scheidung  und  Retention  von  Stickstoff,  Chlornatrium 
und  Flüssigkeit  handelt,  bei  der  Ernährung  Fleisch, 
Salz  und  Flüssigkeitszufuhr  stark  eingeschränkt  werden ; 
später  ist  vor  länger  fortgesetzter  Unterernährung  bei 
gedankenloser,  monatelanger  Verabreichung  von 
mehreren  Litern  Milch  und  Wassersuppen  zu  warnen. 
Der  Kranke  muß  sofort  ins  Bett  und  darf  dieses  nicht 
verlassen,  so  lange  er  Blut  und  reichliche  Mengen  Ei¬ 
weiß  ausscheidet,  Im  Anfang  starben  viele  Leute  an 
der  Front,  später  war  in  den  Lazaretten  und  im  Anschluß 
daran  im  Heimatsgebiet  der  Verlauf  ein  sehr  guter. 
Die  Sterblichkeit  ist  sehr  viel  geringer  als  bei  der 
Scharlachnephritis  und  erreicht  noch  nicht  1  % 
der  Fälle. 

D  i  s  k  u  s  s  i  o  n. 

Bruns  - Marburg  spricht  über  Stoffwechsel¬ 
untersuchungen  bei  Nephritis.  Im  Stadium  der  Ödeme 
zeigt  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Erhöhung  des 
Reststickstoffes  im  Blute  zwischen  50  und  187  rng  auf 
100  ccm  Blut.  Die  Kochsalzausscheidung  war  meist 
leidlich,  von  5  g  Kochsalz  in  der  Nahrung  wurden  im 
Durchschnitt  2,7  g  durch  den  Urin  ausgeschieden.  Hin¬ 
sichtlich  der  Ausscheidungsverhältnisse  ist  die  Nephritis 
im  Felde  also  eine  Glomerulo-Nephritis.  Bei  der 
Uraemie  fand  er  2  Formen:  1.  ausgesprochenes  Gehirn¬ 
ödem,  2.  die  acetaemische  Form,  bei  welcher  eine 
starke  Retention  von  Stickstoff  und  Kochsalz 
vorliegt. 

Jungmann-Berli  n.  Anatomisch  haben  wir 
eine  akute  Glomerulo-Nephritis,  außerdem  beobachten 
wir  Fieber,  echte  Infektionsmilz,  Herzmuskeldegeneration, 
Leberverfettung  und  Drüsenschwellung.  Alles  zusammen 
bildet  das  charakteristische  Bild  einer  akuten  Infektions¬ 
krankheit.  Hiermit  stimmt  überein  das  epidemieartige 
Auftreten  der  Kriegsnephritis. 

Henke-Breslau  hält  gleichfalls  eine  Infektion 
für  die  Ätiologie  der  Krankheit. 

O  t  t  f  r  i  e  d  M  ü  1  1  e  r  -  T  ü  b  i  n  g  e  n  hat  mit 
seiner  Methode,  die  Haut  des  lebenden  Menschen  durch¬ 
sichtig  zu  machen,  bei  chronischer  Nephritis  an  den 
Kapillaren  der  Haut  stärkere  Schlängelung  und 
Anastomosierung  beobachtet,  -  Er  rät  diese  Methode 
bei  der  jetzigen  Krankheit  anzuwenden. 


286 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  29. 


Stintzing-Jena  bezeichnet  nach  seinen 
Erfahrungen  im  Osten  als  Krankheitsursache:  kalte 
Füsse  und  Infektion. 

Goldscheide  r  -  Berlin  hatte  bei  seinen 
Nephritisfällen  eine  Sterblichkeit  von  1,3%.  In  einem 
Viertel  der  Fälle  kommt  Erkältung  als  Ursache  nicht 
in  Betracht,  er  denkt  deshalb  auch  an  Infektion. 
Prophylaktisch  empfiehlt  er  sorgfältige  Entwässerung 
der  Schützengräben  und  Unterstände,  warme  Kleidung 
und  Hautpflege. 

Matthes-K  önigsberg  weist  darauf  hin, 
daß  Offiziere  nur  selten  an  akuter  Nephritis  er¬ 
krankten. 

Rumpe  1-Hamburg  fand  nach  einem  forcierten 
Armeegepäckmarsch  über  25  km  bei  24%  der  Leute 
nachweisbare  Eiweißmengen  im  Urin,  bei  80  %  hyaline 
und  granulierte  Zylinder,  bei  20  %  rote  Blutkörperchen. 
Öftere  Wiederholung  der  Anstrengung  kann  zur  Er¬ 
krankung  der  Niere  führen. 

Neisser-Stettin  beobachtete  Fälle  mit 
Ödemen  und  Urinbeschwerden  ohne  Albuminurie.  Der 
Entstehung  der  Nephritis  geht  eine  Ischämie  mit  nach¬ 
folgender  Stauung  und  Hyperämie  durch  Gefä߬ 
lähmung  vorher. 

Strasburger  -  Frankfurt  a.  Main 
weist  auf  Schädigung  der  Nieren  durch  Stoffwechsel¬ 
produkte  und  das  häufige  Auftreten  der  Nephritis  nach 
Darmerkrankungen  hin. 

Rosto  s  ki  -  D  res  den  hat  bei  50  %  seiner 
Nierenkranken  Typhusbazillen  im  Urin  gefunden  und 
denkt  wegen  des  Fiebers,  der  Milzschwellung,  des 
M  eteorismus,  der  Diazoreaktion  an  Nephrotyphus. 

Citron -  Berlin  konnte  in  89  %  seiner  Fälle  vor 
Beginn  der  Nephritis  eine  Sfreptokokken-Tonsillitis  fest¬ 
stellen.  In  vielen  Fällen  konnte  er  durch  Tonsillectomie 
erhebliche  Besserung  herbeiführen. 

Munk-Berlin  erwähnt,  daß  die  sog.  große  weiße 
Niere  ein  ähnliches  Krankheitsbild  liefert,  doch  zeigt 
sie  im  Urinsediment  stets  doppelbrechende  Lipoidstoffe, 
welche  bei  der  Kriegsnephritis  fehlen. 


\  o  1  h  a  r  d  -  M  a  n  n  h  e  i  m  :  Die  Kriegsnephritis 
ist  völlig  identisch  mit  der  akuten  diffusen  Nephritis 
des  Friedens.  Sie  ist  fast  immer  heilbar.  Unter  geeig¬ 
neten  Verhältnissen  darf  niemand  an  ihr  sterben,  es 
muss  aber  die  Heilbehandlung  so  frühzeitig  wie  möglich 
einsetzen.  Das  Wesen  der  Erkrankung  besteht  in  einer 
zur  Blutdrucksteigerung  führenden  Behinderung  der 
Zirkulation  in  den  Gefäßschlingen  der  Glomeruli,  die 
sich  bis  zur  Blutleere  steigern  kann.  Die  Heilung  er¬ 
folgt  durch  Wiederherstellung  der  normalen  Zirkulation. 
Die  Hauptgefahr  besteht  in  der  Herzschwäche,  welche 
durch  zu  reichliche  Flüssigkeit  vermehrt  wird.  Bei  der 
Behandlung  lässt  Volhard  meist  einige  Tage  lang  die 
Patienten  hungern,  bei  ganz  geringer  Flüssigkeitszufuhr. 
Bei  eingetretener  Besserung  muß  der  Wasserversuch  ge¬ 
macht  werden.  Bei  völliger  Anurie  empfiehlt  er  die 
Dekapsulation  der  Nieren,  welche  spätestens  am  3.  Tage 
vorgenommen  werden  muß.  Bei  schwerer  Uränfie 
muß  die  Lumbal-Punktion  gemacht  werden.  Er  fordert 
strenge  andauernde  Bettruhe  und  hält  die  Errichtung 
von  Sonderlazaretten  für  Nierenkranke  für  notwendig. 

Knack-Hamburg  berichtet  über  günstige  Er¬ 
fahrungen.  Die  endgültige  Heilung  darf  erst  nach  voll¬ 
ständiger  V  iederherstellung  der  Nierenfunktionen 
angenommen  werden,  sie  erfolgt  meist  im  6.-7.  Monat. 

Kavse  r-Berli  n  schildert  eine  Anzahl  von 
Fällen,  die  an  Scharlach-Nephritis  erinnerten  und  bei 
denen  sich  kleienförmige  Schuppung  der  Haut  einstellte. 

Po  r  g  e  s  -  W  i  e  n  konnte  in  einer  Anzahl  von  Fällen 
aus  dem  Urinsediment  Streptokokken  züchten.  Er 
empfiehlt  3  Wochenlang  eine  Stickstoff-  und  salzarme 
Diät  (tgl.  500  g  Kartoffeln,  200  g  Brot.  150  g  Zucker, 
50  g  Reis  oder  Gries,  50  g  Fett,  Tee,  Fruchtsäfte)  und 
berichtet  über  sehr  gute  Erfolge. 

Schittenhelm  -  K  i  e  1  hatte  eine  Sterblichkeit 
von  0,7  n/0,  bei  80  %  vollständige  Heilung.  In  70  6 j0 
wurden  Erkältung  und  Durchnässung  in  der  Anamnese 
angegeben.  Die  Disposition  zur  Erkrankung  nahm  mit 
dem  Alter  zu  und  war  am  größten  bei  den  Leuten 
über  40  Jahre. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Dr.  L.  Dünner  u.  Dr.  G.  E  i  s  n  e  r.  100  Fälle  von 
Pneumonie,  mit  Optochin  behandelt.  (Die  Therapie  der 
Gegenwart  1 9 1 G,  Heft  2.) 

Von  den  100  Beobachtungsfällen  konnten  79  frühzeitig, 
das  heisst  spätestens  am  vierten  Tage,  spezifisch  behandelt 
werden:  es  wurden  in  den  ersten  beiden  Monaten  der  Beob¬ 
achtungszeit  dreimal  täglich  0,5  g  Optochin.  hydrochl.  in  Ob¬ 
laten  gegeben ;  später  geschah  die  Verabreichung  von 
sechsmal  0,25  g  in  4  ständigen  Intervallen.  Von  79  Frühfällen 
sind  43  =  54,4%  entschieden  günstig,  8  =  10%  unentschieden 
und  18=23%  nicht  beeinflusst  geblieben,  10  =  12,6%  sind 
gestorben.  Von  den  Spätfällen  nahmen  eine  grosse  Reihe 
ebenfalls  eine  günstige  Wendung,  doch  kann  eine  Wirkung 
des  Optochins  hier  nicht  sicher  behauptet  werden.  Das  Optochin 
beeinflusst  den  Verlauf  der  Pneumonie  in  zahlreichen  Fällen 
sehr  günstig  und  ist  als  spezifisch  wirkendes  Mittel  zu  empfehlen, 
wenn  es  sich  auch  nicht  in  allen  Fällen  als  Heilmittel  erweist 
Wir  haben  keine  sicheren  Anhaltspunkte,  aus  denen  man  im 
Einzelfall  die  Art  der  Wirkung  Voraussagen  könnte. 

Strauss  -  Mannheim. 


H  o  f  f  m  an  n.  Zur  Beurteilung  und  zur  Behandlung 
von  Herzstörungen  bei  Kriegsteilnehmern.  (Zentralblatt  für 
Herz-  und  Gefässkrankh.  1915,  21/22.) 

Die  in  diesem  Krieg  häufiger  als  im  Frieden  auftretende 
Krankheit  ist  eine  Neurose.  Das  hervorstechendste  Symptom 
ist  eine  konstante  Pulsbeschleunigung.  Am  Nervensystem 
findet  man  Lidflattern,  Zittern  der  Zunge  und  besonders 
der  ausgestreckten  Hände.  Ferner  besteht  eine  vasomotorische 
Uebererregbarkeit.  Die  Prognose  ist  günstig,  besonders  wenn 
eine  ausgesprochene  Abhängigkeit  des  Pulses  von  der  Atmung 
vorhanden  ist.  Die  Behandlung  besteht  in  Ruhe,  psychischer 
Beeinflussung,  Brom  ;  Digitalis  ist  wirkungslos. 

Johannes  Müller.  Muskelarbeit  und  Herz¬ 
tätigkeit.  (Ebenda.) 

In  den  letzten  Jahren  hat  eine  Zunahme  von  Herzkrank¬ 
heiten  stattgefunden,  die  auf  eine  Uebertreibung  vou  sportlichen 
Leistungen  zurückzuführen  ist.  Dauerkraftübungen  müssen  das 
Herz  ungünstig  beeinflussen.  Wandern,  Rudern,  Schwimmen 
bieten  physiologisch  günstige  Bedingungen  im  Gegensatz  zu 
jenen  lurnübungen,  bei  denen  es  zur  „Pressung“  kommt. 
„Bei  Muskelarbeit  wird  der  Trainierte  eine  gegebene  Arbeit 
mit  geringerer  Stoffwechselsteigerung,  kleinerem  Minuten¬ 
volumen,  besserer  Ausnutzung,  niedriger  Pulsfrequenz  und 


N.  29. 


287 


FORTSCHRITTE  OER  MEDIZIN. 


kleinerem  Schlagvolumen  ausführen  als  der  Untrainierte“. 
Der  Blutdruck  steigt  bei  gleicher  Arbeit  bei  älteren  Personen 
höher  als  bei  jüngeren  ;  die  Pulsfrequenz  wird  bei  Rekon¬ 
valeszenten  bei  gleicher  Arbeit  grösser  als  bei  Gesunden. 
Während  der  Arbeit  ist  das  Herz  ein  wenig  grösser,  unmittel¬ 
bar  darauf  etwas  kleiner. 

Die  Arbeit  sei  besonders  Schulärzten  dringend  empfohlen  ! 

Alkohol  bei  Tetanus?  In  einem  Uebersichtsreferate  über 
den  Wundstarrkrampf  (Med.  Klin.  1915/44  S  1213)  erklärt 
Josef  Pringsheim,  Oberarzt  am  Allerheiligenspital  in  Breslau, 
die  Darreichung  alkoholhaltiger  Getränke  bei  Tetanus  ebenso 
wie  bei  allen  anderen  Infektionskrankheiten  für  zweckmässig. 
Tierversuche  sollen  bei  Wundstarrkrampf  eine  besondere  kurative 
Wirkung  des  Alkohols  ergeben  haben;  Ref.  gibt  allerdings  die 
Quelle  dieser  Mitteilung  nicht  an.  Beim  Menschen  hat  reich¬ 
licher  Alkoholgenuss  (viel  Bier  und  Wein  und  daneben  tägliche 
Zufuhr  von  100  g  Kognak)  aber  ausser  der  subjektiven  Er¬ 
leichterung,  welche  der  Rausch  bietet,  keine  Wirkung,  wie  Ref. 
selbst  mitteilt,  so  dass  man  nicht  recht  versteht,  wie  er  zu  der 
Feststellung  gelangt  ist,  dass  die  Darreichung  geistiger  Getränke 
„zweckmässig“  sein  soll. 

Da  er  selbst  im  nächsten  Abschnitte  die  Notwendigkeit 
betont,  die  Herztätigkeit  beim  Starrkrampf  zu  schonen  und  zu 
heben,  widerspricht  er  neuerdings  seiner  Empfehlung  des  Alkohols; 
denn  niemand  wird  behaupten  wollen,  dass  tagelang  fortge¬ 
setzte  Darreichung  von  100  g  Alkohol  und  mehr  pro 
Tag  die  Herzkraft  „schont“;  ganz  im  Gegenteil! 

Wenn  der  Ref.  behauptet,  dass  die  Darreichung  des 
Alkohols  bei  Infektionskrankheiten  im  allgemeinen  zweckmässig 
ist,  so  setzt  er  sich  damit  in  Widerspruch  mit  den  angesehensten 
Klinikern  wie  Stadelmann,  Ewald,  v.  Jaksch,  Rosenfeld  und 
vielen  anderen,  die  die  regelmässige  und  fortgesetzte  Dar¬ 
reichung  des  Alkohols  bei  Typhus,  Pneumonie,  Ruhr, 
Sepsis  usw.  widerraten  und  längst  aufgegeben  haben. 

Neu  m  an  n. 


Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Prof.  Dr.  Adolf  Baginsky  -  Berlin.  Zur  Kenntnis 
der  Lymphadencpathien  des  kindlichen  Alters  und  ihre  Be¬ 
handlung.  (Die  Therapie  der  Gegenwart  1916,  Heft  1  u.  2.) 

Die  Lympdrüsenerkrankungen  des  Kindesalters  sind  über¬ 
wiegend  sekundärer  Natur;  die  ursprüngliche  Anlage,  die  beim 
Kinde  überhaupt  einen  grösseren  Reichtum  an  Lymphdrüsen 
und  Lymphbahnen  bedingt,  spielt  eine  hervorragende  Rolle. 
Wesentlich  bestimmend  ist  jedoch  der  Charakter  des  peripher 
eiusetzenden  Angriffs,  der  zunächst  nur  eine  örtliche  Lymph- 
driisenerkrankung  bewirkt,  weiterhin  allerdings  eine  allgemeinere 
Verbreitung  zu  übermitteln  imstande  ist.  Entsprechend  dieser 
Entstehungsart  können  die  Erkrankungen  der  Lymphdrüsen 
als  akute  (durch  Eindringen  von  Saprophyten,  Staphylo-  und 
Streptokokken)  oder  als  chronische  in  Erscheinung  treten 
(Drüsentuberkulose  nach  Hautverletzungen).  Bei  den  akuten 
sind  besonders  die  Schleimhäute  und  hier  wieder  die  Gebilde 
des  Rachens  die  hauptsächlichsten  Ausgangsstellen,  wie  bei 
Angina,  Scharlach,  Diphtherie.  Die  Behandlung  der  erkrankten 
Schleimhäute  mittels  Spray  oder  Gurgelungen  mit  Lösungen 
von  Chlornatrium,  Ammonium  muriaticum,  Borsäure  beeinflusst 
gleichzeitig  die  bestehende  Drüsen- Affektion,  die  ausserdem  mit 
Jodsalbeu,  Ichthyolsalben,  Kataplasmen,  ev.  Inzisionen  zu  be¬ 
handeln  ist.  Auch  den  sog.  Pfeiffer’  sehen  Drüsen¬ 
schwellungen,  die  häufig  als  primärer  Drüsenprozess  aufgefasst 
wurden,  liegen  sicher  Entzündungsprozesse  der  Nasenrachen¬ 
schleimhaut  zu  Grunde.  Bei  den  chronischen  Drüsen¬ 
schwellungen  können  gleichfalls  rein  örtliche  Erkrankungen 
die  Ursache  sein  Avie  das  Läuse-Ekzem  oder  die  Skabies; 
aber  hier  gibt  es  eine  zweite  Gruppe,  bei  der  Konstitution 
und  Vererbung  die  Hauptrolle  spielen :  die  Skrofulöse  (oder 
Lymphatismus)  und  eine  dritte,  bei  der  zu  der  angeborenen 
Anlage  des  Lymphatismus  eine  chronische  Infektion  hinzutritt. 
Während  bei  der  ersten  Gruppe  eine  örtliche  Behandlung  aus¬ 
reicht,  haben  bei  2  u.  3  vor  allem  allgemein  hygienische  Mass- 
regeln  in  der  Ernährung.  Wohnung,  Abhärtung,  Klima  und 


Ionisierende  Arzeueien  einzutreten,  unter  diesen  immer  noch 
am  erfolgreichsten  der  Lebertran. 

Strauss  -  Mannheim. 


Bücherschau. 

R  a  m  a  n  T  e  r  e  s  k  i  n.  Biologische  Grundprinzipien 

der  Medizin.  Verlag  der  Aerztlichen  Rundschau.  Otto  Gmelin- 
München  1915. 

Im  Gegensatz  zur  alten  Medizin,  die  teils  auf  philoso¬ 
phisch  spekulativen  teils  auf  empirisch-rationeller  Basis  fusste, 
strebte  die  moderne  Medizin  eine  exakte  wissenschaftliche 
Basis  an.  An  Stelle  früherer  mystisch-metaphysischer  Formeln, 
die  „eine  Lebenskraft“  als  Grundlage  aller  inneren  Vorgänge 
im  Organismus  statuierten,  tritt  heute  eine  physiologische  Durch¬ 
forschung  derselben,  die  das  organische  Leben  mit  den  unver¬ 
änderlichen  Naturgesetzen  in  Einklang  zu  bringen  trachtet. 
Die  Physik  und  Chemie,  die  Mechanik  und  Biologie  sind  in 
den  Dienst  der  empirischen  Medizin  getreten  und  wenn  Avir 
auch  heute  noch  sehr  weit  von  der  restlosen  Erklärung  aller 
physiologischen  Vorgänge  im  Organismus  entfernt  sind,  so 
hat  die  medizinische  Forschung  in  dieser  Hinsicht  es  doch  sehr 
Aveit  gebracht,  indem  sie  der  Erkenntnis  Geltung  verschaffte, 
dass  alles  Leben  in  der  organischen  Welt  nach  physikalischen 
Grundsätzen  geregelt  ist.  —  Aus  der  Avissenschaftlichen  Er¬ 
kenntnis  der  inneren  Vorgänge  im  gesunden  und  kranken 
Organismus  geAvinnen  Avir  aber  die  Mittel  zu  einer  wissen¬ 
schaftlich  rationellen  Therapie,  die  von  der  früheren  rohen 
Empirie  einem  rationellen  Aufbau  zustrebt. 

ZAvei  Grundprinzipien  sind  es  vornehmlich,  auf  welche 

—  nach  Ansicht  des  Verfassers  —  alle  therapeutische  Mass¬ 
nahmen  zurückzuführen  sind,  das  ist  die  Ablenkbarkeit  der 
Innervation  und  die  Provokation  des  Wiederansatzes  durch  den 
Verlust.  In  mehreren  Kapiteln  analysiert  nun  der  Verfasser 
die  biologischen  Reaktionserscheinungen  im  gesunden  und 
kranken  Organismus  und  Aveist  an  der  Hand  von  Tatsachen 
nach,  dass  alle  Reaktionen,  die  eine  Selbstheilung  des  Organis¬ 
mus  darstellen  auf  die  oben  genannten  2  Grundprinzipien 
zurück  Zufuhren  sind.  In  diesem  Sinn  sollen  auch  alle  unsere 
chemischen  Heilmittel  und  physikalischen  Heilmethoden  Avirken, 
wenn  sie  den  Avissenschaftlichen  Anforderungen  entsprechen 
sollen  und  die  moderne  Medizin  mit  ihrem  ganzen  hochent¬ 
wickelten  therapeutischen  Armentarium.  ihrer  Immunisierungs¬ 
methode,  mit  der  Anwendung  der  artfremden  Eiweisskörper 
nach  Abderhalden,  mit  den  Opsoninen  W right’ s  usav.  fusst 
letzten  Endes  auf  jenen  2  biologischen  Grundprinzipien. 

Die  Arbeit  gewährt  einen  tiefen  Einblick  in  die  moderne 
medizinische  Therapie  und  soll  von  jedem  Avissenschaftlich 
strebsamen  Arzt,  der  in  seinem  therapeutischen  Handeln  von 
der  Schablone  sich  loslösen  will,  gelesen  und  ernstlich  be¬ 
achtet  werden.  —  rt. 

Dr.  Rudolf  Eisen  m  enger,  Leiter  des  Sana¬ 
toriums  in  Hermannstadt.  Das  physikalisch-diätetische  Heil¬ 
verfahren.  Im  Selbstverläge  des  Verfassers. 

Eine  kompilatorische  Arbeit,  die  ihren  Zweck :  den  An¬ 
fänger  mit  dem  physikalisch-diätetischen  Heilverfahren  ver¬ 
traut  zu  machen,  vollkommen  erfüllt.  Aus  jeder  Zeile  spricht 
der  erfahrene  Praktiker,  der  allen  theoretischen  Ballast  bei 
Seite  lässt  und  nur  das  praktisch  Wichtige  zum  Gegenstand 
der  Darstellung  macht.  Dass  der  Verfasser  die  neuesten  Er¬ 
rungenschaften  der  physikalischen  Therapie,  so :  die  Röntgen¬ 
behandlung,  die  Anionentherapie,  die  Diathermie,  die  Frank- 
linisation,  die  Phototherapie,  die  Behandlung  mit  Radium 
und  Thorium  X,  soAvie  mit  deren  Emanationen,  die  Behand¬ 
lung  mit  Hochfrequenzströmen  usav.  in  das  Buch  aufgenommen 
hat,  muss  als  besonderer  Voizug  desselben  anerkannt  Averden. 
Es  liegt  naturgemäss  im  Bestreben  jedes  therapeutischen 
Spezialisten,  das  Indikationsgebiet  seiner  Methode  so  Aveit  als 
möglich  abzustecken  uud  so  darf  man  sich  nicht  wundern, 
dass  der  Verfasser  in  diesem  Belang  etwas  übers  Ziel  schiesst 
und  die  physikalische  Methode  auch  dort  anwendet,  wo  man 
mit  der  medikamentösen  Therapie  viel  einfacher,  rascher  und 

—  bedeutend  billiger  zum  Ziele  gelangt.  Der  praktische 


288 


Nr,  29. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Ai ^t,  dei  allgemeine  Iherapie  treibt,  wird  au  dieser  Indikations¬ 
stellung  wohl  den  kritischen  Massstab  anlegen  und  sich  von  den 
„grossartigen  Erfolgen“,  die  allerdings  nur  der  Spezialist  sieht, 
nicht  blüft'en  lassen. 

Sehr  willkommen  sind  zum  Schluss  einige  Nahrungs- 
mitteltabellen,  die  dem  Arzt  bei  der  diätetischen  Therapie  sehr 
wertvolle  Dienste  leisten. 

Dem  Anfänger,  der  sich  in  das  Gebiet  der  physikalischen 
Heilmethoden  einführeu  will,  bietet  das  Buch  gute  Belehrung, 
aber  auch  der  Fachmann  wird  es  mit  einigem  Nutzen 
lesen.  _  rt 

Rudolf  Q  u  a  n  t  n  e  r.  Das  Liebesieben  aller  Zeiten 
und  Völker.  Band  IV.  Das  Liebesieben  im  Orient.  Leipzig 
II.  Wigand’s  Verlag. 

Im  Rahmen  dieses  kultur-  und  sittengeschichtlich  über¬ 
aus  interessanten  Werkes  ist  nun  der  4.  Band,  behandelnd 
das  Liebesieben  im  Orient,  erschienen,  der  das 
Sexualleben  und  die  hochentwickelte  Ars  amandi  im  Orient 
zum  Gegenstände  der  Darstellung  hat.  In  übersichtlicher, 
klarer  Weise  wird  in  einer  Reihe  abgerundeter  Kapitel  das  ver¬ 
feinerte,  mit  religiösen  Motiven  durchwirkte,  Liebesieben  der 
Orientalen  von  der  ältesten  Epoche  bis  in  die  Neuzeit  ge¬ 
schildert,  das  sowohl  unseren  modernen  Anschauungen  über 
den  Geschlechtsverkehr  als  auch  unserem  sittlichen  Empfinden 
durchaus  fernliegt.  Fremdartig  wie  das  ganze  Morgenland 
mutet  uns  auch  das  Geschlechtsleben  der  Orientalen  an,  von 
dem  uns  eine  unüberbrückbare  Kluft  trennt.  Wenn  wir  auf 
der  einen  Seite  die  inferiore  Stellung  des  Weibes  im  Orient, 
wo  sie  noch  heute  vielfach  als  Sklavin  des  Mannes  gilt  und 
auf  der  anderen  das  Ansehen  des  Hetären  daselbst,  das  ganze 
Haremswesen  uns  vor  Augen  fuhren,  so  müssen  wir  über  die 
Rückständigkeit  der  Orientalen  in  dieser  Hinsicht  trotz  all 
ihrer  kulturellen  Bestrebungen  erstaunen.  Ein  so  einfluss¬ 
reiches  Hetärentum  wie  es  Jahrhunderte  Lug  im  Oriente  vor¬ 
herrschte,  der  eigenartige  Geishawesen  im  modernen  Japan, 
an  dem  selbst  der  philiströseste  schlitzäugige  Moralfex  nichts 
Anstössiges  findet,  wären  bei  uns  zu  Lande  unmögliche  Er¬ 
scheinungen.  Irotz  der  Zügelung  der  Sinnlichkeit  durch  religiöse 
Vorschriften  artete  das  Sexualleben  der  Orientalen  vielfach 
aus,  wie  es  z.  B.  der  Baaldienst  der  Assyrier,  der  Kult  der 
Astarte,  der  Dienst  in  den  Venustempeln  usw.  zur  Evidenz  be¬ 
weisen.  Ohne  Liebesgenuss,  den  die  üppige  Phantasie  der 
Orientalen  sogar  als  höchste  Potenz  der  ewigen  Seligkeit  dar¬ 
stellt,  wäre  das  leichte  sorglose  Leben  der  Orientalen  ein 
wesenloses  Schema. 

Es  würde  zu  weit  fuhren,  das  ganze  interessant  und 
fesselnd  geschriebene  Buch  kritisch  zu  beleuchten  —  man 
müsste  nachgerade  das  ganze  Buch  abschreibeu  —  es  ge¬ 
nügt  festzustellen,  dass  der  Gegenstand  erschöpfend  und  frei 
von  jeder  Lascivität  —  objektiv  vom  historischen,  wie  vom 
völkerpsychologischen  Standpunkt  aus  gleich  wahrheitsgetreu 
dargestellt  ist  und  dass  der  Leser  über  das  einschlägige  Thema 
vollständig  orientiert  wird.  Für  den  Arzt  wie  für  den  Anthro¬ 
pologen,  für  den  Kulturhistoriker  wie  für  den  Sozialhistoriker, 
ja  für  jeden  Kulturmenschen,  bildet  das  Buch  eine  Quelle 
reichlicher  Belehrung  und  anregender  Unterhaltung. 

Dr.  J.  A. 


Medikamentöse  Therapie. 

Dietrich.  Über  Granugenol-Knoli.  (Münchener 
Med.  Wochenschrift,  1916,  No.  7.) 

Vorwiegend  in  einer  Reihe  von  nicht  heilenden  Knochen¬ 
fisteln  schlossen  sich  bei  Grauugenol-Anwendung  die  operativ 
gesetzten  Defekte  in  überraschend  kurzer  Zeit,  allerdings 
mussten  Sequester  oder  Fremdkörper  vorher  ausgeräumt  sein. 
Bei  buchtigen  Weich  teil  wunden  Hessen  die  Eiterungen  rascher 
nach,  die  Buchten  füllten  sich  mit  gesunden  Granulationen, 
so  dass  die  Epithelisierung,  die  durch  Granugenol  nicht  ge¬ 
fördert  wird,  bald  beginnen  konnte.  Die  Verbände  klebten 
nicht  so  stark,  dass  die  Saugkraft  des  Verbandstoffes  wie  bis 
Salbenanwendung  nachgelassen  hätte.  Durch  kein  anderes 
Mittel  konnte  eine  derartig  rasche  Granulationsbildung  an¬ 
geregt  werden.  Auch  2  Fälle  von  Epitheldefekten  heilten 


auf  Granugenol- Behandlung  auffallend  rasch.  In  dem  einen 
handelte  es  sich  um  Frostbeulen  mit  bis  markstückgrossen 
Hautgeschwüren,  im  anderen  um  eine  Verbrennung  2.-3. 
Grades.  Nachteile  wurden  keine  beobachtet. 

N  e  u  m  a  n  n. 

Holopan  ist  ein  Opium-Ultrafihrat  der  chemischen  Werke 
vormals  Dr  Heinrich  B  y  k  -  Oranienburg.  Ultrafiltration  ist 
ein  Verfahren,  mit  Hilfe  des  osmotischen  Druckes  Salz-  und 
Kolloide-Lösungen  zu  trennen,  und  auf  diese  Weise  die  wirk¬ 
samen  Alkaloide  von  Pflanzenauszügen  von  den  störenden 
schleimigen  und  harzigen  Bestandteilen  zu  trennen. 
Holopan  ist  eine  klare,  hellbraune  Flüssigkeit,  die  aus  Opium 
gewonnen  wird  und  in  ihrem  Wirkungswert  der  offizinellen 
Opiumtinktur  entspricht.  Es  kommt  ausser  in  offener  Form 
in  Ampullen  ä  1,  i  ccm  d  i.  0,5  g  in  Tabletten  und 
Suppositorien  mit  je  0,5  g  Opiumwert  in  den  Handel. 
Seine  Herstellungsweise  ermöglicht  direkte  subkutane 
Injektion. 

Hexophan  und  Hexophan-Natrium  wird  seit  kurzem  als 
neues  Gichtmittel  von  den  Hoechster  Farbwerken  in  den  Ver¬ 
kehr  gebracht  Wir  berichteten  bereits  über  dieses  Präparat 
nicht  ohne  dabei  des  bekannten  Atophans  zu  gedenken.  Ueber 
die  Dosierung  liegen  neuere  Meldungen  vor.  Man  soll  das 
Hexophan  innerlich  anfangs  viermal  täglich  zu  1,0  g  reichen 
und  später  die  Gabe  aut  dreimal  täglich  1  g  herabsetzen. 
Das  Hexophan-Natrium  ist  für  Injektionszwecke  bestimmt. 
Bei  subkutaner  und  intramuskulärer  Anwendung  werden  zu¬ 
nächst  0,5  g  gegeben,  bei  intravenöser  noch  kleinere 
Mengen. 

Ein  anderes  Gichtmittel  ist  das  Fonabisit,  ein  Formal- 
dehyd-Natrium  bisul  fit  in  lO%iger  Lösung,  das  Dr.  V  olk  mar, 
Wiesbaden,  durch  intravenöse  Einverleibung  zur  Heilung  der 
Gicht  anwandte,  vorausgesetzt,  dass  nicht  durch  langjährige 
Ablagerung  von  Salzen  destruktive  Prozesse  Vorlagen.  Dr. 
Rubens,  Gelsenkirchen  ist  jetzt  auf  dieses  Verfahren  zu¬ 
rückgekommen  und  berichtet  darüber  in  der  Med.  Klinik  1915 
S.  1424.  Besonders  in  akuten  Fällen  beobachtet  er  gute  Er¬ 
folge.  Er  warnt  gleichzeitig  vor  der  subkutanen  Anwendung, 
da  diese  unerträgliche  Schmerzen  verursacht.  Das  Präparat 
kommt  in  Ampullen  von  5  ccm  Inhalt  in  den  Handel. 

Trombosin  ist  ein  neues  Blutstillungsmittel,  das  eine 
stark  aktive,  aus  Blutserum  gewonnene  Zytozymlösung  vorstellt. 
Es  kommt  in  steriler  Lösung  in  Ampullen  zu  5  ccm  in  den 
Handel  und  befördert  bei  seiner  Anwendung  die  Blutgerinnung 
nach  den  Ausführungen  von  Hirschfeld  und  Ivlinger  in  der 
Deutschen  medizinischen  Wochenschrift  1915  No.  52. 

Recvalysat  bezeichnet  die  Apotheke  von  Job.  B  ü  rger 
in  Wernigerode  a.  Harz  ein  von  ihr  nach  den  Angaben  von 
Dr.  K.  Liepelt  hergestelltes  Baldrian  -  Präparat.  Es  wird  je 
nach  dem  hall  zu  10 — 20  —  30  Tropfen  gegeben  als  leichtes 
Tonikum,  Sedativum  und  unterscheidet  sich  von  der  Tinct. 
Valerianae  durch  angenehmeren  Geruch  und  Geschmack  und 
grössere  Wirkung. 

Ein  weiteres  Dialysat  der  Fa.  Bürge  r  in  Wernigerode  ist 
das  als  Polygalisat  bezeichnete  Präparat  aus  Rad.  Senegae. 
Nach  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  G.  H  e  r  z  f  e  1  d  ,  Berlin,  besitzt  es 
den  Vorzug  vor  dem  Decoct.  Senegae  weniger  scharf  und 
kratzend  als  dieses  zu  schmecken  und  weder  Magenverstimmungen 
noch  Schlundbeschwerden  hervorzurufen.  Es  soll  zvvei- 
bis  dreistündlich  zu  10  bis  12  Tropfen  gereicht  werden. 

Rhinovalin  der  Vereinigten  Chininfabriken  Z  i  m  m  e  r 
&  Co.,  Frankfurt  a.  M.,  ist  eine  2,5  %  ige  Lösung  von  Validol 
in  Paraffin  liquid.  Es  wird  bei  trockenen  Katarrhen  der  oberen 
Luftwege,  bei  akuter  Rhinitis-  und  bei  Stirnhöhlen  —  Katarrh 
zwei-  evtl,  dreimal  täglich  in  die  Nase  geträufelt  oder  gestäubt. 

Unter  dem  Namen  Liquitalis  stellt  die  Firma  Geh  e  &  Co. 
A.-G.,  Dresden,  nach  den  Angaben  von  Georg  Arends, 
Chemnitz,  nach  Art  der  Fluidextrakte  und  perkolierten 
Tinkturen  einen  Liquor  Digitalis  her,  der  die  physiologisch 
wirksamen  Bestandteile  der  Folia  Digitalis  in  haltbarer,  mög¬ 
lichst  konzentrierter  Form  enthält.  Das  Präparat  steht  unter 
dauernder  pharmakologischer  Kontrolle  und  hat  einen  stets 
gleichbleibenden  physiologischen  Wirkungswert.  Sein  Preis 
ist  anerkennenswert  niedrig.  E.  Otto. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Tortscbrim  der  Medizin. 

Unter  IHitwirkung  hervorragender  fadtmänner 

herausgegeben  von 

I.  Brauer.  L.  von  Criegern.  L.  Edinger,  L.  Hauser,  (i.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M  Darmstadt.  Leipzig. 

C.  L.  Rehn.  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  30 


Erscheint  am  10..  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  Juli. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Neue  Wege  zur  Krebsbehandlung. 

Von  Dr.  A.  P  h  i  1  i  pps  o  n  in  Hamburg. 

In  einer  früheren  Arbeit:  Gedanken  über  die  Ent¬ 
stehung  der  Krebskrankheit1)  war  vom  Verfasser  darauf 
hingewiesen  worden,  daß  es  zweckmässig  sei,  das  viel¬ 
gestaltige  Krebsproblem  dadurch  zu  vereinfachen,  daß 
man  eine  kleine  Gruppe  von  Krebskrankheiten,  deren 
Entstehungsursache  bekannt  ist,  aussondere  und  einer 
genauen  Forschung  unterzöge.  Diese  Gruppe  umfaßte 
die  Ruß-,  Paraffin-,  Anilin-,  Nicotin-  und  Röntgen¬ 
strahlenkrebse.  War  bei  der  früheren  Betrachtung  ein 
großes  Gewicht  auf  die  Prophylaxe  gelegt  worden,  so 
soll  jetzt  aus  der  chemischen  Natur  des  krankmachenden 
Agens  ein  Weg  zum  therapeutischen  Handeln  gesucht 
werden. 

Falls  z.  B.  das  Nicotin  als  solches  durch  Bindung 
mit  Körperzellen  den  Krebs  erzeugen  würde,  so  be¬ 
stände  die  therapeutische  Aufgabe  darin,  chemische 
Körper  aufzufinden,  welche  geeignet  wären,  diese  Bin¬ 
dung  aufzuheben,  indem  sie  sich  als  stärker  wirkende 
chemische  Körper,  als  das  menschliche  Eiweiß  er¬ 
weisen  müßten.  Von  dieser  Erwägung  ausgehend,  hatte 
ich  schon  seit  1906  begonnen,  mich  mit  Tannin  und 
bessen  Natronsalz  als  geeignet  scheinenden  Alkaloid- 
dindern  zu  beschäftigen.  Die  Versuche  waren  fol¬ 
gende  : 

22.  1.  1906,  Versuch  I. 

a)  Natr.  taunicum,  braune  erdige  Klumpen.  Ein 
Teil  Hühnereiweiß  und  8  Teile  dest.  Wasser  werden 
gut  geschüttelt  und  filtriert,  so  daß  eine  klare  Flüssig¬ 
keit  mit  wenig  Flöckchen  resultiert.  Acht  ccm.  Eiwei߬ 
wasser  werden  mit  1  ccm  einer  lu/0  Natr.  tanninlösung 
versetzt,  es  gibt  eine  leicht  trübe  Flüssigkeit  mit  braunen 
Flöckchen.  Nach  2  Stunden  weiterer  Zusatz  von  Natr. 
tannic.  verändert  die  Lösung  nicht.  Coffein  pur.  1  °/0 
und  Natr.  tannic.  1  '/c,  von  jedem  gleiche  "Peile,  bleibt 
klar. 

ß)  Acht  ccm.  Eiweisswasser  und  1  ccm  hellgelbe  1° /„ 
Tanninlösung  geben  käsigen  Niederschlag,  der  sich 
nach  2  Stunden  bei  weiterem  Zusatz  von  1  ccm  Tannin¬ 
lösung  verstärkt.  Tanninlösung  l°/0  mit  Coffeinlösung 
1  %  zu  gleichen  "Peilen  gibt  weißen  käsigen  Nieder¬ 
schlag. 

14.  2.  1906,  Versuch  II. 

Natr.  tannic.  1  °/0  mit  gekochten  Wasser  gibt  trübe 
Flüssigkeit,  eine  Spitze  hiervon  subcutan  in  meinen 
linken  Oberschenkel  nicht  schmerzhaft,  Infiltrat  gering, 
ist  nach  10  Minuten  geschwunden.  Mit  l°/0  Lösung 


Versuche  intravenös  bei  Kaninchen  (Herr  Dr.  H.  C. 
Plaut)  negativ  in  Bezug  auf  Vergiftung. 

K  o  b  e  r  t  gibt  bei  Einspritzungen  von  Natr.  tan¬ 
nic.  als  kleinste  letale  Dose  36  mg.  pro  kg  Katze  und 
100  mg.  pro  kg.  Hund  an.  Bei  70  kg  Menschengewicht 
dürfte  die  Dosis  letalis  zwischen  21  /2  bis  7  g  schwan¬ 
ken. 

Die  bisherigen  Versuche  hatten  ergeben,  daß  nur 
dem  Tannin  als  solchem,  nicht  dem  Natronsalz,  Eiweiß 
fällende  und  Alkaloid  bindende  Eigenschaften  zu¬ 
kommen.  Während  aber  das  Tannin,  innerlich  ge¬ 
reicht,  nur  auf  die  Digestionsorgane  sich  wirksam  zeigt, 
im  Urin  dagegen  als  unwirksame  Gallussäure  erscheint, 
war  an  eine  parenterale  Zuführung  des  Tannins  wegen 
sofortiger  lokaler  Eiweißfällung  nicht  zu  denken.  Beim 
Natr.  tannic.  dagegen,  das  subkutan  wie  intravenös 
sehr  gut  vertragen  wurde,  durfte  man  nur  dann  auf 
Tanninwirkung  rechnen,  wenn  es  im  menschlichen  Körper 
dissoziiert  würde. 

Es  folgen  zwei  Versuche  an  Menschen,  deren  reich¬ 
licher  Nicotingenuß  einen  Zusammenhang  mit  der  Krebs¬ 
erkrankung  wahrscheinlich  machte. 

28.  Juni  bis  5.  August  1909,  Versuch  III. 

E.  Sch.  Zottenkrebs  der  Blase.  Patient  raucht  viel 
Pfeife  und  Zigarren.  Operation  vom  Chirurgen  abge¬ 
lehnt.  Täglich  glutäale  Einspritzungen  von  Natr.  Tan¬ 
nic.  2:20  1/a — 1  Spritze.  Am  5.  Juli  1  /3  Spritze  intra¬ 
venös,  dann  wieder  intramuskulär  jeden  3.  Tag  eine 
Spritze  bis  5.  August  1909.  Die  Einspritzungen  er¬ 
zeugten  leichte  Schmerzen,  kein  Fieber.  Tod  am  15. 
Sept.  an  Krebskachexie. 

23.  Sept.  1915,  Versuch  IV". 

J.  E.  M.,  61  Jahre.  1881  Schanker  und  Bubo,  keine 
Kur,  1884 — 98  Zigarrengeschäft,  das  starkes  Rauchen 
mit  sich  brachte.  Seit  ca.  1910  weiße  Stellen  im  Munde 
(Lenkokeratose)  und  seit  einem  Jahre  ein  exfoliatives 
Gummi  oder  Carcinom  der  linken  Zungenseite,  letzteres 
wahrscheinlich,  da  die  entblößte  Stelle,  2 1  /2 :  1 1  /2  cm,  von 
einem  2 — 3  mm  harten  Rand  und  starrem  Grund  um¬ 
geben  ist.  Operation,  auch  Probeexeision  vom  Pa¬ 
tienten  abgelehnt.  Sieben  Neosalvarsan-Injektionen  ä 
0,15  ohne  jede  Einwirkung.  Daher  vom  23.  September 
an  tägliche  intravenöse  Injektionen  von  0,1  Natr.  Tan- 
nicum,  vom  9.  Oktober  jeden  dritten  Tag  0,2  Natr. 
tannic.  intravenös,  im  ganzen  2,4  Natr.  tannic.  ohne 
jeden  Erfolg,  es  scheint  der  Krebs  noch  größer  zu 
werden.  Nur  wird  angegeben,  daß  während  der  Zeit 
der  Injektionen  die  Schmerzhaftigkeit  der  Zunge  etwas 
herabgesetzt  sei.  Da  neben  einer  linksseitigen  ver- 


9  Fortschritte  der  Medizin,  Nr.  10,  1914. 


290 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  20. 


größerten  Submaxillardrüse  eine  zweite  erscheint,  wird 
die  Behandlung  am  23.  Oktober  1915  abgebrochen. 
Am  23.  November  zeigte  sich  die  W  a  s  s  e.  r  m  a  n  n- 
sche  Blutprobe  gänzlich  negativ.  Nach  Probeexzision 
im  Krankenhaus  wird  daselbst  am  8.  Dezember  1915 
eine  Kur  mit  Antimeristem  begonnen.  Linksseitige 
Drüsen  werden  Apfelgroß,  Zungenkrebs  geht  weiter, 
zum  Teil  stoßen  sich  daselbst  Krebsmassen  ab.  Rönt¬ 
genbestrahlung  führt  zur  Abszedierung  der  Drüse.  Exitus 
15.  4.  1916. 

Beide  Versuche  mit  Natr.  tannicum  waren  berech¬ 
tigt,  da  im  ersten  Fall  der  Operateur  keine  Aussicht 
auf  Erfolg  sah,  im  zweiten  der  Patient  den  operativen 
Eingriff  und  zwar  in  diesem  Stadium  mit  Recht  ab- 
iehnte.  Die  Injektionen  von  Natr.  tannic.  2:20  intra¬ 
muskulär  und  intravenös,  sowie  2:10  intravenös,  je 
eine  Spritze,  zeigten  deren  vollständige  Unschädlichkeit, 
ja  im  zweiten  Fall  eine  Minderung  der  Schmerzhaftig¬ 
keit  des  Zungenkrebses  am  Tage  der  Einspritzung.  Da¬ 
gegen  war  kein  Rückgang  des  Krebses  bemerkbar. 
Man  kann  annehmen,  daß  kein  Nikotinalkaloid  in  den 
Krebszellen  verankert  ist  oder  daß  das  Natr.  tannic.  bei 
der  Zirkulation  nicht  seine  Tanninwirkung-  entfaltet  oder 

o 

beide  Möglichkeiten  zusammen.  Am  wahrscheinlichsten 
dürfte  die  Annahme  sein,  daß  das  Nikotin  w  eiter  abge¬ 
baut  ist  und  die  entstandene  organische  Base  (Pyridin) 
mit  der  Krebszelle  verbunden  vom  Tannin  nicht  beein¬ 
flußt  wird.  In  wie  weit  die  Natr.  tannic. -Infusionen  für 
andere  Erkrankungen,  z.  B.  Morbus  Brightii,  Cholera 
chronische  Urticaria,  Erythema  multiforem  usw.  geeignet 
sein  mögen,  muß  die  Zukunft  lehren 

Vor  der  Behandlung  des  zweiten  Kranken  (Zungen¬ 
krebs)  war  ich  schon  zur  Überzeugung  gekommen,  daß 
beim  Tabakkrebs  nicht  mehr  das  Nikotin  das  schädliche 
Prinzip  sei,  sondern  die  Zerfallsprodukte,  die  Pyridin¬ 
basen  ;  diese  Annahme  steht  in  Übereinstimmung  mit 
den  andern  Krebsursachen:  Ruß.  Anilin,  Paraffin.  Rönt¬ 
genstrahlen,  für  die  ich  organische  Basen  oder  basen¬ 
ähnliche  Körper  postuliert  habe.1)  Immerhin  sollte  bei 
einem  für  intravenöse  Infusion  geeigneten  Fall  die 
Tan  ninbehnndlung  entscheidend  versucht  werden. 

Da  die  Entscheidung  gegen  diese  Behandlung  aus¬ 
gefallen  war,  mußte  nunmehr  die  Frage  gestellt  werden, 
wie  sind  die  im  Krebs  vermuteten  Basen  aus  der  Ver¬ 
bindung  mit  den  Zellen  freizumachen  oder  zu  zerstören? 
Bei  dieser  Fragestellung  ist  nicht  übersehen  worden,  daß 
die  die  Krebsbildung  einleitende  Schädlichkeit  —  neh¬ 
men  wir  einmal  die  Röntgenstrahlen  — .  schon  längst 
nicht  mehr  zugeführt  werden  brauchen ,  dagegen  die 
einmal  krebsig  gewordenen  Zellen  ihre  auf  Vermehrung 
und  Zerstörung  gerichtete  Tätigkeit  durchaus  nicht  ein¬ 
gestellt  haben.  Sollten  da  wirklich  noch  Basen  in  den 
ersten  Krebszellen  vorhanden  sein  oder  gar  auf  die  neu 
gebildeten  Tochterzellen  übergetreten  sein  ?  Man  müßte 
zu  der  Annahme  gelangen,  daß  sich  der  Krebs  all¬ 
mählich  abschwächen,  erschöpfen  würde,  was  den  Tat¬ 
sachen  widerspräche.  Weit  eher  könnte  man  sich  vor¬ 
stellen,  daß  anfänglich  den  Zellen  fremdartige  Bestand¬ 
teile  zugeführt  würden,  die  eine  vollständige  Wesens¬ 
änderung  bewirkt  hätten  und  daß  später  die  auf  die 
fremdem  Stoffe  eingestellten  Zellen  die  angewöhnten 
und  unentbehrlichen  Bestandteile  ihrem  Wirtsindivi¬ 
duum  durch  Zersetzung  normalen  Gewebes  entzögen. 
Dadurch  würde  sich  auch  die  Krebskachexie  erklären. 

Hält  man  an  der  Basisbindung  der  Zellen  fest,  so  würde 
es  verschiedene  Mittel  geben,  die  Basen  unschädlich  zu 
machen.  Z.  B.  könnte  man  versuchen,  Doppelsalzver¬ 
bindungen  mit  Chloriden  der  Schwermetalle  herzustellen. 
Von  diesen  scheint  das  Platinchlorid  gute  Salze  zu  bil¬ 
den.  Nach  Kob  erts  Lehrbuch  ist  aber  Platin¬ 


chlorid  15—20  mal  giftiger  als  Goldchlorid,  demnach  für 
Versuchszwecke  nicht  geeignet. 

Ein  anderer  chemischer  Körper,  die  salpetrige 
Säure,  wirkt  auf  Amid-  und  Imidbasen  leicht  ein, 
erstere  werden  zerstört,  letztere  in  indifferente  Körper 
verwandelt.  Da  das  Natr.  nitrosum  innerlich  -  freilich 
mit  Vorsicht  —  in  Dosen  von  0,5  bis  2.0:150  dreimal 
täglich  ein  Eßlöffel  voll  und  subkutan  1  ccm  einer  1  —  6° ,  , 
Lösung  gegeben  worden  ist,  so  könnte  an  eine  solche 
Verwendung  gedacht  werden. 

In  den  chemischen  Handbüchern  trifft  man  ferner 
auf  Verbindungen  der  Basen,  sowohl  aus  der  Fettreihe 
wie  der  aromatischen  Reihe  mit  Pikrinsäure,  die  auf 
starke  Verwandschaft  schließen  lassen.  Ferner  soll  sich 
die  Pikrinsäure  im  menschlichen  Körper  in  Prikraminsäure 
verwandeln.  Mit  der  Aufnahme  des  Aminteils  der  feind¬ 
lichen  Base  in  den  Kern  der  Pikrinsäure,  wäie  demnach 
noch  ein  zweiter  Angriffspunkt  gegeben.  Relativ  hohe 
1  agesdosen  von  0,5  bis  0,9  g  Kal.  pikronitricum  sind 
mehrere  l  äge  hinter  einander  vertragen  worden,  ohne 
lebensgefährliche  Erscheinungen  zu  veranlassen. 

In  welcher  Weise  Versuche  mit  salpetriger  Säure 
und  Pikrinsäure  anzustellen  sind,  kann  hier  nicht  er¬ 
örtert  werden,  da  jeder  Krankheitsfall  seine  bestimmten 
Forderungen  stellt.  Man  wird  jedenfalls  trachten,  die 
kaum  giftige  lokale  Einspritzung  zu  bevorzugen.  Bei 
einer  Allgemeinbehandlung  muß  auf  die  Gefahr  für  die 
roten  Blutkörperchen,  den  Magen  und  die  Nieren  ver¬ 
wiesen  werden.  Sollte  sich  aber  das  Prinzip  als  richtig 
erweisen,  so  wäre  ein  wenig  giftiger  Ersatz  für  die  ge¬ 
nannten  Säuren  nur  eine  Frage  der  Zeit  und  der 
chemischen  Kenntnis. 

N  achtrag: 

Fr  a  e  n  k  e  1  und  Fürer:  Chemotherapie  des 
Krebses,  W.  Kl.  Woch.  Nr.  7  1916,  stellten  die  Dosis 
letalis  von  pikrins.  Natrium  bei  ihren  Versuchen  an 
Mäusen  als  0,05  g  pro  Kilo  Maus  fest,  bei  intravenöser 
Verabreichung.  Ihr  Resultat  bei  zwei  mit  Karzinom 
Ehrlich  und  zwei  mit  Sarkom  Ehrlich  behan¬ 
delten  Mäusen,  je  14  Injektionen  zu  0,25  mg  pikrins. 
Natr.  war,  daß  drei  Tumoren  größer,  eines  kleiner  als 
beim  Kontrolltier  wurden,  wobei  der  Tumor  (Sarkom) 
eines  Kontrolltieres  spontan  heilte.  Genannte  Autoren 
weisen  auf  das  Resultat  von  Mora  u  ,  C.  r.  de 
l’acad.  des  sc.  1893,  hin,  der  Pikrinsäure  bei  Impftu¬ 
moren  wirksam  gefunden  habe.  Schlüsse  auf  den 
menschlichen  Krebs  sind  natürlich  aus  den  Experimenten 
mit  den  Mäusetumoren  nicht  zu  ziehen. 


Über  den  Kastrationskomplex. 

Von  Dr.  J.  Sadger,  Nervenarzt  in  Wien. 

Schon  vor  Jahren  wies  F  r  e  u  d  auf  die  ungeheure 
Bedeutung  hin,  die  der  Kastrationskomplex  für  jegliches 
Kind,  insonderheit  aber  für  das  später  neurotisch  wer¬ 
dende  besitzt.  Ich  will  zunächst  in  Kürze  berichten, 
was  Freud  uns  über  jenen  gelehrt. 

Die  Drohung,  dem  Knaben  das  kostbare  Glied  ab¬ 
zuschneiden  —  in  anderer  Form :  ihm  die  Finger  ab¬ 
zuschneiden,  Finger  oder  Hände  abzuhacken,  beim 
Mädchen  auch  die  Vulva  zuzunähen  —  wird  meist  als 
Strafe  ausgesprochen  für  die  Enuresis  des  Kindes,  dessen 
Masturbation,  oder,  wie  ich  nach  meinen  Erfahrungen 
noch  hinzufügen  möchte,  dessen  Exhibition.  Die  erste 
Bedingung  für  den  Entmannungskomplex  ist  also  vor¬ 
ausgegangene  Sexualbetätigung.  Eine  ganze  Weile 
pflegt  nun  der  Bub  an  jener  Drohung  vorbeizugehen, 
ohne  sich  mehr  um  sie  zu  bekümmern,  als  um  soviel 
andre,  von  welchen  reiche  Erfahrung  ihn  lehrte,  dass 
sie  doch  nie  zur  Ausführung  kommen,  wie  etwa:  man 


9  Vergl.  Fortschritte  der  Medizin,  Nr.  10,  1914. 


Nr.  30. 


FORTSC I  IKl TT E  I ) E R  MEDIZI X 


291 


werde  ihn  nicht  mehr  lieb  haben  etc.  etc.  Da  be¬ 
kommt  er  eines  schönen  Tages  ein  weibliches  Genitale 
zu  schauen,  sagen  wir  der  Schwester,  und  das  wirkt 
jetzt  wie  ein  grosses  Trauma.  Scheint  ihm  doch  nun¬ 
mehr  zum  Greifen  erwiesen,  man  könne  tatsächlich 
Menschen  kastrieren,  also  müsse  man  ernstlich  Angst 
um  sein  kostbares  Membrum  hegen.  Mit  dem  Anblick 
des  penislosen  Genitales  ist  nun  auch  die  zweite  Be¬ 
dingung  erfüllt  für  die  Entstehung  des  Kastrations¬ 
komplexes.  Zum  dritten  aber  und  pathogen  wird  dieser 
erst  dann,  wenn  er  in  den  Kern-  und  Ödypuskomplex 
der  Neurose  einmündet,  und  zwar  erst  nach  \  erdrän- 
gung  des  letzteren.  Bemerkenswert  ist:  sobald  ein 
Kind  die  Eltern  als  Hemmung  seiner  sexuellen  Wünsche 
empfindet,  kommt  es  von  selbst  auf  den  Kastrations¬ 
komplex,  auch  wenn  jene  die  Drohung  gar  nicht  aus¬ 
gesprochen  haben.  Es  handelt  sich  mehr  um  ererbte 
Momente,  die  immer  eintreten.  Das  Kind  wiederholt 
dann  ein  Stück  Entwicklungsgeschichte  der  Menschheit. 
Einmal  jedoch  auf  die  Entmannung  aufmerksam  werden, 
deutet  es  vieles  in  dieser  Richtung,  was  eigentlich  gar 
nicht  dazu  gehört.1) 

Es  lässt  sich  an  einem  Menschen  ohne  weiteres  er¬ 
kennen,  von  welcher  Seite  eine  mächtige  Einschüch¬ 
terung  ihm  widerfuhr.  War  es  ein  Mann,  so  hat  er 
fortab  ein  absolutes  Hindernis  gegen  den  Mann  und  ist 
für  immer  auf  das  Weib  angewiesen.  War  es  ein  Weib, 
so  ist  er  von  da  an  für  dieses  verloren  und  wendet  sich 
dauernd  dem  Manne  zu,  ein  wichtiger  Umstand  für  die 
Entstehung  der  Homosexualität.  Da  dem  Knaben  ge¬ 
wöhnlich  vom  Vater  gedroht  wird,  dem  Mädchen  von 
der  Mutter,  so  fördert  dieser  Umstand  die  normale 
Triebrichtung.  Stets  führt  jene  Einschüchterung  zu  ge¬ 
hässiger  Einstellung  wider  den  drohenden  Elternteil. 
Das  tritt  zumal  im  Verhältnis  des  jugendlichen  Neu¬ 
rotikers  zu  seinem  Vater  in  Erscheinung,  eventuell  in 
einer  späteren  Psychoanalyse  als  unliebsamer  Widerstand 
gegen  den  Arzt,  der  gewöhnlich  dessen  Vertreter  dar¬ 
stellt. 

Bei  einer  Gruppe  von  „Nervösen“,  die  so  grossen 
Wert  auf  ihr  Genitale  legen,  stösst  man  auf  den  kind¬ 
lichen  Entmannungskomplex.  Erst  mit  der  Penisangst 
legen  sie  soviel  Wert  darauf,  ein  Mann  zu  sein,  und 
werden  Weiberhasser.  Analog  ist  beim  Weibe  der 
Penisneid,  der  auch  durch  Kinderneid  vertreten  werden 
kann.  Die  Mädchen  bemerken  den  Unterschied  sofort 
und  sind  dann  neidisch.2)  Die  Buben  jedoch  gewahren 


i)  Einem  sehr  intelligenten  Kranken,  bei  dem  der  Kastrations¬ 
komplex  zwar  keine  überragende,  aber  doch  immerhin  bedeutsame 
Rolle  spielte,  danke  ich  folgende  Aufklärung  (in  seiner  Psychoanalyse) : 
„Eltern  haben  es  in  der  Gewohnheit,  Kindern  unbestimmt  zu  drohen. 
Das  war  auch  die  Gewohnheit  meines  Vaters  und  die  kann  ich  dann 
leicht  bezogen  haben  auch  auf  die  Kastrationsdrohung  Ich  glaube, 
das  ist  die  Wurzel.  Wie  etwas  unbestimmt  oder  zweideutig  ist,  nimmt 
man  doch  sofort  den  sexuellen  Sinn  heraus  oder  bezieht  es  auf  das 
Sexuelle.  Ein  sehr  bekannter  Witz  lautet  z  B. :  Was  hat  Adam  vorn 
und  die  Eva  hinten?  Da  werden  die  meisten  dann  sehr  verlegen, 
während  die  Antwort  lautet:  das  A.  Nur  weil  es  vorn  und  hinten 
ist  denkt  jeder  sofort  an  etwas  Sexuelles.  So  wirken  auch  unbestimmte 
Drohungen,  wie  etwa:  Das  Kind  wird  schon  sehen,  was  ihm  ge¬ 
schieht,  oder  es  wird  schrecklich  gestraft  werden.  Oder,  wenn  Eltern 
auch  nur  im  Scherze  sagen,  sie  hätten  etwas  beim  Kinde  entdeckt, 
etwa  mit  den  Worten  :  „Ich  weiss  schon  etwas  von  dir",  wenn  sie 
sich  auch  gar  nichts  dabei  denken,  so  ist  das  Kind  sofort  überzeugt,  sie 
wissen  tatsächlich  etwas  von  ihm,  ein  Geheimnis,  und  zwar  immer 
seine  sexuellen  Wünsche,  und  dann  lebt  es  natürlich  in  schrecklicher 
Angst,  dass  die  Eltern  wissen,  man  habe  solche  Wünsche.  Solche 
Drohungen  wirken  stets.  Ich  dachte  schon  nach,  warum  unbestimmte 
Drohungen  gegenüber  Kindern  so  wirken.  Ein  Erwachsener  trägt 
solche  viel  leichter,  während  sie  ein  Kind  sofort  deprimiert  machen. 
Dass  muss  einen  Grund  haben.  Jedes  Kind  wird  sofort  betroffen, 
wenn  man  sagt,  man  wisse  etwas  von  ihm,  weil  jedes  Kind  sexuelle 
Gedanken  zu  verbergen  hat.  Ich  glaube  nun,  in  meinem  Fall  habe 
ich  solche  unbestimmte  Drohungen,  insbesondere  von  Sehen  des 
Vaters,  auf  die  Kastration  bezogen,  obwohl  mein  Vater  viel  zu  prüde 
war,  um  über  dergleichen  Dinge  zu  reden.“ 

s)  Wenn  ein  Mädchen  durchaus  ein  Bub  sein  möchte,  so  ist 
das  Penisneid  und  gehört  zum  Kastrationskomplexe 


jenen  lange  Zeit  nicht,  sondern  haben  den  Brauch,  das 
weibliche  (zenitale  als  identisch  mit  dem  männlichen 
anzusehen,  was  erst  später  vom  Penisstolz  abgelöst 
wird.  Die  normale  Überhebung  des  Jungen  über  die 
Mädel,  weil  diesen  das  Allerwichtigste  fehle,  ist  etwas 
Sekundäres.  Denn  in  den  ersten  Knabenjahren  hebt  er 
das  Weib  durch  Gleichstellung  des  Genitales  zu  sich  em¬ 
por.  Ein  lehrreiches  Beispiel  danke  ich  einer  Kranken. 
Da  sie  6  Jähre  zählte,  vergnügten  sich  ihre  Brüder  da¬ 
mit,  „Luftschifferei“  zu  treiben.  Der  nächstjüngere,  da¬ 
mals  vierjährige  Bruder  verlangte  nun  von  ihr,  sie  solle 
auch  mit  in  die  Luft  urinieren.  Und  als  sie  entgegnete, 
das  könne  sie  nicht,  erwiderte  er  zornig:  „Das  ist  nicht 
wahr  !  Vor  einem  Jahr  hast  du  es  bestimmt  können, 
ich  habe  es  selbst  gesehen  !“ 

Eine  besondere  Wurzel  der  Kastrationsangst  oder, 
was  mit  dieser  gleichbedeutend,  des  Abscheus  vor  dem 
weilichen  Genitale,  hob  Freud  noch  hervor.  Wenn 
Buben  vor  2  Jahren  Gelegenheit  haben,  den  Coitus  der 
Eltern  zu  belauschen,  so  kriegen  sie  auf  folgendem  Wege 
Abscheu  vor  dem  weiblichen  Genitale.  Sie  sehen  den 
Phallus,  welchen  sie  nach  dem  eigenen  Körper  wenig¬ 
stens  später  erkennen  und  erinnern  sich  dann,  dass  nach 
dem  Geschlechtsakt  nichts  mehr  von  ihm  zu  sehen  war. 
Also  ging  er  zugrunde,  ist  vom  weiblichen  Genitale  ver¬ 
schlungen  worden,  was  gewissermassen  auch  Entmannung 
bedeutet.  Erfahrung  lehrt,  dass  die  Kastrationsangst, 
die  Furcht,  das  kostbare  Glied  zu  verlieren,  sich  ohne 
weiteres  an  Beobachtung  eines  Geschlechtsverkehres  in 
jener  allerfrühesten  Zeit  anschliessen  kann. 

Sehr  anziehend  ist,  was  die  Kinder  dann  aus  dem 
Kastrationskomplex  machen.  Der  von  seinem  Vater  in 
Wirklichkeit  oder  nur  in  der  Phantasie  eingeschüchterte 
Knabe  wird  einerseits  trotzig  und  lehnt  sich  gegen  den 
Erzeuger  auf.  Andrerseits  aber  —  und  das  fehlt  nie¬ 
mals  — ■  findet  er  sich  in  die  neue  Lage  und  sagt  sich 
etwa :  wenn  ich  keine  Aussicht  habe,  es  als  Mann  zu 
etwas  zu  bringen,  so  will  ich  ein  Mädchen  sein,  dann 
wird  mich  der  Vater  wieder  gern  haben,  oder  man  wird 
mich  überhaupt  gern  haben,  und  jetzt  kommt  die  femi¬ 
nine  Einstellung.')  Wird  der  zum  Mann  herangereifte 
Knabe  dann  „nervös“,  so  kann  sich  in  ihm  der  Wunsch 
entwickeln,  ein  Weib  zu  sein,  was  in  einer  Reihe  neu¬ 
rotischer  Symptome  zu  Tage  tritt. 

Nicht  minder  lehrreich  sind  die  Folgen  des  Penis¬ 
neides  bei  dem  Mädchen.  Sein  ,. männlicher  Protest“ 
besteht  in  folgendem  :  es  fühlt  sich,  ungerecht  behandelt, 
zurückgesetzt  und  gerät  in  Wut  speziell  gegen  die 
Mutter.  Denn  diese  sei  Schuld  daran,  dass  sie  ein 
Mädchen  wurde,  sie  habe  sie  vor  der  Geburt  kastriert. 
Der  Hauptvorwurf  gegen  die  Mutter  lautet;  diese  habe 
sie  als  Mädchen  zur  Welt  gebracht.  In  Wahrheit  stam¬ 
men  die  Vorwürfe  der  Kinder  wider  den  gleichge¬ 
schlechtlichen  Elternteil  aus  dem  Oedipuskomplexe.  Die 
erfolgte  oder  phantasierte  Kastrationsdrohung  wird  nur 
zum  Vorwand  der  Feindseligkeit  genommen,  um  Schein¬ 
gründe  für  die  uneingestandene  Eifersucht  zu  haben. 

Endlich  hat  Freud  kurz  auf  die  Kastrations¬ 
symbolik  verwiesen.  Die  Entmannung  kann  beispiels¬ 
weise  durch  Blendung  ersetzt  werden  wie  in  König 
Oedipus  Selbstbestrafung.  Die  Fussverkrüppelung  chine¬ 
sischer  Frauen  bedeutet  nichts  anderes  als  die  V  erwirk- 
lichung  der  Kastration  beim  Weibe.  Wissen  wir  doch 
aus  der  Psychoanalyse  des  Fussfetischismus,  dass  der 
weibliche  Fuss  ein  typischer  Ersatz  ist  für  den  von  dem 
Knaben  schmerzlich  vermissten  Penis  des  Weibes. 


i)  Um  keinen  Zweifel  aufkommen  zu  lassen,  will  ich  hier  ein¬ 
flechten,  dass  in  der  Seele  des  Kindes  erfahrungsgemäss  auch  ent¬ 
gegengesetzte  Empfindungen  ruhig  neben  einander  bestehen  können. 
Es  kann  sich  also  abkehren  von  dem  Elternteile,  der  jene  Drohung 
aussprach,  ja  seinem  ganzen  Geschlechte  und  dennoch  gleichzeitig 

dessen  Wunsch  akzeptieren. 


292 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  30 


Primitive  Völker  kombinieren  oder  ersetzen  Beschnei¬ 
dung  häufig  durch  Haarabschneiden  und  Zähneaus¬ 
schlagen.  Auch  unsere  Kinder,  die  von  diesem  Sach¬ 
verhalt  nichts  wissen  können,  behandeln  in  ihren  Angst¬ 
reaktionen  jene  beiden  Operationen  wie  Aecjuivalente 
der  Kastration. 

Soweit  Freud.  Nun  zu  meinen  eigenen  Erfah¬ 
rungen.  Schön  fand  ich  einmal  die  infantile  Ent¬ 
mannungsdrohung  in  einer  Konversionshysterie  ver¬ 
wirklicht,  Ein  Kranker  klagte  über  ,, Abgeschlagenheit 
der  Glieder  und  „Schneiden“  im  Bauch.  Als  Lösung 
ergab  sich  jene  kindliche  Sexual-Einschüchterung.  Ihn 
hatte  als  Knaben  der  Vater  beim  Masturbieren  erwischt 
und  damit  bedroht,  er  werde  ihm  „das  Glied  abschlagen“ 
oder  „abschneiden“.  Jahrzehnte  später  neurotisch  ge¬ 
worden,  erfüllte  der  Mann  in  nachträglichem  Gehorsam 
jenes  \  aterwort  buchstäblich  am  eigenen  Leibe.  Im 
jetzigen  Weltkrieg  fand  ich  als  häufigste  Form  der  Kas¬ 
trationsangst  die  Furcht,  an  die  Front  gehen  zu  müssen 
und  seine  geraden  Glieder  zu  verlieren.  Das  also  be¬ 
drohte  „gerade  Glied“  erwies  sich  regelmässig  als 
membrum  erectum.  Man  wird  ja  auch  im  Namen  des 
Herrschers,  also  des  \  aters,  einberufen.  Gern  wurde 
dann  hinterdrein  rationalisiert,  dass  bei  gewissen  Balkan¬ 
völkern  die  Kastrierung  der  Feinde  heute  noch  allge¬ 
mein  üblich  sei. 

V  iel  häufiger  als  die  Darstellung  geradezu  scheint 
der  symbolische  Ersatz  des  Phallus  etwa  durch  ent¬ 
sprechende  Körperteile  wie  Arm  oder  Bein,  Zahn  oder 
Zunge,  Haare  oder  Nase,  Brustwarze  oder  Auge.  Träume 
z,  B.  ein  Zahn  werde  einem  ausgerissen,  sind  längst  be¬ 
kannt  als  Iyastiationsträume.  Wenn  ein  IVIann  sich 
seiner  falschen  Zähne  besonders  schämte,  so  ergab  sich 
mir  wiederholt  die  Auflösung,  dass  er  sich  vorkommt, 
als  wäre  ein  falsches  Membrum  ihm  eigen.  Ein  Kind, 
welches  spielend  die  Zunge  heraussteckt,  muss  nicht 
selten  hören,  man  werde  sie  ihm  abschneiden,  was  ihm 
nachträglich  als  Entmannungsdrohung  erscheinen  kann. 
Die  Nase  endlich  eignet  sich  teils  ob  ihrer  Gestalt,  teils 
wegen  der  Schwellkörper  vortrefflich  zur  Symbolisie- 
rung  des  Penis.  Sehr  häufig  werden  bei  primitiven 
Völkern  dem  Feinde  statt  direkter  Kastration  nur  Nase 
und  Ohren  abgeschnitten. 

Besonderes  Augenmerk  verdient  das  Haar  als  Ent¬ 
mannungssymbol.  Wieso  es  zu  dieser  Vertretung 
kommt,  ist  leicht  zu  begreifen.  Kleine  Knaben  werden 
ja  häufig  von  Müttern,  lauten  oder  älteren  Schwestern 
ins  Familien-  oder  Damenbad  mitgenommen  oder  haben 
Gelegenheit,  mit  erwachsenen  Frauen  in  der  nämlichen 
Wanne  warm  zu  baden.  Der  Augenschein  überzeugt  sie 
dann,  dass  der  V ulva  zwar  das  Membrum  fehle,  sie  aber 
dafür  mit  einem  dichten  Haarkranz  geziert  sei.  „Alle 
Frauen  haben  das“,  erklärte  einmal  ein  intelligenter, 
vierjähriger  Junge,  „weil  sie  kein  Zipferl  haben.“1) 
Zieht  der  Kastrationskomplex  nun  in  das  Bewusstsein 
des  Knaben  ein,  dann  erscheint  ihm  das  Schamhaar 
leicht  als  Ersatz  für  das  abgeschnittene  Membrum  und 
empfängt  davon  besondere  Misswertung. 

Am  deutlichsten  erweist  sich  dies  an  dem  Ekel, 
den  viele  Knaben  und  erwachsene  Urninge  vor  den 
Scham-  und  Achselhaaren  des  Weibes,  Urninge  oft 
auch  vor  denen  des  Mannes  an  den  Tag  leeret.  So 
behandelte  ich  einen  homosexuellen  Jüngling""’ von  \J 
Jahren,  der  in  seinen  Phantasien  unablässig  von  erigierten 
Membris  verfolgt  ward.  Als  4jähriges  Büblein  hatte  er 

seinen  Onkel  einmal  nacl$t  im  Sitzbad  gesehen  und  _ 

ward  von  solchem  Ekel  geschüttelt,  dass  er  stracks 
hinauslief.  Einerseits  war  es  der  schlaff  herunterhän¬ 
gende  Penis  und  Hoden,  vor  allem  aber  die  vielen 
schwarzen  Haare,  vor  denen  ihm  graute.  Gemahnten 

9  Hug-Hellmuth:  „Aus  dem  Seelenleben  des  Kindes“. 


ihn  diese  doch  an  frühergeschaute  weibliche  Genitale 
von  Grossmutter  und  4  ante,  die  „noch  grauslicher“ 
waren.  In  extremen  Fällen  kann  sich  der  Ekel  vor  den 
Schamhaaren  fortsetzen  in  Widerwillen  gegen  die 
Körperbehaarung  überhaupt,  die  Kopfhaare  etwa  aus¬ 
genommen. 

Allein  die  Haare  erscheinen  auch  direkt  als  ein 
Ersatz  für  das  Membrum  virile  und  werden  in  einer 
Reihe  von  Handlungen  symbolisch  für  dieses  eingesetzt. 
Ist  doch  ein  Abschneiden  der  Haare  die  harmloseste  Form 
der  Kastration.  Drum  wird  es  einerseits  als  Strafe  ver¬ 
ordnet,  wie  z.  B.  das  Kahlscheren  der  Sträflinge,  an¬ 
drerseits  als  ein  Zeichen  der  Hörigkeit  und  absoluten 
Unterwerfung  verlangt.  Manche  Herrschaften  heischen 
von  ihrem  männlichen  Gesinde  Bartlosigkeit,  während 
dieses  dann  mit  aller  Macht  und  einer  weit  über  den 
Anlass  hinausgehenden  Heftigkeitum  Bartfreiheit  kämpft. 
Nicht  umsonst  trugen  1848  revolutionäre  Demokraten 
\  olibärte  und  Breithüte  (Hut  ein  bekanntes  Phallus¬ 
symbol)  als  Zeichen  ihrer  Unabhängigkeit  von  der  Re¬ 
gierung  und  des  Widerstandes  gegen  sie.  Und  im  Sim- 
son-Mythos  knüpft  sich  an  das  Abschneiden  der  Haare 
direkt  der  \  erlust  der  männlichen  Kraft, 

Wie  das  Haar  zur  Bedeutung  eines  Penis-Symbols 
kommt,  ist  leicht  einzusehen.  Man  erinnere  sich  nur, 
dass  die  Weiber  allezeit  ihre  reichen  Haare  in  Zöpfe 
flechten.  Bei  den  Chinesen  tragen  noch  heutigen  Tages 
die  Männer  noch  einen  Zopf,  was  in  früheren  Jahr¬ 
hunderten  auch  bei  Weissrassigen  vielfach  Übung  und 
Brauch  war.  Und  die  Zopfabschneider  üben  ihr  Tun 
nicht  bloss  als  Sadister,  sondern  auch  um  die  Weiber 
zu  kastrieren.  Endlich  gehört  noch  die  Sitte  der  ortho¬ 
doxen  Jüdinnen  hier  her,  die  nur  als  Mädchen  ihren 
natürlichen  Haarschmuck  tragen  dürfen.  Sobald  sie 
jedoch  heiraten,  und  damit  unter  die  Heirschaft  ihres 
Mannes  geraten,  müssen  sie  ihn  opfern. 

V  esentlich  von  der  Einstellung  zum  Kastrations¬ 
komplex  ist  das  \  erhalten  von  Kindern  und  Erwach¬ 
senen  zum  Abschneiden  ihrer  verschiedenen  Körper¬ 
haare  bedingt.  Wir  hörten  schon  oben:  einerseits  regt 
sich  in  dem  Knaben  Angst  und  Auflehnung,  andererseits 
aber  findet  er  sich  ganz  regelmässig  mit  der  Drohung 
ab  und  fügt  sich  nicht  ungern  in  die  weibliche  Rolle. 
Beide  Einstellungen  pflegen  zu  verschiedenen  Lebens¬ 
zeiten  bei  einem  und  demselben  Menschen  zu  wechseln. 
Ob  er  aber  jeweils  entgegenkommend  oder  mit  Angst 
auf  die  Entmannungsdrohung  reagierte,  erfährt  man  am 
besten  aus  der  Art,  wie  er  sich  zum  Abschneiden  seiner 
Haare  stellt.  Die  kleinen  Jungen  sträuben  sich  meist 
mit  aller  Macht  gegen  jedes  Haarschneiden.  Weit  selt¬ 
ner  hat  sich  ein  Knabe  bereits  mit  der  weiblichen  Rolle 
angefreundet  und  er  geht  nicht  bloss  willig,  sondern 
gern  zum  Friseur.  In  späteren  Jahren  wird  um  vieles 
häufiger  als  man  denkt,  Kastration  symbolisch  ausge¬ 
führt  von  Jünglingen  und  Männern  in  „nachträglichem 
Gehorsam“.  Da  kann  z.  B.  ein  halbwüchsiger  Bursche 
urplötzlich  auf  den  Einfall  kommen,  sich  die  Wimpern 
abzuschneiden'),  oder  auch  die  Schamhaare2),  ebenso 

9  Vergl.  hierzu  den  merkwürdigen  Traum  eines  Augenarztes 
(mi  geteilt  von  Dr.  Eder,  Internat.  Zeitschrift  f.  ärztliche  Psycho¬ 
analyse,  1.  Jahrg  ,  S.  157).  Ihm  träumt,  er  epilire  die  Augenwimpern 
eines  alten  Mannes,  eines  Juden.  Dieser  litt  an  Trachom,  weswegen 
die  Augenwimpern  epiliert  werden  mussten.  Hierzu  folgende  Ein¬ 
fälle  des  Träumers:  „Die  Augenwimpern  wie  die  Nägel 
sind  Entwicklungsprodukte  der  Haut;  auch  der 
1  ems  ist.  wie  die  Nase,  eine  Art  Fortsetzung 
eines  Hautteils."  Der  alte  Jude  endlich  Ist  der  Vater  des 
1  raumers  und,  die  Augenwimpern  epilieren  heisst  in  diesem  Zusammen¬ 
hänge  des  Traumes  soviel  wie  seinen  Vater  kastrieren.  Ein  anderer 
Sinn^des  Traumes  ist  auch  der,  dass  er  sich  selbst  kastriert. 

9  Sehr  durchsichtig  zeigte  diese  Beziehung  von  Haar  und  Phallus 
eirl  Hoinosexueller,  der  mir  in  seiner  Analyse  folgendes  berichtet. 
„Mit  14  Jahren  war  mein  Glied  nach  der  Onanie  immer  zu  gross: 

Ich  genierte  mich  quasi  mit  meinem  grossen  Penis.  Ebenso 


Nr.  30. 


FORTSCHRITTE  HER  MEDIZIN. 


2‘>3 


ein  Erwachsener,  sich  Schnur-  oder  Backenbart  rasieren 
zu  lassen'1).  Viele  Urninge  tragen  sich  allezeit  glatt 
rasiert  und  noch  vielmehr  würden  es  nach  M  a  g  n  u  s 
II  i  r  s  c  h  f  e  1  d  („Die  Homosexualität  des  Mannes  und 
des  Weibes“)  tun,  wenn  sie  nicht  oft  in  übertriebener 
Ängstlichkeit  fürchteten,  beargwöhnt  zu  werden  .... 
Es  gibt  Urninge,  die  soweit  gehen,  ihren  Bart  wie  an¬ 
dere  Geschlechtszeichen  zu  eliminieren.  Urninden  hin¬ 
wieder,  die  den  Mangel  des  Membrums  schwer  emp¬ 
finden,  „lieben,  sich  wenigstens  vor  dem  Spiegel  ge¬ 
legentlich  einen  Schnurrbart  anzumalen  oder  anzukleben“. 
„Ich  besitze“,  erzählt  Hirschfeld,  „eine  stattliche 
Anzahl  Photografien,  die  Frauen  mit  schneidigen  Schnurr¬ 
bart  darstellen,  den  sie  sich  sehr  naturgetreu  aufsetzten. 
Und  auch  hier  wieder  das  Seitenstück,  wobei  immer  zu 
beachten  ist  dass  der  extreme  Fall  nicht  so  sehr  wegen 
seiner  selbst  interessiert,  als  weil  der  Übertreibung  un¬ 
gleich  zahlreichere  Beispiele  entsprechen,  in  denen,  was 
dort  Handlung  wurde,  in  Neigungen  existiert“.  Endlich 
sei  noch  angeführt,  dass  von  jenen  Ländern,  die  am 
meisten  feminisiert  sind,  England  und  den  Vereinigten 
Staaten  von  Nordamerika  die  Sitte  des  starkgestutzten 
Schnurrbartes  und  des  glattrasierten  Vollbartes  kam.1) 

Weit  seltener  als  das  Haar  wird  im  Entmannungs¬ 
komplex  der  Arm  oder  das  Bein,  statt  deren  wohl  auch 
Hand,  Finger  oder  Fuss  symbolisch  gesetzt.  Ein 
Kranker,  welcher  just  diese  Art  von  Sinnbildlich¬ 
keit  bevorzugt,  wird  etwa  eine  wahnsinnige,  neu¬ 
rotische  Angst  vor  jedem  Arm-  oder  Beinbruch  empfinden 
und  schon  als  Bub  in  weitem  Bogen  jeder  Möglichkeit 
eines  Sturzes  ausweichen,  wie  beispielsweise  jener 
Kranke,  von  dem  ich  am  Schlüsse  sprechen  werde  Der 
nämliche  Kranke,  welcher  trotz  psychischer  Impotenz 
nach  seinen  eigenen  Worten  jedem  hübschen  Mädchen 
auf  der  Gasse  „unendliche  Liebe  entgegenbrachte“  und 
sexuelles  Verlangen,  fühlte  sich  infolgedessen  von  allen 
Leuten  beobachtet.  Er  war  beständig  aufgeregt  und 
spürte  stets  Zittern  und  Schwäche  in  den  Beinen.  Diese 
letztere  war,  wie  die  Psychoanalyse  mit  Sicherheit  fest¬ 
stellte,  symbolischer  Ersatz  für  die  Schwäche  seines 
Gliedes.  Ein  „steifer“  Arm,  ein  „steifes“  Bein,  ein 
„steifer“  Finger  sind  allgemein  bekannte,  von  Traum, 
Mythos,  Witz  und  Folklore  stets  wieder  gebrauchte 
Sinnbilder  für  den  steifen  Phallus.  Kein  Wunder  also, 
dass  die  Befürchtung  der  Kastration  da  gerne  einsetzt. 
Ich  erinnere  ferner,  dass  dem  neugeborenen  Sohn  des 
König  Caios  im  Aufträge  des  Vaters  die  Fussgelenke 

schnitt  ich  mir  damals  die  Schamhaare  ab,  ich 
weiss  nicht  recht  waru  m.“  Und  da  er  den  Ersatz  des 
Membrums  durch  die  Schamhaare  nicht  verstand,  rationalisierte  er 
weiter :  „Wahrscheinlich  wollte  ich  nicht  erwachsen  sein,  sondern 
lieber  Kind  bleiben,  wie  meine  Eltern  es  wünschten,  die  immer  be¬ 
dauerten,  dass  ich  älter  werde". 

3)  Der  Schnauz-  und  Spitzbart  ist  ein  durchsichtiges  Phallus- 
Symbol,  während  der  Vollbart  vielleicht  noch  an  die  weiblichen 
Pubes  erinnert.  Ich  möchte  hier  noch  eine  Stelle  aus  einem 
publizierten  Briefe  anführen,  den  der  Psychiater  Dr.  Zeller  am 
3.  April  1896  über  den  in  seiner  Behandlung  stehenden  Lenau 
an  Emilie  Reinbeck,  dessen  mütterliche  Freundin  richtete: 
„Vor  14  Tagen  fiel  es  ihm  (dem  Dichter)  auf  einmal  ein,  sich  den 
Bart  abnehmen  zu  lassen,  und  einige  Stunden  darauf  verfiel  er  in  die 
Angst  und  Beklommenheit,  die  er  in  niederem  Grade  schon  öfters 
gehabt.  Diese  wuchs  aber  diesmal  stärker  und  wurde  von  einem 
kleinen  Fieberfrost  begleitet.  Man  sah,  die  Abnahme  des  Bartes,  die 
er  in  aller  Eile  grösstenteils  selbst  mit  Hilfe  seines  Wärters  vorge¬ 
nommen  hatte,  musste  ihn  erkältet  haben  und  einen  ähnlichen  Zu¬ 
stand  von  Empfindung,  übrigens  ohne  ein  Zeichen  von  Lähmung 
eines  einzelnen  Muskels  oder  gar  einer  Partie  in  demselben  hervor¬ 
gebracht  haben,  wie  im  April  1894".  Hier  handelt  es  sich  durch¬ 
sichtig  um  eine  symbolische  Selbstentmannung,  die  in  aller  Eile  vor¬ 
genommen  ward.  Begreiflicherweise  folgt  bald  darauf  eine  schlimme 
Angst  und  Beklommenheit.  Übrigens  ist  es  bei  Irren  bekanntlicht 
nicht  selten,  dass  sie  sich  direkt  die  Genitalien  abschneiden. 

*)  Über  die  neurotische  Angst  vor  dem  Friseur,  der  die  infantile 
Kastrationsdrohung  symbolisiert,  und  das  Skalpier  als  Ersatz  der 
direkten  Kastration,  vergl  Otto  Rank,  „Das  Incestmotiv  in 
Dichtung  und  Sage",  S.  296,  Anm.  1. 


durchstochen  werden,  worauf  er  den  Namen  Oedipus- 
Schwellfuss  (soviel  als  membrum  erectum)  erhält.  Das 
Durchstechen  der  Füsse  als  Vorstrafe  für  seine  vom 
Orakel  prophezeite  Tötung  des  V  aters  und  später  auch 
für  das  Freien  der  Mutter  stellt  durchsichtig  eine  Ent¬ 
mannung  dar,  ganz  ähnlich  wie  die  analogen  Bestrafungen 
des  Hephaitos  und  Wieland  des  Schmiedes. 

Hier  sei  die  Erklärung  für  eine  Alltagsfurcht  ein¬ 
gefügt,  die  gleichfalls  zurückgeht  auf  die  Kastrations¬ 
angst.  Nicht  wenige  auch  hochgebildete  Menschen 
haben  eine  fast  unübei  windliche,  neurotische  Angst,  vor 
jeder  Operation,  oft  vor  dem  kleinsten  Schnitte,  etwa  bei 
der  Impfung  oder  eine  nicht  minder  übertriebene  Blut- 
scheu.  „Lieber  sterben  als  sich  operieren  lassen“,  muss 
man  häufig  von  solchen  Leuten  vernehmen.  Sie  zeigen 
auch  nicht  selten  die  gleiche  Angst  vor  Arzt  und  Spital, 
weil  sie  in  jenem  nur  den  Operateur,  in  diesem  aus¬ 
schliesslich  den  Ort  erblicken,  in  welchem  man  „ge¬ 
schnitten“  wird.  Hat  man  Gelegenheit  eine  solche  Pho¬ 
bie  zu  analysiren,  stösst  man  unweigerlich  in  jedem  Falle 
auf  einen  mächtigen  Kastrationskomplex.  „Schneiden“ 
erscheint  da  stets  gleichbedeutend  mit  Abschneiden  des 
Gliedes  oder  beim  Weibe  eines  analogen  Körperteiles. 
Auch  hier  weist  sich  übrigens  häufig  die  ambivaleste 
Einstellung  zum  Kastrationskomplexe,  indem  neben  der 
Scheu  vor  der  Operation  und  Blut  doch  auch  ein  ge¬ 
wisses  wollüstiges  Grausen,  ein  besonderes  Interesse, 
z.  B.  für  chirurgische  Instrumente,  ja  selbst  für  den 
Seziersaal  besteht. 

V  on  weiteren  typischen  Ersatzsymbolen  des  Mem¬ 
brums  virile  sind  noch  Brustwarze  und  Auge  zu  nennen. 
Das  Auge  ist  eigentlich  ein  bisexuelles  Symbol,  d.  h  es 
kann  für  das  weibliche  (wegen  der  Form)  als  das  männ¬ 
liche  Genitale  stehen,  wie  jeder  Psychoanalytiker  weiss. 
Für  das  letztere  ein  Beispiel  aus  meiner  Praxis.  Ich 
mache  gegenwärtig  Psychoanalyse  mit  einem  Kranken, 
dem  das  übliche  Taschentuch  zum  Bedecken  der  Augen 
nicht  genügt.  Er  muss  sich  obendrein  immer  noch  die 
Hand  Vorhalten.  Als  Lösung  ergab  sich:  so  habe  er  in 
der  Kindheit  sich  immer  die  Hand  vor  das  Glied  ge¬ 
halten,  wenn  einer  seiner  Angehörigen  in  der  Nähe  war. 
Das  Auge  erscheine  ihm  jetzt  als  Phallus,  den  er  vor 
mir  noch  ganz  besonders  schützen  müsse.  Dies  um  so 
mehr,  als  die  Angst,  vom  Vater  kastriit  zu  werden  die 
Hauptfurcht  seines  Lebens  war,  was  er  nun  jetzt  in 
voller  Stärke  auf  mich  übertrug.  Wenn  das  Auge  gleich¬ 
bedeutend  mit  dem  Penis  steht,  kann  angeborene  oder 
auch  früh  erworbene  Sehschwäche  oder  Kurzsichtigkeit 
als  Kastration  Auslegung  finden.  Das  Kind  oder  der 
Neurotiker  macht  dann  den  Elternteil,  der  ihm  jenen 
Augenfehler  vererbte,  darum  geradezu  Entmannung,  zum 
Vorwurf.  Verschärft  wird  seine  Missstimmung  noch 
häufig  durch  das  grausame  Verhalten  der  Altersge¬ 
nossen  und  Schulkameraden,  die  ein  solches  Gebrechen 
,  stets  reichlich  mit  Spott  und  Hohn  begiessen,  gleichsam 
als  sähen  auch  sie  darin  einen  fehlenden  Phallus.  Ein 
äusserst  klassisches  Beispiel  für  die  Verwertung  einer 
angeborenen  Kurzsichtigkeit  gibt  die  Krankengeschichte 
am  Schlüsse  dieses  Aufsatzes. 

Typischer  als  das  Auge  stellt  die  Brustwarze  ein 
kleines  Membrum  dar.  Wenn  ein  Kind  mit  von  Haus 
enorm  gesteigerter  Munderotik  an  Brustwarze  und 
Schnuller  nicht  bloss  saugt,  sondern  direkt  beisst,  erhält 
man  in  der  späteren  Psychoanalyse  vielleicht  die  Auf¬ 
klärung,  es  hätte  dies  Beissen  aus  aktiver  Kastrations¬ 
lust  getan,  was  freilich  bloss  nachträglich  hiueingelegte 
Deutung  ist.  Immerhin  möge  man  nicht  vergessen,  dass 
das  Beissen  des  Penis  und  ebenso  auch  sich  dort 
beissen  zu  lassen  —  vielleicht  herübergenommen  vom 
Beissen  an  der  Brustwarze  —  im  Kindesleben  oft  eine 
recht  bedeutsame  Rolle  spielt.  Es  ist  gar  nicht  so  selten, 
!  dass  ein  Büblein  die  Entmannung  direkt  provoziert  durch 


294 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Reizung  eines  bissigen  Tieres,  vornehmlich  des  Hundes. 
Er  hält  z.  ß.  dem  bissigen  Eiere  sein  Membrum  hin, 
ieizt  es  geradezu  damit,  worauf  jenes  natürlich  diesen 
Renis  schleckt  oder  spielerisch  zu  beissen  versucht.  Aus 
der  Analyse  von  Tierphobien  wissen  wir  jetzt,  dass 
ein  jedes  Tier,  das  man  neurotisch  übertrieben  fürchtet, 
den  Vater  vorstellt.  Hier  wird  nun  der  Hund  -  in 
seltenen  Fällen  ist  es  der  Hahn')  —  nicht  mehr  ge¬ 
fürchtet,  sondern  direkt  zur  gewünschten  Tat  gereizt, 
was  beweist,  dass  der  kleine  Junge  sich  meist  mit 
der  Entmannungsdrohung  des  Vaters  befreundet  hat  und 
von  diesem  gebissen,  d.  h.  kastriert  zu  werden  wünscht2). 
In  andern  ballen  kann  von  dieser  Form  des  Ent¬ 
mannungskomplexes  eine  schwere  Phobie,  die  Furcht, 
von  einem  tollen  Hund  gebissen  zu  werden,  ihren  Aus- 
gang  nehmen.  Eignet  sich  doch  der  tolle  oder  wütende 
Hund  ganz  besonders  zum  Vertreter  des  Vaters,  der 
ja  dem  Jungen  sehr  häufig  als  zorniger  Strafer  ent¬ 
gegentritt.  Nicht  selten  führt  die  Wut  dann  jenen  dazu, 
den  Vater  mindestens  insgeheim  als  Hund  zu  bezeichnen. 
Sehr  begreiflich,  dass  spater  die  hurcht  oder  richtiger 
der  Wunsch  sich  regt,  von  diesem  Hund- Vater  gebissen, 
d.  h.  kastriert  zu  werden.  Eine  solche  Neurose  hat 
das  Ende  b  e  r  d  i  n  a  n  d  Rai  m  u  n  d  s  verschuldet- 
Schon  im  Jahre  182b  quälte  diesen  eine  Hunde, 
Phobie.  Er  hatte  nämlich  ein  Stück  ßrot  gegessen, 
das  kurz  zuvor  ein  Hund  beschnuppert  hatte.  Doch 
liess  er  sich  damals  vom  Hausarzt  beruhigen.  Als 
Luise  Gleich  dem  Dichter  am  Hochzeitstage 
einen  ßiss  versetzte,  verschwand  jener  wortlos,  Braut 
und  Gäste  im  Stiche  lassend.  Im  fahre  1886  wurde  er 
endlich  von  einem  I lund  gebissen,  wenn  dieser  auch, 
wie  sich  später  herausstellte,  gar  nicht  wütend  gewesen. 
Unser  Dichter  aber  jagte  sich,  ohne  den  Arzt  über¬ 
haupt  noch  zu  befragen,  eine  Kugel  durch  den  Kopf. 

Auch  bei  aktiver  und  passiver  Fellatio  kommt  der 
Kastrationsvorstellung  eine  nicht  unwichtige  Rolle  zu. 
V  er  ein  Membrum  in  den  Mund  nimmt  oder  sein  eigenes 
anderen  Personen  in  den  Mund  steckt,  ahmt  da  zunächst 
eine  Lust  des  ersten  Lebensjahres  in  anderer  Form  nach: 
das  Saugen  an  der  hineingesteckten  Brustwarze  der 
Mutter  oder  am  Schnuller,  des  ferneren  aber  den  Coitus 
selbst  (Mund  Vagina),  den  er  gewöhnlich  schon  in  den 
ersten  zwei  Lebensjahren  bei  den  Eltern  erschaut.  In 
einem  wie  im  andern  balle  ist  der  Übergang  zur  Ka¬ 
stration  gegeben,  durch  Beißen  an  der  Mammilla  wie 
durch  das  Verschwinden  des  väterlichsn  Penis  in  der 
Scheide  der  Mutter.  Dazu  ein  Beispiel  aus  der  Psycho¬ 
analyse  eines  Strichjungen,  der  unter  sämtlichen  Homo¬ 
sexuellen,  die  ich  sah,  am  meisten  verfolgt  wurde  von 
Phantasien  auf  die  Membra  geliebter  Personen,  mit 
denen  er  am  liebsten  der  Fellatio  fröhnte.  „Als  ich  mit 
17  Jahren  zur  Handelsschule  ging“,  erzählte  er  mir, 
„kam  ich  mit  vielen  gleichaltrigen  Jungen  zusammen. 
Unter  diesen  war  ein  außerordentlich  schöner  Bursche 
und  ich  wußte  nicht :  wie  soll  ich  seine  ganze  Schönheit 
in  mich  aufnehmen?  Da  stieg  mir  von  selbst  der  Ge¬ 
danke  auf,  sein  Glied  in  den  Mund  zu  nehmen,  was  ich 
auch  ausführte.  Damals  war  ich  das  erste  Mal  in  meinem 
Leben  vollauf  befriedigt.  Später  stellte  sich  heraus,  er 
habe  bereits  mit  4,  5  Jahren  das  Membrum  eines  Alters¬ 
genossen  „zum  Kosten“  in  den  Mund  genommen  und 
regelmäßig  analoge  Phantasien  bei  seiner  solitären  Ma¬ 
sturbation  gehabt:  „Mir  war  dabei  immer,  als  bearbeite 
ich  das  Glied  des  Andern  in  meinem  Mund“.  Das  erste 
Kosten  und  die  erste  Bearbeitung  sind  natürlich  an  der 
Mutterbrust  erfolgt,  woraus  auch  zu  erklären,  daß  sich 

M .  Vergl.  Ferenczi  „Ein  kleiner  Hahnemann“,  Internat. 
Zeitschrift  für  ärztliche  Psychoanalyse,  1.  Jahrgang.  1913.  S.140ff. 

")  Paran  darf  einen  das  nachträgliche  Geschrei  eines  solchen 
Kindes  nicht  irre  machen  Einmal  gebissen,  sucht  es  von  seinen  An¬ 
gehörigen  dafür  noch  besondere  Liebe  zu  erpressen. 


Nr.  30. 


bei  ihm  als  Ilauptgenuß  der  Fellatio  entwickelte,  das 
Sperma  des  Geliebten  hinunterzuschlucken  Dieser  Ur¬ 
ning  stellte  sich  mir  bei  der  ersten  Konsultation  mit  der 
Klage  vor,  er  könne  nicht  schlafen  und  leide  an  ge¬ 
wissen  Paraesthesien  im  Kopfe,  die  er  auf  sein  starkes, 
doch  ungestilltes  homosexuelles  Verlangen  zurückführen 
müsse.  Bis  vor  14  Tagen  habe  er  einen  Geliebten  ge¬ 
habt,  mit  dem  er  täglich  mehrmals  wechselseitige  Fellatio 
geübt  Seit  dieser  aber  fortgezogen,  quäle  ihn  jenes 
Symptom  ganz  fürchterlich.  Er  schlafe  nu  r  bis  11  Uhr 
nachts,  dann  schrecke  er  auf  m  i  t  dem  Gefühl, 
aisgeschehe  ihm  etwas,  nur  wisse  er 
nicht  w  a  s.1)  Darnach  wälze  er  sich  schlaflos  und  es 
stelle  sich  die  Empfindung  ein,  als  würde  ein  scharf¬ 
kantiger  Eisenreif  um  den  Kopf  gezogen  und  die  obere 
Schädeldecke  abgehoben.  Das  sei  zum  Wahnsinnig¬ 
werden.  In  der  Psychoanalyse  fand  er  bald  selbst,  daß 
er  mit  einer  kleinen  Verschiebung  nach  oben  einfach 
am  eigenen  Körper  darstelle,  was  er  mit  dem  Geliebten 
ausführen  möchte.  ,,Der  Reif  um  den  Kopf  entspricht 
dem  Einschneiden  der  Zähne,  wenn  ich  das  Glied  des 
Jungen  im  Munde  habe.  Auch  das  ist  merkwürdig, 
wenn  der  Kopfschmerz  nachlässt,  überfällt  mich  die 
gleiche  Erschöpfung,  wie  wenn  ich  verkehrt  habe“. 

