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2
Friedrich Schleiermacher's
ſaͤmmtliche Werke.
Dritte Abtheilung.
Zur Philofophie.
Zweiter Band.
I
Berlin,
gedruckt und verlegt bei G. Reimer.
1838.
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Fantily of Dr.Wm.A.E
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Dr. Friedrich Schleiermacher's
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vermiſchte Schriften.
Zweiter Band.
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1853986.
inhalt
Hevakleitoß ber dunkle, von Epheſos, dargeftellt aus den Trümmern
feines Werkes und den Zeugnäffen der Altın. » . Seite 1
Abhandlungen gelefen in ber Königlichen Akademie ber Wiffenfchaften.
1. Ueber Diogenes von Apolni. » 0.0 149
II. Ueber Anaximandros.. . . . — 11
ı M. Ueber die verfchiedenen Methoben bes uͤcherſczens. . — v7
IV. Ueber die Begriffe der verſchiedenen Staatsformen. — 246
V. Ueber den Werth bed Sokrates ald Philofophen. . — W7
VI. ueber die griechiſchen Scholien zur nikomachiſchen Ethik des
Ariſtoteles.. ea . — 30
VI. uUeber die Yuswanberungverbote ee 87
VIII. Ueber die wiflenfchaftliche Behandlung des Tugendbegriffes. — 350
IX. Verſuch über die wifienfchaftliche Behandlung des Pflichte
| begriff. . 0 0 0 0 v — 37 9
X. Ueber den Unterſchied zwiſchen Haturgefep und Sittengeſez. — 397
XI. Ueber den Begriff des Erlaubten. ..— 2418
XII. Ueber den Begriff des höchften Gutes. (Erſte Abhandlung) — 446
XIII. Ueber den Begriff des hoͤchſten Gutes. (Zweite Abhandlung.) — 469
Herakleitos
der dunkle, von Epheſos,
dargeſtellt
aus den Truͤmmern ſeines Werkes
und den Zeugniſſen der Alten.
Aus dem erſten Bande des Muſeums der Alterthumswiſſenſchaft
von Wolf und Buttmann)
u . 1808.
Schleierm. W. IT. 2. | % fg
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Mann gleich ſchon mehrere verfucht haben die Weisheit dies sıs
ſes Mannes, auf welche allein auch wir uns befchränfen‘ wel:
Ien, und die unzuverläffigen Erzählungen von feinem Leben, -fs
nen äußern Verhältniffen und feiner Todesart an ihren Ort ge
flellt fein Laffen, ihrem Wefen und Umfange nach darzuftellen, '
fo daß ed im einzelnen an Vorgängern und zum Theil fehr Id:
benöwerthen nicht fehlt: fo muß Doch auch dieſes neue Unterneh:
men damit anfangen, feine Anfprüche auf Nachficht geltend zu
machen, für den Fall dag noch nicht über alles ein befriedigen
des Licht folte ‚verbreitet werden. Auch liegen die Schwierigkei⸗
ten deſſelben als folche zu Tage, daß ſchon ein: Verfahren zu
entwerfen, Regeln auszumitteln und ſich zu entfchließen wo Han
zunächft feften Fuß faffen fol, eine Arbeit ift. -
Denn zuerft iſt ded vorhandenen jo wenig, berhaltnißmaͤßig
nämlich gegen bie durch die wuͤrdigſten und größten. unter den
Aten erregte fo große Vorſtellung von dem Manne, daß die sıc
rühmliche Begierde mehr zu entdekken ald wir über ihn wiſſen
nur zu leicht ausartet in eine gefährliche Kühnheit der Muth
maßungen und Berfnüpfungen; fo daß der Forſcher, auch wenn
er den erften Einfchritt mit der größten Behutfamfeit gemacht
hat, fich doch immerfort gebunden erhalten muß mit den fefteften
Ketten an dad unmittelbar gegebene, auch dieſes feinem verfchies
denen Weche nach vorfichtig abwaͤgend.
42
4
Da und nun nichts irgend zufammenhangenbed noch weni:
ger ganzes übrig ge eben ift von den Werken ded Mannes,
den Briefen aber, welche unter feinem Namen gehen, niemand
einigen Glauben beimefjen wird, fo wenig den in fpäterem Dia-
left geichriebenen, ald dem einen und deflo unbedeutenderen ioni=
fhen: fo ift dies vorhandene nur zwiefach, zuerft eine mäßige
Anzahl ſaͤmmtlich Kleiner Bruchſtuͤkke, welche als aus feinen
Werken an verfchiedenen Orten beigebracht werden; und dann
bie Berichterftattungen und Erwähnungen der Alten von feiner
Denkart und Lehre.
. 7. Bab alfo die erften betrifft: fo verdanken wir fie größten.
theils Tpateren Schriftfiellern, unter welchen vorzüglich hervorra⸗
gen fowol an Anfehn ald an Menge ded aufbehaltenen Plutars
chos, Sertus der Empiriter und Clemens von Alerandria. Bon
317 bem lezteren nun ift leider nicht zu laͤugnen, daß er auch fonft -
‚nicht felten pflegte hintergangen zu fein durch untergefchobene
Schriften und Stellen. Bon Sertus ferner ifl zwar gewiß, daß
er dad Werd des Herakleitod von der Natur muß in Händen
gehabt haben, da er nicht nur Stellen, welche, ſchon von Ari:
ſtoteles mitgetheilt, Acht fein müffen, (adv. Matb. VII, 132) fon-
dern auch ben Zufammenhang, in welchem fie vorkommen, an:
geführt hat; aber auf der andern Seite erklärt er fich (adr.
Math. VII, 5-—7. IX, 360. X, 233) über wichtige Xheile fei-
ned Inhaltes fo ſchwankend und nur bie Meinungen anderer
zufammenftellend, daß man. ihm unmöglich eigened und genaues
Studium des Werkes zufchreiben kann, und alfo immer beforgt
bleiben muß, ob er nicht zum Theil wenigftend die von ihman- .
‚geführten Worte auch nur aud Anführungen® anderer entlehnt,
wie es dem Herakleitos befonderd häufig ergangen zu fein fcheint.
Plutarchos giebt und dagegen allerdings zu viele Kleinigkeiten,
als daß er fie nicht in feinen berafleitifchen Büchern felbft folte
gelefen haben; ob aber dieſe Bücher immer Achte geweſen, bar:
über muß man zweifelhaft werben, wenn man (ade Colot, II.
5 —
p. 1115) lieſt, daß er eine Schrift des Herakleitos Zoroaſtres
uͤberſchrieben anfuͤhrt. Nun will man zwar vertheidigend ſagen
(. Fabr. Bibl. Graec. Ed. Harl. Vol, II. p. 626), bier ſei ein sus
jüngerer Herakleitos, ein Peripatetiler gemeint; allein es bleibt
wenig mahrfcheinlich, daß Plutarchos, der den Ephefier fo oft
und faft immer, auch noch Fur; nach diefer Stelle, ohne Beina⸗
men anführt, einen jüngeren wenig befannten und fonft. unferes
Wiſſens gar nicht von ihm erwähnten auf diefelbe Art und ohne
ihn isgend zu unterfcheiden follte genannt haben. Daher man
vielmehr fürchten muß, Plutarchod habe einer untergefchobenen
Schrift geglaubt; wodurch denn wieder unficher wird, ob nicht
: auch manche von ihm angeführte Stellen nur ſolchen angehören.
Sonach würden ale Darftelungen und Folgerungen, die nur
auf den Bruchſtuͤkken ruhten, nicht frei von Verdacht und nicht
hinreichend begründet fein, als nur infofern fie unmittelbar von
den wenigen Stellen gehalten werben, bie fchon Platon und Aris
ftoteled und überliefert haben.
Darum ift nun freilich vortrefflich, daß, zu den Bruchſtuͤk⸗
ken noch hinzukommen vielfaͤltige Zeugniſſe und Berichterſtattun⸗
gen der Alten. Nur iſt leider auch hier ein weſentlicher Unter—
fhied zu machen zwifchen. den früheren und fpäteren Zeugen.
Denn bekanntlich ift die floifhe Schule dem Herakleitos in vie:
lem gefolgt, und beide werden zu haufig als uͤbereinſtimmend
genannt, ald dag es hiezu einzelner Anführungen bebürfte; fo 313
daß auch die meiften, welche Diog. Laert. (IX, 15) ald Ausle:
ger des Heralleitod namhaft macht, Stoiker geweſen, wie ich
denn auch noch immer geneigt bin, auch den an die Spize ber:
felben geftelten Antifihenes troz der Stelle VI, 19 für den Sy:
nifer zu halten. Keinesweges aber darf man glauben daß die
Stoiker die herakleitiiche Lehre rein aufgenommen hatten, fon»
dern umbildend; und fo mag denn von den Auslegern mand)es
ähnliche aber doch nicht gleiche am leichteften fein verfälicht und
bald mehr bald minder bewußt zur Angemeffenbeit mit ver übe
4
6
teren Schule umgedeutet worden, zumal ber Schriftfteller durch
feine Dunkelheit quälte und reiste. Nun iſt offenbar, daß die
fpäteren Sammler alle, der Verf. des Buches de plac. phil.,
Theodoretod und Stobäos, denn ihre Sprache verräth fie, ihre
Nachrichten mehr von Auslegern und Commentatoren entnehmen
ald aus dem Werke felbft, und daher alled bei ihnen zum mins
beften doch durch den Einfluß der fpätern Sprache entftelt er
ſcheint. Vor den Zeiten der Stoa aber und der andern auch
wol mehr allegorifirenden als rein hiftorifchen und grammatifchen
Ausleger des Herakleitos haben wir faft nur Platon und Ariftos
teles zu nennen, ald Zeugen und Gewaͤhrsmaͤnner für die Lehre
320 deffelben, und auch dieſe beiden find wiederum nicht leicht zu
gebrauchen. Denn was den Platon betrifft, fo find feiner aus⸗
drüfflichen Beugniffe vom Herakleitos nur wenige, und wo ihm
fonft die Lehre de3 Mannes offenbar vorzüglich vorgefchwebt hat,
im Theaͤtetos und Kratylos, da muß man fich fehr hüten, im
erften nicht auf den Herakleitos zu ziehen wad nur vom Protas
goras gemeint ift, und im lezterem nicht den Meifter zu verwech:
ſeln mit den Anhängern, die, wie es fcheint (Diog. IX, 6 am
Ende), nicht aus mündlichen Unterricht, fondern nur aus ber
Schrift des Mannes gefchöpft haben, und daher vielleicht auch
übertrieben und mißverftanden. Won Ariftoteled aber iſt fehr
leicht zu fehen daß er Fein fleißiger Leſer des Herakleitos gewer
ſen, da er ſich ungleich und nicht felten widerfprechend über def»
fen Anfichten ausdruͤkkt, da er ihn häufig nicht erwähnt, wo
man es doch erwarten muß und grade am neugierigften wäre
den Mann zu vernehmen, und da er zweifelhaft fpricht, wo ein
genaued Studium ihn gründlich mußte belehrt haben, welches
alles die Folge nachweifen wird. Daher Ariftoteled anzuſehen
üft, nicht nur ald deren Vorgänger, welche dem Manne nicht be:
harrliche Anftrengung genug widmen wollten, um ſich den Lob⸗
namen belifcher Schwimmer (Diog. Laert. 11, 22) an feinem
221 Werke zu verdienen; fondern auch, indem er die Lehren des Ephe—
⸗
7 )
ferd in feine eigene Sprache überträgt, hat er unräbmlich zw
foäteren Mißdeutungen den Weg gezeigt.
Demohnerachtet nun bilden die Anführungen und bie Zeugs
ville des Platon und Ariftoteled die einzige fichere Grundlage,
werauf eine Darſtellung herakleitiſcher Lehre beruhen kann, und
das richtige Werfahren fcheint zu fein, dag man, lediglich von
dieſen ausgehend, die übrigen Bruchſtuͤkke, welche ſchon ganz volls
fändig gefammelt zu haben wir uns nicht anmaßen wollen, fon,
dern gewiß noch manche Nachlefe übrig laffen für ‚einen fpäteren
Bearbeiter *), in dem Maag für Acht anerkenne und benuze, als
fie mit jenen zufammenhangen oder wenigftend übereinftimmen,
- und eben fo wiederum den fpäteren Zeugniffen nicht mehr Ges
wicht beitege, als fie natürliche Werbindung zeigen mit den fo
anerfannten Bruchſtuͤkken. Wer auf diefe Weile aus beiden,
Zeugnifien und Bruchſtuͤkken, einen Kranz geſchikkt und bedeuts
fam zu flechten wüßte, ohne eine hinein gehörige Blume liegen
zu laffen, von dem würden wir glauben müffen, daß er und
wahres lehre, und alles wahre, was wir noch willen koͤnnen 22a
über die Weisheit des Epheſiers.
II. Nur erregt bei der Ausführung, eined folchen Entwur⸗
fes wieder neue Bedenken die beruͤhmte Dunkelheit des Mannes,
die ihm jedoch erſt in fpäteren Zeiten — und dad Buch de mundo
z.B. möchte ic) ſchon deshalb dem Arift. abfprechen, weil ed den
Herakleitos (cap. V. p.374 E. Ed. Casaub.) oxoreıyog nennt —
den eben erwähnten Beinamen erwarb, welchen auch wir ihm
nicht entziehen, fondern ihn lieber als einen trefflich abwehrenden
Schild und vorhalten wollten. Denn djefe Dunkelheit muß uns
nicht nur mißtrauifcher machen gegen jede Auslegung; fondern
je weniger und noch der Zujammenhang vor Augen liegt ber
vorhandenen Bruchſtuͤkke mit dem übrigen, um deſto mehr muͤſ⸗
*) Als ſolchen hat ſich ſchon angekündigt Creuzer, und es ift keinesweges
unſere Meinung, feine Arbeit zuruͤkkdraͤngen ober entbehrlich machen
zu wolles, ſondern vielmehr fe hervoczulokken.
8
fen wie auch zweifeln, ob wir den Sinn berfelben recht getrof-
fen, oder nicht vielmehr falfch gegriffen haben in biefer Dunkel:
heit. Darum muß und vorzüglich daran gelegen fein, zu wiffen
von welcher Art ſie eigentlich geweſen; und es iſt fuͤr keinen ge⸗
ringen Vortheil zu achten, daß ſie ſelbſt wenigſtens uns hell ge⸗
nug iſt, und wir ziemlich ſicher entſcheiden koͤnnen, was fuͤr eine
Bewandtniß es damit eigentlich gehabt habe, daß ſie naͤmlich
nur eine grammatiſche geweſen ſei, im erſten Anfang der philo⸗
323 ſophiſchen Proſa hoͤchſt natürlich und verzeihlich. Neuerlich frei⸗
lich ſcheinen auch Männer welche ſich vorzüglich mit dieſen Ge
genſtaͤnden beſchaͤftiget haben, vielmehr zu der Meinung derjeni⸗
gen ſpaͤteren unter den Alten ſich zu neigen, welche den Hera⸗
kleitos befchuldigen, er habe abjichtlich fo fehr als möglich feine
Lehre zu verhüllen geſucht. Nur verehren jene unfrigen ben
Mann zu fehr, um dies der Eitelkeit oder dem Eigenfinn zuzu⸗
fehreiben, fondern fuchen ed in anderen heiligeren Bewegungs:
gründen, weshalb fie aber auch freilich ihre Anficht auf eine ei-
gene und neue Weiſe zu rechtfertigen haben, Wir wenigſtens
haben bei den Alten nur jenes gefunden. So befchuldiget ein
Tatianus (Orat. ad Graeo. Ed. Oxon. p. 11) ihn bed eitlen
Hoͤchmuthes, und „will ihn nicht loben, daß er-fein Gedicht ge:
„heimnißvoll in dem Tempel der Artemis verborgen, damit es
„ſpaͤter von dort aus .erfchiene. Faſt ald ob Herafleitos es an:
gelegt hätte auf die fchlechte Kabel, welche Tatianus hernach er-
zahlt, dag nämlich Euripides das ganze Werk in dem Artemis:
tempel allmählig auswendig gelernt und fo nach Athen gebracht
babe. Wer weiß nun, wen der Mann anerkannt hat. al& folche
oig uelav Est nepl TOvTwv, und wer biefe Fabel auögefponnen
bat aus der früheren Erzählung, die wir bei Diog. Laert. I,
22 und IX, 11 finden, oder aus welchem- Berunglimpfer er, wie
er felbft verunglimpfen wollte, jene Beichuldigung genommen
haben mag! Eben fo denken einige freilich nicht genannte bei
Digg. IX, 6 „er babe abfichtlich dunkler gefchrieben, damit nur
9
‚ne ſtaͤrkeren Geifter fih dem Buche nahen möchten, und es
‘ micht allverbreitet und deshalb gering gefchäzt würde.” Als ob
damals auch das verftändlichfte philofophifche Werk fo leicht in
alle Hände gekommen wäre, und ein Schriftfteller der fich aus⸗
zähnen wollte, hätte zur Dunkelheit und Schwerfälligkeit fliehen
gemußt. Wer erkennt bier nicht die Mißdeutung einer fpäteren
Zit, in welcher die früheren feltenen Bücher einen großen Werth
hatten, in Vergleich mit den fpäteren zumal in gemeine Leſerei
5 übergegangenen "Probuctionen ber fofratifhen Schulen. Und
| Kuft es nicht ebenfalls auf eine Beſchuldigung ber Eitelkeit hin⸗
| mb, was Plotin fagt, (Enn. IV, 8, 1) Herakleitos habe ver
“ nachläffiget feine Rede beflimmt genug vorzutragen, weil er viels
leicht gewollt, man folle ſich mit ihm mühen, wie er fich felbfl
gemüht habe um die Lehre zu, finden? Anders, recht wie im
Mißmuth, und ald wäre er durch übelgelungene Bemühungen
abittert, fagt Cicero (de fin. II, 5. de nat. deor. 1, 26. beſon⸗
ders aber eben dafelbft I, 14) dem Herakleitos auf den Kopf
zu, er fei zu dunkel und abfichtlicy dunkel, und habe nur nicht sas
gewollt verflanden fein; eben wie wir ed oft einem, dem. wir
Talent genug zufrauen, ald Eigenfinn ſich nicht herabſtimmen
zu wollen auölegen, wenn ed ihm nicht gelingt ſich und ver-
flandlih zu machen. Das fei nun dem vornehmen Römer vers
ziehen feiner Bequemlichkeit wegen, da er ſich nicht gem verres
den wollte über das Verhaͤltniß der herakleitifchen Meinung vom
geuer zu der foifchen. Clemend (Strom. VI. p. 676) erwähnt
ber Dunkelheit des Herakleitos freilich in Verbindung mit meh:
seren Schriftftelern, von denen manche wol abfichtlich dunkel
oder wenigftend verſtekkt gefchrieben haben. Aber fein Zwekk,
die allegorifirenden Auslegungen der beiligen Schriftfteller durch
eine ähnliche abfichtliche Dunkelheit berfelben, die er vorausſezen
will, zu rechtfertigen, macht ihn verbäcdhtig, für eine ſchwache
Sache, wie es zu gefchehen pflegt, auch unpaffende Beifpiele zus
ſammengerafft zu haben. Deutlich aber fagt ſchon er nirgends,
10
die Dunkelheit des Herakleitos fei abſichtlich geweſen. Sertus
(adv. Maib. 1, 301) führt fie auf eine folche Weife an, daß das
Beifpiel für feinen Zwekk nur dann recht brauchbar wird, wenn
die Dunkelheit nicht eine abfichtlich veranflaltete ift, fontern ih»
ren Grund bat in ber Natur der Sache oder in dem Zuftande
s2asder Sprache. Auf leztered nun weifet, ohne irgend eined ande:
ven Grundes auch nur zu erwähnen, er ber folche beiläufige Er: _
wähnungen nicht fcheut, Ariftoteled ganz deutlich hin, indem er
(Rhet. IH, 5) die Schreibart des Herakleitos ald auf eine ei:
gene. Art fehlerhaft anführt, weil nämlich ſchwer fei zu inter
“ pungiren, indem man gar oft nicht wife, ob ein Wort zum vos
tigen zu ziehen fei oder zum folgenden, wozu er bald vom Ans
fange des Werkes her ein Beifpiel beibringt. Grade fo urtheilt
Demetriod (de elocat. $. 192. p. 78) daß Herakleitos größten:
theil3. dunkel werde durch den Mangel an Verbindung, fo daß
man nicht wiffe, wo jeber Saz anfange und endige. So wie
nun der Verfaſſer diefer Schrift offenbar ald einer urtheilt der
es felbft verfucht hat, fo können auch wir noch jezt nicht nur
auf diefe Zeugniffe geftüzt, fondern auch aus eigener Erfahrung
behaupten daß die Dunkelheit ded Herakleitos wirklich größten:
theils hierin ihren Grund hat. Denn das Zeugniß dieſer beiden
Männer wird ganz augenſcheinlich beſtaͤtiget durch die Beſchaf⸗
fenheit der meiſten noch vorhandenen Bruchſtuͤkke, indem nicht
nur viele derſelben uns aͤhnliche Schwierigkeiten darbieten, ſon⸗
dern auch in ſolchen, wo offenbar von den Hauptlehren des He⸗
rakleitos die Rede iſt, kein Unbefangener ein Beſtreben bemerken
337 kann dieſe verhuͤllen zu wollen; ſondern unumwunden, was er
angeſchaut hat, giebt er uns wieder. Auch kann man von dem⸗
jenigen welcher geſagt „den Unverſtand ſei es beſſer zu verber⸗
gen“ wol vielleicht bezeugen muͤſſen, es ſei ihm ſchwer geworden
die Weisheit ans Licht zu bringen, nicht aber darf man von
ihm vernuͤnftigerweiſe glauben, er habe es in ber That für bef⸗
11 +
fer angefehen, auch fie zu verhuͤllen. Und darum ſtehe diefes
werft bier unter allen feinen Bruchftüften.
1. "Auadinv yap ausıYyoy, ag pnoi Hoaxksırog,
xountesv. &oyov ÖR Ev Aveosı xal nag oivov. (Plut. Sym-
pee III. Ed, Freof. T. I, p. 644) Die lezten Worte nämlich,
wiewol fie ähnlich aus einer andern Schrift bed Plutarchos
(de erad. mulier.) Stobäo8 anführt auadiav, ws grow
Hooxisıros, zul allg xgUntew Eoyov Esiv, Ev oliv dA
zelenwteopv (Serm. XVII. Ed. Lugd. p. 165) halte ich
nicht für herakleitiſch, fondern für eine Wendung, welche Plus
tarcho8 dem Spruche giebt feinem Zwekke gemäß, wie er ihn
anderwärtö (de andit. T. I. p. 43. Taya uEv yap ovöd
auadiav xounteıw &usıvov, wg grow "Hoaxlsırog, ih
eis uE00v TiFEvaı xar Heganevev) nur anführt, um ihm,
in einem weiteren Sinne vielleicht, zu widerfprechen. Und
zwar ift diefe Anführung vollfländiger, wenn man anders, wieich 325
wol möchte, dem Stobaͤos trauen darf, der an einer Stelle, wo
mehr herakleitifches zufammen fteht, Serm. III, p. 48 den Spruch
auch ionifcher fo anführt Kovzreıy auadinv x08000%
N Es TO uE0oy pEosıv. „Unverſtand iſt beſſer zu ver⸗
„bergen als zur Mittheilung zu bringen.“ — Ganz ohne Zus
faz hat noch einmal Plutarchos daffelbe (quod virt. doc. poss.
p. 439) "Auasiev yio Hodxlsırög Pas zpunzeıw Aust.
vov. Allein den Vorzug, wörtlicher angeführt zu haben, muß
man bod wol dem fpäteren Sammler zugeftehen, der grade
hier aus einer guten Quelle fcheint gefchöpft zu haben,
Eben fo wenig fchiften fih ja zu einer abfichtlichen Dunkelheit
feine häufigen Klagen über die Unfähigkeit zu verſtehen, welche
fi) bei den meiften Menfchen finde, wenn er doch felbft geſon⸗
nen war, feine £efer nach Wermögen in ben Fall des Nichtver-
Rehens zu ſezen; nicht viel beffer die Aufmunterungen fid ans
zuftrengen, und auch um Eleinen Gewinns willen große Mühe
zu übernehmen ‚ am allempmigfiemogberhkie Drohungen gegen
UNION THEOLOGICAL SEMINNE.
-. New York -—
329
IN.
12
Diejenigen welche faliched in Umlauf fezen. Und fo mögen dieſe
gleich zu feiner Nechtfertigung hier mit einander folgen. Go
Hagt Herakleitos, dag die Menfchen mit fehenden Augen nicht
ſehen.
2. OU yao Yypovaovos Toıgüra noAko:, 0%0006
EYKAVEOEVOVOLV, 0VÖL uadovrsgs YıvWoxovoıv,
iavroioı ÖE JoxEovos, xara Tov yevvaiov Hoaxkeı-
rov. Clem. Strom. I, 2. p. 432. Nach 0x0006 ift entweder wor
audgefallen, oder man muß mit Gataker oͤxbooig, dann aber aud)
» Eyxvoosvwaor fchreiben. An diefer fonft nicht vorfommenden Form
aber wage ich ohne Autorität nicht zu rühren. Das raavra auf
einen eben dargeftellten wefentlichen Punkt feiner Lehre bezogen,
wäre dann dad Ganze fo zu faffen. „Solches aber ift nicht
„die Gefinnung oder Einfiht der meiften, wie viele mir auf
„ſtoßen“ oder „auf wie vielerlei Dinge fie auch floßen; noch
„auch erkennen fie 6, wenn man es ihnen vortraͤgt, ſondern
„duͤnken es ſich nur.”
Und Clemens redet hier gerade davon, daß man den Unreinen
nicht das Heilige vorwerfen muͤſſez wenn nun dieſe Worte bei
Herakleitos eben ſo waͤren gemeint geweſen, und Clemens haͤtte
alſo bei ihm nicht nur die Gruͤnde fuͤr ſeine Regel gefunden,
ſondern auch die Regel ſelbſt, „warum ſollte er fie nicht mit an-
geführt haben? Ferner
3. "Alla yag reyvwg olums &guoTTE Toig Öuoiwg nie
avrıltyovaıv, aneo Hocxksıros 6 Eyp£oiog eionxev, A xv-
VvSTos dXAUVGAaVTES zWYoig Eoixacı“ garız av-
Toios naprvgsi nagpEovrag ansiyai. Theodoret.
Vol. IV, p. 712 Ed, Hal. aus welchem Glemend zu verbef-
fern, der Strom. V, 14. p. 718 daffelbe hat, nur daß er ganz
unverfländlich flatt azgivar lieſt anızvas „„Unverfländig hoͤ⸗
„rende, gleichen tauben: von ihnen giebt Zeugnig der Spruch,
„Daß auch Anwefende abweiend find,’
Die gewöhnlichen Eleinen. Jonismen fehlen bier an beiden Orten;
13
ob diefe aber da find oder nicht, iſt fchlechthin unbedeutend, da
fie eben fo leicht Eonnten verloren gehn als erfezt werden.
4. ”Anisoug tag eivas Erısöpav "Hocxasırös yo
0xoVvoaı 00x Enıgausvor oVÖ eineiv, wpeindeisg
Innovdev apa Zaloumvrog. (Clem. Strom. II, 5. p. 442)
„Richt wiffend zu hören noch zu reden.
Bährfcheinlich gehört auch irgendwie hieher
5. Kuveg yao xal Bavbovaıv ÖV @V un Piıvwo-
xu0s xa® Hocxısırov. „Denn die Hunde bellen auch an
; „wen fie nicht kennen.“ Plut. an seni sit ger. resp. T. 1, p. 787,
wo, man mag das yagxas dem Herakleitod geben oder ald Ans
führungöformel dem Plutarchos, von nichts anderem Tann bie
Rede gewefen fein, ald in Bezug auf das neue Lehrgebaͤude 331
von dem Neid und Wiberwillen, ber dad fremde anficht.
Und wie unbarmherzig wären bei fo böfem Willen die Aufforde⸗
rungen, die und Glemend und Theodoretos aufbehalten haben.
6. Toüro zul Hoaxisırog 6 "Eyeoiog To Aöyıov —
nämlich wieder ein altteffamentifche, Ehv un nugevonre, oð
un ovvnte — ‚nagapodoag eionxev ’Ecv un dinnren,
aveinısov 00x PEevonosı avebegsvvntrov 0Vxal
&r0g0V. Clem. Strom. II, 4. p. 437. Daffelbe fchreibt Theo-
doret, Vol. IV, p. 716 ’Eav un äiniönte, aveinıcov
00x EVonosTs avefevonrtov Eöv xal ärogov, fo
dag man lefen.möchte &Annode und EEevonoere. „Wenn ihr
„micht hofft, werdet ihr das ungehoffte nicht finden, da es
„unfindbar ift und unzugänglich.” — Und
7. Xogvoov yag oi Örönuevos, gmolv ‘Hogaxksırog,
ynvy noAAnv 6gVOCOvVOL,xal EVOLOXOVOLY Öliyov.
Ciem. Strom. IV, 2. p. 565, und Theodoret. a. a. DO. „Denn
„Die Soldfuchenden, fagt Herakleitos, graben viel Erde auf
„und finden weniges.“
Aber weldyed- Urtheil ſpricht er ſich ſelbſt mittelbar weihes.
14
falls er durch gefuchte Dunkelheit zum Mißverſtand verleitete,
in folgenden Worten. (Clem. Strom. VI, 1. p. 649.)
39 8. doxseövrwv yag 0 ÖoxıuWrarog yıvaaza
gvhasosıy' zal nevros zal Öixn xzarainwyerai .
yEevöWy TEexToVag xal wegrvpag, 0 ’EyEosös anow. |
Die erften möchte ich nicht mit dem Weberfezer des Clemens
erflären probatornm probalissimus vovit servare; noch wüßte
ich fie. gelinder zu heilen als fo doxeovze yag . . . YımW-
one gviaooeı. „Das fcheinbare vermeidet der trefflichfte
„im Erkennen, und Strafe wird ergreifen, welche falfches en
„finden und bezeugen.’
Wie wenige Stellen giebt. es dagegen welche fcheinen eine ab⸗
fichtlihe Dunkelheit vertheidigen zu follen! Denn gleich bie
(Plut. de Pyth. orac. Vol. II, p. 397) "
9. Zißviio ÖE naıvousvo souarsxad Hoazksı-
tovayskagaxar axakAunısaxaianvgisagpder-
youevn yıllwv Erwv EEıxveitus N Gwvn dia ròν Deov,
„Die Sibylle aber mit wahnfinnigem Munde nach Herakleitos
„unbelachtes, ungefchmüfftes, ungefalbted vedend reicht über taus
„ſend Jahre mit ihrer Stimme des Gotted wegen‘ — bei wel -
cher die Zeitbeflimmung doch offenbar mehr dem Plutarchos als
dem Herakleitos angehört — wiewol das dıa Tov Heov wieder-
Herakleitifch zu fein fcheint nach Clemens, ber fich offenbar auf
unſere felbige Stelle bezieht Strom. I, 15. p. 358 HodxAci-
333 Tocç yap oüx avdownivwg proiv, alla oVv Yew unddoy
Zrßorimv (fo muß man Iefen mit Sylb. flatt Zußvlin) ne-
pardas — die ganze Stelle aber, wie Freret thut, dem fos
genannten Heralleitos zuzuſchreiben, nach welchem das Buͤch⸗
lein regt aniswv genannt wird, verraͤth wenig Aufmerkſam⸗
keit auf die Schreibart ſowol als auf die ganz entgegengeſezte =
Tendenz jener Schrift:
fol, wenn fich ja Herakleitos als ein Uneongavos mit der Se -
berin verglichen hat, doch nur Die ungeſchmuͤkkte Schreibart recht⸗ =
“ 15
fertigen, nicht die unverflänbliche; und was wahrſcheinlich dieſe
Stelle im Sinne habend Jamblichos e myst. Sect. III. rap.
VII fagt xab Aöyovg u29 nooieufvn, oü uera Öumvolag Ö2
zoy Aeyöviwv, all uaswousvo Yaoı sönars ift entweder nur
eine ſchlechte Umſchreibung von jenem, und heißt „nicht aber mit
‚der Kunft der Redner,” oder wenn man gewaltfam Aeyausvwr
iefen wollte, fo könnte doch da3 gar nicht erweislich zu dem Lobe
gehören, welches der Ephefier ihr beigelegt hat. Mehr nodyr führt
man zu dieſem Behuf an, was Plutorchos in derſelben Schrift
p. 404 aufbehalten hat,
10. Oiuas ö2 yırwazxeıy TO ag Hpanssizo leyönevov
gs wvaf oU TO uayrsiov Ess To 29 Ashgois oürs
Aöysı ovVre xountes alla onnaives. „Der König, se
„deß das Drakel ift bei den Delphiern, erklärt nicht, noch ver.
„birgt er, fondern deutet an.”
Aber wer darf wol bei onuaivew an abfichtliche Verhullung
denken? denn was wäre dann wol zpvrzew? und führt nicht
der Bufammenhang beim Plutarch vielmehr felbft dahin, daß von
folgen Dingen die Rebe geweſen, welche mit düren Worten
ausgeiprochen werden nicht Fünnen, aber verhehlt doch auch nicht
fein wollen? Es ift und noch eine, weil fie jo ganz abgeriffen
bafieht, ziemlich unverfländliche Stelle diefer Art im Gedaͤchtniß.
11. Oida Eyo xai IMdrowa nooauegrvpoüvra "Hoc-
xAeiro yoayovıs “EV v6 00909 nouvvoy Alysodas
oux EHEleı zai EFsicı, Znvög Övoua (Clem-Sirom,
V, 14. p. 718), was ich fo verfiche, „Das Eine Weife allein
„will auögefprochen nicht werben unb Doc auch werden,
„Der Name des Zeuss” nicht wie ber Ueberfeger bed Gles
mens, Quod unum sapiras est solum tamen dici oon vu,
idemque Jovis oömen Amat.
Iſt hier micht, wie man auch übrigend erfiäre, das was nicht
ausgefprochen fein will, der Name des Zeus, alfo gewiß dad
hoͤchſte? Kurz, wer nicht etwa, bie Anficht des Theoyhroſtos ira
16
Sinne habend, der und bei Diog. Laert. IX, 6 verfihert „He
„rakleitos habe aus unmuthigem Truͤbſinn manches nur halb
335 „vollendet gelaffen, manches an verfchiedenen Orten verfchieden
„dargeſtellt,“ folche Stellen ald Entſchuldigungen darüber anfehn
will, daß er nicht genug ins einzelne hineingeht, worüber auch
zwei andere Autoritäten bei Diogenes (IX, 8 und 11) Elagen,
was aber doch das weniger richtige zu fein fcheint, dem leuchtet
gewiß eim, Herakleitos habe fich ſolche Sprüche für diejenigen
Stellen feines Werkes aufgefpart, wo er mit feiner Weisheit an .
die Grenzen des didaktiſch audzufprechenden gefommen war, um
flatt der eigentlichen Mythen, bie ihm abgingen, mit folchen ges
heimnigvollen Sprüchen wie mit goldenen Nägeln feine Philos
fophie am Himmel zu befefligen. Aerger freilich als das bishe⸗
rige in diefer Art fcheint eine Stelle zu fein, welche und eben
fand Clemens aufbewahrt hat (Strom. V, 13. p. 699) und wel
che man vielleicht gern für eine untergefchobene Stelle halten
würde, wenn fie nicht grabe fo viel von der Dunkelheit an fich
hätte, derentwegen Herakleitos angeklagt wird. Sie lautet aber ſo:
12. "AAla va uEv ing yvaoswg fayın KOUNTED
anıgin ayadın xa0 Hoaxlsrov- anısin yao ÖLa-
puyyavsı un yıvmoxsodan.
Bieldeutig ift hier alled. Man fehe nur wie vielerlei Sinn uns
ſchon die Ausleger des Glemend bringen, ohnerachtet fie alle
336 arısin nur durch incredulitas überfezen. Wenn man ed nun
aber hineinfpielen Fünnte in den Sinn von Undeutlichkeit; dann
hätten wir e3 ja, daß ed eine vortreffliche Unbeutlichkeit wäre —
oder daß die Undeutlichkeit vortrefflich dazu wäre — bie Ziefen
der Einficht zu verbergen; denn durch die Undeutlichkeit — anıı- |
sin wird man doch wol lefen müffen — entgingen fie dem, daß 4
fie nicht erkannt würden. Nur daß ic dann dem Manne zurus „
fen möchte,. nod) beffer aber doch du Guter, wenn fie fo unbes .
dingt nicht erfannt zu werben wünichen, gefchieht dad Durch \
Schweigen, welches du alfo uns angerühmt und felbft ausgeübt j
——
—*
—
17
haben ſollteſt. Darum kann ich keinen andern Sinn finden fuͤr
dieſes Bruchſtuͤkk, als daß es ſich anſchließt an ſeinen Tadel fruͤ⸗
herer Weiſen und Dichter, von denen er anderwaͤrts ohnedies
ſagt „Keiner von allen auf deren Reden er getroffen, habe noch
„was richtig eingeſehen,“ und daß er in gleichem Sinne auch
dies gefagt habe „ſolche Unzuverläffigkeit nämlich, Die dem Scheine
„folgend einiged zwar richtig vorbringt, anderes aber falfch, fei
‚mur gut um die Tiefe der Wahrheit zu verbergen. Denn bei
„solcher Unzuverläffigkeit müffe fie nothwendig immer entfchlüps
„sen, dag fie nicht erfannt werde.’ . Wenn wir nur nicht zu
nachgiebig den Herauögebern des Glemend gefolgt find, indem
. wir die Worte Ada... ayadın ſchon ald Worte des Hera= 337
kleitos bezeichnet haben. Denn fie Eönnen gar wol bem Clemens
angehören, ja dem Zufammenhange nach muß man fogar fchlie>
fen, daß er nur feine Erklärung und Anwendung der Worte
ſelbſt des Herakleitos voranfchifftz und der Ausdrukk yrwoswg
Pedn hat wol auch einen verbächtigen chriftlichen Klang. Blei:
ben nun die Worte anuısin . . . ywwoxsadeı dem Herakleitoß:
fo möchte ich zwar ebenfalls anısin lefen, die Stelle aber ges
hört dann mehr zu denen, welche über das Nichtverftehen Ela:
gen und die Urfachen deſſelben aufdekken, und ift fo ohngefähr
m faſſen, „Durch feine Unglaublichfeit entſchluͤpft“ — das Wahre
naͤmlich — „dem Erkanntwerden.”
I. Wil man dennoch ein abfichtliches Verhüllen anneh>
men: fo Tann man, da die Auöflucht ganz wegfällt, Herakleitos
‚I habe vielleicht nur undeutlich geredet, weil er feiner Sache nicht
—
techt ſicher geweſen, wol kaum anders als glauben, daß er nicht
ſowol ſelbſtentdekktes und angeſchautes vorgetragen habe, als
vielmehr in heiligen Myſterien offenbartes, und auch das ganze
Buch mehr im Tempel verborgen als nur niedergelegt, welches
glaubhaft und gründlich ausgeführt zu ſehen und wol verlangte *).
2) Dee gelehete Greuzer wolle dies ja nicht als eine feindſelige Auskor⸗
Schleierm. W. III. 2, B
18
333 Denn alle Zeugniffe fcheinen übereinzuflimmen, ihn ald Erfinder
anzufeher. Philo in der Schrift quis res. div. baer. an einer
Stelle auf die wir noch einmal zuruͤkkkommen, ficht es als be
fannt an und auch unter den Hellenen allgemein angenommen,
daß Herafleitos, was er an die Spize feiner Philofophie flelt, .
auch felbft erfunden habe Darum fchreiben ihm auch fpäter .
feinen Lehrer zu, außer auf eine offenbar falfche Weife, wie etwa .
Ammonius (in Arist. Categ. p. 1) den Pyrrhon, und Unge |
nannte beim Sotion (Diog. IX, 5) den Zenophaned, was fih .
durch die That widerlegt; oder auf eine höchft verbächtige, wie |
. bei Suidad (v. Hoaxisırog) den Pythagoreer Hippafod, was
offenbar von folchen herrührt, die gern alles auf den Pythagoras
zurüffführen wollten. Arifloteled nennt freilich öfterd den Hera⸗
Fleitod in Verbindung mit Hippaſos, wad wol bad einzige bie
- florifche Fundament jener Sage fein möchte; aber er thut es
330 ohne auch nur einmal dad Woͤrtchen Eraigog hinzuzufügen, wo⸗
durch er fonft, dergleichen Werhältniffe leicht andeutet; fondern
eben wie er unfern Weifen auch mit Empedokles und Anarago
rad zufammenftellt, wegen Uebereinftimmung in Meinungen, bie
doch oft nur eine fcheinbare if. Nun wäre etwa noch Elemend
übrig, der Strom. VI, 2, p. 746 fagt, aus den Orphifchen Verſen
"Esıw VÖwo yıyn Yavaros, bdareocı 6’ duo
’EE Üdarog yain‘ ro Ö2 dx yains nah ÜOwg,
"Ex roũ Ö2 wuyn usyav aldton allacoovon,
habe Herakleitos feine Verwandlungslehre genommen. Aber dieſe
Berfe, die fonft nirgends vorkommen, werben gewiß jedem ver:
derung anfehn, fondern nur wie e8 gemeint ift, ald den Wunſch, daß
er doch ja recht deutlich beftimmen möge, in wie fern er glaubt daß
die Philofophie des Herakleitos fich mehe aus den Symbolen des Ars
temisdienftes als durch die unmittelbare Anfchauung der Natur ents
wikkelt habe, und ihm für dieſe wie uns fcheint Elarere und für ſich
beftehende Anfchauungen der Sinn erſt aufgegangen fei durch jene
dunkleren Symbole.
19
dichtig fein, ob fle nicht aus einer ganz fpäten und verwerflichen
Werkſtaͤtte gekommen find. Und wenn nun Clemend bald dar⸗
auf p. 752 fagt, wo er eben Entwendbungen zu befchulbigen
begriffen ift, Herakleitos habe fehr vieled vom Orpheus genoms
men: haben wir wol Urfadhe etwas anderes zu glauben ald daß
er .nur aus diefer Stelle weiter fortfchließt, oder dag er hoͤch⸗
find etwa noch ein paar ähnliche vor fich gehabt hat? Und ift
es recht, deshalb gleich im allgemeinen zu fagen, Serableitos
werde ein Schüler der Orphiker genannt? Ein ältered Zeugniß
für die Eigenthümlichkeit feiner Lehre tft zwar nicht gradezu bes
weifend, aber doch nicht minder gewichtig, daß nämlich Ariftotes wo .
led wo er den Herakleitos anführt ald Beiſpiel felfenfefter Weber:
zeugung auch in Sachen ber bloßen Meinung (Etb. Nic. VII, 5
und wiederholt Magn, Mor. II, 6) eigentlich nur einen folchen
als Beifpiel brauchen konnte, der fich feine Meinungen felbft ge⸗
; macht, wie er denn auch irgend eines fremden Urfprunges, we .
der didaktifchen noch myfteridfen, mit Feinem Worte erwähnt.
Diefe Ausdruͤkke des Ariftoteles, daß „Einige wie Heraklei⸗
„t08 eben fo feſt auf dad trauen was fie meinen, ald andere auf
„dad was fie wiffen,’ werfen nun Licht auf andere Nachrichten "
in benen dies beflimmter auögefprochen wird, und verfchaffen ei⸗
nigen Bruchſtuͤkken Glauben, in denen Herakleitos fich uns felbft
fo zeigt. Hieher ift zu rechnen die Befchreibung die Diog. Laert.
gleich anfangs giebt (IX, 1) er fei „über die Maßen hochfinnig
iJ geweien, und ein Werächter der übrigen.” So nennt ihn auch
Tatianus einen hochmüthigen (Or. ad Gr. p. 11). : Hätte er
nun erraubteö irgend woher umgebildet: fo follte, wenn auch er
felbft nirgend feinen Vorbildern und Quellen bie Ehre wollte ges
geben haben, uns auch nicht einmal eine Spur erhalten worden
“| fein, daß jemand ed darauf angelegt den hochmüthigen zu bes
„[fhämen, auch nicht aus jenen Zeiten, welche ordentlich Jagd 3u
machten auf die Abkunft der Meinungen? Diogenes verbindet
mit jener Beſchreibung des Mannes eine Anführung aus \Kmem
/ 2
ma a -
20
‚Werk, welche zu oft vorfommt um nicht ächt zu fein, und gleich
bier ihren Pla; finden mag.
43. HoAvua#in v009 oV Ödıdaoxeı. — Klemens
(Strom. I, 19. p.373) hat 3jöes yap, olues, ds apa Hd noAv-
nad voov Eyes“ O didaoxeı za" “Hoazkeırov, was fchon die
Heraudgeber fo verbeffert, ws &ow 7ön noAyuadın v00V &ysıy
od Srödaoxeı. Eben fo Athenäos (XI. p. 610 Casaub.) no- :
Avuadın voov Eysıy ov Öıdaoxeıv. Allein an beiden Orten
muß man, wie audy Schweighäufer fhon im Athen. gethan,
mit Gataker (ad Anton, p. 10) aus unferer Stelle verbeffern :
noAvuadın. Das Eyeıv ift vieleicht auch nur Einfchub es «
ned Älteren Anführerd oder Auslegerd, dem die Rebensart :
vovv Ördaoxeıv, mit Recht von feinem Sprachgebraud aus,
nicht gefallen wollte. Doch vielleicht ift auch die Anführung
im Diogened nicht ganz Acht, fondern Proclus hat uns bie :
urſpruͤnglichen Worte erhalten, bei welchem (Coment. in Tim. :
p. 31) vorlommt ri yap Havuasov; 7 TWV YEYOVOTW .
‚ yvoaıg noAvuadein v00V 0ov pVes, ynoiv 6 yevvaios Hoc-
xAsıtog, wo man nur dad Fragezeichen von Favumsov weg :
se hinter yrwoug verfezen muß. „Vielwiſſerei bildet nicht Ver ;
nunft.” Denn da3 gves in diefem Sinn wird nicht leicht .
ein fpäterer gemacht haben. Dagegen kann das dıdaoxes fehr .
' gut flatt feiner aus dem folgenden genommen fein. Naͤmlich |
Diogenes fährt fort Hoiodov yap av Edidakexai IIv-
Faybonv,addig re Zevopavsa re xal'Exaraiov, .
Eivas yao Ev To oopörx. r. 4. „Sonft hätte fie auch
„ben Hefiodos belehrt und den Pythagoras, und wieberum den
‚„.kenophanes und Hekataͤos.“ Denn die lezten Worte auf welche
wir Doch noch einmal zurüffommen, Eönnen wir hier übergehen,
theils weil fie offenbar verborben und ſchwer wiederherzuftellen
find, indem der Text hier aus ber wörtlichen Anführung übers
geht in bie indirekte Rede, theils weil ſie, wie man eben hier⸗
aus ſieht, nicht unmittelbar hieher gehoͤren, ſondern nur um
‘r rı
21
. den Gegenfaz gegen die Vielwiſſerei mit aufzuftellen, von dem
welchen Diogened hier unmittelbar ausfchreibt and einer ſpaͤ⸗
teren Stelle find herbeigezogen worden.
Den Pythagorad aber hat auch Clemens (Strom. I, 21.
#396) in des Herakleitod Werk erwähnt gefunden. Hocxaeirocç
yap nerayeveseoog WV Ilvdayopov usuynras adrou &v zo
ovyyoauuars. Daher möchten fich an jene Worte vielleicht un: as
mittelbar die anfchließen, welche Diogened anberwärts (VII, 6)
gar pomphaft anführt
14. Hocxısıros 6 pvaızög uovovoyyi vingays x05 nat,
IlvFayoons Mvnodoyov soßinv qoxnoer AU
Hownwv ualıza Nnavrmv, nal dxiekdusvog Tavtag Tüg
avyyoapas, EnNoımoaTo Eavroü TOoPINVv noAvun-
HFinv xaxorsyvinv. „Pythagorad, Mneſarchos Sohn, hat
„Wiſſenſchaft geübt am meiften unter allen Menfchen, und er hat
„sich eine Weisheit gebildet, Wielwifferei und fchlechte Kunſt.“
Was nun Diogenes oder vielleicht fchon fein audgefchriebener mit
diefer Stelle wollen, nämlich des Pythagoras Schriftſtellerthum
beweifen, das wird nicht dadurch ausgerichtet. Denn die Worte
find offenbar aus des Herakleitod Werd urfprünglich von eis
nem andern zu einem andern Zwekk angeführt, um nämlich
zu zeigen wie Herakleitos den Pythagorad behandle. Diefer
nun faßte, was zwifchen dem erfien und lezten Saze fland
und nicht zu feinem Zwekke gehörte, in den Worten xai... ovy-
yoapag zufammen, bie wir nun nicht mehr entziffern Tönnen,
und die Diogenes oder wer bier redet mißverftand, an denen
aber wel Fein Fundiger den fremben Charakter verfennen und
fie etwa für herakleitifche halten wird.
Und bier wäre wol auch der vechte Ort die Frage zu entfcheis su4
kn, wenn ed jemand Eönnte, ob ein anderes Fragment ohne
Kamen beim Stobäo8 (Serm. XXXIV. Ed. Lgd. p. 216) etwa
an berakteitiiches fein mag. Gataker bat hierüber (ad Anton.
10) vielleicht zuerfi einen Wink gegeben. Wir fezen es hie ⸗
2 ' \ |
ber, jeboch_ weniger um, zu entfcheiden ald nur um die Sache |
aufs neue zur Sprache zu bringen.
Ioivuadin xapora ulv wpelks, xaora Ö2 Pku-
res TOV Exovra wopelts: uEv ToV Öski0v üy- \
Joa, Ahlanteı Ö2 ToV Önidiwg Pwvevvra na
‚£nog xal Ev navıl önuw Xon Öd! xasgoü uerga |
eldEevas‘ 00@PIng yao oVrog Ooog, oi dd Eko xar
G0U 6MOLV movasınv nenvvusvag GElowasvy, od ı
- nagadeyovras Evapyin Yywunv,aireivö Eyova ı
nwoias. Statt oi d2 muß man lefen os Ö2 und ſtatt aizeiv |
wahrfcheinlich aizinv; aber auch die Worte 0U nagaösgovras u .
soyin yvaunv verfiehen wir nicht, wenn wir nicht etwa Ile:
fen wollen Zvsoyein yvaunv. Manchen berakteitifchen Klang :
bat diefe Stelle allerdingd; aber auch manches fremde, und |
weshalb man fie Fönnte für gemacht halten, wie denn avno
- Öe&uög und doping Ögog und verdächtig Tlingen. .
WIN man nun diefe Rede unferm Ephefier zufchreiben: fo iſt
ihr allerdings ihr Plaz auch hier anzuweilen, theild ald Erklaͤ—
rung, wie ihm Bielwifferei koͤnne eine xaxozeyvin fein — denn
gewiß ganz verkehrt fcheint Aldobr. flatt deffen xaloreyvin leſen
zu wollen — wiewol auc fo die Beziehung auf den Pythago-
rad nicht recht einleuchtet, theild al3 eine nur fcheindar für, in
der That aber wider abfichtliche Dunkelheit fprechende Stelle.
" An das biöherige den felbfigelehrten und Erfinder bezeich:
nende reihen fich mehrere Urtheile bes Herakleitos über andere
Weiſen und Dichter, zuerſt Uber den Homeros, vornämlich weil
er den Streit hinweggewünfcht — man fehe Arist. Eib. Eudem.
vn, 1. Plut. de Isid. Vol. IJ, p. 370 und Schol Venet, ad Iliad.
XVIII, 107, die fich einer flattlichen Widerlegung befleißigen,
‚Db aber daffelbe gemeint fei in einer Stelle des Diogenes (IX, 1)
„daß Homeros verdiene aus ben Spielen herausgeworfen und
„geichlagen zu werden,’ bleibt zweifelhaft wegen des mit ihm in
Verbindung gefezten Archilochos. Beſſer verfteht man was bie
23
eben angeführten Scholien ad Il. XVII, 251 fagen, Herakleitos
habe den Homeros, ficher auch tadelnd, einen Sterndeuter ges
nannt *), aus einem ähnlichen Tadel des Hefiodos bei Plutar- zus
chos (Camill. Vol. I, p. 137.138) er habe nämlich nicht gewußt,
daß „ale Tage nur eine und diefelbe Natur haben,” wo bie
Borte gvasy nusoas anaong uiav ſich fehr einer wörtlichen
Anführung zu nähern fcheinen. So fcheint er auch von den be:
rühmten Sieben mehrere befonderö beurtheilt zu haben, wenn ſich
Diogenes mit Recht auf ihn beruft in Beziehung auf den Tha⸗
led (I, 20) und auf den Pittalos (I, 76). Auf ben Bias aber
führt ex ein freigebiges Lob woͤrtlich an (I, 88).
15. Kai 6 Övoagesog Hioaxisıros ualıza aurov enn-
veoe yoayas Ev Hoınvn Eysvero Biagö Tevrausw,
"od nAsiov Aoyos n my ahimv. „Sn Priene war Bias,
„ner Sohn des Teutamed, der höher zu rechnen ift als bie
„ubrigen.” Unter welchen übrigen wol kaum fchon die be
ſtimmte Zahl der Sieben gemeint ifl. .
Schwerlich läßt fi) denken, wie und weshalb dem Herakleitos
Urtheile wie diefe follten untergefchoben fein; und fo bleibt un:
läugbar, daß er ber erfte geweſen ift, der indem er felbft hervor:
bringend fich als Weiſen darfiellte, zugleich auch Kritik über an: sa
dere gelibt hat. Und vieleicht follen den flrengen Charakter der:
ſelben rechtfertigen die Worte bei Diogened (IX, 2)
ößorv zon oßsvyVeıy uaAlov 7 nvoxeinv,
„Webermuth thut mehr Noth zu Löfchen als Feuersbrunſt,“ de:
nen ich lieber dieſe Bebeutung als eine politifche beilegen möchte.
2) Daffelbe fagt auch Euſtath. gu diefer Stelle. Nun will man freilich
fagen, auch bier fei der Grammatiker Heralleitos gemeint, Dies if
aber gewiß falfh, da Euſtath. fonft wo er einen ſpaͤtern Herakleitos
anfuͤhrt, dies ausdruͤkklich ſagt, einmal "Hounksrgs ovgi 0 oxorevog,
und ein anderes Mal eis 6 xal zıs 'Hoaxleıros Enovıjoaro. Beide
Stellen führt Fabricius ſelbſt anderwärts an und flellt doch jene Be⸗
hauptung auf.
24
In ein allgemeines zufammengefaßt fcheinen feine Urtheile vor
und zu liegen theild in einer erft fpäter zu betrachtenden Stelle
bei Sertus, theild in einem durch Stobaͤos aufbehaltenen Bruch:
ſtuͤkke, welches zwar gewiß ächt ift, aber auch unverftändlich genug,
17. Oxoowv Aoyovs nxovoa oVdelgs ayırvairtas
eg TOUTO WE yıvmazxeıı n yag ÜHeog 7 Inoiov- örı
090% Esı navrwy xeXwoscuEvov. Stob. Serm.Il, p.
48.. So fcheint Faum möglich einen Sinn aufzufaffen, ſondern
man muß wenigflend das zu Gute machen, dag in einigen Hands
ſchriften der lezte Saz örı vopöv. u. ſ. w. unmittelbar nad) dem
öse yıvooresı folgt, die Worte aber 7 yip Heös 7) Imoiov nur
am Rande fiehen. Danniverfteht man doch fo viel „So vieler Rez
„ben er auch gehört, Feiner fei doch dahin gediehen, daß er einfehe
ss „wie dad Weile von allem abgefondert iſt,“ namlich das wahre
Erkennen etwas durchaus andered ald’die noAvuadin, dad
Wiſſen um vielerlei. einzelnes als ſolches. Ob nun aber den
Sinn der Worte 7 yap. Heög n Iroiov, die doch ſchwerlich
ganz falfch fein können, dad folgende ganz mit fortgeriffen,
oder ob Herakleitos ohngefähr gemeint, fondern auf dem ge:
. wöhnlichen Wege müfje man entweder ein Gott fein, der al:
lein in allem einzelnen fein Tönne, oder man fei ein Thier,
in jedes einzelne als ſolches für fich. hingegeben, diefes müffen
wir wol unentfchieden laffen.
IV. Aber auch dieſe Urtheile uͤber andere, da ſie ſich doch
mehr oder weniger auf die von ihnen aufgeſtellte Anſicht der
Natur bezogen, koͤnnen ſehr wol in des Herakleitos Buch von
der Natur enthälten geweſen ſein; und da das naͤmliche von als
len irgend Achte Farbe haltenden Bruchftüften gilt, auch außer
jenem .offenbar falfchen Zoroaftred nirgend ein anderes Wert
namhaft gemacht wird als dad über die Natur, vielmehr Dioge⸗
nes, ſonſt ein fleißiger Aufzähler von Büchern, (IX, 5 und 11)
nur. von Einem Werke bed Herakleitos redet, auch Clemens daf:
felbige beweifet, indem er in zwei bereitd angeführten Stellen in
>
25
der einen (Strom. V, 8. p. 676) das Werk unter der Ueberfchrift eo
neol PVoewg anführt, in der andern aber (Strom. I, 21. p. 396)
geradezu nur fagt 29 To ovyyoaunars: fo wollen wir über:
haupt nur diefed Eine Werk als herakleitifch annehmen, wenn
auch Diogenes (Provem. sgm. 16) unfern Ephefier nicht naments
fi unter denen aufführt, welche ihre Weisheit in einer einigen
Schrift niebergelegt haben. Auch fol und nicht irre machen bie
Stelle im Suidas (v. "Algaxisıros) zul Syoaıye nolla nom-
zuwg, da fie offenbar aus Mißdeutung irgend einer Stelle ent⸗
flanden ift, in welcher nur gefagt wurde daß Herakleitos größs
tentheild in poetiſchem Stil gefchrieben habe. Schreibt doch ber:
felbe (v. avaoıd nos) dem Herakleitos auch ein auf ihm gedich-
tetes Epigramm zu, eben fo fälfchlid) ald ihm Stob. Ecl, Phys,
I, p. 282. Ed. Heer. der fein follende Vers beigelegt wird "Zx
NVEOG yE TE navra xl Eis nig nova TeAevrt, welder of
fenbar von einem der den Gegenfaz recht in der Kürze aufftellen
wollte, jenem renophanifchen (ebend. ©. 294) &x yains re 7a
NavTa xol eig YNV NavTa teksvrg nachgebildet ifl,
Leider nur find auch über diefed eine Werk wunberliche Mei⸗
nungen genug zu berühren. Hieher ift wol zuerft zu rechnen die
von Diogenes (IX, 5) ohne Quelle, aber doch deshalb wol nicht,
als allgemein bekannt und angenommen, erwähnte Eintheilung sso
deffelben in drei Aoyovs, in die Rebe vom Ganzen, in die polis
tifche und in die theologifche. Eine foldhe Eintheilung fcheint
gar nicht im Geifte der damaligen Zeit, und noch weniger im
Geiſte diefer Philofophie, welche, ganz vom Sneinanderfliegen al:
ler Dinge ergriffen und faft beraufcht, am wenigſten muß im
Stande gewefen fein, dasjenige fo flreng zu fondern was für fie
am meiften in einander fließen mußte, wie nicht nur leicht ges
zeigt werden kann und und anberwärtd von felbft fich ergeben
wird, dag die Abhandlung vom Ganzen und bie theologifche
mußten in einander geflofien fein, fondern auch aus einem merk:
26
r
würdigen Bruchſtuͤkk erhellt, wie dem Herakleitos auch das polie
tifche und theologifche verfloß. |
- 418. Ziv vow Alyovrag toyvoilsodas yon To
Evvo navımv, Öxwonse Youw nolıg xal öl
(man muß wol lefen noAvV) igyvporzsguws. To&gor-
Taı yao navres ol AvFEWnıvos vouos Unö Evög
Tov Yeiov. Kocrsi yao TOo0oVToV .0x0009 E#E-
Ads, xal — 100 Kal negsyivsran „Die
„mit Vernunft reden müffen beharren auf dem gemeinfchaftlis
„hen aller, wie eine Stadt auf dem Gefez und noch weit fe
„fer. Denn.alle menfchlichen Gefeze werden genährt von dem
„einen göttlichen. Denn dieſes herrfcht fo weit es will, und
„genuͤget allem und überwindet alled.” Stob. Serm. IV, p.
48. Man könnte vielleicht Verdacht auf diefes Fragment wer:
fen, weil. Diogened (IX, 2) ganz ähnliches mit ganz andern
Morten anführt. ”
19. Maysodaı zon- 50% Bine» UNE vönov Öx@g
Uno TEeiyeog, |
aber fie find wol verfchieden genug um neben einander befte-
ben zu Tönnen. Und wer kennt die Manier des Herakleitos
genau genug, um zu wiffen ob nicht diefe Stelle zwifchen dem
erfien und lezten Saz des ſtobaiſchen Bruchſtuͤkkes geſtan⸗
den hat.
Hiezu kommt noch daß unter allen aufbehaltenen Truͤmmern ſich
auch keine Spur von ausgebildeter Theologie zeigt, ſondern nur
wenige Andeutungen von der allgemeinſten Art. Und ſollte die⸗
fer ganze Theil fo ganz untergegangen fein? Muͤßte nicht der
. Berfaffer der homeriſchen Allegorien, bei dem doch Anführungen.
aus Heralleitos vorkommen, taufend erwünfchte Gelegenheiten
gefunden haben, fi) aus diefem Theile zu bereichern? und follte
nicht die eigenthümliche Anficht des Manned noch vielerlei dar:
geboten haben für dad Verlangen des Skeptikers Sextus, Wider:
ſpruͤche aufzuſtellen in der Lehre von den Göttern, fo daß er fich
—
—
— m
27
gewiß biefen Theil ganz befonberd würde zu eigen gemacht has ss2
ben? aber in dem ganzen Abfchnitt feines Werkes (adv. Math,
IX, cap. ID der von ben Göttern handelt, gebenft er des He:
rakleitos auch nicht ein einiges Mal. Daß aber dad Werk über
die Natur eine eigene Abhandlung vom Staat fol enthalten has
ben, fheint damit zufammenzufallen, daß einige den Herakleitos
überhaupt nicht für einen bloßen Phyfiologen gehalten haben,
fondern auch, oder gar mehr, für einen Sitten und Staatsleh⸗
ver. Diefes lehrt und Sertus, der zwar (adv. Math. VII, 5—7)
felbft den Herakleitos unter denjenigen nennt, welche nur den
naturwiffenfchaftlichen heil der Philofophie dargeftellt haben,
dabei aber hinzufügt, dies fei nicht allgemeine Meinung, fondern
es fei Die Frage aufgeworfen worden, ob nicht Herakleitos kei⸗
nesweges big ein phyſiſcher, fondern auch ein ethifcher Philo⸗
foph gemwefen. Sehr zu wünfchen wäre freilich gewefen, daß er,
dem das Werk vor Augen lag, ein beurtheilended Wort über
diefe Anficht gefagt hatte. Soviel aber fcheint doch aus feinem
Stillſchweigen bei dieſer Gelegenheit zu erhellen, daß er von Die
fer dreifachen Eintheilung nichts gewußt hat. Woher fie aber
flammen mag, dies ift fchwer zu errathen. Man Eönnte fie für
eine ganz fpate Conjectur halten von folchen, welche, überzeugt
Herakleitos habe nur Ein Werk verfaßt, eben jene einzelnen An: 353
deutungen nicht unmittelbar phyſiſchen Snhaltes und jene Aeuße⸗
tungen über ihn, daß er auch ein Sittenlehrer gewefen, und
vielleicht jene andere (Heracl. alleg. hom, Gal. p. 442) „baß er
„die natürlichen Dinge, die nur dunkle Andeutungen geben koͤn⸗
‚men, theologiſire“ mißverſtehend, oder vieleicht gar eines juͤnge⸗
son Herakleitos Lob der zwölf Götter (Diog. IX, 17) mit dem
älteren Werke fchmählich werwechfelnd, welche fage ich dieſes als
les in Uebereinſtimmung bringen wollten mit bed Werkes befanns _
ter Weberfchrift Bon der Natur, und daraus fchloffen, dieſes müffe
ganz auöweichende Xheile enthalten haben. Doch das möchte
wol eine zu Fühne Muthmaßung, und eher zu glauben fein, bie
28
Eintheilung rühre her von ben Audlegern und Commentatoren
des Herakleitos befonderd aus der ſtoiſchen Schule, welche da:
durch die verfchiedenen, in dem Werke felbft aber keinesweges
getrennten Maffen haben zu bezeichnen gefucht. Denn daß vie.
les was fpäterhin, ald die philofophifchen Disciplinen fich trenn⸗
ten, dem ethifchen: Theil würde zugeordnet worden fein, in dem
Werke befindlich war, ift unläugbar, und daß für den Ausleger |
wol Veranlaffung gewefen, dad was Herakleitos von der Gott
heit lehrte zu trennen von feiner Lehre von ber Melt, ließe fich
354 vielleicht auch deutlich genug machen. Was aber jene Meinung
felbft betrifft, welche den Herakleitos feinem Weſen nach mehr
für einen Ethiker halten will als für einen Phyſiker: fo wider:
fpricht fie zu deutlich den älteflen und ficherften Zeugniffen. Denn
Ariftoteled führt ihn nicht nur immer mit unter Yen Phyſikern
auf, fondern er oder einer der doch gewiß aus feinem Munde ges
rebet hat, koͤnnte unmöglich, wenn er irgend den Geift des Wer
tes fo aufgefaßt hätte, die ethifche Philofophie fo beftimmt auf
Pythagoras und Sofrated zurüffgeführt haben, wie Magn. mor.
‘61, 1 und Metaph. XI, 4 gefchieht, wobei von feinem übrig ge:
bliebenen Commentator etwa durch eine Hinweifung auf den He:
rakleitos nachgeholfen wird. Ein folcher gänzlicher Mißverftand
aber von Seiten des XAriftoteles waͤre wirklich nur in dent un:
denkbaren Falle denkbar, wenn Herakleitos über die fittlichen
Gegenftände durchaus nur in jenen von ber Natur hergenomme:
nen Allegorien geredet hätte, welche Diodotos einer von feinen
Auslegern überall finden will, wie Diogenes (IX, 15) von ihm
berichtet, er’ habe behauptet alled naturmwiffenfchaftliche fei nur
beifpielöweife vorgebracht und dad Buch handle vom Staat.
Dies iſt unftreitig, wenn nicht ein ungeheurer hier Doch nicht zu
vermuthender Mißverfiand von Seiten ded Diogenes die Sache
35 fehr verfchlimmert hat, einer von ben flärkften nach einer unge-
wohnten Geite hin fich verbreitenden parafitifchen Auswuͤchſen
ber Sucht des Allegorifirend, und ſchon durch eine aufmerkfame
29
Betrachtung des wenigen uͤbriggebliebenen muß das umgekehrte
erhellen, daß naͤmlich das ethiſche nur beiſpielsweiſe und gele⸗
gentlich koͤnne vorgekommen fein, das Buch aber von ber Natur
gehandelt habe. Auf jene Anficht bezieht fich auch der Ruhm
den derjelbe Dann über dad herakleitifche Merk in einem Sena⸗
nu ausgefprochen hat, welchen Diogenes (IX, 12) fonderbar
genug für eine Ueberfchrift ausgiebt, axgıdds oiaxıoua nrgög
scadunv (wofür Buttmann mit Recht erinnert saduov zu le
fen) fiov. Und gewiß eben fo wenig. war auch yvwun ndwv
eine Ueberfchrift, fondern nur ein ähnliches Lob des ethifitenden
Inhalted. Was nun gar die dritte an der Stelle angeführte
Ueberfchrift Movoas betrifft, fo denke man ja nicht daß fie dies
fem Werke angehört habe, oder wolle vielleicht ein andered neun:
fach getheilted aus ihr erweifen, fondern erinnere fih nur der
Stelle (Soph. p. 242 e) wo Platon den Herakleitos Movoas
"leöeg nennt, woraus fie höchft ungefchikfterweife entſtanden ift.
Es bleibt aljo dabei, daß wir alle Bruchſtuͤkke, fofern fie
ächt fein follen, darauf anfehn müffen, dag fie einen Pla; ein-
genommen haben in diefem einen Werke, welches wefentlich eine ssr
Darftellung der Natur enthielt, und daß wir trachten müffen zu
ertennen, wie alled auch dad mannigfaltigſte darunter als in ei⸗
nem und demjelben Werke vorgetragen auch in Einem Sinne
gedacht und wie aus Einem Guffe gleichattig und einklingend
ſein muß.
I. Womit nun koͤnnten wir diefe Darfielung ficherer an:
fangen, als mit dem wad Platon der ältefte und ficherfte Zeuge
überall ald dad Weſen der herakleitifchen Weisheit aufftelt, daß
„alles fi) wie Ströme bewege’. (Theaet. 160. d), dag „alle
„Dinge gehen und nichts feft bleibe‘ (Cratyl. 401. d. 402. a),
daß er alles feiende einem firömenden Fluß vergleiche, und daß
alfo niemald irgend etwas eigentlich fei, fondern alled immer nur
s
357
358°
30
werbe (Theaet, 162 e). Diefed alles geht ganz beflimmt den
Herakleitos an aus beiden Gefprächen; weiter gehend aber bite
man fich ja, daß man nicht eine Holztaube greife flatt der zah:
men, ben Protagorad etwa oder den Kratylos mit andern unſi—
cher herumfahrenden und gar nicht zu behandelnden Herafleiteern
(Theaet. 179 d. e) anftatt des Herakleitos felbfl. ‘Eben fo be
zeichnet die ariftotelifche Meta phyſik (I, 6) die herakfeitifchen
Meinungen fo, „daß alles wahrnehmbare immer fliege,” und der
Ausleger Alexandros (in Arist. Top. p. 43 Ed. Ald.) und offen»
bar aus diefem Suidad (v. Yeaıs) daß nach Herakleitos alles
unaufhörlich fliege und immer werde, nichts aber niemals fei,
ganz genau dem Platon einflimmig, wie auch Ammonius (in
Arist. de interpr. Ven, 1551 p. 8) und Herakleides (Alleg. hom.
p. 465) dneıön 6vosı rıvi xal aevvaw xıvnosı TO N&V 0IX0-
vousitaı, wo, ohne jedoch den Herakleitos zu nennen, vieles be:
vakleitifirt; und viele andere Eönnten noch angeführt werden ganz
auf diefelbige Weile. Diefen gültigften Zeugniffen folgend nehs
men wir nun aud an was Plutarchos (Zi ap, Delph. II. p. 392,
Host. cap. XVII. Vol. IX, p. 239) fagt J
20. IIorauo yag oüx Esı dig Eußnvar To av-
to xa0 “Hodxisırov, ovre Hynıng oVoiag Ölg Ayaodaı
xara Ekıy alla Okurntı xal tayeı ng ueraßoing oxid-
vnoı xal nalıv avvayess, uahlov Ö2 oVö2 nalın ovöl
Üsegov AAN Aue avvigsaraı xal anoleineı xal
moöasıcı zal änsıar: dev oVö“ eig TO eivas regal.
ver TO Yiyvöusvov avrig vw umdenore Amysıy und’ Nr-
raodaı nv yEveoıw. „Denn man vermag nicht zweimal in
„denſelben Fluß zu fleigen nach Herakleitos, noch ſterbliches
„Weſen zweimal beruͤhrend zu treffen,” nämlich dieſes xara
&sv fol darauf deuten, dag die Erinnerung wol auch nad
Herakleitod rein wiederholen fann was die Wahrnehmung ges
habt hat, und gehören eben deshalb dem Plutarchos, „ſondern
- -
„in der Veränderung Schnelligkeit .und Heftigkeit zerflveut ed
31
‚und fammlet fich wieber, ober vielmehr nicht wieder noch
„hernach, fondern zugleich geht ed zufammen und läßt wie
„Der los, firömt zu und firömt ab, fo dag auch dad werdende
„deſſelben nie zum Sein gelangt, weil nie aufhört noch zu
„überwinden ift die Erzeugung.” Hier erkennen wir wenig:
ſtens im dem audgezeichneten Worten axidvnaı — ovvayeı
md ovvisaras — arısıos mit ziemlicher Gewißheit eigne he⸗
vokleitifche;, denn die Worte urAlov . . . aua welche mit
Recht nebft den mit ihnen verloren gegangenen avvisaras xad
anoksines aus Eufeb. hergeftellt find, find offenbar ein wegen
des uaAsv eingefchobener Zufaz des Plutarchos, um den He
rakleitos auch in der Sprache confequent zu machen, wie denn
dad ganze Kapitel diefe Lehre auf die Spize zu ſtellen ſucht.
In den folgenden fcheint mehr Plutarchos zu reden; jene fur:
zen an einander gebrängten Gegenfäze aber fcheinen ganz in
Herakleitos Stil zu fein, und find vieleicht nicht ungluͤkklich
nachgeahmt in einer Stelle gegen das Ende ded erſten Brie
ftö (Steph. PoeS. phil. p. 147).
Offenbar mehr mit feinen eigenen al& mit des Herakleitos Mor: 359
ten fagt daſſelbe Plutarchos (de sera num. viad. Il, p. 559).
„Dder follen wir unvermerkt in den herakleitiichen Flug ale
„Dinge hineinwerfen, in welchen er nicht zugiebt zweimal hits
„enzufteigen, weil alles bewege und. verändere die ummandelnde.
„Ratur. In einer andern Stelle hingegen (quaest. nat. 11, p.
912) welche ähnlich lautet „In denfelbigen Flug zweimal kannſt
„du nicht hineinfteigen, wie Herafleitos fagt, denn andere Waͤſ
„fer firömen zu,” feheinen wenigftend diefe legten Worte Ereoa
yap Enıdoei dVdarı heralteitifch zu fein, wie und Eufebios
lehrt, welcher (Praep. evang. XIV, 20) auch erft mittelbar vom
Rleanthed beibringt, diefer habe, als er die Lehren des Zenon
mit denen anderer Phyſiker verglichen, gefagt „Zenon erkläre bie
„Seele wie Herakleitos, welcher um beutlich zu machen daß bie
„Seelen jedesmal nur durch Einathmen vernehmend werden (Orr
360
32
„ab yuyal avadvumwusvaı vorgal asl yivovras) fie den Zlüfs
„fen vergleicht“ (welches freilich entweder eine unrichtige Ausles
gung ift, oder eine unflatthafte den Sinn verbunfelnde Zuſam⸗
mendrängung des Berichterflatterd, wenn man nicht flatt eixaoev
avrag Toig norauoig lefen will eixaoev eurdg 'Toig 9 Tois
norawois, was Doch nur noch ungeſchikkt wäre und nicht mehr
untichtig) alfo fprechend,
21. Horauaioı roioıv avroicıy Zußaivovaıv
itsga xal Erega Vöara Enıdöei. „Den in denſel⸗
„ben Fluß hineingeftiegenen flrömt immer andered und ande:
„res Wafler zu”
wp die wörtliche Anführung zu deutlich angegeben ift durch daß
Ayav ovrwg und zu ficher, da wir annehmen müffen daß wir
fie nur aus der zweiten Hand haben feit dem Kleanthed. Und
fo müffen wir denn auch als richtig annehmen was fpätere Zeus
gen wiederholen in demfelben Sinne, Sertus z. 3. (Pyrrh. Hy-
pot. 111, 115), Herakleitos vergleiche ber heftigen Strömung eis
ned Fluſſes die leichte Beweglichkeit unferer Materie; wo wir
zwar nicht gradezu behaupten wollen ögei® 6Vo1g fei der eigene
Ausdrukk des Herakleitod, aber doch aufmerffam machen auf die
361
darin liegende Nebenbedeutung, durch welche auch der Bewegung
felbft, daß ich fo fage, ausbrüfklich die Ruhe genommen wird,
zumal auch in der angezogenen plutarchifchen Stelle O&vrng und
Tayvıng neben einander flehen. Eben fo auch verfichern Plac.
Phil. I, 23 und Stob. Ecl. Phys. I, p. 396 im wefentlichen ein-
flimmig
Hoaxksırog ngeulav ulv xal saoıw Ex Tav OAWYv Avngel
(wo man faft glauben möchte, beide hätten Einer Quelle for
gend, eine falfche Lesart vor ſich gehabt, und follten eigentlich
gefchrieben haben &x zwv Ovrwv, was einen weit reinern Sinn’
giebt, er habe Ruhe und Bewegung gleihfam aus dem. Ber
zeichniß bed ſeienden ausgeſtrichen. Allein nicht nur Dioges
ned (IX, 8) fagt ebenfalld zei geiv ra HAa norauov Öixnv,
—
33
ſondern auch Hermias (Irris. gent. Ed. Oxon. p. 303) läßt
den Herakleitos fagen aayn twv ÖAav To nvo, und Lucian
in einer offenbar nachahmenden Stelle (Vit. anct.) fagt Acya
Ö2 Tag dunvpwWorag xal TV Tod ÖAov Ovugoonv, wo er
vieleicht genauer gelagt hätte zwv öAwv, fo daß man faft
glauben möchte, biefer fonft ungewöhnliche Ausdrukk za oda
als Bezeichnung der Gefammtheit ber erfcheinenden Dinge fei
eigenthümlich herakleitifch.
Und in demſelben Sinne Simplicius (in Phys. Arist, fol. 17 a),
dee aber wiederum die Sache etwas verwirren würde, indem er
, fagt die unmittelbare alles verändernde Strömung habe Hera-
Heitoö angedeutet du Tod sig TOV adrov norauov Öls um av
Zußüvas, wenn er nicht um eigene Worte des Herafleitos zu
geben mehr gejagt hätte ald zur Sache gehört, in welchem Sinne
‚ ea fih auch in den folgenden Worten berichtigend erflärt. In⸗
deffen kann man doch daraus, daß er hier wo er zum eriten Mal
über diefen Gegenftand fpricht nichtd ausführliches beibringt, faft
fiber ven Schluß machen daß er dad Merk ded Herakleitos nicht a62
mehr vor fich gehabt, wad auch andere Stellen beftätigen.
Wundern aber muß man fich, wie Ariftoteled (Phys. VIII,
3. p. 254 Ed. Cas.) fagen kann „die behauptenden dag nicht
„nur einiges, anderes aber nicht, fondern daß alles und immer
„ſich bewege, died aber unferer Wahrnehmung entgehe, beftimm- .
„ten zwar nicht genau welcherlei Bewegung fie meinten oder ob
„ale Arten u. ſ. w.“ Vielleicht hat auch Aler. Aphrod., weil
ihm doch vorkam ald ob Herakleitod diefen Vorwurf nicht ver:
diene, lieber geglaubt, wie Simplicius (ad Arist. Phys. f. 776 a)
uns berichtet, Ariftoteles meine hier nicht den Herakleitos, fons
dern die Atomiftifer. Denn daß Herakleitos felbft ein Atomifti-
fer gewefen, iſt gewiß dem Alexandros nicht in den Sinn ges
kommen; und auch wir wollen hier gleich bei ber erflen ſich dar:
bietenden Gelegenheit erklären dag wir nicht das geringfte Ges
- wicht legen auf die nirgend und durch nichts unterflünte Auslae
echiierm. 3, IL 2. | & |
34
bei Stob. Ecl. Phys, I, p. 350 Hloaxisırog go roũ ivög do-
xei Trio yıyuara xaraksıneıv und Plac. Pbil. I, 13 Hod-
xAsıtog ynyuarıa tıva ZAayıza xal Guson eiodyeı. Die bei
Stobäos hald folgenden Worte Hoaxisiöng Honvouara fcheis
nen bei diefer Lage der Sache hinreichend, um zu glauben daß
03 urfprünglich diefen Ausſagen nur eined früheren Sammlerd Ber:
mwechlelung der Namen Herakleitod und Herakleides, welche be
kanntlich öfter vorlommt, zum Grunde gelegen. Und ganz auf
bie pfeudoplutarchifche fcheint fi) auch die pfeudogalenifche zu
beziehn Toy Teooapwv goıysiwv noayuarae (lied Goav-
suare) Aoayirara 0lov goryeia and goryeiov 7 ynyuara
vouslovoıw sivai Tives To Asyöusvov Eiayısa. “Hocaxksırog
eiocyeı TRÜTa vonoss W0Vov Annte. Phil. hist. Ed. Bas, IV,
p. 427. Doch um zu ber ariftotelifchen. Stelle zurüffzufehren,
ſo möchten wir vereinigend glauben, er habe, wie er oft ungleich
artiged auf bloßen Schein zufammenftellt, urfprünglich beide im
Sinne gehabt, zulezt aber allerdingd mehr an ben Demokritos
gedacht. Denn biefed daß die Wahrnehmung fid) täufche über
Ruhe und Bewegung kann fich allerdings auch Herafleitos ans
eignen, und wir glauben damit nicht dem Platon zu widerfpre
chen, welcher deffelben Behauptung gleich fezt mit jener, daß bie
Wahrnehmung die Erkenntniß fei, und welcher auch wol nur von
ben Nachfolgern des Herakleitos fagen wollte daß fie auch in
ihrer Seele überall nichts feſtes und bleibendes leiden möchten.
Denn Sertuß fagt (adv. Math. VII, 126) auf eine Art welche ,
offenbar beweifet daß er aus dem herakleitifchen Werke Bericht
sch erflattet „Herakleitos habe, ähnlich den früher erwähnten Natur
„forfehern, die Wahrnehmung für unzuverläffig gehalten zur Ev "
„kenntniß der Wahrheit, und die Vernunft ald Unterfcheidungs “
„mittel aufgeſtellt;“ welches freilich Fein treuer Bericht if, fons
dern ber Ausleger verallgemeinert zu fehr die Meinung des als ’
sen Weiſen und greift in deſſen dichterifch fchwebenden Vortrag '
anfanft genug ein mit feiner fpäteren Kunſtſprache und dialekti⸗
J 2
re *
ſchen Beſtimmtheit. Richtig iſt aber gewiß dad unmittelbar fol⸗
gende, und deutlich ſagt Sertus daß er und die eigenen Worte
des! Herakleitos wiedergiebt,
22, alla nv ulv aiodnaıv Eikyyeı Mywv xara Adkıy,
x0x0L uaptTvpss avdgwnoıcıy Opydaluoi xal
J dre Baoßapovg wuyag Eyovrav. „Schlechte Zeugen
find den Menfchen die Augen und Ohren der mit rohen
) „Seelen begabten.” Ganz anders ift freilich Sertus Umſchrei⸗
bung, „dies wolle fagen, es zieme nur rohen Seelen den ver:
| „nunftloſen Sinneseindrüffen zu glauben,” faft ald hätte er
— fatt &yovewv gelefen Eyovaıı. Allein Stobaͤos wiederholt
dafjelbe (Serm. IV, p. 55) xaxo3 yivovraı opdaluol xal
uT® Eıpaovwv avdounwv 'Buoßaoovg yvyag. &yövrov, wo
man nur megprvpes einfezen muß und das bloß erflärende
appovuv hinauswerfen, welches vielleicht, unſchaͤdlich dem
Sinne, avdawnwv ſtatt dvdgwnoroıv nad) ſich gezogen hat, 365.
fo daß man leicht die buchfläbliche Uebereinftimmung wieder
auffindet.
Unter eben folcher Einfchränfung ift denn auch zu verſtehen der
Ausſpruch bei Diogenes (IX, 5) xal ınv Ogacıw wevdsoden,
SI nmaͤmlich nur da wo es gegen die allgemeine Anfchauung des
EI Zluffes aller Dinge mit dem Scheine einer Beharrlichkeit und
enes Beſtehens des einzelnen taͤuſcht. Sn einem anderen Zu:
I iemmenhang, wo wahrfcheinlich nicht mehr von der Wahrneh:
mung überhaupt die Rede war, muß alfo gefagt gewefen fein
was und Polybios (L. XI) aufbewahrt hat
23. aAndvwrepag 0’ oVvang OU uixgw ng 0000EW5 ad
"Hodxkeırov' öydaluoi yap ruv wrwv axgıfese-
g08 waorvpeg, welches leztere leicht eigne Worte unſers
Epheſiers ſein moͤgen.
Vieleicht gehören hieher noch ein paar andere Stellen. (Plut. de
fae. Jan. Vol. II, p. 943) „Und richtig fagt Herakleitos daß im
„Hades die Seelen riechen” ai xulwg Hoaxksırog einev Or
G2
j . ' )
36 _
ai wuyai bouwvras za Gdnv, wovon ich jedoch nicht weiß
wieviel wirklich und buchfläbli dem Herakleitos zugehört. Es
ift aber hiemit zu vergleichen Aristot. de: sensu et seneili c. 5,
p. 412 Ed. Cas. „weshalb denn” — weil nämlich der Gerud
entfiehe durch eine rauchartige trockne Ausbünftung, von ber un:
60 fen mehr — „auch Herakleitos fo ſich ausgedruͤkkt hat
24. „daß wenn alles ſeiende Rauch wuͤrde, die Naſe doch
„es unterſcheiden würde. wg &i navre Ta Ovra xasvog
yEvoıro, 6iveg @v Ösayvoisv. Gewiß nicht durchaus
mit herakleitifchen Worten, aber doch einen Saz deffelben ganz
- getreu wiebergebend und in ben lezten Worten nicht ohne
Spuren feiner eigenthümlichen dunklen Art. ler. Aphrod.
erklaͤrt, die Naſe wuͤrde alsdann alles wahrnehmen, weil der
rauchartige Dunſt ihr eigenthuͤmlicher Gegenſtand iſt. Man.
koͤnnte aber auch glauben es habe mehr Nachdrukk in dem
Ösayvoisv gelegen, und der Sinn ſei geweſen, die Naſe würde
alddann doch noch alles unterfcheiden, indeß für alle andere
alled nur Ein verworrened wäre.
So, koͤnnte man meinen, habe Herakleitos in einer durchgefuͤhr⸗
ten Zufammenftellung dem Geruch einen Vorzug eingeräumt vor
allen übrigen Sinnen, eben weil er nicht ein befichendes als
folched, fondern nur die Ausdünftung, das Uebergehen aus einem
‚gebundenen Zuflande in einen andern, alfo am ausſchließendſten
und unmittelbarften das Werben felbft wahrnehme, und habe
deshalb auch den Seelen im Zuftande der möglichften Abgelöfts
heit vom Leibe, im Hades, noch diefe Art der Wahmehmung
367 beigelegt. Vielleicht aber auch bezieht fich dies auf feinen Won —
zug, ſondern 'er hat nur die Unzuverlaͤſſigkeit der Sinne aud ,
daraus nachgewiefen, weil jeder nur fein beſtimmtes Gebiet habe .
und alfo für fich felbft ganz unzureichend fei *). Denn ſchwer⸗ i
⸗
N
*) So mödjte ich Plac. Phil. IV, 8, p. 899 "Eunedoxinjs, "Hoaxislöng ,
rog& cüs avunirglag vor nögwy vag ara uigos aiodmasıg ylrscdas ’
⸗
37
lich möchte Plutarchos jene Worte richtig und genau angewen⸗
bet haben, deren Meinung nach dem Zufammenhang feiner Rede
diefe müßte gewefen-fein, dag im Hades bie Seelen durch den
Geruch ſich naͤhren würden anftatt durch Speiſe. Doch es ifl
um fo vergeblicher hierüber etwas entfcheiden zu wollen, da Theo⸗
yhraftos am Anfang feines Buches de sensibus auch) ‚ven Hera⸗
Atos unter diejenigen zahlt welche in Erklärung der einzelnen
Sinne ganz zurüffbleiben, und hernach von ihm auch nichts
wieder anführt. Indeß eben das allgemeine ift für und bier
merfwürbig genug, was nämlich Theophraſtos unferm Ephefier
und dem Anaragorad gemeinfchaftlich zufchreibt, offenbar aber in
einer Formel welche mehr dem erften ald dem Iezten angehört,
fie hätten fich vorgeftelt 77V alodmosv Ev alkoımaes
yivsodas „die Wahrnehmung werde und in dem Uebergange 368
„wer Dinge aud einer Form in die andere,” ein Gefichtöpunft,
von welchem aus ganz vorzüglich gefagt werden Eonnte, das Er:
fanntwerben fei ein Leiden, und der mit der Anficht von dem
Flug aller Dinge genau zufammengehört. |
Daß demzufolge Herakleitos die Sinne fofern fie ein Beſte—
ben des einzelnen zu verfündigen fcheinen tabeln mußte, iſt Mar;
wie aber Ariftoteled ihm den Vorwurf kann gemacht haben, daß
er nicht beftimme mit welcherlei Bewegung alles ſich bewege,
dies ift nicht zu begreifen, da nicht mur in mehreren Bruchſtuͤl⸗
fen und fpäteren Zeugniffen diefe Bewegung ausführlich beſchrie⸗
ben wird, fondern auch Ariftoteled eigene Meinung dahin geht,
daß jedem verfchiedenen, dem Herakleitos in ber allgemeinen
Verwandlung entflehenden, zugleich eine eigenthümliche örtliche
Bewegung zukomme, und Simplicus ganz in feinem Sinne
wenn auch genau genommen nicht ganz richtig vebet, wenn er
fagt (in Arist. Pbys. f. 310. a) „auch die welche nur Ein Ele
roũ oluelov zur alodmuv Inäsy agnoLovrog flatt Hoanleläns im
merhin Tefen Hocixdeiroc.
38
/
„ment und Ein Prinzip annehmen, unter welche aud; Heraklei⸗
„tos gehöre, fezen die Drtöbewegung ald die erſte. Denn die
„Verdichtung und die Verdünnung zeigten auch eine örtliche Bes
„mwegung an.’ Cs läßt fi) alfo nicht denken daß Ariftoteles
- 0 ſchon den allbefannten Ausdrukk des Herafleitos Odog vw xal
37U
xcero unrichtig oder unvollftändig follte verffanden haben. Ja
wenn er kann geglaubt haben, SHerakleitos habe fich über jene
Bewegung nicht genauer erklärt: fo haben wir grade heraus zu
fagen fein einziges. wahrhaft herakleitiſches Wort mehr übrig;
und es ift gar nicht abzufehen was doch in feinem Werke über
die Natur geftanden babe, wenn e3 nicht durch und durch eine
nähere Entwikkelung jener Grundanfchauung gewefen iſt. Oder
man müßte annehmen Ariſtoteles habe den Herakleitos noch weit
weniger gelefen ald wir irgend zu fürchten wagten.
1. Auf welche Weiſe nun digle Verwandlung der Dinge
in dem Werke des Herakleitos dargeftelt worden, darüber find
im mefentlichften alle einig; fo wie aber nach dem einzelnen ge:
fragt wird, weichen fie von einander ab. Zuerſt nämlich ſtim⸗
men alle darin zufammen, daß nach ihm dad Feuer der Anfang
aller Dinge fei, und aus ihm alles andere durch Verdichtung
und Verdünnung entftehe, wie auch wieder in Feuer aufgehe
und endige. So Simplicius (ad Arist. Phys, fol. 6. a.)
„Hippaſos aber der Metapontiner und Herakleitos der Ephe⸗
„ſier fegen auch die Welt ald Ein bemegted und begienztes.
„aber fie machen das Feuer zum Anfang, und aus Feuer
„machen fie die Dinge durch Verdichtung und Verdünnung,
‚und löfen fie auch wieder auf in Feuer, fo daß dies die ein:
‚ige zum Grund liegende Natur wäre: Denn alled, fagen
„fie, fei nur verwechfeltes gegen Feuer“ nvoögs zuoı nv.
Wo wir nun nicht dafür haften wollen daß Hippaſos wirklich
den Herakleitos durch diefe ganze Anficht begleitet habe, fons
dern vielmehr glauben, feine Art das Feuer als die Grund»
urfache aller Dinge anzufehn möge eine ganz andere gewefen
4
39
| fein als die herakleitifche. Wie denn, wo von dem beftändis
| gen Fluß unmittelbar die Rede ift, Ariſtoteles nirgend unferes
Willens den Hippafos ausdrüfflich dem Herakleitos beigefellt,
und fich auch in den fpätern Sammlern feine Spuren zeigen,
daß fie biefes bei den Alten gefunden. |
Eben fo Diogenes (IX, 8)
i IIvg TO SoyeElov, xai rvgög auoıßnv Ta navra, Gpam-
| 0 xal nuxvWceı yıvousva. So verbeflert Roffius (Com-
ment. Laert. p. 1721, Wiewol man auch — Denn eine Hand⸗
| fhrift beweifet hier wenig — da hier überall dad Verbum
fehlt, jeden Saz vereinzeln und denn auch fliehen laſſen könnte
| GORWOEL xal NUXvWoEs Ta yıvousva nämlich yiveodıas.
| Und nur nicht überall findet ſich daſſelbe. Daß man freilich
| niht auf gleiche Weile wie aud dem Waſſer ſagen kann bie sm
| Dinge entftehen aus dem Feuer durch Verdichtung und Verduͤn⸗
; nung, indem dem Waſſer zwar beides, dem Feuer aber. nur das
eine begegnen Tann, leuchtet ein, und vielleicht hat auch deshalb
Ariſtoteles (Phys. I. c. 6. p. 201) in der Stelle „und alle ge
„Kalten dieſes Eine durch Gegenfüze, wie durch Dichtigkeit und
„Dünnheit und durch mehr und weniger‘ zu jener Formel nv-
xvornTs x uavornrı noch bie andere xui rw udllov xalb
nrrov hinzugefügt. Allein überall liegt in den Worten, daß daB
Feuer aoyn fe, eine durchaus fpätere Anficht zum Grunde, wie
denn auch Feine Spur zu_ finden ift daß Herakleitos fich diefed
Ausdrukkes bedient habe, vielmehr leicht wäre zu zeigen Daß ders
felbe ihm nicht geziemen konnte. Und munderliche Dinge find
denen begegnet die hievon angefangen haben, wie Simplicus
(in Arist, Pbys. f. 310. a) meint „die welche nur Eine aoyy
„ennähmen wie auch Herakleitos, bewürkten das Entſtehen und
„Vergehen durch Verdünnung und Verdichtung, was benn eis
„gentlich daffelbe wäre wie Mifchung und Scheidung ovyaxososs
‚as Ösaxgıog, nur daß es von jenen fchikklicher fo genannt
„wuͤrde,“ woburch die weſentlichſten Verfchtebenheiten der älteften
N
*
'
0
Syſteme aufgehoben würden. Oder Hermias (Iris. Ed. Oxon.
72 p. 223) fagt don Twv OAmv To nun" Ho 2 aürov nad,
/
n
GEMIOTNE Xul nuxvörng, N u2V noloüoe, 7 02 naoyovoe, N .
nV ovyagivovon, n 02 Öiaxpivovoa, worin alle möglichen
Verwirrungen unter einander gewälzt find. Daher möchte es
gerathenen fein nicht von dieſem Anfange anzufangen, fondern abs
fehend von ihm zuerft nur die Verwandlungsweiſe der Dinge
unter fi) zu betrachten. Diefe nun wird unter der allgemeirten
Vorausſezung, dag durch theilmeife Verlöfhung des Feuers bie.
Gefammtheit der Dinge entſtehe bald fo befchrieben (Plac. Phil,
J, 3. Vol. I, p. 877. Vgl. Stob. Ecl. pbys. I, p. 304) „daß zuerft
„das Dikktheilige im fich ſelbſt fich zufammenziehend Erde werde,
„dann dieſe Erde vom Feuer wieberum aufgeloffert barftelle was
„feiner Natur nach Wafler fei, verdunftend aber Luft werde.”
Alſo eine plözliche Erflarrung und Verdichtung, aus dieſer aber
eine flufenweife Verdünnung und Verflüchtigung. Bald wieder:
um ald eine ftufenweife Verdichtung ded Feuers, aus dieſer aber
als eine plözliche Verflüchtigung des flarren, der Erde, in Feuer.
So folgende Darftelung des Mar. Tyr. (Diss, XLI. Ed. Markl,
p. 489) Zn nũo ròov yng ÜHavarov xul ano In Tov vgüg j
Havarov' Üdwg In Tov algog Favarov, yn vov Vbaros. Wo
offenbar das im Tode der Erde lebende Feuer den unmittelbaren
373 Uebergang aus erflerer in lezteres andeutet. Und daß hier Zeh:
ren des Serakleitos mit deutlicher Beziehung auf Stellen aus
feinem Werke und biefe nachbildend angeführt werden leidet kei⸗
nen Zweifel. Eben fo Simplicius (in Epiet. Enchir. Ed. Venet.
1528 f. 72) „Denn aus dem Feuer wird Luft und aus der Luft
„Waſſer, und aus dem Waffer Erde und wiederum Feuer; und
‚nach dem Frühling Sommer und Herbſt und Winter und wies
„derum Fruͤhling;“ wiewol er kurz zuvor eine gegenfeitige Ber:
: wandlung von Luft und Waffer in einander aufgeftellt hatte.
Wiewol nun hier Herakleitos nicht einmal genannt wird, und
man alfo eher an Stoiker denken könnte: fo ift doch diefer Theil
a
Ä | 414
der Phyftologie bei ihnen fo ganz hanbkleitiſch, daß man ohne
„J beſondere Anzeigen Feine bedeutende Abweichung anzunehmen Ur⸗
ſahe hat. Anderwaͤrts endlich finden wir beſchrieben (Diog. IX, 9)
ık Dlvxvovusvov 208 To nvo Ekvyoaiveodaı, Ovvisausvov Te
| yiveadaı Vöwg" sunyvöusvov dd TO Vdmp eig yıv Toene-
Has, zar ravınv 6dv Ent TO xurw eivas' nahıv TE aü-
vv nv ynv yeiodaı, 2E is TO Üdwo yivsodas, und bann,
4 heißt es weiter, werde dad meiſte auf die Ausdünftung aus N
; dem Meere zuruͤkkgefuͤhrt aürn dE ds 7 Ent TO ävm Öddg.
Alſo offenbar gleichmäßig abgefluft Verduͤnnung und Verdichtung.
In diefem Zwieſpalt der fpäteren Zeugen und Ermangelung ber ara
früheren ift es nun um fo erfreulicher, daß wir zu einem eigenen
Bruchſtuͤkke ded Herakleitos unfere Zuflucht nehmen koͤnnen, wels
ches wiewol nur wenige Züge, gleichfam bie erften Grundftriche
bed gefammten Naturgemäldes enthaltend, doch hinreicht ben aufs
gedekkten Streit zu fchlichten. Wir verdanken es dem Clemens
(Strom. V, 14. p. 711) und fezen es hieher, ohne und für jezt
bei dem Zwekke aufzuhalten, zu welchem er e8 anführtt.
25. Köouov röv auröv andvrmvy oöre Tıg Pewvy
odre ayFounwy Enoinosv: GAk NV del xal
Esaı, NnVp dEllw0V, ANTONEVoy nerga Kal ano-
oßBevvvuevov werge, welche Lefeart, wie fie Clemens :
giebt, wol eben fo gut iſt, als was Steph. (Poes. phil p. 131)
aus Eufebius corrigirt ergga — Uebrigens haben wir dieſen
erften Abfaz des Bruchſtuͤkkes nur deshalb auch hiehergefezt
um ben wahrfcheinlich nahen Zufammenhang mit dem folgens
den nicht aus den Augen zu rüffen. Clemens fährt aber fort,
„Daß er aber zugleich auch gelehrt, die Welt fei entſtanden
„und vergänglich, zeiget deutlich daS folgende, ZZvoog Too-
Tab NEOWTOV Hdlacoe, Yahaoong Ö2 To u2v
Nusovyn To Ö2 nuıov nonsne.
Hier muß nun jedem auffallen bie merkwürdige Abweichung bes *
Werkes ſelbſt von den ſpaͤteren Beſchreibungen der herakleitiſchen
ev im «
42
Lehre, Daß jened von dem hernach allgemein gewordenen Kaı
der vier Elemente nicht3 weiß, und Feine: folche vierfache Ab
fung fennt von Feuer in Luft, von Luft in Waffer und '
Waſſer in Erde, fondern nur Feuer, Meer und aus dieſem, z
Theil wenigflend, Erde. Sehr natünlich aber ift dag Herakle
diefe vier Formen fo feft nicht halten Eonnte fondern fie '
deſto mehr in einander floffen je mehr ein Uebergang aus e
in die andere wahrzunehmen war. Daher ift es auch unndı
und falſch, wenn in ber eben angeführten Stelle des Dioge
Gesner (Commentar. soc. Gott. Vol. I.) die Luft einfchiebend
fen will 70 nvo 2&vyoaiveodnı al apa yiveodaı, GvVi
usvov Ö2 ago yivsodaı VIwp x. T. A. So iſt ihm Haraı
nicht nur dad Meer mit allem ihm zugehörigen Gemäffer,
ben auch die immer feuchtes aufnehmende und herablaffende
dere Atmofphäre, die dem lebendigen Beobachter der Natur
tauſendfaͤltig nicht nur mechanifch gemifcht und dem Auge
\
vermifchend fondern auch lebendig Eins erfcheinen muß mit |
unteren Meere. Daffelbige wird auch angedeutet in der vo:
316 mitgetheilten Stelle des Stobaͤos (Eel. Phys. I, p. 304) di
die fonft ſchwer verftändlichen Worte „aneıra vv ynv...6G
oc Vdwo anorekiodar.“ Daß in diefer Bedeutung 7
"kacce zu nehmen ift, geht nicht nur von felbft hervor aus |
gänzlichen Stillſchweigen von ber Luft in Diefer Darftellung, '
dern auch aus der Erklärung des Clemens, der fie gern hin
bringen möchte, fchimmert es durch „das Feuer wandle fich di
„Luft in das feuchte, welches, gleichfam den Saamen der ;
‚nen Weltbildung, er Halacoa nennt; aus dieſem aber w
„wieder Erde und Himmel. und das darin enthaltene.” D
auch kaum zu glauben iſt daß wir eine wörtlich angeführte S
des Herakleitos beſizen in den Worten des Plutarchos (de &1
Delph. II. p. 392) ” &
wg Hooxksızog Eisye, srupög Sdverog GER yiveaıg
GE00g Favarog
43
fondern nur diefer Gebrauch von Yavaros und yereaıg ift ges
wiß dem Herakleitos entnommen, aber als die Gegenftände an
welchen dieſer Gegenfaz aufgezeigt worden fchoben fi) dem Plus
tarchos wahrfcheinlich feine befannte vier Elemente unter. Und
ſchwer ift zu glauben, wenn die Stelle worauf wir uns gründen
nur die erſte Anlage war, daß in einer ausführlichen Beſchrei⸗
bung dieſes Prozeſſes Herakleitos auch das verſchiedene in ber
Velacca zuſammengefaßte auf empedokleiſche Weile vereinzelt
habe. Jene Erklärung von Yalaooe hatte Clemens von Achten 377 <
und verftändigen Auslegern des Herakleitos, aber er verftand .
. nicht, daß diefed feuchte beides Waſſer und Luft folte unter ſich
befaffen, und das „ÖL aEgog reineras eig vyoov“ iſt wol fein
eigen oder einer fchlechteren Quelle entfchöpft. Doch es iſt bef-
ſe fuͤr den Lefer, feine erflärenden und verbindenden Worte, wie _
k fe auf die mitgetheilten herakleitifchen folgen,- hier beizufügen.
| 4wvausı yap Atyaı“ Orı nvo Uno Tod Öwoıxoüvrog Aoyov
ui Heov TE Olunavıe Öl &Eoog Toemeras &ig Üyoov, TO
&G ontgua rijç diexooumoswg, oO xalei Valaocav, &x Ö8
toirou audıg yivsraı y7 xal oVgavög xal TE dunegisyo-
peve. Es ift ſchwer hier nicht helfen zu wollen, aber au zu
helfen ift fchwer, und wer weiß ob Greuzer (Philos. vett. loci ’
de provid. Heidelb. 1806) wirklich geholfen hat. Denn wer.
weiß ob die Worfe zus Feov nicht von dem Rande hinein: ”
gewandert find? Oder wer weiß auch ob nicht za avunavra,
das fämmtliche urfprüngliche Feuer, das fein fol was verwan:
delt wird, und die Worte oͤr- np zu dem vorigen gehören ?
Denn mit dem dvvausı yap Asyaı ſteht es doch auf jeden
Dal fo, daß es ſich nur auf dad vorftehende herakfeitifche bes
‚ziehen Bann, nicht auf den Saz Orı v6 Toeneran. eig Üygov; Ä
denn verwandelt wird dad Feuer wirklich, Evspyeia. Nun 3
kann Clemens entweder zu den Worten Faiuoang 'd2 To udv
Nov yñ x. 5. 4. ſich gedacht haben &ss, und deshalb hinzu⸗
. gefügt Auvapısı. zag Akysı „er meint nämlid dem Vermögen
-
| 4 J
‚mach iſt das halbe Meer Erde,” und dann finge erſt die Gr:
klaͤrung des Ganzen an bei dem oͤr⸗ nög „weil nämlich das
Seuer u. f. w.“ Er kann aber auch gleich in Bezug auf das
Ganze und auf feine eigenen vorhergehenden Worte gefagt ha⸗
ben, Avvansı yap Akycı örı no nämlich) 6 #6onos; und
dann müßte man nad) vg interpungiren, und leſen Uno de
roũ x. T. A. Doc) vieleicht waͤre dieſe Anmerkung unnoͤthig
geworden, wenn Creuzer eine woͤrtliche Ugberfegung nad) ſei⸗
nem Sinne beigefügt hätte.
Von diefem Meere nun fagt Herakleitod „des Feuers Verwands
lungen find zuerft Meer, des Meered aber zur Hälfte Erde zur
Hälfte monsno.” Daß des Iezteren Wortes Bedeutung bier
nicht auf eine fo beflimmte einzelne atmofphärifche Erfcheinung
zu befchränfen iſt wie bei Ariſtoteles (Meteorol. II, 1. p. 353
: Ed. Cas.) wo e8 den entzündeten und gefärbten Wirbelwind bes
deutet, Aber den die Naturforfcher mehr wiffen mögen, Dies leuch⸗
tet ein. Vielmehr ift offenbar, da des herakleitifchen Meeres
9 Verwandlung halb in Erde gefchieht und halb in diefen norz-
&n0, daß wie die Erde die Verdichtung iſt oder der Niederfchlag
aus dem wäflrigen Theile des Meeres, fo. nonsne die Verduͤn⸗
nung oder Verflüchtigung feines luftigen Theiles, dad Gebiet ab
Ver trocknen und feurigen atmofpärifchen Erfcheinungen, genau zu
reden dad erfcheinende Feuer felbft, wie es fich in der Atmofphäre
bildet. Denn fo fagt und Soh. Philop. (ad Ärist, de anim, 1,2)
wieder von Herakleitod und viopeſes was wir nur auf den er⸗
ſten beziehen wollen
Ile d2 00 nv yloya Yyaciv' avın yao Uneopoin mv-
oög (diefed nur möchte ſchwerlich Acht herakleitifch fein)" AAr«,
iv Enoav avadvuuiacıy, 17V xab 0E&0u0Vg molelv, nal avk-
novg, zei Ta Galle Öca xıvnTiwWtare Nriuoaro Ev Tolg
nerewgoig Agısoräins. Ganz unferer aufgeftellten Bedeu⸗
tung von onsno gemäß. Ob aber Herafleitod außerdem
noch eine einzelne feurige Lufterſcheinung zrensno genannt
|
R 45
habe, wie Stobaͤos (Ecl, Phys. L. I, cp. 30. p. 594) erzählt,
. oder ob hier ‚wieder eine Webertragung bes floifchen auf Heras
Heitod vor fich gegangen, da Plac. Phil. II, 3 hier ganz von
Herakleitos fchweigt, wagen wir nicht zu entfcheiben. , Gewiß
aber wird niemand eine folhe Stelle ald Zeugen auftreten
- Waffen wollen gegen unfer Bruchſtuͤkk.
Dieſe Worte des Herakleitos zeigen uns alfo ganz beftimmt bie
|! Aufmmeife Verwandlung nach der Seite des flarren, zugleich 300
; aber auch auf der mittleren Stufe dad Zufammenfein beider Ver:
. wandlungen, auf der einen, Seite die Fortichreitung in das flarre -
und kalte, auf der andern den Rüffgang ind warme und flüchs
ige, Wie un bei einer folchen Zheilung nach beiden Seiten
1J biefe.mittlere Stufe fich befindet, das lemen wir aus einer ans
Äh dem Stelle, die Clemens noch in berfelben fortlaufenden Rebe
anfuͤhrt
26. Ocaiacoa Öraykeraı xal werokerau eig ToV
auröv Aöyov, Öxolog noöodev nv n yeviodas
m. „Das Meer wird audgegoffen und gemeffen nach dem»
„jelben Verhältnig, welches zuvor Statt hatte ehe ed Erbe war.’
lang, fondern immer gleichförmig wieder hergeftelt wird. Cle⸗
mens leitet dieſe Worte ein durch den unmittelbar an feine Er⸗
Alrung des vorigen Bruchftüftes ſich anfnüpfenden Saz
onug HE nahıy avalaußaveraı xal Exntvpovrei, nämlich
wol Erde und Himmel und das darin enthaltene, vagwg dia
zovewv Ömloi „Oaiaooe x. 5.1. .
Hieraus folte man fchließen dieſe Worte wären aud einer Stelle
gnopimen, in welcher der Ruͤkkgang, ber Weg nach oben, zu:
naͤchſt befchrieben wurde, und vielleicht für die mittlere Stufe zsı
dad frühere zugleich- wiederholt, und gezeigt, wie dennoch das
Meer theild durch Ausdünftung aus der Erde fich herftellend,
theils durch die erfle Verwandlung aud Wem Feuer entfichend
immer daffelbige zuerft angegebene Verhältniß zeige. Wenigftens
46
u 2
das uerokeras Es Töv avrov Aoyov kann wol nur ald dad Res
fultat. beider vereinigten Prozeffe für dieſe mittlere Stufe ange
feben werden, weil e3 fich fonft verdoppeln, nicht aber gleich
bleiben würde. Eben daſſelbige nur allgemeiner und wahrfcein:
lich mit eigenen Worten des Herakleitod befagt eine Stelle des
Platon (Sopbist. p. 242 e)
27. dıapegöuevov yap dei Eunpeostau „denn
„ſich trennend einigt e8 fich immer,“ -
- Nämlich auseinander gehend nach beiden Seiten, gehe ed auch
von beiden immer wieder zufammen in biefelbige Geftalt.
Weil aber die Belchreibung des Ruͤkkganges nach oben, wie
fie den bier dargeftellten Stellen entfpricht, uns fehlt, und manche
Spuren auf eine wiederholte Darftellung deuten: ſo muß uns
doch ungewiß bleiben, ob, was außer der ſtufenweiſen Verwand⸗
lung ſpaͤtere Berichte erzaͤhlen von einer ploͤzlichen Umbildung
des Feuers in Erde und der Erde wieder in Feuer, nur Mißver⸗
ſtand ift, oder abgefürzte Beſchreibung deſſelben Prozeſſes, oder |
382 0b nicht Herakleitod außer jenem außer Zweifel gefezten allmä-
ligen Uebergang auch noch einen unmittelbaren der am meiften
entgegengefezten Geftaltungen in einander angenommen hat, und
vielleicht auch. hierauf fich bezieht, wad Theophraftos gefagt ha⸗
ben fol, daß er manches an verfchiebenen Orten verjchieden er»
zähle. Wenn man erwägt wie ganz deutlich diefer Darftelung
die einfache Anſchauung der allgemeinften atmofphärifchen ſowol
als auf der Oberfläche der Erde vor fich gehenden Naturwirkun:
gen zum Grunde liegt, und wie ed auh an Erſcheinungen da=
von nicht fehlt, daß auch aus dem ftarrften unmittelbar dad
Feuer hervorbricht als Wärme oder ald Flamme in mancherlei
Selbfterhizungen und. Selbftentzundungen: fo wird dies in der
That nicht unmwahrfcheinlich. Nur möchte ed fchwer werden, Er:
feheinungen nachzumeifen in welchen auch aus dem bloßen Feuer
ploͤzlich das’ flarre, die Erde, hervorgeht; wenigftend fehlt es un.
ſers Wifjend an allen Spuren, daß irgend Herakleitos ſich auf
—— yu—— —
-
+
47
meteoriſche Steine berufen, was und doch von Anaxagoras aufs
bewahrt worden, oder daß er beobachtet wie aus dem Rauch uns
| nittelbax- fefte Körperchen ſich abſezen. Und eine völlige Gleich:
förmigkeit in beiden Prozeffen müffen wir feiner Darſtellung
ſchlechthin zufchreiben, genöthiget durch eine Stelle, welche Ter⸗
tülianuö (adv, Marc. II, c. 28) wahrfcheinlich nicht mehr aus 383
der erften Hand anführt und wunderlich anwendet „Si iguoravit
„Deus meus esse alium super se, eliam tnus omnino non seivit
„esse alium infra se. Quod enim ait Heraclitus ille tenebrosas
‚„eadem via sursum et deorsum.“ Die wunderlich auch
von andern andere einzelne Säze, fobald fie irgend ſprichwoͤrtlich
! werden fonnten,- mögen aus ihrem Kreife herauögeriffen worden
ſein, zeigt auch ein ſolches Beiſpiel zur Genuͤge. Dieſelbige
Stelle aber iſt uns in der Urſprache und wahrſcheinlich woͤrtlich
aufbewahrt worden in den Werken des Hippofrateö (de alimentis
Ed, Chart. VI, p. 297) |
28. Oööc vo xarw uin. Der Sinn, in welchem der
Verfaſſer diefen Sprud gebraucht hat, ift aus dem Zuſam⸗
menhang in dem allzuaphoriftifchen Büchlein nicht zu entneh⸗
men. Der GCommentar des Galenod erwähnt freilich auch
- nicht, Daß hier etwas herakleitifches fei. Allein offenbar find
berafleitifireride Gedanken und Ausdruͤkke viele in dem Buͤch⸗
lein, wie 5. B. Evugwva xai Ösaymva öfter vorkommt, und
andered Vereinigen von Gegenfäzen, und die Webereinflimmung
mit der Stelle bed Zertullianus ift zu auffallend.
Denn daß Odög vw für den Gang feuerwärtd und Ödög xarw sah
für den Gang erdwärts eigner Sprachgebrauch des Heralleitos
geweſen ift, kann wol bei fo vielfältigen und fo übereinflimmens
dm Anführungen der- Alten niemand in Zweifel ziehen. Und
was fünnen jene Worte anderd fagen follen, ald daß beide Wege
einander durchaus gleich und entfprechend wären? wenn fie nicht
gar jemand brauchen wollte um den fehnellen und kurzen Weg
>
48
neben bem langſamen ganz zu laͤugnen, buchſtaͤblich uͤberſezend
„denn es giebt nur Einen Weg nach oben und nach unten.“
1. Dieſe ſtreitige und gewiß, weil eine genauere Vorſtel⸗
lung von dem Fluß aller Dinge nur durch fie beftimmt werben
ann, gar nicht unwichtige Frage, ob Herakleitos auch einen um:
mittelbaren Webergang aus Erde in Feuer und fomit auch aud
Feuer in Erde angenommen, welche vielleicht ein kleines Bruch⸗
ſtuͤkk von wenigen Zeilen ähnlich unferm 36ften würde aufgelöft
haben, Eünnten wir doch auch ohne das entfcheiden, wenn und
nur ſtatt der verbächtigen zulezt angeführten Stelle des Stobäoß,
bie ohnedies nur fehr dürftiges von Donner und Bliz enthält,
mehrere irgend fichere Zeugniffe aufbewahrt worden wären von
des Herakleitos meteorologifchen Erklärungen. Denn hier mif
fen ja wol alle verfchiebenen Verwandlungen vorgefommen fein.
356 Und ed laßt fih gar nicht denken dag nicht Herakleitos hier mit
feinen Erklärungen ſollte ind einzelne gegangen fein. Schon bie
Worte des Diogened 2x Ö2 Tovrov va Aoına ayeÖon navra
Ent nv ävadyniaoıy Avayav nv dnd Tig Yalarıng laffen
auf eine große Mannigfaltigkeit von Thatfachen ſchließen, welche
unter diefer Darftelung find begriffen geweſen. Es liegt aber
auch in der Natur der Sache. Das Werden der Erde aus dem
Waſſer, wie Herakleitod wol alle Niederfchläge und Abfäze. ans
fehen mußte, geht auf eine ganz allmälige und unfcheinhare
Weiſe vor ſich; aber der Prozeß ruffwärts zum Feuer, und bed
Feuers Herablaffung zu den. niederen Regionen des Waſſers und
der Erde umfaßt alle Erfcheinungen, welche von je her am meis
ften die Aufmerkfamkeit der Menfchen auf ſich gezogen haben,
und denjenigen ganz vorzüglich feffeln mußten, der grade auf
bie Verwandlungen ber Dinge, auf das Uebergehen aus einen
Zuftand in den andern allen Werth fezte. Nun aber wiſſen wir
von alle dem fo gut. ald gar nichts. Denn ein Wink den und
Nikandros (Alexipharm. v. 171 sqq.) giebt mit oder vielmehr
49 N
durch ſeinen Sqoliaſten, ohne den wol hier ſchwerlich jemand
den Herakleitos gewittert haͤtte,
Kai re or ayısdanv Ponyaıs loevro Hddnooey,
Hyıe xal arusveıw aveuoıg nopEV "Evvooiyaıog
Ziv vol‘ xal yap Ön nvoeig ovvöauveras Eydonig 386
Dig udv asilwov, xal ayuverov Eroeoev Vöwg
"doyesag xai 6 7% ulv dx00uNE00@ giAopyig
deonobes vmav re xal Eupdopeow aikıwv
"Yin 8° &ydousvoro nvgög xarı Heauov axoveı.
Schol. öts Ö2 dovieveı 7 Yahaoca xal To nüp aveuoıg
zara Deiov vouov Önkovörı, tovro de xal Hoaxksırog xal
t Mevexgaung eionxe. Und hernach &xridesda oVv ovls-
‚70, Öle TOVTWV xal "Hocxisıros, öTı navıa Evavtia Eciv
alamkoıc xaT avrov' — — 11 yap Yalaoon ÜNOHEIVTas
70 nAoie“ Tw ÖL vgl E vn.
Dieſe Stelle kann anftatt zu befriedigen nur Neugierde erregen,
ob hier wirklich auf herakleitifche Phyſik Rükkficht genommen ift,
und in welcher Beziehung wol unfer Ephefier gefagt habe, daß
da8 Feuer den Winden diene. Auf jeden Sal fcheint dad Bei:
wort aeiöwov hier ganz unrichtig angebracht.
Mer ift nun aber über diefen Mangel welcher und druͤkkt
harter anzuklagen als Ariſtoteles, der, da es ihm fonft fo viel
Freude gewährt die abmweichenden Meinungen ber alten Phyſiker
‚muführen, in feinen meteorologifchen Büchern des Herakleitos
Il gut ald gar nicht gedenft? In der That läßt er und nur -
J lie Wahl, entweder zu glauben, daß es ihm zu viel Mühe ge⸗
nacht fi) in’ die Naturbefchreibungen des Herakleitos hineinzus 387
kfen, oder daß er ſich allerdings gar flarf hineingelefen, daß
1 ihm aber beffer gefallen habe zu verfchweigen als aufzus
Iielten, woher er das meiſte vielleicht in dieſem Theile ſei⸗
ner Lehre genommen. Denn bie Lehre zum Beifpiel von ber
doppelten Ausbünflung (Meteorol. I, 3), der feuchten welche er
| reis, und der trodnen welche er dva$unieoıg nennt, von je-
Ghkierm. 8, UI. 2. AN
50 | 5 ft
ner fagend, fie fei dvvanzs orov Ding, von diefer, fie fei Juve
u 0lov mög, muß nothwendig fein herakleitiſch geweſen ihren
Weſen nach. .Denn. dad Uebergehen des Meere und zwar zu
nächft feines flüchtigen Theils in jenes Gebiet der höheren glän
zenden Erfcheinungen Tann ja wol nichts anders fein ald ei
Trokkenwerden befjelben, fo wie umgekehrt die Ausgießung dei
Meeres aus dem Heuer und befchrieben wird ald ein Feuchtwei
ben des lezteren; umd ber Uebergang bed Luftmeeres in Feue!
wird alfo nothwendig eine trokkene Verflüchtigung, fo wie dal
Aufgelöftwerden der Erde in Waffer ein feuchte Emporfleige
iſt. Dies nun flimmt freilich nicht genau mit Ariftoteles über
ein, ber beide Dünfte aus der Erbe ableiter. Allein wenn mi
annehmen daß Herakleitos außer der allmäligen Berwandlun:
sss auch noch eine fchnellere gelehrt, und alfo beides bei ihm vorgt
fommen, ein Wafjerwerden der Erde und ein Feuerwerden bei
felben: fo hätte er auch von der Erde fagen gekonnt, ihre Ba
wandlung fer theils Waſſer theild Feuer, und würde aus Di
Erde felbft zweierlei Erhebungen oder Dünfte gehabt haben, e
nen feuchten durch welchen fie in Wafler, und einen troffne
durch welchen fie in Feuer verwandelt wird. Und dieſes nu
fimmt ganz genau mit dem überein was Ariſtoteles vorträgl
je man kann fogar hieraus am beften eine Verwirrung in di
Terminologie erklären, welche ihn fonft im Vortrag feiner .eig
nen Meinungen nicht leicht befchleicht. Denn da er zuerft offer
bar dad Wort aruig für das feiner Natur nad) warme un
feuchte beftimmt hatte, was Övvaneı, nicht gerade dem Urfprung
nach, olov Üdwp ift, und dagegen dad Wort avedvuiaoız fi
dad feiner Natur nach warme und troffene zö dvvans. ola
zvo: fo kann er fich doch hernach nicht entfchließen die aus di
Erde hervorgehenden, ihr Waflerwerden darſtellenden Dünfte ebi
fo zu benennen wie die aus dem Waſſer auffteigenden, weld
freifich für den Herakleitos in feiner eigenthümlichen Sprad
immer noch YaAcooa waren, fondern braucht nun offenbar au
eradyniaoıs für etwas was üyo6V xai Feouor ift. Doch d
51 ’
Sache wird offenbar deutlicher werden wenn wir die beiden Stellen
des Ariſtoteles hieher fezen, zuerft Meteor. I, 3. (Ed. Cas. p. 327. F.)
alla dei vonoaı Tov Asyousvov xai xalovudvov Up numv 38
aEpog TO udv nepi TV ymv 0lov Üyoov Hal Heguov eivas
die TO aruilsıv TE xal avadvuiaoıy Eysıy yıg, TO 6 Uno
roũro Heguov 707 xal Enoov" Esı xal aruldog uEV güosg
iypöY za Fepuov, avadvuıaoeus 62 Heguov zul EnooV.
zul iv arulg udv Övvausı olov Vöwp, avadvuiacıg Ö2
dvvausı oiov nvo Und hiemit zu vergleichen Meteorol, I, 4, .
‚338. D. Heouamwvouevng yao tig yag ind Toü nliov nV
. Geduniaoıv avayxaiov ziveodaı un animv,@g Tives O0l0V-
as, alla dınanv, mv uEvV Gruıöwdegegev, mv Ö2 nvevun-
: Twdegkomv" Tiv u Tod Ev Ti yi zaL Eni Ti y üygod dı-
E wöa (oder wie ich gern um den MWiderfpruch qu lindern leſen
4 möchte aruudwön), nv 6° avrng ng yıs, ovong Enoüs xa-
won. Man fehe nur wie hier gegen die Weile des Ariftote-
les ale Erklärungen einen ſtarken Geſchmakk haben nad) dem
herakleitiſchen Fließen, und wie er fich möglichft hütet eine be:
fimmte gücıg zu cenflituiren; man vergleiche noch die folgenden
Borte owzov udv yap Uno iv Eyauxkıov Yopav Es TO
4 deauoy xai Enoov 6 Aeyouev ng avavuuov yag (weil er
Mmlih sronsno wol nicht mehr fo gebrauchen konnte) zo xos-
Fl wv int naong THE xanyWdovg Öiexgioewg mit dem oben aus
Ih. Philop. beigebrachten; und man wird wol fehwerlich anftes
Then können hier ein möglichft treued Abbild herafleitifcher Natur: 390
J aſchauung zu finden. Dann aber folgt auch dag Herakleitos
1 umittelbaren Uebergang der Erde in das erfcheinende Feuer ans
genommen, welched zwar auf feinem Wege hinaufwartd durch
u das Gebiet ded oberen Meeres hindurchgehen muß, aber ohne
and nur ein fcheinbared Stehenbleiben auf diefer Stufe darzu⸗
Bellen; und ed fehlte und nur noch daß wir nicht auch noch für
| das von ſpaͤteren Zeugen ebenfalls berichtete unmittelbare Her⸗
ud anbtreten der Erde aus dem Feuer beflimmte Erfkheinungen nadıe
D2
In EEE T So ci ze
52
zuweifen haben. Nur möchten, wir keinesweges fo verftanben
fein, als habe Ariftoteled auch die Zerminologie von dem Ephe⸗
ſier heruͤbergenommen; vielmehr. find wir überzeugt dag avadv-
niaoıg Fein herakleitifcheds Wort iſt, fondern in die fpäteren Be
fchreibungen feiner Lehre erft aus dem Stagiriten und den ſtoi⸗
firenden Auslegern des Herakleitos hinübergenommen. _
Wollte aber jemand eben hierauf , wie denn Died ein jeber
wol mitfühlt, fich berufend, dieſer Spur nicht trauen, fondern
erzwingen wollen, die Aehnlichkeit entflände nicht au8 dem Ent
lehnen des Ariftoteles, fondern nur aus dem Beftreben der fp&
teren, den Herakleitos aus dem Ariftoteled zu erflären: fo hätten.
wir die Abgunft des Stagiriten um fo mehr zu "beklagen, und
391 wären mit unferer Frage dann lediglich an das gewiefen was
Herakleitos von den Geſtirnen gelehrt. hat. Denn diefe hielt ee
bekanntlich nicht jedes für einen befonderen Weltkoͤrper, in wel.
chem fich die ganze Reihe der Verwandlungen wiederholte, ſon⸗
bern nur für feurige Erfcheinungen alle in dieſelbe Ordnung
x00uog gehörig, von welcher unfere Erde die Gegend des harten.
und flarren bildet, dad Außerfle umgebende aber die Gegend des
Feuers in welche auch die Geftirne gehören. Und dies iſt bei -
läufig gefagt gewiß bie einzige Veranlaffung aus welcher fo viele
fpätere Zeugniffe — denn Ariſtoteles Phys. VII, 4. wo er uns
terfcheidet welche viele Welten und welche nur Eine annehmen, :
nennt wenigftend unferen nicht — ausdruͤkklich behaupten, Heras
kleitos lehre es gebe nur Eine Welt; fo wie eine Stelle des Aris
“: floteled (Phys. III, 5), worin er fagt, Tein Phyſiker habe das
Eine und Unendliche „zo Ev xat areıpov“ ald Heuer oder als
Erde angegeben, gewiß die Veranlaffung ift weshalb biefelbigen
auch ausfagen die Welt des Herakleitos fei eine begrenzte gewe⸗
fen, welcheö beides gewöhnlich mit einander verbunden wird, von
Herakleitos felbft aber, der von entgegengefezten Meinungen im
Beziehung auf welche er fich müßte- erklärt baden wol nichts
wußte, ſchwerlich fo ift ausgefprochen worden. Man fehe Diog.
53
IX, 8. wenepaodas ze To navy xal Eva eivas x00uov, eben fü sa
Heſychios und Theodoret. (graec. afl. cur. disp. IV.) Tancoog
d2 0 Meranovrivog xal Hoaxisıros 6 Bivowvos 6 'Eg&osog
&u eivaı TO nV xal axivnrov xal nenepaauevov. Jene
. Beinung aber bed Herakleitod von den Geflimen, welche fie zu
meteorifchen Erfcheinungen herabfezt, iſt und überliefert Durch die
Ateſten Zeugniffe des Platon und des Ariftoteled. Beide zwar
RB berihten zunächfi nur von ber Sonne, jener indem er diefe Lehre
‚vr nur zu einem Vergleich braucht Rep. IV, p. 498 b, daß nach
Herakleitos die Sonne verlöfche und fich wieder entzünde, denn
anderd kann niemand: Die Worte verftehen roog Ö2 TO yaoas'
icroęs dn Tıvav Öliywv anooßevvurras noAv uallov Toü
Hoaaksıreiov nAlov, 0009 avdıs oüx Ekantovıes — Xrifto>
teles aber (Meteorol, II, 2) genauer, daß nach Herakleitos die
- Sonne alle Zage neu werde. Denn daß hier nicht etwa nur
; die Rede iſt von einer Anwendung jener allgemeinen Eehre von
dem Fliegen aller Dinge, vermöge deren alled immer neu wird,
jondern daß Herakleitos ausbrüfklich eben das fcheinbare Beſte⸗
| ben, deffen andere Dinge fich länger erfreuen, der Sonne nur
einen Tag gegönnt hat, zeigen die Worte des Ariftoteled deutlich,
“welche ohne dies, da fie den SHerakleitos buchfläblich anführen,
bieher gehören. Ariſtoteles nämlich flreitet gegen die auf keinen z0s
beſtimmten Uxheber zurüffgeführte Lehre, daß die Sonne fich von
dem feuchten naͤhre, und ſagt unter andern
29, negi ÖL To» NAov Gövvarov Tovro ovußaivev'
Enei rgegou£vov YE 509 aUTOV Toonov — wie die Flamme
nàmlich — woneg Exsivai gacı, dmAov Or xal 6 MAuog
— was naͤmlich Ariſtoteles vorher von der Flamme gezeigt
hatte — oð uovav xadeneo 6 Hocxäitos pnos, vcosç
ip nuEon Esiv, aAh el VEog Ouvexwg' was ganz ges
nau in Uebereinflimmung mit jener platonifchen Stelle, die er
offenbar in Gedanken hat, Aler. Aphrod. erklaͤrt (in Meteorol.
bl, 93 a.) od uovov, ws Hoaxkeırog yyoıy, VEog Ep Nus-
34
on öv nv, as Exasnv nuigav. &Alog ESanrousvog Tom
nowrov Ev ri) Övosı oßevvuuivov, AAN aiei Te xal avve—
ug vEog Te al GlAoTE &alog Eyivero, WONEp xal ai Pd
yes Ev TO yivsadaı To eivar Eywv.
Proklos aber hat, wie mehreres, auch dieſes ſchlechthin mißver⸗
ſtanden wenn er ſagt (Comment. in Tim. p 334) dıa dn Tovro
nämlich weil er nur zur zweiten Önuiovoyia gehört xai 10V
“Hhov veov Yeov ewdaoıv anoxakeiv, xal veog Ep’ nusgr
nAuos, pnoiv Hoaxisırog. Und hat Herakleitos die Sonne
nur ald cine foldye täglich wiederfommende. Erfcheinung angefe
9 hen: fo koͤnnen wir und auch ‚gefallen laffen zu glauben was
Tcheodoretod fagt (graee. afl. cur. disp. 1) er habe der Sonne
nur einen Durchmeffer von Einem Fuß zugefchrieben, was Plac,
Pbil. I, 21. leider wieder herametrifch angegeben wird "Hlga-
xAsırog eVgog nodög Krdgmneiov. Auf dieſe Meinung
von der Sonne bezieht fich auch gewiß jened merfwürdige Bruch⸗
ſtuͤkk welches Plutarchos und zwiefach aufbewahrt hat.
30. Hrıog oüx Unsoßnostas uerga, pnoν 6
“Hoaxksırog" eu Ö2 un, (denn bier wird wol niemand an
der Interpunction ändern und lefen wollen ei de, un) ’Egw-
vveg nıv Aiung Enixovoos Efevoncavaoıy, So de
exil. (Vol. 1, p. 604). Etwas abweichend, aber weil in der
' indirecten Rede vorgetragen auch unzuverläffiger, de Isid. et
Osir. 9.270 alfo: Hov ö3 un insgfnossdaı toüg poa-
uxovrag Öögavs' ei Ö2 un, yAmrzag uw Aixns Ensxavpovg
ESevonosıv, wo ich freilich keinesweges verfiehe wie aus bem
Erinnyen yAwrras geworben find, aber doc) gegen jede vo
wizige Aenderung' mich verwahrend dabei bleiben will, da
beide nur eine und bie namliche Stelle fein kann *). &ı
Buttmann erinnert an bie Avooa in Eurip. Here, fur. , die bort o⸗
bentlih als Grinnys erfcheint und deren Name lelcht in jenes pie
fremde Wort übergehen konnte.
56
ı jemand aber vorzüglid neugierig zu wiflen, wer bie Erinnyen s0s
bier find und wozu bie Gehülfen der Aixn, ber fehe zu wies
‚viel ächt herakleitifched wol fein mag bei Platon (Cratyl, p.
412), wo doch die Auffiht nur gehen kann auf den richtigen
Gang der Dinge, wenn doc) alled immer geht, und dad Auf:
fiht führende nur dad Feuer zu fein fcheint, .
Denn eine folche Ordnung zu erklären, wie fie obwaltet ſowol
in jnem abendlichen Verlöjchen ald audy in dem täglichen und
jaͤhrlichen Umlauf, mußte allerdings derjerige am meiften in Ver:
legenheit fein, welchem ſich die Sonne nicht merklich unterfchied
von folhen Naturerfcheinungen bei welchen Feine regelmäßige
Wiederkehr zu bemerken ift. Daher man fich einer fo gewaltfa:
men Erklärung nicht wundern darf, fondern fie vielmehr als
ſymboliſch anſehen muß, und auf jede beftimmte Drönung in
dem Keben der Dinge anwendbar, welche nothwendig ſchwierig
fein muß zu bezeichnen, wenn man die feititehenden Formen fo
tief unterordnet jener Grundanſicht von dem allgemeinen Fluß.
Hiemit ſtimmt nun fehr wohl zufammen die fchon oben bemerkte
und nachgewielene Abneigung gegen Sterndeuterei und Unter:
ſcheidung der Tage; und wenn aud) Herakleitos noch mehr aſtro⸗
nomiſche Betrachtungen gemacht hat, wie die welche Strabo an⸗
führt (1, p. 7.)
31. Beitiav 6’ "Hoazisıros xai Qungsmurepog Ömoiwg yo6
Av TOUV GpxTiXod Tnv agxtov Ovonatwv. „Hoügs yao
zas Eonipag TEEUUTa N GEXTOg, xal avTiov rhg
aoxtov oVgog aidgiov Arog „de Morgend und
„Abends Scheidung ift der Bär; und dem Bären gegenüber
„die Grenze ded hellen Zeus,“ welches doch hoͤchſt wahrſchein⸗
lich herakleitiiche Worte find, obgleich befremdlich jede Anfüp:
tungsformel fehlt. Strabo will hieraus beweifen «@gxrog heiße
dem Herakleitos der arktifche Kreis. Man könnte aber eben
lo gut fagen joucg xal Eaneonz teouara heiße der arktiſche
Kreis, je nachdem die Abficht des Herakleitos war, entweder
56
\ j
den Nord: und Suͤdpunkt des Horizonts zu bezeichnen, ober
-- mehr die Gigenfchaften der Sterne, in wiefern fie auf: und
untergehn oder nicht,
fo hatten fie doch gewiß Feinen aftrologifchen Zwekk, fondern nur
‚ben ber geographifchen Ortsbeſtimmung. Daß ihm aber jem
Negelmäßigkeit etwas fehr bedeutended gewefen, fieht man dat
aus, was zwar nur eine fpätere Nachricht fagt (Siob. Ecl. Phys,
I, p. 264), daß Herakleitos ein großed Jahr und zwar aus ad:
zehntaufend Sonnenjahren zufammengefezt, die ſich aber doch
durch die hinzugefügte beglaubigt, daß ein Stoiker Diogenes fein
sr, großed Jahr nach dem herakleitifchen beftimmt und jenes große
zur Zagedeinheit nehmend das ſeinige 4 aus 365 folchen con
ſtruirt habe *),
Niemand aber wird wol erſt Beweis dafür verlangen, daß,
was von der Sonne, auch von allen andern Geſtirnen gegolten
habe, und Herakleitos fie nicht ald ungleichartig fchildern wollte,
indem er fagte was Plutarchos und zwiefach zu Iefen gieht _
32. Kai Wong YAlov un üvrog Ävexa TWV Äh
Awv äsow» süpoövynv &v Jyouev, ug gnoıw Hod-
xAestog (de fortuna p. 98), und noch einmal wahrfcheinlich
mehr mit herakleitiſchen Morten (aqnae et ignis comp. p. 957)
Heaxätıros u8v obv, ei un Ahvog, gnolv, yV, süpoo»n
&v nv „Wäre die Sonne nicht, fo wäre Nacht.”
Auch befagen died ausdruͤkklich andere fpätere Zeugniffe, wie Plac,
_Pbil. I, 28. Hlodxisırog TO avro nenovdevaı Tov IAıov xab
sog zv oeAnvynv, und Theodoret (Ed. Hal. Vol. IV, p. 798) daß
* Das bedeuten offenbar die Worte "guxisıros 2x uvpluv Oxraxsayı-
Alay dvuuvrav nlıaxay KHioyeıns 6 Ziwinög du nevre zul Eijworses
xal sgıunoaley dviavrwv Tooovzay, 0005 7j9 6 na Hoaxksırov dsıav-
sos* und unbegreiflich ift es fie fo auszulegen als habe Diogenes feirm
großes Jahr nur aus 365 Sonnenjahren beftehend angenommen.
°
57
auch nach Herakleitos der Mond aus bloßem Feuer beſtehe 9—
und Diogenes, welcher (IX, 9) ſagt daß alle Geſtirne zwar Flam⸗
men waͤren, welche ſich aus den glaͤnzenden Duͤnſten ſammeln,
die Sonne aber die glaͤnzendſte und waͤrmſte; denn die uͤbrigen
Sterne wären weiter von ber Erde, weshalb fie weniger glaͤnz⸗
ten fowol als wärmten, der Mond aber zwar ber Erbe näher,
dafür aber durch eine minder reine Gegend ſich bemegend. Da
uun dad nächtliche Verloͤſchen, gleich dem Uebergang aus bem
flammenden Zuftand in den allmälig verglimmenden, kein Ver⸗
fhwinden ber Größe nach ift, fondera-die gunze Geftalt wiewol
verdunkelt fich hinabfenkt: fo gewinnt der Bericht des Diogenes
das Anfehn größerer Genauigkeit, wenn er namlich fagt daß in
dem neoreyov nachenfoͤrmige Behälter ſich finden, ober vieleicht
lieber Hölungen, in welchen ſich die glänzenden Auddünftungen
ſammeln. Dagegen Stobäo8 und Plac. Philos. zwar beide auch
Sterne wären nulnuara nvoos, hernach aber von der Sonne
kurzweg fagen (Stob. Eel. Phys. I, 26. p. 524) Hodxnerrogç
: zul "Erotaiog kvauua voegöov TO Er Saharıng eivar Tov
Bücher de plac, Philos. II, 22, giebt zwar der Sonne diefelbe
nachenförmig gefrummte Geftalt, dad erfte aber daß fie ein „aus
dem Meere entzündeted vernünftiges” fei fchreibt er gewiß mit
ch Kö Ecl. Phys. I, 27. p. 554 der Mond nach dem Chryſippos
„I Wan voepov Ekauue, und bei Diog. VI, 145 die Sonne,
ziszos yüv Opıyln mepssiimnuerny muß man offenbar leſen “puxlet-
u önv; jo ſtimmt fie mit ber analogen des Stobäos (Ecl, Phys, I, 27)
“Hoaxisldns xal "Ntxellog yiv ouyAn Regıeyouevnv und mit Plac.
Phil, II, 13. vgl. Stob. Ecl. Plys I, 23, p. 514 ‘Hoaxlelöns xul 08
INubayögewoı Ixagov vör üsgos xoouoy Umugzew yyr weguigoria ddom
ze) aldıiga Wo ve anılgp alddgı. \
g ben Herakleitos gleih dem Parmenided behaupten laffen, die sw.
Mu, oxagosön 0° sivar Unoxvorov. Der Verfaffer der’
mehrerem Rechte nur den Stoifern zu, wie auch bei Stobäos .
*) In der Stelle von dem Wefen bes Mondes Plac. Phil. II, 28 “ed
1
58
Schwerlich iſt bei Herakleitos dad voroav fo beſtimmt ausgeſpi
hen geweſen; ben Stoikern aber ſtatt deſſen vorsoov unterfch
ben zu wollen (f. Heynii Opnse. I, p. 104) verräth ſonderli
Unkunde in dieſer Sache.
Wie nun and jener Geſtalt, in welche die Geflirne gefa
werden, wenn man fie beweglich annimmt, die Phafen und ti
Finfterniffe {charffinnig genug erklärt werden, dies fehe der Lei
bei Diogenes, Stobäo8 und dem falfchen Plutarchos felbit nad
und iſt nur angelegen die Ausfage zu vergleichen in Abſicht a
die Herkunft und Nahrung der Geftime. Was nämlich jen
0 Verloͤſchen der Sonne betrifft, fo dürfen wir es wol nicht ande
verfiehen nad) der Analogie der ganzen Anficht, ald daß daB |
bildende Feuer den Weg herabwärts antıitt. In dieſem bi
ganzen Tag fortwährenden Audftrömen nun wird die Son
nach dem zulezt beigebrachten Fragment die Urache der Erleuc
tung, und fo auch die Duelle alles Wachsthums und aller Hi
vorbringung auf der Erde, wenn anderd Plutarchos (Quao
Plat. p. 1007) nur irgend etwas herakleitifches jagt von di
Grenzen und Abfchnitten der Zeit
wv 6 MAlog Enuisarng Wv xal 0oxonög, öpitsv za Ag
Peveıv xal avadsırvuvar zal: dvapaivanr ueraßokag zu
Ggag, ai navra peoovoı xad” “Hoaxisırov, 0VöR pa:
Auv 0VÖL uixgwv, GAR TWV uEyisWv xaL KURIWTATWV 7
NyEuovs zul NQWT@ Few yiveras OUVEpyog.
Was aber ausftrömend dieſes alles verrichtet geht auch babur
über in die Natur der Heiaoou, und weil die Sonne je me
ber Tag fich neigt der Nahrung ermangelt, muß fie de Aben!
verlöfchen. Woher aber biefe jeglichen Morgen erneuerte Na
ung ihr komme, darüber find ebenfalld die Berichte im allg
meinſten einig, im genauern aber verſchieden. Daß nämlich d
Geftirne ſich von Dünften nähren, berichten alle, ja dieſe Erkl
rung, vorgetragen in der ariftotelifchen Terminologie, wird au
au den Meinungen anderer angepaßt, wie nach Stobäo8 (Ecl. Phy
59
| 1%. p. 522) die Meinung des Xenophanes, daß die Sonne
aud entzünbeten Wolken beftehe, von Theophraſtos fo fcheint ers
Hirt worden zu fein, fie beftehe aus Feuertheilchen welche gefams
met würden auß ber feuchten Auödünftung „2x Tg Yyoüs ave-
drmaceng“ und ſich fammelten in der Sonne, oder nad) Gas
Ins Bericht (Hist. phil. ec. XIV) &x zwV Enpwv arumv nvei-
da zıva ovvegyeodaı, welche in einen Körper zufammentretend
(vergl. Plac. Phil. II, 20) die Sonne bilden. Die Berichte aber
welche den Herakleitos unmittelbar angehn fcheinen ſich bald zu
theilen. Einige, wie Piac. Phil. 1, 17, fagen, nad Herakleitos
und ben Stoikern naͤhren ſich die Sterne &s ring Enıysiov ava-
" Imuwoews; jo auch Stobäos (Ecl, Phys. 1, p. 510), nach Hes
rakleitos und Parmenides nähren ſich die Sterne &x rg ano
yis avadrumıaceng, was und offenbar an die troffnen Aus⸗
ſtioͤmungen aus ber Erde denken läßt, wenn wir es für ſich
nehmen. Dagegen fagt eine andere Stelle bei Stobäo8 (Ecl.
Phys. 1, 26. p. 524) und mehrere flimmen damit überein „nad
Herakleitod und Hekataͤos fei Die Sonne ein vosgov avaunıa
Kr „Ialarıns“ Nun Fönnte man freilich fagen, dad
Iniyewog und ano yrs in jenen Stellen fei in weiterem Sinne
zu nehmen, von der. Erde ald dem ganzen Weltlörper, zu dem
alſo das Meer auch gehöre, und nur dad naffe fei doch das au2
auẽduͤnſtende und nährende, ber Gegenfaz fei aber bier nur ges
Bommen gegen diejenigen Meinungen, welde bie Geftirne fich
aus dem Aether oder aud dem umgebenden leeren ernähren lafs
ke. Und dies ließe fich wol hören, wenn man fich nur hütet
Dem Herakleitos den Gedanken unterzufchieben, ald ob bie Ges
Kime ihre Nahrung ald feuchte befämen, und fie durch irgend
thieriſche Lebenöverrichtungen erſt felbft in ihre, die feurige, Nas
tur verwandelten; denn davon iſt nirgend eine Spur, und feiner
ganzen Denkart fcheint Died vielmehr entgegen. Nährt fich alfo
auch die Sonne von bem Meere, fo find doch ihre Nahrung ges
wiß nicht etwa bie Ausbünftungen, die auch als folche ihrer Na:
60
tur nach naffes find und nur die obere Schicht des herakleiti⸗
[hen Meeres bilden; fondern es find eben die Ausbünftungen
diefer oberen Schicht, die roonel Garlasons welche nonsne
werden. Wenn man nun Died doc, annehmen muß, warum fol
man nicht auch bemerfen, daß in den einen Stellen von’ den
Sternen, in den andern aber von der Sonne bie Rebe iſt, und
bag alfo nach Herakleitos beide zwar fich von ben troffnen Düns
fin nähren, nur die Sterne vielleicht von bem was aus ber
Erde, die Sonne hingegen von dem was aus dem Waffer über
aoz geht in Feuer? Grade diefe Meinung wird den Stoifern zuge
fchrieben von Porphyriod (de Antr. Nymph. Ed. Holsten. p. 257)
Tolg Ö° ano tig goäag heavy u2v Topstar Ex Tg dns
ns Yalaoons avadvuınoewg Eloxsı, VEANvnV Ö” &x TwV
nnyaiwv xal noreuiwv Vbarwv, TOoVg Ö agegug EE ava-
Hvuaosws ng ano ıng is
wo doch wol niemand diefe verfchiedenen evadvuınasıg ald ih
rer Natur, fondern nur als ihrem Urfprung nach verfchieden,
und alfo jede wie anders modificitt, fo auch für andere Geſtirne
tauglich anfehn wird. In den unmittelbar vorhergehenden Wors
ten mag übrigens wol Porphyrios den Herakleitos meinen, und
ihn alfo von den Stoikern unterjcheiden wollen, wenn er fagt
dıinßefawürraı Ö& Tiveg xul 1& &v GEQL x OVERVE ETuoig
ToEpECdeL, &% Vauarav xel noteuwv zul tuv Alm.
vasvusacewv. Merkwürdig ift hier die Nichtachtung aris
ftotelifcher Terminologie in der Zufammenftellung von aruög
und avaedvuiaos., fo dag man glauben Fönnte hier lägen
ältere Worte zum Grunde. Nur druois 2E avadvnızasax
"dürfte Doch mol niemand gefagt haben, und man follte. viel
leicht Iefen za zwv aAlmv avadvuıaoiumv. |
Wein die Stelle iſt wol überhaupt zu ungenau um etwas dar
a aus beſtimmt zu folgern; ſonſt muͤßte man ſagen die Geſtirne
wären nie 7@ &v.a8os genannt worden und hierunter koͤnnten
nur andere atmofphärifche Erſcheinungen zu verftehen fein, welche
+‘
61
ſch mit den Geſtirnen zu theilen haͤtten in die Duͤnſte aus den
Gewaͤſſern und die andern; ob aber dieſe nur die aus dem Meere
oder auch die aus der Erde waͤren, bliebe immer ungewiß. Wie
dem aber auch ſei, wenigſtens in der ſtoiſchen Erklaͤrung treten
offenbar trokkene Ausdünftungen aus ber Erde neben die aus
_ den Meer ald Nahrung der Geftirne; unb da fchon mehrere
Spuren darauf führten dem Herakleitos ein folched unmittelbas
res Uebergehen der Erde in Feuer zuzufchreiben, warum wollten
, mir nicht dies im mefentlichen für herakleitifh halten, wenn auch
die Stoiker in deu Vertheilung dieſer Dinfte als Nahruffg im
änzelnen von ihm abgewichen fein follten? Und nun erfl möchte
es Zeit fein den entfcheidenden Stein hinein zu werfen, nämlich
eine Stelle des Diogenes (IX, 9 — 11) alfo lautend
yiveodas 62 avadvucosız (was hier offenbar nicht in dem
engen ariftotelifchen Sinne zu nehmen ift, fondern allgemein)
ano Te yis zal'Oaharrıg, üs uEv (alfo beiderlei aus bei:
den, da er ja nicht fagt eng uEv) Anungag xai xadapag,
ü5 dE oxorewas' wvssadhas dd TO uiv nũo nö zuv Aau-
i
acuv, To Ö2 VYE0V Und TWV ETEOWV.
