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N
' 36105 025 b22 16?
Georg Wilhelm Friedrih Hegel’s
vermifcdte
Shurifte n.
Herausgegeben
von
D. Friedrich Foͤrſter
und
D. Ludwig Boumann.
Zweiter Band.
Mit Konigl. Würtembergiſchem, Großherzogl. Heſſiſchem und der freien Stadt
Frankfurt Privilegium gegen den Nachdruck und Nachdrucks⸗Verkauf.
EEE EEE SEE EA warmem —
Berlin, 1835.
Berlag von Dunder und Humblot,
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Georg Wilhelm Sriedrid Heg el's
Werke
Vollſtaͤndige Ausgabe
einen Verein von Freunden des Verewigten:
D. Ph. Marheineke, D. J. Schulze, D. Ed. Gans,
D. £p. v. Henning, D. 8. Hotho, D. K. Michelet,
D. F. Föͤrſter.
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- Eitbenzebster: Band;
Täindts der nltiorov loxcoet Aöyov.
Sophocles,
. Mit Königl. Würtembergifhem, Großherzog. Heſſiſchem und der freien Stadt '
“ Sranffurt Privilegium gegen den Nacydrud und Machdruds » Berfauf.
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" Berlin, 1835
Verlag von Dunder und Humblot
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AÄnhaitsanzeige.
Seite
IV. Kritiken. (Fortſetzung.)
5. Ueber Friede, Heine, Jatobla Were, Dritter Band +... 3
6, Ueber Hamanns Schriften —V — — 442⸗ 38
7. Ueber „Aphorismen ber Nichtwiſſen und abſolutes Wiſſen im
ag — chriſtlichen Glauhenserkenntnißz von Karl Fried⸗
rich Gira ' ...„... 2
8. Mecenfion der Eäriften: * Ueber die hegelfepe Rehre, oder:
abſolutes Wiſſen u. moderner Pantheismus. — 2. Ueber Philo⸗
fophie überhaupt und Hegel's Encnklopädie der philofovhifchen
Wiſſenſchaften insbefondere, Ein Beitrag zu Beurtheilung dee
legten; von D. K. E. Echubacth und D 2, A. Carganico. —
3, Ueber den gegenwärtigen Standpunkt der philofophifchen
Wiſſenſchaften, im befonderer Beziehung auf das Syſtem Hes
gel's; von E. H. Weiffe, — 4. Briefe gegen die hegel'ſche
Encyklopädie der philofophifchen Wiffenfchaften. Erſtes Heft.
Dom Standpunkte der Encnklopädie und der Philoſophie —
5, Ueber Seyn, Nichts und Werden, Einige Zweifel an ber
* des Herrn Prof. Hegel“ — 4409
(NB. Die Recenſionen über die —* ‚legten Shift
Ä find nicht erfchienen.)
9. Ueber: „Der Idealrealismus. Erſter * Von D. Al⸗
bert Leopold Julius Oblert ! .. 229
Recenſion der Schrift: „Ueber bie Grundlage, — und
Zeitenfolge der Weligeſchichte. Drei Vortraͤge, gehalten an
der Ludwig Mar-Univerſitaͤt zu Münden; von J. Görres" 249
V. Vorrede zu Hinrichs’ Neligionsphilofophie .* 280
VI, Drei lateinifche Reden, gehalten an der Friedrich Wilhelm’sslinis
verſitaͤt zu Berlin.
4, Rede bei der. Promotion des D. Roſe —4 307
2, Rede beim Antritt des Rektorats an der berl, Univerfität --. 311
3. Mede bei der dritten Säfulars Feier der Uebergabe der auges
burg ſchen Konfelfiou »+...=+na0nunn0sonnesnsunnanannanenn 318
40
«
U
vi | Indhalt.
»2 Seite
VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
Aus einem Briefe Hegel's vom 23. Oktober 1812 an Niet⸗
hammer: leber den Vortrag der philoſophiſchen ——
Wiſſenſchaften auf Gymnaſien .............................. 333
- An den koͤniglich preußiſchen Regierungsrath md Profeſſor
Friedrich v. Raumer: Ueber den Vortrag der — A
Univerſitaͤͤen
An das Miniſterium des Unterrichts: uicba den —
in der Philoſophie auf Gymnaſien ........ ................ 357
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitfehrift. %n dad Mis
nifterium des Unterrichts eingefandt) — —— ........ 368
VII. Auffäge vermiſchten Inhalte.
1. Marimen des Journals der deutſchen Literatur (1806) ». » 393
2. Wer denkt abſtrakt? .......................... — — 400
3. Ueber Leſſing's Briefwechſel mit ſeiner Tran — 406
4, Ueber Wallenſtein ......................... isses 411
5, Ueber die Bekehrten ................ — ——— ... 414
6. Ueber die engliſche Re fon Bil ————— —— ... 425
L. Briefe.
1. Aus dem Koncepte zu einem Briefe an J. H. Voß in Hei⸗
delherrtgge⸗⸗⸗ 473
2. An van Ghert in Amſterdam ..... Sr ——— — 475
3. An Daub in Heidelberg -- .................... ........ 483
4. Un Goethe ......................... ee — 501
5, An den D. Hinrichs in Heidelberg — FF 608
6. An den Rektor und Profeſſor D. Gabler in Bayreuth .... 517
7. An Duboe .................. BA RERSCCPEUPALEE eds 520.
8. Un Lieutenant Kavenfein — RERENEROE EUER: 529
9, An Geh. Legationgs Rath Bambagen von Fa Re 530
410. An den Profeffor Gans ...................... ............ 632
11. An den Oberlandesgerichtsrath Sochen IIOPPPTELDFLPEPLFERR 535
12. An den D. Foͤrſter + nn 538
13, An den Minifter v. Altenſtein ..................... BETTER, 540
Antwort des. Minifters von Altenftein an Hegel ERBE . 542
14. Auszüge aus Hegel's Briefen an feine Gattin.
A. Meife nach den Niederlanden im Jahre 1822 +........ 544
B. Reife nad Wien im Jahre 18% ...... — ..... 566
C, Reiſe nach Paris im Jahre 1827 .......... 594
x. Nachtrag zu den Briefen.
1. An den Studioſus Zellmann ............. 627
2. An Knebel ............. ——— — erinnere 629
3, An Heinrich Beer ESP EEDRTEHTEETTT su... 693
— — — —
—
IV.
Keritiken.
(Fortſetzung.)
\
Bermifchte Schriften. * — 1—
4 | - 1. Kritiken.
‚Vielleicht hätte man wünſchen mögen, daf in der Folgen⸗
reihe diefer Sammlung die frühere Schrift Jacobi's, die
Briefe über die Lehre des Spinoza, den im gegenwär⸗
tigen Bande enthaltenen Abhandlungen vorausgefhidt worden
wäre, da diefe Briefe fih an ein Zeit-Intereffe tnüpfen, das
der Erfcheinung nad älter ift, als die philofophifchen Geftalten,
mit denen ſich jene Abhandlungen befhäftigen, nämlich an die
zur legten Mattheit herabgefuntene Leibnitziſch⸗Wolfiſche Meta⸗
phyſik, an welcher die jacobiſche Philoſophie zugleich den ge⸗
meinſchaftlichen Ausgangspunkt mit der kantiſchen Philoſophie
hat, welcher fie fpäter gegenüber getreten iſt. Die genannten
Briefe flellen auch die Anfiht Jacobi’, von der Nidhtig-
keit aller wiffenfhaftliden Ertenntnif des Gött-
lien, in einer gewiffen Ausführung und Begründung dar, —
eine Anficht, die in den vorliegenden Schriften nicht etwa mit
der Einſchränkung auf die: darin behandelten philofophifchen
Syſteme, fondern in ihrer ganzen Allgemeinheit herrſchend iſt,
und mit fo viel Geiſt und Wärme begleitet fie auch vorkommt,
doch für die, welde über die Wahrheit noch nad Gründen zu
‚fragen gewohnt find, weitere Wünfche zuläßt; die Norausfhidung
der Briefe hätte mehr no. als die Vorausfchidung des Ge⸗
ſprächs: David Hume über den Glauben, im II. Bande,
als eine diefer Gewohnheit erzeigte Ehre angefehen werden kön⸗
nen. — Die in gegenwärtiger Anzeige darzuftellende Art und
Weiſe, wie fih Jacobi den im’ vorliegendem Bande behandelten
Philoſophien gegenüber ftellt, wird mehr Klarheit und Anſchau⸗
licgkeit gewinnen, wenn wir vorher daran erinnert haben, wie
fein Geift fih in’ das Studium des Spinozismus vertieft, und '
fih in diefer Beſchäftigung fein Standpunkt firirt hat, auf wel⸗
chem ihn fehon mit ſich fertig, die kantiſche Philoſophie bei ihrer
Erſcheinung antraf. Zur Erläuterung deſſen iſt aber Einiges
über den damaligen Zuſtand der Philoſophie ins Gedãchtniß
zu rufen
5. Ueber Friedrich Heinrich Jacobi's Werke. 5
Die franzöſiſche Philofophie hatte den großen Geift des
Kartefianifchen: cogito ergo sum, den Gedanken als den Grund
des Seyns zu wiſſen, und die Seftaltungen des legtern nur aus
und in jenem zu erkennen, aufgegeben, und den umgekehrten.
Weg des Lodeanismus eingefhlagen, den Weg, aus dem unmit-
telbar Gegebenen der Erfheinungsmwelt den Gedanken abe
zuleiten. Infofern noch das Brdürfniß blieb, auch in der Er-
fheinungswelt einen allgemeinen Grund zu faflen, wurde cine
begrifflofe Allgemeinheit, nämlich eine unbeſtimmte
Natur. oder vielmehr eine Natur, an welde die ganze Ober-
flächlichteit einiger dürftigen Reflerions-Beflimmungen von Gans
zem, Kräften, LZufanmenfegung und dergleichen Formen der
Aeuferlikeit und des Mechanismus geheftet wurde, als Grunds
weien ausgeſprochen. Die‘ deutf he Bildung hatte der Sache
nach diefelbe Richtung genommen, und die Auftlärung die
Traditionen chrwürdiger Lehre und Sitte, den empfangenen
und unmittelbar gegebenen Inhalt einer göttlihen
Welt nad) allen Seiten aufgelöfl, und diefes fogenannte Poft-
tive, weil und infofern das Selbſtbewußtſeyn ſich in ihm nicht,
oder, was daſſelbe ift, weil es ſich nicht im Selbſtbewußtſeyn
fand, aufgegeben und verworfen. Was übrig blieb, war der
Todtenkopf eines abſtrakten leeren Wefens, das nicht er⸗
kannt werden-Lönne, d.h. in welchem das Denken fc) felbft
niet habe, das an und für fih Seyende war damit ei⸗
gentlih auf Nichts-veducirt; denn was das Selbfibewußtfchn
in fi fand, waren endlihe Zwede, und die NRützlichkeit
als die Beziehung aller Dinge auf folhe Zwede. Diefer Ans
“ fledung begnügten fih Andere ihr veligiöfes Gefühl entgegenzu-
fegen, ſchrieben auch die theoretifchen Refultate Fehlern, die das
Erkennen begebe, zu, und fuchten etwa die Wahrheit durch Be⸗
sichtigung und Verbefierung der Erkenntniß derfelben zu flügen
und zu reiten. Jacobi dagegen fegte nicht nur die Sicherheit
feines Gemüths entgegen, fondern die tiefe Gründlichkeit feines
6 m. Kritiken.
Geifles blieb nicht bei den kahlen Reſten, in denen die Meta—
phyſik ein ermattetes Leben, dürftig friftete und noch fchaale Hoff-
mungen nährte, ftehen; fie faßte vielmehr die Philofophie in den
Quellen des Wiffens auf, und verſenkte ſich im ihre kräftigſte
Gediegenheit. Wie aud das philofophifche Beſtreben fonft in
Materien der Metaphyſik ſich mit Analpfiren, Unterſcheiden oder
Zufammenleimen, mit Erfinden von Denkmöglichkeiten und Wis
derlegung anderer Möglichkeiten abmühen mag; wenn es die
gediegene umendliche Anfchauung und Erkenntnif des Einen
Subftantiellen, welche der Spinozismus if, und im deren Beſitz
wir Jacobi fehen, nicht zu feiner Grundlage hat, und alle weis
teren Beflimmungen nicht daran mißt, fo fehlt diejenige Bezie—
hung, durch welde alle Erkenntniß> Beftimmungen allein Wahr-
heit erhalten, — die Beziehung, welche Spinoza fo ausdrüdt,
daß Alles unter der Geftalt des Ewigen betrachtet werden
müfle. Jacobi trat mit diefer ausgezeichneten Ueberlegenheit in
der Zeit der vormaligen Metaphufit auf, weil ihm die Gedie-
genheit jener Anfhauung beiwohnte, die Anderen aber das Ins
tereife des Erkennens in etliche dürftige, begrifflofe Verftandes-
beftimmungen von Dafeyn, Miöglichkeit, Begriff und dergleichen
legten. Es macht keinen Unterfchied, daß bei diefem Philofo-
Phiren Gott der Gegenftand und das Ziel war; indem er durch
Beflimmungen jener Art gefaßt werden foll, fo find fie es, die
den Inhalt der Erkenntniß ausmachen. Die Idee Gottes
felbft bleibt außer ſolchem endlihen Inhalt, eine blofe Vor—
ftellung oder Empfindung, die nad ihrer Unendlichkeit nicht
in jenes Erkennen eintritt. In dem Einen Abſoluten aber find
diefe Endlichkeiten des Inhalts und damit ebenfo das fubjektive
Abmühen mit denfelben aufgezehrtz der Geift erreicht daffelbe
und wird Bewußtfepn der Vernunft, nur indem er dieſe feine
Beſchränkungen als nichtige, als Formen bloß der Erſchei—
nung erkennt, und fie jomit in jenen Abgrund verſenkt. —
Zacobi hatte diefe höchfte Anſchauung nicht bloß im Gefühl und
5. Ueber Friedrich Heintich Jacobi's Werke. 7
in der Vorſtellung erreicht, — einer Form, bei welcher die bloße
Religiofität ftchen bleibt, — fondern auf dem höhern Wege des
Gedantens, mit Spinoza gefunden, daß fie das legte wa hr⸗
hafte Refultat des Denkens fey, daß jedes konſequente
Philoſophiren auf den Spinozismus führen müffe.
Hier tritt nun aber der große Unterſchied ein, daß die Eine
abſolute Subſtanz nur als die nädfte Form des nothwendigen
Nefultats gefaßt, und daß über diefelbe binausgegangen werden
muß. In Jacobi zeigte ſich daher das ebenjo fefte Gefühl,
daß das Wahre in. diefer. feiner. erfien Unmittelbarkeit,
für den Geift, der nicht ein Unmittelbares ift, ungenügend, daf
es noch nicht als der abfolnte Geiſt erfaßt if. Das Objett,
wie es vom finnlichen Bewußtſeyn aufgenommen wird, iſt das
geglaubte Seyn endlicher Dinge. Das zur Vernunft fortfhreis
tende Bewußtfeyn verwirft aber ſolche Wahrheit des Unmittelba-
sen und den Glauben der Sinnlichkeit. Das zur Unendlich⸗
teit erhobene Seyn iſt die reine Abſtraktion des Denkens,
und dieß Denken des reinen Seyns if nicht finnlihe Anfhau-
ung, fondern intellettwuelle oder Bernunftanfhauung.
Weil aber das unendlihe Seyn in diefer Unmittelbarteit
das nur abfirafte, unbewegte, ungeiflige ift, vermißt ſich das
- Freie als das fih aus fich felbft Beftimmende, in jenem Ab⸗
grund, in den fi alle Beflimmtheit geworfen and zerbroden
bat; die Freiheit ift ſich unmittelbar Perfönlidteit, als der
unendlige Punkt des an und für fih Beflimmens. In
dee Einen gediegenen Subftanz aber, oder, was daffelbe'
if, in dem reinen Anfhauen, als. dem abftratten Den-
ken, if nur die Eine Seite der Freiheit enthalten, nämlich
die Seite, wonach das Denken zwar: aus den Endlichkeiten des
Seyns und Bewuftfeyns zum einfachen Elemente der All
gemeinheit gekommen ift, aber darin noch nicht die Selbftbe-
flimmung und Perfönlickeit gefegt bat. Denn es hilft nichts,
daf in der abfoluten Subflanz das Denten, das Princip der
Freiheit und Perfönlichkeit, ebenfo wohl wie das Seyn oder
die Ausdehnung Attribut if. Weil die Subftanz die unun—
terfchiedene und ununterſcheidbare Einheit der Attribute ift, fo
ift ihre Grundbeffimmung wieder nur die Unmittelbar
keit oder das SeHhn, Aus diefem Seyn ift daher fein Ueber—
gang zu dem Verſtande und zum Einzelnen vorhanden. Die
noch näher liegende Forderung wäre, daß ein Uebergang von
dem AbfolutsEinen zu den göttlihen Attributen auf-
gezeigt würde, Es ift aber nur angenommen, daf es ſolche
Attribute giebt, fo wie ferner, daß ein endlicher Berftand,
oder Einbildungstraft, und im denfelben einzelne und
endlihe Dinge find. Das Seyn derfelben wird zwar ims
mer zurüdgenommen, und als ein Unwahres in die Unendlichs
keit dee Subftanz verfentt; fie haben dabei die Stellung eines
gegebenen Yusgangspunttes für diefes Erkennen ihrer
Regativitätz aber umgekehrt ift die abſolute Subftanz nicht als
Ausgangspunkt gefaßt für Unterfhiede, Vereinzelung,
Individuation, überhaupt für alle Unterſchiede, wie fie er—
feheinen mögen, als Attribute und Modi, als Seyn und Denten,
Berfland, Einbildungstraft u. ſ. w. Alles geht dahet in der Sub-
ſtanz nur unter, fie ift unbewegt in ſich, nichts kehrt aus ihr zurück.
Es iſt aber in der That eine einfache Betrachtung, welde
in der Subſtanz felbit das Princip der Abfcheidung erfennen
läft, — eine Betrachtung nur deffen, was die Subftanz, faktiſch
fo zu fagen, enthält. Indem fie nämlich als die Wahrheit der
einzelnen Dinge, welde in ihr aufgehoben und ausgelöſcht find,
erkannt worden, fo ift die abfolute Negativität, welche der
Quell der Freiheit ift, die in fie felbft bereits gefegte Beftim-
mung. — Es kommt hierbei nur darauf an, die Stellung unb
Bedeutung des Negativen richtig ins Auge zu faſſen. Wenn
daffelbe nur als Beftimmeheit der endlichen Dinge genoms
men wird (omnis' delerminatio 'est negatio), fo ift die Vor—
flellung mit dem Negativen aus der abfoluten Subftanz heraus,
5, Leber Friedrich Heinrich Tacobi’d Werke. 9
hat die endlichen Dinge aus ihr herausfallen Laffen, und erhält
fie außer ihr. So wird die Regation, wie fle Beflimintheit
der endlichen Dinge ift, nicht aufgefaßt. als im Unendlidhen
oder als in der Subſtanz vorhanden, die vielmehr das Aufe
gehobenſeyn der endlihen Dinge if. — Wie aber dagegen
die Negation in der Subſtanz ifl, dieß ift ſchon gefagt, und das
ſyſtematiſche Fortſchreiten im Philoſophiren beftcht eigentlich in
nichts Anderem, als darin, zu wiſſen, was man ſelbſt ſchon ge⸗
ſagt hat; — die Subſtanz ſoll nämlich ſeyn das Aufgehoben⸗
ſeyn des Endlichen, damit ſagt man, daß ſie iſt die Negation
der Negation, da dem Endlichen nur die Negation zuge:
theilt il; — als Negation der Regation ift die Subflanz hiers
mit die abfolute Affirmation, und ebenfo unmittelbar reis
heit und Selbſtbeſtimmung. — Der Unterſchied, ob -das
Abfolute nur als Subftanz oder als Geiſt beſtimmt iſt, bes
ſteht hiernach allein in dem Unterfchiede, ob das Denten, welches
feine Endlichkeiten und Vermittlungen vernichtet, feine: Regatios
nen negirt und hierdurch das Eine Abfolute erfaßt hat, das Bes .
wußtſeyn deſſen befigt, was es im Erkennen der abfoluten Subr
flanz bereits gethan, oder ob es dief Bewußtſeyn nicht hat. — _
Jacobi hatte diefen Mebergang von der abfoluten Subftanz zum
abfoluten Beifte, in feinem Innerſten gemadt, und mit un⸗
widerfiehlihem Gefühle der Gewißheit, ausgerufen: Gott
ift Geiſt, das Abfolute ift frei und perfönlid. — In Rüde
fiht auf die philofophifche Einfiht war es von der bedeutend
ſten Wichtigkeit, daß dur ihn das Moment der Unmittel⸗
barkeit der Erkenntniß Gottes aufs beflimmtefte und kräftigſte
herausgehoben worden ift. Gott ift kein todter, fondern lebens
diger Gott; er ift noch mehr als der Lebendige, er ift Geift
und die ewige Liebe, und ift dieß allein dadurch, daß fein
Seyn nit das abftratte, fondern das ſich in filh bewegende
Unterfcheiden, und in der von ihm unterfähiedenen Perſon Er⸗
kennen feiner felbft iſt; und. fein Wefen if die unmittelbare,
40 a RT
d. t ſeyende Einheit, nur infofern es jene ewige Vermittlung
zur Einheit ewig zurüdführt, und diefes Zurüdführen ift
ſelbſt diefe Einheit, die Einheit des Lebens, Selbfigefühls, der
‚Perfönlichkeit, des MWiffens von fih. — Was das Erkennen
betrifft, ſo hat Jacobi von der Vernunft, als dem Weber-
natür lichen und Göttlihen im Menſchen, welches von Gott
weiß, behauptet, daß fie Anſchauen if, Die Vernunft, indem
fie als Leben und. Geift- weſentlich die Vermittlung, ift, iſt un-
mittelbares Wiffen nur als Aufheben jener Vermittlung. Ein
todtes, ſinnliches Ding. ift allein ein Ummittelbares nicht, durd)
die Vermittlung, feiner mit ſich ſelbſt. — Jedoch hat bei Jarobi
der Mebergang von der Vermittlung zur Unmittelbarkeit mehr
die, Geftalt einer, äußerlichen Wegwerfung und Verwerfung
der Vermittlung. Es iſt infofern das reflektivende Bewußtſeyn,
welches getrennt, von: der Vernunftanſchauung, jene vermittelnde
Bewegung des Erkennens von diefer Anfhauung entfernt; ja er
‚gehts noch, weiter und: erklärt jene Bewegung fogar für etwas,
mas dieſer Anſchauung hinderli und verderblich fey. Es find
hier zwei Aktus zu unterſcheiden, erſtlich das. endlihe Erkennen
felbft, welches nur mit Gegenftänden und Formen zu thun hat,
die nicht am und für fi), fondern bedingt und begründet durch
Anderes find, — ein Erkennen, deffen Charakter fomit die Ver—
mittlung ausmadt; — das zweite Erkennen iſt dann die fo
eben genannte Reflerion, welche ſowohl die Gegenftände als die
ſubjektiven Erkenntnifweifen des erften für einen Inhalt und.
für Formen der Vermittlung, und damit für nicht abfolut er-
Kennt Das zweite Erkennen iſt daher einer Seits felbft ver-
mittelt, denn es iſt wefentlich auf jenes erfie Erkennen bezogen,
hat daffelbe, zw feiner Borausfegung und Gegenſtande; anderer
‚Seits ift es Aufheben jenes erfien Erkennens; — alfo, wie vor=
hin geſagt wurde, ein Vermitteln, weldes Aufhebung der Ver—
mittlung iſt; — oder ein foldes Aufheben der Vermittlung, nur
inſoſern es felbft ein Vermitteln if. Das Erkennen, als Auf
5. Ueber Friedrich Heinrich Jacobi's Werke. 1
heben der Vermittlung, iſt chen damit ummittelbares Erkennen;
faßt es feine Unmittelbarkeit nicht fo auf, fo wird nit aufges
faßt, daß diefelbe fo allein die Unmittelbarteit der Ver⸗
nunft, nit eines Steines if. Im natürlihen Bewußtſeyn
mag das Wiffen von Bott die Erfheinung von einem blof uns
mittelbaren Wiſſen haben, es mag die Unmittelbarkeit, in wels
cher ihm der Geift iſt, der Unmittelbarkeit. feines Wahrnehmens
des Steines gleich erachten; aber das Geſchäft des philofophiſchen
Miffens iſt es, zu erkennen, worin wahrhaft das Thun jenes
Bewußtſeyns beficht, — zu ertennen, daß im ihm jene Unmit⸗
telbarteit eine lebendige, geifige ifl, und nur aus. einer ſich ſelbſt
aufhebenden Vermittlung hervorgeht. Das natürliche Bewußt⸗
ſeyn entbehrt dieſe Einſicht gerade fo, wie es als organiſch⸗le⸗
bendiges verdaut, ohne die Wiſſenſchaft der Phyſiologie zu be⸗
figen. Wie es ſcheint, iſt Jacobi durch die Form ber Erkennt
ni von Gott, weldhe man früher die Beweife vom Daſehn
Gottes genannt hat, zu der Vorſtellung veranlaßt worden, daß
dem Bewußtſeyn damit zugemuthet worden fey, zu glauben, daß
es Fein Wiffen von Bott ſeyn könne, ohne die Reihe der Schlüffe,
vorausgejegter Begriffe und Folgerungen, die jene Beweife ent»
hielten, förmlich durchgemadt zu haben; — gerade, wie fo
eben erinnert, als ob man dem Menſchen zumuthete, zu glau⸗
ben, er könne nicht verdauen, noch gehen, noch fehen, noch ber
ren, ohne Anatomie und Phpfiologie fudirt zu haben. — Ein
damit zufammenhängendes Mißverſtändniß iſt dieſes, daß das
Wiſſen von Gott und das Seyn Gottes ſelbſt, durch die
Vermittlung des Erkennens zu einem abhängigen, in einem
Andern gegründeten gemacht worden ſey. Dieß ſcheinbare
Mißverhältniß iſt aber ſchon durch die Sache ſelbſt aufgehoben;
— indem nämlich Bott das Reſultat iſt, fo exklärt ſich im Ge⸗
gentheil darin dieſe Vermittlung ſelbſt als ſich durch ſich aufhe—
bend. Was das Letzte iſt, iſt als das Erſte erkannt; das
Ende if der Zweck; dadurch, daß es als der Zweck und zwar
42 een
als der abfolute Endzweck erfunden wird, ift dieß Produkt viel
mehr‘ fü das unmittelbare, erſte Bewegende erklärt. Diefes
Fortgehen zu einem Nefultat ift hiermit ebenfo ſehr das Rüd-
gehen in fi, der Grgenftof gegen ſich; es ift das, was vorhin
als die einzige Natur des Geiftes angegeben worden, als des
wirtenden Endzwedts, der ſich ſelbſt hervorbringt. Wäre er ohne
Wirken, ein unmittelbares Sehn, fo wäre er nicht Geift, nicht
einmal Leben; wäre er nit Zwed, und ein Wirken nad) Sweden,
fo fände er nicht in feinem Produkt, daß diefes Wirken nur ein
Zufammengehen mit fi felbfi, nur eine Vermittlung ift, durch
welche ihre Beftimmung zur Unmittelbarkeit vermittelt wird.
Indem nun Jacobi die Vermittlung, die im Erkennen
iſt, wegwirft, und fie ſich ihm nicht innerhalb der Natur des
Geiſtes, als deſſen weſentliches Moment, wiederherftellt, — fo
Hält’ fich fein Bewußtfeyn des abfoluten Geifies in der
Form des unmittelbaren, nur fubftantiellen Wiffens
feft. "Die einfache Grundanfhauung des Spinozismus hat die
Subftantialität zum einzigen Inhalt, Wenn aber, wie bei Ja—
cobi der Fall ift, die. Anſchauung des Abſoluten ſich als intel-
lektuelle, d.h. erfennende Anfchauung weiß, wenn ferner ihr
Gegenftand und Inhalt nicht die ſtarre Subflanz, fondern der
Geifift, ſo mußte ebenfo die bloße Form der Subftantialität
des Wiſſens, nämlich die Unmittelbarkeit deffelben, weggeworfen
werden, Denn eben durch das Leben und die wiffende Bewe-
gung im ſich felbft unterfcheidet ſich allein der abfolute Geift von
»er abfoluten Subftanz, und das Wiffen von ihm ift nur ein -
Geiſtiges, Intelleftuelles. — Es ift nun hauptfähli die von
Jacobi in feiner, Vernunftanfhanung gefundene * Beftimmung
‚von Grift, woran er die philofophifchen Syſteme mift, die er
in den in dem vorliegenden‘ Bande enthaltenen Abhandlungen
zu feinem Gegenfiande macht. Er ſpricht diefen Philofophien
gegenüber nicht nur den Inhalt, fondern ebenfo hartnädig diefe
fubfiantielle Form feiner Vernunftanfhauung aus. Die kan⸗
5. Ueber Friedrich Heinrich Yacobi’s Werke, 43
tifhe, fihtefche und die Natur⸗Philoſophie find es, welche hier
von ihm betrachtet werden; und der Grundcharakter feiner Bes
handlungsweiſe ift durch das Angegebene bezeichnet.
Die Abhandlungen felbft find dem Publikum fattfam
betannt. Die Leidenschaft der Zeit, in der fle erfihienen, ‚darf
als vorbeigegangen angeſehen werden; die Betrachtung ihrer
Momente kann darum um fo Fürzer und aud) unverfänglidher
ſeyn und fih auf das Wefentlihe befchränten. Ucherflüffig darf
die vorliegende Sammlung und deren Studium nicht etwa ſchei⸗
nen, weil ein Theil der Philofophien, auf die fie fich bezicht,
vergangen ſey. Ungern fehe ich aud Jacobi S. 340 in
dem Tone fprehen, daß es bekannt fey, wie ſchnell die philoſo⸗
phifhen Syfteme feit 25 Jahren in Deutſchland gewechfelt has
ben. Denn dief pflegt fonft vornehinlich die Sprache derer zu
ſeyn, die fi über ihre Verachtung der Philoſophie nicht nur
bei ſich rechtfertigen, ſondern auch auf die Bemerkung ſich etwas
zu Gute thun wollen, daß ja die philoſophiſchen Syſteme ſich
ſo ſehr widerſprechen und fo oft wechſeln, daß es, hiegmit eine
fimple Klugheit fey, ſich nicht einzulaffen, um fo mehr, da dieß
Einlaffen den Sinn habe, in einem fo Vergänglichen nicht ein
Vergängliches fuhen und haben zu wollen, fondern vielmehr uns
vergänglihe Wahrheit. — Was in der That vergänglid if
und gewefen ift, find die vielerlei Beſtrebungen, ohne Philofo=
phie philofophiren und eine Bhilofophie haben zu wollen. Doch
diefes Vergängliche felbft Tann aud als unvergänglih, der
Wechſel als perennirend angefehen werden. —
Die jacobifhen Behauptungen von der Unfähigkeit der
Wiſſenſchaft, das Göttliche zu ertennen, können wohl nicht das
von freigefprochen werden, die Folge gehabt zu haben, daß die _
Unwiffenheit und Geiftlofigkeit ſolche Säte als ein bequemes
Polſter utiliter acceptirt, und fi daraus ein gutes Gewiflen,
und fogar Hochmuth bereitet hat, wie die kantiſche Philoſophie
das Objekt zu einem problematifhen Etwas herabgefegt, und
14 0 TV Kritiken.
ihm nad einem geiftreichen Ausdrucke Jacobi’s S. 74 als Ding-
anzfid, ein otium cum dignitate zu geniefen verſchafft hat.
"Die kantiſche Philofophie ift hauptfächlicd der Gegen-
fand der zweiten Abhandlung, deren Titel oben angegeben wor=
den; die anderen Abhandlungen, insbefondere die dritte, kommen
Häufig auf dieſe ·Philoſophie zurüd. Ich will von ihr, als der
erften, und von der jacobifchen Polemik gegen diefelbe zuerft
ſprechen, und kurz angeben, warum ihre Lehrſätze, an dem gro-
‘fen Grundfage Jacobi’s gemeffen, daf das Abfolute als Geift zu
erfaſſen ift, ſich für denfelben fehr ungenügend zeigen müſſen.
Was diefe Philofophie nämlich auf dem theoretifhen Wege,
das heißt, ein Erkennen defien, was ift, als das Höch ſte fin-
det, find im Mllgemeinen bloße Erfheinungen. Als deren
Mefenheiten aber ergeben ſich drei Beflimmungen, in welde fie
analyfiet find, nämlich erftens ein Dingsan-fid, dem gar
feine weitere Beſtimmung zutommt, als dief ganz begrifflofe
Ding -an⸗ſich zu feynz; zweitens das Ich des Selbſt be—
wußtſeyns, infofen es aus fih Vertnüpfungen mad,
aber hierbei durch ein gegebenes Mannigfaltiges bedingt iſt, und
nur ſendliche Verknüpfungen des Endlichen hervorbringt, end⸗
lich drittens das andere Extrem zum reinen Ding san=fid,
das Ich als reine Einheit.
Ih im jener endlichen Thätigkeit hat Kant Verſtand,
Ich als die reine Einheit Vernunft genannt. Die beiden
Ertreme des Schluffes, als welder das Erkennen deffen,
was ift, dargefiellt wird, das Dingsan-fih und die reine Ein-
heit des Selbfibewußtfenns, find fomit abſtrakte Ailgemeinheiten ;
und fo firirt, find fie durchaus ein ungeifliges. Die Mitte
des Schluffes iſt zwar ein Konkretes, aber dafür ein äußer—
lies AZufammentommen und Zufammenbringen wefentlid) ge=
gen einander äußerlich bleibender Ingredienzien; ebenfo wenig
ift daher hierin der nicht nur feiner felbft, fondern aud) des An-
dern als eines Wahren gewiffe Geift zu erkennen, Für das
5, Ueber Friedrich Heinrich Jaeobi's Werke. 45
Wiſſen aber defien, was ſeyn foll, des Praktifchen, fand Kant
im Selbfibewußtfegn diefelbe formale Einheit, die das eine
Extrem des vorigen Schluſſes ausmachte, als das Princip, wos
durch das Gute und die Pflicht konſtituirt werden fol. Diefem
Princip gegenüber macht eine mannigfaltige Natur das andere .
Ertrem aus; die konktete, allgemeine Einheit diefer Extreme
bleibt im Lantifchen Syſteme ein Jenſeits. Die innere Ge⸗
wißheit nur feiner felbft, und die als Außerlih vorgefundene
Wirklichkeit werden als fchlechthin gefchiedene und wahrhaft.
feyende erhalten; die Einheit deffen, was ifl, und defien, was
ſeyn foll, des. Dafeyns und des Begriffs kann deßwegen nur
als perennirendes Poftulat, nicht als das, was wahrhaftig ift,
bervortommen.
Das Praktifche hat darum aud den Geift nicht zu feinem
letzten Refultate, und damit, wie vorhin erläutert wurde, findet
ee ſich nicht in ihm als erſte Grundlage und Wahrheit.
Jacobi hat nun an die kantiſche Philoſophie nicht bloß fei-
nen Maafftab als vorausgefegt angelegt, fondern hat fie
auch auf die wahrhafte Weiſe, nämlich dialektiſch, behandelt.
Die kantiſche Beflimmung der Form, nad) welder die Aufgabe
der Philofophie gefaßt und gelöft werden follte, gab felbft un⸗
mittelbar die Waffe dazu. Kant flellte die Trage auf: wie find
fonthetifhe Mrtheile a priori möglich? flatt die Nothwen-
digkeit diefer Uxtheile als den Gegenftand der Philofophie zu
beftimmen. Er theilte die Stellung der Aufgabe mit der Mes
tbode der Metaphufit feiner Zeit, welche von den Begriffen, fo
auch von dem Begriffe Gottes, allererfi die Möglichkeit dar-
thun zu müffen meinte. Solcher Möglichkeit, da fie von Mirk-
tihkeit und Rothwendigkeit noch getrennt gehalten werden foU,
biermit ein Abſtraktum ifl, liegt die abſtrakte Identität, die
formelle Einheit des Verfiandes, zu Grunde Jacobi
nimmt dicfe Form auf, und hält fo Raum als Eines, dic
Zeit als Eines, das Bewußtſeyn als Eines, deffen reine
16 00T Kreltiken.
Syntheſis, die Syntheſis an ſich, von Thefls und Mntithefis
unabhängig, d. h. die ganz abſtrakte Kopula, Iſt, Iſt, If,
ohne Anfang und Ende, nad dem trodnen Verflande feſt, in
dem fie vorkommen, und fragt num mit Recht, wie hier die
Möglihteit, dag ein Knoten gefhlungen werde, Statt
finden follte, In der That, wenn das Weife nur weiß, das
Schwarze gegemüber nur ſchwarz bleiben fol, fo ift nicht mög-
lid), daß ein Grau oder fonft eine Farbe entfiche, noch beflche.
— Ferner fehildert nun Jacobi mit gleichem Recht foldhe Ab—
ſtraktionen als leere Gedantendinge, als Schatten und Heren-
raue, — Nur bleibt er dabei ſtehen, die Nichtigkeit des ab⸗
firatten- Raumes, der abfiratten Zeit, der abfirakten Jdentität
und der abftraften Verfchiedenheit, als feine eigene, diefen Ab
firaftionen äuferliche Reflerion zu betrachten. Dieß ift info-
fern ganz Fonfequent, als die Dialektik hier nur gegen die kan—
tiſche Darftellung gerichtet "war, und nur deren gleichfalls ab-
firaftes Nichts daraus hervorgehen ſollte. Die folden Ab—
firaktionen immanente Nichtigkeit aber wäre die objektive Dia-
lektik derfelben gewefen, und hätte zur Nothwendigkeit des
Konkreten geführt, des hier fogenannten Synthetifchen a priori.
Der Beweis von der Unmöglichkeit des Konkreten, der
aus der vorausgefesten Gültigkeit jener Gedankendinge geführt.
wird, wäre fomit, vermittelft ihrer aufgezeigten Unwahrheit, in
das Grgentheil, in den Beweis der Nothwendigkeit des
Konkreten umgeſchlagen. — Ferner tommt dann aud das Kon»
krete, als Einbildungstraft, Urtheilen, Apperception des Selbft-
bewußtſeyns, in Bezichung auf jene Abftraktionen, vor.
Für dieß Verhältniß, indem die Abftraktionen als für ſich befle-
hende firirt find, ergiebt fi nur, daß fie, und ebenfo auch die
Konkreta, in ihrer Verſchiedenheit wieder abſtrakt feftgehalten,
die nicht ſich felbft aufhebende, dialektifhe, fondern befichende
Grundlage von einander find; — daf die Vernunft auf dem
Berftande ruhe, der Verfiand auf der Einbildungstraft, diefe
18 IV. Kritiken,
und zulegt Vernunft, — als ganz anfällig gegen ein—
ander, wie ihr Aufammentommen in einer blofen Hiſtorie er»
fheint, zu nehmen, und indem fie als abſtrakte Grundlagen.
firiet werden, den Widerſpruch geltend zu machen, der darin
liegt, daß fie zufammengebradt und in Eins gefegt wer»
den. Diefe Geiftlofigkeit ihrer Auffaffung, der Mangel diefer
Darftellung, an das Aufzeigen fowohl der Nothwendigkeit
diefer Geiftesthätigkeiten in ihrer Beftimmtheit, als des Kon-
treten derfelben nicht gedacht zu haben, ift das, was durch bie
jacobiſche Kritit ar gemacht wird. Diefe Kritit erhält derma-
Ion eine um fo größere Bedentfamkeit, als felbft Freunde Ja—
cob?’8 haben meinen können, fogar eine Werbefferung der
kritiſchen Philofophie damit gefunden zu haben, daf fie die Er—
kenntniß des erkennenden Geiftes zur Sache einer Anthropos
logie machen, — zu einem fimplen Erzählen von That—
ſachen, die im Bewußtſeyn follen vorgefunden werden, wo—
bei das. Erkennen dann in nichts Weiterem beflche, als in einer
Zergliederung des Vorgefundenen. Sie geben damit vor—
ſätllich, als ob dich das Rechte wäre, den Gedanken auf, die
Thätigkeiten des Geiſtes in ihrer Nothwendigteit zu erken-
nen, da dod) der Mangel diefer Nothwendigkeit, die Zus
fälligkeit und Aeußerlichkeit, in welder die Beſtimmun—
gen des Geiſtes gegen einander bei Kant erfeheinen, das ifl, was
Zacobiin den Grund feiner Dialektik gegen deren Syntheſis
überhaupt und gegen die ſchlechten, endlichen Verhältniſſe giebt,
welde bei jener vorausgefegten Aeußerlichkeit der Thätigkeiten
des Geiftes zum Vorſchein kommen.
Es ift hiernach noch kürzlich zu erwähnen, wie der Man-
gel deffen, was die kantiſche Philofophie von der praktiſchen
Vernunft Ichrt, in der jacobifchen Abhandlung aufgefaßt wird,
Der theoretifchen Vernunft find die Jdeen von Gott, freiheit
und Unfterblichkeit unerweislich, diefe ihre Gegenftände kön—
nen nicht erkannt werden; fie geht auf das, was iſt; zur
20 IV. Keititen.
matifhe Weife im Aufammenhange der Nothwendigteit darzu—
ftelen. Wenn bei Kant das Objekt zu einem unerfannten und
unerkennbaren Dingsanzfic erſt gewilfermaßen durch den gan—
zen Verlauf der Kritik zufammenfchrumpft, und aufer dem Be—
reich des Verfiandes und dann auch der Vernunft erfi durch die
Erkenntniß diefer fogenannten Seelenvermögen gefegt wird; fo
teitt bei Fichte gleich unmittelbar die reine Einheit des
Ih mit ſich ſelbſt, und ihm gegenüber fogleich ebenfo ab»
firatt das Dingsan-fih, als Nicht-Ich auf; die fernere Ent»
widlung der Formen, welde die Beftimmung des einen
durd das Andere annimmt, hat jenen Gegenfaß fortdauernd
zum Grunde liegen, indem jede weitere Form zwar eine reichere
Synthefis deffelben ift, aber nicht dazu kommt, ihm zu übers
winden. Diefe Auflöfungen bleiben defwegen Verhältniffe
und endlihe Formen, deren legte Auflöfung gleichfalls ins
Prakliſche hinübergewiefen wird, welches aber ebenfo nicht weis
ter gebracht ift, als zu einem einfeitigen, mit einem Jenfeits be=
bhafteten Sollen und Streben. Bon fo unendlider Wich—
tigkeit das fihtefche Princip als Moment feinem Inhalt nad)
ift, oder don Seiten der Form, durch welche Fichte dem kanti—
ſchen Prineip diefe hohe Abftraktion gegeben hat; fo muß cs,
weil es im feiner Einfeitigkeit abfolutes Princip bleiben foll,
und nicht zum Moment herabgefegt wird, dem konkreten Geifte
‚gegenüber, gleichfalls als ein Geiſtloſes erſcheinen.
Jacobi hat diefe Philofophie nicht dialektifh behandelt, wie
‚die Fantifche, obgleich fie ihrer wiſſenſchaftlichen Korm wegen ſich
einfacher diefer Behandlung dargeboten hätte. Denn indem
Fichte mit IH = Ih als dem erften abfoluten Grundfag fris
ner Philofophie anfängt, fo läft er unmittelbar den zweiten
folgen, daß das Ich ſich ein Nicht-Ich ſchlechthin entgegen-
fegt, welder Grundfat feiner Form nah, als Entgegen-
fegen nämlich, gleichfalls unbedingt ſey. Diefe beiden Un—
bedingten find eben ſolche mit ſich identifche Abftraktionen, wie
+
5. Ueber Friedrich Heinrich Jacobi's Werke. 2
der abſtrakte Raum und die abſtrakte Zeit oder das abſtrakte
Iſt bei Kant. Gegen den dritten Grundſatz bei Fichte, welcher
die Syntheſe jener Abſtraktionen und die Grundlage aller fols
genden Spnthefen enthält, konnte diefelbe Unmöglichkeit geltend -
gemacht werden, wie gegen die kantiſche Syntheſe. Jacobi be⸗
gnügt ſich hier, feine gediegene Anſchauung des abfolut Konkre⸗
ten, des Geifligen, gegen jene Abftrattion des Ih, die auch in
ihrer Syntheſe nod) immer diefelbe bleibt, auszufprechen, und
aus jenem Standpunkt heraus die Einfeitigkeit der fichtefchen
Subjettivität zu verwerfen. Was Jacobi S. 40 das Moral—⸗
prineip der Vernunft nennt, was aber eigentlid) nur das
Drincip einer zum Verſtand beruntergebradhten. Bernunft
ift, nämlich die abfirafte Einftimmigkeit des Menſchen mit ſich
felbft, beftimmt er richtig als öde, wüft und Icer, und ſtellt ihr
das Vermögen der Ideen als nicht leerer, die konkrete
Vernunft, unter dem populoren Namen Herz entgegen. — Im
Grunde if dieß daffelbe, was fhon Ariftoteles an dem mos
raliſchen Princip tadelt CHIıx. uey. A); er. fagt nämlich, der
erſte Lehrer der Moral, Sokrates habe die Tugenden zu' ei⸗
nem Wiffen (Emiosnun) gemacht, — das Gute und Schöne
ift die praktifche Idee nur als Allgemeines, — dief aber
ift unmöglich, fest er hinzu, denn alles Wiffen ift mit
einem Grunde (Aöyog), der Grund aber gehört der
dentenden Seite des Geiſtes an; es wiederfährt ihm
Daher, dag er die alogifhe Seite der Seele aufhebt,
den Trieb und die Sitte (nadog xai NIog). — Das
Allgemeine des Praktiſchen enthält nur, was ſeyn foll; Ariſto⸗
teles vermißt, wie Jacobi, daran die Seite, durch und nad) wels
- her das Allgemeine ifl. Trieb und Sitte des Ariſtoteles fas
gen aber etwas viel Beflimmteres als das bloße Herz. — Es
ift von jeher für das Werk der weifeften Männer erachtet wor⸗
den, nicht nur das Allgemeine, die abflrattien Gefege zu ken⸗
nen, fondern aud die Einfiht in das zu haben, was dem Trieb,
a
22 IV. Kritiken.
der Gewohnheit und Sitte, als bewußtloſer Seite, angehört, und
- die Regulirung dieſer Seite zu finden und zu Stande zu brin-
gen. Durch eine folhe Regulirung hat jene abflrafte Seite
eine. natürliche Realität in einem befondern Volke, und das
Geſetz hat als Sitte für den Einzelnen eine ſeyende Gültig-
keit; fo ift es nicht nur als fein Trieb, fondern ift auch als
das Beflimmende für den noch unbeftimmten, rihtungslofen Trich
gegeben. Für die höher gebildete Gefinnung und für deren
Moralität ift aber eine noch allgemeinere Erkenntniß erforders
lich, nämlich, das, was feyn foll, nicht nur als das Seyn
eines Volkes vor fi zu haben, fondern es auch als das Seyn,
welches als Natur, Welt und Geſchichte erfcheint, zu wifs
fen. Das Fehlen diefes Willens ift daffelbe, was vorhin als
die Einfeitigkeit des praktiſchen Grundfages, wie er im kanti⸗
fhen Syſteme gefaßt if, aufgezeigt wurde, daß er nämlid) vom
theoretifhen Momente abftrahirt, und daher fubjektiv ifl. —
Es kann feheinen, daß. der Tadel des Ariſtoteles vielmehr gerade
das Gegentheil betreffe, und darauf gehe, daß die Tugend von
Sokrates zu einem Wiſſen gemacht, d. i. das moraliſche Prin⸗
cip etwas Theoretiſches ſey. — Eines Theils aber tadelt
Ariſtoteles es nicht, daß das, was im Sittlichen das Allgemeint
iſt, d. i. das Gute, gefaßt werde, vielmehr findet er im wei⸗
teen Verfolge die Betrachtung deſſelben nothwendig, mur unters
ſcheidet er ſite von der Unterſuchung über die Tugend. Jacobi
weicht infofern hiervon ab, als cr diefe Form des Guten und
eine Pflichtenlehre verwirft, und darüber an das Herz verweift.
— As immanenter Zwed des Selbſtbewußtſeyns iſt nım
das Gute, und fein Schn if ein An⸗- und Fürſichſeyn, ine
fofern gehört es zum Theoretiſchen; es ift aber infofern einfeis
tig, als es in der Form der Allgemeinheit gegen die kon—
trete Idee feftgehalten wird, Sein Inhalt ift dagegen das,
was ſeyn foll, alfo was als fubjettiver Zwed gefest ift.
Hiervon iſt die andere Seite die Realität, das eigentlich theores
5. Ueber Friedrich Heinrich Zacobi’d Werke, 23
tifche Moment, was als Unvernünftiges, als Natur, fowohl als
äuferliche, körperliche, wie auch als innerlihe, Gefühl, Trich,
Gewohnheit, Sitte vorgefunden wird. Das Wiffen von Diefer
Natur erhält ihr feiner Seits diefe Form der Unvernünftigkeit,
infofern es des Begriffes, wie fie ſeyn foll, entbehrt, in ihr
nit den abfoluten Endzwed, fie nicht als bloße Realifas
tion und Darficllung deflelben weiß, fo wie das Gute geiftlos
bleibt, und ſich nicht über den Standpunkt des Daſeyns, näms
lich das bloße Streben, erhebt, infofern es ſich nit durch die
Anficht der Realität ergänzt.
Es geſchieht jedoch noch in einem andern Sinne, daß Jacobi
das Herz hier dem an ſich Guten, dem an ſich Wahren gegen-
überftellt; er fagt S. 37, daf er daffelbe nicht kenne, von ihm nur
eine ferne Ahnung habe; er erklärt, daß es ihn empöre, wenn man
ihm den Willen, der Nichts will, diefe hohle Nuß der Selbſt⸗
fländigkeit und Freiheit im abfolut Unbefimmten aufdrin⸗
gen wolle; denn das ſey jenes an ſich Gute. Jacobi erklärt
fi feierlicher in der darauf folgenden ſchönen Stelle: „Ja, ich
bin der Atheiſt und Gottloſe, der dem Willen, der Nichts
will, zuwider, lügen will, wie Desdemona ſterbend log; lüs
gen und betrügen will, wie der für Oreft ſich darſtellende Py⸗
lades; morden will, wie Timoleon; Geſetz und Eid breden,
wie Epaminondas, wie Johann de Witt; Selbfimord
beſchließen, wie Otho; Tempelraub unternehmen, wie David;
— ja, ehren ausraufen am Sabbath, aud nur darum, weil
mid hungert, und das Gefeg um des Menſchen willen
gemacht iſt, nit der Menſch um des Gefeges willen;
— mit der heiligftien Gewißheit, die ich in.mir habe, weiß ich,
dag das Privilegium aggraliandi wegen folder Verbrechen wis
der den reinen Buchſtaben des abfolut- allgemeinen Vernunftge⸗
feges, das eigentlihe Majcflätsreht des Menſchen, das
Siegel feiner Würde, feiner göttlihen Natur if.“ —
Dian kann die Abfolutheit, die das Selbſtbewußtſeyn in fi
24 IV. Kritiken.
weiß, nicht wärmer und edler ausfprechen, als hier geſchieht.
Warum erfheint aber diefe Majeftät, die in demfelben ift,
diefe Würde, diefe göttlide Natur bier der Vernunft
entgegengefegt? IA es nicht fonft allenthalben die ausdrücklichſte
Behauptung Jacobi's, daf die Vernunft das Uebernatürliche,
das Göttlihe im Menſchen if, welches Gott offenbart? — Aber
dieß Göttliche ift hier nur dem Vernunftgefege, dem Bud
flaben des Gefeges, umd in den aufgenommenen Beifpielen,
den Gefegen von beftimmtem Inhalt, welde diefen beſtimm⸗
ten Inhalt zu einem Abfoluten machen, entgegengeftellt, — den
beftimmten Gefegen, welde abfolut verbieten zu lügen, zu
betrügen, zu morden, Geſetz und Eid zu breden, Selbfts
mord zu befchliefen, die Tempel zu berauben, den Sabs
bath zu breden. — Ich will, fagt Jacobi, ſolches thun,
berechtigt durch die Majeftät, die im Menschen iſt! — Spricht
er bier nicht einen abfoluten Willen aus, der Nichts will,
d. ir nicht ein befimmtes Gefeg, nicht ein beftiimmtes Als
gemeines, — eine Selbfiftändigkeit und Freiheit im abfolut
Unbeftimmten? Die Handlungen Desdemona’s, des Pylades,
Timoleons u. f. f. find äußerlich-konkrete Wirklichkeiten, aber
ihre Inneres ift der Willen, das innerlid Konkrete, das diefe
Hoheit und Majeflät nur durch die unendliche Kraft der Ab-
firattion von dem Beſtimmten erreicht, und das allein
dadurch Selbſtſtändigkeit und Freiheit if, daß es ſich als das
abfolut Unbeſtimmte, das Allgemeine, an fih Gute weif,
und fich zum abfolut Unbeflimmten macht, zugleid aber eben
darum fih nur aus fich felbft beftimmt, und konkretes Hans
deln if. — So wichtig ferner es num iſt, daß der Wille als
diefe allmächtige, rein allgemeine Negativität gegen das Be—
fimmte erfanut werde, fo wichtig ift es, aud den Willen in
feiner Befonderung, die Rechte, Pflichten, Gefege, zu erfens
nen und anzuerkennen; fie machen den Inhalt der fittlihen oder
. moralifhen Sphäre aus. Wenn Jacobi an die unbeflimmte
26 A Reiten.
wie gern die Menſchen licher großmüthig als rechtlich, lie—
ber edel als moraliſch zu handeln geneigt find, und indem
ſte wider den Buchftaben des Gefeges zu handeln fi erlaus
ben, ſich wicht fo ſehr vom Buchftaben als vom Gefet Ins»
iprechen. — Außerdem ift jenes, aus göttlicher Majeftät fih vom
Geſetze losfagende Handeln, auf deſſen Beifpiele fi) Jacobi be—
zuft, gleichfalls bedingt, bedingt durch befonderes Naturell
des Charakters, vornehmlich durch Lage und Umflände, und
durch welde Umſtände? duch Verwickelungen des höchſten Un—
glücks, durch ſeltene höchſte Noth, in welche ſeltene Individuen
verſetzt ſind. Es wäre traurig mit der Freiheit beſchaffen, wenn
fie nur in außerordentlichen Fällen graufamer Zerriffenheit des
ſtutlichen und natürlichen Lebens und in auferordentlihen Ins
dividuen ihre Majeſtät beweifen, und ſich Wirklichkeit geben
könnte, Die Alten haben dagegen die höchſte Sittlichkeit in
‚dem Leben. eines wohlgeordneten Staates gefunden. Von reinem
ſolchen Leben Fönnte man auch fagen, daß darin der Menſch
vielmehr um des Gefeges willen, als das Gefeg um des
Menſchen willen gemadt ift amd gilt. Der umgekehrte bes
kannte Sat, der oben angeführt. wurde, fchloß eine hohe Wahr-
heit im fi, indem er das pofitive, d. i. bloß flatutarifche Geſetz
meinte; aber das fittliche Gefeg allgemein genommen, fo ift es
wohl wahrer, zw fagen, daß der Menfd um dafjelbe gemacht
iſt; denn wenn man einmal Gefeg und Menſch fo trennen und
entgegenfegen will, fo bleibt dem Menſchen nur die Einzelnheit,
die finnlihen Zwede der Begierde übrig, und diefe können nur
als Drittel im Verhältniß zum Gefege betrachtet werden.
Wir gehen nun no zu der Schrift von den gött-
lihen Dingen über. Sie ift aber ohne Zweifel von ihrer
erſten Erfeheinung her noch fo in der Erinnerung des Publi—
kums, daf es unzweckmäßig ſeyn würde, ſich länger dabei aufs
zuhalten. — Der erfie Theil betrifft die Einfeitigkeit,des Po—
fltiven in der Religion, wenn daffelbe in blog äuferliher Hal—
28 nn 9, Kritiken.
gründeten Dialektik bloßgeftellt if. Dieß Verhältnif kann au-
Ferdem nur vermittelft der vollftändigen Durchführung zur Wahrs
heit verklärt werden, und alle die unvollkommenen Berhältniffe
abfteeifen, in denen es vor dem Ende erfcheint.
0 Was aber: zweitens die Dialektik Jacobi’s. hierbei betrifft,
fo hängt fie nicht fowohl von dem Gehalte feines Standpunt«
tes, als von der beharrliien Form ab, im welcher er diefen
Standpunkt ‚behauptet. Nur diefe Form will ich daher näher
zu beſchreiben ſuchen. Sie hat bekanntlich das Eigenthümliche,
der Entwickelung aus Begriffen, dem Beweiſen und der Mes
thode im Denken entgegengefegt zu ſeyn. Entblößt von diefen
Erkenntnifformen, durch welde eine Idee als nothwendig
aufgezeigt wird, zeigen- fih die pofitiven Ideen Jacobi’s nur
mit dem Werthe von Verficherungen; Gefühl, Ahnung,
Unmittelbarteit des Bewußtſeyns, intelleftuelle Ans
ſchauung, Glauben, — umwiderfichlihe Gewißheit der
Ideen find als die Grundlagen ihrer Wahrheit angegeben.
Mas nun aber dem Vortrage von Verficherungen und dem blos
fen Berufen auf folde Grundlagen die Trockenheit benimmt, ift
ber edle Geift, das tiefe Gemüth, und die ganze vielfeitige Bil-
dung des verehrten, liebevollen Individuums. Hiervon umgeben
treten: die Ideen gefühlvoll, gegenwärtig oft mit tiefer Klarheit,
immer geiftreich hervor. Das Geiftreihe ift eine Art von
GSurrogat des methodifch ausgebildeten Denkens, und der in
ſolchem Denken fortfchreitenden Bernunft. Ueber den Verftand
erhaben hat es die Idee zu feiner Seele; es ergreift die Anti—
thefe, in der die Idee liegt; indem es aber nicht deren abſtrak—
ten Gedanken, noch den dialektifchen Mebergang in Begriffen
zum Bewußtfepn bringt, fo hat es nur konkrete Borftelluns
gen, auch verftändige Gedanken zu feinem Material, und
ift ein Ringen, darin das Höhere reflettiren zu machen. Diefer
Schein des Höhern in Verfländigem und in Vorfiellungen, der
durch die Gewalt des Geifies in ſolchem Material hervorgebracht
30 | IV, ‚Steitifen,
angemeſſen. — Auch die äußere Geftalt der Abhandlungen, welde
der vorliegende Band enthält, zeigt Feine methodifche und dok—
teinelle, fondern zufällige Abfihten und Veranlaffungen, deren
die Vorberihte Erwähnung thun, zugleich mit der Angabe der
erlittenen Anterbrehungen, fo wie der auch mehrfachen Abändes
rung der urfprünglichen Abficht im Fortgange der Seit und der
Arbeit; — Umftände, die für das Verſtändniß der Geftalt dies
fer Schriften angegeben find, welche Angabe ihnen aud von
diefer Seite dem Charakter zufälliger Ergiefungen oder einer
Mittelgattung, die mehr vom Briefe als einer Abhandlung hat,
bewährt.
Es hat aber bei Jacobi die eigene Bewandtnif, daf er
dieß Zufällige der Form und das Geiftreihe nicht nur unbe
fangen als Manier feines Geiftes hat, ſondern daß er poſitiv
und 'polemifh an dem Standpunkte hält, ſpekulatives Wiſſen,
begeeifendes Erkennen für unmöglich zu erklären, — ja felbft
für etwas Aergeres als das Unmöglide, indem wir z. B. bei
ihm die Rede finden, daf ein Gott, der gewußt würde, fein
Gott mehr wäre, daß fi ſelbſt der Menfh und das Wefen
Gottes unergründlich fey, weil fonft im Menſchen ein übers
göttliches Vermögen wohnen, Gott von dem Menſchen müßte
erfunden werden können, — und anderes in diefem Sinne.
Es wird nicht leicht in Abrede geſtellt werden, daß es das ge—
meinfame Werk Jacobi’s und Kants if, der vormaligen
Metaphpfit nicht fo fehr ihrem Inhalte nad, als ihrer
MWeife der Ertenntnif, ein Ende gemacht, und damit die
Kothwendigkeit einer völlig veränderten Anfiht des Logifhen
begründet zu haben. Jacobi hat hierdurd in der Geſchichte der
deutfchen Philofophie, und, da aufer Deutfchland die Philofo-
pbie ganz verkommen und ausgegangen ifl, in der Geſchichte der
Philoſophie überhaupt eine bleibende Epoche gemadt. Bei An-
erkennung diefes VBerdienfies in Anfehung des Erkennens muf
fichen geblieben werden; denn das Weitere ift, daf, wie Kant
32 IV. Keititen,
als ein unmittelbares Bewußtſehn kennt, und die Ausfchlies
fung des Begriffs aus ſich thetifch behauptet, fo muf ihm der
Mißverſtand widerfahren, ſich felbfi, feine eigene Anfhaus
ung, fowohl der Form als dem Inhalte nah, in Ausdrüden
und Geftalten nicht wieder zu erkennen, welde denfelben Inhalt,
diefelben materiellen Refultate enthalten, und nur dadurd von
feiner Anſchauung verfhieden find, daß fie das Denken und den
Begriff zu ihrer Seele haben. So hält es nicht ſchwer, z. B.
ſchon in den erflen Definitionen Spinoza’s, in dem Begriffe der
causa sui für fib, in der Definition derfelben, als einer fols
hen, deren Natur nur als eriftirend begriffen werden könne,
in der Definition der Subftanz, als eines ſolchen, das in⸗fich
ſey, ‚und aus ſich begriffen werde, d. i. deſſen Begriff
nicht des Begriffs einer andern Sache bedürfe, — etwas
Höheres zu finden, als bloß das ſtarre Seyn, die geiſtloſe Noth—
wendigkeit. Es iſt vielmehr der reine Begriff der Freiheit, des
fürsfihfegenden Denkens, des Geiftes darin enthalten, fo
fehr als indem Subjett-Objett. — Nur müfte 3. B. die
causa sui nicht auf die mechaniſche Weiſe entflanden vorges
fielit werden, wie dieß ©. 416 über die Lehre des Spi—
noza gefchehen ift, als ob nur dem Sage, daf Alles feine
Urſache habe, zu Liebe, um Gott darunter einfchliefen zu
können, bei Gott eine andere Urſache, fo wie auch eine an—
dere Wirkung formeller Weife weggefähnitten, und er felbft ſich
auch zur Urſache, fo wie zur Wirkung binzugefegt worden ſeh;
fo daß der Begriff der causa sui eigentlich eine bloße äußerliche
Zurichtung, niht an und für fih ein Gedanke ſeyn würde,
Bei Gelegenheit des Begriffes der Urſache mag im Vor—
beigehen erwähnt werden, daß es als eine Inkonſequenz gegen
die Abneigung von Begriffen und Begriffsbeftiimmungen erſchei—
- nen Fann, wenn wir Jacobi ein Gewicht darauf legen fehen,
daß Gott nicht als Grund, fondern als Urſache der Welt
gedacht werden follte. Man kann es als eine populare Befugs
5. Ueber Friedrich Heinrich Facobi’s Werke, 33
nif, oder im Philofophiren als einen augenbli@lihen Nothbehelf
gelten laffen, ſolche Berhältnifie zur Beſtimmung der Natur Got-
tes oder feiner Beziehung zur Welt zu gebrauchen; es möchte
ſeyn, daf das eine in Rüdfiht einer Seite einen kleinen Vor—
zug vor dem andern hätte, aber beide find gleihmäfig nur
Berfiandesbeftimmungen, BVerhältniffe der Endlichkeit
Coergl. S. 43), die hiermit den Begriff des Geiftes nicht zu
faffen vermögen. Die causa sui ift auch im diefer Rückſicht
das Geiſtreichere, weil fie das urfachliche Verhältniß zugleich in
feinem Gegenftoße gegen ſich felbft, und das Aufheben der End-
lichkeit deffelben enthält, — nicht daß es gar nicht ſeh, fondern
es ift fo, daß es zugleich diefe Bewegung, ſich felbft aufzuheben
ift; fo wie auch, wenn Gott als Grund ſich beftimmend gedacht
wird, er ebenſo weſentlich als ewig ein foldes Verhältniß auf-
hebend gedacht werden muß. — .Dergleichen Beſtimmungen,
mod mehr die dunkleren, welde in bloßen Präpofitionen, z. B.
außer mir, über mir u. f. f. enthalten find, mögen nicht wohl
dazu dienen, Dlifverfiändniffe zu entfernen; der Erfolg hat viel
mehr gezeigt, daß fie foldhe cher veranlafen und vermehren.
‚Denn der blofen Verftändigkeit, die zunächſt damit ausgedrückt
iſt, und zwar in den Präpofitionen auf eine unvolltommnere
Weife, ift die im Uebrigen herrſchende Idee des Geiftes zuwider,
Inden aber doch der Nachdruck auf fie gelegt wird, als ob in
ihnen der Gegenfat, der gemeint ifi, wahrhaft gefaßt feb, fo ge»
ben fie. ſchon für ſich zu Angriffen eine Berechtigung, nod mehr,
da andere Stellen ſolchen Behauptungen der einen Seite des
‚Gegenfages widerſprechen müſſen. Oft ift die Seite ganz nahe
gelegt und ſelbſt verbunden, durch welche diejenige berichtigt und
gehoben wird, welche behauptet werden follte. So behauptet
bi durchaus, daß es das Uebernatürliche im Menfchen
‚ Meburd; Gott offenbaret wird, S. 424, das höchfte Weſen
enfchen, was von einem Allerhöchften aufer ihm zeugt;
der Geift in ihm allein von einem Gotte (S. er diefe Mas
Vermiſchte Schriften. *
jeftät im Menſchen wird- auch, wie oben angeführt, feine gött-
liche Natur genannt. — Somit ift cs felbft gefagt, daß Gott
ebenfo fehr nicht außer mir ift, denn was wäre das gottver-
laffene Göttliche in’ mir? nicht einmal das Gott, wie Jacobi
geiftreich den bewußtlofen Naturgott nennt; — aud nicht das
Böfe, denn dief Göttliche in mir ift der heilige Zeuge von
Bott. Mit der Idee des Geiſtes, als diefes Zeugen in mir,
wird man auch den Hauptfag im Briefe an Fichte nicht
übereinftimmend finden können, der ©. 49 fo ausgedrüdt ift:
„Gott if, und ift außer mir, ein lebendiges, für ſich bes
flehendes Wefen, oder Ih bin Gott; es giebt fein
Drittes.“ Man wird diefen Gegenfag vielmehr als dem gan—
zen übrigen Sinn Jacobi’s widerfprechend anfehen fönnen, und
namentlich demjenigen, was S. 253 mit einem ſchönen Bilde
in Anfehung des Chriſtenthums ausgedrüdt, und als die offen-
bare Richtung der Schrift von dew göttliden Dingen ans
gegeben wird, welde Schrift auf mannigfaltige Weife darthun
fol, daß der religiöfe blofe Idealiſt, und der religiöfe bloße
Materialiſt fi nur in die beiden Schaalen der Muſchel
theilen, weldye die Perle des Ehriftenthums enthält.
In obigem Entweder, Oder: es giebt fein Drit-
tes, ift das principium exclusi tertii zu Grunde gelegt und
anerkannt, ein Verftandes-Princip der vormaligen
Logik, welde fowohl in ihrem übrigen Umfange, als insbefon-
dere nad) diefem höchſten Grundfage der Einfeitigteit des Ver⸗
ſtandes, gerade das Erkenntnißgeſetz der vormaligen Metaphyſik
ausmachte, — ein Erkenntnißgeſetz, das ausdrücklich zu verwer—
fen ein Hauptgedanke, und, wie oben erwähnt, ein Hauptverdienſt
Jacobi's iſt.
Der Geiſt und die Grundanſchauung Jacobi's iſt ſoweit
von ſolchen Beſtimmungen des trocknen Verſtandes entfernt, daß
dieſer dennoch gemachte Gebrauch derſelben, um die Natur Got—
tes zu beſtimmen, wohl nichts als Mißverſtändniſſe veranlaſſen
- 5, Ueber Ftiedrich Heinrich Sacobi’e Werke. 35
tonnte, wenn er für ernſtlicher gelten und genommen: werden
follte, als mit dem Sinne des tiefen Denkers und deffen übris
- gem geifteeichen Formen verträglich war. — In der allgemeinen
Borrede diefes Bandes und. in dem befondern Borberihte
zu der Schrift von den göttlichen Dingen läßt fi Jacobi
auf einige ſolche Mißverſtändniſſe ein, die ihm widerfahren find,
unter Andern auch in Betreff feines Chriſtenthums. Cs
begegnen uns überhaupt in diefen philofophifchen Verhandlungen
viele Yenferungen über Perfönlichteit. Jacobi fagt 3. B. zu
Fichte, in dem Briefe an denfelben S, 46, daf er ihn pers
ſönlich für keinen Atheiſten, für keinen Gottloſen halten würde,
wenn er ſchon deſſen Lehre, gleich der des Spinoza, atheiſtiſch
nennen müßte; eben ſolches Zeugniß legt er von dieſem ab, und
führt die ſchöne Stelle über ihn an, worin er ihn anrief: „Sey
du mir gefegnet, großer, ja heiliger Benedictus! wie. |
du aud über die Natur des höchſten Wefens philofo-
phiren und in Morten did veritren mochteſt; feine
Wahrheit war in deiner Seele, und feine Liebe war
dein Leben.” — Diefe gefühlvolle und wahre Huldigung be=
trifft einen edeln, fo verfannten Schatten; etwas Fremdartiges
" und Anderes aber liegt in öffentlichen Behauptungen über die
perfönliche Gefinnung und Religion eines gegenwärtigen Indi⸗
viduums.
Bei der vorhin dargeſtellten Art und Weiſe Jacobi's, feine
Anfihten über die höchſten Ideen zu äußern, war die Abgleitung
‘von diefen Jdeen und deren Unterfuhung auf die Perfon nahe
gelegt; fo will dann auch ich, ohne weiteren vergehlihen Ver⸗
ſuch, jene Mifverfändniffe zu, vermitteln, diefe Anzeige mit der
Aruferung des Gefühls fließen, das die meiften Lefer der jas
cobiſchen Schriften wohl mit mir theilen, fih im Studium der=
felben mit einem liebevollen und edeln Geiſte unterhalten zu haben,
und vielfältig, tief, Ichr- und finnreih angeregt worden zu fehn.
Es knüpft fi) hieran, von n felbft die noch zu machende =
3 *
—
36 ivV Krinken.
wähnung der angenehmen Zugabe von 23 Briefen, in denen
wir Jacobi in feiner eigenthümlichften Geftalt, der liebenden,
gedankenreichen und heitern Perſönlichkeit fehen; fie werden das
ber feiner weitern Empfehlung bei unferen Lefern bedürfen. Ich
hebe zur Probe aus denfelben nur Einiges über einen befonders
merkwürdigen Freund Jacobi's, Hamann, heraus, der uns
darin näher auf eine intereffante MWeife zur Anſchauung gebracht
wird, und: deffen Schriften wir vielleiht von Jacobi nod) ges
ſammelt zu ſehen hoffen dürfen. Jacobi ſchreibt an feinen Bru—⸗
der in freiburg, den 5. September 1787, Folgendes über ihn:
„Der Genuf,.den id) an ihm habe, läßt fi nicht befchreiben,
wie denn immer bei auferordentlihen Menſchen, was ihren be—
fondern und eigentlichen Eindruck ausmacht, gerade das ift, was
ſich nicht befchreiben oder angeben läft. Es ift wunderbar, in
wel’ hohem Brade er faſt alleErtreme in fid vereinigt.
Deswegen ift er auch von Jugend auf dem principio contra-
dietionis” (— damit um fo mehr dem vorhin erwähn—
ten principio exclusi tertii —), „fo wie dem des zu⸗
reichenden Grundes von Herzen gram gewefen, und immer nur
der coincidentiae oppositorum nadgegangen. Die Coinci—
denz“ C— Jacobi faßt fie hier nicht als einen leeren Abs
‚grund; als Ungeftalt, Chaos, durdaus Unbeftimme
tes, das Nichts als Nichts, fondern vielmehr als die höchſte
Lebendigkeit des Geiftes, auf —), „die Formel der Auflö—
füng einiger entgegengefegten Dinge in ihm, bin
ich noch nicht im Stande, volltommen zu finden, aber
ich erhalte doc, faft mit jedem Tage darüber neues Licht, unters
deſſen ich-mich an der Freiheit feines Geiſtes, die zwiſchen
‚ ibm und mir die köſtlichſte Harmonie hervorbringt,
befländig weide. — Er ift ebenfo geneigt, wie ich, feiner Laune
freien Lauf zu laffen, umd die Anfiht des Augenblids zu vers
folgen; — — Buchholz fagte im Scherz von ihm, er ſeh ein
volltommener Indifferentift, und ich habe diefen Beinamen
‘
5x Ueber Friedtich Heiurich Sacobire Werke... 37
nicht abkommen laffen. Die verfchiedenften, heterogenften Dinge,
was nur in feiner Art fhön, wahr und ganz ift, eigenes Leben
hat, Fülle und Virtuofität verräth, genießt er mit gleichem Ent⸗
‚züden; omnia divina, et humana omnia. — Lavater’s Durft
‚nah Wundern ift ihm ein bitteres Aergerniß, und erregt ihm
Mißtraun in Abfiht auf die Gottfeligkeit des Mannes,
den er Übrigens von Herzen liebt und ehrt, u. f. f“ — Dürfe
ten wir hiernach nicht die Gewißheit haben, daß Jacobi, wie ee .
. bier den Geift Hamanns ſchildert und fi mit ihm harmoniſch
findet, auch ebenfo fih in Harmonie mit einem Erkennen fin
den muß, das nur ein Bewußtſeyn der Coincidenz, und ein
Wiſſen der Ideen von Perfönlichkeit, Freiheit und Gott, nicht
in der Kategorie von unbegreiflidhen ——— und
——— in?
6. Ueber: „Bamann’g Srhriften. Beraufgegeben
bon Friedrich Moth, VII Chile, Berlin, bei Kei⸗
mer 1821 — 1825,” —
C(dahrbücher f. wiſſenſch. Kritik 1828. Nr. 77 — 80, 100 — 114.)
Das Publitum iſt dem verehrten Hrn. Herausgeber den größs
ten Dank dafür fehuldig, daß es durch defien Beranftaltung und
Ausdauer fih Hamann's Werke in die Hände gefördert ficht,
nachdem fie früher ſchwer, und vollfländig nur Wenigen zugäng«
lich gewefen waren, und nachdem fih fo manche Ausſichten zu
einem gefammten Wicderabdrude derfelben zerſchlagen hatten;
Hamann leiftete (S.X Vorr.) der vielfältigen Aufforderung, eine
Sammlung feiner Schriften zu veranftalten, nicht felbft Genüge.
Wenige nur befaßen eine vollfländige Sammlung derfelben;
Goethe (I. aus meinem Leben XII. 8.) hatte den Gedanken
gehabt, eine Herausgabe der hamann'ſchen Werke zu beforgen,
aber ihn nicht ausgeführt. Jacobi, der ernſtliche Anſtalten
.
dazu madıte, wurde daran durd das Schidfal verhindert; eim .
jüngerer freund Hamann’s, wirkt. Geh. Ober⸗Regierungsrath
Hr. L. Nicolovius in Berlin, hatte dieſe Beſorgung abgelehnt
und den jetzigen Hrn. Herausgeber vielmehr dazu aufgefordert,
welcher als der in der letzten Lebens⸗Periode Jacobi’s mit ihm
aufs Innigſte vertraute Freund von dieſem zum Gehülfen der
Herausgabe gewählt worden war; ſo vollführte denn dieſer das
Vermächtniß des ehrwürdigen, theuren Freundes und befriedigte
mſtalter —
—* Zr verhindert, und der jegige Herr
IE ebendaf., daß die, Erläuterungen, die
X len, nur eine fehr mäßige |
—* —** — 2* —
elen auf Hamann's ft bezüg⸗
40 IV. Kritiken.
lichen Briefe die vornehmlichſte Erleichterung des Verſtändniſſes
gewähren müffen. Außerdem findet man bald heraus, daf das
Räthſelhafte ſelbſt zum Charakterififchen der Sähriftfiellerei und
der Individualität Hamann’s gehört und einen wefentlihen Zug
derfelben ausmacht. Das Hauptduntel aber, das über Hamann
überpaupt (ag, iſt damit fon verfhmunden, daß deffen Schrif-
ten nun vor ung liegen. Die allgemeine deutſche Bibliothek
hatte ſich freilich viel mit ihm zu thun gemacht, aber nicht auf
eine Weife, die ihm Anerkennung und Eingang beim Publitum
verfchaffen follte. Herder dagegen und Jacobi insbefondere
Cabgefehen von Goethe’s einzelner Yeußerung, die Vorr. S. X
- angeführt ifl, aber durch deſſen ausführlichere gründliche Würdi—
gung Hamann’s am vorhin angeführten Orte ihre Einfhräns
fung erhält) erwähnten deffelben fo, daß fie ſich auf ihn wie
auf Einen zu berufen fohienen, der da habe kommen follen, der
im vollen Befige der Dinfterien ſey, in deren Abglanz ihre vis
genen Offenbarungen nur fpielten, wie in den Freimaurer⸗Logen
die Mitglieder vornehmlich auf höhere Obere hingewiefen wer—
den’ follen, welde fih in dem Mittelpuntte aller Tiefen der
Geheimniſſe Gottes und der Natur befänden. Ein Nimbus hatte
fih fo um den Magus aus Rorden (dief war eine Art von
Titel Hamann’s geworden) verbreitet. Dem entſprach, daf er
ſelbſt in feinen Schriften überall nur fragmentariſch und fibyllis
niſch geſprochen hatte, und die einzelnen Schriften, deren man
babhaft werden konnte, auf die übrigen neugierig machten, in
» denen man ſich Aufjcluß.verfprehen mochte. Durch diefe Aus
gabe feiner Werke, die nun vor uns liegen, find wir in Stand
gefest, zw jehen, wer Hamann, was feine Weisheit und Wiffens
{haft war,
Faffen wir zuerfi die allgemeine Stellung auf, in welder
Hamann fib zeigt, fo gehört er der Zeit an, wo in Deutſch-
land der denkende Geiſt, dem feine Unabhängigkeit zunächft
in der Schul Philofopbie aufgegangen war, fid nunmehr in
> Mn, mie Rufen ub
MENGES SONGER Klaffen in
h erhoben hatten, auch in Deutſch⸗
. 26 Bat in Berlin am Hofe Friedrich IL
3 aufhielt, viele andere vegierende deutſche
eid I Mh) «fh ur Cr vun, mi
feinen Fr 1 in Bekanntſchaft, Verbindung
*— — — — ——
fäi aus a ge mit
es geiftli 3es, unter dem, während in Frank⸗
h gegen denfelben gerichtet war, viel»
hi ihre thätigfien und wirt-
ter zäfle Dann aber fand ferner zwifchen
Unterfehied ſtatt, daß in Frankreich diefem
= Einpören des Denkens Ales fich anſchloß,
Talent, Edelmuth beſaß, und dieſe neue
dem Glanze aller Talente und mit der
42 ten
Friſche eines naiven, geiftreichen, energifchen, gefunden Menſchen—
verftandes erfehien, In Deutſchland dagrgen fpaltete fi jener
große Impuls im zwei verfchiedene Charaktere. Auf der einen
Scite wurde das Gefhäft der Aufklärung mit trodenem Ber-
ftande, mit Principien kahler Nüslihkeit, mit Seichtigkeit des
Geiftes und MWiffens, kleinlichen oder gemeinen Leidenfchaften,
und wo es am refpektabelften war, mit einiger, dody nüchternen
Wörme des Gefühls betrieben, und trat gegen Alles, was fi)
von Genie, Talent, Gediegenheit des Geiftes und Gemüths aufz
that, in feindfelige, tracaffirende, verhöhnende Oppofition. Bers
lin war der Mittelpumft jenes Auftlärens, wo Nicolai, Mens
delfohn, Teller, Spalding, Zöllner u. f. f. in ihren Schriften,
und die Gefgmmtperfon, die allgemeine deutfche Bibliothek, in
gleichförmigem Sinne, wenn aud mit verfchiedenem Gefühle
‚ thätig waren; Eberhard, Steinbart, Jeruſalem u. f. f. find als
Nachbarn in dieſen Mittelpunkt einzurechnen. Außerhalb deſſel⸗
ben befand ſich in Peripherie um ihn her, was in Genie, Geift
und Bernunfttiefe erblühte, amd von jener Mitte aus aufs Ge—
häffigfte angegriffen und herabgefegt wurde. Gegen Nordoft fe=
‚ben wir in Königsberg Kant, Hippel, Hamann, gegen
Süden in Weimar und Jena Herder, Wieland, Gocthe,
fpäter Shiller, Fichte, Schelling u. A.z weiter hinüber.
gegen Wellen Jacobi mit feinen Freunden; Leffing, kängft
gleichgültig gegen das Berliner Treiben, lebte in Tiefen der
Gelchrfamteit wie in ganz anderen Tiefen des Geiftes, als feine
Fremde, die vertraut mit ihm zu ſeyn meinten, ahneten. Hippel
etwa war unter den genannten großen Männern der Literatur
Deutfchlands der Einzige, der den Schmähungen jenes Mittel-
punftes nicht ausgeſetzt war. Obgleich beide Seiten im Iutereffe
der Freiheit des Geiftes übereinfamen, fo verfolgte jenes Auf—
klären, als trodener Verſtand des Endlichen, mit Haß das Ges
fühl oder Bewußtſeyn des Unendlichen, was ſich auf diefer Seite
befand, deſſen Tiefe in der Poefie wie in der denkenden Vers
-
44 7 IV, Kritiken.
mit dem ſich das Verhältniß auch in dem Briefwechſel am in⸗
nigften und rüdhaltslofeften zeigt, mit Jacobi, welder nur
Briefe, und gleichfalls wie Hamann tein Buch zu ſchreiben fä-
big war; doch find Jacobi’s Briefe in fih Bar, fie gehen auf
Gedanken, und diefe kommen zu einer Entwidelung, Ausfüh-
rung und einem Fortgang, fo daf die Briefe zu einer zuſam—
menhängenden Reihe werden und eine Art von Bud ausmachen.
Die Franzofen fagen! Le stile c'est ’homme meme; Has
mans Schriften haben, nicht fowohl einen eigenthümlichen
Styl, als daß fie durd und durch Styl find. In Allem, was
aus Hamann’s Feder gekommen, iſt die Perfönlichkeit fo zur
dringli und das Ueberwiegende, daß der Lefer durchaus allent⸗
halben mehr noch auf fie als auf das, was als Inhalt aufzus
faffen wäre, bingewiefen wird. An den Erzeugniſſen, welche ſich
für Schriften geben und einen Gegenfland abhandeln follen,
fällt fogleich die unbegreifliche Wunderlichkeit ihres Verfaſſers
auf, fie find eigentlich ein und zwar ermüdendes Räthſel, und
man ficht, daß das Wort der Yuflöfung die Individualität ihres.
Berfaffers iſt; diefe erklärt ſich jedod nicht in ihnen felbft, Die
Verſtändniß vornehmlich wird uns nun aber in der Sammlung
der Werte durch die Bekanntmachung zweier bisher ungedrudter
Yuffäge Hamanı's aufgefchloffen; der eine if die von ihm im
Sahre 1758 und 1759 verfaßte Lebensbefchreibung, welche freis
lich nur. bis zu diefem Zeitpunkt geht, fomit nur den Anfang
feines Lebens, aber den wichtigften Wendungspuntt feiner Ent-
widelung enthält; der andere, am Ende feines Lebens verfaßt,
follte die ganze Abficht feiner Autorfchaft enthüllen (Bd, VIE
Borr, S. VID), und giebt eine Meberfiht über diefelbe. Die
reichhaltige bisher ungedrudte Brieffammlung vervollftändigt die
Diaterialien zur Anfchaulichteit feiner Perfönlichteit, Es ift
jene Zebensbefchreibung, von der wir auszugehen haben, die auch
als das vornehmlichſte Neue. * Ausgabe eine ausführlichere
Anzeige verdient.
6, Ueber Hamann's Schriften. 45
Sie ift im 1. Bde. S. 149 — 242 enthalten, und führt ,
den Titel: Gedanken über meinen Lebenslauf, Pf. 94, 19 (der
Anfang), datirt von London, d. 21. Apr. 1758. Die Stim-
mung, in der fi Hamann dafelbft befand, ift in dem ruhig
und fehr gut fiplifieten und infofern beffer als meift alle feine
fpäteren Schriften geſchriebenen Anfange eines andern Auffages:
Biblifhe Betradtungen eines Chriften, aud von Lons
don, d. 19. März am Paimfonntage 1758 datirt, ausgedrüdt:
„Ich babe heut, mit Gott, den Anfang gemacht, zum zweiten
Deal die heilige Schrift zu Iefen. Da mich meine Umftände
zu der größten Einöde nöthigen, worin ich wie ein Sperling
auf der Spige des Daches fge und wache, fo finde ich gegen
die Bitterkeit mancher traurigen Betrachtungen über meine ver
gangenen Thorheiten, über den Miß brauch der Wohlthaten und
Umftände, womit mic die Vorfehung fo gnädig unterfiheiden
“ wollen, ein’ Gegengift in der Gefellfhaft meiner Bücher, in der
Beſchäftigung und Webung, die fie meinen Gedanken geben.
Die Wiffenfhaften und jene Freunde meiner Vernunft feinen
gleich Hiob’s mehr meine Geduld auf die Probe zu ftellen, an—
ſtatt mich zu tröften, und mehr die Wunden meiner Erfahrung
biuten zu machen, als ihren Schmerz zu lindern. Die Natur
hat in alle Körper ein Salz gelegt, das die Scheidefünftler aus-
zuziehen wiffen, und die Vorſehung (es ſcheint) in alle Wider»
wärtigkeiten einen moraliſchen Urſtoff, den wir aufzulöfen und
haben, und den wir mit Nugen als ein Hülfsmittel
gegen die Krankheiten unferer Natur und gegen unfere Gemüths-
übel anwenden können. Wenn wir Gott bei Sonnenfchein in
der MWoltenfäule überfehen, fo erſcheint uns feine Gegenwart
Rats in der Feuerfäule fihtbarer und nachdrücklicher. Ich
m größten Vertrauen auf feine Gnade durch eine Rüde
ſicht auf mein ganzes Leben berehtigt. Es hat weder an meis
nem böfen Willen gelegen, noch an Gelegenheit gefehlt, in ein
weit tieferes Elend, in weit ſchwerere Schulden zu fallen, als
! ’
46 . IV. Kritiken. ,
worin ich mich befinde, Gott! wir find foldhe armfelige Ge—
ſchöpfe, daß felbft ein geringerer Grad unferer Bosheit ein
Grund unferer Dankbarkeit gegen dich werden muß.“ Die Vers
anlaſſung zu diefer bußfertigen Stimmung, fo wie zu dem Nies
derfchreiben feines bisherigen Lebenslaufs waren die Verwicke—
lungen, in welche er in biefer Epoche gerathen war, und die
bier mit den früheren Haupt-Diomenten feines —— her⸗
auszuheben ſind.
Hamann iſt den 27. Auguſt 1730 in Königsberg in Preu⸗
fen geboren; fein Vater war ein Bader, und, wie es fiheint,
von bemittelten Umſtänden. Das Andenken feiner Eltern (S,
152) „gehört unter die theuerfien Begriffe feiner Seele, und ift —
mit zärtlicher Bewegung der Liebe und Erkenntlichkeit verknüpft;“
ohne weiteres Detail über ihren Charakter ifi gefagt, daß die
Kinder (Hamann hatte nur nod einen etwas jüngeren Bruder)
„au Haufe eine Schule an der Auffiht, ja an der firengen Aufs -
ſicht und an dem Beifpiele der. Eltern fanden“ Das elterlide
Haus war jederzeit eine Zuflucht junger Studierenden, melde
die Arbeit fittfam machte; im diefem Umgange trieb Hamann
Spraden, Griechiſch, Franzöſiſch, Italienifh, Dlufit, Tanzen,
Malen; „ſo ſchlecht und recht wir in Kleidern und in anderen
Thorheiten kurz gehalten wurden, fo viel Ausfchweifung wurde
uns, hier verftattet und nachgeſehen.“ In feiner Schulerziehung
hatte er fieben Jahre Unterricht bei einem Manne, der ihm das
Latein ohne Grammatik beizubringen gefucht hatte; alsdann bei
einem mehr methodifchen Lehrer, bei dem er dafür nun mit dem
Donat anfangen mußte. Die Fortſchritte, die er hierin machte,
waren fo, daß derfelbe ſich und Hamann ſchmeichelte, an dieſem
‚ einen großen Lateiner und Griechen erzogen zu haben, Hamann
nennt ihn einen Pedanten, und über die erlangte Fertigkeit im
Meberfegen griechiſcher und lateinifcher Autoren, in der Rechnen—
tunft, in der Muſik, läßt ex fich im den damals ſich verbreiten
den Unfichten gehen, daß die Erziehung auf Bildung des Ver—
6. Ueber Hamann's Schriften. 47
flandes und Urtheils gerichtet ſeyn müſſe. Der junge Adel und
viele Bürgerstinder follten eher die Lehrbücher des Nderbaues
als das Leben Alerander’s w f. f. zu Lehrbüchern der römifchen
Sprade haben und dergleichen; Anſichten, von welden die ba=
fedowfhen, campe'ſchen u. a, Deflamationen und Auffchneide-
reien, wie ihre pomphaften Unternehmungen ausgegangen, und
welde auf die Organifation und den Geift des öffentlichen Un—
tereichts fo nachtheilige, noch jeßt, fo fehr man davon zurückge—
Bommen, in ihren Folgen nicht ganz befeitigte Einwirkungen ge—
habt haben. Hamann klagt, daf er in Hifiorie, Geographie
ganz zurüdgelaffen worden und nicht-den geringften Begriff von
> der Dichtkunſt erlangt habe, den Mangel der beiden erfien
niemals gehörig habe erfegen können, auch ſich in vieler Mühe
‚finde, ‚feine Gedanken mündlich und fehriftlid in Ordnung zu
fammeln und mit Leichtigkeit auszudrüden, Wenn ein Theil
diefes Mangels auf den Schulunterricht kommt, fo Liegt jedoch.
davon, wie wir weiterhin fehen werden, wohl am meiften in der
fonft charakteriſtiſchen Temperatur und Stimmung feines Geiſtes.
Ebenſo haratteriftifch für ihn, obgleich wohl nicht für den
ne ift, was er ferner angiebt, daß alle Ordnung,
‚aller Begriff und Luſt an derfelden in ihm verdunfelt worden
ſey. Mit einer Menge Wörter und Sachen überſchüttet, deren
Verſtand, Grund, Zuſammenhang, Gebrauch er nicht gekannt,
ſey er in die Sucht verfallen, immer mehr und mehr ohne
Wahl, ohne Unterfuhung und Meberlegung auf einander zu
ſchütten; und diefe Seuche Habe fh auf alle feine Handlungen
—— auch in ſeinem übrigen Leben iſt er hierüber nicht
N“ geworden. Als einen weitern Abweg, in den er verfallen,
Per eine Neugierde und kindiſchen Vorwig an, in allen.
egereien bewandert zu werden; — „fo ſucht der Feind unferer
len und alles Guten den göttlichen Meizen durch) fein Un—
— * Nach ferneren Schulſtudien, worin er die
‚ern Begriffe von Philofophie und Mathematik, von Theologie
48 E IV. Kritiken.
und Hebräifhem befam, ein neues Feld von Ausfhweifungen:
— „das Gehirn wurde zu einer Jahrmarktsbude von ganz neuen
Waaren;“ mit diefem Mirbel fam er im Jahre 1746 auf die
hohe Schule. Er follte Theologie fludieren, fand aber ein Hinz
derniß „in feiner Zunge, ſchwachem Gedädtniffe, viele Heuchel-
hinderniſſe in feiner Denkungsart u. ſ. w.“ Was ihn vom Ge-
ſchmacke am derfelben und an allen ernfihaften Wiſſenſchaften
entfernte, fey eine neue Neigung gewefen, die in ihm aufgegans
gen, nämlid zu Alterthümern, Kritik, hierauf zu den ſogenann⸗
ten ſchönen und zierlichen Wiſſenſchaften, Porfie, Romanen, Phi—
lologie, den franzöfifchen Schriftfiellern, und ihrer Gabe zu dich⸗
ten, zu malen, zu ſchildern, der. Einbildungsfraft zu gefallen u. ſ. w.,
er bittet Gott inbrünftig um Berzeihung diefes Mifbrauds feis
ner natürlichen Kräfte u. f. f. Er bekannte ſich alfo „zum,
Schein zur Rechtsgelehrfamteit, ohne Ernft, ohne Treue, ein
Juriſt zu werden;“ feine Thorheit, fagt er, ließ ihm eine Art
von Großmuth und Erhabenheit fehen, nicht für Brod zu flus
dieren, fondern nad) Neigung, zum Seitvertreibe und aus Liebe
zu den Wiffenfchaften felbft, weil es beffer wäre, ein Märtyrer
denn ein Taglöhner und Miethling der Muſen zu feyn; „was
für Unfinn läßt ſich,“ fügt er mit Recht gegen foldhen Hochmuth
binzu, „in runden und wohllautenden Worten ausdrüden.”
Er gedachte nun eine Hofmeifterftelle anzunehmen, um Ges
legenheit zu finden, in der Melt feine Freiheit zu verfuchen,
auch weil er im Geld etwas fparfam gehalten wurde; er fhiebt
die Schuld, mit feinem Gelde nicht beffer ausgefommen zu feyn,
auf den Mangel des göttlichen: Segens, die „Unordnung, den
allgemeinen Grundfehler meiner Gemüthsart, eine falſche Groß—
muth, eine zu blinde Liebe und Wohlgefallen für Anderer Ur—
theile, und Sorglofigkeit aus Unerfahrenheit;" — von dem Feh—
ler des Mohlgefallens an Urtheilen Anderer ift er bald nur zu
fehr geheilt worden. 3
Aus dem Detail der Mißverhältniſſe, in die er in ſeinen
6, Ueber Hamann's Schriften, 49
Hofmeifterftellen fih verwicelte, mag ‚hier nur ausgehoben werz
den, was er davon auf feinen Charakter ſchiebt; — „feine un=
gefellige oder wunderliche Lebensart,“ fagt er S. 177, „bie
Theils falſche Klugheit, Theils eine Folge einer
inneren Unruhe war, an der er fehr lange in feinem Leben ſiech
geweſen; — eine Unzufriedenheit und Unvermögenheit ſich felbft
zu ertragen, eine Eitelkeit, ſich felbige zum Räthfel zu machen
— verdarben viel und machten ihn anſtößig.“ In feiner erften
Stelle fhrieb er an die Mutter feines Zöglings, eine Baronin
re Briefe, die ihr das Gewiſſen aufwecken follten;
Antwortfchreiben gab ihm feine Entlaffung; es iſt ©. 255
iblich abgedrudt, der Anfang mag hier fichen: „Herr Ha=
ie Selben fi gahr nicht bei Kinder von Condition
ie information ſchiden, noch mir die ſchlechte Briefe gefallen,
i Sie meinen Sohn fo auf eine gemeine und niederträch—
ibmalen u. f. f.“ — Für die Demüthigungen feines
Stolzes fand er in der Zärtlichkeit des Kindes, und in der
Schmeichelei, unfhuldig zu feyn und mit Böſem für Gutes be—
lohnt zu werden, einige Genugthuung; „id widelte mic,“ fagt
er, in den Mantel der Religion und Tugend ein, um meine
Blöße zu deden, ſchnaubte aber vor Wuth, mic zu räden und
mic) zw rechtfertigen; doch verrauchte diefe Thorheit bald.” In
ähnliche Mißverhältniſſe gerieth er in einem zweiten Haufe, und
iterhin in noch weitere Mifftimmungen dadurch, daf er, nach—
n er daffelbe verlaffen, ſich nicht enthalten konnte, ſowohl fei-
folger, einem Freunde, als aud den Zöglingen ferner-
feine brieflichen Belchrungen und Zurechtweifungen aufzu=
n; „fein Freund fehien diefe Yufmerkfamkeit für den jun-
Baron als Eingriffe oder. Vorwürfe anzufchen, und der
bezahlte ihn (Hamann) mit Haf und Verachtung.”
In Königsberg hatte Hamann die Freundſchaft eines der
Berens aus Riga gewonnen; — „der die Herzen
prüft umd zu brauchen weiß, hat feine weifen Abſich-
4
50 IV, Kritiken.
ten gehabt, uns beide durch einander in Verfuchung zu führen.“
In der That find die Verwidelungen mit diefem Freunde und
deffen Familie das Durcbgreifendfte in Hamann's Schidfal. Er
lebte eine Zeitlang in diefem Haufe, wo er, wie er fagt, als
ein Bruder, ja beinahe als ein älterer Bruder angefehen wurde;
aber er giebt zugleih an, daß er ungeachtet alles Anlaffes zus
frieden zu ſeyn, ſich der Freude in der Gefellfchaft der edelften,
munterſten, gutherzigften Menſchen beides Geſchlechts doch nicht
überlaſſen konnte; nichts als Mißtrauen gegen ſich ſelbſt und
Andere, nichts als Qual, wie er ſich ihnen nähern oder entdecken
follte; er ſieht dieß als eine Wirkung der Hand Gottes an, die
ſchwer über ihm geworden, daß er ſich felbft unter allem dem
Guten, was ihm von Menfchen gefhah, — als deren Bewun—
derer, Verehrer und Freund er ſich zugleich angiebt, — nicht
‚ erfennen follte. — Hamann befchreibt diefen Zuſtand feiner
inneren Unruhe als ein Gedrüdtfeyn, das gegenüber der wohls
wollendften Freundfchaft, die er auch empfand und anerkannte,
nicht zu einem Wohlwollen gegen die Freunde, und damit nicht
zur Offenheit und Freimüthigkeit des Verhältniffes gelangen
konnte. Die Franzoſen haben einen kurzen Ausdrud für einen
Menſchen von diefer Widerwärtigkeit des Gemüths, welche wohl
Bösartigkeit zu nennen ift; fie nennen einen folden un homme
mal eleve, indem fie Wohlwollen und Offenheit mit Recht für
die nächſten Folgen einer guten Erziehung anfehen. Auch kein
anderer Keim zu einer fpäteren, höhern Selbfierzicehung von In—
nen heraus, deſſen Zeit ifl, in der Jugend zu erwachen, thut in
Hamann’s Jugend ſich hervor — nicht irgend eine Poeſie die—
fer Lebenszeit oder, wenn man will, Phantafterei und Leiden-
ſchaft, die ein zwar nod) umreifes, ideales, aber feſtes Intereſſe
für einen Gegenſtand geifliger Thätigkeit enthält und für das
ganze Leben entfcheidend wird. Die Energie feines intelligenten
Naturells wird nur zu einem wilden Hunger geifliger Zerftreus
ung, die keinen Zweck enthält, in den fie fih refumirte. Aber
6. Ueber Hamann's Schriften. 51
das Nebel ſeiner Gemüthsart ſollte bald in einer Prüfung auf
eine ſchlimmere Weiſe zum Ausſchlag kommen.
Er war auf kurze Zeit in die zweite Hofmeiſterſtelle zurück⸗
gekehrt, die er in Kurland bekleidet hatte. Jedoch zurüdgerufen
nad Haus, um feine flerbende Mutter noch einmal zu fehen,
und auf das Anerbieten engerer Verbindungen mit dem Berenss
fen Haufe in Riga, verließ er jene Stelle wieder: „Gott,“
fagt er ©. 189, „gab außerordentlihen Segen, daß ich von
dem Haufe aus Kurland, mit Scheingründen und ohne Aufrich⸗
tigkeit, losgelaffen wurde, unter dem Berfprechen wieder zu kom⸗
men, das eine offenbare Lüge, und wider alle meine Abſichten
und Neigungen war.” Die Verbindung mit den Brüdern Bes
rens war die Aufnahme Hamann’s in ihre Dienfte, Geſchäfte
und Familie; er follte auf ihre Koften eine Reife thun, „um
fih aufzumuntern und mit mehr Anfehen und Geſchick in ihr
Haus zurüdzutchren” Nachdem er feine Mutter fierben gefes
hen, wo, wie er gefteht, trog der unfäglichen Wehmuth und Bes
trübnif, die er empfunden, ‚an ihrem Zodtenbette fein Herz
weit unter der Zärtlichkeit geblieben ift, die er ihr ſchuldig ge⸗
wefen, und fih im Stande gefühlt hat, ungeachtet der nahen
Ausficht, fie zu verlieren, fih auf der Welt anderen Zerſtreuun⸗
gen zu überlaffen,” — trat er am 1. Oktober 1756, mit Geld’
und Vollmacht verfehen, die Reife nah London an, über Bers
lin, wo er unter Anderm die erſte Bekanntſchaft mit Moſes
Drendelsfohn machte, — über Lübel, wo er bei Blutsverwandten
die Wintermonate zubrachte, — und Amfterdam. In diefer Stadt,
fagt er, babe er alles Glüd verloren, Bekannte und Freunde
nad feinem Stande und Gemüthsart zu finden, worauf er ſonſt
fo ſtolz gewefen ſey; er glaubte, daß ſich Jedermann vor ihm
(heute, und er felbft ſcheute Jeden; von jener einfachen Erfah⸗
rung in einer ganz fremden holländiſchen Stadt weiß er fid
Teinen andern Grund anzugeben, als daß Gottes Hand fchwer
über ihm gewefen, weil er ihn aus den Augen geſetzt, nur mit
; 4*
52 IV. Kritiken,
lauem Herzen ihm befannt habe u. f. f. Auf der Meiterreife
nach London wurde er von einem Engländer um Geld betrogen,
den er Morgens auf den Knieen betend gefunden, und daher
Zutrauen zu ihm gefaßt hatte. In London, wo Hamann den
18. April 1757 ankam, war fein erfter Gang, einen Markt-
freier aufzuſuchen, von dem er gehört hatte, daß er alle Fehler
der Sprade heilen könne, (ſchon oben war eines folden Feh—
lers erwähnt, der wohl im Stottern beftand). Weil aber die
Kur koſtbar und langwierig ſchien, unterzog fi Hamann ders
felben nicht, und mufte alfo, wie er fagt, feine Gefchäfte mit
der alten Zunge und mit dem alten Herzen anfangen; er ent—
deckte felbige (wie es ſcheint Schuldforderungen) denjenigen, an
die er gewiefen war. „Man erflaunte über deren Wichtigkeit,
noch mehr über die Art der Ausführung, und vielleicht am mei
fen über die Wahl der Perfon, ‚der man felbige anvertraut
batte;“ man dädelte, und benahm ihm die Hoffnung, etwas
auszurichten. Hamann aber fpiegelte fih nun als das Klügfie -
vor, „fo wenig als möglich zu thun, um nicht die Unkoſten zu
häufen, fich nicht durch übereilte Schritte Blöfen zu geben und
Schande zu madhen.” Er ging alfo unterdrüdt und taumelnd
bin und her, hatte keinen Menſchen, dem er ſich entdeden, und, _
der ihm rathen oder helfen konnte, war der Verzweiflung nabe
und fuchte in lauter Zerftreuungen felbige aufzuhalten und zu
unterdrücken. „Mein Borfag war nichts, als eine Gelegenheit
zu finden (und dafür hätte ich Alles angefehen), meine Schule
den zu bezahlen umd in einer neuen Tollheit anfangen zu kön—
nen; die leeren Verſuche, in die ich duch Briefe, dur) die
Borftellungen der Freundſchaft und Erkenntlichteit aufwachte,
waren lauter Schein; nichts als die Einbildung eines irrenden
Nitters und die Schellen meiner Narrentappe waren meine «gute
Laune und mein Heldenmuth.” So befchreibt er die Rath⸗ und
Haltungslofigkeit, in der fih fein Charakter befand. Endlich
zog er auf eim Kaffeehaus, weil er keine Seele zum Umgang
6. Ueber Hamann's Schriften. 53
mehr hatte, „einige Aufmunterung in öffentlichen Geſellſchaften
zu haben, um durch diefen Weg vielleicht eine Brüde zum Glück
zu baten.“ So ganz heruntergefommen durd den Eigenfinn
einer herumlungernden, alle Haltung und Rechtlichkeit, wie den
Zuſammenhang mit feinen Freunden in Riga und mit’feinem
Bater verfhmähenden Thorheit fehen wir ihn nad) einem ohne
alles Geſchäft und Zweck verbrachten Jahre in einem Haufe
bei einem ehrlichen dürftigen Ehepaar vom 8. Febr, 1758 an
einquartiert, wo er in drei Monaten höchſtens vier Mal ordent-
Tiche Speife gehabt und feine ganze Nahrung Waffergrüge und
des Tags einmal Kaffee war: Gott, fagt er, bat ihm felbige
‚außerordentlich gedeihen laſſen, denn er befand ſich bei diefer
Koſt in guter Gefundheitz die Noth, fügt er hinzu, war der
ſtartſte Beweggrund zu diefer Diät, diefe aber vielleicht das
einzige Mittel, feinen Leib von den dolgen der Völlerei wieder
Die innerlich und äußerlich rathlofe Rage trieb ihn, eine
Bibel aufzuſuchen; bier beſchreibt ex die „Zerknirſchung, die
das Lefen derfelben in ihm hervorbrachte, die Erkenntniß der
Dieſe des göttlihen Willens in der Erlöfung Chrifti, feiner ei⸗
genen Verbrechen und feines Lebenslaufs in der Gefhichte des
Jüdischen Volkes; fein Herz ergoß ſich in Thränen, er konnte es
‚nicht länger, konnte es nicht länger feinem Gotte verhehlen, daf
er der Brudermörder, der Brudermörder feines eingebornen Soh-
mes war. Mir finden aus der damaligen Zeit häufig Schil-
derungen von der Angft und Qual, in welde Menfhen von
‚einfachem ruhigem Leben geriethen, wenn fle die Forderung zur
und die Bedingung der Gnade, in ihrem Herzen eine ab-
e Sündhaftigkeit zu finden, bei aller Erforſchung ihres
‚erfüllen konnten; aber fie belehrten ſich endlich,
, die Sündhaftigkeit nicht in ſich zu entdeden, die
ſelbſt fey, und waren hiermit auf den Weg, Buße
gediehen, Hamann hatte nad) dem, wie er feis
54 IV. Ktititen.
nen Aufenthalt in London ſchildert, diefe Wendung nicht nöthig.
Durd feine Buße und Irene fühlte er nun fein Herz beruhigter
als jemals in feinem Leben; der Troft, den er empfangen, vers
ſchlang alle Furcht, alle Traurigkeit, alles Miftrauen, fo daf
er feine Spur davon mehr in feinem Herzen finden konnte, Die
nächſte Anwendung, die er von diefem empfangenen Trofte machte,
war die Stärfung gegen die Laft feiner Schulden; 150 Pfund
Sterl. hatte ir in London durchgebracht, ebenfo viel war er in
Kurland und Liefland ſchuldig geblieben; „feine Sünden find
Schulden von unendlich mehr Wichtigkeit und Folgen, als feine
zeitlichen; wenn der Ehrift mit Gott wegen der Hauptſache rich
tig geworben, wie follte es diefem auf eine Kleinigkeit ankom—⸗
men, fie obenein zum Kauf zw geben; die 300 Pfund Sterl,
find feine Schulden; er überläßt nun Gott alle Folgen feiner
Sünden, da derfelbe deren Laſt auf fih genommen.“
In fo beruhigter Stimmung ſchrieb er diefe höchſt harat⸗
teriſtiſche Schilderung ſeines Lebenslaufs und ſeines Innern, bis
Ende April 1758, und ſetzte fie auch von da noch weiter fort,
Auf Briefe von Haufe und von Riga, die ihm ein Mann
brachte, der ihn zufällig endlich auf der Straße traf, kam er
zum. Entfhluß, nad) Riga zurüdzutchren, wo er im Juli 1758
wieder eintraf, und in dem Haufe des Herrn Berens, wie er
fagt, mit aller möglichen Freundfchaft und Zärtlichkeit bewills
kommnet wurde, Er bleibt in»demfelben; feine Geſchäfte beftes
hen bloß in einem Briefwechfel mit dem Bruder des Hrn. Bes
tens, in dem Unterricht der älteften Tochter des Hauptes der
Familie, und in kleiner Handreihung bei einem jüngern Bruder,
der auf dem Komptoir war. Er dankt Gott, daß derfelbe bis-
ber diefe Arbeit mit fihtbarer Hand geſegnet, und nad einer
fchlaflofen, in Ueberlegung zugebrachten Nacht ſteht er am 15.
December mit dem Gedanken auf, zw heirathen, nachdem er ſich
und feine Freundin, eine Schwefter feiner Freunde, der Herren
BDerens, der Barmherzigkeit: Gottes empfohlen. Rach erhaltener
6. Ueber Hamann’s Schriften. 55
Zuflimmung feines Vaters eröffnet er feinen Eutſchluß ben
Brüdern. Berens und deren Schwefter felbit, die einverflanden
fheint; aber der Ickte Tag des Jahıs 1758 ift voll aufer-
ordentlicher Yuftritte zwifchen ihm und ‘einem der Brüder, den
er wie Saul unter den Propheten mit ihm (Hamann)
schen hart; das war ein Tag der Noth, des Scheltens und Lä-
flerns; erbaulich genug fpricht er aber auch dabei von der un⸗
gemeinen Rührung über die Sinmesänderung (?) und die Ein-
drüde der Gnade, die er in jenem wahrzunehmen dien, und
wie er mit Freudigkeit, die Nacht zu ſterben, ins Bett geht,
wenn Gott fo gnädig feyn follte, die Seele diefes Bruders
zu reiten. „In einem Briefe.an feinen Vater giebt er den
Tag jener Auftritte der faulfihen Propheten⸗Sprache, der Roth,
des Scheltens u. f. f. für einen Jahresſchluß von vielem außer-
ordentlihen Segen aus, den ihm Gott widerfahren laffen.
Mit einem bußfertigen und falbungsvollen Gebete für alle feine
Freunde, vom erſten Tage des Jahrs 1759, ſchließt das Tage-
buch. Roh in jenem Briefe an feinen Vater vom 9. Januar
ſchreibt er von den Hoffnungen, die Einwilligung des einen Bru⸗
bers Berens, der ſich zu Petersburg befand, und der Chef der
Familie gewefen zu feyn fcheint, zu der Heirath mit defien
Schweſter zu erhalten. Aber die Sammlung ift hier lüdenpaft;
der nächſte Brief derfelben vom 9. März ift aus Königsberg;
aus demfelben geht hervor, dag er Riga verlafien hat, und zu⸗
nãchſt alle Verhältniſſe zwifchen ihm und dem Berens’jchen
Haufe abgebrochen find. Im Verfolg des Briefwechfels zwifchen
Hamann und dem Rektor 3. ©. Lindner in Riga, dem ge⸗
meinſchaftlichen Freunde Hamann’s und der Gebrüder Berens,
finden fih jene dunkel gebliebenen Borfallenheiten nicht weiter
aufgehellt, aber man lieft genug, um die gänzliche Mißſtimmung
der beiden Theile zu ſehen, bei den Herren Berens die tiefe
Empfindung des Kontrafts zwifhen Hamauns üblem Betragen
in England, fo wie der Fortſetzung eines unthätigen Lebens,
56 24 IV. Kritiken.
und zwiſchen dem breiten Auslegen ſeiner Frömmigkeit und der
von Gott empfangenen Gnade, insbeſondere der Prätenfion,
durch feine Frömmigkeit foviel vor feinen Freunden voraus zu
haben, und von ihnen als ihre Meifter und Apoftel anerkannt
zu werden. Hamann hatte feinen Lebenslauf, der durch das
Angeführte genug charakterifirt ift, dem Herrn Berens, wie es
ſcheint, nad) dem Heiraths= Projekt und den zur felben Zeit: er=
folgten Erplofionen, in die Hände kommen laffen; es erhellt
von felbft, in welcher Abſicht und ebenfo mit welcher Wirkung;
von Berens kommt die Weuferung vor, daß er diefen Lebens—
lauf mit Efel gelefen, ©. 362; um fi zu überwinden, nad)
Riga zurüdzutommen, damit er nicht Hungers flürbe, habe Has
mann die Bibel nöthig gehabt; ©. 355 fogar lieft man von der
Drohung, Hamann zu feiner Befferung in ein Loch fleden
zu laffen, wo nicht Sonne noch Mond feine. Der vorhin ge
nannte Lindner, und dann aud Kant bei der Anwefenheit
eines der Herren Berens in Königsberg, den Gefhäfte dahin
geführt hatten, bemühten fid) als gemeinfchaftliche Freunde bei—
der Theile, das Mifverhältnif auszugleihen. Die Briefe Ha-
manm’s im diefer Angelegenheit, befonders auch einige an Kant
find von dem Lebendigften, auch DOffenften und Berfiändlichften,
was aus feiner Feder gefloffen. Nachdem Hamann’s Frömmig-
keit hauptfächlich die Stimmung der Bußfertigkeit, innerer Freu—
digkeit und nicht nur einer Ergebenheit gegen Gott, fondern aud)
‚einer äußern Beruhigung gegen ein Berhältnif und den Zu—
fland mit Menſchen gehabt hatte; jo wird jest in dem Gedränge
des Mifverhältniffes mit feinen freunden feine ganze Leiden—
fhaftlichteit und geniale Energie erregt, und diefe Leidenſchaft⸗
lichkeit umd Unabhängigkeit feines Naturells in diefe Frömmig—
keit gelegt. Da in diefem ein halbes Jahr fortgefesten Kampfe
und Zanke die ganze Individualität Hamann’s, wie feine Dar:
‚fellungsweife und Styl ihre Entwidelung erlangt, aud) feine
eigentliche ſchriftſtelleriſche Laufbahn hier ihre Veranlaffung hat;
6. Ueber Hamann's Schriften. 57
fo verweilen wir bei der Heraushebung der Züge dieſes Zants,
die für das Verſtändniß diefes Charakters die bedeutendften wer-
den; fie find auf einen allgemeinern, wefentlihen und darum
überall durchdringenden Gegenfag gegründet.
Beide Theile dringen und arbeiten auf eine Sinnesände-
zung des andern Theils; an Hamann wird die Forderung der
Anerkennung und des wirklichen Eingehens in ein rechtliches,
brauchbares und arbeitfames Leben gemadt, und die Präten-
fion feiner Frömmigkeit, infofern diefe ihm nicht auch zu jenem
treibt, nicht geachtet. Hamann dagegen fest ſich in der Stel-
lung feiner innern Zuverſicht auch praktiſch feft; feine Buße amd
der am die göttliche Gnade erlangte Glaube find die Burg, in
der er ſich ifoliet, und nicht nur gegen die Anforderungen feiner
‚Freunde, mit ihnen über die Verhältniffe der Mirklichkeit zu
‚etwas Gemeinfamem und Feſtem zu tommen und objektive Grund⸗
füge anzuerkennen, fondern aud gegen ihre Vorwürfe die Hals
tung umkehrt, ihnen die Erkenntniß ihrer felbft zu erwerben
aufgiebt und Buße und Vekehrung von ihnen verlangt. Der
gemeinſchaftliche Punkt, der fie zufammenhält, ift das, auch nad)
allen Differenzen ſcheinbar, wenigftens bei Hamann unerfehütter-
Lich; gebliebene Band der Freundfchaft; aber indem er daraus
Rechte und Pflichten gegen die Freunde nimmt, weift er zugleich
Alles ab, was fie daraus gegen ihn geltend machen wollen, und
laßt fie nicht an ihn kommen. Das Princip, aus dem er feine
Dialektit führt, ift das religiöfe, welches feine Superiorität ge—
gen die fogenannten weltlichen Pflichten und gegen die Thätig-
u ee für befichende Verhältniffe abſtrakt behauptet und
ät feine zufällige Perfönlichkeit einfhlieft: —
; die auf diefe Weife Sophifterei wird, Als Haupt-
re mit einiger Anführung der eigenthümlichen
der fi) Hamann’s Humor dabei ausfpricht, ausgeho=
— Zunächſt kommen die Freunde Lindner und
u felbft fehr übel weg. Als ihm
58 * IV. Kritiken.
jener unpartheiiſch ſeyn wollende Mittelsmann die Aeußerungen
des Freundes Berens mittheilt, fragt Hamann, „ob das neutral
ſeyn heiße, wenn man geharniſchte Männer unter den Dache
feiner Briefe einnchme, und fein Kouvert zum hölzernen Pferde
made,“ er fegt diefe Gefälligkeit mit der einer Herodias gegen
ihre Mutter, das Haupt des Johannes ſich ausjubitten, paral-
lelz er heißt: dief als ein Heuchler in Schafstleidern zu ihm
kommen u. ff. An Kant jchreibt er über deſſen Bemühun—
gen: Ich muß über die Wahl eines Philoſophen zu dem End—
zweck, eine Sinnesänderung in mir hervorzubringen, laden; ich
fehe die beſte Demonftration wie ein vernünftig Mädchen einen
Liebesbrief, und eine baumgarten'ſche Erklärung wie eine wigige
Fleurette an“ Am meiſten charatteriftifch drücte Hamann feine
‚Stellung in diefem Kampfe dur die Worte aus, daß Kant,
indem er mit hereingezogen worden, der Gefahr. ausgeſetzt wor=
den ſehy, „einen Menſchen zu nahe zu kommen, dem die Krank
heit feiner Leidenfhaft eine Stärke zu. denken und zw
empfinden gebe, die ein Gefunder nicht -befige“ Dieß if
ein Zug, der für die ganze Eigenthümlichteit Hamann's treffend
iſt. Die Briefe an Kant find mit befonderer, größartiger
Leidenfchaftlichkeit geſchrieben. Wie es fheint, hatte Kant nicht
mehr auf Hamanın’s Briefe oder deſſen erften Brief geantwortet,
und Hamann vernonimen, daß Kant deffen Stolz unerträglich
gefunden habe; über diefen feinen Stolz und Kant's Stillſchwei—
gen entgeguet und fordert ihn Hamann mit weitläufiger Heftige
keit heraus; . er fragt ihn: „Ob Kant fih zu Hamann’s Stolz
erheben wolle, oder Hamann ſich zu Kant's Eitelkeit herablaſſen
ſolle.“ — Den Vorwürfen, die ihm wegen feines frühern Bes
nehmens und feiner jetzigen Beftimmungslofigteit gemacht wer—
den, entgegnet er atıf die einfache Weife dur) die Warchefie
des Bekenntniffes und Zugeftändniffes, daß „er der vornehmfte
unter den Sündern ſey; eben in diefer Empfindung feiner
Schwäde liege der Troft, den er in der Erlöfung genoſſen;“
6, Ueber Hamann’ Schriften. 59
die Demüthigung, die aus jenen Vorwürfen gegen ihn erwachſe,
erwiedere er mit „dem Stolze auf die alten Lumpen, welche ihn
aus dee Grube gerettet, und er prange damit, wie Jofeph mit
dem bunten Rode,” — Die nähere Beforgtheit feiner Freunde
um feine Lage und Zukunft, feine Unbrauchbarkeit und Arbeits.
loſigkeit beantwortet er damit, daß feine Beflimmung weder zu
einem Staats⸗, Raufs noch Weltmann fey; er danke Gott für
die Ruhe, die derfelbe ihm gebe. — Hamann Ichte, nachdem er
Riga verlaffen, bei feinem alten Vater; diefer, fagt er, gebe
ibm Alles veichlih, was ihm zur Leibesnahrung und Nothdurft
‚geböre, und wer frei ſey und frei ſeyn könne, folle nicht ein
Knecht werden; er gehe feinem alten Vater zum Seite und frage
nicht darnach, wie viel Vortheil oder Abbruch er diefem fchaffe;
Bibellefen und Beten ſey die Arbeit eines Ehriften;
‚feine Seele fey in Gottes Hand mit allen ihren moraliſchen
Mängeln und Grundtrümmen. Wenn inan ja wiffen wolle,
was er the; — er lutherifire; es müffe doc etwas gethan
Mens Diefer abentpeuerliche Mönch fagte zu Augsburg (1): hie
bin ich — ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!“ —
‚Seine Geldſchuld gegen das berens’fche Haus tut er zumächft
‚(im dem einen Briefe an Kant S. 444) fo ab, daß, wenn da=
von vielleicht die Rede würde, Kant dem Hrn, Berens fagen
ſolle, daß er, Hamann, jest nichts habe, und felbft von feines
‚Baters Gnade leben müſſe; — wenn er ſterben follte, wolle er
dem Hrn. Berens feinen Leihnam vermachen, den er, wie die
Aegyptier, zum Pfand nehmen könne. Cin Jahr fpäter (III.
>. f) ſchreibt er an jenes Haus, um den Anſpruch
Schulden auf einen ordentlichen Fuß zu bringen; er er—
t die Erledigung in der Antwort, daß der Abſchied, den er
jenem Haufe genonimen, die Quittung aller Verbindlichkei-
pm möge, die je zwifchen ihnen geweſen.“ — Die haupt«
— ſeines Benehmens gegen ſeine Freunde iſt
die Umkehrung des Angriffs auf fie, die Anforderung an ſie,
A ze.
60 19, Kritiken.
zunächſt an einen der Brüder Berens, daß er bei allen ben
gründlichen Entdedungen, die er über Hamann’s Herz gemacht,
in feinen eigenen Bufen fühlen, und fi) felbft fo gut
für einen Miſchmaſch von großem Geifte und elendem
Tropf erkennen möge, als cr ihn, Hamann, mit viel Schmei>
chelei (die Schmeicheleien, die Berens ihm made, thuen ihm
weher als feine beifenden Einfälle) und Treuherzigkeit dafür
erkläre, Daf er in feiner Privatfahe dem Freund Lindner
fo überläftig geworden, fey gefchehen, fagt er, weil er gewünſcht
und gehofft, das Lindner mehr Anwendung davon auf ſich
felbft maden würde. Wie oft fey er (Hamann) aber an
das Leiden unfers Erlöfers erinnert worden, da feine Nächften,
feine Tifchfreunde der Feines vernahmen, und nicht wuß—
ten, was er redete und was er ihnen zu verſtehen geben
wollte. Man befchuldige ihn, daß er die Mittel verachte: aber
fonft wäre er ein Verächter der göttlichen Ordnung; was für
ein beffer Mittel hätte fi) fein Freund von Gott felbft erbitten
*önnen als ihn, den man für einen alten, wahren freund ans
fehe, wenn er in feinem eigenen Namen komme? Weil man
aber den nicht kenne, der ihn gefandt habe, fo werde
‚er (Hamann) aud verworfen, fo bald er in deſſen Namen
tomme; fie verwerfen den, den Gott verfiegelt habe zum
Dienfte ihrer Seelen. Seine Freunde ekle vor der ofen
Speife, die fie in feinen Briefen finden; was lefe er aber in
den ihren? Nichts als die Schlüffe feines eigenen Fleiſches und
‚Blutes, das verderbter fey als ihres; nichts als das Murren
feines eigenen alten Adams, den er mit feinen eigenen Satyren
geile, und die Striemen davon cher als fie felbft fühle, länger
als fie felbft behalte, und mehr darunter brumme und girre als
fie, weil er mehr Leben, mehr Affekt, mehr Leiden⸗
ſchaft beſitze, nad ihrem eigenen Geſtändniß.
Den ihm von Gott zugetheilten Beruf, feinen Freunden
zur Selbſterkenntniß zw verhelfen, beftätigt er noch weiter damit,
6. Ueber Hamann's Schriften. 61
daß er ſagt, wie man den Baum an den Früchten erkenne, fo
wiffe er, daß er ein Prophet ſey, — aus dem Schidfal, das
er mit allen Zeugen theile, geläftert, verfolgt und verach—
tet zu werden; — die größte Stufe des. Gottesdienftes, den
Seuchler Gott bringen, fagt er feinen Freunden. ein ander
Mal, befiche in der Berfolgung wahrer Bekenner. Dies
ſer angemaßten Stellung gemäß fordert er Kant (S. 505) her⸗
aus, ihn „mit eben dem Nachdruck zurückzuſtoßen und fi feinen
Vorurtheilen zu widerfegen, als er (Hamann) ihn und feine
Vorurtheile angreife; ſonſt werde in feinen Augen Kant's Liebe
zur Wahrheit und Tugend fo verächtlich als Buhlerfünfte aus—
feben. Mitunter giebt er and) den ganzen Hader für eine ges
Prüfung ihrer Herzen, feines mit eingefchloffen,
a.&% an Lindner ©. 375, er fol rihten, was er, Ha-
mann, fage, und das Gericht feines Nächſten als eine Züdhti-
gung des Heren anfehen, auf daf wir nicht fammt der Welt
verdammt werden; er, Lindner, folle die Wunden, die Hamann
ihm ſchlagen, den Schmerz, den er ihm machen müffe, als ein
Chriſt vergeben. So erkennt, wie er S. 353 fehreibt, Hamann
die Heftigkeit nicht, die in des Freundes Berens Zufchriften ſich
finde; er fehe Alles als eine Wirkung der Freundſchaft deffel-
ben, und diefe fowohl als ein Geſchenk wie als eine Prüfung
Gottes an. Daf er (Hamann) S. 393 in einem fo harten
nn gefehrieben, fey nur darum gefchehen, „daß
eigung, euer Herz gegen uns offenbar würde vor Gott;
llte verfudhen, was in meinem Herzen die Liebe Chrifti
m euch für Bewegungen hervorbringen würde, und was die
iebe Chrifti in euch gegen ung herborbringen würde“ — Bei
ur Herausforderung an Kant und bei dem Scheine, fi) mit
mden in die Gemeinfamkeit der Prüfung zu flellen,
iſt, wie angeführt, die Zuperfiht der eigenen Vollendung in der
Buße amd. der Meberlegenheit über die Freunde zu ſtark ausge-
chen, als daß diefe darin nicht Hamann’s „Stolz“ vornehm-
62 TV. Kriliken.
lich hätten empfinden müffen. Unter jenen Borausfegungen von
feiner Seite, fieht man wohl, konnte es zu feinem Verftändniffe
tommen. Kant fcheint, wie erwähnt, ſchon früher fih mit Has
mann über diefe Sache nicht weiter eingelaffen»zw haben; der
legte Brief Hamann’s an Kant (S. 504) macht ihm Vorwürfe
über fein Stillſchweigen und verſucht ihm zu Erklärungen zu
zwingen; auch fühlt Hamann ebenfo, daß er vergebene Mühe
aufiwendet, den anderen freunden Lindner und Berens (S. 469:
„Alle meine Sirenen= Künfte find umfonfi u. f. f.) zu imponis
ren, und madt (S. 405) den Vorfchlag, da der Briefwechfel
zwifchen ihnen immer mehr ausarten möchte, von der Materie
abzubredhen und denfelben eine Weile ruhen zu laffen. In der
That ift die Erfahrung, welde Hamann hierbei gemacht hat,
für ihn nicht verloren gegangen; wir fehen ihn von nun an
gegen Lindner. mit dem der Briefwechfel nad längerer Zeit
wieder aufgenommen wurde, fo wie auch gegen fpätere freunde
in einem veränderten, verfländigen Benehmen, das fich auf die
Gleichheit des Rechts moralifher und religiöfer Eigenthümlich-
keit gründet, und die freiheit der Freunde unbeeinträchtigt und
unbedrängt läft.
Allein diefer Verzicht, die Herzen feiner freunde zu bear—
beiten oder fie wenigftens zu Diskuffionen über den Zuftand
ihrer Seelen zu drängen, ift mehr ein äuferliher Schein und
erfiredt fih nur auf das direkte Benehmen gegen fie. Gein
Drang wirft ſich jest, weil er es im der Korrefpondenz aufgeben
muß, fid als Meifter und Prophet anertannt zu fehen, in das
andere Mittel, dag Wort zu haben, — in das Mittel von
Druckſchriften. Wir fehen fhon in den legten Briefen an Lind»
ner, und vornehmlich an Kant, die Keime und dann die nähere
Ankündigung der fotratifhen Dentwürdigteiten, des
Anfangs feiner Autorfhaft, wie Hamann felbft diefe Schrift
nennt. Er ftellt den jungen Berens mit Kant gegen fih in
das Verhältnif von Aleibiades zu Sokrates, und: bittet um die
6. Ueher Hamann's Schriften. 63
Erlaubnif, als der Genius zu reden. In dem ganz charakte—
riſtiſchen, höchſt geiftreihen Briefe (S. 430) an Kant geht er
zu der- Wendung über, daf es ihm (Hamann) „um die Wahr-
heit fo wenig zu thun ſey als Kant’s Freunden;“ „ich glaube,
wie Sokrates, Alles, was der Andere glaubt — und gehe nur
‚darauf ans, Andere in ihrem Glauben zu flören.“ Im
andern öfters angeführten Briefe an Kant (S; 506) wirft er
diefem vor, es ſey ihm nichts daran gelegen, ihn (Hamann) zu
verfichen oder nicht zu verſtehen; feine (Hamanı’s) Anerbietung
ſey gewefen, die Stelle des Kindes zu vertreten, Kant hätte ihn _
daher ausfragen follen; dieß Einlaffen ift es, was er auf alle
Weiſe hervorzurufen befirebt if, und zwar in dem Zwecke, die
Freunde zur Selbſterkenntniß zu bringen. Die ſokratiſchen
Dentwürdigkeiten find die Ansführing und ausdrückliche
Erpofition der Stellung, die er fich nehmen will — als So—
krates ſich zu verhalten, der unwiſſend gewefen, und feine Un—
wiffenheit ausgeftellt habe, um feine Mitbürger anzuloden und
fie zur Selbſterkenntniß und einer Weisheit zu führen, die im
Berborgenen liege, Man ficht im Verfolge, daf Hamann mit
dem eigenthümlichen Zwecke diefer Schrift nicht glüdlicher ge=
wefen als mit feinen Briefen; auf Kant hat fie offenbar weiter
Feine Wirtung gemacht, und ihn nicht zum Einlaffen vermocht;
von der andern Seite her, wie es feheint, hat fie ihm Verach—
tung und felbft Hohn zugezogen. Aber fie drüdt fowohl den
allgemeinen Grundtrieb der ſämmtlichen Schriftftellerei Hamann's
aus, als aud) aus ihr die Säge gefhöpft worden find, welde
fpäterhin eine allgemeine Wirkung hervorgebracht haben. Wir
— daher bei ihr noch etwas, indem wir nur noch bemer—⸗
Hamann zum Behuf diefer Schrift fi), wie er irgend-
, nicht einmal die Mühe gab, den Plato und Xeno⸗
phon felbft nadhzulefen.