I-s  gibt  noch  einige  entferntere  Kastrationssymboliken 
die  zu  kennen  nicht  ohne  Nutzen  ist  Eine  solche,  natür¬ 
lich  unverstandene  Entmannung  ist  z.  B.  die  Leiden¬ 
schaft  mancher  brauen  Würschtel  zu  essen,  oder  älterer 
Schwestern,  ihren  jüngeren  Brüdern  alles  wegzunehmen, 
Spielzeug,  Bücher,  usw.,  da  sie  ihnen  doch  das  wich¬ 
tigste  Spielzeug,  den  Phallus  nämlich,  nicht  entreissen 
können.  Einem  Kranken  danke  ich  folgende  Mitteilung: 
wenn  man  Blumen  z.  B.  mit  dem  Stocke  köpfe,  so  ge¬ 
rieten  die  Frauenzimmer  alle  in  kolossale  Aufregung 
und  würden  furchtbar  nervös,  weil  sie  darin  offenbar, 
mindestens  unbewusst,  eine  Entmannung  erblickten.  Auch 
dem  andern  Geschlecht  ist  dieser  Zusammenhang  nicht 
fremd  und  bleibt  ihm  meist  ebenso  unbewusst.  Das  ge¬ 
hobene  Kraftgefühl  des  Jünglings  wie  der  Zorn  des 
Mannes  äussern  sich  nicht  selten  in  jener  symbolischen 
Kastration,  die  vielleicht  ursprünglich  auf  das  Membrum 
des  Erzeugers  geht.  Sehr  bezeichnend  ist  auch  das 
Verhalten  Vieler,  namentlich  der  Frauen,  wenn  sie  im 
Walde  einen  Herrenpilz  finden,  den  sie  dann  abbrocken 
und  nach  Hause  tragen.  Sie  empfinden  darüber  so  helle 
breude  und  eine  derart  hohe  Genugtuung,  dass  beides 
durch  den  an  sich  nicht  allzukostbaren  Fund  kaum  zu 
erklären  ist.  Verständlich  wird  die  Sache  erst,  wenn  man 
sich  erinnert,  dass  ein  Herrenpilz  unverkennbar  dem 
Phallus  gleicht.  Das  Abbrocken  desselben  kommt  also 
einer  Kastration  gleich  und  es  erscheint  gewiss  nicht 
gleichgültig,  wenn  ein  Weib  einen  Phallus  sich  auf- 
heben  kann.  Endlich  bezeichnete  ein  anderer  meiner 
Kranken  als  symbolische  Kastration  das  Verbot  seiner 
Mutter,  über  sexuelle  Dinge  zu  reden,  auch  nur  die  Ge¬ 
nitalien  mit  dem  richtigen  Namen  zu  bezeichnen.  „Das 
Wort  ist  ja  das  Symbol  z.  B.  für  den  Penis,  so  dass  mit 
dem  \  erbot  des  Wortes  gleichsam  eine  Kastration  ge¬ 
übt  wird  “ 

Dieser  nämliche  Patient,  dessen  Entmannungskom¬ 
plex  der  stärkste  den  ich  jeantraf,  erklärte  mir  einmal : 
„Die  Juden  drücken  sich  alle  so  gewählt  aus.  U  m 
nun  nicht  als  Jude,  als  Kastrierter 
zu  erscheinen,  habe  ich  mich  absichtlich  recht 
ordinär  ausgedrückt.  Hier  deckt  ein  Christ  aus  eigenem 
Empfinden  jenen  innersten  Zusammenhang  auf,  den 
Freud  schon  vor  Jahren  also  erklärte:  „Der  Ka¬ 
strationskomplex  ist  die  tiefste  unbewusste  Wurzel  des 
Antisemitismus,  denn  schon  in  der  Kinderstube  hört  der 
Knabe,  dass  dem  Juden  etwas  am  Penis  —  er  meint 

9  Durchsichtig  die  Kastration. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  JO 


ein  Stück  des  Penis  —  abgeschnitten  werde,  und  dies  1 
gibt  ihm  das  Recht,  den  Juden  zu  verachten“.1)  Aus 
dem  nämlichen  Glauben  halten  die  Christen  die  Juden 
für  grausam,  da  sie  fähig  seien,  ihre  eigenen  kaum  ge¬ 
borenen  Knäblein  zu  entmannen.2)  Nur  aus  solcher 
Vorstellung  konnte  der  Mythos  vom  Juden  Shvlock  ge¬ 
schaffen  werden,  der  ein  Pfund  Fleisch  aus  dem  Leibe 
seines  Schuldners  schneiden  will,  nahe  dem  Herzen. 
Das  bedeutet  mit  einer  durchsichtigen  Verschiebung  das 
Abschneiden  des  Fleisches  an  einer  ganz  anderen  Stelle1) 
(Fleisch  =  Penis,  man  denke  an  Fleischeslust  und  Kar¬ 
neval).  Ebenso  geht  auch  das  Ritualmordmärchen  be¬ 
stimmt  auf  den  Entmannungskomplex  zurück,  wenn  da¬ 
neben  auch  verschiedene  masochistische  Motive  mit  im 
Spiele  sind,  wie  ich  von  einem  Patienten  weiss. 

In  der  Praxis  jüdischer  Psychoanalytiker  gewinnt 

1)  Eine  glänzende  Bestätigung  dieses  Satzes  gab  mir  ein  früher 
sehr  antisemitischer  Patient  in  seiner  Psychoanalyse:  „Die  Kinder 
haben  oft  ungeheuerliche  Vorstellungen  von  der  Beschneidung,  dass 
da  ganze  Stücke  vom  Penis  weggeschnitten  werden.  Deswegen  hält 
das  Kind  dann  den  Juden  für  minderwertig.  Es  fehlt 
diesem  etwas  und  das  erscheint  ihm  wie  ein  Makel.  Ich  war  als 
Kind  auch  sehr  neugierig,  wie  so  ein  beschnittener  Penis  aussieht,  ich 
hatte  ein  gruseliges  Interesse  dafür  und  auch  eine  Angst,  dass  mir 
auch  so  etwas  passiert. 

Ebenso  hörte  ich  von  einem  sonst  gar  nicht  prüden  Dienst¬ 
mädchen  folgenden  Ausspruch :  „Mit  einem  Juden  fange  ich  kein 
Verhältnis  an,  der  hat  unten  etwas  zu  wenig“. 

2)  Dr.  R  e  i  k  verdanke  ich  aus  dem  Buche  von  Dr.  Julius 
Moser  „Die  Lösung  der  Judenfrage",  Berlin  1917,  Eine  Rund¬ 
frage,  folgenden  Hinweis  (S.  262):  „Dazu  kommt  nun  noch,  dass  die 
Abscheidung  des  Personenkreises  durch  einen  Brauch  des  jüdischen 
Ritus  geradezu  auf  die  Spitze  getrieben  wird.  Die  Beschneidung  ist 
es,  die  allen  Juden  für  ihre  ganze  Lebensdauer  den  Stempel  des  Juden¬ 
tums  unauslöschbar  aufdrückt  und  dadurch  den  Kreis  der  Juden  auf 
das  schärfste  auch  durch  ein  äusserliches  Merkmal  gegen  alle  andern 
Volkskreise  abgrenzt.  Es  ist  nur  eine  äusserliche  Reaktion,  wenn  die 
Gefühle  des  Fremdseins  auf  der  andern  Seite  dadurch  noch  gesteigert 
werden".  (Aus  der  Antwort  des  Reichstagsabgeordneten  Dr.  Adolf 
Neumann-Hofer.) 

3)  Diese  Idee  ist  nicht  von  mir.  Ich  weiss,  dass  sie  zwei  Psycho¬ 
analytiker  unabhängig  von  einander  gefunden  haben  und  dass  sie 
einer  von  ihnen  zu  einer  grösseren  Arbeit  ausmünzen  will 


gleich  zu  Anfang  der  Behandlung  bei  der  unerlässlichen 
Übertragung  auf  den  Arzt  jener  nämliche  Komplex  ge¬ 
wisse  Bedeutung.  Wenn  sicli  der  Kranke  in  den  Medicus 
verliebt,  tritt  er  zu  ihm  ganz  ebenso  in  feminine  Ein¬ 
stellung,  wie  seinerzeit  zum  Vater.  Sucht  er  ja  im 
Psychoanalytiker  den  Mann,  den  höchstpotenten  Vater. 
Ist  jedoch  der  Arzt  nun  selber  ein  Jude,  d.  h.  kastriert, 
also  gar  kein  Mann,  dann  ergibt  sich  eine  Schwierig¬ 
keit  auf  ihn  zu  übertragen.  Ich  glaube,  dass  aus  dem 
nämlichen  Motiv  auch  die  Respektlosigkeit  der  Juden 
stammt  vor  ihren  eigenen  Glaubensgenossen. 

Sehr  bezeichnend  ist  endlich  das  Verhältnis  vieler 
jüdischer  Eltern  gegenüber  ihren  zu  beschneidenden 
Knaben.  Manche  Mütter  werden  da  von  einer  mass- 
losen,  geradezu  neurotischen  Angst  gepackt,  es  könne 
ihrem  Buben  etwas  geschehen  Sie  ruhen  auch  nicht 
eher,  als  bis  sie  den  tüchtigsten  und  erfahrensten  Be¬ 
schneidet*  p-edung-en  haben.  Noch  lehrreicher  ist  das 
Gehaben  vieler  jüdischer  Väter.  Vir  wissen  ja,  auch  in 
der  besten  Ehe  merkt  es  der  Mann,  welche  Konkurrenz 
in  der  Liebe  seines  Weibes  ihm  das  Neugeborene  macht, 
zumal  wenn  es  ein  Junge  ist.  Gar  manches  gehässige 
Verhalten  des  Vaters  gegen  seinen  Buben  entspringt  und 
erklärt  sich  aus  dieser  natürlichen  Eifersucht.  Speziell 
der  jüdische  Erzeuger  aber  nimmt  eine  Sonderstellung 
ein.  Denn  schon  wenige  Tage  nach  der  Geburt  seines 
Sohnes  ist  er  in  der  Lage,  fürchterliche  Rache  an  die¬ 
sem  zu  nehmen,  ihn  eines  Teils  seiner  Genitalien  zu 
berauben.  Drum  geht  dann  am  Beschneidungstage  so 
mancher  in  furchtbarer  Aufregung  herum  und  einer 
Angst,  hinter  der  durchsichtig  das  Verlangen  sich  birgt, 
den  Nebenbuhler  kastrieren  zu  lassen.  Ist  jener  Akt 
aber  einmal  vorüber,  dann  kommt  es  nicht  selten  zu 
einer  gewaltigen  Reaktion,  d.  h.  es  flammt  im  Herzen 
des  Vaters  ausnehmend  heisse  Liebe  auf  zu  dem  also 
Geschädigten.  Drum  loht  zwischen  Vater  und  Sohn 
bei  den  Juden  oft  eine  um  vieles  heissere  Liebe  als  bei 
den  Christen.  (Schluß  folgt ) 


Referate  und  Besprechungen. 


Allgemeines. 

Professor  G.  Winter,  Unsere  Aufgaben  in  der 
Bevölkerungspolitik.  (Dir.  der  Königl.  Universitäts  Frauen¬ 
klinik  in  Königsberg  i.  Pr.  Cbl.  f.  Gyn.  1916.  Nr.  5. 

Im  Jahre  1860  wurden  37,9  Geburten  auf  1000  Einwohner, 
1913  wurden  28,1  Geburten  auf  1000  Einwohnerin  Deutschland 
gezählt,  200  000  Kinder  werden  jetzt  jährlich  weniger  geboren 
als  vor  50  Jahren.  Das  langsam  sich  entvölkernde  Frankreich 
und  das  immer  mehr  an  Bevölkerung  wachsende  Ruslaud 
geben  vom  militärischen  und  politischen  Standpunkt  in  dieser 
Beziehung  zur  Besorgnis  Anlass,  aus  welchem  Grunde  von 
der  Staatsregierung  durch  alle  massgebenden  F aktoren  eine 
Denkschrift  ausgearbeitet  wurde,  welche  als  Grundlage  einer 
Beratung  dienen  soll.  Zu  dem  entvölkernden  Geburtenrückgang 
tritt  noch  die  grosse  Säuglingssterblichkeit,  welche  heute  noch 
ca.  200000  Säuglinge  jährlich  dahinrafft.  Welche  Verluste 
der  Krieg  in  dieser  Beziehung  noch  schaffen  wird  kann  heute 
noch  nicht  beurteilt  werden. 

Den  Geburtshelfern  obliegt  es  in  erster  Reihe,  für  die 
Erhaltung  des  Nachwuchses  zu  sorgen  und  hat  dies  von 
folgenden  Standpunkten  aus  zu  geschehen:  1.  Beförderung  der 
Konzeption,  2.  Erhaltung  der  Leibesfrucht  während  der 
Schwangerschaft,  3.  Schutz  des  kindlichen  Lebens  während 
der  Geburt,  4.  Einleitung  zweckmässiger  Ernährung  im  Wochen¬ 
bett. 


Verf.  ergeht  sich  in  eingehender  Weise  in  der  Begründung 
dieser  Forderungen,  welche  ihrer  hohen  Wichtigkeit  wegen  im 
Original  von  jedem  Arzte  gelesen  werden  sollen. 

Die  Richtlinien  für  die  Erreichung  dieses  Zieles  fest¬ 
zustellen  will  Verf.  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Gynaekologie 
übertragen  wissen,  welche  im  ersten  Friedensjahre  1917 
hoffentlich  ihre  Tagungen  wieder  aufnehmen  kann. 

E  c  k  s  t  e  i  n-Teplitz  Schönau. 


Allgemeine  Pathologie  und  pathol.  Anatomie. 

M  e  r  i  a  n.  Ein  Fall  von  Konditorerkrankung.  (Mal  des 
Confiseurs.)  (Correspondenz-Blatt  für  Schweizer  Aerzte 
1916,  10.) 

Diese  seltene  Erkrankung  entsteht  bei  Konditoren,  die 
ihre  Hände,  besonders  ihre  Endphalangen,  in  warme  Zucker¬ 
lösungen  tauchen  Hier  ist  bei  jeder  kleinen  Verletzung  dann 
ein  ausgezeichneter  Boden  für  Gärungsprozesse.  Es  kommt 
zur  Schwellung  und  Rötung  am  Nagelwall,  verbunden  mit 
grossen  Schmerzen.  Differential-diagnostisch  kommt  Panaritium 
in  Betracht.  Therapie:  kühlende  Salbe,  innerlich  Arsen. 

Oswald.  Ueber  die  Beziehungen  der  endokrinen 
Drüsen  zum  Blutkreislauf.  (Correspondenz-Blatt  für  Schweizer 
Aerzte  1916,  9.) 

Verfasser  bespricht  die  Beeinflussung  des  Blutkreislaufes 


296 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  30. 


durch  die  Nebenniere,  die  Hypophyse,  den  Thymus  und  die 
Schilddrüse.  Während  die  beiden  ersteren  den  Blutdruck  er¬ 
höben,  hat  das  Thymusgewebe  ein  Sinken  desselben  zur  Folge; 
diese  Eigenschaft  ist  allerdings  nicht  charakteristisch.  Der 
aktive  Bestandteil  der  Schilddrüse,  das  Jod thyreogl obin,  be- 
vii  kl  eine  Sensibilisierung,  so  dass  nach  Nebennieren-  und 
nach  Hypophysenextrakt  die  Erhöhung  des  Blutdruckes,  nach 
Thymusgewebs  -  Injektion  die  Depression  eine  länger 
dauernde  ist. 


Innere  Medizin. 


C.  S.  E  n  ge  1-Berlin.  Das  Blutbild  im  Allgemeinen  und 
speziell  bei  Infektionskrankheiten.  (Ztschr  f.  ärztl  Ftbldg  1916 
Nr.  5.  S.  1410 


Aus  der  grossen  Manigfaltigkeit  der  einzelnen  Blutbilder 
bei  den  vorhandenen  Infektionskrankheiten  heben  sich  einige 
Erfahrungssätze  heraus,  die  fast  bei  allen  diesen  Krankheiten 
Geltung  haben  und  die  als  Richtlinien  für  die  Stellung  der 
Diagnose,  für  Erkennung  von  Komplikationen  und  Rezidiven 
sowie  prognostisch  Bedeutung  haben. 

1.  Mit  Ausnahme  von  Typhus,  Masern,  Tbc  und  wenigen 
anderen  selteneren  Krankheiten  ,Gelb-  und  Maltafieber)  rufen 
die  Infektionskrankheiten  eine  mehr  oder  wenigerstarke  Leukozy¬ 
tose  der  polynukleären  Neutrophilen  hervor.  Sind  unter  diesen 
die  jugendlichen  Formen  mit  Stärkeren  vermischt,  dann  spricht 
dies  für  eine  lebhafte  Blutbildungstätigkeit  des  Knochenmarks 
infolge  eines  stärkeren  Reizes  und  für  einen  schwereren  Krank¬ 
heitsverlauf. 

“•  ^,et®n  'ln  Verlaufe  einer  akuten  Infektions-Krankheit 
Myelozyten  in  grösserer  Menge  auf,  dann  ist  dies  ein  Zeichen 
einer  schweren  Schädigung  der  Knochenmarksfunktion  und 
zwingt  zu  einer  ungünstigen  Prognose.  Diphtheriekranke  z  B. 
mit  mehr  als  3°/0  Myelozyten  gehen  trotz  Anwendung  starker 
Dosen  Antitoxin  regelmässig  zugrunde. 

3.  Bei  ausserordentlich  schweren  infektiösen,  besonders 
septischen  Prozessen  üben  die  Blutgifte  keinen  positiven,  sondern 
einen  negativen  abstossenden  chemotropischen  Reiz  auf  die 
Leukozyten,  insbesondere  auf  die  neutrophilen  Zellen  aus. 
Derartige  Fälle  septischer  Leukopenie  geben  eine  ungünstige 
I  rognose  besonders  dann,  wenn  Myelozyten  im  Blute  angetroffen 
werden. 

4.  Auf  der  Höhe  des  Fiebers  nehmen  die  eosinophilen 
Zellen  mehr  oder  weniger  ab.  Ihr  Wiederauftreten  spricht  für 
einen  günstigen  Verlauf  der  Krankheit,  namentlich  wenn  die 
Zahl  der  mehrkernigen  Neutrophilen  abnimmt  und  die  der 
Lymphocyten  eine  Vermehrung  zeigt. 

_  5.  Eine  Komplikation  oder  ein  Recidiv  zeigt  sich  besonders 
bei  Krankheiten  die  (wie  Ty.,  Masern,  Tbc)  durch  Verminderung 
der  neutrophilen  Leukozytenzahl  und  Vermehrung  der 
Lymphocyten  charakterisiert  sind  —  Masern  haben  auch 
Lymphopenie  durch  Auftreten  einer  neutrophilen  Leukozytose 
int)  Verlaufe  derselben  an. 

Endlich  gibt  die  Verschiedenheit  der  Blutbilder  einiger 
klinisch  ähnlich  verlaufender  Krankheiten  in  Zweifelsfällen 
die  richtige  Diagnose.  So  z.  B.  unterscheidet  sich  die  durch 
neutrophile  Leukozytose  charakterisierte  Pneumonie  vom  Typhus 
Paratyphus  durch  deren  charakteristische  Neutropenie  bei 
klinisch  ähnlichem  Verlaufe.  Ebenso  Masern  und  Scharlach, 
welch  letzteres  meist  neutrophile  Leukozytose  und  im  Verlauf 
starke  Eosinophilie  zeigt. 

Solche  charakteristische  Unterscheidungsmerkmale  gibt  es 
noch  viele-  v.Schni  z  e  r. 


erprobten  chirurgischen  Versorgung  des  Nabelschnurrestes  nach 
B.  II  Jaegerroos  das  Wort.  Bei  der  Geburt  wird  die  Nabel¬ 
schnur  mit  Arterienpiuzetten  einfach  oder  doppelt  abgeklemmt 
durchtrennt.  Hierauf  wird  das  Kind  gewaschen  und  an¬ 
gekleidet.  Nun  wird  in  die  Nabelschnur  hart  über  dem  mit 
Haut  bekleideten  Teil  des  Nabelschnurrestes  mit  einer  eigenen 
Quetst liklemme  (Abbildung)  eine  Quetschrinne  gedrückt.  In 
diese  Kinne  wird  nach  Abnehmeu  der  Klemme  eine  Lio-atur 
gelegt  und  der  Rest  Nabelschnur  über  dieser  Ligatur  ab¬ 
getrennt.  Der  restliche  kleine  Stummel  wird  mit  einer  in 
Alkohol  gedränkter  Gaze  bedeckt.  Die  Kinder  können  gebadet 
werden  und  trotzdem  ist  nach  Verf.  die  Heilungsdauer  nach 
dieser  Methode  kürzer,  als  bei  allen  anderen  Methoden.  Verf 
empfiehlt  dieses  Verfahren  auch  für  die  Praxis  und  hat  ein 
eigenes  Besteck  zu  diesem  Zwecke  zusammengesetzt,  welches 
alles  Notwendige  hierzu  enthält. 

Verf.  scheint  vergessen  zu  haben,  dass  doch  bei  95°/0  aller 
Geburten  Hebammen  intervenieren  und  quod  licet  Jovi  .  ,  .  ist 
dadurch  einer  Allgemeineinführung  dieses  für  Ärzte  ganz 
einwandfreien  Verfahrens  ein  gewaltiger  Riegel  vorgeschoben  (Ref). 

E  c  k  s  t  e  i  n-Teplitz. 

Dr.  Paul  H  ii  s  s  g-Basel.  Eine  neue  ungefährliche  Form 
des  Dämmerschlafes  unter  der  Geburt.  (Centralblatt  f.  Gynael- 
kologie  1916.  Nr:  21.)  J 

Veit,  erhofft  durch  Dämpfung  des  Geburtsschmerzes  und 
Erzeugung  von  Amnesie  nach  der  Geburt  den  internationalen 
Geburtsrückgang  zu  steuern.  Der  Dämmerschlaf  nach  der 
Fieiburgei  Methode  ist  nach  Verf.  für  die  allgemeine  Praxis 
nicht  ganz  ungefährlich,  sodass  Verf.  nach  einen  Ersatzmittel 
suchte,  welches  er  in  einer  Mischung  von  Dionin  und  Dial 
[and  das  den  Anforderungen  des  Verf.  in  einer  Reihe  von 
50  Geburten  entsprach.  Die  Dämmerschlaftabletteu  als  „Tachin“ 
von  der  Gesellschaft  für  ehern.  Industrie  in  Basel  in  den 
Handel  gebracht,  wirken  beruhigend,  schmerzstillend,  erzeugen 
Dämmerschlaf,  insbesonders  in  der  Wehenpause,  erhöhen  die 
Wehentätigkeit  und  nach  dem  Gebrauch  ist  in  einigen  Fällen 
Amnesie  eingetreten.  Unangenehme  Zwischenfälle  "ereigneten 
sich  nicht,  sodass  Verf.  die  Verwendung  dieses  Präparates  für 
die  allgemeine  Praxis  als  unbedenkliches  erklärt,  ln  Abständen 
von  1  2  Stunden  werden  4  Tabletten  pe  ros  verabreicht. 

L  k  s  te  i  n-Teplitz  Schönau. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

B.  Nierstras  s-Leiden.  Chirurgische  Versorgung 
des  Nabelschnurrestes.  (Monatschft  f.Geb.  u.Gyn.  April  1916) 
Nach  erschöpfender  Darstellung  aller  Methoden  der 
Nabel  Versorgung  des  Neugeborenen  in  Bezug  auf  ihre  Vor- 
und  Nachteile  die  Art  und  Zeitdauer  der  Heilung  betreffend 
spricht  Verf.  der  an  200  Fällen  an  der  Leidener  Klinik 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

J  o  1  1  y,  über  Kriegsneurosen,  (Archiv  für  Psychiatrie 
56.  Band,  2.  Heft,  1916. — ) 

Jolly  unterscheidet:  1.  Neurosen  nach  Erschöpfung,  teils 
ohne  teils  mit  hysterischen  Symptomen,  2.  Neurosen  nach 
körperlicher  Erkrankung,  3.  Schrekenrosen,  4.  Neurosen  nach 
lokalen  Träumen,  5.  Nervöse  Störungen  nach  Kopfverletzung, 
6.  Nerövse  Störungen  nach  Granatexplosion,  7.  Die  traumatische 
euioss,  8.  Neurose  der  Besatzungsarmee;  er  rubriciert  also 
nach  der  Antiologie,  was  ja  wohl  etwas  für  sich,  aber  auch 
etwas  gegen  sich  hat.  Indessen  scheint  es  dem  Verfasser  in 
eii-tei  Linie  daran  zu  liegen,  dass  seine  Krankengeschichten,  von 
denen  er  fast  zu  jeder  Rubrik  mit  mehreren  aufwarten  kann,  der 
Wissenschaft  nicht  verloren  gehen.  „Zu  abschliessenden  Urteilen 
wird  man  in  manchen  Punkten  erst  dann  gelangen  können, 
wenn  sich  einige  Zeit  nach  Beendigung  des  Krieges  die  Dauer¬ 
folgen  desselben  erkennen  lassen.  Immerhin  wird  eine  kritische 
Sichtung  des  eigenen  Materials  auch  jetzt  schon  zu  gewissen 
Ergebnissen  führen.  Für  Litteraturstudien  fehlen  jetzt  natürlich 
Müsse  und  Zeit  .  .  .“,  sagt  Jolly  in  der  Einleitung.  Was  die 
Therapie  betrifft,  so  tritt  Verfasser  mit  Nachdruck  dafür  ein 
dass  die  Kranken  möglichst  bald  in  spezialistische  Behandlung 
kommen,  wo  besonders  für  Beschäftigung  zu  sorgen  wäre.  Für 
die  aus  dem  Heer  zu  Entlassenden  empfiehlt  er  die  Invaliden- 
fürsorge  mit  Unterricht  und  Stellenvermittlung. 

W  e  r  n.  H.  Becke  r-Herborn. 

Pelz,  Über  hysterische  Aphasien,  (Archiv  für  Psychiatrie 
56.  Band,  2.  Heft,  1916.-  ) 

Der  Aufsatz  entstammt  der  Meyerschen  Klinik  in  Königs- 
berg  und  stützt  sich  auf  3  Krankengeschichten,  in  denen 


Nr.  30. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDZIIN. 


297 


eigentümliche  Sprachstörungen  das  Bild  beherrschten.  Diese 
Sprachstörungen  stimmten  anscheinend  durchaus  mit  gewissen 
aphasischen  Einzelsymptomen  überein,  stellten  sich  aber  schliesslich 
alle  3  als  psychogen  bedingt  heraus.  Pelz  führt  den  Nachweis, 
dass  seine  3  Fälle  nicht  organisch  erkrankte  waren,  sondern 
dass  sie  bei  genauer  Betrachtung  nicht  nur  in  ihrem  Allgemein- 
verhalten,  sondern  gerade  in  ihrem  sprachlichem  Verhalten 
(welches  das  Gansersche  war,  wie  Verfasser  in  längerer  Aus¬ 
einandersetzung  beweist)  deu'liche  Merkmale  zeigten,  die  die 
hysterische  Natur  der  Störungen  erweisen 

W  e  r  n.  H.  Becke  r-Herbom. 

W  i  1  d  e,  Zur  Kenntnis  des  Hornerschen  Symptomen- 
komplexes,  (Archiv  für  Psychiatrie,  5G  Band,  2.  Heft,  1 9 1 6.  — ) 

Hornerscher  Symptomenkomplex  (-Ptosis  des  Augenlides, 
Miosis  der  gleichzeitigen  Pupille  und  vasomotorische  Störungen) 
trat  in  G  Fällen  der  Me37erschen  Klinik  zu  Königsberg  auf  nach 
Sympathicusläsion,  4  mal  durch  Schuss.  2  mal  durch  Aneurysma 
Die  sechs  Fälle  waren  typisch  zusammengehörig,  doch  waren 
die  Sympatliicusfasern  verschiedenartig  oder  in  verschiedener 
Höhe  lädiert,  wodurch  sich  die  Krankheitsbilder  auch  wieder 
differenzierten.  W  e  r  n.  H.  Becke  r-Herborn. 

Hudovernig,  Über  den  Wert  der  neueren  Behandlung!-- 
arten  der  progressiven  Paralyse.  (Neurolog.  Zentralbl.  1916  H.  2.) 

In  der  Paralysebehandlung  stehen  zwei  Prinzipe  sich  gegen¬ 
über:  erstens  dasjenige,  das  in  einer  künstlich  hervorgerufenen 
Hyperpyrese,  in  der  dadurch  verursachten  Hyperleukozytose 
und  möglicherweise  Hyperphagozytose  die  Grundlage  der  Be¬ 
handlung  erblickt  (Tuberkulininjektionen  nach  v.  Wagner. 
Nukleir.injektionen  nach  Fischer  u.  Donath)  und  zweitens  das 
Prinzip  der  antiluetischen  Eingriffe  (Schmierkuren  mit  Jod- 
darreichuug,  Hginjektionen,  intravenöse  und  endolumbale  Injek¬ 
tionen  von  Salvarsan  und  Neosalvarsan)  v  Wagner  u.  Donath 
kombinierten  die  Hyperpyrese  mit  gleichzeitiger  antiluetischer 
Behandlung.  Zwecks  Wertbeurteilung  der  einzelnen  Methoden 
hat  H.  Versuchsreihen  mit  beiden  Hyperpyresemethoden,  mit 
und  ohne  gleichzeitige  antiluetische  Behandlung,  und 
ebenso  Versuchsreihen  mit  ausschliesslicher  antiluetischer 
Behandlung  angestellt  und  ihre  Resultate  mit  einander 
vergleichen.  Das  Werturteil  über  die  einzelnen  Methoden 
fällt  ganz  verschieden  aus,  je  nachdem,  was  man  für  dasselbe 
als  ausschlaggebendes  Moment  ansieht.  Zieht  man  als  Kriterium 
die  „effektiven  Heilerfolge“  in  Betracht,  so  ergab  sich  aus  Hs 
Versuchen,  dass  die  besten  Erfolge  die  ausschliesslich  antiluetische 
Behandlung  erzielte,  30  '%  günstige  Erfolge  (Arbeitsfähigkeit 
10%  -f-  bedeutende  Besserung  2O°/0).  Die  mit  Hg  kombinierte 
Tuberkulinkur  erzielte  in  15%  günstigen  Erfolg  (7,7  °/0  Ar¬ 
beitsfähigkeit  -j-  7,7  %  bedeutende  Besserung.)  Mit  Hg  kom¬ 
binierte  Nukleinkur  erzielte  in  40%  günstige  Erfolge,  aller* 
dings  Arbeitsfähigkeit  nur  in  4  °/ü,  hingegen  in  36u/0  bedeutende 
Besserung.  In  diesem  Gesamterfolg  übertrifft  diese  Behandlung 
noch  die  antiluetische  Behandlungsart.  Der  Heilwert  der  nicht 
kombinierten  Tuberkulin-  und  Nukleinkuren  war  ganz  minimal. 

Zieht  man  aber  als  Kriterium  in  Betracht  „was  am  wenigsten 
schadet“,  so  gestalten  sich  die  Verhältnisse  folgendermassen: 
Tuberkulinkur,  namentlich  mit  Hg  kombiniert,  Nukleinkur  in 
nicht  kombinierter  Form,  ebenso  ausschliesslich  antiluetische 
Behandlung  verlangten  Kurunterbrechuug  oder  führten  zum 
Tode  in  nahezu  40%;  bei  der  nicht  kombinierten  Tuberkulin¬ 
kur  und  bei  der  kombinierten  Nukleinkur  betrug  dieses  Ver¬ 
hältnis  24%  bezwc  20%,  also  wesentlich  günstigere  Zahlen. 

H.  stellt  nun  den  Satz  auf,  dass  bei  der  Wertbeurteilung 
der  Paralysebehandlung  der  tatsächliche  Heileffekt  und  nicht 
die  „eventuelle  Gefährlichkeit“  ausschlaggebend  sein  müsse. 
Nach  diesem  Grundsatz  steht  bei  der  Paralysebehandlung  a  n 
erster  Stelle  die  ausschliesslich  antilue¬ 
tische  Behandlung,  an  zweiter  Stelle  die  mit  Hg 
kombinierte  Nukleinkur. 

Aus  seinen  Versuchen  folgert  H.  schliesslich  noch,  dass 
bei  jeder  Hyperpyresebehandlung  das  wichtigste  die  gleichzeitige 
antiluetische  Behandlung  ist  und  dass  in  der  Ätiologie  der 
Paralyse  die  Lues  die  Hauptrolle  spielt. 

Enge-  Lübeck. 


Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten 
der  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

Generalarzt  Dr.  W.  Körte.  Kriegserfahrungen  über 
Verletzungen  der  Harnblase  und  Harnröhre.  (Ztschr.  fürärztl. 
Fortbildung  1916  Nr  5.  S.  133.) 

Hauptregeln  aus  der  Felderfahrung: 

Für  einfache  Blasen  Verletzung  ist  der  Verweilkatheter 
das  gegebene  Verfahren.  Während  der  Heilung  muss  auf 
Abszesse  in  der  Blasenumgegend  aufgepasst  werden.  Hoher 
Blasenschnitt:  Nur  bei  sonst  nicht  stillbarer  Blutung  oder  bei 
Nachweis  von  Fremdkörpern  in  der  Blase. 

Intraperitoneale  Blasen  Verletzung :  Bauchschnitt,  falls  die 
sattsam  bekannten  Vorbedingungen  zur  Operation  bei  Bauch¬ 
schüssen  erfüllt  sind.  Bei  Verletzungen  des  Sphinkterteils  der 
Blase  sowie  des  oberen  Teiles  der  Harnröhre:  Uretlnotomia 
perinealis  möglichst  bald,  ehe  Urinintiltration  eint, ritt,  falls 
diese  da:  breite  Spaltung  am  Damm  bis  zum  Gesunden.  Ist 
es  unmöglich  die  Blase  mit  Katheter  zu  entleren,  so  ist  ist  die 
Punktion  mit  der  Hohlnadel  als  temporäres  Aushilfsmittel 
dem  Harnblasenstich  mit  dem  Trokart  vorzuziehen.  Damm¬ 
wunden  der  Harnröhre  heilen  fast  stets  spontan,  Wunden  der 
pars  pendula  mit  Fisteln,  die  plastischen  Schluss  erfordern. 
Womöglich  nicht  zu  früher  Transport  bei  Blasen  und  Harn- 
röhrenverlet.zten.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 

Dr.  A.  Wolf- Berlin.  Elektrokollargolbehandlung.  (Ztschr. 
f.  lirztl.  Fortbildung  1916  No  4  S.  114.) 

An  der  Hand  von  5  Fällen  führt  Verfasser  aus,  dass 
bei  pyämischen  Nierenprozessen  mit  vermutlich  kleinen  Eiter¬ 
herden,  bei  denen  chirurgisch  nichts  zu  machen  ist  und 
Harnantiseptica  versagen,  Injektionen  mit  Hegau’s  Elektro- 
kollargol  prompt  wirken.  Sie  sind  deshalb  in  all  solchen 
Fällen,  bevor  man  zu  eingreifenden  Operationen  schreitet,  zu 
versuchen.  Die  auseinandergehenden  Resultate  der  Nach¬ 
prüfungen  haben  darin  ihren  Grund,  dass  der  nur  Erfolg  ver¬ 
sprechende  Grundsatz  nicht  immer  beachtet  ist,  sowohl  den 
lokalen  Infektionsherd  als  die  Allgemeininfektion  gleichzeitig 
in  Angriff  zu  nehmen.  So  angewandt  ist  das  Mittel  ein  starkes 
Blutdesinfizienz.  v.  Sch  n  i  z  e  r. 


Bücherschau. 

Hackenbruch-Berger,  Vademekum  und  die 
Verwendung  der  Röntgenstrahlen  und  des  Distraktionsklainmer- 
verlahrensim  Kriege.  (Verlag  von  Otto  Nenmich-Leipzig,  1915.) 

D  e  s  s  a  u  e  r-W  i  e  s  n  e  r,  Kompendium  der  Röntgen¬ 
aufnahme  und  Röntgendurchleuchtung.  (Band  1,  Verlag  von 
Otto  Nemnich-Leipzig,  1915.) 

Fassbender,  l>ic  technischen  Grundlagen  der  Elekro- 
medizin.  (Sammlung  Verlag  Viebig,  Friedrich  Viebig  &  Sohn- 
Braunschweig ) 

Bach,  Anleitung  und  Indikationen  für  Bestrahlung  mit 
der  Quarzlampe,  künstliche  Höhensonne.  Würzburger  Ab¬ 
handlungen  aus  dem  Gesamtgebiete  der  Medizin.  Verlag  von 
Kurt  Kabitzch-Würzburg,  1915. 

AUe  4  hier  angezeigten  Bücher  können  dem  Praktiker, 
der  sich  mit  der  physikalischen  Medizin  beschäftigt,  dringend 
zur  Anschaffung  empfohlen  weiden. 

In  der  Quarzlampe  haben  wir  tatsächlich,  wie  jeder  der 
sich  eingehend  mit  diesem  Instrument  beschäftigt,  bestätigen 
wird,  ein  sehr  vielseitiges  und  Erfolg  versprechende  Heilmittel. 
Vielleicht  zieht  der  Verfasser  in  seiner  Broschüre  den  Indi¬ 
kationsbereich  etwas  zu  weit,  denn  schliesslich  ist  auch  die 
Quarzlampe  kein  Universalmittel.  Sehr  bedenklich  scheint  es 
mir,  wenn  der  Verfasser  sagt,  „die  Bestrahlungen  sind  demnach 
in  jeder  Beziehung  gefahrlos  und  können  von  jedem  Laien 
ausgeübt  werden.“  Durch  derartige  Äusserungen  wird  jeder 
Kurpfuscher  angeregt,  sich  die  künstliche  Höhensonne  anzu- 
schaffen,  jedenfalls  sehr  wenig  zum  Nutzen  der  leidenden 
Menschheit  und  nur  zum  vorübergehenden  Nutzen  der  dar¬ 
stellenden  Fabrik.  Denn  ein  Mittel  oder  Apparat,  welches 
der  wissenschaftlichen  Forschung  entrückt  und  von  jedem 
Laien  ohne  Wahl  angewandt  wird,  pflegt  bald  in  Vergessenheit 


298 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  30. 


au  und  für 


zu  geraten,  mag  er  auch  bei  geeigneter  Auswahl 
sich  noch  so  wirksam  sein. 

Die  im  Verlag  von  Nemnich  erschienenen  Bücher,  die  sich 
übrigens  durch  eine  vorzügliche  Ausstattung  auszeichnen,  bringen 
zwar  nichts  wesentlich  Neues,  orientieren  aber  den  noch  weniger 
Erfahrenen  recht  gut  auf  dem  Gebiet  der  Röntgentechnik. 
Namentlich  gilt  dies  von  dem  Dessauer- Wiesner’schen  Buch, 


in  dessen  vorliegender  zweiter  Auflage  auch 


' —  o 

Forschungen  stets  gebührend  berücksichtigt  sind. 
Wer  sich  über  die  technischen  Grundlagen 


die  neueren 


der 


Elektro¬ 
medizin  unterrichten  will,  dem  kann  das  Buch  von  Fass- 
b  ende  r  zur  Lektüre  warm  empfohlen  werden.  Die  wichtigen 
physikalischen  iatsachen  über  elektrische  Temperaturmessung 
in  der  Medizin,  der  Röntgentechnik  und  dem  Elektrokardio- 
grapheu  werden  hier  dem  Leser  in  einer  Form  vorgetragen, 
dass  auch  der  sie  versteht,  bei  dem  die  physikalischen  Kennt¬ 


nisse  der  Studienzeit  bereits  eingerostet  sind. 


R. 


Bernhard  Schulz,  Dr.  med.,  Geheim.  Medizinal- 
Rat,  Kreisarzt  a  D.  Das  Bewusstseinsproblem.  Verlas  von 
J.  F.  Bergmann,  Wiesbaden  1915. 

In  vorligender  Schrift  versucht  Verfasser  das  Bewusstseins¬ 
problem  vom  psychologischen,  positivistischen,  erkenntnis¬ 
theoretisch-logischen,  metaphysischen  und  biologischen  Stand¬ 
punkt  zu  beleuchten  und  das  Verständnis  für  diese  dunkle 
Seite  unseres  Seelenlebens  anzubahnen.  —  Nach  dem  Verf. 
liegt  das  Geheimnis  des  Bewusstseins  im  hypothetischen 
Elementarvorgang,  den  die  biologische  Erkennt¬ 
nistheorie  in  einem  auf  äussere  und  innere  Erregungen 
reagierenden  belebten  und  zugleich  beseelten  Faktor  und  seineu 
Reaktionen  erkennt.  Die  biologisch-psychologische  Erkennt¬ 
nistheorie  geht  von  der  Tatsache  des  individuellen  „Bewusst¬ 
seins“  aus.  In  dem  reagierenden  Faktor  erkennt  sie  d  i  e 
G  r  u  n  (1  e  1  e  m  e  n  t  e  des  gesamten  seelischen  Geschehens 
—  Erfahrung  und  Denken.  Mit  der  Zunahme  an  Stärke  und 
Mannigfaltigkeit , der  Reaktionen  gewinnt  der  Vorgang  des 
Bewusstwendens  in  der  Reihe  der  Lebewesen  bis  hinauf  zum 
Menschen  und  in  diesem  von  seiner  Geburt  an  bis  zum  Selbst¬ 
bewusstsein  an  Intensität  und  Umfang. 

Anschliessend  an  diese  erkenntnistheoretischen  Denkgrund¬ 
sätze,  die  idealistisch  auf  ein  „Bewusstsein“  überhaupt,  ein 
allgemein  „unpersönliches  Bewusstsein“  bezogen  werden,  hat 
\  ei fasser  eine  gedrängte,  aber  alles  Wichtige  umfassende 
Uebersicht  überdas  „Bewusst-,  Belebt-,  Beseeltsein“  Herbert 
Spencers  gegeben  und  dadurch  einigermassen  zur  Klärung 
dieses  bedeutungsvollsten  Phänomens  unseres  psychischen 
Lebens  beigetragen. 

Die  ungemein  gedankenreiche  streng  philosophische 
Schrift  wird  jeden  Leser  durch  ihren  reichen  Ideengehalt 
fesseln  und  auch  dort,  wo  er  den  Theorien  des  Verfassers  nicht 
Folge  leistet,  durch  den  neuartigen  Gesichtswinkel,  unter 
denen  das  schwierige  und  in  Dunkel  gehüllte  Bewusstseius- 
pioblem  behandelt  wird  —  eine  Fülle  von  Anregungen 
bieten-  J.  Alle  r  t. 


die  uns  die  Gesundheit  verschafft  bedingt,  sind.  Der  Wert 
der  Gesundheit  ist  —  nach  dem  Verfasser  —  darin  gelegen 
dass  sie  uns  in  gleicher  Weise  frei  macht,  wie  die  Krankheit 
unfrei.  Die  in  dem  interessanten  Buche  entwickelten 
philosophischen  Betrachtungen  bilden  ein  geschlossenes  System, 
welche  jede  verständnisvolle  Lehre  für  seine  eigenen  Zwecke 
weiter  ausbauen  und  entwickeln  kann. 

Dem  Arzt,  der  seinen  Beruf  vom  idealen  Standpunkt  auf¬ 
fasst  und  in  seiner  praktischen  Betätigung  von  den  Idealeu 
alles  Wahren,  Guten  und  Schönen  sich  nicht  lossagen  will, 
sei  das  geistreiche  Buch  angelegentlich  empfohlen. 

Wilhelm  S  t  e  k  e  1  ,  Dr  Das  liebe  Ich.  Grundriss 
einer  neuen  Diätetik  der  Seele.  Verlag  von  Otto  Salle, 
Berlin. 

Im  vorliegenden  Buche  vertritt  der  Autor  die  Anschauung, 
dass  die  Behandlung  der  Nervenkranken  nur  mittelst  Psycho¬ 
therapie  möglich  ist,  weil  die  Aerzte  eingeseheu  haben,  dass 
die  sogenannten  Nervenkrankheiten  zum  überwiegenden  Teil 
Seelenkrankheiten  sind,  und  der  Arzt  den  Kranken  psychisch 
analysieren  muss,  wenn  er  ihm  helfen  will.  Es  muss  der 
Arzt  das  Milieu  des  Neurotikers  erforschen,  seine  krankhafte 
Einstellung  zur  engeren  Umgebung  und  zur  ganzen  Welt 
korrigieren,  er  muss  ihm  seine  unerfüllbaren  Phantasien  zum 
Bewusstsein  bringen  um  ihn  mit  der  Wirklichkeit  auszusöhnen 
und  ihn  nach  dem  Bekennen  zu  belehren,  zu  führen  und  zu 
weisen.  So  wird  die  Psychoanalyse  zur  Grundlage  der  Psycho¬ 
therapie  und  des  weiteren  Erfolges  bei  den  Nervösen;  der 
Nervenarzt  wird  zum  Seelenarzt. 

Aus  der  Schule  F  reud  ’s  hervorgegangen,  hat  Verfasser 
das  Beste  aus  der  Lehre  seines  Meisters  behalten  und  ist 
über  sie  zu  einer  neuen  hinausgewachsen.  In  gesonderten 
Kapiteln,  von  denen  ich  die  markantesten  :  der  Kampf  der  Ge¬ 
schlechter,  die  Angst  vor  der  Freude,  Wir  und  das  Geld,  über 
den  Neid,  Lebenskünstler,  Ungeduld,  entartete  Kinder,  Auf¬ 
regungen  usw.  nennen  will,  führt  Verfasser  in  anregendem 
fesselndem  Stil  zahlreiche  Probleme  aus  dem  Gebiete  der 
Psychoanalyse  vor  und  liefert  uns  aus  seiner  reichen  Er¬ 
fahrung  wertvolle  Beiträge  zu  einer  heuen  Diätetik  der  Seele. 
Stekel  ist  ein  Meister  des  Stils,  ein  Virtuose  der  Feder,  was  er 
auch  im  vorliegendem  Buche  reichlich  dokumentiert  Das  Buch 
liest  sich  wie  ein  interessanter  Roman,  dem  man  von 
Kapitel  zu  Kapitel  wachsendes  Interesse  entgegenbringt,  — 
ein  anregendes  und  belehrendes  Buch,  das  dem  Nervenarzt 
sowohl  wie  den  Nervösen  warm  zu  empfehlen  ist. 

pt. 


Notiz. 


Zum  Andenken  Elias  v.  Metchnikoffs. 


Paul  H  e  r  m  a  n  n  T  esdarpf,  Dr.  med. 
(München).  Zur  Philosophie  der  Gesundheit.  Zeito-emässe  Be¬ 
trachtungen  eines  Arztes.  Verlag  von  W.  Kohlhammer 
Berlin,  Stuttgart,  Leipzig  1915. 

In  vorliegender  Schrift,  die,  wie  Verfasser  im  Vorwort 
hervorhebt,  das  Ergebnis  jahrzehntelanger  Beobachtung  und 
Forschung  darstellt,  macht  er  sich  zur  Aufgabe  die  Mittel  und 
Wege  darzulegen,  wie  wir  durch  Gewinnung  und  Erhaltung 
der  Gesundheit  und  durch  Bekämpfung  und  Verhütung  von 
Krankheiten  unsere  irdische  Freiheit  vermehren  und 
sichern  können.  Wie  alle  grossen  Denker,  Philosophen,  Staats¬ 
männer,  Pädagogen  die  Freiheit  der  Menschheit  erstrebt  haben, 
so  sind  auch  die  Aerzte  berufen  die  individuelle  Freiheit  zu 
mehren,  indem  sie  ihre  Mitmenschen  auf  die  Bedeutung  der 
\  orstellung  und  der  Ideenwelt  für  die  Gesundheit  hinweisen. 
\  erfasser  ergeht  sich  in  weitgehenden  philosophischen  Be¬ 
trachtungen,  deren  Ergebnis  er  in  4  Gedanken  zusammen  fasst, 
nämlich,  dass  Gesundheit  und  Krankheit  bei  dem  einzelnen 
Menschen  grösstenteils  durch  seinen  Charakter,  durch  die  Vor¬ 
stellungen,  die  er  von  den  Dingen  hat,  durch  die  Ideen,  die 
hinter  der  Erscheinungs  weit  liegen  und  durch  die  Freiheit, 


Hatte  die  Medizin  im  vorigen  Jahre  ungefähr  um  diese 
Zeit  den  unersetzlichen  Verlust  eines  Geistesriesen  wie  Paul 
Ehrlich  zu  beklagen,  so  trauert  sie  jetzt  wieder  um  einen 
anderen  Großen,  ihm  Geistesverwandten  und  engeren 
Fachgenossen.  Elias  v.  Metchnikoff  ist  nicht  mehr,  so 
brachte  der  elektrische  Draht  die  Trauerkunde. 
Wer  kennt  den  Phagocyten- Metchnikoff  nicht?  Seine 
bahnbrechende  Entdeckung  der  wichtigen  Eigenschaft 
der  Leucocyten  als  Körperwächter-  Schaar,  welche  den 
lebenden  Organismus  gegen  Eindringlinge  zu  schützen 
die  eminente  Rolle  spielen,  ward  der  Ausgangspunkt 
der  modernen  Hämatoxologie  und  Serologie.  Ehrlich, 
Wright,  Wassermann  bauten  darauf  ihre  bahnbrechenden 
Entdeckungen  weiter  .Von  der  Zoologie  ging  er  aus,  ward 
zweiter  Direktor,  dann  Nachfolger  Pasteurs  an  seinem 
Institut,  wo  er  Unsterbliches  auf  dem  Gebiete  der  Im¬ 
munitätsforschung  schuf,  und  erhielt  den  Nobelpreis. 
Populär  sind  seine  Lactobacilline,  ebenso  sein  „Lebens¬ 
optimismus“!  So  sank  auch  dieser  Optimist  in  den 
Hades  .  .  .  .  ,  wie  viele  andere  Geistesheroen  .  .  .  ., 
aber  vergessen  wird  die  Wissenschaft,  die  Menschheit 
seine  großen  Verdienste  nicht  .  .  .  Sepelierunt  virum. 

Dr.  med.  Ratner,  Wiesbaden. 


DrucK  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


Fortschritte  der  Medizin. 

Unter  Iflitwirkung  hervorragender  Tatömänner 

herausgegeben  von 

L.  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  G.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt.  Leipzig. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  31 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


10.  August. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Die  rheumatischen  Erkrankungen  im  Kriege 
und  ihre  Behandlung  mit  Apyron. 

(Aus  dem  Vereinslazarett  Kaiser- Allee  30  zu  Berlin- 
Wilmersdorf.  Chefarzt  Dr.  H.  M  o  e  h  1  e.) 

Von  O.  L  u  b  o  w  s  k  i. 

Kalte  und  nasse  Witterungsverhältnisse,  unter  denen 
unsere  Truppen  besonders  im  Frühjahr  und  Herbst  zu 
leiden  haben,  machen  eine  große  Anzahl  sonst  kräftiger 
und  widerstandsfähiger  Soldaten  oft  für  längere  Zeit 
dienstunfähig.  Sie  werden  wegen  Rheumatismus  in  die 
Lazarette  überführt. 

Freund1)  hat  die  Beobachtung  gemacht,  die  wir 
auf  Grund  eingehender  Betrachtung  zahlreicher  an 
Rheumatismus  Erkrankter  bestätigen  können,  daß  bei 
einer  Analyse  dieser  Fälle  ein  weitgehender  Unterschied 
der  Friedenspraxis  gegenüber  besteht. 

Akuter  Gelenkrheumatismus,  akute  und  chronische 
Arthritiden  nach  infektiösen  Prozessen  sind  im  allge¬ 
meinen  selten.  Es  handelt  sich  hier  meist  um  Rezidive 
schon  früher  bestandener  Leiden,  ferner  Neuralgien 
und  Neuritiden,  leichtere  und  schwerere  Affektionen. 

Am  häufigsten  ist  der  „Muskelrheumatismus“,  den 
man  gut  „Kriegs-“  oder  „Feldrheumatismus“  nennen 
könnte,  hervorgerufen  durch  nasse  Unterstände,  längeres 
Liegen  auf  nasskalten  Boden;  typisch  durch  starke 
Druckempfindlichkeit  der  Muskulatur,  des  Periosts,  oft 
auch  der  Gelenke,  Behinderung  der  Beweglichkeit.  Dieser 
Muskelrheumatismus  ist  für  den  Patienten  oft  quälend 
wegen  seines  langsamen  Heilungsprozesses,  der  häufig 
durch  Rückfälle  und  Verschlimmerungen  unter  neuer 
Einwirkung  von  Nässe  und  Kälte  aufgehalten  wird. 

Die  Behandlung  besteht  hierbei  meist  in  Bädern, 
Heißluft  und  Massage.  Bei  einer  medikamentösen  Be¬ 
handlung  dieser  wie  anderer  rheumatischer  Erkrankungen 
sieht  man  sich  mehr  oder  weniger  auf  Salizyl-Präparate 
beschränkt  (Aspirin,  Salipyrin,  Salol,  Saht).  Die  Wirkung 
ist  liier  nicht  immer  wunschgemäß;  ferner  muß  man  der 
dabei  häufig  auftretenden  Folgezustände  wie  Kopf¬ 
kongestionen,  Schwindel,  Ohrensausen,  Magenbeschwerden 
und  anderem  Rechnung  tragen.  Oft  muß  auch  die  Ver¬ 
abreichung  derartiger  Präparate  wegen  der  bei  Gelenk¬ 
rheumatismus  häufig  sich  einstellenden  Herzaffektionen 
frühzeitig  unterbrochen  werden. 

In  der  Entwicklung  und  V  erbesserung  dieser  Sali¬ 
zyl-Präparate  folgte  dem  Aspirin,  dem  in  letzter  Zeit 
gebräuchlichsten,  das  Apyron,  das  von  der  Firma 
Johann  A.  Wülfing  in  Berlin  hergestellt  wird. 

Apyron  ist  ein  azetylsalizylsaures  Lithiumpräparat 


mit  96.3  %  Azetylsalizylsäure  und  3,7  %  Lithiumgehalt. 
Mit  diesem  Präparat  verfolgte  man  mit  Rücksicht  auf 
eine  gute  Bekömmlichkeit  das  Prinzip,  die  Azetylsalizyl¬ 
säure  (Aspirin)  in  neutrale,  wasserlösliche  Salze  überzu¬ 
führen.  Dieses  Prinzip  ist  im  Apyron  erfüllt.  Apyron 
verbindet  die  Eigenschaften  des  Aspirins  mit  den  Vor¬ 
zügen  der  Wasserlöslichkeit  und  neutralen  Reaktion. 
Nach  den  genauen  Prüfungen  von  W.  Jansen2)  und 
Bo  ehnh  ein3)  ergibt  sich  die  Tatsache,  daß  Apyron 
frei  von  Salizylsäure  bezw.  salizylsaurem  Salz  ist.  In¬ 
folge  seiner  Wasserlöslichkeit  bringt  die  Firma  zu  In¬ 
jektionszwecken  das  Präparat  auch  in  sterilen  Ampullen 
in  den  Handel. 

Wir  haben  in  obigen  V ereinslazarett  Apyron  bei 
rheumatischen  Erkrankungen  schwerster  und  leichterer 
Affektion  verabfolgt,  und  zwar  in  Dosen  von  3 — 8 
Tabletten  a  0,5  gr  täglich.  Die  Wirkung  war  die,  daß 
bei  fieberhaftem  Gelenkrheumatismus  bereits  nach  einigen 
Tagen  ein  Sinken  der  Temperatur,  ein  sichtliches  Ab¬ 
schwellen  geschwollener  Gelenke  und  ein  Nachlassen 
der  Schmerzen  zu  verzeichnen  war.  Bei  Affektionen 
leichterer  und  neuralgischer  Art  genügten  manchmal 
3 — 6  Tabletten,  um  eine  Besserung  der  Schmerzen  so¬ 
wie  des  ganzen  Krankheitsbildes  hervorzurufen.  Bei 
dem  sogen.  Muskelrheumatismus  hat  sich  das  Präparat 
ebenfalls  ausgezeichnet  bewährt.  Nach  einigen  Tagen 
hatten  sich  die  Grenzen  der  vorher  leicht  festzustellen¬ 
den  Druckempfindlichkeit  der  Muskulatur  erheblich 
verringert. 

Diese  Wirkung  des  Präparates  ist  umso  erfreulicher, 
als  dieselbe  nach  unseren  Beobachtungen  ohne  die  sonst 
häufig  sich  einstellenden  Nebenerscheinungen  auftrat. 
Niemals  haben  wir  eine  direkte  Unbekömmlichkeit  des 
Präparates,  selbst  bei  Verabfolgung  hoher  Dosen,  während 
längerer  Zeit  beobachtet.  Wo  schon  zu  Beginn  der 
Krankheit  eine  Herzaffektion  bestand,  wurde  diese  durch 
Apyron  nicht  nachteilig  beeinflusst.  V  on  den  Patienten 
wurde  das  Präparat  wegen  seiner  Wasserlöslichkeit  und 
Geschmacklosigkeit  stets  gern  genommen  und  anderen 
ähnlichen  Präparaten  vorgezogen.  Nur  in  ganz  ver¬ 
einzelten  Fällen  sahen  wir  eine  leichte  Unbekömmlich¬ 
keit  des  Präparates  von  seiten  des  Magens,  was  jedoch, 
wie  wir  durch  Verabfolgung  anderer  Salizylpräparate 
festgestellt  haben,  auf  einen  allgemeinen  Widerwillen  des 
Magens  gegen  Salizylpräparate  zurückzuführen  war. 
Durch  Verabreichung  häufiger  aber  kleinerer  Dosen 
wurde  erreicht,  daß  auch  in  diesen  Fällen  Apyron  mit 
der  Zeit  gut  vertragen  wurde. 

Die  Wirkung  war  natürlich  eine  typische  Salizyl- 
wirkung,  erfolgte  aber  schneller  und  prompter,  als  es 


.wo 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  31. 


bei  den  übrigen  Präparaten,  auch  bei  Aspirin  der  Fall 
ist.  Schweißausbruch  war  bei  Apyron  schon  ca.  15 
Minuten  nach  der  Verabreichung  zu  konstatieren,  während 
bekanntlich  nach  Aspirin  dieser  sich  erst  nach  ca.  30 
Minuten  einstellt. 

Zur  Illustration  des  im  \  orstehenden  Gesagten 
folgen  einige  Krankengeschichten: 

L  Leutnant  Sch.  M.,  28  Jahre  alt.  Mit  20  Jahren 
an  Gelenkrheumatismus  erkrankt.  Im  September  1915 
erkrankte  Patient  wiederum  an  Gelenkrheumatismus  und 
wurde  in  ein  Reservelazarett  in  Stettin  überführt.  Die 
Behandlung,  die  hauptsächlich  im  Verabfolgen  großer 
Dosen  Aspirin  bestand,  hatte  nicht  den  gewünschten 
Erfolg,  sondern  vielmehr  wirkte  sie  nachteilig  auf  Herz 
und  Magen.  Anfang  Oktober  wurde  Pat.  unserem 
Lazarett  zugeführt.  Bei  der  Aufnahme  waren  beide 
Knie-  und  Fußgelenke  noch  sichtlich  geschwollen  und 
gerötet.  Temperatur  37,8°.  Behandlung:  Apyron  drei¬ 
mal  täglich  2  1  abletten.  Nach  6  Tagen  sank  die 

1  emperatur  auf  normale  Höhe,  die  Rötung  und  Schwellung 
der  Gelenke  hatte  sichtlich  abgenommen,  Pat.  gibt  an, 
daß  er  fast  ganz  schmerzfrei  sei,  und  daß  ihm  Apyron 
entschieden  besser  bekomme  als  Aspirin.  Die  Beschwerden 
von  seiten  des  Magens  und  des  Herzens  hatten  sich 
nicht  verschlimmert  (es  hatte  zuvor  leichte  Hyperazidität 
und  eine  nervöse  Herztätigkeit  bestanden,  die  Pat.  erst 
nach  längerem  Aspiringebrauch  bemerkt  haben  will). 
Nach  weiteren  8  1  agen  sind  die  Rötung  und  Schwellung 
der  Gelenke  vollkommen  geschwunden;  die  Temperatur 
war  in  dieser  Zeit  stets  normal.  14  Tage  später  ist 
Pat.  bis  auf  eine  gewisse  Steifheit  und  Bewegungs¬ 
hemmung  in  den  Gelenken  wieder  hergestellt;  die  Magen¬ 
beschwerden  sind  gewichen,  es  besteht  nur  noch  eine 
leichte  Irregularität  des  Pulses.  Während  der  Nachbe¬ 
handlung  haben  sich  Rückfallserscheinungen  nicht  be¬ 
merkbar  gemacht,  und  konnte  Pat.  im  Dezember  das 
Lazarett  verlassen  und  zur  Nachbehandlung  einen  Bade¬ 
ort  aufsuchen. 

2.  Offiziersstellvertreter  Sp.  R.,  32  Jahre  alt,  erkrankte 
im  Oktober  1915  an  Gelenkrheumatismus  und  wurde 
nach  vierwöchentlichem  Aufenthalt  in  einem  Feldlazarett 
obigem  Vereinslazarett  überwiesen.  Bei  der  Aufnahme 
bestehen  noch  leichte  Schwellung  und  Schmerzhaftigkeit 
beider  Fußgelenke.  Behandlung:  Apyron  4  mal  täglich 
1  Tablette  a  0,5  gr.  Temperatur  leicht  über  37°.  Nach 
ca.  10  1  agen  fühlt  sich  Pat.  vollkommen  schmerzfrei, 
die  Gelenke  sind  abgeschwollen,  Temperatur  normal. 
Während  6  Wochen  der  Nachbehandlung  haben  sich 
auch  hier  keine  Rückfallserscheinungen  und  auch  keine 
nachteilige  Beeinflussung  von  Herz  und  Magen  gezeigt 

In  diesen  Fällen  ist  durch  Apyron  eine  schnellere 
Besserung  der  Krankheit  erzielt  worden  als  es  durch 
andere  Präparate  voraussichtlich  möglich  gewesen  wäre. 
Daß  natürlich  Rezidive  nicht  ausgeschlossen  sind,  zeigt 
folgender  Fall: 

3.  Wehrmann  M.,  36  Jahre  alt,  hatte  während  der 
letzten  10  Jahre  zweimal  Gelenkrheumatismus  durchge¬ 
macht,  ohne  daß  eine  Schädigung  des  Herzens  dadurch 
eingetreten  war.  Am  1.  Dezember  erkrankte  er  beim 
Regiment  wiederum  an  Gelenkrheumatismus  und  wurde 
am  6.  Dezember  in  obiges  Lazarett  gebracht.  Das 
Krankheitsbild  war  ähnlich  den  vorigen.  Befallen  waren 
hauptsächlich  beide  Schultergelenke  und  vorübergehend 
das  linke  Handgelenk.  Temperatur  über  38.  Die 
Schmerzhaftigkeit  war  groß  und  erstreckte  sich  auch 
auf  die  gesamte  Rückenmuskulatur.  Behandlung:  Apyron 
dreimal  täglich  2  Tabletten.  Nach  8  tägiger  Behand¬ 
lung  mit  Apyron  war  die  Temperatur  fast  zur  Norm 
gesunken,  die  Schmerzhaftigkeit  war  geschwunden,  die 
Schwellung  in  geringem  Maße  noch  vorhanden.  Der 
Befund  besserte  sich  ständig,  bis  am  4.  Januar  sich 
plötzlich  wieder  Fieber  und  neue  Schmerzhaftigkeit  und 


Schwellung  der  Gelenke  einsteilte.  Nach  14  Tagen  war 
nach  Behandlung  mit  Apyron  kein  klinischerBefund 
mehr  vorhanden.  Nach  Verlaut  einiger  Wochen,  während 
deren  sich  kein  Rückfall  mehr  gezeigt  hatte,  konnte 
Pat.  seinem  Truppenteil  wieder  zugewiesen  werden. 

Bei  fieberhaftem  Gelenkrheumatismus  Apyron 
zu  injizieren,  hatten  wir  keine  Gelegenheit,  da  das 
Präparat  per  os  verabfolgt,  stets  gut  vertragen  wurde. 

Jansen  hat  in  mehreren  Fällen  von  fieberhaftem 
Gelenkrheumatismus  Apyron  injiziert  und  dabei  eine 
gleiche  Wirkung  erzielt  wie  bei  einer  Verabreichung 
per  os. 

Weit  einfacher  gestaltet  sich  das  Krankheitsbild 
beim  Muskelrheumatismus.  Befallen  sind  meist  die 
unteren  Extremitäten  und  bieten  dem  Arzt  häufig 
Schwierigkeit  bei  der  Beurteilung  des  objektiven  Be¬ 
fundes,  denn  die  Sensibilität  und  Reflexe  sind  hierbei 
normal.  Atrophien  der  Muskulatur  Rommen  natürlich 
bei  längerer  Dauer  der  Erkrankung  vor,  doch  ist  ein 
frühzeitiges  Beginnen  mit  Massage  und  Beweguug  daher 
sehr  zu  empfehlen. 

Einige  Krankengeschichten  mögen  das  Gesagte 
illustrieren. 

4.  Wehrmann  M.  erkrankte  Anfang  Juli  1915  an 
Rheumatismus  und  kam  am  21.  Juli  ins  Lazarett.  Pat. 
klagt  über  große  Schmerzhaftigkeit  der  Muskulatur  der 
oberen  Extremitäten,  die  sich  bis  zur  Schulter  und  zum 
Rücken  erstreckte,  dortselbst  äußert  starke  Druck¬ 
empfindlichkeit  selbst  bei  leichterer  Berührung.  Be¬ 
handlung:  Heißluft  und  Apyron  dreimal  täglich  eine 
4  ablette.  Nach  3  lagen  gibt  Pat.  an,  daß  die  Schmerzen 
nachgelassen  hätten.  Die  Druckempfindlichkeit  ist  ge¬ 
mildert  und  in  ihrer  Ausdehnung  verringert.  Nach*  14 
Tagen  vollkommene  Schmerzfreiheit,  kaum  nennenswerte 
Druckempfindlichkeit.  Während  der  Nachbehandlung 
(Massage)  traten  ab  und  zu  unter  Einwirkung  ungünstiger 
Witterung  leichtere  Rückfälle  auf,  die,  mit  Apyron  be¬ 
handelt,  bald  wieder  schwanden. 

5.  Landsturmmann  O.,  42  Jahre  alt,  erkrankte  am 
1.  Dezember  1915  beim  Regiment  an  Rheumatismus  und 
kam  am  6.  Dezember  in  unser  Lazarett.  Es  besteht 
starke  Druckempfindlichkeit  der  gesamten  Oberschenkel¬ 
muskulatur,  die  dem  Patienten  das  Gehen,  Sitzen  und 
Liegen  sehr  erschwert.  Behandlung:  Bäder  und  Apyron. 
Nach  o  i  agen  Nachlassen  der  Schmerzen  und  nach 
weiteren  14  lagen  objektiver  Befund  ohne  klinische 
Besonderheiten. 

In  diesen  sowie  ähnlichen  zahlreich  beobachteten 
Fällen  von  Muskelrheumatismus,  die  ohne  Fieberer¬ 
scheinungen  verliefen,  wurde  durch  Apyron  ein  spontanes 
Abklingen  der  Schmerzhaftigkeit  erreicht.  Rezidive  sind 
hierbei  unter  einem  neuen  Einfluß  von  Kälte  und  Nässe 
natürlich  sehr  häufig. 

Unsere  Erfahrungen  mit  Apyron  können  wir  zu¬ 
sammenfassend  dahin  formulieren,  daß  wir  im  Apyron 
ein  Mittel  besitzen,  das  bei  rheumatischen  Erkrankungen 
jeglicher  Art  wegen  seiner  Wasserlöslichkeit  und  Ge¬ 
schmacklosigkeit  vor  anderen  Präparaten  zu  empfehlen 
ist.  Und  wegen  seiner  prompten  Wirkung  ohne  schäd¬ 
liche  Beeinflussung  des  Herzens  und  des  Magens  selbst 
bei  Verabreichung  größerer  Dosen  verdient  es  in 
der  Kriegstherapie  Verwendung  zu  finden. 

Bei  neuralgischen  Erkrankungen  dürfte  Apyron 
nach  unseren  Erfahrungen  ebenfalls  gute  Dienste  leisten. 
V  ir  haben  Apyron  bei  Ischias  angewendet  und  auch 
hier  ein  baldiges  Abklingen  der  Schmerzen  beobachtet; 
doch  möchten  wir  hier  die  intramuskuläre  Injektion 
empfehlen.  1  gr.  Apyron  in  2  ccm  destilliertem  Wasser 
aufgelöst,  wird  in  den  Glutaeus  injiziert.  Abgesehen 
von  leichter  Schmerzhaftigkeit  an  "der  Injektionsstelle, 
hervorgerufen  durch  Gewebedruck,  haben  wir  schon 
nach  3 — 4  Stunden  Nachlassen  der  Schmerzen  beobachtet. 


301 


Nr.  31. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Eine  Wiederholung  der  Injektion  nach  3 — 4  Tagen  und 
in  dieser  Folge  dürfte  dem  Patienten  fast  immer  die 
Schmerzen  nehmen,  d);h  nicht  das  Übel  als  solches 
vollkommen  beseitigen. 

L  i  t  e  r  a  t  u  r. 

0  Freund.  Wiener  kl.  Wochenschr.  1915,  Nr.  12. 

2)  J  a  n  s  e  n.  Therapie  der  Gegenwart,  Februar  1914. 

3)  Böen  heim,  Fortschritte  der  Medizin  1916,  Nr.  15. 


Über  den  Kastrattonskomplex. 

Von  Dr.  J.  Sa  dg  er,  Nervenarzt  in  Wien.  (Schluss.) 

Es  wäre  weitgehender  Untersuchung  würdig,  in¬ 
wieweit  Sadismus  und  Kastration  Zusammenhängen. 
Sicher  ist  die  Drohung  eines  Elternteiles,  dem  etwa 
masturbierenden  Kinde  Penis  oder  Finger  abzuschneiden, 
was  regelmässig  ungeheure  Wut  gegen  jenen  auslöst, 
eine  wichtige  Wurzel  des  Sadismus.  Noch  wichtiger  ist 
sie  als  eine  der  Quellen  des  gleichgeschlechtlichen  Emp¬ 
findens.  Just  weil  der  Urning  den  Penis  so  gewaltig 
wertet1),  kann  er  sich  mit  dem  offenbar  kastrierten  Ge¬ 
schlecht  so  wenig  befreunden.  Und  es  wird  die  kon¬ 
stitutionell  begründete  Überschätzung  des  Membrums 
noch  wesentlich  verstärkt  durch  die  Gegenwirkung  auf 
jene  Einschüchterung. 

Zum  Schlüsse  noch  einige  andere  Reaktionen  auf 
die  Drohung  der  Entmannung.  Diese  weckt  zunächst, 
wie  Freud  schon  ausführte,  im  Kinde  einen  heftigen 
Trotz.  Wir  kennen  diesen  als  eines  der  Kardinal¬ 
symptome  des  Analcharakters.  Doch  muss  ich  sagen : 
der  schwerste,  nachhaltigste,  intensivste  Trotz,  den  ich 
bei  analysierten  Kranken  fand,  rührte  nicht  von  unter¬ 
drückter  Analerotik,  sondern  von  der  Kastrations¬ 
drohung  her,  die  in  solchen  Fällen  besonders  einschlagen 
hatte.2) 

Wir  wissen  ferner,  wie  schon  physiologisch  das 
Selbstbewusstein  jedwedes  Mannes  von  seinem  sexuellen 
Können  abhängt.  Wer  aus  irgendeinem  Grunde,  wenn 
auch  nur  psychisch,  impotent  geworden,  verliert  gar 

b  Vergl.  dazu  meine  „Neuen  Beiträge  zur  Homosexualität" 
Berliner  Klinik  Nr.  315. 

2)  In  Anm.  1  auf  S.  2  gab  ich  die  lehrreichen  Äusserungen  eines 
Kranken  wieder.  Hier  nun  die  Fortsetzung:  „Ich  führte  schon  aus,  dass 
Kinder  unbestimmte  Drohungen  regelmässig  auf  die  Kastration  beziehen. 
Die  Drohungen  meines  Vaters  beantwortete  ich  stets  mit  heftigem  Trotz. 
Ich  war  gesonnen,  mich  bis  zum  Äussersten  zu  wehren,  bis  zur 
eigenen  Vernichtung,  da  auf  Sieg  gegen  den  übermächtigen  Vater  nicht 
zu  rechnen  war.  Mich  dünkt,  dass  auch  beim  Kinderselbstmord  der 
Kastration  eine  wichtige  Rolle  zukommt.  Aus  Beobachtung  und  Er¬ 
fahrung  weiss  ich,  dass  nichts  auf  ein  Kind  schrecklicher  wirkt,  als 
eine  unbestimmte  Drohung  auf  eine  zu  erwartende  Züchtigung  oder 
irgend  eine  andere  Gefahr.  Diese  Erwartung  der  Gefahr  oder  Züch¬ 
tigung  erzeugt  in  dem  Kinde  einen  merkwürdigen  Seelenzustand,  der 
jene  Form  annehmen  kann,  die  ich  „Trotz  bis  zur  Selbstvernichtung" 
heisse.  Es  ist  eine  Stimmung,  die  zum  Handeln  drängt.  Entweder 
das  Kind  wehrt  sich,  indem  es  direkt  gewalttätig  gegen  Vater  und 
Mutter  wird  —  ich  habe  getrotzt  und  insgeheim  böse  Wünsche  gegen 
den  Vater  genährt  —  oder  es  greift  zur  Selbstvernichtung  und  bringt 
sich  um,  was  gar  nicht  selten  vorkommt,  oder  endlich  es  schlägt  einen 
Mittelweg  ein,  es  will  sich  der  Gefahr  entziehen  und  läuft  aus  dem 
Hause  davon.  Die  Grundlage  aller  drei  Reaktionen  ist  aber,  dass 
das  Kind  fürchterliche  Angst  bekommt,  weil  es  jede  unbestimmte 
Drohung  der  Kastrationsdrohung  gleichsetzt,  vor  der  es  so  schreck¬ 
liche  Angst  empfindet.  Diese  Gleichsetzung  kann  ihm  völlig  unbewusst 
bleiben,  aber  vorhanden  ist  sie  sicherlich,  sonst  wäre  unerklärlich,  dass 
Kinder  oft  aus  geringfügiger  Ursache  in  einen  wahnsinnigen  Trotz 
ausbrechen.  Es  wird  da  eben  die  ganze  Summe  früherer  Affekte  mit 
ausgelöst.  Mir  scheint  der  Kastrationskomplex  sogar  beim  Selbst¬ 
mord  aus  Liebe  eine  Rolle  zu  spielen.  Wenn  ein  Jüngling  ein  Mäd¬ 
chen  nicht  heiraten  kann,  so  ist  das  beinahe  soviel,  als  nähme  man 
ihm  den  Penis  fort  Er  kann  nicht  coitieren,  nicht  freien,  weil  seine 
oder  ihre  Eltern  es  verbieten.  Der  Effekt  ist  der  gleiche,  als  wenn  er 
kastriert  würde,  und  solche  Sachen  führen  gemeiniglich  zum  Selbst¬ 
mord.  Ob  nicht  mindestens  eine  Teilursache  bei  dem  Selbstmord 
solcher  Leute  die  infantile  Kastrationsdrohung  ist?“ 


leicht  sein  Selbstbewusstsein,  auch  in  anderen  Dingen. 
Schon  den  kleinen  Buben  erfüllt  ein  Hochmut  gegen¬ 
über  den  Mädeln,  sobald  er  den  Unterschied  der  Ge¬ 
schlechter  erfahren,  einzig  weil  ihm  ein  Membrum  eigen, 
das  jenem  abgeht.  Einem  Landarzte  danke  ich  fol¬ 
gende  Szene,  die  er  selber  beobachtet.  Ein  Bub  und 
ein  Mädchen,  beide  zwischen  3  und  4  Jahren,  geraten 
in  Streit  über  ihre  Vorzüge.  Das  Mädchen,  als  die 
zungenfertigere,  droht  schon,  den  Knaben  niederzureden. 
Da  i  höchster  Not  macht  er  die  Hose  auf,  nimmt  sein 
Glied  heraus  und  zeigt  es  jener  mit  den  Worten:  „Aber 
das  hast  du  doch  nicht !“  Die  Wurzel  des  ganzen 
Knabenhochmuts  lässt  sich  wahrhaftig  nicht  besser  be¬ 
leuchten. 

Wirkt  die  Kastrationsdrohung  aus  irgendwelchen 
Gründen  ganz  besonders  mächtig,  dann  kann  sie  bei 
dem  Jüngling  und  Mann  ein  merkwürdig  wechselndes 
Charakterbild  erzeugen.  Es  schwankt  dann  nämlich 
seine  Stimmung  zwischen  gewaltigem  Hochmut  und 
Herabsehen  nicht  nur  auf  Mädchen  und  Frauen,  sondern 
überhaupt  fast  auf  alle  Menschen  (Reaktionswirkung), 
und  zwischen  einem  völligen  Mangel  an  Selbstbewusst¬ 
sein  bis  zum  Gefühl  der  absoluten  Wertlosigkeit  (wenn 
die  Drohung  nämlich  verwirklicht  wäre).  Manchmal 
versucht  man  auch,  wie  der  Kranke  am  Schlüsse  dieser 
Zeilen  durch  sein  Leiden  zu  imponieren  oder  sich  Gel¬ 
tung  durch  Dinge  zu  verschaffen,  die  andere  vermeint¬ 
lich  nicht  leisten  können,  etwa  durch  besondere  geistige 
Leistungen. 

Ich  weiss  gar  wohl,  dass  mit  Vorstehendem  die 
Bedeutung  des  Entmannungskomplexes  nicht  entfernt 
erschöpft  ist.  So  scheint  er  z.  B.  noch  bei  mehreren 
Formen  der  Psychopathia  sexualis  von  grosser  Be¬ 
deutung  und  ich  darf  jetzt  schon  sagen,  dass  er  bei 
der  Bildung  verschiedener  Charaktereigenschaften  eine 
ganz  entscheidende  Rolle  spielt.  Davon  im  Zusammen¬ 
hang  zu  reden,  sei  Ziel  und  Aufgabe  einer  späteren 
Arbeit. 

Hier  nun  ein  einziges,  aber  klassisches  Beispiel  für 
die  Wirkung  des  Kastrationskomplexes  im  Leben  eines 
Menschen : 

Im  Herbste  1914  übernahm  ich  von  einem  reichs- 
deutschen  Kollegen,  der  in  seine  Heimat  zurückkehren 
musste,  einen  interessanten  Kranken.  Dieser  war  zu 
ihm  mit  der  Klage  gekommen,  er  habe  stets  das  lästige 
Gefühl,  beobachtet  zu  werden.  Wenn  er  beispielsweise 
mit  einem  anständigen  Mädchen  auf  der  Strasse  gehe, 
fürchte  er,  man  könne  ihn  anrempeln,  weil  er  nicht  das 
Recht  dazu  habe.  Infolgedessen  komme  es  auch  immer 
zu  einer  Schwäche  in  den  Beinen.  Einem  anständigen 
Mädchen  gegenüber  sei  er  vollständig  impotent.  Bei 
Dirnen  habe  er  öfters  masochistische  Szenen  aufgeführt, 
bei  welchen  er  sich  willenlos  ihren  Forderungen  unter¬ 
warf.  Noch  viel  häufiger  spiele  er  solche  Szenen  in 
der  Phantasie,  wo  er  vollkommen  eines  Weibes  Sklave 
sei,  sie  ihm  befehle,  sich  ganz  nackt  auszuziehen  und 
ihr  unten  am  Genitale  zu  schlecken.  Aus  den  Ergeb¬ 
nissen  der  Psychoanalyse  füge  ich  noch  hinzu,  dass  er 
eine  ausserordentlich  stark  entwickelte  Urethralerotik 
besass.  Schon  als  Säugling  litt  er  nach  Aussage  der 
Mutter  sehr  viel  an  Pollakurie,  so  dass  seine  Schenkel 
lange  Zeit  ganz  aufgebissen  waren.  Sie  habe  alle  Mühe 
gehabt,  die  Wunden  wieder  zur  Heilung  zu  bringen. 
Bereits  in  der  Schulzeit  setzte  auch  eine  schwere  Dysuria 
psychica  ein. 

Als  eine  der  ihn  beherrschendsten  Vorstellungen  er¬ 
wies  sich  der  Kastrationskomplex,  der  in  sehr  ver¬ 
schiedenen  Schattierungen  auftrat.  Anfangs  war  Pa¬ 
tient  geneigt,  ihn  darauf  zurückzuführen,  dass  ihm  die 
Mutter  wegen  Onanie  mit  dem  Abschneiden  des  Gliedes 
gedroht  habe.  Doch  konnte  er  sich  trotz  eifrigsten 
Nachdenkens  nicht  erinnern,  bei  masturbatorischen 


302 


Nr.  3t- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Übungen  erwischt  worden  zu  sein.  „Nur  etwas  haftet 
mir  noch  im  Gedächtnis.  Ich  hatte  als  Kind  die  Ge¬ 
wohnheit,  die  Zunge  herauszustrecken,  und  da  drohte 
mir  die  Mutter  oft,  mir  die  Zunge  abzuschneiden.“  Im 
Verlaufe  der  Analyse  wird  ihm  bewusst,  dass  er  den 
Penis  oft  aus  exhibitionistischer  Lust  entblösste,  weshalb 
man  ihn  anschrie;  „Wirst  du  das  hineintun,  sonst  nehme 
ich  ein  Messer!“  Infolge  dieser  Drohung  des  Vaters 
habe  er  später  auch  das  Gefühl  gehabt,  sein  Glied  vor 
Männern  nicht  entblössen  zn  dürfen.  Schliesslich  kam 
er  auf  die  Mutter  als  eigentliche  Urheberin  seiner  Ka¬ 
strationsangst,  was  mit  eine  Ursache  seiner  starken  homo¬ 
sexuellen  Neigung  ist.  Weil  er  von  d'er  Säuglingszeit 
bis  zu  3,  4  Jahren  soviel  urinieren  musste,  so  sei  die 
Mutter,  wie  sie  selber  erzählte,  darüber  oft  schon  zornig 
geworden.  „Und  ich  vermute,  sie  sagte:  ,Wenn  du 
nicht  aufhörst,  wird  man  dir  das  einfach  wegschneiden!4 
Das  ist  jetzt  nur  meine  Phantasie,  aber  ich  vermute  es“. 
Verschärft  wurde  die  Härte  dieser  Drohung  noch  da¬ 
durch,  dass  er  bis  tief  in  die  Schulzeit  hinein  mit  ganz 
ausserordentlicher  Zärtlichkeit  an  der  Mutter  hing.  Das 
Anurinieren  derselben  erscheint  ihm  selber  als  Liebes- 
beweis1),  was  in  der  Umkehrung  dann  in  seinen  maso¬ 
chistischen  Phantasien  wieder  hervortritt.  „Es  bereitete 
mir  nämlich  die  höchste  Lust,  unter  dem  Mädchen  zu 
sitzen  oder  zu  liegen  und  mich  von  ihnen  anurinieren 
zn  lassen“.  Eine  andere  Ursache,  weshalb  ihn  die 
Mutter  mit  Kastration  bedrohte,  war  seine  ausnehmende 
Exhibitionslust.  „Ich  habe  mit  besonderer  Lust  mein 
Glied  entblösst  und  es  bewundert.  Dabei,  vermute  ich, 
erwischte  mich  die  Mutter  und  hat  mir  mit  dem  Ab¬ 
schneiden  gedroht.  Es  ist  übrigens  nicht  ausgeschlossen, 
dass  ich  sie  mit  meinem  Penis  in  Versuchung  führen 
wollte“.  Auf  eine  letzte  Ursachenreihe  seiner  Kastrations¬ 
angst  kam  er  durch  einen  Traum.  „Als  ich  nach  Aus¬ 
sage  der  Mutter  16—18  Monate  alt  war,  hatten  wir 
einen  bissigen  Hund,  zu  dem  ich  einmal  in  einem  un¬ 
bewachten  Augenblick  in  die  Hütte  kroch.  Dort  Hess 
ich  mich  von  ihm  belecken,  und  zwar  auch  am  Penis. 
Die  Eltern,  die  mich  so  fanden,  werden  gesagt  haben, 
er  wird  mir  das  Glied  abbeissen.  Später  erinnere  ich 
mich  —  wir  hatten  damals  keine  englischen  Aborte, 
sondern  offene,  —  fürchtete  ich  immer,  von  Ratten  am 
Penis  gebissen  zu  werden.  Zwischen  11  und  14  Jahren 
endlich  half  ich  meinem  Vater  bei  der  Gartenarbeit. 
Plötzlich  spürte  ich  unten  einen  wahnsinnigen  Schmerz, 
und  als  man  nachschaute,  fand  man  zu  meinem  Ent¬ 
setzen  eine  Ameise  gerade  auf  meiner  Eichel“. 

Neben  dieser  direkten  Kastrationsangst,  die  un¬ 
mittelbar  auf  das  Membrum  geht,  zeigt  sich  in  vielleicht 
noch  stärkerem  Grade  eine  svmbolische.  Er  hat  z.  B. 
vier  falsche  Zähne,  um  deretwiilen  er  es  nicht  wagt, 
zu  Mädchen  in  intimere  Beziehungen  zu  treten.  „EsTst 
mir  ein  fürchterlicher  Gedanke,  wenn  ich  mit  einem 
Mädchen  verkehrte  und  sie  endeckte  das,  würde  sie 
sotort  erklären:  ,Das  ist  kein  Mann  für  mich!4  und 
mich  stehen  lassen“.  Natürlich  sind  die  falschen  Zähne 
ein  falscher  Penis  und  es  ist  bezeichnend,  dass  sein 
Vater  heute  noch  nichts  von  ihen  weiss,  da  er  dies  sorg¬ 
fältig  vor  ihm  verhehlte. 

Wie  hier  die  Zähne,  treten  andere  Male  Arm  und 
Bein,  die  Augen,  Zunge  oder  —  Schnurrbart  für  das 
Membrum  ein.  „Ich  habe  stets  besondere  Furcht  vor 
dem  Fallen,  eine  furchtbare  Angst,  mir  Arm  oder  Bein 
zu  brechen.  Das  war  schon  als  Kind  so.  Ich  konnte 
deshalb  nicht  Eis  laufen  oder  auf  der  Gasse  schleifen 
wie  andere  Buben.  Es  war  mir  gar  nicht  möglich. 

B  in  einer  früheren  Studie  „Über  Urethralerotik",  Jahrb.  f.  ps 
a.  Forschg.  Bd.  11,  führte  ich  aus,  dass  das  urethralerotische  Kind 
wenn  nicht  gerade  seine- Blase  überfüllt  ist,  bloss  jene  Personen  an- 
pisst,  die  es  innig  liebt,  wie  Eltern,  Kinderfrauen,  Geschwister  etc. 
und  dass  es  diesen  damit  direkt  einen  warmen  Liebesbeweis  gibt. 


Den  letzten  Versuch  machte  ich  in  der  Bürgerschule.  Ich 
nahm  einen  Anlauf,  aber  wie  ich  auf  das  Eis  kam,  blieb  ich 
stehen,  während  dies  doch  sonst  das  Hauptvergnügen  der 
Jungen  ist.  Vor  dem  Fallen  selber  hatte  das  ich  keine 
Furcht,  der  Hauptangstaffekt  war,  mir  dabei  Hand  oder 
Fuß  zu  brechen.  Wenn  man  in  meiner  Kindheit  er¬ 
zählte:  Der  hat  sich  den  Fuss  zerbrochen,  so  verband 
ich  das  mit  der  Vorstellung,  daß  das  überhaupt  nicht 
mehr  ganz  zu  heilen  wäre.  Vielleicht  habe  ich  mir  das 
zu  drastisch  vorgestellt,  wie  wenn  einer  Figur  etwas  ab¬ 
bricht.  Und  endlich  fiel  ihm  selber  die  Lösung  ein:  Das 
muß  eigentlich  auch  die  Furcht  vor  der  Kastration  sein, 
dass  mir  der  Penis  gebrochen  wird.  Ich  spüre  auch  oft 
eine  Unsicherheit  beim  Gehen.  Das  heißt  wohl,  ich 
habe  ein  unsicheres  Bein,  einen  unsicheren,  versagenden 
Penis,  was  wieder  zur  Kastration  zurückführt.  Ich 
fühle  mich  wohl  auch  darum  immer  beobachtet,  jeder 
Begegnende  sieht  mich  an,  weil  ich  kastriert  bin.“ 

Daß  ihm  zum  Entmannungskomplex  vor  allem  an¬ 
dern  die  Drohung  seiner  Mutter  einfiel,  sie  werde  ihm 
die  Zunge,  die  er  ewig  vorstreckte,  einmal  abschneiden, 
ward  schon  berührt.  Seit  seinem  14.  Lebensjahre  hat  er 
heißeste  Sehnsucht,  einen  schönen  Schnurrbart,  später 
auch  noch  einen  schönen  Spitzbart  zu  bekommen,  „um 
als  Mann  zu  gelten  und  Eindruck  zu  machen“.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  daß  die  Furcht,  nicht  als  Mann  zu 
gelten,  wenn  er  keinen  Schnurrbart  habe,  nichts  andres 
bedeutet,  als  die  Scheu  vor  der  Kastration.  Wem  kein 
Schnurr-  oder  Spitzbart=  Penis  gewachsen,  der  ist  eben 
kein  Mann.  Neben  dieser  Scheu  besteht  aber  auch  ein 
unverkennbares  Verlangen  in  ihm,  die  Männlichkeit 
einzubüssen  und  zum  Weibe  zu  werden,  wenn  dies  auch 
nur  in  symbolischer  Form  zutage  tritt.  So  hatte  er 
eine  ganz  besondere  Vorliebe  für  das  Haarschneiden: 
„Mutter  erzählte  oft,  während  andere  Kinder  so  ungern 
zum  Friseur  gehen,  sich  mit  Händen  und  Füssen  da 
gegen  wehren  und  selbst  mein  älterer  Bruder,  an  dem 
ich  so  hing  und  dem  ich  sonst  alles  nachmachte,  nur 
mit  großer  Mühe  dorthin  zu  bringen  war,  bin  ich  — 
das  erinnere  ich  mich  noch  genau  —  stets  mit  großem 
Vergnügen  hingegangen.  Ich  hatte  eine  besondere 
Vorliebe  für  das  Haarschneiden  und  meine  Haare 
waren  tatsächlich  immer  kurz  abgeschnitten.“  Und  ein 
andermal  begann  er  ganz  plötzlich:  „Gestern  kam  mir 
momentan  der  Gedanke,  ob  nicht  auch  das  Essen,  dem 
das  Beißen  vorangeht,  dadurch  eine  Kastration  be¬ 
deutet,  für  Kinder  nämlich,  und  daß  ich  aus  diesem 
Grunde  so  gern  Würste  aß,  also  Penis-Symbole  ?“ 

Am  schärfsten  jedoch  tritt  der  Entmannungskom¬ 
plex  in  den  folgenden  zwei  Symptomen  zutage.  Da 
hat  er  vorerst  nach  Aussagen  der  Ärzte  eine  ange¬ 
borene  Myopie  von  der  Mutter  geerbt.  Diese  Kurz¬ 
sichtigkeit  ist  keineswegs  so  auffällig,  daß  sie  etwa  jeder 
auf  der  Stelle  erkännte,  allein  trotzdem  nimmt  er  sich 
jene  mehr  zu  Herzen,  als  wenn  er  arm  oder  lahm  oder 
selbst  ein  Krüppel  wäre  mit  einem  Stelzfuß.  „Ich 
habe  d  arum  einen  furchtbaren  Zorn  auf  meine  Mutter 
und  habe  ihr  schon  oft  vorgeworfen:  ,D  u  bist  es 
eigentlich,  die  mich  unglücklich  gemacht  hat!4  Die 
Eltern  sollen  keinen  Krüppel  in  die  Welt  setzen  !  Voll 
Neid  habe  ich  immer  auf  die  Normalsichtigen  geblickt. 
Viel  lieber  möchte  ich  der  ärmste  Bettler  sein,  wenn  ich 
nur  ein  normales  Auge  besäße!“  Bei  der  enormen  Ver¬ 
breitung  der  Kurzsichtigkeit  liegt  wohl  auf  der  Hand, 
daß  hinter  dieser  gewaltigen  Reaktion  weit  mehr  sich 
birgt  und  die  angeborene  Myopie  ihm  nichts  anderes 
bedeutet,  als  daß  ihn  die  Mutter  von  Haus  aus  kastriert 
habe.  Dies  fand  er  nicht  bloss  selbst,  sondern  bewies 
es  auch  durch  die  Entstehung  seiner  Myopie-Scheu : 
„In  der  zweiten  Volksschulklasse  wurde  ich  auf  Ver¬ 
langen  meines  Lehrers  an  der  Augenklinik  untersucht. 
Man  stellte  alle  möglichen  Proben  mit  mir  an  und  ich 


Nr.  31. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDZIIN. 


hatte  eine  riesige  Angst.  An  der  Wand  war  eine 
Barriere,  an  welcher  die  Patienten  saßen,  und  da  habe 
ich  in  Erinnerung,  einer  derselben  hatte  sich  mit  einer 
Kerzenflamme  das  Auge  ausgebrannt.  Das  ist  natürlich 
unrichtig.  Der  Doktor  wird  ihn  mit  dem  Licht  unter¬ 
sucht  haben,  und  weil  er  sich  vorbeugte,  werde  ich  ge¬ 
glaubt  haben,  er  brennt  sich  das  Auge  selber  aus.  Übrigens 
hatte  ich  dieser  Tage  auch  große  Angst  vor  Erblindung. 
Augenausstechen  oder  Blenden  ist  mir  immer  als  etwas 
Entsetzliches  erschienen.  Und  wenn  mir  nur  etwas  in 
die  Nähe  des  Auges  kommt,  packt  mich  sofort  eine 
furchtbare  Angst,  und  ich  drücke  die  Augen  fest  zu. 
Weil  mir  das  Auge  als  Penis  erscheint  und  meine  Kurz¬ 
sichtigkeit  als  Entmannung,  drum  kam  ich  mir  seit  jeher 
minderwertig  vor  und  trachtete  stets,  niemand  merken 
zu  lassen,  daß  ich  myopisch  bin.  Wenn  ich  z.  B.  ein 
Konzert  besuche,  studiere  ich  nie  das  Programm  im 
Saale,  damit  die  Leute  nicht  meine  Kurzsichtigkeit  wahr¬ 
nehmen,  sondern  gehe  auf  die  Toilette,  um  es  dort  un¬ 
beobachtet  zu  lesen.  Habe  ich  es  dann  ziemlich  im 
Kopfe,  so  verfolge  ich  es  im  Saale,  als  wäre  ich  normal¬ 
sichtig.  Kurzum,  es  ist  immer  das  wahnsinnige  Be¬ 
streben,  jene  Schwäche  vor  jedermann  geheim  zu  halten. 
So  wissen  es  z.  B.  auch  nicht  die  Parteien  auf  dem 
Gange,  wo  ich  wohne,  und  wenn  ich  zu  Hause  lese, 
muß  die  Türe  immer  geschlossen  sein,  damit,  falls  je¬ 
mand  kommt,  er  mich  beim  Lesen  nicht  überrascht. 