Die glänzenden und reinen Dünfte alfo aus dem Meer und der 405
Erde find das Feuerwerden berfelben, fo wie die dunkeln theild
das uͤbergehende ſind aus der unteren tropfbaren Schicht des
agag 89 To negiiyovrı (oben ©. 398) demonſtrirt, ſagt
er dag in dieſen bie glänzenden Ausdünftungen ſich fammelnd
die Sterne bildeten; und aus dem wechlelnden Ueberhandnehmen
beider ber glänzenden und dunkeln erklärt er fo Tag und Nacht
als Sommer und Winter,. fo daß fhon in diefer frühen Natur:
Funde beides auf benfelben Berhältniffen beruht hat, je nachdem
fie ſich mehr im großen geftalten oder im Eleinen. Denn fo lehrt
dieſelbige Quelle ded Diogenes weiter, daB „bie glänzende Aus:
„duͤnſtung welche im Kreiſe der Sonne zur Flamme wird den
62
„Day Bilde, daß Ueberhanbnehmen ber entgegengefezten aber bie
„Nacht herdorbringe; und die durch bie glänzenden vermehrte
„Waͤrme den Sommer bilde, das durch die dunkeln aber über
„voiegend gewordene feuchte den Winter verurfache.” MWenm
nur nicht der Sommer in den folgenden Worten axoAovdwg 58
zovroig xal eg Twv GAlov airıokoyei plözlich alles, was
fonft noch in dee Region der feurigen Erfcheinungen vorgeht,
205 unferer Wißbegierde entzogen, und fo auch die Entfcheidung ber
Frage unmöglich gemacht hätte, von welchen troffnen Ausbüns .
fiungen welche Sterne, oder ob alle nur von der Zrziysıog, von
ber aus dem Meere aber die übrigen Erfcheinungen erzeugt wuͤr⸗
den, in Uebereinflimmung mit den alten Worten zgonei Fa-
Anoong ijuiovu NENSNO.
Schwerlic aber wird, wer dies alles in Erwägung zieht
und die zerftreuten Spuren verbindet, noch laͤnger bezweifeln koͤn⸗
nen daß nach Herakleitos auch die Erde unmittelbar fi in
Feuer aufgelöft habe, und alfo gewiß auch auf irgend eine und
unbefannte Weife dad Feuer zu Erde geronnen fei, und daß von
naͤmlich aus den atmofphärifchen Veränderungen und dem allge
meinen Leben der Natur er ſich jenen immerwährenden Fluß zus
fammengefchaut, in welchem von jedem Punkt aus alles fich in
alled verwandelt und weder Feuer noch Meer noch Erbe irgend
ein auch nur fcheinbar beftehendes Sein hätten, wenn nicht eben
jeder Verwandlung eine andere entfpräche und zwei entgegenge
fezte immer auf demfelben Punkt zufammenträfen. Denn dab
aus der Erde gedunftete Meer würde nicht bleiben, fondern eben :
fo ſchnell weiter fort fi) mwanbeln in Feuer, wenn nicht vermöge :
der entgegengefezten Bewegung auch das Feuer fi immer feuch
07 tete und audgöffe in Meer, und fo im Zufammentreffen beider
Bewegungen die Geftalt ded Meered feft gehalten würde; noch
ı auch würde dad aud Erde und Meer gewordene Feuer irgend
bleiben, fondern gleich wieder zurüfffallen in Meer und Erde,
63
l
wenn nicht auch diefe ununterbrochen: ihre Bewegung aufwaͤrts
wiederholten und das Feuer herftellten. |
IN. So ift e8 alfo gewiß eine Darftelung des Naturlau:
fes ganz im Sinne des Herakleitos, welche und Maximus Tyr.
giebt (Ed, Davis. Dies. XLI. p. 489)
OVoas oiv ra nadn, & aü ulv xalsig pÜopav Texuar-
puEvog TN TWV arıovıav Odw, Erw dd OWrnolev Texuat-
pauszvog zn Öadoyn wv uellövsuw. MeraßoiAnv Ogas
TOHLTmy xar yEveoewg, aAlayıV ÖÖWV VW XUTW KAT
söv Hoaxisıtov’ atdıs av lwvra udv ToV Exsivay Dom
varov, anodvnoxovra Ö8 nv Exsivov Lumv.
a man muß auch jenen ſtaͤrkſten Ausdrukk deſſen fi) Platon
dient, wo er doch wol nur Schüler de3 Herakleitos vorzüglich
inm Auge hat, @s To nav xivnoug nv, zei GAlo nap& TOUro
odiy (Theaet. p. 156. a) der Anficht des Meifters felbft nicht
uangemeffen finden. Denn nur in dem Auseinandergehn des
Seins nach diefen beiden Seiten, und feinem Zufammentreten
von beiden Seiten ber, wird und befteht und vergeht alles; fo
daß die Geſammtheit aller Dinge offenbar ihr Sein nur hat in
‚I dem Zufammentreffen der entgegengefezten Bewegungen, und nur «os
"Tfo.lange beide auf demfelben Punkte einander gleichlam hemmen
oder theilweife aufheben, irgend etwas in feſter Geftalt zu befte:
ben fcheint. Denn wo etwa die hinabwärtd gehende Bewegung
des Feuers der langfam hinaufwärtd gehenden der Erde nicht in
ben Weg tritt, da bleibt auch Fein Waffer, fondern ed geht weis
ter hinauf in Feuer. Und diefed eben, nicht irgend ein Streit
zwiſchen Stoffen, materiellen Principien ald folchen, fondern ber
Streit der entgegengefezten Bewegungen, ift jener Krieg, aus
velchem, wie alle Zeugniffe einftimmig behaupten, nach der Lehre
des Herakleitos alle Dinge hervorgehn. So Plutarchod (de Isid.
ei Osir. IE, p. 370)
| Uoaxieırog 12V yap ävrızoug n6AEuov Övouales na-
Teou xai Paoilen xui xUpI0v hdyrwv, nei ròov uw
wuiygwu a
64
ODunoov ebyousvov "Ex ve Demv Eoıy Ex 7 avdoasm
anortsodas AuvFaveıv P108 Ti, MAVTV yEVEoEs XETOQ-
uEvov, &x uayııs xal Avrınadeiag nv yEveoıv dyovrmv.
wo nur zu bedauern iſt, daß er die Lehre des Eyhefierd fo ganz
in feine Rede eingeflochten hat. Indeß deutet doch die drzınd
Vera ganz ausdruͤkklich auf jene zwei entgegengefezten adn,
bad Hinauf» und Hinabfleigen: oder die Erflarrung und Ver’
fluͤchtigung. Eben fo wenig wörtlich hat und Simplicius einm
00 Zufaz zu diefer Stelle aufbehalten (iu Arist. Praedie. f. 104.b),
wo er den Anhängern bed Herakleitos, wie andern welche „za-
vavrio Gpyas.Edevro, die Behauptung zufchreibt, daß wenn
bon den entgegengefezten eined auöbliebe, alödann alle Dinge ver
ſchwinden wuͤrden, und dann auf biefelbe Stelle des Herakleitos
anfpielenb hinzufügt
dıö xal ueugyeras To (unow Hoazasıros einovrs Sg Epıg
&4 Te denv Ex T avdgWnwv anoAoıro‘ 0lyYoscdas
- 760 no NAVTE,
Daffelbige wollen alfo aud die Worte bei Diogenes fagen yine-
oda navra zod Evavrıöınra (IX, 8), nur daß freilich einen
fo abftracten Ausdruff niemand dem Herakleitos felbft- beilegen
wird, wol aber in dem „nolsuog nano navrwv“ etwas wört:
liches erkennen, was eben fo noch vorfommt bei Proklos (Com-
ment. in Tim. p. 54)
xcet ei 0 yevvaiog Hoaxksırog eig tavınv (au die allge
meine dvavriwoıg) anıdav Eheye nölsupg nano nde-
Twv, „der Krieg ift aller Dinge Vater” ody oürwg arönag
&lsyev’ wo die Structur beftimmt anzeigt daß er wenigſtens
geglaubt hat den Herakleitos wörtlich anzuführen. |
Hierauf wird auch angefpielt Schol. Veo. Il. IV, 4. angeneg
paoıv Ei Teones Toig Yeovg noltumv. Den. aAı OUxX Ange-
. more’ TE yüp yevvala Eoya Tepner klug Te molsuor xalb
nayaı nulv deıwa Öoxei, ta ÖL dew oVÖL raüra desva
ovvrsleiyap Enavra 0 FEög NO0Og apuoviav ray"
65
&iluy 7 zul 509 0ixovounv Ta ovupegovre, Önco
xa) 'Hoaxisırog Asyeı, ws TW uEv den vor ner Fenv Cod,
Lip.) xala navıo za ölxaıe, avdgwnos uiv adıza
Imulpanı, & 68 dixaıe. Die Anführung bes Herakleitos fon
mr auf das ihr voranftehende ſehen; aber wörtlich eignes ift ge:
viß auch dort nicht zu fuchen. So fagt Ariftoteles
33. Kal “Hoaxleıros To avrifovy GvupEoov, xai
ix ToV ÖLaypegöovrav xahlignv Gouoviav, xal
noyra xar &pıw yiveodaı (Eth. Nicom VII, 2); denn fo
ift wol diefe Stelle anzufehn, daß die erften beiden Säze faft
buchſtaͤblich Redensarten des Herakleitos find, der lezte mehr
allgemein zufammenfaffende aber dem Arifloteled eigner angehört.
Das entgegenftrebende nämlich iſt das einige heilfame zur Ers
haltung der Dinge, und jedes befichende, jede Zufammenfügung
R nur möglich aus dem verfchiedenen der Bewegung. Und
daſſelbige ift gewiß auch der wahre Sinn ber Stelle welche Pla⸗
ton, und zwar in fo fern er die Ausdruͤkke tadeln laßt gewiß
|
buchſtaͤblich, anführt (Conviv. p. 187. a)
1
worso (nämlich dag auch die Tonkunſt vorzüglich darauf bes au
ruhe feindfeliges einander zu befreunden) Zowg xal "Higaxkeı-
zog Bovieras Atyeıv» Enel Tois yE 6muaoıy 0U xalmg M-
ver TO yao Ev ynos ÖLapsgouEVov avro avıy Evu-
pigeadaı Wonee @guoviav Tofkov xai Avpag.
Denn ob fich Herakleitos des Ausdrukks co Ev bedient habe,
lann bezweifelt werben, da er dem Platon zwar fehr geläufig
if, und fich alfo Leicht kann eingefchlichen haben, in den Bruch:
ſtuͤkken des Ephefierd aber fich fonft keine Spur davon findef.
Es müßte denn eine folche verborgen fein in einer Stelle bei
Diogened (IX, 12) und bei Suidas (v. Anduog xoAvußmeng),
weihe auch ald Ueberfchrift des herakleitifchen Werkes anfuͤh⸗
in, jener T0r0Vv x00uov Evög Twv Euunavsav, dieſer x00-
aov zoom Evög Tav Evunavrwv, wo wenn man nicht fehr
sk derwegen mit Kuͤſter emendiren will x0ouov Tgonwv: Evo
bqleierm. 8. II. 2. &
66
avıı Evunavıov, man wol mit mir lefen wird x00u09 TOO“
sv Evög 7 Evunavrov, „die Anordnung der Verwandlun⸗
gen bed Einen oder aller Dinge;“ nur daß man ed auf feinen
Fall ald eine Weberfchrift annehmen muß. Gewiß aber ift das
Örapegousvov - £ungegeodeaı ganz dem Herakleitos aͤhnlich.
Man vergleiche auch No. 27.
2 Dog nun Eryrimachos hier feinen Schuftſeler mißverſteht, ob
mit oder ohne Platons Wiſſen bleibe uns unentſchieden, iſt wol
ſehr deutlich; denn man ſieht ja daß die Lyra nur als Beiſpiel
angefuͤhrt wird, und zwar neben dem Bogen, weshalb ſchon von
der Tonkunſt nicht die Rede fein kann, und aguovix nicht kann
.. in dem mufifalifchen Sinne flehn. Sondern Herakleitos redet:
- auf jeden Fall irgendwie von dem Lauf der Natur und braucht
von ihr das Ösuampeoousvov Evugeosodaı, daß nämlich das
feiende auseinandergehend nach den beiden entgegengefezten We:
gen zugleich doch. zufammentrete um die VBerfchiedenheit der Dinge
in der Welt zu bilden, ganz in der genaueſten Uebereinftimmung
mit dem fo eben aus Ariſtoteles angeführten. Und eben weil
dies fchon an fich fo wahrfcheinlich ift, Eönnen wir uns um fo
“ zuverfichtlicher auf eine plutarchifche Anführung oder zwei beru
fen, an bie fi jene Stelle Durch ihre lezten Worte anfchließt,
und in denen baffelbige grabezu von der Welt, der Ordnung ber
gefommten Dinge gefagt wird, fo daß fich beide gegenfeitig aufs
vollfommenfte ergänzen und erläutern.
34. Haiivrovog yag apuovin x0cuov, 0%00-
neg Avong xui tobov xad” "Hocxisırov (de Isid, et
Osir. II, p. 369), und in indireter Rede als Beſchraͤnkung
‘as von dem Leben bed Ganzen in dem Sinne des Herakleitos
. nur mit Veränderung eines einzigen Wortes (de auim. procr.
U, p. 1026) "Aloaxisırog dE nakivroonov apuoviay
x00u0v Öxwonse Avons xal Tofov.
Hier wird nun mit demfelbigen, der Zufammenfügung ber Leier
und bed Bogens, verglichen die Zufammenfügung der Welt, und.
67
fe naAivrovog apuovin xbouov muß alfo auch dem Weſen
ach dafjelbige fein wie jened duapegouevov Euvupsosodas, es
anın Das Subject dazu auch die Welt gewelen, ober bad Eine,
kimbe, oder jegliched aus der Gefammtheit der einzelnen Dinge;
dm das bald Audeinandergehen und Gefpanntwerden nach irs
ab einer Seite, bald wieder Zurüfftreten in den vorigen Stand
wb Nachgelaffen werden, muß, wie bie ganze Thätigkeit der
Spa und des Bogens, fo auch das ganze Leben der Welt auds
Allein man koͤnnte einwenden, in der erften Stelle des Plus
ürchod fcheine Die Sache gar nicht von biefer Seite genommen,
mdern vielmehr die Rede zu fein. von dem wechfelnden Zufams
infein des guten und des böfen, wie nicht nur die ganze Ges
ankenfolge im allgemeinen zeige, ſondern auch noch beflimmter
e unmittelbar nach den Worten des Herakleitod offenbar zum
jeweiſe deſſelbigen Sazed, wie aus ber. Anführungdformel xul
se? Evosniönv erhellt, beigebrachten Verſe des Euripides Ovx
vyevoıza zwpig Zodia xal xaxı, AAN Ess Tig OVYRQADIG a6
g &yav xalmg- und daß Herakleitod die Worte wirklich in
jeſem Sinne gefchrieben, beftätige auch Simplicius, der eben
iht feine Weisheit aus Plutarch zu fchöpfen pflege, und dem
e Stelle ganz bei berfelben Gelegenheit einfalle wo er fagt (in
kys. Arist. f. 11.a) @g "Hoaxisırog TO ayadov xal To x0-
09 &ig Tavröv Atymv ovvivar Öiany Tofov xal Avoag.
Im nun Diefe. freilich nicht abzuläugnende Verbindung, in wels
ber jene Worte vorgekommen find, und fomit erft den eigentlich
kn tiefften Sinn der Formel felbft zu verftehen, Die gleichſam
ie Angel der ganzen herakleitiſchen Lehre ift, müffen wir uns
Mauben, etwas weiter auszuholen, und vorgreifend manches
fer aufzuftellen, was erfi durch alles folgende allmälig kann
riwielen werben. Wenn nämlich alle Dinge gleichermaßen au
von Zufammentreffen der entgegengefezten fich unter einander
wihaltenden und hemmenden Bewegungen entſtehen, und al
4 € 2
68 /
gar nicht durch fich felbfl find, fondern nur von außen in jedem
Augenblikk aufs neue werden: fo haben fie alle gleiches Recht
und gleichen Antheil an dem Sein und Wefen des Ganzen; und
wenn von diefen vergänglichen Formen Eine gewählt werben fol
“sum gleichfam zum Schema des Seins und der Einheit, ihr
Uebergang in bie andern aber zum Schema bed Werbend und
der Vielheit zu dienen: fo fcheint jede dazu gleich gut zu fein.
Denn man kann eben ſowol fagen, die Welt -fei eine immer
flüffig werdende und fchmelzende aber auch immer wieder fich
niederfchlagende und erflarrende Erbe, oder ein immer in euer
verhauchended und Erde abfezended aber auch aus beiden fi
immer wiederherſtellendes Meer, ald Herakleitos, wie wir wii:
fen, (f. oben S. 374) gefagt hat, fie fei ein theilmeife immer ver:
Yöfchendes und fich wieder entzündendes Feuer. Daß er aber
dennoch nur dieſes gefagt hat und nicht jened, hat feinen Grund
darin, daß ihm eben nur die Bewegung dad reelle und lebendige |
war, die Ruhe und der Stillſtand aber dad nichtige und todte,
Alſo onnte ihm auch nur das bewegliche, alled durchdringende
und in Bewegung fezende zum: Schema dienen für dad wahre |
Sein. Nun aber find von feinen drei Srundformen, Feuer,
Meer und Erde, offenbar Meer der mittlere Punkt, Feuer und
‚Erde hingegen die Endpunkte, von denen nur die Erde und al:
les ſtarre am meiften in ber Natur die Ruhe darftelt und bad
Bleiben in bemfelben Zuftande, und eben fo dad Feuer am mei:
flen die Bewegung, weshalb er denn dieſes auch allein zum
Bilde ded wahren Seind wählen konnte. Das Meer aber, wie
«16 und fchon Clemend gelehrt hat, war ihm bad Bild des endlichen
Seind, des Werdend „To wg oroue ne Öaxoounoews“ und
Dagegen die Erde das Bild des Todes. Womit denn auf Dad
genauefte zufammenhängt, daß nur die Bewegung nach oben,
deren natürliched Ziel dad Feuerwerden ift, ihm vermochte Das
Gute zu fein, nämlich dad zum Leben führende und dad Leben
in ſich enthaltende, voie auch der Stoiker Chryfippos gefagt hat in .
69
(inem erften Buche von ber Vorſehung (Plut. de Stoie, repugu.
p. 1053) „daß im Feuerwerden auch das feelenlofe in der Welt
„sich in befeelted wandele;“ und gleich wie dieſer fortfahrend .
fagt, daß „in des Feuers Verlöfchung auch das befeelte fid) um⸗
„wende zum Eürperartigen:” fo mußte bie Bewegung nach unten,
welche ihr Ende findet im Erflarren und Erdewerden der Dinge,
auch dem Herakleitos dad Böfe fein. Da er nun wie wir ge
fehen haben von den größten Bewegungen der Natur einige er-
Iannte ald folche in Denen das Feuerwerden die Oberhand hat,
andere aber als folche in welchen das Berlöfchen und Erdewer⸗
ben hervortritt: fo konnte er grade in Beziehung auf dieſe fagen,
daß die zwifchen Spannung und Erſchlaffung ſchwankende Zu-
fommenfügung ber Welt ein Wechfel fei zwifchen dem Ueberge⸗
wicht des guten und bed böfen, wiefern nämlich der Tag und
der Sommer und die Wärme und alles auf diefe Seite tretende 417
ein Uebergewicht des guten ift, Nacht aber und Kälte und Wins
. te und alles ähnliche des böfen, und der Zufland der Welt im⸗
mer wechfelt: zwifchen diefen. Und daß er wirklich, als er das
Bild brauchte von dem Bogen und ber Zeier, gutes und böfes
in biefem Sinne genommen habe, beweifet nicht nur biefelbe
Stelle des Simplicius, welcher nach ben oben angeführten Wor⸗
tm alſo fortfährt
„os xal Edoxsı Hess“ was aber eine Feaıs heiße, erinnere
fich jeder aus Ariftoteled (Top. I, 9) „Agyeıv dia TO ovrwg
@dıopiswg yavar, Evsdeinvvro Ö2 nv Ev ın yeviocı Evag-
‚uoyıov nik av Bvavrriov‘ Herakleitod habe gefchienen ei:
nen Blendeſaz vortragen zu wollen an diefer Stelle, weil er
fi fo unbeflimmt ausgedruͤkkt, er habe aber angedeutet die
zur Zufammenfügung gedeihliche Mifchung des entgegengefez-
ten in bem Gebiete des Werdens;
findern es wird auch beftätiget Durch eine Stelle des Porphyriog,
weicher wo er von den Gegenfäzen in ber Natur überhaupt re:
dt, (de antr. Nymph, p. 268 Ed, Cantabr.) fobald er auf eben
70 ü
r
diefe gekommen iſt „zo uEv avaroAımov To 68 Övrıxov, zas
Ta ulv agıgega va 02 debian,‘ auch durch Himmelöpunfte bes
«us flimmt von einigen buch Nord und Süd, von andern durch
Oft und Welt, „vv& re za nusoe,“ ſich auch gleich unferer
Stelle erinnert und binzufügt .
xat da ToVTo nalivzovog 7 Gpuovie, xal Tokov, Ei did
zwy Evevriwv. Denn niemand wird hoffentlich zweifeln fo
durch einen einzigen Strich. nicht nur der Unübertragbarkeit
fondern auch der Unfinnigfeit diefer Stelle ein Ende zu mn
chen. Oder hat wol jemand fchon ;verflanden was es heißen
koͤnne, wenn bier flände xal To&sveı dia TWv. Evavriort
Und wenn man liefl «7 Tofedes, wie die Ausgabe ‚von van
Goens, die ich nicht bei dev Hand, habe, zu leſen fcheint, fo
würde ich died eben fo bequem verwandeln in 7 zosov.
Und hieraus erklärt fich auch am. beflen, wie unmittelbar hinter
jene plutarchifhe Stelle vom Kriege ald dem allgemeinen Vater
aller Dinge, die oben unter N. 30 (S. 394) ‚angeführten hera⸗
Heitifchen Worte gekommen find. Denn da das. Gute und dad.
Boͤſe, beide entgegengefezte Bewegungen, nach unaufgehaltenem
Fortſchreiten ſtreben: fo iſt eben der Krieg. zugleich dasjenige was
Recht fchafft und. jede in ihrem Maaß zuruffpält, oder fie, wenn
fie daS Uebergewicht gewonnen hat, wieder ftraft, „Wohin auch
ein kurzer Saz zu gehören fcheint, den und Origenes aus Celſus
. aufbehalten hat, von dem er (adv. Cels. VI, p. 663) fagt
419
35. &49° döng Tovroig ..... gmol Yeiov Tıva noAeuoV
aiviıseodaı Tobg nahaols, " Hogaxksırov ulv Atyovra wöe'
: Ei ö2 yon vcovV noAeuoY Eoyra EvvoV zar ÖixnV
EgEIV' al yıvousva navra xarT &g4V xal ygE-
wuerven. Mo nur freilich vieles verdorben iſt; denn ägeiv
kann nicht recht fein, und. zoswmeve iſt nicht. zu verſtehen,
wenn man nicht mit dem älteften Ueberfeger erklären will „ge⸗
mweiffagt gleichfam, im voraus erfannt‘ werde alles fchon ver⸗
.. möge des Streited. Auch befremdet das. Anführen eined blo⸗
1 *
Gen Vorderſazes auf diefe Art. Doch fcheint ed zu kühn, wenn
man um ben Saz herakleitiſcher herzuftellen, das ei dd xon
ift es gewiß nicht, leſen wollte eidevaı yon — xal dixnv,
Eoıv „Man muß willen, daß der Krieg bas gemeinſame iſt,
„und das Recht der Streit.“ Fuͤr das folgende aber weiß
ih um fo weniger Rath, da dad xuL vielleicht ſchon eine zweite
Stelle anfängt. |
Sprach nun Herakleitod von dem Kriege in dieſem Sinne, und
ſtrafte bei dieſer Gelegenheit den Homeros: ſo konnte er ſehr
leicht, da ja auch der Weg nach oben des Krieges und des Ge⸗
gengewichtes bedarf, wenn nicht alle Dinge dahinfahren ſollen,
in demſelben Zuſammenhange, und ſo daß vielleicht nur weniges,
dazwiſchen fehlt, auch dieſes von der Sonne dem Erzeugniß des ꝛ0
Weges nach oben fagen, daß ſogar fie wenn fie ihr Maag wollte
überfchreiten von den Gehülfen der Aixn müffe gefunden wers.
den, weil wechfelnd. um die Welt in ihrer Zufammenfügung zu
erhalten auf ein Webergewicht deö Guten auch wieder Folgen müffe
ein Vorwalten des Böfen. |
Wie nun die Gefammtheit aller Dinge eine ſolche Zuſam⸗
menfügung aus dem entgegengefezten iſt, fo auch jedes einzelne,
und auch jede befondere Form des Seins befteht nur darin, dag
die beiden Wege fich vielfältig, kreuzen, und dadurch verſchiedene
Verwandlungsſtufen, bei jeder in einem eigenthuͤmlichen Verhaͤlt⸗
niß zuſammengehalten werden. Aber nur bei den Elementen oder
Grundformen iſt dieſes einfach und leicht zu ſehen, bei den im
engeren Sinne lebendigen mehr ausgebildeten Geſtalten aber zu⸗
ſammengeſezter und ſchwieriger. Daß dies Herakleitos geſehen,
und den lezteren deshalb einen Vorzug vor den erſteren zugeſtan⸗
den bat, lehrt und ein wol nur in dieſem Zuſammenhang vers
fiandliche8 Fragment bei Plutärchod (de anim. procr. p. 1026)
36. "Aguovin yap EPavns Pavsong xX0ETTWV,
za “Hocxieırov Ev 7 offenbar bezieht fich dies auf apa-
vije zurüft rag Sapopas xab Ereporntag 6 yıyviwv Heös
72
Exovys xab xaredvoes. Denn das Iezte kann man ſchwer⸗
au lich noch als buchftäblich anfehn, da durch dad usyrinv eine
fremde Anficht durchleuchtet, wiewol dad eve zul xare-
Ivoev eine fehr ächte Beſchreibung des agavns ift. Daher
mag dies wol aus einem floifchen Außleger fein, der gern Prunk
trieb mit zierlichen platonifirenden Redensarten.
Ob aber. Herakleitos auf genauere Befchreibung und Erklärung
ber verfchiedenen Geftalten des Lebens fich eingelaffen, ober ob
ber Zadel gegründet ift, bag er nicht ind einzelne gehe, dies find
wir nicht mehr im Stande zu entfcheiden. Denn für uns fliehen
ganz einzeln in diefer Art die beiden Nachrichten, „Er habe da3
"„volftandige Sein ded Menfchen anfangen laſſen mit dem vier:
„zehnten Zahr, weil von da an die Samenfeuchtigkeit abgefon-
„dert werbe, und auch die Vorflelung des guten und böfen und
„Die Feftigkeit der Belehrung darüber ſich einftele” (Plac. Phil.
V, 23. Galen. phil. bist. Ed. Venet. p. 34 b) und „Er habe bie
„Länge einer Generation beftimmt auf dreißig Iahre, weil bin
„nen dieſer Zeit von der Erzeugung: bed Erzeugerd ar gerechnet
„da erzeugte ſich auch ſchon wieder ald erzeugend darſtelle“
(Plut. de Orac. def. II, p. 415); was grade folche Bemerkungen
find, die Teicht Fonnten gelegentlich angebracht werden und nicht
«22 nothwendig großen phufiologifchen Reichthum vorausſezen. Daf:
felbe gilt von der Eleinen Notiz ..
37. navy yap Eoneröv TnVv nV vEueras @g pnow
Hoaxieırog (de Mundo c. 6)
welches wahrfcheinlich doc) fagen fol „Alles Gewuͤrm nähre ſich
„von ber Erbe” vielleicht um zu zeigen daß dieſes eine niedri⸗
gere Stufe des Lebend einnehme; wenn nicht corserov auch hier
noch die weitere homerifche Bedeutung hat. Und eben fo im all:
gemeinen halt fich auch jened zur Bezeichnung der verfchiebenen
Formen des Lebens, was Platon erwähnt (Hipp. mai. p. 289)
38... . örs 16 rov "Hoazisirov ev ya Ws üoa Ar
Inxwv ö zallıgog aloygos avdownivo (wie ich
J
— — 27
73
mt Heindorf leſe ſtatt EAAo) yEyes ovußakeivy, und dann
weiter unten 7 0U xal “Hoaxisırog Tavröv roũro Atya 09
ou dnayn örı avdgWnwv Ö TopWTarog oög HEöv
nidnxog paveiras „Der ſchoͤnſte Affe iſt haͤßlich mit
„dem menfchlichen Gefchlecyt verglichen.” Unb — wiewol dies
leztere vielleicht nicht fo buchftäblich ift „der weiſeſte Menſch
‚ft gegen Gott nur ein Affe.”
Ja will man Vermuthungen wagen, fo fcheint die Art wie er
fih im allgemeinen über die Bedingungen ausdrüfft, unter wel:
ben die einzelnen Dinge entfliehen und beftehen, eben nicht auf
eine ſehr klare Einficht in das einzelne zu deuten. Denn eds
fheint er habe die Gefeze, nach welchen auf verfchiedene Weife
bie entgegengefezten Bewegungen einander bald hemmen bald
wieder frei laffen und Dadurch die einzelnen Dinge erzeugen und
zerftören, unter dem alten Dichterifchen Namen „Ziucoueyn“
bargeftellt, der immet vorzüglich der dunkeln unbegriffenen: Noth⸗
wendigfeit gegeben ward. Died erhellet aus verfchievenen mit
einander zu vergleichenden Erklärungen barüber was Herakleitos
unter eiuagusvn gemeint habe. Zuerft jagt Stobaͤos (Ecl. Phys.
I, p. 58)
Hoczısıros —, einapuevnv 62 Adyov Ex Ts ivavrıodgo-
piag Önusovgyöv zuv örrav. ’Die Beſtimmung, dad Ge
Schiff, oder wie man wolle, fei nach Herakleitos dad aus dem
Gegenlauf alle Dinge bildende Verhaͤltniß. Denn biefer Er:
Plärung von Aoyog müffen wir wol, wenn nicht fehr dringend
dad Gegentheil geboten wird, vorläufig treu bleiben, da wir
oben in eigenen Worten bed Herakleitod Aoyos in bemfelben
Sinne gehabt haben. Nur fo kann auch ohne Zabel Dioges
ned, der doc aus ähnlichen Quellen fchöpfte, nur fchlechthin
fagen (IX, 7) navre Te yiveodas xaF einagusvnv, xab
die rg Evavrıoryonng neuoodaı Ta navre. „Alles ges
„ſchaͤhe nach ber Beſtimmung und durch bie Gegenwand⸗
” „lung würden alle Dinge zufammengefügt.” Wos alter run aa
74
: yavrsodgoulo und biefe lvavrıoroonn ‚bedeuten follen Mi
klar, naͤmlich den Gegenfaz in ben beiden Bewegungen und
in den Berwandlungdflufen des Seins, und genau’fo bezieht
fich jened auf den einen herakleitiihen Ausdrukk Odos, Diefes
auf den anbern zgony. Und offenbar find wol biefe Mörter
von den floifchen Auölegern des Ephefierd gebildet um feinen
Gedanken nach ihrer Weife darzuftelen. Denn er felbft hat
in folder Form Erklärungen wol nicht gegeben, und ſiſchet
Gepraͤge tragen ſie ſtark.
Anderwaͤrts ſagt derſelbige (Ecl. Phys. I, p. 178, womit, aus⸗
genommen daß dad lezte auögelaffen iſt, faſt wörtlich überein-
ſtimmt Plac, phil. I, 28)
‘
425
HoaxAsıros oboiav einapusvng anspeivero Aöyov tov dia
oVcieg toõũ navrög Öinxovra. Aürn 6° Est TO aidegion
Our, ANEQUR TNS TOU NaVEOg YEvEoswg, Xu EQLOdOV
uſroov Terayuevns. Auch. hier ift keine Noth Aoyog anders
zu erklären, als daß bie einaguevm.ift „das des Ganzen Sein
durchdringende Verhaͤltniß“ namlich) des Gegenfazed in allen
‚feinen mannigfaltigen Abflufungen; fo daß beide Erklärungen
offenbar daffelbe befagen. Das avrn aber möchte ih auf
odoie ou navsög beziehen und die Worte aürn . . . yen-
‚oswg als einen Einfhub anfehn, weil ber Sammler die Ge
legenheit noch eine Definition anzubringen nicht wollte vor:
beigehen laſſen. Denn diefe beiden Erklärungen ſchikken ſich
weit beſſer für die odoin Tov navrög, welche doch in Ver:
gleich mit dem fie burchdringenden Acoyog das materielle iſt.
Vom grammatifchen welches ohnehin diefe Beziehung gebietet
rede ich nicht, da freilich fehr leicht wäre anzunehmen daß 7
aven, geftanden habe, wenn der Sinn oder andere Autoritä-
ten ed verlangten. Wie aber die Worte bier ſtehn, iſt es
feine levis mutatio daß in der galenifchen phil. hist, flieht 77 d2
; eiuapusvn Esiv aidegiov x. 7. A. Jedoch möchte wol biefe
ſehr jhlehte Sammlung niemand ald Autorität annehmen.
—
Zu 75 ,
Sn den lezten Worten, welche Stob&o8 allein hat, möchte man,
wenn fie nach obiger. Voraudfezung auf die erfie Erklärung
der einogneun follen bezogen werben, flatt xal lieber leſen
XOTO,
Aus diefen Erklärungen folte nun wol: jeder ſchließen, Gehalte
t08 habe fich des Ausdrukks eiumpuevn bedient, um die be-
fimmte Weltordnung zu bezeichnen. Nun aber will eine Stelle
des Plutarchos, aus der wir fchon mehrere Worte des Heraklei-
tos angeführt haben, behaupten, dieſer Ausdrukk wäre dem Ephe⸗
fer fremd. Sie lautet (de anim. procr. p. 1026) ſoviel wir da⸗ 426
' von hier bedürfen fo: ovAlußodo« Öä To ravıov.. . ..Lwn Te
TV navrog Esiv Euppwv zei üguovie zus Aöyog Ayo gtet-
do ueusyuevnv anayanv, nv Einapusvnv ob noAlol xalov-
om, "Eunedoxing Ö2 gıliav Ouov xai veixog, Hoaxisırog 62
anhiyzgonov x. Fu... Nun mag man bad 7v auf avayın
zehn, oder was mir richtiger fcheint annehnten daß es flatt 0
Behend den ganzen Saz wieder aufnehme, fo fteht Fiuagusvn
ar als ein trivialer Ausdrukk da, welcher hernach überfezt wird
in bie verfchiedenen Anfichten ber Philoſophen von jenen Lebens:
geſezen des Ganzen ‚und der daraus hervorgehenden Beflimmt:
beit des einzelnen. Allein bier iſt wol viel darauf zu rechnen,
. 5 Plutarchos alle diefe Anfichten. neben einander ftellen wollte,
und nicht eben daran dachte, wo vielleicht auch Eiuaguevn ein .
thnifcher Ausdrukk wäre. Und was die Sache außer Zweifel
9 fegen ſcheint, ift was de plac. phil. I, 27 gefagt wird, Hoe-
alsıros navza za sinagusvnv, TnVv öt aurny xl avayınv.
Dies kann nur ein floifcher: Ausleger gefagt haben im Gegenfaz
gegen die Erklärungen feiner Schule, welche einen Unterfchied
achte zwilchen Riucouéyn und avayan, und er Eonnte kaum
wf eine ſolche Darftelung gefommen fein, wenn fih nicht He
nakleitos jenes Ausdrukks in der That bedient hätte. Denfelben
Irfprung haben offenbar auch die Worte des Theodoretos (Vol, 42
N, m 851) xaı 6 "Hlgaxisırog d8 nova xud einapuiu
\
76
etonte yiyveodaı. "Avayıny Ö2 iv elunpuevnv ra ov-
zog wvöuaece. Nur daß er nicht recht Mar fah worauf es
eigentlich anläme. Doch fei der Ausdrukk gewefen welcher er
wolle, fo, hat gewiß wenigftend Herakleitos den Gedanken an
Allgemeine feflftehende Naturgefeze in den Werwandlungen der
Dinge auf das beflimmtefte aufgefaßt, wie auch noch aus einer
Stelle des Simplicius erhellt (in Phys. f. 6. a) wo er den Hip:
pafos und Herakleitos zufammenftellend als ſolche welche alles
aus dem Feuer entftehen und in daſſelbe wieder auflöfen Taffen,
üg Tavıng mas OVong Pioewg vg Unoxeuevng, hinzufügt
grvpög Yao &uosßnV eivai gaoıv. “Hoaxkeıros Ö2 navre
rosi xat Tabıy TIVa al 00909 ogLousvov TS roũ x0-
ouov uerafoAng xaere Tiva eluaguevnv Gvayımv. Wo
man gewiß eine durch Auslaſſung entflandene Umftellung an-
nehmen und leſen muß svpog- yap auoıßijv navra eivai
_ gaoiv, “Hoanisırog Ö2 no xal rakıv n.f.w. Wenn
man nicht dem Simplicius von dem Unrecht helfen will dag
- er dem Hippafos ebenfalls jenes zufchreibt von der auoıfr mv-
0ös, und deshalb vorzieht zu Iefen nupdg yap auoıßmv eivai
grow "Houxksırog Ta navsa" ori 62 zur u. f. w.
es Go war bem SHerafleitos auf der einen Seite das Beſtehen
ober vielmehr das immer wieder Erzeugtwerden der Dinge duch
das gleichmäßige Zufammentreffen der entgegengefezten Bewegun⸗
gen allerdings ein Schikffal, und nur aus einer vorherbeſtimm⸗
ten fi) immer gleich bleibenden Nothwendigkeit zu erklären, fo
daß ed ein ganz herakleitifcher Ausdruff ift was Platon (Theaet,
160 b) fagt 7 avayın nv ovciav ovvösi, und dag wenn He
rakleitos von hier aus, wie wol zu erwarten, eine ethifche Aus:
‚weichung machte zu Löfung ber Frage, wie fich nun ber Menfch
gegen ben derfelben Nothwendigkeit unterworfenen Wechfel der
"Dinge zu verhalten habe, ihm nichts übrig bleiben konnte als jerted
: Wohlgefallen, wofür Theodoretos und den eigenthümlichen Ausdrukk
des Herakleitod aufbehalten haben will (Vol, IV, p. 984 Ed. Hal)
\
77
„Kat "Hoczieıros H8 6 ’Ey£oug Tv ud nooonyopiar
„peteßahe,“ die Rede nämlich war von der ndovn bed Epi⸗
kuros und der eüdvuia des Demokritod, „av: dd dıavomav -
"moaraltloınev‘ Ave yap Tng Ndovng EVRQESMNOEV TE-
„Vesxev“ wenn nicht etwa eben ſtoiſche Ausleger den Theo⸗
doretos uͤber das Wort getaͤuſcht haben;
und welches ihm durchaus natuͤrlich ſein mußte, da ja nur in
derſelben Nothwendigkeit auch das Daſein des Menſchen. ſelbſt «0
gegruͤndet iſt. Auf der andern Seite aber, in wiefern alle eins
ielnen fcheinbar beftehenden Dinge nur gleichfam nebenbei her⸗
vorgebracht werden, indem bie univerfellen Kräfte ihren Gang
gehen, und alfo von den lezteren aus angefehen die mehr indie
viduelle Formen des Dafeind ‚nur zufällige Ergebniffe find, Fonnte
gar wol Herakleitos die Welt, die Gefammtheit der Dinge, auch)
ald nur ein Spiel der eigentlich wirkenden Kräfte betrachten.
Died erzählt und Clemens, aber merkwuͤrdig ben alten Weifen
mißverſtehend oder verbrehend (Paedag. I, 5. p. 111)
"Ayakkıcrar rò nveüua wv Ev Xoiso nasdiuv Ev üno-
uovn nolstevousvov* xal vurn n Yeia nasdıc. Torev-
any wa nailsıv naudıav Tov Eavrov Ai "Hloaxkeırog
Atyes. „Und diefed,” wie nämlich der Geift der Kindlein in
Chriſto fröhlich ift wenn fie in Geduld wandeln, „ift das goͤtt⸗
„sche Spiel. Und ein folches Spiel, meint auch wol Heras
„Meitos, fpiele fein Zeus.”
und wer eine fo verfchrobene Anführung nicht für ficher genug
halten folte, um irgend etwas daraus zu nehmen, dem fagt es
deutlicher Proklos (Comment. in Tim. p. 101) ;
"Allos öôè xaL ToV Önuiovoyöv Ev To x0ouovpyeiv nailsıy
eionxaos, xudarneo "Hoaxksırog.
Daß alfo eben in dem Weltbilden Zeus fpielt. . Aehnliches hatte «50
auch Lucian vernommen, ber den Herakleitos nach den Worten
& ı7 Tov aiwvos naudın fragt Ti yap 6 iv ds; und ihn
antworten laͤßt reis mallar, necastwv, Ösayegöptvag, age
\
78
\ _
liches und uneigentliches durch einander werfend. Wurde nun
diefe Anficht ftärfer hervorgehoben oder mehr einzeln auseinans
dergelegt, fo Fann daraus gar leicht eine folche Rede zum Nach⸗
theil des Ephefierd .entftanden fein, wie fie und Nemefios aufbe⸗
wahrt hat „daß Demokritos, Herakleitos und Epikuros weder
„für daS allgemeine noch für das einzelne eine Vorfehung zuge:
„ben wollten” (de nat. hom. Ed. Ox. p. 310), Auch Philo
ſpricht ahnlich (Alleg. leg. II, p. 62) 6 d2 yovogsuns (nämlich
2öyog) dx xoouor navra xl Eis X00U0V Avaywv, Und FeoU
ö2 und2v olöusvog yeyovevas, “"Howxksıreiov ÖöEng Ereigog,
xöpov xaL yonouoovvnv, xal Ev TO nüV, xal navım Guoußf
eioayav* und fo koͤnnte ganz unfchuldig auch in diefer Hinficht
der Mann mit denen zufammengeftellt worden fein, welchen er
am meiften entgegengefezt iſt. Ja wenn es nicht zu kuͤhn wäre,
über ein einzelned abgeriffenes Wort eine Vermuthung zu wa
gen: fo möchten wir vielmehr mit diefer zwiefachen. Anficht von
Nothwendigkeit und Spiel in Verbindung bringen, was. Jam
blichos 'erzählt, daß Herakleitos die Opfer „axex Heilungen ge:
ssı nannt habe, fo nämlich daß er geglaubt, wenn z. B., augenom⸗
men ein beflimmted Gleichgewicht zwifchen Leben und Tod, frei-
willig etwad auf der Seite des Todes zugelegt würde, man ba:
durch etwas auf der Seite bed Lebens in Gefahr. fhwebendes
erhalten und retten koͤnne, gewiß nicht ohne eine mgovose, wenn
anders auf dieſe Weiſe Ein einzelned auf ein anderes beftinmtes
wirken fol. Mag man auc, urtheilen dies fei ein. fuperftitiöfer
Auswuchs, fo fcheint Doch dieſe Erflärung der ganzen Gebans
Fenreihe ded Mannes angemefjener zu: fein, ald die welche Sam:
blichos .felbft giebt (de myster. Sect..I, c. XI) „xui ds® Tovro
„eixotws ala „uxea“ Hoaxisırog npooeinev wg 2Euxeao-
„ueva Ta ÖEIVE ol Tag ıpwyag.Ebavreıs ünsoyalousve Toy
„Ev TM YEvEces Ovupopwv.“ Denn hierin fieht jedermann zu
deutlich den Platoniker. Und auch das ſuperſtitioͤſe wuͤrde ſehr
gemildert, wenn man mit rechtem Vertrauen fußen koͤnnte auf
⸗ 79
eine Stelle bei Elias Cretenſ. ad Greg. Nazianz, (Orat. XXIII,
p. 836) „Quos gnidem, nämlich die turpiora sacrificia darbrins
„genden, irridens Heraclitus „,‚Pargantar,‘ “ ingoit „„eum croore
„„polluunter, non secus ac si quis in lutum ingressus luto se
;„ablaat,‘‘ * Herakleitiſche Manier leuchtet wol genug hervor
auch aus der Ueberſezung. Doch dieſes hier nur beilaͤufig.
Weil nun nach Herakleitos dad Entſtehen und Vergehen a2 \
der Dinge in derſelben Nothwendigkeit gegruͤndet ift, und nad)
feinen zulezt angeführten Worten die vollfommenften Dinge Dies
jenigen find, welche alle Gegenfäze aufs vielfältigfte gebunden
enthalten: fo Eonnte er fagen, die Dinge wären auf eine folche
Weiſe zufammengefügt, daß auch das in die Verfnüpfung auf
‚ genommen wäre, was zu ihrem Dafein nicht flimmt fondern es
wieder auseinanderdrängt. Und dies feheint der Sinn der Worte
zu fein welche in dem ariftotelifchen Buche de mundo (c. V. p.
: 179) aufbewahrt find, und unter der Form einer Bereitungdvor:
| ſchrift von dem Weſen der einzelnen Dinge reden.
37. Tavro ö2 Tovro, nämlich die Verbindungen ber Ge:
genfäze, 7V xat TO nagk Ta oxoreivo Asyousvov "Hoaxkei-
zw» ovvayesıag odÄe xal oiyl oVie, ovugpsoo-
nevov [xab] Ödıapsgouevor, avv&dov [xet] dıa-
boy. xal Ex navrwuvy Ev Kal EEE ivöocnavreo. Die
eingeflammerten xal verbienen wol -gelöfcht zu werben wie fie
auch bei Stobaͤos (Eel. Pbys. I, p. 690) fehlen; nicht fo aber
‚bie Iezten beiden. Denn ein nicht abzumweifended Gefühl be:
bauptet, die Worte &c— navre enthalten eine andere hera⸗
Heitifche Stelle, oder vielleicht auch nur. eine von fpäteren, um 433
feine ganze Denkart zufammenzufaffen, aufgeftellte Formel,
welche unfer unbekannter Autor hier mit beifügt, weil fie ganz
allgemein das Verknuͤpftſein des entgegengefezten ausdruͤkkt.
Was aber hier-odde xai oüyi ovAm heißen folle, hleibt zwei:
felhaft. Woran man zunächft denkt, ganzes und unganzes
giebt Feinen veinen Sinn; wie unſer Autor & 1 viheen
80
ſcheint durch 0009 xui negıpepis, will nicht ſtimmen zu
dem nie mathematifch auftretenden Herakleitos, und fo will
kaum etwad andered übrig bleiben, ald, wogegen fich auch noch
manched einwenden läßt, zu uͤberſezen „Verknuͤpfe verberbliches
„und nicht verberbliches, zufammentretendes und auseinander:
„gehendes, zufammenflimmended und mißflimmiged.” Und
„Aus allem Eind, und aus Einem alles.”
Und weil auch alle entgegengefezten Zuftände ber Dinge eben fo
wie dad Entftehen und Vergehen felbft nur gegründet find in
dem fchwanfenden Uebergewicht derfelben immer vorhandenen Ges
genfäze, denen auch dieſes Schwanken wefentlich ift: fo Eonnte
Herakleitos auch die entgegengefezten Zuflände dem Weſen nach
als baffelbige anfehn, wie dies auch gefchieht in einem Bruch⸗
ſtuͤkk bei Plutarchos (Consol. ad Apoll. p. 106)
4 38. Kain gmow Hoaxksırog „eavro T € vs (bis auf
befferen Rath Est) Gwv xal TeÜvnxog xalb TO Eyor-
y000g xal TO xaFEeVboV xul vEoV xal Yngaov“
Tas. yap ustantöovra Exsiva Esı, Kaxeiva naAıv ueTane
oovra ravre. „Und wie Herakleitos fagt, daffelbige ift das
„lebende und das todte, dad wachende und dad fehlafende, dad
„junge und alte.” Denn die noch folgenden Worte mögen
wol ſchon zu der Erklärung des Plutarchos gehören, der, wie
er ed befonderd mit Leben und Tod zu thun hat und hernad)
ausführt dag die Natur aus demfelben Stoff nad) dem Tode
ded Einen wieber einen andern bereite, Dad vE0v xal Yrgmıov,
wozu bie Erklärung fich nicht fonderlich ſchikken will, überfah.
‚ Eben fo natürlich ift ferner die Behauptung und allem biöheris
gen volllommen angemeffen, daß überall die Gegenfäze nothwen-
dig zufammen gehören, ja vielleicht daß Fein Erzeugniß der Na:
tur ohne einen ihm. eigenthümlichen Gegenfaz beſtehen Tönne,
Hierauf nämlich ſcheint ſtark zu deuten eine Stelle in ben ari⸗
ftotelifchen Werken (Eudem. VII, 1)
Koi 'Hoaxisırog Enıriuz Ta nomoavsı Sg Epig Ex Te
81
Hewv za Evdownuv Enbloıro' 0 yap dv eivas apuo-
viav un Övrog öftog xal Aagkos, ovdE Ta wa üvev üß-
bevog xal ImAeos, Evavriov Ovrwv. Gie führt uns, wies '-
man fieht, auf früheres zuruͤkk, und wenn ſie woͤrtlicher und
nicht in indirecter Rede da ſtaͤnde, koͤnnten wir ſie an den
Zuſaz des Simplicius zu jenem Tadel „weil naͤmlich ſonſt
„ohne Krieg alle Dinge dahinfahren wuͤrden,“ anknuͤpfen als
Fortſezung „denn es gaͤbe keine Harmonie ohne hohes und
„tiefes, und keine Thiere ohne maͤnnliches und weibliches,
„welches auch Gegenſaͤze ſind.“
m. Und wenn er hier irgend ins ethiſche hinuͤberſchweifte: fo war
4, ſeht leicht zur Befeſtigung in jener edegesmoıs bie nicht minder
b nihtige Folgerung zu ziehen, daß alfo die Menfchen mit Unrecht
fh fo oft über die Eine Seite ded Gegenfazed ald über ein -
Uebel befchweren, weil ohne fie auch bie andere dad nicht fein
würde was fie iſt. Durch viele Beifpiele Tonnte er fuchen die
ſes gemeinverftändlich zu machen, und von diefer Seite ift wahr:
| ſcheinlich auch anzuſehen ein Bruchſtuͤkk, welches und Stobaͤos*
| (Serm. Tit. III, p. 48) aufbehalten hat.
39. -Avdownoıs yivsodaı, 0x00@ FEklovoıy,
oVx &usıvov. Novoog vVyeiav Enoinosv ndvxeal
ayadov, Aunög x%0g0V, zauaTos Kvanavaıy“
Sp weit nämlih Tann man füglih alles ald Eine Stelle
anfehn, Da es ja genau genug zufammenhängt, und hat nicht ass
nöthig, wie in den Audgaben bed Stobaͤos gefchieht, bei aueı-
vov abzufezen; fondern das erfte „Daß den Menfchen werde
„was fie begehren, wäre um nichts befjer” ift als Einleitung
anzufehn zu dem folgenden „Krankheit macht erſt die Gefund>
„heit angenehm und gut,” wiewol ich nicht dafür einflehen
möchte dag biefed 7dU zur ayadov buchftäblich fo vom He
rakleitos herrühre „Hunger die Sättigung, Ermübung die Ruhe.”
Eben hieher, um nämlich die nothwendige Vereinigung der Ge:
genſaͤze anfchaulich zu machen, möchte ich. auch jene Iymbalikhe
Schleierm. 8, II. 2 °
82 '
Gefchichte bringen, Weiche Plutarchos und erzählt (de garrıl, p.
511) aber ſelbſt mißverfianden zu haben fcheint; nämlich Her
Heitod von feinen Mitbürgern gebeten ihnen einen Lehrprug
über die Eintracht vorzutragen fei auf die Bühne geftiegen, habe
einen Becher Falten Waflerd genommen, Mehl hineingeftreut, &
mit dem Poleiftengel umgerührt, und ausgetrunken, und fei dam
davon gegangen. Denn eine yon über die Eintracht wird
diefe Geſchichte fogleich, wenn Herakleitos zeigen wollte daß nur
das _entgegengefezte im Staate, wie hier Mehl und Waſſer, troff;
nes und naffed durch dad Umrühren, recht gertau muͤſſe verbun
ben werben, um gebeihliched und fchmaffhaftes daraus zu bei
#37 ten. Unverftändlich und fchlecht aber fcheint die Gefchichte zu
werden, wenn man mit Plutarcho8 erflärt, der Weile habe an
deuten gewollt, Friede und Eintracht würben ihnen nicht fehlen,
fobald fie nur einfacher und weniger Dinge bebürften. In dem
- Polei aber möchte ich am wenigften irgend etwas fuchen. Die
war ein gemeined Gewürzkraut, und wie man einen Wein da
mit bereitete, fo brauchte ihn gewiß auch dad gemeine Volk um
dem Mehltrank einigen Geſchmakk zu geben.
Diefed nun zufammengenommen Tann man dem Philo nicht
Unrecht geben, wenn er (quis rer. div. haer.) fagt „Der große
„und vielgepriefene. Herakleitod habe feiner ganzen Philofophie
„dieſes ald den Hauptſaz vorangeftelt und fich defien als feiner
„Erfindung gerühmt, daß nämlich dad Eine fel Dad aus beiden
„Segenfäzen beftehende, durch deſſen Zertheilung erft die Gegen:
„ſaͤze erkannt würden.” Nur muß man das Boranftellen kei—
nesweges ganz buchſtaͤblich verſtehen, und ſo auch in den Wor
ten „ev yap TO EE augoiv av Evavrimv, od TundEvtog y-
„oma Ta Evavria“ nicht eigene des Herakleitos fuchen, ſondern
eher an einen fpäteren Ausleger denken, der alles möglichft de
Schulſprache annähern will. \
Ueber alled Diefed nun iſt Herakleitos von Ariftoteled auf
bad bitterfte getadelt worden, ald ob er alles Denken und alles
*
83
Reben aufböbe, weil er anmähme alles fei und fei auch nicht, ae
alles fei wahr und alles fei falfch, "und von jeglihem Dinge
inne man mit Recht das entgegengefezte behaupten. Zuerſt ift
das dritte Buch der Metaphyſik vol diefer Beſchuldigungen von
Anfang bis zu Ende. Denn wenn er auch Anfangs c. III ſagt
„& kann niemand fi vorftelen dag dafjelbige fei und auch
„nicht fei, wie einige vom Herakleitos meinten,” fo ift diefe Recht:
fetigung nur bed Arifloteled eignem Grundfaz zu Liebe da, weil
ia fonft, wad von feinem Dinge gelten fol, wenigflend von die:
fen Herakleitos gelten müßte, daß ihm wiberfprechended zugleich, _
widerfprechende Meinungen nämlich, zukaͤme. Behandelt aber
wird er durchgehends fo, ald wäre dieſes wirklich ſeine Meinung
in demſelben Sinne in welchem es der Logik des Ariſtoteles und
dem Saze des Widerſpruches zuwiderlaͤuft. So wird als eine
Rede des Herakleitos angegeben c. VII, daß alles ſei und auch
nicht fei, und gefagt Daß dieſem Saz zufolge alles wahr fei.
Hiedurch wird auf der einen Seite ein Gegenfaz aufgeftellt zwi-
fhen Herakleitod und Anaragorad, welchem lezteren Ariſtoteles
nicht nur dad Opov navre zonnera vorrüfft, fonbern auch eine
durch Tradition erhaltene mündliche Rede, daß er zu feinen Freun⸗
den gefagt, die Dinge wären ihnen ſolche wie fie fich vorſtell⸗
ten, und. wegen biejed beiden wird von ihm gejagt, nach feiner ao
Lehre fei alles falfch, weil er ein mittlereö” annähme zwilhen -
ben wiberfprechenden Behauptungen; was im Eingange feines
Commentars zu diefem Buche Alerandros fehr unbeforgt auf den
Herakleitos überträgt. Späterhin aber wirft auch Ariftoteled auf
dee andern Seite wieder beide zufammen ald folche die beides
behaupten, alle fei wahr und alles fei falſch. Auch anderes in
diefem Buche, wobei Herafleitod nicht genannt wirb, beutet der
Commentator Alerandros wie der Zufammenhang lehrt, ganz
rihtig auf ihn, wie die Stelle c. IV. Eioi Ö2 rıveg, oĩ xa-
Hansp Einousv, alroi ve Evöiyeodai Ypacı TO aurd eivas
0) un eivas, zul inolaufavew oirwg. ygwvras Ö2 Tu Adya
52
nn 54
zourw noAAol xal Twy neo) gvoeng. Nur e. V, wo inditekt
die Meinung widerlegt wird, als ob über benfelben Gegenfland
derfelbe Sinn zur felben Zeit wibderfprechendes ausfagen Eönne,
denkt Ariftoteles offenbar nur an Protagorad und an Sophiften,
was aber Alerandros auch auf den Epheſter deutet. Weberhaupt
muß aus diefem Buch einleuchten, daß jener berühmte Commen⸗
tator dad Werk des Herakleitos nicht in Händen gehabt hat, a
müßte es denn zwar gehabt aber überall nicht hineingefehen ba
ben; fo nachläffig geht er zu Werke, nicht eine einzige Stelle an
«0 führend, nicht eine eigene Bemerkung hinzufügend über den Sinn
der herakleitifchen Säze, fondern immer nur ven Ariftoteled aus
ſich ſelbſt wederholend. Im zehnten Buch wird auch c.’ V. ge
- zeigt, was dabei heraus komme, wenn ein Menfch dem Saze
-
ded Widerfpruchd widerfpreche, und Ariftoteled meint „auch He⸗
„rakleitos felbft, wenn man ihn fo auöfrage, werde wol am Ende
„eingeftehen muͤſſen undenore Tag ayrızeınevag paosız Övva-
„06V eivas xara Tuv alrwv dAmFeveodar viv Ö’ od ov-
vıeis Eavrov Ti note Atyes Tavınv Elaße ınv okay.’ Und
eben fo vornehm im folgenden Gapitel Ovre In za” Howxleı-
rov Evösyera AEyovra aAndFevsv, ovre xar ’ Avakayogev'
si Ö2 un, ovußmostas Tavavıia TOV aÜToV XaTnyogeiv.
Sollte aber jemand unbillig finden, was in der Metaphyſik ſteht
alles auf ben Ariſtoteles zu waͤlzen, der findet dem Weſen nach
ganz daffelbe auch Top. VIII, 3. olov, dyadov za xuxov ei-
var ravıov, zadeoneo 'Houzkeırog Ypnow, und Phys. I, 2
"Alla unv ei ro Aoym Ev ra övra navra — rov "Hoaxkei-
tov Aöoyov ovußaivs Aeysıv avToig TaVTov yap Egas Kuh
eyaya xal xuxo zul un dyado eivar za üyado, Bei
welcher Gelegenheit und Themiſtios (fol. 16. b) alle die fchönen
Sachen aud der Metaphyſik wiederbringt „zavrov yap &6as
avroig xara Toy A0yov Tg OVoias PvrOV avdEWNOog, NTN-
41 v0%, TO AYadov xal xaxov, anloc ÖL Tavavrız" auvaly-
Heveı Ö2 YUTw xab 7 avripaan. .: .
85
Den Ungrund dieſer Beichuldigungen des Arifloteles aufzu⸗
kken, und zu zeigen. wie, er.babei dem Herakleitos überall ein:
sein und ein Zugleich leiht von welchen jener nichts weiß und
rad ſonſt noch für Verwirrungen darin liegen, dies gehört nicht
ieher; wol aber ift daran gelegen,.. daß jeber ſich überzeuge, ed
jehen in ber That dieſe Beſchuldigungen des Ariftoteled auf nichts
indered, ald auf die bisher angeführten und ähnliche Darfteluns
zen. : Died iſt aber fehr Leicht zu fehen. ‚Denn offenbar geben --
fie auf etwas allgemein befanntes von herakleitifcher Lehre, weil,
wenn fie nur Folgerungen wären aus einzelnen dunkeln unbe
tannten Stellen, alsdann Ariſtoteles nicht unterlaffen haben würbe
dieſe anzuführen. Folgerungen aber. enthalten. fie offenbar nur;
denn daß Herakleitos logiſches diefer Art als ſolches vorgetragen,
het keiner von denen behauptet, welche ſein Werk kannten, und
eb kann auch keinen fo beduͤnken, der. irgend verſteht aus abge
riſſenen heilen fich dad Bild eines Ganzen zufammenzufezen
und der an dieſes Gefchäft geht mit einiger: Kenntniß von dem
Zeitalter des Herakleitos. Nun ift aber eben jene Lehre unter
den befannten und von allen Seiten beflätigten diejenige welche
on leichteften auf folche Befchuldigungen führen konnte, und fo
Neibt nichts anders übrig als fie nur hierauf zuruͤkkzufuͤhren. «ae
Ich kommt uns zu Hülfe der vortreffliche Simplicius, welcher
a der ſchon sben angeführten Stelle (ie: Phys. f. 11. a) ſtill⸗
Ihveigenb ben Stagiriten zurechtweifet, Herakleitos habe in der
‚Sat keine ſolche Fecıs vorgetragen, ſondern es ſcheine nur fo,
ſines Ausdrukks wegen, dem aber die ſchulmaͤßige Beſtimmtheit
He. Und offenbar durch den Stagiriten und feine Commenta:
wen bat fich auch Sextus verführen laffen, ähnliches von He
Mleitos zu fagen; wiewol nicht recht zuverfichtlich, wie es fcheint,
ud nirgend dad gefagte durch rechte Anführungen belegend, fo
aß ex fchon deshalb den oben wider ihn auögefprochenen Zabel
mbient, aber doch einen Theil davon auf feine Weberlieferer zu⸗
ikkwerfen kann. So ift ziemlich verworren: die Stelle Prrrh.
86
Hyp. 11, 59. Fréu uEv dam Ibeyiov dmwom, ad nv
gnos unddv sivas, Erepu Ö2 9 "Hoaxksizov, x 17V pros
score elvas; denn das ariftoteliithe navra elvas xal en. eivas
hat einen anden Sinn, und nur wenn man daran denkt wie
Gorgiad dies Nichtfein erwies, findet - man den Vergleihungd
punkt. : Ganz ariftotelifivend ift eine andere Stelle ebendaf. 8.63
Ö iv Annoxgirög. äipn- pyte yAvxü uvro, nämlich To weis,
3 eyes. ante suxoov: 6 02 "Hoaxısırog ampörspe. ben fo
verführt war auch ſchon fein Vorgänger Aeneflvemos, welcher
nach Pyrrb. I, 210 gefagt haben fol, die fleptifche- Philoſophie
fei der Weg zur herakleitifchen, weil die Skeptiker wol fagen von
bemfelben Dinge fcheine uns widerſprechendes, die Herakleiter
aber. hievon wieder übergehn Dazu daß es fich auch daran befinde,
V. Sehr merfwürdig aber iſt was Ariſtoteles in Werfolg
der angeführten Stelle Phys. 5 2 fagt. Nämilidy nad) dem obls
gen, daß nämlich wenn die Dinge der Erklärung nad) Eines
wären wie Rokk und Kleid, alsdann jener Saz des Herakleitos
müffe zugegeben werben, daß auch gut ſein und nicht gut fein
daſſelbe wäre, fezt: er noch hinzu
2a 6) sup) To dv eivar ra Öövra 6 Aöyog &sas, Alld-
aeg) Tod undiv, zei Tö- tomöl eivaı od To rooꝙòot ræv-
z0v. Wo man wol entweder leſen muß xal zo ommöl eivas
zo Teaovö) Tavıdv ober xal vo Toiovöt eivaı xal T6 To-
covöl ravrov- „Und nicht davon dag die Dinge Eins find
„wird die Rede fein, fondern davon daß fie nichtd find; und
„ſo beichaffen fein wird daffelbe fein wie fo groß fein.” --
So fehr nun auch dad erfte mit dem Nichtd eine wunderliche
Folgerung ift: fo liegt in dem Iezten doch ein fo richtiger und
aa tiefer BIER wie ihn Ariftoteled in diefer Art felten bat, fo daß
ich auch vermuthen möchte, Herakleitos felbft muͤſſe dieſes ziem⸗
lich deutlich ausgefprochen haben, daß allerdings die verfchiebegen
Qualitäten, wodurch bie einzelnen Dinge fi von einander uns
terfcheiden, nur Quantitäten wären von dem Einen; und alfe
87
wie Simplicius zu der Stelle fagt, eu oüzwg Ev vo 09... nic:
1) solvuevunia yevjostas c& navea (ie Phys. f: 18. a). -"Unb.
s; dies führt und zuruͤkk auf Die vorher fchon im allgemeinen ers:
* mähnfe Lehre vom Feuer, an welche unfkreitig auch Ariftoteles
5; an unferer Stelle dent. Nämlich eine folche Einerleiheit aller -
Ü Dinge behaupten nad) ihm alle diejenigen, welche nur Ein Prins
) zip, Aicey Gpynv, Eine allen Dingen zum Grunde liegende Na:
tur, „ulov ürroxeuukvnv Yvosv“ annehmen, und aus diefer, es
: fi nun durch Verdichtung und Verdünnung ober durdy „mehr und
„weniger“ das Viele entftehen laſſen. Diefen nun zählt Arifloteles
überall auch den Herafleitos bei bald namentlich bald ſtillſchwei⸗
gend, aber doch fo deutlich daß feine Gommentatoren ein überfläf:
figes thun indem fie und den Namen: ergänzen. Und dies ift eben
unfere Klage, daß Ariftoteles fo ohne Unterfchied was Herakleitos
vom Feuer gelehrt hat neben die Lehre des Thales vom Wafler
ſtellt und des Anarimened von der Luft, ohne zu beventen, daß
biefe beiden wol nicht von der allgemeinen Anſchauung bed Flie⸗ 215
gend und Verfließens aller Dinge ausgegangen find, und es ih⸗
nen alfo eine ganz andere Bedeutung haben muß, wenn fie ein.
Element als bie @oyn von allem anfehn. Ja man kann faft
fügen wider befleres Wiſſen thue Ariftoteles dieſes; Denn ander:
ı wärtö (Phys. III, 5) fagt er ausbrüfflich „es habe Fein Natur:
„orſcher das Eine und unendliche ald Feuer oder Erde beftimmt,
„ſondern nur als Wafler oder Luft oder das mittlere zwiſchen
„beiden;“ und der Grund den er hiezu anführt, „weil nämlich
„euer und Erde nur nad) einer Seite hin beweglich find, Waſ⸗
ı ‚fer und Luft aber nad) beiden,” zeigt eben dag das Feuer
gleichviel auch ob ed aneıpav ift oder neneonausvo» nicht Tönne
iR demſelben Sinne Goyn fein “wie Luft oder Waſſer. Daher
auch vorzüglich immer etwas fchiefes in der Darftelung liegt,
| 100 von dem Begriff doyn ausgegangen wirb, wie Metaph. XI, 1.
| wo es beißt, die Damaligen, weil fie mehr Aoyıxws zu Werke
f gingen, festen r& xadorov als ovale; und dexas, die alten
88
‚aber ra za Euaca, 0lov nüp xal yıjv, was einen ganz fal=
ſchen Schein giebt; denn dad Feuer wie ed wahrnehmbar vor=
fommt, iſt dem Herafleited eben: fo wenig eine @oyn und eine
wahre oudic, wie jedes andere erfcheinende Ding. Eben fo Me-
us taph. I, 7. Tü u2v zao &v Ödksis goiyeswöisetov eivas &v-
twov EE 00 Yiyvaraı Ovyxploe B roroõũrov Ö2 TO ut-
vgonegesarov xal AENTOTATOv av Ein Tmy OOuaTWV —R
000: vo agyiv TuFeaos pihıge Önokoyavuzvug To Aöya
TOUTW. AEYOLEU und Metaph. II, 4, &reoos- Ö2 Up paoıy eival
Tö Öv roũro kat To &v EE 00 Ta Dvra eivai Ts zul YEYOVE-
var. . Denn beide Stellen fünnen gar leicht den Gedanken erre—
gen, als habe Herakleitos an eine elementarifche Grundgeftalt dei
Feuerd gedacht, was vielleicht: non dem Pythagoreer Hippafos
gelten ann, der freilich auch hier (Metaph. 1,3) mit Herakleitos
zufammenfteht, von diefem felbft aber .niemald; wie ‚denn überall
ber Begriff eines Soszeiov den. man wol aus Empebofled und
. Anaragorad auffaffen kann gar nicht in feiner Gedankenreihe vor:
fommt. Schon Aler. Aphrod. zu Metaph. II, 4 druͤkkt fich über
das Verhaͤltniß ded Feuers richtiger aus „Ali vero natorales
„auctores ignem uni et enti substernebant, ut Heraclitas,‘* (Ges
leitet ift freilich Der Commentator hier durch andere Stellen des
Ariftoteles felbft, der anderwarts nach richtigern Ausdruͤkken fucht,
wie Phys. I, 6. wo er diefe Naturforfcher befchreibt als gta»
TAG play eivaı Akyovtss TO av, und wo er waß fie fo ans
fehn als gleihfam die Grundform des Ganzen TO Unoxeiuevav
nennt, Allein auch in folchen Stellen begeht er, ohnerachtet des
«7 von ihm felbft anerkannten Unterfchiedes zwifchen Feuer auf ds
ner und Waſſer und Luft auf der andern Seite baffelbe Unrecht;
und fcheint Deshalb auch anberwärtd wieder dem Thale und
Anarimened die Anficht bed Herakleitod von dem Fliegen aller
Dinge unterzufchieben. So de Coel, 1II,1. Oi ö2 7a u2v all
navra yiveodai TE Yacı zul 6eiv, eivaı ÖF nayiwg add,
Ev dE Te uovoy Unouövew, 2E 00 TRUra NEvIa. ueraoyN-
89
nerilsodns sueguxev, öneg Eoixaoı PoviAsodhas Akysıy aAdos
ıe scoAAol za Hoczisırog:ö ’Eyeoos, wo man freilih nicht
weiß wer biefe vielen andern find, wenn nicht die übrigen alten .:
Phnfiologen, wie auch Simplicius (f. 138. 139) erklärt, bemers
Ib dabei, wie er denn immer wenigftend auf richtigem Wege
Hiſt, „biefed Eine fei dann zwar ein ungeworbened, aber doch nicht
„ein unbewegtes, wenn doch aus feiner Verwandlung die andern
„Dinge entftehen follen,’ und auch noch von dem Herakleitos
? fh fagend, „‚er habe fein xoıw0v Unoxeiusvov ald das einige
* angeworbene angefehen.” Warum tft aber der treffliche Mann
nicht einen Schritt. weiter gegangen, und hat bemerkt daß dem
Heralleitos das Feuer doch ‚auch muͤſſe ein gewordenes fein, weil
es immer werde aus der Zuruͤkkwandlung aller Dinge? Dann
würde er geſehen haben daß es beides iſt im verſchiedener Hin⸗
ſicht, ein gewordenes und ‚ein ungewordenes, fo naͤmlich daß us
Herakleitos, ausgehend davon daß nichts beſtimmt wahrzunehmen
iR als werdendes und fließendes, genoͤthiget geweſen für dad
wahrhafte Sein, von welchem alles werdende nur verſchiedene
Geſtalten find, fich ein darſtelleudes Bild zu borgen von dem
werdenden, und bazu eben das Feuer gewählt habe. Und dieſe
Einficht lag dem Simplicius befto näher, da er fi an Einer
-Gtelle wenigftend über den Grund dieſer Wahl des Herakleitos
ganz richtig erklärt, wenn er fagt (in Phys, f. 8.) „Herakleitos
“habe dabei geſehen auf die Lebenerzeugende und bildende Kraft
ned Feuers;“ denn eben weil ed Leben und Bewegung hervor:
! kingt war ed ihm zunächft dad Bild des zum Grunde liegen
den Seins, welches die Quelle alled Werdens iſt. . Eben fo er:
Meint e8 auch in der ftoifchen Theorie, nach Gicero (de nat,
Deor. AI, 44) der! zwar nicht beflimmen will ob es beim Hera«
' Beitos eben fo gewefen „Omnia vestri, Balbe, solent ad igneam
„vim referre, Heraclitom, ut opinor, gequentes, — Vos autem
„#a dicitis, omnem vim eese ignem ... id vivere, id vigere quod
„ealeat.‘“ Ueberdies Tannte wenigſtens Simplicius die Haupt:
9%
ſtelle, in welcher Herakleitos am allgemeinften, und vielleicht aude
zuerſt in feineni Werke, fich über Die Bedeutung und den Wert
ad des Feuerd in diefer Hinficht ausläßt; denn er führt das weient-
liche daraus an (in libr. de coel. f. 68. b) ‘
: 89 oig pnot „ergo avanıwy, za Hera aßevvig.“ Dem
niemand wird wol zweifeln, daß bied aus berjelben Stelle ge
nommen fei, welche wir fchon oben (N. 25) angeführt, damals
aber diefen Theil derfelben übergangen haben. Dort freilich,
‚bei Clemens ſteht anrouevov uston xal ünooßervöuevov
"nerga, und da Simplicius flatt deſſen nicht nur das active
ſezt, ſondern auch die maͤnnliche Endung, die weder auf etwas
in ſeiner Rede gehn kann noch ſich auf nvp beziehen laͤßt;
ſo Tönnte man glauben, er habe eine ähnliche zwar aber Doch
andete Stelle im Sinne. Allein da gerade über diefen Xheil
: der herakleitifihen Lehre foviel von allen: geredet worden ifl,
und ſich nirgend eine Angabe findet, woburch jene männliche
Endung koͤnnte gerechtfertiget werden: fo muß man entweder
eine Gorruption vermuthen, oder, da ohnedies höchft unwahr⸗
ſcheinlich iſt daß Simplicius dad Werk des Herakleitos felbft
beſeſſen habe, muß man glauben troz des dv oig gras, daß
er nur aus einer mittelbaren Quelle gefchöpft habe.
Denn fchon aus jener Stelle (N. 25.) geht ganz offenbar hervor,
dag dem Herakleitos das Feuer in einem ganz andern Sinne
ss Princip der Dinge war ald den andern beiden Luft ober Waſſer,
%
daß er nicht audging von ber Vorſtellung eines gemeinfamen
Elementes aus welchem alles‘ muͤſſe entſtanden fein, oder wovon,
als von einem verwandten zwar, doch aber verſchiedenen, die
Dinge, ſich nähren: denn weder von Thales noch Anaximenes
weiß man, daf fie gefagt hätten, die Welt fei nichts anderes als
ein bald fo bald anders fich zeigended Waſſer ober eur: wie
Herakleitos bort ſagt
„die Welt, dieſelbige aller, hat weder der Goͤtter noch der
„Menſchen einer gemacht, ſondern fie war immer: und iſt und
- gt:
xwird fen immerlebenbes Feuer, mit Maßen ſich entzuͤndendes,
„mit Magen fich verloͤſchendes.“ Was bie Worte 709. adzön
andvrom bedeuten ift allerdings zweifelhaft: Plutarchos führt
ben Anfang berfelben Stellt (de asim. procr.’ p. 101%) ohne
biefe Worte an xoonov vövde, .qmolv "Hodeksırog, o ũr e
rıs Heavy ott FIETPLTT 230427089. . Allein er kann
bier leicht abgekürzt. haben, weit jene Worte zu feiner Abficht
gar nicht gehörten: Beobachtet man fie‘ aber fhr:fich, fo koͤn
nen fie einen: zwiefachen Sinn haben. . Sie können, anarran
als Nentrum angenömmen, eben jened ausdruͤkken follen, was
fo viele fpätere Beugniffe dem Herakleitos zufchreiben,: ex habe
nur. Eine: Welt angenomnien, nicht mehrere. Die’ Welt, Dieti
„@ine und felbige aus. allen Dingen“Allein hiezu müßte
man vorausſezen, nicht mar daß Herakleitos fich felbft in Op⸗
pofition. gegen Diejenigen geſezt, die. iehrere: Weltipflenie. anz
nahmen, ſondern auch daß er in feinen Werke ſchon che er
die Lehre vom Feuer abhandelts jenen Wiberſpruch ausgeſpro⸗
chen babe, was kaum denkbar iſt, du er nur auf ſeiner Mei⸗
nung. vom den Geſtirnen beruht. Sie koͤnnen aber auch, arrav-
Toy als Masculinuns, heißen „‚die Welt, dieſelbige für alle,
„Menſchen,“ und fo auf den Saz gehen, daß die Welt dar"
ſchlafenden eine andere Melt if: als die der warhenden. Ber
mir nicht glauben: will daß diefer Sag jener Hauptlehre vom:
Fdeuer Yorangegangen, dem bleibt: wol: nichts übrig als anzu⸗
nehmen, daß auch Clemens bien nicht aus dem Werke des He⸗
rakiritos unmitteldar geſchoͤpft habe, ſondern aus einem Com⸗
mentator ber in Bezug auf fein eigenes vorhergegangenes jene
Worte eingeſchaltet.
Das aröusvor ron Aal anoofevvinevov uerea flirt
er.. gewiß jeder: der. üunfere Stelle für ſich betrachtet von den
muntexbrochen nach: verfchiebenen Maag vor ſich gehenden Vers
Konblungen, indem nad) einem andern Maaß dad Feuer fich:
eatzuͤndet, wo Erbe unmittelbar in Feuer übergeht, nad, cinema
92:
andern. wo Mrde in. Meer, denn: auch das -ifl-- ja, fchen ein par⸗
tielles Entzuͤnden, oder wo Meer, in Feuer; umb fo auch umge—
Tehrt vom ‚Werlöfchen.. - Auch kann nur in biefem Sinne Die
Melt gleich geſezt werden. dem ſo nach ewigen Geſezen wechſeln⸗
ben Feuer. : In fo fern nun das Feuer frei erfcheint, ald Flamme
vorzüglih.. ober als Toncvuo, fl. es eben fo ein geworbenes ver:
gehendes Ding: wie jebed ‚andere, Daher auch. manche fleißig
und mit Mecht erinnern ,- bad Feuer in dem höhern Sinne fei
nicht die. Flamme, fondern..nie ‚Fegum .oügie ober. die Loves
ovaic. ‚Daher auch bei: Gicero- die - vorfichtigen Ausdruͤkke, bie
er: doch wahrſcheinlich aus: Stoikern uͤberſezt, iguea vis, und id
"uirere:'quöd ‚osileat. „Denn: yuy«in. jo fern es gebunden aber doc
jenem: ahnlich als Wärme abe Empfänglichkeit für Wärme al:
Ien Dingen einwohnt ald- ihre bewegende belebende Kraft und
fie ‘alle durchdringt, mar es ihm, das Schema von. dem: Reben
und: Sein her. Welt, Die Stundform aller Dinge; Weil ed nun
fo ald die bewegende alles .belebende und durchhringenbe: Kraft
gedacht. wurde: jo Tonnten ſpaͤtere vorzüglich chriſtliche Bericht⸗
erftatter gar wol: fagen, Herakleitus fehe daß Feuer als Gott an,
wie. Clemens thut (Cohort. V, 55) Zlegueviöng dd... Hearg
153 ganyfoazo ug xab yiv: Goregoy- ÖL aüralv 10Vov To nüg
Heöv üneıimparoy “Inneoos Ta 6 Meranovrivog xai “Hon-
»heıras a" Egpeoıog. Menn: er aber, hernach hinzufügt roͤ ya
zig Tovro, welches nämlich HlogazAeıros ala &ox&yovos verehrte,
ärepov "Eipaısov urönasav, fo überfieht er, ven Unterſchied
zwifchen dem zum Geunde liegenden Feuer und Dem erſcheinen⸗
den; denn, nur lezteres haben die Dichter vom Homeros an He
phäftos genannt. Man fehe Heracl. Alleg. Hom. p. 446: du«
roũro av ökvrarnm plöya,ovveyag "lıöv re za: ie srona-
eyogever To 0° Ei yug nvo "Hgassov, Eroiuwmg anröus-
vov Ts xal oßsvvunevor, welche Stelle noch überdies einen he⸗
rakleitifchen Geſchmakk hat. Gewiß wenigftens. hat Herakleitos
ſelbſt das Feuer in jenem höheren Sinne und das in ben höhe
v.
N
93
| sen Räumen fich entwikkelnde Licht als deſſen reinſte Erſcheinung
Zeus genannt.’ Darum nennt er jene Himmeldgegehd -(&. oben
| 9.30. &. 396) die Grenze des aidolov sog, und wo er die
|
|
|
—:
Anordnung ber Welt und die Folge der Dinge ald ein Spiel
1 de3 Feuers betrachtet, da ift es Zeus welcher fpielt.i So iſt ges
wiß auch viel herakleitifches enthalten in einer nur in Bẽezug
! auf die Ableitung des Ölxasov und auf die Uneinigkeit der Ans
: Vinger des Herakleitos fcherzhaften Stelle des Pläten: (Cratyl.
p. 412) „daß es in dem befländigen Wandel ein durch alles
„andere bindurchgehendes gebe, welches auch "was ſchnellſte und ssa
„feinſte ſei; denn es Fönnte nicht durch alles feiende gehen,
„wenn es nicht jo fein wäre, daß nichtd es faffen könne, und
„jo ſchnell, dag in Vergleich mit Ihm alled andere ruhe.” Man
ſieht hieraus wie jene zu materielle Darſtellung (Arist. Metaph.
1, 7) entftanden ift, daß dad Feuer feine Stelle erhalte ald das
soyemögsatov xal uixgouspdgerov owuarwv. Auch gewiß
auf diefe platonifche Stelle ſich gründend berichtiget Simplicius
bie andere oben angeführte bes Ariſtoteles (de Coel. III, 1) welche
dad Feuer als dad unter allen Umwandlungen bleibende, Uno-
nEvov, barftellen wollte, daß ed keinesweges ein ruhendes fei,
fondern vielmehr das eigentlich fich bewegende und umwandelnde.
Auch ſieht man wol nirgend fo deutlich als hier,‘ wie die Vor⸗
ſtellung des Herakleitos vom Feuer zufammenhängt mit feiner
Hauptanfchauung von der allgemeinen Bewegung. "Auch jener
Unterfchied zroifchen dem ewigen immerlebenden Neuer und dem
eriheinenden kommt im Berfolg bei Platon ausdruͤkklich vor,
wo gefagt wird nicht die Sonne fei dad gefuchte, fondern wUrö
zo nüp oder vielmehr aurd Tö Heguöv zö Ev ra nuoL Evov.
Derſelbe findet fich ebenfalls leiſe angedeutet in einem herakfeiti-
‚ hen Fragment bei Clemens J
40. H, ws gmow “Hocxasırog, TO un ÖUVov aWg as
ı @v reg Aados; (Paed, II. 10. p. 229) wo Tis Aados vers
| dorben if, und zb, wie Gatafer (ad Ant, p. 2): wi, vuht
9
4
ſprachmaͤßig; richtiger wäre zıva „‚da8 nicht untergehende wie
„toͤnnte das jemand verborgen fein?” wenn man nicht auß
Clemens porhergehenden Worten Anosras —Tıg, auch hier le
ſen will zig Aadorro mit wenig verfchiedenem Sinn.
Denn, indem. er. dad Seuer in biefem Sinne da3 nie unterge
hende nennt, fezt er ed gewiß der Sonne entgegen ald dem uns
tergehenden. Auch die vorhergehenden Worte des Clemens felöfl
beflätigen Died Anceras udv yap lowg TO alodnToV gug Tis'
rò 02 vontov advvarov Esıv (wenn man nicht lefen muß @dv-
7ov in dem Sinne, nicht untergehen).
Weil nun aber diefes Feuer, welches Clemens bier ganz in
den Sinne der fpäteren Philofopken ein Ywg oder nUg vonzov
nennt, wie anderwärtd ein Övvanusı vo, fich nicht trennen läßt
pon der unmittelbaren Wahrnehmung des Feuers, in welcher jene
ovcie Tov navrög mit ber mindeften Beimifhung von Verloͤ⸗
fung erfcheint: fo ift nicht unrecht jene im Stobaͤos aufbehal-
tene den Worten ‚nach ariftotelifirende Erklärung, dag die quoid
vov navrög fei ein audegıov owpe, und in Bezug, auf die
456 Gefamtheit der Verwandlungen ein ondoue tig TWv navıay
zeveoews. In bemfelben Sinne befchreibt auch Herakleitos ſelbſt
has Verhaͤltniß ded Feuerd zu den Dingen fo:
41. Ovoög avrausißeras navra, gnolv 6 ‘Hpa-
gherag, Kal NÜE ANAYTmV, WONEE XOVOOV z10n-
- para xab yonmarwmv zovoog. „Segen Feuer wird
„alles umgefezt,” fagt Herakleitos, „und Feuer gegen alles,
„wie gegen Gold alle Dinge, und gegen alle Dinge Gold.”
(Plot. de. EI ap. Delpb. p. 388.)
Daffelbe kommt auch in einer kürzeren Formel vor:
nvgög yap ön xara Tov Yvaıxöv “Hocxksırov auosPn Ta
Advrœ yiveroı. Heracl. alleg. bom. p. 468. wie wir ſchon
oben aus Simplicius hatten upög yap duoßiv eivai ga-
. ow, und wie auch bei Eufebius ſteht „o d2 Eloaxkssros
Goyiv 109 navrav &pn eivas TO nUp, CE 0U Ta navyıa |
95
yivsras xal eig 6 dvakderar duos iv yap eivas ta navra,
wo adrov zu ergangen ift (Praep. XIV, 3.)
Und gewiß war eigentlich eben fo gemeint was Ariftoteled viel-
leicht auch nicht ohne Mißverſtand Phys. II, 5 fagt |
ddiverov TO nav xuv 7 nenspaousvov 1 eivar 7 yivs-
o>as Ev Tı avıwyv, von den Elementen nämlich ift die Nebe,
wong Hoaxisırög pyow Enavıa yivaodainorenüg.
und was Simplicius zu dieſer Stelle in bie Formel auflöfet 457
us "Hoaxksırog sig nüg ieyav xab.&x MUpOg TE navra.
Schr gut namlich konnte unfer Ephefier der gewöhnlichen An-
fht, welche alles materieller auffagt, fich anfchmiegend fagen daß’
jegliches Quantum Materie die Reihe der Verwandlungen durch:
laufend fich auc einmal als Feuer darftelle, und in diefem Sinne
‚Alles einmal Feuer werde.’ Ariftoteles aber fcheint die Sache
fo verflanden zu haben, als follte irgendwann die Gefamtheit ber
Dinge zugleich in euer aufgehn. So fcheint der Zufammen-
bang es faſt nothwendig zu ergeben; auch erklärt Themiſtius
Paraphr. Phys. 33. b) eben fo
woneo “HoaxAsırog TO np oleras uovov sorgeion, za} &%
TOVTOV yEyovevar To nav- Evreidev yap nuüas xal Ödedir-
Teras, Ovumpisynosodei Note TO nv aneılwv, änsıön Öte-
kvdnosıns eig TOVTo EE 0V xal yeyove.
Bollte man einwenben, ber Paraphraft fage hier mehr ald fein
' Autor: fo fcheinen andere ariftotelifche Stellen daffelbige nur noch
kfimmter auszuſprechen. Von den Stoikern laͤßt ſich kaum
bezweifeln, daß fie ſolche abwechſelnde Weltbildungen aus Feuer
und Weltaufloͤſungen in Feuer angenommen haben. Zeugniſſe
hiervon anzuführen ift eigentlich nicht dieſes Drted. Doch fei
und eines vergönnt, weil es ja fehr an herakleitifchen Urfprung ass
mahnt, aus Eufebios (Praep. XV, 18.) 'Aogoxsı Ö2 Toig ıpe-
ofvraross rov ànò —
EIG rEgLOÖoUg Tivag Tag ueyigag eig nüg aldegwmdeg dva-
Ivouevan Aavtwv . , . Gpkaxes zip Toig Irwixoig pilodo-
x
org nv OAny oVoiav eig nup ueraßellsıy, olov eig ando-
ua, xaı nahlıv dx Tovrov avınv anoteltiodaı TV Ötaxo-
ounow dia zo noöregov nv. Eben fo fhreibt Simplicus (in
Arist. Phys. V, f. 207. b) den Stoikern mehrere auf einander
folgende xoouonovieg zu, fo daß chriſtliche Mißverſtaͤndniſſe um
fo weniger zu beforgen find ald die Chriften ſich am meiften
über dieſe Weltenfolge fpöttelnd auslaffen. Man fehe nur Ta
tianus (Orat. p. 12, 23.) Sa Plutarchos (de EI ap. Delpb. II,
p. 389) beflimmt gar da3 Zeitverhältnig der duaxoaunasg, be
fiehenden Weltorbnung, zu der dxrvowars, dem Aufgelöftfein des
Ganzen in Feuer, da nämlich jene zu biefer fich verhalte wie
drei zu eins, und führt zur Bezeichnung beider eine Zerminolo-
gie als floifch an, daß nämlich die dsaxooumous von ihnen x0-
005 genannt werde, die dxmvpworg aber Zonouooven, Worte
die auch Philo (f. oben S. 430) al& der herakleitifchen Meinung
befreundeten angehörig anführt, und die offenbar fehr alt und
#9 wahrhaft herakleitifch Elingen. Und kurz vorher in berfelben
Schrift braucht er die oben N. 41. angeführten Worte ald eben
diefe Meinung darftellend, daß die dad Ganze bildende Urſach
bald aus fich felbft die Welt, bald wieder aus der Welt ſich felbft
herſtelle. Ja alle fpäteren' einftinnmig fehreiben diefe Lehre von
periodifchen Weltzerflörungen durch Feuer dem Herakleitos zu,
und auch wo fie als floifch vorfommt wird fie auf ihn zuruͤkk⸗
geführt. So meint es gewiß Aler. Aphrod. (io Meteorol. 1.f. 90)
Nyovvras yap OmWeloıs TOVTOIg yowusvos EXTTVOWOIV yive-
o9aı Tod 6Aov, wc “Hoazksırog ulv ng6 avrov xab ol ng
&xeivov Ööeng, ol Öd and Tns So uer avrov. Denn wie
wol er vorher die Exnvowarg etwad ſchwankend ald uer«ßoin
77 pop befchreibt: fo erhellt doch feine Meinung fehr deut⸗
lich aus einer Stelle von ihm’ welhe Simplicius (io Arist. de
coel, f. 68. b) anführt, wo er verkehrt genug, wie auch Clemens
wahrfcheinlich ihm folgend thut, dem Herakleitos Die Meinung
von zwei Welten, einem xoouog voovuevos und einem x00p0g
4
97
vnrög xal Paprös zuſchreibend fagt, ungeworden nenne He
Heitoß nur ra aniws Ovra xal Tv Tovrwav rakıy, za 7%
T auporega Ev ufosı 7 Tod x00uov ueraßoin öre udv Enl
vo ôre Ö’ En) ToIVrov x0ouov, wo &v ueoss-wie überal
me heigen kann abmwechfelnd der Zeit nach, nicht theilweife zu⸗
eich. Eben fo beflimmt erklärt ſich Simplicius felbft an der: 100
elben Stelle aut 0 "Hoczisıros Ö2 nord udv Ekanteodai pnos
cv x00uov, nord O2 &% TUOÖg avdıc owicaoder œuròov,
ærq TIvag tepLlodovg zoovwv,. mit dem Zuſaz Tavrng tig do-
Im Üsegov 2yEvovro oi Zrwixoi‘ und anderwärtd in Phys. f.
27. b. wo feine Ausdrüffe aber nicht ganz fo beſtimmt find,
fügt er Hinzu xab Ügegov oi ano Tag soäg; und den Unters
ſchied zwiſchen diefer Meinung und der „Hriftlichen von der Melt
zeſfoͤrung fezt er in beiden Stellen nur fo feſt &yısaveıv 58
wiros dfoueı, örTı oVöeig Twv nalawv Aysras tiv gIo-
pay TOU x00u0V ToIavınv eineiv, Onolav ol vUv Yacıy, wg
Wapkvra unxerı abdıg Enavnzeıv, und yiveodaı ÖL xal
WeipsoFas TöV Eva x00u0V @g unxerı eivas x00u0V, oVvde-
" ıwv guowiöyuv touev Atyovra. Es lohnt kaum noch
uch diefen auch. den Diogenes noch anzuführen (IX, 8) yeyva-
"ai Te aurov &x nvoög zul nalıv Exrıvpovodaı Kara Ti-
ug epsodovs Wvarlck Tov ovunavro aiwve, und ähnliches
eplae. phil, I, 3. Hieher ift auch noch zu rechnen eine Stelle
8 Lucianus, welche mit diefen Zerflörungen die fpät erfonnene
Schwermuth ded Mannes in Verbindung bringt, und ihm ben
usdrukk Eumögworg ſelbſt gewiß mit Unrecht in den Mund
gt, Hlyeouas yoo, w &eve, rq avdgainıver nonyuara Öilvod
2 daxgmiden, xar ovöEv aurEav Ö,ts um Enıxngiov: To
y oixteiow TE Ogykug xal Odvpouas: xal Ta UV NapEOVTa 495
doxiw ueyala, Tu 0° üseom z009w doöusva ndunav
vwinpa- Atyo d2 Tag EAUAWCHEG KaL TNV TOU ÖAov Ovupo-
fo. (Vit. auct.) Und bei Eufebios (Praep. XIV, 3) wo auch
E Beitbeftimmung auf ihn zurüffgeführt wirb 6 dd Zlgaxkeı-
Schltierm. B. IU,2 SS
\
98
708... d4n.. 200909 Te wolodes Tis Tv advran eig Töne
ivahloeug za) rig &% Tovrow yevioenug. Was Wunder alſo
wenn auf fo viele und fo deutliche Zeugniſſe geſtuͤzt alle &s
fchichtfchreiben der Philofophie dem Herakleitos dieſe periodiſch
wiederkehrenden gänzlichen Auflöfungen der Welt in Feuer zw
fchreiben? Dennoch fcheint die Sache noch neuer Erwägung ſehr
werth und großen Zweifeln unterworfen zu fein. Denn da, wie
vote fahen, in feinem Syſtem ganz nothwendig liegt ein immer
fortgehendeö mit dem entgegengefezten Prozeß zugleich geſeztes
Uebergehen aller fcheinbar beftehenden Dinge in Feuer: wie follte
er doch neben dieſem allmähligen und theilweifen rioch ein zweis.
tes allgemeined angenommen haben? Died muß jeder höchft
unwahrfcheinlich finden, der dabei bedenkt Daß Durch dieſes Aufs
gelöftfein der Welt in Feuer, wenn ed nun gar nach den Stois
kern den vierten Theil der gefammten Zeit einnehmen foll, ber
ewige Fluß der Dinge, die Hauptanfchauung bed Herakleitos,
um eben ſo viel gehemmt wird, und daß eben ſo lange auch
2 das Zuſammenſein beider Wege nach oben und nach unten, und
alfo auch die Vereinigung der Gegenfäze, ebenfalls ein Haupt⸗
punkt herakleitifcher Philofophie, aufgehoben if. Man bedenke,
dag wenn neben jenem unläugbaren immerfortgehenden Webers
gang der Dinge in Feuer auch diefer periodifche. in dem Werke
des Herakleitos irgend. deutlich wäre befchrieben worden, man
fi) wundern müßte daß fich Feine Stelle erhalten bie ſich nur
‚ von biefem periodifchen erklaͤren liege, bder die irgend den Un⸗
terfchieb zwifchen beiden beträfe, fondern dag, wie fchon erwähnt,
Plutarchos den periodifchen Uebergang aus der Stelle N. 4
beweifet, welche offenbar nur von dem immerfortgehenden Wech⸗
fel redet; eben fo Simplicius (io Arist, de coelo f. 68. b) nur
aus den Worten „uergu avanınv xab uerow oßevvig.“ Bent
nun gar der Mißverſtand fo nahe liegt, aus dem die Auslegung
kann entftanden fein! Denn. wie leicht konnte eben jenes uEren,
daas auf den Grad und ben räumlichen Umfang des Verloͤſchen
99
ıd Entzündend ging, fälfchlich von der Zeit verflanden werben!
nd wenn Serakleitos fagte, alle Körper würden einmal Zeuer,
ne leicht war es flatt deffen zu verfichen, die ganze Welt würde
inmal Feuer werden, zumal in feiner Dunkeln ungenauen Sprache!
Sehen wir doch noch, recht wie es ſchwankende Ausleger zu mas ıu
ben pflegen, beibes neben einander ſtehen plac. phil. I, 3 nadım
N TOV x00u0V xXal navra Ta ‚OWuare Uno nVpög Avalve-
das Ev ci Exnvgwoe. Ja diefer Ausdrud ſelbſt, EXTTURWOLG
mb ixnvoovaodeı, der gar nicht herakteitifch ift, fonderm ariftos
if, und ganz allgemein eben wie EEvyoniveodar und Ekv-
reavaıg vorkommt, aljo bei den erften Commentatoren des He⸗
ralleitos wielleicht nur den Weg nach oben bezeichnen follte, wie
er mit dem nach unten zugleich befteht, ift erſt fpäter zu einem
techniſchen Ausdrukk für dieſe periodifche Verwandlung umgedeu⸗
kt worden, und wird als ſolcher allgemein den Stoikern zuge⸗
qhrieben. So Clemens nachdem er den Herakleitos angeführt
hatte Strom. V, 1 oids yag xal odrog dx Tg Bapfapov vo-
Has uadwv nv dia nupög zadapoıw Tmv xaxug: Peßsm-
WTWY, iu UGE009 dxnipgworv Exaitoev oi Irwixoi. Chen fo
dimplicius (de Phys. f. 111. b) ziev ö’ &v xal ol Zrwixol |
aurng Tng ÖoEng* 7 yap Exrnvgwoig TOIOVTOV Ti aivirteran.
uch finden fich noch Spuren, daß diefe Vorſtellung nicht al»
mein für. berakleitifch gegolten. So befchliegt Marimus Ty⸗
us die oben (S.407) angeführte Stelle mit den Worten dıe-
077% öpas Piov zus ueraßoinv OwucTwv, xaıvovgyiav Tov
lov, fo daß diefer Schriftfteller Feine andere Erneuerung aner:
nt hat ald eben die theilmeife erfolgende. Noch Imerfwürdi: 64
w ift eine Stelle bei Antoninus, der freilich anderwärts (II, 3)
sch fagt Hlpazisırog nıeoi Ing ToV x00u0V dxnugwoswg To-
Buse gvowioynoas, hier aber (V, 32) in den Worten wore
3 ravsa availnpdnvas eig röv Tov ÖAov A6yoy, Eite xara
1910809 dxnupovusvov, eite aidioss auoıfaig avaveovusvov
wg deutlich der floifchen Lehre von der periodifchen Zxrrvgwaus
“ 6 ?2
\
x
\
'
100
eine anbere gegenüberftellt von einer nur durch immermwährenben
Wechſel erfolgenden Erneuerug. Auf wen aber fol man biefe
zurüffführen als auf den Ephefter, da fich fonft nirgends eine
ähnliche Anficht findet? und muß man nicht hieraus faft auf
“eine zwieſache Auslegung dieſes Theiles feiner Lehre fchließen?
Waͤren ed nun nur die Stoiker welche die periodifche gänzliche
dxnvowois bem Herakleitos beilegten, fo wäre ed um fo leichter
fie lediglich als ein Mißverſtaͤndniß anzufehn, da diefe Schule
niemald ein Talent der Naturforfchurg befeffen hat, und alſo
leicht das ohnehin dunkel gefchriebene Werd eines ſolchen unrich⸗
tig auslegen konnte, deſſen Naturlehre fie nur andermeitiger Ueber
einflimmung wegen in ihrem Syſtem ermeuern wollten: Auch
fcheinen fie nicht nur des Entlehnens , fondern auch des Miß⸗
brauch& befchuldigt zu werden von Plutarhos: ’Axovw Taür,
ws dm, noAluv, x 000 TIP OTWIXNV ERipwaıw.Wworep Ta
Hoaxisitov xal ra "Vopeug Enıveuousvnv Enn olrw xal 1a
Hoiödov, xal avvefanerworvx.r. A. (de def. orac. II, p. 415).
Allein diefe Auslegung rührt ſchwerlich von den Stoikern her,
fondern fie find nur auf dem Wege fortgegangen, den fchon Arts
ſtoteles eingefchlagen hatte, und es fcheint härter diefen eines fols
chen Mißverfländniffes zu zeihen. Daher ift es nothwendig bie
beiden Stellen, auf welche es außer den fchon angeführten Wor⸗
ten vornemlich ankommt, näher zu beleuchten. Zuerſt Meteorol,
1, 14. wo die Rebe ift von dem Abnehmen des Wafferd in meh⸗
zern Gegenden ber Erbe, fagt er ol niv ovv Alenovses ind
11x0609 airiav oloyras TWY TOWUTWV NaINUATWwy Eivas vw
roũ Ölov nesaßolnv, wg yıyvoussov ToU oVgavou'. dio xal
ev Öalarıav ilarıw yiyvesdai Yacıy ws Enoaswvousvne,
Alerandrod in ber hieher gehörigen vorher ſchon angeführten Stelle
feined Commentars bezieht nun dieſes auf die herakleitifche und
ftoifche xvpwars, fo daß Ariftoteled hier jenes Keuerwerden des
Ganzen auf feine Art bezeichnete, wie auch die Wendung felbfi
au vewathen fcheint we yuyvonsvouv roü vüpavov.. Naͤmlich
102
n iſt ovoawös Me übermondliche Region. wo die fünfte Sub
my berrfcht, und die gänzliche Umwandlung aller Dinge in ein
vo aidegwwdeg Tonnte er allerdings bezeichnen als ein Werben
ine® Himmels. Auch die Art.:wie er bie angeführte Meinung 16
iberlegt beftätigt diefed. Er ſagt nämlich, jene Menovrec Ednl
ux009 würden, wenn fie fich weiter umfähen, finden daß zur
elbigen Zeit an andern Orten bad Meer zunähme: dAAs rov-
tou TV aitiay OU Tv ToU x00uov Jeveaıy oleoFas zer.
Naͤmlich im Gegenfaz von odgavos Tonnte er bad Syſftem ber
wandelbaren Elemente xöomog nennen: und wenn alfofeine. Wi⸗
derlegung darin heftcht, daß in diefem Sinne nicht beides zu⸗
glei flatt finden Fönne, Werden des Himmels und Werben ber
Erbe: fo hatte er nicht ein folched Feuerwerden im Sinne, wel⸗
ches eben beshalb ununterbrochen fortgehen kann weil es mit
dem entgegengefezten Prozeß zugleich befteht, fondern jenes wo⸗
durch ber entgegengefegte Prozeß mit allen feinen Reſultaten aufs
gehoben wird, fo dag er erft in einer neuen Zeit aufs neue ber
gianen muß. Daß aber hier obgleich ungenannt gegen ſonſtige
Gewohnheit Fein anderer ald Herafleitos gemeint war wußte wol
Umandrod aus einer Achten Tradition; auch ift keine andere
wigliche Beziehung aufzufinden in allem wad wir von borarie
ſeteliſcher Naturmwifjenfchaft wiffen. Schon diefe Stelle alfo ex
Inbt Teinen Zweifel barüber, daß Ariftoteled dem Herakleitos
nicklich diefe Lehre zugefchrieben. Die andere Stelle de Coele.
\ 10 lautet fo: yevöusvov ud adv, nämlich Tor od0avon, sr
Bayıss zivai gaoıv, üllz yeröusvov ol uiw didıoy: ol 8
Wapröv wong örwVv GAlo TuV giası awvıorausvoy, ol
V bvallaf Öre udv ovrwg, Öte dd &ilmg Eye gisıgöus-
ny*), al roũto dei Ösareleiv oürwg, woneo 'Eunedo-
Mac 6 Axgayayrivog wat Hoaxieıros 6’ Eyeasos. Die fehr
9 Simplieins lieſt f: 53. wo er dieſe Stelle wahrſcheinlich aber nur aut
dem Sedaͤchtnih anfühet gHugıor flatt gdegonssar.
Pr
Ä 102
undeutlichen Worte ol 8" Zyaiick... piipöuevor erflärt
Simplicius gleich fo fol. 78. b: dunääig d2 roüro (nämlich, rò
Gdagröv gavaı)’ ol ulv yap oira gpüaprov eig örioir
. ́aao TaV OvveotWrwv dToumv, WON Zwxparn, PIaprör
Snkovörs Kal ovxerı Enavnxovrae, ol ö° auosladov yive-
oFai Te xal pieigesdas Tov aüröv zul audız pisipeadei
(was wol heißen muß xal audıg yiveodhas ober xal avd
yiveadaı xal gp9eiosodai) Yacıv, xal dldıov eivas T19
vomürnv Hundoynv. So ſehr nun auch der erfle Theil biefer
Erktaͤrung bezweifelt werden kann, weil Simplidus ſelbſt um⸗
ten fol. 69 laͤugnet, irgend ein Alter habe eine folche Yoga
ber Welt angenommen -wg. PIagkvra unxerı aldıs Inavıjzay,
und:fich. vorher fehr quaͤlt dieſes PPœoròov woneo Örıouv aklo
auf den Demokritos zu beziehen: fo richtig iſt unflreitig der lezte
008 Theil: berfelben, und wirb beflätiget durch den Ausdrukk deſſen
ſich Ariſtoteles felbft weiter unten bedient, wo er die angeführten
Meinungen würdiget 20.0’ &vadiaf ovvisavas xal Ösakveıy,
ovölv dlAosöregov nosiv..dsıv, 7 TO xaraozeudium alröv
aidıov udv, ueraßaklovra Ö8 TV uoopnv. Wiefern es nun
richtig ift zu behaupten, bei einem folchen Wechfel von Weltbils
dung und Weltäuflöfung ſei doch nicht ſowol eine Weltzerflörung
gefezt ald nur eine Weltverwandlung, eben wenn man von bem
Begriff ausgeht, die Welt fei 647 7 UAn sidonsnomusfn xal
xerarerayuevn (Bimpl..f. 71. b) und wie beide, Ariſtoteles
und fein Commentator zu diefem Behuf ein folches Nichtbeifpiek
anführen konnten, wie folgende worseo El tig dx naudög =
dpa yıröusvov zul EE Gvögös naida üre uV pieigeades
örs Ö’ eivas 'oloıco, da fehe jeber felbft zu: foviel aber iſt ges
wiß, Daß wenn auch das reine Feuer noch Belt fein fol, alde
dann mit Unrecht auch von Herafleitos gefagt wird, daß er bie
Melt für geworben audgegeben *), und es muß der ganze Um⸗
) 3u beklagen ift es, daß wir nicht beſtimmen koͤnnen was Simplicius
hierüber geſagt hat, indem grade hier (fe 68. b. 1. 36.) eine Lüfte I
403
lang ſeiner Lehre dem Arifloteled hier wenigſtens night recht glo
genwärtig gewefen fein. Denn bas immerlebende Feuer, das
Eine feiende, war auch wie wir gefehen haben immer, und kei⸗
ner der Götter hat es gemacht. Auch zeigt bad ganze folgende,
am beutlichften aber wol die Ausdrüffe eis KAlnie Twy c0-
xeitw Ovviovrwv und Ei TO 0409 owua ovveyi; 69, daß Arie
fioteled überhaupt mehr an ben Agrigentiner denkt ald an ben
Epheſier. Dffenbar aber ift freilich dag er dieſem benfelben pe.
tiodiſchen Wechfel von Zufammenfezung und Aufläfung der Welt
belegt wie jenem. Mit welchem Recht nun, darauf kommt es
eben an. Und wie fol man anders glauben, als bag feine uns
philofophifche Methode, die einzelnen aus dem Zufammenhang
baauögerifienen Lehren verfchiedener Weifen unter feinen eigenen |
Kubriten vergleichend zufammenzuftelen, ihn auch bier irre gen
führt habe? Denn grade in welcher Hinficht er den Herakleitos
und Empedokles zufammenftelt, in berfelben unterfcheidet fie
Platon auf das beſtimmteſte. Wo er nämlich von dem Einen
und Vielen rebet (Sopb. p..242, e) fagt er 'Iades da zal Lı-
wlxei TiVeg Ügegov uovoas Evverönoav ürs ovunkexeiv
dspaltsarov. aurörsgu xal Atyeıy wg To 09 nolla Ta xal
Hi, doc 62 xal Yılla ovvezeran ÖsapsgöneVoy
gap asi Evupegeras, pacly ai OUVIOWTERAL TWV MOV- 410: --
av‘ al Ödumlaxuitegn TO ulv del Tavra DUrwg Ezeıy
Iychacav, 29 uioss ÖL Tore ulv Ev eivai paaı To nav
... vor dd noAla. Ausſchließlich alfo wird hier dem Empes
hokles zugefchrieben daß er das feiende laſſe abwechſelnd Eines
kin und Vieles, dem Herakleitos aber recht nachdruͤkklich beige⸗
gt daß es bei ihm immer beides zugleich ſei; und Platon koͤnnte
feinem Sommentar tft, zwiſchen den Worten ds zür dumaray avrod
dldssusas und benen 5 yüg dxiiva Adyar, von weldyen bie erfteren of⸗
fenbar noch auf den Empedokles zu beziehen find, in ben lezteren aber
Dis Srörterung über den Herakleitos ſchon im vollen Gange fein muß.
“
\ j 102
nnmöglic ſo geredet haben, wenn er im SriaHeitos gefunden
hätte ein zwiefached ovumisxeıy diefer Gegenfäze, deren’ eines
ausgedruͤkkt wuͤrde durch die oben ſchon angeführten Worte dın-
Yeoousvov yap aei Euupeoeres, bad andere aber bem empedos
Heifchen ganz gleich ware. Wie nun der Zufammenhang ergiebt,
dag er allerdings bei Empedokles user dem Vieles fein verfteht
die Welt der Zwietracht, unter dem Eines fein aber den ogyai-
eos: fo geht auch beim Herakleitod das Eined fein offenbar _
darauf dag in einer Hinficht alles Feuer iſt, das Vieles fein
aber auf die Mannigfaltigkeit ber Erfcheinungen; und wenn beis
des immer flattfindet, fo kann auc nie diefe Wielheit zerftört
und zumweilen alles lediglich Feuer fein. Gewiß alfo bat Platon
von folchen periodischen Weltzerflörungen nichtd gewußt; und da
nur er auf der einen Seite der aͤlteſte und ficherfie Gewähr
wu mann iſt, und auf der andern fich fchon ergeben hat wie leicht
jener Mißverftand entfliehen konnte: fo werben wir wol am bes
ſten berathen fein, wenn wir ihm folgen, und dieſe Behauptung
auöftreichen aus dem Verzeichniß herakleitifcher Lehren. Was
aber aus der ariftotelifchen Stelle Meteorol. I, 14 hervorgeht,
und fehr wol mit allem übereinflimmt was wir bis jezt als
wahrhaft herakleitifch erkannt haben, ift, daß wie im Beinen Tag
und Nacht, Sommer und Winter, ein wechſelndes Uebergewicht
‚ barftellen einmal bed Weged nad) oben und einmal bed Weges
nach unten, fo Herakleitod auch in großen Perioden einen ähns
lichen Wechfel, ohme jedoch daß je einer von beiden Prozeffen
ganz unterbrüfft würde, angenommen hat, einige in benen fich
alles in der Natur mehr auf bie Seite des Feuers neigt, für
welche ihm dann Austroffnen feuchter Gegenden und Zuruͤkktre⸗
ten des Meeres beweifende Phänomene waren, andere wieder in
welchen der Weg nach unten und das Waffer die Oberhand hat.
Diefe waren ed wol, welche er durch die Worte xogog und zon-
suoavon bezeichnete, und auf fie bezog fich auch wol bad große
Jahr welches er angenommen. | |
⸗
405
VI. Wie run das Sein nur in ber Bewegung iſt, und
08 Feuer ald das beweglichfte und bewegende gleichfam bie po»
fitive Seite des Seind und das Gute darftelt: fo ift auf der
andern Seite die Ruhe ber Zod, und das Starre ald das zu: «2
hendfte und unbeweglichfte flelt die negative Seite dar, daB
ſchlechte und verwerflihe., So wird Plac. phil, I, 23 (f. oben
6. 360) Hinzugefügt ars yap vovro, Ruhe und Stillſtand
nimlih, Twv- verawv. So wird die Ruhe bargeftellt als
Qual (Stob. Ecl. phys. I, p. 906) .. 70 udv dv Toig avıoig
imusveıw xduarov eivas, TO d2 neraßdalsıv geosıy Wa-
nevos. Und Samblichos in einem Fragment bei Stobaͤos (Ecl.
pays. 1, p. 894), wo er diejenigen anführt welche bad ungeords
nee, dad Boͤſe, zuerft daſein laſſen und die ordnende Kraft ihm
‚ ak fpäter zubringen, fügt diefen auch ben Herakleitos bei, als
; Mihm das Boͤſe geweſen 7 dv zw usrußalleodnı dvanavin,
bie Hemmung des Verwandeltwerdens; welches freilich eine wuns
herliche Zufammenftellung ift, aber fonft doch richtig, dag nur
heſeß dem Herakleitos dad negative und das Uebel fein Eonnte.
In demfelben Sinne ift auch zu verfichen was und Clemens als
ögne Worte des Herakleitod aufbewahrt hat.
2. Odvarög Esıv Öxdom Eyepdivrag.öodoner,
6x00@ O eddovreg, ünvog. (Strom. I, 3:p. 520) „Tod
„iſt was wir wachend fehen, was aber fchlafend, Traum.”
Namlich weil wir alles nur fehen in wie fern es ein beharrliches
WM, denn von ben feften Seftalten war Bier gewiß die Rede, fo «ars
iR eben was wir fehen der Tod, und eben darum wird er auch
gelagt haben „zniv ögaaıy yevdsoder“ (Diog. IX, 5. Hesych.
de vitis'v, Hodxa.) Und nicht hat er wie Clemens meint bie
yeveoıy gewollt Hararog nennen, fondern das nicht mehr wer⸗
bende, erflarrte. Hat nun dad Starre nicht Leben in fich felbft,
fo iſt es auch an ſich felbft verächtlih. Daher auch ber Leib als
entſeelter ihm über die Maßen verächtlich erfchien, wie und Pius
Iaschos aufbehalten hat »
106
43, Niaves yag xonelwv IxPinrorspgos zad
Hoaxkeırov‘ xgiag Öd av vergov xal vexrgov uEgog (Sym-
posiac. IV, p. 669) „Leichname muß man mehr noch ald Um
„flat fortichaffen.” Die lezten Worte naͤmlich gehören dem
Plutarchos, bei dem die Rede bavon ift, daß Fleiſch nichts
taugt, als Speife, ohne Salz, und aljo halb fcherzhaft die
Worte des Herakleitos angeführt find. Map fieht aber nur
um fo ficherer daß fie von Leichnamen handeln, und daß ganz
umgebeutet ift was fpäfere Daraus gemacht haben, wie Sui⸗
das (v. Hodzxl.) Hodzisırog Epn Ölıywgeiv navın Toü
Ouurtog xal vouikv avro xaL xonpiwv ExßAnrorsgor'
ex T0V 6Q50V ÖL adrw Tag Hegansiag anoninpovv, Ewg
av 6 Üsög ware Öpyayo rw owmuarı yonodas Ensrarsn,
«6 und faſt mit denfelben Worten Cedren, bist. p. 157. Aud
Celſus machte einen fremden Gebrauch davon gegen bie chrifts
liche Auferſtehungslehre in einer Stelle die und Origenes aufs
behalten (contra Cels. V, p. 588) ei wuyns Ev aiwvıov
. Bwınv Öivaıs av napaoyeiv‘ vexveg Ö2, pnoiv’ Hgaxksı-
ros, xongiwv. EnfAntorepos" odpxa 67 . » . aiWYI0V Ano-
yrvas... ovre Povimaeras 6 Deög, oVre Övvigeras. Die
Redensart xongimv Exfintoregag führt auch pollur (Ouom.
V, 163) als herakleitiſch an.
Und hieher ſind ohne Zweifel auch jene Nachrichten zu ziehen,
Herakleitos habe den Menſchen fuͤr von Natur unvernuͤnftig ge⸗
halten, wie Sextus (adv. Math, VIII, 286) as unv imrws 0
Hoaxasırög gnos TO un eivar Aoyızay ToV Kvdowmnov, nö-
20vV Ö” Unapyeıv ppevnpes TO meguiyon, und Philofiratod (Ep.
. 18) Hocxisırog 6 Yvoıxög Aloyov Eivas xara pics ägpnat
209 &ydownov. Denn der Zufammenhang beider Stellen zeigt
deutlich wie fie zu verftehen find, Im dem Leibe nämlich für
ſich betrachtet herrſcht das ſtarre und waͤſſrige, alfo glaubte er
daß dad Leben dieſem nicht eigen gehöre; und was der Menſch
xara vos if, darunter iſt zu verſtehen, wad er fo ift wie er
107
au im Schlaf und im Tode erfcheint. Die Wärme aber und
die Selbfibewegung feitete Herakleitoa erſt ab aus ber Verbin⸗
bung bed Leibes mit ber übrigen Welt und vorzüglich mit dem⸗ os
jenigen worin fih am reinften dad Weſen bed Feuers darſtellt.
Und dieſes ift eben bie äußere höhere vom erſtarrten entferntefte
Region, von allen Berichterflattern über umiern Weiſen, ungewiß
jedoch ob mit feinem eigenen Ausdrukk, zö nreguszoy genannt.
Selbfibewegung aber und Bewußtſein, Erkennen famt allem das
bin gehörigen, waren den Alten insgeſamt weſentlich verbunden,
und wo nur Lebenskraft, Seele, yuzn, genannt wird, ba iſt im»
mer bie Einheit diefer beiden Thaͤtigkeiten gemeint. Auch He⸗
rakleitos vermochte nicht beides zu trennen; wenn alſo alle le⸗
bendige Bewegung von dem negseyov ausging, fo ging auch
von ihm aus alles Erkennen. SInfofern demnach dad reinfte er
ſcheinende mindeft verlofchene Zeuer gleich geſezt werben kann
dem ewiglebenbigen, ift es auch die allgemeine Seele, von wels
cher aus erſt Lebendkraft und Bewußtſein alles übrige was fich
deren erfreuen ſoll durchdringen muß. So Sextus (adv. Maib.
VI, 126) ageoxeı yap To pvaszos Ta negsiyoy nuüg Aayızaa
09 zaL poernees. Daher. ift auch das Erkennen in fofern
& wahr. ift in allen eined und baffelbige, ein gemeinfchaftliches.
nu bier glei) mag ed erlaubt ſein die Vermuthung aufzuftels
Im, daß ber Sprachgebrauch durch das Wort Aoyog auch die
Bemunft zu bezeichnen, der ſich aus Seiner andern Denkungsart «ro
ſo natürlich erklären läßt, von Herakleitos wol zuerfi audgegans
gen ift, und abgeleitet von Asyeıv fammeln, sufammenftellen, wos
von auch bie mit jener Bebeutung von Aöyog zufammenhangens
ben Aoyilzodas und Aoysauog. Denn ihm ift ja das Weſen
bee Dinge nichts anderd ald bad jebesmalige Maaß und Ver⸗
haͤltniß, bald ueroov bald Aoyog von ihm felbft genannt, nad
welchem jened Feuer ſich entzündet und verlöfcht und bie vers
ſchiedenen Aeußerungen nad) beiden Seiten fidy unter einander
hemmen. Alſo hat auch das Erkennen Beinen andern Gegenftanb
103 ®
als den Inbegriff diefer Verhältniffe; und da «8 urfpränglich mus
demifelben Weſen einwohnt aus. welchem jene Verhaͤltniſſe fich
entwikleln: fo ift e8 auch nur bie Art wie daes Grunbwefen bie
Geſeze aller Entwilllungen in fich. trägt. In diefe Bebeutung
werigftend fpielt Aoyog hinüber in-jener bekannten Stelle bei -
Sertu8 (adv. Math: VII, 132) welche.wir bald in.ihrem ganzen
Bufammenhange ‚aufführen werben, bier aber nur aufmerkſam
batauf machen wollen, daß man wenigflend in den Worten rov
Aöyov Ö2 Zövros kuvov, (wovorv ol moAlot wg lölav Eyovres
gecvnosw mit Feiner. andern Bedeutung von Aoyag audreicht,
und daß hier .garız offenbar die Quelle ift von dem floifchen
u7 Ausbrukt x0s0ög..A6yog, ber wieberum in feinem Zuſammenhange
mit den Aoyoıs ansouarsxoig noch deutliche Spuren davon trägt,
daß die Bedeutung herüber genömmen.ift von ben Verhaltniffen
burch welche die wiederkehrenden Formen der. Dinge ba; find.
Man vergleiche nur .Atbenagor. legat Ed. Ox. p. 28. Ei yap
6 uv Deög nVo Teyvıxöov üdm BadiLov Ei yeykakız xücor,
Eunepisiiygog Gnarzag Tolg ONEQURTILDUG Aüyovs f wa
vUs ixasa za" elumpusunv yiyveras.
Doc diefes nur beiläufig.. Die Sache. felbft Beireffenb aber
muß nun fchon jedem einleuchten, bag in der menfchlichen Seele
bem Herakleitos nur dasjenige dad wahre Wiſſen fein wird, wa
sein aus jenem allgemeinen Siz bed Erkennens abgelditet und
einerlei ift mit dem höchften Geſez des Werdens ber Dinge. Unb
hieher gehört nun. zunaͤchſt ber Verfolg des ſchon oben R 13,
©. 341 342 angeführten. Bruchſtuͤkkes
44. Eivas yao &v 76 ν Enigaodas ννÜ
ira 05 öyavßepvnosı nayea dıa nayzoy. Bean -
gleich, mie fehon oben bemerkt, ber Uebergang zur inbirectn
Rede kaum anderd zu. erklären iſt als durch eine unterbrochen
Eitation: fo find doch Died gewiß ebenfalls eigene Worte de
Herakleitos, und im Zufammenhange mit jenen, um ben Gs
genfaz zu geigen zwiſchen dem was wahrhaft weiſe iſt unb -
’
109
der noAvuadin. Nur find die Worte Are ol derderbt und rs
weber die Leſearten öre 7) und Ir⸗ ol, noch was die Heraus
geber, ded Diogenes und Meric. Caſaubonus (ad Antaoin. V,
p 403) beibringen, fcheint zu befriedigen. Eben fo wenig
Creuzers zwiefacher Vorfchlag 7 Öfes oder 7 wÜtes Ev Xußeo-
moss denn was heißt Ödsıv 29 xußeovnoss, und wdeiy
ara dia navıwv? Bis auf befferes möchte ich leſen ra
om xußeovnosi navyra de nowswv. „Denn Eine nur ſei
„weiſe zu verſtehen die .Einficht welche allein jeglichen geleiten
„ann durch alles; wo aber auch, wie man fchon aus Zrti-
saodas fieht, Die yywun nicht zu benfen ift ohne ihren In⸗
ht, dad allgemeine Geſez. zrywun aber geradezu durch Gott
überfegen, ober auch nur beſtimmt ald Weltfeele zu verfiehen,
k fm und felbft die Vergleihung mit N. 11, ©. 334 nicht
geneigt machen.
mer die auch ſchon oben in anderer Hinficht angeführten Worte
fuvbvy Esı nacs ro pooveiv: UV 900 Akyovrag
ioyvoiteodas yon ro Evvo navırwv, ÖRWONER x.
5. A. (ſ. N. 18) welche fo beftimmt darauf dringen, daß wie
aur in dem allen gemeinfamen Geſeze bed Staates dad Wohl,
fo audy nur in dem allen gemeinfamen Erkennen die Wahrs
beit fei. „Das Erkennen ift allen gemein. Die mit Ver: am
‚munft veben wollen müffen ſich durchaus halten an das als
„len gemeinfame, eben fo wie u. f. w.“ Die vorhergehenden
Worte aber „owpooveiv apern ueyion' xal gopin
alndia Akyzsıy xal noseiv xara pyvcıy Enalov-
vac“ will ich nicht behaupten bag man für wahrhaft heras
'-Beitifche zu nehmen habe. Sie fcheinen eher einer fpäter ges
; machten Sentenz zu gleichen, welche einen heralleitiichen Ges
"danken ausdruͤkken wollte und das rechte nicht treffen konnte.
Die Nachbarichaft Achter Stellen thut diefem Verdacht, ber
freilich auf dem bloßen Gefühl beruht und ſich ohne Stuͤze
helbſt durchhelfen muß, feinen Eintrag, Denn niemand wor
| Und in einem folchen Zufammenhang laßt ſich in der That auch
110
doch glauben, daß Stobaͤos das Werk des Herakleitos ſelbſt
in Haͤnden gehabt, ſondern er ſchreibt nur zuſammen aus fruͤ⸗
heren Epitomatoren oder aus zerſtreuten Anfuͤhrungen. Und
ſolches ioniſche wie dieſes, konnte wol Jeder zuſammenbringen.
Aus dieſer gemeinſamen Quelle wurden nun allerdings auch die
Geſeze, als ein gemeinſam von den Menſchen fuͤr gut erkanntes,
vorzüglich abgeleitet, und die Nothwendigkeit ihnen zu. folgen
wiederholt eingefchärft. Daher mit der zulezt angeführten Achten
Stelle allerdings dem Sinne nad) in genauer Verbindung flehn
bie in der Sammlung ded Stobaͤos folgenden Worte rgePor-
ras yao x. r. A., aber ſich wol-nicht unmittelbar an jene an
fhliegen, fondern eben diefe Ableitung lag doch wahrfcheinlich
zwifchen ihnen. Vielleicht hat auch auf Aeußerungen biefer Art,
die nicht beflimmt genug abgefaßt waren, und nicht. bloß auf pros
tagoreifches, Platon Rüfkficht genommen im Theaͤtetos p. 177. e.
Der Tadel aber, daß nicht alles was feflgefezt ift bloß. deshalb
auch gut fein koͤnne, trifft wol den Herakleitos nicht. Denn
diefer hat gewiß, hierin Platond Vorgänger, auch gefolgert, bie
Geſeze müßten von denen ausgehen, welche von jenem gemeinfa>
men Erkennen dad meifte in fich hätten. So verfiehe ich einen
kurzen von Clemens (Strom. V, 14, p. 718) aufbehaltenen Sy
45. Nouos xas PovAn, denn fo muß man leſen, nidt
PovAn, neiFeo das Evog. „Es ift auch Geſez, dem Rath
„eines einigen zu folgen.”
benten, wiewol ed immer ein durch ben Eifer der Freundſchaft
bervorgebrachter Auswuchs bliebe, daß auch die bekannte Stelle
über den Hermodorod in dem großen Werke des Herakleitos ge .
flanden habe
46. Kadanreras ÖL xal Twv Fpeoiow, ini roõ roͤ⸗
fraigov Eußuheiv “Eguoöwgov, Ev ols now Atuoν
"Eyegioıg nßndov anoFaveiv nücı, xab Toig
aynßosg vn» nolıy xaralıneiv, osrives Ep
|
— A ne
111
nodwgpov Ewurav Öyniorovw EEdAaRoy Alyovreg
„Hutwv undöR eig Oynigog &gw* ei di Tıg Tosoü-
og, alln re xal ver allmy“ „8 gebührte den
„Epheſiern, wie fie- erwachfen find allen zu flerben und den
„unmündigen bie Stadt zu verlaffen, weil fie den Hermodo⸗
„ros, den trefflichflen unter ihnen, vertrieben haben, fagend,
„Unter und foll Feiner. der trefflichfte fein; ift einer ein folcher,
„ſo ſei ee es anderwaͤrts und bei andern.“ So Diogenes
(IX, 2.) Und genau fo Cicero (Tauso. V, 36), nur daß er
dad nAndov "und toig avnpoıg . . » Karakıneiv nicht mit
- ausbrüfft. Aber wunderlich verdreht führt daffelbe Jamblichos
an (de vit. Pyib. s: 173) od yao xauddneo "HodzAsırog
Evpeoioię yoayeıv Ep Toig vouovs, anaykacdaı Toüg
noAitag nmdöv xelsvoas. Die Verwirrung Fann vielleicht
durch Diogenes veranlagt fein, der unmittelbar nach diefer Ers
Yhlung von einer dem Herakleitos \angemutheten Gefezgebung
für Ephefos redet. . Das anaykacdaı hat auch Strabo
(XIV, p. 950) und hernach liefl er pavreg flatt Asyovres, -
und ei Ö2 un ftatt es de Tıg Tosoürog; dunkler iſt jenes,
aber auch attifcher, und überhaupt wol nichts zu entſcheiden
über die Leſeart einer Stelle, die wegen des Ruhmes, den «2
Hermodoros in Italien erlangte, in gar vieler Rund kom⸗
men mußte.
Am allgemeinſten aber und vollſtaͤndigſten handelt von dem aus⸗
(liegenden Werthe dieſes gemeinſamen Erkennens jenes Bruch⸗
ſtuͤkk, welches zuerſt von Ariſtoteles (Rhet. III, 5) und nach ihm
von mehreren, am vollſtaͤndigſten aber von Sextus (adv. Math,
VI, 139 aufbehalten worden iſt, welcher auch ſagt, daß Hera⸗
kleitos, nachdem er dad nrepızyo» erläutert habe, alſo fortfahre
47. Aoyov rovde Eövrog aiel akuUvstos Yivov-
Tas avdgwnoı xai ngoadEV haxoVdasxaldxov-
gayres TO NEWFOV" yıvouEvwy yao xara roy A0o.-
yoy vönde BR enge rer inioy
UNION THECLOGICAL SEMINAET
112.
aa) £pyay Tosotrar öxoimn Eyu dınyevua:
xard pVosv draıplmv Exagoy xal yoatwr Öxag
&ysı- Toig Ö2 üAkovg aygoWunovg Aavdaves 0x0
oc Eyegd#ivres noLovcıv öxwognse 6x00a EVÖOR
seg Enıkavdavovrar. Klemens (Strom. V, 14. p. 716)
und Euſebios (Praep. XIII) Iefen rov dgovrog; allein für
die Lefeart des Sertus enticheibet, dag nicht nur Ariftoteled
eben fo lieft, fondern daß auch -fein ganzer Zweifel, zu wels
Pr chem Zeitwort wie gehört, nicht ftattfinden koͤnnte wenn de-
ovrog geftanden hätte. Das aier felbft aber fehlt bei Sertus,
und ift aus Arifloteled und Glemend aufgenommen worden.
Wohin ed aber gehöre darf und nicht zugemuthet werben beſ⸗
fer zu wiſſen als Ariſtoteles, und es mag nur willkuͤhrlich
fein, daß wir zum folgenden ed ziehend fo uͤberſezen, „Von
„dieſem beftehenden Verhältnig finden fich die Menfchen im⸗
„mer ohne Einficht, fowol ehe fie davon hören ald nachdem
‚sie zuexrft davon gehört. Denn bed nach diefem Verhaͤltniß
„erfolgenden unkundig fcheinen fie zu verfuchen folche Reden
„und Werke, dergleichen ich durchfuͤhre, der Natur gemaͤß jeg⸗
„liches auseinanderlegend und beſtimmend wie es ſich verhält
„Den übrigen Menſchen aber bleibt unbewußt was ſie wa
„hend thun, eben wie fie was fie fchlafend gethan vergeſſen.“
Doch es war nicht ſowol die Klage uͤber das dem gemeinſamen
Erkennen ungemaͤße Verfahren der meiſten Menſchen was wir
anführen wollten, wiewol auch fie wichtig genug iſt, weil erſ
von dieſer Begründung aus alle die einzelnen früheren Beſchwer⸗
den dieſer Art zu verftehen find, und unter andern hier Die er⸗
‘ Härende Parallele ift zu dem N. 2 angeführten Saz, und weil
man fieht wie Ariftoteled in ‚der -Xhat nicht weiter ald bis hie:
ass her gelefen zu haben brauchte, um ben. Heralleitoß ald ein Bei⸗
ſpiel anzufuͤhren der fefteften Ueberzeugung von etwas was für
den Stagiriten nur eine paraboye Meinung war; fondern «8
war und vornemlich zu thun um die folgende mit biefer Klage
113
cbundene Anweifung. Nachdem nemlich Sertus eingefchoben
ne Erklärung, dag in dieſen Worten offenbar gefagt fein folle,.
r thäten alled und erfennten alles durch Zheilnahme an ber
ttlichen Vernunft, fagt er, Und kurz darauf ſchließt Heraklei
z alſo weiter
48. ö1ö dei inzodaı co Evvo” rToV 1öyov ö28
Eoyrog EvvoV Lwovoıw ol noAkol wg Ldiav Eyov-.
TEes PoOvVnoıvy“ nö Esiv oüx GAlo zu n dbnynois Tod
TEONOV Tg TOV nNavrög dioimhosws* dio xadorı iv ab-
roũ TS HYNUng xowwmvnowusv, aAmdevoum- & 08 av
idscowuev, wevöousde. „Darum muß man bem gemeim
‚Nomen folgen: ohmerachtet aber dad Geſez“ (de Denkens
nämlich, einerlei Mit dem Geſez des Seins) „ein gemeinfas
„mes ift, leben doch die meiflen als eine eigenthuͤmliche Ein-
„ſicht befizend.” Das folgende aber, wenn gleich e3 ganz des
ſtimmt Acht: herakleitiſche Gedanken ausdruͤkkt, können wir uns
dech unmöglich entfchließen mit Stephanus und Fabricius
- md Greuzer noch für eigene Worte des Herafleitoß zu halten,
"wäre auch, was wol fein Tann, wenn er etwa, einen Coms sss
mentator vor fich "hatte der nicht beftimmt genug feine Erklaͤ⸗
nungen von der Srundfchrift unterſchied, Sextus felbft diefer
Neinung gemwefen. Denn viel zu fhulmäßig und nach fiois
ſcher Form zugefchnitten ift zumal die Erflärung 7 dd—dıoı-
zjoswg; aber auch das folgende trifft wol derfelbe Vorwurf.
bar wird hier die Einficht welche jeder einzelne anderd für
hat als ierig verworfen, und nur der reine Ausdruf des
meinſamen Gefezed ald Wahrheit gepriefen. Warum nun aber
biel Urfach ift über den Mangel diefed gemeinfamen Princips
& Bahrheit in den Vorſtellungen der Menfchen zu klagen, und
uher diefer Mangel rührt, das verfteht jich aus des Ephefiers
ſit allem bisherigen genau zufammenhangenden Gedanken von
RB Gere, welche wir hier vortragen müffen.
. Die See, als dasjenige wodurch allein Selbiheweruag
ea 2, III. 2. | H
114
und Bewußtſein möglich wird, muß im Gegenfaz gegen das für
fich betrachtet flarre und todte des Leibed dasjenige Weſen fein,
welches die höchite Stufe darftelt von dem Wege nach oben,
und dies ift nichtö anders als der fehon vorher erwähnte troßs
Tene Dunft der auch die Geftirne bildet und die höheren meteo
rifchen Ericheinungen hervorbringt. SHierüber redet auch Ariſto⸗
ss teles ganz deutlich (de auima I, 2) Kal 'Hoaxisırog Ö2 zm
agan? eival nos TV wuyiv, einso T7V avaduniacıy, &
56 Tale ovvisnoı xal yap Rouuarov Ön xal 60V as x
z. A. Was er bier von der oyn fagt, dies wollen wir ihm als
ein verfehltes Beſtreben den Herakleitos in ariftotelifched zu uͤberſe⸗
gen, gern erlaſſen; denn es zeigt nur wie wenig er ihn verſtan⸗
den. Wenn namlich auch das Feuer ald das ewiglebende die
Quelle beides aller Bewegung und alles Erkennens ift, und in
fo fern allerdings, wiewol wir nicht wiffen ob Herakleitos fih
diefed Ausdrukks bedient. habe, die Seele ded Ganzen genannt
werden kann, befien Leib alddann aber ſaͤmmtliche vergaͤngliche
Erfcheinungen fein müßten, welche die Welt bilden: fo ifk doch
eben in wie fern fie Engd dvasyniaoıg ift die Seele ſelbſt eine
ſolche Erjcheinung, und damit fie Seele werde, muß ja ſchon ein
Leib, aud niederen Entwidelungsftufen gebildet, da fein, dem fe
nach Herakleitod von außen fommt, nicht aber dad Princip fe
ner Entflehung tft. Kann man alfo etwas nach Herakleitod
Seele ded Ganzen nennen, fo wird died denn auch aoyn fan, .
aber keinesweges Enod dvadyniaoıs; fo wie die Seele in wie”
fern fie dies leztere ift nie Seele ded Ganzen und aoyı fen
kann. Auch hat Arifloteled mit dieſer Aeußerung feine Commen
ası tatoren in fichtbare Werlegenheit gefezt. Denn ber eine Sohanneb
Philoponos fagt um ihm zu helfen, das Feuer welches Hera⸗
kleitos als aoya feze fei nicht die Flamme, ſondern die Enge
avadvuiacıs, was eben fo wenig richtig iſt und was er auch
felbft aufhebt wenn er fagt duapegss ö2, nämlich Herakleites
vom Demokritos, ors dxsivog avvsyds own älsya zo Up,
|
115 | \
roũro Önzp xal nueig pauev, 0:68 Anuoxostos x. T. A. und
der andere Themiſtios, ebenfalls um die aoyn und die wuyn
gleich fezen zu Eönnen, ſagt, unter der avadvuieoıs, aus wels
her er alles andere entftehen laſſe, fei nicht3 anderes zu verftes
den als Feuer, und dies fei allerdings das unförperlichfte und
immer fließende. Etwas richtiger druͤkkt er fich weiter unten
and, wo er weniger durch Ariftoteles gebunden redet, wg d’ ödo⸗
yE EV TWV goryeiovy TV wuynv Edevro, namlich dieſen Ge
bauch von soryeiov wollen wir nicht für richtig halten wenig»
fend in Bezug auf Herakleitos, fondern nur das folgende zuV
&eivov tolDTnTa uovnv ngotidEroı xaL Tn wurn, ol u
supög tv Hepuörnte, xadarneo Ilgaxisırog. Simplicius
aber (fol. 8) ber wol etwas unficheres merkte am ber Rede des
Ariſtoteles deutet diefe Unficherheit falich, seeos d2 Hlgaxlsırov
svAloyslousvw EOIXEV, 0UX wg Gaypwg AEyoVTog nũo N ava-
Oyniacıv Engav Tv yuynv" all WG ToV NUVgög p0g To
denzouspei xal TO EUXIvNToV &y0VTog, xal TO KiVeliodat Ti z98
ülle xıvoüvrog, xal did TaUT& Te Tn Wuyn ME00NXOVTog,
es dıa@ navrös: Tov Ämvzog Iovon Owuarog x. T. A. Denn
weber ift Herakleitos zweifelhaft oder auch nur unklar geweſen
über diefen Punkt, noch ift das eineo des Ariftoteles unficher,
fondern ganz beſtimmt zu verftehen.
Diele Deutung des Simplicius hat ihren Grunb wahr
fheinlich darin, daß neben ber richtigen fi eine Meinung ver
breitet hatte, die Seele wäre nach Herakleitos Luft. Died er.
Ahlt Tertullianus (de anim. c. IX) non ut aer sit ipsa sub-
sianlia ejus, eisi hoc Aenesidemo visum est et Anaximeni, puto
seeandum quosdam et Heraclito; ift aber felbft eines beffern übers
zeugt ibid. c. V. nec illos dico solos, qui eam de manifestis cor-
poralibus efingunt, ut Hippasus (fo lieft ſchon Fabricius flatt
Hippareus) et Heraclitus ex igoi. Gertus führt dieſe Meinung
in einem noch allgemeineren Sinne auf den Skeptiker Aenefides
mod zuruͤkk zo,ze 09 sure voy "lgaxieırov ang dor, wc
92
116
omow 6 Aiyncidnuog (adv. Math, X, 233); anderwärts fleit
er fie auch ald von mehreren angenommen bar xar dZviow
"Hoaxisırog apa (moi zwy navrwv apyıyv) . . Innaoog
ö2 xal xas Evioug Hoaxkeırog nüo. Es gereiht nun zwar
wie ſchon gefagt dem Sertus, dem die Quellen herakleitifcher
ao Weisheit noch fo reichlich flofjen, nicht zum Ruhme, über dieſe
Veicht zu entfcheidende Frage, wie es fcheint, zweifelhaft geblichen
zu fein, auf ber andern Seite aber iſt ihm am wenigften zu
verbenten, daß er irre gemacht worden durch bad Anſehn des
Aeneſidemos. Wie übrigens diefer, und gewiß erſt nach ihm
andere, gegen bie deutlichiten Auöfprüche des Herakleitos felbft,
auf die Meinung kommen Eonnten, die &oyn fei nach Herakleitos
Luft, dies iſt nur zu erflären aus dem ariflotelifchen Kanon, daß
die Alten baffelbe. was fie ald og festen auch als dad Welen
ber Seele inöbefondere anfahen, verbunden mit jener Meinung
daß die Seele Luft wäre nach ihm. Denn nach einer andern |
Stelle des Sertuß (adv. Math. VII, 349) folgte Agnefidemo :
dem Herakleitos auch darin, daß die Vernunft ihren Siz außen ;
halb des Leibes habe, alfo auch gewiß darin, daß fie, wie wir :
fehen werden, durch das Einathmen hineinfommt: was aber ein
geathmet wird ift nach ber gewöhnlichen Vorſtellung die uf,
Und diefe gewöhnliche Vorſtellung ſchob man dem Herakleitob
unter. Diefe Spur läßt ſich genau nachweifen. Tertullianus
(de auim. c. XIV) Non longe hoc exemplum est a Stratone «
Aenesidemo et Heraelito; nam et ipsi unitatem animae tuentar,
quae in totum corpus defusa et ubique ipsa velut flatas is
ao calamo per onvernas, ita per sensualia variis modis emicet, noa
tam concisa quam dispensata. Ja ed haben wie es fcheint
eigne herakleitiiche Worte DVeranlaffung dazu gegeben. Diee
führt und Clemens an, welcher da wo er den Herakleitos be
Ihuldigt fi aus Orpheus bereichert zu haben, nachdem er jene
orphiſchen Verſe angeführt hat, alfo fortfährt
117
49. Hodrketog & roVso7 avvssdusrog Tobz Aoyow
BE aus yocpeı, yuynas Bavarog Vdng Fevdadas,
Vdarı dd Favaros yi7Y yerdodas dx yücg O8
‚Uöwg yiveraı, dk Übarog dd yuyn. „Den Seden
„iſt Tod Waffer zu werben, dem Waſſer Tod Erde zu werden; .-
„aus Erde aber wird Waffer, und aus Waſſer Seele.” (Strom.
VI, 2.) Die lezten Worte de yñe — yuyn beöwegen bem He
raffeitod abzufprechen, weil Philon baffelbige nur, fo anfuͤhrt
«u xui 6 Hoaxisırog, Ev olg ynoa wuynos Odrarog
yöv yevEodes (quod mund. sit incorr. p. 958) wie Heyne
thut (Opusc. III, p. 106) finde ich feinen Grund. Es ficht
. bahin ob ganz in demſelben Sinn gemeint ift, was Proklos
anführt (ia Tim. p. 36) . . xal @AAog ovrog yvywy rwy
"voeoWy Favarag vVyoljas yeväodası gnoiv "Hoc-
zAssrog. Meberhaupt aber bilden diefe Worte zu fehr einen
Herameter, al5 dag man fie wie jie hier flehen dem Hera» ws
Heitod beilegen Tönnte, fondern fie follten wol nur. einen hera⸗
Heitifchen Saz dem Gedaͤchtniß einprägen, wie wir oben Thon
einen ähnlichen Fall gehabt haben.
Aus diefen Morten nun fchloß man alfo fehr natürlih, Wenn
im abfleigender Bewegung auf die Seele das Wafler folgt, fo
muß die Seele Luft fein. Daher fügt auch Philon. hinzu wv-
yiv yap oiöusvog Eivas TO nvevVum, ı7V piv digog Teisv-
nv ylveoıw bdaros, mv 6° Vdarog zig nad yEvecıw ai-
Yirzeras. Nur daß hiebei immer die empedokleifche Phyſik der
vier Elemente zum Grunde liegt, welche ber größten Wahrſchein⸗
lichkeit nach Herakleitos nicht anerkannte, fondern nur drei Ent:
wikklungsſtufen darftellte, zvo, Falco, welches ex hier auch
Wong nennt, eben ſowol die elaftifche Zlüffigkeit mit darunter
begteifend, und 77. Wer nun biefe drei Formen auf jene vier
Elemente zurüßfführen will wird freilich bie Luft bilden muͤſſen
theild aus der Yalaaoa des Herakleitos, theild aus feinem vg,
in wiefern e3 nämlich eim erfcheinendes iſt unter der Form ber
n
Ä 118
dvadvniaor. So wird denn freilich von jener Anficht „aus fü
jeden um fo mehr ald er fih unter Feuer auch ‚Flamme benf
Herakleitos fagen die Seele fei Luft: ganz unrecht aber. wird biei
auch auf die doyn ausgedehnt. Man fehe wad Galenos vor
wden Stoifern fagt Aveüua yap ri nv wuyv eivas Poukov.
Tas xadunso zaL nv ploıv, @Al Üygoregov uEv xab yu-
zoöregov rò Tig YVoewg, Emootepov Öd xul Üepuoregov Tü
ts wuyns. ‚Ed. Chart. T. V, p. 449. Ihm felbft aber dem
Herakleitod ift e8 nur dad Feuer, welches - erlöfchend zunächfl
Waſſer wird, und in diefem Sinne Waffer werden ber Tod ber
Seele, und ed ift nur das erfcheinende Feuer, die Emox avalv-
wiaoıg welche aus dem Waſſer entfteht, und an welche er bie
erfcheinende Bewegkraft und Erkenntnig bindet. Deshalb nun,
weil biejenige Form des Dafeind, mit welcher Herakleitos wes
fentlih dad Leben als befondere Erfcheinung verbindet, fich vor:
- züglich aus dem Waſſer entwikfelt, und der unmittelbare Uebergang
des ſtarren in diefe Form von den meiften überfehen wurbe, nannte
Clemens oben, wahrfcheinlich älteren Gommentatoren nachſprechend,
die heraffeitifche Yalaoca dad wg antpumr naang yevEoswn.
Wo demnach diefer troffne Dunft zufammenhangend in
Maffe und ungebunden fich befindet, da ift der allgemeine Sij
ber Seele, das meoityov ift bad poevnoss, und was ſonſt it
ber Welt Erkenntniß bat und Selbſtbewegung, muß ſie aus
403
dieſen haben. So Plutarchos
* 02 won xal Plenovoa xaL xivnoeos doynv 8 eig
&yovaa zal yvaoıv oixeiav za EAhorgiwv pics KAHN
ganıuxev Anagbonv zul oloo⸗ Ex TOõ PEOVOUVTOg,
önwg xußsoväras ro,re guUunav ad” "Hocxksıror
(de Isid. et Osir. p. 382.) Ich habe unbedenklich aAAadEv
in ben Text gefezt ſtatt des aAAwg Te unferer Ausgaben, ober
was, wie Wyttenb, erinnert, Zylander geleſen haben muß alas
re. Buchſtaͤblich herakleitiſches möchte ich hoͤchſtens im bem
ſezten Worten anerkennen, wiewol auch nicht mit Sicherheit,
119
In biefen will Markt. Iefen öras flatt Sms; gewiß nicht mit
Unrecht, wenn bie Worte plutarchifch find; als herakleitiſch
aber könnte man mol ppovoüvrog önmg xußsovaras verbins
den „aus dem in welchem die Erkenntniß iſt wie das Ganze
„tegiert wird.“
Eben fo Sextus in ber vorhin ſchon angezogenen Stelle (adr.
Math. VII, 126 6q.) roũrov ôn Tov Heiov Aoyov za" “Hoa-
xisırov dr’ Avanvons onaoavres voepol zuvausde. Durch
dieſes Eingefogenwerden wird nun die Seele eined einzelnen, ins
dem die allgemeine Enoa avadvuieoıg fich dereiniget mit dem
in einem jeden. aud den Seuchtigfeiten feines Leibes fich bilden⸗
den trokknen Dunft. Dies ift wenigftend dad wahre an einem
n Berichte de3 Nemefios (de nat. hom. c. II, Ed. Ox. p. 38) Hod-
"zlerog ÖE TmV uEV ToV navrög yuynV Gvavuiacıv Ex 709
| iyewv, tHu ÖL EV Tois lwoıg‘ ano Te ıng Exrög Kal vis &9
airoig Avaduuıaoewg . öuoyevg nepvrevar. Daſſelbe faft «os
wörtlich de plac. phil. IV, 3. Diefe Verbindung nun ift für den
Leib zwar, oder, wenn man bie in einem jeden felbft ſich erzeus
gende avadvuiacıs auch für ſich wenigſtens als bie niebere
Seele will gelten laffen, für das einzelne lebendige zwar eine
Erhöhung, und erft die Quelle ded Lebens in vollerem Sinne,
für das pgevnges felbft aber ift fie natuͤrlich eine Erniebrigung
und ein Tod. Der Leib wird belebt durch feine Verbindung mit
dem Princip des Bemußtfeind und der Selbftbewegung, diefes
aber ſtirbt, weil es gebunden ift und in Ruhe bleiben muß. So
erflärt Sextus gewiß mit Necht Die Worte des Herakleitos welche
er anfuͤhrt
50. O ö&'Hoaxisıröos pnow, öri xal Tü civ xal so
anodaveiv xal'Ev ro Env nuag Esı, xal iv ro
sedvavyas. „Und Herakleitod fagt, ſowol das Leben als
„das Sterben ift beides in unferm Leben und in unferm Tode.”