In der Zueignung — fie iſt gedoppelt, an Niemand,
den Kundbaren (das Publitum) und an Zween — charakte—
64 IV, Kritiken.
riſirt er dieſe Legteren (Berens und Kant, I. Bd. ©. 7): „Der
erfte arbeite am Stein der Meifen, wie ein Menfchenfreund,
der denfelben für ein Mittel anfieht, den Fleiß, die bürger-
lichen Tugenden und das Wohl des gemeinen Wefens
zu fördern; der andere möchte einen fo allgemeinen Welt
weifen und guten Münzwardein abgeben, als Newton
war.” (Hamann =) Sokrates felbft feh ungeachtet der Reihe
von Lehrmeiftern und Lehrmeifterinnen, die man ihm gegeben,
unwiffend geblieben; aber „er übertraf die Anderen an Weis—
beit, weil er in der Selbfterkenntnif weiter gefommen war als
fie, und wußte, daß er nihts wußte. Mit diefem feinem:
Nichts weiß ich! wieß er die gelehrten und neugierigen Athe—
nienfer ab, und erleichterte feinen ſchönen Jünglingen die Vers
läugnung ihrer Eitelkeit, und fuchte ihre Vertrauen durd feine
Gleichheit mit ihnen zu gewinnen.” „Alle Einfälle des So—
frates, die nichts als Auswürfe und Abfonderungen ſei—
ner Ummwiffenheit waren, fihienen den Sophiften, den Ges
lehrten feiner Zeit, fo fürchterlich, als die Haare an dem Haupte
Medufens, dem Nabel der Aegide.“ Von diefer Unmwiffenheit
geht er dazu über, daf unfer eigen Daſehn und die Eriftenz
aller Dinge aufer uns geglaubt und auf keine andere Weiſe
ausgemacht werden müſſe. „Der Glaube,” fagt er, „ift kein
Merk der Vernunft, und kann daher aud Feinem Angriff der—
felben unterliegen, weil Glauben fo wenig durd Gründe ges
ſchieht als Shmeden und Sehen. Für das fotratifche Zeugs
nif von feiner Unwiffenheit giebt es kein ehrwürdigeres Siegel
als 4. Kor, 7: „So Jemand fi) dünken läßt, er wiffe Etwas,
der weiß noch Nichts, wie er wiffen fol. So aber Jemand
Gott liebt, der wird von ihm erkannt,“ — „Wie aus der Un—
wiffenheit, diefem Tode, diefem Nichts, das Leben und Weſen
einer höhern Erkenntnif neu gefchaffen hervorkeime, fo weit reicht
die Nafe eines Sophiften nicht,”
„Aus diefer Unwiſſenheit des Sokrates fliegen als leichte
6. Ueber Hamann’ Schriften. 65
Folgen die Sonderbarkeiten feiner .Lehr- und Dentart. Was
ift natürlicher, als dag er ſich genöthigt fah, immer zu fragen,
am Plüger zu werden; daß er leihgläubig that, jede Meinung
für wahr. annahın, und lieber die Probe der Spötterei und
guten Laune als eine ernfihafte Unterſuchung anſiellte; Ein⸗
fälle ſagte, weil er keine Dialektik verſtand; daß er, wie
alle. Idioten, oft ſo zuverſichtlich und entſcheidend ſprach,
als wenn er unter allen Nachteulen feines Vaterlandes die ein⸗
zige wäre, welche der Diinerva auf ihrem Helm fäße” Man
fieht, wie auch nach der Seite des Styls Hamann den Sofrates
und fich felbft zufammenmengt; die legteren Züge diefer Zeich⸗
nung paſſen ganz auf ihn ſelbſt, und mehr als auf Sokrates;
ſo auch Folgendes, worin ſchon oben Angeführtes nicht zu ver⸗
kennen iſt: „Sokrates antwortete auf die gegen ihn gemachte
Anklage mit einem Ernſt und Muth, mit einem „Stolz“ und
Kaltfinn, dag man ihn eher für einen Befehlshaber feiner Rich—
ter als für einen Angeklagten hätte anfchen follen. Plato macht
die freiwillige Armuth des Sokrates zu einem Zeichen ſei⸗
ner göttlichen Sendung; eine größeres ift feine Gemeinſchaft an
dem letzten Schickſale der Propheten und Gerechten (Mat—⸗
thãi 23, 29; ſ. oben: geläſtert, verſpottet zu werden).“
So ganz perſönlich, wie der Sinn, Inhalt und Zweck die⸗
ſer Schrift iſt, während ihr zugleich gegen das Publikum der
Schein eines objektiven Inhalts gegeben wird, iſt zwar der
"Sinn anderer Schriften nicht, aber in allen iſt mehr oder wes
niger das Intereſſe und der Sinn der Perſönlichkeit eingemiſcht.
Auch die Säge über den Glauben find auf ähnliche Weiſe
zunãchſt vom chriftlihen Glauben hergenommen, aber zu dem
allgemeinen Sinn erweitert, daß die. finnlihe Gewißheit
von äuferlichen, zeitlihen Dingen, — „von unferm eignen Da⸗
ſeyn und von der Eriftenz aller Dinge,” auch ein Glaube
genannt wird. In diefer Erweiterung iſt das Princip des
Glaubens von Jacobi bekanntlich zu dem Principe einer Phi⸗
Vermiſchte Sıhriften, * a: 5
66 IV. Kritiken,
lofophie gemacht worden, und man erkennt in den jacobi’fchen
Sätzen nahezu wörtlich die hamann’fhen wieder. Der hohe
Anfprud, den der religiöfe Glaube nur kraft feines‘ abfoluten
Inhaltes hat, ift auf diefe Weiſe auf das fubjeftive, mit ‚der
Parritularität und Zufälligkeit relativen und endlichen Inhalts
behaftete Glauben ausgedehnt worden. Der Jufammenhang
aud) diefer Verkehrung mit Hamann’s Charakter überhaupt
wird ſich weiterhin näher ergeben. r
Die Freundſchaft war im BVerhältniffe der Gelehrten
und 2iteratoren der damaligen Zeit eine wichtige Angelegenheit,
- wie wir aus den vielen Briefwechfeln, die feitdem in Drud ge-
fommen find, erfehen. Die Vergleihung der verſchiedenen Ar-
ten und Schidfale diefer Freundfchaften würde wohl eine inte-
reffante Reihe von Charakteriftiten liefern können, befonders
wenn man jene Briefwechfel mit den gleichfalls zahlreichen Bän-
den von gedrudten Briefen der franzöfifchen Literatoren der da-
maligen Zeit parallelifiren wollte. Hamann’s religiofe Wen-
dung hatte die Geftalt einer abfiratten Innerlichkeit genommen,
deren hartnädige Einfachheit objektive Beflimmungen, Pflichten,
theoretifche wie praktiſche Grundfäge nicht als ſchlechthin wefent-
| li anerkennt, nod em legtes Intereffe für diefelben hat. Eine
über Grundfäge ftattfindende Verſchiedenheit Fann daher aller-
dings ſehr weit gehen, ohne die Freundſchaft zu ſtören, welche
aus demfelben Grunde meift durd Zufall und fubjeftive Nei-
gung entflanden ift; ein Hauptzug Hamann’s ift daher aud)
feine Beftändigkeit in derfelben. Es ift intereffant, ihn über
- feine WVorftellung von der Freundſchaft fi) erklären zu hören,
was er befonders bei dem gefchilderten frühern Hauptzwift mit
feinen damaligen Freunden vielfadh thut. Nach feinem Sinne
gelten die heftigſten Borwürfe, die leidenſchaftlichſten Arußerun—
gen bloß als Prüfungen (Bd. I, ©. 391); die Freundfchaft- ift
ihm ein göttliches Geſchenk, infofern Alles dasjenige, was auf
‚ Ihre Vernichtung zu zielen ſcheint, nichts als ihre Läuterung und
6. Ueber Hamann's Schriften. 67
Bewährung hervorbringt. Sie hat ihm (Bd. I, ©. 474) mit
Lehren, Unterrichten, Umkehren und Bekehren nichts zu ſchaffen.
„Bas ift denn das Augenmerk der Freundſchaft?“ fragt er.
„Lieben, Empfinden, Leiden. Was wird Licbe, Empfindung,
Leidenſchaft aber eingeben und einen freund lehren? Geſichter,
Mienen, Verzuckungen, Figuren, redende Handlungen, Strate:
geme, Schwärmerei, Eiferſucht, Wuth.“ — Ferner: „Ich würde
der niederträchtigfte und undankbarfte Menſch ſeyn, wenn ich
mich durch die Kaltfinnigkeit des Freundes, durch fein Mifver-
ſtandniß, ja felbft dur feine offenbare Feindſchaft fo
bald follte abſchrecken laffen, fein Freund zu bleiben; unter die-
fen Umftänden iſt es defto mehr meine Pfliht, Stand zu hal-
ten, und darauf zu warten, bis es ihm gefallen wird, mir fein
Zutrauen wieder zw ſchenken.“ So behält Hamann’ diefelben
warmen Gefinnungen gegen die Brüder Berens, mit denen er
fo hart zufammen gefommen, fein ganzes Leben bei. So wachen
auch in ihm nah Mendelsfohn’s Tod frühere Empfindun-
gen gegen denfelben auf, dem „der Antritt von feiner (Ha-
matın’s) literarifchen Laufbahn nicht verächtlich gefchienen habe;
er überredet fih nad) allen. Heftigkeiten, im die er gegen den—
felben erplodirt war, deffen Freund geblieben zu feyn, und daf
er ihn hiervon noch hätte überzeugen können. — , Mit Her⸗
der’n ſteht er fortdauernd, wenigſtens in dem (oft ſehr ge—
ſchraubt oder auch perſifflirend werdenden) Tone vertraulicher
Freundſchaft. Bei aller dieſer Freundſchaft erklärt Hamann
‚einmal Herdern (Bd. V, ©, 61), was fonft offen genug da—
pe daß beider Geſichtspunkt und Horizont zu entfernt und
fey, um ſich über gewiffe Dinge vergleichen zu kön—
1; er „verdammt“ eine der Preisſchriften Herder's (ebend,
die diefem fonft viel Ruhm erworben hatte; ja von
über die Apokalypſe fchreibt ihm Hamann (Bd.
vı, ©. 103) vom 29. Okt. 1779, daß dieß Buch das erfie ſeh,
welches er (Hamann) aus der Fülle des Herzens und Mundes
5 *
68 IV, Kritiken.
lichen und loben könne; welche Aeußerung um fo weniger wahr
ift, ein je geringeres Verhältnif jene Schrift überhaupt zur Fülle
des Herzens und Geiftes hat. Es ift ein allgemeiner, aber eben
fein Zug des Mohlwollens, daß Hamann gerade durd Die
Schriften feiner beften (Freunde jo aufgeregt wird, daß er in
Auffägen über fie herfällt, die, obgleih zum Drude beſtimmt,
nad feiner ſonſtigen Weiſe mit leidenſchaftlicher Heftigkeit und
Muthwillen angefüllt, felbft nicht ohme ein Ingredienz find, das
als bitterer Hohn empfunden werden und kränkend ſeyn kann.
Ueber Herder's Preisſchrift vom Urſprung der Sprachen hatte
Hamann in der königsberger Zeitung eine kurze Anzeige ge—
macht, welche ſich nur verſteckter Weiſe gegen deren Hauptge—
danken erklärt; aber er verfaßte auch einen fehr heftigen Auffag
unter dem Titel: Philologifhe Einfälle und Zweifel u,
1. f) Bd. IV, ©. 37 ff.), worin er feine Zweifel bis zu der
frage ausdehnt: .„ob es dem Berfaffer je ein Ernft gewefen,
fein Thema zu beweifen oder auch nur zu berührenz“ die
Diertmale zu diefem Zweifel fänden ſich darin, daß der ganze
Beweis (vom dem menfchlichen Urfprung der Sprade) aus eis
nem runden Eirfel, ewigen Kreifel, und weder verfiedtem
noch feinem Unfinn znfammengefest, auf verborgenen Kräf-
ten willkürlicher Namen und gefellfchaftlicher Lofungswörter oder
Lieblings Jdeen beruhen. ſ. f. Diefen Aufſatz enthielt ſich Ha—
mann jedoch druden zu laſſen, nachdem Herder, der davon ges
hört, ihm den Wunſch, daß derfelbe nicht vor das Publitum
gebracht werde, geäußert hatte. Ebenfo ließ er eine für die kö—
nigsberger Zeitung verfertigte Necenfion über Kant’s Kritik der
reinen Vernunft, und den Auffag: Metakritit, auf den wir ſpä—
terhin zurüdkommen werden, wenigftens ungedrudt. Daß Ja
cobi's Schriften in Betreff feiner Diffidvien mit Mendelsfohn,
die Briefe über Spinoza u. f. f., auf die fid Jacobi fehr viel
zu Gute that, vor Hamann feine Gnade fanden, wird noch ſpä—
terhin berührt werden.
6. Ueber Hamann’s Scriften. 69
An dieſe befondere Art von Freundſchaft ſchließt ſich das
Eigenthũmliche ſeiner Frömmigkeit an, der Grundzug in ſeiner
Schriftſtellerei wie in ſeinem Leben überhaupt, welcher nun nã⸗
her anzugeben iſt. Wir ſahen ihn früher in dem religiöſen Ge⸗
fühle feines äußern und innernñ Elends, aber auch bald daraus
zur Freudigkeit eines verföhnten Herzens übergegangen, fo daf
die Qual und Unfeligkeit eines in die religiöfen Forderungen
und in das denfelben widerfprechende Bewuftfeyn der Sündhaf-
tigkeit perennirend entzweiten Gemüths überwunden war, ber
in dem, was über jene Periode aus feiner Lebensbefchreibung
-ausgehoben worden ifl, und in dem Auflage felbft in der breites
ften Fülle, liegt jene frömmelnde Sprache und der widrige Ton:
ſchon ganz fertig vor, welcher noch mehr die Sprache der Heu⸗
chelei als der Frömmigkeit zu ſeyn pflegte. Daß er der erſtern
verfallen ſey, dafür vermehrt ſich der Anſchein, wenn Hamann,
nachdem er fich innerlich von feinen Sünden abſolvirt hat, nun
nicht nur auf die Anerkenntniß, der größte Sünder zu ſeyn, ge⸗
gen ſeine Freunde pocht, fondern auch über feine bungernde, be⸗
ſtimmungs⸗ und arbeitsſcheue Lebensart ihnen mit dem Pan⸗
theismus der unãchten Religioſität, daß Alles Gottes Wille ſey,
entgegnet. „Der Chriſt,“ ſchreibt ev an feine Freunde, „thut
Alles in Gott: efien und trinken, aus einer Stadt in die andere -
zeifen, fih darin ein Jahr aufhalten und handeln und wandeln,
oder darin ftillfigen und harten (geht auf feinen Aufenthalt in
England), find Alles göttliche Geſchäſte und Werte.“ Es
würde‘ ihm nicht gefehlt haben, cinen vergnüglihen Kreis von
neuen Freunden aufzufinden, mit denen er ſich gemeinfam in
dem Dunfte felbfigefölliger Sündhaftigkeit hätte laben und prei-
fen Tönnen. Goethe in feinem Leben erzählt, wie zu jener
Zeit „die Stillen im Sande” zu Frankfurt dem Hamann ihre‘
Yufmerkfamkeit jumwendeten und mit ihm ſich in Verhältniß ſetz⸗
ten; wie dieſe frommen Menſchen ſich Hamann nach ihrer Weiſe
fromm dachten, und ihn als „den Magus aus Norden“ mit
⁊
71° ° IV. Kritiken.
Ehrfurcht behandelten; aber bald Nergernig fhon an feinen
Wolken und noch mehr an dem Titelblatt zu den Kreuz züe
gen eines Philologen nahmen, auf weldem das Ziegens
Profil eines gehörnten Pans, und noch ein weiterer ſatyriſcher
Holzfhnitt (die aud in diefer. Ausgabe Bd. II, ©. 103 u. 134
zu finden find): ein großer Hahn, Takt gebend jungen Hühnchen,
die mit Noten in den Krallen vor ihm fanden, fi höchſt lächer⸗
lich zeigte, worauf fle ihm ihr Mißbehagen zu erkennen gaben,
er aber fih von ihaen zurüdzog. Hamann würde wohl in feis
ner Gegend gleichfalls dergleichen neue Freunde haben. finden
tönnen, und wenn etwa das Naturell feines Bruders, der im
Blödfinn endete, eine weitere Wahrſcheinlichkeit, daß er die
Richtung der Heuchelei verfolgen würde, an die Sand gäbe, fo
bewahrte ihn hiervor die in feinem Gemüthe noch flarte und
frifhe Wurzel der Freundſchaft, die geniale Lebendigkeit feines
Geiſtes und das edlere Naturell. Jene Wurzel der Freundſchaft
erlaubte ihm nicht, in ihm ſelbſt unredlich gegen ſich und gegen
fie zu werden, und das Princip weltlicher Rechtlichkeit zu ver⸗
ſchmähen. Es hatte eines fireng pofitiven Elements, eines har⸗
ten Keils bedurft, der durch fein Herz getrieben werden mußte,
um defien Hartnädigkeit zu überwinden; aber es wurde damit
nicht getödtet, fondern vielmehr deffen energifche Lebendigkeit
ganz in die Frömmigkeit aufgenommen. Hamann hat darüber
ein beftimmtes Bewußtieyn, fo daß er aud Gott dafür dankt,
(Bd. I, S. 373), daf er „wunderlich gemacht iſt.“
In dem oft angeführten Kampfe mit feinen Freunden fpricht
er vielfach diefe Verknüpfung feiner Frömmigkeit und feiner eis
genthümlichen Lebendigkeit aus; fo fagt er (Bd. I, ©. 393);
„Wie Paulus an die Korinther in einem fo harten. und felte
ſamen Tone gefhrieben (mas er mit feinem eigenen Benehmen
in Parallele fegt), was für ein Gemiſch von Leidenihaf-
ten habe diefes fowohl in dem Gemüthe Pauli als der Korin⸗
ther zu Wege gebracht? Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlan⸗
6. Leber Hamann's Schriften. 7
gen, Eifer, Nahe; — wenn der natürliche Menſch fünf Sinne
babe, fo ſey der Chriſt ein Inftrument von zchn Saiten, und
ohne Leidenfhaften einem klingenden Erz ähnlicher als
einem neuen Menſchen.“ Diefe Frömmigkeit, die fo das welt:
liche Element einer eminenten Genialität zugleich in fid trägt
unterſchied ſich weſentlich ebenfo fehr von den Arten ciner bor-
nirten piefiflifhen, füßlichen oder fanatifhen Frömmigkeit, als
auch von der ruhigern, unbefangenern Frömmigkeit eines rechts
ſchaffenen Chriſten, und geftattete ferner auch Anderen, die nicht
zu den „Stillen im Lande“ gehörten, mit ihm in Gemeinfam-
keit und Anerkennung zu feyn.
Der Hr. Herausgeber macht (Borr. zu Bd. II, ©. VI ff.)
die in Bezug auf Hamann intereffante Erwähnung einer von
dem vicljährigen Freunde deſſelben, ©. I. Lindner, noch im
Jahre 1817 herausgegebenen Schrift, worin diefer eine Schilde⸗
rung von Hamann entwirft, und in Beziehung auf feine Reli⸗
giofltät fagt, daß feine bewundernswürdigen, nicht bloß Eigen-
heiten, fondern talentvollen Geiftesträfte, die Urſache gewefen,
dag derfelbe in feiner moralifhen und religiöfen Dentart
fdwärmte; er war, ift hinzugefügt, „der firenge Verthei—
dDiger der kraſſeſten Orthodoxie.“ Mit diefem Namen
wurde damals dasjenige bezeichnet, was in der proteflantifdhen
Kirche die wefentlihe Lehre des Chriftenthums war. Der Name
der Drthodorie ift nachher zugleih mit dem Namen der Hete-
rodorie, welcher legtere den Meinungen der Aufklärung gegeben
worden war, verfhwunden, feitdem diefe Meinungen beinahe
aufgehört haben, etwas Abweichendes zu feyn, und eher faft die
allgemeine Lehre nicht nur der fogenannten rationaliftifchen, ſon⸗
dern meift felbft der fogenannten eregetifchen und namentlich der
Grfühls- Theologie geworden find. Hamann war in der für
fein Gemüth erlangten Verſöhnung ſich des. objektiven Sur
fammenhangs diefer Verföhnung wohl bewußt, welcher Zufam-
menhang die hriftlihe Lehre von der Dreieinigkeit Gottes:
72 IV, Kritiken.
iſt. Mit Hamann’s, wie mit dem Iutherifchen und chriftlichen
Blauben überhaupt tontraftirt es auf das Stärkire, wenn heutis
ges Tages Theologen vom Fache noch der chriſtlichen Verſöh⸗
nungslehre zugethan ſeyn wollen, und zugleich leugnen, daß die
Lehre von der Dreieinigkeit die Grundlage derſelben ſey; ohne
dieſe objektive Grundlage kann die Verſöhnungslehre nur einen
ſubjektiven Sinn haben. Bei Hamann ſteht ſie feſt; in einem
Briefe an Herder (Bd. V, ©. 242) fagt er: „Ohne das ſo⸗
genannte Geheimniß ber heiligen Dreieinigteit ſcheint mir gar
Fein Unterricht des Chriftenthums möglich zu feyn; Anfang und
Ende fällt weg.” Er fagt in diefem Zufammenhange von einer
Schrift, mit der er damals umging, daf das, was man für
die pudenda der Religion hält (eben das von Anderen kraſſe
Drthodorie Genannte), und dann der Aberglaube, felbige zu
befhnciden, und die Raferei, fie gar auszufhneiden, der
Inhalt diefes Embryons feyn werde. Mit der Drthodorie aber
pflegt die fernere Vorftellung verbunden zu feyn, daß file ein
Glaube fey, den der Menſch nur als eine todte, dem Geifte oder -
. Herzen äußerliche Formel in ſich trage. Hiervon war Niemand
entfernter als Hamann, fo daß fein Glaube vielmehr den Konz
traft- in fi) hatte, bis zur ganz foncentrirten, formlos werden«
den Lebendigkeit fortzugehen. Am nachdrücklichſten iſt dieß im
dem ausgedrückt, was Jacobi (auserleſener Briefwechſel IL Bd.
1827, S. 142) von Hamann in einem „Briefe an F. L. Graf
von Stolberg“ angiebt; Hamann ſagte mir einmal ins Ohr:
„Alles Haugen an Worten und buchſtäblichen Lehren der Relis
gion wäre LZama-Dienfl.” Ins Ohr pflegte fonft Hamann
bei feiner Parrheſie eben nicht zu ſprechen. Allenthalben beweift
die geiſtige Weiſe ſeiner Frömmigkeit jene Freiheit von dem
Tode der Formeln. Unter vielem Andern mag folgende dircktere
Stelle aus einem Briefe Hamann's an Lavater v. J. 1778
(Bd. V, S. 276) ausgehoben werden; im Gegenſatze gegen La⸗
vater's innere Unruhe, Unſicherheit, Durſt und äußere
6. Ueber Hamann's Schtiften. 73
Gefhäftigkeit, gegen deſſen Anſtöße in derfelben und Plage
damit, wie mit feinem Innern felbft, faßt Hamann das Gebot
feiner eigenen chriſtlichen Gefinnung fo zufanmen: „IE dein
Brodt- mit Freuden, trin® deinen Wein mit gutem Muth, denn
dein Werk gefällt Gott; brauche des Lebens mit deinem Weibe,
das du lich haft, fo lange du das eitle Leben haft, daf dir Gott
unter der Sonne gegeben hat. Ihre (Ravater’s) Zweifeltnos
ten find ebenfo vergänglihe Phänomene, wie unfer Syſtem
von Himmel und Erde, alle leidigen Kopier- und Rechnungs⸗
Maſchinen mit eingeſchloſſen“ — Er fügt hinzu: „Ihnen von
Grund meiner Scele zu fagen, ift mein ganzes Chriftenthum
ein Geſchmack an Zeichen, und an den Elementen des Waſ⸗
fers, des Brodtes, des Weins. Hier ift Fülle für Hunger und
Durfl: eine Fülle, die nicht bloß, wie das Gefeg, einen Schats
ten der zutünftigen Güter hat, fondern dur vıv eixova
Toy noayudzov, infofern felbige durch einen Spiegel im Räth-
fel dargeftellt, gegenwärtig und anfhaulich gemacht wers
den können; das releıov liegt jenfeits.” Was Hamann feinen
Geſchmack an Zeihen nennt, ift dieß, daß ihm alles gegen
ſtändlich Vorhandene feiner eigenen inneren und äußeren Sits
fände, wie der Geſchichte und der Lehrfäge, nur gilt, infofern
es dom Geiſte gefaßt, zu Geifligem gefchaffen wird, fo daß der
durch diefe Umfchaffung entflehende Sinn des Gegenftändlichen
weder nur Gedanke, noch Gebilde einer fhwärmenden Phantafle,
fondern allein das Wahre, das Geiftige ifl, das fo gegenwärtige
Mirklichkeit hat. Es hängt damit zufammen, was der Herr
Herausgeber am angeführten Orte noch aus der Schrift ©. J.
Lindner’s aushebt; diefer erzählt dort auch, daß.er einft über
Hamann’s AYuslegungen ganz gleichgültiger Stellen der Bibel
gegen denfelben geäußert habe, daß er (Lindner) mit Hamann’s
originellem Talente, feinem Proteus-Wige, Erde in Gold und
Strohhütten in Teens Paläfle verwandeln könnte; daß er aus
dem Schmutze crebillon’fher Romane u. f. f. Alles das fublimis
74 IV. Kritiken.
ten wollte, was Hamann aus jeder Zeile der Bücher der Chro⸗
niten, Ruth, Efiher u. f. f. gloffire und interpretire; Hamany
habe erwiedert: Darauf find wir angewiefen. — Obgleid
Hamann’s Glaube eine fefte pofitive Grundlage zur Voraus⸗
ſetzung behielt, fo war. für ihn doch weder ein äußerlich vorhau⸗
denes Ding (die Hoflie der Katholiken), noch eine als buchſtäb⸗
liches Wort behaltene Lehrformel (wie bei dem Wortglauben der
Orthodoxie vorkommt), noch gar ein äußerlich Hiſtoriſches der
Erinnerung ein Göttliches; ſondern das Poſitive iſt ihm nur Aus
fang, und wefentlich zur belebenden Verwendung für die Geftals
tung, für Ausdrud und Verbildlihung. Hamann weiß, daß dief
belebende Princip weſentlich eigener individueller Geiſt iſt, und
daß die Auftlärerei, welche fi mit der Autorität des Buchſta⸗
bens, welchen fie nur erkläre, zu brüſten nicht entblödete, ein
falſches Spiel fpielte, da der Sinn, den die Eregefe giebt, zu⸗
gleich verftandener, fubjektiver Sinn iſt; welhes Subjektive des
Sinnes aber damals die Verflandes-Abfiraktionen der wollen
Schule, wie nachher anderer Schulen, waren.
So ift Hamann’s Chriftentyum eine Energie Icbendiger
individueller Gegenwart; in der Beſtimmtheit des pofitiven Eles
ments bleibt er der freifte, unabhängigfte Geift, daher für das
am entfernteften und heterogenfien Scheinende wenigſtens formell
offen, wie oben die Beifpiele- feiner Lektüre gezeigt haben. So
erzählt Jacobi in dem angeführten Briefe an Graf Stolberg
auch, daß Hamann gefagt: „Wer den Sokrates unter den Pro⸗
pheten nicht leiden kann, den muß man fragen: wer der Pro⸗
pheten Vater fen? und ob fi unfer Gott nicht einen Gott
der Heiden genannt habe?” — Er wird von Bahrdt’s
ausführlichen Lehrgebäude der Religion, wenigfteng für ein paar
Tage aufs Höchfte begeiftert, fo fehr er ihn als einen „Irrleh⸗
ver” Tennt, weil „der Mann mit Licht und Lehen von der Liche
redet.” Hamann’s eigene geiftige Tiefe hält ſich dabei in voll-
kommen toncentrirter Jutenſität, und gelangt zu feiner Art von
6, Leber Hamann's Schriften. 15
Erpanflon, es fey der Phantaſie oder des Gedankens. Gedante
oder ſchöne Phantafle, welde einen wahrhaften Gehalt bearbeis
tet und ihm Entfaltung giebt, eriheilt demfelben eine Gemeins
famteit, und benimmt der Darftellungsweife den Schein derje=
nigen Abfonderlichkeit, welche man fehr häufig allein für Ori⸗
ginalität nimmt. Weder Kunftwerke oder etwas der Art, noch
wiffenfchaftliche Werte kann die Singularität hervorbringen.
Der fchriftftellerifche Charakter Hamann’s, zu dem wir num
übergeben, bedarf keiner befondern Darftellung und Beurthei-
lung, da er ganz nur der Ausdruck der bisher geſchilderten per⸗
ſönlichen Eigenthümlichkeit ift, über. welche derfelbe kaum zu ei⸗
nem objektiven Inhalte hinausgeht. Der Herr Herausgeber fagt
in feiner treffenden Charakterifirung der Schriften Hamann’s
Th. I, Vorr. S. X, daß fie zur Zeit ihres Erfcheinens nur von
einer Kleinen Zahl mit Achtung und Bewunderung, von den
Meiften als ungeniefbar mit Gleihgültigkeit, oder auch als
Werte eines Schwärmers mit Verachtung aufgenommen worden
feyen. Es mag ſich wohl bei uns, als bereits einer Nachwelt,
jenes Beides — das Bewußtſeyn des Achtungswerthen und der
Ungeniegbarkeit — mit einander verbinden, die Ungeniefbarkeit
aber in einem noch flärkern Grade für uns vorhanden feyn als
für die Zeitgenofien, für welde die Menge von Partikularitä-
ten, mit denen die hamann'ſchen Schriften angefüllt find, noch
eher ein Intereffe und aud mehr Verfländlichteit haben konnte
als für uns. — Die Unfähigkeit Hamann's, ein Bud zu ſchrei⸗
ben, ergiebt ſich aus dem Bisherigen von ſelbſt. Der Herr Her⸗
- ausgeber giebt am angeführten Orte (Th. I, Vorr. S. VIII)
von. den zahlteihen Schriften Hamann's an, daf feine über
fünf, die meiften nicht über zwei Bogen ſtark waren. „Ferner:
Alle waren durch beſondere Veranlaſſungen hervorgerufen, kei⸗
neswegs aus eigener Bewegung, noch weniger um des Erwerbs
willen (einige Ueberſetzungen aus dem Franzöſiſchen, Anzeigen
für die Rönigsberger Zeitung und Anderes dergleichen hatte je-
76 IV. Kritiken.
doc wohl diefen Zwed) unternommen; wahre Gelegenheitsfchrifz
ten, voll Perfönlichkeit und Oertlichkeit, voll Beziehung auf
gleichzeitige Erfheinungen und Erfahrungen, zugleih aber Ans
fpielungen auf die Bücherwelt, in der er lebte.” Die Veran
laffung und Tendenz aller ift polemifh; Recenfionen gaben feis
ner Empfindlichkeit die häufigfte Anregung zum Schreiben. Was
ihn zu feiner erfien Schrift, den fotratifhen Dentwürdige
feiten, antrieb, war. ein perfünlicher und auf.etliche Perfonen
gerichteter Zweck; die andere, hiermit halbe und ſchiefe Richtung
gegen das Publikum ift oben bemerkt worden. Diefe Schrift
hatte auch eine gedoppelte Kritik zur Folge, die eine von der
Oeffentlichteit her in den hamburgifchen Nachrichten aus dem
‚Reiche der Gelchrfamteit vom Jahre 1760, die andere war, wie
es nach dem Titel und der Kräntung, die Hamann darüber
empfand, fiheint, eine bittere Erwiederung aus dem Kreife der
Bekannten, denen Hamann mit feinen Dentwürdigkeiten impo—
niren wollte; dieſe Angriffe veranlaften Hamann zu weiteren
Broſchüren. — Die Kreuzzüge des Philologen vom Jahre
1762, eine Sammlung einer Menge Kleiner, unzufommenhäns
gender Auffäge, die meiften Theils ſehr unbedeutend, doch einige
Derlen enthalten, brachten ihn in Beziehung zu den Literaturs
Briefen, zu Nicolai und Mendelsfohn, welde, befonders
der Lestere, fein Talent hochachtend, ihn für ihre literarifche
Mirkfamkeit zu gewinnen ſuchten. Vergeblich! Hamann hätte
in folder Verbindung ebenfo wohl der Eigenthümlichkeit feiner
Grundfäge als feiner zufälligen und baroden Art ſchriftſtelleri—
ſcher Kompofition entfagen müſſen. Diefe Beziehung wurde vicl-
mehr die nähere Beranlaffung zu vielfachen Angriff» und Vers
theidigungs-Brofhüren, voll partitularen Witzes und rächender
Bitterkeiten. Andere Aufregungen erhielt er durd andere Zus
fälligteiten, 3. B. durd Klopfio ck's Orthographie, durch des
berüchtigten (als Katholik und proteftantifher Hofprediger in
Darmftadt verftorbenen), früher mit ihm in Verkehr gewefenen
6, Ueber Hamann’s Schriften. 77
Stark's (ſ. den Briefwechſel mit Herder und Anderen) Apolos
gie des Freimaurerordens u. f. f., durch Eberhard’s Apologie
des Sokrates u, f. f. Auch fein Acciſe-Amt verleitete ihn, eis
nige franzöfifhe Bogen, unter Anderen an D, Jcilius, Gui-
ſchard, in Druck ausgehen zu laffen; fie drüden feinen Unmuth
sowohl über feinen kärglichen Gehalt und über feine Noth, wie
über das ganze Acciſeſyſtem und den Urheber deffelben, Fried»
rich I, doch über diefen mehr nur verbiffen, aus. Keine Wir-
fung irgend einer Art, ſeh's bei den Einfluß-habenden Indivi—
duen, ſehis beim Publitum, konnten dergleihen Aufſätze hervor—
bringen; die Partikularität des Intereſſes, der geſchraubte, fro—
ſtige Sumor iſt hier vollends zu ſehr überwiegend, und weiter
ſonſt kein Gehalt zu erſehen. Hamann hat ſich nicht an die
gewöhnliche bewundernde Hochachtung ſeiner Landsleute und ſei—
ner Mitwelt gegen ſeinen König, den er ſpottweiſe häufig als
„Salomon du Nord“ bezeichnet, angeſchloſſen, noch weniger
aber ſich dazu erhoben, ihn zu verfichen und zu würdigen; viel-
mehr ift er gegen ihn, über die Empfindung eines deutichen
Subalternen im Zollamt, welder Franzofen zu feinen Vorge—
festen und einen allerdings Färglichen, felbit einige Mal nod)
‚einer Reduktion ausgefegten Gehalt bat, und über die Anficht
eines abfiratten Haſſes gegen die Aufklärung überhaupt nicht
binausgefommen, — Cs ift ferner bereits bemerkt, daß aufer
den Schriften von Solchen, die feine Gegner waren oder wur-
den, befonders beinahe auch die jedesmaligen Schriften feiner
Freunde eine Veranlafung für ihn zu leidenfhaftlihen, harten
und bitteren Auffägen wurden; er ließ fie zwar meift nicht druden;.
— in der vorliegenden Ausgabe erfcheinen mehrere zum erften
Dale; — auch enthielt er fi, fie die Freunde, gegen deren -
Schriften er fo losgebrochen war, leſen zu laſſen, doch theilte er
fie unter der Hand anderen freunden handſchriftlich mit. —
Die ſtärkſte Aufregung gab Hamann die berühmte mendelsfohn-
ſche Schrift: „Serufalem oder über religiöfe Macht und Ju—
78 IV. Kririken.
denthum; Hamann’s dagegen gerichtete Broſchüre: Golgatha
und Scheblimini, ift ohne Zweifel das Bedeutendfle, was er
geſchrieben.
Was nun die nähere Angabe des Inhalts der Schriften
Hamann’s und «der Form betrifft, in der er denfelben ausges
drüdt hat, fo wird das folgende darüber Auszuhebende mehr
Belege des bereits Gefhilderten geben als neue Züge Bon
dem Gehalte fahen wir ſchon, daß er das Tieffte der religiöfen
Mahrheit war, aber fo Foncentrirt gehalten, daß daffelbe dem
Umfange nad fehr eingefhräntt bleibt. Das Geiftreiche der
Form giebt dem gedrungenen Gehalte Glanz; aber ftatt einer
Yusführung bringt die Form nur eine Ausdehnung hervor, Die
aus fubjektiven Partitularitäten, felbfigefälligen Einfällen und
dunkeln Schraubereien, nebft vielem polternden Schimpfen und
fragenhaften, felbft farcenhaften Ingredienzien zufammengefet
ift, mit denen er ſich felbft wohl Spaf machen, die aber weder
die Freunde, noch vichweniger das Publikum vergnügen oder
intereffiren fonnten. s
Wie er ſich feinen Beruf -vorfiellte, drüdt er in folgendem
ſchönen Bilde aus (Bd. J. ©. 397): „Eine Lilie im Thal, und
den Geruch der Erkenntniß verborgen auszuduften, wird immer
der Stolz ſeyn, der im Grunde des Herzens und in dem innern
Menſchen am meiften glühen fol.“ Unmittelbar vorher hatte
er ſich mit der prophetifirenden Efelin Bileam’s verglichen. In
einem Briefe an Hm. v. Mofer (Bd. V, ©, 48) führt er das
‚früher angeführte Parallelifiren feines Berufs mit dem des So-
rates weiter fo aus: „Der Beruf des Sokrates, die Moral
aus dem Olymp auf die Erde zu verpflanzen, und ein delphi-
ſches Dratel- Sprüdlein (das der Selbfterfenntmif) in prakti—
ſchen Augenfhein zu fegen, kommt mit dem meinigen darin
überein, daß ih ein höheres Heiligthum auf eine analo—
giſche Art zu entweihen und gemein zu machen gefucht, zum ge—
rechten Aergerniß unferer Lügen-, Schau: und Maut-Pro-
L
6. Ueber Hamann's Schriften. . 9
pheten (— wohl Maul- Propheten); alle meine Opuscula
machen zufammengenommen ein alcibiadifhes.Gchäus aus —
(Anfpielung auf die Vergleihung von Sokrates mit den Sile⸗
nen-Bildern). Jeder hat fich über die Façon des Satzes oder
Plans aufgehalten, und Niemand an die alten Reliquien des
Lleinen lutherifhen Katehismus gedacht, deffen Schmack
und Kraft allein dem Papſt- und Türkenmord jedes Aeons
gewachſen iſt und bleiben wird.“ Daſſelbe beſagt der Titel ſei⸗
ner Schrift: „Golgatha und Scheblimini“ (Bd. VII, ©.
125 fi); jenes ift nad) feiner Erklärung der Hügel, auf dem
das Holz des Kreuzes, das Panier des Chriftenthums, gepflanzt
worden; von Scheblimini erfährt man dort auch. gelegentlich,
daß es ein Fabbaliftifcher Name fey, den „Luther, der -deutfche
Elias und Eineuerer. des durch das Meſſen⸗ und Maüfln - Ges
wand der babylonifhen Baal entflellten Chriftenthums dem
Schutz g eiſt feiner Reformation gegeben;” — „reine Schat⸗
tenbilder des Chriftentbums und Lutherthums, 'welde,
wie der Eherubim, zu beiden Enden des Gnadenfluhls das vers
borgene Zeugniß meiner Antorfhaft und ihrer Bundeslade bes
dedten vor den Augen der Samariter, der Philiſter und
des tollen’Pobels zu Sichem.“ Diefes Chriſtenthum mit
ebenfo tiefer Innigkeit als glänzender geiftreiher Energie auge
geſprochen und gegen die Aufklärer behauptet, macht den gedir-
genen Inhalt der hamann'ſchen Schriften aus. In dem Ange -
führten fpringen auch die Mängel der „Façon“ hervor, welche
feinen Zweck mehr oder weniger „verbargen,“ d. h. nicht zur
ausgeführtern und fruchtbringendern Dlanifeftation kommen lie⸗
fen. Ueber die Eigenthümlichkeit feines Chriſtenthums faßt fol-
gende Stelle (aus Golg. und, Schebl. Bd. VII, S. 58) auf’s
Beflimmtefte Alles zufammen: „Unglaube im eigentlichſten his
ſtoriſchen Wortverftande ift die einzige Sünde gegen den Geift
der wahren Religion, deren Herz im Himmel, wie ihr
Himmel im Herzen ifl. Nicht in Dienften, Opfern und
=
80 IV. Kritiken.
Gelübden, die Gott von den Menfhen fordert, beficht
das Gcheimniß der chriftlichen Gottfeligkeit, fondern vielmehr im
Berheifungen, Erfüllungen und Aufopferungen, die Gott zum
Beſten der Menſchen gethan und geleiftet; nidt im vor
nehmſten und größten Gebot, das er aufgelegt, fondern
im höch ſten Gute, das er geſchenkt hat; nicht in Gefete
gebung und Sitteniehre, die bloß menſchliche Gefinnungen
und menſchliche Handlungen betreffen; fondern in Ausführung
göttliher Thaten, Werte und Anftalten zum Heil der
ganzen Welt. Dogmatik und Kirchenrecht gehören ledig—
lich zw dem öffentlichen Erziehungs- und VBerwaltungsanftalten,
find als foldhe obrigkeitliher Wilttür unterworfen; —
diefe fihtbaren, öffentlichen, gemeinen Anftalten find weder Re—
ligion noch Weisheit, die von Oben herabfommt, fondern
irdiſch, menſchlich und teuflifch nach dem Einfluß welfcher
Kardinäle oder welſcher Ciceroni, poctifcher Beichtväter oder
profaifcher Bauchpfaffen, und nad dem abwechſelnden Syſtem
des ſtatiſtiſchen Gleich- und Uebergewichts, oder bewaffneter To—
leranz und Neutralität,” Man ſieht, daf für Hamann das
Chriſtenthum nur eine ſolche einfache Präfenz hat, dag ihm wer
der Moral, das Gebot der Liebe als Gebot, noch Dogmatik,
die Lehre und der Glaube an Lehre, noch Kirche, wefentliche
Beftimmungen find; Alles dahin Bezügliche fieht er für menſch—
lid, irdifch an, fo fehr, daß es nah Befund der Umſtände
fogar teuflifch feyn könne. Hamann hat ganz und gar verfannt,
daf die lebendige Wirklichkeit des göttlichen Geiftes ſich nicht
in folder einfachen Kontraktion hält, fondern die Ausführung
feiner zu einer Welt, eine Schöpfung. und dieß nur ift durch
Hervorbringen von Unterſcheidungen, deren Befchräntung freilich),
aber ebenfo ſehr auch ihr Recht und ihre Nothwendigkeit im
Leben des darin endlichen Geiftes anerkannt werden muß. In
den Schriften Hamann’s können es daher nur einzelne Stellen
ſeyn, welde einen, und zwar jenen angegebenen Gehalt haben; _
6. Ueber Hamann's Schriften. 81
eine Auswahl derſelben würde wohl cine ſchöne Sammlung ges
ben, und vielleicht als das Zweckmäßigſte erfheinen, was gethan
werden könnte, um dem wirklich Werthvollen Eingang bei eis
nem geößern Publitum zu verfchaffen. Immer aber würde es
Schwierigkeiten haben, Stellen fo auszuheben, daf fie von den
übeln Ingredienzien, mit. denen die Schreibart Hamann’s allent«
halben behaftet ift, gereinigt wären.
Was unter den Gegenſtänden, auf welche Hamann zu
mt, herauszuheben weiteres Jutereſſe hat, iſt ſein
zut Philoſophie und feine Anſicht derſelben. Er muß
gen darauf einlaſſen, weil das theologiſche Trei⸗
kn fl Zei ohnehin unmittelbar mit der Philofophie und
nächſt mit der wolfifchen zufammenhängt. Jedoch war feine
eit noch fo weit entfernt, über die hiſtoriſche Geftaltung der
teligiöfen Dogmen hinaus im Innern derfelben einen fpetulatie
ven Inhalt zu ahnen (worauf am frühften Kirchenväter ſchon
und dann die Doktoren des Mittelalters neben dem abſtrakten
hiſtoriſchen Gefihtspuntte ſich gewendet hatten), daf Hamann
keine Aufregung zu folder Betrachtung weder von Außen, noch
weniger in ſich felbft fand. Die beiden Schriften, die Hamann
vornehmlich veranlaften, über philofophifhe Gegenflände zu
ſprechen, find Mendelsfohn’s Jerufalem und Kant’s
Kritik der zeinen Vernunft. Es ift hier wundervoll zu
feben, wie in Hamann die konkrete Idee gährt und ſich gegen
mungen der Reflerion wendet, wie er diefen die wahre
mmung entgegenhält, Mendelsfohn ſchickt, um das
Mtniß der Religion und des Staats zu begründen, die
m Grundſätze des Naturrechts feiner Abhandlung voraus,
die fonft gewöhnlichen Unterſcheidungen von vollkom—
md unvolltommenen Pflichten oder von Zwangs-, Ge—
= und Wohlwollenspflicten, von Handlungen und Ges
‚vor; zu ‚beiden werde der Menſch durd Gründe ges
zu jenen durch Bewegungsgründe, zu diefen durch
Bermifchte Schriften. * 6
82 IV. Kritiken.
Wöührheitsgründe, der Staat begnüge ſich allenfalls mit
todten Handlungen, mit Werken ohne Geift; aber aud der
Staat Fünne der Gefinnungen nicht entbehren; damit Grund»
füge in Geſinnungen und Sitten verwandelt werden, folle die
Religion dem Staate zu Hülfe fommen, und die Kirde eine
Stüge der bürgerlichen Gefellfchaft werden; die Kirche dürfe je
doc keine Regierungsform haben u, f. f. Das tiefer blidende
Genie Hamann’s ift darin anzuerkennen, daß er jene wolfifchen
Beſtimmungen mit Recht nur als einen Aufwand betrachtet
Bd. VII, ©. 36), „um ein kümmerliches Recht der Natur auf
zuführen, das kaum der Nede werth fey, und weder dem Stande
der Gefellihaft, nad der Sache des Judenthums anpaffel”
Ferner urgirt er gegen die angeführten Unterſcheidungen ſehr
rihtig (S. 39), daß Handlungen ohne Gefinnungen und Ge—
finnungen ohne Handlungen eine Halbirung ganzer und leben—
‚diger Pflichten in zwei todte Hälften find‘; alsdann daf, wenn
Bemwegungsgründe keine Wahrheitsgründe mehr ſeyn
dürfen, und Wahrheitsgründe zu Bewegungsgründen
weiter nicht taugen, alle göttliche und menſchliche Einheit aufs
bört in Gefinnungen und Handlungen u. f. f. So fruchtbar
an fich die wahrhaften Principien find, an denen Hamann ges
gen die Trennungen des Verfiandes fefthält; fo kann es bei ihm
nicht zur Entwickelung derfelben kommen, nod) weniger zu dem
Schwereren (was aber das wahre Intereffe der Unterſuchung
wäre), mit der Bewährung der höheren Principien zugleich die
Sphäre zu beflimmen und zu rechtfertigen, in welcher die for-
malen Interfheidungen von fogenannten Swangs= und Gewifz
fenspflihten u. ſ. f. eintreten müſſen und ihre Gelten haben.
Hamann hält wohl das Wefen des Rechts und der Sittlich—
keit, die Subftanz der Gefellfchaft und des Staats gegen die
Beflimmungen von volltommenen und von unvolltommenen
Pflichten, von Handeln ohne Gefinnung, von Gefinnung ohne
Handlungen fe, — Beftimmungen, die zu den Principien des’
6. Ueber Hamann’s Schriften. 83
Rechts, der Sittlichteit, des Staats gemacht, nur jenen befanns
ten Formalismus von vormaligem Naturrecht und die Ober:
flãchlichteiten eines abſtrakten Staates hervorbringen; — aber
ebenſo nothwendig wie das Feflhalten der Subftanz ift die An—
erkennung der Gültigkeit der untergeordneten Kategorien für ihre
Stelle; die Meberzeugung von der Nothwendigkeit und dem
Werthe diefer Kategorien iſt und bleibt ebenfo unüberwindlich,
—9* von der Nothwendigkeit der Subſtanz. Es hat daher
me wahrhafte Wirkung, nur jene Wahrheit zu behaupten, und
diefe Kategorien überhaupt nur zu verwerfen; foldes Verfahren
muß als leere Deklamation erfheinen. Daß Hamann die Trens
nung der Wahrheitsgründe von den Bewegungsgrüns -
dem verwirft, verdient darum befonders ausgezeichnet zu werden,
weil dieß aud die neueren Vorftellungen trifft, nad welden
Sittlichkeit und Religion nicht auf Wahrheit, fondern nur auf
Gefühle und fubjektive Nothwendigkeiten gegründet werden.
Der andere Fall, deffen wir noch erwähnen wollen, wo
Hamann ſich auf Gedanken einläft, tommt in dem Aufſatze ge-
gen Kant, die Metakritit über den Purismum der
reinen Vernunft, vor (im VII. Bande), nur ficben Blätter,
aber fehr merkwürdig. Dean hat (Rint in Manderlei zur,
Gefhihte der metatritifhen Invafion 1800) diefen
Aufſat bereits an’s Licht gezogen, um darin die Quelle nachzu—
weifen, aus welcher- Herder feine, mit großem Dünkel aufge
trelene und mit gerechter Herabwürdigung aufgenommene, nun
längf vergeffene Metakritit geſchöpft habe, die, wie die Vers
gleichun g ergiebt, mit dem geiftreichen Auffage Hamann’s nur
Zitel gemein hat. Hamann ftellt fih in die Mitte des
lems der Vernunft, und trägt die Auflöfung defielben vor;
er faht diefe aber in der Geflalt der Sprache. Wir geben
mit dem Gedanten Hamann’s auch ein weiteres Beifpiel feines
Bortrage. ‚Er beginnt damit, hiftorifche Standpunkte der Rei-
nigung der Philoſophie anzugeben, wovon der erfle der Theils
6 *
54 IV. Kritiken.
mifverflandene, Theils miflungene Verſuch gewefen ſey, die Vers
nunft von aller Meberlieferung, Tradition und vom Glauben daran
unabhängig zu machen; die zweite noch tranfcendentere Reini—
gung fey auf nichts weniger binausgelaufen als auf eine Unab—
bängigkeit von der Erfahrung und ihrer alltäglichen Induktion,
Der dritte höchſte und gleihfam empirifhe Purismus betreffe
alfo (?!) nod die Sprade, das einzige, erfle und letzte Or—
ganon und riterion der Vernunft; S. 7; und num fagt er:
„Receptivität der Sprade und Spontaneität der Be
griffe! Aus diefer doppelten Quelle der Zweideutigkeit ſchöpft
die reine Vernunft alle Elemente ihrer Rebthaberei, Zwei—
felfudt und Kunſtrichterſchaft, erzeugt durch eine ebenfo
willtürliche Analyfis als Synthefis des dreimal alten Sauer
teigs neue Phänomene und Meteore des wandelbaren Horizonte,
fchafft Zeichen und Wunder mit dem Allhervorbringer und Zer—
flörer, dem merkurialifhen Zauberfiabe ihres Mundes,
oder dem gefpaltenen Gänſekiel zwifchen den drei fpllogiftis
ſchen Schreibefingern ihrer herkulifhen Kauft — — —“
Hamann zieht auf die Metaphyſik mit feinen ferneren Verſiche—
rungen los (S. 8), daf „fie alle Wortzeichen und Rede- Figu⸗
ren unferer empirifdhen Erkenntnif zu lauter Hieroglyphen und
Typen mißbrauche,“ daß fie dur dieſen gelehrtin Unfug die
Biederkeit der Sprade in ein fo finnlofes, Läufiges,
unfätes, unbefimmbares = X verarbeite, daß nichts als
ein windiges Saufen, ein magifhes Schattenfpiel,
höchſtens, wie der weiße (I) Helvetius fagt, der Talisman und
Rofenkranz eines tranfcendentalenAberglaubens an en-
tia rationis, ihre leeren Schläuche und Loſung übrig bleibt“
Unter folden Erpektorationen behauptet Hamann nun weiter,
das ganze Vermögen zu denken beruhe auf Sprade, wenn
fie auch der Mittelpuntt des Mifverftands der Vernunft
mit ſich felbft ſey.“ „Laute und Buchſtaben find alfo (!?)
reine Formen a priori, in denen nichts, was Empfin—
hai
6. Ueber Hamann's Echriften. Ss
dung oder zum Begriff eines Gegenftandes gehört, angetrofs
fen wird, und die wahren äſthetiſchen Elemente aller
menſchlichen Ertenntnif und Vernunft.” Nun erklärt er ſich
gegen die kantiſche Trennung der Sinnlichkeit und des Ver-
fandes, — da diefe Stämme der Erkenntnif aus Einer
Wurzel entfpringen, — als gegen eine gewaltthätige, unbefugte,
eigenfinnige Scheidung deffen, was die Natur zufammengefügt.
„Vielleicht,“ fügt Hamann hinzu, „gebe es annoch einen chy—
miſchen Baum der Diana nicht nur zur Erkenntnif der
Sinnlichkeit und des Verſtandes, ſondern auch zur Erläute—
rung und Erweiterung beiderſeitiger Gebiete und ih—
ter Grenzen;“ in der That kann es in dem Sinne der Wiſ—
fenfhaft allein um die entwidelte Erfenntnif, welde Ha—
mann den Dianenbaum nennt, zu thun feyn, und zwar fo, daß
diefer zugleich felbft der Prüfften der Grundſätze ſehn muf,
welche als Wurzel der denkenden Vernunft behauptet werden
follen; weder dem Belieben ımd der Willkür nod der Infpira=
tion kann die Angabe und die Beftimmung diefer Wurzel ans
heimgefiellt werden; nur ihre Erplitation macht ihren Gehalt
wie ihren Beweis aus. „Einſtweilen,“ fährt Hamann fort,
„ohne auf den Beſuch eines neuen Lucifers zu warten, noch ſich
felbft am dem Feigenbaum der großen Göttin Diana zu
ergreifen, ‚gebe uns die ſchlechte Buſenſchlange der gemeinen
Bolktsfprade das ſchönſte Gleichniß für die Hypoftati-
fhe Bereinigung der finnliden und verftändlidhen
Naturen, den gemeinfchaftlichen Idiomen-Wechſel ihrer Kräfte,
die ſynthetiſchen Geheimniffe beider Forrespondirenden
und fi widerfireitenden Geflalten a priori und a poste-
riori, fammt“ (ift der Mebergang zu. der andern Seite, daß die
Sprade aud der Mittelpuntt des Mifverftandes der Ber-
nunft mit ihe felbft ſey) „der Transfubftantiation fubjettiver
Bedingungen und Subfumtionen in objektive Präditate und
z“ umd dieß „durch die Kopulam eines Macht» oder
86 IV. Kritiken.
Flickworts,“ und zwar zur Verkürzung der langen Weile und
Yusfüllung des leeren Raums in periodifhemn Galimathias
per Thefin und Antithefin (Anfpielung auf die kantiſchen
Antinomien).“ Run ruft er aus: „DO um die Handlung
eines Demoſthenes (Hamann felbft war, wie erwähnt, von
fhwerer Zunge) und feine dreieinige (?) Energie der Bereds
famteit oder die noch kommen ſollende Mimik, ſo würde ich
dem Leſer die Augen öffnen, daß er vielleicht ſähe Heere von
Anſchauungen in die Veſte des reinen Verfiandes hinauf,
- und Heere von Begriffen in den tiefen Abgrund der fühle
barſten Sinnlichkeit berabfleigen, auf einer Leiter, bie
tein Schlafender fih träumen läßt, und den Reihentanz diefer
Mahanaim oder zweien Vernunftheere, die geheime und ärger⸗
lihe Chronik ihrer Buhlfhaft und Nothzuht, und die ganze
Thevgonie aller Riefen= und Heldenformen der Sulamith und
Muſe, in der Mythologie des Lichts und der Finſterniß, bis.
auf das Formenfpiel einer alten Baubo -mit ihr ſelbſt,
“ inaudita specie solaminis, wie der heilige Arnobius fagt, und
*
einer neuen unbefleckten Jungfrau, die aber keine Muts-
ter Gottes feyn mag, wofür fie der heilige Anfelmus hielt.“
Na diefen ebenfo großartigen als höchſt baroden Expek⸗
torationen feines gründlichen Unwillens gegen die Abſtraktion,
wie gegen die Vermiſchung der beiden Seiten des Gegen⸗
fages und gegen deren Produkte, geht Hamann zur nähern Bes
. flimmung deffen über, was für ihn das konkrete Princip iſt.
Mit einem Alfo und Folglich, die zum Vorhergehenden eben
kein ſolches Verhältniß haben, giebt er als die Natur der Wör⸗
ter an, "daß fie ale Sichtlihes und Lautbares zur Sinn lich⸗
feit und Anfhauung, :aber nach dem Geifte ihrer Einfegung
und Bedeutung zum Verſtande und zu den Begriffen ges
hören, fowohl reine und empirifhe Anfhauungen als auch reine
und empirifhe Begriffe feyen. Was er jedoch hieran weiter
tnüpft, fheint nur etwas gemein Pfychologifches zu feyn. Nun
6. Ueber Hamann's Schriften. 87
iſt fein Uriheil über den kritiſchen Idealismus zulegt dich, „daß
die von demfelben behanptete Möglichkeit, die Form einer em—
piriſchen Anfhauung ohne Gegenftand noch Zeichen aus der
reinen und leeren Eigenfhaft unfers äußeren und inneren.
) Gemüths herauszufbhöpfen, das fög nor od oro und roW-
zov WVeidag, der ganze Edftein des fritifhen Idealismus und
feines Thurm = und Logenbaucs der reinen Vernunft ſey.“ Er
überlaffe dem Lefer, wie er im Gleihnif der Sprade bie
Zranfeendentalphilofophie vorgeftelit, die „geballte Kauft in
eine flache Hand zu entfalten.“ Zu dem Angeführten neh—
men wir noch eine Stelle aus einem Briefe an Herder (Bd.
VI, ©. 183); nachdem er gefagt, daß ihm alles das tranfcen-
dentale Gefhwäs der kantiſchen Kritif am Ende auf Schul-
füdferei und Worttram hinaus zu laufen feheine, und daß
ihm nichts leichter vorfomme, als der Sprung von einem Ex—
trem ins andere, wünfcht er Jord. Brunus Schrift de Uno auf-
zutreiben, worin deffen principium coincidentiae erklärt feh,
das ihm (Hamann). Jahre lang im Sinne liege, ohne daf er
8 weber vergeffen noch verfichen könne; diefe Koinci-
denz feine immer der einzige zureichende Grund aller
Widerfprüdhe und der wahre Proceß ihrer Auflöfung
und Schlichtung, um aller Fehde der gefunden Vernunft und
reinen Unvernunft ein Ende zu machen Dan ficht, daß die
Idee des Roincidirens, melde den Gehalt der Philofophie
ausmacht, und oben in Beziehung auf feine Theologie, fo wie
auf feinen Charakter ſchon befproden worden, und von ihm an
der Sprade gleichnißweiſe vorfiellig gemacht werden follte, dem
Seiſte Hamanns auf eine ganz feſte Weife vorfeht; daf er aber
Fauft“ gemacht, und das Weitere, für die
jaft allein Verdienftliche, „ſie in eine flade Hand zu
‚entfalten, dem Leſer überlaffen hat. Hamann hat fi feiner
Seits die Mühe nicht gegeben, welde, wenn man fo fagen
könnte, Gott, freilich in höherem Sinne, ſich gegeben hat, den
88 IV. Kritiken.
geballten Kern der Wahrheit, der er iſt (alte Philoſophen fage
ten von Gott, daf er eine runde Kugel fey), in der MWirkliche
keit zu einem Spfteme der Natur, zu einem Syſteme des Staats,
der Rechtlichkeit und Sittlichkeit, zum Syſteme der Weltgefchichte
zu entfalten, zu einer offenen Hand, deren Finger ausgeftredt
find, um des Menſchen Geift zu erfaffen und zu fich zu zichen,
welcher ebenfo nicht eine nur abſtruſe Intelligenz, ein dumpfes
koncentrirtes Weben in ſich felbft, nicht ein bloßes Fühlen und
Praktieiren iſt, fondern ein entfaltetes Syftem intelligenter Or⸗
ganifation, deffen formelle Spige das Denken ift, das heißt feis
ner Natur nad die Fähigkeit, über die Oberfläche der göttlichen
Entfaltung zuerft hinaus oder vielmehr, durch Nachdenken über
fie, in fie hinein zu gehen, und dann dafrlbft die göttlihe Ents
faltung nadyzudenten: eine Mühe, welde die Beftimmung des
dentenden Geiftes an und für ſich und die ausdrüdliche Pflicht
deffelben iſt, feitdem Er ſich ſelbſt feiner geballten Kugelgeftalt
abgethan und fi zum offenbaren Gott gemacht, — was er
ift, dieß und nichts Anderes, und damit auch und nur damit
die Beziehung der Natur und des Geiftes geoffenbart hat.
Yus den obigen Urtheilen Hamann’s über die kantiſche Kris
tik und aus den mannigfaltigfien Aeußerungen feiner Schriften,
wie aus feiner ganzen Eigenthümlichkeit geht vielmehr hervor,
daf feinem Geiſte das Bedürfnif der Wiſſenſchaftlichkeit übers
haupt, das Bedürfnif, im Denken fi des Gehaltes bewußt zu
werden, ihn in demjelben ſich entwideln und hiermit ebenſo fehr
ihn ſich bewähren zu laffen, als das Denken für ſich zu befrie⸗
digen, ganz-ferne lag. Die Aufklärung, welche Hamann bes
tämpft, diefes Aufſtreben, das Denken und deffen freiheit im
allen Intereffen des Geiftes geltend zu maden, wird, fo wie die
von Kant durchgeführte, allerdings zunächſt nur formelle Freiheit
des Gedantens, ganz von ihm verfannt, und ob ihm gleid) mit
Recht die Geflaltungen, zu welden es dieſes Denken brachte,
nicht genügen fonnten, fo poltert er ganz nur fo, um das Wort
6. ileber Hamann's Schriften. | so
zu ſagen, ins Gelag und ins Blaue hinein gegen das Denken
und die Vernunft überhaupt, welche allein das wahrhafte Mit⸗
tel jener gewußten Entfaltung der Wahrheit und des Erwach⸗
ſens derſelben zum Dianenbaume ſeyn können. Er muß ſo auch
noch mehr dieß überſehen, daß ſeine, obgleich orthodore, Koncen⸗
tration, die bei der intenſtoen ſubjektiven Einheit feſtbleibt, mit
dem, was er bekämpft, in dem negativen Reſultat übereintommt,
alle weitere Entfaltung von Lehren der Wahrheit und von deren
Glauben als Lehren, ja von fittlihen Geboten und rechtlichen
Pflichten, für gleichgültig anzufehen.
Es find nun aber noch die fonftigen Ingredienzien näher
zu erwähnen, mit denen der große Grundgehalt von Hamann
ausſtafſirt, und vielmehr verunziert und verdunkelt, als geſchmückt
und verdeutlicht wird. Die Unverſtändlichkeit der hamann'ſchen
Schriften, infofern fie nicht den aufgezeigten Gehalt, der freilich
überdieg für Viele unverftändlich bleibt, fondern die Formirung
deffelben betrifft, ift für ſich unerfreulih, aber fie wird es noch
mehr dadurch, daß fie ſich beim Lefer mit dem widrigen Eins
drude der Abfichtlichtrit unausweidhlid) verbinde. Man fühlt
Hamann’s urfprüngliche Widerborfligkeit hier als eine feindfelige
Empfindung gegen das Publitum, für das er ſchreibt; nachdem
er in dem Lefer ein tiefes Intereffe angeſprochen und fo fi
mit ihm in Gemeinſchaft geſetzt hat, ſtößt er ihn unmittelbar
durch eine Fratze, Farce, oder ein Schimpfen, das durch. den
Gebraud von biblifhen Ausdrücken eben nichts Befferes wird,
oder durch irgend einen Hohn und Myſtifikation wieder von
fich, und vernichtet auf eine gehäffige Weife die Theilnahme,
die er erwedt, oder erſchwert fie wenigftens und häufig auf un=
überwindlihe Weife, indem er barode, ganz entfernt liegende
Ausdrüde hinwirft oder vielmehr zufammenfhraubt, und den
Leſer vollends damit muflificirt, dag nur ganz platte Partitulas
sitäten unter ſolchen Ausdrüden verborgen find, durch welde er
den Schein oder die Erwartung einer tieffinnigen Bedeutung
90 UW. Kritiken.
erweckt hatte. Viele von ſolchen Anſpielungen geſteht Hamann,
auf die Anfragen von Freunden, die ihn um Erläuterung ers
ſuchen, nicht mehr zu verfichen. Die damalige Recenfirliteratur
aus den fünfziger und folgenden Jahren des vorigen Jahrhun—
derts, hamburger Nachrichten von gelehrten Sadıen, allgemeine
deutfche Bibliothek, Literatur-Briefe, eine Menge anderer längft
vergeffener obfturer Blätter und Schriften müßten durchſtudirt
"werden, um den Sinn vieler Auedrücke Hamann’s wieder aufs
zufinden; eine um fo mehr undantbare und unfruchtbare Arbeit,
als fie in. den meiften Fällen auch äuferlid erfolglos ſeyn würde,
Der Herr Herausgeber felbfi, indem er in einem adten Bande
Erläuterungen verfpriht (Bd. 1, Vorr. S. XIII), muß hinzus
fügen, daß fie nur eine fehr mäßige Erwartung befriedigen wer—
den, Es bevürften die meiften oder ſämmtlichen Schriften Has
mann’s eines Kommentars, der didleibiger werden könnte als
fie ſelbſt. Man muf hierüber dem beiftimmen, was fhon Men—
delsfohn (von Hamann in den Literatur= Briefen XV. Theil
IBd. U, ©. 479] auf feine farcenhafte Weife fommentirt) dars
über fagt: „Noch überwindet ſich Mander, die düfteren Irrwege
einer unterirdifchen Höhle durdzureifen, wenn er am Ende er
habene und wichtige Geheimniſſe erfahren kann; wenn man aber
von der Mühe, einen dunklen Schriftfteller zu enträthfeln, nichts
als Einfälle zur Ausbeute hoffen darf, fo bleibt der Schrift-
fieller wohl ungelefen.“ Der Briefmwechfel giebt Erläuterungen
über mehrere ganz partitulare Anfpielungen, wovon die Ausbeute
oft nur allzufroftige Einfälle find; wenn man Luſt bat, fehe
man über Velo Veli Dei (Bb. IV, ©. 187) die Aufflärung
(Bd. V, ©. 104) nad; oder über den Mamamufdi von
drei Federn (Bd, IV, S. 199); der Name fey aus dem Gen-
tilhomme bourgeois des Moliere genommen, und nidt ein
Bafla von drei Noffhweifen Fondern ein Zeitungsfchreiber ſei—
nes Verlegers und Papiermüllers in Trutenau verflanden; ein _
‚ anderer Mamamuſchi kommt (Bd. IV, ©. 132) vor, in dem
6. Ueber Hamann's Schriften. 91
Zuſammenhange, daß Hamann auf feine Art feine Ungelegens
beiten in ein Schriften: Die Apologie des Buchſtabens H.,
ingt, und hier von ſich erzählt, „daß er (ſ. oben in feis
nem Lebenslauf) auf zwei Kanzleien einen Monat und fechs
Monate umfonft gedient, und vor überlegener Konkurrenz invas
lider Schuhpuger und Broddiebe (Hamann's eigene Befähigung
zu einem Amte und feine Amtsführung hat fi aus dem früher
Erzählten ergeben) nicht ein ehrlicher Thorſchreiber habe werden '
tönnen, und jest ein der Jugend wahres Beſtes fuchender Schul
meifter, und dieß venerabler fey, als ein wohlbeftallter Sands -
plader, Stutenmäller und Jordan Mamamuſchi von drei
Shlafmügen ohne Kopf, außer zur Geldfüchferei, zu ſeyn;“
diefe drei Schlafmügen bedeuten — wen? die drei „Lönigl.
Kammern zu Königsberg, Gumbinnen und Marienwerder!“
Hamann hatte freilich um fo mehr Urfache, feine Satyre auf
königl. Behörden zu verfieden, als er ſich gerade damals bei
einer folden um eine Anftellung bewarb. Noch eine Myſtifika—
tion der Art führen wir aus Golgatha und Scheblimini an,
einer Schrift, deren Gehalt wohl verdient hätte, reiner von Far—
eenhaftigkeit gehalten zu werden, Indem Hamann (Bd. VII,
&.31 fi) die Vorftellung des gefellfhaftliden Vertrags -
betrachtet, die in den damaligen wie noch jest in den meiften
Theorien des Naturrechts und Staats herrſchend ift, und fehr
richtig die ſchlechte Worausfegung, die daraus für das Staats:
leben genommen worden, erkennt, nämlich die der Abſolutheit
des zufälligen, partifularen Willens, fegt er diefem Princip
den an und für fi allgemeinen göttlichen Willen entgegen, und
macht vielmehr das Verpflichtetfepn des partitularen Willens
und die Unterwürfigkeit defelben unter jene Gefege der Gerech—
tigkeit und: Weisheit zum wahrhaften Verhältnif. Vom Ich
des partikularen Willens führt ihn die Konfequenz auf den Ge-
danten des monarchiſchen Prineips, aber feine gedrüdte Acciſe—
Eriftenz macht ihm daffelbe fogleic zur Farce; „für keinen Sa-
je W. Sitten, }
lomo, Nebukadnezar, nur für einen Nimrod, im Stande der
Natur, würde es ſich ziemen, mit dem Nachdruck einer gehörn-
ten Stimm auszurufen: Mir und mir allein kommt das Ent
fheidungsreht zu, 0b? wie viel und wem? wann? ich zum
Wohlthun (er hätte ſelbſt hinzufegen können; zum Recht)
verbunden bin. Iſt aber das Ich, felbfi im Stande drr Nas |
tur, fo ungerecht und unbeſcheiden, und hat jeder Menſch ein
gleiches Recht zum Mir! und Mir allein! fo laſſet uns fröh—
lich feyn über dem Wir von Gottes Gnaden, und dankbar
für die Brofamen, die ihre Jagd» und Schoofhunde, Wind-
fpiele und Bärenbeifer unmündigen Waifen übrig laffen. „Sithe
er ſchluckt in fi den Strom, und acht's nicht groß, läſſet fih
dünfen, er wolle den Jordan mit feinem Munde ausfhöpfen,
Hiob 40,18. Wer that (sic!) ihm zwingen, armen Erndtern
ein Trinkgeld hinzuwerfen! Wer that ihm wehren, die Pfui!
Pfuil armer Sünder einzuverleiben!” Mer wird auss
finden, daß, wie Hamann in einem Briefe an Herder erklärt,
unter den Pfuil Pfuit armer Sünder die früher angeführten
Fohgelder der Aecife- Beamten zu verfichen ſehen, welche von
Friedrich II. zur Acciſe-Kaſſe eingezogen wurden; und deren für
Hamann fehr empfindlicher Verluſt in feinen Briefen ſehr häus
fig erwähnt wird. — Goethe (aus meinem Leben II. Ip.
©. 110) fpridt von der fchriftftellerifchen Manier Hamann’s;
unter feiner Sammlung, erzählt er, befinden ſich einige der ges
drudten Bogen Hamann’s, auf denen diefer an dem Rande eis
genhändig die Stellen citirt hat, auf die fih feine Andeutungen
beziehen; ſchlägt man jene auf, fügt Goethe hinzu, fo giebt es
abermals ein zweideutiges Doppellicht, das uns höchſt angenehm
erſcheint, nur muß man durdaus auf das Verzicht thun, mas
man Berfichen nennt; Goethe führt dort an, daf er felbft ſich
zu foldem fybillinifhen Styl durd Hamann habe verleiten lafs
fen; wir wiffen, wie fehr er davon zurüdgefommen, und wie er
namentlich den noch anzuführenden Gegenfag von Genie und
6. Weber Hamann’ Schriften. 93
Geſchmack, in dem er ebenfo mit der ganzen energifchen Pars
rheſie feines Geifles zuerft aufgetreten, überwunden hat.
In der Weife des legten Gegenfages, der damals an der
Tagesordnung war, fafte Mendelsfohn im den Literaturs
Briefen fein Urtheil über Hamann ab, defien ganzer fehriftftels
leriſcher Charakter zu auffallend it, um nicht von den Veſon—
neneren feiner Zeitgenoffen richtig genommen worden zu feyn.
„Man: erkennt," fagt Mendelsfohn, „das Genie in Hamann’s
Schriften, aber vermift Gefhmad in denfelben;“ eine Rates
gorie, die ſonſt gültig und erlaubt war, aber heutiges Tages
aus der deutſchen Kritit mehr oder weniger verbannt ift; Ge—
ſchmadk von einer Schrift zu verlangen, würde als eine wenige,
ſtens befremdende Forderung erfheinen, Hamann felbft erklärt
bereits dieſe Kategorie für „ein Kalb, welches das Gemächte
eines Originals (wohl Voltaire's) und ehebrecheriſchen Volks
fey“ Mendelsfohn findet in Hamann einen Schriffteller, der
eine feine Beurtheilungstraft befige, viel gelefen und verdaut
habe, unten von Genie zeige, und den Kern und Nachdruck
der deutſchen Sprache in feiner Gewalt habe; der fo einer uns
ferer beiten Schriftfieller hätte werden können, der aber durch
die Begierde, ein Original zu feyn, verführt, einer der ta=
delhafteften geworden fey. In partitulare Subjektivität ein—
geichloffen, und darin nicht zur denkenden oder künſtleriſchen
Form gedeihend, konnte das Genie Hamann's nur zum Humor:
‚werden, und noch unglüdlicer zu einem mit zw viel Widrigem
verfegten Humor. Der Humor für ſich ift feiner ſubjektiven
Natur nad) auf dem Sprunge, in Selbfigefälligkeit, fubjektive
täten und trivialen Inhalt überzugehen, wenn er nicht
gut gearteten und gut gezogenen großen Seele bes
herrſcht wird. In Hamanns Mitbürger, Geiftesverwandten und
Bekannten oder auch Freunde, Hippel, der wohl
ohne Widerſpruch der vorzüglichſte deutſche Humoriſt genannt
werden darf, erblüht der Humor zur geiſtreichen Form, zum Tas
9 y IV. Kritiken,
lent eines Auszeichnens von höchſt individuellen Geftalten und
originellen Charakteren, Situationen und Schickſalen, von den
feinſten und tiefſten Empfindungen und philoſophiſch gedachten
Gedanken. Von dieſem objektiven Humor iſt der hamann—
ſche eher das Gegentheil, und die Ausdehnung, die Hamann
durch denſelben ſeiner koncentrirt bleibenden Wahrheit zu geben
ſich den Spaß macht, kann nicht dem Geſchmack, ſondern nur
dem zufälligen Guſtus zuſagen. Man kann über dergleichen
Produktionen die verſchiedenſten Aeußerungen vernehmen. Has
mann’s Freund, Jacobi 3. B., fagte über deſſen „neue Apologie
des Buchſtabens H.“ (Bd. IV, Vorr. ©. vw, er wiffe nicht,
„ob wir in unferer Sprache Etwas aufzuweifen haben, das an
Tieffinn, Wis und Laune, überhaupt an Reichthum von eigent⸗
lichem Genie, ſowohl was Inhalt als Form angeht, diefe Schrift
überträfe” Es wird der Fall ſehn, daf Andere aufer dem Ref,
auf keine Weife von diefer Schrift fo angeregt werden, Goethe
hat den Einfluß Hamann's in ihrer gemeinſchaftlichen Zeit em⸗
pfunden, und eine mächtige Aufregung durch denfelben erhalten,
wie in einem reichen Gemüthe viele ſolche mädtige Erregungen
ſich verfammelt haben. Was Goethe hin und wieder, wovon
Einiges bereits angeführt worden, über Hamann gefagt, Tann
alles weitern Einlaffens in die Schilderung des ſchriftſtelleriſchen
Charakters deffelben überheben. Hamann ift für Viele nicht nur
etwas Intereſſantes und Eingreifendes, fondern ein Halt und
Stügpuntt in einer Zeit gewefen, im der fie eines foldhen, ges
gen die Verzweiflung an ihr, nöthig hatten, Mir Spätere müfs
fen ihn als ein Driginal feiner Zeit bewundern, aber können
bedauern, daß er im ihr nicht eine bereits ausgearbeitete geiftige
Form vorgefunden hat, mit welcher ſich verfhmelzend fein Genie
wahrhafte Geſtalten zur freude und Befriedigung feiner Mit—
wie der Nachwelt hätte produciren können, oder daf ihm: zu ſol⸗
her objektiven Geſtaltung ſich felbft herauszuarbeiten das Schid-
fal den heitern und wohlwollenden Sinn nicht gewährt hatte.
6. Ueber Hamann's Schriften. | 95
Wir verlaffen nun aber das Bild feines Daſeyns und
Wirkens und heben aus den Materialien, welche uns die vor⸗
tiegende Sammlung liefert, noch den Schluß feines Lebens. aus.
“Mas feine literarifche Laufbahn betrifft, fo hatte er fie mit ei⸗
nem „fliegenden Brief“ beſchließen wollen, den wir bier zum
erftien Male gedrudt erhalten. Drei Bogen davon hatte er bes
reits unter dem Ausarbeiten druden laſſen, aber dabei gefühlt,
daß er, wie er an Herder fehreibt (Bd. VII, S. 312), „auf
einmal in ein fo leidenfhaftlihes, blindes und taubes
Geſchwätz gerathen, daß er den erften Eindrud feines Jdeals.
ganz darüber verloren und keine Spur davon wieder berftellen
Tönne,” Die in der Sammlung abgedrudte Umarbeitung hat
meiflen Theils die Manier des erflen Entwurfs behalten; die
Stellen defielben, die dem zweiten, der 31. Bogen ausmacht, feh⸗
len, will der Herr Herausgeber im achten Bande nadliefern. _
Die nächſte Beranlaffung zu diefem Abfagebriefe war wieder
eine Recenfion im 63. B. der allgem. deutfchen Bibl. über fein
Golgatha und Scheblimini; „an dem politifhen Philifter F.
(Chiffre des Recenf.) muß ich mich rächen mit einem Efelstinn-
baden,” fehreibt er (Bd. VII, S. 299). In diefem Briefe giebt
er vollftändige litergriſche Notizen über feine Schriften, bedauert,
feinen alten freund Mendelsfohn vor defien Tode nicht von der
Redlichkeit feiner Gefinnungen überzeugt zu haben, wiederholt
vornehmlich die Gedanken feines Golgatha und Scheblimini und
ſpricht insbefondere aufs Heftigfte feinen Unmuth über die „alls
gemeine deutfche Jeſabel,“ „die allemanniſche Schädelftätte, des
ren blinden fchlafenden Homer und feine Gefellen und Burſchen“
aus, über „die geſchminkte Weltweisheit einer verpefteten Men⸗
fhenfreundin,” „den theologico-politico-hypotritifchen, Sauer-
teig eines in den Eingeweiden grundverderbter Natur und Ge⸗
fellfaft gährenden Machiavellismus und Jefuitismus, der fein
Spiet mit den Sufannenbrüdern und Belialstindern unferes er-
leuchteten Jahrhunderts trieb,” u. ſ. f. Er kommt öfters dar⸗
x
96 IV. Kritiken.
anf zu reden, daß ihm die Art feiner Schriften zuwider ſey, und
daß er in Zukunft anders, ruhiger und deutlicher zu fehreiben
ſich bemühen werde, abet er endigt in diefem Aufjage in derfele
ben gefchraubten, eifernden, widerlichen Weife, einige Stellen
ausgenommen, in denen er die gehaltvolle Tendenz feines Lebens
und feines fehriftftellerifhen Auftretens mit rührender Empfins
dung und ſchöner Phantafie ausſpricht. Es ift angeführt wor« |
den, wie im Anfang feiner Laufbahn, im Jahre 1759, er ſich
über feine Tendenz in dem ſchönen Bilde einer Lilie im Thale
ausdrüdte. Im Jahre 1786, am Schluſſe feiner. Kaufbahn,
fpricht er die Beſtimmung derfelben fo aus (Bd. VII, S. 120):
„Diefem Könige (deffen Stadt Jeruſalem ift), deffen Name wie
fein Ruhm groß und unbekannt ift, ergoß ſich der kleine Bach
meiner Autorfhaft, veradhtet wie das Waſſer zu Siloah, das
ftille gebt. Kunſtrichterlicher Ernſt verfolgte den dürren Halm,
und jedes fliegende Blatt meiner Dlufe; weil der dürre Halm
mit den Kindlein, die am Markte figen, fpielend pfiff, und das
fliegende Blatt taumelte und fhwindelte vom Ideal. eines Kö—
niges, der mit der größten Sanftmuth und Demuth des Here
zens von fi rühmen konnte: Hie ift mehr denn Salomo. Wie
ein lieber Buhle mit dem Namen feines lieben Buhlen das wilz
lige Echo ermüdet, und keinen jungen Baum des Gartens noch
MWaldes mit den Schriftzügen und Malzeichen des markinnigen
Namens verfhont, fo war das Gedächtniß des Scönften unter
den Menſchenkindern mitten unter den Feinden des Königs eine
ausgefihüttete Magdalenen= Salbe, und floß wie der köſtliche
Balſam vom Haupt Yarons hinab in feinen ganzen Bart, bins
ab in fein Kleid, Das Haus Simonis des Yusfägigen in Be—
thanien ward voll vom Geruche der evangelifchen Salbung; ei—
nige barmberzige Brüder und Kunſtrichter aber waren unwillig
über den Unrath und hatten ihre Naſe nur vom Leichengeruche
voll.“ Hamann kann ſich nicht enthalten, den hohen Ernſt, mit
dem dieſe Schilderung anfängt, und die gefällige, wenn auch
—
6, Ueber Hamann’s Schriften. 97
felbftgefällige Tändelei, mit der er fie fortfegt, mit einem (wie
die meiften übrigen Ausdrüde, aus der Bibel entlehnten) Schluß⸗
bilde des Unraths zu verumgieren,
- Während er auf diefe Weife die feindfelige und Fämpfende
Thätigkeit feines Lebens zu ſchließen befhäftigt war, fehnte er
fi, feinen lebensmatten Geift im Schoofe der Freundſchaft zu
erftiſchen oder ihn wenigftens endlich darin ausruhen zu laſſen.
Das Schidfal diefer Freundſchaft ift noch in feinem Verfolg zu
betrachten. Obgleich die freundſchaftlichen Gefinnungen Hamann's
er’s, eines der älteflen feiner (freunde, im Ganzen
dieſelben blieben, und ihr Briefwechfel, an dem ſchon früh ein
geſchraubter Ton fühlbar wird, ſich fortfegte, fo verloren die
Meittheilungen immer mehr an Lebhaftigkeit der Empfindung,
und der Ton fiel cher in die Langeweile der Klagfeligkeit herab;
Hamann ſchreibt an Herder von Pempelfort aus am 1. Sept.
1782: „Seit einigen Jahren muf Ihnen mein matter, fiumpfer
Briefwechfel ein treuer Spiegel meiner traurigen Lage gewefen
ſeyn.“ Herder, der fich ſchon von jeher trübfelig gegen Hamann
zu thun gewöhnt hatte (wie er gegen Andere ſich mehr mit wi-
driger, auch hochfahrender, vornehmer Trübfeligkeit benahm, f.
Goethes a, m. Leben), antwortet (28. Okt. 1787): „Ich erröthe,
über mein langes Stillſchweigen, aber ich kann mir nicht hel-
fen; auch jest bin ich fo müde und matt von Predigt u. fi f.
alles iſt eitel Cein häufiger Ausruf in feinen Briefen), Schreis
ben und Mühen u. f. f.; auch Sie haben des Lebens Ueberdruß
geſchmedt u. ſ. f.“ — Was Hamann’s Verhältniß zu Hippel
und Scheffner betrifft, mit denen er in einem ganz kordaten,
äufigen und vieljährigen Umgange war, fo ſchreibt er an Ja—
. April 1787, Iacobi’s Werte 4, Bd., 3. Abth., ©. 330):
=: diefer Leute ift ebenfo fonderbar als ihr Ton; was
ich für eine Figur zwiſchen ihnen vorftelle, weiß ic) felbft nicht,
Es ſcheint, daß wir uns einander lieben und ſchätzen,
ohne uns felbfi recht zu trauen. Sie feinen gefunden
Bermifchte Schriften. * 7
F
98 IV, Keitifen.
zu haben, was ih noch fuhe Mit allem Kopfbrechen geht
es mir wie dem Sancho Panfa, dag id mid endlich mit dem
Epiphonem beruhigen muß: „Gott verficht mich.” Ins Bes
fondere ift ihm an Hippel das ein Wunder und Geheimnif,
wie derfelbe bei feinen Gefdhäften an folde Nebendinge (die
Fortfegung feiner Lebensläufe) denken fann, und wo er Yugen-
blide und Kräfte hernimmt, Alles zu beflreiten; er ift Bürger-
meifter, Policeidireftor, Ober - Kriminal- Richter, nimmt an allen
Gefellfchaften Theil, pflanzt Gärten, hat einen Baugeift, ſam—
melt Kupfer, Gemälde, weiß Luxus und Ockonomie, wie Weis—
heit und Thorheit, zu vereinigen.“ — Cine intereffante Schil-
derung eines fo genialen lebens⸗ und geiftesfrifhen Mannes. —
Bon fi fagt Hamann cebendaf. S. 336, er habe in Könige-
berg Niemand, mit dem er über fein Thema fprechen könne,
nichts als Gleichgültige. Defto inniger war die Freundfchaft
mit Jacobi, defto lebhafter ihr Briefwechfel geworden, (die Ans
rede von Sie an Hamann lief Jacobi bald mit dem Du und
Vater abwechfeln, in das fie bald ganz überging; doch Ha—
mann, im Begriffe zu reifen, fehreibt an Jacobi: dugen kann
ich mich nur unter vier Augen! Hamann’s Briefw. mit Jacobi
©. 376). Dazu hatte fi die Freundſchaft eines Herrn Franz
Buchholz, Barons von Wellbergen bei Münſter, eines jungen
fehr begüterten Mannes angeknüpft, der aus. tieffter Verehrung
gegen Hamann diefen gebeten, ihn zum Sohn anzunehmen,
ihm bedeutende Geldfummen übermadt und dadurch die Sorge
um feine und feiner Familie Subfiftenz und Erziehung gemins
dert hatte, und nun aud die Reife nah Weſtphalen zu diefen
beiden Freunden möglich machte. Hamann fühlte das Drüdende
fo weit reichender Verbindlichkeiten; er ſchreibt an Hartknoch,
der ihm gleichfalls Geldanerbietungen gemacht hatte, daf „er
unter dem Drude der MWohlthaten jenes Freundes genug leide,
und davon fo gebeugt werde, daf er feinen Schultern feine ans
dere Bürde aufladen könne, wenn er der Laft nicht unterliegen
6, Ueber Hamann's Schriften. 99
folle; er führt dann feine Empfindungen auf ein Miftrauen
gegen ſich felbft zurüd, das ihn um fo mehr an die Wors
fehung anfhliefe und zu einem gebundenen Knecht des eins
zigen Herrn und Vaters der Menfhen made,” Der Sinn der
Freundfchaft diefer beiden Männer und Hamann's benahm als
lerdings jener Wohlthätigkeit das unter anderen Verhältniffen
natürlich im beiderfeitige VWerlegenheit Segende. Nicht bloß im
der Bizarrie eines Jean Jacques (auch I. ©; Hamann unters _
ſchreibt fi zuweilen Hanns Görgel), der feine Kinder in
das Findelhaus ſchickte (Hamann ließ feine ‚Töchter in einer
nicht wohlfeilen, von einer Baroneffe gehaltenen Penfion erzie-
ben), und vom Notenfchreiben ſubſiſtiren wollte, fondern wohl
auch allgemeiner ift über den Punkt der Geldverhältniffe (auch
des Dutzens u. f. f.) die Delitateffe der damaligen franzöfifchen
Genies und Literatoren (man fehe 3. B. Marmontel’s Leben)
anders gewefen als die der deutfchen. Hamann erhielt auf feine
Gefuche um Urlaub von feiner Behörde im erften Jahre eine
abſchlãgige Antwort, im zweiten Erlaubniß zu einer Reife auf
einen Monat; im dritten unter dem Nachfolger Friedrichs II.
endlich erfolgte auf feine Eingabe, worin er, nad) der Refolus
tion (am angef. Orte ©. 363) zu urtheilen, die Ueberflüffigkeit
feines Dienſtthuns wohl zu flart *) gefchildert, doch nicht ge—
dacht hatte, daf die Wirkung bis zu diefer Länge gehen würde,
feine Penfionirung (indem feine Stelle mit einer andern kom—
binirt wurde) mit der Hälfte feines Gehaltes (150 Thaler, die
jedoch bald auf 200 vermehrt wurden). Niedergeſchlagen über
jene Refolution, die Jacobi ein „Tyrannen-Urtheil“ nennt, in
. ) Berlin, den 26. April 1787. „Daß bei der jegigen Stelle des
s Hamann zu Königsberg wenige und Theils unnüse Ges
zu verſehen ſind, ſolches iſt hier ſchon bekannt, und wird in deſſen
unter dem 16. anhero eingereichter Vorſtellung von ihm ſelbſt bekraͤftigt.
er überflüffigen Poſten bei der jegigen Hccife » Einnahme auf
Allerh. Befehl eingezogen, die Bora befdyäftigten aber mit
anderen verbunden werden follten, fo u. ſ. w.“
7*
102 IV, Kritiken,
bie bekannten Schilderungen gegeben hat. — Wir ftellen bie
Daten zufammen, wie ſich in diefem, wenn man will, Romane
der Freundfchaft die handelnden Perfonen fhildern.
Bon der Diotima, Fürſtin Galligin, ſchreibt Has
mann immer mit der größten Verehrung; er ſchildert fie einmal
(8b. VII, ©. 367), höchſt charakteriſtiſch für fie wie etwa für
einen Theil der umgebenden Vortrefflichkeiten, in einem Briefe
an eine Freundin in Königsberg: „Wie fehr würden Sie,“ ſagt
et, „bon diefer einzigen Frau ihres Gefchlechts eingenommen
fepn, die an der Leidenfdhaft für Größe und Güte des
Herzens ſiech if.” Die Fürftin durfte ohne Zweifel den Mann,
der, da er ſchon fo viel gefunden, wohl nicht weit hin zu haben
fheinen konnte, um den legten Schritt zu thun, mit ihrer bes
fannten Profelyten- Macerei nicht unangefohten laffen, was
freilich bei Hamann nicht verfangen konnte. Als eine Spur
ſolchen Verſuchs mag wohl nicht anzufehen feyn, daß er num,
wie er fagt, die Vulgata mit Vorliebe citirt; eher dief, daß er
fi) jest (nad einem Beſuch bei der „frommen Fürſtin“) alle
Morgen aus Sailer’s Gebetbuche erbaue, in das er ärger
als Johannes (d, i. Lavater) verliebt ſey, nahdem er es tens
nen gelernt (Hamann’s Briefwechfel mit Jacobi S. 406). Er
fagt über jenes Buch richtig, wenn Luther nicht den Muth ges
habt, ein Keger zw werden, Sailer nit im Stande gewefen
wäre, ein fo ſchönes Gebetbuch zu fehreiben (Bd. VII, S. 420).
Dief Gebetbudh war zu jener Zeit des Streits über Krypto—
katholicismus fehr berüchtigt gemacht, als ein Bud, das, wenn
nicht dazu beftimmt, doch dazu gebraucht worden fey, die Pros
teftanten über die Natur des Katholicismus zu täufhen. Es
findet fih (Bd. VII, S. 404) ein intereffanter Brief Hamann’s
an die Kürflin vom 11. Dec. 1787, defien Anfang oder Beran-
laffung nicht ganz klar ift, worin es aber im Verfolg beißt:
„Dhne fi) auf die Grundfäge zu verlaffen, die mehrentheils
auf VBorurtheilen unfers Zeitalters beruhen, noch felbige zu ver:
6, Ueber Hamann's Schriften. 103
ſchmähen, weil fie zu den Elementen der gegenmwärti-
gen Welt und unferes Zufammenhanges mit derfelben gehö-
ren (ein fehr wichtiges, geiftreihes Wort), ift wohl der fidherfte
Grund aller Ruhe, fih an der lautern Milh des Evanges
Lii zu begnügen, fih nad der von Gott, nicht von den
Menfhen gegebenen Leuchte zu richten u. f. f.“ Es find hier
Bellimmungen angegeben, welche mehrere Ingredienzien der Res
ligiofität der Fürſtin abſchneiden.
Mit Kris Jonathan, Jacobi, hatte ſich Hamann in der
legten Zeit feines Briefwechfels in vielfache Aeußerungen und
Gegenzeden über deffen philofophifhe und Streitfhriften gegen
Mendelsſohn und dit Berliner eingelaffen; Jacobi hatte darein
das ganze Intereſſe feines Denkens, Geiftes und Gemüths mit
feiner im hohen Grade gereizten Perfönlickeit gelegt; beinahe
. alles diefes dabei von Jacobi geltend Gemachte machte Hamann
auf feine, d. i. nichts fördernde, nichts entwirrende oder aufklä—
rende MWeife zum Theil ſchnöde herunter. Was Jacobi faft
ganz in Hamann's Worten über den Glauben mit großem Aufs
fehen und Wirkung, wenn bier und da aud nur auf ſchwache,
fon mit dem bloßen Worte Glauben ſich begnügende Mens
schen, aufgeftellt hatte, machte Hamann heftig herunter; fo auch
die Gegenfäge von Jdealismus und Realismus, die Jacobi auch
in feinem, um diefelbe ‚Zeit herausgegebenen Hume und über-
haupt befhäftigten; fie fenen, fehreibt ihm Hamann, nur enlia
rationis, wächſerne Nafen, ideal; nur feine Unterfcheidungen
von Ehriftenthbum und Lutherthum ſeyen real, res facti, leben-
dige Organe und Werkzeuge der Gottheit und Menſchheit; fo
‚jenen ihm (Hamann) Dogmatismus und Stepticismus die „volle
tommenſte Identität,“ wie Natur und Vernunft. Wenn frei—
| ftenthum und Lutherthum ganz anders konkrete Reali-
und MWirklichkeiten find, als abflrafter Idealismus und
‚und Hamann's in der Wahrheit fiehender Geift über
dem — von Natur und Vernunft u. ſ. f. ſteht; fo iſt
104 IV. Kritiken.
ſchon früher ausführlicher bemerkt worden, daß Hamann gänzs
lich unfähig wie unempfänglic für alles Interefie des Denkens
und der Gedanken, und damit für die Nothwendigkeit von jenen
Unterfheidungen war. "Am ſchlimmſten tommt Jacobi’s Werth:
ſchätzung des Spinoza, welche doch nur ganz den negativen Sinn
hatte, daß derfelbe die einzig konſequente Verftandes-Philofophie
aufgeftellt habe, bei Hamann weg, der wie gewöhnlic weiter
nichts als fchimpfendes Poltern zu Stande bringt. Jacobi trage
den Spinoza, fagt Hamann, „den armen Schelm von Fartefias
nifch-tabbaliftifhem Somnambuliften, wie einen Stein im Ma—
gen herum; das feyen alles „Hirngefpinnfte, Worte und Zei—
chen, de mauvais (es) plaisanteries mathematiſcher Erdichtung
zu willkürlichen Konſtruktionen philoſophiſcher Fibeln und Bi—
bein” (Hamann’s Briefwechſel mit Jacobi S. 349 — 357 u. f).
„Berba find die Gösen Deiner Begriffe,” ruft er ihm zu (ebens
daf. ©. 349), „wie Spinoza den Budhftaben zum Werkmeiſter
fi) einbildete” und dergl. Hemfterhuis, den Jacobi fo fehr
verehrte, iſt Hamann ebenſo fehr verdächtig („eine platonifche
Mausfalle”); er ahmet in diefem wie in Spinoza nur taube
Nüffe, Lügen-Syſteme u. f. fe. Er (ebendaf. S. 341) geſteht
Jacobin aufrichtig, daß ihm feine eigene Autorſchaft näher liege
als Jacobi’s, und ihm, der Abfiht und dem Inhalte nad, felbft
wichtiger und nützlicher zu feyn fiheine.” Im derfelben Zeit
kam Jacobi fehr ins Gedränge mit fliner gegen die Berliner
unternommenen Bertheidigung des von ihm ſelbſt veracdhteten
Stark; er erfährt von Hamann keine beffere Aufnahme mit eis
ner folden politifhen Freundfhaft, wie Hamann jene
BVertheidigung bezeichnet. Jacobi erwiederte auf diefe Mifbillie
gungen aller feiner literarifchen Unternehmungen nur dieß, daf
wiffenfhaftliche Werftellung nicht in feinem Charakter fey, und
daß ihm nie in den Sinn gekommen, weder dem Publikum nod)
irgend Jemand Etwas weiß zu machen. Aber gewiß hatte ihm
unter diefen vielfachen Verwidelungen, die alle Intereffen feines
6. Ueber Hamann’s Schriften. 105
Geiftes in Anfprud nahmen, nichts Empfindlidheres geſchehen
tönnen als die Alles mifbilligenden Erplofionen Hamann’s,
die ohnehin fo ins Blaue und in die Kreuz und Quere liefen,
daß fie das Verſtändniß einzuleiten oder zu fördern wenig ges
eignet waren, Doch ſchwächte Alles dick das innige Vertrauen
nit; in der Gegenwart follte Jacobi die Seele Hamann’s, je⸗
nen legten Grund ihrer Freundſchaft, finden, und darin die Auf⸗
löfung allee Mifverftändniffe, die Erklärung der Räthſel des
Geiftes erkennen und verfichen lernen. ber Jacobi fehreibt
nad) dem Aufenthalte Hamann’s bei ihm an Lavater, 14. Nov.
1787 (fr. 9. Jacobi’s auserl. Briefw. I, ©. 435): „Es hat
mich gekoftet, ihn zu laffen (von diefem Laffen nachher); von
einer andern Geite mag es gut feyn, daf er mir entzogen wurde,
damit ich mich wieder ſammeln konnte. Seiner Kunſt zu
leben und glücklich zu ſeyn, bin ich nicht auf den
Grund gekommen, wie ſehr ich es mir auch habe angelegen
ſeyn laſſen“ *). An denſelben vom 21. Ian. 1788 (ebendaſ.
©. 446): „Du ſprichſt von Buchholzens Sonderbarkeiten;
der ift, von diefer Seite betrachtet, Nichts, platterdings Nichts
gegen Hamann; id kann Dir nicht fagen, wie der Hamann
mich geflimmt hat, ſchwere Dinge zu glauben; ein wahres
scrar iſt diefer Mann an Gereimtheit und Ungereimtheit, an
) Ravater (ebendafelbft S. 438) fagt in feiner Antwort über diefe
ng Hamann’d: „Diefes feltfame Gemifh von Himmel und
Erde fönnte übrigens für unfer Eins ald eine Fundgrube großer Ges
danken benust werden.“ Gpäterhin, als Rehberg in Hannover gegen
Sacobi den Ausdruck gebrauchte, daß diefer fih „zu fo verwirrten Köpz
fen wie Ravater u, And. gefellt habe; entgegnet Jacobi (ebend. S. 471)
auf Aähnlidye Weife in Anfehung Lavater's, daß derfelbe „ein lichtvols
ee (?) Geift fen, in deffen Schriften ſich Vieles finde, was den Mann
1 Genie charakterifire, und auch von dem abftrakteften und tieffinnigften
Dhilofophen, und vielleicht von ihm am mehrften, trefflich benugt werden
Eönne. Bon Hamann hat Sacobi nur die sunächft Hume entnommenen
vom Glauben benugt, nicht fein principium coincidentiac, das
te feiner Idee. Aber man Fann ſich wundern, daß foldhe innige
er fi) auf das Ealte Ende der „Benutzung“ reduciren fol.
106 IV. Kritiken.
Licht und Finfternif, an Spiritualismus und Materialismus.“
Das Refultat, daß Jacobi „der Kunft Hamann’s, glüdlich zu
ſeyn, nicht auf den Grund gekommen,“ ift nicht ein Mißver—⸗
fländnif, etwa ein Unverftändnif zu nennen; er ift durch deffen
Gegenwart an ihm nicht irre geworden, aber irre geblieben.
Was endlich den andern Sohn, den Alcibiades Bude
bolz betrifft, deffen großmüthige Geſchenke und vertrauensvolles
Berhältnif die Grundlage zu Hamann's Reife ausmachten; fo
fhreibt Jacobi über denfelben aufer dem Angeführten, am 23,
Juli 1788, an Lavater nah Hamann's Tode (am angef. Orte
©. 482): „Buchholz mit Frau u. f. f. ift abgereift; Gott, was
mich diefer Mann gedrüdt hat. Ich habe diefen fonderbaren
Menſchen erft vorigen April, da ih Hamann zu befüchen in
Münfter war, näher kennen gelernt, Hamann bat ihm das
Geſchenk, das er von ihm erhielt, wahrfheinlid mit dem
Leben bezahlt. Und doch hat eben diefer Buchholz Eigen:
ſchaften, die Ehrfurcht, Bewunderung und Liebe einflöfen. Ich
glaube nicht, daß eine menfchlihe Seele reiner feyn fann als
die feinige. Aber fein Umgang tödtet.”
Hamann felbft war zunächſt von feinem törperlihen Zus
ftande gedrüdt; er hatte fi, wie er (Bd. VII, S. 411) ſchreibt,
„mit gefchwollenen Füßen und einer zwanzigjährigen Ladung
böfer Säfte, die er durch eine figende grillenfängerifche Lebens—
art, leidenfchaftlihe Unmäßigkeit in Nahrungsmitteln des Bauchs
und Kopfs gefammelt hatte,” auf die Reife gemadt. Won der-
felben Unmäßigkeit im Effen und Lefen fpricht er während ſei—
nes Aufenthalts in Weftphalen, und die im Lefen giebt fih aus
feinen Briefen fattfam zu erkennen. Die Brunnenturen, ärzt—
liche Behandlung und forgfamfte, liebevollſte Pflege, die er in
feinem Aufenthalte zu Münfter, Pempelfort und Mellbergen
genof, vermochten feinen geſchwächten Körper nicht mehr zu er=
neuen. Er von feiner Seite drüdt allenthalben die vollkom—
menfte Befriedigung aus, die er in dem neuen Kreife des Um⸗
6. Ueber Hamann's Schriften. 107
gangs gemoß; „der Zobredner oder Runftrihter feiner wohls
thätigen freunde zu feyn, könne ihm aber nicht einfallen“ (VII.
Bd. ©. 366). „Ich lebe hier," ſchreibt er no am 21. März
1788 von Dlünfter aus, „im Schoofe der Freunde von gleichem
Schlage, die wie die Hälften zu meinen Jdealen der Seele
pafien. Ich habe gefunden, und bin meines Fundes fo froh
wie jener Hirte und das Weib im Evangelio; und wenn es
einen Vorſchmack des Himmels auf Erden giebt, fo ift mir dies
fer Schatz zu Theil geworden, nicht aus Verdienft und Würdig-
teit“ Bd. VII, S. 409). Defters fagt er, „die Liebe und Ehre,
die ihm widerfahre, ift unbefchreiblih, und er habe Arbeit ge=
habt, fie zu erdulden und zu erklären,“ er war zunächſt von
„Allem übertäubt und verblüfft.“ Immer drüdt er fi in
biefem Sinne und in der Empfindung der Liebe aus, wie aud)
fonft die Briefe an feine Kinder aus diefer Periode fehr milde,
anziehbend und rührend find. Aber Hamann, der das Bewuft-
feyn hatte, daß Jacobi „mande ſchwere Probe der Geduld mit
feinen böfen Launen ausgehalten und deren noch mehr zu er=
warten hatte” (Bd. VII, S. 376); Hamann, der bei feiner ins
nern vollkommenen Gleichgültigkeit gegen Alles um fo mehr
felbft auszuhalten fähig war, konnte es doch nicht fortgefegt une
ter diefen „Idealen der Menſchheit,“ wie er feine Umgebung
öfters bezeichnet, aushalten. Daß in feinem Innern fo Vieles
vorging, was er nicht befehreibt, und was in der Empfindung
„des efthreiblich vielen Guten und Wohlthätigen, das er
genoß,“ nicht ausblich, wäre ſchon aus der gezeichneten Umge—
bung zu ſchließen; aber es drängen ſich beftimmtere Blide im
Hamann’s Inneres auf. Jacobi erzählt einige Monate nad)
deſſen Tode (Jacobi’s auserl, Briefw. S. 486), Hamann habe
fi) mit jenem Befeffenen verglichen, den ein böfer Geift wech—
felsweife bald ins feuer, bald ins Waffer warf; diefer Ver-
‚gleich paſſe gewiffermagen auch auf ihn (Jacobi). „O daf mir
die Hand erſchiene,“ ruft er aus, „die mid) lehren könnte ge=
*
108 IV. Kritiken.
ben auf dem Wege menfhliden Dafeyns.” „Die Hand,
die Hand!” rief ih mehrmals meinem Hamann zu. „Vielleicht“
war unter einem Strom von Thränen eins der legten Worte,
die ich aus feinem Munde hörte” Man ficht hier zwei Män—
ner fo gebroden in fih, der Belehrung, auf dem Wege
menfhlihen Daſeyns zu gehen, noch fo bedürftig, einans
der gegenüber ſtehen, die ſchon ein fo tief bewegtes Leben des
Gemüths durdlaufen hatten. — Nach dem Aufenthalte von et—
lichen Monaten bei Jacobi zu Pempelfort (vom 12. Yuguft an,
und zu Düffeldorf vom 1. Oktober bis 5. November 1787) vers
läft Hamann das Haus feines Freundes plötzlich, wirft ſich,
ohne ein Wort von feinem Vorhaben zu fagen, bei Fläglicher
Witterung, mit einer feiner Meinung nad) auflebenden Geſund⸗
heit in den Poftwagen, und fährt wieder nad Münfter zu Bud
holz. Der nähere Aufſchluß über diefe Flucht, die er „mit Ges
walt und Liſt habe ausführen müſſen“ (einige hierher bezüglich
ſcheinende Billete find nicht abgedruckt; ſ. Hamann's Briefwech—
ſel mit Jacobi S. 384), liegt gewiß nicht in mißliebigen Vor—
fallenheiten oder verletzenden Benehmungen, ſondern vielmehr in
dem Gegentheil, das ſeine Verlegenheit zur Angſt ſteigerte, aus
der er ſich nur durch Flucht Luft zu machen wußte Er erplis
eirt fh (Hamann’s Briefw. mit Jacobi S. 386) nur fo dars
über: „Du, armer Jonathan, haft fehr übel an Deinen beiden
Schweftern und an mir Lazaro gethan, das harte Joch und die
fchwere Laſt einer fo männliden Freundſchaft, einer fo heis
ligen Leidenſchaft, als unter uns obwaltet, ihrem Gefchlecht,
das die Natur weicher und zahmer gemacht hat, aufjubürden.
Haft Du nicht bemerkt, lieber Jonathan, daß die beiden Ama—
zonen es darauf angelegt hatten, mich alten Mann um bie
Ehre meiner ganzen Philofophie, um alle Deine günftigen Vor—
urtheile für felbige zu bringen, und ung beider Seits in folde
Berlegenheit zu fegen, daß wir uns Beide wie ein Paar phi—
loſophiſche Geſpenſter lächerlich vorrommen würden?“ Ha⸗
6. Ueber Hamann's Schriften. 109
mann’s Philofophiren, oder wie man das irrlichternde Gefpen-
ſtige feines Fühlens und Bewuftfeyns nennen will, tonnte ſich
leicht gegen geiftreiche Frauenzimmer, mit denen nicht durch Polz
tern und Kruditäten etwa, womit er fich fonft beraushalf, abzus
tommen war, in Bedrängniß und Angft gefest fühlen, wenn es
aus feiner Nebulofität zur Klarheit des Gedankens oder der
Empfindung herauszutreten follicitirt wurde. — Im folgenden
Briefe von Hamann heift es: „Die Liebe, die ih in Deinem
Haufe genoffen, hat Fein Verhältniß zu meinem Verdienft; ic)
bin wie ein Engel vom Himmel darin aufgenommen wor=-
den; wenn ich ein leibhafter Sohn des Zeus oder Her-
mes gewefen wäre, hätte ich nicht größere Opfer der Gaflfrei-
heit und großmüthigen Berleugnung finden können, worin ſich
Helene (eine der Schweftern Jacobi’s) unfterblih hervorgethan.
Sollte ich nun dieſe Uebertreibung des Mitleids bloß mei⸗
nen Bedürfniſſen und nicht vielmehr der Freundſchaft für mich
zuſchreiben und mir etwas anmaßen, was Dir mehr als mir
ſelbſt gehörte?“ Die übergroße Verehrung und Sorgſamkeit,
die er genoß, und die er der Freundſchaft für Jacobi und nicht
für feine Perſönlichkeit zuſchrieb, vermehrte noch jene Verlegen—
heit und Noth feines Zuſtandes.
In demſelben Briefe (vom 17. Novbr. 1787, ſ. Briefwechſ.
mit Jacobi S. 383) appellirt Hamann wegen feiner Flucht an
die Freundſchaft Jacobi’s, als des Jonathans feiner Seele, der
er ſeyn und bleiben werde, fo lange er (Hamann) ſich feines
Daſehns und Lebens bewußt ſey, mad fo vielen und großen
Berbindlichteiten für all das Gute w.f.f. Auf Jacobi’s Aeuße—
zung, ob es ihm (Hamann) in feinem Aufenthalte bei Buch—
holz in Münfter etwa übel gehe, entgegnete Hamann: „Hier
an dem eigentlichen Orte meiner Befiimmung und meines Aus—
gangs aus meinem Waterlande? War es nicht mein Fran
Buchholz), der mich rief und ausrüftete zu diefer ganzen Laufe
bahn, die ich mit Frieden und Freude zu vollenden der beften
440 IV. Krittten. 6. Ueber Hamanun's Schtiften
Hoffnung lebe und des befiens Willens bin? Hier follte es mir
übel gehen, wo ich wie ein Fiſch und wie ein Vogel in meinem
rechten Elemente bin?“ Diefer Empfindung und Meinung uns
erachtet, hielt es Hamann nicht lange dafelbfi aus. Jacobi
führeibt vom 21. Januar 1788 (auserlefener Briefwechfel Bd. I,
&. 446) an Lavater: „Hamann if kaum vierzehn Tage im
Münfter gewefen, fo hat er den Einfall befommen, ganz allen
nah Wellbergen, Buchholzens Nitterfige, zu reifen. Alle Vor⸗
flellungen, Bitten und Zürnen halfen nichts; er ging. Und was
Jedermann vorausgefehen hatte, geſchah, er wurde krank.” Nach
einem vierteljährigen Aufenthalte während des Winters an dies
fem, wie Jacobi fagt, moraftigen und feuchten Orte, während
defien der Briefwechfel zwifhen Beiden flodte, kehrte Hamann
gegen Ende März nad Münfter zurüd, von wo er nad der
Mitte Juni's noch einmal Jacobi zu befuchen im Begriff wer, |
um von ihm Abſchied zu nehmen und nad Preußen zurüdzus
tehren; aber an dem zur Abreiſe beflimmten Zage erkrankte er
ri und beſchloß den Tag darauf, am 21. Juni 1788, —
und ſchmerzlos fein fo: bedrängtes Leben.
7. Ueber: „Aphorismen über Nichtwiſſen und abſo—
lutes Wiſſen im Verhältniffe zur chriftlichen Glau—
benserkenntnid, — Ein Beitrag zum Verſtänd⸗—
niffe der Philofophie unferer Zeit. Bon Carl
Frieberich Desssak — ’
Darum rühme fih Niemand eines Menichen. Es it Alles Euer.
&3 ſey Paulus oder Apollo, cs ſey Kephas oder die Welt, cs ſey das
Beben oder der Tod, es fen das Gegenwärtige oder das Zufünfe
tige, Alles iſt Euer, Ihr aber jeyd Ehrifti; Ehriftus aber ift Gottes,
1 Kor, 3, 1— 23. —
Berlin, bei E. Franklin. 1829,
(Rüdfeite des Titelbl. Motto: 1 Kor. 1, 20 — 23.)
GSahrbücher f. wiſſenſch. Kritif 1829, Nr. 99 — 102, 105 u. 106.)
Mpporisnien mochte der Hr. Berfaffer feine Betrachtungen über |
die auf dem Titel genannten Gegenftände etwa nur darum nen—
nen, weil er fie nicht in die förmlichere Methode der ſyſtemati—
ſchen Wiſſenſchaft und in abflraktere Ausführlichkeit gefaßt hat.
Sonft fieht der Vortrag innerhalb der befonderen Mlaterien und
Gefihtspuntte, welche betrachtet werden, in gründlichem Zuſam—
menbang, und erfordert einen aufmerkffamen denfenden Lefer, der
auch da, wo die Expoſition ſprungweiſe zu gehen ſcheint (was
doch nur mehr in dem erſten Abſchnitte als in dem folgenden
der Fall iſt), den Faden der Gedanken zuſammen zu halten ge—
wohnt iſt. Dieſe Schrift hat das Ausgezeichnete und Seltene,
— ſie iſt, wenn man will, ein bedeutendes ſogenanntes Zeichen
der Zeit, — daß der Hr. Verf. in frommem Sinne ſich ebenſo
112 IV. Kritiken.
von der Wahrheit der alten, d. i. eigentlichen chriftlichen Glaus
benslehren als von dem Bedürfniffe der dentenden Vernunft
durchdrungen und zu durdhgeübter Bildung derfelben gefommen
beweift, Hiermit befindet fih hier das Intereffe, dem Inhalt
und der Form nach, unmittelbar in dem Mittelpuntte der fpe>
Eulativen Philofophie. Der Unterfchied, der zwiſchen Chriftens
thum und philoſophiſchem Denken als eine unendliche Entfers
nung und unausfüllbare Kluft vorgefpiegelt zu werden pflegt,
ift mit einem Dale zurüdgelegt; diefer angebliche Zwifchenraum
ift in diefer Tiefe gar nicht vorhanden. Die vorliegende Schrift
ift daher nicht ein Einleiten und Vorreden vom Miffen,
von Religion und Glauben, weldes CEinleiten und Vorreden,
obgleich es fih außerhalb der Sache hält, dennoch von der
Theorie des Nihtwiffens für die ganze Wiffenfhaft felbft, ja
fogar für die Religion ausgegeben worden ift; bier wird viel
mehr von der Sache gehandelt. Wenn oft das Aufftellen des
fogenannten NRäthfels der Welt für die höchſtmögliche Anftrenz
gung und Erhebung des Geiftes ausgegeben wird, fo daf aber
von deffen Auflöfung wefentlidh zu abfirahiren fey; fo ift dage— |
gen dem Hrn, Verf. die Befriedigung in der durd die Offene
barung längft gegebenen Yuflöfung früh geworden, und in Bes
ziehung hierauf befchäftigt ſich diefe Schrift weiter mit der Aufe
löfung des fubjektiven Räthfels, wie jene urfprüngliche Einheit
des Chriftenthums und der fpekulativen Vernunft, und die felbfts
bewußte Einigung derfelben, ſich für die Vorftellung als unfaßs
lich zeigen möge. Es ift einer Seits der auf das alte Chriften-
thum gegründete Glaube, und anderer Seits die rationaliftifche
Theologie, welhe der Hr. Verf. mit der Philofophie zu verſtän—
digen ſucht, jenen, infofern derfelbe von dem Miftrauen, ja von
der Feindſchaft gegen die Philofophie befangen ift, diefe, weil
von ihr ebenfo wohl.die chriftliche als die philofophifche Erkennt⸗
niß Gottes verworfen, und die Vernunft überhaupt, deren Nas
men fie im Munde führt, völlig verkannt wird. — Die Wide
7. Ueber &.,...178 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfel. Wiſſen. 113
tigkeit der abgehandelten Materien, wie die Art und Weife ihs
rer Behandlung, zugleich aud, wie wir nicht unerwähnt laffen
dürfen, das vielfadhe Verhältniß der Behandlung zu den philo-
ſophiſchen Bemühungen des Referenten, veranlaffen diefen, durch
einen ausführlihern Bericht die Lefer auf diefe Schrift, die an—
derwärts etwa nur verunglimpft oder am liebſten ignorirt wer—
den möchte, aufmerkjam und vorläufig mit derfelben bekannt zu
maden.
Es ift „die Philoſophie unſerer Zeit,“ über welche der Hr.
Berf. den unbefangenen Ehrifien in's Klare zu fegen und ihm
deren Gegenfag gegen den nur Endliches dentenden und alle
WBaheheiti verendlichenden Verſtand der rationaliftifchen Theolo⸗
ſich bemüht. Er fagt ©. 2, daß „die Aufgabe:
fih in die Zeit und damit uns in die unfrige zu ſchicken in
Beziehung auf die Philofophie derfelben und deren gegenwärti—
gen Höhepunkt, von denjenigen Chriften, welche ihre Berufsvers
hältniffe zur Wiſſenſchaft gerufen haben, ohne Sünde nicht leicht
ganz abgewiefen werden könne.” „Sie nöthige,” fügt er hinzu,
„auch demjenigen Chriften, der für ſich an feinem einfachen,
lebendigen Glauben genug hat, und in dem vorftellenden Eles
mente der abfoluten Wahrheit gewiß wird, befondere Aufmerk⸗
famteit ab.” Das Eine, was die Philofophie und zwar als
MWiffenfchaft zw leiften hat, ift, die Form des Denkens aufzus
ſuchen und im diefer den Gehalt der Wahrheit zu erkennen;
aber die Wahrheit ift aud für fih in dem frommen Glauben
des Ehriftentyums längft vorhanden, und diefer macht in feiner
göttlichen Zuverſicht die Forderung an die Ergebniffe des Den:
tens, daf „fie ſich mit ihm übereinftimmend zeigen.“ Den früs
Kanes; diefer Forderung durch die Vorfpiegelung füch zu
daß Religion und vernünftiges Denken zwei ganz
Gebiete fehen, und ganz auseinander gehalten wer—
den müſſen, verſchmäht die Philoſophie neuerer Zeit nicht nur,
fondern ‚fie felbft iſt es, welche diefe Verhleichung hervorruft
Vermiſchte Schriften, * 8
114 IV. Kritiken.
und das Recht des Glaubens, daß feiner Forderung Genüge
geleiftet werde, anerkennt. „Die Philoſophie unferer Zeit,“ fagt
der Hr. Verf., „nennt ſich wohl eine chriſtliche, fie will nicht
als eine Förderung oder Bervollfommnung des Chriſtenthums,
fondern als deffen Frucht und Werk gelten, fie nennt ſich, ‚als
das Gemeingut des Menſchengeſchlechts, das höchſte Erzeugnif
des Chriftenthums; fie ſpricht unbedingt ihre Achtung vor dem
geoffenbarten Worte Gottes als der gegebenen abfoluten Wahr:
beit aus, und eifert unverdroffen gegen alle Verdrehung und
Auslcerung des realen Gehalts der heil. Schrift, und gegen def
fen lofe Verflüchtigung in puren ſelbſtgemachten Geiſt und baa—
en Menſchenverſtand.“ — Ungeachtet es hiernach ſehr gemagt,
ja nicht zu verantworten ſehn würde, wenn dieſe wiſſenſchaft
lichen Beſtrebungen, ohne nähere Kenntniß davon zu nehmen,
mit dem Argwohne angeſehen würden, daß am Ende doch die
Wahrheit der geoffenbarten Religion darin mittelſt des Be—
griffs eine andere werde, als die in der Vorſtellung unmit-
telbar gegebene („hiermit ift beftimmt und gründlich der Punkt
der Kontrovers” ausgefprocden); fo gefhicht es dennoch, und
zwar auf die merkwürdige Weiſe, daß die bibelgläubigen
Ehriften mit ihren Gegnern, die fi) als die Verftändigen die
Rationaliften nennen, in „Nichts übereinzufimmen
ſcheinen, als in den Anklagen gegen die fpekulative Philofophie.“
„Der Nationalismus bleibt ſich treu und Fonfequent, wenn er
als die fubjektive, abfirakt-finnliche Verſtandes weis—
beit (— 1 Kor. 4, 21, weil die Welt durch ihre Weisheit
Gott in feiner Meisheit nicht erfannte — ) der ſpekulativen
Philoſophie, als dem objektiven Gedanken, fi widerfegt, ins
dem fein Standpuntt die fpefulativen Ergebniffe fofort verzerrt
und ihrer Geltung entkleivet. Der fogenannte Supermaturgar
lismus ift als Syſtem der chriſtlichen Theologie weſentlich in
allen Beziehungen, folglich aud, in feinem Verhältniffe zur fpe=
tulativen Philofophie, verichieden von dem Rationalismus, Es
7. Ueber ©.....78 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abſol. Wiffen. 115
iſt daher nur der Verirrung einzelner chriſtlicher Theologen zus
zufchreiben, wenn fie mit dem Nationalismus gegen die Philo-
fophie gemeine Sadje machen, fie werden felbft rationaliftifch,
wenn fbekulative Lehren von ihnen dem abftratt-finnlichen Ver—
ſtande unterworfen und hiermit in ihrem innerfien Weſen ver-
legt und verkehrt worden find. "Die Intonfequenz folder Theo-
logen ift, daß fie im diefem Verfahren in eine Sphäre zurüd-
fallen, die fie, als unwirklich und lügenhaft, und fo wenig als
phen anerkennen, und wonad fo wenig die Theologie
| gerichtet werden,” Die gründliche Anfiht des
. Hrn. Berfaffers beweift ſich im diefer genauen und einfachen
Beflimmung des Unverſtandes, in welchem die chriſtliche Theo—
logie gegen ſich befangen ift, wein fie ſelbſt den rationatififchen
BEErRand, der ihrem eigenen Inhalte tödtlich if, auf- und on:
nimmt, fobald fie ſich gegen die Philoſophie kehrt. Unterſucht
man das der chriſtlichen Theologie und dem rationaliſtiſchen Vers
ffande Gemeinfhaftliche näher, fo findet ſich die Quelle ihrer
Berkehrungen in dem Mangel an Erkenntniß der Natur det
Kategorien, deren fie ſich bei der Behandlung, es ſey Behaup⸗
tung oder Beftreitung, philoſophiſcher Säge bedienen. Hart oder
überhaupt ungehörig ſcheint die Beſchuldigung, daß ſie nicht
wiſſen, was’ fie ſagen. Aber wenn eine geläufige Reflexions-
Bildinig einen Inhalt in feinen Zufammenhängen und Gründen
raifonnirend oder falbımgsvol zu crplieiren weiß, fo ift von
foldyer Fertigkeit noch fehr das logiſche Bewußtſeyn über den
Werth der Formen felbft zu unterſcheiden, in denen alle Vers
bindungen der vorgetragenen Vorftellungen gemadjt werden. Auf
diefe Formen aber kommt es in fpekulativer Betrachtung nicht
nur weſentlich, fondern fogar allein an; denn in diefer höher
Sphäre des Dentens erkennt fih (was den innerſten Punkt
ausmacht) die Unwahrtheit des Unterfehiedes von Form und In—
half, und daß es die reine Form felbft ift, welche zum Inhalt
wird. Daß die Beſchuldigung, nicht zw wiffen, was man fagt,
8 *
116 IV. Kritiken. PM 1 27 ı Bi
nicht unwahr ift, ergiebt fi auf- eine in der That unglanblide
MWeife an den nächſten beften, wie an den sausgezeichnetften der
vielfältigen Verhandlungen, welche gegen die ſpekulative Philo⸗
ſophie gerichtet ſind. Die Entwirrung der mancherlei Angrifft,
Einwendungen, Zweifel, welche der Hr. Verf, in der vorliegen⸗
den Schrift vornimmt, wird eben dadurch fo Mar und erfolge
reich, daß derfelbe, im Beſitze jenes ſcharfen Bewußtſeyns über
die Gedantenformen, mit Veftimmtheit diejenigen aufzeigt, welche
in jenen Angriffen unbefangen gebraucht werden; — diefes Auf⸗
zeigen erleichtert nicht nur, fondern führt ſogleich beinahe von
ſelbſt und für ſich die Einfiht in ihre Unftatthaftigkeit herbei
Formen der Entzweiung und des Unmahren, die Kategorien bes
Endlichen, ſind an ſich felbft unbrauchbar, um das im ſich Ei⸗
nige, das Wahre, zu faſſen und zu bezeichnen; — in den Eine
wendungen gegen das Spekulative wird aber nicht nur immer
von ſolchen Gedantenformen Gebrauch gemacht, fondern es ge⸗
ſchieht fogar ferner dieß, daß diefe Formen des Unwahren an
die Stelle der fpekulativen Gedanken, die beurtheilt werden fol:
len, gefegt, und diefen fo ein falſches Faktum untergeſchoben wird,
Der Hr. Verf. betrachtet zuerft die Theorie des Nihtwif
fens, und zwar läft er fi die Mühe nicht verdriefen, dem
Schickſal defielben, wie es fih in den Darfiellungen des „Heer
führers auf diefer Geiftesftufe im diefer Zeit, H. Ir. Jacobi,"
allerdings am beflimmteften und fpredhendften ausweiſt, nachzu—⸗
gehen. Peinlich ift diefe Mühe, weil fie mit dem Glauben, bei
einem geadhteten berühmten Schriftfteller ſey wenigſtens Zuſam—⸗
menhang und Webereinftimmung in den VBorftellungen herrfchend,
an denfelben berangeht, und fih dann in die Schwierigkeit, die
Uebereinftimmung einzufehen, verwidelt, bis es ſich durd fand»
baftes Verfolgen und Wergleichen herauswirft, daß man in völ⸗
lig _widerfprechenden Beflimmungen herumgetrieben wird, ja,
- woran man zunächft gar nicht denken kann, in dem Widerfprude
der Behauptung deffelben Standpunkts, gegen welden von dies
7. Ueber ©.....1'8 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol. Wiſſen. 147
fer Theorie des Nichtwiſſens fo eben die ſchärſſte Widerlegung
und Verurtheilung geivendet worden war.
Doch ift vorher anzuführen, wie in Beziehung auf das
Nichtwiſſen die Unterfheidung der Standpunkte, weldhe den nä⸗
bern Gegenftand diefer Schrift ausmachen, eingeleitet wird. Das
Berhältnig derfelben ift S. 9 beſtimmt fo angegeben: „Die
Berziehtleiftung auf das Philofophiren, die es nur bis zum
Nihtwiffen bringt, ohne daf der von der verabfchiedeten
zerſtörte Glaube wieder bergeftellt wird,
ift er angefehen nur halbe Berzichtleiftung.“ — „Denn
das unglüdlide Element der Wiffenfchaft, weldes den’
Glauben zerflört, und eben deswegen ihr felbft die Verabfehie-
dung zugegogen hat, ift wirklich nicht verabfehiedet worden. Zu
Eonfequenter Verzichtleiftung gehört vielmehr, daß auch jenes ums
glückliche Element nit anerkannt wird, womit demfelben
von felbft fein Einfluß auf den objektiven Glauben benommen
iſt. Siernach ergiebt ſich ein zweiter Standpunkt in folgender
Befimmung (S. 10): „Nachdem durch die Konfequenz jener
Berziehtleiftung dem Gedanken oder vielmehr deſſen wereinzelten
Elementen fein einfeitiger, negativer Einfluß auf den über
ihm fichenden objektiven Glauben und hiermit die höchfte Autos
eität, Die der Gedanke ufurpiven wollte, entzogen, der Glaube
felbft aber als die Treue des unbedingten Vertrauens auf die
geoffenbarte Wahrheit ‚gefichert ift, Kann es nicht fehlen, daß
demungeadhtet die Vernunft im Dienfte des Glaubens und uns
ter der Zucht des Wortes, als der Mahrheit, gebraucht wird,
um Die gegebene Vorftellung mehr und mehr zum Leben und
zum Berftändniffe zu bringen; fo erzeugt fid) die Stufe des
Glaubens und Wiſſens, welde beides fondert, diefes jenem:
unterordnet, fo daß der Gedanke dem Glauben mur nügen, nicht
fdaden kann; — eine Stufe der Glaubenserkenntnif, die auf
der Stufe des abfoluten Wiffens (dem dritten Stand»
punkte), weldes die Wahrheit in der Form der Wahrheit hat,
118 - j u IH ‚IV. Kritiken, i 12 ....:ıl0 MER ZZ
als das in der Vorftellung gegebene, und mit Gedan-
- Ben durchflochtene, aber nicht von dem Gedanken durchdrun⸗
gene Wahre bezeichnet wird, weil diefe Stufe mit dem Ger
danken nicht foweit als mit dem Glauben ift und diefen von
ihrem Berftande unabhängig weiß. Diefes Glauben, und Wis
fen ficht demnach zwiſchen dem Richtwiſſen und dem abfo
Wiſſen in der Mitte.“ — Der Hr. Verf. geht zuerft am die
Betrachtung der beiden Extreme, in dem Intereffe, die Philoſo⸗
phie unferer Zeit nad ihren legten Refultaten, d. h. in. ihren
Verhältniffen zum Chriftenthum näher und gründlicher tennen
zu lernen. ah
Die Schrift zerfällt daher in die drei Theile: L Das
Nichtwiſſen. I. Das abfolute Wiffen, und III. Glau—
ben und Wiffen. Wir wollen verfuhen, der Darftellung in
den Haupt-Miomenten zu folgen; aber da fie ausgezeichnet geifte
und gebankenreich, gedrängt in ihren Folgerungen und zugleich
von frifher warmer Lebendigkeit if, wird, wenn über die allges
meinen Ausdrüde des Urtheilens zu einer abgefürzten Anführung
des Inhalts hinausgegangen wird, au diefer an dem Gewichte
und Berdienfie, das ihm die Darſtellung giebt, freilich .—
müffen.