Nicht  minder  bezeichnend  für  den  Kastrations¬ 
komplex  ist  ein  zweites  Symptom :  seine  außerordent¬ 
liche  Furcht  vor  jeder,  auch  der  kleinsten  Operation . 
„Einmal  sollte  ich  in  der  Schule  geimpft  werden,  war 
aber  um  keinen  Preis  dazu  zu  bewegen.  Ich  hatte  so 
furchtbare  Angst  vor  dem  Arzt,  daß  dieser  vom  Impfen 
abstehen  mußte.  Schon  das  bloße  Wort  , Schneider/ 
oder  , operieren4  hat  bei  mir  stets  eine  so  große  Furcht 
ausgelöst.  Übrigens  ist  die  Angst  vor  der  Operation 
mit  viel  Neugier  gemischt.  Ich  schaue  z.  B.  chirurgische 
Instrumente  in  den  Auslagekästen  sehr  gerne  an  und 
betrachte  immer  mit  großen  Interesse  die  Prosectur  in 
den  Krankenhäusern.  Andererseits  stelle  ich  mir  schon 
die  Überführung  in  den  Operationssaal  als  etwas  Fürch¬ 
terliches  vor  und  setze  das  Operieren  gleich  dem  Sterben. 
Vielleicht  habe  ich  das  von  meiner  Mutter  geerbt.  Ihr 
hat  man  auch  geraten,  sich  wegen  eines  Gebärmutter¬ 
vorfalls  operieren  zu  lassen.  Sie  aber  erklärte : 
ehe  sie  sich  schneiden  lasse,  wolle  sie  lieber  sterben. 
Ganz  besonders  gräßlich  erscheint  mir  jede  Operation 
in  der  Harnröhre,  ja  selbst  das  Katheterisieren“.  Ähnlich 
begann  er  ein  andermal :  „Eine  Bauchoperation  dünkte 
mich  immer  etwas  Entsetzliches,  ebenso  eine  Amputation. 
Fürchterlich  ist  es  mir,  wenn  jemand  in  eine  Maschine 
hineinkommt,  oder  ihm,  wie  einem  Bekannten,  durch  die 
Rotationsmaschine  zwei  Finger  abgeschnitten  werden. 
Die  Stummel  kamen  mir  so  ekelhaft  vor.  Doch  hatte 
ich  wiederum,  und  zwar  schon  als  Kind,  besonderes 
Verlangen,  ein  amputiertes  Bein  zu  sehen,  den  Stummel 
nämlich,  und  wie  das  verheilt  ist.  Wenn  ich  in  späteren 
Jahren  an  eine  Amputation  dachte,  daß  da  eine  große 
Wundfläche  entsteht,  auf  welche  man  beim  Gehen  auf- 
treten  muß,  dünkt  mich  das  etwas  riesig  Schmerzhaftes.“ 
„Vielleicht  stecken  da  Kindheitserinnerungen  da¬ 
hinter,  weil  in  der  Fabrik,  wo  mein  Vater  Portier  war, 
den  Arbeitern  öfters  Finger  von  den  Maschinen  abge¬ 
rissen  wurden  und  ich  dann  Gelegenheit  hatte,  sie  in 
blutige  Tücher  eingehüllt  zu  sehen.  Ein  blutender  Ver¬ 
band  erschien  mir  immer  schon  als  etwas  Entsetzliches. 
Darum  wollte  ich  mich  ja  auch  von  meiner  Perversion, 
ein  Mädchen  am  Genitale  zu  schlecken,  dadurch  kurieren, 
daß  ich  zu  einer  Dirne  hingehe,  während  sie  die  Periode 
hat.  Allein  ich  unterließ  es  dann  doch  11  —  „Was  wird 
denn  hinter  der  Scheu  vor  dem  blutigen  Verband  ur¬ 
sprünglich  stecken?“  —  „Sollte  das  auf  die  Mutter 


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gehen?  Wenn  sie  die  Periode  hatte,  trug  sie  eine 
M  onatsbinde.  Und  in  späteren  Jahren  wegen  ihres  Ge¬ 
bärmuttervorfalls  auch  eine  Binde.  Nur  glaube  ich 
nicht,  daß  ich  jemals  eine  blutige  Binde  zu  sehen  be¬ 
kam.  Denn  ich  weiß,  sie  hat  sie  immer  sorgfältig  weg¬ 
geräumt.“  —  „Das  würde  nicht  hindern,  daß  Sie  eine 
solche  doch  einmal  zufällig  zu  Gesicht  bekamen.“  —  „Ja, 
nur  erinnere  ich  mich  nicht.  Bloß  das  eine  kann  ich 
sagen:  Blut  zu  sehen  oder  gar  selbst  zn  bluten  ist  bei 
mir  stets  mit  großer  Angst  verbunden.  Und  da  ich 
mich  einmal  als  Lehrling  ziemlich  tief  in  den  Finger 
geschnitten  hatte,  wurde  mir  augenblicklich  übel.  An¬ 
derseits  besteht  wieder  ein  starkes  Interesse  für  Blut 
und  damit  zusammenhängend  für  Leichen  und  Sezier¬ 
säle.  Auch  die  Schilderung  von  Hinrichtungen,  wo 
einer  geköpft  wird,  hat  mich  sehr  gefesselt.  Stets  kam 
mir  der  Gedanke  :  wie  muß  eine  Halspartie  ausschauen, 
wenn  der  Kopf  abgeschlagen  ist?  Das  Sehen  von  Blut 
hat  immer  furchtbare  Angstaffekte  bei  mir  ausgelöst, 
sogar  wenn  ich  selber  Nasenbluten  hatte.  Und  wahr¬ 
scheinlich  hängt  damit  auch  meine  entsetzliche  Scheu 
vor  chirurgischen  Abteilungen  zusammen;  denn  eine  un¬ 
blutige  Operation  erscheint  mir  gar  nicht  schreckhaft. 
Jetzt  muß  ich  an  Esmarchs  , Erste  Hilfe1  denken. 
Dort  erfüllte  mich  mit  Entsetzen  die  Darstellung  eines 
offenen  Schenkelbruches.  Wie  das  blutige  Bein  heraus¬ 
steht,  das  erschien  mir  gräßlich.  Da  Bein  gleich  Penis 
zu  setzen  ist,  wie  wir  öfters  schon  herausbrachten,  so 
wäre  dies  das  Bild  einer  frischen  Kastration.  Über¬ 
haupt  habe  ich  mir  diese  immer  als  ein  reines  Ab¬ 
schneiden  des  Gliedes  vorgestellt,  wobei  aus  der  Schnitt¬ 
fläche  das  Blut  herauskommt/4 

„Noch  eins  sei  angeführt:  jede  Operation  mutet 
mich  an  wie  ein  schwerer  Eingriff  in  den  Organismus, 
der  sich  nie  wieder  so  hcrstellen  kann.  Mindestens  die 
benachbarten  Organe  zeigen  immer  eine  gewisse  Ver¬ 
kürzung.  Es  findet  ja  stets  eine  Zusammenziehung 
statt.  Ich  habe  den  Gedanken:  die  Stelle  kann  nie 
wieder  so  hergestellt  werden  wie  früher.  Auch  das 
spricht  dafür,  daß  ich  in  jeder  Operation  eine  Kastration 
erblicke.“ 

„Erwähnen  will  ich  noch,  daß  ich  seinerzeit  eine 
wahnsinnige  Freude  an  Laubsägearbeiten  hatte,  bis  tief 
in  meine  Lehrzeit  hinein.  Während  andere  Burschen 
meines  Alters  schon  an  Mädel  denken,  stand  mein  Sinn 
stets  nur  auf  Laubsägearbeiten.  Da  hier  auch  immer 
geschnitten  wird,  muß  dies  wohl  mit  der  Kastration  Zu¬ 
sammenhängen.“ 

„Als  eine  Art  von  Kastration“  empfand  er  es  be¬ 
reits  in  der  Kindheit,  dass  seine  sehr  prüde  Mutter  ihm 
streng  verboten  hatte,  von  geschlechtlichen  Dingen  über¬ 
haupt  zu  sprechen.  „Sie  sagte  wiederholt:  ,Weh  dir, 
wenn  du  über  solche  Dinge  redest!4  Namentlich  war 
mir  die  Bezeichnung  des  Gliedes  scharf  untersagt.  \  iel- 
leicht  ist  es  auch  so,  daß  das  Verbieten  des  Wortes  die  Kas¬ 
tration  bedeutet.  Das  Wort  war  ja  Symbol  für  den 
Penis  und  mit  dem  Verbieten  des  Wortes  hat  sie  gleich¬ 
sam  eine  Kastration  an  mir  vollzogen.  Später  konnte 
ich  auch  meinen  Kollegen  gegenüber  nie  eine  Bezeich¬ 
nung  für  Penis  gebrauchen.  Noch  eins:  die  feine  Aus¬ 
drucksweise  ist  ja  ein  Spezificum  der  Juden.  Und  um 
nicht  als  Jude,  um  nicht  kastriert  zu  erscheinen,  habe 
ich  oft  absichtlich  ordinäre  Worte  gebraucht.“ 

Zum  Schluß  will  ich  noch  einen  sehr  merkwürdigen 
Traum  des  Kranken  erzählen,  der  Vieles  aufklärte  : 

„M i  r  träumte,  ich  bin  in  einer  Restaura¬ 
tion  und  da  verlangt  jemand  plötzlich  eine 
Schwalbe  zu  essen.  M ich  packte  ein  Riesen- 
zorn,  daß  man  so  ein  liebes  V  i  e  c  h  e  r  1  u  m  - 
bringen  soll,  da  kam  aber  schon  der  Kellner 
mit  einem  Tuche,  in  das  er  die  S  c  h  w  a  1  b  e 
hin  ein  gegeben  hatte,  und  schlug  es  mit 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  31 


aller  Gewalt  auf  den  Pfeiler.  Natürlich 
war  das  Tier  tot,  das  Blut  rann  heraus 
und  traf  einen  Gast,  der  in  FI  e  m  d  ä  r  m  e  1  n 
dort  saß,  und  das  Hemd  wurde  voll  Blut.  Ich 
hatte  eine  weiße  oder  lichte  Hose  an,  die 
natürlich  auch  voll  ward.  Jetzt  hielt  sich 
der  Gast  darüber  auf,  der  Kellner  wollte 
aber  mit  ihm  noch  grob  sein,  Als  sich  da  ein 
Wortwechsel  entspann,  begann  ichdrein  Zu¬ 
reden:,  Schauen  Sie  erst  mich  an,  wie  ich 
aussehe!'  Nun  wollte  der  Kellner  mich 
durchaus  beschwichtigen,  weil  ich  außer 
Rand  und  Band  war.*  Da  reißt  der  Traum  plötz¬ 
lich  ab.  Wenn  man  für  Schwalbe  ,Vogel‘  setzt  gleich 
Penis,  so  bedeutet  das  Erschlagen  des  Vogels,  wobei 
das  Blut  herausrinnt,  natürlich  eine  Kastration.  Als 
ich  mir  heute  den  Traum  vergegenwärtigte,  mußte  ich 
sofort  an  die  Menstruation  denken.  Hierzu  will  ich 
aber  bemerken,  daß  mir  bis  zur  Lehrzeit  die  Menstrua¬ 
tion  vollkommen  unbekannt  war.“  —  „Das  dünkt  mich 
sehr  auffallend.  W  ir  sprachen  schon  einmal  die  Ver¬ 
mutung  aus,  daß  Ihre  besondere  Scheu  vor  blutigen 
Tüchern  auf  die  durch  Menstrualblut  beschmutzten 
Monatsbinden  oder  Leintücher  der  Mutter  zurückgehen 
dürfte,  und  auch  damals  betonten  Sie  Ihre  Unwissenheit 
in  all  diesen  Dingen.“  —  „Auch  das  ist  sehr  merk¬ 
würdig:  ich  kann  mir  die  weiblichen  Genitalien  gar 
nicht  zusammen  mit  der  Menstruation  denken.  I  c  h 
muß  sie  mir  i  m  m  e  r  r  e  i  n  vorstellen  und 
m  i  r  f  e  h  1  t  jegliches  Ekelgefühl.  Sonst 
wäre  ja  nicht  meine  Lieblmgsphantasie,  eire  Frau  am 
Genitale  zu  schlecken.  Hätte  ich  mir  ein  Weib  men¬ 
struierend  gedacht,  so  müßte  mich  ein  Ekel  erfaßt 
haben.  Blut  und  blutgetränkte  Tücher  sind  doch  eigent¬ 
lich  etwas  ganz  natürliches,  wie  z.  B.  bei  Nasenbluten, 
aber  mir  machte  ein  blutgetränktes 
Sacktuch  immer  Ekel  zugleich  mit 
Entsetzen,  und  zwar  schon  in  der  Kindheit.“  — 
„W  enn  es  richtig  ist,  daß  Sie  einmal  die  Menstrua¬ 
tionswäsche  der  Mutter  sahen,  sollten  wir  da  nicht  an¬ 
nehmen  können,  daß  Sie  die  Mutter  darnach  fragten 
und  diese  in  ihrer  Prüderie  Sie  scharf  zurückwies,  so 
daß  Sie  fortab  jedes  Denken  an  die  Menstruation  ver¬ 
drängten. J“  —  „Mir  fällt  da  ein  Traum  aus  meiner 
Bürgerschulzeit  ein :  Meine  Mutter  liegt  mit 
dem  Oberkörper  im  Bett  und  der  Ünter- 
körper  fehlt  gänzlich,  wobei  ich  eine 
furchtbare  A  ngst  h  a  1 1  e.  Das  heißt  doch  wohl: 
ich  habe  den  ganzen  Unterkörper  der  Mutter  samt 
ihrem  Genitale  verdrängt.  Man  sagt  ja  häufig  auch 
»Unterleib4  für  den  Geschlechtsteil.  Und  das  Fehlen  der 
Genitalien  wäre  ja  eine  Kastration.  Dieser  Traum  muß 
auch  mit  dem  Blut  und  daß  mir  dies  so  schrecklich  er¬ 
schien  irgendwie  Zusammenhängen.  Ich  erzählte  ja  schon, 
ich  habe  mir  das  Kastrieren  als  Abschneiden  des  Gliedes 
vorgestellt,  wobei  aus  der  Schnittfläche  Blut  heraus¬ 
kommt.  Und  die  Menstruation  wäre  ein  analoger  Vor¬ 
gang.  Wenn  eine  FVau  die  Periode  hat,  so  ist  ihr  eben 
der  Penis  abgeschnitten  worden.“  —  „Und  sie  können 
sich  die  Menstruation  beim  Weibe  nicht  denken,  weil 
Sie  sich  mit  der  Vorstellung  nicht  befreunden  können, 

das  Weib  oder  die  Mutter  sei  kastriert  worden  ?“  _ 

„Ja.  Da  der  Knabe  nichts  Ähnliches  hat  wie  die  Men¬ 
struation,  kann  er  sie  nur  als  eine  Art  von  Kastration 
auffassen.44  —  „Und  wer  soll  diese  bei  der  Mutter  be¬ 
sorgt  haben?44  —  „Das  könnte  nur  der  Vater  gewesen 
sein.  Halt,  jetzt  erklärt  sich  ja  auch  der  Schwalben¬ 
traum.  Der  Vater  ist  der  Gast,  der  die  Schwalbe  zu 
essen  verlangt,  und  wohl  auch  der  Kellner,  welcher  sie 
umbringt  und  diese  Tat  dann  so  eifrig  verteidigt.  Und 
ich  halte  mich  endlich  darüber  auf,  daß  der  Vater  die 
Mutter  blutig  »operiert4  hat.“  —  „Das  Ganze  scheint 


mir  darauf  zu  weisen,  daß  Sie  in  zartester  Kindheit 
den  Verkehr  der  Eltern  belauschten  und  ihn  dann  mit 
der  blutigen  W  äsche  in  Verbindung  brachten.1) 

„Und  noch  eins  wäre  mir  jetzt  verständlich:  meine 
fixe  Idee,  daß  ich  bei  einem  reinen  Weibe  impotent 
wäre.  Die  müßte  ich  ja  nach  kindlicher  Anschauung 
kastrieren  und  vor  dem  Kastrieren  habe  ich  mich  immer 
allzusehr  gefürchtet.  Wie  erklärt  sich  aber  das?  Als 
Schulknabe  habe  ich  die  Mädel  so  verachtet  und  mich 
weit  erhabener  gedünkt.  Heute  aber  ist  just  das  Ge¬ 
genteil  der  Fall,  da  erscheint  mir  das  Weib  als  ein  so 
erhabenes  Wesen,  daß  ich  gar  nicht  herankann  an  sie.“ 
—  „Wer  wird  das  erhabene  Weib  sein,  an  welches  Sie 
nicht  heran  können?44  -—  „Dies  kann  eben  nur  die 
Mutter  sein?44  —  „Ganz  richtig.  Und  wir  haben  auch 
schon  herausgebracht,  daß  diese  Urbild  des  reinen 
Mädchens  war.  Zu  beiden  Vorstellungen  kamen  Sie 
jedoch  durch  die  Verdrängung  des  'Kastrationskom¬ 
plexes  bei  Ihrer  Mutter.  Sie  sagten  z.  B.:  ein  blutge¬ 
tränktes  Tuch  habe  nicht  bloß  Entsetzen  bei  Ihnen, 
sondern  auch  Ekel  hervorgerufen.“  „Ja,  der  Ekel 
kan  n  nur  von  verdrängter  Kastration  herrühren.  Von 
der  Mutter  habe  ich  ja,  wie  die  Träume  erweisen,  den 
Unterleib,  das  ganze  Genitale  verdrängt  und  kann  mir 
das  Weib  überhaupt  nicht  blutend  vorstellen.“  —  „Sie 
sehen  hier  etwas,  das  wir  schon  von  der  Neurose  her 
kennen:  die  Spaltung  des  Weib-Komplexes  in  die  himm¬ 
lische  und  die  irdische  Venus.  Einerseits  erhöhen  Sie 
das  Weib  zu  einem  Geschöpf,  das  keine  Blutungen,  ja 
überhaupt  kein  Genitale  besitzt,  zu  einem  derart  er¬ 
habenen  Wesen,  daß  Sie  an  es  gar  nicht  herankönnen, 
es  nicht  einmal  berühren  dürfen.  Vorbild  ist  die  eigene 
Mutter,  bei  welchem  absolut  reinen  Weib  Sie  ganz  natur¬ 
gemäß  impotent  waren.  Die  Mißachtung  hingegen  Ihrer 
Kindheit  gegen  alle  Frauen  versparen  Sie  jetzt  für  das 
nureine  Weib,  die  Dirne,  die  Sie  geschlechtlich  brauchen, 
ja  sogar  pervers  mißbrauchen  dürfen.“ 

Zum  Schlüsse  noch  etwas  von  der  Wirkung  der 
Entmannungsdrohung  auf  meinen  Patienten.  Zunächst 
löste  sie  einen  ungeheuren  Trotz  gegen  seine  Eltern  in 
ihm  aus,  mit  denen  er  oft  wochenlang  kein  Wort  mehr 
sprach,  was  sich  mitunter  selbst  jetzt  noch  wiederholt. 
Auch  mir  gegenüber  kehrte  er  diesen  Trotz  hervor,  in¬ 
dem  er  während  der  Psychoanalyse  zwar  nicht  geradezu 
die  Rede  weigerte,  wohl  aber  das  Vorbringen  neuer 
Einfälle.  Er  hatte  da  angeblich  gar  nichts  zu  sagen.  Be¬ 
gonnen  hatte  nach  seiner  Erinnerung  dieser  Redetrotz 
bereits  in  der  Volksschule,  da  man  ihn  ob  seiner  Kurz- 

Ein  anderer  Kranker,  dessen  Entmannungskomplex  ich  psycho¬ 
analytisch  aufgedeckt  hatte,  brachte  mir  folgenden  Kastrationstraum : 
„Ich  bin  in  einer  Garderobe  und  finde  meinen 
Winterrock  nicht.  Ich  suche  aber  in  aller  Ge* 
mütsruhe  und  nach  langem  Suchen  finde  ich  ihn 
doch.  Er  hing  nur  anderswo,  als  ich  ihn  hinge¬ 
hängt  hatte.  —  Das  ist  bei  mir  ein  typischer  Traum,  den  ich 
schon  wiederholt  seit  meiner  Kindheit  träumte.  Nur  war  er  früher 
immer  mit  Angst  verbunden;  ich  hatte  das  Bewußtsein  einer  pein¬ 
lichen  Situation,  so  als  hätte  man  mir  den  Winterrock  gestohlen. 
Erst  das  letzte  Mal,  da  wir  meinen  Kastrationskomplex  so  ziemlich 
aufgelöst  hatten,  bestand  die  Angst  nicht  mehr,  oder  vielmehr,  ich 
unterdrückte  sie  sofort  und  vermutete  im  Traum,  man  habe  den 
Winterrock  zum  Scherz  anderswohin  gehängt.'  —  Deutung  des 
1  raumes :  Der  Winterrock  als  etwas  Hängendes  ist  natürlich  der 
Phallus.  Der  Traum,  man  habe  ihn  mir  gestohlen,  geht  wohl  auf 
folgenden  Scherz  zurück ;  Gewisse  Frauen  lieben  es,  dem  kleinen 
Knaben  zu  drohen,  sie  nähmen  ihm  das  Vogerl  weg,  wie  es  auch  mir 
passierte.  Die  Frauen  machen  dann  eine  Bewegung  in  jene  Gegend, 
wobei  sie  eventuell  dem  Kinde  noch  die  Hände  halten,  so  daß  es 
sich  nicht  überzeugen  kann,  ob  der  Penis  noch  vorhanden  ist  oder 
nicht.  Oder  aber,  das  Kind  schämt  sich  hinzugreifen,  und  ist  einige 
Minuten  oder  Augenblicke  tatsächlich  der  Meinung,  man  habe  ihm 
das  Glied  weggenommen.  Das  Stehlen  des  Winterrocks  im  Traum 
geht  vielleicht  darauf  zurück,  daß  ich  bei  meinem  ersten  diesbezüg¬ 
lichen  Erlebnissen  wirklich  glaubte,  man  habe  mir  den  Penis  gestohlen, 
bis  ich  entdeckte,  dies  sei  gar  nicht  wahr.  Später  habe  ich  dann 
die  Leute,  wenn  sie  wieder  solche  Scherze  machten,  einfach  ausge- 
lacht."  s 


Nr.  31 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


sichtigkeit  hänselte.  ,,In  der  Lehrzeit  habe  ich  zuhause 
oft  tagelang  nicht  gesprochen.  Da  habe  ich  die  Verbote 
und  überhaupt  alles,  was  gegen  mich  gerichtet  war,  mit 
Trotz  beantwortet  und  jedes  Verbot  derart  erweitert, 
daß  es  sich  ins  Gegenteil  verkehrte.  Hieß  es  z.  B. : 
, Jetzt  sei  still  !'  so  redete  ich  fortab  überhaupt  nichts,  bis 
es  den  Andern  unangenehm  wurde.  Sehr  MVäufig  kehrte 
sich  sein  I  rotz  auch  gegen  die  eigene  Person.  „Wenn 
mir  etwas  nicht  gelang,  mußte  ich  mir  oft  denken : 
, Recht  geschieht  dir  k  Es  war  gewissermaßen  eine 
Selbstkränkung,  die  ich  soweit  trieb,  daß  ich  den 
ganzen  Appetit  verlor.“  Wie  man  sieht,  führt  hier  der 
1  rotz  zum  Autosadismus.  Ebenso  auch  in  folgendem 
Zöge  :  ,,Es  steht  irgendwo  ein  Straßenbahnzug,  den  ich 
gern  benutzen  möchte.  Ich  könnte  ihn  noch  erreichen, 
wenn  ich  liefe.  Ich  laufe  aber  nicht  Nein,  er  soll  da¬ 
vonfahren  Dann  fährt  er  wirklich  fort,  ich  muß  lange 
warten  und  ärgere  mich  die  ganze  Zeit:  wo  wärst  du 
jetzt  schon,  was  hättest  du  unterdeß  machen  können! 
Also  Wut  und  Arger  über  mich  selbst.“ 

Bezeichnend  ist  auch  sein  Gehaben  im  Alltagsleben. 
Nach  jeder  Richtung  hin  gibt  er  eine  dürftige  Er¬ 
scheinung  ab,  körperlich  wie  geistig.  In  seinem  Berufe  ist 
er  angeblich  wegen  seiner  Neurose  und  seiner  ange¬ 
borenen  Myopie  nicht  sehr  leistungsfähig.  ,,Aber  trotz¬ 
dem“,  berichtet  er,  ,,habe  ich  mich  über  die  Arbeiter 
•  und  Kollegen  erhaben  gedünkt,  dann  aber  stieg  mir 
j  sofort  auf:  wenn  dies  ein  anderer  wüßte,  möchte  er 
darüber  lachen.  Seit  frühester  Kindheit  hatte  ich  schon 
die  Sucht,  mich  hervorzutun.  In  der  Schule  fühlte  ich 
mich  den  Kameraden  stets  geistig  voraus,  obwohl  das 
in  Wirklichkeit  gar  nicht  der  Fall  war.  Immer  hatte 
ich  die  Idee:  bevor  es  der  andere  erfaßt,  hast  du  es 
schon  mit  Leichtigkeit  weg.  Tatsächlich  aber  war  dies 
nur  in  meinen  Gedanken  so,  denn  mein  Abgangszeugnis 
war  sehr  schlecht.  Mir  war  stets  so,  als  ob  ich  den 
Lehrern  voraus  denken  könnte,  als  wäre  für  mich  nur 
Spielerei,  das  aufzufassen.  Ich  weiß,  es  war  nur  Größen¬ 
wahn,  aber  trotzdem  ist  es  heute  noch  vorhanden,  wenn 
i  ich  mich  z.  B.  jedem  Redner  weit  überlegen  fühle.“ 
Später  ergänzt  er  noch:  ,, Obwohl  ich  eine  Null  bin, 
komme  ich  mir  immer  so  bedeutsam  vor  nnd  schaue 
gewissermaßen  aus  einer  Höhe  auf  die  andern  herab. 
Ich  sagte  ja  schon,  ich  hielt  mich  wegen  meiner  ange¬ 
borenen  Myopie  für  minderwertig.  Ob  das  ganze  nicht 
zu  einer  Reaktion,  zu  einer  potenzierten  Überwertigkeit 
geführt  hat,  zu  einen  kleinem  Größenwahn  möchte  ich 
sagen?“ 

Endlich  brachte  er  noch  folgende  typische  Reaktion 
zur  Sprache:  ,,Das  Selbstbewußtsein  gründet  sich  auf 
den  Eindruck,  den  man  auf  Andre  macht.  Ist  man 
außer  stände,  diesen  zu  imponieren,  so  fehlt  einem  auch 
das  Selbstbewußtsein.  Nun  hatte  ich  keine  Leistungen 
aufzuweisen,  durch  welche  ich  Eindruck  machen  konnte. 
So  wollte  ich  es  wenigstens  im  passiven  Sinne,  indem 
ich  mich  als  wirklich  leidend  hinstellte.  Ich  kann  mich 
erinnern,  kurz  nachdem  ich  an  der  Klinik  untersucht 
worden  war,  habe  ich  zu  Hause  und  bei  den  Kameraden 
meine  Leiden  als  recht  schwer  hingestellt.  Ich  sagte 
sogar  — •  das  weiß  ich  noch  genau  —  der  Professor 
fände  meinen  Fall  sehr  bedeutsam  es  bestände  sogar 
Gefahr,  daß  ich  erblinde.  Ich  habe  also  gewissermaßen 
mit  der  Kastration  geprotzt.  Kann  man  auf  normale 
Art  keinen  Eindruck:  machen,  dann  versucht  man  es 
anders,  um  wenigstens  bedauert  zu  werden.  Ich 
habe  mich  immer  bedeutsam  gefühlt, 
wenn  ich  das  erzählt  e.“ 


305 


Der  Operationszwang  zur  Erlangung  der  Militär¬ 
tauglichkeit. 

Dr.  HansLieske,  Leipzig. 

^  Ohne  Zweifel  könnte  Deutschland  noch  viel  mehr 
Soldaten  aufbiingen,  wenn  einzelne,  die  wegen  eines 
kleinen,  leicht  zu  behebenden  Fehlers  militärfrei  sind, 
sich  der  nötigen  Operation  unterzögen. 

Wohl  infolgedessen  hört  man  vielfach  die  Behaup¬ 
tung,  der  Staat  könne  jeden  zwingen,  sich  zwecks  Her¬ 
beiführung  der  Militärtauglichkeit  operieren  zu  lassen. 

freilich  hat  sich  hiergegen  auch  ein  Sturm  des 
Widerspruchs  erhoben.  Man  verwies  auf  die  freien 
Menschen-  und  Persönlichkeitsrechte.  Niemand  könne 
genötigt  weiden,  fremde  Einwirkungen  an  seinem  Körper 
vornehmen  zu  lassen;  jede  Operation,  auch  die  harm¬ 
loseste,  sei  mit  Gefahr  verbunden. 

Ist  jedoch  die  Anschauung  vom  Operationszwang 
wirklich  so  verkehrt?  Durchaus  nicht!  Wenn  sie  auch 
nicht  in  jener  weitgehenden  Fassung  zutrifft,  so  hat  sie 
doch  einen  guten  Kern.  Der  Satz,  niemand  brauche 
sich  fremde  Einwirkung  auf  seinen  Körper  gefallen  zu 
lassen,  klingt  zwar  bestechend.  Aber  bei  näherem  Über¬ 
legen  finden  wir  bald,  daß  er  Ausnahmen  aufweist. 
Man  denke  znm  Beispiel  an  den  sogenannten  Impfzwang. 
Jeder  von  uns  mußte  sich  bekanntlich  zweimal  in  seinem 
Leben  zum  Schutze  gegen  Pockenerkrankung  impfen 
lassen.  Wenn  wir  uns  nun  im  öffentlichen  Interesse, 
um  dem  Ausbruch  einer  Pockenseuche  entgegenzu¬ 
wirken,  impfen  lassen  müssen,  warum  sollten  wir  nicht 
auch  gezwungen  werden  können,  zum  Besten  unserer 
Landesverteidigung,  zur  Vergrößerung  unserer  Heeres¬ 
macht,  uns  einer  Operation  zu  unterziehen,  um  dadurch 
die  Militärtauglichkeit  zu  erlangen? 

An  sich  ist  also  der  Gedanke  des  Operationszwanges 
zur  Heibeiführung  der  Heeresdienstfähigkeit  gar  nicht 
so  fernliegend.  Und  doch  besteht  gegenüber  dem  Impf¬ 
zwang  ein  ausschlaggebender  Unterschied.  Der  Impf¬ 
zwang  ist  im  Gesetze  ausdrücklich  ausgesprochen.  In 
keinem  Militärgesetze  findet  sich  aber  eine  Bestimmung, 
daß  wir  uns  operieren  lassen  müssen,  um  militärtauglich 
zu  werden.  Deshalb  stimmt  die  Behauptung,  wonach 
derjenige,  der  noch  kein  Soldat  ist,  nicht  gezwungen 
werden  kann,  sich  einer  Operation  zu  unterziehen,  um 
dadurch  die  körperliche  Fähigkeit  zum  Soldaten  zu  er- 
i eichen.  Unrecht  aber  haben  jene  Verfechter  „der  freien 
Menschenrechte“,  wenn  sie  mit  ihrem  Widerspruch  aus¬ 
drück  en  wollten,  auch  der  Soldat  könne  es  ablehnen, 
sich  zum  Zwecke  erhöhter  Militärtauglichkeit  operieren 
zu  lassen.  Denn  solcher  Zwang  auf  den  Soldaten  kann 
Kraft  der  militärischen  Befehlsgewalt  ausgeübt  werden. 

Nehmen  wir  an,  der  28  jährige  Kaufmann  Paul 
Müller  hat  sich  vor  einigen  Jahren  infolge  eines  Sturzes 
eine  Sehnenzerrung  zugezogen,  die  ihn  im  Gebrauche 
des  einen  Beines  so  stark  behindert,  daß  er  militärun¬ 
tauglich  ist.  Er  ist  sonst  kerngesund  und  könnte  durch 
eine  Operation  der  Sehne,  die  weder  lebensgefährlich 
wäre,  noch  auch  ein  Risiko  für  die  spätere  Benützbar¬ 
keit  des  Beines  bedeuten  würde,  der  Fehler  völlig  be¬ 
seitigt  und  die  Heeresdienstfähigkeit  des  Müller  herge¬ 
stellt  werden.  Darf  hier  die  Militärbehörde  den  Müller 
zur  Duldung  der  Operation  zwingen?  Nein.  Solange 
Müller  nicht  in  das  Heer  eingestellt  ist,  kann  ihm  kein 
militärischer  Befehl  erteilt  werden,  sich  der  Operation 
zu  unterziehen.  Der  Militärbehörde  bliebe  also  nur  das 
Mittel,  den  Müller  trotz  seiner  Untauglichkeit  in  das 
Heer  einzustellen  und  ihm  dann  den  dienstlichen  Be¬ 
fehl  zur  Duldung  der  Operation  zu  geben.  Müller  wird 
vielleicht  dagegen  einwenden,  daß  er,  wenn  er  nicht 
militärtauglich  sei,  auch  nicht  eingestellt  werden  könne. 
Er  wird  aber  mit  dieser  Entgegnung  kein  Glück  haben. 
Die  Entscheidung  darüber,  ob  jemand  heeresdiensttauo-. 


306 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  3l. 


lieh  sei,  liegt  allein  im  Ermessen  der  Militärbehörde 
Und  wenn  der  Militärarzt  sich  auf  den  Standpunkt  stellt, 
daß  Müller  tauglich  sei,  sich  dabei  insgeheim  vorbehaltend, 
ihn  alsbald  nach  seiner  Einstellung  zu  operieren,  so 
wird  sich  gegen  solches  Verfahren  rechtlich  nichts  Vor¬ 
bringen  lassen. 

Damit  kommen  wir  zu  den  mit  körperlichen  Fehlern 
behafteten  Militärpersonen.  Es  gibt  manchen  Soldaten, 
der  infolge  eines  kleinen  Makels  lediglich  garnisondienst¬ 
fähig  ist  und  durch  eine  einfache  Operation  die  Feld¬ 
dienstfähigkeit  erlangen  könnte.  Man  denke  zum  Bei¬ 
spiel  an  einen  Bruch  oder  an  einen  Kropf,  Gebrechen, 
die  häufig  durch  einen  harmlosen  medizinischen  Eingriff 
zu  beseitigen  sind.  Handelt  es  sich  hier  um  eine  wirk¬ 
lich  leichte  Operation  und  besteht  nach  dem  Standpunkte 
der  medizinischen  Wissenschaft  die  Gewähr  dafür,  daß 
die  Operation  wirklich  die  Kriegsverwendungsfähigkeit 
herbeiführt,  so  wird  der  Soldat  gezwungen  werden 
können,  sich  ihr  zu  unterziehen.  So  gut  er  sonstige 
Anordnungen  seiner  Vorgesetzten  zu  befolgen  hat,  so 
gut  muß  er  auch  dem  dienstlichen  Befehle  gehorchen, 
sich  operieren  zu  lassen.  Dieser  Befehl  wird  vom 
Regimentskommandeur  oder  von  einer  noch  höheren 
Stelle  nach  pflichtgemäßem  Ermessen  ausgehen  müssen. 
Vorgesetzte  niederer  Ordnung  werden  bei  der  Tragweite 
einer  solchen  Anordnung  nicht  dazu  befugt  sein. 

Allerdings  darf  man  das  Recht  der  Militärbehörde, 


den  Soldaten  zur  Duldung  einer  Operation  zu  zwingen, 
nicht  überspannen.  Wie  bereits  angedeutet,  braucht  sich 
der  Soldat  nur  harmlosen  Operationen  zu  unterziehen. 
Ist  mit  der  Operation  eine  Lebensgefahr  verbunden,  so 
kann  kein  dienstlicher  Befehl  ihn  nötigen,  sie  an  sich 
vornehmen  zu  lassen.  Deshalb  kann  der  Soldat  jede 
Operation  ablehnen,  die  Chloroform-  oder  Äthernarkose 
erfordert.  Denn  die  Narkose  ist  nie  gefahrlos  ;  sie  birgt 
immer  die  Gefahr  des  Nichtmehrerwachens  in  sich.  Anders 
ist  es  bei  Operationen,  bei  denen  nur  bestimmte  Körper¬ 
stellen  durch  Einspritzen  von  Medikamenten  unempfind¬ 
lich  gemacht  werden,  wie  das  zum  Beispiel  bei  Bruch¬ 
oder  Kropfoperationen  in  der  Regel  geschieht.  Solchen 
Eingriffen  wird  sich  der  Soldat  nicht  entziehen  können. 

Man  könnte  allerdings  sagen  —  und  diese  Meinung 
wird  auch  vertreten  — ,  wenn  der  Vorgesetzte  den  Sol¬ 
daten  draußen  im  Felde  an  einen  gefährdeten  Posten 
stellen  oder  ihn  zum  Sturme  gegen  todspeiende  Festungs¬ 
werke  ansetzen  könne,  dann  müsse  er  doch  auch  das 
Recht  haben,  ihn  zur  Dnldung  jeder,  auch  der  gefähr¬ 
lichsten,  Operation  zu  zwingen.  Diese  Anschauung  ist 
aber  unrichtig.  Der  Kampf  im  Felde,  der  Ansturm  gegen 
den  beind,  ist  des  Soldaten  heiligster  Beruf.  Und  es 
ist  etwas  ganz  anderes,  wenn  der  Vorgesetzte  ihn  zur 
Erfüllung  dieser  Kampfespflicht  aufruft,  als  wenn  er  ihn 
zwingt,  sich  unter  das  Messer  des  Arztes  zu  begeben. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Spiegel,  Die  Diptherie  und  ihre  Behandlung.  (Reichs- 
Medizinal- Anzeiger,  Nr.  9,  1916.)  — 

Es  wird  empfohlen,  die  Serumbehandluug  so  früh  wie 
möglich  einzuleiten  und  zwar  eine  möglichst  hohe  Dosis  ein¬ 
malig  zu  injizieren,  daneben  prophjdaktisch  mit  Beginn  der 
Behandlung  Herzmittel  zu  verabreichen. 

Wern.  H.  Becker-Herborn. 

Hasebroek,  Eine  neue  Auffassung  über  die  Patho¬ 
genese  der  Krampfadern.  (Reiclis-Medizinal-Anzeiger,  Nr.  8, 
1916.)  — 

Verfasser  führt  die  Entstehung  der  Varicen  nicht  auf 
primär  entstandenen  hydrostatischen  Druck  oder  auf  Herzklap- 
peninsufficieuz  sondern  auf  gesteigerten  arteriopulsatorischen 
Strom  also  auf  die  Vis  a  tergo  zurück. 

Wern.  H.  Becker-Herborn. 

Kehrer,  Die  Differenzialdiagnose  der  Gicht,  (Reichs- 
Medizinal-Anzeiger,  Nr.  7,  1916.)  — 

Besprechung  der  Methode,  die  Gicht  aus  dem  Harnsäure¬ 
gehalt  von  Blut  und  Urin  bei  purinfreier  Diät  unter  Atophandar- 
reichung  zu  diagnostizieren.  Anführung  von  neuen  einschlägigen 
Fällen.  Hervorhebung  des  Wertes  dieser  Methode,  die  auch 
eine  Früdiagnose  zu  einer  Zeit  gestatte,  wo  die  klinischen  Symp¬ 
tome  noch  völlig  fehlen. 

Wern.  H.  Becker-Herborn. 

Roth,  Die  Beeinflussung  des  Pulses  durch  die  Atmung* 

(Corres.  Blatt  f.  Schweiz.  Ärzte.  1916.  Nr.  19.)  • 

Verfasser  bespricht  an  der  Hand  einiger  Kurven  die  Be¬ 
einflussung  des  Pulses  durch  die  Atmung,  wobei  er  die  Schwan¬ 
kungen,  bei  denen  Puls  und  Atmung  von  zentralen  Einflüssen 
abhängig  sind,  nur  kurz  erwähnt.  In  den  Fällen,  in  denen 
der  Puls  direkt  von  der  Atmung  abhängig  ist,  unterscheidet 
er  solche,  in  denen  die  Atmung  reflektorisch  Pulsschwankungen 
auslöst  (Arythmia  respiratoria)  und  solche,  in  denen  die  At¬ 
mung  eine  mechanische  Beeinflussung  ausübt  (Pulsus  paradoxus). ! 


Die  erste  bezieht  er  auf  eine  Vaguswirkung;  lässt  es  aber  aus¬ 
drücklich  dahingestellt,  ob  nicht  in  manchen  Fällen  „die 
respiratorische  Arythmie  doch  als  Folge  einer  Herzschädigung 
aufgefasst  werden  muss“. 

Die  zweite  Gruppe  teilt  er  in  dynamisch  und  mechauisch 
verursachte  Fälle  ein.  Im  ersteren  Falle  muss,  „wenn  entweder 
der  inspiratorische  Zug  von  Seiten  der  Lungen  viel  grösser  ge¬ 
worden  ist  als  in  der  Norm  (z.  B.  bei  Stenosen  der  Luftwege 
usw.),  oder  wenn  das  Herz  und  Gefässe  an  Widerstandskraft 
verloren  haben,  der  Einfluss  der  Atmung  sofort  durch  eine 
geringere  Füllung  der  peripheren  Arterien  zur  Zeit  der  Inspi¬ 
ration  deutlich  werden.“  Im  zweiten  Fall  handelt  es  sich  um 
eine  erschwerte  Füllung  der  Arterien  infolge  von  Verwachsun¬ 
gen  des  Herzens.  Da  selbstverständlich  beim  Pulsus  paradoxus 
die  Arythmia  respiratoria  störend  wirken  kann,  so  kann  man 
durch  Injektion  von  einem  Milligramm  Atropin  diese  aus- 
schalteu.  Boenheim. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

S  t  o  1  1  e  r,  Über  die  Erfolge  der  Behandlung  der  Hüft¬ 
gelenkstuberkulose,  Reichs-Medizinal-Anzeiger,  Nr.  6,  1916. 

Verfasser  rühmt  die  chirurgischen  Erfolge  gegenüber  allzu 
konservativer  Behandlung,  erkennt  aber  dabei  den  Nutzen  der 
Höhen-  und  Sonnenbehandlung  oder  auch  der  Freiluftbehand¬ 
lung  wohl  an.  Er  empfiehlt  deshalb  die  Verbindung  von 
Radikaloperation  mit  Höhen-  und  Sonuenbehandlung. 

Wern.  H.  Becker-Herborn. 

H  a  r  1 1  e  i  b,  Transversalschuss  durch  beide  Sehzentren. 

Reichs-Medizinal-Anzeiger,  Nr.  1,  1916.  — 

Verfasser  hat  als  leitender  Arzt  eines  Reservelazaretts  einen 
relativ  seltenen  Fall  zu  sehen  bekommen,  nämlich  eine  Schuss¬ 
verletzung,  die  am  Os|  occipitale  8  cm  oberhalb  des  Ohran¬ 
satzes  ihren  Einschuss  und  genau  entsprechend  in  derselben 
Höhe  8  cm  oberhalb  des  rechten  Ohransatzes  ihren  Ausschuss 


Nr.  31 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


307 


hatte.  Die  anfänglich  vorhandene  totale  Amaurose  lehrte,  dass 
beide  Sehzentren  lädiert  waren  Nach  4  Monaten  trat  Besse¬ 
rung  ein,  die  immer  mehr  wieder  das  Sehen  ermöglichte, 
schliesslich  aber  zum  Stillstand  kam.  Zurückblieb  ausser  einer 
gewissen  Sehschwäche  eine  starke,  besonders  lechtsseitige  Ein¬ 
engung  der  Gesichtsfelder. 

Wern.  H.  Becker- Herborn. 

Kirchber  g,  Franz,  Beurteilung  und  Nachbehandlung 
von  Lungenschüssen.  Zeitschr.  f.  physik.  und  diätet.  Therapie 
XX.  1916.  5.  Heft.  S.  131-151.' 

Wir  lachen  alle  über  den  Vogel  Strauss,  der  bei  drohender 
Gefahr  seinen  Kopf  versteckt.  Aber  wir  tun  das  mit  Unrecht, 
denn  wir  Menschen  handeln  häufig  genug  nicht  anders.  So 
erklärt  der  Chirurg  den  Pat.  mit  Lungenschuss  für  geheilt, 
wenn  sich  die  äusseren  Wunden  geschlossen  haben  Den 
inneren  Verletzungen  schenkt  er  weiter  nicht  viel  Beachtung. 
Im  vorliegenden  Aufsatz  beleuchtet  K.  gerade  diese  letzteren, 
die  Verwachsungen,  Verlagerungen,  ev.  angefachte  Tuberkulose¬ 
herde  und  betont,  dass  man  Lungen- Verwundete  noch  lange 
vor  dem  Röntgenschirm  bezw  auf  Photographien  kontrollieren 
müsse.  Die  Bemerkungen  über  die  physiologische  Bedeutung 
des  so  wenig  bewerteten  Zwerchfells  erscheinen  mir  in  jeder 
Hinsicht  verdienstlich.  Dem  Zwerchfell  kommt  denn  auch  bei 
dem  Bestreben,  die  Verwachsungen  zu  lösen,  die  erste  Rolle 
zu.  Daneben  wendet  K.  auch  noch  Lagerungen,  Saug-  und 
Druckbehandlung  au.  Ich  möchte  auf  Grund  eigener  Er¬ 
fahrungen  noch  Heissluft-Prozeduren  und  Moorbäder  bei- 
fügen. 

Wenn  wir  uns  daran  gewöhnen,  ähnlich  wie  bei  den 
Lungenschüssen  auch  bei  anderen  inneren  Erkrankungen  den 
weiteren  Verlauf  der  Dinge  nach  der  äusserlichen  Heilung 
weiter  zu  verfolgen,  werden  wir  den  Pat.  vor  mancher  späteren 
Beschwerde  behüten.  Aber  der  schon  vor  10U  Jahren  von 
Bro  ussais  gegebene  Rat  findet  weder  bei  Arzt  noch  Pat. 
viel  Anklang.  Buttersack 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

K  S  c  h  i  1  1  i  n  g,  Die  nervösen  Störungen  nach  Telephon¬ 
unfällen.  (Zeitschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  und  Psychol.,  XXIX, 
1915.  Heft  3  4). 

Nach  einer  sorgfältigen  Analyse  der  nervösen  Störungen 
bei  Telephonunfällen,  bei  denen  die  psychischen  Beeinflussungen 
von  den  rein  mechanischen  Faktoren  der  elektrischen  Strom¬ 
wirkung  zu  trennen  der  Versuch  gemacht  wird,  kommt  Verf. 
zu  dem  Resultat,  dass  die  nach  Telephonunfällen  entstehenden 
Krankheiten  sich  zusammensetzen  aus  einer  allgemeinen  ner¬ 
vösen  Störung  unter  dem  Bilde  der  Neurasthenie,  Hysterie  und 
Hypochondrie  und  zum  Teil  lokalisierten  offenbar  neuritischen 
Prozessen  ;  die  Prognose  dieser  Erkrankung  ist  verhältnismässig 
ungünstig  Therapeutisch  gibt  es  keine  Methode,  die  das  Lei¬ 
den  mit  einiger  Sicherheit  beeinflussen  könnte.  Neben  der 
symptomatischen  Behandlung  kommen  hydriatische,  elektrische 
(Franklinisation,  seltener  Faradisation),  medico-mechauische  und 
klimatische  Massnahmen  in  Frage;  vor  allem  aber  muss  der 
leidende  psychische  Zustand  Gegenstand  einer  individuellen 
Behandlung  sein.  Von  vielen  Seiten  wird  eine  massige  Ar¬ 
beitstherapie  vorgeschlagen,  doch  ist  hier  Vorsicht  am  Platze, 
denn  die  kranken  Teile  bedürfen  im  allgemeinen  der  Ruhig¬ 
stellung.  Von  allergrösster  Wichtigkeit  ist  die  Prophylaxe, 
die  vor  allem  darin  besteht,  dass  nur  gesunde  Personen  zum 
Dienst  zugelassen  sind  und  dass  der  Dienst  so  einzurichten 
ist,  dass  nicht  ein  Teil  der  Beamten  Klagen  über  erworbene 
Nervosität  führt.  Technisch  ist  ferner  natürlich  von  grösster 
Wichtigkeit,  dass  alle  Möglichkeiten  eines  Strom übergapgs  aus 
einer  Telephonleitung  auf  den  Beamten  sowie  des  Auftretens 
von  stärkeren  Strömen  in  der  geschlossenen  Leitung  ausge¬ 
schaltet  werden.  W.  Misch. 

R.  W  alter,  Hirnsyphilis  und  Psychose.  (Zeitschr.  f. 
d.  ges.  Neurol.  und  Psych.,  XXVI.  1914.  S.  251. 

Auf  Grund  der  Analyse  von  12  Fällen  von  Lues  cerebri 
mit  psychotischen  Erscheinungen  kommt  Verf.  zu  folgendem 


Ergebnis  über  die  die  Hirnsyphilis  begleitenden  Psychosen : 
Es  können  chronische  Defektzustände  und  akute  Psychosen 
auftreten.  Bei  den  chronischen  Defektzuständen  setzt  die  Er¬ 
krankung  meist  langsam  ein,  manchmal  auch  akut,  niemals 
jedoch  mit  einem  Erregungszustand,  und  verläuft  durchaus 
chronisch.  Das  psychische  Krankheitsbild  zeigt  den  amnesti¬ 
schen  Symptomenkomplex  entweder  nur  partiell  oder  in  voller 
Ausbildung;  in  einem  Fall  fänden  sich  nur  Auffassungsstörungen. 
Das  Korsakowsche  Syndrom  bei  Lues  cerebri  unterscheidet  sich 
von  dem  bei  Alkoholismus  durch  Einförmigkeit,  geringe 
Produktivität  und  Fehlen  initialer  Erregungszustände.  In  einem 
Fall  bestand  neben  der  amnestischen  Störung  eine  Störung 
assoziativer  Art  (Witzelsucht).  Die  chronischen  Defektzustände 
bei  Hirnsyphilis  zeigen  Beziehungen  zu  den  Störungen,  die 
nach  gröberen  Hirnschädigungen,  Tumoren,  Apoplexien,  Menin¬ 
gitis,  Vorkommen.  Von  den  die  Hirnsyphilis  begleitenden  akuten 
Psychosen  wurden  akute  Halluzinosen  (in  drei  Fällen),  Angst¬ 
psychose  (in  einem  Fall)  und  Dämmerzustand  (in  einem  Fall) 
beobachtet.  Die  akuten  Psychosen  stellen  exogene  Reaktions¬ 
typen  im  Sinne  Bonhöffers  dar  und  haben  engere  Beziehungen 
zu  den  akuten  toxischen  Psychosen.  Ausserdem  wurde  eine 
zirkuläre  Erkrankung  beobachtet,  bei  der  zahlreiche  akustische 
Halluzinationen  das  Krankheitsbild  beherrschten.  Misch. 

O  H  e  b  o  1  d,  Der  Tod  infolge  epileptischen  Anfalls 

(Arch.  f.  Psych ,  Bd.  55,  Heft  3,  S.  959.  1915). 

Der  Tod  tritt  bei  Epileptikern  nur  selten  als  eine  innere 
Folge  des  Krampfanfalls  selbst  ein.  Als  Ursache  für  den  Tod 
im  epileptischen  Anfall  bleibt  in  den  wenigen  Fällen,  wo  keine 
äusseren  ursächlichen  Umstände  vorliegen,  nur,  wie  bei  anderen 
Todesfällen  ohne  erkennbare  Ursache,  die  Annahme  eines 
Herzschlages,  eines  Versagens  der  Herztätigkeit,  übrig;  gegen 
diese  Erklärung  dürfte  am  wenigsten  einzuwenden  sein,  wenn 
den  Körper  und  die  Herztätigkeit  schwächende  Verhältnisse 
Vorgelegen  haben,  und  selbstverständlich,  wenn  ein  Herzfehler 
oder  Arteriosklerose  bestand.  Sonst  kommen  in  der  aller  grössten 
Mehrzahl  nur  Unfälle  in  Betracht;  zuweilen  hängt  es  nur  von 
Zufälligkeiten  ab,  ob  der  Epileptiker  bei  dem  Unfall  sofort  im 
Anfall  einen  plötzlichen  Tod  erleidet  oder  sich  eine  Verletzung 
zuzieht,  die  nachher  zu  einen  tötlichen  Ausgang  führt.  Es 
wird  folgendes  unterschieden:  I.  Der  plötzliche  Tod  wird  1. 
durch  den  Anfall  an  sich  herbeigeführt  (durch  Herzschwäche, 
Herzriss,  Hirnblutung) ;  2.  Der  Kranke  stirbt  infolge  des 

Sturzes  an  der  im  Anfall  enthaltenen  Verletzung  sofort  (Ge 
nickbrueh,  "Wirbelbruch,  seltener  bei  Schädelbruch) ;  3.  Es  trit 
Erstickung  durch  die  Lage  ein,  die  vom  Anfall  selbst  herbei¬ 
geführt  wird  (bei  Bauchlage  im  Bett,  Einklemmen  zwischen- 
Gegenständen,  in  Gesichtslage  auf  dem  Boden).  4.  Der  Kranke 
erstickt  durch  Einatmen  fremder  Stoffe  (von  Speiseresten  wäh¬ 
rend  oder  nach  der  Mahlzeit,  von  Wasser  beim  Baden  oder 
Fall  ins  Wasser)  oder  verbrennt  bei  Fall  ins  Feuer.  5.  Im 
Endzustand  des  Anfalls,  dem  Zustande  der  Bewusstseinsstörung, 
kann  er  Selbstmord  begehen.  —  II.  Der  Tod  nach  dem  Anfall 
wird  6.  durch  den  Anfall  selbst  durch  Gehirnblutung  (bei 
Artex-iosklerose)  oder  durch  Gehirngeschwulst  herbeigeführt; 

7.  durch  Sturz  auf  den  Kopf  im  Anfall,  der  mit  oder  ohne 
Schädelbruch  Gehirn-  und  Hirnhautblutungen  verursacht, 

8.  durch  Fall  ins  Feuer  und  heisse  Flüssigkeiten  (Verbrennen, 
Verbrühen),  9.  durch  Infektion  der  im  Anfall  erhaltenen 
Wunden  (Tetanus  traumaticus). 


Medikamentöse  Therapie. 

H.  Hirschfeld,  Die  Indikation  der  Eisen-  und  Arsen¬ 
therapie  bei  Anämien,  Reichs-Medizinal- Anzeiger,  Nr  1,  1916- 
Eisen  ist  nach  Verfasser  indiziert  bei  jeder  Art  von  Anä¬ 
mie.  nicht  aber  bei  Pseudanämie.  Arsen  „hilft  gut  nach'*,  wo 
Eisen  allein  zu  langsam  oder  gar  nicht  wirkt.  Bei  ganz 
schweren  Anämien  tut  man  gut,  gleich  von  vorneherein  beide 
Medikamente  zu  kombinieren.  Nur  Arsen  soll  man  geben  bei 
der  Biermerschen  progressiven  gerniziösen  Anämie,  bei  der 
Bothriocephalusauämie  und  bei  der  aut  Lues,  Malaria  und 
Gravidität  beruhenden  perniziösen  Anämie;  ausserdem  na¬ 
türlich  ev.  Kausalbehandlung.  Wern.  H.  Becker-Herborn. 


308 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  31. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Czer  n  y,  Ad.  Berlin),  Die  natürliche  und  künstliche 
Höhensonne.  Zeitschr  f.  physik.  u.  diätet.  Therap.  XX.  1916- 
5.  Heft,  S.  129/130. 

II  o  H  i  e  r  hatte  1912  berichtet,  dass  bei  einer  Varizellen - 
epidemie  die  Bläschen  nur  an  den  bedeckten,  nicht  durch 
Heliotherapie  pigmentierten  Hautpartien  aufgetreten  waren. 
In  striktem  Gegensatz  sind  bei  einem  1 1  a  Jahre  alten  Mäd¬ 
chen  der  Berliner  Kinderklinik,  welches  wegen  tuberkulöser 
Haut-  und  Knochen affektionen  4  Wochen  lang  mit  künstlicher 
Höhensonne  bestrahlt  und  bereits  deutlich  pigmentiert  war,  die 
Varizellenbläschen  ausschliesslich  auf  den  pigmentierten  Stellen 
erschienen,  nicht  aber  z.  B.  unter  der  Windelbose. 

Demnach  wirkt  die  künstliche  Höhensonne  anders  als  die 
natürliche  und  würde  dann  ihren  Namen  zu  Unrecht  tragen. 

Buttersack. 

L  a  q  u  e  u  r,  A.  (Berlin),  Mechanotherapie  bei  Ver¬ 
letzungen  der  oberen  Extremität. 

Zeitschr.  f.  physikal.  und  diätet.  Therapie.  XX.  1910, 
5.  Heft.  S.  152  -157.  8  Abbildungen  und  Beschreibungen 

der  von  Herrn  Flake  konstruierter,  durch  Dolgner,  Fandre  &  Co., 
Berlin  N  05  zu  beziehender,  leichter  und  handlicher  Appa¬ 
rate  zur  Bekämpfung  von  allerhand  Kontrakturen  der  Hände 
und  Finger.  Buttersack. 


Bücherschau. 


V.  H  offmann,  Geza,  Krieg  und  Rassenhygiene- 

München,  I.  F.  Lehmann,  1910.  29  Seiten.  Mk.  0,50. 

Während  draussen  der  Krieg  unaufhörlich  neue  Opfer 
fordert,  sind  im  Inneren^  bereits  Kräfte  [tätig,  welche  den 
Wiederaufbau  der  Nation  auf  gesunder  Grundlage  im  Auge 
haben.  Der  Krieg  hat  das  Denken  der  Allgemeinheit  unbe¬ 
wusst  beeinflusst.  Man  hat  erkannt,  dass  nur  die  Tüchtigen 
etwas  wert  sind,  und  scheint  bereit  zu  sein,  die  unglückseligen 
Humanitätsduseleien,  die  schliesslich  nur  auf  das  Erhalten  und 
Grosszüchten  von  Minderwertigen  hinauslaufen,  einer  Revision 
zu  unterwerfen. 

Auch  die  vorliegende  Broschüre  bewegt  sich  in  diesem 
Gleis.  Der  Völkertod  sei  nicht  ebenso  wie  der  Tod  des  Ein¬ 
zelnen  eine  physiologische  Notwendigkeit,  sondern  die  Folge 
quantitativ  oder  qualitativ  unzureichender  Fortpflanzung.  Die 
Ursache  dieser  Erscheinung  sieht  v.  Hoff  m  a  n  n  nicht  in 
endogenen,  sondern  in  exogenen  Momenten  und  zwar  im  sog. 
Kulturleben.  Um  diesen  Schäden  zu  begegnen  empfiehlt  er 
im  Sinne  der  deutschen  Gesellschaft  für  Rassenhj'giene  die  be¬ 
kannten  Vorschläge:  Eheverbote,  Gesundheitsscheine  bei  der 
Verlobung,  Unfruchtbarmachung  Minderwertiger,  dauerhaft  für 
rückfällige  Verbrecher  (warum  nicht  auch  für  solche,  die  nur 
e  i  n  Mal  ertappt  werden  ?),  Auszeichnung  kinderreicher,  tüchtiger 
Familien,  Siedlungswesen,  Erbrecht,  Wohnungswesen,  Kampf 
gegen  Geschlechtskrankheiten,  Alhohol  (u.  Nikotin-Ref.), 

Diese  Dinge  sind  gewiss  höchst  beachtenswert.  Allein  sie 
treffen  ra.  E.  das  Übel  nicht  au  der  Wurzel.  Das  Verhängnis¬ 
volle  an  der  zu  Ende  gehenden  Kulturperiode  »var  das  egozen¬ 
trische  Lebensideal.  Wie  die  mechanistisch-atomistische  Welt- 
Anschauung  die  im  gegebenen  Augenblick  greifbar  vorhandene 
Materie  in  den  Mittelpunkt  der  Betrachtung  gerückt  hat,  so  über¬ 
sah  man  auch  im  sozialen  Leben  vielfach  vor  dem  Individuum 
die  zahllosen  Fäden,  welche  dieses  mit  Vor-  Mit-  und  Nach¬ 
welt  verknüpfen.  Wir  müssen  also  grösser  Denken 
lernen  und  nicht  mehr  bloss  in  momentanem  äusserlichem  Be- 1 
sitz,  seien  es  Ehrenstellen,  Geld,  Titel  usw.  den  Zweck  des 
Daseins  erkennen  Dann  folgen  die  von  V.  H.  gewünschten 
Institutionen  von  selbst  nach. 

Nur  die  Ideale  entscheiden  über  die  Schicksale  der  Völker. 

Butter  sack. 


V  i  e  r  o  r  d  t,  Medizin-Geschichtliches  Hilfsbuch  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  Entdeckungsgeschichte  und 
der  Biographie.  Verlag  der  Lauppschen  Buchhandlung,  Tü¬ 
bingen  1910.  Preis  geh.  Mk.  1 0,40. 

Als  Geleitwort  kann  dem  trefflichen  Buch  am  besten  das 
Vorwort  dienen  : 


,.Dies  Buch  hat  sein  Schicksal  gehabt,  noch  ehe  es  zur 
Ausgabe  gelangt  ist.  Sein  Druck  war  begonnen,  am  29.  Juli 
1914  batte  ich  die  ersten  Fahnen  erhalten,  aber  mit  dem 
5.  August  wurde  die  Drucklegung  eingestellt,  nachdem  fast 
5  Bogen  abgesetzt  waren,  und  erst  nach  längeren,  1915  ge¬ 
führten  Verhandlungen,  erreichte  ich  es  durch  freundliches  Ent¬ 
gegenkommen  des  Verlags,  dass  Anfang  März  der  Druck  wieder 
aufgenommen  und  in  langsamem  Fortschreiten  weitergeführt 
wurde.  Ich  hebe  all  dies  hervor,  um  nicht  in  den  Verdacht 
zu  geraten,  das,  was  ich  in  selbständiger  langjähriger  Arbeit 
ersammelt  habe  und  nun  wohl  gesichtet  an  die  Öffentlichkeit 
gebe,  sei  in  der  Hauptsache  aus  anderen,  neueren  und  neuesten 
Quellen  geschöpft. 

Das  „Hilfsbuch“  soll,  wie  ausdrücklich  gesagt  werden 
muss,  kein  bibliographisches  Nachschlagebuch  im  gewöhnlichen 
Sinne  sein,  kann  es  ja  auch  bei  seinem  Umfang  gar  nicht  sein. 
Es  gibt  lediglich  das  in  geschichtlicher  Hinsicht  wichtiger  Er¬ 
scheinende,  weshalb  die  Aufnahme  auch  von  Zeitschriften-Auf- 
sätzen  nicht  zu  umgeben  war.  Nur  so  konnte  der  in  unserer 
medizinischen  Geschichtsschreibung  noch  ziemlich  im  argen 
liegenden  Entdeckungsgeschichte  Gerechtigkeit  widerfahren. 
Das  tatsächlich  aufgenommene  sind  zumeist  Monographien, 
dann  aber  auch  berühmter  gewordene  lehrbuchmässige  Werke, 
die  Bedeutung  erlangt  haben,  im  allgemeinen  aber  sind,  frei¬ 
lich  mit  verschiedenen  Ausnahmen,  Lehrbücher,  zumal  solche 
der  neuesten  Zeit,  nicht  berücksichtigt,  es  sei  denn,  dass  sie 
das  Historische  besonders  betonen.  Auch  sind  verbreitete  und 
viel  benützte  Nachschlage-  und  Sammelwerke,  Enzyklopädien 
und  dergl.  als  bekannt  vorausgesetzt  und  nur  in  Ausuahme- 
fälleu  aufgeführt.  Ab  und  zu  wird  man  auch  ein  Buch  finden, 
das  in  früheren  Zeiten  eine  Rolle  gespielt  hat,  jetzt  aber  der 
\  ergessenheit  anbei mgefallen  ist.  Auf  die  Nennungen  von 
Übersetzungen  ist  Wert  gelegt,  auch  da.  wo  sie  handwerks- 
mässig  ausgefallen  sind;  bei  der  wachsenden  Abkehr  von  den 
klassischen  Sprachen  sind  sie  ohnedies  nicht  mehr  zu  ent¬ 
behren.  Wer  es  aber  vermag,  geniesse  die  medizinischen  Klas¬ 
siker  in  ihrer  Ursprache.  Dass  manches  Buch  hier  nicht  ge¬ 
funden  wird,  obwohl  es  dem  einen  und  anderen  unbedingt  als 
„wichtig“  erscheinen  mag,  will  ich  gerne  zugeben,  aber  ich 
habe  den  Grundsatz  der  weisen  Beschränkung  obenan  gestellt, 
schon  um  dem  Buch  mässigen  Umfang  und  Preis  zu  sichern. 
Ich  erwähne  als  nicht  ganz  selbstverständlich,  dass  ich  nach 
Möglichkeit  von  jeder  Schrift  und  jedem  Aufsatz  Einsicht  ge¬ 
nommen  habe,  um  getreue  Wiedergabe  des  Titels  und  Inhalts 
zu  gewährleisten;  bei  einer  verschwindend  kleinen  Zahl  war 
es  mir  aber  nicht  möglich,  durch  Vermittlung  deutscher  Bib¬ 
liotheken  des  gesuchten  Buches  habhaft  zu  werden  Für  Bei¬ 
behaltung  der  entsprechenden  Orthographie  in  den  älteren 
Büchern  habe  ich  mich  nach  guter  Überlegung  entschieden; 
wer  diese  scheinbare  Pedanterie  verstehen  will,  wird  ihr  eine 
gewisse  Berechtigung  in  einem  Buch,  das  der  Geschichte  eine: 
Wissenschaft  dienen  will,  nicht  absprechen.  —  Noch  eines- 
den  wenigen,  die  sich  in  Deutschland  mit  Geschichte  der  Medir 
zin  beschäftigen,  lernend  oder  lehrend,  kann  das  Buch  eine 
wesentliche  Unterstützung  sein  und  das  Aulfinden  wichtiger 
Buchquellen,  die  Feststellung  bedeutsamer  Errungenschaften 
auf  medizinischem  Gebiet  sehr  erleichtern.  Die  gangbaren 
medizin-geschichtlichen  Werke  entbehren  eines  brauchbaren 
eingehenden  Sachregisters,  auf  das  in  diesem  Buche  besondere 
Sorgfalt  verwandt  wurde. 

Möge  mein  Versuch,  der  medizinischen  Geschichtsforschung 
ein  verlässliches  und  bequemes  Hilfsmittel  an  die  Hand  zu 
geben,  günstige  Aufnahme  begegnen.“  R. 

G  o  1  i  n  e  r,  Kompendium  der  ärztlichen  Versicherungs¬ 
praxis.  1915.  Verlag  von  Georg  Thieme. 

Auf  langjähriger  Erfahrung  fussend  hat  der  Autor  kurz 
die  zur  Untersuchung  des  Lebensversicherungskandidaten  wich¬ 
tigen  Punkte  zusammengestellt.  Wenn  auch  natürlich  manches 
Bekannte  in  dem  Heft  enthalten  ist,  so  wird  doch  jeder  Arzt  der 
Gelegenheit  hat,  häufiger  Versicherungen  für  Lebensversicherungs¬ 
gesellschaften  vorzunehmen,  das  Buch  mit  grossem  Nutzen  für 
sich  und  für  sein  erfolgreiches  Zusammenarbeiten  mit  den 
Lebensversicherungsgesellschaften  lesen  — 

R. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang. 


1915/16. 


?ort$cbrim  der  Medizin. 

Unter  IHitwirkung  hervorragender  fachmänner 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  G.  Köster, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt.  Leipzig. 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  32 


Erscheint  am  10..  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  Inseraienannahme  durch 
Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


20.  August. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Frage  der  Verschlimmerung  einer  tuberkulösen 
(fungösen)  Erkrankung  des  Kniegelenkes  durch 
einen  Unfall  (Verdrehung  des  betreffenden  Knies) 

Mitgeteilt  von  Oberregierungsrat  Krauss  in  Reutlingen. 

Am  22.  September  1914  erstattete  Felix  Z.,  Inhaber 
eines  Tapezier-  und  Möbelgeschäftes  in  U.,  die  Anzeige, 
dass  der  33  Jahre  alte  Tapeziergehilfe  Friedrich  W.  im 
Juni  1913  an  einem  nicht  mehr  näher  festzustellenden 
Tage  im  Hause  des  Kaufmanns  S.  in  U.  beim  Auf¬ 
machen  von  Gardinen  abgestürzt  oder  ausgerutscht  sei 
und  sich  den  rechten  Fuss  verletzt  habe.  W.  habe  die 
Arbeit  bei  Z.  bis  Weihnachten  1913  fortgesetzt.  Er 
(Z.)  habe  die  Unfallanzeige  nicht  früher  machen  können, 
da  er  von  der  ganzen  Sache  vorher  nichts  gewusst  habe. 
Bei  der  polizeilichen  Untersuchung  des  Unfalles  durch 
die  Ortsbehörde  für  die  Arbeiterversicherung  in  U.  am 
9.  November  1914  schilderte  W.  den  Hergang  des  an¬ 
geblichen  LJnfalls  folgendermassen :  Die  Bockleiter,  auf 
der  er  gestanden  sei,  habe  er  wegen  einer  Schlagtüre 
(wie  später  genauer  aufgeklärt  wurde,  einer  rundlichen 
Oeffnung  im  Boden,  durch  die  man  auf  einer  Wendel¬ 
treppe  in  ein  Untergeschoss  gelangt)  nicht  ganz  richtig 
aufstellen  können.  Beim  Abstieg  von  der  Leiter  sei  die¬ 
selbe  in  Bewegung  gekommen,  wodurch  er  momentan 
den  Halt  verloren  habe  ;  er  habe  sich  aber  mittelst  einer 
raschen  Drehung  noch  an  der  Leiter  festhalten  können. 
Hierbei  habe  sich  sein  rechtes  Knie  etwas  gedreht  und 
er  habe  sofort  grosse  Schmerzen  in  diesem  Knie  verspürt. 
Er  sei  allerdings  imstande  gewesen,  die  ihm  obliegenden 
Arbeiten  bis  Weihnachten  1913  zu  verrrichten,  habe 
aber  immer  Schmerzen,  und  zwar  zeitweise  heftige, 
gehabt.  Dieselben  hätten  sich  von  Weihnachten  ab  so 
gesteigert,  dass  er  genötigt  gewesen  sei,  um  Aufnahme 
im  Bezirkskrankenhaus  U.  nachzusuchen,  wo  er  vom 
6.  März  bis  5.  September  1914  untergebracht  war.  Der 
Kaufmann  S.  in  U.  hat  angegeben,  dass  ihm  und  seinen 
Angehörigen  von  einem  dem  W.  zugestossenen  Unfall 
nichts  bekannt  sei.  Einem  von  der  Lederindustrie-Berufs- 
genossenschaft,  Sektion  VI  in  St.,  deren  Entschädigungs¬ 
pflicht  in  Frage  stand,  eingeholten  Gutachten  von  Ober¬ 
amtsarzt  Medizinalrat  Dr.  Pf.  in  U.  vom  7.  Oktober 
1914  sei  hier  nachstehendes  entnommen  :  ,,W.  war  im 
allgemeinen  gesund  bis  zum  Jahr  1899,  in  welcher  Zeit 
sich  ein  spontaner  Abszess  am  rechten  Oberschenkel 
bildete;  im  Anschluss  hieran  trat  auch  eine  Schwellung 
des  rechten  Knies  ein,  in  dessen  Gelenk  eine  chronische 
Entzündung  und  Verdickung  sich  entwickelte,  ohne  dass 
aber  dadurch  der  Gebrauch  des  rechten  Beines  erheb¬ 
lich  notgelitten  hätte.  Wie  dem  W.  aber  im  Sommer 


1913  bei  der  Arbeit  eine  Verdrehung  des  rechten  Knies 
zustiess,  hat  sich  dieses  allmählich  verschlimmert,  so 
dass  er  im  Dezember  1913  den  Dr.  G.  in  U.  konsulierte. 
Da  das  Knie  sich  nicht  besserte,  Hess  sich  W,  am 
6.  März  1914  in  das  Bezirkskrankenhaus  U.  aufnehmen, 
wo  er  von  Dr.  G.  weiter  behandelt  worden  ist.  Die 
Gelenkentzündung  machte  zunehmende  Fortschritte  und 
zeigte  eitrige  Einschmelzung,  so  dass  Dr.  G.  das  rechte 
Bein  im  unteren  Drittel  am  22.  Juni  1914  amputierte. 
Dr.  G.  ging  bald  darauf  in  Urlaub  und  ist  August  1.  J. 
ins  Feld  gerückt,  weshalb  W.  von  Ende  August  1.  J. 
an  in  meine  Behandlung  gekommen  ist.  Am  5.  Sep¬ 
tember  1914  ist  W.  auf  seinen  Wunsch  aus  dem  Kran¬ 
kenhaus  in  seine  Heimat  entlassen  worden,  nachdem  der 
Amputationsstumpf  nahezu,  doch  nicht  vollständig  ver¬ 
narbt  gewesen  ist.  Ein  etwaiger  Unfall  mag  zu  einer 
Verschlimmerung  des  zuvor  schon  kranken  Kniegelenks 
beigetragen  haben,  so  dass  der  Unfall  besten  Falls  nur 
als  auslösende  Gelegenheitsursache  anzusehen  ist.  Zwei¬ 
fellos  hat  bereits  vor  dem  Unfall  eine  mehr  oder 
weniger  latente  Kniegelenktuberkulose  bestanden,  wel¬ 
che  jetzt  erst  manifest  geworden  ist  und  eine  fortschrei¬ 
tende  Verschlimmerung  gezeigt  hat.“  Der  im  Feld 
stehende  Dr.  G.  wurde  zunächst  um  Erstattung  eines 
Gutachtens  nicht  angegangen.  Von  der  allgemeinen  Orts¬ 
krankenkasse  U.  erfuhr  die  Berufsgenossenschaft,  daß  W. 
vor  Aufnahme  im  Bezirkskrankenhaus  U.  schon  in  der  Chi¬ 
rurgischen  Universitätsklinik  in  T.  ärztliche  Hilfe  in  An¬ 
spruch  genommen  hatte.  Diesgab  derBerufsgenossenschaft 
Anlaß,  die  genannte  Klinik  um  eine  gutachtliche  Äußerung 
darüber  zu  ersuchen,  ob  ein  ursächlicher  Zusammenhang 
zwischen  dem  Beinverlust  des  W.  und  dem  LJnfall  vom 
Juni  1913  anzunehmen  sei.  Assistenzarzt  Dr.  H.  gab 
am  8.  März  1915  auf  Grund  der  Akten  und  von  Auf¬ 
schreibungen,  die  im  Ambulanz-Journal  der  Chirurgischen 
Klinik  bei  einer  Untersuchung  des  W.  am  12.  Januar 

1914  gemacht  wurden,  ein  Gutachten  ab,  aus  dem  hier 
folgende  Stellen  wiedergegeben  sein  mögen:  „Am  12. 
Januar  1914  erschien  W.  in  dem  Ambulatorium  der 
Chirurgischen  Klinik,  um  sein  krankes  Knie  untersuchen 
zu  lassen.  Er  gab  an,  er  habe  seit  8  Jahren 
Schmerzen  im  rechten  Knie,  die  s  i  c  h 
seit  einigen  Wochen  gesteigert  hätten. 
Es  fand  sich  damals  eine  erhebliche  Schwellung  des 
Knies,  und  zwar  war  der  Umfang  desselben  41/,  cm 
größer  als  der  des  gesunden  Knies  (r.  36,5,  1.  32,0). 
In  der  Kniegegend  waren  außerdem  alte  Narben  sicht¬ 
bar,  die  für  osteomyelitische  gehalten  wurden.  Es  wurde 
auf  Grund  des  Befundes  die  Diagnose  einer  deformie¬ 
renden  Gelenksentzündung  des  Kniegelenks  gestellt. 


310 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  32 


Wieweit  das  angefertigte  Röntgenbild  zur  Stellung  dieser 
Diagnose  herbeibezogen  wurde,  ist  aus  den  im  Ambu¬ 
lanzbetrieb  naturgemäß  spärlich  gemachten  Aufzeich¬ 
nungen  nicht  zu  ersehen.  Die  eingeleitete  Behandlung 
bestand  in  Zinkleimverbänden  und  Heißlufibädern.  W. 
war  noch  zweimal,  am  \J.  Januar  und  18.  Febrnar  1914, 
in  der  Sprechstunde  der  Klinik.  Über  die  Art  des 
Unfalles  ist  zunächst  zu  bemerken,  daß  derselbe  offen¬ 
bar  ganz  leicht  war.  Er  soll  nur  in  einer  ,, Verdrehung“ 
des  Gelenkes  bestanden  haben.  Irgendwelche  Fest¬ 
stellungen  über  die  unmittelbaren  Folgen  dieses  Unfalles 
von  ärztlicher  Seite  liegen  nicht  vor.  W.  hat  seine 
Arbeit  ungestört  weiter  verrichten  können.  Die  näheren 
Umstände  des  Unfalles  sind  in  Unfallanzeige  und  im 
Untersuchungsprotokoll  widersprechend  geschildert.  Das 
eine  Mal  soll  die  Beschädigung  des  Knies  beim  Gehen 
auf  einer  Wendeltreppe  durch  Ausrutschen,  das  andere 
Mal  beim  Absteigen  von  einer  Bockleiter  zustande  ge¬ 
kommen  sein.  Bei  der  Untersuchung  in  der  Chirur¬ 
gischen  Klinik  am  12.  Januar  1914  hat  W.  wiederum 
anderes  angegeben.  Von  einem  Unfall  hat  er  über¬ 
haupt  nichts  erwähnt.  Die  Schmerzen  sollten  seit  8 
Jahren  bestehen  und  sich  erst  seit  einigen  Wochen  (also 
erst  im  Laufe  des  Winters)  gesteigert  haben.  In  An¬ 
betracht  dieser  Widersprüche  ist  es  wohl  berechtigt, 
an  dem  ganzen  Unfallvorgang  Zweifel  zu  hegen.  Ich 
selbst  neige  zu  der  Ansicht,  daß  die  letzte  Erkrankung, 
welche  zur  Amputation  führte,  tuberkulösen  Charakters 
war.  Es  spricht  dafür  erstens  die  erbliche  Belastung, 
zweitens  glaube  ich  aus  dem  mir  vorliegenden  Röntgen¬ 
bilde  vom  12.  Januar  1914  die  Diagnose  eines  tuber¬ 
kulösen  Leidens  stellen  zu  müssen.  Es  zeigen  sich  im  Rönt¬ 
genbilde  nämlich  nicht  einwandfrei  Zeichen  einer  defor¬ 
mierenden  Arthritis,  dagegen  ist  in  dem  unteren  Teile 
der  Kniescheibe  eine  herdförmige  Aufhellung  sichtbar, 
indem  die  Bälkchenstruktur  des  Knochens  zerstört  und 
nur  die  Corticalis  des  Knochens,  noch  scharf  hervor¬ 
tretend,  offenbar  dem  auflösenden  Prozeß  Widerstand 
geleistet  hat.  Die  Umrisse  der  Kniescheibe  sind  im 
unteren  Teile  zackig  und  unregelmäßig.  Zwischen  dem 
Herd  in  der  Kniescheibe  und  der  Vorderfläche  der 
Gelenkknorren  des  Oberschenkels  ist  eine  stärkere  Weich¬ 
teilschattenbildung  sichtbar,  wie  wir  sie  bei  der  sogenannten 
fungösen  Gelenkerkrankung  des  Kniegelenks  durch  die 
Fungusmassen  veranlasst  zu  sehen  gewohnt  sind.  Außer¬ 
dem  besteht  eine  erhebliche  Knochenatrophie  der  ganzen 
Kniegelenksgegend,  was  ebenfalls  für  den  tuberkulösen 
Charakter  des  Leidens  spricht.  Es  ist  daher  aus  dem 
Röntgenbild  zu  schließen,  daß  im  Januar  1914  bei  W.  eine 
tuberkulöse  Knochenkaries  des  unteren  Teiles  der  Knie¬ 
scheibe  mit  von  dort  ausgehender  fungöser  Gelenker¬ 
krankung  bestand.  Außerdem  war  offenbar  ein  stärkerer 
seröser  Erguß  (Hydrops  tuberkulosus)  nebenher  vor¬ 
handen.  Auch  der  weitere  Verlauf  läßt  am  ehesten 
an  einen  vereiterten,  bezw.  fistulös  gewordenen  Knie¬ 
gelenksfungus  denken.  Es  erhebt  sich  nun  erstens  die 
Frage,  ob  ein  derartig  leichter  Unfall  überhaupt  als 
Ursache  einer  tuberkulösen  Erkrankung  des  Kniegelenks 
angesehen  werden  kann,  wenn  ein  monatelanger  Zeit¬ 
raum  verstreicht,  bis  die  Krankheit  ein  einigermaßen 
ausgesprochenes  Gepräge  erhält,  und  die  zweite  Frage: 
Ist  es  in  dem  besonderen  Falle  W.  wahrscheinlich, 
daß  der  Unfall  mit  dem  Gelenkleiden  in  ursächlichem 
Zusammenhang  steht?  Die  erste  Frage  ist  zu  bejahen. 
Es  liegt  in  der  Natur  des  tuberkulösen  Leidens,  daß  es 
sich  äußerst  langsam  und  schleichend  entwickelt.  Er¬ 
eignet  sich  an  irgend  einer  Stelle  des  Körpers  eine 
mechanische  Gewebsschädigung  —  ein  Stoß,  eine  Quet¬ 
schung  genügt  dazu  — ,  so  können  bei  einem  latent 
tuberkulösen  Individuum  Tuberkelbazillen  an  dieser 
geschädigten  Stelle  leichter  haften  und  zur  Ansiedelung 
kommen.  Da  die  Krankheitsprodukte  der  Tuberkel¬ 


bazillen  nur  äußerst  langsam  sich  entwickeln,  so  ver¬ 
gehen  Monate,  ehe  die  Erkrankung  auch  äußerlich  er¬ 
kennbar  wird.  In  dem  Falle  W.  wäre  also  an  sich 
die  Möglichkeit  eines  ursächlichen  Zusammen¬ 
hangs  gegeben.  Wenn  sich  ein  entsprechender 
Unfall  im  Sommer  ereignet  hätte,  so  könnte  die  Krank¬ 
heit  erst  im  V  inter  soweit  fortgeschritten  gewesen  sein, 
daß  sie  stärkere  Beschwerden  machte.  Aber  es  muß 
doch  verlangt  werden,  daß  eine  regelrechte  Gewerbs- 
schädigimg  zustande  kommt.  Dazu  scheint  mir  jedoch 
der  Hergang  des  Unfalls  nicht  geeignet.  Es  hat  sich 
nicht  um  eine  Quetschung,  sondern  um  eine  „Verdre¬ 
hung“  gehandelt,  vorausgesetzt,  daß  man  überhaupt  den 
widersprechenden  Angaben  Glauben  schenken  soll  und  der 
Unfall  als  solcher  anerkannt  wird.  Es  scheint  vielmehr, 
als  ob  W.  beim  Ausbruch  der  Erkrankung  erst  in  der 
Vergangenheit  nach  einem  Unfall  gesucht  hat,  und  er 
fand  einen  solchen,  da  es  wohl  kaum  einen  körperlich 
Arbeitenden  geben  dürfte,  dem  nicht  im  Laufe  des 
Jahres  hier  und  dort  eine  kleine  Ungeschicklichkeit  beim 
Gebrauche  seines  Körpers  passierte.  Mein  Urteil  geht 
dahin,  daß  die  tuberkulöse  Erkrankung  des  Knies  sich 
im  Falle  W.  ohne  Beeinflussung  durch  Unfallfolgen  ent¬ 
wickelte“.  Nunmehr  lehnte  die  Lederindustrie-Berufs¬ 
genossenschaft  mit  Bescheid  vom  23.  März  1915  die 
Gewährung  einer  Unfallentschädigung  an  W.  ab,  weil 
der  behauptete  Unfall  nicht  erwiesen  und  weil  auch  nicht 
dargetan  sei,  daß  das  Kniegelenkleiden  und  der  darauf 
zurückzuführende  \  erlust  des  rechten  Beines  mit  dem  an¬ 
geblichen  Unfall  vom  Juni  1913  in  ursächlichen  Zusam¬ 
menhang  stehe. 

Gegen  den  ablehnenden  Bescheid  hat  W.  rechtzei¬ 
tig  Einspruch  erhoben,  indem  er  sich  auf  den  ihn  in 
erster  Linie  behandelnden  Arzt  Dr.  G.  in  U.  berief  und  auf 
§  1596  der  R.  V.  O.  Bezug  nahm;  eventuell  bat  er  um  Aus¬ 
setzung  des  Verfahrens  bis  zur  Rückkehr  des  Dr.  G. 
aus  dem  Feld.  Am  10.  Juni  fand  W.  vor  dem  K.  Ver¬ 
sicherungsamt  R.  persönliches  Gehör.  Er  brachte  hier 
u.  a.  vor:  Er  habe  ursprünglich  nicht  gewußt,  daß  er 
gegen  Unfall  versichert  gewesen  sei.  Im  Juli  oder 
August  1914  habe  ihn  sein  früherer  Arbeitgeber  Z.  im 
Bezirkskrankenhaus  in  U.  besucht  und  gefragt,  ob  ihm 
denn  etwas  passiert  sei.  Darauf  habe  er  dem  Z.  das 
Unfallereignis  erzählt.  Z.  habe  erwidert,  da  müsse  man 
Unfallanzeige  machen.  Am  Abend  nach  dem  Unfall 
sei  er  in  die  Apotheke  in  U.  gegangen  und  habe  sich 
dort  eine  Flüssigkeit  zum  Einreiben  seines  rechten  Knies 
|  geben  lassen.  Er  behaupte,  daß  die  Abnahme  seines 
rechten  b  ußes  durch  den  im  Juni  1913  erlittenen  Unfall 
verursacht  worden  sei  und  beanspruche  deshalb  eine  Un¬ 
fallrente.  Auf  d  is  Verlangen  des  W.,  gemäß  §  1596 
der  R.  V.  O.  den  Dr.  G.  in  U.  als  Gutachter  zu  hören, 
ist  das  Versicherungsamt  ausweislich  der  Akten  nicht 
weiter  eingegangen,  insbesondere  ist  nicht  ersichtlich, 
daß  das  Versicherungsamt  den  Antragsteller  zur  Hin¬ 
terlegung  der  Kosten  im  Voraus  aufgefordert  hätte. 
Die  Berufsgenossenschaft  hat  ihrerseits  mit  Endbescheid 
vom  22.  Juni  1915  an  ihrem  ablehnenden  Standpunkt 
festgehalten. 

Gegen  den  Endbescheid  hat  W.  fristzeitig  Berufung 
eingelegt  mit  dem  Antrag,  die  Lederindustrie-Berufs¬ 
genossenschaft  zur  Zahlung  einer  im  Verfahren  näher 
festzustellenden  Rente  für  den  Unfall  vom  Juni  1913 
und  seine  Folgen  zu  verurteilen.  Wiederholt  wurde 
klägerischerseits  die  Einholung  eines  ausführlichen  Gut¬ 
achtens  von  Dr.  G.  in  U.  als  unumgänglich  notwendig 
bezeichnet  und  wurde  zu  diesem  Zwecke  die  Feldadresse 
des  genannten  Arztes  mitgeteilt. 

Im  Spruchkammerverfahren  wurde  noch  festgestellt, 
daß  nach  den  Angaben  des  W.  zur  Zeit  des  Unfalles 
niemand  außer  dem  Kläger  in  dem  fraglichen  Zimmer 
des  S.  sehen  Hauses  in  U.  anwesend  gewesen  sei  und 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


311 


Nr.  32 


daß  sich  der  Kläger  auch  nicht  erinnern  könne,  von  dem 
Unfall  je  einmal  Freunden  oder  Bekannten  gegenüber 
gesprochen  zu  haben.  Sodann  wurde  der  mehrerwähnte 
Dr.  G.  in  U.  um  Erstattung  des  klägerischerseits  so  sehr 
gewünschten  Gutachtens  angegangen.  Es  fügte  sich, 
daß  der  Sachverständige  kurze  Zeit  in  die  Heimat 
beurlaubt  wurde  und  so  in  der  Lage  war,  seine  Auf¬ 
zeichnungen  in  der  Sache  einzusehen.  Dr.  G.  ließ  siel:  am  1 5. 
Oktober  1915,  wie  folgt,  verlauten:  „Der  Tapezier  W. 
kam  nach  meinen  Aufzeichnungen  zuerst  im  September 
1913  in  meine  Sprechstunde  wegen  Schmerzen  im 
rechten  Knie.  Nach  dieser  einmaligen  Beratung  kam 
er  erst  im  Dezember  kurz  vor  Weihnachten  wieder. 
Es  war  damals  schon  eine  deutliche  Verdickung  des 
rechten  Kniegelenks  festzustellen,  als  Diagnose'  steht 
Fungus  d.  h.  tuberkulöse  Gewebserkrankung  vermerkt. 
Die  Beeinträchtigung  der  Erwerbsfähigkeit '  war  schon 
so  weit  gediehen,  daß  W.  krank  gesetzt  werden  mußte. 
Er  begab  sich  nach  Hause  und  ließ  sich  in  der  Chirur¬ 
gischen  Klinik  in  T.  weiter  behandeln.  Da  er  bei  der 
Ortskrankenkasse  U.  in  Unterstützung  stand,  so  zeigte 
er  sich  im  Januar,  Februar  und  März  1914  je  nur  ein¬ 
mal  bei  mir  als  Kassenarzt,  um  seine  Krankenunter¬ 
stützung  zu  erhalten.  Das  Leiden  hatte  sich  nicht 
gebessert,  sondern  war  immer  weiter  vorgeschritten. 
Wie  mir  noch  gut  erinnerlich  ist,  konnte  ich  mich  schon 
damals  der  von  der  Chirurgischen  Klinik  gestellten 
Diagnose,. Arthritis  deforinans“  nicht  anschließen,  sondern 
sah  das  Leiden  auch  weiterhin  als  tuberkulös  an.  Am  6 
März  1914  ließ  sich  W.  in  das  Bezirkskrankenhaus  U. 
aufnehmen,  wo  er  von  mir  weiter  behandelt  wurde,  in 
der  Hauptsache  mit  Blutstauung  und  Heißluftanwendung, 
ohne  jeden  Erfolg.  Die  Schwellung  des  rechten  Knie¬ 
gelenks  nahm  mehr  und  mehr  zu,  bald  zeigten  sich 
auch  erweichte  Herde  in  der  Nähe  des  Gelenks,  es  traten 
starke  Schmerzhaftigkeit,  Fieber,  allgemeine  Entkräftung 
dazu.  Die  inneren  Organe,  besonders  auch  die  Lungen, 
erwiesen  sich  stets  als  gesund,  sonst  war  am  Körper  nichts 
von  Tuberkulose  zu  finden.  Die  erweichten  Herde  in 
der  Umgebung  des  Gelenks  nahmen  an  Umfang  zu  und 
wurden  zum  Teil  gespalten,  zum  Teil  entleerten  sie  sich  von 
selber.  Es  war  übelriechender  dicker  Eiter,  der  sehr 
reichlich  abgesondert  wurde.  Da  durch  das  langdauernde, 
sehr  hohe  Fieber  der  allgemeine  Kräftezustand  in  be¬ 
drohlichem  Maße  schwand,  entschloß  ich  mich  am  22. 
Juni  1914  zur  Amputation.  Das  Kniegelenk  und  die 
ganze  Umgebung  in  weiterer  Ausdehnung  samt  den 
angrenzenden  Knochen  erwiesen  sich  in  hohem  Maße 
zerstört,  vereitert  oder  in  schlammig-sulzige  Massen 
verwandelt.  Der  Oberschenkel  wurde  etwa  handbreit 
oberhalb  des  Kniegelenks  amputiert.  Nach  dem  ganzen 
Krankheitsverlauf  und  dem  Vorgefundenen  Befunde  ist 
an  der  Diagnose  „Tuberkulose“  nicht  zu  zweifeln.  Von 
einem  Unfall  des  W.  ist  mir  nichts  bekannt.  Jedenfalls 
hat  er  im  Anfang  nichts  davon  erzählt.  Ob  er  später 
davon  erzählt  hat,  ist  mir  nicht  erinnerlich.  Ich  habe 
das  Leiden  stets  als  von  selbst  entstanden  angesehen, 
selbst  wenn  je  einmal  von  einem  Unfall  die  Rede  ge¬ 
wesen  wäre.  Nach  den  Akten  der  Leder-Berufsgenossen¬ 
schaft  wurde  auch  erst  im  Juli  oder  August  1914  der 
Unfall  erwähnt,  also  erst  nach  Abnahme  des  Beines! 
Vorausgesetzt  nun,  der  Unfall  vom  Sommer  1913  be¬ 
stünde  wirklich  zu  Recht,  so  kann  es  sich  doch  nur  um 
eine  Verletzung  allerleichtester  Art  gehandelt  haben, 
sonst  hätte  W.  doch  sicherlich  früher  ärztliche  Hilfe  in 
Anspruch  genommen  und  auch  mir  gegenüber  bei  der 
ersten  Beratung  am  7.  September  1913  davon  Er¬ 
wähnung  getan.  Ich  hätte  dann  sicher  auch  als  Diag¬ 
nose  Verstauchung  oder  ähnliches  in  mein  Buch  einge¬ 
tragen.  Die  Frage  einer  traumatischen  Entstehung  tuber¬ 
kulöser  Leiden  wird  ja  heutzutage  im  allgemeinee  bejaht. 

\  oraussetzung  eines  derartigen  Ursprungs  ist  aber  m. 


E.  continuierlicher  Zusammenhang  der  Unfallfolgen  mit 
dem  späteren  tuberkulösen  Leiden  d.  h.  die  durch  den 
Unfall  bedingte  Gewebsschädigung  geht  allmählich  in 
tuberkulösen  Zerfall  über.  Im  vorliegenden  Falle  fehlt 
die  erste  Bedingung,  nämlich  die  durch  den  Unfall  ent¬ 
standene,  objektiv  vorhandene  Läsion.  M.  E.  fällt  da¬ 
mit  auch  jeder  Zusammenhang  des  tuberkulösen  Knie¬ 
gelenksleidens  des  W.  mit  einem  angeblich  im  Sommer 
1913  erlittenen  Unfall.  Ich  bin  der  Ansicht,  daß  zur 
Annahme  eines  solchen  Zusammenhangs  bestimmte,  oben 
erwähnte  Voraussetzungen  gehören,  wenn  man  nicht 
späteren  Kombinationen  Tür  und  Tor  öffnen  will.  Da 
die  Erkrankung  als  tuberkulös  sichergstellt  ist,  so 
scheidet  damit  die  Frage  der  erblichen  Belastung  von 
selber  aus,  es  ist  gleichgültig,  ob  tuberkulöse  Belastung 
vorlag  oder  nicht.  Auch  die  Frage,  ob  die  Eiterung  am 
rechten  Bein  vom  Jahre  1899  mit  dem  späteren  Leiden“ 
im  Zusammenhänge  stand,  mag  dahingestellt  bleiben. 

Auch  nach  Eröffnung  vorstehenden  Gutachtens  be- 
harrte  W.  auf  seinem  Anspruch. 

Das  Württ.  Oberversicherungsamt’  Spruchkammer 
Reutlingen,  hat  mit  rechtskräftig  gewordener  Ent¬ 
scheidung  vom  3.  Dezember  1915  die  Berufung  des  W. 
als  unbegründet  verworfen.  Die  Urteilsgründe  lauten: 
„Ausweislich  der  Niederschrift  über  die  Vernehmung 
des  Klägers  im  Einspruchverfahren  scheint  derselbe  vor 
dem  K.  Versicherungsamt  R.  seinen  Antrag  auf  An¬ 
hörung  des  Dr.  G.  in  U.  in  Gemäßheit  des  "§  1596  der 
RVO  nicht  wiederholt  und  die  Kosten  nicht  von  selbst 
im  Voraus  entrichtet  zu  haben.  Es  wäre  jedoch  Auf¬ 
gabe  des  Versicherungsamts  gewesen,  über  das,  was  W. 
mit  seinem  Antrag  in  der  Einspruchsschrift  bezweckte, 
Klarheit  zu  schaden  und  je  nachdem  das  weitere  zu 
veranlassen.  Das  Versäumnis  in  dieser  Hinsicht  nnd 
der  dadurch  begründete  Verfahrensmangel  ist  jedoch 
durch  Einholen  eines  Gutachtens  von  Dr.  G.  in  der 
Berufungsinstanz  geheilt  worden. 

In  der  Sache  selbst  hat  das  Oberversicherungsamt 
die  Überzeugung  gewonnen,  daß  der  Entschädigungs¬ 
anspruch  des  Klägers  von  der  Beklagten  mit  Recht  ab¬ 
gelehnt  wurde.  Zuvörderst  ging  auch  das  Oberver¬ 
sicherungsamt  davon  aus,  daß  der  behauptete  Unfall  nicht 
erwiesen  oder  auch  nur  glaubhaft  gemacht  ist.  Ein 
Augenzeuge  ist  nicht  vorhanden,  ferner  hat  der  Kläger 
gleich  oder  bald  nach  dem  Unfall  niemand  von  dem¬ 
selben  erzählt.  Der  Arbeitgeber  Z.  hat  von  dem  an¬ 
geblichen  Vorkommnis  erst  Kenntnis  erhalten,  als  er  den 
Kläger  im  Bezirkskrankenhaus  U.  im  Juli  oder  August 
1914  aufsuchte.  Da  der  Kläger  seit  dem  Unfall  be¬ 
ständig  Schmerzen  in  dem  rechten  Knie,  zeitweise  sogar 
heftige,  gehabt  haben  will,  ist  es  unverständlich,  daß  er 
des  angeblichen  Unfalls  als  Ursache  derselben  nicht 
einmal  dem  Arbeitgeber  gegenüber  Erwähnung  ge¬ 
tan  hat.  Sein  Vorbringen  vor  dem  K.  Versicherungs¬ 
amt  R.,  er  habe  nicht  gewußt,  daß  er  gegen  Unfall  ver¬ 
sichert  gewesen  sei,  erscheint  wenig  glaubwürdig.  Noch 
auffallender  ist,  daß  W.  weder  bei  dem  erstbehandelnden 
Arzt  Dr.  G.,  den  er  im  September  1913  kurz  vor  Weih¬ 
nachten  konsuliert  hat,  noch  in  der  Chirurgischen  Uni¬ 
versitätsklinik  in  T.  im  Januar  1914  auf  den  behaupteten 
Unfall  auch  nur  mit  einem  Worte  zu  sprechen  ge¬ 
kommen  ist.  Aus  der  Tatsache,  daß  sich  der  Kläger 
im  Jahr  1913  wiederholt,  erstmals  im  Juni  1913,  Mittel 
in  der  Apotheke  in  U.  zum  Einreiben  des  Knies  geholt 
hat,  kann  ein  Schluß  darauf,  daß  ihm  ein  Unfall  zuge¬ 
stoßen  ist,  nicht  gezogen  werden.  Aber  abgesehen  da¬ 
von,  daß  das  Unfallereignis  als  solches  ernstlich  be¬ 
zweifelt  werden  muß,  hat  auch  das  Oberversicherungs¬ 
amt  den  Sachverständigen  Dr.  H.  in  T.  und  Dr.  G.  in 
U.  darin  beigepflichtet  daß  der  in  Rede  stehende  Un¬ 
fall,  so  wie  ihn  der  Kläger  selbst  schildert,  das  Knie¬ 
leiden,  welches  mit  Sicherheit  als  ein  tuberkulöses  festge* 


312 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  32. 


stellt  worden  ist,  nicht  ungünstig  beeinflußt  haben  kann. 
Denn  bei  dein  angeblichen  Unfall  soll  es  sich  nicht  um 
eine  Quetschung  oder  eine  sonstige  mit  einer  Gewebs¬ 
schädigung  verbundene  Verletzung  gehandelt  haben, 
sondern  nur  um  eine  Verdrehung.  Ob  der  weitere  Um¬ 
stand,  daß  es  an  einem  kontinuierlichen  Zusammenhang 
zwischen  dem  behaupteten  Unfall  und  dem  erst  wesent¬ 
lich  später  in  die  Erscheinung  getretenen  schweren 
tuberkulösen  Leiden  fehlt,  einen  weiteren  Grund  für 
Ablehnung  des  klägerischen  Entschädigungsanspruches 
bildet,  kann  bei  der  Meinungsverschiedenheit,  die  in 
dieser  Hinsicht  zwischen  den  Ärzten  besteht,  füglich 
dahingestellt  bleiben.  Nach  dem  Ausgeführten  mußte  der 
Berufung  der  Erfolg  versagt  werden. 


Bisherige  Ergebnisse  der  Kriegsneurologie. 

Sammelbericht  von  Dr.  Paul  Horn,  Bonn,  Oberarzt  der  intern.- 
neurologischen  Abteilung  am  Krankenhause  der  Barmherzigen  Brüder 

Wie  fast  alle  Fachgebiete  der  Medizin,  so  hat  auch  die 
Neurologie  durch  die  Erfahrungen  des  Krieges,  der  mit 
einem  Male  ein  ungeheures  Material  Verletzter  und  Kranker 
der  ärztlichen  Beobachtung  zugängig  gemacht,  eine  Förderung 
und  Vertiefung  erfahren,  wie  sie  sonst  nur  in  Jahrzehnten 
sorgsamster  Forschung  und  Arbeit  zu  erreichen  war.  Wenn 
auch  bereits  die  grösseren  Kriege  des  letzten  Jahrzehnts, 
der  russich-japanische  und  die  Balkankriege,  eine  wesentliche 
Bereicherung  der  medizinischen  Wissenschaft  und  insbesondere 
auch  der  Nervenheilkunde  im  Gefolge  hatten  —  ich  erinnere 
unter  vielen  sonstigen  Publikationen  nur  an  die  H  olbeck’sche 
Monographie  über  „die  Schussverletzungen  des  Schädels  im 
Kriege“  (Berlin  1912),  die  neben  chirurgischem  auch  neuro¬ 
logisches  Interesse  hat,  sowie  an  die  für  die  Beurteilung 
psychisch-nervöser  Störungen  im  Kriege  wichtigen  Beobach¬ 
tungen  Awtokratows  aus  dem  russisch-japanischen  Kriege 
—  so  haben  doch  die  ärztlichen  Beobachtungen  im  jetzigen 
Kriege  einen  Umfang  und  eine  literarische  Ausdehnung  er¬ 
fahren,  dass  beispielsweise  die  neurologische  Literatur  schon 
in  den  ersten  2  Jahren  des  Weltkrieges  mehrere  Hundert 
Veröffentlichungen  umfasst,  ganz  abgesehen  von  den 
zahlreichen  chirurgischen  Publikationen  über  Schussver¬ 
letzungen  des  zentralen  und  peripherischen  Nervensystems, 
die  für  die  neurologische  Praxis  von  ebenso  grosser  Be¬ 
deutung  sind  als  für  die  Nervenheilkunde  als  Wissenschaft. 
Selbstredend  ist  die  Quantität  der  Publikationen  kein  Mass¬ 
stab  für  die  kulturelle  Höhe  der  Wissenschaft ;  aber  wenn 
wir  sehen,  wie  neben  manchem  Überflüssigem  und  Unbe¬ 
deutendem  doch  in  intensivster  Weise  die  gegebenen  Pro¬ 
bleme  erforscht  und  bearbeitet  und  doch  eine  grosse  Anzahl 
wertvoller  Ergebnisse  nach  und  nach  gezeitigt  werden,  so 
glaube  ich,  hat  das  „Volk  der  Barbaren“  auch  auf  medi¬ 
zinischem  Gebiete  den  alten  Ruhm  deutschen  Eleisses  und 
deutscher  Gründlichkeit  behauptet.  Wenn  auch  die  glän¬ 
zenden  Erfolge  der  Chirurgie,  der  Hygiene  und  Serologie 
zunächst  ins  Auge  fallen,  so  hat  doch  ebenso  sehr  die 
Nervenheilkunde  nach  der  verschiedensten  Richtung  hin 
nicht  nur  eine  eigne  Bereicherung  erfahren, 
sondern  auch  in  der  Behandlung  Kriegsbe» 
schädigter  einen  ganz  hervorragenden  Anteil  ge¬ 
nommen  und  wird  auch,  das  zeigen  schon  die  mannigfachen 
Hinweise  in  der  Fach-  und  Tagespresse,  bei  der  Durch¬ 
führung  der  Militärversorgungsgesetze,  speziell  hinsichtlich 
des  Problems  der  Rente  nneurose,  weiterhin 
eine  wichtige  Rolle  spielen. 

Schon  die  Art  des  modernen  Krieges  mit  seinem 
Millionenaufgebot,  seiner  unerhörten  artilleristischen  Geschoss¬ 
wirkung,  seinen  beispiellosen  Strapazen  und  Entbehrungen 
nterwirft  das  Nervensystem  einer  Belastungsprobe  von  nie- 
ekannter  Schwere  und  doch  ist  es  erstaunlich,  j  a  gerade¬ 


zu  frappierend,  wie  verhältnismässig  gering  die  Zahl  der¬ 
jenigen  Kriegsteilnehmer  ist,  die  unter  den  Einwirkungen 
schwerster  seelischer  Traumen  und  körperlicher  Strapazen 
eine  nennenswerte  Alteration  des  Nervensystems  erleiden. 
Wenn  auch  bestimmtere  Zahlen  nicht  anzugeben  sind  und 
die  absolute  Höhe  im  Hinblick  auf  das  moderne 
Massenaufgebot  nicht  unbeträchtlich  sein  wird,  so  stimmen 
doch  alle  Autoren  darin  überein,  dass  der  früher  so  oft  ge¬ 
hörte  Vorwurf  zunehmender  Degeneration  und  Verweich¬ 
lichung  des  deutschen  Volkes  und  speziell  der  städtischen 
Bevölkerung  seiner  Begründung  durchaus  entbehrt.  Ich 
werde  bei  Besprechung  der  Neurosen  noch  näher  auf 
diese  Fragen  zurückzukommen  haben.  Bedeutsamer  er¬ 
scheinen  mir  die  organischen  Verletzungen 
des  zentralen  und  peripherischen  Ne  r- 
v  ensystem  s.  Nicht  nur  hat  die  Eigenart  des  Stellungs¬ 
krieges  eine  ganz  beträchtliche  Zunahme  der  Kopfschüsse 
mit  sich  gebracht,  sondern  auch  die  destruierende  Wirkung 
der  Artilleriegeschosse  hat  zur  Folge,  dass  Schussver¬ 
letzungen  der  Extremitäten  viel  häufiger  als  früher  mit  kom¬ 
plizierenden  Schädigungen  peripherischer  Nerven 
verbunden  sind.  Chirurg  und  Neurologe  teilen  sich  hier  in 
die  mühsame  Aufgabe,  die  Funktion  organisch  geschädigter 
Nervengebiete  wiederherzustellen  und  so  finden  wir  denn 
bei  Durchsicht  der  Literatur,  dass  ein  grosser  Teil  neuro¬ 
logisch  wertvoller  Ergebnisse  chirurgischer  Beobachtung 
seinen  Ursprung  verdankt,  wie  auch  umgekehrt  wichtige 
neurologische  Tatsachen  das  chirurgische  Handeln  bestimmen. 
Selbstredend  können  bei  ber  Pulle  der  Publikationen  nur 
die  leitenden  Gesichtspunkte  an  dieser  Stelle  Berücksich- 
tigung  finden  und  manch’  wertvolle  Arbeit  wird  nur  ge¬ 
streift  werden  können.  Vor  allem  aber  scheint  es  mir  von 
Wert,  diejenigen  Ergebnisse  herauszuschälen,  die  in  wissen¬ 
schaftlicher  wie  ganz  besonders  auch  in  praktischer 
Beziehung  Anspruch  auf  Beachtung  erheben  dürften  und 
die  zum  Teil  sicher  einen  wesentlichen  Fortschritt  bedeuten. 