- (Pyrrb. III, 230.) \
Denn der Tod wird dann bie Ereitung, die Wiederbelebung
nn 120 ‘
der Seele. ' Daher iſt auch gewiß herakleitiſches in jenem Wort⸗
ſpiel welches Platon anfuͤhrt daß die Koͤrper die Graͤber der
Seele find, worauf auch Philon deutet (Alleg. leg. I, fin.) o-
vovou xal 6 Hoaxisırag, xara rovro Muwürewg axoAovär-
‚005 To Öoyueri pnoı, lwuev TöV Exeivev Üavarov, TedN-
ass xausv ÖL ròv Exsivav Piov- ds vüv udv öre Evlpuev tedyr-
\
xbios Tas wuyns xal dig Av &v bnuarı tw owuerı dvrerum
Pevuevns. Auch muß man fchliegen Herakleitos Habe fich meh
rere Arten gedacht, wie das befeelende Princip mit den niederen
Entwikkelungsſtufen Tönne verbunden fein, und zwar nicht nur
folche die geringer find als das menschliche Leber, fondern aud
folche die etwas höheres darſtellen; und dieſe fcheint er gemeint
zu haben fo oft FeoL und datuoves bei ihm in der Mehrzahl
vorfommen und alfo gewiß ald. einzelne Wefen. So mag tr
gemeint haben, wenn er «3 in ber That gelagt hat, wad wie
| bei Diogenes (IX, 7) leſen
navre vvyuv eivar xar daıuövov niyon,
und auc, jenen Spruch, ben Ariſtoteles aufbewahrt hat (de part.
anim. I. 5) |
Exehevoe „ . EiaLEvar Yadboüvrag, zivas ydp xal &r-
Tavda Geoüg
wiewol an ber Aechtheit von beiden zu zweifeln wäre, wenn ed be1
Mühe lohnte. Wil man nun etwas feine Theologie nennen, fe
Tönnte das im firengfien Sinne nur gewefen fein was er voB
dem sregueyov poevngeg felbft gefagt hat in wiefern es ald all
gemeine Vernunft die Quelle alles wahren Bewußtſeins iſt; deni
dies allein war fein Allerheiligfteö, jener Name des -Zeus, de
I)
—E geſprochen ſein will und auch nicht. Und ſo laͤßt ſich wol den
ken, daß die Gegend ſeines Werkes in welcher er hiervon ſprach
dies mar aber, wenn wir anders den Sextus (adv. Math. VI
132) recht verftehen, der Anfang, von fpätern als feine Veodo
yia ift angeführt worben, nicht aber dag er felbft fie als eine
befondern. Theil mit einem eigenen Namen aufgeftellt habe. Wa
121
aber über die mannigfaltigen Werbindbungen der allgememen
Jernunft mit ben verfchiedenen Formen ded Seins gejagt, wäre
me feine Dämonologie zu nennen, und. ift hoffentlid auch nur
ihr in der Kürze abgefaßt gewefen. Und hier müßte dann ald
Polemik gegen die Wolföreligion und die dichterifche Götterlehre
ihten Siz gehabt haben eine unter dem Namen des Herakleitoß
aufbehaltene Stelle, die ich aber ihres alterthuͤmlichen Anſehens
ohnerachtet doch nicht wage als eine aͤchte zu bezeichnen. Sie
fnbet ic |
zuerft bei Clemens (Cobort, e. IV, p. 44) .. zov ye od
20v00v giRogögov ToV ’Eyeoiov Hocxisitov. 179 avaı-
cöúnoicav Övsıdiiovrog Toig ayakuaoıy „Kai ayakuacas
Tovr£osasv suyovras 0%010V Ei Tıg Öonosaı ik
oynvevoıro. Dann noch aus Eeljus bei Drigened (contra
Cels. VII, p. 738) mit einem Zuſaʒ xal unv zei Igaxieı-
105 WE wg Ednoyaiveras xal Toig ayalyacı rov-
TEOI0ıV EVYovYras, 0%0809 El 'Tıg Toios bouoıaı 4
AEOYNVEUOSTO, OVTEYIYYWORWV HEoUg oUTE jowag
‚oitiveg &las. „Und zu diefen Bildern beten fie als wenn
„emand mit ben Häufern rebete, nicht einmal wiffend wer
„Bötter und Dämonen find.” Denn daß er bad lezte auch
für herakleitiſch giebt, fieht man aus feiner Erklärung 6 uEv
re nah Gnogöntwg Unognueiver nAld0v To Toig dyak-
haow zuyeodaı Eav un yıyyaorn Tis Veovg xal Nomag
oitiveg eicıw. — Öoxoiss ſtatt Öouosos iſt nur eine fiuns
reiche Vermuthung, und die doch wenig beffert, und von der
Stelle den Verdacht jübifchen Urfprungs nicht abwälzt. Und
Celſus mußte freilich die alexandriniſchen Juden auch leſen und
konnte ſich von ihnen und mit ihnen täufchen laſſen.
Doch um zuruͤktzukehren: fo mag ſich Herakleitos die menfchliche
Seele betreffend gedacht haben, daß fie von ſolchen Damonen
und Göttern herrühre und nad) dem Tode auch wieder in folche
verwandelt werbe, wic aus folgendem Bruchſtuͤkk zu erhellen ſcheint
. Eva zal Myeras 6odwg Und Hoaxielrov, örı Co pev |
10V Ixsivav Favarov, redvizauey 82 Toy dxei- u
vov Piov. Hierocles in carm. aur. p.186. Es Fann aber |
. hier nur von den Göttern die Rebe fein, und von einem Le⸗ |
ss_ ben außerhalb der niedern Welt, wie die vorhergehenden Worte |
des Hierocles „dio zal Enaugoreoite (6 avfownos) Teig
oy&osoıy, ÖTe ulv Exei (mv TV vosodv eüluiav, Öre 2 |
evraüde nV elodntınv Zunadeıav noooleusavov ge :
nugfam zu erfennen geben. Man findet aber jene Worte von
andern auch anders gebraucht. Marimus Tyrius (Diss. XLI.
p. 489 Davis.) verflicht fie im die ſchon angezogene Schilde
rung von den Verwandlungen ber Dinge überhaupt (f. oben
S. 407). Man vergleiche auch Philon a. a. D. Und_ wahr
fcheinlich iſt es diefelbe Stelle melde Numenios bei Porphy:
rios (de antro p. 256 Ed. Cantabr.) auf den Gegenfaz zwis
fhen Seele und Leib bezieht xat allayod ÖR yavaı Cyw
nuüs Tov Exeivwv (der Seelen) Havarov, za 67%
ExXeivag ToV jueTeoov Favarov.
Und mit einer folhen Verwandlung der Menfchen und Götter
in einander ſtimmt auch gar fehr zuſammen was Herakleides in
Verbindung mit dem’ vorigen anführt
51. 6 yovv oxoreıvög “Hloaxksırog Goapn xal dic au
PoAwv eizalsodaı Övvaueru GeoAoyei T& pvoıxa di W
j pnot, Hedi Bynroi T üivdoonnoı ayavaroı tür
TES TOV ERELVOV FAVaTov Fvnoxovreg nv exe +
vo’ Lonv. (alleg. Hom. p. 442. 443 Gale) Die ef +
0 Worte führt abermals Marimus auh an Ixansı za u E
Hoaxısırov- Heob Hvnrat (fo lieft Schon Heinfins ſtat
aFavaroı), EvFownos EUavaroı (Diss. X, p. 107)
Nimmt man nun hinzu, was Clemens anführt "Oodus ae _
einev Hocxdeiros Avgownor Deal, Hear Ävdon-
zo: (Paedäg. IN, 1. p. 251) — wo aber Stephanus (poes-
phil. p. 135) ganz faͤlſchlich die folgenden Worte Aoyog gap |
123.
adrös noch für Herakfeitifche hält und deshalb auch wurog
ſchreibt — und was den größten Verdacht hat unfere näms
liche Stelle zu fein: fo wirb hoffentlich niemand zweifeln die
ganze Stelle fo herzuftellen wie auch faft ſchon Fabricius (ſ.
Sextus p. 185, nof. e) gethan hat "Avdownoı Feol Uvr-
70; eos T EAvdogwnoı auavaroı, Swvres ToV
Izeivav Foavartov, Fvnoxovregs nV Exeivwovbonv.
„Die Menfchen find fterbliche Götter, und die Götter unfterb>
„lche Deenfchen, lebend jener Tod und flerbend jener Leben,”
J welches leztere dann gegenfeitig zu verfichen if. Doch würde
vielleicht der Sinn noch fchärfer ausgedrüfft, wenn man mit
wmachläffigter Genauigkeit des Gegenſazes laͤſe Yunoxorrsc
Kınv x. T. A. Daß uͤbrigens Hierokles den lezten Saz nur
aufgeloͤſt hat und die Participien das aͤchte find, erhellt aus
Herakleides ganz offenbar.
“Ha diefe Verwandlung ließe fich ähnlich den Verwandlungen deö soo“
Ganzen anfehn ald die auf» und abfleigende Bewegung der Sees
len in ihrer befondern Sphäre, und fo befäme einen beſtimmten
Einn jener Bericht Stob. Ekl. I, p. 906 “Hoasksırog u2v yag
.. . 0d0v TE dvm xal xETw Tag Wvyüg Ölanopeveodau Unei-
Ange. Oder mag auch SHerakleitod nur im allgemeinen an bie
RKuͤkkehr aud der Gefangenfchaft des Leibes in die Freiheit des
negıiyovy goevnpes gebacht haben, wie Theodoretos fagt oͤ 62
“Hoaxksıros. as anallorrousvag ToV Gwuatog (Wvyüs) eig
TIV-ToU navrög Avaywoeiv yuyhv Epnoev, olu on Öuoyevn
Te 0V0av xal öuoovowv. (Ts IV, p. 822), ſo hatte er immer
Urſache den Tod zu preiſen und hoͤher zu achten als das Leben.
‚Und hievon iſt und noch mehreres aufbehalten geblieben. Zus
'nichft fagt Clemens indem er von Vergeltungen aller Art in
Iimem Leben vebet
52. ovvgdew toviw xai 6 Howxasitog Yaiveraı, Öb
duv gnas negi twv Avdgwnwv Ötaheyouevog "AvdpW-
xovg ueveı anodavovras 00a oüx EiAnovras
| 124
odö} Boxdovass (Sram, IV, 1) „Die Menſchen erwan
„tet wenn fie todt find mas fie nicht Hoffen noch glauben.”
Saft eben fo Theodoretos (Ed. Hal. Vol, IV, p. 913) dxsivo
62 tod “Hoaxisirov uale Gayualo, örı nEeves Toig
wm ovöHogWnovs anodFvnoxovras 60a x. T. 4, Cle⸗
mens felbft deutet anderwaͤrts (Cobort. II, p. 18) gewiß gegen
die Meinung bed Herakleitos den Saz unvollftändig angeführt
nur auf Beflrafungen. Der erften Auslegung aber flimmt
bei ein Fragment bei Stobaͤos, welches Wottenbach dem Plu⸗
tarchos vindicirt hat Ener 77V ya neiodeioav. do@ νοον-
ntovg negiueves Televrnoavrag ad" “Hoaxısırov ovöly
&v xuraoyoı. Nur für wörtlicher ald jene darf man biefe
Anführung nicht halten (weshalb ich auch das beidemal beibe
haltene &ooe des Clemens dem öoa des Theodoretos und
diefed Fragmentes vorziehe); und ob der Verfafjer dad oväiy
&y zaraoyoı, namlich die Seele in ber Berbindung mit dem
Leibe, auch als heraffeitifh will angeführt haben, läßt fich in
der That eben mern es Plutarchos ift am wenigften entfcheiben.
Dann mag uch. wol Herakleitod gefucht haben zu zeigen wie
eben hiermit auch manches in der herrichenden Denkungsart üben.
einftimme. Zwei verfchiedene Stellen der Art führt Theodoretos an
53. O0 öe ye ‘Hoaxleırog xal Toüg Ev Toig moAsuok
Gvaıgedevrag nraons &klovg Unokanfavei tung. "Agni
YAaTovs Yan pnalv, 05 Heol rıuwor xai Arsen
2106... %al nal
un. : 54. Mägoı yao u: ikoveg' ueibovag noLoag Aay-
xavavoım. „Denn bie im Krieg getöbteten, ‚fagt.er, eh⸗
„ren Götter und Menfchen. Und wiederum: Denn der ber
„bere Tod erlangt auch den größern Lohn.” Die legte Stelle
führt auch Clemens an, ionijirender Moooı yag uEso-
ves uELovag woigag Auyyavovos za Heeno.
(Strom. IV, 7.)
Denn wollte man auch von dem erſten Saze glauben, er ſei aus
125
einer politifchen Stelle, wo er das Feſthalten am Geſez, alſo auch
das Streiten fuͤr das Geſez und fuͤr das Vaterland empfohlen:
ſo kann doch dies von der zweiten nicht gelten. Ganz aͤhnlich
iſt noch eine Stelle bei Clemens (Strom. III, 3.)
55. Hodxhcito'ę yovv xaxilwv Yaivera TV yEvsaıy
Ersıdav, gnol, yevöusvoı Sweiv EHEkovar, ub-
povG T Eysıy, nahlov Öt avanavecodaı xal air
dag xaraheinovos uogoys yevsodaı,. Statt Enei-
dan welches im folgenden nichts entfprechendes findet ‘muß
man aber wol eneiza Iefen. Die Worte u@Alov d2 ave-
neveodes will ich aber nicht als herakleitifch vertheidigen, fie
ſehen faft aus wie zwifchengefchobene mildernde Worte bes
Clemens ſelbſt; am Ende zu uopovs yeveodaı muß man
evroig hinzubenken. „Wenn fie .geboren find wollen fie dann
„Leben und auch Tod haben, und hinterlaffen Kinder daß des sus
„men auch der Tod werde.”
Benigftend Fann man ihr nicht leicht einen andern Zwekk beiler
gen, als zu zeigen, wie auch die gewoͤhnlichen Menſchen den Tod
für kein Uebel halten. Und da wir wahrſcheinlich bei Heraklei⸗
tod und feinen naͤchſten Anhängern zuerſt philoſophirende Spiele
mit Worten zu fuchen haben: fo gehört auch hieher gewiß ein
folches, welches in dem Eiymologicon ı magnum (v. Biog) aufbe:
halten worden ift .
56. Eoıxe 62 Und TWV Gpyalmv Oumvvung Atysadaı
fig rò röfov xaı n kun. “Hoaxasırog 00V 6 axoteivög,
tö 009 Toto dvona fiög, Epyov öd Iavarog.
„Bebeutet doch des Bogend Name Leben, fein Gefchäft aber
iſt Tod.” Offenbar wollte Herakleilos bier mit Vernachlaͤſſi⸗
gung bed Tons die Sprache auf feine Seite ziehen, daß der
Tod ſelbſt Leben fein muͤſſe ).
7 Yier nun war es nicht ſchwer der Epur auch eines einzelnen Wortes
nachzugehn; wohin aber gehoͤre, was Suidas anführt (v. Aupıoßarer\
u.
—8
126
Wenn nun das megıiyov poevnoes uͤberall daſſelbe, die menſch
liche Seele aber zwar fofern fie vernünftig ift jenem gleich, dod
sos.aber nicht ohne eine Beimifchung des befonderen zu denken ifl
⸗
fo wird nun in dieſem der Grund aller Verſchiedenheit unte
* den Menſchen liegen. Denn wie überhaupt zwifchen ben ven
ſchiedenen Entwikklungsſtufen in dem Gebiet der Erfcheinung
mehr ein allmähliger Uebergang fattfindet als ein fchroffer Uns
terſchied: fo gilt dies vorzliglich auch von ber aus den Feuchtigs
feiten des Deenfchen eben erft fich entwikkelnden auadvuinex.
Sich fetbft gleich) aber wird auch diefe immer fein, weil fie ims
mer aud bdemfelben Verhältniß hervorgeht, welches der Zufams
menfügung und dem Beſtehen grade dieſes einzelnen zum Grunde
liegt; daher ift nun ihre Beichaffenheit in dem engeren Sinne
die einnpuevn des Menfchen.
57. Kara Ö2 ToV avrov ToonoV xal End Tg wur
EDEOL TIS EV NaO& TV YVoıxyv Xataoxevnv Ösapogow
yıvousvag Eiaso Tag TE ngowIpEGEIG Xal Tas niowkeis vol
roðſe Plovug: nFoc yao Evdownw daiuwv xara Tin
“Hooxksırov, Tovresı gvoıs. Alex. Aphrod. de fato 56,
„Des Menfhen Gemüth ift fein Geſchikk.“ Smimev bedeutet
bier ohne Zweifel daſſelbe was ſonſt eiurgusvn. Derſelbe
Spruch auch bei Stobaͤos (Serm. CH, p. 559) und bei Mu⸗
tarcho8 (quaest. plat. p. 939) der ihn in Berbindung bringt
mit dem menanbrifchen Verſe 0 voũg yao numv © üeos.
sos Sol aber: beftimmter ein Maaßſtab gegeben: werben um zu beur⸗
theilen, welche Seele die beffere fer und welche die fchlechtere: fo
war gewiß.zuerft zu fagen, daß jede um defto beffer fer je feu⸗
tiger. Vielleicht gehören auch hieher die Stellen worin Hera⸗
Pleitod den vnög lobt, weil ja unter diefen Begriff alle bie
Handlungen fallen, in welchen fich die feurige Natur, die ſchnelle
Pr zım dt TO Augıoßmrev. "Iuvas Id nal ayyıparsv, zul ννν-—
Auolyv "Hoaxlıros) das mag wol Micmand auffinden koͤnnen.
u 49
häftige Beweglichkeit der Seele offenbart. Hierüber iſt und Ein
vielfach angeführter und gewendeter Spruch übrig, ber gleich fo
bier ftehen mag, wie er wahrfsheinlich zu fehreiben iſt
58. Xadanov Fvuo uazeodar ö,r4 Yag dv yon-
In yirysadaı, wuyns wweetau , „Schwer ift gegen
‚ren Muth.fireiten; denn was er will daß.gefchehe, kauft er
„für das Leben.” Zuerſt führt ihn Ariftoteled an xadaneg
zul “Hoaxisırog eine yalnov paozwv eivar Fvuo ud-
E0Fas° yuyig yao wWveiodes (Polit. V, 11. Vergl. Etbic.
Nicom. II, 2) und faft eben fo.Eudem: H, 7 zaisııovy yaa
gn0, Fvuo uayeodas" wurns yao wveires. Dann Plutars
chos öfterd Coriolan. p. 224. uegrvgiav anelıne Ti EINOVTE
Huuo ugyeodaı yakenıv- 6 yag &v Fein, wuyis: Wvei-
as. Vergl. de ira p. 457 und Amat. p. 755. que rag ud-
yeodas yaheıöv, od Fuuo, zu “Hocxäsırov' ri YO 506
av deinen, xai Vuxũs wveiras ai zonuaTwVv zul Ö6-
Eng, wo ber Iezte Zufaz offenbar ‚eigne Arbeit if. Endlich
auch Jamblichos uagrug roig Asydeicıw“ Hgaxisıroz ‘ Hyuo
yap gmoı uayeodaı yakeııv- ö,rı yag &v yontn yi-
yveodus, wuyng wyeeres (Protrept. p. 140).
Gewig aber find hieher zu ziehen die fo berühmt gewordenen
Auöfprüche von den troffnen Seelen, welche genau mit der phys
fihen Theorie des Herakleitos zufammenhangen, und aus dem
disher dargeftellten gar Teicht zu verftehen find. Denn je mehr
die in dem Menfchen felbft ſich entwiffeinde avadtvulaoıg dies
fen Namen verdiente, nicht mehr in das Gebiet der Halcooa
gehörig, alfo fchwerfälig und dem flarren verwandt, fondern leicht
war und troffen und zur höheren Region diefer Eigenfchaft wes
gen binaufitrebend, um defto mehr Eonnte fie fich der von außen
einwandernden vernünftigen Seele verähnlichen; je mehr aber
jene noch verfchiedener und untergeorbneter Natur war, im befto
weniger Eonnte diefe ihr Recht in dem Menſchen ausübend feine
Borfiellungen ben gemeinfamen Erkennen und fein Leben dem
128
gemeinſamen Gefez gemäß bilden, fondern ber Schein ber tr
befonderen‘ feinen Siz hat und die Wilkühr mußten die :
607 band behalten. Eine troffne Seele ift alfo eine folche in
cher unbefiegt von ben niederen Stufen des Seins die gei
fame Bernunft waltet. Diefed nun, daß die troffne Seel
befte fei und die weifefte, wird von fo vielen und auf fo
fältige Art angeführt aus dem Werke des Herakleitos, kann
auch von ihm in fo mannigfaltigen Verbindungen fein v
bracht worden, daß ſchwer ift zu entfcheiden welches mehr
weniger feine eigenen Worte fein mögen, gewiß aber vie
kuͤhn alles auf einen einzigen Ausdrukk zurüffführen zu wı
"Soviel nur fieht jeder der fi) in den Zufammenhang ber
zen Theorie flelen kann, daß die Stelle welche Weffeling ((
ıbisc, Vol. V, p. II.) zur Hauptftele machen will
59. Avuno Öx0rav uedvodnN Äyeraı Uno
öög avnfov oparköwevog, oUx Enatwmv öxn f
ve, ÜYONV TV YUXnV E4WV* aun yuyn, eine al
Leſeart alyı Enon ift am Rande bemerft, vogwrarn
Goign. Stobäod Serm. V, p. 74. „Ein Mann wen
„trunken ift, wird geführt von einem unmündigen Kinde,
„‚tretend nicht wiffend wohin er geht, weil er eine nafje €
„hat.“
nichts anders ſein kann als eine faßliche Beſtaͤtigung des
in einem andern Zuſammenhang vorgetragenen Sazes, um
sog einem Beiſpiel, wo die Urſache der Verſchlimmerung, daß ı
lich feuchte Dünfte Die Oberhand gewonnen haben, leicht zı
kennen ift, den Unterfchied beider Zuflände zu zeigen. D
find auch die lezten Worte «Un dien, wiewol ganz gewiß
vafleitifch nicht mit audgezeichnet worden, weil nämlich ı
wahrfcheinlich ift dag Herakleitos nach einem folchen Beifpie
deömal ben Hauptfaz follte wiederholt haben, fondern der
here Epitomator, den Stobäos ausfchreibt, hat ihm hieher
129
tellt, um an bie eigentliche Abficht jener Beſchreibung deſto bes
fimmter zu erinnern. Es hat aber wahrſcheinlich Herakleitos
um ſeine Lehre zu eroͤrtern nicht nur ſolche Beiſpiele gebraucht
die das Verdienſt der Popularitaͤt haben, ſondern auch ſolche die
mehr ins große gehend des Naturforſchers wuͤrdiger ſind. Er
konnte ſchon anfangen in dieſer Hinſicht zu vergleichen Land»
thiere und Seethiere, und dann fortfahren verſchiedene Voͤlker zu⸗
ſammenzuſtellen nach ihrem Klima. Von dem lezteren hat ſich
eine ganz deutliche Spur erhalten in einer Stelle des Philon
welche Eufebios gerettet hat
60.. yayn yao 7 Erhds drpsvöng dvdownoyovei .. To
ö’ aitıov, Aentörntı 0005 7 Ölavora uegvxsv dxoväodas“
di0 zur "Hlgaxkeıros 00x ano 0xXonoV yo’ oö y7 Er-
07 yvyn vopwrarn xab Ggisn. (Praep. Evaug. VII, .
14) Gewiß hat Stephanus nur diefe Stelle im Sinne, wenn soo
et (Poes. phil. p. 139) fagt, scio aliogni afferri ex eodem phi-
Iosopho 6x0v yn Enon wugn Copwrdrn. Man fieht offen-
bar dag bier ‚die ganze Verbindung der angeführten Stelle mit
dem behaupteten Saz verloren geht, wenn man nicht die Worte
läßt wie fie find und uͤberſezt, Darum fagt auch Heralleitos
nicht unpafiend, „wo das Land trokken iſt, ift auch die Seele
bie weiſeſte und beſte.“ Dennoch wollen Weſſeling (a. a. O.
p. 46. 47) und Heyne (Opusc, II, p. %) der jenem durch⸗
aus nur nachſpricht, auch bier leſen aum vvxn 00pWwTaTn
x. a. Doc) die Sache redet wol für ſich ſelbſt, und es iſt
kaum noͤthig etwas gegen ben gelehrten Mann zu ſagen, . der
hier nicht ganz auf feinem Felde war. Denn wenn er bie
techte Leſeart durch ſolche Gruͤnde widerlegen will, weil; ja dann
herakleitos behauptet hätte, in den afrikaniſchen Wuͤſten muͤß⸗
tm bie vortrefflichſten Menſchen erzeugt werben: fo dürfen wir
ihm ja nur entgegnen bag Herafleitod, wenn er anders arabi⸗
ſche und libyſche Wuͤſten kannte, wol auch hieruͤber etwas naͤ⸗
Gm Bi" 8
— ⏑ 6 15 ..
130 ,
“her beftimmenbes gefagt haben wird, was und aber ver
gegangen ift, und bag dem Philon in feinem Zufamment
wol nichts näher lag ald die Vergleichung zwiſchen $
und dem fchlammigen verwäfferten Aegypten. .
sıo Der Hauptfaz felbft aber ift wahrfcheinlich am ächteften a
611
halten in ber angezogenen Stelle des Stobaͤos, aus welche
ihn, ‚weil er fi) doch an die dortigen Worte ſchwerlich unn
bar anſchließen kann, beſonders hieher ſezen
61. et wog 00PWTarnxalapign. „Die tr
„Seele ift die weifefle und beſte. "Eine andere Formel |
fi) bei Porphyrios (de ante. c. XI, p. 207. Ed. Canı
Avrös dE pnoıw Hoaxksırog, Enen wuyn vopwrarn.
noch etwas verändert bei einem ganz ſpaͤten Schriftfteller
kas (Annal, p. 74) yuyn Enporeon oopwreon und nur
geſtellt p. 116 Sngoteon yuyn oopwregn. Von dieſen
nun freilich wahrſcheinlich nur Eine Acht fein und buchfki
bem Herakleitos angehörig, und deshalb verdient aller!
dad alte Wort «Um den Vorzug. Demohnerachtet aber ij
nicht noͤthig alle Stellen, in denen ber herakleitiſche Sa;
irgenb eine Weife angeführt wird, in biefe Sormel zu zwi
So Plut. de orac. def. p. 432. wo es heißt ana ö2 &i
0x ARoyws zul Engörnre pain usta tms Yeguoı
Eyywonzvnv Aentüvew TO nvelua xul mosiv aidegı
al zuge, fteht unmittelbar darauf höchft ungezwi
und richtig Adın yao Eno& wurn ad” "Hoaxisırov, :
eben eine folche ift die troffne Seele des Herakleitos;
ohne, Grund wollen Weffeling und Heyne ändern «Un 7
[w. Eben fo bei bemfelben Romul, P- 35, 36 .
vnrus — NAVTENaOL Xal &0apxoV. x —X
ya Jun Enon apisn za” Hodaksitov, „Denn
„dies iſt die trokkne Seele welche die beſte iſt nach Her
„tos.“ Jene aber wollen auch hier knon als Gloſſem zu
N
131
anfehn, als ob avog ein fo ganz ungeläufiges Wort wäre,
und meinen, nachdem jenes in ben Xert gefommen, „fi vn
in aürn verwandelt worben.
Bon biefem allgemeinen Ausdrukk aber ift gewiß noch ein andes
ver zu unterfcheiden, dag nämlich Heralleitos bie Seele auch,
und zwar bie weilefte am meiften, einen troffnen Strahl oder
Glanz aöyn genannt habe. Died erhellt zunäcft aus einer
Stelle des Galenos
62. AR ei xal knedene un Evyywonoas Evavriay ei-,
vos avvioewg, ei ye un Üp "Hoaxkeitov‘ xal yap oVrog
ourwg eitev, aüyn Enon yvyn 0opwrarn, nv Enoo-
na nalıy akimv eivas ovveoeng airiav- TO yap ig av-
vu Ovoua vour Evöcixvuras. (Quod anim. mor, Ed, Chart.
TV, p. 450.)
Denn wenn gleich biefe ganze Stelle ſehr im Argen liegt, indem
das Zvavriav feinen Sinn giebt, ſondern aitiev darin ſtekken
muß, und bad ei ye unv gar nicht zu verftehen iſt: fo erhellt sı2
doch unwiderſprechlich daß Galenos auyn geleſen hat. Nun
„Bnnte man zwar fagen, er habe dafür Enom nicht gele'en, weil
"e fonft den Beweis, daß Herakleitos bie Trokkenheit für bie
ürfache des Verſtandes gehalten, nicht aus dem Worte aüyn
würde geführt haben, und alfo Liege auch hier bloß adr und
Ne fpätere Danebenftelung von Enom zum Grunde Allein es
B zu bemerken daß flatt der Worte ai yo oürog oürwg bie
eren Ausgaben beide Iefen xt yap oörog oüy ovtwg u. ſ. w.
Ber Tann affo bei einem fo verborbenen Texte wiffen, ob nicht
ſlenos Hätte fagen gewollt, ohnerachtet Herakleitos die Seele
rn Enon nenne, habe er doch die Urfache des Verſtandes mes
Ai je in dem Eno6v gefucht ald in dem aüyosıdes? Daß aber
108 auch Engn gelefen, wird gar fehr beflätiget burch bie
Momden Worte Zvvonoavras zul Toig &gepag adyossdeig re
32
132
au xat Enpovs Övrag, Axoœv ouveouv Eye. Hiezu kommt
ein Fragment bei Stobaͤos (Serm. XVIII, p. 160))
nuög o Önowrarnv vavın nooOYEpEOFEs TOOpNV Gy e
ei vv Koupordunn xl vedagordenv stoogpegoiusde* od.
3 70 Ö° av xai env vræn NUWV onmcoxei vg ze za)
Enoav, Onoie oVoa apisn ul vopwrarn eig NOV, Kudür
reg "Hoazksirg doxel Atyoyrı oörwg ad yny Enon (ander
aber aöyn &nen) YyurN 00pwrarn Kal Seien.
Waͤre nun weder hier noch ſonſt wo eine Spur von auyf,.
fo würde ich dem Verfaffer eine Gombination zutrauen zwb
ſchen trokkner Nahrung und troffnem Lande, und auch bie
lefen od yñ Enon. Die Herauögeber ded Clemens (zu Par-
dag. II, 2. p. 184) berichten freilich, in einer englifchen H
Schrift fei corrigirt av puyn, aber wer weiß wie ſpit di
vorwizige Verbeſſerung iſt.
Nun ſchlaͤgt ſich auf dieſelbe Seite noch eben jene Stelle dej
Clemens, mo zwar Herakleitos nicht genannt, aber auf mehr als
‚eine berakleitifche Stelle Ruͤkkſicht genommen ift.
ovTw ‚Ö’ @v xal N wuyn npwv Unapkes —8 xd Engk
xol gwrosöng" Avyn öÖ& wuyn Enod oopararn xal ügl-
gn* ravın ÖL zu Enontinn; x. T. A. wo bad puroadi
faſt die Richtigkeit von auyn verbuͤrgt, und wo man wol am
beſten uͤberſezt „denn ein trokkner Strahl iſt die befte Seele‘
Endlich noch eine Stelle des Plutarchod (de esu ara. p. 995).
an Enen yuyn vopwrecm ara Tov ' Hoaxisırov V-
sa wo zwar das zur Verbindung vorangeftellte zus Jap mit
anzunehmen, fonft aber in den Worten felbft nichts zu &
ift „benn einem troffnen Glanze gleicht Die weiſeſte Seele
Herakleitos.“ |
) Deffen Verf. Heyne (Opusc. DT, p. 96) gewiß ſehr richtig au
telt hat. Denn fo pflegen anoummuoreuiuard arzuheben, wie hier
—ACIECLEC
133
Und dieſer durch fo viele Stellen beflätigte Ausdrukk iſt au an
fih felbft fo. wahricheinlih. Denn wenn auch Herakleitos das
Bort avadvuiaoıg felbft gebraucht hat, was ich doch nicht bes
baupten möchte, gewiß zu willen, jo bat er es doch wol nicht
genau unterfchieden von &zuig oder azuög, und ed konnte ihm,
eben fo gut dad Dunfiförmige in dem Gebiet feiner Iaracva
bezeichnen. Welches Wort kann ihm nun bei feiner Theorie von.
ben Sternen näher gelegen haben um ben nicht mehr wäffrigen.
Dunft zu bezeichnen ald eben adyn? Go Eann er die Seele
im allgemeinen einen troffnen Strahl. genannt haben, fo daß bie
urfprünglicyen Morte zu diefen Stellen wären auyn Enen wv-
2m "und das andere nur aus Vermiſchung beider Formeln ent.
fanden; oder. er kann auch gefagt haben, die weifere Seele fei
noch der troffnere Strahl. Darauf führt auch ſchon die nicht
undeutlihe Spur daß er die leichte Beweglichkeit der befferen
Seele und zugleich ihre Bereitwilligkeit den Leib wieder zu ver:
laſſen bildlich fo dargeftelt, dagıfie ihn wie ein Bliz durchzukke.
Diefe Spur findet ſich in einer ſchon angeführten Stelle des
‚Plutarchos und zwar fo daß fie faſt die Worte des Gerakitos s15
;‚elbft zu enthalten: fcheint.
h 63, aöım yo wuyn Einen dpien wa 'Hodkasırov
"done ÄsganN vEpovg ÖbLantauEvyn ToV omuc-
#08. j 7
mb eben darauf deutet 'auch in der zulezt angegogenen Stelle
Clemens (Paed. II, 2) der Zufaz
‚ddE Zgas ædvuyoos rœĩg &x% roũ .olvov —RBR ve.
‚peins ÖLXNV AWWMATONOLOvuEVvN.
iht nur aber einen folchen perſoͤnlichen Unterfchieb in Abſicht
uf Die Kraft der Seele, welcher den Menſchen abhängig von
Kima und Nahrung als fein Geſchikk durch das ganze Leben
egleitete, hat Herakleitos feſtgeſezt; fondern er bat auch, noch
134
auf eine andere Weiſe als wir oben fchom gefehen, aufme
gemacht auf den Unterfchied in ben Werrichtungen der Seel
bei jedem Menfchen eintritt nach Maaßgabe verſchiedener 3
und auch hierin begleitete ihn feine allgemeine Anfchauung
einem Wechſel des Uebemewichtes bald ber ‚ginen bald tei
den Seite, Was die großen Perioden betrifft des mit er
terter Beweglichkeit aller Dinge bervortretenden Feuers unt
todeögleich hervortretenden Erftarrung: fo dürfen wir nın
sıs Analogie nach vermuthen daß er zu jener auch gerechnet
⸗
vermehrte und kraͤftige Weisheit, und zu dieſer ein groͤßeres
ſinken der Maſſe in Thorheit und Bewußtloſigkeit. Vor
kleineren Perioden aber, in denen regelmaͤßig Anzuͤnden
Verloͤſchen des Feuers ihr Uebergewicht mit einander vertauf
wiffen wir-auf das beflimmtefle daß er dieſes dargethan an
damit verbundenen Erfcheinungen des Wacend und Schla
Unvolfländig wäre daher für ſich allein, aber doch auf das
tige bindeutend der fchon ermähgte Bericht des Sertus (
Maib. VII, 126 2q.) zovrov ön:tüv Heiov Aayov u ‘1
xheıton .öy GVvanvong anaoavreg YOsgol YIvousdr, x%0
uèv Unvors Andeioı, xara Ö2 Eyspaıv nakıv Enppoveg. 3
fofern nur Durch dad Athmen die göttliche Vernunft eingel
wird läßt, fih ein ſolcher Unterſchied nicht erklaͤren, da ja
Athmen gleichmaͤßig fortdauert im Schlaf wie im Wachen.
lein nicht nur durch das Athmen geſchieht jenes, fondern 1
alle Shore, welche dem Leibe eine Gemeinfchaft eröffnen mit
nequixov, und ein ſolches iſt jeder Sinn, unter welchen
derum, wie wir ſchon geſehen haben und ſich hier erklaͤrt,
Herakleitos die vorzuͤglichſten geweſen zu fein ſcheinen Das 2
weichen das Licht einzuſaugenwergoͤnnt ift, und die Nafe, w
sıı den fich eben entwikkelnden Duft, einen troffnen raucher
gewiß nach feiner Vorftelung, verfchluftt. Das Zurüftt
des Gehoͤrs und alfo auch der Tonkunſt bezeichnet ſtark den
135
. genfaz de6 Mannes gegen bie Pythagoreer ; dab Gefühl aber
hatte es ihm offenbar mit dem flarren zu thun, und ber Ge
ſchmakk nebft der eigenthümlichen Empfindung bed Etzeugungs⸗
geichäftes waren ihm in das niebere Gebiet der Flüffigfeit vers
ſenkt. Leztered kommt mehremale ausdruͤkklich vor, zwar bei
Neuplatonitern, aber wo fie den Herakleitos anführen, und fo
dag man glauben muß fie haben es hei ihm gelefen. So Pros
08 (in Tim. p. 36) aus Porphyrios . . . öre rò dıdu
pumiixöv Und Tg yeveoıovoyov xaraxAvlouzvov VYEOTNTOR
Exvevoiistas zu Pantileres.Tois Tg VAng 6evuaos, ab
Eikog oVrog YuyWv TWv vorgwv Üavaros üygfos : yevd- ::
oFas, now "Hoaxisırog, wo bie Citation doch nicht blog
auf die lezten verbächtigen Worte gehn kann, fondern an dem
GiRos oVrog wenigftens hängt, fo dag man cher glauben
Tann, die ganze Gedankenreihe werde als herafleitifch bezeichnet,
und dad allgemeine nur Fürzer ausgedruͤkkt durch ben Gedaͤcht⸗
nißverd. Eben fo Porphyrios felbft wiederum, wie es ſcheint
aus Numenios, Oder xal "Hoczisıros wuyjoı, Pavaı, riet
vw un Idvarov Vyanoı yeveodı‘ Tegwıv O8 avtals eivai
im Es 'yEvssıy wow" xal ühlayov ÖE yavas'%. T. M
(f. oben unter N. 50, ©. 498) worauf noch folgt reg 6 zei sıa
Öepoug Toug.2V Jevigsı xaheiv TOV Nomtnv Toug. Öswyoovg
Tag yuyas &yovrag. (de antro. p.'257. Ed. Cantabr.). Nun
Mingt es freilich als ob Herakleitos "gefagt hätte’ biefed Feuchte
werben fei. ben "Seelen eine Luſt und nicht ihr Tod; allein
theils iſt die Wendung zu fehr benen ‚ähnlich welche. wir fchon
bei Ariftoteles und Plutarch (f. oben N. 58) gefunden haben
und noch dazu am Anfang der Stelle die Schrift fehlerhaft,
ſo daß leicht der eigentlihe Sinn gewelen fein Tann, Heraklei⸗
tes ſollte gefagt haben, ed wäre Luft und nicht Tod; theild
iR doch beides nicht flreitig, fonderm er mag es befchriebeh ha,
ben als die Luſt der niederen Seele durch welche bie Gemein,
16
Schaft mit dem neoudyov geſchwächt und das wahre Erkennen
gehem mt wird.
Je Mehr nun jene, edleren Sinne geöffnet waren, defto mehr,
bei gleich ‚guter und feuriger Befchaffenheit der Seele, iſt Wahre |
Heit in den Vorſtellungen des Menfchen; je mehr saber die Gs
meinfchaft: mit dem negseyov aufgehoben ift,. Defto ‚mehr nimmt |;
Schein und Irrthum überhand.. Und fo berichtet auch im al 1
gemeinen Sertud im Berfolg der angeführten Stelle, von. der
nur dad. zufammenfaffendfte hier feinen Plaz finden möge weg :
DVv TEOnoV ol Gvdgaxeg ninsıdoavres To vgl xarT' hole
819 049 ÖLanvoos yivovras, ywoiodevres ÖL oßsvvuvra” ovru
xar 7 enıteivwdeioe Toig NUETegoig .OWuaoıv ano TOU ni-
g1:ZoVrog noige xara uEv TOV Zugıouov 048009. &Aoyog yi-
vera, xura Ö2 Tv dia TwV .NAElgwV NOOWV HUUPVOEV Önoe-
Öng tw A xedioreraı, wo man nur ja. ben Ausdrukk ganz
dem Berichterflatter zufchreiben. muß. : Nur konnte die Spur ber
Wahrheit nie ganz verloren gehen, fo lange noch die Gemeinfchaft
mit dem’ szeoıeyov auch. nur in ber allgemeinften Form bed Athens
holens befand. Wol aber mußte bei. verſchloſſenen Sinnen bie
in dem Leibe felbft--fich entwikkelnde noch nicht gereinigte.fondern
ganz mit,.dem .feuchten behaftete avasuuiacıg ein großes Ueber:
gewicht gewinnen. ‚Daher. auch der Zuſtand des ˖Bewußtſeins
im Schlaf ihm aus zwei Elementen befland, wovon das eine,
die Achnlichkeit namlich mit den Borftellungen des Wachens und
bie hierin-fchon Tiegende nie ganz zu vertilgende Geſezmaͤßigkeit,
in der fortdauernben .Gemeinfchaft mit dem rreosyav gegründet
war, bad. andere. aber, nämlich: Das in fich ſelbſt haltungsloſe,
den Dingen nicht entſprechende, das willkuͤhrliche der Verknuͤp⸗
fung, war, gegründet in ber hervortretenden Beſonderheit jedes
einzelnen. Died bedeutet das Ev Unvaug Aydaiog, zer EyEp-
aw:da —2 eupgoves. Dies auch was Plutarchos de super-
soo süit. p. 166 berichtet © Hloaxkeızog‘ pnot Toig Eyonyopaaw
. 137
va:zal wöivov xöcuov eivas, un Öl zosumulren bxasov ek;
16109 onaorgipeodas. Was Antoninud fagt waorseg Kal Toüg
zudsböonreg, olnas, 6 Hodxisırag &pyarag elvaı Akyer xal
Ovvegyoüg zuv &v To x00uY yıvousvav (VI, 42) kann dem⸗
shnerachtet: richtig „fein; denn je. flärker jener Ausdrukk von der
eigenen Welt.der Schlafenden war, um befto nothiwendiger wurde
es einzufchärfen ‚daß die Einheit und ber allgemeine Zufammens
hang der, Welt nicht folle aufgehoben werden... Außer biefen
Zeugniffeg gehört. auch noch, hieher ein eigned bei Clemens vors.
kommendes Bruchſtuͤkk des Herakleitos
64. "000 6’ «u negi-Hnvov Atyovoı, 5% aürk yon xab
neo. Yavarov Ehaxnovew“ Exaregog yap Önhol Tiv Ond-
oraom THs yuyüs, 6 uEv uallov O6 Ö2 nrrov‘ öneg dort
zur nei (naga?) Hoaxieirov Aafeim.”Avdgwnog 2V
EÜBEOYR Paog antes dEavra' anoFavuy ano-
aßeoHeis. Luv :öR ünteras TEeFVEHTog EVÖwy
anoaßeadstg Owyeis Eyonyapus anteran £V00V-
. 70g.-(Strom. IV, 22.) Nachdem Splburg &v eüpoovn wies
berhergeftellt hatte au 2v suppnpovam. und. Potter die ganz
verkehrte Interpunttion verbeſſert, war kaum noch etwas zu
thun als zu ſchreiben änres &avıo ſtatt anteras nvro, wel⸗
ches wol ſogar bei unſerm Schriftſteller in ber naͤmlichen Be: szı
beutung - müßte genommen, werben wie ‚unten, wodurch eben
Dottersauf ganz unnöthige: Veränderungen. gerathen iſt. Wir
überfezen nun fo „Der Menfch- zündet fich ſelbſt ein Licht an
„im der Nacht. Nur der todte ift ganz ausgeloͤſcht, der les
. „benbe.aber: fchlafend grenzt an den tobten; und, deſſen Ges
„ñicht verlöfcht ift, grenzt auch wachend an:den ſchlafenden.“
Der erfie Saz läßt vermutben, daß ber Zufammenhang gewe⸗
fen, zu. zeigen, in welchem-Maaß und in welchem nicht auch
der Menſch jenem täglichen Wechſel von Licht und Finſterniß
unterworfen üft.
Daher auch vergleicht, nie wir. oben geſehen, Herakleitos bieje
nigen bie mit ihrem Erkennen nicht in Uebereinflimmung mit der
138
Natur find, fondern ſich der Wilführ überlaffen, den ſchlafen⸗
den. Daher kann er den Wahn, dad Meinen aus perfönliche
Willkuͤhr, eine Krankheit genannt haben, wie Diogenes (1X, 29
und Heſychios (de vitis v. Homuxx.) ſagen
622
65. oöros tiv olmoıv leg&v vOcov —R Und noch
deutlicher erkennt gewiß jeder herakleitiſche Art und’ Weiſe in
® einem andern Ausdrukk deffelben Gedanken Philostr. Opp. p.
391. ‘Hocxisırog 6 Yuoıxög &Aoyov £Eivas Xard Yiow
Epnos TV Üudogwnnov" ei ÖL Tovro aAndes, wonee al-
dis dorıv, Eyxalunteög Exaorog Ö naralwg &
Öo&n yEevouevog „verhuͤlle. ſich jeder der eitler Weiſe im J
„Wahn ſich befindet.“
Nur nachgebildet aber von einem ſtoiſchen Commentator kann
fein was wir S. Max. Serm. Ed. Combef;: T. IL, p. 624 leſen
Hoaxısıros 6 gyoixog.:olmaıw Üeyev EFxonmP TREOXONNG.
Und ganz unaͤcht find gewiß, weil wir .einmal bei dieſem
Sammler fiehen, zwei andere auf Herafleites Namen. geichrie
bene Säge 7 sÜxaınog zapız Asuo zadanse Tpoym Agnor-
TOVOR TV ung. puyng Evdeasav later. p. 557. vielleicht auch
ftoifch, wenigftens findet fi) evxaipnum als ein ſtoiſcher Aude
drußf .bei Stobaͤos (Eel. Eth, I, c. VI.) Noch: gemeiner und
von allem zigenthümlichen entblögt iſt der andere ouyronu— .
Tarnv ööor Ö würög Eiayev es eudobien zo 0 yeveada ya
vòov. P. 646. . 3.3
So tadelt er diejenigen, denen es nicht o an —S wol aber
on Geſezmaͤßigkeit fehlt in ihren Worftellungen. Vielleicht ge⸗
hört hieher auch ber eine von zwer Ausfprüchen : weiche Celſus
angeführt hat, bei. Origenes (contra Cels. VI, p. 698.)
66. zul Evriderai ye Hooxkeitov Adler, ulav u
N ynow nBog yag Gväguneiov ulv aux Eyes yyo-
a
|
|
139 \
mag, Osiov, 88 Ir „Menfchliched Gemüt bat nicht
„Einficht, göttliches aber hat fie.” .
Naͤmlich je mehr das ganze 7Fos nur menfchlich if, in ber ei 52
genen Seele gegründet, und fich nicht immer durch die Gemeins
fhaft mit dem xowog. Aoyos erneuert, um deſto weniger kann
es wahre Einſicht haben. Anders tadelt er die, welche auch,
weil ſelbſt die eigene Seele feuchter iſt als bei jenen, an Schwer⸗
faͤlligkeit leiden und nichts ſelbſt hervorbringen. Dahin gehoͤrt
wol der zweite von den a. a. O. angefuͤhrten Ausſpruͤchen
67. Ereoav dd, Evo vnnıog Nrovoe Aoög daino-
vos, öxwonsg neig noög avdoog. „Ein thörichter
‚„Mam vernimmt nicht mehr vom Schikkſal als ein Kind von
„einem Man.’
und der bei Plutarch zweimal vorfommenbe
68. BAGE &vdownog Uno navrog Aöyov intoj-
das glei, „Ein flumpfer Menſch von jeglicher
Rede fich hinreißen zu laſſen.“ (de and. poet. II, p. 28 und
“de audition. II, p. 41.) = Zr
So dag auch wegen dieſes nur zu weit verbreiteten Verſenktſeins
in dad niedere nach feiner Meinung dad Gute fich geflalten
mußte ald eine äußere Macht; wenn anders Clemens nicht zu
ſeht von der urfprünglichen Beziehung der Worte abgemwichen ift,
die er Strom. IV, 3, p. 568. anfuͤhrt
69. Aixciq yag ob xeiras Yauog, ı yoapn Yow* x0-
‚Weg obv Hoaxisırog Aiang Övoua, pol, 00x @v jjde- sn
oav, ei savra (nämlich von Außerem Geſez, Furcht und
Strafe war bei Clemens bie Rede geweſen) un nv. Sch ziehe
fdrsay der andern Lefeart ädsıoav vor, Wunderbar aber
wäre e3 wenn Glemend auch dad raure fo wie ex es braucht,
im Herakleitos gefunden hätte; daher kann man hier für wes
niges buchſtaͤblich einſtehen. „Denn auch den Namen bes
140
"Rechtes, fagt er, würden fie nicht wifjen, wenn jenes nicht
„waͤre.“
Und zu derſelben Verwerfung ber feuchten Natur gehärt auch
folgende Stelle
70. Ei wn yao dıwovoow nounnY ETOSOUYTO za) |
«u 35 3 ⸗ 2 ⸗
UuVEoV Lou alÖ0l0s0ıVy Avanüiotarm Elpyo-
oraı, gnoiw Hooxlsıros, wurög 62 'Aiöns xal dio
VVGOSG ÖTEw naivoyraı xal Anvaikovasy. (Clemens
Cobort. c. IE, p. 30.) Die lezten Worte wvrog „ .... Anvak
Covoıv werden auch angeführt von Plutarchos xai uzvıo I
“Hoaxssirov ToV gvoıxov Atyovrog “Asdng zur Aovvox 1:
r ca y ⸗ ⁊
„ OVToOg OTE 0VV yalvovras xal Anoaivdvaıw, % Te M. (di
Isid. et Osir. p. 362.) Nur ift nicht zu begreifen warum Wyt
tenbach des biefe Stele aus. jener clementifchen fo perbefier, |
“Aiöng xat. dıovvoog Würög, ÖTED naivovras xai Angai-
. vovos nicht auch dab Anvailovar aufgenommen bat. Daß
dieſes Clemens wirklich gelefen hat fcheint auch aus einer an
625
%
dern Stelle hervorzugehen, wo et einen fchon angeführten be
rakleitiſchen Spruch unrichtig beutend, fich offenbar genug auf
biefe bezieht. Sie lautet ſo ... mög ÖE wv &Alay "EL
Anvav oögrivag ueveı TELEUTNORVTaG ö &00a oböR nova
rios On uavreveras Hoaxısırög 6 Eyeauog; Nvxsındlon,
yayoıg, Paxyoıs, Anais, uldraig‘ rovrog aneılei Ta werd |
Vavarov, Tovroig uavreveras To up. Auch von ber Aus
legung des Plutarchos, die fich darauf zuruͤkkbezieht, daß ſo
wie Apollon die Einheit, fo Dionyſos den Reichthum und di
zo uedboVong Ev aurw, yAloxowg Ghlmyogovoıv verwerfen
will. Nämlich nicht der Leib im allgemeinen: ift, hier wenige
ftend, Hades, fonbern die Neigung zu dem Gebiete des feuch⸗
u
|
Fuͤlle der Natur bedeuten foll, müffen wit abweichen, und und
ber nähern. welche er in den Worten oi yao akwüvreg "Ar
‚Inv Aysodaı Tö own, Tig yuyis 0l0ov Napamppovovans
141
ten, dunkeln. Uebrigens tritt auch hier wieder ber Fall ein
daß man nicht gleich weiß, fol das avadiorara zu Uuveov
gezogen werben oder zu eloyaoras, für welches leztere man
bis auf weiteres lieber Iefen follte ioyaor' &v. Dann würde
ich die Stelle ald eine Schilderung folcher feuchten Seelen fo
. überfezen. „Und begingen fie nicht dem Dignyfod ein Feſt
“und befängen die Schamglieder, ſchamlos wäre ja das von 526
„ihnen, fagt Herakleitos. „ES iſt aber derſelbe wie Hades
„der Dionyfos dem fie toll find und Zefle feiern.” So daß
dieſes „‚berfelbe wie Hades“ allerdings Tadel ‚And Drohung
fein foll. |
In einer nun von dieſen verfchiedbenen Bedeutungen glaubte
er wie es fcheint, daß es den meiften Menſchen an der richtigen
Beichaffenheit der Seele fehle, wie wir ſchon oben an mehreren
Stellen gefehn haben, und noch ein Zeugniß davon und aufbe⸗
wahrt hat Proclus in dem ungebrufften Commenter zum Al:
tibiades >
- 71. 0odws 00V zul 6 yevvalog Hoazkeırog anooxopıeter
TO nAndog Ws &vovv zal dlöyıorov‘ Tig yo alrwr,
gnoiv, voog 7 Ponv; örı ol noAlol xuxol, Öliyos Ö2
ayadoi. vavre udv Hoaxleırog. Denn ich möchte nicht
aus den Iesten Worten fchließen daß auch bie vorhergehenden
076 . . ayadoi herakleitifch fein follen |
und fo fchließt fich hieran, wovon wir anfänglicy auögingen, fein
mannigfaltiger Tadel auch der weiferen, um beöwillen er fo be:
hüchtiget worden ift, dag Proclus (ia Tim. p. 106) von ihm
hit... @AX "Hoaxisırog u8v Eavröv navıo sideven Akynv
mayrag Toüs @Alovg avenıornuovag nor. Vielleicht aber ift
- & was den Selbftruhm betrifft *) in feiner dunkeln Sprache nur 527
— —————
!
*) Man Lönnte dieſer Befchuldigung auch entgegenfezen wollen einen Sat
den Diogenes (IX, 73) offenbar als herakteitifch anführt un dx; weg:
/
142
mißverftanden worden, ber Forberung wegen, melde er an die
beffere Seele machte, und der Art wegen wie er fi über das
Erkennen ausdruͤkkte. Da nämlich eigentlich nichts iſt, als die
Eine in entgegengefezten Richtungen nach ewigen Gefezen ſich
bewegende Kraft, dad up aeitwov, fo giebt ed auch Fein ande,
red Erkennen ald dad Erkennen dieſer Kraft und ihres Gefezes,
fo daß wer etwas weiß, nothwendig auch alled weiß, wenn gleich
nur auf allgemeine Art; die wahrnehmbaren Dinge aber, deren
für fich Beſtehen nur ein Schein iſt, werden nur erkannt, in wie
fern fie als immer vergehend, ald im beftländigen Fluß begriffen
erfannt werden; und dies ift der Sinn in welchem XAriftoteled
allein Recht haben Tann wenn er behauptet { Metaph. I, 6) es
s28 gebe nach Herakleitos von ben wahrnehmbaren Dingen fein Er
fennen. Genauer aber ſtellt Platon diefe Vollkommenheit der
Seele dar, wenn er fagt (Cratyl. p. 412 a.) fie müfle „die fi
„bewegenden Dinge begleiten,‘ in ihrem, wenn. irgend etwas
einzelnes feſt gehalten werden fol, freilich unerreichbaren Fluß.
Dies ift es was auch Ariftoteled anführt ald Grund, weshalb
dem Herakleitos die Seele müffe feuriger Natur fein, weil das
immer bewegte nur könne durch ein fi) immer bewegende ers
kannt werden (de anima 1, 2) und wie Simplidus (ad h. |.)
es näher erklärt
&v ustafoin; ovveyei 1a Övra Ünorıdeusenog 6 "Hocxisı- _
Tog xas TO YVWcousvov GUTE en enapn YIVWOKOV GUVE-
neoHaı 2Poviero‘ |
Diefe Foderung iſt ed die Kratylos aufs höchfte treibend zugleich
wöb usyloraov ovußalunede, allein diefer bat auch nicht bie
mindefte Spur von herakleitiſcher Manier an fi. Go auch bes Aenes
ſidemos Urtheil, der ihn zum Vater ber Skepſis madıtz allein der Miß⸗
verſtaͤndniſſe dieſes Mannes baben wie mehrere unberührt gelaffen, weil
fie ſich durch den Zuſammenhang des Ganzen von felbft aufheben, und :
nur in einer Darſtellung bes Aeneſidemos ſelbſt bemerkenswerth fein
könnten.
143
ihre Unmöglichkeit darſtellte, wie uns Ariſtoteles erzählt, er habe
zulezt gemeint ‚man. bürfe gar nichts” audfagen, fondern er habe
nur den Finger bewegt und den Herakleitos getabelt, welcher
geſagt es ſei nicht möglich zweimal in denfelben Fluß hineinzus
Reigen, denn es felbft meinte Auch ‚nicht Einmal (Metaph. III, 5.)
And biefer Webertreibung erhellt faſt daß Kratylos jened Eine
nelches die Seele fefthalten und welches fie auch barftellen foll,
‚ Mmlich bie ewige Kraft und ben Ausdrukk ihres Gefezed in dem
. Dingen, nicht mit ergriffen hat... Und dieſes neben jenem bildet
den jene zwiefache Beziehung in welcher Herakleitos, der wie 52
den Wechfel der Dinge mit einem Strome fo dad Wahrnehmen
dieſes Wechſels mit dem Hineinſteigen in den Strom verglich,
ſagen konnte |
72. norauois Tois avroig Eußaivousv Te xal
oUx dußaivouev, eiusv TE xab 00x eiufv. „An
„biefelbigen Ströme fleigen wir hinein und feigen auch nicht
„hinein, find und find auch nicht.” Heracl. Aleg: bom. p. 443,
Vergleiht man aber die eben angeführte ariflotelifche Stelle
“und das plutarchiſche morauo Jap ovx Eorı Ölg Eußnvaı
To avrw, fo Tann man fehr verfucht fein nach avroig einzu⸗
ſchieben dig, was fo leicht Bann ausgefallen fein.
Merkwuͤrdig find hier die lezten Worte. Ober wer’ Tann bei
herakleitiſcher Dunkelheit wiſſen, ob fie noch anf noreuoig roig
evroig zu beziehen find, ober für fich allein ftehn und im allge
meinen fagen follen, daß eben in jener zwiefächen Beziehung auch
von und gilt, daß wir find und daß wir nicht find? «Denn wes
der iſt ein folcher Ueberfluß, wie fie in jenem Falle wären, dem
heſier fremd, noch) iſt dies leztere feiner Denkart zuwider. Das
simlich wäre kaum eine richtige Vorftellung, wenn man glaus
ben wollte, eine dnögöbıe eine moipe des nepreyov wäre in
dem Leibe fefigebunden ; fondern die Seele ihrerfeits iſt wie jede se
eit eines einzelnen Weſens auch nur das immer erneuerte
144 BE
Erzeugniß der. Hemmung entgegengefezter Bewegungen, vernänfe
tig aber find oder vielmehr werben wir nur jeben Augenblikk
auch aufd neue durch Die gleichlam in jedem Athemzug verge
bende und wiederkehrende Gemeinfchaft mit dem negieyov, und
fo allerdings find wir, und find auch nicht. Anders auch ver
ftehe ich nicht, was die meiften freilich anderd verftanden haben,
auch die Aufbewahrer felbft, wie Plutarchos ed im allgemeinen
von Erforfhung der menfchlichen Natur verfteht |
73. 0 02 Hodxasırog üg u&yae TI xal 08uvöv Ölen
noayusvog Edsönoaunv, pnoiv, Euewürov, „Sch habe
mich felbft gefucht.”” (adv. Colot.’ p. 1118. Eben fo auf
Suidad (v. Ilosoduog) oVxovv aneıxög' 7V . . Aöyov Akyen
Exsivov, Övneo ovv ‘HodzAsırog ‚sine negl aüroü "Euwi-
zöv 2dıbnoaunv. Und: hieraus iſt wahrfcheinlich, der bei
Stobäod (Serm. V, p. 74) unter Serafleitos Namen vor:
kommende Saz gemaht "Avdownoıcı nacı nErTeots
YIVWOKELV ERVToig xzal OwWpoEovVeiv. Anderd mißver
ftanden hat ihn offenbar Diogenes (IX, 5) Hrovas d2 ovöe-
"vos, all avrov Eyn Öuknaaodas, | |
Auf die Fortfezung biefer Rede führt und wahrſcheinlich ein an⸗
derer Saz
MHoqxlderroç vEog Wv ndvrav YEyove VOgWrenog Br -
Eavrov undv övre, woraus ‘vieleicht wieder verfälicht iſt
was bei Stobaͤos, (Serm. XXI, p. 176) als aus Ariflonymob
vorfommt “Hodzxasırog . .. 0ogwregog, Örs Ajdes davrov %
und eidöre und wol auch das ähnliche Diog. IX, 5 ... “nad F
VEOS WV EPRCOZE UMöLV. ebd, TEAEIOS UEVTOL YEVÖREVOS
NAVTa EYVWXEVAE,
Nämlich Herakleitos mag wol eigentlich gefagt haben, er babe
in dieſem ewigen Fluß fich felbft gefucht, und auch fich nicht.ge
funden ald feiend, beharrend, eben daraus aber fei ihm alle Er
146
famtnig erſt aufgegangen. Wie ſich denn alles bishet audein⸗
andergefezte fehr leicht: hieran reihet, fo daß in der That ber. Keim
feiner ganzen Weisheit eben dieſes fich ſelbſt Verlieren und nur
in ber gemeinfamen Vernunft Finden: kann geweien fein. ’ Denn
fo ift dies ber hellſte und bezeichnendfte Punkt für feine eigens
thuͤmlichſte Anficht, welche überall dem allgemeinen den Vorzug
einräumt, das befondere aber als abgeleitet und in fich nicht be:
fiehend fchlechthin unterordnet; und indem er dieſe durch das
ganze Gebiet ded damaligen Wiſſens durchfuͤhrte, hat ex die eine
Seite der alten tonifchen Naturweisheit vollendet, die andere
aber dem Anaragoras und Empedokles überlaffen.
Dieſes fcheint dad Weſen der Lehre des Herakleitos, wie ed ss2 _
fh aus der aufmerffamen Betrachtung deſſen was bie Alten
von ihm aufbehalten ergiebt; und es iſt nicht zu glauben, daß,
wenn fich auch, wie zu wünfchen ift, noch mehrere Bruchftüßfe
‚ fines Werkes aufftelen laffen, fie zu irgend bedeutenden Aende⸗
; Tungen in Diefer Darftelung Anlaß geben follten. Aber bedeu⸗
- tmde und anziehende Unterfuchungen find noch übrig, nämlich
auf der einen Seite, ob irgend perſiſche Weisheit einigen Eins
Muß auf die Bildung der Lehre des Epheſiers gehabt, auf ber
audern aber, welchen Einfluß diefe Lehre felbft ausgeuͤbt zunächft
auf Platon und feine Schule, und fpäterhin auf bie Stoiker,
I Welche wahrfcheinlich weil fie eben fo im fittlichen das allge
meine vorzogen wie Herakleitos im natürlichen, und alles befons _
dere gering achteten und vernachläßigten, um nur ben x0wös Ao-
705 geltend zu machen, ;burch diefe Webereinflimmung darauf ges
leitet wurden, feine Naturlehre der empedokleifchen und pytha⸗
goreifchen vorzuziehn. Endlich aber wäre auch um noch genauer
bie geretteten Bruchftüßfe zu berichtigen nothwendig fo gründlich
als irgend möglich zu erforfchen, wie lange wol und wo das
Säniem, W. III. 2. K
N
146 Ä
urfprüngliche Werk des Herakleitos ſich erhalten, und wer wol |
aus diefem felbft, wer aber nur aus den Commentarien über
s33 dad Werk ober aus noch. jüngeren und noch mehr abgeleiteten
Quellen gefchöpft habe; eine mit vielen andern ähnlichen zufam-
menhangende Unterfuchung, welche bier allerdings nur fo eben
konnte angeregt und eingeleitet werden.
Abhandlungen
gelefen
in der Königlichen Afademie der
Wiffenfhaften.
K 2
Lo
Leder Eu Er
Diogenes von Avoltonia,
Voreleſen am 29. Januar Bi u
Vrdem ich zum. erftenmal meinen Beitrag zu ben Arbeiten ber-o
Iodemie. liefernd meine Tünftige Laufbahn in berfelben uͤber⸗
baue, kann ich nicht umhin, über das nachtheilige Verhaͤltniß,
welchem die Klaſſe der ich angehöre, wenn. man fie mit dem
gen vergleicht, zu dem Ganzen ſteht, zu Hagen. Denn mite.
R unter philologifchen, biftorifchen, yaturwiffenfchaftlichen und.
hematifchen. Arbeiten ſolcher Gelehrten bie ihre Wiſſenſchaft
1; zu durchdringen fireben, und alfo eben fo zu ben. höchften
incipien berfelben hinauffleigen, wie -fie genau das einzelne
forſchen, und dies ift doch deu Begriff des Akademikers, was
un mitten unter folchen Arbeiten den Mitgliedern der philoſo⸗
ſchen Kloffe noch eigenes übrig bleiben, ald nur bad Gebiet.
3 böchften und allgemeinften transcendentalen und metaphyfis
* Speculaͤtion? Dieſe aber iſt ein Geſchaͤft, welches von ei⸗
2 ſolchen Verbindung wie dieſe wenig Nuzen ziehen Tann,
mn worauf ift es bei einer Akademie abgefehen, ald daß ent: _
\
150
weber gemeinſchaftliche Werke unternommen werben, ober daß
wenigftend durch Rath, Urtheil, Beitrag der andern, jeder fein
eignes beſſer vollende, dad mangelnde ergänzend, daB trrige be
richtigend? Jene Speculation aber ift ein ganz einfames Ge
fchäft, welches jeder im Innern feined Geiftes vollenden muß,
und wobei dem ber nicht mehr ganz ein Anfänger ifl, Rath und .
Unterflügung eben fo wenig fruchten Tann, ald einem Dichter
mitten in feinem Werke auch kaum der vertrautefle Freund Rath
zu geben vermöchte, wie ex ed hinaudführen oder wie er Died
und jenes hineinbringen könnte, ohne ihn zu verirren. Aud
wird der Philofoph inmitten feiner tieffinnigen Betrachtung folde
Hülfe eben fo wenig fuchen, als der Dichter in feiner Begeiſte⸗
sorung; und hat er feine Betrachtung vollendet, fo würden wir
auch faft nur gering von ihm denten, wenn er durch Zabel und
Zureben anderer vermocht werben Eönnte etwas an dem Werke
zu ändern; denn es muß viel zu fehr der Abdrukk feines innen
fien Geiftes fein, ald daß er das dürfte. Wer freilich mit etwas
vollendetem in dieſer Art zuerſt unter und auftritt, bee wird, dad-
kann nicht fehlen, Die andern ergözen, unterrichten, orientiven, und
vielleicht ihren Arbeiten eine neue Richtung ober einen hoͤhern
Schwung geben; aber er wird doch immer nur in berfelben Ar :
auf fie wirken, wie er auch auf andere aus dem gelehrien Par
blikum wirft, oder wie auc ein anberer Philofoph außer da
Akademie auf fie wirken koͤnnte. Wer aber gar einer hoͤhen
Bollendung, einer durchgeführten Individualität bee Sperulatim |
ſich nicht bewußt iſt, der bleibe mit feinen fpeculativen Hebungm
beffer für fich, und errege nicht den Hörern entweder untheilmß
mende Stille, oder einen Streit, bei dem Feine freundliche Ge
meinfchaft mehr flatt findet, weil er fogleich um den Boden ſelbſ
- geführt wird, auf dem jeder ſteht; denn ein drittes giebt &
ſchwerlich. Wollen hingegen wir armen andere Unterfuchungen,
wobei wir aus jenem hoͤchſten Gebiet Her allgemeinen Spetula⸗
tion auch nur um etwas berabgeftiegen find, hier mittheifen, um
—
151 og
fie weiter zu fördern: fo find wir gewiß irgendwie in bad Ei-
genthum ber Naturwiſſenſchaften oder der geſchichtlichen verirrt,
und in Gefahr von den andern Klaſſen ausgepfaͤndet zu werden.
Unſer eigenthuͤmliches Gebiet gleicht einem ſchmalen Grenzrain
zwiſchen zwei großen Feldern, auf dem man ſich, geſchweige bei
ſchluͤpfrigem Boden, nicht halten kann, ohne bald auf. Die eine
bald auf bie andere Seite audzugleiten; und je forgfältiger bie
anliegenden Felder angebaut find, um deſto leichter werben, wenn
fie darauf auch nichtd zertveten haben, bie verbotenen Fußtapfen
entdekkt. Deshalb bitte ich wenigftens .für jest ſowohl ald für
die Zukunft, daß man mir vergönne mich mehr auf dem mir
zunaͤchſt liegenden gefchichtlichen Gebiet anzufiebeln, auf die Bes
dingung freilich, daß ich auch, fo viel an mir iſt, müzliches an⸗
baue, unb nur zertrete was ich für Unkraut erkenne. So kann
- ih dann geduldig erwarten, ob, wie es fonft. wohl zu gefchehen
c ‚lest, die Grenznachbarn den Rain umpflügen und mir jenen
os Mhwierigeren Boden unter ben Füßen wegnehmen werben.
— -
* Unter die mancherlei Raͤthſel, die mir wenigſtens in ber Ge: sı
“ Ihichte der alten ionifchen Philofophie noch ungelöft find, gehört
x auch das was den Diogenes von Apollonia betrifft. Nicht ſo⸗
wol wegen ber Frage, ob er nach Menagius *) einerlei iſt mit
J jenem Diogenes Smyrnaͤus, deſſen Glemens **) und auch Laer⸗
0 itius +), lezter aber unter dem Namen Diomenes, als Lehrers
des Anaxarchos gedenken; ſondern wegen ſeiner Phifofopheme und
I feiner Schriften.
| Es findet ſich nämlich) eine Stelle über ihn bei Simpficus,
in diefed unfchäzbaren Schriftſtellers Commentar zu den Phyſicis
des Ariftoteles **"*). Diogenes von Apollonia, fagt er, faſt der
jüngfte von denen welche fich mit diefen Dingen befchäftiget
=) Bu Diog. Laert. IX. *) Strom. I. we) IX, 58,
”), Fol.6a . or
' 153
haben, bat das meifte nur zufammengerafft (ovansepopnussag),
einiges nach dem Anaragorad, andered nach dem Leukipges
vorgetragen. Das Weſen (Vo) bed Ganzen, fagt auche,
fei die unendliche und ewige Luft, aus deren Verdichtung, Ber
bünnung und wechfelnden Zufländen bie Geftalten der übrigen
Dinge hervorgehen. Solches nämlid — und jeder wirb wol
dies nur auf ben zulezt angegebenen Inhalt, nicht auf das zuerſt
aufgeftellte- Urtheil beziehen — berichtet Theophraſtos von. dem
Diogenes, und auch fein: auf mich gefommened von der Natur
überfchriebened Merk fagt deutlich, bie Luft fei ed, aus ber al
led andere entſtehe. Nikolaos jedoch berichtet, er ſeze den Urs
ſtoff mitten zwifchen Luft und Feuer Diefem Nikolaos Tamm
man auch ben Porpbyrios *) beifügen. Und fo behaupten benn
einige, Diogenes baue die Welt aus LXuft,. andere, aus bem
Mittelding zwilchen Luft und Feuer. Die erfieren würben. ihn
zu einem reinen Schüler bed Anarimened machen, bie lezteren
ihn nach der einen Anficht vom Anarimandrod biefem. anfügen,
nach ber andern wahrfcheinlich richtigern aber ihn als Erfinder
einer eignen — aufſtellen. Simplicius, wiewol den Theo⸗
phraſtos fuͤr und den Ariſtoteles vor ſich, iſt ſo entfernt ben Ni
kolaos und Porphyriod zu verachten, daß er nicht nur meint, F
ihre Anficht koͤnne ſich auf verlome Schriften des Mannes grim Ä
den, fondern auch, offenbar nur durch ihr Anfehn bewogen, felht ,
ſchwankt und bald dieſes bald das, andere von ihm behauptet.
2 Allein wie kann von dem, welcher es fei nun bie Luft ober je
ned Mittelding als Grundftoff annahm, gefagt werben daß a
bad meifte dem Anaxagoras und Leukippos nachgefchrieben? Was
wenigftens irgend mit jener Behauptung zufammenhängt, kam
er ihnen nicht nachfchreiben, da jener ganz anders, und fo daß
er offenbar die Luft als eine Miſchung anfieht, aus den Hr
möomerien, biefer wieberum ganz anderd aus ben Atomen die
Melt baut.
‚ 9) Simpl, ibid. fol. 32 b.
| 483
So beicheiden auch Simplicius ſich über die Meinung des
kolaos und Porphyrios aͤußert: fo fucht ex doch bie feinige aus
ihm bekannten Schrift des Diogenes zu vertheidigen, inbem
mehrere Bruchſtuͤkke aus berfelben anführt, in einer Stelle
Ines obgebachten Commentard, von ber ich nur was der Sache
leid) ben Ausſchlag giebt vorweg nehmen, und ba ed mir hier
me auf den Sinn antommt, in einer Ueberſezung in Erinne
ung bringen will. Er fagt, Denn unmittelbar darauf, wo
Diogenes zeigen will dag in dem von ihm angenommenen Grunds
doff viel Verſtand (vonass) fei, indem er Tpricht, „Denn ohne
Berftand koͤnnte er nicht fo vertheilt fein, daß er dad Maag von
Allem enthielte, von Sommer und Winter, Nacht und Tag, Nes
gen, Wind und Himmelöheitere, und auch dad übrige, wenn eis
pe es betrachten will, wirb er auf ‘bad fchönfte, wie ed nur
möglich iſt, angeorbnet finden,” — da fügt er noch hinzu, daß
auch ber Menſch fammt ben übrigen Thieren Durch diefen Grunds
Peft, welcher nämlich die Luft ifl, lebe und Seele und Bewußt⸗
fein habe, mit .diefen Worten: ‚Außerdem aber find auch biefes
noch große Zeichen. Der Menfch nämlich und die übrigen Thiere
leben durch dad Athemholen aus der Luft, und eben bies ift
Fügen Seele und Bewußtfein, wie bier in dieſer Schrift ganz
lic) gezeigt wird, und wenn biefes genommen wird, fo ſter⸗
fie, und das Bewußtſein hat ein Ende.” Kurz darauf, fo
Bewußtfein enthaltende das zu fein was die Menfchen Luft
‚ md von bdiefer alles regiert zu werben, und fie über
zu berrfchen.” Das folgende aber wage ich nicht zu übers
, da es eine Corruption enthält, die ich nicht zu heilen weiß *).
9) Die Worte lauten PP, ano yüp gos vovzou doxei Ldog eivas xal Ind
wär agirdar zul narıa dbiarıdlvar zal dv navıd dveivar Man müßte
Aberfezen, Denn von ihr Scheint mie alles KHoc auszugehn, ſich über
alles gu erſtrekken, alles anzuorbnen und in allem gu fein. Allein von
3906 in irgend einem fittlichen Sinne kann hier ſchwerliq; die Make
het Simplicius fort, fagt er deutlich heraus, „Und mir fcheint
1
154
ss vaſſen wir ihn alfo auf jeben Fall jieber zu wenig fagen als
zu viel, fo. wirb er alſo fortfahren: „Denn von biefer: fcheint
mir alles Bewußtſein auszugehn, und fich auf alles zu erſtrek⸗
fen, alles zu ordnen, in Allem zu ſeinz und nichts giebt «&
was nicht am ihr Antheil hätte, aber auc nicht eined hat bie
fen Antheil ganz gleichmäßig mit einem andern, fondern vide
Weiſen (roono⸗ ) giebt es der Luft und ber onoug. Dem
vielfach verfchieben ift fie, wärmer, Bälter, trokkner, feuchter, rus
higer und in fchnellerer Bewegung, und viele andere Verſchie
benheiten finden fich noch, auch an Gefühl und Farbe unzaͤh⸗
lige. Und aller Thiere Seele iſt daffelbige, Luft, wärmere als
die aͤußere in der wir find, weit Eältere aber ald bie um bie
Sonne her. Ganz gleich aber ift dieſes warme nicht bei. &
nem Thiere und dem andern, ja auch nicht einmal bei ben
Menfchen unter ſich, fondern verfchieden, freilich nicht gemaltig,
fondern jo daß fie einander fehr nahe kommen, bag aber bach
Feines dem andern völlig gleich if, und Feines von biefen ver
- fchieden gebildeten kann doch von dem andern verfchieben fein,
ehe fie bafjelbe geweien find. Da aber die Abweichung (Fre
BAR. 0 se_.n.
fein, da bie alten Phyfiologen auf das fittliche überhaupt To gut db -
gar Feine Ruͤkkſicht nehmen, da diefe unmittelbare Ableitung ber Site
aus ber Luft rein aus ber Luft gegriffen wäre und niemand koͤnnlt
eingeleuchtet haben, und da ſich weber Veranlaſſung gu dieſem gefähe
lichen Seitenfprung noch ein Ruͤkkweg von demfelben angebeutet finbe,
Wollte man 2806, was ich jedoch nicht verteidigen möchte, von be -
oben angebeuteten Naturorbnungen verftchen: fo wäre auch dieſes hier
zu fpeciell, und e8 würden biefelben Bedenken eintreten. Nimmt mon
nun das folgende hinzu: xud Zorı unde iv 6 un uerdges vavsov’ me
tiysı O8 00ör Er Suolas so Fregov vw irkon, Kll& nollo) soones mal
avsod Tov afgos xal wg vonaos elow, fo fieht man aus biefee Mab |
Ganze abrundenden Zufammenftellüng von aye und vonoss, daß in dem
fireitigen Saz bei a6 zovrov zu verftehen iſt asoos, und bei äui zur
- apirdas die sono; und etwas, wodurch biefes ausgedruͤkkt wird,
ſcheint man untweber aus Ho; allein ober aus Los zivus bilden 16
. müflen. |
155
eoiworg) fo vielfältig ift, fo find auch die Thiere vielfältigund
vwerſchieden, und weber an Geflalt einander gleich, noch an Les
bensweife, noch an Sinn, wegen der Menge ber Berfchiebenheis
tm. Dennoch aber ift es immer baffelbe, wodurch fie alle les
ben, fehen, hören, und ihr übrige Bewußtſein haben.”
Aus biefen Stellen kann wol kein Zweifel übrig ıbleiben,
daß nicht Diogenes wirklich bie Luft ald die allgemeine Baſis
- ler Dinge angefehen habe. Und daß es fi) etwa anberwärts
ſollte untreu geworben fein, auch das läßt ſich nicht nur bezweise
feln, fonbern geradehin abläugnen. Denn Simplicus fagt nits
gends daß Nikolaos und Porphyrios fi) auf andere Schriften
bed Manned berufen; fondern er felbft fchliegt nur aus einer
Stelle in dem Buch über die Natur, daß ed noc andere gege
. bm. Beine Worte lauten fo. Da die Berichte der meiſten
verſichern, Diogenes babe gleich dem Anarimenes bie Luft als
& Urfioff gefezt, Nikolaos aber in feinem Werk über die Götter ers ,
= ht, er habe als Grundſtoff aufgeftelt etwas zwiſchen Feuer
x und Luft, und dem Nikolaos auch Porphyriod gefolgt if: fo
* muß man willen daß Diefer Diogenes mehrere Bücher gefchries
; ben, wie er felbft in dem Buch von ber Natur erwähnt, indem
er fagt, er habe gegen die Phyfiologen, bie auch er Sophiften
uennt, gefchrieben, und auch eine Meteorologie verfaßt, in wel:
der er verfichert ebenfalls vom Grundfloff und von ber Natur
des Menfchen gehandelt‘ zu haben. Diefe gegen die Sophiften
gerichtete Schrift und diefe Meteorologie müßten alfo früher da
geweien fein, und follte er in ihnen jenes Mittelding aufgeftellt
haben, fo müßte er hier in dem Buche uͤber die Natur fich ſelbſt
wiberlegen. Aber wo follte man diefe Palinodie anderd erwar:
ten, als gleich bei ber erſten Zeftftellung des neuen Princips?
und ed zeigt fich Davon auch nicht die leifefle Spur.
Fragt man nun, was jene Behauptung fo ehrenwerther
Männer mag veranlaßt haben: fo ſcheint die Sache dieſe zu fein.
Ariftoteled führt mehrmals die Meinung von einem (vlhen Mi
N
166
telding als der Gozn alles Dinge an, ohne itgend jemand be
ſtimmt als deren Urheber zu bezeichnen, und zwar redet ex bis
weilen von einem Mittelding zwilchen Waſſer und Luft, wie
Coel, II, 5 und Phys. III, 4, bisweilen zwifchen Feuer und
Luft, wie Phys. I, 4 und anderwärtd. Simplicus fagt in ums
ferer Stelle, Alex. Aphrod. fchreibe dieſes Mittelding dem Ana
ximandros zu, widerlegt aber fehr richtig, daß dies des Ariflote
led Meinung nicht Fönne geweien fein, weil nach ihm Anaxi⸗
mandros nicht durch Verdünnung und Verdichtung bie Dinge
aud ber @oyn erzeuge, ſondern durch Ausſcheidung ber Gegen
füge. Darum nun fagt Porphyrios gewiß mit Recht, dem Ans
zimandros koͤnne Ariftoteled nur ein unbeflinmtes unendliche
beigelegt haben, wad auch Simplicius annimmt und fein üne-
g0v für ein adıoosorov erklärt, im Gegenfaz gegen ein eidone
onusvov. Nun fehlte ed alfo für jenes Mitteling an einem |
Mann, und daher wurde ed auf Rechnung des Diogenes ge
fohrieben, von dem man wenig wußte, und den man in ber iv
ss niſchen Reihe fand. Schlechtere Schriftftelles fchreiben ihm um. |
bedacht beide Mitteldinge zu, Simplicius, Johannes Grammat,
Nikolaos und Porphyrios nur das zwifchen Feuer und Luft,
wahrfcheinlich veranlagt dadurch, dag in ber oben angezogenen
Stelle eine gewiffe Märme dem Diogened die Bedingung de
Lebens iſt, und ihm deshalb ald die urfprüngliche Form, wenig:
ſtens ald dad nothwendig erfte adog der Luft erfcheinen mußte.
Ueber diefen Punkt alfo if, glaube ich, nicht nöthig etwas
weitered zu fagenz; jene Bemerkung aber, Daß Diogenes, wem
er früher eine andere agyn hätte angenommen gehabt, gerade
bier fich felbft müßte widerlegt haben, leidet noch eine meitar
Anwendung. Nämlich, wenn er wirklich einer der jüngften Phy⸗
fiologen war, wenn er mancherlei einzelned, was ed auch gewe j
fen fei, dem Anaragoras nachgefchrieben, und alfo feine Buͤcher
vor Augen gehabt hat: burfte er denn wol fo gradezu feſtſezen,
daß urjprünglich der Luft, und mittelft ihrer allen Dingen bie
J
157
voͤnoig einwohne, ohne Ruͤkkſicht darauf zu nehmen, daß Anaxa⸗
goras ben vous für ein beſonderes Prinzip ı=.d bie Luft für ein
uiyuo ber primitiven Stoffe gehalten habe? Man Eönnte fa
gen, eben dieſe Darlegung , daß Seele und Geift überall mit eis
ner individualifirten Lebendigkeit der Luft komme und gehe, fei
die ben bamaligen Zeiten angemefftne Widerlegung des Anayas
gorad, fo wie die Darlegung der unendlichen Mobificabilität der
Luft die Widerlegung des Thales ift. Allein Died gälte nur von
des einen Behauptung des Anaragorad, nicht von ber andern,
und Diogened mußte vor allem dieſes retten, baß bie Luft ein
eignes Etwas, ein einfached und urfprüngliches fei. Wollte man
Tagen, die Polemik möge wol weiterhin ihren Plaz genommen
baben: fo fcheint auch dieſes allem, was ſich aus der angezoges
nen und einigen anderen Stellen über ben weiteren Fortgang der
Schrift des Diogened muthmaßen läßt, ganz entgegen zu fein.
Ich gehe Diefen Spuren nach, und damit jeder über die Gleich.
artigkeit und Zeitgemäßheit bed gefundenen urtheilen koͤnne, theile
ich es im der Urfprache mit.
Bon dem sreooiuıov der Schrift hat und Diog. Laert., ber
IX, 57 fehr unzureichend von unferm Manne handelt, den erften
Anfang aufbehalten, Aoyov nuvrög agyousvov Öoxei Hol zoswV
eiyas TV Goyiv Gvaupsoßnentov nageyeodas, vv Ö8 dp-
pnveiav anıiv xaL aeuynv. Wo aeyn unftreitig nicht in dem
philofophifchen Sinne zu nehmen ift, wiewol fchon dem frühern
Anaximandros zugefchrieben wird dad Wort zuerft fo gebraucht es
ju haben; fondern es heißt dad wovon ‚die Rede ausgeht, ber
erſte Hauptfaz, den wir fogleih aus Simpliciud kennen lernen.
Diefer nämlich berichtet, Diogenes fchreibe gleich nach dem Eins
gange fo: Euot Ö2 Öoxei To u2v Elunav eineiv navyıa r&
Ovra and Tov airov Erspoiwvcdes xal To adro eivam. xui
rouro &VönAov* ei yap ra &v rüde ro xdoum dövra vüv, yi
2 vwg zai rälle 60a Yaiveras Ev ode To xooum Lövra,
& touzov re nv vo (vieleiht 70) Eregov roũ irdgau Eregnv
’
| 158
dv ri idiq pioe, xal un To wurd 20V nerönunte nollapic
ae Nrepowüro, obdaun oVö2 nioyzodas aAAmAoıg NöUVere,
püre eigeinaıg To Erigw olre AA (hier ſcheint etwas zu
fehlen) 000’ @v oUre puròv &x rijç yüs pivas ode iv
oũüre @Alo yeveodas 0VÖRV, ei un OUTw Ovvisaro Wse Tavro
elvœs dAla ndvra tavra &x ToU abrov Ereposwdueva &llore
alloie yiveraı, xal eig To avro avaywpsi*). Died ift offen
bar eine wörtliche Anfuͤhrung; merkwürdig durch den Ausdrukk,
der mehr als irgend ein Bruchſtuͤkk eines der fruͤhern Philoſe⸗
phen die erften rohen Züge bed platonifchen enthält. Eine am
dere als diefe Stelle hat auch Ariftoteled gewiß nicht vor Augen
gehabt, wo er fagt xal zovro Ögdwg Akysı Auoyeyng, örı d
x y % - I
un nv dE Evös ünavre, 00x &v nv Tö noLsiv xal sunoyen
in allnauv, olov TO Feguov wiyeodaı xai Tovro Heppai-
veodaı nahıy“ 0V yüp n Üepuorng ueraßakleı za 7 Wu-
xoorno eig Gllnkla, alla Ömhov örı To Ünoxeiusvov **). Denn
die beflimmteren Wendungen und abftracteren Ausdruͤkke, welde
wir bier finden, dürfen wir dem Diogenes ſelbſt nicht zufchre:
— t7) | P
*) Mir aber fheint, um es mit eins zu fagen, alles was ifl, von bems
felden her abgeändert, und alfo daſſelbe zu fein. Und das iſt leicht
zu fehen. Denn wenn das in biefee Welt fich jezt findende, Erbe und
Waſſer und was fonft in dieſer Welt zu fehen ift, wenn bievon eines
von dem andern verfchieden wäre durch feine eigene Natur, und nicht
vielmehr alles daſſelbe feiend nur mannigfaltig umgewandt und abgeaͤn⸗
dert wäre: fo Eönnten fie fich ja weber mit einander vermifchen, no
Ruzen oder Schaden für das andere... Auch koͤnnte weder ein Ge⸗
waͤchs aus der Erde wachſen, noch ein Thier ober fonft etwas erzeugt
werben, wenn es fich nicht fo verhielte daß es baffelbige wäre s fonbern
alles diefes wirb nur aus bemfelbigen her abgeändert, bald dieſes,
jenes, und geht wieder in baffelbige zuruͤkk.
”*) Und darin hat Diogenes Recht, daß wenn nicht alles von einem her
:wäre, fo fände ein Wirken und Leiden von und auf einander nicht
ftatt, wie daß das warme kalt wirb und biefes wieberum warm.
Denn die Wärme und die Kälte gehen nicht in einander über, ſondern
das sum Brund liegende, De gen. et corr. 1, 6. ‚
|
|
159
ben. Simplidus fährt fort, Als ich bie zuerſt fand, glaubte s
ich auch, er rede von einem gemeinfamen Grunbfloff, ber von
den vier Elementen verfchieden fei, indem er fagt, dieſe würden
fi nicht vermifchen noch verwandeln, wenn eined von ihnen bie
Goyn wäre und nicht allen bad gleiche zum Grunde läge, von
dem fie alle abgeändert find. Allein bier wird ed nun nothwen⸗
dig, bie Stelle des Simpliciud im Zufammenhange zu betrach⸗
ten, und ich fcheue es nicht, auch die früher fchon überfegte Stelle
noch einmal wörtlich hier anzuführen. Simplicius alfo fährt
nach ben jezt eben mitgetheilten Worten folgendergeftalt fort.
Eyeng 68 deißeg Or Zoriv &v Tn apyij Tavın yonoıg. nolln,
0 ya Ev, ynow, olrw Ösdaodes olovre nV &vev vonauog,
Nore NAVEWV Ergo &yeıv ZEIuwvog TE xab Hepovg xal vum
tig xml Nuepag zul verwv xar dviumv xal eddwv" xal Ta
Ma al rg Poiksraı Ewosiodes, eüpioxos &v odrw Öwxei-
nevœæ WG AYyvorov xallıora, EnajEb örı xal VIEWROS xal
Ta aM ma Ex ng apyns Tavıns Ars doriv ap nor {ni
zul yuyiy Eyes xal vonoswv, Aeymv ovrwg. Hier müffen wir
bemerken, daß die unter pnotv fiehenden Worte 00 yoo av bis
zallsore offenbar eigene Worte bed Diogenes find. Nach Zna-
yes aber, welches fich an das Zyeing d2 deikug örs anfchließt,
redet Simplicius wieder, indem er den Inhalt des folgenden an⸗
ticipirt, und die entſcheidend klingenden Worte Ars Lorlv ang
gehören ihm an, und nicht unferm Diogenes, der erft nach ben
Worten Atywv oUrwg wieber redend eingeführt wird, und zwar
fo, Ers dd npög rovrom zei Trade ueyals onueia. &yüpwrog
yüp za ra &lla Ina avanveoyra (wer Tu asp, xal ToUro
(nämlid) TO avanveeıy ohne Zweifel) avroig xal wuyn dor
xat Yonoıs, wg ÖsönAwras Ev THde TN Ovyygapii Zuypavug,
u day vovro ünallaydi anodvnoxss; al 1 vonox dno-
keiner, — eira er Öliyov vayag Zenyaye, fagt nun Sim
pliduß weiter, und das folgende ift alfo eine neue Stelle etwas
weiterhin in der Schrift, vor welcher, wie man aus dem aaquc
\ 160 | |
ſchließen kann, Diogenes noch nicht dad Wort grabe heraußge
fprochen hatte, daß fein Urftoff die Luft fei, fondern nur im af |
gemeinen gezeigt, daß es Ein Subſtrat geben, daß biefes die
vonos in fi haben, und die Quelle des Lebens fein muͤſſe;
was es aber fein möge, barauf hatte er vorhin nur: hingebeutel,
und Anflanzen angeführt, woraus ed hervorgehen follte. Die.
Stelle felbft nun lautet von jenen Worten an fo: xci nos do-
‚el TO nv vonow &y0v eivas 6 UNE xaAoyusvog dno zur
WIWNWV, xal Uno Toitov navreg xal xußeoväoder za)
Navrav xgareiv. Und Yap us Tovrov Öoxei EFog eivan,
_ ss worüber ſchon oben geredet ifl, zus Ent nav ayiydas xal
navıa Ösarıdevaı, zul Ev navıl Eveivar xal Eors nöd Eu
Ö un neröyes Tovzov, ueryes 62 00d2 Vi Önoing zö Eregon
to £TEop, Gala nollol Toon0 xuL aurov ToV d&£pog xab
rijß vonawös Eiaıv- Eotı Yag noAvroönog xal Üeguörtepog
za} ıyuygötegos al Enpötspog xal Öyporsgog xaL araos- |
zegog xal Öfvreony xivnow Eywv, xal allcı older Erepoiie;k
"og etot Kal NÖoyng xal 005 üneıpoı. Kal navrenv PN
Iwv Ön n wuyn To euro Eorıv, ano Heguorepog EV Tod: |
Eko Ev & dousv, TOD uevros napd To Main moAAov apuypb-
- re00g. Öuoıov Ö2 Tovro TO Heguov oDdevög Twv wmv dar:
nei oVöE Twy avdowWnwv Alimkoıg‘ aAlz Ösaplpss were‘
uèv od, BAh Wore nagenimosm eivar, ob uEv vos aromdu]
re Öuosöv- ye Öv. 0VÖEV Ö” olov Te yeviodns TÜV Erepomm-.;
uevav öregov Eriow neiv TO euro yerncas Diefer Igtm:
Saz ift zwar ſchon an fich ſchwer zu verftehen, Feined von den.
abgeänderten Dingen könne ein von den andern verfchiebene ‘
fein, ehe es daſſelbe geweſen. Ich denke aber, daffelbe geht auf
den Urſtoff; nur als von ihm abgeänderte, alfo, vorher er ſeibſt
gewefene, find bie Dinge von einander verfchieben. Daffelbe Liegt
.in der oben angeführten früheren Stelle, wo biefed allgemeine
‚auch unbequem genug bei Erzeugung ber Pflanzen und Thiere
vorkommt, nur” bag eine offenbare ich weiß nicht wie große
368
ſkke dies weniger bemerklich werben lie. Chen fo tl auch hier
sch weniger ‘zu begreifen, wie e8 an biefe Stelle Tommt. Man |
mß annehmen, baß biefes vorher ſchon aufgeftellte allgemeine
zeſez jezt, nachdem ber Grundſtoff materiell ald Luft beftimmt
K, noch einmal wiederholt werde, und daß alfo ber Saz ſich
veniger auf das unmittelbar vorhergehende bezieht, ald vielmehr
Ne ganze Inductionsreihe abfchließt. Und dieſe Wiederholung
War um fo nothwendiger, da er nun noch wegen ber Thiere
wehr ind Einzelne gehen wollte; wie nun anfchliegend an bie
Igten Worte alfo gefchieht. &re ovv moAvroonov &vovang tig
Momosog noAvrgone za Ta Ina xal noAld, xal orte
Zoıxdre AAAmoıc olrs Ölaırav oüre vonoıw Und Tod
vg zWv Eregoswaiwv. Öuwg Ö2 navre Tu avra xal {Mi
0p& zo Gxoveı xal Tnv Ally vonow Eyes Und ToV aü-
bi navre. Bis hieher ift offenbar von den Worten xai nos
i an alles eine zufammenhängende und woͤrtlich angeführte
aus der Schrift ded Diogened. Bon dem folgenden aber
t und Simplicius wieder nur den Inhalt. Aber gewiß doch
km unmittelbar folgenden; denn da er auch eira, änsıza ner
iyov fagt, fo kann man das Zypekng nicht ander als eigents
b verfichen. Er fährt nämlich fo fort: xal Zyeing deixvuos so
k xal TO onioua rwv wmv nvevuatWöeg EoTi, Xal von-
bo yivovızı zou d£oog oiw rü alucr. to öAov one 2
Maußdvovros dic rwv pießuv, Ev olg zul Gvarounv üxgt-
| zay pleßov rapadidworv *). Nach dieſer Stelle, auf
Nie wir fogleich zuruͤkkommen wollen, fährt Simplicus fort
> dn Tovros oayus gyaiveras Ayav örı Öv vdpunos
iv aioa, roũrò dorıv agyn. Yavuaorov Öd Örı xara
Unmittelbar barauf zeigt er daß auch ber Saame ber Zhiere etwas
hauchartiges fei, und daß Empfindungen, Wahrnehmungen entftchen,
‚indem bie Luft mit dem Blute ben ganzen Körper "burchbringt vers
mittelſt der Adern, bei welcher Gelegenheit er eine genaue Beſchrei⸗
bung ber Adern mittbeilt,
Sqhlelerm. W.UL2 L
162
irepoinow Tv an. adrov Alywv va Alla yiveodas, ai
Öumg aito gnoı, Atyav „xal avro u2V ToUro xal di
‚ xal ddavarov cune, uv ÖL Ta uEv yiveraı ta Ö° anı
sei.“ zur Ev @Ahoıg „AA Tovrö uos ÖmAov Öoxei givaı,
zo ueya xal ioyvpev xaL didıv Te zul Güavarov
noAld eidog Earı“ *). Von den beiden hier wörtlich ange!
ten Stellen nun haben wir, meine ich, Feine Art von Gewiß
daß fie auf das früher angeführte folgen; denn fie find
aus dem Zufammenhange heraus. Und wenn ich meine ‘|
nung fagen fol, fo fcheinen mir diefe Behauptungen als
formale .Beftimmungen des zu fuchenden allgemeinen Subf
vorangeftellt geweſen, und bie Stellen aus jener erſten Ge
der Schrift zu fein, wo der Grundftoff noch nicht als Lufl
fiimmt war. Denn fehr gut fchließt fich an dieſe lezten U
jene von und zuerſt angeführte Stelle, welche anfängt, I
ohne Verſtand Tonnte er nicht fo vertheilt fein u. f. w.
Sehr übereinfiimmend mit dem was im vorhergehe
über die Entflehung der Empfindung und Wahrnehmung
kommt, berichtet der falfche Plutaschos **) über den Schlaf,
nämlich biefer nach, dem Diogenes entftehe, wenn bad Blut
überall perbreitend die Adern erfülle, und die in ihnen eu
so ſchloſſene Luft in die Bruft und Lufthöle treibes Wenn «
alles Luftartige aus ben Adern verfchwinde, fo erfolge ber 2
Wenn aber Simplicius fagt, daß eben da wo Diogenes
der Entftehung des Bewußtſeins handle, er eine genaue Beld
*) An allen biefen Stellen fagt er body offenbar ganz beftimmt,
was man Luft nennt, der Urftoff ſei. Wunderbar aber ift, daß,
ee gleich fagt, alles andere entftche durch Abänderung aus ihr, e
dennoch ewig nennt, wo er fügt, Und eben biefes iſt das ewige
unſterbliche Wefen, von allem andern wirb einiges, anderes very
Und an einem andern Orte, Aber biefes fcheint mir ganz offe
groß zu fein und mächtig, und ewig und unfterblich und vieles if
"9 De plae. phil. V, 24.
163
bung ber Adern gebe: fo hat und offenbar eben diefe Beſchrei⸗
bung Ariſtoteles aufbewahrt (Arist. Anim. IH, 2) aber, ohnerach⸗
tet er anfängt: 4. de 6 A. vade Akyes, doch fchwerlich woͤrt⸗
lich, da jede Spur des Jonismus fehlt; auch wäre Died gegen
bie Allegations⸗Principien des Ariſtoteles. Ich enthalte mich
dieſe Stelle mitzutheilen, und verweiſe auſ Sprengels Bericht”),
ber freilich unvollſtaͤndig iſt, und deſſen Treue ich nicht verbuͤr⸗
gen will. Daß aber die von Ariftoteles aufbewahrte Stelle dies
felbe ift, welche Simplicius vor Augen hatte, erhellt unwider⸗
fpreihlich daraus, daß auch in der ariftotelifchen baffelbe von der
Batur des thieriſchen Samens vorkommt; denn nachdem bie
; ern bid im die Zeugungätheile herabgeführt worden, fchliegt
‚de Stelle damit, ber dichtere Theil ded Blutes werde von den
Ffeifchigen heilen eingefogen; was aber in jene, bie Zeugumgös
theile, eindringe, fei fein, warm und ſchaumig. Da nun gleich
hier Diogenes fo fehr ind einzelne ging, denn die Befchreibung
{A eine fo volftändige Gefäßlehre, als fie damals nut fein konnte:
fo glaube ich daß auch was Genforinus von ihm anführt (cap.
6,6 und 9), dag nämlich die Frucht aus dem männlichen Sa:
men allein entſtehe, daß das Fleifch fich zuerft bilde, und nach
dieſem erſt Knochen und Sehnen, ebenfalls aus diefer Schrift
Soon ber Natur genommen fei und hicher gehöre; denn ed bezieht
(ih auch darauf, die Entſtehung aus dem zarteften und hauch—
tigen und den erft-allmähligen Webergang in das fefle und
Barre darzuthun. Da nun bie fpeciellfte Naturbefchreibung und
Vkblaͤrung ſich in der Schrift des Diogenes fo nahe am bie erſte
Rittheilung ſeiner Grundanſchauung anſchließt, und dieſe Schleuſe
mal geoͤffnet war, wie koͤnnen wir ſie wieder ſchließen, und
as dürfen wir vermuthen, ald daß alles fpecielle diefer Art,
uns von Diogened anderwärtd überliefert iſt, dieſem
—*3 das allgemeine durch das beſondere zu bewaͤhren in
— —
”) Geſch. d. Arz. I, 468.
re 2
164
* derjenigen Ordnung gefolgt fel, welche darin llegt, daß er, wie
der Zufammenhang der von Simpliaud angeführten Stellen: ba»
thut, wo es ind befondere einging, von dem Menfchen. anfing,
alfo in der abfleigenden Richtung. von dem vollfommenften 2e.
ben zu dem .unvollfommnen hinunter fich bewegte. Daher mußte.
or er zunächft den Anfang der Seelenthätigkeiten und des Athens
als gleichzeitig fezen, wie man aus einem freilich etwas verwor
renen Bericht fehliegen muß *), Eben fo genau hängt damit
zufammen, daß er fich erklären mußte, ob auch den Thieren, fr.
fern fie ja athmen, vonoıs zulomme. Er vergleicht wegen be
ſchraͤnkten Wahrnehmen und Denkens ihren Verfland mit dem
Wahnſinn *). Auch mußte ſich zubrängen und dicht an bie
anfchliegen die Rechtfertigung jened in der erfien Darlegung de
Anfiht aufgeftelten Sazed, daß alle Thiere atmen, und bien
von hat und auch Ariftoteled etwas aufbewahrt. Nämlich in
ber Schrift über das Athmen fagt er (cap. UI), Anaxagoras unf
Diogenes, welche beide behaupten, alles athme, befchrieben
die Weife, wie die Zifche und bie Schalthiere athmeten, un
zwar Diogened fo, Indem fie dad Waſſer durch bie Kiemi
herausließen, zögen fie vermittelft der im Munde entflchenbaf
Leere aus dem den Mund umgebenden Waffer die Luft in ſich
wie er denn Luft im Waffer annehme. Zu welcher Stelle ii
Erklaͤrer erinnert, Diogenes allein nehme, abweichend barin
Anaragorad, an, da im Waſſer immer Luft vorhanden fei; au
*) de plac. phil. V, 15 yeorüodar lv va Boden pura, bo j
dd° 69:9 wo Fupvrov Geguov duddug ngoxudlreog kob Pgdpeus.
zo nrevuova Öpllxesun
**) ibid. V, 20. Aioyerne hergeir gr abıc (sc. vu Kloya taa) ©
vonroũ nad üegos, deck BI vo zu us numvorme vu dR nlsornonn
vygaolas uva diavosiodar fimee alodaveodas, Kpoopepgue di u
diaxzsiodns vols mauNY00s Rupenrasxorog vob 1yeuorızod. SR
dyoaola und was dahin gehört wahrfcheinlich ein eigner Ausdrukk des
Diogenes, aber nyaporıxor ſchwerlich.
165
Das von bes &ere im Munde nicht Buchftäblich zu nehmen,
n Diogenes nehme Fein wahrhaft leeres an, fondern nur leer
ı Maffer, meine er, fei ber Mund. Damit hängt zufammen,
8 Ariftoteled im naͤchſten Abfchnitt berichtet, aber einfältig
amt, daß nämlich Diogenes daB Sterben der Zifche in der Luft
saud erklärt, daß fie zuviel Luft, einfügen, aus bem Waſſer
er nicht mehr als ihnen angemeſſen fe. — Weiter hinab:
aͤrts finden wir, baß auch jener Schein ded Lebens in den
eußerungen ber magnetifchen Kraft bie Aufmerkſamkeit DE Dio⸗
ned auf fich gezogen. Wenigſtens erwähnt Aler. Aphrod. *).
I, wo er von Magneten redet, einer Meinung des Diogenes,
5 alle Metalle (navra ra are) Dünfte von ſich gäben,
d auch von außen einfügen, einige mehr andere weniger, am
üiften aber Kupfer und Eifen, aud welcher Hypothefe er her⸗ o2
ch auch das Roſten erfläre; und dies nun mag bie lezte Grenze
fien fein, wobei ed auf die Identitaͤt der Luft und ber vor-
s ankam. u
So ohngefaͤhr mag in der Schrift des Diogened von ber
derjenige Theil der Darfielung, der dad lebendige um⸗
‚ und offenbar der erfle war, abgefaßt und angeordnet ges"
fein, aus welchem auch, gewiß ziemlich zu Anfang, ent:
en ift was Ariftoteled **) berichtet, Diogenes behaupte, die
fei Luft, und zwar fei dieſe Deshalb erkennend, weil fie
ef fei, und alled andere aus ihr, bewegend aber deshalb,
il fie dad feintheiligfte fei. “Denn jenes beftimmtere und aus
terer Hand überlieferte ***), das regierende der Seele fei In
‚arteriellen. Herzfammer, welche mit Luft angefuͤllt fei, mag,
tal Diogened doch auch Luft im Kopf annahm, wol nicht
zohne Mißverftand fein. — Auf diefe Darftellung mag nun
andere gefolgt fein, in welcher gezeigt ward, wie bie leblo»
ı Quaest. nat. II, 23. fol. XVIH. *) de anima I, 2,
er, de plac, phil. IV, 5 md 16.
\
166
fen. Eörperlichen Dinge aus ber Luft durch Werdünnung unb
| Verdichtung entfländen. Aber wie auch biefe, von der wir frei
lich wenig wiffen, mag georbnet gewefen fein, und wie man in
fie vermeifen will was und von feiner Erd» und Himmelskunde
theild derfelbe Alerandros ‚berichtet *), theild in vielen einzelnen
Stellen zerfireut vorkommt in den Büchern de plac. philos. **)
und was ich nicht dieſes Orts halte alled aufzuzählen: müßte,
falls Diogenes den Anaragoras gekannt und ihm anderes nachge
fchrieben hat, müßte nicht in feiner Schrift, wenn irgend eine Spur
von einer Haltung und Ordnung darin foll geweſen fein, auch
ſchon dem erfien Anfang des fpeciellen, den und Simplicius ges
nau angiebt, die Widerlegung jenes anaragor. Sazes, daß bie Luft
ein giyue fei, vorangegangen fein, und da Simplicius bis hieher
wenigftend aufmerffam gelefen hat; follte er eine folche Merkwi⸗
digkeit wol uͤberſehen oder verſchwiegen haben?
Beweiſe aus dem, was jemand nicht fagt, find freilich im
mer etwa mißlich; und da noch Die Ausflucht übrig bleibt, Die
a3 gened könne den Anaragorad in jenen andern von Simplids
angeführten Schriften, der Meteorologie oder der gegen Die Sophiſten
widerlegt haben: fo erlaube man mir das Verhaͤltniß zwifchen die
fen beiden Naturforfchern noch von einer andern Seite zu beleuchten
In der früheren Reihe der ionifchen Philofophen Thale;
Anarimandros, Anarimenes, hatte ber Geift fich felbft als Gegem
fland der Speculation noch gar nicht gefunden, die Erklärung:
des intelectuellen wurde vernachläßigt oder ganz mythiſch b6
handelt. Was tft nun wahrfceinlicher, daß der Geift ſich zw
erft fand in jener ftrengen Form des Gegenfazed, den Anaragee
ras aufſtellt, oder in jener untergeordneten der erfcheinenden Ein;
heit mit der Materie, wie wir bei Diogenes finden? Iſt nid:
von Diogenes zu Anaragorad ein Fortfchritt, umgekehrt ein Ruͤll⸗
u
*) ad Arist. Meteorol. II. fol. 91 und 93. "*) II, 1. 8. 13 2%
32 und II, 2. So auf) Stob. Floril. Ed. Plant, p. 44, 47. 52. He
59. 64. 93.
167
itt? Trift und mit Anaragorad, wenn wir ihn unnzittelber
Anarimenes Enüpfen, ganz unbiftorifch, wie ein deus ex ma-
1a entgegen, ald habe er den Geift, und noch Dazu ganz fere
und rein gewafchen von aller Materie, gleichfam erfunden ?
xicht fich nicht in dem ganzen Ton der erfien Säze bed Dio⸗
es aus, er bringe dieſes ald etwas ganz neues auf bie Bahn,
; man bei Beflimmung der aͤorn auch die Erklärung ber
105 fi zur Aufgabe machen müffe, und daß er eben hiers
ch über feinen Vorgänger Anarimened hinausgehe? Nicht
x, als ob er zum Anaragorad fagen wolle, ich brauche beinen
mbern vous nicht, ich habe ihn fchon in meiner @eyn drin?
ner, da die anaragoreifche Lehre -von ben Homdomerien, wie
a fie, wahrſcheinlich ihm gar nicht zu Danke, genannt hat,
nbar auf der Anfchauung bed Aſſimilationsprozeſſes der or
iſchen Körper beruht, iſt dies nicht auch eine fpätere und
Rlichere Betrachtungdweife, ald wir fie bei Diogenes finden?
13, alles tritt zufammen, um und dahin zu beflimmen, bag
den Diogenes, wenn nicht ganz beutliche und fichere Zeugs
: dagegen auftreten, unmittelbar an ben Anarimenes anzus
pfen haben, ganz unabhängig von Anaxagoras, und fo daß
ücht einmal etwas von ihm gewußt hat. Solche Zeugniffe
e ich aber bis jezt nirgend gefunden, außer jenes eine bei
nplicius, daß er ber jüngfte unter den Phnfiologen ſei, und
. Anaragorad und Leucippus nachgefchrieben habe, Won ben
nöumftänden des Mannes wiffen wir nichts, außer was Laer⸗
aus dem Demetrius Phal. berichtet, daß auch er des Neis
wegen in Athen in großer Gefahr geſchwebt habe; fonft fagt | |
*
dieſer nur, Diogenes treffe der Zeit nach xara Avakayo- 9a
, und e3 wird fehr ungewiß, ob die Ausſage des Simplicius,
er der jüngfte fei, auf einer wirklichen Zradition ruht oder
Vermuthung if. Sn den einzelnen Berichten wird er uns
fig oft mit dem Anarimened zufammengeftelt, und es find
: einige neuere, die ihn ohne alle Autorität zu einem Schi:
468
> fen odes gan Nachfolges des Anaragorad machen wollen. eng
Ausfpruch bei Simplichus aber beweiſet dann immer nur, be
ber von bem er herrührt, viel übereinftimmendes gefunden in ben
Aeußerungen des Anaragorad und bed Diogened. Da berfelbs
aber eben das auch findet zwifchen Diogenes und Leucippus: fo
erfennen wir in ihm einen folchen ber vorzüglich auf die eim
zelnen Hypotheſen zur Erflärung ber Lufterfcheinungen gefehn
bat, wobei für wiffenfchaftlihe Anfhauung und Gombinatien
noch wenig vorbereitet war, dergleichen aber in jenen pſeudoga⸗
Senifchen und pfeuboplutarchifhen Schriften von allen alten Ph
Lofophen in großer Anzahl angeführt werben, und fo bag aud Ki
die in den Principien am meiften verfchiebenen in einzelnen &n ka
klaͤrungen diefer Art oft zufammentreffen. KWielleicht iſt nm,
wenn Simplicius jened Urtheil nicht anders woher entlehnt hat, je
hiebei befonderd Rüfkficht zu nehmen auf bie Lehre von bem
fogenannten Wechfel der vergänglichen Welten, in welcher Ana
zagorad, Leucippud und Diogened vom Stobaͤus übereinzuflims
men gemeldet werden. Auf biefe war Simplicius beſonders aufs
merffam wegen feined Streited gegen das chriflliche Dogma vom
Meltende und beffen Werfechter Johannes Philoponus. Hat a
nun ähnliche Zufammenftellungen, wie jene Bücher de plac.
pbil. enthalten, vor fich gehabt: fo hat er Leicht mehr von dieſer
Uebereinftimmung geglaubt ald er fah, immer in Bezug auf
: jene anderen Schriften des Diogenes, bie er annahm, bie aber
nicht mehr auf ihn gekommen waren, und hat fich fo dieſes Us
theil anderwaͤrts abftrahirt, und e& nur nicht allzugeſchikkt hie
angebracht, wo er von ben eigentlichen Principien bed Diogened -
redet. Aber auch mit dieſer Annahme, daß es mehrere Schriften
des Diogenes gegeben, fcheint ed mißlich zu fliehen. Simpliind ?
flüzt fi) auf weiter nichts anders, als auf jene bereits oben
überfezt angeführte Stelle aus bed Diogenes Schrift von be
Natur, Freilich giebt er und diefe Stelle nicht woͤrtlich, ſondem
in indirecter Rebe und im Auszuge. Seine Worte aber lauten
169
koréovy ds zeygarreon mielova td Aloydvas xoöryg gu
tupore, eg avTog &v vw reg) pvaswg duvnodn, zul tgög
00AOYoVg Avreigmxevar A£Y09, OUs xalel xal autos 00-
JTag, xal uErewgoAoyiag yergaykvas, Ev 71 xal Adyes step) os
> doyig elomeivas, xab uEvros zul siepl AvdEWnoV p-
Ss. Freilich Elingt bad wol, ald habe Diogened von einer -
mderen Schrift gegen die Phyfiologen geredet, und als er
hne er ‚einer befonderen Meteorologie. Allein ganz entichies
ı geht ed boch nicht hervor, und man wird eher geneigt zu
uben, Simplicius habe die bezogene Aeußerung bed Diogened
zverſtanden, da feine Auslegung berfelben fo durchaus nicht
befcheinlich if. Denn was konnte die Schrift gegen bie Phys
ogen anders enthalten haben, ald Widerlegung anderer Hypo⸗
fen über bie @oyn? Unb dieſe follte er von der Ausführung
tee eigenen ganz getrennt und in einer eigenen Schrift vorges
gen haben, in ber er doch überall, wenn man fich nicht eine
3 dialektiſche Widerlegung denken will, bie damals wol nicht
glich war, wieder auf feine Grundfäze zurüffommen mußte?
wig wird für jene Zeit jedermann natürlich finden, daß er in
a biefer Schrift über die Natur, welche in einem, wie man
3 allem fchliegen muß, fehr mäßigen Umfang. eine nach Art
d Maag jener Zeit durchgeführte Darfielung auch vieles eins
zen enthielt, zugleich was ihm von andern feiner Anficht wis
forechenden Syſtemen befannt worben, kürzlich wird wider»
t haben. Eben fo mit der Meteorologie. Haben nicht die
fofratifchen Naturforfcher alle in ihren Büchern von der Nas
: auch dieſe Gegenftände abgehandelt? War nicht nach bem
enen Bericht des Simplicius auch in eben diefer Schrift des
ogened viel zoologifched einzelnes angeführt? und ficht man
bt in den angeführten Stellen deutlich genug auch das meteos
ogifche angelegt, fo daß ed nach Belieben ins einzelne konnte
Sgeiponnen werben? Und dennoch follte ex noch eine beſon⸗
bere Meteorologie *) geichrieben haben, da er doch ‘über dieſe
Dinge, alle Nachrichten zuſammen genommen, gewiß nicht ſoviel
gewußt, ald über die Adern, denen er ja auch Feine eigne Schrift
gewidmet, fondern den ganzen Reichthum in dieſe von der Nas
tur audgegoffen hat? Und in jener Meteorologie follte er auch
wieder von dem Grundweſen gehandelt haben, welches in bieler
Schrift abgehandelt ift, und von, der menfchlihen Natur, von
der ebenfalls nicht wenig in dieſer Schrift fteht, fo daß beide,
die polemifche und die meteorologifche, doch nur Wiederholungen
geweſen wären von ber über die Natur? Dies ift hoͤchſt um
wahrfcheinlich in einer Zeit, wo die Philofophen noch fo wenig
06 fchreibfelig waren, daß felten einer mehr ald eine Schrift hinter
lieg. Wenn man nun dazu nimmt, daß fich von mehrere
Schriften ded Diogened nirgend fonft eine Spur findet: muß
man nicht glauben, daß Simplicius die angezogene Stelle miß-
verflanden? Das Wie tft freilich ſchwer nachzuweifen: und doch,
wenn es erlaubt iſt Vermuthungen über eine aus Luft gebaute
Schrift mit einer vieleicht aud nur aus der Luft. genommenen |
Vermuthung zu fchliegen, fo möchte ich glauben, bie angezogene |
Stelle fei der Epilog unferer Schrift gewefen, in welchem Die
gene, nach dem zuverfichtlichen Zone jener Zeit, fich deffen was
er in eben dieſem Werke mannigfaltiges geleiſtet, mit Wohlge⸗
fallen geruͤhmt hat. Freilich wuͤrde dies dem Simplicius nicht
haben entgehen koͤnnen, wenn er bie ganze Schrift mit gleichem
Fleiß gelefen hätte; allein dieſes fcheint er öfters nicht gethan |
zu haben. | Ä
*) Werbächtig macht ber Ausdrukk uersngpoloylac, wozu wieder bad dr }
nicht recht ſtimmt, unſern Text wol nicht, ſondern man ſchreibe nur
——— |
A X =" 7
| IE
t Ueber Anarimandros.
—
Vorgeleſen am. 11. Rovember 1811. |
f . —
Sa geraumer Zeit fchon hat bie hiſtoriſche Kritik mit flei: m
gendem Erfolge ſich mit den Philofophemen der Alten befchäftis
get. Man hat befjer ald es fonft der Fall war gelernt die Nach»
richten zu claffificiven und jedem Zeugen feinen beflimmten Grab
und fein befondered Gebiet von Glaubwürdigkeit anzumeifen;
man bat untergefchobene Bücher und Stellen von ächten zu uns
terfcheiden fich geübt, hat die chronologifchen Schwierigkeiten auf:
gefaßt und zum Theil glüfflich befeitiget, und hat den entflels
lenden Einfluß fpäterer Anfichten und Begriffe auf bie Darſtel⸗
lung des früheren abzulenken gefucht. Viele Unterfuchungen von
Meinerd, Tiedemann und Tennemann und einzelne Arbeiten von
Sturz und Füleborn find davon erfreuliche Beweiſe. Eine
Menge Nebel find vertrieben, und es muß nun weit leichter fein
die Gegenflände auch ber älteften Zeit in ihrer wahren Geftalt
zu ſehen. Uber freilich dieſes Sehen felbft und die Darſtellung
n
\
W 472
des gefehenen ſcheint noch nicht bie gleichen Fortſchritte gen
zu baben wie die Fritifche Sonderung, die freilich auch ve
gehen muß, WIN man fich von der Denkart eined alten P
fophen einen zufammenhängenden Abrig bilden, worin bie 9
tung feiner Forfchungen beutlich zu erkennen ift, Die Hauptpu
berfelben in einer natürlichen und nothwendigen Verbindung
geftelt und die Grenzen abgeftefft find, innerhalb deren. alle |
- auch. die und minder bekannten Unterfuchungen fich müffen
wegt haben: fo wird man auch bie vorzüglichften unter ben neı
Darſtellungen noch fehr unbefriedigt aus der Hand legen.
meiften verderben ſich dad Gefchäft theild dadurch daß fie w
se ger die Anſicht eined Alten für ſich darſtellen wollen, fondern
in Bergleihungen einlaffen mit den fpätern oder gar mit
noch unter und geltenden Anfichten und dem eignen Syſtem
barftellenden, und daß fie auch hie älteflen nach ben Forden
gen beustheilen, bie wir an einen Philofophen zu machen
wohnt find; theild dadurch Daß, wenn fich eine Einheit in
nen Behauptungen nicht auf den erften Anblikk von felbft «
dringt, fie lieber annehmen, es fei keine Da gemwefen, und uͤ
haupt ald das Philofophiren noch jung und unvollfommen, ı
. bie eigentliche philofophifche Kunft, Die Dialektif, noch nicht
funden war, hätten die weifen Männer nicht gemerkt, wo in
‚sen Meinungen einer dem andern widerfprochen. Allein t
möchte weit eher von ben fpäteren Zeiten einer verwikkelte
Speculation gelten Eönnen, als von jenen Einvlichen Verſuc
ber früheften Schulen, wenn man fie ja fa nennen barf, be
Dpilofophiren eigentlich nur auf vorzüglicher Slarheit eines |
fer fhauenden Sinned beruhte, und wo das wenige, was ei
als Philofophem der gemeinen Erfahrung gegenüber flellte, ı
um fo nothwendiger unter fi zufammenflimmen mußte, vw
alles nur von Einem Punkt ausging. .
Die gegenwärtige Abhandlung hat keinen andern Zwekk,
einige Schwierigkeiten vielleicht weniger zu befeitigen als ı
1
175
darzulegen, welche ſich mis bei dem Beſtreben in den Weg ges
ſtellt haben, mir ein ſolches anfchauliched Bild zu entwerfen von
einem ber aͤlteſten unter denen welchen man ben Namen Philos
fophen beilegt, von dem Milefier Anarimandrod, ben man ges
wöhnlich als den unmittelbaren Schüler des Thales anfieht, ja
der bei Diogened ganz eigentlich die Reihe der ionifchen Philos
ſophen exöffnek, indem Thales unter die Sieben, alſo gleichfam
in die vorgefchichtliche Zeit der Philofophie zuruͤkkgewieſen wird.
Die erfle und wichtigfte Frage iſt mum bie, welches eigent⸗
„ Mh des Mannes Princip — um mich der Kürze wegen biefer
gmohnten und ben Kundigen verflänblichen Webertragung bed
‚ giechifchen @oyn zu bedienen, ohnerachtet hier der Ausdrukk Ure
hoff mehr Genüge leiften würde — geweſen fe. Es find bier
} über zwei verfchiebene Meinungen im Umlauf. Daß er ein un
endliches arreı0oy als Princip aufgeftellt, darüber find alle einig;
aber weiter fagen einige, er habe dies feiner Qualität nach gar
nicht näher beſtimmt, andere hingegen, er habe es näher beftimmt,
md zwar ald ein Mittelding zwilchen Waſſer und Luft. Mit
dieſen entgegengefezten Angaben nun befinden fich unfere neuern
Geſchichtſchreiber in großer Werlegenheit, und die meiſten zero
hauen den Knoten. Bruder hält es blos mit der. erfien, und
J ſeht die leztere an. als Erklärung fpäterer, welche den unbeſtimm⸗
] fm Aeußerungen des alten Weifen haben nachhelfen gewollt; ofs
fenbar aber berüfffichtigt er zu wenig den Werth der Quellen,
woraus bie andere Angabe herfließt, und wirft fie unbilligerweiſe
ganz in eined mit pöllig ungereimten und leicht: zu widerlegen.
den, wie bag Anaximandros Atomen angenommen habe. Buhle
nimmt eben fo geradkzu das andere an, fein Princip fei das
Nittelding zwifchen Luft und Waſſer gewefen, und läßt ſich gar
uicht merken daß irgend ein Zweifel Dagegen obwalte. Tiede⸗
mann geht denfelben Weg, doch verfchweigt er die Bedenklichkei⸗
ten nicht ganz, überläßt aber dem Lefer fich. felbft aus der Sache
zu ziehen. Tennemann macht einen Verſuch breites ya warn
| 174 |
‚gen, ber aber: wie natürlich fehr fonderbar ausfällt. Da
lich in den Nachrichten der Alten auch die Rede ift von .ı
Mittelding zwilchen Luft und Feuer, welches irgendwo als
cip aufgetreten fei, fo meint er, Anarimandros habe fich
feinem Unendlichen die rein unbeflimmte Materie an ſich gel
deshalb eben habe er fein Princip nur durch Bergleichunge
fchreiben Eönnen, und ba er es bald als das eine bald ale
andere Mittelding bezeichnet: fo habe er es beflimmt und
nicht beſtimmt, und baher hätten einige das eine berichten
nen, und andere bad andere. Eben fo vereinigt er noch ı
andern Widerſpruch, auf den wir bald Eommen werben.
Wenn. man davon ausgeht, daß Anarimandıod de T
Schüler geweſen: fo hat es viel für fi anzunehmen, fein
enbliches fei der Qualität nach jened Mittelding zwifchen
umd Waſſer geweien. Hat er nämlich bei dem Prozeß von
bünnung und Verdichtung, durch den aus dem Waffer des
led die anderen Körper entſtehen follen, auf die vier empebdı
fchen Elemente, verfieht fich nicht ald auf folche aber als au
ſich von felbit darbietenden Hauptflufen jenes Prozeſſes, 9
ſicht genommen: fo war natuͤrlich dad Waffer Fein wahrer :
telpunkt, denn es bietet zwei Stufen oberwärtd dar, und
eine untere; und follte die @oyn ald das gleich bewegliche
. zeigen nach oben und unten: fo mußte fie in die Mitte ge
werben zwifchen Wafler und Luft. Nur wäre es wunder
wie Anarimened, ber wieder für einen Schüler des Anarin
dros gehalten wird, von ihm die Unendlichkeit des Princips ;
folte angenommen, dieſe fchöne Mitte aber wieder verlaffen
100 ben. und. auf bie Luft verfallen fein, weiche in biefer Hin
diefelben Unbequemlichkeiten darbietet, wie dad Waffe. 4
Died mag leicht ganz anders fein, wie denn Combinationen
fer Art grade das verführerifchfte find, wenn man die mangel
ten Nachrichten der Alten ergänzen will; und ed kommt zu
derſt barauf an, wie die Sache bei ben Alten ſelbſt Liegt.
175
Zeugniſſe find offenbar fehr.verfehieden. Einige fagen auödrüff:
\ih aus, die zoyn des Anaximandros fei bad Mittelding gemwes
fen zwifchen Waffer und Luft. So Simplicius hie und da im
Eommentar zu den Phnficis und zu ben Büchern de coelo *),
Johann. Philopon. **), Themiſtios ***) und nad) dem- Beugniß
des Simplicius ****) auch Alerand. Aphrodif. ‚Andere fagen
ausdruͤkklich, Anarimandros habe die Natur feines Arresgov nicht
näher beftimmt ; fo Diogenes Laertius *****), ber Pfeudoplus -
tach +), und nach dem ausdruͤkklichen Zeugniß des Simplicius
in der zulezt angeführten Stelle auch Porphyriod. Eben daſſelbe
ſagt endlich auch Simplicius ſelbſt ganz beſtimmt Tr), da wo
" die Meinungen der Phyſiologen über ihre eine bewegliche &e-
: m eintheilt, fie koͤnne entweder eine endliche begrenzte erzeoao-
. um fein, wie das Waſſer des Thales oder das Feuer des He⸗
tofleitoß, oder eine unbegrenzte, und biefe dann entweder unbe
' fimmt, aogıorog, wie die PVoıg üreıgog bed Anarimandros,
We beflimmt, wie die Luft des Anarimenes und bed Diogenes
Apolloniates; fo der falfche Drigened +++) und eben fo Eufes
bios +++) aus den orawuare des Plutarchos. Auffallen mug
bier jedem ganz vorzüglich, daß die Ausleger des Ariftoteles nicht
alle auf- einer Seite ſtehen, ja daß die Audfagen des Simplicius
gar unter fich im Widerfpruch fiehen. Dieſes wäre freilich bes
gaiflicher, wenn, wie die Neuern behaupten, Ariftoteled felbft in
Üfcht auf den Anarimandros fich widerfprochen hätte; benn
warum ſollte es doch dem Schüler beſſer ergehen ald dem Meis
fr? Allein die Wahrheit iſt, dag niemand eine Stelle nachges
tiefen, und auch mir ift Beine vorgefommen, wo Ariſtoteles jes
18 Mittelding ausdrüfktich dem Anarimandrod zufchriebe; fon» 101
®) Simpl. ad. Phys, fol. 105 a., fol. 107 a. b. de Coelo fol. 151 a.
M ad Arist. de gen. et corr. fol. 3. *®*,) in Arist. Phys. fol. 36.
"er, ad Phys. fol 322. #6. 7) deplac. phil. I, 13.
#) ed Phys. fol. 6 a, + Philosoph. cap. VI.
Trrt) Praep. evang. I, 8.
4176
dern wo es davon redet, daß dieſes Mittelding zwiſchen Luft und
Waffer, ober auch unbeftimmt eine Natur napa sa orosyela,
als Urftoff angenommen worben *), ba nennt er nirgends einen
Urheber, und nach einer Stelle des Simplicius **) fcheint Ale
Aphrod. zuerfi und vorzuͤglich biefe Stellen auf den Anaximan⸗
dros bezogen zu haben. Es mag alſo wol dieſe Autoritaͤt ſein,
ber hernach die andern Commentatoren und bie und ba Sim
plicius felbft gefolgt find. Mit welchem Recht, dieſes zu ent⸗
ſcheiden haben wir wol fchwerlich einen andern Weg, als went
wir audzumitteln fuchen, ſoviel wir Tönnen, welches wol be
Ariftoteled Meinung von bed Anarimandros Princip gewefen fe
Daß Ariſtoteles nirgend, wo er von jenem Mitteldinge vo
bet, des Anarimandrod erwähnt, da er ben Mann doch ſon
nicht verläugnet, koͤnnte freilich fchon an fich unwahrſcheinlich
machen daß er ihm die Erfindung zngefchrieben, allein auf de
andern Seite fagt er auch nirgend das andere, bag Anarimam '
dros fein Unendliches gar nicht näher beflimmt habe; alfo muͤſ
fen wir der Sache auf andere Weife näher zu treten fuchen
Daß Ariftoteles überzeugt gewefen, Anarimandros habe nicht daB
Unendliche als folches zum Princip gefezt, fondern ein beftimmte |
aber ald unendlich unbegrenzt gedachte Weſen, wirb mehr ald :
wahrfcheinlich aus folgendem. Es ift nämlich offenbar daß er ;
unfern Mann, wie auch in der Sache liegt, zu denen rechnet,
bie ee gvosoAoyovg nennt. Won diefen aber, denn dem Zufams 4
menhange nach kann es nur auf ſie gehen, fagt er ausbräfß "
lich ***), Feiner unter ihnen habe das Unendliche als ein Weſen
an fich gefezt, fondern nur fo daß die Unendlichkeit als Eigen *
fchaft einem andern zufomme, und tadelt nur, fie ſollten deshalb ”
nicht dad Unendliche ald Princip fezen, fondern jenes dem ur
*) Phys. I, 4. III, 4. 5. de Coelo III, 5. ”) ad Phys, fol. 32.
""*) Phys. III, 5. sara ovußsßnxös üpu ümapye wo Arugor* BAR d
ovrwg slgmens ors 0oUn Iwöigeras auro dpxie. Adyav;, all dxivor
ayupeßyxe, Tov GEORG Kı Tr A. x
4
j
‚ 177
Unenblichteit beilegen. Sa man koͤnnte fagen, biefer Zabel treffe “
vorzüglich den Anarimandros, ben ex vorher *) an bie Spize be ' _
tee geftellt hatte, welche behaupteten, dad Unendliche müffe Prins 102
ip fein. An demfelben Ort **) fagt er, einige fezen ben unends ,
lichen Urſtoff, aud dem fie alled andere erzeugten, als ein von
den Elementen verfchiedened, aus dem Grunde weshalb er uͤber⸗
baupt nichts in der Wahrnehmung felbft vorfommendes fein
dürfe, weil nämlich fonft das gleichartige entgegengefezte, wenn
alſo das Waſſer Urftoff wäre und unendlich, dann dad Feuer,
von dem Unendlichen müßte verzehrt werden und alfo gar nicht
koͤnnte vorhanden fein. Hier aber erwähnt er nicht einmal das
Mittelding zwiſchen Waſſer und Luft ausdruͤkklich, noch weniger
Den Anaximandros; dennoch bezieht Simplicius ***) auch dieſe
Stelle auf unſern Mann, welches man um ſo mehr bewundern
moͤchte, da ſein beſtaͤndiges Stichblatt Johannes Philoponos faſt
daſſelbe gethan. Nämlich an einer andern Stelle ****) fagt Ari⸗
ſtoteles, einige nähmen einen gemeinfamen von ben vier Ele
menten verfchiedenen Grundfloff (ÜAnv) an, der aber doch auch
Zörperlich fein ſolle und für fich darftelbar (ywguornv), und ta:
belt dieſes, weil ein folcher ja doch auch nicht könne ohne Ges
genfaz fein; dieſes nun bezieht Johannes Philoponos Auf den
Anarimandros, und dringt ausdrüfflich, vermöge feiner Chriſtlich⸗
fie darauf, dieſer Tadel gehe nur auf die Körperlichkeit einer
folhen unendlichen aoyn. Dem fei nun wie ihm wolle, hätte
Kriftoteles geglaubt, das Princip des Anarimandros fei ein un
kirperliches: fo wäre es hier fehr an ber Stelle gewefen, beffel:
ben ald Ausnahme zu erwähnen. Daß Ariftoteled das Princip
e des Anarimandros ebenfalls für ein Förperliched, alfo für einen
"Srundfloff angefehen, beflätigt ſich auch durch eine andere Zus
, ') Phys. II, 4 Ed. Casaub. 214 A. wo fogar eine woͤrtliche Anfuͤh⸗
rung bes Anaximandros ſteht, nur daß fie leider in indirecter Rede vdls
Bg aufgeldfet iſt. **) Phys. III, 5. pag. 2I5 A.
0) ad’ Phys. fol. III a. b. “r*) de gen. et cort. II, 1.
> dein. W II. > M.
}.
178
Tammenftellung, die auch Xennemann®) ſchon gemacht hat. Nam
lich Phyſ. M, 5 führt Ariftoteles fünf Gründe an, weshall
überhaupt ein Unenbliched angenommen werbe. Unter biefen fi
auch der, daß fo allein Erzeugung und Untergang nicht aus⸗
gehe *). Kurz darauf ***) wiederholt er diefe Gründe noch ein⸗
mul widerlegend, und ſagt beſonders, auch aus dieſem Grunbe
ſei kein unendlicher wahrnehmbarer Körper nothwendig. Nun
ſtimmen mehrere Zeugniſſe überein, daß grade dieſes der Grund
103 geweſen, weshalb Anaximandros feinem Princip bie Unendlichke
beigelegt habe ****), und zwar fo daß man glauben muß, #)
liege in ben Morten bed Ariſtoteles felbft eine Anfpielung af
eigne Worte bed Anarimandrod. Es wird daher fehe wahrfhes
lich, daß Ariftoteles dad Unendliche des Anaximandros als ein
wahrnehmbaren Koͤrper barftellen will; und ba offenbar nid
als eines von feinen vier Elementen, fo folgt als ein jenfeit 1
felben zu fuchended nep& v& orosyein. Körperlic alfo web,
nach Arifloteles die Koyn des Anarimandrod gewiß, ein Grund“
ſtoff, aus welchem fich alles andere entwikkelt hat, nicht ein Pıib;
cip in bem Sinne wie etwa $reunbfchaft ober Feindſchaft $i-
” Geſch. der Phil. J, 66.
") ovra uovas un Unolıneiv ylyıcıy Rab PIogär.
* ibid. cap. 8. oöre yao Tva q ylveoıs uy dnıllun avayzaior —*
arıgov evas owua alodnzor.
. Cic. quaest. IV, 37. Themist. in Arist. Phys. fol. 37, Si
de coel. fol. 151 a. anııgovr di ngwros imideo, WW Ey
ngos zac yardasız üdsalelnus. Vorzuglich aber de plac. phil L,%°
ya odr Isa vl üneıgov dor; Ira under Mlalan q yiracız q üpe'
oraudrn. Wenn man biefe beiden Stellen vergleicht (mit ber leztern
ftimmt woͤrtlich Stob. Ecl. phys. I, p. 292 überein): fo Tann mite
nicht zweifeln, daß bie Werfafler die Worte des Anaximandros bieräbet:
noch aus andern Quellen als der ariftotelifchen Stelle gekannt haben ”
+) Dan muß bie entgegengefezte Anficht nicht hineincorrigiren in cine:
verborbene Stelle des Simplicius ad Phys, foL 32 b. Zvovoile yap-
sag dvaysıoıyras dv ı@ unoxunien anılgp örri Guapazı Inzplveeduh
yyaw "Avakiuavdgos Richt konuarw barf man ſchreiben, fonbern
179
Daß aber eben fo gewiß Ariſtoteles dieſen Grundſtoff anſetes
Danned weder für eines der vier Elemente gehalten, noch für
jenes Mittelding, das läßt fich aus der eben angeführten Stelle
auf das deutlichſte darthun. Er theilt nämlich ein und fagt,
Minige nämlich der Phyſiker fezen das Seiende al Eins, näme
4 einen zum Grunde liegenden Körper, entweder von den brei
Wlmenten einen — benn daß die Erde feiner zum Urſtoff ans
Nasen, ihrer Unbeweglichteit wegen, hatte er fchon bemerkt —
Ber einen andern, der bichter ift als Zeuer, dünner aber als
Paft, und erzeugen das übrige, indem fie durch Verdichtung und
Berbünnung bad Viele entftehen laſſen.“ Diefes bichtere al
feuer und bünnere als Luft ift num freilich nicht das von ans
ke dem Anarimandros gewöhnlich zugefchriebene, und von Aris
oleles auch anderwaͤrts angefuͤhrte Mittelding, ſondern dieſes on
Rbt eine Stufe tiefer zwifchen Luft und Waſſer. Simplicius
igt in der hieher gehoͤrigen Stelle des Commentars nur
anz einfach hinzu, Oder wie er anderwaͤrts ſagt, dichter als
sıft und duͤnner als Waſſer; und in der That, für die Sache
nicht es Feinen Unterfchied. Das zweite hieher gehörige Glied
un lautet fo **)s Andere aber, Phyſiker nämlich, fcheiden
us ihrem Einen, welches bier leider wieder unbeflimmt gelafe
m wirb, tie darin befindlichen Gegenfäze aus, wie Anarimans
Bo8 fagt, und erzeugen alfo auf diefe Art bad übrige Viele aus
Einen zum Grunde liegenden Urſtoff. Wenn alſo nach Ari⸗
* vermittelſt des Mitteldinges, und hier muß wirklich ganz
nur oauarı, wenn gleich dies leztere uͤberfluͤſſig ſcheint; denn nicht viel
- anders ſteht es in der hierzu gehörigen Stelle des Ariftoteles Phys. 1,
;, &, ot 23V Üv nomoarteg vo 09 oma vb Vroxeluvor 7 Tor Tewy Tb
9 allo Ö dorıv nugöc ‚uRv munvöregov, fgog ÖR Aemtörepov, Talld
‚garvaoıy nuxvöinss zu) navöınes nollı moioürres, wenn nicht auch
ker ſtehen ſoll supi vi Trox: was im Bufammenhange mit dem Enbe
es vorigen Kapitels beffee ſcheint. *) fol. 32,
2 Phys. I, 4. oi di ix roũ Evos drovoag Tas Brdbriorgras —E&
127 Arakipardgss pnos
M2
180
gleichgültig fein ob dieſes zwifchen Luft und Waſſer liegt ode
zwiſchen Luft und Feuer, eben wie vermittelt eined der Elemente
als Urftoff nur auf dem Wege dei Verdünnung und Verdichtung E
von den alten Phufitern erzeugt wird; Anarimandrod aber aub
brüfflich nicht fo, fondern Durch Auöfcheidung der Gegenfäze au J
feinem Einen erzeugt haben fol: fo kann Ariftoteles ihm jene
Mitzelding nicht ald Urſtoff zufchreiben. Tennemann fagt zwar”),
Ariſtoteles fehreibe dem Anarimandros beide Erzeugungsarten zu;
allein in ber einen Stelle ift er eben nicht genannt,’ und ſie it
nur durch eine unrichtige Combination auf ihn bezogen. Es if
daher ein ganz vergeblicher Verſuch, beide Erzengungsarten, bie
Ariſtoteles ausdruͤkklich einander entgegenfezt, mit einander vers
nigen zu wollen, wie er benn auch fehr unbefriedigend auögefak _
len iſt. Simplicius hat auch hier ganz recht gefehen, und be
merkt ausdruͤkklich *), man fehe aus den Worten des Arifiste
les felbft, der ja dem Urheber des Mitteldings unter bie danh
Verdichtung erzeugenben fege, den Anarimandros aber auf eine
andere Weife erzeugen laffe, daß nad) ihm jenes Zwiſchenweſen
dem Anarimandros nicht zugehören Eönne, und widerlegt hier ben
Alerand. Aphrod. So dag man fich wundern muß, wie er an
andern Orten diefer feiner umfländlichen und fo klar erwieſenen
Ausſage wieder abtrünnig werden und dem Alerandrod nachſpre⸗
hen kann. Wie diefed zugehe, und welches der Schlüffel fei zu
diefen Widerfprüchen des Simplicius, darüber iſt meine Meinung :
105 dieſe. Diefer unfchazbare gelehrte und geiſtvolle Schriftfteller
verfährt fehr befonnen und wahrhaft Fritifch überall am Anfangez
aber an Ausdauer fehlt es ihm gaͤnzlich. Je weiter hin, deſto
mehr uͤberwaͤltigt ihn die Maſſe. Dieſe Behauptung laͤßt fi
auf das vollſtaͤndigſte dyechführen. Jeden Gegenſtand behandelt
er gruͤndlich, muͤhſam und mit: Liebe, wo er. ihm zuerft aufftößt,
weiterhin gleichgültig, trokken, oberflaͤchlich. Und eben ſo gilt
Be NL
-. Äh A _
rei, Selle Mn... nee nn at. -_
”) Geſch. d. Phil. I, S. 69. *#) Comment. in Plys. fol. 32.
181
daſſelbe aud) von feinen Merken überhaupt. Das: erfte Buch
feined Commentard über die Phyſica Aft unſchaͤzbar, ſowol als
Auellenfammlung, ald wegen des Reichthums gefunder Anfichten
und Urtheile; weiterhin finden fi weit ſparſamer Anführungen
befien was ihm von den Schriften der älteren noch vorlag oder
fonft befannt war, fonbern er hat neben feinem Grundtert nur,
wie man deutlich fieht, die bedeutendſten ber früheren Ausleger
vor fich. liegen, an welche er fich mehr oder weniger- vergleichend;
prüfend, widerlegend anfchließt. Auch hier-bleibt er immer ſchaͤz⸗
bar, weil grammatifche Kritit und Interpretation mehr heraude
treten; nur für den philofophifchen Gefchichtöforfcher ift er bei
weiten unbebeutender. Daher findet ſich in dem Gommentar
zum erflen Buch von ber Natur bie ganz. richtige Anficht von
dem unendlichen Princip des Anarimandrod, fowol da wo er
weft von ihm xebet *), als auch an ber zulezt angezogenen
Stelle. An biefer bemerkt er zugleich, wie troz ber von ihm an⸗
geführten und anerkannten Gründe dennoch Alex. Aphrod. dem
Anarimandros jened Mittelding zufchreibe, und tabelt ihn des⸗
feld. Späterhin aber im Commentar zu Phys. III, 4 und 5 **)
fhreibt er dem Alerandros unbebacht aber auch, wie man nicht
üderfehen darf, nur beiläufig ben früher widerlegten Irrthum
nah. Daffelbe gefchieht auch in dem Epmmentar zu ben Buͤ⸗
dern vom Himmel, in welchem er ed naͤchſt dem Johannes Phi-
leponos zumal weiterhin, wo auch foldhe Stellen am meiften
vorkommen, vorzüglich mit dem Alerand. Aphrod. zu thun hat.
— Aljo diefer asiftotelifchen Stelle, Die fo deutlich ſpricht und
den Anarimandroß gradezu nennt, und dem diefe Stelle würdig
keachtenden Simpliciud, wollen wir trauen und beide zum Grunde
legend für gewiß annehmen, Ariftoteles habe jenes Zwifchenwefen
— —
) ſol. G a.
”) fol. 107. zosoüres yüp ’Avatlnavdgos 10 usatv nupec sul depog
ürupor apxır Kildeı, m. v, A
: 182
206 nicht für bie doyn des Anatimandros gehalten; nicht aber
len wir uns von dem ſchon nachläffig gewordenen und
Alerandros Gerführten Simplicius felbft wieder verführen I
dog ‚wir vom Ariſtoteles gegen "feine eigne deutliche Erkl—
glauben folten, er meine ben Anaximandros, wenn er vi
nem Mittefdirige ade. — Wir dürfen aber auch nich!
ſchweigen, was wol diejenigen am meiften für fich haben
bennoch behaupten wollen, Ariſtoteles habe das eine eben ıf
ſtimmt ausgefagt als das andere, Mir feheint es dieſes zi
Phyſ. 41, 14 ” ſagt er, mit Recht ſezen die Phyſiker dad
endliche als -Koyn. Denn es Tönne weder umſonſt fein,
Tönne ihm irgend ein anderes Vermoͤgen einwohnen, als nı
princip. Denn alles: ſei entweder Princip oder von’ dem
cip her; für das Unendliche-aber -Finne es Tein Princip
Denn ſonſt hätte es auch eine Grenze. Ferner Segen fie e
unergeugt und ungerflörbar, eben weil es Princip fei. Den
gewordene. nehme nothwendig auch ein Ende, und ein
gebe es auch für jede Zerflörung. Darum **) wie gefagt, f
. e8 für dieſes nicht wieber ein Princip zu geben, ſondern
das Princip alled übrigen zu fein, und alles zu umgeber
alles zu fleuern, wie alle fagen die neben dem Unendlichen
—
noch andere Urſachen: annehmen, wie den Verſtand ode
Freundſchaft, und ſelbſt das göttliche zu fein, wie es den!
fterblich fer und unvergaͤnglich, wie Anarimandros fagt ur
meiften Phyſiologen. Wenn nun die Worte aIavarın
— hier, wie man aus dem ꝙnaoꝛ ſieht ***), Wor
.°%) Ed. Casaub. 214 A.
”) dio, zadanep .yonar, ou zung de, —8 ab zwy all
doxei, xab meguizuis erayıa, xal nürın xußepvgr, ac Pac Ö
0000, nag& To ansıpov allg alılas, olov vous fi yıllay“ zai
sivar ro Hioy’ — z&g za) Ayalsdoos, worsg pyale ı
Stuavögog xal ol nAriora, voy Puasolöyur.
"*) GSimplicius fol. 107. lieft zwar bier gaolv, aber gewiß falſo
se ſchreibt Die Worte ſebſt dem Unorimandros zu.
183
Anarimanbros find, mer wird ſich wol welgern, auch die frühes
un aus bem ariftotelifchen Stile ganz heraus gehenden za ne-
eiéxeiv ünavıa, xal navıe xußeovav für Worte des Anaxi⸗
mandros anzuerkennen? Vergleicht man nun hiermit eine an⸗
dere Stelle wo Ariſtoteles von jenem Zwiſchenweſen alſo redet”),
Denn einige legen nur Ein Element zum Grunde, und unter 107
biefen einige dad Waſſer, andere die Luft, andere bad Feuer, ans
dere ein duͤnneres ald Waſſer und Dichtered ald Luft, welches,
wie fie fagen, alle Himmel umgiebt: fo kommt nun hier jenes
nepiiyeıv Gnavıa wieder; und da er unmittelbar fortfährt, Die
aum unter diefen ald jened Eine dad Waſſer fezen oder bie Luft
oder bad zartere als Waſſer und dichtere ald Luft, und dann
hieraus durch Verbünnung und Werbichtung das andere erzeu-
gen, biefe merken nur nicht: daß fie etwad anderes vor dem
Element annehmen: fo fcheint auch hier Anaximandros ange
fpielt, und ihm alfo fowol jened Zwiſchenweſen ald auch die Er
zeugungsart durch Verdünnung und Verdichtung beigelegt zu
fein. Allein dies heißt offenbar zuviel aud dem bloßen nreoie-
ze ſchließen. Ia wenn noch der wenigftend etwas indivibuel>
Iere Ausdrukk xußeovav es begleitete, ober fonft noch eine Erins
nerung aufzuzeigen wäre an bie anarimandrifchen Worte der obi⸗
gen Stelle! Aber jener Ausdrukk szeoseyeım allein kommt gar
zu häufig’ wieder in allen alten kosmogonifchen Vorftelungen,
und kann jedem eben fo gut zugehören, ald dem Anarimanbroß,
Darum kann man aus diefer Stelle nichts erweilen, und jener
Ausdruff kann nicht eben diefed auch nur im mindeflen aufwies
gen, daß Ariftoteles hier ganz beflimmt jened Zwifchenwefen mit
der Berbünnung und Verdichtung zufammenftelt, dem Anaris
mandrod aber diefe Erzeugungdart anberwärtd betimmt abge
ſprochen hat hat.