Zu der erfien Abtheilung giebt der Hr. Verf. A
nad) Anleitung der jacobi'ſchen Schrift von den göttlichen
Dingen die Antworten an, welche das Nichtwiffen auf „die
legte aller Tragen,” die Frage: Was ift Gott? ertheilt. —
An diefer Frage zeigt fh das Nichtwiſſen in feiner ganzen Un—
befangenheit. Gott iſt; das ift das Erfte. Gott iſt Gott;
das ift das Zweite und Legte; Erift allein Sid ſelbſt
glei, und aufer Ihm ift Ihm Nichts gleich (nach dem Prinz
cip der abfiratten Identität des Verſtandes). Hiermit iſt die
Wahrheit unmittelbar gewiß; und es folgt daraus das Ue—
brige; Gott iſt — Alles, was wir nicht wiffen Binnen,
er. ift toto coelo von dem geſchieden und verfcieden, was Er
Bas
|
7, Ueber &.....1°5 Aphorlsmen über Nichtwiſſen u, abſol. Wiſſen. 119
nicht Selbft ift, auferweltlih, tranfcendent — und doch auch
in und mit ung — ift wirklich, kein Individuum, kein Einzel
"nee — und doch Perfon, ja die Perſönlichteit felbft; — Pers.
fon und doch ſchlechthin unendlich, grenzenlos, überall und nir-
gends. — Daß ſich diefes Sag für Sag aufhebt und widers
fpricht, entgeht dem Nichtwiſſen nicht; es folgert aber daraus
nur, daß Gott unbegreiflih, unausſprechlich ift, was ſchon im
dem oberfien Sag liegt, daß Gott nur fi ſelbſt gleich if.
„Statt dag nun diefes Richtwiſſen,“ fährt der Hr. Verf. fort,
„gerade auf die Nothwendigkeit und Wirklichkeit der Offen⸗
barumg des (nad) jenem Nefultate) in ſich verborgenen
Gottes führen follte, beſchränkt es ſich mit der im Gewiffen ges
gebenen natürlichen Offenbarung, fo ſehr fie aud) der Natürlich
keit des Gedankens widerſpricht;“ — jene fogenannte natürliche
Offenbarung im Gewiffen ift das unmittelbare Wiffen, alfo
Wiſſen nur jener abfiratten Sichfelbfigleichheit Gottes, das fid)
dem Gedanken entzieht, welcher vielmehr für ſich auf Fülle des
göttlichen Wefens und fomit auf Fonkrete Erkenntniß getrieben
if, Diefes unglüclihe Herübers und Hinübergeworfenwerden
der Seele, diefes ihr raftlofes Abmühen, ihren eigenen Anſichten
zu entflichen, die fie doc nicht laſſen Tann, wird nun weiter
In dem ausgefprochenen Worte, der Schöpfung, if Gott
die Urfache, er erfand das Maaf und die Geftalt, Gefeg und
endliches Wefen, Raum und Zeit, die Tage und Jahre und
Drte, die Sprache und die Sprachen, den Begriff und den
Menſchen; er ſelbſt if nicht nad Maaß, ift über Zeit und
Raum 1 f. f., er felbft fpricht nicht; — unter allen diefen Re—
densarten löſt ſich Gottes Realität und Selbfiftändigkeit nur in
das unendliche Wefen auf, das aller Wirklichkeit zu Grunde
liegt, ohne felbft für ſich, ohne wirklich zu feyn. „Immer wird
‚wiederholt, daß es in dem Intereffe der bekämpft werdenden
Wiſſeuſchaft liege, die Realität aufzulöfen und zu vernichten,
490 IV. Kritiken.
indem das Objekt aufgehoben werden müffe, um gewußt zu wer⸗
den. (Der Hr. Verf. citirt hierzu auch die Schrift: die wahre
Weihe des Zweiflers, zweite Beilage.) Und doch fehen wir die⸗
jenigen, welde auf diefe Weife ihr Nidwiffen deduciren, in
gleichen Nihilismus verfallen.“ — Der Hr. Verf. behält fehe
feft diefes Unwefen der behaupteten Sichfelbfigleichheit, der abe
ſtrakten Identität im Auge, in welcher diejenigen immer behar⸗
ten, welche, indem fie die ſpekulative Philofophie bekämpfen, fle
Identitätsſyſtem zu nennen ſich nicht entblöden. Er hält es feſt,
daf das jacobiſche Princip nichts ift, als diefe Identität, welche
zunächſt Nihilismus des nur unendlichen Weſens und dann, in
ihrer affirmativen Form, der Pantheismus iſt, den Jacobi
aufs Beſtimmteſte anderwärts fo ausgeſprochen hat, daß Gott
das Seyn in allem Dafeyn ift, d. h. jenes immanente und
zugleich ganz unbeflimmte Abftrattum. — Insbefondere zeigt er
ferner, wie Jacobi ſich gegen das Chriſtenthum verhält, „das
Chriſtenthum,“ fagt er ©. 21, „ift hier, wie überall, die Probe,
- an der die geheimften Gedanken der Seele offenbar werden und
. zerſchellen; die hochmüthige Idee nimmt trog aller Demuth
und Befcheidenheit ein Aergerniß an der Knechtsgeſtalt des Soh⸗
nes Gottes; — dieß Aergerniß wird von dem menſchlichen Hoch⸗
muth dadurch befeitigt, daß wir das, was uns an der fremden
Merfon ärgert, auf ung übertragen, denn an uns felbft können
wir ſolche Vorzüge ſchon eher leiden. Indem: wir die fremde
Erfcheinung als unweſentliche Einkleidung anfehen, und das
Weſen in die Idee, die Idee in uns felbfi fegen — als die
Kunde des innerfien Gewiſſens — find wir des Aergerniſſes
überhoben;” — „wir find jenes Ideal, der Jrrthum des Chris
ſtenthums liegt nur darin, daß dieß Ideal auf ein einzelnes
Menſchenweſen übertragen wird.”
Ferner wird genau nachgewiefen, wie in diefer Theorie der £
Verſtand, „welder ſich befcheiden mußte, von göttlihen Dingen
nichts zu wifjen, mithin aud aus dem MWiderfpruche und der
7 Ueber ®.....18 Aphorismen über Nichtwiffen u. abſol. Wiffen. 121
Ungedentbarkeit nicht auf das Nichtſehn fließen, und dem, was
ſich widerfpricht, mod nicht die Realität abſprechen konnte, —
wie auf einmal derfelbe Berfiand gegen die Geflalt in der
Religion mit infallibler Dreiftigkeit nad demſelben Gefege des
Widerſpruchs entſcheidet, welches er (f. oben) erft auch antiquirt
hatte.” — „Faſt fheint es, als wenn unfer natürlicher Menfch
vor Gott in Seiner Majeftät weniger Scheu empfände, als vor
Gott win» Seiner Erniedrigung” (der Gott nur in feiner Ma—
unnahbare Gott, den der Menſch als das Jenſeits
vom Leibe und vom Geifle hält); der Gott des Vers
aus purer Unendlichkeit zu vornehm, fid in unfer
Fleiſch und Blut zu tleiden; „es gehört,“ fagt der Verf, „eben
bie ganze, Liebe Gottes dazu, ſich thatſächlich, perfönlic in fein
gefallenes Geſchöpf zu verfegen, und es ſelbſt zu ſeyn.“ —
»Diefe Philofophie des Nichtwiffens hat gelehrt, Gott kennen
heiße Gott verendlihen, erniedrigen; nun Tonnten wir freilich
Gott nicht ernicdrigen, folglih auch nicht ertennen. Jetzt
erniedrigt Er aber Sich Selbft zu Seiner Offenbarung, und «
nun nehmen wir wieder in unferm Stolze an Seiner Niedrige
keit Anſtoß.“ Diejenigen, welde dem Glauben an die Offen»
barung getreu bleiben, aber in der Behauptung, daf Gott nicht
zu erkennen fen, mit dem Nichtwiffen übereinftimmen, behaupten
ſo in Einem Flufe der Rede, Gott habe fi in Chriflus den
Menſchen geoffenbart, und zwar habe er dieß von ſich geoffen-
bart, daß er ſich nicht geoffenbart, daß er ſich micht zu erkennen
gegeben habe. Sie nehmen an, Gott habe fih zum Menfchen
verendlicht, die Endlichkeit in ſich und ſich in die Endlichteit
‚gefegt, er ſey aber nur das abfirakte Unendliche, das von der
Endlichkeit ganz entfernt gefaßt werden müffe.
Dem Antworten in den jacobifhen Darftellungen * die
andere Frage: was iſt der Menſch? folgt der Hr. Verf. von
©. 30 — 47 ebenſo genau in den Anläufen, Schwankungen
und Widerfprüchen nad, in die cs ausläuft. „Die Frage: was
12 70T 0 0 Kriciten. han 0
- if der Menſch? flieht mit der Frage: was iſt Gott? in
folder Wechfelwirtung, daß mit einer au die andere beante
wortet feyn würde, — denn rigentlid fragen wir dod mit beis
den nichts Anderes, als: was ift Gott im Verhättniffe
zum Menfhen? was ift der Menfh im VBerhältniffe
zu Gott?“ — Ein fehr wichtiger Sag, den diejenigen nicht
einfehen, die nur das Verhältnif des Menfchen zu Gott ange
ben und erkennen wollen, und dabei behaupten, daf man von
Gott nichts wife. Indem vom Hrn. Verfaffer den jacobi'ſchen
Darfiellungen tiefe Blide in das Herz des Menfchen zugeftane
den werden, wird ebenfo bemerklich gemacht, daf oft, wo über
die höchſten Fragen Erwartungen von Auffchlüffen erregt wer—
den, dieſe auf allgemeine Yusfprüche, mit denen nicht viel ges
wonnen, auch auf die „Iehrreiche Unterbrechung durd) die Anz
Fündigung, daf das Nahteffen aufgetragen fey,“ Hinz
auslaufen. Insbefondere wird die ſchöne Seele, die in jenen
Darſtellungen ſich fo heraushebt, näher unterfudht, dann aber
der Grundirrthum aufgededt, der überall über die Hauptſache,
über die Natur des Böfen, obwaltet, Diefer zeigt fi darin,
daß aus dem Seyn die Güte des Seyns abgeleitet wird (auch
nad dem Berftandesfage der Identität), und daf, wie ſich der
Hr. Verf. ferner ausdrüdt, gefehloffen wird, daf das Herz auch
edelgeboren fey, weil es, was das Nihtwiffen gern zugiebt,
edelgefhaffen if. Diefes Nichtwiſſen, weldes doch nichts
weiß, fege dabei das wirtlihe Schn des Menſchen unmit—
telbar voraus. Um diefe Beflimmungen des Hrn. Verfaſſers
auch nur zu verſtehen, müßte das Nichtwiſſen freilich die weſent⸗
lichen Unterſcheidungen, von dem, was nur urſprüngliche, ab⸗
ſtrakte Natur, Anlage, noch nicht Wirklichkeit iſt, und zwiſchen
dem, was Wirklichkeit iſt, kennen. Zur Erläuterung mag bier
nur dieß angeführt werden, daß das Thier ebenfo wohl als der
Mensch gut von Natur, und des Thieres Wirklichkeit auf dieſes
von Natur Gutſehn beſchränkt iſt. Aber die Wirklichkeit des
7. Ueber &..... 178 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol. Wiffen, 123
Menſchen iſt eine erſt geiftig zu bewirkende, und weſentliches
Moment iſt darin, daß das von Natur Gutſeyn nicht das iſt,
wodurd er feine Wirklichkeit ſchon hätte, da diefes Gutſeyn
von Natur für diefes fein geifliges Seyn, worin allein feine
Wirklichkeit befteht, vielmehr das Nichtgute ift. Näher zeigt der
Hr Berf., daf jener Grundirrthum fi dahin entwidelt, die
Natur des Böfen fo fehr zu verkennen, daß, wenn dod) ein—
mal die Rede von demfelben ſeyn foll, daffelbe bloß in die
Endlichkeit geſetzt wird, ſo daß das Endliche ſich in der Er—
kenntniß als Nichtwiſſen zeigt, im Willen als Sinnlichkeit.
Das Gute, das wir wirklich in unferem Herzen finden, leiten
wir aus unferem Herzen ab, hingegen das Böfe, wenigſtens
den Hang dazu, fehreiben wir nicht unferer Freiheit, fo
viel wir aud) fonft von ihr halten, fondern unferer Endlichkeit,
unferer Sinnlichkeit zu; diefe aber ift an ſich nichts als nothe
wendige Schranke für diefes Leben. — So laffen wir Böſes,
Endliches, Unvolltommenes, Sinnliches bunt durch und in eine
ander fliegen, und um ja nicht aus dem behaglichen Dunkel -
über ums felbft hinaus zu fommen, thun wir das Letzte hinzu,
die Schuld des Böfen — als des Sinnlichen, Endlichen, der
nothwendigen Schranke für diefes Leben, auf Gott zu wälzen,
welches wir wieder damit gut machen, daß wir das Böfe etwas
beffer machen. - Und doc, fügt der Hr. Verf. hinzu, bedürfte es
für Diejenigen, die aus ſich felbft nichts zu wiffen eingefehen ha—
ben, — wenn das Nichtwiffen die Herzenseinfalt und Geis
fiesarmuth wären, welche in der Bergpredigt felig gepriefen
wird, — weiter nichts, als daf fie fih vom Worte Gottes be
ben; — ein einziger, ernfter, heller Blick in das dritte
Kapitel der Genefis wirde genügen, um über fid und die Welt
zum Berftändniffe zu tommen.“ (Im Nachwort S. 190 kommt
der Hr. Verf. auf diefes Kapitel zurück, und giebt auf Veran⸗
laſſung ‚einer Neuerung des Ref. in diefen Jahrbüchern inter
zeffante, klare Erläuterungen darüber.) Wie das Nichtwiffen mit
124 IV. Kritiken.
den tieferen Bedürfniffen und Gedanken unbetannt if, fo glaus
ben und nehmen au, wie der Hr. Verf. bemerkt, die vorhin
erwähnten „ſchönen Seelen” der jacobi’fhen Zeit von Bibel
und Katechismus nicht allein nichts an, fondern wiffen aud
wirklich nichts davon. — Ein Beifpiel giebt die bei einer ans
dern Gelegenheit angeführte fromme Fürſtin Galligin, die erſt
durch Hamann veranlaßt wurde, fi mit der Bibel, die fie nie—
mals noch gelefen hatte, befannt zu machen.
Im zweiten Abfhnitt (S. 48 — 115): Das abfolute
MWiffen, fest der Hr. Verf. den allgemeinen Standpunkt ſo—
gleich fo feft, daß alle Geiftesthätigkeit (nicht ein befonderes
Bermögen oder Theil des Geiftes) ſich eben dadurd als Geift
erweife, daß fie das ihr entgegengefegte ruhige Seyn in ſich aufs
zunehmen und hiermit den Dualismus, welder fie von dem
Seyn trennt, aufzuheben das Streben hat, um nidht an, fon
dern in dem Gegenflande zu fryn. — Die als die Natur der
Thätigkeit des Geiftes überhaupt ins Auge gefaßt; würde der
Pſychologie zu einem weniger oberflächlichen Zuftande verhels
fen, als der ift, in weldhem wir fie gewöhnlich fehen; und ums
gekehrt, wenn die gewöhnlichfien Thätigkeiten des Geiftes im
dem, was fie bezweden und vollbringen, unbefangener und zwar
nur empirifch betrachtet würden, fo würde dadurch gleichfam als
durch eine Induktion die Apprehenfion entweichen, welche die
fpetulative Idee bei den Ungeübten erwedt, indem Diefe nichts
Anderes ausfpricht, als was am offenbarfien in allem Thun der
Seele ſich zw erkennen giebt. Gewöhnt an die Form der Jdre
in diefer ihrer Erfcheinung der Anwendung; würde das Bewußt⸗
feyn leiter die Idee für ſich felbft im ihrer Unbeſchränktheit
faffen, wo es nicht mehr um endlichen Gehalt, fondern um den -
unendlichen der Wahrheit felbft zu thun ift. Die Aufgabe und
das Streben, von dem nun der Verf. fpricht, geht auf diefe
Wahrheit; es gehört der gefammten Geiftesthätigkeit am, in
welche fi der Geift aus jenen befonderen Gefchäftigkeiten und
7. Ueber G....ls Aphorismen über Nichtwiſſen u. abſol. Wiffen, 125
deren befehränttem Gehalte zurüd nehmen muß. Es ift (S. 48)
nicht dem menſchlichen Geifte an und für ſich, d. i. dem Geiſte,
der fih dem Menſchen offenbart, fondern eben dem Menſchen
ſelbſt im feiner abfiraften Natürlichkeit, der Zerftüdelung des
Geiftes in einzelne Richtungen und der eigenmächtigen Operas
tion mit vereinzelten felbftifchen Kräften zur Laft zu legen, wenn
das Streben auf keine Weife befriedigt, die Aufgabe auf keine
Weife gelöfet wird, wodurch es endlich dahin Lommt, daß Sehn
und Wiffen ſich gänzlid trennt, und Erſteres als das Un-
verwũſtliche eben darein gefegt wird, daß cs nicht weiß und
nicht gewußt wird.
Das Seyn ift unwahr und unwirklih, weil es A
rn wirklich iſt nur der Geift, womit von felbft
Endlihes und Unendliches aus der Wirklichkeit ſchei—
den.” (S.49.) Diejenigen aber können nicht zu diefem Scheis
den und damit auch nicht zum Bewußtſeyn der Wirklichkeit ge-
langen, welde an dem Gegenfage des Endlihen und Unend»
lichen und, eben deswegen am Endlicen Leben bleiben. Scharf
finnig vergleicht num der Hr. Verf. Nichtwiſſen und abfolutes
MWiffen in Anfehung ihres Verhaltens zum Seyn; beide foms
men darin überein, daß fie dem Seyn eine Unerkennbarkeit zu—
ſchreiben, fie, unterfcheiden fi) aber dadurch), daß das Nichtwiſſen
dieſem Seyn die Wirklichkeit zufchreibt, das abfolute Wif-
fen aber dem bloßen Seyn nicht nur die Erkennbarkeit, fondern
damit aud die Wirklichkeit abfpricht; dem Nichtwiſſen ift Seyn
und Nichtwiſſen, dem abfoluten Wiffen Nichtſeyn und Nichtwiffen
identifh. — Das Nichtwiſſen weiß viel von einer Erhebung
über die Natur zu reden; aber es liegt in feiner Natur, nicht
zu wiffen, was es heißt, fi über die Natur zu erheben; die Er—
hebung über die Natur würde das Nihtwiffen in Wiffen ver—
wandelt haben,
Nach diefer AUndeutung des Weberganges von dem Nichte
wiffen zum Miffen, die ihre weitere Beftimmung in dem Gate
126 007 1V. Kritiken. 7 "5
bat, daß fo lange Gott dem Subjett nur als Gegenftand
'entgegentritt, er nicht erkannt werden Bann, betrachtet der Hr,
Verf. wieder zuerft die Frage: was iſt Gott? „So lange wir
Gott nicht wiſſen, wiffen wir überhaupt nichts, denn was if
außer Gott und ohne Gott?” — Der Hr. Berf. geht,
einer Seits frei von den Trivialitäten und Eitelteiten der end⸗
lichen Reflerion, anderer Seits feft in dem chriſtlichen Glauben
— in dem lebendigen, erfahrenen Pfingfiglauben, welcher aus
dein Gehorfam des Kirchenglaubens ſich entwidelt — in das
Innerſte der Nacht diefes Grgenftandes, welhe für den zu jener
Freiheit und zu jener Feſtigkeit gekommenen Geiſt zum Tage
der Erkenntniß ſich erleuchtet: Es wird dabei von Darſtellun⸗
gen des Neferenten ausgegangen, es werden „wo möglich die
verfänglichften und gefährlichften, oder die verſchricenſten Aeuße—
rungen“ vor dem Lefer vorübergefühtt, die Säge mit der Lehre
der Schrift verglichen, und Schwierigkeiten und Mifverfländ-
niffe, die ein im endlihen Denten befangenes Meinen erwedt,
oder vielmehr Abſprünge und Abgleitungen von dem Sinne und
wirklichen Inhalte der Säge vorgenommen umd aufgeklärt. Der
4 Herr Verf. behandelt: den fpefwlativen Gegenftand mit ebenfo
viel Yebendiger Originalität als mit der fhärfften Beſtimmtheit
des Denkens; die Begriffe gewinnen in der friſchen und ſcharf—
finnigen Behandlung eines feloftftändigen Denkens weitere Ve:
währung und neue Klarheit. Es find Hauptſäte, und einige
Züge, die wir davon kurz herausheben wollen. Nadidem die
Immanenz des Begriffs aus dem Sage, daf die abfolute Subz
flanz ebenfo fehr Subjekt, und das abfolute Subjekt ebenfo fehr
Subftanz ſeh, beftimmt worden ift, wird (S. 62) angeführt, daß
die Schrift, indem fie lehrt, daß der Menſch aus ſich felber,
aus feiner von Gott getrennten Subjettivität zu Gott und zur
Erkenntniß Gottes nicht gelangen kann, ſich felbft als das Wiſ—
fen erweift, welches nichts Anderes ausfagt, als daß der Menſch
nur durch Gott, als das allgemeine Wiffen (das befondere Wifr
7. Ueber &.....18 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfol. Wiſſen. 427
ſen ift das von Gott getrennte, eigene, zufällige Wiſſen des
Menfihen), zu Gott als der allgemeinen Wahrheit gelangen
kann. Näher werden folgende Säge entwidelt., Das Erfte
iftz Gott felbft ift nicht bloß das ewige Seyn (Subftanz), fons
dern aud das Wiſſen Seiner Selbft (Subjett) — wie mögen
"die, welche die, fpetulative Philoſophie beurtheilen wollen, diefen
ausdrücklichſten Sat derfelben ignoriren, um fie des. Pantheis-
mus zu befehuldigen! —; Gott ift nur infofern wirklich, als Er
Sid) felbft weiß; mit Seinem Bewußtſeyn wird und verſchwin⸗
det fein Dafeyn; mit diefer Beziehung des Seyns und Wiſſens
auf Gott, als das abfolute Objekt, welches ſich felbft abfolutes
Subjekt ift, ftimmt die Schrift überein. Das Zweite iſt (&
63, 65): Gott, als das Seyn in Sid Selbſt, if das Willen
Seiner in Sich Selbſt — Selbfibewuftfenn Gottes —;
und als das Seyn im Andern ift er das Sichwiffen aufer-
halb Seiner, — das Bewuftfenn Gottes, in der Welt, in
den einzelnen Wefen als Kreaturen Gottes; — indem aber
Gott in feinen Kreaturen ſich weiß, ift dieß AWußerfid-
ſeyn ebenfo wohl wieder aufgehoben, aufgelöfet; denn die
einzelnen Wefen find nach ihrem Seyn und Wiffen in Gott
als aufbewahrt, fie find nicht Gott felbft, vielmehr ift Bott nur
Er felbft in Sid Selbſt. Wenn Gott wirtlid in und mit fei-
nen Kreaturen ift, welches die Schrift lehrt, fo ift and das
Wiſſen Gottes in ihnen — weil er nur ift, indem er ſich weiß
— und diefes Wiffen Gottes im Menſchen iſt ebem die allge
meine Bernumft, die nicht meine Vernunft, auch nicht ein ges
meinſchaftliches oder allgemeines Vermögen, fondern das Seyn
felbft if, die Identität des Seyns und Wiffens. — „Das Seyn
und Wiffen Gottes in mir enthält daher nicht bloß die Erkennt⸗
nig, welche Gott von mir bat, fondern auch die Erkenntnif, die
ich von Ihm habe, und die mehr oder weniger durch das Ich
getrübt werden kann, je mehr oder weniger fic aus der Identi—
tät mit der — Gottes von mir heraustritt. Für dieſes
4128 | IV. Kritiken. *
Zweite, die Beziehung des Seyns und Wiſſens auf den Men—⸗
ſchen — die Subflanz ift ebenfo Subjett — ſpricht wiederum
die Berheifung” Die Bergleihung jener Säge mit der Schrift
wird durch folgende Ausdrüde näher gebracht (S. 63): „Gott
weiß die Welt, die Menſchheit nur infofern, als er in ihr ifl,
oder, wenn fie nicht in Ihm geblieben ift, Sich, feiner Seits in _
fie verfegt. Der Menſch weiß Gott nur infofern, als er in
Ihm ift, oder, wenn er abgefallen ift, wieder in Ihn verfegt
wird. Der Menſch kann aber nur dur Gott in Gott fehm,
und wenn er foldhes einmal aufgehöret hat, nur durd Gott in
Gott verfegt werden, und zwar nur infofern, als fih Gott ze
vor in ihm verfegt und felbft Menſch wird und fih ihm offen
batt. Nur im diefer Offenbarung, nur in Jeſu Chriſto er⸗
fennet der Menſch Gott, und hat feinen Namen, indem er Gott
anbeten foll, als den Namen des Dienfchenfohnes” — Aber in
wie vielen Lehrbüchern der Theologie trifft man nod die Lehre
von der Menſchwerdung Gottes, in wie vielen noch Whilofophie an?
Der Hr. Verf. kommt nun auf die immer wiederholte An—⸗
tlage der Selbfivergötterung des Miffens, welde aus den
Sägen des fpefulativen Willens gefolgert zu werden pflegt:
Gottwiffen ift Gottſeyn. Iſt Gott, indem er den Mens
Then weiß, felbft Menſch, fo ift auch der Menſch, indem er Gott
weiß, Gott felbft; das if, heißt es, die unausweichliche Folge
des abfoluten Wiſſens, die es füch feldft nicht verhehlen darf.
Der Hr. Verf. zeigt zuerſt, daß in der Darftellung, deren Haupt
züge fo eben angeführt worden, diefe Konfequenz bereits befeitigt
if, Er zeigt, daß darin, daß der Menſch Gott erkenne, nicht
nur dieß liegt, daß Gott im Menfchen ift, fondern aud dieß,
daß der Menſch in Gott ift, aber nur dieß, daß der Menſch
in Gott ift, nicht daß der Menſch Gott ift; — die vorhin
gegebene nähere Beſtimmung enthält dieß fo, dag das Aufer-
ſichſeyn Gottes, fein Seyn in feinen Keeaturen, auch aufgelöft
if, daß die einzelnen Wefen in Gott find, nad) ihrem Seht
7. Ueber &.....18 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abſol. Wiſſen. 129
und Wiſſen als aufbewahrt, daß fie nicht Gott felbft find, viel⸗
mehr nur Gott Cr Selbſt in Sich Selbft if. Aber nicht aus
dieſer Immanenz, fondern aus der Identität, weldhes Wort
in der philofophifhen Expofltion vorgefunden wird, iſt es, daß
jene Konfequenz der Selbfivergötterung gemacht wird, — Bei
den fo eben angeführten formen, daß Gott in dem Menſchen,
der Meuſch in Gott if, könnte man an Jacobi’s Gewohn⸗
heit, in Präpofitionen zu philofophiren, flatt die Kategorien,
die im jenen nur enthalten find, wirklich auszudrüden, erinnert
werden, eine Manier, die, obgleich fie recht beſtimmt zu feyn, die
Beflimmtheit auf das Letzte, das Einfachſte der Präpoſitionen,
hinaus zutreiben das Anſchen hat, den Blick vielmehr im Unbe⸗
ſtimmten und Trüben läßt, und das Bewußtſeyn abhält, über
die Kategorien, -in denen det Verſtand ſteckt, wach werden
und fi darüber wach erhalten zu können. Wenn auch jene
Hormen, die der Hr. Verf. oft gebraucht, hie und da Schwierige
keit machen follten, fo ift dagegen fon aus dem Angeführten
zuglei hervorgegangen, daß denfelben jener Vorwurf nicht trifft,
fondern die Präpofitionen, die als -nothwendige Abbreviaturen
“auch in der philofophifhen Sprache von großem Dienfte find,
von ihm nur momentan angewendet werden, und daß fie fi
in ihre befiimmten Kategorien herausgehoben, umd diefe zum
Dialektifchen ihres Begriffes fortgeführt zeigen.
Diefes Wachfeyn über die Kategorien, welde der die Phi⸗
lofophie antlagende Verſtand gebraucht, ift es, was diefem fehlt;
es ift anziehend, zu fehen, mit welder Schärfe der Hr. Verf.
über diefes in feinem blinden Schliefen pochende Denken ein
offenes Auge hat und es in den Wendungen feines falfchen _
Spieles ergreift und fefthält. Es hilft nichts, einen philoſophi⸗
fen Begriff in feiner ſpekulativen Entwidelung dargeftellt zu
haben, nod auch außerdem aufzuzeigen, daß eine Behauptung,
deren die Philofophie angeklagt wird, innerhalb jener Entwide-
lung nit vorhanden fey. Die Ankläger der Philofophie machen
Bermifchte Schriften. * 9
130 IV. Kritiken.
ihre Konfequenz, und blyiben mit derfelben aufer jener: Expo»
fition fichen; denn es iſt die Konſequenz, die fie gefhloffen has
ben; darüber, daß fie richtig ſchließen können, kommt fein Zweis
fel bei ihnen auf. Sie zeigen jedoch damit nur, daß fie der
fpetulativen Erpofition nicht gefolgt find, fonft würden fie for
viel haben merken können, daß die formen des Schliefens, def
fen fie ſich undefangen bedienen, hier felbft in Anſpruch genom-
men werden, daß eine ganz andere Gedankenbildung vorausge—
fegt wird als die, im der fie fi unbefangen und zutrauensvoll
bewegen. — Um auf den Gang des Hrn. VBerfaflers zurückzu—
kommen, fo bemertt er in Anfehung der fo gewöhnlich urgirten
Identität zunächſt, daf diefelbe, wie fie im fpetulativen Er—
kennen vorkommt, den Unterſchied nicht ausſchließe, vielmehr we
fehtlih in ihrer Beſtimmung habe. Es gefhicht aus eigener
Machtvollkommenheit und Willfür, daß jene Ankläger die Iden—
tität, die fie als ein gefhriebenes Wort vor ſich fehen, allein
berauslefen, und fie fo abftraft gemacht der Philofophie zumu⸗
then; hätten fie die Augen auf die Erpofitionen felbft geworfen,
fo hätten fle gefehen, daf das Gegewtheil der abſtrakten Iden⸗
tität gefagt worden. Der Hr. Verf. rückt aber näher dem „im
Denten fo fehwerfälligen, d. i. trägen, als leichtfertigen“ Ver⸗
ftande auf feine VBerfälihungen. (S. 69.) Bon dem Urtheile:
Wiffen Gottes — Seyn Gottes, geht diefer Verſtand
kurzweg zu dem Schhluffe: alfo Gott wiffen = Gott fehn;
und von da zu dem Endrefultate: Wenn ih Gott zu wif
fen behaupte, muß ih Gott felbft zu feyn behaupten,
Bei dem erſten Schluffe ift das Vorderglied, Wiffen Gottes, in
Gott wiffen verändert worden, das zweite aber unverändert ge—
blieben; hierdurch wird der grobe Mißverſtand veranlaft, welder
gleichwohl nicht dem eigenen fehler, fondern dem Gegner beige:
meſſen wird, Wenn jene Veränderung des einen Theile des
Satzes vorgenommen wird, fo muß aud der andere gleichen
Schritt halten, auch in ihm Gott in den Accuſativ kommen,
[2
-
7. Ueber &.....1’3 Aphorismen über Nichtwiffen n. abfol. Wiſſen. 434
und damit Senn in Haben fih verwandeln, Gott wifen —
Gott haben. Haben iſt ein Seyn, das das nicht felbft iſt,
was es hat: Weiter iſt auch felbft der Uebergang von jenem:
‚ ®ott wiffen = Bott feyn zum Refultate: wenn Ich Gott
weiß, fo muß Ih Gott ſeyn, erfhlihen. Im Gottwiffen
war noch unbeftimmt, wer Ihn wiſſen könne, ob es nicht Gott
Selbſt ſey. Nun aber tommt Ich, diefer Ich dazu, und zwar
fo, daß Ih dem Präditate „Gottwiſſen“ vorausgefegt twerde,
36 {dom fertig da bin, ch’ es an Gott kommt; da ich
doch er Gott wiffen muß, ch’ ich mich wiffen kann, und erft
mid wiffen muß, ch’ ich feyn kann, ja zu allererfi Gott mid)
wiffen muf, eh’ ich Gott und in Gott mid wiffen fann. Der
Hr. Verf. führt zu diefer gründlichen Erörterung noch die los
giſche Beftimmung an, daß ich als diefer Ich, welden der
finnliche Verſtand meint, Gott nit wiffen kann, mithin
nur als aufgehobener dieſer, d. h. negativ dur Selbftent-
äuferung, pofitiv durd Gott Gott weiß, alfo mit anderen
Morten Gott nur weiß, infofern ich in Gott, alfo nicht die-
fer IH für mid bin. — Bollloinmen erreicht ift in diefer
&xpofltion die Abficht des Hrn. Berfaffers, in einem Ichrreichen
Beifpiel zu zeigen, wie der finnlich abſtrakte Verſtand fid mit
den fpekulativen Wahrheiten zu geberden pflegt, wie er denfels -
ben unvermerkt einen andern Sinn ertheilt. Der fpekulative
Begriff ſtellt Alles auf den Proceß der Gelbfientäußerung des
natürlihden Seyns und Willens des Menſchen, und macht die-
fen Proceß der geiftigen Wiedergeburt zum einzigen Inhalt der
Erpofition des wahrhaften Wiffens, wie zur einzigen Wirklid-
keit des Geifles. Aber im Schlafe des Gedantens macht der
ſinnlich abſtrakte Verſtand die unvermerkte Verfälfhung, wie
feine Identität an die Stelle der Begriffs- Identität, fo an die
Stelle des Begriffs der Subjektivität und des Wiſſens und ih-
res Procefies, das unmittelbare Subjekt, Ich diefen Wiſſen⸗
u: Er
—
132 IV. Kritiken. 1—
den, die natürliche Geburt und das unmittelbare natürliche Mei⸗
nen und Wiffen zu fegen. i
Auf die philofophifche Beantwortung der Frage: was iſt
der Menſch? (S. 76 — 116) können wir uns, da wir bereits
fo weitläufig geworden, nicht fo ausführlich, wie fie es verdiente,
einlaffen. Die Beantwortung jener Frage wird in dem Intereffe
der beftimmtern Frage: wie der Menſch zu Bott gelange?
betrachtet. Hierüber wird ſogleich bemerkt, daß diefe Stellung
der Frage nur dem Verflande des Nichtwiffens zufommt, das,
dem eben gerügten Fehler gemäß, von dem Subjekte als dem
Erften ausgeht, und dadurd fogleich die Antwort abſchneidet
und verfümmert; daß dagegen im abfoluten Willen, das von
dem Abfoluten, von der Subflanz als dem objektiven Worte
Gottes ausgeht, es fh fragt: wie Gott zu dem Menſchen
gelange? — Es kommt hier vornehmlich auf die ſchwierigen
Begriffe von der Freiheit, dem Böfen und der Sünde, und
dann der Berfühnung an; der Hr. Verf. faft diefelben in
ihrer tiefften Wahrheit auf. — Die Freiheit (S. 84) iſt nach
ihrem wahren Begriffe und Weſen der abfolute Wille, als abs
foluteer Wille ift fie in ſich ſelbſt beftimme Willkür ift das
Gegentheil der Freiheit, die Knechtſchaft der Sünde, Gott iſt
frei, weil er die Macht if, Er Selbſt zu ſeyn. — Die Natur
des Böfen ift in der ganzen Beftimmtheit ihrer Schwierigkeit
angegeben. Das Böfe ift nicht bloß das abwefende Gute,
fondern dich Negative behauptet im Gefühle eine pofttive Wirte
lichkeit; und doc ift es nur das an fi) Nihtige; die Sünde
beruht auf Abfall, Verwirrung, auf Nichts — fie ift eitel Täu—
EB
fung; das Böfe ift daher, da es beides, eine pofitive Wirte
lichkeit, hiermit das Gute, und die Nichtigkeit in ſich enthält,
das verkehrte, entgegengefeßte, entflellte Gute; es kommt ihm
eine, aber auf den Kopf geflellte, Wirklichkeit zu. Da es das
Fürſichſeyn iſt, fo ift diefelbe die fubjettive, mithin halbe Wirk⸗
lichkeit; die wirkliche Wirklichkeit iſt An- und Fürfihfeyn; das
7, Ueber &,....18 Aphorismen über Nichtwiſſen U. abſol. Wiſſen. 133
Anſich des Böſen, das Gute, geht das Vöfe felbft als den fi)
auf das Fürſichſeyn fegenden Willen nichts an, das Böfe ift
auf fein fubjeftives Seyn und Weſen befchräntt. — Bei dem
Begriffe des Böfen wird fomit nicht weniger gefordert, als den
Widerſpruch zu denken, was nad der gewöhnlichen Logik,
dem Epfieme der Berftandes- Jdentität, unmöglich ſeyn fol,
und zwar ift das Böfe fogar als die Eriftenz des Wider
ſpruchs zu faffen. — Es hängt mit dem Böfen unmittelbar der
Begriff der Erlöfung zufammen, welde gleichfalls (S. 90)
nicht nur als Aufhebung und Vernichtung des Böfen oder der
Zrenmung von Gott, fondern auch nad) dem in der Negation
ſchon enthaltenen pofitiven Momente als Verföhnung dis
böfen Wefens mit Gott als mit dem Guten zu faffen iſt. Hier
bat der Verf. die Kühnheit, ſich des Ausdruds nicht zu enthak
ten, daß die Erlöfung als Verföhnung die Aufhebung des
Unterſchieds zwifhen Gut und Böfe if. Dieß entwidelt
der Hr. Verf. fo: die Verfühnung tft nicht ohne Vergebung;
Böfes verzeihen enthält aber das Gedoppelte, nämlich erftens,
daß darin das Böfe als Böfes anerkannt wird (nicht, wie
oben, in dem Sinne, daß der Menfh gut geboren und das
Böfe nicht böfe, nur Schranke, Endlichkeit, Sinnlichkeit fey),
indem es der Verzeihung bedürfen foll (die Schranke,
Endlichteit, Sinnlichkeit, bedarf keiner Verzeihung; für fle-ift
die Berföhnung und Erlöfung überflüfftg, fogar finnlos); aber
zweitens enthält die Verzeihung des Böfen auch ebenfo wohl, -
daß das Böſe als an ſich gut anerfannt und mit dem Guten
ausgeglichen wird, indem es wirklich Verzeihung erlangt.
Der Hr. Verf. entwidelt diefe Begriffe in dem Laufe ihrer
Rechtfertigung gegen die Einwürfe des abftraften Verſtandes
und gegen deffen Auffaffungsweife des Spekulativen, welche ſich
auch hier, wie immer, darauf reducirt, von dem fontreten Gans
zen nur das Halbe aufzufaflen, und das Faktum der Totalität
des Begriffes zw einer Halbheit zu verfälfchen. Es ift ebenfo
4
194 IV. Kritiken.
intereffant als lehrreich, zu fehen, wie forgfältig der Hr. Werf.
diefe Halbheiten der Abſtraktion feftyält und erörtert; der JIrr⸗
thum, die Unwahrheit ift immer das, was in der Halbheit fles
hen bleibt; die Abſtraktion, von der diefelbe erzeugt wird, if
(S. 80) die abfolute Diskretion des harten Herzens, welches
für ſich if, fih in feiner flarren Vereinzelung zum Wefen malt,
und als das Böſe und Richtige ſich erweift; fo it (S. 84) die
finnlihe Verſtandesweiſe, welde einen abftraften, unlebendigen,
finnliden, mafhinenmäßigen Begriff an die Stelle des ſpekula⸗
tiven Begriffs unterfchiebt, die Sünde, welche alle Begriffe ver⸗
kehrt, und ſie verunreinigt.
Der, Berftand, der nad) dem Gefege der Identitãt verfãhet,
hebt alle Schwierigkeit, die im Begriffe des Böſen liegt, mit
der Entfernung des Widerſpruchs auf, aber eben damit die
Sache ſelbſt, den Begriff des Böſen, welches der Widerſpruch
ſelbſt iſt, und klagt dennoch die Philoſophie des Vergehens am,
etwa nicht fo ſehr deſſen, den Begriff des Böſen dis vielmehe
den Begriff des Guten zu verderben dur Jpdentificirung deſſel⸗
ben mit dem Böſen. Der Hr. Verf. bleibt auch hier nicht zus
rüd, die Täuſchungen zu verfolgen, wenn ſie noch ſo ſehr glei⸗
fen. Vom Verſtande auf das Acrußerſte getrieben (S. 91), er⸗
kennt die Einſicht, daß das Gute, auf welches der Verſtand
pocht, weil es ein Abſtraktum iſt, ſelbſt böſe iſt, da es als
ſolches nur Anſich Gutes exiſtirt, in dem Fürſichſeyn ſelbſt,
wæas der Mangel feiner Beſtimmung iſt, noch als abſtraktes feſt⸗
gehalten wird. Gut und Böſe, als die Pole des Gegenſatzes,
als diskrete Pole aufgefaßt, von welchen jeder den andern aus⸗
ſchließt und für ſich bleibt, find gleich böfe; — das Gute erxiftirt
fo in den Geftaltungen der fubjektiven Sefinnung der ſchönen
Seele und des abftraften Geſetzes der. allgemeinen Pflicht. Die
bloße Vorſtellung vom Guten ift freilich ebenfo etwas Unſchäd⸗
liches,- als fie ein -Unwirkliches if. Wie der Verfland bei feis
nem Guten nur die Hälfte, das Anſichſeyn, vor fih hat,
7. Ueber &.....1°6 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfol. Willen. 135
ebenjo faft er von der fpekulativen Idee in Betreff des Unters
ſchiedes von Gut und Böfe nur die Hälfte auf; wenn die—
fer Unterſchied als an ſich nichtig in ihr ausgefproden wird,
fo greift er die Moment auf, fhreit es als die ganze der,
als die ganze Beflimmung über den Unterſchied von Gut
und Böfe aus, und überläßt ſich moralifhen und frommen De—
flamationen dagegen. Erſtlich läft er das andere Moment,
die Beftimmung des Fürſichſeyns, willtürlid hinweg, welche
‚allen eriflirenden Willen, Handlung, Moralität, Imputation u.
f. f in ſich begreift, die Beftimmung, in welcher der Unterſchicd
des Guten und Böſen ausdrücklich gefegt und als weſentlich
behauptet it, im Begriff für unzertrennlich von dem Anſichſeyn
erklärt und logiſch als unzertrennlich aufgezeigt wird; fo daf
ſogleich hierdurch ausdrüdlih die Sache als nicht in jenem An—
ſich vollftändig ausgefprocen erklärt if, Außer dem Moment
des Fürſichſeyns läßt der Verſtand zweitens die dritte Haupt-
beflimmung hinweg, nämlich die Berföhnung, in welder erfl
und allein jene erfte, die er ifolirt, ihre Bedeutung und Wahr:
‚heit erhält, was in Anfehung der zweiten derfelbe Fall ift. ‚Ohne:
hin, wie anderwärts zur Genüge erinnert worden, iſt der Aus—
drud, daß am ſich das Gute und Böfe daſſelbe feyen, wie
er fo unmittelbar lautet, für ſich fchief und übel gewählt, fo
dafi-er gleichfam zu Mifverftändniffen einladet und auffordert;
es ift mehr der Verftand, der ihm zum Behufe feiner Polemik |
viel im Munde führt, als die Philofophie. Die konkrete Be—
deutung des Satzes aber, die er allein in der Verſöhnung erſt
befommt, vor umd außer welder er nur umwahr und felbft finn-
dos ift, ift vorhin aus der trefflihen Darftelung des Hrn. Verf,
ausgehoben worden.
Ref. muß fid enthalten, die weiteren äußerſt intereffanten
Erdrterungen des Hrn. Verſaſſers auszuzeihnen, die im diefem
Abſchnitte über die höchſten Lehren, über die Lehren von dem
dreieinigen Gott, der Perſönlichteit der Drei, im ihm zu un—
6 - IV. Kritiken.
terfheidenden, der Menſchwerdung Chriſti u. f. f. gegeben weis
den. Aber eine beachtende Aeußerung hat Ref. auf das zu
madhen, was am Schluſſe diefes Abſchnitts (S. 113 ff.) der
Hr. Verfaffer, der auf einem fo hohen Standpunkte des Chriſten⸗
thums und der Erkenntniß ſteht, der Philofophie, die derfelbe
dort vor Augen hat, oder, wie er fagt, ihrem Anfange zu bes
denten giebt: ob fie nämlich in ihrem Fortgange nicht-an
Lit und Beftimmtheit gewinnen würde, wenn fie fid entfchies
dener an das Wort Gottes anfhlöffe, aus welchem fie
ſich entwidelt hat, und beflimmter, nämlih namhafter (d. h.
mit Kennung des Namens), von der Sünde ausginge, Melde
ſich ihr als Abſtraktion manifeftirt hat, ohne deren Voraue⸗
fegung fein Verſtändniß der Welt, ohne deren Anerkennung
Teine Sclöfterkenntniß, ohne deren Aufhebung keine Gotteser⸗
tenntniß möglich iſt; — nah diefer Philoſophie felbft fey der
Gedanke nicht das Höchſte, fondern die Borftellung, die Ges
flalt, nur daß diefelbe als immanent, als mit dem Wefen iden-
tifche Erſcheinung des Weferis zu erkennen feh; das Wiffen, als -
ebenfo wohl in der Wahrheit der abfoluten Realität, wie diefe
in ihm, feh das Seyn des Geiftes, welches den Begriff wie bie
Vorftellung und den Glauben als fi felbft einfchließe und pflege;
daran heine der Formalismus diefer Lehre felbft nicht immer
zu denken; „denn, daß wir nichts verfchweigen, mehr als einmal
ift uns in dem Bereiche diefes reinen Wiffens fo unkörperlich
und gefpenftig und fo unheimlich zu Muthe geworden, daf wir
uns recht ernfilih nach Perfonen und Geftalt gefehnt, und dann
nirgend anders als bei dem Worte Gottes Zuflucht gefucht und
gefunden haben, ja oft durd einen einzigen Bibelſpruch', ale
durd die Kraft Gottes, an Mark und Bein erquidt worden
find; fo finnlich fühlen wir uns, daf wir um des Begreifens⸗
willen das Greifen mit den Händen nicht miffen wollen.” Ref.
für fih kann, wie aus dem vom Heren Verfaffer für feine For⸗
derungen Angeführten felbft hervorgeht, diefelben nicht abmweifen.
7. Ueber &,...,18 Aphorismen fiber Nichtwiffen u. abfol, Wiſſen. 437
‚Der Herr Berfaffer hat damit einen intereffanten Gefichtspuntt
berührt, — das Herübergehen überhaupt von der Vorftels
lung zum Begriffe und von dem Begriffe zur Vor—
ftellung — ein Herüber» und Hinübergehen, das in der wif-
ſenſchaftlichen Meditation vorhanden ift, und von dem hier ges
fordert wird, daß es aud in der wiffenfchaftlichen Darftellung
allenthalben ausgefptohen werde. Wie Homer von einigen Ges
firmen angiebt, welchen Namen fie bei den unfterblihen Göt-
term, welchen andern bei den ſterblichen Menſchen führen, fo ift
Bee der Vorftellung eine andere als die des Begriffs,
fc erfennt die Sade nicht bloß zunächſt an dem
— Vorſtellung, ſondern in dieſem Namen iſt er erſt
lebendig bei ihr zu Hauſe; die Wiſſenſchaft hat daher nicht bloß
in jene abſtrakten Räume des Begriffs, — abftraftere als die,
worin jene unfterblichen Götter, nicht der Wahrheit, fondern der
Phantaſie wohnen, — ihre Figurationen einzuſchreiben, fondern
deren Menfchwerdung, und zwar einer jeden ummittelbar für ſich
felbft, die, Eriftenz, die fie im wirklichen Geifte erhalten (und
dieſe ift die Vorftellung), nachzuweiſen und zw verzeichnen, Ref.
dürfte, wenigſtens zum Behufe feiner Entfhuldigung über Unvolls
kommenheit ſeiner Arbeiten nach dieſer Seite, daran erinnern, daß
eben der Anfang, den auch der Hr. Verf. nennt, vornehmlich die
Mothwendigkeit auflegt, ſich feſter an den, der Vorſtellung in oft
‚hartem Kampfe abgerungenen, im reinen Gedanken ausgedrüds
"tem Begriff und deffen Entwidelungsgang anzuſchließen und in
‚feinem Gleife ſich firenger zu halten, um deffelben ſicher zu wer—
den, und die Zerftreuungen, welde die Wielfeitigkeit der Wors
ſtellung wie die Form der Zufälligkeit in der Verbindung ihrer
Beflimmungen mit fih führt, gewaltfam abzuhalten; diefe Viel—
feitigkeit bringt der Bequemlichkeit die Gefahr zu nahe, im der
Strenge der Methode des Gedankens nachzugeben. Die erlangte
‚größere Feftigkeit im der Bewegung des Begriffs wird erlauben,
gegen die Verführung der Vorſtellung unbeforgter zu feyn, und
6:
138. | IV. Kritiken. DEN ie
fie unter der Herrſchaft des Begriffes freier gewähren zu Laffen;
wie ihrer Seits die im göttlichen Glauben ſchon vorhandene
Sicherheit von Haufe aus geftattet, ruhig gegen den Begriff zu
feyn und ſich in denfelben einzulaffen, fowohl furchtlos vor feinen
Konfequenzen als auch unbefümmert um feine Konfequenz, weldye
bei vorausgefegtem Glauben ſich nicht felbft als frei zu erweifen
bat. Aeußerlich betrachtet, wird ſolche Torftellungsform im der
Philoſophie gegenüber dem göttlichen Glauben cher geftattet feyn,
als dem Unglauben gegenüber, der wenigſtens das gute Recht
hat, des Beifpiels der ſcholaſtiſchen Philofophie ſich zu erinnern,
welde mit der Worausfegung des feften Kirchenglaubens Philos
fophirte, und darum micht zur Freiheit des denkenden Begriffes
gedeihen konnte, der Unglaube, der im Gedanken und fogar in
der Vernunft zu verfiren vorgiebt, und mit Recht deren Befrie—
digung fordert, wird dur die Namhaftmachung der Glau-
bensformen abgefhredt, auf die begreifende Vernunft zu hören,
wenn er zw ahnen meint, daf ihr Gang dod nur auf die Er-
kenntniß Gottes, und gar auf die Dreieinigkeit, die Menfchwers
dung Chriſti w. f. f. hbinauslaufe, da folde Refultate des
Philoſophirens vielmehr bereits von vorn herein und zwar mit
Hintanfehung der Vernunft feftgeftellte Vorausſetzungen fehen
und nur diefe ſeyn können; ja feine Apprebenfion geftaltet ſich
zur Ungeduld und zur Empörung darüber, daß Ernſt damit ge—
macht werden ſolle, in jenen Lehren die Vernunft nachzuweiſen.
Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
bat freilich felbft diefe negative Aufmerkſamkeit nicht erregt, weil
darin jener Ernft der Spekulation nicht zu erfennen war, und
der Verſuch, den er nad) diefer Seite machte, nad) feinem fon-
fligen Spfteme ſogleich für ein müfiges, überflüffiges Spiel ges
nommen werden Tonnte. — Wenn in Rüdfiht der angeführten.
Gebundenheit an die Gedankenform diefe in einer logifchen Aus—
arbeitung überwiegend ſeyn wird; fo muß es um fo willtomms
ner fehn, in einer Schrift, wie die vorliegende ift, die ſpekulati—
7. Ueber &.....178 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol, Willen. 139
‚ven Begriffe zue Anerkennung ihrer »Mebereinftimmung mit der
zeligiöfen Vorftellung herausgearbeitet und die Worte und Zeis
den der einen in die Sprache der andern überfegt zu haben.
Nicht nur ift dadurd dem Zutrauen Vorſchub geſchehen, weldes
der Glaube wieder, wie in der feholaftifchen Theologie, zur den=
enden, aber nunmehr in ihrem Denken freien Vernunft gewins
nen kann, fondern jene Vergleihungsweife hat es aud mit ſich
gebracht, die fogenannten Einwürfe, welde von Seiten des nicht-
wiflenden Denkens wie von Seiten des Glaubens gemeinfdaft-
lid) mit demfelben einfeitigen Verſtande gemacht werden, auf
deren eigenem Felde erörtern zu können. Der Herr Verfaſſer
macht für folde Erörterung S. 67, indem er die Art, wie fid
das Widerlegen zu verhalten habe, auf tieffinnige Weife aus-
drũckt, die Forderung, „daß das Syſtem ſich dadurd als Syſtem
au befunden habe, daß cs aus ſich heraustrete, diefe feine legte
Abſtraktion überwinde, und ſich als Liebe befumde, indem es
gerade demjenigen Momente, weldes fi ihm entgegenfegt, fei=
ner Seits fih nit widerfege, fondern ſich in daffelbe ver—
ſetze.“ Die wahrhafte Widerlegung einer Behauptung muß in
der That an diefer felbft, nicht durch Entgegenhaltung anderer,
außerhalb ihr liegender Principien gefchehen; fo unendlich mãch⸗
tig iſt die Natur des Begriffs, daß im einem unwahren Sage
felbft das Gegentheil der Beſtimmung enthalten, ja oft. auch
ſchon ausgefprochen ift, weldhe in ihm behauptet wird, Es ift
"daher nur folder Sap felbft zu nehmen, durch Analyfe jenes
Grgentheil, fomit fein innerer und zwar unaufgelöfter Wider-
ſpruch, aufzuzeigen. Dabei fann die Bemerkung hinzugefügt
werden, daß die Einwürfe, welche gegen ein fpekulatives Syſtem
gemacht werden — wenn fie anders den Namen von Einwürfen
verdienen; micht jedem ganz äuferlichen ſchlechten Einfalle mag
auch nur jener felbft dürftige Name zutommen — direkt inner
‚halb des Syſtems enthalten und behandelt find. Die Cinwürfe,
wenn fie wirklich mit der Sache, gegen die fie gerichtet find
10 IV. Kritifen. I.
zufammenhangen, findseinfeitige Beſtimmungen, die Theile, wie
früher angegeben worden, durd Werfälihung des fpefulativen
Faktums hervorgebracht und zur Anklage gegen daſſelbe gemacht,
Theils als Behauptungen gegen dieß Faktum aufgeftellt werden,
Diefe einfeitigen Beſtimmungen, als mit der Sache zufammen
hängend, find Momente ihres Begriffs, die alfo bei fei-
ner Erpofition in ihrer momentanen Stellung vorgefommen,
und deren Negation in der immanenten Dialektit des Begriffs
aufgezeigt feyn muß; diefe Negation ift das, was, indem fie als
Einwürfe geftellt worden, in die Form ihrer Widerlegung zu
fichen kommt, Inſofern refleftirende umd ihrer Reflerion etwas
zutrauende Menfchen die Geduld nicht haben, in die dargeftellte
Dialektik des Begriffs einzudringen, worin fie den Gehalt ihres
Einwurfs erkannt und gewürdigt finden würden, vielmehr folde
Beftimmung als aus ihrem fubjettiven Berftande kommend vor
zubringen gern vorziehen, ift das Geſchäft des Herm BVerfaffers
popular und fehr dankenswerth, ſolche Befimmungen als Eins
würfe aufzunehmen und zu behandeln. Die Wiffenfhaft könnte
die Forderung machen, daß ſolches Geſchäft überflüfftg wäre,
denn es wird nur durd) den Mangel an Bildung des Denkens
und dur die Ungeduld der Eitelkeit mangelhaft gebildeten Den»
tens veranlaft. Allein es ift nicht abzuwenden, daf Solche das
Mort nehmen, die nur das lieben, was ihnen einfällt, und die
diefe Zufälligkeit ihres Verſtandes dem objektiven Gange der
MWiffenfhaft und der Nothwendigkeit deffelben vorziehen — inte
dem fie das Bewußtſeyn entbehren, daß die Veftimmungen, die
aus ihrem befondern fubjektiven Denken zu pulluliren fcheinen,
durch die Natur des Begriffes hervorgetrieben werden, und in
der Erörterung deffelben daher felbft ſchon, freilich nicht in einer
zufälligen, loſen Stellung, fondern mit Bewuftfeyn und nad
ihrer Nothwendigkeit müffen dagewefen feyn. Da es Viele giebt,
die mit dem, was man noch guten Willen nennt, aber mit der
‚ YAusrüftung ihrer fubjektiven Gedanken und der Gewohnheit, ſich
7. Ueber Gern. 18 Aphoriemen über Nichtwiſſen u. abfol. Wiſſen. 444
etwas einfallen zu laffen, im Gefühl ihrer freiheit ſich weigern,
gleichfam an Händen und Füßen gebunden dem Gange der
Wiſſenſchaft ſich hinzugeben, und da die Wiſſenſchaft weſentlich
lehrend ift, fo wird fie auch dieſe äußerliche Geite der Belch-
zung anwenden mögen, und auf die Vermuthung jenes guten
Willens hin dazu beizutragen ſuchen, jene Hinderniffe aus dem
Wege zu räumen. Dief hier Gefagte, veranlaft durd das
gute Beifpiel des Heren Verfaffers und durd feine Aeußerun—
gen, foll zugleich zum entſchuldigenden Vorwort, fo wie in Ans
fehung der Beſchaffenheit deffen, was Einwürfe gegen einen wife
ſenſchaftlichen Gang und, was deren Widerlegung ift, zur Eine
leitung in die Beurtheilung einiger Schriften dienen, welde
kürzlich gegen das Philofophiren des Nef. erfihienen find, und
zu deren Anzeige derfelbe anheifchig gemacht iſt.
Doch es ift möthig, des dritten Abſchnitts, überfäirichen:
die Glaubensertenntnif oder Glauben und Wiffen
(S. 116 — 189) wenigfiens nody zu erwähnen. Es wird darin
der moderne Gegenfag von Wiffen und Glauben nad allen
Seiten und Wendungen vorgenommen, und die Nichtigkeit der
vermeintlihen Unverträglichkeit beider, und ihrer Trennbarkeit
felbft aufgezeigt. Das trogige Vorurtheil diefes Gegenfages,
das ihn für eine fefte, unüberwindlihe Wahrheit giebt, wird in
alle die Weifen des Verftandes, die es vorbringt, in 29 Kleines
zen Abſchnitten begleitet; der Herr Verfaſſer läft ſich, wie mit
gründlicher Meifterfchaft des Denkens, fo mit gründlichem chrifts
lihem Glauben und warmem Gefühle mit diefen Reflerionss
Formen ins Gefpräh ein. An diefen Abſchnitt können diejeni-
gen verwiefen werden, welde jenem Vorurtheile der Zeit noch
ergeben find, oder vielmehr: wenn es ihnen nicht um das Pochen,
fondern um die Sache Ernſt ift, werden fie fich felbft daran
mweifen. „Wenn,“ fagt der Here Verfaffer S. 112 von feinen
Bemerkungen, „fie nicht alle Zweifel und Mifverfländniffe lö—
fen können, fo weifen fie doch an der Löfung einiger Zweifel
"442 IV. Keititen mn.
die Quelle nad, woraus alle Mifverftändniffe fließen; dieſe
Bemerkungen könnten dazu dienen, daß ſie uns reizten zum ge⸗
wiſſenhaften Gehorſam im Lernen, welches fo leicht bei
der Aufenfeite und am einfeitigen Nefultaten fichen bleibt, und
diefen einen andern Sinn unterfhiebt — zur Liebe im Ber
ſte hen, denn ohne Liebe, ohme Verfegung in das Andere ift fo
wenig als ohne Berfland ein Verſtändniß möglid — und vor
Allem zur chriſtlichen Borficht im —— vor dem Vers
ſtändniſſe.“ 8
Der Herr Verfaſſer giebt — den Unterſchied an, der
zwiſchen Glauben und Wiſſen Theils ſtattfindet, Theils fälſchlich
angenommen wird, und zeigt, daß dieſer Unterſchied nicht eine
Trennbarkeit derſelben oder einen wahrhaften Gegenſatz begrün—⸗
det. — „Das Wiſſen findet den Glauben in ſich, der Glaube
findet au das Wiffen in fi, denn Glaube ift Glaubens—
ertenntniß; — dein Glauben wächſt mit deinem Wiſſen, dein
MWiffen mit deinem Glauben, wie die Wurzel mit dem Baume,
der Baum mit der Wurzel” — Wenn der Philofophie ale
MWeltweisheit (mit welchem Namen man fie früher unbefans
gener Weife überfegte, neuerlich aber zuweilen [wie etwa Friede,
Schlegel] als mit einem Spitnamen belegte) das Wiffen der
Welt zugefchrieben worden; fo zeigt der Herr Verfaffer, daß
ſolche ausſchließliche Erkenntniß der Welt für fih und ohne
Gott nichts Anderes wäre, als das Unwaähre ohne das Licht der
Wahrheit erkennen; die Welt erkennen kann nichts Anderes’ heiz
fen, als die Wahrheit der Welt, die Wahrheit in dem für ſich
Unwahren erkennen, und diefe Wahrheit ift Gott. Ebenfo nur
wer die Welt erkennet, erfennet audy Gott; wer in dem übers
ſinnlichen Wefen Gottes nicht aud die Natur und die Perſon
Gottes erkennt, der erkennt auch nicht die Mebernatürlichteit Gote *
tes, Wenn 18 cin Wiffen giebt, wenn wir das Wiffen um des
Nichtwiſſens (des nichtigen Wifjens, des Wiffens des Nichtigen)
willen nicht aufgeben wollen, fo muß es glei dem Glauben
’
7. Ucher &e....18 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfol. Wiſen. 143
görtlich und übernatürlic — * fo muß als ũbernatürlich die
Philofophie wie der Glaube das Wort Gottes zur einzigen
Grundlage, und die Vernichtung der gefallenen Ratur, die Ers
löfung von der Natur, zum Zwede haben. Beide find übernas
türlich, infofern fie den Menſchen über die gefallene Natur ers
heben, welches durd die Natur ſelbſt nicht bewirkt werden kann;
. beide find aber auch infofern natürlih, als fie die Wiederher-
fiellung der wirklichen Natur zur Folge haben follen. An der
inhaltlofen Meberfinnlichkeit ift es, daß der Nationalismus ſich
Der Herr Berfaffer gebt hierauf zu dem Wegen, die Andere
‚zu der Weife, wie fie fih ausgedrüdt, gedrüdt
und gewendet haben, um eine Berfhiedenheit von Glauben und
Wiffen zu firiren. Von diefen Kategorien mögen nur einige
mehr beifpielsweife angeführt werden. Es wird gefägt, der Un—
terſchied beftche im Denken, welches felbft und deſſen Wert das
Willen fen; — Niemand wird behaupten wollen, entgegnet der
Herr Berfaffer, daß der Glaube gedankenlos fey; die Philoſo—
phie hat als wirkliches Denken aud das wirkliche Seyn, Leben
und Thun, weldes fie mit dem Glauben identiftcirt. — Ferner,
der Glaube fange doch nicht mit dem Denken an, er überliefere
mit einem Male und wefentlic die Wahrheit, er komme ohne
unjer Zuthun, das Wiffen beruhe auf Selbfithätigkeit -
Der Here Verfafer erwiedert &. 135: „Ein foldes Vertrauen
haben wir durd Chriftum zu Gott, nicht, daf wir durd) uns
auf uns bauen, und aus ung felber tüchtig find, etwas zu den-
ten als aus uns felber, fonden etwas zu denken und zu begrei-
feu (Aoyioaodeı), das ift von Gott und aus Gott und durd)
Ehrifium, welcher ift der Logos, der ung Logik lehrt, und
ſich ſelbſt erniedrigt hat, daf wir ihm erkennen und begreifen
lernen.” Es wird aufgezeigt, daß alle dergleichen Unterfchiede,
wie auch die heutiges Tags fo beliebte Kategorie der Immit-
telbarkeit, ſich verflühtigen, wenn die unbeflimmten Ausdrüde,
144 "IV, Keitiken,
in welchen fie ſich bewegen, berichtigt und beflimmt werden. Ins—
befondere lautet auch ein Unterſchird fo, der Glaube gehe vom
Herzen aus, das Wiffen vom Verflande; der eigenthümliche
Irrthum unferer Zeit liege in dem Losreifen der intelleftuellen
Kraft aus ihrer natürlichen Verbindung mit unferem empfinden:
den und handelnden Weſen. Diefer Vorwurf, erwiedert der
Herr Verfaſſer, fällt erfiens felbft in den Irrthum, den er vor
wirft, wenn er ein Gebiet der Erkenntnif neben dem Gebiete
alles Schns und Lebens ftatuirt, und zweitens fällt er in den
Irrthum, die poftulirte Verbindung natürlich zu nennen; ob⸗
gleich urſprünglich, ift fie darum doch nicht natürlich; natür—
lich ift vielmehr die Entzweiung der Geiftesfräfte im Menſchen,
— Eine Philofophie ohne Herz, und cin Glauben ohne Ver—
fand find felbft Abftraftionen von dem wahren Peben und Sehn
des Wiſſens und Glaubens. Wen die Philofophie kalt läßt,
oder wen der wirkliche Glaube nicht erleuchtet, der fehe wohl zu,
wo die Schuld liege; fie liegt in ihm, nicht im Wiffen und
Glauben. Jener befindet fih noch auferhalb der Philofophie,
diefer außerhalb des Glaubens, — Schon früher (S. 97) war
gefagt worden: „Sep du doch an deinem Theile nicht fo ſtolz
und fo vornehm abgefhloffen gegen die Spekulation, welche du
des Stolzes und der Kälte zeiheſt; — verfege du dich licher auf
lebendige Weife in die Begriffe der Philoſophie; leide fie nur
erft und nimm fie nur erft in die Gefinnung auf, und du
wirft ihr Leben und ihre Wahrheit, d. h. ihre Uebereinftimmung
mit dem Morte Gottes, deſſen Meberfegung fie find, erfahren.”
In Bezichung hiermit ftcht die weitere Frage ©. 146 ff, ob
die menfhliche Vernunft die Wahrheit, die fie erft der Bir
bei gefiohlen (und was in jener wahr ift, das feh allerdings
aus diefer entwendet), aus fich felbft zu haben fid nicht ein»
bilde? Der Herr Berfaffer entgegnet, daß der Nationalismus
der natürlihen Vernunft, die fih für ein abfolutes, ſelbſtſtändi—
ges Eigenthum hält und ſich fo gebraucht, mit der fpefulativen
7° Ueber G....,08 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol. Wiſſen. 145
Philoſophie nichts zu ſchaffen hat; daß der ganze Anterfihied
um den wir uns bei jener Frage herum bewegen, auf den
zwiſchen heiliger Schrift und allgemeiner objektiver Ver—
nunft hinauskomme; daß unter dieſer wir aber nichts An—
deres als den Geift Gottes verficehen, welder, nad der Schrift,
im Glauben und zum Glauben uns mitgetheilt wird. In—
ſoweit ſich aber dennoch ein Unterfchied erhalte und geltend
mache, ſey davon der Glaube nicht weniger als das Wiſſen be—
rührt, Denn Niemand verfiehe die heilige Schrift ohne die
Bermittelung des Heiligen Geiftes; Er ſey cs, der das Verftänd-
niß der Bibel, die er ſelbſt diktirt hat, jedem Einzelnen eröffnet;
nicht alfo die Bibel, fondern der Geift ihres Verfaffers, indem
er der allgemeine, gemeinfame Geift wird, ſey der Anfang und
das lebendige Princip alles Glaubens. (Mit dem Pochen auf
feine natürliche Vernunft verbindet der Nationalismus das Pochen
auf die Eregefe der Bibel; feine Theologie foll weſentlich nur
eregetifch, nur bibliſch ſeyn; er begeht die Täufhung oder den
Betrug, nicht zum Bewußtſeyn kommen zu laffen, daß es der
eigene Geift iſt, der eregefirt, und erfpart fi die Mühe, das
Gefühl, den Verftand, die Logik, die eregefirt, näher zu unter
ſuchen und als den Geift der Wahrheit zu beweifen; er gebraucht
geradezu den abſtrakten Verfland, die fogenannte natürliche Ver—
nunft) — Wenn gefagt werde, die Philofophie gehe nit von
der Bibel aus, fo gehe auch der Glaube, indem er wird, nicht
von der Bibel aus, fondern auf die Vibel zu, in welder er
die Wahrheit und hiermit ſich felbft erfaßt. Es fey ein Vorurs
theil «(dem das Faktum der Philofophie direkt entgegen ift), das
Princip und hiermit den Begriff der Philoſophie in ihrem Aus—
gangspuntte, in ihrem Anfange zu fuchen, da beides vielmehr
als Eins erſt in ihrer Vollendung zw fuchen ſey. S. 149.
Ebenfo tieffinnig begegnet der Herr Verfaffer den Katego=
rien von dem Aufheben der Perfſönlichkeit Gottes, das
durch die Philofophie gefehehen folle, — von der Unbegreif-
Bermiichte Schriften. * 10
146 IV. Kritiken.
lichkeit Gottes. „Es ift der Glaube,” fagt der Hr. Verf.
S. 157, „welder, von Oben gegeben, das Unbegreifliche begreif-
li madt, und das Unerforfchliche erforfchet, ohne von einer
endlichen Grenze gehalten zu ſeyn; das kein Auge gefehen, kein
Ohr gehört hat, und in Feines Menſchen Herz gekommen ift,
das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben, uns aber bat es
Gott offenbaret dur Seinen Geift. Denn der Geift erfor:
fhet alle Dinge, aud die Tiefen der Gottheit.” —
Glauben und Philofophie find ſich alfo in Rückſicht des Begrei-
fens nicht abfolut entgegengefest. — „Wenn die Philofophie
fi) im Begriffe bewegt, der Glaube fi) aber auf innere Erfah—
rung und das Gewiffen beruft, fo ift das Gemwiffen, worauf
die Berufung gefhicht, nicht. etwas Partitulares, fondern
das allen Menſchen ‚Gemeinfhaftlihe; und der Geifl, der das
Gewiffen erwedt, die Vernunft erleuchtet und in die allgemeine
verfegt, ift nicht der Herren eigener Geifl. Wie Keiner dem
Andern den Glauben geben kann, fondern jeder von Gott felbft
gelehrt werden muf, fo hat auch die Philofophie ihren Punkt,
der nicht erlernt, nicht äußerlich aufgenöthigt, von einem Men
ſchen nicht in den andern übergetragen werden kann; und ift
dieß nicht gerade der Lebens punkt? Auch der Philofoph feiert
feine Pfingften; ohne Wiedergeburt fommt Niemand aus der.
Sphäre des natürlichen Verſtandes in die fpefulativen Höhen
des lebendigen Begriffs. — Aber die Wahrheit beſteht nad ihrem
eigenen Weſen in ihrer Nothwendigkeit, fie hat ihre Nöthigung
in ſich felbft; fie müßte fi alfo, meinen wir, aud) erzwingen
und aufnöthigen laffen, fo daf wir nicht widerfichen, fie müßte
fi doch fo gründlich nachweiſen laffen, daß wir ihr nicht aus—
weichen könnten, Der Menſch kann aber überhaupt der Wahr-
beit, der allmächtigen Wahrheit allerdings widerftehen. Und was
verfiehen wir unter jenem gründlichen und allgemein gültigen
Nachweife, den wir am Glauben vermiſſen? fuchen wir ihn nicht
in unferm eigenen Innern, flatt im Innern der Sache, —
7. Ueber. &....,18 Aphorismen üher Nichtwiſſen u. abfol, Wiffen. 147
im Subjette ſtatt in der Wahrheit? IR es nicht das Selbfl-
gemachte, in unfern eigenen Gedanken Zufammengefuchte,
was wir gründlich nennen, und was gleichwohl, wenn es gemacht
ifl, nichts wirkt und nichts beweifet, weil es nichts if? Eben
weil die Wahrheit ihre Nöthigung in ſich felbft bat, eben darum
kann fie nicht in dem Beweife, als einem von der Wahrheit
ſelbſt verfhiedenen Beweife liegen, — weil fie Geift ift,
” fie dem ifolirten Verſtande umd deffen Beweifen unzu—
nglic, kann fie nicht dem ifolirten, verfallenen Verſtande des
denſchen zukommen; von diefem Berftande‘provorirt daher der
Taube auf den unzerſtückten Geift, auf dag Gewiffen, von dem
Beweiſe auf die innere Erfahrung. So ift auch alles ſpekulative
Verſtandesbeweis pofitiv nicht zu erzwingen; auch
die Philofophie muß erfahren, daf ihre Gegner Ohren haben zu
hören, und nicht hören, und Augen haben zu fehen, und nicht
wa
In Betreff der Behauptung, daß der Glaube vermittelſt
des Gefühls uns auf die Abhängigkeit der Kreatur von Gott
weiſe, die Wiſſenſchaft dagegen vermittelſt des Gedankens frei
made, weiſt der Hr. Verf. darauf hin, daß, wenn wir uns im Glau⸗
ben abhängig fühlen, wir uns von Gott abhängig fühlen, die Abhän—
gigkeit von Gott aber, nad) deffen Wefen, freiheit in Gott ift, fo wie
Seyn außer Gott Seyn außer der Freiheit ift; fo ihr glaubt, wer-
det ihr die Wahrheit erfennnen, und die Wahrheit wird euch
frei maden. Auf andere Weife kann auch feine Philofophie
frei maden; nur in Gott ift Freiheit. ©. 169.
So viel, fagt der Hr. Verf. am Ende, zum Frieden zwifchen
MWiffen und Glauben; — der Unterſchied zwifchen beiden kann
nicht abgeläugnet werden, aber der Unterfchied fehlieft die Iden—
tität nicht aus, fo, daß zwar jede Weife die andere von fich uns
terfcheidet, aber auch zugleich als unzertrennlich mit ſich verbuns
ben weiß. Denken und Glauben find als Theile Eines lebendigen
Ganzen anzufehen, die für ſich unfelbfiftändig find, fo daf fie als
10 *
148 IV. Kritiken. 7. Ueber &. ....18 Aphor. üb, Nichtw. u. abfol, Wiſſen.
getrennte in der Wirklichkeit ſich nicht behaupten können, und,
dennoch getrennt, in Zerrbilder des Heiligſten ſich verkehren.
Wohl uns, wenn wir dem Apoſtel Paulus mit gutem Gewiſſen
nachſagen können: „Ich weiß, an wen ich glaube!“ Denn
es iſt ein köſtlich Ding, daß das Herz feſt werde; und es wird
nur feſt und gewiß, wenn es weiß, an wen es glaubt.
Ref. aber begrüßt in dieſer Schrift die Morgenröthe dieſes
Friedens, welchen fie von eben ſo frommem als kräftigem Den—
ten und Herzen und deren erlangter Verſöhnung auch nach Aufen
wirffam einzuleiten beftimmt if. Sie ift ein gutes Zeugnif, von dem
Ehriftenthum über die Philofophie abgelegt; cs möge ein Autos
ritäts- Zeugnif für die feyn, welde das Zeugniß des Geifles
nur im Nutorltäts- Zeugniffe eines frommen Herzens (und doch
wohl nicht nur ihres perfönlichen, individuellen Herzens) anerken⸗
nen; — aber fie ift eben fo fehr ein Zeugniß des tiefdentenden
Geiftes, der die Verftahdes = Kategorien in das Gericht des Den-
fens bringt, welche der evangelifche Chriſt die doppelte Inkonſe—
quenz begeht, gemeinfchaftlid mit dem Nationalismus, (dem
gemeinfamen Antipoden der fpekulativen Philofophie und des
Glaubens) gegen die Philofophie zu gebrauchen und zugleich ihr
die Kategorien zur Laft zu legen, in welden (S. 82) „jene
feichte Lehre der Verftandesaufflärung verfirt, die gegenwärtig
im Verfcheiden liegt, aber freilich defto mächtiger und krampf—
bafter gegen ihren Zod antämpft.” — Wenn das Gebot: Meidet
allen böfen Schein! oft Gutes, wenigftens Gehoriges verhindert,
ja fogar Böfes geftiftet, fo hat die Gefahr des böfen Scheines
der Parteilichkeit für die eigene Sache den Ref. nicht abhalten
können, von dieſer Schrift mit freudiger Anerkennung des Gehalts
und des Vorfhubs zu Sprechen, welchen fle der Wahrheit gethan
und thun wird, nod,davon, zum Schluffe dem Hrn, VBerf., der
perfönlich dem Ref. unbekannt ift, für die Seite der nähern Be—
ziehung der Schrift auf deffen Arbeiten für die fpekulative Phi—
fofophie, die Hand dankbar zu drüden.
Ss. Zecenfion: „1, Weber die Hegelfche Lehre ober:
abſolutes Wien und moderner Pantheismus. Leip- _
zig 1829. bei Chr, €, Yiolimannı, 8, 236. —
2. Neber Philofophie überhaupt und Hegel’: En-
iltlapädie ver philoſophiſchen Wiffenfchaften ing-
befondere, Ein Beitrag zur Veurtheilung ber
letztern, Don Dr. %, €, Schubarth und Dr. L.
A, Carganico. Berlin 1829. in der Enslin’fchen
Buchhandlung, 8. 222. — 3. Ucher ven gegen-
wärtigen Stanbpunfit ver philoſophiſchen Wiffen-
fchaft, in beſonderer Beziehung auf das Sijſtem
Hegels. Von Ed. Weiffe, Prof. an ver Uniber-
fität zu Teipzig. Teipzig 1829. Verlag von Joh.
Amtr, Barth. 8.228 — 4. Briefe gegen die
Degel’fche Encijtlopädie ver philofophifchen Wiſſen⸗
fchaften, Erftes Heft, vam Standpunkte ver Encij⸗
Klopäbie und der Philofophie, Verlin 1829, bei
Joh. Chr, Fr. Enslin, 5.94. — 5. Ueber Sein,
Michte und Werden, Einige Zweifel an ver Tehre
des Ben, Prof, Hegel. Berlin, Pofen und Bram:
berg, bei €, 8. Mittier 1829. 8. 24.%
€ Sabrblicher f. wiſſenſch, Kritik 1829, Nr, 10 u. 11, 33 u. 14, 37—40, 117—120,)
Ref. hat, indem er die Anzeige der hier verzeichneten Schriften
übernommen, zum Voraus die Verlegenheit gefühlt, in welde
150 IV. Kritiken.
ihn dieſe Wrbeit verfegen würde; die Ausführung hat dies Ge—
fühl nod um Vieles erhöht. In einem frühern Artikel iſt bei
Beranlaffung der Schrift: Aphorismen über Nihtwiffen
und abfolutes Wiffen, die Beſchaffenheit, von der die Ein-
würfe gegen fpekulative Philofophie zu ſeyn pflegen, ingleihen
das Verfahren, wie diefelben zu behandeln feyen, auseinanderge-
fegt worden; die Anwendung diefes Verfahrens wird für ſich
um fo fchwieriger, je leichter und bequemer es ſich die Verfaſſer
der oben genannten Schriften, jeder in feiner Art, mit ihren
Einwürfen gemadt haben.
Eine eigenthümlihe Schwierigkeit aber ergiebt fh, wenn
derjenige felbft, gegen deffen Philofophie die Schriften gerichtet
find, ſich über die in denfelben enthaltenen Angriffe erklären
foll; dieſer Umftand bringt die Forderung mit fih, daß folde
Erklärung eine Beantwortung, vor allem eine gerechte, "nichts
übergehende Auseinanderfegung des gegen ihn Vorgebrachten fep.
Ein bloßes Urtheil könnte nur einem Dritten geftattet fehn, vom
Angegriffenen felbft ausgegangen müfte es als abfprechend und
parteiifch erfcheinen. Eine Auseinanderfegung aber, die, um
dem Vorwurf zu entgehen, daß nicht Alles widerlegt worden,
Alles beachten follte, müßte auferdem, daß der Verfaffer derfels
ben noch viel cher ermatten würde, für die Lefer tädios werden;
vollends wenn es fich nicht um Grörterungen über die großen
Gegenftände des geiftigen Intereffes handelte, wie denn die Verf.
der genannten Schriften hiezu wenig Beranlaffung gegeben, ins
dem fie ſich nicht in ſolche Tiefen einlaffen, fondern mehr nur
mit formellen oder äußerlihen Seiten abgeben. Sollte aber
auch die Redtfertigung denen, die ſich für die Sache intereffiren,
genügend erfcheinen; fo zeigt ſich Leicht ein anderer Nachtheil,
daf nämlich die, welche den gegen eine Philofophie vorgebrad-
ten Tadel gründlich oder wenigftens bedeutend fanden, dann,
wenn ihnen das Seichte defielben aufgededt worden, die erflen
zu ſehn pflegen, welche jene Schriften für der Beachtung unwerth
8. Recenfion: 1. Ueb. Hegel's Lehre, od: abfol. Wiſſen u.mod. Panth. 151
erklären, und auf diefe Weife den Tadel, den fie aus denfelben
gegen den, den er betraf, ſchöpften, nun nur in den andern Ta—
del umkehren, daß derfelbe fi) mit der Erörterung folder Ans
griffe eingelaffen habe.
Doch trotz diefer und anderer Mifftände ift das. einmal
übernommene Gefchäft in Ausführung zu bringen. Zunächſt ift
wenigſtens diefe Erleichterung zu rühmen, daß die Verfaſſer der
zu betrachtenden Schriften nicht zu der Fahne des unmittelbaren
MWiffens, des Gefühls und Glaubens gehören, fondern mehr
oder weniger Denken, ja felbft Begreifen und fpekulatives Den-
fen zugeben, wie fie ſich denn in diefen Schriften felbft bin umd
wieder verleiten laffen, auf dem Grunde des von ihnen Bekämpf⸗
tem Berfuche im Philofophiren aufzuftellen. Diejenigen, welche
—— Wiſſen kleben zu bleiben ſich entſchloſſen, und
deshalb auch wirklich in demſelben zu bleiben vermeinen, können
ſich konſequenterweiſe nicht zu einem Raiſonnement qusbreiten,
ſondern müſſen ſich begnügen, in Vorreden und bei andern Ge-
legenheiten aus der Autorität ihres Gefühls und Glaubens ab-
fprechende, nicht mit Raifonnement noch weniger von Begriffen
unterſtützte Verficherungen zu machen; an denen es übrigens in
den vorliegenden Schriften gleichfalls nicht fehlt.
Am ſchwierigſten macht die zuerft genannte Schrift: Weber
die Sſche Lehre oder: abfolutes Wiffen und moder-
ner Pantheismus, von einem Anonymen, das Gefchäft des
Befprechens durch die eigenthümliche Werworrenheit und Into-
härenz der Gedanken und des Ganges in dem Vortrage, Es
ift unmöglich ihr in die Einzelnheiten nadyzugehen; beinahe jede
Zeile enthielte eine Aufforderung zu einer Korrectur; es iſt nichts
anders thunlich, als zu verfuchen ihre Manier in einer Charat-
terifirung zufammen zu faffen, und dann Details als Beleg hin-
zuzufũgen, nicht um die Vertheidigung alles defien, was -ange-
griffen wird, zu erfhöpfen, oder nur um alles dagegen Vorge—
brachte angeben zu wollen. Der bei begonnenem Durchlefen
152 IV. Kritiken.
fih, wie gefagt, faft in jeder Zeile findenden Aufforderung, einen
MWiderfpruch oder eine Bemerkung einzulegen, fo wie dem Uns .
willen, der über die ganze Benchmungsweife des Verf, empfun-
- den werden könnte, fann man grade deshalb kein Gehör geben,
weil ſolche Aufforderungen oder Empfindungen bei der fortgefeg- -
ten Lektüre fi immer zu fleigern im Begriffe find, Es drängt
ſich zunächſt das Gefühl auf, daß man es hier etwa mit dem
AYusbruche eines hypochondriſchen Humors zu thun habe, weldyer
in dem Berf., was auch deſſen Beſchäftigung oder Studium ſeyn
möchte, die Vermögen richtigen Auffaffens, ja richtigen Leſens,
die Fähigkeit ſich deffen, was er gefagt, nach wenigen ‚Zeilen
zu erinnern, ohnehin alle ruhige Vergleichung gelähmt hätte.
Die ganze Konſtruktion der Schrift deutete auf etwas der Art;
der Vortrag geht ohne Unterbrechung, Eintheilung und Dtb-
nung in Einem Eifer fort, die hitzige Polemik, die eben fo fehr
dafjelbe wiederholt, als auf die zufälligfte Weife ſich in Anderes
binüberfpricht, wechfelt kunterbunt mit eigenen eben fo verworre—
- nen Verfucden von Deduktionen ab, dann mit pomphaften Des
flamationen voll vortreffliher Gefinnungen und hoher Anforde—
rungen; von den Anfirengungen wird behaglic) in gemüthlichen,
falbungsvollern Ergiefungen ausgeruht. „Die Philofophie,"
beginnt der Verf. S. 11., ſtrebt nah Wahrheit; — nur zu
oft werden die Schidfale der Philoſophie mit der unfterb=,
lichen Philoſophie felbft verwechfelt; die Werke einzelner Men-
fhen werden ihr angefhuldigte. — Man beobachte die Neu—
gierigen, die Gleichgültigen, die Selbfigefälligen u. f. f. (ſolcher
Man's folgt noch beinahe eine Seite 14.) — Der Geift der
MWiffenfhaft kennt Feine Parthei. Im ihr wirkt die
Wahrheit, fie ift unfterblih md ewig u. f..&. 15. —
Die Gegenwart ift ein Refultat der Vorwelt, allein nicht bloß
ein Refultat der Vorwelt. Man cehre die Alten, allein man
fuche das Lebendige nicht im Todten u. f. f.“ |
„Rur die Bewegung führt zur Ruhr, — wo die
8. Recenfion. 4,Ucb. Hegel’s Lehre, od.: abfol. Wiffen u.mod. Panth. 153
Ruhe, die wahre Ruhe waltet, da waltet (ein Lieblingswort
des Verf.) die freie, wahrhaft lebendige Bewegung” S. 16,17
geht es fo fort: „Man fey nicht ungerecht gegen unfere Zeit
u. f. f. Man beobadyte nicht allein die Gährung in Philofophie
und Religion, man vergleiche beide mit der Geftaltung des Le—
bens überhaupt u. f. f.“ Anderwärts, &. 94, heißt es: „wo
nad wahrer Ertenntnif gefirebt wird, muß der Irr—
thum verworfen werden. (— Gewiß —) u. f. f.“ Schr
freigebig insbefondere find überall die Koderungen eines nor=
malen Fortſchreitens, eines normalen Entwidelns oder ſich
entwideln Laſſens des Einzelnen aus der Totalität, u. ſ. f.
ausgefireut. Es wäre leicht, von dem, was in den Deklamatio-
nen des Berf. noch von Gedanken vorhanden ift, zu zeigen,
daf daffelbe nur aus der Philofophie gefhöpft if, die er be—
fireitet und verunglimpft. Dergleihen Kategorien, wie die Ent-
wicklung aus der Totalität, die Objektivirung der
. Bernunft, Verwirtlidung der Subſtanz im der
Rothwendigkeit u. f. f. erfcheinen aber bei dem Verf, in
flacher Allgemeinheit, da er fie zu nichts als zum Grofthun ges |
braucht; fie find daher unfähig, Früchte zu tragen und bleiben,
ungeachtet der oft gebrauchten Worte von Jdee, lebendigem
Auffaffen, tiefem Aufaffen u. f. f. todt und flach. Sonſt
würde glei von dem vorhin angeführten Sage, daß in der
wahren Ruhe die wahre Bewegung waltet, wenn der Verf.
das geringfte Bewuftfepn über die darin enthaltene Vereinigung
‚von Entgegengefegtem, von Pofitivem und Negativem, gewonnen
und zu entwideln gewußt hätte, wie von der Entwidlung aus
der Totalität der Idee u. f. f. die Frucht die haben ſeyn müffen,
daß er ohmgefähr feine ganze Schrift weggeſtrichen hätte.
Wenn ſchon die polemifche Hitze in der Abwechflung mit
der Parthefie paränetifcher ZTrivialität, die Inkohärenz der
Darftellung, auf ein bypochondrifches Uebel hinweift; fo könnte
‚man auch nur aus einem ſolchen die Art erklärlich finden, wie
154 IV. Kritiken.
der Verf. mit dem Faktiſchen in Anfehung der Pbilofophie
umgeht, die er befümpft. „Der Zwed der gegenwärtigen
Schrift if,“ fagt er ©. 31, „das vernünftige, wahrhaft
fpetulative Denten zu befördern. — Hinfichtlich ihres
(jener Bhilofophie) geſchichtlichen Gegenflandes muß alſo
diefe Schrift es fi) zur Pflicht machen, dahin zu führen, daf
derfelbe in jeder Beziehung richtig verftanden, ers
kannt und begriffen werde” Wenn man dem Verf, auch
das Verftichen, Erkennen und Begreifen des Gegenflandes er
laffen wollte, fo beſchränkte fi die Pflicht diefes Führers zus
nähft auf das richtige und damit redlihe Angeben des
gefhihtlihen Gegenftandes. Wir wollen zuerft an Beifpie-
len fehen, wie der Verf. diefe Pflicht beobachtet hat...
Das erfie Beifpiel von der Art, wie der Berf, auffaßt,
nehmen wir aus ©: 100, 101. Nachdem dafelbft eine verwor—
rene Unzufriedenheit über die logifche Beftimmung der Realität
bezeigt ift, heißt es: „Einen Beweis für feine Yufftellung
bat Hegel noch nicht gegeben. Indeſſen die Beifpiele fagen
auch nichts.“ Es werden nun aus Logik 1.Bd, 1. Abth. S.54
die Beifpiele Eritifirt, die für den Gebraud) des Wortes Rea—
lität, in verfchiedenen Beftimmungen, angeführt werden. Wir
müffen zunächft die Worte diefer Stelle der Logik felbft anfüh—
ren. „Realität,“ heißt es dafelbft, „kann ein vieldeutiges Wort
zu feyn fcheinen, weil es von verfchiedenen, ja entgegengefegten
Beflimmungen gebraucht wird. Wenn von Gedanken, Begriffen,
Theorien gefagt wird, fie haben feine Realität, fo heift
dieß hier, daf ihnen kein äuferlihes Dafeyn, Feine Wirklichkeit
zutomme; an fich oder im Begriff könne die Idee einer,
platonifhen Republit wohl wahr feyn. Umgekehrt, wenn
3: B. nur der Schein des Reichthums im Aufwande vorhanden
ift, wird gleichfalls gefagt, es fehle die Realität, es wird
verflanden, daß jener Yufwand nur eim äuferliches Dafeyn fey,
das feinen innern Grund hat.” Es ift hinzugefügt, daß auch
8, Recenſion. 1. Ieb. Hegel's Lehre, od. 3 abfol. Willen u, mod, Panth. 155
| von Befchäftigungen gefagt werde, fie feyen nicht reell, wenn
fie feinen Werth) an ſich haben, oder von Gründen, infofern
fie nit aus dem Wefen der Sache gefhöpft find. — Wit
zeigt num der Verf., daß diefe Beifpiele nichts fagen? „Es
wird gefagt,“ führt er richtig an, „man foge von einer Theorie,
3. DB. der platonifchen Republik, fie kann an ſich wohl wahr
ſeynz“ „die,“ urtheilt der Verf, „beweiftzwar, (was?) daf
die platonifche Nepublit eine beftimmte Seite der Realität
nicht hat, daf fie nämlich nicht in einem wirklichen Staate
dargeftelit werden könnte, welches Plato auch nie gewollt hat,
(dies hätte der Verf. etwa zu beweifen), indeffen die platonifche
Republik hat allerdings Realität, als ideale Darftellung,
fie hat aud ein Seyn für Andere, denn fie ift für ung ein
unfhägbares Wert.“ Ja wohl! Iſt aber in dem, was der
Berf. vor ſich hatte, im geringften von dem Werthe diefes Werks
die Rede gewefen, und nicht bloß von dem Sinne, welden in
jenem (gerechten oder ungerehten) Sagen der Ausdrud Rea—⸗
lität habe? Iſt es überhaupt um folde kahle Behauptung zu
thun, wie die, „daß Platon's Republit ein unfhägbares Wert
ſey?“ „Das zweite Beifpiel, daß Aufwand ohne Reichthum keine
| Realität Habe,“ fagt der Berf., „paßt wieder nicht;“ er fügt
- die Berichtigung hinzu, „daß er zwar unbefonnen und werthlos
fe, er fey aber an ſich (was heißt: der Aufwand ohne Reich—
thum ift an ſich?) und aud für Andere, welde Vortheil dar=
aus ziehen, wie leider die tägliche Erfahrung zeige” Was foll
ſolche ohnehin triviale moraliſche Diskuſſion hier, wenn bloß
von dem Sinne, den Realität in jenem populären Ausdrude
hat, die Rede ift! — Uber es verbindet ſich hiemit ein nod)
unmittelbareres Beifpiel von der Art, wie der Verf. „den ge=
ſchich tlich en Gegenſtand“ aufzufaffen fähig if. S. 101 wird
als Faktum angegeben, „in der Vorrede zum hegel'ſchen Natur-
recht S. XIX. werde behauptet, daß Platon (Dativ) die he—
gel’fhen Säge: was vernünftig iſt, das ift wirklich, was
456 IV. Kritiken.
wirklich ift, das ift vernünftig, im hegel'ſchen Sinne die Angel
feyen, um welde fib das Unterfheidende der platoni-
fhen Idee (in dem Werke über die Republik) drehe.” Als
Ref, jene Vorrede S. XIX nachſchlug, fand er, daß dafelbil
gefagt ift, „Plato habe im Bewußtſeyn des in die griechifche
Sittlichkeit einbrechenden tiefern Princips, das an ihr unmittel-
bar nur als unbefriedigte Schnfucht, und damit als Verderben
erfcheinen konnte, aus eben der Sehnſucht die Hülfe dagegen
ſuchen müffen, die aber aus der Höhe fommen mußte;
er habe die Hülfe zunächſt nur in einer äußern befondern Form
der Sittlichkeit ſuchen können, durd welche er gerade den tiefern
Trieb jener Schnfucht, die unendliche Perſönlichkeit, am tiefften
verlegt; er habe fi) aber dadurch „als der große Geift bewie—
fen, daß eben das Princip, um welches fi das Unter—
ſcheidende feiner Idee dreht, der Angel ift, um weldhe die
bevorfichende Umwälzung der Welt ſich gedreht hat.” Hier ift
fo ausdrüdlih, daß ein Mifverftand unmöglich fcheint, das
Princip des Chriftenthums, und das abflraktere Princip der uns
endlichen Perſönlichkeit, als das genannt, das in der Sehnſucht
Plato's angedeutet ſey, und um das fich der Angel der Welt:
gefhichte gedreht habe. Mit diefer Betrachtung über die Hinz
deutung der platonifchen Tendenz auf das Chriftenthum fehlieft +
der Abfag. Ganz getrennt hievon folgen die beiden berüdhtigt
gemachten Sätze, die der Verf. anführt; fie find in einen Zus
fammenhang mit weiter Folgendem gefegt und ausgefprodhen; fie
find und ſtehen vor Augen aufer Berbindung mit dem Angel
der Weltgefhichte. Aber der Berf. Fonnte dem Princip des
Ehriftenthums, um das. fi die bevorfichende Umwälzung der
Welt gedreht habe, jene Säge in feinem Lefen fubftituiren.
Noch einige Beifpiele diefer Art! S. 159 heift es bei dem
Berf.: „So ift denn 3. B. das Eins zugleich das Leere,“
wozu Log. 1. Bd. 1. Buch S. 1—129 citirt if. Dafelbft
S, 102, wo das Eins und. das Leere abgehandelt wird, ift aufs
8. Necenfion, 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffen u.mod. Panth, 157
gezeigt, daf das Leere nicht unmittelbar für fih if, dem Eins
gleichgültig gegenüber, fondern daß es in der Beflimmung des
Eins enthalten ift, ferner fi zum Eins verhält, und daf das
Fürſichſeyn fi zum Eins und dem Leeren beftimmt, — Eben-
dafelbft heißt es bei dem Verf., „Hegel habe gefürchtet, aus
feinen Sägen könnte die fehiefe Folgerung gezogen werden,
daß weil —a.Ha=— a? wäre, umgekehrt Ha. —a—-ra?
gebe. Logit 1. Bd. I. Buch ©. 63 iſt gezeigt, wie der bloße
IF entgegengefegter Größen überhaupt, der jedermanns
grif iſt, auf ſolche Folgerung führen könnte, Folg. ©. wird
von der Behauptung erzählt, „daß die Negation der Negation
deshalb das Pofitive wäre, weil —a.— a=a? wäre,’ dazu iſt,
wie vorhin, Logik 1.Bd. Buch 2, S. 63 citirt. Weder daſelbſt,
noch irgendwo, iſt das Faktum ſolcher Behauptung zu finden.
- Ein merfiwürdiges Beifpiel von gefhihtlihem Auffaſſen ift
folgendes. „Das Ziel des Philoſophen,“ ruft der Verf. ©.
190 in einem feiner Anfälle detlamirender Vortrefflichkeit aus, „ſteht
höher, als das gewöhnliche Treiben in der Welt; degradirter ſich
zu dieſem, fo ift das Herrlichfie der Wiſfenſchaft für ihm
verloren. Bei Hegel heift es aber, wenn das Geiſtliche
die Eriftenz feines Himmels zum irdifdyen Dieffeits und
zur gemeinen Weltlichkeit in ver Wirklichkeit und in der Vor—
fiellung degradire, — das Weltlihe dagegen fein abftraftes
Fürſichſeyn zum Gedanken und dem. Principe vernünftigen
Seyns und Wiſſens hinaufbilde, dann fey die wahre Ver—
föhnung objektiv geworden.” Eitirt iſt Hegel’s Naturrecht,
S! 354. Die Art des Verf. in Betreff der Richtigkeit der
Angabe des Faktiſchen bier deutlich zu machen, erfordert al-
lerdings einige Umftändlichkeit; aber der Sag, den er für fak—
tiſch ausgiebt, ift grell genug, um Beleuchtung zu verdienen.
Die fo abrupt angeführten Worte finden ſich in dem Abſchnitte
jenes Naturrechts, welder die Sauptmomente der Weltgefhichte
kurz angiebt, und zwar in den SS. über das Princip der ger—
458 | IV. Keitifen.
maniſchen Völker, in welche die ehriftliche Religion gelegt wor-
den feh. In $. 359 wird angegeben, daß die Innerlichkeit
des Princips, als die noch abftrafte, in Empfindung als
Glaube, Liebe und Hoffnung eriftirende, Berfühbnung md
Löfung alles Gegenfages, fih einer Seits zum weltliden
Reiche, einem Reiche der für fi) feyenden rohen Willkühr und
der Barbarei der Gitten entwidelt habe, anderer Seits zu ei—
ner jenfeitigen Welt, einem intellettuellen Reihe, deſſen
Inhalt wohl die Wahrheit des Geiftes fey, aber noch unge—
dacht in die Barbarei der Worftellung gehüllt, und als geiflige
Macht über das Gemüth, fi als eine unfreie fürdterlide Ge—
walt gegen daſſelbe verhalte. Auf die Angabe diefes Grgenfages,
wie ihn das Mittelalter geſchichtlich darfteltt, folgt 8. 360 die
Angabe des Ganges der Auflöfung deffelben fo: „indem im,
dem harten Kampfe dicfes Gegenfages jener Reise, das
Geiftlidhe die Eriftenz feines Himmels zum irdifchen Dieffeits
und zur gemeinen Weltlichkeit, in der Wirklichkeit und in der
Borftellung degradirt, — das Weltlidhe u. f. f.“ — Hier
hat zunächſt der Verf. die Worte, weldhe den Uebergang der
Kirche im ihr Verderben ausdrüden, richtig abgefchrieben, fo
auch die nächften, welche die Heraufbildung des weltlidien Reichs
betreffen, nur daß er die Heraufbildung deffelben aud zur Wer-
nünftigkeit des Rechts und Gefeges übergangen. Was
nun aber eigentlich zu rügen ift, ift die Weglaffung folgender
Worte: „fo” (indem die Kirche zur Weltlichteit berabgefuns
ten, das weltliche Reich ſich feiner Seits zu Wiſſenſchaft, zu
Recht und Gefeg erhoben) „ift an ſich der Gegenfag zur
marflofen Geftalt geſchwunden;“ (— daf an ſich der
Gegenfag zum Schein gefhwunden, ift nody nicht die exiſt i—
rende Verſöhnung; wodurch diefelbe zur Eriftenz gebracht
worden, dieß ift im darauf Folgenden fo ausgedrüdt:) „Die
Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Will:
für, und die Wahrheit ihr Jenfeits und ihre zufäls
4
|
I
8. Recenfion, 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od.: abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 159
lige Gewalt abgeftreift, fo daß die wahrhafte Verſöh—
nung objektiv geworden.“ Diefe aus dem An fi nun
zue Objektivität erhobene Verſöhnung ift hierauf in Anſe—
bung des Staats, der Religion und der Wiffenfehaft näher be=
fimmt, und zwar fo, dag im Staate „das Selbſtbewußtſeyn die
Wirklichkeit feines fubftantiellen Wiffens und Wollens in or—
ganifcher Entwidlung, in der Religion das Gefühl und
die BVorfiellung diefer feiner Wahrheit als idealer
Wefenheit finde, und in der Wiſſenſchaft die freie begrif-
fene Erkenntniß diefer Wahrheit.” — Man fieht aus diefem
wörtlichem Auszuge, daß die Religion, wie fie in der volls
führten Verſöhnung fey, ausdrücklich unterfchieden und
unterfhieden gefchildert wird — von jener Degradation des
Geiftlihen, von welcher der Verf. geſchichtlich angiebt,
daß in ihr die Verfühnung als objektiv geworden angegeben
id. Bon nun an bis ans Ende feiner Schrift wiederholt er
das Wort Depradation, an dem er einen folhen Fund gethan,
beinahe auf jeder Seite, und verwendet es zu falbungsreichen
Tiraden: „Wer es wagen will, den Himmel zu degras
diren, degradirt ſich ſelbſt,“ ebendafelbft und folgende ©.
„jest will man den Himmel degradiren, und. ift vor—
nehm genug, zu überfehen, daß man fi felbft degradirt
w ſa f.“ — (Mohl! In dem citirten $. und in der Geſchichte
mit den ungeheuren Zügen findet es ſich angegeben, wer den
Himmel zum irdifhen Diefjeits und zu gemeiner Weltlichkeit de—
gradirt hat!) — Lähmung des Vermögens, überhaupt gefchicht-
lich aufzufaffen, und Unwirkſamkeit des VBerflandes, das Be-
ftimmte feftzuhalten, und aus dem Unterſchicde, der dabei ges
macht ift, zu merken, daß es auf foldes Beſtimmte antommt,
find ohne Zweifel Folgen der Hypochondrie. Iſt es aber etwa
die Schilderung des Verderbens der Kirche, welche bier die hy—
pochondriſche Gereiztheit fo hoch gefteigert hat, daf der Verf.
aus der Angabe, die er vorfand, die Erhebung des Staats
160 IV. Kritiken.
zur VBernünftigkeit des Rechts und Gefeges weg—
läßt, und dann fi) auch Fein Bedenken daraus macht, der
Schilderung der Religion, fo wie fie in der objektiv ge
wordenen Berföhnung befchaffen fey, nämlich daß das GSelbft-
bewußtfenn in ihr das Gefühl und die Vorſtellung der
Wahrheit, des fubftantiellen Wiffens und Wollens,
als idealer Wefenheit, (wie im Staate die vernünftige Wirt:
lichkeit defelben) finde, zu fubflituiren die Degradation
des Himmels, der im geiſtlichen Reiche hatte exiſtiren follen,
zur gemeinen Weltlihteit? Zu verfihern, nicht das
geiftlihe Regiment habe, fondern man habe den Himmel
degradirt? Aber Schilderung jenes Regiments und Degradas
tion des Himmels ift freilich bei Manchen gleihbedeutend, —
Bei geringer Ueberlegung bätte fid) der Verf. auch den Unwillen
und ein Räfonnement erfpart, in das er um zwei Seiten vor=
ber geräth. — Aus demjelben Raturrecht führt er S. 52 anı
„Ich,“ heißt es da, „habe diefe Glieder, das Leben nur, infofern
ich will, das Thier kann ſich nicht felbft umbringen oder ver:
ftümmeln, wie der Menſch.“ Dies ift in der Anmerkung zu
einem $. gefagt, in welchem vom Ih ausdrüdlih als Perſon
die Rede iſt; ebendafelbft und in vorhergehenden Perioden der
Anmerkung iſt die Seite, dag Ich lebendig bin und einen
organifchen Körper habe, von der freien Perſönlichkeit unterſchie—
den, und nur von diefen beiden Beftimmungen ift die Rede,
Der Berf. fagt nun zu jenen angeführten Worten: . „Diefer
Sag hätte ſchon an fih nicht in ein, in einem chriſt⸗
lichen Staate geſchriebenes Naturrecht gehört. Dieſe
Theorie (!) der Selbſtverſtümmlung und Selbſttödtung ver⸗
trägt ſich nicht mit dem Chriſtenthum“ (doch etwa gar die
Praxis?) „Dagegen (wogegen?) iſt jener Sag offenbar une
wahr.“ Nun kommt ein Meifterftüd von Widerlegung: , „Der
Menſch ift nicht Herr darüber, daß er geboten werden
foll.“ (Gewiß nicht! aber wenn der Verf für nöthig findet, diefe
8. Recenſion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, 0d.: abfol. Wiffen u. mod. Panth. - 161
Gegenrede zu machen, fo bringt er den Schein herbei, als ob
gefagt worden wäre, daß der Menfch Herr darüber feh, ob er
geboren werden folle. Daß es dem Verf. um diefen Schein
ganz wefentlich zu thun fen, dafür zeugt vollends das, was der=
felbe am Schluß feiner Deduttion verfihert, daß dieſer Sa
(von der Möglichkeit, daß der Mienfch ſich verftümmle, ja tödte),
„ame aufgeftellt ift, um die abfolwte Kaufalität des ein-
selmen Subjetts zu behaupten.“ Ref. hat wohl in einer
alten Iefuiter- Komödie: „die Erfhaffung der Welt” bes
titelt, dieBorftellung gefehen, daß Adam vor feiner Erfchaffung
auftritt und in einer Arie den Wunſch ausfpricht, ach wenn er
doch ſchon gefehaffen wäre! ber auch dort if micht fo weit
gegangen, daf Adam als Herr darüber aufgeführt wäre, „ob
er geboren werden ſolle.“ — „Die Dauer feines irdiſchen
Lebens hängt nicht von ihm ab“ Man höre nun weiter das
Raifonnement des Verf. hierüber: „Will er (der Menſch) ſich
umbringen oder verffümmeln, fo muß er Naturkräfte anwenden;
ob ihm fein Vorhaben gelingt, hängt nit allein von ihm
ab (— bereits eine Beſchränkung des vorhergehenden Satzes,
daß die Dauer feines Lebens nicht von ihm abhänge), fondern
von einer aufer feinem Willen gefegten Wirkfamteit.
„Dergleihen Unfchläge miflingen oft;“ (gelingen alfo aud)
zuweilen) — „gelingen fie, fo kann der Menſch doch nicht be=
flimmen, weldher Augenblick grade den Tod bringe; Chier
ift die Abhängigkeit auf fehr wenig redueirt) „mißlingen fie,”
(fo ift es mit den Anſchlägen der Willenskraft doch noch nicht
aus, denn der Berf. iſt finnreih genug, einen weitern Anfchlag
auszufinden) „und iſt er (fährt der Verf. fort) nun einmal fo
jämmerlich verkehrt, daß er, wenn er Willenskraft behält, ſich
todthungern wollte; (man ſieht, der Verf. hatte die Anwendung
von Gefängnif und Banden gegen jene Willenskraft ausgeſon⸗
nen) „fo ift er nit im Stande, zu beflimmen, wann der Hun⸗
gertod eintreten ſolle.“ Wenn dieß Raiſonnement auch ſcharf⸗
Vermiſchte Schriften. * \ 4
162 IV, Kritiken. |
finniger wäre, als es ift, um einen gewiffen Grad der Abhän-
gigkeit zu beweifen, fo wäre es felbit hierfür nicht erfchöpfend;
dem Verf. ift der Fall no entgangen, daß der Selbfimörder
den Augenblid feines Hungertodes vorausbeflimmen nicht ges
wollt hätte; fo hätte er doch feinen Willen durchgeſetzt.
Sole Lähmung im Auffaffungsvermögen ift etwas Schlim—
mes, aber auch als ein böfer Genius läßt fi der Humor der
Hypochondrie vermuthen, wenn das halbe und noch dürftigere Auf—
faffen allzu gewalttyätig gefchicht, wenn das MWeggelaffene fo
nahe vor Augen lag, daß das MWeglaffen durd ein nur ober
flächliches Hinſehen allein nicht erflärlich if, wenn daffelbe dazu
dient, einen Sinn hervorzubringen, der in eine, in einem chriſt⸗
lichen Staate gefhriebene, Philofophie nicht gehörte. Schon die
angeführten Beifpiele deuten fattfam auf das böſere Ingrediens
in der Faſſungsweiſe des Verf. Insbefondere zeigt ſich derglei⸗
chen, wenn Halbes oder ausdrücklich Verkehrtes im Borbeige
hen angeführt wird, — gleichſam auch mit halbem Gewiffen, oder
mit ganzem VBorbeigehen des Gewiffens. Solches Hinwerfen er—
ſcheint ohnehin am dienlichften, um Unrichtigkeiten zu verfteden;
was im Vorbeigehen hingeworfen wird, pflegt nicht näher uns
terfucht zu werden, und thut, wenn der Inhalt arg genug iſt,
doc feine Wirkung. — S. 109 nennt, der Verf. die Darfiel-
lung tomifch „daß das Unendliche aus dem Endlichen kommt,
oder, wie anderwärts gefagt ift, daß Gott da wäre, wenn
endlihe Subjette, die Menſchen, ihn dachten” Die
Halbheit und Sciefheit, deren ſich die erfte diefer Anführungen
fhuldig macht, übergehen wir und beleuchten nur die zweite,
„daß Gott da wäre, wenn die Dienfchen ihn dächten;“ wozu
Phänomenologie S. 637 eitirt if. In diefer Stelle ift der
Begriff der natürlihen (Natur=) Religion, und näher die Bes
ftimmtheit angegeben, nach welder der Unterfchied der Religio-
nen von einander abfiratt zu machen feh. Zu diefem Behufe
ift zunörderft angegeben, in welder Geftalt die Idee in der Res
8, Necenfion, 1. Ueb. Hegel's Lehre, 0d.: abfol, Wiſſen u. mod. Panth. 163
ligion überhaupt iſt; es heißt: „die Geftalt der Religion ent»
hält nicht die Geftalt des Geiftes, wie er als vom Gedanken
freie Natur, nod wie er vom Dafenn freier Gedanke ift;
fondern fie ift das im Denken erhaltene Daſeyn, fo wie
ein Gedachtes, das fid da if.“ Alſo der Gegenſtand in
der Religion ift weder das Dafeyn abfirahirt vom Denten (die
Natur als die Idee in der einfeitigen form des Dafeyns) noch
der Gedanke abftrahirt vom Dafeyn, (der Geift als die Idee in
er einfeitigen Form des Denkens, alfo der endliche Geift, oder
) enken abftratt überhaupt, was gleichfalls endliches Den-
ze: Dafeyn, weldes Denken, und Denken, wele
ſeyn if. Wo ift Gott nicht fo definiet worden (infofern
es zun um eine abſtrakte Beſtimmung zu thun iſt), daß Gott,
er Gedanke, zugleich ungetrennt Dafeyn habe, ein Da—
feyn ſey, das ungetrennt Denken fey? und im Gegenfage das
Endlidhe fo, daß in ihm Denken, obgleidy mit Dafeyn verknüpft,
doch auch trennbar ſey? — Wie ift nun hierin etwas von
dem zu leſen, was der Verf. als ein Citirtes, Faktiſches ans
giebt, — daß „Gott da wäre, wenn endliche Subjette, die Men—
ſchen, ihn dächten?“ und fonft von Dafeyn und Denken findet
ſſch auf der citirten Seite nichts, ohnehin nichts von Menſchen
und endlichen Subjekten.
Aus dem Reichthum diefer Schrift an dergleichen kurzen,
im Borbeigehen gemachten Anführungen nur nod einige Kleinere
Beifpiele. S. 183 heißt es: „in den Lehren Spinoza’s und
Schelling's lag eine Andacht (welche bei Hegel nur ein
Proceß iſt)“ Was bei Hegel Procef heißt, wird nicht bei-
gebracht; er ift eine Thätigkeit, in den beflimmten Momenten,
die fie durdläuft, aufgefaft. — Weggelaffen ift ferner die Bes
ſtimmtheit, durch welche die geiftige Thätigkeit Andacht if. Man
hätte dem Berf. beinahe zu danken, daß er nicht auch angeführt
bat, bei Hegel fey die Religion, Gott nur ein Proc u. ſ. f.
Die Stelle, die der Verf. mag vor Augen gehabt haben, ift
j4 *
— A E 4
164 IV. Krititen.
wohl 8. 555. der Enchklopädie, 2. Ausgabe, wo es heißt: „der
Glaube ift in der Andacht in den Procef übergegangen, den
Gegenfas, der nod im Glauben, der Gewifheit von der ob-
jeftiven Wahrheit, ift, zur geiftigen Befreiung aufzuheben, durch
diefe Vermittlung jene erſte Gewifheit zu bewähren und die
konkrete Beftimmung derfelben, nämlid die Berföhnung, die
Wirklichkeit des Geiftes zu gewinnen.“ If bier die Andacht
nur ein Procef, wie der Verf. fagt? — Ein paar Zeilen
weiter heißt es ebenfo überhaupt die „von Hegel befpöttelte
Frömmigkeit; citirt ift dazu Encyklopädie, 2. Ausgabe, S. 519,
wo eine inhaltsloſe Frömmigkeit genannt if. Im wiefern
nach des Verf. ebendafelbft gemachter Verfiherung, Viele ders
jenigen, welche folder Frömmigkeit das Wort reden, dem Spi-
noza und Schelling, als in deren Worten eine Andacht gelegen
habe, Vieles zu verdanken haben, möchte er felbft bei jenen
Vielen rechtfertigen.
Wie der Verf. die von ihm der Polemik vorgefchriebene
Bedingung: „geſchichtlich richtig und hiemit redlid Das
aufzufaffen und anzuführen, was befämpft werden fol,“ erfüllt,
hat, mag aus den gegebenen Beifpielen klar genug hervorge⸗
gangen fepn. Ueberdieß flechten fh, wenn nun die Polemik
felbft, oder vielmehr nur Proben davon dargeftellt werden follen,
allenthalben die Beifpiele von falfchen Angaben en. Die Dar—
ftellung wird in der Polemit noch befchwerlicher und tädidfer,
weil es bei diefer auf die Fähigkeit, einen Gedantengang zu
verfolgen, ankommt, aber zu der Lähmung des Vermögens,
Gegebenes aufzufaffen, nod die Lähmung, dem Gedantengang
eines Andern zu folgen, fo wie feine eigenen Gedanken zuſam—
menzubhängen und im Zufammenhang zu erhalten, bei dem Berf.
ſich hinzugefellt. Bei der Unmöglichkeit, diefe Paralyſis in ei⸗
nem Berlaufe von Raifonnement, wo jede Zeile zu kritiſiren
wäre, diplomatifch genau darzuftellen, find die Angaben hierüber
und die Benrtheilung, deren es eben nicht viel bedarf, allgemei-
8, Necenfion, 1.1eb. Hegel's Lehre, od. : abfol. Wiffen u.mod, Panth. 165
ner zu halten, und nur Sauptmomente anzugeben, die der Verf.
‚in feiner Widerlegung zu erhärten beftrebt if.
Um dich an das Vorige anzutnüpfen, (die Antnüpfungss
meifen des Verf. in feinem Fortgange find nicht beffer) fangen
wir von der Lehre, in der, wie der Verf. S. 183 fagt, „ein
tiefer Sinn, eine Andacht lag,” — von dein Spinozismus
an, um zu fehen, wie der Verf. das Verhältniß der Philofophie,
die er bekämpft, zu demfelden angibt. Es ift die einer der
Punkte, die er ausführlich behandelt; das Refultat if, S. 184,
‚das, was an den Lehren|Spinoza’s und Schelling’s haupt:
fü ift worden, im der hegelfchen Lehre nicht etwa er
gänzt ondern das Mangelhafte auf eine fihroffe Weife nä-
ber (I) auf die Spige getrieben ſey.“
S 163 kommt der Verf. hierauf, nahdem er S. 162 prä
ludirt hatte: „man hatte,” giebt er über die Phänomenologie
an, „eine beftimmte Anficht zur Vorausſetzung, eine beflimmte
Anſicht, welche erreicht werden follte” (eine Abſicht erreichen, ift
ein bekannter Ausdruck; aber eine Anficht erreichen ift nicht fo
Har). Alsdann bemerkt-er, &. 163, „die Begriffe, Seyn und
Wefen, wenn fie nit von einem beflimmten Geſichtspunkte,
den man gerade C!) feſthalten wollte, äußerlich (!) betrach-
tet worden wären, hätten die ihnen in der hegel'ſchen Lehre zu
Theil gewordenen Schiefale nicht haben Können, Nun
fen aber das höchſte Refultat diefer Begriffe die Subftanz
(es wird weiterhin die Unmöglichkeit bemerklich gemacht werden,
die es. für den Verf. hat, eine freie Entwidlung der Begriffe
und das Hervorgehen eines Refultates aus derfelben zu faſ—
fen; er bedarf es ſchlechthin, eine Vorausfegung dazu zu finden,
oder auf pſychologiſche Weife zu erfinnen) und werde,“ fährt der
Verf. fort, „ausdrücklich auf die ſpinoziſtiſche Subſtanz Bezug
genommen, Logik Bd. 1, Buch 2, S. 2%.” (Dafelbft wird
aber mehr als nur Bezug darauf genommen: es wird das Mans
gelhafte des Spinozismus beflimmt nacdhgewiefen). „Schon hier-
466 IV. Kritiken.
aus,” (aus der bloßen Bezugnahme) „gebt hervor, daf die
hegel'ſche Lehre die Lehre von der fpinoziftifhen Subſtanz zur-
Vorausfegung haben möchte; daß es wirkli fo iſt, kann
gar nicht bezweifelt werden. Denn die hegel'ſche Lehre
foll zwar den Spinozismus widerlegen; — der Standpunkt
defielben foll zuerft als wefentlih und nothwendig anerkannt,
aber aus fi felbft auf den höhern herausgehoben wer-
den; er foll dadurd ergänzt werden, daß das Princip der
Derfönlichkeit, die Freiheit, gerettetund aus der Sub-
ftanz felbft abgeleitet werde.” Diefe Angabe des Verhaltens
der in Rede fiehenden Philoſophie zum Spinozismus kann äu⸗
ßerlich richtig genannt werden, wie auch die folgende Zeile: „bie
hegel'ſche Lehre bewegt fi demnach zur Subflanz hin und aus
ihr heraus.” Nun fährt der Verf. fort: „die Lehre von der
Subftanz zeigt fh alfo als das eigentlide Centrum de
eigenthümlichen Grundanſicht der Lehre.” Daſſelbe wiederholt
er S. 165. „Es dürfte als gewiß anzunehmen feyn, daß
man fchledhterdings den Begriff der Subftanz habe zum Centro
der Lehre machen wollen, es dürfte fih aud ergeben, daß
man fih auf eine beftimmte Weiſe aus ihm habe her aus be⸗
wegen wollen.“ Der Verf. hat die Augen ſo weit aufgethan,
um zu fchen, daß in der Lehre, die er beſtreitet, in Heraus:
bewegen aus der Subftanz vorhanden ſey. — Gr nennt
diefe am liebften die fpinoziftifche; der Begriff der Subftanz be-
findet fih aber (wenn wir von der ſtkeptiſchen und damit ver-
wandten Philofophie abftrahiren) im jeder Philofophie, fo wir
in aller Theologie; nur daß die andern Philofophien, als Die
“ fpinoziftifhe, ingleichen. die Theologie ſich aus diefem Begriffe
herausbewegen. Nun hätte aber der Verf. auch nur feine
phyſiſchen Augen weiter bemühen follen, um zu finden, daß das
Herausbewegen, von dem er erzählt, ein anderes Ziel, als nur
die Subftanz, nämli den Geift zum Centrum gewinnt, und
dag es allenthalben ausgedrüdt ift, daß die fernere Ziel, zu
8. Recenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.; abfol. Wiffenu.mod. Panth. 467
dem der Begeiff ſich fortbeftimmt, die Wahrheit der Subftanz
fey, die Subftanz als Centrum aber die Unwahrheit.
Daß der Verf. dieß nicht weiß, ift nur aus der ſchon an—
‚gedeuteten Gelähmtheit erflärlich, welche nun ferner zu der Ver—
fiberung: daf die Lehre von der Subftanz fih alfo als das
eigentlihe Centrum der eigenthümlidhen Grundanficht der
Lehre zeige, hinzuzufügen fi nicht emtblödet: „dich Fönnte
duch unzählige Stellen (— dergleichen” wäre nicht bloß
dur Stellen, fondern durch den ganzen Inhalt einer Phi—
Lofophie zu beweifen) bewiefen werden” — (wozu? da bereits
ein; alfo vorherging). „Hier verweifen wir nur darauf, daf
auch am Schluſſe u. f. f. der abfolute Geift die eine und allge—
meine Subftanz als geiftige genannt wird, (Encyklopädie
2, Ausg. S. 499). So unbefangen ift der Berf., eine Stelle
anzuführen, die ausdrüdlicd das Gegentheil von dem fagt, was
er damit zeigen will; der üble Genius der Hypochondrie, wenn
es auch nichts weiter ift, hat ihn hier aufs Schlimmfte zum Be—
ſten gehabt. Die ſchiefe Stellung vom Nennen aud zugegeben
‚(in der eitirten Stelle heißt es: „der abfolute Geift ift die eine
und allgemeine Subftanz als geiftige”), fo zeigt die Stelle,
daf nit die fpinoziftifhe Subftanz, als welcher die Beflimmung
von Perſönlichteit, von Geiftigteit mangelt, das Centrum der
Lehre iſt; fie ſpricht aus, was alle hriftliche Theologie ausfpricht,
daß Gott das abfolut felbfiftändige Werfen, die abfolute Subftanz
ift, aber das abfolut felbftftändige Wefen, das Geift iſt, — der
Geift der abfolut felbftftändig if. — Geift ift als folcher fchlecht-
bin das Subjekt, und es ift durchgängige Behauptung der Lehre,
‚eben in den unzähligen Stellen wie in der. angeführten, daß die
abjolute Beflimmung Gottes, nicht die der Subftanz, fondern
des Subjetts, des Geiftes if. — Allerdings bleibt dem Geifte
auch die Beflimmung der Subftantialität; hat der Verf. Gott
als Geift im Sinne, fo, daß er nicht fubftantiell wäre, oder
weiß, er von einer Theologie, in weldher Gott wäre, ohne an
168 IV. Kritiken,
und für ſich zu beſtehen, abfolut felbfiftändig zu ſeyn? — Aus
Enchklopädie $ 384. führt der Verf. S. 186 den Anfang einer
Anmerkung an: „Das Abfolute ift der Geift; dieß ift die höchſte
Definition des Abfoluten” Dieſe Stelle findet fih in dem Ab-
ſchnitt, der überfchrieben ift: „Begriff des Geiftes,” zu Anfang
der Philofophie des Geiftes, im welcher zuerft der endliche Geift
in zwei Abtheilungen und im der dritten der abfolute Geift ab-
gehandelt iſt. Hiemit felbft ift der bloße Begriff von feiner
Realifation und von feiner Idee unterfchieden. — Was
fagt nun der Verf. zu jener Anmerkung? Er verbindet jene
Stelle vom Begriffe des Geiftes unmittelbar mit der Lehre
vom abfoluten Geifte (— er unterf&heidet hiemit das unbeftimmte
Abfolute und den abfoluten Geift gleichfalls nicht von einander)
und fagt dann: „Jene Definition ift aber, gewaltig ungenüs
gend, dem menfhlidhen Geifte paffiren manderlei nicht
abfolute Dinge.” — Gewiß! wie 5. B. hier dem Verf.
Dean wird aber müde, ſolche Verkehrungen bei demfelben
zu rügen, und folde ungemeine Inftanzen der Anftrengung feiner
Denkkraft bemerklich zu machen; wir übergehen auch die weitere
Art, wie er die Entwidlung der Subflantialität, der Nothwen—
digkeit, den Mebergang aus derfelben in die Freiheit auffaft.
Diefer Uebergang wird (Enchklopädie S. 400) der härtefte ges
nannt; der Verf. entgegnet S. 165: „Es flreitet gegen bie
Philofophie, daß im ihr felbft folde Härten nothwendig wä—
ren, und es drängt fih daher die Bermuthung auf, daß—
Jemand (der ſonſtige Man) jene Härte habe hineinbringen
wollen.” Dean kann dem Verf. verfihern, daf, wenn man nur
mit dem Wollen oder vielmehr Mögen und nicht mit der Na—
tur der Sache zu thun gehabt, man fid die Härten gern erfpart
hätte; der Verf. ift infoweit glüdlidher daran. In feinem Rai—
fonnement über die Nothwendigkeit und Wechſelwirkung ver—
fihert er (S. 178), „daß die Stellung derfelben in der hegel’-
ſchen Lehre nicht gerechtfertigt fey, uud ſchwerlich je gerecht—
8. Mecenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffen u. mod. Panıh. 169
fertigt werden könne; dieß macht er zu dem guten Grund für
ihn felbft, daß aud „wir den ausführlidhern Beweis unferer
Stellung deswegen wiederum vorenthalten können.“
Jener Stelle und der unzähligen Stellen ungeachtet bleibt
dem Berf. aber als Reſultat der Lehre, „die Spige, auf welche
durch fie die Lehren Spinoza's und Schelling’s getrieben fehen ;“
er trägt dief ©. 181 fo vor: „die abfolute Subflanz wird
nicht felbft frei, fondern ihre Manifeftationen; fie felbft bleibt
ſtarr (? — ungeachtet fie der Geift ift) und die fpinoziftifche
Subflanz wird nicht belebt, fondern fie bleibt die eine und
blinde Subftanz, dennoch (!) enthüllt fie fi, im Einzelnen
wie im Allgemeinen, welde das Befondere zu ihrer Mitte ha—
ben. Die Einzelnen find die aktive Kaufalität, das
Allgemeine ift die paffive Kaufa lität der abfoluten Subſtanz“
(vergl. ©.195). Dieß erzählt der Verf. auch S. 184 mit einer
Konfequenz, die er daraus zieht, „die Einzelnen, als mit der
Subftanz identifch, find die aktive Kaufalität Gottes, folglich
wird dadurch gefagt, es gäbe keinen perſönlichen Gott im obi-
gen Sinne, (nämlid als die allervolltommenfte Intellis
genz, als das höchſte Leben, ein an ſich perfönlih (wenn man
diefen Ausdrud gebrauchen darf) abfolut wirkendes
Agens) „fondern die Perfönlichkeit Gottes wären die einzelnen
Individuen.” Diefe Quinteffenz von Behauptungen ift näher
zu beleuchten. Zunächſt, was die paffive Kaufalität fey, da—
von erhält man wohl durch die Schrift des Verf. ziemlich) eine Vor—⸗
ftellung, die Kaufalität des Verftandes zeigt ſich darin fehr paf-
flo; aber für einen philoſophiſchen Vortrag hätte er diefelbe,
und den Sinn, im welchem er der Lehre, die er befämpft, zus
ſchreibt, daß in diefer das Allgemeine eine folde Kaufalität fe,
näher erläutern follen. Was die Befimmung der Perfünlich-
keit Gottes betrifft, fo ift es undeutlih, ob die angeführte Pa—
rentheſe eine Schüchternheit ausdrüdt, die ihn befallen hätte,
den Ausdruck perfonlich zu gebrauchen. — Wenn nun aber
e
170 IV. Kritiken.
ferner das höchſte Leben als perfönlich beſtimmt werden foll,
fo kann dieß nur gefihehen, indem es als Intelligenz, wie
auch der Verf. thut, beſtimmt wird; — übrigens ift das Prä-
dikat der allervolltommenften aus der wolf'ſchen Philoſo—
phie, um feiner Leerheit willen, mit Recht obfolet, und durch
andere erfegt worden. Daß der Verf, aber in der Intelligenz
eine andere Beftimmung,-überhaupt und in Beziehung auf Per
ſönlichkeit, gefagt zu haben meint, als die in dem Geift über-
haupt, und mäher in dem fib als Geift wiffenden Geift
liegt, (welche Definition er aus der Enchklopädie wiederholt
anführt) würde nicht zu glauben ſeyn, wenn es nicht fonft klar
genug geworden wäre, wie fehr ihn ein übler Genius blendet.-
Die aktive Kaufalität Gottes aber, welde die Einzel
nen feyn follen, fteigert fich ihm fogar zur abfoluten Kaufalität
des einzelnen Subjetts; und von da aus hat er dann wei-
ter Peine Scheu, von Sclbftvergötterung in der Lehre, die er
beftreitet, zu fpreben, — davon S. 202 „daß die einzelnen
Subjekte ſich als Gott wiffen ſollen.“ S. 216, „daf die ein
zelnen Gefhöpfe die abfolute Lebenskraft ſelbſt ſeyen.“ (S. 223
macht er der Lehre dagegen den Vorwurf, daß die Selbfithätig-
keit für etwas Eitles erklärt werde) „und fih nur auf hege-
ſche Weife als abjoluter Geift zu behaupten brauchten, um ſich als
Gott felbft zu wiſſen.“ — Dergleihen Berfiherungen eine inver:
ſchämtheit zu nennen, muß man durch die Befanntfcaft, die man
mit dem eben erwähnten böfen Genius fo vielfach) in diefer Schrift
gemacht, abgehalten werden. Wo der Verf. die abfolute Kaus
falität der einzelnen Subjekte finder, ift die ſchon angeführte
Stelle, worin es heift, „daß es dem Menfchen möglich ſeh, ſich
zu verflümmeln und zu tödten.” „Diefer Sat,” fagt der Verf.