I.  Schussverletzungen  des  zentralen 
Nervensystems  (Gehirn  —  Rückenmark). 

Was  zunächst  die  Kopfschuss  Verletzungen 
anbetrifft,  die  man  mit  M  a  1 1  i  u.  A.  zweckmässigerweise 
einteilt  in  1.  Weich  teilverletz  ungen  bei  intaktem 
oder  anscheinend  unverletztem  Knochen  und  in  2.  Traumen 
der  knöchernen  Schädelkapsel  mit  den  Unter¬ 
gruppen:  Prell-,  Tangential-,  Steck  -  und 
Durchschüssen  (letztere  segmental  und  diametral), 
so  haben  sich  in  hirnphysiologischer  Be¬ 
ziehung  nicht  nur  die  Ergebnisse  früherer  klinischer 
und  experimenteller  Untersuchungen  durchweg  bestätigt, 
sondern  es  sind  auch  eine  ganze  Reihe  neuer  wichtiger  Be¬ 
obachtungen  hinzugekommen ,  über  die  besonders  Max 
Rothmann,  der  leider  so  vorzeitig  verstorbene,  ver¬ 
dienstvolle  Forscher,  ausführlich  berichtet  hat.  Hinsichtlich 
der  Extremitätenregion  hebt  Rothmann 
hervor,  dass  die  anfänglich  schlaffen  Lähmungen  der  gekreuzten 
Extremitäten  beträchtlicher  Rückbildungen  fähig  sind, 
die,  soweit  es  sich  nicht  um  totale  Ausschaltungen  des 
Arm-  oder  Beinzentrums  handelt,  meist  schon  frühzeitig  ein- 
setzen  und  bis  zu  einer  weitgehenden  Wiederherstellung  der 
Funktion  gelangen.  Sehr  bemerkenswert  sind  R  o  t  h- 
m  a  n  n  s  Beobachtungen  mehrerer  P'älle,  bei  denen  sich 
eine  „gliedweise  Repräsentation  der  Bewegungen  im  Ge¬ 
biete  der  Hirnrinde,  wie  sie  vor  allem  H.  Munk  auf  Grund 
seiner  Experimente  an  Affen  und  Hunden  geschildert  hat, 
deutlich  bemerkbar“  machte,  d.  h.  es  fand  sich  beispiels¬ 
weise  bei  partieller  Läsion  des  Armzentrums  nach 
Rückgang  ausgedehnterer  Lähmungserscheinungen  später 
nur  noch  eine  isolierte  Aufhebung  der  Be¬ 
wegung  im  Schultergelenk,  entsprechend  der  Zerstörung 
durch  die  Kugel,  die  offenbar  nur  das  oben  gelegene,  dem 
Beinzentrum  benachbarte  Stück  der  Armregion  betroffen  hatte. 
Besonderes  Interesse  besitzen  die  Affektionen  der  hinter 
der  Zentralfurche  befindlichen  Gebiete  (Gyrus  centralis 


Nr.  32. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


313 


post,  und  Gyrus  supramarginalis),  bei  denen  Roth  m  a  n  n 
in  Übereinstimmung  mit  seinen  früheren  tierexperimentellen 
Untersuchungen  beobachten  konnte ,  dass  eine  einseitige 
Schussverletzung  im  Gebiet  der  postzentralen  Windungen 
neben  den  bekannten  Störungen  des  Lagegefühls  und 
des  stereognostischen  Sinns  eine  beträcht¬ 
liche  Greifstörung  hervorruft.  In  manchen  Fällen 
von  anscheinend  leichteren  Schussverletzungen  dieser  Partien 
kann  jedenfalls  der  R  o  t  h  m  a  n  n  ’  sehe  „Greifversuch“ 
—  Nachweis  mangelhafter  Treffsicherheit  des  auf  einen 
Gegenstand  hinzielenden  Armes  —  das  Bestehen  einer 
ernsthaften  Hirnschädigung  erkennen  lassen.  Vollauf  be¬ 
stätigt  haben  sich  auch  die  Anschauungen  über  die  Lokali¬ 
sation  der  Sehfunktion  im  Hinterhauptslappen  sowie  der 
motorischen  und  sensorischen  Sprachzentren  in  Stirn-  bezw. 
Schläfenlappen,  wobei  aber  vor  allem  die  Beobachtung  von 
ganz  hervorragendem  Werte  ist,  dass  in  den  meisten  Fällen 
von  motorischer  und  sensorischer  Aphasie,  von  Apraxie, 
Agraphie  und  Alexie  noch  mit  einer  mehr  oder  weniger  weit¬ 
gehenden  Rückkehr  der  Funktion  gerechnet 
werden  kann.  Überhaupt  stimmen  fast  alle  Autoren  (Sänger, 
Poppelreuter,  Donath,  Hartmann)  darin 
überein,  dass  die  funktionelle  R  est  ituti  on  s  fäh  i  gjeeit 
des  Gehirns  sich  gerade  nach  den  Kriegserfahrungen 
als  eine  sehr  beträchtliche  erwiesen  hat, 
zumal  bei  Individuen  in  jüngerem  Alter.  Selbst  zentrale 
Sehstörungen ,  wie  sie  bemerkenswerterweise  gelegentlich 
schon  ein  einfacher  Streifschuss  des  Hinterhauptknochens 
durch  diffuse  Erschütterung  des  Okzipitallappens  und 
speziell  des  anscheinend  äusserst  empfindlichen  Sehzentrums 
hervorgerufen  hat,  sind  nicht  ausnahmslos  als  irreparabel  zu 
betrachten,  wenn  gleich  selbstredend  eine  direkte  Schuss¬ 
verletzung  des  Sehzentrums  wohl  stets  zu  unausgleichbarer 
Schädigung  führt.  Leider  werden,  wie  auch  Poppel- 
r  e  u  t  c  r  hervorhebt,  hin  und  wieder  die  psychischen  Aus¬ 
fallserscheinungen  nach  Hirnverletzungen  nicht  richtig  er¬ 
kannt  oder  gar  völlig  übersehe  1,  sodass  nicht  eindringlich 
genug  darauf  hingewiesen  werden  kann ,  bei  allen  Kopf¬ 
schussverletzten  möglichst  bald,  unter  allen  Umständen 
aber  vor  der  Lazarettentlassung,  eine  Prüfung  auf  seelische 
Defekte,  vor  allem  auf  Störungen  der  zentralen  Sprach - 
funktionen  vorzunehmen,  ,denn  das  Übersehen  auch  an¬ 
scheinend  geringfügiger  seelischer  Beeinträchtigungen  hat 
für  die  Beurteilung  des  Mannes  schwere  Folgen.“  „Bei  Ver¬ 
letzungen  des  Okzipitalhirnes  suche  man  in  jedem  Falle  nach 
psychischen  Sehstörungen“,  achte  man  auf  das  eigenartige 
Syndrom  der  „Seelenblindheit“,  auf  Hemianopsie,  auf  „optische 
Apraxie“,  d.  h.  die  Unfähigkeit  oder  Erschwerung  von 
Hantierungen  auf  optischer  Grundlage  (Poppelreuter), 
auf  Alexie  und  Dyslexie,  also  auf  Störungen  des  Lesens, 
die  überleiten  zu  den  verschiedenen  Formen  der  Aphasie. 
Beachtentswert  ist  auch  die  Erfahrung  Poppelreuters, 
dass  bei  allen  Kopfschussverletzten,  die  eine  Läsion  im  Sprach¬ 
gebiet  aufwiesen,  die  Rechenfähigkeit  beein¬ 
trächtigt  war,  auch  dann,  wenn  eigentliche  aphasische 
Störungen  vermisst  wurden,  und  dass  ferner  lokalisierte 
Hirnverletzungen  nicht  nur  die  spezifischen  Ausfallssymp¬ 
tome  verursachen,  sondern  überhaupt  die  ganze  Per¬ 
sönlichkeit  wesentlich  ändern  können. 
Jedenfalls  ist  „die  militärärztliche  und  sozialmedizinische 
Bedeutung  der  genauen  psychologischen 
Untersuchung  der  Hirnverletzten  sicherlich  eine  sehr  grosse“. 
Felddienstfähigkeit  wird  im  allgemeinen  zu  verneinen, 
Garnisondienst  nur  in  leichten  P'ällen  zu  empfehlen  sein. 

Sehr  dankbar  ist  die  Therapie,  für  die  P  o  p  p  e  1- 
r  e  u  t  e  r  in  seiner  interessanten  und  wertvollen  Schrift 
„Erfahrungen  und  Anregungen  zu  einer  Kopfschuss-Inva- 
lidenftirsorge“  ein  einheitliches  Zusammenarbeiten  von  Chi¬ 
rurg,  Nervenarzt,  Psychologe  und  Lehrer  zur  Durchführung 
einer  systematischen  „G  e  h  i  rn-Orthopädie“  fordert, 
damit  den  Hirnverletzten  womöglich  sofort  im  Anschluss  an 
die  chirurgische  Behandlung,  zum  Teil  auch  Hand  in  Hand 


mit  ihr,  schon  Bahnen  für  ihre  Zukunftstätigkeit,  für  ihre 
weitere  Verwendung  im  Erwerbsleben  eröffnet  werden 
können.  —  Auch  Hartmann  hat  in  Graz  eine  der  Uni- 
versitätsnervenklinik  angegliederte  „Übungsschule  für  Ge¬ 
hirnkrüppel“  eingerichtet,  in  der  vor  allem  auf  die  rein 
pädagogische  Behandlung  des  Patienten 
das  Hauptgewicht  gelegt  wird,  um  durch  entsprechende 
systematisch  durchgeführte  Übung  die  noch  intakten  Struk¬ 
turen,  Funktionen  und  Funktionsreste  bei  ihrer  'veitgehenden 
Anpassungsfähigkeit  zu  einem  Wiederersatz  der  verloren 
gegangenen  oder  behinderten  Imnktionen  anzuregen.  Dabei 
hat  es  sich  als  besondens  förderd  erwiesen  (II.  Mitteilung 
von  Hartman  n),  dass  in  jedem  nur  einigermassen  von 
Störungen  betroffenen  P'alle  die  pädagogische  Schulung  mit 
der  untersten  Stufe  des  Schulunterrichts  beginnt 
und  durch  Sprech-,  Lese-,  Schreib-,  Sprach-  und  Anschau¬ 
ungsübungen,  Nacherzählen,  schriftliche  Wiedergabe,  Aus¬ 
wendiglernen,  Rechenübungen  bei  fortwährendem  Hinweise 
auf  über-,  unter-  und  beigeordnete  Begriffe  und  Vorstellungs¬ 
reihen  ein  neues  Wissen  unter  steter  Bedachtnahme  auf  er¬ 
haltene  Bestände  und  Zuhilfenahme  derselben  aufgebaut 
wird.  Wichtig  erscheint  mir  noch  der  Hinweis  II  a  r  t- 
m  a  n  n  s,  dass  fast  jede  Schussverletzung  des  Gehirns  neben 
etwaigen  Ausfallserscheinungen  der  verschiedenen  topogra¬ 
phisch  bekannten  Gebiete  von  Störungen  allge- 
meinerNatur  und  höhererBedingtheit 
gefolgt  ist,  insbesondere  von  Störungen  der  Merkfähigkeit, 
der  Assoziationsfunktionen  und  insbesondere  auch  der 
Rechenleistungen  (vergl.  Poppelreuter). 

Im  übrigen  kann  die  Behandlung  der  mo¬ 
torischen  Aphasie  entweder  nach  der  älteren 
optisch-taktilen  Methode,  wie  sie  G  u  t  z  m  a  n  n  u.  a.  ver¬ 
treten,  erfolgen  oder  nach  der  neueren  Methode  Froment- 
Monod,  die  beruht  I .  in  einem  Erwecken  des  Gedächt¬ 
nisses  der  Lautklangbilder,  ohne  die  Aufmerksamkeit  auf 
den  artikulatorischen  Mechanismus  zu  lenken,  2.  in  der 
Heranziehung  von  Ideenassoziationen  oder  von  Bildern  nach 
Art  der  mnemotechnischen  Vorgänge,  3.  in  dem  Heran¬ 
ziehen  von  geschriebenen  Worte",  4.  dem  Üben  von  sylla- 
bierendem  Lesen  und  5.  dem  Isolieren  einzelner  Laute  aus 
Worten,  die  der  Patient  noch  aussprechen  kann.  Wie  aber 
Fröschels  in  seiner  eingehenden  kritischen  Arbeit  her¬ 
vorhebt,  ist  die  optisch  -  taktile  Methode,  die  auf  eine 
Nachahmung  artikulatorischer  V  o  r  - 
gänge  hinausläuft,  der  neueren  Methode  Froment- 
Monod  im  ersten  Stadium  der  Schulung 
durchaus  nicht  unterlegen,  führt  sogar  zu  rascheren  Erfolgen, 
wenngleich  die  zweite  Methode  ernste  Beachtung  verdient 
und  von  Lehrern  wie  Neurologen  dankbar  zu  be- 
grüssen  ist. 

Was  die  Lehre  von  den  Sensibilitätsstörungen  nach 
Hirnläsionen  betrifft,  so  haben  zahlreiche  Beobachtungen 
an  Kopfschussverletzten  gezeigt,  dass  die  bisherige  An¬ 
schauung,  segmental  angeordnete  Sensibilitätsstörungen 
sprächen  stets  für  eine  spinale  Affektion,  nicht  vorbehaltlos 
richtig  ist  Jedenfalls  weisen  von  Gerstmann  publizierte 
Fälle  darauf  hin,  dass  auch  bei  sicheren  örtlichen  Krank¬ 
heitsprozessen  der  Hirnrinde  Sensibilitätsstörungen  von 
segmentalem  Typ  entstehen  können,  wie  es  in  ähnlicher 
Weise  Muskens,  Bonhoeffer,  Löwy  u.  a.  schon 
früher  beschrieben  haben.  Wenn  auch  die  ganze  frage 
der  kortikalen  Sensibilität  noch  bei  weitem  nicht  so  sicher 
geklärt  ist  als  die  der  motorischen  Region,  so  scheinen  doch 
die  Erfahrungen  des  Krieges  auch  nach  dieser  Richtung  hin 
neue  Gesichtspunkte  und  Hinweise  zu  geben,  wie  ja  auch 
zum  Teil  die  oben  erwähnten  Roth  m  a  n  n’schen  Be¬ 
obachtungsergebnisse  beweisen.  Vor  allem  ist  der  Um¬ 
stand  für  die  Lehre  der  zerebralen  Lokalisation  besonders 
fördernd,  dass  in  gewissem  Gegensatz  zu  den  Schädelbrüchen 
und  sonstigen  Kopftraumen  Unfallverletzter  der  Friedens- 
p-axis,  bei  denen  ausser  vereinzelt  vorkommenden  und 
weniger  scharf  lokalisierten  Herdsymptomen  zumeist  ledig- 


314 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  32 


lieh  eine  mehr  oder  weniger  diffuse  Allgemeinschädigung 
des  Gehirns  im  Vordergründe  zu  stehen  pflegt,  bei  den  Schuss¬ 
verletzungen  des  Gehirns  unverhältnismässig  häufiger  u  m- 
sch  riebe  nere  Herdläsionen  anzutreffen  sind,  wodurch 
selbstredend  ein  häufigeres  Auftreten  isolierter  Ausfalls- 
oder  Reizerscheinungen  begünstigt  wird  und  in  manchen 
1  allen,  wie  auch  lvoth  m  a  n  n  betont,  geradezu  experi¬ 
mentelle  Verhältnisse  geschaffen  sind.  Allerdings  möchte 
ich  nicht  unterlassen,  darauf  hinzuweisen,  dass  neben  diesen 
duicli  die  Geschossbahn  und  durch  eingedru  ;gene  Splitter 
bedingten  Herdläsionen  gröberer  oder  feinerer  Natur  in  der 
Kegel  diffusere  Allgemeinschädigungen  des  Gehirns  einher¬ 
gehen,  ja  dass  nach  zahlreichen  Beobachtungen  selbst  an¬ 
scheinend  glatt  den  Schädel  durchschlagende  Geschosse  nicht 
einfach  einen  Schusskanal  hinterlassen,  sondern  zu  ganz  er¬ 
heblichen  Zerstörungen  führen  können.  So  berichtet 
Klieneberger  u.  a.  über  wichtige  autoptische  Be¬ 
funde.  An  der  Stelle  des  Ein-  und  Ausschusses,  an  ersterer 
aber  überwiegend,  fanden  sich  gewöhnlich  mehr  oder  we¬ 
niger  erhebliche  Hämatome  ;  das  Gehirn  war  in  Ausdehnung 
des  Geschosskanals,  der  nach  der  Ein-  und  Ausschussstelle 
häufig  eine  Verbreiterung  zeigte,  in  weitem  Umfange  blutig 
,  erweicht  und  Hess  in  den  angrenzenden,  oft  genug  aber 
auch  in  ganz  entfernten  Hirnabschnitten  diffuse  Blutungen 
in  Rinde  und  Mark  erkennen.  Auch  bei  Steckschüssen, 
bei  diesen  sogar  in  grösster  Ausdehnung,  war  diese  Erwei¬ 
chung  in  der  Umgebung  des  Geschosses  zu  erkennen.  Be¬ 
sonders  hochgradig  erwies  sich  die  Zerstörung  von  Hirn¬ 
substanz  bei  Granatverletzungen ;  selbst  weniger  als  erbsen¬ 
grosse  Granatsplitter  hatten  vielfach  stärkere  Zertrümme- 
i  ungen  im  Gefolge  als  Schrapnellkugeln  und  Infanteriege¬ 
schosse.  Auch  darauf  ist  hinzuweisen,  dass  selbst  bei  ein- 
seitigei  I  lirnverletzung  zuweilen  doppelseitige  Reiz-  wie 
Ausfallserscheinungen  beobachtet  werden,  ebenfalls  ein  Be¬ 
weis,  dass  das  Gehirn  bei  Schussverletzungen  in  recht  be¬ 
trächtlicher  Ausdehnung  geschädigt  zu  werden  pflegt,  wenn 
auch  die  Art  und  Schwere  dauernd  verbleibender  Herd¬ 
symptome  selbstredend  in  erster  Linie  durch  die  physio¬ 
logische  Dignität  der  durch  Geschoss  oder  Splitter  u  n  - 
m  ittelbar  zerstörten  Hirnpartien  bedingt  ist.  Geringer 
geschädigte  und  noch  mehr  oder  weniger  erholungsfähige 
Gehirnsubstanz,  wie  sie  zumeist  bei  diffuser  Allgemeiner¬ 
schütterung,  bei  punktförmigen  Hämorrhagien  usvv.  als  Be¬ 
gleit-  und  Fernwirkung  der  Lokalläsion  wohl  anzunehmen 
ist,  pflegt  weniger  Herdsymptome  als  allgemein-zerebrale 
Erscheinungen  nach  Art  der  zerebralen  Kommo- 
tionsneurose  zu  hinterlassen,  vor  allem  Kopfschmerz, 
Schwindelgefühl,  Überreiztheit  der  höheren  Sinnesorgane, 
Intoleranz  gegen  Alkohol  und  Nikotin,  Neigung  zu  Kon¬ 
gestionen  und  sonstigen  vasomotorischen  Störungen,  Herab¬ 
setzung  des  Intellekts  und  Änderungen  auf  affektivem  Ge¬ 
biete,  teils  Abstumpfung,  teils  Neigung  zu  explosiver  Dia- 
these.  Ferner  finden  sich  häufig  Störungen  im  Cochlearis- 
und  Vestibularisgebiet,  teils  funktioneller,  teils  organischer 
Natur,  worüber  besonders  Zange  berichtet  hat.  Nach 
diesei  Richtung  hin  decken  sich  die  Kriegserfahrungen  mit 
den  Beobachtungen  der  Friedenspraxis.  Auch  bei  letzteren 
stehen  neben  etwaigen  Herdsymptomen  im  weiteren  Ver¬ 
laufe  vor  allem  die  allgemein-zerebralen  Störungen  im 
Y  ordergrunde  der  Erkrankung.  Ebenso  wie  die  Erschei¬ 
nungen  von  seiten  des  Grosshirns  haben  die  charakteristi¬ 
schen  Symptome  einer  Kleinhirnschädigung  durch 
die  Beobachtung  an  Schädelverletzten  ihre  Bestätigung  und 
Vertiefung  erfahren.  Goldstein,  der  über  den  „zere¬ 
bellaren  Symptomenkomplex  in  seiner  Bedeu¬ 
tung  für  die  Beurteilung  von  Schädelverletzten“  berichtet, 
nennt  als  wichtigste  subjektive  Störungen  :  Kopfschmerzen, 
besonders  lokalisiert  im  Hinterkopf,  Störungen  beim  Bücken 
und  bei  Lagewechsel  des  Körpers,  Unsicherheit  beim  Gehen, 
das  Gefühl  einer  gewissen  Verlangsamung  der  Bewegungen, 
die  Neigung  nach  einer  Seite  zu  fallen,  sowie  Schwindelge- 
fuhl»  wobei  die  Störungen  wechseln,  je  nachdem  mehr  die 


Kleinhirnhemisphären  oder  der  Wurm  oder  tiefere  Partien 
des  Kleinhirns  betroffen  sind.  Als  o  b  j  e  k  t  i  v  e  Symp¬ 
tome  sind  zu  betrachten  i.  der  zerebe’lare,  breitbeinige 
Gang  mit  Schwanken  des  ganzen  Körpers  (Wurm),  2.  ab- 
noime  Kopf-  und  Rumpthaltung  sowie  allgemeines  Schwan¬ 
ken  beim  Stehen  (Wurm),  3.  Nystagmus  (wahrscheinlich 
bedingt  durch  Schädigung  der  tieferen  Kerne  oder  dem 
Kleinhirn  benachbarter  Gebiete),  4.  Ataxie  (Hemisphären), 
5.  leichte  Schwäche  und  gewisse  Schlaffheit  der  Extremi¬ 
täten,  6.  Vorbeizeigen  im  Baran  y’schen  Zeigeversuch, 
A  Verlangsamung  der  Aufeinanderfolge  antagonistischer 
Bewegungen  (Adiodochokinesis),  8.  Störungen  in  der  Schät¬ 
zung  von  Gewichten,  9.  Fehlen  des  Rückschlages  bei  der 
\\  iderstandsprüfung.  Mit  Recht  weist  Goldstein  darauf 
hin,  dass  dieser  „zerebellare  Symptomenkomplex“,  der  noch 
nicht  in  die  Kenntnis  aller  Ärzte  übergegangen  und  leicht 
mit  funktionell-nervösen  Störungen  verwechselt  wird,  gerade 
auch  bei  den  Schädelverletzten  ganz  besondere  Beachtung 
verdient‘  (Schluss  folgt.) 


Lieber  einige  neuere  Arzneimittel. 

Von  Apotheker  F.  Otto,  Frankfurt  a.  M. 

A  1  i  v  a  1 ,  hergestellt  von  den  Farbwerken  vorm. 
Meister,  Lucius  und  Brüning  in  Hoechst  a.  M.  ist  ein 
neues  organisches  Jodpräparat  mit  höchstem  —  63% 

Jodgehalt,  Es  bildet  kleine,  farblose,  seidenglänzende 
Kristalle  von  angenehm  bitterem,  etwas  kühlendem  Ge- 
schmacke,  der  in  \  erdünnungen  fast  gänzlich  ver¬ 
schwindet  und  ist  in  Wasser,  Weingeist,  Aether  und 
fetten  Oeleu  leicht  löslich.  Seme  Anwendung  erfolgt 
intern,  extern  und  subkutan  —  intramuskulär  —  in  allen 
Fällen,  wo  Jod  auch  sonst  gegeben  zu  werden  pflegt. 
Bei  ^  innerer  Daneichung  ist  die  Dosis  0,3  mehrmals 
täglich  in  YVasser  oder  Milch,  subkutan  1,0  in  möglichst 
wenig  Wasser  gelöst  täglich  einige  Wochen  lang,  extern 
20-25  %  in  leicht  resorbierbarer  Salbengrundlage  und 
rektal  ä  0,5  pro  Suppositorium.  Das  Alival  wird  all¬ 
mählich  unter  der  Einwirkung  des  Blutes  und  der  Ge- 
webssäfte  gespalten,  infolge  seiner  lipotropen  und  neu- 
rotropen  Affinitäten  leicht  assimiliert  und  steht  hierdurch, 
wie  durch  seinen  hohen  Jodgehalt  über  allen  anderen 
organischen  Jodpräparaten,  zumal  es  eine  vollständige 
Ausnützung  seines  wirksamen  Bestandteiles  gewähr¬ 
leistet. 

Aphloi  n  ,  das  Fluidextrakt  aus  Aphl.  taef 
empfiehlt  Savini  angeblich  mit  hervorragendem  Erfolge 
zur  Behandlung  von  Cholelithiasis.  Er  gibt  die  Dosis 
auf  viermal  täglich  10— 1 5  Tropfen  an/  Nähere  An¬ 
gaben  fehlen,  sodaßman  wohl  weitere  Veröffentlichungen 
vor  seiner  Anwendung  abwarten  muß. 

A  r  g  u  1  an,  eine  Phenazon-Sulfamino-Quecksilber- 
verbindung  kommt  in  einer  Lanolin  Suspension  in  Röhrchen 
ä  0,3  g  in  den  Handel.  Es  ist  in  Wasser  unlöslich  und 
stellt  eine  weiße,  kristallinische  Substanz  mit  ca.  47% 
Quecksilber  vor,  der  ein  Vorzug  vor  den  bisherigen 
Quecksilberpräparaten  nicht  zuerkannt  wird. 

L  e  u  ko  zo  n,  ein  Gemisch  von  Calciumperborat 
und  Talkum  a.  p.  aequ.  wird  nach  Spiegel  und  Anker 
als  stark  desinfizierendes  Wundstreupulver  angewendet. 
In  Berührung  mit  Wundsekreten  entwickelt  es  ca.  5  p.  c. 
aktiven  Sauerstoff.  Da  die  Wirkung  des  reinen  Leukozon’s 
eine  sehr  intensive  ist,  wurden  in  der  Berliner  klinischen 
Wochenschrift  folgende  Verdünnungen  vorgeschlagen: 
Leukozon.  Tale,  ä  50,  und  Lenkozon  20—  Tale.  ^plv. 
8Q— •  Fs  wirkt  hervorragend  austrocknend  und  reinigend 
sowie  granulierend  und  Oberhaut  bildend. 

y  a  r  a  1  a  u  d  i  n  ,  nahe  verwandt  und  in  gleicher 
Dosis  und  bei  gleicher  Indikation  angewandt  wie  Diacetyl- 


Nr.  32. 


Fortschritte  der  Medizin 


315 


morphin,  soll  besonders  schirierzstillend  und  beruhigend 
gegen  Hustenreiz  wirken. 

I  hrombosin  wird  eine  Zytozymlösung  benannt 
welche  sich  nach  Hirschfeld  und  Klinger  als  unschäd¬ 
liches  Blutstillungsmittel  erwiesen  hat.  Es  kommt  in 
Ampullen  ä  5  ccm  in  den  Handel. 

Unter  dem  Titel  „Prothrombin  and  Anti¬ 
thrombin  factors  in  tbe  evagulation  of  blood“  ver¬ 
öffentlichen  George  R.  Minot,  M.  D.,  und  George  P. 
Denny,  M.  D.,  Boston  mit  Unterstützung  von  Daniel 
Davis  M.  D.,  Baltimore,  in  Nr.  1  der  „Archives  of 
internal  Medicine,“  vom  Jahre  1916  eine  sehr  eingehende 
und  beachtenswerte  Arbeit  über  die  Ergebnisse  ihrer 
Untersuchungen  mit  den  genannten  Zytozymen.  Sie  sind 
mit  den  Resultaten  wissenschaftlich  technisch  außer¬ 
ordentlich  zufrieden  und  empfehlen  dringend  die  prak¬ 
tische  Anwendung,  zumal  irgend  welche  Nachteile  bislier 
nicht  auftraten  und  auch  nicht  zu  befürchten  sind. 

1  oramin  ist  der  geschützte  Name  für  ein  neues 
Hustenmittel  der  Firma  Athenstädt  &  Redecker,  che¬ 
mische  Fabrik,  Hemelingen  bei  Bremen.  Es  ist  trichlor- 
butylmalonsaures  Ammon  und  bildet  schöne,  in  Wasser 
leichtlösliche  perlmutterähnlich  glänzende  Blättchen. 
Seine  Anwendung  erfolgt  in  Zusammensetzung  mit  Inf. 
Ipecac.,  Elix.  pectoral.,  Kal.  sultoguajacol  sirup  und  ähn¬ 
lichem  als  kräftiges  Linderungsmittel  bei  Erkrankungen 
der  Atmungsorgane,  Reizhusten,  Luftröhren-  und  Kehl¬ 
kopfkatarrh,  Lungen-  und  Brustfellentzündung  sowie 
bei  Keuchhusten  im  abnehmenden  Stadium.  Eine  Ein¬ 
wirkung  auf  Magen  und  Darm  wurde  nicht  beobachtet, 
es  kann  auch  Schwächlichen,  Kindern  und  Greisen  unbe¬ 
sorgt  in  der  üblichen  Dosis  von  0,1  g  bis  zu  4-6  mal 
am  Tage  gegeben  werden. 

Unter  dem  Namen  „Doramad  Salbe“  kommt 
eine  Salbe  in  den  Handel,  die  mit  Thorium— .X  herge¬ 
stellt  zur  Behandlung  von  Hauterkrankungen  Verwendung 
findet. 

Das  bereits  früher  genannte  D  i  g  i  f  o  1  i  n  kommt 
jetzt  auch  in  flüssiger  Form  als  Digifolin- liquid, 
in  den  Handel  und  zwar  in  Tropfgläsern  ä  20  ccm  In¬ 
halt.  1  ccm  =  22  iropfen  =  0,1  folia  Digitalis  titr. 
Die  Dosierung  ist  11—22  Tropfen.  Hergestellt  wird  es 
von  der  Gesellschaft  für  Chemische  Industrie  in  Basel 
wie  die  Schweizer.  Apoth.  Ztg.  berichtet. 

Die  Vereinigten  Chininfabriken  Zimmer  &  Co.  — 
Frankfurt  a.  M.  stellen  nach  Dr.  J.  Tugendreich  ein 
Isoamylhydrocuprein  unter  dem  Namen  Eucupin  her, 
das  als  wirksames  Anaestheticum  und  Desinficiens  bei 
schmerzhafter  Ulceration  der  Geschwülste  bei  Lupus  etc. 
empfohlen  wird.  Es  löst  sich  leicht  bis  zu  3—4%  in 
Fetten  und  Ölen  und  findet  in  dieser  Form  oder  als 
Salbe  oder  Stuhlzäpfchen  Anwendung. 

Lutosargin  nennt  der  Darsteller,  die  chemische 
Fabrik  von  Kalle  &  Co.,  G.  m.  b.  H.  in  Biebrich  a.  Rh. 
ein  kolloidales  Quecksilberjodid.  Es  muß  vorsichtig  und 
vor  Licht  geschützt  aufbewahrt  werden  und  findet  in 
Lösung  gegen  Lues  zu  1  ccm  später  2  ccm  zwei  bis 
dreimal  wöchentlich  intramuskuläre  Anwendung. 

Lytussin,  ein  verseiftes  Guajacol,  wird  gegen 


Lungentuberkulose  in  borm  von  Schmierkuren  gebraucht. 
Auch  zur  endermatischen  Behandlung  anderer  Er¬ 
krankungen  der  Atmungsorgane  empfiehlt  es  Dr.  Conrad 
Martin  in  Breslau.  Außer  dem  verseiften  Guajacol  ent¬ 
hält  es  Menthol,  Kampfer  und  andere  Medikamente,  die 
der  l  atient  nach  Möglichkeit  während  des  Einreibens 
einathmen  soll.  Die  eingeriebenen  Stellen  —  es  ist  eine 
besondere  Liste  aufgestellt,  in  welcher  Reihenfolge  die 
einzelnen  Körperteile  eingerieben  werden  sollen,  sollen 
7  F<ige  lang  nach  dem  Einreiben  nicht  gewaschen  werden! 
Hersteller  F.  Reichelt,  G.  m.  b.  H.  Breslau  V. 

Rhu  mol  ist  eine  Verseifung  des  Methylsalizylats  mit 
aromatischen  Zusätzen  in  schwach  alkoholischer  Lösung 
die  gegen  rheumatische  und  neuralgische  Schmerzen  aller 
Art  als  Einreibungsmittei  mit  durchweg  gutem  Erfolg 
zur  Anwendung  kommt.  Seine  Anwendung  erfolgt  2 
bis  3  mal  täglich.  Es  empfiehlt  sich,  die  eingeriebenen 
Stellen  einige  Zeit  mit  Watte  oder  Flanell  zu  verpacken, 
da  hierdurch  die  Resoiption  und  Wirkung  wesentlich 
erhöht  wird.  Hersteller  und  Vertrieb:  Apotheke  am 
Eschenheimer  Turm,  Frankfurt  a.  M. 

Die  drei  bekannten  großen  Firmen  E.  Merck,  Darm¬ 
stadt,  C.  F.  Boehringer  &  Söhne,  Mannheim  und  Knoll  & 
Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh.  bringen  unter  der  Schutz¬ 
marke  MBK  komprimierte  Arzneimittel  in  Tabletten  form 
sowie  in  Lösung  in  sterilen  Ampullen  als  Compretten 
bezw.  Amphiolen  in  den  Handel.  Die  Praxis  war 
an  die  Präparate  der  Firmen  Borrough,  Wellcome  &  Co., 
Parke  Davis  &  Co.,  sowie  an  die  verschiedenen  Ampullen¬ 
präparate  des  Auslandes,  von  Clin,  Hoffmann  —  la 
Roche,  und  ähnlichen  in  hohem  Maaße  gewöhnt.  Wie 
in  vielen  anderen  zeitigt  auch  auf  diesem  Gebiete  der 
Krieg  das  Gute,  daß  wir  uns  bewußt  werden,  daß  wir 
ganz  besonders  auch  auf  therapeutischem  Gebiete  ohne 
das  feindliche  Ausland  recht  gut  auskommen  und  be¬ 
stehen  können.  Die  vorliegende  Preisliste  gebrauchs¬ 
fertiger  Arzneiformen  deutscher  Herstellung  der  drei 
genannten  Firmen  bestätigt  das  vollkommen.  Sie  ent¬ 
hält  Ansätze  für  Amphiolen,  Subkutan -Compretten, 
Augen-Compretten  und  Compretten  in  allen  möglichen 
Formen  und  Stärken  und  es  bleibt  nur  zu  hoffen  und 
zu  wünschen,  daß  die  deutsche  Ärzteschaft  und  damit 
auch  das  deutsche  Publikum  die  Gelegenheit  ergreifen, 
sich  hierin  dauernd  von  den  ausländischen  Präparaten 
unabhängig  zu  machen.  Der  weltbekannte  gute  Ruf 
der  deutschen  Hersteller  bürgt  für  die  Güte  des  Ge¬ 
botenen,  die  Preise  sind  eher  niedriger  als  höher  gegen¬ 
über  den  früher  gebräuchlichen  fremdländischen  Er¬ 
zeugnissen. 

O  p  t  a  n  n  i  n  —  basisch  gerbsaurer  Kalk  —  wurde 
in.  einer  größeren  Reihe  von  Fällen  in  der  Heidelberger 
Kinderklinik  erprobt.  Es  wird  bei  Säuglingen  zu  1,0 
bis  2,0  g,  bei  älteren  Kindern  bis  2,5  g  pro  Tag  der 
flüssigen  oder  breiigen  Nahrung  beigemischt  durchweg 
anstandslos  genommen  und  tadellos  vertragen.  Seine 
Anwendung  ist  bei  Innehaltung  obiger  Dosierung  voll¬ 
ständig  ungefährlich. 

Hersteller:  Knoll  &  Co.,  Ludwigshafen  a.  Rh. 


316 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  32. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Zur  Frage  der  Adsorptionstherapie  chirurgisch¬ 
gynäkologischer  Erkrankungen. 

Von  Dr.  med.  Hans  Oppenheim. 

Frauenarzt  und  Chirurg  in  Berlin. 

Berliner  Klinische  Wochenschrift  No.  22,  vom  29.  Mai  1916. 


Der  Autor  berichtet  über  auffallend  gute  Erfolge, 
die  er  mit  den  Lenicet-Boluspräparaten  erzielte.  Die 
Erfahrungen  hat  er  einerseits  in  seiner  frauenärztlichen 
Praxis  bei  der  Behandlung  mit  Ausfluß  einhergehender 
Krankheiten,  andererseits  in  einem  großen  Lazarett,  dem 
er  vorsteht,  bei  der  Wundbehandlung  gesammelt. 

Nach  dem  Vorgänge  Nassauers  und  anderer  hat 
sich  auch  der  Autor  der  Adsorptionstherapie  zugewandt. 
Das  Prinzip  besteht  darin,  daß  eine  Adsorption,  d.  h. 
Bindung  des  betreffenden  Virus  an  das  eingebrachte 
Mittel,  ein  hydrophiles  Pulver,  und  damit  Unschädlich¬ 
machung  und  Ausscheidung  aus  dem  Säftestrom  ange¬ 
strebt  wird. 

In  geeigneten  Fällen  seiner  frauenärztlichen  Praxis 
haben  sich  bei  dem  Autor  mit  hervorragendem  Erfolg 
die  Lenicet-Boluspräparate,  die  auch  von  Liepmann, 
Wille,  Katz  gelobt  werden,  vorzüglich  bewährt.  Bei  der 


Behandlung  des  Ausflusses  bedient  er  sich  des  20  % 
Lenicet-Bolus,  Lenicet-Bolus  mit  Silber  (1/ii  °/0  Alumi- 
nium-Silberacötat)  vorwiegend  bei  Gonorrhoe,  Lenicet- 
Bolus  mit  Peroxyd,  Lenicet-Bolus  mit  Jod  (1%),  Peru- 
Lenicet-Pulver  bei  sehr  übel  riechendem  Ausfluß. 

Die  erwähnten  Medikamente  in  Pulverform  stäubt 
der  Autor  in  die  Vagina  mittels  Pulverbläser. 

Überraschende  Erfolge  in  verhältnismäßig  kurzer 
Zeit  konnte  er  auch  bei  der  Pulverbehandlung  stark 
secernierender  Wunden  und  Fisteln  aller  Art,  bei  welchen 
die  andauernde  Sekretion  allen  Heilungsbestrebungen 
hartnäckigen  Widersand  leistete,  und  bei  denen  eine 
monatelange  Therapie  mit  aseptischen  Trockenverbänden 
und  antiseptischen  Ausspülungen  erfolglos  war,  feststellen. 
Er  benutzte  hierbei  das  Dr.  Reiß’sche  Bolusal,  das  mittels 
eines  Pulversprays  mit  feinster  Kapillarzerstäubung  in 
alle  Buchten  und  Tiefen  des  Wundbettes  aufgepudert 
wurde.  Das  andere  Präparat  „Bolusal  mit  Tierkohle“, 
welches  eine  energische  bakterienfixierende  Wirkung 
hat,  empfiehlt  der  Autor  bei  infizierten  Wunden  mit 
schlaffen  Granulationen  infiltrierter  Umgebung  und  stark 
eitriger  Sekretion. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

Die  Behandlung  von  Typhusbazillenträgern  mit  Tierkohle. 

Von  Professor  Dr.  Th.  Kuhn,  Leiter  der  Bakteriologischen 
Untersuchungsanstalt  Strassburg  i.  E.  „Arbeiten  aus  dem 
Kaiserlichen  Gesundheitsamte.“  Band  50,  Heft  3,  1916. 

Da  mehrere  Autoren  gute  Erfolge  in  der  Behandlung  von 
Typhusbazillenträgern  mit  Tierkohle  allein  oder  in  Verbindung 
mit  Jodtinktur  oder  Thymol  gesehen  haben  wollten,  unternahm 
es  Kuhn,  29  Bazillenträger  in  der  gleichen  Weise  zu  behandeln, 
um  sie  bazillenfrei  zu  machen.  Ausser  etwas  Leibschmerzen 
und  leichter  Übelkeit  bei  einigen  Personen  wurde  die  Behand¬ 
lung  gut  vertragen.  Ihr  Erfolg  war  jedoch  gänzlich 
negativ,  ja  fast  hatte  es  den  Anschein,  als  ob  die  Be¬ 
handlung  die  Bazillenausscheidung  noch  steigert.  Prüft  man 
die  Wirkung  der  Tierkohle  auf  die  Bakterien  im  Reagenzglas, 
so  reisst  die  Kohle  die  Bakterien  aus  Aufschwemmungen 
nieder,  aber  tötet  sie  nicht  ab.  Die  Erfolge  von 
Kalberlah  und  von  Gerönne  und  W.  Lenz  sind  so  zu  er¬ 
klären,  dass  die  Bazillenträger  dieser  Autoren  keine  Dauer- 
ausscheider,  sondern  Spätausscheider  waren.  Nach 
Kuhns  Ansicht  wären  diese  auch  ohne  Behandlung  bazillenfrei 
geworden,  was  wohl  richtig  sein  dürfte. 

H.  Gräf-Hamburg. 


Chirurgie  und  Orthopädie. 

Dr.  B.  Helle  r-Salzburg.  Infanteriegeschoss  in  der 
Herzmuskulatur.  (M.  Kl.  1916,  Nr.  1,  S.  15.) 

Ein  Schuß  am  linken  Schulterblatt,  verheilt  in  kurzer 
Zeit.  Kein  Ausschuß.  Gleich  nach  der  Verletzung  Bluthusten. 
Subjektive  Beschwerden  gering:  zeitweise  Atemlosigkeit  und 
Herzklopfen  bei  geringen  Anstrengungen.  Aussehen  gut,  Herz 
etwas  nach  links  verbreitert,  Töne  rein,  Puls  nicht  beschleu¬ 


nigt.  Durchleuchtung:  Spitzes,  den  Herzbewegungen  folgen¬ 
des  Geschoß  in  der  Herzmuskulatur  links  -von  der  Medianlinie 
in  der  Kammerwand.  v.  S  c  h  n  i  z  e  r. 

Marquard  t-Haspe  i.  W.:  Zwei  Fälle  von  Gasphlegmone. 
Kasuistischer  Beitrag.  (M.  m.  Wschr.  4.  16.)  Fall  1  Verlauf 
der  Gasbrandbazillen  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  und  unter 
Fortschreiten  der  Gasphlegmone  distalwärts  entgegen  dem 
Lymphstrom.  Fall  2  kam  zur  Heilung  unter  ^paltschnitten 
bis  auf  den  Knochen  reichend,  die  aji  der  Grenze  der  erkrankten 
und  gesunden  Partien  angelegt  werden.  M  ühlhaus. 

Stoll:  Statistische  und  mechanische  Verhältnisse  bei 
Beinprothesen.  (M.  m.  Wehs.  4.  16. 

Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet.  Verf.  will  mit 
seinen  Ausführungen  dazu  beitragen,  dass  Vorzüge  oder 
Fehler  des  Prothesenträgers  irrtümlicherweise  der  Prothese 
selbst  zugestanden  werden.  M  ü  h  1  h  a  u  s. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Leppmann,  Psychiatrische  und  nervenärztliche  Sach¬ 
verständigentätigkeit  im  Kriege.  (Zeitschr.  für  ärztliche  Fort¬ 
bildung,  Nr.  22,  1915.) 

Verfasser  hat  die  Leitung  einer  Irren-  und  Nervenabtei 
lung  des  Garnisonlazaretts  I  in  Berlin  und  demgemäss  viel 
psychiatrisch-neurologisches  Soldatenmaterial  gesehen,  das  er 
begutachtet  hat  teils  auf  Dieusttauglichkeit,  teils  auf  Dienstbe¬ 
schädigung,  teils  auf  militärstrafrechtliche  Verantwortlichkeit. 
Bei  der  Diensttauglichkeit  war  beachtenswert,  dass  sich  die 
geistig  Minderwertigen  besser  bewährt  haben  als  im  Frieden. 
Hierbei  war  der  Einfluss  der  allgemeinen  Begeisterung  und 
des  erhöhten  Patriotismus  unverkennbar.  Am  besten  hielten 
leicht  Verstandesschwache  und  paronoid  Veranlagte  stand, 


FORTSCHRITTE  DER  MEDZIIN. 


31 


Kr.  32. 


während  die  chronisch  Verstimmten,  die  Reizharen,  Unsteten 
auch  im  Felddieust  oft  SchifFbruch  litten.  Auch  die  PIpileptiker 
hielten  sich  besser,  als  erwartet  wurde.  —  Bezl.  der  Dienstbe- 
»  Schädigung  kommt  es  auf  den  Nachweis  an,  dass  die  besonderen 
Kriegsanstrenguugen  und  Aufregungen  den  Ausbruch  der  Krank¬ 
heit  zu  Wege  brachten.  Bei  Dementia  praecox,  Paralyse  und 
Alkoholismus  kann  eine  Dienstbeschädigung  häufig  ausge¬ 
schlossen  werden.  Dagegen  verursacht  die  im  Felddienst  auf¬ 
tretende  „überschnelle  Entfettung“  oft  Geistesstörungen,  die 
den  Gefängnispsychosen  und  dem  Zuchthausknall  sehr  ähnlich 
sind  und  die  Verfasser  als  „Kriegspsychosen“  zusammenfasst. 
Hierbei  ist  Dienstbeschädigung  seitens  der  Sachverständigen 
anzuerkennen.  Die  Kriminalität  ist  im  deutschen  Heer  keine 
grosse.  In  Konflikte  geraten  hauptsächlich  die  Phantasten  und 
Phantasielügner  uuter  den  Schwachsinnigen  durch  Anlegen  von 
Offiziersuuiform,  Orden  oder  Ehrenzeichen,  die  Schwachsinnigen 
mit  krankhaftem  Wandertrieb  durch  Wegbleiben  von  der  Truppe, 
die  Alkoholiker  durch  Insubordinationen.  Die  zweite  Gruppe 
ist  meist  nicht  entschuldbar,  kann  höchstens  auf  mildernde 
Umstände  Anspruch  machen  Verfasser  schliesst  mit  den 
markanten  Worten:  „Ich  glaube,  unser  Volk  ist  in  seinem 
Kern  nervengesuuder,  als  wir  geglaubt  haben,  und  das  hat  der 
Krieg  gezeigt!“  Wern.  H.  Becker-  Herborn. 

W  i  t  z  e  1  Die  Enzepliaolyse  bei  traumatischer  Epilepsie 
und  Zephalalgie.  (Münch  med.  Wochenschr.,  Nr.  43,  1915.) 

Bei  traumatischer  Epilepsie  handelt  es  sich  meist  um 
Fixation  des  Gehirns  an  der  Knochen  weich  teilnarbe,  wodurch 
die  bei  seinen  pulsatorischen  Ausdehnungen  nötige  Beweglich¬ 
keit  gestört  wird.  Hier  ist  besonders  bei  den  jetzt  massenhaft 
auftretenden  Kriegsbeschädigungen  rechtzeitig  operativ  einzu¬ 
greifen.  Verfasser  legt  seine  Methode  dar.  Die  Haut-Knochen¬ 
narbe,  ebenso  die  Duranarbe,  wird  entfernt,  die  narbige  Ober¬ 
fläche  des  Gehirns  einfach  geglättet,  ein  dem  Oberschenkel  ent¬ 
nommener  Fettlappen  zwischen  Dura  und  Gehirn  eingeschoben, 
und  zwar  mit  der  Fettseite  hirnwärts,  mit  der  Faszienseite 
nach  aussen,  endlich  sorgfältige  Nähte,  aber  keine  sofortige 
plastische  Knochendeckung.  „Die  epileptischen  und  zephal- 

Ialgischen  Anfälle  setzen  bei  frischen  Fällen  meist  sofort  aus. 
Da,  wo  sie  bereits  häufig  waren,  kehren  sie  nur  ein  oder 
mehrere  Male  wieder.“  Erst  wenn  die  Anfälle  mindestens  über 
ein  Jahr  ausgeblieben  sind,  ist  es  geraten  die  Knochentrans¬ 
plantation  vorzunehmen,  falls  sie  Dicht  überhaupt  sich  erübrigt. 
Drei  Abbildungen  illustrieren  den  Operationsvorgang  anschau¬ 
lich.  Wern.  H.  Becker-  Herborn. 

_ 

Kinderheilkunde  und  Säuglingsernährung. 

Albert  Hirsch,  Ein  Fall  von  Pseudotetanus  (Escherich). 
Aus  der  Heidelberger  Kinderklinik.  (Monatsschr.  f.  Kinderh 
XIII.  Bd„  Nr.  10.) 

Kasuistischer  Beitrag  mit  Erörterung  der  verschiedenen 
Ansichten  über  die  Aetiologie  des  Pseudotetanus. 

Braun-  München. 

Carl  C  o  e  r  p  e  r  ,  Über  die  Palpation  peripherer  Drüsen  und 
deren  klinische  Bedeutung  bei  Kindern  der  ersten  zwei  Lebensjahre. 

(Aus  dem  Barmer  Säuglingsheim.  [Leitender  Arzt:  Dr.  Theodor 
Hoffa.])  Monatsschr.  f.  Kinderh.  XIII.  Bd.,  Nr.  10. 

Verfasser  prüfte  systematisch  11  Drüsengruppen  bei  1000 
Kindern  der  ersten  zwei  Lebensjahre.  Er  stellte  unter  anderm 
fest,  dass  bei  allen  ausgetragenen  Kindern  ausnahmslos  Achsel¬ 
drüsen  zu  fühlen  sind.  Künstlich  genährte  Kinder  haben  mehr 
fühlbare  Drüsen  als  natürlich  genährte.  Sehr  viele  palpable 
Drüsen  bei  chronischen  Ernährungsstörungen.  Während  bei 
Lues  und  Sepsis  sehr  viele  Drüsen  fühlbar  sind,  finden  sich 
bei  Tuberkulose  relativ  wenige.  B  r  a  u  n -München. 


Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten 
der  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

Von  A.  Ne  i  s  s  er  Breslan  Ist  es  wirklich  ganz  unmöglich, 
die  Prostitution  gesundheitlich  unschädlich  zu  machen?  (Deutsch- 
Med. -Wochenschr,  1915  Nr.  47.) 

N.  hält  es  sehr  wohl  für  möglich,  wenn  natürlich  auch 
nicht  ein  vollkommenes  Ungefährlichmachen  der  sich  prostitu- 
reenden  Frauen  zu  erreichen  ist,  aber  doch  eine  so  beträchtliche 


Verminderung  der  Ansteckungsgefahr,  dass  es  zu  einer  ent¬ 
sprechenden  Herabsetzung  der  Männerinfektionen  kommen 
müsse;  was  naturgemäss  wieder  einen  günstigen  Rückschlag 
auf  die  Verbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  unter  den  Frauen 
ausüben  muss  und  macht  folgende  Vorschläge. 

1.  Es  sollen  je  nach  der  Grösse  der  Stadt  ein  oder  viele 
Ambulatorien,  Polikliniken  oder  Fürsorgestellen  —  letzterer 
Name  scheint  ihm  der  beste  —  „für  an  Frauen-  und  Geschlechts¬ 
krankheiten  leidende  Mädchen  und  Frauen“  eingerichtet  werden. 

2.  Als  Arzte  an  diesen  Fürsorgestellen  sind  natürlich  nur 
spezialistisch  ausgebildete  Ärzte  und  Ärztinnen  anzustellen. 

3.  Neben  den  freiwillig  in  Behandlung  tretenden  Personen 
werden  auch  von  den  polizeilichen  Organen  überwiesene  Personen 
in  Behandlung  genommen,  soweit  es  sich  um  von  den  Polizei¬ 
organen  aufgegriffene,  aber  noch  nicht  eingeschriebene  Personen 
handelt. 

4.  Für  die  inskribierten  Puellae  wünsche  ich  auch  die 
Kontrolle  und  die  nachher  noch  zu  schildernde  Behandlung 
in  „Fürsorgestellen“  vorgenommen  zu  sehen.  Aber  diese  poli¬ 
klinischen  Anstalten  sollen  von  den  für  die  freiwillig  sich 
Meldenden  und  noch  nicht  Inskribierten  getrennt  bleiben. 

5.  Überall  müssen  Polizei-Assistentinnen  und  Fürsorge¬ 
schwestern  mitwirken. 

Zu  allen  diesen  Zwangsmassregeln  müssten  hinzutreten, 
eine  sehr  viel  ausgiebigere  Belehrung  und  Aufklärung  der 
jungen  Mädchen,  die  auf  eigne  Fiisse  gestellt  sind. 

Der  Zwang  soll  sich  nur  richten  auf  Befolgung  der  ärzt¬ 
lich  gegebenen  Vorschriften,  und  eine  „polizeiliche“  Überwachung 
soll  nur  diejenigen  treffen,  die  trotz  aller  Belehrung  und  Warnung 
und  Hilfe  durchaus  dabei  beharren,  dass  sie  Prostitution  treiben 
Avollen. 

In  einem  zweiten  Abschnitt  werden  dann  noch  die  be¬ 
sonderen  ambulant  durchzuführenden  Behandlungsmethoden 
der  einzelnen  Geschlechtskrankheiten  besprochen  ohne  dass 
grundsätzlich  Neues  berichtet  würde.  Gans. 


Neue  Medikamente. 

Hyrgarsol,  von  der  chemischen  Fabrik  von  Heyden  in 
Radebeul  bei  Dresden  hergestellt,  soll  ein  vollständiger  Er¬ 
satz  des  Enesol-Cliu  vorstellen  von  genau  gleicher  Zusammen¬ 
setzung  und  Eigenschaft.  Es  ist  eine  in  Ampullen  ä  2  ccm 
abgefüllte  Anreibung  von  Hydrarg.  salicylic.  und  Natr. 
methylarsenicic.  mit  einem  Quecksilbergehalt  von  ca.  16  — 17%. 
Man  darf  getrost  dem  Hyrgarsol  zumindest  das  gleiche  Ver¬ 
trauen  entgegen  bringen  wie  dem  bisher  gebräuchlichen  Enesol 
der  französichen  Fabrikanten.  Otto, 


Bücherschau. 

Hindhe  d  e,  N.  (Kopenhagen),  Praktisches  Kochbuch- 
Deutsch  von  Prof.  v.  Düring.  Verlag  W.  Vobach  &  Co. 
Berlin,  Leipzig,  Wien,  Zürich.  1916.  Mk.  2,60. 

Jedem,  der  auf  Urlaub  in  die  Heimat  kommt,  fällt  es 
auf,  wie  die  Ern  äh  rungsfrage  die  Gedankenwelt  beherrscht. 
Die  vornehmsten  Damen  zerbrechen  sich  die  Köpfe  wegen  der 
Frage:  Was  kochen  wir  heute?  und  drehen  die  Fleisch-,  Brot- 
usw.  Karten  der  Familienangehörigen  ratlos  zwischen  den  Fingern. 

Ihnen  müsste  das  Buch  von  H  i  n  d  h  e  d  e  eine  wahre 
Erlösung  bringen.  Allerdings  in  einer,  den  meisten  ziemlich 
unerwarteten  Form.  Denn  der  berühmte  Reformator  der  Er¬ 
nährungslehre  lehnt  unser  ganzes  Küchenwesen  von  Grund  aus 
ab.  Schrotbrot,  Kartoffel,  Butter,  Früchte  sind  die  Dinge,  mit 
denen  er  ideale  Speisezettel  für  Gesunde  und  Stoffwechsel- 
Kranke  zusammenstellt  Alles  übrige  kann  man  mehr  oder 
minder  vollständig  entbehren.  Aber  die  Kochrezepte  verraten, 
dass  H.  es  auch  zu  verwenden  versteht. 

Natürlich  ist  auch  eine  gewisse  Kunst  zu  essen  erforder¬ 
lich.  Keine  Mahlzeit  ohne  Hunger !  Hört  auf,  sobald  der. 
Hunger  gestillt  ist!  Bei  Tisch  wird  nicht  geredet,  sondern 
gekaut!  —  Das  sind  goldene  Regeln,  welche  manch  einen  vor 
fatalen  Indispositionen  und  chronischen  Erkrankungen  be¬ 
wahren  könnten,  wenn  er  sie  zu  befolgen  gelernt  hätte. 

Ich  möchte  wiiuschen,  dass  recht  viele  jungen  Hausfrauen 
das  Buch  täglich  zur  Hand  nähmen  und  die  Ratschläge  bezügl. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  32. 


318 


richtigen  und  sparsamen  Kochens,  Lebensmittelpreise,  Nährwert 
und  Preis,  billige  Speisezettel  usw.  immer  wieder  durchstudierten. 
Dann  würden  sie  ihrem  Ehegatten  beibringen,  wie  unzweck¬ 
mässig  er  bis  jetzt  gelebt  hat,  würden  ihren  Kindern  Gesund¬ 
heit,  Anspruchslosigkeit  und  ein  beträchtliches  erspartes  Kapital 
mitgeben  und  durch  ihr  Beispiel  über  den  eigenen  Lebenskreis 
hinaus  kräftigend  auf  das  ganze  Volk  wirken.  Indessen,  diese 
Perspektive  ist  zu  schön,  als  dass  sie  jemals  Wirklichkeit 
würde.  Aber  wenn  auch  nur  einige  wenige  sich  die  praktisch 
erprobte  H  i  n  d  h  e  d  e’sche  Lebensführung  zu  eigen  machen, 
werden  wenigstens  diese  einen  reichen  Gewinn  an  Gesundheit 
und  Lebensfreudigkeit  haben. 

Buttersack. 

Ärztliche  Technik. 

Das  „UItra-Polysol“-Lichtbad  (Upe-Lichtbad). 

Von  Dr.  P.  L.  Anders,  Berlin. 

Der  hohe  therapeutische  Wert  der  Allgemeinbehandlung 
im  Lichtbade  und  die  Notwendigkeit  einer  solchen  selbst  bei 
scheinbar  nur  lokalen  Prozessen  findet  immer  weitere  An¬ 
erkennung.  So  berichtet  u.  a.  Professor  Axel  Rej^  n,  der  Nach¬ 
folger  F  i  n  s  e  n  s  aus  seinem  Lichtinstitut  in  Kopenhagen 
(Strahlentherapie  Heft  6,  1915)  über  die  Heilung  schwerster 
Lupusfälle,  welche  vordem  lange  Zeit  nur  lokal,  aber  voll¬ 
kommen  erfolglos  mit  Licht  behandelt  waren,  als  man  sie  gleich¬ 
zeitig  auch  der  Allgemeinbehandlung  mit  Lichtbädern  unterzog. 

Die  Absorption  der  Lichtstrahlen  im  Körpergewebe  ist, 
wie  längst  wissenschaftlich  festgestellt,  die  Hauptursache  der 
vorzüglichen  Wirkung  der  Lichtbäder  gegenüber  anderen 
Wärmeanwendungen  und  die  im  abgeschlossenen  Lichtbade 
nebenher  entstehende  Koutaktwärme  meist  eine  unangenehme 
Beigabe,  da  sie  die  Dauer  des  Lichtbades  und  so  die  eigentliche 
Lichtwirkung  wegen  der  schnell  eintretenden  durch  sie  be¬ 
dingten  hohen  Temperatur  einschränkt. 

Dies  ist  der  Grund,  weswegen  das  Intensiv-Lichtbad 
„Polysol“  unter  den  Lichtbädern  eine  eigenartige,  in  thera- 
pieutischer  Beziehung  ganz  markante  und  hervorragende  Stellung 
ein  nimmt,  da  seine  Lampen  sehr  wenig  Kontakt  wärme,  da- 
gagen  eine  reiche  Menge  strahlender  Energie  liefern.  Es  ist 
das  charakteristische  dieser  Bäder,  dass  schon  bei  ganz 
niedriger  Temperatur  im  Lichtbade  und  zwar  weit  unter  der 
Körpertemperatur  des  Badenden  Schweissausbruch  erfolgt,  daher 
keine  wesentliche  Erhöhung  der  Blutwärme,  keine  Wärme¬ 
stauung  im  Körperinnern  eintritt,  da  der  frühzeitige  Schweiss¬ 
ausbruch  und  die  damit  verbundene  Wasserverdunstung  einen 
schnellen  Temperaturausgleich  gewährleistet.  So  sind  diese 
Bäder  nicht  angreifend  und  deswegen  auch  bei  Schwächezu¬ 
ständen  und  Herzkranken  ohne  Schaden  zu  verwenden. 

So  wertvoll  diese  Einrichtung  für  den  therapeutischen 
Erfolg  auch  ist,  so  entbehrt  das  Licht  dieser  Bäder  einen 
wesentlichen  Lichtkomponenten,  dessen  therapeutische  Bedeutung 
bei  der  örtlichen  Behandlung  mit  dem  Licht  des  Kohlenbogen¬ 
licht-Scheinwerfers  (Radiosol)  überall  so  wesentlich  in  den 
Vordergrund  getreten  war,  dass  man  das  Kohlenbogenlicht 
auch  zur  allgemeinen  Behandlung  längst  verwandte.  Leider 
stiess  man  hierbei  auf  technische  Schwierigkeiten,  die  ver¬ 
hinderten,  höhere  Lichtintensitäten  im  Lichtbade  zur  Ein¬ 
wirkung  zu  bringen. 

Diese  im  Kohlenbogen  licht  reichlich  vorhandenen  wertvollen 
blauvioletten  Strahlen  fehlen  der  bisherigen  Glühlampe  gänzlich. 

Neuerdings  ist  es  der  Glühlampenfabrikation  gelungen,  eine 
Glühlampengattuug  herzustellen,  in  welcher  neben  den  roten  und 
gelben  Strahlen  auch  blauviolette  Strahlen  reichlich  vertreten  sind. 

Diese  Lampen,  wegen  ihres  idealen,  dem  Sonnenlicht 
ähnlichen  Strahlengemisches  „Radiosol“  Lampen  genannt,  hat 
die  E.  G.  Sanitas,  mit  dem  schon  im  Polysol- Lichtbad  lang¬ 
langjährig  erprobten,  hyperbolisch  gekrümmten  Reflektoren 
versehen  im  Upe-Lichtbade  so  zweck  mässig  angeordnet 
und  verteilt,  dass  sie  die  Lichtreflexion  in  denkbar  bester 
Weiso  bewerkstelligen.  So  liefert  das  UpeLichtbad  durch 
die  Radiosollampen  der  Upe-Reflektoren  einmal  die  denk¬ 
bar  grösste  Menge  strahlender  Energie  in  einem  Strahlen¬ 
gemisch,  welches  in  zweckmässiger  Verteilung  nicht  allein 
die  tiefdringenden  Strahlen  der  rotgelben  Spektrumseite, 


sondern  auch  die  mehr  indirekt  durch  ihren  Reiz  auf  die 
Ner\en  der  Haut  wirkenden  Strahlen  der  blauvioletten  enthält 
und  daher  lichttherapeutisch  von  ausserordentlich  intensiver 
Wirkung  ist,  da  es  in  seiner  Lichtmischung  dem  Licht  der 
Hochgebirgssonne  ähnlich  ist.  Sodann  gewährleistet  die  Lampeu- 
verteiluug  und  die  hyperbolisch  gekrümmten  Reflektoren,  dass 
die  ganze  zu  Gebote  stehende  Lichtfülle  in  ausgedehntestem 
Masse  zur  Wirkung  gelangt.  Die  Wärmestrahlung  auf  die 
Haut  wird  im  Gegensatz  zur  Strahlung  im  gewöhnlichen  Licht¬ 
bade  mit  Kohlenfadenlampen  viel  angenehmer  empfunden,  das 
Licht  ist  wohl  warm  aber  nicht  brennend.  Es  ist  dies  ein 
ähnliches  Verhältnis,  wie  wir  es  beim  Vergleich  der  Sonne 
der  Tiefebene  mit  der  des  Hochgebirges  finden,  während  wir 
bei  der  gleichen  Temperatur  im  Sommer  die  Sonnenwärme  in 
der  Tiefebene  unangenehm  wärmend  empfinden,  fehlt  dieses 
unangenehme  Gefühl  im  Hochgebirge  gänzlich. 

Trotz  der  reichlichen  Menge  strahlen¬ 
der  Energie  ist  der  Stromverbrauch  im 
Upe-Lichtbade  bedeutend  geringer  wie  im 
gewöhnlichen  Lichtbade. 

So  braucht  z.  B.  eiu  Glühlichtbad  mit  48  lfikei’zigen 
Kohlenfadenlampen  und  einer  Lichtstärke  von  ca.  800  H-Iverzeu 
bei  110  V.  Spannung  ca.  24  lOOkerzigen  Lampen  und  einer 
Lichtstärke  von  ca.  2400  H-Kerzen  nur  ca.  10,5  Ampere  bei 
derselben  Stromspaunung. 

Nachruf. 

Albert  Neißer. 

Schon  wieder  eine  Trauernachricht.  War  mit  Met- 
schnikoff  ein  großer  Hämato-  und  Bakteriologe  erst  vor 
einigen  Tagen  dahingegangen,  so  ist  mit  Albert  Neißer, 
dessen  Tod  gemeldet  wurde,  vielleicht  der  Größte 
der  jetzt  lebenden  Dermato-,  Bakteriologen  undglänzenden 
Kliniker  der  medizinischen  Praxis  und  Forschung  ver¬ 
lorengegangen.  Dies  ist  in  Wahrheit  ein  unersetzlicher 
Verlust.  Mit  seinem  Namen  ist  für  alle  Zeiten  die  hoch¬ 
wichtige  EntdeckungdesGonococcus  und  des  Leprabazillus 
verbunden.  Mit  Ehrlich  und  Wassermann  hat  er  manches 
Bahnbrechende  zusammen  erforscht.  Speziell  war  es  die 
Wassermannsche  Reaktion,  welche  ihre  Entstehung  und 
praktische  Verwendung  ihm  verdankt.  Seine  ausge¬ 
dehnten  Reisen  führten  ihn  zu  Forscherzwecken  in  die 
entlegensten  Weltteile.  Ganz  besonders  bekannt  sind 
seine  experimentellen  Syphilisforschungen  an  Affen  auf 
Borneo  und  Java.  Auch  an  der  Entdeckung  des  Salvar- 
san  durch  Ehrlich  hatte  er  einen  nicht  unbedeutenden  Anteil. 

Er  war  obendrein  ein  glänzender  Redner,  ein  ge¬ 
radezu  gesuchter  Lehrer —  er  war  der  erste  ordent¬ 
liche  Professor  der  Dermatologie  in  Deutschland!  — 
und  geistreicher  Schriftsteller.  Die  trockenste  Materie 
wußte  er  anziehend  zu  machen.  Aus  aller  Herren 
Ländern  strömten  ihm  in  Scharen  die  Schüler  herbei. 
Als  Gründer  und  spiritus  rector  der  Deutschen  Ge¬ 
sellschaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechtskrankheiten 
rückte  er  in  die  erste  Reihe  der  Sozialhygieniker.  Unter  der 
jetzt  lebenden  Dermatologengeneration  gibt  es  fast 
keinen,  der  nicht  an  seiner  weltberühmten  —  vielleicht 
weltgrößten  und  reichlichst  ausgestatteten  Klinik  in 
Breslau  mit  ihren  musterhaften  Laboratorien  gearbeitet 
hätte.  Im  Privatleben  war  er  ein  vielseitiger,  fein¬ 
fühliger  Kunstkenner,  ein  liebenswürdiger  Mensch. 
Sein  Tuscalum  in  der  Nähe  der  Stadt  Breslau  war  der 
Mittelpunkt  aller  wissenschaftlichen  und  künstlerischen, 
Bestrebungen.  Und  so  starb  er  in  den  Sielen  .  .  . 
in  verhältnismäßig  noch  rüstigem  Alter  von  61  Jahren,  nach¬ 
dem  er  noch  vor  garnicht  langer  Zeit  als  Armeegeneral¬ 
arzt  so  Großes  für  das  Wohl  des  Heeres  auf  seinem 
Spezialgebiete  geleistet  und  viel  Bedeutsames  publiziert 
hatte  .  .  .  Die  Wissenschaft,  die  Menschheit  hätte  von 
ihm  noch  nanche  schönere  Früchte  erwarten  können  .  .  . 

Von  ihm  kann  man  mit  vollem  Rechte  ausrufen: 
„Wehe  um  die  Dahingehenden,  welche  keinen  Ersatz 
hinterlassen.“  Dr.  med.  Ratner,  Wiesbaden. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33  Jahrgang 


1915/16. 


Tortschritte  (kr  Medizin. 


L  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  Iflitwirkung  hervorragender  Tadimänner 


herausgegeben  von 

L.  von  Criegern.  L.  Edinger, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 


C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 

Verantwortliche  Schriftl 


e  i  t  u  n  g 


H.  Vogt, 

Wiesbaden. 

Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig. 


Nr.  33 


Erscheint  am  10..  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  August. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Zur  Erzielung  der  „willkürlich  bewegbaren 
künstlichen  Hand.“1) 

Von  Dr.  Richard  Pflugradt,  Chefarzt  der  chiturgischen  Ab¬ 
teilung  des  Kreiskrankenhauses  Salzwedel. 

M.  H.! 

Ich  darf  voraussetzen,  daß  Ihnen  die  Veröffent¬ 
lichungen  von  Sauerbruch  aus  dem  letzten  halben 
Jahre  im  wesentlichen  bekannt  sind,  die  er  in  seiner 
jüngst  erschienenen  Monographie  über  „die  willkürlich 
bewegbare  künstliche  Hand“  zusammengefaßt  hat.  Von 
dem  Gedanken  ausgehend,  „die  in  einem  Amputations¬ 
stumpf  zurückgebliebenen  Muskelkräfte  für  die  Bewegung 
einer  künstlichen  Hand  auszunützen“,  hat  S  a  u  e  r  b  r  u  c  h 
gemeinsam  mit  Anatomen  und  Technikern  ein  Verfahren 
ausgebildet,  das,  wie  er  auf  der  diesjährigen  Kriegs¬ 
chirurgen-Tagung  an  einer  größeren  Zahl  von  Kriegs¬ 
invaliden  zeigen  konnte,  die  Amputierten  in  die  Lage 
setzen  wird,  die  künstliche  Hand  ihrer  Prothese  will¬ 
kürlich  zu  bewegen:  durch  aktives  Greifen  Gegenstände 
zu  fassen  und  zu  halten,  und  z.  T.  auch  durch  aktiven 
Muskelzug  die  Finger  der  künstlichen  Hand  wieder  zu 
strecken  und  damit  den  gefaßten  Gegenstand  wieder 
loszulassen. 

Der  leitende  Gedanke  war,  wie  Sauerbruch  her¬ 
vorhebt,  an  sich  nicht  neu.  Verschiedenen  älteren  und 
neuen  Modellen  des  künstlichen  Arms  liegt  schon  die 
Idee  zu  Grunde,  durch  indirekte  Übertragung  derjenigen 
Muskelkräfte,  die  den  Oberarm  im  Schultergelenk  oder 
den  \  orderarm  im  Ellenbogengelenk  bewegen,  auf  den 
Handteil  der  Prothese  auch  eine  willkürliche  Bewegung 
der  künstlichen  Hand  zu  erzielen.  Alle  diese  Apparate 
unterliegen  im  Gebrauch  der  Beschränkung,  daß  die 
Bewegung  der  künstlichen  Hand  nicht  selbständig  vor 
sicht  geht,  sondern  stets  abhängig  ist  von  gleichzeitigen 
Bewegungen  des  Rumpfes  oder  einer  bestimmten  Ein¬ 
stellung  des  Oberarmstumpfes  im  Schultergelenk  bezw. 
des  Vorderarmstumpfes  im  Ellenbogengelenk.  Da  die 
Muskulatur  des  Stumpfes  selbst  dabei  größtenteils  un¬ 
tätig  bleibt,  so  atrophiert  sie  mit  der  Zeit,  die  Stümpfe 
werden  konisch  und  bilden  eine  Quelle  für  mannigfache 
Beschwerden. 

Aber  auch  der  Plan,  die  im  Stumpf  zurückgebliebene;) 
Muskelkräfte  selbst:  bei  den  Oberarm- Amputierten  die 
Beuger  und  Strecker  für  den  Vorderarm,  bei  Vorderarm- 
Amputierten  die  Beuger  und  Strecker  für  Hand  und 
Finger  als  lebendige  Kraftquellen  für  eine  direkte  Be- 

9  Vortrag  mit  Krankendemonstration,  gehalten  auf  der  außer¬ 
ordentlichen  Sitzung  der  Medizinischen  Gesellschaft  in  Magdeburg 
am  15.  Juni  1916. 


wegung  der  künstlichen  Hand  zu  erhalten  und  durch 
eine  plastische  Operation  herzurichten,  ist  schon  früher 
erwogen  worden.  Im  Jahre  1899  hat  der  Italiener 
Vanghetti  auf  Grund  von  Tierexperimenten  den  Vor¬ 
schlag  gemacht,  bei  Operationen  an  der  oberen  Extremität 
durch  Vernäbung  von  Sehnen  oder  Muskeln  vor  dem 
Knochenstumpf  Schlingen  zu  bilden,  um  diese  später 
mit  den  Sehnen  der  künstlichen  Hand  in  Verbindung 
zu  bringen.  Das  Verfahren  ist  von  Ceci  in  Pisa  am 
Menschen  einige  Male  versucht  worden.  1909  hat 
Eigart  ein  ähnliches  Verfahren  angegeben,  wobei  er 
ebenfalls  von  dem  Prinzip  ausging,  möglichst  alle  im 
Amputationsstumpf  der  oberen  Extremität  zurückge¬ 
bliebenen  Kräfte  auszunutzen  und  für  den  Gebrauch 
der  späteren  Prothese  zu  verwerten.  In  einer  zusammen¬ 
fassenden  Arbeit  „über  moderne  Bestrebungen  zur  Ver¬ 
besserung  der  Amputationstechnik“  in  den  Ergebnissen 
der  Chirurgie  und  Orthopädie  vom  Jahre  1911  erwähnt 
Ritter  einen  in  der  Literatur  beschriebenen  Fall  von 
kongenitalem  V  o  rd  e  rarm-Am  putations- 
stumpf,  „der  durch  seine  überstehenden  an  der  Haut 
inserierenden  Muskel-  und  Sehnenstümpfe  die  P'orm 
eines  Rüssels  und  eine  erstaunliche  Greiffähigkeit  er¬ 
halten  hatte“.  Möglicherweise  haben  derartige  Beobach¬ 
tungen  nach  „natürlicher  Amputation“  die  genannten 
Autoren  veranlaßt,  auch  für  chirurgische  Armamputationen 
ein  kineplastisches  Verfahren  zu  ersinnen. 

Neuerdings,  aber  noch  vor  Ausbruch  des  Krieges, 
ist  von  Payr  eine  Vorderarm- Amputation  nach  der 
Vanghetti  sehen  Methode  mit  Erfolg  ausgeführt  worden, 
zu  deren  Veröffentlichung  Payr  sich  jetzt  nach  den 
Sauerbruchschen  Mitteilungen  veranlaßt  sah. 

Über  vereinzelte  Teilerfolge  waren  die  Versuche 
jedoch  nicht  hinausgekommen.  Die  Gründe  dafür,  daß 
die  Methode  Vanghettis  bisher  keine  weitere  Ver¬ 
breitung  gefunden  hat,  liegen  offenbar  darin,  daß  die 
Erfinder  des  Verfahrens  selbst  anscheinend  nicht  viel 
Vertrauen  zu  seiner  allgemeinen  praktischen  Durch¬ 
führung  hatten,  daß  ferner  bei  dem  heutigen  konservativen 
Standpunkt  der  Chirurgie  Armamputationen  in  Friedens¬ 
zeiten  immerhin  zu  den  selteneren  Operationen  gehören, 
und  daß  durch  allgemeine  Verwendung  der  von  ortho¬ 
pädischer  Seite  ausschließlich  empfohlenen  Arbeits¬ 
prothesen  diese  Frage  nach  einer  anderen  Richtung 
hin  zum  Endziel  gebracht  zu  sein  schien.  Ein  weiterer 
Hinderungsgrund  mag  auch  der  gewesen  sein,  daß  die 
kineplastisch“  Umgestaltung  eines  Amputationsstumpfes 
meist  nur  mit  dem  Opfer  einer  weiteren  Verkürzung 
des  Stumpfes  erkauft  werden  kann. 

Es  ist  das  unbestrittene  Verdienst  Sauerbruchs, 


120 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  33, 


dies;  Bedenken  überwunden  und  sich  durch 
Mißerfolge  von  der  planmäßigen  Ausbildung  bestimmter 
Operationsmethoden  zur  Erreichung  des  genannten  Zieles 
nicht  haben  abschrecken  zu  lassen.  Es  ist  Sauerbruch 
gelungen,  das  Verfahren  so  auszubauen,  daß  es  voraus¬ 
sichtlich  nunmehr  zum  Allgemeingut  der  praktischen 
Chirurgie  wird.  Zustatten  kam  ihm  dabei  die  leider 
durch  die  jetzigen  Kriegsverletzungen  so  hohe  Zahl  von 
Arm- Amputierten. 

Der  Wunsch,  unsern  verstümmelten  Kriegern  nicht 
nur  die  Segnungen  orthopädischer  Kunst  zuteil  werden 
zu  lassen,  sondern  die  aktive  Leistungsfähigkeit  ihrer 
verletzten  Gliedmassen  durch  chirurgische  Eingriffe,  ins¬ 
besondere  korrigierende  Nachoperationen,  auf  das  denk¬ 
bar  höchste  Maß  zu  steigern,  wird  mit  Wahrscheinlich¬ 
keit  auch  andere  Chirurgen,  unabhängig  von  Sauer¬ 
bruch,  auf  den  Gedanken  gebracht  haben,  zunächst 
bei  notwendig  gewordenen  Reamputationen  das  kineplas- 
tische  Verfahren  Vanghettis  einmal  zu  versuchen. 
So  habe  auch  ich  im  September  vorigen  Jahres,  bevor 
ich  von  den  Sauerbruch  sehen  Arbeiten  Kenntnis  hatte, 
bei  einem  Verwundeten  unserer  Lazarette  einen  der¬ 
artigen  Versuch  gemacht,  nachdem  ich  zuvor  durch 
Übung  an  der  Leiche  mich  von  der  Ausführbarkeit  der 
Methode  überzeugt  hatte.  Zuerst  war  ich  bei  meinem 
Patienten  mit  dem  Erfolge  nicht  zufrieden,  konnte  dann 
aber  durch  eine  Nachoperation  ein  Resultat  erzielen,  das 
mich  beim  Vergleich  mit  den  S  auerbruc  h  sehen  Fällen, 
die  ich  in  Berlin  zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  dazu  ver¬ 
anlaßt,  die  Methode  auch  meinerseits  weiter  anzuwenden 
und  für  geeignete  Fälle  allgemein  zu  empfehlen.  Nach 
Besprechung  mit  dem  beratenden  Orthopäden  unseres 
Bezirks,  Herrn  Kollegen  Blencke,  habe  ich  vor  kurzem 
den  Patienten  dem  Herrn  Stellvertretenden  Korpsarzt 
vorgeführt  mit  der  Bitte,  mir  weiter  geeignete  Fälle  zu 
überweisen,  und  bin  von  ihm  beauftragt  worden,  Ihnen 
heute  hier  meinen  Kranken  vorzustellen. 

Der  32  jährige  Feldwebel  W.  H.  ist  am  6.  VII  15  da¬ 
durch  verwundet  worden,  dass  ihm  eine  Handgrauate 
in  der  rechten  Hand  explodierte,  während  eines  Handgranaten¬ 
kampfes.  Dadurch  wurde  ihm  die  rechte  Hand  abgerissen. 
Der  Stumpf  wurde  nach  Blutstillung  verbunden,  Bei  der 
Aufnahme  des  H.  in  das  Vereinslazarett  des 
Kreiskrankenhauses  zu  S  a  1  z  w  e  d  e  1  am  4.  VI 1 1 
15  fehlte  die  rechte  Hand  und  das  distale  Viertel  des  Vorder¬ 
arms.  Aus  dem  granulierenden  Stumpf  ragte  das  in 
Sequestrierung  begriffene  distale  Radiusende  um  mehr  als 
3  cm  vor.  Keine  lokalen  oder  allgemeinen  septischen  Er¬ 
scheinungen.  Daneben  fanden  sich  multiple  oberflächlich 
Splitterverletzungen  an  Kopf,  Rumpf  und  unteren  Extremitäten. 
Das  Muskelspiel  am  Vorderarmstumpf  war  noch  erhalten 
und  wird  unter  täglicher  ärztlicher  Kontrolle  konsequent 
geübt 

Am  13.  IX.  15  habe  ich  den  Patienten  operiert:  Nach 
Umschneidung  der  Granulationsfläche  und  Abtragung  des 
sequestrierten  Radiusendes  4  Hautlappen  mit  der  Basis 
zentralwärts  gebildet,  je  einen  auf  der  Beuge-  und  Streckseite 
und  auf  der  Radial-  und  Ulnarseite.  Die  nun  Beiliegenden 
Sehnen-  und  Muskeln  der  Hand  und  Fingerbeuger  wurden 
schlingen  förmig  miteinander  vei  näht  und  an  der  Innenseite  des 
breiten  Hautlappens  auf  der  Ulnarseite  befestigt,  im  übrigen 
mit  dem  Hautlappen  umkleidet  Dasselbe  geschah  mit  den 
Strecksehnen  auf  der  radialen  Seite.  Nach  Amputation  von 
weiteren  2  Centimetern  der  beiden  Vorderarmknochen  und 
Resection  der  Nervenenden  wurde  der  Stumpf  durch  die  beiden 
schmaleren  Haut-Fascienlappen  von  der  Beuge-  und  Streck¬ 
seite  gedeckt.  Die  Umkleidung  der  Kraftwülste  gelang  an 
deren  Basis  wegen  der  Spannung  der  Haut  nicht  vollständig. 
Die  Spitzen  der  Wülste  wurden  über  dem  Stumpf  miteinander 
vernäht,  um  ihre  Retraction  zu  verhüten  und  um  damit  einen 
Kanal  zwischen  Stumpf  und  den  vereinigten  Kraftwülsten  zu 
erhalten.  Der  Tunnel  wurde  tamponiert. 

Im  weiteren  Verlauf  gaben  die  Nähte  zwischen  den  beiden 


nach.  Die  Stümpfe  wichen  auseinander  und 
retrahierten  sich  Ein  nun  angelegter  Heftpiasterzugverband 
hatte  nicht  die  gewünschte  Wirkung.  Da  die  aktive  Muskel¬ 
tätigkeit  in  den  Kraftwülsten  gut  erhalten  blieb,  so  wurden 
diese  hei  einer  2.  Operation  am  11.  2.  IG  von  dem  übrigen 
Stumpf  so  weit  abgelöst,  dass  sie  seitlich  isoliert  vorragten,  soweit 
möglich  mit  Hautlappen  umkleidet  und  im  übrigen  mit 
Thiersch’schen  Transplantationslappen  gedeckt.  Der  Heilver¬ 
lauf  war  ohne  Störung.  Durch  Massage,  passive  und  aktive 
Muskelübungen  haben  wir  dann  eine  erhebliche  Kraftent- 
entwicklung  der  Wülste  erzielt,  von  deren  Stärke  Sie  sich  durch 
Zug  an  den  vorragenden  Enden  der  Wülste  überzeugen 
wollen. 

Am  3.  VI.  16  habe  ich  das  Ende  des  Streckerwulstes 
mit  einem  dicken  Troikart  durchbohrt,  den  Kanal  also  nur 
durch  die  Haut  und  die  Insertion  der  Sehnen-  und 
Muskelenden  angelegt,  und  nach  der  Durchbohrung  das  Ende 
einer  starken  Zinnsonde  hindurchgeführt  und  zu  einem  Ring 
geschlossen.  4  Tage  nach  Bildung  des  Kanals  haben  wir 
mit  den  ersten  Übungen  begonnen,  indem  wir  durch  den  Ring 
ein  Band  führten  und  an  diesem  aktiven  Zug  austuhren  liessen. 
Einige  Tage  darauf  habe  ich  das  Stück  Zinn¬ 
sonde  durch  einen  zusammengeflochtenen  starken  Silberdraht¬ 
ring  ersetzt,  den  Sie  jetzt  in  dem  Kanal  sehen.  Die  Hautaus¬ 
kleidung  des  Kanals  erwarten  wir  von  einer  spontanen 
Epithelisierung  nach  Art  der  Kanalbildung  für  die  Ohr¬ 
ringe. 

Von  der  Kraftleistung,  die  der  Patient  heute  sowohl  bei 
gebeugtem  wie  bei  gestrecktem  Vorderarm  mit  seinen)  selb¬ 
ständig  arbeitenden  Streckerwulst  leisten  kann,  wollen  Sie  sich 
hier  an  dem  kleinen  Apparat  überzeugen.  Die  an  den  Ring 
angeschlossene  Schnur  führt  über  eine  kleine  Rolle  an  dem 
Tisch  hier.  An  das  Ende  der  Schnur  werde  ich  Gewichte  von 
1  bis  5  Pfund  hängen,  die  der  Patient  dann  durch  die 
kräftige  Kontraktion  seines  Streckerwulstes  um  etws  2  cm 
heraufziehen  wird. 

Lassen  Sie  mich  kurz  zusammenfassen,  was  bei  dem 
vorgestellten  Verwundeten  erreicht  ist:  Er  verfügt  an 
dem  im  übrigen  frei  beweglichen  Vorderarmstumpf 
(Beugung  und  Streckung,  Pro-  und  Cuprination  für  die 
willkürliche  Bewegung  der  Prothese  sind  vollkommen 
erhalten)  —  über  2  getrennte  Kraftwülste,  deren 
Muskulatur,  in  normaler  Weise  innerviert,  sich  mit  er¬ 
heblicher  Kraft  und  Ausdauer  kontrahieren  kann,  ohne 
dabei  abhängig  zu  sein  von  der  besonderen  Einstellung 
des  Stumpfes  in  den  erhaltenen  Gelenken,  d.  h.  die 
Muskulatur  der  Kraftwülste  arbeitet  völlig  selbständig. 
Die  Kraftübertragung  von  diesen  Muskelwülsten  auf  die 
künstliche  Hand  der  Prothese  erfolgt  durch  künstliche 
Sehnenzüge,  die  an  die  Ringe  in  den  Durchbohrungs¬ 
kanälen  angeschlossen  werden.  Die  Hauptaufgabe  für 
die  Funktion  der  natürlichen  Hand,  ebenso  wie  der 
willkürlich  bewegbaren  künstlichen  Hand,  fällt  immer 
der  Beugemuskulatur  zu.  Auch  in  unserm  Falle  arbeitet 
der  Beugewulst  mit  stärkerer  Kraft,  als  der  Streck wulst. 
Ich  habe  zunächst  nur  in  dem  Streckwulst  probeweise 
einen  Kanal  angelegt  und  habe  Ihnen  an  diesem  schon 
12  Tage  nach  der  Bildung  des  Kanals  eine  Kraftleistung 
demonstrieren  können,  die  etwa  4 — 5  kg  — .  Centimeter 
enspricht,  d.  h.  es  können  2,5  kg  durch  die  selbständige 
Kontraktion  des  Kraftwulstes  um  etwa  2  cm  erhoben 
werden.  Der  Patient  kann  ohne  Mühe  diese  Kraftleistung 
ununterbrochen  schon  jetzt  für  die  Dauer  von  5  Minuten 
und  länger  ausüben.  Sie  wird  sich  durch  Übung  ganz 
beträchtlich  erhöhen  lassen.  Noch  wesentlich  mehr  er¬ 
warte  ich  von  der  Kraftentwicklung  des  Beugerwulstes, 
wozu  mich  der  Vergleich  der  Zugkraft  beider  Wülste 
vor  der  Anlegung  des  Kanals  berechtigt. 

Durch  die  Kraft  des  Beugewulstes  sollen  der  2.  —  5. 
Finger  der  künstlichen  Hand  in  die  Ilohlhand  einge¬ 
schlagen  werden,  wodurch  das  Greifen  und  Festhalten 
von  Gegenständen  ermöglicht  wird.  Für  einen  voll¬ 
kommenen  Faustschluß  ist  noch  die  Opposition  des 


anfängliche  Stümpfen 


Nr.  33. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDZIIN. 


321 


Daumens  erforderlich.  Ich  glaube,  daß  es  technisch 
nicht  allzu  schwierig  sein  wird,  durch  Zweiteilung  des 
an  den  Beugerwulst  angeschlossenen  künstlichen  Sehnen¬ 
zuges  auch  dies  zu  erreichen.  Dabei  würde  allerdings 
Fingerbeugung  und  Opposition  des  Daumens  stets  ab¬ 
hängig  von  einander  und  gleichzeitig  erfolgen,  was  aber 
für  den  Faustschluß  keinen  Nachteil  bringt.  Es  erscheint 
mir  auch  nicht  ausgeschlossen,  daß  wir  später  bei  diesem 
Patienten  aus  der  noch  nicht  verwandten  Beugemus¬ 
kulatur  eventuell  eine  dritte  Kraftquelle  schaffen  könnten, 
durch  die  dann  die  Opposition  des  Daumens  selbständig 
willkürlich  zu  bewerkstelligen  wäre.  Der  Kraft  des 
Streckerwulstes  kommt  nur  die  Aufgabe  zu,  die  Kraft 
des  Faustschlusses  zu  dosieren  und  zum  Eoslassen  der 
Gegenstände  die  künstlichen  Finger  wieder  zu  strecken. 

Daß  sich  ein  oder  mehrere  solcher  Kraftwülste  bei 
der  größeren  Zahl  der  Armamputierten,  ebenso  wie  am 
Vorderarm,  auch  am  Oberarm  bilden  und  mit  Erfolg 
für  die  Kraftübertragung  auf  die  Prothese  verwenden 
lassen,  dafür  hat  Sauerbruch  den  Beweis  erbracht. 
Auf  anatomische  und  physiologische  Einzelheiten  für  die 
zweckmäßigste  Ausnutzung  der  verfügbaren  Muskel¬ 
gruppen  je  nach  der  Höhe  der  Amputationsstelle  ein¬ 
zugehen,  würde  hier  zu  weit  führen.  Ich  kann  dafür 
auf  die  detaillierten  anatomischen  Darstellungen  in  der 
Sauerbruch  sehen  Monographie  verweisen.  Nur  einen 
grundsätzlichen  Gesichtspunkt  möchte  ich  hervorheben, 
den  auch  Sauerbruch  besonders  betont  und  der  bei 
keiner  derartigen  Operation  außer  Acht  gelassen  werden 
darf:  Das  ist  die  strikte  Forderung,  keinesfalls  zur 
Bildung  der  freien  Kraftquelle  diejenigen  Muskeln  mit 
zu  verwerten  oder  dabei  auch  nur  ihre  normale  Insertion 
zu  schädigen,  durch  welche  der  erhaltene  Stumpf  selbst 
und  damit  die  Prothese  in  ihren  Armteilen  bewegt  werden  : 
Das  sind  am  Oberarmstumpf  der  Deltoideus  und  Coraco 
brachialis  und  an  Stümpfen  mit  erhaltenen  Vorderarm¬ 
teilen  der  Biceps  und  Brachialis,  der  Ansatz  des  Triceps, 
sowie  der  Supinator  und  der  Pronator  teres,  eventuell 
der  Brachioradialis  und  der  'Pronator  quadratus. 

Die  Sorge  darum,  daß  durch  die  meist  notwendige 
Verkürzung  des  Knochens  die  Funktion  des  Amputations¬ 
stumpfes  geschädigt  werden  kann,  wird  meines  Erachtens 
überschätzt.  Gewiß  ist  ein  möglichst  langer  Hebelarm 
von  großem  Wert  für  den  Gebrauch  der  Prothese.  Es 
kann  aber  mit  gutem  Grund  behauptet  werden,  daß 
wenigstens  bei  jedem  nicht  zu  kurzen  Stumpf  das  Opfer, 
das  durch  den  Verlust  von  1  bis  2,  ja  auch  3  cm  Länge 
gebracht  wird,  für  die  spätere  Funktion  tatsächlich  ganz 
zurücktritt  hinter  dem  Vorteil,  der  durch  die  Erhaltung 
der  Muskelfunktion  und  durch  ihre  Wiederverwertung 
als  aktive  Kraftquelle  gewonnen  wird.  Eine  entschiedene 
Bedeutung  für  die  Frage,  wieviel  von  der  Länge  des 
vorhandenen  Knochenstumpfes  geopfert  werden  darf, 
hat  die  Einteilung  der  Oberarm-  und  Vorderarmlängen 
in  bestimmte  Wertzonen,  die  ebenfalls  auf  Grund 
genauer  anatomischer  und  physiologischer  Forschungen 
in  der  Sauerbruch  sehen  Monographie  angegeben  und 
schematisch  dargestellt  sind.  Die  hier  aufgehängten 
Zeichnungen  sind  dem  S  a  u  e  r  b  r  u  c  h  sehen  Werk  ent¬ 
nommen,  das  sich  darin  offenbar  an  den  Atlas  von 
Spalteholz  anlehnt.  Es  sind  auf  den  Tafeln  die 
Ursprünge  und  Ansätze  der  Muskeln  zu  erkennen,  durch 
deren  Erhaltung  für  die  Funktion  des  Stumpfes  selbst 
der  Wert  jeder  einzelnen  Zone  bedingt  wird.  Diese 
Wertzonen  geben  uns  gleichzeitig  die  Richtlinien  zur 
Auswahl  der  jeweiligen  Muskelgruppen  für  die  Schaffung 
der  neuen  Kraftquellen,  sodaß  Sauerbruch  für  die 
einzelnen  Längen  der  Amputationstümpfe  bestimmte 
Operationstypen  angeben  konnte.  Sie  im  einzelnen  hier 
zu  besprechen,  würde  über  den  Rahmen  meiner  Demon¬ 
stration  hinausführen.  Auch  hinsichtlich  der  allgemeinen 
und  speziellen  Operationstechnik  kann  ich  nur 


auf  die  S  a  u  e  r  b  r  u  c  h  sehen  Arbeiten  hinweisen.  Wie 
weit  man  sich  im  Einzelfall  daran  halten  kann  und 
will,  muß  dem  Ermessen  des  Operateurs  anheimgestellt 
werden.  Die  Operationstechnik  wird  wahrscheinlich  im 
Laufe  der  Zeit  noch  weiter  vereinfacht  werden  können. 
Auf  einen  Punkt  möchte  ich  nur  noch  kurz  eingehen  : 
das  ist  die  Bildung  des  Kanals  in  dem  geschaffenen 
Muskel-  oder  Sehnenwulst,  der  zur  Aufnahme  des  Stifts 
oder  in  meinem  Falle  des  Ringes  dient,  durch  den  die 
Übertragung  der  Kraft  des  lebenden  Muskels  auf  den 
künstlichen  Sehnenzug  erfolgt.  Dieser  Kanal  muß 
natürlich  von  einer  festen  Epithelschicht  ausgekleidet 
sein.  Sauerbruch  hält  es  in  jedem  Falle  für  richtiger, 
den  Kanal  durch  die  ganze  Dicke  der  Muskulatur  hin¬ 
durch  anzulegen.  Ein  solch  langer  Kanal  kann  natur¬ 
gemäß  nur  durch  Hautlappen  mit  der  erforderlichen 
Epithelschicht  austapeziert  werden.  Sauerbruch 
bildet  dazu  entweder  aus  der  Haut  des  Stumpfes  oder 
aus  der  Bauchhaut  einen  langen  Hautlappen  mit  schmaler 
Basis,  den  er  dann,  mit  der  epidermalen  Seite  nach 
innen,  zu  einem  Hautschlauch  formt  und  durch  den 
Durchbohrungskanal  hindurchzieht.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  daß  diese  langen  schmalen  Hautlappen  leicht, 
wenigstens  an  ihrem  Ende  nekrotisch  werden.  Ich  betrachte 
es  in  meinem  F'alle  als  einen  Vorteil,  daß  die  schmalen 
Enden  der  Kraftwülste  nur  aus  der  Haut  und  den  an 
deren  Innenfläche  inserierenden  Muskelsehnen  bestehen. 
Dabei  kann  man  meines  Erachtens  die  Hautauskleidung 
des  Kanals  lediglich  von  der  spontanen  Epithelisierung 
von  den  Rändern  der  Bohröffnungen  aus  erwarten,  nach 
Art  der  Kanalbildung  für  die  Ohrringe. 

Ich  glaube  nicht,  daß  die  Kraftwülste  meines  Patienten 
deshalb  später  weniger  Arbeit  leisten  werden,  als  die 
an  entsprechenden  Vorderarmstümpfen  der  Sauer- 
bruchschen  Fälle. 

Sodann  sei  mir  gestattet,  noch  ein  paar  Worte  über 
die  Auswahl  und  die  Vorbereitung  der 
Patienten  für  erfolgreiche  Anwendung  der  Methode 
zu  sagen,  wozu  ich  Ihnen  hier  noch  zwei  Verletzte  vor¬ 
stellen  möchte,  bei  denen  wir  in  nächster  Zeit  gleich¬ 
artige  Operationen  vornehmen  wollen. 

Vorbedingung  ist,  daß  die  Patienten  die  nötige 
Energie  und  Ausdauer  versprechen.  Wenn  wir  sie  für 
das  interessieren  können,  was  wir  erreichen  wollen,  und 
wenn  sie  selbst  den  erforderlichen  Willen  und  der  Arzt 
die  nötige  Geduld  aufwendet,  so  wird  es  im  allgemeinen 
nicht  schwer  fallen,  ihnen  das  Gefühl  für  die  einzelnen 
Muskelbewegungen  in  der  noch  vorhandenen  Stumpf¬ 
muskulatur  zu  erhalten  oder  wieder  zu  eigen  zu  machen. 
So  haben  wir  bei  diesen  beiden  Patienten,  neben  Massage 
und  passiven  Bewegungsübungen,  systematisch  täglich 
üben  lassen  :  einmal  die  aktive  Beugung  und  Streckung 
des  Vorderarmstumpfes,  sowie  dessen  Pronation  und 
Supination,  dann  aber  auch  die  Kontraktion  der  einzelnen 
Muskeln,  welche  Hand  und  Finger  beugen  und  strecken, 
indem  wir  sie  auffordern,  die  Hand  zur  Faust  zu 
schließen  und  zu  strecken,  den  Daumen,  den  Zeigefinger 
und  die  andern  Finger  einzeln  zu  bewegen.  Sie  werden 
bei  diesen  beiden  Patienten  erkennen,  wie  sich,  je  nach 
der  Aufgabe,  die  Sie  ihnen  in  diesem  Sinne  stellen,  der 
betreffende  Muskelbauch  bezw.  die  Muskelgruppe  an 
dem  Amputationsstumpf  einzeln  kontrahiert  und  wieder 
ausdehnt.  Je  frühzeitiger  man  mit  diesen  systematischen 
Übungen  beginnt,  um  so  besser  bleibt  das  Muskelgefühl 
für  die  Einzelleistung  erhalten,  und  um  so  mehr  wird 
einer  Atrophie  der  später  zu  verwendenden  Muskulatur 
vorgebeugt.  Das  Bedenken,  bei  granulierenden  Stümpfen 
die  Verheilung  der  prominenten  Granulationsflächen 
durch  zu  frühzeitige  Bewegungsübungen  etwa  zu  ver¬ 
zögern,  trifft  m.  E.  nicht  zu.  Bei  dem  einen  dieser 
beiden  Patienten  haben  wir  sogar  eine  auffallend  schnelle 
Überhäutung  der  anfangs  recht  ausgedehnten  Granu- 


322 


FORTSCHRITTE  OER  MEDIZIN. 


Nr.  33. 


lationsoberfläche  des  Stumpfes  beobachten  können,  so¬ 
bald  wir  mit  den  Übungen  begannen.  Die  wiederein¬ 
setzende  Muskeltätigkeit  hat  hier  offenbar  bessere 
Zirkulationsverhältnisse  in  dem  Stumpf  zustande  gebracht 
und  dadurch  den  Heilprozeß  wesentlich  beschleunigt. 

Eine  weitere  sehr  wichtige  F'rage  endlich  für  die 
allgemeine  praktische  Verwertung  dieses  neuen  Operations¬ 
verfahrens  ist  noch  nicht  gänzlich  gelöst:  das  ist  die 
Beschaffung  geeigneter  und  preiswerter 
Prothesen,  die  den  so  Amputierten  die  volle  Aus¬ 
nutzung  ihrer  wiedergewonnenen  Muskelkräfte  gestattet. 
Saue  rbruch  demonstrierte  in  Berlin  eine  von  den 
Siemens-Schuckert- Werken  angefertigte  künstliche  Hand, 
die  hierin  viel  versprach,  aber  wohl  noch  nicht  das 
Endergebnis  technischer  Leistungen  auf  diesem  Gebiet 
darstellt . 

Ich  hoffe,  durch  die  heutige  Demonstration  des  Herrn 
B  1  e  n  c  k  e  und  durch  Anregungen  aus  Ihrem  Kreise 
für  die  hier  vorgestellten  Patienten  und  für  weitere  ähn¬ 
liche  Fälle  nach  dieser  Richtung  unterstützt  zu  werden. 


Ueber  Röntgentiefentherapie. 