) de 0) de Col. IT, 5. Eros yüg En növov Gnoridirres, nal vousor ob nie
ũdoo, 05 di adga, ob di nüp, ob di üdares lv Assöregor, afgog di
zumöregon, 8 wagıfizun guol marsas veüs obgayovc ümagev ör.
ur 184
Die Frage, wem denn wol, wenn nicht dem Anaximandrot
Ariftoteled jened Mittelding, zu bem er den Urheber niemaig
nennt, möge zugefchrieben haben, kann und hier nur beiläufig
beichäftigen. Jene alte Theorie, die nur Ein Princip zum Grunde
Legt, iſt gefchichtlich auf einen fo beftimmten und leicht zu durch
laufenden Raum beichränkt, daß man glauben muß, es koͤnt
nicht ſchwer zu entdekken fein, wen er gemeint habe. Da mal
offenbar mit feinen Vermuthungen in der tonifchen Schule Hk
ben muß: fo weiß ich nichts anders aufzuftellen, als Diefes. S
habe zwar anderwaͤrts *) gezeigt, dag auch dem Diogene vg
Apollonia jenes Zwiſchenweſen nicht Tonne als fein Urfloff bey
legt werben, weil er mit dem Anarimenes der Luft dieſen M
anwies; dennoch ift es Leicht möglich, daß Ariftoteled wo er DE
108 ſes Zwiſchenweſen anführt, Feinen andern gemeint hat. Dei |
wir haben gefehen, daß Diogenes fehr bald in feinem Werk m
dad einzelne überging, und fich mit biefem am meiften
fhäftiget Hat. Nun aber ift aus einigen Spuren, wahrſcheinlich
daß er als ſpeclelles Princip bed organifchen Dafeind eine warf
Luft annahm, ‘wie fie beim Athmen, welches ihm bie urfprängg:
liche Lebenderfeheinung war, vorkommt, als Princip des unorgl
nifchen Dafeins aber die Üxuag, eine feuchte nicht lebenswam |
Luft, in welcher die natürlichen chemifchen Prozeffe am beften vg
flatten gehn. Wenn er nun von ber Luft am fih nur im ik
gange wenigeö, welt mehr aber von biefen beiden befonbend
Principien gefagt, die er leicht jeded an feiner Stelle von du
gemeinen Luft kann unterfchieden haben: fo Fann-Teicht fen k
Ariftoteled geſchwankt und ihm bald die Luft, bald dieſe bei
Mitteldinge beigelegt hat, wie er denn auch faft abwechſe
und unter fehr gleichen Umftänden beide anführt, wie fie fich.dd
Diogened in der unmittelbaren Anordnung aus dem Einen- bi
o ferenzüirten,, bier dad zwifchen Luft und euer, Dort jened zw
y
*) In ber oben ſtehenden Abhandlung uͤber den -Diogenes von: Apollonio.
185
(hen Luft und Waffer. Doch dieſes fei nur angenommen, bis
femand etwas beſſeres mittheilt.
Näher aber liegt und die Frage, wenn das Unenbliche bes
Anarimandros eine Eörperlihe on war, aber weder ein Ele
; ment noch ein Mittelding zwilchen zwei Elementen: was war es
dem? Ariftoteles tadelt *) biejenigen, die einen’ von ben vier
: Elementen verfchiedenen, doch aber körperlichen und für fich dar:
Relbaren Grundſtoff annehmen, weil ein folcher als wahrnehms
bar nothwendig unter dem Gegenfaz flehen müffe. Nun aber
gefieht Ariftoteles dem Anarimandros felbft zu **), bag er aus
feinem Urftoff durch Ausfcheidung ber Gegenfäze die andern Dinge
ereuge, Tann ſich alſo auch ber unmittelbaren Kolgerung fchwer:
Ich entziehen, daß biefer Urftoff, als fammtliche Gegenfäze in fich
befaſſend, nicht felbft wieder einen Gegenfaz außer fich haben
Time. Hat er nun den Anarimandros bier nicht mit widerlegen
gewollt, fo daß befien Urfloff nach ihm zwar als Förperlich, viel
leicht auch als für fich beſtehend, zwororov, gewiß aber nicht als
in die Wahrnehmung fallend, aisdnrov, müffe angefehen wer: 109
ben? Oder will er ihn hiermit widerlegt haben: fo muß er ihm
dad lezte andichten. Denn in ber Sache liegt das Gegentheil; '
denn was alle Gegenfäze in fich befaßt und aus fich auöfcheidet,
das kann zwar in gewiffem Sinne ald Birperlich und als für
fih beftehend,, in Zeinem Sinne aber als ſinnlich wahrnehmbar
gedacht werden oder gar aufgezeigt in der Erfahrung, weil nur
auögeichiedened und unter dem Gegenfaz begriffenes kann wahr:
genommen werden. An einer andern Stelle ***) widerlegt Ari«
° foteled den unendlichen Grundfloff, der felbft eines von den Ele;
„ wenten fein fol, dadurch, dag diefer die drei andern ihm entge⸗
*) de gen. et corr. II, I. ürlü 05 uls noourseg ular Ulnv napa yü
elgnulva, wuvıyr ÖL awuarızyy zal ywpıorie, Guupruvovam. adlva-
cov ya aveu Ivarsınams slvaı To owua zoiso aloduröv Or.
”) In.ber oben angtzodenen Gtelle, Phys. I, 4
ver) Phys. III, 5.
/
186
gengefezten, aber nur endlichen durch fein Nebergewicht aufrelbe
müßte; fo daß fie neben ihm gar nicht Tünnten gefunden wc:
den. Den von den Elementen verfchiebenen unendlihen Grund
ftoff aber läßt er deshalb nicht gelten, weil es feinen einfache
Stoff gebe außer den vier Elementen; denn woraus bie Ding!
entftänden, barin müßten fie auch wieder aufgelöflt werben; d
werde aber ein folcher Körper nicht wahrgenommen ald Reſultat
der Auflöfung der Dinge. Hiedurch nun müßte Anarimandres,
beffen Grundſtoff von den vier Elementen gewiß verfchieben wat,
offenbar mit widerlegt werben, wenn er einen wahrnehmbark
Grundſtoff gefezt hätte. Nun aber hat und Simplicius ein Frap
ment bed Anarimandrod aufbewahrt, das einzige, foviel mir kp
wußt ifl, abgerechnet die wenigen Brokken, welche man aus je
nen Stellen des Ariftoteled doch nur unficher berftellen kann, ie
welchem aber unfer Mann benfelben Grundſaz auöfpricht, zu bem
ſich Ariftoteled hier bekennt; ob Simplicus ed aus eigner Aw
ficht feines Buches habe oder nur vermittelft des Xheophraftee,
mag unentfchieden bleiben. Es lautet aber *) fo, „Woher dab,
was ift, feinen Urfprung babe, in daffelbe habe eö auch feinen
Untergang nach der Billigkeit. Denn fo gebe es felne Buße
und Strafe für die Ungerechtigkeit nach der Orbnung ber Zeit"
Mas Simplicus binzufügt, oınzızwreposg 6yonacıy ara
Aeyav, giebt deutlic) genug zu verflehen, daß er ſelbſt dieſes alb
Worte des Anaximandros nimmt und giebt, und gewiß wird nie
mand fie für untergefchoben halten, denn fie tragen zu deutlich
110 dad Gepräge altionifcher Art und Stils, dad nur zum Taf
unter Simplicius Hand durch Auflöfung in die indirecte Rebe
verſchwunden if. Wenn nun in biefem Grundfaz Anarimandıd
: mit Arifloteled übereinflimmt, und wenn fein Unenendliches auf
*) Simpl. in Phys. fol. 6 a. 2& dr d2 4 yeraols darı wors ovas nei
e47 PIoguv eis vavıa ylreodas xara zö xoewr. dıdovas yüg ausa sk
ow zab dlxyr vis adınlar uaeu ziv sol yodvou va.
187
der einen Seite weber ein rein unkoͤrperliches war, noch auf der
onderh eines von den vier Elementen, bie Ariſtoteles als wahrs
nehmbare einfache Stoffe anficht: worauf führt und die natürs
fh? Daß das wahrnehmbare nicht ohne Gegenfaz koͤnne ge
dat werben, iſt zu leicht und einfach, und liegt offenbar dem
m nabe, der grade bie Erzeugung aller endlichen Dinge ald Ents
ſtehung von Gegenfäzen anfieht, ald daß er ed koͤnnte überfehen
haben. Was bleibt übrig, als daB Anarimandrod dem Ariffotes
les, wenn er fich mit ihm hätte unterreben koͤnnen, gwar würbe
zugegeben haben, fein Urftoff fei ein koͤrperliches, weil ex ihn
nauilich, um mit des ſpaͤteren Mannes Worten zu reden, mehr
wie die materielle Urſach aller Dinge beſchrieb, als wie die for⸗
male, und keine fremde formale zu Huͤlfe nahm, wiewol er ſich
fein Unendliched auch gewiß in feinem Hervorbringen nicht abge>
fondert Bachte von deſſen ewiger Bewegung , die ihm doch die
formale Arfache der Dinge war, wie Simplicus ausdruͤkklich
ſagt daß des unendlichen Weſens ewige Bewegung ihm die Ur⸗
ſache ſei der Entſtehung der Dinge *); daß er ihm ferner viel
licht auch eingeräumt hätte, fein Urftoff fei für fich beftehend,
werorn, in fo fern er nämlich nicht in irgend einem ber und
vorliegenden Dinge fo enthalten fei wie etwa nach Ariftoteled
das allgemeine in dem befonderen und einzelnen enthalten ift,
wer dieſen aber nirgend anzutreffen, wiewol er fi) wol auch
bier würde vorbehalten haben die Nichts Trennbarkeit des Urs
ſtoffz von der Bewegung, die ja eben beöhalb eine ewige war,
imb alfo gefagt haben würde, in fo fern fei der Urfloff nicht für
fh darſtellbar; daß er fich aber dem Ariſtoteles auf Feine Weiſe
wärde dazu verftanden haben, ihm feinen Urſtoff in der Auflös
‚fing und Serflörung ber Dinge finnlich nachzumeifen, wie ſich
9 Comment. in Plys.fol. 9 b. Erugör zıua YVoıw allyy OVcay Toy #40-
ocgwy aroıyelar ügzn Edsro, Ya ııpy * xienow olslav sivas vr
yar övrwy yerdoews Heye
188
das Feuer finnlich barftellt aus anderem in ber Verbrennm
und dad Waſſer in der Verdunſtung. Sondern er würde gi
dehin und unbefchränft geläugnet haben, feine aoyı fei Fein fin
lich wahrnehmbares, «iodnToV, wie jene fogenannten Element
bie jebed an dem andern fchon feinen Gegenfaz außer fich hab
su wie fie denn Ariftoteles felbft nur durch folche Gegenfäze, I
| fchreibt. Vielmehr, fo Eönnten wir vielleicht in feinem Name
fortfahren, gehören eben beshalb jene Elemente mir ſchon zum
erzeugten und endlichen, und zwar ald eim zweites wenigfiml
und ich behaupte, bag die lezte Zerflörung eben ſowol als de
erfie Urfprung der Dinge fih unferer Wahrnehmung entzieh
und bag was in diefer das erſte iſt und lezte, nicht ber Wr
ſelbſt ift, fondern ein theils noch weiter zerftörbares, theils ſcho
wieder geworbened. Auch lobt Ariftoteled an einer andern: Stelle *
eben desfalls vor denen die eind ber Elemente ald Urfloff a
nehmen, diejenigen bie ein Zwifchenwefen annehmen, weil nam
lich die Elemente fchon in Gegenfäzen verflochten wären; naͤch
ihnen aber am meiften die welche die Luft annehmen, weil bie
noch die wenigften wahrnehmbaren Verfchiedenheiten zeige. Muͤß
er nicht nach bemfelben Grundfaz noch mehr die Vorſtellung de
Anarimandros rühmen? Auf diefe Weife nun Löfet fich all
und wir erhalten eine Anfchauung nicht unmwerth für den erſte
Anfang der fpeculativen Naturwiffenfchaft zu gelten, grabe fo b
flimmt wie fie auf diefem Gebiet zu jener Zeit fein Fonnte, un
grade unbeflimmt genug daß fpätere zumal auf einem empir
ſchen Standpunkt mit Recht Flagen durften, er habe die Nat
9 Phys. I, 6. woneg gaalv ol ulav zw& puoıw evas Alyoyras ro ı0
oloy ũdoo [Nja Acou biefe beiden Worte muß man offenbar einfchiebe
HU 7 To nerafv vovsen, doxes dd v6 uerukl püllos" zug po
on (xal yi löfche ih) xad uyo xal Übung mer dvarrıorıan Ovas
aieyubsu ori. dio oux aloywg HoDoıw 05 To Umoxslusvon Erept
sovroy mosoürses (wenn nicht bei biefem weiteren Ausdrukl Ariſtot
les grade ben Anaximandros im Gedanken hat), zur 3’ aliur ob akı
za; yap ovros ara Ixeı zur üllur dinpopus aladıysas.
189
ſeines Unenblichen nicht genau beftimmt. Was konnte er auch
weiter fagen, nachdem er gefagt hatte, es fei dad Eine, aus wel
chem ſich alle Gegenfäze ausfcheiden? daß alfo dad Weſen aller
Materie darin enthalten fei, hatte er Feine Veranlaſſung noc)
befonderö zu fagen; Died war dad was fich damals am meiften
von felbft verftand. Und fonft konnte er ja nur, wenn er es
mit den in der Erfahrung gegebenen Dingen und fo auch mit
jenen vier Elementen verglich, die Verneinung aufftellen, es fei
weder dies noch das, eine Werneinung, die nur infofern nicht
inhaltleer war, als fie aus dem Gebiet der Gegenfäze heraus:
führte. In diefem Sinne nun war fein Urfloff ein wahrhaft
unbeftimmtes und unbeſtimmbares, weil alles finnlich beflimmte
ef aus ihm entfiand. Sa bier fol und auch Alexandros von 1
Aphrod. willfommen fein, wenn feine Ausſage über dad Princip
8 Anarimandıod nicht ganz und gar leere Bermuthung war,
fondern ihr wenigſtens Diefed zum Grunde lag, daß er wußte,
e8 fei beim Anarimandro von jenen beiden Zwifchenmwefen zwi⸗
ſchen Luft und Feuer und zwifchen Luft und Waffer die Rebe
geweſen. Denn da Simplicius *) als bie oberften ausgeſchiede⸗
tm Gegenfäze die de warmen und Falten, bed troffnen und
ftuchten namhaft macht, auf denen befanntlich auch die vier Ele⸗
mente nach einer gewiß nicht dem Ariſtoteles eignen fondern im
gemeinen Leben ſehr alten. Anficht beruhen: was liegt eigentlich
näher ald daß Anarimandros, um fo mehr als ihm natürlich
war, zu behaupten, Die erfie Erzeugung liege noch jenfeit der
Wahrnehmung, die vier Elemente nicht werde als das erfte aus
. dem Unendlichen hervorgehende angefehen haben, fonbern gefagt,
Über ihnen ſtehe natürlich eine Ausfcheidung des Gegenfazes von
varm und Falt, ehe noch der Gegenfaz von trokken und feucht
| auch ausgeſchieden fei, nur daß nicht jene erſte fondern erſt biefe
‘) Comment. in Phys. fol. 32 b. Zvayısdsmes dd als, Gugndr yuzoör
'ing69 Dygöv zul al alla
| 190
zweite Erzeugung wahrnehmbar fei. Das warme aber, in we
chem noch ungefchieden liegt der Gegenſaz von troffen und feucht,
was iſt es anderd ald bad Mittelding zwifchen Luft und euer,
aus welchem, wenn nun ber zweite Gegenfaz ſich audfcheidet, das
getroffnete Feuer wird, und dad feuchtgewordene Luft? Nur
freilich daß er diefem müßte ein anderes gegenüber geſtellt da
ben, als kaltes, nämlich in ber Gleichgültigkeit des troffnen um
feuchten ein Mittelding zwifchen Waſſer und Erde, von welchem
niemand etwas meldet, fondern nur im allgemeinen kommt vo
Daß ex ben Ausſcheidungsprozeß bed zweiten Gegenſazes erwähnt
und das Meer für den Ueberreft ver einen Seite deffelben ange
fehen habe *). Darum möge dieſes dahin geftellt fein, und d
ſtehe nur hier ald eine Andeutung, wie Anarimandros fein Un
113 endliched könne gegen die Elemente geſtelt haben. Die Haupt’
fache aber, daß fein Urftoff der Inbegriff aller Dinge war, ab
nicht als ob fie in ihm ſchon wirklich wären enthalten geweſen,
fondern fo daß fie daraus durch Ausfcheidung werden, dieſe wird
fehr beflätiget durch eine Stelle des Theophraſtos, welche und
Simplicius **) aufbehalten hat, worin Anaragorad und Anayis
mandros verglichen werden, und jener gewiffermaßen auf Dielen
*) Plac. phil. III, 116. "Avafluardgos vis Galaoodr grow las vr
wosens üygaolas Aslıyavor, is wo ur nAstor ulgos üvelnpava so zün
«0 62 Aupslr dıa ayy Inxavaı uerBaler. Ob Uygaota fein eigned
Wort ſei, tft wol nicht gewiß, aber ſehr wahrfcheinlich, und eben fo we
Ixxavoıs, entweber für die primitive Ausſcheidung des warmen ober
für das zweite gleichſam Ergriffenwerden des trokknen und feuchten
von der Waͤrme. |
**) Comment. in Phys. fol. 6b. zal odrw ur, pyar, Auußasörier d-
Euıv üv 0 Avalayogas sag ulv Vlıxas dpyas anelgous zoseie, uns A
viᷓe xivijotocg xal vis yerkoems alılav ular, vor voiv. al dd zn
ul zür anarıer imolupos la alvaı Yuow üögıosor zul new Ab
dos ul xura ueyedos, ovußalves dvo was ügyüs avroy Adyur, mp
roũ üneloov gYuoıw zal 709 vous, Wore palvaras T& Ommarıza drol
xela naganinolag noriv Arakıuardgp:.
191 .
wuräkfgeführt *). Nachdem er nämlich gefagt, Anaragoras lehre,
in jedem fei etwas von allem, jedeö aber fei und werde dad am
deutlichften, wovon am mieiften darin fei, fahrt er fort, Wenn
man ed nun fo nehme, fo fcheine freilich Anaragorad der mates
rialen Principien unendlich viele zu fezen, und nur für die Bes
wegung und Entflehung Eine Urfache, den Verſtand. Wenn
man aber jene Miſchung aller Dinge ald ein einzigeö fowol der
Art als der Größe nach unbeftimmtes Weſen anfähe:- fo würde
er dann nur zwei Principien fezen, jenes unendliche Weſen und
ben Verſtand, fo daß er offenbar in der Vorſtellung von den
Birperlichen Elementen dem Anarimandrod fehr nahe komme.
Diefed „nur fehr nahe” bezieht ſich nun eben Darauf, daß das
enszufcheidende bei Anaragoras ſchon in dem Unendlichen ift, bei
Anarimandros aber erſt in und mit der Ausfcheidung wird; wels
den Unterfchied auch Theophraſtos ausdrüfft **). ine andere
Annäherung beider findet jich in ber ariftotelifchen Metaphyſik ***),
wo im Gegentheil dem Anaximandros eine Miſchung beigelegt
wird; allein bie Stelle ift ohnftreitig mehrfach verdorben. Zwar
zeugen auch andere Nachrichten von einer Mifchung, die in feis
wer Darſtellung vorkomme ****); allein fie iſt Feinesweged das
seiprüngliche, fondern fie entfteht fchon aus den ausgefchiebenen u⸗
Gegenfäzen, und vieleicht ließ er aus ihrer urfprünglich unors
dentlichen und chaotifchen Mifchung, damit auch dieſer alten my»
thiſchen Worftellung ihr Recht wiberführe, fich erft allmählig die
*) Genau fo fagt Simplicius anberwärts in Phys. fol. 33. zul Os-
geuorog di Töv ’Avakayopav als zör Avakluardgov ausngar x. v. A.
”) ibid. we ou ywoubor GAR Imapyövrov moöregon,
, ”) XI, 2. xai rourò 2orı vo Avakayopov &r aArlo⸗ yüg NP Ouov naven;
sa) "Eunedoxltous zo ulyua za "Avaksuardgov.
”*) Stob. Ecl, phys. p. 500. "4vakiuardgog vor olgavos pyoır slvar dr
Beguov zu) yuygoü ulyuaros. conf. Fuseb. Praep. I, 8. gn02 di vo
dx vov aidlov yorluov Heguöv xai wurgös xara ev ylracw zoude
Tov noouov anangıöNVan
ı.
I -.
. 192
Melt bilden, Weil nun das Princip felbft nie erſcheinen Pan
muß es in ewiger Bewegung fein, um die Gegenfäze auszuſch
den, und fo die Welt und in ihr dann ben untergeorbneten Krei
lauf des Entſtehens und Vergehens hervortreten zu laffen. Br
fo fchwebt dad Unendliche des Anarimandro in feiner Unh
ſtimmtheit faft ſelbſt zwiſchen dem Eörperlichen und unkörperlice
in ewiger Bewegung, felbft Eins und unverändert, aber alle fein
man weiß nicht, fol man fagen Theile ober Werke in imme
währender Weränderting barftellend *), und mas aud ber ewige
Einheit heraustritt in die kurze Freude des für fich beſtehende
Lebens durch den Untergang wieder flrafend, jedes zu feiner Zeil
nach den Ordnungen eined ewigen Rechts. Wenn man nun da
Thales mit feinem Grundweſen, dem Waffer, und feiner Em
gungdart durch Verdünnung und Verdichtung an biefe Idee be
Anarimandros hält: fo ift nicht zu fehen, wie diefe ungleich ſpe
culativere aus jener habe entſtehen koͤnnen, oder wie gar im
gentlichen Sinne Anaximandros des Thales Schüler udn
ober wol Nachfolger duwdoyos Eönne genannt werden **). Sn
beffen muß ed neben biefer noch eine andere Sage gegeben ha
ben, welche ihn dem Thales mehr gleich geſtellt hat. Denn ein
ſolche liegt offenbar einer Erzählung beim Jamblichos ***) zum
Grunde, daß Pythagoras nach einander zum Thales und Anari
mandros gereift fei, und mit jedem befonderd philofophirt ha
Zeitgenoffen waren fie allen Nachrichten zufolge und an eine
Drte lebend, nur Anarimandros jünger, woraus bie fpätere Zeil
*) Diog. Laert. II, 1. xud v& dv neon neraßalleıy, vo Öl när üıma
Bimov van
") &o nennt ihn Simpl. in Phys. fol. 6 a., anderwärts Coel. fol. 151
ollıns xai Eraipos. Suidas weiß noch mehr, und fezt auyyerns hin
zu. Auch Sertus bisweilen behutfamer im ſolchen Dingen, nennt ih:
Gxovoryy zou Onlew.
”*) de vita Pyth. segm. 11 und 12.
\
i
u ©
193
bie den Begriff der Schule überall hineintrug, nicht verfehlte
ein fo beflimmtes Verhältnig zu bilden.
, + Wenn aber doch aud des Anarimandros Urweſen. durch ei⸗
nen innern Prozeß alle wahrnehmbare Materie entfleht, es alfo
feiner Natur nach ein materieles Princip iſt, und jene ewige Be⸗
wegung, durch welche die Weltbildung bedingt iſt, dem Princip
urfprünglich und nothwendig einwohnt, nicht wie des Anarago: 115
ww Verſtand ein von außen gleichfam fpäter hinzukommendes ift;
zu welchen fol man ihn nun zählen, zu denen die mit Gott
shilofophirt haben, oder Die ohne Gott? Einige laͤugnen grade⸗
hin daß er einen Gott angenommen, weil ſich nirgend bei ihm
eine Spur zeige von einer bemußten Macht an ber Spize aller
Dinge. Andere bejahen es großmüthig, wegen jener oben ange
führten Worte, das Princip fei goͤttlich, weil es. unſterblich ſei
und unvergaͤngüch. Dieſe koͤnnten noch dazu genommen haben,
was Simplicius zu der Stelle des Ariſtoteles, in der jene Worte
vorkommen, bemerkt *), Es ſei kein Wunber, daß Anaximan⸗
droß fein Unendliched göttlich nenne, fondern ganz. natürlich; denn
er wolle dadurch anzeigen dag Gott noch über demfelben ſtehe,
indem ja goͤttlich etwas ſei dadurch daß es Antheil habe an Gott.“
Gewiß aber iſt aus dieſer Stelle nicht zu ſchließen dag in fol»
em Sinne etwas über die Gottheit in der Schrift des Anaris
mandros vorgekommen ſei. Simplicius raiſonnirt nur aus dem
Vorte Feiov, und hat hier im dritten Buche ſchon gar nicht
mehr jenen Sinn der Genauigkeit, die eignen Worte ded Anaris
mandros audzufcheiden und wenn. er konnte weiter zu verfolgen,
ſendern ſchon oberflaͤchlicher haͤlt er ſich nur an das was ihm
een aufſtoͤßt. Was aber die Sache betrifft, fo möchte ich fagen,
wenn Anaximandros unter den Gegenfäzen, die er. aufflellte, auch
gung
) Simpl. ad. Phys. fol. 107. xal ovölv aronos, el Yeiov Zucker, nüh-
koy d} avayaaior, ds Tovrov yag 2delnvuso Tov Geo» Umio auro elvan,
Hkos yap TO Tov Heoü ufr0x09 dorım.
Sqhltierm. W. II. 2. N
194
"den anfgeftellt hätte zwifchen Geiſt und Materie, und hätte
noch ein flreng materielled Princip allein walten laſſen, unt
ſem den Geift voͤllig untergeordnet al ein einzelned und fpi
Erzeugnig, dann dürfte man ihn wol einen adeog nennen,
dann Iäugnen daß er ein Philofoph geweſen; benn fein w
Philoſoph war jemals ohne Gott. Weber aber kannte Anari
dros jenen Gegenſaz; denn den Aelteſten war dad Leben €
bie Seele eben ſowol dad erkennende ald dad organiſch
gende, und alfo Seele und Leib, leztered im eigentlichen |
genommen, ungeſchieden; noch auch darf man von ihm c
gen, ed offenbare fi in ihm eine Neigung, vermöge dere
wenn er jenen Gegenfaz gekannt hätte, der Materie einen
ang würde beigelegt haben über den Geift. KWielmehr,
ihm plözlich die Kenntniß jenes Gegenfazed aufgegangen
wie würde dies auf feine Philoſophie gewuͤrkt haben? $
110 fein Unendlihes die Möglichkeit aller Gegenfäze in fich b
und fie ſich alle aus ihm auöfchieden: fo ſchied fich dann
in feiner Orbnung ber des Bewußten und Unbewußten aus
fein Urwefen war eben ſowol die Gleichgültigfeit Diefer E
entgegengefejten wie aller übrigen. Denn daß dad Bewuf
wie es und in ber Erfahrung gegeben ift, nothwendig untı
Form des Gegenfazed ſteht, und es fo nur in biefem G
das bewußtlofe gegen ſich über habend vorkommen Tann,
leuchtet wol jedem ein. Darum fcheint es vichtiger, dem %
mandrod und andern ähnlichen den Vorwurf bed Atheismus
zu machen, weil wir ihn mit bemfelben Recht wieber bekor
koͤnnten aus ihrem Standpunkt, wenn fie und befchuldigten
auch wir die eine Seite des Gegenfazed über die Einheit
ben. Doc dies fol nur ald ein Warnungszeichen auch
aufgeftelt fein. Denn was nach mehreren Nachrichten *)
*) Cie. de nat. Deor. I, 10. Anaximandri autem opinio est n;
esse deos longis intervallis orientes occidentesque,, eosque inn
N 4195
andros in einem andern Sinne von ben Göttern gelehrt hat,
% ihnen nämlich komme Entfichen zu und Untergang, nur
ch langen Zwifchenräumen, fie wären nämlich die Geſtirne oder,
: unendlichen Himmel, oder die unzähligen Welten; biefes, wie
auf ber einen Seite vollkommen feinem Grunbfage gemäß ift,
6 alles aus den Gegenfäzen beftehende die Freude feined Das
mb wieber durch Untergang bezahlen müffe, würbe ihn auf ber
nbern Seite bei und ber Gotteslaͤugnung nicht verbäcdhtig mar
ven; vielmehr würben wir ed natürlich finden, daß er die vie
m Götter eben dahin flellt, wo alle& viele fich finden muß, und
Me wuͤrden darin nur das Beſtreben erkennen, welches fich durch
nen großen Theil der hellenifchen Philofophie hindurchzieht, und
i deſſen Stelle erſt fehr fpät ein entgegengefezted tritt, nämlich
volksmaͤßigen mythiſchen Worftellungen von Göttern an eine
Dem wirklichen Inhalt angemefjene untergeoronete Stelle: zu
‚ und ganz. zu trennen von bem, daß ich mich fo aus⸗
noch unbeflimmten Entwurf der Idee eines höchflen We⸗
welchen auszuführen und wirklich zu denken das lezte Ziel
Philoſophie if. Doch in jenen Beugniffen find bie Aus⸗
zu verſchieden und zu wenig im älteften Stil, als dag
beſtimmt ausmitteln Bönnte, wie Anarimandros biefed gemeint.
Allein bie Sache grenzt ganz nahe an eine Frage, welche un
‚wen anderd die über fein Prindp ald abgemacht kann an
hen werben, zunäcft aufbringt, nämlich, ob er wirklich uns
e Welten angenommen, welche entfiehen und vergehen.
bier tritt der Fall ein, daß Arifloteled an einzelnen Stel:
9 zwar einen Unterfchteb feftftellt zwifchen folchen die nur
rabiles esse mundos, — Stob. Ecl. phys. I, p. 56. "Avafluavögos
ünspiraso vous ünslgous ougavoug Geovs. — Plac. Phil. 1, 7. "Ara-
| Bnanöges vous Gordgas ougarlous Heovc.
) Phys. VII, 1. Man muß hier unter ünelgous »oanovs unzählige
verftehen, weit es nur dem fra xoonov gegenüberficht, wie es auch
Cimplicius durch analgous so nAydas erilärt,
N 2
196 !
Cine Welt angenommen, und folchen die unzählige entflehende
und wieder vergehende, daß er aber auch hiebei wie oben bei.bm
Zwifchenwefen den Anarimandros meines Wiſſens nirgends m
mentlich anführt, die fpäteren hingegen ihm diefe Annahme is
ſtimmt beilegen. So Eicero in ber oben angezogenen Stelle, fü
Simplicus *), fo. Eufebius **) aus dem Plutarch, auch da
falfche Plutarch ***). Und auch hier fehlt es nicht an Ausbräb
ten, jedoch minder gewichtigen,; die das Gegentheil.zu fagen ſche⸗
nen, auch bei bemfelben Schriftfleller. Und hier kann die Be
hauptung nicht, wie im jenem Fall, ihren Grund gehabt habe
in ber Berlegenheit, auf wen jene Worte bed Ariftoteles: zu be
ziehen wären; denn Empedokles wenigfiend und Herakleitos we
ven gleich bei der Hand. Sondern allerdingd müffen Aeuferum
gen des Anarimandros biefer Nachricht zum Grunde Liegen, r
und leider nicht urfprünglich und zufammenhangend zugelommen ”
find, deren eigentlichem Gehalt wir aber doch müffen auf die
Spur zu fommen fuchen. Der Ausdrukk von mehreren Welten,
welche entftehen und vergehen, kann aber auf mehrerlei Arte -
verfianden werben. Einmal fo, daß durch Zeitpunkte gänzliche
Zerſtoͤrung unterbrochen, verfchiebene Weltordnungen auf einander
folgen, was aber jedesmal zugleich vorhanden iſt, nur Eine We
bildet. Dann fo, daß das aus dem unendlichen Princip. audges
uus ſchiedene urfprünglich in mehrere Melten vertheilt iſt, die offa
feine Gemeinfchaft gegenfeitigen Wirkend mit einander haben
%) in Phys. fol. 6. 2& ne anavzag yivscdas vous ovpavove zul ul
dv alsoig xoonevg. — fol, 257 b. os ulv yap unelgove wa zigiR
coðce KO0LOUG Ünos4usvos, os ob magi "Avatluavöger, yıvondvovg de
vous al phsıgousvous vnddeyro in ansıpor, allor uw aeb ywapk
vor allur di Pdspousver.
»9) Praep. I, 8. 2E o0V dy4 gyas vous we ovpavoug inougene
xad6lov sols anunzes ämelgous Örrag x0onous.
”") de plac. phil. I, 3. dio xai yaryacdas unslgovs xoanoug —*
Balgsodaı ale vo HE oü yirıraz.
—
197
; abee in dieſer Befchiebenheit ſaͤmmtlich immer fortbauern.
ablich fo, dag mehrere gefchiebene Welten gleichzeitig vorhanden
id, entweder aber in gemiflen Zeitpunkten alle auf einmal zer
det werben und dann wieder entfiehen, ober daß dieſes Schikk⸗
il fie einzeln trifft, die eine früher, bie andere fpäter. Das
le, daß jebedmal nur Eine Welt vorhanden ift, dieſe aber bis;
veilen zerftört wird und neu wieder entflcht, fcheint zwar bie
vlderfprechenden Audfagen leicht zu vereinigen, benn fo Fönnte
w in dem einen Sinn von Einer Welt geredet haben, in bem
nbern von vielen; allein es fleht im Widerfpruch mit zwei nach
ven wichtigſten Zeugniffen höchft wichtigen Punkten in ber Theo⸗
ie des Anarimandros. Denn wenn er zuerft fein Princip des⸗
wegen unenblid angenommen, Damit die Erzeugung nirgend und
giemald dürfe gehemmt werden, wie kann er eine Zeit angenom⸗
wen haben, wo jie wirklich gehemmt war, vom Anfang einer
Beltzerftörung an bis zur Entſtehung einer neuen? und wenn
pr als Urfache aller Erzeugung geſezt eine ewige Bewegung feis
unendlichen Princips, wie alle einflimmig bezeugen, wie
bad Princip in Bewegung gewefen fein auch in jenen Zwis
räumen? oder wie kann die ewige Bewegung bed Unendli:
n je gelitten haben eine gänzlich vollendete Zerflörung? Das
ite aber follte mich auch fehr wundern, wenn fich namlich
rimandros eine gleichzeitige Mehrheit gänzlich gefchiebener
en gebacht hätte. Dies nämlich fcheint nur möglich zu fein,
Ban man anfängt, ber Erde eine untergeordnete Stelle anwei⸗
, die Geſtirne als für fich beſtehende Weltkoͤrper anzufehen.
wenn dieſe nicht die mehreren Welten fein follen: fo müßte
folhe Mehrheit angenommen werden, ohne bie mindefte Ges
Nhrleiftung der Sinne für ben Gedanken, welches wol ſchwer⸗
jenem 3eitalter kann für angemeffen gehalten werden. Und
hiches Bebuͤrfniß des Verſtandes ſollte grade denjenigen auf
eſen Gedanken gebracht Haben, deſſen ganze Forſchung fo ent:
ieben auf die Seite der Einheit und der Unterorbuung aller
»
198 2
Gegenfäge gerichtet iſt? Man follte vielmehr denken, gefegt auch
er hätte eine Wertheilung des endlichen Seins in mehrere Bel
örper angenommen: fo müßte er boch diefen, wenn auch au
als entgegengefezten und irgendwie im Gleichgewicht flehenben, &
eine Zufammengehörigkeit und gegenfeitige Abhängigkeit, alfo ein
höhere Einheit zugefchrieben haben. Allein auch bag in biefem
119 untergeorbneten Sinn Anarimandros eine Mehrheit von Web:
ten angenommen und die Geflime als folche angefehen habe, if
fehe unmahrfcheinlih. Man koͤnnte es freilich leicht fchließen,
wenn ber eine fagt, feine vergänglichen Götter feien die unzaͤhl⸗
gen Welten, und der andere die Geſtirne feien feine Götter
aber näher betrachtet fcheint man es zurüßfnehmen zu müflen,
wenn man folgended bedentt. Alle flimmen überein, daß er der
Erde den mittleren Plaz eingeräumt, wo fie durch nichts gehal⸗
ten, vermöge ihred gleichen Abſtandes von allem anderen im:
Gleichgewicht ſchwebe. So Diogenes *), Pfeuboorigenes *),
Simplicius ***) und Ariftoteles felbft ****). Eine etwas abwen
chende Audfage führt Menagiud an vom Theon von Smymat), '
bie Erbe ſchwebe und bewege fih um bie Mitte der Welt.
Allein ich möchte biefer Worte wegen, die ich weiter zu verfol.
gen außer Stande bin, nicht gern einen Mittelpunkt der Welt
H I, 1. ptors vu sie yo mıiodan zirsgov edhır iacrouosv olvas
opampouıdy.
) Philos, eap. VI. rij dt yo elvas nerdupor im oudtwrög agareunk
vny ulvovaay dia vr Öyolav Narınv änoozacı.
“*) Comment. in libr. de Coel, fol. 126.
"##).de Coel. II, 13. «lol BE zıves of dia vis Snbened Qua al
Kirew waonıp Tüv Goxaler Avasiuandgos.
1) ad.Diog. Laert. II, 1. rs dorir 9 zn nerlopos zal nıreiras mg ei |0
zbU xoguov uicor. Die Worte finden fich nicht in’ dem von Bultiale |
dus herausgegebenen Theile bes Theon, und Menagius muß fie wahes |,
ſcheinlich in dem noch ungedrukkten Abſchnitt non ber r Aſtronemie hand
ſchriftlich gelgſen Haben,
199
mferhalb der Erbe armehmen, fondern wenn man ihnen übers
mupt einen Werth beilegen will, wie es der Zeuge ja wol ver:
ent, möchte ich glauben, Anarimandros habe der Erbe eine
lchſendrehung oder eine ſchwankende Bewegung um ihren Mits
elpunkt zugefchrieben, ber zugleich der Mittelpunkt der Welt fei;
en nur fo läßt füch biefed Zeugniß mit allen andern vereini:
en. Die Seflime aber waren ihm, wenn wir bie zerflüßfelten _
Rachrichten irgendwie in eind zufammenfaffen wollen *), große
ım vieled, wieviel aber ſtimmt nicht allen überein, Die Erde übers 120
seffende Mafien von Luft zufammengefilzt, Heuer in ſich enthal⸗
end, bad aus der Nabe, welche bie uns fichtbare Scheibe bils
et, audftröme, entflanden aus einer um bie bie Erbe umgebende
haft gebildeten und hernach geplazten Feuerrinde, georbnet zu
berſt die Sonne, bei ihr der Mond, und zu unterfi die übrigen
Seftirne **). Hier iſt alfo zuerſt alles durchaus Ein Syſtem
md nirgend eine völlige Gefchiebenheit des Dafeind; denn was
hieße oben und unten, wenn nicht eine Beziehung auf ein und
) Theodoret. graec. cur. IV, P. 797. ovosyuara drra voy adgos g0-
- yosidag nenılmulva nugös Hunden. — Orig. Philos. VI. za. d2 äsga
ylveodar xun.o9 RUupog Anoxgsdera TOU Kara Tor K00UOY TUpog, Me-
gilnpstria 6° uno afgos. — Fuseb. Praep. I, 8. xul zıra @lo-
yog Opaipay negıpuvas To ng} 79 yijv ülgı ws 78 Hdrdgge gYlouör,
25 vıvos anogpayslons zal el; zıvas anoxlssodslans auxlous, Unoora-
var zov 3jlıor ad 779 oelyvnv zul vous aorepac. — Plao. phil. II, .
- 20. xUxlor Eivas ontwxussınoonlaolore Ts yis üpnaralov TpByou
"zyr aylda naganinolav Yyovsa xoAyr nÄngn MUVpos, je nard zı negoc
dxpamovens vo Rüp dia Osoulov wong dia nonermgos arlov, nal
sous elvas Toy ylıov. — Theodoret. graec. cur. I, P. 718. inıu-
ns dlxoos niaolovu wis ynjç 309 940m — Plac. phil. II, 25. 19»
osAnynv xunlov eivaı dvvsaxudexanlaolova ng yılc song zoy nlıov
-#ÄNon vos. — Stob. Ed. Phys. P. 510. zıAnuara üdeng Tg0xos-
ön svpos Kunlıa, ara 7 udgos ano oronlur dunvlorıa ployas.
“*) Stob. ibid. xai ürwrarw ulv narsav von Ylıov verdydas, par au-
sdr di zv aelıunv, und di uvrouc va anlari] vv dasgay nad voug
siururac. — Gben fo de plac, philos. II, 15.
200
daſſelbe britte flatt fände? Aber bemnächlt find auch die Ge
flime durch ihre Bildung felbft an die Erde gefnüpft, und Feh
nes berfelben enthält für fich ein volfländiged Ganze ber Gegen
füze, welhe doch allein im eigentlichen Sinne eine Welt fein
kann. Denn an Luft und Feuer: haben fie wol den Gegenfa
des trokknen und feuchten, aber nur auf der Seite des warmen,
das kalte aber, Etde nämlich und Waſſer, fehlt ihnen ganz
Alfo kann weder jedes für fich, noch koͤnnen alle verbunden, en
vollftändiges Syſtem des Dafeins, eine Welt bilden, fonbern nur
mit der Erde zufammen koͤnnen ſie das. Denn offenbar iſt die
Sonderung von Erde und Waſſer als Kern, und die von Luſt
und Feuer als Rinde, die urſpruͤngliche Ausſcheidung des Gegen⸗
ſazes von ſchwer und leicht. Wenn alſo die Geſtirne mit de
Erde zufammen nur Eine Welt bilden, was bleibt übrig, ald
entweder der Ausdrukk von einer Mehrheit der Welten ift über
haupt nicht eigentlich zu nehmen, oder Anarimandrod muß fih
zu dieſer aus unferer Erde und ihren Geſtirnen beftehenden Welt
noch mehrere gedacht haben. Aber warum? und welche Betrade
tung folte ihn bewogen haben, durch Annahme einer folden
Mehrheit fich die fchöne Einheit in der meltbildenden Bewegung
feines Unendlichen gleichfam zu zerſtoͤren? Denn wenn wir bie
Zeugniffe für hinreichend halten, und wörtlich auffaffen, fo bleibt
uns nur übrig, das Factum anzunehmen und die Gründe aufe
121 zufuchen. Sch-fann mir nur Eined denken. Nach jenem Haupt«
grundfaz des Anarimandros findet auch eine Aufreibung ber Dinge
flatt, wodurch nämlich jedes feine Strafe giebt. So lange nun
diefe im Gleichgewicht bleibt mit der Erzeugung, läuft auch das
wechfelnde Dafein der Welt nach feinen Gefezen unverruͤkkt ab.
Tritt aber ein Uebergewicht des Zerflörungsprogeffes ein: fo würdt
dann, wenn ed nur Ein Syſtem gäbe, eben jene gänzliche Auf
löfung begründet fein, die Anaximandros nicht Tann eintreten
laſſen. Nun find allerdings Spuren, daß er fi) ein wechfeln
des Webergewicht der Prozeffe gedacht habe; darauf deuten die
L
201
usdrukke dyoaoia und Exxavoıs, und ba8 Meer, als nur der
eberreft des Feuchtungsprozeſſes nach wieder überhanbgenommes
em WWerbrennungdprozeß, deutet allerdingd auf eine weit über
38 Gleichgewicht hinausgehende Ausdehnung dieſes Prozeſſes.
Ind gewiß ift es auf alle Weile, was hier nicht weiter kann
ausgeführt werden, natürlicher im Gebiet bed Wechfeld überhaupt
uch ein folches wechſelndes Webergewicht. anzunehmen, ald ein
mmer unverruͤkkt bleibendes Gleichgewicht. Hat er ſich nun Le
ben und Tod, beides im weiteſten Sinn als Erzeugung und Une
lergang des mannigfaltig geflalteten die Gegenfäze beweglich in
ſich vereinigenden, auch als entgegengefezte Progeffe gedacht: fo
mußte er auch hier ein wechſelndes Webergewicht annehmen. So
finden fich auch Nachrichten von allmähliger Zunahme des Or⸗
ganiſationsprozeſſes, der zuerft, wahrfcheinlich nachden ber Wafs
ſerbildungsprozeß feine größte Höhe erreicht hatte und abzunehs
men anfing, im naflen fich in rohen und abentheuerlichen Ges
Ralten gezeigt, die auf dem troffnen nur ein kurzes Leben gefris
fet, allmaͤhlig aber fei der organifche Bildungsprozeß vollkommen
geworden, und nachdem andere Thiere ſchon beftändiges Leben
und Erneuerung aus fich felbft gewonnen an der Stelle der urs
prünglichen Erzeugung aus dem feuchten, fei auch der Menſch
entſtanden, zuerft aber auch ohne Selbftftändigfeit, von andern,
Thieren wahrfcheinlich auch nur für ein kurzes kindiſches Leben
mährt, bis endlich auch er zur Emährungs: und Zeugungsfaͤ⸗
higleit allmählig herangereift fei *). Wenn nun dem auch wies
er gegenüber ftehn muß ein zurüfftretender Belebungs⸗ und
*) Dies ift gewiß die eigentliche Vorſtellung des Anarimandros, wie man
fie ſich aus dem Bericht bed Plutarchos bei Euseb.. Praep. I, 8 ers
gänzend zufammenfezen Tann. Denn was im Plut. Symp. VII, 8
fleht, daB grade der Fiſch der gemeinfame Vater der Menſchen fei, iſt
gewiß aus jenen beiden Sägen vom urſpruͤnglichen Hervorgehen aller
Zhiere aus dem feuchten und von der anfaͤnglichen unbehuͤlflichkeit des
Menſchen ſpottend zuſammengebildet.
202
122 hervosfretender Zerſtoͤrungsprozeß: fo kann beides freilich auf ein
ander folgen und in gemilbertem Sinne ber leztere ald Weltza
ſtoͤrung bargeftellt werben, und der aufs neue wieder hervor
tende Belebungsprozeß ald neue Weltbildung, denn Welt iſt deh
nur wo ein Spfiem bed Lebens dem bloß elementarifchen Daſch
gegenüberfteht, und bie wären benn bie im uneigentlichen Gimp
auf einander folgenden Welten, Allein wenn bei Anarimankıd
der Gedanke vielleicht ſtark bervorgetreten, bag wenn\in ein.
langen Zeitraum in ber einen Welt nur der Belcbungäpref:
überwiege, alddann auch während biefer Zeit bie Gerechtigink
nicht vollfommen fei, ſondern erſt nachkomme, ‚hat ex, fage ich
auf biefen Gedanken einen großen Werth gelegt: fo kann eswc
fein, daß er feinem Grundſaz zu Liebe, und damit bie Ga
tigkeit des Urweſens auch als gleichfam die innere und geiſtig
Natur deſſelben ewig und fich immer gleich fei, mehrere Zelte
bat neben einander: beftehen laſſen, damit während in ber cin
bie Belebung vorberrfche, in ber andern Tod und *
walten koͤnne, und fo zw jeder Zeit Gerechtigkeit geuͤbt werk
und dies wären benn bie im eigentlichen Sinn neben ei
beftehenden Welten. Ob nun diefe ethifche Betrachtung fo vie.
Gewicht gehabt, und welche von beiden Auslegungen alſo bie
richtige fei, wage ich nicht zu enticheiden, da diejenigen, welcht
biefer anarimanbdrifchen Mehrheit der Welten erwähnen, von ife
sem Verhältnig gegen einander, und von ihrer Gleichheit oder
Verſchiedenheit gar nicht berichten, wir auch gar nicht entſcheiden
fönnen, ob und wie Anarimandros fich der beiden Wörter
cœvòog und xdonog, bie hier vockommen, bedient habe,
: bekannt ift ja bie große Sorglofigkeit, womit alle Späteren
der Beichreibung alter Meinungen junge Ausdruͤkke, zumal
ftotelifche, gebraucht, ja nicht felten den eigenen Worten ber
ten eingemifcht haben. Und was von ben Wörtern felbft gil,
dad gilt auch von ihren Bedeutungen und Gebrauchöweifen, von
203
ihrer Verwechſelung und Unterfcheidung. Wie leicht ſich Anaxi⸗
mandbros des Wortes vögavög in ber Mehrzahl kann bedient ha⸗
ben, ohne daß von einer Mehrheit des Welten bie Rede fein
bürfe, leuchtet ein. Denn er theilte, wie wir oben gefehen, die
Geſtirne in ‚zwei Sphären, und biefe konnte er odgmvög nennen.
Sa dies ift fogar überwiegend wahrfcheinlich; denn von dieſen
Tomte volllommen gefagt werben, was Stobäus*) berichtet, ber
Himmel ſei aus der Mifchung bed warmen und Falten entflan
den, namlich, inbem fich das Falte, feuchtes und trokknes zuſam⸗
wen, zur innern Sphäre gebildet als Wafler und Erde, bilbete ı25
ſich auch das warme, feuchtes und trokknes zufammt, zur aͤuße⸗
sen aus Feuer und Luft beftehenden Himmelöfphäre, in welcher
dan bie Geſtirne entflanden. Und fo kann er auch xoouos,
wenn das Wort ihm angehoͤrt, vielleicht in engerem Sinne ge⸗
Braucht haben, eben von dem Gebiete bed eigentlichen Lebens,
welches die ausgeſchiedenen Gegenfäze wieder in fich vereint, und
in der Mehrzahl von den verfchievenen Syſtemen bed Lebens,
wie fie nach dazwifchen getretener partieler Zerflörung auf eins
ander folgen, oder von ben verfchiebenen Perioden ber unvollkom⸗
menen und volllommenen organischen Bildung. So bag dieſes
wol ganz im ungewiflen bleiben muß, und nur aus Dem unges
seiten, bad ihm auf ben erften Anblikk anklebt, kann errettet
werben.
‚And hieran ſchließe fi nun ba8 lezte, worüber die Alten
wiberfprechend berichten, nämlich, wie ſich eigentlich Anaximan⸗
dros die Geſtalt der Erde gedacht habe. Denn Diogenes fagt
beflimmt, die Erde habe nach ihm Kugelgeflaltz und man Eönnte
denken, dafür flimme auch die Ausfage ded Simplicius **), bie
Erde ruhe vermöge ber Gleichfoͤrmigkeit und bed Gleichgewichts.
*) Ecl. phys. P..600, Ä
) in Hibr. de Coel. fdl, 126. xasa eye ouosbrysa zul va laoggomor.
204
Allein theils ſtellt Hier Simplidus den Anarimandros mit ‚dem
Platon zufammen, und hat offenbat ſolche Ausdruͤkke gemähl, %
welche auch diefem genügen, denn Ariftoteled fagt bier nur xayg \
Tv Öuosornro, theild kann man am Ende, wenn man einmal
eine Art von Schwimmen zugiebt, beide fezen, aud von einm
nicht fugelförmigen Körper, wenn er nur einen fommelrifhen
Mittelpunft hat. Und fo fcheint dad Zeugniß des Diogenes al
lein nicht Stand zu halten gegen jene& weit beflimmtere, welches
Eufebiud *) aus Plutarch mittheilt, Die Erde nämlich fei nach. Ans
ximandros walzenförmig, jo daß die Höhe den britten Theil be
trage von dem Durchmeffer. Denn fo beflimmte Angaben yfe
gen felten erbichtet zu fein, und dieſe finden wir hier mitten un
ter andern unbezweifelt dem Anarimandrod angehörigen Meinum
gen, daß fie auch nicht leicht anderwaͤrts "her kann übertragen
fein. Zudem ſtimmt fie gar fehr mit der radfoͤrmigen Gefalt,
die er nach alten Zeugniffen den Geftirnen gegeben. So daß id
an der Sache nicht zweifeln möchte; wie aber Anarimandros auf
diefe Beflimmung gefommen, bad möchte wol fchwerlich auszu⸗
finden fein. Nicht leicht wol würde Anarimandros, wenn Ihe
led, der wol vorzüglich im mathematifchen und aſtronomiſchen
fein Vorgänger und Lehrer mag gewefen fein, fchon die Kugeb
geftalt ber Erde behauptet hätte, wie einige ihm zufchreiben,
diefe Meinung wieder verlaffen haben. Won der alten ſcheiben⸗
oder fchildfürmigen Geftalt der Erde aber kann er wol zu bie
fer gefommen fein, wenn er annahm, oder nach irgend einer
Analogie berechnete, denn eine Rechnung ſcheint doch zum Grunde
124 zu liegen, dag und wie tief der ſchwimmende Körper in feinem
Medium müfle untergetaucht fein. ‚Und man Tönnte fagen, bie
Angabe eines beftimmten Verhaͤltniſſes der Ziefe zur Höhe weile
mehr auf die fchildfürmige Geftalt zuruͤkk in ber ein folches Ver⸗
) Praep. I, 8. vnaggew dd gyas Typ wir oynnarı uw yür wulsrdgo-
dä, Ixur d vooovsor PaYos, Sao» av ein eglsor ngös so nlasoc.
205
haliniß ſchon fiege, unb alfo auch auf- einen oben ald Kugelab⸗
fhaitt abgerundeten Eylinder, der bann um fo leichter den Ueber»
gangr:gebifdet haben kann zur Kugelgeflalt. Die Ausſage bed
Diogened hat noch dieſes gegen fidh, daß fie gar zu leicht nur
auf einem anderen Ausdrukk beruhen kann, deſſen er fich auch
kedimt, oyaipev xarsoxzvaoe, ber ſich gar leicht fo verſtehen
läßt, er habe einen Globus verfertigt.. Eben daraus iſt vielleicht
and die Angabe bei Suibas *) entflanden, die ihm eine Schrift
unter dem Titel ogaipe zufchreibt. Wenn aber jene Auslegung
gegründet wäre, fo würde dies Eratofihened wol gewußt und
Strabo **) ed und gewiß eben fo gut aus ihm berichtet haben,
als er berichtet, Anarimandros habe die erſte geograpbifche Tafel
verfertiget. Und wenn Anarimandrod ein befondered Buch Ye
segiodos oder ein Bud) opaipe, bad nicht die Himmels» ſon⸗
dem die Erbfugel zum Gegenftand gehabt, gefchrieben hätte: fo
würde Strabo nicht fo deutlich fagen, Anarimandros habe die
erſte Tafel, Hekatäod aber die erſte geographifche Schrift geltes
fat. Alles dies ift offenbar genug durch Mißverftand aus jener
Lafel entftanden. Und auch wenn Anarimandros fchon ein eig⸗
28 aflronomifched Werk ausgegeben hätte, würden beflimmtere
. Rodprichten darüber vorhanden fein. Ob aber jene Tafel ein
\ für fich beſtehendes Kunſtwerk oder nur eine erläuternbe Bugabe
zu feiner Schrift geweſen, ift wol nicht zu beflimmen. Gemiß
hat es nur Eine und zwar kurz zufammengedrängte Schrift von
Ihm gegeben, eine xepyalawäng Exeoıg TWy abri dpeoxov-
. Tv, wie fie Laertiud nennt. Denn anbers ift ed von dem nicht
zu erwarten, welchem es Themiſtius ***) zum Verdienſt rechnet,
id weiß nicht, ob. den Pherecydes bezweifelnd oder uͤberſehend,
) Iypaya repl puasws, yat sıglodor, zug) vür anlarur nal ayalguv
za) alla zıra.
im erſten Buche,
9 ont. XX.
206
oder unfern früher ſtellend, daß er ber erſte unter den Hell
die Bahn gebrochen, in umgebundbener Rebe über dieſe G
flände öffentlich zu fchreiben, was vorher ungewöhnlich gen
und vielleicht für fehimpflich gehalten worden. Was ihm aı
ben von Schriften beigelegt wird, ift entweber mißverfia
oder erdichtet. Won ben mathematifchen auch flreitigen Ver
fin und Entdekkungen bed Mannes zu reden, war nicht d
Ortes,
| IH. | j | F “ u.
ber die verfhiedenen Methoden.
des Ueberſezens.
[U U]
Vorgeleſen ben 24. Junius 1813
. \
Thatſache, daß eine Rede aus einer Sprache in bie. an⸗ 143
ibertragen wird, kommt und unter ben mannigfaltigflen’
ten überall entgegen. Wenn auf der einen Seite dadurch
ben in Berührung kommen Türmen, welche urfprünglich
ht um den Durchmefler ber Erde von einander entfernt
wenn in eine Sprache aufgenommen werden Tönnem bie
miſſe einer andern fchon feit vielen Jahrhunderten erſtor⸗
: fo dürfen wir auf der andern Seite nicht einmal Aber
jebiet Einer- Sprache hinaudgehen, um biefelbe Erſcheinung
effen. Denn nicht nur daß die Mundarten verfchiebener
me eined Volkes und bie verfchiebenen Entwikkelungen der⸗
Sprache .oder Mundart in verfchievenen Sahrhunderten
in einem engeren Sinne verfchievene Sprachen find, und.
elten einer vollftändigen Dolmetſchung unter einander bes
; ſelbſt Zeitgenoffen, nicht durch bie Mundart getrennte, nur
erfchiedenen Volksklaſſen, welche durch ben Umgang awia
! 208
verbunden in ihrer Bildung weit auseinander gehen, koͤnnen fih
öfterd nur durch eine ähnliche Vermittlung verſtehen. Ja find
"wir nicht häufig genöthiget, und die Rede eined andern, ber gang
unfere8 gleichen ift aber von anderer Sinned> und Gemüthsart,
erſt zu überfegen? wenn wir nämlich fühlen daß diefelben Worte
in unferm Munde einen ganz anderen Sinn ober wenigftend
bier einen flärkeren dort einen fchwächeren Gehalt haben würben
14 als in dem feinigen, und daß, wenn wir dafjelbe was er meint
ausdruͤkken wollten, wir nach unferer Art und ganz anderer Woͤr⸗
ter und’ Wendungen bedienen würden: fo fcheint, indem wir und
dies Gefühl näher beftimmen, und es und zum Gedanken wir,
dag wir überfegen. Ja unfere eigene Reben müffen wir biswei⸗
len nach einiger Zeit überfegen, wenn wir fie und vecht wieder
aneignen wollen. Und nicht nur dazu wirb dieſe Fertigkeit
geübt, um was eine Sprache im Gebiet der Wiffenichaften und
der redenden Künfte hervorgebracht hat, in fremden Boden zu
verpflanzen und dadurch den Wirkungskreis diefer Erzeugniſſe
bed Geifted zu vergrößern; fondern fie wird auch geiibt im Ge |
werböverkehr zwilchen einzelnen verfchiedener Völker, und im bb
plomatifchen Verkehr unabhängiger Regierungen mit einanbe,
beren jebe nur im ihrer eigenen Sprache zur andern zu reden F
pflegt, wenn fie, ohne fich einer todten Sprache zu bedienen,
fireng auf Gleichheit halten wollen.
Allein natürlich, nicht alles was in diefem weiten Umbre
liegt, wollen wir in unfere jezige Betrachtung hineinziehen. Jene
Nothwendigkeit auch innerhalb der eignen Sprache und Mund⸗
art zu uͤberſezen, mehr oder minder ein augenbliffliches Beduͤſ
niß des Gemüthes, ift eben auch in ihrer Wirkung zu ſehr auf
ben Augenblikk befchränkt, um anderer Leitung ald der des Gb
fühls zu bedürfen; und wenn Regeln darüber folten gegeb@
werben, Tönnten e8 nur jene fein, durch deren Befolgung de
Menfch ſich eine rein fittlihe Stimmung erhält, damit der Sim
auch für dad minder verwandte geöffnet bleibe. Sondern wis
209
nun biefes ab, und bleiben ftehen zunächft bei dem Webertragen
aus einer fremden Sprache in die unfrige: fo werden wir auch
hier zwei verfchiebene Gebiete — freilich nicht ganz beftimmt,
wie denn das felten gelingt, fondern nur mit verwafchenen Grens
zen, aber doch wenn man auf die Endpunkte fieht deutlich ges
nug — unterfcheiden Finnen. Der Dolmetfcher. nämlich verwal⸗
tet fein Amt in dem Gebiete des Geſchaͤftslebens, der eigentliche
Ueberfeger vornämlich in dem Gebiete ber Wiffenfchaft und Kunſt.
Denn man diefe Wortbefiimmung willkuͤhrlich findet, da man
gewöhnlich unter dem Dolmetfchen mehr das mündliche, unter
dem Ueberſezen das fchriftliche verficht, fo verzejhe man fie ber
Bequemlichkeit für das gegenwärtige. Beduͤrfniß um fo mehr, ald
boch beide Beflimmungen nicht gar weit entfernt find. Dem
Gebiete der Kunft und der Wiffenfchaft eignet die Schrift, durch
welche allein ihre Werke beharrlich werden; und wifjenfchaftlihe -
oder kuͤnſtleriſche Erzeugniffe von Mund zu Mund zu dolmet— 14
fhen, wäre eben fo unnuͤz, als es unmöglich zu fein fcheint.
Den Geſchaͤften dagegen ift die Schrift nur mechanifched Mittel;
dad mündliche Verhandeln iſt darin dad urfprüngliche, und jebe
fhriftliche Dolmetfchung ift eigentlich nur ald Aufzeichnung einer
mündlichen anzufehen.
Sehr nahe dem Geiſt und ber Art nach fchliegen ſich dies
Tem Gebiete zwei andere an, bie jedoch bei der großen Mannigs
faltigkeit der dahin gehörigen Gegenflände ſchon einen Uebergang
bilden zum Gebiet der Kunſt das eine, das andere zu bem der
Wiſſenſchaft. Nämlich jede Verhandlung, bei welcher dad Dols
metfchen vorkommt, ift auf der einen Seite eine Thatſache, des
ven Hergang in zwei verfchiebenen Sprachen aufgefaßt wird.
Aber auch die Ueberfezung von Schriften rein erzählender ober
beichreibender Art, welche alfo nur den ſchon befchriebenen Here
gang einer Thatfache in eine andere Sprache überträgt, kann
noch fehr viel von dem Geſchaͤft des Dolmeticherd an fich haben,
Se weniger in der Urfchrift der Verfaſſer felbft heraustrat, je
Schleierm. W. ID. 2. d
210
mehr er lediglich als auffaffendes Organ bed Gegenſtandes han
delte unb ber Ordnung des Raumes und der Zeit nachging, um
befto mehr fommt ed bei der Uebertragung auf ein bloßes Del:
metfchen an. So fchließt fich der Ueberfezer von Zeitungsartikeln
und gewöhnlichen Reifebeichreibungen zunächft an ben Domes
ſcher an, und es kann lächerlich werden wenn feine Arbeit groͤ⸗
Bere Anfprüche macht und er dafür angefehen fein will als Kuͤnſt⸗
ler verfahren zu haben. Se mehr hingegen des Verfaſſers eigen
thümliche Art zu fehen und zu verbinden in ber Darftellung vor:
gewaltet hat, je mehr er irgend einer frei gewählten ober durch
den Eindrukk beftimmten Ordnung gefolgt ift, deſto mehr ſpielt
fchon feine Arbeit in dad höhere Gebiet der Kunft hinüber, und
auch der Ueberfezer muß dann fchon andere Kräfte und Gefchifl |
lichkeiten zu feiner Arbeit bringen und in einem anderen Sinne
mit feinem Schriftftellee und deflen Sprache befannt fein ald der
Dolmeticher. Auf der andern Seite ift in ber Regel jebe Ber
handlung, bei welcher gebolmetfcht wird, eine Feſtſezung eines |
befonderen Falles nach beflimmten Rechtöverhältniffen; die Webers
tragung gefchieht nur für die Theilnehmer, denen dieſe Werhälb
niffe hinreichend befannt find, und bie Ausdruͤkke derſelben in
beiden Sprachen find entweder gefezlich oder durch Gebrauch um
gegenfeitige Erklärungen beftimmt. Aber ein anderes ift es mi
Verhandlungen, wiewol fie fehr oft ber Form nach jenen gam
146 ähnlich find, durch welcye neue Rechtöverhältniffe beſtimmt wer
ben. Je weniger biefe felbft wieder als ein befonderes unter &
nem hinreichend befannten allgemeinen koͤnnen betrachtet werben,
defto mehr wifjenfchaftliche Kenntnig und Umficht erfordert fchen
die. Abfaffung, und defto mehr wiffenfchaftliche Sach: und Sprach
kenntniß wird auch der Weberfezer zu feinem Gefchäft bebürfe. | |
Auf diefer zwiefachen Stufenleiter alfo erhebt ſich der Ueberſezer
immer mehr über den Dolmetfcher, bis zu feinem eigenthuͤmlich⸗
ſten Gebiet, nämlich jenen geiftigen Erzeugniffen der Kunft und
Wiſſenſchaft, in denen dad freie eigenthümliche combinatorifche
211
Vermögen des Werfafferd auf der einen, der Geift der Sprache
mit dem in ihr niebergelegten Syſtem ber Anfchauungen und
Abfchattung der Gemüthöftimmungen auf der andern Seite alles
find, der Gegenftand auf keine Weile mehr hertſcht, ſondern von
dem Gedanken und Gemüth beherrfht wird, ja oft erſt Durch
die Rebe geworben und nur mit ihr zugleich da if.
Worin aber gründet ſich nun diefer bedeutende Unterfchied,
den jeber fchon auf den Grenzgegenden inne wird, ber aber an
den Außerften Enden am flärkften in die Augen leuchtet? Im
Geſchaͤftsleben hat man es größtentheild mit vor Augen liegen:
den, wenigſtens mit möglichft genau beſtimmten Gegenfländen zu
thunz alle Verhandlungen haben gewiffermaßen einen arithmeti⸗
fchen oder geometrifchen Charakter, Zahl und Maag kommen
überall zu Hülfey und felbft bei denen Begriffen, welche, nach
dem Ausdrukk der Alten, dad Mehr und Minder in fich aufnebs
men und durch eine Stufenfolge von Wörtern bezeichnet werben,
‚die im gemeinen Leben in unbeſtimmtem Gehalt auf» und ab:
wogen, entfteht bald durch Geſez und Gewohnheit ein fefter Ges
brauch der einzelnen Wörter. Wenn alfo der redende nicht ab»
fihtich um zu hintergehen verſtekkte Unbeflimmtheiten erkünftelt,
ober aus Unbebachtfamkeit fehlt: fo ift ex jedem der Sache und
der Sprache Eundigen fchlechthin verftändlich, und es finden für
keden Fall nur unbedeutende Verfchiedenheiten ftatt im Gebrauch
der Sprache. Eben fo, welcher Ausdrukk in der einen Sprache
jedem in der andern entipreche, darüber kann ſelten ein Zweifel
ſtatt finden, der nicht unmittelbar gehoben werben koͤnnte. Des:
halb ift dad Uebertragen auf diefem Gebiet faft nur ein mechani-
ſches Gefchäft, welches bei mäßiger Kenntnig beider Sprachen
jeder verrichten Tann, und wobei, wenn nur bad offenbar falfche
vermieden wird, wenig Unterfchieb bed befferen und fchlechteren
katt findet. Bei den Erzeugniffen der Kunft und Wiffenfchaft
aber, wenn fie aud einer Sprache in die andere verpflanzt mer: 147
den follen, kommt zweierlei in Betracht, woburh 60% Kehle
DO 2
212
ganz geändert -wirb. Wenn nämlich in zwei Sprachen jeben |
Worte ber einen ein Wort ber andern genau entſpraͤche, benfes
ben Begriff in demfelben Umfang ausdrüffend; wenn ihre Bar }
gungen biefelben Verhaͤltniſſe darftellten, und ihre Verbindunge: 7
weifen in einander aufgingen, fo daß die Sprachen in ber That
nur für dad Ohr verfchieben wären: fo würde bann auch auf
bem Gebiete der Kunft und Wiffenfchaft alles Weberfezen, ſofern
dadurch nur bie Kenntnig ded Inhalts einer Rede oder Schrift
‚mitgetheilt werben fol, eben fo rein mechanifch fein, wie auf
bem bed Gefchäftötebend; und man würde, mit Ausnahme ber
Wirkungen welche Zon und Xonfall bervorbringen, von jede .
VUeberfezung fagen koͤnnen, bag ber ausländifche Lefer dadurch zu
dem Verfaſſer und feinem Werk in baffelbe Verhaͤltniß gefezt
‚werde, wie der einheimifche. Nun aber verhält es ſich ‚mit allen
Sprachen, die nicht fo nahe verwandt find daß fie faft nur ald
verfchiedene Munbdarten koͤnnen angefehen werben, gerabe umge
kehrt, und je weiter fie ber Abflammung und der Zeit nach von
einander entfernt find, um beflo mehr fo, baß keinem einzigen
Wort in einer Sprache eind in einer andern genau entipridt,
Feine Beugungdweife der einen genau biefelbe Mannigfaltigket
von Verhaͤltnißfaͤllen zufammenfaßt, wie irgend eine in einer aw
bern. Indem diefe SIrrationalität, daß ich mich fo ausprüf, E
durch alle Elemente zweier Sprachen hindurchgeht, muß: fie fib
lich auch jenes Gebiet ded bürgerlichen Verkehrs treffen. Allen
es ift offenbar, daß -fie hier weit weniger druͤkkt, und fo gut a
keinen Einfluß hat. Alle Wörter, welche Gegenflände und Ihe
tigfeiten ausbrüffen, auf die ed anfommen kann, find gleichfem
genicht, und wenn ja leere übervorfichtige Spizfindigkeit fich ned
gegen eine mögliche ungleiche Geltung ber Worte verwahren
wollte, fo gleicht die Sache felbit alled unmittelbar aus. Ga
anderd auf jenem ber: Kunft und Wiffenfchaft zugehörigen Ge
biet, und überall wo mehr der Gedanke herrſcht, der mit ber '
Rede Eins ift, nicht die Sache, als deren willkuͤhrliches vielleicht
|
213
aber feſt beſtimmtes Zeichen das Wort nur daſteht. Denn wie
unendlich ſchwer und verwikkelt wird hier bad Gefchäft! welche
genaue Kenntnig und welche Beherrſchung beiber Sprachen fezt
es voraus! und wie oft, bei der gemeinfchaftlichen Ueberzeugung,
daß ein gleichgeltendber Ausdrukk gar nicht zu finden fei, ges
ben die fachkunbigften und fprachgelehrteften bedeutend auseinans
der, wenn fie angeben wollen, welches denn nun ber am nächs ss
fin kommende fei. Dies gilt eben fo fehr von den lebendigen
malerifchen Ausdruͤkken dichterifcher Werke, ald von ben abgezos
genſten, das innerfle und allgemeinfte bes Dinge bezeichnenden
bes hoͤchſten Wiſſenſchaft.
Das zweite aber, wodurch das eigentliche Ueberſezen ein
ganz anderes Geſchaͤft wird als das bloße Dolmetſchen, iſt die⸗
ſes. Ueberall, wo die Rebe nicht ganz durch vor Augen liegende
Gegenftände oder außere Thatſachen gebunden ift, welche fie nur
- auöfprechen fol, wo alſo der redende mehr oder minder felbfl-
tätig denkt, alfo fich auöfprechen will, ſteht ber redende in eis
nem zwiefachen Verhältnig zur Sprache, und feine Rebe wird
ſchon nur richtig verftanden, in wiefern dieſes Verhältnig richtig
aufgefaßt wird. Jeder Menfch ift auf der einen Seite in ber
Gewalt der Sprache, die ex redet; er und fein ganzes Denken
if ein Erzeugniß derfelben. Er kann nichtö mit völliger Be
Himmtheit denken, was außerhalb der Grenzen berfelben läge;
die Seftalt feiner Begriffe, die Art und die Grenzen ihrer Ver
knuͤpfbarkeit ift ihm vorgezeichnet durch die Sprache, in ber er
geboren und erzogen iſt; Verfiand und Fantafie find durch fie
gebunden. Auf der andern Seite aber bildet jeder freidenkende
geiſtig felbfithätige Menfch auch feinerfeitd die Sprache. Denn
wie anderd ald durch diefe Einwirkungen wäre fie geworden und
gewachſen von ihrem erfien rohen Zuflande zu der volllommneren
Ausbildung in Wifjenfchaft und Kunft? In diefem Sinne alfo
iſt es bie lebendige Kraft ded einzelnen, welche in dem bildſamen
Stoff bee Sprache neue Formen hervorbringt, urfprünglih nur
21%
für den augenblikklichen Zwekk ein vorübergehende Beronßticn
mitzutheilen, von denen aber bald mehr bald minder im ber
Sprache zurüffbleibt und von andern aufgenommen weiter bil
bend um ſich greift. Ja man kann fagen, nur in dem Maaß
einer fo auf die Sprache wirkt, verdient er weiter ald in feinem
jebeömaligen unmittelbaren Bereich vernommen zu werben... Iebe |
Rede verhallt nothwendig bald, welche durch tauſend Organe ine fi
mer wieder eben fo kann heroorgebracht werben; nur bie kann
und barf Länger bleiben, welcde einen neuen Moment im Leben
ber Sprache felbft bildet. Daher nun will -jebe freie und höher
Rede auf zwiefache Weife gefaßt fein, theild aus dem Geiſt de
Sprache, aus beren Elementen fie zufammengefezt ifi, als eine
durch dieſen Geift gebundene und bebingte, aus ihm in bem 1
benden lebendig erzeugte Darſtellung; fie will auf der anbem
109 Seite gefaßt fein aus dem Gemüth des rebenben als feine That,
als nur aus feinem Weſen gerade fo hervorgegangen und erflän
bar. a, jegliche Rede dieſer Art ift nur verfianden im höheren
Sinne ded MWorted, wenn biefe beiden Beziehungen bderfelben zw
fammen und in ihrem wahren Verhältniß gegen einander aufge "
faßt find, fo dag man weiß, welche von beiden im Ganzen ode
in einzelnen Theilen vorherrſcht. Man verfteht Die Rebe auch
als Handlung des rebenden nur, wenn man zugleich fühlt, we
und wie die Gewalt der Sprache ihn ergriffen hat, wo an ihre
Leitung die Blize der Gedanken fich hingefchlängelt haben, we
und wie in ihren Formen bie umherfchweifende Fantaſie ift feſt⸗
gehalten worden. Man verfleht bie Rebe auch ald Erzeugnif
der Sprache und ald Aeußerung ihres Geiſtes nur, wenn, indem
man 3. B. fühlt, fo Fonnte nur ein Helene denken und veben,
fo konnte nur dieſe Sprache in einem menfchlichen: Geift wirken,
man zugleich fühlt, fo Fonnte nur diefer Mann hellenifch denken
und veben, fo konnte nur er die Sprache ergreifen und geftalten,
fo offenbart fi nus fein lebendiger Befiz des Sprachreichthumß,
nur fein seger Sinn für Maaß und Wohllaut, nur fein denken⸗
(4
215
; and. bildende Vermögen. Wenn nun dad Verſtehen lauf
ſem Gebiet felbft in der gleichen Sprache fchon ſchwierig ifl,
d ein genaues und tiefed Eindringen in den Geifl ber. Sprache
d in die Eigenthümlichkeit des Schriftfielers in ſich fchliegt:
e vielmehr nicht wird ed eine hohe Kunft fein, wenn von bes
yeugniffen einer fremden und fernen Sprache die Rebe if!
er denn freilich Diefe Kunft des Verſtehens fich angeeignet hat,
ich die eifrigften Bemühungen um die Sprache, und burdy ges
ne Kenntniß von dem ganzen gefchichtlichen Leben bed Volks,
d durch bie lebendigfle Vergegenwärtigung einzelner Werke und
er Urheber, den freilich, aber auch nur den, kann ed gelüften
3 den Meifterwerken ber Kunſt und Wiſſenſchaft dad gleiche
tfländnig auch feinen Volks- und Zeitgenoſſen zu eröffnen,
er die Bedenklichkeiten müflen fich haufen, wenn ex fich bie
fgabe näher rüfft, wenn er feine Zwekke genauer beflinmen
% und feine Mittel überfchlägt. Sol er fich vorfezen, zwei
enfchen, die fo ganz von einander getrennt find wie fein ber
wache des Schriftftellerd unkundiger Sprachgenoffe und der
briftfteller felbft, diefe in ein fo unmittelbare Verhaͤltniß zu
ngen, wie das eined Schriftſtellers und feines urfprünglichen
ers iſt? Oder wenn er auch feinen Lefern nur bafielbe Ber:
adniß eröffnen will und denfelben Genuß, deſſen er fich erfreut, _
n nämlich die Spuren ber Mühe aufgedruͤkkt find und das ıso
fühl des fremden beigemifcht bleibt: wie kann er dieſes fchon,
chweige benn jened, erreichen mit feinen Mitteln? Wenn feine
er verfiehen follen, fo muͤſſen fie den Geift der Sprache auf:
fen, die dem Schriftfteller einheimifch war, fie muͤſſen deſſen
enthümliche Dentweife und Sinnedart anfchauen können; und
dies beides zu bewirken, kann er ihnen nicht darbieten als
e eigene Sprache, die mit jener nirgends recht uͤbereinſtimmt,
» als fich felbft, wie er feinen Schriftfieller bald mehr bald
ter heil erkannt hat, und bald mehr bald minder ihn be
nbert: und billigt. Erſcheint nicht bad Ueberſezen, fo hetrach⸗
N
216
tet, als ein thörichted Unternehmen? Daher bat man - tn der
Verzweiflung biefes Biel zu erreichen, ober, wenn man licher
will, ehe man dazu kommen Tonnte, fich daffelbe deutlich zu dem
Ten, nicht für den eigentlichen Kunſt⸗ und Spracfinn, ſondern
für dad geiftige Beduͤrfniß auf ber einen, für die geiftige Kunſt
auf der andern Seite, zwei andere Arten erfunden, Bekanntſchaft
mit den Werfen fremder Sprachen zu fliften, wobei man von
jenen Schwierigkeiten einige gewaltiam binwegräumt, andere
kluͤglich umgeht, aber die hier aufgeftellte Idee dee Ueberfezung
gänzlich aufgiebt; dies find bie Paraphrafe und die Nachbilbung.
Die Paraphrafe will die Irrationalität der Sprachen bezwingen,
aber nur auf mechanifche Weife. Sie meint, finde ich auch nicht
ein Wort in meiner Sprache, welches jenem in der Urfpracg
entfpricht, fo will ich doch deffen Werth durch Hinzufügung be |
fchränfender und erweiternder Beflimmungen möglichft zu errei⸗
chen fuchen. So arbeitet fie fich zwifchen laͤſtigem zu viel und
quälendem zu wenig fchwerfällig durch eine Anhaͤufung lofe
Einzelheiten hindurch. Sie kann auf diefe Weife den Inhalt
vieleit,t mit einer beſchraͤnkten Genauigkeit wiedergeben, aber auf
ben Eindrukk leiftet fie gänzlich Verzicht; denn die lebendige Rede
iſt unwiederbringlich getoͤdtet, indem jeder fühlt daß fie fo nich
koͤnne urfprünglic aus dem Gemüth eined Menfchen gefommm |
fein. Der Paraphraft verfährt mit den Elementen beider Spw !
chen, als ob fie mathematifche Zeichen wären, die ſich durch We :
mehrung und Werminderung auf gleichen Werth zuruͤkkfuͤhren i
ließen, und weber der verwandelten Sprache noch ber Urfprahe '
Geiſt kann in diefem Verfahren erfcheinen. Wenn noch außen
bem bie Paraphrafe pfychologifch die Spuren der ‚Verbindung i
ber Gedanken, wo fie umbeutlich find und ſich verlieren wollen, -
durch Zwifchenfäze, welche fie als Merkpfähle einfchlägt, zu ber ı
. ası zeichnen ſucht: fo flrebt fie zugleich bei fchwierigen Compofitionen
bie Stelle eined Commentard zu vertreten, und will noch werk
ger auf den Begriff der Ueberfezung zuruͤkkgefuͤhrt fein, Di
217
dung dagegen beugt fich unter der Irrationalität bee Spra⸗
ie gefleht, man Tünne von einem Kunſtwerk der Rebe Fein.
in einer andern Sprache hervorbringen, das in feinen eins
Theilen den einzelnen Theilen des Urbilded genau ent
„ fondern es bleibe bei der Verſchiedenheit dee Sprachen,
elcher fo viele andere Verſchiedenheiten wefentlich zuſam⸗
ngen, nichts anderd übrig, ald ein Nachbild audzuarbeiten,
anzed, aus merklich von ben Theilen bed Urbilded verſchie⸗
Theilen zufammengefezt, welche bennoch in feiner Wir
enem Ganzen fo nahe Fomme, ald die Verſchiedenheit des
ial8 nur immer geftatte. Ein folched Nachbild ift nun nicht
iened Werk felbft, ed fol darin auch Feinedweges der Geift
ſprache dargeftellt werden und wirkfam fein, vielmehr wirb
em fremdartigen, was biefer hervorgebracht hat, manches
untergelegt; fondern ed fol nur ein Werk dieſer Art, mit
kſichtigung der BVerfchiedenheit der Sprache, ber Sitten, -
ildungsweiſe, für feine Xefer ſoviel möglich daſſelbe fein,
a8 Urbild feinen urfprünglichen Leſern leiſtete; indem bie
eiheit des Eindrukks gerettet werden fol, giebt man bie
tät ded Werkes auf. Der Nachhbildner will alfo die beis
ben Schriftfteler und den Lefer des Nachbildes, gar nicht
menbringen, weil er kein unmittelbared Verhältnig unter
möglich hält, fondern er will nur dem lezten einen Ahnlis
Findruff machen, wie bed Urbilde8 Sprach» und Beitgenofs
m diefem -empfingen. Die Paraphrafe wird mehr anges
t auf dem Gebiet der Wiffenfchaften, die Nachbildung mehr
m ber fchönen Kunſt; und wie jedermann geſteht daß ein
werd durch Paraphrafiren feinen Ton, feinen Glanz, feinen
ı Kunftgehalt verliert, fo hat wol noch niemand die Thor⸗
nternommen, von einem wiffenfchaftlichen Meiſterwerk eine
nhalt frei behandelnde Nachbildung geben zu wollen. Beide
yeungsdarten aber Fönnen demjenigen nicht genügen, wel⸗
on dem Werth eines fremden Meiſterwerkes ducchbrungen,
218
den Wirkungskreis deſſelben über feine Sprachgenoffen verbreiten
will, und welchem ber firengere Begriff der Ueberſezung vor
fchwebt. Beide können daher auch megen ihrer Abweichung von
biefem Begriff bier nicht näher beurtheilt werben; nur ald Greng
zeichen für das Gebiet, mit welchem wir es eigentlich zu thun
haben, ftehen fie bier. |
152 Aber nun ber eigentliche Weberfezer, ber biefe beiden ganz
getrennten Perfonen, feinen Schriftfteller und feinen Leer, wirk
lich einander zuführen, und dem lezten, ohne ihm jedoch aus bem
Kreife feiner Mutterſprache heraus zu nöthigen, zu einem moͤg⸗
lichſt richtigen und vollſtuͤndigen Verfländnig und Genuß bed er
fien verhelfen will, was für Wege kann er hiezu einfchlagen?
Meines Erachtend giebt ed deren nur zwei. Entweder der Ueber⸗
ſezer läßt den Schriftftellee möglichfi in Ruhe, und bewegt ben
Lefer ihm entgegen; oder er läßt den Leſer möglichft in Ruhe
und bewegt ben Schriftfieller ihm entgegen. Beide find fo gan
lich von einander verfchieden, daß durchaus einer von beiben fs
fireng ald möglich muß verfolgt werden, aus jeder Vermifchung
aber ein hoͤchſt unzuverläffiges Reſultat nothwendig hervorgeht,
und zu beforgen iſt dag Schriftfieler und Leſer fich gänzlich
verfehlen. Der Unterfchied zwiichen beiden Methoden, und daß
dieſes ihr Werhältnig gegen einander fei, muß unmittelbar ein
leuchten. Im erften Kalle nämlich ift der Ueberſezer bemüht,
durch feine Arbeit dem Lefer das Verſtehen der Urfprache, bad
ihm fehlt, zu erfegen. Das nämliche Bild, den- nämlichen Ein
drukk, welchen er felbft durch die SKenntnig ber Urfprache von
dem Werke, wie ed iſt, gewonnen, fucht er den Lefern mitzuthe⸗
Ien, und fie alfo an feine ihnen eigentlich fremde Stelle hinzu
bewegen. Wenn aber die Ueberfezung ihren römifchen Autor zum
Beiſpiel reden lafjen will wie er als Deutfchee zu Deutfchen
wuͤrde geredet und gefchrieben haben: fo bewegt fie den Auter
nicht etwa nur eben fo bi8 an die Stelle des Ueberfegerd, demn
auch dem redet ex nicht beutich, fondern roͤmiſch, vielmehr ruͤklt
E
219
fie ihn unmittelbar In die Melt ber deutichen Leſer hinein, und
verwandelt ihn in ihres gleichen; und biefes eben iſt Der andere
Jall. Die erſte Ueberſezung wird vollkommen fein in ihrer Art,
wenn man fagen Tann, hätte ber Autor eben fo gut deutſch ges
lernt, wie der Ueberſezer römilch, fo würde er fein urfprünglich
zömifch abgefaßtes Werk nicht anders überfezt haben, ald der
Ucherfeger wirklich gethan. Die andere aber, indem fie den Ver⸗
faffer nicht zeigt, wie er felbft würde überfezt, fondern wie er ur
frünglicy als Deutfcher beutfch wuͤrde gefchrieben haben, hat
wel fchwerlich einen andern Maaßſtab der Vollendung, als
nem man verfichern koͤnnte, wenn bie beutichen Lefer insge⸗
femmt fich in Kenner und Zeitgenoffen des Verfaſſers verwan⸗
dein ließen, fo würde ihnen bad Werk felbft ganz bafjelbe ges
werden fein, was ihnen jetzt, da ber Verfaſſer fich in einen Deut:
ſchen verwandelt hat, die Ueberfezung iſt. Diefe Methode haben ıs3
dffenbar alle diejenigen im Auge, welche fich der Formel bedie⸗
ren, man folle einen Autor fo uͤberſezen, wie er felbft würbe
Yentfch geichrieben Haben. Aus dieſer Gegeneinanderftellung er:
dellt wol unmittelbar, wie verſchieden dad Verfahren im einzel:
nen überall fein muß, und wie, wenn man in berfelben Arbeit
mit den Methoden wechfeln wollte, alles unverflänbfich und uns
nebeihlich gerathen würde. Allein ich möchte auch weiter behaups
ten, daß es außer diefen beiden Methoden Feine dritte geben
könne, ber ein beflimmtes Ziel vorfchwebe. Es find nämlich
nicht mehr Verfahrungdarten möglich. Die beiden getrennten
Partheien müflen entweber an einem mittleren Punkt zufammens
teffen, und das wirb immer ber bed Ueberfezerd fein, oder die
eine muß fich ganz zur andern verfügen, und hiervon fält nur
die eine Art in das Gebiet der Ueberſezung, die andere würbe
Sintreten, wenn in unferm Fall die deutſchen Leſer fich ganz ber
tömifchen Sprache, oder vielmehr dieſe ſich ihrer ganz und bis
zu Ummandlung bemächtigte. Was man alfo fonft noch fagt
bon Ueberfezungen nach dem Buchflaben und nach dem Sin,
220
von treuen und freien, und was für Ausdruͤkke -fich auferdem
mögen geltend gemacht haben, wenn auch Died verfchievene Me
thoden fein follen, müffen fie fich auf jene beiden zuruͤkkfuͤhren
laſſen; follen aber Fehler und Zugenden dadurch bezeichnet wer:
. ben, fo wird dad treue und das finnige, oder dad zu buch
ftäbliche und zu freie der einen Methode ein anbered fein als
dad der andern. Meine Abficht ift daher, mit Beifeitiegung
aller einzelnen über dieſen Gegenfland unter ben Kunſtver
fländigen ſchon verhandelten Fragen, nur die allgemeinften
Züge jener beiden Methoden zu betrachten, um bie Einficht vor
zubereiten, worin die eigenthümlichen Vorzüge und Schwierigkei⸗
ten einer jeden beftehen, von welcher Seite daher jede am mes
fien den Zwekk des Ueberfezend erreicht, und welches die Grenzen
der Anwendbarkeit einer jeben find. Won einer folhen allgemeis
nen Ueberficht aus bliebe dann zweierlei zu thun, wozu bie
Abhandlung nur die Einleitung if. Man koͤnnte für jede de.
beiden Methoden, mit Bezugnahme‘ auf die verfchiebenen Gab
tungen ber Rede, eine Anmweifung entwerfen, und man Fünnt
Die auögezeichnetften Verfuche, welche nach beiden Anfichten ge
macht worben find, vergleichen, beurtheifen, und dadurch die
Sache noch mehr erläutern. Beide muß ich anderen ober we
nigftend einer anderen Gelegenheit überlaffen.
Dieenige Methode, welche danach firebt, dem Leſer burh
asa die Ueberſezung den Eindrukk zu geben, den er als Deutfcher aus
ber Lefung des Werkes in der Urfprache empfangen würte, muß
freilich erft beftimmen, was für ein Verſtehen der Urſprache ſee
gleichſam nachahmen will. Denn es giebt eines, welches ſie nicht
nachahmen darf, und eines welches fie nicht nachahmen kann.
Jenes iſt ein ſchuͤlerhaftes Verſtehen, Das ſich noch muͤhſam und |
faſt ekelhaft durch das einzelne hindurchſtuͤmpert, und deshalb noch
nirgend zu einem klaren Ueberſchauen des Ganzen, zu einem lo
bendigen Seflhalten des Zufammenhanges gedeiht. So lange ber
gebilbete Theil eines Volkes im Gangen noch Feine Erfahrung
a. u an en ee LETTER.
x
\\
221
st von einem innigeren Eindringen in fremde Sprachen: fomds
en auch diejenigen, bie weiter gefommen find, durch ihren gus
en Genius bewahrt bleiben, nicht Weberfezungen dieſer Art zu
miternehmen. Denn wollten fie ihr eigenes Berftchen zum Maaßs
kab nehmen, fo würden fie felbft wenig verflanden werben und
wenig ausrichten; follte aber ihre Weberfezung Das gewöhnliche
BVerfichen darſtellen, fo. Eönnte das holperige Werk nicht zeitig
genug von ber Bühne heruntergepocht werben. In einem fol
en Zeitraume mögen alfo erſt freie Nachbildungen die Luſt am
Wremben wekken und fchärfen, und Paraphrafen ein allgemeines
ig Verſtehen vorbereiten, um fo Zünftigen Ueberfezungen Bahn
bs machen *). Gin andered Verſtehen aber giebt ed, welches
Weberfeger nachzubilden vermag. Denken wir und nämlich
— Maͤnner, wie ſie die Natur bisweilen hervor⸗
gen pflegt, gleichſam um zu zeigen daß ſie auch die Schran⸗
der Volksthuͤmlichkeit in einzelnen Faͤllen vernichten kann,
die ſolche eigenthuͤmliche Verwandtſchaft fuͤhlen zu ei⸗
km fremden Daſein, daß fie ſich im eine fremde Sprache und
eren Erzeugniffe ganz hinein. leben und denken, und inbem fie ıss
*) Dies war im Banzen noch ber Buftand ber Deutichen in jener Beit,
von weldier Goͤthe (X. m. Leben IH. ©. 111.) redend meint, profaifche
Weberfezungen auch von Dichterwerken, und folche werben immer mehr
ober weniger Paraphrafen fein müffen, feien förberlicher für die Zus
gendbildung, und in fo fern kann ich ihm völlig beiftimmenz denn in
ſolcher Beit kann von fremder Dichtkunſt nur bie Erfindung verftänds
Ud gemacht werben, für ihren metrifchen und muſikaliſchen Werth
aber Tann ed noch kein Anerkenntniß geben, Das aber Tann ich nicht
glauben, daß auch jezt der Voffifche Homer und der Schlegelfche Shates
fprare nur folten zur Unterhaltung der Gelehrten unter ſich dienenz
und eben fo wenig, daß auch jegt noch eine profaifche Ueberſezung des
Homer zu wahrer Geſchmakks⸗ und Kunftbildung follte förderlich fein
Lönnenz fondern für bie Kinder eine Bearbeitung wie bie Beckerſche,
und für die Erwachfenen jung und alt eine metrifche Ueberfezung, wie
Wwir fie freilich vielleicht noch nicht befizenz zwiſchen dieſe beiden wüßte
cch jest nichts förberliches miche gu ſezen.
222
fi) ganz mit einer ausländifchen Welt befchäftigen, fich bie hei
milche Welt und heimifche Sprache ganz fremd werben laſſen;
ober auch folche Männer, die gleichſam das Vermögen der Sprache
in feinem ganzen Umfang darzuftellen beflimmt find, und ben
alle Sprachen, die fie irgend erreichen koͤnnen, völlig gleich gel⸗
ten, und fie wie angegoffen Beiden: diefe flehen.auf einem Punkt,
wo der Werth des Weberfegend Null wird; denn ba bei ihrem
Auffaflen fremder Werke auch nicht ber mindefle Einfluß ber
Mutterfprache mehr flatt findet, und fie fich .ihres Verſtehens auf
Leine Weife in der Mutterfpräche, fondern gang beimifch in ber
Urfprache felbft unmittelbar bewußt werden, auch gar Feine Ins
commenfurabilität fühlen zwifchen ihrem Denken und ber Sprache
worin fie lefen: fo kann auch Feine Ueberſezung ihr Verſtehen en
reichen ober darftellen. Und wie ed hieße Wafler ins Meer gie
fen oder gar in den Wein, wenn man für fie überfegen wollte:
fo pflegen auch fie von ihrer Höhe herab nicht mit Unrecht gar
mitleidig zu lächeln über die Verſuche, die auf biefem Gebiet ge f
macht werben. Denn freilich, werm das Publitum, für welche
überfezt wird, ihnen gleich wäre, fo bebürfte es dieſer Mühe nick.
Das Ueberfezen bezieht fi) alfo auf einen Zufland, der zwiſchen
biefen beiden mitten inne liegt, und ber Ueberſezer muß alfo fih
zum Biel ſtekken, feinem Lefer ein folched Bild und einen folden
Genuß zu verfchaffen, wie das Leſen des Werkes in der Urſprache
dem fo gebildeten Manne gewährt, den wir im befferen Siume
bed Worts ben Liebhaber und Kenner zu nennen pflegen, dem.
die fremde Sprache geläufig ift, aber boch immer frembe bleibt,
der nicht mehr wie die Schüler fich erft dad einzelne wieder in
ber Mutterfprache denken muß, che er dad Ganze faflen Tann,
der aber doch auch da wo er am ungeftörteften fi) der Schön
heiten eines Werkes erfreut, fich immer ber Verfchiedenheit der
Sprache von feiner Mutterſprache bewußt bleibt. Allerdings
bleibt und der Wirkungskreis und die Beflimmung diefer Art zu
überfezen auch nach der Feſtſtellung dieſer Punkte noch fchwan |
1 . X
⸗ m.
223
genug. Nur das fehen wir, daß, wie die Neigung zum
ſezen erſt entſtehen Tann, wenn eine gewifle Faͤhigkeit zum
hr mit fremden Sprachen unter dem gebildeten Volkstheile
eitet if, To auch die Kunſt erft wachlen und dad Ziel ims
hoͤher geſtekkt werden wirb, je mehr Liebhaberei und Ken»
ft fremder Geifteswerke unter denen im Wolke fich verbreis
nd erhöht, welche ihr Ohr gelibt und gebildet haben, ohne ıs6
Sprachkunde zu ihrem eigentlichen Geſchaͤft zu machen.
das können wir und zugleich nicht verhehlen, baß, je em⸗
jlichere Leſer da find für folche Ueberſezungen, um befto hös
uch die Schwierigkeiten des Unternehmens fich thürmen, zus
wenn man auf die eigenthümlichften Erzeugnifie der Kunfl
Wiſſenſchaft eined Volkes fieht, welche boch die wichtigften
nftände für den Ueberſezer find. Nämlich, wie die Sprache
efchichtliches Ding iſt, ſo giebt ed auch feinen rechten Sinn
ie, ohne Sinn für ihre Gefchichte. Sprachen werben nicht
den, und auch alled rein willführliche Arbeiten an ihnen
in ihnen iſt Thorheit; aber fie werden allmählig entdekkt,
Wiffenfchaft und Kunft find die Kräfte, durch welche biefe
ekkung gefördert und vollendet wird. Jeder ausgezeichnete
‚in welchem ſich unter einer von beiden Kormen ein Theil
ben Anfchauungen bed Volks eigenthümlich geftaltet, arbeitet
wirkt hiezu in ber Sprache, und feine Werke müffen alfo
einen Theil ihrer Gefchichte enthalten. Dieſes verurfacht
Ueberfezer wiffenichaftlicher Werke große ja oft unüberwind:
Schwierigkeiten; denn wer mit hinreichenden Kenntniffen
erüftet ein audgezeichneted Werk dieſer Art in der Urfprache
bem wird ber Einfluß deſſelben auf die Sprache nicht leicht
hen. Er merkt welche Wörter welche Verbindungen ihm’
noch in dem erften Glanz der Neuheit erfcheinenz; er fieht
fie durch dad befondere Bebürfniß dieſes Geiſtes und durch
bezeichnende Kraft fich in Die Sprache einfchleichen; und dieſe
erkung beftimmt fehr weſentlich den Eindrukk, den x uw.
224
pfaͤngt. Es liegt alſo in der Aufgabe ber Ueberfegung, eben die
ſes auch auf ihren Lefer fortzupflanzenz fonft geht ihm ein oft
fehr bedeutender heil defien, was ihm zugebacht if, verloren,
Aber wie ift dieſes zu erreichen? Schon im einzelnen, wie oft
wird einem neuen Worte der Urfchrift gerade ein altes und ver
brauchted in unferer Sprache am beften entfprechen, fo daß ber
Veberfezer, wenn er auch da das fprachbildende bed Werks zer
gen wollte, einen fremden Inhalt an die Stelle fezen und alſo
in da8 Gebiet der Nachbildung ausweichen müßte! Wie oft, wenn
er auch neued durch neues wiedergeben Tann, wird Doch das ber |
Bufammenfezung und Abflammung nach aͤhnlichſte Wort nicht
den Sinn am treuften wiedergeben, und er alfo doch andere Ans
Hänge aufregen müfjen, wenn er ben unmittelbaren Zufanımen
bang nicht verlegen will! Er wird ſich damit tröften müflen,
157 bag er an andern Stellen, wo der Verfaſſer alte und bekannt
‚ Wörter gebraucht hat, das verfaumte nachholen Tann, und all
im Ganzen Doch erreicht, was er nicht in jedem einzelnen Falle
zu erreichen vermag. Sieht man aber auf die Wortbildung &
ned Meifterd in ihrem ganzen Zufammenhang, auf feinen Ge
brauch verwandter Woͤrter und Wortſtaͤmme in ganzen Maſſen
ſich auf einander beziehender Schriften: wie will der Ueberſezer
ſich hier gluͤkklich durchfinden, da das Syſtem der Begriffe und
ihrer Zeichen in feiner Sprache ein ganz anderes ift, als in be
Uriprache, und die Wortſtaͤmme, anflatt fich gleichlaufend zu
dekken, vielmehr einander in den wunberlichften Richtungen burde '
ſchneiden. Unmöglich kann daher der Sprachgebrauch des Weber
fezerd überall eben fo zufammenhangen, wie ber feines Schifb *
ſtellers. Hier alſo wird er zufrieden fein muͤſſen, im einzelnen 3.
zu erreichen, wad er im ganzen nicht erreichen kann. Er wid t
fich bei feinen Lefern bedingen, daß ſie nicht eben fo ſtreng wie
die urfprünglichen bei einer Schrift an die andern benfen, for
dern jebe mehr für fich betrachten, ja Daß fie ihn noch loben fob *
len, wenn ex innerhalb einzelner Schriften, ja oft auch nur ein
\
‘7
| 225
zelnen Theile berfelben, eine folche Gleichförmigkeit in Abficht der
wichtigeren Gegenflände zu erhalten weiß, bag nicht Ein Wort
eme Menge ganz verfchiedener Stellvertreter befommt, oder in
dee Ueberfezung eine bunte Verfchiedenheit herrfcht, wo in der
Urfprache-eine fefte Verwandtſchaft des Ausdrukks durchgeht. Diefe
Schwierigkeiten zeigen ſich am meiſten auf dem Gebiet der Wiſ⸗
fenfchaftz andere giebt ed, und nicht geringere, auf dem Gebiet
der Doefie und auch der Tunftreicheren Profa, für welche eben:
falls das muſikaliſche Element der Sprache, das fich in Rhyth⸗
mus und Tonwechſel offenbart, eine ausgezeichnete und höhere
Bedeutung hat. Jeder fühlt ed, daß der feinfte Geift, der höchfte
Zauber. der Kunft in ihren vollendetften Erzeugniffen verloren
geht, wenn diefes unbeachtet bleibt. oder zerflört wird, Was alfo
bem finnigen Lefer der Urfchrift in dieſer Hinficht auffällt als
eigenthuͤmlich als abſichtlich als wirkfam auf Ton and Stim⸗
mung des Gemuͤthes, als entſcheidend fuͤr die mimiſche oder mu⸗
ſikaliſche Begleitung der Rebe, bad ſoll auch unſer Ueberſezer mit
übertragen. Aber wie oft, ja es iſt ſchon faſt ein Wunder, wenn
mon nicht fagen muß immer, werben nicht die rhythmifche und
melodiſche Treue und die dialektifche und grammatifche in unver:
fühnlichem Streit gegen einander liegen! Wie fchwer, dag nicht
im Hins und Herſchwanken welches hier welches. dort folle auf⸗
‘geopfert werben, oft gerade dad unrechte herauskomme! Mie ıss
ſchwer ſelbſt daß der Ueberſezer unparteiifch, was er jebem hier
hat entziehen müffen, ihm, wo die Gelegenheit es mit ſich bringt,
auch wirklich erfeze, und nicht, wenn gleich unmiffentlich, in eine
beharrliche Einfeitigkeit gerathe, weil feine Neigung dem einen
Kunftelement vor dem andern gewidmet iſt! Denn liebt er in
den Kunſtwerken mehr. den ethifhen Stoff und feine Behand»
lung: fo wird er minder merken, wo er Dem metrifchen und mu:
Halifchen der Form unrecht getban, und fich, flatt auf Erfaz zu
denken, mit einer immer mehr ind leichte und gleichlam para:
Yhraftifche hineinfpielenden Uebertragung derfelben begnügen, Rift
Schltierm. 8, II. 2 M
226
es fich aber, daß dep Ueberfezer ein Muſiker ift oder Metriker, fo
wird er dad logifche Element hintanfegen, um ſich nur des mu
fitalifchen ganz zu bemächtigen; und indem er ſich in diefer Ein k
feitigkeit immer tiefer verſtrikkt, wird er je länger je unerfreulb ki
her arbeiten, und wenn man feine Uebertragung im großen mil
bee Urfchrift vergleicht, wird man finden, daß er, ohne es zu be
merken, jener fchülerhaften Dürftigkeit immer näher Tomait, be
über dem einzelnen bad ganze verloren geht; denn wenn be |
. materiellen Aehnlichkeit bed Tons und des Rhythmus zu Lich,
was in ber einen Sprache Leicht iſt und natürlich wiedergegeben
wird, durch fchwere und anftögige Ausdruͤkke in ber andern: fo
muß im ganzen ein völlig verfchiedener Eindrukk entfichen.
Noch andere Schwierigkeiten zeigen ſich, wenn ber leben
ſezer auf fein Verhältniß zu ber Sprache fieht, in ber ex fchreikt,
und auf dad KBerhältniß feiner Ueberfezung zu feinen andem
Werken. Wenn wir jene wunderbaren Meifter auönehnien, be
nen mehrere Sprachen gleich find, oder gar Eine erlernte über
bie Mutterfprache hinaus natürlich, für welche, wie gefagt, durch⸗
aus nicht überfezt werden kann; alle andere Menfchen, wie ge 3
läufig fie eine fremde Sprache auch Iefen, behalten doch immer
dabei das Gefühl des fremden. Wie fol nun der Ueberſezer
es machen, um eben dieſes Gefühl, daß fie ausländifche vor '
fih haben, auch auf feine Lefer fortzupflanzen, benen er die £
Ueberfezung in ihrer Mutterfprache vorlegt? Man wirb frei -
fagen, bas Wort diefes Raͤthſels fei längft gefunden, und es fd |
bei und häufig vieleicht mehr ald zu gut gelöfet worden; bem
je genauer fich bie Ueberfezung an die Wendungen ber Urfchrift
anfchließe, um deſto fremder werde fie fchon den Lefer gemiahnen.
Freilich wol, und ed iſt leicht genug über Diefed Verfahren Im
allgemeinen zu lächeln. Allein wenn man fich.diefe Freube nicht u
- so wolfeil machen will, wenn man nicht bad meifterhaftefte mit beie
ſchuͤlerhafteſten und fchlechteften in einem Bade ausfchütten will:
fo muß man zugeben, ein unerlaßliched Erforderniß diefer Me’
— — A nen
227
thode bed Ueberſezens ift eine Haltung der Sprache, bie nicht
nur nicht alltäglich: ift, fondern die auch ahnden laßt daß fie
nicht ganz frei gewachfen, vielmehr zu einer fremden Aehnlichkeit
binübergebogen fei; und man muß geftehen, diefes mit Kunſt
und Maaß zu thun, ohne eigenen Nachtheil und ohne Nachtheil
der Sprache, dies ift vielleicht die größte Schwierigkeit die unfer
Weberfezer zu überwinden hat. Das Unternehmen erfcheint ald
der wunberbarfle Stand der Erniedrigung, in ben ſich ein nicht
ſchlechter Schriftfteller verfegen Tann. Wer möchte nicht feine
Mutterfprache überall in der volkögemäßeften Schönheit auflres
ten laſſen, deren jede Gattung nur fähig iſt? Mer möchte nicht
lieber Kinder erzeugen, die bad väterliche Gefchlecht rein darſtel⸗
In, ald Blendlinge? Mer wird fich gern auflegen, in minder
leichten und anmuthigen Bewegungen fich zu zeigen als er wol
konnte, und biöweilen wenigfiens ſchroff und fleif zu erfcheinen,
um dem Lefer fo anftößig zu werben als nöthig ift damit er das
Sewußtſein der Sache nicht verliere! Wer wird ſich gern ges
fallen laſſen, dag er für unbeholfen gehalten werde, indem er fich
befleißiget ber fremden Sprache fo nahe zu bleiben als die eis
gene ed nur erlaubt, und dag man ihn, wie Eltern, die ihre
Kinder den Kunflfpringern übergeben, tadelt, daß er feine Mut-
terſprache, anftatt fie in ihrer heimifchen Turnkunſt gewandt zu
Aüben, an ausländifche und unnatürliche Verrenkungen gewoͤhne!
Ber mag endlich gern gerade von ben größten Kennern unb
Veiſtern am mitleidigften belächelt werben, daß fie fein mühfas
mes und voreiliged Deutfch nicht verfichen würden, wenn fie
acht ihr hellenifched und vömifches dazu nahmen! Dies find
die Entfagungen bie jener Ueberſezer nothwendig übernehmen
muß, dies die Gefahren denen er fich auöfezt, wern er in bem
Beſtreben den Ton ber Sprache fremd zu halten ‚nicht Die
feinſte Linie beobachtet, und denen er auch fo auf keinen Fall
Ä ganz entgeht, weil jeder fich dieſe Kinie etwas anderd zieht.
| Denkt er nun noch an ben unvermeidlichen Einfluß ber. Gemäß:
, P 2
228
nung: fo Tann ihm ‚bange werden, daß auch in feine freien und
urſpruͤnglichen Erzeugniffe vom Ueberfezen her manched minder
gehörige und rauhe fich einfchleiche, und ihm der zarte Sinn für
dad heimifche Wohlbefinden der Sprache ſich etwas abflumpfe.
Und denkt er gar an dad große Heer der Nachahmer, und an
10 die in dem ſchriftſtellerifchen Publitum herrſchende Traͤgheit und
Mittelmaͤßigkeit: fo muß er ſich erſchrekken, wieviel lokkeres ge
ſezwidriges Weſen, wieviel wahre Unbeholfenheit und Härte, wie -
vie! Sprachverberben aller Art er vielleicht mit zu verantworten
r pefommt; denn faft nur die beften und die fchlechteften werden
nicht fireben einen falfchen Vortheil aus feinen Bemühungen zu '
ziehen. Diefe Klagen, daß ein ſolches Ueberfegen nothwendig de
Reinheit der Sprache und ihrer ruhigen Fortentwikkelung voan
innen heraus nachtheilig werben müffe, find häufig gehört wor
den. Wollen wir fie nun auch vor der Hand bei Seite ſtellen
mit der Vertröftung, daß wol auch Vortheile werben diefen Nach⸗
theilen gegenüberfichen, und daß, wie alled gute mit üblem ven ..
fezt fei, die Weisheit eben darin beflehe, indem man von dem
erften fo viel ald möglich erlangt, von dem andern fo wenig alb.
möglich mitzunehmen: ſoviel geht aud diefer fchwierigen Aufgabe,
dag man in der Mutterfprache dad fremde darftelen folle, auf
jeden Kal hervor. Zuerſt, daß diefe Methode des Ueberfegns -
nicht in allen Sprachen gleich gut gedeihen Tann, fondern mar
in folchen die nicht in zu engen Banden eined klaſſilchen Aus
drukks gefangen liegen, außerhalb deſſen alles verwerflich iſt
Solche gebundene Sprachen mögen die Erweiterung ihres Ss
bietes dadurch fuchen, daß fie fich fprechen machen von Ausläns ,
dern, bie mehr als ihre Mutterfprache bebürfen; hiezu werben fe
fich wol vorzüglich eignen; fie mögen fich fremde Werke andge .
nen durch Nachbildungen oder vielleicht durch Weberfezungen der
andern Art: dieſe Art aber müfjen fie den freieren Sprachen’
überlaffen, in benen Abweichungen und Neuerungen mehr gebub.
det werben, und fo daß aus ihrer Anhaufung unter gewiſſen
229
Umftänden ein beftimmter Charakter entfteben kann. Ferner folgt
deutlich genug, daß biefe Art zu überfezen gar keinen Werth bat,
wenn fie in einer Sprache nur einzeln und zufällig betrieben
wird: Denn der Zwekk ift ja offenbar damit nicht erreicht, daß
ein überhaupt fremder Geift den Leſer anweht; fondern wenn er
eine Ahndung bekommen fol, fei es audy nur eine entfernte, von
der Urfprache und von dem was bad Werk Diefer verdankt, und
ihm fo einigermaßen erjegt werden foll daß er fie nicht verſteht:
fo muß er nicht nur die ganz unbeflimmte Empfindung bekom⸗
men, daß was er lieft nicht ganz einheimifch klingt; fondern es
muß ihm nach etwad beflimmten anberm Bingen; bad aber iſt
zur möglich, wenn er Vergleichungen in Maffe anftellen- kann.
Hat er einiges gelefen, wovon er weiß daß es aus andern neuen
and anderes aus alten Sprachen überfezt iſt, und ed ift im die⸗ 101
ſem Sinn überfezt: fo wirb fi ihm wol ein Gehör anbilden,
um dad ‚alte und neuere zu unterfcheiden. Aber weit mehr ſchon
muß er gelefen haben, wenn er hellenifchen von roͤmiſchem Ur:
fprung, oder italiänifchen von ſpaniſchem unterfcheiden fol. Und
bach iſt auch dieſes noch kaum der höchfte Zwekk; fondern ber
Leſer der Ueberfezung wird dem befferen Lefer des Werks in ber
Ufprache erſt dann gleich kommen, wann er neben.bem, Geift
dee Sprache auch den eigenthümlichen Geift des Verfaſſers in
dem Wert zu ahnden und allmählig beflimmt aufzufaffen ver
mag, wozu freilich das Zalent der individuellen Anfhauung das
Anige Organ, aber eben für diefes eine noch weit größere Maffe
son Bergleihungen unentbehrlich iſt. Diefe find nicht vorhan:
‚des, wenn in einer Sprache nur hie und ba einzelne Werke ber
Meifter in einzelnen Gattungen übertragen werden. Auf diefem
;Bege koͤnnen auch die gebildetften Lefer nur eine hoͤchſt unvoll⸗
Immene Kenntnig des fremden durch Ueberfegung erlangen; und
RG fie fich zu einem eigentlichen Urtheil, es fei über die Ueber
Mng oder über dad Original, follten erheben können, baran ifl
Hr nicht zu denken. Daher erfordert biefe Art au überlegen
\
230 g
durchaus ein Verfahren im großen, ein Verpflanzen ganzer Lit
teraturen in eine Sprache, und hat alfo auch nur Sinn mb
Werth unter einem Wolf welches entſchiedene Neigung bat fid .F
das fremde anzueignen. Einzelne Arbeiten diefer Art haben nu
einen Werth ald Vorläufer einer fih allgemeiner -entwilleinden |
und ausbildenden Luſt an dieſem Verfahren. ‚Regen fie bie
nicht auf, fo haben fie auch im Geift ber Sprache und bed Zei |
alterd etwas gegen: ſich; fie Finnen alsdann nur als verfehlte
Verſuche erſcheinen, und auch für ſich wenig oder feinen Grfolg
haben. Allein auch wenn die Sache uͤberhand nimmt, iſt nicht
leicht zu erwarten, dag eine Arbeit diefer Art, wie vortrefflich ſte
auch fei, fich allgemeinen Beifall erwerben werde, ‚Be den vis
fen. Rüfffichten, welche zu nehmen, und Schwierigkeiten, bie u f
überwinden find, müffen ſich verfchiedene Anfichten darüber ent
wikkeln, welche Theile der Aufgabe hervorzuheben und welche
vielmehr unterzuordnen find. So werden gewiflermaßen verſchie
dene Schulen unter den Meiftern und verfchiedene Partheien im
Publikum fi bilden als Anhänger von jenen; und wiewol bie
felbe Methode uͤberall zum Grunde liegt, werben doch von bem ;
felben Werk verfchiedene Weberfezungen neben einander beflchen
Finnen, aus verichiedenen Geſichtspunkten gefaßt, von benen mar -:
162 nicht eben fagen Tönnte, daß eine im ganzen vollkommmer fh :
oder zurüßffiche, fondern nur einzelne Theile werben in ber ek "
nen beffer gelungen fein, und andere in anderen, und erſt alle ;
zufammengeftellt und auf einander bezogen, wie bie eine auf dide
bie andere auf jene Annäherung an die Urfprache ober Schonung:
der eigenen einen befonberen Werth legt, werden fie die Aufgabe:
” ganz erfchöpfen, jebe aber für fich immer nur einen telativen um
fubjectiven Werth haben.
Dies find die Schwierigkeiten welche Biefer Methode bi
Ueberfegend eftgegenftehen, und die Unvollkommenheiten die iß
wejentlih anhängen, Aber biefe eingeftanden muß man doch Mb
Unternehmen felbft anerfennen, und kann ihm fein Verdienſt ni
231
abfprechen. Es beruht auf zwei Bedingungen, daß das Werft '
ben auslänbifcher Werke ein bekannter und gewünfchter Zuflend
fe, und daß ber heimiſchen Sprache felbft eine gewiſſe Biegſam⸗
keit zugeflanden werde. Wo disfe gegeben find, da wird ein fol
ches Ueberfezen eine natürliche Erfcheinung, greift ein in die ge
ſammte Seiftesentwiltelung, und wie es einen beflimmten Werth
erhält, giebt-ed auch einen fihern Genuß.
- Wie fleht es nun aber mit der entgegengefesten Methode,
welche, ihrem Leſer gar keine Mühe und Anſtrengung zumuthend,
ihm ben fremden Verfaſſer in feine unmittelbare Gegenwart bins
zaubern, und dad Werk fo zeigen will, wie es fein würbe, wenn
der Berfafler felbft ed urfprüngli in des Leferd Sprache ges
fhrieben hätte? Diefe Forderung ift nicht felten ausgeſprochen
worden ald diejenige die man an einen wahren Weberfezer zu
machen hätte, und als weit höher und volllommener in Vergleich
mit jener; es find auch Werfuche gemacht worden im einzelnen,
oder vielleicht Meifterflüle, die offenbar genug fich dieſes Ziel
vorgeſtekkt haben. Laßt und nun fehen wie ed hiermit flcht,
und ob ed nicht vielleicht gut wäre, wenn dieſes bis jezt unſtrei⸗
tig feltnere Verfahren häufiger würde, und jened bedenkliche und
in vielen Stüffen ungenügende verbrängte.
Soviel fehen wir gleich, daß die Sprache des Ueberſezers
von dieſer Methode nicht dad mindefte zu befürchten hat. Seine
exſte Regel muß fein, fidy wegen des Werhältnifies, In bem feine
. Arbeit zu einer fremden Sprache fleht, nichts zu erlauben was
nicht auch jeder urfprünglichen Schrift gleicher Gattung in. ber
heimiſchen Sprache erlaubt wird. Ja er hat fo fehr als irgend
Feiner die Pflicht, wenigftens diefelbe Sorgfalt für die Reinigkeit
"md Vollendung der Sprache zu beobachten, derſelben Leichtig⸗
keit und Natürlichkeit des Stils nachzufireben, die feinen Schrift: 10s
‘Seller in der Urfprache nachzurühmen if. Auch das iſt gewiß,
wenn wir unfern Landsleuten recht anfchaulih machen wollen
was ein Schriftfieller für feine Sprache geweſen ifl, bag wir Leine
232 | N
beffere Formel aufftellen koͤnnen, als ihn fo redend einzufuͤhren,
wie wir uns denken müffen daß er in der unfrigen würde gu
redet haben, zumal went bie Entwilfelungäftufe, worauf er feine
Sprache fand, eine Achnlichkeit- Hat mit der worauf bie unfrige
eben ſteht. Wir können und in einem gewiffen Sinne denken,
wie Tacitus würde geredet haben, wenn er ein Deutfcher gewo
fen wäre, das heißt, genauer genommen, wie ein Deutſcher veben
würde, der unferer Sprache dad wäre was Tacitus ber feinis
gen; unb wohl dem, ber es fich fo lebendig denkt, daß er ihn
wirklich kann reden laſſen! Aber ob dies nun geſchehen koͤnnte,
indem er ihn dieſelbigen Sachen fagen läßt, die der roͤmiſche To
eitus in Iateinifcher Sprache geredet, bad ift eine andere um
nicht Teicht zu bejahende Frage. Denn ein ganz anderes ift, ben
. Einfluß, den ein Mann auf feine Sprache ausgeuͤbt bat, richtig
auffaffen und irgend wie darſtellen, und wieder ein ganz ande
res, wiffen wollen, wie feine Gedanken und ihr Ausdrukk fih
würden gewendet haben, wenn er gewohnt geweſen wäre w
fpränglich in einer andern Sprache zu denken und ſich aude
brüffen! Mer überzeugt ift dag mwefentlich und innerlich Gebank ”
und Ausdruff ganz daſſelbe find, und auf diefer Ueberzeugung .
beruht doch die ganze Kunft alles Verſtehens der Rebe, und all
auch alles Ueberſezens, kann der einen Menfchen von feiner ange
bornen Sprache trennen wollen, unb meinen, es koͤnne ein Menſch,
oder auch nur eine Gebankenreihe eines Menſchen, eine und bie,
felbe werben In zwei Sprachen? oder wenn fie denn auch auf
gewiffe Weife verfchieden if, Tann er fi) anmaaßen die Rede
bis in ihr innerſtes aufzulöfen, den Antheil der Sprache ba
auszuſcheiden, und durch einen neuen gleichfam chemifchen Pre |
zeß ſich das innerfte derfelben verbinden zu laffen mit dem We⸗
fen und der Kraft einer andern Sprache? Denn offenbar muͤßle
man, um dieſe Aufgabe zu Iöfen, alles, was an dem fchriftlicher
Werk eines Mannes auch alıf die entferntefle Weife Einwirkmg
irgend deſſen tft, was er von Kindheit an in feiner Mutter
23
ſprache geredet hat und gehört, rein ausſcheiden, und nun gleich⸗
fam ber nakkten eigenthümlichen in ihrer Richtung auf einen
gewiffen Gegenftand begriffenen Denkweiſe defjelben zuführen als
les dasjenige, was Einwirkung geweſen fein würde alles deſſen
was er vom Anfang feined Lebens ober von feiner erflen Bes 164
kanntſchaft mit der fremden Sprache an in ihr geredet und ges
hört hätte, bis er zu ber Fertigkeit gefommen wäre in ihre urs
fprünglich zu denken und niederzufchreiben? Died wird nicht
eher möglich fin, ald bis es gelungen iſt Durch einen kuͤnſtlichen
hemifchen Prozeß organifche Produkte zufammenzufezen. Ja man
kann fagen, bad Ziel, fo zu überfezen wie ber Verfaſſer in der
Sprache ber Ueberfezung felbit würde urfprünglich gefchrieben has
ben, ift nicht nur unerreichbar, fondern ed iſt auch in fidy nice
fig und leer; denn wer die bildende Kraft der Sprache, wie fie
and ift mit der Eigenthümlicyfeit des Volkes, anerkennt, ber
muß auch geftehen daß jedem auögezeichnetflen am meilten fein
ganzes Wiffen, und auch die Möglichkeit es barzuftellen, mit der
Sprache und durch fie angebildet ift, und dag alfo niemanden
fine Sprache nur mechaniſch und Außerlich gleichfam in Riemen
enhängt, und wie man leicht ein Sefpann löfet und ein anderes
vorlegt, fo ſich jemand auch nach Belieben im Denfen eine an
dere Sprache vorlegen Fünne, daß vielmehr jeder nur in feiner
Qutterfprache urfprünglic) probucire, und man alfo gar bie
drage nicht aufwerfen kann, wie er feine Werke in einer andern
Gprache würde gefchrieben Haben. Hiegegen” wirb freilich jeder
zwei Falle anführen, die häufig genug vorfommen. Zuerft hat
es doch offenbar font, nicht nur in einzelnen Ausnahmen, denn
fo kommt es noch vor, fondern auch im großen eine Fertigkeit
gegeben, in andern Sprachen als ber angebomen urfprünglich zu
Khreiben, ja zu philofophiren und zu dichten. Warum foll man
fo nicht, um ein deſto fichrered Maaß zu befommen, biefe Fer:
tigkeit in Gedanken auf jeden Schriftfleller übertragen, welchen
man überfezen will? Darum nicht, weil es mit biefer Fertigkeit
254
dir Bewandtnig hat, daß fie nur In folchen Fällen vorkommt,
wo daffelbe entweder überhaupt ober wenigſtens von demſelben
nicht Eönnte in ber angebornen Sprache gefagt werben. Wen
wir in die Zeiten zurülfgehn, wo bie romanifchen Sprachen au
“fingen fich zu bilden, wer kann fagen, welche Sprache damals I
ben dortigen Menfchen fei angeboren geweien? und wer wir
läugnen wollen, daß denen, welche eine wiſſenſchaftliche Beſtre
bung ergriffen, das Iateinifche mehr Mutterfprache gewefen als
das. volgare? Died geht aber für einzelne Beduͤrfniſſe und The |
tigkeiten des Geifted noch viel weiter herab. So lange die Mut
Kerfprache für dieſe noch nicht gebildet ift, bleibt diejenige Sprache
die partielle Deutterfprache, aus welcher jene Richtungen bed Ge
165 fted fich einem werdenden Wolke mitgetheilt haben. Grotius und
Leibnig konnten nicht, wenigftend nicht ohne ganz andere Mes
fen zu fein, deutſch und hollaͤndiſch philofophiren. Ja auch
wenn jene Wurzel ſchon ganz vertroffnet und ber Genfer von
dent alten Stamme völlig losgeriffen ift, muß doch, wer nicht
ſelbſt zugleich ein fprachbildendes und ein umwaͤlzendes Wein
iſt, ſich noch vielfältig einer fremden Sprache willkuͤhrlich ode :
burch untergeordnete Gründe beflimmt anfchließen. Unferm gro
en König waren alle feineren und höheren Gedanken. durch ein |
fremde Sprache gefommen, und biefe hatte er fich für dieſes de
diet auf dad innigfle angeeignet. Was er franzöfiich philoſe⸗
phirte und dichtete, war er unfähig beutfch zu philoſophiren und
zu dichten. Wir müflen ed bebauern, daß die große Vorliebe
für England, die einen Theil der Familie beherrfchte, nicht bie
Richtung nehmen Tonnte, ihm von Kindheit an bie engliſche
Sprache, deren leztes goldene Zeitalter damals blühte,, und De
ber beutfchen um fo vieles näher if, anzueignen. Aber wirbie &
fen hoffen, dag wenn er eine ſtreng gelehrte Erziehung genoſſen
hätte, er lieber würde lateinifch philofophirt und gebdichtet haben
als franzöfifih. Indem alfo dieſes Kefondern Bedingungen um
terliegt, indem nicht im gleichoiel welcher fremden Sprache, fer
235
dern nur in einer beflimmten, jeder und nur das herborbringt,
was von ihm in feiner Mutterfprache nicht Eonnte hervorgebracht
werben: fo beweifet es nichtö für eine Methode bed Ueberſezens,
welche zeigen will, wie einer bad, was er wirklich in feiner Mut⸗
terſprache gefchrieben hat, in einer andern würde gefchrieben has
ben. Der zweite Fall aber, eines urfprünglichen Leſens und
Schreibens in fremden Sprachen, fcheint günftiger für diefe Mes
thobe. Denn wer wird es unſern Welt: und Hofleuten abfpre
chen, Daß was fie liebensmürdiged in fremden Bungen über ihre
Lippen bringen, fie auch ‚gleich in berfelben Sprache gebacht
und nicht etwa aus dem armen Deutich erſt innerlich überfezt
haben? und wie ed ihr Ruhm ift, diefe Süßigkeiten und Bein,
beiten in vielen Sprachen gleich gut fagen zu koͤnnen, fo denken
fie fie auch gewiß in allen mit gleicher Leichtigkeit, und jeber
wird auch vom andern recht gut wiflen, wie er eben bad was
er jet auf franzöfiich gefagt hat auf italiaͤniſch würde gefagt has
ben, Allein diefe Reden find auch freilich nicht aus bem Gebiet,
wo die Gedanken Fräftig aus der tiefen Wurzel einer eigenthuͤm⸗
lichen Sprache hervortreiben, fondern wie die Kreffe, die ein
Tinftlicher Dann ohne alle Erbe auf dem weißen Zuche wachfen
macht, Diefe Reden find weder ber heilige Ernſt der Sprache,
noch das fchöne wohlgemefjene Spiel derfelben; fondern wie bie ıs
Voͤlker durcheinander laufen in biefer Zeit, auf eine Weiſe bie
man fonft weniger kannte, fo ift überall Markt, und dieſes ſind
"Ne Marktgeſpraͤche, mögen fie nun politifch fein oder litterarifch,
der gefellig, und fie gehören wahrlid nicht in das Gebiet bes
leberſezers, fondern nur des Dolmetiherd etwa. Wenn num
Vergleichen, wie es wol bisweilen gefchieht, in ein größeres Ganze
fh zufammenfilzen und Schrift werden: fo mag eine folche
Schrift, die ganz in bem leichten und anmuthigen Leben fpielt
ohne irgend eine Ziefe des Dafeind aufzufchliegen ober eine Eis
genthuͤmlichkeit des Volkes zu bewahren, nad) biefer Regel übers
ſezt werden; aber auch nur fie, weil nur fie eben fo aut audı
J | 236
arfpränglich Eonnte in einer andern Sprache gefaßt fein. Und
weiter mag biefe Regel ſich nicht erſtrekten, als vielleicht noch
auf die Eingänge und Vorhoͤfe tieferer und herrlicher Merke,-bis
auch oft ganz 'in dem Gebiet bes leichten gefelligen Lebens er:
baut find. Nämlich, je mehr den einzelnen Gedanken, eines Wer
kes und ihrer Verknüpfung die Volkseigenthuͤmlichkeit anhaftet,
und vielleicht gar noch außerdem das Gepräge einer. längfl abge
laufenen. Zeit, um beflo mehr verliert die Regel "überhaupt. ihre
Bedeutung. Denn fo wahr dad auch bleibt in mancher Hin
fiht, daß erft durch. dad Verſtaͤndniß mehrerer Spracen be
Menſch in gewiffen Sinne gebildet wird, und ein Weltbuͤrger:
fo müfjen wir doch geftehen, ſo wie wir bie Weltbürgerfihaft
nicht für die Achte halten, die in wichtigen Momenten die Ro
terlandsliebe unterbrüfft, fo ift auch in Bezug auf die Sprachen
eine folche allgemeine Liebe nicht die rechte und wahrhaft bik
bende, welche für den lebendigen und höheren Gebrauch irgend
eine Sprache, gleichviel ob alte oder neue, ber vaterländifchen
gleich ftellen will. Wie Einem Lande, fo auch Einer: Sprade |
ober der andern, muß: ber: Menfch fich entfchliegen anzugehoͤren,
oder er fchwebt haltungslos in unerfreulicher Mitte. Es iſt recht,
bag noch jezt unter und lateiniſch gefchrieben wird von Amtöwe
gen, um dad Bewußtſein lebendig zu erhalten, daß dies unſerer
Vorfahren wiffenfchaftliche und heilige Mutterfprache geweſen if;
es ift heilfam, daß es auch fonft. gefchehe.im Gebiet dee gemein:
famen europaͤiſchen Wiffenfchaft, des leichteren Verkehrs wegen;
aber gelingen wird es auch in biefem Fall nur in dem Maaß,
als für eine ſolche Darftelung der Gegenftand alles ift, und bie
eigene Anficht und Verknüpfung wenig. Daffelbe ift ber Fall
mit dem romanifchen. . Wer gezwungen und von Amtöwegen
s67 eine ſolche Sprache fchreibt, der wird fich doch wol bewußt fein,
daß feine Gedanken im erfien Entflehen deutfch find, und bag er
nur fehr früh während der Embryo ſich noch geftaltet ſchon an
fängt fie zu uͤberſezen; und wer fich einer Miffenfchaft wegen
m.
237 |
aqzu aufopfert, ber wird fi auch nur da leicht ungezwungen
mb ohne geheimes Ueberſezen finden, wo er fich ganz in der
Yewalt des Gegenftandes fühlt. Es giebt freilich auch aufers
dem eine freie Liebhaberei am Lateinifch ober romanifch fchreiben,
md wenn ed mit diefer wirklich darauf abgelehen wäre in einer
femben Sprache gleich gut: wie in ber eigenen und gleich ur⸗
Irimglich zu probuciren: fo würde ich fie unbedenklich für eine
frmelhafte und magifche Kunft erklären, wie dad Doppeltgehen,
womit ber Menfch nicht nur der Gefeze der Natur zu fpotten, |
fondern auch andere zu verwirren gebächte. So ift ed aber wol
nicht, ſondern dieſe Liebhaberei ift nur ein feines mimifches Spiel,
womit man fich höchftens in den Vorhöfen ber Wiffenfchaft und
Runft die Zeit anmuthig vertreibt. Die Production in der frems
den Sprache ift Feine urfprüngliche; fondern Erinnerungen an
einen beftimmten Schriftftellee oder auch an die Weife eined ges
wiſſen Zeitalterd, das gleichfam eine allgemeine Perfon vorftellt,
ſchweben der Seele faſt wie ein lebendiges aͤußeres Bild vor,‘
und die Nachahmung deffelben leitet und beſtimmt die Producs
tim. Daher auch felten auf dieſem Wege etwas entftcht, was
außer ber mimifchen Genauigkeit einen wahren Werth hätte;
und man Tann fich des beliebten Kunſtſtuͤkkes um fo barmlofer
erfreuen, als man bie gefpielte Perfon überall beutlich genug
durchblikkt. Iſt aber jemand gegen Natur und Sitte förmlich
ein Weberläufer geworden von ber Butterfprache, und hat fich
einer andern ergeben: fo ift es nicht etwa gezierter und angedich⸗
teter Hohn, wenn er verfichert, er Eönne fih in jener nun gar
nicht mehr bewegen; fonbern es ift nur eine Rechtfertigung, bie
er fich felbft fchuldig ift, dag feine Natur wirklich ein Naturs
wunder iſt gegen alle Ordnung und Regel, und eine Beruhi⸗
gang für die andern, daß er wenigftend nicht doppelt geht wie
tin Gefpenft. j
Doch nur zu lange haben wir und bei frembartigem aufs
Khalten, und das Anfehn gehabt vom Schreiben im Iterahen
238
Sprachen zu reden, anflatt vom Ueberſezen aus fremben Spra⸗
hen. Die Sache. liegt aber fo. Wenn ed nicht möglich iſt es
was der Ueberfezung, fofern fie Kunft iſt, wuͤrdiges und zugleich
bebürftiged urfprünglich in einer fremden Sprache zu fchreiben,
oder. wenn dies wenigflend eine feltene und wunderbare Ausnahme
108 iſt: fo kann man auch die Megel nicht aufſtellen für die Uchen,
fezung, jie folle denken wie ber Verfaſſer felbft eben dieſes in der
Sprache des Ueberfezerd würde gefchrieben haben; benn es giebt
Feine Fülle von Beiſpielen zweilprachiger Schreiber, von bene
eine Analogie herzuleiten wäre, welcher der Ueberfeger folgen
Zönnte, fondern er wird nach dem obigen bei allen Werken, die
nicht ber leichten Unterhaltung gleichen, oder bem Gefchäftäßll,
faft nur feiner Einbildung überlaffen fein. Ia was will mas
einwenden, wenn ein Ueberfezer dem Lefer fagt, Hier bringe ich
dir dad Buch, wie der Mann ed würde gefchrieben haben, wenz
er es beutfch gefchrieben hätte; und ber Xefer ihm amtworte, |
Ich bin dir eben fo verbunden, ald ob du mir bed Mannes Bil
gebracht hättefl, wie er ausfehen würbe, wenn feine Mutter iha
mit einem andern Water erzeugt hätte! Denn wenn von Ber
ten, die in einem höheren Sinne der Wiffenfhaft und Kl E
angehören, ber eigenthümliche Geift des Verfaſſers die Mutia
iſt: fo iſt feine vaterländifche Sprache der Water dazu. Dei ie
eine Kunftftüßflein wie das andere macht Anſpruch auf geheim
nißvolle Einfidhten, die niemand hat, und nur als Spiel kam
man bad eine eben fo unbefangen genießen wie das anbere.
Wie fehr die Anwendbarkeit diefer Methode befchränkt, je
auf dem Gebiet des Ueberfezend faft gleich Null ift, das beſtaͤtigt
ſich am beflen, wenn man fieht, in was für unuͤberwindliche
Schwierigkeiten fie ſich in einzelnen Zweigen der Wiffenfchaft ud
Kunſt verwillelt. Wenn man fagen muß, bag fchon im Ge
brauch des gemeinen Lebens ed nur wenig Wörter in eins
Sprache giebt, denen eined in irgend einer andern vollkommen
“entipräche, fo bag dieſes in allen Faͤllen gebraucht werden koͤnne
239
worin jened, unb daß e3 in derfelben Verbindung wie jened auch
allemal biefelbe Wirkung hervorbringen würde: fo gilt dieſes noch
mehr von allen Begriffen, je mehr ihnen ein pbilofophifcher Ge
balt beigemifcht iſt, und alfo am meiflen von ber eigentlichen
Philoſophie. Hier mehr ald irgendwo enthält jebe Sprache, troy
der verfchiebenen gleichzeitigen und auf einander folgenden Ans
fihten, doch Ein Syſtem von Begriffen in fich, Die eben das
durch daß fie fich in berfelben Sprache berühren, verbinden, er
ganzen, Ein Ganzes find, defien einzelnen Theilen aber Feine
aus dem Syſtem anderer Sprachen entiprechen, kaum Gott unb
Sein, dad Urhauptwort und das Urzeitwort abgerschnet. Denn
auch das fchlechthin allgemeine, wiewol außerhalb des Gebletes
der Eigenthümlichkeit liegend, ift boch von ihr beleuchtet und ges 100
ſubt. In diefem Syſtem der Sprache muß die MWeishelt eined
jcden aufgehn. Jeder fchöpft aus dem vorhandenen, jeber hilft
Bad nicht vorhandene aber vorgebilbete and Licht bringen. Nur
ſo iſt die Weisheit des einzelnen lebendig, und kann fein Dafeln
nirklich beherrfchen, welches er ja ganz in biefer Sprache zuſam⸗
wenfaßt. Will alfo der Ueberſezer eines philoſophiſchen Schrift:
ſiellers fich nicht entichließen die Sprache der Ueberſezung, ſovlel
ſich thun laͤßt, nach der Urſprache zu beugen, um das in dieſer
ausgebildete Begriffsſyſtem moͤglichſt ahnden zu laſſen; will er
wielmehr feinen Schriftſteller fo reden laſſen als hätte er Gedan⸗
ken und Rebe urſpruͤnglich in einer andern Sprache gebilbet: was
bleibt ihm übrig, bei ber Unähnlichleit ber Elemente in beiben
Spradyen, als entweber zu paraphrafiren — wobei er aber fd»
Wen Zwekk nicht erreidyt; denn eine Paraphraſe wird unb kann
wie auöfche wie etwos in berfelben Eprache urfpränglich hervor
gebradteb — ober er muß bie ganze Weibheit und Eiſſenlchafi
feines Bannes umbilden in bas Begriffblyßem Des andern Spra⸗
de, umb fo alle einzelnen Theile verwandeln, wobei miss abzuſe⸗
ben iß wie der wilbefen Villlühr Eomusen Grenzen geieg wess
dm. Se man muß fagen, ver mus Die mindeße Uduug ak
>
‘
240
für philofophifche Weflrebungen und Entwiltelungen, Tann fid
auf-ein fo loſes Spiel gar nicht einlaffen. Platon mag es vn '
antworten wenn ich von dem Philofophen auf den Komödien
fehreiber komme. Diefe Kunfigattung liegt, was die Sprache
betrifft, dem Gebiet des gefelligen Geſpraͤchs am nächften.. Die
ganze Darftelung lebt in den Sitten der Zeit und bes Vollet,
bie fich wiederum vorzüglich in der Sprache lebendig fpiegeln.
Leichtigkeit und Natürlichkeit in der Anmuth find ihre erfte Tu
gend; und eben deshalb find hier die Schwierigkeiten der Ueber
fegung nach ber eben betrachteten Methode ganz ungemein. Dem ;
jede Annäherung an eine fremde Sprache thut jenen Tugenden
bes Vortraged Schaden. Will nun aber gar bie Ueberfezung ei⸗
nen Schaufpieldichter reden laſſen, als hätte er urſpruͤnglich im
ihrer Sprache gedichtet: fo Tann fie ihn ja vieled gar nicht vom -
bringen laffen, weil e8 in diefem Volk nicht einheimilch iſt und
alfo auch, in der Sprache Fein Zeichen hat. Der Ueberfezer muß
alfo hier entweder ganz wegfchneiden, und fo die Kraft und bie
Form ded Ganzen zerflören, oder er muß anderes an bie Stelle
fezen. Mpf diefem Gebiet alfo führt die Formel volftändig be "
folgt offenbar auf bloße Nachbildung oder auf ein noch widerls
cher auffallendes und verwirrendes Gemifch von Ueberfezung und
170 Nachbildung, welches den Lefer wie einen Ball zwifchen feiner.
und der fremden Welt, zwiichen des Verfaſſers und des ‚Ueber
ſezers Erfindung und Wiz, unbarmberzig hin und ber wirft, wor |.
von er feinen reinen Genuß haben Tann, zulezt aber Schwindel
und Ermattung gewiß genug davon trägt. Der Ueberfeger nad.
ber andern Methode hingegen hat gar keine Aufforderung zu fob |,
chen eigenmächtigen Veränderungen, weil fein Lefer immer ga |,
genmwärtig behalten fol, daß der Verfaffer in einer andern We;
gelebt und in einer andern Sprache gefchrieben hat. Er ifl mr,
‚an die freilich ſchwere Kunft gewielen die Kenntniß biefer frame!
ben Welt auf die kuͤrzeſte zwekkmaͤßigſte Weife zu fuppliren, un 1,
überall die größere Leichtigkeit und Natürlichfeit bed Original:
241
uschleuchten zu lafien. Dieſe beiden SBeifpiele von ben äußer-
ten Enden der Wiſſenſchaft und ber Kunft hergenommen zeigen
yeutlich, wie wenig ber eigentliche Zwekk alled Weberfegend, mög»
lichſt unverfälfchter Genuß fremder. Werke, durch eine Methode
reicht. werben Tann, welche dem überfezten Werke ganz und gar
ben Geiſt einer ihm fremden Sprache einhauchen will. Hiezu
konnnt noch, daß jede Sprache: ihy eigenthuͤmliches hat auch in
den Rhythmen für. bie Profa ſowol als die Poeſie, und bag,
wenn einmal bie Fiction gemacht werben fol, ber Verfaſſer
Bunte auch in der Sprache bed Ueberſezers gefchrieben haben,
man ihn dann auch in den Rhythmen bdiefer Sprache müßte aufs
treten laffen, wodurch fein Werk noch mehr entflellt, und bie
Kenntniß feiner Eigenthümlichkeit, ‚welche bie Weberfezung ge—
waͤhrt, noch weit mehr beſchraͤnkt wird,
Auch geht in der That dieſe Fiction, auf der doch die jezt
betrachtete Theorie des Ueberſezers allein beruht, uͤber den Zwekk
dieſes Geſchaͤfts weit hinaus. Das Ueberſezen aus dem erſten
Geſichtspunkt iſt eine Sache des Beduͤrfniſſes für ein Volk, von
dem nur ein kleiner Theil ſich eine hinreichende Kenntniß frem⸗
be Sprachen verſchaffen kann, ein größerer aber Sinn ‚hat für
den. Genuß fremder Werke. Könnte biefer Theil ganz in jenen
Übergehen: fo wäre denn jenes. Ueberſezen unnuͤz, und fchwerlich
würbe jemand die undankbare Mühe übernehmen. Nicht fo ift
es mit diefer lezten Art. Diefe hat mit der Noth nichts zu
khaffen, vielmehr iſt fie dad Werk ber Luͤſternheit und des Uebers
uuthed. Die fremden Sprachen Fönnten fo meit verbreitet fein
MB nur irgend möglich, und jedem fähigen ber Zugang zu ib:
ſen ebelften Werken ganz offen ſtehn; und es bliebe doch ein
nerkwuͤrdiges Unternehmen, dad nur um fo mehre und ges
Panntere Zuhörer um fich verfammeln würde, wenn jemand vers
Praͤche und ein Werk des Cicero oder Platon fo darzuſtellen,
Die diefe Männer felbft es unmittelbar deutſch jezt würden ges
Eprieben haben. Und wenn einer uns. fo weit brüchte, tiek&
Odieierm. @. IIL 2 Q
242
nicht nur in der eignen Mutterfprache zu thun, ſonbern garn
in einer andern fremden, der wäre und dann offenbar der grl
Meifter in der ſchwierigen und faft unmöglichen‘ Kunſt die
ſter der Sprachen in einander aufzulöfen. Nut fieht man, -t
würbe fireng genommen Fein Weberfezen fein; - und der In
wäre auch nicht ber möglichtt genaue Genuß der Werks fell
ſondern es würbe immer mehr eine Nachbildung werben, ı
171 recht genießen Tönnte ein folched Kunſtwerk oder Kunſtſtuͤkk
der, der jene Schriftfteller ſchon fonfther unmittelbar Eennte. 1
ber eigentliche Zwekk könnte nur fein, im einzelnen bad glei
Verhaͤltniß mandyer Ausdruͤkke und Combinationen -In- verfchie
nen Sprachen zu einem beflimmten Charakter zur Anſchaur
zu bringen, und im ganzen die Sprache mit Dem eigenthin
chen Geift eined fremden Meifterd, aber diefen ganz von. fei
Sprache getrennt und: gelöft, zu beleuchten. Wie num jenes n
ein Eunftreiched und zierliches Spiel ift, und dieſes auf einer
unmöglich durchzuführenden Fiction beruht: fo: begreift man. x
dieſe Art des Ueberſezens nur in fehr fparfamen Verſuchen gei
wird, die auch felbft deutlich genug zeigen bag im großen
nicht verfahren werden Fariı. Man erklärt fi) auch, Daß gen
nur ausgezeichnete Meifler, die fich wunderbares: zutrauen d
fen, nach diefer Methode arbeiten koͤnnen; und mit Recht ı
folche, bie ihre eigentlichen Pflichten gegen: bie Melt fchon erfi
haben, und fich deshalb: cher einem- reigenden und etwas gefü
Vichen Spiel überlaffen können. Man begreift aber auch. um
leichter; Daß die Meifter, welche fih im Stande fühlen fo em
zu verfuchen,- auf das Geſchaͤft jener andern Ueberfezer zieml
mitleidig herabfchauen. Denn fie meinen, fie felbft trieben eige
ich nur allein die ſchoͤne und freie Kunſt, jene aber erfchein
ihnen weit näher dem Dolmetfcher zu flehen, indem fie Doch a
bem Beduͤrfniß, wenn gleich einem etwas höheren, dienen. U
bedauernswürbig fcheinen fie ihnen, daß ſie weit mehr Kunflu
Mühe ald’Hilig auf Kin vntergeordnetes und undankbares @
243
yaft verwenden. Daher fie auch fehr bereit find mit bem Rath,
an möge boch flatt folcher Weberfegungen fich lieber fo gut man
ante mit der Paraphrafe helfen, wie die Dolmetfcher in ſchwie⸗
gen und fireitigen Fällen es auch thun.
Wie nun? Sollen wir diefe Anficht theilen und biefem
tath folgen? Die Alten haben offenbar wenig in jenem ei⸗
entlichſten Sinn überfezt, und auch bie meiften neueren Voͤlker,
bgeſchrekkt durch. die Schwierigkeiten der eigentlichen Ueber:
zung, begnügen fich mit ber Nachbildung und der Paraphrafe,
Ber. wollte behaupten, e3 fei jemals etwas weber aus ben als
ns Sprachen noch aus ben germanifchen in bie franzöfifche über:
a6 worben! Aber wir Deutfche möchten noch fo fehr. biefem
tathe Gehör geben, folgen würden wir ihm doch nicht. Eine
mere Nothwendigkeit, in ber fich ein eigenthümlicher Beruf un:
web Volkes deutlich genug ausfpricht, hat und auf dad Meber-
zen in Maſſe getrieben; wir Tönnen nicht zusüff und müffen
uch. Wie vielleicht erſt durch vielfältiges Hineinverpflanzen
remder Gewächfe unfer Boden felbft reicher und fruchtbarer ges
vorben ift, und unfer Klima anmuthiger und milder: fo fühlen
vie auch, daß unfere Sprache, weil wir fie ber nordiſchen Traͤg⸗
git wegen weniger felbft bewegen, nur durch die vielfeitigfle Be⸗
Ahrung mit dem fremden recht frifch gebeihen und ihre eigne
Rraft vollkommen entwilleln Tann. Und damit fcheint zufams
uenzutreffen, daß wegen feiner Achtung für das fremde und feis
m vermittelnden Natur unfer Volk befiimmt fein mag, alle
hhaͤze fremder Wiſſenſchaft und Kunft mit feinen eignen zu:
Vic) in feiner Sprache gleichfam zu einem großen gefchichtlichen 172
Benzen zu vereinigen, bad im Mittelpunkt und Herzen von Eu⸗
WR verwahrt werde, damit nun durch Hülfe unferer Sprache,
Web die verichiebenfien Zeiten ſchoͤnes gebracht haben, jeder fo
Ba und volllommen genießen koͤnne, als ed dem Fremdling nur
Weich if. Dies fcheint in ber That der wahre geſchichtliche
Dicht des Ueberſezens im großen, wie es bei und nun dnhnke
DL 2
244
miſch iſt. Für dieſes aber iſt nur die Eine Methode anwenbbar,
die wir zuerſt betrachtet haben. Die Schwierigkeiten betfelben,
die wir nicht verhehlt haben, muß die Kunft ſoviel möglich be
fiegen lernen. Ein guter Anfang ift gemacht, aber dad meife
iſt noch übrig. Viele Verfuche und Uebungen möüffen auch hie F
porangehen, ehe einige ausgezeichnete Werke zu Stande kommen;
und manches glänzt anfangs, was hernach von beffereim überbe:
ten wird. Wie fehr ſchon einzelne Kuͤnſtler die Schwierigkeiten
theils befiegt, theils fich gluͤkklich zwifchen ihnen durchgewunden
haben, legt in mannigfaltigen Beifpielen vor Augen. Und wen
auch minderfundige auf dieſem Felde arbeiten: fo wollen wit-
von ihren Bemühungen nicht furchtfamermeife großen Schaden
für unfere Sprache beforgen. Denn zuerſt muß feſtſtehen, daß
eö in einer Sprache, in welcher dad Weberfezen fo ſehr im, gras
gen getrieben wird, auch ein eigned Sprachgebiet giebt für bie «
Ueberfezungen, und ihnen manches erlaubt fein muß, was fih
annderwaͤrts nicht darf blikken laſſen. Wer dennoch unbefugt .
‚ folche Neuerungen weiter verpflanzt, wird ſchon wenig Nachfol⸗
ger finden‘ ober Feine, und wenn wir die Rechnung nur nicht
für einen zu kurzen Zeitraum abfchliegen wollen, fo koͤnnen wir‘
und ſchon auf den affimilirenden Prozeß der Sprache verlaffer
daß fie alles wieder auöflogen wird, was nur eined voruͤberge
benden Bebürfniffes wegen angenommen war, und ihrer Rat
nicht eigentlich zufagt. Dagegen dürfen wir nicht verkennen, da}
viel fchöned und Fräftiges in der Sprache ſich erſt durch WI
Ueberſezen theils entwikkelt hat, theild aus der Vergeſſenheit |
bervorgezogen worden. Wir reden zu wenig und plaudern mM
hältnigmäßig zu viel; und ed ift nicht zu laͤugnen, daß ſeit g
raumer Zeit auch die Schreibart nur zu fehr diefe Richtung
nommen hatte, und baß bad Ueberfegen nicht wenig beig
einen firengeren Stil wieder geltend zu mahen. Wenn
eine Zeit kommt, wo wir ein Öffentliches Leben haben, aus web
rn _
245
fih. auf der einen Seite eine gehaltvollere und fprachges
ze Gefelligkeit entwilfeln muß, auf ber anderen freierer
n gewonnen wird für dad Talent bed Rebnerd, dann wers
wir vielleicht für die Fortbildung der Sprache weniger bed
fezens bedürfen. Und möchte nur jene Zeit kommen, ehe
den ganzen Kreis ber Ueberfegermühen würbig durchlaufen
ı!