©. 189, „it nur aufgeftellt, um die abfolute Kaufalität des
Subjekts zu behaupten.“ Es ift ein Sag, den bekanntlich die
und zwar „in den chrifllihen Staaten erfcheinenden“ Sterbrli-
ſten in allen Intelligenzblättern aufftellen. — Das Berhält
3. Necenfion, A.llch. Hegebs Lehre, od: abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 474
niß aber des endlichen Geiftes zu Gott ift die tieffte Jdee, fo
daf das Denken derfelben der forgfältigfien Wachſamkeit über
die Kategorien, die es dabei gebraucht, bedarf. Im den oben
angeführten „Aphorismen über Nihtwiffen w f. f.“ find
dieſe Tiefen: Wiffen Gottes, Wiffen Gottes in ſich, Wiffen Got-
tes in mir, Wiffen meiner in Gott, denkend behandelt: das ift
nufrimentum spiritus in etwa nahbarlibem Latein, Nahrung
für den Geift, jedoch nicht Koft für den Verf. Daraus wäre
das ſcharfe Wachſeyn über die Kategorien zu erlernen, wie die
Art des „ſchwerfälligen, d. i. fo trägen als leihtfertigen
Denkens” zu erfehen. — In folhen Materien bedarf es nicht
nur, obgleid) das Denken im Konkreteften ift, der reinften Dent-
befiimmungen, fondern, da, wie man wiffen muß, diefe felbft
nur Beflimmungen der Endlichkeit find, bedarf es auch deffen,
daß ſogleich diefer Mangel corrigirt wird. Aber aus einer fol
hen Darftellung der Jdeen die Hälfte einer Beftimmung, das
heißt, diefelbe mit Weglaffen der fie aufhebenden, berichtigenden
Beſtimmung, herausheben, heißt beim Geiftigen nur roh mit
umwahren Kategorien darein fahren. Der Verf. hat nicht ein-
mal ein Bewußtfeyn darüber, daß ſelbſt wenn er den Sag for—
mirt (in der Idee der göttlichen Aetuofität giebt es Feine Sätze
mehr): die Einzelnen feyen die aktive Kaufalität Gottes,
diefe Kaufalität nody eine Kaufalität Gottes wäre. Aber wenn
die Kategorie: Kaufalität Gottes, wohl in vormaliger Metaphhy—
fie gebraudt worden, und wenn es ein wenigftens zuläffiger
Ausdrud im populären unbefangenen Vortrage ift, Gott fey
Urfade der Welt, (wie ja aud Jacobi noch ein großes
Gewicht auf diefen Ausdrud gelegt hat); fo ift es etwas anders,
wenn auf die beſtimmte Bedeutung der Begriffe gefehen wird.
Sagt man doch aud im populären Vortrage ſchwerlich: Gott
ſey Urfadhe der Menſchen, umd die Menſchen gehören
doch wohl zur Welt, fondern man fagt: Schöpfer der Menſchen,
wie auch: Schöpfer der Welt; noch weniger wird man fagen,
172 IV, Kritiken.
die Menſchen, die Welt, ſeyen fine Wirkung Gottes, was
doch der Urfache entfpricht. Sagt man doch nicht einmal von |
den Produktionen des endlichen Geiftes, er fey Urfache derfelben;
man fagt nicht, Homer fey Urſache der Jliade oder diefe eine
Wirkung Homers. Wenn daher die Kaufalität ausgeſprochen
wird, wird in eine außergöttliche, endliche Sphäre herabgetre-
ten, (die jedoch nicht gottverlaffen, nicht gott=los if); fo das
die Kaufalität Gottes nicht Er felbft, infofern er an und für ſich
iſt, ſeyn ann.
Aber das Verfahren des Verf. hat noch einen gröbern Zug
in fi, der zu beleuchten iſt. Zuerſt fpricht er von dem Sake,
daß die Einzelnen „die aktive Kaufalität der abfoluten
Subftanz“ ſeyen; dieß feigert fidy ihm zur aktiven Raufalität
Gottes, ja wie wir gefehen, zur abfoluten Kaufalität des,
einzelnen Subjekts. Jene Steigerung hängt mit einer ausge
dehnten Verfälfhung zufammen, der er ihre Grundlage darin
gegeben hat, daß er bem Syſteme in der „Hinausbewegung“
der Subftanz zum Geifte wicht folgt. Der Verf. läßt ſich auf
feine Weife mit dem Begriffe des Subflantialitäts-Verhältnik-
fes ein, wie daffelbe in der Logik, und zwar im deren zweiten
Theil, dem Wefen, abgehandelt ift; im dritten Theile der Logik,
welde von dem. Begriffe nnd der dee handelt, find wahrere
Formen an die Stelle der Kategorien von Subſtanz, Raufalität,
Wechſelwirkung, die dafelbft kein Gelten mehr haben, getreten,
Bon der logifhen Idee wird fernerhin die konkrete Idee als
Geift, und die abfolut=tonkrete, der abfolute Geift, unterfchieden,
und in einem andern Theile der Philoſophie abgehandelt. Der
Berf. aber fubflitwirt Gott an die Stelle der Subftanz, in
jener logiſchen Sphäre der Subftanz, ©. 184. „Das Abfolute
ift als abfolute Subflanz in der Wechſelwirkung nur fi felbft
unterfcheidende Nothwendigkeit,“ — dieß hat er richtig abges
fohrieben, aber nun fährt er fort: „die Selbftunterfheidung iſt
ihre Wahrheit” (etwa die nächfle, aber höchſtens auch nur die
8, Necenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od. + abfol. Wiſſen u. mod, Panth. 173
nächſte halbe) oder Bott erfihafft nicht einzelne Wefen, fondern
unterfcheidet fih als blinde Nothwendigkeit m. f. f. (worauf
auch das vorhin Angeführte von den einzelnen, welche die aktive
Kaufalität Gottes fehen, folgt). Umgekehrt, wo der Verf.
S. Wi nun auf die Lehre von dem abfoluten Geifte zu reden
kommt, der allein als die wahrhafte Beftimmung für Gott aufs
geſtellt wird (um den Lieblingsausdrud des Verf. zu gebraus
Gen; es gefchieht aber im der Philofophie mehr, als daf nur
geflellt wird, es wird bewiefen), weif er fein Auffaſſungs—
u nicht über die Kategorien der logiſchen Subftantialis
Sphäre hinauszubringen, Das, was er „die begePfhe
eieinigkeitslehre” nennt, (die freilich auch nicht in Sätzen
:faßt iſt, fondern wo aufzufaflen gewefen wäre, (ſ. Encyklopä—
die $. 571.) das Leben, das fi in dem Kreislaufe konkreter
Geftalten der Vorſtellung erplicitt, — der Eine Schluß der
abfoluten Vermittlung mit fih, den drei Schlüffe ausma-
Ken) — diefe Lehre von dem ſich erplicivenden Geiſie erſchafft
er zw „weiter nichts“ als zu „einer mit einigen Erläute run—
gen ausgefdmüdten Anwendung der oben ausgeführten
Lehre von der Selbfiunterfcheidung der abfoluten Subſtanz oder
des Abfolnten in der Wechſelwirkung.“ Einen Theil dieſer
Erpofltion fertigt er S. 202 kurz damit ab, daß fie ein „Ge—
ſchwãtz ſey und „in der jümmerlichen Lehre von der Selbſtun—
terſcheidung der abjoluten Subftanz murzle.” Dann aber wird,
die Berkehrung des Aufzufaffenden, der Eifer (— ein Eifer,
der darum nocd nicht heilig zu nennen ift, daß der Verf. dem
Ausdruc heilig von chriſtlichen Lehren gebraucht, um fie dadurdy
dem Denken, vor dem fie fich wicht zw ſcheuen brauchen, zw ent-
ziehen) — der Eifer gegen die von ihm erzeugte Degradationg-
marime, die Berunglimpfung immer transcendenter, fo daß das
Mißreden ſich S. 209 bis zu diefer Erbaulichkeit fleigert, daß
man dafelbfi kief’t, „wenm Hegel desfalls nicht zu Gott bes
ten wolle, daß er ibm diefe Sünde gegen den heiligen Geift
174 IV, Kritiken.
vergebe, fo werden Andere für feine Seele beten.“ Für die
Vergebung der Sünde, auf welche die Beten allein geben
tönnte, der Marime, die fpetulativen Jdeen der Natur Gottes
und feiner Dreinigkeit zu den Kategorien des abſtrakten Ver—
flandes, die Jdee des Geifles zur Form der Subftanz zu degras
diren, und die in ihrer konkreten Lebendigkeit dargeftellten Pers
fonen des göttlihen Weſens zu den abflratten formen des
Begriffes, der bloßen Allgemeinheit, Befonderheit und Einzeln—
heit zu verblafen, — mögen die „Andern“ beten, welche fie
begangen haben; diefe Sünden find in des Verfs. Schrift im
bineeihender Menge zu finden, Weil der Verf. nicht gefagt.
hat, daf Er das Gebet, von dem er ſpricht, bereits verrichtet,
(— und warım, fönnte man fragen, hatte er es nicht bereits
verrichtet, wenn es ihm mit feinem Reden von Beten Ernft Hd)
noch die Zuſicherung macht, daf er es thun werde; fo ift auch
dem, zu deffen Seele Beftem es gefchehen follte, erfpart, was
freilich auch fonft überflüfftg wäre, Gott zu bitten, daß er jenes
Beten, das aus ſolchem Geifte (oder etwa nur aus einer Seele,
als womit auch die Thiere begabt find, da es nur für eine Seele
gethan ſeyn foll) käme, wenn daffelbe auch in eine Meffe ein-
gefchloffen werden follte, nicht erhören möge. Wäre dem Gebet des
Verfs. eine Kraft zuzutsauen, wäre er flärfer und geübter darin,
als er fih in der Nichtigkeit des Auffaflens und im Sprechen
des Richtigen zeigt; fo hätte er Gelegenheit, feine Geübtheit im
Beten zum Beſten der Kraft zu gebrauchen, deren er unmittel⸗
bar nachher erwähnt. Nach der angeführten unwürdigen, leicht—
finnigen, ja höhniſchen Art, das Beten herein zu ziehen, fügt
er Dinzu, „daß fie” (jene „Andern“) „deshalb“ (weshalb?)
„nicht im Mindeſten davon ablaffen werden, fid allen Bemü—
hungen, das Heiligfte zu degradiren (— daf aus einem
Mindeften von Geübtheit, das Richtige zu fpreden, die man
Mahrheitsliche zu nennen pflegt, diefer Ausdrud von Degras
diren entfprungen, ift oben aufgezeigt worden — hier erröthet:
8. Kecenfion. 1. Ueb. Hegels Lehre, od. abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 475
das Produkt folder Wahrheitslicbe nicht, fih in Zufammen-
bang mit dem Beten gebracht zu fehen —) mit aller Kraft,
welche Gott verlichen, entgegenzuftellen;“ der Verf. mit jenen
„Andern“ zufammen dürften, ohne unbefcheiden in ihrem Ver—
langen zu ſeyn, um Vermehrung diefer „aller ihrer Kraft” für
die Ausführung ihrer Drohung ihr Beten verwenden können. —
Ora et labora ift das ganze Gebot; die Arbeit des Studiums
und Nachdenkens ift allerdings fhwerer, als die Arbeit Gebete
zu plappern; aber freilich muf aus dem Gebet, das, um wahr
haft zu ſehn, aus dem Geifte der Wahrheit auffleigen muf, vor
Allem der ihm verheißne Seegen, die erſte Bedingung des Stu⸗
diums, der Sergen der Redlichkeit im- Auffaſſen der Gedanken,
die man kennen lernen und beurtheilen will, und der Redlichkeit
im Erzählen von denfelben, gewonnen worden ſeyn.
Aber indem Ref. ſich fehnt und beftrebt, aus diefem uner-
gründlichen Pfuhle einen Ausgang zu gewinnen, erinnert er fi)
daran, daf noch erft vom Anfange zu reden wäre. Denn der
Berf. beginnt mit der Unterfuchung des abftraften logiſchen An—
fangs, und fommt darauf oft zurüd; er läßt fi aud auf weitere
logiſche Materien, nad) Willtühr und Zufall, und auf die Me—
thode insbefondere, übergehen. Nachdem feine Berfahrungsweife
an konkretern Gegenfländen gefchildert worden if, an welden
die Anwendung der Verdrehung, fattifche Unrichtigkeit, und Ver-
unglimpfung bei den Unkundigen das fehreiendfte Auffchen her—
vorbringt, fo kann das Ergehen des Verf. über abftrafte Ma—
terien kürzer behandelt werden. Dhmehin ift es unmöglich,
demfelben dur) ‚die Art oder vielmehr Umart des Gewirres von
Raifonnement zu folgen; der Vortrag zerfährt allenthalben in
eine Funterbunte Bermifhung abſtrakter Formeln, trivialer pſy⸗
chologiſcher Popularitäten, unterbrochen durch falbungsreiche
Ziraden vortreffliher Gefinnungen, mit derfelben Paralyfis des
Auffaſſens und zufammenhängenden Denkens, die aufgezeigt .
worden. Um zuerfl von dem etwas zu erwähnen, was ber Verf.
176 IV. Kritiken.
über die Methode der Philofophie, die er beftreitet, vorbringt, —
und hiemit macht er ſich viel zu thun, — fo verkehrt die ride
tige Vorftellung, die er angiebt, daß diefe Philofophie ganz auf
ihre Methode berube, fi ihm in die, daß die Methode im ihr
ein nur Vorausgeſetztes feh, und derfelben zu Liebe die Re
fultate wie die Yusgangspımkte angenommen werden, Auf die
BVerfiherungen, die Methode fete voraus „daß die Wahrheit
einen negativen Charakter habe,” (S. 39) fie beruhe „auf dem
‚ verneinenden Princip,“ auf der Abftrattion, die ihrer GSeits vor
ausfege (S. 53 und öfters), daß „man duch Weglaffen
desjenigen, was bloß Beſtimmung der Sade ſey, bie
Wahrheit erkenne,” werden wir zurüdtommen. Es ift dabei
nicht gegen das Vorausfegen felbfi, daß ſich der Verf. erklärt;
er dringt nidt darauf, daß in der Philofophie eine Worausfegung
bloß für eine Autorität gilt, und daß nicht ihr, ‚fondern nur
der Kirche erlaubt ift, die Wahrheit auf Autorität zw gründen.
Woher der Verf. aber feiner Seits die Vorausſetzungen genom—
men, die er felbft macht, wird ſich im Werfolge zeigen.
Um die Behauptung zu unterflügen, daß die Methode vor
ausgefegt fey, fagt er (S. 121), „von der Miethode ift im der
Logik, inder Borrede und Einleitung, endlih am Shluffe
derfelben, in der Lehre von der abfoluten Jdeer, die Nede, und
in der legtgedachten Lehre wird fie als das Allgemeine der
Form des Inhalts betrachtet. Durch diefe Stelle ber
urkundet fih denn ganz klar, daß fie das Mittel geweſen
ift, die ganze Lehre herauszubringen; ferner beurtunder fid
dadurch, daf fie früher fertig war, als die Wiſſenſchaft, endlich
aber möchte hieraus erhellen, daß man nicht fo fehe dem
Inhalt zu, durchdringen, a's vermittelt der Methode einem ein-
mal vorhandenen Inhalt aneinander zu reihen ſuchte.“ Wenn
jene Ungaben ganz klar beurkundet heißen, fo fcheint es nur
ein aufwachendes Gewiffen zu feyn, weldes den Ton der Vers
fiherung wieder in ein: möchte herabdrüdt, In der Logik,
8. Recenfion. 2. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffenu. mod. Panth. 177
die der Verf. citirt, wie in der Enchklopädie, iſt zu wiederholten
Malen gefagt, daß in Vorreden und Einleitungen, d. i.
vor der Wiffenfchaft, nicht wiſſenſchaftlich, fondern geſchichtlich
und etwa nur täfonnirend geſprochen werde; es ift wohl noch
Kiemand eingefallen, in die Vorrede und Einleitung die wiffen-
ſchaftlichen Grundlagen einer Philofophie zu verlegen, eben fo
wenig, als fie darin zu fuhen. Der Schluf aber enthält das
Refultat; die Prämiffen, welche die Grundlage dazu bilden, find
im Borhergehenden, und im vorliegenden Fall, im ganzen Ver-
lauf der Wiffenfchaft enthalten. Wenn es daher in dem ange-
führten Schluffe heißt: ‚die Methode ſey das Allgemeine der
Form des Inhalts,” und wenn ſich etwas dadurch beurkun⸗
dem ließe, fo müßte es nicht fehn, daß die Methode das Mittel
zum Inhalte, fondern vielmehr der Inhalt (um in des Verfs.
Ausdrüden zu fprehen) das Mittel zur Methode gewefen ſey.
Jener angefhuldigten Methode ftellt der Verf. feiner Seits einen
Begriff derfelben entgegen; „das Erkennen ſelbſt,“ fagt er (©.
483), „muß die Wahrheit gewinnen; die Methode fucht die
Wahrheit in ihrem, in ihr felbft enthaltenen, durch fie
ſelbſt gegebenen Zuſammenhange, in ihrer ſolchergeſtalt durch
fie felbft gefegten lebendigen Entwidlung darzuftellen.
So ift derin ihre höchfle Stufe die Dialektik, eine Bewe—
gung im Erkennen wie das Werden; ift die dialektiſche
Thätigteit des Erkennens vollendet, fo ift die Wiffenfchaft
da.’ Ref. kann diefen Vorausſetzungen nicht anders als Beifall
geben, denn es find deſſen eigenſte Ausdrücke, wie fie ſich zur
Genüge in deffen Logik und Enchklopädie finden; fogar das
Werden als Bewegung tauht hier wieder auf; wie fehr
der Verf. ſich früher (S. 29) damit gemartert, werden wir
nachher anführen; auch die Dialektik, dieß negative Princip,
bat hier bei ihm einen Ehrenplag erhalten. Der Berf. hat ſich
diefe angeführten Gedanten fo fehr zu eigen gemadt, daß er
damit unbefangen als mit dem Seinigen und zwar mit ber
Vermiſchte Schriften ·· 12
[4
478 IV. Kritiken.
Miene groß thut, als ob damit gegen die Philofophie, die er
beftreitet, etwas gefagt worden fey. Wenn diefe die Methode
darein fest, daf der Inhalt durch ſich felbft ſich entwidle, und
der Verf. dieß wörtlich nachſpricht, fo hätte ev vorab und
inetwa (wie derfelbe zu fpredhen pflegt) bei diefer Philofophie,
die Methode als Form bei den Sägen, über die er fidh aus—
läft, zunächft vergeffen und ſich in den Inhalt vertiefen müffen;
fo wäre er in deffen Fortbeftimmung eingegangen, und hätte |
dann das Bewußtfeyn über diefen Gang des Inhalts, über die |
Methode, erlangen können. Diefes fih Fortbeſtimmen des In—
halts aber, und ob es wahr ift, daf derfelbe fid) fo beftimmt,
dieß kümmert den Verf. nicht. Durchweg faßt er vielmehr das,
was ihm vorzunehmen beliebt, als ein Aufgeftelltes, erzäh—⸗
lungsweife führt er Säge und Reihen von Sätzen an, bie
aufgeftellt ſeyen, ohne ſich darauf einzulaffen, ob der Inhalt
an ihm felbft die Säge herbeigeführt habe. Aber ein ehern
Band (wäre es au nur als einen Schnitt der Haare) hat ihm
der Gott (der Hypochondrie? — oder die Gewalt, welde ihm
die Schilderung der Degradation diefer Gewalt zu einer Degra—
dation des Himmels (f. weiter oben) graduirte?) um die Stirn
geſchmiedet,“ um das nicht zu fehen, was vorhanden ift.
Die eigene Methode des Verfs. aber in den unzählbaren
faktifchen Unrichtigkeiten feiner Erpofitionen des Logifhen, in
den weitern Verkehrungen durch Schließen und Raifonniren dar-
über, zu fehildern, wird hier vollends unthunlich. Einiges, um
die Charakterifirung zu vervollftändigen, ift auszuheben.
Eine einfache Weife, die oft wiederfommt, ift die Verſiche—
rung, daß von Sägen, die er vornimmt, gar kein Beweis ge
geben ſey. Der Verf. gebraucht diefe feine belichige Angabe als
Grund, weshalb er für feine Behauptungen Teinen Beweis zu
geben nöthig habe. Die Verſichrung, daß kein Beweis gegeben
ſey, macht er, felbfi, indem er diejenige Expofition, welche den
Beweis enthält, hererzählt; wie ſolche Auszüge beſchaffen find,
\
” 8, Recenſion. 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od. : abfol. Wiffenu.mod. Panth. 179
ift ihnen freilich nicht anzufehen, daß fie ein Beweis find. er
So heißt es, S. 114: „Von dem Wefen wird nicht die min-
defte Erklärung gegeben.“ Die Erklärung, was das Werfen ift,
macht, wie dem Berf. befannt ift, einen eigenen Band der Logik
aus, die er kritifirt. Gleich einfach if es, wie z. B. ©. 169,
nachdem die Expofition der Momente des Begriffs, Einzelnheit,
Befonderheit und Allgemeinheit, allerdings fahrläſſig genug, er⸗
zählt worden, zu verfihern: „Es liegt aber klar vor Au⸗
gen, daß diefe Momente nicht ihrem wefentlichen Begriffe nad)
aufgefaßt worden find.” Es wäre für ein Glück zu achten,
wenn dieß klar vor Augen läge, denn der Verf zeigt ſich nicht im
Stande, es darthun zu können. Die verbraudte rhetorifche Wen⸗
dung fehlt auch nicht, nachdem irgend etwas gegen einen Gegen-
Aland vorgebracht worden, bald auszubredhen in ein: „da fi
nun ergeben hat, (©. 216) es wird.fih fo ziemlich klar
ergeben haben, daß jene Lehre gar Feinen vernünftigen
Sinn hat“ Zu einem folden gar feinen, gehört eigentlich
mehr als nur ein: fo ziemlich. Am meiſten Befriedigtung
‚ giebt dem Verf. die Entdedung, mit der er gleich anfängt, daf
die Philoſophie, die er ritifirt, ſich abſtrahirend verhalte,
verneinend zu Werke gebe, und in ihre die Wahrheit einen
negativen Charakter habe. Biel befhäftigen ihn die Säge,
die in der Logik vom Seyn und Nichts aufgeftellt ſeyen, be⸗
fonders läßt er ſich das Nichts fehr angelegen fehn, und fpricht
dazu fehr ernfihaft von „der Pflicht, aufs innerfle zu prüfen,“
„dem Zwede feiner Schrift, das vernünftige, fpetulative Denken
zu befördern.” Weber die Verwirrung, in welder der Verf. ſich
hier über jene allereinfachften Kategorien herumtreibt, wollen wir
daher etwas Näheres angeben. S. 26 heißt es: „Werden
fey vorgeftellt als die Bewegung eines unmittelbaren Verſchwin⸗
dens des einen in dem andern (des Seyns und Nichts);“ der
Verf. macht hierüber die Kritik: „es werde ſchon Lei der Erör⸗
terung des erſten Begriffs des Seyns, ehe vom Werden Die
412%
480 -IV, Keitifen,
Ride fey, behauptet: das Seyn fey in der That Nichts,“ —
in allen Theilen der Logik konnte er daffelbe finden, daf zuerſt
von derjenigen Beſtimmung, aus der- eine andere hervorgeht, die
Rede ift, und naher von der, die daraus hervorgeht. Eben
fo bemerkt er (8.27, 29): „daß das Seyn ſchon an ſich Nichts
ſeh, ehe das Nichts an ſich erörtert worden — und ehe die im
MWerden behauptete Bewegung gefest fey;” — etwas Aufmerk⸗
ſamkeit auf fein Denten hätte ihm fagen können, da felbft das
was er anführt, die Gedantenreihe, Seyn (weldes ſchlechthin
in der Vorftellung vom Nichts verſchieden feyn fol) it ſchon
an ſich Nichts; eben diefe Bewegung felbft ift, die alfo nicht
vor ihr ſelbſt ſchon gefegt feyn kann, fie „diefe dialektiſche Thä—⸗
tigkeit des Erkennens,“ die vom Verf. felbft erwähnt worden, —
und wenn, S. 29, „der Unbefangene fagen foll: das Seyn feh
alfo ſchon zu nidhte geworden, ehe man zum Nichts gekom—
men,” fo möchte der Verf. doc den unbefangenen Wundermen-
ſchen herbeibringen, dem etwas zu nichts hätte werden können,
ehe, und alfo noch ohne, daß er bei dem Nichts deffelben
wäre. Der fo leere Beftimmungen vorbringende Verf. ſpricht
©. 204, im Unterfohiede gegen eine elementarifhe und konkrete
Natur, von einer ätherifhen Natur, und macht der Philo
fopbie, die er befireitet, den Vorwurf: daß „in derfelben von
der „ätherifhen Natur“ nicht die Rede ſey,“ (— „was
leicht erklärlich ſey“ — vielleicht aber wohl aus dem entgegen
gefegten Grunde, als der Berf. etwa im petto hat); — was
diefe „ätherifche Natur” ſey, hat er übrigens nicht näher ante
gegeben. Aber die dünnen Regionen des abftratten Denkens
find wohl noch ätheriſcher, als des Verfs. ätherifhe Natur; die
leifefte Nuance macht fi) ſchon als Unterfchied bemerkbar, und
ein noch fehr inhaltlofer Sag iſt ſchon eine Handlung, über
welche und deren tempi in diefem Felde ein Bewußtſeyn zu
haben nöthig if. Jedoch haben wir fo eben gefehen, daß auch
der Verf. fo dünne Unterfchiede zu maden weiß, daß nichts an
8. Recenfion, 1, Heb. Hegel’s Lehre, 0d.: abfol. Wiſſen u. mod, Panth. 191
ihnen bleibt; fo macht er ferner, S. 30, den feinen Unterſchied,
daß „das VWerfhwinden des Nichts und des Seyns an ſich
- felbft, etwas anderes fey, als das Verſchwinden des einen in
dem andern; — es hätte ohne Zweifel intereffant werden
können, wenn er aufgezeigt hätte, wie z. B. das Verſchwinden,
d. 5. das zu Nichts werden des Seyns an fich, zu denken fe,
ohne an fein Anderes, das Nichts, dabei zu denken, — wie das
Seyn an fid) verfehwinde, und dich fein Anderes dabei weg—⸗
bleibe.
Wenn er nun eben daſelbſt verſichert: „das Verſchwinden
des einen in dem andern made eben den Beweis aus, daf
weder das Seyn noch das Nichts ſey;“ fo ſieht er nicht, daß er
hiemit eine der, in der Logik aufgeftellten Beltimmungen,
ſelbſt ausfagt, daf nämlich weder Seyn noch Nichts fey (70 dv
odder uälhov Tod un övrog); — indem er aber hinzufügt,
daß umgekehrt beide Seyn und Nidhts der Beweis fehen, daf
das Verſchwinden nicht ſey, fo feht er dagegen die Feſtig—
Feit des Seyns und des Nichts voraus, wie er vorhin das
Berfhwinden vorausfegt, und zu demfelben fogar weder ein
Seyn noch ein Nichts bedarf, Wenn er fortfährt, daß das
Werden felbft ein Verſchwinden fey, ſich verneine, fo ift dieß
wieder eine der Beflimmungen "jener Logik felbft, aber immer
auch nur die eine, — und damit für einfeitig erklärte. Vor—
nehmlich aber hat er viel mit dem Nichts zu thun, das er ſich
vorhin als ſelbſtſtändig vorftellte und es fo als Beweis ges
brauchte, daß kein Verſchwinden ſey. — Das Nichts it Nichts,
Nichts ift gar nicht; (und dann ex nihilo nihil At), ift der
Sag der Eleaten und jedes metaphhfifchen Pantheismus. „Das
Nichts,” ſagt der Verf. ©. 59, „hat nody Niemand geſehen,“
(wahrſcheinlich nicht; — auch nicht das Nichts, woraus Gott
die Welt erfihaffen; ſchwerlich auch jemand das Stüd ägypti—
ſcher Finfterniß, welches in einer Flafche als Neliguie fol aufs
bewahrt werden); „kein Menſch hat es je gedacht.“ Wie
—
182 IV. Krinken.
kommt der Verf, dazu, daß ihm dieß auf die bloße Autorität
feines Verſicherns, oder, wenn er lieber will, dieſes feines
Aufftellens, geglaubt werden fol? Wenn cs auf’s Verfühern
nur anfäme, fo wäre das Philofophiren freilich eine leichte Ar—
beit. Wie tommt er dazu, von „keinem Menfhen je” zu
fprehen? weiß er von allen menfhlichen Indididuen, die je
gelebt haben? Möge er angeben, wo die Geſchichte von diefen
Allen und dann von Allem, was jedem je durd den Kopf ge
gangen, aufgezeichnet it? — Wenn es gleichfalls erlaubt wäre
fo in’s Grlag hinein, von allen Menfchen, die je gelebt haben,
zu verfihern, fo wäre die Gefchichte eine leichte Arbeit. Nur
wenn es um leere Tiraden zu thun if, erlaubt man ſich, von.
feinem Menſchen je Verfiherungen zu maden. Eher ließe
ſich, wenigftens auf raifonnirende, nicht aber auf geſchichtliche
Art, plaufibel machen, daß Alle Menſchen, z. B. auch der Verf,
das Nichts gedacht haben; fehen läßt es ſich nicht; wenn wir
dieß aus der Erfahrung zugeben, fo könnte man fhliefen, daß
es ein Gedanke fey, Der Verf. führt Nichts oft genug im
Munde Wenn er, wie früher angeführt, einmal fagt: „die
Beifpiele (in der Logik) beweifen auch nichts,” war dieß nur
gedankenlos fo gefagt? Ohne Zweifel hat der Verf. auch ges
lernt, glaubt, hat vielleicht auch gelehrt, daß Gott die Welt aus
Nichts gefhaffen? ift dieß auch nur gedankenlos gefprochen?
Bei ſolchem Satze, wie der, daf Gott die Welt aus Nichts
gefchaffen, fommt man mit dem Nichts nicht fo leicht weg, daf
man nur zu fagen braucdte: Niemand hat das Nichts gefchen,
kein Menſch bat es je gedadht. Der Verf. tommt (S 59) in
feinem Eifer jo weit, daß beide, auch das Seyn, wie
das Nichts, weder Begriffe (daß fie keine Begriffe, fondern
nur Gedanken find, ift ein Sat der Logit —) noch Vorftelluns
gen, fondern, wie fie dahingeftellt find, bloße Worte fehen.
Doch fehreibt er diefen Mangel nicht etwa dem Hinftellen der
Logik zu, fondern fagt aus ſich (ebendafelbft oben), daß „das
8, Mecenfion, 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od. : abſol. Wiffenod. mod. Panth. 183
Nichts flets nur eine Bezeihnung bleiben muß und nie eine
abſolute Bedeutung haben kann.“ Das Wort: „abfolut”
ift wohl bier nur des Wohltlangs oder auch Tiefklangs wegen
da; eine relative Bedeutung, die dem Nichts bleiben könnte,
wäre ſchon genug, um das Gegentheil deffen zu ſeyn, was der
Berf. fagen will, Bleibt es aber, worauf der Verf. das Muf
feiner Autorität legt, eine Bezeichnung, ein Wort, fo wird man
doch ſich dabei etwas vorftellen und, mit gutem Glüde, aud) ct
was denken wenn dief Etwas aud bloß das Nichts wäre;
auch der Verf. wird das Nichts von anderem finnlofen Laute oder
bedeutende Worte zu unterfheiden wiffen, und ohne Zweifel nur
durch die Bedeutung. Der Verf. macht S. 96, wo er ganz
richtig angiebt: „daß die Vernunft das Nichts nicht anerkenne,”
[ ſich den Einwurf, „daß dod das Werden, als aus dem Schn
und Nichts kommend, zugleich das Schn und Nichts ent-
halte” Er giebt darauf als „die eine Antwort” (die andere
fol nachher angeführt werden), das, was oben ſchon erwähnt
ift, „das hegelſche Seyn und Nichts fey ſchon verſchwunden,
ehe an ein Werden gedacht wurde.” Der Verf. hätte unbead)-
tet laffen können, was in jener Zogit davon vorkommt, und nur
mit gewöhnlicher Analyfe an das denken follen, was in feiner
Borftellung des Werdens enthalten if. Darüber findet fih ©.
441 wenigftens doch fo viel, daß es heift: „fo kann man freis
lich fagen, Werden ſey ein anderes als das bloße Seyn, in-
dem man beim Werden mehr denkt, als bei Seyn.“ So ha=
‚ben wir hier wenigftens zunächſt das Seyn, dem er früher auch
das Seym abfprad); — dann ein anderes, darin ift doch wohl
eine Regation; — und fomit mehr im Werden als im Seyn.
Was wäre diefes Mehr anders, als das Nichts? — Es ver-
fieht ſich von felbft, daß in des Verfs., wie erinnert, fo fehr als
im jedes Anderen Vorftellungen, die Kategorien von Seyn und
Nichts unterlaufen; es würde lächerlich feyn, aus feinem Vor—
trage hievon weitere Beifpiele beibringen zu wollen, Der Verf,
l
J
1 IV. Kritiken.
wie jeder Andere, der an dem Nichts, als allgemeinem Ele⸗
mente einen Anftog nimmt, wolle die Anforderung an fih
machen, irgend etwas aufzufinden, in welchem nicht die Beftime.
mung des Nichts, die eines Negativen, einer Beſchränkung fich
fände. Bon dem Endlihen giebt man foldes etwa leicht zu,
findet aber mehr Schwierigkeit in Anſehung des Unendlichen in
feinem- affirmativen Sinne. An die Selbflentäußerung Gottes,
vermöge deren er Knechtsgeflalt angenommen, mögen die erin«
nert werden, welden die höhern Wahrheiten noch etwas gelten;
daß aber, überhaupt in Geifl, Thätigkeit u. f. f. die Beflimmung
des Negativen, — der intenfioften Affirmation ungeadhtet —.
liege, darüber ift auf die Logik zu verweifen, wo aud jenes
Abſtraktum Gottes, an das fi die theiftifhe Vorſtellungsweiſe
hält, das höch ſte Wefen in feiner — in ihm aufgelöften Res
gation, beleuchtet-ift. — Das, worauf es angekommen wäre,
würde gewefen feyn, gezeigt zu haben: pas bekannte Seyn und
Nichts müffen, und, zwar noch vor aller dialektiſchen Betrachtung, ;
nur fo, wie fie für ſich ausgefprodhen werden, logiſch anders
beſtimmt werden, als fie in der beftrittenen Logik aufgefieltt .
find. Darauf hätte man neugierig feyn können, was etwa der
Verf. für eine Definition nur des Sehne, da er vom Nichts
nichts wiffen will, gegeben hätte; defien aber hat er ſich
wohl enthalten. Diejenigen, welche Schwierigkeit in dem Ans
fange der Wiſſenſchaft, wie ihn jene Logit madt, finden, mögen
fi) verfuchsweife die Aufgabe flellen, das Seyn zu definiren,
nur das Seyn in feiner volltommenen Abftrattion; die Schwies
tigkeit, die fie in der Erfüllung diefer wiſſenſchaftlichen Forde⸗
rung finden werden, möchte fie vielleicht mit jener Schwierigkeit
ausföhnen.
Die andere originelle Antwort darauf, daß das Seyn und
Nichts im Werden enthalten ſey, ift (ebendafelbft S. 95), daf
abfolut aufgefoßt, (was foll hier das abfolute Auffaſſen hei⸗
fen?) im Werden kein Nichts, fondern ein Wechſel enthalten
8. Recenſion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiſſenu. mod. Panth. 185
fey. Wie aber ein Wechſel von dem Uebergehen des einen in
ein Anderes verfhieden, wie ein Wechſel, unter anderem
die Wechfel, weiche Entſtehen und Vergehen genannt
werden, ohne Negatives in fi) zu enthalten, fey, hat der Verf.
zu fagen ſich gleichfalls erfpart; nur dieß ift feine Leiſtung, an
die Stelle des Werdens das Wort Wechſel, und damit
einen ganz leeren Wortwechfel gefegt zu haben. Er fügt pa=
thetifh Hinzu: „mag diefer Wechſel oft von uns nicht
wahrgenommen (!) werden können, mag es uns entgehen,
wie ih Alles flets neu und immer neu wieder bildet — .ein
Nichts treffen wir nirgends, es iſt nirgends.” Der Berf.
fpricht Hier den heraktlitifhen Sag aus: „Alles if ein
Werden;“ (f. Logit 1. Bd. 1. Buch, S. 24). — Es fehlt
niemals, daß das, was der Verf. an Richtigem mit Salbung
als feine Weisheit vorbringt und mit Prätenflon docirt, in der
Philoſophie vorhanden ift, die er aufs Heftigfte anfeindet und
gegen die er es vorbringt. Die Verweiſung auf die Logik, die
fo eben gemacht worden, ift daher nicht an den Verf. gerichtet,
denn er mußte wiflen, daß das, was er vorbringt, darin flieht.
Doch muß aud hier die Billigkeit eintreten, zu erwähnen, daß
der Verf. fo billig auf feine Urt gewefen, hie und da zu ſa⸗
gen: „daß einiges diefer Art bei Hegel felbft zu finden ſey.“
So fagt er S. 89: „Auch Hegel bat zugeflanden, daß
Abſtrahiren nit alles vermöge, daß fie (flattes) an ſich
unvolltommen if.” Nur ift über ſolche Anführung zu be-
merken, daß es fich dabei weder um ein bloßes Zugeftehen
Hegel’s, no um ein: Auch handelt, noh aud um ein Alles
oder Nicht-⸗Alles-Vermögen der Xbftrattion, noch bloß
um eine Unvollkommenheit derfelben, noch dag fie nur an
ſich unvolltommen fey. Auch da, wo der Verf. thut, als ob er
etwas zugeftände, macht fich dieß fo flach und unrichtig, daf man
es fo, wie er es zugefteht, nicht annehmen kann, fondern viel
fach torrigiren müßte. An demfelben Orte, ©. 94 f., fagt er
186 IV. Kritiken.
gleichfalls: „Auch kann fih die Natur (!) hier nie ganz (!)
verläugnen wie die hegel'ſche Lehre felbft zeigt; der abfolute
Anfang und mehrere (vielmehr alle) Anfänge fpecieller Lehren
werden durch die nächitfolgenden Momente verneint, weil fie
nichts find.“ — Das Nichts, weiß der Verf., kommt nur im
allererfien Anfange vor; dort ift es eim für allemal abgethan,
und kommt nie wieder zum Vorſchein. Es ift die ſich nicht
verläugnende Natur des Verf., an den Fortgängen und den Re—
fultaten die Hauptfache, die Affirmation, zu, überfehen, und blof
natürlich und geiftlos nur das Verneinen aufzufaffen. Weit
läufig läßt er fich eben über dieß Abſtrakte und das Abftrahiren |
aus: „Wenn ich,“ fagt er, (©. 48, 53, 65 und fogar ned
öfters wiederholt er diefe Weisheit), „Beſtimmungen weglafie,
die Dinge aber diefe Beffimmungen haben, fo ers
tenne ich offenbar dieſe Dinge nicht, denn ich nehme ihnen
Beftimmungen, welde fie wirklich haben.“ Wer hat hieran N
je gezweifelt? Der Verf. hätte fich‘ diefer Wahrheit am meiften
felbft bei feinen hiſtoriſchen Relationen über die Philofophie
erinnern follen, mit der er feine Leſer befannt machen will
Wie er das Verneinen im dialeftifchen Fortgange darftellt,
in diefe Verworrenheiten ſich einzulaffen, ift nicht Mmöglid. Die
Bewuftlofigkeit über die Negation in einem Fortgange, geht ins
Weite; S. 53 verfidhert er 3. B. mit feiner gewöhnlichen Ems
phafe: „der Webergang vom gewöhnlien Denken zum ſpe⸗
tulativen ift fein verneinender, fondern ein Erheben zu hö—
herer Einſicht.“ Getroffen! Geſchieht denn num aber ein
Erheben ohne Weggehen, ift ein Höheres ohme ein Nicht?
Iſt alfo nicht ein Weglaffen, Berneinen, Abftrahiren in dem
Erheben enthalten? Aber mehr als Bemuftlofigkeit ift es,
wenn er feinem unausgefegten Ereifern immer die ‚Stellung eis
nes Eifers gegen die Philofophie giebt, deren Säge und Morte
fein Eifer gebraucht, und der er auch S. 95 (nad) der großartigen
Rede: „das vernünftige Denken lebt aber im Reihe
8. Recenſion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffenu.mod. Panth. 187
wirklicher lebendiger Gedanken) das Zeugnif giebt, daß
„fie nicht an der abfiratten Seite, fondern an derjenigen
Seite fortgeht, welche die tontrete Totalität (diefes Wort
bat er ſich daraus zum Lieblingswort, — aber audy nur als
Wort; — genommen) enthält;“ (das konnte alſo doch der Verf.
nicht unterlaſſen zu erwähnen, daß die von ihm bekämpfte Logik
durchweg die Nichtigkeit der Abſtraktionen darthut, und dieß eine
der wichtigſten Seiten derſelben ausmacht; dem Verf. wird aber
dieß dazu, daß die Form der Abſtraktion, das Allgemeine über⸗
haupt, ein Richtiges fey,) — „daraus zeige fie, daß fle ihre ei⸗
genen Erzeugniſſe verwirft;“ (dazu nur wird dem Verf. das
Fortgehen) „vor ihnen” (— vielmehr immer nad und aus
ibnen —) „ins Reich wirklicher Gedanten zu- entfliehen
ſucht.“ Solches Entflieden wäre ſchon darum überflüffig, weil
Erzeugnifle „des Fortgangs an der konkreten Totali=
tät” welchen er jener Logik zufchreibt, doch wohl bereits wirt-
liche Gedanken find; — aber fo flart if die Inkohärenz der
Gedanten des Verfs. — Ein Meifterflüd von Expoſition ift
fein Verſuch (S. 51 ff.), „das abftrahirende Brincip näher zu
erklären und dieß fo faßlich zu geben, daß beim Lefer keine Bes
kanntſchaft mit den Ausſprüchen beſtimmter Philoſophieen vor⸗
ausgeſetzt wird.“
„Die Philoſophie ift fein Geheimniß, ſie iſt eine
rege Thätigkeit der menſchlichen Vernunft. Sie
ſtrebt dahin, Licht in unfre Ertenntniffe zu britt=
gen u, ſ. f.“ Was diefe Emphafe für Wahrheiten erzeugt
Tann man daſelbſt nachſehen; nur eins mag daraus entnommen
werden. ©. 54 fellt der Verf. einen Unterfehied des Abſtra⸗
hirens, als eines fubjektiven Thuns vom wirklichen Ver—
neinen auf: diefen läßt er darin befichen, daß jenes „etwas
Willtührlihes, Unwahres if, das wirkliche Verneinen aber nicht
unmwahr if.” Das hinzugefügte Beifpiel wird wohl „Lidl in.
diefe Erkenntniß bringen: „Sage ih“ (die Bongigkeit, die
4188 IV, Kritiken.
man etwa vor dem wirklichen Verneinen hätte faſſen kön—
nen, mildert ſich dadurch; cs ift doch nur ein Sagen) „3 ®.
die Erde ift nicht vieredigt, fo ift diefes nicht unmwahrz laſſe
ich) aus der Vorftellung der Erde die Vorftellung des Runden
weg, fo bleibt fie rund, meine Borftellung der Erdeift alſo
eigentlich unwahr, und ich weiß durd mein Weglaffen
weniger als vorher.” — Bon einem Unterfchiede eines
wirklihen Verneinens und eines Abſtrahirens weiß man,
nachdem diefe Erklärung gegeben worden, wohl fo wenig als
vorher, höchſtens dieß: wenn ich das Unrichtige verneine, fo bin
ich richtig daran, wenn ich aber das Richtige vermeine, fo bin
ich unrichtig daran. Es muf aber dem Verf. zugeftanden were
den, daß er fein Wort gehalten, fo faßlich zu ſeyn, daß keine
Bekanntfchaft mit den Ausſprüchen beftimmter Philofophieen
beim Leſer nöthig fey, um ſolche Wahrheiten zu faſſen; man
muß zugeben, daß „dergleichen Philofophie Fein Geheimniß“ if;
nur daran kann gezweifelt werden, ob dergleichen Weisheit ein
Produkt „der Thätigkeit der menſchlichen Vernunft“ iſt! —
Der aufgeftellte Kanon: „daß das wirkliche Verneinen nicht un—
wahr iſt,“ iſt aber auch gefährlich; denn wenn Jemand von
des Verfs. Schrift wirklich, d. i. durch Sagen verneinte,
daß in des Verfs. Schrift irgend ein intellektueller und moralis
ſcher Werth feh, fo würde dieß nad) dem kanoniſchen Rechte
des Verfs. nicht unwahr feyn. Jedoch wenn es im des Verfs.
Beifpiel heißt: „wenn ich ſage,“ hätte er etwa damit das wirf-
liche Verneinen nur ſich felbft vorbehalten wollen?
Sonft hält man dafür, daß das Denken, das Erzeugen
des Allgemeinen nicht ohne Abſtraktion vor fich gehe, daß
alles Allgemeine, die Gattung, unter anderem auch die konz
krete Totalität, die der Verf. aufgenommen, u. f. f. das Ingres
dienz der Abftrattion in fi enthalte, Aber der Verf. fieht durch
das Abſtrahiren Alles nur zu Nichts werden; er fagt demfel-
ben überall das Uebelſte nad; daß, ©. 83, man fhon oft
8. Recenfion, 1. Ueb, Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffen u: mod. Panth. 189
bemerkt habe, „daß die tieffien Ideen ſich nicht abſtrakt auf-
faffen lafien, daß bei dem Beftreben, fle rein aufzufaffen, fih in,
der Seele begleitende Borftellungen“ (die Allotria, die
dem Berf. überall einfallen, find Belege dazu) „zeigen.“ ©. 90:
„daß die Abſtraktion, wenn fie das Allgemeine erzeugen fol,
nur Undinge erzeugt.” Seines Unwillens gegen das Abftrahiren
ungeachtet oder vielmehr um deffelben willen, läßt er ſich in eine
Erklärung des Abſtrahirens ein: „Da aber“ (fagt er ©. 54),
„nun einmal abfirabirt worden, da fogar (?) auf ab»
folnte Weife abftrahirt worden, fo muß die Abftrattion, da fle
ſich als menfhlihe Thätigkeit dargeftellt hat, auch aus
der menfhlihen Thätigkeit erklärt werden.” Man ſieht,
der Berf. ift fo billig, das Abflrahiren doch auch gelten zu laſ⸗
fen und fih mit deffen Erklärung zu befaffen, und zwar darum,
weil nun einmal abftrahirt worden ift; die Erklärung ſelbſt ift
allzufaßlich, um einer Beleuchtung zu bedürfen. — Aber ein
Weiteres, worauf der Berf. kommt und worauf er ſich viel zu.
gute thut, ift noch näher zu erwähnen, nämlich feine Expoſition
der Diomente des Begriffs, der Einzelnheit, Befonderheit und
Allgemeinheit. S. 166 ff. macht er die Darſtellung, die: davon
„in der hegel'ſchen Logik gegeben ſey,“ wie ſchon angeführt wor⸗
den, herunter, indem er fagt, „daß klar vor Augen liege, daß
fie nicht ihrem wefentlichen Begriffe nach aufgefaßt worden ſeyen;
nämlich die behauptete Identität jener Diomente fage weis
ter nichts aus, als daß diefe Diomente zufammengehören,
und bleibe eine bloße Behauptung, welde nie darüber
wegtommen würde, daß Einzelnes einzelnes, Befonderes befon-
deres, Allgemeines allgemeines bleibe.“ Selbſt die ganz. ent:
ſtellende Erzählung, die der Verf. von jener Exrpofition giebt,
zeigt, daß die Identität mehr ausdrüdt, als bloß das Flache eis
nes Zufammengehörens; die Jdentität (und zwar, wie immer,
nicht die abſtrakte, fondern die konkrete, die den Unterfchied der
Momente qn ihr hat) ift als Untrennbarkeit diefer Mo—
190 IV. Kritifen,
mente, und zwar an jedem ſelbſt feine Untrennbarkeit von
den andern, was die Dialektik derfelben ausmacht, aufgezeigt,
fo daß das Einzelne wicht einzelnes, das Befondere nicht bes
fonderes, das Allgemeine nicht allgemeines bleibt. Der Verf,
der hier verfihhert, die Behauptung werde nie darüber, daß Ein-
zelnes einzelnes u. f. f. ſth, hinauskommen, hat feiner Seits
über diefe Beflimmungen ©. 66 ff. ein Kunftfiüd feiner Art
geliefert. In demfelben legt er das „nothwendige Inein—
anderfenn des Einzelnen, Beſonderen und Allgemeinen zu
Grunde,“ und macht in feiner Weife klar: „das Einzelne an
und für ſich könnte weder feyn nod gedaht werden,
wenn es keine Befonderheit hätte u. f. f.;“ fo daß m
nad) feinem Klarmadıen, ©. 67, dazu kommt, zu fagen: „das
Befondere kommt daher aus dem Einzelnen, das Befondere
wird allgemein, indem es das Princip der Cinzelnheit fich im
- Befondern als foldem fest.“ Wo bleibt hier das Bleiben
des Einzelnen als einzelnen u. ſ. f., über weldyes Bleiben man
nicht hinaustommeh könne? Wie mochte der Verf. mit diefem
nothwendigen Jneinanderfeyn der befagten Momente doch jener
Untrennbarteit widerfprehen? Er macht fi hier, wie immer,
mit dem Gelernten als mit dem Seinigen, breit, und eben dass
felbe verunglimpft er, wenn er davon fpricht, daß es fih in der
Logik eines Andern befinde. Der Verf. geht von da aus weis
ter, er läßt fich verführen, acht Formen der Beziehung des Ein-
zelnen, Befonderen und Allgemeinen zu deduciren — auf
feine Weife, d. h., fo viel fih herausfinden läßt, auf die Weife,
daß er eines Theils Berhältniffe, die er. dialektifch erwiefen vor—
gefunden, geradezu vorausfegt, andern Theils den Verſtand dies
fer Formen ſich felbft vorbehalten hat, in den wenigfiens Ref.
nicht näher einzudringen vermochte.
Nur dief war einzufehen, daf der Verf. alte logifche For—
men dadurdy hat beleben wollen; „die eine feiner Formen,”
fagt er, „entfpreche dem dietum de exemplo, eine andere dem
8. Necenfion: 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od. : abfol. Wiffen u.mod. Panıh. 194
dietum de diverso, u. f. f.“ Er führt weiterhin das „Bers-
hen“ an: „S vult simpliciter verti, P verte per accidens
u. ſ. f” Dieß iſt in der ganzen Schrift die einzige Spur, daf
der Berf. fi früher je mit irgend etwas Wiffenfchaftlichem bes
ſchäftigt hat; ſchwerlich ift feit 50 Jahren in diefen verlebten
Yusdrüden alter Schul=Lagit auf einer proteflantifchen Schule
oder Univerfliät Unterricht ertheilt worden. Und dennoch hat
der Verf. fi) verführen laffen, gegen jene alte Logik vornehm
zu thbun; ©. 96 fagt er, bei einer feiner Ergehungen gegen
Seyn und Nichts: „auf das hegel'ſche Seyn konnte logifch,
oder (um nicht in den Verdacht zu gerathen, daß hier der
Ausdruck logifh nur auf die gewöhnlide Schul-Logit
hindeuten folle), fpetulativ = dialettifh gar nichts
folgen, u. f. f.“ Alſo nicht weniger als fpetulativ = dia=
lettifch ſpricht der Verf.! In einer der unzahmen Xenien iſt
irgend einem geſagt, daß ihm gern die moraliſche Delikateſſe
erlaſſen würde, wenn er nur ſo nothdürftig die zehn Gebote er⸗
füllte; fo könnte man beim Verf. wünſchen, daß er ſtich mehr
in den Verdacht gefegt hätte, die gewöhnliche Schul⸗Logik zu
befolgen. Wie treu aber der Verf. auch den Unterricht in der
Schul-⸗Logik behalten, geht aus dem Weitern hervor, das er.
©. 75 auffagt: „die gewöhnlichen modi der zweiten Figur
werden partitulär, die der dritten verneinend ausgedrüdt;
(durch dieſe Verwechslung der zweiten und dritten Figur zeigt
der Verf. entweder Unwiſſenheit in der Schul⸗Logik, oder, was
gar noch fhlimmer wäre, daß er die Stellung der Figuren in
der hegel’fihen Logik aufgenommen hat; im diefer allein ift als
zweite Figur geftellt, was in der fogenannten Schul-Logik,
auch in der ariftotelifchen die dritte Figur ift umd umgekehrt.
Eben fo giebt das Folgende von der Reduction auf die vierte
Figur ein Zeugnif von den Schulfiudien des Verfs.) — und
dieg flimme, wenn man der Sache tiefer auf den Grund gehe,
ganz mit feiner Darſtellnng; in den modis an fich feyen
192 IV. Kritiken. de
ſolche Refultate der ſyllogiſtiſchen Thätigkeit ausgedrüdt, welde
fi) nad) dem obigen „Verschen“ auf die vierte Figur redu⸗
ciren laſſen. — Woher iſt dem Verf. der Gedanke einer Bes
lebung der abgelegten ſyllogiſtiſchen Formen gekommen? In der
Logik, die er kritifirt, hat er eine Belebung und Vernünftigung
derſelben vorgefunden. Er kommt ferner ſogar dahin, zu ſagen,
S. 75, „daß alle Schlüſſe ſich als ein Trieb zeigen, daß bie
Syllogiſtik der Trieb des Begriffes ſey, ſich in ſich voll⸗
ſtãändig zu realiſtren;“ ferner, S. 97: „der abſolute Begriff fegt
ſich als Princip.und dieſes iſt der ſpekulative Begriff
des Urtheils;“ S. 80: „ſobald der Begriff überhaupt da if,
iſt das Urtheil feine nächſte Thätigkeit.” Beim Einzel
nen ſpricht er ohnehin immer davon, daß es fi durch Beſon⸗
derheiten manifeflire. S. 81 ff. fagt er vom Verhältniſſe
der Form und des Inhalts: „daß jene der Begriff, und der
Inhalt dieſer Form dasjenige ſey, was durch den Begriff als
daſeyend gefegt, und das Weſen der Sache fey, dag der fo durch
die Form gefehte Inhalt valltommen der Form entſpreche.“ Zu
dem Letztern entblödet er ſich nicht, ‚hinzuzufügen: „daß Form
und Inhalt daher nicht, wie Hegel meine, eine Reflerionsbes
fiimmung des Grundes fehn möchten.“ Auch hier, wie fonfl,
trägt er Beflimmungen, die ganz nur aus. jener Philofophie ent»
nommen find, fo vor, als ob er damit etwas fagte, was er ihr
entgegenftellte. La verite en la repoussant, on lembrasse,
— wenn der Verf. noch ein halb Dugend polemifhe Schriften
gegen diefelbe Philofophie fhreiben möchte, fo möchte er Ges
fahr laufen, noch ſechsmal mehr von derfelben ſich anzueignen,
vielleicht auch bis fo weit angeftedt zu werden, daf er zur Auf⸗
richtigkeit des Bekenntniffes diefes Umflandes getrieben wäre,
Wenn wir nicht die obige Hypotheſe übler Hypochondrie gelten
ließen, die bekanntlich alles Aeußerliche falſch und ihr zumider
fieht, was fie davon empfangen hat, ſich felbft zuzuſchreiben und
dieſes gegen jenes, wovon ſie es empfangen, widerwärtig hin⸗
8. Recenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od: abfol. Wiſſen u. mod. Panth, 193
auszukehren pflegt; fo würde es noch widerwärtiger ſehn, fich
‚eine andere Hypotheſe zur Erklärung folder Bewußtloſigkeit
zu machen, als fh über das Verhältnif der thetifhen Säge
amd Vorfiellungen diefer Schrift zu der Philofophie, gegen
welche fie polemiflrt, überall zeigt. Manches ift beim Verf.
fo geläufig, (— freilich leidet er überhaupt an dem Fehler ſchlech—
ter Schriftfteller, in ihrer Werworrenheit das Dürftige, was fle
inne betommen haben, unzähligemal zu wiederholen), daf man
auf die Vermuthung verfällt, es fen ihm noch durch andere Art
der Belehrung, als das Leſen, fo geläufig geworden; dann gilt
u mehr ein dielum der Xenien auch hier:
Sat man Schmarotzer doch nie dankbar dem Wirthe geſehen!
weit es mit der Anfledung des Werfs. bereits gekom—
ge noch folgende Stelle, S. 129, zeigen: „Durch die
Methode überhaupt entwidelt fih das vernünftige Er-
!ennen zur Wiffenfhaft. Nur die Gewißheit, daf das
wahrhaft Vernünftige aud das Princip der Dinge
überhaupt fey (und fonft S. 130, 136 wiederholt), kann die
menfhlidhe Vernunft berehtigen, die Dinge an fi
betradten zu wollen, und das vernünftige Erkennen erfaft
das BVernünftige in allen Dingen“ Macte virtute puer!
möchte man hiebei dem Verf. zurufen und füh nur wundern,
wie viel Anderes in ſolchem Kopfe noch daneben Plag hat. Ref,
nicht der Verf., citirt zu jenen Sägen, Phänomenologie S. 174,
wo es heißt: „die Vernunft geht darauf, die Wahrheit zu wife
ſen; — fie hat — ein allgemeines Intereffe an der Welt, weil
fle die Gewißheit ift, Gegenwart in ihe zu haben, oder daß die
Gegenwart vernünftig iſt.“ Dod um bloße Stellen über die
Anſicht jener Philofophie von der Vernunft, kann es —*
thun fehn.
Wir verlaſſen aber endlich auch die philoſophiſche —*
und philoſophiſchen Erertionen des Verfs.; wenn die Charakterifl-
rung vervollfländigt werden follte, wären die vielen Allotria, die
Vermiſchte Schriften, + 13
194 IV. Kritiken.
er einmifcht, und zulegt die ſchon erwähnten paränetifchen Vor⸗
trefflichkeiten näher anzugeben. Der Vortrag der Schrift gleicht
dem eines Predigers, der bei gänzlihem Mangel geiftiger Bil
dung die Ubficht hat, gründlich, tief und herrlich ſeyn zu wollen.
Der Mangel an Bildung läßt Feine Meberfiht und Ordnung
auftommen; find die Schleufen einmal aufgethan, fo geht es in
hitziger Verworrenheit fort, die rechts und links nad) Allem greift,
was ihr einfällt, daffelbe in der Verlegenheit wiederholt, im der
Mitte nicht über den Anfang binausgefommen, im Fortgang
vergeflen hat, was früher gefagt war, und fi von der ſauren
Anfirengung und dem Umhergeworfenwerden von der erhitzten
Unruhe in dem füßen Fluſſe honigvoller, edler Tiraden erholt:
Bon den Allotriis Fönnte die vom Verf, aufgeftellte Ber
ziehung der hegelfchen Philofophie auf diefe Jahrbücher für
wiſſenſchaftliche Kritit angeführt werden, Der Verf. hat ſich die
Mühe nicht verdriefen laffen, gegen anderthalbtaufend Seiten
diefer Jabrbücher zu durchlaufen, bis er eine Stelle findet, die
ihm Auffchluß giebt; S. 1480 findet er eine folge, die gegen
gewiffe Theologen (— der Verf. fagt &,199 — „einen Stand,
dem das Heiligfte anvertraut if,“ im der proteftantifchen Kirche
ift daffelbe gleicherweife den Layen anvertraut — „der fo viele
würdige Mitglieder zähltz“ — in derjelben Kirche würdig
nicht durd) den Stand, fondern nur durch Wiſſenſchaft und
Wandel) gerichtet iſt; — auf diefe Stelle dedt er die Hand
und zieht in feiner Weiſe Schlüffe daraus; — Schlüffe, über
welche fi die Jahrbücher felbft ausweifen; (— „dem Inſtitute
felbft,“ heißt cs ©. 10, „wünfchen wir” (der®erf.) „einwahr -
ftes Gedeihen, die Publicität und Theilnahme ansgezeid:
neter Gelehrten zeihnen es aus;“ — Saloperie derSchreibart
braucht an einer ſolchen Schrift nicht befonders gerügt zu werden). —
Andere Allotria, (z.B. die geſchichtliche Notiz, daß Friedrich ve Schle⸗
gel ein Lehrer Hegel’s gewefen, wodurch wenigfiens der Urfprung ,
der hegel'ſchen Philofophie etwa fogar einer gewiſſen Kirche folkte
8. Recenſion. 1. Ucb, Hegel's Lehre, od»: abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 195
vindieiet werden), übergehen wir, die Unvichtigkeit des Verfs.
im Geſchichtlichen iſt genug dofumentirt worden, Nur ein Al⸗
lotrium mag nod angeführt werden, in welchem der Humor
des Berfs. ſich zur Poſſierlichkeit fteigert; cr kommt, ©. 197,
auf die — von ihm als Vertheidigung des Pantheismus
qualifieirten — Anführungen aus morgenländifchen. Schriftfiel-
lern, welche fih am Schluffe der 2. Ausgabe der Enchyklopädie
befinden; „ſehr charatteriſtiſch“ (2) fagt er, S. 198, „ift cs,
daß Hegel dort auf kraſſe mohamedanifhe Dichtungen Bezug
ne: bat, — zu einer Zeit, wo die Ehriften mit
ngläubigen kämpfen.“ Der Verf. hätte die Chro—
zu Rathe ziehen follen, fo hätte er gefunden, daf jene
. be noch vor dem Ausbruch wenigftens des Krieges der
uſſen gegen die Türken erfehienen ift; daß die Theils vor—
=. Zheils verdienftliben Sammlungen von Blüthen mor—
genlãndiſcher Poefie, aus deren einer jene Stellen entlehnt find,
zur Zeit des bereits begonnenen Freiheitskampfes der Chriften Grie⸗
chenlands mit den Ungläubigen bekannt gemacht worden find,
das folde Mittheilungen nicht aufhören bekannt gemacht zu
werden; — oder. ift der Verf. mit dem Stande ber Litteratur
ganz unbefannt? Bor allem hätte er bedenken müffen, wie
fehe vielmehr eine Schrift voll Verworrenheit, Unphiloſophie
und böfen Eifers dem Türkenthum die Hand bietet und Vor—
ſchub thut.
Wir fliehen endlich mit dem verdienten Lobe der edelften
Gefinnungen, mit deren Ausbrüchen nicht nur die ganze Schrift
durchwebt ift, fondern natürlich auch mit dem glänzendfien Epi—
phonem endigt. Bon der gefhilderten gewaltigen Exasperation
amd von dem Strome fattifcher Unrichtigkeit, allgemeiner Schief⸗
beit und Verdrehung gebt fie, quasi re bene gesta, in einen
faolbungsvolten Fluß der trefflichflen Lehren und Aufmunterungen
aus; nur einige Tropfen aus diefem, mehrere Seiten fort ſich
ergiefenden Endſtrome; S. 230 heift es: „der Beruf unferer
. 13 *
196 IV. Keitifen,
Seit ift, das Verhältnif der fpetulativen Vernunft zur
reinen Idee in der Logik, Phyſik und Ethik,“ (gleich von
Anfang tadelt er die Encyklopädie, daf dafelbft ſtatt Ethit
der dritte Theil die Philofophie des Geiftes ſey), zu Leben, Nas
tur und Kunft umd zur Religion zu begreifen. — Mödten
alle diejenigen, die ſich mit träftigem Sinne, treuer (jawohl!)
Liebe zum Wahren, Guten und Schönen und andädhtiger Ber
ehrung für das Höchfte und Ewige der Wiſſenſchaft widmen,
fi) brüderlih die Hand reihen (f. des Verfs. Schrift)
Belehrung empfangen (dieß hat der Verf. geleiflet), Belehrung
ertheilen; fanft walte die Eintradt, allein — fie ſey Te
bendig und kräftig.” — ©. 334: „Die Philoſophie verſöhnt
nicht Parteien, fie verföhnt nicht den Irrthum umd die Einſei⸗
tigkeit, fie verföhnt nicht Irdifches und Himmlifches (— warum
nit? —), fie bedarf Feiner Verföhnung (?!) Das
Tiefſte erfaßt fie in feiner Tiefe — fe erfaßt den tiefen Gedan-
ten, feine unendlihe Offenbarung u. ſ. f.“ ©. 2333: „Der
Geift der Philofophie ift der Geift des Friedens: — der
Frieden ift das wahre Leben der Perſönlichkeit. Wo wahre
Derfönlichkeit ift, da erzeugt fie die Ordnung (f. des Werfs,
Schrift). Durch Ordnung fhafft fie Einigkeit, und fo ge:
biert fie die Freiheit. Wahre freiheit ift thätig durch die Liebe,
die Liebe iſt u. ſ. f“ ©. 2335: „Es wache der prüfende Geifl,
er ſchaue ernſt in die Tiefen, er blicke forfchend umher u. ff.“
„Liebend umfaffe der Menfch die herrlichften Früchte des Le—
bens, er fürdere die Erkenntnif der Wahrheit auf Erden, mit
Demuth verehre er andächtig das Heiligfte u. f. f.“ Wen folde
Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein Menſch zu ſeyn! Aber
was verdient der, der „in etwa” von foldhen Lehren, die er
giebt, fo wenig, fo gut als nichts, befolgt hat? — Diefe Schrift
ift hin und wieder für fehr bedeutend unter der Hand ausgege-
ben worden; es ift dem Ref. fauer angetommen, zu dokumen⸗
tiren, wie fie beſchaffen ift; wenn es erlaubt wäre parva com-
8, Recenſſon. 2, Ueb. Philofophie überh, u. Hegel’s Encnklopädie insbef. 197
ponere magnis, fo hätte er fih mit dem Scidfale eines
großen Königs getröftet, der einen Haufen von Halbbarbaren
( ſchlimmere als die ganzen) einem Begleiter mit den Worten
zeigte: „Sicht er, mit ſolchem Gefindel muß ih mic herum—
fölagen.“ . |
Das Vorwort der zweiten Schrift ſpricht in den erſten
"Sägen einen ihrer Hauptgefihtspuntte aus; es beginnt fo:
„Meber ein philofophifhes Syſtem läßt ſich nicht wohl
ſprechen, ohne über die Philofophie überhaupt mit zu res
den;“ dieß if freilich eine Trivialität, die man fonft nicht
leicht ſich entfahren läßt; nad) dem Verf. jedoch ift es eine Aus-
nahme, daß beim Befondern auch das Allgemeine zur Mitlei—
denheit gezogen wird. Das darauf Folgende ift etwas Neuss:
„Ebenfo wenig,” wird fortgefahren, läßt ſich irgend cin
einzelnes pbilofophifches Syſtem angreifen oder verwerfen,
ohne daß man die Philofophie überhaupt angreift oder
verwirft.“
Da dief in Beziehung auf die Philofophie, die in diefer
Schrift befämpft wird, gefagt ift, fo könnte man etwa meinen,
diefe Philoſophie fey biemit fo hoch geftellt, daß an ihr Schick—
fal das Schidfal der Philofophie überhaupt geknüpft
werde; es heift nicht weniger in dem Vorworte, (die Seitenzahl
kann nicht angegeben werden, da daffelbe ohne Seitenzahl ift;
aud) find wie bei einer refpeftsvollen Dedifation die Seiten nur
halb bedrudt) „ein fehr glückliches“ Cja wohl!) Zufammentref-
fen habe die beiden Verfaſſer in der hegel’fchen Philofophie das
Derzeitig intereffantefte Geiftesphänomen erbliden laſſen.“
Mean ficht aber bald aus der Schrift felbft, daf beide Ver—
faffer zufammen es nur zu einer höchft oberflächlichen oder zu
gar Feiner, Bekanntfhaft mit andern philofophifhen Syſtemen
gebracht (obgleich felbft Plato und Ariftoteles citirt werden), und
daß fie ihr philofophifches Studium wohl erſt, aus weldem
—9—
198 "m. Keltiken.
Grunde es ſey, etwa aus dem der Derzeitigkeit, mit dem
von ihnen befämpften Spftem begonnen haben; ebenfo erhellt,
daß fie über das Ueberhaupt der Philofophie zu wenig bin
ausgefommen, ja kaum bei demfelben angefommen find. Es
wird daher natürlich, daß für fie im diefer einen Philofophie
alle Philofophie verworfen ift; aber fie thun Unrecht, für An—
dere, die fonft mit Philofophie Bekanntſchaft haben, dergleichen
auszuſprechen. — UWebrigens kann wegen jenes „fehr glüclichen*
Uebereintreffens beider Freunde” die Weitläufigteit, mit zweien
zu thun zu haben, abbrevirt und — file füglih für Einen ge
nommen werden.
Die angeführten Säge bangen fogleih mit der eigenthüm-
lichen Verſchrobenheit zuſammen, welche in diefer Schrift über
das Allgemeine herrfhend if. Das Vorwort’ fcheint das
ganze Raifonnement des Verfaſſers concentrirt darzuftellen; bei
der Vergleihung mit den Grundvorfiellungen der Schrift fieht
man aber, daß das Vorwort eine Modifikation enthält; jene
BVorftellungen müffen dem Verfaſſer einer Verbefferung bedürftig
gefihienen haben, nachdem die Schrift fertig war. Aber aud)
jenes Vorwort bedürfte noch) einiger folder Vorworte, um dies
felben auf das Niveau der gewöhnlichen, in allen Wiſſenſchaf—
ten geltenden logifchen Beltimmungen über das Allgemeine, den
Begriff und die Wiſſenſchaftlichkeit überhaupt zu bringen, — -
Ref. will zuerft von dem Inhalte der Schrift felbft eine Vor—
ftellung zu geben ſuchen, und nachher aud die Modifikationen
des Worworts angeben.
Sie zerfällt in drei Abfchnitte, wovon der erſte „vom
Standpunkte der gegenwärtigen Kritit, — auch wieder „übers
haupt” handelt; es wird darin jedoch mehr, — es werden ing
Grofe gehende allgemeine Anſichten (au) den Namen Appereus
entlehnt der Werfaffer von Göthe, wie er denn faft jede Seite
feiner Schrift mit Stellen deffelben verziert) in pretentiöfen Re—
flerionen gegeben. Die Schrift wird dann als die beurtheilende
8, Necenfion, 2, Ueb. Philoſophie überh u. Hegel's Encnklopädie insbef. 199
Anzeige der hegel'ſchen Enchklopädie bezeichnet; es ſcheint, eine
beabfichtigte Recenfion iſt dem Verfaffer zu einem Buche ange:
laufen. Warum es nun vor Allem erforderlich ſey, den eigenen
Standpunkt des Verfaffers gegen jene Enchklopädie anzugeben,
dafür wird der gute Grund hinzugefügt, weil „die Beſchaf—
fenheit deffelben auf die der norzunehmenden Beurs
tbeilung von wefentlihem Einfluß ſeyn muf.” Gewiß!
Ebenſo methodifch wird die nähere Angabe diefes Standpuntts
behandelt; — es feyen die drei Fälle möglich, — daß der Ber:
faffer mit jener Philofophie übereinftiimme, — oder ihr eine ans
dere entgegen flelle, — oder keins von beiden; dief wird fo aus—
geführt: „ein Dreifaches, Cheift es,) iſt in Hinficht des Stand⸗
puntts nur gedentbar: entweder daß derfelbe als in dem des
anzuzeigenden Werkes bereits enthalten, mit demfelben zus
fammenfällt“ Wie nun, oder warum dieß nicht der Fall
feh, expliciet der Verfaffer (S.4) dahin, daß „folder Stand—
punkt die unbedingte Zufiimmung in das Syſtem Hegel's
fihern, und in der Hauptſache nichts als eine Wiederho-
lung des bereits Gegebenen darbieten würde, feine Erweites
rung, kein Fortfchritt in der Sache felbft davon zu erwarten
wäre” Wenn ſolche Motivirung nur ſchleppend oder, je nach—
dem man es nimmt, poffirlich ausfällt, fo ift der Grund, „war—
um zweitens der Standpunkt des Verfaffers nicht einer andern
Geftaltung der Philofophie angehöre und fo ein gegneriſcher
fehn würde,” noch abfonderliher, „das etwa fo Gewonnene
dürfte wegen der Gleidartigfeit des Hauptintereffes
immer noch einen unfideren unentſchiedenen Charakter an
ſich behalten, und wir nicht recht gewiß werden, ob wir
nicht in dem Widerſpruche, in der Widerlegung einer Befanz |
genheit nur eine andere dafür eingetaufcht hätten.“ Das gleich—
artige Intereffe wäre die Philofophie; daß der Verfaffer nicht
auf diefem Boden mitreden zu wollen erklärt, iſt wenigftens
-reblich gegen fih und gegen das Publitum gehandelt, bei der
—
-
r
200 IV. Kritiken. u
Ueberzeugung, die er von fi ausfpridt, es auf diefem Boden
nur zu Unficherem und Unentſchiedenem, nicht zur rechten Ges
wißheit, ob er nicht von einer bangen Befangenbeit nur im eine
andere verfiele, bringen zu können. — „Zu einer völligen Uns
befangenbeit und freiheit der Anficht zu gelangen, feine nun
nur möglih, wenn man das ganze Gebiet räume, md
drittens den Standpuntt fo nehme, daß er gänzlich aufer
halb der Sphäre der Philofopbie fällt“ Der Verfaſſer
„geſteht gern, daf er am Liebſten eine folde Stellung ein=
nehmen würde” Was hält num den Verfaffer noch ab, ohne
Weiteres diefer feiner Lieblingsneigung nachzugehen? Es iſ
dieß: „es frage fih nämlid nur zuvörderft, fagt er, ob ein
Stand diefer Art zu faſſen möglich ſey, und fodann, ob, ,
wenn er einzunehmen wäre, er auch binlänglihd würdig fehn
mödte, um in Mnfehung defien, was er leiftet, die Ber
gleihung mit demjenigen nicht feheuen zu dürfen, was bie
Philofophie zw leiften in Anfpruc nimmt“ — Methodifch bes
trachtet der Verfaſſer zuerſt das Erftere, die Möglichkeit
folden Standpuntts. Darüber finde nun wohl kein Zweifel
ftatt, und dich aus dem guten Grunde, — „da derjenige Theil
der Menfhheit, und wahrlid weder der kleinſte noch der
fdyledytere, der Feine Gelegenheit gehabt bat, noch bat, fich phir
lofophifche Kultur anzueiguen, ſich auf denfelben geftellt findet.“
„And zwar habe diefer Theil der Menfhheit das Größte in
Religion, Sitte, Kunft, Wiffenfhaft, Staat geleiftet ohne
alle Dazwifhentunft der Philofophie, dergeftalt daß
diefe nicht etwa nur dabei nicht zu Rathe gezogen wurde, ſon—
dern fehr häufig noch erſt gar fih zu regen anfangen follte,
wenn von den großen Grundvermögen der Menſchheit, Ge—
nie, Vernunft und Gewiffen, Alles bereits vollbradıt war,” das
her „dürfen wir denn nun aud am dem zweiten Punkte,
nämlich der Würdigkfeit des Geleifteten, ebenfo wenig zwei—
feln, und zwar um fo weniger als die Philoſophie felbft in
8, Recenfion, 2, Ueb. Philofophie überh. u, Hegel's Encyklopädie insbeſ. 201
diefem Gehalte oft (?) ihren einzigen Inhalt findet und ohne
denfelben fih in großer Berlegenheit um ihr Dafeyn
befinden würde” — Gewiß! ohne den Gehalt, den Genie,
Bernunft und Gewiflen hervorbringen! — Warum bat ſich
aber der Berfaffer nicht an die ungeheure Autorität und an die
Arbeit diefer „außerphiloſophiſchen Menſchheit“ ange—
ſchloſſen, um ohne Verunglimpfung der Philoſophie, ja „ganz
unbekümmert um fie,” in Kunſt, oder Religion, oder Wiſ—
fenfhaft, oder im Staat etwas, wenn auch nicht das Gröfte,
doch Etwas hervorzubringen? Die Menfchheit giebt ihm das
Beifpiel, in einem Standpunkte nur infofern etwas zu leiften,
als fie fih in demfelben befindet; — der Verfaffer uns
ternimmt dagegen, über die Philofophie etwas zu leiflen und
ſich doch aufer ihr zu flellen. Es ift auf diefe Weife eine
feine Zweideutigteit, wenn gleich auf der erfien und folgenden
Seite des Vorworts gefagt ift, daß „die Verfaſſer bald gefühlt
haben, daf fie in ihren Geſichtskreis das Gebiet der gan
zen Philofophie aufnehmen, ja! denfelben über das Gebiet
der Philofophie hinaus erweitern müſſen.“ Das ganze Gebiet
der Philoſophie in ihren Gefichtspuntt aufnehmen, beift nad
der fo eben angeführten Beftimmung ihrer auferphilofophifchen
Stellung, gar nichts von der Philofophie in denfelben aufneh—
men, und ihm über fie hinaus erweitern, heißt ihn nicht einmal
bis an diefelbe hinan ausdehnen.
In demfelben Formalismus von methodiſcher fchleppender
Gründlichteit, der ſich im Bisherigen bemerklich gemacht, gebt
der Berfafer weiter an die Angabe deffen, was die Menfd-
heit als eigenthümlich in jener Stellung bezeihne —
Hier biete fih zunähft die einfahe Wahrnehmung dar —
welche? daf „die Menfchheit, in mannigfaden Richtungen
Geift und Vermögen (ein eigenthümlicher Unterfhied) übend
und bethätigend vorgefunden werde” Das Nähere iſt
dann,. dab „erfiens diefe Bemühungen nicht ziel= und maaf-
u
202 IV. Kritiken.
loos, daher nicht ohne Gegenfiand ſehen.“ Solche große Ap-
pergus ergeben fi dem Verfaffer, wenn er die Menſchheit bes
trachtet. Daf er auch noch daran denkt, für dergleichen Theſen
einen Beweis zu geben, ift felbft ein Beweis für die Gründ-
lichkeit feines Verfahrens. Es brauden hierfür, heift es, „mir
die vier höchſten Gegenftände jener mannigfaltigen Thätigkeit
genannt zu werden, Religion, Kunft, Staat, Wiffen
ſchaft.“ Das fünfte früher Genannte, die Sitte, bleibt hier
ohne weitern Grund und Beweis hinweg. “
Das zweite Appereu wird als dasjenige angekündigt,
„Was am Allgemeinften, rein theoretifcher Art, auf dies
fem Standpunkte (ders Ganzen, des Volltommenen, des Abges
fchloffenen u. f. f.) angetroffen werde, infofern es noch befon-
ders neben allem jenem Wirtfamen und Thätigen ausgefproden
zu werden verdiene” (Bei wie vielem Anderen, was er fagt,
hätte dem Verfaſſer noch das Bedenken aufftoßen können, ob es
auch ausgefprochen zu werden verdiene?) Jenes am allgemeins
ſten Angetroffene fey darin befaßt: „die Menfhheit ift für
ihren jedesmaligen Schauplag und gegenwärtige
Lage mit allem an Wiffenfhhaften und Vermögen Erfors
derlihen immer zur Genüge verfehen.” Glüdlihe Menſch—
beit! weifer Autor! der feine Reden fo gut bedingt, daß fie in
richtige Tautologien auslaufen; — flellen wir uns den abfirat-
ten Sat des Verfaffers in konkreterer Geftalt vor, fo wird es
für ſich einleuchtend feyn, daf zu einer jedesinaligen, gegenwär—
tigen, mittelmäßigen oder weniger als mittelmäßigen Schrift
alles Erforderliche, Unwiffenheit insbefondere in dem Gegenftande,
über welchen geſchrieben wird, und überdieß in Wiſſenſchaftlichem
überhaupt, Kahlpeit und Dürre der Vorfiellung, Steifheit der
Rede u, ſ. f. und u. f. f. immer zur Genüge vorhanden ift, auch
noch ein Reichthum Eigendünkels, um „jene Genüge“ felbft als
Reichthum zu betrachten. Der Verfaſſer mehrt fogleidy die Ge—
nüge der. Menſchheit; er fährt fort: „fo weit fie es bedarf
8. Necenfion, 2. Uleb. Dhilofophie überh. u. Hegel's Encyklopädie insbeſ. 203
und fähig ift (— wieder ein weifes Bedingen), weiß fie fi
über die höchſten Gegenftände volltommene Redene
ſchaft zu geben, nicht bloß dieß, fondern fie befigt auch diefe
Gegenftände, zum Beifpiel, das Göttlide, Natürliche
(fo reich ift die Menfchheit, daß das Göttliche und Natürliche
nur beifpielsweife angeführt find) — ganz; (dieß ift viel!
aber zur vordern Bedingung kommt hinten nod eine binzu,)
foweit dieſe höchſten Gegenſtände und Weſen irgend nur in
die der menſchlichen Natur eigenthüͤmliche Begrenztheit
einzugehen vermögen.” Jene hohe Beglüdung der Menſch—
beit, das Göttlihe und Natürliche 3. B. ganz zu befigen,
ift durch die Bedingung, foweit fie foldres Beflges fähig, foweit
die hohen Gegenftände und Wefenheiten in die Begrenztheit der
Menſchheit einzugehen vermögen, entſetzlich herabgeftimmt. Aber
da auf diefe Weife nichts geſagt gewefen wäre, richtet es der
Berfaffer wieder auf, indem er fortfährt: „Es ift aber die tiefe
Natur jener Hohen Gegenftände, im jede Art von Begrenzt-
heit, die als von ihnen felbft erſchaffen ſich darftellt, wie
zum Beifpiel die Menfhheit — (der Verfaffer ift in feinen
Beifpielen immer großartig —) nach ihrer Natur ifl, einzus
geben, ohne doch von der Natur ihrer Wefenheit etwas
zu verlieren“ SHierüber hätte man neugierig ſeyn können,
etwas Berfländiges zu vernehmen, wie die hohen Gegenftände
und Wefen in das Begrenztefte eingehen (— ein beques
mes Wort) und von ihrer Wefenheit (oder wie der Vers
faffer nadhdrüdlicher fagt:) von der Natur ihrer Wefenheit
dabei nichts verlieren. Mas er hinzufest, klärt die Schwies
rigkeit. nicht auf, — im -Gegentheil! „Der Sinn jener Bes
. geenztheit foll für den Menſchen nicht ſeyn, ein bloß Hemmen—
des, Niederzichendes, Laftendes für ihm zu ſeyn, fondern das
was feiner Eriftenz, die ſchrankenlos genommen, ein
Gleihgültiges, Unbeſtimmtes wäre, erft Art, Maaf und Ziel
verleiht, — nad einem auch fonft wohl ſchon bekannten
,
204 IV. Keitifen,
Sage, daß fih in der Befhräntung recht eigentlich erfi
der Meifter zeige Es ifi ein gar gründlicer Gedanke, daß,
wenn die Eriftenz des Menfhen fchrantenlos genommen
werde (— wie kommt der Verf. zu ſolchem Nehmen!), fie ein
Gleihgültiges und Unbeftimmtes fey; fo aber feyen die Schran-
ten das, was der Eriftenz Art, Maaf und Ziel ertheile. Nach
andern Anfichten find es umgekehrt die hohen Gegenftände und
Weſen, ift es Religion, ferner Staat, Recht, Sittlicteit, Mif-
ſenſchaft, woher dem Menfchen Art, Maaß und Ziel kommt;
wäre 8 bereits die Begrenztheit feiner Natur felbft, feine
Endlichkeit, welche ihm Art, Ziel und Maaf ertheilte, was bes
durfte es des Eingehens jener hoben Gegenftände und Wefen?
— Am fhlimmften kommt dabei die angeführte ſchöne Zeile Götheis
weg, die der Verf. mit gänzlichem Unverftande für feine unverdaus
ten Gedanken gebraucht, in denen ihm die Begrenzung der Mei-
fterfhaft, und dann Art, Maaß und Ziel, d. i. die Vernunft,
das Göttliche der Gefege der Natur und des Geifles zufammen-
läuft mit den Schranten als dem Endliden, von ihm felbft
den hohen Gegenftänden und Wefen Entgegengeftellten — dem
Endlichen, welches das Vergängliche, Eitle, ja das Princip des
Schlechten und Böfen if. — Solches Beifpiel giebt ein Recht,
dem Nusfpruch des Meifters den anderen entgegenzuflellen, dag
in folder Beſchränkung recht der Schüler fid) zeige.
In dem Angeführten beginnt der Mittelpuntt der Verwor—
renheit des Verfaſſers ſich aufzuthun; er hebt ſich vollftändig
heraus, wenn er daran geht, die vier oben genannten Gegen
flände zu „durchmuſtern“ um zu zeigen, wie es die Menſch—
heit — die (wie oben angegeben), auf dem Gebiete ihrer nicht
philofophifchen Bildung in mannigfadhen Richtungen thätig und
übend angetroffen werde,“ bei Hervorbringung derfelben ges
halten habe. In diefer „Durchmuſterung“ findet der Verf, das
- Refultat, daß „die menschliche Vernünftigkeit thätig geweſen
ſey, es in Allem möglihft zu einem Abſchluſſe, zu einem
8, Recenſſon. 2. Web. Philofophie uͤherh. u. Hegel's Encyklopädie insbeſ. 205
Ganzen zw bringen.“ Ehe wir den Sinn, den der Verf. die
ſem leeren Refultate gegen die Philoſophie giebt, weiter bes
traten, führen wir ein anderes, obgleich abfiraktes, doch ges
baltvolleres Reſultat deffelben an, dieß nämlid, daß „in dem
Entwidelungsgange fid für den Anfangspunkt nur der Begriff
der Einzelnheit ergebe, die aber in ihrer Ausbildung zu eis
nem Zielpuntte gelange, der eine Totalität, erfüllter Ans
fang fey, als eine volle Wirklichkeit das erreicht habe, was
der Begriff der Einzelmheit nur der Idee, der Möglichkeit,
der Anlage nad, als vorhanden darbiete.“ Man fleht, der
Berfaffer geniert fih nicht, hier einen Sat der Enchklopädie,
die er in jeder Rüdficht verdammt, meift mit deren eignen Worz
ten nachzureden, und dabei auf folches fein fogenanntes Refuls
tat ſich viel zu Gute zu thun.
Des Verfaſſers Durdmufterung der genannten vier Ge
biete ift auf wenigen Seiten abgethan; fie ift jedoch nicht ober—
flächlier, als cs für den grofen Say nöthig ift, daß die
Menfchheit in allem ihrem Thun es immer zu einem Ganzen
zu bringen thätig gewefen fey. Wir heben nur das aus, was
der Verfaſſer in den Leiftungen der Menſchheit über die Wiſ—
fenfhaft findet; es wird aus diefer Anführung auch hervors
gehen, was der Verf. unter einem Abfchluffe, einem Gan⸗
zen meint.
In der Wiſſenſchaft * die Natur der — aber
derſelbe ſey im Wiſſen nicht mit der Anlage zum Wiſſen
gleichzeitig vollfändig gegeben (— ſchon das Wiſſen
felbft ift mit der Anlage zum Wiſſen nicht gleichzeitig, und ges
wiß aud nicht vollfiändig gegeben; auch ift ebenfo gewiß im
MWiffen der Gegenftand, die Natur nicht gleichzeitig vollftändig
gegeben; was aber die Anlage zum Miffen betrifft, fo pflegt
man dafür zu halten, daß die Natur nicht nur gleichzeitig mit
Adam oder mit jedem Kinde, fondern felbft noch vor demfelben
„vollſtändig gegeben“ fey. — Aber dergleichen Schiefheit und
206 IV. Kritiken.
gefchraubte Leerheit üft wohl mit jedem Satze des Verf. gleid-
zeitig und vollftändig gegeben). — „Da der Gegenfland, die
Natur fi erſt fpäter und nur nad und nad) enthülle, fo feh
die Wiffenfchaft daher größtentheils nur noch erft im Wiffen
begriffen, habe noch nicht die Reife der Totalität” ( — und
wenn und wo fie nach dem Verfaſſer diefe erlangt hätte, follte
fie da in etwas Anderem als im Wiffen begriffen fen?)
„In den eigentlichen Naturwifienfchaften fehle noch der Ab⸗
ſchluß; nur in einzelnen kleineren Kreifen habe das
Wiſſen fon, wenigftens im Umriffe, den Eharaftter ei⸗
ner Ganzheit zu gewinnen begonnen, wie 3. B. in der Bor
tanik dur die Lehre von der Metamorphofe, und in
der Farbenlehre.“ Ohne zu rügen, daß die legtere ihren
Gegenftand auf ganz andere Weiſe wiſſenſchaftlich aufgefaft, d
als die Botanik, die durch die Lehre von der Mietamorphofe
fhon „den Charakter einer Ganzheit“ gewinnen folite,
fo müßte der Verf, um feine Verficherung über das Mangels
bafte der Naturwiſſenſchaften zu begründen, zeigen, daß er weir
tere Kenntniffe von denfelben befige, als nur dasjenige, was er
aus Gorthe’s Arbeiten darüber kennt. Wie mag er mit fei-
nem Abfchluffe, feiner Ganzheit vereinigen, was er wei
terhin S. 195 aus Goethe triumphirend anführt: „Die Natur
bat fein Syftem (d. i. nad der Erläuterung des Verfs: fie
ift kein ordinairer (1) in ſich abf&hliefender Rreis, den
man im Begriffe fertig vorzuzeigen vermödhte), fie hat, fie
ift Leben und Folge aus einem unbekannten Centrum zu einer
nicht erfennbaren Grenze. Naturbetrachtung ift daher end»
los u. ſ. f.“ — Ferner ift es auch eine Stelle Goethe’s „über
die Wichtigkeit der Wirkung, welde die Entdedung, daß bie
Erbe rund ift, und die Lehre des Eopernicus auf die menfde
lihe Vorftellung hervorgebracht haben,“ die den Verf. bes
wegt, in den mathematifchen Wiffenfhaften der Geographie
(unter diefe Wiſſenſchaften rechnet fie der Verf.) und der Aſtro⸗
8, Recenfion. 2, Ueb. Philofopbie überh. u. Hegel's Eucnflopädie inebef. 207
nomie den Abſchluß erreicht zu finden Mean ficht die
Genügfamkeit der Forderungen in dem, was zur Vollendung
einer Miffenfchaft gehöre; in den Kenntniffen, die in den Tris
vialfchulen gelehrt werden, daß die Erde rund ift und daß
fie ih um die Sonne bewegt, find für ihn „Geographie
und Aftronomie‘ fertige vollendete Wiſſenſchaften. Es hätte
+ den Berf. doc) wundern müffen, daß die Geographen und Aftros
nomen, nachdem ihre Wiffenfchaften in jenen Entdedungen be—
reits die Reife der Totalität erreicht haben, doch noch immer
im Wiffen begriffen waren, und nod darin begriffen find. —
Der fernere Fund einer erbaulichen leeren Parallelefirung diefer
zwei vollendeten Wiffenfchaften mit religiöfen Lehren giebt dem
Berf. fo viele Befriedigung, da er fie zum Ueberdruſſe wies
Indem nun der Berf., (wie, nach feiner Angabe, die ganze
Menſchheit) feinen Standpunkt außerhalb der Philofophie nimmt,
glücklicher Weife jedoch nicht die ganze Menfchheit, um über
die Pbilofophie mitzureden, fih mit dem Erforderlichen zur
Genüge verfehen glaubt; fo erfpart er uns die Mühe, das zu
fagen, was er felbft hiermit von feiner Arbeit fagt, daß er, um
den gewöhnlichen Ausdrud hierfür zu gebrauchen, von der Phi—
lofophie wie ein Blinder von der Farbe ſpricht; es kann daher
nur eine Sache äuferlicher Kuriofität fepn, noch weiter zu ſe—
ben, wie der Verf. fich dabei benimmt. — Die Kaprice, die er
ſich über die Philoſophie erſchaffen hat, und in der Schrift aus-
führt, iſt kurz dieſe, „daß die menſchliche Thätigkeit in den
Sphären der Religion, Kunft, Wiſſenſchaft, Staat, es zu einer
Totalität bringe, die Philofophie aber fi das All der
Dinge, die Allheit, auch Alles fagt er, zur Aufgabe mache.“
Woher der Verf. dieß hat, giebt er nicht anz er bleibt bei die-
fer trodenen Berfiherung, und läßt fih nit auf eine Erörte—
zung des Unterfchiedes von ZTotalität und Allheit, noch übers
haupt auf die unterfchiedenen Formen der Allgemeinheit
208 IV. Kritiken.
ein, welche in dem logiſchen Theile der Enchtlopädie ausein-
andergefegt find; das übel gebildete Denken des Verfs. greift
zu der fehlechteften diefer Kategorien, zu der Allheit, und mu—
thet aus feiner Autorität fle der Philofophie überhaupt und ins:
befondere auch derjenigen zu, welche fih am ausdrüdlichiten ges
gen diefe Kategorie erklärt bat, und der fo wenig als andern
Philofophien, vollends fie zum Prineip zu machen, je eingefal-
len ift. Die Totalität will der Verf. fih zum Lieblingswort
vorbehalten. Wie der Eigenfinn der faktifhen Unrichtigkeit,
dem Allgemeinen, der Idee, dem Begriffe das Al, Alles, die
Allheit zu fubftitwiren, mit feinem Grund = Appereu zufammen
hängt, wird ſich nachher ergeben. „Ob mun glei), fährt der
Berf. fort, die Allheit fi zum. Gegenflande und Aufgabe zu
machen, der Philofophie eigenthümlich ſey, fo feh doch der Ans
Klid und der Begriff des Als dem Menſchen, ſelbſt dem
nicht philofophifchen, Feineswegs gänzlich entzogen.‘ . Je
doch, S. 49, verfichert er, „der philofophifche Standpunkt gehe
erweislic von einer Aufgabe aus, welde weit über die Kräfte
und Angemefjenheit des Menfchen reiche; denn es zeige ſich kein
von Hauſe aus eriflirendes Organ der Menfhheit für
die Allheit;“ womit bat denn nun der nichtphilofophifde
Menſch den ihm keineswegs ganz entzogenen Anblid und fos
gar den Begriff des Al’s aufaenommen? ©. 11 hieß es be
reits: „die Forderung eines All's laffe fih ſchon innerhalb der
menfchlichen Sphäre als unangemeffen und unerfüllbar
abweifen;“ — man Tann fi daher nur wundern, warum
nicht auch der Verf. aus der Reflerion feines Standpuntts, den
er als den auferphilofophifhhen angiebt, da die Menfchheit oh—
nehin von Haufe aus fein Organ für die Allheit befigt, die—
ſelbe abgewiefen hat; aus dem philofophifhen, Fünnen wir ihm
die Nachricht geben, ift diefe Kategorie nicht nur längft abge—
wiefen, fondern, wie gefagt, niemals darin gewefen. Zu ders
gleichen Gerede, das er Unterſuchung nennt, unterläßt der Verf.
— — —
8. Recenfion, 2. Ueb. Philofophie überh. u. Hegel's Encyklopäbie insbef. 209
nicht, in der Weife feiner ſchwerfälligen Bevorwortung mit der
Zufiherung einzuleiten (S. 48), daß er mit der gehörigen
Gründlihfeit und Tiefe zu Werke gehe.
Es ift ſchon erwähnt worden, daß der Verf, im Vorwort
auf fein Hauptappereu von der Philofophie zurüdtommt. Auch
von diefer Darfiellung und dem daran geknüpften Raifonnement
muß fo viel als möglich abgefürzte Rechenſchaft gegeben wer—
den; jedoch ift beim Verf. allee Inhalt mit der bleiernen
Schwerfälligkeit des Vortrags fo fehr verwebt, daß diefe ſich
kaum trennen läßt. — Der Verf. ftellt hier feine Verfiherung,
daß die Philofophie ſich die Allheit zur Aufgabe made, bei
Seite, und nimmt deren Angabe, das Allgemeine vorzugsweife
zu behandeln, auf. Diefer Vorzug der Philofophie ift es,
den er bier behandelt. „Da es nämlid, argumentirt er,
doch nur diefelbe menfchlihe-Natur fey, die in der Philofophie
das Allgemeine behandeln folle und die in anderen Beziehungen
ein Befonderes zu wirken fiheine; da fie ferner, was fie
Aechtes, Wahres, Gründlides zu Stande bringe, nur aus ihs
rer gefammten Kraft, deren Gefeg die Totalität fey, bes
wirkte, fo verfchwinde hieran bereits der Unterfcyied gänzlich.
Diefelbe menſchliche Natur wirkte überall das Unterſchiedene
auf diefelbe Weise; das Wahre werde daher in Abſicht auf
das Kraftmaaf überall von derfelben Totalität menſchlicher
Natur zu Stande gebracht.“ — Mas für ein Kraftmaaf die
menſchliche Natur bei ihren Hervorbringungen aufwende, darü—
ber wird nicht leicht jemand das Intereſſe haben, Betrachtun⸗
gen anzuflellen, aus dem einfachen Grunde, weil diefelben über
die Unbeſtimmtheit des quantitativen Unterfchiedes nicht hinaus-
' tommen könnten. Aber mehr Genoffen mag der Verf. in dem
Stehenbleiben bei der Oberflächlichkeit des abftraften Sates fine
den, daf rben alles Wahre von derfelben Totalität der
menfchlihen Natur bewirkt werde. Hier geht jedod die Duumpf-
heit fo weit, auch noch zu fagen, daß alles Unterſchiedene
Vermiſchte Schriften. * 14
20 IV. Kritiken.
auf diefelbe Weife von ihr bewirkt werde. — Infofern num
aber doch ein befonderer Unterfhied in Anfehung des Inhalts,
zwifchen Whilofophie, Religion, Kunft, Wilfenfhaft, Staat ans
zuerfennen ſey, fo gleiche diefer ſich an ſich felbft aus, „denn
jedes Befondere fey, da ihm urfprünglic im Abſicht auf
feine Kraftanlage gleicher Werth zufomme, nicht ungleich in
Rang und Werth, in Beziehung auf anderes Befondere, fon:
dern in Beziehung auf ſich felbft, in wiefern es das ur
fprünglide Kraftmaaf in ſich nod nicht erfhöpft hat
und volltommen darſtellt.“ Sollen nun Religion, Kunfl,
Wiſſenſchaft, Staat, in Beziehung auf ſich felbfi, an Rang
und Werth ungleich ſeyn können, d. h. wenn wir den Inhalt
von den fleifen Ausdrüden, in die er gehüllt ift, entkleiden, —
kann es ſchlechte Religionen, ſchlechte Kunftwerke und Kunſt⸗
epochen, ſchlechte Staaten und Wilfenfchaften geben, — mie
ſteht es dann damit, daß die Menfchheit zu allen Zeiten mit
allem Erforderlichen hinlänglich verfehen ift, ihre hohen Gegens
fände und MWefenheit immer ganz befist, fih im Wiſſen voll
kommen Rechenſchaft darüber giebt u. f. f. — Ein Unterſchied
von falfhen, ſchlechten und von wahrhaften Religionen, guten.
oder ſchlechten Kunftwerten u. f. f. würde auf Vorausfegung von
Grundfägen, Normen des Schönen, Wahren u. f. f. führen;
das Allgemeine aber ift es, wogegen der Verf. fih auf alle Weife
fträubt; fo drüdt er ſich mit den gefchraubten Formeln von Uns
gleihheit gegen fich felbfl, nicht völliger Erſchöpfung des Krafte
maafes u. dergl. herum. — Nun folgt das ganz eigenthümliche
Raifonnement gegen die Vhilofophie, das dem Verf., nachdem
feine Schrift geendigt war, noch eingefallen if und im Vor—
worte nadhgebracdht wird. — „Wolle die Whilofophie einen ges
wiſſen Vorzug behaupten, fo bleibe hierfür nichts übrig, als
eine gewiffe Gemeinfhaftlidhkeit des Inhalts mit Reli—
gion, Kunft u. f. f. Hierin wurzele die von ihr ald befonderer
Vorzug in Anfpruc genommene Aelgemeinheit ihrem eigents
8, Recenſion. 2. Ueb. Philoſophie überb, u. Hegel's EncnElopädie insbef, 214
lichſten Sinne nah.” — Hier verfällt alfo der Verf., flatt der
in der Schrift felbft der Philoſophie zugemutheten Ailpeit, auf
die gleich ſchlechte Kategorie der Gemeinſchaftlichkeit, und
verſichert, dieß ſey nicht nur der eigentliche, ſondern der eigent⸗
lichſte Sinn der philoſophiſchen Allgemeinheit. — Zuvörderſt ents
gegnet der Verf. gegen den der Philoſophie fälſchlich aufgebür—
deten Vorzug der Gemeinſchaftlichkeit des Inhalts mit Religion,
Kunft u. f. f., daß fi eine ſolche Gemeinſchaftlichkeit
nicht denken laffe. (Wie dagegen Religion, Kunft, Wiſſenſchaft,
Staat, bei der einen Totalität det menſchlichen Natur, die As
les überall fogar auf diefelbe Weife bewirkte, zu einem unters
fhiedenen Inhalt kommen, — nad) einer Erklärung über
dergleichen darf man bei dem Verf. nicht nachfragen.) Nun
höre man die tieffinnige Argumentation, daß eine Gemeinſchaft—
lichkeit des Inhalts, von Religion, Kunft u. f. f. ſich nicht den»
ten laſſe. „Haben nämlich Religion, Kunft, Wiffenfhaft, Staat
ihren Inhalt nicht ganz für fi, fo daß fie ihn nicht für
fih behalten, fondern an cin Anderes abtreten können oder
müffen; fo haben fie ihn überhaupt nicht, und es giebt
dann noch Feine wahre Religion, Kunft, Wiffenfhaft, Staat
nf. f” — Wo ift je einem Menſchen, außer dem Berf,, in
den Sinn gekommen, daf die Religion, Kunft u. f. f. ihren In—
halt an ein Anderes abtreten können oder müffen, um eine
Gemeinfhaflicteit zu haben? If cs dem Verf. in der
That Ernft damit, daß z. B. die indifchen,. griechifchen, chriſt⸗
lihen Kunftwerke, Poeme, Skulpturwerke, Malereien u. f. f.
nichts Gemeinfhaftlices haben mit dem Inhalte diefer Relis
gionen? Der Berf. führt unter feinen Gebieten auch die Wiſ—
fenfhaft auf; halt er dafür, daß die Miffenfchaften des
Staats, darunter des Rechts u. f. f. der Religion u. f. f. nichts
Gemeinfchaftlihes haben mit dem Inhalte des Staats, des
Rechts, der Religion u. f. fe? — Dffenbar hat der Verf, bei
den leeren Abſtraktionen, in denen er fo breit iſt, ſich nichts ge—
14*
212 IV. Kritiken.
dacht, nicht den konkreten Sinn derſelben vor ſeiner Vorſtellung
gehabt. Aber das andere Horn des Dilemma iſt noch beſſer,
als die Umgereimtheit des erften: „Haben Religion u. f. f. aber
ihren Inhalt ganz für fih, fo Fann er an ein Anderes au—
fer ihnen nur zerffüdelt, d. h. in feiner Unwahrheit
übergeben“ Das Refultat diefes fupenden Scharffinns ift
dann, daß „die Philofophie in ihrer Allgemeinheit, als chen
durch die Gemeinfchaftlichkeit des Inhaltes aller andern Geiſtes—
gebiete erwirkt, überhaupt nur ein Falſches habe, und ihr be—
fonderer Unterſchied als radifaler Vorzug cben nur die
Falſchheit gegen alles andere menſchliche Treiben
und Beginnen“ ſehy.
Dean ficht wohl, daß der Verf., der ein Buch von zwei
Bänden über Goethe gefährieben, das, was diefer geiftreich
behauptet, daß ein Kunſtwerk, Naturproduft und Charakter u.
f. f. in feiner konkreten Individualität für fih aufjufaffen und
der Genuß und Begriff defielben nicht durch Vergleichung, durch
Theorien und viele andere Einfeitigkeiten einer abftraften Re—
flerion, die eine frühe und lange Plage für ihn geworden was
ren, zu verfümmern und zu zertrümmern fey, — das was bei
Goethe von der Einheit des Inhalts und der Form, die bei
einem wahrhaften Kunftwert Statt hat, vortommt, — daf der
Berf. diefe Beftimmungen ſich fo cingeprägt, und fie zum Eck—
fein feiner Weisheit auf eine fo fhülerhafte Weiſe gemacht hat,
daß er auch da, wo es fi um ganz andere Ganze, als ein
Kunſtwerk ift, handelt, um Grundfäte, Gefege, Gedanken, übers
haupt um einen Inhalt, der feiner Natur nad) allgemein, nicht
finnlidy konkret ift, dabei fichen bleibt, und ungefchidter Weife
hier ohne alles Bewußtſeyn über die Berfchiedenheit der Form
diefer Gegenftände eine Anwendung von jenen finnvollen Forde—
rungen macht. Indem er diefe Vorſtellungen in einer Allge—
meinheit nimmt, die er für fich verdammt, geräth er in die
volfländigfte Verwirrung und in die flachen Abftraftionen von
8. Hecenfion. 2. eb. Philofophieüberh. u. Hegel's Encnklopädie insbef. 213
Menſchheit, Ganzes, Totalität, das urfprünglice Kraftmaaf,
Das, um das Wahre, Aecchte u. f. f., hervorzubringen, in feiner
Zotalität wirkſam ſeyn müfe u. f.f.— Es iſt die Form
der Allgemeinheit felbft, welche es dem Verf. möglich macht, von
feinen Gebieten und hohen Gegenfländen und Mefenheiten zu
reden, welche aber auch zugleich den Bortheil oder vielmehr Nach—
theil bringt, ihm die Inkohärenz feiner Gedanken zu. verfieden.
Sind denn Religion, Kunft, Wiflenfhaft, Staat, die hohen Ge—
genflände und Wefenheiten, nicht Allgemeine, Gattungen, Ideen,
— die Gegenftände in Form der Allgemeinheit? fo feine Kate-
gerien von Form und Inhalt? u. ſ. f. Das Schlagwort, die
Totalität, zu der fid die Einzelnheit erweitern fol, was ift
fie ohne Allgemeinheit? Daß aber die Allgemeinheit wefentlich
im ſich konkret ſey, — und diefe konkrete Allgemeinheit iſt die
Zotalität, — und nur fo Wahrheit habe, ift einer der Haupts
fäse der Philofophie, die der Verf. beftreitet und deren Haupt- .
füge er nit kennt. — Das Einzelne, fordert der Verf., foll
für ſich zur Totalität erweitert, felbfiitändig ſeyn, und fo felbftz
Händig genommen werden; das Befondere, als ein in fi Gans
zes, Abgefchloffenes, Fertiges, nicht auf Anderes bezogen, nicht
unter Allgemeines fubfummirt werden; daher ift ihm die Phi—
lofophie um ihrer Allgemeinheiten, d. i. um feiner, — allerdings
bei ihm flach genug bleibenden — MWefenheiten und hohen Ge—
genflände willen, durch und duch ein Falſches. Weil der Verf,
die Natur des Allgemeinen felbft nicht betrachtet und ergründet,
treibt er ſich in gleich verworrenen als oberflächlichen Allgemeins
beiten herum. Das Verhältniß des Allgemeinen zum Befondern
in feiner Bielgeftaltung zu erkennen, ift die Aufgabe der logi—
ſchen Philoſophie; dem Verf. aber fehlt es an der Kenntnif und
dem Bewußtſeyn über die trivialften Formen jenes Verhältniffes.
Den fublimftien Schwung feiner Verworrenheit darüber giebt
ſich der Verf. bei Gelegenheit feiner Zirade über den Glauben
an die Unfterblichkeit der Seele, S. 146. Die hölzerne Dekla—
214 IV. Kritiken.
mation, in der er aufzählt, was diefer Glaube alles dem Men—
ſchen aewähre, fhlieft er damit: „Die Natur und ihre Wiſſen⸗
ſchaft hat den Werth einer Wahrheit an fih, aufer und nes
ben der Wahrheit des Geiſtes“ (— dief ift eine neue
Natur, die ohne Beziehung auf den Geift Wahrheit hat — eine
neue Wiffenfchaft, ohne die Beziehung auf die Wahrheit des
Geiftes —), „kurz, C!) das ganze Univerfum erfcheint vor
ihm“ (dem Menſchen mit jenem Glauben) „als ein in allen
feinen Theilen ſelbſtſtändig organifirtes Ganzes“ (— ein
für ſich verworrener und zweideutiger Ausdrud, — wenigftens
faffen wir daraus, daf es cin Ganzes if, von dem die Rede
ſey —), „wovon jeder Theil in feiner höchſten Wahrheit nur
als ein Ganzes, das nicht aufzulöfen ift, nicht aber bezies
hbungsweife nur, Wahrheit hat“ Für den Verf, ift es kein
Galimathias, daß das Univerfum Ein Ganzes, das nur
Theile bat, genannt wird, und daß dennoch jeder Theil des—
felben felbft ein Ganzes feyn foll, deffen höchſte Wahrheit fey,
ohne Beziehung auf andere Theile und damit (da das Ganze
die Beziehung der Theile auf einander ift), ohne Beziehung auf das
Ganze zu feyn, deffen Theil er if. — Solche Logik foll der
Glaube an die Unfierblichkeit der Seele lehren; den Verf. hat
derfelbe nur in den volltommenen Widerfpruc geführt, nicht
zur Ahnung, in welchem Widerfprud er befangen ift, und um
diefer Umviffenheit willen nodp weniger zum Bedürfnif und zur
Schnfucht, den Widerfprud aufzulöfen.
Ref. unterläßt es, von dem ungereimten Apperçu des Verf.
über die gefammte Gefhichte der Philoſophie, auferhalb
deren er ſich zu befinden angiebt, mehr als das Nefultat anzus
führen. Der Verf. madt (S. 40) folgende Eintheilung diefer
Gefhichte: „Zuerſt ſey das All vor der Welt, vor allem
gegenwärtigen Dafeyn und Seyn aufgefucht worden; — biefe
BVerrüdtheit, das All aufzufuchen, und es vor der Welt aufs '
zufuchen, muthet er den griechifchen Philofophen zu: Wenn er
8. Meceufian, 2.Uch. Philoſophie überh. u. Hegels Encpflopäbieinsbef. 215
etwa von din Pythagorãern oder Eleaten gehört hat, daß jene
fagten: „das All und Alles iſt die Zahl; dieſe: das AU und
Alles IR Das Eine, ifi das Seyn;“ fo hätte er darin fehen
möäffen, daß diefe, wie die andern Philoſophen, das AU und Als
les nicht erſt gefucht, fondern, wie andere Menſchen, das vor
ſich gehabt Haben, was man das AU oder das Alles fo In’s
Blaue hin zu heißen pflegt; daß fie eben fo wenig das Yu oder
Alles zu ihrem Gegenflande gemacht, fondern vielmehr ſich da=
von nbgewendet, dag ihre Denten einen andern Gegenfland ges
ſucht und ihn in der Zahl, im Einen, im Seyn gefunden habe.
ber die Zumuthung geht über Alles, dag wir glauben follen,
daß jene Philoſophen das AU und das Alles vor der Welt aufges
fucht haben — dann fey das Al in der Zufammenfaflung des
Birklichen (— bier ift das Allgemeine als Zufammenfafe _
fung genommen —) alfo innerhalb des Wirklichen geſucht wor⸗
‚ dan; der dritte philofophifche Standpunkt endlich ſey, als Kriticismus
namlich, der, wo das All nach der Welt gejegt werde; diefer
fey. aber zulegt dahin gelangt, das All aufgeben zu müf«
fen, und „auf das abfolute Gegentheil, auf ein Nichts zu-
rũckgekehrt, und läugne nun jeder menfhlihen Erkennt⸗
niß ihre objektive Wahrheit und Wirklichkeit ab,
als ob (!) zwifhen ALL und Nichts kein Drittes in der Mitte
liege?” — Daß nun aber zwifchen folden Phantasmen von ;
AU und Nichts ein Drittes liege, und was diefes Dritte fey,
döcirt der Verf. fo: „Daſſelbe fey weit entfernt, AU zu feyn,
doch ebenfo wenig Nichts; nämlid, es fey — Etwas.” Das
iſt doch eine große Entdedung! — und noch mehr: „das Et⸗
was. ſey nicht ein todtes, leeres, fondern geglicdertes Etwas
nf. f.” — Es kann nur die äußerſte Dürftigkeit des Geiſtes
ſeyn, die mit folhem Etwas und mit den Worten von todtem,
keerem, gegliedertem Etwas u. f. f. etwas gefagt zu haben meint. —
Wir übergehen gleichfalls, was der Verf., von außerhalb der
Philoſophie, diefer Wiſſenſchaft weiter Uebles nachzufagen ſich
216 IV. Kritiken,
anftrengt; die Unwiſſenheit, zu der er fich über diefelbe bekennt,
ſchließt es von ſelbſt aus, daß er etwas Treffendes vorzubringen
fähig ſey. Er behilft ſich damit, einen Gedanken, der über den
geſchichtlichen Moment der Erſcheinung des Philoſophirens von
Seiten der durch ihn beſtrittenen Philoſophie geäußert worden
iſt, aufzunehmen, — aber freilich ohne von der Hauptſache etwas
zu wiffen, — den Gedanken nämlich, daß der Geift aus dem uns
glüdlien, entzweiten Zuſtand einer eriftirenden Melt in ſich
zurüdgedrängt, ſich in. einer ideellen, wahrhaftern Welt eine Zus
flucht, ein Heilmittel, und den höhern Frieden, der ihm im Das
feyn nicht mehr werden kann, gewinnt, Er verfichert dagegen,
©. 48: „daß von der Erftrebung eines objektiven wahren
Inhalts durd die Philofophie durdaus nie und nirgends
Etwas ſich zeigte” Schwerlich ift je der fanatifchfte Zelot ges
gen die Philofophie in der Blindheit feines Verunglimpfens fo
weit gegangen. Bei andern Zeloten findet fich oft eine Wärme,
Lebhaftigkeit, Energie, Kühnheit; hier aber geht Alles in derfel-
ben Kälte, Steifheit, geſchtaubten Demüthigkeit und Schwer-
fälligkeit vor fih.
Bon folder Erkenntniffähigkeit und Geiftesdispofition iſt nichts
weiter als gemeine, invididfe Worftellungen zu erwarten. So
findet fi) S. 72 die Konfequenz: „Der: Staatsmann, der Res
ligiöfe, der Künftler, das entdedende Genie denken alfo nidt;“
folde Konfequenz erlaubt fih der Verf. gegen eine Philofophie
zu maden, welde von aller menſchlichen Thätigkeit behauptet,
daß Denken darin ſey. Gleich darauf fest der Verf. ſolche
Unbeftimmtheiten, wie „höheres, angemeffenes Denken,“
das den andern Gebieten abgefproden werden folle, an die
Stelle der beftimmten Unterſchiede, welde die Philofophie macht,
und führt das Untergefhobene als hiftorifche Angabe von der—
felben auf, wie er kurz vorher die Konfequenz machte, daß auf
andern Gebieten, außer der Philofophie, gar nicht gadacht
8 Mecenſen. 2. Ueb. Philoſophie überh. u. Hegels Encpflopädie insbef. 217
werde· Damit "bringt er ferner eine ähnliche, fharffinnige
rgumentation in Verbindung, wie die oben erwähnte. |
Die Philoſophie nehme den Inhalt der andern Gebiete in
Anſpruch und behaupte, ihm die gedantenmäßige Form verleihen
ya wollen; nun fragt der Berf.: „wie Tann ein vernünftiger
Anhalt ohne feine verhältnigmäfige Gedantenform beftes
ben?” — was niemand in Abrede flellen wird, — und inacht jetzt
das teefflihe Dilemma: „haben jene Gebiete nicht vor Dazwi-
ſchenkunft der Philoſophie die ſchlechthingem äße, vernünfe
tige Gedankenform, wo iſt ihr Inhalt überhaupt vernünftig?
Will die Philoſophie aber zu einem nicht vernünftigen
Suhalt die vernünftige Form Hinzufügen, ſieht fie denn
wicht,” fragt er, „daß dieß entweder ſchlechthin nichtig oder je=
.denfalls ein fehr vergebliches Bemühen iR?“ Der Tieffinn des
zweiten Horns diefes Dilemma geftattet, daffelbe mit Stillſchwei⸗
gen zu übergehen; in Anfehung des erften wäre es überflüfflg,
3 B. zu bemerken, daß Gott die Welt vernünftig erfchaffen hat,
dag aber diefer vernünftige Inhalt in der finnlichen Anſchauung
noch nicht die vernünftige Gedantenform hat, fondern erft durch
das Nachdenken der Menſchen diefe Form erhält; daß die Wif-
fenfhaften, welche mit den einzelnen Naturgeftaltungen und Ers
ſcheinungen zu thun haben, nur darum Wiffenfchaften find, weil
fie diefe in den finnlihen Schein vernunftlofer Aeußerlichkeit
gehüllten Einzelnheiten durch einen allgemeinen Charakter bes
flimmen, fie auf Gattungen, Arten, auf Gefege reduriren, und
daß Gattungen, Arten, Gefege, allgemeine Charaktere u.f.f. Ge⸗
dankenformen find. Wer einer Seits ein philofophifches Syſtem
-fludirt zu haben und beurtheilen zu wollen angiebt und anderer
Seits fih fo ſehr auf den unphilofophifhen Standpunkt ſtellt,
daß er dergleichen Kenntniffe nicht hat, gegen’ den wäre es, wie
gefagt, überflüffig, das Angeführte auseinander zu fegen und Die
"fernere Anwendung davon auch auf die Geftaltungen der geiſti⸗
gen Welt zu zeigen. Der Verf. greift, wie oben zu einem Verfe,
Pe IV. Krriuten.
bier (S. 120) aud) einmal in Anfehnng der Allgemeinheit zu einem
andern Ausſpruche: „wer in Einem Falle die Taufende mitzuſehen
nicht vermöge, ſey Bein wiffenfchaftliher Kopf.“ Der Verf. hätte
auch wiffen müffen, daß ein folder umgekehrt in taufend Fällen,
Pflanzen, Thieren, Begebenheiten u. f. f. nur Einen Fall, nur
Eine Pflanze u. f. f. fehen, d. i. daf er denken kann, und
daß das Denken jenen individuellen Einzelnheiten, in den Klafs
fen, Gattungen, Gefegen u. f. f. eine andere Form 'giebt, als
fie in ihrer empirifhen Eriftenz, haben und doch ihren Inhalt fo
wenig verändert, daf es fie damit vielmehr auf ihren wahrhaften
Inhalt zurüd bringt. Diefe Begriffe find fo elementarifch, daß es
den außerppilofi ophifchen Standpunkt des Verfs. keineswegs kompro—
mittiren würde, einige Kenntniffe davon zu haben, wie cr an
dem Beifpiel der fonft gebildeten auferphilofophifchen Menſchheit
fehen kann, als welcher jene Beftimmungen ganz geläufig find.
Aber die Gedantenwelt und das Vernünftige liegt nicht fo auf
ber finnlidyen Oberfläche, daß es nur fo „in die Hand“ gegeben,
noch mit einigen aufgerafften Sprüden und dem Dünkel einer
rohen dürftigen Reflerion erfaßt werden könnte,
Der zweite Theil der Schrift (von &.79— 118) „ein
Abriß des Syſtems des Herrn Hegel nad) deffen Enchklopädie
der philoſophiſchen Wiſſenſchaften,“ — ift Theils ein trodnes
Anhaltsregifter, von dem man nicht ficht, wen es dienen foll,
Theils ein weitläufigerer, in den Vortrag der Sache eingehender
Yuszug der Einleitung; es wird dadurch etwas glaubhaft, daf
ein anderer der beiden fonft fo „fehr glüdlich übereintreffen-
den” Verfaſſer denfelben angefertigt habe; in der übrigen Bro—
ſchüre giebt ſich nichts zu erkennen, das ein Eindringen in die
Sache und ein Faffen und Erkenntniß des Inhalts zeigte. Die
eignen Reflexionen des Verf. find ohne die geringfte Kritit der
von ihm gebrauchten Kategorien herausgequält; zu einigem Bez
wußtſeyn über feine Gedantenformen fo wie zu einiger Rückſicht
‚auf den Sinn deffen, was er beftreitet, hätte er fih, wenn er
9. Mecenfion.2. Ueb. Philofophieüberh.u. Hegels Eneyflopäbieinsdef. 219
das befämpfte Werk felbft fludirt hätte, dod wohl verleiten
Der dritte Abſchnitt, von S. 119— Ende, ift: „Kritik
des hegePichen Syſtems.“ Zu derfelben findet der Verf. für feinen
außerphilofophifchen Standpunkt einen bequemen, bereits fertigen
Anknüpfungspuntt durin, daß er in diefem Syſteme die Vers
nunft für etwas Wirkliches erklärt findet, „‚worüber es
ihm nicht entfernteft einfallen könne, Hegel etwa deswegen bes
ſchelten zu wollen“ S.121: „Eine Kritik ſey hiermit eben aud)
angewiejen, dieß Verhältniß der Wirklichkeit aufzufaffen und prak⸗
tiſch (! > wie theoretifch die Gleichung feiner (?) mit dem fpes
kulativen Refultate vorzunehmen; — die Gefhraubtheit der Re—
flerionsweife macht den Verf. aud ein fo ungeſchicktes Deutſch
ſchreiben. — Bei der Vollzichung diefer Gleihung, wie er ſich
ausdrückt, hat der Verf. kein Bedenken über die eine Seite,
nämlich ob er faktifh, ohne Philofophie, Philofophifches aufzus
faffen befähigt fey; er fcheint diefe Fähigkeit für fi vorauszufes
gen, ohne ſich daran zu erinnern, daß er der Mienfchheit von
Haus aus das Organ für das, was er als den Gegenftand der
Dbilofophie anficht, abfpriht; es ift daher aud nicht thunlich,
Die Bildung und Uebung eines mangelnden Organs, eine Ges
mohnheit im Denken und im Auffaffen von Gedanken bei ihm Zu
verlangen. Was dagegen die andere Seite betrifft, fo meint er
(5. 121), „daf wir uns über dasjenige, was aud wir für-
"wirklich halten, leicht vereinbaren dürften, aber damit möchte
die Uebereinftimmung in dem, wie wir es uns als wirklich
denken, und denken müffen, mit Hrn. Hegel noch nicht gegeben
fen” Wie kommt der Verf. hier auf einmal zu einem Den»
fen und Denken müſſen? und vollends darauf, von einem
Denken des Wirklichen zu ſprechen? Beſäße er fonft mehr von
dem Organ der Philofophie, fo wäre ihm ferner befannt, daf
das Wie des Denkens, das ihm Bedenken macht, fi zum
Was zu fchlagen pflegt, und diefe Unterſcheidung fehr nichts—
220 IV. Kritiken,
fagend if. Ein genügendes Beifpiel, wie das Wie des Mei—
nens zu einem biftoriihen Was wird, bietet der Verf. felbft
dar, der im einer frühern Schrift, fo viel Ref. ſich noch erinnert, von
Homer die geſchichtliche Darſtellung macht, derſelbe ſey ein
Trojaner, Zeitgenoſſe und Vetter des Aeneas geweſen, habe an dem
Hofe eines nad Ilium's Fall weit dahinten in Aſien ſich fort—
erhaltenden trojanifhen Reiches gelebt, wie denn die Dichter an
den Höfen leben müffen, was Göthe's Beifpiel beweife; als Tro⸗
janer habe Homer die Grieben als die unſittlichſten Menſchen
gefchildert, indem er fie am Tage der Zerflörung Troja's ſich
babe betrinten und gegen die Sittlichkeit Abends eine Volks—
verfammlung halten laffen, welche dann auch unordentlich genug
ausgefallen fey, u. f. f. — Dan ficht, daß, wenn fo der Berf.
fein Wie, die fuperiören Appergus, die ihm aus feinem Den-
ten müffen der Wirklichkeit hervorgehen, zu dem biftorifchen
Mas zu ſchlagen gewohnt ift, allerdings die zweite Seite der
Wirklichkeit unüberwindlihe Schwierigkeiten mit ſich führt, ſich
mit ihm darüber zu vereinbaren. — Ein drittes Ingredienz
dabei ift das Raifonnement, da die Bergleichung zwifchen den
Thatſachen und den Begriffen doch nicht ganz nadt vorgenom-
men werden kann. Bon dem außerphilofophifchen Raifonnement
des Verf. über philoſophiſche Gegenftände find Proben genug
gegeben; aber in diefer kritiſchen Partie wird daffelbe noch tran-
feendenter. Es foll nur Weniges davon ausgehoben werden;
zunächft fein hier breiter ausgeführtes Naifonnement gegen bie
Form des fpetulativen Denkens. Er ftellt die Frage: ob diefe
Form die allgemeine Form des Wahren fey, in welder ſich
die Wirklichkeit darbiett? Es wäre mit ja! auf diefe Frage
zu antworten, daß fi) die Wirklichkeit dem Denten in diefer
allgemeinen form, weide die Form des Denkens ift, dar—
biete; diefe Antwort feßte einen platten Sinn der frage voraus,
aber er zeigt fih im Verfolg als nod) platter; nämlich, ob ſich
die Wirklichteit jedem Verhalten zu ihr überhaupt, es fey ein
8. Recenfion. 2. Uch. Ppilofophieüberh.n. Degers Encpflopädieinsbel. 224
Hinfehen,: Binhöeen .. ſ. f., was es fonft ſeyn mag, in fpehulatle
wer: form darbiete? , Er raifonnirt gegen diefen feinen Einfall,
— wus freilich ein Leichtes if, — indem er fagt, „daß die Speku⸗
lation die Form der. Allgemeinheit vielmehr der Wirkliche
lichkeit‘ abſpreche und ſich vindicire;“ er docirt das Meberflüffigfie,
„daß Kunſt, Wiſſenſchaft, Staat, Religion, als Wirklichkeit
gefaßt, ſich in der That in einer von der Form der Spekula«
tion ‚ganz verfhiedenen Form darſtellen.“ Er führt dieß in
ewem. weiteren Raifonnement aus, „wenn das Wefen der ge⸗
nannten Gegenflände durch die eigenthümliche Form in der
Wirklichteit nicht ausgedrückt würde, ſondern dieß erſt durch
. Vie: Spekulation. geſchehen müßte, fo müßte bis dahin, auf
ein Nichtwiſſen, Nichtkunſt, Nichtreligion, Nichtflaat zu er⸗
kennen ſeyn.“ Der Verf. würde, wie oben bemerkt, von
Aufang an konſequenter geweſen ſeyn, wenn er ſich ſonſt und
auch bier enthalten hätte, vom Weſen zu ſprechen, da er -
das ‚Allgemeine überhaupt perhortefeit; eben fo wenig, als
mit folder leeren Abſtraktion, if dann mit der eigenthüms
‚ Ligen Form gefagt; dieß ift ein gleich unbeflimmter Ausdrud,
Dächte er fih bei Wefen und bei Eigenthümlichkeit in
der That etwas Beftimmtes, fo hätte ihm einfallen müflen, daß
es Religionen, Künfte u. f. f. gegeben hat, welde das Wefen
ihrer Segenflände im Apis, oder Affen u. f. f. in frazzenhaften
oder fhonen Stein= und Farbenbildern, wohl auf eine eigen⸗
thũmliche, aber nicht dem Wefen eigenthümliche, Weife gewußt
und ausgedrüdt haben, fo, da die Philofophie allerdings auf
fhledhte, oder, wenn der Verf. lieber will, auf Nicht-Religionen,; .
Richt» Künfte u. f. f. erfannt hat. — „Damit aber,” fo wird,
weiter argumentirt, „verfällt die Spekulation in einen neuen
Widerſpruch, da ja jene Grgenflände dod in der-That Wirte —
lichkeiten ſind; und auf der andern Seite, wenn es nur Nicht⸗
virklichkeiten find, fo hat fie keine Objekte, da fie es doch mit,
Wirklichem zu thun. hat.” — Der Verf. hat feine Einfälle in: .
29% IV. Kritiken.
eine in der That bündig erwiefene Verlegenheit verfegt: die
Wirklichkeiten find nicht in der Form der Spekulation, alfo find
fie ihr Nichtwirklichfeiten; nun aber find fie Theils doch, Theils
bat die Spekulation felbft es mit Wirklidjkeiten zu thun, wie
kann fie erifliren, wenn fie nur Nichtwirklichkeiten vor ſich hat?
„Wollen diefe,“ fährt der Verf. fort, „aber dody eine Wirklich»
keit behaupten, fo würde Wirklichkeit gegen Wirklichkeit auftre-
ten, (diefe zweite Wirklichkeit find die fpefulativen Einfälle des
Werfs.) und eine davon müßte eine nur gemachte, falfche, einges
fchwärzte ſeyn.“ Was in foldem Drange die Spekulation für
einen Ausweg fuche, giebt der Verf. auf feine Weife an; ihm
felbft aber muß es überlaffen bleiben, die von ihm erſchaffene
Berlegenhrit zu heben. — Andere Kruditäten feines Scharffinns,
82. ©. 181, daf er uns belehrt, daß die Dinge keineswegs
verfhmwinden, wenn wir auch unfer Bewußtſeyn über dies
felben verfhwinden maden, oder S. 204, daß er gegen die
in der Enchklopädie betradytete Unmittelbarkeit, belichig ans
giebt, was er mit dem Namen unmittelbare Hervorbringungen
belegt wiffen will; und daß er noch willfürlicher die Vermittlung,
die in allen von ihm angeführten Beifpielen, am allernädhften
in der Kategorie des Hervorbringens felbft, liegt, außer Acht läßt;
— den langen Zug von Trivialitäten durdmuftern, ſie zerglies
dern, widerlegen zu wollen, infofern fie Cinwürfe, Belchrungen
oder Vernichtungen feyn follen, ift für fi unflatthaft. Aber
vollends unthunlic wird es durch ein weiteres Ingredienz in
diefem Gebräue, das wo möglich noch abftogender ift. Das Vers
fahren, bei der Kritik einer Philofophie von der Philofophie zu
abftrahiren, und zwifchen dem, was der Verf. Wirklichkeit in
Religion, Staat u. f. f. nennt, und dem, was er für faktifche
Refultate der kritiſirten Philofophie, ebenfo ohne Grund, wie
den Homer für einen Trojaner, Better des Aeneas u. f. f., aus
giebt, eine äußerlide Vergleichung anzuftellen, giebt das
wohlbewußte Mittel an die Hand, eine Philofophie durch alle
8. Roceufon. 2. ch; Phdofeyhic äberh. u Gegel’s Encpfiopädieinätef. 223
belichige Schäffigkeiten hindarch zu führen Dieſes, felbh
in den Sünden von düriligen und ſchwachen Köpfen fonfl
mädtige, Mittel if icdoch längfi fumpfer geworden, ſey es durch
Gleichgũltigkeit gegen Die Philoſophie der gegen die Religion,
oder ſey es aus einem tiefern und würdigern Gefühle beider.