Von  Dr.  Emil  Ekstein,  Teplitz-Schönau. 

Die  Behandlung  äusserer  Krankheiten  mittels  Röntgen' 
strahlen  ist  fast  so  alt,  wie  die  Entdeckung  dieser  Strahlen" 
art. 

Lupus  und  Krebs  der  Haut,  oberflächlich  gelegene  Er¬ 
krankungen,  welche  man  früher  mit  dem  Messer,  Glüheisen, 
oder  mit  scharf  wirkenden  Ätzmitteln  behandelte,  werden 
heute  mit  glänzendem  Erfolge  mittels  Röntgenstrahlen  be¬ 
handelt. 

Von  einer  wirksamen  Beeinflussung  tieferliegender,  unter 
der  Haut  oder  in  Körperhöhlen  befindlicher  Erkrankungen 
gewisser  Organe  durch  Röntgenstrahlen  wurde  der  ärztlichen 
Welt  erst  in  den  letzten  Jahren  Kunde,  als  es  durch  Filterung 
des  Röntgenlichtes  und  der  Isolierung  der  „harten  Strahlen“ 
gelang,  dieselben  für  eine  Tiefenwirkung  nutzbar  zu  machen, 
ohne  die  bedeckende  normale  Haut  zu  schädigen. 

Diese  neue  Richtung  in  der  Verwertung  des  Röntgen¬ 
lichtes,  die  intensive  Tiefenbestrahlung  ging  von  den  Frauen¬ 
kliniken  Hamburg,  Freiburg  i.  B.,  Heidelberg  und  München 
aus. 

Hier  wurden  vorerst  an  vielen  Hunderten  von  leidenden 
Frauen  Versuche  durch  Jahre  hindurch  angestellt,  welche 
von  ausgezeichnetem  Dauererfolge  begleitet  waren,  und  dann 
erst  auf  der  Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft  für 
Geburtshilfe  und  Gynaekologie  in  Halle  a.  S.  im  Mai  des 
Jahres  1913  mit  voller  Bestimmtheit  bekannt  gegeben 
wurden. 

Ganz  bezeichnend  ist  es,  dass  gerade  die  Gynaekologie 
ein  unblutiges,  schmerzloses  Operationsverfahren  mit  der 
Rötgentiefenbestrahlung  zur  Heilung  von  Erkrankungen  der 
weiblichen  Geschlechtsorgane  zeitigte,  welche  vorher  aus¬ 
schliesslich  nur  mit  dem  Messer  beseitigt  zu  werden  pflegten. 
Die  Gynaekologie,  welche  Weiland  Gussenbauer  im  j'ahre 
1890  mir  persönlich  als  einen  Appendix  der  Chirurgie  be- 
zeichnete,  gelang  es,  das  Ziel  zu  erreichen,  welches  Weiland 
Gussenbauer  im  Jahre  1895  in  seiner  Abschiedsvorlesung  in 
Prag  vorschwebte  und  das  er  in  folgende  Worte  kleidete: 
„Die  Chirurgie  wird  erst  dann  ihre  Triumpfe  feiern,  wenn 
sie  es  Messers  entraten  können  wird“. 

In  jener  Zeit  begann  die  Gynaekologie  ihre  Triumpfe 
gerade  mit  dem  Messer  zu  feiern  und  dachte  damals  wohl 
kaum  Jemand  daran,  dass  durch  dieselbe  dieses  Ziel 
Gussenbauers  jemals  erreicht  werden  würde.  Ist  es  in  der 
1  hat  gelungen  Myome  mit  ihren  oft  Leben  bedrohenden 
Blutungen  unblutig,  schmerzlos  ohne  jede  Lebensgefahr 
durch  die  Röntgentiefentherapie  in  ihrem  Wachstum  auf¬ 
zuhalten,  zur  \  erkleinerung  resp.  zu  solcher  Schrumpfung 


1  zu  bringen,  dass  die  Blutungen  dauernd  vollständig  sistieren, 
so  muss  dieser  Erfolg,  welcher  in  einer  unverhältnismässig 
kurzen  Behandlungszeit  von  4—6  Wochen  erreicht  wird  als 
bewundernswert  bezeichnet  werden,  umsomehr,  wenn  man 
dabei  noch  in  Betracht  zieh,  dass  eine  derartige  Behand¬ 
lung  ohne  Anstaltsaufenthalt ,  Berufsstörung  und  ohne 
Operationsschrecken  durchgeführt  werden  kann.  Aber  noch 
eine  ganze  Reihe  anderer  Frauenkrankheiten  werden  durch 
die  Köntgentiefenbestrahlung  geheilt,  Erkrankungen,  welchen 
man  sonst  weder  mit  dem  Messer,  noch  mit  langsam  wirkender 
medikamentöser  I  herapie  schwer  oder  gar  nicht  bei¬ 
kommen  konnte.  In  erster  Reihe  sind  es  die  starren 
Exsudate  nach  Beckenbauchfellentzündung  alte  puerperale 
Exsudate ,  ferner  die  chronischen  Eileiter-  Eierstockungs¬ 
entzündungen,  welche  oft  selbst  durch  jahrelange  Kuren 
nicht  zum  schwinden  gebracht  werden  konnten.  Unter  der 
Einwirkung  des  Röntgenlichtes  schmelzen  Exsudate  in  ver¬ 
hältnismässig  kurzer  Zeit  vollkommen  ein,  desgleichen  ver¬ 
schwinden  die  Entzündungsprodukte  genannter  Organe,  so- 
dass  diese  Erkrankungsformen  ihre  klinische  Dignität  vol- 
ständig  verlieren. 

Angedeutet  sei  hier  ferner  noch,  dass  die  Röntgen¬ 
tiefenbestrahlung  operable  und  inoperable  maligne  Neu¬ 
bildungen  zum  Schwinden  brachte  und  dese  Tiefen¬ 
wirkung  der  Röntgenstrahlen  von  massgebenden  Au¬ 
toren  der  Wirkung  des  Radiums  und  Mesothoriums 
gleichgestellt  wird.  Selbstredend  müssen  gerade  hier 
erst  Dauererfolge  von  6 — 10  Jahren  erreicht  werden, 
um  abschliessend  urteilen  zu  können. 

Es  ist  ein  stolzes  Bewusstsein,  welches  die  ärztliche 
Welt  erfüllen  kann,  dass  mit  der  Röntgentiefentherapie 
eine  operationssparende  Methode  herausgearbeitet  wurde, 
welche  eine  mächtige  Grenzverschiebung  in  der  operativen 
Gynaekologie  zn  Gunsten  der  nichtoperativen  Gynaekologie 
gezeitigt  hat,  die  als  eine  der  grössten  V  ohltaten  für  unsere 
Frauenwelt  bezeichnet  werden  muss. 

V  ie  einst  der  Zahnarzt  Morton  durch  die  Entdeckung 
der  Narkose  den  Sieg  über  den  Schmerz  erungen  hat,  so 
heben  die  Gynaekologen  Albers-Schönberg,  Krönig,  Gauss, 
Menge,  Döderlein  u.  a.  m.  den  Sieg  über  das  Messer  er¬ 
rungen  und  müssen  diese  Männer  zu  den  hervorragensten 
Wohltätern  der  Menschheit  gezählt  werden. 

Die  Röntgentiefentherapie,  die  Radium-  und  Mesotho- 
riumtherapie  haben  die  Möglichkeiten  auf  unblutigem  WOge 
Erkrankungen  zu  heilen  in  ungeahnterWeise  gefördert;  wir 
stehen  noch  am  Anfang  dieser  Actinotherapie  und  unbeirrt 
durch  den  F.uropa  durchtobenden  W  eltkrieg  schafft  die 
deutsche  W  issenschaft  unentwegt  weiter,  diese  neue  Therapie 
in  die  Bahn  nach  vor-  und  aufwärts  zu  leiten,  sie  zum 
Gemeingut  aller  Ärzte  zu  machen. 


Die  Durchbruchszeit  der  ersten  Milchzähne 

Von  Zahnarzt  Alfred  Lichtwitz  in  Guben. 

Die  Durchbruchszeiten  der  Milchzähne  werden  ver- 
I  schieden  angegeben.  Gustav  Freiswerk  gibt  in  seinem 
, .Lehrbuch  und  Atlas  der  Zahnheilkunde“  als  Norm  für 
seine  Gegend,  die  Schweiz,  die  folgenden  Zahlen  an: 
Durchbruch  der  mittleren  Schneidezähne  im  6. —  8.  Monat 

„  „  seitlichen  „  „  8.— 12.  „ 

5»  j,  ersten  Milchmolaren  ,,  12.  -16.  „ 

„  „  Eckzähne  „  16.— 2c.  „ 

5)  ,,  zweiten  Milchmolaren  ,,  20.  — 30.  ,, 

Zuerst  erscheinen  die  mittleren  Schneidezähne  des  Unter¬ 
kiefers,  ungefähr  im  6.  Monat,  bald  darauf  diejenigen  des 
Oberkiefers.  Im  c.  Monat  die  seitlichen  oberen  Schneide¬ 
zähne,  bald  darauf  die  seitlichen  unteren.  Darauf  treten  die 
ersten  Backzähne  des  Unterkiefers  im  12.  Monat  und  ca. 
2—4  Monate  später  diejenigen  des  Oberkiefers  hervor. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


323 


Nr.  33 


7.  u.  8.  Monat 

8.  u.  10.  ,, 


1 2.  u 

1 8.  u. 


14. 

20. 


Dann  erscheinen  im  16.  Monat  die  Eckzahne  und  den  Schluss 
bilden  im  20.  Monat  die  zweiten  Backzähne. 

Genau  die  gleichen  Zahlen  gibt  Cohn  in  seinem 
„Kursus  der  Zahnheilkunde.“ 

Schenck  und  Gürber  geben  in  ihrem  „Leitfaden 
der  Physiologie  des  Menschen“  die  folgende  Reihenfolge  an: 
Durchbruch  der  beiden  mittleren  unteren 
Schneidezähne  zwischen  dem 
„  „  4  oberen  Schneidezähne 

zwischen  dem 
„  „  4  kleinen  inneren  Backzähne 

(1.  Molaren)  und  der  beiden 
unteren  äusseren  Schneide 
zähne  zwischen  dem 

„  ,,  4-  Eckzähne  „  „ 

„  4  kleinen  äusseren  Back¬ 

zähne  (2.  Molaren) 

zwischen  dem 

Sei  f  e  r  t  und  Müller  bringen  in  ihrem  ^Taschen¬ 
buch  der  medizinisch-klinischen  Diagnostik“  die  folgenden 
Zahlen : 

Durchbr.  d.  medianen  unteren  Schneidezahns  im  6. —  8.  Mon. 
„  der  übrigen  6  Schneidezähne  „  7.  --  9.  „ 

„  „  vier  ersten  Molaren  „  12.  —  75.  „ 

„  Eckzähne  „  16.— 20.  „ 

„  zweiten  Molaren  Ende  des  2.  Lebensjahres. 
Alle  diese  Zahlen  stimmen  mit  meinen  Untersuchungen 
nicht  mehr  überein  und  erscheinen,  wie  weiter  hinten  an¬ 
geführt  werden  soll,  auch  als  Durchschnittszahlen  als  zu 
zeitig  angegeben. 

Schwalbe  gibt  in  seiner  Tabelle  im  Reichs-Medizi- 
nal-Kalender,  „Daten  und  Tabellen  für  den  Praktiker“,  als 


24.  u.  34. 


55 


55 


die  Zeit  des  Zahndurchbruchs 
in  ihrem  Ende  der  Wirklichkeit 
kommen : 

Innere  untere  Schneidezähne 


die  folgenden 


schon 


Zahlen 
erheblich 


3. — 10. 
(Mittel  7. 


an,  die 
näher 

Monat 

Monat) 


9.—  16. 
10.  —  16. 

13-  -  17- 

16.  —  21. 


Monat 

Monat 

Monat 

Monat 


16. — 25.  Monat 

23. — 36.  Monat 
Monat.) 


Erste  Pause 

Obere  Schneidezähne  (innere) 

(äussere) 

Zweite  Pause 

Äussere  untere  Schneidezähne 
Vordere  obere  Backenzähne  \ 

,,  untere  „  ( 

Dritte  Pause 

Eckzähne,  obere,  sodann  untere 
Vierte  Pause 

Hintere  Backenzähne,  obere  und  untere 

(Mittel  24.  —  30 
B  r  ö  s  i  k  e  scheint  in  seinem  „Lehrbuch  der  normalen 
Anatomie  des  menschlichen  Körpers“  über  diesen  Punkt 
keine  eigenen  Beobachtungen  gemacht  zu  haben,  wie  aus 
seiner  Bemerkung  hervorgeht,  dass  jede  einzelne  Art  am 
Unterkiefer  etwas  früher  als  am  Oberkiefer  zum  Vorschein 
komme. 

In  sonstigen  Werken,  so  z.  B.  im  Scheffschen  „Hand¬ 
buch  der  Zahnheilkunde“  finden  sich  keine  wesentlich  anderen 
Zahlen,  sodass  von  weiterer  Aufiührung  Abstand  genommen 
werden  kann. 

Durch  verschiedene  Fälle  nun  war  ich  auf  die  Unrich¬ 
tigkeit  der  bisher  anerkannten  Daten  aufmerksam  geworden, 
sodass  ich  die  Gelegenheit  meiner  nebenamtlichen  Tätigkeit 
als  Schulzahnarzt  benutzte,  um  an  einer  Reihe  von  Kindern 
die  betreffenden  Zahlen  zu  erhalten.  Die  dabei  erhaltenen 
lf  rgebnisse,  soweit  sie  sich  auf  den  Durchbruch  des 
ersten  Zahnes  beziehen,  seien  im  folgenden  mitgeteilt. 

Die  Statistik  umfasst  270  Kinder,  die  ohne  jede  Aus¬ 
wahl,  einfach  in  der  Reihenfolge  ihres  Ifrscheinens,  notiert 
wurden. 

Der  Durchbr.  d.  1.  Zahnes  erfolgte  im  5.  Monat  b.  8  Kindern 


55 

55 


55 

55 


55  »5 
55  55 


5 5 
55 


55 

55 


6. 

7- 


55 

55 


»  15 
,»  53 


5» 

55 


Der  Durchbr.  d.  I.  Zahnes  erfolgt  im  8.  Monat  b.  3  Kindern 


55 

55 

55 

55 

•  5 

55 

55 

9- 

55 

55 

81 

>5 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

10. 

55 

55 

34 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

1 1. 

55 

55 

2/ 

55 

55 

55 

55 

»5 

55 

55 

55 

12. 

55 

55 

2 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

mit 

1 

Jalm 

'  55 

32 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

55 

DA 

5; 

55 

i5 

55 

Bei  diesen  270  Kindern  erfolgte  also  der  erste  Zahn¬ 
durchbruch  vom  5.  Monate  an  bis  zum  16.  Monat,  das 
Mittel  muss  also  aus  diesen  1  z  Monaten  genommen  werden. 
Wir  finden  die  folgenden  Zahlen : 

im  5. —  8.  Monat  79  Kinder 
„  9.-12.  „  144 

55  J3-  5?  47  5» 

Da  im  12.  Monat  nur  2  Kinder  sind,  kann  dieser  wohl 
fortgelasscn  werden,  sodass  sich  als  Durchschnittszeit  für 
den  Durchbruch  des  1.  Zahnes  ergibt: 

Der  9. — 11.  Monat. 

Der  Schwächen  meiner  Statistik  bin  ich  mir  wohl  be¬ 
wusst.  Erstens  ist  die  Zahl  der  betreffenden  Kinder  eine 
sehr  geringe,  sodass  schon  dadurch  Fehlerquellen  nicht  aus- 
zuschliessen  wären.  Dann  aber,  und  dies  dürfte  noch 
wichtiger  sein,  habe  ich  meine  Feststellungen  nur  durch  Be¬ 
fragen  der  Mütter  der  betreffenden  Kinder  treffen  können, 
wobei  freilich  nur  ganz  bestimmte  Bekundungen  notiert 
wurden,  während  alle  unsicheren  Angaben  fortgelassen 
worden  sind.  Dadurch  wurde  die  Zahl  der  statistisch  ver¬ 
wertbaren  Kinder  auf  2 70  herabgedrückt.  Wenn  nun  auch 
im  allgemeinen  gerade  über  diesen  Punkt  eine  Mutter  auch 
noch  längere  Zeit  später,  es  handelt  sich  um  Kinder  von 
meistens  6  bis  zu  9  Jahren,  ungefähr  50  unter  6  Jahren,  eine 
genaue  Erinnerung  zu  haben  pflegt,  sei  doch  das  unsichere 
einer  derartigen  Feststellung  zugegeben. 

Trotzdem  dürfte  die  Mitteilung  meiner  Ergebnisse  von 
Interesse  und  angebracht  sein,  da  ja  eine  richtige  Klärung 
dieser  ganzen  Frage  garnicht  im  Bereiche  von  uns  Zahn¬ 
ärzten,  sondern  nur  im  Bereiche  von  Kinderärzten  resp. 
Instituten,  welche  die  Säuglinge  und  Kinder  selbst  in  ge¬ 
nügender  Zahl  beobachten  können,  liegt.  Diese  mögen 
veranlasst  sein,  eingehende  Untersuchungen  anzustellen,  um 
diese  Frage,  die  ja  möglicherweise  auch  gegen  frühere  Zeiten 
eine  Änderung  erfahren  hat,  zu  klären  und  uns  genaue 
Angaben  und  genaue  zuverlässige  Zahlen  zu  bringen,  an 
denen  es  uns  heute  eben  noch  mangelt. 

Nur  in  diesem  Sinne  verlangen  meine  Ausführungen 
und  Zahlen  Beachtung. 


Bisherige  Ergebnisse  der  Kriegsneurologie. 

Sammelbericht  von  Dr.  Paul  Horn,  Bonn,  Oberarzt  der  intern. - 
neurologischen  Abteilung  am  Krankenhause  der  Barmherzigen  Brüder. 

(Schluss.) 

Gehen  wir  nun  auf  die  Eigenart  der  einzelnen  Kopf¬ 
schussverletzungen  ein,  soweit  die  Art  des  Schusses  (Weich¬ 
teil-,  Knochenverletzung;  Prell-,  Tangential-,  Steck-  und 
Durchschüsse)  in  betracht  zu  ziehen  ist,  so  bieten  sich  hier 
Gesichtspunkte,  die  zwar  zum  grossen  Teil  in  das  Fachge¬ 
biet  des  Chirurgen  fallen  nnd  dementsprechend  in  der  Lite¬ 
ratur  auch  besonders  von  chirurgischer  Seite  bearbeitet  sind, 
die  aber  selbstredend  auch  für  die  Neurologie  erhebliche 
Bedeutung  besitzen,  wird  ja  auch  in  der  Praxis  bei  der 
Frage  der  Operation  der  Chirurg  den  Rat  des  Nervenarztes 
nicht  stets  entbehren  können,  wenngleich  die  wesentlichsten 
Indikationen  bei  den  meisten  Kopfschussverletzungen  zu¬ 
nächst  auf  chiurgischem  Gebiete  liegen.  Bezüglich  der 
einfachen  Weichteilschüsse  ist  zu  bemerken, 
dass  trotz  Fehlens  einer  Verletzung  der  knöchernen  Schädel¬ 
kapsel  Symptome  einer  Hirnschädigung  hin  und  wieder  zu 
beobachten  sind.  Enderlen  macht  darauf  aufmerksam, 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  33. 


324 


dass  durch  vorübergehende  Einbuchtung  des  Schädelge¬ 
wölbes  epi-  oder  subdurale  Hämatome  entstehen  können, 
die  zu  Hirnsymptomen  führen  und  bei  stationärem  oder 
progressivem  Verhalten  zur  Trepanation  Veranlassung  geben. 
Auch  die  Prellschüsse  erfordern  häufig  ein  Eingreifen 
des  Chirurgen,  da  gerade  sie,  selbst  bei  äusserlich  intakt 
erscheinendem  Schädelknochen,  sehr  leicht  und  relativ  oft 
eine  Splitterung  der  inneren  Knochenlamelle  im  Gefolge 
haben.  Zuweilen  besteht!  auch  eine  leichte  Knochendepres¬ 
sion,  die  Hirnreizerscheinungen  bedingt.  Interessant  und 
lehrreich  ist  beispielsweise  der  von  Reichard  und  Moses 
veröffentlichte  Fall :  Schädelstreifschuss  mit  fünfpfenniggrosser 
Depression,  zunächst  keinerlei  Symptome,  nach  einigen 
Tagen  epileptiforme  Krämpfe,  bei  Trepanation  epi-  und 
subdurales  Hämatom.  Im  übrigen  wird  von  allen  Autoren 
darauf  hingewiesen,  dass  jeder  Kopfschuss  selbst  beim 
Fehlen  jedweder  Hirnsymptome  und  selbst  bei  anscheinend 
intaktem  Schädelknochen  sorgfältigster  Revision  der  Wunde 
und  Beobachtung  bedarf.  Insbesondere  ist  eine  Rönt¬ 
genuntersuchung  nicht  zu  unterlassen.  Bei  Splitte¬ 
rung  ist  zu  trepanieren,  ebenso  bei  Abszessbildung  sowie 
beim  Auftreten  von  Jackson’scher  Epilepsie  oder  sonstigen 
schwereren  Reizsymptomen,  Lähmungen  oder  Druckerschei¬ 
nungen,  die  auf  das  Bestehen  eines  Hämatoms  oder  einer 
Splitterung  hinweisen,  und  zwar  ist  durchweg  in  solchen 
Fällen  frühzeitiger  Eingriff  zu  empfehlen.  Ganz  be¬ 
sonderes  Interesse  und  eine  ausgedehnte  Literatur  haben  die 
T  angentialschüsse  hervorgerufen.  Gerade  bei 
diesen  Streifschüssen  des  Schädelknochens  finden  sich  mit 
die  stärksten  Zersplitterungen  und  Zerstörungen  fast  unter 
sämtlichen  Schädelschüssen.  Nur  bei  den  „Tunnelschüssen“ 
(G  u  1  e  k  e),  die  den  Übergang  zu  den  segmentalen  Durch¬ 
schüssen  bilden,  sind  die  Zerstörungen  zuweilen  ebenso  gross 
oder  selbst  noch  stärker.  In  den  meisten  Fällen  von  Tan¬ 
gentialschuss  ist  auch  die  Dura  verletzt,  sei  es  durch  das  strei¬ 
fende  Geschoss  oder  durch  Knochensplitter  der  Tebala  interna. 
Ebenso  bestehen  als  Folge  einer  epi-  oder  subduralen  Hä¬ 
matombildung  oder  einer  durch  dynamische  Seitenwirkung 
oder  durch  Knochensplitter  zustandegekommenen  Zertrüm¬ 
merung  von  Hirnsubstanz  fast  regelmässig  Symptome  von 
seiten  des  Zerebrums,  teils  allgemeiner  Natur,  wie  Benom¬ 
menheit,  Unruhe,  Delirien,  Kopfschmerzen  usw.,  teils  lokaler 
Art  wie  Hemiplegien,  Monoplegien,  Aphasien,  kortikale 
Sensibilitätsstörungen,  epileptiforme  Reizerscheinungen  usw. 
Zuweilen  sind  bei  der  Operation  auch  Verletzungen  der 
grossen  Blutleiter  festzustellen.  Brandes  sah  unter  105 
Operierten  5  Sinusverletzungen,  vier  bei  Tangen¬ 
tialschüssen,  einen  bei  einem  Segmentalschuss,  ohne  dass 
hierauf  hinweisende  klinische  Erscheinungen  vorher  bestan¬ 
den  hätten.  Die  hauptsächlichste  Gefahr  bei  Tangential¬ 
schüssen  des  Schädels  droht  aber,  wie  übereinstimmend 
alle  Autoren  berichten,  von  seiten  der  Meningitis,  des  Hirn¬ 
abszesses  und  zum  Teil  auch  des  Hirnprolapses.  Kliene- 
berger  hebt  hervor,  dass,  soweit  nicht  die  Verletzung 
an  sich  schon  zum  Tode  führe,  die  Meningitis  die 
häufigste  Todesursache  bilde.  Dabei  ist  es  bemerkenswert, 
dass  ziemlich  unabhängig  von  dem  Sitz  der  Verletzung 
die  Meningitis  sich  am  stärksten  an  der  Basis  des  Gehirns 
entwickelte,  dass  die  meningitischen  Infiltrationen  sich  viel¬ 
fach  die  ganze  Medulla  hinunter  erstreckten  und  dass  die 
Lumbalpunktion,  bei  der  zumeist  Drucksteigerung  und  mehr 
oder  minder  getrübter  Lipuor  festzustellen  war,  ohne  Ein¬ 
fluss  auf  den  Endausgang  verblieb.  Bei  diesen  Gefahren 
und  speziell  der  Schwervermeidlichkeit  von  sekundärer 
Infektion  ist  die  möglichst  baldige  Operation 
(Freilegung  der  Knochenwunde,  Entfernung  der  erreichbaren 
Splitter  und  etwaiger  Hämatome)  bei  allen  Tangential¬ 
schüssen  dringend  angezeigt,  darin  stimmen  die  namhaftesten 
Autoren,  Chirurgen  wie  Neurologen,  überein  (Perthes, 
Guleke,  Wilms,  v.  Eiseisberg,  Hancken  und 
Rotte  r,  Donath,  Klieneberger,  Marburg  und 
Ranz i).  Auch  bei  den  Ste  ckschüssen  des  Gehirns 


wird  im  allgemeinen  ein  anaktives  Vorgehen  geraten,  aller¬ 
dings  mit  der  Einschränkung,  dass  allzu  tief  sitzende  Pro¬ 
jektile  nur  in  Ausnahmefällen,  z.  B.  bei  Abszessbildung, 
angegangen  werden  sollen.  Ein  „Suchen“  nach  dem  Pro¬ 
jektil  ist  zu  vermeiden,  Röntgenbilder  zur  Lagebestimmung 
sind  unerlässlich,  v.  Eiseisberg  empfiehlt,  die  Ent¬ 
fernung  der  Steckschüsse  nur  in  Heimatlazaretten  vorzu¬ 
nehmen  und  nur  bei  oberflächlicher  Lage  oder  beim  Auf¬ 
treten  schwerer  Symptome.  Zu  berücksichtigen  ist  der 
Umstand,  dass  Steckgeschosse  ihre  Lage  im  Gehirn  ver¬ 
ändern  können  infolge  Erweichung  der  durchwanderten 
Hirnsubstanz  (M  atti,  Enderlenu.  a.).  Brandes  macht 
darauf  aufmerksam,  dass  bei  der  Indikation  zum  operativen 
Eingriff  bei  Hirnsteckschüssen  scharf  zu  unterscheiden  sei 
zwischen  Mantelgeschossen  und  Artilleriegeschossen  ;  erstere 
empfiehlt  er  nur  dann  zu  operieren,  wenn  drohende  oder 
begonnene  Infektion  oder  zunehmende  Hindrucksymptome 
einen  Eingriff  erfordern  ;  letztere  sollen  in  jedem  Fall  sofort 
operativ  angegriffen  werden,  selbst  wenn  keine  Aussicht  zur 
sofortigen  Geschossentfernung  vorhanden  sei  —  ein  Stand¬ 
punkt,  der  von  dem  der  übrigen  Autoren  nicht  unerheblich 
abweicht.  —  Bei  den  Durchschüssen  des  Gehirns, 
die  nicht  sofort  zum  Tode  führen,  empfiehlt  sich  im  all¬ 
gemeinen  abwartendes  Verhalten  (Guleke,  Payr, 
P  e  r  t  h  e  s).  Operation  kommt  nur  ausnahmsweise  (bei 
Abszessbildung  oder  zur  Splitterentfernung)  inbetracht.  Zu¬ 
weilen  fehlen  nennenswerte  klininische  Symptome  voll¬ 
kommen,  in  anderen  PMllen,  wo  wichtige  Zentren  getroffen 
sind,  sind  entsprechende  Herdsymptome  anzutreffen. 

Die  Prognose  der  Schädelschüsse 
ist  im  allgemeinen  stets  als  zweifelhaft  zu  betrachten. 
Oppenheim  hält  sie  für  einen  grossen  Teil  der  Hirn- 
schtisse  für  verhältnismässig  günstig.  Klieneberger 
bezeichnet  sie  als  schlecht  und  hebt  wohl  nicht  mit 
Unrecht  hervor,  dass  eine  grosse  Zahl  aller  Schädel¬ 
verletzter  gar  nicht  bis  in  die  Heimatlazarette  gelangt.  Auch 
sind  bei  den  anscheinend  günstig  verlaufenden  P'ällen 
Spätfolgen  nicht  ausgeschlossen.  Hier  kommen  vor 
allem  in  P'rage:  Epilepsie,  Späterweichungen,  Zystenbildung 
und  Spätabszesse.  Nach  Hotz  wurde  E  p  i  1  e  p  s  i  e  unter 
120  Fällen  1 1  mal  beobachtet.  Abszesse  traten  bei  den  PTüh- 
operierten  sehr  viel  seltener  auf  als  bei  den  Nichtoperierten 
(Perthes).  Marburg  und  R  a  n  z  i  sind  der  An¬ 
sicht,  dass  Schädelverletzte  wegen  der  Möglichkeit  von 
Spätabszessen  viele  Monate  unter  Beobachtung  bleiben 
müssen,  eine  P'orderung,  die  zweifellos  berechtigt  und  not¬ 
wendig  ist.  ,,Es  ist  noch  nicht  allgemein  genug  bekannt, 
dass  das  plötzliche  Auftreten  von  starken  Kopfschmerzen, 
Erbrechen  und  leichter  Benommenheit  bei  vor  längerer  Zeit 
Gehirnverletzten,  auch  wenn  kein  Fieber  besteht,  fast  immer 
das  Zeichen  eines  Gehirnabszesses  ist,  der  der  sofortigen 
operativen  Freilegung  bedarf.“  (L  e  w  a  n  d  o  w  s  k  y). 
Dabei  füge  ich  bezüglich  der  Spätepilepsie  nach 
Hirn  verletzu  ngen  hinzu,  dass  nach  meinen  Be¬ 
obachtungen  der  Friedenspraxis  Epilepsie  nach  Kopfver¬ 
letzung  in  der  Regel  innerhalb  des  ersten  Jahres  in  Er¬ 
scheinung  tritt;  es  kommen  aber  zweifellos,  wenn  auch 
nur  vereinzelt,  Fälle  vor,  in  denen  noch  nach  mehreren  Jahren 
epileptische  Zustände  klinisch  sich  zeigen.  Therapeutisch 
empfiehlt  Spielmeyer  bei  traumatischer  Epilepsie  nach 
Hirnschussverletzung,  sofern  die  Ursache  der  Anfälle  in 
Narbenbildung  zu  suchen  ist,  lange  Zeit  fortgesetzte  tägliche 
Kühlung  der  Verletzungsstelle  mit  Eisbeutel  oder 
kalt  angefeuchteten  Tüchern  (i  bis  2  mal  x/2  Stunde).  Bei 
2  Kriegsverletzten  hatte  „die  Abkühlungsbehandlung  einen 
eklatanten  Erfolg“.  Als  operative  Behandlung  empfiehlt 
Spielmeyer  die  Trendelen  bürg’  sehe  Rin¬ 
denunterschneidung,  Weitere  Erfahrungen 
mit  diesen  Methoden  müssen  abgewartet  werden;  bei  Ope¬ 
rationsverweigerung  bezw.  in  hartnäckigen  Fällen  sind  sie 
jedenfalls  zu  versuchen.  T  ilmann  glaubt,  „dass  es 
möglich  ist,  durch  die  Lumbalpunktion  fest- 


N r.  33. 


325 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


zustellen,  ob  die  Reaktionserscheinungen  des  Gehirns  auf 
eine  Verletzung  abgelaufen  sind  oder  nicht.  Vorläufig  scheint 
erhöhter  Druck  mit  normalem  Eiweissgehalt  der  Hirnflüssig¬ 
keit  auf  eine  einfache  arachnoidale  Retentionszyste  infolge 
Narbenbildung  hinzuweisen.  Besteht  bei  hohem  Druck  ge¬ 
ringer  Eiweissgehalt,  dann  handelt  es  sich  oft  um  eine  ent¬ 
zündliche  Zyste ;  ist  der  Eiweissgehalt  hoch,  sodass  es  in 
Flocken  ausfällt,  dann  liegt  bei  gleichzeitig  hohem  Druck 
meist  ein  Abszess  vor.  Eiweissgehalt  bei  normalem  Druck 
deutet  auf  rein  meningeale  Vorgänge.“  Mit  Recht  betont 
aber  Ti  1  man  n,  dass  nach  dieser  Richtung  hin  noch 
weitere  Erfahrungen  zu  sammeln  sind. 

Was  die-Nachbehandlung  der  Hirnschüsse  und  ihrer 
Folgeerscheinungen  anbetrifft,  so  kommen  natürlich  alle 
diejenigen  Massnahmen  inbetracht,  die  eine  Rückbildung 
etwaiger  Reiz-  und  Lähmungserscheinungen  sowie  störender 
Allgemeinsymptome  zum  Ziele  haben.  Über  die  Behand¬ 
lung  der  Sprachstörungen  habe  ich  oben  schon  berichtet. 
Allgemeinsymptome  erfordern  Ruhe ,  Bäderbehandlung, 
gelegentlich  auch  Medikamente  .  Motilitätsstörungen  müssen 
durch  Massage,  Elektrizität,  aktive  und  passive  Übungen 
beeinflusst  werden.  Die  Heilungsresultate  sind,  wie  Sänger 
hervorhebt,  oft  überraschend  günstig.  Bemerkenswert  ist, 
dass  die  Restitution  der  kontralateralen  Beinlähmung  oft 
kürzere  Zeit  braucht  als  die  Armlähmung.  Von  Sängers 
Material  wurde  ein  kleinerer  Teil  ganz  geheilt  und  be¬ 
schwerdefrei,  nahezu  die  Hälfte  sehr  gebessert.  Einer  seiner 
Patienten  ist  trotz  homonymer  lateraler  Hemianopsie  in 
seinem  Berufe  mit  40%  Erwerbsbeeinträchtigung  wieder 
tätig. 

Hinsichtlich  der  militärischen  Wieder¬ 
verwendbarkeit  Schädelverletzter  ge¬ 
hen  die  Ansichten  der  Autoren  nicht  unerheblich  ausein¬ 
ander.  Aschaffenburg  hält  Kriegs-  und  Garnison¬ 
verwendungsfähigkeit  für  ausgeschlossen,  ebenso  Perthes 
und  G  u  1  e  k  e.  Dagegen  glauben  Bonhöffer, 
Oppenheim,  Moeli  und  Kausch,  ebenso 
Kl  ieneber  ger,  dass  Felddienstfähigkeit  in  Frage 
kommen  kann,  eventuell  erst  nach  vorübergehender  mehr¬ 
monatiger  Verwendung  in  Garnison  oder  Etappe  (Kliene- 
berger).  J  o  1  1  y  nimmt  Felddienstfähigkeit  nur  in  Aus¬ 
nahmefällen  an,  „dagegen  dürfte  leichter  Garnison-  und 
leichter  Arbeitsdienst  vielen  dieser  Patienten  als  Beschäf- 
tigungstherapie  dienen.  Sind  die  Erscheinungen  jedoch  sehr 
ausgesprochen,  so  wird  die  Entlassung  aus  dem  Militär¬ 
verband  erfolgen  müssen.  Die  Renten  können  nicht 
zu  gering  gehalten  werden,  weil  die  geklagten  Beschwerden, 
trotz  des  oft  geringen  objektiven  Befundes  glaubhaft  sind.“ 
Jedenfalls  ist  im  Auge  zu  behalten,  dass  es  sich  zumeist 
um  Schwerverletzte  gehandelt  hat.  Bei  der  Verschieden¬ 
heit  der  einzelnen  Fälle  wird  man  im  übrigen  selbstredend 
nur  ganz  individuell  entscheiden  können,  wird  auch  die 
Möglichkeit  des  Auftretens  etwaiger  Spätfolgen  nicht  ver¬ 
gessen  dürfen.  Vor  allem  erscheint  bei  infiziert  gewesenen 
Fällen  grösste  Vorsicht  am  Platze. 

Wie  die  Schutzverletzungen  des  Gehirns,  so  haben  auch 
diejenigen  des  Rückenmarks  eine  ausgedehnte 
Literatur,  sowohl  von  chirurgischer  als  neurologischer  Seite 
hervorgerufen.  Allerdings  gehen  die  Ansichten  der  Autoren 
im  Gegensatz  zu  der  wenigstens  annähernd  übereinstimmen¬ 
den  Beurteilung  von  Gehirnschüssen  bei  den  Schussver¬ 
letzungen  des  Rückenmarks  nicht  unerheblich  auseinander. 
Was  zunächst  die  Art  der  Rückenmarks¬ 
läsionen  anbetrifft,  so  kann  die  Medull  l  spinalis  durch 
die  Geschosswirkung  entweder  indirekt  betroffen  sein 
und  zwar  dadurch,  dass  das  Projektil  die  Wirbelsäule 
streift,  erschüttert  oder  frakturiert  und  lediglich  durch 
Erschütterung  und  F  e  r  n  w  i  r  k  u  n  g  die 
Medulla  schädigt,  ohne  Rückenmarkshäute  und  Rückenmark 
selbst  direkt  zu  berühren,  oder  das  Geschoss  kann  direkt 
die  Medulla,  evtl,  ohne  Verletzung  der  Wirbel¬ 
säule,  als  Durchschuss  oder  Steckschuss 


treffen.  Die  Schädigung  des  Rückenmarks  kann  sowohl 
bei  indirekter  wie  direkter  Einwirkung  eine  mannigfaltige 
sein,  wobei  der  Umstand  von  ganz  erheblicher  Bedeutung 
ist,  dass  die  anatomische  Läsion  nicht 
stets  und  vorbehaltlos  bestimmten 
klinischen  Bildern  entspricht.  Wenn 
auch  die  Lehre  von  den  Rückenmarkserkrankungen  durch 
die  Beobachtung  bei  Schussverletzten  eine  erneute  Bestätigung, 
ja  sogar  Vertiefung  und  Erweiterung  erfahren  hat,  so  bietet 
sich  doch  allzuoft  der  Fall,  dass  aus  dem  klinischen  Be¬ 
funde  allein  kein  völlig  sicherer  Rückschluss  auf  Art  und 
Schwere  der  Rückenmarksschädigung  zu  gewinnen  ist. 
Gerade  aus  dieser  Schwierigkeit  heraus  sind  auch  die  hin¬ 
sichtlich  der  chirurgischen  Indikation  so  weit  auseinander¬ 
gehenden  Anschauungen  erwachsen  und  zu  erklären. 

Beachtenswert  unter  den  Arbeiten,  die  sich  mit  der  P  h  y- 
siologie  und  Lokalisationslehre  des 
Rückenmarks  beschäftigen,  ist  diejenige  von  Petren 
über  den  Verlauf  der  sensorischen  Bahnen 
im  Rückenmark,  die  allerdings  nicht  von  Schuss¬ 
sondern  von  Stichverletzungen  des  Rückenmarks  ausgeht. 
Die  Bahnen  des  Schmerz-  und  Temperatursinnes  verlaufen 
gekreuzt  und  sind  lateral wärtsgelegen,  während  der  Tastsinn 
über  2  Bahnen  verfügt,  von  denen  die  eine  im  gleich¬ 
seitigen  Hinterstrang,  die  andere  im  gekreuzten  Seitenstrang 
verläuft.  Ebenso  stehen  für  den  Muskelsinn  2  Bahnen  zur 
Verfügung,  die  eine  im  gleichseitigen  Kleinhirnseitenstrang, 
die  andere  im  gleichseitigen  Hinterstrang. 

Klinisch  pflegt  die  Mehrzahl  der  Autoren  im  wesent¬ 
lichen  zu  unterscheiden  i)das  Bild  der  Quer¬ 
schnittsläsion,  2)  das  Bild  der  partiellen 
Markläsion  mit  dem  Sondertyp  der  Brown 
Sequard’schen  Halbseitenlähmung, 
3)  das  Bild  der  disseminierten  Mark¬ 
läsion.  Allerdings  sind  im  Einzelnen  die  Bezeichnungen 
sowohl  hinsichtlich  der  anatomischen  wie  klinischen  Diag¬ 
nose  bei  den  verschiedenen  Autoren  durchaus  nicht  einheit¬ 
lich,  wenn  auch  einzelne  Sondertypen  stets  hervorgehoben 
werden.  Es  ist  auch  sehr  beachtenswert,  dass  nach  den  An¬ 
gaben  von  L  e  v  a  u.  a.  im  Einzelfalle  das  Symptomenbild 
gelegentlich  Änderungen  unterworfen  ist  und  beispielsweise 
das  anfängliche  Bild  einer  totalen  Q  uerschnitts¬ 
läsion  nach  einigen  Wochen  oder  Monaten  in  den 
Typus  der  partiellen  oder  disseminierten  Läsion  übergehen 
kann  — selbstredend  nur  dann,  wenn  keine  totale  Marktrennung 
oder  -Abquetschung,  sondern  lediglich  etwa  eine  schwere 
lokale  oder  allgemeine  Erschütterung  des  Rückenmarks 
mit  disseminierten  Blutungen  oder  myelitischen  Herden, 
also  eine  trotz  ihrer  Schwere  mehr  oder  weniger  weit 
rückbildungsfähige  Schädigung  Vorgelegen  hatte. 
Zweifellos  weisen  derartige  Erfahrungen,  die  keineswegs 
vereinzelt  stehen,  darauf  hin,  dass  mit  der  klinischen  Diag¬ 
nose  „Querschnittsläsion“  über  die  tatsächliche  anato- 
t  o  m  i  s  c  h  e  Schädigung  noch  nichts  ausgesagt  ist.  Auch 
das  Bastian’  sehe  Gesetz  gibt  nach  dieser  Richtung  hin 
keinen  zuverlässigen  Aufschluss ;  denn  nicht  nur  ist  der 
Verlust  der  Tiefenreflexe,  wie  auch  Tobias  hervorhebt, 
nicht  ohne  weiteres  als  Beweis  einer  kompletten  Querver¬ 
letzung  anzusprechen,  sondern  es  ist  auch  durch  Beobach¬ 
tungen  von  Kausch,  Schulze  und  Brauer  bekannt, 
dass  umgekehrt  selbst  bei  anatomisch  sichergestellter  völ¬ 
liger  Querschnittsdurchtrennung  die  Kniesehnenreflexe  noch 
Monate  lang  sich  erhalten  können.  Immerhin  weist  das 
dauernde  Fehlen  der  Tiefenreflexe  auf  eine  schwerwiegende 
Schädigung,  zumeist  tatsächlich  auf  eine  vollkommene  Mark- 
durchtrennung  hin.  Aber  auch  Kompressionen  des 
Marks  durch  Knochensplitter  und  Projektile  können  vor¬ 
handen  sein,  ohne  dass  dabei  das  Röntgenbild  stets  völlige 
Klärung  gibt.  So  ausschlaggebend  und  beweisend  der  posi¬ 
tive  Röntgenbefund  auch  ist,  so  vorsichtig  muss  doch  ge¬ 
rade  bei  derartigen  Fällen  ein  negatives  Ergebnis  bewertet 
werden.  Hierin  ist  Rumpel  durchaus  beizustimmen.  Oft 


326 


Fortschritte  der  Medizin. 


Nr.  33 


finden  sich  bei  einem  operativen  Eingriff  doch  noch 
Splitter,  die  sich  zuvor  dem  Nachweis  entzogen.  Was  die 
etwaige  Kompression  durch  Haematome  betrifft,  so 
schehit  sie  eine  unbedeutende  Rolle  zu  spielen;  jedenfalls 
hebt  Prange  n  h  e  i  m  hervor,  dass  er  unter  25  Rücken¬ 
marksoperierten  niemals  ein  Hämatom  als  Ursache  der 
Markschädigung  antraf.  Dagegen  liegen  multiple  punkt¬ 
förmige  Blutungen  neben  Erweichungsherden  und  Faser- 
degeneratioenen  als  Ausdruck  einer  Erschütterun  g 
des  Rückenmarks  vermutlich  in  solchen  Fällen 
vielfach  vor,  in  denen  lediglich  die  Wirbelsäule  von 
dem  Projektilgetroffen  '-'ar.  Derartige  Fälle  von  i  n  d  i  - 
r  e  k  t  e  r  Markschädigung  können,  wie  auch  die  wertvolle 
F  i  n  k  e  1  n  b  u  r  g’sche  Mitteilung  beweist,  ebenfalls  ge¬ 
legentlich  das  Bild  der  Querschnittsläsion  zeigen,  wenn  sie 
auch  vielfach  nur  zu  partieller,  mitunter  zu  Brown-Sequard- 
scher  Halbseitenlähmung  oder  zu  isolierten  Einzelsymptomen 
führen.  Oppenhei  m  nennt  als  Zustandsbilder,  die 
durch  indirekte  Rückenmarksschädigung  entstanden, 
die  H  a  e  m  a  t  o  m  y  e  1  i  e  ,  die  Myclomalacie 
und  Nekrose,  die  Arachnitis  circum¬ 
scripta  serofibrosa,  die  disseminierte 
M  y  e  1  i  t  i  s  und  Myeloencephalitis,  die  wieder 
nahe  Beziehungen  zur  m  u  1 1  i  p  1  e  n  Sklerose  hat.  Wir  I 
sehen  also  eine  Mannigfaltigkeit  von  Erkrankungsformen,  die! 
noch  dadurch  vermehrt  wird,  dass  in  gleicher  Weise  die 
direkte  Rückenmarksverletzung  durch  Steck-  und  Durch¬ 
schuss  verschiedene  Formen  aufweist.  Nicht  nur  kann  sie  zu 
einer  totalen  Querdurchtrennung  führen , 
sondern  auch  zu  den  verschiedensten  Schädig  u  n  ge  .1 
partieller  Natur  des  Rückenmarks 
und  der  Meningen. 

Auf  die  Symptomatologie  im  Einzelnen  einzugehen, 
würde  mich  hier  zu  weit  führen,  zumal  sie  mit  den  Er¬ 
fahrungen  der  Friedenspraxis  im  wesentlichen  übereinstimmt. 
Nui  möchte  ich  die  von  mehreren  Autoren  hervorge¬ 
hobene  Schockwirkung  noch  erwähnen,  die  Leva 
als  initiale  Begleiterscheinung  aller  Rückenmarksschüsse  be¬ 
trachtet.  2  formen  kann  man  nach  Leva  unterscheiden 
1)  motorische  Schockwirkungen,  die  zu 
objektiv  nachweisbaren,  in  Minuten,  Stunden  oder  spätestens 
1  agen  wieder  zurückgehenden  Lähmungserscheinungen 
führen  und  2)  sensible  Schockwirkungen, 
bei  denen  die  Patienten  mannigfache  Gefühlsempfindungen 
haben.  Bei  Schussverletzungen  der  Halswirbelsäule  war  der 
Schock  auch  mit  Bewusstseinsstörungen  verknüpft.  In  ähn¬ 
licher  Weise  berichtet  R  o  s  e  11  f  e  1  d  .  dass  namentlich 
nach  Verletzung  des  oberen  Halsmarks  die  Schockwirkungen 
zunächst  sehr  intensiv  und  ausgedehnt  hervortreten :  Be¬ 
wusstlosigkeit,  Pupillenstarre,  Aufhebung  der  Haut-,  Sehnen- 
und  Pyramidenbahnreflexe;  weiterhin  fielen  vorübergehende 
bulbäre  Symptome  auf.  Erst  nach  Rückgang  der  Schock¬ 
symptome  lässt  sich  auf  die  Ausdehnung  der  Rückenmarks¬ 
schädigung  schliessen,  wenn  auch,  wie  bereits  oben  erwähnt, 
über  die  A  r  t  der  Läsion  vielfach  ein  sicheres  Urteil  zu¬ 
nächst  nicht  zu  gewinnen  ist  und  für  das  therapeutische  Vor¬ 
gehen  speziell  hinsichtlich  der  Frage  der  Operation 
oft  erhebliche  Schwierigkeiten  gegeben  sind. 

Dementsprechend  werden  auch  von  den  einzelnen  Au¬ 
toren  recht  abweichende  Indikationen  zum 
operativen  Handeln  gestellt.  Ebenso  warmen  Befür¬ 
wortern  einer  rechtzeitigen  Operation  stehen  andere  Autoren  ge¬ 
genüber,  die  sich  für  grösste  Vorsicht  und  Zurückhaltung  bei  affen 
Schussverletzungen  des  Rückenmarkes  aussprechen.  Lewa  n- 
d  o  w  s  k  y  ,  Oppenheim,  Rothmann  vertreten 
den  letzteren  Standpunkt  und  gehen  von  der  Ansicht  aus, 
dass  beim  Vorliegen  einer  totalen  anatomischen  Querläsion 
der  hall  ohne  wie  mit  Operation  in  gleicher  Weise  verlaufe, 
während  bei  nur  partieller  Rückenmarksschädigung  auch  ohne 
chirurgischen  Eingriff  häufig  eine  Besserung  oder  Heilung 
erfolge.  Dabei  betont  Lewandowsky  mit  Recht,  dass 
die  Erfolge  der  konservativen  Behandlung  bei  partieller 


Rückenmarksläsion  durch  reichlichere  Verwendung  von 
Dauerbädern,  die  vor  allem  eine  bessere  Bekämpfung 
des  Dekubitus  gestatten,  gehoben  werden  können.  Auch 
Finkelnburg  mahnt  zur  Vorsicht,  zumal  bei  einzelnen 
formen,  z.  B.  den  Erschütterungsschädigungen  des  Rücken¬ 
marks  mit  dem  klinischen  Bilde  der  Querlasirn,  eine  Ope¬ 
ration  nicht  nur  zwecklos  sei ,  sondern  sogar  schaden 
könne.  Eren  etwas  aktiveren  Standpunkt  vertreten  G  old¬ 
st  ej 11  ’  Rumpf,  Sänger,  Marburg  und  Ran zi.  Gold¬ 
stein  rät,  überall  dort,  wo  nach  einigen  Wochen  bei  Quer¬ 
schnittsläsionen  oberhalb  der  Kerngegend  der  betreffenden  ge¬ 
lähmten  Muskulatur  die  anfänglich  schlaffe  Lähmung  mit 
Fehlen  der  Reflexe  weiterbesteht,  die  Operation  vorzu¬ 
nehmen.  R  u  m  p  f  hält  Operation  für  angezeigt  beim  Nach¬ 
weis  von  Geschossteilen  im  Wirbelkanal ,  bei  heftigen 
Schmerzen  durch  eingedrungene  Knochensplitter  und  bei 
\\  irbelläsionen.  Sänger  lässt  beim  Symptomenkomplex 
der  totalen  Querdurchtrennung  dann  operieren ,  falls  die 
Röntgenaufnahme  Knochenfragmente  oder  ein  Geschoss  im 
Wirbelkanal  nachweist,  zumal  wenn  die  Verletzung  frischen 
Datums  ist.  Marburg  und  R  a  n  z  i  raten  zu  4 — 5 
wöchigem  Zuwarten  und  halten  dann,  falls  inzwischen  keine 
Änderung  des  Zustandes  eingetreten,  die  Laminektomie  für 
indiziert.  Als  Kontraindikationen  sehen  sie  an  pulmonale 
und  abdominale  Komplikationen,  schwerere  Enterungen  in 
der  Nähe  des  Operationsfeldes  (einschliesslich  schwerem,  eitri¬ 
gem  progredienten  Dekubitus), eitrige  Cystitis  und  Nierenbecken¬ 
entzündung.  Keine  Gegenanzeige  bilden  leie  hte  Infektion 
der  Harnwege  und  granulierender  Dekubitus.  Für  noch 
rascheres  und  frühzeitigeres  Eingreifen  sprechen  sich  aus 
Frangenheim,  Guleke,  N  o  e  t  h  e  ,  Rum¬ 
pel,  von  Tappeiner.  Frangenheim  empfiehlt 
möglichst  fi  ühzeitige  Operationschon  aus  dem  Grunde,  weil  nach 
seinen  Erfahrungen  die  Zertrümmerung  des  Markes,  d.  h.  die 
irreparable  Schädigung  nicht  so  häufig  vorkommt  wie  Kom¬ 
pression  und  Kontusion  des  Rückenmarkes  durch  Geschosse 
oder  Knochensplitter.  Guleke  hat  von  26  Rückenmarks¬ 
schüssen  17  operiert  und  sah  bei  4  Fällen  Heilung,  Noethe 
rät,  die  Laminektomie  bereits  am  3*  1 age  im  feldlazarett 
auszuführen,  sofern  Cystitis  oder  Dekubitus  droht;  bei  er¬ 
haltener  Sensibilität  der  Kreuzbeingegend  (geringere  Deku¬ 
bitusgefahr)  kann  bis  zu  8  Tagen  gewartet  werden.  R  u  m- 
p  e  1  ,  der  über  48  von  ihm  behandelte  Rückenmarks¬ 
schüsse  berichtet,  empfiehlt,  „gerade  weil  wir  aus  den 
Symptomen  allein  uns  keine  genaue  Vorstellung  von  der 
Art  der  Verletzung  des  Rückenmarks  machen  können,“ 
die  Freilegung  und  befürwortet  möglichst  früh¬ 
zeitigen  Eingriff,  da  bei  den  Nichtoperierten  meist 
schon  vom  2.  oder  3-  d  age  ab  Steigerung  der  Temperatur 
und  schnell  zunehmende  Verschlechterung  des  Allgemein¬ 
befindens  zu  beobachten  war.  v.  Tappeiner  waren 
als  Grund  für  frühzeitiges  Eingreifen  massgebend:  die  Mög¬ 
lichkeit  einer  sekundären  Schädigung  des  Rückenmarks  bei 
längerem  Abwarten  sowie  das  Bestehen  von  Schmerzen. 
Von  *  operierten  Fällen  starben  drei,  zwei  wurden  ge¬ 
bessert  weitertransportiert  und  einer,  bei  dem  ein  kleiner 
Granatsplitter  im  Duralsack  sass,  wurde  völlig  geheilt. 
M  a  t  t  i  ,  der  die  klinischen  und  chirurgisch-anatomischen 
Gesichtspunkte  eingehend  darlegt,  kommt  zu  dem  Er¬ 
gebnis,  dass  bei  Rückenmarksschüssen  mit  dem  Bilde  der 
Querläsion  massgebender  Einblick  in  die  Verhältnisse  nur 
durch  operative  Revision  zu  erhalten  sei.  Auch  er  stimmt 
(j  u  1  e  k  e  und  Rumpel  zu  und  empfiehlt,  „bei  den 
friinzeitig  in  geeignete  Verhältnisse  gelangten  Rückenmarks¬ 
verletzten  mit  I  araplegie  und  Aufhebung  der  Sehnenrefl- 
lexe  grundsätzlich  die  Laminektomie 
v  o  r  z  u  nehmen“.  Nur  bei  unvollständigen 
Läsion  e  n  ,  die  ja  an  ihren  Symptomen  erkennbar,  sei 
zuwartendes  Verhalten  angebracht  (in  letzterer  Hinsicht 
stimmen  auch  die  übrigen  Autoren  im  wesentlichen  über¬ 
ein,  sofern  nicht  Knochensplitter  und  Geschossteile 
eine  baldige  Entfernung  erfordern);  bleibe  der  Zustand  je- 


Nr.  33. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


327 


doch  stationä"  oder  verschlimmere  er  sich,  so  könne  eine 
vorsichtig  ausgeführte  Laminektomie  nur  nützen.  Bei 
wochenlang  zurückliegenden  Fällen,  bei  denen  die  Sehnen¬ 
reflexe  nicht  zurückgekehrt,  könne  von  Operation  abge¬ 
sehen  werden  (vergl.  demgegenüber  G  o  1  d  s  t  e  i  n  , 
Marburg  und  Ranz  i),  weil  hier  mit  vollständigen 
und  nicht  reparablen  Querläsionen  des  Markes  gerechnet 
werden  müsse. 

Bei  diesem  Widerstreit  der  Meinungen  scheint  es  mir 
von  Wert,  hinsichtlich  der  chirurgischen  Indikationsstellung 
bei  Rückenmarksschüssen  mit  dem  klinischen  Bilde  der 
Querläsion  auf  folgende  Perspektiven  hinzuweisen  :  l)  liegt 
eine  anatomische  Querdurchtrennung  des  Markes  vor ,  so 
ist  eine  Laminektomie  selbstreoend  zwecklos,  sie  kann  aber 
bei  der  ohnehin  absolut  infausten  Prognose  des  P'alles 
keinen  wesentlichen  Schaden  mehr  bringen,  2)  handelt  es 
sich  um  eine  Kompression  des  Rückenmarkes  durch  Ge¬ 
schoss,  Knochensplitter  oder  Grnaulations-  und  Kallus¬ 
bildung,  so  wird  eine  Operation,  sofern  nach  der  Schwere 
der  Rückenmarksschädigung  überhaupt  noch  eine  Besserung 
möglich  ist,  meist  nur  Nutzen  stiften,  ihre  Unterlassung  oder 
Verschleppung  dagegen  mit  Bestimmtheit  zu  einem  un¬ 
günstigen  Ausgange  führen,  3)  besteht  nur  eine  Erschütte¬ 
rungsschädigung,  die  zu  totaler  Leitungsunterbrechung  ge¬ 
führt,  so  ist  natürlich  eine  Operation  vollkommen  über¬ 
flüssig,  wesentliche»''  Schaden  wird  sie  aber  bei  sorgfältiger 
Technik  und  beim  Fehlen  örtlicher  Infektionen  zumeist 
kaum  anrichten,  um  so  weniger,  wenn  sie  frühzeitig, 
bei  Abwesenheit  von  Dekubitus  oder  zystitischer  Erschei¬ 
nungen,  die  auch  in  derartigen  Fällen  von  Erschütterungs¬ 
lähmung  nicht  ausgeschlossen  sind,  erfolgt.  Nach  alledem 
scheint  mir  in  Übereinstimmung  mit  Matt  i  ein  allzuzögerndes 
Verhalten  beim  Symptomenkomplex  der  Querschnittsläsion 
(motorische  und  sensible  Paraplegie,  incontinentia  urinae 
et  alvi,  Reflexlosigkeit)  nicht  am  Platze.  Selbst  auf  die 
Möglichkeit  hin,  bei  P'ällen  der  III.  Gruppe  gelegentlich 
eine  überflüssige  Operation  vorzunehmen,  neige  ich  doch 
der  Meinung  zu ,  dies  Risiko  in  Kauf  zu  nehmen ,  als  bei 
Fällen  der  II.  Gruppe  durch  Unterlassung  oder  Verschlep¬ 
pung  jedwede  Heilungs-  bezw.  Besserungsaussichten  zu  ver¬ 
nichten.  Der  Nutzen  der  rechtz  eitigen  Operation 
dürfte  bei  sorgfältiger  Abwägung  aller  Momente  m.  E.  den 
etwaigen  Schaden  über  wiegen. 

Die  Prognose  der  Schussverletzungen  des  Rücken¬ 
marks  ist  natürlich  stets  sehr  ernst,  bei  totaler  Markdurch- 
trennung  selbstredend  ausnahmslos  infaust.  Aber  auch  in 
den  übrigen  Fällen  droht,  abgesehen  von  m  e  n  i  n  g  i  t  i  - 
sehen  Erscheinungen,  vor  allem  die  Gefahr 
der  Cystitis,  der  Cystopyelitis  und 
Urosepsis.  Auch  sekundäre  degenera- 
tive  Prozesse,  auf  die  M  a  t  t  i  hinweist,  sind  in 
Rücksicht  zu  ziehen  Prophylaktische  Gaben  von  Urotro¬ 
pin,  Salol  oder  drgl.  (G  o  1  d  b  e  r  g)  sind  vom  ersten 
Verwundungstage  an  zu  empfehlen.  Das  Anlegen  einer  Blasen¬ 
fistel  (S  c  h  u  m)  zur  Bekämpfung  der  Harnverhaltung  und 
Infektion  wird  von  chirurgischer  Seite  (M  a  1 1  i)  —  wohl 
mit  Recht  —  abgelehnt.  Dagegen  ist  Dauerdrainage 
geeignet,  die  Gefahren  des  häufigen  Katheterisierens 
herabzumindern.  Bei  postoperativer  Meningitis 
empfiehlt  Klapp  die  Halsstauung  nach  Bier  und  wieder¬ 
holte  Lumbalpunktion.  —  Eine  bessere  Prognose  als  die 
Rückenmarksläsionen  geben  die  Verletzungen  der  C  a  u  d  a 
e  q  u  i  n  a  (Sänger)  — 

,,Als  Nachbehandlung  kommen  bei  Rücken¬ 
marksläsionen  natürlich  die  gleichen  Massnahmen  (Elektri¬ 
zität.  Massage,  Heissluft,  aktive  und  passive  Bewegungsübungen) 
inbetracht  wie  bei  den  zentral  bedingten  Lähmungen.  Mitunter 
tritt,  wie  J  o  1  1  y  erwähnt,  eine  auffallende  Besserung  erst 
nach  längerem  Bestehen  der  Lähmungserscheinungen  ein. 

„Die  Dienstfähigkeit,  auch  für  Arbeitsver¬ 
wendung,  wird  man  fast  immer,  selbst  wenn  kaum  mehr 
etwas  nachzuweisen  ist,  als  aufgehoben  ansehen.  Bei  der 


Rentenfrage  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Leute 
sich  sehr  schonen  müssen  ,  um  Verschlimmerung  zu  ver¬ 
meiden“  (J  o  1  1  y).  Wir  wissen  ja  auch  aus  der  Friedens¬ 
praxis,  dass  Rückenmarksverletzte  meist  nur  langsam  sich 
erholen  und  oft  dauernd  in  ihrer  Erwerbsfähigkeit  geschädigt 
bleiben.  In  anderen  Fällen  können  sich  d.e  Erscheinungen 
aber  soweit  zurückbilden,  dass  die  Patienten  einem  regel¬ 
mässigen  Berufe  doch  wieder  nachgehen  können.  Jeden¬ 
falls  sind  sie  ebenso  wie  die  Kopfverletzten  keineswegs  von 
vornherein  als  für  das  soziale  Leben  verloren  anzusehen. 
Erfreulicherweise  steht  die  medizinische  Wissenschaft  den 
Schussverletzungen  des  zentralen  Nervensystems  doch  nicht 
machtlos  gegenüber.  Wenn  auch  sowohl  den  Kopf-  wie 
Rückenmarksschüssen  immer  noch  eine  grosse  Reihe  von  Ver¬ 
letzten  zum  Opfer  fallen,  so  hat  doch  nach  allen  literarischen 
Mitteilungen  die  rege  Zusammenarbeit  von  Chirurgie  und  Neu¬ 
rologie  hinsichtlich  der  Heilungsergebnisse  zweifellos  erhebliche 
Fortschritte  gezeitigt ;  genauere,  zahlenmässige  Angaben  werden 
selbstredend  erst  nach  Beendigung  der  Krieges  zu  erhalten  sein. 

Literatur. 

1.  Asch  affe  11  bürg,  Bedeutung  der  lokalisierten  und  all¬ 
gemeinen  Ausfallserscheinungen  nach  Hirnverletzungen  für 
die  soziale  Brauchbarkeit  der  Geschädigten:  Vortrag;  ref 
D.  in.  W.  1916,  7. 

2.  Brandes,  Zur  Behandlung  der  Steckschüsse  des  Gehirns. 
D.  m.  W.  1916,.. 23. 

3.  Brandes,  Über  Sinnsverletzungen  bei  Schädelschüssen 
D.  m.  W.  1916,  13. 

4.  Donath,  Beiträge  zu  den  Kriegsverletzungen  und  -Er¬ 
krankungen  des  Nervensystems.  Wien,  kl  W.  1915,  28. 

5.  v.  Eiseisberg,  Gehirn  -  und  Nervenschlisse,  Vortrag ;  ref. 
D.  m.  W.  1916,  19. 

6.  Enderlen,  Biuns  Beitr.  96.  Heft  4. 

7.  Finkelnburg,  Beitrag  zur  Klinik  und  Anatomie  der 
Schußverletzung,  des  Rückenmarks.  D.  m.  W.  1914,  50. 

8.  Frangenheim,  Schußverletzung,  des  Rückenmarks  und 
der  Wirbelsäule,  M.  111.  W.  1915,  43. 

9.  Frösch  eis,  Zur  Behandlung  der  motorischen  Aphasie. 
Arch.  f.  Psych.  u.  Nervenkr.  Bd.  56,  H.  1. 

10.  Gerstmann,  Über  Sensibilitätsstörg.  von  spino-segmental. 
Typus  bei  Hirnrindenläsionen  nach  Schädelschußverl.,  Wien 
m.  W.  1915,  26,. 

11.  Goldstein,  Überden  zerebellaren  Symptomenkomplex  ins. 
Bedeutg.  f.  d.  Beurtlg.  v.  Schädelverl.  M.  m.  W.  1915,  42. 

12.  G  o  1  d  s  t  e  i  n  ,  Beobachtung  an  Schußverletzungen  des 
Gehirns  und  Rückenmarks.  D.  m.  W.  1915,  8  u.  9. 

13.  G  u  1  e  k  e  ,  ..Kopfschüsse.  Vortrag;  ref.  D.  m.  W.  1916,  6. 

14.  „  Über  Therapie  und  Prognose  der  Schädelschüsse. 
M.  m.  W  1915,  29. 

15.  Hanckcn  und  R  o  t  t  e  r ,  Zur  Prognose  und  Behandlg. 
der  Schädelschüsse...  M.  m.  W.  1914,  51. 

16.  Hartman  n  ,  Übungsschulen  für  ,, Gehirnkrüppel".  Mitt. 
des  Vereins  d.  Ärzte  in  Steiermark.  Juli  1915. 

17.  Hartmann,  Übungsschulen  für  „Gehirnkrüppel".  II. 
Mitteilung. 

18.  J  o  1  1  y  ,  Über  die  Dienstfähigkeit  und  Rentenfrage  bei 
nervenkranken  Soldaten.  M.  m.  W.  1915,  50. 

19.  Klapp,  Rückenmarksschüsse  und  Behandlung  der  im  Ge¬ 
folge  der  Laminektomie  auftretenden  Meningitis.  M.  m.  W. 

1915,  5. 

20.  Klieneberger,  Über  Schädelschüsse.  D.  m.  W. 

1916,  11. 

21.  L  e  v  a  ,  Über  Verletzungen  des  Rückenmarks  im  Kriege. 
M.  m.  W.  1915,  27. 

22.  L  e  w  a  n  d  o  w  s  k  y  ,  Die  Kriegsverletzungen  des  Nerven¬ 
systems.  Berl.  klin.  W.  1914,  51. 

22.  Lewandowsky,  Erfahrungen  über  die  Behandlung 
nervenkranker  und  nervenverletzter  Soldaten.  D.  m.W.  1915,53. 
24.  Marburg  und  R  a  n  z  i ,  Erfahrung,  über  die  Behandlg. 

von  Hirnschüssen.  W.  kl.  W.  1914,  46. 

25  Marburg  und  Kan  zi,  Zur  Frage  der  Rückenmarks- 
schüssc.  Neurol.  Zentr.  1915,  6. 

26.  M  a  t  t  i ,  Schußverletzungen  des  Gehirns  und  Rückenmarks. 
D.  m.  W.  1916,  22  u.  23. 

27.  Muskens,  Operationsbefund  bei  anscheinend  kompl. 
Rückenmarksquerläsion  durch  Schußwunden.  Neurol.  Zentr, 
1915,  1. 

28.  N  o  e  t  he.  Über  die  operative  Behandlung  der  Riicken- 
marksverl.  im  Feldlazarett.  D  m.  W.  1915,  1. 

29  Oppenheim,  Berlin,  klin.  W.  1914,  48  u.  1915,  2. 

30.  „  Über  Kriegsverl.  d.  periph.  u  zentr. 

Nervensystems.  Zeitschrift  für  ärztliche  Fortbildung  1915,  4. 

31.  Payr,  Schädelschüsse.  Vortrag;  ref.  D  m.  W.  1916,  16. 

32.  Perthes,  Über  Hirnschüsse.  Vortrag;  ref.  D.m.  W.  1196,  1. 


328 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  33. 


33.  Petren,  Verlauf  der  sensorischen  Bahnen  iin  Rücken- 
marke.  Neur.  Zentr.  1916,  1. 

34.  Poppelreuter,  Über  psych.  Ausfallserscheinungen 
nach  Hirnverletzungen.  M.  m.  W.  1915,  14 

35.  Poppelreuter,  Erfahr,  u.  Anregungen  zu  einer  Kopf- 
schuß-Invalidenfürsorge  Neuwied  u  Leipzig  1915. 

36.  Re  i  ch  ard  und  M  oses,  Interessanter  Fall  von  Kopf¬ 
schuß.  M.  m.  W.  1915,  52. 

37.  Rosenfeld,  Symptomat  der  Schußverl.  des  Rücken¬ 
marks.  Vortrag;  ref.  D.  m.  W.  1916,  7 

38.  Rot  h  m  ann,  Die  Hirnphysiologie  im  Dienste  des  Krieges- 
Berl.  kl  W.  1915,  14. 

39.  Kumpel ,  Über  Rückenmarksschüsse.  M.  m.  W.  1915,  19. 

40.  Rumpf,  Über  einige  Schuß  Verletzungen  des  Rückenmarks 
und  Gehirns...  Med.  Klin.  1915,  4. 

41.  Sänger,  Über  die  durch  den  Krieg  bedingten  Foigezu- 
stände  im  Nervensystem.  M.  m  W.  1915,  15. 


42.  S  ü  u  g  e  r  ,  Über  die  Arbeitsfähigkeit  nach  Schußverletzungen 
des  Gehirns.  Vortrag;  ref.  Neur.  Zentr.  1916,  2. 

43.  Spielmeyer,  Zur  Behandlung  „traumatischer  Epilepsie" 
nach  Hirnschußverletzung.  M.  m.  W.  1915,  10. 

44.  v  T  appeiner,  Laminektomie  im  Feldlazarett.  M.  in. 
W  1916,  5. 

45.  T  i  1  m  a  n  n  ,  Zur  Erkennung  von  Spätfolgen  nach  Schädel - 
Schüssen.  D.  m  W.  1916,  12. 

46.  To  bi  as,  Ergeb  d.  bisher.  Kriegserf.  auf  d.  Gebiete  des 
Nervensystems  D.  m.  W.  1916,  4  u.  5. 

47.  W  i  1  ms,  Behandlung  der  Schädeltangentialschüsse.  M.  m. 
W.  1915,  42. 

48.  Zange,  Hyster.  Funktionsstörg.  des  nerv.  Ohrapparates  im 
Kriege.  M  m.  W.  1915,  28.. 

49.  Zange',  Organ  Schädigung  des  nerv.  Ohrapparates  im 
Kriege.  M.  m.  W.  1915,  32. 


Referate  und  Besprechungen. 


Bakteriologie  und  Serologie. 

Untersuchungen  über  den  Mechanismus  der  Amboceptor- 
und  Komplement  ent  Wicklung.  Von  Stabsarzt  Dr.  Schlemmer 
z.  Zt,  im  Felde,  früher  kommandiert  zum  Kaiserl.  Gesundheit¬ 
amte.  „Arbeiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte“, 
Band  50,  Heft  3,  1  9 1 G 

Der  Verfasser  stellte  sich  die  Aufgabe,  die  Beobachtungen 
von  Scheller,  Ungermann  und  Kandiba  und  Neufeld  und 
Händel  über  die  Wirkung  vou  Ambozeptor  und  Komplement 
nachzuprüfen  Er  suchte  folgende  Fragen  zu  beantworten : 
1.  Wirkt  das  bakteriolylische  Komplement  nach  der  absoluten 
Meuge  oder  nach  dem  Grade  seiner  Verdünnung?  2.  Be¬ 
stehen  Beziehungen  zwischen  der  Menge  des  Antigens  und  der 
zu  einer  kompletten  Reaktion  nötigen  Komplementdosis?  3.  Be¬ 
steht  im  bakterieiden  Plattenversuch  eine  Abhängigkeit  der 
wirksamen  Ainboceptormenge  von  der  Autigenmenge  ?  4.  Wirkt 
der  Amboceptor  im  bakterieiden  Platten  versuch  nach  einer 
absoluten  Menge  oder  nach  dem  Grade  seiner  Verdünnung? 
Darauf  ergibt  sich  als  Antwort  die  Zusammenfassung  Schlem¬ 
mers:  L.  Das  bakteriolytische  Komplement  wirkt  wie  das  hämo¬ 
lytische  nicht  nach  seinen  absoluten  Mengen,  sondern  annähernd 
nach  dem  Grade  seiner  Verdünnung,  2.  Zwischen  der  Antigen¬ 
menge  und  der  zur  Lösung  notwendigen  Komplementmenge 
bestehen  im  bakterieiden  Plattenversuch  gewisse  quantitative 
Beziehungen,  die  aber  nur  bei  grösseren  Antigenmengen  deut¬ 
lich  in  die  Erscheinung  treten  3.  Zwischen  der  Amboceptor- 
menge  und  der  Antigenmenge  treten  dagegen  im  bakterieiden 
Versuch  sehr  enge  Abhängigkeitsverhältnisse  zutage,  die  im 
grossen  ganzen,  wenn  auch  nicht  genau,  dem  Gesetz  der  Mul- 
tipla  folgen.  4.  Im  bakterieiden  Plattenversuch  wirkt  der 
Amboceptor  nicht  nach  seiner  absoluten  Menge,  sondern  an¬ 
nähernd  nach  dem  Grade  seiner  Verdünnung.  5.  Dieser 
Unterschied  im  Verhalten  des  bakteriolytischen  und  hämoly¬ 
tischen  Amboceptors,  der  im  wesentlichen  nach  seiner  absoluten 
Menge  wirkt,  ist  bedingt  einerseits  durch  die  Vermehrung  der 
Bakterien  während  des  Versuches,  anderseits  durch  die  geringere 
Bindungsgeschwindigkeit  der  Aboceptoren  im  grösseren  Flüssig¬ 
keitsvolumen.  ß.  Auch  bei  der  Komplementwirkung  spielt  die 
Bindungsgeschwingdigkeit  eine  Rolle  in  Verbindung  mit  der 
die  Hämolyse  bezw.  Bakteriolyse  begleitenden  komplementbin¬ 
denden  Nebenreaktion.  7.  Die  Ehrlichsche  Auffassung  einer 
chemischen  Bindung  der  Komplemente  an  den  Amboceptor  bei 
den  Immuuitätsreaktioneu  besteht  zu  Recht.  Die  scheinbare 
Abweichung  im  Verhalten  des  Komplements  von  den  Gesetzen 
der  chemischen  Bindung  kommt  dadurch  zustande,  dass  bei 
den  lytischen  Immunitätsreaktionen  gleichzeitig  und  nachein¬ 
ander  mehrere  Komplementverbrauchende  Prozesse  sich  ab¬ 
spielen,  die  sich  gegenseitig  stören.  Einzelheiten  sind  im  Ori¬ 
ginal  nachzulesen. 

H.  Gräf-Hamburg. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Müller,  Kopfstreifschuss.  Motorisch-amnestische  Aphasie 
Trepanation.  Heilung.  Münchener  medizinische  Wochenschrift., 
No.  10,  Feldärztliche  Beilage,  1 9 1 G. 

Ein  günstig  verlaufener  Fall  eines  21  jährigen  Infanteristen, 
der  am  18.  Juli  1915  verletzt,  am  14.  August  1915  ins 
Reservelazarett  II  in  Nürnberg  aufgenommen,  nach  einer 
gründlichen  Untersuchung  durch  einen  Nervenspezialisten  zur 
Operation  vorgeschlagen,  am  8.  September  trepaniert  wurde. 
Entnahme  eine  31/«, :  2  cm  grossen  Schädelstücks  und  einer  stark 
verdickten  Knochenspange.  Es  trat  dann  völlige  Heilung  ein 

Wern.  H.  Becker-  Herborn. 

Alter,  Irrtümer  bei  Geisteskrankheiten,  Psychiatrisch- 
Neurologische  Wochenschrift,  7.  Jahrgang,  No.  47  48  und 
49/50,  1915/1G. 

Verfasser  unterscheidet  3  Faktoren,  die  die  Psychose  be¬ 
dingen:  Krankheitsursache  (Alkoholismus,  Morphinismus, 

Syphilis  und  dergl.),  Krankheitsbedingungen  (Heredität,  Lebens¬ 
alter,  konstitutionelle  Veränderung  u.  a.  mehr)  und  Krankheits¬ 
anlässe,  Letztere  würden  zu  wenig  beachtet  zugunsten  der 
weniger  wichtigen  Krankheitsbedingungen  und  dadurch  würde 
oft  der  Zeitpunkt,  wo  die  Psychose  noch  heilbar  sei,  verpasst. 
Eine  Wiedergabe  von  zwei  Fällen  —  in  einem  wurde  einer 
„Typhusbazillen  in  Reinkultur“  im  Coecum  beherbergenden 
Frau  der  Blinddarm  exstirpiert,  in  einem  anderen  die  bestehende 
Septikopyaemie  durch  grosse  intravenöse  Kollargolgaben  ver¬ 
trieben  —  soll  die  Behauptung  beweisen.  Verfasser  geht  dann 
zu  den  diagnostischen  Irrtümern  über.  Hysterie  werde  viel  zu 
oft  diagnostiziert,  hinter  ihr  verberge  sich  meist  eine  beginnende 
endogeue  Verblödung  vom  schizophrenen  Typ  oder  eine 
manisch-depressive  Veranlagung.  Melancholie  werde  oft  ange¬ 
nommen,  wo  es  sich  um  schizophrene,  präsenile  oder  arterio¬ 
sklerotische  Erkrankungen  handle.  Es  folgen  dann  einige 
Fingerzeige,  wie  man,  insbesondere  durch  Prüfung  des  geistigen 
Besitzstandes  und  Associacitionsprüfung  diese  Irrtümer  aufdecken 
könnte  Paranoia  werde  viel  zu  oft  für  vorliegend  erachtet, 
insbesondere  paranoide  Schwachsinusform  oder  paranoide 
Schizophrenie  statt  deren  übersehen;  hingegen  die  bei  Epilepsie 
vorkommende  Paranoia  meist  nicht  erkannt.  Besonders  schwer¬ 
wiegend  seien  die  Verkennungen  luetischer  Geistesstörungen. 
Es  gäbe  fast  keine  Psychose,  die  nicht  durch  eine  zentrale 
Lokalisation  der  Lues  vorgetäuscht  werden  könne.  Man  solle 
beachten,  was  hier  in  therapeutischer  Hinsicht  für  grosse  Unter¬ 
lassungssünden  begangen  werden  könnten. 

Der  Vortrag  ist  anregend  und  fesselnd,  auch  für  solche 
Irrenärzte  lehrreich  und  lesenswert,  die  in  vielen  Punkten  dem 
bekannten  lippischen  Psychiater  nicht  beizustimmeu  vermögen 

Wern.  H.  Becker  -  Herborn. 


Druck  von  Julius  Beitz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza 


33.  Jahrgang 


1915/16. 


Tomcbrim  der  IMzin. 

Unter  tllitwirKutig  hervorragender  Tadtmänner 

herausgegeben  von 

L  Brauer,  L.  von  Criegern,  L.  Edinger,  L.  Hauser,  G.  Köster, 

Hamburg.  Hildesheim.  Frankfurt  a/M.  Darmstadt.  Leipzig 

C.  L.  Rehn,  H.  Vogt, 

Frankfurt  a/M.  Wiesbaden. 

Verantwortliche  Schriftleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  34. 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  Inseratenannahme  durch  10.  September 
Gelsdorf  &  Co.,  G.  m  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Ueber  die  Behandlung  geschlechtskranker 
Soldaten  in  den  Reservelazaretten  und  über  die 
spätere  Fürsorge  für  dieselben. 

Von  Professor  Dr.  Oa  lewsky,  Dresden,  Oberstabsarzt  d.  R.  a  D., 
z.  Zt.  ordin.  San.  Offiz,  im  Reservelazarett  1  Dresden.  (Chefarzt  : 

Ober-Stabsarzt  Dr.  Voigt.) 

Wenn  man  früher  von  Kriegsseuchen  sprach,  so 
verstand  man  im  Volke  darunter  im  allgemeinen  die 
von  Alters  her  bekannten  großen  epidemischen  Er¬ 
krankungsformen  der  Cholera,  des  Typhus,  der  Pocken, 
der  Dysenterie  und  vielleicht  des  Fleckfiebers,  die  als 
Geiseln  dem  Heere  folgten  und  sehr  oft  durch  das 
Heer  in  die  Heimat  gelangten.  Noch  in  den  letzten 
Kriegen  spielten  Cholera  (1866)  und  Typhus  (18/0) 
eine  derartige  Rolle,  daß  andere  Krankheiten  völlig 
zurücktraten.  Umso  dankbarer  müssen  wir  sein,  daß  es 
in  diesem  Kriege  der  Fürsorge  der  Heeresverwaltung 
gelungen  ist,  alle  diese  Seuchen  auf  ein  Minimum 
zurückzuführen  ,  daß  wir ,  trotzdem  wir  in  völlig  ver¬ 
seuchten  Gegenden  Krieg  führen,  bisher  von  Seuchen 
verschont  geblieben  sind,  und  daß  der  Prozentsatz  der 
erkrankten  Soldaten  auch  ein  verhältnismäßig  geringer 
geblieben  ist. 

Seit  wir  Statistik  treiben,  wissen  wir  ja  aber  auch, 
daß  die  Geschlechtskrankheiten  zu  den  Kriegsseuchen 
gehören  und  eine  viel  bedeutendere  Rolle  spielen,  als 
man  im  Volke  geahnt  hat  und  als  wir  uns  selbst  dessen 
bewußt  waren.  Erst  in  den  letzten  großen  Kriegen  hat 
man  auch  dieser  Seuche  die  entsprechende  Fürsorge 
gewidmet,  und  es  ist  vielleicht  interessant,  einmal  zu 
verfolgen,  wie  unser  Sanitätswesen  dieser  Frage 
gegenübergestanden  hat,  und  uns  ein  Bild  zu  machen 
von  den  außerordentlich  großen  Aufgaben,  die  die 
Medizinalabteilung  des  Kriegsministeriums  auch  auf 
diesem  Gebiete  zu  lösen  hatte.  Hat  sich  doch  gerade 
in  den  letzten  Jahrzehnten  in  unseren  Fachkreisen,  dank 
den  epochemachenden  Entdeckungen  eines  Neißer, 
Schaudin ,  Ehrlich,  eine  Lhnwälzung  auf  dem  Gebiete 
der  Geschlechtskrankheiten  vollzogen,  die  das  Sanitäts¬ 
wesen  vor  ganz  neue  Aufgaben  stellte. 

Wie  zu  erwarten  war,  ist  die  Zahl  der  geschlechts- 
kranken  Soldaten  an  der  Front  selbst,  im  Schützen¬ 
graben  und  direkt  hinter  der  Front  eine  auffallend  ge- 
ringe  gewesen.  Bedeutender  war  nur,  wie  das  auch 
selbstverständlich  ist,  die  Zahl  der  Geschlechtskranken 
hinter  der  Front,  in  der  Etappe  und  in  der  Heimat. 
Die  Heeresverwaltung  hat,  um  diesen  Verhältnissen 
Rechnung  zu  tragen,  folgende  Einrichtungen  getroffen, 
die  sich  auch  im  allgemeinen  außerordentlich  bewährt  haben. 


Wie  bekannt,  sind  im  deutschen  Heere  bei  allen 
Truppen  Gesundheitsbesichtigungen  üblich,  die  dazu 
dienen,  die  sich  nicht  freiwillig  meldenden  Geschlechts¬ 
kranken  zu  ermitteln  und  dem  Lazarett  zuzuführen. 
Die  bei  diesen  Gesundheitsbesichtigungen  krank  be¬ 
fundenen  Soldaten  und  die  sich  freiwillig  meldenden 
kommen  im  Felde  in  die  hinter  der  Front  befindliche 
Sammelstelle  und  von  dort  in  das  nächstliegende  Kriegs¬ 
lazarett,  in  der  Heimat  in  das  entsprechende  Reserve¬ 
oder  Festungslazarett.  Alle  diese  Formen  der  Lazarette 
sind  im  allgemeinen  jetzt  überall  mit  Spezialisten 
besetzt;  in  allen  geht  das  Bestreben  der  Militärver¬ 
waltung  dahin,  die  Kranken  möglichst  schnell  wieder 
felddienstfähig  oder  sie  in  der  Heimat  für  die 
Ausbildung  verwendbar  zu  machen.  Es  stehen  sich 
da  selbstverständlich  zwei  Pole  gegenüber:  auf  der 
einen  Seite  soll  die  Heilung  möglichst  schnell  er¬ 
folgen,  auf  der  andern  soll  sie  möglichst  gründlich 
sein,  um  späteren  Rückfällen  und  Ansteckungen  in  der 
Familie  vorzubeugen.  Es  war  bei  Beginn  des  Krieges  für 
die  Verwaltung  nicht  leicht,  diese  Lazarette  unter  speziali- 
stischer  Leitung  einzurichten.  Es  fehlte  selbstverständlich 
im  Anfang  an  allem  Nötigen.  Es  ist  aber  dankbar  an¬ 
zuerkennen,  in  wie  kurzer  Zeit  es  unserer  Heeresver¬ 
waltung  geglückt  ist,  diese  Lücken  auszumerzen  und 
überall  für  eine  ausreichende  spezialistische  Behandlung 
zu  sorgen. 

Der  Gang  der  Versorgung  ist  im  allgemeinen  der, 
daß  im  Felde  der  Soldat  durch  Belehrung  und  Merk¬ 
blätter  auf  die  Bedeutung  der  Geschlechtskrankheiten 
aufmerksam  gemacht  wird,  daß  die  bei  der  Gesunds- 
heitsbesichtigung  krank  Befundenen  oder  sich  freiwillig 
Meldenden  in  das  nächste,  unter  spezialärztlicher 
Leitung  stehende  Kriegs-  oder  Etappenlazarett  kommen 
und  dort  eine  Zeit  lang  behandelt  werden.  Kompli¬ 
ziertere  und  langsam  heilende  Fälle  gelangen  nach 
einigen  Woehen  von  dort  in  die  weiter  zurückliegenden 
nächsten  Kriegs-,  Reserve-  oder  Festungslazarette,  da 
natürlich  die  der  Front  zunächstliegenden  Lazarette  für 
frische  Fälle  immer  frei  bleiben  müssen. 

In  der  Heimat  ist  das  Verfahren  dadurch  einfacher, 
daß  die  vom  Truppenarzt  krank  Befundenen  sofort 
dem  nächsten  Reserve-  (Garnison-)  lazarett  überwiesen 
werden.  Es  hat  sich  als  absolut  nötig  erwiesen,  die 
Kranken  bis  zur  defenetiven  Heilung  in  den  Lazaretten  und 
nicht  ambulant  zu  behandeln,  da  nur  in  den  Lazaretten  die 
Kranken  die  nötige  Ruhe  und  Pflege  haben,  und  die  ärzt¬ 
lichen  Anforderungen  sehr  oft  mit  denen  des  Dienstes  nicht 
zu  vereinbaren  waren.  Es  ist  dies  schon  deshalb  nötig,  da 
erfahrungsgemäß  die  Zahl  der  geschlechtskrank en  Ver. 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  34 


heirateten  eine  außerordentlich  große  ist  (in  unserem 
Lazarett  waren  durchschnittlich  «40 — 50  %  der  Syphi¬ 
litiker,  30  — 40  °/o  der  Gonorrhoiker  verheiratet)  und 
man  unbedingt  dafür  sorgen  muß,  daß  dieselben,  halb 
geheilt,  nicht  Gelegenheit  haben,  sich  ihrer  Familie  zu 
nähern.  Denn  darin  besteht  ja  die  große  Gefahr  der 
Geschlechtskranken  in  diesem  Kriege,  daß  dieselben, 
wenn  sie  ungenügend  geheilt  werden,  teils  auf  Urlaub, 
teils  nach  dem  Kriege,  in  ihre  Familien  zurückkehren, 
nicht  nur  selbst  hilbgeheilte  Kranke  sind,  die  später 
infolgedessen  an  schweren  Komplikationen  erkranken 
können  (Tabes,  Paralyse,  gonorrhoische  Arthritiden), 
sondern  daß  sie  auch  eine  stete  Gefahr  für  die  Familie 
sind,  die  Frau  infizieren  und  eine  kranke  Nachkommen¬ 
schaft  hervorrufen  können. 

Verhältnismäßig  einfach  liegen  die  Verhältnisse  bei 
der  Frage  der  Behandlung  der  Gonorrhoe.  Im  all¬ 
gemeinen  ward  die  Gonorrhoe  in  den  Militärlazaretten 
planmäßig  im  Sinne  der  Neißer’schen  Anforderungen 
behandelt.  Die  Kranken  erhalten  Bettruhe,  Diät,  Tee, 
Balsamica  oder  Urotropin  etc.  und  injizieren  allmählich  stei¬ 
gende  Lösungen  von  Silbersalzen.  In  unserem  Lazarett  ver¬ 
wenden  die  Kranken  dreimal  am  Tage  schwache  Albargin- 
Lösungen  *)  und  abends  eine  starke  2  °/()  Verweilinjektion 
von  Protargol.  Die  Kranken  treten  dazu  gliederweise  an, 
injizieren  auf  Kommando ,  um  eine  Überwachung  zu  er¬ 
möglichen.  Zum  Schluß  der  Injektion  werden  sie  kon¬ 
trolliert,  ob  die  Einspritzung  richtig  gemacht  worden 
ist.  Das  Resultat  dieser  Injektionen  wird  jede  Woche 
durch  zwei  Gonokokkenuntersuchnugen  kontrolliert,  und 
ebenso  wird  zweimal  wöchentlich  bei  der  Visite  im 
Behandlungszimmer  der  Zustand  des  Urins  und  even¬ 
tuelle  Komplikationen  festgestellt.  Alles  Übrige  wird 
bei  der  täglichen  Visite  in  den  Krankenzimmern  be¬ 
sprochen. 

Den  Komplikationen ,  die  erfahrungsgemäß  in  der 
dritten  Woche  auftreten  (Fortschreiten  der  Gonorrhoe 
auf  die  hintere  Harnröhre,  Prostatitis,  Epididymitis) 
muß  selbstverständlich  besondere  Aufmerksamkeit  ge¬ 
schenkt  werden  ,  um  gleich  energisch  einzugreifen. 
Wird  mit  Hülfe  der  Zw'eigläserprobe  oder  der  Jadas- 
sohnschen  Spülmethode  eine  Erkrankung  der  hinteren 
Harnröhre  festgestellt,  so  erfolgt  die  Behandlung  mit 
Suppositorien  (mit  Morphium  oder  Atropin  usw.),  mit 
sehr  heißen  Bädern,  Guyonschen  Instillationen  oder 
Katheterspülungen  resp.  Janetschen  Spülungen.  Die 
Erkrankungen  der  Prostata,  durch  Untersuchung  per 
anum  festgestellt,  werden  mit  Sitzbädern,  Massage  und 
Suppositorien  behandelt.  Epididymitiden  erhalten  bei 
starker  Schmerzhaftigkeit  Eis,  oder  bei  Fehlen  der 
Schmerzhaftigkeit  feuchte  Spiritusverbände  mit  Wärm¬ 
flasche  darüber,  zum  Schluß  Jod,  Ichthyol  oder  graue  Salbe 
mit  Wärmflasche  und  warme  Bäder.  Als  ein  ganz  be¬ 
sonderes  Unterstützungsmittel  hat  sich  bei  den  Kompli¬ 
kationen  der  Gonorrhoe  (Epididymitis  und  Prostatitis 
sowie  den  später  zu  besprechenden  Gelenkerkrankungen) 
die  Behandlung  mit  Gonokokkenvakzine  (Arthigon  usw.) 2) 
erwiesen,  die  entweder  jeden  3.  oder  4.  Tag  intramus¬ 
kulär  in  steigenden  Dosen,  oder,  wenn  genügendes 
Überwachungspersonal  zum  Messen  der  Temperatur  zur 
Verfügung  steht,  intravenös  gegeben  wird.  Gewöhnlich 
genügen  4 — 5  Injektionen,  um  die  akuten  Erscheinungen 
zum  Rückgang  zu  bringen.  In  einer  großen  Anzahl 
von  Fällen  heilt  die  Gonorrhoe  mit  ihren  Komplikationen 
ganz  ab.  Es  bleiben  aber  immer  einige  besonders  hart¬ 
näckige  Fälle  zurück  ,  die  große  Anforderungen  an  die  Ge¬ 
duld  desPatienten  und  die  des  Arztes  stellen.  Die  Patienten 

9  Ebenso  können  schwache  Hegonon-,  Protargol-  Novorgan  usw. 
Lösungen  angewendet  werden. 

9  Herr  Geheimrat  Neißer  war  so  liebenswürdig,  uns  jederzeit 
reichlich  mit  Gonokokken-Vakzine  aus  der  Kgl.  Hautklinik  in  Breslau 

zu  versorgen. 


erhalten  also  ihre  Silberlösungen  vom  ersten  Tage  an 
und  steigen  z.  B.  bei  uns  von  Albargin  1  :  2000  auf 
1  :  1000  und  dann  auf  Protargol  1  /2 — 2  %,  bis  nach  zwei¬ 
maliger  oder  dreimaliger  Untersuchung  keine  Gonokokken 
im  Präparat  mehr  vorhanden  sind.  Ist  das  Sekret 
gonokokkenfrej  und  besteht  keine  starke  eitrige  Ent¬ 
zündung  mehr,  so  erhält  der  Patient  Zinklösung  zum 
Injizieren  oder  eine  schwache  übermangansaure  Kali¬ 
lösung.  Bleibt  auch  hierbei  das  Präparat  gonokokken¬ 
frei,  wird  der  Urin  ganz  klar,  so  steht  der  Patient  vor 
der  Entlassung.  Um  zu  sehen,  ob  ein  Rückfall  zu  er¬ 
warten  ist,  provozieren  wir  dann  gewöhnlieh,  indem  wir 
mit  einem  Bougie  ä  boule  die  Harnröhre  reizen,  oder 
indem  wir  dem  Kranken  eine  intravenöse  Injektion  mit 
Genokokkenvakzine  machen,  um  dadurch  latente  Go¬ 
nokokken  noch  einmal  hervorrufen.  Gerade  dieses 
letztere  Verfahren  hat  sich  in  einer  Reihe  zweifelhafter 
Fälle  außerordentlich  bewährt.  Wir  haben  bei  ver¬ 
schiedenen  Kranken,  bei  denen  eine  Infektion  geleugnet 
wurde  und  zuerst  Gonokokken  nicht  nachweisbar  waren, 
weil  die  Kranken  sich  schon  lange  selbst  behandelt 
hatten,  auf  diese  Weise  die  Gonokokken  wieder  hervor¬ 
gerufen.  Aber  vor  allen  für  die  Entlassung  ist  diese  Provo¬ 
kation  außerordentlich  wichtig.  Steigt  die  Temperatur¬ 
kurve  (die  Kranken  müssen  alle  Stunden  gemessen 
werden)  um  1,5°  ungefähr  an,  zeigt  sich  wieder  Aus¬ 
fluß,  so  ist  es  wahrscheinlich,  daß  noch  irgendwo  Go¬ 
nokokken  sitzen,  und  gewöhnlich  tritt  dann  am  nächsten 
bis  zum  vierten  Tage  ein  gonokokkenhaltiger  Aus¬ 
fluß  auf,  oder  es  zeigen  sich  Schmerzen  und  Schwellungen 
in  den  erkrankten  Partien ,  die  ein  Beweis  dafür  sind, 
daß  auch  dort  der  gonorrhoische  Prozeß  noch  nicht  ab¬ 
geheilt  ist.  Nach  der  Provokation  werden  die  Kianken 
noch  nach  2 — 4  Tagen  zweimal  mikroskopisch  untersucht 
und  dann  entlassen.  Es  hat  sich  für  uns  aber  als  unbedingt 
nötig  erwiesen,  den  Kranken  dann  noch  eine  8 — 14  tägige 
Schonung  im  Revier  und  eine  eventuelle  Nachbehand¬ 
lung  mit  Zink  zu  verschreiben,  falls  noch  schleimiger 
Ausfluss  da  ist,  dabei  dem  anstrengenden  Dienst  zu  leicht 
Rückfälle  auftreten. 

Eine  glücklicherweise  nicht  zu  häufige,  aber  sehr 
unangenehme  Komplikation  der  Gonorrhoe  sind  die 
gonorrhoischen  Gelenkerkrankungen  *)  sie  bedürfen  ganz 
besonderer  Pflege  und  werden  bei  uns  ebenfalls  mit 
feuchten  Packungen,  Wärme  (Föhn,  usw.)  und 
zum  Schluß  mit  Massage  behandelt.  In  der  letzten  Zeit 
haben  wir  mit  besonderem  Erfolg  die  von  Nast  aus 
der  Arning’schen  Abteiluug  in  Hamburg  emp¬ 
fohlene  Behandlung  mit  heißen  Bädern  und  Massage 
angewendet  (Dermatol.  Wochenschrift  Nr.  21). 
Es  ist  ganz  zweifellos,  daß  die  heißen  Bäder  von 
40  —  42  0  C.  sehr  gut  wirken  und,  verbunden  mit  Massage, 
mit  aktiven  und  passiven  Bewegungen,  außerordentliche 
Erfolge  zeitigen.  Überhaupt  wirken  sehr  heiße  Sitz¬ 
bäder,  wie  wir  sie  auf  Empfehlung  von  Weiß  (Feld- 
ärztl.  Wochenschridt  1915,  Nr.  44)  verabreichen,  außer¬ 
ordentlich  gut  auf  den  schnellen  Ablauf  der  Gonorrhoe 
und  ihrer  Komplikationen  ein ,  und  sind  namentlich  in 
hartnäckigen  Fällen,  die  der  Therapie  Widerstand  leisten, 
besonders  zu  empfehlen.  Daß  selbstverständlich  auch 
hier  Gonokokkenvakzine-Injektionen  zu  therapeutischen 
Zwecken  angewendet  werden,  ist  bereits  erwähnt  worden. 
Unangenehme  Komplikationen  infolge  der  Vakzinebe¬ 
handlung  haben  wir  nicht  gesehen;  die  Gonokokken¬ 
vakzine  wirkt  auch  hier  außerordentlich  günstig. 

9  Auch  hier  ist  die  Gonokokkenvakzine  in  diagnostischer  Hin¬ 
sicht  außerordentlich  wertvoll,  besonders  zur  Diagnosenstellung  go¬ 
norrhoischer  Rheumatitiden  und  Arthritiden  ,  bei  denen  von  den 
Kranken  die  frühere  Gonorrhoe  geleugnet  wird.  Für  die  Feststellung 
der  Dienstbeschädigung  ist  es  selbstverständlich  wichtig,  zu  kon¬ 
statieren,  ob  es  sich  um  einen  Tripperrheumatismus  oder  um  eine  im 
Feld  erworbene  Schädigung  handelt. 


Nr.  34. 


FORTSCHRITTE  OER  MEDZIIN. 


331 


Sehr  oft  findet  man  kleine  para-  und  periurethrale 
Drüsengänge,  die  die  Heilung  der  Gonorrhoe  erschweren. 
Auch  diese  müssen  lokal  ausgebrannt  werden.  Ebenso 
findet  man  gelegentlich  periurethrale  oder  cavernöse  Ab¬ 
szesse,  die  nach  chirurgischen  Prinzipien  behandelt 
werden. 

Handelt  es  sich  um  ältere  gonorrhoische  Prozesse, 
die  mit  Infiltrationen  einhergehen ,  oder  um  frische 
Gonorrhoe  auf  alter  gonorrhoischer  Basis,  so  müssen  die 
frischen  oder  alten  Infiltrate  gedehnt  werden.  In  diesem 
halle  werden  die  Kranken  ein  bis  zweimal  die  Woche  mit 
Stahlsonden  oder  Dilatatoren  gedehnt  und  unmittelbar 
hinterher  heiß  gespült  (mit  Argentum  nitricum  1  :  3000 
oder  Kalium  permanganat  1  :  2000).  Diese  Spülungen 
gehören  ebenso  zur  Behandlung  der  Prostata  und  sollen 
auf  jede  Massage  folgen. 

Wir  haben  es  auf  diese  Weise  erreicht,  daß  wir 
eine  durchschnittliche  Dauer  der  Gonorrhoebehandlung 
bei  unkomplizierten  Fällen  in  27  Tagen  erreichen 
konnten ,  mit  Komplikationen  durchschnittlich  von 
47  Tagen,  und  einen  Gesamtdurchschnitt  von  35  Tagen. 
Bei  20  — 30  Entlassungen  pro  Woche  kamen  höchstens 
1 — 2  Kranke  mit  Rückfällen  wieder1);  es  ist  also  auch 
dieser  Prozentsatz  kein  zu  großer.  Gennerich  in  Kiel 
hat  im  Marinelazarett  ebenfalls  eine  Behandlungsdauer 
von  37  Tagen  erreicht.  Wir  sehen  also,  daß  man  mit 
energischer  Behandlung  bei  der  Gonorrhoe  in  verhältnis¬ 
mäßig  kurzer  Zeit  eine  Heilung  erreichen  kann. 

Im  Anfang  hatten  wir  den  Versuch  gemacht,  die 
Kranken  sobald  keine  Gonokokken  vorhanden  waren, 
zur  ambulanten  Behandlung  ins  Revier  zu  entlassen. 
Diese  Maßregel  hat  sich  aber  nicht  bewährt,  da  die 
Kranken  doch  zum  Dienst  herangezogen  wurden,  und 
ein  großer  Prozentsatz  von  ihnen  dann  bald  mit  Rück¬ 
fällen  wieder  ins  Lazarett  kam,  oder  sie  uns  mit  den 
die  Heilung  erschwerenden  Kompilationen  aufs  neue 
aufsuchten . 