IV.
Ueber die Begriffe der verfchiedenen
Staatsformen.
[U [U |
-Vorgelefen den 24. März 1814.
- |
17 Ten höhere Verfland, aus dem fich die Keime aller Wiſſen
fchaften almählig entwikkeln, äußerte fich fehe zeitig in dem Be
fireben die unendliche Mannigfaltigkeit der natürlichen unverruͤllt
im feften Geftalten fich erneuernden Dinge erft in große Maſſen
zu ordnen, dann nach ihren geringeren Berfchiedenheiten fie in
Gattungen und Arten zu theilen. In der Bildung und Ense
terung ber gemeinen Sprache entfaltete fich dies Beſtreben ur
ſpruͤnglich auf eine rein natürliche Weiſe; feitder der Verſtand
mit Befonnenheit darauf zuruͤkkkam, und es kuͤnſtlich geflaftele,
fehen wir die wiffenfchaftliche Naturbefchreibung in mannigfälle
gen jezt fo dann anders gebildeten Verfuchen einen großen Keiche
thum bed. wiffenfchaftlichen Lebens offenbaren... Wie oft hat mar
bei näherer Belanntfchaft mit den Dingen einzelne Beflimmm
gen widerrufen, Arten abgetrennt, ganze Gattungen anfgeft
‘und ander wieder vereiniget. Und wenn auch die großen Zügt
auf denen die Haupteintheilungen ruhen, fefter fanden, un
247
nanche felbft dann nicht wanften, als man deutlicher einſah, wie
ie Natur ſich darin gefällt, gucd: dad, was ber Verſtand am
chaͤrfſften zu ſondern pflegt, ſanfter und Fünftlerifcher durch alla
naͤhlige Uebergänge zu verbinden, fo mußten..doch die Gründe
iefer Eintbeilungen oft neuen Pnafungen unterworfen werben.
Dem dad erſte was fich dem betrachteaden aufdraͤngt iſt bie
mgere Erſcheinung; erſt fpäter. kann ſich der Verſtand das Spiel ıs
er innern Zhätigkeiten zum Gegenfland vorlegen; und wenn ex
wohmimmt, daß er fich noch neu in feinem Geſchaͤft und ginter
ve Gewalt des Sinnes ſtehend im Trennen und Verbinden pe
er allein habe leiten laſſen: fo tft ‚ex. unverdraſſen entweder
ein Berk wieder zu. zerflören ober; nachzufpüren. wie jene großen
herſchiedenheiten der "äußeren: Erfcheinung,. deren Anſpruͤche ex
üht zuruͤkkweiſen kann, mit den Verſchiedenheiten der innern
Ihätigkeiten der bildenden Natur‘ zufammenpängen, .. Noch im:
ir werden aus. dieſem Gefichtöpunft neue Prüfungen und Um;
Haltungen des Syſtems her Natur in einzeinen Theilen we:
igftend unternommen; und baburch. wol am meiſten unterſchei⸗
m ſich die Natinkundigen von aͤcht wiſſenſchaftlicher Geſinnung,
e wol allein #erdienen mit dem beſcheidneren Namen Natur⸗
riher genannt zu werben, von denen, welche fich keine höhere
ufgabe fielen, als ein Regiſter anzufertigen, in bem man bie
egenflänbe auffinben und i ber Spentität ber. oo Areitioen
Haben koͤnne. F
Faſt eben fo bald old bie. Natpebgfcreibung entfiand, fand
; ber wifienfchaftliche Verſtand auch angeregt jene großen gei-
gen Geſtaltungen zu betrachten, in. denen, wiewol fie felbft ein
er in bewußtloſer Nothwendigkeit gebildetes Werk ded Men:
en. find, auch. der Menſch felbft, dies höchfte Werk der Natur,
eder ald Beſtandtheil verfchwindet.. Die wiffenfchaftliche Be
reibung. ber. Staaten, das Bellreben die auch ſehr munnigfal-
en unter biefen Begriff gehörigen Erfcheinungen in wenige
oße Formen zufammenzufaffen, .eben fo altald bie erfien Ver⸗
248
fuche in der Naturbefchreibung, eben fo ſchon in der Sprache
des gemeinen Lebens vorgebildet, hat doch eine ganz andere Ge |:
ſchichte als diefe. Eines ift hiebei vorzüglich von Einfluß gemw
fen. Daß unter den Erzeugniffen der Natur einige vollfommne
find ald andere, in benen Nämlich das Welen des Lebens ſich
unvollfiändiger ausfpricht und bürftiger entfaltet, dies wurde
zwar bald bemerkt, aber ed konnte ben ordnenden Forſcher von R
feinem natürlichen Gange nicht ablenken. Der Staat’ aber, be I.
ee ein Gebilde des Menfchen felbft ift, fo wähnte .man ‚von ‚be
Betrachtung aus nach "einem: vorfchwebenden Muſterbilde bei
vollkommneren ſelbſt fchaffen zu koͤnnen. Fuͤr einen Wahn mih
fen wir Dies ohne -weitered erklären; denn es iſt eine grobe Ver
wechfelung: deffen was durch "die menfchliche Natur wird, mit
dem was der Menſch macht. Noch nie ift ein Staat, auch de
19 unvolldommenfte nicht, gemacht worben; und ale Kunft kank,
auf dem Gebiet des bemwußtlofen Wirkens, ber ‚geifligen Nater |
nicht minder ald der Förperlichen nur einzeln und untergeorime
zu Hülfe fommen. Diefer Wahn aber verurfachte: daß man
bald die Staaten viel zu wenig als: geſchichtliche Naturgebilde
betrachtete, fondern immer nur als Gegenſtande worauf ee
Menſch kuͤnſtleriſch zu wirken Habe; wodurch dann ihre Vollkom
menheit und Unvollkommenheit der Hauptgeſichtspunkt warb,
und man Man ſaͤgen far die ganze wiſſenſchaftliche Behandlunz
ber Sache ſich in das Beſtreben aufloͤſte, vor den Augen. ber
Staͤatskuͤnſtler ein alleiniges:aligemeingeltended' Muſterbild bed
Staates‘ aufzufteßen, zu weichen Sich alle frühere: Erfcheinungen
nur als verungluͤkkte Verſuche verhielten, fo daß, wenn jenes ef
zur Wirklichkeit. gediehen -wärd,: dann die ganze biöherige ‚Ge
dichte nur jener Urzeit oder Unzeit gleichen. würbe, waͤhrend
der, wie man gefabelt hat, auch die Natur ſichin abenteusiih
hen Geflaltungen erfchöpfte, die weder beſtehen noch: fich.. wich |
erzeugen -Fonnten ; indem ſie nur einzelne zerftreute Züge an fh |
trugen von. dem wa8 leben kann und darfz die Fünftige Ge
249
bte aber .würbe bann einem. mehr reichen als eben anmuthi⸗
Kornfelde gleichen,.. auf welchem. .die Saaten bis ‚zur lezten
te aller menfchlihen: Dinge in. ewigem Frieden ‚neben einan:
flänben, jeber fi). von dem andern durch wenig mehr unters
hend ald durch bie. Stelle bie ex einnimmt. Je mehr nun
8. Beflreben ſich verbreitete, um deſto mehr. verlor die Ratur-
zreibung bee Staaten alle Bedeutung: Denn ob fhlihe vor
ige Nothſtaaten, ein Ausdrukk der den hoͤchſten Triumph
r Anficht barftellt; ob. dieſe alt und neu unter beflimmte Be
fe geftelt werben, und. wie biejed gelingt, das kann ‚völlig
Hpültig.fein, wenn. doch in.einer. einzigen. Form bed Staates
andern irgend einmal. zufammenfallen follen. — Außer bies
ſich ſo ſtark vorbsängenden Frage nady dem vollkommenſten
at hat aber auch eine entgegengeſezte Anſicht wicht wenig bei⸗
agen dieſen Theil der Philoſophie zuruͤkkzuhalten. Wie naͤm⸗
die wiſſenſchaftliche Beſchaͤftigung mit den Erzeugniſſen der
me immer iſt aufgemuntert und in Thaͤtigkeit erhalten wor⸗
durch die Anſpruͤche welche die vielen mit der Natur fi
haftigenden Künfte und Gewerbe ſtets an fie gemacht, und
h ‚bie Achtung welche auch von biefer- Seite. jenem wiſſen⸗
ftlichen Beſtreben immer iſt gezollt worden: fo. mußte natuͤr⸗
die wiſſenſchaftliche Beſchaͤftigung mit jenen. Etzeugniſſen
Vernunft einer gleichen. Aufmunterung in demſelben Maag
ehren, als ſich, wie ſeit geraumer Zeit geſchehen, unter ben 20
zatsbürgern unb Staatsmaͤnnern der Grundſaz immer. weiter
breitete, alle Formen des Staates feien gleich gut wem: fie
: gut verwaltet würden. Diefe Anficht leitet natuͤrlich alles
terefie dev Betrachtung von dem höheren urfprünglichen Pro:
ber Bildung und Entwikkelung der Staaten ab, und nur
„jenen verhältnigmäßig Heinen Antheil Hin, den menfchliche
nf an ber Sache hat, nämlich auf dad Geſchikk der Verwal⸗
8. Denn wenn die Berfchiedenheiten in der Form ber Staa:
gleichgültig find, was für ein Interefie kann man nnd, are
“ 250
an haben zu wiſſen wie dieſe Unterſchiede entftanben find: und
worauf fie beruben® So ift hier fonderbar genug durch ein löb»
liche Beſtreben, dad volllommene bervorzubringen, ein: anbertd
eben ſo loͤbliches, nämlich das wirklich. vorhandene in feinen na
4ürlichen -Aehnlichleiten und. Verfchiebenheiten aufzufaflen,. immer
gehemmt worben. Und dies find bie Urfachen, weöhalb die wiſ⸗
Fenfchaftliche Staatenbefchreibung in einer. weit duͤrftigeren Ge
flalt auftritt ald die Naturbefchreibung, ſo daß. man -fich kaum
wundern bürfte, wenn fie noch ganz am äußern haftend in dab
innere ihres Gegenflandes noch gar nicht eingedrungen: waͤre.
Die laͤngſte Zeit nun. hat man ſich bei der Verachtung ‚der
Staaten an eine Eintheilung gehalten, bie.man füglich bie heb
leniſche nennen kann, welche nämlich drei Hauptgattunges as
nimmt: unter welche alle Staatäformen gebracht werden koͤnnen
bie Demokratie, bie Ariſtokratie und die Monarchie, je nachden
‘die ganze Maſſe des Volks ober eine. befliminte Klafje, beöweges |
die vornehmere, an ber Regierung theilnimmt, oder dieſe ſich w |,
den Händen eines einzelnen befindet. Erſt vor. nicht langem it
man inne geworden, daß bie .in ber neueren Zeit entflanbenm
mantigfaltigen Verfaſſungen fich. unter. jene; Eintheilung nicht
ſchmiegen wollen, und erſt ſeitdem hat fich die Meinung: geib
bet, dies gerade ſei eine. Mebenfache ob die Megierung in den
Haͤnden Einer oder mehrerer phyſiſchen Perſonen ſei, vielmeht
ſeien in der Einheit der Regierung drei Thaͤtigkeiten zu unter
ſcheiden, die geſezgebende, vollziehende und: richterliche, und die 4
«bei der Betrachtung des Staates zum Grunde zu legen, ſo daeß
ob alle diefe Gewalten in Einer moralifchen: Perfon vereinigt
ober unter mehrere vertheilt wären ben Haupteintheilungägrum
ausmache. Diefe beiden Maffen von Grundbegriffen, die ein
aus ber alten, die andere aus der neuen Zeit, find:es welche
ich bier einer näheren Prüfung zu unterwerfen gefonnen bin, je |
doch Lediglich in der Beziehung, ob jene helleniſchen Formen
2, wirklich. ald verichiedene Arten ber Staatöverbindung feſtſtehen
954
ober nicht, und ob diefer Gegenfaz von ber Vereinigung ober
Bertheilung der Gewalten fi dazu eigne Seflimmte Begriffe
verſchiedener feft von einanber au fonbernber Staatöformen daraus
zu, bilben,
Jene drei antiken gomen zuerſt erfcheinen bei näherer Be
trachtung auf alle Weiſe fchwantend, fo daß fie burchgängig in
einander übergehen und niit einander verwechjelt werben koͤnnen.
Dder wie ließe fih wol eine Volksgemeinde denken, ohne daß
einige, fei es durch ihre Kenntnig ber. Sache und durch die ı
Gewalt der Rede, fei es auch durch ihren Privateinfluß auf ei»
nen großen Theil der Bürger, die Wortführer. wären, bie übris
gen aber einen geringeren mehr leibentlichen Antheil an den Ges
fchäften nähmen? Wenn nun biejenigen, bie ſchon zeitig eine
Ausficht haben auf einen folchen leitenden Einfluß, ‚die Schüler
jener Wortfuͤhrer werben, ſich die Gewalt ber Rebe erwerben und
bie verfchiedenen gangbaren Anfichten fi) aneignen, fo daß ſich
eine gleichſam erbliche Weberlieferung bildet, und. bie Volksleiter
ihnen ähnliche Nachfolger haben: fo wird ja bie Demokratie
ſtets von einer Heimen Zahl reicher angefehener gebilbeter,: das
heißt: ber That. nach ariftofratifch verwaltet, und wird..auch je
mehr bie Maſſe fich bei ihrer Paffivität beruhigt um: fo mehr
im Begriff fcheinen auch ber Form nad in Ariftokratie uͤberzu⸗
gehen, bis irgend ein Sturm vielleicht den: urfprünglichen. Zus
fland herſtellt, da denn diefelbe Annäherung von: vorm. anfängt.
Auf der andern Seite, wenn bie bemofratifchen Wortführer un⸗
ter fich zerfallen, und einer von:ihnen mit feinen Anhange durch
eine meiſtens ziemlich gelinde Gewalt über die andern. fiegt. und
fich der Regierung anmaßt: fo iſt genau genommen Fein weſeni⸗
Ticher Unterfchieb zwifchen biefem Siege auf längere Zeit, ber. ei-
nen fcheinbar monarchifchen Zuftand berbeiführt, und jenen Sie
gen bie fonft bei einzelnen Unternehmungen ein Partheibaupt,
auch nicht felten durch unruhige Volksbewegungen, unb indem
die loſe Freiheit der demokratiſchen Form nahe an den Rumult
252
und die Anarchie flreifte, über die andern davongetragen hat.
Serner, wenn nun ber fo entitandene Oberherr ober Tyrann bie
Saiten zu Icharf anzieht, und Verſchwoͤrungen fich bilden, und
dad Volk feine alten Rechte herſtellt: müffen wir dann ‚nicht fa
gen ber Staat fei Die ganze Zeit über berfelbe geblieben, unb
die Monardie fei nur fein Krankheitszuſtand geweien, wie auh
die Ariftofratie die auf der Paſſivitaͤt der Maſſe beruhte nur ein
22 Krankheitäzuftand war? Kann aber ein Zufland, der ald Krank:
heit vorkommt und vorübergeht, doch ald eine eigne Art des Da;
fein ‚angefehen werden? Sezen wir hingegen ben Kal, bes
Volk erlange feine Rechte nicht wieder, fondern die Haͤupter ber
Berſchwoͤrung theilen. ſich in die ugrechtmägige Erbfchaft: fo wer:
den fie, fo lange dies dauert, eine Ariftokratie darſtellen; aber
wirb man bann fagen, es hätten in dieſem Lande unb unter bie
fem Volke drei Staaten nach einander beflanden, ein bemokcats |
feher, ein monarchifcher und. ein ariftofratifcher, ober wird nicht |
jeder--fagen, .berfelbe Staat habe nach einander dieſe brei Veraͤn⸗
derungen erlitten? Sie find alſo Zuſtaͤnde, welche. ein und da 5,
ſelbe Individuum nach einander annehmen kann; Tein einzelne
Ding aber kann nach einander zu verfchiebenen Arten gehören.
Ehen dieſen Kreid nun. Tann. bie, Ariftofratie durchlaufen; bemm
die herrſchende Kaſte Tann ber. die andern Glieder bed State
fo: weit. hervorragen, daß dieſe neben ihr kaum für Bürger zu
haften ſind, und unter. ſich ganz demokratiſch conflituirt fein, und 1
alſo auch ihre Wortführer haben benen bad gleiche begegum
Tann; und wem aus Folge einer. Partheiung Einer Her ge
worben, Tan burch Gegenpartheiung das alte hergeftellt werte %
‚Ober wenn gutmuͤthige Ariſtokraten der Zahl nach fchwad ge s
Horben fich mit dem Volk. allmählig verichwägern, und aus den
Volk unter ſich aufnehmen; wenn auf ber andern Seite vernünß
tige Demokraten zu zahlreich werben, und deshalb das Recht zur
Vollögemeinde und zu ben Aemtern zwekkmaͤßig befchränten: ſo
iſt beibes keine Staatöverwanblung, und hoch wird jene Arifie
253
ratie biefer Demokratie fo ähnlich geworben fein, bag man fie
richt anders .unterfcheiden Tann ald indem man die vorige Zeit
u Hülfe nimmt.
Aber nicht bad nur, baß diefe verfchiedenen Formen nach
inanber Zuflände befjelben Staatskoͤrpers fein koͤnnen; fonbern
nich. in demfelben Augenblift kann berfelbe Staat daB eine fein
wenn man amf ben Buchflaben, ein andered aber wenn man auf
bad wahre Weſen ficht, wie auf gewiſſe Weife fchon im obigen
liegt, auf andere aber noch mehr erhellt auß folgendem. In eis
ner Demokratie haben doch die Knechte nie dad Recht ber Ges
meinde, benn es ift wider bie Natur. Wenn nun von den
Knechten viele: freigelaffen werben und eigenes Hausweſen bil
den, und ſich vielleicht über bie Zahl ber Bürger mit vollem
Rechte vermehren, ihre Nachlommen aber, weil durch bie Abs
ſammung Tenntlich, eben fo wenig dad gemeine Necht erlangen
us die Vaͤter: würden dann nicht im Staate zwei Kaften fein
wie in Ariftofratien zu fein pflegen, und wie foll der Staat ges: 23
Kannt werben, fo ober fo? Oder wenn in einem Staat bie Ges
femmtheit des Adels dad Megiment führt, es giebt aber außer
dem Adel nichts als kleine Leute die ihm eigen find, wie wollt
ihr den Staat nennen? Denn wenn wir biefe, Die Bauern und
Handwerker, ihres Gewerbed wegen ald Wolf anfehn: fo iſt ja
gewiß der Staat eine Ariſtokratie. Wenn wir aber bedenken,
daß. jeder Adeliche mit feinen Eigenen nur Ein wenn ‚gleich ſehr
erweitertes und vielleicht über viele Ortfchaften verbreitetes Haus⸗
weien ausmacht: fo werben wir geftehen müflen, dad Regiment
ſei bei der Geſammtheit der Hausväter und alfo demokratiſch.
So ſteht ed demnach mit diefer Eintheilung, daß feftgefons
berte Arten des Staats dadurch nicht fcheinen bezeichnet zu fein.
Und dies hat fich nicht etwa ergeben, weil wir bie bei und oft
gemißbrauchten Ausbrüffe auch mißverfianden haͤtten; fondern
von ben eignen Erklärungen ber Hellenen, bei denen fie einheis
milch waren, iſt alled ausgegangeg,. Dennoch aber küinnen Wr
254
Begriffe, bemofratifch ariftofratifh und monarchiſch, nicht ler
fein; denn fie find nicht erfunden oder gemacht, gleichen alfa. ki:
neöweges jenen fünftlichen Klaſſen und Orbnungen in ber Ne
turbefchreibung, denen kein lebendiger Typus ded ganzen Dafeind
zum Grunde liegt, fondern im Gegenfaz mit jenen gleichen fie
vielmehr den natürlichen Familien und Gefchlechtern. Denn biefe
Ausdruͤkke find in der heilenifchen Sprache lebendig gewachfen
und als leitende Begriffe darin firirt, und muͤſſen alfo auch eis
nen felten Inhalt haben. Nur ift nicht zu laͤugnen baß man
die neueren großen Verfaffungen faft gar nicht unter fie bringen
kann, indem ſich in denfelben nicht nur Elemente die man be
mokratiſch und folche Die man ariftofratifch nennen muß, unter
fi und mit monardifchen häufig ‚vereint finden, ja daß man
oft, wenn man fie mit jenen Begriffen vergleicht, nicht weiß ob
man Einen Staat oder mehrere vor fich hatz fondern auch wenk |:
wir auf bie Monarchie allein fehen, fo- bieten die einzelnen Staa
ten die unter dieſen Begriff fallen größere und auf bad game |
haͤusliche und öffentliche Leben einflußreichere Unterfchiebe bar,
als wodurch jene Gattungen fi) von einander unterſcheiden, went
wir auf das hellenifche Leben fehen zu der Zeit wo jene Verſaß
fungen in ihrer hoͤchſten Blüthe fanden. Und dieſe Vergleihung E
vorzüglich, nicht dad was wir bis jezt fehwieriged an jenen ab
ten Begriffen auseinandergefezt haben, iſt Veranlaffung gemor
ben, daß bie neueren jene alte Eintheilung als für die feften Un
as terfchiede der Staaten unzulänglich verworfen, und bafür den
Gegenfaz von ber Trennung und Vereinigung ber verfchiebenen
Sewalten aufgeftellt haben, ben ich nun eben fo betrachten will.
Wenn die Regierungsthätigkeit wirklich aus drei beſtimmt
zu unterfcheidenden Verrichtungen, ber geſezgebenden, vollziehe
den und richterlichen befteht: fo koͤnnen dieſe freilich. auf verſchie⸗
dene Weife vereinigt und getrennt fein. Aber ohne mich darauf
zu berufen, daß noch niemand weder nachgewielen bat, bie na
tuͤrliche Staatöbildung ſei jemals diefem Schematismus gefolgt,
255
efchichtlich gezeigt, die am meiſten von einanber abweichen:
taaten unterfchieben fich wirklich. hauptſaͤchlich in Gemäß»
eſer Trennungen und Verbindungen, will ich zunächft nur
ftehen bleiben, daß bie ganze. Vorausſezung näher betrach⸗
bt flatt findet. Denn die richterliche Gewalt beſteht aus
defentlich ganz ;verfchiedenen Zweigen, ber bürgerlichen Ges
arkeit und der Strafgerichtsbarkeit. Die erfte hat es nur
rethümern zu thun oder mit verfchiebenen Anfichten welche
den Tonnen über die Anwendung der gefchriebenen ober
hriebenen Gefeze auf einen vorliegenden Kal. Dem wenn
>» wifientlich dem andern fein. Recht vorenthält: fo fällt
jerfahren fireng genommen als intendirter Betrug fchon ber
jerichtöbarkeit anheim. Iſt aber nicht das Audgleichen fols
älle eine bloße Ergänzung entweber des Bewußtſeins über
le Erwerbung des Eigenthums mit dem Staat zugleich
or ihm, und dann rein gefchichtliche Auslegung, ober ber
benden Thätigkelt bie jene Erwerbung beftätigt hat ober
cirt, und bann ihr angehörig, wie denn die Verhandlun⸗
nd Refultate der Rechtöpflege überall die Grundlage geben
läuterungen und Verbeflerungen ded Coder? Und müflen
bie Perfonen als ein Beſtandtheil der gefeggebenden Gewalt
ben werben, bie ihe fo vorarbeiten und fie ergänzen? Was
ne Strafgerichtöbarkeit betrifft: fo ift fie als Kriegführung
den -inneren Feind eben fo weientlich ein Theil ber volls
ben Gewalt wie die Kriegführung gegen ben äußeren Feind.
alt die Dreiheit in dieſer Eintheilung fchon weg, und es
nur die einfache Zweiheit übrig, welche in Bezug auf Ver⸗
ng und Trennung betrachtet und in Vergleich mit den obis
utiten Begriffen folgende Fälle ergiebt. Gefeggebung und
ehung vereinigt, welches, fei nun beides in Einem ober in
n oder in allen, nach dieſer Theorie der despotiſche Staat
aum ein Staat iſt; Gefeggebung und Vollziehung getrennt,
ber beibe in vielen, welches eine Republit wäre, ober hieikn
256
in Einem und jene in vielen, welches eine verfaffungägäßige
Monarchie wäre; denn bag Einer koͤnne der Gefezgeber fein. und
viele die Vollzieher, wird niemand für möglich halten, wiewol
aus ben Begriffen felbfi keinesweges erhellt, warum nicht. Die
wenigen Rubriken, bei benen nun boc die alten - Begriffe zu
Hülfe müflen genommen werben um fie zu Stande zu. bringen,
wollen aber auch. Feine Hilfe leiften um bie vorhandenen ver⸗
ſchiedenen Staatsformen zu ordnen. Denn betrachtet man die,
in denen ſich getrennte Gewalten zeigen, ſo wird man uͤberall
finden, daß entweder das Organ welches die geſezgebende Gewalt
repraͤſentirt etwas von der vollziehenden, oder umgekehrt das die
vollziehende Gewalt repraͤſentirende etwas von der geſezgebenden
am ſich gezogen hat, fü daß ed auch bier auf jeden Fall noch
anderer Erklärungen bebarf und ein anderer Geſichtspunkt muß
aufgefucht werden. Aber noch find wir nicht einmal fo weit;
denn ich muß noch weiter fragen, wer. kann feſte Grenzen ziehen
zwilchen ber geſezgebenden Xhätigkeit und ber vollziehenbent
Nicht etwa deshalb nur, weil unter einem gewaltthätigen Regan |
ten immerfort die vollziehende Gewalt in bad Gebiet ber. gel
gebenden eingreift, fogar ohne dag. man ihr nachweilen Bann, fe |
babe den Buchſtaben der Form verlegt; fondern ganz allgemein
möchte ich behaupten, daß wenn man anderd. die vollziehende
Zhätigkeit fo faflen will, daß fie eine eigenthümliche und. gleh |,
unmittelbare Aeußerung ber Staatögewalt fei wie bie gelezge
bende, man beflimmt im Begriff feine Entgegenſezung zwiſchen |
beiden fefthalten inne, wodurch fie völlig und allgemein guͤllig
gefchieben würden. Denn wenn man bavon auögeht, die Gele |.
‚gebung babe ed mit der Einheit ded allgemeinen zu thun, die
Bollziehung aber mit der Vielheit bed befonberen in allen unter
jened allgemeine gehörigen Fällen: fo iſt dieſer Gegenfaz zwikhen 4:
dem allgemeinen und befonderen doch nur ein fließender; deu
. jedes allgemeine kann auch ald ein befondered angejehen werben, A.
weil es zu jebem ein voch allgemeineres giebt und umgebehkt,
257
nd wie wenig entfpricht es dieſem Gintheilungdgrunde, wenn
in Privilegium oder ein Monopol zu ertheilen, das boch nur
venige trifft, ein Act der Gefezgebung ift, den Krieg und Fries
vnöftand aber zu beflimmen, wobei das allgemeine Wohl aller
weit mehr betheiligt ifl, von der vollziehenden Gewalt abhängt.
Seht man hingegen davon aus, die Geſezgebung müfje ihrer
Natur nach überall das erfte fein, und die Vollziehung das zweite:
{6 wird auch jener erſte Act, wenn die Gefezgebung nicht im
unfihtbasen verfchwinden fol, aus mehreren Theilen beftehen, 20
und manches davon eben fo gut Finnen zum zweiten Act gerechs
net werben. Nur ein Beifpiel flatt aller möge die Sache erläus
tm. Es gehört in vielen Staaten zum Gebiet der Gefezgebung
de laufenden Abgaben zu beſtimmen; die Art und Weife der
Ehebung, die Beſtellung des dazu nöthigen Perfonals fat ſchon
als zweiter durch jenen bedingter Act dem vollziehenden Organ
mheim. Aber diefe Zheilung ift an und für fich ganz willkuͤhr⸗
th. Denn man tönnte eben fo gut fagen, fchon jener erſte Act
erfalle in zweie, nämlich in Feſtſtellung der aufzubringenden
Summe, und in die Bellimmung der Objecte und Handlungen,
on denen fie folle genommen werden, und nur jener eigentlich
fe gehöre für die Gefezgebung, der zweite beziehe fich fchon
ehr auf bie Art und Weiſe der Herbeifchaffung, und werde da⸗
er billig der vollziehenden Gewalt überlaffen, die, wenn fie weife
L, gewiß eben fo richtig verfahren werbe, wie eine weife Gefez-
ebung es nur koͤnne. Oder eben fo Tönnte man umgekehrt fas
en, beflimme die Gefezggebung einmal die Abgabe, was fchon
se Art und Weife der Erhebung ber Summe gehöre, und habe
fo ihre Schranken durchbrochen; fo Eönne fie eben fo gut nun
uch alles übrige feflfegen. Und fo wird ed immer aus Mangel
n fihern Grenzen entgegengefezte Anfichten geben, deren eine
iefe die andere jene Gewalt ausdehnt und ihr Gegentbeil bes
hraͤnkt, bis die eine faſt alles geworden iſt im Staat und bie
nbere faft nichts. Denkt man nun aber gar e gie um Te
Eqdleſctm. ®. II.2. R
N 258
ı Grenzen beider Gewalten und ihre Geflaltung: zu beflimmen eine
Gonftitution: fo verfehwindet für den Begriff der Gegenfaz bei
ber Gewalten noch mehr. Denn wenn eine Conflitution nicht
bloß formell ift, und eine folche hat in der Wirklichkeit noch nie
beftanden: fo muß fie wenigftens in gewiſſen Hauptpunkten dab
eigenthümliche Weſen des Staatd ausdrüffen, aud welchem #
dad gefezgebende Organ nicht herauögehen darf, und wird all
dieſes befchreiben; ja man kann fagen, je vollfommner bie Con ;
flitution ift, um deſto mehr läßt fich die gefammte laufende Ge
feggebung nur als Vollziehung anfehn; denn fie hat nichts m |
thun, ald fortwährend bie Gonflitution auf die vorkommenden |
Umftände anzuwenden und in ihnen zu realifiren, fo daß fie nut
bem Grade nach von ber eigentlichen Vollziehung verſchieden if,
Hat aber der Staat Feine Art von Conſtitution, fo fcheint &
faft als könnten auch die beiden Gewalten nur getvennt fein in
der Form verfchiedener Behörden; dann aber wirb alles willkuͤhr
27 ih und fließend, und nichts kann auf allgemeine Weife im Be
griff feftgehalten werden. Wenn aljo bie vichterliche Function
ganz in ben andern beiden verfchwindet, und dieſe begriffemäßig
nicht koͤnnen ſtreng gegen einander abgegränzt werben: fo koͤnnen
fie freilich auf gar verfchiebene Weife hie und bort geflaltet fein,
aber nur ein felled Princip um die große Mannigfaltigkeit der
Staatsformen danach zu ordnen gewährt dann dieſe ganze Ber
trachtung nicht; ſondern es kommt vielmehr darauf hinaus, daß
in jedes einzelnen Staates Verfaſſung oder Obſervanz bad Ge
biet der einen von dem der andern zwar beſtimmt kann getrennt
fein, daß aber diefe Grenzbeflimmung in jedem Staate ber nicht
blindlings einem andern nachahmt, fondern fie unabhängig aus.
feinem Bebürfnig und feiner Natur gemäß ordnet, eine anben
fein wird, fo daß wir auch von hier aus allmählige Uebergänge
die Menge finden, aber Beine feſte Klaffen und Abtheilungen
Dennoch können auch dieſe modernen Begriffe eben fo wenig lee;
fein alss jene antiken; denn wenn fie auch von Anfang an vie },
259
cht etwas mehr Bezug auf die bloße Theorie gehabt haben als
we, fo find fie doch zu leicht und allgemein in die Sprache der
Witifch gebildeten Völker unferes Welttheils übergegangen, als
5 fie nicht etwas mit der verfchiedenen Geftaltung der Staa:
n auf. dad genauefte zufammenhängendes enthalten folten. Es
nn daher nur an der Art ber Unterfuchung liegen, wenn wir
. beiderlei Begriffen weber gefunden haben was wir fuchten,
ch auch den Grund entdefft warum fie dad nicht enthalten
anen; und 'ed wird und vieleicht beffer gelingen, wenn wir
nen andern Weg einfchlagen und den Inhalt diefer Begriffe
cht ald gegeben behandeln, fondern vielmehr genetifch aufzus
ſſen fuchen.
Denn die allgemeine Zrage, welches find die verfchiedenen
xten des Staates? muß ſich auf diefe andere zuruͤkkfuͤhren laſ⸗
n, auf wie verſchiedenerlei Weiſe kann ein Staat entſtehen?
yenn jeder entſteht ja gleich nicht als ein Staat im allgemei:
en, ſondern als ein folcher und folcher — fonft nämlich gäbe
3 überhaupt nur verfchiedene Zuflände, nicht verfchiedene Arten
& Staates — die Form aber, die ein Ding in feinem Entſte⸗
en zeigt, iſt auch die unter der ed fortbefteht, wenn es nämlich
affelbe Ding bleibt und die Form bed vollendeten Entſtehens
ichtig aufgefaßt worden. Wir muͤſſen alfo zunächft überhaupt
ragen, wie und wodurch entfteht ein Staat, naͤmlich aus feinem
Begentheil dem Nichtflaat, und müffen dabei Achtung geben auf
8 was hiebei immer baffelbe fein muß, und was Davon aud)
verfchieben fein kann, namlich nicht fowol auf unbeflimmte Weife 28
verfchieben, denn dieſes koͤnnen wir nicht brauchen um Arten ber
Etaatöform feftzuftellen, fondern was auf beflimmte Weiſe ver:
Wieden ift. — Indem ich mich aber auf die Frage zuruͤkk⸗
Serfe, woburd der Staat entftehe, fo bin ich keinesweges ge:
Ammen den alten Streit darüber zu erneuern, ob der Staat auf
Uriche Weiſe entſtehe oder auf menfchliche, und im legten Fall
6 durch, Ufurpation oder durch Vertrag. Sonden ih man &
R 2
260
' ® .
nur fo, Indem fi) ein Staat bildet, was entſteht das vorher |
noch nicht da gewefen? Diefed aber fcheint nicht ſchwer zu de
antworten. Dad immer fchon vorher da geweſene, ber Stoff
gleihfam des Staates, ift ein Volk, eine naturgemäß zuſammen
gehörige und zufammen lebende Maffe, ohne Bolt kein Star
Wenn wir und Menſchen von allerwärtd ber zufammen gekis
ben oder geweht denken, und biefe koͤnnten auch unter Ger
gebracht werden, wie bie Sage bad alte Rom barflellt: fo wer
ben wir biefe Doch fchwerlich eher einen Staat nennen, bis wir
auch die Mafle ein Volk nennen können, nämlich bis Boden um
Menichen von einander Befiz genommen haben, bis wenigſtens ein
zweites Gefchlecht Eingeborner da ift, welches durch Anhänglichtet
an ben gemeinfamen Boden und an die gleichen-Lebensbedingum.
den auch auf eine natürliche Weife verbunden if. Der Start
aber ift die Form bed Wolfed, dad Volk ift nur völlig audgebib
bet, wenn fich dieſe Form rein und vollendet in ihm darſtellt.
Aber dad Volk ift eher ald diefe Form an ihm fichtbar wird
feine erften Zuflände find nur Annäherungen zu berfelben; *
wenn wir gleich keinen Staat mit geſchichtlicher Gewißheit
auf feinen erſten Anfang verfolgen koͤnnen, fo giebt es doch m
unferm Bereich Völker die auch jezt fireng genommen noch nicht
im bürgerlichen Verein fondern nur in den Annäherungen bag
leben, fo daß wir beide Zuftände wol mit einander vergleiche
koͤnnen. Ruͤkken wir nun die Punkte fo nahe ald möglich ze
fammen; ein fchon vorgefchrittened Bolt, dem gleichfam nur no
bad rechte Wort fehlt um bie Form des Staates zu finden, ii
einen gleichfam friſch und möglichft leicht aus jenem Zuflankfl
bervorgegangenen Staat: fo wird in diefem faſt ganz bafief:
fein wie in jenem. Die Gefchäfte die die Nachbarn in
Horde trieben, werden die Bürger im Staate forttreiben, ein
mweiternder Einfluß deſſelben auf ihre naturbildende
kann nur allmählig eintreten. Was im Staat als Recht wir
Pflicht feſtſteht, wird ziemlich baffelhe fein, was vorher SUR
261
md Gewohnheit war; und wenn bie Bürger im Staat durch
ab. Gefez zuſammen gehalten werden, fo hielten auch die Nach: 20
zarn in der Horde zufammen, und ganz von felbft hätte Feiner
ich von den andern getrennt. Nur bied erfcheint als der ſchnei⸗
ende Unterfchied, vorher wenn fie bafjelbe trieben war ed bee
wußtlofer Inſtinkt, fortgepflanzte Gewohnheit, jezt iſt es eine mit
Bezug auf bie Bebürfniffe ded Ganzen unternommene und ver
kheilte Arbeit; : wenn vorher einer Rache übte, handelte der von
ben andern ſtillſchweigend gebilligte und getheilte Affekt, jezt tritt
an feine Stelle die vom Geſez beflimmte Strafe; und vorher
wenn fie zufammenblieben war ed eine wahrhaft. mechanifche Cos
haͤſion des gleichartigen, jezt ift ed Waterlandötreue, die zwar an.
ſich Teinen höheren Grad und feinen weitern Umfang hat als
jene, aber bie ſich ald das erkennt was fie ifl. Kurz, inbem. ber
Staat wurde, ift nur bie fonft fchon vorhandene Gefinnung und.
Thaͤtigkeit im Gefez zufammengefaßt und bargelegt worden; was
da war ift nun auch auögefprochen, die bewußtlofe Einheit und
Bleichheit der Maffe hat fich in eine bewußte verwandelt, und
dieſe Entfichung des Bewußtſeins der Zufammengehörigkeit iſt
das Weſen des Staates. Allein wie ed kein Bewußtſein giebt
ab nur mit dem Gegenſaz zugleich: fo beſteht auch im Volk das
Benußtfein feiner Zufammengehörigkeit nur im Gegeufaz . mit
Ben Bewußtfein des Fuͤrſichbeſtehens jedes einzelnen. Daraus
det fich der Gegenfaz von herrfchenden und beherrfchten, von
Wegierung und Unterthan; dieſer ‚irgendwie gebilbete Gegenfaz
M das mefentliche Schema des Staates, und dad Beſtreben die
kn Gegenfaz umd mit ihm dad Bewußtſein von bem Werhältniß
les einzelnen zu einem beflimmten Naturganzen hervorzurufen,
em ganzen Leben einzuprägen und felbfithätig zu erhalten, iſt
& was ich im engeren Sinne den politifchen Trieb nenne. Ehe
Nefer nämlich erwacht ift, giebt es Feinen Unterfchieb zwifchen dem
Bein und Thun des einzelnen und dem Sein und. Meflchen
WB Ganzen; das dunkle Gefühl des gefelligen Menſchen vor dem
262
bürgerlichen Verein, ähnlich jenem unvollkommnen kindiſchecc⸗
wußtſein, welched fich und den Gegenftand noch nicht recht —
einander zu halten weiß, unterfcheibet fi) als einzelne
nicht beſtimmt, und ſtellt eben fo wenig fich beſtimmt das SS
gegenüber, fo daß ale Handlungen innerhalb des Ganzen ns
ſer Hinfiht nur Eine gleichartige Maffe bilder. So vie =
uns aber den Staat denken auch fhon in feinen erften Au
gen, fo ift mit dem Bewußtfein ded Ganzen auch dad bei-
terſchiedes zwifchen dem einzelnen und dem Ganzen erwacht, /
Selbftbewugtfein und fomit auch ber Selbfterhaltungätrieb za
zo FAN in zwei vorher ungefchiebene Momente, nämlich bad Primt
intereffe und ben Semeingeift, und wenn auch nicht beflinmt
zwei Klaſſen von Menfchen, doch zwei fich beflimmt auf einen
ber beziehende Maffen von Handlungen treten aus einanber. Di
Handlungen ber Unterthanen als folcher oder das ganze Gebiel
der Gefchäftigkeit im weiteſten Sinne find biejenigen Handlun
gen, welche. dad Bewußtſein der Einheit bed Ganzen und be
Gleichheit aller Theile mit dem Ganzen nicht unmittelbar in fd
tragen, Diejenigen welche die einzelnen zunaͤchſt nur auf ſich al
einzelne beziehen, aber die eben deshalb auch, wenn anders Di
einzelnen wirklich Bürger find, ſich abhängig erklären von de
anderen Reihe. Dieſe, die Handlungen der Obrigkeit, ober ia
weiteften Sinne Recht und Gefez, find diejenigen Handlungen
welche nur jenes Bemußtfein ausdrüffen, welche unmittelbar mu
dem Ganzen, nicht auch. dem einzelnen, der fie gleichfam zumal
. verrichtet, beigelegt werben, welche Reihe aber eben deshalb and
firebt fich überall jener andern Reihe einzubilden. Denn nur i
der Vermittlung biefed Gegenfazes ift das wirkliche bewußte We
ben des Staates. Geſez und Gefchäft beftehen in ihm mu in
Beziehung auf einander; ift das Gefchäft nicht dem Geſez gemlt
tig, wirft das Gefez nicht auf das Gewerbe ein, fo ift fein Stud
vorhanden. |
Fragt man aber, Wie fol denn aus jenem Unbewußtſen
vaB Mewußtfein, aus dem Nichtflant der Staat entſtehen: fo
wei äch freilich mit Reiner Erfahrung zu antworten, bie wie ges
(ost miemals fo weit hinaufgeht, fondern nur mit einer voraus:
geletzten und fehr unbeftimmten Geſchichte; denn Erdichtung will
N fie auch nicht nennen, da fie wirklich die allgemeine Geſchichte
aller Staaten enthalten muß, ich meine die unbeflimmten Grunds
& wage deſſen, was uͤberall den Zwiſchenraum zwiſchen beiden Ge⸗
va Men, dem Zuſtande ben wir vor dem Staate kennen und ben
ae, Mften Zuftänden des Staates, bie wir ſchon gefchichtlich kennen,
sche Bier fo dort etwas anders wirklich auögefült hat.
as 3 Zum Bewußtiein muß der Menſch überall gewekkt werben;
SE ie fehr feine eigenthuͤmliche Kraft auch von innen treibe und
"# beite, fie bebarf doch immer auch eined Stoßed um wirklich
©: beraußzufchlagen; fo jeder Moment der Geburt und ber Offen:
® Barung, aber auch die Erfindung und die Begeiſterung bedürfen
E eines wenn gleich oft ganz verborgen bleibenden Anlaſſes. We⸗
° ber jene innere Arbeit ber geifligen Kraft, die bier in allen Faͤllen
>20. ;biefelbe fein wird, noch diefen Außeren Anlaß, der ohne dies fehr
SE 'verfchieden fein Tann, vermögen wir aus bem Dunkel hervorzus ss
si‘ sieben. Das aber leuchtet ein, Woher auch wenn bie innere
= -Borbereitung erfolgt iſt und ein äußerer Anlaß alfo wirkfam wer:
ve; dm kann, woher auch dann biefer Anſtoß zum politiichen Er-
un wachen kommen möge; in jedem Falle werden wir uns benfen
ws Ünmen, baß er die ganze zum Staatwerden reife Maſſe einer
; Rölkerichaft entweber gleichförmig berührt ober ungleichfoͤrmig.
Im erften Falle wird auch jener Gegenfaz fich gleichförmig in
allen entwilkeln, in jedem wirb Recht und Gefez fich bilden und
das Gefchäft fich davon fondern, und dem Weſen nach in jedem
gleich rein und Eräftig. Alfo werden auch nicht einige fich aus⸗
ſchließend ald Herrfcher erheben, und andere ſich ausſchließend als
Unterthanen beugen; fondern der Gegenfaz von Obrigkeit und
Unterthan wird in jedem Bürger ganz fein. Alle werden in ges
wiſſen Momenten fich vereinigen müffen um die Obrigkeit bar:
264
zuftellen, und in anderen wiederum fih ttennen um fi) als Um
terthanen zu zeigen; und dies iſt die Demokratie, ber durch
gleichförmiges Uebergehen einer in fich gleichartigen Volksmaſt
in das politifche Bewußtſein entflandene und diefe Gleichförmip'
keit darftellende Staat. Weil aber in diefem Staat Gemeingaf
und Privatintereffe fich in jeded einzelnen Bewußtfein unmittd
bar und immer berühren, wird ber Gegenfaz zwiſchen beiben u
ſchwach aus einander treten, eben deshalb aber auch beibes fi
nieht innig genug durchdringen; vielmehr das fich haufig durch
Ereuzende Privatintereffe wird auch den Gemeingeift trüben mb.
„ben, öffentlichen Willen ungleichförmig machen. Der Bürger is
ber Volksgemeinde vergißt nicht feine Werkftatt, und bezieht fe
berathende Stimme mit auf fein Geſchaͤft; der Bürger in
Werkſtatt vergißt Die Gemeinde nicht, und bezieht fein Gef
mit auf feine politifche Würde. So unmittelbar und tumu
riſch einander begegnend flößt dann beides oft hart an-ei
wenn einer im andern bad Privatinterefie da findet, wo
Gemeingeiſt fein. follte, die Bewegungen find unruhig, das
ſez ſchwankend, das Geſchaͤft unficher, und fomit ber ganze S
ſchwach. — Im andern Fall, wenn eine in fich gleichartige
im Ganzen zum Staatwerben gleich reife Maffe von dem flat
bildenden Anſtoß dennoch ungleichfoͤrmig beruͤhrt wird, kann di
Ein einzelner fein den er vorzüglich trifft oder mehrere.
das politifche Bewußtſein ſich nur in Einem aus einer ſolche
Maſſe entwikkle, iſt freilich kaum anders zu denken als in ein
Moment, wo gerade fein Geſchaͤft und Talent ihm einen uk
32 gezeichneten Einfluß giebt, und die Menge das Bedürfniß eſ
ben fuͤhlt, oder es müßte denn ein fremder in dem es von H &
her ſchon entwikkelt ift unter eine ungebildete aber doch 7
Staatwerben einigermaßen reife Maffe verfchlagen.. werden,
man denn von vielen Staaten glaubt daß fie durch Einwan
ver zuerſt gebildet worden. Daß es ſich in mehreren zuglt
entwikkle iſt aber noch ſchwerer zu denken. Denn der auch m
/
’ 265
um ein weniges früher auöbrechende wirb fchon immer den Vor:
sang vor ben andern haben, benen nur übrig bleibt fich ihm als
die erften.. anzufchliegen. Oder wenn wirklich mehrere zugleich
anfangen .en Staat bilden zu wollen: fo wird entweder ein
Kampf entftehn in welchem Einer fiegt und die andern in bie
Maſſe zurüfktreten, oder ein MWetteifer während beffen fich ber
golitifche Trieb befto leichter ber ganzen Maſſe mittheilt. Blei⸗
ben wir jedoch dabei, die politifche Entwikklung beginne in Ei:
nem: fo wird freilich ein folcher dad in ihm erwachte Bewußt⸗
fein den andern, fofern fie dazu reif find, mitzutheilen im Stande
fein, und fie ihrerfeitö werden ‚ed, weil ber natürliche Keim dazu
in ihnen nicht minder ſchon liegt, gewiß auch aufnehmen; aber
indem es fich nicht urfprünglich in ihnen entwilfelt hat, und fie
es alfo auch nicht von dem gegebenen Anlaß aus felbfifländig
fortbilden tönnen, werben fie dadurch nur geneigt gemacht wers
den von jenem abzuhangen und fich von ihm leiten zu laffen,
und dies ift die urfprünglichfte und einfachfie Monarchie. Kann
aber wol aus einer fonft gleichartigen Maſſe Einer in feiner pos
litiſchen Entwikklung den andern allen fo vorausgehn, dag nicht,
wenn einmal durch ihn gewekkt und in dad Ganze immer mehr
bineingelebt, die andern ihm wenigſtens allmählig nachlämen,
früher. freilich wenn er ein einheimifcher und fpäter wenn er ein
fremder war? und wird dann nicht diefe Monarchie fich wieder
neigen zur Demokratie und früher oder fpäter auch wol wirklich
in fie übergehen? und wenn flufenweife, gefchieht es dann nicht
Durch eine Art von Ariſtokratie? Auf der andern Seite aber
wenn im ber urfprünglichen Demokratie ein zufammengefezteres
zegered Leben eingetreten iſt durch den Staat, wie er denn. ims
mer allmählig dad ganze Daſein erweitert: Tann dann wol die
Gleichheit des politiichen Lebens fo fortbeftchen, daß nicht einige
nur, oft auch Einer ein entfchiedened bald formlofes bald beftäs
tigtes Uebergewicht übt, und werben dann nicht, wenn auch vors
übergehend, ariftofratifche und monarchiſche Zuflände entweder
266
ſich einfchleichen oder gewaltfam feftgeftellt werden? So kommt |
‚uns demnach von allen Seiten das alte Spiel bed Wechſels der
33 Drei Formen wieder; aber zuerfi fehen wir es gefonberter un
begreifen beffer, wie in einigen folchen Staaten die Demokratie
das herrfchende bleibt, weil fie das urfprüngliche war, und in bem
Ganzen die Annäherung zur Gleichheit vorberrfcht, bie fih da
ber, wenn fie auf eine Zeitlang verrüßtt worden ift, wieder ber:
zuſtellen ſucht, und wie in andern biefelbe monarchifche Form,
- die in jenen nur vorübergehend vorkommt, das herrfchende bleibt,
weil fie das urfprüngliche war, und weil dad Ganze ſich mehr
zu einer Entwikkelung ber Ungleichheit feiner Glieder hinneigt.
Bor allen Dingen aber erfcheint und dieſes ganze Verhaͤltniß
der drei Kormen befchränkt durch die urfprüngliche Vorausſezung,
und nur aus ihr begreiflih. Denn was wir angenommen ha—⸗
ben, jened leichte ruhige Entflehen des Staates, jener- geringe
Unterfchied zwifchen dem Zuflande im Staat und dem vor bem
Staat, jene Sleichheit und gleiche Zufammengehörigkeit ber ſich
zum Staat verbindenden Maffe, died alles kann, wie gewiß je
ber leicht zugiebt, nur flattfinden in dem engen Gebiet einer eim
seinen Wöllerfchaft oder Horde, welches wir auch damals gleich
auöfchliegend ind Auge gefaßt haben. Nur von einer folchen
Demokratie begreifen wir warum fie mit monarchifchen Zuflän
den wechfelt, und nur von einem folchen Königlein, deſſen eigner
politifcher Sinn nicht über feine Horde hinausgeht, und deſſen
Reich fih auch in "diefen Grenzen hält, nur von einem foldyen
wiflen wir daß unb warum feine Monarchie in einer natürlichen
Hinneigung iſt zur Demokratie. Vermoͤge diefer Vorausſezung
aber find alle folhe Staaten, welche Form auch in ihnen dab
Uebergewicht haben möge, fich unter einander mehr ähnlich, und
Dagegen von benen, bie einen größeren Umfang einfchließen, viel
‚ weiter abweichend ald nad Maaßgabe des Unterfchiebed der Form.
Diefes nun führt und ganz natürlich darauf, ob es nicht
einen weit bedeutenderen Unterfchieb giebt, ald den jene drei Be
—
267
‚geiffe, fo wie wir fie bis jet abgehandelt haben, bezeichnen, und
ob man nicht vielmehr biefen recht ins Licht fezen follte, um nach
ihm zunächft die Staaten zu Blaffificiren, nämlich nach der Kraft,
womit das flnatbildende Prinzip fich feined Gegenflandes bemaͤch⸗
tiget, ob es nur eine einzelne Horde oder Stamm eines großen
Volkes geftaltet, oder ob es fchon Eräftiger eine unbeflimmte Mehr:
heit von diefen umfaßt, ober ob es unbebingt auf Die Gefammt-
heit eines Volkes gerichtet ift und alle feine Stämme bindet.
Denn in folchen Staaten, die ein ganzes aus vielen Horben und
BSolkerſchaften beftchenbes Volk zu einem Ganzen verbinden, wird
fi) vieleicht alles was zum Staat gehört anders geflalten müfs »
fen, als in folchen die nur eine einzelne Voͤlkerſchaft oder einige
umfaflen. Der Menfch iſt zwar gewiß von Natur gefellig, aber
wie feine gefammte Natur, fo entwikkelt ſich auch feine Geſellig⸗
Feit nur allmählig. Jene erfte formlofe Aeußerung berfelben, das
Zufammenleben in einer Horde, hat wie jede Cohaͤſion ihre bes
fimmten Grenzen; fie iſt durch die unmittelbare Gegenwart bes
dingt, und trägt die Worausfezung eined wenn gleich entfernten
Familienzuſammenhanges, einer allen fühlbaren Bruͤderlichkeit in
ſich. Verſchiedene Horben, wenn fie auch noch fo nahe verwandt
find und ihre Wohnfize nur wenig entfernt, fühlen fich doch im
‘jenem Zuſtande fchon getrennt, und befehden ſich gelegentlid, ein:
ander. Jene Heinen Staaten nun, bie nur Eine Horbe ober
Bölkerichaft umfaffen, find au nur eine eben fo unvollkommene
Entwilfiung der gefeligen Kraft, und gleichen baher mit Recht
den unvolllommmen lebendigen Erzeugniffen im Gebiet ber Nas
tue, wo auch die Arten nicht recht feft fiehen wollen, fondern in
Vebergängen alles in einander fließt. Und offenbar fallen bie
Begriffe Demokratie, Arifiokratie und Monarchie, fo wie fie
fammtlich bei den Hellenen felbft vorkommen, überwiegend in
dieſes Gebiet. Die Hellenen hatten unter fih nur Kleine poli⸗
tifche Gebilde, auf welche fie ihre Betrachtung richten. konnten’;
ſchon die großen orientalifchen Formen blieben ihnen eigentlich
268
fremd. Und wenn fie philofophirend ein hohes Ideal eines KH
niges ;in großem Styl aufftellen: fo war der weder ein Keine. hi
bellenifcher König noch auch irgend im wefentlichen dem yerfs , |
fchen Großkoͤnig nachgebildetz; fondern Died Ideal war nur der
J natürliche Ausdrukk ihres Gefuͤhls von der Unvollkommenheit ber
kleinen Verfaſſungen durch eine Ahnung größerer, die allein na
her beflimmt wurde durch die Einficht, daß dasjenige, worin bie
Menge unmittelbar herrſcht, immer nur etwas geringfügiges fein
koͤnne. Und höher ald zu einer folchen Ahnung war biefem geif:
reichen Volke nicht beftimmt ſich emporzufäpwingen, wahrfcein
lich weil in den damaligen Weltverhältniffen die Nothwendigkeit,
dag auch die Intelligenz in großen Maffen und Formen eriftiren
müffe, noch nicht gegeben war. Die einzelnen griechifchen Staa⸗
‚ten vergingen alle ald Märtyrer für dieſe Eleinliche Form be
politifchen Dafeind, bei der ein loſes füderatives Band fie nicht
zu. fihügen vermochte. In dieſen Staaten alfo von geringem Um:
fange ſtehen jene Formen nicht feſt; Demokratie, Ariſtokratie und
‚Monarchie find nur wechfelnde Zuftände, welche auf einander fol:
35 gen, ohne bag dad Individuum ein andered wird. Dabei aber
it Grund genug dieſer ganzen niedern Stufe die demokratiſche
Form überwiegend zuzueignen, und die andern nur ald unten»
geordnet anzufehn; denn bie geringe Spannung des politifchen
Gegenfazed und dad daraus entflehende tumultuarifche Weſen it
auch der Charakter der Ariftofratien und Monarchien, die wir
auf dieſem Gebiete erblikken. Nun entficht uns aber bie Fragt,
Wird daſſelbe Verhaͤltniß diefee Formen auch flattfinden in ben
Staaten höherer Ordnung? In etwas vereinfacht ſich uns dieſe
Frage gleich durch die Betrachtung, bag die Demokratie als
oberfte Form eines Staates ber eine große Nation umfaßt, nicht
möglich ifl, weil ein Zufammentreten aller Bürger in Einer Ben
fammlung um die Obrigkeit darzuftelen nicht flattfindet. Den
wollte man auch die äußere Beſtimmung dahin erweitern, «&
ſolle noch für Demokratie gelten, wenn die vom Volk gewählten
—
269
Repräfentanten ober beren Afterrepräfentanten. am Ende in Eine
Berfammlung zufammengebrängt würden: fo Tönnte doch babei
aud) dad Weſen der Sache nicht beftehen; denn ſolche Repraͤſen⸗
tanten für die ganze Zeit ihred Zufammenfeind ganz von ihrem
Privatleben abgetrennt unb auf ihre politifche Funktion beſchraͤnkt,
koͤnnen jened freilich verwirrende aber auch leichte und fich bald
wieder fröhlich entwirrende Spiel. zwifchen Privatintereffe und
Gemeingeift, welches ber wahre Charakter ber Demokratie ift,
nicht entwikkeln; wie man denn auch bie repräfentativen Vers
fafjungen von den Demokratien immer getrennt hat. Es bleibt
alfo von der Frage nur fo viel übrig, ob auch in ben Staaten
von großem Umfang Monarchie und Ariſtokratie nur ald wech
feinde Zuflände vorkommen, ober ob biefe Formen bier fefter
fiepen. Ä
Ehe ich aber diefe Frage beantworten kann, muß ich eine
andere voranſchikken, wie nämlich wol folche ein ganzes Wolf
umfafjende Staaten höherer Ordnung entfichen, ob fchon urs
ſpruͤnglich aus dem vorbürgerlichen ‚Zuftande? oder wenigftens
unmittelbar aus jenen Tleineren Staaten durch Bufammenfchmels
zung? oder ob zwifchen beiden noch ein Bildungspunkt liegt, auf
dem fich eine Mittelgattung geftaltet? Das erfte wird wol nicht
leich£ jemand annehmen, Denn nur durch ein Wunder Eönnte
der politifche Trieb im ber ganzen Maffe eines in viele Horden
und Voͤlkerſchaften zertheilten Volkes gleichzeitig und gleichmäßig
erwachen; und eben auch nur durch ein Wunder Eönnte ein eins
zeiner aus Einer Voͤlkerſchaft, in dem jenes Bewußtſeyn erwacht
iſt, gleichzeitig und gleichmaͤßig einen bildenden und unterwerfen⸗
den Einfluß auf alle getrennten Horden und Voͤlkerſchaften aus: 36
üben. Alſo nicht urfprünglich entfteht der große Staat, fondern
der Eleine muß vorangegangen feyn. Das aber können wir uns
fehr leicht und völlig in ber Analogie mit dem urfprünglichen
Entfichen des kleinen Staates denken, dag wenn unter’ einem
aus mehreren BVölkerfchaften, alle noch ohne bürgerlichen Wereit,
‘
270
beftehenden Volk die Staatöform in einer berfelben entflanben if,
gleichviel ob demokratiſch oder monarchiſch, dann ber junge Staat
fehr leicht, wenn anders Die Horden einander feindlich oder freund⸗
lich genugfam berühren. und fonft günflige Umſtaͤnde eintreten,
auf eine ober die anbere noch formlofe Horde einen Ähnlichen
“ Einfluß ausüben wirb, wie ber einzelne, in welchem fich zuerk
das politifche Bewußtſein entwilkelt, auf feine Horde ausübt,
indem er ihr König wird. Auch diefer Einfluß kann fich freund»
licher oder gewaltfamer geftalten; wie bem auch fei, fo wird
durch biefelbe Naturgewalt ein ähnliches Ganzes entſtehen wie
bort; die eine Wölkerfchaft wird regieren, wie dort Ein einzelnes
König ift, und die andern werden regiert werben wie bort bie
andern einzelnen. Jene hat dad politiihe Bewußtſein biefen
mitgetheilt; aber weil es eine felbfifländige Entwikklung in ih⸗
nen ift, fo werben fie nur Dazu geneigt ober darin beflätigt bie
Dbergewalt jener anzuerkennen, vielleicht nicht felten eben fo
leicht und freiwillig wie bie meiften Menſchen für ben erſten Ans
fang Schüler desjenigen werben, der ihnen zuerfi das wiſſen⸗
fchäftliche Bewußtſein mitgetheilt bat. Die Mitglieder der ve |
gierenden Voͤlkerſchaft „bleiben aber dabei unter ſich durch ihr vos
riged beſonderes Band vereinigt, ja dieſes Verhaͤltniß befeflige
fi) noch mehr durch das was fie gemeinfchaftlich ausgerichtet
haben. In diefem Verhaͤltniß nun find fie nach wie vor demo
kratiſche Bürger; indem fie jene regieren behalten fie unter ſich
denfelben Charakter, baß jeder in feiner Perfon die regierambe Thaͤ⸗
tigkeit, die ſich auf dad Ganze bezicht, mit der auf das Privab
interefje gerichteten, bie dem einzelnen einwohnt, verbindet. Die
ſes nun ift eine Mittelform; ihr äußerer Charakrer ift das poli⸗
tifche Sneinanderfein eines regierenden und eined oder mehrere
segierten Stämme, wobei ganz zufällig ift ob dieſes Ineinander
fein auf dem Wege friedlicher Einfiebelung und Ueberredung ent
fanden ift oder durch Krieg und Unterjochung, zufällig auch ab
fo nur wenige Stämme eines Volkes vereinigt find ober alk.
— —
274
Bahrfcheiniich aber ift das lezte nicht; denn ein junger Staat
er niederen Stufe wird eine fo große Gewalt nicht bald aus:
ben koͤnnen. Welches aber wird ber innere Charakter und bie
othmwendige Gefchichte diefer Staatöform fein? Indem das ges sı
seinfame Beſtreben aller aus dem regierenden Stamm auf das
usfchließlich Kortregieren deſſelben gerichtet ift, die Unterworfes
en aber, je mehr fie von dem politifchen Bewußtfein durchdrun⸗
en werben, das Beilpiel einer Vereinigung beider Thaͤtigkeiten
vor fich fehend und immer beffer begreifend, allmählig auch Luft
um Antheil an ber Regierung bezeigen: fo werden die Herr⸗
enden mißtrauifch gegen die Untergebenen, und um ihnen nicht
Blöge zu geben hüten fie fich zu fehr auf demokratifche Weife zu
umultuiren, und bringen ein ſtrenges Maaß in ihre Verbands
ungen. Jener äußere Charakter und dieſer innere, das zwiefache
Berhältnig in welchem die vegierende Maſſe unter fich fieht und
u der regierten, bie ernfle und gemeflene Gravität der Herrſcher
nd ihr mit der politifchen Ausbildung ber regierten zunehmen⸗
es Mißtrauen gegen biefe, beide Charaktere in ihrem nothwen⸗
igen Zufammengehören, bilden bad Weſen der eigentlichen Ari:
ofratie. Und fo wird unfer nun gefundene Mittelftaat eben fo
vefentlich ariftofratifch fein, ald der Staat der nieberen Drdnung
vefentlich demokratiſch war; aber auch ausweichen wird ex koͤn⸗
en in ber Außern Form. Nämlich demokratiſch kann ſich ein
Aches Ganzes nicht. mehr geflalten. Denn wenn bie regierten
Stämme fich fo besanbilden, dag aller Unterfchied zwilchen ihnen
nd dem regierenden innerlich fo ganz verfchwindet, dag Außer
ich ihn noch feflzuhalten nur frevelhaft wäre: dann iſt doch fchon
es Umfanged wegen die Demokratie nicht mehr moͤglich. Wol
iber kann der weſentlich ariſtokratiſche Mittelſtaat Außerlich in
ne monarchiſche Form hinüberfchweifen. Denn wie die einfache
Demokratie ohne ihr Weſen zu verändern in jene Bleinliche Mo:
tarchie übergehen Tann: fo können auch hier die regierenden, die
inter ſich demokratiſch verbunden find, fi unter ein Derganınt
272
aus ihrer Mitte flelen, und werden es, wenn dad Mißtrauen
wächft, leicht thun, fo oft fie nur glauben ihre Kräfte auf bie P
Art am beften vereint zu halten; oder auch auf andere Weiſe F
kann eine folhe Veränderung eingeleitet werben. Der Staat hat
dann Außerlich angefehen eine monarchifche Form; aber fein ie
nered Wefen bat er dadurch nicht im mindeſten verändert, dab
Verhältniß der regierten Stämme zu dem regierenden bleibt dafs
felbe, und der König fühlt fi nur diefem innig angehörig gay |
in fein Intereffe verflochten und ihm weit näher verwandt ald J
jenen. Diefe monarchifche Form des ariftofratifchen Staates wird
defto häufiger eintreten, da fie auch von dem Falle aus natün
ss lich entfteht, wenn die politifirte Wölkerfchaft, die fich eine. oder
mehrere noch formlofe untermarf, urfprünglich eine monarchiſche
Form hatte. Denn der König beffen Reich fich fo erweitert, und
ber bie politifche Kraft ein folched Ganzes zu erhalten und zu
bewegen nur in feiner ihm urfprünglich angehörigen Voͤlkerſchaft
findet, muß diefer, nach Maaßgabe wie fich jeder ſchon vorher
politifch ausgezeichnet hat, von feiner Gewalt und regierenden
Thätigkeit abgeben und die alten Unterthanen weit über bie neuen
erhöhend gleichlam zu feines gleichen machen. Worzüglich aber
wird diefe Form eintreten, wenn eine flaatgeworbene Voͤlkerſchaft
auf dem gewaltfamen Wege ihr politifches Leben erweiternd uns
cioilifirte Voͤlker oder zerfallende Staaten unterjocht. Der Krieg,
in welchem nothwendig Einer herrfchen muß, drüfft dann dem
ganzen Staat feine Form auf. Die untergeorbneten Anführer
fiehen dem höchften am nächften, und herrfchen am meiften mit
ihm; und je mehr der ruhige Zuſtand fich feflfezt, in welchem
bie Obergewalt entbehrlich erfcheint und Dagegen der unmittelbare
Einfluß der untergeordneten Anführer auf die Maſſe ſich in feis
ner ganzen Wichtigkeit entwikkeln kann, um deſto mehr erheben
fi) diefe, und der König wird nur ber erſte unter Gleichen, it
deß fich häufig bie immer nur angeführte und beherrſchte Maffe
der erobernden Voͤlkerſchaft mit der der unterjochten bedeutung®
l
273
88 vermifcht. Dies ift der Zall der und in den politifchen (Ges
baltungen des Mittelalterd häufig genug vorlommt. Gin folcher
alſo ift der arifiofratifche König, der bald mehr bald weniger
wächtig, bald gewählt bald erblich, immer zwar mehr ift als
der kleinere bemofratifche; aber indem ex feine Würde nur darin
andfprechen kann, daß er ber erſte Edelmann feines. Reiches if,
eben dadurch fich weit geringer zeigt ald der wahre monarchiſche
Monarch. So ift demnach ihrem Weſen und ihren wechfelnden
Jormen nach diefe zweite Ordnung der Staaten beichaffen, welche
ſich vonder erſten dadurch unterfcheibet, daß fie nicht Eine fon»
ben eine Mehrheit von Horden oder Voͤlkerſchaften umfaßt, daß
fie auf einer in diefer ganzen Maffe nicht gleichförmigen ſondern
ungleichförmigen Entwikklung des politifchen Triebe beruht, in
welcher ein Theil bes Ganzen fich überwiegend thätig ber andere
überwiegend leidend verhält, daß eben deöhalb der politifche Ges
genfaz bier ſtaͤrker geſpannt ift, nicht mehr alle zugleich Unters
thanen und Gefezgeber jind, fondern nur einige zugleich regieren
und vegiert werben, andere aber fich als reine Unterthanen ihnen
gegenüber ftellen, und daß endlich diefe zweite DOrbnung von ber
demofratifchen Form ganz audgefchloffen nur zwifchen der ariftos so
Tratifchen und der monarchifchen fich bewegen kann. Betrachten
wir nun biefes und fehen hinauf zu dem Staate der höchften
Drdnung der bie Gefammtheit eined Volkes umfaßt, oder viel
leicht fonderbar genug gar nach einem noc größeren Umfang
frebt: fo wird freilich ſchon die Analogie und reizen und treiben
im voraus anzunehmen, baß ein folcher Staat nun in ber mos
narchiſchen Form allein feftftehen müffe, und was daraus weiter
Plgt. Doch wir wollen uns hiervon nicht beſtechen laſſen, fons
km auf bem bisherigen Wege fehen wie es fich verhalte, und
»Ähren daher zunächfl zu der Frage zuruͤkk, wie ein folcher die
; Sefammtheit eined Volkes umfaffender Staat wol entftehen koͤnne.
Denn wir haben zwar unterdeſſen gefehen, daß fich zwiſchen die:
ſem und den urfprünglichen kleinen Staaten eine Mittelftufe ein-
Schleierm. ®. II. 2: &
274
ſchiebe: daß aber dieſe durchaus vorangehen muͤſſe, iſt uns nicht
zugleich erfchienen; vielmehr bleibt die Krage übrig, wenn vs
folder Staat nicht urfprüngli aus dem Nichtflaat hervorgeha
kann, ob er nur unmittelbar aus ben Heinen einfachen Staais
ober nur zunächft aus dem mittleren zufammengefezten Staeh
ober eben fo gut aus dem einen entfichen koͤnne als aus den
‚andern? 3: Ba
Um nun hierüber zu entſcheiden müflen wir zunächft dieſd Ja
erwägen. Soll ed einen Staat geben, ber bie Einheit eim nu:
ganzen Volkes als eine wahre und nothwendige Natureinheit i
Bewußtfein auffaßt und in den Formen bed Lebend ausfpridk
fo ift in der Mehrheit Fleiner Staaten oder auch in dem zuſan
mengefezten Staat der eine Mehrheit von Horden umfaßt Feind
weges fchon ein diefem Staate gleiches nur unbewußtes Dafes
gegeben, .wie wir fehen daß zu dem urfprünglichen Fleinen Stud
das. unbewußte fchon in dem jedem Staat vorangehenden - 3
und aud in bem zufammengefezten Staat liegt Feine natürliche lie1
Anziehungskraft bie nothwendig auf alle noch übrigen Stämme Ind
deſſelben Volkes wirkte. Sondern nur fehr leife Worandentun: \ig,
gen finden fich hiezu; fo Daß man fireng genommen fagen muf, us
das Erwachen des Bewußtfeind von der Einheit und bem Zus |iy:
fammengehören eines ganzen Volkes ift eine völig neue Evolu⸗4
tion und eine fchlechthin höhere Stufe des politifchen Bewußt⸗
feind und Triebes, die jeden der daran Theil hat, wegen bed
“großen Spiel, worin die Thaͤtigkeit eines jeben verflochten if, bs
über Die Bürger aller Staaten kleinerer Drbnung ja über die
Regenten von dieſen weit mehr erhebt ald der Athener fich Aber
. ben Peparethier fühlte. ine ſolche Verfchiedenheit politiſcher
"Würde kann man dem zufammengefezten Mittelftaat im Ber
‚ gleih mit dem einfachen Beinen Staat fchwerlich zuſchreiben. ad
275
urch bloße Erweiterung kann diefer Staat weber aus ben
: Staaten noch aud dem Mittelftante entfliehen, weil durch
Erweiterung Fein neued Princip feine höhere Stufe bes
8 fich bilden kann. Die allmählige Vergroͤßerung einzel
taaten ber unterfien Stufe hat in ihrer demokratiſchen Na
re beflimmten Grenzen, und Tann nie ben Umfang. eines
Volkes erreichen. Bei dem ariſtokratiſchen Staat iſt eine
Erweiterung, daß die herrſchende Maſſe ſtatt einiger all⸗
j alle noch minder politiſirten Stämme des Volkes ſich
‚ürfe, vieleicht denkbar; aber ber herrſchende Stamm hörte
b nicht auf nad feinem Privatintereffe zu regieren, und .
id kann fagen daß dann die Einheit des ganzen Volkes
bensprincip des Staated wäre. Alfo da, wenn biefer Punkt
t werben fol, auf jeden Sall:eine neue Entwikklung beb
ßtſeins vorgehn muß, fo flellen wir billig die Frage eben
ie wir die urfprüngliche geftellt haben. Wir werben ber
gie nach fagen müffen, bad Bewußtfein bes rein nationa⸗
inheit, wie ed zugleich ald politifcher Trieb thätig aus⸗
‚ Eönne fich entweder in Einem zuerſt entwikkeln, ober in
zugleih. Die vielen innen wol offenbar nicht fein die
vorfenen bes ariftokratifchen Staated. Vielleicht zwar kann
t ihnen nach mancherlei Schifffalen nady großen Fortſchrit⸗
ı ber Bildung der Gebanfe. einer Nationaleinheit entwikkeln,
theild wird darin zu fehr das Element vorwalten, daß fie
em herrfchenden Stanıme gleich machen wollen, unb wirb
zedanken verunreinigen, theild kann er doch nur frommer
ch bleiben, der fich in mancherlei balb mehr bald minder
en Theorien entwißfelt, ben zu realifiren es ihnen aber an
Mitteln fehlt, außer in dem ungluͤkklichen Fall, wenn bie
rung entweder irgend fonft wie in fich felbft zerfällt, oder
unfelige demokratiſche Revolution hervorruft, welche indeß
n in fich fchwaches Princip die große Umbildung nicht biei-
bewirken kann; und auch nicht darf. Denn wo bliebe bie
S2
276
Nemefis, wenn fie auch diejenigen nicht treffen follte, welde gu Fi
flören wollen um zu bauen? Indeß iſt nicht zu verkennen, we Ri
eben biefe politifche Lage, daß der Staat das ganze Voll: mb Fr
a Sprachgebiet zu Einem Ganzen vereinigt hatte, bie Aber de ii
Volkseinheit erreicht war, die Verfaffung aber immer noch af fe
dem bebenklichen und nicht mehr haltbaren Punkt der arifche We
tifchen Monarchie flehen blieb, eine von den Natururfacen de ii
franzöfifchen Revolution war. — Die vielen alfo, in denen Mi
diefer höhere politifche Trieb entwikkeln Eönnte, müßten offene
die einzelnen innerhalb eines Volkes fchon beftehenden Gtoate
theils ber niederen theils der mittleren Ordnung fein. Dies
Tann allenfalls auch im ruhigen Nebeneinanderleben allmaͤhlt
das Gefühl von ihrer höheren gemeinfamen Einheit aufgehn und
von ihrer Beſtimmung endlich in Einen Staat höherer Orbnumg
zufammenzumwachfen. Aber auch fie werden bad Wort dazu nid:
finden, wenn nicht irgend ein äußerer Anlaß, fei es eine gemein
ſchaftliche Gefahr oder was fonft, hinzu fommt. Das erfte, und
wol bad einzige was auf ruhigem Wege erfolgen kann, wir
dann wol fein, daß die Einheit des Volkes nur dargeſtellt wire
in einer repräfentativen Verſammlung von Abgeorbneten der eine
zelnen Staaten, und fo entficht ber föberative Staat, ober d
Republik der höheren Ordnung. Allein in einer folchen Be
fammlung ſfind doch die mehreften überwiegend befeelt von de
Privatintereffe ihrer Particularflaaten die fie als felbfiftändig ame
zufehen gewohnt find: diefed Privatinterefie ſteht mit dem E
meinfinn für die Einheit bed Ganzen in einem der urfprüngliche
Demokratie ähnlichen nur fehwerfälligeren Kampf, das hoͤhe
Princip hat nirgend ein reined Organ; dad Ganze ſchwankt, |
es Ein Staat fein fol aus ungleich gebildeten und in gewiſſe
Grenzen noch felbfiftändigen Theilen, ober ſtatt des Bunbeöfluef
tes nur ein Staatenbund, nur eine unbeflimmte Vereinigung me
rerer Staaten auf fo lange ald ihre Anfichten nicht zu weit au
einandergehen; und dieſer ſchwankende durch oft wieberkehren
N
277
niß, daß alles fich Idfen werde, ſtets zerrüttete Zufland,
| er anderd aufhören, ald wenn das höhere politifche Prin⸗
reined Organ gewinnt in einem monarchifchen Element,
Kraft hat dad Provinzials und Gantonalintereffe. in fefte
; zurüffzuweifen, und ed der Einheit des Ganzen unters
ı. So daß au) bei diefer Entftehungsart der Staat der
Ordnung nicht eher ganz und wirklich da iſt, ald mit
archiſchen Form zugleich. — Sol aber das höhere Prin⸗
wahren Volkseinheit in einem einzelnen urfprünglich fich
In: fo koͤnnte wol unter günftigen Umfländen in einem
n kleinen Königen einer einzelnen Wölkerfchaft diefe Idee
1; allein wie wollte er bei fo geringer Macht fie dar: «
Denn wenn ed ihm auch gelingt feine eigene Wölfers
mit zu befeelen: fo wird doch nur zu leicht hieraus bie
riftofratifche Form entftehen, in der die Einheit bed Gans»
als Princip durchbricht; und eben beöhalb wird ent-
e Anftrengung erichöpft fein, ehe ber ganze Umfang er⸗
‚ oder das ruhige Beſtehen ded Ganzen immer unters
werden durch den Kampf einzelner Bölkerfchaften um die
t ded Ganzen, welches die Gefchichte der drei alten weft:
? Monarchien gewelen if. Es fcheint alfo, wenn die
n der Einheit eines großen Volkes auf bleibende Art
bh Eine Evolution politifched Princip werben und einen
efer höchflen Ordnung bilden fol: fo muß fie erwachen
ariftofratifchen Staat, der fchon einen bedeutenden Theil
es ausmacht; aber nur unter folgenden Bedingungen
ies am gluͤkklichſten gefchehen zu koͤnnen. Nämlich die
fenen Stämme müffen fchon .fo weit durch Die Länge
politifirt fein und ihre Bildung bee des herrichenden fo
gewicht halten, daß längere Fortdauer der politifchen
eit unnatürlich ſcheint. Der Staat ferner muß eine
iche Form haben, die feftfieht und Vertrauen einflößt —
der ariftofratifchen wird das Mißtrauen nie fo weit zu
278
überwinden fein, daß alle Kräfte ſich in dem großen Werke vr
einigten — und ben ariftofratifchen König muß biefe Idee va
züglich befeelen. Diefer ift dann ohnflreitig ganz vorruͤglich gi
eignet einen Staat der hoͤchſten Ordnung zu gründen. Cr fu
ſich unter diefen Umftänden über das Privatintereffe bes hei
feyenden Stammes genugfam erheben um die Idee aufzufafld
und er ift mit Macht genugfam ausgerüftet um file zu realifired
je näher er dem unumfchränkten fteht, defto Leichter; je mehr nd
in dad Intereffe des herrfchenden Stammes durch eine Art ol
Abhängigkeit verflochten, um deſto fchwerer freilich. Und of
fcheint das wahre an dem Worte, daß ein König unumfchräd
fein mug um feinem Volk die Freiheit zu geben; denn die ga
beit aller ift nur in ber feiten Einheit des Ganzen. Lebt al
und handelt erſt der Theil des Volks den ein ſolcher König
mittelbar beherrfcht mit ihm und durch ihn ganz in bem G
ber großen Volkseinheit, dann wirb auch die Kraft nicht
die noch vereinzelten Theile plözlich oder nach unb nach mit
in welchem bie Idee fchon lebt zu verbinden, und ber Staat
a3 höchften Ordnung ift im Werden, bis zulezt das ganze Voll
ter Ein großes und vollkommones Band zufammengefaßt ifl.
fo der ariftofratifche König das große Werk wozu er beruf
audgeführt: fo ift er denn auch äußerlich, was er innerlich
als er es anfing muß gewefen fein, nämlich der wahrhaft
narchifche Monarch im höchften Sinne ded Wortes, Wie
und alſo auch ber Staat ber. höchften Ordnung wefentlid
beichaffen fein, das iſt und noch übrig zu fehen.
Zuerft erhellt aus dem gefagten die Nichtigkeit des M
geahndeten. Wie nämlich der urfprüngliche Heine Staat
dreierlei Formen werben Tonnte, und alfo auch gleich gut
allen dreien beftehen, der mittlere nur unter zweien werden
eben fo beftehen: fo Tann diefer dritte und höchfte, wie er
Einer Form ganz und volftändig werben Eonnte, fo aud
unter ber einen feit und her beftehen, nämlich unter der
| | 04
uv
a. , /
279
und ächt monarchifchen. Kerner wie in dem niebrigften Staat
der politifche Gegenfa, am fchwächften war, indem jeber gleich
gut war ober fein konnte Obrigkeit wie Unterthan, in dem zwei⸗
ten Staate- aber ſtaͤrker gefpannt, indem nur einige beides ver:
einigten, andere aber nicht: fo wird dieſer Gegenfaz in dem
höchften Staat am flärkften geipannt fein, und auch nur in die
fer Spannung eine fo große Maſſe zufammenhalten können, und
alfo det König allein regieren, nur in ihm bie Thätigkeit fein
welche Recht und Gefez bildet, in ihm aber auch Feine andere;
bie Selammtheit der Bürger hingegen werben ald reine Unter:
thanen ihm gegenüberfiehn. Darum muß aber auch, wenn das
Ganze nad) dem Princip der Einheit ded Volkes fol regiert wer:
ben, ber Regent. durchaus frei fein von jedem SPrivatintereffe.
In die Gewerbthätigkeit der regierten darf er daher gar nicht
verflodhten fein; fonft wird Er, der zum ganzen Volt im gleis
hen Verhaͤltniß ftehen fol, in einen befondern Gegenfaz mit eis
nem Xheile deffelben verwißfelt, und Ihm, der überall gleich ges
genwärtig fein fol, wird eine Localität näher and Herz gelegt.
als die andere. Nur dem ariftokratifchen Könige ziemt ed Ges
werbe zu treiben; und fo lange die herrfchende Kaſte ihn in dies
fer Nothwendigkeit zu erhalten weiß, wird die Umbildung des
Staates zur höheren Stufe unendlich erfchwert. Daher Tann
auch der Regent, und das unterfcheibet ihn beflimmt von allen
feinen Unterthänen, kein perfönliched Eigentyum haben, welches
auch hindern würde daß er die Quelle alled Eigenthums wäre,
wie er doch fein muß weil alles nur infofern es von ihm ab: «
hängt und auögeht in das Syſtem ber Einheit ded Ganzen auf:
genommen und den zerflörenden Einflüffen der Gegenfäze kann
entrifien fein. Und auch fchon darum Tann die Eine moralifche
Perſon des Negenten auch nur Eine phufifche fein; denn viele
fünnen nicht durch die Gewerbthätigkeit der andern! beftehen,
ohne daß fich doch zwifchen ihnen felbft ein Privateigenthum bil»
det. Darum wäre es auch unvollkommen und ſchwerlich dauernd
‘
280
in diefem Staat, wenn der König ein Wahltönig wäre Dem
ein folcher müßte forgen für das Beſtehen feiner hernach wieder fi
ind Volk zurüßftretenden Familie. Sondern nur ein Erxrblöng
ift der rechte, deſſen Nachfolger jedesmal wieder dad Haupt bes Fi
feiben über alle Gewerbthätigkeit und alle Sorge hinausgehobt—
nen Familie wird. — Auf ber andern Seite das Volk muß,
wenn ein ſolcher Staat beftehen fol, die Idee. der Wolkdeinheit
ſoweit wenigftend in fi) aufgenommen haben, daß es in dem
Gefühl derfelben lebt, und daß dieſes fein erfled Lebensprindg
if. Wenn ed daher die ihm ausfchließlich und gleichmäßig ein
wohnende Gemerbthätigfeit zuerft zum Beſtehen der Regierung
verwendet, ohne die jene Einheit nicht beftehen könnte: fo thut
es diefed kraft feines Selbfterhaltungätriebed, und muß fich dabei
auch feiner Zreiheit bewußt fein; daher ein folder Staat gerade
bei der höheren Kraft, der Regierung am wenigſten ohne Ein
willigung in die Abgaben beflehen kann. Aber wenn das Voll
in dem Gefühl der Einheit des Ganzen lebt: jo hat es doch ur:
fprünglich Feinen Antheil an der das Bewußtſein ber Einheit bes
Ganzen ausdrüffenden Zhätigteit. Am wenigften kann ed einen
ariftofratifchen einem beflimmten Theil des Volles angeborenen
oder angeerbten Antheil an der Regierung. geben, und eben fo
wenig dad Recht des Königes zu herrſchen von dem Volle ab: |
geleitet fein; vielmehr ift Er, durch welden der Staat allein
realifirt worden ift, und durch welchen allein er auch fortbefichen
kann (indem von ber Perfönlichfeit eines einzelnen hier nicht die
Rede ift, fondern nur von dem König der nicht flerben darf), die
einzige Quelle aller politifchen Freiheiten und Rechte, und jeder
Antheil ded Volks an der regierenden Thaͤtigkeit kann ihm nur
von dem Könige mitgetheilt fein, und muß in jeveömaliger Aus⸗
übung auf einem Herrfcheralt des Koͤniges beruhen*). Wem
*) Des verfänglichen Ausdrukks Gouverain und Souverainitat habe ich
mich hierhei nicht ſowol abſichtlich enthalten, als nur der Gang de
281
m saber in biefem größten und umfaſſendſten Staat ber Gegen ss
5 :zwifchen Regent" und Unterthan .fo ‚weit auseinander gelegt
: fo giebt es auch einen deſto größeren Spielraum für bie. viels
tigften und lebendigften Einwirfimgen des einen Theils auf
a andern, beren auc, dad Beftehen des ganzen durchaus bes
irf. Sonach wird ed auch in ihm eine neue Geflaltung beiber
rundthaͤtigkeiten geben, und dies fuͤhrt uns auf die eigentliche
jedeutung jener beiden Begriffe einer geſezgebenden und einer
Alziehenden Function,
Jedes lebendige Daſein das Bund die Form des Gegen azes
dingt iſt kann nur in einer zwiefachen Reihe von Thaͤtigkeiten
griffen werden, deren eine in dem Gliede des Gegenſazes an⸗
ngt und in dem. andern endet, die andere aber umgekehrt.
yenn ohne dieſe gegenfeitigen Einwirkungen würden bie‘ Glieber
3 Gegenfazed auseinander fallen und bie Einheit des Dafeind
ıfhören; wie denn unfer eigned Leben in dem Gegenfaz von
üb und Seele gedacht in fich fehließt eine Reihe von Thätigs
iten, bie im Leibe anfangend in der Seele enden, wie die mas
riellen Elemente ber Wahmehmung und bed Gefühld. in der
seele endend Gebanke werden und Empfindung, und eine ans
ve. Reihe folcher die in der Seele anfangend am Leibe enden,
ie bie geiftigen Elemente des Wollens und des Gefühls erft
m Leibe endend That werden und Ausdrukk; „und wie jebes
nzelne Leben im Gegenfaz gegen das allgemeine gedacht aus
ner Reihe von Thätigkeiten beſteht, welche in ihm anfangend
ach außen enden und ein. Leiden irgend. eined andern burch das
J
Auseinanderſezung mich nicht darauf bringen konnte. Wichtig aber
waͤre es dieſem Ausdrukk in ſeinem Urſprung nachzuſpuͤren, was mei⸗
nes Wiſſens noch nicht genügend geſchehen iſt. Denn nichts verdirbt
die wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen mehr, als der Gebrauch ſolcher
Ausdruͤkke, die weder wiſſenſchaftlich entſtanden noch auch wenigſtens
wiſſenſchaftlich geſtempelt ſind, welcher Act doch eigentlich immer auf
einer durchgeführten hiſtoriſchen Forſchung beruhen muß.
282
einzelne barftellen, und aus eines andern welche von außen an
fängt und ein Leiden des einzelnen wirb, wobei ed. nur
wirfer.d ift, nicht urſpruͤnglich. Wenden wir nun dies auf de
Staat ans fo wird aud fein Leben in zwei verfchiedenen Atte.
von Thaͤtigkeiten zu begreifen fein, einer die in der Peripherie
am Leibe dad heißt bei den Unterthanen anfängt und im Rs
genten endigt, und einer andern bie im Regenten dem Geift und
Mittelpunkt anfängt und im Umfreife bei den Unterthanen an
as det. Es iſt nicht fchwer zu fehen, daß die erfte unfere gefegge
bende Funktion ift, die andere aber unfere.vollziehende. Da de
ganze Prozeß des Staates in ber urfprünglichen Demokratie ohne
doch formlos zu fein der. kuͤrzeſte iſt: fo wird ſich die Sack,
wenn wir zu .diefer zurüßfehren, am leichteiten darſtellen laſſen.
Aled was man im Staate Gefez nennt, geht bier durch drei
Momente, den Vorfchläg, die Berathung und den Beichluß. Oft
gefchieht ſchon der erfle nur in der Volksgemeinde, aber er kommt
dann doch von den einzelnen als folchen aus. ihrem Privat
interefje oder ihrer Privatanficht. Oft giebt ed eine befonder
Berfammlung zur Vorberathung, diefe hat noch nicht die ganze
Würde der Volksgemeinde, fie fördert. nur den Verlauf der Sache
und bringt ihn ihr näher; fertig gemacht aber wird dad Gele |:
und fomit ein Willensakt des Staates conflituirt nur in der Ge !
meinde, in wiefern fie einen Beſchluß faffend als Eine erfdheint
und alfo. den Regenten vorfielt. Das Ausfprechen des Geſezes
ift aber weſentlich auch der Anfang der Vollziehung, weil die es
angeht darin zugleich :beauftragt, alfo in Bewegung geſezt wer:
den. Sedo nur der Anfang; fortgefezt wird die Wolziehung
von den Beamten, die zwar von der Gemeinde eingefezt, aber
nicht mit deren ganzen Majeflät bekleidet find; das Ende ber
Vollziehung endlich find erft die dem auögefprochenen Gefez ent
. Sprechenden Handlungen aller einzelnen Bürger; und fo ſteigt
dad Geſez von ben einzelnen zum Regenten hinauf, die Voll:
-—a__
283
Ketung aber fängt von dem Megenten an unk enbet in den Un:
Ierthanen. Und micht anders if e3 and) in bem Staat der doch⸗
Arengfien Deipotie anfangen. Denn fo lange nur im Regenten
Einheit des Boll das leitende Bewußtfen if, wie
wahre König fidh vom Despoten unterſcheiden? Der Form nach
dadurch, daß er feinen Unterthanen das Recht der Petition zu⸗
geſteht; und man kamn fagen in allen Fällen wo fie ihre Wuͤnſche
vor ihn bringen, mag er num gewähren oder verweigern, wenn
et fie nur berüfffichtiget, haben doch die Unterthanen angefangen
dad Geſez zu machen. Dem Weſen nad) aber untericheibet er
ſich dadurch, daß er im Geiſte ganz Eine mit feinem -Bolk nur
ſolche Willensakte ausfpricht, welche die Unterthanen hernach,
wenn fich das höhere Staatöprincip in ihnen entwikkelt, billigen «
werden, und daß fein ganzes Beſtreben darauf gerichtet iſt dieſe
Entwilfiung zu befördern. In dem Maaß ald fie nun wirklich
eintritt, erweitert ber Regent bad Recht ber Petitionen um fo
lieber, als ihm felbft die Verwikklungen der verfchiebenen Zweige
der Volksgeſchaͤftigkeit urfprüänglich fremd find, und alfo die Un:
tertbanen zufanmmentretend und fich einigend wahre Geſezesan⸗
fänge fehen werben, die er nicht fehen Tann, bis biefes allmählig
fortfchreitend reift zu einer Organifation gefezgebender Verſamm⸗
lungen, welche ja nichtd anders find als die ausgebehntefte und
förmlichfte Eonftitution diefed Rechtes in einer regelmäßigen feſt⸗
flehenden Communication der Unterthanen mit bem Regenten, in
der ale Gefezesanfänge nunmehr liegen müffen:: Denn fol auch
das Ende des Gefezed in dieſen Verfammlungen liegen-und nicht
im Regenten: fo iſt die Anarchie fertig. Daher nun natürlich
feine wohlgeordnete gefezgebende Verſammlung die gefeggebende
_ 284
Thätigkeit ganz in ſich trägt; fondern in dem Könige, ber ven
Fehrter Weiſe oft nur ald die vollziehende Gewalt ift angefehen
worden, liegt weſentlich dad Ende auch der gefezgebenden. Hat
nun der König dad Gefez ausgefprochen: fo iſt damit nothwen
Dig zugleich auch der Anfang der Vollziehung geſezt; denn eine
gleichfam. leere Zeit zwifchen beiden läßt ſich nicht denken und
wäre eine Ohnmacht ded Staates. Diefem Anfange wird fih
die Thätigkeit ber mit der Verwaltung beauftragten Beamten
anfchliegen, deren Syſtem unftreitig die Organifation ber voll
ziehenden Gewalt ift, aber vollendet ift die Vollziehung auch bier
nur in der die Gefammtheit der Gefeze unb nichts anderes dar
fiellenden Gefammtthätigkeit der Bürger. Daher auch häufig
und gewiß zum großen Vortheil ded Ganzen die Vollziehung ſich
zulezt in den Händen ber fich von unten herauf organifirenden
und die Thätigfeit der Bürger zunächft beflimmenden Commus
nalbehörben befindet. Es erhellet hieraus Deutlich, daß beide
Syſteme in jedem Staat auf diefelbe Weiſe müffen gebunden
fein, Ende der Gefeggebung und Anfang der Vollziehung als ein
und derfelbe Moment der Xhätigkeit des Regenten; dagegen Ende
der Vollziehung und Anfang der Gefezgebung ald zwei verfihies
dene Momente in den Unterthanen, denen die Wünfche und Vor⸗
fchläge in Bezug auf neue Gefeze vornehmlich aus dem Erfolg
entftehen, den die Vollziehung der beftehenden theild in ihrer Ger
as werbthätigfeit, theild in ihren häuslichen und geiftigen Verhaͤlt⸗
niffen, theild, in ihrem flaatöbürgerlichen Gefühl offenbart, Alſo
kann audy unmöglich die verfchiebene Art der Trennung und
Vereinigung beider Gewalten verfchiedene Staatsformen beflim-
men; denn ed giebt nur Eine Art wie beide nereinigt find und
getrennt... Iſt aber irgendwo einsd von beiden Spflemen nod
nicht beflimmt herauögetreten und zwiſchen feinem Anfangs: und
Endpunkt noc nicht gehörig entfaltet: fo iſt bies Feine eigne '
Art des Staates, fondern nur ein unvolllommner Zuftend, auf
285
lchen, ba er nur ein Durchgangspunkt fein kann, ein befferer
zen muß. Will man aber die Organifation beider Gewalten
hr im einzelnen betrachten, in denen freilich auf fehr. vers
ebene Weiſe die Analogien mit dem bemokratifchen und aris
ratiſchen einzeln oder auch ugrbunden vorkommen können; will
n bie Verflechtung beider Syfleme ind einzelne verfolgen, wie
h auf Mittelftufen einzelne Organe beiden Syftemen angehoͤ⸗
- Binnen, oder anderwärtd wieder zwifchen dern Endpunkten
es rein gefondert ifl: fo kann man taufend BVerfchiebenheiten
ftelen; oder vielmehr in dieſer Hinficht wird jeder ohne Küns
ei gefchichtlich gewordene Stadt von jedem andern verfchies
? fein, und wird dieſes gleichfam zum yerfönlichen Charakter
e Staaten gehören.
Und diefed wäre alfo dad Reſultat der angeftellten Betrach⸗
ng. Die ſogenannten beiden Gewalten — denn die dritte hat
b nicht felbftftändig gezeigt — muͤſſen im wefentlichen in allen
taaten auf die gleiche Weife getrennt und vereinigt fein; fonft
der Staat felbft noch nicht voͤllig audgewachfen, fondern erſt
. Werben*). In wiefern indeß Verſchiedenheit flattfindet, ift
auch fo vielfältig und unbeflimmt, dag man beflimmte Arten
d Gattungen von Staaten danach nicht unterfcheiden Tann.
ie drei Formen aber haben außer ihrer hellenifchen Bedeutung,
welcher fie eigentlich nur wechfelnde Zuflände anzeigen, noch
te weit größere weltgefchichtliche, im der fie aber auch eins «
der nicht beigeordnet find fondern untergeorbnet, und alfo
) Will man nun, verfteht ſich ohne die thörichte Worausfegung daß alle
volllommene Staaten einander gleich fein müßten, jeden folchen noch
unvolllommnen Zuftanb eines Staates, wenn er länger dauert als zu
wünfchen Wäre, und beſonders wenn bie Werbefferungen der Form mit
der innern Entwilllung des politifchen Triebes nicht gleichen Schritt
halten wollen, einen Nothſtaat nennen: fo ift in biefem inne gegen
den Ausdrukk nichts einzumenden,
286
auch nicht Arten und Gattungen von Staaten anzeigen,
bern die verfchiedenen Entwikkelungsſtufen ber politifchen |
indem die niebrigfle Stufe eben fo wefentlich demokratiſch if
die hoͤchſte monarchiſch. Ob es nun befier fei hiebei fich
bleiben ober lieber noch andere, Gründe zur Eintheilung
Staaten aufzufuchen, und wo biefe möchten zu finden fein,
und andere auß dem gefagten ſich entwikkelnde Kragen
Kolgerungen liegen jenfeitö der Abficht der gegenwärtigen U
fuchung.
— D)
v.
leber den Werth des Sokrates als
Philoſophen. |
Vorgelefen den 27. Julius 1815.
* über bedeutende und eigenthuͤmliche Geiſter von verſchie⸗ 50
nen Menſchen und im Sinne verſchiedener Zeiten auch ſehr
rſchiedene ja ganz entgegengeſezte Urtheile gefaͤllt werden, und
in ſich ſpaͤt oder nie über ihren Werth einigt, dieß iſt eine
taͤgliche Erſcheinung. Aber daß uͤber einen ſolchen zu einer
d derſelben Zeit ein Urtheil allgemein geltend wird, welches
t ſich ſelbſt in auffallendem Widerſpruch ſteht, dies ſcheint
inder natuͤrlich, ja faſt ſonderbar. Dem Sokrates jedoch be:
gnet es wirklich, wenn ich mich anders nicht darin ganz irre,
ß die Zeichnung welche man von dieſem merkwuͤrdigen Manne
entwerfen pflegt, und die geſchichtliche Bedeutung welche man
m foft einſtimmig beilegt, gar nicht zuſammenſtimmen wollen.
dan laͤßt naͤmlich in der Geſchichte der helleniſchen Philoſophie
it dem Sokrates eine neue Periode beginnen, was doch offen⸗
Ir vorausſezt daß er den unter dieſem Namen zuſammengefaß⸗
n Beftrebungen jened Volkes einen neuen Geift und Charakter
ngehaucht, fo daß fie eine neue Geftalt unter feinen Händen
288
gewonnen, ober daß er fie, wenn auch das nicht, wenigftens be 1
deutend erweitert. Fragt man aber, wie nun biefelben Schrift
fteller den Sokrates an und für fich darftelen: fo findet man 1
sı nichtö, worin ein folcher Einfluß Eönnte begründet geweſen fein.
- Man erfährt, er habe ſich mit den Forfchungen über die Natur,
welche einen großen Theil der Philofophie ſchon Bei ben Helle
nen ausmachten, gar nicht befchäftiget, ja auch andere bavon zu
rüßfgehalten, und auch das Sitliche, womit er fi) am tiefflen
eingelaffen, habe er keinesweges in eine wiffenfchaftliche Geftalt
bringen gevollt, habe auch für dieſes eben fo wenig als für is
gend einen andern Zweig menfchlicher Erkenntniß ein fefles Prin⸗
cip aufgeftelt. Sein geifliger Gehalt fei überhaupt mehr reli⸗
gioͤs geweſen als tieffinnig, feine Beſtrebungen mehr bie eines
guten Bürgers auf die Verbeſſerung des Volks und vornehmlich
der Jugend gerichtet ald die eines Weltweiſen; kurz er wird dar
geftelt als ein Birtuofe des gefunden Menfchenverflanbes und
der in jedem unverborbenen Gemüth mit diefem verbundenen
ſtrengen Rechtlichleit und milden Menfchenfreundlichkeit, dies als
les jedoch verfezt mit einem leifen Anhauch von Schwärmend,
Dies find fchöne Eigenfchaften, mit denen jedoch ein Dann nod
keinesweges gemacht ift in ber Gefchichte zu glänzen, vielmehr, .
wenn nicht befondere Umftände dazwiſchen treten, ein beneidens⸗
werthes ſtilles geben führen wird, fo daß auch ſchon der allges
meine Ruhm des Sokrates und die faft fpecifiiche Verehrung, die
fo viele Sefchlechter ihm gezollt haben, weniger ihm felbft als
folchen befondern Umftänden müßte zugefchrieben werden. Am
wenigften aber find dies Eigenfchaften, von denen auf bie philb⸗
ſophiſchen Beftrebungen eines ſchon fehr gebildeten Volkes aus
gezeichnete und bleibende Wirkungen koͤnnten ausgegangen fein.
Und dies beftätigt fich auch, wenn man betrachtet, was für Lehe
zen und Meinungen demgemäß dem Sofrated beigelegt werben.
Denn welche Bemühung man auch anwendet fie etwas philofer
phifch zuzuftuzen, es ift doch nicht möglich ihnen nur einige wi
m
⸗
289
ſenſchaftliche Haltung zu geben; vielmehr bleibt es dabei, es find
Gedanken fehr geeignet Die Herzen ber Dienfchen für das Gute
zu erwärmen, aber folche auf.bie jeder gefunde Verſtand, der
zum Nachdenken vollfommen erwacht ift, von felbft verfallen
muß’). Was Eönnen biefe alfo gewirkt haben auf die Zortbils .
dung ober Umgeftaltung ber Philofophie? Wolen wir und an
dad bekannte halten, daß Sokrates bie Philofophie vom Himmel
berabgerufen auf Die Erde, auf die Märkte nämlich und in die
Häufer der Menſchen, das heißt dag er an ber Stelle der Nas
+‘
tur das fittliche Leben als Gegenfland der Forſchung aufgeftellt: 52
fo ift diefer Einfluß ohnehin eben Fein vortheilhafter, denn nicht
in der einfeifigen Behandlung des fittlichen ober des natürlichen ,
iſt die Philofophie fonden im Zufammenfein und Sneinanders
greifen beider Forfchungen, diefer Einfluß ift aber auch Feines:
weges ein gefchichtlicher geworden. Die Ethik war fchon vor
Sokrates angelegt in den Lehren der Pythagoreer, und fo hat
fie auch nach Sokrates in den philofophifchen Syſtemen der Hel:
lenen ihren Play behalten nur neben der Phyſik. Bei Platon
bei Ariftoteled bei den Stoifern, dad heißt in allen bedeutenden
ächt ſokratiſchen Schulen, finden fich die Forfchungen über bie
Natur wieder, und das einfeitige ethifche Wefen hat fich nur bei
denjenigen Sofratifern gebildet, welche ſelbſt unbedeutend geblies
ben find in der Philofophie. Und betrachtet man die Richtung
jener genannten Schulen im ganzen, und burcfliegt in Gebans
ten die Sefammtheit ihrer eigentlichen Philofopheme: fo ift nichts
nachzuweifen was von einem fo beichaffenen und gefinnten So⸗
krates koͤnnte audgegangen fein, es müßte das fein, was fchon
ald gemeinfagliche Anwendung aufs Leben erfcheint. Ja felbft
was bie früheren Sokratiker betrifft, fo findet man fich mehr bes
friedigt wenn man das eigentlich philofophirende in ihnen von
irgend anderen Punkten ber ableitet als von biefem Sokrates;
°) Tennemanns Geſch. d. Philoſ. Th. I, 6.64.
Cquierm. D. TIL 2. on IR
⸗ J
2%
nicht nur den Ariftippos, der feinem Lehrer auch ber Gefinnung
nach unähnlich war, vom Protagorad -mit dem er fo vieles ge
mein hat, fondern auch den Euklides mit feiner bialektifchen Ride I
tung lieber von den Eleatifern. Und man muß am Enbe fagen,
auf dem Stamme des Sokrates, wie er und jezt befchrieben wird,
ann nichts anderes gewachſen fein als der Cynismus, und zwar
nicht der des Antifihenes, in dem auch noch manches hängt, wat
man bann lieber auf ben Gorgiad feinen früheren Lehrer zurüd
führen möchte, fondern jener ganz reine nur eine eigenthümlick
Lebensweiſe, kaum eine Lehre gefchweige denn eine Wiffenfchaft
darflellende bed Diogenes, jenes ‚rafenden Sokrates,“ den man
aber zur Steuer der Wahrheit höchftend den karikirten Sokrates
nennen folte. Denn in biefem Abbilde finden wir nichts ald
Büge jenes Urbilbes, dab Annähern an bie göttliche Selbſtgenuͤg⸗
famkeit durch Verringerung der Bebürfniffe, das Enthalten vom
bloßen Wiſſen, das anfpruchlofe Umhergehen im Dienfte be}
Gottes um die Thorheiten der Menfchen aufzubeden. Wie we
nig aber dies alles auf dem Gebiet der Philofophie liegt, und
wie wenig bort damit auszurichten ift, liegt am Tage.
Bernünftigerweife fcheint alfo nichts anderes übrig, ald von
biefen wiberfprechenden Annahmen die eine aufzugeben. Entwe⸗
ber man flelle den Sokrates nach wie vor an bie Spize ber
athenifchen Philofophie, aber dann entſteht die Aufgabe einen ans
deren Begriff von ihm geltend zu machen ald den nun feit lan
ger Zeit herrfchend gewordenen; oder man halte das Bild fefl
von dem gefälligen menfchlichen Weifen, der gar nichts für die
Schule war fondern alles für die Welt; aber dann verweife man
ihn aus der Gefchichte der Philofophie in die der allgemeinm
athenifchen Bildung, wenn er bort einen Plaz für fich zu be
haupten weiß. inigermaßen angenähert hat ſich Diefer Iezten
Auskunft Herr Krug*). Denn indem er den Sokrates an de
*) Geſch. d. Philoſ. alter Zeit.
1.
Enbe ber einen Periode ftellt, wnb nicht an den Anfang. der ans
bern: fo. erfcheint diefer nicht als Keim einer neuen Zeit, ſon⸗
dern ald Erzeugniß und Nachwuchs einer frühereny er tritt als
einzelne Erſcheinung in eine Reihe zuruͤkk mit den Sophiften
und andern Spätlingen, und verliert einen großen Theil feiner
philofophifchen Bedeutung. Nur: ift dies eine halbe Maafregel;
Daß ber Sefchichtfchreiber feine neue Periode mit den unmittelbar
ren Schülern ded Sokrates ald foldhen anfängt, indem er bie
treuen Sokratiker, wie man fl& wol zu nennen pflegt, und ben
Xenophon vor allen, an die Spize ftellt, von denen: er doch ſelbſt
fagt, fie hätten Fein anderes Verdienſt als fokratifche Lehren fort:
gepflanzt und verbreitet zu haben, fofratifche Lehren aber fchienen
ihm ja eben nicht der Mühe werth um eine neue Periode damit
zu beginnen. — Umgekehrt auf gewiffe -Weife hatte früher Herr
Aſt ) dafjelbige gethan. Ihm iſt Platon die Bluͤthe derjenigen
Entwikklung der Philofophie, welche er die athenifche nennt; und
wie fein Gewaͤchs mit der Blüthe anfängt, fo fühlt er ſich zwar
genöthigt den Sokrates an die Spize biefer Philofophie zu ſtel⸗
Ien, aber doch nicht ald eigentlichen Pbilofophen. Er fagt naͤm⸗
ih, das Handeln der Philofophie fei in Sokrates rein menſch⸗
lich gewefen und tugendhaft, das heißt feine eigentliche Philofos
shie; fein Weſen beſteht ihm aus Enthufiasmus und JIronie.
Den nun fo auögeftatteten, fühlt er wohl, koͤnne er nicht allein
an bie Spize einer neuen Zeit ftellen, und ftellt deshalb die So:
phiften neben ihn, nicht ohne Widerfpruch gwar, denn auch er
erkennt fie für das verkehrte, was durch den Geiſt der neuen Zeit s«
befaämpft werden mußte; aber doch will er lieber dieſes, als daß
er ald Keim einer neuen Entwifflung den Sofrated allein - aner-
kennen folte, deſſen höchften philofophifchen Werth er in fein
Maͤrtyrthum fezt, welches doch auf dem woiffenfchaftlichen Gebiet
Teinesweges eben fo wie auf dem religidfen und politifchen in
*) Grundriß einer Geſch. d. Philof.
. j & 2
202,
Anfchlag kommen darf. Der Form nach entgegengefezt iſt died
Aftifche Verfahren feinem Weſen nach daffelbe wie bad Krugiſche;
es führt nämlich auch darauf eine neue Periode der Philofophie
erſt mit dem Platon anzufangen. Denn in dem Kampf be
Sokrates gegen die Sophiften erkennt Hr. Aft nichtö neues ober
eigenthümliched, fonbern nur die Tugend und ben Trieb nah
Wahrheit, der ja auch bie früheren Philofophen alle befeeit hatte;
als das charakteriftifche in der athenifchen Philofophie aber giebt
er bie Vereinigung ber vorher getrennt und entgegengefezt gewe
fenen Elemente an; und ba er: biefe im Sokrates: felbft nicht |}
wirklich nachweifet, in feinen unmittelbaren Schülern aber bie
Zrennung beflimmt anerkennt, fo . bleibt ihm eigentlich doch für
jene Bereinigung Platon der erfie Punkt. |
Will man aber nun wirklich den Platon als den eigentlichen
Anfänger einer neuen Zeit anfehn, fo kommt man — nicht zu
vechnen dag er für einen erflen Anfang viel zu vollendet iſt — I:
in eine zwiefache Verlegenheit. Einmal mit feinem Berhältniß |:
zum Arifloteled. In allem nämlich, wad dem Platon das eigen
thuͤmlichſte iſt, erſcheint Arifloteles ihm fo fehr ald möglich nt |.
gegengefezt; aber die Haupteintheilung der Miffenfchaften hat er
ohnerachtet der verichiebenften Behandlung und haben eben fo bie
Stoiter mit Platon gemein; beiden‘. fchließt fie gleich dicht an
und kleidet fie gleich natürlich, fo daß man kaum anders glaus
ben Tann, als diefe fei von früher her von einem Punkt, in dem
Platon eben fo fehr als jene fpäteren auch ſchon eingewurzelt ifl.
Die zweite Verlegenheit aber ift die mit Platond Verhaͤltniß
zum Sofrateö, wie ed benn eigentlich geweien, wenn Sokrates
auf Feine Weile fein Lehrer war in der Philofophie: Wollte
man annehmen, das WBeifpiel des Sokrates habe den Charakter
des Platon gebildet, und die Ehrfurcht vor Tugend und Wahr
heitöliebe habe ihn gefeflelt, fo will ein ſolches bloß fittliches Ber
bältnig nicht hinreichen. Vielmehr muß die Art wie Platon den
ss Sokrates auch in folchen Werken aufführt, welche tieffianige ph
X
293
kofophifche Unterfuchungen enthalten, für die tollſte Willkuͤhr ge
halten.werben, und häfte allen Zeitgenoffen nur lächerlich und
verkehrt erfcheinen müffen, wenn er ihm nicht auf irgenb eine
Weite fein philofophifches Leben verdantt. Sonach muß es body.
babei bleiben, daß wenn man einen Saupteinfchnitt machen will
ia der helleniſchen Philofophie, ber bie früheren zerſtreuten Phi⸗
lofopheme von den fpäteren Syſtemen trenne, man biefen noth⸗
wendig beim Sokrates machen muß; dann aber muß man auch
mehr eigentlich philofophifches als gewöhnlich gefchieht dem Ser
krates zufchreiben, wenn es gleich eben ald Anfang nicht nöthig
bat fehr ausgebildet zu fein. Einen folchen Einfchnitt zu machen
wird fich aber niemand enthalten koͤnnen; jene frühere Philoſo⸗
phie, die wir durch die Namen Pythagoras, Parmenides, He:
rakleitos, Anaragoras, Empedokles bezeichnen, hat unverkennbar
einen gemeinfamen Typus, und bie fpätere, in welcher die Na⸗
men Platon, Ariftoteled, Zenon glänzen, bat ebenfalls ben ihri⸗
gen ſehr verfchiedenen, nichts zwiſchen beiden verlorenes Tann eis
nen allmähligen Uebergang gebildet haben, viel weniger noch, läßt
eine von. den fpateren Geflalten fich fo an eine ber früheren an«
fchließen, daB man beide. für «in fortlaufenbes Ganze halten
koͤnnte. Iſt num dieſes, fo bleibt nichts übrig, ald daß man bie
Sache des Sokrates einer neuen Durchficht unterwerfe, um zu
fehen ob er etwa an ber Nachwelt eben fo ungerechte Richter
gefunden hat, die ihm feinen eigentlich philoſophiſchen Werth und
fein Verdienſt um die Sache der Philofophie abfprechen, wie jene
in ber Mitwelt ihm feinen bürgerlichen Werth abfprachen und
ibm Verbrechen gegen bad gemeine Weſen andichteten. Aber man
müßte bann auch. irgend etwas beflimmtes ausmitteln, worin fein
philoſophiſches Verdienſt beftehe.
Dieſe neue Unterſuchung aber fuͤhrt natuͤrlich zunaͤchſt auf
die alte Frage zuruͤkk, ob man, was Sokrates geweſen, dem Pla⸗
ton ober dem Xenophon glauben ſoll; eine Frage die aber uͤber⸗
haupt nur. aufgeworfen zu werben verdient, fofern biefe beiden
4!
294
wirklich. mit einander im Widerfpruch flehen, und ‘die man ale
auch nur verftänbig beantworten kann, wenn man zuvor ent
fchieden bat, ob ein. folcher Widerſpruch flattfinde, und wo er
feinen Siz habe. Mlaton giebt. firh nirgends für einen Geſchicht⸗
fehreiber des Sokrates aus, mit Ausnahme etwa der Apologie
ss und einzelner Stellen, wie .etwa der Rede des Alfibiades im Gafs
mal. Denn ed wäre allerdings abgeſchmakkt, wenn Platon hier,
wo er Zeitgenoffen des Sofrated vor ihm über ihn reden laͤßt,
ihn auf eine Weiſe dargeſtellt hätte, bie nicht im wefentlichen
treu wäre, wenn gleich auch gesade-hier manches -einzelne als
fcherzhafte Webertreibung flehen Tann. Dagegen berechtigt Platon
felbft niemanden, alles was er in feinen Geſpraͤchen den Sokra⸗
tes vortragen läßt, für eben fo von dieſem wirBlich gedacht und
vorgetragen zu halten; und man würde ihm einen fchlechten Dienft
erweifen, wen man ‚auch fein Verdienſt darauf beſchraͤnken wollte,
dag er dem Sokrates gut und kunſtreich nachgeſprochen habe.
Vielmehr will er wol gewiß. feine -Philofophie für ‚die feinige
und nicht für die des Sokrates angefehen wiffen. : Und fo über
zeugt ſich auch wol jeber verfländige von felbft, daß in eimm
folchen Gewande nur ſelbſthervorgebrachte Gedanken erſcheinen tin:
nen, jedes nur erzaͤhlende Werk aber — und ſolche waͤren doch
dieſe Geſpraͤche, wenn der ganze Inhalt dem Sokrates gehoͤrte—
nothwendig einen bleicheren Farbenton haben muͤſſe, wie denn
auch die Geſpraͤche des Xenophon einen ſolchen wirklich haben,
Allein ſo wie es einerſeits zu viel ſein wuͤrde zu behaupten, So⸗
krates habe alles wirklich gedacht und gewußt was ihn Platon
fagen läßt: fo iſt es auf der andern Seite gewiß zu wenig, wenn
man behaupten will, Sokrates fei nichtd mehr geweſen ald was
und Zenophon von ihm darftellt. Denn diefer giebt fich in fer
nen Denkwuͤrdigkeiten freilich für einen Erzähler; aber theild
fann ein verfländiger nur das erzählen was er verfteht, unb
ein Sokratiker am meiſter, der ja wol fein Nichtwiſſen muß fen
nen gelernt haben, kann nur nach diefer Regel handeln. Das
295
aber wiffen wir, und man kann es zugeben ohne e& auf eine
harte Weiſe geltend zu machen, daß Xenophon ein Staatsmann
war aber fein Philofoph, und dag neben jener Reinheit des Cha⸗
rakters und Verſtaͤndigkeit der politiihen Grundſaͤze, neben jener
herrlichen Erregung des Geiftes und Abſchrekkung des Dünkels,
welche Zenophon am Sokrated liebte und ehrte, noch manches
auch wirkiich philofophifche in bdiefem kann gewelen fein, was
Xenophon nicht vermochte ſich anzueignen, und was er ruhig an
fich vorbeigehen ließ, am wenigſten aber verfucht fein konnte es
barftellen zu wollen, um nicht Blößen zu geben ähnlich denen
die fein Sokrates aufzubelfen pflegte. Anderntheild. war Xeno»
phon ein vertheidigender Erzähler, und hatte gewiß dieſe Form
ausdruͤkklich gewählt, damit man ihm nicht zumuthen Tünne ben sı
ganzen Sokrates darzuftellen, ſondern nur was auf dem Gebiet
bed Gemüthed und des gefelligen Lebens Liegend ſich auf jene
Anklagen beziehen läßt; alles uͤbrige aber fchließt er aus, und
begnügt fih nur zu zeigen, auch bas könne nicht von ber. ges
fährlichen Art geweſen fein, welche dem Sokrates war Schuld
gegeben worden. Und nicht nur kann Sokrates, fondern er
muß auch mehr, und mehr muß hinter feinen Reben fein, als
Zenophon uns. wiebergiebt. :Denn wenn bie Zeitgenoffen nur
dergleichen von Sofrates gehört hätten, welchen Schaden hätte
Platon dem Eindrukk feiner Werke bei feinem unmittelbaren
Publikum gethan, welches das Weſen ded Sokrates noch keines⸗
weges vergeffen hatte, wenn die Rolle, welche Sokrates bort
fpielt, mit dem Bilde, welches fie aus dem Leben ber von ihm
im Sinne hatten, in gerabem Widerſpruch fland? Und ‚wenn
man dem Zenophon glaubt, und diefed muß man wol dem gleidy
geitigen Apologeten glauben, . daß Sokrates feine ganze Zeit an
Öffentlichen Orten zugebracht, und man will annehmen, er habe .
fieh immer mit Reden, feiert fie auch fchöner gemwefen,. bunter und
blendender, ‘aber immer mit Reden von diefem Gehalte fich be:
fhäftiget, und bie nur in der Sphäre fich bewegten, über welche
296
die Denkwuͤrdigkeiten nicht -hinausgehen: fo begreift man nicht, ||
wie Sokrates in fo vielen Jahren nicht ben Markt und bie
Werkſtaͤtten, die Spaziergänge und die Gymnaſien entodlket
durch die Furcht feiner Gegenwart, und wie fich in ber naiven
niederländifchen Manier des Zenophon die Ermübung ber Unter
vebner nicht noch ſtaͤrker audfpricht, als hie und da wirklich ge:
ſchieht. Und noch weniger koͤnnte man begreifen, warum geiſt⸗
reiche Männer wie Kritiad und Alkibiades, und von Natur fpe
eulatioe wie Platon und Eukleides auf diefen Umgang einen ſo
großen Merth gelegt, und fo lange Zeit ihre Befriedigung darin
gefunden haben. Und auch das kann man nicht annehmen, daß
etwa Sokrates Öffentlich fo gerebet wie Xenophon ihn zeigt, an
derwaͤrts aber: insgeheim andere Dinge vorgetragen; denn bie
dürfte Zenophon bei der apologetifchen Form feined Buches, an
die er ſich fehr firenge Halt, nicht mit Stillſchweigen ühbergangen
haben. Sondern in bemfelben Lebenskreife, von bem uns Zenophon
Proben giebt; muß Sokrates auch das. philofophifche feines Weſens
offenbart haben. Und ift nicht eben dies recht der Eindrukk, den
bie yenophontifchen Sefptäche machen, als ob fie wären philoſophi⸗
ss ſches in den unphilofophifchen Styl des gemeinen Verſtandes über
tragen, wobet denn ber philofophifche Gehalt verloren geht, eben
wie einige Kritiker gleichlam als Feuerprobe auch für ;bie Er
zeugniffe ber hoͤchſten Poeſie vorgefchlagen haben fie ‚in: Profa
anfzulöfen uhd ihnen den Schwung auszuziehen, wo benn auch
un? eine höchft nüchterne Schönheit übrig. bleiben Tann. Und
wie an einem folchen Verſuch auch ber größte Dichter nicht leicht
tm Stande fein ‚möchte die Poefle gerabehin wieder herzuftellen,
Dagegen auch ein mäßig begabter Leſer boch bald merkt was ge
ſchehen ift, und es auch an einzelnen Stellen nachweifen Tann,
wo: der Auszieher ermübet ift: fo. ift ed bort mit dem philoſophi⸗
(chen Gehalt. Man findet einige Parallelen mit. bem : Platon,
anderes verräth, Sich fonft wie; und. baraus, dag man nur we
aiged recht ausmitteln Tann, folgt nur, theild dag Xenophon fein
297
Geſchaͤft verftanden hat, theils möchte einer vielleicht fagen, wie
Ariftoteles Vormittags fol feine philofophifchen Vorträge gehals
ten-haben, Nachmittags aber die eroterifchen *), fo habe umge
kehrt Sokrates des Morgens auf dem Markt folche Geſpraͤche
gehalten mit den Handwerkern und ſolchen fremderen, bei denen
es Zenophon leichter gehabt fie des philofophifchen zu entkleiden;
Abends aber auf den Spaziergangen und in ben Gymnafien jene
feineren tiefer greifenden und wizigeren Gefpräche mit den Schönen,
welche verfchönernd und erweiternd nachzuahmen und feine eignen
Unterfuchungen baran zu knuͤpfen dem Platon vorbehalten blieb.
Und fo wirb man, um bie: Lüffe auszufüllen, bie offenbar
Zenophon gelaffen hat, immer auf den platonifhen Sokrates zus
rüffgetrieben, und fäme am Fürzeflen weg, wenn man sine Res
gel fände, nach der man beflinmen fünnte, was nun im Platon
Bild und Eigenthum des Sokrates iſt, und was eigne Erfin:
bung und Zuthat. Nur. freilih kann die Aufgabe nicht gelöfet
werden durch .ein folches Verfahren wie Hr. Meinerd **) anwen
bet, für deffen kritiſches Talent diefer Gegenftand überhaupt wol
weniger gerignet war. Denn wenn wir unter allem platonis
fhen nur das audfuchen, wad am wenigften tiefjinnig. am we
nigften tünfllih am wenigften dichteriih, mithin auch fo Gott
will am wenigften fchwärmerifch ift: fo behalten wir freilich im: so
mer noch viel Stoff zu folchen feineren und gehaltreicheren Ges
fprächen um damit die renophontifche Langeweile zu würzen,
aber einen eigentlich philofophiichen Gehalt des Sokrates koͤnnen
wir auf diefem Mege nicht finden. Denn wenn wir das tiefs
finnige ausfchliegen, fo bleiben nur Folgerungen übrig, zu denen
die Gründe und die methodifchen Principien fehlen, und bie alfo
auch nur inftinktartig, dad heißt unphilofophifh, dem Sokrates
tönnten eingewohnt haben. Der einzige fihere Weg fcheint viel-
mehr. der zu fein, dag man frage, Was Tann Sokrates noch
°) Gellius N. A. XX, 5. ) Seſch. d. Wiſſenſch. II, ©. 420.
298
gewefen fein neben dem, wad Zenophon vom ihm ‚meldet, ohne
jedoch den Charafterzügen und Lebensmarimen zu widerfprecen,
welche Xendphon beflimmt als ſokratiſch aufftellt, und waBımnf
er gewelen fein. um dem Platon BVeranlaffung und Recht gegen
ben zu haben ihn fo wie er thut in feinen Gelprächen auf
führen. Das leztere aber führt und unvermeidlich auf den 96
un er —
— — nn -..
| ſchichtlichen Standpunkt zurüfk, von bem wir auögegangen “find, !
dag nämlich Sokrates eben in fo fern einen’ im firengen Sim
shilofophifchen Gehalt muß gehabt haben, ald Platon ihn burd
die That für den Urheber ſeines philoſophiſchen Lebens. anerkennt,
und er alfo als die erſte Lebensäußerung der ausgeblibeteren
hellenifchen. Philoſophie anzuſehen ift, und daß er diefen Pla;
nur einnehmen Tann vermöge eined eigentlich philofophifchen aber
der : früheren. Periode nicht mehr angehoͤrigen Gehaltes. Hier
aber muß man zunaͤchſt dabei flehen Bleiben, was ber nachſokra⸗
tiſchen Philofophie von Platon an .eigenthümlich und feit biefer
Zeit allen eigentlich: ſokratiſchen Schulen gemein iſt, das fei bad
Zufammetfein und Sneinandergreifen biefer drei Diöciplinen,
Dialektik Phyſik Ethik. Diefer- Unterfchieb trennt die Zeiten fehr
Heftimmt.. Denn vor dem Sokrates waren diefe Disciplinen theild
ganz geftennt vorhanden, theild ohne gehörige Sonderung und
ohne beſtimmtes Verhaͤltniß ihr Inhalt unter einander gemifcht;
fo Ethik und Phyſik unter einander bei den Pythagoreern, Phyſik
und Dialektik bei den Cleatifern, nur den ganz phufifchen Ben
denzen der Sonier war beiderlei dialektiſches und ethifches, jeboch
nur in einzelnen Anflügen, aufgeſetzt. Daß aber einige bad
Sondern und Zufammenfaffen diefer Wiffenfchaften auch dem
Mlaton noch abfprechen und erſt dem Xenokrates zufchreiben, und
wieinen, Ariftoteled fchon fei wieder davon abgewichen, dies be
ruht nach meiner Meinung auf einem Mißverfland, den jedoch
nachzuweiſen bier zu weit führen würde. Nun kann man fies
eo lich nicht behaupten, Sokrates fei der erſte in Einer Perfon Phy⸗
fifee Gthifer und Dialetiler geweien, zumal Platon und RXeno⸗
| 29
phon ſich vereinigen ihm daB phyſiſche abzufprechen;. noch laͤßt
fich geradezu ſagen, Sokrates habe wenigſtend dieſe Eintheilung
alles Wiſſens erfunden, ohnerachtet fie ſich allerdings aus den
xenophontiſchen Denkwuͤrdigkeiten ſchon entwikkeln laͤßt. Wol
aber Tann man fragen, ob: nicht dieſer Erſcheinung noch etwas
einfacheres mehr innerliches zum Grunde liegt, und ob nicht die⸗
ſes in Sokrates geweſen. Ich wenigſtens denke, folgendes wird
nicht viel Widerſpruch finden. Se leichter noch die forſchenden
unvermerkt von ‚einem: Gebiet des Erkennens .auf ein anderes
überfpringen, beflo. mehr hängt noch der ganze Verlauf ber ins
tellectuellen Thaͤtigkeiten von Außeren Umfländen ab; benm nur
von rinet: durthgreifenden @intheilung kann eine planmäßige und
zufammenhängende Ausbildung beginnen... Eben fo, je mehr bie
einzelnen Miffenfchaften "vereinzelt betrieben -merben, und. die Ber
ehrer beufelben- ſich in diefer Berainzelung befriedigt fühlen, une
deſto mehr ift bei dem ganzen Beſtreben ber fpecififche Inftinkt
für den Gegenftand jeder Wiffenichäft vorwaltend. Wenn‘. aber
dad Beduͤrfniß des Zufammenhanges und Zufanmenwacfend:ah
ler Zweige des Wiſſens ſo beſtimmt hervorgetreten iſt, daß es
ſich in der: Form ihrer Behandlung und Darſtellung auf eine
nicht mehr ;verlierbure Weiſe ausſpricht: ſo find in ſo fen nicht
mehr bie einzelnen Talente und Inſtinkte herrfchend, foabern das
allgemeine "wifjenfchaftliche Talent der Speculation. . In dem er
fen Falle muß. man geſtehen, daß die Idee des Wiſſens an ſich
noch nicht ausgebildet iſt, vielleicht nicht einmal zum Bewußt⸗
fein gekommen; denn das Wiſſen an ſich kann eben fo nur als
Ein Ganzes gedacht werden, in dem jede Trennung bloß unter⸗
geordnet iſt, wie das Sein, dem es entſprechen ſoll. In dem lez⸗
ten Fall hingegen iſt dieſe Idee zum Bewußtſein gekommen;
denn: nur. durdrihre Kraft haben jene beſonderen Neigungen, die
jeden an einem gewiflen Gegenflande feflhalten und das Wiſſen
vereinzeln, überwunden werden können. Und biefed ift unftreitig
ein einfachered Merkmal, welches die ‚beiden Zeiten ber helleni⸗
300
fchen Philoſophie unterfcheidet. In der früheren nämlich wer |;
bie Idee. des Wiſſens an fich nicht bie leitende ja nicht einmal h
recht zum Bewußtſein gelommen, welches eben für uns di '
Quelle der Dunkelheit aller philofophifchen Probuctionen jene |
or Zeit ift, wegen bed Scheind ber Willkuͤhr ber aus der Bewußt
lofigkeit entfteht, und wegen ded Mangels bed wifjenfchaftlichen '
Voͤrtrages ber ſich erſt almählig aus dem bichterifchen und hi
ftorifchen herausarbeitet. In ber zweiten dagegen ift biefe Io
bes Wiſſens zum Bewußtſein gekommen; baher Die Hauptfade
überall die ift, die Erkenntnig von der Meinung zu unterſchei⸗
ben, daher bie beflimmte Form des willenfchaftlichen Vortiages,
daher das befondere Heraudtreten ber Dialektik, die keinen an
bern Gegenftand hat als die Idee bed Wiſſens, welches alles
felbft von den Eleatikern keinesweges auf diefelbe Weiſe wie von
ben Sokratikern aufsefaßt. ift, indem jene noch überall mehr von
der Idee des Seins ald des Erkennens audgehn.
000. Dieſes Erwachen nun der Idee des Wiſſens und bie erſten
Zeußerungen berfelben, dad muß zunachfi der philofophifche Ge
halt des Sokrates geweſen fein; und beöhalb wird er mit. Recht
immer angefehen ald der Urheber jener fpäteren bellenifchen Phi⸗
loſophie, deren ganze wefentliche Form mit allen einzelnen Ber:
ſchiedenheiten durch eben dieſe Idee beſtimmt iſt. — Deutlich
genug geht ‚Died hervor aus dem was geſchichtlich if im Platon,
und ed ift auch in den renophontifchen Gefprächen bad was mar |;
fich erft wieder hineindenten muß um fie bed Sokrates unb ben
Sokrates der feinigen würdig zu finden. Denn wenn biefer im |;
Dienfte des Gotted umberging um das bekannte Orakel zu recht⸗
fertigen, fo war doch hiebei das lezte unmöglich, daß er mur |.
wußte, er wiffe nichts: ſondern es lag nothwendig babinter, baf
er wiffe was Wiffen fei. Denn woher anders konnte ex auch,
was andere zu wiſſen glaubten, für ein Nichtwiffen erklären, ald
nur vermöge einer vichtigeren Vorſtellung vom Wiffen und ver
möge eined darauf beruhenden richtigeren Verfahrens ? Und über
|
— es
301
A wo er daB Nichtwiffen darlegt, fieht man, er geht von bie
en beiden Merkmalen aus, zuerft bag das Wiffen in allen. wah⸗
en Gedanken baffelbe fei, alfo auch jeder folche Gedanke die eie
yenthümliche. Form defielben an fich tragen müffe, und dann DaB
illes Wiſſen Ein Ganzes bilde. Denn feine Beweiſe beruhen \
immer -barauf, daß man. von Einem wahren Gedanken aus
nicht könne in Widerfpruch verwikkelt werden mit einem andern,
und daß auch ein. von Einem Sunkte aus abgeleitete: durch
richtige Verknüpfung gefundened Wiſſen nicht dürfe widerfpre
hen einem von: einem andern ‚Punkte auf gleiche Weiſe gefuns
denen; und indem er an ben.gangbaren Vorſtellungen der Men: 2
ſchen folche Widerfprüche aufdekkte, fuchte er in allen, bie ihn
irgend verfiehen oder auch nur ahnen konnten, jene Grundgebane
ten aufzuregen. Das meifle was und Zenophon aufbehalten
bat, läßt fich hierauf zurüffführen, und deutlich genug ift eben
dieſes Beftreben angedeutet in bem mad Sokrates von fich felbft
fagt in der platonifchen Apologie, und was Altibiades von ihm
fagt im feiner Lobrede. So dag, wenn man fich dieſes als den
Mittelpunkt des fohratiichen Weſens denkt, man fowol den Pla:
ton und Zenophon einigen ald auch die gefchichtlihe Stellung
des Sokrates verfiehen Tann.
Wenn Zenophon fagt *), fo oft Sokrates nicht bloß bie
Irrthuͤmer anderer widerlegt habe, fondern_felbft etwas audge:
führt, fei ev. durch die am allgemeinften eingeflandenen Säze ge:
gangen: fo begreift fich dieſes Verfahren ganz vollkommen aus
jenem Beſtreben; er wollte fo wenig ald möglich) Hinderniſſe
und Ablentungen untermweges finden, um fein Verfahren Mar
und einfach zu Stande zu bringen; und das mußte ihm am
willkommenſten fein, was wo möglich alle für gewiß hielten,
um daran zu zeigen daß es doch Fein Willen fei, weil nur um
fo lebendiger die Nothwendigkeit gefühlt werden mußte dem Wiſ⸗
*), Mem. IV, 6, 12.
|
302 |
fen auf ben Grund zu kommen und von biefem aus allen menſqh
lüichen Dingen eine andere Geſtalt zu geben. Daraus erklaͤt
fich auch der Überwiegend bürgerliche und oͤkonomiſche Inhalt ber
meiften jener Gefprähe. Denn auf diefem Gebiet Tagen bie am
meiften eingeflandenen Worftellungen und Säze, an deren Schilb
fal alle ohne Ausnahme theilnahmen. Aber nicht erklären läßt
fich jened Verfahren, wenn man annimmt, ed fei biebei dem
Sofrated auf ben Inhalt angekommen, fondern diefer muß ihm
nur bie Nebenfache gewefen fein. Denn wenn ed barauf abge
fehen ift einen Gegenftand aufs reine zu bringen, muß man aud
die minder befannten und angezweifelteren Vorſtellungen beruͤkk
fitigen; und wie dürftig in dieſer Ginficht die meiften jener |
Diatriben im Xenophon find, liegt zu Tage: Aus bemfelben
Geſichtspunkt muß man auch den Streit des Sokrates mit ben
Soppiften betrachten. Als gegen ihre Marimen’ gerichtet gehört
er nicht hieher, fondern iſt die Oppofition des guten Buͤrgers
gegen bie Regimentd s und Sugendverberber. Aber auch von der ;
sein theoretifchen Seite angefehen wäre es ein leerer Gedanke
os diefen Gegenfaz ald Keim einer neuen Periode der Philoſophie
barzuftellen, wenn Sokrates nur Meinungen bekaͤmpft, welde
die Ausartungen früherer Philofopheme waren, ohne andere Re
fultate dagegen aufgeflelt zu haben, wad ihm doch niemand zu
fehreibt. Aber zu jenem Zwekk die wahre Idee des Wiſſens aufı
zuregen mußten ihm bie Sophiften am willfommenften fein, die
ihren Meinungen bie vollfommenfte Form gegeben - hatten, und
beöhalb ſowol fich felbft viel Damit wußten, ald auch von andem
vorzüglich bewundert wurden. Wurden diefe alfo im ihrer Bloͤße
dargeftellt, jo mußte dadurch auc der Werth feined mit folchem
Gluͤkk angewendeten Princips am meiften zur Anfchauung ges
bracht werben.
Um aber an ber gangbaren Vorftelung ſowol der fophifi: .
fhen Xheorien ald auch deö gemeinen Lebens bad ungenügende |
‚nachzumeilen, dazu bedurfte ed, wenn der Auögang nicht dem |
303
Zufall follte anheimgeſtellt "bleiben, einer fichern Methode: Denn
Me mußten zum Behuf biefed Verfahrens Mittelbegriffe aufge:
bellt, und dieſt alfo, wenn nicht hintennach alles nur als eine
chlechte Ueberraſchung erfcheinen follte, mußten zur Zufriedenheit
eider heile beſtimmt werben; und das Auffinden des Miders
pruchs zwifchen dem vorliegenden Saz und einem andern einges
kassbenen berubte auch‘ darauf, mit was für Begriffen fich ein
jegebener verknüpfen laſſe und mit was für welchen nicht.. Diefe
Deethode nun ift aufgeftellt in den beiden. Aufgaben, welche Plas
on im Phaidros ald die beiden Hauptfäze ber dialektiſchen Kunfl
giebt, naͤmlich zu wifjen, wie man richtig vieles zur Einheit
afanımenfaffe und eine große Einheit auch wieder. ihrer Natur
zemäß in mannigfaltiges theile, und dann zu wiffen welche Ber
griffe ſich mit welchen verfnüpfen laſſen und welche nicht. Hier
busch nun iſt Sokrates der eigentliche Urheber der Dialektik ge—
worden, welche die Seele qller fpäteren großen Gebäude hellenis
feher Philofophie blieb, und durch deren beflimmted Hervortreten
fi) am meiften die fpätere Periode von der frühern unterfcheis
bet, fo daß man ben gefchichtlichen Inſtinkt nur billigen kann,
der ben Mann immer fo hoch geftellt hat. Dabei ſoll nicht ges
läugnet werben, daß Eukleides und Platon auch biefe Wiſſen⸗
fchaft erft weiter ausgebildet haben, aber in ihren erſten Grumbs
zügen bat Sokrates fie offenbar auf eine befonnene Weife als
Wiſſenſchaft befefien und ald Kunft ausgeübt. Denn die Cotts
fruction aller fokratifchen Gefpräche, fowol der zweifelhaften plas
tonifchen und der andern urfprünglichen Sokratikern mit einigem c+
echt beigelegten als auch ber in ben renophontifchen Denkwuͤr⸗
digkeiten mitgetheilten, berubet ohne Ausnahme hierauf. Dafs
felbe geht auch hervor aus dem ariftotelifchen Zeugniffe *), was
man dem Sokrates mit Recht zufchreiben Eönne, fei dag er bie
Induction und die allgemeinen Erklärungen eingeführt, ein Zeug:
*) Metaph. 1, 6. XII, 4.
304
niß welche ‚alle Merkmale der Partheitöfigleit- und der Vah
heit in ſich trägt. Es iſt daher auch gar fein Grund, zu zwe
fein, Sokrates habe dieſe Kunſt richtiger BVegriffsbildung um
Begrifföverfnüpfung gelehrt. Nur bag, eben weil ed eine Kum
ift, dad troffne Lehren nicht genügte, und deshalb auch gm
vom Sokrates nicht abgefondert betrieben wurde; ſondern dig
Kunſt wollte in den mannigfaltigften Anwendungen angefchen
und felbft geübt fein; und wer barin noch nicht feft war, un
die Schule zu zeitig verließ, dem verging fie wieder, und u
ihe alles faſt was vom Sokrates zu lernen war, wie Died «
in Platonifhen Gefprächen bemerkt wird. Daß nun biefe |
und Darftelung der Hauptzwekk ber folratifchen Geſpraͤche ul
über ‘allgemeine fittliche Gegenflände war, gefteht Renophon fehl
ganz ausdruftlich, indem er unter der Auffchrift, was Sof
gethan um feine Freunde dialeftifcher zu machen, gar fehr
folcher ethifcher Reden und Unterfuchungen aufführt, und fo wg
gleihem Schnitt mit den andern, daß alle eben fo gut in I
felbe Reihe Fonnten geftellt werben. R
Ufo damit fie diefer Kunft Meifter würden und babı
die Idee. der Erkenntnig immer fefter hielten, dazu umgaben gl
volle- und tieffinnige Männer den Sokrates fo lange ed i
nun vergönnt war, und die ed konnten bid an feinen Xob,
verzichteten indeſſen lieber der Weiſe des Meifterd treu biei
auf zufammenhangende Anwendung berfelben in ben verſchi
nen Gebieten des Wiffend und auf vollfiändigere Ausbilk
aller Wiffenfchaften durch dieſelbe. Als aber die ausgezeich
fien unter ihnen nad) feinem Tode zuerft in Megara ‘ein eig
liches wifjenfchaftliches Leben anfingen, und fo allmaͤhlig
Philoſophie in der Geſtalt ausgebildet warb, die fie hernach
ter den SHellenen mit geringen Ausweichungen immer be
es hat: fo geichah daran gewiß, zwar was Sokrates felbft nik
than und vielleicht nicht gekonnt hatte, aber body gewiß zu
Wille. Man könnte hiegegen freilich einwenben, Zenophon
= 306
mubhräffiich *), Sokrates habe nicht nur felbft im veiferen Jahren
hebe Beſchaͤftigung mit der Naturwiſſenſchaft aufgegeben, ſondern
auch alle anderen davon zuruͤkkzuhalten geſucht, und ſie auf Be⸗
trachtung der menſchlichen Angelegenheiten verwieſen; daher auch
mehrere nur diejenigen für aͤchte Sokratiker halten wollen, welche
die Phyſik nicht mit in ihr Syſtem aufgenommen haben. Allein
dies ift offenbar viel weniger allgemein zu nehmen und in einem
ganz anderen Sinne aufzufaflen als gewöhnlich geſchieht. Die
Gründe des Sokrates zeigen Died ganz deutlich. Denn wie Tönnte
ex, ſo allgemein gefagt haben, man bürfe mit der Unterfuchung
nicht ehe an biefe von Gott abhängigen Dinge gehen, bis man
bie vom Menfchen abhängigen in Ordnung gebracht, da nicht
aur diefe fo vielfältig mit jenen zufammenhängen, fondern ed
auch unter den menfchlichen Dingen felbft wichtigere geben muß
und minder wichtige, nähere und entferntere, und ber Saz dahin
führen würde dag man ehe das eine ganzlich vollendet fei nicht
einmal die Unterfuchung eined zweiten beginnen dürfte. Nicht
übel Fönnte dies ein Sophift gegen den Sokrates felbft gewendet
haben, wenn er einen zweiten entfernt fcheinenden Begriff herbei-
ſchleppt um einen vorliegenden zu erläutern; und gewiß wäre
biefer Saz, allgemein verftanden, nicht nur ber Führung bed Les
bens gefährlich, fondern zerftörte auch gänzlich jene fokratifche
Sdee des Wiſſens, daß jebed nur mit dem andern zugleich und
mit feinem Verhaͤltniß zu allem Tann gelwoußt werden, Sondern
die Sache iſt nur dieſe. Daß Sokrates kein beſonderes Talent
zu einer einzelnen Wiſſenſchaft hatte, und am wenigſten zur Phy⸗
ſik, das liegt zu Tage. Nun kann freilich auch ein bloß meta⸗
phyſiſcher Kopf ſich zu allen Wiſſenſchaften hingezogen fuͤhlen wie
dies bei Kant der Fall war, allein unter andern Umſtaͤnden ge⸗
ſchieht dies und bei einer andern Eigenthuͤmlichkeit als der des
Sokrates. Dieſer vielmehr entfernte ſich nicht von ſeinem Mit⸗
”) Mem. I. 1, 11 sqg.
Schleierm. W. III. 2. W
306
telpunkt in die Weite, ſondern er widmete fein ganzed Leben ber
möglichft verbreiteten und lebendigen Erregung feiner Hauptibee;
fein ganzer Wunſch ging dahin, wie ſich immer auch die ge #
ſchichtlichen Wuͤnſche und Hoffnungen bed Menfchen nach feine
Eigenthümlichkeit geftalten, bag, ehe man in bie Weite ginge, Ib
es diefer Grund erſt recht feſt werben möchte. Bis dahin aber, das
war fein Rath, möge man neue Mafjen von Meinungen nidt
zufammenhäufen; fondern die wollte er feines Theils nur ge
flatten, fo weit die Bebürfniffe des thätigen Lebens es erforder
ten, und deshalb eben Fonnte er fagen, wenn diejenigen, tele
den meteorifchen Erfcheinungen nachforfchten, die Hoffnung hätten
fie nach Belieben hervorbringen zu koͤnnen, fo wollte er eher ih:
sen Forſchungen Raum laſſen, welches ja in jedem andern Sinne
als in dieſem thöricht wäre. Hieraus alfo Tann man nicht be
weifen dag Sofrated die Ausbildung der Phyſik nicht gewollt,
eben fo wenig ald man annehmen darf, er habe fich eingebilbet
bie Ethik koͤnne als Wiffenfchaft werden, wenn man nur jene
abgebrochenen Unterfuchungen recht vervielfältigte, wozu ihn bie |
gemeinen Vorfiellungen veranlaßten. Jenes Fortſchreitungsgeſe;
ift aber unwillkuͤhrlich auch das feiner Schule geblieben. Dem
wiewot in alle Wiffenfchaften hineingehend legt es doch auch
Dlaton noch überwiegend auf bie Befefligung ber Principien an,
und verbreitet fic in dad einzelne nur nach Maaßgabe ber Roth: |
wenbigfeit, und um fo weniger ald es von außen muß gegeben
werben; und erſt der fpätere Arifloteles vertieft fi fich wieder mit
Luft in deſſen Fülle. |
Dies iſt ed was mir fcheint über den philofophifchen Werth
bed Sokrates mit Gewißheit gefagt werben zu können. Will
man aber nun weiter fragen, wie weit er die Idee der ‚Dialektik
in feinen Belehrungen durchgeführt, oder wieviel er außer biefem
Gebiet durch feine Polemik und feine verfuchende Dialektik res
les Wiffen zu Tage gefördert: fo möchte darüber wenig zu fagen
fein, und am wenigften wüßte ich aus den Werken des Platon
37 -
an und für fich etwas zu dieſem Behuf audzufcheiben. Denn wie
da überall in dem platonifchen das fofratifche ift, fo auch überall
in dem fofratifchen das platonifche. Nur wer eigene Lehren
des Sofrated aufzeichnen will, der fuche nicht, wie fie es in‘ ben
Sefchiehten der Philofophie machen um doch einigen Raum mit
bem Sokrates auszufüllen, einzelne moralifche Säze zufammen,
die nur aus jenen gelegentlichen Unterfuchungen entflanden auf
Feine Weife ein Ganzed ausmachen, und was andere Gegenftänbe
betrifft halte er fich an die oben angeführte Stelle des Ariftote:
les, welcher die philofophifchen Beichäftigungen des Sokrates Ies
diglich auf die Principien befchränkt. Zunächft wäre baher zu
jehen, ob nicht einiged tief fpeculative urfprünglich fofratifch. fein
möchte, was die meiften am wenigften dafür halten, wie der im 7
Platon platonifcher audgeführte aber felbft vom Zenophon *) im
Keim bdargeftellte mit der dialektiihen Hauptfrage von Ueberein⸗
fimmung des Denkens mit dem Sein fo genau zufammenhans
gende Gedanke von einem allgemeinen Werbreitetfein der Intellis
gen; im Ganzen der Natur. Hieran koͤnnte man knuͤpfen was
Ariftokles **) audgefagt hat, daß Sokrates auch den Anfang ges
macht habe mit Entwilllung ber Lehre von den Ideen. Doch
dieſes fpäten Peripatetiterd Zeugniß ift verdächtig, und ed Liegt
demfelben vielleicht nichtd zum Grunde als die Aeußerungen bed
Sokrates in dem platoniſchen Parmenides.
Doch babe nun von diefem und anderem viel ober wenig
dem Sokrates felbft angehört, fo muß ſchon jened allgemeine auch
eine richtigere Worftelung davon erwekken, in welchem Sinne
Platon in feinen Werken den Meifter aufführt, und in welchem
Sinne man feinen Sofrated einen wahren nennen muß oder eis .
nen erdichteten. Nämlich erdichtet ift er eigentlich meined Erach⸗
tend garnicht, und’ die Wahrheit iſt auch nicht bloß die mimi⸗
fche, und Sokrates ſteht nicht in jenen Werken nur als eine be
— U
”) Mem. I, 4, 8. **) Kuseb, Praep. XI, 3.
V2
308
queme viel mimifche Kunft und viel heitern Scherz aufnehmende
Perfon um den tieffinnigen Unterfuchungen diefe anmuthige Zu:
that beizumifchen. Sondern weil überall der Geift und die Me
thode des Sofrated walten, und es nicht nur etwas untergeord
neted für den Platon ift wenn er fokratifirt, fondern auf ber an
bern Seite eben fo fehr fein hoͤchſtes Ziel: fo hat Platon Fan
Bedenken getragen ihm auch dasjenige in den Mund zu legen,
was nach feiner Meberzeugung nur Folgerung war aud ben
Srunbideen des Sokrates. Hievon könnte man naͤchſt manchem
‚einzelnen, womit ed aber diefelbe Bewandtniß hat wie mit den
Anachronidmen, nur in fpäteren Werken wie der Staatömann
und die Republik wefentliche Ausnahmen finden; ich meine pla
tonifche Philofopheme die den wirklichen Anfichten des Sokrates
fremd find und ihnen vielleicht eher auf mittelbare Weiſe wider
fprechen, dem Sokrates dennoch in den Mund gelegt. Hieruͤber
mag fih dann Platon auf dad Recht berufen was die Gewohns
os heit giebt. Im ganzen aber mug man fagen daß Platon den |!
fterblih gemacht hat, ſchoͤner nicht nur fondern auch in Wahr
heit gerechter ald durch eine buchſtäbliche Erzählung würde ge
ſchehen fein. _
VI.
leber die griechiſchen Scholien zur nikoma⸗
chiſchen Ethik des Ariſtoteles.