Es ift das Verfahren, Religion überhaupt, Chrifienthum insbes
fondere und defien nähere Lehren, die Dreieinigkeit, Chriſti Er⸗
feinen, die Unflerblichteit, und überdich den Staat, wie diefe
Beflimmungen geiſtlos in den mächften beflen pofitivea Ausdrũ⸗
den aufgenommen werden, zufammenzuficlien mit dem, was
Theils faktiſch falſch, Theils fo für die Nefultate einer Philos
fopbie ausgegeben wird, daß es zu begriffloien Worten vereins
zeit worden if. Der Verf. ſteigert dieß Berfahren vollends zu
einer transfcendenten Birtuofität, indem er wifientlih die Form
der Wiſſenſchaftlichkeit verkennt; derfelbe Inhalt, infofern er
gedadt if, ift für ihm dieſer Inhalt nicht mehr. Er iſt fo
dürftig, immer diefelbe Polemit gegen die Form des fpekulatis
von Begriffes zn wiederholen, nur in immer größerer Verwor⸗
renpeit. ©. 131 weiß er von einem Anfinnen „der Spekula⸗
tion, nad welchem“ die Wirklichkeit, „Wahrheit als abfolut
wahr nur infofern entwideln folle, dag fie niht au im
fi ſelbſt Wahrheit ſey,“ (— man verfudhe, hiebei ſich
etwas zu denten! —) „fondern ihre höchſte Sanktion erſt aus
einem Andern, wie 3 3. dem fpekulativen Begriffe, ent⸗
wideln mũſſe,“ — wo hat der Berf. gefunden, aufer in feiner
eigenen Verkehrung, daß der wieder beifpielsweife angeführte
fpetulative Begriff etwas Anderes ſeyn folle, als die innere
Wahrheit der Wirklichkeit ſelbſt? Cr fährt fort: „die Wahrs
heit der Wirklichkeit in fpetulativer Form fey diefer fremd“
— dieß Hauptargument des Verfs. kann ihm, bei der Unbe⸗
Rimmtheit der vorausgefegten Wirklichkeit, beliebig zugegeben
werden, und chen fo ſehr auch nicht; — die Wahrheit in Form
der Religion ift eben fo fehr der Sonne, den Geflirnen u. f. f.,
224 . IV. Reitifen.
den Pflanzen und den Thieren, aud) dem Bedürfnig — Gefhäftss
leben der Menfchen fremd; die Sonne, die Geftime u. f. f.,
die Pflanzen, Thiere, Menfchen, find eben fo wenig Kunſtwerke.
Daß der Verf. die MWiffenfchaften, freilih bei eingefchräntten
Kenntniffen von denfelben, nicht aber den, fh und die Wirklich—
keit im. reinen Denken wiffenden Geift, als eine Wirklichkeit
gelten läßt, ift ein Belichen feiner Idioſynkraſie, weldes, weil
der Wirklichkeit die Wahrheit in fpefulativer Form fremd fch,
diefe für „eine Fiktion,“ für ein Machwerk des fpekulativen
Begriffs erklärt, womit er ſich felbft und Andere täuſche. —
Die Kategorien: Fiktion, Täufhung, welche die dünkelvolle Un—
wiffenheit des Verf. von fpekulativer Wiffenfchaft gebraucht, kön—
uen als ganz richtig auf die Kunft angewendet betrachtet wer—
den; defjen ungeachtet gilt dem Verf. die Kunft für eine Wahre
beit der Wirklichkeit, ift eine feiner Sphären der hohen Gegen
fände und Wefenheiten der Menſchheit. Seiner Menſchheit
macht es dann der Verf. im Gegenfage gegen jenes fpefulative
Fingiren u. ſ. f. fehr bequem mit ihrer wahrhaften Wirklichkeitz
„die Wirklichkeit,” fagt er, „weiß (7) nur, daf, wenn man
die höchſte Wahrheit finden will, man ſich auf die höchſten
Standpunkte ihrer, wie fie in der Wirklichkeit ift, ſtellen
müſſe.“ Es ift damit eine große Leichtigkeit angegeben, die
Wahrheit zu finden; man hat fid) eben ohne Weiteres auf die
höchſten Standpunkte zu flellen; vielleicht foll aud) nur aus-
gedrückt werden, daf die Wirklichkeit — dod wohl nur die des
Berf., — von dem Wege, auf dem zur Wahrheit zu gelangen
fe, nur fo viel anzugeben weif. Schon vorher, ©. 120, hatte
er dem Glauben folde Leichtigkeit zugefchrieben; „derſelbe,“
beißt es dort, „giebt mit einem Male in die Hand, was
das Zählen, Rechnen‘, (darunter verftcht er das Denken), „mühe
felig zu Stande bringt” Die oben angeführte „Durchmuſte⸗
rung” der Wiſſenſchaften, der Geographie und der Afironomie,
mag den Kefern des Verf. wohl den Glauben in die Hand ge=
. 8, Reorenfion. 2. Uich. Piüefegickbcch. u. Degel't Encgliopädie indker. 23
ben, daf deffen wiffenfhaftlie Kruutnif nicht durd) vieles Zäh-
len, Reben zu Etande gekommen if, und in Unfchung der
Philoſophie iſt dem Ref. dur) die Gceift des Berf. der Glaube
nleichfalls nahe gelegt, dafı ſie aicht darch Gedanken, and) nicht
durch ſchlichten Glauben dem Berf. in Die Hand gegeben wers
den il. Der fhlihte Glaube ſpreizt fh nicht, über Wiſſen⸗
ſchaften mitzureden, auferhalb deren er feine Stellung zu haben
weiß, viel weniger betritt er dem finfiern Weg der Gehäſſigkeit,
des Hohns, oder gar ciner, vielleicht ſelbſt ſcarril zu nennenden
Laume. — Auf den Grund der anzuſtellenden Bergleihung der
xhiloſophiſchen NRefultate mit der Wirklichkeit, Tann der Berf.
S. 173 mit behaglicher, ſatyriſch⸗ fepmfollender Wohlmeinenpeit,
„nicht die Gelegenheit vorübergehen laffen, Hrn Hegel in Schut
(? welche gewidhtige und wohlwollende Protektion?) zu nehmen,
. gegen einen Borwurf, der ihm, in Beziehung auf fein Philofos
phiren uber den Staat, gemacht wird, nãmlich gegen den, daf
er anr gewiffen Anſichten zu Liebe, fi bequeme, die Mos
narchie als die höchſte, als die abjolute Form des Staats für
den Begriff zu entwideln. Bon folhem Borwurfe befreie in⸗
deſſen Hrn. Hegel am Meiſten (— man flcht, dag dem Berf.
nicht der Begriff der Sache und das Beweifen aus demfelben,
fondern eroterifche Beziehungen, für das Meifte gelten —)
dieß, daß er in einem Staate lebend, welcher nicht im eigentli⸗
chen und entwideltern Sinn fonflitutionell genannt wer⸗
den kann (— und warum nicht? verfchweigt der Berf. Der Name
thut nichts zur Sache; welche der vielen Theorien von einem
tonftitutionellen Staate er im Kopfe habe, hätte er angeben,
und vor allem zeigen müffen, daß feine Theorien etwas taugen),
und beauftragt (?), über Naturreht und Staatswiſſenſchaft
Borlefungen zu halten, die rein (?) Tonflitutionelle Monarchie
feiner wiſſenſchaftlichen Ueberzeugung nad) als das Abfolute
einer Staatsform, nit die Monardie an fi, aufftellt.“
Der Verf. bemüht fi, in behaglicher Gehäffigkeit mit wieder
Bermifchte Schriften. ” 15
226 IV. Kritifen.
holter befonderer Anführung der Beauftragung, ſolchen Wider
ſpruch in gefliffentlihern Zügen auszuführen; die ift ihm, wie
feine Flosteln vom Abfoluten einer Staatsform, und fein
Abſtraktum von einer Monarchie an ſich, zu überlaffen.
Die widrigfte Seite der Schrift ift leider endlih aud noch
zu erwähnen: der traurige Kigel des Verf., launig und fpafhaft
zu thun; es mag das eine Beifpiel von diefer abgefchmadten
Sucht erwähnt werden, wo fie ihn bei der Lehre von der Unfierb=
lichkeit befällt. Diefe Lehre ift, außer den politifchen Infinuatio-
nen, diejenige, die am häufigften gebraucht zu werden pflegt,
um auf eine Philofophie Gehäffigkeit zu werfen. — Für den
Berf., — er findet die erwähnte Lehre nicht in der Philofophie,
die er zu betradhten vorgiebt, — iſt es nicht vorhanden, daf in
diefer Philofophie der Geift über alle die Kategorien, welche Ver—
gehen, Untergang, Sterben u. f. f., in ſich fchliefen, erhoben
wird, abgefehen von anderen, eben fo ausdrüdlichen Beftimmungen;
er mag die Lchren des Chriſtenthums etwa in der Form des
Katehismus erkennen, aber das Philofophifhe und derfelbe
Inhalt, wenn er in philofophifcher Form ift, exiſtirt nicht für
ihn. Im Zufammenhang mit jener Lehre vermift er auch den
Tod im jener Philofophie, S. 143; und umgefehrt, wenn ihm
einmal zu wenig vom Tod darin vorfommt, ift ihm ein anders
mal zu viel darin. . Bei der Angabe der Lebensalter (8. 396.
der Enchklopädie), fagt der. Verf., wäre der rechte Plag für die
Abhandlung des Todes gewefen, und tadelt es, daß er zum
Greifenalter, nit auch ausdrüdlid den Tod genannt findet,
(— mill der Verf. den Tod als ein Lebensalter betrachtet wife
fen? foll in der Todesanzeige von einem Menfchen gefagt wers
den: er feh in das Lebensalter des Todes getreten?) und indem
er den Tod hier nicht findet, und dann, wie es feheint, an einem
Uebergange des Begriffes flodt, wird er (— Gottlob? heift es
irgendwo; hier möchte man ausrufen: Gott fey’s geklagt! er
wird). — mwigig?! — Er geht — in einem fonft genug ver=
8. Recenſien. 2. Ueb. Philoſophie äberh. u. Hegel’ Encyflopädie insbef. 227
worrenen Unzufammenhang, den Ref. zu entwirren nicht im
Stande war, — zu der Komfequenz fort, zu fragen: „Ob Ges
gel meine, bei lebendigem Leibe gen Himmel gefah-
ren zn feyn? Derfelbe würde erſt dem legten Beweis für die
Richtigkeit feiner Philofophie und der ihm zugleich die allge⸗
meinfle Zufimmung fiherte, geben, wenn er wenigftens
wie der ewige Jude auf Erden nicht flürbe.” Hat der Verf
in der Freude über feinen Einfall nit bedacht, daf er mit der
Zumuthung: nur wenigfiens, fo wie der Dann in der Le⸗
gende, nicht zu flerben, eine zu leidhte Forderuug an den Be-
weis der Richtigkeit einer Philoſophie gemacht hat? oder halt
der Berf. im Ernſte jene Legende für eine wahre Geſchichte,
wie die Zeitgenofienfdaft und Vetterſchaft Homers mit Acncas?
— Dann hätte cr fi noch weiter über die geiſtreiche Grund⸗
lage feines Einfalls auslafien können, wie das geforderte Nicht⸗
flerben von ihm und Andern, für die damit cin Beweis geleiftet
werden follte, zu erleben wäre! — zur die Talentlofigkeit des
Berfs. zum Spaßhaften, in welchem er es nicht über die dürre
Sucht des Hohnes hinausbringt, konnte noch fein Herumreiten
anf einer Aufpielung angeführt werden, die er auf die Redens-
ert: „hic Rhodus, hic salta” und auf das bekannte Eymbol
der Rofentreuzer, welches feine Umwiffenheit nicht zu erkennen
ſcheint, gefunden hat. ber von derlei Ingredienz trifter Ges
reiztheit und eines anfhuldigenden und verunglimpfenden Un⸗
muths iſt die Schrift zu widrig angefüullt, um fi) darauf, wie
auf das damit Fontraflirende fromme Aufjpreisen mit Chri-
ſtenthum, einlafien zu konnen. Diefer Ton unglüdlicher Ge⸗
reiztheit, mit dem Mangel an Kenntnifien und mit der Schalt»
. Iofigkeit der Vorſtellungen verbunden, maden, wenn man fi
auch durch die ſteife, fehwerfällige Wohlgefegtheit und Ungeſchick⸗
lichkeit der Rede und des Styls durdyzuarbeiten geneigt wäre,
den Gedanken vergehen, hier Einwürfe zu fehen und das Bor-
gebrachte widerlegen zu wollen; eine Polemik, die zum Voraus
15 *
228 ae IV. Kritiken.
in ben Gegenfland nicht eingehen zu. wollen erklärt, und fi
aus gehäffigen Inſinuationen und höhniſch ſeyn follenden Ab⸗
geſchmacktheiten zuſammenſetzt, iſt zu ärmlich — man weiß
nicht, ob es zu viel wäre, ſie ſchäbigt zu nennen, — um ſich
nicht mit Ekel davon abzuwenden und fie in der Meinung,
wie in dem Genuffe der felbfigepriefenen, „gehörigen Tiefe und
Gründlichteit” weiter ungeflört zu laffen.
Bemerkung.
Die Recenſionen über: „Ueber den gegenwärtigen
Standpunkt der philofophifhen Wiffenfhaften ı.
Bom Prof. E. H. Weiffe zu Leipzig; — Briefe gegen
bie Hegel'ſche Enchtlopädie:c Erfles Heftzc.; — Ueber
Senn, Nichts und Werden, 10.” find nicht erfchienen.
*
9. Ueber: „Der Idealrealismus. Erſter Cheil.“
Auch unter dem Titel:
„Der Idealrealismus als Metaphijlt in bie
Stelle des Idealismus und Jealismus gefetzt
bon Dr. ib. Teop, Jul, Oblert. & air
yao Cousv zai zwodusde zur Zouev. Act. Ap.
17, 28. MReuftabt a. dv. Orla. 1830. 228 8.”
CHahrbücher f. wiſſenſch. Kritif 1831, Nr. 106— 108.)
De Verf. diefer Schrift zeigt fih als einen geübten und
fharffinnigen Denker, der — ein Haupterfordernif des Philo-
fophirens — die Geduld hat, fi mit abftraften Gedanken zu
befchäftigen und in einem Raifonnement metaphufifcher Begriffe
ſich zu ergehen, dem dabei auch das Feld des Spefulativen nicht
nur nicht fremd ift, fondern was im vierten Buch als die Wahr-
heit dargeftellt wird, beruht ganz auf fpetulativer Jdee. Dabei
befleifigt fih der Hr. Verf. der Klarheit, und erreicht fie das
durch von felbft, daß er nicht irgend einem abſtrakten Forma⸗
lismus hingegeben iſt.
Man erkennt, daß das, was er vorbringt, fein in dem Ges
genftande, den er behandelt, befindliches, beftimmtes Raifonnes
ment ift; der Vortrag hat dadurd eine empfehlende Popularität,
wobei jedoch auch hier, wie fonft, häufig die Gründlichkeit leidet;
‚ jene verlangt unter anderem, daß Vorftellungen und Säge, die
230 IV. Kritiken,
in unſerer wiſſenſchaftlichen oder philofophifchen Bildung zuges
laffen find und gelten, nicht analyfirt, an ihnen nicht gerüttelt
wird; ift das Raifonnement bis auf fie zurüdgeführt, oder auch,
geht es von ihnen aus, fo findet ein verfländiges Bewußtſeyn in
ihnen, als etwas Bekanntem, Ruhepunkte und einleuchtende Be—
friedigung; foll es aber über fie hinausgeführt werden, fo geräth
es Leicht durch deren Entzichung in die Unruhe der Unficherheit
und des Miftrauens, und meint etwa, nun nichts mehr zu
verſtehen.
Der Gang, den der Hr. Verf. in feiner Unterſuchung nimmt,
ift einfach und zwedmäßig. Paſſend für die Art der Darftellung,
in der die Schrift gehalten if, wird der Ausgang von den Wi—
derfprüchen, Zweifeln und Fragen genommen, in die der Menſch
im Fortgang feiner äußern und innern Erfahrung ſich verwidelt
finde und deren Löfung die Philofophie zu leiften habe. Hier—
auf werden die zwei entgegengefegten, einfeitigen Wege diefer
Löfung, der reine Jdealismus und der reine Realismus ausein-
andergefegt und Eritifirt, und zulegt der reine Idralrealismus
als das Verföhnende beider und als das, die Forderungen, die
man an die Philoſophie zu machen berechtigt ſey, befriedigende
Syſtem dargeftell. — Ref. hat nun von diefem Gange einiges.
Nähere anzugeben, und will dabei Veranlaffung nehmen, bin
und wieder bemerklid zu machen, im wiefern ibm fcheine,
daf die Analyfe für die Forderung der Gründlichteit nicht weit
genug verfolgt ſey, und daf zu oft innerhalb gewohnter Ver—
ftandesbeftimmungen und VBorftellungen ſtehen geblieben werde,
Es ift gleich in der Einleitung, F. 1—16., daf der Hr.
Berf. $. 5. felbft, und gewiß mit Recht, fordert, daß man, um
eine fefte Philofophie zu erlangen, damit beginnen müffe, alles
früher Geglaubte und Gemeinte zu vergefien, oder es doch bis
zur Beflätigung durch das philofophifche Nachdenken, bei Seite
zu ſetzen; irgend welche Vorausſetzung verderbe von vorne her—
ein die Unterſuchung. Doc kann diefe Schrift felbft vielfältig
%
%
% De Teakeeliiumi. 1
zum Beiſpiel dienen, daf dieſe Zerberung leiter zu machen,
vorausfehen und gelten lafien, zu überwinden if. — Das Bild,
des der Hr. Berf. hierauf von dem Philoſephen, und gar von
dem vollendeten Philoſophen, beidreibend macht, wäre wohl
beffer weggeblieben; dergleichen (— wie: „in ſolchem Philoſo⸗
yhen hart alles ubereilte, unterbrochene Denken auf, nichts Un⸗
erwartetes Tann ihm außer fich ſetzen; er if ohne Leidenſchaften
und Sieftigteit der Gefühle, Affekte und Begierden wohnen
nicht in ihm u. f. f.“ —) erinnert zw fchr an die Rednereien
der Stoiker und Epikurãer von dem Weifen; diefe Philofophien
hatten es notbig, zum Subjektiven, als zum letzten beſtimmen⸗
den Grund, zurüdzugehen, weil ein folder ihren abfiraften Prin⸗
cipien mangelte; aber die moderne Philofophie geht auf Princi-
yien, die von konkreter Ratur find, — (von welder Art aud) das
Princip des Hrn. Berfs. it) — und nicht bloß eine nur abs
ſtrakte Grundlage, fondern auch ſelbſt die der Beflimmung und
Extwillung in fid enthalten; daher denn dergleichen Schilderung‘
vom Gubjekte des Philoſophirens müfig und einem Tadel an⸗
derer Art, wenigſtens horazifhem Scherze über den Weifen, der
glũcklich, reich, ja ein Konig fe, — aufer wenn ihn Berfdhleis
mung beſchwere, — ausgefegt ifl.
Für die Beſtimmung der Philoſophie felbfi nun wird (S.6)
daran erinnert, „daß ſich alies Willen auf Erfahrung gründe,
entweder ãußere, durch die Sinne, oder innere, dur) das Bes
wußtſeyn defien, was in der Seele lebe und vorgehe, oder
doch vorzugehen fcheine; was man nicht erfahre, davon könne
man nichts wiſſen,“ — das Letztere wird man, nad jenem ganz
unbeflimmten Sinne der Erfahrung, wohl zugeben; daß fie aber
als Grund fi zum Willen verhalte, iſt Theils zu unbeflimmt,
Theils ſchon zu viel prafumirt. Der Geift, mit ihr ſich nicht
befriedigend, forfde nah) Gründen, und zwar den legten Grũn⸗
den der Erfahrung, und die Wiffenfhaft, welche diefe auffucht,
232 IV. Keitifen,
ſeh bie Philofopbie. Diefe foll (S. 12) „das, was dem
Denker im der Erfahrung unklar, zweifelhaft oder gar widerfpres
hend vorkommt, aufhellen, löfen, verfühnen; deshalb werde fie
weder ganz Noologismus noh Empirismus feyn dürfen,
wenn fie nicht einfeitig verfahren und dadurd in Irrthum vers
falfen wolle.” Wir fehen, die Erfahrung wird fhon felbit als
der Grund und zwar des Wiffens angegeben; die Miffen-
{haft als die Gründe jenes Grundes auffuchend; — wir wer—
den fomit in dem beliebten Kreife herumgeführt, in welchem im
der Wiffenfchaft der Grund, weshalb fie eine Kraft und mit
folhen und folden Befimmungen annimmt, die Erfahrung ift,
umgekehrt aber die Kraft zum Grunde deffen, was in der Er—
fahrung und deren Neuferung if, gemadht wird. — Das leidige
Herumfprecdhen vom RVerhältniffe der Erfahrung und des Wiſ—
fens kann auf ſolche Weiſe zw nichts Veſtimmtem kommen.
- Einen Vorzug vor jener lofen Erpofition hat durdaus noch im—
mer die kantiſche Einleitung, nämlich den, fogleid die Erfah—
rung felbft zu analyfiren, und in ihr die zwei Momente (Beſtand⸗
flüde nad) ihrem Ausdrud), — das eine, die finnliche Einzelnheit
des Wahrnehmens, — das andere, die Verftandesbeftimmungen,
Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aufzuzeigen; dieß läßt ſich
auf eine populäre Weife thun, und bringt fogleih auf den
Punkt tüchtiger Betrachtung, — es hat den Vortheil, das Den-
ten in der Erfahrung felbft implicirt zu nehmen, fo daf daffelbe
nit auf die gar zu populäre gewöhnliche Weife vorgeftellt wird,
wonach es zu der Erfahrung hinzutreten und nad den Gründen
derfelben fragen fol.— Der Hr. Verf. ſchließt die Einleitung das
mit, daß „der Menſch fi nicht mit dem Miffen begnügen
könne, wenn er gleich möchte;“ es ift nichts Empfehlendes,
wenn von jemand gefagt wird: er möchte wohl, aber er kann
nicht; daß es mit dem Menſchen überhaupt, mit dem Wiſſen
der Vernunft, von. der doch eigentlich hier nur die Rede ſeyn
follte, diefeBewandnif habe, um dieß zu erhärten, verfüchert der
9. Der Idealrealismus 233
Hr. Verf. noch ferner, daß „der Geift fo lange zu begreifen
firebe, bis er an etwas Unbegreiflides komme;“ (— ift
der Geift fehon, che er an ein foldhes kommt, nur im Streben
des Begreifens, fo könnte man die Folgerung ziehen, daf er
ſich hier ſogleich nur bei Unbegreiflihem befinde —) „der Geift
wolle mit einem Großen, Gewaltigen endigen, von dem
er fih ganz danieder gedrüdt fühle, — das er nicht er—
kenne, fondern das er glaube; — den Troft, die Beruhigung,
die freudige Ausſicht in die Zukunft, vergebens von der Wiffen-
ſchaft verlangt, gewähre der Glaube, — über deffen Gegen-
fände die an die metaphnfifche, natürliche Theologie ſich anſchlie—
fende, Offenbarung handle” — Der Hr. Berf. thut dem
zeligiöfen Glauben, von dem er hier fpricht, Unrecht; nach dem,
was wohl nad) allgemeiner Webereinftiimmung ‚darunter verftan-
den wird, foll in demfelben der Menſch ſich, ſtatt „ganz nieder⸗
gedrückt,“ vielmehr vollkommen befreit fühlen; nur in dieſe
Befreiung wird „die Befriedigung des Bedürfniſſes ſeiner
Seele, die Stillung der Sehnſucht des Herzens” geſetzt, die $. 15.
vom Glauben verfpriht. — Auf das Verhältnif des Wiffens
und der Philofophie zum Glauben, kommt der Hr. Verf. in
dem Buche über den Idealrealismus, das Spftem, das alle
Forderungen erfülle, die an die Philofophie gemacht werden kön—
nen, nur infofern zurüd, als $. 141. die Abhandlung von der
Dffenbarung in den-befondern Theil, die NReligionsphilofophie,
verwiefen, und das fo eben Angeführte troden vom Bedürfnif
des Glaubens: wiederholt wird; aber das, um was es zu thun
gewefen wäre, an jenem Jdealrealismus ſelbſt den Mangel und
die Lücke aufzuzeigen, durch welche er unbefriedigend ſeyn ſoll,
und weiter zur Offenbarung und zum Glauben treibe, ift unters
laſſen. Es kann für fehr zwedmäßig anerfannt werden, daf
um zu der Philofophie hinzuführen und ihr Bedürfniß zu er
wecken oder aufzuzeigen, wie hier geſchieht, (im erften Bude
8 17—49.) mit den Zweifeln und Widerfprüdhen bes
234 ö IV. Kritiken.
gonnen wird, in welche das Bewußtſeyn in ſeinen Erfahrungen
ſich verwickelt finde. Zum Behuf einer ſolchen Anleitung iſt
gerade nicht für erforderlich anzuſchen, daß die Zweifel und
Widerſprüche in ſyſtematiſcher Folge entwickelt, und nach ihrer
nothwendigen Entſtehung dargeſtellt werden, — wie für die
Wiſſenſchaft verlangt werden muß. Hier konnte es genügen,
eine beliebige Anzahl von ſolchen zur Philoſophie aufregenden
Verlegenheiten der Reflexion, wie ſie ſich zufällig anbieten mö—
gen, aufzuführen, wenn ſie nur von der Art ſind, daß ſie früh
und häufig vorkommen. Der Hr. Verf. hätte bei folder Dar—
ftellung an Kant’s Antinomien erinnert werden können, die ihm
nicht nur mehrere Beifpiele an die Hand geben, fondern auch
weitere und wichtige Geſichtspunkte eröffnen konnten. f Gleich
dagegen, daß der Hr. Verf. $. 17. aus einem Raiſonnement
ableitet, daß die Widerſprüche zwifcdhen den innern und äufern
Erfahrungen, — und nur zwifchen diefen foll es Widerfprüdhe
geben, — nur fheinbar ſeyen, enthält die Fantifche Betrach—
tung den für die Wiffenfchaft fo hoch intereffanten und Epode
machenden Sag von der Rothwendigkeit der Widerfprüde;
diefer Gefihtspuntt iſt für die Bedingung anzufehen, daf das
Philofophiren eine Tiefe gewinne. — Ob und wo dann übers
haupt Widerfprüdbe Statt finden, hängt von den Vorausſetzun—
gen ab, die gemadht werden; damit nimmt cs der Hr. Verf.
nicht genau genug; er macht es dem Lefer zu leicht, die Annah-
men nicht gelten zu laffen, die einen Widerſpruch hervorbringen
follen. Schon im Anfange, $. 17., wo gezeigt werden foll, daß
weder in der Natur für ſich noch im Geifte die Quelle der Wis
derfprüche liegen könne, geftattet fih der Hr. Verf. ohne Weis
teres eine ſolche unerwiefene Annahme, welche ſich auf die Nas
tur des Widerfpruchs felbft bezieht, und in Unfehung deren er
vor allem das aus $. 5. Angeführte hätte befolgen müſſen,
nämlich alles früher Geglaubte und Gemeinte zu vergeffen, oder
einftweilen bei Seite zu -fegen. „In der Natur,“ heißt es,
9. Der Vrelreaiiums. 235
„tonmen teine Biderſprũche liegen, denn Widerfpreihendes
Seht ih auf und kaun nit exiſtiren;“ die Natur aber fol
exiſtiren; ebenfe „der Geiſt denkt nicht Widerſprechendes;
und dieſe Beſchaffen heit deſſelben,“ wird ſortgefahren, „iſt ja
eben die Urſache davon, daf man Widerſprũche erblickt und
se löfen verfaht” — Der Hr. Berf. wäre glüdlich zu preifen,
wenn ihm in der Welt, in der Ratur und in dem Thun und
reiben wie im Denten der Menſchen, noch keine Widerfprüche,
wenn ihm noch keine fid ſelbſt widerſprechenden Exiſten⸗
zen vorgelommen wären; er fagt mit Recht: „der Widerſpruch
hebe fih auf,“ aber daraus folgt nicht, daf „er nicht erifirt;“
jedes Verbrechen, wie jeder Jerthum, überhaupt aber jedes e ad⸗
lide Seyn und Denken ifi ein Widerſpruch; fo fchr, dag noch
weiter fogar gefagt werden muß: daß es nichts giebt, in dem
nit ein Widerfprud eriflirt, der ſich aber freilich chen
fo fchr aufbebt. Allein in. dem felbft, was darüber vorgebracht
wird, if wohl der größte Widerſpruch nicht zu verkennen: die
Befchaffenheit des Geifles, (Beichaffenbeit if ein Ausdruck,
der für den Geift, vollends wo von der Natur defielben die Rede
ſeyn foll, wohl ungeeignet ift), nichts Widerfprechendes denten
zu Tonnen, foll felbft die Urfacdhe feyn, von was? — davon,
dag man Widerfprühe erblidt, — nicht mit den leiblichen
Yugen,-die Ratur fol keine darbieten, fondern mit den Augen
des Geiſtes, d. i. daß er foldhe überhaupt in feinem Bewußtſeyn
bat, und fogar denkt, — fie foll Urſache ſeyn, daß man fie zu
löfen ſucht; — wenn fie nicht exiſtirten, wo es fch, in der äus
fern oder innern Erfahrung des Denkens, würde man nidt in
Berfuhung kommen können, fie löfen zu wollen. Wenn auf
der Hr. Verf. diefelben auf das Verhältniß von Geift und
Natur, von innerer und äußerer Erfahrung (willkürlich) bes
fräntt, und folde Widerfprüde nachher anführt, fo ift er eben
damit im Falle, von Miderfprüchen zw wiflen, fie zu denken,
ihre Duelle anzugeben. — Der Hr. Verf. hat fi) gegen das,
36° IV. Kritiken.
was er hier unmittelbar thut, fo wie gegen das, was er
in der Erfahrung, noch mehr aber im Denken, unzähligemal
muß vorgefunden haben, durch ein gewöhnliches Schulgefhwätge
bereden laffen, die allerunwahrfte Annahme, daß es Feine Wi-
derfprücdhe in der Natur und im Bewußtſeyn gebe, blindlings
zu machen. '
Mit der Annahme, daf das Miderfprechende nur in das
Verhältniß des finnlichen Anſchauens und des Denkens falle,
tommt fogleih in Kollifion, daß jenes felbft, in der vorfeyenden
Betrachtung denkend aufgefaßt wird; fomit ift es nicht ſolches An⸗
ſchauen und das Denken, fondern es find in den Beifpielen des.
Hrn. Verfs. nur Gedanten, die mit Gedanken verglichen und
einander widerfprechend gefunden werden. So fängt $. 18. da=
mit an, daf es „die finnlihe Erfahrung fey, welde be—
haupte, daß Alles, was if, fi verändere, das Denken
dagegen fage, Alles, was ift, bleibt dafjelbe, immer und ewig;
Beränderung ift undentbar.” — Schon die erfiere Bes
hauptung hätte doch nicht fo geradezu zu einer Annahme der
finnlihen Erfahrung gemacht werden follen. Erftens, wie
käme die finnlihe Erfahrung zu: Allem; das Alles, als
finnlid, it im Raume, ebenfo in der Zeit, und zwar der
Bergangenheit, Gegenwart und Zukunft; wie möchte man num
fagen: Alles an allen Orten des Raumes (3. B. im Innern
der Erde wie der Sonne und der Geftiene, und im äußern Hin—
aus des Himmels), Alles zu allen Zeiten und felbft in der Zus
kunft, ſey erfahren worden und fogar wiffe man von diefen
Erfahrungen? — wie könnte man fonft von ihnen ſprechen?
Beſchränken wir fie etwa auf das nächſte befte, was wir finn-
lich erfahren, und von deffen Erfahrungen wir wiffen, fo fällt
doch zweitens gleich die frage ein, haben wir denn oder wer hat
fonft die Erfahrung gemacht, daf diefe Gebirge der Erde, dieſe
Welttheile u. ff, daß diefe Geftirne, Sonne und Mond
(die beobachtete Bewegung ift nur die Veränderung ihres Orts,
9. Der Ipenlrealismus 237
der Lichtwechſel mur ihres Lichtſcheines u. ſ. f), ſich verändert
haben? — Es kann etwa ungeeignet ausfehen, wenn wir in
hoher metaphyſiſcher Betrachtung fichen, an ſolches Triviales zu
erinnern, was wir, und zwar nicht wiſſenſchaftlich, fondern nad
der gemeinften finnlihen Erfahrung uns gemerkt haben. Die
Alten, wie befonders Sokrates bei Kenophon u. U. und felbft
aus dem Munde des erhabenen Plato, haben ſich und ihr Phis
lofophiren nicht für zu vornehm gehalten, um die nächſten beften
Wahrnehmungen des gemeinen Lebens aufzunehmen, und von
da aus zu ihren allgemeinen Sägen, und felbft zu den Ideen,
aufzufleigen, oder diefe dadurch als an Beifpielen zu erläutern, —
mitunter auf eine fo redfelige Weife, daß fie uns, die wir an
abftrafte Säge mehr gewöhnt find, als überflüffig und felbft
langweilig erfcheint. Aber wo von finnlidher Erfahrung gefpro=
ben wird, find die Beifpiele nicht nur erläuternd, fondern be—
weifend; ein Sag diefes Gebiets beruht ganz auf der Induktion,
die aus ihnen allein gezogen werden kann. Allgemeine Säge
ins Blaue hinein über die finnlihe Erfahrung auszufagen und
gelten zu laffen, ift eine üble Gewohnheit unbedachten Metaphy—
firens, der fid) die Philofophie zum wenigften eben fo fehr ent-
gegen ſetzen follte, als es der gefunde Menſchenverſtand thut. —
Bollends wenn diefem unter dem Titel von „Jedermann“
und „allen Menſchen,“ zu dem Behuf, das Bedürfnif zur Phi-
lofophie in ihm aufzuzeigen, folche falſche Säte, wie daf man
erfahre, daß Alles fi verändere, mit der Berufung auf ihn,
beim Antritt zum Philofophiren, an den Kopf geworfen iverden,
fo kann ihm foldhes nur befremdlich vorkommen, ebenfo fehr
als daf dem Denken die Veränderung undenkbar feyn folle, —
daß es das Denken ſey, welches den Sat, daß alle endlichen
Dinge veränderlich find, daß die Weränderlichkeit die Natur der
endlichen Dinge ausmacht, verwerfe. Das hierauf folgende
Raifonnement über das Entfichen und Vergehen, ift nicht
fo ſcharf, als das der alten Eleaten; diefe famen nicht zu dem
—
238 IV. Keitifen.
Schluffage, daß „ein Anderes (und ein Anderes ift doch wohl
auch Etwas), alfo das Etwas ein Neues aus ſich hervorge—
ben laffe, oder daf Etwas vielmehr gar einen Theil (wie
kommt hieher die Kategorie eines Theile?) von ſich abfondere,
und dann gleich, daß nur die Form oder Befhaffenbeit
eine andere werde. — Wie dergleichen Kategorien, fo ift unter
Anderem dann gar der, allen ſolchen Annahmen widerfprechende,
Sat jenes Pantheismus: Aus Nichts wird Nichts, geradezu
als feftftiehend angenommen. S. 211 kommt der Hr. Verf.
auf den Pantheismus und die Interfchiedenheit des Ideal⸗
realismus von demſelben zu reden; er macht es ſich daſelbſt
leicht mit dem Pantheismus, indem er geradezu annimmt, „je⸗
des Individunm babe ein felbfiftändiges Dafeyn;“ dann aber
hätte er früher nicht einen Sat müſſen gelten laffen, der die
eleatifche Einheit, die abſtrakte, die unveränderliche Identität
ausſpricht. — Gleich darauf, $. 21., wird der Sag der Kaus
falität dem finnlichen Anſchauen zugefchrieben, wie fo eben dem
Denken der Begriff der Veränderung abgefprochen worden u. f. f.
Dod zu ähnlichen Zweifeln und Ausftellungen könnte die
ganze Nusführnng des erften Buchs über die Zweifel und Wi—
derfprüche, welche den menſchlichen Geift zur Philofophie treiben
follen, Beranlaffung geben; bei einer fo unkritiſchen Einführung
von Kategorien und Sägen, wie fie hier Statt hat, ficht man
näher, wie fehr es zu bedauern ift, daß das Studium der Fans
tifchen Kritik, eigentlich aus einer Art von Vornehmigkeit, ges
ringfhägig geworden; die nächfte Frucht folden Studiums ift
wenigftens ein gebildeteres Verfahren des Denkens felbft im
bloßen Raifonnement über abftrafte Gegenftände, und ohne foldye
zuvor erworbene Bildung follte nicht an weiteres Philofophiren, -
noch weniger an fpekulatives gegangen werden, |
Das. Ende des erſten Buchs giebt als die drei möglichen
Wege der Löfung der MWiderfprühe den Idealismus, den
Realismus und den Jdealrcalismus an; jene beiden
9. Der Idealtealismus. 239
werden in ihrer beftimmten Konfequenz aufgenommen, nad) wel⸗
her ($. 47.) der reine Realift wie der reine Jdealift feinen wah⸗
ren Gegenfat zwiſchen Geiftigem und Sinnlihem anerten-
nen, indem jenem das Geiftige nicht verfchieden dem Weſen
nad vom Sinnlichen ift, und für den zweiten es teine wahre,
feine andere Außenwelt giebt, als welde von dem Ih in ſich
felbft getragen wird. Mit Recht wird dann aud das Dritte,
was der Hr. Berf. den Idealrealismus nennt, dahin bes
ſtimmt, daf es nicht ein Gemifche aus den beiden Gliedern
des Bewußtſeyns neben einander ſeyn foll.
Das zweite Buch handelt nun vom reinen Idealis—
mus, und giebt im erften Abfchnitt ($. 50— 62) eine Darſtel⸗
lung deffelben nach der entfchiedenfien Geftalt, die er als fich—
te'ſches Syflem hat. Diefe Darftellung ift in Anfehung ber
Principien im Ganzen gründlid) und ſcharf beftimmt zu nennen;
es ift als richtig anzuerkennen, daf der Gegenſatz des Objekts
und die Theilung des Gegenftändlichen in das Ich und das Ob⸗
jeft als Thatſachen von diefem Spfteme aufgeführt und ange—
nommen werden. Jedoch enthält der Hebergang (8. 53.) zur nähern
Beſtimmung des fihtefhen dritten, des fonthetifhen, Grundfages,
ein Raifonnement, das weder als flichtefch noch als fonft für ſich
bündig angefehen werden kann. „Das Ich würde nämlich,” fagt
der Hr. Verf,, „alles, was auf dem Gegenfase feiner und des
Nicht-Ich beruht, nicht finden, fvenn ein Nicht-Ich als
abfolutes Wefen eriftirte, denn dann würde das Ich eine
Borfielung von ſich haben können, ohne daf eine entgegen-
gefeste fie begleitete; (— eine ſolche Borftellung des Ich von
ſich, d. i. reines, abſtraktes Selbfibewuftfeyn wird uns übrigens
nicht abgefprodhen); „weil alsdenn bereits ein Objekt für
feine Tätigkeit da wäre, von diefem (Objekte) auf ſich
reflektiert, hätte es nicht nöthig, in dem Erfaſſen feiner felbft zu—
gleich das Nicht Jh, das Reſultat eines Aets feiner Thätigkeit,
zu ſetzen.“ Nach dem ($.51.) angeführten erſten ſchlechthin uns
240 IV. Keitifen.
bedingten Grundfage Fichte's: Ih bin Ich, erfaßt Ich ſchlecht—
bin.rein ſich felbft; indem es aus feinem Gegenfage ſich in ſich
teflektirt, vermag es rein fich zu erfaffen, gleich viel, ob das
Gegenfäglihe als Objekt oder als Nicht-Ich, als Produkt des
Ich, beftimmt worden ſey. Infofern aber Jh an dem abfolut
vorhandenen Niht= Ih ein Objekt feiner Thätigkeit ha—
ben foll, ift ja damit eben das Verhältnif von Ich zu einem
Nicht-Ich ausgefprodhen, das eine Zeile vorher darin liegen
follte, daß es Fein ſolches Nicht-Ich gäbe.
Bon dem Raifonnement, das 8. 54. über die unendlich
vielfahe Thätigkeit des Jh gemacht wird, kann Ref.
gleichfalls nicht zugeftchen, daß es dem fichte'fchen oder dem reis
nen Idealismus überhaupt angehöre. Die vielfadhe Thä—
tigkeit des Ich ift allzueinfach auf die Weife eingeführt, daß
° 28 dafelbft heißt: „Wenn das Nicht-Ich einfach wäre, fo
könnte die Thätigkeit des Jh nur fehr (wohl, ganz würde
folgen,) einförmig, oder wenn es aud fie wechſelte, könnte
diefelbe doch nicht zugleih auf mehrere Objekte gerich-
tet ſeyn.“ Sie fey aber unendlid vielfach und dränge fo
vielfach) als möglich fih zu äußern; — foldes Borausfegen
dürfte fi der reine Idealismus nicht erlauben, — cben fo we—
nig als die folgende Konfequenz: „Darum iſt das Nicht-Ich
fo zufammengefegt, und befteht aus einer gar grofen
Anzahl von Individuen, welde die verfhiedenartigfte
Beſchaffenheit an fi tragen, und dadurd der Wirkſamkeit des
Ich das freiefte Feld bieten.” Auf ſolche Art hat wenigftens
der fichte'ſche Idealismus fich nicht erlaubt, Annahmen zu mas
hen und zu raifonniren; er ift vielmehr wegen feiner Eigen—
thümlichteit, Alles zu deduciren und zu konſtruiren, verfpottet
worden. — Doch dief mag zur Bezeugung des Wunſches ges
nügen, daf die Darflellung des Idealismus mehr der Strenge,
die er ausgezeichnet ſich zum Gefeg gemacht, entfpredhen möchte,
und Nef. will, mit Mebergehung des Weitern diefer Darftellung,
9. Der Idealrealismus. 24
no den zweiten Abſchnitt, die Kritik des reinen Idealismus,
($. 63-68.) berühren.
Die erfie Frage, die hier ($. 63) gemadt ifl: „Kann der
Idealismus — dem Dienfhen genügen, befriedigt er die menfd=
lichen Bedürfniffe, die ihn erzeugten?” wird mehr dadurch
befeitigt, daß fie bei Seite geftellt, als dadurch, dag auf fie ges
antwortet wird. Der Hr. Verf. hätte nach feinem, vorhin auch
citirtn Grundfage ($.5.), „daß man alles früher Geglaubte .
und Gemeinte bis zur Beflätigung deffelben durch das philoſo⸗
phiſche Nachdenken, bei Seite zu fegen habe,“ das Herbeibringen
von fo was, wie „menfhlihe Bedürfniffe,” und die Ver⸗
gleihung des Princips mit folder Vorausfegung, unterlaffen .
und verwerfen müffen. Die folgende Yusmahlung des Schau⸗
derns des Ih, — wohl ohnehin nicht, wie der Hr. Verf. ſagt:
„vor feinem reinen Selbſtbewußtſeyn,“ wäre damit befier weg-
geblieben, vollends die Zufpigung der Deklamation dazu, daß
„das Ih in dem reinen Bewußtſeyn feiner ſelbſt“ (was ganz
verfhieden vom Egoismus ift, den der Hr. Verf. daſelbſt
nennt), „alle Bande der Menſchheit, die Realität des höchſten
Weſens und fein Berhältniß zu.diefem, beinahe (!) für Nichts,
als fragenhafte Gebilde feiner Phantafie halte.” —
Dergleichen blinden Vorftellungen und falfhen Borfpiegelungen
folte am wenigften eine philofophifhe Darftellung durd eigene
Verwechslung des reinen Selbſtbewußtſehns mit dem, was Egois⸗
mus heißt, Vorſchub thun.
Intereſſanter iſt, daß der Hr. Verf. im folgenden 8. das
Princip ſelbſt vornimmt; was er zunächſt an demſelben aufzeigt,
beweiſt die Fähigkeit des Auffaſſens abſtrakter Sätze, das aber
zu bald in gewöhnliche Manier unphiloſophiſcher Reflexion zus
rückfällt. — Yus dem Sage 8. 64., „daß Ich ſich nur ergreifen
könne, indem es fih als Gegenfag eines Nicht Ich betrachtet, _
und fih mit dem Nicht-Ich zugleich fest, wird abgeleitet,
daß Ih nie (—die Zeitbeſtimmung iſt hier — dazu kom⸗
——— Schriften. * —
242 IV. Kritiken.
men könne, fich felbft, abgefondert und allein zu fegen.“
Allein es darf der erſte Sag Fichte's: „Ich —Ich, oder Id
bin Ich,” der Ausdrud des reinen Selbſtbewußtſeyns, ein Sat,
der ein paar Zeilen nachher felbft angeführt wird, nicht vergefjen
werden. Bielmehr wäre die fihtefhe Intonfequenz bemerklich
zu maden gewefen, auf diefen unbedingten Sat nod zwei
- Säte folgen zu laffen, deren jeder gleichfalls ein unbedingtes
Moment enthält, darunter den vom Hrn. Verf. bier allein ans
geführten, „daß Ih fi mit dem Nicht-Ich zugleid fege.“
Weber jenen Sag: „Ih fest ſich,“ ſagt der Hr. Verf. her—
nach, „alfo weiß es, daß es Ih ift;“ das heiße: „es wife von
fi Nichts; ob es nicht eine todte, ganz unfruchtbare Erkennt⸗
nif ſey, wenn Ich von ſich nur wife, daß es eriftire.”
Hätte der Hr. Verf darauf reflektirt, daß diefes abftrafte Wif-
fen des Ih von fi, diefe ganz abſtrakte Eriftenz des Wiſſens,
in der Ich ſich fegen könne, die Grundlage von der Perfönlich-
feit und Freiheit und von Wllem, was damit zufammen hängt,
wie von der Unfterblichteit der Seele ausmacht, fo hätte diefer
Sat für ihn wohl nicht den Schein von Todtem und Unfrucht—
barem behalten, Abſtrakt ift diefer Sag und diefes Wiſſen
freilich; deswegen muß von ihm aus weiter gegangen werden,
was denn auch Fichte in feinem zweiten und dritten Grundfage
thut, worin er zum Richt-Ich und zu der Beziehung des Ich
darauf übergeht. Damit kommt allerdings der Widerſpruch
zwifchen dem Ich und ihm als ſich beziehend auf ein Richt = Ich
(— ein großes, gewaltiges, prächtiges Nicht-Ich! heift
es ©. 83) herein. Diefer Jdealismus aber ift es felbft zu al-
Vererft, der den Widerſpruch, welcher in diefer Beziehung liegt,
anerkennt, ihn zu vielen weiten Widerfprücen entwidelt und
fie löft, aus weldhen Löfungen felbft andere Widerfprüdhe ent»
fiehen, die einer neuen Löfung bedürfen. _ Nach jener Inkonſe—
quenz von drei Grundfägen mit drei unbedingten Beſtimmungen
ift diefe Entwidlung und die Art die Widerſprüche zu löfen
z
9. Der Fdealrealiemus. 243
das, was das wefentliche Interefie diefes Syſtems ausmacht;
das BVerdienft des Verſuchs, die Welt der Gedankenbeftims
mungen in nothbwendigem jortfchreiten abzuleiten, hat der
Hr. Verf. nicht bemerklich gemacht, überhaupt von diefer Ents
widlungsweife und der Methode der Deduktion ganz abgefehen,
wie auch fein eigenes Verfahren nicht zeigt, daß er folden Ge—
danken gefaft, und diefer eine Wirkung auf daffelbe gehabt hätte.
Schüchtern zeigt fi der Ausdrud dialeftifh; „wenn,“ heißt
es ©. 83, „man ein wenig dialettifch verfahren wollte, fo
könnte man alfo ſchließen u. ſ. f.“ Die Dialettit ift aber
nicht das Schliefen einer Konfequenzenmaderei aus Voraus—
fegungen und beliebig herbeigenommenen Beftimmungen, wie das
„wenige Dialektiſche,“ das ums bier gezeigt wird; „das Ich
foll eine Sesung ſeyn; die Setzung ift aber eine blof gei—
flige Tätigkeit, ein Gedanke;“ fagt man aber nicht im
Sinne des Idealismus oder überhaupt eines notwendigen Den-
tens, daß durch den jesigen Augenblid der nächftfolgende, durch
diefen Raum der nächſte begrenzende, durch die Urſache die Wir-
tung (die der Hr. Verf. aud in die Region der Sinnlichkeit
verlegt) u. f. f. gefest werde,” und diefe Verhältniffe find
doch wohl nicht einfeitig geiſtige Thätigkeiten? — „alſo,“
wird fortgefahren, „ift das Ich ein Gedanke, folglid nicht
teal. Oder foll. etwa das Denken das Reale ſehn?“ —.
Diefe unbeftimmte Frage fchlieft unbeantwortet, wohl weil: fi
die Antwort von felbft verfiche, und damit das Sich=fegen des
Ich für fih evident ad absurdum geführt fey? — Obgleich
der Hr. Berf. bier ſich in die populäre Vorfiellung, das Dens
‚ten fen ja das Ideelle und nicht ein reales Ding, als weldhes
mit Händen zu greifen fey, hat hineingehen laffen, fo hätte er
ſich wenigftens daran erinnern müſſen, daf er hier bei dem Idea⸗
lismus ift, für welchen allerdings das Denten das Reale und
das Allein-Reale ift, wogegen bloß die Frage zu machen: ob
etwa das Denken das Reale ſeyn foll? nichts weniger als dia—
16 *
244 IV. Kritiken.
lektiſch iſt. So ein leerer, unbeſtimmter Ausdruck, wie hier das
Reale hereinkommt, thut ohnehin zum Begriffe nichts. Aber
das Betrachten eines Sages, Begriffs an ihm felbfi, was den
Hrn. Verf. in eine ganz andere Weife der Dialektik eingeleitet
haben würde, ift ihm hier allzufremd geblieben, wie in der Mienge
anderer Konfequenzen und Raifonnements, die in diefem Ab
fehnitt über das Ich durdeinander laufen. Nur noch in Bes
ziehung auf das fhon erwähnte „große, gewaltige, prächtige
Richt-Ich“ ein Beifpiel, wie fehr der Hr. Verf. im Stande
ſey, im Populären ſich zu verlieren und zu vergeffenz $. 67.
heißt es: „Es ift durchaus Fein Grund vorhanden, warum das
Ih fih nicht auf einem würdigen Standpunkt, mächtig
und gewaltig, als Theil des Nicht-Ich erblidt, (— dieß
follte dem Ich Würde geben, fid als ein Theil des Nicht—
Ic zu fehen;) fiatt daß es nun vielleicht! verachtet, kaum
als ein Punkt, der Bedeutung verdient, erſcheint.“ Um auch
eine Frage zu machen, deren Antwort ſich von felbft verftehen
foll, fo fragen wir: Liegt. nicht die Bedeutung, Würde und
Macht des Geifles gegen die ausgedehnte Welt gerade im der
Einfahheit des Denkens, in der es Punkt, aber freilich kein
räumlicher, noch zeitlicher, ift?
Das dritte Buch giebt vom reinen Realismus gleid-
falls im erften Abfhnitte die Darftellung, und im zweiten die
Kritik deffelben. Die Darftellung des Jdealismus, infofern er
als reiner, auf die Spitze der abſtrakten Subjektivität des Ich's
getriebener Idealismus mit Recht genommen wurde, bietet we—
gen der Beftimmtheit feines Princips. wohl weniger Schwierig-
keit dar, als die des Realismus, der fo vielfacher Auffaſſungs—
weifen fähig ift, indem er zugleih Metaphyſik ſeyn foll, wie
auch der Hr. Verf. denfelben als in ſich konfequentes Shftem, in
„Vereinigung der Erfahrung mit den Poftulaten des Denkens
in Bezug auf das Seyende“ ($. 71.) darzuftellen bemüht ift.
Es wird im Ganzen mit Recht das atomiftifche Syſtem zu
9, Der JIdealrealismus. 245
Grunde gelegt, Toll jedoch nicht ſowohl gefchichtlich, als in feiner
eigenen Konfequenz dargeftellt werden. So fdharffinnig vieles in
diefer Ausführung ift, fo laufen doch Annahmen und Raifonnes
ments unter, die ein denkender Realismus wohl nicht auf ſich
nehmen würde, 3. B. ($. 40.) es ſey: „matürlicdh, daß es
eine beffimmte Anzahl von Weſen giebt, wenn wir aud)
nicht wiffen, wie groß diefelbe ift,“ (— wohl eine, durd)
ihre Natürlichkeit nicht ſchon gerechtfertigte, auch fonft ganz mü—
Fige Annahme); oder, 8. 71., ift das Raifonnement nicht Klar,
daß „der erfüllte Raum ſchon cin fich felbft widerfprechender
Begriff ſeh;“ (— iſt diefe Annahme für den Realismus noth⸗
wendig? oder die folgende): „daß der leere Raum die höchſte
Potenz der Undentbarkeit fey; alfo könne zwiſchen den ein—
zelnen Wefen oder Elementen Nichts feyn“ (Nichts wäre
nur der leere Raum); der Hr. Verf. folgert dagegen, alfo „müſ—
fen die einzelnen Wefen einander berühren,“ heißt dief
aber nicht zu dem erften, dem „für in fich widerfpredhend“ er—
Härten Begriff zurückkehren? — Dod können wir diefer Aus—
einanderfehung nicht weiter folgen, die viel andere Schwähen
des Raifonnements in ſich enthält, übrigens die zerflörenden
Kehren des Realismus richtig aufzeigt, deren Konfequenz er nicht
ablehnen kann.
Der zweite Abfchnitt, $. 82—97., beginnt wohl die Kritik
des Realismus mit der intereffanten Bemerkung: „daß derfelbe
mit dem Idealismus, ohne es zu wiffen, ein und daffelbe
Princip habe, denn daß nad dem Realismus das Ich eine
eine äußere und innere Erfahrung habe, ſey nichts anderes als
was der Idealismus vom Ich fage, daß es ſich feiner und zus
gleich eines Nicht-Ich bewußt fey, die fich einander befchräns
ten; doch ift ſolche Erſcheinung oder fogenannte bloße That—
ſache des Bewußtfeyns noch Fein philoſophiſches Princip zu
nennen, — Alein Mehreres auszuzeichnen, wie anderes nad)
[3
246 IV. Kritiken.
den fihon angegebenen Mängeln des Naifonnements zu rügen,
verbietet uns der Raum.
Ueber das vierte Bud, (8. 98—143.), weldes den
Idealrealismus darftellen fol, wollen wir gleichfalls kürzer be—
merken, daf man mit dem zu Grunde liegenden Gehalte ganz
wohl einverftanden feyn kann. Nah der im Vorhergehenden
berichteten Einfiht des Hrn. Verfs. von der Einfeitigkeit des
reinen Jdealismus und des reinen Realismus, mufte fih ihm
die Erkenntnif der Wahrheit als der Einheit, nicht der ab»
flraften, die das Sinnlihe und Geiftige nur wegläft und nicht
über eine folche dürre Verftandesbeftimmung, wie Wefen, Iden—
tität und dergleichen, hinausgeht, ergeben, und $. 7—18, fpre=
ben diefe Idee ganz gut, beredt und mit Wärme aus, Es
wird vom „Bewußtſeyn feiner felbft, als einer Thatſache,
angefangen, die jeder zugebe und die daher nicht bewiefen wer—
den dürfe,” (das heißt wohl, daf fie feines Beweifes bedürfe,
— gewiß, aber um die Thatſache, nur als folde, iſt es nicht
zu thun), — welches Bewußtfepn feiner felbft „aus der Wer
bindung von Geiftigem und Sinnlihem hervorgehe“ (— vier
fer Ausdrud möchte einem Tadel unterliegen), „ſich auf beides
beziehe, und fi als Gefühl, oder als Denken, oder als klares
Schauen zeige. Auch diefe Unterfchiede find zweckmäßig aus-
einander gefegt; „klares Schauen” nämlih nennt der Hr.
Verf. „das Zurüdtchren des Bewuftfeyns in ſich,“ in welchem
daffelbe „ſich als die unmittelbare Identität des Wiſſens und
Seyns, folglich als das Reale, das ſich felbft und in fih alles
Andere ſchaut.“ Außerdem daß es „um ſich, ſchaue es
auch über fi, und ſchaue fo den Urgrund als das Ab—
folute u. f. f., das Von⸗ſich-ſeyende, als die urfprünglichfte
Einheit, welche alle ſcheinbare Vielheit aus ſich entſtehen laffe,
und in der alle Vielheit ſich wieder in eine Einheit verwandle,
folglich als das Einfache.“ Sehr gut giebt der Hr. Verf.
an, daß das „Bewuftfeyn das Abfolute nicht nur in feiner
9, Der Idealrealismus. 247
Fülle, als die Identität des Seyns und der Entwidlung ans
fchaue, fondern auch als ruhend und abgefchloffen von dem thä—
tigen, aus ſich beraustretenden, das Abfolute für fid von ihm
in feinem Andersfeyn, für die Betrachtung trennen könne;
wovon das Legtere, der Inbegriff aller relativen Individualitä-
ten, für das menfchliche Bewußtſeyn die Welt fen.”
Dem Hrn. Verf. muf aljo zugeflanden werden, dag er ſich
im Mittelpuntte des Bewußtſeyns der fpekulativen Jdee befins
Det; wenn der Yusdrud des Schauens für foldes Bewußt—
ſeyn an ſich gleichgültig ift, fo iſt derfelbe doch charakteriſtiſch
für die Expofitionsweife, die ſich in diefem vierten Buch für die
Idee vorfindet. Abgefehen davon, daß hie und da mehr philo-
fophifche Präcifion, z. B. in Beſtimmung des Verftandes, auch
der Idee felbft, alsdann das Weglaffen von einigen bloßen Des
klamationen gegen denfelben und von Rüdfichten auf empirifche
pſychologiſche Zuftände gewünfcht werden könnte, muß jeder Les
fer wefentlih den Beweis vermiffen, daß die Idee, wie fie als
jene Einheit beftimmt worden, in der That abfolut, das Wahre
iſt. Die Aufforderung des Bewuftfeyns zu dem Schauen def-
fen, was das Abfolute genannt und von dem in den angeführ-
ten Beſtimmungen gefprochen wird, und, die Verficherung, daß
ſolches Schauen die Wahrheit befige und fie felbft fey, reicht für
die Meberzeugung des Gedantens nicht aus, Die Religionen
enthalten im Allgemeinen diefes Schauen, in Schwärmercien ift
es ausdrüdlicher herausgehoben, aud) in allen wahrhaften Phi⸗
loſophien ausgeſprochen; aber Theils iſt daſſelbe darin mit man⸗
cherlei Heterogenem und Falſchem vermiſcht; Theils, wenn es
rein und in ſeiner wahrhaften Tiefe im Bewußtſeyn iſt, iſt das
Eigenthümliche der Wiſſenſchaft, ſolches Schauen nicht bloß aſſer⸗
toriſch auszuſprechen, ſondern die Wahrheit feiner Beſtimmung
zur begreifenden Ueberzeugung, zur Einſicht in die Nothwendig—
keit, daß das Abſolute ſo und nicht anders beſtimmt werden
müſſe und ſich ſelbſt fo beſtimme, zu bringen. Für ſolche Ein—
—
238 IV, Kritiken.
Schluffage, daß „ein Anderes (und ein Anderes ift doch wohl
auch Etwas), alfo das Etwas ein Neues aus ſich hervorge—
ben laffe, oder daß Etwas vielmehr gar einen Theil (wie
tommt hieher die Kategorie eines Theils?) von ſich abfondere,
und dann glei, daf mir die Form oder Befhaffenheit
eine andere werde. — Mie dergleichen Kategorien, fo ift unter
Anderem dann gar der, allen foldhen Annahmen widerfpredhende,
Sat; "jenes Pantheismus: Aus Nichts wird Nichts, geradezu
als feftfichend angenommen. ©. 211 fommt der Hr. Verf.
auf den Pantheismus und die Unterfhiedenheit des Ideal⸗
realismus von demſelben zu reden; er macht es ſich daſelbſt
leicht mit dem Pantheismus, indem er geradezu annimmt, „je⸗
des Individuum babe ein felbfiftändiges Daſeyn;“ dann aber
hätte er früher nicht einen Sat müffen gelten laffen, der die
eleatifche Einheit, die abfirafte, die unveränderlice Identität
ausſpricht. — Gleich darauf, $. 21., wird der Sat der Kau—
falität dem finnlihen Anſchauen zugefchrieben, wie fo eben dem
Denten der Begriff der Veränderung abgefprodhen worden u. f. f.
Dod zu ähnlichen Zweifeln und Ausſtellungen tönnte die
ganze Ausführnng des erften Buchs über die Zweifel und Wi—
derfprüche, welche den menſchlichen Geift zur Philofophie treiben
follen, Veranlaffung geben; bei einer fo untritifhen Einführung.
von Kategorien und Sägen, wie fie bier Statt hat, fieht man
näher, wie fehr es zu bedauern ift, daß das Studium der Fans
tifhen Kritik, eigentlich aus einer Art von Vornehmigkeit, ges
ringfhägig geworden; die nächfle Frucht ſolchen Studiums ift
wenigftens ein gebildeteres Werfahren des Dentens felbft im
bloßen Raifonnement über abftratte Gegenftände, und ohne folde
zuvor erworbene Bildung follte nicht an weiteres Philoſophiren,
noch weniger an fpekulatives gegangen werden.
Das. Ende des erften Buchs giebt als die drei möglichen
Wege der Löfung der Widerfprühe den Jdealismus, den
Realismus und den Jdealrealismus an; jene beiden
9. Der Idealrealismus. 239
werden in ihrer beftimmten Konfequenz aufgenommen, nad) wel-
her (8. 47.) der reine Nealift wie der reine Jdealift feinen wah⸗
ven Gegenfag zwiſchen Geiftigem und Sinnlidem anerten-
nen, indem jenem das Geiftige nicht verfdhieden dem Weſen
nad vom Sinnlichen ift, und für den zweiten es keine wahre,
eine andere Außenwelt giebt, als welche von dem Ich in ſich
felbft getragen wird. Mit Recht wird dann auch das Dritte,
was der Hr. Verf. den Jdealrealismus nennt, dahin bes
ſtimmt, daf es nicht ein Gemiſche aus den beiden Gliedern
des Bewußtſeyns neben einander feyn foll,
Das zweite Buch handelt nun vom reinen Idealis—
mus, und giebt im erften Abfchnitt (F. 50 — 62) eine Darſtel⸗
lung defelben nach der entichiedenften Geftalt, die er als fich—
te’fhes Syſtem hat. Diefe Darftellung ift in Anfehung der
Prineipien im Ganzen gründlich und ſcharf beflimmt zu nennen;
es ift als richtig anzuerkennen, daß der Gegenfag des Objekts
und die Theilung des Gegenftändlichen in das Ich und das Ob-
jeft als Thatſachen von diefem Spfteme aufgeführt und ange—
nommen werden. Jedoch enthält der Mebergang ($. 53.) zur nähern
Beftimmung des fichte'fchen dritten, des ſynthetiſchen, Grundfages,
ein Raifonnement, das weder als fiichte'ſch noch als fonft für ſich
bündig angefehen werden kann. „Das Ich würde nämlich,“ fagt
der Hr. Verf, „alles, was auf dem Gegenfage feiner und des
Nicht-Ich beruht, nit finden, wenn ein Nicht-Ich als
abfolutes Wefen eriftirte, denn dann würde das Ich eine
BVorftellung von fid haben können, ohne daf eine entgegen=
geſetzte fie begleitete; (— eine ſolche Borftellung des Ich von
fi, d. i. reines, abftraftes Selbftbewuftfeyn wird uns übrigens
nicht abgefprodhen); „weil alsdenn bereits ein Objekt für
feine Thätigkeit da wäre, von diefem (Objekte) auf ſich
reflektirt, hätte es nicht nöthig, in dem Erfaffen feiner felbft zu—
gleich das Niht- Ih, das Refultat eines Akts feiner Thätigkeit,
zu fegen.” Nach dem ($.51.) angeführten erften ſchlechthin uns
248 IV. Keitifen.
fiht, um deren willen allein wir das Bedürfniß der Philofophie
haben, ift es nicht genügend, die Einfeitigkeit der beiden frühern
Gefichtspunkte auf die Art gezeigt zu haben, auf welde es der
Hr. Verf. verſucht hat; es ift vielmehr erforderlich, jene entge=
gegengefegten, das (endliche) Geiftige und das Sinnliche —
(oder auf welche andere Weife der Gegenfas aufgefaßt werden
möge) an ihnen felbft zu betrachten und in ihnen zu erkennen,
daf fie, wie fie beftimmt gegeneinander feyn follen, vielmehr dief
find, in ihr Gegentheil fih aufzuheben, — fomit die Identität
eines jeden mit feinem Andern aus ihnen felbft ſich ableitend zu
wiffen, — was die wahrhafte Dialektit und allein die von der
Dhilofophie zu leiftende Beweisführung iſt. Diefe Richtung aber
ift dem Hrn. Verf. in feiner Exrpofition des fogenamnten Abfo-
Iuten nod) zu fremde geblieben, um mehr als Affertionen zu ges
ben, die nicht allein dunkel und voller Unbefiimmtheiten bleiben,
fondern ftatt zu beruhigen, die höchſten Widerfprüde darbieten,
So bemerten wir noch, daß, was von 8. 120, an, über „die
Entwidlung des Abfoluten, wie fie geſchehe,“ gefagt wird,
vornehmlih an dem Grundmangel leidet, aus direften Annahs
men und blofen Raifonnements zufammengefegt zu fehn, und
feine Ableitung des Inhalts, die aus dem Schauen des Abſo—
luten gefchehen müßte, gegeben zu haben; felbft von dem Gedan⸗
ten der Wefentlichkeit foldher Ableitung findet ſich nirgend eine
Aeußerung, obgleich der fichtefhe Idealismus, den der Hr. Verf.
kennt, wie oben bemerkt, für immer die Wirkung auf das Phi-
lofophiren haben follte, das immanente Aufzeigen der Nothwens
digkeit unerläßlic zu machen Der Hr. Verf., der bereits fo
tief eingedrungen, und Intereffe und Gewohnheit abftratten Ge—
dankens befigt, möge auch dieß Erfordernif der Form für das
Philofophiren durch weiteres Nachdenken und Studium für feine
Arbeiten noch gewinnen!
*
10. Kecenſion. „Ueber die Grundlage, Gliederung
und ZTeitenfolge der Weltgeſchichte. Drei Vor—
träge, gehalten an der Ludiw. Ma2, Uniberfität
zu München, van J. Görres. Breslau 1830.
Gahrbücher f. wiſſenſchaftliche Kritik, 1831. IL, Mr. 55—58,)
| N. Görres zeigt fich in diefer Schrift dem Publitum in einer
neuen Stellung, als Univerfitäts= Lehrer, der einen didaktiſchen
Bortrag über einen wiſſenſchaftlichen Gegenſtand vorhat und hier
in drei Vorleſungen die Einleitung dazu auch dem Publikum
mittheilt. Früher ausgezeichnet durch die Befchäftigung mit den
beiden Ertremen, mit alter aflatifher, nordiſcher u. f. f. My—
thologie und Dichtkunſt und dem gegenwärtigen politifchen Ins
tereffe und der Handlung der Tagesgefchichte, dort graue Geftalten
oder kahle Namen und trodene Züge mit tiefen Ahnungen, mehr
mit einer Phantafie des Gedanfens, als mit Gedanken felbft,
und mit fühnen Kombinationen, belebend, erweiternd, erfüllend,
bier unmittelbar in die Situation des Augenblicks eingreifend
und das Gemüth des Volks mit leidenfchaftsvoller Beredfamteit
zum Enthufiasmus der That entflammend, Jene dunteln An—
fünge durd die lange Kette der Weltgefehichte mit der jegigen
Gegenwart zu verknüpfen, macht ſich nun der Hr, Berf. zur
Yufgabe. Schon der Gegenftand, der die offen liegende Gefchichte
iſt, wie der. leidenfchaftslofe Zweck, wiſſenſchaftliche Einficht und
Belehrung zu bewirken, muß viel von der Behandlungsweife,
250 IV. Kritiken.
durch welche jene Arbeiten einen Theil ihrer Eelebrität erhalten
haben, entfernen. Wenn dort Phantafle, Fühne Kombinationen,
Hige, Beredfamkeit, zu oft auch mit Phantafterei, leerem Spiele
von Analogieen und mit bloßen Einfällen, blinder LAldenfhaft-
lichkeit und Bombaft verbunden waren, fo muß dergleichen hier
in dem Lehrvortrage eines wiſſenſchaftlichen Ganzen gegen Ge—
danken, hiſtoriſche Begründung und Kälte des Verſtandes zurück—
treten; doch in einer Einleitung, die uns der Hr. Verf. einſtwei⸗
len im die Hände gegeben, wird ein Ingredienz von blühender
Phantafie, von Bildern, Wärme und Beredfamkeit nicht an un—
rechter Stelle gefunden werden.
Für den Zweck einer kritiſchen Anzeige ſollte der reinere,
d. i. abſtraktere Inhalt herausgehoben werden, aber es zeigt ſich
beinahe unthunlich, ihn von der lebhaften, warmen Bilderfprache,
in die er nicht fowohl eingehüllt, als an die er vielmehr ganz
gebunden ift, zu befreien; es könnte felbft leid thun, den Schmud
des Vortrags ganz bei Seite zu feßen; es ift jedoch nicht zu
läugnen, daß dieß durd alle Perioden der drei Vorlefungen forte
quellende rednerifche Tönen, der Wirkung durch die Ermüdung
Abbruch thut, umd felbft im Lefen zu häufig mehr die Ohren
als den Geift erfüllt. — In der erftien Vorleſung giebt der
Hr. Verf. ©. 6 den Inhalt diefer und der zwei. folgenden dahin
an, daß er ſich darüber zu erklären habe:
erftens, welches herrſchende Grundprincip er der Gefchichte
unterlege, und in welcher Weife er von dem Entgegengefegten
ſich losfage;
zweitens, in welder — dieß herrſchende Grund—
princip mit den andern abgeleiteten und untergeordneten Prinz
cipien ſich verkette, und wie eben daraus auch die gegenfeitige
Unterordnung und Bedeutung der verſchiedenen Normen: fih ab—
leite, die als Leitfterne wie den Gang der Geſchichte felbft in der
That, fo aud Die Wiſſenſchaft in der Anſchauung lenken
und regieren; endlich
410, Necenfion, 3. Goͤrres, üb. d, Grundlage ıc. d. Weltgefchichte. 251
drittens, wie aus dieſer innern Werkettung ſich die in-
nere organifche Gliederung der Geſchichte ſelbſt entwidle, und
wie fie in diefer Gliederung” in große natürliche Perioden zer—
falle, die 'mit ihren wohlgeordneten, durcheinander gefchlungenen
Kreifen die ganze Fülle der Ereigniffe umfihreiben.
Die Natur einer Einleitung bringt es zwar mit fi,
daß der Inhalt nur im Allgemeinen vor die Vorftellung gebracht
werden foll, und es darin noch nicht um das Begründen und
BDeweifen zu thun feyn kann; aber daf es überhaupt nicht um
ein ſolches für die Wiffenfchaft, wie fie in diefem Wortrage der
Weltgeſchichte verftanden wird, zu thun feyn foll, würde man
ſchon daraus abnehmen müffen, daß die Anſchauung als das
angegeben wird, was der Wiffenfchaft zum Unterfchiede von der
That der Gefchichte eigenthümlich fey. Nirgends ift in diefen
Borlefungen das Bedürfnif ausgedrüdt, daf von dem, was der
Hr. Berf. für die Wahrheit ausgiebt, auch bewiefen werde,
daß es Wahrheit ſey, fowohl was die äußerlich = Po als
was die höhere fubftantielle betrifft.
Es ſcheint dem Hrn. Verf. völlig unbefannt, für ihn über:
haupt nicht vorhanden zu ſeyn, daß die Einfiht in die Nothe
wendigkeit allein durch das Denken und Begreifen bewirkt, wie
die Beglaubigung des Geſchichtlichen nur auf hiſtoriſche Zeugs
niffe und deren kritiſche Würdigung gegründet werden kann, und
daß ſolche Erkenntniß allein Wiffenfhaftlihkeit genannt wird,
Selbft das Wort Gedanke erinnert fih Ref. in der ganzen
Schrift nicht gefehen zu haben, das Wort Begriff fommt
©. 55 vor; aber nur von „beſchränkten Begriffen“ iſt da—
felbft die Rede und unter der gewöhnlichen, abgedrofchenen Um⸗
gebung von „engherziger Weiſe,“ „künſtlichem Syſteme,“ „hin—
. einzwängen der Mannichfaltigkeit in dieſelbe,“ u. ſ. f. Es wird
fih an dem, was wir von der Abhandlung herauszuheben haben,
ergeben, wie in der Unfhauung, die der Hr. Verf, für feine
Erkenntnißweife nimmt, die Abſtraktionen und Kategorien einer
252 IV. Kritiken.
gewöhnlichen Verftandesbildung durchlaufen, ingleihen wie diefe
Anſchauung verfährt, um ſich das geſchichtliche Material zu vers
ſchaffen. R
Die erſte Vorleſung beginnt die Darlegung der Wahrheit,
die der Weltgeſchichte zu Grunde liege, mit dem Gegenſatze der—
felben gegen die Irrlehren; diefer wird durch die Parallelifirung
mit der „zweifahen Anſchauung“ eingeführt, die „in dem
Naturgebiete“ gefunden werde — die eine, die den finnliden
Schein zu Grunde lege, nad welchem die Erde die eigentliche
Mitte des ganzen MWeltgebietes fey, die von der Tiefe aus
über die Höhe gebiete, — die andere entgegengefeste, welche die
Sonne in die Mitte fielle, und nad Erfindung der keppler'ſchen
Gefege und des Grundgefeges der Schwere alle Ungleichheiten
an diefe Drdnung der Mitte leicht antnüpfe. — Der Hr.. Verf.
nimmt keinen Anſtand, die belichte Kabel zu wiederholen, daf
die legtere Weltanſchauung durch das frühefte Alterthum hindurch—
gegangen fen, und fid als ein zweifelhafter Schimmer, eine ver=
blihene Weberlieferung, in einigen Priefterfhulen auf
bewahrt habe; auch verfchmäht er es nicht, für diefe Vorftellung
die populäre Reflerion über das „Unzuläffige der unges
heuern Geſchwindigkeit,“ welche die tägliche Bewegung des
Sternenhimmels vorausfegte, anzuführen. — Diefen MWeltan-
fhauungen werden zwei Grundanfhauungen der Ge fhidhte
gegenüber geftellt; die eine, welde das Natürliche für das
Herrſchende erfenne, — eine „durd das gefammte Alterthum“
(gleichfalls!) „durchgreifende Anfiht, die mit allen Sinnen
fid) an den Naturfchein heftend, die Erde und in ihr das Natur
princip als das Gebietende im geiftigen Reiche geehrt, und
das Göttlibe in unterwürfiger Dienfibarkeit an die
Allperrfcherin geknüpft; in diefer Anficht feyen es nur Ratur—
mäcdte, die in Wahrheit die Gefhichte wirken, und Men—
{hen und Götter, obgleich diefe dem Himmel angehören und auf,
dem Gipfel des Olympus ihren Sig gewählt, feyen doch in
40. Reruiien. 3. Secres üb. d. Gemblage sc. d. Wehgefihichte. 253
innerer Wurzel glei erdenhaft und an die Natur verfallen
und von ihrer Nothwendigteit unbedingt und blind bes
herrſcht“ — Es hat wohl Kircdenväter gegeben, welche die grie-
chiſchen Götter, auf welde der Hr. Berf. hier näher anfpielt,
für Dämonen, teuflifche Yusgeburten erklärt haben; aber wenn
es wohl au dem if, daß „der Berg Olympus feine Wurzeln in
die Tiefe der Erde ſchlage, und die Heimath diefer Götter mit
der Heimath der andern Erdgebornen verbinde,“ fo iſt es zu
viel, wenn aus diefer Aufhanung entnommen wird, daf das
Naturprincip fo einfeitig, wie der Hr. Berf. annimmt, ohne
Geiſtigkeit und geiflige Freiheit das Wefen des griechiſchen Be⸗
wußtfeuns des Gottlichen ausmache; über diefen Göttern ſchwebt
allerdings das Berhängnif, als eine geiftlofe Nothwendigkeit; die
griechiſche Religion iſt nicht zum Letzten gedrungen, zur unend⸗
lichen, tontreten Berföhnung des ewigen Geifles im endlichen
mit ſich felbft; aber fhon jenes Schidfal ift nicht daſſelbe was
Raturnothwendigteit, die nur auf die Ratur geſtellt ift; fie iſt ein
Abſtraktum anderer Art, als das Raturprincip; das Negative,
und nur erfi Negative, gegen die Endlichkeit, Zufälligkeit, m
welcher dem Menſchen das Bewußtſeyn der geifligen ‘Freiheit
verlichen war. Aber diefe Freiheit macht fogar ausdrüdlid ges
gen das bloß Natürliche, die Titanen der Zeit, (Chronos), der
Erde (Gäa), des Himmels (Uranos) u. f. f., das Princip
der griechiſchen Götter aus, und jene höher als fie gefegte Noth⸗
wendigkeit ift die Anerkennung der Beſchränktheit, in welder
das Princip der Geiftigkeit und Freiheit nur erſt manifeftirt iſt.
Dian vermift daher in des Verfs. Auffaffendie Grundanſchauung
des griehifchen Geiſtes und feiner Götterwelt; Hr. Görres tft
nur in das Produkt der Reflerion über file, in das Negative
derfelben, nämlich die Nothivendigkeit, gerathen, und bat ferner
dieß Abſtraktum unrichtig als Raturprincip aufgefaßt. Solcher
Mangel findet jedoch nicht bloß in Anſehung des ausgehobenen
griechiſchen Lebens flatt; der abſtrakte Werflandesgegenfag von
254 h IV, Kritiken.
bloßer Naturmadıt, an welde Götter und Menſchen verfallen
ſeyen, die objektive Geſchichte felbft wie die fubjektive Anſicht
derfelben, — und von dem Gott der fogleich anzuführenden an—
dern Anſchauung der Geſchichte, ift zu oberflächlich für die kon—
trete Wirklichkeit der Gefbichte und die Vernunft Erkenntnif;
wir werden weiterhin fehen, daß Hrn. Görres geſchichtliche Ans
ſchauung wefentlih dem fernen, zwar tiefen, aber gleichfalls
noch abitrakten BVerfiandesgegenfage von Gut und Böſe ver—
fallen bleibt, |
Die andere Anſchauung der Gefchichte wird als diejenige
charakteriſirt, welde allein der fchöpferifhen Gottestraft die
Würde und Bedeutung zugefteht, das Erſte und Herrfchende zu
ſeyn; dieſe Kraft handelt ihres Thuns ſich bewußt, felber frei,
jede ethifche Freiheit achtend; fie lenkt als ewige Vorfehung
den Lauf der Begebenheiten, die willigen Freiheitskräſte leitend,
die wiederftrebenden ziehend, und. nur die gefnechtete Natur im
Zügel der Nothwendigkeit haltend und fie an unbeugfame Ge—
fege bindend. „Unfere Geſchichte,“ fagt der Verf., „bekennt ſich
ohne allen Zweifel zu diefer Lehre,” und gewiß jede philoſophi—
ſche Weltgeſchichte, wie überhaupt die chriſtlich-religiöſe Anſicht
der gegenwärtigen und vergangenen Wellbegebenheiten. Dieß
Princip wäre für ſich in ſeiner Allgemeinheit weder etwas Neues
noch Eigenthümliches; bei dieſer Allgemeinheit deſſelben bleibt
der religiöſe Glaube ſtehen; aber eine Darftellung der Weltge—
ſchichte hat daffelbe in feiner Entwidlung beſtimmt aufzuzeigen,
d. i. den Plan der Borfehung zum Verfländnifi zu bringen;
wie diefen Plan die dritte Vorlefung, die denfelben zum Gegen-
ſtande hat, auffaßt, haben wir nachher zu fehen. Zunächſt giebt
der Hr. Verf. von diefem Principe felbft das Geſchichtliche an,
daf wie die zuerfi genannte Anſchauung der Gefhichte bis nahe
an den Urfprung der Dinge hinüberreihe, fo diefe andere da—
gegen aus einem böhern und beffern Zuftande eines nähern
und vertrautern WBerhältniffes mit der Gottheit hervorgegangen
410, Recenfion. 3. Görres, üb, d, Grundlage ıc. d. Weltgeſchichte. 255
fen, fi durch priefterliche Meberlieferung fortgepflanzt, von Seit
zu Zeit in gottbegeifterten Propheten ſich erneut habe u. f. f.;
Diefe Lehre fey „im Heiligthume des erwählten Volkes zuerft ver-
kündet worden;“ im der That finden wir geſchichtlich bei dem
jüdifhen Volke, freilich noch im fehr unbeftimmter Weife, die
Lehre von der göttlihen Weltregierung und Vorfehung. Aber
das Fabelhafte jener Vorſtellung ſpricht ſich unummunden in
dem Folgenden aus, nämlich: „daß die äußerſten Strahlen die—
fer. Lehre im Heidenthum mit uralten verblaften Erinnerun-
gen vereint unter der Hülle der Myſterien ihr Werk voll
bracht und dann in jenem andern Göttergeſchlechte, das ſich als
eine Geburt des Lichts bekannt und erfannt habe, Etwas,
das wenigftens ſy mboliſch die Wahrheit andeuten, mochte,
hervorgerufen hoben.” Es tonnte nicht anders erwartet werden,
als daf Hr. Görres auch in diefen Vorträgen eine Vorſtellung
zum Ausgangspunfte machen würde, die er mit Friedrich von
Schlegel und andern katholiſchen Schriftftellern, befonders mit
modernen franzöfifhen, außer dem Abbe Lamennais, Baron
Edftein, auch mit Gelehrten, die mit der Kongregation zufam-
menbingen, theilt. Im Intereffe der Fatholifhen Religion, um
ihre auch der Eriftenz nad Allgemeinheit und Urfprünglichteit
zu windiciren, wird die in den Menſchen als Geiſt, als Ebenbild
Gottes, allerdings urfprünglich gelegte Vernunft fo als ein vor⸗
bandener Zuftand vorgefiellt, daß in demfelben vor der An—
ſchauung des Menſchen, der eben fo ethifch volltommen gewe-
fen, auch die Natur in allen ihren Tiefen und Gefegen klar und
offen da gelegen habe; dieſe Fülle von Ertenntnif, unter ans
dern auch die Erkenntnif der erwähnten keppler'ſchen Geſetze, feh
er durch die Schuld der Sünde verdammt worden, nun durch
die mühfelige Arbeit von Jahrtaufenden wieder herzuftellen, und
babe foldyes zugleih nur vermocht, nachdem durd das Opfer
des zweiten Menſchen die Erlöfung vom Böfen vollbradht wors
den; — wobei man unter Anderem nicht einficht, warum nicht
4
36 IV. Seitifen.
mit dem Chriftenthum dem Menſchen unmittelbar auch jene Fülle _
der Erkenntnif und der Wiſſenſchaften zurüdgeftellt worden iſt.
— Alles, was ſich von richtiger, höherer Bottes= fo wie von’
Naturerkenntnig unter den Völkern finde, ſeyen Trümmer, die das
Menſchengeſchlecht aus dem Schiffbrud, den es dur das in
die Geifterwelt eingedrungene Vöſe erlitten, mannichfaltig, durch
mannichfaltige Schickſale modifleirt, gerettet habe. Was den
geſchichtlichen Nachweis von Spuren wiffenfhaftliher Kennts
nif der Natur in den indiſchen, chineſiſchen u. f. f. Traditionen
betrifft, die man früher dafür angeführt hat, fo hat ſolche Be—
geündung jener Behauptung aufgegeben werden müflen, nachdem
die unbeftimmten Erzählungen der Leihtgläubigkeit und Ruhm—
redigkeit durch die erlangte Einfiht in die Originalwerke diefer
Nationen verdrängt worden find, und die hohe Meinung von
ihren wiffenfchaftlichen Kenntniffen fih als ungefhichtlih und
unwahr erwiefen bat. Auf der andern Seite, nämlich in Ans
fehung der Erfenntnif Gottes, hat vornehmlich die lamaifche und
buddhiftifhe Religion, da fie das Ausgezeichnete der ausdrüdli=
hen Borfiellung eines Gottmenſchen haben, das Jntereffe gelehr—
ter Anterfuchung bereits erworbener Schäge und des Aufſuchens
dermalen noch unzugänglider Quellen, durch veranftaltete Reis
fen, von neuem belebt, wodurd bereits die intereſſanteſten Auf—
ſchlüſſe über religiöfe Vorftellungen und Philofopheme des hin—
tern Drients — 3. B. aud) über das Princip der Dreiheit in
dem Abfoluten, gewonnen worden, und damit nocd weitere
verfprocdhen find; aber damit hat es nod weithin zu dem ge=
ſchichtli chen Zufammenhang, auf den die Behauptung ging;
noch kahler ficht es mit dem apriorifhen Zufammenhange aus,
der aus oberflächlichen Nehnlichkeiten gefhöpft wird. — Gegen
den, die abfirafte Grundlage von Hrn. Görres Weltanfhauung
ausfprechenden Sat, daf (S.16) in den Geiftern wie in Allem,
was höher und tiefer fi) rege und bewege, Gott als aller Be—
wegung Anfang, Mitte und Ende gelten müffe, — dagegen ift wie
10. Mecenfion. 3. Goͤrres, üb, d, Grundlage ıc. d, MWeltgefihichte. 957
fon bemerkt, nichts einzuwenden; — auch Fönnte man ſich die
- Manier der Befchreibung ‚, welche ebendafelbft vom Anfang ges
macht wird, gefallen laffen, daß nämlich „Gottes Wort aus dem
Innerften feiner Wefenheit geſprochen, ins Nichtſeyn ein fid
felbft tragender Hall ausgetönt, und im Halle fih in die Gei—
ſterwelt zugleich mit der erften Materie ausgefchaffen hat,
und daf das Wort in den Geiftern fih aus der Materie fels
ber die Schrift geftaltet und gefest, im die ee, die Seele in
den Leib, eingekehrt, und die alfo gefegte lebendige Schrift in’s
Buch der Natur ſich eingefchricben hatz“ — ferner nod, was den
Fortgang betrifft, daß „der Anfang, gegeben durd Gottes
Allmacht, dem alles Gute in der Gefhichte, alles Böfe aber
ihr felber zugerechnet werden müffe, im Lichte und in eins
heit flche, die Mitte von feiner Liebe getragen, in Der Ent—
jweiung und im Kampfe; das Ende aber in der Schiednif
durch die Gerechtigkeit wieder zur Verklärung gelange.“ —
Allein, wenn num jener Anfang nicht im Sinne bloß des gött-
lichen Anſichſeyns, fondern eines gefhihtlihen Zuſtan—
des genommen, wenn foldye Meinung für die „uralte, biftorifche,
priefterlihe Grundanſchauung“ (S. 17) ansgegeben wird, fo
harakterifirt fi darin die dur das Ganze durdgehende Eis
genthümlichkeit des Hrn. Verfs., die Affertion von feinem Anz
{hauen cben fo fehr über die hiftorifche Autorität für das Ma-
terial, als über den Begriff, der denkend die göttliche Nothwens
digkeit in der Gefchichte erkennt, zu ftellen.
Nirgend findet ſich im diefen Vorlefungen die Erwähnung
der Aufgabe, dem Gange der göttlichen Vorſehung, indem der=
felbe in der Betrachtung der Weltgeſchichte zu Grunde gelegt
wird, mit denkender Vernunft zu folgen. Hr. Görres zeigt ſich
mit keiner andern Berfahrungsweife aufer der Partitularität
feines Anfhauens und aufer der endlichen Verſtandesanſicht
befannt. Die leptere ift es, die er in der einfeitigen abftrakten
Geftalt, in der er fie auffaft, noch in der erften Vorlefung, dem .
Bermifchte Schriften, * 47
958 IV. Kritifen.
Gehalte nad) mit richtiger Würdigung, aber nicht ohne fragen
hafte Bildnerei fhildert; „jener eisgraue Alte, der Dämogor-
gon der griechifchen (?) Sage, der gefhäftig arbeitend im
Mittelpuntte der Erde fige, — das Chriſtenthum babe ihn zur
Ruhe gewiefen, — er aber rege fi) aufs Neue im tiefen Na—
turgrunde aller Dinge, aud des Menſchen, ſuche aufs Neue die
höhern Freiheitsträfte als Fürſt der Welt durch alle telfurifchen
Kräfte zu beberefhen,; da habe der Zwergkönig Wlberich der
Heldenfage feine Puren, Gnomen und Kobolde durch alle
Adern der Erde ausgefendet, daß fie als Fundige Schmiede das
Metall ausfchmieden, daß des Goldes Glanz und Silbers Schein
das Licht der Sonne überftrahle u. f. f. — die Salamander
feyen efendet u, ſ. f.“ — Der Fluch nun folden Treibens, -
die B mniß diefer Zeit, in der die gefellihaftlihe Verbin—
dung, ausgehend von dem Grunde eines thörichten Selbfibes
lügens, fih zu einem frehen gegenfeitigen Belügen
ausgeftaltet,” — foll von der Jugend abgewendet werden, —
vorher hatte er diefe Richtung auch die „Rückkehr des alten
Heidenthums“ genannt, „in einer Zeit, die nad der Weltorbd-
nung ganz dem Chriftenthume und feiner Weltanficht angehören
follte.“ Hr. Görres erzeigt der Weltordnung, die nad) der von
ihm zum feften Grunde gelegten Anſicht wefentlicd vom der gött—
lichen Worfehung geleitet worden, fo wie dem Chriftenthum und
deſſen Weltanfiht wenig Ehre, ſchenkt derfelben wenig wahre
haften Glauben und Bertrauen, wenn er ihre nur geſteht, daf
die Zeit ihr angehören follte, zugleidy aber behauptet, daß
diefe Weltordnung fo wenig Kraft und Macht habe, daß dieſe
Zeit dem Heidenthume verfallen, die ganze geſellſchaft—
lihe Berbindung fih zu einem frechen gegenfeitigen
Belügen ausgeflaltet habe, u. ſ. f. Der gründliche Glaube
an fein Prineip hätte den Hrn. Werf. vielmehr daranf leiten
müſſen, zu allererft in folde Anſicht der Zeit, die ihm nur die
Anfhauung von Lüge, Nichtigkeit, Frevel, Heidenthum u, f. f.
410, Mecenfion. 3. Görres, üb. d, Grundlage ıc. d. Weltgefehichte, 259
giebt, Zweifel zu fegen, — Zweifel, welche fogleic aus der eins
fachen Betrachtung entfiehen, daß diefe Anficht als Anſchauung
ein fubjektives Vorftellen ift, und bei der Berfhmähung der Be- -
griffe und der Wiſſenſchaftlichkeit doch an dem Princip ihren
Maaßſtab haben muf, mit diefem aber in dem ganz ungeheuern
Widerſpruche flieht, welcher ohne Auflöfung gelaffen iſt. Der
gründliche Glaube hätte dann dem Hrn. Verf, das Bertrauen
gefchentt, daß, wenn er, fatt dem bequemen Anſchauen ſich zu
überlaffen, die Mühe des Studiums, des Gedantens und der
Einſicht fi geben würde, ſolche Bemühung ihm die belohnendere
Ertenntniß und Leberzeugung von der Macht und Wirklich—
keit der göttlichen Vorfehung aud in diefer Welt und in diefer
Zeit gewähren müſſe. Was an jenen viele Seiten fortgehenden
Shildereien und Dellamationen des Hrn. Görres auffällt, ift
nur bie trodene Berfiandesabftrattion des Böfen, diezu Grunde
liegt und mit diefen Detlamationen ausftaffirt ift; und daß diefe
ganz froftig bleiben, weil fie ohne weitere Fülle und Reichthum
eines- Gehalts find. N
In der zweiten Borlefung, S. 30, foll das Berhältnif
bes göttlichen Princips zu dem natürlihen, ihre Verkettung
in Ueber- und Unterordnung, ihre Formen und Mo—
mente, die Gefege ihrer Wirkſamkeit, endlich die Art und
Meife, wie diefe Gefege an uns gelangen, aufgeftellt werden.
Hier fomit wird uns Hoffnung gemacht, daf wir zu einem Ins
halte gelangen follen; in der That aber kommt die Vorlefung,
gleichfalls nicht über das formelle hinaus, Es iſt eine fehr
gute Schilderung, die Hr. Görres ©. 33 „von der göttlichen
Mechanik in der Natur und von dem in den Himmel und die
Erde hineingelegten harmoniſch ordnenden Gefege des Gleichge-
wichts macht, das wie eine herrfchende urbildlihe Idee durch
alle ihre Bewegungen durchgreife u. f. f., auf welche Grundlage
dann eine höhere Gefchichte, die der freien Natur erbaut
werden fol. Den Erbauern diefes Reichs habe der Meiſter mit
17%
ei
260 IV. Kritiken,
den nöthigen Kräften ein gleiches, harmoniſch ordnendes Gefet
des Gleichgewichts innerlich angefhaffen, das auch äußerlich all
ihr Thun mit aller Macht einer herrfchenden urbildlichen Ider
durchgreifen foll, an der alle ethiſchen Ungleichheiten ſich aus—
gleihen und ausfhwanten müflen; die Jdee, ausgegangen
aus der Fülle des Guten, die Gott in ſich ſchließt, will in der
Geſchichte nur einen Abglanz diefes Guten ausgeftalten und
einen äußern Nachklang feiner innern Harmonie hervorrufen.‘
Ref. kann nicht anders, als diefer großartigen u Anſchauung,
wenn Hr. Görres will, beiſtimmen und ſich erfreuen, ſie hier ſo
wahr ausgeſprochen und anerkannt zu finden; — um ſo mehr
ift aber zu bedauern, nicht nur daß es bei dieſer allgemeinen
Wahrheit bleibt, fondern daß die Wusführung, auf welde es
dann ankäme, um die äußerlich- reelle Bewährung zu geben, der=
felben vielmehr den größten Eintrag thut. — Es heift ſogleich
weiter, daß jene „Werwirklihung der Idee Gott den geiftigen
Naturen angefonnen, und ihnen in den Bewegungen der Him—
"melstörper ein Mufterbild hingefiellt, dem fie nur nad
bilden dürfen;” damit wäre den geiftigen Naturen, vollends
wenn fie die Kenntniß der ſchon erwähnten keppler'ſchen Gefese
immer bereits befeflen hätten, die Sache leicht gemacht.
Die Erplitation aber, die num auf das Beftimmtere, näms
lich auf das Verhältnif des göttlichen Willens zur menfchlichen
Freiheit, zugehen fol, hat fi der Hr. Verf. noch leichter ge—
macht, indem er dabei an dem trodnen Gegenfag vom Guten
und Böfen fefthält, und über den Hauptpunkt bei Katechismus—
Vorſtellungen ſtehen bleibt, nämlid) darüber, daf „Gott die Ge—
fchichte in ewiger Gegenwart ſchaue, und wie er fie ſchaut, fie
vollbringen müſſe, aber daß er fie fhaue wie fie durch die Mit-
wirkung freier Geifter ſich vollbringt.“ Wenn es vorher für
gut gefugt gelten kann, „daß Gott jene Verwirklichung lieber
als eine freie Gabe aus der Hand der freien Kreatur,
und als eine Bezeugung ihrer Liebe und Dankbarkeit hinneh—
10, Recenſion. 3. Görres, üb. d, Grundlage ꝛc. d. Weltgefhhichte. 264
men wolle,“ fo ift es zunächſt ungeeignet, darein zu mifchen,
daß er dieß durch Zwangsbefehl hätte eintreiben kön—
nen; — von dem Leeren folder Möglichkeit mußte nicht mehr
die Nede ſeyn. In Rüdfiht des Werhältniffes aber von Gottes
Walten zum Handeln der Menſchen beläft es der Hr. Verf. bei
Allgemeinheiten, wie die folgenden: „jenes von Gott vorausge—
fhaute Handeln der freien beftimme fein Schauen, weldyes dann
erft hinterher das in Handlung hervorgegangene Vorſchauen
alfo beftimme, daf indem (?). Gottes Wille zum Vollzuge ge—
langt, Alles zum Guten ausſchlage in der Geſchichte —
wobei die Gewalt der höhern göttlihen Macht als eine über»
mannende Nothwendigkeit dem Mißbrauch der freien Kür ent
gegen trete und ihre ewige Ordnung gegen die Unordnung,
die jene in fie gebracht, vertheidige u. ſ. f., der Herr aber dem
MWilligen, der mit überlegter Einſicht frei den beffern Theil ges
wählt, Helfer fey und ‚aus eigener Fülle feine Leiflungen
ergänze u. f. f.“ Für fo richtig und felbft gehaltvoll man
diefe Worftellungen und die weiteren ähnlichen Erläuterungen
aud) gelten laſſen mag, ob fie gleich mehr eine fholaftifhe Ver—
ſtandesanſicht nachſprechen, als daß fie eimer Vernunfteinſicht
entnommen wären, fo find fie doch formell gegen den Inhalt,
nad) welchem bei einem konkreten Gegenſtande, wie die Weltges
fehichte if, gefragt wird; der Kindergeiſt wird zuerft in elemen-
tarifche Beflimmungen, weil fie als die abftratteften die noch
einfachſten und leichteſten find, eingeführt; gleichfalls kehrt auch
der gebildete Religiöfe immer zu denfelben zurüd; aber jener
bat erft in der Erfahrung der Welt und feines eigenen Gemüths
wäher zu erlernen, was denn gut und bös, was denn Ord—
nung undilnordnung ift; diefer kehrt zu denfelben gleichſam
als zu Abbreviaturen und abflratten Zeichen des reichen Inhalts
zurüd, deſſen Bewußtſeyn er fich im Leben, Geſchichte, Studium
u. f. f. erworben hat, In dem abfiratten Innern des Gewif-
fens, in der Religion, vor Gott laufen die konkreten Unterſchiede
262 IV. Kritiken.
in den einfachen von Gut und Böfe, Ordnung und Unord⸗
nung etwa zufammen; aber wo es um bie felbft erplicite Er—
kenntniß eines erpliciten Gegenftandes — und der erplicitefte ift
die Weltgefhichte — zu thun ift, da reichen diefe Abftraktionen
nicht aus. Ein befonnener Menſch wird es ſchwerlich vermögen,
über ein ‚Individunm das Urtheil zu fällen, daß daffelbe gut
oder daß es böfe ſey; aber vollends die individuellen Geftaltuns
gen der Völker und deren im Verlauf der Weltgefhichte hervor-
gegangene, in ſich fo reiche Zuftände und Thaten diefer Geflals
tungen nur umter Kategorien jener Art zu faffen, tontraftirt ſo—
gleich zu fehr mit der Fülle der Aufgabe, als daf nicht felbft
ein nur oberfläcdhliches Intereffe ſich unbefriedigt fühlen follte.
Der Verfolg (S. 41) fcheint zunähft einen Inhalt näher
bringen zu wollen. Nachdem von den drei Reihen, — dem
Reihe Gottes, — der mit Nothwendigkeit gemijchten Freiheit
— umd der Natur, — die fih in der Weltgeſchichte durchdrin—
gen, angegeben ift, daß fie aufdrei Gefegen beruhen, einem in
den Tiefen der Gottheit verborgenen (?), einem in den
menſchlichen Geift gelegten, einem in die Materie einges
tragenen, fo foll der Menfc das erfte Reich mit Gott wirkten
in der geiftigen Welt, wozu derfelbe mit Freiheit ausgeftattet wor⸗
den; die Mebung diefer freiheit aber fd an die Einfiht in
die Wege der Borfehung und an die Kenntnif der
gottgegründeten Gefege, in denen jenes Neid gewirkt
werden foll, geknüpft. Nun fcheine es, daß das dem Men—
{hen von Gott eingefäpriebene Geſetz hinreichend ſeyn
müßte, die zwei andern Gefege zu deuten umd fie zur Richtſchnur
feiner Handlungsweife zu machen. — Ueber diefes Scheinen
folgt aber der populäre Mebergang, „wenn Gott dem Menſchen
diefe Einſicht nicht verlichen Habe, (— weld ein Wenn!! der
Hr. Verf. macht es fi leicht, dergleihen Säge einzuführen!)
oder wenn der damit Wusgeftattete unvorſichtig die verlichene
Gabe verfcherzt habe, (— es wäre etwas mehr als ſolche Wen
460, Necenfion, J. Goͤrres, üb. d. Grundlage ıc. d. Weltgeſchichte. 263
dung vonnöthen gewefen, um ein Verhältniß diefer Fälle mit
dem frühern Einfchreiben des göttlichen Gefeges und feiner Gram—
matit in die Menfchenbruft und in die Natur anzudeuten) fo
müffe Gott, folle ferner noch von einer im menſchlicher Mit- |
wirkung ausgewirkten höhern Gefhichte die Rede feyn, den
Menſchen einer höhern Belehrung würdigen, ihm als Lehrer
jenes göttliche Gefeg durh Offenbarung mittheilen.“
Auf diefe vage und äuferlihe Weiſe. die uns nur auf den
ganz gewöhnlichen, trodnen Schulboden verfest, wird die Dffen-
barung als Bibel eingeführt, S. 43, und ihre Beftimmung
zunächſt dahin angegeben, daß in ihr das Geſetz, weldes Gott
in aller Geſchichte realifirt haben wolle, fund gethan fey; fo
daß das Geſetz der drei Reiche in die drei Bibeln, die Bi—
bei der Natur, die Bibel des Geifles, und die Bibel
der Geſchichte eingeſchrieben, die beiden erſten aber der dritten
untergeordnet feyen.
Nun aber erhebe fi ein MWidereinanderreden vieler Stim-
men, der vielen Völkerſchaften; kaum eine habe Anftand genom—
men, ſich felber zum allgemeinen Schwerpunfte der Geſchichte
aufzuwerfen, und jede reiche Bücher dar, von denen viele Zeugen
aus Einem Munde betheuern, fie ſeyen ihnen, den Gottbegünftig-
ten, vorzugsweife vor allen andern mitgetheilt. — Es werden
alfo die Kriterien angegeben, wonad) zu erkennen ſey, in welchem
unter den heiligen Büchern aller Völker, — vorausgefegt, daß
in diefe auch Wahrheit eingegangen, — die lautere Quelle der
Wahrheit fliefe und wem der Vorrang gebühre. Diefe Kriterien
find, um fie kurz anzuführen, ſchlichte, prunklofe Einfalt,
welche die von einer Betradhtung zu erfchöpfende Fülle, wie
Gott ſelbſt in Unſichtbarkeit verbirgt und das Verborgene
doch wieder allen Suhenden offen und neidlos hinlegt;
(— wir werden bei der dritten Vorleſung fehen, was dem Su—
ben des Hrn. Verfs. ſich offen dargelegt hat, aber wohl an—
dern Suchenden in Unfihtbarkeit verborgen geblieben iſt
264 IV. Kritiken.
und aud nad) des Hrn. Berfs, Yufdeden wohl bleiben wird) —
zweitens der volle Einklang der menfhlichen Wiffenfhaft, —
(wobei abermals die Schilderei des einen Grundgedantens von
der in die Natur und in den Geift eingefchrichenen Gramma=
tie der göttlichen Sprache, welde die fdhaffende Gottheit ins
Nichts hineingeredet, wiederkehrt,) — mit der Schrift, die durch
jene bewährt werde und ihrer Seits jene bewähre (S. 48), je-
doc fo, daß dem Göttlihen der Vorrang gebühre, und
ı das Menfhlide vor der Zulaffung fich zuvor über feine
unzweifelbafte Gültigkeit ausmweifen müffe; — man
kann dieß als richtig zugeben, aber es erhellt eben fo, daß mit
folden allgemeinen Worten im Geringfien nichts für ein Krites
rium geleiftet ift. Zur Bekräftigung der Leerheit ſolchen Kanons
fügt der Hr. Verf. ſogleich hinzu, daß das Menſchliche feiner
Natur nach der Fehle unterworfen, jene Bücher oft ſchwer vers
ſtändlich feyen, in ihrer Deutung ſich vielfältig die Meinungen
theilen (freilidy! leider!) u. f. f. Dafür wird ein drittes Kenn
jeidhen „ höchſter Würde heiliger Bücher“ hinzugeſetzt, daß „fie
das ſchöne Ebenmaaß und die ruhige Sicherheit herr—
ſchender und umſchreibender Einheit wirklich in ſich tra—
gen.“ — Es iſt gleichfalls in der dritten Vorleſung, wo ſich
die Sicherheit des Hrn. Verf. kund giebt, in den Büchern der
Hebräer, die nad) der gefhichtlihen Seite als ein beſchränktes
Nationalbuch erfcheinen können, die für die Weltgeihichte um—
fhreibende Einheit zu finden, — Den Schriften der He—
bräer nämlid habe nun der beffere Theildes Geſchlechts
feit Jahrtaufenden den Vorrang und den Standpunkt in
der berrfchenden Mitte einftimmig zuertannt u. f. f.; man
findet bier in den vagen Ullgemeinheiten und dem Tone der
Sicherheit vollftiändig den Styl des Abbe Lamennais und andes
derer älterer und neuerer Häupter der Kirche, Es fpielt an eis
nen befjern Gedanken an, was der Hr. Verf. dabei jagt, was
aber nody weiterer Beflimmungen bedürfte, um mehr als etwas
—
40, Recenfion, 3. Goͤrres, üb. d. Grundlage ıc. d. Weltgeſchichte. 265
Triviales zu ſeyn, daß „fo oft eine neue erweiterte Standlinie
für die Auffhauenden gewonnen ſey, Aller Blide fih aufs
Rene nad) folder Urkunde richten, ob ihr Gefes noch unverfehrt
aufbewahrt, ob ihr Verborgenes fib dem forfhenden Blid
auf dem neuen Standpunkt nicht tiefer aufgefchloffen u. f. f.“
Die Eregefe hängt freilid von dem Geift der Zeit ab; aber
Zuthern -hat der Geift getrieben, feine und feines Volkes
Blide auf die fo lange verborgen gehaltene Bibel über-
haupt zu richten; doch nicht Alle haben den Segen diefer Rich—
tung aufgenommen. Wenn aber, wie der Hr. Verf. verfüchert,
dieß Alle thun, und er ſich denfelben angeſchloſſen hat, fo
vindieirt er fi) dagegen als eigenthümlich, was in feinen Wor—⸗
ten anzuführen ift, S. 52 daf, „indem er die Aufgabe, wie er
wohl fagen dürfe, in einer Allgemeinheit und bis ins Einzelne
vordringenden Befondernheit aufgefaft, wie man es theilweife
aus verſchiedenen Gefihtspuntten zwar verfucht, aber in gleichem
Umfange nie vollführt, es ihm, wie er wohl glauben dürfe,
fhon einmal (!) gelungen fey, einer Seits den Strom der in
diefen Büchern enthaltenen Wahrheit reinigend, läuternd,
deutend, ertlärend und zugleich erfrifchend in die Anſchau—
ung der Weltgeſchichte hineinzuleiten, und andrer Seits
diefe Geſchichte in allen ihren Richtungen als die faktiſche
Gewähr und die dem Geifte unabweislie Bürgſchaft für diefe
Wahrheit darzuftellen.” Wie der Hr. Verf. die Reinigung, Läutes
zung, Deutung, Erklärung — jener Bücher vorgenommen, daf
ihre Wahrheit in die Weltgeſchichte eingefloffen, und wie die
fattifhe Bewährung, die er fo gefundener Wahrheit verfchafft,
befhaffen if, werden wir nachher angeben. Aus der zweiten
Borlefung ift in diefer Rückſicht noch anzuführen, daf ©. 55
ausdrüdlic proteftirt wird, daf „nicht die Rede feyn könne, der _
Mannigfaltigkeit irdifher Ausgeflaltung irgend Gewalt anzuthun,
fie durch willkürliches Wegnehmen und Hinzufegen in die Um—
riffe eines künſtlichen Syſtems hineinzuzwängen u. ſ. f., durch
266 IV. Keitifen.
überfünfllihe Deutung Fehlendes hinein-, Unbequemes her-
auszudeuten u. f. f. den vollen Erguf des Lebens aus
feiger Aengſtlichkeit zu ſcheuen.“
Noch aber fängt in diefer Vorleſung der Hr. Verf. an, der
Sache felbft näher zu treten; es werden die Hauptmomente
der Gefchichte angegeben, — „als drei aller natürlihen Ge—
fehichte, die in einem vierten fih der höhern anfchlieft, die
fie beherrſcht“ Cift nicht grammatifch klar —). Auf diefe Anz
gabe folgt unmittelbar ein: Denn, „Denn dieß ift die Paral-
lelifirung des Lebens des Geſchlechts mit dem des einzelnen
Menſchen, fo daf jenes ſich in denfelben Stadien verläuft
wie dieſes!“ Man kann geneigt ſeyn, diefe Parallelifirung auf-
zunehmen und gelten zu laffen. Aber fhon „das Schema,” die
Angabe der Stadien des Lebens des Einzelnen, ift nicht
ganz deutlih. Als das erfle Stadium wird das natürliche
Daſeyn angegeben, das den Menſchen zuerft aufgenommen
habe, die Jugend; die andere Stufe ift die der Thätigkeit
der dem Menſchen einwohnenden lebendigen Kräfte, und
begreift die Verhäliniſſe, in die er zur Familie, zum Stamme,
zu feinem Volke eingetreten, Das dritte Gebiet if das der
in ihn gelegten moraliſchen, ethiſchen Kräfte; das legte,
das religiöfe Element. Wenn zwar der Yusdrud von Le=
bensaltern vermieden ift, fo wurde man dody auf diefe Vor—
ftellung gelenkt. Anfangs if von dem Lebensverlauf des
Einzelnen in Stadien nad der Naturordnung die Rede,
ingleihen wird das erfle die Jugend genannt; die folgenden
beißen jedoch nicht mehr Stadien, fondern Gebiete, und wer—
den auch nicht etwa als Gebiete des Jünglings, des Man—
nes und Greifes aufgeführt; es würde freilih auffallend ge—
wefen fen, erft in das legte Alter das religiöfe Element zu le—
gen. Damit ift aber zugleich die angetündigte Parallelifirung
hinweggefallen; wir erhalten nur die Angabe der unterſchiedenen
Hauptmomente des menfchlichen Lebens, bei denen es etwas Lee⸗
10, Recenſion. 3. Görres, üb, d. Grundlage ꝛc. d. Weltgeſchichte. 267
res war, mit dem einzelnen Menſchen anzufangen und auf ihn »
fi) zu berufen, daf wenn er fein eben betrachte, er ſolche darin
werde gefunden haben. — Plato, an defien Gang in der Re—
publit man ſich erinnern könnte, geht umgekehrt fogleic zur Be⸗
trahtung der Gerechtigkeit im Staate über, und von da
aus erfi zur Yusprägung derfelben Grundbeftimmungen im Ein-
zelnen, aber auc wieder fo, daß hier nicht eine bloße Wiederho-
lung derfelben flatt findet, fondern daß er fie, wie fie am In—
dividuum eigenthümlic fi hervorthun, richtig als die Tugen-
den auffaßt und befchreibt. .
Mas fih nun am Einzelnen ausgewiefen, werde auch
in der Univerfalgefchicdhte Geltung haben. „Denn der
Stammvater des Geſchlechts if felber eine einzelne Perſön—
lichkeit gewefen, die daher Grund und Anfang aller Gefchichte
iſt;“ — ein fhwaher Zufammenhang, der beweifen fell, daß
biemit die Stadien, die vorhin an der einzelnen Perfon
aufgewiefen worden, aud die Stadien der Univerfalgefchichte
ſeyen. „Das ſich mehrende, über die ganze Erde ausbreitende
Geſchlecht,“ — wird fortgefahren, — „bat die klimatiſch, geo—
logiſch und geographiſch geſchiedene Gliederung derfelben im ſich
ausgeprägt; — erfles und unterfies, am meiften nature
verwandtes Element; das zweite ift das ethnographiſche,
— Theilung in Racen und Völker und Stämme und Gefchlechter,
mit eigner Zebenseinrichtung, eigenem Inftintte, Anlagen u. fs f.“
— man ſieht dabei nicht gut, wie das geographifche Element,
(das wohl für ſich befhrieben werden mag), indem es auf die
Menſchen bezogen und in denfelben ausgeprägt wird, nicht
ein Moment nur des ethnographifchen ſeyn und wie es von dies
ſem getrennt, ein befonderes menfchliches Element abgeben follte,
Als das dritte Moment wird das etbifh=-politifche, im Ge—
biete des Rechtsflaates angegeben; das vierte, das kirchliche
Element, beftcht darin, daß jedes Volk auf feinem Erbe und
Looſe an der Oberfläche der Erde, den Theil des Wortes,
8 IV. Kritiken.
der ihm zugefallen, verarbeitet, mehr oder weniger mit menfch-
licher Zuthat ihn verfegend (— wenn ihm nur ein Theil zus
gefallen, wäre das Wort in ihm fchon endlich genug, und die
fogenannte menſchliche Zuthat bereits ganz in der Endlid-
lichkeit, daß ihm nur ein Theil zugefallen, befaßt.)
Die Einfachheit diefer Momente war ſchon durch jene Pas
rallelifirung unnöthig verdoppelt, in der zweiten Angabe ift fie
weniger durd) Gedanken entwidelt, als mit leeren und trodnen
Redensarten umgeben. Hier wo die allgemeine Eintheilung die
Angabe beftimmter Unterſchiede verlangt, ift es am unangenehm=
flen, Ausführungen vorzufinden, wie 3. B. folgende (S. 62) beim
ethiſch = politifhen Elemente, „indem fih die innerlide
Einheit der geiftigsethifchen Kräfte im Verlaufe der Gefhichte
aufgethban und ihren reichen Inhalt in vielfach ausgelegten
Richtungen ausgelegt hat;“ nun heift es nody ferner: „im
Spiele diefer Kräfte hat eine neue höhere Dynamit
fi) begründet, die Elemente des Lebens, ergriffen von jener Bes
feelung, find in —? andere Werhältniffe gegen einander einz
getreten, in einer —? gefteigerten Sheidefunft miſchen fie
ſich und trennen fi nad) —? geändertem Gefese, und Ger
bilde, die einer —? andern Drönung der Dinge angehören,
geftalten fid (— zu was?) — in ihrem Vertehre” So
läßt fi) ohne Gehalt lange fortfprechen.
Vornehmlich ift e8 in der dritten VBorlefung, daß fol-
cher Reflerionsformalismus und der gleich leere und phantaftifche
Shall und Schwall, wovon früher Beifpiele angeführt worden,
abwechfelnd, das Ahrige zu dem Tädiöfen ihres Inhalts hinzu—
‚thun. Die glänzende Verworrenheit in dem grundlofen, abftrat-
ten Formalismus, macht es ſchwer, nod von dieſer Vorlefung
(S. 66— 122) Rehenfhaft zu geben, in welder nun „ber
Grund» und Aufrif des großen Gebäudes der Weltgeſchichte“
felbft aufgeftellt, „das Wert, das wir zu vollführen unternom—
men, zu feiner Vollendung gebracht werden ſoll.“ Wie der Ber-
10, Recenfion. 3. Goͤrres, üb, d, Grundlage x. d. Weltgeſchichte. 269
lauf der Weltzeiten zuerſt nacheinander angegeben iſt, dem läßt
fi etwa folgen; aber wo nun, ©. 111, der Ueberblick des gan-
zen Periodenbaus jener Anfhauung gewährt werden foll, da
wird der Kalkul (denn die Grund- Kategorie iſt Zahlen» Sches
matismus) zu tranfcendent, als daß er zur Bemühung um defz
fen Entwirrung einladen könnte. S. 67 ift die Rede „von der
Zeit und richtungslofen Ewigkeit, in der die Selbftoffenbarung
der Gottheit (— diefes Yusdruds bedient fid der Hr. Verf.
oft) vor dem erſten Anbeginn der Dinge fhon erfolgt” (&.72)
(— die Methaphufit oder vielmehr Rhetorik diefer Ewigkeit
übergehen wir —) „fo hat ſich an diefe erfte That, die über
aller Gefchichte liegt, die zweite angefnüpft, in der die ſchaf—
fend gewordene Gottheit das Weltall hervorgebracht, in Zeiten
und Tage die Schöpfungszeit theilend.” Diefer Zeiten
find fechs, in denen „die geiftige und natürliche Welt in allen
ihren Hierarhien hervorgebradht worden; in drei Scheidun—
gen und drei Einigungen; „die erfte Scheidung, die von
innen nad aufen gegangen, hat Licht und Finſterniß ges
trennt, damit die erfie Hierarchie ins Univerfum eingeführt:
fo geht es durch die fehs Schöpfungsmomente der mofaifchen
Darftellung hindurch; wie aber diefe Succeffion der Schöpfuns
gen als Scheidungen und Cinigungen, je drei und drei, und
deren Hieradhien vom Hrn. Verf. no zufammen — fonftrus
irt, wie man es fonft genannt — oder in Anfhauungen
von Berkmüpfungen und Gegenfägen gebracht werden, enthalten
wir ung auseinander zu ſetzen.
Nur dieß Eigenthümliche wollen wir berausheben, daß der
Hr. Verf. aus dem Seinigen (der Proteflation gegen wills
kürliche Erfindungen ungeachtet) bier auch dieß binzufügt, daß
„an die legte der drei erfin Scheidungen (die Erſchaffung der
Sonne und der Geftirne) fi) eine andere vierte angeknüpft, in
der die geiftigen Elemente wie die Naturelemente ſich geſchie⸗
den” und welde ebenfalls drei Scheidungen in ſich gehabt has
k
270 : IV. Kritiken.
ben foll; die Anseinanderfegung diefer drei Scheidungen giebt
eine des Feuers von dem Elemente des Waffers, eine ans
dere des Unwachfens der Gebirge über das Trodene, und
eine dritte, der Ausklärung der Luft, der Aufleuchtung in Me—
teoren u. f. f. — wobei dem Ref. unter anderem unklar ges
blieben ift, wie darin über eine Scheidung der geiftigen Ele—
mente etwas befagt ſeyn foll, obgleich es auch unmittelbar hernach
wieder heißt, daß „das Alles gleicherweife auf der Natur= wie
auf der geiftigen Seite fid) vollbradıt habe;“ was auf der
lestern vollbradht worden, hat dem Hrn. Verf. beliebt, in ſich
verborgen zu behalten.
Das ift nun die „erfte hHiflorifhe (12) Periode, die in
ihren fehs Zeiten abgelaufen if.“ „In ihr hat Gott allein
gewirkt und gewaltet, und Alles, was er herdorgebradt, ift gut
gewefen” Nun aber „in der zweiten Weltzeit beginnt von
der geiftigen Natur aus die Genefis des Böfen,“ die, wie die
Ausihaffung des Guten durch die erſten Weltzeiten in den hö—
bern Regionen (fiche vorher) begonnen, fo durd die des
Böfen in den dortigen höheren Geiftern gefchehen fey; —
und ebenfalls ift, nad) der Verficherung des Hrn. Berfs., „in
drei abfleigenden, und drei andern frech anfleigenden
Akten der Sündenfall in das höhere Geiſterreich eingetreten,
und hat fi audy in das aus Geift und Natur gemiſchte
Reid unten an der Erde verbreitet.”
Mit diefer „Vollendung der Genefis des Böfen in ihren
fehs Momenten,” über deren hiftorifhen Berlauf wir frei—
lich keinen weitern Yuffchluß erhalten, ift „die zweite große
Weltzeit abgelaufen.” Hierauf folgt „die dritte Weltzeit, von
dem Sündenfall bis zur Weltfluth, der Kampf. auf Leben und
Tod zwifchen dem Reiche des Guten und des Böfen, den das
Gericht der Weltfluth, — ein freilich einfaches Mittel — zu
Ende bringt.“ Für diefe Weltzeit weiß uns der Hr. Verf.
(S. 83 ff.) vielen Beſcheid darüber zu geben, was die Habe-
10, Recenſſon. J. Görres, üb, d. Grumdlage ꝛc. d. Weltgeſchichte. 271
liten und die Sethiten und Kainiten gleichfalls in ſechs
Diomenten gethan haben würden, wenn kein Sündenfall einge-
treten, und, wieder im entgegengefegten all, wenn der Fluch
der Sünde allein geherrfht hätte ; ferner aud, wie jener Kampf
in drei Zeiten zwifchen der Gottesfladt, welche die Habeli-
ten, und der Erdenftadt, welche die Kainiten erbauten, geführt
worden, wobei die Töchter der Menden nnd die Nephilim
ihre weltgefhichtliche Rolle zu fpielen nicht unterlaffen. „Mit
der Fluth ift die Urgeſchichte abgelaufen;”“ hätte es der Hr.
Verf. dabei bewenden laffen, daß das Hiſtoriſche derfelben mit
den Habeliten, Semiten und Kainiten, für uns ebenfo, wie Die
Waſſer der Fluth, abgelaufen ift, fo hätte er beffer gethan, ebenſo,
wenn er es bei der Darftellung der Bibel, die von ſechs Schö—
pfungstagen fpricht, dagegen nichts von ſechs Weltzeiten,
die wieder von der Weltfluth an bis auf die Erfheinung Chriſti
vollendet worden, aud) nichts von weitern ſechs von da ausge-
henden Weltzeiten berichtet, hätte belaffen wollen. i
Doch zunächſt wird die neue Weltzeit (S. 87) in drei
engere Zeiten (— diefe drei Meltzeiten find hauptfächlich
im Auge zu behalten, um nicht in der folgenden Rechnung kon—
fus zu werden) gegliedert; in der erften wird „der Keim eines
neuen Menfchengefchledhts, der in der Arche geborgen, in den
Fluthen die fühnende Taufe erlangt,“ (— wohl eine grofe
MWaffertaufe, der aber vom Hrn. Verf. nicht viel Geift hinzu—
gefügt worden —) in allen Gegenfägen ſich entfalten, — in
ber mittlern die heilträftige Einwirtung der Gottheit zur Df-
fenbarung gelangen und die Verheifung ſich erfüllen, — in
der dritten in der verföhnten Menſchheit der Kampf mit dem
Böſen fi) zum Ziel ausftreitn. — Es wird nun angegeben,
wie die erfte Weltzeit in der Folge von fehs Zeiten abgelaus
fen, — „nad dem in fie gelegten Typus der frühern Ge—
nefis.“ Nach foldher leeren Grundlage eines Schema wird die
Geſchichte diefer erften Weltzeit der neuen Seit wieder aus drei
972 IV. Kritiken,
Wurzeln, dem Sem, Japhet und Cham dur die drei erfien
Zeiten diefer Häufer, des Nimrod, des Unterfangens, in dem
Thurm das Kapitol des neuen Erdenfiaats zu bauen u. f. f.,
durdgeführt. „Die vierte Zeit geht im Kampfe der erhals
tenden Kräfte, an die geweihte Stätte der Kinder Gottes
(des Geſchlechts Heber’s) geknüpft, mit den zerfiörenden,
die in den Kindern der Menſchen wirken, dahin, und nun
erfolgt über die ganze Erde hin vom Norden ber im
Stamme der Japhetiten die Gegenwirkung, welche die
beiden folgenden Weltzeiten erfüllt.” Auch find es die Ja—
phetiten, durch welde die Univerſalmonarchien mit neuer Lehre
dritter Ordnung im Zeusdienft gegründet ſeyen. „Die
fünfte wird nämlih durch baktriſch-mediſch-perſiſche
Weltherrſchaft, feit den Zeiten Feridun's von Jran aus die
Völker umfaffend (— daß Keridun nicht fehlen würde,
konnte man aus des Hrn. Verfs. Einleitung zu feiner Webers
fegung des Shahnahme wohl erwarten —) erfüllt, und die Ges
walt dadurch dem öftlihen Melttheile zugeteilt. Bald
aber geht die Herrſchaft nah Europa über und die feste
Weltzeit grüßt die Griehen als die Gebieter der Erde,
denen die Römer den Herrfherfiab entwinden.” Diefe Zeile
ift Alles, was vom Geifte der griehifhen und römifchen Welt
gefagt, wird, Wenn der Hr. Berf. den Habeliten, Semiten,
Iapheriten und folden Häufern die große Bedeutung in der
MWeltgefhichte ertheilt, fo fann man ſich nur wundern, daß mit
jener Fahlen Kategorie von Herrfhaft, die dur die Gries
hen auf Europa gebracht, und ihnen von den Römern ent
wunden werde, diefe reichen, gegen jene nebulofen Schemen hoch—
herrlichen Wirklihkeiten von Wölkergeiftern, abgefertigt werden;
doch ift fhon oben bemerkt worden, daß der Hr. Verf. gricchiſche
Mopthologie die trübe, fpäte, unbedeutende Ausgeburt nennt, in
welder ein Dämogorgon vorkommt.
Die zweite Weltzeit ift die des neuen Sabbaths, des
40, Recenſion. 3. Görres, üb, d. Grundlage ꝛc. d. Weltgeſchichte. 273
andern Adam, des Stammvaters eines neuen geiftigen Ge—
ſchlechts; über der begeifterten Rhetorik, in der die Vorſtellun—
gen vorgetragen find, fcheint der Hr. Verf. nicht dazu gekommen
zu ſehn, die ſechs Zeiten des Schemas für diefe Weltzeit an=
zugeben.
Bon da geht nun die dritte Meltzeit aus, von welder
der wefentlihe Charakter, (wie in der, die nad) dem falle be=
gonnen,) ſich fund gebe, im Kampfe des Lebens, das aufs
Rene in der Menſchheit Wurzel gefaßt, mit dem Tode, der
aus der frühern Zeit noch hinüberwirkt. Von der Ausbreitung
des Ehriftenthums aus wurde zwifchen ihm und dem Mo=
bamedanismus die neue Geſchichte in Licht und Nacht
getheilt und es war Abend und Morgen der erſte Tag
in ihr, — von den ſechs Tagen. Es mag vom Ferneren nur
noc bemerkt werden, daf von der Reformation an nun erſt
der dritte Tag begonnen haben foll,, in dem wir noch leben;
wir enthalten uns aber hierüber ein weiteres Detail aus der
Darftellung zu geben; fie hat allenthalben denfelben ſchwallen⸗
den Ton des überladenen Farbenglanzes bei der Trodenheit der
Gedanken und der Zahlenfpiclerei. Man mag die Nuseinans
derfegung ©. 111 nachleſen, wie aus der gedoppelten Drei
zahl, im die der ganze Verlauf der Weltgeſchichte eingefchloffen
fey, fi die Siebenzahlgewinne, und die vier großen Umläufe
vier und zwanzig Zeitläufe in ſich begreifen, wie aber wenn
wir am Schluffe das große Schaufpiel, wovon es doch fhien,
daf wir erft einen Theil erlebt haben, wieder im ſich zerfällen,
in febs und dreißig grofe Zeitabtheilungen der ganze
Zeitverlauf der Gefhichte umferieben fey. Das Zählen
macht die äuferlichfte Seite der Betradhtungsweife aus; die grund⸗
Iofe Willtür, in der es hier fogar zum Princip gemacht wird,
kann nur Ungeduld, Ueberdruß erweden. Wie vorhin ein Bei—
ſpiel von der Rhetorik der Reflexion ohne Gehalt, gegeben wor—
den, fo mifcht fie ſich auch im diefem Theile, in welchem bas
VBermiſchte Schriften. * 18
ni. Cr 696
274 IV Rtitifen,
Beftinmtere der geſchichtlichen Geftaltungen und ihres Verlaufs
angegeben werden foll, allenthalben ein, und man wird dabei zu
fehr can den ältern Styl franzöfifcden weltgeſchichtlichen Vor—
trags in deflamatorifchen Allgemeinheiten, als ein weiteres In—
gredienz zu dem Uebrigen, gemabnt; alle, neue, allmählig,
Verwirrung u. f. f., dergleichen und andere unbeftimmte For—
men berrfchen duch lange Ausführungen hindurch, und ermüden
das Beflreben, irgend einen beftimmten Gedanken zu faffen. Um
diefe hohle Manier zur nähern Anſchauung zu bringen, führt
Ref. nur Einiges aus der breiten Darftellung der Wirkſamkeit des
Ehriftenthums an nachdem ein ausführliches Gleihnif vonder Saat
vorangeſchickt ift, heißt es vom Ehriftenthum felbit (S. 98): „Diefe
Saat, quellend, keimend, wurgelnd, fproffend im meuen Boden
und allmählig zum erdbefhattenden Baum erwacfend,
hat nur im Streite diefe Entfaltung fi errungen, aufbietend
die ihre eingepflanzten überirdifhen Kräfte gegen die, im
denen das rdifche fi) wirkſam erweift,” — nun wird dafjelbe
wiederholt: „bewaffnend das ihr inwohnende beffere Prinz
cip gegen das Böfe, das die Welt durhwudert, hat fie
ausunfheinbarem Anfangeu. f.f“— „In dem Maafe
aber wie der neue Glaube der Verwirrung und der Zer ſtö—
rung Meifter geworden, und in der Berwefung neues Le—
ben bervorrufend, das Erftorbene zu neuer Thätigkeit gewedit
und das in regellofer (abermals —) Verwirrung Aufgelöfte
in die Kreife der Ordnung zurüdgeführt, hat es in allmäh—
Liger Ausbreitung alle Regionen des menſchlichen Dafeyns, alle
Gebiete und Gegenfäte durhdrungen, in denen die menſch—
lie Natur ſich aufgeſchloſſen u. f. f“ — Doc genug an *
allgemeinen Worten. *
Es iſt ſchon angegeben worden, daß der durchweg herrſchende
Gegenſatz für das Reich des Geiſtes, deſſen Freiheit dem trade
nen Gegenfas an der Natur hat, der abſtrakte des Guten md
Böfen if, dann kommt der Kampf beider miteinander; auch
10, Reeenfion. I. Görres, übe d. Grundlage zc. d. Weltgeſchichte. 275
kommt es noch zu der Unterfcheidung von ſchaffenden, zerftö-
renden und erhaltenden Kräften; wie der Hr. Verf. folche
abftrafte Grundlagen des Verftandes, nebft den Zahlunterſchieden
für Anſchauung anfehen und ausgeben mag, ift nicht wohl zu
verftehen; noch weniger wie der Geift und eine geiſtige Anſchauung,
wenn denn Anſchauung feyn fol, — in der Geſchichte und in der
MWeltgefchichte fi damit begnügen könnte. Der Grundmangel in
diefen Vorlefungen ift, daf es ihnen ganz für den großen Gegenftand,
mit dem fie ſich befchäftigen wollen, an einem tontreten Prins
eipe fehlt, deffen gedankenvoller Gehalt entwidelt, uns nicht nur
die Gottheit, wie Hr. Görres fid) oft ausdrüdt, fondern den
Geiſt Gottes und des Menſchen zeigen, und in der Weltgefchichte,
ſtatt einer äußerlichen, durch Zahlen beflimmten Schematifirung
ihrer Erfcheinungen und noch mehr folder Nebelhaftigkeiten, wie
die Habeliten u. dergl. find, die organifhe Syſtematiſirung des
Geiftes darftellen würde; in folder Schematifirung lebt und wohnt
kein Geift. Es thut nichts zur Sache, daf der Hr. Verf, fie ein
Gefeg nennt, und mit eben folder Proteſtation, wie, die oben |
angeführte, ſchließt; ©. 1142 — „dirß gefundene Gefeg meiftre
nicht den Gang der Ereigniffe, noch wolle es nad irgend vors
gefaßter Meinung Gewalt anthun den Thatfahen, — und
den innern (wo käme diefer her?) Zufammenhang der Dinge
— verkennen und flören. Noch weniger foll diefe Anſchauungs—
weife überall nach bloßen Aehnlichkeiten“ (Zahlen geben fos
gar Gleichheiten) „haſchen, gröblich den innern Unterſchied
— verfennend, und dadurd eine langweilige Monotonie in die
Hiftorie bringen.” Der Hr. Verf. hat nod durch mehr, auch durch
die fortdauernde Wiederkehr der angeführten wenigen dürftigen
Abftraktionen, und durch die ganze Art des Vortrags, die wir ges
nug charakteriſirt, für Monotonie geforgt; und wie dieſe fo möchte
man leicht alle jene andern Eigenfchaften, und noch die weitern,
die er folgen läßt, — daß die Ordnung nicht wie ein mathema⸗
tiſches“ (das Zählen und die Wiederholung von Ebendemfelben
18 *
976 IV. Krititen. | J
iſt freilich noch nicht etwas Mathematiſches —) „Netz die Maſſe
der hiſtoriſchen Thatſachen umziehen und — fie mühſam und
tümmerlich zufammenhalten dürfe, — diefe Eigenfchaften, die der
Hr. Verf. ablehnt, möchte man leicht in ſtarkem Maaße gerade
in folder „Hierarchie“ der Weltgeſchichte finden, und die häufi—
gen Proteftationen der Art cher der Ahnung eines folden Vor⸗
wurfs zufchreiben.