Die  Behandlung  des  Ulcus  m  o  1  1  e  ist  selbst¬ 
verständlich  wesentlich  einfacher.  Hier  genügt  es,  mit 
Karbolsäure  die  Falten  gründlich  auszuwischen  und  mit 
Jodoform,  dessen  Geruch  ja  im  Militärlazarett  keine 
störende  Rolle  spielt,  zu  bestreuen.  Vereiterung  der 
Leistendrüsen  wird  am  einfachsten  mit  heißen  Um¬ 
schlägen  und  Stichinzision  behandelt.  In  den  eröffneten 
Bubo  kommen  mehrfach  die  Woche  Injektionen  von 
Jodoformglycerin  oder  Jodoformparaffin,  und  darüber 
ein  feuchter  Verband.  Der  Kranke  soll  möglichst  dabei 
herumgehen,  da  dadurch  der  Abfluß  des  Sekretes  er¬ 
leichtert  wird  und  die  Stauungen  vermieden  werden. 
Derartig  inzidierte  Bubonen  heilen  in  unverhältnismäßig 
schnellerer  Zeit  als  nach  der  früheren  Ausräumung; 
nur  sehr  tief  sitzende,  umfangreiche  Bubonen  bedürfen 
unter  Umständen  der  Ausräumung,  da  sich  sonst  leicht 
schwer  heilende  Prozesse  mit  Fistelbildung  einstellen. 

Wesentlich  komplizierter  ist  die  Behandlung  der 
Syphilis.2)  Hier  kommt  es  darauf  an ,  möglichst 
Frühdiagnose  zu  stellen  und  entweder  durch  Tusche 
oder  Giemsasche  Färbung  oder  im  Dunkelfeld  Spiro¬ 
chäten  nachzuweisen3) ,  ehe  die  Wassermannsche  Probe 
positiv  ausfällt.  Ist  die  klinische  und  mikroskopische 
Diagnose  der  Lues  im  Primärstadium  gestellt,  so  wird 
der  Schanker  ausgebrannt  oder  exzidiert  und  sofort 
möglichst  bei  negativem  Wassermann,  die  erste 
energische  Kur  begonnen.  Wir  geben  den  Kran- 


9  Seit  der  Anwendung  der  Gonokokken  Vakcine  ist  die  Behand¬ 
lungsdauer  etwas  länger  geworden,  dafür  sind  Rückfälle  fast  ganz  ent¬ 
schwunden. 

2)  Die  Syphiliskranken  unterstehen  auf  der  Abteilung  dem  ordin. 
Arzt,  Vertragsarzt  Dr.  G.  Winkler. 

3)  In  der  letzten  Zeit  verwerten  wir  mit  Erfolg  die  Tontan'sche 
Silberungsmethode  (Münch.  Med.  Woch.  1916  Nr.  20.  Mitteilung  von 
Marine  Ob.  Stabsarzt  Dr.  Hage)  als  einfache  und  bequeme  Schnell¬ 
färbung. 


ken  durchschnitllich  10 — 15  Quecksilber  -  Injektionen 
und  3=5  Salvarsan-Injektionen ,  und  zwar  am  besten 
entweder  Salicyl-Quecksilber  (Emulsion  1  :  9  Paraffinum 
liquidum)  oder  das  stärkere,  aber  schmerzhaftere  Kalomel 
(in  derselben  Konzentration).  Bei  guter  Überwachung 
der  Patienten  und  guter  Mundpflege  empfiehlt  es  sich, 
graues  Öl  zu  injizieren  (Merzinol) ,  und  zwar  in  der 
Form,  daß  die  Kur  mit  2  Salicyl- Quecksilberinjektionen 
begonnen  wird,  und  später  jeden  8.  bis  10.  Tag  (am 
selben  T agewie  das  Salvarsan)  7  Teilstriche  der  Zielerschen 
Rekordspritze  Merzinol  injiziert  werden.  Das  Merzinol, 
als  ein  stärkeres  Präparat,  ist  bei  geschwächten  Patienten 
und  Nierenkranken  nicht  anzu wenden ,  ebensowenig 
wenn  man  die  Kranken  nicht  in  genügender  Über¬ 
wachung  hat.  Die  Fortsetzung  der  Kur  mit  Merzinol 
ist  zu  widerraten ,  sowie  sich  Infiltrate  in  den  Nates 
bilden.  Während  der  kombinierten  Quecksilber-Sal- 
varsankur  und  etwa  2-4  Wochen  nach  Beendigung 
derselben  soll  auf  gute  Mundpflege  geachtet  werden. 
Zwischen  diese  Quecksilberbehandlung  hinein  erfolgen 
eine  Reihe  von  Neosalvarsan-Injektionen ,  die  man 
sich  auf  die  denkbar  einfachste  Weise  herstellt.  Es 
genügt  bei  Neosalvarsan ,  die  nötige  Wassermenge  in 
einem  Reagenzglase  gründlich  auszukochen,  oder  sterili¬ 
siertes  destilliertes  Wasser  aus  der  Apotheke  zu  be¬ 
ziehen.  Die  gebrauchsfertige  Lösung  wird  entweder  in 
einem  kleinen  Glase  oder  in  der  Rekordspritze  selbst 
hergestellt,  die  Kanüle  in  einem  zweiten  Reagenzglase 
ausgekocht.  Unmittelbar  nach  dem  Öffnen  der  Ampulle 
muß  das  Pulver  gelöst  und  sofort,  um  die  Oxydation 
an  der  Luft  zu  vermeiden ,  verwendet  werden.  Die 
Lösungen  sollen  jedesmal  frisch  vor  der  Einspritzung  zu¬ 
bereitet  werden.  Die  Einspritzung  witd  mit  einer  5 — 10  ccm 
haltigen  Rekordspritze  gemacht.  Die  Anfangsdosis  beim 
erwachsenen  Mann  beträgt  0,3 — 0,45  Neosalvarsan  (Dosis 

2  und  3).  Wird  die  Injektion  gut  vertragen  (ohne  Fieber, 
Magenbeschwerden  und  dergl.),  so  steigt  man  auf  Dosis 
4  oder  höchstens  Dosis  5.  Gesamtdosis:  2  bis  höchstens 

3  Gramm.  Die  Intervalle  zwischen  den  Injektionen  be¬ 
tragen  bei  den  ersten  Injektionen  8— -10  Tage,  später 
14  Tage.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  die  Neosalversan- 
injektionen  mit  einer  gewissen  Vorsicht  gemacht  werden 
müssen.  Bei  Kranken  mit  frischen  Infektionskrankheiten 
(Bronchitis,  Influenza)  warte  man  ab,  bis  die  Erkrankung 
abgelaufen  ist.  Schwere  Komplikationen  der  inneren 
Organe,  namentlich  Herz-,  Nieren-  und  Gehirn¬ 
erkrankungen  (Epileptiker),  ebenso  vorgeschrittener  Dia¬ 
betes.  und  Alkolismus  mahnen  zur  Vorsicht  und  dürfen  nur 
mit  kleinen  Dosen  behandelt  werden.  Diese  kombinierte 
Neosalvarsan-Quechsilberkur  geschieht  dann  am  besten 
in  folgender  Weise: 

1.  Behandlungstag:  tief  intraglutäal  Salicyl-Hg.  (0,1  pro 

dosi)  d.  h.  eine  Pravaz  -  Spritze 
einer  öligen  Suspension  3 :  27  pa¬ 
raffinum  liquidum, 
do. 

Neosalvarsan  0,3  1  oder  beide  an 
Salicyl-Hg.  j  einem  Tage 

Salicyl-Hg. 

Neosalvarsan  0,45  j  oder  beide  an 
Salicyl-Hg.  j  einem  Tage 


4.  Behandlungstag 
6.  Behandlungstag 
8- 
12. 

14. 

16. 


usw. 

Nach  Beendigung  der  Kur  soll  tunlichst  nach  2  oder 
3  Monaten  die  zweite  Kur  folgen ,  die  in  ungefähr 
6 — 9  Quecksilber-  und  2 — 3  Salvarsan-Injektionen  be¬ 
stehen  soll.  Sollte  dies  durch  die  Anforderungen  des 
Feldes  nicht  möglich  sein,  so  empfiehlt  es  sich,  die 
zweite  Kur  in  leichterer  Form  wenigstens  zu  wieder¬ 
holen;  auch  eine  dritte  Kur  soll  nach  Möglichkeit  im 
ersten  Jahre  angeschlossen  werden.  Anstatt  der  Kur  mit 
unlöslichen  Salzen  können  selbstverständlich  auch  lösliche 
Salze  gegeben  werden,  bei  denen  aber  die  Ausscheidung 


3  32 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  34 


eine  schnellere  und  die  Dauerwirkung  nicht  so  groß  ist, 
ganz  abgesehen  davon,  daß  auf  einer  großen  Station  es 
außerordentliche  Mühe  macht,  anstatt  10 — 12  unlöslichen 
30 — 40  Injektionen  löslicher  Salze  zu  geben. 

Ebenso  können,  falls  Quecksilber-Injektionen  nicht 
gemacht  werden  können,  die  Kranken  bei  sehr  guter 
Überwachung  eine  Einreibekur  von  30—40  Einreibungen 
zu  3 — 5  Gramm  machen.  Nur  hat  die  Erfahrung  gelehrt, 
daß  diese  Kuren  selten  gründlich  gemacht  werden,  daß 
sehr  oft,  falls  Quecksilbergegner  unter  der  Mannschaft 
sind,  die  Leute  absichtlich  schlecht  einreiben  oder  die 
Kügelchen  zum  henster  hinauswerfen.  Aus  diesem 
Grunde  sind  wir  —  ganz  abgesehen  von  unserer  wissen¬ 
schaftlichen  Überzeugung  —  zur  Einspritzungsbehand¬ 
lung  übergegangen. 

Seit  wir  das  Salvarsan  als  eine  unschätzbare  Be¬ 
reicherung  unseres  Arzneischatzes  regelmäßig  angewendet 
haben,  hat  sich  dasselbe  als  ein  unentbehrliches  Heil¬ 
mittel  der  Syphilis  bewährt,  dem  wir  die  größten  Fort¬ 
schritte  in  der  Behandlung  verdanken.  Aber,  wie  jedes 
wirksame  Heilmittel,  kann  es  gelegentlich  unangenehme, 
in  äußerst  seltenen  Fällen  sogar  zum  Tode  führende 
Nebenwirkungen  zeigen.  Anfangs  häufiger,  sind  diese 
jetzt  wesentlich  geringer  geworden,  seit  wir  die  Art  der 
Anwendung  und  die  Art  der  Dosierung  genauer  kennen 
gelernt  haben.  Unter  diesen  Nebenwirkungen  waren 
es  vor  allen  die  sogen.  Neurorezidive,  die  namentlich 
im  Anfang  eine  außerordentliche  Rolle  spielten. 

Diese  Neurorezidive,  d.  h.  Erkrankungen  bestimmter 
1  lirnnerven,  sind  glücklicherweise  äußerst  selten  geworden, 
seitdem  wir  in  den  Fällen  von  sekundärer  Syphilis,  in 
welchen  manifeste  Symptome  vorhanden  sind,  die  Salvar- 
sankur  mit  Quecksilber  umkleiden,  und  seitdem  wir 
energisch  behandeln  und  nicht  mehr  glauben,  daß  die 
Heilung  der  Syphilis  mit  ein  oder  zwei  Salvarsan-Injek- 
tionen  zu  erzielen  sei.  Generich  hat  ganz  besonders 
darauf  aufmerksam  gemacht  und  hat  die  Frage  ange¬ 
schnitten,  ob  nicht  in  Anbetracht  der  Schwierigkeiten 
und  der  Möglichkeit  der  Neurorezidive  diese  sekundären 
floriden  Fälle  nur  mit  Quecksilber  behandelt  werden 
sollen.  Es  hat  sich  aber  bei  uns  in  unserem  Reserve¬ 
lazarett  auch  herausgestellt,  daß  diese  Fälle  sehr  gut 
behandelt  werden  können,  wenn  sie  energisch  und  lang¬ 
dauernd  behandelt  werden.  Bei  uns  erfolgt  die  Be¬ 
handlung  der  Syphilis  sofort,  sowie  die  Diagnose  Sy¬ 
philis  durch  klinische  Zeichen  oder  Spirochäte'nnachweis 
oder  Blutentnahme  sichergestellt  ist.  Wir  warten  nicht, 
bis  die  Syphilis  bereits  konstitutionell  geworden  ist  und 
die  Spirochäten  den  ganzen  Körper  durchseucht  haben 
Gerade  darin  besteht  ja  der  Vorzug  der  Salvarsanbe- 
handlung,  daß  wir  sofort  nach  Feststellung  der  Diagnose 
energisch  behandeln  und,  wenn  möglich,  die  Erkrankung 
abortiv  zu  beeinflussen  suchen.  Generich  hat  im  Marine¬ 
lazarett  in  Kiel  auf  diesem  Gebiete  zweifellos  die 
glänzendsten  Erfahrungen  gemacht.  Er  hat  bei  fünfjähriger 
Dauerbeobachtung  frische  primäre  Syphilisfälle  in  93  bis 
94  %  rezidivfrei  erhalten.  Nach  seiner  Statistik  sind 
von  92  Fällen  primärer  Syphilis  alle  92  ohne  Rückfälle 
geblieben,  von  72  Fällen  des  frischen  Sekundärstadiums  65, 
und  von  5  Fällen  des  älteren  Sekundärstadiums  4  gleich¬ 
falls  ohne  Rückfälle  geblieben. 

Auch  ich  habe  in  meiner  Praxis  eine  ganze  Reihe 
von  Fällen,  die  ich  jahrelang  beobachtet  habe  und  die 
nach  den  ersten  gründlichen  Kuren  stets  frei  von  Er¬ 
scheinungen  geblieben  sind  und  negativen  Wassermann 
behalten  haben.  Als  ein  Beweis  für  die  Möglichkeit  der 
Sterilisation  der  Syphilis  bei  dieser  energischen ,  im 
ersten  Stadium  durchgeführten  mehrmonatigen  Behand¬ 
lung  mit  mindestens  drei  Kuren  können  die  bisher  ver¬ 
öffentlichten  zahlreichen  Reinfektionen  gelten,  von  denen 
ich  auch  in  der  letzten  Zeit  zwei  sichere  wieder  erlebt 
habe. 


Die  Schwierigkeit  der  Syphilisbehandlung  im  Laza¬ 
rett  und  beim  Heere  liegt  nun  aber  darin ,  daß  der 
Patient  nach  der  ersten  Kur  wieder  dem  Feldheer 
überwiesen  wird  und  damit  die  Möglichkeit  der  Über¬ 
wachung  erlischt.  Aus  diesem  Grunde  erhalten  die  Sol¬ 
daten  bei  ihrer  Entlassung  eine  Belehrung,  durch  welche 
sie  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß  sie  das 
Blut  regelmäßig  wieder  unterrsuchen  lassen  (auch  ohne 
klinische  Erscheinungen)  und  daß  sie,  wenn  sie  irgend 
Gelegenheit  haben,  in  den  hinter  der  Front  befindlichen 
Lazaretten  gelegentlich  wieder  Kuren  machen  sollen. 
Dazu  dienen  die  Belehrungen  und  Merkblätter,  die  wir 
den  Soldaten  gegeben. 

Sehr  einfach  ist  selbstverständlich  die  Behandlung 
der  tertiären  Syphilis  in  den  Lazaretten.  Dieselbe  wird 
nach  dem  bekannten  Schema  mit  Quecksilber  und  Jod 
durchgeführt.  Hier  kann  Salvarsan  gegeben  werden, 
es  ist  aber  nicht  unbedingt  nötig. 

Damit  wäre  die  Heilung  der  Syphilis  in  den  Re¬ 
servelazaretten  und  Kriegslazaretten  erledigt,  wenn  bei 
ihr  nicht  leider  die  Gefahr  der  Ansteckungsfähigkeit 
weiter  bestünde,  die  Gefahr,  daß  später  wieder  Rück¬ 
fälle  auftreten ,  die  Gefahr  der  schweren  Späterschei¬ 
nungen  von  seiten  des  Gefäß-  und  Nervensystems,  und 
die  Gefahr  der  Übertragung  auf  die  Familie.  Während 
bei  der  Gonorrhoe  ja  im  allgemeinen  außer  der  gonorr¬ 
hoischen  Arthritis  nur  die  Möglichkeit  der  Infektion  der 
Frau,  die  Sterilität  und  die  Blennorrhoe  der  Neuge¬ 
borenen  in  Frage  kommt,  spielt  hier  die  Durchseuchung 
der  ganzen  Frau,  die  Frage  der  Nachkommenschaft 
und  die  Gefahr,  die  der  Träger  der  Syphilis  für  sich 
selbst  birgt,  eine  große  Rolle.  Aus  diesem  Grunde  hat 
die  Heeresverwaltung  auf  Anregnng  der  Deutschen  Ge¬ 
sellschaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechtskrankheiten, 
die  in  Gemeinschaft  mit  den  Landesversicherungsan¬ 
stalten  und  dem  Reichsversicherungsamt  dieser  Frage 
näher  getreten  ist,  beschlossen,  sich  an  der  Für¬ 
sorge  für  die  Geschlechtskranken  zu  beteiligen.  Es  ist 
ganz  klar,  daß  der  Soldat,  sobald  er  Urlaub  erhält,  den 
Wunsch  haben  wird,  —  ganz  gleichgültig  ob  er  eine 
Geschlechtskrankheit  hat  oder  nicht  — ,  in  seine  Heimat 
und  zu  seiner  Familie  zu  kommen.  Ebenso  wird  er 
nach  Schluß  des  Krieges,  ebenfalls  gleichgültig ,  ob  er 
infektiös  ist  oder  nicht,  sofort  seinen  heimischen  Penaten 
wieder  zustreben.  Aus  dieser  Erkenntnis  heraus  sind 
bereits  folgende  Bestimmungen  getroffen  worden:  Alle 
Kriegsteilnehmer,  die  venerisch  eVkrankt  gewesen  sind, 
sollen  vom  Feld  aus  nicht  nach  der  Heimat  befördert 
werden,  sondern  in  den  nächsten  Kriegslazaretten  behan¬ 
delt  werden  und  keinen  Urlaub  nach  der  Heimat  erhalten. 
Ebenso  erhalten  die  in  den  Garnisonen  befindlichen 
Mannschaften,  sofern  sie  geschlechtskrank  waren,  auch 
nach  der  Entlassung  aus  dem  Lazarett  oder  der  Revier¬ 
stube,  keinen  Urlaub  in  die  Familie.  Nach  dem  Frieden¬ 
schluß  sollen  alle  aus  dem  Felde  zurückkehrenden, 
früher  geschlechtskranken  Soldaten  —  so  lautet  die 
Forderung  der  Deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung 
der  Geschlechtskrankheiten  —  besonderen  Fürsorge¬ 
stellen  überwiesen  werden,  die  im  Anschluß  an  die 
Landesversicherungsanstalten  oder  an  die  Krankenhäuser 
errichtet  werden,  und  in  denen  eine  unentgeltliche  Be¬ 
ratung  durch  Ärzte  für  die  Geschlechtskranken  stattfinden 
soll.  Jeder  Kranke,  der  vom  Militär  aus  gemeldet  wird, 
hat  diese  Beratungsstelle  aufzusuchen,  wird  dort  unent¬ 
geltlich  untersucht  und  den  Ärzten  überwiesen,  die  sich 
bereit  erklärt  haben,  diese  Kranken  weiter  zu  behandeln. 
Die  Kosten  für  diese  Behandlung  tragen  die  Kranken¬ 
kassen  und  die  Landesversicherungsanstalten.  Der  unter¬ 
suchende  Arzt  in  der  Beratungsstelle  selbst  darf  keinen 
der  Kranken  behandeln ;  er  soll  nur  gewissermaßen  als 
väterlicher  Freund  die  Kranken  beraten  und  ihnen  vor¬ 
stellen,  welchen  Gefahren  sie  und  ihre  Familie  entgegen- 


Nr.  34. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


333 


gehen,  wenn  sie  sich  nicht  behandeln  lassen.  Die  Kranken 
werden  so  lange  in  den  Listen  der  Beratungsstelle  ge¬ 
führt,  bis  sie  für  gesund  erklärt  und  aus  der  Fürsorge 
entlassen  werden  können.  Diese  Fürsorgestellen,  die 
nach  dem  Muster  der  Lungenfürsorgestellen  eingerichtet 
worden  sind ,  haben  sich  bereits  in  den  Hansastädten 
außerordentlich  bewährt  und  es  steht  zu  hoffen,  daß  sie 
auch  hier  ihre  segensreiche  Tätigkeit  ausüben  werden. 
Bis  jetzt  steht  nur  noch  die  Schwierigkeit  entgegen,  daß 
die  Militärbehörde  vorläufig  nicht  jeden  Soldaten,  der 
krank  gewesen  ist,  glatt  überweisen  will,  sondern  daß 
sie  erst  das  Einverständnis  des  Kranken  einholen  will. 
Es  ist  klar,  daß  dadurch  die  ganze  Frage  sehr  erschwert 
wird,  und  es  ist  für  uns  als  Fachmänner  eigentlich 
unverständlich,  warum  man  die  Typhus-  Cholera-  und 
Pockenimpfung 'zwangsweise  einführt  und  bei  dieser  ge¬ 
fährlichen  Erkrankung  auf  einmal  vorsichtig  wird, 
namentlich  da  sich  diese  neue  Einrichtung  ja  in  den 
Hansastädten  bereits  gut  bewährt  hat  und  außerordent¬ 
lich  frequentiert  wird. 

Eine  andere  Frage  ist,  ob  die  behandelnden  Ärzte, 
die  sich  zur  Verfügung  stellen  werden,  genügende  Fach¬ 
kenntnis  besitzen  und  die  Kranken  entsprechend  gleich¬ 
mäßig  zu  behandeln  in  der  Lage  sein  werden.  Aber 
auch  hier  ist  bereits  vorgesorgt,  indem  für  diese  be¬ 
handelnden  Arzte  Fortbildungskurse  in  gleichmäßiger 
Weise  eingerichtet  werden.  Hoffen  wir  also,  daß  mit 
dieser  Maßregel  die  Fürsorge  für  die  Geschlechtskranken 
in  neue  Bahnen  gelenkt  werde,  und  daß  es  dadurch 
gelinge,  di  e  große  Gefahr,  die  aus  der  hohen  Anzahl 
der  Geschlechtskrankheiten  dem  deutschen  Volke  er¬ 
wächst,  zu  beseitigen. 

Hat  doch  nicht  nur  die  Fürsorge  für  die  Kranken, 
sondern  auch  die  Prophylaxe  der  Geschlechtskrankheiten 
seit  Beginn  dieses  Feldzuges  Außerordentliches  erreicht. 
Ich  habe  bereits  erwähnt,  daß  die  oberste  Heeresver¬ 
waltung,  sobald  sie  die  Gefahr  der  Geschlechtskrank¬ 
heiten  erkannt  hatte,  sofort  mit  außerordentlichem  Ge¬ 
schick  die  nötigen  Abwehrmaßregeln  ergriffen  hat,  um 
die  Ausbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  zu  verhindern. 
Es  sind  zahlreiche  Merkblätter  und  Flugschriften  ver¬ 
teilt  worden.  Ganz  besonders  hat  der  Soldatenbrief 
der  Deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Ge¬ 
schlechtskrankheiten1)  günstig  auf  die  Soldaten  einge¬ 
wirkt.  Die  Organisation  der  Arbeiter  hat  auf  Veran¬ 
lassung  der  Landesversicherungsanstalt  ein  ausgezeich¬ 
netes  Merkblatt  verfaßt,  welches  in  Arbeiterkreisen  große 
Verbreitung  gefunden  hat,  und  man  hat  versucht,  durch 
mündliche  Belehrung,  insbesondere  bei  Iden  Gesundheitsbe¬ 
sichtigungen  der  Soldaten  aufklärend  zu  wirken.  Ebenso 
finden  Belehrungen  im  Lazarett,  Unterweisungen  für  die 
Krankenwärter  usw.  bei  uns  im  Lazarett  ständig  statt.  Die 
Bearbeitung  wichtiger  Fragen  beim  Heere  ist  beratenden 
Dermatologen  und  Venersologen  anvertraut  worden. 
Die  Einschränkung  und  die  Kontrolle  der  Prostitution 
ist  nicht  nur  in  der  Heimat,  sondern  auch  in  Belgien, 

J)  Diese  ,,Soldatenbriefe“  lind  alle  Merkblätter  werden  unent¬ 
geltlich  von  der  Deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Ge¬ 
schlechtskrankheiten,  Berlin,  Wilhelmstr.  48,  überall  hin  abgegeben. 


I  Frankreich  und  Polen,  ganz  besonders  ins  Auge  gefaßt 
worden.  Exzellenz  von  Bissing  in  Brüssel  hat  dieser 
Frage  seine  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt 
und  durch  seine  Verfügungen  erreicht,  daß  die  Zahl  der 
Geschlechtskrankheiten  beim  Fleere  in  Belgien  wesent¬ 
lich  in  der  Abnahme  begriffen  ist.  Die  Überwachung 
der  Prostituierten  durch  deutsche  Ärzte,  die  Internierung, 
die  Abschiebung  der  Prostituierten  und  die  regelmäßige 
Behandlung  derselben  mit  Salvarsaninjektionen  ist  in 
einigen  Gegenden  von  außerordentlichem  Vorteil  gewesen. 
Ebenso  hat  in  der  Heimat  die  Schließung  der  Lokale  mit 
weiblicher  Bedienung,  der  Animierkneipen,  in  Belgien  der 
Estaminets,  der  Zigarrenläden  und  Bars,  besonders  günstig 
gewirkt.  Die  Abkürzung  der  F^olizeistunde  in  den  Garni¬ 
sonen,  die  Einschränkung  des  Abendurlaubes, das  Alkohol¬ 
verbot,  die  Einrichtung  von  Soldaten-  und  Eisenbahner¬ 
heimen  in  den  okkupierten  Ländern  und  in  der  Heimat, 
in  gleicher  Weise  das  Kurpfuscherverbot,  wie  es  von 
einzelnen  Generalkommandos  bereits  erlassen  worden  ist, 
sind  ebenfalls  von  sehr  gutem  Einfluß  auf  die  Be¬ 
kämpfung  der  Geschlechtskrankheiten  gewesen.  Ebenso 
ist  in  den  okkupierten  Ländern  namentlich  der  FTirsorge 
für  die  weibliche  Bevölkerung,  Arbeitsvermittelung  usw., 
ganz  besonderes  Augenmerk  geschenkt  worden. 

Nun  steht  und  fällt  der  Kampf  gegen  die  Geschlechts¬ 
krankheiten  mit  der  persönlichen  Prophylaxe.  Wenn 
auch  überall  Versuche  gemacht  worden  sind,  diese 
persönliche  Prophylaxe  noch  weiter  auszudehnen,  wenn 
auch  bereits  sehr  viel  erreicht  worden  ist,  so  vermissen 
wir  Fachärzte  doch  noch  den  Zwang  der  Verteilung 
von  Schutzmitteln  in  den  Revierstuben  und  öffentlichen 
Häusern,  die  zwangsweise  LIntersuchung  der  Männer 
vor  und  nach  dem  Verkehr,  die  Meldepflicht  und  die 
prophylaktische  Behandlung  in  der  Revierstube  nach 
dem  Verkehr.  Wenn  auch  hier  schon  bei  einzelnen 
Korps  und  Regimentern  viel  erreicht  worden  ist,  so  fehlt 
doch  noch  die  allgemeine  Verfügung.  Denn,  darüber 
kann  kein  Zweifel  herrschen,  viel  segensreicher  als  die 
Behandlung,  viel  billiger  und  viel  wichtiger  ist  die 
Prophylaxe,  und  die  große  Sorge  und  Mühe,  die  die 
Behandlung  der  Geschlechtskrankheiten  erfordert,  würde 
sich  wesentlich  verringern,  wenn  wir  die  Prophylaxe 
energischer  betreiben  wollten,  und  wenn  wir  die 
religiösen,  ästhetischen  und  sentimentalen  Rücksichten, 
für  die  ich  selbstverständlich  ein  volles  Verständnis  habe 
und  deren  Berechtigung  ich  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  anerkenne,  fallen  lassen  würden.  Es  ist  gewiß, 
daß,  ebenso  wie  es  England  nicht  gelingen  wird,  eine 
effektive  Blockade  gegen  uns  durchzuführen,  es  auch 
uns  nicht  gelingen  wird,  die  Geschlechtskrankheiten  zu 
beseitigen.  Aber  wir  werden  doch,  wenn  wir  die 
Prophylaxe  noch  weiter  ausbauen,  und  wenn  wir  auf 
dem  Boden,  den  die  Heeresverwaltung  jetzt  bereits  ge¬ 
schaffen  hat,  Weiterarbeiten,  erreichen  können,  daß  die 
Geschlechtskrankheiten  im  Heere  noch  weiter  abnehmen, 
daß  die  Resultate  der  Heilung  noch  bessere  werden, 
und  daß  wir  damit  für  die  Friedensjahre  eine  Ver¬ 
mehrung  der  Volkskraft  und  der  Volksgesundheit  er¬ 
warten  dürfen. 


334 


Nr.  34 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Mitteilungen  aus  der  Praxis  und  Autoreferate. 


Anwendung  eines  Gummizugverbandes  bei 
großen  Hautwunden. 

Von  F.  R.  M  ii  h  1  h  a  u  s. 

Auch  oberflächliche  Wunden  mit  ausgedehnteren  Ilaut- 
sudstanzverlust  können,  wenn  sie  ohne  Eingriff  sich  selbst 
der  Überhäutung  überlassen  bleiben  und  namentlich,  wenn 
sie  in  der  Nahe  von  Gelenken  liegen,  abgesehen  von  dem 
kosmetischen  Defekt  infolge  Narbencontraktur  eine  Gefahr 
für  die  vollwertige  funktionelle  Bewegung  des  betreffenden 
Gliedes  bilden.  Da  Naht  bei  den  fast  regelmässig  infizierten 
Schusswunden  kontraindiziert  ist,  hat  M.  zur  Methode  der 
allmählichen,  konstant  wirkenden  Annäherung  der  Wund¬ 
ränder  gegriffen  und  damit  gute  Resultate  erzielt. 


Die  Technik  ist  einfach  und  überall  herzustellen. 
Breitere  Heftpflasterstreifen  werden  den  beiderseitigen  Wund¬ 
rändern  gut  angelegt  und  mit  sterilen  Sicherheitsnadeln  durch¬ 
bohrt.  Um  die  Nadeln  werden  gegenseitig  Gummischnüre 
gelegt,  wodurch  man  die  Intrusitat  der  Zugwirkung  je  nach 
Anzahl  der  Gummibänder  regulieren  kann.  Der  Verband 
ist  leicht,  bei  Verabreichung  von  Bädern  abgenommen  und 
erneuert.  Bei  stärker  sezernierenedn  Wunden  empfiehlt  sich 
Touchieren  der  Heftpflaster  mit  Mastix. 

Auch  breiteste  Wunden  in  Gegenden  mit  reichlicherem 
Fettpolster  heilten  mit  fast  linearer  Narbe. 

(M.  m.  W.  17.  15).  Autoreferat. 


Referate  und  Besprechungen. 


Innere  Medizin. 

/.  v.  I)  a  1  in  a  d  y,  (Budapest).  Neue  Magenunter¬ 
suchungsmethoden.  (Zeitschr.  f.  physikal.  u  diätet.  Therapie 
XX.  1910,  2.  Heft,  S.  54—58.) 

I.  Zur  Bestimmung  des  Zeitpunktes,  an  welchem  die 
Verdauung  eines  bekannten  Stoffes  erfolgt,  lässt  Verf.  eine 
bohneugrosse  Hartgummiolive  mit  breiter  Queröffnuug  schlucken. 
Durch  diese  laufen  2  gutisolierte  Leitungsschnüre  zu  2  kleinen 
Platinplatten  im  Inneren  der  Olive.  Die  Olive  wird  in  ein 
Blatt  feinste  Fischblase  eingewickelt,  und  diese  an  der  Quer¬ 
öffnung  hermetisch  abgeschlossen.  Man  lässt  sie  verschlucken 
und  registriert  den  Moment,  an  welchem  ein  Signal  ertönt, 
als  Zeichen,  dass  die  Fischblase  verdaut  ist  Das  erfolgt  nor- 
maliter  in  50—55  Minuten. 

II.  Zur  Bestimmung  des  tiefsten  Punktes  des  Magens 
führt  v.  D.  eine  Magensonde  ein,  die  au  ihrem  Ende  in  einer 
4  cm  langen,  8  mm  dicken  Hartgummikapsel  einen  kleinen 
Elektromagneten  trägt  Durch  Verbindung  der  Leitungs¬ 
schnüre  mit  einem  Element  entsteht  im  Magen  ein  magnetisches 
Feld,  welches  einen  Kompass  vor  dem  Bauch  deutlich 
ablenkt. 

Geliefert  werden  die  Apparate  sr.  Zt.  von  der  Fabrik 
elektromedizinischer  Apparate  „Ericsson“  in  Budapest. 

Buttersack. 

H.  Strauss,  (Berlin).  Zur  Methodik  der  Tropf¬ 
klistiere.  (Ztschr.  f.  physikal  und  diätet.  Therapie  XX.  191  G, 
Heft  2,  S.  33  -  36.) 

Auf  der  Platte  eines  Stativs  ist  eine  elektrische  Heizplatte 
montiert,  welche  die  fürs  Klistier  bestimmte  Flüssigkeit  dauernd 
aut  ca.  80  0  C.  hält.  Auf  dem  Weg  durch  den  Schlauch 
sinkt  dann  ihre  Temperatur  auf  38—40°  ab.  —  Statt  der 
elektrischen  Heizplatte  kann  man  auch  eine  Heizpatrone  aus 
Holzkohle  verwenden. 

Strauss  benützt  die  Tropfklistiere  mit  grossem  Erfolg  bei 
toxischen  Zuständen,  Darmstenosen,  Magen-  und  Duodenalge¬ 
schwüren,  unstillbarem  Erbrechen. 

Buttersack. 

E.  L  e  s  ch  k  e.  Erfahrungen  über  die  Behandlung  der 

Kriegsseuchen.  (Berliner  Klinische  Wochenschrift  1915 
Nr.  24. 

Oberarzt  Dr.  L.  hält  die  physikalisch  wirkende  Adsorptions- 
therapie  für  die  wirksamste  Behandlung  der  Ruhr,  ruhrähn¬ 


lichen  Erkrankungen,  wie  aller  infektiöser  lokalen  Darmer¬ 
krankungen  überhaupt,  besonders  mit  Bolusal  und  Bolusal  mit 
Tierkohle,  da  bei  diesen  Präparaten  eine  Verbindung  der 
adsorbierenden  Wirkung  der  Bolus  mit  Tierkohle  mit  der 
adstringierenden  und  desinfizierenden  des  Tonerdehydrats 
geschaffen  ist. 

Von  anderer  massgebender  Seite  wird  über  einen  sofortigen 
manifesten  Erfolg  mit  „Bolusal  und  Tierkohle“  bei  einer, 
wahrscheinlich  seit  Jahrzehnten  bestehenden  Achylia  gastrica 
mit  einem  (wohl  konstruktiven)  chron.  Darmkatarrh,  der  mit 
lebhaften  Zersetzungsvorgängen  des  Darminhaltes  einherging, 
berichtet.  Weiter: 

„Bei  einem  15  Wochen  lang  bestehenden  vergeblich  be¬ 
handelten  „Durchfall“,  wodurch  das  Allgemeinbefinden  sehr 
gelitten,  das  Körpergewicht  erheblich  zurückgegangen  war, 
wurde  auf  Grund  der  Anamnese,  des  Status  praesens,  und 
der  Diagnose  (Paratyphus  ?)  „Bolusal  mit  Tierkohle“  mit 
überraschendem  Erfolg  verabreicht.  Der  Durchfall  stand,  der 
Stuhl  regelte  sich  von  selbst,  und  bei  gutem  Befinden  und 
guter  Ernährung  war  eine  erhebliche  Körpergewichtszunahme 
zu  konstatieren.“ 

Auch  septische  Durchfälle,  tuberkulöse  Darmkatarrhe, 
selbst  ein  schwerer  Cholerafall  wurden  durch  „Bolusal  mit 
Tierkohle“  ausserordeutlich  günstig  beeinflusst. 

Bolusal  rein,  wurde  mit  bestem  Erfolg  auch  bei  hart¬ 
näckiger  Ftatulenz  und  Hyperacidität  angewandt. 

Neuerdings  berichtet  Dr.  O  p  p  e  n  h  e  i  m  in  der  Berl.  Klin. 
Wochenschrift  1916,  Nr.  22  über  seine  überraschenden  Er¬ 
folge  durch  Aufpudern  mit  Bolusal  bei  stark  secerniereuden 
Wunden  und  Fisteln  aller  Art,  und  empfiehlt  „Bolusal  mit 
Tierkohle“  infolge  seiner  energisch  bakterienfixierenden  Wirkung 
bei  infizierten  Wunden  mit  schlaflen  Granulationen,  infiltierter 
Umgebung  und  stark  eitriger  Sekretion. 

Hersteller:  Rheumasan-  &  Lenicet  -  Fabriken  Dr.  Rudolf 
Reiss,  Chorlottenburg  und  Wien  VI/2.  R. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

Weygand  t,  Psychiatrische  Aufgaben  nach  dem 
Kriege.  (Jahreskurse  für  ärztl.  Fortbildung,  Maiheft  1916. 

W.  vertritt  mit  Nachdruck  die  Forderung  einer  ausgiebigen 
Psychohygiene,  die  gegenüber  der  Körper- 
h  y  g  i  e  n  e  bisher  zu  kurz  kam.  Auch  die  Vorbeugung  gei- 


Nr.  34 


335 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


stiger  Erkrankung  ist  möglich  und  notwendig,  was  bisher 
noch  viel  zu  wenig  berücksichtigt  wurde.  U.  a.  führt 
W.  aus: 

,,Die  zwei  wesentlichsten  und  nächsten  Hebelansatzpunkte 
bleiben  immer  der  Alkoholismus  und  die  Syphilis. 
Das  Wichtigste  hierüber  ist  ja  in  medizinischem  Kreise  schon 
so  oft  betont  worden,  dass  man  es  geradezu  nur  mit  Überwin¬ 
dung  immer  wieder  aufs  neue  Vorbringen  mag.  Aber  trotz  aller 
Selbstverständlichkeit  ist  die  praktische  Vertretung  der  Lehren 
vonseiten  der  somatischen  Medizin  noch  durchaus  ungenügend. 
Der  Kampf  gegen  den  Alkohol  wird  von  den  meisten  Ärzten 
noch  in  recht  lauer  Weise  betrieben,  von  manchen  sogar  noch 
erschwert.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  im  Feldzug  die  Ab¬ 
wehr  von  den  strengen,  höchst  segensreichen  Abstinenzvor¬ 
schriften,  die  bei  der  Mobilmachung  galten,  später  manche 
Schäden  gezeitigt  hat,  die  sich  in  militärischen  Vergehen,  in 
Diensterschwerung  und  auch  in  Verleitung  zu  Sexualinfektionen 
geltend  machten.  Die  gutgemeinten  Empfehlungen  von  alko¬ 
holischen  Liebesgaben  für  die  Kämpfer  im  Schützengraben 
waren  wissenschaftlich  keineswegs  zu  befürworten  ;  übrigens  hat 
der  unmässige  Alkoholgenuss  mehrfach  auch  hinter  der  Front 
und  in  der  Etappe  eine  Rolle  gespielt.  Mit  Unrecht  wurde 
das  russische  Alkoholverbot  verspottet,  das  bei  richtiger  Hand¬ 
habung  eine  bedeutsame  Erhöhung  des  Gefechtswertes  der 
russischen  Truppen  darstellt;  wie  ich  im  vorigen  Herbst  durch 
Rundfragen  in  Lemberg  erhoben,  haben  die  Russen  während 
der  fast  drei  vierteljährigen  Okkupation  das  Alkoholverbot  dort 
sehr  wohl  eingehalten.  Durch  Abgaben  von  anregenden  warmen 
Getränken,  Kaffee,  Tee,  Herba  mate,  schliesslich  auch  von  Rauch¬ 
material,  sollte  den  Truppen  im  Feldzug  sowohl,  Avie  auch  in 
den  folgenden  Friedensjahren,  in  noch  viel  reichlicherer  Weise 
geistige  Anregung  geboten  werden.  Die  Kriegsbüchereien,  die 
in  unseren  den  besten  Boden  finden,  verdienen  alle 
Unterstützung  und  sollten  auch  in  Friedenszeiten  als 
eine  Art  geistiger  Kantine  jeder  Truppe  zur  Verfügung 
stehen.“ 

Beachtenswert  ist  weiterhin  auch,  was  W.  über  das  Jugend- 
lichen-Problem  sagt :  „Leiderist  noch  nicht  einmal  das  Rauch¬ 
verbot  gegen  Jugendliche  allgemein  eingeführt  und  wirksam 
durchgeführt  worden,  das  keineswegs  die  Versagung  eines  harm¬ 
losen  Vergnügens  bedeutet,  sondern  eine  beachtenswerte  Waffe 
gegen  die  Jugenddegeneration  darstellt,  denn  mit  der  ersten 
Zigarette  wird  gewöhnlich  die  unbefangene  Kindersyche  abge¬ 
streift  und  in  dem  Verlangen  des  Jugendlichen,  es  dem  Er¬ 
wachsenen  gleich  zu  tun,  folgt  dem  Rauchen  bald  der  regel¬ 
mässige  Alkoholgenuss  und  der  verfrühte  Geschlechtsverkehr.^ 

Hervorgehoben  sei  schliesslich  auch  noch  die  Forderung 
nach  einer  gründlichen  psychologischen  und  psychiatritischen 
Schulung  jedes  Arztes.  Unter  den  erwünschten  Vorlesungsge- 
genstäuden  wird  dabei  auch  die  Alkoholfrage  genannt. 

R, 

W.  Mayer,  Alkohologene  reflektorische  Pupillenstarre. 

Journ.  f.  Psych.  u.  Neurol.  XXI.  1916,  H.  5/6. 

Bei  einem  seit  mehreren  Jahrzehnten  starken  Alkoholiker, 
der  an  einer  schweren  Polyneuritis  erkrankte,  wurde  eine  voll¬ 
ständige  linksseitige  und  eine  unvollständige  rechtsseitige  Pu¬ 
pillenstarre  festgestellt,  ohne  dass  sich  mit  allen  zur  Verfügung 
stehenden  Methoden  eine  Lues  nachweisen  liess.  Es  handelte 
sich  keineswegs  um  einen  akuten  Rauschzustand.  Die  Neuritis 
ging  auf  die  Behandlung  zurück,  während  sich  der  Pupillenbe- 
fuud  nicht  änderte.  Bei  näherer  Prüfung  liess  sich  jedoch  die 
Pupillenstarre  auf  eine  Störung  im  peripheren,  zentripetalen 
optischen  Apparat  zurückführen,  indem  sich  ein  Defekt  des 
zentralen  Farbensehens  nachweisen  liess,  so  dass  höchstwahr¬ 
scheinlich  eine  retrobulbäre  neuritische  Opticusschädigung  vor¬ 
lag.  Die  bei  chronischem  Alkoholismus  vorkommende  und 
schon  früher  beschriebene  reflektorische  Pupillenstarre  ist  also 
wahrscheinlich  durch  Sehnervenschädigung  bedingt.  Um  bei 
dieser  Frage  zu  einem  endgiltigen  Ergebnis  zu  kommen,  muss 
in  solchen  Fällen  jede  Lues  und  jede  Schädigung  des  peripheren 
optischen  Apparates  ausgeschlossen  werden,  was  bisher  nur  in 
dem  von  Nonne  mitgeteilten  Fall  geschehen  ist. 

R. 


R.  W  e  i  c  h  b  r  o  d  t.  Psychosen  nach  Erysipel.  (Arch. 
f.  Psych  ,  Bd.  56,  H.  3,  S.  826.  1916). 

Abgesehen  von  11  Fällen,  die  als  Delirium  tremens  an¬ 
zusprechen  waren,  wurden  12  Fälle  von  Psychosen  nach  Ery¬ 
sipel,  und  zwar  an  7  Frauen  und  5  Männern,  beobachtet.  Aus 
der  Beobachtung  derselben  ergaben  sich  folgende  Schlussfolge¬ 
rungen  :  Die  Psychose  tritt  nicht  nur  nach  Kopf-  und  Gesichts¬ 
erysipel  auf,  sondern  auch  wenn  das  Erj^sipel  an  einer  anderen 
Stelle  sich  zeigt,  wie  zwei  Fälle  von  Erysipel  am  Kniegelenk 
bzw.  Oberschenkel  zeigen.  Der  Beginn  der  Psychose  liegt  sehr 
verschieden,  hald  im  Anfänge,  bald  auf  der  Höhe,  bald  nach 
dem  Abheilen  des  Erysipels.  Die  Dauer  der  Psychose  zeigt 
grosse  Unterschiede,  sie  schwankt  von  mehreren  Tagen  bis 
mehrere  Wochen.  Bei  allen  Fällen  ist  zum  Schluss  Krank¬ 
heitseinsicht  und  Erinnerung  für  die  krankhaften  Ideen  vor¬ 
handen.  Das  Verhalten  der  Kranken  bietet  kein  einheitliches 
Bild,  die  einen  sind  manisch,  die  anderen  sind  deprimiert;  die 
meisten  zeigen  Verfolgungs-  oder  Versündigungsideen,  auch 
Vergiftungsideen  kommen  vor;  manche  verweigern  die  Nahrung, 
manche  haben  Gehörs-  oder  Gesichtshalluzinationen  ;  4  von  den 
12  Fällen  zeigen  ausgesprochene  Grössenideeu  nnd  sind  ge¬ 
hobener  Stimmung,  allerdings  schlägt  diese  Stimmung  bei  2 
Fällen  nach  einiger  Zeit  um.  Bei  diesen  Fällen  könnte  mau, 
besonders  im  Hinblick  auf  die  Grössenideen,  an  Paralyse  den¬ 
ken.  Die  Psychosen  gehen  alle  in  Heilung  über,  und  die 
Sterblichkeit  ist  ziemlich  gering,  wenn  man  bedenkt,  dass  das 
Erysipel  selbst  eine  Moralität  von  3  bis  11%  haben  soll;  auf 
12  Erkrankungen  wurde  hier  nur  1  Todesfall  beobachtet,  wo¬ 
bei  von  den  Deliranten  abgesehen  wurde. 

W.  Misch-Berlin. 

Friderici,  Über  Dipsomanie,  (Archiv  für  Psychiatrie, 
56.  Band,  2.  Heft,  1916.) 

Nach  einem  geschichtlichen  Rückblick  gibt  Verfasser  die 
Auffassungen  der  verschiedenenen  psychiatrischen  Schulen  wieder 
und  greift  dann  nach  Wiedergabe  von  7  Krankengeschichten, 
die  der  Kieler  Irrenklinik  und  den  letzten  Jahren  entstammen, 
selber  in  die  Polemik  ein.  Der  Standpunkt  der  Ivraepelinschen 
Schule,  dass  die  Dipsomanie  eine  epileptische  Erkrankung, 
einer  Art  von  larvierter  Epilepsie  sei,  sei  völlig  unhaltbar,  Fr. 
neigt  mehr  der  Higierschen  Ansicht  zu,  dass  die  Dipsomanie 
eine  Psychose  sui  generis  sei  und,  was  die  Verstimmungen  der 
Dipsomanen  beträfe,  der  von  Pappenheim  vertretenen  Behauptung, 
dass  dieselben  teils  reaktiv,  teils  primär  wären. 

Wern.  H.  Becker-  Herborn. 

H  i  1  g  e  r ,  Über  Suggestion,  —  Beeinträchtigte  die  Sug¬ 
gestion  die  Freiheit  des  Urteils  und  des  Willens?  (Zeitschrift 
für  Psycho  tlierapie  und  medizinische  Psychologie,  Bd.  VI 
Heft  2,  1914. 

Erinnerungsbilder  beeinflussen  sichtlich  die  Tätigkeit  unserer 
Organe.  Die  Wirkung  wird  hauptsächlich  zu  stände  gebracht 
durch  Gewohnheit  (Uebung),  Vorbild  und  Erwartung.  Recht 
hübsche  Beispiele  illustrieren  diese  seelischen  Vorgänge,  die  sich 
tatsächlich  in  Bewegungen,  Sekretionen  u.  a.  widerspiegeln. 
Auch  unser  Urteil  wird  dadurch  beeinflusst  und  ist  oft  nur  mit 
Aufbietung  eines  kraftvollen  vom  Verstände  gelenkten  Willens 
zu  rektifizieren.  Wo  dieser  Wille  aus  Indolenz,  aus  Becjuem- 
lichkeit  oder  aus  Müdigkeit  nicht  Platz  greift,  da  nimmt  die 
Suggestion  von  uns  Besitz.  Die  Kunst  des  Arztes  besteht  da¬ 
rin,  von  dieser  Suggestion  in  für  den  Kranken  günstigem  Sinne 
Gebrauch  zu  machen,  teils,  indem  er  die  nützlichen  Vorstellungen 
des  Patienten  stärkt,  teils  indem  er  den  schädlichen  entgegen¬ 
zuwirken  strebt. 

Der  Aufsatz  ist  flott  und  unter  möglichster  Vermeidung 
von  abstrakten  Begriffen  und  Fremdwörtern  geschrieben,  auch 
dem  gebildeten  Laien  verständlich,  er  ist  deshalb  nicht  nur 
dem  für  philosophische  Themata  Interessierten  sondern  auch 
dem  Real-Praktiker,  d.  h.  dem  Arzte,  der  lediglich  der  Therapie 
zugeneigt  und  jeglicher  Philosophie  abhold  ist,  zur  Lektüre  zu 
empfehlen.  Wern.  H.  Becker-  Herborn. 

Raecke,  Zur  forensen  Beurteilung  der  katatonischen 
Demenz  (ein  Entmündungsgutachten),  (Archiv  für  Psychiatrie, 
56.  Band,  2.  Heft,  1916.) 

Verfasser  bringt  die  Krankengeschichte  und  in  toto  sein 
Gutachten  über  eine  Frau,  die  an  Dementia  praecox  leidet 


336 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  34- 


jenem  Sammelbegriff  von  Krankheitseinheiten,  die  bekanntlich 
R.  seinerseits  als  Dementia  katatonica  zusammentasst.  Nur 
der  Name  ist  hier  vom  Verfasser  anders  gewählt,  was  ich  fin¬ 
den  Nichtpsyehiater  vorausschicken  muss;  sonst  ist  das  Gut¬ 
achten  sein  instruktiv  und  lehrreich  könnte  und  ohne  Weiteres 
in  jedes  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Psychiatrie  übernommen 
werden.  R.  stellt  sich  in  Gegensatz  zu  einem  Vorgutachter, 
der  auf  Grund  guter  Rechenfähigkeit,  Orientiertheit  über 
Lebensmittelpreise,  Verständnis  für  Geldeswert  und  sonstige 
ihrem  Stande  und  ihrer  Bildung  entsprechende  Kenntnisse 
sich  ablehnend  gegen  die  Notwendigkeit  einer  Entmündigung 
verhalten  hatte,  und  gelangt  genau  zum  gegenteiligen  Schluss. 
Hierbei  dociert  R.,  wie  man  es  anfangen  müsse,  die  typischen 
Krankheitssymptome  aufzudecken.  „Völlig  verkehrt  wäre  es,  j 
vor  allem  das  erhaltene  Schulwissen  als  Massstab  anzusehen.  [ 
Sein  Bestand  hängt  meist  vom  Gedächtnis  ab,  das  so  gut  wie 
unversehrt  sein  kann.  Die  Rechenfähigkeit  mancher  Katatonisch- 
Schwachsinniger  bleibt  in  überraschendem  Umfange  erhalten 
Vielmehr  muss  sich  die  Prüfung  auf  alle  Gebiete 

des  geistigen  Lebens  erstrecken  und  doch  äusserlich  die 
Form  der  Unterhaltung  der  des  Examens  nach  Möglichkeit 
vorziehen.  Nur  dann  geht  auch  der  misstrauische  Kranke  wirklich 
aus  sich  heraus.  Je  mehr  er  aber  redet,  desto  leichter  wird 
die  Beurteilung  sich  gestalten,  und  desto  grösser  ist  das  für 
die  Begründung  der  gewonnenen  Ansicht  zur  Verfügung  stehende 
Material.  Daher  möglichst  nie  unterbrechen!  Daher  möglichst 
alles  wörtlich  mitschreiben!  Je  zerfahrener  und  unverständ¬ 
licher  der  Redestrom  sich  ergiesst,  desto  reicher  gestaltet  sich 

die  Ausbeute . “  So  finden  wir  denn  auch  in  Raeckes 

Aufsatz  bezw.  Gutachten  ein  weitläufiges  aber  recht  instruktives 
Stenogramm  von  dem  echt  schizophrenen  Redestrom 
der  Entmündigenden. 

Wern.  H.  Becker-  Herborn. 


Medikamentöse  Therapie. 

Buccosperin  in  der  Urologie  und  Gynaekologie.  Internes 
hervorragendes  Antigon orrhoicum,  Harnantisepticum  von  diure- 
tischer,  harnsäurelösender  —  daher  auch  bei  Gicht  —  gleich¬ 
zeitig  die  Darmperistaltik  anregender  Wirkung,  auf  Grund 
jahrelanger  Untersuchungen  geschaffen.  Die  Erfahrungen  Ehr¬ 
liches  und  Biirgi’s  waren  die  leitenden  Gedanken. 

Durch  Gebrauch  der  Buccosperin- Kapseln  bei  entzünd¬ 
lichen  Erkrankungen  der  Harnorgane  wird  das  schmerzhafte 
Brennen  beim  Urinieren  in  den  akuten  Entzündungsstadien 
rasch  beseitigt,  der  häufig  auftretende  Harndrang  sehr  schnell 
vermindert,  der  Harn  wird  bald  klar  und  bekommt  saure  Re¬ 
aktion,  ferner  werden  die  eitrige  Serektion  und  die  Entzündungs- 
erscheinungen  der  Harnröhre  beschränkt ;  die  bei  akuter  Go¬ 
norrhoe  'so  häufigen  schmerzhaften  Erectionen  hören  bei  Buc- 
cosperin-Medication  rasch  auf. 

Auch  in  der  Frauenpraxis  hat  sich  Buccosperin  bei  akuter 
und  cbrou.  Gnorrhoe  und  Cystitiden  bestens  bewährt  (ef.  auch 
Lenicet-Bouls  etc.  und  Ester-Dermasan-Ovula). 

Jede  Kapsel  von  0,3  Inhalt  besteht  aus  Bals.  Copaivae 
Maturin  0,2  sowie  aus  Extx-akt.  Bucco  aethereum  (Diuretikum) 
und  den  Harnantisepticis  Salol  Salizyl-,  Benzoe-,  Camphersäure, 
Hexamethylentetramin  ad  0,3.  Exantheme,  Magenstörungen, 
Nieren,  oder  Darmreizungen  sind  dank  des  verwendeten  Bals. 
Copaiv.  Maturin  und  infolge  der  übrigen  Stoffe  ausgeschlossen, 
dazu  kommt,  dass  die  Kapseln  sich  erst  im  Dünndarm  lösen 
und  dort  laugsam  zur  Resorption  gelangen.  —  Dosis:  2-3  stünd¬ 
lich  eine  Kapses. 

Preis :  Schachtel  mit  00  Kapseln  M.  4,50 ; 

Kassenpackung  M.  2, —  (30  Stück.)  Behörden  Sonderpreise. 

Literatur:  1.  Prof.  Dr.  Max  Joseph,  Lehrbuch  der 
Geschlechtskrankheiten,  VII.  Aufl.  (neueste)  S.  41 1.  2.  F  r  a  n  k  1, 
B.  kl.  W.  1911,  Nr,  13.  —  3.  G  r  a  v  e,  Fol.  urol.  1911,  Bd.  6. 
—  4.  Karo,  D.  m.  W.  1911,  Nr.  14. 

Holste.  Die  comblnferte  Digltallstherapie.  D.  Med. 
W.  Nr.  25. 

Da  das  Adrenalin  genau  wie  Digitalis  den  Herzmuskel 
selbst  angreift  (daneben  hat  es  auch  eine  Verengerung  der 


Kapillaren  zur  Folge),  so  beschäftigte  sich  der  Autor 
mit  der  Frage,  wie  die  beiden  Mittel  zusammen  gegeben 
wirken,  und  er  fand,  dass  diese  sich  „in  energischer 
Weise  potenzierten“.  Da  das  Adrenalin  im  kreisenden  Blut 
sehr  „labil“  ist,  so  muss  man  die  beiden  Mittel  synchron  geben, 
wenn  man  ein  Optimum  der  Wirkung  erzielen  will.  Es  wird 
nicht  nur  die  Systole  voller,  sondern  die  Diastole  wird  eben¬ 
falls  grösser.  Auf  Grund  seiner  Experimente  kommt  H.  zur 
Empfehlung  der  „Kombination  eines  Herzmittels  mit  dem 
Suprarenin  zur  intravenösen  Anwendung  in  der  ärztlichen 
Praxis“.  Bo  e  n  h  ei  in. 

Boas.  Über  „Glycerinersatz“  bei  Obstipationszu¬ 
ständen.  D.  Med.  W.  Nr.  2. 

Das  von  Prof.  Neuberg  hergestellte  Perglycerin  ist 
ein  vollwertiger  Ersatz  des  alten  Glycerins  und  wird  von 
B.  sehr  gelobt 

Medikamentöse  Therapie.  Unter  der  Bezeichnung  Antiar- 
thryl  findet  eine  50  prozentige  Melubrinlösung  neuerdings  bei 
der  intravenösen  Behandlung  des  akuten  und  chronischen  Ge¬ 
lenkrheumatismus  und  verwandter  Zustände  erfolgreiche  An¬ 
wendung.  Dr.  Kurt  Habbey-Kiel-Wik  berichtet  hierüber  in 
der  Therapeut.  Monatschrift  1 9 1 6,  S.  230.  Es  beeinflusst  bei 
frühzeitiger  Anwendung  den  Gelenkrheumatismus  schnell  und 
sicher;  bei  chronischen  Zuständen  kommt  es  darauf  an,  ob 
bereits  destruktive  Gelenkveränderungen  vorliegen  oder  nicht. 
Irgend  welche  schädigenden  Eigenschaften  können  dem  Antiar- 
thryl  nicht  zugeschrieben  werden.  Die  wirksamste  Anwendungs¬ 
weise  ist  die  intravenöre  Injektion. 

Über  Arsen-Hämatose,  besonders  bei  Operierten  berichtet 
Dr.  W.  Hertel,  München  in  „Die  Heilkunde“  XX.  Jahrgang, 
Nr.  1.  Er  wendete  es  in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen  und 
zwar  ausschliesslich  bei  Frauen  an,  die  grössere  Eingriffe 
hinter  sich  hatten  und  zwar  schon  am  2  ,  nach  Laparatomien 
am  3.  Tage,  beginnend  mit  kleinen  Dosen,  die  er  nach  und 
nach  steigerte.  Der  Appetit  nahm  nach  der  Darreichung  zu, 
die  Nahrungsaufnahme  wurde  reichlicher  und  leichter  verdaut. 
Die  Alkoholmenge  ist  gering,  da  das  Präparat  aus  abgelager¬ 
tem  Dalmatinerwein  besteht,  dem  organisches  Eisen  und 
Sol  fowl.  zugesetzt  ist.  Die  Veröffentlichungen  gründen  sich 
auf  die  Erfahrungen,  die  mit  dem  Präparat  in  der  pädiatrischen 
und  psychiatrischen  Klinik-München  sowie  in  dem  Wilhelminen- 
Krankenhause  in  Wien  gemacht  wurden.  Arsen-Hämatose 
kommt  auch  in  Verbindung  mit  Gnajakol  in  den  Handel. 

Von  dem  von  Schnirer  herausgegebenen  Taschenbuch  der 
Therapie  (Verlag  Kurt  Kabitzsch,  Würzburg)  ist  die  12.  Aus¬ 
gabe  erschienen.  Sie  bringt  verschiedene  Neuerungen,  unter' 
anderen  den  vielen  Militäräzten  sicherlich  besonders  erwünschten 
Abschnitt :  Feldärztliche  Erfahrungen,  der  kurz  aber  vollkom¬ 
men  genügeud  das  Wichtigste  aus  der  Kriegschirurgie  bringt. 
Der  therapeutische  Jahresbericht  ist  zwar  weniger  gross  als 
gewöhnlich  ausgefallen  infolge  des  Fehlens  der  Mitteilungen 
aus  dem  feindlichen  Ausland.  Immerhin  bringt  er  über  100 
neue  therapeutische  Vorschläge  mit  genauer  Litteraturangabe. 
Das  neue  Taschenbuch  der  Therapie  wird  sich  einer  ebenso 
grossen  Verbreitung  erfreuen  wie  seine  Vorgänger. 

Myokardol  in  Verbindung  mit  Ergotin  und  Koffein 
bringt  die  Firma  Dr.  R.  &  Dr.  O.  Weil,  Fabrik  ehern,  pharm. 
Präparate,  Frankfurt  a.  M.  in  Form  von  Tabletten  und  in 
Lösung  in  Ampullen  in  den  Handel.  Dr.  Weile  veröffentlicht 
in  der  Münchener  med.  Wochenschrift  seine  Erfolge  mit  dem 
neuen  Präparate,  das  er  als  einen  Fortschritt  für  die  Therapie 
der  Myokarditis,  Arteriosclerose  und  Herzneurose  bezeichnet. 
Durch  die  kräftige  Kombinationswirkung  des  Ergotin-Koffeins 
auf  die  unwillkürlichen  Muskelfasern  wirkt  das  Myokardol 
auch  noch  in  den  Fällen,  wo  Digitalis  und  dessen  Derivate 
versagten.  Das  Herz  kann,  nach  den  Mitteilungen  des  Ver¬ 
fassers,  durch  eine  Myokardolkur  bei  Zeichen  von  Herzbe¬ 
schwerden,  Intermittenz  des  Pulses  usw.  infolge  von  einer  De¬ 
generation  des  Herzmuskels  oder  eines  schweren  Klappenfehlers 
wieder  nach  kurzer  Zeit  reguliert  werden  ;  es  tritt  wieder  nor¬ 
male  Herzaktion  ein  falls  nicht  schon  extreme  Zustände  vor¬ 
handen  sind. 

Die  Dosierung  ist  zweckmässig  3 — 4  Tabletten  pro  Tag 
in  der  ersten  Woche  täglich,  in  der  zweiten  einen  Tag  um  den 


Nr.  34 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


337 


andern,  in  der  dritten  Woche  alle  3  Tage  bei  6—8  wöchiger 
Dauer  der  Verabreichung  wenn  nötig  alternierend  mit  der  In¬ 
jektion  von  1/2  bis  1/1  Ampulle  jeden  zweiten  Tag. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

K.  Hasebroek.  (Hamburg).  Der  Tonvibrator. 
(Zeitschr.  f.  physik.  u.  diätet.  Therapie  XX.  1916,  Heft  2, 
Seite  51  —  53. 

Die  Instrumeutenbaufirma  G.  A.  Buschmann  in  Hamburg  22 
bat  ein  lyraförmiges  Instrument  zusammengesetzt,  mit  dessen 
Hilfe  man  durch  Drehen  einer  Kurbel  beliebig  geformte  An¬ 
satzstücke  in  Vibrationen  versetzen  kann.  Die  Schwingungen 
zeichnen  sich  durch  eine  gewisse  Weichheit  aus,  weil  fast  alle 
Teile  des  kleinen  Apparates  aus  Holz  gefertigt  sind.  Je  nach 
den  Ansatzstücken  kann  Pat.  sich  selbst  Ohr,  Hals,  Kehlkopf, 
Stirn,  Scheitel,  sogar  den  Brustkorb  vibrieren  lassen.  Erprobt 
ist  das  handliche  Instrument  noch  nicht.  Aber  die  In¬ 
dikationen  lassen  sich  unschwer  ableiten. 

Buttersack. 


Bücherschau. 

S  t  e  r  n ,  Über  die  traumatische  Entstehung  innerer  Krank¬ 
heiten.  (2.  neubearbeitete  Aufl.  3.  Heft.) 

Mit  der  vorliegenden  Lieferung  ist  das  für  jeden  gutacht¬ 
lich  tätigen  Arzt  unentbehrliche,  grundlegende  Werk  von  Stern 
in  seiner  zweiten  Auflage  fertig  bearbeitet.  Der  Herausgeber 
Schmitt- Breslau  hat  es  verstanden,  die  neue  Auflage  ganz  im 
Sinne  des  Autors  auf  Grund  der  neueren  Forschungen  umzu¬ 
arbeiten.  Gerade  die  vorliegende  Lieferung,  „in  der  die  Krank¬ 
heiten  der  Bauchorgane,  des  Stoffwechsels  und  des  Blutes“  be¬ 
arbeitet  sind,  musste  eine  erhebliche  Erweiterung  erfahren,  da 
die  Fortschritte  der  Bauchchirurgie  die  Kasuistik  und  damit 
unsere  Erfahrungen  über  diese  Verletzungen  in  sehr  wertvoller 
Weise  bereichert  haben. 

Dieser  einfache  Hinweis  auf  das  Buch  genügt.  Vieler 
empfehlender  Worte  bedarf  das  Buch  von  Stern  nicht. 

Dr.  E.  M.  K  r  o  n  f  e  1  d.  Krieg  und  Soldat  in  der 

Spruchweisheit.  Sentenzen  aus  3  Jahrtausenden  von  Heraklit 
bis  Hindenburg.  Hugo  Schmidt  Verlag,  München. 

Gerade  zur  Jetztzeit  eine  ausserordentlich  interessante 
chronologisch  geordnete  Zusammenstellung  :  Aussprüche  von  Philo¬ 
sophen,  Staatsmännern,  Heerführern,  kurz  von  allen  hervor¬ 
ragenden  Führern  und  Leitern  der  Menschheit,  Volks-  und 
Kunstlieder  und  Waffeninschriften.  Das  dauernd  sehr  wert¬ 
volle  Werk  ist  in  jeder  Beziehung  der  weitesten  Verbreitung 
würdig,  namentlich  an  der  Front.  v.  Schnizer. 

Taschenkalender  für  Aerzte.  Begründet  von  Stabsarzt 
a.  D.  Lorenz.  Herausgegeben  von  Sanitätsrat  Dr.  Paul 
Rosenberg,  Berlin.  —  29.  Jahrg.  1916.  Verlag  für 
Fachliteratur,  Berlin-Wien.  Preis  inkl.  4  Quartals-Kalender¬ 
hefte  2,50  Mk. 

Der  vorliegende  Aerztekalender  von  Lorenz-Rosenberg  ge¬ 
hört  zu  den  ältesten  seiner  Art  in  Deutschland  und  hat  da¬ 
durch  seine  Güte  von  selbst  erwiesen.  Der  neue  Jahrgang 
hat  das  alte  bewährte  System  beibehalten  und  das  tägliche 
Rüstzeug  des  Arztes,  das  er  nach  allen  Seiten  der  Praxis  bie¬ 
tet,  revidiert  und  den  neuen  Forschungen  entsprechend  ergänzt 
und  erweitert.  Im  besonderen  ist  das  der  Fall  bei  dem  thera¬ 
peutischen  und  Krankheitsregister,  bei  den  Calorieen-Tafeln 
und  den  wissenschaftlichen  Abhandlungen  von  Blaschko,  Herz¬ 
feld  und  Lachmann.  Die  formulae  magistrales  sind  nach  der 
neuesten  Ausgabe  ergänzt  und  auch  die  Anleitung  für  die 
Untersuchungen  von  Blut,  Harn  und  Sputum  usw.  aufs  neue 
erweitert.  Der  gut  eingeführte  Kalender  wird  sich  sicher  bei 
jedem  Praktiker  aufs  neue  bewähren,  und  wir  empfehlen  seine 
Verwendung  wie  in  früheren  Jahren  so  auch  jetzt,  angelegent¬ 
lichst.  R. 


S  o  b  o  t  t  a,  Atlas  der  deskriptiven  Anatomie  des  Men¬ 
schen.  Band  4,  III.  Abteilung,  Das  Nerven-  und  Gefässystem 
und  die  Sinnesorgane  des  Menschen.  Nebst  Anbang:  das 
Lymphsystem  des  Menschen.  II.  vermehrte  und  verbesserte 
|  Auflage.  Preis  gut  gebunden  Mk.  20, — .  Lehmann’s  Verlag 
München. 

Nach  Inhalt  und  Bildschmuck  reiht  sich  dieser  Band  des 
Sobotta’shcen  Atlas  würdig  seinen  Vorgängern  an.  Der  Text 
ist  sehr  sorgfältig  redigiert,  klar,  und  hebt  überall  das  wissens¬ 
werteste  prägnant  hervor.  Beim  Betrachten  der  geradezu 
plastisch  wirkenden,  ausgezeichneten  Abbildungen  kommt  man 
nicht  umhin,  immer  wieder  den  Fortschritt  der  Technik  zu  be¬ 
wundern,  wenn  man  z.  B.  den  alten  Heitzmann’schen  Atlas 
zum  Vergleiche  heranzieht,  der  uns  Älteren  beim  Studium 
Führer  und  Berater  war. 

Übrigens  ist  die  Anschaffung  vom  Sobotta’schen  Atlas 
nicht  nur  den  Studenten,  sondern  auch  dem  praktischen  Arzt 
sehr  zu  empfehlen.  Er  wird  in  ihm  einen  zuverlässigen 
und  wertvollen  Helfer  haben.  In  dieser  Beziehung  sei  beson¬ 
ders  auch  auf  die  Beschreibung  des  Lympbgefässsystems  hin¬ 
gewiesen,  das  von  so  hoher  klinischer  Bedeutung,  in  den 
anatomischen  Lehrbüchern  meist  reichlich  zu  kurz  kommt. 

R. 

Dr.  med.  Eisenstadt  (Berlin),  Beiträge  zu  den 
Krankheiten  der  Postbeamten.  Fünfter  Teil.  Berlin  1916. 
Verlag:  Deutscher  Postyerband,  Berlin  NO  18,  Gr.  Frank¬ 
furter  Str.  53. 

Die  vorliegende  Arbeit  veröffentlicht  die  statistischen  Er¬ 
gebnisse  der  Sterbekarten  des  Verbandes  mittlerer  Reichs-,  Post- 
und  Telegraphenbeamten  aus  den  Jahren  1909  —  1913  und 
führt  damit  die  wissenschaftliche  Ausnutzung  der  Sterbekarten 
von  1903 — 1908  weiter.  Der  Schluss  bringt  die  bereits  in  der 
Deutschen  Postzeitung  erschienenen  Abhandlungen  über  die 
zeitgemässe  Frage  „Kinderarmut  und  Beamtenstand“,  sowie  ein 
vollständiges  Literaturverzeichnis.  Besonders  ist  aus  dem  In¬ 
halt  hervorzuheben  die  steigende  Sterblichkeit  der  mittleren 
Postbeamten,  der  ein  sichtlicher  Rückgang  der  Tuberkulose 
gegen  übersteht.  Das  Buch  zeigt,  welchen  Wert  für  die  wirt¬ 
schaftliche  Lage  der  Beamten  wahrheitsgemässe  Aufzeichnungen 
besitzen.  Diese  Erkenntnis  halten  bereits  die  ersten  Führer 
der  Verbandsbewegung,  wie  aus  Winters  Geschichte  des  Ver¬ 
bandes  hervorgeht.  Immer  mehr  muss  auch  jeder  einzelne  Be¬ 
amte  zur  Würdigung  der  Statistik  und  namentlich  der  Krank¬ 
heitsstatistik  gelangen.  Die  genaue  Ausfüllung  der  Sterbe¬ 
karten  ermöglicht,  den  Krankheitsursachen  nachzuforschen  und 
Wege  zur  Krankheitsverhütung  zu  finden.  Die  schon  früher 
vom  Verfasser  nachdrücklich  betonte  Forderung  der  Frühehe 
wird  auch  an  dem  Material  des  Zeitabschnittes  1909  —  1913, 
sowohl  vom  individuell-,  als  auch  sozialhygienischen  Standpunkt 
aus  als  richtig  erwiesen.  Für  Ärzte  und  Bevclkerungspolitiker, 
für  Versicherungsmedizin  und  soziale  Hygiene  bringt  die  Ar¬ 
beit  zahlreiche  Lehren  und  Anregungen.  Auch  den  Beamten, 
Lehrern,  Privatbeamten,  kurz  der  geistigen  Arbeiterschaft  wird 
es  die  Notwendigkeit  des  wirtschaftlichen  Zusammenschlusses, 
die  Abhängigkeit  der  Krankheiten  der  Postbeamten  von  deren 
sozialen  Lage  —  Spätehe  und  Gehaltsregelung  —  klar  vor 
Augen  führen.  R. 

Kaufmann,  Handbuch  der  Unfallmedizin,  mit  Be- 
rüchsichtigung  der  deutschen, österreichischen,  schweizerischen, 
französischen  Arbeiter-,  der  Privat-  und  Unfallversicherung. 

II.  Baud.  Unfallerkrankungen,  Unfalltodesfälle.  Stuttgart, 
Verlag  von  Ferdinand  Enke,  1915.  Preis  Mk.  24,  — . 

Mit  Ungeduld  haben  schon  lange  alle  Besitzer  des  I. 
Bandes  des  Kaufmann’schen  Werkes  das  Erscheinen  des  II. 
Bandes  erwartet.  Wer  gutachtlich  tätig  ist,  weiss  das  Kauf- 
mann’sche  Buch  neben  den  landläufigen  Handbüchern  sehr 
wohl  zu  schätzen,  und  wird  den  hier  geholten  Rat  gern  in  der 
Praxis  zur  Anwendung  bringen. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Zeitverhältnisse  musste  sich  Refe¬ 
rent  einstweilen  mit  einer  eingehenderen  Durchsicht  und  der  Lek¬ 
türe  einzelner  Abschnitte  des  Buches  begnügen.  Danach  lässt  sich 
aber  schon  sagen,  dass  auch  der  II.  Teil  des  Werkes  als  sehr 
wohl  gelungen  bezeichnet  werden  kann,  und  es  ist  zu  begrüssen, 
dass  Kaufmann  selbst  das  Gebiet  der  inneren  Erkrankungen  be- 


338 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  34. 


arbeitet  hat.  Verfugt  er  doch  nicht  nur  über  eine  ausgedehnte 
praktische  Erfahrung,  sondern  auch  über  eine  sehr  genaue  Ge¬ 
setzes-  und  Literaturkenntnis. 

Der  Verlagsbuchhandlung  gebührt  unser  Dank,  dass  sie 
trotz  des  augenblicklich  wenig  günstigen  Zeitpunktes  den  um¬ 
fassenden  II.  Land  des  Kaufmaun’schen  Werkes  hat  erscheinen 
lassen.  —  R. 

Hendel-Peters,  Die  neusten  Arzneimittel  und  ihre 
Dosierung,  einschliesslich  Serum  und  Organtherapie.  VIL 
Auflage,  Leipzig  und  Wien,  Franz  Deutike,  1915. 

Nachdem  der  verdiente  Verfasser  der  früheren  Auflage 
dieses  Huches  —  San  -Rat  Dr.  Hermann  Peters,  Bad  Elster  — 
mitten  unter  der  Vorbereitung  für  eine  neue  Auflage  im  Mai 
1915  vom  Tode  ereilt  ist,  hat  es  Hendel  unternommen,  das 
vorhandene  Material  zur  neuen  Auflage  zu  bearbeiten  und  zu 
ergänzen.  Die  Notizen  über  die  einzelnen  aufgeführten  Heil¬ 
mittel  sind  kurz,  klar  und  das  Praktische  hervorhebend.  Auch 
scheint  das  Buch,  wie  Stichproben  ergeben,  ziemlich  lückenlos 
fast  alle  neueren  Medikamente  zu  berücksichtigen.  Besonders 
verdienen  die  genauen  Dosierungsangaben  hervorgehoben  zu 
werden,  da  man  diese  bei  ähnlichen  Sammlungen  öfters  ver¬ 
misst.  —  R 

Adam,  Prof.  Dr.  C.  Die  Behandlung  von  Kriegsver¬ 
letzungen  und  Kriegskrankheiten  in  den  Heimatlaza¬ 
retten.  2.  Teil.  Vierzehn  Vorträge  in  Berlin  während 
des  Krieges  1915  gehalten.  Mit  10  Abbildungen  im 
Text.  Seitenzahl  240.  Verlag  von  Gustav  Fischer  in 
Jena,  1916.  Preis  brosch.  Mk.  4,  geb.  Mk.  5. 

Der  Fortbilduugskursus  für  Aerzte  in  der  sozialen  Medizin 
vom  1. — 13.  Dezember  1913  in  Berlin.  Aus  den  „Ver¬ 
öffentlichungen  „aus  dem  Gebiete  der  Medizinalverwaltung. 
Im  Aufträge  Seiner  Exzellenz  des  Herrn  Ministers  des 
Inneren  herausgegeben  von  der  Medizinalabteiluug  des 
Ministeriums.  V.  Band.  3.  Heft.  Verlag  von  Richard 
Schoetz  —  Berlin  1915.  Seitenzahl  150.  Preis 
Mk.  4,50. 

Joachim-Korn.  Die  preussische  Gebührenordnung  für 
approbierte  Aerzte  und  Zahnärzte,  vom  15.  Mai  1896. 
Für  die  Bedürfnisse  der  ärztlichen  und  zahnärztlichen 
Praxis  erläutert.  Dritte  gänzlich  umgearbeitete  Auflage. 
Seitenzahl  246.  Verlag  von  Oskar  Coblenz  —  Berlin. 
Preis  geh.  Mk.  10,  geb.  Mk.  11. 

N  e  u  k  a  m  p  ,  Dr.  Ernst.  Die  Rechtsstellung  der  Verfasser 
von  Beiträgen  zu  Sammelwerken.  Johannes  Wörner’s 
Verlag  —  Leipzig  1913.  Seitenzahl  36. 

S  p  i  e  s  s  ,  Dr.  Gustav.  Kurze  Anleitung  zur  Erlernung 
einer  richtigen  Tonbildung  in  Sprache  und  Gesang.  Dritte 
erweiterte  Auflage.  Verlag  7011  Johannes  Alt  -  Frankfurt 
a.  M.  1916.  Seitenzahl  21. 

T  h  i  e  m  ,  Dr.  Ing.  G.  Keimfreies  Wasser  fürs  Heer.  Mit 
9  Abbildungen.  Verlag  der  Internationalen  Zeitschrift 
für  Wasser  -  Versorgung,  Leipzig,  Plagwitzerstrasse  9. 
Seitenzahl  64. 

W  e  b  e  r  ,  Dr.  Hans.  Ansiedelung  von  Kriegsinvalideu.  Aus 
den  „Politischen  Flugschriften“.  Herausgegeben  von 
Ernst  Jäckh.  Deutsche  Verlagsanstalt  Stuttgart  —  Berlin 
1916.  Seitenzahl  36.  Preis  50  Pfg. 

Wolffheim,  Nelly.  Die  Beeinflussung  und  Beschäftigung 
kranker  Kinder,  (unter  besonderer  Berücksichtigung 
Nervöser).  Anregungen  für  Krankenschwestern,  Kinder- 
pflegerinnen  und  Mütter.  Verlag  von  L.  Oehmigke  — 
Berlin.  Seitenzahl  140.  Preis  geb.  Mk.  2. 

W  e  y  e  r  t  ,  Stabsarzt  Dr.  Militär  -  Psychiatrische  Beobach¬ 
tungen  und  Erfahrungen.  Aus  der  Sammlung  zwangloser 
Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nerven-  und  Geistes¬ 
krankheiten.  Verlag  Karl  Marhold  —  Halle  a./Saale. 
Seitenzahl  145.  Einzelpreis  des  Heftes  Mk.  3,60. 


Wichtige  gerichtliche  Entscheitungen. 

(N  achdruck  verboten.) 
Prozessneurose  und  Unfallhaftung. 

Der  Kläger  behauptet,  am  29.  November  1911  während 
einer  Eisenbabnfahrt  von  Nakel  nach  Tempelburg  durch  das 


plötzliche  Bremsen  des  Zuges  und  den  dadurch  verursachten  Ruck 
mit  dem  Kopfe  so  heftig  gegen  die  Wand  des  Abteils  geschlagen 
zu  sein,  dass  er  Verletzungen  des  Hinterkopfes  und  der 
Schulter,  vor  allem  aber  einen  heftigen  Nervenchok  erlitten 
habe,  der  dauernd  seine  Erwerbsfähigkeit  erheblich  beeinträchtige. 
Er  verlange  vom  Beklagten  Ersatz  der  Heilungskosten  sowie 
Zahlung  einer  einmaligen  Abfindung  von  7u000  Mark  Das 
Landgericht  hat  den  Klageanspruch  dem  Grunde  nach  festge¬ 
stellt,  das  Oberlandesgericht  dagegen  nur  die  Heilungskosten 
und  den  Erwerbsverlust  bis  zum  29.  November  1912  zuge- 
billigt  Die  gegen  dieses  Urteil  eingelegte  Revision  wurde 

vom  Reichsgericht  zurückgewiesen  mit  folgender 
©  ©  © 

Begründung: 

Der  Streit  der  Parteien  bewegt  sich  für  die  vom  Kläger 
beschrittene  Revisionsinstanz  allein  darum,  ob  das  Berufungs¬ 
gericht  mit  Recht  die  Folgen  des  Unfalls  für  die  Gesundheit 
und  für  die  Erwerbsfähigkeit  des  Klägers  auf  die  Zeit  eines 
Jahres  beschränkt  und  die  Nervenkrankheit,  au  der  der 
Kläger  nach  seiner  Behauptung  fortdauernd  leidet,  aus  dem 
ursächlichen  Zusammenhänge  mit  dem  Unfall  ausgeschaltet 
hat.  Es  ist  Frage  der  Feststellung  des  einzelnen  Falles,  ob 
zwischen  einem  Unfälle  und  einer  zeitlich  nach  diesem  ent¬ 
standenen  Erkrankung  des  Verletzten  ein  ursächlicher  Zu¬ 
sammenhang  im  Rechtssinne  besteht  oder  nicht.  Die  rechtliche 
Voraussetzung  für  die  Annahme  eines  solchen  ist  nach  der 
Entscheidung  des  erkennenden  Senats,  dass  der  Unfall  nicht 
nur  die  äussere  Veranlassung  für  die  Erkrankung  bildete, 
sondern  einen  Körperzustand  selbst  ursächlich  herbeiführte, 
aus  dem  dann  die  spätere  Erkrankung  sich  entwickelte.  Für 
die  sogen.  Prozessneurose,  die  Nervenerkrankung,  die  die 
dauernde  und  eindringliche  Besehäftung  mit  dem  Entschädigungs¬ 
anspruch  im  Verletzten  hervorruft,  ist  ein  ursächlicher  Zusammen¬ 
hang  mit  dem  Unfall,  der  eine  Körperverletzung  zur  Folge 
hatte,  überall  da  anzunehmen,  wo  die  Körperverletzung  selbst 
nervöse  Krankheitserscheinungen  hervorgerufen  hat,  die  durch 
die  Prozessaufregung  dann  verschlimmert  wurden,  oder  wo 
zwar  eine  nervöse  Erkrankung  zunächst  nicht  hervortrat,  der 
allgemeine  Krankheitszustand  aber  dann  eine  nervöse  Er¬ 
schöpfung  lierausbildete ;  er  besteht  nicht,  wenn  die  durch  die 
Verletzung  verursachte  Krankheit  geheilt  oder  geschwunden 
war,  und  später  allein  der  Prozess  auf  Grund  einer  vor¬ 
handenen,  aber  nicht  durch  den  Unfall  erzeugten  oder  ver¬ 
schlimmerten  nervösen  Anlage  die  Nervenaufregung  erzeugte. 
Im  gegebenen  Falle  hat  der  Unfall  zwar  vorübergehende  ner¬ 
vöse  Erscheinungen  geringerer  Art  bei  dem  Kläger  unmittelbar 
hervorgerufen ;  er  war  aufgeregt  und  in  trüber  weinerlicher 
Stimmung.  Das  Berufungsgericht  nimmt  aber  an,  dass  nach 
dem  Befunde  der  Verletzung  und  der  Krankheitserscheinungen, 
die  sie  erzeugte,  der  Unfall  das  gegenwärtige  nervöse  Leiden 
des  Klägers  nicht  hervorgerufen  haben  könne  und  nicht  hervor¬ 
gerufen  habe,  der  Zustand  vielmehr  allein  durch  die  Prozessauf¬ 
regung  als  die  alleinige  selbständige  Ursache,  wahrscheinlich  auf 
Grund  einer  schon  vor  dem  Unfälle  vorhanden  gewesenen 
neurasthenischen  Veranlagung,  entstanden  sei.  Der  Revision 
ist  darin  beizustimmen,  dass  für  die  Frage  des  ursächlichen 
Zusammenhanges  die  weitere  Frage,  ob  der  Verletzte  in  die 
Zwangslage  versetzt  war,  seinen  Schadensersatzanspruch  im 
Rechtswege  zu  verfolgen,  oder  ob  er  selbst  die  Aufregungen 
des  Prozesses  schuldhaft  durch  Eigensinn  oder  durch  Ueber- 
spannung  seiner  Forderungen  herbeigeführt  hat,  zunächst  ohne 
Bedeutung  ist.  Erst  wenn  tatsächlich  festgestellt  ist,  dass  der 
Unfall  und  die  von  ihm  bewirkte  Körperverletzung  auch  nervöse 
Krankheitserscheinungen  hervorgerufen  hat,  aus  denen  sich 
möglicherweise  die  „Prozessneurose“  entwickeln  konnte, 
kommt  als  weiteres  Mittelglied  die  Zwangslage  der  Rechtsver¬ 
folgung  in  Betracht,  um  tatsächlich  den  Zusammenhang 
herzustellen.  Und  dann  erst  ist  auch  für  den  Einwand  des 
mitwirkenden  eignen  Verschuldens  des  Verletzten  durch  Er¬ 
hebung  übertriebener  Ansprüche  Raum.  Da  im  gegebenen 
Falle  jene  Möglichkeit  in  tatsächlicher  Würdigung  unanfecht¬ 
bar  verneint  ist,  kommt  es  auf  die  Richtigkeit  und  die  prozess¬ 
gerechte  oder  prozesswidrige  Feststellung  der  Umstände,  ob  eine 
Zwangslage  für  den  Kläger  bestand,  nicht  weiter  an. 

Urteil  des  RG.  vom  7.  Okt.  1915.  VI.  176.  1915. 

(Mitgeteilt  von  Dr.  Hans  Bert  hold,  Leipzig.) 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


33.  Jahrgang 


1915/16. 


Tortscbrim  der  Hledizin. 


Unter  mitwirkung  hervorragender  Tad)männer 


L.  Brauer, 

Hamburg 


L.  von  Criegern, 

Hildesheim. 

C.  L.  Rehn. 

Frankfurt  a/M. 


herausgegeben  von 

L.  Edinger, 

Frankfurt  a/M 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 

H.  Vogt* 

Wiesbaden. 


ö.  Köster, 

Leipzig 


Verantwortliche  Schrittleitung:  Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


Nr.  35. 


Erscheint  am  10..  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  -  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  ü.  m.  b  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


20.  September 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Strahlenbehandlung  der  Myome  des  Uterus. 

Von  Dr.  Sieden  topf  -  Magdeburg. 

Die  Strahlenbehandlung  der  Myome  setzt  sich  heute 
zusammen  aus  der  Behandlung  mit  Röntgenstrahlen  und 
aus  der  Behandlung-  mit  Strahlen  radioaktiver  Sub- 
stanzen. 

Nachdem  zuerst  Albers-Schönberg  im  Jahre  1903 
die  Wirkung  der  Strahlen  auf  die  männliche  Keimdrüse 
und  nach  ihm  zahlreiche  Forscher  dieselbe  auf  die  weib¬ 
liche  Keimdrüse  festgestellt  hatten  und  nachdem  die  histo¬ 
logischen  Veränderungen  im  Ovarium  von  Reifferscheidt 
und  anderen  Forschern  untersucht  waren,  lag  die  Rönt- 
genstrahlen-Behandlung  derjenigen  Affektionen  der  weib¬ 
lichen  Genitalien,  deren  Heilung  mit  der  Atrophie  der 
Ovarien  herbeigeführt  werden  kann,  auf  der  Hand,  also 
vor  allem  der  klimakterischen  Blutungen  und  Myome. 
Hatte  man  doch  schon  früher  aus  gleichen  Überlegun¬ 
gen  bei  diesen  kranken  Frauen  die  Ovarien  entfernt. 
(Hegar.)  Myombestrahlungen  wurden  schon  von  1902  ab  in 
Deutschland  von  Deutsch,  in  Amerika  von  William  James 
Morton  und  in  Frankreich  von  Foveau  de  Courmelles 
ausgeführt.  Die  Erfolge  waren  aber  so  wenig  ermuti¬ 
gend,  daß  eine  weitere  Verbreitung  der  Methode  aus¬ 
blieb.  Es  fehlte  noch  ein  System,  in  der  Tiefe  der 
Ovarien  oder  des  Tumors  so  große  Röntgenenergien 
wirksam  werden  zu  lassen,  daß  die  Atrophie  der  Ovarien 
oder  die  Zerstörung  des  Myomgewebes  sicher  damit  er¬ 
reicht  worden  wäre.  Erst  die  Resultate,  welche  im 
Jahre  1908  Albers  Schönberg  mitteilte  und  die  genaue 
Schilderung  seiner  Methode,  dann  vor  allem  die  im 
Jahre  1909  veröffentlichten  Erfolge  der  Freiburger  Kli¬ 
nik  durch  Gauß,  verschafften  der  Strahlenbehandlung 
in  der  Gynäkologie  zahlreiche  Anhänger  und  verursach¬ 
ten  eine  sehr  schnelle  Entwicklung  und  Vervollkommung 
der  Technik. 

Die  besten  Erfolge  hat  bisher*)  die  Freiburger  Klinik 
erreicht,  denn  bei  300  Myomen,  die  sie  der  Strahlenbe¬ 
handlung  unterzog,  war  "sie  nicht  einmal  gezwungen, 
zur  Operation  zu  schreiten  und  nur  in  3  Fällen  bestand 
noch  nach  Abschluß  der  Behandlung  eine  geringe  blu¬ 
tige  Sekretion.  Dieses  glänzende  Resultat  wurde  durch 
die  Intensivbestrahluug  nach  Gauß  in  der  letzten  Zeit 
innerhalb  D/i  Monaten  bereits  erreicht.  Schneller  hat 
auch  eine  weitere  Steigerung  der  Strahlenmengen,  wie 
sie  jüngst  in  der  Wertheim’schen  Klinik  versucht  ist, 
nicht  zum  Ziele  geführt.  Wesentliche  Nachteile  hat 
Gauß  bei  seiner  Methode  nicht  beobachtet.  Bis  auf 
gewisse  Schädigungen  des  Allgemeinbefindens,  die  in 

*)  Die  Zusammenstellung  stammt  aus  der  Zeit  vor  Februar  1914 


Kopf-,  Kreuzschmerzen,  Brechreiz  und  Erbrechen  be¬ 
standen,  sind  weder  nennenswerte  Schädigungen  der 
Haut,  noch  der  gesunden  inneren  Organe,  noch  die 
von  verschiedenen  französischen  Forschern  mitge¬ 
teilten  Spätreaktionen  beobachtet  worden.  Der  ein¬ 
zige  Nachteil  der  Gauß’schen  Methode  besteht  in  der 
außerordentlichen  Verschwendung  von  Strahlenenergie 
Nacli  Lazarus  werden  durch  3  mm  starke  Alumium- 
Filter  bereits  99 °/0  der  erzeugten  Strahlenenergie  ver¬ 
nichtet.  Dazu  kommt,  daß  von  den  vielen  kleinen  Ein¬ 
gangspforten  aus  große  Strahlenmengen  in  den  Körper 
hinein  gesandt  werden,  die  die  Ovarien  überhaupt  nicht 
treffen. 

Andere  Forscher  haben  zwar  viel  geringere  Ener¬ 
giemengen  zu  fast  gleich  guten  Resultaten  gebraucht 
wie  Gauß,  so  : 

W  e  i  t  z  e  1- Dresden  unter  21  Myomen  20  Amenorr¬ 
hoe,  5  —  600  xs; 

Klein:  35  Fälle,  alle  geheilt,  5  100  xs; 

Albers-Schönberg:  78  %  Heilung,  60  bis 
100  xs;  höchste  Dosis  390  xs,  niedrigste  17  xs ; 

Reifferscheidt:  von  38  Fällen  31  geheilt, 
3  operiert,  im  Mittel  430  xs,  höchste  Dosis  640  xs; 

Gauß  dagegen  im  Durchschnitt  1480  xs, 
doch  sind  sie,  in  so  kurzer  Zeit  wie  Gauß,  nicht  zum  Ziele 
gelangt,  und  ferner  läßt  sich  bei  der  Verschiedenheit 
der  Technik  —  die  einen  benutzen  Felder  von  3  4, 

die  andern  von  6  cm  Durchmesser  und  darüber  —  x 
durchaus  nicht  gleich  x  setzen,  sodaß  die  angegebenen 
Zahlen  nicht  ohne  weiteres  einen  Rückschluß  auf  die 
dem  Körper  einverleibten  Strahlenmengen  gestatten. 
Trotzdem  bleibt  die  große  Verschwendung  von  Strahlen¬ 
energie  der  schwächste  Punkt  der  Gauß’schen  Methode 
und  macht  sie,  was  für  viele  Kliniken  von  großer  Be¬ 
deutung  ist,  in  hohem  Maße  unwirtschaftlich.  Die 
Mittel,  die  man  bisher  angegeben  hat.  die  Gauß’sche 
Technik  abzuändern,  wie  die  schwingende  Röhre  nach 
Meier  oder  die  wandernde  Röhre  nach  Müller  und  Janus, 
müssen  noch  weiter  ausprobiert  werden  und  ebenso 
leisten  bis  jetzt  die  unterstützenden  Methoden  :  durch  Dia¬ 
thermie  zur  Sensibilisierung  der  zu  bestrahlenden  Or¬ 
gane  und  die  Desensibilisierung  der  Haut  durch  Kom¬ 
pression  und  Anwendung  von  Adrenalin  zu  wenig,  um 
die  Bestrahlung  selber  wesentlich  zu  entlasten. 

Es  lag  daher  auf  der  Hand,  zur  Bestrahlung  der 
Myome  jene  zweite  Strahlenart  heranzuziehen,  die  durch 
radioaktive  Substanzen  erzeugt  wird.  Schon  Oudin  und 
Verchere  hatten  in  Frankreich  Myome  mit  Radium¬ 
strahlen  erfolgreich  behandelt.  In  Deutschland  war 
ihnen  zuerst  F'riedländer,  später  Nahmmacher  gefolgt, 


340 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


N  r;  35 


der  14  Myome  bestrahlte  und  in  10  Fällen  Amenorrhoe, 
in  2  Fällen  Oligomenorrhoe  erreichte  und  2  Mal  ope¬ 
rieren  mußte.  Noch  bessere  Erfolge  hatte  in  Frankreich 
Beclere,  der  unter  60  Fällen  58  mal  Amenorrhoe  und 
2  mal  Oligomenorrhoe  erreichte.  Dieser  legte  mehr 
Wert  auf  die  Bestrahlung  des  Myoms  als  auf  die  der 
Ovarien. 

In  Deutschland  ist  außer  dem  Radium  auch  das 
Mesothorium  zur  Myombestrahlung  verwandt  worden 
und  so  besonders  wieder  von  der  Freiburger  Klinik, 
welche  die  Behandlung  von  102  Myomen  und  Metropa- 
thien  veröffentlicht  hat.  Sie  erzielte  dabei  in  100  Fällen 
Heilung,  in  2  Fällen  blieben  die  Patientinnen  während  der 
Behandlung  fort.  Durchschnittlich  wurde  bei  der  Kom¬ 
bination  von  Röntgen-  und  Mesothorium-Strahlen  die 
Ileilnng  nach  3  Röntgensitzungen  und  2  Mesothorium- 
Applikationen  erreicht.  Es  wurde  ein  Mesorthorium- 
Präparat  von  50  mgr  Radiumbromid-Aktivität  anfangs 
in  die  Cervix,  später  nur  noch  in  die  Scheide  eingelegt. 
Die  Applikation  wurde  in  der  Weise  ausgeführt,  daß 
das  Präparat  in  einem  Gold-Filter  von  1—2  mm  Durch¬ 
messer  2 — 3  mal  24  Stunden  in  die  Scheide  eingelegt 
wurde,  dann  wurde  eine  Pause  von  2 1/2  -  3  Wochen 
gemacht,  Behandelt  wurden  alle  Fälle  ohne  Rücksicht 
auf  Komplikationen,  so  z.  ß.  eine  Patientin  mit  einem 
Haemoglobin-Gehalt  von  18  °/0.  Nachteilige  Folgen 
wurden  in  Störungen  des  Allgemeinbefindens  gesehen  : 
Uebelkeit,  Brechreiz  und  FTbrechen.  Temperatursteige¬ 
rungen  in  7  %,  Blasenstörungen  in  2  ü/,.  Ferner  Ery¬ 
theme  der  Scheidenschleimhaut  bis  zur  Nekrose  und 
zwar  traten  diese  Erytheme  erst  am  10.  Tage  bei  reiner 
G-Strahlung  ein  und  waren  nach  3 — 4  W^ochen  wieder 
verschwunden.  Gauß  hat  bei  der  kombinierten  Behand¬ 
lung  schnellere  Blutstillung  gesehen,  wie  bei  der  Rönt¬ 
genbestrahlung  allein. 

Gleichfalls  berichtet  Voigt-Dresden  über  Kombina¬ 
tion  von  Röntgen-  und  Mesothoriumstrahlen  bei  Myomen. 
Derselbe  sah  dabei  vielfach  böse  Folgen  :  Verbrennungen 
der  Vaginalschleimhaut,  Exsudate  im  Douglas,  Entzün¬ 
dungen  der  Rectumschleimhaut. 

Da  die  Technik  der  Bestrahlung  mit  Mesothorium 
bei  gutartigen  Tumoren  noch  nicht  so  Allgemeingut  ist 
wie  die  mit  Röntgenstrahlen,  so  ist  es  notwendig,  auf 
diese  näher  einzugehen.  Die  Strahlenwirkung  ist 
abhängig 

1.  von  der  Menge  der  radioaktiven  Substanz, 

2.  von  der  Applikationsdauer  und 

3.  von  dem  Filter. 

Zunächst  die  radioaktive  Substanz:  Gauß  wandte 
50  mgr  an  und  hält  diese  Menge  für  durchaus  genügend, 
was  bei  dem  hohen  Preise  des  Mesothoriums  von  Ge¬ 
wicht  ist. 

Zweitens  hängt  die  Strahlenwirkung  natürlich  von  der 
Applikationsdauer  ab  und  es  ist  von  größter  Bedeutung,  die 
Zeitdauer  zu  bestimmen,  die  eine  genügende  Wirkung 
ermöglicht,  andererseits  aber  noch  nicht  zu  lang  ist,  um 
die  gesunden  Gewebe  der  Nachbarschaft  in  Gefahr  zu 
bringen, 

Drittens  ist  die  Wirkung  abhängig  von  der  Be¬ 
schaffenheit  des  Filters.  Die  Filterfrage  steht  nach  den 
Untersuchungen  von  Keetmann  &  Meier  noch  sehr  leb¬ 
haft  zur  Diskussion.  Wenn  die  physikalischen  Unter¬ 
suchungen  dieser  Forscher  bei  der  Anwendung  der 
Strahlen  im  Körper  sich  bestätigen,  so  ist  es  leicht, 
bei  der  Myombestrahlung,  bei  der  wir  nur  T-Strahlung 
gebrauchen  können,  das  richtige  Filter  zu  wählen.  Wir 
haben  dann  nur  die  Aufgabe,  die  cc-  und  ^-Strahlung 
abzufiltrieren  und  eine  möglichst  homogene  T-Strahlung 
in  die  Ovarien  und  das  Myomgewebe  zu  senden.  Dieses 
würde  man  nach  den  beiden  Forschern  durch  Filter  von 
Leichtmetallen  erreichen  und  zwar  genügte  ein  Messing¬ 
filter  von  1  mm  oder  ein  Aluminium-Filter  von  3  mm 


Durchmesser.  Die  Strahlen,  die  hier  noch  hindurch¬ 
treten,  sollen  nach  Keetmann  &  Meier  dem  Gewebe 
gegenüber  homogen  sein  und  zwar  werden  in  jedem 
Centimeter  Gewebsschicht  ca.  10  "/0  der  noch  vorhan¬ 
denen  T-Strahlen  absorbiert.  Je  näher  wir  also  mit 
unserem  Präparat  an  die  Ovarien  und  den  Tumor  her- 
angehen,  umso  größere  Mengen  der  T-Strahlung  werden 
für  unsere  Zwecke  wirsam  werden. 