Vorgeleſen den 16. Mai 1816.
/
N — ber Daraphraje bed angeblihen Andronicus Rho⸗ 28
ius, von welcher: bier nicht bie Rede ift, giebt es bekanntlich
ne Sammlung Scholien zu jenem Werke, die, wenn nicht noch
nigeö verborgen liegt, das einzige iſt was barüber aus dem
Itertbum übrig geblieben. Sie ift unter dem Titel Zücgariov
ui &llmy rumav donumv Ünouynuara tig T& Öfxer ete. er»
bienen. Bon biefer Sammlung fcheint die Kenntnig noch ziem⸗
ch mangelhaft zu ſein, und es iſt meine Abſicht durch eine ge⸗
auere Beſchreibung etwas naͤher die Entſcheidung der ſtreitigen
dunkte herbeizuführen, was nämlich davon dem Euſtratius und
va8 den AAdoıg rot gehöre, und wer biefe wol fein mögen.
die Sammlung ift meines Wiffend nur einmal von Paulus
Ranutius im aldinifchen Drukk herausgegeben ohne alle Nach⸗
icht, wie gewöhnlich, über die dabei gebrauchten Handſchriften.
lußerdem giebt ed eine lateinifche Ueberfezung ber Ethit cum
ommeutariis Eustratii et aliorum von Joannes Bernardus
'elicianus zuerft in Venedig 1541, bann in Paris 1543,
m
\
310
wieder in Benebig 1589, und zulezt in Helmfläbt 1662 gebrufft.
Dies Werk wird allgemein für eine Ueberfezung ber Scholien ge
halten, welche Manutius in der Urfprache heraudgegeben. Buhle $
04 p. 299 bemerkt nur, daß in Angabe der Verfaffer der erflerm A
Bücher diefer Scholien beide Herausgeber nicht ganz übereinfiw F
men; und Fabricius bemerkt, aber fafl nur als eine Bes F
thung, daß Felicianus heine hie und da noch andere Ha
fhriften gebraucht zu haben. Jene Verfchiebenheit in Angabe ie
Verfaſſer bewog mich zuerft dad Verhaͤltniß beider Sammluna F
etwas näher zu unterfuchen. Fabricius befchreibt jene Abk
dung fo, dag Manutius nur dad erfle und 6te und 9te u
10te Buch dem Euftratius zufchreibe gemeinfchaftlich mit Je
cianus, eben fo das Ste dem Michael Ephefius, dad 7te und Me
dem Alpafius; dad 2te, Ste und Ate aber nur Felicianus de
Euftratins zufchreibe, Manutius aber das Ite einem unbelnmii
ten, dad Ate auch dem Aspaſius, und bad 2te ungewiß einem;
unbelannten ober dem Aspaſius. Dies ift nicht ganz ridt4
Felicianus fagt in feiner Vorrede ausdruͤkklich, er fei auf:
Commentarien geftoßen, welche Euftratius über das erfle und 0
Buch der Ethik gefchrieben, und habe fi vorgenommen t
nur bdiefe, fondern auch die Commentarien anderer, wer fie au
möchten gemefen fein zu den übrigen Büchern, ins lateiniſche
überfezgen.: In der Ueberfchrift hingegen fchreibt er freilich ar
dad 2te, Ste und Ate dem Euſtratius zu, fagt aber daneben bein
zweiten, daß einige ed dem Adpafius andere einem ungeriffl
Verfaffer zufchrieben, beim dritten bemerkt er das leztere ebenf
und fo auch beim vierten, wobei er aber bed Aspafius, dem
griechifche Eremplar hier allein nennt, gar nicht erwähnt, fo Ik;
er nur in biefem Iezten Punkte beftimmt vom griechifchen ME
weicht. Auch betrachtet er in einer andern Stelle feiner Bor
bie fammtlichen Commentarien zu dieſen 3 Büchern als
auctoris. Beim Hten Buch nennen beide allein den Euflrefi
beim 7ten und &ten beide allein den Aspafius, beim Yten
>
311
10ten das griechiſche allein den Euflratius, das Iateinifche neben
ihm auch den Michael Ephefius. Die Verfchiedenheit in der Ans
gabe iſt alfo eigentlich nicht fo groß ald Fabricius fie darſtellt.
Beim Iten und 10ten Buch wird bie abweichende Angabe bed Feli-⸗
Ganus beftätigt durch bed Montfaucon Beichreibung des Cod. 161.
olim 304 Coislinianus, der ebenfalls diefe Scholien wie bie zum
5ten Buch dem Michael Ephefius zuſchreibt. Buhle flimmt dies
fer Angabe gegen unfer griechifche® Exemplar bei, als ob er die
Sache wirklich unterfucht hätte, woran jedoch ſehr zu zweifeln
iſt. Mit der Angabe unfered griechifchen über das 2te, 3te und
Ate Buch flimmt nun nach Buhle auch der parififche Cober 2060 26
überein; dem von Montfaucon beſchriebenen Codexr fehlen zu die⸗
fen Büchern die Scholien.
Freilich müßte die Wergleichung der Handfchriften felbft erſt
entfcheiben, worauf die Werfchiebenheit der Angaben beruhe, und
ob auch daS verfchieden überfchriebene daffelbe fei, oder eb viel⸗
leicht zu dieſen verfchiedenen Weberfchriften auch verſchiedene
Gommentare wenigftend urfprünglich gehört haben, wenn auch
die Weberfchriften hemad zum Theil ſind falſch uͤbertragen
worden.
Da nun vor der Hand an eine ſolche Vergleichung nicht zu
denken war: ſo beſchloß ich zu ſehen, wie weit ich durch Ver⸗
gleichung der in den beiden Exemplaren gleichen und verſchiede⸗
nen Verfaſſern zugeſchriebenen Scholien uͤber die Wahrheit der
Angabe entſcheiden koͤnnte. Ich dachte, es muͤßte ſo ſchwer nicht
ſein, da die angegebenen ſo weit der Zeit nach aus einander lie⸗
gen. Aspaſius der Lehrer des Lehrers von Galen im erſten, Eu:
firatius im 12ten Sahrhundert. Der Michael Ephefiud freilich
ift eine ganz unbekannte Perfon. Denn wiewol ihm Buhle das
1ite Sahrhundert anmeifet, fo feheint Doch Died mehr nach Gut»
bünfen geſchehen zu fein, ald irgend einen ſichern Grund zu ha:
ben; und um hinter die Sache zu kommen müßten wol, erfl die
vielen Schelien zu andern Werken, die unter diefem Namen Ep
-
7—
312
in parififhen Handfchriften finden, gedrukkt oder wenigflend em
cerpirt fein.
Indem ich nun zunächft bie beiden von beiden Audgaben
und bem oben erwähnten Cober übereinftimmenb und ausſchließ⸗
lich dem Euſtratius zugefchriebenen Bücher durchlief: fo blieb mi
Tein Zweifel, dag fowol der Cod. Coislin. ald der ded Felidamıd
baffelbe enthalten was und Manutius gegeben. Denn die im
Montf. Gatal. angegebenen Anfänge flimmen überein und aud
dad Tateinifche mit dem griechifchen im 6ten Buche ganz, nur
daß wo zumal homerifche auch andere poetifche Stellen aus noch
vorhandenen Büchern angeführt werden, Felicianus immer mehr
giebt. Doch dieſes fchreibt er in der Vorrede ausdruͤkklich ſich
felbft zu, und befchreibt überhaupt feine Verfahrungsart fo daß
Pleinere Abweichungen daraus leicht zu erflären find. In bem
Commentar zum erflen Buche weicht freilich das Iateinifche mehr -
ab, allein dies rührt lediglich von der verfchiebenen Abtheilung
ded Terted her. Sie ift bei Zelicianus verfländiger, aber dieſe
266 Verbeſſerung hat ihn bisweilen genöthigt ben Anfang ber ginzel:
nen Abfäze des Commentard zu ändern.
Die Commentare zu diefen beiden Büchern find einander im
vielen Stüffen fehr ähnlich. Sie find beide, wie fie auch im
‚griechifchen überfchrieben find, eigentliche Gregefen, d. h. fie neh⸗
men bald größere bald kleinere Stellen des Textes, beſtimmen
davon den Sinn, bringen fie in Zufammenhang mit andern Stel:
len, erläutern fie aus den allgemeinen Anfichten und Ideen des
‚Schriftftelerd, und heben Bedenklichkeiten die Dagegen entſtehen
Fönnten. Auch das gilt von beiden, weshalb auch Felicianus
den Euſtratius ruͤhmt, daß auf dad Verhältnig der ariftotelifchen
und platonifchen Lehren Rükffiht genommen iſt. Chriſtlich be
weifen fich ebenfalls beide vielfältig, -und befunden ein ſpaͤtes
Zeitalter durch ihre Sprache. Wörter wie OAodeng, Ovrorng has
‘ben fie gemein. Beide haben einen Eingang, der das Worhaben
ausdrüfflich auf Died einzelne Buch befchräntt, und enden dennoch
. | |
N
v
313
\
belde ohne irgend eine Art von Schluß. Dieſen Uebereinſtim⸗
mungen ſtehen aber doch auch bedeutende Verſchiedenheiten gegen⸗
über. Der Commentator des Gten Buches hat einen weit groͤ⸗
Fern Reichthum ber Sprache, wendet auch mehr Fleiß auf den
Periodenbau, wenn gleich fein Geſchmakk in beider Hinficht nicht
ber befte if. Er zeigt fich von einem gewiſſen Platonismus in«
nerlich durchbrungen, oft unabfichtlich ja unbewußt, weiß aber.
auch in platonifchen Büchern Beſcheid und verweifet auf dieſe.
Der Eommentar bed erften Buches zeigt zwar auch in einigen
Hauptfachen Kenntniß platonifcher Lehren, 3. €. richtige Unter⸗
fcheibung ber Ideen im platonifchen Sinn und der allgemeinen
Begriffe im ariftotelifchen; er ereifert fich auch für den Platon
bis zu Befchuldigungen und komiſchen Apoſtrophen des Ariſtoteles.
Aber in ben platonifchen Büchern weiß er nicht fo Beſcheid, ex
merkt nicht immer wo vom Platon die Rebe iſt und führt bie
Bücher gar nicht an. Auch fonft, wenn gleich feine Gelehrfams
keit nicht bloß chriſtlich iſt und uns den aeyag Asovvosog hers
Bringt, fondern auch auf feine eigne Hand ben Phocylides Euris
pides Galenus, ja den Heraclitus und Parmenides, aber freilich
nur fo wie er auch aus fehr abgeleiteten Waſſern kann geichöpft
haben: fo iſt boch feine Kenntniß des Alterthums bürftig, und er
zeigt fich vielfältig Linkifch, wenn von litterarifchen Gegenſtaͤnden
die Rede if. Vom Speuſippos fagt er, er fei ein WeoAoyog
sap “"EAinow, über den Euborus giebt er und Feine Art von
Notiz Von den olympifchen Spielen fagt er, fie wären bem
Zeus. zu Ehren in; Arkadien gegeben worden; und Delos erzählt so7
er audführlich fei eine Infel mit einem Tempel und Orakel des
Apollo. Gar linkiſch erklärt er den Ausdrukk za pwiza erſt
aus bem Vorzug ded Homerd, und dann vielleicht weil der Ges
genfland Heroen wären, fo nämlich hätten bie Alten zoig nag
"Eklmow sbyeveig xà ayadoüg genannt, und noch närrifcher
den Ausdrukk &v Toig Eyxuxkiog über ben wir fo gern aus dem
Alterthum etwas orbentliched gehört hätten. Dergleichen ift dem
314
Commentar bes 6ten Buches fremd. Wenn man fich' gleich
wundert von Phidiad zu Iefen er habe auch Pflanzen und Thiere
mit großer Genauigkeit abgebildet: fo iſt doch hier Arifloteles
felbft einigermaßen Schuld, ber den Phidias Auovpyog' nennt
den Polycletus aber avdosevronosog. Sonft bringt ex vice
aus dem Altertbum bei, aus Thucydides, Demofthenes, Iſocra⸗
teö, beruft fi) auf Archilochus Gratinus Callimachus, und auf
eine ſolche Art daß man nicht merkt Died fei geradehin aus ans
dern Scholien aufgenommen. — Doc, ed giebt zwei Umftänbe,
welche ganz beflimmt bafür entfcheiden, daß der Berfafler des
Commentard zum. erfien und zum 6ten Buch nicht berfelbe if.
Der erfle iſt die ganz verfchiedene Erklärung, welche von dem
Ausdruft EEwregsxoig Acyoıs im erften und im 6ten Buch gege:
ben wird. Nach dem erflern giebt es zweierlei ariftotelifche Schrif:
tn, dxpomuarızd, Enel NIQÖS TOUG KOlWmg GxpOmmEVOUg Ti;
avrov Öidaoxaliag Exötdorer, die andere Ziwrepixe, welche
8Ew TG X0INS axgOROEwGg 820509 1005 Tiva Imendavre yi-
yoasıcas. Diefe durch gar Feine Beifpiele belegte auf keine Au-
torität geflügte Erklärung, die offenbar.nur nach Andeutung des
Namens gemacht ift, contraftirt fehr auffallend mit der im 6ten
Buch, wo ber in einem ganz ähnlichen Zufammenhang vorlom-
mende Ausdrukk gar nicht won ariftotelifchen Schriften erklaͤrt
wird; fondern gefagt wird, Ariftoteles nenne fo Aoyovg 0% &w
ung Aoyızng napadoaewg xowiüg Ta nAndn paciv. Daß dieſe
ganz verfchiebene Erklärung in gar Feine Beziehung mit jener
frühern gefezt wird, weder ald eine andere Anficht noch als auf
einem andern Gebraucd, des Ausdrukks beruhend und alfo mit
jener verträglich, died läßt fchwerlich zu an eine Identitaͤt beiber
Verfaſſer zu glauben. Nur wenn diefe Commentare Scholien-
fammlungen wären, koͤnnte man ſich ein folched gebankenlofes
Aufnehmen entgegengefezter Erklärungen an verfchiedenen Stellen
denken. Daß auch fonft überhaupt Feine Berufung im 6ten Buch
auf den Commentar zum erften vorkommt, führe ich nicht beſon⸗
| 315
derd an. Der andere Umfland welcher die Verſchiedenheit der
Verfaſſer beweifet it der. Im Eingang zum Commentar bed
6ten Buches, der eine Paaulig Feoaefls; pirokoye etc. anrebet, 208
von ber ich auch nicht entſcheiden will, ob fie Königin von Kys
prod geweſen ober bie, Gemahlin bed Conſtantinus Ducad oder
- was fonft für eine, erwähnt der Verfaſſer, daß fie ihm vor einis
ger Zeit eine Erflärung bed erſten Buches abgefordert, und er
geglaubt fie werde hieraus feine Schwäche hinreichend erkannt
haben, nun aber fordere fie dennoch auch eine zum Gten. Died
beftätiget nun geradezu daß bad erfle Buch auch, und zwar nur
dieſes, nicht die dazwiſchen liegenden (denn auch die Ueberficht ,
ber übergangenen Bücher erwähnt Feiner eignen Arbeit darüber)
von demfelben Verfaſſer commentirt worden; und vielleicht iſt
dies die Veranlaſſung geweien, wenn man’ gewußt unfer Coms
mentar zum 6ten Buch fer von Euſtratius, dieſelbe Ueberfchrift
auch auf unſern vielleicht urfprünglich namenlofen Commentar
zum erſten Buch überzutragen. Aber mit Unrecht. Denn daß
ber Commentar zum erflen Bud), ben wir noch haben, nicht ber
von diefer Königin geforderte if, bemeifet deſſen Einleitung. Denn
biefe fagt, einer zwv ualısa adiwv Aoyov habe den Verfaſſer
aufgeregt zu dem Werke, und er habe es nicht abfchlagen koͤnnen
da To EV noAloig aurovV Avayxaloız evpeiv ev nnög &oya-
oonevov. So konnte Euftratiud die Königin, wenn fie auch
nicht hätte genannt fein wollen, wol fchwerlich bezeichnen; wes
nigftend nicht ohne hernach, als er fie beim Gten Buche doch
‚nannte, fich zu entichuldigen, daß er fie früher nur auf eine fo
entfernte Weife erwähnt habe. So ift demnach gewiß wenigftens
nur eined diefer Bücher dem Euſtratius zuzufchreiben. Welches
getraue ich mich nicht zu enticheiden, auch nicht aus Wergleichung
mit dem und unter bemfelben Namen noch übrigen Commentar
zu bem lezten Buch der Refolutorien. Eine ganz entichiedene
Aehnlichkeit mit diefem zeigt Feines von beiden, eine allgemeine
theilen beide. Aber jenes kann auch an der Verfchiebenheit beö
1
316
Gegenſtandes liegen, der allerbingd dem ſtiliſirenden Beſtreben
ſtaͤrker entgegentritt und auch das chriſtliche mehr zuruͤckhaͤlt, wie⸗
wol dieſes uͤberall Gelegenheit findet ſich zu zeigen in Beiſpielen
von chriſtlichen Namen hergenommen und in Anrufungen goͤtt⸗
licher Huͤlfe. An und für ſich wuͤrde ich lieber das 6Gte Buch
dem Euſtratius zuſprechen, theils wegen bed geiſtlichen Zons und
Gehaltes, theils auch weil es bei weitem das vorzuͤglichere iſt,
eingedenk des Zeugniſſes welches Anna von dem Euſtratius
ablegt.
Soviel iſt gewiß aus dem obigen, wenn das 6te Buch dem
Euftratiud gehört: fo hat Felician gewiß Unrecht ihm das 2te,
260 3te und Ate Buch zuzufchreiben, er müßte denn fpäter über biefe
gearbeitet haben, da er fich doch fchon im Eingang zum 6fen
einen 7900 xal vOool; xaraxauntousvov nennt. Wäre aber
dad erfte vom Euflratius, dann koͤnnten in fo fern vielleicht auch
die folgenden von ihm fein. Und fomit sing ih nun zu einer
näheren Anficht von diefen.
Die Arbeiten über dad 2te, Ste und Ate Buch unterfcheiden
fi) von denen über bad erfte und 6te auffallend. Erſtlich find
fie feine Eregefen, fondern, wie fie auch im griechiſchen über:
fchrieben find, Scholien. Sie faſſen nicht fowol ganze Stellen
ihrem Inhalte nach zufammen, als fie ſich an einzelne Saͤze ans
ſchließen; aljo haben fie es auch weit weniger mit dem Zufams
menhang im großen zu thun, und find eben deshalb in ſich min:
der zufammenhängend, fondern in weit kleinere Maffen ganz zers
fchnitten. Dies gilt von den Gommentaren zu biefen brei Bü:
chern ohne Unterfchieb, und eben fo findet fi auch in allen
breien Feine Spur von Ghriftlichkeit. Beides zufammengenoms
men reicht nach meiner Ueberzeugung volltommen hin biefe Arbei⸗
ten jenen beiden Verfaſſern abzufprechen. Denn der Scholien:
fammier ift ein anderer Mann ald der Ereget; und wer ſich in
Arbeiten über dad Altertbum aller Einmifchung bed chriftlichen
enthält, ift, wenn auch vielleicht felbft ein Chriſt, boch ein an⸗
317
derer als der es überall herbei zieht. Eigentlich nun ſollten beide
Bemerkungen ein guͤnſtiges Vorurtheil für dieſe Scholien erre⸗
gen; denn eben weil ſie ſich mehr an das einzelne halten, koͤnnte
es mehr daraus zu lernen geben, und weil ſie keine Chriſtlichkeit
verrathen, koͤnnten ſie aͤlter ſein als jene. Allein dieſe Vermu⸗
thungen beſtaͤtigen ſich nur ſehr ungleich. | /
Die Arbeit über bad 2te Buch ift zwar der Form nach mehr
ſcholiaſtiſch; aber da fie doch dem Inhalt nach ganz exegetiſch ift:
fo ift fie in dieſer Gattung nur deſto dürftiger. Die Sprache
verräth nicht gerade eine fpäte Zeit, aber die peripatetifche Dürre
und Abgebiffenbeit, die aus geifllofer Nachahmung des Ariftotes
les nothwendig entftehen mußte. Was der Verfaſſer von frühe
"zer Philoſophie beibringt iſt fehr ſparſam und dürftig, fo daß
wol nicht leicht jemand bier einen Peripatetiker des erſten Jahr⸗
hunderts nach Chriſto, und aus einer folhen Schule daß Gales
nus ber Mühe werth hielt einen Schüler beffelben als feinen
Lehrer zu nennen, einen folhen Mann meine ich wie Aspaſius
wird man wol nicht leicht hier fuchen. Sollte aber diefe Arbeit
dennoch von ihm fein, dann hätten wir an ben übrigen Shi ⸗
ten bed Manned gewiß wenig verloren. |
Ganz anders wieber verhält ed fich mit ber Arbeit über das 270
dritte Buch. Diefe ift offenbar, wiewol ich dies nirgend bemalt
finde, nicht eine Arbeit Einer Hand, ſondern eine Sammlung
von Scholien. Mehrere über biefelben Worte folgen nicht felten
auf einander, durch 7 za oder dad befannte @AAmg gefonbert.
Dft folgen die Scholien’ über einen Abfaz aus Einer Quelle hins
ter‘ einander fort, und dann erft werden aus andern Quellen wie
es ſcheint einzelne Bemerkungen zu früheren Stellen beffelben Ab:
ſchnittes nachgetragen. Kurz dieſe Beſchaffenheit ift bei näherer
Anficht nicht zu verkennen, ja fie kommt dem aufmerkfamen Les
fer ſchon auf dem erften Blatt entgegen. Die eregetifchen Schos
lien ſind denen zum vorigen Buch fo ähnlich, daß ich Feine Wer:
fchiedenheit anzugeben wüßte Es giebt aber auch. einige kriti⸗
J
318 ,
ſche, und andere fo hiftorifche Notizen enthalten, und Fragmente
befonderd von Hefiodus Euripides Epicharmus, von denen ih
bis jezt noch nicht verglichen babe ob fie ſchon anderwaͤrts her
aus älteren Schriftftellern bekannt find. Diefe Scholien, die oft
zugleich eine grammatiiche Abfiht haben, find offenbar aus ber
befferen gelehrten Zeit, und auch die Sammlung, wie wir fie
bier haben, kann nicht fehr jung fein, da fie gar nichts aufge:
nommen hat was ſich ald chriftlich verräth.
Mit den Scholien zum vierten Buch bat ed bdiefelbe Be
wandtnig. Seltener kommen freilich mehrere von einander abs
weichende Scholien über diefelbe Stelle vor, und nur ein Paar:
mal fieht man auch hieran beflimmt dag man eine Sammlung
vor fich bat. Aber wenn auch nur Einmal eine Eregefe mit 7
ov roũro Asyeı @AA angehängt wird, die zwar anders laute,
aber dem Sinne nach ganz mit ber frühen übereinflimmt: fo
giebt fchon dies ein Recht überall, wo ähnliche Formeln ſtehn,
nicht nach der Art der patriftifchen Eregeten einen unentſchloſſe⸗
nen Erflärer zu ahnen, fondern einen ziemlich unbeforgten Samms -
ler zu ſehen, ober wenigftend emen der feine Hauptquelle gele
gentlich aus andern ergänzt. Die Sache erhellt aber noch aus
einem andern Umfland; nämlich. an einer Stelle ift eine Beru⸗
fung auf Scholien zum dritten Buch, an ein paar andern aber
ift etwas herbeigezogen, eine Aufzählung von fpeciellen Benens
nungen für die verfchiebenen Arten der axoAacie, was weit na
türlicher zum dritten Buch wäre beigebracht worden. Jene Er:
klaͤrung alfo rührt offenbar von einem ber, ber gewiß auch zum
dritten Buch commentirt hat; diefe von einem, der hoͤchſtwahr⸗
fcheinlich zum dritten nicht commentirt hat. — Für diefe beiden
Arbeiten Tann man alfo nach einem Verfaſſer eigentlich nicht
fragen.
an Felicianus fagt in der Vorrede an den Cardinal Zarnefe,
leider ebenfalls ohne irgend genauere Nachricht über feine Hands
föriften zu geben, ex babe zu dieſen brei Büchern doppelte Com⸗
319
mentare gefunden, die zum heil daffelbe zum heil verfchiebes
ned enthielten, wiewol verflümmelt und abgerifien; er habe alfo
die Mühe übernehmen müffen fie zufammenzuarbeiten, welches
um fo weniger dürfe gemißbilligt werden, da doch beide unvoll
fländig gewefen und ungewiffen Urheberd. Dies nun hat er auf
eine ſolche Weife gethan, daß ber abgebrochene Scholiencharakter
ganz verwifcht und alle in größere mehr zufammenhängende
Maſſen gearbeitet iſt, wodurch denn diefe Gommentare in feiner
Ueberſezung den Eregefen zum erften und fechöten Buch Ahnlis
cher geworden find. Er hat babei zugleich wol bie Abficht ges
habt die Arbeit dem Lefer angenehmer zu machen, und in dem
Sinne gleichförmiger daß fich alled mehr den Commentaren bed
Euftratiud annähere, bie ihm die Hauptfache waren. Uns wäre
ed num lieber gewefen und für Gefchichte und Kritik beffer ges '
forgt, wenn er die Commentare gefonbert gelaffen und uns die .
Vergleichung mit den griechiſch herausgegebenen erleichtert hätte.
Allein diefen Sinn hatte der elegante Mann nicht. Jezt ift bie
Ausmittelung was eigentlich in den andern geflanden bei dem
Verſahren ded Felicianus höchft fchwierig, und ich konnte mich
um fo weniger daran wagen, ald die hiefige Bibliothek mir nur
den parifer Drukk von 1543, nicht den urfprünglichen venetianis '
fhen von 1541 darbot. In jenem nämlich hat leider wieder ein
ungenannter vir eruditas hineincorrigirt aus einem lateinifchen
parifee Codex, um unum quasi corpus ex graeco atque latino co-
‚dice zufammen zu drehen. Kür jest vermögen wir wol nicht zu
beurtheilen wie viel oder wenig Felicianus hiebei gethan. Aber
ohnerachtet manches in feiner Ueberſezung ausgelaffen ifl, was in
unferer griechifhen Ausgabe flieht: fo fcheint mir doch ausge⸗
macht, daß er neben feinen befonberen auch unfere griechifch ges
. drukkten Commentare gerade fo vor fi gehabt, und nur aus
Bequemlichkeit oder Raumerfparung bie und da auögelaffen.
Höchftens könnte man feinem Ausdrukk zu Liebe glauben, daß
er eine an einzelnen Stellen mangelhafte Handfchrift unferer
320
Scholien befeffen, und daß die andern Commentarien die ee
neben gehabt rein eregetifch gewefen. Doch müflen fie entwehe
auch Sammlungen älterer Scholien fein, wie unfere gebrußßte
zum dritten und vierten Buch, weil er nämlich fagt, diefe Com:
mentare enthielten zum Xheil daflelbe wie die andern, oder um
fere müßten felbft aus jenen geichöpft haben. Welches von beis
ar ben auch der Fall wäre, fo würden wir vieleicht manche Auf
fchlüffe erhalten wenn die Handfchriften bed Felicianus gefunden
würden. |
Die dem Michael Ephefius zugefchriebene Arbeit über bat
Ste Buch ift eine Eregefe, mit einem fehr Pleinen prooemiem an
fangend, ohne beſondern Schluß endend, nicht unverfländig aber
hoͤchſt Iangweilig und ohne alle Ausbeute für den ber den Ar
floteles felbft verfiehen kann. Bon chriftlichem enthält fie Feine
Spur. Felicianus fiimmt hier fo genau überein wie im erflen
Bud, nur daß er ein aus drei Abfchnitten beflehendes Eyime
tron hinzufügt, worüber er in feiner Vorrede Feine Rechenſchaft
giebt. Der Rand der parifer Audgabe fagt zwar, sequeatia ad-
dita sunt ab interprete latino, allein das ift wol theils nicht bud»
fläblich zu nehmen, theild wäre ed nur die Stimme jened wie
. eruditus und gewiß hat Zelicianus auch dieſes griechiſch gefunden.
Die Arbeit zum ten Buch in beiden Ausgaben dem Aspa⸗
fius zugefchrieben (bei dem Gober des Montfaucon muß bie Ve
berfchrift fehlen, und den Anfang führt er auch nicht an) heißt
Scholien, ift aber doch mehr eine Eregefe, an Dürftigkeit alles |
übertreffend und wegen Dißverfiand ganz bekannter Dinge, z €.
des Gogyısızög Aöyog evdousvog, wegen ganz abgeſchmakkter
Erklärungen, wie von ber Aanie, wegen ſchlechter Gräcdtät .B.
seufr. plar. immer mit dem Pluralid conftruirt, des Aspaſius
ganz beflimmt unwuͤrdig. Endlich) ald unfer Mann dadıev
xaoßwvos fchreibt, veißt auch dem Spanheim *) die Geduld,
) Deffen mit Randſchrift verlehenes Eremplar bie Koͤnigl. Bibliothek ber
321
und er ereifert fi, dag man dieſes Machwerk habe können dem
Aspaſius zufchreiben. So dag der Name des Aspafius aus die
fer Sammlung wol ganz wird verſchwinden muͤſſen. — Ein Arzt
ſcheint übrigend der Mann geweſen zu fein; denn er prunkt mit
Beifpielen aus diefem Gebiete, wo er nur Tann.
Der Commentar zum achten Bud, ift zwar eben fo von
Lspaſius Überfchrieben, allein er hat nicht den Charakter ‚des vor⸗
vorhergehenden, ſondern ſtimmt in ſeiner ganzen Art und Weiſe
mehr mit dem zum zweiten Buch uͤberein. Sonderbar iſt hier
Eines. Bald Anfang fol. 136. a. wo ſich Ariſtoteles flüchtig
auf etwas fruͤheres beruft, ſo daß unſerm Commentator nicht
gleich klar geworden ſein mag was gemeint iſt, erklaͤrt er das
ariſtoteliſche signras 8’ Uno avıwv Eungoodev durch EOLXE oe 273
eigodas Ev Toig Exnentwxöos twv Nixonayeiov. Al ob «8
eine bekannte und angenommene Sache wäre, daß aus der niko⸗
machiſchen Ethik einige Buͤcher verloten gegangen.
Da der Commentar mit den Worten ſchließt, xc neo) usv
roiro⸗ zade nos eionrei,. fo folte man’ vermuthen. daß ſich
hieran ein Commentar zum neunten Buch anſchließen wuͤrde;
denn dies iſt eine gewoͤhnliche Uebergangsformel am Ende eines
Buches zum Anfang des andern, Und es iſt auch an ſich wahr⸗
ſcheinlich, da beide Buͤcher ganz denſelben Gegenſtand behandeln,
dag wer zum achten commentirt- hat, den Gegenſtand nicht in
ber Mitte wird fallen laffen. "Nur dag. der Commentar zum
neunten Buch, der in unferer Sammlung folgt, nicht die Fort:
ſezung des vorigen if. Denn flatt fi) dem Schluffe defjelben
mit einem leichten oͤe anzufchließen, hat er eine befondere Einlei:
tung welche den Inhalt ded achten Buches in kurzem wiederholt.
So daß man deutlich fieht der Werfaffer dieſes Commentars hat
fizt. Er fagt, xapßwvas Istine, quos Graeci ündgaxas, vocat; quo
uno indicio intelligi potest, Aspasium non esse auctorem horum
scholiorum. _
A 3
Schleierm. W. III. 2. * et
I
322
nicht auch über das achte Buch commentirt. Auch haben beide
wenig oder nichts mit einander gemein. Der Commentar zum
neunten Buch fommt und gleich als chriſtlich entgegen durch Anr
führung des ueyag Baoileıog und des YeoAoyog, und burch
Ausdrüffe wie 6 naußeßniog Eowusvog und 7 aoefesarn pi-
Eis. Ihn aber dem Euftratius zuzufchreiben möchte ich Beben:
fen tragen, weil ihm alles das fehlt was der Commentar zum
erften und zum fechöten Buche mit einander gemein haben, for
wol die ganz fpäte Sprache ald dad Platonifiren. Auch ift ber
Stil weit frenger peripatetifch gehalten. Wenn nun Felicianus
fagt, andere fehrieben diefen Commentar dem Michael Epheſius
zu: fo koͤnnte auch das nur richtig fein, ‚wenn ber über das
fünfte Buch diefem Manne nicht angehört, Schon deshalb meil
der eine fich hriftlich zeigt und der andere gar nicht. Auch bei
Eennt unferer fich nirgends fo dazu aus andern Quellen zu ſchoͤ
pfen, wie jener fol. 72 fagt Ener &v 1a reirw Pıßkio vis
napblong neeyuareiog negl dxovaiov xal Exovoiov elonxer,
0V xon Nuüs nalıy Evravda uveiny nowvuevov ToU ’Apıso-
tehovg noveiv, GAR Ex mV Exeioe yeypanuevuv tolg dnn-
taig oyokiwv Erı OWLouEVwv TA Eig GAPIVELRV TWY TIOXE-
pEvov ovvieivovra uereveyxed. So daß auch biefe beiden
Commentare nicht demfelben Verfaſſer angehören. Der. Schluß
Döde u2v oVv neningwras To iwra twv YIımv Nixonayeiuy,
xal ai eig aörò oyoAaf gehört fihtbar nur dem Schreiber,
und auch bier fehlt alfo felbft die Eleinfte Schlußformel. Ob man
nun fagen darf, dag wo Commentare nur auf einzelne Bücher
274 gingen, bie Abſchreiber, welche das ganze Werk mit Commenta⸗
ren zuſammenſchrieben, die gewoͤhnlich kuͤrzeren und leichter zu
ſondernden Schlußformeln zwar weggelaſſen haben, die Eingaͤnge
aber ſich nicht getrauten auszuſchneiden, das ſtehe dahin.
Der Commentar zum zehnten Buch hat manches eigenthuͤm⸗
liche. Zuerſt nimmt er im Eingang und am Schluß auf die
Bezeichnung der Bücher duch Buchſtaben Ruͤkkſicht, und zwar
323
iS ob bieß eine eigenthuͤmlich peripatetiſche Sitte waͤre. Ein
anderer“ Anſtoß ziemlich am Anfang iſt leicht hinwegzuraͤumen.
Es iſt nämlich fol: 164 b zu der Stelle ol ulv yap Tayadöov
ndovnv Aeyovss ganz daſſelbe nur kürzer über Die Formen. Ta-
yarov, tavroayadov u. a. gejagt, was fol. 165 zu der Stelle
Eüdo&og Ey 00V Tayadoy inv ndaynv Gero eivaı audführ:
icher vorgetragen wird, fo daß man fürchtet eine fchlecht gemachte
Sompilation vor fich zu haben. "Allein da fich diefer Werbacht
tirgends beftätigt: fo trage ich Fein Bedenken fol. 164 b die
hnedies den Zufammenhang ſtoͤrenden Worte wg oi zas lölag
i8 av xalov für eingefhobeh von einer fpäteren Hand zu
rklaͤren. Der Commentar ift übrigen? eine ganz verfländige rein
yeripatetifche Eregefe, mit fleißigen Berufungen auf andere aris
totelifche Werke; nur wenn man fi durch die gleich entgegen:
kommende Anführung des Plotinus verleiten läßt viel Anfühs
rungen anderer Schriftfieller zu erwarten, findet man fich ges
täufcht. Won chriſtlichem trägt er Feine Spur. Denn das chrift:
lihe am Schluß gehört offenbar dem Schreiber des Codex, und
ift nur durch einen Zehler in die Werke des Commentators ver⸗
webt, welches aber auch Felicianus uͤberſehen hat. Es gehört
nämlich zufammen ei d2 Tıg Eyes xgeirtove xui xalliova As-
yeıv, Ta lv Zua Eswoav “Hyeisw Toopn, t& 8° Exeivov
Eoaei yujais yıhoxaloıg xaı Veosidesaros. Daß der Ver:
faffer auch über frühere Buͤcher commentirt hat fieht man aus
den. unmittelbar vorhergehenden Worten wds uEv TEA0g Eyovaı
xat al eig To xarnna oyohei. Schwerlich aber haben wir in
unferer Sammlung noch etwad von feinen Arbeiten, ed müßte
denn ber Commentar zum fünften Buch fein, der aber weit hin
ter dieſem zurüffbleibt.
Uebrigens fieht man wenigſtens eine Weranlaffung dieſen
Kommentar zum zehnten Buch, wie Felicianus gefunden daß
einige thun, dem Michael Ephefiud beizulegen in ber Stelle
lol. 175 a ‘Hogaxisirov zoü Epediou xal &uod nokltau,
x 2
l
324
Soviel nur ergiebt fi) aus der unmittelbaren Anficht die .
fer. Sammlungen wie fie jezt vor und liegen. Genaueres wir
275 fih wol erfi ausmitteln, wenn man die Handichriften, welde
dieſe Scholien enthalten, genauer vergleicht.
E⸗ freut mich daß ich jezt, indem ich dieſen Aufſaz zum Drukk
beförbere, ſchon don einigen auf diefem Wege gewonnenen Auf,
klaͤrungen .eine vorläufige Kenntniß geben kann. Here Profeffor
Brandis hat fchon als Königl. Gefandtfchaftd-Sekretar in Rom
ſich mit Vergleihung ariftotelifcher Handichriften befchäftigt, und
fejt gegenwärtig in Gemeinfchaft mit Hrn. Prof. Bekker dieſe
Beihäftigung fort zum Behuf einer kritiſchen Ausgabe ded Ar:
ftoteled, welche die Akademie beabfichtigt, deren Aufträgen in bie
fer Hinficht die genannten beiden Gelehrten ſich mit großer Be
veifwilligfeit unterzogen haben. Ich will aus einem Briefe bei
Hm. Brandis, ohne feine Auszüge abzufchreiben, die ſich beſ⸗
ſer an einem andern Ort werden geben laſſen, nur dad unmittel
bar hieher gehoͤrige mittheilen.
„Außer dem’ gedrukkten Commentar zum erſten Buche in
mir ein anonymer vorgekommen, der nicht aus unſerm Euſtra⸗
tĩus geſchoͤpft ſein Tann. Er findet ſich in zwei roͤmiſchen und
zwei florentiner Handfcheiften ren Der Commentar mag
an Umfang nicht ganz dem fechöten Theil ded Euftratius glei
kommen.“ |
„Die Commentare welche Felicianus außer den in der grie
hifchen Ausgabe abgedruftten zum zweiten dritten und vierten
Bud) der Ethik benuzt hat, finden fi, wie. die Wergleichung
folgender Stellen mit ber Ueberfezung offenbar zeigt ‚ in zwei
Rorentinifhen Handſchriften und zwei roͤmiſchen wieder. Feli⸗
— —
325
anus fcheint hie und da andere Leöarten vor ſich gehabt, mei-
mtheild aber fehr frei überfezt zu haben. . . . Der Commentar
m dritten Buch ift überfchrieben Zi 76 roiroy uy da
Quororelon. Der zum vierten’ donaoiov Tov yıloaopow
Töuynua eig TO 4 zuy 3dmmy -Apsororelous. (So hat
ıch eine von- diefen vier Handſchriften, aber von einer ſpaͤteren
and die Ueberfchrift "Aonaomov eis "Hama ’Aoıorortlowg
zvra Ta eüploxöusve, und eine ähnliche Ueberfchrift "Aona-
ov vmouvnun eig I Aıfhia 109 ° Apssoreleue NIıwr iſt
f den Dekkel eined anderen geklebt. Die beiden übrigen Hands
riften ermangeln aller Ueberfchrift.) Zelicianus hat Anfang
d Schluß diefed ungedrufften Commentard zum Aten Buch in
Ueberſezung des in der griechifchen Ausgabe abgedrukkten Com:
mtard verwebt. — Beim zweiten und dritten Buch fcheint er 276
Anfang und Schluß und in mehreren andern Stellen den uns
drufften vorgezogen zu haben. Wie er dazu gefommen bie
ımmentare zu allen drei Büchern dem Euſtratius beizulegen be:
eife ic) nicht. Sämmtliche vier Handfchriften führen die uns
drukkten Commentare zum 2ten und Iten Buch anonym auf,
ıd bezeichnen als Verfaffer des Commentard zum Aten den Aspa⸗
6. Der ungebruffte Commentar zum zweiten Buch möchte
vas beffer fein als der gedruffte; der zum Iten und beſonders
m 4ten bei weitem ſchlechter.“
Der Anhang, den die Ueberfezung des Felicianud zum Com:
entar über das fünfte Buch giebt, findet fi in der einen flos
stinifchen Handſchrift.
„Saͤmmtliche vier Handfchriften enthalten außerdem einen
gedrukkten vom Felician nicht benuzten Commentar zum lezten
yeil des fiebenten Buches. Er beginnt in allen bei demſelben
‚ort mitten in einem Saz, und fie legen ihn einflimmig dem
ipafius bei, donaoiov eig rò n rwv ’Agısorelovg nIınwv
on. OU xar apyas, aA ano ToU uEoov, ano ToV (nTov
d ovrwai Öiskiövrog Örı ulv 019 axgaoia x. . ut
\
328
len die im Volk verbreitet find, wenn fie nicht ganz verfchwen
25 bet fein follen, Feine andere Laufbahn angemiefen zu fein als bee
große Wettlauf um die Stellen in der Verwaltung. Diefe Stes
len werden, je mehr Einfiht und guter Wille zunehmen, um
defto mehr müffen vervielfältigt werden, damit nichts gutes un
benuzt bleibe; und kaum werben jene Kräfte außer der Verwal⸗
tung nöch irgendwo bleiben wollen, ald etwa in denen Gemwer
ben, welche unmittelbar mit ihrer Thaͤtigkeit, wie die Gelbhänd
ler, der Verwaltung dienen koͤnnen. Aber wie iſt ed, wenn fid
Volk und. Regierung än-jene beiden Anfichten theiln? Will de
Regierung bevormunden, dad Wolf aber frei fein, fo muͤſſen be
ſtaͤndige Reibungen entftehen; und der beſte Zuftand einer mäßl
gen Ruhe und Gluͤkkſeligkelt möchte dann ber fein, wenn beide
Theile einander mit Höflichkeit zuvorfämen, die Regierung, als
ihr höchfted Ziel anfehend das Volk ganz frei zu laſſen, nidt
= eher eingriffe ald wo fie gebeten würde, dad Wolf hingegen, fih
gluͤkklich fühlend in der Wormundichaft einer weilen Regierung,
jede freie Thaͤtigkeit für einen Raub .hielte, wenn fie ihr nict
von der Regierung als ein Gefez auferlegt würde...
- Schon hieraus geht wol deutlich genug: hervor, Daß beide
Marimen eine gefährliche Einfeitigkeit in fich tragen, und deshalb
feine von beiden eine allgemeine Geltung haben kann. Ja id
möchte fagen, fo gewiß beide nur eine relative Wahrheit haben,
und gewiſſe Gegenflände unter gewiffen Umftänden die Anwen:
dung der einen, andere aber und unter andern die Anwendung
Der andern erfordern: fo gewiß wird man in ber richtigen Auf
loͤſung irgend einer fehwierigen Aufgabe der innern Staatskunſt
fhon bedeutend vorgerüßtt fein, wenn man darüber auf dem nis
nen ift, unter welchen Umftänden bie Regierung eingreifen muß,
unter welchen.aber fie den Gegenftand feinem natürlichen Ber
lauf überlaffen darf.
Ein zu gewiflen Zeiten befonderd bedeutender an fich aber
immer intereffanter Punkt, und fehr geeignet bad gefagte als
1
x ⸗
329
ſchaulich zu machen, ift die Srage von ber Auswanberungsfreis
beit, bei welcher: es ‚genau betrachtet immer auf. das Dafein des '
Staats unnfittelbar ankommt, indem er. burch jede Auswande⸗
sung doch einen integrirenden Beſtandtheil verliert. Stellen wir
in Bezug auf jene entgengefezten Anfichten die allgemeine Frage,
Soll die Regierung diefe Luft bevormunden oder ihr freien Lauf
Laffen? fo finden wir und immer in einer übeln Lage. Denn
wenn ich die Frage ftelle, Ift das noch ein Staat, der aus nicht ?7
freiwillig zufammenlebenden Menfchen befteht? fo muß ich ant⸗
worten, das innerfle Wefen des Staated werde freilich gefähr:
- bet, fo oft eine Regierung die Auswanderungöfreiheit irgend bes
ſchraͤnkt. Frage ich hingegen, Iſt dad noch ein Staat, wenn |
eine Maſſe anftatt lebendig und frifch zufammenzuhalten im Aus-
einanberlaufen begriffen ift?. fo muß ich dann leider antworten,‘
Daß eben fo bie äußere Eriftenz eined Staated Preis gegeben
ift, wenn bie Regierung unbedingt und zu allen Zeiten die Tren⸗
nung einzelner Glieder vom Ganzen geffattet. Daß noch Fein
Staat auf dieſe Weife wuͤrklich auseinandergegangen, ober nur
wie durch ein zu ſtarkes Blutlaffen bedeutend und gefährlich ges
ſchwaͤcht worden ift, und daß, auch wo die Auswanderung nicht
verboten ift, doch die ungemeffene Mehrzahl freiwillig bleibt, mag
beided wahr fein; aber Feines von beiden Tann berüfffichtigt wer:
ben, wo es auf eine flrenge Theorie anfommt: fondern diefe wird
fagen, weil doch beides möglich fei, fo ſei auch nur eine bedingte
Antwort möglich, und man müffe daher unterfuchen, unter wel;
chen Umfländen das Bleiben im Staat oder dad Auswandern der
Sreiheit- des einzelnen anheim zu ftellen fet, und unter welchen
Umftänden hingegen die Regierung hinzutreten müffe, um jenes
zu gebieten und dieſes zu verhindern.
Denken wir freilich daran, wie Platon, oder mag es auch
ein anderer Sokratiker gewefen fein, im SKriton bie Gefege eins
- führt die flrenge Forderung auöfprechend, daß der einzelne ſchul⸗
dig fei auch dem ungerechteſten Richterfpruch fein Leben, wenn
330
er +5 auch durch bie leichteſte Flucht retten Eönnte, zum Köpfe
gu bringen: fo fcheint und freilich natürlich, dag Staaten, melde |
die Auswanderungsfreiheit beſchraͤnken, fo firenge Forberungen |
nicht machen dürfen, und daß eine foldye Hingebung nur ver '
langt werben kann, wenn wirklich, wie auch dort die Geſeze von
ſich rühmen, jedem einzelnen frei flieht ohne allen Verluſt ſich
den Geſezen und Verfahrungsweiſen im Staat, wenn fie ihm
nicht länger gefallen, durch Entfernung aus feinem Gebiet zu |
entziehen; und Daß alfo, je frenger der Charakter eined Staates
fei, um deſto ungehemmter auch die Audmanderung fein müfle.
Allein wenn und auf der andern Seite eben dort die Gefeze vor
rechnen, welche Sorgfalt fie auf jeden Bürger von feiner Kind:
beit an verwendet haben, welchen oft, und noch mehr gilt das
zs in unfern neueren Polizeiftaaten, höchft mühlamen Schuz fie ihm
angebeihen lafjen, und wie jeder alles, was er erworben bat und
zu erhalten im Stande ift, nur ihnen verdankt: fo müffen wir
wieder fagen, daß folche Sorgfalt auf einen fo ungewiſſen Befiz,
wie ein erſt heranmachfender Staatöbürger auch nach allen Schuy
pokken immer noch ift, unausgefezt zu verwenden vom Staate nur
verlangt werben darf, fofern er ficher fein Tann, dag wenn e
feine Schüzlinge durch die. Gefahren der Kindheit und der Zus
gend gluͤkklich Durchgebracht bat, er auch ungefährdet die Früchte
ihres veiferen Lebens wirklich genießen werde. Und fo möchten
wir enticheiden, daß ohne alle Ruͤkkſicht auf firengen ober mil
ben Charakter jeder Staat um fo größeres Recht habe alle Aus:
wanberung zu verbieten, je mehr und forgfältiger in ihm regiert
wird. Allein iſt es irgend zu erwarten, daß hierüber Untertha⸗
nen und Regierung übereinftimmig fein werden? Wird nicht fl
überall wo die Regierung auf ihre fchon aufgewendete Thätigkeit
hinweiſend den Einfpruch gegen die Auswanderung einlegen will,
der einzelne über den ftrengen Charakter der’ Regierung Elagend
die Freiheit der Auswanderung in Anfpruch nehmen? Iſt ed nun
unmoͤglich durch eine folche Entfcheidung die nachtheiligen Reis
\ 331
bungen zu vermeiden; gerathen unvermeidlich beide Theile in
Zwieſpalt: fo muͤſſen wir mol darauf zuruͤkkommen, jened als
das wimſchenswuͤrdigſte zu finden, wenn jebe Regierung großs
muͤthig jedem einzelnen, ohnerachtet deſſen was er ihr ſchon
ſchuldig geworden, die Freiheit anboͤte, und dafuͤr jeder einzelne
dankbhar von ſelbſt das Geluͤbde einer ewigen Clauſur thaͤte.
Nur unerreichbar werben wir dieſes wuͤnſchenswuͤrdige finden,
und nicht minder wunderli würde und dieſes Verhaͤltniß er
fcheinen als der Zuftand unter dem Fantifchen Sittengeſez, wo
niemand zwar für feine eigne Glüfffeligfeit forgen darf, jeder
aber deſto firenger verpflichtet ift die des andern zu befösdern.
Daß wir nun auf diefem Wege nicht weit gekommen find,
wird und um fo weniger Wunder nehmen, wenn wir bedenken
Daß wir von alterthümlichen und auf unfere Verhältniffe kaum
ernfihaft anwendbaren Ideen ausgegangen find. Haben wir aber
wenigſtens einen Blikk in die Schwierigkeit gethan auf. biefem
Standpunkt eine Ausgleichung zu finden: fo wird der Gedanke
befto natürlicher fein fie höher hinaufwaͤrts zu verfuchen, und ber
Weg ſcheint in der That leicht und geebnet zu fein. Niemand
verbietet ja auch dad ſchlimmſte nicht, wenn fich nirgends eine 20
Luft zeigt es zu. unternehmen. So fchiene demnach die Aufgabe
eigentlich die zu fein, dafür zu forgen, daß in den Unterthanen
nirgend "und nie die Luft entfiche auszumandern,‘ und eben des⸗
balb auch die Regierung nirgenb und nie bi zu dem Bebürfnig
kommen koͤnne die Auswanderung zu verbieten. Wem fällt frei⸗
lich hiebei nicht der greoßmüthige Gedanke jened Alten ein, Fein
Gefez geben zu wollen’ gegen den Vatermord! Denn wenn ed
doch nicht leicht eine Gefellichaft giebt, wo nicht diefer Fall eins
träte, und bisweilen auch das heiligfte Band der Natur Nachließe:
fo werben wir noch weniger erwarten dürfen, daß ed eine gebe,
in welcher nicht das, wie groß wir auch davon denken mögen,
doc) immer allgemeinere und lofere Band, welches den einzelnen
an bie bürgerliche Gefellfehaft bindet, fo weit nachließe, daß ir:
332
gend eine natürliche ober unnatürliche Luft oder Unluſt ben Ent
ſchluß hervorbrächte bie Heimath mit einem andern Staat zu
vertaufchen. Wol! laffen wir derm ein wenige nad) von unfe
ver Forderung, und begnügen und ba für das glüßffelige und.
befriedigende zu halten, .wenn ber Staat jebes Auswanderung:
gelüft nur ald ein unnatürliched anfehen inne, und alfo jeden,
der davon hingeriffen wird, als einen im Grunde feines Lebens
erkrankten und verborbenen, an dem doch die frühere Sorge ver |
. fchwendet und von ihm Fein lebendiger und für die Erhaltung
- und Fortbildung bes Ganzen folgenreicher Gehorfam zu erwarten
fei. Denn um folcher willen ein eignes Verbot zu erlaſſen moͤchte
eben ſo wenig der Muͤhe werth ſein, als wir es loben, wenn die
Freiheit der einzelnen in den gewoͤhnlichſten Dingen des tägli
chen Lebens auf eine beichwerliche Weife gehemmt wird, um der
entfernten Möglichkeit eines feltenen Ungluͤkks vorzubeugen. ‚Die
ſes Ziel fcheint erreichbar, und wir wollen fehen unter welchen
Umftänden und Bebingungen wir bahin gelangen koͤnnen.
Zuerft welche Vollkommenheit eines gemeinen Wefend ge:
hört dazu, wenn es fol fagen fönnen, wer ihm urfprünglich an⸗
gehoͤre, der muͤſſe ſich in einem kranken widernatuͤrlichen Zuſtande
befinden, wenn ihn die Luſt anwandele auszuwandern. Jeder,
ſo muß dann die Regierung ſagen koͤnnen, der in meinem Ge⸗
biet geboren und erzogen iſt, findet auch in meinen Einrichtun⸗
gen auf den verſchiedenen Standpunkten, die er ſich waͤhlen
kann, fo ſehr feine volle Genuͤge, er iſt eines hinreichenden Spiels
30 raums für alle feine Kräfte fo ficher, das gemeinfame Leben dient
fo reichlich feinem einzelnen um ed emporzuheben, und fein ein⸗
. zelnes tft durch alles dieſes fo feft in dad gemeinfame eingewach⸗
ſen, daß fo lange er fich felbft gleich bleibt, und nicht durch ir
gend einen wunderbaren Zauber verwandelt wird, er nichts grös
fered wollen und fich nichtö liebered denken kann, ald dag er
fih nur immer in und mit diefem Ganzen fortbewegen wolk.
Unter folchen Umftänden freilich kann eine Regierung dad Auß
—
wandern nur ald ein feltfames Geluͤſt anfehn, was fie ruhig.
kann gewähren laſſen; denn weit. entfernt die Fülle und den Zus
fammenhang eines folchen Ganzen zu flören wird der fich los⸗
reißende Eigenfinn früher oder fpäter fich felbft firafen. Allein
wir dürfen und nicht bergen, dies ift ein Zufland von Vollkom⸗
menheit, den die meiften Staaten vielleicht gar nicht erreichen,
und auf dem fich felten einer lange erhalten kann. Eine voll»
kommne Regierung fol allerdings Feine andern Geſeze geben, als
welche den innern Verhältniffen des Volks gemäß und aus ge:
meinfam gefühlten Bebürfniffen entfprungen find, und ſoll diefe
Geſeze nicht anderd als auf die volksmaͤßigſte die Freiheit jedes
einzelnen fo wenig al3 möglich hemmende Art verwalten. Aber
wie fehr müffen ſchon alle Spuren gewaltfaner Entftehung oder
Umbildung der Gefelfchaft verfchwunden, wie genau bie verfchie-
denen Stände niit einander verbunden und wie reif über ihr
wahres Intereffe verftändigt fein, wenn eine folche Vollkommen⸗
heit der Regierung möglich fein fol! Und ift fie auch erreicht,
fo entſtehen nur allzuleiht in einem fo vielfeitig bewegten Leben,
wie unfer gegenwärtiged ift, Aenderungen der Verhältniffe, und
ed entwideln fich neue Bebürfniffe, ehe bie Negierung, bie in
dem gefchäftigen Volksleben nicht unmittelbar begriffen ift, fie
"wahrnehmen kann; und dann wird es auch gewiß nicht leicht
an ungeduldigen für fremden Reiz beſonders empfänglichen fehs
len, bie von den gerade eingetretenen Unvollfommenpeiten am
ftärkiten getroffen die Neigung fühlen werden ihr Wohl anders
wärtd befjer zu begründen. Der gewöhnliche Zuftand alfo wird
ein folcher fein, wo man weder bie Auswanderungsluſt fchlecht-
bin für unnatürlich ertlären, noch auch behaupten kann, fie könne
fein ſolches Maaß erreichen, in welchem fie für den Staat bes
beutend genug wäre um die Gefezgebung auf fie zu richten,
Allein wir koͤnnen hiebei ehe wir weiter gehen eine ganz
andere gewiſſermaßen entgegengefezte Betrachtung nicht umgehn. sı -
Raͤmlich wenn auf der einen Geite nur in einer ganz ungen
334
Kerne der Punkt liegt, wo die Auswanderung unnatütli if
und alfo gar Fein Gegenftand der Aufmerkfamkeit zu fein braucht:
fo ſehen wir auf ber andern Seite ſehr deutlich und beſtimm
einen Punkt, wo dad Auswandern nothwendig war, wenn wi
nur einen etwas weiteren Gefichtöfreid nehmen und die Bebirk
niffe des menfchlichen Gefchlechts im allgemeinen ind Auge kbf
fen wollen. Denn wie verfhieden man auch über den Urfprung
defjelben denkt: fo hat doch noch niemand angenommen, def ie
der einzelne Flekk der Erde Autochthonen erzeugt habe, und alfi
urfprünglich aus fich felbft fei bevölfert worden; fondern in ga
viele Gegenden müffen die Menfchen aus anderen früher bewohn
ten eingewandert fein, aber gewiß nur felten fo daß ganze Vil
Eerfchaften die alten Wohnſize verödet gelaffen hätten, fondeni‘
einzelne Familien und Sippfchaften find auögewandert und he
ben fih von dem größten Theil ihrer Genoffen getrennt. CH
Prozeß alfo. ohne welchen der Menfch fich nicht auf der Er
verbreiten, ohne welchen ex feine Beflimmung fie zu beberrfchel
nicht erfüllen Eonnte, Tann unmöglih an und für fi unrecht
fein; diefe heilfame nothwendige Verbreitung darf nicht das Wert
des Verbrechend und der Treulofigkeit gewefen fein müffen. Son
dern was für das Ganze nothwendig war, dad muß auch WT:
wo es fich erzeugte, nicht nur natürlich, vielmehr auch erlauf
und rechtmäßig geweſen fein. Wir müffen alſo wol zunaͤchſt J
ben, worin diefer natürliche Auswanderungsprozeß begründet iſ
Bor dem bürgerlichen Zuftand leben die Menfchen unter ba}:
einfachſten Verhaͤltniſſen in mäßigen Geſellſchaften inftinktartig
bei einander vermöge einer innern Zufammengehörigkeit und Br J
wandtichaft ohne ein beflimmted Bewußtfein ihrer gemeinſamen
Sefchichte oder ihrer befonderen Verhaͤltniſſe. Allein fo einfach
auch größtentheild biefer Zuftand ift, und fo wenig Beduͤrfriſſ
die Menfchen in demfelben Tennen: fo find fie doch oft auch dieſe
nicht zu befriedigen im Stande, fondern werden von wahrer Ro
bedrängt, weil fie nicht gelernt haben die Kräfte der Natur iM
335
e fichere Beziehung mit ihren Bebürfnifien zu bringen. Tre⸗
nun ſolche unguͤnſtige Umſtaͤnde ein, denen fie nicht gewach⸗
3 find: fo kernen fie entbehren, und ſich noch mehr beſchraͤnken,
enn der Trieb des Zufammenlebend und die Anhänglichfeit an sı
m heimifchen Ort in allen gleich ſtark iſt; fie dienen der Noth
Kö entweder die Umftände fich ändern, oder bis fie durch bie
doth felbft fo weit zufammenichmelzen, dag eben dadurch das
Steichgerwicht zwiſchen ihren Bedürfniffen und ben ihnen zu Ges
jete ſtehenden Naturkräften wieder hergeftellt if. Aber der Eos
Mfiondtrieb, denn anderd möchte ich ihn in diefem Zuftande kaum
kunen, muß offenbar fehr ftark fein um diefe Prüfungen immer
pättiich zu beftehen. Iſt er minder ſtark in einigen: fo trennen
KH diefe von den übrigen, und fuchen, um nicht mit ihnen un«
Bigugehen, auf neuen Wohnpläzen die Befriedigung ihrer Be»
Mufniffe. Dies ift die urfprüngliche Auswanderung. Allein dieſe
Miflärung ift näher betrachtet nicht hinreichend. Denn ift in
ben einen Theil der Cohäfionstrieb fchwächer: fo heißt ja das
Baht anders, ald daß auch die Liebe zu dem übrigen in ihnen
Meächer ift: warum wird alfo diefe verminderte Liebe nicht ganz
—2 Selbſterhaltungstrieb uͤberwogen? warum werfen ſich nicht
keſe wilderen und unbaͤndigeren auf jene milderen, um fie aus⸗
trotten ober audzutreiben, und fo den angeerbten Raum, der
fe alle nicht mehr hinreicht, für fih allein zu behalten? Dann
bielten wir ftatt einer urfprünglichen Auswanderung, wie fie
EB zuerſt freiwillig erfchien, eine urfprüngliche Vertreibung.
ffenbar genug geſchah auch dies biöweilen, und nicht wenige
Fprüngliche Einwanderungen haben in der That diefen gewalts
men Urfprung. Aber wenn er doch nicht ganz allgemein iſt,
gun es Doch auch freiwillige Auswanderungen gegeben hat: fo
üffen wir für diefe doch noch einen andern Grund auffuchen,
+ und erBläre, wie die bedenkliche Lage auch einen folchen Aus⸗
mg habe nehmen können, ohne daß ein feindfeliger Zufland vors
gegangen ſei. Und hier liegt e8 und wol nahe genug die Be
336
hauptung aufzuftelen, es gebe in der menfchlihen Naiur neben
jenem Cohaͤſions⸗ und heimatlichen Zriebe auch einen andern ihm
ganz entgegengefegten zerfireuenden Entdekkungs⸗ und Wande
rungstrieb. Wermöge des erften gehört der Menfch der Stelle, .
an welcher er in die Welt angetrieben Fam, vermöge bed anden
gehört er der ganzen Erbe und die ganze Erbe ihm. Beide
Zriebe find in ihm wefentlich vereint und einander wechſelſeitig
untergeordnet. In den verſchiedenen Dimenſionen ſind beide im⸗
mer vorhanden, und beſchraͤnken ſich uͤberall; und ohne dieſe zwie
fache widerſtreitende und ſich beſchraͤnkende, in der Beſchraͤnkung
33 aber auch beſtimmende, Richtung wäre es vergeblich die einfach⸗
ſten und gewoͤhnlichſten wie die größten und bedeutendſten Er
fcheinungen des Lebens verftchen zu wollen. Schon das unver
meidlichfle und urfprünglichfte Berlangen, welches den Menſchen
aus feiner Höhle oder Hütte heraus und in biefelbe wieber gu
rüfftreibt, Fönnen wir und, wenn wir es menfchlich und leben;
dig anfchauen wollen, nur als die einfachfte Pulfation jener bei
den Triebe denken. Das Losreißen aus dem väterlichen Haulı
und die Begründung eines eigenen ift als freie That und Le—
benöregung nur aus bem lebendigen Spiel diefer beiden Zriebe
zu erklären; und was iſt die Vaterlandöliebe anders ald eine
Erweiterung des einen durch den andern und eine Befchränkung
jenes durch diefen? und daß einige Menfchen nach einem großen
Vaterlande fireben, andere fich mit einem Eleinen und bejchränk:
ten begnügen, was bedeutet ed anders, ald daß dieſe beiden
Triebe in ihnen in verfchiedenem Verhältnig ſtehen? Gewoͤhnlich
nun ruht der Trieb nach der Ferne in den früheren minder ers
regten Lebenszuftänden; wird er aber durch die Noth frei, fo
nimmt er natürlich einen deſto flärkeren Anſaz, je länger er zu J
ruͤkkgedraͤngt geweſen iſt. Und wie es in den vorbuͤrgerlichen
Verhaͤltniſſen kein Geſez giebt, welches die Menſchen zuſammen⸗
haͤlt: ſo kann es auch kein Verbot geben, welches dieſen Trieb,
wenn die Noth ihn frei gemacht hat, binden koͤnnte. Die Aus
...
. 7 337
wanderung iſt alſo alsdann eben ſo rechtmaͤßig als ſie natuͤrlich
iſt. Sie wird eine Wohlthat für die welche zuruͤkkbleiben, indem
fle ihnen ihr Wohlbefinden wiebergiebt; fie wird eine Wohlthat
für die weiche gehn, indem fie eine angeftrengtere Thätigkeit in
ihnen anregt, und eine Wohlthat für das Ganze, indem fie bie
Hertichaft des Menfchen weiter über die Erde verbreitet.
| So wenig wir und nun in jenem ibealifchen Zuftande be
finden, in welchem jede Auswanderung unnatürlic” wäre, eben
fo ‚wenig find wir noch in diefem urfprünglichen, in welchem jie
nothwendig if. Wir liegen offenbar zwifchen beiden; aber es
fommt darauf an zu wifjen auf welchem Punkt der Linie die
ſich zwiſchen ihnen ziehen laͤßt. Denn denken wir und zwei
Staaten welche gleich richtig, fei ed einem gefunden Inſtinkt oder
einer reinen Anficht, folgen, fie werden offenbar fehr verfchieden
handeln müfjen, wenn fie fih an fehr entfernten Punkten diefer
Linie befinden.
Zuerft wer möchte wol glauben dag die Nothwendigkeit 3
und Heilfamkeit des Auswandernd nur in jener Zeit flattfände,
ehe die bürgerliche Geſellſchaft errichtet if? Wielmehr find jene
urfprüngliche Auswanderungen folder Menfchen, welche Beftand:
theile noch ungebildeter Horden find, nur gleichfam der. erfte Sa:
turationspunkt jenes Triebes, und die Auswanderung beruht auch
lange nachher noch auf der ungleihen Vertheilung ſowol ber
Bevölkerung überhaupt, ald auch der geprüften. und förderlichen
Lebensformen, der nüzlichen Fertigkeiten, der edlen Künfte, der
erhabenen MWiffenfchaften, und noch mehr jener höchften und be:
feligenden Kräfte welche in der entwikkelten und geläuterten Res
ligion liegen. So lange noch hierin bedeutende Vorzüge einiger
Völker vor andern flattfinden, ift jener die Ferne fuchende Zrieb
ein heilfames Gut, und wirft freilich zu verfchiedenen Zeiten mit
fehr verfchiedener Mächtigkeit, immer aber nach jenem Naturge:
fez, dem zufolge-die zufammengedrängten elaſtiſchen Fluͤſſigkei⸗
ten den relativ leeren Raum fuchen um fid) ind Gleichgewicht
Schleierm. W. III. 2. 9
338
zu fegen. Die neue Welt würbe nicht fo ſchnelle Fortſchritte ge |
macht haben in ihrer Ausbildung, und wir alfo auch aller wohl
thätigen Ruͤkkwirkungen, die daraus entflanden find und no‘
entftehen werben, noch auf lange Zahrhunderte entbehren, wenn
nicht noch immer die alte Welt fortführe für bie große Maſſe
von Naturkräften, welche dort zu bezwingen und zu benuzen find,
neue Anfiedler hinüber zu fenden. Iener merkwürdig aufkei⸗
mende Staat von Schwarzen, welche ben Verſuch machen wol
len die biöherigen Schranken ihrer Race niederzureißen und ſich
zur Freiheit und Ausbildung des Geifted zu entwikkeln, würd
die anfchwellenden Segel bald einziehen und um neue Knecht:
ſchaft entweder felbft bitten müffen, oder ihr bald wider Willen
anheim fallen, wenn nit Europäer von heimiſcher Noth ge
quält oder von höherem Triebe befeelt fich herabliegen eine ge
flige Miffion unter ihnen zu errichten, und die Lehrer ihrer Lehe
ver zu werben. Aber auch auf diefen Punkt würben fie nick
gekommen fein, wenn nicht früher fromme Menfhen um fih
dem Dienft eines fo vernachläffigten Theile unferer Gattung zu
widmen ausgewandert wären, um ihnen im Zuftande ber Knecht
fchaft ſelbſt den tröftenden aber auch den weiter firevenden aus⸗
fühnenden Geift des Chriftentyums mitzutheilen. Doch wir bür
fen nicht über die Meere ſchauen; auch die flavifchen Völker uns
35 fered eigenen Welttheiles bebürfen noch immer daß wir germa
nifchen ihnen Colonien fenden von unfern Meiftern in Künften
und Wiffenfchaften wie in bürgerlichen Dingen, und wiewol ſchon
feit einem Sahrhundert aufgenommen in das Syſtem europäb
(cher Bildung, vermögen fie doch noch nicht ihre Hochſchulen
und ihre Thronen mit Eingebornen zu befezen, fondern begehrten
noch immer wie Lehrer fo auch bald Zürften bald Mütter ihr
Fürften von und. Und dies führt und auch darauf zuruͤkk, wie
von ben früheften Zeiten an bis jezt die heilſamſten Folgen ber
aus entflanden find, dag Menfchen, die ſchon im Staate leben,
ausgewandert ſind unter ſolche, die den bũrgerlichen Buflan nech
— —
339
wicht gefunden hatten, um ihnen Geſez und Drbnung ‚mitzubrin-
gen und dad flaatbildende Princip unter ihnen zu entwilfeln;
und eben fo wenn Menfchen aus gebildeten Staaten ſich anjie
delten unter noch rohen und ungebildeten Verfaffungen, und fo
ihren Saflfreunden ven Weg nicht felten um mehrere Sahrhuns
derte abfürzten. Selbft die reicheftbegabten menfchlichen Naturen
find erfi auf dieſem Wege befruchtet worben; denn wie vieles
ſich aud im einzelnen bezweifeln und abläugnen laffe, ganz wird
man doch nie beftreiten Fönnen daß auch die Hellenen gar vie
les von ihrer Bildung nur auf diefem Wege erlangt haben.
So ift demnach für dad Intereſſe des menfchlichen Ges
fchlechteö noch immer die Auswanderung nöthig und heilfam;
aber ein Staat ift kein Fosmopolitifches Weſen, und die Regies
rung befielben kann es nicht für ihre Pflicht halten das Wohl
des menſchlichen Geſchlechts zu fördern, fondern bat billig bei
ihrem Einfluß auf die vorhandenen Kräfte nur das Wohl des
ihre anvertrauten Ganzen in feinem Zufammenfein mit den übri-
gen im Auge. Wir dürfen alfo nicht fchliegen, weil hie Aus:
wanberung noch immer heilfam ift, fo fei auch jede Regieruug
verbunden dem Zriebe dazu, wo er fich immer entwilfele, freien
Lauf zu laffen, und alles bleibe alfo hier bilig dem freien Wil
len jebed einzelnen anheimgeftelt. Sondern wir müffen fehen,
unter welchen Bedingungen denn auch im bürgerlichen Zuftande
jener Trieb fich entwilfele, und ob es folche find, daß allen Re
gierungen ohne Unterfchied die Veranlaſſung fehlt gerechten Ein⸗
ſpruch einzulegen.
Was nun zuerſt die Auswanderungen der Gelehrten und
Miſſionarien betrifft: ſo iſt es von jeher eine allgemeine Sitte
aller gebildeten Staaten geweſen, dieſen ihren freien Lauf zus -
lafien, und das Gegentheil iſt immer allgemein getadelt worden.
Und welche Bewegungdgründe könnte auch eine Regierung, bes.
ben ‚hier hemmend einzuwirten? Daß micht alle. —
feſt an der buͤrgerlichen Geſellſchaft t Dog ee 59
340
fie vereinigt hat, ift offenbar und der Natur"felbft gemäß: Aha
wie die Staatögewalt auf biejenigen‘, ‚die nur ein befchränkg
perfönliches Wohlpefinden anzuftreben fähig find, lehrend um
entwikkelnd einzuwirken fucht um ihnen eblere Gefinnungen ein
zuflößen, aus demfelben Grunde, feheint ed, muß fie dem höhe
Beruf derjenigen ehren, welcde fühlen daß fie mehr bem menſh
lichen Gefchlecht angehören ald ihren nächften Umgebungen, ml
welche tem Beruf folgen wollen, von dem Licht, welches in ih
rer Nähe ſchon freudig glänzt, die erften Strahlen in eine fon
Finfterniß zw tragen. Der Bewegungdgrund fei welcher er welk
ft er der edelfte und reinfte: fo’ fol boch die Regierung end
Staated zu großmüthig. und zu flol; fein, um auch auf bg
trefflichften einzelnen einen ſolchen Werth zu legen, baß fie I
nicht in Zrieben ziehen- ließe; fie fol, eben weil er ihrem Bat
emporgemwachfen iſt, vertrauen, daß derfelbe Boben, wird e =
fortwährend auf diefelbe Weiſe ‚gepflegt, auch wieder eben
ſchoͤne Blüthen hervorbringen werde. Iſt der Beweggrund mi
ber edel, fucht der Gelehrte nur in der Ferne bei geringerer
firengung eine behaglichere Lage: fo darf die Regierung um’
weniger in Sorge fein, daß fie hinter ben: Kindern, welche if
Gelehrten an fich ziehn, zurüffbleiben werde, weil das was *
begierig aufnehmen bei ihr im geringeren Preife fteht, und.ia
fehr ficher fein, daß das Gleichgewicht weit eher fich hergeſt
haben wird, ald fie einen Verluſt gemacht haben kann, dert
lebendigen Umtrieb und der Fräftigen Fortpflanzung der Diff
haften und Künfte in ihrem Gebiet nachtheilig werben koͤn
Nur ſoviel iſt auf ber andern Seite gewiß, läßt eine Regieng
die wiflenfchaftlichen Männer leicht gehen ohne unangenehme
pfindung und ohne einen Verſuch den Reiz der Heimath fi
zu. erhöhen: fo iſt dad minder fchmeichelhaft; denn es if.
Zeichen entweder einer Gleichgültigkeit im allgemeinen, v
ſchwerlich entſtehen koͤnnte, wenn die Wiffenfchaft auf. die a
‚meine Bildung kraͤftig genug einwirkte, ober eines beſont
l
\ 34
Irtheild über die auswandernden, als ob nicht ein reines Ueber:
zewicht ihres Berufstriebes zum Grunde liege, fondern zugleich
in Mangel.an heimathlichem Triebe und an Vaterlandsliebe.
Doch dieſes fei nur vorangefchift um zuerft das einzelne 37
und im Verhaͤltniß zum Mutterfiaat geringere abzumachen. Denn
gegen. den Bortheil, welchen andern Gegenden die Einwanderung
auch nur weniger. eifrig frommer und gelehrter Männer bringt,
iſt der Nachtheil für gar nichts zu rechnen, den ihre Auswande :
img ihrem Vaterlande zufügen koͤnnte. Aber ganz anders ift
8 mit ben XAuswanderungen ber afferbauenden und gewerbtrets
enden Klaffe, von der man fich wenigſtens ald möglich denken
nuß, fie koͤnne fich bis zu einer nachtheiligen Erfhöpfung we:
tigftens ‚einzelner Theile des Staates anhaͤufen; und es ift alſo
a unterfuchen unter welchen Bedingungen dies zu -beforgen ſei.
Dergleichen fehe ich nur zweie, druͤkkende Noth und politifche Un:
imfriebenheit.: Sollte ohne eine von diefen- Veranlaffungen jemal
in: einem Staate die Audwanderungsluft fich unter irgend einer
Seftalt fo bedeutend entwikkeln, bag die Erfcheinung bedenklich
mwürbe: fo müßte Dies ein ficheres Zeichen. fein einer im großen
erftorbenen Waterlandsliebe, und einer herannahenden gänzlichen
politifchen Auflöfung. Könnte aber ein Staat fi) ruͤhmen daß
er jeder Noth zu fleuern wüßte und jede Unzufriedenheit zu be-
feitigen, ehe dadurch der Auswanderungdtrieb erwacht, der wäre
uͤbergluͤkklich; aber es möchte wol nur" derjenige Staat gar keine
Ruͤkkſicht biefer Art zu nehmen haben, deffen Bewohner noch in
einer dumpfen Barbarei verfunfen find, für die e5 weder Noth
noch Mißvergnügen giebt. Was nun zuerft die. Noth betrifft:
fo fol fie allerdings im bürgerlichen Zuftande je länger je mehr
abnehmen. In ihm entwilfelt ſich allmählig jene vielfeitigere
regelmäßiger vertheilte und wohlthätiger Verbundene menfchliche
Ihätigkeit, welche immer mehr bie feindliche Gewalt der Natur:
Eräfte bricht, und dem Menfchen ein felbfiflänbigeres Daſein
ſichert. Die Roth alfo, follte man denken, werde nicht mehr de
*
' 342
nen in die Weite flrebenden Trieb frei machen, fonbern ex werde
mehr und mehr gebunden werben, und dagegen bie. Freude an
ber gefleigerten Vereinigung bed Volkes immer mehr ben hei
mathlichen Trieb befefligen. Allein die fortfchreitende Bildung
findet auch Hülfe gegen die ſonſt öfter eingetretenen außerorbenb
lichen Zerfiörungen des menfchlichen Lebens, und aus bem forh |
fchreitenden Wohlleben entwikkelt ſich eine regere Zortpflanzung,
fo daß in dem buͤrgerlichen Zuſtande mehr als vorher eine zu fi
nehmende Bevölkerung. entſteht. Bleibt num biefe nicht imme |v
im Gleichgewicht mit der zunehmenden Menge ber. Erzeugniſſt:
ss fo fann aud der Ueberoölferung wieber ber alte Mangel entie
ben, oder vielmehr Noth und Uebervoͤlkerung ſind nur verſche
bene Anfichten: einer und derfelben Sache, "Unter folchen Im
fländen werben. alfo diefelden Erfcheinungen ſich wiederholen, die
wir am vorbürgerlichen Zuſtande gefehenz eine: aufb Außerfte ge |
friebene Entfagung bei Unbeholfenheit und blinder Ginfeitigket |
bed heimathlichen Zriebed; Unruhen. und Gewaltthätigkeiten de
ärmeren gegen die reichen, wo die Kiebe geftört und die Stasi
gewalt ſchwach iſt; endlich Auswanderungdluft, wo Durch bie fie;
‚gende Noth jener ind weite hinaudgehende Trieb frei gemacht
wird. Sol nun die Audmanderung das einzige fein was bie
Negierung dem Wolfe ganz anheimftellt, da fie doch gewiß nick
nur die Unruhen zu flilen fuchen wird, fondern auch alle wad
irgend in ihren Kräften fleht verfuchen um die Entfagungen zu
mäßigen ober möglichft auözugleihen? Soll dem Uebel gründ:
lich geholfen werden, fo mijß man bie Benuzung ber Natur
Fräfte nach. Maaßgabe der Bevölkerung fleigern; aber dies wird |
nur um fo beffer gelingen, je mehr menfchliche Kräfte hiezu ver:
wendet werden. Geflattet alfo die Regierung jedesmal bie Aus
wanderung, fo: erlaubt fie ein Palliativ anzınvenden, welches auf |
der. einen Seite bie gründliche Heilung unmöglich macht, und
auf der andern den. Staat. in feinen wehrhaften Händen allmdh
fig fo ſchwaͤchen Tann, da er nicht länger im Stande if fein
343
Selbſtſtaͤndigkeit zu behaupten. Allgemein alſo kann dieſe Pafs
ſipitaͤt fehon nicht gebilligt werben; wenn aber genauer nach ber
Grenze gefragt wird: fo fcheint fie durch folgende Punkte bes
zeichnet werden zu koͤnnen. Wenn ein Land eine große Frucht:
barkeit an Menichen befizt, und durch feine Lage nicht geeignet
ik in demfelben Verhältnig feine Naturerzeugniffe ober feinen
Sewerbfleiß zu fleigern: fo find ihm periodifche Auswanderungen
faft unentbehrlich ; wie es denn beutfche Gauen giebt, welde auf
diefe Weile ganz vorzüglich, und ohne einigen Nachtheil füs Die
Sort fortbeftehende bürgerliche Geſellſchaft, theild die neue Welt
bevölkert, theils unfre flavifchen Länder colonifirt haben. Die
Megierung fcheint in diefem Falle nichtö thun zu koͤnnen, als bie
Auswanderung fo zu leiten, daß die auswandernden Angehöris
gen ihren Zwekk möglichfl erreichen. Wenn aber ein Land feinen
ganzen Betrieb noch bedeutend erhöhen kann: fo muß hiernach
allerdings geflrebt werden unabhängig von einer wirklichen Noth,
und ehe dieſe eintritt. Tritt aber diefe dennoch ein, indem bie
Hülfe auf diefem Wege noch fern iſt: fo wird die Lage nicht
fehr von der erften verfchieden fein; und nur in bem Zall, wenn a
durch die worbereitenden Maaßregeln die Hülfe fo nahe if, daß
bei ein wenig mehr Ausdauer, wie eine größere Anhänglichkeit
an den vaterländiichen Boden fie von felbft würde hervorgebracht
haben, die Krifis gluͤkklich könnte überflanden und für alle ein
fichrerer Zuftand begründet werden, nur in dieſem Zalle fcheint
es natürlich,. daß die Regierung, jene größere Anhänglichkeit
gleichfam fupplirend, mit einem Verbot bazwifchentrete, damit
nicht unnöthigerweife der Staat noch einmal bedeutend geſchwaͤcht
werde. Wüßte nun freilich das Wolf, was die Regierung eins
geleitet hat, und hätte das hinreichende Vertrauen zu ihren Magß⸗
regeln: fo würde auch in diefem Fall das Verbot unnöthig fein;
denn alle würben fich gegenfeitig zur nöthigen Beharrlichkeit er»
muntern und fie ſich auf alle Weiſe erleichtern. Ganz bafjelbe
r
iſt noch ber Kal, wenn durch dußere Gonjuncturen ein Gib. au
an T
344
Gewerbe in eine ſolche Lage kommt, daß feine Theilnehmer von
Zeit zu Zeit in eine ihnen eigenthümliche Noth gerathen. Wo
hingegen nur einzelne zerftreut durch den Zufall fo weit aus ber
Sicherheit ihrer Subfiftenz heraus getrieben werben, daß fie lie
ber ein neues Gluͤkk im Auslande verfuchen wollen: da ſcheint
mol durchaus Fein Grund zu einem die Freiheit immer druͤkken
ben Verbot vorhanden zu fein. Was nun zweitens die Unze
friedenheit betrifft, die in einem Staate, bis er fich jenem iden
liſchen Zuftande nähert, immer möglich bleibt, und immer nur
abwechfelnd zufammengedrängter oder audgebreiteter vorhanden
fein wird, fo wirkt diefe auf Diefelbe Weife mie die Noth. Dum
pfer bis zum Blödfinn leidender Gehorfam, ohnerachtet der Un;
zufriedenheit, befteht nur da, wo ber natürliche Cohaͤſionstrieb
bie Undberwindlichfeit eines blinden Inſtinkts hat; gemaltfame
Reactionen bis zu bürgerlichen Kriegen werben da entftehen, wo
bie Liebe geftört ift, und wegen zu großer Ungleichheit der vers
fhiedenen Theile, welche hindert daß der eine fich nicht in bie
Stelle des andern fezen kann, jeder in dem andern ben Cohaͤ⸗
fionstrieb für erftorben hält; und eben fo werden in den anal
gen Fallen Auswanderungen entftehn, wo irgend fremdes einen
befonderen Reiz barbietet. Woraus denn auch diefelben Abftufun:
gen von Manfregeln hervorgehen. Wo nur einzelne zerflreut
aus ganz fubjectiven Gründen fo weit von Unzufriedenheit er
griffen werben, daß fie glauben, gerade für fie werde ein Leben
unter andern Gefezen günftiger fein, da wäre ed um fo mehr
unter der Würde der Negierung dieſes fporadifche Auswandern
su zu verbieten, als ein einzelner, in dem ſich ein Widerwille gegen
die Geſeze und Werwaltungsregeln des Staates feftgefezt hat,
doch fo gut als gar Fein Befiz für den Staat if. Wird aber
die Unzufriedenheit epidemifch: fo ift dies allerdings ein Zeichen,
daß die Regierung fich nicht in der Annäherung an jenen ide
liſchen Zuftand fondern vielmehr in einer ganz abweichenden
Hichtung befindet, und fie muß hier durch Verbefferung ber. Ge
1)
345
fege und Einrichtungen zu Hülfe kommen. Wenn nun aber auch
diefe Hülfe noch fern ift: fo wird ed doch in diefem Falle wenis
ger hart fcheinen, ald es uns bei draͤngender Lebendnoth hart
ſchien, wenn die Regierung die Auswanderung hemmt. Denn
jede bürgerliche Einrichtung bietet immer noch viel gutes bar,
und wo die Regierung dad gute Gewiffen bat, bag fie im. Vers
befiern des mangelhaften und druͤkkenden begriffen ift, da mag
fie immerhin den unzufriedenen zur Pflicht machen, daß fie durch
treues Aushalten zur nöthigen Werbefferung der Staatseinrich>
tungen mitwirken, damit fie fich hernach in Eintracht mit ihren-
Brüdern bed beſſeren Zuflandes freuen Finnen. Allein ed wird
auch Falle geben, zumal wenn die unzufriebenen eine zufammens
haͤngende Parthei bilden, wo ed gewagt‘ fcheinen Tann, wenn
Auswanderungdluft die Mißvergnügten ergriffen bat, fie hemmen
zu wollen; daher auch in Zeiten der Gährung die freiwillige
Audwanbderung ber einen Parthei von ber andern, die bie für
einen hinreichenden Sieg hält, begünftigt zu werben pflegt, und
nur wo ber Zwielpalt aufs Außerfte gefommen ift, und eine neue
Gewalt übermüthig auftritt, wie der dritte Stand im Anfang
ber franzöfifchen Revolution, finden wir eine entgegengefezte
Handlungsweife. Wenn aber gar die Hülfe, welche aus einer
Verbeſſerung politifcher Einrichtungen bervorgehn fol, nahe ge:
nug ift: kann man dann ber Regierung zumuthen, fie folle die
Mißvergnügten ruhig ziehn laſſen, die doch immer dadurch einen
nicht unbedeutenden Theil ihrer Berhältniffe verderben, und bes
nen es hernach leid thun wird nicht ‚geblieben zu fein? Nur
freilich tritt auch bier der Kal ein, daß wenn das Volk Kennt;
nig hat von dem Gang ber Öffentlichen Angelegenheiten, und. alfo
weiß was bevorfteht, alsdann das Auswanderungdverbot übers
flüffig wird. Wir können daher in Bezug auf .die beiden Haupts
quellen einer mehr ald fporadifchen Auswanberungsluft dieſes
allgemeine feftfezen, daß eine Regierung, welche durchaut Dh
Charakter der Deffentlichkeit hat, ber Auf — se
346
überall wird überhoben fein können; eine folche aber, welche noch
“1 gegen dad Volk verſchloſſen iſt, wird das Recht und bisweilen
ſogar die Pflicht haben denen das Auswandern zu verbieten,
welche, wenn ſie wuͤßten was zu ihrer Befriedigung geſchehen
iſt und geſchehen ſoll, ſchon von ſelbſt die Luſt auszuwandem
verlieren wuͤrden. Wenn daher Staaten, welche ſich einer eigen
lichen Verfaſſung erfreuen, faſt ohne Ausnahme bie unbedingte
Freiheit der Auswanderung zu ihren Grundgefezen zählen: fo if
dies theild darin gegründet, daß bie Deffentlichkeit der Regierung,
deren Schritte faft ohne Ausnahme zu Tage liegen und von je
bem beobachtet und abgefchäzt werden Finnen, jeve Bevormun⸗
bung bed einzelnen überflüffig macht, theils barin, daß ein fol-
her Staat am meiften ſtolz genug fein kann fih auf die Stärke
des heimathlichen Triebes zu verlaffen, um in dieſem Vertrauen
keinen halten zu wollen, bem, aus weichem Grunde es auch ſei,
die Geſeze nicht mehr gefallen.
Das leztere aber fuͤhrt uns auf noch eine andere Betraq⸗
tung. Es giebt naͤmlich ein zwiefaches Verhaͤltniß des einzelnen
zum Staat: er iſt auf der einen Seite lebendiger Beſtandtheil,
auf der andern Seite Mittel und Werkzeug deſſelben; und es iſt
nicht der kleinſte Unterſchied unter den Staaten, welches von bie
ſen Verhaͤltniſſen als das erſte und bedeutendſte angeſehen wird.
Je mehr nun ein Staat alle feine Bürger vorzüglich als feine
integrirenden Theile anfieht, um befto weniger kann er diejeni⸗
gen halten wollen, welche geneigt find auszuwandern; denn
als integrirender Beſtandtheil des Staates hat jeder nur einen
Werth durch feinen Gemeingeift und feine Liebe. Am meiſten
aber herricht dieſes Verhaͤltniß in ſolchen Staaten, wo bie Geſeze
durch die Mitwirtung der Bürger gemacht und ausgeführt wer:
den. GEntfteht nun eine Auswanderungdluft aus Noth: fo hat
in ber Regel ein folder Staat mehr Mittel der Noth abzuhel⸗
fen. Jeder Umlauf ift fchneller und lebendiger, die Zuneigung
derer, welche von der Noth nicht getroffen werden, zu bem bürf:
|
_ 347
tigen iſt je thätiger fie an bemfelben Gemeinweſen theilnehmen
um beflo inniger und organifirter. Was aber bie Unzufrieden
beit betrifft: ſo wird dieſe weit cher eine Fräftige und ordnungs⸗
mäßige Reaction auf bie Geſezgebung hervorbringen, als eine
irgend allgemeine Auswanderungsluſt entſtehn koͤnnte, und bie
Auswanderung wird immer, außer wo fie eine Naturnothwen⸗
digkeit iſt, nur eine ſporadiſche Krankheit. bleiben, gegen welche
man keine öffentliche Vorkehrungen zu treffen, ſondern fie der
Privatpraxis zu uͤberlaſſen pflegt. Steht aber ein Staat noch
auf..ber Stufe, den größten Theil feiner Einwohner mehr als
- Werkzeuge und Mittel zu den fogenannten Staatszwekken anfe
ben zu müflen: dann tritt auf das flärkfie jene Betrachtung der
Tritonifchen Geſeze ein, wie viel jeder einzelne ben: Staat fchon ge
koſtet habe um ihn bis zu ‚einem gerwiffen Grade der Brauchen
keit auszubilden. Und weil von biefer Seite angefehen jeder für
ben Staat einen Werth bat, ber mehr ober weniger von: feiner
Gefinnung unabhängig nur auf: feinen Zalenten und Fertigkei-
ten ruht, fo kann die Regierung wol nicht geneigt fein ſich in
ihren Mitteln und Werkzeugen fchwächen zu laflen, und wird
alfo die Auswanderung fo beichränten, wie es ihren hauptfächs
lichften Zweiten gemäß ifl. Diefe find aber auf der einen Seite
die Priegeriichen der Wertheidigung und bed Angriff; und von
biefer Seite hängt dann bad Auswanderungdverbot an der nicht
erloihenen Wehrpflichtigkeit bed Bürgers. Auf der andern Seite
beſtehen die friedlichen Zwekke eines folchen Staates größtentheils
in der Herbeifchaffung der nöthigen Kräfte und Mittel um re:
gieren und um vorkommenden Falls fich vertheibigen und an:
greifen zu koͤnnen. Hiezu nun find freilih die gänzlich. herun:
tergefommenen unb ihrer Mittel beraubten einzelnen felbft nur
unfichere und geringe Mittel; und diefe wird daher auch ein fols
her Staat in Zeiten der Noth um fo lieber gehen laflen, als er
die Uebervölferung ald eine wiederkehrende anfteht, und noch feine
Ausfiht hat der Noth bald genug ein Ende zu machen. Was
348
aber bie befieren betrifft, fo voirb er fich um fo .mehr auf bie
Seite des Verbots meigen, ald .er Hoffnung bat die Umfkände zu
befiegen, und bi8 dahin duch Reiz: oder Zwangsmittel einen
heil des Ueberfluffes von den wohlhabenden auf bie. Dürftigen
abzuleiten. Wenn man aber in mehreren Staaten eine in ber
Mitte zwifchen Freiheit und Verbot liegende Maaßregel antrifft,
nämlich die Beſchazung ber auswandernden: fo. läßt fich: dieſt
auf eine zwiefache Weiſe erklären. Entweder beruht fie auf der
Betrachtung, daß jeber. Dienft, welchen ein einzelner unabhängig
von feiner Gefinnung. dem Staate leiſten kann, ba. wo einmal
Theilung ber Arbeit und Umlauf der Dinge ‚organifirt iſt, auch
von andern kann übernommen werben, wenn man ihnen nur :
dad.:allgemein. geltende Zaufchmittel anzubieten weiß, : Bon bie
fem alfo behält man zu dieſem Behuf eine angemefiene Menge
«3 von dem Wermögen bed abziehenden zuruͤkk, der fich alfo dadurch
auf bie rechtlichfte Weife von den Pflichten,. die er ald Werkzeug
bed Staats gegen. denfelben hatte, laskauft. Ober man kann
aud die Beichazung geradezu ald einen Impoſt anfehen, woburd
man, wie bie Eins und Ausfuhr anderer, fo hier der menfchlis
chen Waare, verhindern will. In beiden Fällen wäre es grau:
fam die Beſchazung gegen diejenigen anwenden zu wollen, welche
aus Noth auswandern; aber in beiderlei Sinne Tann fie ange
wendet werden theild gegen dad Auswandern ber Mißvergnüg
ten, theild gegen das fporadifche derer die launenhaft oder aus
perfönlichen Gründen mit Aufopferung ihres Volfögefühls an:
derwärtd. etwas befferes erwarten. .
Ze mehr endlich ein Staat feine Einwohner ald Werkzeuge
und Mittel betrachtet, um deſto weniger kann es ihm: gleichgil:
tig fein, wenn fie wandern, wohin es gefchieht. Denn fie fon-
nen einem fünftigen. Feinde zuwachfen, und hierauf bezieht fi
gegenüber dem Verbot ſowol ald der Beſchazung die Zreizügig:
keit, welche Die Freiheit der Uuswanderung ausnahmsweiſe zwi:
ſchen einzelnen Staaten gegenfeitig geftattet, welche eben dadurch
349
erkennen geben wollen, daß fie ſich zu einander gutes verfe:
1, oder fich gar für fo verwandt halten, baß fie durch einen
zenfeitigen Austaufch von Individuen nichts verlieren koͤnnen.
enn wir in diefer Hinficht befonderd auf unfere deutfchen An⸗
egenheiten fehn, auf die Einheit de Volkes in Sprache Ge:
nung und Sitte, und auf die Verfchiebenheit der willkührlich
ht einmal nad den natürlichen Unterabtheilungen des Volkes
er Bodens begrenzten Staaten: fo follte man ſich wundern,
ß auch hier zwilchen ben einzelnen Staaten die Freizügigkeit
ſonders bedungen wird, und nicht durch ein. allgemeines Bun
sgeſez die unbebingte Freiheit der Auswanderung innerhalb der
venzen des gemeinfamen Volksvaterlandes feftfteht, oder wenn
ımal jenes fein fol, erfcheint- es noch wunderbarer, daß auf
eſelbe Weife wie zwifchen beutfchen Staaten unter ſich auch
eizügigfeitöverträge zwifchen deutfchen Regierungen und frem:
n geichloffen werden, als ob jemals dieſe Verhältniffe gleich
n koͤnnten, und ald ob nicht durch eine folche Gleichftelung
8 natürliche Bewußtſein müßte Irre gemacht werden. — Die
ich Abtretungen oder Ländertaufchen gewöhnliche auf eine bes
mmte Zeit ausbebungene Freiheit der Auswanderung hingegen 44
utet darauf, daß man dad friedliche Verhältniß zwifchen beiden -
cht für dauernd halte, weshalb denn in einer fichern Frift jeder
üffe entfchloffen- fein, wen von beiden er angehören wolle; und
efe Maaßregel ift unftreitig, da hier größtentheild an eine Aus⸗
anderung im großen gedacht wird, um deſto richfiger, je groͤ⸗
er die Verſchiedenheit beider Völker und ihrer Verfaſſungen ift,
_
— —
vIn.
Ueber die wiſſenſchaftliche Behandlung des
Tugendbegriffes.
n
U U 1]
x
Borgelefen ben 4. März 1819.
3 J. meinen Grundzuͤgen einer Kritik der bisherigen Sittenlehre
babe ich durch eine vergleichende Zufammenftelung zu zeigen
verfucht, wie wenig bis dahin noch die Sittenlehre ald Willen
ſchaft fortgefchritten geweien. ine Fortſezung folder Kritik in
Beziehung auf dad, was feit jener Zeit auf dem Gebiete ber
Sittenlehre erfchienen ift, würbe ich, auch wenn deſſen mehr wäre
und lohnenderes, wenigſtens für jezt nicht beabfichtigen. Viel⸗
mehr hatte ich darauf gerechnet, ſchon früher der befannten Auf
forberung nach Vermögen Folge zu leiften, daß wer zerftöre auf
wieder aufbauen müffe, obgleich ich fie aus dem auch auf dem
wiffenfchaftlichen Gebiete ganz zweltmäßigen Grundſaz der Thei⸗
lung der Arbeit zurüßfweifen koͤnnte. Allein wiewol ich ſchon
feit langer Zeit in ber Ausarbeitung eined eignen Entwurfs ber
Sittenlehre begriffen bin, bei welchem ed dann darauf ankom
men müßte, ob und mit welchem Erfolg ich an ihm ſelbſt eine
ähnliche Kritit geübt, wie bort an meinen Vorgaͤngern: fo ver
\
351
zögert fich doch bie Vollendung biefer Arbeit fo fehr über bie
Gebühr, daß es mir wenigſtens angemeffen ſcheint, endlich eine
mal, wenn auch nur fo weit es ſich in einer Abhandlung von
diefem Umfange thun läßt, an einem einzelnen Punkte eine Probe
mitzutheilen von dem Berfahren, welches ich einzufchlagen ges
dene, ob ed wol geeignet fein mag, dem mannigfaltigen Zadel
audzumeichen, den jene Kritik über die bisherigen Syſteme aus;
gefprochen hat. Es iſt der Begriff ber Zugend, welchen ich
biezu gewählt habe.
Das unerfreuliche Ergebniß jener Unterfuchung war näms Pa
lich, daß in der biöherigen Behandlung der Sittenlehre die Begriffe
weder gehörig von einander gefondert noch gehoͤrig unter einan⸗
der verbunden waͤren. Wollen wir nun von diefer Ueberzeugung
aus eine neue Darftellung verfuchen: fo ift wol die erſte vor
laͤufige Maaßregel die, daß wir und von der vergleichenden Be
trachtung der Begriffe ſelbſt zur Beurtheilung des Verfahrens
wenden, welches bei Bearbeitung des Gegenflandes ift beobachtet
worden, und daß wir und bie Frage vorlegen, welche Zehler die
Sittenlehrer wol begangen haben mögen, aus benen jener uns
günftige Zuftand der Wiffenfchaft hervorgegangen iſt. Diele Frage
iſt natürlich fehr fchwierig, und, weil der Abweichungen vom
echten Wege fo viele fein können, kaum durch Eine Antwort
im ganzen zu erledigen. Was fich aber darüber in Bezug auf
den jezt vorliegenden Theil ded Ganzen im allgemeinen fagen
läßt, fcheint mir folgended zu fein. Zwei Umflände haben zus
fammengewirkt um die Darfielung bes fittlichen unter dem Ber
griffe der Tugend zu verwirren. Der eine ift eine allgemeine
auch in andern Theilen biefer und verwandter Wiffenfchaften
fichtbare Einfeitigkeit der Betrachtungsweiſe. Ueberall nämlich,
wo um einen Gegenfland zur Anfchauung zu bringen ein Sy
ſtem von Begriffen aufgeflellt wird, ift der Gegenſaz von Eins
beit und Vielheit Die herrſchende Form, fei ed nun dag das Bers
fahren mehr fo erfcheine daß die. Vielheit unter eine Einheit
/
—
352
gebracht, ober fo daß bie Einheit in; eine Vielheit zerfpalten
wird. Iſt ein Gegenfland nur ald Einer vorgelegt: fo ift unter
der Form ded Begriffes nichts von ihm zu fagen, ald daß feine
Erklärung aufgeftellt wird; wie fehr aber, und auf welche Weiſe
dad unter die Erklärung gehörige unter fich verfchieden, alle
vieles, fein Tann, dad wird nicht audgemittelt.' Sieht man da
gegen nur die Vielheit, fo kann man zwar mit ben Einzelheiten,
aus welchen fie befteht, dafjelbe thun wie dort; aber wie diee
unter ſich zufammen gehören, und von andern getrennt, alfo Gi:
ned, find, dad kann nicht erhellen.- Die wiffenfchaftliche Dar
ſtellung unter diefer Form beruht alfo ganz auf der Gabe, Eins
heit und Vielheit zufammen zu fchauen und in einander zu ver
wandeln. Es giebt aber im Gegenfaz zu diefer Richtung zwei
Einfeitigkeiten der Betrachtung, die eine, welche nur Einheit
überall fieht und die Vielheit für bloßen Schein erklärt oder für
verworrened und der Betrachtung unwerthes; bie andere, welche
nur Vielheit fieht, und die Einheit für Schein erflärt ober für
willkuͤhrliches Zuſammenwerfen. Beide finden wir fchon im A:
tertbume, oder genauer zu reden nur im Alterthume im jener
s volftändigen Ausbildung, wegen ber man bie eine die panthei⸗
ſtiſche, die andere die atomiftifche nennen Tann. Im einzelnen
aber finden wir fie häufig auch in ſolchen philofophifchen Dar:
. ftelungen, welche ohnerachtet einer vielleicht unleugbaren Ver:
wandtichaft der Grundanficht dennoch mit feinem von jenen bei:
ben Namen belegt zu werben pflegen. Und fo haben fich beide
Einfeitigkeiten auch zu allen Zeiten auf unfern Gegenftand ge
worfen. Die Frage, welche im Altertbume fchon fo oft behan
beit wurde, ob die Tugend Eine fei oder viele, iſt nichts an
dered ald das natürliche Ergebniß aud dem Streite jener unvol;
fländigen Betrachtungsmweifen. Denn bie natürliche Vorausſezung
für jeden, der den Tugendbegriff zu einer wiflenfchaftlichen Dar
ftelung brauchen wollte, Bönnte doch nur bie fein, Die Tugend
müffe Eines und vieles fein in verfchiedener Hinficht. Aber hat
353
der eine vermöge ber einen Ginfeitigkeit gefagt, die Tugend iſt
nur Eine, und folglich ift fie überall entweder ganz ober gar
Nicht; ber andere vermöge der anderen, bie verfchtedenen Tugen⸗
den haben gar nichtd mit einander zu fchaffen, fondern der eine
"befißt diefe von ihnen ber andere jene, jeder nur vermöge feiner
befonderen Einrichtung, und die höchfte Kumft befteht nur darin,
die Menfchen fo zufammenmirken zu Laffen,. Daß ihre verſchiedenen
Tugenden einander ergänzen: dann entfteht freilich zunächft bie
"Frage, welcher von beiden Recht: habe, und ift ein neues Zeichen,
Daß die beiderlei Anfichten. vereinigende Gabe dad viele in feiner
natürlichen Zuſammengehoͤrigkeit und dad Eine in feiner natuͤrli⸗
hen Setheiltheit zu fehen, in der Unterfuchung nicht walte. Eine
geringere Wirkung berfelben Einfeitigfeiten ift diefe, wenn zwar
zufammengehöriged verknüpft, und das in verfchiebene Geftalten
verfchiebbare getheilt wird, aber auf eine folhe Art, daß die Er:
Märungen der größeren Einheit und der untergeorbneten Einzel:
beiten nicht fo mit einander zufammenflimmen, daß eines aus
dem andern verflanden, und alfo in unferm Sale. begriffen wer:
den koͤnne, wie bie aufgeflellten einzelnen Zugenden ben allge:
meinen Begriff der Tugend erfchöpfen, und wie ber aufgeftellte
allgemeine Begriff dasjenige auddrüffe, was die einzelnen Tugen⸗
den gemeinfamed haben. Und biefed eben wird man weder beim
Ariftoteles, noch bei den Stoifern, noch bei einem von den neues
ren, fo viele deren noch mit dem Zugendbegriffe verfehrt haben,
auf eine befriedigende Weife finden. Wer alfo eine neue Dar:
ftelung verfuchen will, der muß zuerft dieſe Einfeitigkeit zu ver
meiden ſuchen, und nicht den allgemeinen Begriff der Tugend
für fi und die Erklärungen der einzelnen Tugenden wieder für
ſich zu Stande bringen, fondern beide nur in Beziehung auf eins
ander, fo daß er mit feinem allgemeinen Begriff der Tugend zu. 6
frieden iſt, es ſei denn ein folcher, in welchem er fchon die Theis
lungsgruͤnde erblikkt, nach denen fich bie einzelnen Tugenden ab-
leiten und ordnen laſſen, und fo auch mit Feiner Erklärung einer
Schleierm. W. III. 2. a
*
354
einzelnen Tugend, es fei bein daß er darin dasjenige nachweiien
koͤnne, was nur von einer beichränkenden Beftimmtheit befreit
werden darf, um in dem allgemeinen Begriffe der’ Tugend ges
funden zu werben. ,
Der andere Umſtand aber, welcher der Behandlung des Tu:
gendbegriffes nachtheilig geworben, ‚fcheint diefer zu fein. Es fin
den fich in der Sprache eine große Menge Bezeichnungen lobend:
würbiger oder beliebter menfchlicher Eigenfchaften, in Bezug auf
welche es ſcheint als Eönne der Sittenlehrer zu einem von beis
ben angehalten werden, entweder ihnen fämmtlich einen Plaz an
zumweifen in dem Syſtem von.Zugenden, welches er aufftellt,
‚oder feine Gründe anzugeben, warum er einige ausſchließt. Je
mehr nun in jenen Bezeichnungen das öffentliche Urtheil fich aus⸗
fpricht, und. gerade am meiften in Beziehung auf das Öffentliche
und gefellige Leben die Sittenlehre bearbeitet wurde; oder, wenn
wir auf. die neueren Zeiten fehen, je mehr man bie unbebingte
Richtigkeit des fittlichen Gefühld vorausſezte, und je mehr bie
philofophifche Behandlung der Sittenlehre nichts anderes fein zu
diufen glaubte, ald nur eine genauere Berftändigung uͤber bads
jenige was im fittlichen Gefühle enthalten fei: um deſto wenis
ger wagte man ed von ben geltenden Begriffen löblicher Eigen:
fchaften einige aus dem Verzeichniß der Tugenden auszufchließen,
fondern hielt fich ſtreng verpflichtet einem jeden feinen Pla; ans
zuweilen. Daher. Denn die ungeorbneten Haufen von Tugenden
ſchon beim XAriftoteled, und die ganz willkuͤhrlich gebildeten Stel:
len berfelben bei den Stoikern, und eben fo bei den neueren.
Denn wenn 5. B. Ariftoteled und die Stoiker nicht ganz diefel:
ben Zugenden aufftellen, ohngrachtet beide demfelben Volk ange
hören, und die ältere ſtoiſche Schule auch im. wefentlichen noch
demſelben Zeitalter: fo muß man dieſes mehr. grammatiſch an⸗
fepen, daß nämlich, wie denn ‚die im gemeinen Leben erzeugten
Auddrüde immer fchwanfend find, die. eine Schule eine andere
Spnpnymie angenommen ald bie andere. Nun ift aber offenbar,
| Y 355
dag gerade im. öffentlichen Sehen die. Eigenfchaften der handeln:
den Perſonen nah ganz anderen Gefichtöpunften aufgefaßt wer:
den als nach dem auf welchen die wiffenfchaftliche Sittenlehre
ſich ſtellen muß; und eben ſo liegt zu Tage daß das fittliche Ge⸗
fuͤhl nicht immer und uͤberall ſich auf dieſelbe Weiſe aͤußert, ſo
wie daß auch im geſelligen Leben uͤber die ſich dert "Bildenden 7
Urtheile oͤfters Zweifel entftehen fönnen, ob es auch' das fittliche‘
Gefuͤhl geweſen, welches fich ‚geäußert, oder ein anderes. i Alle.
Begriffe aber über einen Gegenſtand, die von einem andern In⸗
terefie aus, als dem, daß ex rein and volftändig.:fol; erkannt·
werden, find gebildet worden, haben feinen Anſpruch ˖ darauf in‘
eine wiffenfchaftliche Darftelung aufgenommen zu werden. Sie
gehören einer-andern Reihe an, in-melcher:fie wahr und richtig‘
fin moͤgen, aber auf dem wiffenichaftlichen Gebiet miuß ihre Ein⸗
mifchung nothwendig Verwirrung anrichten. Daher ich auch in’
Bezug auf jene Begriffe nicht einmal 'die' zweite Forderung‘ gel⸗
ten laffen Tann, daß der Sittenlehtet verpflichtet fei einzeln nach⸗
ztiwelfen, warum er biefe im gemeinen Leben gültigen Begriffe
in dad Syftem der feinigen nicht aufnehme. Vielmehr iſt ja of⸗
fenbäkſolche Begriffe zu würdigen erfl-ein weit fpätered -Gefchäft,
und’ kann nur gelingen, nachdem bie wiffenfchaftlich‘ begründeten"
Begriffe aufgeftelt find; denn. jenes iſt zugleich bie Würdigung:
bes fittlicheh Zuſtandes desjenigen Volkes und Zeitalters,- in wels
chem folche Begriffe ihre Geltung erlatigt. haben; und hiezu müfe”, \
fen eben die voiffenfchaftlichen Behriffe den Maaßſtab enthatten;:
Wer aber beide. Gefchäfte nicht trennt, fondern ſoinen allgemein
aufgeftellten Zugendbegriff durch Anwendung auf alle jene oft
politifche oft öfonomifche oder fonft lebenskuͤnſtleriſche Begrifft
rechtfertigen will, der wird ſich fein Gefchäft ohnfehlbat verder⸗
ben; ja was er irgend an- ſich hat von einer jener beider Ein⸗
feitigfeiten, dad wird dadurch beguͤnſtigt. Iſt er geneigt nur die: -
Einheit genau und richtig: zu ſehen, fo. wird er durch jenes vers"
worrene Gemelige nur um fo ficherer"überredet, es gebe außer‘
2
356
der Einheit Peine beftimmte Vielheit, fondern nur die unbeflimmt
in einander fich verlaufende Unendlichkeit der einzelnen Erſchei⸗
nungen, und eben fo umgekehrt. Deshalb aber iſt keinesweges
meine Meinung, daß die Begriffe einzelner Zugenden, welche ber
Sittenlehrer unabhängig von jenen im gemeinen Leben üblichen
-auf feinem eigenen Wege findet, müßten mit neuen. und uner
hörten Namen bezeichnet werben, welched allerdings auf feine Tu:
‚genden den Verdacht werfen würde, ald wären fie. ganz und gar
erfonnen. Sondern dieſes nur meine ic), daß allerdingd, wenn,
er feine Begriffe gebildet hat, er die Zeichen dazu, auffuchen fol
in.dem vorhandenen Schaz der Sprache, und fich fragen, ob er,
nicht eben dieſes, was er jest gebacht, oft fo und fo. genannt
habe; und wie fonft der platonifche Sofrates gethan, fol er auch
andere, entweber unmittelbar oder indem er. an ihren Reben unb
s Schriften anklopft, fragen, ab fie. nicht auch etwas fo nennen,
und ob ed nicht daſſelbe ſei, was auch er fonft fo genannt; und
wie dann. er felbft und andere ‚dad gefundene am. meiften und.
fiherften genannt haben anderwärts, ſo ſoll er nun daſſelbe au
in feinem Syſtem nennen, und das Wort zum Zeichen dieſes
Begriffs ſtempeln; wodurch er zugleich zu erkennen giebt, daß es
noch andere Gebrauchöweifen des Wortes geben koͤnne, mag nun
dabei daſſelbe gedacht aber falfch angewendet worden, ober aud
wol ganz andred gedacht und nur einer falfchen Aehnlichkeit zu
Liebe daffelbe Zeichen gebraucht worben- fein, und daß er Diele
fammt und fonderd gar nicht zu vertreten gefonnen fei. Hält er
nun aber mit feiner Begriffäbildung inne, und es bleiben ihm
bann ‚auch noch fo viele Wörter übrig, deren er ſich zwar erin⸗
‚nern muß, wenn er ſich fragt: was für vortreffliche Tugenden
unter den Menfchen feiner Zeit und feines Volkes im Umlauf
ſeien, die er aber boch in feinem Umkreiſe von Wegriffsbildung
‚nicht anzubringen weiß: fo fol er fih um biefe weber fo vie:
kuͤmmern, daß er deshalb Furcht beläme, er hätte wol bie rechte
Zugend nicht gefunden, noch auch fo wenig, baß er fie gehen
\ 357
Iteße wohin fie wollten; fondern er fol ihnen auflauern, um zu
fehen ob fie etwa Bei einer noch weiteren Vereinzelung der Be⸗
griffe, die er noch nicht unternommen hat, ihren Plaz finden
wollen, oder ob ſie einem andern Theil der ſittlichen Darſtellung
angehören, oder wol gar einem ganz andern Gebiete. Hate
fie nun lange genug beobachtet, fo wird ihm dieſes gewiß nicht
entgehen, und er wird fein zweites Geichäft an ihnen vollbringen
innen, nämlich die Reinigung und Sichtung ber Sprache, wel:
ches allerdings feinem erſten nicht wenig zu Huͤlfe kommt. —
Bon der Anwendung diefer beiden Regeln nun will ich verfuchen
dad Beilpiel zu geben, fo gut es ſich außerhalb des gefchloffenen
Bufammenhanges, dad heißt, ohne flreng genommen von vorm
‚anzufangen, thun läßt, und natürlich indem ih, um nicht bie
Grenzen einer Abhandlung zu überfchreiten,. nur bei ber erſten
Abſtufung der Begriffe ſtehen bleib |
Diefed nun muß ich mir, weil ich nicht von vorn anfan»
gen Tann, gleich vorausnehmen, und kann mich nur darauf be»
rufen, daß. es theils aus dem angefuͤhrten Buche ſo deutlich her⸗
vorgeht als ich es irgend darzuſtellen im Stande bin, theils
auch jeder fuͤr ſich es finden und alſo leicht ohne weiteres zu⸗
geben wird, daß naͤmlich die drei gepaarten Begriffe, Gutes und
Uebel, Tugend und Laſter, pflichtmaͤßiges und pflichtwidriges Han⸗
deln, ſich ſo gegen einander verhalten, daß jedes Paar fuͤr ſich
allein in ſeiner Vollſtaͤndigkeit gedacht das fittliche ganz ſezt und
ganz aufhebt, fo daß auch die übrigen Paare nothwendig mit s
gefezt find; auf die Weiſe daß, find alle Güter geſezt, die im
‚fittlihem Sinne fo fünnen genannt werden, dann nothwendig,
fo wie alle Uebel in demfelben Sinne -ausgefchloffen find, fo hin
gegen alle Tugenden ald vorhanden gedacht werben müffen, und
ale pflichtmäßigen Handlungen; Laſter aber-und pflichtwibrige
Handlungen gar nicht, oder fonft koͤnnten auch die Güter nicht
da fein, fondern ed müßten Hebel entfiehen. Eben fo wenn man
zuerfi ale Zugenden in allen denkt, oder nichts als pflichtmaͤßige
8
358
Handlungen auf allen Punkten und in allen Augenblilfen, alb⸗
dann eben fo wie oben das übrige alled mit gefept, Das Gegen .
theil aber audgefchloffen fein muß. Denn dad wird wol nie
mand glauben, dag wenn alle Tugenden in allen Menfchen wirt
fam wären, daraus Uebel in der Welt entfiehen Fönnten oder
pflichtwidrige Handlungen, noch diefed, Daß dad Gute eben forpl
aud pflichtwidrigen Handlungen entftehen und dabei beftehen koͤnne
ald aus und bei pflihtmäßigen, und was nun meiter folgt.
Dad zweite muß ich mir eben fo geben lafien, dag nämlich dem
ohnerachtet Gut, Tugend und Pflicht nicht an und für fich dab
felbe fei, fondern jeder, wenn er das eine nennt, etwas anderes
meine, ald wenn bad andere. Woraus von ſelbſt folgt, daß aud
nicht eine einzelne Zugend einzelne beflimmte pflihtmäßige Hand:
lungen oder Güter nothwendig bedinge; fondern das obige, daß
wenn alle Zugenden in allen gefezt find, auch alle und lauter
. pflihtmäßige Handlungen gefezt fein müffen, entſteht vielmehr
Daher, weil in jeder pflichtmäßigen Handlung alle Zugenden des
bandelnden find, und jede Zugend aud an allen pflicytmäßigen
Handlungen ihred Beſizers Antheil hat, und eben fo mit den
Gütern. Wenn nun ‚hieraus hervorgeht, daß weil jeder” diefer
Begriffe das fittliche ganz darftellt und bennoch etwas anderes
bedeutet, jeder es in einer andern Beziehung darftellen muß: fa
iſt nun die,nächfle Frage die, in welcher Beziehung denn ber
Tugendbegriff das fittliche darftelle. Und auch bier nehme ich
mir, weil ich nicht von vorm anfangend zeigen kann, ob und
warum diefe drei Begriffe und nur diefe von gleicher Geltung
beftehen, ganz unbeforgt diefed zum voraus, dag im Tugend⸗
begriff das fittliche dargeftellt werde ald Kraft, welche in dem
einzelnen Leben ihren, Siz hat. Denn fo reden wir alle von der
Tugend ald von etwas im Menfhen, und zwar woraus feine
Handlungen hervorgehen nicht nur, fondern auch woraus Hand:
lungen gewiffer Art nothwendig hervorgehen muͤſſen, indem eine
anthätige Tugend niemand denken kann; und möchte wol nie⸗
359
nand piel eiswenden, wenn wir die Erklaͤrung bed Benon von
nos, ed fei die Quelle .ded Lebens, woraus die einzelnen Hand»
ungen bervorgehn, auf den allgemeinften Begriff der Tugenb-w
nmwendeten, denn dieſe ift eben die fittliche Lebensquelle*). ‚Res
en wir aber auch von Zugenden eines Volkes, fo betrachten wir
dann gewiß dieſes ebenfalls ald ein einzelnes Leben, aus befs
m Kraft ſowol die eingelnen Menfchen folche werben, als bie
emeinfamen Handlungen hervorgehen, welche das Gepraͤge jener
bugenden tragen.
Diefed nun vorausgefezt entfteht und bie Aufgabe. Wenn
ie Zugend im allgemeinen überall und in allen diefelbe, und
lſo nur eine iſt; fol aber das fittliche in feiner ganzen Fülle
us ber. Vollſtaͤndigkeit aller Zugenden befchrieben werden, zus
leich ein mannigfaltiged fein muß, und zwar nicht nur dem
Irte nach, fofern dieſelbe Zugend in verfchiedene Menſchen tft,
mdern auch in jedem einzelnen, in eine Mannigfaltigkeit ges
yeilt: fo muß beſtimmt werden, wie fie dann getheilt werben
Yu, um zugleich eines und vieled zu fein. Die Löfung diefer
ufgabe muß angefangen werden mit einem Saz, wovon ich
richt hier, da ich ihm nicht, ohne noch viel weiter zuruͤkkzugehen,
us der. Quelle ableiten fann, nur auf die allgemeine Zuſammen⸗
immung berufen muß, daß nämlich alle, welche überhaupt von
‚ugend reden, ed nur thun in Vorausfezung eined zwiefältigen
n Menfchen, eines höheren und niederen, vernünftigen und uns
ernünftigen, geifligen und finnlichen, oder himmlifchen und irdis
*) Stob. II. cp. VII. ol d2 xara Zivura vgonıxwug" 105 dorı nnyg
Blov &p 5 al xara uegos ngateıs geovos. Man Tönnte freilich fas
gen, das Wirt q0060 entipreche mehr unferm Wort Gefinnung, und
diefes bedeute mehr die individuelle Art die Pflicht zu conſtruiren: als
lein diefes gilt nur fofern das Wort als ein mannigfaltiges, gebraucht
wird, fofern man von einer Gefinnung redet, oder gar von einer güs
ten und fchlechten. Die fittlihe Gefinnung aber gang im allgemeinen
und die Tugend ganz im allgemeinen Tönnen hier sinanber unbebenklid)
ſud ſtituirt werden.
360
ſchen, oder wie andere ed anders benennenb boch immer im we
fentlichen daffelbe dabei meinen. Wer aber eine folche Zwiefaͤl⸗
tigkeit im Menfchen nicht annähme, der könnte zwar wol, wenn
er einen Menfchen mit dem andern oder einen Augenblid mit
dem andern vergleicht, Stärke und Schwäche unterfheiben, ober |
Vollkommenheit und Unvolltommenheit, oder ſonſt wie beffered
und geringered; von Tugend und Untugenb aber im Ginn ur
feree Sprache und Sitte Fönnte er eigentlich nicht reden. Eben
fo auch, wer beides zwar unterfchiede im Gedanken, meinte aba
daß beides ſchon von Natur immer und zwar entweder in allen
auf gleiche Weife vorhanden und vereinigt wäre, oder wenigftend
daß die Verfchiedenheit des Werhältniffed nur von dußeren Um
ftänden abhinge und gar nichts innerliches fei, auch der Tönnte
nicht von Zugend reden. Sondern der Begriff der Tugend feit
ıı nothwendig voraus, nicht zwar bag ein Menſch fein könne weder
durch das höhere allein ohne das niedere, noch Durch das niebere
allein ohne das höhere, aber doch daß großer Raum fei für Bes
fihiedenheit in dem Zufammenfein beider. Und nur dasjenige Zus
fammenfein beider ift die Tugend, morin das höhere gebietet und
das niedere gehorcht, dad umgekehrte aber ift dad Gegentheil. IR
nun diefed, fo müffen wir jedes Zufammenfein beider anfehen al
zufammengefezt einmal aus ihrer Zufammengehörigfeit ‚und au
ihrer Verfchiedenheit,, welche in Bezug auf dad Gebieten der dis
nen und Gehorchen ber andern ald ein Widerfländ aufgefaßt wer
den muß. Dieſes nun giebt uns den einen Theilungdgrund, und
bie Zugend wird und zuvoͤrderſt eine zwiefältige, in wiefern ſich
in der Herrfchaft des höheren uͤber das niedere ausdruͤkkt die Zus
fammengehörigkeit, und in wiefern fi) darin ausdrüfft der Wis
derfiand. Ich möchte bie erfle nennen die belebende Tugend,
welche ohne dieſe nicht gefezt wäre, die andere ‘aber die bekaͤm—
pfende Tugend, indem burch diefe ber Widerfland bezwungen
wird, weil fonft ja Feine Herrfchaft des höheren über das niebere
fi zeigen koͤnnte im Widerflande bes lezteren. Niemand wird
\
361 N
diefe Verſchiedenheit leugnen Binnen; denn es iſt eine andere Thaͤ⸗
tigkeit ‘wodurch unmittelbar die Zufammengehörigkeit, ſich offens
Bart, wenn gleich auch mittelbar dadurch ber Widerſtand gebämpft
wird, und eine andere woburd unmittelbar der Widerſtand ficy
verringert, wenn gleich auch in ihr fich mittelbar die Zuſammen⸗
gehörigkeit offenbart. / Aber die Einheit wird nicht aufgehoben
durch dieſe Werfchiedenheit, denn in beiden ift bad Herrfchen des
höheren, und auch in einem und demfelben einzelnen Leben wer:
den beide nicht können getrennt fein, indem die belebende Tugend
nicht and Licht fommen könnte ohne die befämpfende zu üben,
und dieſe wiederum nicht geübt werden ohne die belebende ans
Licht zu bringen. Denn fezen wir dad höhere im Menfchen
thätig, fo muß, wenn der Widerfland überwunden ift, die Anger
börigkeit deö niederen in der Erfcheinung frei, werden, fonft wäre
nicht nur dad Element des Widerſtandes im niederen, fondern
das niebere felbft vernichtet. Doch diefed Fann erft zur Anfchau:
lichkeit gebracht werden, wenn wir noch ben andern Theilungs⸗
grund der Tugend hinzunehmen. Nämlich wenn wir davon außs
gehen daß fie die fittliche Kraft fei im einzelnen Leben: fo muͤſ⸗
ſen wir auch fehen was das einzelne Leben iſt. Diefes nun fteht,
indem es immer nur beziehungöweife vereinzelt ift, und nie volls
Tommen, mit dem Ganzen in einem beziehungsweiſen Gegenfaz,
der fich in einer ſtets erneuerten Wechſelwirkung offenbart, in ı2
welcher einmal auf das einzelne eingewirkt wirb von außen und .
es alfo leidend ift, aber als lebendes nicht ohne Gegenwirkung,
was wir die Empfänglichfeit nennen, dad anderemal dad einzelne
von innen etwas nach außen wirkt, was wir die Selbſtthaͤtig⸗
keit nennen, aber weil befchränkt und einzeln auch nicht ohne Ge:
genwirkung zu erfahren, welche dann baffelke Spiel wieder von
neuem beginnt. Sn dem Menfchen nun, wie auch fchon das
niedere in ihm das Gepräge an fich trägt, iſt das einzelne Leben
ald ein bewußtes und fich bewußt werdendes gegeben und er:
fcheint dem zu Folge wefentlich in zwei Geſtilten; die eine ift
⸗
362
das bewußte Inficheinbilden, worin die Empfänglichkeit, die un
dere das bewußte aus fich heraus in die Welt: Hinüberbilden,
worin die Selbfithätigfeit vorherrfcht. Das erfte von beiden nen⸗
nen wir auch das Erkennen oder Vorſtellen, denn auf die Unter
ſchiede dieſer Ausdruͤcke kommt es hier nicht an, das andere aber
das Handeln, ſei es nun mehr wirkſam oder darſtellend. Iſt nun
—⸗
dieſe Zwiefaͤltigkeit die allgemeine Form aller Lebensthaͤtigkeit: ſo
| folgt daß auch das geiſtige und vernünftige im Menfchen nicht
kann bad niedere beherrfchen als nur in eben diefer Form. Und
biefed giebt daher eine zweite Eintheilung ber Tugend, naͤmlich
in eine vorftelende und barftellende Die Verſchiedenheit beider
wird niemand leugnen fünnen, jeder aber auch zugeben daß bie
Einheit dadurch nicht aufgehoben wird; denn die Herrfchoft de
Höheren über das Niedere ift in beiden, jedoch eine andere in
jedem. Und. auch in demfelben einzelnen Xeben werden beibe nies
mals getrennt fein. Denn die vorftelende oder erfennende Tu:
gend wäre nichtd als ein traͤumeriſches ſich im fich verzehrendes
Grübeln, wenn fie nicht in Darftellung überginge; und die dav
ftelende wäre nichts menfchliched, gefchweige fittliched, wenn fie
nicht auf dem Erkennen beruhte. Jedoch können in jedenr ein
zelnen beide in einem andern Verhältnig ſtehen, fo daß weil ein
größtes im Erkennen verbunden fein kann mit einem kleinſten im
Handeln und umgekehrt, nicht jede auh an und für fich das
Maaß der anderen if. Wollte aber jemand die Verſchiedenheit
ganz leugnen, und fagen z. B. Denken könne nicht fein ohne Re
den, aber dieſes fei ſchon ein Ausfichherausbilden, und Fein Hans
deln fünne, am menigften fittlich, gedacht werden, welches nicht
beftändig auch felbft im Denken oder Empfinden fein müßte: fo
werde ich auch das noch annehmen koͤnnen, und nur erwiedern,
daß doch in umgekehrter Drdnung in dem einen erfüllten Augen
bli@ diefed und in dem andern dad andere Geichäft das Haupt:
werk fei und die Zugabe; welche zugugeben niemanden zu viel
3 bunten wird, mi: aber genug iſt. Denn nun koͤnnen wir dad
14
363
Nez’ zuziehen und fagen daß dirſe beiden Theilungsgrünbe ſich
kreuzen, und daß bie belebende Tugend, fofern fie vorzüglich er⸗
kennend ift, die Weisheit heiße, fofern aber aus fich herausbil-
dend heiße fie. die Liebe, die befämpfende Zugend hingegen im
Inſichhineinbilden fei die Befonnenheit, im Handeln aber die Ber
barrlichkeit. Außer dieſem Nez von Zugendeg, wollen wir. jagen,
fei Feine weiter gelegt, fondern jede andere müffe bei einer weites
sen Theilung in einer unter dieſen ihren Ort finden. Ueber biefe
vier aber und bie ihnen zugetheilten Benennungen will ic, In
Bezug auf das obige, noch einige Bemerkungen hinzufügen.
Zuerft alfo von ber belebenden erfennenden Zugend, welche
ich die Weisheit genannt. Der gewöhnliche Begriff den wir mit
diefem Worte verbinden ift der, daß es fei die Richtigkeit in der -
Beftimmung der Zwede. Diefe Erklärung findet ſtch freilich
größtentheild in Beziehung gefezt mit einer verwandten Erkläs
rung der Klugheit, daß diefe nämlich fei die Richtigkeit in ber
Beflimmung der Mittel, und fofern fie gemacht ift nur um die
Unterfheidung dieſes Begriffs von einem anderen durch einen
Gegenfaz zu befefligen, koͤnnte fie fchwerlich auf große Beruͤckſich⸗
tigung Anfpru machen. Indeß iſt fie fehr verwandt mit den
Erklärungen, welche in dem ſtoiſchen Syftem der Tugenden vor⸗
kommen, Foövnasg Enıoenun Wv namtgov xal oÜ xal oVde-
zegwv, befonderd wenn man noch dazu nimmt nV u2v Yoovn-
ow neol Ta xadmxovre yiyveodar*). Eben dahin führen an⸗
dere Erklärungen, welche geradezu fagen bie Pgownasg fei bie
Wiſſenſchaft des Guten. So daß der Frage doch nicht auszu⸗
weichen ift, wie fich doch der Begriff, den wir durch das Wort
bezeichnen wollen, zu dem gewöhnlichen Gebrauch deffelben ver:
halte? Offenbar erfcheint der gewöhnliche weit befchränkter, ins
dem man Zwedbegriffe nur auf im engeren Sinne fogenannte
Handlungen zu beziehen pflegt, in unferm Begriff aber alles lies
— \
*) Stob. Lib. II. ecp. VII. p. 102 und 104 Ed. Har.
364
gen muß, woburd ſich im Bewußtſein das Belebtfein deB nie |,
deren Vermögens im Menfchen durch dad höhere beweifet. Bet |ı
gleichen wir zum Beifpiel denjenigen Zuftand des erfuͤllten menfh; ||
lichen -Bewußtfeins in welchem ed dem thierifchen am nädften |:
kommt, wie wir ihn nicht etwa nur bei noch unentwidelten On ||
ganen in ber Kindheit, fondern auch bei rohen Menfchen im Zu:
fland der organifchen Reife finden, mit demjenigen in welchem,
mehr ober weniger entwikkelt, die Anlage zur Wiſſenſchaft ſich
offenbart: ſo werden wir ſagen muͤſſen, dieſes ſei aus der bele
uä benden Thaͤtigkeit des hoͤheren entſtanden und jenes aus deſſen
Unthaͤtigkeit; kurz wo und in welchem Maaß wir in der vor:
ſtellenden Thaͤtigkeit den Wernunftgehalt finden, da fagen wir
malte dad was wir Gewißheit nennen, wogegen jene Erflärun
gen vorzüglich vorfommen in Verbindung mit einer Unterfchei:
dung zwifchen fogenannten Verflandeötugenden und eigentlich) fitt:
lichen, fo Daß wenigſtens der Umfang ded Begriffes ein ganz an
derer zu fein fcheint. Allein wenn wir die vorftellende Thaͤtig⸗
keit nicht al3 einen bloß leidentlichen Zufland denken wollen, was
fie doch gewiß, wenigftens überall wo Forſchung und Unterfuchung
ift, nicht fein kann, fo müffen wir doch geflehen, dag im bielen
eritgenannten Fällen wenigftens, ihr wie ein Wollen fo aud ein
Zwekt zum Grunde liegt: und daß, zumal auch Zorfchen und
Unterfuchen muß als Pflicht eingefehen werben, und auch fein
anderer ſittlicher Zwekk ohne Forfchen und Unterfuchung richtig
Bann beflimmt werden, Bein Grund abzufehen iſt, warum bie Be
ſtimmung diefer Zwekke nicht im Gebiet derfelbigen Weisheit lie
gen follez und es liegt alfo unferer Bezeichnung in ber That
auch derfelbe Sprachgebrauch zum Grunde, nur allerdings in es
nem weiteren Umfange, bei welchem aber auch allein ſowol eine
volfländigere Zulammenftelung ald auch eine gefundere Thei⸗
lung möglich wird. Diefer Umfang unfered Begriffs fcheint fih
aber noch mehr zu ermeitern wenn wir bedenken, daß erftlih
was der Wiffenfchaft recht iſt auch der Kunft billig fein muß,
365
und alfd auch das Entwerfen: aller ‚wahren und Achten Kunfls
werte eben fo gut als dad der eigentlichen Handlungen in das
Sebiet der Weisheit faͤllt; zweitens -aber auch dad Gefühlövers
mögen dem Bewußtſein angehört, und auch’ bier jene zmiefachen,
Erfcheinungen flatt ‚finden, welche die Belebung des nieberen
durch das Höhere ausfprechen und welche fie verbergen, „und fo.
würbe auch bier auf Seiten bed. Gefühls eben ſo wie auf, Seis.
ten bed Verflandes die Weisheit walten. Auch dieſes leugne: ieh:
nicht ab, dag ſich die Weisheit auch hieher erſtrekken muͤſſe; nur.
fiheint mix, auch dies, ebenfalls. ben ‚gewöhnlichen. Sprachgebraudy,;
wenn ex ſich ſelbſt recht perfieht, vollfommen. angemeflen. Denn
wer. fagt. nicht, e8 fet.gerabe der weile Mann, dem es nicht ge⸗
zieme fich von. einem finnlichen Schmerz überwältigen zu laſſen.
Died iſt ja die gemeine Rede aller von dem aͤlteſten Philofophen
an bis zu dem neueſten Weltmanne ſo Gott will. Wenn ich,
ſinnliche Gefuͤhl 9 gervaltig werben Jäßt, und ed dann maͤßigt?
fo wird wel auch die allgemeine Antwort fein, daß, wiefern ein.
folcher zu loben fei, er ‘wol: wegen einer andern Tugend, etwa
der Mäßigung, gelobt: werden möge, ber weife aber fei er nicht. as
Und ſo wird wol ber weife nur der fein Eönnen, in weldem.
das Gefühl von Anfang herein ‚nicht etwa gemaͤßigt ericheigt,;
fondern ganz anders conftruirt ift, ſo naͤmlich daß dad finnliche.,
gleich in feinem Entftehen von einem höheren belebt ein. ſittliches
werde, und was ſich im Leben ald ein voller Moment, als die
Einheit des giftigen Yulsſchloges abfondern ‚läßt, niemals durch
ein ſinnliches allein erfuͤllt ſei. Wie num die Abweichung bed.
gewöhnlichen. Sprachgebrauch darin gegründet ift, daß er das
fittliche. Gebiet überhaupt zu eng auffaßt, dies wird fich am bes
fin von felbft zeigen, wenn wir ähnliched auch in den andern-
Tugenden finden. Wie aber. die Theilung bed fo erweiterten Be⸗
griffs anzugeben fei, um die verfchiedenen Unterarten ober Ges
floftungen der Weisheit zufammenpängend und volftändig dar⸗
366
zuſtellen, dies Liegt jenſeits der Grenzen unferer Unterfuchung.
Ich wende daher um, in ber Abficht, nachdem fo der Umfang des
Begriffs der Weisheit, ſoweit es fich durch Hervorhebung weni
ger Punkte thun Sieg, ind Licht gefezt ift, auch das Verhaͤlmiß
deffelben zu dem verwandten Gebiet der Beſonnenheit zu beflim
men. — Hier aber muß ic, zuerft einem Mißverſtaͤndniſſe, web
ched leicht entftehen koͤnnte, votbeugen.!“ Man mag nämlich auf
die‘ Art fehen, wie die Weisheit fich in dem eigentlich ſogenann
ten ſittlichen Handeln äußert, oder auf ihre Aeußerung im Ge
fühl oder im Vorſtellen: fo erfcheint fie nach dem obigen ſowol
im einzelnen Menſchen, als in den größeren Theilen des menſch⸗
lichen .Gefchlechte8 , ald ein wachfended und allmahlig ſich am
bildendes; und es koͤnnte alfo leicht einer fagen, in dieſem Ward:
fen muß fie einen Widerftand überwunden haben, fonft würde
fie ja urſpruͤnglich oder plözlich gewefen' fein was fie erft gewor⸗
den ift und noch wird‘, und alfo erfcheint fie ſelbſt überall, wo
fie ift, al3 eine befämpfende Tugend, und der aufgeftellte Unter:
ſchied zwiſchen diefer und ber belebenden, alfo ber Weisheit und
Befonnenheit, iſt nichtig: Allein hierauf erwiedere ich, daß ic
das Wort: gern ſchenken will, wenn jemand behauptet, alles
Werden und Wachſen, wenn man «3 auf eine Kraft zuruͤkkfuͤhrt,
ſeze eine Hemmung derſelben und alſo einen Widerſtand vor
aus; denn der Streit, der hierüber zu führen wäre, liegt wenig
ſtens nicht: auf“ urtferkn Gebiet, ſondern einem weit-höeren.- Abe
diefer Widerſtand, welcher die Form alles: MWerbend :tft-. wenn er
ſo heißen ſoll, ift wenigſtens nicht. derſelbe, auf. welchen ſich bie
befämpfende Tugend in ihrem Gegenfaz gegen: die beiebende ber
zieht. Denn nicht nur das niebere Vermögen“ des Menſchen if
ein werbendes und wachfended, fondern der ganze Menfch, umd
{6 auch das ganze Volk, und was man fonft will, entwikkelt fih
aus der Bermußtlofigkeit, als gleichlam dem relativen Nichts, im
das Bewußtſein, und dad Zunehinen- der Weisheit- beruht nur
auf diefer Entwikklung der höheren belebenden, Kraft / ſelbſt, nicht
v
*
367
aber auf einem überwundenen Widerftande der fchon entwikkelten
nieberen. Wie denn auch im ber Umgeſtaltung aller. fittlichen
Berhältniffe durch vollfommmere Zwekkbegriffe das fpätere weis
fere fich zu dem früheren nicht ſowol ald Zerftörung deſſelben ver
hält, ald-vielmehr ald. Entfaltung, Entdeffung der vorher‘ ver-
kannten oder verborgenen tiefen Bedeutung. Und fo bleibt von
dieſer Seite die Weisheit in ihrer Trennung von der Befonnens
beit wol unangefochten ſtehen. Allein. von einer andern Seite
ericheint es fchwieriger beide ‚getrennt zu erhalten. Wenn wir
nämlich) davon ausgehen, daß in ‘allem: was Einbilden in dad
Bewußtſein iſt, die Entwerfung der Zwekkbegriffe, oder wo ſich
dieſes Wort nicht in. feinem eigentlichen Sinne brauchen läßt;
die Tippen des Handelns der Weisheit zufommen: fo Tann auf
demſelben Gebiet die Beſonnenheit nirgend anders fein als im
der Ausführung, und man könnte auch beide unterfcheiden ald
die entwerfende Tugend und die ausführende, und es ift auch
ganz natürlich, daß der Kampf, durch welchen die andere Tu⸗
gend bezeichnet iſt, auf dieſem Gebiete uͤberall ſein muͤſſe in der
Ausfuͤhrung, in welcher ſich theils andere: Worftellungen zwiſchen
eindringen koͤnnen, theils die Traͤgheit und Unbeholfenheit des
vorſtellenden Organs kann zu bekämpfen. fein. Aber um Ents
wurf und Ausfuͤhrung zu ſcheiden, komme alles darauf an, wie
man bie Einheit der Handlung beſtimme, was man als Xheif
und was ald Ganzes. anfehe, welches. auf die verfchiedenfte Weiſe
gefchehen könne, fo bag dadurch die aufgeftellte Unterfcheidung
der belebenden und befämpfenden Tugend! unmöglich wird. Diefe
Schwierigkeit ift nicht abzuleugnen; aber fie trifft: eben ſo gut.
den gewöhnlichen Unterfchied zwifchen- Weisheit und Klugheit,
wie er ſich auf Zweif und Mittel bezieht, und ift überhaupt wol
überall, wo Zugenden getrennt werben. follen, erft- zu uͤberwin⸗
ben. Wenn z. B. auch. alle übereinflimmen ; daß es bie Weis⸗
heit fei, welche den Entwurf zu einem Feldzuge bervorbringt;
es trist aber hernach irgend. ein Umftand ein, ‚der eine Bewegung _
368
erfordert, welche in ber urfprünglichen Idee nicht lag, und der .
Feldherr hat num ober hat nicht die Geifleögegenwart biefe Be
wegung zu erfinden, gehört dieſes zur Weisheit oder zu eine
andern Tugend, mag man nun fagen zur Klugheit, wenn man |
die Bewegung ald Mittel anfieht jenen Umftand unſchaͤdlich zu
17 machen, ‚oder zur Befonnenheit, wenn man fie alö’einen Thal’
der. Ausführung anficht. Offenbar kann man das lezte fagen,
aber eben ſo auch das erfie, und dieſe Geiſtesgegenwart der Weiß
beit zufchreiben, wie auch bie Alten. ihre ayxivos® unter ihn
gYoovnos ftelten, wenn man nämlich diefe Bewegung ald. eine
eigene im Zuſammenhang mit dem Sanzen entworfene Handlung
anfieht, deren Begriff ja wieder von ihrer Ausführung verfchie |
ben ift, und, vor derfelben hergeht. Aber eben fo. könnte man -
quch ruͤkkwaͤrts gehend ſagen, die Entwerfung bes Feldzuges ſelbſt
ſei ſchon zur Ausfuͤhrung gehoͤrig, und die Weisheit ſei hier nur
in dem Herrſcher, „der, den Krieg im Zuſammenhange mit einer
veinen und richtigen Sdee von dem Wohl ded Ganzen befchlieft. -
Ja noch mehr, auch ſchon den Beſchluß des Krieges, ‚wie er
denn wirklich beſonnener oder unbeſonnener auch ſchon dem ge
meinen Sprachgebrauch nach kann gefaßt werben, Zönnte man .
nur zur Ausführung rechnen, und nur die beflimmte und. alle
beherrfchende Vorftellung von der Stufe der. Selbftftändigkeit, welche
der Staat unter feines gleichen einnehmen muß, als das Werl
ber größeren ober geringern Weisheit anfehen. Und eben dab
felbe ließe fich mit leichter Mühe auch auf jedem andern Gebiet
nachweilen. So weit nun hat dieſes feine Richtigkeit, daß jede
biehergehörige Handlung ber Weisheit ſowol zugefchrieber wer:
den, kann ald der Befonnenheit, diefer fofern noch eine größer
Handlung über der bezeichneten ift, ald deren Theil fie angefehen
werden Tann, jenes fofern noch Bleinere unter ihr ſtehen. Aber
eben fo gewiß ift auch, daß nicht dielelbe Anficht der Sache zum
Grunde liegt, wenn man da3 eine und wenn man bad andere
thut. Denn die eine läuft darauf hinaus, daß durch eine einzige
\
369
That, in welcher fich gleichſam das höhere erkenmende Vermoͤgen
ſeines niederen Organs bemächtiget, auch dad ganze Bewußtſein
des Menfchen von feiner Stellung in der Welt, mithin fein gan»
zes Leben, in ber Idee völlig beftimmt fei, und’ ed nur noch auf
diejenige Thätigkeit anfomme, welche wir der Fämpfenden Zu:
gend beigelegt haben. Die andere Anficht geht darauf hinaus,
Daß es Feine Unterordnung von Theilen in den fittlichen Thaͤtig⸗
feiten gebe, fondern jeder einzelne Moment auf einem gleih ur
fprünglichen Impuls des höheren Wermögend berufe. Wer nun
„behauptet Weisheit und Beſonnenheit fei nicht zweierlei ſondern
eind, der fagt eigentlich daß Liefe beiden Anfichten gleiche Wahr⸗
heit hätten, und man eine der andern fubftituiren koͤnne. Allein
dieſes möchte wol nur wahr fein, wenn wir und den Weifen
nach Art ber Alten denken, der ed eigentlich auch nicht geworben
fein Tann, fondern immer geweſen fein muß; von dieſem möchte
Fein Grund fein mehr das eine zu behaupten ald das andere, ıs
fonbern wir möchten eben fo gut fagen koͤnnen fein ganzes Leben
fei aus dem Einen Guß Einer tranfcendenten That, und auch es
fei die in jedem Moment ſich erneuende urfprüngliche Durchdrin⸗
gung, vermöge deren nichtd in dem geifligen Organismus erſchei⸗
nendes genauer unter ſich zufammenhänge, al3 jebed von einem
befondern Impuld abhängt. Dem ericheinenden Menfchen aber
ift nur gegeben fich diefer Formel anzunäherh, und alfo muß
auch in der Zugend unterfchieden werden was wir die Weisheit
und was wir die Befonnenheit genannt haben, nur daß von jes
der einzelnen Thatſache fireng genommen Fein anderer ald der,
deſſen innerem Bewußtfein fie vorliegt, entfcheiden kann, ob fie
aus der Idee der Weisheit oder der Belonnenheit zu beurtheilen
fei. Niemand wird zum Beiſpiel Iäugnen, daß dad Wiffenwollen
ein Erzeugnig der Weisheit ſei; wenn wir aber nun in einzel
nen auf diefe Richtung Bezug habenden Handlungen eined Mens
fhen eine Verworrenheit bemerken, die in dem Streben nad) Wil:
fen nicht aufgeht, fo wird nur dad eigene Gewifien des han-
Schleierm. W. III. 2. ‘sa
370
delnden, wenn er über feiner einzelnen Handlung fteht, enticheis
den tönnen, ob er zwar die Idee feines Verfahrens unrichtig.
aufgefaßt, diefe aber heinach mit aller Befonnenheit und Beharr⸗
lichkeit verwirklicht habe, ober ob er vielmehr nach einem richti
gen Begriffe zwar verfahren fei, aber hernach in der Ausführung
nicht die gehörige Gewalt gehabt habe über zerflreuende Vor⸗
ſtellungen. |
Unter der Beſonnenheit alfo verflehen wir die den Wid
ſtand des niebern Vermögens überwindende Verwirklichung und [|
vollkommene Einbildung alle deffen in das Bemwußtfein, wozu |
ber lebendige Keim in der belebenden Thaͤtigkeit des höheren Tag. Ih
Auch durch diefe Erflärung wird dem Worte ein weiteres Ge |,
biet beigelegt als der helenifchen awpgoovvn, welche ich jebod |
felbft immer durch Befonnenheit übertragen habe. Allein die Man |;
nigfaltigkeit der helenifchen Erklärungen, und wenn man in ben |;
ftoifchen Syftem die der owppoovun untergeorbneten Tugenden f
betrachtet, wie die erſte evrafio noch zur Weisheit zu gehörm fi
fcheint, und die legte &yxgareıe Taum mehr von den zur Tapfe
feit gehörigen unterfchieben werben ann, wenn man nämlid
mehr auf die Erklärung ald auf den Namen fieht, ja ſchon die
Verlegenheit in der man fich befindet, wenn man eine dssorgun
algeröv xal yevztwv von einer dnuorzun Wv momreov zab
0U auf der einen Seite unterfcheiden, und auf der andern eine
issornun zwv Öeivay xab ou nicht darunter fubfumiren fol,
dies zufommen zeigt beutlich genug daß diefer Begriff zu denn
gehört, welche dort am wenigften find beſtimmt worden. Blei⸗
19 den wir aber bei bem gewöhnlichen Gebrauch unferes Wortes
ftehen: fo wird der Beſonnenheit am meiften entgegengefezt die
Zerflreuung auf der einen Seite und die Uebereilung auf der
andern, woraud man wol fieht, es fol alles abgehalten werden,
wad den zur Ausführung einer Handlung nöthigen Zuſammen
bang bed Bewußtfeind flört; und in wiefern fich fremdes diefen
Zufammenhang flörendes Godedngra will, tt dies allerdings bie
— —
371
kaͤmpfende Tugend im Bewußtſein. Aber auch dem fchreiben wir
einen Mangel an Befonnenheit zu, welchem das zur Vollbrin⸗
gung einer Handlung nöthige nicht einfällt, dann mann e3 ihm
einfallen ſollte. Oder wenigftend wird wol jeder zugeben daß
die Geifteögegenwart nach unferm Sprachgebrauch der Befonnens
heit gar fehr verwandt fei, und bag, werin man fie in das Sy:
ſtem der Tugenden einfchalten fol, und der Begriff der Befon-
nenheit fchon gegeben ift, man ihr weber neben dieſer einen be⸗
fonderen Pla; würbe anmweifen, noch weniger aber fie einer ans
bern Zugend unterorbnen wollen. Sollen wir nun auch die
Geiftesgegenwart unter den Begriff der Fämpfenden Tugend brins
gen, fo werben wir fagen müffen, fie ſei der Sieg über die Traͤg⸗
heit und Ungeübtheit des Organismus der Vorſtellungen, und
wir find ja ſchon überall gewohnt auch die Traͤgheit ald Wider: '
fland anzufehen. Andem wir aber der Befonnenheit auch die
Ueberetlung entgegenfezen, die Doch größtentheild aus einem über: .
firömenden Gefühle entfpringt: fo fehen wir wie leicht fich der
Sprachgebraud dem ganzen Umfange hergiebt, in welchem wir
den Begriff nehmen müffen, indem ja allerdingd jede Erregung
des Gefuͤhls auch ein Snfihhineinbilden tft, wie die Eonftruction ,
bed Gedanken, und wie alfo auch bie Befonnenheit auf ihre Weife
zugleich über daB Gefühl gebieten muß, wie bie Weisheit auf
die ihrige. Aber je mehr und der Begriff auf diefe Weife feſt
geworden fcheint, um fo fehmwieriger will es auch und werben
ihn von dem verwandten ber Beharrlichkeit zu trennen, ſchon
gleich) wenn wir mit der Bemerkung anfangen, daß ja doch die
Furcht, welche am meiften die Beharrlichkeit zu hindern pflegt,
auch ein Gefühl fei, und alfo deffen Beſiegung der Befonnenheit
anheim falle; und es will mit den beiden Gliedern ber Fämpfen:
ben Tugend eben fo gehen wie mit denen der erfennenden. Denn
auch hier kann einer fagen, dad MWefen eurer Tämpfenden Tu:
gend ift doch immer nur die Stärke des Willens; was ihr aber
darin unterfcheiden wollt, ob fie fich zeige in dem Autichkinein-.