Noch wäre zum Schluf, da der Vortrag an Studirende ges
richtet ift, die Art anzugeben, wie er fih an diefe wendet; doch
ließe fich_diefelbe nicht wohl anders dyarakterifiren, als daß diefe
Anreden größtentheils felbft hieher gefegt würden ; darum Fönnen
wir nur darauf als etwas Befonderes binweifen, daf der Hr,
Berf. in der legten Borlefung, am Schluſſe S.119 ff. den Ver⸗
ein, den er vor fich hat, nad) den Stämmen, denen derfelbe an=
gehöre, fhildert; Baiern find es, die ihn zunächſt und allermeift
umgeben, ihren Sinn und ihre Art habe er die vergangenen zwei
Jahre hindurch geprüft, und probehaltig, und widerhaltig
‚zur Genüge gefunden; dann ftellt er ihnen die Nativität als
nicht gewandt aber flark auftretend u. f. f.; fo nad der Reihe
den Schwaben, Schweizern, Franken, denen er ſelber an—
gehöre; wie ehemals ogy giſch jedes Uranfängliche genant wor—
den, fo habe die neuere Zeit nichts Früheres als Altfräntifches
anzugeben gewußtu. f.f. „Einige aus dem Norden haben ſich
wohl auch herzugefunden; dort feh der Verſtand das Vermögen,
das man von je „forgfamft gepflegt,” was auf Einfeitigkeit ge—
führt; wollen fie hinhören auf die Stimme, die immer aus dem
vollen Ganzen redend, aus der Geſchichte fpricht, fo werden
fie, ohne, was in ihrer Weife tüchtig, aufzugeben, aud) profitiren
können, indem fie gegen jene Einfeitigkeit fi eine höhere Frei—
heit der Anfiht gewinnen.“ — Dod die perfönliche Seite der
Stellung, die ſich der Lehrer zu feinen Zuhörern giebt, wenn er
diefelbe auch vor das Publitum bringt, N fi nicht dazu,
weiter befprocdhen zu werden. -
| Bo i E ede
Hinrichs Religionsphiloſophie.
— —
Der Segenfag von Glauben und Vernunft, der das Intereffe
von Zahrhunderten befhäftigt hat, und nicht bloß das Intereſſe
der Schule, fondern der Welt, — kann in unferer Zeit von feis
ner Wichtigkeit verloren zu haben, ja beinahe verſchwunden zu ſeyn
feinen. Wenn dem in der That fo wäre, fo, würde vielleicht
unferer Zeit hierüber nur Glück zu wünſchen feym. Denn jener
Gegenfag if von diefer Natur, daß der menſchliche Geift ſich
von feiner der beiden Seiten deffelben wegwenden tanz jede
beweift fib vielmehr in feinem. innerfien Selbſtbewußtſeyn zu
mwurzeln, fo daß, wenn fie im Widerflande begriffen find, der
Halt des Geiftes erſchüttert und die unfeligfte Entzweiung fein
Zufand if. Wäre aber der Miderftreit des Glaubens und der
Bernunft verfhwunden und in eine Ausfühnung übergegangen,
fo würde es wefentlih von der Natur diefer Ausfühnung felbft
abhangen, in wie fern zu ihr Glüd zw wünſchen wäre,
Denn es giebt auch einen Frieden der Gleichgültigkeitge-
gen die Tiefen des Geifles, einen Frieden des Leichtfinns, der
Kahlheit; im einem folchen ‚Frieden kann das Widerwärtige bes
feitigt feinen, indem es nur auf die Seite geftellt iſt. Dasje—
nige aber, was nur überfehen oder verachtet wird, ift darum
nicht überwunden. Im Gegentheil, wenn nicht im der Ausſöh—
nung die tiefften wahrhaften Bedürfniffe befriedigt, wenn das
Heiligthum des Geiftes fein Recht nicht erlangt hätte, fo wäre
die Entzweiung an ſich geblieben, und die Feindſchaft eiterte ſich
280 V. Morrede
deflo tiefer im Innern fort; der Schade würde, mit fich felbft
unbekannt und unerkannt, defto gefährlicher fehn.
Ein unbefriedigender Friede kann zu Stande gekommen
fehn, wenn der Glaube inhaltslos geworden, und von ihm nichts
als die leere Schale der fubjektiven WMeberzeugung übrig geblies
ben iſt, — und anderer Seits die Vernunft auf die Erkenntniß
von Wahrheit Verzicht gethan hat, und dem Geiſte nur ein Er—
gehen Theils in Erſcheinungen Theils in Gefühlen übrig gelaſ—
fen iſt. Wie follte da noch großer Zwiefpalt zwifchen Glauben
und Bermmft ftatt finden können, wenn in beiden kein objektis
ver Inhalt mehr, fomit tein Gegenftand eines Streites vorha
den ift? |
Unter Glauben verfiche ich nämlich nicht, weder das bloß
fubjektive Ueberztugtſeyn, welches fi auf die Form der Gewiß—
beit beſchränkt, und noch unbeftimmt läßt, ob und welden Ins
halt diefes Meberzeugtfeyn habe — noch auf der andern Seite
nur das Kredo, das Glaubensbekenntniß der Kirche, weldes in
Wort und Schrift verfaßt ift, und in den Mund, in Vorſtellung
und Gedächtniß aufgenommen ſeyn kann, ohne das Innere durch—
drungen, ohne mit der Gewißheit, die der Menſch von fid hat,
mit dem Selbfibewuftfenn des Menſchen fich identificirt zu has
ben. Zum Glauben rechne ich, nach dem wahrhaften alten Sinn
deffelben, das eine Moment eben fo fehr, als das andere, und
ſetze ihn darein, daß beide in unterfehiedener Einheit verbunden
find. Die Gemeinde (Kirche) ift in glüdlihem Zuftande, wenn
der Gegenfag in ihr fi rein auf den angegebenen formellen
Unterſchied befchräntt, und weder der Geift der Menſchen aus
ſich einen eigenthümlichen Inhalt dem Inhalte der Kirche ent—
gegen fest, noch die kirchliche Wahrheit zw einem äußerlichen
Inhalte übergegangen ift, welder den heiligen Geiſt gleichgültig
gegen ſich läßt. Die Thätigkeit der Kirche innerhalb ihrer felbft
wird vornehmlich in der Erziehung des Menfchen beftehen, in
dem Gefchäfte, die Wahrheit, welche zunächſt nur der Vorftellung
zu Hineichs’ Neligionsphilofophie, 281
und dem Gedädhtnif gegeben werden kann, zu einem Innerlichen
zu maden, fo, daf das Gemüth davon eingenommen und durch—
drungen werde, und das Gelbfibewußtfenn ſich und feinen wes
fentlihen Beſtand nur in jener Wahrheit finde. Daß diefe
beiden Seiten weder unmittelbar noch fortdauernd und feſt in
allen Beflimmungen miteinander vereinigt find, fondern eine
Trennung der unmittelbaren Gewißheit feiner felbft von dem
wahrhaften Inhalte vorhanden ift, gehört in die Erfcheinung jes
ner fortdauernden Erziehung; die Gewißheit feiner felbft iſt zus
nächft das natürliche Gefühl und der natürliche Wille, und das
demfelben entfprechende Meinen und eitle Vorftellen; — der
wahrhafte Anhalt aber kommt zuerft äußerlich in Wort und
Buchſtaben an den Geiſt — und die religiöfe Erziehung bewirkt
beides in Einem, daß die’ Gefühle, die der Menſch nur ummit-
telbar von Natur hat, ihre Kraft verlieren, und ——
ſtaben war, zum eigenen lebendigen Geiſte werde.
Dieſe Verwandlung und Vereinigung des zunächſt äufertis
ben Stoffes findet zwar -fogleich einen Feind vor, mit dem fle
es zu thun hat; fie hat einen unmittelbaren Widerſacher an dem
Naturgeiſte, und muß ſolchen zur Worausfegung haben, eben
weil es der freie Geift, nicht ein Naturleben ift, was erzeugt
werden foll, der freie Geift aber nur als ein Wiedergeborner ift.
Diefer natürliche Feind ift jedoch durch die göttlihe Idee urs
fprünglich überwunden und der freie Geift erlöſt. Der Kampf
mit dem Naturgeifte ift darum nur die Erfheinung im endlichen
Individuum. Aber es kommt aus dem Individuum nod ein
anderer Feind hervor — ein Feind, der nicht in der blofen Na—
türlichkeit des Menſchen den Ort feines Ausgangs, fondern viel-
mehr in dem überfinnlichen Weſen deffelben, im Denten hat
— dem Urflande des Innern felbftl, dem Merkzeichen des götte
lichen Ursprungs des Menſchen, demjenigen, wodurd er fi vom
Thiere unterfcheidet und was allein, wie es die Wurzel feiner
Hoheit, fo die feiner Erniedrigung ift; denn das Thier iſt we-
282 BL V. Vorrede
der der Hoheit noch der Erniedrigung fähig. Wenn das Deu—
ten ſich eine folde Selbftftändigkeit nimmt, daf es dem Glau—
ben gefährlib wird, fo ift ein höherer hartnädigerer Kampf
eingeleitet, als jener, erflere Kampf, in welchem nur der natür—
lihe Wille und das unbefangene, fi noch nicht für fid) ftellenve
Bewußtſeyn befaßt if, Diefes Denken ift dann dasjenige, was
man menſchliches Denken, eigenen Verſtand, endliche Vernunft
genannt, und mit Recht von dem Denken unterfcheidet, weldhes,
obwohl im Menſchen, doch göttlich ift, von dem Verſtand, der
nicht das Eigene, fondern das Allgemeine fucht, von der Ber-
nunftz welde nur das Unendlihe und Ewige als das allein
Seyende weiß und betrachtet,
Es iſt jedoch nicht mothwendig, daß jenes endliche Denten
fogleidy der Glaubenslehre entgegengefest fen. Zunächſt wird es
vielmehr innerhalb derjelben, und vermeintlich zu Gunften der
Religion bemüht ſeyn, um fie mit feinen Erfindungen, Neugier—
den und Sharffinnigkeiten auszuſchmücken, zu unterftügen und
zu ehren. In folhem Bemühen geſchieht es, daß der Verftand
als Folgerungen oder Borausfegungen, Gründe und Zwede, eine
Menge von Beſtimmungen, an die Glaubenslehren anfnüpft —
Beftimmungen die von endlihem Gehalte find, denen aber leicht
eine gleiche Würde, Wichtigkeit und Gültigkeit wie der ewigen
Wahrheit felbft beigelegt wird, weil fie in unmittelbarem Zuſam—
menhange mit diefer erfheinen. Indem fie zugleid nur endlichen
Gehalt haben, und daher der Grgenrede und Gegengründen ausgefegt
find, bedürfen fie leicht, um behanptet zu werden, äuferlicher Au—
torität, und werden ein Feld für menfchliche Leidenfchaften. Im In—
tereffe der Endlichkeit erzeugt haben fie nicht das Zeugniß des heili⸗
gen Geiftes für ſich, fondern zu ihrem Beiftande endliche Intereffen.
Die abſolute Wahrheit felbft aber tritt mit ihrer Erſchei—
nung in zeitliche Geftaltung und in deren äußerliche Bedingun—
gen, Zufammenhänge umd Umftände. — Dadurch ift fie von
felbft ſchon mit einer Mannichfaltigkeit von örtlichem, geſchicht⸗
zu Hinrichs’ Meligionspbilofophie. 283
lihem und anderem pofitivem Stoffe umgeben. Weil die Wahr:
heit ift, muß fie erfcheinen und erſchienen ſeyn; diefe ihre Ma—
nifeftation gehört zu ihrer ewigen Natur ſelbſt, ift jo untrennbar
von ihr, daß diefe Trennung fie vernichten, nämlich ihren In-
halt zu einem leerem Abſtraktum berabfegen würde; von der
ewigen Erſcheinung aber, die dem Weſen der Wahrheit inhärirt,
muß die Seite des momentanen, ‚örtlichen, äußerlihen Beiwefens
wohl unterfchieden werden, um nicht das Endliche mit dem Un—
endlichen, das Gleihgültige mit dem Subſtantiellen zu verwech—
ſeln. Dem Verfiande wird an diefer Seite ein neuer Spielraum
. für feine Bemühungen und die Vermehrung des endlichen Stof-
fes anfgethan, und an dem Zufammenhange diefes Beimefens
findet er unmittelbare Veranlaſſung, die Einzelaheiten deffelben
zu der Würde des wahren Göttlihen, den Rahmen zur Würde
des davon umſchloſſenen Kunfiwerkes zu erheben, um für die
endlihen Geſchichten, Begebenheiten, Umftände, Vorſtellungen,
Gebote u. f. f. diefelbe Ehrfurcht, denfelben Glauben zu for—
dern, wie für das, was abfolutes Seyn, ewige Geſchichte, iſt.
An diefen Seiten, ift es denn, wo die formelle Beden-
tung des Glaubens hervorzutreten beginnt, — die Bedeutung,
daß er ein Fürwahrhalten überhaupt ſey, das was fiir wahr
gelten foll, mag ſeiner innern Natur nach beſchaffen feym, wie
es wolle, Es if dieß dafjelbe Fürwahrhalten, welches in den
alltäglichen Dingen des gemeinen Lebens, deſſen Zufländen,
Berhältniffen, Begebenheiten, oder fonftigen natürlichen Eriften-
zen, Eigenfhaften und Befchaffenheiten an feinem Orte iſt und
gilt. Wenn die ſinnliche äußerliche Unfhanung, oder. das innere
unmittelbare Gefühl, die Zeugniffe Anderer und das ZJutrauen -
zu ihnen uf. f. die Kriterien. find, aus weichen dev Glaube für
dergleichen Dinge hervorgeht, fo kann wohl hiebei ‚eine Ueber⸗
-zeugung, als ein durch Gründe vermittltes Fürwahrhalten,
von. dem Glauben als foldhem unterfchieden werden. Uber dieſe
Unterfheidung ift zu geringfügig, um für ſolche Ueberzeugung
284 V. Vorrede
einen Vorzug gegen den bloßen Glauben zu behaupten; denn
die fogenannten Gründe find nichts anderes, als die rn.
Quellen deffen, was bier Glauben heißt.
Von anderer Art aber ift in Anfehung diefes —
Fürwahrhaltens ein Unterſchied, der ſich auf den Stoff und inss
befondere den Gebrauch bezieht, der von dem Stoffe gemacht
wird, Indem nämlich diejenigen endlichen und äußerlichen Ge—
fehichten und Umftände, welde in dem Umfange des religiöfen‘
Glaubens liegen, in einem Zufammenhange mit der ewigen
Geſchichte, welche die objektive Grundlage der Religion aus
macht, ſtehen, fo fehöpft die Frömmigkeit ihre mannichfaltigen
Erregungen, Erbauungen und Belehrungen über die weltlichen
BVerhältniffe, individuellen Schidfale und Lagen aus diefem
Stoffe, und findet ihre Vorftellungen und den ganzen Umfang
ihrer Bildung meiftentheils oder ganz an jenen Kreis von Ges
ſchichten und Lehren, von welchem die ewige Wahrheit umgeben
if, angeknüpft. Auf alle Fälle verdient folder Kreis, in wels
chem, als einem Volksbuche, die Menſchen ihr Bewußtſeyn über
alle weiteren Berhältniffe ihres Gemüths und Lebens überhaupt
gefhöpft haben, ja. welder aud das Medium ift, durch welches
fie ihre Wirklichkeit zu dem religiöſen Geſichtspunkt erheben,
wenigftens bie größte Achtung und eine ehrfurchtsvolle Behandlung.
Ein Anderes ift es nun, wenn folder Kreis unbefangen
blog von der frommen Gefinnung gebraucht und für diefelbe bes
nust wird, als wenn er vom Verflande gefaßt und wie er von
diefem gefaßt und feftgefegt ift, anderem Werftande fo geboten
wird, daß er Diefem als Regel und Feſtes für das Fürwahrhals
ten ‚gelten, hiemit diefer Verſtand nur dem Berftande fih unters
werfen foll, und, wenn diefe Unterwerfung im Namen der gött⸗
lichen Wahrheit gefordert wird, “ )
| In der That thut foldhe Forderung das Gegentheil ihrer
ſelbſt; da es nicht der göttliche Geift des Glaubens ift, fondern
der Verftand, welcher die Unterwerfung des Verftandes unter ſich
zu Hinrich's Neligionsphilofophie. 285
verlangt, fo wird vielmehr der Verftand unmittelbar dadurch be=
rechtigt, das Hauptwort in den göttlihen Dingen zu haben,
Gegen folden Inhalt des Buchflabens und der Orthodorie hat
der beffere Sinn ein göttliches Recht. So geſchieht es denn,
daf je breiter ſich dieſe endliche Weisheit über- göttliche Dinge
macht, je mehr fie Gewicht auf das äuferlihe Hiftorifche, und
auf die Erfindung ihres eigenen Scharffinns legt, fie defto mehr
gegen die göttlihe Mahrheit und gegen fid) felbft gearbeitet hat,
Sie hat das der göttlichen Wahrheit entgegengefeste Prineip
hervorgebracht und anerkannt, einen ganz andern Boden für das
Erkennen aufgethban und bereitet; auf diefem wird die unendliche:
Energie, die das Princip des Erkennens zugleich im ſich beftgt,
und in der die +tiefere Möglichkeit feiner einfligen Verſöhnung
mit dem. wahren Glauben liegt, fi gegen die Einzwängung in
jenes endliche Verftandesreich kehren, und deſſen Anfprüde, das
Himmelreich feyn zu wollen, zerflören,
Es iſt der beffere Sinn, der empört über den Widerſpruch
folder Anmafung, Endlichteiten und Aeußerlichkeiten als das
Göttliche anerkennen und verchren zu laffen, ausgerüftet mit der
Waffe des endlichen Denkens, als Aufklärung einer Seits
bie Freiheit des Geiftes, das Princip einer geiftigen Relis
gion, hergeftellt und behauptet, anderer Seits aber als nur ab-
firaktes Denten Feinen Unterfbied zu maden gewußt
bat, zwifchen Beftimmungen eines nur endlichen Inhalts, und
Beftinunungen der Wahrheit felbf. So hat diefer abftrakte
Berftand ſich gegen alle Beflimmtheit gekehrt, die Wahrheit
durchaus alles Inhalts entleert, und ſich nichts übrig behalten,
als einer Seits das reine Negative felbft, das caput mortuum
eines nur abftratten Wefens und anderer Seits endlichen Stoff,
Theils den, der feiner Natur nad) endlih und äußerlich ift,
Zheils aber den, den er ſich aus dem göttlichen Inhalt verfhafft
hat, als welchem felbft er zu der Aeußerlichkeit von bloß gemein
biftorifchen Begebenheiten, zu lokalen Meinungen und beſondern
Bu
286 er V. Vorrede
Zeitanſtchten herabgeſetzt hat. — Unthätig kann aber das Den—
ken überhaupt nicht ſeyn. Aus und in jenem Gotte iſt nichts
zu holen, noch zw erholen, denn er iſt bereits in ſich ganz hohl
gemacht. Er ift das Unerkennbare, denn das Erkennen hat es
mit Inhalt, Beftimmung, Bewegung zu thun, das Leere aber ift
inhaltslos, umbeftimmt, ohne Leben und Handlung in fi. Die
Lehre der Wahrheit ift ganz nur dieß, Lehre von Gott zu fehn,
und deffen Natur und Geſchäft geoffenbart zu haben. Der Ver—
fand aber, indem er allen diefen Inhalt aufgelöft hat, hat Gott
wieder eingehüllt und ihn zu dem, was er früher zur Zeit der
bloßen Schnfucht war, zu dem Unbekannten, herabgefegt. Der
denkenden Thätigkeit Lleibt daher kein Stoff, als der vorher an-
gegebene endliche, nur mit dem Bemwußtfeyn und der Be—
ffimmung, daß es nichts als zeitlicher und endlicher Stoff ift;
fie ift darauf befchräntt, in ſolchem Stoffe fi zw ergehen und
die Befriedigung in der Eitelkeit zu finden, das Eitle vielfach
zu geftalten, zu wenden, und rine große Maffe deffelben —
Aue vor ſich zu bringen.
,» Dem Geifle aber, der es in diefer Eitelkeit nicht aushält,
ift nur das Sehnen gelaffen; denn das, worin er fi) befriedigen
wollte, ift ein Jenfeits; es iftgeftaltlos, inhaltlos, beftimmungs-
los; nur durch Geftalt, Inhalt, Beſtimmung ift aber etwas für
den Geift, ift es Vernunft, Wirklichkeit, Leben, ift es an und
für ſich. Jener endliche Stoff aber ift nur etwas Subjektives,
und unfähig, den Gehalt für das leere Ewige abzugeben, Das
Bedürfnif des nad) Religion wieder fuchenden Gheiftes hat
darum näher die VBeftimmung, daß es einen Grhalt, der an und
für fich fey, eine Wahrheit verlangt, die nicht dem Meinen und
dem Eigendünfel des Verftandes angehöre, fondern welde ob=
jettiv fey. Was num diefem Bedürfniffe allein noch übrig bleibt,
um zu einer Befriedigung zu gelangen, ift, in die Gefühle
‚ jurüdgetrieben zu werden. Das Gefühl tt noch die eine
zige Weife, in welcher die Religion vorhanden ſehn kann; am
zu Hinrichs” Religionsphiloſophie. 287
den höhern Geftalten ihrer Eriftenz, an der Form des Vor—⸗
ftellens und Fürwahrhaltens eines Inhalts, hat immer
die Reflerion einen Antheil, und die Reflerion hat ſich bis zur
Regation aller objektiven Beflimmung getrieben,
Dieß find kurz die Grundzüge des Ganges, den die for
melle Reflerion in der Religion genommen hat. Das Syſtem
von fpigfindigen, metaphpfifchen, Tafwiftifhen Unterfcheidungen
und Beftimmungen, in welde der Verftand den gediegenen Ins
halt der Religion zerfplitterte, und auf die er die gleiche Auto—
rität, wie auf die ewige Wahrheit, legte, ift das erfie Hebel, das
innerhalb der Religion felbit beginnt. Das andere Uebel aber,
fo fehr es zunächſt das Gegentheil zu ſeyn fheint, iſt ſchon in
dieſem erften Stahdpuntte gegründet, und nur eine weitere Ent»
wicklung deffelben; es ift das Uchel, daß das Denken als felbft-
fländig auftritt, und mit den formellen Waffen, welden jene
Draffe von dürrer Gehaltlofigkeit ihren Urſprung, und die es
felöft jenem erſten Geſchäfte verdankt, ſich dagegen kehrt, und
fein letztes Princip, die reine Abftraktion felbft, das beflimmungs-
lofe höchſte Wefen, findet. Für die philofophifhe Betrachtung
hat es Intereffe, eben diefes: der Reflerion felbft unerwartete
Umfchlagen in ein Feindfeliges gegen das, was ihr Werk ift, zu
bemerken, — ein Umfchlagen, welches ebenfo nur die a. Be
fimmung der Reflerion felbft ift.
Nah dem Gefagten befiimmt fi) das Uebel, in — die
Aufklärung die Religion und die Theologie gebracht hat,
als der Mangel an gewußter Wahrheit, einem objekti—
sen Inhalt, einer Glaubenslehre. Eigentlid kann jedoch
nur von der Religion gefagt werden, daß fie folden Mangel leide,
denn eine Theologie giebt e8 nicht mehr, wenn es keinen folhen In
halt giebt. Diefe ift darauf reducirt, hiftorifche Gelehrfamteit, und
dann die dürftige Expoſition einiger fubjektiven Gefühle zu feyn.
Das angegebene Refultat aber ift das, was von der religiöfen
Seite geſchehen if, zur Verfühnung des Glaubens und der Ber>
la
rm
288 V. Vorrede.
nunft. Es iſt jetzt noch zu erwähnen, daß die Philoſophie
auch von ihrer Seite zu dieſer Ausgleichung, und zwar auf die—
felbe Weife die Hand geboten hat.
Denn der Mangel, in den die Philofophie — * iſt,
zeigt ſich gleichfalls als Mangel an objektivem Inhalte.
Sie iſt die Wiſſenſchaft der denkenden Vernunft, — wie der re—
ligiöſe Glauben das Bewußtſeyn und abſolute Fürwahrhalten
der für die Vorſtellung gegebenen Vernunft, — und dieſer Wiſ—
ſenſchaft iſt der Stoff ſo dünne geworden, wie dem Glauben.
Die Philoſophie, von welcher der Standpunkt der allgemei-
nen Bildung des Gedankens in neuerer Zeit zunächſt fefigeftellt
worden, und welde ſich mit Recht die kritiſche genannt hat,
bat nichts Anderes gethan, als daß von ihr das Geſchäft der
Aufktärung, weldes zunächſt auf konkrete Vorflellungen und Ge—
genftände gerichtet war, auf feine einfache Formel redueirt wor—
den ift; dieſt Philofophie hat feinen andern Inhalt und Res
fultat, als aus jenem räfonnirenden Verftande hervorgegangen
if. Die kritiſche oder kantiſche Philofophie ift zwar, fo
gut wie die Aufklärung etwas dem Namen nad) Antiquirteg,
Und man würde übel anfommen, wenn man denjenigen, welde
fih die Philofophen unter den Schriftftellern nennen, ferner den
wiffenfchaftlihen Schriftftellern über Materien. der Theologie,
Religion, Moral, fo auch denen, welche über politifhe Angeles
genheiten, Gefege und Staatsverfaffungs- Saden fchreiben, heu—
tiges Tags noch Schuld gäbe, was von Philofophie in ihren
Schriften zu ſeyn fheinen könnte, fey kantiſche Philofophie; fo.
wie man eben fo übel antommen würde, wenn man den räfone_
nirenden Theologen, und noch mehr denen, welche die Religion
auf fubjektive Gefühle fielen, noh die Auftlärung zuſchrei—
ben wollte, — Wer hat nicht die kantiſche Philoſophie widers
legt, oder verbefiert, und wird nit etwa noch jest zum Ritter
an ihr? Mer ift nicht weiter fortgefchritten? Betrachtet; man
aber die Thaten diefer Schrififiellerei, der philoſophiſchen, mora⸗
zu Hinrichs Religionsphiloſophie. 2869
liſchen und der theologiſchen, welche letztere häufig gegen nichts
ſo ſtark, als dagegen, etwas Philoſophiſches ſeyn zu wollen,
proteſtirt, ſo erkennt man ſogleich nur dieſelben Grundſätze und
Recſultate, welche aber hier bereits als Vorausſetzungen und
anertannte MWahrheiten erfcheinen. An ihren Früchten
ſollt ihre fie erkennen. Der Umftand, fi ganz nur auf der
Heerfiraße der Zeitvorftellungen und Vorurtheiie zu befinden,
hindert den Eigendünkel nicht, zu meinen, daß feine aus dem
allgemeinen Strome aufgefchöpften Trivialitäten, ganz originelle
Anfihten und neue Entdedungen auf dem Gebiete des Geiſtes
und der Wiffenfchaft feyen.
Das, was an und für-fid) ift, und was endlich und zeitlich
if, — dieß find die zwei Grundbeflimmungen, die bei einer
Lehre von der Wahrheit vorkommen müffen, und von weldem
Gehalt eine folde Lehre fey, das hängt davon ab, wie diefe
zwei Seiten gefaßt und feitgeftellt- find, und welche Stellung dem .
Geifte zu ihnen angewiefen if. Betrachten wir hiernach die
Wahrheiten der Zeitphilofophie, — Wahrheiten, die fo fehr für
anerkannt gelten, daß fein Wort mehr über fie zu verlieren fey.
Die Eine der abfoluten Vorausfegungen in der Bildung
unſerer Zeit ift, daß der Menfh nichts von der Wahrheit
wiffe. Der aufflärende Berftand ift nicht fomohl zum Bewußt⸗
ſeyn und zum Ausfpredhen diefes feines Refultats gekommen,
als daß er es herbeigeführt hat. Er ift, wie erwähnt worden,
davon ausgegangen, das Denken von jenen Feſſeln des andern
Verſtandes, der auf dem Boden der göttlichen Lehre felbft feine
Endlichkeiten gepflanzt hatte, und für dieß fein mucherndes Un⸗
fraut, die abfolute göttliche Autorität gebrauchen wollte, zu bes
freien, und die freiheit herzuftellen, welde von der Religion der
Wahrheit errungen und zu ihrer Heimath gemacht worden. So
bat er zunädft den Irrthum und Aberglauben anzugreifen den
Willen gehabt, und was ihm wahrhaft gelungen ift zu zer—
ſtören, iſt auch nicht die Religion gewefen, fondern jener
Vermiſchte Schriften. * 19
—
4
290 V. Borrede °
pharifäifche Verfiand der über die Dinge einer andern Welt auf
Weiſe diefer Melt Elug gewefen und feine Klugheiten auch Re—
ligionslehre nennen zu können gemeint bat. Er hat den Irr—
thum entfernen wollen, mur um der Wahrheit Raum zu
machen; er hat ewige Wahrheiten gefucht und anerkannt, und
die Würde des Menſchen noch darein gefeht, daf für ihn, und
für ihm allein, nicht für das Thier, folde Wahrheiten find,
In diefer Abficht follen diefe Wahrheiten das Fefte und Ob-
jettive gegen die fubjettive Meinung und die Triebe des Gefühls
ſeyn, und das Meinen wie die Gefühle wefentlic der Einſicht
der Vernunft gemäß und unterworfen und durch fie geleitet ſeyn,
um eine Berechtigung zu haben.
Die tonfequente und felbfifändige Entwicklung des
Princips des Verftandes führt aber dahin, alle Beflimmung und
damit allen Inhalt nur als eine Endlichkeit zu faffen, und fo
die Geftaltung und Beftimmung des Göttlihen zu vernichten,
Durch diefe Ausbildung ift die objektive Wahrheit, die das
Ziel ſeyn follte, mehr bewußtlos zu der Dünne und Dürre her—
abgebradht worden, welde nun von der Fantifchen Philofophie
nur zum Bewußtfeyn gebradt und als die Beflimmung des
Field der Vernunft ausgefproden zu werden nöthig hatte.
Demnad) ift von diefer die Identität des Verſtandes als
das höchſte Princip, als das legte Refultat wie für das Erken—
nen felbft, fo für feinen Gegenftand, angegeben worden, — das
Leere der atomiftifchen Philofophie, Gott beftimmungslos, ohne
alle Prädikate und Eigenfhhaften, in das Jenfeits des Wiſ—
fens hinaufgefegt, oder vielmehr zur Inhaltslofigkeit herabgefegt
Diefe Philofophie hat diefem Berflande das richtige Bewußt—
feyn über fi gegeben, daß er unfähig ſey, Wahrheit zu erfens
nen; aber indem fie den Geift nur als diefen Verſtand auffafte,
bat fie es zum allgemeinen Sage gebradt, daf der Menſch von
Gott, — und als ob es aufer Gott überhaupt abfolute Gegen-
fände und eine Wahrheit geben könnte — überhaupt von dem,
zu Hinrichs“ Religionsphiloſophie. 291
was an ſich iſt, nichts wiſſen könne. Wenn die Religion die
Ehre und das Heil des Menſchen darein ſetzt, Gott zu erkennen,
und ihre Wohlthat darein, ihm dieſe Erkenntniß mitgetheilt und
das unbekannte Weſen Gottes enthüllt zu haben, fo iſt in dies
fer Philoſophie im ungeheuerften Gegenfage gegen die Religion,
der Geift zu der Beſcheidenheit des Viehs, als zu feiner höchſten
Beſtimmung, verkommen, nur daß er unfeliger Meife den Bor
zug befige, nod das Bewuftfeyn über diefe feine Unwiſſenheit
zu haben; wogegen das Vieh in der That die viel reinere, wahr»
bafte, nämlich die ganz unbefangene Befcheidenheit der Unwiſſen—
heit befist. Dief Refultat darf man unn wohl dafür anfehen,
daß es mit weniger Ausnahme allgemeines Vorurtheil unferer
Bildung geworden iſt. Es hilft nichts, die Fantifche Philoſophie
widerlegt zu haben, oder fie zu verachten; die Fortſchritte und
Einbildungen von Fortfchritten über fie hinaus, mögen ſich fonft
auf ihre Weife viel zu thun gemacht haben; fie find nur die-
felbe Weltweisheit, wie jene, denn fie leugnen dem Geifte die
Fähigkeit und die Beftimmung zur objektiven Wahrheit.
Das andere hiemit unmittelbar zufammenhängende Prin—
eip diefer Weisheit ift, daß der Geift, indem er freilich erfennend,
aber die Wahrheit ihm verfagt ift, es nur mit Erfcheinungen,
mit Endlichkeiten zu thunm haben kann. Die Kirche und die
Frömmigkeit haben häufig die weltlichen Wiffenfchaften für ver-
dächtig und gefährlih, ja oft für feindfelig gegen fie gehalten,
und diefelben dafür angefehen, daf fie zum Atheismus führen. Ein
berühmter Aſtronom foll gefagt haben, er babe den ganzen
Himmel durchſucht, und keinen Gott darin finden können. In
der That geht die weltlihe Wiſſenſchaft auf Erkennen des
. Endlihen; indem fie in das Innere deffelben hineinzufteigen
fi) bemüht, find Urfachen und Gründe das Letzte, bei welchem
fie fich beruhigt. Aber diefe Urſachen und Gründe find wefent-
lid ein dem zu Erklärenden Analoges, und darum find es
gleichfalls nur endliche Kräfte, welche in ihren Bereich fallen.
19 *
298 V. Vortede
Wenn num glei) diefe Miffenfehaften ihre Erkenntniffe nicht
zur Region des Emigen, — weldes mehr als nur ein Ueber:
finnliches ift, (denn auch jene Urfahen und Kräfte, das Innere,
welches vom refleftirenden Verſtande erzeugt und auf feine Weiſe
erkannt wird, find nicht ein Sinnliches) — hinüber führen, da
fie nicht das Geſchäft diefer Vermittlung haben, fo ift doch die
Wiſſenſchaft des Endlichen durch nichts abgehalten, eine gött-
liche Sphäre zujugeben. Gegen eine ſolche höhere Sphäre liegt
es für fi) ganz nahe, dasjenige, was nur durch die Sinne und
die verfländige Reflerion in das Bewuftfeyn kommt, für einen
Inhalt anzuerkennen, der nichts an und für fih, der nur Er—
fcheinung if. Aber wenn auf die Erfenntnif der Wahrheit
überhaupt Verzicht geleiftet ift, dann hat das Erkennen nur
Einen Boden, den Boden der Erfcheinung. Auf diefem
Standpunkte kann es aud in den Bemühungen der Erkenntniß
mit einer von ihr fonft als göttlid anerkannten Lehre nicht um
die Lehre ſelbſt, fondern allein um die äuferlihe Umgebung
derfelben zu thun ſeyn. Die Lehre für fich bleibt außer dem
Intereſſe der geiftigen Thätigkeit und es kann nicht eine Einfiht,
ein Glaube und Ueberzeugung von derfelben gefucht werden,
denn ihre Inhalt ift als das Unerreihbare angenommen. So
muß die Befhäftigung der Intelligenz mit den Lehren der Re—
ligion fih auf ihre erfcheinenden Seiten beſchränken, fih auf
die äußerlichen Umſtände werfen, uud das Antereffe einem Hi—
ftorifhen werden, einem folden, wo der Geift cs mit Bers
gangenheiten, einem von ſich Abgelegenen, zu thun hat, nicht
felbf darin präfent if. Was die ernfihafte Bemühung
der Gelehrfamkeit, des Fleißes, des Scharffinns u. f. f. heraus
bringt, wird gleichfalls Wahrheit genannt, und ein Meer ſolcher
Mahrheiten zu Tage gefördert und fortgepflanzt; aber dieß find
nicht Wahrheiten der Urt, wie fie der ernfte Geift der Religion
für feine Befriedigung fordert,
Wenn nun das, was dieffeits if, und Gegenwart
zu Hinrichs” Neligionsphilofophie, 293
für den Geiſt hat, dieſes breite Reich des Eiteln und Erſchei—
nenden iſt, das aber, was an und für ſich iſt, dem Geiſte ent—
rückt, und ein leeres Jenſeits für ihn iſt, wo findet er noch ei—
nen Drt, in weldem ihm das Subftantielle begegnete, das Ewige
an ihn käme, und er zur Einigkeit damit, zur Gewißheit und
dem Genuffe derfelben gelangen könnte? Es ift nur die Res
gion des Gefühls, wohin fih der Trieb zur Wahrheit flüch-
ten kann. Das Bewuftfeyn vermag das Gehaltvolle, vor der
Reflerion niht Wankende nur noch in der eingehüllten Weiſe
der Empfindung zu ertragen. Diefe Korm ermangelt der Ges
genftändlichkeit und der Beftimmtheit, die das Miffen und der
feiner bewußte Glauben erfordert, die aber der Verſtand zu
nichte zu machen gewußt hat, vor welcher eben wegen diefer Ge—
fahr die Religiofität ſich nur fürchtet und deswegen in diefe
Einhüllung zurüdzicht, welche, dem Denken keine Seite, zum
dialektifchen Angriff darzubieten feheint. Im folder Religiofität,
wenn fie aus ächtem Bedürfniffe hervorgeht, wird die Seele den
verlangten Frieden finden, indem fie durch die Intenfität und ,
Innerlidfeit das, zu ergänzen befirebt ift, was ihr an Inhalt
und Ertenfion des Glaubens abgeht.
Es muß aber nody als das dritte allgemeine Vorur—
theil die Meinung angeführt werden, daf das Gefühl die wahr-
bafte und fogar einzige Form ſey, im welder die Neligiofität
ihre Aechtheit bewahre.
Unbefangen ift zunächſt diefe NReligiofität nicht mehr. Der
Gift fordert überhaupt, weil er Geift ift, daß was in dem Ge—
fühle ift, für ihn aud in der Vorftellung vorhanden ſey, der
Empfindung ein Empfundenes entfpredhe, und die Lebendigkeit
der Empfindung nicht cine bewegungslofe Koncentration bleibe,
fondern zugleich eine Befchäftigung mit objektiven Wahrheiten
und dann, was in einem Kultus geſchieht, eine Ausbreitung zu
Handlungen ſey, welde fowohl die Gemeinfamteit der Geifler
in der Religion, beurtunden, als au, wie die Beſchäftigung
294 V. Morrede
mit den Wahrheiten, die religiöfe Empfindung nähren und in
der Wahrheit erhalten, und ihr den Genuß derfelben gewähren.
Aber ſolche Ausdehnung zu einem Kultus wie zu einem Umfange
von Blaubenslchren verträgt ſich nicht mehr mit der Form des
Gefühls; vielmehr ift die Neligiofität in der bier betrachteten
Geftalt aus der Entwiclung und Objektivität zum Gefühle ge—
flohen, und hat diefes polemifch für die ausfchliefende oder über—
wiegende Form erklärt. :
Hier ift es denn, wo die Gefahr diefes Standpuntts, und
fein Umſchlagen in das Gegentheil deffen, was die Religiofität
in ihm fucht, den Anfang nimmt, Dies ift eine Seite von
größter Wichtigkeit, welche nur kurz noch zu berühren ifl; wobei
id mid, ohne in die Natur des Gefühls hier weiter eingehen
zu können, nur auf das Allgemeinfte berufen muf. Es kann
kein Zweifel dagegen Statt finden, daf das Gefühl ein Boden
ift, der für fih unbeftimmt, zugleich das Mannigfaltigfte und
Entgegengefegtefte in ſich ſchließt. Das Gefühl für fi ift die
natürliche Subjektivität, ebenfo wohl fähig gut zu feyn, als
böfe, fromm zu feyn, als gottlos. Wenn daher, nachdem vor=
mals die fogenannte Vernunft (was aber in der That der end—
liche Berftand und deffen Räfonnement war) zum Entfcheiden-
den fowohl über das, was ich für wahr halten, als was mir
Grundfag für das Handeln ſeyn foll, gemadt worden war, nun
das Gefühl es feyn foll, aus welchem die Entfheidung, was ich
fey und was mir gelte, hervorgehen foll, fo ift auch noch der
Schein von Objektivität verfhwunden, der wenigftens im Prin=
cip des Verftandes liegt; denn nad diefem foll das, was mir
gelten foll, doc auf einem allgemein gültigen Grunde, auf ets
was, das an und für fich ſey, beruhen. Noch beftimmter aber
gilt in aller Religion, wie in allem fittliben Zufammenleben
der Menfchen, in der Familie wie im Staate, das an und für
ſich ſeyende Göttliche, Ewige, Wernünftige, als ein objettives
Gefeg, und dies Objektive fo als das Erfie, daf das Ge—
zu Hinriche? Neligionephilofophie. 295
fühl durch daffelbe allein feine Haltung, allein feine wahrhafte
Richtung bekomme. Die natürlichen Gefühle follen vielmehr
durch die Lehren und die Hebung der Religion und durch die
feften Grundfäge der Sittlicykeit beftimmt, berichtigt, gereinigt,
und aus diefen Grundlagen foll erft in das Gefühl gebradt
werden, was dafjelbe zu einem richtigen, veligiöfen, moras
lifhen Gefühle macht.
„Der natürliche Menſch vernimmt nichts vom Geiſte
Gottes und kann es nicht erkennen, denn es muß geiſtlich ge—
richtet feyn.” Der natürlide Menſch aber ift der Menſch in
feinen natürlichen Gefühlen, und diefer iſt es, der nad) der
Lehre der Subjektivität zwar nichts erkennen, aber allein es ſeyn
fol, der, wie er als natürliher Menſch ift, den Geift Gottes
vernehme. Unter den Gefühlen des natürlichen Menſchen be—
findet ſich freilich aud ein Gefühl des Göttliche, ein anderes
jedoch ift das natürliche Gefühl des Göttliden, ein anderes ber
Geift Gottes. Aber welde andere Gefühle finden ſich nit noch
in der Menſchen Herz? Selbft daf jenes natürliche Gefühl ein
Gefühl des Göttlichen ſey, Liegt nicht im Gefühle als natür—
lihem; das Göttliche ift nur im und für den Geift, und der
Geift ift dich, wie oben gefagt worden, nicht ein Naturleben,
ſondern ein Wiedergeborner zu ſeyn. Soll das Gefühl die
Grundbeſtimmung des Weſens des Menſchen ausmachen, ſo iſt
er dem Thiere gleichgeſetzt, denn das Eigene des Thieres iſt es,
das, was ſeine Beſtimmung iſt, in dem Gefühle zu haben, und
dem Gefühle gemäß zu leben. Gründet ſich die Religion im
Menſchen nur auf ein Gefühl, fo hat ſolches richtig keine wei—
tere Beflimmung, als das Gefühl feiner Abhängigkeit
zu ſeyn, und fo wäre der Hund der befte Chrift, denn ‚er trägt
diefes am flärkften in ſich, und lebt vornehmlich in diefem Ges
fühle. Auch Erlöfungsgefühle hat der Hund, wenn feinem Hun—
ger durch einen Knochen Befriedigung wird, Der Geiſt hat
hat aber in der Religion vielmehr feine Befreiung und das Ge-
296 V. Borrede
fühl feiner göttlichen Freiheitz nur der freie Geift hat Religion
und kann Religion haben; was gebunden wird in der Religion,
ift das natürliche Gefühl des Herzens, die befondere Subjekti—
pität; was in ihr frei wird, und eben damit wird, ift der Geiſt.
In den fihlechteften Religionen, und dies find foldhe, in welchen
die Knchtfhaft und damit der Aberglaube am mächtigſten iſt,
ift für den Menſchen in der Erhebung zu Gott der Ort, wo
er feine Freiheit, Unendlichkeit, Allgemeinheit, — d. i. das Hö—
here, was nicht aus dem Gefühle als foldem, die aus dem
Geifte ſtammt, — fühlt, anfhaut, genießt.
Wenn man von religiöfen, fittlichen uff. Gefühlen fpricht,
ſo wird man freilich fagen müffen, daf dieß ächte Gefühle feyen;
und wenn dann (wie wir von da aus auf diefen Standpunkt
gekommen find) das Miftrauen oder vielmehr die Verachtung
und der Haß des Denkens, — die Mifologie, von welder ſchon
Plato fpridt, — binzugefommen ift, fo liegt es nahe bei der
Hand, in die Gefühle für fi das echte und Göttliche zu ſetzen.
Es wäre, befonders zunächſt in Beziehung auf die hriftliche Re—
ligion, freilich nicht nothwendig, für den Urfprung der Religion
und Wahrheit nur eine Wahl zwifchen Verſtand und Gefühl
zu fehen, und man muf das, was die hriftliche Religion für
ihre Quelle angiebt, die höhere göttlibe Offenbarung, bereits
befeitigt haben, um auf jene Wahl beſchränkt zu fepn, und dann
nad Verwerfung des Verftandes, ferner des Gedankens über—
haupt, eine chriſtliche Lehre auf Gefühle gründen zu wollen. —
Wenn aber überhaupt das Gefühl der Sig und die Quelle des
MWahrhaftigen ſeyn foll, fo überficht man diefe weſentliche Na—
tur des Gefühls, daß es für fi eine bloße Form, für fid
unbeftimmt ift, und jeden Inhalt in ſich haben kann. Es if
Nichts, was nicht gefühlt werden kann, und gefühlt wird. Gott,
Wahrheit, Pflicht wird gefühlt, das Böſe, die Lüge, Unrecht
ebenfo fehr; alle menſchlichen Zuftände und Verhältniffe werden
gefühlt; alle Vorſtellungen des Verhältniffes feiner felbft zu gei—
zu Hinrichs' Religionsphiloſophie. 297
ſtigen und natürlichen Dingen werden Gefühle. Wer wollte es
verſuchen, alle Gefühle, vom religiöſen Gefühle, Pflichtgefühle,
Mitleiden an, u. f. f. zum Neide, Haß, Hochmuth, Eitelkeit,
u. ſ. f. Freude, Schmerz, Traurigkeit, w. fo fort zu nennen und
aufzuzählen. Schon aus der Verfhiedenheit, nod mehr aber
aus dem Gegenfage und Widerfpruche der Gefühle, läßt auch
für das gewöhnliche Denken, der richtige Schluß fi) machen,
daß das Gefühl etwas nur Formelles ift, und nit ein Princip
für eine wahrhafte Beltimmung feyn kann. Ferner iſt ebenfo
richtig zu fliegen, daß, indem das Gefühl zum Princip ges
macht wird, es nur darum zu thun ift, dem Subjette zu übers
laffen, welche Gefühle es haben will; es ift die abfolute Un—
befiimmtbeit, welche das Subjekt fh als Mlaafftab und Be—
rechtigung giebt, d.h. die Willkür und das Belieben, zu ſeyn und
zu thun, was ihm gefällt, und fi zum Orakel deffen zu machen,
was gelten, was für Religion, Pfliht, Recht, edel gelten foll.
Die Religion, wie Pfliht und Recht, wird und fol auch
Sache des Gefühls werden, und in das Herz einkehren, wie auch
die Freiheit überhaupt fih zum Gefühle herabſenkt, und im
Menſchen ein Gefühl der jjreiheit wird. Allein ein ganz Ans
deres iſt es, ob folcher Inhalt, wie Gott, Wahrheit, Freiheit aus
dem Gefühle gefhöpft, ob diefe Gegenftände das Gefühl zu ih—
rer Berechtigung haben follen, oder ob umgekehrt folder objekti—
ver Inhalt als an und für fi gilt, in Herz und Gefühl erft
einkehrt, und die Gefühle .erft vielmehr wie ihren Inhalt, fo ihre
Beſtimmung, Berichtigung und Berechtigung von demfelben er—
halten. Auf diefen Unterfbied der Stellung kommt
Alles an. Auf ihm beruht die Abfcheidung alter Rechtlichkeit
und. alten Glaubens, wahrhafter Religiofität und Gittlichkeit,
welche Gott, Wahrheit und Pflicht zu dem Erflen made,
von der Verkehrtheit, dem Eigendünkel und der abfoluten Gelbft-
fucht, welche in unferer Zeit aufgegangen, und den Eigenwillen,
das eigne Meinen und Belieben zur Regel der Religiofität und
298 V. Borrede
des Rechten macht. Gehorfam, Zucht, Glaube im alten Sinne
des Worts, Ehrfurcht vor Gott und der Wahrheit, find die
Empfindungen, welde mit der erfteren Stellung zufammenhän-
gen und aus ihr hervorgehen, Eitelkeit, Eigendüntel, Seichtig—
keit und Hochmuth, die Gefühle, welde aus der zweiten Stel»
fung hervorgehen, oder es find vielmehr diefe Gefühle des nur
natürlichen Menſchen, aus welden diefe Stellung entfpringt.
. Die bisherigen Bemerkungen wären geeignet, den Stoff
für eine weitläufige Ausführung zu geben, welche ich Theils
von einigen Seiten deffelben anderwärts fehon gemacht, Theils
aber ift zu einer folden bier der Ort nicht. Sie mögen nur
Erinnerungen an die angeregten Gefihtspuntte feyn, um das—
jenige näher zu bezeichnen, was das Uebel der Zeit und da=
‚mit was ihr Bedürfnif ausmadht. Diefes Uebel, die Zu—
fälligteit und Willtür des fubjettiven Gefühls und
feines Meinens, mit der Bildung der Reflerion verbuns
den, welche es ſich erweift, daß der Geift des Wiffens von
Wahrheit unfäbig ſey, ift von alter Zeit her Sophiftes
rei genannt worden. Gie ift es, die den Spisnamen der
Weltweisheit, den Hear Friedr. von Schlegel neuerlichft wies
der hervorgefucht hat, verdient; denn fie ift eine Weisheit im,
und von demjenigen, was man die Welt zu nennen pflegt,
von dem AZufälligen, Unwahren, Zeitlihen; fie ift die Eitelkeit,
welche das Eitle, die Zufälligkeit des Gefühls und das Belie-
ben des Meinens zum abfoluten Principe deffen, was Recht
und Pflicht, Glaube und Wahrheit fey, erhebt. Man muß freis
lich oft diefe fophiftifhen Darftellungen Philofophie nennen hö—
ren; doc widerſpricht nun auch felbft diefe Lehre der Anwen-
dung des Namens von Philofophie auf fie, denn von ihr Tann
man häufig hören, daf es mit der Philofophie nichts
fey. Sie hat Recht, von der Philofophie nis wiffen zu wol-
len; fie fpricht damit das Bewußtſeyn deffen aus, was fie in
der That will und ift. Won je ift die Philofophie im Streite
zu Hinrichs? Meligiongphilofophie. 299
gegen die Sophiftit gewefen; diefe kann aus jener nur die fors
melle Waffe, die Bildung der Reflerion, nehmen, hat aber am
Inhalte nichts Gemeinfchaftliches mit ihr, denn fie ift eben dieß,
alles Objektive der Wahrheit zu fliehen. Auch der andern Quelle
der Wahrheit, wie die Wahrheit Sache der Religion ift, der
heiligen Schriften der Offenbarung Tann fie ſich nicht bedienen,
um einen Inhalt zu gewinnen; denn diefe Lehre anerkennt kei—
nen Grund, als die eigene Eitelkeit ihres Dafürhaltens und
Dffenbarens. . i
Mas aber das Bedürfnif der Zeit betrifft, fo ergiebt
fih, daß das gemeinſchaftliche Bebürfnif der Religion
und der Philofophie, auf einen fubftantiellen, objek—
tiven Inhalt der Wahrheit geht. Wie die Religion von
ihrer Seite und auf ihrem Wege ihrem Inhalte wieder Anfehen,
Ehrfurdt und Autorität gegen das belichige Meinungswefen
verfhaffe, und fih zu einem Bande von objektivem Glauben,
Lehre, auch Kultus herftelle, diefe Unterfuhung für fih von fo
weitreichender Natur, müßte zugleich den empirifhen Zuftand
der Zeit nad) feinen vielfachen Richtungen in gründliche Rück—
fit nehmen, und daher wie hier nicht an ihrem Orte, auch
überhaupt nicht bloß philofophifcher Art feyn. An einem Theile
des Gefchäfts, dieß Bedürfniß zu befriedigen, treffen aber die
beiden Sphären der Religion und der Philoſophie zuſammen.
Denn dief kann wenigftens erwähnt werden, daß die Entwids
lung des Geiftes der Zeiten es herbeigeführt hat, daß dem Be—
wußtſeyn das Denken, und die Meife der Anfiht, welde
mit dem Denken zufammenhängt, zu einer unabweislidhen
Bedingung deffen geworden ift, was es für wahr gelten
laſſen und anerkennen fol. Es ift hier gleichgültig auszumachen,
in wie weit es nur ein Theil der religiöfen Gemeinde fehn
möchte, welcher ohne die Freiheit des denkenden Geiftes nicht
mehr zu leben, d. h. nicht mehr geiftig zu exiſtiren fähig wäre,
oder im wiefern vielmehr die ganzen Gemeinden, in denen ſich
302 V. Bortede
wiffen, d. i. nur fühlen und anſchauen, fomit nur ſinnlich foll
wiffen können.
, Die ältern griechifhen Dichter gaben von der göttlichen
Gerechtigkeit die Worftellung, daß die Götter das ſich Erhebende,
das Glüdlidhe, das Ausgezeichnete anfeinden und es berabfegen.
Der reinere Gedanke von dem Göttlihen hat diefe Vorftellung
vertrieben, Plato und Ariftoteles Ichren, dag Gott nicht nei—
difch ift, und die Erkenntniß feiner und der Wahrheit den
Menſchen nicht vorenthält. Was wäre es denn anders als
Neid, wenn Bott das Wiſſen von Gott dem Bewuftfeyn ver—
fagte; er hätte demfelben fomit alle Wahrheit verfügt, denn
Gott ift allein das Wahre; was fonft wahr ift und etwa kein
göttlicher Inhalt zu feyn ſcheint, ift nur wahr, infofern es in
ihm gegründet ift, und aus ihm erkannt wird, das Uebrige daran
ift zeitliche Erfcheinung. Die Erkenntniß Gottes, der Wahrheit,
ift allein das den Menſchen über das Thier Erhebende, ihn
Yuszeichnende, und ihn Beglüdende, oder vielmehr Vefeligende,
nah Plato und Arifioteles, wie nad) der chriſtlichen Lehre.
Es ift die ganz eigenthümliche Erſcheinung diefer Zeit, auf
der Spite ihrer Bildung zu jener alten Vorſtellung zurüdges
ehrt zu feyn, daß Gott das Immittheilende fey, und feine Nas
tur dem menſchlichen Geifte nicht offenbare. Diefe Behauptung
von dem Neide Gottes muß innerhalb des Kreifes der chriſtlichen
Religion um fo mehr auffallen, als diefe Religion nichts ift
und feyn will, als die Offenbarung defien, was Gott if,
und die hriftlihe Gemeinde nichts ſehn foll, als die Gemeinde,
in die der Geift Gottes gefandt und in welcher derfelbe, — der
eben, weil er Geift, nicht Sinnlichkeit und Gefühl, nicht ein
Vorſtellen von Sinnlichem, fondern Denken, Wiffen, Erkennen,
und weil er der göttliche, heilige Geift ifl, nur Denten, Wiffen
und Erkennen von Gott iſt, — die Mitglieder in die Erkennt-
niß Gottes leitet. Was wäre die riftliche Gemeinde noch, ohne
diefe Erkenntniß? was ift eine Theologie ohne Erkenntniß Got-
zu Hineiche’ Meligionsphilofophie. - 303
tes? Eben das, was eine Philofophie ohne diefelbe ift, ein tö—
nend Erz und eine klingende Schelle!
Indem mein Freund, der mit nachſtehender Schrift ſich
dem Publikum zum erftenmale vorfiellt, gewünfcht hat, daß ich -
derfelben- ein Vorwort voranfhiden möge, fo mußte ſich mir das
bei die Stellung zunächſt vor Augen bringen, in welche ein folder
Verſuch, wie eine ſpekulative Belradhtung der Religion ift, zu
denjenigen tritt, dem er auf der Oberfläche der Zeit zunächſt
begegnet. Ich glaubte in diefem Worworte den Verfaffer, felbft
daran erinnern zu müffen, welde Aufnahme und Gunft er fi
von einem Zuftande zu verfpredhen habe, wo dasjenige, was ſich
Philoſophie nennt, und wohl den Plato felbft immer im Munde
führt, auch Feine Ahnung von dem mehr hat, was die Natur
des fpelulativen Denkens, der Betrachtung der Idee, ift — wo
in PBhilofophie wie in Theologie, die thierifche Unwiffen-
beit von Gott, und die Sophifterei diefer Unwiffene
beit, melde das individuelle Gefühl und das fubjektive Mei—
nen, an die Stelle der Glaubenslcehre wie der Grundfäge der
Rechte und der Pflichten fest, das große Wort führt, — wo
die Schriften von chriftlihen Theologen wie eins Daub und
Marheineke, welde noch die Lehre des Chriftenthbums wie
das Recht und die Ehre des Gedankens bewahren, und Schrif—
ten, worin die Grundfäge der Vernunft und Sittlichkeit gegen
die den fittlihen Zufammenhalt der Menfchen und des Staats
wie die Religion zerfiörenden Lehren, vertheidigt und durch den
Begriff begründet werden, die ſchnödeſte Berunglimpfung der
Seichtigkeit und des übeln Willens erfahren. s
Mas aber meines Freundes eigene Tendenz bei der Abfaf-
fung feiner Abhandlung gewefen, Tann ich nicht beffer als mit
deſſen Worten fagen; er fihrieb mir darüber in einem Briefe
vom 25. Jan. d. I. I. Folgendes;
„Mein Buch hat jest eine ganz andere Geſtalt gewonnen,
„als es in dem Ihnen zugefandten Manuſcripte hatte und ha—
V. Vorrede zu Hinrichs? Religiondphilofophie.
n konnte; und wird, wie ich hoffe, Sie jetzt mehr anſprechen.
iſſelbe iſt aus dem Bedürfniſſe meines Geiſtes fo eigentlich
vorgegangen. Denn von Jugend auf war die Religion
„ine Frömmelei) mir immer das Höchſte und Heiligſte, und
hielt fie für wahr, aus dem ganz einfahen Grunde, weil
Geiſt des Menſchengeſchlechts in diefer Hinſicht ſich nicht
ſchen läßt. Die MWiffenfhaft nahm mir aber das vorftel-
ve Element, in welchem ich die Wahrheit zu ſchauen ge=
bt war, und was war natürlicher, als daß ich die durch
Wiſſenſchaft in mir bewirkte höchſte Entzweiung und höchſte
meiflung aufzuheben, und fo in-dem Elemente des Wiffens
Verſöhnung zu gewinnen bemüht war, Dann fagte ih zu
e felber: kann ich das, was in dem Chriftentyum als die
folute Wahrheit vorliegt, nicht durd die Philofophie in der
, men Korm des Wiflens begreifen, fo daß die Idee felber
efe Form if, fo will ich nichts mehr von alter Philoſophie
iffen. — Uber dann muß die Wiffenfhaft (fuhr ich weiter
ei) wie fie fih als chriſtliche Philofophie in der neuern Zeit
„entwidelt bat, felbft das höchſte Erzeugniß des Chriftenthums
„ſehn, und fo wurde diefe Unterfuchung, die ich in dem Buche
„ausgeführt habe, meine Aufgabe, welche ic) denn von Seiten
„Der Religion zu meiner Beruhigung und damit zur Anerken⸗
mung der Wiſſenſchaft zu löfen beftrebt gewefen bin.“
Beerlin, am ÖOftertage 1822.
Hegel.
VI.
| | Drei *
lateiniſche Reden,
gehalten — der
Friedrich Wilhelms: Univerfität zu Berlin.
Den 9. Decbr. 1829. — Ten 18. Octbr. 1829. — Den 25. Juli 1830,
Vermiſchte Echriften. * 20
1. Hiebe bei ber Promotion des Dr, Kafe.
Den 9. Decht 1829
E: iam profligatis tam strenue adversariis fuis, et disser-
talione tua fortiter defensa atque confirmata, — quod
specimen eruditionis tuae ad ea specimina accedit, quibus
ordini philosophico comprobasti, te scienliae, quam tibi
colendam sumsisti, non solum maxima cum fide et in-
dustria addiscendae operam dedisse, sed etiam iam in
“ perficienda illa et ulterius, quam ipsam tibi traditam ac-
cepisti, provehenda, cum solertia et acumine te versari, —
meum nunc est, tibi, doctissime candidate, de his omnibus
taın feliciter perfectis ex animo congratulari, Atque hoe
quidem. tum ex autoritale ordinis nostri, tum etiam ex
animi mei propria sentenlia facio. Quamvis enim opinio
quaedam vulgus pervadat, ab ea ratione, qua tu sciehtiam
mineralogicam excoluisti atque adauxisti, non solum diver-
sam esse, sed eliam alienam philosophicam cognoscendi
et sciendi rationem; diversam quidem concedo esse utram-
que, sed tantum ex mea sententia abest, ut sibi repu-
gnent, ut potius philosophia ipsa ex illo studii modo, quo
tu scienliam aggressus es, fructum percipiat, imo illum ut ,
20 *
308 VI, Drei Meden.
sibi necessarium postulet. Inde ab antiquitate quidem
sibi opposita judicantur, quae sensibus obnoxia sint sen-
sibusque cognoscanlur, et ea, quae a mente in se ipsamı
reversa pereipianlur; — deinde vero eliam sibi plane op-
posita habentur illa, quae ex observatione atque experi-
entia sciamus et ea, quae ex ratione hauriamus; nec raro
alteri cognoscendi modo ab altero maledici, alterum ab
altero contemni et despici videmus. Neque vero in solis
philosophorum et doctorum scholis sententia de repugnan-
tia illa obtinet, sed ipsa etiam religione confirmatur; haec
enim praecipit, ut a sensibus rebusque forluitis animum
avocemus, et a eupiditatibus, quae circa hoc rerum genus
versanlur, volunfatem ad studium et ad amorem earum,
quae aeternae sunt et ad mentem penitiorem perlinent, con-
vertamus. Quam doctrinam religioni et philosophiae commu-
nem quamvis et nostram esse fateamur eamque ita lueamur,
ut omnes bonos honestosque viros in illa consentientes
censeamus, — slaluimus, istam doctrinam neutiquam re-
pugnare illi consensui et amicitiae, quam inter philoso-
phiam ef eas scientias, quae uno vocabulo empiricae nun-
cupari solent, revera oblinere reputamus. Profecto enim
recte quidem inde a primis annis docemur et exercemur, ne
sensuum fallaciis nos decipi nec ab iis illecebris, quibus ani-
mum deliniunt, abripi patiamur; recte quidem a sensibus ani-
migue cupiditatibus rebusgne fortuitis ad rationem, unicam
veri honestique fontem nos convertere admonemur. Si qui-
dem’ea quarundam scientiarum eondilio foret, ut tolae e sen-
sibus penderent, eas illä, quam diximus reprobatione eoque
'contemtu involvi, merito reputaremus. Haec vero non
est illarum scientiarum conditio; neuliquam enimsolo visu,
auditu, olfactu, odoratu et tactu, neque obseuris animi in-
ternis sensationibns absolvuntur neque abseolvi volunt,
sed aliam eamque maiorem sibi rem proponunt. Id enim
1. Mede bei der Promesise tes De, Sof _ 8
agunt, ut rerum modum mensuramgue definitam cozne-
zcant, ut earum leges perennesque nermas ediscant; ‚et
inm esse censent, si illa, quae casui obnoxia et fortuita
sunf, accurate ab eo separaverint, quo rei natura sibi con-
stans absolvatur. Mensura antem legesque rerum ad men-
iem pertinent, et quamvis initiam cognoscendi a sensibus
et observationibus fiat, — nisi illis mentis acumen inter-
naque ideae informatio praesideat et praeluceat, nunguam
inde aliquid generale‘ et necessarium et quod scientiae
proficiat, redundabit. Hlud autem ipsum metrum legesque
rerum proxima sunt maleria philosophiae ipsius, quae qui-
dem id sibi propositum habet, ut earum, quae per expe-
rientiam constent leges, primum fontem cognoscat easque
ex hac sua inlima origine progressas esse videat et de-
monstret. Neque enim mens ipsa et ratio, nec quae en-
rum scienlia est, philosophia in vacuo versantur, — quac
quidem multorum opinio est, — sed in recessu suo post-
quam mens ipsam rerum omnium simplicem ideam et fon-
tem intuita est atque concepit, progreditur ad ulteriorem
ideae suae determinationem, et initium huius laboris ac
definiendae rerum universitatis sibi sumit ab illa, quam
dixi, materia, qua per scientias ab eo, quod fortuitnm est,
pargatä atque eum in modum excultä, ut in usum philo-
sophiae possit converli, non potest non gaudere eamque
grato animo accipere. Laetatur itaque philosophia isto
scientiarum progressu, quo non rudis indigestaque moles
observationum crescat, sed quo cognitio definitarum pro-
portionum augeatur, In quo labore quum tu, doctissime
candidate iam feliciter versatus sis, eamque tuam soller-
tiam ordini nostro abunde demonstraveris, non est, quod
. diutius morer, industriae, sagacitatisque tuae fructum pu-
blice in te conferre, teque summo in philosophia honore
312 VE Drei Reben.
cuius magnam partem esse indulgentiam, eäque veniam,
quae mihi expetenda esset, iam contineri debui putare.
Maxime deinde animum erexit ipsa rei magnitudo et
auctoritas, ad cuius regendae nomen et speciem vocalus
esse videor. Revera enim legibus regimur; unius ingenio
et arbitrio nec opus nec ei locus est. Universitas haec
litteraria propriä gaudet firmitate et spontanea valetudine;
condita est primum et quotannis aucta regiä sapientiä al-
que insigni munificentia, sustentata saluberrimis consiliis
et curis Viri excellentissimi, qui huic parti rerum publi-
carum praeest, eorumque illustrium virorum, quorum pru-
dentia et opera ulitur, instructa denique doctrinä, ingenio
et faına praestantissimorum collegarum. Itaque hoc aedi-
fielum'ita in se perfectum est, ut amplitudine, ad
illad pervenisse laetamur, non prematur, sed potius con-
firetur, ut denigue tenuitatem hominis singularis tum ad
illad Augendum atque promovendum, fum ad detrimentum
ei adferendum paululum modo, aut, ut verius dicam, paene
nihil valere existimandum "sit, | illa autem, quae necessa-
ria institulo officia magistratuam praestanda sunt, ipsam
rei nagnitudinem nonnisi procul attingant, ita ut si vires
meae eis desint, illa ipsa sibi sufficiat et se tueatur.
' Neque' vero hane rerum nostrarum rätionem in pro-
spera illa conditione esse positaım solum reputandum mihi
erat, sed Academiam nostram propositum suA nalurä sim-
plieius habere quam aliainstituta, quae ad tuendam et
augendam sanctam hominum consociationem destinata
sünt. ' Non enim nostrum est, debellare malignitatem
animi humani et quae inde crimina progignuntur, neque
propulsare incommoda, quibus corpora nostra vexantur,
vita in periculum vocatur; neque aliis malorum generi-
bus occurrere, quibus fragilitas humana laborat. In pla-
- eida adhuc regione versamur, in portu degimus a tempes-
2, Rede beim Antritt des Rektorats. 3413
tatibus adhuc intacto, quibus suo omnes tempore obiici
eommune fatum est, in atrio laborum sumus, quos a pro-
wectiore aetate respublica et generis humani sors difficilis
postulant. Negotium est nobis cum iuventule; curae no-
bis sunt litterae, artes, rerum divinarum humanarumque
scientia; occupati sumus contemplando, docendo, praepa-
, randis animis ad pericula et labores futuros. Vestra om-
nino, commilitones, res est, quam agimus. De ea cum lo-
cus et occasio postulet, pauca disputabo, summam rei bre-
viter complectens. Et quidem duo illi rei inesse video.
Unum, quod studetis, est vestrum ipsorum commodum , ut
dignam et prosperam aetatem nanciscamini, atque' ea,
'quae religio, respublica, doctrinae et artes proponunt
dona, in utilitateın vestram convertatis; — hoc autem ipso,
quod vestro studio ac voluntate absolvi videtur posse, alterum
continetur,’illud nimirum, quod illa quae dixi, — religio,
doctrinae, artes, deinde respublica et iustitia — ipsi sunt fi-
nes bonorum, suo iure consistunt et aeterna sunt, secura
adversus arbitrium nostram, atque ita sua sponte neces-
saria, ut quotquot sumus, 'nonnisi instrumentorum vicem
agamus, quibus regnum Dei, salus reipublicae, aeterna ve-
rilas manifesta reddatur, conservetur atque augeatur.
Sed eam esse harum rationum felicem et sanctam
eonditionem tenendum est, ut vestrum commodum et illa
summma bona communi vinculo eoniungantur et efficiantur.
Falso igitur, si ita res se habet, multi haec duo separant,
alii id, quod sibi utile sit, solum 'prosequentes, quidam,
‚quod 'generosi hominis esse videtur, omnem utilitatem
spernentes, veritatem tanlum et interiorem animi beatita-
tem seclantes,.
Verum id, quod utile est, non arbitrio et casu nititur,
sed est ipsa‘ interna ratio rerum, quae ab ipsis rebus
aliena esse non potest, sed illis divinitus est insita, ita ut
—
veritas se ipsam ad utilitatem traducat, neque esse sine
älla possit. Unde qui meram utilitatem persequitur, im
en ai üch, ash nn tanti
et'in rebus gerendis prudentiam et gravitafem acquirit.
Qui autem ultra omnem utilitatem sapere cupit, merisque
illis bonis, quasi a rebus humanis seiuncta sint, delectatur,
videat, ne segnitiei polius excusalionem per vanamı illam
speciem aucupetur, ne sno proprio potius arbitrio et in-
genio, quam divina ratione, ut quae rebus humanis se in-
gerit tisque se cognoscendam praebet, delectetur.
praetermittere nolui, etiam eam ob causam, qnia consilia
quibus vos adeamus, fortuita sunt et paucis occasionibus
reposita. Scholae quidem academicae addicti ita in liber-
tatem evasistis, uf vestris praeserlim consiliis commissi
silis, vestra exislimatione industriam dirigatis, ex voluntate
vestra mores vesitros conlormetis. Neminem fugit in ea
vitae vestrae eonditione esse aliquid quod sibi repu-
goare videatur, illud‘ nimirum, indigere consiliorum et
praeceptorum, (nam illorum vos indigere ne ipsi quidem
infitiabimini), et ab iisdem immunes esse et suo dirigi in-
genio. Sunt, in iisque non imprudentes viri, qui censeanf,
iuventutis arbitrio nimium tribui in instituendis «moribus
suis, algqae tum acceuratiorem custodiam ad coercendam
protervitatem et socordiam, tum amicam, paternam inter
doctores et invenes necessiludinem maxime exoplandam,
imo legibus inducendam esse; neque exempla unquam
deesse dolendum est, quae in documentum afferri possint,
ex libertate genitam esse licentiam ‘et lasciviam. _ Nolo
autem quaestionem hanc gravissimam altius movere et per-
sequi, illud tantum dico, omnium legum et institutio-
num‘ humanarım eam esse conditionem, ut vel ab iis
quae waxiımam laudem mereantur, nunquam id praestari
2. Rede beim Antritt des Rektorats. 315
possit, ut nequitia penitus exstirpetur, ut eriminum exem-
pla plane desint. Legum autem nostrarum ralione, quae
non paucis justo laxior videtur, id effici, quod spectant,
— doctrinae, industriae, probitatis libere natum amerem
et spontaneam consuetudinem, — maximo documenlo est
experientia et hoc certum testimonium, quod de moribus
in academia nostra vigentibus ab aestumatissimo collega
prolatum audivimus. Libertatis enim, sine qua virtus, do-
etrina, pietas esse nequeunt, schola et mater ipsa libertas
- est, Illud ipsum considerantes, commilitones, praecipuam
industriae morumque dirigendorum curam vobis permis-
‚sam esse, diligentius de vilae vestrae et studiorum uni-
versa ratione consulatis, deinde persuasum habeatis, di-
sciplinam ımorum, quantum ad magistratus universilatis
attinet, nunquam remissius exereitum iri, quam optimo suc-
cessu ad hoc usque tempus gesta fuerit, Sed etalia sunt,
eaque maxima incitamenta virtutis et industriae, inter quae
ea paucis refero, quae sedi acadeıniae ipsi debentur, unde
illad colligitur, prudentissime non in solitario quodam
loco, sed in hoc ipso capite regni scholam nostram con-
slitutaın esse, wi
" Habetis enim hac in urbe ante oculos gravitatem vi-
lae publicae, imaginem et exempla. virtutum et duroram
difficiliumque laborum, quibus ad tuendam ‚hominum con-
sociationem et adwinistrandam rempublicam opus est; re-
putatis inde, quanta virium vestrarum conlentio requiratur,
ut illis laboribus pares fiatis; de ea libertate et honore,
quo litterarum studia fruuntur, justam inde opinionem con-
eipitis; clarum vobis,fit, eum non aliquid.in se absolutum
et superbum esse, sed initium tantum atque humilem gra-
dum eius honoris et auctoritatis, quam studia vestra ac
vota suspiciunt. Denique vero inter ea illud commcemo-
remus, nos in conspectu regis ipsius vieinos degere;, ex-
VI. Drei Reben.
scessarium postulet. Inde ab antiquitate quidem
»pposita iudicantur, quae sensibus obnoxia sint sen-
que cognoscantur, et ea, quae a mente in se ipsamı
rsa percipianlur; — deinde vero etiam sibi plane op-
a habentur illa, quae ex observatione atque experi-
sciamus et ea, quae ex ratione hauriamus; nec raro
ı cognoscendi modo ab altero maledici, alterum ab
b contemni et despici videmus. Neque vero in solis
ophorum et doctorum scholis sententia de repugnan-
ı obtinet, sed ipsa etiam religione confirmatur; haec
it, ut a sensibus rebusque Tortuiis animum
emus, et a cupiditatibus, quae circa hoc rerum genus
ütur, voluntatem ad studium et ad amorem earum,
aternae sunt et ad mentem penitiorem pertinent, con-
18. n doetrinam religioni et philosophiae commu-
ı sel nostram esse faleamur eainque ita tueamur,
ıos honestosque viros in illa cousentientes
mus, — staluimus, istam doctrinam neuliquam re-
are illi consensui et amieitiae, quam inter philoso-
am ef eas scientias, quae uno vocabulo empiricae num-
cupari solent, revera obtinere reputamus. Profecto enim
recte quidem inde a primis annis docemur et exercemur, ne
sensuum fallaciis nos decipi nec ab iis illecebris, quibus ani-
mum deliniunt, abripi patiamur; recte quidem a sensibus ani-
mique cupiditatibus rebusgne fortuitis ad rationem, unicam
veri honestique fontem nos convertere admonemur. Si qui-
‚dem’ea quarundam scientiarum conditio foret, ut totae e sen-
sibus penderent, eas illa, quam diximus reprobatione eoque
‘cöntemtu involvi, .merito 'reputareınus. Haec vero non
est illarum scientiarum conditio; neuliquam enim solo visu,
auditu, olfactu, odoratu et tactu, neque obscuris animi in-
ternis sensationibus absolvuntur neque absolvi volunt,
sed aliam eamque maiorem sibi rem proponunt. Id enim
1. Rede bei der Promotion des Dr. Mofe.. . - 309.
agunt, ut rerum modum mensuramque definitam cogno-
scant, ut earum leges perennesque normas ediscant; et
tum demum experientia aliquid constare atque confirma-
tum esse censent, si illa, quae casui- obnoxia et fortuita
sunt, accurate ab eo separaverint, quo rei natura sibi com,
stans absolvatur. Mensura autem legesque rerum ad men-
tem pertinent, et quamvis initium cognoscendi a sensibus
et observationibus fiat, — nisi illis mentis acumen inter--
naque ideae informatio praesideat et praeluceat, nunquam
inde aliquid generale‘ et necessarium et quod scientiae
proficiat, redundabit. Hlud autem ipsum metrum legesque
rerum proxima sunt materia philosophiae ipsius, quae qui-
dem id sibi propositum habet, ut earum, quae per expe-
rientiam constent leges, primum fontem cognoscat easque
ex hac sua intima origine progressas esse videat et de-
monstret. Neque enim mens ipsa et ratio, nec quae ea-
rum scienlia est, philosophia in vacuo versantur, — quae
quidem multorum opinio est, — sed in recessu suo post-
quam mens ipsam rerum omnium simplicem ideam et fon-
tem intuita est alque concepit, progreditur ad ulteriorem
ideae suae determinationem, et initium huius laboris ac
- definiendae rerum universitatis sibi 'sumit ab illa, quam
dixi, materia, qua per scientias ab eo, quod fortuitnm est,
purgatä atque eum in modum excultä, ut in. usum philo-
sophiae possit converti, non potest non gaudere eamque
grato animo accipere. Laetatur itaque philosophia isto
scientiarum progressu,.quo non rudis indigestague moles
observationum crescat, sed quo cognitio definitarum pro-
portionum augeatur. In quo labore quum tu, doctissime
candidate iam feliciter versatus sis, eamque tuam soller-
tiam ordini nostro abunde demonstraveris, non est, quod
diutius morer, industriae, sagacitatisque tuae fructum pu-
bliee in te conferre, teque summo in philosophia bonore
ü
310 VI. Drei Reden. 4. Bei der Promotion des Dr. Roſe.
ornare. Qui autem litteris scientiisque sese dedicat, vi-
tainque ad illas colendas augendasque dirigere se velle
publice profitetur, non solum honore a nobis afficitur,
sed res ipsa illum monet, gravia se officia suscipere at-
que vero prosequendo et litterarum utilitati totiusque
reipublicae saluti promovendae se obligare,
2. Liebe beim Antritt des Kirktorats an der berliner
Univerſität.
(Den 18, Dotbr. 1829.)
-Hanc cathedram, quam vestrae, Vir excellentissime, Viri
illustrissiwi, praenobilissimi, dignissimi, vestrae, Collegae
aestumnalissimi, praesenliae gravitafe, deinde vesträ frequen-
tiä, Commilitones dilectissimi, et ownium ordinum audi-
tores honoratissimi, circumdatam conspicio, non sine animi
commolione conscendere polui.. 'Testes enim adestis so-
lenniter traditi mihi wuneris gravissimi, a collegis amicis-'
siwis in me collati; quam eorum benevolentiam Begis
Augustissimi clementia ratam habere voluit.
Augelur aulem commotio ista usque ad perturbatio-
nem, cum exiguitatem quam ad res gerendas viribus meis
inesse scio, comparem cum officiis mihi demandatis; per-
cellit me ipsa haec necessitas, ex hoc suggestu ad vos
verba de me faciendi. Studia enim illa, quibus me pri-
mum natarae indoles addixit, deinde muneris publici
olficium adstrinxit, umbratilia sunt; alienum est ab illis,
curae. rerum administrandarum interesse, ita ut consuelu-
dinem solitudinis polius quam lalis curae facilitatem pa-
rent. Dubius igitur imo anxius, primum ipsä illä colle-
garum aestimatissimorum benevolentia confirmatus sum,
312 2.2.5, Drei Neben,
cuius magnam partem esse indulgentism, eäque veniam,
quae mihi expetenda esset, iam contineri debui putare.
Maxime deinde animum erexit ipsa rei magnitudo et
.auctoritas, ad cuius regendae nomen et speciem vocatus
esse videor. Revera enim legibus regimur; unius ingenio
et arbitrio nec opus nec ei locus est. Universitas haec
litteraria propriä gaudet firmitate et spontanea valetudine;
—— est primum et quotannis aucta regiä sapientiä at-
que insigni ınunificentiä, sustentata saluberrimis consiliis
et.curis Viri excellentissimi, qui huic parti rerum publi-
carum praeest, eorumque illustrium virorum, quorum pru-
dentia et opera ulitur, instructa denique doctrinä, ingenio
et faına praestantissimorum collegarum. Itaque hoc aedi-
fikluni ita in se perfectum est,‘ ut amplitudine, ad quam
Nad' pervenisse laefamur; non prematur, sed potius con-
firiietur, ut denique tenuifätem hominis singularis tum ad
ud hugendum 'atque promovendum, tum ad detrimentum
ei’ädferendum paululom modo, aut, ut verius dicam, paene
nfhil valere existiimandum "sit, ' illa autem, quae necessa-
ria Instituto officia magistratuum praestanda sunt, ipsam
rei magnitudinem nonnisi procul attingant, ita ut si vires
meae eis desint, illa ipsa sibi sufficiat et se tueatur.
Neque vero hanc rerum nostrarum rationem in pro-
spera illa conditione esse positam solum reputandum mihi
erat, sed Academiam nostram propositum suä naturä sim-
plicius habere quam alia instituta, quae ad tuendam et
augendam sanctam hominum consociationem destinata
sunt. Non enim nostrum est, debellare malignitatem
aunimi humani et quae inde crimina progignuntur, neque
propulsare incommoda, quibus corpora nosira vexantur,
vita in periculam vocatur; neque aliis malorum generi-
bus occurrere, quibus fragilitas humana laborat. In pla-
- cida adhuc regione versamur, in portu degimus a tempes-
2, Rede beim Antritt des Rektorats. 343
tatibus adhuc intacto, quibus suo omnes tempore obiiei
commune fatum est, in atrio laborum sumus, quos a pro-
vectiore aetate respublica et generis humani sors difficilis
postulant. Negotium est nobis cum iuventute; curae no-
bis sunt litterae, artes, rerum divinarum humanarumgue
seientia; occupati sumus contemplando, docendo, praepa-
‚ randis animis ad pericula et labores futuros, Vestra om-
nino, commilitones, res est, quam agimus. De ea cum lo-
cus et occasio postulef, pauca disputabo, summam rei bre-
viter complectens. Et quidem duo illi rei inesse video,
Unum, quod studetis, est vestrum ipsorum commodum, ut
digenam et 'prosperam‘ aetatem nanciscamini, atque ea,
quae religio, 'respublica, doetrinae et artes proponunt
dona, in utilitatem vestram convertatis; — hoc autem ipso,
quod vestro studio ac voluntate absolvi videtur posse, alterum
continetur,‘illud nimirum, quod illa quae dixi, — religio,
doctrinae, artes, deinde respublica et iustitia — ipsi sunt fi-
nes bonorum, suo iure consistunt et aeterna sunt, secura
adversus arbitrium nostrum, atque ita sua sponte neces-
saria, ut quotquot sumus, nonnisi instrumentorum vicem
agamus, quibus regnum Dei, salus reipublieae, aeterna ve-
ritas manifesta reddatur, conservetur atque augeatur.
Sed eam esse harum rationum felicem et sanctam
conditionem tenendum est, ut vestrum commodum et illa
surmma bona communi vineulo coniungantur et efficiantur,
Falso igitur, si ita res se habet, multi haec duo separant,
alii id, quod sibi utile sit, solum "prosequentes, quidam,
quod generosi hominis esse videtur, omnem utilitatem
spernentes, veritatem tanlum et 'interiorem animi beatita-
tem seclantes. |
Verum id, quod utile est, non arbitrio et casu nititur,
sed est ipsa- inlerna ratio rerum, quae ab ipsis rebus
aliena esse non polest, sed illis divinitus est insita, ita ut
314 0 Wh Drei Reden.
veritas se ipsam ad utilitatem traducat, neque esse sine
illa possit. Unde qui meram utilitatem persequitur, im
profanam se vanitatem proiicit, neque animi constanliam
et in rebus gerendis prudentiam et gravitatem acquirit.
«ui autem ultra omnem utilitatem sapere cupit, merisque
illis bonis, quasi a rebus humanis seiuncta sint, delectatur,
videat, ne segnitiei potius excusalionem per vanam illam
speciem aucupelur, ne suo proprio potius arbitrio et in-
genio, quam divina ratione, ut quae rebus humanis se in-
gerit iisque se cognoscendam praebet, delectetur; |
Hane vos paucis verbis interpellandi eccasionem
praetermittere nolui, etiam eam ob causam, qnia consilia
quibus vos adeamus, fortuita sunt et paucis occasionibus
reposita. Scholae quidem academicae addicti ita in liber-
tatem evasistis, ut vestris praeserlim consiliis commissi
sitis, westra existiımatione industriam dirigatis, ex voluntate
vestra mores vestros conlormetis Neminem fugit in ea
vitae vestrae 'conditione esse aliquid quod sibi repu-
guare videatur, illud nimirum, indigere consiliorum et
praeceptorum, (nam illorum vos indigere ne ipsi quidem
infitiabimini), et ab iisdem immunes esse et suo dirigi in-
genio. Sunt, in iisque non imprudentes viri, qui censeant,
iuventutis arbitrio nimium tribui in instituendis moribus
suis, algae tum accuraliorem custodiam ad coercendam
protervilatem et socordiam, tum amicam, paternam inter
doctores et iuvenes necessiludinem ınaxime exoplandam,
imo legibus inducendam esse; neque exempla unquam
deesse dolendum est, quae in documentum afferri possint,
ex libertate genitam esse licentiam et lasciviam. Nolo
autem quaestionem hane gravissimam altius movere et per-
sequi,; illud tantum dico, omnium legum et. institutio-
num‘ humanarum eam ‚esse conditionem, ut vel ab iis
quae maximam laudem mereantur, nunquam id praeslari
2, Mede beim Üntritt des Nektorats. 315
possit, ut nequilia penitus exstirpetur, ut eriminum exem-
plz plane desint. Legum autem nostrarum ratione, quae
non paucis iusto laxior videtur, id effici, quod spectant,
— doctrinae, industriae, probitatis libere natum amorem
et spontaneam consuetudinem, — maximo documento est
experientia et hoc certum testimonium, quod de moribus
in academia nostra vigentibus ab aestumatissimo collega
prolatum audivimus. Libertatis enim, sine qua virtus, do-
ctrina, pietas esse nequeunt, schola et mater ipsa libertas
- est. Lllud ipsum considerantes, commilitones, praecipuam
industriae morumque dirigendorum curam vobis permis-
‚sam esse, diligentius de vilae vestrae et studiorum uni-
versa ralione consulatis, deinde persuasum habeatis, di-
sciplinam morum, quantum ad magistratus universilalis
attinet, nunquam remissius exereitum iri, quam oplimo suc-
cessu ad hoc usque tempus gesta fuerit, Sed et alia sunt,
eaque maxima incitaınenta virtutis et industriae, inter quae
ea paucis refero, quae sedi academiae ipsi debentur, unde
illad colligitur, prudentissime non in solitario quodam
loco, sed in hoc ipso capite regni scholam nostram con-
stitutam esse, rem
Habetis enim hac in urbe ante oculos gravitatem vi-
tae publicae, imaginem et exempla. virtutum et durorum
diffieiliumque laborum, quibus ad tuendam hominum con-
sociationem et adwinistrandam rempublicam. opus est; re-
putatis inde, quanta virium vestrarum conlentio requiratur,
ut illis laboribus pares fiatis; de ea libertate et honore,
quo litterarum studia fruuntur, iuslam inde opinionem con-
cipitis; clarum vobisgfit, eum non aliquid.in se absolutum
et superbum esse, sed initium tantum atque humilem gra-
dum eius honoris et auctoritalis, quam studia vestra ac
vota suspieiunt. Denique vero inter ea illud commemo-
remus, nos in conspectu regis ipsius vieinos degere;, ex-
316 NE Dei Reden.
emplum eius pietatis, virtatis, industriae ob oculos quoti-
die versari, testem eum praesentem et proximum spectato-
rem omnis vitae nostrae rationis nos habere. Quod ut
gravissimum ita laetissimum ad illa plara, quae tetigi, ac-
cedit argumenta, quibus libertatem iuventuti nostrae con-
cessam ad integritatem morum et in studiis industriam in-
eitari et sponte dirigi censeam. Neque vero mentio, quam
postremo inieci, eo fine continetur, qui eius occasio fuit.
Oinnes enim causae conditionis prosperae et robustae re-
rum nostrarum in unum communem fontem et fundamen-
tum redeunt, scilicet in magnamini regis Friderici Gui-
lelmi fortunam, quam universae reipublicae praeesse gra-
tulamur, fortunam dico eam, quam pii animi et sapien-
tium consiliorum, divina providentia iussit esse comitem
et fructum. Cuius fortunae non minimam partem, imo in
nobilissimis splendidissimisque, quibus augustissimus Prin-
ceps diadema regium ornavit, gemmis, fas est habere scho-
las, quas invenum animis ad pielatem, doctrinam atque
eam utilitatem, quae respublica ex eadem pietate et do:
ctrina capiat, informandis sacras esse voluit.
Tanto nostram universitatem praesidio frui eonsiderans,
animum ab anxietate levatum esse sensi, qua eum solen-
nis species fascium academicorum capessendorum primo
repleverat. Confirmor inprimis prudentia et gravitate
aestumatissimorum collegarum, qui insequente anno sena-
tum constituunt et quos iam renuntio. Sunt autem mem-
bra eius |
Decanus theol, facultat. Dr. Marheinecke
— juridd — Prof. a, Lancizolle
— medic.. — — Wagner
— pphilos. — — von der Hagen.
Manserunt in Senatu Dr. Straufs, Prof. Bekker; suffecti
sunt Prof. Boeckh, Prof, Wilken, Prof, Gans.
2, Rede beim Antritt des Rektorats. | 317
Confirmor denique, prosperum et pacatum rerum
statum respiciens, quam tu amicissime collega tradidisti,
cui de peracto feliciter stadio gratulor, qui munus a me
susceptum non deseris, sed eadem humanitate, qua rudem
me negotiis tractandis hac tenus initiasti, consilium tuum,
fidem, auxilium mihi adfore benevolenter promisisti. Dixi.
2
3. TViede bei der beitten Säkular- Feier ver Ueber—⸗
gabe ber augshurgifchen Uonfeſſion.
(Den 25. Juni.)
VIRI EXCELLENTISSIMI, ILLUSTRISSIMI, REVERENDISSIMI,
COLLEGAE DOCTISSIMI, CONIUNCTISSIMI, COMNMI-
LITONES ORNATISSIMT,
AUDITORES OMNIUM ORDINUM SPECTATISSIMI!
Mandatum mihi est a senatu amplissimo, ut solennitati s
qua diem hunc festum regia auctoritas celebrare Univer-
sitati huic litterariae permisit, occasionem et causam re-
nuntiareın. Nam, ipsum illud immortale facinus, cujus
memoriam animo repetimus, quum in profitenda et stabi-
lienda religionis doctrina versatum sit, praeter ceteros ad
venerabilem Universitatis nostrae ordinem theologorum
. pertinere, eumque praecipuam hujus solennitatis partem
sustinere fas esse visum est: cujus rei Dnus spectabilis De-
canus digne et erudite gravitatem nos edocebit eamque in
animis nostris altissime imprimet. Verumtamen illa res
. Augustae non a consessu doctorum theologiae et antisti-
‚tum ecclesiae peracta est, qui doctam disputationem inirent,
deinde quid verum esset decernerent, gentemque profanam
id ratum habere eique fidem et obsequium praestare ju-
’ berent. Sed vis ejus diei haec praecipua fuit, quod prin-
\
3. Rede bei d, dritten Saͤkular⸗Feier d, Ueberg. d. nugeb, Konf. 319
eipes civitatum urbiumque imperii consules doctrinam
evangelicaım e superslilionum, errorum, mendaciorum, om-
nis denigue generis injuriarum et flagiliorum mole tandem
restauratam, jam perfectam esse, ultrague ancipitem dispu-
‚ tationis fortunam ultraque arbitrium et quodcunque impe-
rium positam, remque divinam a se susceptam esse, decla-
raverunt: Qua re laicis, qui antea fuerant, licere de re-
ligione sentire edixerunt, nobisque hanc libertatem inaesti-
mabilem vindicarunt. Itaque mihi hanc ' solennitatem
inchoare jusso, si de re ipsa verba faciam, dicendi quidem
facultatis meae exiguae excusalione opus est, et indulgen-
tiam Vestram, Auditores amplissimi, expetere me oportet,
sed proderem libertatis illo, quem celebramus, die nobis
vindicatae causam, si ideo excusationem inirem, quod homo
laicus qui sim, de re ad religionem perlinente disseram.
Ea mihi potius solennitatis pars commissa esse videtur,
quam lubenter suscepi, ut parta facultate utamur, posses-
sionem palam declaremus et testemur, Quam ob rem de
hac ipsa libertate ceteris, qui theologi non simus, compa-
rata mihi dicendum esse putavi.
Fuit enim pridem ista Christiani orbis conditio, ut in
duos ordines esset discissus, quorum. alter libertatis ‘per
Christum nobis comparatae jura et adıinistrationem ar-
ripuisset, alter ad servitutem detrusus hujus libertatis ip-
sius mancipium esset. Libertatem autem Christianam eam
esse intelligimus, ut unus quisque dignus declaratus sit,
qui’ ad Deum accedat eum cognoscendo, precando, colendo,
ut negotium, quod sibi cum Deo sit, Deo cum homine,
quisque cum Deo ipse peragat, Deus ipse in mente hu-
mana perfieiat. Neque cum Deo aliquo negotium nobis
est, qui naturae affectibus sit obnoxius, sed qui sit veritas,
ratio aeterna, ejusque ralionis conscientia et mens. Hac
autem ralionis conscientia Deus hominem esse praedilum
320 an N Drei Reden. ER ie
atque ita a brutis animalibus diversum voluit, ut Dei esset,
effigies, atque mens humana, quippe aeternae lucis sein-,
tilla, huic luei pervia. Ideo porro, quod homo Dei esset
imago, Deus humanae naturae ideam sibi vere inesse mor-
tali generi palam fecit, atque amari se ab hominibus et
permisit et voluit, eisque sui adeundi infinitam largitus est,
facultatem ac fiduciam. Summum igiturı hoc, quodı ho-
mini concedi potuit, bonum ei denuo ereptum fuit, nam-
que intimum animi adytum, qui ejus sancetae communionis
solus esse polest locus et occasio, terroribus et commen-
tis inquinatum, foedisque superstitionibus obrutum fuit,
quibus quasi muro aheneo commereium illud intereeptum
est. Hi cancelli, inter Deum et animum ejus accedendi,
desiderio flagrantem interjecti, fons et origo servilutis
fuerunt; amor enim, divinus liberum et infinitum est com-
mereium, quod, quum finibus impeditur, in ejusmodi con-
sortionis naturam redigitur, quae inter mortales esse solet,
sanctaeque res in rerum vilium, quas manu possidere, vi et
armis conlinere, immo emere et vendere possis, condilio-
nem pervertuntur. In ejusmodi consociatione dominio,
arbitrio locus est; ibi quaecungue animis, a libertate di-
vina alienis, insunt, ambitio, regnandi libido, avaritia,
odium, omnisque tyrannidis et socordiae genus nascilur.
Itaque in gremio libertatis Christiana gens in dominos et
servos divisa est, perque hanc legem imperium impietatis
penitus invietum et perenne redditum esse videbatur.
‚Hos vero carceres perfregit vera Dei conscienlia
amorque ejus infinitus, redditusque est homini liber ad
eum accessus. In illo Augustano conventu se servitutem
exuisse, et abdicavisse ordine laico, ut theologi se ordine
clerico abdicaverant, atque hos ordines omnino abrogatos
esse, revera promulgaverunt proceres Germaniae suo et
populorum nomine: itaque pravum illud schisma, quod
3. Rede bei d. dritten Saͤkular⸗ Feier d. Ueberg. d. augsb. Konf. 321
non de quorundam hominum fortuita auctoritate certamen
fuerat, neque ecelesiam modo sed ipsam religionem tur-
baverat, immo perverterat, sublatum fuit, Interfuerant
quidem etiam antea principes conciliis, ut famoso illi con-
eilio Constantiensi, non tamen veluti ipsi sententiam ibi di-
cerent, sed ministrorum instar adessent, qui deeretis do-
ctorum subseriberent, deinde carnifices eorum decretorum
. vim sanguinolentam re, id est, caede exprimerent. Caesar
autem, qui conventui Augustano praesidebat, non aequali
jure neque eadem libertate, id est, non divina auctoritate
egit: Carolus ille quintus, cujus regna tam late patuerunt,
ut sol in ipsis non oceidere diceretur, idem ille qui päu-
cis ante annis urbem Romam, sedem Pontificis, exereitui
expugnandam, diripiendam, comburendam, omni laseiviae
et ludibrii in ipsum Pontificem genere deperdendam per-
miserat, is tum Augustae tutorem ac patronum ecclesiae,
id est, satellitem Pontificis se profitebatur, pacem in ec—
clesia restituere sibi in animo esse ita declarans, ut pristi-
nam servitutem minaretur, contentus istis ambitiosis, cru-
entis, -libidinosis ex orbe terrarum et urbe Roma et ipso
Pontifice captivo reportatis manubiis, sed gloriam immor-
talem spoliorum opimorum e tyrannide contra religionem
usurpata reportandorum aliis relinquens, surdus ille, quem
lateret Deum, ipsum sursum esse, ejusque esse illam tu-
bam, quae jam mirum Christianae libertalis sonum spar-
geret, — impar ille sancto aevi sui ingenio.
Sed ut ii,.quos sonus ille pervaserat, qui se jam eman-
eipatos putabant, liberi, non-liberti essent, id in eo posi-
tum fuisse apparet, ut principes populorum et urbium
consules rei praeessent. Qui enim e superstilionis vincu-
lis modo evaserunt animi, illi fieri non potest quin ea le-
gum et civitatis ratione, quae ad pristinae religionis nor-
mam conformata est, adhuc premantur. Neque enim»re-
Bermifchte Schriften, * 21
322 mu V. Drei Reden. Er
ligio in recessu menlis contineri et ab agendi ratione.'et
vitae institutione secludi potest; fanta ejus est vis et au-
etoritas, ut, quicquid ad humanam vitam pertineat, com-
plectatur et moderetur, ideoque reformata religione, civita-
tis quoque et legum morumque rationem reformari Opor-
teat. Itaque noyae sane res erant, quas Lutherus noster
molitus fuerat. Sed quum principes et magistratus civita-
tum illi essent, qui Augustanum negotium solenniter per-
agerent, boc testimonio declaratum est, rem publico
consilio et voluntate, non per vim multitudinis esse con-
fectam, neque legum et principnm majestatem et auctori-
tatem oppressam, sed legitimo ipsos eivitatum statui et
obsequiosis populis praeesse.
In quo quidem nonnulli sunt diffieiliores, cum docere
insliluunt a perfecta re initium esse discernendum, quod
etsi eventus et finis in rem legitimam converterit, non
minus crimine dignum fuisse contendunt: vere illi quidem
negantes coeptum Lutheri simpliciter ad doctrinam: per-
tinuisse, nec contra leges, quae antea valuissent, quicquam
esse aclum. Quin hoc ipsum seditioni proximum esse
elamant, si illi rei latebras quaeras ac speciem justitiae ita
praetendas, ut judieium de ea ferendum ad eventum re-
jieias, et pro nocente habeas eum, qui suceubuerit,-pro
justo, qui vicerit; itaque si vielrix quidem illa causa Deo
placuerit, his Catonibus scilicet displicebit, quia vieta
olim legitima fuerit. Haud dubie gravissimum est, quod
‚ istipraecipiunt, civibus nihil sanctius esse debere, quam
obedientiam legibus praestandam et reverentiam alque
fidem principi suo servandam. Verum de ejusmodi dis-
putatione illud afferre liceat, quod Cicero de Socrate et
Aristippo dixit: Neutiguam, ait, quemquam hoc ‚errore
duci oportet, ut si quid illi viri contra morem consuetu-
dinemque civilem fecerint locutique sint, idem sibi ar-
3. Rede bei d, dritten Säfulars Feier d. Ueberg. d, augeb, Konf. 393
bitretur licere; magnis enim illi et divinis bonis hunc
licentiam assequebantur. His autem, quae Cicero magna
ac divina bona esse praedicat, quanto majora et magis
divina sunt ea bona, quıbus recuperatis laetamur, quanto
igitur magis legitima et justa fuit illa licentia, qua Lu-
therus ejusque amici, nec hi solum, sed cum jis princi-
pes et magistratus, multa, quae in jure civili pridem justa
et legitima habebantur, mutarunt et innovarunt, Videant
potius, qui opus religionis evangelicae restitutae eo, quo
diximus, modo criminantur, ne contra Lutheri seditionem
verbosi, de suo erga leges et magistratus obsequio et
fervore ideo glorientur, quod veritatem divinam esse
omnino negent, omnemque religionis doctrinam commen-
tis et opinionibus hominum adnumerent.
Iidem illi sunt, qui ob eandem causam aegre ferunt,
in conventu Augustano professionem doctrinae factam
esse, ita enim eos, qui se liberos esse declararint, cate-
nas mufasse tantum: censent enim nulla esse veri prae-
cepia, nec nisi suas cuique opiniones certas esse volunt,
et libertatis esse, ab 'ea, quae communis est, doctrina
dissentire. Qui cum per illan Magnam Chartam, qua
ecclesia evangelica se conditam et constitulam esse pro-
mulgavit, eidem vincula injecta esse eriminantur, oblivi-
scunfur, in communione per illam fundatä hoc indefessum
studium diligentissime tum manu et oculis tum cogita-
tione quiequid est rerum divinarum humanarumque per-
quirendi progenitum, inde nihil ab ingenio intentatum
intactumque relictum, inde omnium disciplinarum, libera-
lium artium litterarumque genera mortalibus reddita, nec
reddita solum, sed novo et infinito ardore refecta et
aucta esse, perennique quotidie vigore augeri, crescere,
ea simul libertate, ut haec'studia a quovis adiri possint
ea necessitate, ut quivis ad id, quod justum, quod verum,
* 21*
324 VI. Drei Reden.
quod divinum sit, sua sponte cognoscendum. undique in-
vitetur, impellatur, incitetur. — Sed milto ulteriorem de
vinculis, quae doctrinae qualicunque publicae inesse per-
hibent, disputationem, quae tum propter difficultatem
rei longius me abduceret, tum, quia multiplici suspicione
et invidia referta jam est, tristior esset et parum con-
veniens hujus diei laetitiae. Hoc sufficiat monuisse, uber-
rimam illam segetem neutiquam a serva scafurigine pro-
gigni potuisse. Quanta autem vis praeceptis religionis
tune restauratis ad corrigendas leges et instituta civilia
insit, jam eo tempore, quo res coepta est, tum vero no-
stris diebus singulariter apparuit. De hac evangelicae
doctrinae natura, quae pertinet ad id, quod nobis tractan«
dum fuit propositum, accuratius disquiramus.
Ac prineipio quidem schisma illud, quo animi sancta
penetralia inter se ipsa dissidebant, atque respublica in
duplicem potestatem eivilem discissa erat, abolitum esse
videmus; reipublicae licere auctoritate divina unam in
se esse intellectum est, atque civitati civibusque sua jura,
honestatisque praecepta divinitus esse legitima. Potestas
principum reconciliata est cum ecclesia; dum illa con-
sociatur cum divina voluntate, haec dominatus injuria
sese abdicat, In quo illud maximum censendum esse
reor, quod non fortuita et externa quaedam principum:
et iheologorum ea pactio fuit, sed religionis ipsius atque
civitatis praecepta et intimae raliones germana veritatis
pace coaluerunt. Quod fundamentum tum jactum pro-
cedente tempore uberius se ita explicuit, ut tandem (nam
id quidem nonnisi lentius fieri potest) in omnem vitae
humanae disciplinam et omnium officiorum praecepta sese
insinuaret afque informaret. |
Revocemus igitur in memoriam, Auditores amplis-
simi, quae vitae humanae officia sint, deinde quae doctrina
.Rede bei d. dritten Eäfulars Feier d, Ueberg. d. augsb. Ronf. 325
veteris ecelesiae illa oppugnaverit, immo perverterit. Sunt
autem illa omnibus cognita, primum, quae ad familiam
pertinent, mutuus conjugum, parentium et liberorum
amor, deinde justitia, aequitas, et benevolentia erga alios
_ homines, - diligentia et probitas in re familiari admini-
stranda, denique patriae et prineipum amor, qui illis tu-
endis vel vitam profundi jubet. Quarum virtutum im-
mortalia exempla, quae Graeci et Romani nobis admi-
randä et imitanda reliquerunt, ecclesiae patres fuerunt,
qui splendida vitia fuisse edixerunt. Itaque his virtuti-
bus justique et honesti legibus ecclesia Romana aliam
vitae rationem, sanctitatem scilicet, opposuit et praetulif.
Et primum quidem illud sane demus, virtatem Christianam,
quae ex amore Dei proficiscatur, longe praestantiorem
et sanctiorem esse illa, quae non ex eodem fonte mana-
rit. Verumtamen illa officia, quae ad familiam, ad com-
mercium, quod hominibus est inter sese, quaeque ad pa-
triam et principem spectant, illa igitur ipsa contendimus
ac Iuemur a voluntate Dei proficisci, virtutesque, quae
ad illa pertinent, pietate Christiana, id est, amore divinae
voluntatis potius confirmari, neutiquam vero per eam
eontemni, vilipendi aut abrogari. Haec autem offieia et
virtutes infirmanlur et everluntur iis, quae ecclesia Ro-
mana sanctilatis praecepta declaravit et hominibus suis
imposuit; quae, ne sermo noster vagus et vanus videatur,
singula nominemus, |
Voluit itaque ecclesia, carere conjugum et liberorum
caritate atque pietate sanctius esse matrimonio. Ad quam
societatem quum natura impellamur, bruta quidem ani-—
malia in eo, ad quod natura feruntur, consistunt, sed
hominis est, illum impetum ‘ad cousortionem amoris et
pietatis transformare. Profecto veleres dum Vestam aut
326 VI. Drei Reden.
Lares ac Penates familiae praesidere rati sunt, rectius in
ea divini aliquid inesse senserunt, quam ecclesia statuit,
in eontemtu matrimonii inesse praecipuam quandam san-
etitatem. Mittamus mentionem facere, qui ex illa steri-
litatis lege mores profligatissimi progenili sint; quum
satis quidem constet, inter clericos, qui isti sanctitati ad-
dieti essent, quam plurimos eosque summae auctoritatis
et dignitatis fuisse homines libidinosissinos et palam dis-
solutissimos: Hoc enim vitium non legis ipsius esse con-
tenditur, sed humanae libidini et pravitati tribuitur, Ve-
rum quae officia Deus hominibus injunxit et quae sancta
ipsis esse voluit, ad omnes pertinent, seyque amori omnium
ordinum aequaliter patere vult; ex illa autem sanetimo-
niae lege quum id conseculurum esset, — quod sane est
ineptum, — ut toti generi hLumano matrimoniis interdicere-
tur, {um vero omnis honeslatis et morum disciplinae fun-
damentum convellitur, quod in pielate familiae constat
esse posilum.
Deinde. paupertatem sanclam esse virtutem ecelesia
praccepit; itaque dum industriam et probitatem in re fa-
miliari tuenda et administranda diligentiamque in acqui-
rendis bonis, quae tum vitae sustentandae necessaria
sunt, tum aliis adjuvandis inserviunt, vilipendit, labori
inertiam, ingenio socordiam, providentiae et probitati in-
curiam ita praetulit, ut clericis per paupertatis votum
seu potius mendacium licentia avaritiae et luxuriae ac-
quirerelur; scilicet ut ipsi soli pecuniosi et omnium divi-
tiarum, quas stulte atque adeo impie compararent alii,
possessores essent, ideo divitiarum possessio et compara-
tio condemnata est.
NHis duobus praeceptis tertium adjunxit haec ecclesia,
coronam omnium, coecitatem obsequiü, et servituten men-
3, Rede bei d, dritten Saͤkular- Feier d. Ueberg. d. augsb. Konf. 327
tis humanae, ita ut amor Dei non ad libertatem ; nos
perduceret, sed ad servitutem detruderet, ad servitutem
aeque in minimis rebus, quae casui et arbitrie cujusque
permissae sunt, atque in maximis, id est, in scientia ejus,
quod justum, honestum, pium est, ‚et in instituenda atque
gerenda vita; — scilicet ut privatam vitam et rem do-
mesticam regerent, et reipublicae principumque domini
essent ii, qui se servos, immo servorum servos esse, de-
voverent. male |
Quis, qui miti et benigno sit animo erga secus ‚de
religione sentientes, qui: odium, quod religionis 'causa
tam dia et tam immaniter populos agitaverit, 'sopiri ‚tan-
dem cupiat, nec sopitum‘denuo 'expergefieri; quis igitur.
neget,-haec, quae dixi, esse praecepta £colesiae Romanae,
ea omnem vitae humanae rationem ampleecti, isque om—-
nem ejus justitiam et honestatem turbari et pessumdari.
Itaque non solum illam Sanctitatem, cujus'titulum ‚sibi
sumserat Romanus pontifex, sed ista graviora, id est, no-
centissima sanctitatis praecepta abolita esse, a civitatum
rectoribus Augustae declaratum, itaque civitatem cum
Deo, Deum cum civitate reconciliatum esse 'promulgatum
est. Tunc dissidium, quo leges justi honestique homini-
bus quidem, sed Deo aliud quiddam placere: putaretur,
compositum, tunc illa ambiguitas et duplicitas 'sublata,
eujus ope perversi homines criminum ebinjuriarum veniam
sibi'poscerent, probi vel ad seditiones et scelera vel ad
ineptias et socdrdiam adducerentur; tum ‚demum divinae
voluntatis conscientia diversa a conscientia 'veri et justi
esse desiit. \
"Neque legum in animis — firma fiducia esse
poiest, nisi persuasum habent, eas religioni non modo
non repugnare, sed eliam originem inde ducere. Quam-
%
328 1 VI. Drei Reden. ze
vis enim nostro tempore plurimi iique magna auctoritate
et ingenio praediti eam demum 'veram sapientiam esse
putent, quae religionem a civitate separet, graviter hi,ta-
men in eo errant. Quod enim in animis firmissimum
alque summum, omniumque officiorum unicum principium
esse apparet, Dei notio est, ut quod inde non pendeat
neque: specie voluntatis divinae sancitum sit, id a casu
aut arbitrio cujuscunque aut violentia' proficiseci videatur,
neque vere obligare ac religare homines possit. Unde
imprudentia eorum non satis reprehendi potest, qui insti-
tutorum legumque eivitalis reformationem fieri posse pu-
tent, vera religione, quacum hae consentiant, non restau-
rata. Divinae libertatis recuperatae ejusque. solius fru-
etus est libertas et justitia eivilis; istorum, qui. hane>rei
naturam intellectu. non assequuntur, errorem terribilis
magister, evenfus rerum, nosträ memoriä graviter redar-
guit. Vidimus ‘enim per omnia Catholici : orbis regna,
quorum nobiliores cives jam verior ejus, quod: honestum.et
justum est, scientia 'pervaserat, instaurationem legumci-
vitatis et morum tenfatam esse, sed ‚vel consentientibus »
vel dissentientibus principibus, dissentiente autem reli-
gione, ausa illa»jam' ab initio suo. foeda, deinde omni
eriminum et:malorum genere obruta>esse et denique cum
acerbissima auctorum ignominia irrita cecidisse. 0.1100
+ »Nobis quidem divind providentiä id contigit, ut‘re-
ligionis, (quam profitemur, praecepta cum eo, quod civi-
tati justum sit, consentiant. Hoc tribus ab hine saeeulis
principes et populi Germaniae inchoaverunt, deinde quum
partim ipsi partim eorum posteri longis bellorum \cladi-
bus et miseriis illud immensum et diuturnum depravatae
religionis Christianae flagitium expiassent, tandem in-tato
collocaverunt eam, quam nobis pretiosissimam heredita-
.
3. Rede bei d. drinnen Edfnier = Feier d. Ueberg. d. angib. Kenf. 399
tem reliquerunt, concordiam civitalis et religionis liberam,
et religionis quidem evangelicae, cujus illam propriam
esse diximus. Qua concordia illud efficitur, quod nostris
temporibus praecipue ad salutem communem profuisse
gaudemus, ut quae ad augendam liberlatem, ad emen-
dandas leges, ad instituta civitatis uberius et liberalius
excolenda ingenium detexit et rerum necessilas adduxit
idonea atque utilia, ea sine motibes intestinis et crimimi-
bus, tranquille, auctoribus illis ipsis, penes quos summa
potestas est, per ipsorum intelligentiam atque benevolen-
tiam perfecta sint. Quod cum maximum sit,- illud addo,
quod, si principes nostri pii sint, ea pietas nobis non me-
tuenda est, ut pietas funesta et horribilis ista regum Gal-
liae, qui in cives religioni evangelicae addictos, in viros
pariter nobilissimos et ignobiles, caede, rapina, omni atro-
citatis genere saeviri jusserunt, immo sua manu saevie-
runt; pietatis nomen hac infamia contaminantes, quippe
quae borum, qui illam committerent, religione sancita es-
set. Principes evangelici ita se pie agere sciunt, si rem-
publicam ad justitiae aeternam normam conforment ct
administrent, et: incolumitatem populo praestent; neque
ei dissonam sanctitatem aut norunt aut agnoscunt.
Ita pietas principum fiducia et securitate nos replet,
amoremque nostrum iis concilia. Quodsi Friderici Gui-
lelmi, Regis nostri clementissimi, die natali quotannis vir-
tutum ejus effigiem ob oculos ponimus, et beneficia,
quae inde in hanc ejus Universitatem litterariam redun-
dant, in memoriam- revocamus, hodie pietatem ejus exi-
miam, fontem omnium virtutum, laete praedicemus. Quae
quum ad cives ipsius proxime pertineat, nosque illam
praecipue colamus, veneremur, de ea nobis gratulemur:
magnum huic laetitiae et reverentiae id momentum acce-
i Meden. 3 Mede b. d, dritten Säkular = Feier der ıc.
d tus evangelicus orbis per Germaniam et quan-
patet, causam suam interesse scit, quod om-
vonorum, hac libertate gaudentium, admiratio et
eorumque vota pia nobiscum communia versus
ı untur, quem evangelicae doctrinae ejusque li-
rtum vindicem esse cognorunt: Deum T. O. M.
aus et precamur, et precari non desinemus, ut
» clementissimo et domui Augustae universae
conservet, augeat, quibus pietatem, justitiam,
emuneratur perpetuo.
VI. °
Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
—
Den 23. Okibr. 1812. — Den 2. Auguſt 1816. — Den 7. Februar 1823.
Aus einem Briefe Hegels tom 23. Oltür. 1812
an Riethammer,
Einleitung.
Si. hatten mir aufgetragen, meine Gedanken über den Vor—
trag der Philofophie auf Gymnaſien niederzufchreiben, und. fie
Ihnen vorzulegen; ich habe ſchon vor einiger Zeit den erſten
Entwurf zu Papier gebracht, konnte aber keine ordentliche Zeit
mehr gewinnen, ihn gehörig durchzuarbeiten; um es nicht zu lange
anftehen zu lafien, Ihnen, Ihrem Verlangen gemäß, etwas dars
über zu überfchiden, laffe ich es im der Geftalt, wie es mit noch
einiger Weberarbeitung geworden ift, für Sie abfhreiben. Da
der Aufſatz keinen andern, als einen Privatzwed hat, fo wird er
auch jo, wie er ift, ihn erfüllen Tonnen; das Abrupte der Ges
danken, noch mehr aber das hie und da Polemifche,-rehnen Sie
gefälligft zur unvolltommnen Form, die für einen andern Zweck,
als meine Meinung Ihnen darzulegen, freilich mehr Abglättung
gefordert hätte Das Polemifche mag öfter intonvenabel feyn,
infofern der Aufſatz an Sie gerichtet ift, und alfo fonft Niemand,
als Sie, vorhanden wäre, gegen den polemifirt werden könnte;
aber Sie werden von felbft daffelbe ganz bloß als einen gelegent-
lichen Eifer betrachten, der mich bei der Erwähnung diefer oder
jener Manieren oder Anſichten in's Blaue hinein überfallen
bat. —
334 VI. Amtliche Schreiben.
Eine Schlufbemertung fehlt übrigens noch, die ich aber nicht
hinzugefügt habe, weil ich darüber noch uneins mit mir felbft
bin; — nämlich, daß vielleicht aller philofophifche Unterricht anf
Gymnaften überflüfftg ſcheinen fünnte, daf das Studium der
Alten das der Gymnafial- Jugend angemeffenfte und feiner
Subftanz nad die wahrhafte Einleitung in die Philofophie
ſey. — Mlein wie foll ih, der Profeffor der philofophifchen
Borpereitungs -Wiffenfhaften, gegen mein Fach und meine Stelle
fireiten? mir felbft dasBrod und Waſſer abgraben? Auf der andern
Seite aber hätte ich vielleicht — da ich) auch philofophifcher Pä—
dagog fenn fol, — ja felbft als Rektor einen Amts-Beruf
dazu, endlich aud das nähere Intereffe, daß man die Profef-
foren der philofophifhen Wiffenfchaften an Gymnafien für über»
flüffig erklärte und fie anderswo hinfchaffte. ins aber zieht
mid) wieder auf die erfie Seite zurüd: nämlich die ganz gelehrt
werdende und zur Wortweisheit tendirende Philologie, Die Kir—
chenpäter, Luther und die alten Prediger citirten, legten aus und
bandhabten die Bibelterte auf eine freie Manier, bei der es in
Rückſicht des Hiflorifch= Gelehrten auf einen Bauernſchuh nicht
ankam, wenn fie deſto mehr Lehre und Erbauung hineinlegen
konnten. Nad) der äſthetiſchen Salbaderei von pulcre! quam ve-
nuste! wovon wir noch bedeutende Nachklänge hören, ift jest die
Wort⸗, kritifhe und metrifihe, Gelehrfamteit an der Tagesord-
nung; ich weiß nidt, ob eben fon viel davon in das Ihnen
untergebene Perfonal eingeriffen iſt; — aber es wird demfelben
auch bevorftchen, und in einem und dem anderen Kalle die Phi—
lofophie ziemlidy leer ausgehen.
«
Aus einem Briefe Hegel’ an Rierhammer. 335
Ueber den Bortrag ber philofophifhen Vorbe⸗
reitungs: Wiffenfchaften auf Gymnaſien.
Der Vortrag der philofophifhen Vorbereitungs - Wiffenfchaf-
| ten in dem Gymnaſium bietet zwei Seiten dar:
I. die Zehrgegenflände felbft, IL die Methode.
I.
Was I die Lehrgegenftände nebft deren Vertheilung
an die drei Klaffen betrifft, fo fest das Normativ Folgendes
darüber feft:
4) Für die Unter=- Klaffe if (III. $.5. IL)
die Religions⸗-,Rechts- und Pflichtenkenntniß beftimmt,
Dagegen V. C. ift angegeben, daß in der Unter⸗Klaſſe der
Anfang der Uebung des fpekulativen Denkens mit der Logik
gemacht werden könne.
2) Für die Mittel- Klaffe:
a. Kosmologie, natürlide Theologie, in Vers
bindung mit den Tantifchen Kritiken.
6. Pſychologie.
3. Für die Ober⸗Klaſſe: philoſophiſche Encyklo—
pädie. |
Da in Anfehung der Unter= Klaffe der Vortrag der
Rechts-, Pflidten- und Religionslchre, und der Lo⸗
gik nicht wohl zu vereinigen ift, fo babe ich es bisher fo darin
gehalten, dag ic in der Anter- Klaffe nur die Rechts⸗,
Pflichten- und Religionslehre abhandelte; die Logitk
aber auf die Mittel- Klaffe auffparte, und zwar abwechfelnd
mit der Pfyhologie in diefer Klaffe, die von zweijährigem
Kurfus ift, vorteug. Auf die Ober⸗Klaſſe kam dann die
vorgefhriebene Encytlopädie.
336 VO. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten,
Wenn ich über die ganze Vertheilung mein allgemeines rs
theil, ſowohl nad) der Sache felbft als nad) meiner Erfahrung,
abgeben fol, fo kann id) nur erklären, daß ic) fie fehr —
mäßig gefunden habe. x
Um in das Nähere hierüber einzugehen, fo ift 1) in An-
fehung des erflen Lehrgegenftandes im Normativ der Nusdrud:
„Religions-, Rechts- und Pflihtenlehre” gebraucht,
worin die Vorausſetzung liegt, daß unter diefen drei Lehren mit
der Religion der Anfang gemacht werde. Inſofern nod ein
Kompendium vorhanden ift, muß wohl dem Lehrer die Freiheit
bleiben, hierin nad) feiner Einficht die Ordnung und den Zus
fammenhang zu bilden. Ich meines Orts weiß nicht anders,
als mit dem Rechte, der einfachften und abftratteften Folge der
Freiheit, anzufangen, -alsdann zur Moral fortzugehen und von
da zur Religion, als der höchſten Stufe, fortzuſchreiten. — Doch
dieſer Umſtand beträfe näher die Natur des abzuhandelnden Ins
halts, und gehört eine weitere Ausführung nicht hicher. ®
Wenn die Frage gemacht würde: ob dieſer Lehrgegen—
ftand paffend fey, den Anfang der Einleitung in die
Philoſophie zu machen? fo kann ich dieß nicht anders als
bejahend beantworten. Die Begriffe diefer Lehren find einfach,
und haben zugleich eine Beftimmtheit, die fie für das Alter dies
fer Klaffe ganz zugänglich macht; ihr Inhalt ift durch das na=
türlide Gefühl der Schüler unterftügt, er hat eine Wirklich—
feit im Innern derfelben; denn er ift die Seite, der Innern
Wirklichkeit felbft. Ih ziehe daher diefen Lehrgegenftand für
diefe Klaffe der Logik weit vor, weil diefe einen abftrakteren
und vornehmlich einen von jener unmittelbaren Wirklichkeit des
Innern entferntern, nur theoretifchen Inhalt hat. Freiheit, Recht,
Eigenthum u. f. f. find praktiſche Beſtimmungen, mit denen wie
täglid umgehen und die, aufer jener unmittelbaren, and eine
fanttionirte Exiftenz und teale Gültigkeit haben. Die logiſchen
Beflimmungen von Allgemeinem und Befonderem x, ff. find
ww .
_
Aus einem Briefe Hegel’d an Niethammer. 337
dem Geifte, der. noch nicht im Denken zu Haufe fi, Schatten
gegen das Wirkliche, an das er rekurrirt, ehe er jene unabhäns
gig von diefem feit zu halten und zw betrachten geübt if. Die
gewöhnliche Forderung an ein einleitendes Lehren der Philoſo—
phie ifl-zwar, daf man vom Eriflirenden anfangen und von da
aus das Bewuftfegn zum Höhern, zum Gedanken fortführen
ſolle. Aber in den Freiheitsbegriffen ift felbft das Eriftirende
und Unmittelbare vorhanden, das zugleid, ohne vorherge⸗
bende Anatomie, Analyfe, Abftraktion u. f. f., ſchon Gedante
it. — Es wird alfo in diefen Lehren in der That mit dem
' Verlangten, dem Wahrhaften, dem Geiftigen, Wirklichen ange-
fangen. — Ih habe immer bei diefer Klaffe ein größeres Ins
tereffe am diefen praktifchen Bellimmungen, als an dem wenigen
Theoretifche, das ich vorauszufchiden hatte, gefunden, und den
Unterfchied diefes Intereffes noch mehr gefühlt, als ich das Er-
ſtemal, nad der Weifung des erläuternden Theils des Norma—
tivs, ‚mit den Grundbegriffen der Logik den Anfang madte;
ſeitdem habe ich dieß nicht wiederholt.
2) Die höhere Stufe für den Lernenden iſt das theore—
tiſch Geiftige, das Logifhe, Metaphyſiſche, Pſycho—
logifhe. Das Logiſche und Pſychologiſche zunächſt mit ein-
ander verglichen, fo ift das Logifche im Ganzen für das Leich—
tere anzufehen, weil es einfadhere, abftrakte Beftimmungen
zu feinem Inhalt hat, das Pfychologifche dagegen ein Konkre—
tes, und zwar fogar den Geiſt. Aber-zu leicht iſt die Pſy—
chologie, wenn fie fo trivial als ganz empirifhe Pſhchologie,
wie etwa in Kampe’s Pſychologie für Kinder, genommen werden
fol, — Was id von Carus’ Manier’ fenne, ift fo langweilig,
unerbaulich, leblos, geiftlos, daß es gar nicht auszuhalten if.
Ich theile den Vortrag der Pſychologie in zwei Theile,
@, des erfcheinenden, 4. des an und für ſich ſeyenden Geiftes; —
in jenem handle ic das Bewußtſeyn, nad) meiner Phäno-
menologie des Geiftes, aber nur in den dort bezeichneten
Vermiſchte Schriften. * 22
338 VIR Saueiben in amtlichen Yngelegenheiten,
drei erfien Stufen, 1) Bewuftfeyn, 2) Selbſibewußtſeyn, 3) Ver⸗
nunft, in dieſem die Stufenfolge von Gefühl, Anſch auung,
Vorſtellung, Einbildungskraft u. ſ. f. ab. Beide Theile
unterfcheide ich fo, daß der Geift als Bewußtſeyn auf die Be—
flimmungen als auf Gegenfände thätig ifl,'und fein Beſtim—
men ihm zu einem Verhältnif zu einem Gegenſtande wird, daf
‚er als Geift aber nur auf feine Befimmungen thätig ift,
und die Veränderungen in ihm als feine Thätigkeiten beſtimmt
find, und fo betrachtet werden. —
Indem die Logik die andere Wiſſenſchaft der Mittel-
Klaſſe ift, fo fcheint damit die Metaphyſik Icer auszugehen,
Es ift dieß ohnehin eine Wilfenfhaft, mit welder man heutiges
Tags in Berlegenheit zu ſeyn pflegt. In dem Normativ ift die
kant'ſche Darftellung der antinomifhen Kosmologie und der eben
fo dialettifhen natürlihen Theologie angegeben. In
der That ift dadurch nicht fowohl die Metaphyſik ſelbſt, als die
Dialektik derfelben vorgeſchrieben; womit diefe Parthie wieder
in die Logik, nämlich als Dialektik, zurüd fommt,
Nach meiner Anſicht des Logifchen fällt ohnehin das'Me=
taphyſiſche ganz und gar dahinein. Ih kann hiezu Kant
als Vorgänger und Autorität citiren. Seine Kritif reducirt das
feitherige Metaphyſiſche in eine Betrachtung des Verftandes und
der Vernunft. Logik kann alfo nach kant'ſchem Sinne fo ges
nommen werben, daf aufer dem gewöhnlichen Inhalt der foge-
nannten allgemeinen Logik, die von ihm als tranfcenden=
tale Logik bezeichnete, damit verbunden und vorausgeſchickt wird;
nämlih dem Inhalte nach die Lehre von den Kategorien,
Refleriong- Begriffen, und dann den Bernunftbegrifs
fen. — Analytik und Dialektit.— Diefe objektiven Denk—
formen find ein felbfiftändiger Inhalt, die Parthie des ariftote-
liſchen Organon de categoriis, — oder die vormalige Onto=
d
logie. Ferner find fie unabhängig vom metaphyſiſchen Spflem;
— fie fommen beim tranfcendentalen Idealismus eben fo fehr vor,
Aus einem Briefe Hegel’s an Niethammer, 339
wie beim Dogmatismus; diefer nennt fie Beſtimmungen der
Entium, jener des Verflandes. — Meine objektive Logik wird,
wie ich hoffe, dazu dienen, die MWiffenfchaft wieder zu reinigen,
und fie in ihrer wahren Würde darzuftellen. Bis fie mehr ges
kannt wird, enthalten jene kant'ſchen — — bereits
das Nothdürftige oder Grobe davon.