Die  Lokalisation  der  Strahlenquelle  würde,  wenn 
wir  den  llauptwert  auf  die  Zerstörung  des  Ovarialge- 
w'ebes  legen,  das  Scheidengewölbe  sein.  Die  Nachteile, 
welche  die  Mesothorium-Strahlen  bei  dem  Ausgang  vom 
Scheidengew'ölbe  besonders  in  der  Rectumschleimhaut, 
dann  aber  auch  in  der  Scheide  und  in  der  Blase  hervor- 
rufen  können,  werden  sich  nach  Abfiltrierung  der 
schwachen  Sekundärstrahlen,  welche  das  Messing-  oder 
Aluminium-Filter  erzeugt,  nur  dadurch  verhüten  lassen, 
daß  man  die  Zeitdauer  der  Applikation  niemals  über  die 
Grenze  der  Unschädlichkeit  oder  geringen  Schädlichkeit 
ausdehnt.  Bestimmte  Werte  lassen  sich  zunächst  dafür 
garnicht  angeben,  sondern  der  einzelne  ist  darauf  an¬ 
gewiesen,  die  Wirkungen  seines  Präparates  zu  beobachten. 


Nummer 

Alter  j 

Lichtminuten 

(m.Rythmeur) 

Oberflächen- 

Dosis 

Mgrstd. 

Mesothorium 

Verhalten  des  Tumors 

1. 

2# 

3. 

4. 

5. 

G. 

7. 

8. 
9. 

10. 

37 

43 

40 
25 

39 

32 

22 

44 
34 

41 

755 

135 

G4 

467 

430 

135 

250 

630 

180 

70 

499  xs 
43  xs 

60  xs 
261  xs 

305  xs 

48  xs 
75  xs 
252  xs 
112  xs 

90  xs 

Myom  kleiner,  Oligomenorrhoe 
Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 
effugit 

Myom  unverändert,  Oligome¬ 
norrhoe 

Myom  verschwunden,  Oligo¬ 
menorrhoe 

Myom  kleiner,  Oligomenorrhoe 
effugit 

Myom  kleiner,  Oligomenorrhoe 
Myom  verschwunden,  Oligome¬ 
norrhoe 

Blutung  stärker,  Operation 

11. 

39 

875 

362  xs 

10  1 1 8  Vs 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

12. 

44 

275 

154  xs 

846  % 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

13. 

40 

1981 

957  xs 

5  541  >/j 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

14. 

46 

770 

290  xs 

1  787% 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

15. 

27 

1030 

411  xs 

2  392 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

IG. 

44 

720 

3lo  xs 

990 

60  mg 

Myom  kleiner,  Oligomenorrhoe 

17. 

42 

300 

160  xs 

5  496  y4 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

18. 

43 

1210 

554  xs 

13  394  3/4 

60  mg 

Myom  verschwuuden,  Amenor¬ 
rhoe 

19. 

40 

635 

414  xs 

5  250  7, 

60  mg 

Myom  kleiner,  Amenorrhoe 

20. 

45 

210 

116  xs 

2  084  1  /2 

60  mg 

Myom  kleiner,  Oligomenorrhoe 

21. 

47 

415 

245  xs 

2  664  3/ 4 

60  mg 

Uterus  myomat.  kleiner,  Oligo¬ 
menorrhoe 

22. 

43 

395 

ISO  xs 

1  560 

60  mg 

Uterus  myomat.  kleiner,  Ame¬ 
norrhoe 

23. 

44 

580 

258  xs 

18  7883/j 

60  mg 

Uterus  myomat.  Amenorrhoe 

24. 

48 

320 

1 60  xs 

1 1  233  3/4 

60  mg 

Myom  kleiner,  Oligomenorrhoe 

25. 

48 

460 

•243  xs 

7  590 

60  mg 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

Myom  verschwunden,  Amenor¬ 
rhoe 

26. 

40 

300 

108  xs 

2  268  3 /4 

60  mg 

Ich  habe  nun  in  den  letzten  :,/4  Jahren  bis  März 
1914  26  Myome  der  kombinierten  Bestrahlung  unter¬ 
worfen  und  dabei  folgende  4  echnik  angewendet. 

1.  Röntgen-Strahlen:  ich  bestrahlte  nur  von  den 
Bauchdecken  aus.  Fokushaut-Abstand  anfangs  26  cm, 
jetzt  18  cm,  3  mm  Aluminium-Filter,  10 — 11  Wehnelt 
harte  Röhren,  Zahl  der  Felder  8 — 12,  Durchmesser  6  cm 
Dosis  pro  Feld  anfangs  10  xs,  später  15—20  xs,  jetzt 
25  30  xs.  Die  gesamte  Dosis  wurde  innerhalb  2 


Nr  35. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDZIIN. 


341 


Tagen  gegeben,  dann  3  Wochen  Pause.  In  dieser  Zeit 
wurde  ein  Mesothorium-Präparat  von  60  mgr  Radium¬ 
bromid-Aktivität  jeden  2 — 3.  Tag  12  Stunden  lang  in 
das  hintere  Scheidengewölbe  eingelegt.  Dasselbe  war 
anfangs  in  ein  2  mm,  später  in  ein  1  mm  dickes  Blei¬ 
filter  eingeschlossen.  Die  Sekundärstrahlen  wurden  durch 
eine  3  mm  dicke  Mullschicht,  Fließpapier  und  Gummi- 
kordom  abfiltriert.  In  letzter  Zeit  ist  ein  1  mm  dickes 
Messingfilter  verwendet  worden,  über  welches  nur  ein 
Gummikondom  herübergezogen  wird.  Die  Resultate 
gehen  aus  der  aufgestellten  Tabelle  genau  hervor. 

Die  Prinzipien,  nach  denen  die  Bestrahlung  der 
Myome  vorgenommen  wurde,  ergaben  sich  aus  den 
eigenen  Erfahrungen,  welche  wir  mit  der  Strahlenbe¬ 
handlung  klimakterischer  Blutungen  zuvor  gemacht  hat¬ 
ten  und  aus  den  Erfahrungen  anderer,  die  in  der  Lite¬ 
ratur  niedergelegt  waren.  Eine  große  Anzahl  von 
Myomen  treten  in  unsere  Behandlung  erst  dann,  wenn 
die  Anaemie  einen  erschreckend  hohen  Grad  erreicht 
hat.  Da  es  nun  im  Anfang  der  Strahlenbehandlung 
in  meiner  Klinik  selten  gelang,  gleich  die  erste  Men¬ 
struation  abzuschwächen,  so  mußten  von  der  Behandlung 
alle  diejenigen  Fälle  ausgeschlossen  werden,  die  einen 
nochmaligen  stärkeren  Blutverlust  nach  unserer  Ansicht 
nicht  vertragen  konnten.  Ferner  mußten  alle  diejenigen 
Fälle  operiert  werden,  wo  soziale  oder  rein  äußere  Rück¬ 
sichten  ein  wiederholtes  Behandeln  unmöglich  machten 
und  schließlich  noch  einige,  wo  eine  gewisse  Scheu  vor 
dem  Unbekannten  nicht  zu  überwinden  war. 

Von  den  26  bestrahlten  Fällen  haben  sich  2  vor¬ 
zeitig  der  Behandlung  entzogen,  1  Fall  ist  operiert,  die 
übrigen  sind  geheilt.  Unter  Heilung  verstehe  ich  aller¬ 
dings  im  Gegensatz  zu  Gauß  auch  das  Eintreten  von 
Oligomenorrhoe.  Ich  bin  der  Ansicht,  daß  es  bei  jün¬ 
geren  Individuen  von  Wert  ist,  geringe  menstruelle 
Blutungen  auch  bei  der  Strahlenbehandlung  wenn  irgend 
möglich  zu  erhalten.  Besonders  soll  man  diese  gerin¬ 
gen  Blutungen  dann  nicht  unterdrücken,  wenn  sich  zu¬ 
gleich  ein  Kleinerwerden  des  Myoms  festeilen  läßt. 
Die  einzige  Gefahr,  die  in  diesem  Falle  dann  noch  be¬ 
steht  ist,  das  von  Neuem  beginnende  Wachstum  des 
Myoms  und  die  Wiederkehr  der  Blutungen.  Bisher 
haben  wir  dies  bei  den  kombiniert  bestrahlten  Frauen 
niemals  beobachtet.  Im  Gegenteil  hat  sich  bei  mehreren 
Kranken,  die  mit  Oligomenorrhoe  aus  der  Behandlung  ent¬ 
lassen  waren,  später  Amenorrhoe  eingestellt.  Es  läßt 
sich  diese  Erscheinung  vielleicht  so  erklären,  wie  es  ja 
auch  von  verschiedenen  Seiten  in  letzter  Zeit  bereits 
geschehen  ist,  daß  durch  die  Strahlen  zuerst  das  Tei¬ 
lungsvermögen,  d.  h.  also  die  Generationskraft  der  Zelle 
geschädigt  wird,  während  die  reine  Vitalität  sich  wider¬ 
standsfähiger  erweist.  Mit  der  Zeit  sterben  dann  die 
sterilen  Zellen  ab  und  da  keine  neuen  Zellen  mehr  ent¬ 
stehen,  kommt  es  jetzt  zur  nachträglichen  Schrumpfung 
und  funktionellen  Zerstörung  des  Ovariums.  Durch¬ 
schnittlich  habe  ich,  wie  aus  der  Tabelle  hervorgeht, 
für  die  Heilung  meiner  Myome  2 73  xs  gebraucht.  Die 
geringste  Menge  betrug  43  xs,  die  höchste  957  xs.  An 
Milligrammstunden  betrug  der  Durchschnitt  5750'  /2, 
die  geringste  Menge  8641/,,,  die  höchste  18  7 883 /4.  Die 
Größe  der  Myome  schwankte  zwischen  Kastanien-  bis 
Kopfgröße.  Einen  ausschlagebenden  Einfluß  bedeutet 
die  Größe  für  das  mehr  oder  weniger  refraktäre  Ver¬ 
halten  des  Tumors  nicht.  Ebensowenig  konnte  ich 
keinen  wesentlichen  Einfluß  des  Alters  auf  den  Verlauf 
der  Behandlung  feststellen.  Dabei  ist  es  allerdings  wohl 
nicht  ohne  Bedeutung,  daß  die  älteste  der  behandelten 
Kranken  erst  48  Jahre  alt  war.  Besondere  Erwähnung 
verdient  noch  Fall  2: 

Die  43  jährige  Patientin  litt  infolge  eines  kleinen 
wallnußgroßen  Myoms  der  vorderen  Uteruswand  an  un¬ 
regelmäßigen  starken  Blutungen.  Bei  ihr  wurden  9  Fel¬ 


der,  jedes  mit  5  xs,  bestrahlt.  Die  Patientin  sollte  nach 
den  folgenden  Menses  zur  2.  Bestrahlung  kommen,  kam 
aber  erst  nach  6  Wochen.  Die  Menses  waren  nicht 
eingetreten,  der  Uterus  war  klein,  das  Myom  verschwun¬ 
den.  Es  ist  dieses  einer  der  radiosensibelen  Fälle,  von 
denen  fast  jede  Statistik  einen  oder  mehrere  aufweist. 
Da  sie  jedoch  Ausnahmefälle  bilden,  so  können  sie  un¬ 
sere  Methode  nicht  beeinflussen. 

Die  nachteiligen  Folgen  betanden  in  Reizzuständen 
der  Scheidenschleimhaut,  die  in  einigen  Fällen  nach  Ab¬ 
heilung  zu  leichten  Strikturen  im  Scheidengewölbe  ge¬ 
führt  haben,  ferner  in  vorübergehenden  Reizzuständen 
der  Blase  und  in  solchen  der  Rectumschleimhaut.  Hier 
beobachtete  ich  häufig  erst  nach  Monaten  stärkere 
Schleimabgänge,  zuweilen  mit  Blut  gemischt.  Dieselben 
heilten  in  allen  Fällen  bis  auf  einen  in  kurzer  Zeit  ab, 
in  diesem  besteht  noch  heute  ein  Dickdarmkatarrh  und 
eine  fühlbare  Verdickung  der  Rectumwand  in  der 
Höhe  des  hinteren  Scheidengewölbes.  Solche  Erfahrun¬ 
gen  haben  uns  veranlaßt,  mit  der  Anwendung  des  Me¬ 
sothorium-Präparates  auszusetzen,  sobald  sich  die  ge¬ 
ringsten  Reizerscheinungen  seitens  der  Vaginalschleim¬ 
haut  einstellen.  Die  Erfolge  sind  sonst  im  Laufe  der 
Zeit  so  günstige  geworden,  daß  wir  von  einer  kritischen 
Auswahl  der  Fälle  immer  mehr  und  mehr  haben  ab¬ 
gehen  und  in  letzter  Zeit  die  meisten  Myome  mit  der 
Strahlenbehandlung  haben  heilen  können. 


Ueber  Werkstättenlazarette. 

Von  Dr.  R  i  g  1  e  r  -  Darmstadt. 

In  dem  dem  Reservelazarett  I  in  Darmstadt  unter¬ 
stellten  Vereinslazarett  Landheim  Eberstadt  wurde  be¬ 
reits  im  Herbst  1914  damit  begonnen,  geeignete  Kriegs¬ 
beschädigte  in  Werkstätten  zu  beschäftigen.  Diese 
Einrichtung  war  dadurch  erleichtert,  daß  schon  im 
Frieden  bei  den,  dem  Landheim  Eberstadt  überwiesenen 
Unfallverletzten  der  industriellen  Betriebe,  ein  Haupt¬ 
gewicht  darauf  gelegt  worden  war,  die  funktionelle 
Heilung  durch  abgestufte,  allmählich  zunehmende  Arbeit 
in  den  zu  diesem  Zweck  eingerichteten  Werkstätten  zu 
vervollkommen.  Es  war  hierbei  bereits  im  Frieden  der 
Grundsatz  maßgeblich  gewesen,  wenn  irgend  möglich, 
den  betreffenden  Verletzten  bei  seinem  alten  Handwerk 
anzustellen,  und  nur  wenn  dies  nicht  möglich  war,  ihm 
ein  neues  beizubringen. 

ln  dieser  Beziehung  waren  z.  Bsp.  besonders  gute  Er¬ 
fahrungen  mit  dem  Erlernen  der  Arbeit  auf  der  Strick¬ 
maschine  gemacht  worden. 

Das  gleiche  Prinzip  ist  auch  bei  der  Beschäftigung 
der  Kriegsbeschädigten  zur  Durchführung  gekommen. 

Von  vornherein  wurde  auf  alles  das  verzichtet,  was 
mehr  der  Beschäftigungstherapie  zugerechnet  werden 
muß,  wie  sie  in  andern  Lazaretten  vielfach  geübt  wird. 
Solche  Beschäftigung  wie  Deckenknüpfen  und  Flecht¬ 
arbeiten  herstellen,  kann  zwar  über  manche  Stunden  des 
Müßigganges  hinweghelfen,  es  ist  aber  doch  nicht  ein¬ 
zusehen,  wie  etwas  derartiges  später  dem  Kriegsbeschä¬ 
digten  praktisch  nützen  kann. 

Im  Vereinslazarett  Landheim  Eberstadt  wurde  aber 
gerade  auf  diesen  Punkt  besondere  Rücksicht  genommen 
und  stets  die  Kriegsbeschädigten  nur  in  solchen  Hand¬ 
fertigkeitsarbeiten  oder  Werkstättenbeschäftigungen  un¬ 
terwiesen,  welche  ihnen  ev.  später  noch  von  Nutzen 
sein  könnten. 

Hierher  kann  in  erster  Linie  gerechnet  werden : 
das  Flechten  von  Stühlen,  das  Herstellen  von  Korb¬ 
waren,  die  Bürstenmacherei,  die  Fertigstellung  von 
Papparbeiten,  Tütenkleben,  leichte  Ilolzarbeiten, 


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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  35 


Spielzeugfabrikation  und  anderes  mehr.  —  Für  Kriegs¬ 
beschädigte,  die  noch  etwas  mehr  leisten  konnten,  kam 
dann  in  erster  Linie  die  Beschäftigung  in  der  Schreinerei, 
in  der  Schuhmacherei  und  an  der  Strickmaschine  in 
P'rage. 

Im  letzten  Sommer  wurde  neu  eingeführt  jje  Seiden- 
raupenzucht,  die  ein  recht  gutes  Resultat  zeitigte,  und 
die  wohl  dazu  geeignet  erscheint,  einer  Reihe  von 
schwerer  Kriegsbeschädigten  späterhin  einen  guten 
Nebenerwerb  zu  schaffen.  Allerdings  ist  hierzu  not¬ 
wendig,  daß  sehr  sorgfältige  Anleitung  der  betreffenden 
Kriegsbeschädigten  vorhergeht,  da  sonst  Fehlschläge 
unausbleiblich  sind.  Dafür  Vorsorge  zu  treffen,  daß 
nur  gesunde  Seidenraupenstämme  gezüchtet  werden, 
wird  Aufgabe  der  zu  diesem  Zweck  gegründeten  Orga¬ 
nisationen  sein. 

Die  Zucht  von  Seidenraupen  würde  sich  später 
wohl  in  erster  Linie  für  solche  Kriegsbeschädigte  eignen, 
die  in  Heimstätten  angesiedelt  werden.  Von  der 
Kleintierzucht,  vom  Gartenbau,  auch  unter  Zuhi'ilfenahme 
der  Kriegsrente  wird  die  Familie  des  Kriegsbeschädig¬ 
ten  niemals  leben  können.  Dazu  wird  immer  ein  Neben¬ 
erwerb  notwendig  sein.  Neben  dem  Seidenbau  eignet 
sich  hierzu  sehr  gut  die  Bienenzucht,  welche  gleichfalls 
im  „Landheim  Eberstadt  ‘  jetzt  eingerichtet  werden  soll. 

Ganz  fortgelassen  wurde  im  „Landheim  EberstadO 
die  Beschäftigung  der  Kriegsbeschädigten  an  kompli¬ 
zierten  Maschinen,  erstens,  weil  die  Mittel  zur  An¬ 
schaffung  solcher  nicht  vorhanden  waren,  und  zweitens, 
weil  die  Kriegsbeschädigten  doch  später  derartige  Ma¬ 
schinen  meist  nicht  zur  Verfügung  haben. 

•  •  Ö  Ö 

Es  schien  uns  dies  auch  aus  dem  Rahmen  der 
Lazarettbehandlung  herauszufallen.  Man  muß  doch 
hier  Verschiedenes  unterscheiden.  Zunächst  die  reine 
Beschäftigungstherapie,  wie  sie  in  vielen  Lazaretten 
geübt  wird,  die  aber,  wie  bereits  oben  erwähnt  wurde, 
für  das  spätere  Leben  des  Kriegsbeschädigten  wenig 
Zweck  hat.  Zweitens  kommt  die  praktische  Werkstätten¬ 
arbeit  in  Betracht,  wie  sie  bei  uns  zur  Durchführung 
kam  und  wie  sie  mehr  oder  weniger  später  für  jeden 
Kriegsbeschädigten  von  Nutzen  ist.  Es  sei  hier  noch  ein¬ 
geschaltet,  daß  wir  natürlich  auch  Gartenbau  und 
Geflügelzucht  betrieben  haben. 

Neben  dem  praktischen  Nutzen  für  später,  den 
eine  derartige  Anleitung  den  Kriegsbeschädigten  ge¬ 
währt,  ist  aber  in  erster  Linie  Zweck  der  Lazarett¬ 
beschäftigung  doch  der.  das  Selbstvertrauen  der  Kriegs¬ 
beschädigten  zu  heben  und  die  Freude  an  der  Arbeit 
zu  erwecken,  sowie  dem  einzelnen  einen  höheren  Be¬ 
griff  von  dem  ihm  verbliebenen  Rest  seiner  Arbeits¬ 
fähigkeit  zu  geben. 

Es  kann  sich  bei  der  Lazarettbehandlung  stets  nur 
darum  handeln,  entweder  einen  Nebenerwerb  des  be¬ 
treffenden  Mannes  herauszufinden  und  ihm  hierin  einige 
Fertigkeit  beizubringen,  oder  die  Grundlage  für  einen 
späteren  Beruf  zu  geben.  —  Nicht  die  Aufgabe  des 
Lazarettes  kann  es  aber  doch  sein,  die  vollständige 
Durchbildung  eines  gelernten  Arbeiters  herbeizuführen, 
hierzu  ist  in  fast  allen  Fällen  längere  Zeit  erforderlich, 
als  wie  die  Mannschaften  in  den  Lazaretten  bleiben 
können,  und  hierfür  müßten  noch  mehr,  wie  es  bisher 
geschehen  ist,  Fabrikbetriebe  gewonnen  werden.  Diese 
sollten  sich  bereit  erklären,  die  aus  den  Werkstätten¬ 
lazaretten  Entlassenen  aufzunehmen,  und,  wenn  auch 
zunächst  gegen  geringe  Vergütung,  ebenso  wie  die 
andern  Arbeiter  voll  zu  beschäftigen. 

Sehr  schön  würde  es  im  sozialen  Sinne  zweifellos 
sein,  wenn  die  zu  entlassenden  Mannschaften  aus  einem 
bestimmten  Bezirk  sämtlich  vor  ihrer  definitiven  Ent¬ 
lassung  einem  Werkstättenlazarett  für  kurze  Zeit  zuge¬ 
führt  werden  könnten,  damit  hier  mit  ihnen  durch  den 
Leiter  des  Werkstättenlazarettes  ihre  Zukunft  eingehend 


besprochen  werden  könnte,  und  nun  von  hier  aus  die 
Fühlungnahme  mit  den  in  Frige  kommenden  Behörden, 
Organisationen  und  Fabrikbetrieben  erfolgte.  In  enger 
persönlicher  Fühlungsnahme  mit  dem  Kriegsbeschädigten 
würde  sich  sicher  hier  manches  Ersprießliche  an  prak¬ 
tischer  sozialer  Arbeit  erzielen  lassen. 

Auf  eine  weitere  spätere  Bedeutung  der  Werk¬ 
stättenlazarette  darf  auch  vielleicht  auch  an  dieser  Stelle 
noch  kurz  hingewiesen  werden.  —  Soweit  die  äußeren 
Verhältnisse  im  gegebenen  Fall  hierfür  geeignet  wären, 
würden  diese  Lazarette  zweifellos  ausgezeichnete  Mittel¬ 
punkte  abgeben  für  die  in  Kolonien  anzusiedelnden 
Kriegsbeschädigten.  Eine  derartige  Kolonie  braucht 
sich,  worauf  bereits  lange  vor  Ausbruch  des  Krieges 
von  hier  aus  hingewiesen  werden  konnte,  —  als  es  sich 
um  die  Ansiedelung  von  im  Frieden  Verunglückten 
handelte,  —  einen  Mittelpunkt  mit  Werkstätten  der  ver¬ 
schiedensten  Art,  wo  einmal  die  angesiedelten  Kriegs¬ 
beschädigten  Reparaturarbeiten  für  ihre  eigene  Heim¬ 
stätte  ausführen  können,  andererseits  aber  auch  in 
ihrer  freien  Zeit  lohnende  Beschäftigung  finden.  Diese 
Zentralstelle  müßte  je  nach  den  vorhandenen  Umständen 
an  die  ihr  angegliederten  Kolonisten  Arbeit  ausgeben. 
Sei  es  nun,  daß  Gartenbau  im  größerem  Maßstab  zu 
betreiben  wäre,  oder  daß  leichte  industrielle  Tätigkeiten 
in  Frage  kämen. 

Durch  eine  solche  Zentralstelle  würde  sich  auch  die 
Einführung  von  Hausindustrien  bei  den  Kolonisten 
wesentlich  erleichtern  lassen,  wie  z.  Bsp.  die  oben 
erwähnte  Spielzeugindustrie,  Seidenraupenzucht,  Bürsten¬ 
fabrikation  und  anderes  mehr.  — 


Zur  Behandlung  verunreinigter  Wunden  mit 
chlorhaltigen  Wundpulvern,  insbesondere  dem 

Vulnussan. 

Von  Dr.  W.  Münch,  Oberarzt  d.  R.,  in  Frankfurt  a.  M. 

In  einer  kleinen  Arbeit,  die  ich  vor  einem  Jahre 
in  der  Deutschen  Medizinischen  Wochenschrift  ver¬ 
öffentlichte,  wies  ich  darauf  hin,  daß  die  erste  Ver¬ 
sorgung  der  Wunden  mit  einem  Notverband 
durch  das  keimfreie  Verbandpäckchen  in  recht  erfreu¬ 
licher  Weise  ermöglicht  sei,  daß  aber  das  Auftreten 
zahlreicher  Starrkramptfälle  immerhin  eine  gewisse 
V erbesserungsbedürftigkeit  unseresHeil Verfahrens anzeige. 
Die  jüngsten  Auslassungen  namhafter  Chirurgen  zeigen 
klar  die  Aenderung  unserer  früheren  Ansichten  über 
Wund  Versorgung. 

So  meint  von  Bruns,  daß  sich  beim  Übergang  des 
Bewegungs-  in  den  Stellungskrieg  ein  völliger  Um¬ 
schwung  in  der  Art  vollzogen  habe,  daß  die  Zahl  der 
keimhaltigen  Schusswunden  enorm  überwiegt  und  dem¬ 
entsprechend  auch  die  Wundbehandlung  eine  völlig 
andere  geworden  ist.  An  Stelle  des  einfachen  Schema¬ 
tismus  ist  die  individuelle  Behandlung  nach  allen  Regeln 
der  Friedensantiseptik  getreten.  Man  teilt  die  Wunden 
vom  praktischen  Gesichtspunkte  aus  in  zwei  Haupt¬ 
gruppen  ein. 

Die  glatten  Schußwunden  der  Kleinkalibergewehre 
gelten  im  praktischen  Sinne  als  nicht  infiziert. 
Sie  werden  mittelst  der  durch  die  Verbandpäckchen 
vorbereiteten  A  s  e  p  t  i  k  rasch  geteilt. 

Schußwunden  durch  Gewehrgeschosse  aus  der  Nähe 
und  durch  Artilleriegeschosse  weisen  immer  mehr  oder 
weniger  schwere  Infektionen  auf.  Sie  sind  das  Feld  der 
Antiseptik.  Die  meisten  andern  Autoren  äußern  sich 
in  ähnlichem  Sinne. 

Um  eine  wirksame  Methode  der  Behandlung  in- 


N  r.  35 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


343 


(izierter  Wunden  zu  erhalten,  muß  man  sich  vor  allem 
die  Entstehungsbedingungen  der  Infektion  klar  machen 
Durch  jede  Verwundung  kommt  es  zu  einer  Schädigung 
der  Gewebe  und  Herabsetzung-  ihrer  Widerstandskraft 
(Faihrt).  Der  Blutumlauf  hört  mehr  oder  weniger  aut. 
Es  kommen  weder  weiße  Blutkörperchen  noch  gelöste 
Schutzstoffe  an  die  Bakterien  heran  oder,  wenn  dies 
wirklich  der  Fall  sein  sollte,  dann  oft  in  ungenügendem 
Maße.  Auch  die  so  ungemein  wichtige  Zufuhr  des 

arteriellen  und  atmosphärischen  Sauerstoffs  schwindet. 
Weiterhin  verbraucht  das  absterbende  Gewebe  den  bei 
ungestörtem  Kreislauf  zugeleiteten  Sauerstoff.  So  ent¬ 
stehn  trotz  arterieller  Zufuhr  die  Wachstumsbedingungen 
für  anaerobe  (z.  B.  Tetanus-,  Gasbrand)  und  aerobe 
Bakterien.  Wir  können  das  Fortschreiten  der  Infektion 
auf  zweierlei  Weise  bekämpfen:  Einmal,  indem  wir 

die  Kampfmittel  des  Organismus  gegen  die  Erreger  in 
jeder  Beziehung  unterstützen,  zum  andern,  indem  wir 
die  Wunden  selbst  mit  solchen  chemischen  Stoffen  be¬ 
handeln,  die  die  Keime  töten,  ohne  die  Zellen  zu 

schädigen,  und  gleichzeitig  eine  bessere  Durchblutung 
der  verletzten  Stelle  bewirken.  Es  gibt  mancherlei 
Momente,  an  die  man  bei  schlechter  Heilungsneigung 
von  Wunden  denken  muß.  ganz  abgesehn  von  etwaigem 
Zuckergehalt  des  Blutes.  Bergei  hat  erst  vor  kurzer 

Zeit  auf  die  Bedeutung  des  Blutfaserstoffgehaltes  der 
Lymphe  und  des  Blutes  für  die  Auslösung  natürlicher 
Wundheilungsvorgänge  aufmerksam  gemacht  In  einer 
kurzen  Mitteilung,  die  vor  nahezu  einem  Jahr  in  der 
Münch  ner  Medizinischen  Wochenschrift  erschien,  wies 
ich  auf  den  günstigen  Einfluß  erhöhter  Kieselsäurezufuhr 
auf  die  Heilungsneigung  der  Wunden  hin.  H.  Schulz, 
Greifswald,  war  der  erste,  der  den  Kieselsäuregehalt 
des  Bindegewebes  berücksichtigte.  Störungen  in  der 
Kieselsäurebilanz  scheinen  für  die  Widerstandskraft 
des  Stützgewebes  und  der  Oberhaut  nicht  unwichtig  zu 
sein.  Neuere  Untersuchungen  haben  gezeigt,  daß  durch 
Einnahme  stark  kieselsäurehaltiger  Wässer  eine  Erhöhung 
der  weißen  Blutkörperchenzahl  und  eine  vermehrte 
Fibroblastentätigkeit  zu  beobachten  ist.  Ich  lasse  die 
Patienten  gern  den  kieselsäurereichen  Schachtelhalmtee 
an  Stelle  anderer  Flüssigkeiten  wie  Kaffee  oder  Tee 
trinken  Um  den  bei  gewissen  Infektionen,  besonders 
den  anaeroben,  durch  Reduktionvorgänge  des  ab¬ 
sterbenden  Gewebes  gesteigerten  Sauerstoffbedarf  des 
Blutes  zu  befriedigen  und  die  im  Plasma  kreisenden, 
sich  stets  durch  fermentative  Vorgänge  erneuernden 
Reduktionsgifte  einem  ständigen,  erhöhten  Gasdruck 
auszusetzen,  läßt  man  längere  Zeit  reinen  Sauerstoff 
einatmen.  Die  durch  die  Bakterien  gebildeten  Gift¬ 
stoffe  suchen  wir  durch  Einspritzung  von  Antitoxinen 
zu,  binden  z.  B.  bei  Tetanus.  Infizierte  Teile  lassen  sich 
manchmal  durch  radikales  Ausschneiden  entfernen. 
Gewisse  mechanische  Maßnahmen  sind  Gemeingut  der 
Ärzte.  Ich  erinnere  nur  an  die  Ruhigstellung  des 
verwundeten  Gliedes  durch  Schienen,  die  frühzeitige 
Spaltung  der  infizierten  Wunden  bis  auf  den  Knochenherd, 
um  das  geschädigte  Gewebe  von  Druck  und  Spannung 
zu  entlasten  und  dadurch  dem  Fortschreiten  der  In¬ 
filtration  in  aufsteigender  Richtung  Einhalt  zu  tun,  die 
Entfernung  von  Fremdkörpern  und  Knochensplittern, 
um  den  Erregern  den  günstigen  Nährboden  zu  entziehen, 
endlich  die  "  Schaffung  günstiger  Abflussbedingungen 
des  Wundsekrets  (Einlegen  von  Drains,  Drainage  am 
tiefsten  Punkt).  Solche  Vorkehrungen  dienen  gleich¬ 
falls  dazu,  die  Widerstandsfähigkeit  des  Gewebes  zu 
heben  und  seine  Erholung  zu  beschleunigen. 

Von  den  chemischen  Stoffen,  die  die  Wundheilung 
an  Ort  und  Stelle  beeinflussen  sollen,  sind  diejenigen 
zu  meiden,  welche  sowohl  die  Mikroben  als  die  lebenden 
Zellen  töten,  oder  auch  solche,  welche  die  lebenden 
Zellen  vernichten,  ohne  die  Mikroben  zu  töten.  Neuer¬ 


dings  erfreuen  sich  unter  aller  Antisepticis,  die  die  Ab¬ 
tötung  der  eingedrungenen  Keime  erreichen  sollen,  die 
chlorhaltigen  der  meisten  Beachtung.  Sie  wirken  auch 
in  Verbindung  mit  Proteinkörpern  noch  aktiv  antisep¬ 
tisch  und  töten  die  Mikroben,  ohne  die  Zellen  der 
Wunde  wesentlich  zu  beeinträchtigen,  auch  wirken  sie 
weder  so  reizend  wie  Carbolsäure  noch  eiweißfällend 
wie  Sublimat  Die  bakterizide  Kraft  wird  also  bei 
Gegenwart  von  Serum  und  anderen  Proteinsubstanzen 
nicht  viel  abgeschwächt. 

Die  unterchlorigsauren  Salze  (Natriumhypochlorid) 
sind  kräftig  antiseptisch.  Wegen  der  unbeständigen 
Zusammensetzung  des  Eau  de  Javel,  das  außerdem 
durch  das  freie  Alkali  und  Chlor  reizend  wirken  soll, 
schlug  Dakin  folgende  Mischung  vor,  die  sich  angeblich 
ausgezeichnet  bewährt  hat:  200  Gr.  Chlorkalk  werden 
mit  10  Liter  Wasser  und  140  Gramm  Natriumkarbonat 
gemischt,  die  Mischung  geschüttelt  und  nach  30  Minuten 
filtriert.  Man  fügt  Borsäure  in  Substanz  zu,  um  die 
Lösung  zu  neutralisieren  (im  allgemeinen  genügen 
25  40  Gramm).  Die  Titrierung  erfolgt  mit  Phenol- 

phtalein  (kein  Alkoholzusatz,  keine  Erwärmung  ge¬ 
stattet).  Die  Dakinlösung  enthält  (nach  Wislicenus) 
0.5 — 0.7 %  Natriumhypochlorit  und  0.4  0  5%  Kochsalz, 
je  nachdem  der  Chlorkalk  frisch  (mit  35%  wirksamem 
Chlor)  oder  mit  dem  vom  Arzneibuch  zugelassenen 
Mindestgehalt  (von  25%)  verwendet  wird.  Die  Hypo¬ 
chloritlösung  tötet  Staphylococcen  innerhalb  2  Stunden 
in  Konzentration  von  1  /500  000  bei  Gegenwart  von 
Blutserum  erst  bei  1  / 1 000  1  2500. 

Da  6  Stunden  nach  einer  schweren  Verletzung  eine 
verschiedenartige  Flora  von  Aeroben  und  einigen  Ana¬ 
eroben  in  der  Umgebung  von  Geschossen  und  Kleider¬ 
fetzen  gefunden  wurde,  forderte  Dakin  eine  möglichst 
frühzeitige  Desinfektion  der  Wunde.  Er  ließ  die  Ränder 
mit  Jod  bestreichen,  die  engen  Schußkanäle  mit 
Hypochloritlösung  ausspritzen  und  mit  Gaze  locker 
tamponieren  unter  \  ermeidung  eines  wasserdichten  Ver¬ 
bandes.  Die  gebräuchlichen,  mit  Wundsekret  durch¬ 
tränkten  Verbände  wirken  geradezu  wie  septisch 
infizierte  Umschläge. 

Ich  selbst  bediene  mich,  wie  in  den  oben  angeführten 
Arbeiten  erwähnt,  seit  einer  Reihe  von  Jahren  des 
Chlorkalks  und  bin  stets  dabei  gut  gefahren.  Irre  ich 
nicht.  so  heben  französische  Autoren  den  Wert 
der  starken  Alkaleszenz  dies  s  Mittels  hervor  Be¬ 
sonders  auffällig  ist  die  Heilwirkung  bei  Zuckerkranken, 
die  ja  oft  reichlich  Säuren  im  Blute  haben.  Das  freie 
Alkali  bindet  vermutlich  rasch  diese  Säuren.  Aber 
auch  deutsche  Nachprüfer  z.  B.  Thöie  haben  keine  be¬ 
sonderen  Vorzüge  der  Dakinlösung  entdecken  können. 
Bei  der  Anwendung  von  Chlorkalk  muß  man  in  erstei 
Linie  darauf  achten,  daß  das  Pulver  frisch  ist  und  noch 
nicht  an  der  Luft  gelegen  hat.  Aufsehen  erregt  hat  auch 
die  Wrightsche  „lymph  lavage“.  die  durch  eine  mittelst 
hypertonischer  Salzlösung  zu  erregende,  durch  Exosmose 
erfolgende  Lymphorrhoe  Keime  sowie  gittige  Abbau¬ 
produkte  der  Wunde  aus  der  liefe  herauszuspülen 
sucht.  Wright  verwendet  eine  5%  Nac-Lösung  mit 
Zusatz  von  %%  zitronensauren  Natron,  um  die  Ge 
rinnung  der  Lymphe  zu  verhindern.  In  ähnlicher  W  eise 
wirkt  wohl  die  Biersche  Stauung,  nach  deren  An¬ 
wendung  man  ei  e  äußerst  starke  Wundsekretion  be¬ 
obachten  kann. 

Um  die  Schwierigkeiten  die  einer  W  undspülung  in 
der  vorderen  Stellung  entgegenstehn,  zu  vermeiden, 
habe  ich  die  Anwendung  eines  Wundpulvers  vorge¬ 
schlagen,  das  die  meisten  Bedingungen,  die  man  an 
ein  Wundheilmittel  stellen  soll,  erfüllen  dürfte.  Ich 
habe  seine  Zusammensetzung  in  der  schon  angetührten 
Veröffentlichung  der  D.  M.  W.  genauer  beschrieben 


34  4 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr.  35 


und  möchte  heute  noch  einmal  kurz  auf  die  Wirkung 
der  einzelnen  Bestandteile  hinweisen : 

Der  Chlorkalk  ist  stark  alkalisch  und  wirkt,  da  er 
bei  Gegenwart  von  Wasser,  Serum  usw.  Chlor  in  statu 
nascendi  abspaltet,  energisch  antiseptisch. 

W  eiterhin  baut  er  viele  organische  Verbindungen 
intensiv  ab  und  ist  gut  desodorierend.  Endlich  zerstört 
er  Kobragift  in  vitro  sowie  im  lebenden  Gewebe. 
Nach  seinen  chemischen  Eigenschaften  scheint  er  im¬ 
stande  zu  sein,  das  Wachstum  der  eingeführten  Tetanus¬ 
bazillen  zu  hindern  und  der  Entstehung  der  Toxine 
vorzubeugen.  Einen  ähnlichen  Einfluß  hat  er  möglicher¬ 
weise  gegenüber  den  Gasbranderregern. 

Die  1  ierkohle  besitzt  nach  Klapp  ebenso  wie  Zucker 
und  Bolus  durch  ihre  Kapillarräume  eine  starke  Attrak¬ 
tionsfähigkeit.  Sie  hat  eine  hohe  entgiftende  Wirkung 
gegenüber  dem  Tetanus-,  Botulismus-  und  Diphtherie¬ 
gift.  Durch  die  Bindung  an  die  Tierkohle  wird  das 
Gilt  sehr  langsam  ausgeschieden  und  erreicht  nicht  jene 
Konzentration,  die  zur  Vergiftung  nötig  wäre.  Kürz¬ 
lich  hat  Wassermann  auf  die  hohe  Bedeutung  der 
1  ierkohle  für  die  Bekämpfung  des  Gasbrandes  hin¬ 
gewiesen,  durch  deren  Anwendung  eine  Grenzschicht 
und  damit  eine  richtige  „Brandmauer“  gegen  das 
gesunde  Gewebe  geschaffen  wird.  Ein  kleiner  Zusatz 
von  Magnesiumersatz  erhöht  die  Adsorptionskraft 
bedeutend  ( VViechowski)  und  der  Magnesiumanteil 
wirkt  außerdem  cytophylaktisch. 

Der  Zucker  reinigt  die  jauchigen  Wunden  und  be¬ 
dingt  einen  starken  Strom  von  Wundsekret.  Nach 
Whilehouse  gehört  er  zu  den  Mitteln  von  stärkerer 
osmotischer  Kraft.  Wahrscheinlich  spielen  auch  die  in 
statu  nascendi  sich  abspaltenden  Säuren  eine  wesentliche 
Rolle. 

Das  Wundpulver  kann  von  jedem  Soldaten  ohne 
weiteres  auf  die  Wunde  oder  in  die  Höhlen  geschüttet 
werden.  Gröbere  Verunreinigungen  der  Wunde  werden 
selbstverständlich  am  besten  erst  beseitigt  (z.  B.  mit 
Wasserstoffsuperoxyd  im  Sanitätsunterstand).  Auf  die 
so  vorbehandelte  Wunde  kommt  dann  der  Notverband, 
der  bis  zum  nächsten  Lazarett  liegen  bleiben  kann. 
Ich  stelle  mir  die  Gesamtwirkung  des  Wundpulvers, 
kurz  gesagt,  etwa  folgendermaßen  vor: 

Aus  der  Mischung  spaltet  sich  bei  der  Berührung 
mit  dem  Wundsekret  Chlor  ab,  das  die  Atome  des  H 
in  der  N  H-Gruppe  der  Proteinsubstanzen  ersetzt  und 
Substanzen  der  Chloramine  bildet.  Durch  Entstehen 
dieser  Verbindung  wird  den  eingedrungenen  Keimen 
der  Nährboden  entzogen.  Die  giftigen  Produkte 
werden  vermutlich  —  analog  der  Chlorkalkwirkung  gegen 
Kobragift  —  unschädlich  gemacht.  Gegen  das  gesunde 
Gewebe  wird  eine  aufsaugende  Grenzschicht  errichtet, 
indem  die  1  ierkohle  die  Keime  ebenso  fest  bindet  wie 
die  Zerfallstoffe  der  Wunde.  Tierkohle,  Zucker  und 
Bolus  haben  den  Zweck,  der  infizierten  Wunde  und 
dem  ödematösen  Gewebe  möglichst  viel  Flüssigkeit  zu 
entziehen.  Durch  Absaugen  und  Austrocknung  an  der 
Oberfläche  muß  eine  Saftströmung  aus  der  Tiefe  nach 
der  Wunde  erfolgen.  Der  vermehrte  Sekretsstrom  kann 
die  Keime  und  Toxine  in  energischerer  Form  mit  sich 
reißen  und  einen  besseren  Stoffwechsel  des  verletzten 
Gewebes  bewirken.  Nach  der  Einlieferung  in  ein  Kriegs¬ 
lazarett  kann  sich  eine  mehrmalige,  tägliche  Ausspülung 
bzw.  Baden  der  Wunden  mit  körperarmen  Chlorkalk¬ 
wasser  anschließen  (auf  1  Schüssel  Wasser  1 /2 —  1  Kaffee¬ 
löffel  Chlorkalk,  am  besten  im  Leinwandsäckchen  zer¬ 
drücken  !).  Bei  tiefliegenden  Wunden  dürfte  sich  die 
Weilersche  Heberdrainage  empfehlen.  Auch  die 
Biersche  Stauung  läßt  sich  mit  dem  Heilverfahren  ver¬ 
binden. 

Das  W  undpulver  wird  hergestellt  und  unter  dem 


Namen  „Vulnussan“  vertrieben  von  der  Engelapotheke, 
Frankfurt  a.  M. 

Literatur. 

Münch.  Eine  einfache,  wirksame  Behandlungsmethode  bei  infizierten 
Wunden.  M  M.  W.  1915  Nr.  26  (Feldärztl.  Beilage  Nr.  26). 

Die  Verwendung  von  Tierkohle-,  Ton-  und  Chlorkalkpulver  beim  ersten 
Verbände  im  Felde.  D.  M.  W.  1915,  Nr.  22. 

von  Bruns.  Zur  Wundbehandlung  im  Kriege.  Bruns  Beiträge, 
Band  97;  Kriegschir.  Heft  6,  Band  98,  Kriegschr.  Heft  10. 

Klapp.  Über  physikalische  Wundbehandlung.  M.  M.  W.  1916, 
Nr.  12  (Feldärztl.  Beilage  Nr.  12). 

von  Wassermann  Experimentell-therapeutische  Studien  aus  der 
Gruppe  der  Gasbranderreger.  Medizinische  Klinik  1916, 
Nr.  17. 


Ärztliche  Technik. 

Gehörorganschützer  für  Feldtruppen. 

Im  V  erlaufe  des  gegenwärtigen  Krieges  sind  Ver¬ 
letzungen  des  Gehörorganes  in  sehr  großer  Menge  auf¬ 
getreten.  Sie  sind  zurückzuführen  auf  den  Luftüber¬ 
druck,  der  durch  krepierende  feindliche  Geschosse, 
Wurfminen,  Handgranaten  und  auch  durch  Abschuß  der 
eigenen  Geschütze  entsteht. 

Die  Schädigungen  des  Gehörorgans  bestehen  meist 
in  Trommelfellzerreissungen,  die  unter  Umständen  durch 
nachfolgende  Eiterungen  zum  Tode  führen  können,  häufig 
entstehen  auch  ohne  Trommelfellzerreissungen  Laby¬ 
rintherschütterungen. 

Es  ist  während  des  jetzigen  Krieges  vielfach  vorgekom¬ 
men,  daß  durch  krepierende  Granaten  die  in  der  Nähe  des 
Einschlages  Stehenden  Gehörschädigungen  davontrugen, 
aber  sonst  unverletzt  geblieben  sind. 

Die  in  unmittelbarer  Nähe  der  Geschütze  Stehenden 
schützen  sich  wirksam  gegen  die  Einwirkung  des  Luft¬ 
überdruckes  beim  Abschuß  durch  Zuhalten  der  Ohren 
bei  geöffnetem  Munde  oder  suchen  durch  Verstopfen 
der  Ohren  mittels  Watte  Gehörschädigungen  vorzu¬ 
beugen.  Der  Wattepfropf  ist  indessen  ein  sehr  unzu¬ 
verlässiges  Vorbeugungsmittel,  wie  sich  experimentell  leicht 
und  einwandfrei  nachweisen  läßt.  Ein  Zuhalten  der 
Ohren  ist  ausgeschlossen,  wenn  der  Luftüberdruck  un¬ 
erwartet  kommt,  wie  dies  bei  Explosionen  der  feind¬ 
lichen  Geschosse  der  Fall  ist.  Für  Infanteristen,  die 
meist  beide  Hände  nicht  frei  haben,  kommt  dieser  Schutz 
überhaupt  nicht  in  Frage. 

Es  erschien  daher  geboten,  eine  Schutzvorrichtung 
gegen  solche  Gehörschädigungen  für  unsere  Krieger  zu 
schaffen.  Geh.  San. -Rat  Dr.  Eysell  in  Cassel  hat  auf 
Anregung  der  dortigen  Firma  Martin  Wallach  Nach¬ 
folger  dieser  Angaben  und  Zeichnungen  gemacht,  auf 
Grund  deren  die  Firma  nunmehr  eine  sehr  einfache 
und  wirkungsvolle  Schutzvorrichtung  des  Gehörorganes 
gegen  Luftüberdruck  herstellt, 

Der  Gehörorganschützer  muß  drei  Anforderungen 
entsprechen  : 

1.  er  mußte  klein,  leicht  und  unauffällig  sein,  mußte 
viele  Stund  en,  ja,  wenn  erforderlich,  tagelang  ge¬ 
tragen  werden  können,  ohne  unbequem  zu  werden, 
den  Gehörgang  zu  reizen  oder  gar  Schmerz  hervor¬ 
zurufen, 

2.  er  mußte  gutes  Hören  ermöglichen  und  durfte  keine 
Eigengeräusche  hervorbringen, 

3.  er  mußte  den  Gehörgang  bei  plötzlichen,  starken 
Luftverdichtungen  sicher  und  vollkommen  abschließen. 

Diesen  Forderungen  entspricht  der  Gehörorganschützer, 
der  von  Herrn  Geh.  Rat  Eysell  in  der  Miiachener  Me¬ 
dizinischen  Wochenschrift  Nr.  14  vom  4.  April  ds.  Js. 
eingehender  beschrieben  wird. 

Der  „Ortau“-  Schützer  besteht  aus  einem  Paar 
Doppeloliven,  die  durchbohrt  und  im  Innern  mit  einer, 
durch  ein  eigenartiges  Metallventil  ausgestatteten  Kam- 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


345 


Nr.  35. 


rner  versehen  sind.  Dieses  YTentil  schließt  beim  Auf¬ 
treten  äußeren  Luftüberdruckes  die  in  den  Gehörgang 
führende  Durchbohrung  und  hebt  den  Ueberdruck  auf 
oder  vermindert  ihn  wenigstens  in  solcher  Weise,  daß 
er  den  schallleitenden  und  schallempfindenden  Teilen 
des  Ohres  nicht  mehr  zu  schaden  vermag- 


Da  der  Preis  eines  Paares  des  Gehörorganschützers, 
über  den  schon  eine  Reihe  günstiger  Urteile  aus  dem 
beide  vorliegen,  ein  sehr  mäßiger  (Mark  2.7 5)  ist,  so 
kann  jeder  Kriegsteilnehmer  sich  die  Schutzvorrichtung 
anschaffen  und  sich  so  vor  Gefahren,  die  dauernde 
Schädigungen  des  Gehörs  zurücklassen  können,  schützen. 


Referate  und  Besprechungen. 


Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 

Hirsch.  Über  die  Behandlung  der  Amenorrhoe  mit 
Glanduovin  Extraktum  ovariale)  unter  gleichzeitiger  Arsen- 
behandlung.  (Reichs-Medizinalanzeiger  No.  5  [859],  1916.) 

Verfasser  hat.  nach  seiner  Angabe  ein  Eierstockpräparat 
hersteilen  lassen,  des  sich  unter  dem  Namen  Glanduovin  in 
dem  Handel  befindet.  Hiermit  hat  er  4  Gruppen  von 
Patientinnen  behandelt;  1.  solche  mit  infantilem  Uterus,  wo 
die  erste  Menstruation  abnorm  lange  auf  sich  warten  lässt, 
2.  solche,  die  zwar  rechtzeitig  erstmalig  menstruiert  waren, 
dann  aber  nur  schwache  und  unregelmässige  Blutungen  hatten, 
8.  solche,  bei  denen  in  reifem  Alter  infolge  von  Trauma, 
Operation  od.  dergl.  die  Menstruation  zu  vollständigen  oder 
unvollständigen  Erlöschen  kam,  4.  Fälle  von  unaufgeklärter 
Klimax  praecox.  —  Der  Erfolg  war  nicht  immer  sicher,  aber 
in  einigen  Fällen  eklatant.  In  71  Fällen  sah  II  50mal 
Erfolg.  Neuerdings  kombiniert  Verfasser  die  intramuskuläre 
Glanduovin-Therapie  mit  gleichzeitiger  Arsen therapie  „und  zwar 
in  der  Form,  dass  6  Glanduovin-Gaben  6  Gaben  von  Natrium 
arsenikosum  beigeben  werden  (0,006  —  0,00S  --  0.01  in 
auf-  und  absteigender  Richtung).“ 

Wern.  H.  Becker  Herbon. 

Ph.  J  o  1  1  y,  Menstruation  und  Psychose.  (Archiv  für 
Psych.  LV.  1915.  Heft  3.  Seite  637.) 

Es  wird  einmal  der  Einfluss  der  Menses  auf  Entstehung 
und  Verlauf  der  Psychosen  und  anderseits  der  Einfluss  der 
Psychosen  auf  die  Menstruation  untersucht.  Es  ergibt  sich 
daraus,  dass  es  eine  eigene  Menstruationspsychose  als  klinische 
Einheit  ebensowenio  wie  eine  eigene  Graviditäts-,  Puerperal¬ 
oder  Laktationspsychose  gibt.  Dagegen  gibt  es  Fälle,  die 
eigenartige  Beziehungen  zur  Menstruation  darbieten,  indem  sie 
in  ursächlichem  Zusammenhang  mit  der  Menstruation  und  zwar 
meist  prämenstruell  auftreten.  Manchmal  handelt  es  sich  nur 
um  einen  Anfall  einer  geistigen  Störung,  manchmal  um  mehrere; 
der  Zusammenhang  mit  den  Menses  ist  in  der  Regel  wechselnd, 
in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  verliert  sich  derselbe  später. 
In  seltenen  Fällen  finden  sich  derartige  Psychosen  schon  vor 
der  ersten  Menstruation.  Sie  scheinen  an  vierwöchentliche 
Termine  gebunden  zu  sein  und  endigen  meist  mit  Eintritt  der 
ersten  Menses.  Die  mit  Eintritt  der  ersten  Menses  beginnenden 
Psychosen  bieten  den  auch  sonst  in  der  Pubertätszeit  vor¬ 
kommenden  Geistesstörungen  gegenüber  nichts  Besonderes. 
Auch  nach  Eintritt  des  Klimakteriums  sind  einige  wenige  den 
Menstruationspsychosen  an  die  Seite  gestellte  Fälle  be¬ 
schrieben  worden,  doch  kann  ihre  Analogie  zu  diesen 
nicht  anerkannt  werden.  Es  handelt  sich  bei  den 
Menstruationspsychosen  um  die  auch  sonst  vorkommenden 
geistigen  Störungen  und  zwar  häufig  um  Manien,  um  in  einzelnen 
Anfällen  verlaufende  hebephrenische  und  katatonische  Psychosen 
um  Fälle  von  Amentia,  von  Hysterie,  seltener  um  melancholische 
Geistesstörungen  ;  auch  die  Dipsomanie  kann  deutliche  Be¬ 
ziehungen  zu  den  Menses  zeigen.  Die  Häufigkeit  der  Menstru¬ 
ationspsychosen  wird  oft  übertrieben.  Bei  genauerem  Zusehen, 
ist  in  vielen  der  mitgeteilten  Fälle  der  Zusammenhang  mit 
der  Menstruation  ziemlich  gesucht,  besonders  da  auch  oft  nur 
die  Angaben  der  Angehörigen  oder  der  Patientinnen  selbst 
dem  angenommenen  Zusammenhang  zugrunde  liegen;  vor  allem 


ist  deshalb  bei  forensischen  Fällen  Vorsicht  geboten.  Die  als 
sogenannte  epochale  Menstruationspsychose  beschriebenen  Be¬ 
obachtungen  können  als  besondere  Form  nicht  anerkannt 
werden.  In  Uebereinstimmung  mit  Burger  wird  vorgeschlagen, 
nicht  von  Menstruationspsychosen  schlechthin  zu  sprechen, 
sondern  zu  der  Grunddiagnose  in  den  betreffenden  Fällen  die 
Angabe  binzuzusetzen,  dass  es  sich  um  einen  menstruellen 
Typus  handele.  In  Fällen,  in  denen  die  Psychose  einen  Zu¬ 
sammenhang  mit  den  Menses  zeigt,  erscheint  es  wünschens¬ 
wert,  Untersuchungen  auf  Abwehrfermente  vorzunehmen. 

Der  Einfluss  von  Geisteskrankheiten  auf  die  Menstruation 
zeigt  sich  im  wesentlichen  in  Amenorrhoe.  Ein  mindestens 
zweimaliges  Ausbleiben  der  Menses  fand  sich  besonders  bei 
akuten  bezw.  akut  beginnenden  Psychosen,  kommt  aber  auch 
im  Beginn  und  späteren  Verlauf  chronischer  Psychosen  vor. 
Wenn  auch  in  prognostischer  Beziehung  die  alte  Erfahrung 
bestätigt  werden  kann,  dass  im  allgemeinen  Wiedereintritt  der  Menses 
mit  gleichzeitiger  psychischer  Besserung  günstig  ist,  dagegen  ohne 
Besserung  einen  ungünstigen  Ausgang  befürchten  lässt,  muss 
man  im  einzelnen  Fall  doch  vorsichtig  sein,  da  die  Menses 
sich  sehr  verschieden  verhalten  können,  z  B.  der  Wiederein¬ 
tritt  der  Menses  der  Besserung  um  mehrere  Monate  voraus¬ 
gehen  kann.  Häufig  fand  sich  Amenorrhoe,  in  Ueberein¬ 
stimmung  mit  den  spärlichen  Literaturangaben,  bei  Paralyse 
und  besonders  bei  Taboparalyse;  sehr  häufig  (in  4/5  der 
Fälle)  fand  sich  Amenorrhoe  bei  Amentia,  ein  Umstand,  der 
bei  dem  akuten,  oft  stürmischen  Verlauf  dieser  Psychosen 
und  der  häufig  schweren  Beeinträchtigung  des  Organismus 
nicht  auffällig  ist;  nächst  häufig,  etwa  in  der  Hälfte  der  Be¬ 
obachtungen,  wurde  das  Zessieren  der  Menses  bei  den  katatonen 
und  hebephrenen  Psychosen  beobachtet;  selten  dagegen  war 
dasselbe  bei  den  paranoiden  Psychoseu  und  trat  überhaupt 
nicht  ein  bei  der  chronischen  Paranoia ;  bei  der  Melancholie 
fand  sich  Amenorrhoe  etwa  in  der  Hälfte,  bei  Manie  etwa  in 
einem  Drittel  der  Fälle;  Imbezillität,  Hysterie  und  Epilepsie 
zeigten  garnicht  oder  sehr  selten  Zessieren  der  Menses.  Be¬ 
merkenswert  ist,  dass  das  Symptom  der  Amenorrhoe  nicht  nur 
bei  solchen  Psychosen  beobachtet  wird,  die  wie  Paralyse  auf 
einer  schweren  Vergiftung  des  Körpers  beruhen,  oder  wie  die 
katatonen  und  hebephrenen  Geistesstörungen,  mit  Störungen 
der  inneren  Sekretion  in  Zusammenhang  stehen  oder  wie 
Amentia  meist  auf  eingreifende  Stoff  wechselstörun  gen  zurück¬ 
zuführen  sind,  sondern  auch  bei  Manie  und  Melancholie,  die 
doch  als  rein  funktionelle  Psychosen  betrachtet  zu  werden 
pflegen.  Da  eine  länger  dauernde  Amenorrhoe  bei  vorher 
regelmässig  Menstruierten  wohl  als  auf  irgend  einer  direkten 
oder  indirekten  Störung  der  Funktion  der  Ovarien  und  der 
in  denselben  erzeugten  Hormone  beruhend  anzusehen  ist,  auf 
jeden  Fall  Veränderungen  des  inneren  Chemismus  anzeigt,  so 
sind  auch  in  den  Fällen  von  Manie  und  Melancholie,  in  denen 
Amenorrhoe  eintritt,  derartige  Veränderungen  anzunehmen. 
Es  ist  das  Symptom  der  Amenorrhoe  anzureihen  den  auch  bei 
diesen  Psychosen  häufig  sehr  weitgehenden  Störungen  der  Er¬ 
nährung,  des  Schlafs  etc.  und  unterstützt  im  Verein  mit  den¬ 
selben  die  Annahme,  dass  auch  bei  diesen  Geisteskrankheiten 
einmal  eine  organische  Grundlage  sich  festellen  lassen  wird. 
Warum  und  zwar  bei  allen  davon  betroffenen  Psychosen,  nur 
in  einem  Teil  der  Fälle  die  Menses  ausbleiben,  darüber  lässt 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


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346 


sich  zur  Zeit,  abgesehen  davon,  dass  vorwiegend  akute  Fälle 
amenonhoisch  weiden,  noch  nichts  aussagen;  es  ist  zu  erwarten 
dass  spätere  Untersuchungen  und  zwar  besonders  der  inneren 
Drüsensekretiou  darüber  Aufschluss  geben  werden. 

W.  Misch-  Berlin. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 

P.  Prengowski.  Über  das  hereditäre  Auftreten 
der  spastischen  vasomotorischen  Neurose  (mit  psychischen 
Erscheinungen).  (Arch.  f.  Psych.,  Bd.  56,  H  3,  S.  836. 
1916). 

Es  wird  ein  Fall  mitgeteilt,  in  dem  die  spastische  vaso¬ 
motorische  Neurose  hereditär  ist;  die  Erkrankung  wurde  näm¬ 
lich  bei  einem  sieben monatigen  Kinde  und  seinen  beiden  Eltern 
festgestellt.  Bei  dem  39jährigen  Vater  ergaben  mehrfache 
Untersuchungen,  dass  eine  typische  Form  der  Erkrankung  vor¬ 
lag:  Die  Abkühlung  des  Körpers  des  Pat.  hatte  zur  Folge 
die  Abblassung  der  ganzen  Flaut,  die  leicht  schon  durch  Be¬ 
rührung  mit  der  Hand  festzustellende  Abkühlung  derselben,  die 
deutliche  Verminderung  des  Umfanges  und  der  Elastizität  so¬ 
wie  die  Trockenheit  der  Haut,  in  kurzer  Zeit  darauf  die  Bil¬ 
dung  von  Häutchen  auf  den  Lippen  und  des  Zungenbelages, 
einen  unangenehmen  Geruch  aus  dem  Munde,  leicht  blaue 
Farbe  auf  den  Lippen,  kleinen  Puls,  90  in  der  Minute,  einen 
harten  Strang  in  der  Gegend  des  Dickdarms  (eine  die  Obstipa- 
tio  spastica  bedingende  Zusammenziehung  des  Dickdarmes), 
erweiterte  Pupillen,  bedeutend  erhöhte  Sehnenreflexe,  einen 
stärkeren  Muskeltremor  der  ausgestreckten  Hände,  einen  starken 
roten  Dermographismus  (Rötung  bis  zu  30  Minuten),  deutliche 
Muskelspannung,  Neigung  zu  unnatürlichen  Posen,  rasche 
blitzartige  Bewegungen,  Aufregung  im  Benehmen,  lautes  und 
akzentuiertes  Sprechen,  grosse  Gestikulation  und  Mimik.  Durch 
Einführung  des  Patienten  in  den  Zustand  der  normalen  Er¬ 
weiterung  der  Hautgefässe  wurde  das  Verschwinden  der  meisten 
dieser  Erscheinungen  bewirkt.  Ähnliche  Erscheinungen  wurden 
bei  der  Mutter  beobachtet;  sie  bemerkte,  dass  wenn  sie  bei 
kalter  Temperatur  im  Zimmer  aus  dem  warmen  Bette  aufsteht 
und  sich  rasch  aufdeckt,  ihr  Gesicht  und  ihre  Hände  eingefallen 
und  blass  aussehen,  was  nicht  der  Fall  ist,  wenn  Pat.  nicht 
rasch  abgekühlt  wird;  ebenso  tritt  bei  vorhergehender  rascher 
Abkühlung  eine  Veränderung  ihrer  Stimmung  in  der  Weise 
ein,  dass  sie  besonders  empfindlich,  arbeitsunlustig,  geneigt  zu 
Schwärmerei  und  zur  Verstimmung  ist.  Mehrfache  Unter¬ 
suchungen  an  der  Frau  ergaben,  dass  die  Abkühlung  tatsäch¬ 
lich  die  angegebenen  Veränderungen  an  Gesiebt  und  Händen 
hervorrief  und  dass  diese  letzteren  zu  dem  allgemeinen  Zu¬ 
stande  der  Patientin  in  Beziehung  standen.  Bei  dem  Kinde 
trat  ebenfalls,  wenn  es  rasch  aufgedeckt  wurde,  eine  rasche 
Veränderung  des  ganzen  Zustandes  ein ;  Die  Hautdecke  am 
ganzen  Körper  blasste  deutlich  ab,  [die  Wangen  verloren  ihre 
rötliche  Farbe  und  waren  nicht  mehr  so  rund  und  voll  wie 
vorher,  Hände  und  Finger  waren  nicht  mehr  so  voll  und  dick 
wie  früher,  die  Haut  an  den  Händen  liess  sich  leicht  in  Falten 
fassen,  es  entstand  der  Eindruck,  als  ob  eine  Eintrocknung 
der  Haut  eingetreten  sei;  beim  Betasten  nahm  mau  eine  Ab¬ 
kühlung  der  Haut  deutlich  wahr,  besonders  an  der  Aussenfläche 
der  Oberschenkel  ;  die  Haut  verlor  ihre  Elastizität  und  wurde 
trocken,  nach  einiger  Zeit  traten  trockene  Lippen  auf,  beson¬ 
ders  an  der  Oberlippe  konnte  man  das  sich  bildende  Häut¬ 
chen  feststellen;  die  Pupillen  wurden  weiter;  der  Puls  in  der 
Radialarterie  wurde  deutlich  kleiner  und  um  10  bis  15  Schläge 
in  der  Minute  schneller.  Wurde  das  Kind  längere  Zeit  in 
diesem  Zustande  gehalten,  so  gab  es  während  dieser  ganzen 
Zeit  keinen  Stuhlgang  ab,  und  der  nächste  Stuhl  nach  Auf¬ 
hebung  des  abnormen  Zustandes  war  hart  und  schleimhaltig. 
Es  fand  sich  auffallender  Dermographismus,  der  bis  zu  3/4 
Stunden  anhielt  Auch  psychisch  war  das  Kind  während  des 
abnormen  Zustaudes  so  verändert,  dass  man  den  Eindruck 
batte,  es  wäre  nicht  dasselbe  Kind  wie  früher:  es  war  lau¬ 
nisch  in  der  Nahrungsaufnahme  und  wimmerte  ständig. 

Verf.  kommt  zu  der  Auffassung,  dass  die  vasomotorische 
Störung  den  Ausgangspunkt  für  alle  übrigen  Erscheinungen 
und  das  Wesen  der  ganzen  Erkrankung  bildet,  welche  deshalb 


auch  als  spastische  Angioneurose  bezeichnet  wird.  Als  ätio¬ 
logische  Momente  der  Neurose  kommen  vor  allem  in  Betracht : 
übermässige  geistige  Tätigkeit,  Gemütserschül terungen,  bei  un¬ 
genügendem  Ausruhen,  geringem  Schlafe,  schlechter  Ernährung 
usw.,  Vor  allem  aber  bei  langdauerndem,  ständigem,  grossem 
Gebrauch  der  Koffeinpräparate.  Diese  Momente  führen  zu 
der  Neurose,  wenn  sie  viele  Jahre,  sogar  Jahrzehnte  hindurch, 
und  oft  sogar  auf  einige  Generationen  wirken.  Hinsichtlich 
des  Überganges  der  Erkrankung  auf  das  Kind  kommt  Verf. 
zu  der  Annahme,  dass  die  Erkrankung  der  Eltern  Ursache 
der  Veränderungen  ist,  mit  denen  der  kindliche  Keim  gebildet 
wurde,  d.  h.  dass  es  sich  hier  um  Vererbung,  im  echten  Sinne 
des  Wortes,  der  Krankhaften  Eigenschaften  handelt. 

W.  Misch,  Berlin. 

J.  R  ü  1  f.  Intermittierende  Gangstörung  auf  angioneu- 
rotiseher  Grundlage,  kombiniert  mit  Raynaudscher  Krank¬ 
heit  an  den  Fingern  und  anderen  Angioneurosen.  (Arch.  für 

Psych.,  Bd.  56,  H.  3,  S.  899.  ]  916 1. 

Der  hier  mitgeteilte  Fall  ist  deshalb  von  Bedeutung,  weil 
er  durch  die  Kombination  mit  verschiedenartigen  Angioneu¬ 
rosen  den  Nachweis  erbringt,  dass  die  äusserst  seltene  und  von 
zahlreichen  Autoren  abgeleugnete,  angioneurotische  Form  des 
intermittierenden  Hinkens  tatsächlich  existiert  und  weil  die 
Gangsstörung  in  sehr  eigenartiger  Weise  mit  einer  Fülle 
anderer  Angioneurosen  kompliziert  war.  Es  handelte  sich 
nämlich  um  ein  neuropathisch  stark  belastetes  Individuum 
weiblichen  Geschlechts,  das  schon  in  der  Kindheit  eigenartige 
Tics  gezeigt  hatte  und  später  an  einer  Reihe  von  Angioneu¬ 
rosen  erkrankte,  deren  etwa  folgende  gesondert  werden  können : 
1.  Migräne,  2.  Raynaudsche  Krankheit,  3.  intermittierende 
Gangsstörung,  4.  Stenokardie,  5.  Erythromelie  der  Nasenspitze. 
Im  Vordergründe  standen  die  intermittierende  Gaugsstörung 
und  die  Raynaudsche  Krankheit.  Die  erstere  zeigte  das  Bild, 
das  für  das  als  intermittierendes  Hinken  bezeichnete  Krank¬ 
heitsbild  äusserst  charakteristisch  war;  dass  aber  hier  ein 
vasokonstriktorischer  Vorgang  die  Gangsstörung  verursachte, 
zeigten  schon  die  subjektiven  Sensationen,  die  Pat.  beim  Aus¬ 
ruhen  des  Beines  nach  etwa  10  Minuten  langem  Gehen  hatte, 
nähmlich  ein  Gefühl  des  Tickens  und  des  Warmwerdens  im 
Beine.  Diese  Sensationen  sind  offenbar  das  subjektive  An¬ 
zeichen  für  die  Lösung  des  während  der  vorhergehenden 
Gangbewegung  aufgetretenen  Gefässkrampfes  und  des  Wieder- 
einströmens  des  Blutes  in  das  durch  vorhergehend*  Vasokonstriktion 
anämisierte  Bein ;  dass  dieses  durch  das  Gehen  tatsächlich 
anämisiert  wurde,  liess  sich  objektiv  feststellen  durch  die 
palpatorisch  leicht  wahrnehmbare  Herabsetzung  der  Haut¬ 
temperatur  Die  Gangsstörung  setzte  zu  einer  Zeit  ein,  in  der 
die  Herzbeschwerden  der  Patientin  stark  Zunahmen,  so  dass 
anzunehmen  ist,  dass  beide  in  ursächlichem  Zusammenhang 
stehen,  dass  sie  vielleicht  als  gemeinsame  Wirkung  der  Ver¬ 
schlimmerung  des  allgemeinen  neurovaskulären  Leidens  zu  be¬ 
trachten  sind.  Ebenfalls  äusserst  typisch  war  die  Raynaudsche 
Krankheit  an  den  Fingern  der  Patientin ;  es  bestand  zuerst 
nur  Synkope,  erst  nach  einem  Vierteljahr  schlossen  sich  Er¬ 
scheinungen  von  Asphyxie  an,  zur  Gangrän  ist  es  nie  gekom¬ 
men.  Ebenso  typisch  waren  die  übrigen  oben  erwähnten  an- 
gioneurotischen  Erscheinungen.  Als  Ürsache  für  die  Gang¬ 
störungen  ist  ein  intermittierend  eintretender  Spasnus  der  Ge- 
fässkapillaren  anzusehen.  Auf  einer  Reizung  der  Vasokon¬ 
striktoren  beruhen  ausser  der  Gangstörung  auch  die  Raynaud- 
schen  und  die  stenokardischen  Anfälle,  sowie  die  Migräne, 
während  die  erythromelischen  Erscheinungen  an  der  Nasen¬ 
spitze  vielmehr  auf  eine  Reizung  der  Vasodilatatoren,  und 
zwar  der  arteriellen  Kapillaren  zu  beziehen  sind.  Es  handelt 
sich  also  bei  der  Patientin  um  eine  ausserordentlich  ausgedehnte 
Angioneurose,  die  sich  auf  dem  Grund  einer  exquisiten  neuro- 
pathischen  Diathese  entwickelt  hat.  Bei  der  Auslösung  der 
Attacken  spielen  zwar  psychogene  Momente  eine  Rolle,  aber 
es  scheinen  doch  rein  körperliche  Momente,  wie  Anstrengungen, 
dabei  sehr  wesentlich  mitzuwirken.  W.  Misch,  Berlin. 

J.  Gerstmann.  Beiträge  zur  Pathologie  des 
Rückenmarks.  Zur  Frage  der  Meningitis  serosa  und  serofi- 
brosa  circumscripta  spinalis.  (Zeitschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  u. 
Psych.  XXIX,  1915,  Heft  2). 

Es  werden  6  Fälle  von  Meningitis  serosa  circumscripta 


Nr.  35. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


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spinalis  mitgeleilt.  In  dem  ersten  Falle  sass  der  Prozess  am 
untersten  Dorsalmark.  Im  zweiten  wurde  eine  Liquorabsackung, 
die  mit  lokal  begrenzten,  zwischen  der  Durainnen Seite  und 
der  Rückenmarksoberfläche  ausgespannten,  narbigen  Ver- 
wachsungsstriingen  einherging,  in)  Bereiche  der  mittleren 
Brustmarkssegemente  gefunden.  Im  dritten  handelte  es  sich 
um  mehrere  kleinere,  mit  einem  serösen  Exsudat  gefüllte  ge¬ 
schlossene  Cysten  in  der  Cauda  equina,  mit  den  Nervemvurzeln 
einerseits,  mit  der  Durarinneufläche  anderseits  vielfach  ver¬ 
wachsen.  Im  vierten  Fall  lag  eine  lokalisierte  Liquoran¬ 
sammlung  nebst  einer  umschriebenen  Pachymeningitis  tuber- 
kulosa  interna  an  der  Cauda  equina  vor.  Im  fünften  Fall 
fand  sich  eine  Meningitis  serosa  circumscripta  adhaesiva  im 
mittleren  Dorsalmark  im  Anschluss  an  einen  anatomisch  fest¬ 
gestellten  neoplastischen  Herd  an  einer  mit  jener  genau 
korrespondierenden  Stelle  der  Brustwirbelsäule  Im  sechsten 
Fall  endlich  handelte  es  sich  um  eine  mit  starker  Trübung 
und  Verdickung  der  Meningen  einhergehende,  mit  klarer 
Flüssigkeit  gefüllte,  stark  gespannte  Arachnoidealzyste  nebst 
beträchtlicher  Liquoranhäufung  unterhalb  derselben  im  Bereiche 
des  vierten  und  bis  sechsten  Burstmarksegmentes. 

Aus  den  Beobachtungen  an  den  gut  durchgearbeiteten 
Fällen,  die  sämtlich  durch  Operation,  in  einem  Falle  durch 
Autopsie  klar  gelegt  wurden,  sowie  der  Betrachtung  der  heran¬ 
gezogenen  Literatur  kommt  Verf.  zu  dem  Ergebnis,  dass  es 
keine  für  Meningitis  serosa  circumscripta  spinalis  absolut 
charakteristischen  Merkmale  gibt,  dass  vielmehr  sämtliche 
Krankheitsbilder  dem  Symptomenkomplex  einer  extramedullären, 
komprimierenden  Geschwulst  in  mehr  oder  weniger  ausge¬ 
sprochener  Weise  entsprachen.  Zwar  ist  in  dem  einen  oder 
anderen  Falle  ein  wechselnder  Verlauf  zu  beobachten,  doch 
fehlt  dies  Merkmal  in  einer  so  grossen  Mehrzahl  der  Fälle, 
dass  es  diagnostisch  nicht  verwendet  werden  kann.  Überhaupt 
haben  die  beschriebenen  Fälle  keine  Erscheinung  gezeigt,  die 
nicht  auch  im  Bereiche  der  Symptome  einer  komprimierenden 
Geschwulstbildung  Vorkommen  könnten.  Trotzdem  manche 
Erfahrungen  dafür  sprechen,  dass  die  Cystenbildung  einer 
spontanen  Rückbildung  fähig  ist,  so  ist  doch  mit  Rücksicht 
auf  die  mangelnde  Differentiakliaguose  gegen  Rückenmarks¬ 
tumor  die  Laminektomie  von  selbst  indiziert.  Über  die 
Aetiologie  der  Erkrankung  hat  die  Betrachtung  der  Fälle  nichts 
Sicheres  ergeben.  W.  Misch  -  Berlin 

F.  E.  Batten.  Family  cerebral  degeneration  with 
macular  change  (so-called  juvenile  form  of  familiy  amaurotic 
idiocy).  (Quart.  Journ.  of  Medic.  VII,  1914  Nr  28.) 

Es  wflrd  eine  Familie  von  fünf  Kindern  beschrieben, 
von  denen  drei  an  einer  progredienten  Erkrankung  litten,  die 
zu  Demenz,  Blindheit  und  Lähmungen  führte;  eines  von  den 
Kindern  zeigte  Veränderungen  in  der  Maculagegend  der  Augen. 
Die  Kinder  waren  bei  der  Geburt  vollkommen  gesund  und 
entwickelten  sich  bis  zum  Alter  von  3x/2  Jahren  ganz  normal. 
Dann  stellten  sich  epileptische  Anfälle  ein,  und  sie  begannen 
zu  degenerieren.  Sie  machten  viel  Lärin,  schmutzten  sich 
ständig  ein  und  bekamen  Spasmen  an  den  Extremitäten. 
Alle  drei  Kinder  kamen  zum  Exitus,  eins  mit  8  Jahren,  eins 
mit  4  und  eins  mit  6  Jahren;  bei  zweien  wurde  eine  Obduktion 
vorgenommen.  Makroskopisch  fanden  sich  bei  dem  einen 
Kind  gar  keine,  bei  dem  anderen  fast  gar  keine  Veränderungen 
des  Zentralnervensystems ;  mikroskoipsch  dagegen  fanden  sich 
diffuse  degenerative  Veränderungen  in  den  Ganglienzellen  des 
Gehirns,  Kleinhirns  und  Rückenmarks.  In  beiden  Fällen  war 
der  Wassermann  in  Blut  und  Liquor  negativ,  und  am  Gehirn 
und  seinen  Häuten  waren  keine  Anzeichen  einer  kongenitalen 
Syphilis  wahrnehmbar.  Auch  einige  Mitglieder  einer  zweiten 
Familie  mit  derselben  Erkrankung  wurden  von  dem  Autor 
beobachtet 

Es  liegt  also  hier  eine  Form  von  familiärer  zerebraler 
Degeneration  vor,  die  in  späterem  Alter  beginnt,  keine  be¬ 
sondere  Rassenspezifität  aufweist  und  in  einigen  klinischen 
Aeusserungen  von  der  Waren  Tay-Sachssehen  ,, Familiären 
amaurotischen  Idiotie“  abweicht  Die  typischen  Erscheinungen 
bei  dieser  Erkrankung  sind  Verlust  der  intellektuellen  Fähig¬ 
keiten,  Verlust  des  Sehvermögens  und  Verlust  der  Motilität. 
Alle  drei  Symptome  beginnen  und  verlaufen  gleichzeitig; 


hei  manchen  Fällen  tritt  auch  der  Intelligenzdefekt  zuerst 
hervor,  bei  anderen  der  Gesichtsdefekt.  Der  Beginn  der  Er¬ 
krankung  liegt  bei  den  Fällen  in  der  frühesten  Jugend,  bei 
anderen  in  der  späteren  Kindheit,  bei  noch  anderen  im  ersten 
Mannesalter  Während  manche  Fälle  rasch  zum  Exitus 
kommen,  verläuft  bei  anderen  das  Leiden  mein  chronisch 
progredient.  Zuweilen  finden  sich  ausgesprochene  Veränderungen 
der  Macula,  zuweilen  Pigmentveränderungen  der  Retina,  die 
nicht  auf  die  Macula  beschränkt  bleiben,  bei  anderen  ist  der 
Augenhindergrund  ganz  unverändert.  Klinisch  sind  die  Er¬ 
scheinungen  bei  diesen  Fällen  ausserordentlich  wechselnd, 
und  das  ist  gerade  charakteristisch  für  diese  Erkrankung, 
dagegen  sind  die  Zellveränderungen  in  allen  Fällen  die 
gleichen. 

Ref. :  W.  M  i  s  c  h. 


Physikalisch-diätetische  Heilmethoden  und 
Röntgenologie. 

Krebs  (Aachen),  Die  neue  städtische  Bäderanlage  in 
Aachen.  Zeitschr.  f.  physikal.  und  diätet.  Ther.  XX.  1916. 
6.  Heit,  S.  175 — 177. 

Wenn  nach  dem  Krieg  an  einen  Kollegen  die  Frage 
herantritt,  wohin  er  eine  Erholungsreise  machen  soll,  so  bietet 
sich  statt  eines  übelgesinnten  Auslandes  die  alte  Kaiserstadt 
Aachen  als  zweckmässiges  Reiseziel.  Die  für  jeden  Geschmack 
und  für  jeden  Geldbeutel  berechneten  Badeeinrichtungen  stellen 
Sehenswürdigkeiten  dar,  und  der  Arzt  kann  sich  an  Ort  und 
Stelle  überzeugen,  dass  die  berühmten  Quellen  nicht  aus¬ 
schliesslich  für  Luiker  indiziert  sind,  sondern  womöglich  noch 
mehr  für  alle  gichtischen  und  rheumatischen  Affektionen,  Neu¬ 
ralgien  und  Neuritiden,  Erkrankungen  des  Zentralnerven¬ 
systems,  der  Haut  und  der  Atmungsorgane,  und  sogar  für 
Magen-  und  Duodenalgeschwüre. 

Mögen  die  bewährten  Quellen  ihre  Heilkraft  recht  vielen 
Kriegsteilnehmern  spenden  ! 

Buttersack. 

Bofin  ger,  A.  (Mergentheim),  Bedeutung  und  Durch¬ 
führung  einer  rationellen  Krankendiät  in  Kurorten.  Zeitschr. 
f.  physikal.  und  diätet.  Ther.  XX.  1916.  6.  Heft,  S.  161 

bis  175. 

Verf.  vertritt  den  Gedanken,  es  sollten  in  jedem  Kurorte 
womöglich  in  sämtlichen  Kurorten  übereinstimmend  — 
bestimmte  Diätformen  unter  zuverlässiger  Kontrolle  bereitge¬ 
stellt  werden.  Die  Ärzte  brauchen  dann  ihre  Klienten  nur 
auf  diese  oder  jene  Form  zu  verweisen. 

Komplizierte  Fälle  und  technisch  schwierige  Diätformen 
gehören  ins  Krankenhaus. 

B  o  f  i  n  g  e  r  hat  3  solcher  Formen  vorgeschlageu  ; 
1.  laktovegetabile  ;  2.  Schonungsdiät  für  Magen-Darmkrauke: 

3.  kohlehydratarme,  eiweissreiche  Diät.  Sie  interessieren  gewiss 
die  Diätotherapeuten. 

Ich  persönlich  bin  im  Verlauf  des  Feldzugs  dazu  gekom¬ 
men,  an  der  diätetischen  Therapie  etwas  zu  zweifeln.  Denn 
ich  sah  genug  Leute  mit  schwachem  Magen,  die  zuvor  nichts 
ertragen  konnten  und  sehr  diät  leben  mussten,  und  die  nun 
zu  ihrer  grössten  Überraschung  alles  assen,  was  ihnen  früher  Tabu 
gewesen  war,  und  die  sich  prachtvoll  dabei  befanden.  Über  der 
Betrachtung  der  chemischen  Konstitution  der  einzelnen  Speisen 
hat  man  m.  E.  die  physiologische  Konstitution  des  Verdauuugs- 
apparates  zu  sehr  in  den  Hintergrund  treten  lassen.  Jeder 
einzelne  Pat.  ist  in  dieser  Beziehung,  wie  mein  Chef  Leyden 
zu  sagen  pflegte,  „ein  Problem“.  Darin  mag  z.  T.  mit  ein 
Grund  liegen  für  den  gewiss  richtigen  Satz  Bofinger  s, 
dass  die  Ernährungstherapie  noch  lange  nicht  als  abgeschlosse¬ 
nes  Lehrgebiet  vor  uns  liegt. 

Wenn  es  zutrifft,  dass  die  Menschen  im  allgemeinen  zu 
viel  essen,  dann  spielt  bei  der  diätetischen  Therapie  neben  der 
chemischen  Zusammensetzung  auch  eine  gewisse  Disziplin  im 
Essen,  Regelmässigkeit  und  Masshalten,  eine  Rolle.  In  diesem 
Zusammenhang  kann  man  es  bedauern,  dass  das  lasten,  wel¬ 
ches  früher  so  ausgiebig  verordnet  wurde,  kaum  noch  erwähnt 


348 


FOR  TSCHRITTE  OER  MEDIZIN. 


Nr.  35 


wird.  Vielleicht  lenkt  dieser  Krieg  die  allgemeine  Aufmerk¬ 
samkeit  wieder  nach  dieser  Richtung. 

Buttersack. 


Bücherschau. 

Dr.  M.  Heindhede,  Moderne  Ernährung  Deutsche 
Ausgabe  bearbeitet  und  mit  einen  Vorwort  versehen  von  Prof. 
Dr.  med.  von  Düring.  Teil  t  :  Theoretischer  Teil  (Verlag 
von  \\ .  Vobach  Co,  Berlin,  Leipzig,  Wien,  Zürich,) 

Zur  Zeit,  da  die  Ernährungsfrage  durch  den  Weltkrieg 
in  den  Vordergrund  des  Interesses  getreten  ist  und  alle  Kultur¬ 
völker  ihre  erhöhte  Aufmerksamkeit  zuweuden,  gewinnt  das 
Buch  von  Hindhede  an  aktueller  Bedeutung.  Die  im 
gegenwärtigen  Kriege  gemachten  Erfahrungen  sprechen 
zu  Gunsten  einer  geminderten  Nahrungsaufnahme,  denn  es 
zeigte  sich,  dass  die  Menschen  trotz  der  grossen  Strapazen  des 
Krieges  mit  viel  weniger  Nahrung  das  Auslangen  finden  als 
früher,  dabei  sich  sehr  wohl  fühlen,  ja  nicht  nur  gesünder 
sondern  leistungsfähiger  sind.  Die  Befürchtung,  dass  die 
Menschen  bei  einer  geminderten  Nahrungsaufnahme  von  ihrem 
Körper  zehren  müssen,  dass  sie  insbesondere  sich  im  Stick¬ 
stoffgleichgewicht  nicht  erhalten  können,  trifft  nicht  zu.  Diese 
auf  breitester  Basis  aufgebaute  Erfahrungstatsache  wird  nicht 
allein  während  des  Krieges,  wo  die  Beschränkung  jenen  Mässig- 
keitszwang  auferlegt  sondern  auch  späterhin  im  Frieden  ihre 
wohltätige  Wirkung  äussern  und  grosse  national  ökonomische 
Bedeutung  gewinnen.  Millionen  von  Menschen  werden  vom 
Kriegsschauplatz  die  wichtige  Erfahrung  mit  nach  Hause 
nehmen  und  aus  ihr  praktische  Konsequenzen  ziehen,  dass 
viele,  früher  als  unentbehrlich  geltenden  Nahrungsmittel  unbe¬ 
denklich  entbehrt  werden  können,  ohne  dass  man  dabei  vei- 
hungert  oder  von  seinem  Körper  zehrt.  Wenn  dieser  Grund  - 
satz  einmal  die  grossen  Massen  durchdrungen  und  zum  Ge¬ 
meingut  der  Kulturwelt  geworden  ist,  so  werden  daraus  nicht 
nur  natioualökonomisch  grosse  Vorteile  für  den  Einzelnen  wie 
für  die  Gesamtheit  erwachsen,  sondern  auch  der  allgemeine 
Gesundheitszustand  der  Menschen  wird  sich  heben  und  eine 
kräftigere  Generation  erblühen  Denn  in  dem  Masse,  als  die 
Menschen  sich  an  Mässigkeit  gewöhnen  und  die  Nahrungsauf¬ 
nahme  vermindern  werden,  wird  sich  ein  gesünderer  und 
leistungsfähigerer  Menschenschlag  entwickeln,  der  von  mancherlei 
Krankheiten  bewahrt  wird,  die  durch  eine  unmässige  Lebens¬ 
weise  entstehen. 

Zu  diesen  ausgreifenden  Bemerkungen  veranlasst  mich  die 
Lektüre  des  vorliegenden  Buches,  dessen  Autor  seit  Jahren  die  ! 
Wohltaten  einer  mässigen,  insbesondere  einer  eiweissarmen  Er- ' 
nährung  in  zahlreichen  Schriften  propagiert  und  nicht  allein  I 
unter  den  Laien  sondern  auch  in  wissenschaftlichen  Kreisen, 
namentlich  unter  den  Ärzten,  Nationalökonomen  und  Sozial¬ 
politikern  getreue  Anhänger  fand. 

Die  bislang  Jahrzehnte  hindurch  die  wissenschaftliche  Welt 
beherrschende  Formel  Voit’s  von  dem  täglichen  Bedürfnis  des 
Normalmeuschen  an  den  drei  wichtigsten  Nahrungsmitteln: 
„Eiweiss,  Fett  und  Kohlenhydrate“  erscheinen  nach  der  Ansicht 
Hindhede’s  physiologisch  nicht  begründet.  —  Seine  Ansicht 
geht  vielmehr  dahin,  dass  man  mit  einer  viel  eiweissärmeren 
Kost  schadlos  das  Auslangen  findet,  wofür  der  gegenwärtige 
Krieg  unzählige  Beweise  liefert.  An  der  Hand  einwandfreier 
Versuche  stellt  nun  der  Autor  die  Beweise  zusammen,  die  die 
Vorzüge  einer  ei  weissärmeren  Kost  vor  einer  ei  weissreichen 
dartun.  Wenn  wir  auch  den  weitgehenden  Schlussfolgerungen 
Hindhede’s  nicht  rückhaltlos  beipfiichten  können,  so  werden 
wir  doch  unter  der  drückenden  Beweislast  seiner  Argumente 
unsere  bisherige  Ansicht  von  der  uuumstösslichen  Bedeutung 
der  Voigt’schen  Formel  unbedingt  revidieren  und  den  Eiweiss¬ 
kanon  des  Organismus  erheblich  tiefer  stellen  müssen. 

Die  Kostform,  die  H.  wirtschaftlich  und  gesundheitsfördernd 
vorschlägt,  ist  im  Grunde  keine  neue. 

Die  allgemein  verbreitete  Ansicht,  „das  System  Hindhede’s 
bestehe  darin,  dass  man  nichts  anderes  als  Kartoffeln  mit  Brot 
esse“,  ist  durchaus  irrig.  Seine  Reform  besteht  im  wesent¬ 
lichen  in  der  Rückkehr  zu  der  einfachen,  fleischarmen  Kost, 


in  der  die  Cerealien,  Kartoffeln,  Gemüse,  Milch,  Butter,  Käse 
usw.  die  Hauptrolle  spielen  —  eine  Kostform,  die  bei  der 
Landbevölkerung,  seit  jeher  üblich  war.  Seinen  Ruhm  hat 
Hindhede  mit  dem  Schlagwort  begründet,  dass  man  in  Däne¬ 
mark  um  28  Pfennige  täglich  ausreichend 
sich  ernähren  und  dabei  vollkommen  ge¬ 
sund  und  arbeitsfähig  bleiben  könne  Die  um 
diesen  Preis  zu  beschaffenden  Nahrungsmittel  genügen  voll¬ 
kommen,  um  den  Kalorienbedarf  eines  normalen  Menschen 
zu  decken  —  ein  Grundsatz,  der  unsere  ganze  bisherige  wissen¬ 
schaftliche  Anschauung  über  den  Nahrungsbedarf  eines  arbeiten¬ 
den  Menschen  auf  den  Kopf  stellt. 

Im  Gegensatz  zu  G  bittenden  tritt  H.  für  eine 
reichliche  Ernährung  ein.  Seine  Kalorienzahlen  sind 
sogar  recht  hoch,  sie  bewegen  sich  um  3000  im  Tag,  wobei 
das  Eiweiss  in  der  Menge  von  60-80  g  zahlenmässig  hinter 
dem  Fett  und  den  Kohlenhydraten  zurücksteht.  Von  Be¬ 
deutung  is:  die  Ansicht  Hs,  dass  das  Eiweiss  nicht  unbedingt 
animalischen  Ursprungs  sein  muss  und  dass  das  vegetabilische 
den  gleichen  Dienst  leistet.  Das  ist  sicher  nicht  richtig,  weil 
die  vegetabilischen  Eiweisskörper  erst  abgebaut  werden  müssen, 
bevor  sie  assimiliert  werden,  was  den  Stoffwechsel  erheblich 
belastet;  während  die  animalischen  Eiweisskörper  als  solche 
vom  Organismus  aufgenommen  und  assimiliert  werden.  Was 
aber  das  H’sche  Eiweissmiuimum  von  60  g  im  Tage  betrifft, 
so  wird  diese  Ansicht  des  Autors  durch  die  gegenwärtigen 
Kriegserfahrungen  vollkommen  ratifiziert,  so  zwar,  dass  die 
wissenschaftliche  Welt,  der  bis  nun  die  Voit’sche  Formel  mass¬ 
gebend  war,  dieser  Ansicht  allmählich  beizupflichten  beginnt. 

So  hat  z.  B.  der  berühmte  Hygieniker  Gruber  in  den 
„Süddeutschen  Monatsheften“  in  Hinblick  auf  die  schweren 
Zeiten,  die  wir  jetzt  durchmachen,  darauf  hingewiesen,  dass  wir 
mit  weniger  tierischem  Eiweiss,  dass  wir  mit  Vegetabilien  besser 
und  billiger  leben  können,  als  wenn  wir  für  dasselbe  Geld 
Fleisch  uns  kaufen.  Den  gleichen  Standpunkt  vertraten  auch 
andere  Autoren,  die  im  verflossenen  Jahr  in  einer  Serie  von 
Artikeln  in  der  Münchner  Medizin.  Wochenschrift  die  Voit’sche 
Formel  bekämpften.  Nach  den  jetzigen  Kriegserfahrungen 
kann  mau  also  sehr  billig  leben,  wenn  man  die  richtige  Aus¬ 
wahl  der  Nahrungsmittel  trifft.  So  ist  aus  der  Not  der  Zeit 
eine  grosse  Tugend,  die  Tugend  des  Sparens  mit  Lebensmitteln 
entstanden,  woraus  die  Menschheit  —  der  Einzelne  sowohl  wie 
die  Gesamtheit  —  auch  in  Friedenszeiten  grossen  Nutzen  ziehen 
wird. 

Das  vorliegende  Buch  behandelt  in  klarer,  gemeinverständ¬ 
licher  Darstellung  die  bahnbrechenden  Untersuchungen  H’s, 
die  seit  Jahr  und  Tag  das  grösste  Aufsehen  nicht  allein  in 
Dänemark  —  seinem  engeren  Vaterlande  —  sondern  in  der 
ganzen  wissenschaftlichen  Welt  ebenso  wie  in  Laien  kreisen 
erregt  haben.  Mit  Eifer,  Energie  und  geradezu  fanatischer 
Überzeugungstreue  verficht  TI.  in  diesem  Buche  seine,  die  bis¬ 
herigen  Grundlagen  unserer  Ernährung  umstürzende  Theorie. 
Es  war  daher  unvermeidlich,  dass  er  mit  der  zünftigen  Wissen¬ 
schaft  in  Konflikt  geriet  H.  führt  eine  feine  Klinge  gegen 
eine  Welt  von  Widersachern  und  insbesondere  nimmt  er  den 
Geheimrat  Prof.  Max  Rubu  er  in  Berlin  aufs  Korn, 
der  in  seiner  neuesten  Arbeit:  „Über  moderne  Ernährungs¬ 
formen“  die  alten  Ernährungsgrundsätze,  die  seit  Voit  als 
massgebende  Form  in  der  Wissenschaft  galten,  aufrecht  zu 
erhalten  sucht  und  H.  als  Quantite  negligeable  abtun  will, 
ohne  ihn  jedoch  meritorisch  zu  widerlegen. 

Zumindest  geben  die  neuesten  Erfahrungen  nicht  Rubner, 
sondern  H.  Recht 

Wie  immer  wir  Ärzte  über  die  Theorie  H’s  urteilen  mögen 
—  dem  vorliegenden  Buche  werden  wir  unter  allen  Umständen 
grosses  Interesse  entgegenbringen.  Wenn  auch  die  in  demselben 
entwickelte  Theorie  sich  mit  unseren  wissenschaftlichen  An¬ 
schauungen  nicht  deckt,  wird  es  jeder  Arzt  mit  Gewinn  und 
Interesse  lesen.  Die  Lektüre  desselben  sei  daher  jedem  Arzte 
wärrnstens  empfohlen.  Dr.  Ä  1  1  e  r  t. 


Druck  von  Julius  Beltz,  Hofbuchdrucker,  Langensalza. 


1915/16. 


33.  Jahrgang 


Fortschritte  der  llledim 


L.  Brauer, 

Hamburg. 


Unter  mitwirKutid  hervorragender  Tachntänner 


herausgegeben  von 

L.  von  Criegern,  L.  Edinger, 

Hildesheim.  Frankfurt  a/M. 


L.  Hauser, 

Darmstadt. 


V 


C.  L.  Rehn, 

Frankfurt  a/M. 

erant  wörtliche  Sc 


hriftleitung: 


H.  Vogt, 

Wiesbaden. 


Dr.  Rigler  in  Darmstadt. 


G.  Köster, 

Leipzig 


Nr.  36. 


Erscheint  am  10.,  20.  und  30.  jeden  Monats  zum  Preise  von  8  Mk.  für  das  Halbjahr 
Verlag  Johndorff  &  Co.,  G.  m.  b.  H  ,  Berlin  NW.  87.  —  Alleinige  Inseratenannahme  durch 

Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


30.  September 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 


Der  Krebs.*) 

Von  I)r.  Fischer-Defoy  in  Dresden. 

Noch  fehlt  eine  einheitliche  S  t  a  t  i  s  t  i  k  über  den 
Krebs.  Es  ist  aber  dringend  notwendig,  dass  alle 
Länder  ihre  Zählungen  nach  den  gleichen  Leitsätzen 
vornehmen.  Sehr  ungenau  sind  z.  R,  worauf  B  a  s  h  - 
ford  (6)  hinweist,  die  amerikanischen  Krebsstatistiken. 
So  beruht  denn  auch  die  kürzlich  von  jenseits  des 
Oceans  auftauchende  Alarmnachricht  von  einem  riesigen 
Anwachsen  der  Häufigkeit  des  Karzinoms  nicht  auf  Tat- 
Sachen,  sondern  auf  einer  nicht  einwandfreien  Zählung. 

Mit  der  weiteren  Ausdehnung  der  Unfalls  -  Gesetz¬ 
gebung  nehmen  auch  die  Entscheidungen  darüber  zu, 
ob  ein  Krebs  in  Fogleeines  Unfalls 
auftreten  kann.  Allgemeine  Regeln  lassen  sicli  natür¬ 
lich  nicht  aufstellen.  Es  wäre  auch  unangebracht,  von 
vorneherein  die  Möglichkeit  eines  Zusammenhangs 
strikt  abzulehnen.  Es  muß  eben  von  Fall  zu  Fall  ge¬ 
urteilt  werden.  J  u  n  g  m  a  n  n  (46)  verneinte  den  Zu¬ 
sammenhang  eines  Speiseröhrenkrebses  mit  einem  Un¬ 
fall  aus  dem  Grunde,  weil  weder  eine  direkte  noch  eine 
indirekte  Beeinflussung  des  Oesophagus  stattgefunden 
hatte,  wie  denn  überhaupt  eine  Verletzung  wegen  seiner 
geschützten  Lage  nur  sehr  selten  stattfindet.  Anders 
ist  die  Sachlage  in  einem  von  Frank  (27)  mitge¬ 
teilten  Falle.  Es  bestanden  Brückenerscheinungen,  die 
von  dem  Unfall  direkt  auf  die  ersten  Symptome  des 
Krebses  hinleiteten.  Der  Insult  hatte  Frakturen  der 
linken  6.  und  7.?  sowie  eine  Quetschung  der  5. — 8.  Rippe 
zur  Folge;  von  dem  Unfall  her  datierte  fortschreitende 
Abmagerung  und  beständige  Schmerzhaftigkeit,  bis  ein 
Magenkrebs  diagnostiziert  werden  konnte.  Immerhin 
ist  es  natürlich  auch  hier  möglich,  dass  das  Karzinom 
schon  vor  dem  Unfall  bestanden  hat. 

Röntgenk  rebse  sind  zweifellos  nicht  so  häufig, 
als  man  zuerst  angenommen  hatte.  B  i  c  h  1  e  r  (8  be¬ 
richtet  über  drei  Fälle,  in  denen  sich  die  Kazinom- 
bildung  an  eine  8 — 18  Jahre  lang  bestehende  Dermatitis 
anschloss.  Charakteristisch  für  den  Röntgenkrebs  ist 
seine  große  Schmerzhaftigkeit. 

Das  Radium  macht  L  a  z  a  r  u  s  -  B  a  r  1  o  w  (61) 
für  die  Aetiologie  des  Krebses  verantwortlich.  Er  fand, 
dass  normales  Gewebe  viel  weniger  Radium  enthält  als 
krebsiges.  Z.  B.  enthalten  Gallensteine  für  gewöhnlich 
kein  Radium,  wohl  aber,  wenn  gleichzeitig  ein  Karzinom 
der  Gallenblase  besteht.  Er  hält  es  nicht  für  ausgeschlossen, 
dass  man,  ebenso  wie  es  durch  Röntgenstrahlen  mög- 

*)  Infolge  des  Krieges  hat  sich  die  Drucklegung  dieser  Arbeit 
verzögert.  D.  R. 


lieh  ist,  auch  durch  Radium  künstlich  Krebs  hervor- 
rufen  kann.  Radium  ist  in  der  ganzen  Natur  weit  ver¬ 
breitet,  und  es  hat  auch  die  Fähigkeit  eine  beschleunigte 
Teilung  der  Zellen  herbeizuführen,  alles  Gründe,  die  L. 
zur  Unterstützung  seiner  Theorie,  die  zunächst  nichts 
weiter  ist  als  eben  eine  Theorie,  herbeizieht. 

Im  Uebrigen  treten  zur  Zeit  die  Arbeiten  über  die 
Aetiologie  des  Krebses  ziemlich  zurück.  Ein  anderes 
Gebiet  steht  jetzt  im  Vordergründe  des  Interesses.  Nur 
Theilhaber  (97)  kommt  auf  seine  Theorie  zurück;  der 
lokalen  Prädisposition  folgt  nach  seiner  Meinung  eine 
humorale  Disposition,  bei  der  eine  Störung  der  hämo- 
poetischen  Organe  eine  besondere  Rolle  spielt. 