%ar
_ 372 | |
bilden durch das Bewußtſein oder in dem Ausfichherausbilden
durch die That und das MWerf, fo daß wenn das erfte ohne Stoͤ⸗
rung vollendet ift, ihr died der Befonenheit, wenn aber das lezte,
ihr es ber Beharrlichkeit zufchreiben wollt, das ift Fein Unter
fchied in der Sache. Sondern alles in dem Menfchen, jede %e
bensäußerung, auch was in feinem Bewußtfein vorgeht, ift dog
immer hat, ift Heraustreten feines inneren verborgenen Lebend
in dad Gebiet der Erfcheinung und der gemeinfamen Welt, un fi
eben ſo ift alled Ausfichherausbilden in Wort und That dog
nichts anders ald Bewußtfein, Snfichhineinbilden der aͤußerlich
dargeſtellten Idee ſelbſt. Denn jeder Zwekkbegriff ift an fich noch F:
unbeflimmt und dunkel, und die zur Ausführung begeiſternde
Kraft defjelben ift nichtd anders ald das Streben jene Unbeftimmt
beit und Dunkelheit zur Klarheit und Vollendung zu bringen.
Aber auch hier werben wir diefelbe Antwort haben wie oben, daß
dem vollfommenen Weifen zwar alles immer gleich ‚geraten
werbe, und e3 eben wegen der überall gleichmäßigen Vollkom
menheit einen Unterfchied made, ob man alles ald Beharrlid:
keit oder alles als Befonnenheit anfehe, abeg nie deshalb weil
diefer vollfommene Weife eben gegen Feine von beiden je fehlen
wird, jeder andere - aber wiffe gar wol daß feine Beſonnenheit
nicht dad Maag feiner Beharrlichkeit fei u ufasbehrt, und daß
daher auch beide nicht daffelbe fein Eönnten. Denn, um es da
zu betrachten, wo es, weil auf bafjelbe ſich peschend, am beften
verglichen werden Tann, ed kann mancher ſtark daun ſein jeden
Gedanken eines Werkes oder einer That dur Beſonnenheit
wohl auszutragen in ſeiner Seele und zu naͤhren, aber ſchwach
darin daß er das Werk im Stich laͤßt, wenn es nicht unange⸗
fochten und ungehindert zu Ende gehen will, ud umgekehrt.
Und fo unterfcheidet auch jeder, dem ſich fein Bewußtfein ver
wirrt in der Entwilflung, ob diefes geſchieht aus vorbilben-
der Furcht oder erflerbender Theilnahme an dem Gegenſtande,
"und was fonft der Beharliägteit feinh it, ober ob es geſchieht |
W
x.
\
— —
373
‘+
aus Unvermögen oder Ungehorfam ber vorfiellenden Verrich⸗ |
tung felbft.
Nach diefem nun glaube ich wird nicht nöthig fein von ber
Beharrlichkeit, fofern fie ald das andere Glied der Fämpfenden
Zugend mit der Befonnenheit zufammenhängt, noch befonberd zu
handeln. Denn ed wird vor felbft deutlich fein, wie fie die grie
chiſche avdoie in fich ſchließt, und auch hier bei den vielem fehr
finnverwandten Wörtern, deren wir in unfrer Sprache und be:
Bienen, wirb fich von felbft rechtfertigen daß gerade dieſes Wort,
Beharrlichkeit lieber als Zapferfeit, zur allgemeinen wiffenfchaft:
lichen Bezeichnung gebraucht wird. Nur über die kaͤmpfende Tu:
gend überhaupt möchten wir die alte Frage nicht ganz vorbeis
gehen können, ob bie Befonmenheit und Beharrlichkeit der Boͤſen
denn auch Fünne Zugenb genannt werden. Auf diefe alte Frage 2ı
Tann aber immer nur die alte Antwort miederholt werden, daß
kein Böfer als folcher weder tapfer noch befonnen fein noch ir
gend eine andere einzelne Tugend haben könne. Sondern Bes
fonnenheit und Beharrlichkeit find nur, was fie find, tm ihrem
Zuſammenhange mit der Weisheit und mit der Liebe; und wird
ein Boͤſer gut, ſo braͤchte er keinesweges das was man faͤlſchlich
ſeine Beſonnenheit oder Beharrlichkeit nannte, in den Dienſt der
Liebe und Weisheit mit, ſondern dieſe Geſchikklichkeiten und Fer⸗
tigkeiten die er im Boͤſen gehabt, wuͤrden ihn ſogleich im Stich
laſſen, und er müßte auf dem Gebiete des Guten als ein Neu
ling und alfo al3 ein leicht verwirrbarer und ſchwachmuͤthiger
von vorm anfangen, und ſich unſere Beſonnenheit und Beharr⸗
lichkeit erſt erwerben.
Wie aber die Beharrlichkeit, als das täeigfede Glied der
bildenden Tugend, ſich verhalte zu der Liebe, als dem belebenden
Gliede derſelben, das wird am beſten erhellen, wenn wir nur erſt
Deutlich machen weshalb wir dein die ganze bildende Seite der
Belebenden Tugend am beften glauben Liebe zu nennen. Hiebei
anag wol dad eıfte, was jedem auffällt, dieſes fein, dag umlere: zum
374
andern drei Glieder ziemlich fchienen mit den andern drei helle
nifchen Haupttugenden zufammen zu treffen, bier aber an bie
Stelle der Öuxasoovvn etwas ganz anderes tritt, bie Gerechtig⸗
: Peit dagegen ganz zu verfchwinden fcheint. NWerfchwinden nun
fol fie nicht, fondern was wir Gerechtigkeit nennen, dad folin |
dem Umfange der Liebe eine untergeorbnete Stelle einnehmen,
als diejenige befondere Aeußerung der Liebe, welche ein fchon be
ſtehendes Bildungsgeſez in jedem vorfommenden Fall im einge
nen darſtellt. Iſt nun dieſes die. richtige Erklärung unfered Wor
tes, wie es gewöhnlich bei und gebraucht wird: fo fieht man,
e8 kann, wird nur auf einen höheren Geſichtspunkt zurüffgegan
gen, alle Gerechtigkeit auch unter die Beharrlichkeit gebracht wer
den. Die Öuxaoovvn ber Griechen ift aber mehr ald was wir
Gerechtigkeit zu nennen befugt find, weil fie diejenige Tugend if,
durch welche das Bildungsgeſez felbft, welches hier das Recht
heißt, feftgeftellt wird. Wenn wir aber und fragen, wie nenne
denn wir die Kraft welche überall das Recht hervorbringt: fo
werben wir nicht fagen dürfen die Gerechtigkeit, weil alles ef
gerecht wird unter Vorausſezung eined Rechtes, fondern wir wen '
ben fagen müfjen daß überall die Liebe dad Recht hervorbringt,
fo wie überall, wo die Liebe aufhört, auch dad Recht verloren
geht, und in demjelben Maag ein Zufland der Rechtlofigkeit ein
tritt. Dabei aber will ich nicht fagen, daß, was ich Liebe nenne,
22 bafjelbe fei mit der dsxaoovvn der Hellenen. Der Unterfchied
beruht aber darauf, daß bei den Hellenen das bürgerliche Leben
alled war. Auch das häusliche Leben wurde audfchliegend in
Beziehung auf daffelbe ‚gedacht und behandelt, und die bürgers
liche Liebe ift freilich nichtd anderd als die wohlverflandene dr
xovogvvn ber Hellenen, Bei und aber tft der Staat nicht mehr
dad alles in fich begreifende, und kann und nicht.eben fo wie
ihnen der Typus aller Gemeinfchaft auf fo ausſchließende Weiſe
fein, daß wir, wie fie es thun, felbft Die Ehrfurcht gegen das
höchfte Wefen die Gerechtigkeit gegen daſſelbe nennen moͤchten.
\
375
Eine allgemeinere Bezeichnung aber haben wir nicht für das Bes
fireben Gemeinfhaft bervorzubringen ald Liebe. Alle Gemein»
ſchaft aber, welche von dem höheren geifligen Vermögen des Men:
ſchen ausgeht, ift Darftelung und Bildung, und beöhalb ift Liebe
die vechte Bezeichnung für alle darfiellende und bildende Tugend,
fofern nicht vorzüglich dad meßbare derfelben in der Ausübung,
welches eben die Beharrlichkeit ift, fondern vielmehr ihr inneres
Weſen ausgedruͤkkt werben: fol. Denn das höhere geiftige des
Menfchen kann nur in Gemeinfchaft treten entweder erfllich mit
ſich felbft in andern — welched aber nur möglich ift Durch Selbſt⸗
Darftelung und Offenbarung, fo wie diefe feinen andern Zwei
haben kann, ald jene Gemeinfchaft — ober zweitend mit dem nies
deren menfchlichen Vermögen in fich ſelbſt und andern; aber dieſe
Gemeinſchaft kann nichts anders fein ald Anbildung, und dies ift
eben bie erziehende Liebe; ober endlich drittens kann auch das
höhere und geiflige Vermögen bed Menſchen mittelft des niederen
in Gemeinfchaft treten mit der äußeren Welt; und dieſes ift eben«
falls beides ſowol Offenbarung des Geiſtes in der Geflaltung der
Welt, ald auch Erziehung der Welt zur Einheit bed Dafeind mit,
dem Menfchen. Und biefed reicht für ben. gegenwärtigen Zwekk
bin zu zeigen, bag ohne die Gleichheit des Eintheilungdgrundes
zu verlegen, biefe Stelle anders ald bei den Hellenen mußte aus⸗
gefült werden, und Daß dieſes durch den Ausdrukk Liebe ſowol
der Sache am würdigften ald auch am übereinflimmendften mit
dem wohlverfiandenen Gebrauch unferer Sprache gefchehe, wenn
doch auch ihr die Liebe yulio nur iſt die Gemeinfchaft bed gu⸗
ten mit fich felbft oder mit dem weder gut noch böfen, um es
gut zu machen. So wie auch bie Hellenen nad) ihrer Anficht
Recht hatten diefe Stelle der dsxusoovvn einzuräumen, welche
ihnen höher erfcheinen mußte als die yuliz, indem fie war bie
Gemeinſchaft der Guten unter fih, um burch Gemeinfchaft mit
bem weder gut noch böfen diefed gut zu machen. Das Gute
felbft aber ift nichts anders ald das Sein und Leben jened höher -
376
ven, mögen wie ed num Geiſt nennen ober Vernunft ober wie
immer, in allem andern. Wie nun bie Liebe fich zur Behan: .
lichkeit eben fo verhalten muß wie die Weisheit zur Beſonnen⸗
heit, dad erhellt von felbftz auch wie diefelben fcheinbaren Schwie
rigkeiten entftehen, daß Beharrlichkeit Treue if, und Treue und
Liece eins, und dag man alles müffe auf die Liebe zuruͤkkfuͤhren
Tonnen und auf die Beharrlichkeit, und wie dieſe Schwierigkeiten
fich hier eben fo loͤſen wie dort, fcheint Feiner ausdruͤkklichen Wie
erholung zu bedürfen, fondern kann der Kürze aufgeopfert wer:
den. Nur dad ift nicht gleichermaßen zu übergehen ‚bag auch
Liebe und Weisheit fcheinen Fönnen in einander überzugehen, wenn
doch die Weisheit vorzüglich die Zwefkbegriffe hervorbringt. Denn
was koͤnnen diefe anders fein als die Keime und Urbilder ber
Liebe im Bewußtfein; und alle Thaten und Werke der bildenden
Liebe, was koͤnnen fie anders fein, ald was die Weisheit auch
iſt, nämlich der Geift der fich felbft offenbarend dad belebt was
nicht er felbft ifl. Was iſt die Liebe ald das fchöpferifche Wollen
der Weisheit? und was die Weisheit als das flile Sinnen und
Safichfelbftfein der Liebe? Und diefes Hinüberfchilern beider in
einander entfteht ganz natürlich daraus, weil der Menfch weber
ganz getrennt ift von der übrigen Welt, noch ganz eins in fih
felbfi. Denn wenn wir und jemals denken die Welt ganz durch⸗
gebildet durch ben Menfchen, und den Menfchen ganz eind ge
worden in fih, dann ift auch in der That jede Lebendäußerung
eben fo fehr ein Snfichhinein» ald ein Ausfichherausbilden.. Aber
die Tugend felbft ift nicht in diefer vollen Einheit, fondern nur
in der Annäherung zu ihr, und darum find auch Weisheit und
Liebe nicht daffelbe, indem ber eine Liebe genug haben kann um
andere damit zu übertragen, feine Weisheit aber felbft ergängen
laſſen muß von andern, und umgekehrt. |
Natürlich aber erinnert eben dieſes, dag die Liebe die Stelle
ber Gerechtigkeit einnimmt, wie überhaupt an den Unterfchieb ber
alten Welt und der neuen, \o vudy helanters an Die chrifllice
377
Trias der Tugenden, mit welcher die hier aufgeftellte Gintheis
kung ein einzelnes Glied gemein hat und Fein anderes. Und e8 ,
feheint ſchwierig dieſes Raͤthſel zu loͤſen, wenn man nicht annehs
men will, auch die Gemeinfchaft dieſes einen Glieded fer nur‘
fcheinbar, welches Doch niemand und ich am wenigſten behaupten
möchte. Wenn man aber bedenkt, wie der Glaube doch dad in»
nerfte des Bewußtfeins ift, und die lebendige Quelle der guten
Werke: fo kann man wol nicht zweifeln, daß ber Glaube der res
Iigidfe Ausdrukk ift für dafjelbe was wir in der Wiffenfchaft, mit2*
unferm guten Recht zwar, mit einem Ausdrukke jedoch welcher
Der religiöfen Sprache zu anmaßend ift, Weisheit nennen; und
dann bleibt nur zu fagen, daß ber Unterfchieb zwifchen der Bes
fonnenheit und Weisheit von diefer Anficht aus nicht konnte aufs
gefaßt werben, die Beharrlithfeit aber ald Hoffnung bezeichnet ifl,
als das im Auge behalten bed Erfolges und der Vollendung.
Und diefes führt mich auf noch eine ähnliche lezte Betrach⸗
tung. Wie nämlich nicht nur der chriſtlichen Sittenlehre Grund:
ſaz ift Achnlichkeit mit Gott, fondern auch die Alten ſchon ges
fagt, das Ziel des Menfchen fei Werähnlihung mit Gott nad)
Vermögen: fo muß, wenn unfere aufgeftellten Tugenden der Ins
begriff der menfchlichen Vollkommenheit find, jener Saz fi) auch
dadurch bewähren, daß in biefer die Achnlichkeit mit Gott muß .
dargeftellt fein. Und dies findet fi) auch, wenn man nur das
nach Vermögen nicht verfäumt, vollkommen. Denn Weisheit
und Liebe werben überall als die wefentlichften Eigenfchaften Got:
tes aufgeftellt, ja die Liebe al3 der Ausdruff feines ganzen We⸗
fend, welches auch in fofern vollfommen richtig ift, ald ein Un:
terſchied zwiſchen Weisheit und Liebe in Gott nicht kann gedacht
werden, indem der Gedanke felbft unmittelbar das hervorbringende
if. Nun koͤnnte freilich, diefes vorausgefezt, eben fo gut gefagt
‚werden, Gott ift die Weisheit ald Gott ift die Liebe; aber jeber
wird auch einfehen, daß jened mehr der philofophiiche Ausdrukk
wäre, dieſes aber der religiöfe fein muß. Nur freilich von Be:
378
fonnenheit und Beharrlichkeit kann nicht die Rede fein, wo kein
Widerſtand Tann gebacht werden; fondern um ihre Stelle zu be
zeichnen fezen wir die abfolute Macht, welche aber wiederum nicht
etwas beionderes für fich ift, fondern nur Die Unendlichkeit jener
Sdentität von Weisheit und Liebe. In und aber ift auch Be
fonnenheit und Beharrlichkeit die Macht ded in Weisheit und
Liebe, Infichhinein» und Ausfichherauögehen, geipaltenen Geiſtes.
Sp daß in dem Ineinanderſein diefer Tugenden allerdings die
Verähnlichung mit Gott nach Vermögen ift, und fich zugleich
zeigt daß dad Beſtreben eine Worftelung des höchflen Wefens
nach Vermögen zu bilden das hoͤchſte Erzeugniß ift unſers Be
‚, wußtfeind von. unferem eigenen Biel.
IX.
Verſuch über die wiſſenſchaftliche Behand-
lung des Pflihtbegriffe.
Zn
Selefen am 12. Auguft 1824.
ST dem ich damit .anfange, zu erklären bag diefe Abhandlung a
ald ein Gegenſtuͤkk zu betrachten iſt zu der früher vorgelefenen
über die Behandlung des Zugenbbegriffö: fo gilt nun was dort
vorgeredet ift gemeinfam für diefen Auffag eben fo gut wie für
jenen; und ich kann ohne weiteres zur Sache fchreitend auch hier
wie dort die Behauptung zum Grunde legen, baß die drei Be
griffe, Gut, Zugend und Pflicht jeder für ſich in feiner Ganz
heit auch das ganze fittliche Gebiet darftellen, jeder aber dieſes
thut auf eine eigenthümliche Weife, ohne daß, was durch dem
einen gefagt wird, in ber Wirklichkeit jemals koͤnnte getrennt
fein von dem durch den andern gefagten. Wenn daher in dem
ganzen menfchlichen Geſchlecht, von welchem hier nur die Rebe
ift, alle Güter vorhanden find, fo müfjen auch alle Tugenden
in allen wirkfam fein; und umgekehrt, fofern ale Zugenden in
allen find, müfjen audy alle Güter vorhanden fein, indem dieſe
auf Feine andere Weife weber durch Zufall noch ald ein göftliches
Geſchenk fondern nur als die Thaͤtigkeit aus ber nothwendig zu:
380
fammenflimmenden Wirkſamkeit aller Tugenden entſtehen können.
Eben fo nun, denn Pflicht ift der dritte zu jenen gehörige Be:
griff, können nicht jene beiden irgendwo gefunden werden, ohne
dag eben da auch alle Pflichten wären erfüllt worden, fo wie
unmöglich alle Pflichten von allen koͤnnen erfüllt werden, als
nur fofern auch alle Tugenden in ihnen gefezt find, und nicht
ohne daß zugleich Dadurch auch der menfchlichen Gefellfchaft alle
2 Güter müßten erworben werden. Die VBerfchiedenheit dieſer Be -
griffe aber zeigt fih darin, daß Fein einzelnes Gut ‚etwa entficht
durch Erfüllung einer und derfelben fondern verfchiedener ja ge
nau genommen aller Pflichten, und daß feine Pflicht erfüllt wer:
den Tann durd) die Thätigkeit einer fondern nur aller Tugenden,
wie auch jede Pflichterfüllung, fofern die Tugend als Fertigkeit
ein werdendes ift, nicht zum Wachsthum nur einer Tugend fon-
dern aller als Uebung beiträgt, und nicht nur auf die Entfle
bung und Erhaltung eined Guted hinwirft, fondern aller.
Hieraus nun geht auch ſchon hervor, auf welche Weife der
Nflichtbegriff das fittliche darflelt. Denn wenn ed in dem Zus
genbbegriff dargeftellt wird als die eine fich aber mannigfaltig.
verzweigende dem Menfchen ald handelndem einwohnende Kraft,
in dem Begriff des Guted aber ald dasjenige was durch Die ges
fammte Wirkfamkeit jener Kraft wird und werden muß:.fo kann
ed in dem Pflichtbegriff nur dargeftellt fein ald dad was zwis
fhen jenen beiden liegt, d. h. als die fittliche Handlung felbfl.
Die Entwikklung des Pflichtbegriffs muß alfo ein Syſtem von
Handlungsweifen enthalten, welche nur aus ber fittlichen Kraft
und der Richtung auf die gefammte fittliche Aufgabe begriffen
werden, Finnen; eine Entwikklung dieſes Begriffs Tann ed aber
wiederum nur geben, fofern in den fittlichen Handlungen bie Bo
ziehung auf die Gefammtheit der fittlichen Aufgabe und auf das
Begründetfein in der Gefammtheit der Tugenden fich als eine
verfehiedene zeigt. Indem nun eine jede Pflicht eine folche Be
ftimmtheit der Handlungdweie It: (o kann ie nicht anders aus:
381
gebrüfft werben, ald durch das was Kant eine Maxime nennt,
welches Wort wir aber, weil es in dem allgemeinen Sprach⸗
gebrauch zu deutlich den Stempel ber Subjectivität an fich trägt,
mit dem Worte Formel vertaufchen wollen.
Ehe ich aber dazu fchreite ein genügendes Princip zur Ents
wifflung der Pflicht Formeln wo möglich aufzuftellen, muß ich
noch einige Bemerkungen .voranfchiffen. Zuerft, wenn ber Be
griff einer Pflicht die vollkommne fittliche Richtigkeit einer Hands -
lung auödrüdt: fo kommt hier ber Unterfchied, den man biswei⸗
len zwifchen der Gefezlichfeit und Sittlichfeit einer Handlung ge-
macht hat, in gar feinen Betracht, weder fo ald ob die Pflicht«
mäßigfeit die bloße Gefezlichkeit fei, die Sittlichkeit alfo etwas
höheres als die Pflicht, noch auch fo ald ob die Pflichtmäßig: 3
keit zwar die Sittlichkeit fei, diefe aber auch wol ungefezlich fein
Tonne. Denn dad Gefez felbft ift, da ja in Diefem Zufammens
hang nur von einem äußeren Geſez die Rede fein kann, felbft
nur durch nienfchliche und ihrer Natur nach fittliche Handlungen
geworben, und Eönnte alfo, ob es richtig das heißt Durch pflichte
mäßige Handlungen zu Stande gekommen ift oder nicht, nies '
mals beurtheilt werben, hätte aljo gar Feine erkennbare Sittlichs
keit, wenn Pflichtmäßigkeit felbft immer nur Gefezmäßigfeit waͤre,
und alſo der Pflicht allemal ein Geſez ſchon vorausgehen müßte,
Eben fo .aber ift auch dad Gefez ald ein ſittlich gewordnes und
felbft wieder auf dem fittlichen Gebiete wirkſames, nothwendig
ein Gut; und wenn jede pflichtmäßige Handlung auf die ges
fammte fittliche Aufgabe alfo auf alle Güter Bezug nehmen muß:
ſo muß auch jede auf dad Gefez Bezug nehmen, und feine kann
demnach ungefezlich fein *). — Zweitens, wenn der Pflichtbegriff
*) Aud) für das Gebiet der bürgerlichen Gefellfchaft, für welches er eis
gentlich gemacht iſt, hat diefer Unterfchied weit weniger Bedeutung als
man gewoͤhnlich glaubt. Denn auch dem Geſezgeber kann an der blos
Pen Gefezlichkeit wenig gelegen ſeinz indem, wenn das Sefez nicht in -
ben n Bürgern lebendig und eiſe je länger je mehr ihre eigene Stiche
382
auf die angegebene Art feine Stellung hat zwifchen dem Tugend.
begriff und dem Begriff der Güter: fo follte man denken, bie
allgemeine Pflichtformel fei ſchon gegeben in dem Ausdrukt,
Handle in jedem Augenblikk fo daß alle Tugenden in bir this
tig find in Bezug auf alle Güter. Allein einestheils iſt dieſe
Formel an und für fich zur unmittelbaren Anwendung nicht ge
ſchikkt, weder um für irgend einen Augenblikk ein beſtimmtes Han
deln zu entwerfen, noch um ein fchon entworfenes danach zu
prüfen. Lezteres weil dad Verhältnig einer Handlung zu biefer
Formel nicht unmittelbar erkannt werden kann. Denn wenn ein
entworfened Handeln noch fo Ear vor Augen liegt: fo Tann we
der beftimmt behauptet werben daß ed alle Güter fördern müfle,
noch auch mit rechtem Grunde geläugnet daß ed dieſes nicht lei⸗
« fien könne. Und eben fo mit den Tugenden. Wielmehr wenn
mir bie Vorftellung einer beftimmten Handlung vorliegt, bie fih
nicht ſchon gleich als unfittlich zu erkennen giebt: fo kann ed mir
nur als ein zufälliged erfcheinen, ob fie in beiden Stüffen unfe
ver Aufgabe entfprechen wird oder nicht. Noch weniger Tann
durch Diefe Formel allein ein Handeln beflimmt werden; fondern
ed laſſen fich von derſelben Vorausſezung gar mancherlet Hand
lungen entwerfen, benen mit gleichem Rechte die Möglichkeit zw
fäme ihr zu entiprechen. Es ift aber ganz vorzüglich die An
wendbarkeit in bem Leben felbft, fomol wo die Eonftruction der
Zwekkbegriffe ſchwankt oder ſtokkt ald auch für die Beurtheilung
des gefchehenen, welche ber Pflichtenlchre, dieſer den Alten fol
unbelannten Behandlung der Ethik, in der neueren Zeit eine fo
ganz vorzügliche Gumft gefchafft hat. Anderntheild wenn man
keit wird, es audy in jedem Kalle wo es mit etwas in ihnen Lebenbigem
in Streit fommt, immer wird übertreten werben, fo daß es feinen Zweit
nicht erreichen Tann. Nur für ben Richter tft der Unterfchieb ein Ka⸗
non, daß nämlich bie Function ber vergeltenden Gerechtigkeit nur da
beginnt, wo das Geſez ift verlegt worden, indem Belohnung und Ber
firafung mit ber Gittliägteit in gar teinee Weriehung ſtehn.
383
‚auch diefe allgemeine Formel weiter entwikkeln wollte um ein:
Syſtem der einzelnen Formeln baraus zu bilden: fo fcheint fich
unmittelbar Fein anderer Eintheilungdgrund in berfelben barzubies
ten, als entweber nach den Tugenden welche thätig find, ober '
nach ben Gütern welche angeftrebt werben; dann aber wäre biefe
Behandlung Feine felbftändige Darffelung der Sittlichkeit, fon
dern ganz abhängig von ber Lehre vom hoͤchſten Gut und von
der Zugendlehre, und fomit verldre die Pflichtenlehre alled was
fie der MWiffenfchaft empfehlen kann. Denn für diefe bleibt im»
mer die objectiofte Darftellung, alfo bie aus dem Begriff der Guͤ⸗
ter, die erfte und für fich hinreichende; die beiden andern dienen
jener nur gleichfam ald Rechnungsprobe, welches fie aber nur in
dem Maaß leiften können, ald fie nicht unmittelbar aus ihr ent
lehnen. Wie wir alfo die Tugendlehre gefucht haben zu geftalten
ohne von einer der beiden andern Formen unmittelbaren Gebrauch
dafür zu machen: fo darf auch für bie Geftaltung der Pflichten
Iehre von ben anderweitig feilgeflellten Begriffen von Tugenden
und Gütern Fein Gebrauch gemacht werben.
‚ Demohnerachtet Finnen wir nicht läugnen, jener Ausdrukk,
Handle in jedem Augenbliff mit der ganzen zufammengefaßten
fittlichen Kraft und die ganze ungetheilte fittliche Aufgabe ans
firebend, ftelt den einen das ganze fittliche Leben bedingenben
Entfehluß dar, unter welchen alle einzelne pflichtmäßige Hands
lungen ſchon fo begriffen find, daß Fein neuer Entfchluß gefaßt
zu werden braucht, wenn immer das rechte gefchehen fol, daß s
aber durch jede pflichtwidrige Handlung biefer gewiß gebrochen
wird. Daher bleiben wir doch an biefen Ausdruff gewiefen, und
ed kommt nur darauf an, daß wir ihn anderdwie ald nad) Ans
leitung der Begriffe von Tugenden und Gütern fpaltend auf das
einzelne anzuwenden wiffen.
Bon diefem allgemeinen Entfchluffe aus läßt fi) aber das
ganze fittliche Leben betrachten nach ber Analogie zufammengefez:
ter Handlungen, welche auf Einem Entfchluß ruhend dennoch au&
384
einer Reihe von Momenten beftehen, fo daß für biefe auch noch |
untergeordnete Entfchlüffe aber freilich in ſehr verfchiedenem Ber
hältnig zu dem zum Grunde liegenden allgemeinen Entſchluß ge
faßt werden. Wer fich niederfezt zum Schreiben, wenn fein Ents
ſchluß nur nicht etwa noch ein unbeflimmter iſt, fondern er fon
feine volle Beftimmtheit hat, deffen Handlung befteht zwar aus
einer Reihe von Momenten, aber ohne daß eine neue Berathung |
ober Wahl entſtaͤnde; beim Feder eintauchen, beim Blatt um Ä
wenden jind wir und kaum einer Volition bewußt, fondern alles
geht aus dem einen Entichluß hervor, der allein dad Bewußt⸗
fein beherrſcht. Hier aljo verfchwinden die untergeordneten Ent
fchlüffe faft ganz fowol ihrer Form nad) ind bewußtlofe ald auch
ihrem Inhalte nach, indem fie fich nur auf die unbedeutendſten
Kleinigkeiten beziehen. Wer fich hingegen zu einer beflimmten
Lebensweiſe entfchließt ,; für den entfteht aus diefem allgemeinen
Entichluß auch eine Reihe von Handlungen, welche zuſammen⸗
genommen die Ausführung deffelben bilden und alfo eines find;
aber wiewol Eines gehört doch hier zu jeder einzelnen noch ein
befonderer Entfchluß; die einzelne Wollung tritt ſtark hervor, fo
daß der allgemeine Entfchluß wiewol die fortwirkende Urfache die
fer einzelnen doch in den Hintergrund zurüfßftritt, und alfo. hie
das umgekehrte Verhaͤltniß eintritt wie dort. Der Künftler ends
lich, welcher das Urbild feines Gemaͤldes volllommen in fid
trägt, gleicht im ganzen während der Ausführung jenem fchreis
benden; allein bei welchem Theile er anfängt und im welcher
Ordnung und Folge er fortarbeitet, das ift in dem allgemeinen
Entſchluß nicht mit gefezt, und fofern diefe Ordnung auch durch
die technifchen Regeln — auf welche wir hier ohnedies nicht Ruͤkk⸗
ficht nehmen dürfen — nicht vollfländig und nicht für alle auf
s gleiche Weife beflimmt ift, fo geht ber Fortſchreitung allerdings
jedesmal eine einzelne Wollung voraus, die aber nicht eigentlich
einen Gegenftand beftimmt, fondern. nur die Priorität eined ſchon
beſtimmten Gegenftandes, deren Werth alfo vorzüglich darauf bes
385
ruht, daß fie ohne Werbunfelung wie ohne fremde Einmifchung
ald die vollkommenſte Kortwirfung des erfien Entichluffes er
fcheint. Aus der Zufammenftellung dieſer drei Faͤlle, welche gleidy
fam als Typen dienen Eönnen, erhellt demnach, daß die Vereins _
zelung der Momente, aus denen eine zufammengefezte Handlung
befteht, etwas durchaus relatived iſt, und ed ift leicht zu fchlies
fen, daß eine einfache und allgemein gültige Negel für die Rich⸗
tigfeit der Handlung nur in dem Maag gegeben werben könne,
als der einzelne Moment mit Nothwendigkeit aus dem urfprüngs
lichen Entichluß hervorgeht, das heißt ald man einer beſonderen
Kegel nicht bedarf. Sofern wir alfo dad ganze fittliche Leben
anfehen koͤnnen als die Ausführung Eines allgemeinen Entfchlufs
ſes, alfo ald Eine wenn gleich zufammengefezte That: fo wird
Daffelbe auch hier gelten, und es fcheint daß wir mit dem Ges
fländnig anfangen müffen, dag Pflichtformeln nur da -recht voll
Tommen und befriedigend fein koͤnnen, wo der handelnde felbft
ihrer nicht bedarf, und dag demnach der Nuzen der vollkommen⸗
fen fich am meiften auf die bloße Beurtheilung befchräntt. Wenn
bier alfo eine vorzügliche Sicherheit allen denen Momenten beis
gelegt wird, in welchen ber befondere Entfchluß am meiften ſchon
mit dem allgemeinen gegeben ift: fo ſchadet dies wenigftend ber
Freiheit, welche wir für bie fittlichen Handlungen poftuliren, kei⸗
nesweges; denn dieſe beſteht am wenigften in einer vor ber |
Entſcheidung hergehenden und mehr ober weniger willführlich
dad heißt Durch fubjectiven Zufall abgebrochenen Unenticiedens
heit, fondern nur in ber Selbftthätigkeit welche dem Entſchluß
in feinem erfien Hervortreten ſowol ald in feiner Zortwirkung
einwohnt.
Um nun zu befiimmen, wie weit wir e8 mit der Behand»
lung des Pflichtbegriffes bringen koͤnnen, und wie wir fie dem
gemäß einzuleiten haben, muß unfere naͤchſte Frage die fein, wer
cher von den drei aufgeftellten Fällen und die genauefle Analos
gie barbietet mit dem fittlichen Leben als einer wahren aber in
Schleierm. W. II. 2.
\
r
386 |
eine Reihe von fid relativ ausfondernden Momenten zerfällten
Einheit. Es wird unſchaͤdlich fein die Beantwortung diefer Frage |
7 mit einer Fiction anzufangen. Wenn wir und einen einzelnen
Menſchen denken für fich allein die gefammte fittliche Aufgabe
des ganzen Menfchengefchlechted auf ihn gelegt ober wenigftend
ein kleineres vollkommen abgefchloffened Gebier ihm bingegeben,
‚ innerhalb deſſen er fie löfen fol: fo würde dieſer fich unfkreitig
in dem mittleren Zalle des Künftierd befinden. Nämlich neues
entflände ihm nichts, was nicht in feinem urfprünglichen Ent
ſchluß, welchen wir und die ganze füttliche Aufgabe umfaffend zu
benfen haben, fchon liegt, wie auch die ganze Ausführung ſchon
in dem Urbilde des Künftlerd liegt; aber er könnte in jedem Mo
- ment nur einen Theil feiner Aufgabe löfen, ohne daß jedoch bie °
Ordnung, in welcher er zu verfahren hat, ihm mit aufgegeben
wäre. Denn denken wir und dad. Ganze in verfchiebene Regio
nen. getheilt fo wird ed an fich gleichgültig fein, und dies wäre
doch der ftärffte Gegenfaz der fich darbietet, ob er erft eine Ro
gion ganz zur Wollendung bringt, und dann zu einer andem
übergeht, ober ob er nach einander alle zu bearbeiten beginnt,
und fie nach und nach eben fo weiter fördert; fofern ex nur in
dem lezten Falle ſtark genug iſt, daß er nicht etwa über be
gleichmäßigen Steigerung den urfprünglich mitgebachten Grad ber
Vollkommenheit, gleichend der Stärke der Färbung in dem Ur
bilde des Künftlerd, vergißt, und in dem erflen dag ihm nicht
über der beharrlichen Beſchaͤftigung mit dem einen Theile das
Bild der übrigen Theile allmählich erlifcht und fich hernach ans
ders reprobucirt. Sind nun dieſe beiben Methoden an fich gleich
gut: fo wird auch unter benfelben Bedingungen jeder Wechſel
zwifchen beiden, wie er nur immer gedacht werden Tann, gleich
gut fein; und aljo wird, fobald irgend eine Handlung, die, mit
welchem Rechte darf und hier nicht kuͤmmern, als ein discreter
Theil ded Ganzen geſezt war, vollendet ift, und ein neuer Mo⸗
ment beginnen fol, auch eine Wahl eintreten, wenn gleich nur
387
über Ordnung und Folge. Wenn nun dieſe Durch den urfprüngs
lichen Entſchluß nicht beftimmt find, wodurch koͤnnen fie jedes⸗
mal beftimmt werden? Offenbar nur entweder durch eine übers -
wiegenbe aber für ben urfprünglichen Entfchluß gleichgültige Hins
neigung bed handelnden zu einem Theile bir Aufgabe vor dem
andern, ober durch eine dußere Mahnung und Aufforderung
welche von einem Theile aus flärker an den handelnden ergeht
als von ben übrigen. Und jede biefer, Beflimmungsweifen für .
fich abgefehen von der andern ift untadelhaft. Denn jene innere 8
Hinneigung iſt zwar für ben fittlichen Willen zufällig; aber wäre
fie auch das allerzufaͤlligſte innere, wad wir Laune nennen, : da
fie einen Theil der Aufgabe realifirt in einem Moment, wo fonft
aus Mangel eines anderen Beflimmungsgrundes Feiner wäre rea⸗
liſirt worden, fo tft fie eine richtige Beſtimmung, und wir künns
ten hierüber folgende Formel aufftellen, Thue in jedem Augen-
blikk dasjenige fittliche Gute, wozu du dich lebendig aufgeregt
fühlft. Und da die Hinneigung dem fittlichen Willen doch fremd
ift:. fo kann es auch gleich gelten, ob fie eine urfprünglich ein:
fache ift, oder ob zwei verfchiedene innere Aufregungen vorhanden .
waren, aus deren Streite nur ein Weberfchuß der einen über bie
andere zurüßfgeblieben if. Denn die Beflimmung Tann doc
erft eintreten, nachdem diefer Streit, für den in bem urfprünglis
chen fittlichen Entſchluß Fein Entfcheidungsgrund liegt, irgend
anderswie entfchieden und die Collifion ber Neigungen gefchlichs
tet if. Eben fo und aus demfelben Grunde ift die äußere Aufs
forderung an und für fich ein richtiger Beflimmungdgrund, und
es wäre die Formel aufzuftellen, Thue jedesmal dad, wozu bu
dich beflimmt von außen aufgefordert findefl. Nur dag hier nicht
gleich gilt ob bie Aufforderung eine einfache iſt oder nicht. Denn
die äußeren Aufforderungen reduciren ſich nicht wie die inneren
Erregungen von felbft auf einen Ueberſchuß; fondern ein Streit
zwifchen ihnen koͤnnte nur durch ein Urtheil des handelnden ge⸗
ſchlichtet werden, welches anderweitig erſt mit anf,
388
allgemeinen Entſchluß muͤßte begruͤndet, und demnach eine andere
Formel um die Dringlichkeit der Aufforderungen zu meſſen ges
fucht werden. Beide Formeln aber find nur wahre Entfcheidun
gen, die eine wenn Feine auf einen andern Theil der Geſammt⸗
aufgabe gerichtete aͤußere Aufforderung fich einer innern Hinnei⸗
gung entgegenftellt, und die andere umgekehrt. Sobald aber beis
ded gleichzeitig differirt, entſteht auch dem fo allein handelnden.
ein Zwieſpalt, den wir eine Collifion nennen, die aber nun keine
Eolifion der Neigungen mehr ift, fondern eine Eolliifion der Mas
ximen. Sn folhem alle heben fich beide Formeln auf, und &
muß das Verlangen entflehen nach einem dritten, welches bie
Entfcheibung bewirke. Da nun die Möglichkeit dieſes Streites
zwifchen ber innern Neigung und der dußeren Aufforderung,
wenn beide nicht daffelbe fittliche Handeln fördern wollen, immer
gegeben ift: fo find auch eigentlich bie beiden aufgeftellten For⸗
meln niemal3 wahre Pflichtformeln, fondern nur diejenigen find
folche, welche die Löfung dieſes Streites in fich enthalten. Dem
Pflichtformeln ſelbſt dürfen nicht mit einander im Streite fein.
Doch wird der einzelne die Löfung in fich felbft finden,. und
immer fagen Eönnen er habe pflichtmäßig gehandelt, wenn er
‚weder die Neigung der Aufforderung noch umgekehrt aufopfet,
ſondern fie in dem beiden gemeinfchaftlichen verbindet. Denn ber
Neigung fol mm folgen, weil das am beften geräth was mit
Luft gefchieht; und ber Aufforderung, weil dad am beften geräth
was im günftigen Augenblikk gefchieht. Vergleicht er alfo beide
nur in dieſer Hinficht: fo hat er nad) einem Kanon gehandelt,
der über jenen beiden ſtehend fo lautet, Thue unter allem filts
lichguten jedesmal dad, was fich in der gleichen Zeit burch bi
am meiften fördern läßt. Nur giebt es hier Feine objective all:
gemeingültige Entfcheibung, fonbern nur die fubjective der unge
theilten Zuſtimmung. Bei diefer werden wir und aljo auch bes
gnügen müffen in dem gegenwärtigen Zuftand für dasjenige Hans
dein bed einzelnen, und ywar gleichuiel ob von einer natürlichen
— — — —
389
ober einer moraliſchen Perfon bie Rede tft, welches ebenfalls fo
weit menfchliche Einficht reicht, ald ein ihm ganz eigned abge
fchloffenes Gebiet erfcheint. Nicht alfo, ald ob ed auf dieſem
Gebiet, wie ed häufig nicht nur im Leben fondern auch wiffens
“ fchaftlich angenommen wird, gar Feine Pflicht und nichts pflicht⸗
maͤßiges fondern nur erlaubtes. gäbe; fondern nur dag die Pflichts
maͤßigkeit einzig auf des handelnden fubjectiver Ueberzeugung von
der größten Zuträglichkeit ber Handlung für das ganze fttiche
Gebiet beruht. |
Allein der größte Theil bes fittlichen Lebens wird biefer Mes
gel entzogen und muß unter eine andere geflellt werden, deshalb
weil es nur eine Fiction ift daß der einzelne Menſch allein die
ganze fittliche Aufgabe oder auch nur einen Theil derfelben wirt:
lich abgefchloffen für fich allein vor fich habe. Vielmehr ift die
Aufgabe eine gemeinfchaftlihe des menfchlihen Geſchlechts. Je⸗
der einzelne findet fih, fobald die Möglichkeit eines fittlichen
Handelns in ihm entficht, ja immer ſchon viel früher naͤmlich
am Anfange feined Lebens in diefer Gemeinfchaft, und wird von
derſelben fo feftgehalten, daß Feiner in Bezug auf irgend einen
Theil feines fittlichen Handelns ſich fo vollkommen ifoliren kann, 10
daß er nicht immer durch diefe Gemeinfchaft mit beflimmt wäre.
Hierdurch nun wird das fittliche Handeln der Botmäßigkeit der-
‚bisher zum Grunde gelegten für ſich felbft nicht weiter theilbaren
Formel entzogen, und ed entfleht eine andere Nothwendigkeit als
nur bie biöher bemerkte, welche war innere Neigung und äußere
Aufforderung gegen einander audzugleichen, nämlich die einer ge⸗
genfeitigen Werfländigung über die Theilung der Aufgabe und
das Zufammenwirben zu ihrer Loͤſung. Da nun aber außer die
fer keine andere dem fittlihen Handeln des einzelnen voranges
hende und ed fchon zum voraus beflimmende Naturvoraudfezung
vorhanden if: fo müflen außer jener dem einzelnen Menfchen
für fi zum Grunde liegenden alle andern Pflichtformeln fih auf
diefe Vorausſezung beziehen, und die Rothwendigkeit ein Syfleg
390
derfelben aufzuftellen kann nur in biefem Gemeinſchaftszuſtand
gegründet fein, wie benn auch auß jener erſten Formel Feine €
genthümliche Theilung hervorgehen will. Auf der andern Seite
aber da wir jeden einzelnen fittlichen Willensact nur anſehen
koͤnnen als einen Ausflug aus jenem allgemeinen, der das ganz
fittliche Leben conftituirt und auf eine wahre Zotalität ausgeht:
fo muß zugleich eben dieſes, daß jeder einzelne ben Gemeinſchafts⸗
zuftand fittlich anerkennt, auf jene urfprüngliche Pflichtformel zu
rüffgeführt und als ein Act abfoluter Identität der innern Nele
gung und der Außeren Aufforderung gefezt werden; welches auch
ſchlechthin poftulirt werden kann, und nichts anderes ausfagt als
bie Ethifirung der gefelligen Natur bed Menfchen. Hierdurch if
‚aber zugleich bevorwortet, daß, da ber einzelne, fofern er durch
‚einen freien Willensact den Gemeinfchaftszuftand anerkennt, auch
wieder über demfelben fteht, und daher auch. bie urfprünglice
Hflichtformel nur modificirt durch dieſe Anerkennung überall guͤl⸗
tig bleibt, nun jebe einzelne aus dem Gemeinfchaftszuftand fih
ergebende Pflichtformel auch immer jene urfprüngliche, nad eig
ner Ueberzeugung jebeömal das fi lic größte zu thun, in fih
fchliegen muß.
Zu allererft alfo, und ehe wir weiter gehen, muͤſſen wis
unterfuchen, ob nicht etwa auch dieſes beides in Widerfpruch mit
einander kommen kann, und alfo beide Formeln ſich auch ald
Pflichtformeln aufheben und eine dritte nöthig machen. Es ww
ledigt fich aber diefed Bedenken ſchon dadurch daß die Anerken⸗
‚nung bed Gemeinfchaftözuftandes felbft nur ald eine pflichtmäßige
Handlung zu Stande fommen kann, und ba fie alfo nur mög
lich iſt unter der Form der fubjectiven Weberzeugung, die Aner⸗
kennung des fittlichen Gemeinfchaftszuftandes mit allem was nur
die zeitliche Entwikklung berfelben ift, ſei ein für allemal das
fittlich größte was der einzelne Menſch thun kann, und er würde
alfo dur) alles was mit diefer Anerkennung im Widerſpruch
fiehen würde, allemal vorigtens das füttlich kleinere thun und
391
alſo pflichtwidrig handeln. Daß nun im wirklichen Leben biefe
Ueberzeugung immer vorherrfcht, und bad Gegentheil nur ald ein '
portieller Wahnfinn zu Tage kommt oder ald eine verkehrte und
irethüimliche Form der Regeneration bed Gemeinfchaftszuftandes,
dies bedarf hier nur angedeutet zu werden. Eben fo aber auch
auf der andern Seite, wenn wir und benlen bie Gemeinfchaft
ſchon beftehend, und nun den einzelnen, ſobald dieſer fie aner«
kennt, zugleich in fich aufnehmend: fo. kann fie.ihn nur fo aufs
nehmen wie er fie anerkennt, alfo mit feinem urfprünglichen der
Anerkennung felbft zum Grunde liegenden fittlichen Willen. Wie
nun aber das Eintreten des einzelnen in bie Gemeinfchaft ein
zeitliches ift, alfo ein Werden: fo ift auch die Identität ber Ue⸗
berzeugung aller über die fucceffive Löfung ber fittlichen Aufgabe
mit der eined jeden ein Werben; und daß fie, fofern fie noch
nicht ift, immer im Werden bleibe, und zwar ald eine Wechſel⸗
wirkung zwifchen allen und jedem, iſt die Grundbedingung alles
fittlichen Gemeinlebend, indem nur auf diefe Weile almählig ein
Zufammenftimmen in der Anwendung der Pflichtformeln ent
ftehen wird. |
Nachdem dieſes vorausgeſchikkt ift, werden wir nun vers
fuchen koͤnnen die allgemeine Pflichtformel, Jeder einzelne
bewirfe jedesmal mit feiner ganzen fittlichen Kraft
dad möglich. größte zur Löfung der fittlichen Ges
fammtaufgabe in ber Gemeinfhaft mit allen, zu
einem dad ganze fittliche Gebiet erfchöpfenden Syitem von un:
tergeorbneten Formeln zu entwikkeln. Es iſt jedoch gegenwärtig
meine Abfiht nur diejenigen, Die ber allgemeinen am nächften
fiehen, zu verzeichnen, wodurch ſchon eine Weberficht des Ganzen
gewonnen wirb, weitere Erörterungen aber und größere Vereins
zelung auf eine zweite Abhandlung zu verfparen. Sch bemerke
nur, bag wenn wir- gleich von einem MWechfelverhältniß zwifchen 12
der Gemeinfchaft und dem einzelnen auögehen, wie demnoch in.
ber Conftruction der Pflichtenlehre nur den einzelnen als handel .;
392 — —
des Subject, welches bie Pflichtformeln in Anwendung bringen
fol, betrachten. Dieſes rechtfertigt fich einerſeits dadurch, da
die abfolute Gemeinſchaft aller in einem beflimmten Wechſelver⸗
haͤltniß mit jedem einzelnen in jedem Kalle noch nicht beſteht,
ſondern immer nur wird, und alſo auch nicht als wirklich ſchon
einzeln handelndes Subject aufgeführt werden kann, ſondern nur
als das weldes werben fol und auf beffen Werden gehandelt
wird. Andrerfeitd rechtfertigt es fich Dadurch, bag untergeordne⸗
ter und wirklich fchon beftehender Geſellſchaften fittliches Hans
deln Doch immer nur aus dem pflichtmäßigen Handeln aller eins
zelnen hervorgehn Tann, alſo eigner Pflichtformeln nicht bedarf;
fofern aber folche Gemeinfchaften andern gegenüber felbft ald
einzelne ericheinen, muß auch für fie gelten was von den .natürs
„lichen Perfonen gift. Hierzu gehört freilich auf der andern Seite
als Gegenſtuͤkk auch noch dieſes, bag wenn. der einzelne ange
fehen wird als im die ſchon beftehende Gemeinfchaft eintretend,
fein fittliched Handeln überall nur erfcheint ald ein Anknuͤpfen
an dad fchon beftehende, mithin mehr durch bie Gemeinfchaft be
ſtimmt ald durch ihn, fo daß da8 Gegentheil des eben gefagten
rathſamer fcheint, nämlich die Gemeinfchaft ald das urfprünglid
handelnde Subject in der Pflichtenlehre zum Grunde zu legen.
Allein die Gemeinfchaft befleht nur durch das fortwährende Han
dein der einzelnen in ihr, und ift alfo felbft nur ald deren That
anzufehen, fo daß jedes anfnüpfende Handeln eigentlich doch ein
die Geſellſchaft fliftended und in jebem Augenblikk wieder erzeu.
gende ift,
Aus diefen Betrachtungen nun gehen zwei Eintheilungd«
gründe hervor für das ganze Gebiet bed pflichtmäßigen Hans
beind. Der erfle nämlich ift dieſer. Eine Gemeinfchaft Tönnte
nicht beftehen, wenn nicht die fittliche Kraft in allen einzelnen .
Diefelbe und bie fittliche Aufgabe für alle Diefelbe wäre, und das
durch alfo ift bedingt ein in allen gleichzufezendes Handeln. Als
303
fein ſofern des ſittliche Wille jedem einzelnen einwohnet in feis
ner Perſon, und jeder als ein ſchon irgendwie gewordener die
Ausfuͤhrung dieſes Willens beginnt auf den Grund ſeiner Ueber⸗
zeugung, welche der Ausdrukk iſt ſeiner von allen andern unter⸗
ſchiedenen fittlichen Perſon, und jeder nur fo in bie Gemein: 13
ſchaft aufgenommen wird: fo bedingt eben biefes ein für jeden
eigenthümliched von allen aber anzuertennended Handeln. "Wir
nennen vorläufig jened das univerfelle und dieſes das individuelle
Gebiet. In der allgemeinen Pflichtformel find beide ineinander
gelezt, mithin iſt jedes nur eim fittliched, wenn ed zugleich auf
das andere bezogen wird, und ed entflehn und für biefe beiden
Handlungsweifen aus ber urfprünglichen allgemeinen Pflichtfors
mel zwei befondere und abgeleitete. Die erfte, Handle jedes⸗
mal gemäß deiner Identität mit andern nur fo daß
du zugleich auf Die dir angemeffene eigenthümlicdhe
Weife handelfl. Die Nothwendigkeit dieſer Zormel, wenn
ein vollkommen fittliched Handeln zu Stande kommen foll, wird
ſchon jedem daraus einleuchten, daß ein in Bezug auf bie andern
vollkommen richtiges Handeln doch als ein relativ leeres alfo
uuvollkommnes erfcheint,. wenn ihm bad Gepräge des eigenthüms
lichen ganz abgeht, indem durch Die Korberung auf Uebereinſtim⸗
mung, welche die andern machen Eönnen, die Art und Weile der
Handlung doch nie vollkommen beflimmt wird. Will aber die
Geſammtheit ihre Anforderungen bid zu einer gänzlichen Unters
drüffung des eigenthümlichen ſteigern: fo wirb der einzelne nur
unvollfommen anerkannt, die Pflichtmäßigkeit ift von ber Ga
fammtheit verlegt, und dad Mefultat iſt eine Mechanifirung des.
ganzen Gefammtlebens, wozu dad Chinefiiche eine bedeutende An⸗
näherung darftellte. Die andre Formel lautet fo, Handle nie -
als ein von ben andern unterfchiedbener, ohne Daß
deine Uebereinfimmung mit ihnen in dbemfelben
Handeln mitgefezt ſeiz denn ohne biefe Bedingung wäre
394
aus dem eigenthämlichen Handeln alle Anerkennung des Gemein
ſchaft vertilgt, und das Refultat würde fein die Verwandlung
bes fittlichen in ein völlig licenziöfes Leben. .
Der zweite Eintheilungsgrund ift diefer. Der urſpruͤngliche
fittliche Wille des einzelnen für fich betrachtet ſchließt in ſich die
Aneignung ber ganzen fittlichen Aufgabe. Indem aber ber ein
zelne die Gefammtheit ber handelnden Subjecte, mit denen er
fih in Verbindung findet, anerkennt: fo fliftet er mit ihnen bie
Gemeinſchaft. Diefes beides nun, Aneignen und Gemeinfchaft
fliften, ift in der urfprünglichen Pflichtformel als Eines geſezt.
a4 Alfo ift auch jedes für fich nur fittlich in Beziehung auf das
andere, und es entftehen daher durch bie beiden Momente bed
urfprünglichen fittlihen Willend aus ber allgemeinen Pflicht
formel zwei befondere einander ergänzende Formeln. Die erfe,
Eigne nie anderd an, als indem bu zugleich in Ge
meinfchaft trittfl. Diele fchließgt alled egoiftifche aus von
bem fittlichen Handeln, und fchließt ben einzelnen fo ganz in
die Gemeinfchaft ein, daß er nie einen Theil ‚der fittlichen Aufs
gabe ausſchließend für fich nehmen noch auch irgend etwas von
dem durch fittliche8 Handeln und zwar gleichviel ob durch fein
eignes oder durch fremdes gebildeten in Beziehung auf fich allein
haben und behalten darf, fondern immer nur in Bezug auf bie
Gemeinfchaft und für fie. Die andere, Tritt immer in Ge:
meinfchaft, indem du dir auch aneigneft. Diele fiher
dem einzelnen in der Gemeinfchaft feine fittliche Selbfländigkeit,
damit er zwar immer in der Gemeinfchaft, in ihr aber auch wirk
lich fo handle. Denn es giebt fein andered Aneignen ald nur
des wenn ich fo fagen darf fittlichen Stoffes, um ihn zum Gut
aber immer wieder zum Gemeingut zu bilden.
Wie nun in biefen vier Formeln das Ganze erfchönft fei,
fo daß ed außer ihnen Feine weiter giebt, fonbern nur wie fie
ſelbſt aus der allgemeinen als ihr untergeorbnete Entwilfiungen
— — —
295 J J
dadurch entſtanden ſind daß die allgemeine Naturvorausſezung
des ſittlichen Handelns mit in Betrachtung gezogen wurde, eben
ſo auch alle anderen nur untergeordnete Entwikklungen von ih⸗
nen ſein koͤnnen entſtehend aus einer naͤhern Betrachtung der
fittlichen Geſammtaufgabe und ihrer Beziehung auf jene Bors
ausfezung; bied kann vorläufig bis auf nähere Eroͤrterung eini⸗
germaßen geprüft werden, theild wenn wir auf unfere anfängs
liche Fiction zurüßfgehen, und unfere Formeln mit ihr vergleis
chend finden daß fie nichts andered find ald die Vertheilung ders
felben Momente auf die Gefammtheit der einzelnen, von denen
bei dem Einen die vollfommene Löfung ber fittlichen Aufgabe
abhing. Theils wird auch dafjelbe erhellen, wenn man betrach»
tet, wie bie beiden Eintheilungdgründe einander fchneiden, fo daß
ed giebt ein univerfeled Gemeinfchaftbilden und ein eben ſolches
Aneignen, fo wie auch ein eigenthümliched Aneignen und ein
eben ſolches Gemeinfchaftbilden. Die beiden Semeinfchaftögebiete
find die des Rechtes und der Liebe, die beiden Aneignungs: 15
gebiete find die de3 Berufs und des Gewifjend; lezteres auf be
fondere Weife fo genannt, weil in der Aneignung in Bezug auf
die Eigenthümlichkeit dad urfprüngliche Verhaͤltniß bed einzels
nen zur Gefammtheit der fittlichen Aufgabe wieberkehrt, und alfo
über die Pflichtmäßigfeit im einzelnen dieſes Gebietes nichts an«
deres entfcheiden kann als biefelbe fubjective Ueberzeugung. Diefe
Gebiete bedingen einander gegenfeitig;' und die Bezugnahme auf
alle übrigen, indem man vorzüglich für eines von ihnen handelt,
muß die Sicherheit geben dag Feine Colliſionen entftehen koͤnnen.
Wir wollen baher fagen, ber Ausdrukk, Begieb dich unter
Fein Recht ohne bir einen Beruf fiber zu fiellen und
ohne dir das Gebiet des Gewiſſens vorzubehalten,
fei Die allgemeine collifiondfreie Formel ber Nechtöpflichtz bie
gleiche aber für die Liebeöpflicht laute fo, Gehe Feine Ge-
meinfchaft der Liebe ein, als aur indem du bir das
396
Gebiet des Gewiſſens frei behältfi und in Zufam;
menflimmung mit Deinem Beruf. Und ähnliches wir
von ben beiden andern gegenüberfichenden Punkten zu conftruiren
fein, fo daß alle fich gegenfeitig mehr oder weniger unmittelbar
bedingen. Alles aber wobei irgend Pflichtformeln in Anwendung
kommen Tönnen, wirb in einem von biefen Gebieten, wenn bie
Ausdrüffe in dem angegebenen Sinne genommen werben, auch
gewiß enthalten fein. |
X.
Ueber den Unterichied zwiſchen Naturgeſez
und Sittengeſez.
Heleſen am 6. Januar 1825.
E;. vereinzelte Unterfuchung, wie bie hier angefünbigte, welche ıs
bamit beginnt, zwei Begriffe aus ihrem natürlichen Ort herauss
zureißen, ben hier ber eine in der Naturwifienfchaft hat, der ans
dere in ber Sittenlehre, um fie vergleichend neben einander zu
fielen, ifl immer fchon wegen ded Scheine von Willkuͤhr miß⸗
lich; und fol überhaupt etwas dadurch erreicht werben, fo if es
nothwendig Daß glei von vorne herein die Abficht bed Verfah⸗
rens beftimmt dargelegt werde. In dem gegenwärtigen Kalle find
nur zwei Abfichten denkbar. Entweder, da beide Begriffe unter
bem höheren des Gefezed ald Arten ober Anwendungen zufams
mengefaßt find, kann die Unterfuchung .auf dieſes höhere, auf die
Beſtimmung feined Umfanged und die Eintheilung beffelben ges
richtet fein, welches aber hier nicht der Fall iſt; oder fie muß
dad Verhältnig der untergeordneten Begriffe zu den wiſſenſchaft⸗
lichen Gebieten, denen fie angehören, feſtſtellen wollen. Won dies
fen aber habe ich ed, wie ich denn überhaupt mit meinen Stus .
dien der Naturwiffenfchaft weniger angehöre, eigentlich nur mit -
398
ber Sittenlehre zu thun, und möchte etwas beitragen, um durch
Vergleihung mit dem entfprechenden naturwiflenfchaftlichen Auß
drukk Naturgefez die Bedeutung bed Begriffes Sittengefez für |
bie Sittenlehre genauer zu beflimmen. - Ä
Es ift eine alte wifienichaftliche Form, Naturwiffenfchaft und
Sittenlehre einander zu coorbiniren und alſo entgegenzuftellen; fie
ift fo alt ald die Eintheilung aller Wiffenfchaft in Logik, ober
nad dem Altern Sprachgebrauch Dialektil *), Phyſik und Ethik,
Denn in biefer ift offenbar, daß die beiden lezteren fich zur em
fleren verhalten follen, eine wie die andere, nicht aber etwa aud
Logik und Phyſik zur Ethik eine wie die andere, oder umgekehrt
Logik und Ethik zur Phyſik. In der hellenifchen Philoſophie
aber war in Peiner von beiden MWiffenfchaften eigentlich von Ge
fezen die Rede; theild aber wurden übrigend beide in gleicher
Form behandelt, theild auch nicht. Namentlich, um bei den ber
den Weltweifen fliehen zu bleiben, welche auf bie fpäteren Fon
mationen ben bebeutendften Einfluß ausgeübt haben, gilt die
von Platon und Ariftoteled. So behandelte Platon beide Wiffen _
fehaften ‘auf gleiche Weife, denn fie waren ihm beide Conftructies |
nen aud der verfchieden gewendeten Idee des Guten; Ariftoteles
aber behandelte fie ungleich, in fo fern wenigſtens als er and .
der Naturwiffenfchaft die Idee des Guten verbannte, im feine
Ethit aber diefe noch ihre Stelle fand ald Maaß, um unter bem
in der menfchlichen Seele und den menfchlichen Lebensthätigkeiten
vorfommenden und auf die bezogenen das beffere als Ziel und
Gegenftand ded Beſtrebens von dem fchlechteren zu unterfcheis
den. Wil man nun fagen, bier habe doch ſchon der Begriff. bed
Geſezes latitirt, fo will ich freigebig fein und dieſes in gewiſſem
Sinne zugeben; nur geflehe man, zum rechten Bewußtſein und
*) Vielleicht ließe ſich nachweiſen, daß biefe Aenberung bes Sprachge⸗
brauche auf nichts weiter als auf dem Aufhören ber bialogifchen Mes
thode beruht; wenigftens if ein Unterfchieb in Abficht auf den Gehalt.
beiber Ausbrütte in diefer.Aekt huxdzaus wicht vorhanden,
399 | ,
fomit zu einem eigenen beflimmten Einfluß auf die Behandlung
ber Wiffenfchaft ift diefer Begriff damals nicht gelommen, und
zwar in ber Naturwiſſenſchaft eben fo wenig ald in der Ethik,
fondern bied blieb der neueren Zeit vorbehalten. Denn wenn
gleich bei den Stoifern ber Begriff der Pfliht — fo fern «8
überhaupt richtig ift ihr xarogdwmue und xadnxov unter biefem
Ausdrukk zufammenzufaffen — eine größere Rolle fpielte: fo war
ed doch wieder nur die Idee ded Guten, woraus bie Pflichten
abgeleitet wurden, und nicht eigentlich ber Begriff des Gefezed,
In ber neueren Zeit hingegen finden wir biefen Begriff in beis
ben Wifjenfchaften in einem ganz andern Sinne vorherrichend
und die Form berfelben beftimmend, indem beide, Ethik und Phys
ſik, nach nichts anderem zu ſtreben fcheinen ald nach einem Sys
Rem von Gefezen. Aber fobald dies recht zum Bewußtfein ges
kommen war, wurde auch feftgeftelt, daß der Begriff Geſez inn
dem Ausdrukk Naturgefez etwas andered bedeute, alſo nicht der⸗
felbe fei, ald in dem Ausdrukk Sittengefez; und der Einfluß, den
dieſes ſeit Kant und Fichte auf die ganze Geftaltung der Sitten«
lehre gehabt hat, hat mich vornehmlich zu der gegenwärtigen Uns
terfuchung angeregt. Nun kann man freilich fagen, die hier bes
zeichneten Formen ber Philofophie, die Kantifche und Fichtiſche,
feien fchon lange antiquirt, und alfo fei auch weder die eine
noch die andere von beiden Sittenlehren als bie einzige oder auch
nur vorzüglich geltende anzufehn; neuere Seftaltungen aber wuͤr⸗
den ſchon von ſelbſt den Begriff des Geſezes wieder mehr zu-
ruͤkktreten laſſen, und ſomit auch jenem Gegenſaz zwiſchen Natur⸗
geſez und Sittengeſez keine ſo große Bedeutung einraͤumen. Moͤ—
gen dieſe neuen Formen der Ethik auf das trefflichſte gerathen;
meine Meinung iſt weder ihnen vorgreifend zum Vortheil der
einen Methode und zum Nachtheil einer andern zu entſcheiden,
noch uͤberhaupt zur beſſern Geſtaltung dieſer Wiſſenſchaft ſelbſt durch
die gegenwaͤrtige Unterſuchung etwas eignes beizutragen. Meine
Unterſuchung iſt vielmehr nur ruͤkkwaͤrts gewendet, und ich will
' 400
nur kritiſch und gefchichtlich jene Formen bes Sittenlehre wuͤrdi⸗
gen helfen, welche, daß ich fo fage, auf ber Centralitat des De
griffes Sittengeſez beruhen.
Die Ausdruͤkke Naturgeſez und Sittengeſez ſcheinen freilich
ſchon durch ihre ſprachliche Zuſammenſezung ſich einer genauen
Beziehung auf einander verweigern zu wollen: denn was bilden
wol Natur und Sitte fuͤr einen Gegenſaz? Allein eine ſolche
Kritik halten wol wenig wiſſenſchaftliche Terminologien aus; und
um dieſe beiden Ausdruͤkke gleichmaͤßiger zu machen, duͤrfen wir
ja nur, da beides ſo oft als gleich bedeutend gebraucht worden
iſt, Sittengeſez verwandeln in Vernunftgeſez, wobei nur zu be⸗
vorworten iſt daß hier lediglich von dem was man praktiſche
Vernunft genannt hat vorläufig die Rede fein kann; Vernunfb
gefez alfo, mit Ausſchluß ber logiſchen ober anderweitig theoreis
fhen Vernunftgefeze, zu verftehen if. Dann find unfere Aus⸗
brüffe auf ben Gegenfaz Natur und Vernunft zurüffgeführt, ber
noch immer häufig genug gebraucht wird, um hier Feiner befom
beren Feftftelung zu bedürfen. Nun follen aber beide Ausdruͤlle
noch auf eine andere Weife verfchieden fein, ald fchon durch je .
nen Gegenfaz bezeichnet wird. Das Sittengefez fol nicht etwa
auf diefelbe Weife ein Gefez fein wie bad Naturgefeg, fo daß
diefed auf dem Gebiet der Natur eben fo viel gölte ald jene
ıs auf dem Gebiet der praßtifchen Vernunft; fondern das Natur
gefez fol eine allgemeine Ausfage enthalten von etwas was in
der Natur und durch fie wirklich erfolgt, dad Sittengefez aber
nicht eben fo, fondern nur eine Ausfage über etwad was im
Gebiet der Vernunft und durch fie erfolgen foll. So bag in
dem einen Fall Gefez eine Audfage wäre über ein Sein, ohne
dag im eigentlichen Sinne ein Sollen daran hinge, in dem am.
bern eine Audfage über ein Sollen, ohne daß demfelben fofort
ein Sein enfpräce. Daß alfo das Wort Gefez, fo verftanden,
in ber einen Zufammenfezung eine andere Bedeutung bat als in
ber andern, das it für ih Lax. Die Frage, die ich hier zuerſt
—M
aufwerfen moͤchte, welche von dieſen beiden Bedeutungen wol die
richtigere oder wenigſtens urſpruͤnglichere ſei, erſcheint zwar ganz
grammatiſch; wir koͤnnen ſie aber doch nicht umgehen, weil ſie
mit einem Hauptpunkt unſerer Unterſuchung zuſammenhaͤngt,
naͤmlich mit jenem Sollen, welches auf dem Gebiet der rationa⸗
len Sittenlehre, wie ſehr wir auch ſchon daran gewoͤhnt ſind,
doch immer etwas geheimnißvolles und unerklaͤrliches an ſich hat.
Das Sollen naͤmlich geht urſpruͤnglich immer auf eine An⸗
rede zuruͤkk; es ſezt einen gebietenden voraus und einen gehors
chenden, und ſpricht eine Anmuthung des erſten an den lezten
aus. Denn der gehorchende ſagt, Ich ſoll, wenn der Gebietende
ihm etwas angemuthet hat, und er ſagt dieſes ohne Ruͤkkſicht
darauf ob er ſelbſt das angemuthete zu thun gedenkt oder nicht,
niemals aber ohne die genaueſte Beziehung auf ein dem anmu⸗
thenden beiwohnendes beſtimmtes Recht. Wer ſoll nun aber in
dieſem ſittlichen Sollen der anredende ſein, und wer der ange⸗
redete? Mancherlei zu dieſem Behuf gebrauchte Gegenſaͤze treten
uns hier vor Augen, aber keiner will ſich recht angemeſſen zei⸗
gen. Die praktiſche Vernunft oder das obere Begehrungsvermoͤ⸗
gen redet an; dann aber muß angeredet werden das untere Be⸗
gehrungsvermoͤgen oder die Sinnlichkeit, aber dann auch ihr nichts
zugemuthet, was ſie nicht wirklich vollziehen kann. Kann aber
wol die Sinnlichkeit darauf angeredet werden zu vollziehen was
z. B. in dem kantiſchen kategoriſchen Imperativ enthalten iſt?
Unmoͤglich. Denn in ihr liegt kein Trieb auf allgemein geſez⸗
maͤßiges, ja auch nicht einmal ein Urtheil daruͤber, ob etwas,
was ſie wirklich vollziehen kann, dem geſezmaͤßigen widerſpreche
oder nicht. Ja ſie vernimmt uͤberhaupt ſchon nicht das bloße
Wort, ſondern es giebt mit ihr keine andere Sprache als die der
Empfindung oder des Reizes ſei es in der unmittelbaren Gegen⸗
wart. oder in Furcht und Hoffnung. Eben fo iſt es mit dem 10
fichteſchen Princip der Sittlichkeit, fowol dem formalen Ausdrukk
befjelben, fich die abjolute Selbftändigkeit zum Gefez zu machen,
Schleierm. ®. 111. 2. St
402
als auch bem realen, die Dinge gemäß ihrer Beflimmung zu be
handeln. Denn bie Sinnlichkeit befteht nur in der Wechſelwir
tung, und hat überall Feine Selbfländigkfeit, noch auch kennt ſie
eine andere Beflimmung der Dinge ald deren Beziehung auf fir
felbft. Oder fol die Vernumft anreden, und dad obere Begeh—
rungövermögen angeredet werben? Denn man hat beide aud in
gendwie unterfchieden, und wir wollen gern zufrieden fein, wenn
wir unferm Sollen zu Liebe auch nur einen halb eingebildeten
Unterfchieb herausbringen. Wil man aber beide unterfcheiden:
fo muß doch die praftifche Vernunft nicht begehren, fofern fie
nicht fol dad Begehrungdvermögen fein. Im Außdfprechen be
Sollend aber begehrt fie, denn das Anmuthen ift doch ein Be
gehren; und man Tann nicht fagen daß fie als nichtbegehrend
“von fich felbft als begehrendes etwas begehrte. Oder iſt es die
Vernunft überhaupt und an fich, welche anmuthet der Vernunft
des einzelnen? wenn anders dies nicht fchon ein Unterfchieb gar
nicht mehr ift, fondern nur fcheint. Aber wenn ed auch eine
“
—
iſt: fo ſpricht doch der einzelne die Pflicht aus im ſich fehl
für fich felbft, und dad Begehren, felbft etwas zu thun, ift mu .
ein Wollen, ein Sollen, fo wie dad Anerkennen bed Begehrnd
ſich felbft etwas anzumuthen nur ein Selbftanerkennen ift, nicht
ein Anerkennen eined andern; fo daß auf beiden Seiten ba}
- Sollen ganz feine Bedeutung verliert.
| Doch es ift noch eine andere Anficht der Sache möglid.
Nämlich indem die Vernunft in der Conftruction der Sittenlehr
oder des Syflemd der richtigen menfchlichen Handlungen- begriffen
iſt, befindet fie fich in einer wiffenfchaftlichen Thaͤtigkeit, in web
cher alles im Zufammenhange in großer Klarheit erfcheint. Im
Leben kommt die Anwendung davon nur vereinzelt vor und zer
—— — —
ſtreut; die Vernunft aber im wiſſenſchaftlichen Zuſtande muthet
ſich ſelbſt als im: Leben handelnder zu, dann doch immer aus bie
ſem klar gedachten Zuſammenhange heraus zu handeln und um
ter ihn zu fublumien. Hiee wäre allo eine Zweiheit, wenn
403
gleich nur verfchiebener Momente, ber wiffenfchaftliche wäre der
gebietenbe und der handelnde ber gehorchende, und dad Sollen
fpräche eigentlicd, aus, daß, wenn in einem thätigen Augenblikk
ber Willendact der Vernunft nicht dieſem Zufammenhange ent:
ſpraͤche, er falfch fein würde. Hiegegen ift nur einzuwenden,
daß das fittliche Verhältniß derer, die auf einen wiffenfchaftlichen 20
Bufammenhang zurüffgehn, durchaus nicht unterfchieden wird von
dem fittlichen Verhaͤltniß derer, welche von. einem folchen gar-
nichts wiſſen. Ja auch diejenigen, . denen diefer Zufammenhang
zugänglich ift, gehn doch im Augenblikk des Entfchluffes und der
That nicht auf ihn zurüff, fondern das Sol, was fie in fih
vernehmen, bezieht den jedeömaligen einzelnen Fall auf ein mehr |
‚oder minder allgemeined ober befondered, immer aber ald einzeln
gedachtes Gebot, ohne dieſes ald Glied eines allgemeinen Zuſam⸗
menhanges vorzuftellen. Alfo kann auch dies die Bedeutung dies
ſes fittlichen Solls nicht fein. 0
Diele gar nicht leicht zu überwindenden Schwierigkeiten füh:
ren ganz natürlich darauf, zu fragen, woher doch eigentlich Diefes
Sol und entftanden ift mit dem Gefez zufammen in ber Gitten-
Ichre. Zuerft Eennen wir dad Sollen in dem Gebiet des haͤus⸗
lichen und bürgerlichen Lebens; es iſt der Ausdruff, durch wels
. chen einer in dem andern einen Willen hervorruft, welcher vor
- dem Sol gar nicht voraudgefezt wird: ber gehorchende erkennt
aber an dem Sol den Willen bed gebietenden, und was alfo
allerdings voraudgefezt wird in dem angerebeten, das iſt fein all»
gemeiner Wille zu gehorchen. Mit dem Gefez ald dem Willen
bed gebietenden hängt alfo hier allerdings dad Sol zufammen,
keinesweges aber etwa mit ber Strafe. Vielmehr wenn man Zu-
flucht zur Strafe nehmen muß: fo verliert dad Sol feine Kraft,
und man fagt dann richtiger, Du mußt dieſes thun, fonft. wird
bir jened begegnen. Man kann fich auch denken in einem Ge:
meinwefen alle einzelnen fo bereitwillig dem allgemeinen Wil⸗
ten nachzukommen, daß Feine Androhung von Sttafen ‚ußtpie it.
Sr? |
408
ben Geſezen hinzuzufügen, aber doch wird ihnen das Sol an
hängen als Zeichen des willenbeflimmenden Anſehns. Es läßt
fi) allerdings noch eine höhere Stufe denken, auf welcher, weil
der Wille nicht erft beflimmt zu werben braucht, auch dad Sol,
aber dann mit dem Sol zugleich auch dad Geſez verfchwinde,
wenn nämlich zu ber allgemeinen Bereitwilligeit noch eine eben
fo allgemeine richtige Einficht in dad allgemeine Wohl hin
kommt, fo daß nur bie vorhandenen Umftände dargelegt zu wer
den brauchen, um einen gleichmäßigen Beſchluß aller einzelnen
hervorzurufen. Was alfo hier dad Sol bedeutet auf bem Ge
biet pofitiver Willensbeſtimmungen, das ift Har. Sn ber jübis
ſchen Gefezgebung aber war ber theofratiichen Verfaſſung gemäß
21 das allgemein menfchliche mit dem befonderen bürgerlichen und
religiöfen gemifcht, wie ed auch nothwendig war für ein Volt,
welches fo lange in einem Zuſtande gänzlicher Unterdrüffung de
Gefuͤhls für das allgemein menfchliche gelebt hatte, bag ed nur
zu geneigt fein konnte alles für erlaubt zu halten. Der gött
liche Wille wird hier gedacht wie ber oberherrliche, einen Willen
hervorrufend vermittelft des allgemeinen Willens ihm zu gehor⸗
chen. Als nun unter eben diefer Form jene Feftfezungen de
fittlihen auch in den chriftlichen Unterricht aufgenommen wur
den: fo entfland die Gewöhnung, mit ber fittlichen Erkenntniß
dad Soll zu verbinden, und diefe erhielt fich hernach auch, feits
bem man angefangen hatte, bie fittliche Erkenntniß in eine als
gemeine Geftalt zu bringen, wobei auf einen Außerlich befannt
gemachten göttlichen Willen nicht mehr gefehen, fonbern bie
menfchliche Vernunft felbft ald gefezgebend gebacht wurde. Wie
viel nun aber von ber urfprünglichen Bedeutung bed Sol bei
diefer Webertragung übrig bleibt? Mol nur dieſes. Das Sol,
des bürgerlichen Gebotes ergeht an alle bie unter berfelben an,
muthenden Autorität flehn. Sofern ich alſo etwas will, und
mir dabei bewußt bin dag dieſer Wille ein allgemeiner Act ber
menfchlichen Vernunft it, unter beren anmuthendem Anfehen ale
405
fteben, fo brüßke ich ihn durch Soll aus, weil alle andere mir
daſſelbe anmuthen Finnen, fo gut als ich ihnen. Dieſes anges
nommen, wird man nun wol fagen Tönnen, dag auf dem fittlis
chen Gebiet Geſez und Sollen genau mit einander verbunden
find, indem auch dad Soll nichtd anderd ausſagt ald die Allge⸗
meinheit der fittlichen Beflimmung. Ob nun aber alles fittliche
unter dieſer Form auögefprochen werben kann, bad wäre eine
andere Frage. Denn jeder Entichluß, der ald ein rein individuel⸗
ler entfteht, kommt nicht mit Diefem Sol zum Bewußtſein, fon:
bern ald ein eigenthümlicher aber vernunftmäßiger Wille, und
nur bie zweite Srage, in wiefern einem folchen ohne Sol auf:
tretenden auf ein fogenannted erlaubted gehenden Willen gefölgt
werden darf, läßt fich wieder auf ein Gefez zurüffführen. Und
died wäre dann freilich ein Unterfchied zwiſchen Naturgefez und
praftifchen Wernunftgefez, daß alles natürliche, wie es gefchieht,
fi auf Geſeze zurüffführen läßt, vermöge beren es gefchieht,
nicht aber im Gebiet der praktifchen Vernunft alles auf folche
Gefeze, vermöge deren ed gefchehen fol; nur ganz ein anderer
Unterfchied ift dies, ald der gewöhnlich angenommene.
Ehe wir aber diefen näher betrachten, entfteht und noch die 2
Frage, wie ed damit flieht, daß bie fittlichen Formeln, um fie von
andern auch mit dem Sol behafteten auf demfelben Gebiet aufs
tretenden Gefezen. oder Smperativen zu unterfcheiden, Eategorifche
genannt werben, bie andern aber hypothetiſche. Zunächft würde
man num nach der Fantifchen Zafel verfucht zu beiden noch einen
dritten aufzufuchen, deſſen er aber nirgends erwähnt, nämlich den
disjunctiven, welcher lauten müßte Du foUft entweder: dieſes
thun oder jenes. Die hypothetiſchen Imperative aber theilt Kant
wieber in folche die ald praktiſche Principien affertoriich, und in
folche die nur problematiich find, wogegen ber Tategorifche Im⸗
perativ apodiktiſch iſt. Doch gefteht er felbft zu, baß beibe zus -
fammenfallen würden, wenn die Klugheit auf einen richtigen Be ..
griff leicht zu bringen wäre. Wenn aber nun ale kekuimuiiie
406
geln hypothetiſche Imperative find, weil unentfcieben bleibt, od
die Abficht, zu welcher fie gebraucht werben, gut iſt: fo muß ber
Tategorifche Imperativ ebenfalls hypothetiſch bleiben, wenn man
nicht darauf zurüffgehn will, daß ber Begriff ded Guten vor
Aufſtellung der fittlichen Gefeze beftimmt fein mug. Denn fonf
ift noch nicht entfchieven, ob vernunftmäßig handeln wollen gut
iſt; und dad Gebot dazu kann demnach nie anders, lauten als
fo, Wenn du vernünftig fein wilft, fo handle fo. Nehmen wir
aber an, daß natürlich alle verfchiedenen Methoden und Style
einer Kunft in ihren Verhältniffen zu einander einer Conftruction
fähig fein müfjen, und in diefer angefchaut ein Ganzes bilden,
fo daß jeder, der etwas tüchtiged hervorbringen will, nach eine
von diefen verfahren muß: fo wird offenbar in dieſem Fall der
technifche Imperativ ein disjunctiver, und dieſe Luͤkke wäre dem
nach audgefült. Vergleichen wir nun hier mit dem inbivibuck
len fittlichen Handeln das einzelne, und denken und, wie faum
anders möglich, wenn wir die menſchliche Natur ald Gattung be
trachten, die verfchiedenen Geftaltungen ber Intelligenz innerhalb
derfelben auch als einen Cyclus: fo ergiebt fi von felbft das
gleiche, daß nämlich der urfprünglich Tategorifche Imperativ an
die Gefammtheit der einzelnen gerichtet als Ausdrukk des allge
meinen fitilichen Willens ebenfalls in der Anwendung ber Fon
mel auf die einzelnen disjunctiv werben muß. Der allgemeine
Wille vernünftig zu fein muß ſich am bem einzelnen entweder
fo geftalten oder fo. Ja noch auf andere Weife Tann man fagen,
wenn man auf die Gefammtheit der fittlichen Handlungen fieht,
23 dag, wenn in dem Vernunftweſen der allgemeine fittliche Wille
geſezt ift, alle befondern Formeln, welche fi auf einzelne Klaf
fen von Handlungen beziehn, wie died mit den Pflichtformeln
der Fall ift, nichtd anders find, ald technifche Smperative, um je
nen allgemeinen Willen, deſſen Ausdrukk allein ber kategoriſche
ift, zu realiſiren. Man nehme noch hinzu, daß die ifolirte Be
frachtung des kategoriſchen Imperatios am wenigſten geeignet if
\
407
eine wiffenfchaftliche Bafld zu werden, weil fie nichts barbietet
zwiſchen ber Einheit bed Princips und ber Unendlichkeit einzelner
Falle der Anwendung, alfo die Vielheit gar nicht geftalten kann;
und nur das Diöjunctive ift auch bei Kant das Princip aller
wiffenfchaftlichen Zufammenftelung der Vielheit. Der Tategorifche
Imperativ kommt alfo erſt zur Stlarheit des Bewußtſeins, wenn.
er bypothetifch wird. Nur indem das Dilemma aufgeftellt wird,
Entweder vernünftig fein und fo-handeln, oder nicht fo und uns
vernünftig, wird dad Sittengefez nach Kants Ausdrukk pragma⸗
tifch, welcher Ausdrukk in der That weit mehr fagen will als
jener, wenn gleich Kant ihn nur für den untergeorbneten confus
Iativen Imperativ ber Klugheit aufbewahrt. Denn das Soll,
fobald es fich nicht mehr auf eine Außere Autorität gründet, kann
nur wie ein Zauber erfcheinen, wenn ed nicht jenen afjertorifchen
Character annimmt, Weil du vernünftig fein willſt, fo handle
alſo. Der Eategorifche Imperativ ift dem gemäß nur die bewußt:
Iofe unentwiffelte Form des Sittengefezed, und befommt erſt eine
praftifche Realität und eine wiffenfchaftliche Tractabilität, wenn
er ſich in den bypothetifchen und disjunctiven entwikkelt.
Doc diefes war nur beiläufig; aber wie fleht es nun um
den durch ein entgegengefeztes Verhaͤltniß beider zum Sein be:
gründeten Gegenfaz zwiſchen Sittengeſez und Naturgefeg? Be:
ſteht — denn darauf laufen die Eantifchen und fichtiichen Er:
klaͤrungen hinaus — befteht die abfolute Gültigkeit des Sitten:
gefeged darin, baß es immer gelten würde, wenn auch niemals
geichähe was es gebietet, weil ja doch das Sol deſſelben be:
fleht, auch wenn ihm ein Sein gar nicht anhängt, die abfolute
Gültigkeit des Naturgeſezes hingegen darin, daß immer gefchehen
muß was darin audgefagt ift? Mas das erfte betrifft, fo ift
allerdings wahr dag die Gültigkeit des Geſezes nicht abhängt
von der Volftändigkeit feiner Ausführung; ja es iſt der richtige
Ausdrukk für unfere Annahme des Gefezes, daß, ohnerachtet wir
feine einzige menfchlihe Handlung für ſchlechthin vollkommen
. 408 |
alſo ganz dem Geſez entfprechend erfennen, die Guͤltigkeit des
20 Gefezed dadurch dennoch gar nicht leidet. -Allein auf der andern
Seite muß doch immer etwas vermöge bed Geſezes gefchehen,
fonft wäre ed auch Fein Gef. Denn wenn wir auf den Ira
totyp des Sollend, nämlich das bürgerliche Geſez zurüffgehn:
würbe wol jemand fagen, das fei wirklich ein Gefez, was zwar
auögefprochen fei als folches, aber niemand mache auch nur die
geringfie Anftalt dem Gefez zu gehorchen? Gewiß würden wir
verneinen, aber dann auch hinzufügen, der Gefezgeber ſei auch
keine Obrigkeit mehr, weil feine Ausfprüche nicht anerkannt wer
ben, und das ganze Verhältnig nur im Anerkennen beſtehe. Wen
den wir nun nicht auf diefelbe Art auch vom Sittengefez fagen
müffen, Wenn in feinem Menfchen die geringften Anftalten: ge
macht würben bemfelben zu gehorchen, und das, was Kant die
Achtung für dad Gefez nennt, gar nicht vorhanden wäre; denn
biefe ift doch immer fchon ein wenn gleich unendlich Eleiner An
fang des Gehorchens: fo wäre auch dad Sittengeſez Fein Ge,
fondern nur ein theoretifcher Saz, von welchem man fagen Eünnte,
er würde ein Gefez fein, wenn ed ein Anerkenntniß beffelben
gabe? Aber die Vernunft wäre dann auch gar nicht praktiſch,
. fo wenig ald jener Gefezgeber, den niemand im mindeflen ge:
horchte, eine Obrigkeit waͤre. Jene Achtung für das Gefez, ein
gewiß unter den gegebenen Umftänden fehr wohlgewählter Aus⸗
drukk, conflituirt alfo eigentlich erft Dad Geſez und ift die Wirk:
lichkeit des Geſezes. Denn das einzige, wad man an dem Au
drukk tadeln koͤnnte, iſt nur diefes, daß er zu trennen fcheint was
unmöglich getrennt werden kann. Denn nicht exiſtirt das Sit⸗
tengeſez zuerſt als Gedanke, und hernach bringt die Vernunft die
Achtung dafuͤr hervor; ſondern es iſt nur ein und daſſelbe oder
ein und derſelbe tranſcendentale Act, wodurch die Vernunft prak⸗
tiſch wird, das heißt als Impuls .befteht, und wodurch ed ein.
Sittengefez giebt. Kann man alfo wol fagen, das Sittengefg
würde gelten, wenn auch nie etwas demſelben gemäß gefchähet
+‘
409:
En
Wol nur, wenn man bei der Außern Vollbringung ber Hanbluns
gen ftehen bleibt; biefe aber find auf ber einen Seite gar nicht
Producte des Geſezes oder bed Willend allein, auf ber andern
Seite ift aber doch immer, wenn nur irgend dad Gefez dabei
mit eingetreten ift, auch etwas in ihnen, was rein dem Gefez ges
mäß geichieht. Denn wirb überhaupt nur auf das Geſez bezo⸗
gen: fo wird auch entweder dem Gefez gemäß gewollt, oder das
Segentheil wird nur unter der Form bed Unrechted gewollt; und
auch das geichieht dann dem Geſez gemäß. Wird aber dem Ges
ſez gemäß gewollt: fo ift nothwendig auch in der erfcheinenden 25
* Handlung etwas, wodurch das Gefez repräfentirt wird. Eben.
biefes aber ift ja ein Sein, es ift die innerfle Beſtimmtheit bes
Sch, und aus unferm Geſichtspunkt weit mehr ein Sein als die
Außere That und was aus berfelben hervorgeht; denn bie “bes
fimmende Kraft der Gefinnung iſt das eigentliche und urfprüngs.
liche fittliche Sein, wodurch allein jede erfcheinende That, fie fei
nun vollflommner oder unvollflommner, an ber Sittlichfeit Theil
nimmt. Ja wenn man auc) bei dem ohnflreitig dürftigern Aus⸗
drukke der fich felbft fezenden Selbfithätigkeit oder der Geſezmaͤ⸗
ßigkeit um des Gefezed willen ftehen bleibt, was freilich in einer
Hinfiht etwas leeres ift, weil daraus niemald eine beflimmte
Handlung hervorgehen Tann, fo tft doc auch dann die Gefins
nung in der That das Sein beflimmend, weil fie den Verlauf
jeder Thätigkeit hemmt, welche der Gefezmäßigfeit und ber Selbſt⸗
thätigfeit fchlechthin etwa zuwider wäre. Das Gefez iſt alfo nur
Geſez, infofern es auch ein Sein beflimmt, und nicht als ein blos
ßes Sollen, wie denn auch ein folches fireng genommen gar nicht
nachgemwiefen werden Tann.
| Können wir alfo bier auf dem Gebiet deö Bernunftgefees
dad Sollen nicht trennen von ber Beflimmung bed Seins; ifl
‚ bie Vernunft nur praftifch, fofern fie zugleich lebendige Kraft ift:
wie wird es nun auf ber Seite des Naturgefezes ſtehn? Werden
wir bort biejed, daf dad Gefez wirklich dad Sein beflimmt, gang,
410
trennen Binnen davon, daß dem Gefez auch ein Sollen anhängt?
Sreilih, wenn man allein dabei flehen bleibt, daß dad Sollen
eine Anmuthung an den Willen enthält: fo kann hier von kei⸗
nem Sol die Rede fein, weil in ber Natur kein Wille geſezt
fl. Alsdann iſt aber Durch ben Unterfchied, von, welchem wir
handeln, auch Feine Verfchiebenheit zwifchen Raturgefez und Ber:
nunftgefez ausgebrüßft, fondern nur zwifchen Natur und Vernunft,
Es liegt aber allerdings in dem Sollen, außerbem daß es eine
Anmuthung an ben Willen ausbrüfft, auch noch dieſes, daß. bei
berfelben zweifelhaft bleibt, ob der Anmuthung wird Folge ge
Veiftet werben oder nicht. Wenn wir nun nachweifen, daß N
turgefeze auch eine Anmuthung enthalten, wenn gleich freilich an
ein willenlofed Sein, aber boch eine folche Anmuthung ebenfalls,
bei welcher zweifelhaft bleibt, ob fie wird in Erfüllung gehen
oder nicht: dann wäre dad Verhältnig zwifchen Sollen und Sein:
beſtimmung in beiderlei Gefegen fo ſehr daffelbe, als es bei der
Verſchiedenheit von Natur und Vernunft nur möglich ifl. Die
26 Gefeze num, welche fich auf die Bewegungen der Weltförper be
ziehen, und welche die WVerhältniffe der elementarifchen Natur
kraͤfte und Urſtoffe audfagen, wollen wir in dieſer Hinficht übers
gehen. Denn wenn die einzelnen Faͤlle hier nicht mit dem Ge
fez zufammenftimmen, fo behaupten wir entweber, Daß in bem
einzelnen Falle noch etwas anderd thätig geweſen ald dasjenige
wovon das Gefez redet; oder wir erkennen unfern Ausdrukk nicht
mehr für das wahre Naturgefez, fondern modificiren ihn, und
hoffen fo es immer beffer zu treffen, laſſen aber nicht von ber
Boraudfezung, daß wenn wir erft daS richtige gefunden haben,
alsdann auch alles, worauf dad Geſez anwendbar ift, demfelben
völlig entfprechen werde. Eben fo mit den Formeln für die Be
wegungen. Wenn biefe nicht genau zufreffen: fo fieht das freis
lich aus, als hätten wir dem Weltlörper etwas zugemuthet, was
er nicht geleiflet habe; allein flatt und dabei zu begnügen, neh:
men wir an, daß noch andere bewegende Kräfte müßten einge
414
wirft haben. Aber wir Binnen diefed zugeben, ohne bem Ein«
frag zu thun, was wir hier über das Naturgefeg behaupten moͤch⸗
ten. Denn eine Formel für die Bewegung allein als das bloße _
Maffenverhältniß ift doch nur eine abflracte mathematilche For -
mel. Erf wenn wir aus der Genefi3 dee Sonne und der Plas
neten bie Maffen und Raumverhältniffe ſelbſt begreifen koͤnnten,
fo daß auch alle Veränderungen in den Maffenverhältniffen der
Weltlörper und in ihrem Verhalten zu ihren Bahnen mit barin
begriffen wären, erft dann würden wir ein wahres Naturgefez
haben auch für die Bewegungen. Aber würde denn biefed rein
zutreffen? Wol nicht leicht; ſondern wenn wir auf diefe Art ein .
Bewegungdgefez für dad Sonnenſyſtem an fich gefunden hätten:
fo würde ed doch irgendwie wenn auch auf eine für und gänze
lich unmerkliche Weife durch den allgemeinen Zufammenhang afs
ficirt werben; und wir werden mit Recht fagen Eönnen, ed folle
fich fo bewegen, erleide aber bisweilen Perturbationen, und ein
Gefez, dad ein vollkommener Ausdrukk ded Seins wäre, würden
wir erft gefunden haben, wenn wir das ganze Univerfum auf
eine Formel bringen könnten. Daffelbe gilt von den Urftoffen
und den elementarifchen Kräften. In welchem Umfange wir fie
ald ein Ganzes begreifen koͤnnten, wenn es nicht dad abfolute
Ganze wäre, fo würden wir immer nur ein Gefez haben, nach
welchem das Sein ſich nicht vollkommen richtete, und bie Abs
weichung würbe und über jenen Umfang hinaus weifen; wo wir
aber eine ganz zufreffende Formel haben, die wird fich nur auf .
fehr bedingte Factoren beziehen, deren Erfcheinen unter diefen Bes 77
bdingungen wir wieder nur ald ein zufällige begreifen, fo daß
kein Sein durch die Formel beſtimmt wird.
Doch hierbei laͤnger ſtehen bleiben, daß hieße nur die Frage
ind unendliche hinausſchieben, bis wir etwa zu Naturgeſezen ges
langen, bie dem Begriff beffer entfprechen. Allein wir haben der .
gleichen fchon auf einem andern und näher Tiegenden Gebiet, und
bie und nur um fo mehr ald wahre Naturgeleze erfcheinen wers
412
den, wenn wir fie mit jenen vergleichen. Nämlich alle Gattungs
begriffe der verfchiedenen Formen des individuellen Lebens find
wahre Naturgefeze. Denn bie lebendigen Welen, bie Vegetation
mit eingerechnet, entftehen aus Thätigfeiten und befiehen in Thaͤ⸗
tigfeiten, welche fich immer auf biefelbe Weife entwißfeln; wahre
Gattungsbegriffe nun follen ber volfländige Ausdrukk fein für
alles was eine beflimmte Lebensform conflituirt an fich und in
Ährer Differenz von andern verwandten, und zwar fo daß fie in
ihrem Zufammenhange, ben wir auf beflem Wege find immer
vollfommner zu begreifen, das Naturgefez des individuellen Le⸗
bend auf unferm ganzen Weltkörper ausdruͤkken. Weiter hinab»
zufleigen bis 3. B. auch auf die Formen der Kryfiallifation, de
ren allerdings jede auch nur begriffen werben kann als eine Ent
fiehung. der Geftalt aus der Bewegung, werden wir dadurch ver
hindert, theild, daß hier Die Gattungsbegriffe überall auf das dem
Erpftallifirten analoge derbe zurüffweifen und die bloße Regel der
Kryſtalliſation Doch nur eine abftracte Kormel fein würde dab
Naturgefez aber fich auf die Entflehung und Geftaltung des flar
ven überhaupt erfireffen müßte, theild auch dadurch dag und
bier der Prozeß felbit nicht gegeben ift, fondern nur dad Reſul⸗
tat deſſelben. Die Vegetation aber und Animalifation zeigen
und in jeder ihrer verfchiedenen Formen ein abgefchloßned Ganze,
deſſen Begriff dad Geſez ift für ein Syflem von Functionen in
ihrer zeitlichen Entwikklung. Werden wir nun gefragt, If jede
folche Gefez, gleichviel ob es der untergeorbnete Begriff einer Art
ift oder der höhere einer Gattung ober der noch höhere einer na
türlichen Familie, ift jedes ſolche Gefez beftimmend ein. Sein? fo
werden wir offenbar bejahen müfjen; denn bie fämmtlichen Im -
dividuen dieſer Art oder Gattung entflehen nach dieſem Geſez,
und ihr ganzed Dafein in feiner allmähligen Entwilllung, Cul⸗
mination und Entkräftigung verläuft nach demfelben. Wenn wir
aber nun auf der andern Seite gefragt werben, Haͤngt biefem
x
413
Geſez auch ein Sollen an? fo werben wir fo viel ebenfalls bes
jahen müffen, daß wir dad Geſez aufftellen für dad Gebiet, ohne 28
daß in der Aufftelung zugleich mit gedacht werde dag alles rein
und volltommen nach dem Gefez verlaufe. Denn das Vorkom⸗
men von Mißgeburten ald Abweichungen bed Bilbungdprozefed,
"und das Vorkommen von Krankheiten ald Abweichungen in dem
Verlauf irgend einer Lebensfunction nehmen wir nicht auf in das
Sefez felbft, und diefe Zuflände verhalten fich zu dem Naturs
geſez, in deſſen Gebiet fie vorfommen, gerade wie das unfittliche
‚und gefezwidrige fich verhält zu dem Sittengefez.
Noch eine Betrachtung, mit welcher wir fchliegen wollen, '
wird bie Identität des Verhaltens beider Begriffe zur vollen Ans
fhauung bringen. Legen wir die elementarifchen Kräfte und
Drozeffe und den Erdkörper in feiner durch die Scheidung des
florren und flüffigen bebingten Ruhe zum Grunde; und Eins
nen wir dann mit Recht fagen, bypothetifch wenigftend und mehr
{ft Hier nicht nöthig, mit der Vegetation trete ein neues Princip,
nämlich die fpecifiihe Belebung, in das Leben der Erde, ein
Princip welches in einer Mannigfaltigkeit von Formen und Ab»
ſtufungen erfcheinend fich in feinem Umfange den chemifchen Pro⸗
zeß ſowol als die mit der Bildung ber Erbe gegebene Geſtal⸗
tung unterorbnet und beides auf eine individuelle Weile firirt;
und fragen wir dann weiter, worin benn dad gegründet fei, was
auf dieſem Gebiet als Mißgeburt oder Krankheit angeſehen wer⸗
den muß, was hier freilich faſt immer ſehr einfach auf Mangel
oder Ueberfluß, das heißt auf ein quantitatives Mißverhaͤltniß
zuruͤckgefuͤhrt werden kann: ſo werden wir doch nur antworten
koͤnnen, Nicht in dem neuen Princip an und fuͤr ſich; denn fuͤr
deſſen reine Wirkſamkeit ſei der Begriff der Vegetation der reine
und vollſtaͤndige Ausdruck; ſondern in einem Mangel der Ge⸗
walt des neuen Princips uͤber den chemiſchen Prozeß und die
mechaniſche Geſtaltung. An dieſem Mangel aber ſcheine zugleich
414
die zeitliche Beſchraͤnktheit der vegetativen Einzelweſen zu bat
gen; wenn alfo diefe vergänglich fein follten, fo mußte auch jene
Mangel mit feinen andermweitigen Folgen fein. Weiter gehend
werden wir dann fagen müffen, mit der Animalifation trete abermal
ein neued Princip nämlich der fpecififchen Beſeelung ein, welde
ſich in feiner ganzen Erſtrekkung, wenn gleich nicht überall in
gleichen Maaße, fowol den vegetativen Prozeß ald aud dad all
gemeine Leben unterorbnet, und ebenfalld in einer Mannigfaltig⸗
feit von Formen und Abflufungen erfcheint, welche nun auf bie
© felbe Weiſe Gefeze find für die Natur. Und wird nun weile
gefragt, worin denn die auf diefem Gebiet vorkommenden ſchon
weit complicirteren Abweichungen gegründet fein: fp werden mit
wol auch antworten müflen, Nicht in dem Princip ſelbſt; denn
für diefed ift der Begriff ded thierifchen Lebens in der Mannig
faltigkeit feiner Zormen der reinfte Ausdrukk; fondern in einem
.
—
relativen Mangel an Gewalt dieſes Princips über dem vegetati⸗
ven Prozeß fowol ald über dad allgemeine Leben, und natürlih
wären alfo die Abweichungen auf diefem Gebiet auch complide
ter und nicht in fo leichte Formeln zu faffen. Und Finnen mit
nun wol noch umhin der Steigerung die Krone aufzufezen, in
dem wir fagen, mit bem intellectuellen Prozeß trete nun aber
mald ein nened,. benn wir brauchen nicht zu behaupten. dad lezte,
Princip in das Leben der Erde, welches jedoch nicht in einer
Mannigfaltigkeit von Gattungen und Arten, ſondern nur in einer
Mannigfaltigkeit von Einzelweſen einer Gattung erſcheine, ſo daß
eine Mannigfaltigkeit der Gattungen nicht gedacht werden kann,
als nur in Verbindung mit der Mehrheit der Weltkoͤrper. Wie
aber der Geiſt nun hier erſcheine in der Einen Menſchengattung:
fo werde er ſich auch in feinem Umfange nicht nur den Prozeß
ber eigenthümlichen Befeelung und Belebung, fondern auch dab
allgemeine Leben unterorbnen und aneignen. In dieſem geiftigen
Lebensgebiet wiederholten fih nun auf die feiner Natur gemäßt
45
Weiſe die Abweichungen, bie innerhalb des Gebietes der Animas
Yfation und ber Vegetation vorkommen; aber es entflänben zus
gleich neue, weldhe dem obigen zufolge ihren Grund nicht Haben
in der Intelligenz felbft, denn für dad Weſen und die Wirkfams
keit diefer fei das Gefez, welches hier aufgeftellt werden müffe,
ebenfalls der reine und volfommene Ausdrukk, fondern wie oben
darin daß der Geift eintretend in dad irbifche Dafein ein Quan⸗
tum werben muß, und ald ſolches in einem oſcillirenden Leben
im einzelnen unzureichend erfheint gegen bie untergeorbneten
Functionen. Und wenn gleich dieſes eben fo hypothetiſch gefezt
iſt, wie das woraus es folgt: fo ift doch dies gerade biefelbe
Hypotheſe, von der auch diejenigen auögehen, welche dad Gittens
geſez als ein reines Sollen befchreibenz denn fie fagen es fei ein
ſolches, weil mit ber Vernunft und bem Vernunftgefez zugleich
eine Inſufficienz gefezt fei. Was alfo folgt, das folgt vermöge
eben jener Hypothefe. Und bad Gefez, welches hier neu aufge
flelt werben muß, fo daß es die ganze Wirkſamkeit der Intelli⸗
genz vollftändig verzeichnet, wirb dad wol etwas anderes fein
als dad Sittengefez? und bie neuen Abweichungen, in welchen
die Begeiftung unzureichend erfcheint gegen bie Beſeelung, wer: so
den fie etwad anderes fein ald dad was wir böfe nennen und
unfittlich? Schwerli wird jemand vereinen wollen; es müßte
denn einer fragen, wo denn nun ber Unterfchieb bleibe zwifchen
der theoretifchen und. praftifchen Wernunft, und woher benn ent
ſchieden worden daß das hier aufzuftellende Gefez allein das ber
praktifchen Vernunft und nicht beider fei, oder daß nicht viel
leicht ausfchliegend das der theoretifchen hierher gehöre. Oder ed
möchte mir jemand dad Schrekkbild des Wahnſinns vorhalten,
und fagen, biefer und alled was eine Annäherung dazu bildet, .
fei die hier neu aufzuftelende Abweichung, bad
einen andern Ort haben. Dem erften wuͤrde
bier nur die Rebe fei von einem neuen Princi
| 416
von Thäfigkeiten: fo koͤnne auch die Vernunft bier nur betrach⸗
"tet werben ald praktifch, das heißt als thätig, und der ganze
, theoretifche Vernunftgebrauch gehe doch als Handlung immer vom
Willen aus. Dem andern aber würde ich aus bemfelben Grunde
fagen, daß von unferm Standpunkt aus der Wahnfinn und dad
böfe nicht zwei verfchiedene Derter haben koͤnne, ſondern jedes
fei auf das andere zurüffzuführen, und jeder Wahnfinn entfiche
nur dadurch, daß die Intelligenz ald Wille zu ohnmaͤchtig fei,
um den Angriff einer untergeordneten Potenz auf ihren unmittel⸗
baren Organismus abzuweifen. Bleibt es alfo bei der Bejahung
beider Fragen: fo ſtimmt auch dad hier gefagte vollkommen zu:
fammen mit dem oben gefagten über die Art, wie das Sitten:
ggeſez ſowol feinbeftimmend ift, als auch ihm ein Sollen ans
haͤngt. Hier aber entwilfelt es fich und durch eine Steigerung
als das höchfte individuelle Naturgeſez aus den niederen. Die
Seinöbeftimmung in bemfelben ift alfo von bderfelben Art, und
das Sollen ift auch von bderfelben Art, nur mit dem einzigen
Unterfchiede, daß erft mit dem Eintreten der Begeiftung dad
Einzelmwefen ein freied wird, und nur das begeiftete Leben ein
wollendes ift, alfo auch nur auf diefem Gebiet dad Sollen fih
an den Willen richtet. Im allgemeinen aber ift es überall die
Forderung der Gewalt des individuellen Seins über das elemen:
tarifche und allgemeine, als des höheren über das niedere, und
dad Naturgefez liegt nicht auf der entgegengefezten Seite mie
das Sittengefez, fondern beide auf derfelben. Alſo werben auch,
was wenigftens das Werhältnig ded Gegenftanded zum Ge
feg betrifft, Naturwiffenfchaft und Sittenlehre keinesweges zwei
verfchiedene Formen haben müffen, fondern fie werden fich füglid
sı hineinbilden laſſen in eine gemeinfchaftliche, fobald nämlich. die
Sittenlehre fich befreit hat von ber Analogie mit dem politifchen,
und die Einficht hervorgetreten ift, daß, ba das politifche ſelbſt
nur durch die Sittenlehre conftruirt werben Fann, bie Form bes
+‘
47
ſelben unmöglich al8 bie Urform angefehen werben barf, nad
welcher die Sittenlehre gebildet werden muß. Sondern bie Form
ber Sittenlehre wird die befte fein, in welcher Die Intelligenz
bargeftellt wird als aneignend und bildend und fich fo in einer
eigenen in fich abgefchlofienen Schöpfung offenbarend; ein Typus,
welcher nirgend fo deutlich ald bei der platonifchen Conflruction
zum Grunde Liegt, aber nicht zu feiner volfommenen Entfaltung
gediehen iſt.
Schleierm. x. II 2. Dd
Ueber den Begriff des Erlaubten.
U c
Geleſen am 29. Zunius 18%.
1 N. Zufammenhang dieſes Begriffs mit dem früher von mit
behandelten Begriff der Pflicht ift fo genau, daß diefe Abhandı
lung nur ald eine Erläuterung zu jener angefehen werden Fan. |
Denn überall ftelt fich das erlaubte in die Mitte zwoifchen dad
pflichtmäßige und pflichtwidrige, als ein dritte zu beiden welche
feined von beiden fein will. Es will überall mit dem pflicht⸗
mäßigen bad eine gemein haben, daß ed nicht gemwehrt werden
kann; mit dem pflichtwidrigen aber dad andere, daß ed nicht ge
fordert werden darf. Eine Darftelung der Pflichtenfehre ift allo
erft völlig verftanden, das heißt, man überfieht erft ihr Verhaͤlt
niß zur Gefammtheit des geiftigen Lebens, wenn auch beutlid
geworben ift, in wie fern fie diefem Begriff eine Wahrheit zw
gefteht, und was für einen Umfang fie ihm" anmeifet. Diele
allein ift daher auch der Gegenftand der gegenwärtigen Abhand:
lung , ohne daß fie — fofern fih nicht auch dieſes ſchon durch
jene Unterfuchung von felbft erledigt — ausdruͤkklich beabfichtigte
zu beflimmen, welche Handlungen ober Handlungsweiſen in ein⸗
zelnen Gebieten für erlaut zu halten find ober nicht; ſondem
fie bat ed nur mit dem KR WWh un num Werhältniß zu
419
den andern fittlichen Begriffen zu thun. Denn fteht er gleich im
unmittelbarften Verhältnig mit dem Pflichtbegriff, fo muß er doch
eben deshalb auch ein Verhältniß haben zu bem Begriff der Zus
gend und dem ded Guten.
Wenn nun meine vor einiger Zeit mitgetheilte Abhandlung
über den Pflichtbegriff *) das Ergebniß aufgeſtellt hat, daß pflicht⸗
mäßig jede folche Handlung fei, welche, indem der Antrieb dazu
von dem Intereffe an einem beflimmten fittlichen Gebiet ausgeht,
doch zugleich auch dad Intereſſe an der Zotalität der fittlichen
Aufgabe befriedigt, pflichtwibrig aber dem gemäß nicht nur das⸗
jenige was der fittlichen Zotalität oder. einer einzelnen fittlichen
Richtung widerftreitet ohne im lezten Fall von einer anderen fol:
hen ausgegangen zu fein, weil nämlich der Antrieb bloß finnlich
iſt, fondern auch welche. Handlung wirklich von einer einzelnen
fittlichen Richtung ausgeht, aber fo daß fich die Forderung einer
andern fittlihen Richtung in dem gegebenen Moment gegen fie
erhebt, fo daß fie in Beziehung auf dieſe zur Unzeit gefchähe
oder im Unmaaß: fo fragt fich zunächft, was für Handlungen
Tönnten wol zwifchen diefen beiden liegend folche erlaubte fein?
Zweierlei fcheinen fich deren zu ergeben. Denn wenn zu
einer Handlung zwar ber Antrieb ein finnlicher wäre, aber es
erhöbe fich gegen fie Feine Klage von irgend einem fittlichen Ge:
biete aus: fo wäre eine folche weber pflihtmäßig; weil der fitt-
liche Antrieb, noch pflichtwidrig, weil ber fittliche Einfpruch fehlt.
u >)
Eben fo auch zweitens, wenn ed möglich wäre daß der Impuld
zu einer Handlung audginge von dem Intereſſe an der geſam⸗
ten fittlichen Aufgabe, aber ein einzelnes fittliched Gebiet erhöbe
fich dagegen: fo läge eine folche auf eine andere Weife zwar zwi:
fehen beiden, würbe aber doch auch erlaubt zu nennen fein, wenns
gleih nur ald eine Sache der. Noty. Der Einfpruch nämlich
fehlt Hier nicht, aber er wird, weil der vollfommene Antrieb da
*) S. den Sahrgang 1824. vbiloſoph. Klaſſe. (oben ©. 379.)
Dd2
/ ⁊
420
ift, überhört. Nur‘ dag dann auch dad entgegengefezte erlaubt
fein muß, naͤmlich dem Einſpruch ald dringend zu folgen und
bie angeftrebte Handlung zu unterlaffen, den Antrieb aber auf
einen fpäteren Moment zu vertröften. Die Noth aber ift eben
dies Daß. vorausgefezt wird Daß das fittlich einzelne und bie fitk
lihe Xotalität fich einander wenn auch nur momentan aufheben.
Hieher gehören nun faft alle die fo oft angeführten und beleuch⸗
teten Faͤlle von Selbfthülfe in der Noth auf Gefahr eines andern
zuzufügenden Unrechtes, fofern nämlich dabei immer vorausgeſezt
wird, man duͤrfe ben Trieb der Selbſterhaltung und die Rid-
tung des Individuums auf die Zotalität der fittlichen Aufgabe
als eines und daſſelbe anfehen. Allein die ganze Gegend bleibt,
auch dieſes zugegeben, immer verdächtig, indem ja doch ein Bi:
derfpruch in dem Gebiete des rein fittlichen voraudgefezt wir,
der eigentlich auf Feine Meife angenommen werben kann, wenig
3 fiend nicht aus dem Standpunkte der angezogenen und hier zum
Grunde liegenden Abhandlungen, ald welche eine weientliche Zu '
fammengehörigkeit alles befien, was mit Recht fittlich fol ge
nannt werden koͤnnen, überall vorausſezen. Denn es hört all
Corftruction des pflichtmäßigen auf, mithin iſt es auch um alle
wiſſenſchaftlichen Principien zur Beurtheilung der einzelnen ſitt⸗
lichen Handlungen geſchehen, ſobald ein Widerſpruch ſtatt finden
kann zwiſchen dem was das Ganze fordert und dem worauf ein
Theil Anſpruch macht. Der Unterſchied zwiſchen dem pflicht⸗
widrigen und pflichtmaͤßigen wird ſofort nur ein zufaͤlliger, und
der Charakter des Pflichtbegriffs iſt aufgehoben. Es moͤchte aber
| auch niemald nachzuweifen fein daß überhaupt eine einzelne Hands
lung als von der Richtung ded Willens auf Die ganze fittliche
Aufgabe ausgehend angefehen werden Tann, weil Durch biefe allein
nichts einzelned beflimmt wird. Am wenigften aber möchte man
eine Aeußerung des Selbfterhaltungdtriebeds fo nennen koͤnnen
Denn wenngleich ber einzelne ſich erhalten fol um fittlich zu
leben, fo ift doch ein jeher Ui der Schterhaltung nur bedingt
\
421
Durch die ihm eben vorliegenderr fittlichen Aufgaben, damit biefe
nicht geftört werden und fonach durch wenngleich mannigfaches
doch immer einzelnes fittliched Intereſſe, gegen welches alfo auch
ein anderes auftreten Tann. |
Genau betrachtet alfo würde auch das zweite was fich uns
ergeben hätte, nur eine leere Stelle fein, und die fcheinbar dahin
gehörigen Faͤlle wären bei dem erflen unterzubringen, wie denn
alle finnlichen Motive mehr oder weniger auf die Gelbfterhals
tung zurüßfgehn, Die ja auch oft genug als Die allgemeine For⸗
mel für alle ift angefehen worden. Sonach bliebe und nur das
erfte übrig. Erlaubt nämlich wären folche Handlungen, bei be
nen zwar ein finnlicher Smpuld zum Grunde liegt, aber ein fol
cher, gegen den von Feiner Seite der fittlichen Aufgabe aus pros
teflirt wird. Da nun diefe Proteflation eben das iſt was einer
Handlung dad Gepräge der Schuld aufdrüßft: fo wäre dad ers
Taubte, wie, ed fcheint, dad unfchuldige, und dann auch umges
kehrt. Nämlich was erlaubt ift, dad wäre unfchuldig, weil es
als nicht von dem fittlichen Intereffe ausgehend auch nicht ver-
dienftlich fein Tann, und weil nicht im Widerfpruch mit der ſitt⸗
lichen Aufgabe, auch nicht verwerflich; und das unfchuldige wie:
berum müßte immer erlaubt fein, weil ed zwar nicht: pflicht>
mäßig ift feinem Urfprunge nach, aber auch nicht pflichtwibrig
feiner Befchaffenheit nah, Wir haben nun hiedurch zwar ein
neues Merkmal gewonnen, aber keinesweges etwa eine Entfcheis
dung. Denn wenn man freilich auf der einen Seite fagen möchte,
daß ed eine große Menge unfchuldiger menfchliher Handlungen
gebe, Eönne doch niemand bezweifeln: fo tft auf der andern Geite
wieder nicht zu läugnen daß dieſe wefentlich der Kindheit anges
hören, welcher das fittlihe Auge noch nicht geöffnet ift, und
andern ähnlichen Zufländen. Es fragt ſich alfo immer noch, ob
und auf welche Weiſe ed folche Handlungen geben koͤnne, welche
zwar von einem finnlichen Antriebe auögehen, aber boch Leinen
Widerſpruch von dem ſittlichen Iutereſſe erfahren. —
422:
Wenn nun nach dem früher gefagten aus der Totalitaͤt al
ler pflichtmäßigen Handlungen auch alle Güter hervorgehn: fo
koͤnnten alfo alle bloß erlaubte Handlungen an der Hervorbrin⸗
gung irgend eines Guted feinen Antheil haben, und wären bem
nach unfruchtbar für das höchfle Gut. Man follte daher dem
fen, e3 Eönne fich gegen biefelben nur in fo fern kein Widerſpruch
von dem fittlichen SIntereffe aus erheben, als feſtſtaͤnde daß zu
derfelben Zeit daffelbe Subject nichts thun Tönne um dad höchfle
Gut zu fördern. Eben fo wenn jede Tugend nichts anderes if
als die Fräftige Wirkſamkeit eines fittlichen Antriebe, und mib
hin alle Tugenden in der Gefammtheit ber von, fittlichen Antrie
ben audgehenden Handlungen vollkommen aufgehen: fo hätte
un 7
alſo an allen blog erlaubten Handlungen, fo fern fie ja von
einem finnlichen Antriebe ausgehn, Feine Tugend irgend einen
Antheils und auch fo betrachtet folte man denken, die fittlice
Lebenskraft des Individuums müffe fich allemal gegen folche Hand:
lungen auflehnen und die finnlichen Antriebe auch mit diefen An
fprüchen abweifen, es müßte denn fein daß zu berfelben Zeit gat
- Feine Tugend ſich wirkſam beweifen koͤnne. So zeigt fich dem
nah auf alle Weife, daß bloß erlaubte Handlungen in einem
fittlicher Leben nur in ſo fern vorkommen koͤnnen, als fie in eine
als natürlich und nothwendig nachzuweifende Paufe des fittlichen
Lebens hineinfallen, fo wie der Schlaf eine Paufe des Selm .
lebens ift. Und wie das Leben fich in diefer- Beziehung in Schlaf
und Wachen theilt, fo müßte ed fich in jener Beziehung theilen
in dad Pflicht: und Berufsleben, oder, fo koͤnnen wir ed wol
nennen, den Ernſt, welcher das eigentliche fittliche Wachen wätt,
und in dieſes andere, welches aus dem fittlichen. Standpunkt be
trachtet, weil Feine Tugenden dabei wirkſam find, eben wie der
Schlaf nur als ein unthätiger Zuftand zu denken wäre, und auch
wie jener außer der Ernährung und Stärkung der finnlichen le
s Diglich dienfibaren Kräfte nur den Gehalt eines Traumes haben
Fönnte. Wollen wir nun dieken Theil dad Erholungsleben ober
4
——
423
dad Spiel nennen im Gegenfaz gegen den Ernſt oder das He
suföleben: fo werden wir nicht weit fehlen; vielmehr fieht jeder
“leicht, daß alled, was wie mit folchen Namen zu bezeichnen pfle⸗
gen, ‚von denen Die ed vertheidigen immer nur als erlaubt im
Schuz genommen wird, und daß, wo eines ober dag andere Dies
fer Art angefochten wird, die Mechtfertigung. bed erlaubten immer
darauf beruht daß ed unfchuldig fei.
So ſcheint denn dieſer Begriff ein überall in irgend einem
Maag anerkanntes, in den fchönften und edelſten Geſtaltungen
des menfchlichen Dafeind aber fo .gar weit umfaffendes und,
überall zugleich gewiffermagen unter fich zufammenhängended Ge
biet in unferm Leben einzunehmen. Se flrenger und herber bie
ganze Form des Lebens, deſto feltnere und Fürzere Pauſen von
fittficher Anſtrengung und. Mühe, und umgekehrt, wo ſich daB
Leben in größerer Fülle und Anmuth entfaltet; überall aber fo.
oft. der Ernſt des Lebens nachläßt, und. unfer Beruf (das Wort.
in feinem weitelten Umfange genommen) feiert,. fo oft wir im
Spiel irgend einer Art begriffen find, im freien und fröhlichen
gefelligen Verkehr, im Genuß irgend einer Kunft und Schönpeit:
fo treiben wir erlaubtes. Im Berufsleben ſoll die volle Zuſtim⸗
mung, das beifällige Bewußtfein, dag wir pflichtmaͤßiges treiben:
und für das höchfte Gut arbeiten, uns beftändig begleiten, wie
im wachen Zuftande dad befonnene Selbftbewußtfein im allge⸗
meinen Sinne bed Wortes in jedem Augenblikk jede Thätigkeit
begleitet; wenn wir aber in dieſem Zwifchenraume des Spiels:
und der Erholung und befinden, dann fchläft jened- höhere Bes
wußtfein; aber es erwacht gleich wieder und ordnet das Leben,
fobald wir wieder in den Zufland des Ernſtes und. der ‚Pflicht
erfüllung zuruͤkktreten. Ja auch das verfteht fich fchon. auß.:bies
fer Analogie, dag wir doc) dieſes Gebiet des erlaubten, wenns
gleich wir dabei nicht von fittlichen Antrieben auögehen, keines⸗
weges aller fittlichen Beurtheilung entziehen. Denn wit ed einen
erquikklichen Schlaf: giebt und einen krankhaften, und. 9
428
anmuthige Traͤume und büftere und erfchreffenbe, und wir gem
wachend etwas thun würden, wenn wir nur wüßten wad, um
dieſen lezten zuvorzulommen und den Schlaf in feinen gefunden
Typus hinein zu befchwören: fo unterfcheiden wir auch in er
laubten Handlungen ein..mehr und minder zufrägliched und dem
eigentlichen fittlichen Leben verwandted, und möchten und gern
immer einen fittlichen Einfluß bewahren auf den MPulsſchlag in
diefem Schlaf, und auf die Elemente, aus denen biefe räume
fi zufammenfezen; und fo fcheibet fi denn, um auf: eine alte
Terminologie zuruͤkkzukommen, ein vorgezogene und ein abge
rathenes.
Eine ſolche Analogie wie die hier aufgeſtellte iſt freilich kein
Beweis, und es waͤre ohnſtreitig zu kuͤhn, aus dem bisherigen
folgern zu wollen, Spiel und Erholung waͤren aus dem Grunde
erlaubt, und das erlaubte ſicher geſtellt, weil es dieſelbe Be⸗
wandtniß damit habe wie mit dem Schlaf. Indeſſen, wenn ſie
ſich ſonſt nur halten läßt, wäre immer.mit der Subſumtion uns
ter ein fo Mares Verhältnig nicht wenig gewonnen, und wir hät
ten daran eine gute Vorarbeit für bie beftimmtere wiffenfchaftliche
Begrenzung. ded Begriffs. — Aber läßt fie ſich halten? und
fcheint nicht vielmehr. Die ganze Aehnlichkeit bei näherer Betrach⸗
tung wieder zu verfchwinden, weil fie allzubedenflich wird, wenn
wir auf Anfang und Ende eines folchen Zuftandes zuruͤkkſehen?
Denn der Ruͤkkgang aud dem freien Spiel: mit erlaubten Hands
lungen in das eigentliche ſittliche Leben gleicht doc dann dem
‚Erwachen; und wie follen wir eigentlich denken bag und bad
fistliche Leben immer wieder entfteht aus jenem feiner Abſtam⸗
mung ‚und feinem unmittelbaren Gehalt nach nicht fittlichen?
Wenn wir doch in einer folchen Reihe von Momenten nicht von
fittlichen Antrieben bewegt werden, fondern von finnlichen, fol
ber Mebergang von hier zum pflihtmäßigen Leben als ber lezte
Moment jener Reihe auch von finnlichen Motiven abhängen, und
nicht von fittlichen? Denn würde alled, was fich an dieſen Mos
425
ment des Erwachens anfchließt, auch auf baffelde Motiv zuruͤkk⸗
. geführt werben koͤnnen, das fittliche kaͤme nur vermöge ‚bed
nichtfittlichen zur Wirklichkeit, und das Beruföleben wäre mehr
bem Schein ald der Wahrheit nach. von dem Erholungdleben ges
fchieden, und jeder neue Abfchnitt von jenem, da doch fein erſtes
Motiv in diefem läge, wäre nur gleichlam eine Epiſode von dies
fem. Eine Anficht, auf welche ſich freilich manche ethiiche Theo»
zie von denen, die man ald eubämoniftifche bezeichnet hat, zuruͤkk⸗
führen läßt, mit welcher aber Pflicht und Zugend als beftimmte
Begriffe für fi) überhaupt nicht, am wenigften aber fo wie wir
fie beflimmt haben, zu vereinigen find. Ein anderes wäre es,
wenn fich auch von diefem Erwachen fagen ließe, es fei Feine
Handlung im eigentlichen Sinne bed Wortes, wie Died von dem
täglichen Erwachen aus dem Schlafe gilt. Denn alddann wäre
ein Motiv dazu gar nicht zu fuchen, und es koͤnnte alfo auh
die Frage nicht entftehen, ob dieſes ein fittliched wäre oder ein
finnliched. Wir müßten diefed aufgreifend etwa fagen, das Ers
wachen zum Ermft bed Lebend erfolge von felbft, fobald wieder
Stoff gegeben fei zu pflichtmäßigen Handlungen, fobald fich wie:
ber eine Wirkfamkeit aufthue für..die einmohnenden ‚Tugenden.
Allein hiedurch wuͤrden wir, wie mir fcheint, nur eine Verlegen:
heit mit einer andern vertaufchen. - Denn zwifchen dem bloßen
Borhandenfein folchen Stoffes und dem Anfang einer neuen Reihe
von Handlungen ift kein unmittelbarer Zufammenhang einzufehen,
Der Stoff muß doch erfi aus einem Außeren ein innered ges
worden, er muß ald Wahrnehmung oder wenigftend ald Ahn⸗
Dung aufgenommen fein. Dann aber ift auch dad Erwachen
jelbft ein fittlicher Moment; ed geht aus von bem Sntereffe an
ber Geſammtheit der fittlichen Aufgabe, und niemand wird läugs -
nen Fönnen, daß bei gleichem Worhandenfein ded Stoffes ders
jenige am fruͤheſten erwachen wird, in dem daB fittliche Intereſſe
am Iebendigften iſt. Aber fo wie wir hier angelommen find,
ſcheint auch der Begriff, den wir beflimmen wollten, wieder ganz
426
in Dunft zu zerfliegen. Denn was wollen wir entgegnen, wenn
‚einer fagt daß bei dem hoͤchſten Grade des fittlichen Intereffe ges
wiß niemand überhaupt erft einfchlafen koͤnne. Es werde ja wol
immer ein Eleinftes von fittlichem Stoff vorhanden fein, beftände
ed auch nur in Vorbereitungen und Uebungen. Ja wenn auch
gar nicht3 wahrzunehmen fei, fo werde jenes lebendigſte Intereſſe
doch dad Suchen nach fittlihem Stoff nicht aufgeben koͤnnen.
Dieſes aber gehöre offenbar dem Wachen an, und nicht dem
Schlaf; und fo werde denn eine ſolche Paufe, welche von den
bloß erlaubten Handlungen ausgefuͤllt werden dürfe, gar nicht
eintreten. Diefe feien alfo immer nur eine Folge fittlicher Un
vollfommenheit, ein Mangel an Tugend, mithin pflichtwidrig,
weil zu bderfelben Zeit flatt finden koͤnne jened offenbar pflicht⸗
mäßige Suchen. — Doch unfere Vergleichung bietet und noch
einen andern Ausweg dar. Es koͤnnte nämlich, jemand fagen,
. wie bad Erwachen aud dem Schlaf auch in manchen Faͤllen
wahrhaft eine Handlung fei, wenn wir und nämlich von de
Nothwendigkeit des Gefchäftes oder von einem ſtarken Entſchluß
gemahnt, Thon ald wir und dem Schlafe hingaben,; vorgefut
haben zu einer beflimmten Zeit zu erwachen, und dies dann auch
leiften: fo fei es nun hier immer. Die Unterbrechung des pflicht⸗
mäßigen Handelns durch die Erholung fei nun größer oder Has
ner, immer werde fie nur eingewilligt als in eine Unterbrechung,
mithin für eine beflimmte Zeit. So fei demnach dad Berufß
leben keinesweges eine Epiſode, fondern das einzige ganz in fih
zufammenhängende, und das Spiel fei die Epifode im eigentlich:
fien Sinne, indem auch die Ruͤkkehr von demfelben zum Pflicht
leben nicht aus der Erholung felbft ald eine Wirkung berfelben
bervorgehe, fondern fie gehe vielmehr auf den Anfang bderfelben
zuruͤkk, und fei fchon vollkommen begründet und beſtimmt gewollt
in demfelben Zeitraum pflichtmäßiger Tchätigkeit, auf welchen bie
Erholung gefolgt ift, fo wie ja in jenem Falle das Erwachen
auch noch dem wachenden Auftande vor dem Einſchlafen ange
427 |
hört. — Auch dieſe Darftellung der Sache: aber erflärt das Ende
eined folchen Zuſtandes nur indem ed die Schwierigkeit auf dem
‚ Anfang zurüffwirft. Denn freilich, wenn eine Paufe im Berufs⸗
Leben befchloffen wird als eine folche, fo wird ihr Ende ſchon mit⸗
beſchloſſen, und daß fie dann beendigt wird, ift dem gemäß eine
vollfommen fittlihe Handlung. Aber wenn es wahr iſt daß
immer entweber Aufforderung zu pflichtmäßigen Handlungen vors
handen ift, oder Gelegenheit dazu gefucht werben kann: wie mag
benn ein Beichluß, diefe Bahn auch nur auf eine kurze Zeit ganz
zu verlaffen, jemald ohne Pflichtwidrigkeit zu Stande fommen?
Und bier eben fcheint uns die Aehnlichkeit mit jenem andern Ges
biete. ganz zu verlaffen. Das natürliche Erwachen freilich ift nicht
nur dann, wenn ed für einen beflimmten Zeitpunkt gewollt wors
den ift, wirkliche That, fondern es muß auch in jedem Sale,
wenn dad thätige Leben wieder beginnen fol, erft durch Beſin⸗
nung auf den Gefammtzuftand That geworben fein. Ganz ein
anderes aber iſt es mit dem Einfchlafen. Died ift- niemald freie
Handlung, fondern immer nur eine Natumothwendigkeit, alfo für
dad geiflige Lebensgebiet nicht eine That, fondern nur eine Be
gebenheit. Wir wehren und dagegen oft, fo lange wir nur ir⸗
gend Eönnen, und bezeugen eben badurch, daß fo lange wir noch
im Stande find zu wollen, wir auch die fittliche Thaͤtigkeit fort⸗
fezen wollen und nichts anderes; und eben fo ift es mit der Zeit,
bie wir der Ernährung widmen. Denn wenn wir und vielleicht \
in der Regel gegen Hunger und Schlaf nicht bis auf den lezten
Augenblif wehren, und fomit auch das Einfchlafen freiwillig zu
fein fcheint: fo kommt Died theild daher, weil, wenn wir ben
Kampf zu lange fortfegen wollten, der Preis beffelben immer ſchon
früher verloren gehn würde, indem bei zu großer Anfpannung
der Kräfte nichtd mehr gefördert wird; theild verbindet fich mit
biefer Erfahrung die andere, wie viel heilfamer es iſt, wenn auch
biefe unabmweisbaren Forderungen der Natur in eine beflimmte .
Ordnung gebracht werden. Was alfo hierbei als freiwillig er- o
428
ſcheint, das ruht doch ganz auf der Naturnothwendigkeit, und
iſt nur eine Mobdification derfelben. Das Uebergehen aus bem
Pflichtleben in bie Erholung hingegen iſt immer und urfprüng-
lich freiwillig. Es giebt dafür gar Feine Naturnothwendigkeit,
und man kann niemals fagen, daß die Erholung fo beflimmt al
Beduͤrfniß indicirt fei, wie ber Schlaf und die Ernährung &
find. Zumal einige firenge aber erfahrene Leute kommen und
fagen, daß fchon die Abwechslung in pflichtmäßigen Handlungen
ein hinreichendes Mittel fei zur Wiederherftellung der pfpchifchen
Naturkräfte. Freiwillig alfo, und ohne dag eine hemmende Ras
turnothwendigkeit einträte, müffen wir die pflichtmäßige Thaͤtig⸗
Feit, fei es auch nur für eine Zeit lang, aufgeben; und es fragt
fih, ob Died auf eine pflichtmäßige Weife gefchehen, ob ein folcher
Entſchluß aus dem fittlichen Intereſſe felbft hervorgehen koͤnne.
Es fei mir erlaubt, hier zu bemerken, daß meine neulich in der
Akademie vorgelefene Abhandlung *) Ueber Platond Anficht von
der richtigen Ausübung der Heilkunſt, denfelben Gegenftand im
Auge hat, und genau genommen, wiewol e& nicht auögefprochen
wird, nichts anderes ift ald von einem einzelnen Falle ausgehend
eine cäfuiftifche Behandlung Diefer Frage. Die Krankheit, welche
einen beflimmten Verlauf hat, ift dem Schlaf zu vergleichen ober
dem Hunger. Die Naturnothwendigkeit das pflichtmäßige Han
bein einzuftellen würde eintreten, follte es auch größtentheild um
etwas fpäter geichehen, als der Arzt den Kranken in feine Bes
handlung nimmt; und fobald die Möglichkeit des Berufslebens
wiedergegeben ift, hört auch die Unterbrechung auf. Wer hingen
gen auch die Kränklichkeit auf folche Weife behandeln laͤßt, baß
er fein Berufsleben unterbricht, nicht um einer fichern Heilung
‚willen, die in beſtimmter Zeit erfolgen müßte, fondem nur um
einer immer wieder zu erneuernden Linderung willen, ber macht
*) Die Akademie hat dem Verfaſſer in Bezug auf diefe Abhandlung ben
Wunfc gewährt, fie nicht im ihre Denkſchriften aufzunehmen.
429
‚einen eben folchen Anfpruch auf Erholung — denn was ift Lin-
derung anders? — der nie Tann fittlich gerechtfertigt werben;
und Platons Meinung geht dahin, dag man nicht folle die pflicht>
mäßige Thätigkeit als die eigentliche Lebensbeſtimmung jenem
Anfpruch aufopfern, und nie eined bloß erlaubten willen dad
Gebiet des pflichtmäßigen in immer engeren Grenzen einfchliegen, -
fo lange e8 noch möglich ift ed in weiterem Umfange zu erfüls 10
len. Denn daß ein folgyer Gehorſam gegen ben Arzt, wie ſehr
diefer auch fonft dad Necht habe über die Franken zu herrichen,
Doch immer nur etwas erlaubtes fei, dad wirb jedem einleuchten,
Man Tann die platonifche Widerfezlichkeit rauh finden und eigens
finnig, aber pflichtwidrig wird fie Doch niemand nennen wollen,
es müßte denn einer gar feine andere Pflicht gelten laſſen wollen
als die der Selbfterhaltung, und dieſe in dem weiteften Sinne.
Iſt nun aber: der Ungehorfam nicht. pflichtwidrig: fo Tann auch
der Gehorfam nicht pflichtmäßig fein, fondern nur etwas zwifchen
beiden. ‚Und der dortige Eifer gegen die Weichlichkeit, mit wels
cher wir in folche Erholungdfuren eingehen, geht zugleich auf
alle Weichlichkeit, mit, welcher wir dem erlaubten einen freien
Spielraum vergönnenz; und den Aerzten find in jener Beziehung
alle Diejenigen zuzugefellen, welche der Erholung dienen, und ſich
und einander abwechfelnd zuzufchieben fuchen, jeder mit dem- Ans
ſpruch, daß wir nun auch um feinetwillen unferm Berufsleben
einige Zeit entziehen möchten, deren Verwendung in bad was er
und Darbietet, und fchon. irgendwie zu Gute kommen werbe in
ber Zukunft. Wenn man nun bedenkt, wie ed in unferm heuti⸗
gen Leben eine große keinesweges zu uͤberſehende Klaſſe giebt,
‚für welche fi in immer nicht unbebeutender Zeit des Jahres
dad, was feinem Gehalte nach nur Erholung fein kann, fo zus
fammendrängt, daß zwifchen Vorbereitung und Genuß und neue
Vorbereitung faum ein weniged von folcher Thaͤtigkeit, die wirt:
lich von fitilichen Impulfen ausgeht, gleichfam ald Erholung von
Erholungen eingefchoben werben kann: fo wird auch jener Eifer
430 _
minder barokk und unphilofophifch erfcheinen ,- weil er gegen eine
Marime gerichtet ift, welche, indem fie allen Ernft des Lebens
bedroht, zugleich auch wenn fie Erfolg hätte, aller Philofophie
ein Ende machen würbe. Darum lobe ich mir für Diefen Gegen
ftand einen berühmten Ethiker, wenn ich auch über anderweitige
Anwendungen feiner Formel nicht überall mit ihm einig werden
dürfte, welcher mancherlei Anfprüdhe, die in fein Syſtem von
Pflichten nicht hinein gehen, damit abweifet, ed fei alles derglei⸗
chen, wozu man Feine Zeit haben müffe; eine Formel, die auch
ſchon in jener platonifchen Diatribe vorkommt. |
Und in der That, ohne mich auf die Frage einlaffen zu
wollen, ob alled nicht an fich pflichtmägige auf dieſe Weiſe ab
gewiefen werden kann, fcheint es nicht fchwer bie Formel fp zu
u entwiffeln und zu begründen, daß dadurch wenigſtens auf mitte:
bare Weife die ganze Zeit, welche unfer Begriff fich angemaft
hatte, wieder für die Pflicht und den Beruf gewonnen wir.
Denn wenn wir aud zugeben, ed müßten aus irgend einem
Grunde Paufen in dem Berufsleben eintreten, auch außer denen
welche durch bie Nothwendigkeit des Schlafed und der Ernaͤh⸗
sung erzwungen werden: muß Deshalb die Zeit durch irgend ds
was auögefüllt werden, was mit dem fittlichen Intereffe in gar
feiner Verbindung fteht? Mas ich eben beiläufig ald einen ziem⸗
lich unbeflimmten und eben deshalb auch unfichern Ausſpruch ber
Erfahrung angeführt habe, daß fchon Abwechfelung mit verichie
denartigen pflichtmäßigen Handlungen eine Erholung gewaͤhre,
das läßt fich allgemeiner auf einen größern Gegenjaz zuruͤkkfuͤh⸗
ren, nämlich auf den zwifchen der Betrachtung und der Außen
Thätigkeit, fo nämlich, daß denen, welche aus“ der Betrachtung
ihr eigentliches Gefchäft machen, fchon jede nach außen gehende
Thaͤtigkeit, auch folche, Die Berufdarbeit ift für andere, Erholung
gewähre, und eben fo diejenigen, welche durch ihren Beruf an
eine äußere Thaͤtigkeit gewiefen find, ſich ſchon in ber Betrach⸗
fung erholen. Jene alle vürkten wur in beftinimten: Bwifchen
—4
431
v4
räumen bie Vertreter von biefen werben, um einer andern außer
halb des fittlihen Gebietes liegenden Erholung nicht weiter zu
bedürfen, Für die lezteren aber giebt es ein Gebiet der Betrachs
tung, auf welchem fie jich ergehen Tönnen, ohne den Zufammens
bang mit ber pflichtmäßigen Tchätigkeit aufzugeben. Wenn ich
aus der Abhantlung über den Pflichtbegriff zurüffrufe, wie jede
einzelne fittliche Willensbeſtimmung ein Product ift von der alle
gemeinen fittlichen Richtung bed Willens in eine beflimmte dus
Bere Aufforderung, wird nicht daraus folgen dag alle Unvoll⸗
fommenheit in der Pflichterfillung theild auf einer ſchwachen
Wirkſamkeit des fittlichen Impulſes beruhe, theild auf einem Mans
gel an, Fertigkeit die einzelnen Aufforderungen wahrzunehmen? -
Nun aber giebt e8 Betrachtungen welche den fittlichen Antrieben
einen neuen Zufluß zuführen, und auch ſolche welche die Auf⸗
merkfamkeit auf den fittlichen Gehalt und die fittlichen Beduͤrf⸗
niffe unfered Lebenskreiſes zu fchärfen geeignet find. Wer alfo
mit folchen die geforderte Paufe ausfüllt, der wird keines Ueber⸗
ganges zu folchen Handlungen bedürfen, zu welchen fich Feine
fittlichen Motive nachweiſen laffen; denn zur Theilnahme an’ fol
hen Betrachtungen findet jeder dad Motiv in dem Bewußtfein
der Unvolfommenheit feiner Pflichterfülung. Ja man Eönnte
fagen, fole es überhaupt einen hinreichenben Grund geben zu 1
ſolchen Paufen: fo koͤnne es nur der fein, daß in einem länge:
“ ren. oder Türzeren Zeitverlauf dieſes Bewußtſein fo mächtig würde,
daß die Aufforderung, fich zu fittlich flärkenden und belehrenden
Betrachtungen: hinzumwenden, alle anderen Aufforderungen übers
wiegt. Sei nun aber diefe befriedigt: fo trete auch unmittelbar
der gewöhnliche Verlauf der Berufsthätigkeit wieder ein. Hier
find wir alfo bei einer rigoriftifchen Theorie angekommen, welche
für alle ſolche Zwifchenräume Feinen andern Inhalt geftattet ald
die fittliche Betrachtung, und deshalb alled was fi) unter dem
Vorwande ber Erholung ald erlaubtes eingefchlichen hatte, wenn
auch die Form nicht gleich zerfchlagen werben kann, bad in einen
432
folhen Inhalt umlenkt. Und da nun bie aus der Betrachtung
bervorgehende fittliche Belebung und Reinigung unläugbar eine
Vervollkommnung und aljo ein heil der fittlichen Aufgabe if:
fo kann jedem, der im Begriff wäre fich dem fogenannten eu
laubten hinzugeben, gezeigt werden daß es in dieſem Augenblikk
auch für ihm noch einen heil der fittlichen Aufgabe zu realifiren
gäbe, und jeder wäre ohne alle Entſchuldigung, wenn er nicht
umlenkte. Auch bat wol jeder diefen Anzeiger immer in fich ſelbſt.
Denn wer müßte nicht, fo oft ihm die Aufforderungen zu pflichts
mäßigen Handlungen nicht mehr in Fülle zuffrömen, fich felbfl
einer fichtbaren Abflumpfung zeihen, welche ihm eine neue Be
lebung nothwendig macht. Mithin giebt ed Feinen anderen Wed;
fel ald diefen, und die Formel, daß wir zu nichts Zeit haben
follen, was nicht pflichtmäßig fondern nur erlaubt, nicht fittlic
. nothwendig fondern nur fittlich möglich fein will, dafür aber
auch nur von finnlichen oder wie man auch gelagt bat pathole
giſchen Motiven audgeht, erfcheint vollkommen gerechtfertigt. Vor
ausgeſezt alfo, das fei die richtige Worftelung von erlaubten
Handlungen, von der wir gleich anfänglid) audgegangen find:
fo würde unfere Unterfuchung dahin enden, dag man immerhin
zugeben koͤnne, diefe Handlungen feien ihrem Inhalte nach nicht
pflichtwidrig, und in fofern alfo an fich betrachtet fittlich mögs
lich, voie ja auch das erlaubte gewöhnlich erklärt wird; aber
dies fei eine Möglichkeit von jener untergeordneten Art, welche
nie realifirt werden Tann. Denn folche Handlungen vollziehen
wollen fei immer pflichtwidrig, weil ein beflimmter Wille in
einem Augenblikk anders ald aus fittlichen Motiven zu handeln
nothwendig voran gehen muß.
13 Menn nun auf ber einen Seite gegen bie At, wie und
dieſes Ergebnig entflanden ift, ſchwerlich viel einzumenden fein
möchte: fo wird auf der andern Seite doch auch nicht leicht je
mand das flarre und verfteinernde darin verfennen, wodurch fih
überall bie fittlichen Geftaltungen ousgichnen, bie von dem iſo⸗
433
lirten Pflichtbegriff aus gebildet find. Nun hängt aber die ganze
biöherige Auseinanderfezung von unferer früheren Behandlung des
Hflichtbegriffes ab, und zugleich beruht fie auf dem ftrengen Une
?erfchiebe zwifchen rein fittlichen Motiven und finnlichen oder pa-
thologifchen; ed kaͤme alfo zunachit auf einen Verfuch an, ob
nicht, wo dieſer nicht auf diefelbe Weile anerkannt und jener Bes
griff anders gefaßt wird, ein mildered und anfprechenderes Er:
gebniß hervortritt; und man Fünnte die Frage aufmwerfen, ob es
nicht, flatt den Begriff des erlaubten aufzugeben, richtiger fein
möchte, jenen Unterfchied etwas minder fcharf zu faffen und ven
Begriff der Pflicht irgendwie auf einen engeren Raum zu be
fchränten. Der Verſuch wird wol nicht anders ausfallen als fo.
Wenn wir jene Unterfcheidung bei Seite flellen, auf welcher der
firengere Pflichtbegriff beruht, und vorzüglich) zugeben, auch was
wir nur von finnlihen Bewegungen aus erfireben, gehöre mit
zur Volftändigkeit des Lebens: fo wird doch auch auf diefem
Standpunct jeder der nur überhaupt der Idee der Sittlichkeit
eine Wahrheit beilegt, doch damit einverflanden fein, daß der Zu:
ftand der vollfommenften fittlichen Selbfibejahung auch das höchfte
Bewußtiein und der höchfte Lebenszuftand fei. Soll nun zugleich
noch ein Unterfchied zwifchen innerlich gebotenem und lediglich
erlaubten beftehen: fo folgt auch nothwendig, daß jener höchfte
Zuftand nur durch die erfte Tchätigkeit herbeigeführt wird, durch
die andere aber nicht. Wie fol fich einer aber freiwillig dazu
verftehen, und nicht fich felbft Unrecht thun, wenn er ed thäte
aus jenem höchften Zuſtand in einen niebrigeren überzugehen?
zumal und dad niedrigere doch fchon von der Natur aufgedrun:
gen wird, und dann unfere erfte Sorge ift, ed fo viel möglich
zu veredeln! Wenn fich alfo nun diefe, bie mehr den Stand:
punkt der Lebensweisheit fefthalten, mit jenen flvengeren bloß ra-
tionellen Sittenlehrem vereinigen, und nun noch eine dritte Klaffe
hinzukommt und baffelbige fagt, nämlich die firengeren Anhänger
einer fupernaturaliftiihen aſcetiſchen Froͤmmigkeit, als welche ſich
Schleierm. W. III. 2. Er
434
auch nur durch die Naturnothwendigkeit überwältigt auf dem
Gebiet der Natur bewegen wollen, fonft aber, um mich ihres
1s Ausdrukks zu bedienen, nur dad für unfündlich erkennen, nicht
etwa was der Gottandächtigfeit nur nicht wiberforicht, fonbern
nur dad wad ihr unmittelbar angehört und von ihr ausgeht:
welch ein gefährliches Buͤndniß gegen unfern Begriff von mehre
ren, welche font felten Eind find! und doch wie natürlich muß
e8 und erfcheinen, wenn wir nur noch Eine Betrachtung bazu |
nehmen. Denn jene rein rationellen Moraliften, denen bie Pflicht
allein das fchlechthin heilige iſt, unterfcheiden fi) zwar von ben
andern beiden wefentlich dadurch daß fie fich niemals in bem
einer? Augenbliff durch die Beziehung auf den andern beftim
men; dafür aber haben fie an dem fich immer gleich bleibenden
Gebot einen Beziehungspuntt, von dem fie fich niemals koͤnnen
entfernen wollen, fo lange fie nicht dad Gebot etwa in ein Ber
bot verwandeln. Die andern beiden, bie es weniger fcheuen auf
einen Fünftigen Moment Rüfkficht zu nehmen, werden jeder auf
feine Weife fagen — ich will ed aber nur in einer Sprachweiſe
- auöbrüffen — Wenn wir auch über den kritiſchen Augenblikk
einer freiwilligen vorübergehenden Entfagung auf das hoͤchſte
binweggehen,, fo treten doc immer hernach Momente des hoͤch⸗
ſten rein ſittlichen Bewußtſeins ein, wo dieſes ſich im feiner rich⸗
tenden Form auf bie ganze Vergangenheit wendet, mit einge
ſchloſſen diefe Zuflände der Unterbrechung des fittlichen Lebens.