In Anſehung der kant'ſchen Antinomien wird ihre
dialektiſche Seite unten noch erwähnt. Was ihren ſonſtigen
Inhalt betrifft, ſo iſt er Theils das Logiſche, Theils die
Welt in Zeit und Raum, die Materie Im fofern
in der Logik bloß ihr logiſcher Gehalt, — nämlich die
antinomifchen Kategorien, welde fie enthalten, — vorfommt,
fo fällt es hinweg, daß fie die Kosmologie betreffen; _
aber in der That if jener weitere Inhalt, nämlich die Welt,
Materie w dergl. auch ein unnüger Ballafı, ein Mebelbild der
Borftellung, das keinen Werth hat. — Was die kant'ſche
Kritik der natürlichen Theologie betrifft, fo kann fie, wie ich
gethan habe, in der Religionslehre, worin ein folder Stoff
befonders für einen dreis und tefp. vierjährigen Kurſus nicht
unwillkommen ift, vorgenommen werden. Es hat Intereffe, Theils
eine Kenntniß von den fo berühmten Beweiſen vom Dafeyn
Gottes zu geben; — Theils mit der eben fo berühmten kant’=
fhen Kritik derfelben bekannt zu machen; — Theils diefe Kritik
wieder zu kritiſiren. |
3) Die Eneyklopädie, da fie philoſophiſch feyn
fol, ſchließt wefentlih die, ohnehin gehaltleere und der Jugend
auch noch nicht nützliche Literarifhe Enchklopädie aus. Sie
kann nichts Anderes enthalten, als den allgemeinen Inhalt
der Philofophie, nämlich die Grundbegriffe und Principien
ihrer befondern Wiffenfhaften, deren ich drei Hauptwiffenfchafz
ten zähle: 1) die Logik, 2) die Philofophie der Natur, 3) die
Philofophie des Geiftes, Alle andere Wiffenfhaften, die als
— angeſehen werden, fallen in der That nach
22 *
—
340 VIT. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
ihren Anfängen in diefe, und nad diefen Anfängen follen fie
allein in der Encytlopädie, weil fie philoſophiſch ift, betrach—⸗
‚tet: werden. — Go zwedmäßig es nun ift, auf dem Gymna-
fium eine ſolche Weberfiht der Elemente zu geben, fo kann fie
auch wieder bei näherer Betrachtung für überflüffig angefehen
werden, — darum, weil die in der Enchklopädie kurz zu bes
trachtenden Wiffenfchaften in der That ſchon ſelbſt ausführ—
lider — gröftentheils da gewesen find Nämlich die
erſte Wiffenfchaft der Enchklopädie, die Logik, von der be=
reits oben gefprodhen; die dritte Miffenfhaft, die Lehre vom
Geifte, 1) in der Pſychologie, 2) in der Rechts-, Pflichten⸗
und Religionslehre; (— felbft ſchon die Pſychologie als ſolche,
— die in die zwei Theile des theoretifchen und praktiſchen Gei= _
fies, oder der Intelligenz und des Willens, zerfällt, kann größe
tentheils der Ausführung ihres zweiten Theils entbehren, weil
derfelbe in feiner Wahrheit fhon als Rechts-, Pflichten—
und Religionslehre vorgefommen ift. Denn-die bloß pſy—
chologiſche Seite der legten — nämlihd Gefühle, Begierden, -
Triebe, Neigungen, — find nur ein Formelles, das feinem wah—
ren Inhalte nad, — z. B. der Trieb nah Erwerb oder nad
MWiffen, die Neigung der Eltern zu den Kindern u. ſ. fr
— in der Rechts- oder Pflichtenlehre als nothwendiges
Verhältniß, als Pflicht des Erwerbs mit der Einſchränkung
der Rechtsprincipien, als Pflicht, ſich zu bilden, als Pflich—
ten der Eltern und Kinder u. f. f., bereits abgehandelt if.) — -
Inden zue dritten Wiſſenſchaft der Enchklopädie noch die
Religionslehre gehört, fo ift auch diefer ein befonderer Un—
terricht gewidmet. Zunächſt ift daher nur die zweite Wif-
fenfhaft, die Philofopbie der Natur noch für die
Encpklopädie übrig, — Allein 1) hat die Naturbetrahtung
nod wenig Reize für die Jugend; das Intereffe an der Natur fühlt
fie mehr — und nit mit Unreht"— als eine theoretifche Mü—
Bigkeit, in Vergleihung gegen menſchliches und geiftiges Thun
.
u
Aus einem Briefe Hegel's an Miethammer. 34
und Geflalten; 2) ift die Naturbetradhtung das Schwerere; denn
der Geift, indem er die Natur begreift, hat das Gegentheil
des Begriffs in den Begriff zu verwandeln, — eine Kraft,
der nur das erflarkte Denken fähig iſt; 3) fest die Naturphilo-
ſophie, als fpekulative Phyſik, Bekanntſchaft mit den Naturers
ſcheinungen, — mit der empirifhen Phyſik — voraus, — eine
Bekanntſchaft, welche hier noch nicht vorhanden if, — Als ih.
im vierten Jahre der Eriftenz des Gymnaſtums in der Ober:
Klaffe ſolche Schüler erhielt, welche die drei Kurfe der Philoſo—
phie in der Mittel und Unter-Klaſſe durdlaufen hatten,
mufte ich die Bemerkung machen auf, daß fie mit dem größ—
ten Theil des philofophifchen wiſſenſchaftlichen Kreifes ſchon
betannt ſeyen, und ich des größten Theils der Enchklopädie ent-
behren könnte; ich hielt mic alsdann vornehmlid an die Na-
turphiloſophie. — Dagegen fühlte ih als wünfchenswerth,
daf eine Seite der Philofophie des Geiftes, nämlid die Par—
thie des Schönen, weiter ausgeführt würde, Die Aefthetit
ift, außer der Naturphilofophie, die befondere Wiſſenſchaft, welche
in dem wiffenfehaftlihen Cyhklus noch fehlt, und fie fheint fehr
wefentlih eine Gymnaſial-Wiſſenſchaſt ſeyn zu können. Sie
könnte dem Profeffor der klaſſiſchen Literatur ‚in der Ober-
Klaffe übertragen fepn, der aber mit diefer Literatur ſchon genug
zu thun bat, weldyer es fehr fchädlich wäre, Stunden zu entziehen.
Es wäre aber höchſt nüglich, wenn die Gymnaflaften außer mehr
Begriff von Metrit, auch beflimmtere Begriffe von der Nas
tur. des Epos, ber Tragödie, der Komödie u. dergl. er—
hielten. Die Aefihetit könnte einer Seits die neuern, beffern
Anfihten von dem Weſen und dem Zwecke der Kunft geben,
anderer Seits aber müßte fie ja nicht ein bloßes Gewäſche von
der Kunft bleiben — fondern fi), wie gefagt, auf die befonde-
ren Dictungsarten und die befonderen antiken und modernen
Dihtungsweifen einlaffen, in die charakteriftifhe Bekanntſchaft
mit den vornehmften Dichtern der verſchiedenen Nationen und
/
342 VI, Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
Zeiten einleiten, und diefe Bekanntſchaft mit Beifpielen unter
flügen, — Es würde dief eben ein fo lehrreicher als angenehmer
Kurfus feyn; er enthielte lauter folde Kenntniffe, die für Gym—
naflaften höchſt pafiend find; und es kann als ein reeller Man—
gel gelten, daſſ diefe MWiffenfchaft feinen Lchrgegenftand in einer
Gymnaſial-Anſtalt ausmadıt. — Die Encyklopädie wäre auf
diefe Weife, der Sache nad, im Gymnaſium „mit Ausnahme
der Naturphiloſophie, vorhanden; es fehlte etwa nur noch eine
philoſophiſche Anſicht der Geſchichte, die aber Theils
noch entbehrt werden, Theils auch ſonſt, z. B. in der Relis
gionswiſſenſchaft, bei der Lehre von der Vorſehung, ihre Stelle
finden kann. Die allgemeine Eintheilung des ganzen Gebiets der
Philoſophie, daß es drei find, reines Denten, Natur und Geift,
muß ohnehin öfters bei der Beflimmung der einzelnen Samen
erwähnt werden.
I. Methode.
A. Im Allgemeinen unterfcheidet man philofophifches Sy—
ſtem mit feinen befondern Srientien und das Philofophis-
‚ren felbft. Nach der modernen Sucht, befonders der Pädagogik,
fol man nit fowohl in dem Inhalt der Philofophie unters
‚riöhtet werden, als daf man ohne Inhalt philofophiren
lernen foll; das heißt ungefähr: man foll reifen und immer
reifen, ohne die Städte ‚ Hlüffe, Länder, Menfhen u. f. f. ken—
nen zu lernen.
Bor’s Erſte, indem man eine Stadt kennen lernt, und
dann zu einem Fluſſe, andern Stadt u. f. f. kommt, lernt man.
ohnehin bei diefer Gelegenheit reifen, und man lernt es nicht
nur, fondern reift ſchon wirflid. So, indem _man den Inhalt
der Philofophie Fennen lernt, lernt man nicht nur das Philofo=
phiren, ſondern philofophirt aud ſchon wirklich. Auch wäre der
Zweck des Reiſenlernens ſelbſt nur, jene ER uf. . ., ben
Inhalt kennen zw lernen. _ )
Zweitens enthält die Philofophie die höchſten vernünfs
Aus einem Briefe Hegels an Niethannner. 343
tigen Sedanten über die wefentliden Gegenflände,
enthält das Allgemeine und Wahre derfelben; cs if von
großer Wichtigkeit, mit diefem Inhalt bekannt zu werden, und
diefe Gedanten in den Kopf zu betommen. Das trau
tige, bloß formelle Verhalten, das perennirende inhaltslofe Suchen
und Herumtreiben, das unfpflematifche NRaifonniren oder Speku—
liren hat das Gehaltleere, das Gedankenleere der Köpfe zur Folge,
daf fie nichts Fönnen Die Rechtslehre, Moral, Religion ift
ein Umfang von widhtigem Inhalt; cben fo ift die Logik eine
inhaltsvolle Scienz, die objektive (Kant: tranfcendentale) enthält
die Grundgedanken vom Seyn, Wefen, Kraft, Subflanz, Ur⸗
ſache u. ſ. few. f. f.; die andere die Begriffe, Urtheile,
Schlüſſe u. f. f., eben fo wichtige Grundbeftimmungen; — bie
Pſychologie Gefühl, Anfhanung u. f. f.; — die philofophi-
fhe Enchklopädie endli überhaupt den ganzen Umfang. Die
wolffhen Scientien, Logik, Ontologie, Kosmologie u. f. f.
Naturrecht, Moral u. f. f., find mehr oder minder verſchwunden;
aber darım iſt die Ppilofophie nicht weniger ein ſyſtematiſcher
Kompler inhaltsvoller Scientien. — Ferner aber ift die
Ertenntnif des abfolut=Abfoluten — (denn jene Sci—
entien follen ihren befondern Inhalt aud in feiner Wahrheit,
d. h. in feiner Abfolutheit, kennen lernen) — nur allein möglid)
durch die Erkenntniß der Totalität in ihren Stufen eines
Soflems; und jene Scientien find ihre Stufen, Die Scheu
vor einem Spftem fordert eine Bildfäule des Gottes, die feine
Geftalt haben folle, Das unfpftematifche Philofophiren ift ein
zufälliges, frägmentarifches Denken, und gerade die Konfequenz
ift die formelle Scele zu dem wahren Inhalt,
Drittens. Das Verfahren im Bekanntwerden mit einer
inhaltsvollen Philofophie if num kein anderes als das Lernen.
Die Philofophie muß gelehrt und gelernt werden, fo gut,
als jede andere Wiſſenſchaft. Der unglüdfelige Pruritus, zum
Scelbfidenten und eigenen Produciren zu erzichen, hat
344 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
diefe Wahrheit in Schatten geftellt; — als ob, wenn ich, was Sub-
flanz, Urfache, oder was es-fey, lerne, — id nit felbft
dächte, als ob ich diefe Beftimmungen nicht felbft in meinem Den
ten produeirte, fondern diefelben als Steine in daffelbe ges.
worfen würden; — als ob ferner, indem ich ihre Wahrheit, die Be-
weife ihrer ſynthetiſchen Beziehungen, oder ihe dialektifches Ueber—
gehen einfehe, nicht ſelbſt diefe Einfücht erhielte, nicht felbft von dies
fen Wahrheiten mic überzeugte, — als ob, wenn id) mit dem ph=
thagoräifchen Lehrfag und feinem Beweife bekannt worden bin, nicht
ich felbft diefen Sat wüßte und feine Wahrheit bewiefe. So
fehr an und für fid) das philofophifche Studium Selbftthun iſt,
eben ſo ſehr iſt es ein Lernen; — das Lernen einer bereits
vorhandenen, ausgebildeten, Wiſſenſchaft. Dieſe iſt ein
Schatz von erworbenem, herausbereitetem, gebildetem Inhalt;
dieſes vorhandene Erbgut ſoll vom Einzelnen erworben, d.h.
gelernt werden. Der Lehrer befist ihn; er denkt ihn vor,
- die Schüler denken ihn nad. Die philofophifchen Scientien
enthalten von ihren Gegenftänden die allgemeinen wahren
Gedanken; fie find das refultirende Erzeugniß der Arbeit der
dentenden Genie’s aller Zeiten; diefe wahren Gedanken über-
treffen das, was ein ungebildeter junger Menfh mit feinem
Denken herausbringt, um eben fo viel, als jene Maffe von
‚genialifcher Arbeit die Bemühung eines foldhen jungen Menſchen
übertrifft. Das originelle, eigenthümliche Vorftellen der Jugend
über die wefentlichen Gegenftände ift Theils noch ganz dürftig
und leer, Theils aber in feinem unendlic größern Theile Mei
nung, Wahn, Halbheit, Schiefpeit, Unbeſtimmtheit.
Durch das Lernen tritt an die Stelle von diefem Wähnen die
Wahrheit. Wenn einmal der Kopf voll Gedanken ift, dann erſt
bat er die Möglichkeit felbft die Wiffenfchaft weiter zu bringen
und eine wahrhafte Cigenthümlichteit in ihre zu gewinnen;
darum aber ift es in öffentlichen Unterricitsanftalten, vollends in
Gymnaſien, nicht zu thun, fondern das philoſophiſche Studium
—*
Aus einem Briefe Hegel s an Riethammer. 35
iſt wefentlich auf diefen Geſichtspunkt zu richten, daß dadurch
etwas gelernt, die Unmwiffenheit verjagt, der leere
Kopf mit Gedanken und Gehalt erfüllt, und jene natür—
liche Eigenthümlichteit des Denkens, d. h. die Zufäl-
ligkeit, Willkür, Beſonderheit des Meinens vertrieben werde.‘
B. Der philofophifhe Inhalt hat in feiner Methode und
Seele drei Formen; 4) it er abfiratt, 2) dialettifh,
3) fpetulativ; abfirakt, in fofern er im Elemente des Den—
tens überhaupt ift; aber bloß abfiraft, dem Dialektifchen und
Speculativen gegenüber, ift er das fogenannte Verſtändige,
das die Beftimmungen in ihren feften Unterſchieden fefthält und
kennen lernt. Das Dialektiſche ift die Bewegung und Ver—
wirrung jener feften Beflimmtheiten; die negative Vernunft.
Das Spetulative iſt das pofitiv -Vernünftige, das Geiflige,
erft eigentlich Philofophifche,
Was den Vortrag der Philofophie auf Gomnaflen betrifft,
fo ift erflens die abſtrakte Form zunädft die Hauptſache.
Der Jugend muf zuerft das Schen und Hören vergehen, fie
muf vom konkreten Vorftellen abgezogen, in die innere Nacht
der Seele zurüdgegogen werden, auf diefem Boden fehen, Bes
ſtimmungen feflhalten und unterfcheiden lernen.
Ferner, abfiratt lernt man denken durch abſtraktes
Denten. Man kann nämlich entweder vom Sinnlichen, Konkre—
ten anfangen wollen, und diefes zum Abftratten durch Analyfe
heraus und hinauf präpariren, fo, — wie es ſcheint, — den natur⸗
gemäßen Gang nehmen, wie aud fo vom Leichtern zum Schwe=
rern auffteigen. Dder aber man kann gleich vom Abſtrakten
feloft beginnen, und daffelbe an und für fi nehmen, lehren und
verftändlih machen. Erſtlich, was die DVergleihung beider
Wege betrifft, fo ift der erfle gewiß naturgemäßfer, aber
darum der unwiffenfhaftlide Weg. Obwohl cs natur—
gemäßer ift, daf eine das Runde ungefähr enthaltende Scheibe
aus einem Baumſtamme, durch Abſtreifen der ungleihen, her⸗
346 VI, Schreiben in amtlidyen Angelegenheiten.
ausfichenden Stückchen nad) und nad) abgerumdet worden feh,
fo verfährt doch der Geometer nicht fo, fondern er macht mit
dem Zirkel oder der freien Hand gleich einen genauen ab—
ſtrakten Kreis, Es ift der Sache gemäß, weil das Reine,
das Höhere, das Wahrhafte natura prius ift, mit ihm in der
Wiſſenſchaft aud) anzufangen; denn fie ift das Verkehrte des
bloß naturgemäfen, d. h. ungeiftigen Vorftellens; wahrhaft ift
jenes das Erfte und die Wiſſenſchaft foll thun, wie es wahrhaft
iſt. Zweitens ift es ein völliger Irrthum, jenen naturge-
mäßen, beim konkreten Sinnlihen anfangenden und zum Ge⸗
danken fortgehenden Weg für den leihtern zu halten. Er if
im Gegentheil der ſchwerere; wie es leichter ift, die Elemente
der Tonſprache, die einzelnen Buchſtaben, auszufprechen und zu
lefen, als ganze Worte. — Weil das Abſtrakte das Einfachere
ift, iſt es leichter aufzufaffen. Das konkrete ſinnliche Beiweſen ift
ohnehin wegzuftreifen;.es iſt daher überflüffig, es vorher dazu
zu nehmen, da es wieder weggerhafft werden muf, und es
wirft nur zerfireuend. Das Abſtrakte ift als ſolches verftänd-
lid) genug, fo viel nöthig ift; der rechte Verſtand foll ja über-
dieß erſt durch die Philofophie hineintommen. Es ift darum
zu thun, die Gedanken von dem Univerſum in den Kopf zu
befommen; die Gedanken aber find überhaupt das Abſtrakte.
Das formelle gehaltloje Raifonnement ift freilich auch ab=
firatt genug. Aber es wird vorausgefegt, daß man Gehalt und
den rechten Inhalt habe; der leere Formalismus, die gehaltlofe
Abſtraktion aber, wäre es auch über das Abſolute, wird eben
durch das Obige am beſten vertrieben, nämlich durch Vortrag
eines beſtimmten Inhalts. —
Hält man fi nun blof an die abfirakte Form des philofophi=
ſchen Inhalts, fo hat man eine (fogenannte) verfändige Philos
fopbie; und indem es auf dem Gymnaflum um Einleitung und
Stoff zu thun ift, fo if jener verftändige Inhalt, jene ſyſtematiſche
Mafe abftratter'gehaltvoller Begriffe, unmittelbar das Philoſo—
=
Aus einem Briefe HegePs an Niethammer . 347
phifche als Stoff, und ift Einleitung, weil der Stoff über-
haupt für ein wirkliches, erfheinendes Denken das Erfte iſt.
Dieſe erſte Stufe ſcheint daher das Vorhertfehende in der mr
nafial= Sphäre feyn zu müffen.
Die zweite Stufe der Form if das Dialektifhe |
Diefe ift Theils ſchwerer als. das Abftratte, Theils der, nach
Stoff und Erfüllung begierigen, Jugend das am wenigfien In⸗
tereſſante. Die kant'ſchen Antinomien find im Normativ ange⸗
geben, in Rückſicht auf Kosmologie; ſie enthalten eine tiefe
Grundlage über das Antinomiſche der Vernunft, aber dieſe Grund⸗
lage liegt zu verborgen, und — ſo zu ſagen — gedankenlos
und zu wenig in ihrer Wahrheit erkannt in ihnen; — andern
Theils ſind ſie wirklich ein zu ſchlechtes Dialektiſches, — weiter
nichts, als geſchrobene Antitheſen: — ich habe fie im meiner Lo=
git, wie ich glaube, nad) Verdienft beleuchtet. Unendlich beffer
aiſt die Dialektik der alten Eleatiker und die Beifpiele, die uns
davon aufbewahrt find. — Da eigentlich in einem ſyſtemati—
ſchen Ganzen jeder neue Begriff durd) die Dialektik des Vor—
hergehenden entficht, fo hat der Lehrer, der diefe Nas
tur des Philofophifchen kennt, die Freiheit, allenthalben den
Verſuch mit der Dialektit zu machen, fo oft er mag, und wo
fie feinen Eingang findet, — ſie zum MAR Begriff über-
zugehen.
Das Dritte ift das eigentlich Spetulative, das beißt,
die Erfenntnif des Entgegengefegten in feiner Einheit;
— oder genauer, daß die Entgegengefegten in ihrer Wahrheit
Eins find. Diefes Spekulative iſt erſt das eigentlih Philofo-
phiſche. Es ift natürlid das Schwerfte; es ift die Wahrheit.
es felbft ift in gedoppelter Form vorhanden: 1) in gemeiner, dem
Vorfiellen, der Einbildungstraft, aud dem Herzen
näher gebrachten form, z. B. wenn man von dem allgemeinen,
ſich felb® bewegenden, und in unendlicher Form geftaltenden Le—
ben der Natur ſpricht; — Pantheismus und dergleichen — wenn
348 vu. Schreiben in amtl, Angel, Brief Hegel's an Niethammet.
man von der ewigen Liebe Gottes Spricht, der darum Schöpfer
ift, um zu lieben, um ſich felbft in feinem ewigen Sohne —
und dann im einem der Zeitlichteit dahin gegebenen Sohne, der
Melt, — anzufhauen u. dergl. Das Recht, das Selbfibewuft-
ſeyn, das Praktifche überhaupt, enthält ſchon an und für ſich
felbft die Principien oder Anfänge davon, und vom Geifte und
dem Geiftigen ift eigentlich auch nicht Ein Wort zu fagen,
als ein fpetulatives; denn er ift die Einheit im Andersſeyn mit
ſich; — fonft fpricht man, wenn man au die. Worte Seele,
Geift, Gott braucht, doch nur von Steinen und Kohlen. — In=
dem man nun vom Geifligen bloß abſtrakt oder verftändig fpricht,
fo kann der Inhalt doc fpekulativ ſeyn, — fo gut, als der In=
halt der volltommenen Religion höchſt ſpekulativ if. — Mber
dann bringt der Vortrag, er ſeh begeiftert, oder wenn er dieß
nicht ift, gleichſam erzählend, — den Gegenfland nur vor die
Vorftellung, — nicht in den Begriff. |
Das Begriffene, und dieß heift das, aus der Dialektik ,
hervorgehende, Spekulative ift allein das Philofophifche in der
Form des Begriffs. Dieß kann nur fparfam im Gym—
naflal- Vortrag vorkommen; es wird überhaupt von Wenigen
gefaßt; und man kann zum Theil auch nicht recht willen, ob es
von ihnen gefaßt wird. — Spekulativ denken lernen,
was als die Hauptbeftimmung des vorbereitenden philofophifchen
Unterrichts im Normativ angegeben wird, ift daher gewiß als
das nothwendige Ziel anzufehen; die Borbereitung dazu iſt
das abflrafte und dann das dialeftifhe Denken, ferner die Erwer—
bung von Borftellungen fpetulativen Inhalts. Da der Gymna=
fial= Ynterricht wefentlid vorbereitend ift, fo wird er darin vor—
nehmlich befichen Fönnen, auf diefe Seiten des Philofophirens
binzuarbeiten. /
An ben Königl. Preußifchen Kegierungsrath und
Profeffor Friedrich v. Haumer,
Ueber den Vortrag der Philofophie auf
Univerfitäten.
En, Hochwohlgeboren erlaube ich mir hiermit, auf Veranlaſſung
unſerer mündlichen Unterhaltung, meine Gedanken über den Vor—
trag der Philoſophie auf liniverfitäten nachträglich vor—
zulegen. Ich muß recht fehr bitten, daß Sie auch mit der Form
gütigft vorlieb nehmen mögen und mehr Ausführung und Zus
fammenhang nicht verlangen, als fi in einem eiligen Briefe
geben läßt, der Sie noch in unfrer Nähe einholen foll.
Ich fange fogleih mit der Bemerkung an, wie überhaupt
diefer Gegenftand zur Sprache kommen könne, da es fonft eine
ganz einfache Sache fiheinen fann, daß von dem Vortrage der
Dhilofophie nur daffelbe gelten müffe, was von dem anderer
Miffenfhaften gilt; ich will mich in diefer Rüdfiht nit damit
aufhalten, daf auc von jenem gefordert werden müffe, daf er
Deutlichkeit mit Gründlichteit und zwedmäßiger Ausführlichkeit
verbinden folle, daß er auch dieß Schidfal mit dem Bortrage
der andern Miffenfchaften auf einer Univerfität theile, zum Bes
bufe der feflgefegten Zeit, in der Regel eines halben Jahrs,
zugerichtet werden zu müffen, dag die Wiffenfhaft hiernach zw
fireden oder zufammen zu ziehen, erforderlich fey m. f. f. Die
befondere Art von Verlegenheit, die fi dermalen für den Vor—
trag der Philofophie wahrnehmen läßt, ift wohl in der Wen⸗
-
—
350 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten
dung zu fuchen, welde diefe MWiffenfchaft genommen hat, und
woraus das gegenwärtige Verhäliniß hervorgegangen ift, daf die
vormalige wiffenfhaftlihe Ausbildung derfelben und die befon-
dern Miffenfchaften, in die der philofophifche Stoff vertheilt war,
nad Form und Inhalt, mehr oder weniger antiquirt worden;
— daß aber auf der andern Seite die an die Stelle getretene
dee der Philoſophie nod ohne wiffenfdaftlihe Ausbildung
fieht, und das Material der befonderen Wiffenfchaften feine
Umbildung und Aufnahme in die neue Idee unvollfändig oder °
gar noch nicht. erlangt hat. — Wir fehen deshalb einer Seits
MWiffenfhafrlihkeit und Wiffenfchaften ohne Intereffe,
anderer Seits Intereffe ohne Wiſſenſchaftlichkeit.
Was wir daher auch im Durchſchnitt auf Univerfitäten
und in Schriften vorgetragen fehen, find noch einige der alten
Wiſſenſchaften, Logik, empiriſche Pſychologie, Naturrecht, etwa
noch Moral; denn auch denen, welche ſich ſonſt noch an das
Aeltere halten, iſt die Metaphyſik zu Grunde gegangen, wie
der Juriftenfatultät das deutſche Staatsrecht; wenn dabei die
übrigen Wiffenfhaften, die fonft die Metaphyſik ausmachten,
nicht fo fehr vermißt werden, fo muß dieß wenigftens in Anfes
hung der natürlihen Theologie der Fall feyn, deren Ge—
genftand die vernünftige Erkenntnif Gottes war. Von jenen
noch beibehaltenen Wiſſenſchaften, insbefondere der Logit, ſcheint
es beinahe, daf es meiſt nur die Tradition und die Rückſicht
auf den formellen Nutzen der Berftandesbildung ift, welche die=
felben noch erhält; denn der Inhalt derfelben, wie aud ihre
und der übrigen Form, fieht mit der Idee der Dhilofophie, auf
welche das Intereffe übergegangen, und mit der von diefer anz
genommenen Weife zu philofophiren zw fehr im Kontrafl, als
daf- fie noch befriedigende Genugthuung gewähren könnten.
Wenn die Jugend auch erft das Smdium der Wiffenfhaften
beginnt, fo ift fie doch fchon, fey es nur von einem unbeſtimm⸗
ten Gerüchte anderer Jdren md Weifen berührt worden, fo daf
‚ Un den ze. Prof, F. v. Raumer. 351
fie ohne das erforderliche Vorurtheil von der Autorität und Wich⸗
tigkeit jener an das Studium derfelben kommt, und leicht ein
Etwas nicht findet, zu deffen Erwartung fie ſchon angeregt if;
ich möchte fagen, daß auch das Lchren folder Wiffenfchaften,
wegen des einmal imponirenden Gegenfages, nicht mehr mit der
. Unbefangenheit und vollem Zutrauen geſchieht, wie vormals;
eine daher entfpringende Unſicherheit oder Gereiztheit trägt dann
nicht dazu bei, Eingang und Kredit zu verſchaffen.
Auf der andern Seite hat die neue Jdee die Forderung
noch nicht erfüllt, das weite Feld von Gegenftänden, welde in
die Philofophie gehören, zu einem geordneten, durch feine Theile
hindurch gebildeten Ganzen zu geflalten. Die Forderung be=
flimmter Erkenntniffe und die fonft anerkannte Wahrheit, daß
das Ganze nur dadurch, daß man die Theile ‚durchgearbeitet,
wahrhaft gefaßt werde, iſt nicht blof umgangen, fondern mit der
Behauptung abgewiefen worden, daf die Beſtimmtheit und
Mannigfaltigkeit von Kenntniffen für die Idee über-
flüffig, ja ihr zuwider und unter ihr fey. - Nach folder
Anficht ift die Philofophie fo kompendiös, wie die Medizin oder
wenigfiens die Therapie zu den Zeiten des Brownfhen Spflems
war, nad) welchem fie in einer halben Stimde abfolvirt werben
fonnte. Einen Philofophen, der zu diefer intenfiven Weife
gehört, haben Sie vielleicht indeß in München perfönlid kennen
gelernt; Franz Baader läft von Zeit zu Zeit einen oder zwei
Bogen druden, die das ganze Weſen der ganzen Philofopbie
oder einer befondern Wiſſenſchaft derfelben enthalten follen. -
Wer im diefer Art nur druden läßt, hat noch den Vortheil des
Glaubens des Publitums, daß er auch über die Ausführung
folder allgemeinen Gedanken Meifter fey. Aber Friede. Schle-
gel’s Auftreten mit Vorlefungen über Transcondental=Philofos
phie erlebte ich noch in Jena; er war in fehs Wogen mit jei-
nem Kollegium fertig, eben nicht zur Zufriedenheit feiner Hus
börer, die ein halbjähriges erwartet und bezahlt hatten. — Eine
=
352 VI Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
größere Breite fahen wir den allgemeinen Jdeen mit Hülfe der
Dhantafie geben, die Hohes und Niederes, Nahes und ers
nes, glänzend und trübe, mit tieferem Sinn oft und ebenfo oft
ganz oberflächlich zufammenbraute, und dazu befonders diejenigen
Regionen der Natur und des Geiftes benußte, die für ſich felbft
teübe und willkürlich ſind. Ein entgegengefegter Weg zu meh—
rerer Ausdehnung ift der kritiſche und ſkeptiſche, der an
dem vorhandenen Material einen Stoff hat, an dem er fort«
geht, übrigens es zu nichts bringt, als zu dem Unerfrenlichen
und Langeweile Machenden negativer Reſultate. Wenn diefer
Weg aud etwa den Scharffinn zu üben dient, das Mittel der
Dhantafle aber die Wirkung haben mochte, ein vorübergehendes
Gähren des Geiftes, aud) etwa was man Erbauung nennt, ı
zu erweden, und in Wenigen die allgemeine Idee felbft zu ent⸗
zünden, fo leiftet doch Feine von diefen Weiſen, was geleiftet
werden foll, und was Studium der Wiffenfhaft if.
Der Jugend war 18 beim Beginn der neuen Philofophie
zunächft willtommen, das Studium der Philofophie, ja der Wif-
fenf&haften überhaupt, mit etlichen allgemeinen Formeln, die Als
les enthalten follten, abthun zu können. Die aus diefer Mei—
- nung entfpringenden Zolgen, Mangel an Kenntniffen, Un—
wiſſenheit fowohl in philofophifhen Begriffen als
auch in den fpeciellen Berufswiffenfhaften, erfuhren
aber an den Anforderungen des Staats, ſo wie an der fonfligen
wiſſenſchaftlichen Bildung einen zu ernfihaften Widerfprud und
praktifche Zurüdweifung, als daß jener Dünkel nit aufer Kre-
dit gelommen wäre. So wie es die innere Nothwendigkeit der
Philofophie mit ſich bringt, daß fie wiſſenſchaftlich und in ihren
Theilen ausgebildet werde, fo ſcheint mir dief aud) der zeitges
mäfe Standpunkt zu ſehn; zu ihren vormaligen Wiffenfchaften
läßt fih nicht zurückkehren; die Maſſe von Begriffen und Ins
halt, die fie enthielten, läßt füch aber auch nicht bloß ignoriren;
die neue Form der Idee fordert ihr Recht und das.alte Mia-
—
An den ꝛc Prof. F. v. Raumer. 353
terial bedarf daher einer Umbildung, die dem jetzigen Stand»
punkte der Philofophie gemäß ift. > Diefe Anfiht über das
Zeitgemäße kann ich freilich nur für eine ſubjektive Beurthei—
lung ausgeben, fo wie id auch zunachſt für eine ſubjektive Rich⸗
tung diejenige anzuſehen habe, die ich in meiner Bearbeitung
der Philoſophie genommen, indem ich mir früh jenen Zweck ge—
ſetzt; ich habe fo eben die Herausgabe meiner Arbeiten über die
Logik beendigt, und muß nun vom Publitum erwarten, wie es
diefe Art und Weife aufnimmt.
So viel aber glaube ich für richtig annehmen zu können,
daß der Vortrag der Philoſophie auf Univerſitäten das, was er
leiſten fol, — eine Erwerbung von beſtimmten Kennt
niffen, — nur dann leiften kann, wenn er einen beftimmten,
methodifchen, das Detail umfaffenden und ordnenden Gang
nimmt. In diefer Form ift diefe Wiſſenſchaft, wie jede andere,
allein fähig, gelernt zu werden. Wenn der Lehrer auch dief
Wort vermeiden mag, fo muf er das Bewußtfeyn haben, daf
es darum zunächſt und weſentlich zu thun if. Es ift ein Vor—
uetheil nicht allein des philofophifchen Studiums, fondern aud)
der Pädagogit, — und hier noch weitgreifender — geworden,
daß das Gelbfidenten in dem Sinn entwidelt und geübt,
werden folle, daß es erftlich dabei auf das Material nit
antomme, und zweitens als ob das Kernen dem Selbfs
denken entgegengefeßt fey, da in der That das Denken
fih nur an einem ſolchen Material üben kann, das Feine Ge—
burt und Zufammenftellung der Phantaſie, oder feine, es heiße
ſinnliche oder intelleftuelle Anfhauung, fondern ein Gedante
ift, und ferner ein Gedanke nicht anders gelernt werden kann,
als dadurch, dag er felbfi gedacht wird. Nad einem gemei—
nen Irrthum feheint einem Gedanken nur dann der Stempel }
des Selbſtgedachten aufgedrüdt zu fehn, wenn er abweichend
von den Gedanken anderer Menſchen if, wo dann das Bekannte
feine Anwendung zu finden pflegt, daß das Neue nicht. wahr,
Vermiſchte Schriften, * 23
354 VI. Seeeiben im amrlichen Ungelegenfeiten.
und das Wahre nicht neu iſt; — fonft iſt daraus die Sucht,
daf jeder fein eignes Spftem haben will, entfprungen,
und. daß ein Einfall für defto origineller und vortrefflicher ge—
halten wird, je abgeſchmackter und verrüdter er iſt, weil er eben⸗
dadurch die Eigenthümlichteit und. Verſchiedenheit von dem Ge—
danfen Anderer am meiften beweift.
Die Fähigkeit, gelernt zu werden, erlangt die Philofophie
durch ihre Beſtimmtheit näher infofern, als fie dadurch allein
deutlich, mittheilbar und fähig wird, ein Gemeingut
zu werden. So wie fie einer Seits befonders fiudirt ſeyn will,
und nit von Haus aus fhon darum ein Gemeingut ift, weil
jeder Menſch überhaupt Vernunft hat, fo benimmt ihre allges
meine Mittheilbarkeit ihr den Schein, den fie in neuern Zeiten
unter andern auc erhielt, eine Idioſynkraſie etliher trans-
cendentaler Köpfe zu ſeyn, und wird ihrer wahrbaften Stellung
angemeffen, zu der Philologie, als der erfien propädeu—
tifhen Wiffenfhaft für einen Beruf, die zweite zu ſeyn.
Es bleibt dabei immer offen, daß Einige in diefer zweiten
Stufe fieden bleiben, aber wenigitens nicht aus dem Grunde,
den es bei Manchen hatte, die, weil fie fonft nichts Rechtes
gelernt hatten, Philofophen wurden. Ohnchin ſcheint jene Ge—
fahr überhaupt nicht mehr fo groß, wie ic) vorhin erwähnt, und
auf jeden Fall geringer, als die, bei der Philologie, der er=
ften Stufe, glei hängen zu bleiben. Eine wiſſenſchaftlich aus-
gebildete Philofophie läft dem beftimmten Denken und gründ-
licher Erkenntniß fchon innerhalb ihrer felbft Gerechtigkeit wider-
fahren, und ihr Inhalt, das Allgemeine der geiftigen und na=
türlichen Berhältniffe, führt für fich unmittelbar auf die po—
fitiven Wiffenfhaften, die diefen Inhalt in konkreter Ge—
fialt, weiterer Ausführung und Anwendung zeigen, fo fehr, daß
umgekehrt das Studium diefer Wiffenfchaften fi als nothwen-
dig zur gründlichen Einfiht der Philofophie beweift; da hinge—
gen das Studium der Philologie, wenn es einmal in das De-
'
An den x. Prof. F. v. Raumer. 355
tail, das wefentlich nur Mittel bleiben fol, hineingerathen ift,
von den übrigen Wiffenfchaften etwas fo Abgefondertes und
Fremdartiges hat, daß darin nur ein geringes Band und we—
nige Uebergangspunkte zu einer Wiffenfhaft und einem Berufe
der Wirklichkeit liegen.
Als propädentifche Wiffenfhaft hat die Philofophie insbe-
fondere die formelle Bildung und Hebung des Denkens zu leiften ;
dieß vermag fie nur durch gänzlide Entfernung vom Phanta—
ftifchen, durch Beflimmtheit der Begriffe und einen konfequenten
methodifchen Gang; fie muß jene Uebung in einem höhern
Maaf gewähren können, als die Mathematik, weil fie —
wie dieſe, einen ſinnlichen Inhalt hat.
| Ih erwähnte vorhin der Erbauung, die oft von der
Philofophie erwartet wird; meines Erachtens foll fie, auch wenn
der Jugend vorgetragen, niemals, erbaulic ſeyn. Aber fie hat
ein damit verwandtes Bedürfnif zu befriedigen, das id noch
kurz berühren will, So fehr nämlich die neuere Zeit die Rich—
tung auf einen gediegenen Stoff, höhere Ideen und die Reli—
gion wieder hervorgerufen hat, fo wenig und weniger als je ge—
nügt dafür die Form von Gefühl, Phantafle, verworrenen Be—
griffen. Das Gehaltvolle für die Einficht zu rechtfertigen, es in
beftimmte Gedanken zu faffen und zu begreifen, und es dadurch
vor trüben Abwegen zu bewahren, muß das Gefhäft der Phi-
loſophie ſeyn. — In Anfehung diefes, fo wie übeehaupt des
Inhalts derfelben, will ic) nur noch die fonderbare Erſcheinung
anführen, daß ein Philoſoph etliche Wiffenfhaften mehr oder
weniger, oder fonft verfhiedene, in derfelben vorträgt als ein
Anderer; der Stoff, die geiflige. und natürlihe Welt ift immer
diefelbe, und fo muß auch die Philofophie in diefelben befondern
Wiſſenſchaften zerfalien. Jene Verfchiedenheit ift wohl vornehm⸗
li der Verworrenheit zuzufchreiben, die es nicht zu beflimmten
Begriffen und feften Unterfhieden fommen läßt; die Verlegen-
heit mag auch das Ihrige beitragen, wenn man neben einer
23.*
- 356 VI. Schreiben in amt, Angel. An den zc. Prof, F. v. Raumer.
neuften tranfcendentalen Philofophie alte Logik, neben einer fke=
ptiſchen Metaphyſik, natürliche Theologie vortragen follte. Ich
habe ſchon angeführt, daß der alte Stoff allerdings einer durch⸗
geführten Umbildung bedarf, und nicht bloß auf die Seite ge—
legt werden kann. Sonſt iſt es beſtimmt genug, in welche
Wiſſenſchaften die Philoſophie zerfallen muß; das ganz abſtrakte
Allgemeine ‚gehört in die Logik, mit allem, was davon ehemals
auch die Metaphyſik im ſich begriff; das Konkrete theilt fi in
Raturpbilofophie, die nur einen Theil des Ganzen abgiebt,
und in die Philofophie des Geifles, wohin außer Pſhcho—
logie mit Anthropologie, Rechts⸗ und Pflichten=Lehre, dann
Hefipetit und Religionsphilofophie gehört; die Geſchichte der Phi—
loſophie kommt nod hinzu. Was auch in den Principien für
eine Verſchiedenheit Statt finden könnte, fo bringt die Natur
des Gegenftandes eine Eintheilung in die genannten Wiffen-
ſchaften und deren nothwendige Behandlung mit fih.
Ueber äußerliche Veranſtaltungen zur Unterftüsung des Vor—
trag’s, 3. B. Konverfatorien, enthalte ih mich etwas hinzuzufü—
gen, da ich mit Schrecken fehe, wie weitläufig ich bereits ge—
worden und wie fehr ich Ihre Nachficht in Anfpruc genommen;
ich füge nur noch den herzlichen Wunſch der glücklichen Fort
fegung Ihrer Reife und die Verfiherung meiner ausgezeichneten
Hochachtung und Ergebenheit hinzu.
Nürnberg, d. 2. Aug. 1816.
(8e3.) Hegel.
Au das Minifterium des Unterrichts,
Ueber den Unterricht in der Philofophie auf
Gymnafien.
Das Königliche Minifterium hat in dem gnädigen Reftript
vom 1. November vorigen Jahres, worin mir aufgegeben wor—
den, über die abgehaltenen Kepetitionen des Dr. von Henning
zu berichten, zugleich), da von mehreren Seiten die Klage erho—
‚ ben worden, daß die fludirende Jugend ohne die erforderliche
Vorbereitung für das Studium der Philofophie auf die Univer—
fität zu kommen pflege, auf meine defhalb chrerbietigft vorge—
legten Bemerkungen gnädigft Rüdfiht zu nehmen, und mir
aufzutragen geruht, mich gutachtlich Zu äußern, wie eine zwed- |
mäßige Vorbereitung hiezu auf Gymnaſien zu veranftalten fehn
möchte.
Ich nehme mir in diefer Rückſicht zuerft die Freiheit, an=
zuführen, daß eine, die Abhülfe jenes Mangels bezwedende Ver-
anftaltung auf Gymnaſien von felbft nur auf diejenigen eine
Wirkung äußern könnte, welde diefe Anftalten befucht haben,
che fie die Univerfität beziehen. Nach den beftehenden Geſetzen
aber find die Univerfitäts-Nektorate angewiefen, aud) ungebil-
dete und unwiſſende Jünglinge zu IUniverfitäts- Bürgern aufs
zunehmen, wenn foldye nur ein Zeugnif über diefe ihre gänz—
liche Unreife mitbringen. Die ältere Einrichtung bei Univerfitäten,
daf der Dekan derjenigen Fakultät, für die fih ein Studiren-
wollender meldete, eine, freilich zur Kormalität herabgefuntene,
Prüfung mit demfelben vornahm, hatte den Univerfitäten doch
358 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
immer nod) die Möglichkeit und Berechtigung, gänzlid) ungebil-
dete und unreife Menſchen auszufchliefen, belaffen. Wenn eine
Beflimmung, die aus den Statuten hiefiger Univerfität, Ab—
ſchnitt VIII, 8.6, Urt. 1. und 43. hicher gezogen werden könnte,
der gemachten Anführung und der Praris zu widerfireiten ſchiene,
fo wird dod deren Wirkung duch die nähere Beſtimmung,
welde in dem Edikte wegen Prüfung der zu den Univerfitäten
übergehenden Schüler vom 12. Dktober 1812 fid findet, und
welcher die Praris fid) gemäß verhält, aufgehoben, Als Mit—
glied der wiffenihaftlichen Prüfungs» Kommiffion, der mid das '
Königliche Minifterium beizugefellen geruhet hat, hatte ich Ge—
legenheit, zu fehen, daß die Unwiſſenheit folcher, die fi, um die
Univerfität zu beziehen, ein Zeugniß abholen, durd) alle Grada⸗
tionen hindurch geht, und daß eine zu veranſtältende Vorberei—
tung für die mehr oder weniger beträchtliche Anzahl ſolcher Sub⸗
jefte zuweilen von der Orthographie der Mutterſprache anzu⸗
fangen hätte. Da ich zugleich Profeſſor an der hieſigen Uni—
verſitãt bin, fo kann ich bei folder Anſchauung von Mangel
aller Kenntniſſe und Bildung an Univerſitäts-Studirenden,
nicht anders, als für mich und meine Kollegen erſchrecken, wenn
id) daran denke, daß wir die Beſtimmung haben ſollten, für
ſolche Menſchen zu lehren, und daß eine Verantwortlichkeit auf
uns ruhen ſollte, wenn der Zweck und der Aufwand der Aller—
höchſten Regierung für Univerſitäten häufig nicht erreicht wird,
— der Zwei, daß die von der Univerfität Abgehenden nicht
bloß für ihr Brodfludium abgerichtet, fondern daß auch ihr Geift
gebildet fey. — Daf die Ehre und die Achtung der Univerſi—
täts - Studien durch jene Zulaffung von ganz unreifen Jünglins
gen gleichfalls nicht gewinne, wird feiner weitern Ausführung
bedürfen. r
. Ich erlaube mir Hierbei dem Königlichen Minifterium meine
bei der wiſſenſchaftlichen Prüfungs» Kommiffion gemachte Erfah—
rung ehrerbietig anzuführen, dag nämlich, infofern bei jenen
J
J
—
An das Miniſterium des Unterrichts. 359
Prüfungen beabſichtigt werde, diejenigen, die noch nicht gehörig
für die Univerfität vorbereitet erfunden werden, durd) das hiers
über ausgeftellte Atteft über das Maaß ihrer Kenntniffe zu bes
lehren, und ihnen dadurd. den Rath an die Hand zu geben,
die Univerfität nody nicht zu besichen, fondern vorher die mans
gelnde Vorbereitung zu ergänzen, — diefer Zweck ſchon darum
gewöhnlich) nicht erreicht zu werden feine, weil folden Exa—
minaten, denen ihre Unwiſſenheit bezeugt wird, nichts Neues da=
mit gefagt wird, fondern fie mit dem vollfländigen Bewußtſehn,
tein Latein, kein Griechiſch, nichts von Mathematit nod von
Gefchichte zu verftehen, den Entſchluß gefaßt haben, die Univer—
fität zu-beziehen, nad) diefem gefaßten Entfchluß bei der Kom—
miſſion nichts fuchen, als durch das Atteft die Möglichkeit, im⸗
matrikulirt zu werden, zu erlangen; ein ſolches Atteſt wird ſich
denſelben um fo weniger als ein Abrathen von der Beziehung
der Umiverfität vorftellen, da ihnen damit, der Inhalt mag feyn
weldyer er wolle, vielmehr die Bedingung, zu der Univerfität
zugelaffen zu werden, in die Hand gegeben wird.
Um nun auf den nähern, von dem Königlichen Minifterium
bezeichneten, Gegenfland, die Vorbereitung auf Gymna—
fien zum fpetulativen Denken und dem Studium der
Philofophie überzugehen, fo fehe ich mic genöthigt, dabei
von dem Unterſchitde einer materiellen und einer formels
len Rorbereitung auszugehen; und ob jene gleich indireft umd
entfernter ift, glaube id) diefelbe als die eigentliche Grundlage
des fpefulativen Denfens betrachten und darum hier nicht mit,
Stilfhweigen übergehen zu dürfen. >
Indem es jedodh felbt Gymnaflal- Studien find, welche
ih als den materiellen Theil jener Vorbereitung betrachten würde,
fo habe ich nur nöthig, diefe Gegenftände zu nennen, und deren
Beziehung auf den Zweck, welder bier in Rede fleht, zu er
wähnen. '
Der eine Gegenftand, den ich bicher rechnen möchte,
360 VIT. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. -
würde das Studium der Alten fen, in fofern dadurd Ges
müth und Borftellung der Jugend in die großen gefchichtlichen
und" Kunft- Anfchauungen von Individuen und Völkern, deren
Thaten und Schidjalen, wie von ihren Tugenden, fittlichen
Grundfägen und Religiofität eingeführt werden, Für den Geift
und deffen tiefere Thätigkeit ann aber das Stndium der klaſ—
fifchen Literatur nur in Sofern wahrhaft fruchtbar werden, als
in den höhern Klaffen eines Gymnaflums die formelle Sprach—
kenntniß mehr als Mittel angefehen, jener Stoff dagegen zur
Hauptfache gemacht und das Gelchrtere der Philologie auf die
Univerfität und für diejenigen aufgefpart wird, welde füch der
Philologie ausfhlieflih widmen wollen,
Der andere Stoff aber enthält nit nur für ſich den
Inhalt der Wahrheit, der auch das Intereffe der Philofophie
bei eigenthümlicher Weife der Erkenntnif ausmacht, fondern er
hat in ihm zugleih den unmittelbaten Zuſammenhang mit dem
Formellen des fpekulativen Denkens. Unter diefem Gefihtspuntt
würde ich hier den dogmatifhen Inhalt unferer Reli—
gion in Erwähnung bringen, indem derfelbe nicht nur die Wahr-
heit an und für fi, fondern fie auch dem fpekulativen Denken
fo fehr entgegengehoben enthält, daß er fogleich felbft den Wider-
ſpruch gegen den Verfland und das Darniederſchlagen des Rais
fonnements mit fih führt. Ob aber diefer Inhalt diefe auf
das fpefulative Denten vorbildende Beziehung haben folle, wird
davon abhängig feyn, ob beim Vortrage der Religion die kirch—
liche dogmatifche Lehre etwa nur als eine hifterifche Sache be—
trieben, überhaupt nicht die wahrhafte, tiefe Ehrfurcht für dies
felbe eingepflanzt, fondern die Hauptfadhe auf deiflifche Allge—
meinheiten, moraliſche Lehren oder gar nur auf fubjektive Ge—
fühle geftellt wird. Bei folder Vortragsweife wird vielmehr die
dem fpekulativen Denken entgegengefegte Stimmung erzogen,
der Eigendüntel des Verftandes und der Willfür an die Spige ges
fiellt, welcher dann unmittelbar entweder zur einfachen Gleichgültig-
An das Minifterium des Unterrichts. 361
keit gegen die Philofophie führt, oder aber der Sophiſterei an=
heim fällt.
Diefes Beides, die etaffifhen Anſchauungen und die reli⸗
giöfe Wahrheit, in fofern fie nämlich) noch die alte dogmatifche
Lehre der Kirche wäre, würde ich fo fehr als den fubflantiellen-
Theil der Vorbereitung für das philofophifhe Studium anfehen,
daf, wenn nicht Sinn und Geift des Jünglings mit ſolchem er—
füllt worden, dem Univerfitäts- Studium die kaum mehr lös—
bare Aufgabe bliebe, den Geift erft für fubftantiellen Inhalt zu
erregen und die ſchon fertige Eitelkeit und Richtung auf die ge=
wöhnlichen Intereffen zu überwinden, welde fonft nun fo leicht
ihre Befriedigung findet.
Das eigentlie Wefen der Philoſophie würde darin geſetzt
werden müffen, daß jener gediegene Inhalt ſpekulative Form ge⸗
winne. Daß aber der Vortrag der Philoſophie noch von dem
Gymnaſial-Unterrichte auszuſchließen und für die Univerſität
aufzuſparen ſey, dieß erſt auszuführen, bin ich bereits durch das
hohe Refeript des Königlichen Miniſteriums, welches dieſe Aus—
ſchließung ſchon ſelbſt vorausfegt, überhoben.
Für den Unterricht des Gymnaſiums bleibt ſo für ſich ſelbſt
das Mittelglied übrig, welches als der Uebergang von der
Vorſtellung und dem Glauben des gediegenen Stoffes zu dem
philoſophiſchen Denken anzufehen iſt. Es würde in die Beſchäf—
tigung mit den allgemeinen Vorftellungen, und näher
mit Gedantenformen, wie fie dem blof raifonyirenden Den
Een und dem philofophifchen gemeinschaftlich find, zu ſetzen ſeyn.
Eine folhe Beſchäſtigung hätte die nähere Beziehung auf das
ſpekulative Denken, Theils daf diefes eine Hebung vorausfegt,
in abftratten Gedanken für fih, ohne finnlihen Stoff, der in
dem mathematifchen Inhalte noch vorhanden ift, fich zu bewes
gen, Theils aber, daf die Gedankenformen, deren Kenntnif durch
den Unterricht verfchafft würde, fpäter von der Philofophie eben
fowohl gebraucht werden, als fie auch einen Haupttheil des Dia-
| |
362 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
terials ausmachen, das fie verarbeitet. Eben diefe Betannts
fhaft und Gewohnheit aber, mit fürmliden Gedans
ten umzugehen, wäre dasjenige, was als die direktere Vor—
bereitung für das Univerfitäts- Studium der Philofophie anzu=
ſehen ſeyn würde,
In Betreff des beſtimmteren Kreiſes der Kenntniſſe, auf
den der Gymnaſial-Unterricht in dieſer Rückſicht zu beſchränken
wäre, möchte ich zunächſt ausdrücklich die Geſchichte der Phi—
loſophie ausſchließen, ob fie ſich gleich häufig zunächſt als
paſſend dafür darbietet.. Ohne die ſpekulative Idee aber vor⸗
aus zuſetzen, wird fie wohl nichts Anderes als nur eine Erzählung
zufälliger, müßiger Meinungen, und führt leiht dahin, — (Zus
weilen möchte man eine ſolche Wirkung als Zweck derſelben
und ihrer Empfehlung anſehen), — reine nachtheilige, verächt—
liche Meinung von der Philoſophie, insbeſondere auch die Vor—
ſtellung hervorzubringen, daß mit dieſer Wiſſenſchaft Alles nur
vergebliche Mühe geweſen, und es für die ſtudirende Jugend
noch mehr vergebliche Mühe ſeyn würde, fi mit ihr abzugeben.
Dagegen würde id) unter den, in den fraglichen Vorberei—
tumgsunterricht aufzunchmenden Kenntniffen
1. die fogenannte empirifhe Pſychologie anführen. Die
Borfiellungen von den Empfindungen der äufern Sinne, von
der Einbildungstraft, Gedächtniß und von den weitern Seelen—⸗
vermögen, find zwar filr ſich ſchon etwas fo Geläufiges, daf ein
hierauf ſich befehräntender Vortrag leicht trivial und pedantifch
feyn würde. Eines Theils würde aber dergleihen um fo cher
von der Univerfität entfernt, wenn es fon auf den Gymnaſien
vorgebommen, andern Theils liche es ſich auf eine Einleitung
in die Logik beſchränken, wo doch in jedem Falle eine Erwäh—
nung von den Geiftesfähigkeiten anderer Art, als das Denten
als folches ift, vorausgefchidt werden müßte Bon den äußern
: Sinnen, den Bildern und Vorflellungen, dann von der Verbin—⸗
dung, fogenannten Aſſociation derfelben, dann weiter von der
Un das Minifterium ded Unterrichts, | 363
Natur der Sprachen, vornehmlich von dem Unterſchied zwiſchen
Vorſtellungen, Gedanken und Begriffen, ließe ſich immer viel
Intereſſantes und auch in ſofern Nützliches anführen, als legte
ter Gegenftand, wenn auch der Antheil, den das Denten am
Anfchauen u. f. f. bat, bemerklich gemacht würde, eine direktere
Einleitung in das Logiſche abgeben würde,
2. Als Hauptgegenfland aber würden fid die Anfangss
gründe der Logik anfchen laſſen. Mit Befeitigung der fpe=
tulativen Bedeutung und Behandlung, könnte ſich der Unter:
richt auf die Lehre von dem Begriffe, dem Urtheile und Schluſſe
und deren Arten, dann von der Definition, Eintheilung, dem
Beweife und der wiffenfhaftlidhen Methode erfireden, ganz nad
der vormaligen Weife.
In die Lehre von dem Begriffe werden ſchon gewöhnlich
Bellimmungen, die näher in das Feld der fonftigen Ontologie
gehören, aufgenommen; aud pflegt ein Theil derfelben in der
Geftalt von Dentgefegen aufgeführt zu werden. Bortheilhaft
würde es feyn, hieran eine Bekanntſchaft mit den Lantifchen
Kategorien als fogenannten Stammbrgriffen des Verſtandes an—
zuſchließen, wobei die weitere kantiſche Metaphyſik vorbeigelaffen,
doch durd Erwähnung der Antinomien nod eine, wenigſtens
negative und formelle, Ausficht auf die Vernunft und die Ideen
eröffnet werden könnte. Für die Verknüpfung diefes Unterrichts
it der Gymnaflalbildung spricht der Umftand, daf Fein Gegen
fland weniger fähig if, von der Jugend nad) feiner Wichtigkeit
oder Nugen beurtheilt zu werden. Daß diefe Einfiht auch allges
meiner untergegangen, madt wohl den Hauptgrund aus, wefhalb
ſolcher, in früherer. Zeit Statt gefnndene, Unterricht nach Jund
nad) eingegangen if. Außerdem iſt folder Gegenfland zu wenig
anzichend, um die Jugend in der Univerfitätszeit, wo es in ih—
rein Belieben fleht, mit welchen Kenntniffen fie ſich aufer ihrem
Brodftudium befhäftigen will, allgemeiner zum Studium des
Logiſchen zu vermögen; aud möchte es nicht ohne Veifpiel feyn, ,
364 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
daß Lehrer pofitiver Wiffenfchaften den Studirenden das Stu—
dinm der Philofophie, worunter fie auch wohl das Studium der
Logik. begreifen könnten, abrathen. If aber diefer Unterricht
auf den Gymnaſien eingeführt, fo haben die Schüler derfelben
es doch wenigfiens einmal erlebt, förmliche Gedanken in den
Kopf befommen und darin gehabt zu haben. Ms eine höchft
bedeutende fubjektive Wirkung wäre es zu betradten, daß Die
Aufmerkfamkeit der Jünglinge darauf hingewiefen würde, daß es
ein Reid) des Gedantens für fd) giebt, und die förmlichen Ges
danken felbft ein Gegenftand der Betrachtung find, — und zwar
ein Gegenftand, auf welden die öffentliche Autorität, durch ſolche
Beranftaltung des Unterrichts darin, ſelbſt ein Gewicht lege.
Daß derfelbe die Faſſungskraft der Gymnafial- Schüler nicht
überfteige, dafür fpricht fhon für fih die allgemeine ältere Er—
fahrung, und wenn es mir erlaubt ift, der meinigen zu erwäh-
nien, fo habe ich nicht nur als mehrjähriger Profeffor der phi—
lofophifhen Vorbereitungsmwifienfhaften und Rektor an einem,
Gymnaftum, die Fähigkeit und Empfänglichkeit folder Schüler
dafür täglich vor Augen gehabt, fondern erinnere mich auch,
in meinem zwölften Lebensjahre wegen meiner Beftimmung für
das theologiſche Seminarium meines VBaterlandes, die wolf'ſchen
Definitionen von der fogenannten Idea clara an erlernt, und
im vierzehnten Jahre die ſämmtlichen Figuren und Regeln der
Schlüffe inne gehabt zu haben, und fie von daher noch jest zu
wiffen Wenn es den jegigen Borurtheilen vom Selbſtdenken,
produftiver Thätigkeit u. f. f. nicht zu fehr Trog bieten hiefe, fo
wäre ich nicht abgeneigt, etwas diefer Art für den Gymnaflal-Uns
terricht diefes Zweigs in Vorfchlag zu bringen; denn eine Erkennt»
niß, fie ſey welche fie wolle, auch die höchſte, um fie zu befigen,
muß man fie im Gedächtniffe haben, man fange hiemit an oder
J
endige damit; wird damit angefangen, fo hat man um fo mehr j
Freiheit und Weranlaffung, fie felbft zu denken, Ueberdieß könnte
dann auf ſolchem Wege am fidherfien dem geftenert werden, was
2. Hede beim Antritt des Leſttorats an ber berliner
Univerſität.
(Ten 18, Dctbr. 4829.)
-Hanc cathedram, quam vestrae, Vir excellentissime, Viri
illustrissimi, praenobilissimi, dignissimi, vestrae, Collegae
aestumalissimi, praesentiae gravitale, deinde vesträ [requen-
tiä, Commilitones dilectissimi, et omnium ordinum audi-
tores honoralissimi, circumdatam conspicio, non sine animi
commolione conscendere polui, Testes enim adestis so-
lenniter Lraditi wihi wuneris gravissimi, a collegis amicis-
simis in me collati; ‚quam eorum benevolentiam Regis
Augustissimi elementia ratam habere voluit.
Augelur aulem cowmotio ista usque ad perturbatio-
nem, cum exiguitatem quam ad res gerendas viribus meis
inesse scio, comparem cum officiis mihi demandatis; per-
cellit me ipsa haec necessitas, ex hoc suggestu ad vos
verba de me faciendi. Studia enim illa, quibus me_pri-
mun natarae indoles addixit, deinde muneris publici
olfieium adstrinxit, umbratilia sunt; alienum est ab illis,
curae rerum administrandarum interesse, ita ut consuelu-
dinem solitudinis polius quam talis curae facilitätem pa-
rent. Dubius igitur imo anxius, primum ipsä illä colle-
garum aestimalissimorum benevolentiä confirmalus sum,
|
366 VIE Sdheiben im amtlichen Angelegenheiten. |
fentlich befannt worden, durch richtige Begriffe über die Natur
der Berpflitung des Menſchen und Gtaatsbürgers entgegen
zu arbeiten. — Dieß wäre die unmaßgebliche Meinung, die id)
über die Ausdehnung des Inhalts der philofophifchen
Vorbereitungs= Studien auf Gymnaflen dem Königlichen Mi⸗
nifterium ehrerbietigft .vorlege, Was etwa nod die Yusdehnung
in Anfehung der Zeit, ingleihen die Stufenfolge des Vor—
trags jener Kenntniffe betrifft, fo würde über das, was rüdficht-
lich des Religiöfen und Moralifchen erwähnt worden, in diefer
Beziehung nichts weiter zu erinnern feyn, In Betreff der Ans
fänge pfphologifher und logiſcher Kenntniffe könnte an—
gegeben werden, daß, wenn zwei Stunden wöchentlich im
Einem Jahres-Kurfus darauf verwendet würden, der pſycho—
logifche Theil vornehmlich als Einleitung zu behandeln und
dem Pogifchen vorauszuſchicken ſeyn würde. Würden bei gleicher
Stundenzahl, die fü als genügend anfehen ließe, etwa drei oder
"vier halbjährige Kurfe darauf verwendet, fo liefen ſich ausführ—
lichere Notizen von der Natur des Geifles, feinen Thätigkeiten
und Zuftänden beibringen, und dann könnte es vortheilhafter
feyn, von dem einfachen, abftraften und darum leicht zu faffens
den logifchen Unterricht anzufangen. ‚Er würde fo in eine früs
here Periode fallen, wo die Jugend für die Autorität noch folge
famer und gelchriger, weniger von der Prätenfion angeftedt ift,
daf, um ihre Aufmerkfamteit zu gewinnen, die Sade ihrer
Vorfiellung und dem Intereffe ihrer Gefühle angemeffen ſeh.
Die etwaige Schwierigkeit, die Stunden des Gymnaſial—
Unterrichts mit zwei neuen zu vermehren, ließe ſich vielleicht am
unbedentlichften dur das Abbrechen von einer pder zwei Stun
den an dem fogenannten Linterrichte im Drutfchen und der deut—
ſchen Literatur, — oder noch paffender durch das Aufheben der
Vorlefungen über jwridifche Enchklopädie, wo folde auf Gym—
naſten vorkommen, und Erfegung derfelben durch die logiſchen
Lektionen befeitigen, — um fo mehr, damit die allgemeine
An dad Minifterium des Unterrichts. 367
Geiſtesbildung auf den Gymnaſien, die als derſelben ausſchließ⸗
lich gewidmet angeſehen werden können, nicht bereits verkümmert,
und auf ihnen nicht ſchon die Abrichtung auf den Dienſt und
auf das Brodſtudium eingeleitet zu werden ſcheine.
Was ſchließlich noch die Lehrbücher betrifft, welche für
folden BVorbereitungs= Unterricht fi den Lehrern empfehlen lies
fen, fo wüßte ich feines von den mir bekannten als vorzüglich
vor den andern anzugeben; der Stoff .aber findet fi) wohl un⸗
gefähr in jedem, und zwar in den ältern reichlicher, beſtimmter
und unvermiſchter mit heterogenen Ingredienzien, und eine Hohe
Inſtruktion des Königlichen Miniſteriums würde die Anweiſung
ertheilen können, welche Materien herauszuheben ſeyen.
In ſchuldiger Ehrerbietung verharre ich
Eines Königl. Hohen Miniſteriums
gehorſamſter
ae > Re (993) 6. W. 5 Hegel
Berlin, den 7. Febr. 1823. Prof. p. o. der Bhilofophie an
j hiefiger Königlichen Univerfität,
An
das Königliche Minifterium
der Geiftlichen=, Unterrichts-
und Diedizinal- Angelegen- .
heiten.
Ueber die Einrichtung einer Kritifchen Zeitfchrift der '
Literatur.
(Un das Miniſterium des Unterrichts eingefandt.)
J
Ry der Darlegung eines Entwurfs über die Zweckmäßigkeit
und über die Art und MWeife, eine Eritifhe Zeitſchrift der
Literatur in Berlin anzulegen, glaube idy mid nicht mit
der Auseinanderfegung des allgemeinen Zweds der Inftitute
diefer Art aufhalten zu dürfen, fondern deffelben nur erwähnen
zu müffen, um in Beziehung darauf das Eigenthümliche zu ent-
wideln, worin das Intereffe, eine ſolche Anftalt bier in’s Ruf
zu fegen, liegen könnte,
Der Zwe derjenigen Recenfiranftalten, welche ſich nicht
auf eim einzelnes wiſſenſchaftliches Fach beſchränken, neigt ſich
in der Art und Weife der Ausführung entweder mehr dahin,
die Lefer von dem Inhalte der literarifchen Produktionen, der
in wiffenfchaftliher oder anderer Rückſicht eine Merkwürdigkeit
hätte, — oder mehr dahin, nur von der Eriftenz folder Pro—
duftionen und durd ein Mrtheil von dem Werthe oder Un—
werthe derfelben zu unterrichten, — wobei dann weiter die Ser—
aushebung der wihtigern Erſcheinungen, oder auch nur deſſen,
was der fubjektive Zufall den Mitarbeitern in die Hände führt,
(wie.bei den heidelberger Jahrbücdern) oder vornehmlich die
Vollſtändigkeit zum Ziele gefegt wird, 4
VII. Amtliche Schreiben. Ueb, d. Errichtung einer krit. Zeitfchrift ꝛe. 369
Der Nugen, — um fogleid auf diefen zu kommen, —
der fich von folden Anſtalten verſprochen wird, gefichtete, gründ⸗
liche Kenntniffe zu verbreiten, und den. Fortgang und das. Ge—
deihen der Wiffenfhaften, befonders durd das ausgeübte Gericht
über das Mittelmäßige und Schlechte, zu befördern, — diefer
Nutzen, fo plaufibel ſich dafür das Mittel zunächft darftellt, ſcheint
fi) jedoch, wenn man die Erfahrung darüber zu Rathe: zieht,
eben nicht in ausgedehnter, durchgreifender Wirkung zu ergeben,
fondern die Maſſe des Mittelmäfigen und Schlechten cher in
dem Verhältniffe, als diefe Recenſir-Anſtalten ſich vermehrten,
gewachſen zu. ſeyn, und an Breite wie an Autorität gewonnen,
und gleicherweife das Publikum zu der Meinung geleitet zu has
ben, Journal-Wiffenfhaft und das Lefen von Zeitungen fey das
ausreichende Mittel zu Fortfchritten in Bildung, und Kenntniffen,
und das bequeme Surrogat für Studium und Befhäftigung mit
Inhalt und Sade. Geht man der Quelle folder Wirkung nä>
ber nad, fo ift wohl nicht zu verfennen, daß in folden Recen—
firanftalten die Mittelmäßigkeit ſich gegenfeitig hegt und pflegt, ,
Namen und Ruhm ertheilt, und daß einer Seits aus der Ger
wohnheit des Wburtheilens und andrer Seits aus der perenni—
renden Anſchauung des Mburtheilens der Wahn und Eigendüntel
zur allgemeinen Weberzeugung gedeiht, fo etwas, wie die Andern,
wenigftens und gewiß etwas Befferes auch produeiren zu können;
fo daß man wohl jene gegenfeitige Pflegung der Mittelmäfigs
keit eben fowohl als diefes beftändige Herabfegen gleicherweife
für den Dünger halten könnte, der die Fruchtbarkeit diefer Mit⸗
telmäßigteit ins Unendliche erhöht,
Für eine kritifche Zeitfchrift, die fi) zu erfreuen hätte, uns
ter den Aufpicien einer Königlihen Staatsbehörde aufzutreten,
erfchiene es als ſchickliche Beſtimmung, fid außerhalb des Kreiſes
jenes Umtriebs zu ftellen, und feinen Wirkungen und Zwecken
vielmehr entgegen zw arbeiten. Sie möchte ſonach den Charat-
ter einer bloßen allgemeinen Recenſir-Anſtalt auszuſchließen und
Bermifchte Schriften. * 24
wu vu, Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
fi darauf zu befchränten haben, imländifche und ausländifche
Merte, welche für die Wiffenfhaften und für Kenntniffe ei—
nes umfaſſenden Intereffes einen wirklichen. Werth haben, zum
Gegenftand der Beurtheilung zu machen, und fie vornehme
lich) mit dem Zwecke anzuzeigen, ihren Inhalt zur allgemeinen
Kenntniß zu bringen, dagegen das Gewöhnliche, Beſchränkte,
Mittelmäßige und Schlechte, das nur eine negative Kritik er-
leiden könnte, gänzlich umbeachtet zu laffen. Etwa nur foldhe-
Werke von weniger gediegenem Werthe könnten beachtet werden,
denen äuferliche Umſtände ein großes Aufjehen verfhafft, oder
denen dieß, daß fie ausgezeichnete Nepräfentanten einer allge—
meinen Gattung find, eine weitere Bedeutſamkeit gegeben hätte,
Bei diefem fo beſchränkten Umfange würde allerdings Vollſtän—
digkeit zum Ziele zu machen ſeyn. Ausgeſchloſſen würden fer
ner die Werke, die ganz fpreicllen Wiffenfhaften und fpeciellen
Ziveigen derfelben gewidmet find, — der Theologie, Jurispru—
denz, Mediein, fo wie der Technologie, der Kameralwiffenfehart
und dergleichen; wobei es offen bleiben könnte, ſolche in diefe
Fächer einſchlagende Schriften hereinzuziehen, welchen Theils der
umfafende Inhalt, Theils ein allgemeinerer philoſophiſcher Ge—
füchtspuntt, — wie bei Werken der Theologie, naturphiloſophi—
ſchen Syftemen der Medicin, philofophifchen Anfichten der Ge—
feggebung, der Staatsötonomie u. f.f. — cin allgemeineres Intereffe
oder die Prätenfion eines ſolchen gäbe. Schriften politifhen In—
halts, vornehmlich die der Zeitpolitik, blieben dabei gänzlich entfernt.
In diefer, obgleich mehr negativen, jedoch hier wohl hin-
reihenden Beflimmung der zu beadhtenden Bücher, ergäbe ſich,
ja erwüchfe wohl felbft fon gröftentheils für fich die Beftim-
mung der Haltung und des Tones, der in dem Jnflitute
herrſchen würde und zu behaupten wäre. Einen Hauptbeſtand⸗
theil feiner würdigen Haltung machte es, daß das Gediegene,
Tüchtige, Intereffante, die Wiffenfhaften und Kenntniffe wirt-
lich Bereihernde anertannt und mit Zuftimmung, die auf
Ueber die Errichtung einer Fritifchen Zeitfchrift. 371
gründlichen Urtheil beruhte, bekannt gemacht würde. Außer der
bei der Beihäftigung mit dem Beurtheilen, befonders mittelmäs
figer Produttionen, dem Beurtheiler fo nahe liegenden Sudt,
durch Tadel fih das Bewußtſeyn feiner Ueberlegenheit, ja felbft
erft das Bewußtſeyn des Berufes zum Beurtheilen zu geben, wie
er aus demfelben Grund auch zu Dem entgegengefesten Zone
der vornehmen Schonung und Milde geführt wird, — mag ſich
mit dem Gefchäfte der Beurtheilung, eines bedeutenden Werts
leiht der Sinn und die Forderung verknüpfen, als ob der Bes
urtheiler zugleih nicht nur fid) als Herr über das Fach, fondern,
daf er dieß in einem höhern Grade als der Verfaffer ſeh,
zu beweifen hätte, Wie ſich denn als das legte Reſultat der
Beurtheilungen fehr gewöhnlich dich ergiebt, daß, wenn es dem
Referenten gefallen hätte, ein Werk über den Gegenfland zu
fihreiben, er etwas Vorzüglicheres geleitet. haben würde, — ein
Refultat, das, wie das damit etwa fid) verbindende Bedauern
der Lefer, in dem Umflande feine Erledigung findet, daß die
Referenten felbt Schriftfteller, etwa von demfelben, und leicht
von minderem, MWerthe, find, als die, gegen deren Werke fie
jene Meinung von ſich erwedten, und daß fie mit ihren Pro—
duktionen daſſelbe Schidfal ihrer Seits erfahren. Die Aner—
kennung, daf in der That, es feh im Inland 'oder Ausland,
literarifche Produkte erfheinen, welche eine wirkliche Vereiche—
rung der Kenntniffe, Erweiterung der wiſſenſchaftlichen Anficht,
Neuheit der Entwidlung und der Ideen, aud für den Referen-
ten, von welder Stärke fonft feine Gelehrfamkeit und der Stand-
punkt feines Denkens fey, enthalten, — dieſe Anerkennung wird
durch die obige Beftimmung erleichtert, daß nur gewichtige Werke der
Beurtheilung unterworfen würden, fo wie dann dadurd, daß
das Gefchäft der Beurtheilung ſchon felbft anerkannten wiffens
ſchaftlichen Männern übertragen würde. Ohnehin ereignet ſich
bei den vorhandenen Recenſir-Anſtalten der Fall häufig, daß
die bedeutendſten Werke nur darum Jahre lang und mehrere
24%
372 . VIE Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
gar Feine Beuriheilung erfahren, weil die beftellten Recenfenten ſich
erft bemühen, nicht nur in das Wert hinein, fondern aud)
darüber hbinauszutommen, und bis fie nicht durch eigenes
Studium des Grgenflandes auf den Schultern des Verfaffers weiter
zu fehen glauben, die Arbeit verſchieben zu müffen meinen. Indem
als die Abſicht des Publikums bei der kritifchen Anftalt vorauss
gefegt wird, mit den Fortfhritten der Wiffenfhaften,
und nicht mit der Weberlegenheit der Recenfenten bes
kannt zu werden, fo würde es um fo mehr Einwirkung der Re—
gierung fehn können, jenes Intereffe des Publitums gegen ein
ſolches etwaiges Intereffe der Referenten geltend zu machen.
Die erwähnten fubjettiven Richtungen, von denen, ob fte
gleich individuell find, die Haltung eines Journals großen Theils
abhängt, habe ich geglaubt berühren zu müffen, weil fie ohne,
Zweifel nicht zufällig find, fondern dur die Ratur einer An—
ftalt Theils unterflügt, Theils aber felbft hervorgerufen werden,
und nicht fowohl durd Vorſchriften oder zutrauensvolle Vor—
ausfegungen, fondern allein duch die Art und Weife der Eine
richtung, zurüdgehalten und entfernt werden fünnen, r
An das Berührte würde fi in Anfehung der Veſchaffen
heit der Kritiken dieß anſchließen, daß fie überhaupt abh an—
delnd durch ihren Inhalt, weniger über die Subjektivität
des Buchs und feines Berfaffers, als über die von ihm bearbei=
tete Sade Ichrreih wären, und bei der Gründlichkeit zugleich
die Rückſicht für das Publikum durch Klarheit der Darſtellung
und würdige Popularität, wenigſtens durch die Vermeidung ei—
nes zu ſehr ſich vereinzelnden Details zum weſentlichen Augen⸗
merk hätten.
Ib kann der Mühe überhoben ſeyn, die Bemerkung zu
machen, daß eine folche litterarifche Anftalt, vorzüglich der Haupts
ſtadt des Reichs, dem Site der Atademie der Wif-
fenfhaften und der Hauptumiverfität, entfpredhend und
anftändig erfcheint, eben fo, daß diefe dreifachen Meittelpuntte
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitfchrift. 373
eine Zahl von Männern darbieten müffen, durch welche ein fol
ches Inſtitut ind Werk und in einen gedeihlihen Zuftand
gefest und darin erhalten werden könnte. Daß ſchon von
felbft es Mehrern ein Bedürfniß iſt, eine Gelegenheit zu fine
den, fi vor dem Publikum über neue gelehrte Werke aus—
zufprechen, dafür läßt fih wohl der Umſtand anführen, daß
Profeſſor Solger eine gehaltvolle Arbeit diefer Art, feine legte,
an die wiener Jahrbücher gegeben hat, auferdem daf ein
großer Theil der übrigen Aufſätze diefer Jahrbücher, von
preufifchen Gelehrten herrühren foll, die ohne Zweifel nur aus
Mangel einer inländifhen Gelegenheit eine foldie Fremde, we—
nigflens entfernte, aufſuchen.
In Beziehung auf das genannte onrnal gehe ich auf den
wichtigſten Gefihtspuntt über, in den eine hieſige kritiſche Anz
ftalt zu treten beftimmt ſeyn würde, nämlich ihre Stellung
zur Regierung. Auf den meiften, beinahe allen Univerfis
täten Deutfchlands waren dergleichen Veranſtaltungen entſtan—
den, — entweder der Univerfitäten felbft, oder, wie in Göttin
gen, einer dortigen fonft Tonftituirten öffentlichen Geſellſchaft.
Daß ſolche Veranftaltungen, indem: fie der freiwilligen Thätig—
feit und dem Patriotismus der Profefforen überwiefen waren,
mit der Zeit in Verfall geriethen, fih in einem ſiechen Gange
fortfchleppten oder ganz aufhörten, und daß Privatunterneh-
mungen an ihre Stelle traten, ift ein eben fo bekannter als
natürlicher Erfolg. Aber fo viel ich mic erinnere, hat keine die
Qualität und den Titel einer Regierungsanftalt getragen; auch
die wiener Jahrbücher gelten, wenn ich recht unterrichtet bim,
zwar dafür, mit Vorſchub der Regiernng entflanden zu feyn und
ihrer Auffiht und Bethätigung zu genießen, aber dieß Berhält-
niß ſcheint zugleich als ein privates gehalten zu werden, und fie
tragen jenen Titel nicht an der Stirne. Das franzöfifche Jour-
nal des Savans erfeheint dagegen als eine bleibende und aus—
drückliche NRegierungsanftalt, eben fo wie eine Univerfität, oder
Fu
374 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
näher wie die Arbeiten einer Akademie der Wiſſenſchaften, und
deren Herausgabe; — Arbeiten, welde die Beförderung der
Wiffenfhaften dur eigene Produktionen, wie eine kriti⸗
{che Anftalt durch die finchtbare Betanntmahung der,
Arbeiten Anderer, zum Zwede haben. Schon die Betrach⸗
tung, daß der letztere Zwed dem erftern Parallel gebt, ja als
ein wefentlihes Komplement deffelben erſcheint, macht eine
weitere Ausführung davon, daß ein foldes Inſtitut würdig
wäre, Beranfialtung der Königlichen Staatsbehörde
zu ſeyn und fo zw heißen, überflüffig. Aber dich möchte wohl
einer weitern Ausführung bedürfen, in wie fern es mir ſcheint,
daf nur als Veranftaltung des Gouvernements ein fol-
des Inſtitut diejenige Wirkfamteit für Beförderung und Vers
breitung der Wiffenfhaften, und auf das fhriftfielierifhe Treiben
haben könne, welde in feinem Zwecke liegt, indem es mur als
Regierungsanftalt diejenige Einrihtung befommen und ſich
erhalten Tann, durch welche es jene Wirkſamkeit auszuüben im -
Stande if, - en
Was diefe Wirk ſamkeit zunächſt betrifft, fo if, um von
ihr vollftändiger zu fpreben, die Rüdwirkung der Meinung
des Publikums mit in Anſchlag zu bringen, wodurd fie ver—
ſtärkt wird, — eine Seite, weldye mehrere verwandte Rüdfid-
ten darbietet, die ih, um micht zu ausführlid, zu werden, zu—
glei) mit anführen werde. Ich verfiche unter jener Rüde
wirkung zunächſt, daß ein kritiſches Inſtitut ſchon dadurch,
daß es exiſtirt und thätig iſt, im Publikum die Vorſtellung er—
zeugt, daß auf diefer Mniverfität, Stadt u. ſ. f. ſich eine Ver—
fammlung fompetenter Richter zufammen befinde, cin Mittels
punkt, der durch feine geiftigen Mittel, wie durch den äußern Zus
fammenhang eines foldhen Unternehmens, als eine Autorität
erſcheint. Diefer Schein wirft ſich auf den Ort, wo eine foldye
Zeitfchrift erfcheint, felbft wenn nur der Redakteur und etwa eis
nige Mitarbeiter fich dafelbft, deren Mehrzahl aber auswärts
*⁊
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 375
“aufhält, So hat wohl die allgemeine deutſche Bibliothek das
Ihrige beigetragen, vormals Berlin das Anfehn eines literarifchen
Mittelpuntts und Richterſtuhls zu verfhaffen. Wieder ſchließt
fi) dann von ſelbſt Vieles gern an eine ſolche Autorität an und
vermehrt damit ihren Gehalt und ihre Wirkſamkeit. So hat
vielleicht der jena'ſchen Literatur- Zeitung, an der immer bei
bei weitem die Minderzahl der Arbeiter aus dort Anfäffigen
beftand, die dafige Univerfität einen Theil ihres Anſehens zu ver=
danken gehabt, und diefes Anfehen, die Neigung, dort als Lehrer
angeftellt und Mitarbeiter an der Lritifchen Anflalt zu werden,
vermehrt. Und zwar mag jenes Blatt dabei noch in fofern näher
mitgewirtt haben, als eine folde kritiſche Anftalt ſich im Falle
befindet, zu einer ausgebreiteten und gründlichen Kenntnif der
Gelehrten, deren Fähigkeit und Braudbarkeit zu tommen; fo
daß wohl diefe Gelegenheit dazu beigetragen hat, daf es den
Nutritoren der dortigen Mniverfität gelingen fonnte, den fort—
währenden Abgang dafelbft berühmt gewordener Gelchrter immer
wieder mit noch wenig öffentlich befannten, aber tüchtigen Män—
nern zu erfegen, und auf diefe Weife auch ohne große Koften
den Ruf der Univerfität auf gleiher Höhe zu erhalten. — Um
nod) die göttinger gelehrte Anzeigen zu erwähnen, fo haben fie,
fo leicht ihre Werfaffer es fih mit der intelligenzartigen Redat-
tion machen, dazu doch gewiß mitgewirkt, die daſige gelchete
Gefellfhaft zur Würde eines Mittelpuntts zu erheben, dem -
mancher. Gelehrte und Staatsmann feine Arbeiten, Entdedungen,
Merkwürdigkeiten und dergleichen vorlegte und widmete, weil
es dafelbft eine Beachtung und öffentliche Würdigung zu erwars
ten hatte. Eine Akademie, welche durd die fpeciellen Unterſu—
ungen ihrer einzelnen Mitglieder, — wie eine Iniverfität,
welche durch den Vortrag ihrer Lehrer und die vereingelten Schrifz
ten derjelben thätig iſt und: ihre Exiſtenz beweift, genieft wohl
darum noch micht diefes Anfehens und Einfluffes, wenn fie nicht
ein beurtheilendes Inſtitut damit verbindet, und auch über
376 VL. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
die Arbeiten Anderer fortwährend das Wort hat, Bon
jener erften Mirkfamkeit können ohnehin immer nur Wenigere
Gewinn ziehen, im Vergleich mit denen, für welche es Bedürf-
niß if, durch Andere mit dem allgemeinen Zuftande der
wiſſenſchaftlichen Fortfähritte bekannt gemacht zu werden, und von
kompetenten Richtern ein Urtheil über die bedeutenden literari—
ſchen Erfcheinungen zu erhalten. Die Bedürfnif einer Yutos
rität, um fi bei ihr zu beruhigen, oder erft auf fie hin felbft
anzufangen, ift der wichtigfte Umſtand, der die kritiſch- literaris
ſche Wirkſamkeit nach Aufen einleitet und begünftigt und dann
fie felbft zum Anfehen erhebt. |
So wichtig ſich diefe tombinirte Wirkſamkeit — um
nicht bloß Bücherkenntniß, ſondern die Sachkenntniß bei dem
Publikum zu vermehren und richtige und beſtimmte Begriffe zu
verbreiten, ſo wird ſie ſich auch über den Theil deſſelben, der ſich
mehr auf das Empfangen beſchränkt, hinaus und auf den at—
tiven, fhriftftellerifhen Theil defielben erfireden. Wem
bei jenem Theil das Bedürfniß der Yutorität vorherrſchend if,
fo zeigt ſich bei diefem vielmehr das Gegentheil; aber in der
That nimmt bei ihm die Abhängigkeit von Yutorität nur
eine andere Geftalt an. Betrachtet man den wiſſenſchaftlichen
Zuſtand Deutſchlands nach ſeiner aktiven Seite, ſo heben ſich
bei der Klaſſe von Schriftſtellern, welche zum Auffaſſen und po—
pulären verſtändigen Verbreiten und Lehren beſtimmt zu fehn
ſich beweiſt, die zwei Erſcheinungen hervor, in Anſehung des Ins
halts ganz von der Routine abhängig, ja befonders in Anz
fichten und in die wiffenfhaftliche Weife der Ausländer vergras
ben: zu fehn und das Einheimifche gar nicht zu beachten und
aufzunehmen, che es von Franzoſen oder Engländern her—
vorgezogen und anerfannt worden ift, — und dabei unmittelbar, ,
und zwar um fo mehr, je dürftiger ein Inhalt aufgefaßt ift, ſich
ſelbſt dieß, daß fie bloß durch ein Aufraffen der Gedanken Anne
derer einen kümmerlichen Beſitz haben, gänzlich zu verbergen und
Ueber wie Errichtung einer Eritifchen Zeitſchriſt. 377
zu verläugnen, und fogar mit Herabfesung Anderer und zunächſt
derer, von denen fie Alles gelernt haben, was fie wiffen, die
Prätenſion eigener Entdedungen, eigenthümlicher newer
Theorien und felbfigefchaffener Gedanken zu haben. Daf fie
die gediegenen Gedanken und Anfichten Anderer aufnehmen, iſt
nicht das, was man wegwünfchen kann; im Gegentheil find ja
die Wiffenfhaften eine Produktion von mehrtaufendjähriger Ars ,
beit, und derjenige ift ein großer Gelehrter, der feine Wiffen-
fhaft auf dem Standpunkt, auf dem fie jest fleht, erlernt hat
und gedacht inne hat. Lehrer an Univerfitäten und andern Anftals
ten haben zunächft keine andere Pflicht zu erfüllen, als eine
ſolche gedachte Kenntnif deſſen, was da ift, zu befigen und fie
Andern zu wiederholen. Was fie weiter thun in Anſchung des
Inhalts, ift, wenn es nicht etwa zweidentig und noch mehr if,
wenigftens unbeträchtlic) gegen die Maffe deffen, was fie der,
‚Zradition verdanken. Und die Bedingung, um die Wiffenfchaft
weiter zu bringen, ift immer: fi in die vorhandene Wiſſen—⸗
ſchaft einftudirt zu haben. Jene Mehrzahl aber kommt nicht
nur durch ihre geringe Kenntnif zw der Prätenfion von Origi—
nalität, fondern diefe Prätenfion macht es ihr wieder unmög-
lich, fidh die erfte Bedingung, die Kenntnif des Vorhandenen
zu verfhaffen. Man kann überall. als eine Wirkung, die aus
dem Mangel eines imponirenden wiffenfhaftliden
und literarifhen Mittelpuntts in Deutſchland her
vorgehe, die Selbftftändigkeit, Originalität, Freiheit der Unfiche
ten, die in unferer Literatur herrfche, rühmen hören, Die Haupts
krankheit aber unfers fchriftfiellerifhen Publitums fcheint wohl
eben durch die Definition ausgedrüdt zu fehn, welde Voltaire
in dieſer Rüdfiht von Deutfchland giebt, es fey un pays fer-
tile en mauvais originaux, Denn man möchte bei jenem af-
tiven Theile des Publitums vielmehr leicht den höchſten Man—
gel an Originalität des Inhalts, ja an einer blofen Ausdeh—
nung.und Dlannigfaltigkeit deffelben erbliden, dagegen die defto
378 Vik Schreiben innmtlichen Angelegenheiten.
größere formelle Originalität der Einbildung, die fih auf die
Dürftigkeit ihres Stoffes und die Seichtigkeit und Verkehrtheit
ihrer Einfälle ftüst, um zu beweifen, daß fie etwas Befondes
res, d. i. vom Anerkannten und Vernünftigen Abweichendes zu
Tage gebradt habe. Dieſe Sucht nad etwas Beſonde—
rem, die zu einem negativen Geifte gegen das Gediegene, Gels
tende und Anertannte wird, ift es, die auf dem theoretifchen
Felde erzogen und genährt, dann, wenn das Prattiſche und Po—
Litifche ein eigenthümliches Intereſſe erwedt hat, ſich auf dieſes
wirft, wo die Originalität der Seichtigkeit ganz homogene, nur
jest einen Kreis von ganz anderer Bedeutung und Würde ans
taſtende Erfcheinungen bervorbringt, und: der Anfang des leeren
Auffpreigens mit hohlen Gedanken die Bahn zu praktiſchen Dris-
ginalitäten, d. i. zu thörichten, gefährlichen, verbrecheriſchen Un—
ternehmungen und Handlungen eröffnet. f
Die gewöhnlichen Recenfir -Anftalten, wie oben deren Trei⸗
ben und Zwede berührt worden find, arbeiten diefem Geifte des
Negativen gegen das Anerfannte und Anzuertennende nicht nur
nicht entgegen, fondern pflegen und befördern ihn, da er auf
ihrem Felde felbft den Hauptton ausmacht. "Wenn daher eine
allgemeinere Wirkung von einem kritiſch- literarifchen Inftitute
gedacht werden kann, fo wird fe fi ohne Zweifel daran anfchlies
fen, daß durd daffelbe im Felde des Wiffenfhaftlichen, durch
das Hrrausheben und Anerkennen des Tüchtigen und Verdienſt—
vollen, und durch ein Stillihweigen über das Mittelmäßige und
Schlechte, die anerkannte gründliche Wiſſenſchaft in ihrem Rechte
behauptet, und gegen die Prätenfion,; Aufſehen zu machen, der
Maaßſtab deffen aufgeftellt und fortdauernd bethätigt würde,
was von neuen Produktionen die Aufmerkſamkeit eines gelehrten
Inftituts auf fich ziehen könne, — eines Infituts, deffen Autos
rität, fo wie der Wunſch, von demfelben beachtet zu werden,
dadurd) erhöht wird, daf eine darin erwiefene "Auszeichnung un-
ter den Augen einer hohen Staatsbehörde ertheilt wird, und
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 379
gleihfam als ein diefer abgeftattetes Gutachten angefehen werden
kann. Einem preußifchen Schriftſteller wird es nicht gleichgültig
feyn, wenn ihm eine folhe Beachtung und welche ihm wider-
fährt, und aud für andere deutſche Schriftfteller wird dieß im
mannigfaltigen Beziehungen nicht ohne Intereffe feyn. Diefe
Wirkung möchte gerade um fo kräftiger fen, je unbefangener
fie erfcheint und cs wirklich ift, indem die Cenſur von unpars
theiifhen Gelehrten ausgeübt wird, und das Wiffenfchaftliche zu
ihrer nächſten und einzigen Rüdficht hat, Ich gehe in dieſer legten
Beziehung gleich zu einem ſpeciellen Umſtande über, der damit in
unmittelbarer Verbindung fteht. Am nämlich die Unabhängige
keit des direkten wiffenfchaftliden Zwecks fortwährend vor dem
Publitum zu wergewiffern, würde es unerlaßlich feyn, daß zu
jeder Abhandlung der Name des Verfaffers brigefegt
werde. Diefe Beflimmung partikularifirt wieder gegen das Pu—
blitum die Thätigkeit des. Inftituts, und ſtellt deren Erfcheinung
in diejenige Entfernung von der Regierung, in der fie von die-
fer ſteht. Die allgemeine Verfiherung einer rückſichtsloſen, bloß
gelehrten Beurtheilung, fo wie die, es fey anfangs oder von
Zeit zu Zeit, aufgeführte namentliche Lifte der Mitarbeiter würde
immer in der Meinung des Publitums eine Unbeftimmtheit,
oder eine arriere-pensede übrig laffen, welche der Wirkſamkeit
der Anſtalt nad ihren verfchiedenen Seiten nur hinderlid wäre,
Auferdem liegen in diefer Nennung der Namen andere Garan-
tien, welche diefelbe rathen. Werden die Krititen anonym ges
gegeben, fo haben fie den äufern Schein, Produkte, Anfichten
und Urtheile des ganzen Inſtituts zu fehn, weldes damit in
pofitivem Sinne refponfabel erfchiene, während zwar aller
dings eine folidare Refponfabilität, aber ohne Zweifel nur im
negativen Sinne auf ihm liegen muf, daf es nämlich nicht für
die einzelnen Anſichten und Meinungen der Mitarbeiter, wohl
aber dafür einftcht, daß nichts auf irgend eine Weife Unſchick—
liches, Unmürdiges und nichts Werthlofes mit unterläuft, Wenn
x
380 var. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
der leere Stein eines gemeinfamen Gerichtshofes, den gewöhn—
liche Recenfiranftalten aus der Anonymität der Verfaſſer der
Kritifen ziehen, ihnen bei dem Publikum auf der einen Seite
etwas Impofantes leihen kann, und wenn er ihnen felbft, um
fi) Mitarbeiter zu verfchaffen, die fie wegen der fonftigen Un—
bedeutenheit ihres Namens nicht eingeftehen möchten, und die ſich
felbft öffentlich zu erfcheinen nicht getrauten, nothwendig iſt; fo
ift er ihnen um fo nachtheiliger in Abficht auf die Rüdwirtung,
die er auf die Recenfenten ausübt, denen er leiht einen eigenen‘
Ton des Aburtheilens und etwas von der Meinung einflößt,
nicht perfönlich für ihre Arbeit einzuftehen, im Gegentheil, für
ihre Subjektivität befondere Rechte und Freiheit erhalten zu ha—
‚ben. — Es würde aber zu weitläufig und verdrießlich ſeyn,
den leicht unendlichen fubjektiven Verwicklungen nadyzugehen, die
fämmtlid) durch das Gefes, daf der Name des Verfaffers einer
Anzeige genannt werde, niedergefhlagen werden. RESET
Wenn ic die entwicelte Wirkfamkeit Theils auf die alle
gemeine Bildung, Theils auf das fchriftftellerifhe Wefen und
Unwefen, einer Veranftaltung dur eine Königlihe Staatsbe—
hörde nicht unwürdig halten darf, fo babe ich zugleich die Ue—
berzeugung, daß eine folde Anftalt in Wirklichkeit gefest und
ihrem Zwede treu erhalten werden tönne, nur in fofern fie als
eine öffentlihe Anfalt der Regierung exiſtirt. —
Mas aus Privatunternehmungen diefer Art geworden iſt, hat
man gefehen und ficht es noch täglich. Privatunterncehmungen
find ein Eigenthum eines oder einer Gefelfchaft von Gelehr—
ten, oder einer Buchhandlung. Der Eigenthümer legt ein Ka—
pital in eine foihe Unternehmung, um pekuniären Vortheil dar—
aus zu ziehen. Welche löbliche Borfäge und glänzende und ehr—
liche Verſprechungen der Eigenthümer und die Mitarbeiter, die
ſich dazu finden, anfangs auch haben und geben mögen, fo reift
die Befchaffenheit der Sache ſolche Inftitute bald von dem vor—
geftekten und verheifenen Wege ab. Außer dem durd bie
Ueber die Errichtung einer Fritifchen Zeitſchrift. 381
Küdficht des Gewinnes gewöhnlichen Zwede einer allgemeinen
Bollftändigkeit, der mehr oder weniger eine Fabritarbeit und die
negative Behandlungsweife herbeiführt, findet fi der Eigenthüs -
mer einer Seits dahin gebracht, dem vermeinten Geſchmacke des
Publitums zw huldigen und hienach die Mitarbeiter aufzuſuchen,
— anderer Geits fieht er ſich genöthigt, ſich mit bunderterlei
Rüdfihten auf feine Mitarbeiter, um ihre gute Laune und Mit—
wirkung zu erhalten, herumzubrüden, den Gang des Ganzen von
ihrer Gefälligkeit, — denn gegen den Privateigenthümer, der den
Gewinn des Ganzen zieht, bat ihre Arbeit. zugleich weſentlich
dieſe Qualität, — vom ihren Zufälligkeiten und Bequemlichkei—
ten abhängig werden, und um den ununterbrochenen Fluß der
Hefte zu erhalten, ſie von den mittelmäßigen Arbeitern, welche
die rüſtigſten find, anfüllen zu laſſen. — Es fehlt dem Privat-
eigenthümer, — gleichgültig ob es einer oder eine Geſellſchaft iſt,
— an dem rüdfihts= und intereffelofen Anfehen, um eine Gefell-
ſchaft bedeutender Gelehrter Theils zufammen zu bringen, Theils zu
einer regelinäfigen Ablieferung von Arbeiten zu bewegen, Theils
fie überhaupt zufammen zu halten. — Wenn das Gouverne-
ment aud), wie bei den heidelberger Jahrbüchern der Fall if,
fowohl mit Geldunterflügungen an die Buchhandlung, welde Ei—
genthümerin ift, als mit Aufmunterungen und Ermahnungen an
die bei der dortigen Aniverfität angeftellten Gelehrten berzuteitt,
fo hebt dieß fo wenig die Grundbeftiimmung, die in dem Ei⸗
genthumsredhte der Buchhandlung liegt, auf, daß dadurd das
Verhältniß und das Intereffe defto unbeftiimmter und ſchwankender
wird, und die Anſtalt vollends alle Feftigkeit und Richtung verliert.
Das Mittel daher, um eine Einrichtung zu bewirken und
zu erhalten, wodurch die innern Zufälligkeiten befeitigt werden,
durch die eim foldhes Unternehmen über kurz oder’ lang zur mit-
telmäfigen Gewöhnlichkeit herabfintt und ſich ruinirt, kann ich
einzig darin finden, daß es Eigenthum und Beranftaltung
der Regierung if, Wenn die Arbeit daran fowohl der Aus—
‚382 VI, Schreiben in amtlichen Angelegenheiten,
wahl der anzuzeigenden Werke und der Redaktion als der Auf⸗
fäge felbft eine Art amtliher Gefhäftsfadhe if, fo wird
-der Zufammenhalt bewirkt, der dem Inftitute feften Zwed, Ton
und Dauer fihert. Sollte die bloße Privatehre des Gelehr—
ten an eine ſolche Anftalt geknüpft werden, (wie man den Fall
bei den obenerwähnten Univerfitäts- Inftituten diefer Art anfes
ben kann), — die öffentlihe Ehre hat er in dem fonftigen Amte
oder feinen fhriftfiellerifchen Werken, — fo kann er folde Vers
bindung läffig halten oder zurüdnchmen, unbefhadet feiner be—
fondern Ehre, die er bloß an fein Amt, oder an was fonft weiter
fein Belieben ift, knüpfen kann. Die Amtspflicht und Amtschre ers
feine dagegen als dasjenige, was das Belieben überhaupt ab-
fchneidet und den Zufälligkeiten, befondern Anſichten, unbedeu—⸗
tenden Empfindlichkeiten u. f. f. der Mitarbeiter, diefen unfchein-
baren und ſich nicht geftehenden, aber defto gewiſſer wirkenden
Keimen des Untergangs, allein das Gleihgewicht haften kann
Das oben angeführte Journal des Savans ſcheint in dem
vorhin angegebenen Sinne gefaßt zu ſeyn, — nämlid der ges
Ichrten eigenen Arbeit der franzöſiſchen Staatsanftalten für die
Wiſſenſchaften, diefe zweite Seite, die Befanntmahung und Een
fur der Arbeiten Anderer hinzufügen zu follen. Die Einrichtung,
welche diefes Journal zu einer Staatsanftalt macht, erfcheint
ferner als dasjenige, was den Werth und die Würdigkeit deffelben
und zwar in fo langer Dauer gefihert hat. Das Specielle der
innern Einrichtung ift mir nicht näher bewußt, aber die weſent—
lichen Züge davon liegen in ihm felbft vor Augen.
In dem Hefte, womit ein neues Jahr oder Halbjahr —
ſteht das Bureau de Redaction und die Auteurs verzeichnet;
aber an der Spite über beiden ficht der Titel von Monsei-
gneur le Garde des Sceaux. — Wenn der Chef der obers
fien Unterrichtsbehörde die Spige der bisher dargeftellten Unftalt
mit feinem Titel beehren wollte, fo würde dadurch nidyt nur der
ganze Charakter derfelben gegen das Publitum bezeichnet, und
— —— -
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 383
durch ſolche Verknüpfung widerführe den Wiſſenſchaften als fol
hen ihre Ehre, fondern diefer impofante Name bezeichnete ſchon
den Mitarbeitern aufs unmittelbarfte und öffentlich ihre Pflichten,
Ferner würde wohl fhon das Aeußere der Arbeit es unthuns
lich maden, dag Ein Redakteur ihr Genüge leiſtete; eine
Anzahl von etwa fünf oder ſechs würde ſich aber auch als: nütz⸗
ih, ja feloft als nothwendige Vedingung dazu zeigen, daß
das Gefhäft der Beurtheilung und Eutfeheidung über die Zweck⸗
mäßigkeit fowohl der Arbeiten felbft, als darüber, weldhe Werte
anzuzeigen wären, nicht als Sache Eines Individuums fondern
eines KRollegiums erfihiene, das zugleich die Würde einer
Behörde hätte. Ohne eine ſolche Form ſänke das Verhältniß
der Mitarbeiter wieder Theils zum bloß perfönlihen Verhältnif
mit Einem Individuum, Theils zur Zufälligkeit und Konvenienz
derfelben zuriid. So fehr die Konvenienz bei der Wahl der
Bücher, welche die Mitarbeiter zu beurtheilen übernähmen, von
felbft ſich zur Berüdfihtigung aufdränge, fo würde es, wenn fie
allein es beflimmte, Sache des Zufalls bleiben, ob nicht wich⸗
tige Werte ganz unbeachtet blieben. Wenn außerdem zwar ſchon
in der Qualität der Mitarbeiter die Garantie für den Gehalt
und Ton ihrer Arbeiten liegen würde, fo kann es doch nit an
Fällen fehlen, wo Rüdfihten der Schidlichteit, der Zweck der
Anftalt, — der zum Beifpiel die Ausführlichkeit gelehrten Details
und zu fpecielle Erörterungen durdy ein beabfihtigtes allgemeines
Intereſſe befchräntte, — hie und da den Wunſch zu Abkürzungen,
zu Modifitationen eines Ausdruds, einer Wendung u. f. f. hers
beiführen. Solche Wünſche könnten dann unverfänglicher an
den Verfaſſer der Arbeit gebracht werden, wenn ſie durch kolle—
gialiſche Berathung hindurchgegangen, den Charakter von ſub⸗
jektiver Anficht nicht mit ſich führten, Für den Zuſammenhalt
und die fefle Begründung des Ganzen, fo wie für die fo eben
berührten Rückſichten möchte es faft als unerläßlich erfcheinen,
nicht nur, daß die Mitglieder des Nedattions- Bureau von der
’
—
354 VI Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
oberfien Staatsbehörde ernannt würden, fondern daf
fid unter diefen auh Mitglieder der oberfien Behörde
für den öffentlichen Unterricht befänden, es fey in unbeftimmter
oder feftgefegter Anzahl. Diefe ausdrüdliche Vereinigung von
gelehrten Regierungsmitgliedern mit bloßen den Wiſſenſchaften
und dem Lehramt gewidmeten Gelchrten dringt ſich infofern als
zweckmähig auf, als dadurd Verhältniſſe und Umftände erfegt
werden, durch welche die, Mitglieder des franzöfifhen Inftituts
fhon in nähere Beziehung auf die Regierung geftellt find, und
in der wiſſenſchafllichen Arbeit zugleih eine Rüdfiht auf die
Bethätigung der Staatszwecke befeſtigt ift; fo wie eine ſolche
Anordnung die Regierung in werkthätigem Intereffe nicht nur
für die wiſſenſchaftlichen Anftalten, fondern für die B—
ten und die Literatur ſelbſt zeigte.
In Anſehung der Wahl anderer Mitarbeiter er
das Burcau feine Unfichten gleichfalls der mehrgedadhten Staats-
behörde vorzulegen haben. Hiebei zeigte fich die Frage nicht als
unwichtig, ob. eine beftimmte Anzahl feftgefest oder ob allerwärts
bin Aufforderungen und Einladungen zu erlaffen wären. Der
bisherigen Vorſtellung der Einrichtung könnte es als entfprechend
erfcheinen, eine beffimmte Anzahl und zwar hiefiger Ges
lehrten feftzufegen, Theils weil das Ganze dadurch wirklich
eine Anftalt des Mlittelpuntts der Monarchie wäre, und nur fo
ihre eigenthümliche Wirkfamkeit und Anfchen nah Außen fi
begründete, Theils weil die Mitarbeiter, nur in fofern ihrer eine
beftimmte Anzahl ift, für den ununterbrocdpenen Fortgang des
Ganzen verantwortlich gemacht werden könnten, da es ausges
ſchloſſen wäre, ſich auf das zufällige Einlaufen von Artiteln An—
derer zu verlaffen. Es wäre dabei nicht ausgefchloffen, fondern
es ließe ſich ausdrücklich damit verbinden, daß auch mehrere wicht
biefige Gelehrte, um ihrer für die Anftalt wünſchenswerthen
Tätigkeit willen, wie zu ihrer Auszeichnung, zur. Mittheilnahme
aufgefordert und gezogen würden, fo daß diefe Beiträge als eine
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 385
zufällige Zugabe betrachtet, und die Lieferung des erforderlichen
Quantums von Materialien auf die Thätigkeit der ordentlichen
Mitarbeiter und der Mitglieder des Redaktions-Bureau geftellt
bliebe. ; u
Speciellere Beftimmungen, unter andern, daf die Mitglie—
der des Bureau regelmäfige Sitzungen hielten, würden
fi von felbft als Folgen der wefentlihen Einrichtung ergeben.
Ich berühre nur diefe, dag die Worlefung eines jeden aufzu—
nehmenden Auffages in der Verfammlung des Bureau, — fo
fehe dieß deffen Geſchäft zunächſt weitläufiger zu machen ſchei—
nen kann, — leicht als eine weſentliche Anordnung ſich empfeh-
len dürfte. Nicht nur machte das Bureau, als aus allgemein gebil-
deten und zugleich aus Mitgliedern von verfihiedenen Fächern
zufammengefegt, für fid) fehon ein Publitum, und empfände in
ihm die Wirkung, die ein Aufſatz auf das öffentliche Publikum
machen könnte, fondern auch die Rückſicht des Verfaſſers auf
eine folde Probe vor einer Gefammtheit, von deren Zuftimmung
die Aufnahme eines Auffages abhinge, würde von felbft dazu
beitragen, daß mit Vermeidung eines Details von zu fpecieller
Ausführung diejenige Allgemeinheit und Intereſſe der Anfichten
und Gegenftände, diejenige Klarheit der Darftellung herrſchend
blieben, welde für, eine höhere und. würdige Popularität die
wünfcenswertheften Eigenfchaften fepn würden, — ein Zweck,
auf welchen das Referiren, das doch immer ‚Statt: haben
müßte, nicht fo einwirken könnte, Das Referiren für ſich nähme
gleichfalls Zeit weg; es fehte das Lefen des Aufſatzes beim Re—
ferenten voraus, der ſich wielleicht veranlaft finden könnte, ein
ſchriftliches Urtheil zu machen, — Gefchäfte, wodurch aud an Zeit
gegen die zum Worlefen erforderliche eben nicht viel gewonnen
werden möchte; — außerdem daf ein Referat über die’ Arbeit
eines Kollegen leicht Delitateffen mit. ſich führte, die durch: das
bloße Verlefen ſich befeitigten. Bei diefem würden ſich ohnehin
Abkürzungen als thunlich zeigen, welde die Arbeit der Verſamm⸗
Bermifchte Schriften. * 25
356 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten,
lung befchleunigten. — Db andere äuferlidhe Arbeiten, die bei
dem Anftitute vorfämen, einem einzelnen Mitgliede des Bureau
gleihfam als Sekretär aufzutragen wären, würde fid) wohl bei.
der Beftimmung der nähern Art und Weiſe der Geſchäftsfüh—
rung finden.
Der legte Punkt, der noch zu erwähnen fände, würde der
Meberfhlag der Koften ſeyn, den eine folde Unternehmung
der Königlihen Regierung verurſachen könnte. Daf von dem
anſcheinend äußerlichen Umſtande, ob der Staat oder ein Privat:
mann Cigenthümer wäre, meiner Anſicht nach, der ganze fich zu
verfprechende Erfolg abhänge, habe ich vorhin erwähnt. Indem
id von der Berechnung der Koften nicht als Sadhverfländiger
ſprechen kann, kann ich nur etwa Folgendes in dieſer Rückſicht
bemerken.
Ein Theil der Ausgaben diefes Inftituts, — die Anſchaf—
fung der anzuzeigenden Werte, — würde durd die
Anfhafungen der Königlichen Bibliothek ausfallen, wenn eine
höhere Beflimmung die in diefer Rüdfiht von der Bibliothek
zu madenden Ablieferungen für den Gebrauc des Inflituts res
gulirte. -
Ob die Erſcheinung der Hefte monatlid oder viertel—
jährig erfolgte, würde auf die Koften infofern Einfluß haben,
als: etwa die monatliche Lieferung für den ganzen Jahrgang
wohl eine größere Bogenzahl veranlaffen würde. Ob das eine
oder das andere fonft vorzuziehen wäre, hängt größten Theils
von näherer Konvenienz ab, Nur daf in dem einen und dem
anderen Falle die Mblieferungen auf beffimmte Termine
und regelmäßig erfolgten, erſcheint ſowohl für die Ordnung
in den Arbeiten als in der Erwartung des Publitums fogleich
für ſich als vortheilhafter. . Sonft die monatlide und viertel-
jährige Erfcheinung mit einander verglichen, Fönnte man bei der
erfleen den Vortheil fehen, daß dem Publikum öfter etwas
Neues in die Hand gegeben wird, das Lefen eines diden vier—
—
Uleber die Ertichtung einen kritiſchen Zeitfchrift. 387
teljährigen Hefts mehr die Art der Lefung eines Buches hat,
und die geringere Bogenzahl ſchon für ſich die zu große Aus—
führlichkeit der Abhandlungen unthunlicher erfcheinen läßt.
Wenn für ein Monatsheft zehn Bogen, vornehmlich
infofern das Quartformat vorgezogen würde, — beim Oktav—
format könnte man auch bei at oder neun Bogen fichen blei—
ben, — gerechnet werden, ſo betrüge die Bogenzahl: eines
Jahrgangs einhundert und zwanzig, und die Yusgabe
für einen Bogen, zu 750 Eremplaren, mit Redaktions-Hono—
rar und Druck- und Papierkoſten auf ſechs Friedrichsd'or
angefchlagen, betrüge die Nuslage des Ganzen piertaufend
Thaler, Wenn ein Drittel Rabatt für die Poft und Buch—
bandlungen berechnet und das Eremplar eines Jahrgangs auf
zehn Thaler angefegt wird, fo wäre der Abfag von ſechs hun—⸗
dert Eremplaren erforderlich, um die Koften zu deden. In
fofern von finanzieller Seite die Unternehmung nicht als ein
Riſiko, fondern als eine Ausgabe für ein wefentliches wiſſenſchaft⸗
liches Bedürfnif und für das Anfehen des Staates behandelt
würde, fo ließen fich die Koften eines Eremplars fogleich herab»
fegen, was den Abgang felbft befördern würde, wohingegen Buch⸗
handlungen um des Riſiko's willen auf: eine Anzahl von Ex⸗
emplaren, deren Abfas fie als wahrfcheinlid annehmen, ſogleich
den ganzen Koftenbelanf zu ſchlagen gewohnt: find. Die Re
daftionsz Koften, die ich unter dem Aufwand aufgeführt habe,
würden fi bei diefer Anſtalt höher belaufen, weil bei einem
Privatunternehmen der Eigenthümer, wenn er zugleich Redak⸗
teur ift, fie in den Gewinn, den er vom Ganzen: bezieht, einrech⸗
net, und weil nad) dem bisher entwidelten Plane die Redaktion
die Qualität eines verpflihtenden Amtsgefhäfts und die Aus:
gabe dafür die eines Funktionsgehalts erhielte. + Ob übrigens
diefe Yusgabe dadurdy einer Verminderung fähig wäre, daß Mit:
gliedern der Königlichen Akademie der Wiſſenſchaſten ſchon in
diefer Qualität und in Rüdfiht auf von daher bezogene: Ge—
25 *
388 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
halte, jenes Gefchäft zur Pflicht gemacht werden könnte, ift ein
weiter gehender Umftand, der über meinen Gefühtstreis und den
gegenwärtigen Gegenftand hinaus liegt.
Die Anfügung eines IntelligenzsBlatted könnte für Die
Verminderung der Koften gleichfalls in Berüdfihtigung kom—
men. Buchhändleranzeigen würden der Artikel feyn, der einen
Ertrag abwürfe. Antikritiken, die, wenn fie gegen die Anftalt
felbft gerichtet wären, ohnehin nicht gut zu einem Gegenftande
des Ertrags gemacht werden könnten, fowohl folden, als
noch mehr den gegen andere Zeitungen und kritiſche Blätter
gerichteten, wäre es wohl durchaus das Rathſamſte und Anſtän—
digfte, im jeder Nüdfiht den Zugang zu verſchließen; fo wie
auch Antikrititen und fonftige Neußerungen, die in andern Zeit⸗
föriften oder fonft gegen diefe Anftalt gerichtet wären, beffer
unbeantwortet bleiben würden. Grörterungen über Fakta oder
andere wiffenfchaftliche ilnterfuhungen mödten nur in ganz eins
zelnen, höchſt feltenen Fällen zuzulaffen feyn, indem die Bent
theilung und Anzeige literariſcher Produkte, nicht wiſſenſchaſtliche
Erörterungen der Hauptgegenfiand des Journals wären, —
Sonft könnte,ein Notizenblatt andere Zwede erfüllen und dazu
gebraucht werden, Königlide Verordnungen und Ber:
anfaltungen, welche die Miffenfhaften und den öffentlichen
Unterricht betreffen, betannter zu machen, von den öffentlichen
Sisungen der Akademie der Wiffenfhaften, ihren Preisaufgas
ben und ertheilten Preifen Rechenſchaft zu geben. Die Ausdeh—⸗
nung jedoch auf alle gelehrte Neuigkeiten, Anftellungen und To—
desfälle von Gelehrten, wo ohnehin die Grenze, wer noch unter
die Gelehrten zu rechnen fey, unbeftimmt ift, und das Zufams
menlefen folder Notizen aus andern Blättern aller Art, würde
Theils eine eigene Redaktion erfordern, Theils für ſich diefer
Anftalt fremd ſeyn. Ob aber inländiſche Anftellungen bei der
Akademie, den Univerfitäten, Gymnaſten und dergleichen, von
der Königlichen Staatsbehörde als officiell mitgetheilt, nicht eine
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitfchrift. 389
Yusnahme von jener Ausfchliehung machen follten, habe ich ganz
höherem Ermefien anheim zu fielen. j
Wenn übrigens gleich zum Voraus von dem Königfichen
Diinifterium auf die Hälfte oder fonft einen beftimmten Theil
des mit der Zeit doch wohl zu erwartenden Gewinns Verzicht:
gethan würde, fo würde hierin, — außerdem daß auch dem übri—
gen Theile eine mit dem allgemeinen Zwecke des Juſtituts in
Beziehung ſtehende Dispofition erhalten werden könnte, — ſchon
durd das Liberale folder Beftimmung eine aufmunternde Möge
lichkeit liegen, den Redakteurs und den übrigen Mitarbeitern die
Nusfiht zu einer von ihrer Thätigkeit zum Theil abhängigen
Erhöhung des Bezugs und Honorars zu geben. Geficherter pers
ſönlicher Vortheil einer Seits und amtsgemäße Thärigkeit als
derer Seits wären fomit überhaupt die beiden Momente, welde
der eigenen Neigung von Gelehrten für dergleihen Beſchäf—
tigungen und ihrem Intereffe für die Natur des Zweds die er—
forderlihe nähere Regulirung und den fändigen Antrieb geben
follten.
Das bisher Dargelegte mödten etwa die Hauptmomente
ſeyn, die bei der äufern Einrichtung des Inftituts, deſſen Grund
züge ich zu entwideln verfucht habe, in Rückſicht kommen könn
ten, und bei der Ausführung übrigens wohl noch manche Mo—
difikationen zu erleiden hätten, um die Beſtimmung zu erfüllen,
deren in dem Obigen zerſtreute Züge ich zum Schluſſe in dem
Zwecke zuſammenfaſſe: als Eigenthum und Beranftaltung des
Königlihen Gouvernements ein Inftitut zu begründen, das eis
nen ergänzenden Zufag zu dem Syſteme der fo ausgezeichneten
Veranftaltungen des Königreichs für Wiffenfhaften und Bils
dung ausmarhte, und zur Entwidelung, öffentlihen Anerkennung
und Benugung diefer Beranftaltungen beitrüge, und nit nur
den mit denfelben gemeinfchaftlichen, fondern aud den weiteren
Zweden des Staates nad) der Seite der Gelehrfamteit und des
Standes der Gelehrten hin, in fofern förderlich wäre, daß da=
weißen in amtl. LAngel. Ueb. d. Erricht. einer keit. Zeitfchrift.
das Öffentliche Beurtheilungsweſen der fchriftftellerifchen
ikte aus feiner Zufälligkeit, Unbefiimmtheit und Abhängig-
on Privatzweden und Privatanfichten geriffen, und diefem
tilen, das einmal durd ein allgemeines Bedürfniß her⸗
jerufen ifl, und dem gelehrten und fchrififtellerifchen Treiben
ein fefler, an den Staat geknüpfter Mittelpuntt im Kos
reihe und in Deutſchland verfchafft würde,
Aufſaͤtze vermiſchten Inhalts, |
1. Marimen bes Journals ver deutjchen Titeratur.
(1806. ) L
De allgemeine Zwed ift die Beförderung der wiſſenſchaftlichen
und äſthetiſchen Bildung, an welcher Jeder, der nicht zur Ge—
werbsklaſſe gehört, Antheil nimmt, durch Kritik der in Deutſch—
land herauskommenden neuen Schriften, welche die Wiſſenſchaf—
ten und die Kunſt betreffen.
a) Alle Aufſätze, die nicht die Kritik einer Schrift enthal—
ten, find ausgefäloffen, da ihr Inhalt um der Unbeftimmtheit
feines Kreifes willen zu heterogen wird, und bei feiner Einzeln-
heit ein zu eingefchränttes, bei feiner Allgemeinheit, — die um
der geringen Ausführung willen leicht Oberflählichkeit wird, —
ein zu geringes Intereffe enthält.
b) Die Kritik hat nicht die Literatur- Kenntnif zum Zwecke,
alfo auch nicht eine vollftändige Anzeige aller erfcheinenden
Schriften, die von andern Journalen ohnehin auch mehr nur
verfprochen als wirklich gegeben werden kann. Gefliffentlich wird
daher Theils das Ummichtige, Theils was nicht zur wiffenfhaftlis
chen und ſchönen Literatur gehört, übergangen; es ift alfo das
õökonomiſche, technologifche und dergleichen Fächer ausgefchloffen.
ce) Das Detail der befondern eigentlichen Wiffenfchaften,
der Theologie, Jurisprudenz u. f. f. bleibt cbenfo aus diefem
Plane weg, in fofern es nur denjenigen intereffiren Tann, der
„VUL. Aufſaͤte vermiſchten Jubalts.
ausſchließend und unmittelbar damit beſchäftigt. Aber bei
igemeinen Werten über dieſe Wiſſenſchaften, wie auch
r Medizin, Phyſik, Naturgeſchichte, Chemie, Mathematik,
chichte, Philologie, kann es nicht ſo ſehr von ihrem In⸗
te abhängen, ob eine Kritik derſelben dem Zwecke dieſes
ſtituts entſpricht, als es vielmehr von der Art dieſer Kritik
: abhängt, ob die allgemeine geiſtige Bildung überhaupt und.
enſchaft und Geſchmack dadurch gewinnt.
d). Diefe werben nicht durch gewöhnlich ſogenannte Recen-
en und Beurteilungen gefördert, wodurch eine Schrift nur
:akterifirt, aber nicht in den Inhalt derfelben eingegangen
d, — wodurch man etwa erfährt, ob das Buch gut oder
ht iſt, und die. Titel, die der Verfaſſer abhandelt, aber. wo⸗
ch die Sache felbft nicht unterſucht und mit ihm durchgeſpro⸗
wird. Die Kritiken ſollen daher mehr von der abhan⸗
nden Art, wobei. die Darſtellung des Verfaſſers zum
unde gelegt und ihr gefolgt wird, als von recenfirender Art
ſich haben,
e) Infofern ein Werk, es ſey empiriſchen oder theoreti⸗
ſchen Inhalts, ſo beſchaffen iſt, daß es ſich zwar intereſſant zeigt,
aber die Neuheit ſeines Inhalts noch keine eigentliche Beurthei—
lung geſtattet, iſt eine hiſtoriſche Darlegung feines In—
halts (Analyſe) zu geben, und die falſche Schaam zu entfer-
nen, die, weil der Recenſent ſich nicht im Stande fühlt, ſich als
einen bereits. mit allem scibili fertigen und Alles beſſer wiſſen⸗
den Meifter daran zu zeigen, es verhindert, daf überhaupt von
ſolchem Werte die Rede wird; wie es z. B. mit Winterl’s und
manchen andern Schriften der Fall ift, bei denen die Recenfen-
ten noch nicht die thun zu können fi bewußt find, und doc
nicht darauf Verzicht thun und mit einer Analyfe ſich begnügen
wollen, die einftweilen das Publitum benadhridtigt und die ihm
erwünfcht ift und oft erwünfchter als das Urtheil; wenn es nur
4, Marimen des Journals der deurfchen Literatur. 395
unter beidem, einer Analyfe und einer reinen Recenfion zu wäh-
len bat, wird ihm gewiß die erflere willtommen feyn.
f) Eben fo haben Necenfionen feinen Platz, die in der Ab⸗
fiht, dem Verfaſſer die Aufmerkſamkeit, mit der feine Schrift
gelefen worden ſey, zu beweifen, außer dein allgemeinen Urtheil
ein Dialog mit dem Autor find, und ihm Mäkeleien mas
den und Berichtigungen an die Hand geben, die nur zwi—
ſchen dem Verfaffer und dem Recenfenten, aber für feinen
Dritten ein Intereffe haben. Meberhaupt fällt Alles hinweg, was
nur perfönlice Meinung des Necenfenten feyn follte, ob er fich
gleich dabei die Stellung eines Repräfentanten des Publitums
gäbe.
8) Sich hingegen auf den weientlidhen Inhalt von Wer—
ten aus beflimmten Fächern einzulafeen, hat eben fo fehr
allgemeines Intereffe, als es der Wiffenfchaft förderlich if. Im
ein beftimmtes Beifpiel anzuführen, würde dief bei einer Recen—
fion von einem Bude, wie Paulus Kommentar über das Neue
Teftament der Fall ſeyn, wenn eine Recenfion die Maximen
deffelben unterfuchte. — In andern befondern Wiffenfhaften, 3.8.
der Jurisprudenz, gehört eben fo das Naturrechtliche, Staatsredht-
liche, auch Pandektenſyſteme, Unterfuhungen über Kriminaljuftiz,
Code Napoleon und dergleichen hieher. So von der Medizin
das Syſtematiſche derfelben, wie geiftreiche Anſichten und Be-
bandlungen einzelner Krankheiten, das gelbe Fieber mit feinem
temporären Intereffe u, f. f. Von der Phyſik wie Chemie ge—
hören weſentlich folde Werke hicher, die eine Bereicherung der
Wiſſenſchaften enthalten. Alte Literatur foll ohnehin das Inte—
reſſe jedes gebildeten Menſchen für fi haben; es ift wichtig,
diefem den Weg dazu zu bahnen und zu erleichtern, befonders
durch Herabfegung »des- Werths der bloß pedantifhen Bemühuns
gen damit, und der scientiae arcanae, deren Schein ſich Manche,
die von der Profeffion find, geben die ſich aber, näher unterfucht,
als ihre Grille und Willkür zeigt.
396 VII, Aufſaͤtze vermifchten Inhalts.
h) Es ſteht gegenwärtig allen Wiffenfhaften eine Wieder-
geburt in Anfehung ihrer Begriffe und der Geiftlofigteit bevor,
die wiffenfchaftlichen Inhalt in bloßes Material verwandelt, und
die Begriffe, deren fie zu haben gewöhnlich nicht einmal weiß,
unteitifh und bewußtlos handhabt. Die theoretifhe und empi—⸗
rifhe Seite macht eine Tradition aus, die unbefehen, als etwas
längft Bewiefenes und in den Schag Gelegtes, von einer Hand
in die andere überliefert wird. Gegen diefe Tradition, welche
ohnehin fhon, wenn nicht die Verachtung, doch die Langeweile
des Publitums gegen ſich hat, hat befonders die Kritik ihre Un—
terfuchung zu richten. Gerade das, was gäng und gäbe ift, was
das Herkommen für fi) hat, was als längft bekannt gilt, —
eine Art alten Trödels, von dem der Gebrauch und gleihfam
eine tonventionelle Lebensart es mit ſich bringt, daß man ihn
gelten läßt, ohne daf es denen, die immer darin fortfpredhen,
eigentlich mehr Ernft damit if, als den Afironomen, wenn fie
fid) der Redensart vom Umlaufe der Sonne um die Erde bee
quemen, — gerade "dieß Althergebrachte bedarf es am meiften,
auf den Kopf geftellt und in Unfprudy genommen zu werden, um
zunächft wenigftens Verwunderung und Stugen zu erregen, umd
weiterhin Nachdenken zu veranlaffen.
i) Es ift damit nicht gemeint, in die Manier der gegenz
wärtigen Gährung der Wiffenfchaften einzugehen, die von der
Philoſophie aus fle überſchwemmt und verwirrt. Theils iſt zum
fiegreichen Angriff der leeren und geifllofen Wiffenfhaftlichteit
nur der gefunde Menfchenverftand nöthig, wenn er die gebildete
Sicherheit befist, die ſich durch die ernfihafte Miene jener nicht
irre machen nod) imponiren läßt. Theils ift jene philoſophiſche
Miffenfchaftlichkeit, die eine Anwendung und der Mebergang der
abftratten Ideen zum beftimmten Inhalte und den eigentlichen
Wiſſenſchaften ſeyn follte, als um was es gegenwärtig zu thum
ift, — vielmehr größtentheils leerer Formalismus, unreifes Ge—
braue halb aufgefafter Begriffe, feihte, und meift fogar läppi—
Marimen des Journals der deutfchen Biteratur, 397
fche Einfälle, und eine Unwiſſenheit fowohl der Philofophie felbft
als der Wiffenfchaften, wie, — um beftimmter zu bezeichnen,
was ich meine, — das windifhmann’fche, görres’fche, aud größe
tentheils das fteffens’fche Weſen, fo wie die Proben, welche die
jenaer Allgemeine Literatur = Zeitung, befonders bei ihrem An—
fange gegeben bat. Diefem rohen Waldftrome, der Vernunft
und Miffenfchaft zu verwirren droht, deſſen Manieren und
Grundfäsen Schelling, nahdem er fie zum Theil angegeben und
gebraucht, jest feierlich zu entfagen anfängt, — hat ſich eine
wiſſenſchaftliche Kritit vornehmlich zu widerfegen. Wir werden
dadurd dem Inſtinkte des Publikums, das von feinem erften
Staunen zu einer Gleichgültigkeit gegen jene Manier übergegans
gen, zu Hülfe kommen, die Achtung, welde der Philofophie we—
gen ihres allgemeinen Bedürfniffes noch immer im Grunde ge—
widmet wird, unterflügen, bei allen, durch Infolenz und Unreife
zum Stillf_hweigen und Wegſehen gebraten Frrunden der Eine
fiht Theilnahme finden, fo wie das zum Prüfen zu fchüchterne
Staunen, das um der allgemeinen, in jenes Gethue verwebten
Ideen willen Achtung dafür hatte, emtwirren, und durd die
Scheidung des Unlautern ihm den Gewinn des Aechten vers
ſchaffen.
1) Die gründliche Unterſuchung und die Abhandlung der
Sache ſchließt es von ſelbſt in ſich, daß das Mittelmäßige und
Schlechte, wenn von ihm wegen irgend eines Anfehens oder we=
gen Prätenfionen, die es hat, die Rede feyn muß, — feine
Schonung und’ Toleranz zu gewärtigen hat, fondern allen Grün-
den dagegen, fo wie dem Witze und den Einfällen preisgegeben
iſt; ebenfo, daß alles Perſönliche, Hämiſche, Alles, was von ei—
nem pruritus, ſich zu reiben oder zu zeigen, herrübrte , entfernt
bleibt, Darin, daß es um die Sache zu thun ift, ift auch dieß
enthalten, daß es dem Recenfenten lieber feyn muß, etwas als
vortrefflid — mit Berftand — erkennen zu können, als dagegen
fpredden zu müffen, befonders da es ſchwerer ift, gehörig zu ent⸗
2, Mer denkt abftrakt?