Bo  ve  ri  (13)  dagegen  glaubt,  daß  das  abnorme 
Wachstum  der  Zellen  auf  einem  Defekt  der  Zellenkerne 
beruht  und  daß  der  erste  Anlaß  zur  Entstehung  des 
Krebses  in  einer  abnormen  Chromosomenkombination 
zu  suchen  ist. 

Von  dem  Micrococcus  neoformans  Doven  hört  man 
nach  langer  Zeit  wieder  durch  Yamanouchi  und 
Lytchkowsky  (109),  die  ihn  aus  20  Krebsfällen 
dargestellt  zu  haben  glauben. 

Seine  Versuche,  krebsähnliche  Geschwülste 
künstlich  zu  erzeugen,  setzte  Ke  lling  (48)  fort.  Er 
behandelte  Hühner  mit  artfremdem  Blut  und  artfremdem 
Eiweiß  und  sensibilisierte  dadurch  die  embryonalen  Zell¬ 
anlagen  im  Eierstock  für  geschwulstmäßiges  Wachstum. 

ln  der  experimentellen  Krebs¬ 
forschung  spielt  nach  wie  vor  das  M  äuse- 
k  a  r  zi  n  o  in  eine  große  Rolle.  Besonders  sind  es 
Transplantationsversuche,  die  in  den  verschiedensten 
Modifikationen  angestellt  werden.  Von  einem  sehr 
virulenten  Mäusekarzinom  stellten  Henke  und 
Schwarz  (40)  eine  Emulsion  mit  physiologischer 
Kochsalzlösung  her,  die  dann  filtriert  wurde.  Trotz¬ 
dem  im  Filtrat  keine  Tumorzellen  mehr  nachzuweisen 
waren,  gelang  es  doch,  durch  Impfung  bei  drei  von 
acht  Mäusen  künstlich  Krebs  zu  erzeugen.  Die  Ver¬ 
suche  von  Strauß,  der  Mäusekrebs  auf  Kaninchen 
mit  Erfolg  übertragen  und  dann  weiter  auf  Kaninchen 
weitergezüchtet  hatte,  ohne  daß  eine  Zurückimpfung 
auf  Mäuse  gelang,  konnten  A  p  o  1  a  n  t  und  Bier- 
bäum  (3)  nicht  bestätigen.  Trotzdem  die  Transplanta¬ 
tionsfähigkeit  der  Mäusekrebse  eine  sehr  weitgehende 
ist,  sind  auch  ihr  Grenzen  gesetzt.  Sie  erlischt,  wenn 
die  Zellen  8  Stunden  lang  einer  Temperatur  von 
37  Grad  ausgesetzt  werden  (Rüssel  und  B  u  1  - 
lock  [83]). 

Im  Uebrigen  sucht  man  durch  Experimente  an 
Mäusen  allen  Fragen  näherzukommen,  die  den  mensch- 


350 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  36 


liehen  Krebs  betreffen.  I  m  m  u  n  i  s  i  e  r  u  n  ^  s  v  er¬ 
suche  stellte  Königsfeld  (54)  an,  der  die  Tiere , 
mit  einem  Tumortrockenpulver  vorbehandelte  und  da-  I 
durch  unempfänglich  gegen  eine  darauf  folgende  Im-  j 
pfung  mit  frischem  Tumormaterial  machte.  Das  Trocken¬ 
pulver  wurde  so  hergestellt,  daß  der  betreffende  Tumor 
auf  einer  Platte  ausgequetscht  und  diese  Platte 
im  Vacuumapparat,  getrocknet  wurde,  Beim  Abschaben 
bildete  sich  dann  ein  feines  Pulver,  das  keine  lebenden 
Tumorzellen  mehr  enthielt. 

Auch  therapeutische  Versuche  werden  an 
Mäusekarzinomen  angestellt,  in  der  Hoffnung,  dabei 
erhaltene  Resultate  auf  den  Menschen  übertragen  zu 
können.  Eosinsalbe,  Glycocollkupfer  und  Cholin- 
Selenvanadium  erwiesen  sich  als  unwirksam  gegen 
Mäusekrebs  (Keysser  [50]),  ebenso  Fluorescin, 
Saponin,  Chlorkalzium  und  Selen  Verbindungen  (P  e  n  t  i  - 
malli  [74]).  Gleichstrom  von  15-20  M.  A.  Stärke 
vernichtete  bei  täglicher  Einwirkung  von  15 — 30  Mi¬ 
nuten  Dauer  subkutane  Mäusekarzinome,  während  ein 
solcher  von  nur  2 — 5  M.  A.  dass  Wachstum  beschleunigte 
(Seyderhelm  [94].  Radioaktive  Substanzen 
haben  nach  v.  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  (100)  einen  direkten 
Einfluß  auf  die  Mäusekrebszellen.  Sie  töten  sie  aber 
nicht  direkt,  sondern  schädigen  den  Fortpflanzungs¬ 
apparat,  der  Vermehrung,  Proliferation  und  Teilung  der 
Zelle  vermittelt.  Der  Tod  der  Zelle  erfolgt  dann  durch 
Altern  sowie  durch  Einwirkung  der  zelltötenden  Kräfte 
des  Organismus. 

Weiteren  Ausbau  hat  die  serologische 
Diagnostik  des  Krebses  erfahren,  und  es  erscheint 
nach  den  neusten  Arbeiten  nicht  unwahrscheinlich  zu 
sein,  daß  in  der  Zukunft  doch  noch  eine  Methode  der¬ 
artig  ausgebaut  wird,  daß  sie  unbedingt  zuverlässig  ist, 
wenn  auch  der  Gedanke,  dem  praktischen  Arzte,  der 
kein  kompliziert  eingerichtetes  Laboratorium  zur  Ver¬ 
fügung  hat,  eine  Handhabe  für  den  täglichen  Gebrauch 
zu  geben,  vorläufig  zurücktreten  muß.  Ueber  die 
gangbarsten  serologischen  Methoden  gibt  Halpern 
(34,  35)  eine  Uebersicht.  Nach  seinen  Untersuchungen 
schalten  als  nicht  spezifisch  die  Kellingsche  auf  Hühner- 
bluthaemolyse  beruhende  Methode  aus,  als  unsicher  die 
Neubauer-Fischersche  Fermentreaktion,  die  Freund- 
Kaminersche  und  die  Grafer-Römersche  Heterolvsin- 
methode.  Zuverlässig  sind  die  Glyzyltryptophanreaktion, 
die  aber  leicht  zu  Fehlern  führt,  die  Meiostagminreaktion 
und  das  v.  Dungernsche  Komplementbindungsverfahren, 
das  in  71  von  7 9  Krebsfällen  positiv  war,  während  das 
Abderhaldensche  Dialysierverfahren  sich  nicht  so  be¬ 
währt  hat. 

Ueber  den  Wert  der  Abderhaldensch  en, 
auf  dem  Nachweis  der  Abwehrfermente  beruhenden 
Krebsreaktion  sind  die  Meinungen  geteilt.  Für  unzu¬ 
verlässig  halten  sie  O  eil  er  und  Stephan  (71), 
ferner  E.  F  r  ä  n  k  e  1  (28)  und  A  llmann(l),  während 
H  e  i  in  a  n  n  und  F  ritsch  (39)  die  Versager  auf 
mangelnde  Uebung  zurückführen ;  wenn  man  die 
Technik  durch  monatelange  Arbeit  ganz  beherrscht, 
findet  man,  daß  die  Methode  besonders  für  die  Früh¬ 
diagnose  sehr  wertvoll  ist.  Auch  F  a  s  i  a  n  i  (24),  Ball 
(4)  und  Schawlow  (87)  sprechen  sich  für  die  Brauch¬ 
barkeit  des  Verfahrens  aus.  Aus  den  Berichten  geht 
aber  hervor,  daß  ein  negatives  Resultat  wertvoller  ist 
als  ein  positives.  Abwehrfermente  werden  nicht  selten 
bei  Nichtkrebskranken  produziert,  z.  B.  bei  Luetikern, 
Cirrhotikern.  Von  Fasiani’s  (24)  Patienten  mit  Krebs 
reagierten  96  °/u  positiv,  von  denen  ohne  Karzinom  da¬ 
gegen  nur  65  7o  negativ. 

Für  die  von  Dungernsche  Komplement- 
bildungsreaktion,  die  sich  bewährt  hat,  ohne 
daß  man  sagen  kann,  daß  sie  unbedingt  zuverlässig 
wäre,  schlägt  Ilara  (37)  vor,  als  Ersatzmittel  des  Blut¬ 


extraktes  (Antigen  !)  Maltose  und  Phenolphthalein  zu 
benutzen.  Yamanouchi  und  Lytchkowsky 
(109)  gebrauchen  als  Antigen  für  Komplementbindungs¬ 
reaktion  den  von  ihnen  isolierten  Micrococcus  neofor- 
mans  Doyen. 

Bei  der  M  eiostagminreaktion  liegen  die 
Verhältnisse  ähnlich  wie  bei  der  Abderhaldenschen : 
ein  positiver  Ausfall  beweist  nicht  das  Vorhandensein 
eines  Krebses,  denn  auch  Gravide  und  Tuberkulöse 
reagieren;  ein  negativer  dagegen  schließt  Krebs  mit  ge¬ 
wisser  Wahrscheinlichkeit  aus.  Als  Antigen  hat  sich 
nach  Roosen  und  Blumenthal  (81)  sowie  nach 
v.  Zubrzycki  (110)  ein  Linol-Rizinolsäuregemisch 
bewährt.  Hara  (38)  verdünnt  das  Serum  mit  alkoho¬ 
lischer  Traubenzuckerlösung. 

Auf  dem  Nachweis  der  Präcipitine  beruht  ein 
von  Piorkowski  (78)  angegebenes  Verfahren  ;  Krebs¬ 
stücke  werden  zerkleinert,  in  Wärme  mit  alkoholischer 
Kalilösung  verseift  und  dann  ausgeschüttelt;  die  er¬ 
haltene  Enzymlösung  wird  mit  Serum  von  Krebsver¬ 
dächtigen  zusammengebracht.  Die  Reaktion  ist  positiv, 
wenn  nach  10—20  Stunden  an  der  Berührungsstelle 
der  beiden  h  lüssigkeiten  ein  grauweißer  Ring  erscheint. 
Die  Methode  verlangt  zunächst  noch  eine  Nachprüfung 
an  großem  Material,  ehe  man  über  ihre  Zuverlässigkeit 
urteilen  kann. 

K  e  1  1  i  n  g  (49)  hat  gefunden,  daß  das  Serum 
Karzinomatöser  Hühnerblutkörperchen  besonders  lebhaft 
löst,  zumal  wenn  man  es  mit  Kochsalzlösung  ver¬ 
dünnt  und  24  Stunden  lang  bei  Körperwärme  stehen 
läßt.  Er  hat  in  90  °/o  seiner  Fälle  postive  Resultate 
erhalten,  empfiehlt  aber  doch  zur  Sicherheit  eine  gleich¬ 
zeitige  Benutzung  der  Meiostagminprobe. 

Weniger  günstig  sind  die  Erfolge  der  Epiphanin- 
reaktion,  die  auf  der  Veränderung  des  Phenolphthalein¬ 
umschlagspunktes  beruht ;  nach  J  o  z  s  a  und  T  o  k  e  o  k  a 
(45)  ist  sie  in  81,5  °/0  der  Krebsfälle  positiv.  Die  von 
W  i  e  n  e  r  und  v.  T  o  r  d  a  y  (108)  angegebene  Kalzium- 
goldcyanatreaktion  ist  nicht  spezifisch  für  Krebs, 
sondern  tritt  auch  bei  Svphilis  ein. 

Auf  eine  Eigentümlichkeit  desKörpers  von 
Krebskranken  macht  Jozsa  aufmerksam  er  scheidet 
nämlich  viel  weniger  Kieselsäure  als  der  normale 
Körper  aus.  Ob  aber  dieser  Umstand  zu  einer  Karzinom¬ 
reaktion  verwertet  werden  kann,  steht  dahin. 

Auch  an  der  speziellen  Diagnostik,  von 
der  die  Aufmerksamkeit  durch  das  Suchen  nach  einer 
Allgemeinreaktion  leicht  abgelenkt  werden  kann,  auf 
die  aber  der  Hauptwert  im  Kampfe  gegen  den  Krebs 
liegt  und  auch  liegen  bleiben  wird,  wird  weiter  ge¬ 
arbeitet.  Auf  die  praekanzerösen  Laesionen  und  ihre 
Bedeutung  für  die  Entstehung  des  Unterlippenkrebses 
macht  Bloodgood  (11)  aufmerksam.  Kleine 
Lippendefekte  zumal  bei  Rauchern  sind  immer  ver¬ 
dächtig,  beginnende  Krebse  zu  sein.  Thomson  (98) 
hat  als  erstes  Symptom  eines  inneren  Larynxkarzinoms 
stets  eine  Stimmveränderung,  die  in  beständige  Heiserkeit 
übergeht,  feststellen  können. 

Die  Ausdehnung  eines  Brustkrebses  kann  man 
nach  M  o  s  k  o  w  i  c  z  (68)  daran  erkennen,  wie  weit  die 
beim  Reiben  (z.  B.  zwecks  Desinfektion)  über  dem 
Tumor  entstehende  anaemische  Zone,  die  von  einem 
hyperaemischen  Gürtel  umgeben  ist,  reicht.  Sie  ist  ein 
direktes  Zeichen  für  Malignität,  da  sie  bei  Adenomen 
nie  auftritt.  In  zwei  Fällen  beobachtete  Hohlweg  (42) 
bei  Brustkrebs  Polyurie;  eine  Erklärung  dieses 
Phaenomens  w’ar  aber  nicht  möglich.  Pa  u  Isen  (72) 
glaubte,  bei  einem  Mammakarzinom  Nematodeneier  ge¬ 
funden  zu  hab^n,  doch  ist  immerhin  eine  Verwechs¬ 
lung  mit  Paraffintropfen,  herrührend  von  dem  Einlegen 
des  Präparates  in  Paraffinum  liquidum,  nicht  ausge¬ 
schlossen.  Ein  Brustkarzinom  mit  Drüsenmetastasen 


Nr.  36. 


F O RTSCH R ITTE DE  DER  MEDIZIN 


351 


bei  einem  männlichen  Neger  beschreibt  Welch  (105). 
Noch  immer  ist  die  Frage  des  Zusammenhanges 
von  Magenkrebs  und  Ulcus  rotunduin  ungeklärt. 
Nach  den  Angaben  von  Bille  t  e  r  (9)  und  K  o  n  j  e  t  z  ■ 
ny  (55)  ist  man  geneigt,  die  sog.  Ülcuskarzinome  für 
selten  zu  halten;  ersterer  stellte  unter  116  Ulcuställen 
nur  einmal  einen  sekundären  Krebs  fest.  McGarty 
und  Br  oders  (17)  weisen  jedoch  darauf  hin,  daß  ein 
Teil  der  als  Ulcus  rotundum  imponierenden  Geschwüre 
in  Wahrheit  schon  kazinomatös  ist,  was  man  aus  den 
am  Rande  befindlichen  ausgesprochenen  Krebszellen 
schliessen  kann.  Differentialdiagnostisch  ist  zu  be¬ 
merken,  daß  beim  Ulcus  ausgesprochene  Gastrektase  be¬ 
steht,  die  schon  äußerlich  durch  Peristaltik  und  Ver¬ 
steifung  wahrzunehmen  ist,  während  beim  Krebs  nur 
eine  mäßige  Dilatation  mit  geringen  Bewegungen  be¬ 
merkt  wird  (Groß  und  Held  [31 J). 

Auf  Grund  von  83  Resektionspräparaten  kommt 
K  o  n  j  e  t  z  n  y  (55)  zu  der  Festellung.  daß  in  90°/0  der 
Fälle  enge  Beziehungen  zwischen  Magenkrebs 
und  chronischer  Gastritis  bestehen.  Schleimhauthyper¬ 
plasien  bilden  den  ersten  Schritt  von  der  Gastritis  zum 
Krebs  hin.  Den  gleichen  Zusammenhang  bestätigen 
Gregorie  und  M  a  s  s  o  n  (30),  die  den  Hauptwert 
auf  die  interstitiellen  Prozesse  und  die  Bildung 
heterotopischer  Inseln  von  intestinalem  Bau  im 
Magen  legen. 

Einige  Aussicht  eröffnen  die  vorläufig  erst  in 
kleinem  Umfange  angestellten  Versuche  von  Weiß 
(104),  der  nachwieß  daß  der  normale  Organismus  auf 
parenteral  eingeführte  Magenschleimhaut  mit  der 
Produktion  von  Abwehrfermenten  reagiert,  dagegen 
der  Organismus  des  Magenkranken  hierzu  nicht 
fähig  ist.  Sollte  sich  dieses  Verhalten  an  einem  größeren 
Materiale  bewähren,  so  sind  damit  besonders  in 
differentialdiagnostischer  Beziehung  Perspektiven  er¬ 
öffnet.  Die  Wichtigkeit  des  Röntgenver¬ 
fahrens  für  die  Diagnose  des  Magenkrebses  betont 
Schüller  (89);  er  rät  aber  dringend  dazu,  es  stets 
nur  in  Verbindung  mit  anderen  Untersuchungsmethoden 
zu  verwenden.  Die  Grenzen  des  Röntgens  sind  darin 
zu  suchen,  daß  es  keine  Auskunft  über  Metastasen  und 
Verwachsungen  gibt  (Reichel  [80]).  Daß  man  aber 
mit  großer  Geduld  —  es  ist  oft  eine  vergleichende  Be¬ 
trachtung  von  40,  ja  oft  von  70—80  Aufnahmen  nötig 
—  auch  kleinere  Ülcera  diagnosticieren  kann,  betont 
C  o  1  e  (19),  der  in  6 1 6  Fällen  fast  stets  Ueberein- 
stimmung  zwischen  Röntgen-  und  Operationsbefund 
feststellen  konnte. 

Für  die  Frühdiagnose  des  Magenkrebses  wertvoll 
ist  nach  Bardach  zi  (5)  das  Boassche  Probeabend¬ 
essen  ;  tritt  danach  keine  Retention  ein,  dann  ist  Krebs 
unwahrscheinlich. 

In  seltenen  Fällen  kann  ein  Magenkarzinom  sich 
gleichmäßig  in  der  Submucosa  ausbreiten  ;  wie  Bland- 
Sutton  (10)  schildert,  war  in  einem  solchen  Falle  die 
Magenwand  lederartig  bis  zu  einer  Stärke  von  2,5  cm 
verdickt,  ohne  daß  eine  Ulceration  bemerkbar  war. 

Je  drei  Fälle  von  Appendixkrebsen  haben 
Schwa  rz  (90)  und  Ha  da  (32)  beobachtet;  jener 
leitet  sie  von  den  Liebschen  Krypten  ab ;  dieser  sah 
sie  stets  in  Verbindung  mit  Entzündung  und  Divertikel¬ 
bildung  auftreten. 

Die  Diagnose  des  Mastdarmkr  ebses  wird 
von  Lindner  (63)  behandelt. 

Einen  Gallertkrebs  der  Ha  rn  blase,  der  in  alle 
Feile  des  Ilarnapparates  Metastasen  gesetzt  hatte  und 
im  miroskopischen  Bilde  alle  Stadien  der  Cystenbildung 
zeigte,  beschreibt  B  lum  ( 1 2).  Sehr  selten  ist  das 
primäre  Nebenhoden  karzinom,  das  auf  Grund 
einer  eigenen  Beobachtung  S  a  k  g  u  c  h  i  (85)  behandelt. 
Das  Wesen  des  sog.  Schornsteinfegerkrebses 


beleuchtet  ein  Blick  auf  eine  Familiengeschichte,  die 
G  r  o  w  (20)  mitteilt.  Ein  57  jähriger  Schornstc  infeger 
litt  seit  5  Jahren  an  Ilodenkrebs.  Sein  Vater  hatte 
ebenfalls  einen  solchen  gehabt;  seine  beiden,  als  Schorn¬ 
steinfeger  tätigen  Brüder  sowie  eine  Schwester  waren 
ebenfalls  krebskrank,  und  zwar  war  der  Sitz  des 
Karzimons  bei  jenen  an  der  Wange,  woraus  geschlossen 
werden  kann,  daß  der  Schornsteinfegerkrebs  auch  dort 
lokalisiert  vorkommt. 

Auf  ungewöhnliche  Weise  entstand  ein  Genital- 
krebs  beim  Weibe  nach  der  Schilderung  von 
E  d  e  lbe  rg  (22).  Fine  68  jährige  Frau  die  12  Jahre 
lang  ein  Pessar  getragen  hatte,  ohne  es  einmal  zu 
wechseln,  bekam  an  einer  Druckstelle  einen  Platten¬ 
epithelkrebs  der  Scheide.  Bei  einem  7  jährigen  Kinde, 
das  bereits  mit  4  Jahren  an  genitalen  Blutungen  ge¬ 
litten  hatte,  sah  Mergelsbe  rg  ((>7)  ein  Gebär¬ 
mutterkarzinom. 

Die  Diagnose  auf  Uteruskarzinom  ist  nach 
Schottländer  (88)  entgegen  anderen  Ansichten  stets 
aus  einem  Curettement  zu  stellen,  vorausgesetzt,  daß 
dasselbe  gründlich  ausgeführt  ist.  Nicht  alltäglich  ist 
es,  wenn  bei  einer  Entbindung  ein  taschenurgroßes 
Portiokarzinom,  das  mikroskopisch  untersucht  wurde, 
mit  der  Hand  entfernt  wird  (S  a  1  t  y  k  o  w  [86]);  die 
Patientin  wurde  mehrfach  untersucht,  jedoch  trat  bis 
jetzt  (über  2  Jahre  nach  der  Entbindung)  kein  Recidiv 
auf.  Oft  ist  ein  Uteruskarzinom  mit  einem  Tubenkarzi¬ 
nom  verbunden  \  vier  derartige  Fälle  erwähnt  W  erner 
(106).  Lippschütz  (64)  hat  ein  primäres  Tuben¬ 
karzinom  sich  auf  einer  alten  Tuberkulose  entwickeln 
sehen. 

Hinsichtlich  der  Therapie  des  Krebses 
drängt  zurZeit  die  Bestrahlung  alles  andere  in  den  Hinter¬ 
grund.  Über  die  operative  Behandlung 
liegen  nur  wenige  erwähnenswerte  Abhandlungen  vor. 
Die  Dauerheilung  des  Mammakarzinoms  behandeln 
Lindenberg  (62),  der  über  1823  Fälle  verfügt  und  28°/0 
Dauerfolge  5  Jahre  nach  der  Operation  verzeichnet, 
wobei  zu  bemerken  ist,  daß  die  Zahl  in  allen  Fällen 
ohne  Erkrankung  der  Achseldrüsen  68,5  %  beträgt, 
und  Lazarevic  (59),  der  in  der  I  Wiener  Universitäts¬ 
klinik  30,4  °/0  Erfolge  zählt. 

In  Jena  waren  die  Resultate  der  R  e  c  i  d  i  v  - 
Operationen  beim  Uteruskarzinom  besonders  gut. 
Durch  die  Praxis,  daß  alle  Operierten  sich  jeden  dritten 
Monat  zur  Untersuchung  vorstellen  müssen,  ist  die 
frühzeitige  Entdeckung  der  Recidive  gewährleistet. 
Die  Recidivoperationen  ergaben  nach  Zw  e  i  fei  (111) 
ein  Dauerresultat  in  25  %  der  Fälle.  In  der  Wert- 
heimschen  Klinik  waren  die  Operationen  wegen  Corpus- 
karzinom,  wenn  man  die  rein  operative  Sterblichkeit 
abzieht,  in  60  °/0  von  dauerndem  Erfolg  begleitet 
(länger  als  5  Jahr  nach  der  Operation)  (W  e  i  b  e  1 
[  1.02]).  <  .  .  „ 

Sehr  ungünstig  ist  das  Ergebnis  der  operativen  Be¬ 
handlung  der  massiven  Blasenkrebse.  Von  23,  die 
S  w  a  n  (96)  beobachtet,  waren  nur  7  operationsfähig, 
aber  nur  in  zwei  Fällen  gelang  eine  Entfernung  der 
Geschwulst;  beide  Operierte  erlagen  18  bz.  24  Monate 
nach  der  Operation  Recidiven.  Bessere  Erfolge  wurden  bei 
der  Operation  der  Zottenkrebse  erreicht;  von  21  konnten 
10  ausgiebig  operiert  werden,  und  von  diesen  4  mit 
Dauererfolg  über  mindestens  2l/2  Jahre  hinaus. 

Biologisch  versuchen  dem  Krebs  Berkeley 
(7)  und  Lunckenbein  (65)  entgegenzutreten. 
Ersterer  in jiciert  ein  Tumorbreiserum,  über  dessen  Zu¬ 
bereitung  er  nichts  mitteilt  und  das  auch  keine  nennens¬ 
werte  Erfolge  gehabt  hat.  Lunckenbein  geht  von 
dem  Gedanken"  aus,  den  Körper  des  Karzimentösen 
zur  Produktion  von  Abwehrfermenten  gegen  den  Krebs 
anzuregen;  er  verleibt  zu  diesem  Zwecke  dem  Organis- 


352 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  36 


mus  die  aus  Krebsstücken  isolierten  Eiweißkörper  ein, 
die  Tumorstücke  werden  maschinell  verarbeitet,  die 
Extrakte  in  Phiolen  gebracht,  nach  deren  Zuschmelzen 
sie  im  Eisschrank  4  —  5  Wochen  haltbar  sind.  Um  nun 
Erfolge  zu  erzielen,  ist  Ausdauer  nötig;  nach  L.  s.  Er¬ 
fahrungen  hat  sich  seine  Methode  bereits  bewährt, 
während  Pflaumers  (75)  Versuche  mit  ihr  negativ 
verlaufen  sind. 

Mit  der  Enzytoltherapie  hat.  allerdings  in 
Kombination  mit  Bestrahlungen,  Rapp  (79)  Erfolge 
gehabt.  Durch  anhaltende  Arsen-,  Jod-  und  Cholin¬ 
kuren  sucht  A  1  1  m  a  n  n  (2)  die  Radiotherapie  zu 
unterstützen.  Diathermie  haben  I  r  e  d  e  1  1  und 
I  h  o  m  p  s  o  n  (44)  bei  blutenden  Blasenkrebsen  versucht 
und  zwar  mit  guten  Erfolgsn;  dagegen  trotzte  ein 
Adenokarzinom  der  Blase  nach  Pedersen  (73)  der 
Behandlung  mit  hochfrequenten  Strömen  glänzlich.  Bei 
kleinen  Hautkrebsen  leistet  nach  Weinbrenner 
( 103)  zwanzigprozentiger  Salizylsäure-Pflastermull  gute 
Dienste. 

Um  zunächst  auf  die  Erfolge  der  Radio¬ 
therapie  an  der  Hand  einiger  Zahlen  einzugehen,  so 
wiid  aus  der  Münchner  Frauenklinik  (Död  erlein 
und  v.  Seuffert  [21])  berichtet,  daß  dort  im  Jahre 
1913  153  Frauen  mit  Üteruskarzinom  bestrahlt  wurden. 
Von  ihnen  sind  zu  Beginn  des  Jahres  1914  31  ohne 
augenblickliche  Krebserscheinungen  gewesen.  P  i  n  k  u  ß 
(77)  hat  38  sehr  schwere,  durchweg  inoperale  Gebär¬ 
mutter-,  Brust-,  Mastdarm-,  Prostata-  und  Zungenkrelbse 
ausschließlich  mit  Bestrahlung  behandelt;  in  neun  Fäleen 
ist  ihm  völlige  Beseitigung  des  Tumors  gelungen. 
Günstig  sind  die  Ergebnisse  mit  Hautkrebsen:  nach 
K  u  z  n  i  t  z  k  i  (57)  verhielten  sich  von  40  Fällen 
4  refraktär,  die  .  übrigen  wurden  geheilt,  davon  drei 
nach  Auftreten  eines  Recidivs. 

I  n  d  i  c  iert  ist  die  Strahlenbehandlung  zunächst  in 
inoperablen  Fällen.  Auch  in  solchen  gelingt  es 
zuweilen,  durch  Bestrahlung  die  Tumoren  operabel  zu 
machen  (Klein  [51]).  Man  muß  bedenken,  daß  die  Be¬ 
strahlung  ein  mächtiger  örtlich  wirkender  Heilfaktor  ist 
(Pinkuß  [76]).  An  Stelle  der  Operation  tritt  die  Be¬ 
strahlung,  wenn  jene  z.  B.  verweigert  wird,  wenn  eine 
körperliche  Schwäche  davon  abrät,  wenn  eine  starke 
Entstellung  damit  verbunden  ist  (W  i  c  k  h  a  m  und 
Degrais  [108]).  Sehr  günstig  ist  ferner  die  prophy¬ 
laktische  Bestrahlung  nach  der  Operation.  Als  weitere 
Indikation  gibt  Nahmmacher  (70)  die  Behandlung 
oberflächlicher  Metastasen  an,  die  zunächst  zu  operieren 
sind;  die  Operationsflächen  sind  dann  radiotherapeutisch 
zu  behandeln.  Auch  F  o  w  1  e  r  (26)  hat  gute  Erfolge 
bei  der  Bestrahlung  von  sekundär  erkrankten  Drüsen 
gesehen.  Sind  von  Genitalkrebsen  schon  in  der  Bauch¬ 
höhle  Metastasen  vorhanden,  dann  ist  Besserung  durch 
die  Radiotherapie  nicht  mehr  zu  erhoffen,  wohl  aber, 
wenn  z.  B.  das  Karzinom  sich  breit  über  das  Parametrium 
ausgereitet  hat  (Krön  i  g  [55]). 

Eine  unausbleibliche  Bedingung  bei  der  Bestrahlung 
ist  Geduld.  Besonders  ist  diese  bei  den  Nachbe¬ 
strahlungen  post  operationem  nötig.  Nach  Lazarus 
(60)  sind  sie  jahrelang  fortzusetzen  und  zwar  in  2  —  10 
wöchigen  Etappen,  wobei  nicht  nur  das  Operationsfeld, 
sondern  auch  das  ganze  zugehörige  Lymphdrüsengebiet 
zu  berücksichtigen  ist. 

Sehr  wichtig  ist  aber  die  Auswahl  der 
Individuen  zur  Radiotherapie;  es  gibt,  wie 
V  eckowski  (101)  sich  ausdrückt,  bestrahlungsge¬ 
eignete  und  bestrahlungsungeeignete  Individuen.  Ferner 
ist  auch  die  Art  der  Strahlen  und  die  Dosierung  streng 
zu  individualisieren. 

Während  früher  Radium  bz.  Mesothorium  und 
Röntgenstrahlen  zwar  nicht  regellos,  aber  doch  in  wenig 
bestimmtem  Sinne  therapeutisch  verwandt  wurden,  tritt 


jetzt  immer  mehr  eine  in  der  Indikations¬ 
stellung  zum  Ausdruck  kommende  strenge  Scheidung 
zu  Page.  Die  Röntgenstrahlenwirkung  hängt  nach 
Chr.  Müller  (69)  dessen  Schrift  gut  zur  Orientierung 
über  das  ganze  Gebiet  sich  eignet,  mit  der  Cholin¬ 
wirkung  zusammen.  Durch  die  Bestrahlung  wird  das 
Cholin  in  der  Zelle  abgespalten,  wodurch  dann  der 
Zerfall  eingeleitet  wird.  Die  Röntgenbestrahlung  ist 
vorzuziehen,  wenn  nur  tiefer  gelegene  Tumorschichten 
getroffen  werden  sollen,  Radium  dagegen,  wenn  das 
unmittelbar  anliegende  Gewebe  zu  zerstören  ist. 
B  u  m  m  (15)  schreibt  den  Röntgenstrahlen 
den  Hauptanteil  bei  der  Zerstörung  des  karzinomatösen 
Gewebes  zu;  nach  seinen  Erfahrungen  dienen  die 
radioaktiven  Substanzen  nur  dazu,  die  primären  Krebs¬ 
herde  örtlich  zu  beeinflussen. 

B  u  m  m  (15)  und  K  r  ö  n  i  g  (55)  kombinieren 
bei  der  Behandlung  der  Uteruskrebse  Röntgenstrahlen  und 
radioaktive  Substanzen.  Sachs  (84),  der  nur  die  ersteren 
verwendet,  macht  auf  zwei  Gefahren  aufmerksam  : 
erstens  ist  eine  Unterdosierung  gefährlich;  sie  kann  ein- 
treten,  wenn  einzelne  Teile  des  Krebses  für  die  Strahlen 
ungünstig  liegen  und  daher  nicht  intensiv  genug  ge¬ 
troffen  werden.  Dann  ist  enormes  Wachstum  das  Er¬ 
gebnis.  Die  zweite  Gefahr  besteht  darin,  daß  durch 
die  Bestrahlung  Zellen  aus  dem  Verbände  losgelöst  und 
Veranlassung  zu  Metastasen  geben  können,  Sachs 
wie  auch  Streb  el  (95)  betonen,  daß  bei  Verwendung 
der  Röntgenstrahlen  man  bestrebt  sein  muß,  möglichst 
radiumähnliche  zu  erzielen.  Man  nimmt  daher  gern 
die  sog.  äußeren  Kathodenstrahlen,  d.  h.  ein  Gemisch 
von  primären  und  sekundären  y-  Strahlen  und  primären 
und  sekundären  äußeren  ß- Strahlen.  Rosen  thal  (82) 
erzeugt  mit  Röntgenröhren,  die  besonders  große  parallele 
Funkenstrecken  besitzen,  ultrapenetrierende  Strahlen  von 
großer  Intensität.  Auch  Krönig,  Gauß,  Krinski, 
Lembcke,  Wätjen,  Königsberger  (56)  halten 
die  Erzielung  einer  möglichst  großen  Penetranz  bei  der 
Röntgenbestrahlung  für  die  erste  Forderung. 

In  histologischer  Beziehung  ist 
zwischen  der  biologischen  Wirkung  der  Röntgenstrahlen 
und  der  radioaktiven  Substanzen  auf  die  Gewebe  kein 
Unterschied  nachzuweisen  (Krönig,  Gauß  usw. 
[65]).  Das  Krebsstroma  wird  in  jugendliches  Nabenge¬ 
webe  umgewandelt.  Zunächst  tritt  Schwellung  der  Zelle 
ein,  Hyperchromatose,  Riesenwachstuin  der  Kerne 
dann  Vakuolisierung  des  Plasmas,  Degeneration,  Nek¬ 
rose,  und  infolge  der  toxischen  Wirkung  der  absterbenden 
Zelle  verwandelt  sich  das  Stroma  in  Organisationsge¬ 
webe.  Nach  v.  Hansemann  (36)  löst  die  Radio¬ 
therapie  Cyto-  und  Karyolyse  aus ;  die  geschädigten 
Krebszellen  können  sich  aber  wieder  erholen,  weshalb 
die  Gefahr  der  Recidive  nie  von  der  Hand  zu  weisen 
ist.  Die  Tiefenwirkung  der  Strahlen  gibt  Bumm  (16) 
auf  3—4  cm  an.  In  der  Tiefe  von  5 — 9  cm  fand  man 
stets  ungeschädigtes  Karzinomgewebe.  Haendly  (33) 
konnte  an  fünf  Präparaten  von  bestrahlten  Uterus¬ 
karzinomen  eine  ungleichmässige,  nicht  genügende  tiefe 
Wirkung  der  Me  sothorium  strahlen  feststellen.  — 
In  einer  Vertilgung  der  geschädigten  Krebszellen  durch 
die  Phagocyten  sieht  Lahm  (58)  die  Wirkung  der 
Radiotherapie. 

Von  schädliche  n  N  eben  Wirkungen 
der  Radiotherapie  erwähnt  v.  Eiseisberg  (23)  Ge- 
websnekrosen  ferner  die  Möglichkeit,  daß  Gefäße,  die 
durch  das  Operationsgebiet  ziehen,  arrodiert  werden 
Döderlein  und  v.  Seuffert  (21)  haben,  aller¬ 
dings  nur  in  an  und  für  sich  ungünstigen  Fällen, 
schmerzhafte  Stuhlentleerungen,  Tenesmen,  Strikturen, 
Fisteln  u.  ä  gesehen.  Nach  B  u  in  m  (15)  sind  alle 
Nebenwirkungen  nur  auf  quantitative,  nie  auf  qualitative 
Verschiedenheiten  der  Strahlen  zurückzuführen.  Seil- 


Nr  36. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDZIIN. 


353 


heim  (92)  glaubt,  daß  sie  durch  Verbesserung 
der  Technik  mit  der  Zeit  auf  ein  Minimum  einzu¬ 
schränken  sind. 

W  i  r  k  e  n  können  Bestrahlungen  nur,  wenn 
reichlich  regenerationsfähiges  Gewebe  vorhanden  ist 
(K  o  b  lanck  [53]).  Veit  (99)  hält  es  übrigens  für 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  durch  die  Bestrahlung  des 
Primärherdes  auch  die  erste  Stufe  der  Lymphdrüsen- 
metastasen  noch  zurückzubilden  ist. 

Krönig,  Gauß  usw.  (56)  arbeiten  mit 
möglichst  großen  Dosen  und  Dosen  in  möglichst 
kurzen  Intervallen.  Ein  Messen  der  Stärke  der  Strahlen 
ist  aber  unbedingt  erforderlich  (Holding  [43]).  Eine 
einheitliche  Maßbezeichnung  für  Radium  und  Mesothorium 
schlägt  Klein  (52)  vor;  zuerst  sollen  die  Serien  mit  S 
angegeben  werden,  dann  die  Milligrammzahl  des  ver¬ 
wendeten  Radiums  (Ra)  oder  Mesothoriums  (Me)  und 
die  Stundenzahl  der  einzelnen  Anwendung  (hs),  also 
z.  B.  3  Serien  zu  3X50  Ra  X  lOhs.  Krönig  und 
Gauß  (56)  gehen  über  Mengen  von  200  mmg  Meso¬ 
thorium  unbesorgt  hinaus.  Sie  kombinieren  stets  Röntgen¬ 
strahlen  und  radioaktive  Substanzen.  Sehr  wichtig  ist 
auch  die  richtige  Einteilung  der  Pausen,  die  dem  Ge¬ 
schwulstgewebe  Zeit  zum  fortschreitenden  Untergang 
und  dem  Organismus  für  Mobilisierung  seiner  Wehr¬ 
kräfte  lassen  müssen  (S  e  1 1  h  e  i  m  [92]) . 

Die  Kombinationstherapie  bietet  für  die  Bestrahlung 
den  Vorteil,  daß  weniger  hohe  Dosen  von  /-Strahlen 
nötig  sind,  um  zum  Ziele  zu  kommen  (Nah  mm  ach  er 
[70]);  gewöhnlich  zieht  man  die  Chemotherapie  heran  ; 
Klein  (51)  richtet  die  postoperative  Behandlung  so  ein, 
daß  er  Röntgenstrahlen,  Radium  und  intravenöse  Injek¬ 
tionen  von  Baryum-Selenat  verwendet. 

Die  Technik  der  Bestrahlung  ist  naturgemäß  bei 
der  Jugend  des  Verfahrens  mannigfachen  Wandlungen 
unterworfen.  Von  den  Bleifiltern  ist  man  vielfach  abge¬ 
kommen,  weil  sie  einen  hohen  Prozentsatz  der  harten 
Strahlen  absorbieren  und  infolgedessen  starke  Sekundär¬ 
strahlung  erzeugen,  die  das  Gewebe  leicht  schädigt 
(Bumm  [15]).  Krönig,  Gauß  usw.  (156)  schieben 
allerdings  diese  Nebenwirkungen  auf  eine  Überdosierung. 
Bumm  (15)  empfiehlt  Aluminium-  oder  Messingfilter, 
ebenso  Dö  der  lein  und  v.  Seuffert  (21)  und 
P  i  n  k  u  ß  (76).  B  r  a  u  d  e  (14)  benutzt  zur  Isolierung  der 
radioaktiven  Substanzen  ein  Hartgummischeidenpessar 
mit  Metalleinlage.  Henkel  (41)  fixiert  in  der  ersten 
Zeit  der  Bestrahlung  das  Präparat  nur  durch  Gaze 
und  filtert  erst  später  durch  Messing  und  Gummi. 
Freund  (29)  hat  in  einem  Falle  Radium,  durch  eine 
in  Gaze  eingewickelte  Messinghülse  isoliert,  in  die  Bursa 
omentalis  versenkt  und  dadurch  Besserung  der  durch 
eine  Krebsmetastase  der  Wirbelsäule  bedingten  Be¬ 
schwerden  erzielt.  Sog.  Emanationsnadeln  benutzt 
Stevenson  (93);  er  sticht  sie  in  die  zu  bestrahlende 
Gegend  ein  und  erzielt  so  eine  möglichste  Annährung. 

Alles  in  Allem  sind  wir  in  der  Radiotherapie  noch 
weit  entfernt  vor  einem  Abschluß;  was  aber 
bisher  geleistet  ist,  läßt  günstige  Ausblicke  in  die  Zu¬ 
kunft  tun.  Naturgemäß  erfordert  die  Radiotherapie 
noch  manches  Opfer;  ohne  ein  solches  ist  aber  ein 
Fortschritt  ausgeschlossen  Wie  Seil  heim  (92) 
sich  ausdrückt,  stehen  wir  im  Stadium  des  berechtigten 
Versuchs.  Die  Dauerresultate  kann  man  erst  nach 
Jahren  beurteilen,  worauf  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  und  v.  Seuf¬ 
fert  (21)  besonders  hinweisen. 

1  A  1  1  ra  a  n  n  ,  D.  Med.  Woch.  p  271  1914.  —  2.  Ders , 
I  b  i  d  e  m  p.  1064.  —  3.  A  p  o  1  a  n  t  und  Bierb  au  m , 
D.  Med.  Woch.  p.  528.  —  4.  Ball,  Jouin.  of  Am.  Assoc. 
21  2.  — -  5.  B  a  r  d  a  c  h  z  i  ,  Prag  Med.  Woch.  Nr.  10.  — 
6.  Bashford,  Lancet  7.  2.  —  7.  Berkeley,  Med. 


Rekord.  25.  4.  —  8.  B  i  c  h  1  e  r  ,  Wien.  kl.  Woch.  Nr.  26.  — 
9.  B  i  1  1  e  t  e  r  ,  Bruns  Beitr.  XC.  H.  2.  —  10.  B  1  a  n  d  - 

S  u  t  t  o  n  ,  Brit.  Med.  J.  31.  1.  —  11.  B  1  o  o  d  g  o  o  d  , 

1  h.  8.  1.  —  12.  B  1  u  m  ,  Wien.  Med  Woch.  Nr.  13. 

13.  B  o  v  e  r  i  ,  zur  Frage  der  Entstehung  maligner  Tumoren. 
Jena  1914.  —  14.  B  raude,  Ztrbl.  f  Gyn.  p.  69.  — 

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Br.  Med.  J.  p.  413.  —  21.  Död  erlein  u.  v.  Seuffert, 
Münchn.  Med  W.  p.  225.  p.  313.  —  22.  E  d  e  1  b  e  r  g  , 

Ztrbl.  f.  Gyn.  Nr.  7.  —  23.  v.  Eis  eis  her  g,  D.  Med.  W. 

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1  252.  —  G  r  6  g  o  i  r  e  et  Masson,  Presse  Med  Nr.  19.  — 

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32.  H  a  d  a  ,  Prag.  Med.  W.  Nr  22.  —  33.  Haendly,  Arch. 
f.  Gyn.  B  C.  H.  1.  —  34.  Halpern,  Zschr.  f.  phys.  und 
diät.  Ther.  H  1.  —  35.  Ders.,  Mitt.  a.  a.  Grenzgeb.  H.  2. — 
36.  v.  Hanse  m  a  n  n ,  Berl.  Kl.  W.  Nr.  13  —  37.  Hara, 
D.  Med.  Woch.  p  484.  —  38.  Ders  ,1b  p  1258.  —  39. 
Heimann  u  Fritsch,  Arch.  f.  kl.  Chir.  Bd.  CI1I.  H.  3. 

—  40  Henke  u.  Schwarz,  D  Med.  W.  p.  267.  —  41. 

Henkel,  Münchn  M  W  p.  227.  —  42.  Hohlweg,  lb.  p. 
927.  —  43.  Holding,  Med.  Rekord  p.  335.  —  44.  I  r  e  d  e  1 1 
and  Thompson,  Lancet  p.  1745  —  45.  J  o  z  s  a  und 

Tokeok  a,  D.  Med.  W.  p  590.  —  46.  J  u  n  g  m  a  n  n  , 
Ärztl  Sacliv.  —  Zt  1913.  Nr.  23  —  47.  Kahle,  Münchn. 
med.  W.  p.  752.  —  48.  K  el  1  i  n  g,  D.  Med.  Woch.  p.  935. 

—  49.  Ders,  Wien.  kl.  W.  Nr.  26.  —  50.  Keysser, 

Zschr.  f.  Chemoth,  Bd.  2.  H.  2 — 4.  —  51.  Klein,  Münch. 
M  W.  p  115.  —  52.  Ders.  Ib.  p.  661 .  —  53.  Koblanck, 
Berl.  Kl  W.  Nr.  17.  —  54.  Koenigsfeld,  Ctrbl.  f.  Bakt.  I. 
Abt.  H.  4/5.  —  55  Kon  jetzny,  D.  Med.  W.  p.  1144.  — 
55.  Krönig,  Med.  Klin.  p.  192.  —  56.  Krönig,  Gauss, 
K  r  i  n  s  k  i  ,  Lembcke,  W  ä  t  j  e  n  ,  Königsberger, 
D.  Med.  W.  p.  740  p.  798.  —  57.  K  u  z  n  i  t  z  k  i ,  Berl.  kl. 
W.  p  60  —  58  La  h  m  ,  Mon.  f  Geb.  u  Gyn.  H.  3.  — 
59.  L  a  z  arevic,  Wien.  Kl.  W.  Nr.  1 5.  —  60.  Lazarus, 
B.  Kl.  W.  Nr  5 — 6.  —  61.  Lazarus-  Ba  r  1  o  w  ,  Br. 
Med  J.  p.  1001.  —  62.  Li  n  denberg,  D.  Zschr.  f.  Chir. 
H.  1/2.  Bd.  CXXVIII.  —  63.  Lindner,  Münch  Med.  W. 
p.  31.  —  64  Lippschiitz,  Mon  f  Geb  u  Gyn.  H.  1.  — 
65.  Lunckenbein,  Münchn.  M  W  p  18.  —  66.  Ders., 
Ib.  p.  1047.  —  67  Mergels!)  erg,  Diss.  Berlin  1913.  — 
68.  Moskowicz,  Münchn.  M.  W  p.  263  —  69  Mülle  r , 
die  Krebsbehandlung,  München  ‘914  (Lehmann)  —  70. 
N  a  h  m  m  a  c  h  e  r  ,  Strahlenthaler  IV.  H  1.  —  71.  Oeller 
u.  Stephan,  Münchn.  M.  W.  p  579.  —  72.  P  aulsen. 
Ib.  p.  385.  —  73.  Pedersen,  New  York  Med.  J.  p. 

255.  _  74.  Penti  malli,  D.  Med.  W.  p.  1468  — 

75.  Pflaum  er,  lb.  p.  935  —  76  Pin  küss,  Cancer  p.  1, 

—  77  Ders.,  Berl.  Kl.  W.  p  207.  78  Piorkowski, 

D.  Med.  W.  p  305.  —  79.  Rapp,  Münchn.  M  W.  p.  1112. 

—  80.  Reichel.  Ib.  p  64.  —  81.  Roosen  und 

Blumenthal  D.  M.  W.  p  588  —  82.  Rosenthal  Münch. 
M.  W.  p.  1059.  —  83.  Rüssel  und  B  ullock,  B.  Kl.  W. 
Nr.  '6.  —  84.  Sachs,  Cancer  p  59  —  85.  Sakguchi, 
Frkf.  Zschr.  f  Path.  H.  1.  Bd  XV.  —  86.  Saltykow,  D. 
M.  W.  p  1316.  87.  Schawlow,  Münchn.  M.  W.  p.  1386. 

—  88.  Schottländer,  Arch.  f.  Gyn.  Bd.  C.  H  1.  — 

89.  Schüller,  Zschr  f’.  kl.  Med.  Bd.  LXXVIII.  H.  3/4.  - 

90.  Schwarz,  D.  Z.  f.  Chir  Bd.  CXXIV .  H.  5/6. 

91.  Schweninger,  zur  Krebsfrage,  Berlin  1914.  — 

92.  Sellheim,  D  Med.  W.  p  22.  -  93.  Stevenson, 

Br  Med  J.  4.  7.  1914.  —  94  Seyderhel  m  ,  I)  M  W. 
p  583.  —  95  S  t  r  e  b  e  1  ,  Münchn.  M  W.  p  133.  — 
96.  S  w  a  n  ,  Lancet  p  1309.  -  97.  Teilhaber,  Berl.  Kl, 
W.  Nr.  13.  -  98. T  h  o  m  s  o  n  ,  Lancet  p  1523.  99  Veit, 

Prakt.  Erg.  d.  Geb.B  d.  VI.  H.  1.  —  lOu.  v.  W  as  s  e  r  m  a  n  n  . 
D.  M.  W.  p.  524.  —  101.  Weckowski,  Berl  Kl  \Y 
p.  54.  —  102.  Weibel,  Arch  f  Gyn  Bd.  C.  H.  1.  — 


354 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  3b 


10? 


nW,rW  «  inb;enner,  M.  M.  W.  p.  127.  —  104.  Weise, 

l0rl  w  '  P  G6',T  Welch-  Lancet  p.  1319.  — 

10o.  Yi  ern  er.  Arch.  f.  Gyn.  Bd.  CI.  H.  3.—  107.  Wick- 

ham  u.  Degrais.  Fortsckr.  der  Röntgenstr  Bd.  XXI  H  3 
—  10S.  Wiener  u.  Torday,  D.  M.  W.  p.  429.  — 


i°9FYRa/onn  tt  C}1 1  U-  tcl,k°wsky)  Zschr.  f.  Immunit. 

Bd  ^n‘  W20i  H‘  4ii7  V°'  Y-  Zubrzycki,  Arch.  f.  Gyn. 
Heft  ^3-['  H‘  L  ~~  l11-  Zweifel,  Arch.  f  Gyn.  Bd.  CII. 


Referate  und  Besprech 


ungen. 


Allgemeine  Pathologie  und  pathol.  Anatomie 

L  u  b  1  i  n  s  k  i,  W.,  Gaumenhochstand  und  adenoide 
Vegetationen.  -  Berl.  Klin.  W.-Sch.  19164. 

Eie  Unwegsamkeit  der  Nasenrachen  wege  mit  ihren  mannig¬ 
fachen  Schäden  (Ohr.  Mund,  Hals,  Luftröhre,  geistiges  Zurück¬ 
bleiben)  ist  wohl  zumeist  durch  adenoide  Vegetationen  verur¬ 
sacht  und  schwindet  mit  ihren  Begleiterscheinungen  nach 
deren  operativen  Entfernung.  Bleibt  die  Behinderung  der 
freien  Nasenatmung  jedoch  bestehen,  so  ist  ein  abnorm  “enger, 
hoher  Gaumen  vorhanden,  der  in  frühester  Jugend  dadurch 
zustande  kommt,  dass  stark  entwickelte  Zahnfortsätze  des  Ober- 
Kiefers  von  besonderer  Länge  nahe  aneinanderrücken  und  durch 
steile  Wölbung  des  Gaumendaches  den  lichten  Raum  des 
^asenboden  beeinträchtigen.  Es  ist  unentschieden,  ob  dieser 
Zustand  durch  den  Zug  der  Wangenmuskulatur  sich  ergibt 
oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  schon  auf  embryonaler  Anlage 
einer  abnormalen  Zahnkeimlage  beruht,  wobei  die  La<m  des 
Zahnkeimes  sehr  tief  zu  denken  wäre  mit  konsekutiver  Ver¬ 
längerung  der  Zahnfortsätze  des  Oberkiefers. 

therapeutisch  kommt  nach  A^erfasser  mit  ErfoU  eine 
kieferorthopädische  Dehnung  des  Gaumens  mittels  eines  federn- 
Tv”’  ™mdestens_  2  Jahre  zu  tragenden  Apparates  in  Frage 
ie  1  herapie  nützt  auch  in  späteren  Jugendjahren  noch  und 
ist  von  der  deutschen,  nicht  amerikanischen.  Zahntechuik  er¬ 
sonnen  worden. 

(Refer.  möchte  darauf  aufmerksam  machen,  dass  dieser 
en ge,  stede,  oft  geradezu  gotisch-spitze  Gaumen  ein  nicht  selte¬ 
ner  Befund  bei  degenerierten  Verbrechern  ist). 

Viernstein-Straubing. 

Schanz,  Die  Wirkung  des  Lichtes  auf  die  lebende 
bubstanz.  Reichs-Medizinal-Anzeiger,  Nr.  i4.  1916. 

Verfasser  hat  sich  viel  mit  der  Wirkung  der  ultravioletten 
Strahlen  sowohl  als  auch  der  Wirkung  der  Strahlen,  welche 
zwischen  den  genannten  und  den  sichtbaren  liegen,  beschäftigt 
und  erklärt  sich  die  Wirkung  mit  der  Umwandlung  der  Eiweiss- 
korper.  Aus  den  Albuminen  werden  Globuline."  und  daraus 
schliesslich  koaguliertes  Eiweiss  Aus  dieser  Theorie  heraus 
as»en  sich  die  allmähliche  Umwandlung  der  beim  Kinde  ganz 
klaren  Luise  in  eine  mehr  und  mehr  gelblich  gefärbte."  die 
Erscheinungen  des  grauenStars  und  andererseits  auch  die  deletären 
Wirkungen  des  Sonnenstichs  erklären  Der  Fundalmentalsatz 
öer  öchanz’schen  Ausführungen  ist:  Das  Licht  verändert  die 
Struktur  der  Eiweisskörper. 

Wern.  H.  Becker-Herborn. 


45  oO  ccm  der  folgenden  Rezeptur  mittels  weichen,  hoch  Ge¬ 
führten  Darmschlauches :  ° 

Jodoform  80,0. 

Gummiarabic  100,0. 

Ag.  dest.  180,0. 

Reinigungsklistier  vorher  ist  unnötig.  Die  Blutungen 
standen  selbst  dann,  wenn  Adrenalin  nichts  wirkte.  Störungen 
infolge  der  kolossalen  Jodoformgaben  sind  nie  aufgetreten. 
Dagegen  liess  der  Tenesmus  sehr  bald  nach  und  die  durch 
Wasserverluste  bedingte  Schwäche  schwand. 

Das  Gummi  arabic.  dürfte  blutstillend  wirken,  das  Jodoform 
beruhigend  auf  den  Darm,  und  gleichzeitig  desinfizierend. 
Aehnlich  wirkt  Dermatol. 

Verf.  empfiehlt  das  Verfahren  dringenst,  einerlei  ob  die 
Blutungen  infolge  von  Ruhr  oder  Typhus  auftreten. 

Viernstein-Straubing. 


Psychiatrie  und  Neurologie. 


Innere  Medizin. 

M  oszkowski:  Ein  Mittel  zur  Bekämpfung  der  blu- 

Berl  Kl.  W.-Schr.  1916/5. 


tigen  Stühle. 


Verf.  hat  auf  Reisen  in  Niederl.- -Indien  ein  dort  bei 
'"üben -Dysenterie  bewährtes  Hämostvptikum  mit  bestem  Er- 
t'MLi  1  »ei  profusen,  unstillbaren,  blutigen  Diarrhoen  tvphöser  oder 
Paratpy böser  Natur  an  Soldaten  erprobt.  Es  besteht  in  der 
-  nach  Bedarf  wiederholten  —  rektalen 


Eingiessung 

O  © 


von 


K.  P  e  a  r  s  o  n  und  G.  A.  Jaederhol  m  Men 
delism  and  the  problem  of  mental  defecf.  (On  th  econtinuity 
of  mental  defect )  (London,  Dulau  and  Co.,  1914). 

Mittels  der  Binet-Simonschen  Methode  der  Intelligenz¬ 
prüfung  wurde  eine  Gruppe  von  intelligenzdefekten  Kindern 
aus  Spezialschulen  (Hilfsschulkindern)  und  eine  andere  Gruppe 
von  normalen  Kindern  untersucht.  Es  ergab  sich  dabei 
folgendes:  Es  besteht  eine  absolute  Kontinuität  der  Intelligenz 
in  der  Gruppe  der  Schwachsinnigen,  mit  allerdings  grösseren 
Vaiiationen  als  bei  den  Normalen.  Die  Intelligenzgrade  der 
intelligenzdefekten  Kinder  der  Hilfsschulen  gehen  ohne  Grenze 
in  die  der  geistig  normalen  Kinder  über,  und  dabei  reichen 
die  der  normalen  Kinder  noch  ein  ganzes  Stück  in  die  Zone  der  In¬ 
telligenzgrade  der  intelligenzdefekten  Hilfsschulkinder  hinüber.  Es 

ist  also  garnicht ohne  weiteres  zu  sagen,  wo  der  Schwachsinn  beginnt, 
vielmehi  ist  es  die  Sache  einer  rein  praktischen  Uebereinkunft, 
wo  die  Leimung  zwischen  normalen  und  intelligenzdefekten 
Kindein  zu  setzen  ist;  es  ist  anzunehmen,  dass  diese  Scheidung 
bei  3  bis  4  Jahren  Intelligenzdefekt  gemacht  wird.  Aber  da 
der  Intelligenzdefekt  mit  dem  Alter  des  intelligenzdefekten 
Kindes  wächst,  so  ist  diese  Trennung  tatsächlich  eine  Funktion 
des  Alteis  des  Kindes.  Da  nun  die  Klassifizierung  der 
intelligenzdefekten  Kinder  nach  persönlicher  Schätzung  des 
Lehrers  und  des  Arztes  vorgenommen  wird,  so  ist  damit  die 
Gefahr  einer  grossen  Ungerechtigkeit  verbunden.  Aus  der 
Intelligenzverteilung  lässt  sich  ferner  schliessen,  dass  die  Hilfs¬ 
schulkinder  nicht  nur  nach  dem  Intelligenzdefekt  allein 
ausgewählt  wurden;  diese  Kinder  bilden  zwar  eine  Gruppe, 
in  denen  der  Intelligenzdefekt  sehr  häufig  vorhanden  ist,  die 
ubei  wahrscheinlich  auch  andere  lypen  von  sozialer  oder 
Schulinsuffizienz  enthält,  infolge  von  Zügen,  die  fälschlich 
unter  Intellekt  gruppiert  wurden,  obwohl  sie  psychische 
Charakteristika  gewesen  sein  mögen.  Für  diese  Kinder  sollte 
statt  des  Ausdrucks  „Intelligenzdefekt  etc‘*  die  Bezeichnung 
, .Sozialinsuffiziente“  gebraucht  werden. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


355 


Nr.  36. 


Zum  Schluss  wendet  sich  Verf.  sehr  heftig  gegen  alle 
wissenschaftlichen  Bestrebungen,  die  Vererbung  der  Intelligenz 
nach  den  Mendelschen  Regeln  zu  bestimmen,  und  gegen  die 
Anschauung,  dass  ein  kontinuierlich  variierendes,  wie  es  der 
Intelligenzdefekt  nun  nachgewiesenermassen  ist,  bedingt  sein 
solle  durch  das  Fehlen  eines  Determinanten  im  Keimplasma: 
eine  solche  Anschauung  müsste  die  Hypothese  zur  Folge  haben, 
dass  es  eine  biologisch  bestimmte  Linie  gibt,  die  Intelligenz 
und  Intelligenzdefekt  scheidet  Es  gibt  keine  solche  Greuz- 
linie:  Extreme  Fälle  von  Intelligenzdefekt  sind  sozial  völlig 
unbrauchbar,  mildere  Fälle  sind  unerwünschte  Mitglieder  der 
Gesellschaft,  aber  von  diesen  geht  der  Weg  kontinuierlich  auf¬ 
wärts  zu  allen  Phasen,  von  dem,  was  man  als  normale 
Intelligenz  bezeichnet  Wo  es  wünschenswert  ist,  die  Grenze 
zu  ziehen  und  zu  sagen,  dass  hier  die  soziale  Unbrauchbar¬ 
keit  so  gross  ist,  dass  eine  Scheidung  wünschenswert  ist,  ist 
lediglich  eine  Sache  sozialer  Uebereinkunft;  der  Eugeniker 
und  der  Pädagoge  werden  geneigt  sein,  eine  höhere  Grenze 
anzunehmen  als  „gewisse  Politiker,  die  erst  an  dem  Irrenhaus 
die  Grenze  ziehen.“  W.  Mise  h- Berlin 

W.  M.  van  der  S  c  h  e  e  r.  Ein  Fall  von  Zwergwuchs 
und  Idiotie  nebst  Bemerkungen  über  die  Klassifikation  der 
Zwerge.  (Zeitschr.  f.  d.  ges  Neeuol.  und  Psych.  XXXII 
H.  2/3,  S.  107.  1916). 

Es  wird  darauf  hingewiesen,  dass  es  neben  den  essentiellen 
und  den  ateleiotischen  Zwergen  noch  eine  grosse  Anzahl  von 
Fällen  gibt,  in  denen  der  Zwergwuchs  als  Symptom  aufzu¬ 
lassen  ist.  Zu  diesen  Fällen  von  symptomatischem  Zwerg¬ 
wuchs  gehört  einmal  eine  Gruppe  vou  Fällen,  in  denen  der 
Zwergwuchs  Folge  einer  sich  hauptsächlich  im  Skelett  abspielen¬ 
den  krankhaften  Störung  ist,  wie  z.  B.  die  rachitischen,  osteo¬ 
malazischen.  tuberkulösen  und  achondroplastischen  Skelettdefor¬ 
mitäten,  anderseits  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Fälle,  in 
denen  der  Zwergwuchs  als  der  Ausdruck  einer  allgemeinen 
Entwicklungsstörung  aller  Organe  aufzufassen  ist.  Bei  der 
letzteren  Gruppe  spielen  neben  toxischen  Einwirkungen,  ganz 
besonders  endokrine  Drüsenstörungen  eine  Rolle.  Bei  allen 
diesen  Formen  des  Zwergwuchses  lässt  sich  im  Gegensatz  zu 
den  essentielle  i  und  ateleiotischen  Zwergen  ein  schädlicher 
Einfluss  nachweisen  ;  diese  Individuen  zeigen  irgend  ein  Zeichen 
einer  Erkrankung  oder  Schwäche,  oder  jedenfalls  datiert  die 
Entwicklungsstörung  von  einer  Erkrankung  oder  einem  Vor¬ 
kommnis,  dem  offensichtlich  eine  grosse  Bedeutung  im  Leben 
des  Individuums  zukommt. 

Es  wird  anschliessend  der  Fall  einer  Zwergin  mit  folgen¬ 
den  auffallenden  Erscheinungen  ausführlich  milgeteilt :  Akro- 
megaler  Gesichtsausdruck,  grosse  Zunge  und  kolossale  Unter¬ 
kiefer;  mikromele  Verkürzung  der  Extremitäten  mit  normalem 
Längenverhältnis  von  Hand,  Unter-  und  Oberarm  resp.  Fuss, 
Unter-  und  Oberschenkel;  alabasterfarbene  Haut,  die  auf  Han d- 
und  Fussrücken  eigentümliche  Störungen  zeigt;  sehr  wechselnde 
Obesitas  mit  Prädilektion  für  die  Nates  und  die  Mammae; 
geringe  Entwicklung  der  Genitalia  interna,  verspätetes  Auf¬ 
treten  der  Menstruation,  die  zuletzt  regelmässig  war,  dagegen 
stark  ausgebildete  sekundäre  Geschlechtscharaktere;  sehr  schlaffe 
und  wenig  kräftige  Muskeln  mit  äusserst  schlaffen  Gelenk¬ 
bändern,  erhöhte  Sehnenreflexe  und  ungeachtet  der  Schlaffheit 
spastische  Erscheinungen,  Babinski,  Klonus;  Kopfschmerzen, 
häufiges  Erbrechen  ;  am  Knochensystem  (röntgenologisch)  keine 
ausgesprochenen  Verkrümmungen,  geschlossene  .Epiphysenschei¬ 
ben,  Auftreibung  des  Periosts  am  Radius  und  unregelmässige 
Verdickung  der  Fibula  mit  unerheblicher  Verkrümmung,  Gra¬ 
zilität  aller  Knochen,  flache  Sella  turcica  von  wahrscheinlich 
normaler  Grösse  ;  positive  Wassermannsche  Reaktion.  Maculae 
-corneae,  Narben  am  Anus  und  auf  den  Nates;  versatile  Idio¬ 
tie.  Besonders  genau  untersucht  wurden  die  Grössen  Verhält¬ 
nisse  der  Extremitäten  und  dabei  eine  deutlich  ausgesprochene 
Mikromelie  der  Extremitäten  gefunden,  wobei,  was  von  beson¬ 
derem  Interesse  war,  das  Verhältnis  zwischen  den  verschiede¬ 
nen  Extremitätensegmenten  dasselbe  wie  bei  den  erwachsenen 
normalen  Geschwistern  der  Patientin  ist.  Ein  grosser  Teil  der 
Erscheinungen  wies  auf  eine  Funktionsstörung  der  Hypophyse 
hin,  und  zwar  der  Zwergwuchs  und  die  starke  Obesitas,  die 
alabagterfarbene  trockene  Haut,  das  verspätete  Auftreten  der 
Menstruation,  die  infantile  Entwicklung  der  Genitalia  interna, 


die  Form  der  Idilotie,  die  sogen,  heitere  Form,  wie  sie  u.  a. 
von  Sprinzel  in  einem  Fall  von  Hypophysistumor  beobachtet 
wurde.  Während  alle  diese  Erscheinungen  auf  einen  Hypopi¬ 
tuitarismus  zurückzuführen  waren,  zeigten  sich  anderseits  in  der 
vorhandenen  Adrenalinglykosurie,  den  akromegalen  Symptomen 
und  der  kolossalen  Entwicklung  der  sekundären  Geschlechts¬ 
charaktere  FIrscheinungen,  die  auf  gegensätzliche  Funktions¬ 
störungen  hinwiesen,  so  dass  anzunehmen  ist,  dass  mehrere 
endokrine  Organe  befallen  waren.  Es  bestehen  also  zahlreiche 
Hinweise  auf  den  Zusammenhang  der  Erkrankung  mit  der 
Hypophysis,  ohne  dass  dieser  bewiesen  werden  könnte  Die 
heredoluetische  Aetiologie  ist  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 

W.  Misch,  Berlin. 


Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Krankheiten 
der  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

von  Zeissl-Wien,  Die  Siphilisbehandlung  zur  Kriegs- 
zeit,  und  was  soll  nach  Friedensschluss  geschehen,  die  Zivil¬ 
bevölkerung  vor  der  Infektion  durch  venerisch  krank  rieim- 
kehrende  zu  schützen.  —  Berl.  Kl  W  -Sch,  191G/2 

Die  kurze  Arbeit  ist  wesentlich  unter  dem  Gesichtspunkt 
Österreicher  Verhältnisse  entstanden.  Verf  bekennt  sich  als 
reinen  bekehrten  Anhänger  der  Präventivbehandlung  der  Siphi- 
lis,  die,  wie  ein  dargestellter  Fall  zeigt,  sehr  wohl  gestattet, 
mittels  Salvarsan  und  grosser  Dosen  Hg.  einem  Kranken  in 
wenigen  lagen  wieder  kampffähig  zu  machen.  Vert.  verbreitet 
sich  sodann  über  die  Anwendungsweise  und  Dosierung  hoch¬ 
prozentiger  Jodpräparate,  unter  denen  das  Klysma  mit  4,0 
Jodsalz  und  1 0 —  i  5  gutt.  Opiumtinktur  in  20—30  gr  Wasser 
wohl  als  die  schonendste  anzuseheu  sein  dürfte.  In  diesem 
Falle  ist  nach  15  Minuten  schon  das  resorbierte  Jod  auf  der 
Zunge  mit  dem  Lapis  als  Jodsilber  nachweisbar.  —  Nach  dem 
Kriege  obliegt  die  Aufgabe,  die  Bevölkerung  vor  der  Infektion 
durch  die  Heimkehrenden  zu  sichern.  Neben  Aufklärung  der 
Bevölkerung  erscheint  notwendig,  die  Krieger  mit  Wassermann 
zu  untersuchen  und  eine  Reinkultur  ihres  Harnröhreusekretes 
heizustellen .  Viernstein-Straubing. 

F  r  ii  h  w  a  1  d  und  Z  a  1  o  z  i  e  c  k  i,  Über  die  Infektiosi¬ 
tät  des  Liquor  cerebrospinalis  bei  Syphilis.  —  Berl.  Kl.  W.- 
Schr.  1916/1. 

Die  Verfasser,  deren  einer  (Z  )  sich  in  russischer  Kriegs¬ 
gefangenschaft  befindet,  gehen  zunächst  unter  kritischen  Litera¬ 
nachweisen  auf  die  Entwickelung  der  Liquor-F^orschung  ein 
(Pleocytose,  Eiweissvermehrung,  Wassermannsche  Reaktion, 
Spirochätenauffindung  und  geben  dann  eigene  Versuche,  bei 
denen  sie  den  Liquor  cerebrospinalis  von  Luetikern  aller  Sta¬ 
dien  auf  Spirochäten  untersuchten  und  auf  Kaninchen  subskro- 
tal  bezw.  intratestikulär  verimpften,  um  die  Infektiosi¬ 
tät  des  liquor  festzustellen.  Es  zeigte  sich, 
dass  nur  in  einem  Teil  der  Fälle  eine  solche  Infektiosität  ge¬ 
geben  war,  indes  liess  sich  hierbei  keine  Gesetzmassigkeit  er¬ 
mitteln.  Hinsichtlich  der  Spirochätenfunde  selber  erwies  sich, 
dass  im  primären  Stadium  der  Syphilis  der  Liquor  frei  war. 
Doch  glauben  die  Verfasser,  dass  weitere  Forschungen  diese 
Feststellung  umstossen  dürften,  da  ja  die  Spirochäten  schon 
in  der  5.  Woche  post  infectionem  im  Blute  zu  finden  sind  und 
sonstige  Liquor- Veränderungen,  wenn  auch  selten,  in  dieser 
ersten  Zeit  Vorkommen. 

Mit  dem  Eintritt  der  Krankheit  ins  sekundäre  Stadium 
enthält  der  Liquor  Spirochäten,  und  zwar  sowohl  im  frühen, 
wie  besonders  im  späten  Sekundärstadium. 

Verhältnismässig  gross  sind  die  Befunde  bei  Metasyphilis. 
Auch  bei  juveniler,  herditärer  Paralyse  gelang  der  Fund  im 
Liquor,  nicht  minder  bei  hereditär-luetischen  Neugeborenen, 
deren  Organismus  durch  das  Nabelvenenblut  mit  Spirochäten 
übersät  wird. 

Zusammenfassend  ergab  sich  eine  verhältnismässige  Selten¬ 
heit  der  Spirochätenbefunde  im  Liquor.  Hinsichtlich  des  Impf¬ 
erfolges  war  es  gleichgültig,  ob  der  verimpfte  Liquor  normal 
oder  verändert  war,  ob  die  Seroeaktion  positiv  oder  negativ 
war,  ob  nervöse  Symptome  bestanden  hatten  oder  nicht.  Der 


356 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Liquor  konnte  endlich  schon  bald  oder  erst  sehr  spät  nach  der 
Infektion  Spirochäten  enthalten.  Kurz:  eine  Gesetzmässigkeit 
liess  siel)  nicht  herausfinden,  ebensowenig  wurde  klar,  unter 
welchen  Umständen  die  Infektiosität  des  Liquor  zustandekommt. 

Viernstein-Straubing. 


Medikamentöse  Therapie. 

Blumenthal,  Prof.,  Ultrafiltrate,  eine  neue  Arznei¬ 
form.  —  BerL  Kl.  W.-Schr.  19 16/ 2. 

Bei  der  neuen  Methode  der  Ultrafiltration  werden  durch 
den  erfolgenden  Durchgang  von  Flüssigkeiten  durch  gallert¬ 
artige  Membranen  unter  Druck  auf  der  einen  Seite  des  Fil¬ 
trates  die  sämtlichen  in  der  Flüssigkeit  enthaltenen  Colloid- 
stofFe  zurückgehalten,  während  „jenseits“  sich  die  Kristalloide 
sammeln,  wobei  —  im  Gegensatz  zur  Dialyse  —  eine  Ver¬ 
dünnung  der  zu  dialysierenden  Flüssigkeit  nicht  stattfindet. 

Die  medizinisch-pharmazeutische  Bedeutung  dieser  Neuerung 
erhellt  sofort,  wenn  man  als  Beispiel  das  Opium  heranzieht, 
dessen  ursprüngliche  Form  einerseits  die  Summe  der  therapeu¬ 
tisch  erwünschten  Alkaloide  (Morphin,  Codein,  Papaverin,  Nar¬ 
kotin,  Thebain  usw.)  enthält,  gleichzeitig  aber  auch  —  und 
zwar  das  Pulver  sowohl  wie  die  offizinelle  Tinktur  und  das 
Extrakt  —  die  wertlosen  colloiden  Ballaststoffe,  nämlich  Harz, 
Fett,  Wachs,  Eiweissstoffe  usw.  Es  gelang,  auf  oben  bezeich- 
netem  Wege  in  der  Tat  ein  ideales  Opiumpräparat  mit  Voll¬ 
wirkung  zu  erzielen,  das  unter  dem  Namen  „Holopou“  im 
Handel  ist  (d 'log  ganz,  vollständig).  Die  klare,  braune  Flüssig¬ 
keit  ist  genau  auf  die  Stärke  der  tinct.  opi.  simpl.  eingestellt 
Die  Aufmachung  besteht  in  sterilen  Ampullen  zur  subkutanen. 
Injektion,  in  Suppositorien  und  in  Tabletten  zur  stomachalen 
Darreichung.  Die  Abwesenheit  aller  die  V ollwirkung  verzögern¬ 
den  Ballaste  gewährleistet  nach  Verf.  eine  „ausserordentlich 
rasche  und  ausgiebige“  Opiumwirkung. 

Eine  Reihe  anderer  bisher  dargestellter  Ultrafiltrate,  so  von 
Digitalis  u.  Convallaria,  sind  von  Verf.  ebenfalls  geprüft 
worden. 

(Referent  hat  im  letzten  Halbjahr  mit  Holopon  (Firma 
Dr.  H.  Bück,  ehern.  Werke.  Oranienburg)  ausgiebige  klinische 
Versuche  an  Krankenhauspatienten  selbst  angestellt  und  sich 
vorurteilsfrei  von  der  Brauchbarkeit  und  sicheren,  prompten 
Wirkung  des  Präparates  in  verschiedensten  Fällen,  in  denen 
eine  Opiummedikation  augezeigt  war,  überzeugt). 

Viernstein-Straubing. 

J.  M  a  n  1  i  n  -  Berlin,  Optochin  bei  Pneumonie.  _  Berl.  | 

Klin.  W.-Schr.  1916/3. 

Optochin- Versuche  an  12  im  Alter  von  14—63  Jahren 
stehenden,  durchweg  schweren  Pneumonikern  ergaben  bei  durch¬ 
schnittlicher  Gabe  von  0,25  gr,  4stündig,  bis  zur  Entfieberung, 
das  folgende:  zeitig  eintreffende  Entfieberung,  deutliche  Beru- 
higung  des  Kranken,  abwesende  Dyspnoe.  Dagegen  ist  spezi¬ 
fisch  antitoxische  Wirkung  nicht  anzunehmen,  da  die  Benom¬ 
menheit  noch  3  —  4  Tage  nach  Entfieberung  anhielt.  Der  phy¬ 
sikalische  Lungenbefund  wurde  nicht  beeinflusst.  Nebenwir¬ 
kungen  waren  gering  und  nur  vorübergehend  (Sehstörungen, 
Ohrensausen,  Pupillendilatation).  Optochin.  basic.  scheint 
schonender  zu  sein  als  Optoch.  hydrochlor.  Zur  Optochin- 
Medikation  ist  Milchdiät  zu  geben.  Hyperacidität  des  Magens 
ist  mit  Natr.  bic.  auszugleichen,  da  sie  Neigung  zu  Sehstörungen 
zu  zeitigen  scheint.  Optochin  ist  peroral,  subkutan,  intramus¬ 
kulär,  intravenös  und  endolumbal  zu  geben  Diese  Darrei¬ 
chungsformen,  von  denen  freilich  bisher  fast  ausschliesslich  die 
erste  in  Übung  ist,  werden  kritisch  besprochen. 

V  iernstein-Straubing. 

Rosen  bau  m,  Erfahrungen  über  die  Morphin- 
dersatz-Präparate  Dihydromorphin  und  Diacetylihydro- 
morphin  (Paralaupin).  (Aus  d.  I.  inneren  Abtlg.  d. 
Stadt.  Krankenhauses  im  Friedrichshain,  Berlin.  Direktor: 
Prof.  Dr.  Stadelmann).  (Berliner  Klin.  Wochenschrift,  1916, 
No.  22). 

Die  Versuche  des  Verfassers  lieferten  das  Ergebnis,  dass 
das  salzsaure  Dihydromorphin 
&  Co.,  Ludwigshafen 
wird)  bei 


für  Morphin,  dem  es  durch  anscheinend  ausbleibende  Gewöh¬ 
nung  überlegen  ist,  angesehen  werden  darf.  Die  Dosis  von 
0,015  g  entspricht  ungefähr  der  von  0,0 1  g  Morphium  hydro- 
chloricum.  ln  dieser  Menge  wurue  es  meist  gut  vertragen. 

Das  salzsaure  Diacetyldihydromorphin  (Paralaudin)  eignete 
sich  für  subkutanen  wie  für  innerlichen  Gebrauch.  Gewöhnung 
schien  ebenfalls  nicht  einzutreten.  In  der  Wirksamkeit  stand 
es  hinter  dem  Morphin  und  dem  Dihydromorphin  zurück,  und 
dürfte  deshalb  hauptsächlich  bei  leichteren  Fällen  in  Betracht 
kommen.  Besonders  intern  genommen  glich  es,  da  es  nur  in 
gei.ngeien  Gaben  ohne  Besch  werden  vertragen  wurde,  eher  dem 
Kodein.  Subkutan  verabfolgt  entsprach  es  in  der  Dosierung 
annähernd  dem  Morphin.  Bei  innerlicher  Darreichung  haben 

sich  15-20  Tropfen  der  1  n/oigen  Lösung  als  Einzeldosis 
bewährt. 

Die  Präparate  befinden  sich  noch  nicht  im  Handel. 

Neumann. 

Stabsarzt  Dr.  med.  R  e  i  s  s,  Erfahrungen  mit  Granuge- 
noi.  (Aus  dem  Reserve-Lazarett  II,  Zweibrücken).  (Berliner 
Klinische  Wochenschrift,  1916,  No.  )9). 

\  erfasser  hatte  Gelegenheit,  das  Granugenol  etwa  3/4  Jahre 
bei  den  verschiedensten  Wunden  und  bei  sehr  wechselndem 
Material  auszuprobieren.  Es  handelte  sich  fast  ausschliesslich 
um  schwere  Verletzungen  mit  ausgedehnten  Substanzverlusten 
oder  frische,  grössere  Operationswunden,  später  aber  auch  um 
Knochen  fisteln  und  kleinere  Wunden.  Um  einen  annähernden 
\  e? gleich  mit  anderen  Behandlungsarten  zu  bekommen,  wurde 
entweder  von  verschiedenen  Wunden  bei  ein  und  demselben 
Patienten  oder  von  \\  unden  verschiedener  Patienten  unter  sonst 
ziemlich  gleichen  Verhältnissen,  die  eine  Wunde  mit  Granu¬ 
genol,  die  andere  nach  den  bisher  üblichen  allgemein  chirur¬ 
gischen  Grundsätzen  behandelt 

Untei  \  eimeidung  von  Spülungen  oder  Reinigungen  mit 
antiseptischen  Flüssigkeiten  wurde  die  Wunde  mit  steriler 
trockener  Gaze  so  gut  als  möglich  gereinigt  und  getrocknet, 
mit  einer  einfachen  Lage  Jodoformgaze  bedeckt  und  das  Gra¬ 
nugenol  mittels  einer  langen  Glaspipette  darauf  geträufelt,  ein 
Vorgehen,  das  bei  äusserster  Sparsamkeit  im  Verbrauch  grösste 
Asepsis  bei  dem  ^  erbande  ermöglichte.  Bei  tiefen  Buchten 
oder  Fisteln  wurde  das  Oel  direkt  in  diese  eingeträufelt  und 
die  W  unde  mit  einer  dicken  Lage  steriler  Gaze  verbunden  Je 
nach  der  Stärke  der  Sekretion  fand  jeden  Tag  oder  jeden  2. 
Tag  Erneuerung  des  \  erbandes  statt;  nur  bei  ganz  wenig  ab¬ 
sondernden,  kleineren  und  zum  grossen  Teil  schon  überhäuteten 
\\  unden  blieb  der  Verband  3 — 4  Tage  liegen. 

Wie  aus  der  ausführlichen  Kasuistik  hervorgeht,  kamen 
Weichteilschusswunden,  Amputationswunden,  komplizierte 
Knochenschussfrakturen,  Fisteln,  kleinere  alte  Wunden  und 
Fälle  von  Dekubitus  zur  Behandlung. 

o 

Verfasser  kann  die  von  anderen  Seiten  hervorgehobenen 
guten  Eigenschaften  des  Granugenols  —  reinigende  Wirkung, 
rasche,  gesunde  und  feste  Granulationsbildung,  des  öfteren  auch 
Epithelialisierung,  kein  Festkleben  und  daher  auch  leichte  und 
schmerzlose  Verbandserneuerung  —  nur  bestätigen.  Granugenol 
stellt  ein  unschädliches  Mittel  vor,  das  als  Ersatz  des  Perubal¬ 
sams  gelten  kann.  Auch  ist  es  viel  billiger  als  dieser  und 
sparsamer  im  Gebrauch.  Es  verdient  also  die  Fähigkeit  des 
Präparates,  kernige  und  gesunde  Granulationen  einzuleiten, 
dieselben  weiter  zu  entwickeln  und  einer  zufriedenstellenden 
Vernarbung  entgegenzuführen,  besonders  hervorgehoben  zu 
werden.  Neumann. 


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Gelsdorf  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  Annoncenbureau,  Eberswalde  bei  Berlin. 


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tis  deform.,  tabischen  Schmerzen,  Sehnen¬ 
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bei  Psoriasis,  Pityriasis  und  ca. 5.0  (oder  als 
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bei  Adnexen,  Fluor  alb.  etc. 

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J 


NT r.  36 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


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tehwächezustünde. 

Pilul ae  Sangu ina lis Krewel 

c.  0,05  g  Chinino  bydroehlorieo. 
Warm  empfohlen  als  Tonieum  und  Ro- 
borans,  besonders  in  der  Rekonvaleszenz. 

Pilulae  San gu  in  al  is Kre  wel 

c.  0,05  g  und  0,1  g  Quajaeol.  earbonle. 
Empfohlen  bei  8krophulose  und  Phthise, 
insbesondere  bei  Phthise  mit  Magen- 
h  Störungen. 

Pilulae  Sangninalis  Krewel 

c.  0.000G  g  Aeido  arsenieoso. 
Warm  empfohlen  bei  nervösen  Be¬ 
schwerden  Anaemischer,  Chlorotiseher 
und  Hysterischer,  ferner  bei  Ekzemen, 
Skrophulose,  Chorea. 

Pilulae  SaiiguinalisKrewel 

c.  0,05  g  Extr.  Rhei. 

Sehr  zu  empfehlen  bei  allen  Fällen  von 
Chlorose  und  Blutarmut,  die  mit  Darm 
trägheit  einhergehen. 

Pilulae  Sanguinalis  Krewel 

c.  0,05  g  und  0,1  g  Kreosot. 
Indikation:  Phthisis  incipiens,  Ikro- 
phulose. 

den  Herren  Ärzten  gratis  und  franko 


Literatur  und  Proben 

Kreuel  &  Co 


=  Nervösen  Zuständen 


aller  Art 


Valbromid 


Sal.  bromatum.  efferv.  c.  Valerian  „STEIN" 


Kein  Bromismus 


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Vertreter  für  Berlin  und  Umgegend:  A.  Rosenberger,  Arkona-Apothake, 
Berlin  N  28,  Arkonaplatz  5.  Fernsprechamt  Norden  Nr.  8711.  —  Vertreter 
für  Hamburg:  Apotheke  E.  Niemitz,  Georgspiatz  gegenüber  Hauptbahnhof 

in  Hamburg. 


Komhiiiierte  Baldrian-  a.  Bromwirhons 

Indiziert  bei  Erregungszuständen,  nervöser  Schlaflosigkeit,  Herz¬ 
neurosen,  psychischer  Depression 

Wurde  in  Vereins-  und  Reservelazaretten  mit  bestem 
Erfolg  angewendet 

Literatur  und  Gratisproben  von  der 

Pharmazeutischen  Fabrik  „Stein“ 
Alfred  Sobel,  Durlach  (Baden) 


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ordinierte  Dr.  A.  F  r  ä  n  k  e  1  (Berlin )  bei  Migräne,  Nerven-  und  Muskelschmerzen,  Gelenkrheumatismus  und  gegen  Schmerzen  nach 
Knochenbrüchen  und  Verstauchungen  Der  Verfasser  führt  zahlreiche  Fälle  an,  bei  denen  die  Wirkung  eine  frappante  war.  Von 
allen  Patienten  wurde  hervorgehoben,  dass  Kacepe-Balsam  sich  angenehm,  kühlend  und  lindernd  über  die  Haut  verbreite.  Der  Verfasser 

empfiehlt  daher  diesen  Balsam  als  Ersatz  für  die  inneren  Mittel.  Aus  d«r  Poliklinik  für  innere  Krankheiten,  Rixdorf;  Prakt 

Erfahrungen  mit  Kacepe-Balsam  von  Dr.  med.  A.  Frankel, 
Berlin  (Klinisch-therapeutische  Wochemchrift  Nr.  31,  1911), 

D.  H.  Gut  owitz  hat  im  Krankenhause  Oberbühlerthal  in  Baden  bei  akutem  und  chronischem  Gelenkrheumatismus,  ebenso  bei 
akuten  Neuralgien,  bei  Muskelrheumatismus,  Lumbago,  rheumatischen  Pleuritiden  sehr  günstige  Resultate  erzielt  und  führte  zum  Beweise 
eine  Reihe  von  Krankengeschichten  an.  Auch  in  einigen  Fällen  von  Gicht  hat  ler  Kacepe-Balsam  gute  Aus  dem  Krankenhause  oberbühier- 
Dienste  geleistet.  thal  in  Baden*  „Ueber  Kacepe-Bal- 

6  saro"  von  Dr.  med.  H.  Gutowitz. 

Ausführliche  Literatur  und  Versuchsmuster  gratis  und  franko  zu  Diensten.-  /  Preis  per  1/1  Tube:  Mk,  2.00.  V2  Tube:  Mk.  1.20. 

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33 

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perkutanen  Einverleibung  von  Campher  und  Balsam 

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Bestandteile:  Campher,  Balsam  peruvian.  u.  Ol.  Eucalypt.  Jede  Dosis 
enthält  0,4  g  Campher.  Wegen  der  herzroborierenden,  expek- 
torierenden  und  Appetitanregenden  Wirkung  indiziert  bei  Lungen¬ 
tuberkulose,  Emphysem,  Asthma  nervosum,  Bronchitis  chronic, 
Influenza,  Anämie,  Skrofulöse  und  Herzschwächezuständen. 

Jede  Tube  enthält  5  Dosen.  Genaue  Gebrauchsanweisung  liegt 
jeder  Tube  bei.  Preis  der  Tube  für  Erwachsene  M.  2. — ,  für 
Kinder  (halbe  Dosis)  M.  1.20. 

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die  Won-Wäscherei  i  Kämmerei  io  Döhreo  hei  Hannover 

(Abt.  Chem  Fabrik). 


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gegen  Übertragung  von 
Geschlechtskrankheit  ist: 

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WZ.  WZ. 

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Dr.  A. .  Mann,  Mainz. 

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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN 


Nr  36 


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INHALT. 


Originalarbeiten  und  Sammelberichte. 

Fischer,  Der  Krebs,  349. 

Referate  und  Besprechungen. 

Allgemeine  Pathologie  und  paihol.  Anatomie:  Lublinski,  Gaumen 
hochstand  und  adenoide  Vegetation,  354.  Schanz,  Die  Wirkung 
des  Lichtes  auf  die  lebende  Substanz,  354. 

Innere  Medizin  :  Moszkowski,  Ein  Mittel  zur  Bekämpfung  <  ei 
blutigen  Stühle,  354  .  ,, 

Psychiatrie  und  Neurologie :  Pearson  u  J  ae  derholm,  Men 
delism  and  the  problem  of  mental  defect,  354.  Sc  h  e  e  r,  Ein  r  a 
von  Zwergwuchs  und  Idiotie  nebst  Bemerkungen  über  die  Klassifi¬ 
kation  der  Zwerge,  355.  .  .  , 

Hautkrankheiten  und  Syphilis  und  Krankheit  oer  Harn-  una  Gescmechts- 
organe:  Zeissl,  Die  Siphilisbehandlung  zur  Kriegszeit,  und  was 
soll  nach  Friedensschluss  geschehen,  usw..  355  4  r  ü  h  w  al  d  um 

Z  a  1  o  z  i  e  c  k  i  ,  Über  die  Infektiosität  des  Liquor  cerebrospinalis 
bei  Syphilis,  355. 

Medikamentöse  Therapie :  lllumenthal.  Lltrafiltrate^  eine  neue 
Arzneiform,  356  Manlin,  Optochin  bei  Pneumonie,  3ob.  ko  s  e  n- 
b  a  u  n.,  Erfahrungen  über  die  Morphinersatz-Präparate  Dihydro- 
oiorphin  und  Diacetyldihydromorphin,  356  Heiss,  Erfahrungen  mit 
Granugenol,  35j 


gögällfäbletten  ä  %  g 

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Acid.  acet-  salic.  Chinin.  Mg.  LI. 
prompt  wirkendes  und  vollkommen  unschädliches 


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Gicht,  Ischias,  Hexenschuss,  bei  allen  For¬ 
men  von  Neuralgie,  jeder  Art  von  Nerven¬ 
schmerzen,  bei  Influenza  und  Erkältungs¬ 
krankheiten. 

Togal-Tabletten  wurden  klinisch  erprobt  und 
von  zahlreichen  Ärzten  glänzend  begutachtet. 

Togal-Tabletten  sind  stark  harnsäure¬ 
lösend. 


Literatur  und  Proben  stehen  den  Herren  Ärzten 
auf  Verlangen  gerne  kostenlos  zur  Verfügung. 

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sowie  das  lästige  Auf- 
stossen  ausgeschlos¬ 
sen,  da  Lösung  der 
Kapseln  erst  im  Duo¬ 
denum  erfolgt.  Keine 
Nierenreizungen.  Erfolg  in  kürzester  Zeit.  (Siehe 
Literatur). 

Letzte  Literatur:  Sanitätsrat 
Dr.  M.  Lriedländer,  Chefarzt 
der  vormals  Lassarschen  Klinik 
zu  Berlin,  Therapie  der  Gegen¬ 
wart,  Februar  1914. 


und  ähnliche  Erkrankungen. 


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Berlin  C.  19,  Neue  Grünstrasse  4. 


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befindliche  Liste  118. 


Elektrische  Arbeitsmethoden  mit 
dem  Myoroborator 

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Unter  anderem  angewendet  bei: 

Inaktivitätsatrophien  der  Muskulatur. 

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Actien-Gesellschaft, 

Berlin  NW.  6,  Karlstrasse  31. 

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Nr.  36 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


VESICAESAN 


Enthält  sämtliche,  durch  fraktionierte  Extraktion  (D.R.P.) 
gewonnenen  Extraktstoffe  der  Folia  uvae  ursi. 

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die  Pillen  besonders  in  den  neuen  Originalschachteln 

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in  genügender  Zahl  bequem  mitgeführt  werden  können, 
ist  die  Verwendung  des  Vesicaesan 

für  Heeresangehörige 

bei  akuter  und  chronischer  Gonorrhoe  zur  Verhütung 
von  Urethritis  posterior  usw.  und  bei  katarrhalischen 
Blasenleiden  besonders  angezeigt. 

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Chemische  Fabrik  Reisholz,  a.  iilii.il, 

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Eisennucleinat  mit  Arsen  und  Chinin 

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Jede  Tablette  enthalt  Fe.  0,008, 

i 

I 

P.  (org.  geb.)  0,004.  As.  0,0012  Chinin  0,01 

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Im  Autoclaven  sterilisierte 

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Cocain  -  Adrenalin  -  Lösung. 

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Ideales  Localanästhetikum 

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Im  Autoclaven  sterilisierte 

1 

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Harnsäure  -  Eusemin  -  Anreibung 

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nach  Geheimrat  Dr.  Falkenstein, 

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Gross  -  Lichterfelde 

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Injektionen  Marke  Ha-eR  (HR). 

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Absolut  chemisch  rein. 

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Im  Autoclaven  sterilisiert 

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Im  Autoclaven  sterilisierte  Lösung 

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von  nudeinsaurem  Natrium 

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Durch  elektrische  Zerstäubung 

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hergestellte  sterilisierte 

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colloidale  Silberlösung 

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FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


Nr.  36 


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Antirheumatische  Salbe 

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Trichlorbutylester  der  Salizylsäure  und  Azetylsalizylsäure) 

völlig  reizlos,  gut  resorbierbar,  günstige 
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chronischem  und  gonorrhoischem  Gelenk¬ 
rheumatismus,  Nervenschmerzen,  Gicht. 

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Chemische  Fabrik,  Hemelingen 

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kostenlos  zur  Verfügung  durch  die 

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Frankfurt  a.  M. 


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Frei  von  Borslare,  Salicylsäure  oder  Irgendwelchen  sonstigen  antibakteri- 
ellen  Zusätzen,  enthält  ausser  dem  völlig  reinen  Haemogjjobin  noch  samtl. 
Salze  des  frischen  Blutes,  insbesondere  auch  die  wichtigen  Phosphorsalze  (Na¬ 
trium,  Kalium  und  Lecithin),  sowie  die  nicht  minder  bedeutenden  Eiweiss¬ 
stoffe  des  Serums,  welche  durch  die  Forschungen  Prof.  Carreis  neuerdings 
grosse  Bedeutung  erlangt  Haben,  in  konzentrierter  gereinigter  und  unzer- 
setzter  Form.  Als  blutbildendes,  organeisenhaltiges,  diätetisohes  Kräftigungsmittel 
für  Kinder  und  Erwachsene  bei  Schwächezuständen  irgendwelcher  Art  von 
hohem  Werte. 

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Kann  als  diätetisches, .die  tägliche  Nahrung  ergänzendes  Mittel  jahraus, 
iahrein  ohne  Unterbrechung  genommen  werden.  Da  es  ein  natürliches 
organisches  Produkt  ist,  treten  niemals  irgendwelche  Störungen  auf. 

Grosse  Erfolge  bei  Rachitis,  Skrofulöse,  Anemie,  Frauenkrank¬ 
heiten,  Neurasthenie,  Herzschwäche,  Malaria,  Rekonvaleszenz 
(Pneumonie,  Influenza  etc.  etc.) 

WST  Vorzüglich  wirksam  bei  Lungenerkrankungen  als  Kräftigungskur. 
Sehr  angenehmer  Geschmack.  Wird  selbst  von  Kindern  ausser¬ 
ordentlich  gern  genommen.  Stark  appetitanregend. 

Haematogen  Hommel  gewährleistet  .  ...... 

unbegrenzte  Haltbarkeit  in  vieljährig  erprobterrTropenfestigkeit 
und  Frostsicherheit,  absolute  Sicherheit'  vor  Tuberkelbazillen 

durch  das  mehrfach  von  uns  veröffentlichte,  bei  höchst  zuverlässiger  Tem¬ 
peratur  zur  Anwendung  kommende  Verfahren. 

Wir  warnen  vor  Fälschungen,  die  mit  dem  Namen 


töarimns! 

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Hommel  oder  Dr.  Hommd  Missbrauch  treiben.  Wir 
bitten  uaher  ausdrücklich  das  echte  Dr.  HommsTs 
Haematogen  zu  ordinieren! 

Kleine  Icinder  1—2  Teelöffel  mit  der  Milch  gemischt 
(Trinktemperatur ').  grössere  Kinder  1—2  Kinderlöffel 
(rein!!)  Erwachsene  l— 2  Esslöffel  täglich  vor  dem 
Essen,  wegen  seiner  eigentümlich  stark  appetitan- 
Wirkung. 

Preis  Mk.  3.30  ■ 


regenden  Wirkung. 
Verkauf  in  Originalflaschen  ä  250  gr 


Versuehsquanta  stellen  wir  den  Herren  Aerzten  gerne  frei  und  kostenlos 

zur  Verfügung. 

Aktiensesellschalt  Hommel’s  Haematosen 
Zürich  (Schweiz). 

Generalvertreter  für  Deutschland 

Gerth  van  Wyk  &  Co.,  Hanau  a.  M. 


FORTSCHRITTE  DER  MEDIZIN. 


r-S 

Nr.  36 


3etcfwet  bie  fünfte  Krteggottletbe! 

®er  Krieg  ift  in  ein  entfcpeibeiibe^  6tabium  getreten.  ©ie  $lnftrengungen  bet  geinbe  fmben  it>r  Höcpftmafj 
erreicht.  3^re  3apt  ift  noch  größer  geworben.  Weniger  al£  je  bürfen  ©eutfd)lanb$  Kämpfer,  braunen  wie  brinnen, 
je$t  nacblaffen.  9?ocf>  müffen  alle  Kräfte,  angefpannt  biö  aufö  Siufjerffe,  eingefe$t  werben,  um  unerfc^üttert  feftju- 
ftepen,  wie  bisher,  fo  auch  im  £oben  be$  na^enben  (EnbfampfeS.  Ungeheuer  jtnb  bie  “Slnfprücbe,  bie  an  ©eutfcblanb 
gesellt  werben,  in  jeglicher  Hinfxcpt,  aber  ihnen  mufj  genügt  werben,  2Bir  miiffen  Sieger  bleiben,  fd)le(^itt,  auf 
jebem  ßkbict,  mit  ben  Waffen,  mit  ber  ^ecpnif,  mit  ber  Organifation,  nicpt  jute^t  auch  mit  bem  (Selbe ! 

<£>arum  barf  hinter  bem  gewaltigen  (Erfolg  ber  früheren  Kriegsanleihen  ber  ber  fünften  nicht  jurüctbleiben- 
5D^ehr  als  bie  bisherigen  wirb  fte  mafcgebenb  werben  für  bie  fernere  ©auer  beS  Krieges;  auf  ein  finanzielles  (Erfd)taffen 
©eutfcplanbS  fehl  ber  'tEeinb  grofje  (Erwartungen.  3ebeS  3ekpen  ber  (Erfcpöpfung  bei  uns  würbe  feinen  3ftut  beleben, 
ben  Krieg  oerlängern.  3eigen  wir  ihm  unfere  unoerminberte  Starte  unb  (Entfcf)loffenheif,  an  ihr  müffen  feine  Hoffnungen 
Zufcpanben  werben. 

9Dcit  hänfen  unb  Kniffen,  mit  9?ecptSbrücben  unb  ^lacfereien  führt  ber  ^einb  ben  Krieg,  Heuchelei  unb  £üge 
jtnb  feine  Waffen.  SDiit  hör(en  Schlägen  antwortet  ber  ©eutfdje.  ©ie  3eit  ift  wieber  ba  zu  neuer  ^at,  zu  neuem 
Cchtag.  lieber  wirb  ganz  ©eutfcplanbS  Kraft  unb  <333iUe  aufgebofen.  Keiner  barf  fehlen,  jeber  mufj  beitragen  mit 
allem,  was  er  huf  unb  geben  tann,  bafj  bie  neue  Kriegsanleihe  werbe,  was  fte  unbebingt  werben  mufj : 

8»ir  uitS  ein  glorreicher  §ieg,  für  ben  geittb  ein  nernirfjtenber  8tf)lag  l 


Ein  neues  Lichtbad 


mit  Hochgebirgs-Sonne 
ähnlichem  Strahlengemisch 


Ultra-„Polysol“-Licbtbad 

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Hernorrngentie  Dortelle: 

1.  Eine  grosse  Lichtfülle  strahlender  Energie. 

2.  Ideales  Strahlengemisch  (rot-gelbe  und  blau¬ 
violette  Strahlen  in  zweckmässiger  Verteilung). 

3.  Ganz  geringe  Leitungswärme,  langsam  an- 
J  steigende  Temperatur,  welche  grosse  Höhe 

auch  bei  langer  Dauer  nicht  erreicht. 

4.  Starker  Schweissausbruch  meist  schon  bei 
einer  Temperatur,  die  unter  der  normalen 
Körpertemperatur  liegt. 

5t  Keine  Erhöhung  der  Blutwärme,  v  ielmehr  Ver¬ 
meidung  jeder  Wärmestauung  im  Körperinnem. 
Trotz  grosser  Lichtfülle  und  vervielfachter 
Strahlungsenergie  grosse  Ersparnis  im  Strom¬ 
verbrauch,  zirka  5fache  Stromaus¬ 
nutzung. 

Man  verlange  ausführlichen  Prospekt! 

Alleinfabrikation:  .^SS 


Elektrizitfilsgesellschoft  Jnnitüs“  Berlin:?  n.  Friedrichstr.  131,  Ecke  Karlstr.