Ein folches wieberaufnehmended Bewußſein wirb aber in allen
zweifelhaften Fällen die Ergänzung oder Berichtigung des un-
mittelbaren. Wird nun alddann die Vergangenheit um jener Un
terbrechungen willen gemißbilligt, weil ſich, nun ein größerer Zus
fammenhang vorliegt, das fittliche zeigt, was in jener Stelle
hätte gefchehen follen: fo war es auch damals nur ein unvol:
fländiged Bewußtſein, vermöge deſſen fie und ald erlaubt erſchie⸗
‚nen, fondern fie follten und als pflichtwidrig erfchienen fein. Ber
ringert fich aber die Billigung auch alddann nicht, erfcheinen viel
435
mehr jene damald nur ald erlaubt unternommene Handlungen
als wirffam in dem fittlichen Zufammenhange des Lebens: fo
war doch das frühere Bewußtſein ebenfalls unvolfländig; benn
wir follten fie nicht nur für erlaubt, fondern für pflichtmäßig ers
kannt haben. Sonach würde alfo, fobalb wir nicht eine unbes
flimmte Allgemeinheit im Auge haben, fondern von einer bes
flimmten Handlung die Rebe ift, die in beftimmter Zeit vollzogen
werben fol ober unterbleiben, das dritte zwifchen dem pflichtmä-
igen und pflichtwidrigen, welches unfer Beweis aufftellen will,
auf jeden Fall auögefchloffen.
Und wie geftaltet fi) die Sache, wenn wir auf dad Ver: 15
haͤltniß unfered problematifchen Begriffes zu dem andern für und
außer allem Zweifel geftellten, nämlich zu dem Begriff der Zus
gend fehen wollen. Schon bei der Tugend im allgemeinen, noch
mehr aber wenn wir und die Tugenden vereinzeln wollen, müfs
fen wir auf zweierlei achten, auf bie Stärke und Tuͤchtigkeit der
beflimmten Zhätigkeisform, und auf die Unfehlbarkeit und Aus⸗
fchlieglichkeit ihres Zufammenhanges mit einem fittlichen Antriebe,
Mag immerhin der Begriff feiner materiellen Seite nach einer
unendlichen Theilbarkeit fähig fein; alle Fertigkeiten find doch
nur in fofern Tugenden, als fie nur durch einen fittlichen Ans
trieb in Bewegung gelegt werden. Wenn nun bie erlaubten
Handlungen nur durch ſolche Thätigkeitsformen verrichtet würs
den, welche unfähig find dem fittlichen Antriebe zu folgen: fo
wäre es nicht möglich, dag fie nicht follten dem fittlichen Ins
tereffe widerftreiten, und alfo pflichtwidrig fein. Wenn nun aber
Thätigkeitöformen, die ihrer Natur nach dem fittlichen Antriebe
dienen koͤnnen, und alfo auch häufig für ihn in Anfpruch genom⸗
men werden, in den erlaubten Handlungen einem finnlichen Im⸗
pulfe dienen: wie follte es möglich fein, daß dadurch nicht ber
Zufammenhang diefer Zertigkeiten mit dem fittlichen Antriebe,
mithin auch ihr Zugendgehalt geſchwaͤcht würbe? Betrachten wir
nun von bier aus ben ganzen Umfang des fogenannten Erho⸗
Er?
4.36
Iungslebens : fo finden wir darin eine große Mannigfaltigkeit an:
muthiger und gierlicher Sertigkeiten gefhäftig, die wir nicht ge
abe Tugenden nennen, aber nahe verwandt finden wir fie ben
Tugenden, und müffen faft von ihnen allen rühmen, daß durch
fie auch die pflichtmägigen Handlungen, in denen fich Die eigent
lichen Tugenden zeigen, erft ihre hoͤchſte Vollkommenheit erlan⸗
gen. Iſt nun biefes nicht zu läugnen, wenn wir an die Meifter
fhaft in der Sprache, an die Anmuth in den Bewegungen, an
das fchöne Maag in allen Aeußerungen und an fo vieled andere
denken: fo werben wir doch auch geftehen müffen, dag diefe Eis
genfchaften, wenn fie ſich an ben pflichtmäßigen Handlungen fin
den, dann auch Zugenden find, wenn auch nur untergeordnefe,
weil fie bier nur durch ben fittlichen Antrieb in Bewegung geſezt
werben, welcher der Haupthandlung zum Grunde liegt. Kom |
men fie aber vor in dem freien Spiel des gefelligen Verkehr:
dann freilich find fie Feine Zugenden, weil der Zufammenhang
mit dem fittlichen Antriebe fehlt. Wie foll aber das beides neben
einander bergehen, ohne baß eines bem andern fehadet? Je we
16 niger der Lauf des Berufslebend unterbrochen worden, um beflo
fchwieriger wird ed dann werben, in biefen feltenen Fällen jene
Fertigkeiten, die ganz in den Ernſt des Lebens hineingezogen find,
für die wenn auch unfchuldigen finnlichen Antriebe in Gang zu
bringen. Se mehr Raum dad Erholungsleben einnimmt, um deſto
mehr muß ber Zufammenhang folcher Fertigkeiten mit den fittli:
chen Antrieben gefchwächt. werden, und alfo hier die Tugend all:
mählich verloren gehen. Daher ift auch hier das Enbdergebniß
baffelbige. Wir dürfen e8 nie billigen, dag unfere wohlerworbe
nen Fertigkeiten bald. einem fittlichen Antriebe ‚dienen und bald
einem finnlichen. Wie unfchuldig auch ber leztere fein möge,
das finnlich begonnene kann doc nur fittenverberblic) wirken;
wenn alfo alled was zur Tugend gehört, in wahrem Fortſchrei⸗
ten bleiben fol: fo muͤſſen die Handlungen, die wir geneigt find
als erlaubte zu dulden, aanı aus bem Leben verbannt werben,
|
|
|
437 ’ .
ed müßte denn fein dag auch fie in der That von fittlichen An.
trieben ausgehen.
Sonach iſt nur noch uͤbrig, daß wir dieſe Handlungen in
Beziehung ſezen mit dem dritten Begriff, naͤmlich dem der Guͤter
und Uebel. Hier aber koͤnnen wir nicht mehr ganz ſo verfahren
wie bisher; denn wir haben es nicht mit den einzelnen Handlun⸗
gen ſelbſt zu thun, ſondern mit dem was aus der Geſammtheit
gleichartiger Handlungen hervorgeht. Und hier muß ſich alſo
zeigen, ob, wenn wir auf dieſe Weiſe jede Art von erlaubten
Handlungen fuͤr ſich betrachten, man ſagen kann, daß ſie, im
allgemeinen und nur ihrem Inhalte nach angeſehen, in der Mitte
ſtehen zwiſchen dem ſittlichen und unſittlichen. So wird es ſich
naͤmlich verhalten, wenn dasjenige, was ſich aus ihnen als ein
Ganzes geſtaltet, weder ein Gut iſt noch ein Uebel. Sollte aber
dieſes nothwendig entweder ein Gut ſein oder ein Uebel: dann
gewiß find auch die Handlungen, woraus dieſes hervorgeht, in
dem einen Zalle fittlih, in dem andern unfittlih. Nun ift ges
wiß, daß ohne die Gewohnheit des Spazierengehens: Feine fchöne
Sartenkunft vorhanden wäre, daß ohne die Neigung Muſik in
Maſſe zu hören, unfere großen Gattungen tomkünftlerifcher Pros
duction nicht beftänden, und eben fo wenig die Dramatifche Kunft,
wenn ſich niemand an ihren Darftelungen ergözte*). Könnten ı7
wir nun wohl diefe und andere ähnliche fo große gemeinfchaftliche
*) Sollte jemand einwenben, man Tönne body eigentlich nicht fagen, daß
diefe Künfte aus den angegebenen Handlungen, im ganzen betrachtet,
entftünden: fo bemerkte ich dagegen, daß doch offenbar Muſik hervors
bringen und Mufit aufnehmen und fo auch das übrige beides zufams
mengehört, ja weſentlich daffelbige ift, und fi) nur verhält wie Spon⸗
taneitaͤt und Receptivität, und dag daher alle feftlichen Verſammlungen
diefer Art angefehen werben koͤnnen als ein aus Einem Impuls hervor⸗
gehendes Ganze, das nur aus in bem angegebenen Verhaͤltniß ungleich-
artigen heilen befteht, in welchem einigen ihrer Befchaffenheit gemäß
obliegt probuctiv heevorzutreten, ben anderen das bargebotene aufzus
faffen und im fich lebendig zu erhalten.
‘ 438
Werke ganz aus dem fittlichen Gebiete verweifen und für ſittlich
gleichgültig erklären wollen? ober werben wir nicht immer fagen
müffen, entweder es fei eine Unvollfommenheit wenn fie in einem
Volke ganz fehlen, und dann find fie ein Gut, oder es fei ein
Verderben wenn fie in einem Volke auch nur irgenbwie vorhan⸗
den find, und dann find fie ein Uebel, Sonach muß aber aud
in dem einen Falle fittlih, und alfo irgendwann pflichtmäßig
fein, fie machen zu helfen, und in dem andern unfittlich und
auf alle Weiſe pflichtwidrig, fie nicht nad) allen Kräften zu bins
dern und zu flören. Oder — um noch ein anderes Beilpiel ans
zuführen — es könnte jemand fagen, die Thaͤtigkeit der Gedan⸗
Tenerzeugung fei nur rein fittlich, wenn fie abſichtlich auf etwas
beſtimmtes gerichtet entweder dad gefchäftige Leben begleitet und
dieſem angehört, ober fich auf dem Gebiet der Wiffenfchaft an
der Leitung einer firengen Methode entwikkelt; aber Einfälle
nicht fowol zu haben, denn das könnte als unwillkuͤhrlich nicht
ganz hieher gehören, aber doch fie auszubilden und mitzutheilen,
diefed koͤnne doch nicht jenem gleichgeftellt werben, ſondern höd-
fiend als etwas erlaubte durchgehen. Ich aber entgegne, baf
wie durch jenes das Geſchaͤftsleben und bie Wiffenfchaft gemacht
wird, fo durch dieſes das freie gefellige Gefpräch in feinen ver
fchiedenen reizenden Formen; und ich koͤnnte nicht abfehen, warum
dieſes weniger ald jene follte entweder ein Gut fein ober ein
Uebel. Ich trage daher Fein Bedenken, hierauf geftüzt den Aus:
fpruch zu thun, dag fo große und bedeutende Gebiete ber menſch⸗
lichen Gefammthätigfeit keinesweges dürfen der fittlichen Beurtheis
lung entzogen werden; und ich glaube, es wird fehwer fein, ir
gend eine Thätigkeitöform, bie man gern als erlaubt möchte gel:
ten laſſen, aufzufinden, welche im großen betrachtet nicht einem
folchen gemeinfamen Werke angehörte, Wie wir alfo auf ber
einen Seite fagen müflen, jede freie Handlung eines fittlichen
Weſens muß entweder pflichtmäßig fein oder pflichtwidrig, und
alle Fertigfeiten, welche in pflichtmäßigen Handlungen verwendet
439
werben koͤnnen, dürfen niemals einem wenn auch noch fo uns Mr
fhuldigen doch bloß finnlichen Antriebe folgen: fo auch alles,
was aud freien Handlungen gleicher Art zuſammenwaͤchſt, muß
entweber ein Gut fein oder ein Uebel. Sonach würde der Be⸗
griff des erlaubten aufgehoben, und fein Inhalt müßte — wie,
bad lafjen wir dahin geflellt fein — unter die beiden Glieber
bed Gegenfazes, zwifchen denen ed fonach Fein Dritte gäbe, ver
theilt werben.
Nachdem fi) nun von allen Seiten her gleichmäßig baffelbe
ergeben hat, kann wol bie oft wiederholte Klage, das ſei eben
die Krankheit der Theorie, ihren Gegenfland fo auf die Spize
zu fielen, daß fie fich felbft dadurch alles Einfluſſes auf die Aus⸗
übung beraube, nicht weiter gehört werden; benn hier möchte
fchwerlich eine Wahl fein. Wenn wir eim fittlich gleichgültiges
zwäfchen einfchieben zwiſchen Gebot und Verbot, und alfo durch)
bie Theorie felbft der Willkuͤhr und dem einzelnen ja augenblift-
lichen Gutbünten einen Spielraum geftatten, was ber Theorie
mehr als alles anbere entgegen ifl: fo geht diefer Einfluß eben:
falls verloren; aber es möchten überbieß von der eigentlich fitt:
lichen Theorie Faum noch unzufammenhängende Bruchſtuͤkke übrig:
bleiben, und fehr bald alles, was Pflicht auch im fittlichen Sinne
fein fol, auf dad Gebiet des äußern Geſezes befchränkt werben.
Nur das find wir freilich fchuldig zu erflären, wie doch bie:
fer Begriff, wenn er fo ganz unftatthaft ift, entftanden fei und
fich fo weit verbreitet habe. Dies hat aber auch Feine Schwie:
rigkeit, vielmehr führt fchon das eben gefagte unmittelbar darauf.
Das ift nämlich wol Bar, dag der urfprüngliche Siz diefed Be
griffes nicht dad Gebiet der Sittlichteit fein Fann, auf welchem
er eben gar nicht flatthaft iſt. Er-gehört aber in dad Gebiet
des pofitiven Rechtes und Gefezed; und im bürgerlichen Leben
giebt ed urfprünglich in eben diefem Sinne ein erlaubtes, daß
es nämlich in ber Mitte ſteht zwifchen dem gefezlichen und dem
gefegwidrigen, ald basjenige offenbar, was dad Gefez gar nicht .
440
zu feinem Gegenftande gemacht hat. Denn in dem vorbürges
lichen Zuftand, wo es fein äußerlich gebotened und verbotene:
giebt, giebt es eigentlich auch Fein erlaubtes, und nur wir von
dem gefezlichen Zuflande aus werfen die Frage auf, ob dort alles
erlaubt fei. Aber ed giebt eben deshalb auch auf jener Stufe
‚ wenig individuelle Entwilfiung des Willens, fonden nur eine
gleichförmige Art und Weile. Mit dem Anfang des bürgerlichen
Buftandes fezt das Gefez fich ſelbſt ald Gebot und Verbot, und
zugleich. erwacht im Gegenfaz der indivipuelle Wille; beides von
10 einem Bleinften beginnend in fortfchreitender Entwikklung. In
demjelben Maag aber entwikkelt fi) auch dem Gefez gegenüber
der Wille des einzelnen und bemächtigt fich des freigelaffenen
Zhätigkeitöftoffes, und das ift dad Gebiet bed erlaubten. Zwar
unterfcheidet fchon der Autor ad Herenn. *) erlaubende Gefge
von nöthigenden Gefezen, und auch bei Gicero **) kommt bafjelbe
vor, und hernach eben fo bei ſpaͤteren zömifchen NRechtölehrern ***);
und wahrfcheinlich ift die Quelle diefer Vorftelung fchon grie
chiſch; allein es ift wol nicht zu bezweifeln, daß Erlaubnißgefee
im römifchen Staate fich immer nur auf frühere Verbote bezogen
als Aufhebung oder als theilweife Begrenzung derfelben, und
dies gilt auch von denen Erlaubnißgefezen, welche Kant verfucht
hat geltend zu machen. in bürgerliche Erlaubnißgefez ohne
eine folche frühere Beziehung läßt fi) nur denken in dem Falle,
wenn fich für die Bürger eine biöher noch gar nicht vorgekom⸗
mene Thaͤtigkeit aufthäte. Aber auch dann wäre eine von der
böchften Gewalt auögehende Erlaubnig doch immer ein Beweis,
daß fie an diefer Thaͤtigkeit Intereffe nimmt, und wäre für eine
Aufforderung oder Auctorifation zu achten. Man kann daher ge
”) 1,10. utrum leges ita dissentiant, ut altera cogat.altera per-
mittat.
“) De Invent. I, 49. utra lex iubeat aliquid,_utra permittat.
***) Legis virtus est imperare, vetare, ‚pormittere, punire. Modestin,
L. 7 D, de legib. I, 3.
441
nau genommen Feineöweges fagen, baß in einem Staate ba& Ges
fez eigentlich eine erlaubende Macht, folglich in demfelben nichts
erlaubt fei, als was vermöge eines Geſezes erlaubt iſt. Vielmehr
werben in dem gemöhnlichen Leben des Staate bie Gefezhüter
nie in ben Fall kommen zu fragen, wer bat bir das erlaubt?
audgenommen ba wo ein Verbot befteht, unter welches die Hands
lungen hätten fubfumirt werben follen, fo daß bie befländige Be
ziehung bed erlaubten. auf das verbotene wol nicht bezweifelt
werden kann. Nur Barbeyrac*) geht von einer andern allge
meinen Vorausfezung aus, ald ob der Gefezgeber genau genom⸗
men über alle Handlungen feiner angehörigen zu biöponiren habe,
und alfo in der That nichts anders erlaubt fei als durch ihn.
Allein dies ift nur für einen folchen Zuſtand richtig, in welchem
die Obrigkeit im eigentlichiten Sinne eine väterliche Gewalt aus⸗
übt, und alfo eine gänzliche Unmünbdigfeit ber Unterthanen vors
ausgeſezt wird. Wie aber in einem folchen Zuftande allerdings 20
der Gegenſaz zwilchen dem erlaubten auf der einen Seite und
dem gebotenen und verbotenen auf ber ‘andern faft verfchwindet:
fo auch jener andere, daß der freie Mille des einzelnen fich fort
entwikkelnd einzelne vollbringt, das Gefez hingegen in allgemei-
nen Acten die Stabilität vepräfentirt, d. h. es ift ein Zuſtand
ber als gefezlicher erft ein Fleinfter if. Wo aber dad bürgerliche
Leben ſchon auf einer höheren Stufe flieht, da nimmt der freie
Mille der einzelnen immer mehr Material ald erlaubt in Beſiz
und ruft es auch hervor, und aus biefem erſt beflimmt dann,
wenn die gemeine Sache es erfordert, dad Gefez wiederum einis
ges als gefezmäßig und geboten, und andered ald verboten und
gefezwidrig. Und fo iſt es natürlich immer ein fehr gutes Zei⸗
chen für einen Staat, wenn fich in demfelben eine recht große
Mannigfaltigkeit von erlaubten Handlungen, ald die Hauptmaffe
der gemeinfamen Thaͤtigkeit, geflaltet. Es iſt dad Zeichen von
v% In ber Ueberfegung bed Grotius 8. 1, S. 49, Note 5.
442
einer erfolgreichen Regſamkeit, und zugleich von einer dem Ge
meinwohl fo zufagenden Richtung berfelben, daß Die Gefezgebung
nicht nöthig findet die Aeußerungen des freien Willens der ein
zelnen durch Werbote zu hemmen oder ihnen durch Gebote ein
Gegengewicht zu geben. Hier alfo iſt der eigentliche Siz bed er⸗
laubten, und jede Handlung wird fo genannt, welche, wenn fie
aus dem freien Willen der einzelnen entipringt, aus dem Geſez
nicht kann angefochten werben. Auf dieſem Verhältnig alfo, daß
ein handelnder Wille da fei und ein Geſez außer dem Willen,
ruht der Begriff weſentlich; und je mehr dem freien Willen ber
einzelnen in dieſem Verhaͤltniß überlaffer ift, um beflo lieber
und Träftiger unterftüzen fie auch wieder bad Geſez. — In die
fem vom bürgerlichen Gefez frei gelaflenen Gebiete aber geflaltet
fich früher oder fpäter ohnfehlbar wieder ein anderes feſtſtehendes,
nämli dad Gebiet der Sitte und der, Öffentlihen Meinung.
Hier finden wir alſo wieber beflimmte übereinftimmende Billigung
und Mißbilligung, welche wir ausfprechen, wenn wir nach Maaf:
gabe der Wichtigkeit und der Befchaffenheit des Gegenſtandes das
eine anfländig ober fchifklih nennen, und dad andere mit den
entgegengefezten Namen bezeichnen. Nicht ift biefe dem Gebot
und Verbot ded Gefezed zu vergleichen; denn die Sitte gebietet
nicht, weil fonft unterbleiben würde was fie verbietet, und um:
gekehrt verbietet fie auch nicht gleich dem Gele; was fonft ge
fchehen würde; fie ift nicht3 außer dem Willen der einzelnen, fons
aı dern fie ift Die Uebereinftimmung diefer einzelnen Willen. Darum
freuen wir und auch hier nicht daran, ald wäre ed eine Folge
fhöner und freier Entwikklung, fondern wir achten-ed als ein
Zeichen herannahenden Verfalls der Gefellichaft, wenn ed fehr
viele Handlungsweiſen giebt, welche die Sitte gleichgültig über:
ſieht, und über welche ſich die öffentliche Meinung nicht aus
fpricht. Und fo erfcheint ed denn, weil das erlaubte dem Rechts⸗
begriff angehört, und nicht dem Pflichtbegriff, auch ganz natuͤr⸗
lich, daß wir ſchon auf dem Gebiet ber Sitte, welches auch ſchon
443
außer dem bed Mechtöbegriffes liegt, keinen Wohlgefallen haben
an einem folchen mitten zwifchen dem löblichen und tabelndwers
then inne liegenden. Viel weniger alſo noch auf dem Gebiete
des eigentlichen fittlichen Pflichtbegriffö, wo jebe Beſtimmung
nichts anderes iſt als ber fich felbft fezende vollſtaͤndige Wille des
einzelnen ſelbſt. Denn eher noch kann jene freie Uebereinſtim⸗
mung der einzelnen Willen unſicher erſcheinen, ſo daß wir nicht
wiſſen ob wir etwas ſollen anſtaͤndig nennen oder unſchikklich,
als daß dem einzelnen Willen fuͤr ſich aͤhnliches begegnen koͤnnte.
Es ſcheint daher nothwendig zu folgen, bag wenn man das
fittliche Handeln fo anfieht wie bier überall voraudgefezt wird,
dag nämlich die Vernunft nicht bloß abichlägt ober genehmigt,
fondern urfprünglich die Handlungen bildet, alddann das erlaubte
von biefem Gebiet verwiefen werben muß, fo daß Fein fittlich
handelndes Subject eine Handlung zu Stande bringt unter ‘dem
Titel einer erlaubten, fondern das erlaubte gehört nur dem Rechts
gebiet an, aber das bort erlaubte thut der fittlich handelnde in
jedem einzelnen Fall nur als die Pflicht des Augenblikks, ober
unterläßt es, weil er eine andere zu thbun hat. Und nur wenn
die Vernunft im fittlihen Handeln befchränkt wird auf Gewähs
rung ober Verſagung bed anberwärtd her geforderten, wie dies
allerdings der Fall ifl, wenn fie nur ein Gefez aufftelt, wonach
fie die Tauglichkeit der Maximen beurtheilt, felbft alfo nichts thut
ald Hecht fprechen; in einer folchen Sittenlehre muß bed erlaubs
ten viel aufgeftelt werden. So daß die Zulaffung dieſes Bes
griffes auf dem fittlichen Gebiet ein charakteriftiihes Merkmal
derjenigen ethifchen Syſteme ift, welche ich die negativen genannt
babe. Wer aber verlangt, es folle fich im fittlihen Menfchen
alles nur ald Organ zur Intelligenz verhalten, der Tann jenen
Begriff nicht zulaffen, fondern muß auch fordern, daß jede Hands
lung ber Idee der Sittlichkeit widerfpreche, zu welcher der Ims
puld nicht von der Intelligenz audgegangen iſt.
Dhne nun hiervon das mindeſte nachzulaffen, kann ich doch 22
444 \
den Sprachgebrauch nicht verbammen wollen, welcher dieſen Auß
drukk nicht rein auf da8 Gebiet bed bürgerlichen Geſezes befchrän;
fen will; und es iſt mir nur noch übrig, die Erweiterungen zu
bezeichnen, welche ihm in Webereinftimmung mit bem biöherigen
geftattet werben. Finnen. Denn zuerft können wir ja unfer gan
zed Sein und Leben im Staat fo anfehen, daß wir durch eine
freie Willensbeſtimmung bineintreten. Wenn diefe nicht in alten
Staaten auf eine fo bezeichnende und feierliche Weiſe zur Ans
fhauung gebracht wird, wie in einigen: fo ift das eher ein Feh⸗
ler zu nennen, aber die Sache ift überall diefelbe. Was nun
von dieſer Willensbeflimmung gilt, daß nämlich durch diefelbe
eine große Menge von Tünftigen Handlungen fhon im voraus
beſtimmt find, diejenigen aber, von benen biefed nicht gefagt wer:
ben Tann, eben die erlaubten find, die wir ſchlechthin fo nennen
— fie find es aber eigentlich nur in Bezug auf jene Willendbe:
fimmung —: eben dad muß gelten von allen Willensbeflimmun
gen, durch welche ein dauerndes Verhältnig angeknuͤpft wird, daß
alle nicht durch fie ſchon im voraus beflimmten Handlungen in
Beziehung auf fie erlaubt find, jede von ihnen iſt aber jebeömal,
wenn fie vollzogen wird, bennocd für den Thaͤter nur entweder
pflichtmäßig oder pflichtwidrig. Ob fie nun aber das eine ober
das andere ifl, ob, nachdem der einzelne fittliche Impuld gegeben
war, ber Gedanke der Handlung au an die Zotalität der ſitt⸗
lichen Aufgabe gehalten worden ift, und fich Fein Wiberfireben
gefunden hat, oder ob es fich entgegengefezt verhält, das wird in
den meiften Fallen nur der Thaͤter felbft wiffen, und wem er es
offenbaren will. Jeder andere Tann von jeder Handlung eined
anderen, welche nicht fchon durch ein ihm befanntes Verhaͤltniß
des Thaͤters irgendwie müßte im voraus beflimmt worden fein,
auch nur fagen daß fie von feinetwegen und für feine Kennts
niß eine erlaubte ſei. Wodurch aber auch der beurtheilende,
wenn er anders fich felbft recht verficht, den Thaͤter keinesweges
davon frei fprechen will, daß er bei der Handlung felbft fich in
Zu 445
einem Zuſtande vollfommner fittlicher Zuſtimmung müffe befun
den haben.
Und was diefem Gebrauch des Wortes den weiteflen Spiels
raum eröffnet, das find die engen Grenzen, in welche dad Sich
offenbaren wollen felbft eingefchloffen ift. Wir koͤnnen den Zuftand
der feflen Ueberzeugung und gänzlichen Zuftimmung zu unfern
Handlungen faſt nur dann in Worte faffen und mittheilen, wenn
wir felbft genöthigt gewefen find mit Worten zu rechnen, wenn 23
und diefe vollkommne Sicherheit entſtanden ift durch überwundene
Bebenklichkeiten, durch aufgelöfte Zweifel, durch eine wohl ab»
wägende Wahl zwifchen verfchiebenen Anſpruͤchen; und dies ift
vieleicht bei den meiften unferer freien Handlungen der Fall, aber
diefe find dann nicht die begeiſtertſten, nicht die reinſten. Die
vollkommenſte Sittlichkeit iſt nur da, wo unſere volle Ueberzeu⸗
gung ſich gleich, und ohne daß etwas anderes dazwiſchen tritt,
der Handlung zuwendet und fi e geſtaltet, und ſolche ‚Handlungen
find es, auf welche wir auch Tange hernach noch mit derſelben
Befriedigung ſehen. Bon ſolchen Augenblikken abet, die nicht
auch innerlich durch Worte vermittelt waren, durch Worte Res
chenſchaft zu geben ift ung nicht verliehen; und fo muͤſſen wir
oft zufrieden fein, wenn das Urtheil anderer uns dad als etwas
wol erlaubtes durchgehen läßt, worin wir felbft uns der fittlichen
Kraft unferes eigenthuͤmlichen Lebens auf das beſtimmteſte bewußt
geworden ſind.
XII.
Ueber den Begriff des hoͤchſten Gutes.
Erſte Abhandlung.
XXLXX
Geleſen am 17. Mai 1827. *)
1 E—⸗ iſt, glaube ich, keine gewagte Behauptung, daß die Sitten⸗
lehre als Wiſſenſchaft ſich in einem unerfreulichen Zuſtande be
findet. Die Productivitaͤt auf dieſem Gebiet iſt aͤußerſt gering,
und auch das wenige wird weniger als alles andere beachtet.
Demohnerachtet kann man nicht ſagen daß fie etwa als eine dl
tere MWiffenfchaft fchon fo völlig ausgebaut fei, dag aus biefem
Grunde der größte Theil des wiffenfchaftlichen Beſtrebens fih
anderen Regionen zuwende. Denn dann müßte fie lange Zeit
hindurch auf eine gleichmäßige Weife fein "bearbeitet worden, wel
ches doch keinesweges der Fall iſt. Vielmehr fcheinen die vielen
und auch in der neueren Zeit fchnell auf einander folgenden Ber:
änderungen zu bemweifen daß keiner von den früheren Verſuchen
eine feſte Weberzeugung begründet habe; und es wäre nicht über
eilt, den Schluß zu ziehen, dag wahrfcheinlich der rechte Weg
noch nicht eingefchlagen fei. Die kantſche Grundlegung zur
Metaphyfi der Sitten mit ihrem kategoriſchen Imperativ machte
freilich ein glänzendes Gluͤkk; aber ſchon die Ausführung auf
*) Gedrukkt unter den Abhandlungen aus bem Jahre 1830.
447
biefem Grunde, welche in ber Nechtölchre und Zugendlehre als
die wirkliche Metaphufit der Sitten auftrat, vermochte nicht ben
erften Erfolg zu unterflügen. Fichtes Syſtem der Sittenlehre
ift unter allen Werken diefed audgezeichneten Denker vielleicht
dad der Form nach vollendetfte; die Wirkung aber, die ed hers
vorgebracht hat, ift verhältnigmäßig wol die geringfte. Laͤßt ſich
nun doch keinesweges annehmen daß es im allgemeinen an In⸗
tereſſe fuͤr den Gegenſtand dieſer Wiſſenſchaft fehle; duͤrfen wir
uns vielmehr wol das Zeugniß geben, daß auch in den verwor⸗
renſten Zeiten Sittlichkeit und ſittliche Gewißheit nie aufgehoͤrt
haben als zu unſern wichtigſten Angelegenheiten gehoͤrig auch den
Forſchungen derer empfohlen zu ſein, welche berufen ſind uͤberall
auf die lezten Gruͤnde zuruͤkkzugehen: ſo kann die Schuld eines
ſolchen Mißlingens nur in der wiſſenſchaftlichen Behandlung des
Gegenſtandes geſucht werden; und am naͤchſten liegt dann immer
die Vermuthung, daß jede Sittenlehre, welche nur in der Form
von Pflichtenlehre oder Tugendlehre auftritt, ſei es in einer von
beiden allein oder auch daß man beide verbindet, nur eine ge⸗
ringe Befriedigung gewaͤhren koͤnne. Wenn auch wirklich ein
Syſtem von Pflichtformeln das ganze Leben umfaßt, ſo daß der
Beſizer deſſelben ſich niemals rathlos finden kann oder auch nur
unaufgeregt: ſo findet es doch ſeine Anwendung immer nur in
ben einzelnen Faͤllen, und hält bie Aufmerkſamkeit an dieſen feſt;
ein lebendiger Zufammenhang alles deſſen aber, was von bem
vernünftigen Willen oder von der Gefezgebung der Vernunft aus:
geht, Tommt hiebei nirgend zum Worfchein. Auch diejenige Pflich:
tenlehre, wozu ich die erfien Grundlinien in einer früheren Ab:
handlung aufgezeichnet habe, konnte dad was fie allerdings vor:
audfezte ald die Abzwekkung aller fittlichen Handlungen, nämlich
die fittliche Aufgabe in ihrem ganzen Umfang zu Iöfen, in dieſer
Form nicht fo zur Darftellung bringen, daß biefer ganze Umfang
ausgefuͤllt vor Augen träte; denn bie Natur jenes Begriffes lei:
det ed nicht. Stellt nun gar eine Pflichtenlehre folche Formeln u
»
+‘
448
auf, welche noch Colliſionen zulafien: fo erfheint die Totalitaͤt
bed Lebend ganz verworren, jo daß klare fittliche Beflimmungen
nur als einzelne zerſtreute Lichtpunkte auftreten, ohne auch, nur
den Anfpruch) machen zu wollen, daß jened verworrene völlig
koͤnne geordnet und die Verwirrung burch ein beflimmtes und
umfaffended erfahren gelöft werben... Denn ed findet fich in
folhen Behandlungen nirgend audgefprochen, daß wenn nur dad
pflichtmäßige Handeln einmal durchgeführt wäre, alle folche Col:
liſionen unmöglich geworden fein müßten. Nicht anders iſt &
auch in beider Hinfiht mit der Tugendlehre. Die Tugend iſt
die fittliche Vollkommenheit ded handelnden einzelnen, und wir
immer nur in biefem gefunden. Der einzelne aber ift, wenn
“man von ber leeren Dichtung eines völlig ifolirten Zuſtandes
w
abftrahirt, theild nur in einem fehr engen Gebiet allein und ab:
gefchloffen zu ergreifen, theild aber auch Tann man ihn inner
halb dieſes Raumes doch nicht volftändig verſtehen. Fragen wir
wo die Tugend fich zeigt: -fo finden wir und urfprünglich auf
das Entſtehen eined Entfchluffes, auf den Moment einer Willens⸗
beſtimmung bingewiefeh. In biefer liegt zunächft alles Toben‘
würbige und verdienſtliche; verfteht fih daß ich unter Willens:
beftimmung nicht nur das innere Wort verftehe, fondern daß ich
bie wirkliche Bewegung, den Impuls, der fi) von da an durd
den ganzen feelifchen und Teiblichen Organismus fortpflanzt, als
mit darin enthalten denke. In wiefern aber nun durch dieſe
Thätigfeit das in der Willensbeflimmung vorgebilbete wirklich
ind Leben tritt, das fat durchaus nicht mehr in das Gebiet des
handelnden, und das fittliche Merk kommt alfo in einer ſolchen
Darftellung nicht and Licht. Denn die Tugend ift nicht größer,
wenn bie That vollkommen gelingt, und nicht kleiner in dem
andern Fall; indem dieſes mehr ober weniger überall von ber
Mitwirkung oder Gegenwirkung anderer abhängt: Es lohnt kaum
bie Einwenbung hiegegen zu widerlegen, daß doch Geduld, Be
barrlichkeit u. dgl. Tugenden nicht eine neue Willensheſtimmung
|
|
449 | '
bhervorbringen, fondern fich nur in dem Verlauf einer fchon ges
faßten offenbaren. Denn es find bier nur zwei Anfichten mög»
lich. Denken wir und eine Hemmung der verlaufenden Thaͤtig⸗
keit eingetreten oder vorgebildet: fo ift auch eine neue Willens«
befiimmung in Beziehung auf diefelbe zu faffen, und dann erklaͤ⸗
ven fich auch diefe Tugenden auf die obige Weile, fie find bie
Duelle der richtigen Willensbeftimmungen in Bezug auf eintres
tende Hemmungen der fchon beftehenden fittlichen Thaͤtigkeit.
Faſſen wir aber die Sache anderd, und fagen, dieſe Tugenden
verhinderten eben daß. Hemmungen gar nicht einträten: fo find
fie dann auch nichtd befonderes für fich, fondern nur die Stärke
der jebeömaligen urfprünglichen und ‚unterbrochen fortwirkenden
Willensbeflimmung. Ueber diefe alfo hinaus zum Ergebnig ber
That, zum Werk, kommen wir mit der Tugend niemald. Sit
aber nun diefed enge Gebiet aus fich felbft vollkommen zu vers
fiehen, fo daß der handelnde einzelne volftändig verſtanden ift
als folcher, wenn fein Zugendzuftand gegeben wird? Auch dies
ift wol kaum zu bejahen. Denn die Willendbeflimmung Fönnte
doch nie die fein welche fie if, wenn die Auffafjung der Ele
mente, welche den durch eine Willendbeflimmung audzufüllenden
Moment conflituiren, eine andere gewefen wäre... Diefe Auffaf-
fung hängt freilich zum Theil auch von eigner Willensbeſtim⸗
mung ab, und infofern faͤllt fie auch, wiewol dies häufig nicht
einmal anerkannt wird, in das Gebiet der Tugend. Eben fo
fehr aber ift fie abhängig von dem Gefammtzuftand, welcher nicht
ohne Mitwirkung anderer entflanden if. Und fo ift dad unter
dieſer Form darftelbare fittliche ebenfalls nach beiden Seiten
hin abgebrochen und vereinzelt. Wenn nun aber noch die Größe
der Tugend abhängt von dem Widerftand, welchen fie überwins
det; und wenn dieſer keinesweges allein oder auch nur vorzüg:
lich von ten aͤußeren Dingen audgeht, fondern bei weitem größs
tentheild von entgegenftrebenden menfchlichen Handlungen: fo muß
alfo auch hier, fol anders bie Tugend fich herauöheben und bes .
GSchleierm. W. UL 2. xt —
450
merklich werben, bie große Maſſe des Lebens eben fo verworren
erfcheinen al3 bort.
Schon diefed erflärt mir wenigftend hinreichend jene her:
ſchende Sleichgüftigkeit gegen die wiffenfchaftliche Sittenlehre. Wie
kann man ſich für eine Darftellung des fittlichen intereffiren, die
nur fragmentarifche Einzelnheiten aufzuflellen vermag und worin
das fittliche immerfort durch die Fortdauer des unfittlichen be:
dingt erfcheint? Wie anderd ift ed doch mit der Naturwiffenfchaft
in ihrem ganzen Umfange betrachtet, wie weit fie auch noch von
ihrem Ziele entfernt fein mag! Denn wenn auch jemand fagen
wollte, das höchfte Biel, was fie fich geſtekkt haben koͤnne, fei
doch nur, unfern Weltkörper und die in ihm waltenden Kräfte
im Zufammenhange mit ben noch 'beftehenden und den fchon aus
gelebten Pörperlichen Dingen für die Erkenntniß vollftändig auf:
zufchließen, und dann diefed als einen Typus zu gebrauchen, um.
die allgemeine Vorſtellung auch von den andern Weltkoͤrpern mehr
zu beleben und näher zu beflimmen; dieſe insgeſamt aber feien
ja auch nur einzelnes-und abgeriffened, von dem und noch völlig
verfchloffenen allgemeinen Raum umgeben und auseinandergehal:
ten, alfo auch durch ihn beftimmt: fo wäre doch dadurch eine}:
weged ein Ähnliches Werhältnig aufgeftelt wie auf dem Gebiet
ber Sittenlehre. Denn einestheild hängt die Erkenntniß des Welt:
Eörperd gar nicht davon ab, daß jener allgemeine Raum als Na
tur unerfannt bleibe, vielmehr muß jeder fhon im voraus über:
zeugt fein, daß unfere Naturerkenntnig der Weltlörper nur um
fo vollfommner werden würde, wenn jener Raum und audy er:
kennbare Natur geworben wäre: anderntheild aber find doch zu:
nächft die in dem-Weltförper thätigen Kräfte und deren Erzeug:
niffe der eigentliche Gegenftand der Naturwifienfchaftz und biefe
fucht fie keinesweges als einzelnes und fragmentarifches zu ver:
ftehen ;" fondern immer tiefer in ihren Bufammenhang einzubrin:
gen, und bie Kräfte mit den’ Geſezen ihred Verhaltens als Ein
5 ünzertterinlicheß Gange; durch welches zugleich auch das ganze
451
Syſtem der lebendigen Förperlichen Dinge gegeben ift, aufzufaffen
und barzuftelen. Auf dem ethifchen Gebiet aber. ift grade jene
ſchon erwähnte und überall wo nichts ald. Pflichtenlchre oder
Zugendlehre aufgeftelt wird unvermeidliche an fich aber höchft
unnatürlihe Trennung der Handlungsweife und Thaͤtigkeit von
dem daraus hervorgehenden Werke dad wodurch am meiften alles
Sntereffe an derfelben aufgehoben wird. Kommt doch das meifte -
von dem was in der menfchlichen Welt gefchieht, und auch unſer
Leben bedingt und beflimmt, nicht durch unfere und anderer eins
zelner fittlihe Willensbeſtimmungen und pflichtmäßiged Handeln
zu Stande, fondern auf eine andere Weife: fo. kann man den
Vorſaz, ſich aller Verfuche die Regeln des fittlichen Handelns
wiffenfchaftlich zu begründen und zufammenzuftelen lieber ganz
zu enthalten, nicht füglich ungünftiger beurtheilen, als jenes aͤhn⸗
liche, daß nicht wenige Seefahrer die Kunſt zu: ſchwimmen vers
nachläffigen und gering achten, weil fie ihnen nämlich, wenn ein
Ungluͤkk ihnen auf offner See zuflößt, nur Urfache wird zu ver:
längerter Qual, ohne fie doch retten und zum Ziele führen zu
koͤnnen; und fie fei nur gut, fprechen fie, für diejenigen welche
auf dem Feftlande lebend nur zum Scherz und anfländiger Leis
besübung wegen ins Waſſer tauchen, nicht aber für diejenigen
die auf demfelben ihr Leben führen. Denn wirklich eben fo ift
es auch mit der Sittenlehre in einer ſolchen Geflalt, ohne daß
ihre Ausübung zu dem hinführt was doch in den Wünfchen liegt,
oder in der Gefammtheit der Zwekkbegriffe will ich Lieber fagen,
damit mir nicht auch die Sprache in dad Gebiet des zufälligen
hinabgezogen werde, in folcher Geftalt, fage ich, leiſtet fie denen
gar nicht, die Dad Meer eined wahrhaft felbftthätigen Lebens zu
durchichiffen haben; fondern nur, wenn es folche giebt, die in:
eine fo fefte und flarre Ordnung, geftelt find, in weicher ſich
fchon das meifte für jeden von felbit verfteht, und nur felten in
einzelnen Augenbliften einer zu einer wahrhaft freien Thaͤtigkeit
aufgefordert wird, ‚wobei ed aber nicht darauf ankommt etwas
' Ff2 PP
452
zu bewirken, fordern nur fi) fo oder fo felbft darzuftellen, denen
kann fie die Regel ihrer Bewegungen angeben. Darum habe
ich mich auch in alle diefe herrlichen Lobpreifungen niemals fin-
den Eönnen, wie wohl und vol fie auch klingen, von einer
Pflihtmäßigkeit des Handelns, welche gar nicht daran denke,
was dabei herausfommt oder nicht, und von einer Tugend, wels
© cher gar nichtd darauf ankommt, ob das auch gelingt und wohl
geräth woran fie fich fezt, oder nicht, fondern diefes, wie es nun
eben jeder meint, dem Zufall oder der göttlichen Vorſehung ans
beimftelt, Geht eine Handlung von einem Zwekkbegriff aus: fo
kann fie auch nur darnach gefchäzt werben, wie viel oder wenig
jener Begriff durch fie feinen Gegenftand erhalt. Will ich aber
nichtd bewirken, warum handle ich? Gefchieht ed auch nur um
mich andern als einen ſolchen und fo gejinnten zu zeigen: fo will
ich ja doch etwas in diefen bewirken. Es bliebe alfo nur übrig,
dag jeder nur handelt um fo zu fein und zu bleiben wie er ifl.
Aber dazu brauchen wir nie etwas beflimmte zu thun, ober aus
zweien und mehrerem, was vorhanden ift,. lieber eines als dad
andere zu wählen; fondern nur irgend etwas zu thun. Denn
wird nur dad Leben durch Thätigkeit erhalten: fo bleibt jeber
auch dadurch was er ifl. Haben demohnerachtet diefe Darftellun
gen der Sittlichfeit durch die heilfame Strenge, welche fich darin
audfpricht, einen großen und vielleicht auch vortheilhaften Eins
fluß gehabt auf die durch eine Iuftige fchmieichlerifche Skepſis von
der tieferen Strenge religidfer Bufprache entwöhnte Menge: fo
kann eine Wirkung, die bei vielen gewiß nur auf ber magilchen
Kraft der Formeln beruhte, für ihren wiffenfchaftlichen Werth
um fo weniger beweifen, ald auch jener Einfluß in denen Krei»
fen, wo die Tongeber geiftiger gebildet find und fchärfer prüfen,
fih niemald bedeutend erwiefen bat. Denn bdiefen konnte es
nicht entgehn, wie nicht nur auch hier, was die Anwendbarkeit
ber Lehre im Leben betrifft, mit ber Lehre zugleich auch ein neued
Selb für Taͤuſchungen fich eröffnete, und je innerlicher der Maaß⸗
488 Br
ftab war, um deſto weniger Sicherheit, ob fich nicht ſinnliches
doch unter das geiflige gemifcht und die Sittlichkeit verunreinigt
babe, fondern auch, und das iſt das wichtigfte, wie wenig biefe
Vorſchriften geeignet waren, alles das was doch unläugbar auß _
den freien Willensbeflimmungen der Menfchen hervorgeht, zu ums»
faffen, und es nicht bloß fcheinbar fondern wahrhaft als ein ſitt⸗
liches zu beflimmen. Wenn 3. B. die Frage fleptifch aufgewor⸗
fen wird, ob, wenn es den Staat nicht ſchon gäbe, es eines
Menfchen Pflicht fein koͤnnte ihn zu errichten: fo ift offenbar der
Staat, der doch nothmwendig ein aus freien Willensbeflimmungen
entſtandenes ift, gar nicht fittlich beftimmt, fondern er ift ur '
fprünglich entweder ein unfittlicheö oder ein fittliches zwar, aber
auf ganz unbekannte Weife. Wenn Verbefferungen in den Grund⸗
verhältnifen der verfchiedenen Klaffen von Staatöbürgern davon
abhängig gemacht werden, daß eine große Mehrheit fie in Ans 7
fpruch nehme, diefes in Anfpruch nehmen aber nicht feinen bes
fimmten Ort bat unter ben fittlichen Handlungen oder Pflich⸗
ten: fo find auch jene Verbefferungen, weil nicht Handlungen,
deffen ber fie vollzieht, ſondern derer welche ſie in Anſpruch
nehmen, keinesweges ſittlich beſtimmt, ſondern fie find bloße Nas
turereigniſſe. Wenn die ſchoͤnen Kuͤnſte als eine Vorbereitung zur
Sittlichkeit deducirt werden, der Gebrauch derſelben aber nur als
mit in den Inbegriff der geiſtigen Erhaltungsmittel gehoͤrig ver⸗
ordnet wird: ſo kann man wol nicht ſagen daß dieſes große Ge⸗
biet freier Thaͤtigkeit fittlich beftimmt ſei, da doch beides, was
weſentlich zuſammengehoͤrt, nicht zuſammentrifft. Wenn einer ein
Kuͤnſtler werden ſoll, nicht aus willkuͤhrlichem Vorſaz, ſondern
nur aus Antrieb der Natur, im allgemeinen aber jeder ſeinen be⸗
ſondern Beruf waͤhlen ſoll nicht ſowol aus Antrieb der Natur
als um der Ueberzeugung willen dadurch den Vernunftzwekk am
beſten befoͤrdern zu koͤnnen, nirgend aber beſtimmt iſt wie der
Antrieb der Natur vom eigenwilligen Vorſaz zu unterſcheiden,
und eben ſo wenig hier dieſe Ueberzeugung als ein fittlich gewor⸗
&
+,
454
bened erfcheint: fo ift auch diefe wichtige Angelegenheit mehr
fcheinbar als in der That fittlich beſtimmt, fondern auch bier zus
lezt alled auf Naturereigniffe, auf etwad was ſich von felbfl ver:
ftehn fol, geftelt. Und doch ift Fichtes Syflem der Sittens
lehre das vortrefflichite in dieſer Gattung. Es iſt demnach ein
ganz allgemeined Ergebniß diefer Darftelungsweife, daß dabei
große Gebiete menfchlichen Handelns von unftreitig fittlichem Ge:
halt in der Sittenlehre doc) nicht abgeleitet und in ihrer Noth⸗
wendigfeit begreiflicy gemacht, fondern nur ald ein zuläffiges oder
erlaubtes durchgelaffen werden, und daß ein keinesweges durch
ſchauter und wiſſenſchaftlich gebilbeter, fondern verworrener, aber
‚in diefer Verworrenheit tief eingreifender Unterfchted entſteht zwis
fhen dem, was der Menfch nicht von. der Vernunft getrieben
fondern nur feiner Natur nach, aber doch eben fo unvermeidlicher
als unvermerflicher Weiſe thut, und dem was er feiner Vernunft
nach thun fol. Eine Darftelung diefer Art fplegeit dann auch
nur eine fehr unvollkommne Entwilflung des fittlichen Bewußt:
feind ab. Denn diefes kann, fo wie es die von der Vernunft
gebotenen Handlungen begleitet oder ihnen: vorangeht, bei den
von der Natur ausgehenden nicht vorhanden fein. Der urfprüng:
liche Impuls ift alfo auch auf dem lezten Gebiet derfelbe in fols
chen Fällen, wo, wenn bie Handlung vorgebildet ift, ein negati:
ve3 oder -limitatived Vernunftgebot eintritt, und in foldhen, wo .
die Vernunft durch nichts dergleichen den Uebergang von der Vors
bildung zur Ausführung hemmt. |
Zwei früher vorgelefene Abhandlungen, von denen die eine
- eben dieſe Vorftelung von einen fittlich erlaubten einer Kritik
unterwirft und ihren wiffenfchaftlichen Gehalt beleuchtet, die ans
\ dere aber den angenommenen Gegenfaz zwifchen Naturgefez und
Sittengefez in Anſpruch nimmt, haben die Abzwekkung, auf diefe
Unvolltommenheiten aufmerffam zu machen und der Abhülfe vor:
zuarbeiten. Denn wenn Naturgefez und Sittengefez auf dem
Gebiet der menſchlichen Fregeit po yulommenfollen, daß aus ber
455
menfchlihen Natur gefund und volllommen entwikkelt alles ber:
‚vorgeht was der Menſch feiner Vernunft gemäß thun fol, und
nichts anderes: nun fo muß auch die Vernunft in ihren: fittli»
pen Forderungen alles bad vorbilden was. die gefunde Natur
wirklich and Licht bringt; und: wenn der Begriff. des erlaubten
auf unferm Gebiet Feine andere. Geltung. hat ald bie. ihm. dert
beigelegt wird: fo entflcht die Aufgabe, alles was unter denfelben
jubfumirt worden ift, zu fichten und in theils won. der Ver
nunft wirklich gefordertes theild der. Natur wirklich zuwiderlau⸗
fendes aufzulöfen.- Die gegenwärtige will den Verſuch empfeh⸗
fen, ob nicht den aufgezeigten Mängeln der Sittenlehre abgehols
fen und fie in einen richtiger und gerader auf das Biel hinfüh>
renden Entwikklungsgang geleitet werben koͤnnte ‚Durch Wieder
aufnahme einer früher fchon angewendeten, aber nicht zu ihrer
rechten Ausbildung gelangten Methode, nämlich die Tonftruction
des höchften Gutes. Daß diefed in der hellenifchen Philoſophie
nach Sofrated eine Hauptaufgabe der Ethik war, und ein ſtrei⸗
tiger Drt, indem in der Behandlung berfelben der Charakter der
verſchiedenen Schulen fich beflimmt ausſprach und der unter
ihnen flattfindende Gegenfaz ind Licht trat, feze ich ald befannt
voraus, enthalte mich aber bier aller gefchichtlichen Auseinander⸗
fezung, und will nur fuchen anzugeben, was ich für die eigent:
liche Zendenz diefed Ausdruffes halte, und was mir durch ben
Gebrauch beffelben für die Sittenlehre erreicht werden zu koͤn⸗
nen fcheint. Ä oo.
Zuerſt will ich nur bevorworten, daß ich dabei nicht an ben
adjectivifchen Gebrauch. des Wortes anzufnüpfen denke. Denn
gutes und böfes oder uͤbles beziehen wir entweder auf Außere
Verhältniffe, und. dies ift das zu etwas oder in Beziehung auf
ein andered gute ober üble, welches wir auch das nüzliche oder
förderliche und fein Gegentheil nennen. Hiervon kann hier un:
mittelbar gar nicht die Rede fein; wenn gleich, beiläufig gefagt,
"nicht zu laͤugnen iſt, es gehöre ebenfalls zum böchften Gute, daß
©
456
alles förberliche da fei, ja fogar alled wad zum höchften Gut 96
bört muͤſſe auch ein förberliches fein, und ſchaͤdliches koͤnne in
dem Inbegriff deſſelben nirgend vorkommen. Außerdem brauchen
wir nur gut und böfe von menfchlichen Handlungen oder Ge
müthözuftänden, entweder auch in dem obigen Sinne, infofen
fie zu etwas, und aljo um eined andern willen gefezt und ge:
billigt werben, und dann gilt dad eben gefagte; oder fo daß wir
fie an und für fich als folche bezeichnen. Aber dann wird bie
gute Handlung offenbar zurüffzuführen fein auf ein pflichtmäßts
ged, ber gute Gemuͤthszuſtand aber wird feinen Drt in dem Ges
biet ber Tugend finden; und wollten wir auch unter dem hoͤch⸗
fien guten nicht ein einzelnes folches verftchen, fondern den Ins
begriff von allen, fo kaͤmen wir doch nicht aus Pflicht und Zus
gend heraus, und würden mit der Anwendung ber Formel nicht3
wefentliched gewinnen. Subflantivifch kennen wir außer der ei
gentlich ethifchen felbft noch zwei Gebrauchsweiſen, zwifchen denen
aber gar Fein Zufammenhang flatt zu finden fcheint. Die eine
iſt politiſch und oͤkonomiſch, indem wir die einzelnen Oerter des
Nationalreichthums, Grundſtuͤkke, Bergwerke, zum Erwerb bes
ſtimmte Gebaͤude, Güter nennen; die andere religioͤs und fpecus
lativ, indem Gott nicht felten das höchfte Gut genannt. wird.
‚In dem lezteren ift Feine Analogie mit dem erſten. Denn ift
bie Meinung, daß Gott dad höchfte Gut für den Manfchen fei:
fo wäre died ein uneigentlicher Ausdrukk, und beffer würde ge
fagt, die Liebe zu Gott oder die Erfenntnig von Gott oder bie
Leitung und Zürforge oder die Gnade. Gottes, wie man «8 eben
nennen wollte, oder um auch Died myſtiſche hinzuzufügen, bes.
"Genuß Gottes fei dies höchfte Gut. Wird aber Gott fo ges
nannt in dbemfelben Sinne, in welchem man ihn auch das voll
kommenſte Weſen nennt, weil nämlich) alles gute und nichtd als
gutes in ihm gefezt fein kann: fo geht diefer Gebrauch offenbar
auf das adjectivifche zuruͤkk, und kann alfo hier nicht in Betracht
fommen. Der ölonomifche Gebrauch hingegen hat mit dem ethifchen
nn.
457
die größte Analogie, und kann demfelben füglich zur Erläuterung
dienen, Sene Güter nämlich find Immer etwas aus der menſch⸗
lichen Thaͤtigkeit hervorgegangenes, abet zugleich diefelbe in fich
ſchließendes und fortpflanzended. Wermögen fie dad lezte nicht mehr,
wie etwa eine abgebaute Grube oder ein ganz audgefogener und 10
deshalb verlaffener Akker: fo hören fie auch auf ein Gut zu fein.
Daffelbe habe ich von dem: früheren ethifchen Gebrauch in meiner
Kriti der Sittenlehre zu zeigen gefucht, dad alle alten Schulen,
welche diefen Begriff verarbeitet haben, wie verfchieden auch ih⸗
sen Anfichten gemäß die Anwendungen bed Begriffs waren, boch
insgefammt dadurch das durch die fittliche Thaͤtigkeit hervorge⸗
brachte, in fo fern ed Diefelbe auch noch in ſich fchloß und fort
entwikkelte, bezeichnen wollten. Der Ausdrukk höchftes Gut aber
ift- ebenfo überall nicht in dem Sinne comparafiv, in welchem
ein höchfter Grad zwar jeden niederen gewifiermaßen in fid)
ſchließt, zugleich aber auch fo ausfchließt, daß doch von ihm für
ſich nicht weiter bie Rebe fein kann; fondern in dem Sinne, in
welchem jedes Ganze größer ift und vollkommner ald feine ein.
zelnen Theile, aber doch nicht erfannt und dargeftellt werben Tann,
als in fo fern diefen daffelbe auch widerfährt. Wenn z. B. auch
der Reichthum und die Gefundheit Güter genannt werden: fo
geſchieht es, weil beide eine Menge von freien Handlungen vors
ausſezen, ohne welche fie nicht zu Stande kommen; aber ed ge
fchieht auch nur in fo fern als diefe für fittlich gehalten werden.
Zur Gefundheit rechnet man wefentlich mit die vollkommne Ents
wikklung aller leiblichen Kräfte, und diefe erfolgt nur durch eine
Menge freier auf die Selbfterhaltung gerichteter Handlungen.
Mer die Gefundheit für ein Gut achtete, der achtete auch dieſe
Handlungen für fittliche, vielleicht nicht jeder in fo fern fie Ues
bungen waren, aber doch gewiß in fo fern fie ein Bewußtfein
ded werdenden Wohlbefindens und alfo einen Genuß im fich ſchloſ⸗
fen. Und eben fo halten vielleicht viele zwar den Reichthum für
ein Gut, die Arbeit aber nur für eine Sache ber Roth; ve
458
aber auch gewiß den Reichthum, der nur durch angeftrengte Ar:
beit und Entbehrung bei kleinem herbeigefchafft wird, noch lange
für kein Gut, fondern cher für einen Mangel, bie leitenden und
gebietenden Thätigkeiten hingegen, aus denen er bei großem en
waͤchſt, deflo g:wiffer für fittliche. Beide aber, Gelundheit und
| Reichthum, find auf der andern Seite nur Güter, weil und fo
fern e3 ihnen wefentlich ift, und nicht etwa nur ein zufällige,
dag fich fittliche Tchätigkeiten und Zuftände in ihnen erzeugen.
Eine verfchlafene Gefundheit wäre kein Gutz.aber Schlaf außer
halb des naturgemäßen Wechſels zwifchen Wachen und Schlaf ifl
auch ſchon eine Störung der Gefundheit. Aehnliches ließe fich
u auch vom Reichtum fagen; es ift aber minder einfach, weil ber
eine ihn in diefer, der andere in jener Betrachtung für ein -Gut
halt. Wenn wir ein Werk der fchönen Kunſt für ein Gut anfe:
ben, fo thun wir ed freilich. nur in fo fern die Thätigkeit, woraus
ed hervorging, uns eine fittliche iftz aber gewiß auch nur fofen
und nur für die, im welchen ed durch fein Dafein fittliche Thaͤ⸗
tigkeiten und Zuftände wefentlich erwetft. Eben fo nun iſt es
mit dem höchften Gut, und der Ausdrukk ſchließt fonach die Auf:
gabe in jich, den Inbegriff aller wahren Güter, die es nämlich in
dem biöher erläuterten Sinne find, fo aufzuftellen, daß ihre we:
fentliche Bufammengehörigfeit und die volftändige Loͤſung be
fittlichen Aufgabe durch ihr Miteinander und Fuͤreinanderſein,
eben weil ſich in ihnen alle ſittlichen Thaͤtigkeiten immer wieder
erzeugen, zum klaren Bewußtſein komme. Wollten wir dieſes
lezte bei Seite ſtellen: ſo wuͤrde auch der vollſtaͤndigſte Inbegriff
alles durch die Vernunft bewirkten und hervorgebrachten nur ein
leeres Schattenbild fein. Iſt in dieſer Geſammtheit des hervor:
gebrachten das hervorbringende ſelbſt, das pflichtmaͤßige Handeln,
durch welches ſich in jedem Moment ein kleinſtes anſezt zur Ev
neuerung jened Organismus, und die Tugend ald das Fräftige
Leben der Vernunft in den einzelnen, nicht mit gefezt: fo find
dann beide entweder überhaugt nicht, ober getrennt von jenem.
459
In dem lezten Kalle habt ihr dann zwei verfchiedene Welten, aber
nur in der, wo biefe find, noch ein wahres Leben, in welchem
ihr aber auch gewiß, wären ed auch der Außeren Erfcheinung nady
erft leife Anfänge, das weientliche jenes Inbegriffs, den wir das
hoͤchſte Gut nennen, immer finden werdet; die andere aber, bie
einzige, welche euch im erſten Falle übrig bleibt, wäre nur ein
Schattenleben, wie ein erflorbener Weltkoͤrper, deſſen Maflen von
vergangenen Leben zeugen, auf dem fich aber nichtd mehr regt;
ein folcher erflarrter und immer mehr erfiarrender Nachgenuß und
Nachbewußtſein der vorigen Thaͤtigkeit. Truͤmmern, wie übel
auch zugerichtet, Finnen noch zu den Gütern des Lebens gehören
für den, dem fie Gedanken erregen, die zur lebendigen That wers
den; ein thatenlofer Zufland, wie unendlich auch ausgeſtattet,
ift keines. |
Soll aber die Wiedereinführung. diefed Begriffs der Abſicht
entfprechen: fo muß freilich der Zehler vermieden werben, in ben
bie älteren Schulen verfielen, und um deſſentwillen wahrfcheinlich
er zu feiner vollen Ausbildung nicht gelangen konnte; nämlich
dag wir nicht auch diefen Begriff nur auf den einzelnen Men:
chen beziehen, und nach dem höchflen Gute des einzelnen fragen, ı2
worin es beftehe. Denn fragen wir, warum eigentlich in ber
Pflichtenlehre und Tugendlehre, wenn man irgend fireng und
genau verfahren will, ed fo nothwendig ift, Gefinnung und Hands
lungsweiſe von dem Wer? und dem Erfolg gänzlich zu trennen:
fo iſt die Urfacher eben die, dag die Wirkiamkeit ded einzelnen
fih nicht audmitteln läßt, indem fie in die der andern ganz un:
zertrennlich verflochten nicht nur, fondern wahrhaft verwachſen
iſt. Wird num alfo doch nach dem hoͤchſten Gute des einzelnen
gefragt: fo bleibt natärlich nichts anderes übrig ald etwas ganz
innerliches aufzuftellen, und die Tugend das höchfte Gut zu nen»
nen ober die Glüfffeligkeit, eine Verwirrung die ich in der Kris
tif der Sittenlehre nachgewiefen und gerügt habe. Allerdings ift
auch die Tugend des einzelnen ein Gut, und zwar ganz in dem ‚
460
eben angegebenen Sinne, und recht verflanden tft auch feine Stu: |
feligkeit ein ſolches, nur nicht fein Gut befonders, fondern ein
Gemeingut, in bem fittlichen Kreife, dem er angehört, hervorge⸗
bracht und auch hervorbringend; und nicht iſt feine Tugend ein
andered und feine Gluͤkkſeligkeit ein anderes, fonbern beide in
ihrer Wechfelbeziehung, eigentlich alfo der einzelne felbft feinem
geiftigen Gehalte nach ift ein Gemeingut. Nur vom höchften
Gut Tann auf diefe Weile gar nicht die Rede fein. Vielmehr
läßt fich des einzelnen intelligente Production fo wenig ifoliren,
daß felbft dasjenige, wad man am meilten glauben follte ala
dad feinige herausheben zu dürfen, doch nur durch eine gewoͤhn⸗
liche Taͤuſchung dafür gehalten wird; denn ber Wahrheit nad
kann nur in Form eined willführlichen und zwar auf einem
unfittlichen Grunde beruhenden Zaufches einer verlangen, dies
und jenes, fei ed nun ein wiflenfchaftliches Werk oder ein Kunſt⸗
werk oder ein politifcher Effect oder was irgend fonft, folle für
fein eigned gehalten werben, weil er fich nämlich Dagegen auch
alled Antheild an dem begeben wolle, was ein anderer auf
gleiche Weile fich anzueignen begehre. Daher nun kann nur
wad aus einer Gefammtthätigkeit hervorgeht, beflimmt aufgezeigt
werben und ald ein befonbered hingefteltz; und wenn alfo von
bem Inbegriff der Güter die Rede fein fol, fo kann nur auf bie
Gefammtwirktung der Vernunft zurüffgegangen werben. Diele,
daß ich mich fo ausbrüffe, ald einen Organismus aufzuftellen,
in welchem jeder verwirrende Gegenfaz von Mittel und Zweit
aufgehoben, jedes Audeinander auch ein Ineinander, jeder Theil
auch dad Ganze ift, nichtd aber mit aufgenommen wird, was
nicht aus dem Leben der Vernunft im menfchlichen Gefchlecht
ss entiprungen ift und daſſelbe auch fortpflanzt und erneuert, dad
ift ed was ich mir unter einer Darftelung des höchften Gutes
denke. In diefem find dann, wie ich es in ben früheren Ab»
bandlungen über den Zugendbegriff und Pflichtbegriff mehr po:
flulirt als wirklich dargelegt habe, alle menſchlichen Tugenden
461
mitgefegt. Denn irgend etwas in den Erfcheinungen ber Menfche
heit dem Begriff des höchften Gutes angehöriged kann nur durch
das Zufammenwirken aller menfhlichen Tugenden entfliehen und
beftehen; und was für einen organifchen Theil der Geſammt⸗
wirkſamkeit der Vernunft koͤnnte man fich wol denken, aus dem
fi nicht alle menfchlihen Tugenden nährten und in dem Wech⸗
fel der Individuen reproducirten? fonft müßte ja in dem Ge
fammtorganismus etwas fehlen oder etwas falfched mit gefezt
fein. Eben fo koͤnnen auch die Elemente diefer Wirkſamkeit nichts
anderes fein, ald die von allen Orten her ineinander greifenden,
einander aufnehmenden und. ergänzenden pflichfmäßigen Handluns
gen. Vornehmlich aber muß fich ergeben, daß alles wahrhaft
menfchliche, und nicht nur einiges, in dieſer Darſtellung aufzus
finden fein muß; jede Eigenfchaft des einzelnen, woburd etwas
hieher gehöriged wahrhaft wird und fortbefteht, muß in der Glorie
der Zugend erfcheinen, und jede Handlung, die irgend wohin
innerhalb diefes Umfanges wirklich gehört und ihren beflimmten
Drt hat, muß auch als pflichtmäßig gepriefen werben. Diefe
Aufftelung daher beſchraͤnkt fi nicht in den Stleinlichleiten des
einzelnen Lebend und vermworrener perfönlicher Relationen, fie ift
der Maaßſtab fuͤr alle gefchichtlichen Erfcheinungen und der Schlüß
fel zu ihrem Verftändnig; und wie wir ale in biefen mit ver:
ſchlungen find, fo ift fie zugleich auch die Verklärung des pers
fönlihen Bewußtfeind. Wenn nun hernach Pflichtenlehre und
Zugendlehre, die ed mit diefem lezten allein zu thun haben, auf
eine folche umfafjende Darftelung zurüffgeführt werden: fo wird
ed zwar dabei bleiben müffen, daß fie nur für das einzelne Leben
conftruirt werben, aber jene namhaft gemachten Mängel werben
fie ablegen koͤnnen, und bei einer verfländigen Behandlung wird
fi immer auch in ihren einzelnen Pofitionen dieſes Ganze abs
fpiegeln. |
Es ift in diefer Abhandlung, wie.auch ſchon der Umfang
einer folcyen verbietet, nicht meine Abficht,. den Begriff des hoͤch⸗
462
fien Gutes in feiner Vertheilung auch nur fo weit auszuführen,
daß die ganze Behandlung befjelben wenigftend angelegt wäre,
indem fchon biefed die Grenzen einer Vorlefung nach unferer
ss Weiſe überfchreiten würde; indeffen muß ich doch, ohne Anſpruch
auf ſtrenge Spflematifirung zu machen, einiged zur Bellätigung
ded gefagten herausnehmen. Stellen wir und auf den in einer
früheren Abhandlung *) angegebenen Punkt, und. denken uns das
Leben auf der Erde zur Animalifation hinauf entwikkelt — ob
plözlich oder almählig, und im lezten Falle ob ſtufenweiſe oder
nach manchen einander partiell wieder aufhebenden Actionen und
Reactionen, dad liegt außer dem Gebiet unferer jezigen nicht nur
fondern jeder ethiichen Unterfuhung. Nun aber fol die höyere
Stufe, dad geiftige Leben, hinzukommen, fo nämlid, wie ed dem
Menfchen eignet und ſich in ihm und von ihm aus auf der Erde
regt und wirkt. Wir bezeichnen dad eigenthümliche Princiy dei:
felben am liebften mit dem Namen Vernunft, weil hiedurch wol
am wenigften ſchon im voraus Migverftändniffe ausgeſaͤet wer:
den; in diefer alfo, der Vernunft, ift unfere ganze Aufgabe ab
gefchloffen. Denn wie die bloße Gravitation nebft dem Miſchungs⸗
und Entmifhungsprozeß von der Begetation aufgenommen wurde,
und die Animalifation beides unter ſich zufammenfaßte: fo fol _
wiederum die Humanifation aus dieſer fich hervorheben und fie |
in fich fchliegen. Wie denn auf der einen Seite fchon das ältefle _
fittliche Bewußtfein der Menfchen fich auögefprochen hat in dem -
Beruf die Erde zu beherrfchen, auf der andern ‚Seite aber fchon
ein zwar ziemlich entwikkeltes Bewußtſein von der Beherrfchung
untergeordneter Kräfte, das aber doch den Umfang derfelben noch
lange nicht ausgemeſſen hatte, die richtige Grenze nach diefer Seite
zu finden wußte in dem befannten. dog .noV orw xal yy7v x
v70w. Ale aljo, was der Menſch in diefem Sinn auf der
Erde thut, gehört in unfere Aufgabe; und wir wollen von nichts
*) Ueber das Werhättuiß zwiſchen Nalurgeſez upd Sittengeſez.
463
diefer Art fagen, fo wie wir e8 an und für fich betrachten, baß
er es nur feiner Natur nach ohne die Vernunft beginne, und
dieſe es etwa nur geftatte und. limitire. Sondern finden wir in
menfchlihen Zhätigkeiten, welche fich auf die Entwilllung unfe-
res Lebend und auf unfere Serrfchaft über die Erde beziehen,
etwas das limitirt werden muß: fo ift ed auch etwas nicht bleis
bendes, alfo nicht wahres, und muß mit ber weiteren Entwikk⸗
tung deö wahren verfchwinden. Sol aber dad Princip der Ber
geiftung irdiſch werden und in der Menfchengeflalt erfcheinen: fo
muß es auch den Typus des irdifchen an fich tragen, und kann
fi) nur in einem durch die Kreisbewegungen und die Ofcillatios
nen ber Erde mitbeftimmten Geſchlechtsleben offenbaren, welches ıs
feine Fülle nur in auf einander folgenden Lagerungen vergäng»
licher Individuen entwikkelt. Ift.nun gleich jeder von biefen ein
Ort, in welchem und von welchem. aus die Vernunft wirkt: fo
war doc) dad nur eine willlommne Fiction, was ich als foldhe
auch nur zu einem beflimmten Behuf an einem andern Drte*)-
eingefchoben: habe, daß es einen einzelnen geben könne, welchem
die ganze fittliche Aufgabe zu loͤſen obliege; fondern die phyſiſche
Vorbedingung, auf welcher auch ſchon ber erfle Anfang diefer
Löfung ruht, ift die, daß die Befchlechter zufammen beflehen, und
nicht der einzelne als folcher ift ein felbfländiger Ort für bie
Mirkfamkeit der Vernunft, fondern nur die Verbindung der Ge-
fchlechter zur Erneuerung der Individuen,‘ d. h. die Familie —
das Wort natürlich nur in feinem wefentlichen Inhalt genoms
men ohne mähere Beſtimmung der Form; und der einzelne ifl
ein folcher Ort nur innerhalb ihrer, oder wenigftend fie Vorauss
gefezt. Diefe ift mithin der Ort nicht nur der Erneuerung jened
urfprünglichen Attes bes Eintretend der Bernunft in das irbifche
Leben, welcher fih nun durch Erzeugung und Geburt wiebers
holt, und .alfo der Zradition des Lebens felbit, fondern auch des
..*) Ueber ben Pflichtbegriff.
—
\ 464
von ber früheren Generation ſchon fittlich bemirkten und gewon
nenen. Hier alfo ift das erſte vollſtaͤndige und für fich beſtehende
Gut, da8 erfte wahrhaft organiiche fittliche Element im nein
ander des hervorgebrachten und hervorbringenden, ein Abbild des
großen unb ganzen. Auch bier gilt daher baffelbe, dag wir in
einem folchen Zebenscomplerus Natur und Vernunft nicht tren.
nen koͤnnen. Nur was in diefem Sinne gefchieht, ift dad menſch⸗
lich natürliche; aber dies ift auch alles anzufehen ald durch bie
Vernunft bewirkt, und vermöge ihred Geſezes. Waltet wirklich
darin der Inſtinct vor, ohne zum vernünftigen Triebe umgeflal:
tet zu fein, fondern fo wie er dad bewußtloſere Gebiet ber nie
dern Animalifation bezeichnet: fo ift Died nicht etwas was die '
Vernunft irgend wie limitiren fol, fondern es verſchwindet durd
fie; und wer jenes behaupten wollte, könnte eben jo auch im all
gemeinen fagen, bie Menfchheit fei nur eine Limitation des thie
riſchen Lebens.
Dies führt und von felbft auf zwei Punkte, welche und bei
nahe dad Ganze vollenden werden. Der erſte iſt dieſer. So wie
ſchon von den niederen Stufen des Dafeind an zugleich mit dem
16 höheren Hinauffteigen auch die Gattungen beflimmter werden,
nämlich das Sein eined gemeinfamen in vielen, und dad Bewußt
fein vieler durch ein und bafjelbige, wie fich beides in auseinans
ber entipringenden Generationen wiederholt: fo gebührt nun aud
dem mit dem Eintreten des Princips der Begeiftung entftchens
den menfchlichen Gefchleht die vollkommenſte Gattung zu fein,
d. h. dad Eine in allen, nämlich jened Princip felbft muß auf bad
vollfommenfte in allen daſſelbe und aus allem andern auf das
volfommenfte ausgeſchloſſen, dann aber auch jedes Einzelmelen
von allen andern auf das beſtimmteſte gefchieden und verfchie
den, und alfo das Eine felbige in jedem einzelnen ein eigenthuͤm⸗
licheö geworben fein. Diefes ift, wie es beides auch in ber Mens
ſchengeſtalt am vollkommenſten erfcheint, fo auch die allgemeinfte
Srundporausfezung, welde unfer Bewußtfein conflituirt, und von
465
welcher wir bei allem Handeln ausgehn. Dennoch wäre da8 bes
geiftete Leben ein fehr untergeorbnetes, wenn die Unendlichkeit des
mannigfaltigen unmittelbar und verworren auf das Eine in als
len follte zurüffgeführt werden. Darum finden wir ſchon immer,
und wir mögen ed gleich fehr naturgemwordene Vernunft nennen
und Vernunft gewordene Natur, daß die Menfchen durch eine
beflimmtere Gemeinſamkeit ded eigenfhümlichen in größeren Maf-
fen, die wir Völker nennen, vereint find, und unter diefen alfo
die Selbigfeit des Einen Principd nach beftimmter Weife ber
vortritt. Wie ſich nun dieſes volksthuͤmliche Gepräge in allen
weientlichen Aeußerungen der Begeiftung firirt, und in der Folge
der Generationen erneuert: ſo haben wir hier einen größeren eben
folhen Ort, in welchem die Familie ald ein organifches Element
nicht etwa verfchwindet, fondern ihre Beziehung zur ganzen
Menſchheit unmittelbar firirt. Auch hier gilt alfo daffelbe, daß
ed rein fittliche Handlungen find, durch welche ein Volk als fol
ches fortbefteht, und dag dad Volksleben in feiner rein vernuͤnf⸗
tigen Entwikklung ein organifcher Theil ift des höchften Gutes.
Der zweite Punkt tft diefer. So wie aud den niederen Stufen
des Daſeins fich die Animalifation hervorhebt: fo entwifkelt ſich
im_ Hinaufſteigen derſelben zu volkommneren Geſtaltungen ein
immer Eenntlicheres Analogon ded Bewußtieind. Nur im Bes
mußtfein kann das geiflige Leben wohnen, und darum ift e& dafs
felbe, daß die Vernunft auf der Erde erfcheint, und daß in ber
Menfchengeftalt das vollfommene Bewußtfein ſich regt, fich felbft
fefthaltend, und alles durch Entgegenfezung und Einigung in ſich
aufnehmend. Und fo find es zwei Richtungen, in welchen bie
Vernunft an allen jenen Orten wirkt, und in welchen dad geiz ı7
flige Leben der Wölfer begriffen ift, dag alles Sein ind Bewußt—⸗
fein aufgenommen werde auf das vollfommenite, und daß, indem
alles dem Menfchen unterworfen wird, auch das innerſte Weſen
des Geiftes jeglichem Sein und Erfcheinen nach Maafgabe feiner
Empfänglichkeit eingebildef werde auf das vollfommenfte. Wie
Schleierm. W. III. 2. Gà
466
aber bie Berfplitterung in das perfänliche einzelne Leben nur dem
Irdiſchwerden der Vernunft angehört: fo gehört es zur Vergei⸗
fligung. der irdifchen Erfcheinung, daß die Vernunft die Schran
fen der Perfönlichkeit durchbreche, und daß ſoviel möglich, es ift
aber freilich nur in den mannigfaltigften Abftufungen möglid,
das geiflige Leben im jedem einzelnen zugleich für alle fei, und
doch in jedem ein anderes, je nachdem in einzelnen Aeußerungen
die Selbigkeit des Einen Princips vorherrfcht, oder in andern
die Eigenthümlichkeit der Geftaltung fich geltend macht. So duͤr⸗
fen demnach auch die Völker nicht für fich fein; und rein ftelt
fih die Vernunft in ihrem Leben erſt dar, wenn auch biefe fid
jeded der Gemeinfchaft aller öffnen. „Aber ſowol in der Thätig:
Feit welche dad Bemußtfein bildet und wie wir eben gefehen
haben mittheilt, ald in der welche die Dinge dem Menfchen an:
bildet, und zwar auf beide Meifen, mag die Einerleiheit vorberr:
fchen in dem verfchiebenen oder die Eigenthümlichfeit im gleichen,
wird doch die MWirkfamkeit der Vernunft erft ihre Selbfloffenbe:
rung, wenn der Geift feine überirdifche Heimath darin Fund giebt,
vermöge beren er dad ewige und einfache, das fchlechthin feiende,
auf eine geheimnißvolle Weife in fich trägt. Alles dieſes ift Ein,
und Feines ohne dad anderes; aber je nachdem wir ben einen
Standpunkt nehmen oder den andern, erfcheint das höchfte Gut
bald ald das goldene Zeitalter in der ungetrübten und allgenüs
genden Mittheilung des eigenthümlichen Lebens, bald als ver
ewige Friede in der wohlvertheilten Herrfchaft der Voͤlker über
die Erbe, oder ald die Vollſtaͤndigkeit und Unveränberlichkeit des
Wiffens in der Gemeinfchaft der Sprachen, und als dad Him-
melreich in ber freien Gemeinfchaft des frommen Glaubens, jebeö
von diefen in feiner Belonderheit dann die anderen in fich ſchlie⸗
gend und das Ganze darflellend. .
Aus diefen wenigen aber doch das weientliche enthaltenden
Andeutungen muß, denke ich, hervorgehen, daß ein ſolches Ganze
auch fchulgereht und Tunftgemiß kann aufgeſtellt werden, und
‚ 467
Daß, wenn fich dann folche Behandlungen der Pflichtenlehre und
ber Tugendlehre nach ber Weiſe der angelegten daran ſchließen,
eine ſolche Zufammengehörigkeit fich. ergeben wird, und auch Diefe is
- Begriffe fo fehr an Reichthum ber Beziehungen gewinnen wer
den, bag ſich von felbft ermeifet, wie biefe allgemeine Darftellung
des geifligen Lebens in feiner reinen Vernuͤnftigkeit aufgefaßt we:
fentlich unferer Wiſſenſchaft angehöre, ja wie nur hierin die Ethik
thre Vollendung finden koͤnne. Nur zweierlei, ‚mas mehr außer
ihrem unmittelbaren Gebiete liegt, will ich noch hinzufügen.
Zuerſt nämlich, daß nur auf dieſem Wege der Zuſammenhang
anderer wiſſenſchaftlichen Disciplinen mit der Ethik und ihre Ab:
haͤngigkeit von berfelben wieberhergeftellt wird, welche bei den
Alten, fo wenig diefe auch den Begriff des hoͤchſten Gutes durch⸗
gebildet hatten, doch immer auf dieſer Seite ſtanden, bei uns
aber meiſtentheils in der Luft ſchweben; ich nenne nur die all⸗
gemeine Theorie der Erziehung, fo wie bie Theorie der Staats⸗
verfafjungen und die allgemeinen Grundſaͤze ber Staatöperwals
tung. Eben fo aber müffen fich ihr von andern Seiten auch die
Theorie von den verfchiedenen Organifationen der Bertheilung
und Mittheilung des Wiffens und die allgemeine Kunſtlehre an-
ſchließen. — Dad zweite iſt dieſes. Die allgemeinen Erſcheinun⸗
gen des Lebens beruhen auf der einen Seite in ihrer, Mannig-
faltigkeit auf beſtimmten Beſchaffenheiten und Verhaͤltniſſen der
irdiſchen Natur, welches ich auch oben, wiewol ‚nur. ‚durch eine
kurze Formel, angedeutet habe; fie find in ihrem Verlauf. ber
Gegenftand der Geſchichtskunde. Soll aber diefe immer mehr
ein verflandenes werben: fo muß fie zuerft ihrer Baſis nad) auf
bie entfprechenden Zweige der Naturkunde nämlich auf die phyſi⸗
fche Erdkunde und auf die geograppifche ſowol als Phyſiologiſche
Ethnographie zurüffgeführt, dann aber in den großen Zuͤgen ihres
Berlaufs ethifch gefchäzt werden, damit nicht die fcheinbare Ver:
wirrung eine Beranlafjung gebe den Gang bed menfhlichen Ge:
ſchlechtes auch im großen als ein Spiel des Zufalls anzuſehen,
&q 2
468
als wodurch alle Wiffenfchaft des Geiſtes zerflört wird. Dieſe
bedeutungsvollen eingreifenden Beftrebungen, in denen ber menſch⸗
liche Geiſt fich felbft am lebendigſten und anfchaulichften erfaßt,
und aus deren Gebiet die neuere Zeit eine Menge von geiftrei-
chen Verſuchen aufzuzeigen hat, haben doch nur in dieſer rein
etbifchen Darftelung ihren wiſſenſchaftlichen Stuͤzpunkt; und nur
wenn biefe fich recht geftaltet hat, werben auch fie erft ihre voll
fommne Durchbildung erreichen können. Daffelbe gilt natürlich
auch von der Fritifchen Betrachtung alles deffen was in jenen
größeren Erfcheinungen nicht der reinen Vernuͤnftigkeit entfpricht,
9 ſondern durch Mißverftändniffe oder andere Krankheitszuſtaͤnde
afficirt iſt. Daß dieſes nur ethiſch gerichtet werden kann, verfteht
ſich; aber es iſt bekannt, wie ſchwer es iſt, den Maaßſtab der
Tugend, wo es auf eine differente Zuſammenwirkung vieler an:
tommt, richtig anzulegen, und wie mannigfaltig auf der andern
Seite, fo oft die Verhältniffe complicirt find und der Ausfchlag
bedeutend, gegen eine Zurüffführung auf den Pflichtbegriff pro:
teflirt wird. Die Frage aber, ob dieſe und jene Geftaltung der
Dinge ein Element des hoͤchſten Gutes fein koͤnne, wird immer
leicht zu entfcheiden fein, und niemand Tann fie abweifen. Alſo
auch für den Zufammenhang der Wiffenfchaften und für den kri⸗
tifchen Gebrauch der Ethik im Leben überhaupt, am meiften aber
in feinen größten VBerhältniffen, iſt e8 wichtig, dieſe Behandlungs: |
weife derfelben in der Schule wieder geltend zu machen und wo
möglich der Vollkommenheit näher zu bringen. |
XII.
Ueber den Begriff des höchften Gutes,
Zweite Abhandlung.
GSelefeh am 24. Juni 1830.
J
Ba der erſten Abhandlung über dieſen Gegenſtand, welche ich u
bereits im Jahre 4827 die Ehre hatte der Akademie vorzuleſen,
kam es mir vornehmlich darauf an, den Ort dieſes Begriffs moͤg⸗
lichſt feſtzuſtellen, das ſchwankende in feiner Anwendung zu befei⸗
tigen, und auf den Vortheil, welchen die Ethik aus einem er⸗
neuerten Gebrauch deſſelben ziehen koͤnnte, aufmerkſam zu machen;
hingegen mich uͤber den Inhalt ſelbſt zu verbreiten, war nicht
meine Abſicht. Je weniger ich indeß vorausſah daß ich bald zu
dem Gegenſtande wuͤrde zuruͤkkehren koͤnnen: um deſto weniger
konnte ich mich enthalten mindeſtens einige Andeutungen uͤber
denſelben einzuſtreuen. Dieſe konnten aber ihrer ganzen Stellung
wegen nicht ſo ausgeſtattet werden, daß jeder Leſer ſchon ſelbſt
alle Einwendungen, die ſich ihm darboten, mußte zuruͤkkweiſen
koͤnnen, oder daß es auch einem wohlwollenden koͤnnte leicht ge⸗
worden ſein ſich aus dem geſagten auch nur die erſten Umriſſe
eines beſtimmten Bildes zu geſtalten. Daher mußte ich den Ent⸗
ſchluß faſſen, dieſem Mangel ſpaͤterhin auf irgend eine Weiſe ab⸗
470
zubelfen, und mir zugleich bie Erlaubniß erbitten, jene Abhand:
lung lieber bis dahin von der Öffentlichen Bekanntmachung zu:
rüffzuhalten. Eine genügende ins einzelne ausgeführte Darftel:
lung aber würde ein Werk fein von nicht unbebeutendem Umfang;
und da es auch von firengerem foftematifchen Charakter fein müßte,
als die Form einzelner Abhandlungen geftattet: fo halte ich es
auch nicht für angemeffen, ed auf eine Reihe von akademiſchen
Abhandlungen anzulegen, in ber fi) dad Ganze erfchöpfen ließe.
22 Denn es fcheint mir gegen bie Natur unferer Arbeiten und der
Art wie wir fie dem Publikum mittheilen, wenn wir, gleich einer
immer wieber abgebrochenen Erzählung, die durch eine Reihe von
Tageblättern hindurchgeht, ein größered Ganze durch mehrere
Jahrgaͤnge zerſtuͤkkeln wollten. Daher kann ich auch nur die
erſten Grundzüge hier aufftellen, To wie fich mir die Veranläffung
dazu aud der erſten Abhandlung ergiebtz und kann mir höchftens
nur die Auöficht offen laffen, in der Folge vielleicht einzelne Theile,
zwar in Beziehung auf dieſe Grundzüge, aber doch fo zu bear:
beiten, daß jeder von den andern unabhängig und für fich allein -
verfländlich ſei. ,
Diefes num nehme ich zuerſt als abgemacht aus jener Abhand-
Iung herüber, Daß ed immer ein Mißverfländnig gewefen ift, ein
fehr altes freilich und ſehr weit verbreitetes — denn es kommt
faft in allen griechiſchen Schulen vor — wenn man gefragt hat,
was das höchfte Gut für den einzelnen Menfchen fei. Vielmehr
würde immer richtiger gefagt werden, der einzelne Menfch habe
Theil an ben verfchiedenen Theilen ded höchften Gutes, ohne da
irgend einer von diefen mehr ald der andere bad hoͤchſte Gut für
ihn -fein Eönne, weder berfelbe Theil für alle, noch für einige
diefer, für andere jener. Oder wenn man doch fagen wollte, weil
der einzelne an allen Theilen defielben Theil habe, fo trage er
auch dad Ganze, wenn auch nicht außfchließend, fondern mit alı
len gemeinfchaftlich in fich: fo würde hiervon noch in weit höhe:
rem Grade daffelbe gelten, wos her ylatoniſche Sokrates von: der
\
| 471
Gerechtigkeit behauptet, daß ihre Erfcheinung in dem einzelnen
ein unendlich Eleined Abbild fei, und daß wir Daher, um ed ge
nau zu erkennen, das geiftige Auge, damit es nicht durch bie
Anftrengung geblendet werde, einem andern Gegenfland zuwen⸗
den müffen, wo daffelbe im großen anzufchauen ift. Diefer hel⸗
lere Ort aber ift nicht eine eben fo befchränfte menfchliche Ge
meinſchaft wie der platonifche Staat, fondern vollftändig geichaut
kann das höchfte Gut nur werben in ber Gefammtheit des menfchs
lichen Geſchlechts, mithin iſt auch dieſes nur der wahre und ei:
gentliche Ort beffelben. Ja ich möchte gleich hinzufügen, auch
diefes nicht etwa fo wie man es ſich denken koͤnnte getrennt oder
trennbar von der Erde, fondern in feiner Zufammengehörigkeit
mit diefer. Denn da wir ed bier mit dem fchlechthin realen zu
thun haben: fo würden von einer folchen abftracten Borausfezung
aus auf jede Frage nur fantaftifche Antworten fönnen gegeben
werden. Wir haben hier dad menfchliche Gefchlecht nicht zu be 2
trachten als eine Gefammtheit vernünftiger Wefen überhaupt, fon:
dern ald die in diefer Organifation und unter den Bedingungen
dieſes Weltkörperd lebende Vernunft; und was fonft auch, von
Gott gejagt worden ift, er fei deshalb vollkommen, weil er fo
ganz fei, daß alles in ihm ift, das gilt in diefem Sinne von
dem hoͤchſten Gut; ed ift vollfommen, weil ed fo dad Ganze ift,
daß alles in ihm if. Die Gefammtwirtung der Intelligenz auf
diefer Erde vermittelft der menfchlichen Organifation ift ed, die
wir und auseinanderzulegen haben, als wäre fie fo vollendet,
daß fie ſich mit denfelben Zügen nur immer wieder zu erneuern
brauchte. Diefe ift dad höchfte Gut, ein vollkommen abgefchloffe:.
ned Ganze, wie unfer Weltförper ein im Raum abgefchloffenes
ift, fo Daß auch alle menfchliche Thaͤtigkeit über den Umfang
befjelben hinaus nicht reichen kann; und ein vollfommen erfüll:
- ter Raum iſt ed, Daß ich mich fo ausdruͤkke, ohne gleichfam leere
Zwifchenraume und ohne einander auf nichtd bringende Gegen: |
füge, wenn alle Vernunftthatigkeit mit ihrer Wirkung gegeben it.
i
472
Wobei allerdings diefed vworausgefezt wird, daß alle Vernunft:
thätigkeit, auch die verfchiedenften und einander relativ entgegen»
ſtehenden nicht ausgefchloffen, unter ſich compoffibel; jede Thaͤtig⸗
feit aber, welche die Abzwekkung hätte, Bernunftthätigkeiten oder
deren Wirkungen aufzuheben, feine Vernunftthaͤtigkeit fei. Diele,
allerdings die ethiſche Grundvorausfezung, iſt aber auch nichts
andered als die und allen urfprünglich einmohnende UWeberzeu:
gung von der Identität der Vernunft in allen. Wenn wir nun,
wie in jener Abhandlung gezeigt ift, bier nicht die Vernunft:
thätigfeit ald bloß inneren Impuls oder al3 Willensbefiimmung
ifolirt, fondern mit ihrer Wirkung ald eins zu betrachten haben,
wie dieſe überwiegend bald als That bald ald Werk erfcheint: fo
müffen wir auch, weil und die Intelligenz nur als dem menſch⸗
lichen Gefchlechtöteben anhaftend gegeben ift, vermöge berfelben
Grundvorausfezung das ganze Syſtem von Vernunftthättgkeiten
als fich immer erneuernd und von jeder Generation flätig auf
genommen benten. Demnach hat jede Generation in. diefer Hin:
ficht drei auf einander folgende aber auch mit einander beftehende
Verrichtungen; zuerft entwikkelt fich ihre Intelligenz an der des
früheren Gefchlechtes, dann ift fie felbft fortbildend wirkſam in
dem gegebenen Raum, und zulezt überliefert fie anregend ihre
Thätigkeit an die in der Entwikklung noch begriffene Generation.
In diefem ganzen Vernunftleben ift nun freilich jede: fittliche
23 Handlungsweife, ja jeder fittliche Moment ein Beftandtheil; aber
nicht jedes folches Element werden wir mit dem Namen des
Ganzen ein Gut benennen, fondern nur folche Beftandtheile,
welche auch dem Ganzen ähnlich, ebenfald einen — wenn auch
nur beziehungsweiſe abgefchloffenen — Inbegriff von verfchiebe:
nen auch beziehungsweife entgegengefezten Thaͤtigkeiten bilden,
welche fich in demfelben Umfang flätig erneuern. Denn nur bes
ziehungsweiſe wird jedes von diefen Gütern ein ſolcher Inbegriff
ſein duͤrfen, naͤmlich ſo daß jedes als fuͤr ſich unvollſtaͤndig einer
Ergaͤnzung bedarf, wenn bad dad vollſtaͤndige, nämlich das
473
hoͤchſte Gut, nicht eine Zufammenftelung von ihnen ald gleichen,
fondern ein Inbegriff von ihnen ald ungleichen fein fol. So iſt
ja auch in jedem Leibe jedes Glied eine Ergänzung der übrigen,
fo in jedem Staat ein jeder Stand eine Ergänzung der andern,
fo in jeder Familie jedes Einzelwefen eine Ergänzung ber Ubri:
gen, indem jedes fich erft ganz entwilfelt und ganz erkannt wer
den kann in feinen Relationen zu allen andern. Und aus eben
dem Grunde, wenn fich ein folcher partieler Inbegriff von Wer
nunftthätigkeit feiner Wirkung nach beſchraͤnkt auf einen beſtimm⸗
ten Raum, während andere gleicher Art andere Räume einneh⸗
men, wie das mit den Familien der Fall ift im: Fleinen und mit
ben Völkern im großen, darf auch diefe Beſchraͤnkung nicht eine
ſchlechthinige, fondern muß theilweife wenigftens aufgehoben fein.
Denn wie ein Volk nur befteht nicht aus den Familien einzeln,
fondern nur durch die Gemeinfchaft der Familien: fo befteht auch
die Menfchheit und hat ihr wahres Dafein nicht durch die Voͤl⸗
fer einzeln, ſondern erſt in ihrer möglichft innigen Gemeinfchaft.
Sol nun dad höchfle Gut auf diefe Weife befchrieben wer;
den können: fo muß einerfeitd nachzumeifen fein, wie Die Vers
nunftthätigfeit fich differenttirt und auseinandergelegt, auf ber
anderen Seite aber auch, wie das durch die Vernunftthaͤtigkeit
anzufüllende Gefammtgebiet fich in Beziehung auf diefelbe gleich»
fall jondert oder zufammenfaßt. Ehe wir aber den hierüber in
der früheren Abhandlung gegebenen Andeutungen weiter nachge:
ben, muß ich) noch einmal auch auf ben ‚dortigen Anfangspunkt
zurüffommen, daß nämlich das Eingetretenfein der Intelligenz in
bie Lebensentwikklung der Erde oder die Vernuͤnftigkeit der menſch⸗
lichen Gattung, und zwar als die einzige hiefige Art zu fein der
Vernunft, vorauögefezt wird. Hiermit fol Feinedweged irgend
eine kosmologiſche oder metaphyſiſche Praͤmiſſe über dad Verhält:
niß des fittlichen zu dem lediglich natürlidyen, oder bed geifligen 25
zu dem lediglich leiblichen erfchlichen werden; vielmehr wollen
wir unjer Gebiet in diefer Hinficht nur möglichft vollſtaͤndig ifo:
\
474
liren. Sollte auf der einen Seite behauptet werben, die Ber:
nunft fei überall nur das Refultat von der Entwikklung de
organifchen leiblichen LZebens: fo werben wir nur fagen, wie die
Bernunft geworben ſei — wenn diefer Ausdrukk, fei ed auch nur
bier, erlaubt ift — das gelte und gleich; dad Gewordenfein ber:
felben aber fei der Wendepunkt in der Gefchichte der Erde, mit
welchem das fittliche erft beginne, und von welchem an auch erft
von einem Gut die Rede fein koͤnne. Wollte im Gegentheil be
bauptet werden, die Sntelligenz ſei ſchon von vorne herein und
von unten auf das den Stoff geflaltende und namentlich auch
das die organtichen Zuftände hervorrufende geweſen, und finde
. nur fich felbft nicht eher ald'auf diefem Punkt dem menfchlicyen
Drganidmus: fo werden wir nur fagen, jene früheren Wirkſam⸗
feiten wären nur nicht fittliche, fondern anderer Art, und nur
das Sich felbft gefunden haben der Intelligenz fei ed, wovon bie
fittliche Wirkſamkeit auögehe. Und fo bleibt auch jezt das er
neuernde Entſtehen der menſchlichen Organifation an und für fi
betrachtet von unferm Gebiet auögefchloffen. Denn die Geſchlechts⸗
vermiſchung zum.Behuf der Erzeugung ift freilich ein fittliches
Element, die Erzeugung aber ald unabhängig vom Willen ift
feines. Und daß die Anordnung der Gefchlechtöverhältnijfe eine
fittliche Aufgabe ifl, und Abnormitäten in ber Bildung eines
neuen Gefchlechted Folgen fein koͤnnen von Mängeln an irgend
einem fittlichen Ort, verfteht fich von felbft. Aber an und für
fih betrachtet Liegt das Entſtehen neuer Organifationen außer:
halb unfered Bereichs. Mag fich die geiflige Kraft bei der Ent:
wikklung der Organilation im embryonifchen Zuftande verhalten
wie ed auch ſei: dad gewordene intelligente Einzelwefen tritt in
unfer Gebiet erſt ein, wenn ed and Licht tritt, und fo wie es
dann ſchon, und unbewußt, geworden iſt. — Eine ähnliche Be:
wandtnig bat ed noch mit einer andern dort aufgeftellten Behaup:
tung, daß nämlich dem Menfchen gebühre, in dem volllommen:
fien Sinne ded Wortes Gattung zu fein, fo namlid), Daß jeber
475
einzelne nicht nur burch feine Stellung in Raum und Beit von
allen anbern verfchieden ift, ſondern auch auf rein geiſtige Weiſe
als eine eigenthuͤmliche Modification der wenngleich in allen fels
bigen Intelligenz. Denn man. fönnte denken, alle Säze, auf
welche diefe Boraudfezung Einfluß hat — und diefer erſtrekkt fich,
wie wir fehen werben, durch dad Ganze hindurch — wären für
diejenigen verloren, welche geneigt find eine anfängliche Gleich 26
heit unter allen Menfchen anzunehmen und alle Berfchiedenheiten
nur aus ben Außeren VBerhältniffen zu erflären. Wir koͤnnen
auch dieſes ftreitig laffen; denn dad wird nicht geläugnet werben
dürfen, daß die Hauptzüge ded eigenthümlichen Dafeind fchon
feftgeftelt find, eben fo gut ald ob fie angeboren wären, ehe der
einzelne feinen eigenen Ort in der fittlichen Welt einnimmt, fo
dag wir ihn auffordern ſich diefen Ort nah Maaßgabe jener zu
fuchen und zu beflimmen. Wie innen daher beides zufammen:
fafien in eine und dieſelbe Vorausſezung, daß immer fchon die
Vernunft in ber menfchlichen Organifation gegeben fein muß,
wenn das höchfte Gut werben fol, und daß immer fchon eigen:
thuͤmliche Natur gegeben ift, durch welche ed werben muß.
Um aber den Inhalt unfered Begriffs näher zu ermitteln,
ift, ſoweit died einerfeitd von einer Zertheilung der Vernunft:
thätigkeit ausgehen muß, bort nichtd weiter angedeutet, ald daß
fie in zweierlei zerfalle, daß alles Sein in Bewußtſein aufgenom:
men, und dag allem Sein dad Weſen des Geifled eingebildet
werde. Wenn hiedurdy auf der einen Seite in fofern etwas voll:
fländiged gegeben ift, ald Sein und Bewußtfein dann in einan:
der aufgehen: fo fcheint es doch, ald ob in der erſten Thaͤtigkeit,
Durch welche nämlich das. Sein in Bewußtſein aufgenommen
wird, doch nur bad befchauliche Leben, oder vielleicht auch das
genießende, von der britten griechifchen Lebensweife aber, der thaͤ⸗
tigen, in der andern Vernunftthätigkeit, welche dem Sein das
Weſen des Geiftes einbildet, nur der eine Theil, nämlich das
eigentlich Tünftlerifche Leben ausgefprochen wäre, das praßtifche
476
aber gaͤnzlich vernachläffigt. Indeß wird diefer Schein ber Un:
volftändigkeit vielleicht verfchwinden, wenn wir jene Formeln
durch ein paar andere erläutern, in welchen umgelehrt bad bort
vernachläffigte vornamlich hervorgehoben wird, und deren Identi⸗
tät mit jenen fich doch leicht nachweifen laͤßt.
Sit nun dad lebendige Sein ber Vernunft in ber Organifa:
tion der ſchon immer voraudgefezte Punkt, die Sefammtwirkfam:
teit der Vernunft aber in allem irdifhen Sein ber angeftrebte:
fo ift auch alles, was von jenem erften aus zu diefem lezten hin:
geht, dad Werden des höchften Gutes. Ein ſolches Hinübergehen
ift aber nur möglich unter der Vorausſezung lebendiger Bezie
bungen zwifchen der urfprünglic mit der Vernunft geeinigten
27 Organifation und der übrigen Natur, ald welches die phyſiſche
Grundvorausſezung für unfern Begriff iſt; und dad Werden def-
felben ift nicht anderd anzufchauen ald durch diefe Beziehungen.
Wie nämlidy anfangs der menfchliche Leib auöfchließlich mit der
Vernunft geeinigt if, alled andere aber nicht: fo tritt dann all:
mäbhlig died und jened von biefem lezten, mittelſt jener Beziehuns
gen an ben Leib fich anfchliegend, in diefelbe Verbindung mit ber
Vernunft, die hierauf mit biefem gleichermaßen auf das übrige
wirft u. ſ. f. Indem nun die jebeömal fchon geeinigte Äußere
- Natur fi) zu der noch nicht geeinigten verhält wie bie urfprüng-:
lich geeinigte Organifation zu der Gefammtheit des irbifchen
Seins, für weldhe die Einigung mit der Vernunft angeffrebt
wird: fo ift alfo jene Durch ihre erfolgte Vereinigung auch für
die Vernunft organifirt; und die Thaͤtigkeit, welche dieſes be:
wirkt, läßt fich nicht beffer bezeichnen, als durch den Ausdrukk,
bie organifirende. In diefer Thaͤtigkeit, wie fie von dem
Borhergeeinigtfein ber Vernunft und der Organifation ausgeht,
ift die Vernunft eben ſo das bewegende Princip, ald wenn fie
ed auch ſchon bei der urſpruͤnglichen Bildung der Organifation
felbft geweien wäre; und die jedesmal ſchon angebildete Natur
verhält fich gemeinſchaftlich mit der urfprünglichen Drganifation
l
477
in biefer Thätigkeit fo ald Organ der Vernunft, ald wäre auch
die urfprüngliche Organifation eine folche durch die Vernunft ald
bewegendes Princip ihr angebildete Natur. Daher ift dad Ende
diefer Wirkſamkeit, mithin die hieher gehörige Seite des höchften
Gutes, nichts anderes, ald dad möglichfle Organifirtfein der ges
fammten irdifchen Natur für die geiftigen Functionen des Mens
fhen. Wie aber die Vernunft nur in der Organifation gegeben
ift, fo ift fie auch in dem Gegenfaz der Gefchlechter und in der _
Sefammtheit der Einzelmefen auf einander folgender Generatio:
nen gegeben; mithin ift ein Geſammtwirken der Vernunft nur
möglich, infofern die in der einen Organifation eingefchloffene
Bernunftthätigkeit auch vermag die in andern Organifationen eins
gefchloffenen,, und zwar ald handelnde, mit ihren Wirkungen zu
erkennen und anzuerkennen. Die Möglichkeit, jene Seite des hoͤch⸗
fien Gutes auch nur als werdendes zu realifiren, d. h. die Mögs
lichkeit der organifirenden Aufgabe überhaupt, beruht aljo darauf,
daß ed Vernunftthätigkeiten gebe, wodurch die Vernunft fich felbft
erkennbar macht; fie kann dad aber nur in einem andern, mits
hin auch nur in dem irdifchen Sein, in welches fie ald menſch⸗
liche Seele gefezt if. Nun ift aber ein gewöhnlicher Ausdrukk
für dadjenige worin ein andered, zumal für das leibliche, worin 28
ein geiſtiges erkannt werden Tann, der, daß jened ein Symbol
für dieſes ſe. Wir werden daher unfere zweite Vernunftthätigs
keit füglich durch den Namen der fymbolifirenden bezeichnen
fönnen. Nun ift auch ſchon dad Gattungsleben ald folches nicht
denkbar, wenn nicht die Vernunft der Eltern in Geflalt und Bes
wegung ber Kinder fich felbft erkennt; und fo auch Fein Verhälte
niß gleichzeitiger, wenn fie fich nicht unter einander erkennen.
Diefed alfo ift der Anfang des Werdens für dieſe Seite des hoͤch⸗
flen Gutes; und dad Ende wäre biefed, wenn die gefammte Ver:
nunft fich manifeflirte in der gefammten Natur, fo daß alle Vers.
nunft erfannt würde und alle irdifche Natur in diefe Kundma⸗
dung einginge. Nehmen wir nun aber beide Thaͤtigkeiten zus
478
fammen: fo tönnen wir nicht dabei ftehen bleiben, daß die orga-
nifirende nur bedingt fei durch die fombolifirende. Vielmehr if
nicht nur eben fo die fombolifirende bedingt durch die organijirende;
denn die Vernunft muß fich erft in der urfprünglichen Organifa:
tion thätig zeigen, das heißt fie ſich felbfithätig aneignen, ehe fie
in ihr auch nur im mindeften erfannt wird; fondern fie organi:
ſirt auch nur zum Behuf diefer volftändigen Anerkennung ihrer
felbft in allem ihr vorliegenden Sein. Daher, wenn wir bie
Frage aufwerfen wollten, ob ed außer diefen beiden noch andere
Bernunftthätigkeiten gebe, Durch welche dem höcften Gut Ele
mente zugeführt werden können oder nicht; und wir befannen
und nun darauf, was wol noch zu verrichten übrig wäre, ober
was derjenige noch wünfchen Eönnte, der ganz im Intereſſe ber
Vernunft lebt, wenn died beides vollbracht wäre, daß bie gang
Bernunft fich überall manifeftirte, und daß alles ihr erreichbare
ihr auch zum Organ diente: fo mürde, glaube ich, nichts gefun⸗
den werden koͤnnen. Denn nehmen wir z. B. die hoͤchſte Ent:
wikklung des Denkens in der Wiffenfchaft, fo ift diefe Dach durch
bie Sprache vermittelt, und ift nur die höchfte Manifeftation der
Vernunft in diefer, und die Hinwegräumung alles vernunftwibri-
gen aus derfelben. Ja alles, was wir nach dieſer Seite hin als
größere Entwikklung anfehen, ift eigentlich doch immer nur Ent:
wikklung ber Manifeflation der Vernunft in diefem Organ; und
it um fo mehr nur fo zu betrachten, als wir dad Wiffen an
und für ſich als überall Eined und fich felbft gleich vorausſezen.
— Und nun wird fih und auch die Ausgleichung zwifchen die:
fen beiden Formeln und den zuerft aufgeftellten bald ergeben.
29 Dadjenige nämlich, um hiermit anzufangen, was in den erſten
beiden Formeln am meiften vernachläffigt zu fein fchien, iſt bier
vorzüglich wohl bedacht; denn alle Gewerbsthaͤtigkeit im Volks⸗
leben fo wie alle Staatöverwaltung geht doch nur darauf aus,
bie Natur auf das vollkommenſte ald Werkzeug für den Men:
[hen auözubilden, und alles überhaupt wird hieher zu rechnen
479
fein, worauf bie thätige Lebensweiſe es am meiften anlegt. So
wie auf ber anderen Seite alles, was wir am meiften Kunft nens
nen, auf eine folche Belebung der Natur hinwirkt, durch welche
am vollfommenften die Intelligenz in ihrem eigenthümlichen Bes
fen erfannt wird. _ Haben wir alfo, was fich leicht noch weiter
ausführen ließe, nichts aufzumeifen was zum höchften Gut ge
Hörig außerhalb diefer beiden Formeln läge: fo müffen auch jene
> beiden früheren, das Sein ind Bewußtſein aufnehmen und das
Bewußtſein dem Sein einbilden, wenigftens in diefen beiden ent:
halten fein. Aber es ergiebt fich auch leicht daB fie ganz in
ihnen aufgehen und fie auch ganz auöfüllen. Denn auf ber
einen Seite muß dad Bemwußtfein allem eingebildet fein, woran
die Vernunft handelnd fol erkannt werden, und alles, defien ſich
die Inteligenz ald Organ bedient, Tann auch nur daran, daß
ihm Bewußtſein eingebildet ift, von dem mit der Intelligenz
noch nicht verbundenen Sein unterfchieden werden; auf der ans
deren Seite kann überhaupt die Vernunft fih nur irgendwie an
etwas manifefliren, fofern fie Sein ind Bewußtſein aufgenom⸗
men; und alles, was fie fi als Organ angeeignet hat, muß
auch, indirect wenigftens, in ihre Selbſtbewußtſein auf diefelbe
Weife aufgenommen fein, wie bie urſprungliche Leiblichkeit darin
aufgenommen iſt.
Um aber zu uͤberſehen, wie der Geſammtzuſtand der menſch⸗
lichen Dinge, ſofern darin das hoͤchſte Gut wird, auf dieſe Thaͤ⸗
tigkeiten zuruͤkkzufuͤhren iſt, muͤſſen wir noch zweierlei auch ſchon
erwaͤhntes mit dem bisherigen in naͤhere Verbindung bringen.
Das erſte iſt dieſes. Gehoͤrt es naͤmlich zur Vollkommenheit der
menſchlichen Gattung als ſolcher, daß jedes organiſche Einzelweſen
auch qualitativ durch ſeine Miſchungs- und Geſtaltungsverhaͤlt⸗
niſſe von den andern verſchieden ſein muͤſſe: ſo iſt auch die Ver⸗
nunft in jedem ſchon vor aller ſittlichen Thaͤtigkeit mit dieſem
eigenthuͤmlichen geeinigt; mithin muß auch die nachfolgende Thaͤ⸗
tigkeit das Gepraͤge dieſer Eigenthuͤmlichkeit an ſich tragen. Dem⸗
480
obnerachtet aber bleibt die Vernunft ſelbſt in allen eine und Dies
felbige, und auch. diefe Selbigfeit muß fih in allen Thätigkeiten
so offenbaren. Beides ift num freilich entgegengefezt; aber es darf
nur beziehungsweife, nicht eined dad andere aufhebend fondern
fi) mit einander verbindend, entgegengefezt fein. Hierbei bleibt
natürlich die größte Mannigfaltigkeit des Verhaͤltniſſes vorbehal:
ten, fo daß dad eine mit dem andern im Gleichgewicht fein Tann,
oder auch das eigenthümliche an dem identifchen ald Minimum
und umgekehrt. Sonach wird auch die organifirende und ſym⸗
bolifirende Thaͤtigkeit in allen ihren verfchiedenen Beziehungen
eine andere fein, wenn überwiegend den einen oder den anderen
Charakter an fi) tragend. Jede eigenthümliche aber ift als folche
auch von den gleichartigen urfprünglich gefchieden, die identifche
hingegen auch mit den andern einzelnen urfprünglich eines; mit:
bin kann ed eine Gefammtwirtung der Vernunft al3 einen In⸗
begriff aller Zhätigfeiten nur geben unter der Form einer Ge
meinfchaft der auf jene Art verfchiedenen und einer Sonderung
ber, auf diefe Art identifchen. Das andere tft dieſes. Geht alle
Bernunftthätigkeit aud von der urfprünglichen jedesmal vor aller
eigenen fittlihen Thaͤtigkeit ſchon gegebenen Einigung der Ins
telligenz mit der einzelnen Organifation; und ift fie in dem Be
griff des höchften Gutes ein auch Außerlich vollſtaͤndiges, fofern
abgefchloffen auf dem Umfang unferes Weltkörpers: fo muß es
auch, weil äußerlich jedes Einzelwefen von dem anderen gejchies
den ift, eine urfprüngliche Gemeinfchaft des gefchiedenen, und weil
an und für fih dad Verhältnig dee menfchlichen Organifation
zur Erde nur eined und baffelbe ift, eine urfprüngliche Scheis
dung diefed ibentifchen geben. Sene erfolgt vermittelft der Art,
wie dad Einzelwefen wird duch Erzeugung; denn bie Gleichheit
ber Abſtammung ift eine urfprüngliche Gemeinfchaft der als Ein.
zelwefen urfprünglich gefchiedenen. Die urfprüngliche Scheidung
des identtifchen iſt gegeben in der Elimatifchen Differenz der ver:
fchiebenen Regionen des Weltkoͤrpers, vermöge welcher auch die
—
"481
menfchliche Organifation fich differentiirt in allen den verfchiedes
nen Functionen, durch welche die Bernunftthätigkeit hindurchgeht.
Diefed zufammengenommen ift alfo die fchon gegebene Naturs
bedingung,, vermittelft welcher dad hoͤchſte Gut ald Gefammt-
wirkung der Vernunft unter der Form von Sonderung und Ge:
meinfchaft innerhalb diefed Naturganzen unferes Weltkoͤrpers mög:
ich ift; fo daß dad Marimum ded Verhältniffes der menfchlichen
Drganifation zu dem Weltkörper felbft dad Maaß deffelben ifl.
Wird nun das höchfte Gut in dem Inbegriff von einzelnen Gü:
tern, welche nur ald Abbilder von jenem an diefem Namen theil:
nehmen: fo wird auch das höchfte Gut nicht nur die Nebenein: 31
anderftellung, fondern auch die Gemeinſchaft von diefen fein müf-
fen, jeded einzelne alfo auch ald Abbild des Ganzen zwar ein
abgefchloffenes, aber ald die Gemeinfchaft mit den gleichartigen
ſich vorbehaltend nur ein beziehungsweife abgefchloffenes. Jedes
beziehungsweife für fich beftehende Naturganze aber, in melchem,
als einem beflimmten und gemefjenen, die fich felbft gleiche und
überall felbige Vernunft zu einer Befonderheit des Dafeind wird,
als zugleih Mittelpunkt einer eigenen Sphäre von Vernunft:
thätigkeiten und deren Wirkungen, zugleih aber auch Gemein:
ſchaft antnüpfend, nennen wir eine Perfonz und jeder die Gegen:
fäze in ſich vereinigende Inbegriff von Thätigkeiten ift nur ein
Gut und ein Drt innerhalb des höchften Gutes, infofern ihm in
diefem Sinn eine Perfönlichkeit zukommt.
Es wird in dem Umfang diefer Abhandlung nur noch mög:
lich fein, in Beziehung auf dad eben gefagte den Inhalt der bei:
den weſentlichen Vernunftthätigkeiten ihren erſten Grundzügen
nach darzulegen. Died Tann freilich manchen Säzen den Schein
geben, ald Tnüpften fie nicht genau an, und wären alfo auch
nicht hinreichend begründet; allein diefer würde bei einer genaue:
ven Audführung, die aber ein jeder leicht felbft ergänzen Tann,
unfehlbar verfchwinden. Betrachten wir zuerft die organifirende
oder anbildende Thätigkeit, und zwar überwiegend unter dem
Schleierm. W. UI. 2. —8X
482
Charakter, wie jie überall und in allen diefelbige ift: fo kommt
auch fchon die Ausbildung der Leiblichfeit eined einzelnen für die
Bernunft nur in ber Gemeinfchaft dee Generationen, wodurch
fi alfo die Familie ald der urfprüngliche Ort biefer Thaͤtigkeit
bewährt, zu Stande, und zwar ald zufammengefezt aus angeerb-
tem oder mitgeborenem und eingeübtem. Handelt dann ber ein»
zelne in ber Familie oder die aus folchen einzelnen beftehende
Familie auf die noch nicht angebildete Natur: fo wird jede folche
Handlung etwas zu dem Organismus der Intelligenz hinzufügen;
aber nur foweit wird bied Ein und berfelbe Bildungsprozeß ſein,
als die bildende geiſtige Natur dieſelbe iſt, und auch allen die⸗
felbe zu bildende leibliche Natur zugewendet. Soll aber diefes
Gebiet ein Gut fein: fo dürfen nicht nur bie einzelnen gleich
mäßig neben einander bilden, fondern ihre bildenden Thaͤtigkeiten
müffen fich auf einander beziehen, mithin der Prozeß ein gemein-
fchaftlicher fein. Nun ift jede naturbildende Thätigkeit, fofern
fie an die Perfönlichkeit anreiht, Erwerbung, und das Reful:
2 tat Beſiz; theilweife Aufhebung des Beſizes für die Geniein:
ſchaftlichkeit des Bildungsprozeſſes ift Verkehr, und gegenfeitige
Bedingtheit beider, der Erwerbung und der Gemeinfchaft durch .
einander, ift der Rechtszuftand. Sn der Einheit des hoͤchſten
Gutes ift alfo nothwendig zu fezen ein über die ganze Erbe ver:
breiteter Rechtözuftand. Wäre jedoch diefer nur ein gleichmäßiges
Verhaͤltniß jeded einzelnen zu allen oder jeder Familie zu allen,
nur in feiner Fruchtbarkeit verfchieden nach Maaßgabe ihrer Ent:
fernung von einander: fo wäre nirgend beflimmte Sonderung,
indem ed alödann Fein anderes für fich beſtehendes Naturganze
gäbe, ald die Familie; diefe aber muß auf den Gefammtumfang
ber Vernunftthätigkeit bezogen ald “ein unendlich kleines vers
ſchwinden, fo daß dad Ganze nur ald ein Aggregat aus unend⸗
lich kleinen verfchiedenen Elementen mithin chaotiſch erfchiene.
Gehen wir aber den fehon gegebenen Naturdiffesenzen nach: ſo
finden wir von der klimatiſchen Verfchiebenheit aus in jeder Volks⸗
483
thuͤmlichkeit ein durch Identitaͤt der Abſtammung und durch Zu⸗
ſammengehoͤrigkeit des eigenthuͤmlichen relativ abgeſchloſſenes Bil⸗
dungsgebiet, mithin auch fuͤr das verwandtere einen beſtimmt ge⸗
bundenen und von dem fremden beſtimmt geſonderten Rechtszu⸗
ſtand, gleichviel ob unter der loſeren Form einſtimmig anerkann⸗
ter Sitten und Gebraͤuche oder unter der feſteren des Geſezes und
der buͤrgerlichen Ordnung. Innerhalb dieſes Ganzen nun finden
wir daß in der Familie der Gegenſaz von Beſiz und Gemein⸗
ſchaft ſich fuͤr ihre einzelnen Glieder verliert, außerhalb der Volks⸗
begrenzung aber erſcheint ein die Gemeinſchaft der Voͤlker repraͤ⸗
ſentirendes, eben deshalb aber, verglichen mit jenem, auch nur
vereinzeltes und zerſtreutes Verkehr, ſei es nun unter der loſeren
Form der ungeſicherten Zulaſſung oder unter der feſteren des
Vertrages. | |
Gehen wir nun zuruͤkk und faffen dieſelbe Thaͤtigkeit ins
Auge, fo wie jedes menfchliche Einzelmefen ein eigenthümliches
von allen andern verfchiedenes ift: fo ift auch jebed in feiner ans
bildenden Tchätigkeit urfprünglich von allen andern geichieben und
mit den Wirkungen derfelben in fich felbft abgefchloffen. Diefe
Abgefchlofjenheit begründet die Unübertragbarkeit des fo angeeig»
neten. Das fchlechthin und urfprünglich unübertragbare mit dem
Einzelfein des geifligen unzertrennlicy verbundene ift daher ber
Leib. Diefe urfprüngliche leibliche Geſchiedenheit der Einzelmes
fen ift aber in der Samilie fchon zu einer möglichen Gemeins
fchaftlichkeit vermittelt durch die Spentität des Abftammung, in
bem bie Leiblichkeit der Gefchwifter abgeleitet iſt von der Leib⸗
lichkeit derfelben Eltern. So wie fich Diele fehon in der Orga:
nifation an und für ſich zu erkennen giebt durch die Familien⸗
ähnlichkeit: fo giebt ed auch in der Familie eine eigenthümliche
Gemeinfchaft der anbildenden Thaͤtigkeit, und die Erzeugniffe der:
felben möchte ich — im Gegenfaz gegen bad was wir nur Be
fiz genannt haben, worin aber, was im gewöhnlichen rechtlichen
Sinn Eigenthbum beißt, mit eingefchloffen iſt — in einem praͤg⸗
Q62
484
nanteren Sinne des Wortes Eigenthum nennen, badjenige
darunter verftchend, was beinahe eben fo wenig als der Leib
felbft ein Gegenftand ded Verkehrs fein darf, weil es nicht übers,
tragen werden kann ohne von feinem fittlihen Werth zu verlies
ren. Wäre nun jede Bamilie mit dieſem, wir wollen fagen zus
ruͤkkgeſezten, das heißt außerhalb bed Verkehrs geftellten, Eigens
thum gänzlich ifolirt: fo wären biefe Ergebniffe der eigenthuͤm⸗
lichen Thätigkeit in dem Gelammtumfang des höchften Gutes
nur in einem leeren Nebeneinanderfein gegeben, fo daß jedes für
fonft niemand da wäre; und dad will fall fagen, diefer Zweig
ber Vernunftthätigfeit wäre aus der Einheit des hoͤchſten Gutes
ausgefchloffen. Nun aber giebt es auch hier ein größeres Natur:
ganze ald dad der Familie urfprünglich fchon in der Volksthuͤm⸗
lichfeit der Organifation, welche, wenn wir fie im großen bes
trachten, klimatiſch bedingt ift durch die Belchaffenheit des Bo⸗
bend den ein Volk einnimmt. Daher auch abgefehen von gro:
gen gefchichtlichen Entwikklungsknoten, welde in ein ethifches
Verftändnig aufzulöfen nicht diefed Ortes fein kann, ein Volk
fi nicht trennt von feinem Wohnſiz. Diefer ift daher der all»
gemeinfte Gegenftand der volksthümlichen bildenden Thaͤtigkeit,
aus welchem fich die übrigen allmählig entwißfeln, und daher
auch mehr oder weniger mit ihren Werken untrennbar in bem
Boden wurzeln, oder ſich der Perfünlichkeit und dem häuslichen
Leben ald gemeinfam charakterifirend anfchliegen. Allein auch
diefed Iöft für fich noch nicht unfere Aufgabe, indem auch diefe
größeren Gebiete, fo lange fie ſtreng abgefchloffen find, auch nur
neben einander beftehen und nicht für einander, mithin das eigens
thümliche noch ganz ber Gemeinfchaft entbehrt. Aber die allge
- meine Selbigfeit der Vernunft, welche durch die Verſchiedenheit
des eigenthümlichen niemals kann aufgehoben werden, behauptet
auch hier ihr Recht; und was nicht auf biefelbe Weile, wie es
geworden ift, nämlich ald Organ im Verkehr von einem zum
andern hinüber wandern kann, das fol ſich wenigftend der frem⸗
485
den Intelligenz Öffnen, um von ihr, fo weit ed angeht, ind Bes »+
wußtfein aufgenommen zu werden. Das ift die Bedeutung zus,
nächft der freien auf Gefchäft und Verkehr nicht bezüglichen
Verhältniffe der Gefelligkeit, deren Mittelpunkt die Familien find,
fofern fie vorzüglich die Darftelung des eigenthümlichen, und
zwar urfprünglich des eigenthümlichen der anbildenden Thaͤtig⸗
Feit, wie ed überall in dem Innern des Haudwefend zu Lage
Jiegt, für die gemeinfame Vernunft beabfichtigen, eben fo aber
auch der Gaftfreiheit, fowol der häuslichen gegen einzelne,
welche nicht dem volksthuͤmlichen Kreife der gemeinfamen Eigen: ,
thümlichkeit angehören, als auch nicht minder derjenigen, welche
Voͤlker ausüben gegen einzelne, die ald Repräfentgnten anderer
unter ihnen erfcheinen. Und eben fo erklärt fich hieraus das Ver:
langen, welched von jeher einzelne mit befonderem gefchichtlichen
Sinn begabte in die Fremde verlofft hat, nicht um ded Gewinns
und deö Verkehrs willen, fondern um die abweichenden Geflal
tungen des menfchlichen Lebens kennen zu leınen, und durch diefe
Kunde dad gemeinfame Leben, dem fie angehören, zu bereichern.
Auch auf diefer Seite alfo haben wir an der Familie und dem
Volk zwei in verfchiedenem Maaß für fich beftehende Naturganze,
in welchen Abgefchloffenheit und Geſelligkeit fich gegenfeitig bes
dingen. Snnerhalb der Familie ift dad eigenthümliche der hil-
denden Thätigkeit immer fchon von felbft verflanden, und ein
Volk öffnet feine eigenthümliche Abgefchloffenheit andern in dem
Maaf, als es ſchon zu der Vorauöfezung entwikkelt ift, dag bie
in allen felbige Vernunft den Schlüffel zum Verſtaͤndniß jeder
eigenthümlichen Geflaltung in fich trägt, während die Zamilien
innerhalb des Volks einen unbeftrittenen, aber doch durch den
Umfang ber gemeinfamen Eigenthümlichkeit bedingten Anfpruch
haben an die Anfchauung aller befondern Geftaltungen der bil
denden Thätigkeit, die der gemeinfamen Eigenthümlichkeit unters
geordnet find. Und hierin wäre nun die Beſchreibung der anbils
denden Thaͤtigkeit vollendet; ja wir können fagen daß wir fchon
486 .
über fie hinauögegangen find, benn bie lezten hier aufgezeigten
Grabe fcheinen fchon mehr zur Manifeftation ber Vernunft zu
gehören. Allein dies iſt wegen ber gegenleitigen Bedingtheit beis
ber geifligen Functionen durcheinander weber zu vermeiden noch
zu verwunbern. Andrerſeits aber, wenn wir biefe Gemeinfchaft
ber Voͤlker zum Beilpiel genauer betrachten: fo entfleht jie Doch
nicht durch diejenigen die darin nur paffiv find, indem fie ſich
nicht verfchließen, fondern durch die activen, bie mit jenen ans
ss fnüpfen; und nur von derjenigen Gemeinfchaft ift hier die Rebe,
welche dad Refultat einer im Intereffe der bildenden Thaͤtigkeit
erfolgten Antnüpfung if, wodurch diefe immer wieder neue Im⸗
pulfe und einen vergrößerten Umlauf erhält.
Ehe wir aber eben fo dad Gebiet der fpmbolifirenden Thaͤ⸗
tigkeit durchlaufen, muß zuvor bemerkt werden, daß dieſe Thaͤtig⸗
keit ihre Beziehung nicht nur hat auf dad räumliche Zertheilts
fein der Vernunft, fofern fie in den zugleichfeienden Einzelmefen
eingefchloffen iſt ald deren Seele, fondern auch auf die zeitliche
Bertheilung berfelben. Denn das zeitliche Leben ift auch feinem
geiftigen Gehalt nach ein Aggregat von Momenten, die jeder für
ſich fein würden, wie der geiftige Gehalt jedes Tages für ſich if,
durch die Dazmifchen tretende Nacht realiter getrennt von Dem
vorigen und folgenden, wenn nicht jeber vorige immer wieber
aufgenommen würde im folgenden. Diefed Zeitlichwerden und
ſich ald zeitlich finden und wieder aufnehmen der Vernunft ifl
nun ihre Dafein ald Bemwußtfein. Das Bewußtfein daher in fei-
ner ihm wefentlichen Zeitlichkeit ift das urfprünglide Symbol
der an fich unzeitlichen Vernunft; und die urfprüngliche Aufgabe
für unfere Thaͤtigkeit ift alfo die, dag die ganze Vernunft Be:
wußtfein werde, eine Aufgabe, die fich, wie in jedem Einzelmeien,
fo auch in dem Ganzen des menfchlichen Geſchlechtes nur als
mählig realifirt, indem, wenn auch jeder bemußte Moment in
ben folgenden wieder mit aufgenommen wird, doch der eigent:
liche Grund niemals zu erfchöpfen ifl. Diele Seite der ſymbo⸗
487
liſirenden Thaͤtigkeit ift aber von der anderen, bie fich der räum-
lichen Zertheilung zuwendet, nicht zu, trennen; was bort dad Be
wußtfein ift, das ift hier der durch die Leiblichkeit vermittelte
Auddruff des innern oder die Mittheilung ‚bed Bewußtſeins.
Aber nicht einmal fommt diefe ald ein zweites zu dem Bewußt⸗
fein felbft ald einem. erften hinzu, fondern urfprünglich ſchon ift
beided eins; denn ed giebt Feine Form des Bewußtſeins, die ans
berd als mit ihrer Leiblichfeit zugleich hervortreten koͤnnte. Der
Gedanke wird erſt ald Sprechen, wenn auch nur ald inneres
und eben fo innerlich vernommenes, wirklich, vorher ift er noch
nicht Bewußtfein; und eben fo ift mit jeder Empfindung ſchon
dad Differential einer mimifchen, und mit jedem Affect dad einer
tranfitiven Bewegung verbunden. Hieraus erhellt zugleich von
vorne herein, wie jeder Moment organifirender Thaͤtigkeit zus
gleih ein Moment der fombolifirenden wird. Denn jede That
ift an fich felbft fchon Ausdrukk der ihre zum Grunde liegenden
Willensbeſtimmung, mithin eines Bewußtſeins. Aber eben fo 5
wird auch jeder Moment der fombolifirenden Zhätigkeit eine or:
ganifirende; denn jebed wirklich gewordene Bewußtſein ift auch,
infofern ed immer wieder aufgenommen werben Tann, ein Organ
der Vernunft. Sind nun alfo gleich beide immer in einander:
fo betrachten wir doch mit Recht alle diejenigen Thaͤtigkeiten als
fombolifirende, die urfprüngli und hauptſaͤchlich als fich ents
wikkelndes Bewußtſein geworden find. Dad Bewußtſein ents
wikkelt fich aber immer nur in der Gemeinfchaft der Einzelmefen,
indem ein ſich von vorne herein einfam entwißfelndes und nicht
gegeben ift, und auch nicht von uns angefchaut werden kann.
Auch für diefe Thätigkeit alſo ift die Familie der urfprängliche
Ort; und fowol in diefer ald auch hernach von ihr aus weiter
entwikkelt fih dad Bewußtfein ald ein genteinfchaftlich durch
Heiz und freien Trieb beflimmted. Unter dem lezten nämlich ver
fiehen wir dad Beflimmtfein der Vernunft durch fich felbft zum
Beitlichwerden, unter dem erfleren den Einfluß den die Gemein:
488
[haft im weiteften Sinne, alfo auch nicht nur dad Wiederauf⸗
genommenfein der eignen früheren Momente fondern nicht mins
der auch das Sefeztiein in die ale Gemeinfchaft der menfchlichen
Individuen vermittelnde Natur, auf Diefed Zeitlichwerden in je:
bem Moment ausübt. Betrachten wir nun dieſes Werden und
Hervortreten ded Bewußtfeind unter den beiden entgegengefezten
Charakteren, dem eihen, vermöge befjen ſich darin die in allen
Einzelweien ‚felbige, und dem anderen, vermöge deſſen fich darin
bie in jedem zur befonderen Seele gewordene Vernunft manife:
flirt: fo finden wir beide freilich in keinem einzelnen Erzeugniß
gänzlich getrennt, fondern in jedem Product bed einen ift auch
der entgegengefezte, wenn auch nur auf untergeordnete Weiſe,
mitgefezt. Denn alles Denken im weiteflen Sinne ded Wortes,
nicht nur den Begriff fondern auch die Vorftelung, ja fogar dad
Bild d. h. die Infichaufnahme des einzelnen Gegenftanded darun⸗
ter begriffen, ift allerdings dad Merk der in allen felbigen Ber:
nunft, und eben dieſes die Grundvorausfezung aller geifligen Ges
meinfchaft. Demohnerachtet aber ift kein einziger Gedanke oder
Bild in dem einen ganz baffelbe wie in dem andern, weil das
Merden derfelben in jedem zugleich vermittelt ift durch feine Be:
fonderheit, und auch diefe mit audzufprechen hat. Eben fo auf
ber anderen Seite ift das zeitliche Selbſtbewußtſein jedes einzel:
nen das was ihn ausfchließlich conftituirt, und deshalb an und
für ſich ſchlechthin unübertragbar. Dennoch aber, fofern es na:
37 turgemäß auch in der organifchen Erfcheinung der einzelnen her>
auötritt, giebt ed auch ein Verſtaͤndniß deſſelben. Nehmen wir
nun auch diefed aus dem vorher gefagten hier herüber, daß wenn
dieſes Werden des Bewußtſeins in den einzelnen au im Sinn
ber Gefammtvernunft ein Gut fein foll, die einzelnen nicht nur
jeder für fich fich nebeneinander ald bewußte entwikkeln dürfen,
fondern nur in einem wahren Zuſammenwirken und Aufeinander:
wirken: fo ſezen wir für die eine Thaͤtigkeit eine Gemeinfchaft
des Denkens und Syrechens, worin jedoch die Differenz des Pro⸗
489
ductes, und alfo auch die Hemmung ber Gemeinfchaft, ind un⸗
beflimmte zunehmen kann. Auf dem anderen Gebiet hingegen iſt
die Form der Gemeinfchaft die, daß nur bie Abgefchloffenheit ded
einzelnen in feinem befonderen Dafein durch die Manifeflation
ftufenweife aufgehoben wird. Sind alfo auch hier Productivität
und Gemeinfchaft durch einander bedingt, indem nur fo die Ver-
nunft fich als Einheit herſtellt aus der Zeripaltung in die Eins
zelmefen: fo fordern wir auch hier' eine über die ganze Erde ſich
verbreitende MWechfelerregung und Mittheilung des Wiffend, und
eben fo eine überall verfuchte mechfelfeitige Offenbarung und Er:
regung ber zeitlichen Selbftbewußtfeindzuftände, des Gefühl fos
wol, daS heißt der mehr palliven, ald auch der freien Verfnüs
pfung, das heißt der mehr activen. Auch für dieſe wie für bie
erfte Thaͤtigkeit iſt zwar die Familie der urfprüngliche Ort; aber
auch hier wie dort fallen wir in das chaotifche zuruͤkk, wenn bie
Gemeinſchaft nur befleht in dem unendlichen Aggregat ber für
dad Verftändnig mannigfaltig aber unbeflimmt gegen einander
abgeftuften Familien. Die Richtung auf ein beflimmted Verei⸗
nigen und Abfondern in größeren Maſſen findet nun auf der
einen Seite, nämlich der des objectiven Bewußtſeins, ihre Bes
friedigung in derfelben urfprünglichen Naturbegrenzung , wie die
organifirende Thaͤtigkeit. Denn die BVerfchiedenheit der Spra⸗
chen, durch welche doch allein dad Denken fich mittheilt, hängt
ohnſtreitig zuſammen mit der Elimatifchen und volksthümlichen
Berfchiebenheit der Organifation. Und wie der menfchliche Geiſt
fih als Bewußtfein nur manifeflirt in der Geſammtheit der
Sprachen: fo ift für die Gefammtheit der einzelnen diefe Manis
feftation nur vollendet in der Gemeinfchaft aller Sprachen. Ie :
volftändiger alfo jede alles Sein in ihrem Bezeichnungsſyſtem
ausdruͤkkt; und je genauer fi) alle andern Sprachen in jeder
einzelnen abfpiegeln: um deſto vollfommner iſt von diefer Seite
bie Vernunft in ihrer Einheit hergeftellt aus der Gefchiedenheit
-
490
3 ber Vereinzelung, und bied ift bie hieher gehörige Seite des
höchften Gutes,
Meit fchwieriger aber iſt ed, die Manifeftation des befonbe:
ren in feiner Eigenthümlichfeit eben fo zufammenzufaflen. Doc)
müffen wir verfuchen auch dem Hervortreten des Bewußtſeins,
fofern fich darin die eigenthümliche Beſonderheit ausdruͤkkt, feinen
Gehalt anzumeifen. Im zeitlichwerbenden unmittelbaren Gelbft:
bewußtfein nämlich fezt das geiftige Einzelmefen ſich felbft als vers
eigenthümlichend dad gemeinfame, oder als verallgemeinernd das
befondere, indem es befondere Seele in jedem Moment nur als
Vernunft wird, und ald in ber fombolifirenden Thaͤtigkeit bes
griffen zugleich die Einheit ded Seins und Bewußtfeind oder
bad abfolute fchlechthinige in ſich trägt, das heißt, es „prägt
fih aus als fittliche und frommes Bewußtfein. Und wie zeit:
liches nicht ohne Ungleichheit iſt, auch hierin alfo Ungleichheit
fein muß: fo bezeichnet es fich Telbft als in diefer Function mehr
ober minder gefördert ober gehemmt. Aber wie biefes höhere Les
ben fich in jedem Einzelmefen erft aus den ‚mehr animalifchen
Zuftänden entwikkelt: fo wird es auch nur zugleich, indem es
diefe ergreift und beherrſcht; und dieſe felbft geben die unmittels
barſte Kunde von ihm. Daher ift ed ein und daffelbe Gebiet,
in welchem die finnlicheren und die geifligeren Lebenszuſtaͤnde der
einzelnen als mehr ober weniger eins für einander mitempfind:
bar und erregend find; und die Kunft, welche hier ihren eigent-
lichen Ort hat, vermittelt in ihren verfchiedenen Verzweigungen
die Gemeinfchaft des Dafeind für diefed ganze Gebiet. Denn
nur in dem, wad wir ein Kunftwerf nennen, verallgemeint das
einzelne Leben feine Befonderheit volfommen, oder vereigenthuͤm⸗
licht die in allen felbe Geiftigkeit auf das beflimmtelle. Aber
wie biefe fittliche Function ganz auf ber Beſonderheit ruht: ſo
macht fich in ihr auch diefe vorzüglich geltend; bie Naturbegren:
zungen treten hier mehr zuruͤkk, und überall tritt zunächft die
Form bed wahloerwandtichaftlichen Anſchließens an Einzelwefen
401
hervor, die auf eine ausgezeichnete Weiſe in dad Geheimniß einer
dieſer Symbolifirungen eingedrungen find. Diefe Concretionen
find es, die wir Schulen nennen; fie find urfprünglich einhei⸗
mifch in der Kunft, aber auch in der Wiffenfchaft repräfentiren
fie den untergeordneten Einfluß des individuellen. Und hier wie
dort theilen fie auch die Vergaͤnglichkeit des individuellen Lebens;
denn ihr Zufammenhang kann nur noch eine Zeit lang fort:
dauern, wenn derjenige nicht mehr einwirkt, der urfprünglich mit 30
feiner anbildenden Kraft in die Mafje einſchlug. Diefe Dauer
erweitert fich nach dem Maaß der Kraft des centralen Indivi⸗
duums; aber nicht in dem Gebiet des Ausdruffs und der Dar
ftelung, alfo nicht in irgend einem einzelnen Kunſtzweig, fon:
dern nur für die innere Seite der Aufgabe, alle Zuflände des
Einzellebens mit dem fchlechthin höchften Bewußtfein zu durchs
dringen, läßt ſich denken — vorauögefezt, die Vernunft koͤnne
als abfolut in einem Einzelweſen leben — daß ein folcher auch
einen zulezt das ganze Gefchlecht dominirenden Lebenstypus her:
vorrufen koͤnne, und durch diefen wahlverwandtfchaftlichen Zuſam⸗
menhang alle Sonderung für dieſes Gebiet aufheben, fo daß
durch denfelben jeder mit jedem vermittelt ifl. Auf der andern
Seite bleibt allerdings der Ausdrukk, ohne den auch das geiſtigſte
Selbſtbewußtſein nicht kann aus fich heraus wirken und mitge-
theilt werden, — fei es nun ber am meiften finnliche und un:
mittelbare durch die bewegte Peiblichkeit in Ton und Gebehrbe,
oder der durch BZufammenftellung von Bilden und durch Fols
gen von Gedanfen — immer abhängig von ber Verwandtſchaft
der Organifation und der Sprache; und fo bleibt, wenn bie
Kunfl in allen ihren Zweigen wefentlich volksthuͤmlich ift, auch
bie Religion, bie fich nur durch die Kunft ausdruͤkkt und mits
theilt, mehr oder weniger hiedurch bedingt. Aber es liegt in ber
Natur der Sache, daß ſich dennoch diefer Theil des hoͤchſten
Gutes durch ein ganz andered Verhältnig von Sonderung und
Gemeinschaft unterfcheidet von den übrigen. Denn auf der Seite
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ber organifirenden Thätigkeit tritt der Staat durchaus herrſchend
hervor. In der Volksthuͤmlichkeit der Anbildung und bed Rechtö
zuflandes ift die fittliche Befriedigung urfprünglich gegeben; und
alles Streben über diefed Gebiet hinaus, fowol das mehr mates
rielle des Verkehrs, ald auch dad nach einem dem Rechtszuftand
wenigftend ähnlichen: Werhältnig der Völker, welches das formas
lere Streben tft, bleibt immer bedingt durch ben Staat, und nie
Tönnte die Aufgabe geflellt werben, die Staaten aufzulöfen, um |
eine unbegrenzte Gemeinfchaft des Verkehrs zu errichten. Aehnlich
verhält es ſich mit dem objectiven Bemwußtfein. Hier ift freilich
bie Identität des gedachten, fo oft daffelbe vernommen wird, die
Grundvoraudfezung, und ale Mittheilung, mithin auch alle Ent:
wikklung des Denkens, ruht auf diefem Glauben: aber er ver:
fpottet nur fich felbft, wenn er über die Grenze der Sprache hin:
ausfchreitet; und bald wird eingefehen dag ſich das Wiffen in
#0 jeder Sprache ald ein befondered entwilfelt. Zu dem wefentlichen
Erkennen verhält fich jedes von dieſen nur wie der gebrochen:
Strahl zu dem Licht an ſich; aber das zeitlofe wefentliche Erfen:
nen erfcheint nur wirklich in diefer Manigfaltigkeit des gebroche:
nen. Darum ift und bleibt dad wejentliche in diefer Seite des
höchften Gutes die möglichft vollftändige Entwikklung des Wif:
fend in jeder Sprache, Zugleich aber entfpricht dem über Die
Grenzen des Staated hinaudgehenden Verkehr hier die Wielfpras
chigkeit der einzelnen und die daraus entflehende immer nur ap:
prorimative Aneignung des in anderen Sprachen gedachten. Den
Beftrebungen aber, ein Völkerrecht zu gewinnen, entfpricht bie
Richtung auf eine allgemeine Sprachlehre,- welche zugleich alle ;
befonderen aus fich entwikkelte, und dadurch jede für alle auf:
fchlöffe, fo dag auch hier die auf die innere Einheit zuruͤkkwei⸗
fende gemefjene Mannigfaltigkeit ald das höchfte gefezt iſt. Se:
ben wir nun noch einmal auf die individuelle Seite der organi:
firenden Zhätigkeit zuruͤkk: fo ift auch dort eine unbegrenzte Ge: !
meinfchaft der Anſchauung nur als eine leere Möglichkeit gefezt.
93° |
Die Familie fchon erfchliegt andern ihr Eigenthum gaftfreunblid,
nur unter der Vorausfezung, daß ihre Eigenthuͤmlichkeit verſtaͤnd⸗
lich werde aus ber gemeinfamen localen oder volksthuͤmlichen.
Bon wo aus aber die Gemeinfhaft am meiſten gefördert wird
auf diefem Gebiete, ob von der öffentlichen Gaftfreundfchaft aus
oder von ber der einzelnen, das hängt vorzüglich davon ab, ob
in einer Gefammtheit dad Privatleben vorherrfchend ift oder das
Öffentliche. In allen diefen drei Gebieten alfo ift eine Mehrheit
beftimmter Gemeinſchaftskreiſe das feftorganifirte, welchen, um
eine Seite des höchften Gutes zu realifiren, nur noch bie Rich:
tung fich gegen einander auch zu vermitteln einwohnen muß,
wenn auch in der Wirklichkeit dieler Zufammenhang nur frag⸗
mentarifch zu Stande kommt. Hingegen bie Offenbarung ber
Zuftände des höheren Selbfibemußtfeind, wenn fie einmal den
patriarchalifchen Kreis der Familie überfchritten hat, firebt fie
auch gleich die Sefammtheit an. Gottheiten verfchiedenen Ur
fprungs fließen zufammen, Mythologien bewegen ſich, und viele
Pleinere Kreife werden innerhalb Eined großen vereinigt. Blei:
ben hingegen Religionen und Culte mit dem ihnen angehörigen
Kunftgebiet in den Grenzen eined Volks und einer Sprache: fo
ſcheint das eine Andeutung, daß dad perfönliche Selbftbewußtfein
auch erft von dieſer höheren Einheit burchdrungen ift, aber Die
höchfte, die des Seins fchlechthin, noch nicht in fich aufgenommen
bat. Und fo fcheint, genauer betrachtet, auch dieled beides in der «ı
That zufammenzugehören, daß das Einzelmefen fich dieſes fchlechts
hinigen in fich bewußt wird, und daß ed auch allen ohne Unter:
ſchied zumuthet durch die Offenbarung des Zeitlichwerdens biefes
fhlechthinigen in ihm mit aufgeregt zu werben. Daher, wenn
wir dad Verbundenſein verfchiedener Völker in Einen Staat nur
ald einen Durchgangszuſtand anfehen koͤnnen, jedes Beſtreben
aber, einen Univerſalſtaat aufzurichten, fuͤr Unſinn erklaͤren; wenn
wir eben ſo auch den Gedanken, ein einiges Syſtem des Wiſſens
troz der Diverſitaͤt der Sprache geltend zu machen, als eine falſche
Schleierm. W. III. 2. | W
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Tendenz bald wieber aufgeben: fo finden wir es bennoch natürs
lich, daß jede Religion, die auf einem Eräftigen Bewußtfein ruht,
auch darauf ausgeht ſich allgemein zu verbreiten. Ia wir fehen
bier die Vollendung nur darin daß wirklich eine derfelben in der
Weltgeſchichte biefen Preid erreiche, wenn fie ſich dann auch, was
ihre Darftellungsmittel betrifft, wieder auf mancherlei Weife thei-
len muß; fo daß hier offenbar ein umgekehrtes Verhältnig wie
bort flott findet, indem hier nur bie Zufammenfafjung von allem
unter einem als das feftftehende gelten kann, und dieſer alle
Theilung definitiv nur untergeordnet fein darf.
Und alles bier beflimmter dargelegte iſt auch der Inhalt der
weniger frengen Ausdrüfle, mit welchen bie erfte Abhandlung
ſchloß. Denn dad Himmelreich ift nur ald Eine alle einzels
nen gleichſam in einander auflöfende Gemeinfchaft des tiefiten
‚u Selbftbewußtfeind mittelft geiftiger Selbftdarftellung in emften
Kunſtwerken geſezt; aber die Vollſtaͤndigkeit und bezugöweife
dann auch Unveränderlichfeit bed Wiſſens getrauten wir uns
nicht eben fo als Einheit fondern nur in der Wechfelwirkung
einer neben einander. fortbeftehenden Mehrheit zu denken. Unter
dem golbnen Zeitalter, wie ed mythiſch der Herrichaft de Men:
ſchen über die Natur vorangeht, wird allerdingd nur eine Zu:
länglichkeit berfelben für die unentwißfelten Zuftände ded Men:
fhen gedacht. Wir haben aber den Ausdrukk genommen, wie
er eben fo auch die Beendigung ded Kampfes mit der Natur
um bie Herrichaft bebeuten kann; und es foll darin gedacht wer:
den, daß überwiegend bie geflaltende Thaͤtigkeit nur für den ge:
meinfamen Genuß bed fich eigenthümlich differentiirenden geifli-
gen Seind in Kunfl und Spiel verwendet, alles aber, fofern es
dem Bebürfnig dienen fol, nur dur die von dem Wink des
Wenſchen abhängig gewordenen Naturkräfte verrichtet wird. Der
ar ewige Friede fezt eine Mehrheit politifcher Vereine voraus, aber
unter ihnen Zufammenflimmung und freie Gemeinfchaft, um die
Herrfchaft über die Natur zu vervolfländigen und fletig zu er:
495
neuern. Daß aber in biefen Refultaten von der Mirkfamkeit ber.
Bernunft in der menfchlichen Leiblichkeit nicht ſollte das höchfte
Gut des Menfchen auf biefer fich ihn immer wieder zum Herrn
gebährenden Erde auögefprochen, oder in benfelben nicht alles
enthalten fein, was zu dem aus fich herausgehenden und in ſich
zurüffehrenden Leben des Geifted in biefee Form gehören Tann,
diefed auch nur zweifelhaft zu machen dürfte ſchwerlich gelingen,
außer in fo fern die Vernunft felbft und ihre Thaͤtigkeit irgend⸗
wie gelaͤugnet wuͤrde.
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Lihrary of the
„NION THEOLOGICAL SEMINARY
New York
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