Denten? Abfiratt? — Sauve qui peut! Kette fi, wer
tann! So höre ich ſchon einen vom Feinde erfauften Berräther
ausrufen, der diefen Aufſatz dafür ausfehreit, daf hier von Me-
taphufit die Rede feyn werde. Denn Metaphyſik ift das
Wort, wie Abſtrakt und beinahe auch Denken das Wort if,
vor dem jeder, mehr oder minder, wie vor einem mit der Peſt
Behafteten davon läuft. \
Es ift aber nicht fo bös gemeint, als ob, was denken und
was abftraft fey, hier erklärt werden follte, Der ſchönen Welt
ift nichts fo unerträglich, als das Erklären. Mir felbft ift es
ſchrecklich genug, wenn einer zu erklären anfängt, denn, zur Noth,
verſtehe ich Alles felbft. Hier zeigte fi die Erklärung des Den—
tens und des Abſtrakten ohnehin ſchon als völlig überflüfftg;
denn gerade nur, weil die ſchöne Welt ſchon weiß, was das
Abſtrakte ift, flieht fie davor. Wie man das nicht begehrt, was
man nicht kennt, fo kann man es auch nicht haffen. Auch wird
es nicht darauf angelegt, hinterliſtigerweiſe die ſchöne Welt mit
dem Denken oder dem Abſtrakten verſöhnen zu wollen, indem
etwa unter dem Scheine einer leichten Konverſation das Denken
und das Abſtrakte eingeſchwärzt würde, ſo daß es zuletzt unbe—
kannterweiſe und ohne eben einen Abſcheu erweckt zu haben, ſich
in die Geſellſchaft eingeſchlichen hätte, und gar von der Geſell—
ſchaft ſelbſt unmerklich, hereingezngen, oder, wie die Schwaben ſich
ausdrücken, hereingezäunſelt worden wäre, und nun der Autor
dieſer Verwicklung dieſen fonft fremden Gaft, nämlich das Ab—
ke
2, Mer denke abfteakt? 401
ſtrakte, aufdedte, den die ganze Gefellfhaft unter einem andern
Titel als einen guten Bekannten behandelt und anerkannt hätte.
Sole Erkennungsfcenen, wodurd die Welt wider Willen bes
lehrt werden foll, haben den nicht zu entfchuldigenden Fehler an
fih, daß fie zugleich befhämen, und der Madinift fich einen
tleinen Ruhm erfünfteln wollte; fo daß jene Befhämung und
diefe Eitelkeit die Wirkung aufheben, denn fie flogen eine um
diefen Preis erkaufte Belehrung vielmehr wieder hinweg.
Ohnehin wäre die Anlegung eines ſolchen Planes ſchon ver-
dorben; denn zu feiner Ausführung wird erfordert, daß das Wort
des Räthfels nicht zum voraus ausgeſprochen fey. Dies ift aber
durch die Auffchrift ſchon gefchehen; in biefer, wenn diefer Auf—
fag mit folder Hinterlift umginge, hätten die Worte nicht gleich
von Anfang auftreten dürfen, fondern, wie der Minifter in der
Komödie, das ganze Spiel hindurd im Ueberrocke herumgehen
und erft in der legten Scene ihn auftnöpfen und den Stern der
Meisheit herausbligen laffen müffen Die Aufknöpfung eines
metaphyſiſchen Ueberrocks nähme ſich bier nicht einmal fo gut
aus, wie die Auftnöpfung des minifteriellen; was jene an den
Tag brädte, wäre weiter nichts, als ein paar Worte, und das
Befte vom Spafe follte ja eigentlich darin Liegen, dag es ſich
zeigte, daß die Gefellihaft längft im Beſitze der Sache felbft
war; fie gewänne aljo am Ende nur den Namen, dahingegen
der Stern des Minifters etwas Reclleres, einen Beutel mit
Geld, bedeutet. . i j
Was Denten, was Abſtrakt ift, daß dieß jeder Anweſende
wiffe, wird im guter Gefellfchaft vorausgefegt und in folder be=
finden wir uns. Die Frage ift allein darnach, wer es fch, der
abftratt denke? Die Abſicht ift, wie fchon erinnert, nicht die,
die Geſellſchaft mit diefen Dingen zu verfühnen, ihr zuzumuthen,
ſich mit etwas Schwerem abzugeben, ihr in’s Gewiffen darüber
zu reden, daß fie Teichtfinniger Weife ‚fo etwas vernadhläffige,
was für ein mit der Vernunft begabtes Wefen rang= und flans
Vermiſchte Schriften.* 26
402 VII, Anffäge vermifchten Inhalts.
desgemäß fey. Wielmehr ift die Abſicht, die ſchöne Welt mit
ſich felbft darüber zu verföhnen, wenn fie fi anders zwar eben
nicht ein Gewiffen über diefe Vernachläſſigung macht, aber doch
vor dem abfiratten Denken als vor etwas Hohem einen gewiffen
Reſpekt, wenigfiens inmerlih, hat, und davon wegfieht, nicht,
weil es ihr zu gering, fondern weil es ihr zu hoch; nicht, weil
es zu gemein, fondern zu vornehm, oder umgekchrt, weil es ihr
eine Espece, etwas Befonderes zu ſeyn feheint, etwas, wodurch
man nicht in der allgemeinen Gefellihaft fih auszeichnet, wie
durch einen neuen Putz, fondern wodurd man ſich vielmehr, wie
durch ärmliche Kleidung, oder auch durch reiche, wenn fie aus
alt gefaften Edelfteinen, oder einer nod) fo reichen, aber längſt
binefifch gewordenen Stiderei befteht, von der Seſcua·
ſchließt, oder darin lächerlich macht. —
Wer denkt abſtrakt? Der ungebildete Menſch, nicht A
bildete. Die gute Geſellſchaſt denkt darum nicht abſtrakt, weil
es zu leicht iſt, weil es zu niedrig iſt, (niedrig nicht dem äußern
Stande nad), nit aus einem leerem Bornehmthun, das ſich
über das wegzufegen ftellt, was es nicht vermag, fondern: weg
der innern Geringheit der Sache. WE
Das Borurtheil und die Achtung für das abſtrakte Denken
ift fo groß, daf feine Nafen hier eine Satpre oder Ironie, zum
Voraus wittern werden; allein, da fie Lefer des Morgenblattes
find, wiffen fie, daß auf eine Satyre ein Preis gefegt iſt, und
daß ich ihn daher lieber verdienen und darum konkurriren, als
hier fhon ohne Weiteres meine Sachen hergeben würde.
Id brauche für meinen Sag nur Beifpiele anzuführen, von
denen jedermann zugeftehen wird, daß fie ihn enthalten, Es
wird aljo ein Mörder zur Nichtftätte geführt. Dem gemeinen
Volke ift er weiter nichts als ein Mörder. Damen machen viel-
leicht die Bemerkung, daß er ein kräftiger, ſchöner, intereffanter
Mann if, Jenes Volk findet die Bemerkung entfeglih; was?
ein Mörder ſchön? wie kann man fo ſchlecht dentend feyn, und
—
2, Mer denft abftraft? 403
einen Mörder ſchön nennen; ihr feid auch wohl etwas nicht
viel Befferes! Dieß ift die Sittenverderbnif, die unter den vor—
nehmen Leuten herrſcht, fegt vielleicht der Priefter hinzu, der den
Grund der Dinge und die Herzen kennt.
Ein Menſchenkenner fucht den Gang auf, dem die Bildung
dieſes Verbrechers genommen, findet in feiner Geſchichte, in ſei⸗
ner Erziehung ſchlechte Familienverhältniffe des Vaters und ber
Mutter, bei einem leichteren Vergehen diefes Menſchen irgend
eine ungeheure Härte, die ihm gegen die bürgerlide Ordnung
erbitterte, eine erfte Rüdwirkung dagegen, die ihn daraus ver—
trieb, und es ihm jest nur dur Verbrechen ſich zu erhalten
möglich machte. — Es kann wohl Leute geben, die wenn fie
foldyes hören, fagen werden: Der will diefen Mörder entſchul—
digen! Erinnere id) mid) doch, im meiner Jugend einen Bür—
germeifter Elagen gehört zu haben, daß es die Bücherſchreiber zu
weit treiben, und Ehriftenthum und Redtidaffenheit ganz auszu⸗
rotten ſuchen; es habe einer eine Vertheidigung des Selbftmor-
des gefchricben; ſchrecklich, gar zu ſchrecklich! — Es ergab ſich aus
weiterer Nachfrage, daß Werther's Leiden verftanden waren.
Dief heißt abftratt gedacht, in dem Mörder nichts als dief
Abftrakte, daß er ein Mörder ift, zu fehen, und durch diefe eins
fache Qualität alles übrige menfhliche Wefen an ihm zu vertilgen,
Ganz anders eine feine, empfindfame leipziger Welt. Gie
beftreute umd beband das Rad und den Verbreder, der darauf
geflodten war, mit Blumenkränzen. — Dieß iſt aber wieder
die entgegengefegte Abſtraktion. Die Chriften mögen wohl Ro—
fenfreuzerei, oder vielmehr Kreuzroferei treiben, und das Kreuz
mit Rofen umwinden. Das Kreuz ift der längft geheiligte Gal-
gen und Rad, Es hat feine einfeitige Bedeutung, das Werk—
zeug entehrender Strafe zu feyn, verloren, -und giebt im Gegen—
theil die Vorſtellung des höchſten Schmerzes und der tiefften
Berwerfung, zuſammen mit der freudigften Wonne und göttlicher
Ehre. Hingegen das Leipziger mit Veilchen und Klatfchrofen
26 *
404 VI. Auffäge vermifchten Inhalte.
eingebunden, ift eine kotzebue'ſche Verföhnung, eine Art liederlicher
Verträglichkeit der Empfindfamkeit mit dem Schlechten. .
Ganz anders hörte ich einft eine gemeine “alte rau, ein
Spitalweib, die Abftraktion des Mörders tödten, und ihn zur Ehre
lebendig machen. Das abgefchlagene Haupt war aufs Schaffot
gelegt, und es war Sonnenfhein; wie dod fo ſchön, fagte fie,
Gottes Gnadenfonne Binder’s Haupt beglänzt! — Du bift
wicht werth, daß dich die Sonne befcheint, fagt man zu einem
Wicht, über den man ſich erzürnt. Jene Frau fah, daß der
Mörderkopf von der Sonne befhienen wurde, und es alfo auch
noch werth war. Sie erhob ihn von der Strafe des Schaffots
in die Sonmengnade Gottes, brachte nicht durd ihre Veilchen
und ihre empfindfame Eitelkeit die Verfühnug zu Stande, ſon—
dern fah in der höhern Sonne ihn zu Gnaden aufgenommen.
Alte, ihre Eyer find faul! fagt die Einfäuferin zur Sö—
kersfrau. Was, — entgegnet diefe, — meine Eyer faul? Sie
mag mir faul feyn! Sie foll mir das von meinen Eyern fa
gen? Sie? Haben ihren Water nicht die Läufe an der Lande
firaße aufgefreffen, ift nicht ihre Mutter mit den Franzoſen fort
gelaufen, und ihre Großmutter im Spital geftorben, — ſchaff'
fie fih für ihr Flitterhalstuch ein ganzes Hemde an; man weiß
wohl, wo' fie dies Halstuch und ihre Mügen her * wenn die
Offiziere nicht wären, wär' jetzt Manche nicht ſo geputzt, und
wenn die gnädigen Frauen mehr auf ihre Haushaltung ſähen,
ſäße Manche im Stockhauſe, — flick fie ſich nur die Löcher im
den Strümpfen. — Kurz, ſte läßt keinen guten Faden an ihr,
Sie denkt abſtrakt, und fubfumirt jene nah Halstud), Mütze,
Hemde u. f. fe, wie nad) den Fingern und andern Parthien,
auch nad Water und der ganzen Sippſchaft, ganz allein unter
das Verbrechen, daf fie die Eyer faul gefunden hat, Alles an
ihr ift dur und durch von diefen faulen Eyern gefärbt, da
hingegen jene Offiziere, von denen die Höfersfrau ſprach, —
2, Wer denkt abſtrakt? 405
wenn anders, wie fehr zu zweifeln, etwas daran ift, — ganz
andere Dinge an ihr zu fehen befommen haben mögen,
Um von der Magd auf den Bedienten zu fommen, fo ift
fein Bedienter irgendwo fehlechter daran, als bei einem Manne
von wenigem Stande und wenigem Einkommen; und um fo
beffer daran, je vornehmer fein Herr if. Der gemeine Menfd)
denkt wieder abftrakter, er thut vornehm gegen den Bedienten,
und verhält ſich zu diefem nur als zu einem Bedienten; an dies
fem einen Prädikate hält er fell. Am beften befindet ſich der
Bediente bei den Franzoſen. Der vornehme Mann ift fami-
liär mit dem Bedienten, der Franzofe fogar gut Freund mit
ibm; der Bediente führt, wenn, fie allein find, das große
Wort, man fehe Diderot’s Jacques et son maitre, der Herr
thut nichts als Priſen Taback nehmen“und nad) der Uhr ſehen,
und läßt den Bedienten in allem Uebrigen gewähren, Ber
vornehme Dann weiß, daß der Bediente nicht nur Bediente ift,
fondern auch die Stadtneuigkeiten, die Mädchen kennt, gute
- Anfchläge im Kopfe hat; er fragt ihn darüber, und der Be⸗
diente darf ſagen, was er über das weiß, worüber der Prinzis
pal fragt. Beim franzöfifhen Herren darf der Bediente nicht
nur dieß, fondern aud die Materie aufs Tapet bringen, feine
Meinung haben und behaupten, und wenn der Herr etwas will,
fo geht es nicht mit Befehl, fondern er muß dem Bedienten
zuerft feine Meinung einraifonniren und ihm ein gutes Wort
darum geben, daß feine Meinung die Oberhand behält.
Im Militär kommt derfelbe Unterfchied vor; beim öſterreich⸗
ſchen kann der Soldat geprügelt werden, er ift alfo eine Kanaille;
denn was geprügelt zu werden das pafflve Recht hat, ift eine Ka—
naille. So gilt der gemeine Soldat dem Offizier für dief Ab-
ſtraktum eines prügelbaren Subjetts, mit dem ein Herr, der
Uniform und Port d'épée hat, fih abgeben muß, und das: ift
um fid dem Teufel zu ergeben. —
——— —
j”
3. Ueber Teffing’& Briefwechſel mit feiner Frau,
Ri las neulich Leffing’sBriefwechfel mit feiner Frauz
— die Empfindung, die ich Theils während des Lefens hatte,
Theils zurüdbehielt, war ganz eigen; es war Intereſſe mit Ver—
gnügen und Wehmuth vermifcht; nad einem langen Romanles
fen fann nichts erwünſchter kommen, als fo eine ganz aus dem
wirklichen Zeben genommene Unterhaltung, Man ift immer auf
die Entwidlung begierig; obgleich Feine Intrigue und große
Hinderniffe die Entwidlung aufhalten, — gewöhnliche Erforder⸗
niffe in einem Roman, um die Aufmerkfamkeit des Lefers zu
fpammen, — fo fehlt dody das Intereffe nie, und ift um fo wiel
herzlicher und theilnehmender, weil die Umſtände fo ganz natür—
lich und menfchlic find; das einzige Hindernif, das fih in den
Weg legt, bezieht fi auf den Punkt, der heutzutage am mei
ften, oft faft allein (hier freilich nicht) in Betradyt fommt, näm—
lih das hinlängliche Auskommen; (denn die Liebe ift nimmer
fo ſtark, daß man miteinander in Wüſteneien zieht, aller Be⸗
quemlichkeiten ſich entſchlägt und nur von der Liebe lebt) —
und da jenes Erforderniß noch nicht hinlänglich geſichert war,
ſo wird die Verbindung immer aufgeſchoben. — Kein grauſa—
mer Vater, kein harter Onkel oder Vormund, kein der Unſchuld
nachſtellender Lord iſt es, der die Heirath aufhält, — die Zeit,
in welcher der Briefwechſel fortdauert, iſt ſechs Jahre, — welche
lange Zeit für einen Bräutigam und eine Braut! und in die—
3, Ueber Leſſing's Briefwechſel mit feiner Frau. 407
fem Zwifchenraum faft nichts als Verdruß und Leiden durch
Krankheiten, und dann die Dauer der Ehe — war nur drei
Jahre; — floßen einem bier nicht Betrachtungen über die Nich—
tigkeit des Menſchen und feiner angenehmſten Sorgen auf? —
Sollte man nicht denken, wenn ein Menſch dief voraus wüßte,
würde er nicht einen frühern Tod, als ihm die. Natur be=
ftimmt hat, einem foldyen Leben vorziehen? — Vielleicht, wenn
man fi) ein Leben voll lauter Elend und Mühſeligkeit denkt, —
aber man bringt nicht in Anfchlag, was das Leben in concreto
if, — die angenehme Gewohnheit des Wirkens und Thätigfeyng,
wie es Göthe nennt, — das uns beftändig befhäftigende un—
aufhörlihe Einftrömen von Empfindungen in die törperliche
Behaglichkeit; — bei einem Menſchen, der den Gedanken, ſich
felbft außer allen diefen Verhältniffen zu fegen, ausführen kann,
müffen die Vorſtellungen und das Wirken der Seele faft bloß
nad innen gehen, und das Band, das durd) die Sinne ihn an
die ganze Natur knüpft, muß ſehr ſchwach ſeyn. — Doch von
dieſer Digreſſion wieder auf Leſſing's Briefwechſel zw kommen,
ſo iſt der ganze Ton deſſelben, wenigſtens größtentheils mehr
geſchickt, — den Leſer zu Wehmuth als zu angenehmer Ems
pfindung zu ſtimmen. — Aber die Sprache des Schmerzes und
der Leiden iſt viel beredter als die Sprache der Freude, und der
Genuß der letztern nicht ſo bemerkbar, wie die Empfindung des
erſtern. Der trübe Augenblick, in dem wir ſchreiben, überzieht
auch das Andenken an frohe Stunden mit einem ſchwarzen Flor,
auferdem, daß er das Traurige noch hervorhebt, ftärkere Farben
aufträgt, und zu viel Schatten ins Gemälde bringt. — Oft
mifcht ſich auch eine kleine — heimliche, dem Angeftedten felbft
unbemerkte Eitelkeit ins Spiel, — die uns aus dem hinterſten
Winkel des Herzens überredet, — es erwecke mehr, Intereffe,
die Theilnahme fey größer, wenn man ung leiden, als’ wenn
man uns fröhlich fieht, wir erfcheinen etwas größer im Schmerz
als in der Freude u. ff. Noch eine Bemerkung war mir fehe
a8 VII. Yuffäge vermifchten Inhalts.
auffallend; — wenn 2effing’s Geliebte von ihrer üblen Laune,
ihrer verdrüßlichen Lage u. dgl. fchreibt, — und er gerade guten
Humors ift, fo kommt er mit Lebensregeln angezogen, mit Vor—
fhriften aus der arte bene vivendi, — als ob er die vers
gnügte Laune, in die ihn die Umftände verfegten, (vielleicht ein
ſchöner Tag, verbunden mit dem Gefühl der Gefundheit), —
ſich felber, der Befolgung feiner weifen Maximen allein zu dan
ten hätte. — Hierin betrügt fih das liebe eitle Herzchen oft.
— Durch Fröhlichteit wird Zufriedenheit mit ſich felbft über
fein Thun und Laffen, über das Gelingen kluger Plane, über
feine äußeren Umftände befördert; — man glaubt aber, es fey
immer der Fall umgekehrt, nur wenn wir mit unferm Ges
wiffen, mit unferer Klugheit zufrieden zu ſeyn Urfadhe zu haben
vermeinen, fo foll die Folge davon Heiterkeit des Gemüths,
und wahres Vergnügen ſeyn; — wie gefagt, meift ift es um—
gekehrt; — Gefühl der Gefundheit — ſchönes Wetter — Freir
beit vom gegenwärtigen Sorgen — eine Ausſicht auf ein fröße
liches Mahl, fest uns in einen Zuſtand von Frohheit, und dies
fer, täufcht uns gar zu gern; nur Unglüd erwedt die Stacheln
des Gewiffens, häuft das Andenken aller zu bereuenden Un—
befonnenheiten zufammen und läßt es ſelten dabei bewenden,
die Seele-mit dem Gefühl der traurigen Lage, der Schmerzen
uf. f. erfüllt zu haben, fondern ruft auch Unzufriedenheit mit
ſich ſelbſt, Selbftanklage zu Hülfe, um der Seele vollends den
Muth zu rauben, der fiandhaft, ftolz auf feine Unfhuld, dem
Schmerze trost. — Aber bier hebft du allen Unterfchied zwi—
ſchen guten und böfen Vienfhen auf? Nur bei den letztern
mag, dein hier entworfenes Gemälde paſſen. Nein, aber der
Unterſchied ift hier nicht fpezififh, — fondern nur den Graden
nad. Wo finden wir den Menſchen, — der das Bewußtſeyn
bat, immer mit der beiten Abſicht, — immer nad der ewigen
Regel des Rechts, umd zugleid; immer mit der größten Klugheit
gehandelt zu haben, umd der ſich in Anfehung diefer Punkte
3, Ueber Leſſing's Briefwechfel mit feiner Frau. - 409
nichts vorzuwerfen hat. Der Unmuth ruft oft längft abgethane
Sadıen zurüd, — und fo fehr wir oft fireben, dergleichen Bil-
der ſchnell wegzuhauchen, fo bleibt dod das nachfolgende
Gefühl, das fid) mit dem vorhandenen Unmuth vermifcht, zu—
rüd. — Doch zurüd zu kommen auf Leffing’s Moralien, fo
finden wir oft glei im nächſten Briefe, — durch Umftände die
Mirkfamkeit derfelben ganz aufgehoben, und den auffallendften
Beweis, wie wenig Marimen über den Eindrud, der fih auf,
Bergnügen und Unluft bezieht, vermögen. —
Der Ton der Briefe ift gegenfeitige Theilnahme, Mitthei-
lung feiner Angelegenheiten und Geſchäfte, feines Kummers und
feiner Freude, — und Antheil daran auf der andern Seite. —
Der Ausdrud ift ungefünftelt und bleibt bei dem Allgemeinen
fichen, — er zergliedert die Empfindung nicht; fie giebt den
Totaleindrud an, — gerade wie wir es bei den Griechen fehen,
wo eine Tragödie fein Kompendium der empirischen Pſychologie
in nuce ift, wie oft heutzutage; — dieß iſt Natur, — dieſe geht
auf Genuß und Empfindung — Die frühen Umftände der
Jugend und der Erziehung hemmen: den Eindrud der Natur in
ung, — wir werden zu viel daran gewöhnt, daß die Seele fi
mit fich ſelbſt beſchäftige, — die äußern Gegenflände zu viel
nad Begriffen beurtheile, nicht nad den Empfindungen der
Schönheit; — das Herz wird verfchloffen und nur der kalte,
berechnende Verftand bleibt übrig, — der am Ende bloß an den
Mitteln tleben bleibt, und des Zweds nie gedentt. — Ein
fehneidender Unterfchied unferer Sitten und unfers Charakters
von dem griechifchen ift wohl dadurch abgezeihnet, daß der
Dichter, der zum Genuß des Lebens durd Erinnerung an den
Tod aufriefe: „Menſch, genieße dein Leben!“ u. ſ. f., bei uns
ſehr abgefhmadt erfcheinen würde, — Wie würde ich heute
das Leben genichen können, wenn morgen der Tod mid ab»
riefe!
Nur der Grieche konnte fo genießen, fih für ein jedes
410 VII. Aufſaͤße verm. Inhalte. Leſſing's Briefwechfel mit feiner Frau.
Wefen, das Leben und Empfindung äufert, intereffiren; —
überall entdeckte der reine Geift der Griechen ein ungefünfteltes
Berhältnif, woran das Herz Theil nahm; er zeigt fid) von die—
fer Seite am edelften in ihren Sinngedichten, er ſcheint ſich zu
dem unfrigen zw verhalten, wie ein Sinabe, der an cine Rofe
riecht, zu dem Apotheker, der Rofenwaffer daraus macht. Keu—
ſche Reinheit und Lieblihe Schamhaſtigkeit ſcheint überhaupt
ein Eigentum des griehifgen Genius gewefen zu ſeyn.
4. Weber Wallenfteim,
Da unmittelbare Eindruck nah der Leſung MWallenftein’s ift
trauriges Berftummen über den Fall eines mächtigen Menſchen,
unter einem ſchweigenden und tauben Schidfal. Wenn das
Stüd endigt, fo ift Alles aus, das Reich des Nichts, des To—
des hat den Sieg behalten; es endigt nicht als eine Theodicee,
Das Stück enthält zweierlei Schidfale Wallenftein’s; —
das eine, das Schidfal des Beftimmtwerdens eines Entfchluffes,
das zweite, das Schickſal diefes Entſchluſſes und der Gegenwirs
tung auf ihn. Jedes kann für fid als ein tragifches Ganzes
angefehen werden. Das erſte, — Wallenftein, ein großer Menſch,
— denn er hat als er felbft, als Individuum, über viele Men-
ſchen geboten, — tritt auf als diefes gebietende Wefen, geheims
nifvoll, weil. er fein Geheimnif hat, im Glanz und Genuf die-
fer Herrſchaft. Die Beftimmtheit theilt fh gegen feine Unbe—
flimmtheit nothwendig in zwei Zweige, der eine in ihm, der andere
aufer ihm; der in ihm ift nicht fowohl ein Ringen nach derfelben, als
ein Gähren derfelben; er befigt perfünliche Größe, Ruhm als Feld⸗
herr, als Retter eines Kaiferthums durch Individualität, Herrſchaft
über Viele, die ihm gehorchen, Furcht bei Freunden und Feinden ; er
ift felbft über die Beftimintheit erhaben, dem von ihm gerette—
ten Kaifer oder gar dem Fanatismus anzugehüren; welde Be—
ftimmtheit wird ihn erfüllen? er bereitet fi) die Mittel zu dem
412 VII. Auffäse vermifchten Inhalts.
größten Zwede feiner Zeit, dem, für das allgemeine Deutfchland
Frieden zu gebieten; ebenfo dazu, ſich felbft ein Königreich, und
feinen Freunden verhältnifmäßige Belohnung zu verfchaffen; —
aber feine erhabene, ſich felbft genügende, mit den größten Zwe—
den fpielende und darum charakterlofe Seele kann keinen Zweck
ergreifen, fie ſucht ein Höheres, von dem fie geflogen werde;
der unabhängige Menſch, der doc) lebendig und kein Mönch
ift, will die Schuld der Beflimmtheit von fih abwälzen, und
wenn nichts für ihm ift, das ihm gebieten kann, — es darf
nichts für ihn ſeyn — fo erfhafft er fih, was ihm gebiete;
Wallenftein fucht feinen Entſchluß, fein Handeln und fein Schid-
fal in den Sternen; (Mar Piccolomini fpricht davon nur wie
ein BVerliebter)., Eben die Einfeitigkeit des Unbeſtimmtſeyns
mitten unter lauter Beftimmtheiten, der Unabhängigkeit unter lau⸗
ter Abhängigkeiten, bringt ihn in Beziehung mit taufend Be
fimmtheiten, feine Freunde bilden diefe zu Zwecken aus, die zu
den feinigen werden, feine Feinde ebenſo, gegen die fie aber
kämpfen müffen;;und diefe Beftimmtheit, die fi in dem gäh—
renden Stoff, — denn es find Menſchen — felbft gebildet hat,
ergreift ihn, da er damit zufammen — und alfo davon abhängt,
mehr, als daß er fie machte, Diefes Erliegen der Unbeſtimmtheit
unter die Beſtimmtheit ift ein höchſt tragiſches Weſen, und groß,
tonfequent dargeflellt; — die Reflerion wird darin das Genie nicht
rechtfertigen, fondern aufzeigen. Der Eindrud von dieſem Inhalt
als einem tragifchen Ganzen, fteht mir fehr lebhaft vor. Wenn
dief Ganze ein Roman wäre, jo Fönnte man fordern, das Be—
flimmte erklärt zu fehen, — nämlich dasjenige, was Wallens
ftein zu diefer Herrfhaft über die Menſchen gebradt hat. Das
Große, Beftimmungslofe, für fie Kühne, fefelt fie; es ift aber
im Stück, und konnte nicht handelnd dramatifch, d. b. beſtim⸗
mend und zugleich beftimmt auftreten; es tritt nur, als Schat⸗
tenbild, wie es im Prolog, vielleicht in anderm Sinne, heift,
4, Ueber Wallenftein. 413
auf; aber das Lager ift diefes Herrſchen, als ein Gewordenes,
als ein Produft. ;
Das Ende diefer Tragödie wäre demnach das Ergreifen
des Entſchluſſes; die andere Tragödie das Zerfchellen diefes
Entfhluffes an feinem Entgegengefegten; und fo groß die erſte
ift, fo wenig ift mir die zweite Tragödie befriedigend. Leben
gegen Leben; aber es ſteht nur Tod gegen Leben auf, und un=
glaublih! abfheulih! der Tod fiegt über das Leben! Die
ift nicht tragiſch, fondern entfeglih! Dieß zerreift das Ge⸗
müth, daraus kann man nicht mit erleichterter Bruſt fpringen!
5, Ueber die Behehrten.
(Antikritiſches.)
(Berliner Schnellpoſt ac. 1826. Mr, 8, 9, Beiwagen zur berliner Schnellpoſt Nr.4.)
Vom 11. Januar 1826,
Nach der geftern erfolgten zweiten Aufführung des neuen raus
pach ſchen Stüds: „Die Bekehrten,“ erlauben Sie mir, einige
antitritifche Bemerkungen über die Kritif, die Sie im dritten
Stüde der Schnellpoft davon gegeben, zu überfenden; indem ic
es Ihrem Urtheil überlaffe, ob Sie diefelben, die nicht auf Hu
mor und Wis geftellt find, in Ihr von beiden ——
Blatt aufnehmen mögen.
Die erſte Bemerkung betrifft gleich die Beziehung Ihrer
Kritik auf die geſtrige Aufführung. Bei der erſten war das Hans,
wie Sie gefehen haben werden, nicht voll; die beiden Reihen
Logen waren fo gut wie ganz leer! — ic flimmte von Ser:
zen in die Deklamationen eines unferer Bekannten ein, der ſich
darüber ereiferte, nicht lebhaftere Neugierde auf ein neues Stüd
eines Autors zu finden, der die Bühne ſchon mit mehreren be—
liebten Produkten bereihert hat; jener Bekannte hatte, wie er
fagte, bei feinem fpäten Hingang zum Schaufpielhaufe, eine
Queue vor den Thüren zu finden gehofft, der entweder bereits
die Hände aus äuferlicher Kälte in die innere Wärme voraus
Elatfchte, oder aud die Erfüllung deffen was gefchrieben ſteht,
ahnen ließe: fiche, die Füße Derer, die did) hinauspochen wer-
den, fichen fon vor der Thüre. Keins von beiden, — bie
VII. Auffäge vermifchten Inhalte. 5. Ueber die Befehrten. 415
Gleihhgültigkeit ift immer das Schlimmſte, Nun fand weiter
zu hoffen, eine Anzeige in Ihrem Blatte werde auf das Stüd,
wenigftens auf das Intereffe aufmerkfam machen, welches von
dem ıPublitum für ein neues Stüd zu erwarten ſey. Solche
Lauigkeit aber, wie ſich für die zweite Aufführung, fo fehr als für
die erfte, frifhefte, zeigte, kann weder für Schaufpielee nod für
Berfaffer aufmunternd feyn. Wenn die Zuſchauerſchaft, die ſich
zufälliger Weiſe an einem Abende einfindet, von der Art zu
ſeyn pflegt, nur à la fortune du pot gefommen zu ſeyn, bloß
um die Langeweile etwas beffer als zu Haufe zu vertreiben, fo
weiß, auch nad beflandener erfler und zweiter Aufführung vor
der trägen Maffe, weder Dichter noch Schaufpieler, noch felbft
Intendanz, recht, wie fie mit dem Stüd und dem Spiel bei dem
Publitum daran find,
Der Schnellpoſt-Artikel über: „Die Betehrten“ war
nicht von der Net, die Lauigkeit und Trägheit zur Theilnahme
und Bezeigung einer Theilnahme, zu bekehren. Er läßt dem
Spiele der ſämmtlichen Schaufpieler zwar die gebührende
Gerechtigkeit widerfahren, daß daffelbe befriedigend nicht mur,
vortrefflich, ja, ausgezeichnet gewefen. Diefe Harmonie des Ge—⸗
nuffes ift ſchon nichts Alltägliches; welcher Unterfchied entftand
durch folde Art von Harmonie und Disharmonie für die Wir:
kung der legten Aufführungen von Don Juan und Armide!
An die Anerkenneng, welche Sie den Leiftungen der Schaus
fpieler angedeihen laffen, knüpfe ich aber die frage an, ob der
Dichter nicht feiner Seits die Aufgabe in der Hauptſache müffe
erfüllt haben, wenn er Situationen und Charaktere gezeichnet
hat, in denen Künftler, die wir als vorzüglich Fennen, in den
Stand gefegt wurden, ihr Vermögen zu entfalten und geltend
zu machen. Es hilft nichts, wenn ausgezeichnete Schaufpieler
an mittelmäfige Rollen die viele Würze ihres Talents aufbies
ten; in mittelmäßigen Rollen mögen mittelmäßige Talente leicht
fih als gut ausnchmen, ausgezeichnete werden cher nur eine
416 VII, Auffäge vermifchten Inhalte,
mittelmäfige Erſcheinung hervorbringen; fo werde ich in „dem
Prinzen von Pifa“ durh den Widerſpruch deffen gequält,
was Hr. Beſchort und felbft Mad. Stich in ihren Rollen lei—
fien können, und was fie für ſich zu leiften vermögen, Nur
Um aber Ihrer Kritit näher zu fommen, fo macht fie es
fi) vornehmlicd mit der Kabel des Stüds, mit der Hand»
lung, oder vielmehr mit dem Mangel an Handlung, zu thun.
Sie laffen ſich in eine Charakterifirung der allgemeinen Manier
des Hrn. Verfaffers verfallen. Als Hauptzug hebe ich zunächſt
aus, daß derfelbe ſich zu fehr gefallen, mit AUußerwefentlis
dem, mit Zufälligem zw fpielen, — daf feine Luftfpiele
aus einer überfchraubten Gewaltaufgabe eins blinden
Zufalls fliegen. Ich kenne nur wenige der raupach'ſchen Stüde,
will aber deffen ungeachtet fogleich wieder die frage hinzufegen,
und zwar nicht die allgemeinere: follen wir mit dem Zufälligen,
dem Außerwefentlihen mehr als fpielen? fondern die nähere
Frage: ob nicht eben dieß die Natur des Luftfpiels ift, mit dem
Zufälligen, dem Außerweientlihen zu fpielen? Auf diefem Bor
den ohnehin ift es, daß ſich die heiteren Lebensverwirrungen
ergeben, die Sie für das Lufifpiel fordern. Von diefer heitern
Art ift denn auch der eine Theil der Verwirrungen in den „Bes
kehrten,” der andere freilich ift ernfterer Art; würde aber ein
Luſtſpiel ganz des Ernſtes entbehren, fo fänte es in der That
zum Poffenfpiele und noch tiefer hinab, Wenn Sie zwar dies
fes Stück — dod wohl nur nad einer Seite oder in einem
Augenblide der Laune — für ein Poffenfpiel anzufehen gemeigt
feinen, fo halte ich dieß felbft nod immer für ein größeres Kom—
pliment, als wenn, wie wir neulich gefehen, das Publitum das
Luſtſpiel in ein Schaufpiel umtauft, und der Verfaffer felbft
dazu Gevatter flieht. Wäre es um Autoritäten für Nicht-bloß—
Heiteres in den Lufifpielen zu thun, fo würde ich vor allen den
Ariftophanes citiren, im defien meiften, für uns wenigftens far—
cenhaft zugehenden Stüden, zugleich der allerbitterfte Ernſt,
5. Ueber die Befchrten. 47
nämlich fogar der politifhe — und zwar in allem Ernſte,
das Hanptintereffe ausmacht. Ich könnte fortfahren und die
ſhakeſpear'ſchen Luſtſpiele anführen, allein ich finde, daß Sie das
Heitere nicht ſowohl dem Ernſte, als dem Zufälligen und Ges
waltthätigen der Zufälligkeit entgegen fegen, und will daher nur
dieß noch bemerken, daß mir in dem neuen Luftfpiele gerade
darin das richtige Verhältnif getroffen ſcheint, daß die ernfihafz
ten VBerwidlungen, die VBerwidlungen der tieferen, edleren Lei—
denfhaften, der würdigerern Charaktere, aus den komiſchen Ver—⸗
widlungen der untergeordneten Perfonen herkommen.
Es wird auf die nähere Art und Weiſe antommen, wie
das Zufällige hereingelaffen ift, Herrn Raupach's Erdennadt,
Iſidor und Olga und was fonft von ihm früher auf die Bühne
kam, kenne ich nicht; was id) von diefen Stüden gehört, macht
mid) vermuthen, daf Hrn. Raupady’s dramatifches Talent vielleicht
feitdem eine heitere, wahrhaftere Anficht gewonnen, und eine glüd-
lidyere Laufbahn gewählt hat; es ift nicht für billig zu achten,
Borurtheile, die aus jenen erflen Arbeiten gefchöpft ſeyn mögen,
in die Betrachtung anderer Produktionen einzumifchen. So habe
ich in dem neuen Stüde nichts von einer Disharmonie eines
Gemüths in „ſich felbft” finden können, fo wenig als in der
Kritik und Antitritit, und in Alanghu. Warum follte
nicht ein Autor, der Betehrte auf die Bühne bringt, ſich felbft
befehrt haben können, insbefondere, wenn das, was in Früherem
unangenehm war, etwa mehr einer Verſtandesanſicht über einen.
Kreis äußerlicher Verhältniffe, oder einer Theorie der Kunft, als.
dem Talente felbft angehörte. Nur Mangel des Talents ift uns
verbefferlich, aber aud ein ſolches, das Erfreuliches zu leiften im
Stande wäre, wird von einer fhiefen, verderblihen Richtung
ſchwer abzubringen ſeyn, wenn es in ſelbſtgemachte Sublimitäs -
ten einer Kunft» Theorie feftgerannt if, und füch jene durch diefe
rechtfertigt. — Alanghu, das zwei Tage nad den Bekehr—
ten gegeben wurde, zu fehen, hatte mir das legtere Stüd Luft
Vermiſchte Schriften, * 27
418 VIII. Auffäge vermifchten Inhalte.
gemacht. Wie ic in Ihrem Artikel las, daf Hr. Raupach ſich
gefalle, mit dem Außerweſentlichen, Zufälligen zu fpielen, fo fiel
mie dabei mehr noch Alanghu als die Bekehrten ein; und ich
will mich zunächft über den einen Sinn erklären, in dem ich wohl
damit übereinftimme, dag Hr. Raupad es mit dem Zufälligen
nicht genau genommen habe. In Alanghu wird die Verwicklung
durd die Eiferfucht eines der Chefs in der Horde, und deren Wer:
bündung mit dem Fanatismus und Hochmuth des Lama, bie
Entwidlung durch den Gott aus. der. Feuerwerter-Mafchinerie,
der den Priefter todtbligt, bewirkt, wie jene in den Bekehrten
durch. die Gefpenftererfcheinung, die bier jedod nur als Poſſe
gebraucht wird, eingeleitet iſt. Dergleichen Motive gehören freis
lich zu den ganz abgedroſchenen Theatercoups, und es liegt nahe,
an den Dichter die Forderung zu machen, daf er uns mit et-
was dur die Neuheit Pitantem von Zufälligkeit überraſcht hätte,
In der That aber ift in die Erfindung der Begebenheiten
kein ‘befonders großes Verdienſt zu fegen; fie find nur Der äus
ferlihe Rahmen für die Karaktere, für die Leidenfchaften und
deren Situationen, für den eigentlichen Stoff der Kunſt. Die
Fabeln, die Sophokles in der Antigone, Elektra u. f. f. behandelt
bat, waren doch auch wohl fehr abgedrofchene Geſchichten, wie die
Geſchichten, die Shakespeare bearbeitete, aus Chroniken, Novellen,
der bekannten Hiſtorie u. f. f. genommen, und wenigſtens nicht
feine Erfindung find. Es ift um das vornehmlich zu thun, was der
Dichter in ſolchen Rahmen eingefchloffen hat. In Alanghu Hat
Hr. Raupach zu dem vielleicht nadläffig und bequem aufges
nommenen Beiwefen einen etwa auch nicht weit bergeholten
Mittelgrund einer tartarifchen Horde hinzugefügt, der es aber
fogleih aud äuferlih nocd natürlicher und möglicher machte,
jene breite, weinerliche Empfindfamkeit, jene weinerliche, matte
und. oft ſchlechte Moralität, oder die Frampfhafte Leidenfhaft-
lichkeit einer beſchränkten oder verkehrten armen Seele, — an
denen wir fo lange gelitten und unfere Thränen erfhöpft ha—
5, Ueber die Befehrten, 419
ben, — zu verbannen, und dagegen das uns längſt verleibete
Bild eines Naturkindes wieder in fein theatraliſches Recht
einzufegen, Wir Fönnen ung mit der Unbedeutenheit, vielleicht
felbft Trivialität des Rahmens ausföhnen, weil er als die äu—
ferliche Bedingung erfcheint, die Hauptfigur einzuführen; —
ein Bild von Iebens- und feelenvoller Natürlichkeit, das durch
diefe Zeichnung die Schaufpielerin in den Stand fegt, alle Sei⸗
ten ihres Talents, Gemüths und Geiftes zu entfalten, und uns
das anziehende Gemälde feuriger, unrubiger, thätiger Leidenſchaft⸗
lichkeit mit naiver, liebenswürdiger Jugendlichkeit, der lebhafte—
ften, entfehloffenften Energie mit empfindungsvoller, geiftreicher
Sanftmuth und Anmuth verfchmolzen, vor-die Seele zu bringen.
Eine folde Hauptfigur drüdt die Umgebung, wenn fie auch mit
mehr Bemühung erfunden wird, fehr —* zu außerweſentlichen
Zufälligkeiten herab.
Doch bei Gelegenheit der Bekehrten ſprachen Sie nicht ſo—
wohl von zufälligen Zufälligkeiten, als von gezwungener, von über—
fhraubter Gewaltaufgabe, die vermittelft eines gemachten Zufalls
gemacht wird, Wenn, wie es fcheint, das Verhältniß von zwei juns
gen Liebenden, deren Temperament durch ihre natürliche, aber noch
unbefonnene, oder ungezogene Lebhaftigkeit in Heftigkeit gegen ein⸗
ander verfällt und fie bis zur Feindſchaft entzweit, nicht in je—
nen Ihren Tadel eingefchloffen ift, fo trifft derfelbe dagegen ganz
den alten Grafen, der, um dem Neffen die Geliebte zu erhalten,
ſich felbft mit ihe trauen, dann vom Papſt fcheiden laffen, fei-
nen Tod und Begräbniß gefpielt hat, und nun im der Expoft-
tion des Stüds als Eremit auftritt. Ob ſolche Großmuth für
ſich allzw abentheuerlidh, ob fie für eim Luftfpiel zw abentheuers
lich fey, darüber Liege fih wohl hin und her reden, aber ich
würde nicht abfehen, wie man es darüber zu einer entfcheidenden
Anficht bringen könnte. Doc ift hierbei daran zu erinnern, daß
die Vorausſetzung, welche jedeg Drama hat, auf Handluns
gen und Begebenheiten beruht, die der Eröffnung defielben im
27%
420 VIII. Auffäge vermifchten Inhalte.
Rüden liegen; mehr oder weniger Wahrfcheinlichkeit, Die ohne⸗
bin ein ſehr relatives Ding iſt, in dem was bereits hinter ung
iſt, kann uns eben nicht viel kümmern; was ung wefentlich ans
geht, ift die dadurch herbeigeführte Situation für ſich; fie iſt
das Gegenwärtige, das intereffant und im Lufifpiele pikant
ſeyn fol. Wir find es ohnehin längft gewohnt, auch felbft
für die Tragödie in Anſehung der Borausfegungen uns
Bieles gefallen zw laffen. Ich führe das nächſte Beifpiel an,
an das ih durch häufige Erklärungen eines Bekannten da—
gegen, erinnert werde; bei Lear iſt die. Vorausfegung die Abs
tretung feines Reichs, und daß er das ſchlechte Herz (man kann
es nicht einmal ſchlechte Gefinnung nennen) feiner beiden ältern
Zöchter, und die baaren Niederträchtigkeiten feiner beiden Herren
» Eidame gar nicht in feiner Empfindung gehabt, gar nicht ges
kannt habe; — immer’ für fih eine ſtarke Zumuthung, folde
Borausfegung zuläffig zu finden, wenn man fie auch nur als
die äuferliche Bedingung für das Schaufpiel des fich von da
aus entwidelnden, wahnfinnigen Kummers betradhten will,
Es verſteht ſich aber von felbft, daf der Dichter diefe Gleich⸗
heit nad Weiblichkeit und Männlichkeit zu nuancirem hatte,
eben fo, daf die Frau dabei nur gewinnen konnte; darum mag
aud bier nur diefe Modifitation näher erwähnt werden, die der
Dichter mit: einer Zartheit behandelt hat, welche, anvertraut der
Künftlerin, die wir als Julia des Romeo kennen, ihre volle
Wirkung thun mußte. In Torquato darf es nicht ſchwer halten,
die alte Empfindung und die Hoffnung wieder zu erweden; im
Klotilde gefchieht diefer Uebergang durch eine ſchöne Stufenfolge,
deren Reize um fo anziehender find, je mehr fie zugleich innere
Wahrheit hat. Die Stimmung der erften Situation exponirt
fi in dem nod) unbelebteren aber ruhigen und edlen Sinn ei-
ner fchmerzlofen, nicht empfindfamen, kläglichen Trauer ei-
ner empfindungslos gewordenen, doc intereffant gebliebenen Er—
‚ Ännerung. Diefe Ruhe wird geftört in dem Wiederfehen Klo—
5. Ueber die Bekehrten. 421
tildens mit Torquatoz; der erfle Moment darin erinnerte ung
an Julia, mit dem Unterſchiede freilich, dag Julia, indem bei
ihr in der Unwiſſenheit der Liebe, Klotilde aber, indem hier nur
in deren Schlaf und äuferliher Erinnerung diefe Empfindung, dort
als nie vormals gefühlt, hier wiedererwachend eintritt, von der
gleichen reizenden Berlegenheit übergoffen wird. Klotilden’s Ver⸗
legenheit, — eine Schücdhternheit gegen ſich felbft fo fehr als
gegen Torquato, — wird darum eine reichere Scene; Stellung
und Arme bleiben, das Yuge, das man fonft in fo lebhafter
Bewegung zu fehen gewohnt if, wagt es zuerft nicht aufjufehen,
feine Stummheit unterbricht hie und da ein nicht zum Seufzen
werdendes Heben der Bruft, es wagt einige verftohlene Blide,
die denen Torquato’s zu begegnen fürdhten, es drängt ſich aber
auf ihn, wenn die feinigen fi anderwärts hinwenden. Der .
Dichter ifi für glüdlich zu achten, deffen Konception von einer
Künftlerin ausgeführt wird, die es für die Erzählung des
Inhalts, der durch die Sprache ausgedrüdt ift, überflüfftg macht,
mehr als die Züge der ſeelenvollen Beredfamkeit ihrer Geberde
anzugeben. Der Garten- Scene, in welder das Entfalten der
aufblühenden Empfindung und die welke Erinnerung derfelben,
vermittelft der Erinnerung felbft, zur belebten Gegenwart ers
frifcht wird, weitläufiger zu erwähnen, bin ic) —— da Sie
deren Vortrefflichkeit anerkannt haben.
Aber der Scenen der Entzweiung iſt noch zu gedenken die
auf die Unterbrechung der Garten-Scene durch das noch unver—
fängliche Mittel des Huſtens und dann durch die darauf ges
bauten Lügen erfolgt. Die Entzweiung fleigert ſich zu bitterem
Zorne, felbfi bis zur Heftigkeit des Hohnes. Je vortrefflicher
ſich diefe Scenen in der Darftellung machen, defto mehr können
fie die Empfindung von Gewaltfamkeit erregen, fowohl in Rück—
fit auf das frühere Lob der erworbenen Mildigkeit, das jeder
ſich ſelbſt und dem Anderen darüber ertheilt hat, als in Rüd-
fit auf die Befeiedigung, welche die zu erwartende Wiedervers
422 VI. Yuffäge vermifchten Inhalte.
föhnung gewähren fol. Für den Glauben jedoch an die Mög—
lichkeit einer gründlichen Ausſöhnung find wir an den ganzen
Zon des italienischen Kreifes gewiefen, in dem die Handlung
fpielt, der „gleich entfernt von der in der That gewaltfamen und
gewaltthätigen Spisfindigteit fpanifcher Delitateffe und Ehre,
als von der moraliſchen Empfindfamteit gehalten ift, welche den
vergänglien Zorn nicht als eine akute Krankheit kennt, fondern
in welcher der Umwille ſich in eine chroniſche Krankheit, in ums
endliche Gekränktheit und Verachtung eines unperfühnbaren
Hochmuths verwandelt: Am profitabelften ließe fih der Tadel
eines Widerſpruchs zwiſchen der Heftigkeit diefer Scenen und
der fonfligen Empfindung und Stimmung, damit abweifen,
daß diefer Widerfprud der Triumph der Kunft, daß er die
Sronie fey, denn bekanntlich wird diefe für den Gipfel der
Kunft erklärt. Sie fol darin beftehen, daß alles, was fid
als ſchön, edel, intereffant anläft, hintennach ſich zerftöre und
auf’s Gegentheil ausgehe, der echte Genuß in der Entdedung
gefunden werde, daß an den Zweden, Interefien, Karakteren
nichts fey. Der gefunde Sinn hat folde Berkehrungen fonft
nur für ungehörige und unerfreulihe Täuſchung, folche Interefz
fen und Karaktere, die nicht durchgeführt werden, für Halbz
heiten genommen, und dergleihen Haltungslofigteit dem Un—⸗
vermögen des Dichters zugefchrieben. Wenn nun zwar die Ver—
feinerung der Gedanken dahin getommen, jene Halbheit für
mehr, fogar als ein Ganzes zu erklären, fo ift das Publitum
jedoch noch nicht dahin gebracht, an Geburten folder Theorie
Intereffe und Gefallen zu finden. In unferem Stüde werden
die Hauptperfonen zwar befehrt, doch find fie, Gottlob! nit
ironifch; es giebt fich, wie in den beiden früher genannten raus
pach ſchen Stüden, ein gefunder Sinn und gefunder Geift zu
erkennen, der nicht zur Krankheit jener Theorie verfublimirt ift,
An Ironie fehlt es auch übrigens hier nicht, fie ift aber an ih—
ren rechten Plas, in das Kammermädden und den Narren,
5, Ueber die Befehrten. 423
verlegt. Die völlige Inkonfequenz und daß fie nur in dem
Wunſche einen Mann zu befommen, Haltung hat, nur durd das
Gefpenft eine weitere befommt, fo wie, daß Burchiello feinen
Widerwillen gegen eine Heirath am Ende hinunterſchlucken muf,
ifl, wenn es einmal Ironie ſeyn foll, Ironiſches genug, wenig«
ftens ift es Luſtiges.
Luſtig bleibt auch der Mißton jener Scenen; aber überdieß
bleibt er innerhalb der Möglichkeit, daß nicht bloß ein äuferli-
ches Ende des Luftfpiels, fondern daß bei dem Naturell der Haupt⸗
perfonen eine gründliche Auflöfung der Verwidlung zu Stande
komme. Der alte Graf nennt fie am Ende der Kataſtrophe noch
Kinder, wie fie früher waren, und er felbft ficht mit ihnen und
den Uebrigen in dem Kreife einer wohlwollenden und finnigen
Natürlichkeit, welche durch Leidenſchaftlichkeit wohl,getrübt wer=
den kann, eine Trübung aber, die noch frei von moralifcher
Reflerion, nit den imnern Kern angreift und ſich nicht zur
Zerriffenheit fleigert. Wielleiht hätte es in der Erpofition ge=
ſchehen können, daß diefe Grundlage von Heiterkeit auch an den
Hauptfiguren ſich fichtbarer hervorhöbe. Shakespeare bewirkt
dieß öfters durd das Verhältniß und Konverfationen der Haupt
perfonen mit dem Narren oder Kammerkätzchen, freilich nicht
immer auf eine Weife, die für fein oder felbft nur für anſtän—
dig gelten fünnte. Die Empfindlichkeit Klotilden’s, die dem
Kammermädcen einmal mit dem Fortſchicken droht, ift vielleicht
ein Zug, der für jenen Kreis etwas Fremdartiges hat. Dem
Narren Burdiello ift am meiften oder allein das Reflektiren
und die allgemeinen und ernfthaften Gedanken zugetheilt, und dief
nad Standesgebühr, denn das Stück foll Luftfpiel feyn und ift
Luftfpiel, Die Ausführung des „Unlogitalifhen” in dem Vor—
geben des Grafen von feinem Tode, in einer der erften Scenen,
in denen Burdiello auftritt, ift vielleicht etwas zw troden ges
rathen; fonft fehlt es nicht an wigigen Einfällen, und die Rolle,
wie das ergögliche Spiel, ift in dem zierlihen Style eines Gras
494 VII. Auffäge vermiſchten Inhalts. 5. Ueber die Bekehrten.
ziofo gehalten. Der Lebenstreis wie der Ton der Karaktere, er⸗
innert überhaupt an die heitere, finnige, edlere Sphäre, in denen
ſich die komiſche Muſe Ealderon’s und zuweilen auch Shakespeares
bewegt. |
Unter den vielen Formen von Drama, in denen unfere dra-
matifhen Autoren ſich herumverfuchen, ift diejenige, die Hr. Rau⸗
pad in diefem Stüde gewählt hat, gewiß vorzüglid werth, an-
gebaut zu werden. Es find der Stüde von finniger Heiterkeit,
die auf unferem Boden wachfen, eben nicht ſehr viele; unſere
Bühnen pflegen fih dafür an die Bühnen unferer erfindungs-
reihen Nachbarn zu wenden. Herr Raupad verdient daher um
fo mehr auf dem erfreulihen Wege, den er hier eingefchlagen,
alle mögliche Aufmunterung vom Publikum Diefe legtere Rück⸗
ſicht muß auch die Entfhuldigung enthalten für die Weitläufig-:
keit, im welde diefe Bemerkungen ausgelaufen find; die Ent⸗
fhuldigung aber gleichfalls weitläufig zu machen, würde übers
flüffig fehn, indem, wenn ich fie zu lefen befommen werde, id
damit Ihre Verzeihung leſe. z
6. Urber vie englifche Heform- Bill,
- (Allgemeine preußifche Staatszeitung, 1831, Mr. 115—118.)
Die dem englifchen Parlamente gegenwärtig vorliegende Re—
form= Bill beabfihtigt zunächſt, in die Vertheilung des Antheils,
welchen die verfchiedenen Klaffen und Fraktionen des Volks an
der Erwählung der Parlaments= Glieder haben, Gerechtigkeit und
Billigkeit dadurch zu bringen, daf an die Stelle der gegenwärs
tigen Unregelmäßigkeit und, Ungleichheit, die darin herrſcht, eine
größere Symmetrie gefegt werde. Es find Zahlen, Zotalitäten,
Privat Intereffen, welche anders geftellt werden follen; aber es
find zugleich in der That die edlen Eingeweide, die vitalen Prin-
eipien der WVerfaffung und des Zuftandes Großbritanniens, in
welche jene Veränderung eindringt. Von diefer Seite verdient
die vorliegende Bill befondere Aufmerkſamkeit, und dieſe höhe—
ren Gefihtspuntte, die in den bisherigen Debatten des Parla—⸗
ments zur Sprade gekommen find, hier zufammen zu flellen,
fol der Gegenftand diefes Auffages feyn. Daf die Bill im Un-
terhauſe einen fo vielftimmigen Widerſpruch gefunden und die
zweite Zefung nur durch den Zufall Einer Stimme -durchge-
gangen if, kann nicht verwundern, da es gerade die aud im
Unterhaufe mächtigen Intereffen der Ariftofratie find, welche ans
gegriffen und reformiert werden follen. Wenn alle diejenigen,
die Theils perſönlich, Theils aber deren Kommittenten, an bis-
heriger Bevorrehtung und Gewicht verlieren follen, ſich der Bill
— —
— Du |
%
362 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
terials ausmachen, das fie verarbeitet. Eben diefe Bekannt⸗
fhaft und Gewohnheit aber, mit förmlichen Gedan—⸗
ten umzugehen, wäre dasjenige, was als die direftere Wor-
bereitung für das Univerfitäts- Studium der Philofophie anzu»
fehen ſeyn würde. —
In Betreff des beſtimmteren Kreiſes der Kenntniſſe, auf
den der Gymnaſial-Unterricht in dieſer Rückſicht zu beſchränken
wäre, möchte ich zunächſt ausdrücklich die Geſchichte der Phi—
loſophie ausſchließen, ob fie ſich gleich häufig zunächſt als
paſſend dafür darbietet. Ohne die fpetulative Idee aber vor= .
auszufegen, wird fie wohl nichts Anderes als nur eine Erzählung
zufälliger, müfiger Meinungen, und führt leiht dahin, — (zus
weilen möchte man eine folhe Wirkung als Zweck derfelben.
und ihrer Empfehlung anfehen), — eine nachtheilige, verädht-
lihe Meinung von der Philofophie, ingbefondere auch die Vor—
ſtellung bervorzubringen, daß mit diefer Miffenfhaft Alles nur
vergebliche Mühe gewefen, und es für die fludirende Jugend
noch mehr vergeblihe Mühe feyn würde, fi mit ihr abzugeben,
Dagegen würde id) unter den, in den fraglichen Worbereis
tungsunterricht aufzunchmenden Kenntniffen
1. die fogenannte empirifhe Pſychologie anführen, Die
Borfiellungen von den Empfindungen der äufern Sinne, von
der Einbildungstraft, Gedächtniß und von den weitern Seelen⸗
vermögen, find zwar für ſich ſchon etwas fo Geläufiges, daß ein
hierauf ſich befhräntender Vortrag leicht trivial und pedantifch
feyn würde. Eines Theils würde aber dergleihen um fo eher
von der Univerfität entfernt, wenn es ſchon auf den Gymnaſien
vorgefommen, andern Theils liche es fih auf eine Einleitung
in die Logik befchränfen, wo doc in jedem Falle eine Erwäh-
nung von den Geiftesfähigkeiten anderer Art, als das Denten
als foldhes iſt, vorausgefhidt werden müßte, Won den äufern
. Sinnen, den Bildern umd Vorftellungen, dann von der Verbin
dung, fogenannten Affociation derfelben, dann weiter von der
6, Ueber die englifche Reform s Bill. 427
dem einfachſten Menſchenverſtand einleuchtet. Einer der bedeus _
tendfien Gegner der Bill, Robert Peel, giebt zu, daß es leicht
ſeyn möge, ſich über die Anomalicen und Abfurdität der eng⸗
lifchen Berfaffung auszulaffen, und die Widerfinnigkeiten find
in allen ihren Einzelnheiten in den Parlaments» Verhandlungen
und in den öffentlichen Blättern ausführlid dargelegt worden.
Es kann daher hier genügen, an die Hauptpuntte zu erinnern,
dag nämlich Städte von geringer Bevölterung, oder auch deren
— und zwar fich felbft ergänzende — Magiftrate, mit Ausſchluß
der Bürger, fogar auf zwei bis drei Einwohner (— und zwar
Pächter): herabgefommene Flecken das Recht behalten haben,
Sise im Parlamente zu vergeben, während viele in fpäteren Zei⸗
ten emporgefommene blühende Städte von hunderttaufend und
mehr Bewohnern von dem Rechte folder Ernennung ausgeſchloſſen
find, wobei zwifchen diefen Ertremen noch die größte Mannig—
faltigkeit fonfliger Ungleichheit vorhanden if. Als eine nächſte
Folge hat fi) ergeben, daß die Befegung einer großen Anzahl
von Parlaments- Stellen fih in den Händen einer geringen
Zahl von Individuen befindet, (wie bereihnet worden, die Mas
jorität des Hanfes in den Händen von 150 Vornehmen), daß
ferner eine noch bedeutendere Anzahl von Sitzen käuflich, zum
Theil ein anerkannter Handelsgegenftand ift, fo daß der Befis
einer folden Stelle durch Beftehung, fürmlihe Bezahlung einer
gewiffen Summe an ‚die Stimmberechtigten, erworben wird, oder
überhaupt in vielfachen andern Modifitationen fih auf *
Geldverhältniß reducirt.
Es wird ſchwerlich —— ein ähnliches — von
politiſcher Verdorbenheit eines Volkes aufzuweiſen ſeyn. Mon—⸗
tesquieu hat die Tugend, den uneigennützigen Sinn der Pflicht
gegen den Staat, für das Princip der demokratiſchen Verfaffung
erklärt; in dem Englifchen hat das demokratiſche Element ein
bedeutendes Gebiet in der Theilnahme des Volks an der Wahl
der Mitglieder des Unterhaufes, — der Staatsmänner, welchen
428 VII, Auffäge vermifchten Inhalts.
der wichtigfte Theil der über die allgemeinfien Angelegenheiten
befchließenden Macht zukommt. Es ift eine ziemlich überein
fimmende Anfiht der pragmatifhen Geſchichtsſchreiber, daf,
wenn bei einem Volke in die Wahl der Staatsvorficher das
Privat= Intereffe und ein ſchmutziger Geldvortheil ſich überwie-
gend einmifcht, folder Zuftand als der Vorläufer des nothwen-
digen Verluftes feiner politifchen Freiheit, des Untergangs feiner
Verfaſſung und des Staates felbft zu betrachten ſey. Dem Stolze
der engliſchen Freiheit gegenüber dürfen wir Deutſche wohl an-
führen, daß, wenn auch die chemalige deutſche Reichsverfaffung
gleihfalls ein unförmliches Aggregat von 'partitulairen Rechten
gewefen, diefelbe nur das äußere Band der deutfchen Länder
war, und daf das Staatsleben in diefen, in Beziehung auf die
Befegung und die Rechte der Wahl zu den in ihnen beſtan—
denen Landftänden, nicht folde Anomalie, wie die erwähnte,
noch weniger jene alle Volksklaſſen durhdringende Eigenſuch
in fi hatte. Wenn nun neben dem demotratifchen Elemente
das Ariftokratifche in England eine fo höchſt bedeutende Macht
ift, und es den rein ariſtokratiſchen Regierungen, wie WBenedig,
Genua, Bern u. f. f. zum Vorwurfe gemadt worden, daß fie
ihre Sicherheit und Feftigkeit in dem Verſenken des von ihnen
beherrſchten Volks in gemeine Sinnlichkeit und in der Gitten-
verderbniß defielben finden, und wenn es ferner ſelbſt zur Frei⸗
heit gerechnet wird, feine Stimme ganz nad) Gefallen, welches
Motiv aud den Willen beflimme, zu geben; fo ift es als ein
gutes Zeichen von dem Wiedererwachen des moralifchen Sinnes
in dem englifchen Volke anzuerkennen, daß eines der Gefühle,
welche das Bedürfniß einer Reform herbeigeführt, der Widers
wille gegen jene VBerderbtheit if. Man wird cs gleichfalls für
den richtigen Weg anerkennen, daf der Verfuch der Verbefferung
nicht mehr bloß auf moralifhe Mittel der Vorftellungen, Er—
mahnungen, Vereinigung einzelner Individuen, um dem Syſteme
der Korruption nichts zu verdanken und Ihm entgegen zu ar—
6. Ueber die englifche Reform⸗Bill. 429
beiten, geflellt werden foll, fondern auf Die Veränderung der
Inftitutionen; das gewöhnliche Vorurtheil der Trägheit, den als
ten Glauben an die Güte einer Inftituton noch immer feſtzu—
halten, wenn aud) der davon abhängende Zuftand ganz verdors
ben ift, hat auf diefe Weiſe endlich nachgegeben. Eine durch—
geeifendere Reform ift um fo mehr gefordert worden, als die beim
Eintritt jedes neuen Parlaments durch Anklagen wegen vorge=
fallener Beflehung veranlaften Propofitionen zu einer Verbeſ⸗
ferung ohne bedeutenden Erfolg blieben; als felbft der kürzlich
gemachte, ſich fo fehr empfehlende Vorſchlag, das wegen erwie—
fener Beſtechung einem Flecken genommene Wahlrecht auf die
Stadt Birmingham zu übertragen und damit eine billige Ge—
neigtheit felbft nur zu einer höchſt gemäßigten Wbftellung der.
auffallendften Ungleichheit zw bezeigen, durch minifterielle Parla—
ments=Taktit befonders des fonft für freifinniger gepriefenen
Minifters Peel wegmanövrirt worden war, und ein im Beginn
der Situng des gegenwärtigen Parlaments genommener großer
Anlauf ſich darauf reducirt hatte, daß den Kandidaten verboten
worden, Bänder an die ihnen günftig gefinnten Wähler ferner
auszutheilen. Die Antlagen eines zur Wahl berechtigten Orts
wegen Beftehung und die Unterſuchungen und der Prozef dar—
über waren, da die Mitglieder der beiden Häufer, welde die
Richter über ſolches Werbredhen find, im überwiegender Anzahl
in das Syſtem der Korruption verwidelt find, und im AUnter-
haufe die Mehrzahl ihre Site demfelben verdankt, für bloße
Farcen und felbft für ſchaamloſe Proceduren zu offen umd zu
laut erklärt worden, als daß auf ſolchem Wege aud nur eins
zelne Remeduren noch erwartet werden konnten.
Der im Parlament gegen Angriffe auf pofitive Rechte fonft
gewöhnliche Grund, der aus der Weisheit der Vorfahren
hergenommen wird, ift bei diefer Gelegenheit nicht geltend ge—
macht worden; denn mit diefer Weisheit, welche darein zu ſe—
gen ift, daß die Austheilung von Rechten zur Wahl der Par-
430 « VI. Auffäge vermifchten Inhalte.
Iamentsmitglieder nad) der damaligen Bevölkerung oder fonfti
gen Wichtigkeit der Graffhaften, Städte und Burgfleden ber
meffen worden ift, ficht das Verhältniß im zu grellem Widerfir
wie ſich Bevölkerung, Reichthum, Wichtigkeit der Landſchaften
und der Intereffen in meueren Zeiten geftellt haben. Much if
der Gefihtspuntt, daß fo viele Individuen eine
Bermögen, eine noch größere Menge art einer
verlieren, nicht zur Sprache gebracht worden; der \
der aus der direkten Beſtechung gezogen wird, ift, obgleich alle
Klaffen durch Geben oder Empfangen dabei betheiligt ſind, ge⸗
fegwidrig. Der Kapitalwerth, der an den Burgflecken, denen ihr
Wahlrecht genommen werden foll, verloren geht, gründer ſich
auf die im Lauf der Zeiten gefchehene Verwandlung eines po⸗
litiſchen Rechts in einen Geldwerth, und obgleich der Erwerb
um einen Preis, der nunmehe herabfintt, fo gut als beim An⸗
kauf von Stlaven bona fide gefihehen, und fonft im
Parlamente bei neuen Gefesen in foldem Fall fehr auf die Et⸗
haltung reellen Eigenthums, und auf Entfehädigung, wenn für
daffelbe ein Verluſt entſteht, Bedacht genommen wird, fo find
doc) im gegenwärtigen Falle eine Ansprüche darauf, noch Schwie⸗
rigteiten von diefer Seite her erhoben worden; fo ehr dieſer
Umftand als Motiv gegen die Bill bei einer Anzahl von Par
lamentsgliedern wirffam ſeyn mag. vn
Dagegen wird ein anderes, England vorzugsweife eigene
thümliches, Rechts⸗Princip durch die Bill angegriffen, nämlich
der Karakter des Pofitiven, den die englifhen Inftitutionen
des Staats-Rechts und Privat Rechts überwiegend an ſich tra ⸗
gen. Jedes Recht und deſſen Geſetz iſt zwar der Form nach ein
pofitives, von der oberfien Staatsgewalt verordnetes und geſez⸗
tes, dem darum, weil es Gefes ift, Gehorfam geleiftet werden
muf. Allein ‘zw keiner Zeit mehr als heutiges Tages ift der
allgemeine Verſtand auf den Unterfehied geleitet worden, ob die
Rechte auch nad ihrem materiellen Inhalte nur pofitiv,
6. Ueber die englifche Neforms Bill. 431
oder auch am umd für ſich recht und vernünftig find, und bei
feiner Verfaſſung wird das Urtheil fo fehr veranlaft, diefen Un—
terfchied zu beachten, als bei der englifhen, nachdem die Kontie
nentaleBölter fi fo lange durch die Deklamationen von engli-
ſcher Freiheit und durch den Stolz der Nation auf ihre Geſeh—
gebung haben imponiren laffen. Bekanntlich beruht diefe durch
und durch auf befondern Rechten, Freiheiten, Privilegien, welche
von Königen oder Parlamenten auf befondere Veranlaffungen
ertheilt, verkauft, gefchentt oder ihnen abgetrogt worden find;
die Magna Charta, die Bill of rights, diefe wichtigften Grund⸗
Lagen der englifchen Verfaffung, die nachher durch Parlaments-
Befchlüffe weiter beftimmt worden find, find mit Gewalt abges
drungene Konceffionen, oder Gnadengefhente, Pakta u. ſ. f.,
und die Staatsrechte find bei der privatrechtlichen Form ihres
Urfprunges und damit bei der Zufälligkeit ihres Inhalts ftehen
geblieben. Diefes in fid) unzufammenhangende Aggregat von po⸗
fitiven Beſtimmungen hat noch nicht die Entwidlung und Um—
bildung erfahren, welche bei den civilifirten Staaten des Konti—
nents durchgeführt worden und in deren Genuß 4. B. die deut-
ſchen Länder fi feit längerer oder kürzerer Zeit befinden. Im
England mangelten bisher die Momente, welde den vornehmli—
hen Antheil an diefen fo glorreichen als glüdlichen Fortfchritten
haben. Unter diefen Momenten fteht obenan die wiſſenſchaftliche
Bearbeitung des Rechts, welche einer Seits allgemeine Grund
lagen auf die befonderen Arten und deren Verwidlungen ange—
wendet und in ihnen durchgeführt, anderer Seits das Konkrete
und Specielle auf einfachere Beftimmungen zurückgebracht hat;
daraus konnten die nad allgemeinen Principien überwiegend
verfaften Landrechte und ſtaatsrechtlichen Inftitutionen der neue—
‚ren Kontinental= Staaten hervorgehen, wobei in Anfehung des
Inhalts deffen, was gerecht fey, der allgemeine Wienfchenverfiand
und die gefunde Vernunft ihren gebührenden Antheil haben durf-
ten. Denn ein nod wictigeres Moment in Umgeftaltung des
im der That eine Erfhütterung, die in England ganz ne
432 — —
Rechts iſt zu nennen, — der große S Fi
Yrineipien, wie das Beſte des Staates, dai ‚Gi : ihrer Unte
thanen und den allgemeinen Wohlfiand, vornehmlich aber. das
Gefühl einer an und für fi feyenden Gerechtigkeit, zu d
Leitfterne ihrer legislatorifchen Wirkfamteit zu machen, ı
her zugleich die gehörige monardifhe Macht ve iſt
ſolchen Principien gegen bloß poſitive ——
Privat» Eigennutz und den Unverſtand der Menge E
Realität zu verfhaffen, England ift fo — ** n£
tutionen wahrhaften Rechts hinter den andern. €
ten Europa’s aus dem einfachen Grunde zurüdgebliebe
die Regierungs- Gewalt in den Händen ——
ſich in dem Beſitz ſo vieler einem ——
und einer wahrhaften Geſetzgebung wider
gien befinden.
Dieſes Verhältniß iſt es, auf welches die p
form⸗Bill eine bedeutende Einwirkung haben —
etwa dadurch, daß das monarchiſche Element der U '
Erweiterung von Macht betommen follte; im Gege nthei il,
der Bill nicht fogleih allgemeine Ungunft engegentom
muf die Eiferfucht gegen die Macht der Krone, w Ude
nädigfte englifhe Borurtheil, gefchont bleiben, — die vo
ſchlagene Maaßregel verdankt vielmehr einen Theil —
larität dem Umftande, daß jener Einfluß durch fie Pets
gefehen wird. Was das große Intereſſe erwedt, *
niß einer Seits, die Hoffnung anderer, Seits, daß d
des Wahlrechts andere materielle Reformen nach ſich zie
Das engliſche Princip des Poſitiven, auf welchem ee
merkt, der allgemeine Rechtszuſtand beruht, leidet durch di
unerhört ift, und der Inſtinkt wittert aus ** N an r
formellen Grundlage des Beſtehenden die weitergreifenden Wer
änderungen. we ”
N
6, Ueber die englifhe Reform Bill. 433
Bon folden Ausfichten ift im Verlaufe der Verhandlungen
des Parlaments Einiges, doch mehr beiläufig, erwähnt worden;
die Urheber und Freunde der Bill mögen Theils in dem guten
Glauben ſeyn, daß fie nit weiter führe, als fie cben ſelbſt
reicht, Theils, um die Gegner nicht heftiger aufzuregen, ihre Hoff-
nungen nicht lauter werden laffen; wie die Gegner das, wofür
fie beforgt find, nicht als einen Preis des Sieges vorhalten mö—
gen; da fie viel befigen, haben fie allerdings viel zu verlieren.
Daß aber von diefer fubftantielleren Seite der Reform nicht
mehr im Parlament zur Sprache gebradht worden ift, daran hat
die Gewohnheit einen großen Antheil, daß bei wichtigen Gegen-
ſtänden in diefer Berfammlung immer die meifle Zeit mit, Er⸗
tlärungen der Mitglieder über ihre perſönliche Stellung verbracht
wird; fie legen ihre Anfichten nicht als Geihäftsmänner, fondern.
als privilegirte Individuen und Redner vor. Es ift in Eng⸗
land für die Reform ein weites, die wichtigften Zwecke der bürs
gerlihen und Staatsgefellfchaft umfafendes Feld offen. Die
Nothwendigkeit dazu beginnt, gefühlt zu werden; Einiges von
dem, worauf bei der Gelegenheit gedeutet worden, mag als Bei-
fpiel dienen, wie viele Arbeit, die, anderwärts abgethan ift, für
England noch bevorfieht. Unter den Yusfichten auf materielle
Verbefferungen wird zu allererft die Hoffnung zu Erfparnifs
. fen in der Verwaltung gemacht; fo oft aber dieß Erfparen als
durdaus nothwendig für die Erleichterung des Druds und des
allgemeinen Elends, in dem ſich das Volk befinde, von der Op-
pofition gefordert wird, fo wird auch jedesmal wiederholt, daß
alle Anftrengungen dafür bisher vergeblich gewefen, aud) die von
den Minifterien und felbft in der Thronrede gegebene populäre
Hoffnung jedesmal getäuſcht worden ſeh. Diefe Deklamationen
werden nad allen feit 15 Jahren gemachten Reduktionen der
Zaren auf diefelbe Weife wiederholt: Zur endlichen Erfüllung
diefer Forderungen werden in einem reformirten Parlament beffere
Ausfihten gezeigt, nämlich in der größeren Unabhängigkeit einer
Bermifchte Scriften, * 28
434 VII. Auffäge vermifchten Inhalte,
größern Anzahl feiner Mitglieder von dem Minifterium, auf deffen
Schwãche, Hartherzigteit gegen das Volt, Intereffe m. ſ. f. die
Schuld einer fortdauernden übermäßigen Ausgabe gefhoben wird.
Zieht man aber die Hauptartikel der englifhen Staats =Aus-
gabe in Erwägung, fo zeigt ſich kein großer Raum für das
Erfparen; der rine, die Zinfen der enormen Staatsfchuld, if
keiner Verminderung fähig; der andere, die Koften der Lande und
Seemacht mit Einfluß der Penfionen, hängt nicht nur mit dem
politiſchen Verhältniffe, befonders mir dem Intereffe der Bafıs
der englifchen Eriftenz, des Handels, und mit der Gefahr inne
rer Mufftände, fondern auch mit den Gewohnheiten und Anfor
derungen der. diefem Stande fi widmenden Individuen, im
Wohlleben und Lurus den andern Ständen nicht nachzufichen,
aufs innigfte zufammen, fo daß ſich ohne Gefahr hier nichts abe
dingen ließe. Die Rechnungen, welde das Geſchrei über diep
. berüchtigten Sinckuren an den Tag gebracht hat, Haben gezeigb
daß auch eine gänzliche, ohne große Ungerechtigkeit nicht zu ie
wirkende, Aufhebung: derfelben kein wichtiger Segenftand ‚fehn
würde, Aber man braucht ſich auf das Materielle nicht |
laffen, fondern nur zu bemerken, daß die unermüdlichen, im das
Pleinfle Detail der Finanzen eingehenden Bemühungen eines
Hume fo gut als immerfort erfolglos find; dieß kann nicht allein
der Korruption der Ariſtokratie des Parlaments und der Nach⸗
giebigkeit des Minifleriums gegen fie, deren Beiſtand es bebarf,
und welche ſich und ihren Verwandten die mannigfa
heile dutch Sinekuren, überhaupt einträgliche Stellen der Wers
waltung, des Mikitairdienftes, der Kirche und des Hofes vers
ſchafft, zugefchrieben werden. Die verhältnifmäßig fehr geringe
Stimmenzahl, welche ſolche Vorſchläge zur Verminderung der
Ausgaben für ſich zu haben pflegen, deutet auf einen geringen
‚Glauben an die Möglichkeit oder auf ein ſchwaches Intereffe
für ſolche Erleichterimgen des angeblichen allgemeinen Druds,
gegen welchen die Parlamentsglieder Oo PER
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6. Leber die enalifche Reform = Bill, 485
Reichthum gefchügt find. Diejenige Fraktion derfelben, melde
für unabhängig gilt, pflegt auf, Seiten des Minifteriums zu ſeyn,
und diefe Unabhängigkeit zeigt ſich zuweilen geneigt, weiter zu
gehen, als es ihrem gewöhnlichen Verhalten oder den Vorwür-
fen der Oppofition nach ſcheinen follte, bei ‚Gelegenheiten, wo
das Minifterium ein ausdrüdliches näheres Intereffe für eine
Geldbewilligung darlegt; wie denn vor einigen Jahren eine Zu-
lage von 1000°Pfd., die für den ſo geadhteten Hustiffen, welcher
wegen Meberhäufung feiner verdienfilihen Geſchäfte im Handels-
Bureau eine einträglihe Stelle aufgab, von dem Miniſterium
mit großem Intereffe in Vorſchlag gebracht wurde, mit großer
Majorität abgefchlagen werden ift; wie dieß aud bei Vor—
fehlägen von Erhöhung der für England eben nicht reichlich zu⸗
gemeffenen Appanagen Königliher Prinzen nicht felten gewefen
iftz in? diefen eine Perfönlichkeit und das Gefühl von Anftand
betreffenden Fällen hat die Leidenſchaftlichkeit die fonft bewiefene
Lawigkeit des Parlaments für Erfparniffe überwunden. — So
viel ift wohl einleuchtend, aß feine Reform-Bill die Urſachen
der hohen Beſteuerung in England direkt aufzuheben vermag;
England’s und Frankreich’ Beiſpiel könnte fogar zu der Indus
etion führen, daf Länder, im welchen die Staatsnerwaltung von
der Bewilligung von VBerfammlungen, die das Bolt gewählt
hat, abhängt, am flärkften mit Auflagen belaftet find; in Frank—
reich, wo der Zweck der englifchen Reform Bill, das Wahlrecht
auf eine beträchtlihere Anzahl vom Bürgern auszudehnen, in
ziemlich großem Maaße ausgeführt it, wurde fo eben in franz
zöſtſchen Blättern das Budget diefes Landes mit einem hoff-
nungsvollen Kinde verglichen, das täglich) bedeutende Fortſchritte
made. Mm gründliche Workehrungen zu treffen, den drückenden
Zuftand der englifhen Staatsverwaltung zu mindern, würde zu
tief in die innere Verfaſſung der partitularen Rechte eingegrifs
fen werden müſſen; es ift Feine Macht vorhanden, um bei dem
enormen Reichthum der Privat- Perfonen ernſtliche Anſtalten zu
28 *+
45—
436 VII, Auffäge vermifchten Inhalst.
einer erklecklichen Verminderung der ungeheuren Staatsſchuld zn
maden, Die erorbitanten Koften der verworrenen Rechtspflege,
die den Weg der Gerichte nur den Reichen zugänglich machen,
— die Armen- Taxe, welde ein Minifterium in Iceland, wo dir
Nothwendigkeit fo fehr als die Gerechtigkeit fie forderte, nich
einzuführen vermögen würde, — die Verwendung ‚der Kirchen
güter, der noch weiter Erwähnung gefchehen wird, — und wick
andere große Zweige des gefellfchaftlihen Verbandes: ſetzen für
eine Abänderung noch andere Bedingungen in der Staatsmadt
voraus, als in der Reform = Bill’ enthalten find, — Beiläufig
wurde im Parlament die in Frankreich geſchehene Abſchaffung
der Zehnten der Kirche, der autsherrlihen Rechte, der Iagdreätt,
erwähnt; alles dieß ſey unter den Yufpicien eines
Königs und eines reformirten Parlaments geſchehen; und die
Richtung der Rede ſcheint die Aufhebung von Rechten jener Art
für ſich ſchon als einen bedauerlichen Umſturz der ganzen fm
fiitution zu bezeichnen, außerdem, daf fie nod) Ar
Anarchie jenes Landes zur Folge gehabt habe. Bekanntlich find
in, andern. Staaten dergleichen Rechte nicht nur ohne ſolche Fol⸗
gen verſchwunden, ſondern die Abſchaffung derſelben iſt als eine
wichtige Grundlage von vermehrtem Wohlſtand und wefentlicher
Freiheit betradhtet worden. Daher möge einiges Weitere dar
über bier angeführt werden. X
Was zuerſt den Zebenten betrifft, fo iſt in England läa
das Drüdende diefer Abgabe bemerklich gemacht worden ; abge:
fehen von der befonderen Gehäfftgkeit, die auf folder Art von
Abgabe überhaupt laftet, in England aber vollends nicht Wun-
der nehmen kann, wenn dafelbft in manden Gegenden der
Geiftliche täglich aus den Kuhftällen den zehnten Topf der ge—
molkenen Milch, das zehnte der täglich gelegten Eier m. ff.
zufammenbolen läft, fo ift auch die Unbilligkeit gerügt worden,
die im diefer Abgabe durch die Folge liegt, daß, je mehr durch
Fleiß, Zeit und Kofien der Ertrag des Bodens erhöht wird, um
|
6. Ueber die englifche Reform = Bill, 437
fo mehr die Abgabe fteigt, fowit auf die Verbefferung der Kul⸗
tur, worein in England große Kapitalien geſteckt werden, ftatt
fie aufzumuntern, eine Steuer gelegt wird. Der Zehente gehört
der Kirche in England; in andern, befonders proteftantifchen Län-
dern iſt zum Theil längft (in preufifchen Ländern ſchon vor
mehr als hundert Jahren), zum Theil neuerlich, der Zehente
ohne Pomp und Yuffeben, wie ohne Beraubung und Ungerech—
tigkeit, abgefchafft oder ablösbar gemadt und den Eintünften
der Kirche das Drüdende benommen und ihnen zweckmäßigere
und anftändigere Erhebung ‚gegeben worden. In England hat
aber auch fonft die Natur der urfprünglichen Berechtigung des
Zehenten eine wefentlid verfümmerte und verkehrte Wendung
erhalten; die Beſtimmung für die Subflftenz der Religions = Lehs
ter und die Erbauung und Unterhaltung der Kirchen ift überwies
gend in die Art und Meife eines Ertrags von Privat-Eigen-
thum übergegangen; das geiftlihe' Amt hat den Charakter einer
PM ründe, und die Pflichten defjelben haben fi in Rechte auf
Einkünfte verwandelt. Abgerechnet, daf eine Menge einträg-
licher geiftlicher Stellen, Kanonitate, ganz ohne Amtsverridtuns
gen find, ift es mur zu fehr bekannt, wie häufig es gefchicht,
daß englifche Geiftlihe fi mit allem Andern, als mit den Funk⸗
tionen ihres Amts, vielmehr mit Jagd u. f. f. und fonfligem
Müfiggang beſchäftigen, die reihen Einkünfte ihrer Stellen in
fremden Ländern verzehren und die Umtsverrichtungen einem ars
men Kandidaten für ein Almofen, das ihn zur Noth gegen Hun—
gertod fehügt, übertragen. Weber den Zufammenbang, in wel-
chem bier der Befig einer geiftlihen Stelle und der Bezug der
Einkünfte derfelben mit der Ausübung der Pflichten des Amtes
wie mit ſittlichem Wandel ftehen, darüber giebt ein vor etlichen
Jahren bei den Gerichten verhandeltes Beifpiel eine umfaffende
Vorftellung. Gegen einen Geiftlihen, Namens Frank, wurde
bei Gericht der Antrag gemacht, denfelben wegen Wahnſinns
für unfähig, fein Vermögen zu verwalten, zu erklären und dies
fes unter Kuratel zu ſtellen; er hatte eine Pfarre von 800 Pf
Sterl. Eintünften, aufer andern Pfründen von etwa 600 $
Sterl. (— etwas weniger als 10,000 Rthlr. —); Die gericht
liche Klage aber wurde von feinem Sohne, als diefer anajoren {
geworden, im Intereffe der Familie angebracht. Die während viele
Tage durch eine Menge von Zeugen - Yusfagen öffentlich abgelegie
Beweisführung über die angeſchuldigte Verrücktheit brachte Hi
lungen diefes Pfarrers zum Vorſchein, die derfelbe,
geiftlichen Behörde ganz ungeftört, in einem Laufe vom J
ſich hatte zu Schulden kommen laffen, und 5. B. von der fd
fenheit, daß er einmal am hellen Tage durch die Straßen und i
die Brüde feiner Stadt, in höchſt unanftändiger G
unter dem Gefolge einer Menge höhnender ——
gen war; — noch viel ſtandalöſer waren die ‚dur
Zeugen erhärteten eignen häuslichen Berhältniffe des Monet,
Solde Schaamlofigkeit eines Geiftlihen von der englifi
hatte ihm in dem Befige feines Amtes und im Ge
Einfünfte feiner Pfründen keinen Eintrag getbanz;- die Fer
tung, in welde die Kirche durch ſolche Beifpiele, an ‚mie
dadurd verfällt, daß fie, der Einrichtung einer biſch Ze
rarchie ungeachtet, folder Werdorbenheit und deren Standal
von ſich aus nicht fleuert, trägt, wie die Habfucht ciſt·
lichen in Beitreibung ihrer Zehenten, das Ihrige dazu bei, auch
diejenige Achtung zu vermindern, welche von dem englifi
blitum für das Eigenthumsrecht der Kirche gefordert wird, D
ſolches Eigenthyum durch feine Beſtimmung für den |
Zweck einen ganz andern Charakter habe, als Privat» Cigenthum,
über das die freie Willkür der Befiger zu disponiren bat, —
daf diefe Verfehiedenheit ein verfhiedenes Recht begründe und
der Genuf diefes Vermögens an Pflichten als Bedingungen ge-
tnüpft ſey, und daf jener Zwed in proteftantifchen Staaten eine
Berechtigung der Staatsgewalt, für die Erfüllung diefes Zwedis |
und der an Einkünfte gefnüpften Pflichten mitzuwachen, ber
N
3 “
6. Ueber die englifchenReferm= Bill. 439
gründe, — dergleichen Grundfäge feinen in England noch ganz
fremd und unbekannt zu ſeyn. Bei dem abſtrakten Geſichts—
punkte des Privat «Rechts hierüber ftehen zu bleiben, iſt aber
zu fehr in dem Vortheile der Klaffe, die im Parlamente, übers
wiegenden Einfluß hat, dadurch mit dem Minifterium, das die
hohen und einträglichften geiſtlichen Stellen zu vergeben hat,
zufammenbängt, und die jüngern Söhne oder Brüder, Die, da
der Grundbefig in England im Allgemeinen nur auf den älte—
fien Sohn übergeht, ohne Vermögen gelaffen werden, durch ſolche
Pfründen zu verforgen das Intereffe hat. Dieſelbe Klaſſe ſoll
auch nach der Reform- Bill ihre Stellung im Parlamente be—
halten, fogar noch erweitern; es ift daher fehr problematifch, ob
fie für ihr Intereffe, in Rüdfiht auf die Reichthümer der *
und ihr Patronat, etwas zu beſorgen habe.
Die Beforgniffe über eine Reform folden Bine *
engliſchen Kirche haben alle Urſache, ſich beſonders auf ihr Eta—
bliſſement in Irland zu erſtrecken, welches ſeit mehreren Jahren,
vornehmlich im Betriebe der Angelegenheit der Emancipation,
die für ſich nur die politische Seite betraf, fo heftig angegriffen
worden ift. Die der katholiſchen Kirche, zu der bekanntlich die
Mehrzahl der irländifhen Bevölkerung gehört, daſelbſt ehemals
gehörigen Güter, die Kirchen felbft, die Zehenten, die Verpflich—
tung der Gemeinden, die Kirhen=- Gebäude in baulidem Zus
ftande zu erhalten, die Utenfilien des Gottesdienftes, auch den
Unterhalt der Küſter u. f. fı zu beſchaffen, alles dieß iſt kraft
des Eroberungsrechtes der katholiſchen Kirche genommen und
zum Eigenthume der anglikaniſchen gemacht worden. In Deutſch⸗
land hat der dreifigjährige Krieg vor mehr als anderthalb hun⸗
dert Jahren und in neuerer Zeit die vernünftige Bildung mit
ſich geführt, daf einem Lande oder einer Provinz, Ctadt, Dorf
die der Kirche ihrer Bevölterung gehörigen Güter belaffen wor—
den find, oder daf auf andere Weife für das Bedürfniß des
Kultus geforgt worden if, Selbft die Türken haben den ihnen
_
370: VIE Schreiben in amtlichen Angelegenheiten.
ſich darauf zw befhränten haben, inländifche und ausländifche
Werke, welche für die MWiffenfhaften und für Kenntniffe eis
nes umfaffenden Intereffes einen wirklihen Werth haben, zum
Gegenfiand der Beurtheilung zu maden, und fie vornehm⸗
lich mit dem Zwecke anzuzeigen, ihren Inhalt zur allgemeinen
Kenntnif zu bringen, dagegen das Gewöhnliche, Befchräntte,
Mittelmäßige und Schlechte, das nur eine negative Kritik er—
leiden könnte, gänzlich unbeachtet zu laſſen. Etwa nur’ folde-
Werke von weniger gediegenem Werthe könnten beachtet werden,
denen äußerliche Umſtände ein großes Auffehen verfhafft, oder
denen dieß, daß fie ausgezeichnete Repräfentanten einer allges
meinen Gattung find, eine weitere Bedeutſamkeit gegeben hätte,
Bei diefem fo beſchränkten Umfange würde allerdings Vollftän-
digkeit zum Ziele zu machen ſeyn. Ausgeſchloſſen würden’ fer>
ner die Werke, die ganz fpeciellen Wiffenfhaften und fpeciellen
Zweigen derfelben gewidmet find, — der Theologie, Jurispru—
denz, Mediein, fo wie der Technologie, der Kameralwiffenfchart
und dergleichen; wobei es offen bleiben Fönnte, folde in diefe
Fächer einſchlagende Schriften hereinzuzichen, welchen Theils der
umfaffende Inhalt, Theils ein allgemeinerer philoſophiſcher Ge—
ſichtspunkt, — wie bei Werten der Theologie, naturphilofophi=
ſchen Syſtemen der Medicin, philoſophiſchen Anfihten der Ges
febgebung, der Staatsöfonomie u. f.f. — ein allgemeineres Intereffe
oder die Prätenfion eines ſolchen gäbe. Schriften politifhen In—
halts, vornehmlich die der Zeitpolitik, blieben dabei gänzlich) entfernt.
In diefer, obgleidy mehr negativen, jedoch bier wohl hin—
reihenden Bellimmung der zu beadhtenden Bücher, ergäbe ſich,
ja erwüchfe wohl felbft ſchon gröftentheils für fi die Beſtim—
mung der Haltung und des Tones, der in dem Inſtitute
herrfchen würde und zu behaupten wäre. Einen Hauptbeftand-
theil feiner würdigen Haltung machte es, daß das Gediegene,
Tüchtige, Intereffante, die Wiffenfhaften und Kenntniffe wirt-
lic) Bereihernde anertannt umd mit Zuftimmung, die auf
6. Ueber die englifche Neform= Bill. | 441
jenigen Klaffe, deren Intereffe mit jenem Zuftande der Kirche
zufammenhängt, mehr als das Gleihgewicht halten.
Die gutsherrliden Rechte, welde gleichfalls in jener
Beforgnif vor der ſich auf fie mit der Zeit ausdehnenden Re—
form befaßt werden können, gehen in England feit lange nicht
mehr bis zur Hörigkeit der aderbauenden Klaffe, aber drüden
auf die Maffe derfelben fo fehr wie die Leibeigenfhaft, ja drüs
den fie zu einer ärgeren Dürftigkeit als‘ die Leibeigenen herab,
In England felbft, zwar in der Unfähigkeit gehalten, Grumdeis
genthbum zu befigen, und auf den Stand von Pächtern oder
Tagelöhnern redueirt, findet fie Theils in dem Reichthume Enge
land’s überhaupt und in der ungeheuren Fabrikation, wenn diefe
in Flor ifl, Arbeit; aber mehr noch halten die Armengefege, die
ein jedes Kirchfpiel verpflichten, für feine Armen zu forgen, die
Folgen der Äuferften Dürftigkeit von ihr ab. In Irland dages
gen bat die allgemeine Eigenthumslofigteit der von der Arbeit
des Aderbaues lebenden Klaffe diefen Schug nicht; die Befchreis
bungen der Reifenden, wie die parlamentarifh dofumentirten
Angaben, ſchildern den allgemeinen Zuftand der irifchen Land
bauer als fo elend, wie ſich felbft in kleinen und armen Diſtrik⸗
ten der civilifirten, aud der in der Civilifation zurüdftchenden
Länder des Kontinents nicht leicht Beifpiele finden. Die Eigens
thumslofigkeit der Landbau treibenden Klaffe hat ihren Urfprung
in Berhältniffen und Gefegen des alten Lehensrechtes, welches je—
doch, wie es auch nod) in mehreren Staaten befteht, dem an den
Boden, den er zu bauen hat, angehefteten Bauer eine Subftftenz
auf demfelben fihert; indem aber auf- einer Seite die irifchen
Leibeigenen wohl perfönliche Freiheit beflgen, haben auf der ans
dern Seite die Gutsherren das Eigenthum fo vollländig an ſich
genommen, daf fie ſich von aller Verbindlichkeit, für die Sub—
fiftenz der Bevölkerung, die das ihnen gehörige Land baut, zu
forgen, losgefagt haben, Nach diefer Berechtigung ift es geſche⸗
ben, daß Gutsherren, wenn fie eine Kultur des Bodens für vor⸗
theilhafter fanden, bei der fie weniger Hände bedurften, die bie-
herigen Bebauer, die für ihre Subfiftenz an dieſen Boden fo
gut wie die Leibeigenen gebunden waren, und deren Familien feit
Jahrhunderten Hütten auf diefem Boden bewohnten und ihm be
bauten, zu Hunderten, ja Taufenden, aus diefen Hütten, die
nicht das Eigenthum der Bewohner find, vertrieben und den
ſchon Befiglofen au die Heimath und die angeerbte Gelegen-
heit ihrer Subfiftenz entzogen, — von Rechtswegen, auch dief
von Rechtswegen, daß fie, um fie gewiß aus dem Grunde jener
| Hütten auszujagen und ihnen die Zögerung des Auszuges oder
das Wiedereinſchleichen unter ſolches Obdach abzuſchneiden, Diefe
Hütten verbrennen liefen, ZI
Diefer Krebsfhaden Englands wird, Jahr aus Jahr ein,
dem Parlamente vorgelegt; wie viele Reden find darüber gehal
ten, wie viele Komite’s niedergefegt, wie viele Zeugen abgehört,
wie viele grüindliche Reports abgeflattet, wie viele Mittel wor
gefhlagen worden, die entweder ganz ungenügend oder ganz uns
ausführbar fhienen! Der vorgefchlagene Abzug der Weberzahl
der Armen durch Kolonifation müßte, um eine Wirkung zw ver
fprechen, wenigfiens eine Million Einwohner fortnehmenz wie
dieß bewitken? abgefehen davon, daf der dadurch entſtehende
leere Raum, wenn die fonftigen Gefege und Verhältniſſe ‚blieben,
auf diefelbe Weife, wie er vorher angefüllt war, fih bald ausfüllen
würde. Eine Parlaments-Akte (subletting act), welde die
Bertheilung in kleine Pachte, die Unterkunftsweife und den
Brutboden der frudtbaren Bettler -Klaffe in Irland beſchränken
follte, zeigte fi fo wenig geſchickt, dem Uebel abzuhelfen, daß
fie, nach ein paar Jahren des Berfuchs, kürzlich zurüdgenommen
werden mußte, Der Zeitpunkt des Uebergangs von Lehnbefis
in Eigenthum ift unbenust dazu, der aderbauenden Klaffe Grunde
eigenthbum einzuräumen, vorübergegangen; einige Möglicykeit
dazu könnte dur Wenderung der Erbrechte, Einführung der
6. Ueber die englifche: Reform = Bill. 443
gleihen Vertheilung des älterlihen Vermögens unter die Kinder,
die Befugniß der Beſchlagnahme und des Verkaufs der Güter
zu Bezahlung der Schulden, überhaupt durch Aenderung des
rechtlichen Charakters des Grundeigenthums, der unfäglide Fors
malitäten und Koften bei der Veräußerung u. ſ. f. nad fid
zieht, eingeführt werden, Aber die engliſche Geſetzgebung über
Eigenthum bat im Diefen wie in vielen andern Stüden zu weit
bin zu der freiheit deffelben, deren es in den Kontinental-Län-
dern genieft, alle Privat-Verhältniffe find zu tief im diefe Feſ—
ſeln eingewachfen; vollends würde die Eröffnung der Möglich:
keit für die landbautreibende Klaffe, Grundeigenthum zu erwer⸗
ben, durch Aenderung diefer Gefege nur höchſt unbedeutend fepn
im Berhältnif zum Ganzen; die Schwäche der monarchiſchen
Macht hat über jenen Ucbergang nit wachen können; die par
lamentarifhe Gefeggebung bleibt aud nad der Reform = Bill in
den Händen derjenigen Klaffe, die ihr Intereffe und noch mehr
ihre flarre Gewohnheit in dem bisherigen. Syſteme der Eigen-
thumsrechte hat, und ift bisher immer nur darauf gerichtet, den
Folgen des Spftems, wenn die Noth und das Elend zu ſchreiend
wird, direkt, fomit durd) Palliative (wie der subletting act),
oder moralifche Wünſche (daß die irländiſchen Gutshefiger ihre
Refivenz in Irland nehmen möchten u. dgl.), abzuhelfen.:
Auch if der Jagdrechte erwähnt worden, als eines Ge—
genftandes, welder einer Reform ausgefegt werden könnte; ein
Punkt, defien Berührung fo vielen englifhen Parlaments-Mit-
gliedern und deren Zufammenhang an das Herz greift; aber der
Unfug und die Mebelftände find zu groß geworden, als daf nicht
eine Veränderung der Gefege hierüber in Anregung hätte ge—
bracht werden müffen; insbefondere hat die Vermehrung der Ge⸗
fechte und Morde, die von den Wilddichen an den Park-Auf-
fehern begangen werden, des Verlufts an Wild, den die Guts—
befiger in ihren Parks erleiden, insbefondere der Verbrechen des
MWilddiebftahls, die vor die Gerichte fommen, und nur ein klei—
—
nier Theil derjenigen find, welde wirklich verübt werden, dann
der harten unverhältnigmäßigen Strafen, die auf das unberech⸗
tigte Jagen gefest find und verhängt werden, — denn es iſt die
jagdberechtigte Ariſtokratie felbfi, weldhe diefe Gefege machte und
wieder in der Qualität von Magiftrats2 Perfonen und Geſchwor⸗ |
nen zu Gerichte ſitzt, — eine allgemeine Aufme
gezogen. Das Intereffe der Jagdliebhaber wird gleichfalls durd
die große Ausdehnung der Jagdberehtigung in den offenen Ge—
bieten in Unfprucd genommen; der Sohn eines Squire hat das
Jagdrecht, und jeder Pfarrer gilt für einen Squire, fo daß der
Sohn diefen Vorzug haben kann, den der Vater, wenn er nicht
feloft ſchon Sohn eines Squire iſt, nicht beſitzt u. ſ. f. Seit
mehreren Jahren wird Jahr für Jahr eine Jagd-Bill zur Ver
befferung diefee Geſetze im Parlament eingebracht, aber feine
bat noch das Glüd gehabt, gegen die privilegirten Iagd = Inter
reffenten durchgefegt werden zu Fönnen; auch dem gegenwärtigen
Parlamente liegt eine ſolche Bill vor. Es muf noch für pie
blematifch angefehen werden, in wie weit die projektirte Parla⸗
ments-Reform auf diefe Gefeggebung, — auf die Milderung
der Strafen, auf die Beſchränkung der perfönlihen Jagdberech⸗
tigung, vornehmlich auch, im Intereffe der feldbauenden Klaffe,
auf das Recht, daß die Hirfhe, Hafen, Füchſe mit der Koppel
Hunde und mit 20, 30 und mehr Pferden und nod mehr Fuße
gängern durch die Saatfelder und alles offene bebaute Land vers
folgt werden — einen bedeutenden Einfluß haben müßte Im
vielen deutfchen Ländern machte vormals der Mildfhaden, die
Verwũſtung der Felder durch die Jagd, das Abfreſſen der Saas
ten und Früchte durd das Wild einen fichenden Artitel in den
landftändifhen Beſchwerden aus; bis jest hat ſich die englifche
Freiheit noch nicht die Beſchränkung folher Rechte auferlegt,
welden die Fürften Deutfchlands zum Beften ihrer Unterthanen
längft entfagt haben, A —
Der weitfchichtige Wuft des englifhen Privat- Rechts, wel-
6, Ueber die englifhe Keformz Bill. 445
ches Engländer felbft einen Yugias=Stall zu nennen dem Stolze
auf ihre Freiheit abgewinnen können, wäre genug’ befähigt, Ge—
genftand für die Hoffnung einer Säuberung zu werden. Das
Wenige, was Sir Robert Peel vor einigen Jahren durchgeſetzt,
ift für fehr verdienftlich geachtet und von allgemeinem Lobe be—
gleitet worden. Weiter eingehende Vorſchläge, die der- jegige
Lordkanzler, Brougham, fpäter in einer fiebenftündigen Rede zur
Verbefferung der Juftiz gemacht hat, und die mit großem Bei-
falle aufgenommen worden find, haben zwar wohl die Nieder-
fegung von Komité's veranlaft, aber find bis jest ohne weitern
Erfolg geblieben. So viel als in Deutfchland eine mehrhundert⸗
jährige file Arbeit der wiſſenſchaftlichen Bildung, der Weisheit
und Gerechtigkeitsliebe der Fürfien bewirkt hat, hat die englifche
Nation von ihrer Volts-Repräfentation nicht, erlangt, und in
der neuen Bill find eben Feine befonderen Elemente enthalten,
welche an die Stelle Theils einer. bloß in Geſellſchaften, durch
Zeitungen und Parlaments= Debatten erlangten Bildung, Theils
der meift nur dur Routine erworbenen Gefchidlichteit der
Rechtsgelehrten, vielmehr der gründlichen Einſicht und wirklichen
Kenntnif ein Webergewicht verliehen. Die in Deutfhland auch
für eine höhere Geburt, Reihthum an Grundvermögen u. ff.
geftellten Bedingungen, um an den Regierungs= und Staatsges
fhäften in den allgemeinen und in den fpecielleren Zweigen
Theil zu nehmen, — theoretifches Studium, wiſſenſchaftliche
Ausbildung, praktifhe Vorübung und: Erfahrung, — find. fo
wenig in der neuen Bill wie in der bisherigen Organifation den
Gliedern einer Berfammlung gemacht, in deren Händen die aus-
gedehntefle Regierungs⸗ und Berwaltungsgewalt ſich befindet,
Auch die neue Bill enthält nichts von dergleihen Bedingungen;
fie ſanktionirt gleichfalls den Grundſatz, daf eine. freie Rente
von 10 Pfund, aus Grumdeigenthbum gezogen, volltommen für
das Amt qualificiet, die Befähigung zu dem Gefhäfte der, Re—
gierung und Staats-Berwaltung, weldes im Befige der Par-
lamente ift, zw beurtheilen und darüber zu entſcheiden. Die Vor—
ſtellung von Prüfungstommifflonen, die ſelbſt aus einſichtsvollen
und erfahrenen Männern, die als Beamte Pflichten hätten, be
fiehen, ſtatt einer Menge Individuen, die nur die Eigenschaft
- der Zehn⸗ Pfund-Rente haben, fo wie die Vorftellung von Bewei⸗
fen der Fähigkeit, die von den Kandidaten des Geſetzgebens und
Staatsverwaltens gefordert würden, ift allerdings zu weit won
der unbedingten Souveräncrät der hierüber ein
rechtigten entfernt. En A ZU
Wenn nun für die berührten umd ra
tereffen vernünftigen Rechts, welde im vielen civiliffieten Staa
ten des Kontinents, vornehmlich in den deutfchen Ländern, bereits
durchgeführt find, in England das Bedürfnif noch beinahe zu
ſchlummern ſcheint, fo ift es nit aus der Erfahrung; wie wenig
oder nichts von den Parlamenten, mad) der bisherigen’ Met der
Rechte der Beſetzung defielben, nach diefer Seite‘ hin geleifet
worden, daß die Nothwendigkeit einer Reform aufgezeige wud;
England wird dem Herzog von Wellington in dem beiſtimmen,
was er kürzlich im Oberhaufe fagte, dag „vom Jahre 1688 an
(dein Jahre der Revolution, melde das katholiſch gefinnte Haus
Stuart vom Throne flürzte) bis jest dur den Verein von
Reichthum, Talenten und mannichfachen Kenntniffen, der die
‚großen Intereffen des Königreichs repräfentirte, die Amgelegen
heiten des Landes auf das Befte und Ruhmvoltfie geleitet
worden find.” "Der Nationalftolz überhaupt hält die Engländer
ab, die Fortſchritte, welche andere Nationen in der Ausbildung
der Rechts⸗Inſtitutionen gemacht, zu fludiren und kennen zu
fernen; der Pomp und Lärm der formellen Freiheit, im’ Parlas
mente und in fonfligen Berfammlungen aller Klaſſen und Stände
die Staats- Angelegenheiten zu bereden und in jenem Darüber
zw befchliegen, fo wie die unbedingte Berechtigung dazw, hindert
fie oder führt fie nicht darauf, in der Stille des’ Nachdenkens
in das Weſen der Gefebgebung und Regierung einzubringen,
6. Ueber die englifhe Reform Bl. 447
(bei wenigen europäifchen Nationen herrſcht folde ausgebildete
Fertigkeit des Raifonnements im Sinne ihrer Borurtheile umd
fo wenig Tiefe der Grundfäge), der Ruhm und der Reichthum
macht es überflüffig, auf die Grundlagen der vorhandenen Rechte
zurüdzugehen, wozu bei dem Völkern, die dem Druck derſelben
empfinden, die äußerliche Noth und das Br gewedte Be⸗
dürfniß der Vernunft treibt. LE ik
Wir kommen zu den formelleren Seflätepuntten zurüch die
ſich unmittelbarer an die vorliegende Reform-Bill anknüpfen.
Ein Gefichtspunkt von großer Wichtigkeit, der auch von den
Gegnern der Bill hervorgehoben wird, iſt der, daß im Parlament
die verſchiedenen großen Intereffen der Nation repräſentirt wer
den follen, und welche Veränderung nun diefe Repräfentation
durch die vorliegende Bill erleiden würde, ae
Die Anfihten hierüber ſcheinen verſchieden, indem der Her
zog von Wellington äufert, daß, der in: Rede fichendem Bill
zufolge, die größere Maſſe der Wähler aus Krämern beſtehen
würde; hiemit fehiene das Handels = Intereffe Wortheile zw er-
langen; allein die Anſicht ift allgemein und wird zu Gunften
der Bill fehr geltend gemacht, daß der Landbefig und das Acker⸗
bau⸗Intereſſe nicht nur nichts von: ihrem Einfluſſe verlieren
fondern, — da der Entwurf von den aufzuhebenden Wahlbe⸗
rechtigungen den großen Städten oder dem Handels Inteteſſe
nur 25 Mitglieder, den Grafſchaften aber oder dem Landbeſttz
mit Einfluß kleinerer Städte, wo auch meiftentheils "der Ein-
fluß des Landbefigers obwalte, die übrigen 81 zutheile, — viel
mehr eine relative Erweiterung erhalten werden, Beſonders
merkwirdig ift im dieſer Rückſicht, daf eine Anzahl von Kauf⸗
leuten, usd zwar die erſten Banquiers Londons, die mit der oſt⸗
indiſchen Kompagnie und der Bank von England in Verbindung
ftehen, ſich gegen die Bill erklärt haben, und aus dem Grunde,
weil diefe Maafiregel, während fie die Repräfentation des Kö—
nigreihs auf die große Bafis des Eigenthums zu fügen und
diefe Baſis auszubehnen beabfichtige „ in ihrer praktiſchen Wir-
tung die Hauptzugänge verfhliefen würde, vermittelſt wel⸗
eher die Geld-, Handels», Schifffahrts- und Koloniab- Inter
effen, zufammen mit allen anderen Interefjen im ganzen Lande
und in allen auswärtigen Befigungen bis zu den entfernteften
Püntten bisher zur Repräfentation im Parlamente gelangten,
Diefe Hauptzugänge find die Fleden und Städtchen,
im denen ein Parlaments-Sig direkt zu kaufen ſteht. Es Bonnte
bisher auf dem Wege des gewöhnlichen Handels mit Parlaments
Sigen mit Sicherheit dafür geforgt werden, daf Bant=Direkto-
zen, ingleihen Direktoren der oftindifhen Kompagnie ſich im
Parlamente befanden, wie die großen Plantagen» Befiger auf den
weflindifhen Inſeln und andere Kaufleute, die ſolche große
Handelszweige beherrſchen, ſich gleihfalls mit foldyen Stellen
verfehen, um ihre und ihrer Affociation Intereffen wahrzunehmen,
die allerdings zugleich für das GefammtIntereffe "Englands
fo wichtig find. Yus dem legten Parlamente wurde. der Bant-
Direktor Dianning, der feit vielen Jahren darin ſaß, darum aus:
geſchloſſen, weil von feinem Konkurrenten die Anwendung won
Beſtechung bei feiner Wahl bewiefen wurde. Daß die unter
ſchiedenen großen Intereffen der Nation in ihrem großen Ratht
tepräfentirt, werden follen, ift ein England eigenthümlicher Ges
fihtspimtt, der in feiner Art auch der Konflitution der älteren
Reihs= und Landflände in allen Monarchien Europa’s zu Grunde
gelegen hat, wie er no, 3. B. in der ſchwediſchen Verfaſſung
die Bafls der Abordnung zum Reichstage ausmacht.
dem modernen Princip, nad welhem nur der abftrafte Wille
der Individuen als folder repräfentirt werden fol, entgegenge-
ſetzt, und wenn in England zwar auch die fubjektive Willkür
der Barone und der fonftigen zur Wahl Privilegirten die Grund»
lage der Befegung der Stellen ausmacht, hiermit die Repräfen-
tation der Intereffen felbft dem Zufall anheimgeſtellt iſt, fo gilt
ſie dod für ein fo wichtiges Moment, daß die angefehenflen
6. Ueber die englifche Reform- Bill, 449
Banquiers ſich nit ſchämen, in die Korruption des Verkaufs
von Parlamens- Stellen einzugehen, und ſich in einer öffentiichen
Erklärung an das Parlament zu beſchweren, daf jenen großen
Intereſſen durch die Bil diefer der Zufälligkeit nicht ausgefegte
Weg der Beflehung abgefchnitten werden folle, im Parlamente
repräfentirt zu werden. Moralifche Beweggründe weichen ſolchem
wichtigen Gefichtspunfte, aber cs ift der Mangel einer Berfafs
fung, daf fie das, was nothwendig if, dem Zufall überläßt und
daffelbe auf dem Wege der Korruption, den die Dioral verdammt,
zu erlangen nöthigt. Die Intereffen, wie fie ind ie Stände or—⸗
ganifch unterfchieden find, — in dem angeführten Beifpiele
Schwedens in die Stände des Adels, der Geiſtlichteit, der
Städtebürger und der Bauern, — entfpreden zwar dem jetigen
AZuftande der meiften Staaten, nachdem, wie in England, die
erwähnten anderen Intereffen nunmehr mächtig geworden find,
nicht mehr volftändig; diefer Mangel wäre jedoch leicht zu bes
feitigen, wenn die frühere Baſis des innern Staatsrechts wieder
verftanden würde, nämlich daf die realen Grundlagen des Staats»
Lebens, fo wie fie wirflid unterfchieden find und auf ihren uns
terſchiedenen Gehalt wefentliher Bedadht in der Regierung und
Verwaltung genommen werden muß, aud mit Bewuftfeyn und
ausdrüdlich herausgehoben, anerfannt und, wo von ihnen ge=
fprochen und über fie entſchieden werden fol, fie ſelbſt, ohne daß
dieß dem Zufall überlaffen würde, zur Sprache gelaffen werden
follen. Napoleon hat in einer Konflitution, welche er dem Kö—
nigreih Italien gegeben, die Berechtigung zur Repräfentation
nad) den Klaffen von Poffidenti, Dotti, Mercdanti, in dem
Sinne jenes Gefihtspunttes, eingetheilt.
Inden frühern ParlamentssBerhandlungen über vorge
ſchlagene ſehr ‚partielle Reformen war immer ein Hauptgrund
dagegen, der aud gegenwärtig hervorgehoben wird, der, daß bei
der bisherigen Belegung des Parlaments alle große Intereſſen
zepräfentirt ſeyen, daß die Sachen, Richt Individuen als ſolche,
Vermiſchte Schriften. * > 29
ſich auszuſprechen und geltend zu machen Gelegenheit haben fol«
len. In diefes Moment ſcheint dasjenige einzutreten, (denn es
ift nicht näher ausgeführt), was der Herzog von Wellington in
feiner legten Rede dem Dberhaufe als einen Punkt an bas
Herz legt, der bisher von demfelben, wie von dem Unterhaufe,
überfehen worden fey, nämlich daß eine gefeggebende Ber-
fammlung und feine Korporation von Stimmfähigen,
ein Unterhaus und Fein neues Spftem für die Konftitwenten zu
ſchaffen ſehen. Wenn es nit um Rechte der Stimmfähigteit
und darum, wer die Konftituenten feyn follen, fondern um das
Refultat, daß eine gefesgebende Berfammlung und ein Unter
haus tonftiguirt fey, zu thun wäre, fo könnte allerdings gefagt
werden, daß ein ſolches Unterhaus bereits nad dem bisherigen
Repräfentations- Rechte konſtituirt ſey, — und zwar führt der
Herzog im Verfolg der Rede das Zeugnif eines Freundes der
Reform Bill an, daf das gegenwärtige Unterhaus fo befchafen
ſeh, daß kein befferes gewählt werden könnte. Und in der That
liegt in der Reform= Bill felbft weiter feine Garantie, daß din
nad) derfelben mit Verlegung der bisherigen pofitiven Rechte ges
wäbhltes vorzüglicher feyn werde. - eh
Diefe Rechte fegt der Herzog im feiner Rede dem Rechte
gleich, vermöge defien ihm fein Sit im Oberhaufe fo wenig ent-
zogen, als dem Minifter, Grafen Grey, feine Güter in Vorkfhire
genommen werden dürfen, Die Bil enthält allerdings das
neue Princip, daß das privilegirte Wahlrecht nicht mehr in dies
felbe Kategorie mit dem eigentlihen Eigenthumsrechte gefegt
wird, Nach diefer Seite ift es als richtig anzuerkennen, was die
Gegner der Bill ihr vorwerfen, daß fie, vermöge ihres neuen
Princips felbft, ſchlechthin inkonſequent in fi fey. Ein perfön-
lic) näher tretender Vorwurf hierüber Liegt in der Angabe, daf
die Grenzlinie, nad) welder privilegirten kleineren Städtchen
das Wahlrecht gelaffen werden folle, in der Bil mit Vorbedacht
fo gezogen ſey, daß dem Herzog von Bedford, Bruder des Lords
6, Ueber die englifche Reform = Bill. 451
John Ruffell, der die Bill ins Unterhaus eingebracht hat, feine
Boroughs nicht angerührt würden. Die Bill iſt in der That
ein Gemiſch von den alten Privilegien und von dem allgemeis
nen Princip der gleichen Berechtigung aller Bürger, — mit
der äußerlichen Befchräntung einer Grund- Rente von 10 Pſd. —
‚zur Stimmgebung über diejenigen, von welchen fie vertreten
werden follen. Indem fie fo den MWiderfprud des pofitiven
Rechts und des allgemeinen Gedanken-Princips in, ſich aufge
nommen bat, flellt fie das, was bloß aus dem Boden des alten
Lehnrechts ftammt, in ein viel grelleres Licht der Inkonfequenz,
als wie noch alle Berechtigungen insgefammt auf einem und
demfelben Boden des pofitiven Rechts fußten.
Das Princip des Gedantens für fid) eröffnet allerdings
eine Unendlichkeit von Anfprücden, der wohl zunädft die parlas
mentarifhe Macht Schranken fegen kann; in feiner Konfequenz
durchgeführt, würde es mehr eine Revolution, als eine bloße
Reform ſeyn. Daf aber ſolche weitere Anſprüche nicht fobald
mit befonderer Energie mögen erhoben werden, dafür fpricht die,
wie es fcheint, fehr allgemeine Zufriedenheit der mittlern und
untern Klaffen der drei Königreiche mit der Bill. Den foges
nannten praftifchen, d. h. auf Erwerb, Subſiſtenz, Reichthum
gerichteten Sinn der britifhen Nation feheinen die Bedürfniffe
der oben angeführten materiellen Rechte noch wenig ergriffen zu
haben, noch weniger ift durch ganz formelle Principien abſtrak—
ter Gleichheit etwas bei ihm auszurichten; der Fanatismus fol
cher Principien ift diefem Sinne fremder. Diefer praktifche
Sinn’ zwar wird felbft in unmittelbaren Verluſt gefegt, indem
eine große Menge den Gewinn der Beſtechung verliert, durch die
Erhöhung der Bedingung der Wählereigenſchaft von 40 Shik
lingen auf das Fünffache. Hat diefe höhere Klaffe *) —ãR
*) Kürzlich iſt im Oberhauſe dieſe hoͤhere Klaſſe, der 10 Pfd. DIN:
mit dem Namen: Paupers belegt worden.
zu *
452 VEIT, Auffäge vermifchten Inhalis.
reellen Vortheil von ihrem Wählen gezogen, fo geht er ihr nicht
verloren. So eben ift ein von der Stadt Liverpool gewähltes
Mitglied vom Parlament ausgefhloffen worden, weil von den
Wählern die Beſtechung bewiefen worden ift; die Wähler in |
diefer Stadt find fehr zahlreich, und da fie fehr reich iſt, ſo
wäre zu vermuthen, daß ſich unter den Beftochenen auch viele
MWohlhabende befunden haben. So gut ferner, als die großen
Gutsbefiger Hunderte und Taufende von ihren befislofen Päd-
tern als Cigenthümer einer freien Grund-Rente von 40 Shi
lingen aufzuführen mußten, ebenfo wird ſich auch dieſe ‚eigeh-
thümliche Weife, fih Stimmen zu verfchaffen, bei dem neum
Eenfus einrichten und jene abhängigen Menſchen ſich in Grund:
Rentenbefiger von zehn Pfunden mastiren laffen. Ebenſo wer
nig wird das mehrwöchentliche Schlemmen und der Rauſch, in
den die freigelaffene Wildheit des englifchen Pöbels ſich auszu—
laffen Aufforderung und Bezahlung erhielt, der Erhöhung der
Bedingungs= Rente ungeathtet, ſich verlieren. Bei der, vorlesten
Parlaments Wahl wurde angegeben, daß in der volkreichen
Grafſchaft York für die Wahl eines dortigen Gutsbefigers, Beau:
mont, 80,000 Pfd. St. (gegen 560,000 Rthlr.) ausgegeben
worden find *); wenn in Parlaments = Verhandlungen vorge
bracht worden ift, daß die Koften bei den Wahlen nad gerade
allzu ſtark werden, fo ift die frage, wie das Volt es anfehen
wird, daß an ihm die Reihen Erſparniſſe machen wollen, Wie
fich diefe Seite eines reellen Vortheils fiellen, welde neue Kom⸗
binationen von der unermüdlichen Spekulation der mit dem Hans
del der Parlaments>Sige ſich befaffenden Agenten erfunden. mer-
den, ift noch unbeftimmt; es würde zu früh feyn, auf die Ver⸗
änderung, die in dieſem Intereſſe vorgeht, Vermuthungen bauen
zu wollen. PT}
*) In einer der Testen Sikungen des Parlaments ift der Aufwand
der vorhin angeführten Wahl zu Liverpool auf 120,000 Pfd. Sterl, (über
800,000 Rthlr.) angegeben worden. ‚tee
6. Ueber die englifche Reform Bill. 453
Ein höheres Intereffe aber ſcheint das Stimmrecht felbft
darzubieten, indem es für fi) das Verlangen und die Forderung -
einer allgemeineren Ertheilung deffelben aufregt. Der Erfahrung
nach zeigt ſich jedoch die Ausübung des Stimmrechts nicht fo
anziehend, um gewaltige Anſprüche und daraus entfiehende Bes
wegungen zu veranlaffen. Es fcheint vielmehr bei den Stimme
berechtigten eine große Gleichgültigkeit dagegen, des damit ver—
bundenen Intereffes der Beftehung ungeachtet, zu herrſchen; aus
der zahlreichen Klaffe derer, die insbefondere durd die Erhöhung
des Wahl⸗-Cenſus dafjelbe verlieren, oder denen es, indem ihre
Stimmen in die allgemeine Menge der Berechtigten der Graf-
ſchaft geworfen werden, fehr geſchwächt wird, find nod Keine
Petitionen gegen die ihnen fo nachtheilige Bill zum Vorſchein
gekommen. Die Reklamationen dagegen find von foldyen erho—
ben worden, welchen die Sicherheit oder Wahrſcheinlichkeit, einen
Parlaments Sit zu erhalten, gefhmälert wird oder ganz ver-
loren geht. Durd eine Parlamentsatte ift vor einem Jahre
dur Erhöhung der zum Stimmrechte erforderlihen Rente in
Irland einer Anzahl von 200,000 Individuen ihr Wahlrecht
genommen worden, ohne daf fie eine Befchwerde über diefen
Verluft ihres Berufs, an den Staats= und Negierungs= Angeles
genheiten Theil zu nehmen, erhoben hätten. Nach allen Umſtän—
den fehen die Wähler in ihrem Rechte eine Eigenfchaft, die
vornehmlich denen zu Gute kommt, welde in das Parlament ges
wählt zu werden wünſchen, und für derem eigenes Gutdünten,
Willfür und Intereffe, auf Alles, was in jenem Rechte von
Mitregieren und Mlitgefegegeben liegt, Verzicht geleiftet werde, —
Das Hauptgefhäft bei einer Wahl, wofür die Kandidaten Agen—
ten annehmen, die mit den Lokalitäten und Perfönlichteiten, fo
wie mit der Urt, dieſe zu traktiren, bekannt find, ift das Auf—
fuchen und Herbeibringen von Wahlberechtigten eben fo fehr, als
fie zu Gunften ihrer Patrone insbefondere durch Beftechung zu
beftimmen; die großen Gutsbefiger laffen die Schaaren ihrer
454 VI. Aufſaͤtze vermifchren Inhalts.
Pächter, deren cin Theil, wie vorhin bemerkt, fo eben in momen-
tane Beflser der erforderlichen Grund-Rente traveflict worden,
zufammentreiben. Brougham .befchrieb bei einer vorigen Wahl
launig eine Scene, wo man fie in Höfen bei feuern, Pudding
und Porter bivouatiren und, um fie dem Einfluß der Gegner
zu entziehen, darin bis zu dem Augenblicke verfchliegen Tief, in
weldem fie ihr gehorfames Votum abzugeben heben. Diefe
Gleihgültigkeit gegen das Wahlrecht und deffen Ausübung kon—
traftirt im höchſten Grade damit, daß in» demfelben das Recht
des Volkes liege, an den öffentlichen Angelegenheiten, den. höch⸗
fen Intereſſen des Staats und der Regierung Theil zu nehmen,
und daf die Ausübung defielben eine hohe Pfliht fey, da die
Konſtituirung eines wefentlihen Theils der Staatsgewalt, der
Repräfentanten-Verfammlung auf diefer Ausübung beruht, ja
da dieß Recht und feine Ausübung im franzöfifchen Style der
Akt der Souveränetät des Volkes, und zwar fogar der einzige
ſeh. Aus folcher Gleichgültigkeit gegen diefes Recht kann Teiht
die Befchuldigung der politifhen Stumpfheit oder Verdorbenhtit
eines Volkes gezogen werden, wie aus der Gewohnheit der Bes
ſtechung bei Ausübung deffelben, Diefe harte Anfiht muß ſich
jedod) mildern, wenn man erwägt, was zu folder Lauigkeit mits
wirken muß; es iſt dieß offenbar die Empfindung der wirklichen
Gleichgültigkeit der einzelnen Stimme unter den vielen tauſen⸗
den, die zu einer Wahl konkurriren. Won ungefähr 658, die
gegenwärtig in das englifche Unterhaus, oder von 430 Mitglie-
dern, die in die franzöfifche Kammer zu wählen find (die Yens
derung, welde diefe Zahlen demnächſt erleiden werden, iſt hier
gleichgültig), ift es ein Mitglied, das zu ernennen ifl, — umter
folder Anzahl fchon eine fehr unanfehnlide Fraktion; aber die
einzelne Stimme ift eine noch um fo viel geringfügigere Frak—
tion, als es 100 oder 1000 Stimmen find, die dazu konkurri—
ven. Wenn die Anzahl der durch das nene ſranzöſiſche Wahl-
gefeg zu produzirenden Wähler auf 200,000 gefchägt, die Anzahl
6. Ueber die englifche Reform Bill, 455
der danach zu erwählenden Mitglieder aber in runder Summe
zu 450 angenommen wird, fo ergiebt, fd die einzelne Wahl-
flimme als der zweimalhunderttaufendfte Theil der ganzen Wahl
macht und. als der neunzigmillionfte Theil des einem der drei”
Zweige der Macht, welche Gefege giebt.
Das Individuum ftellt ſich ſchwerlich die Geringfügigkeit
feiner Wirkſamkeit in diefen Zahlen vor, aber hat nicht weni—
ger die beflimmte Empfindung diefer quantitativen Unbedeutend-
beit feiner Stimme, und das Quantitative, die Anzahl der Stim-
men, ift hier allein das Praktifche und Entfheidende. Es mö—
gen wohl die qualitativen hohen Geſichtspunkte der freiheit, der
Pflicht der Ausübung der Souveränetäts-Rechtes, des Antheils
an den allgemeinen Staats» Angelegenheiten, gegen die Läſſigkeit
hervorgehoben werden; der gefunde Menſchenverſtand hält fid
gern an das Effektive; und wenn dem Individuum das Gewöhn⸗
liche vorgeftellt wird, daf, wenn jeder fo läffig dächte, der Bes
ſtand des Staats und noch mehr die Freiheit in Gefahr käme,
fo muß daffelbe fi) eben fo fehr des Princips erinnern, auf
weldes feine Pfliht, das ganze Recht feiner Freiheit gebaut
wird; — nämlich, daß es fi nicht durch die Betrachtung deffen,
was Andere thun, fondern nur durd feinen eigenen Willen be—
flimmen laffen folle, und daß feine individuelle Willfür das Letzte
und eben das Souveräne ift, das ihm zutommt und zuerkannt
if. — Ohnehin iſt diefer für ſich fo geringfügige Einfluß auf
die Perfonen befchräntt, und wird nod unendlich geringfügis
ger dadurch, daß er ſich nicht auf die Sache bezieht, diefe vikls
mehr ausdrüdlid ausgefchloffen if. Nur in der demokratiſchen
Konfitution Frankreihs vom Jahre II unter Robespierre, die
vom ganzen Volk angenommen wurde, aber freilid um fo we—
niger zu irgend einer Ausführung kam, war angeordnet, daß den
einzelnen Bürgern aud die Gefege über die öffentlihen Ange—
legenheiten zur Beſchlußnahme vorgelegt werden ſollten, — Die
Wähler find ferner auch nicht einmal Kommittenten, die ihrem
BE -
lichſten konſtitutionellen ——
daß die erwãhlten Mitglieder eben fo fe
bungen fepen, als ihre Wähler in den —*
ihren Berathungen und Beſchlüſſen über die öffentlichen Ang
Könige, was für ihm fanttionirt iſt, für- die Erfüllung
Pflichten Feine Verantwortlichkeit zw haben.
In Folge des Gefühls der ftattfindenden Gerin fügi
des Einſluſſes des Einzelnen und. der an dieh Recht geknüpft
ſouveränen Willkür werden, wie die Erfahrung lehrt, die Wah
‚berfammlungen überhaupt nicht zahlreich befucht; die Zahlen,
‚man in den öffentlichen Blättern zuweilen von den Stin
rechtigten und von den bei der Wahl wirklich Stü mende
‚gegeben findet, zeigen ſich in Frankreich, ſelbſt —* fi
‚ten ‚Zeiten der legten Negierungsjahre Karl's X,, ge
‚sehr von einander abweichend; bei der neueften, im D
‚bes politifchen Interefies, in Paris, abgehaltenen IB
an Eifer, der Parteien, die Wahlberechtigten zum, St
ben herbeizurufen, nicht gefehlt zu haben ſcheint, iſt bei ungefäb
4,750 Wahlberechtigten angegeben, daf ſich etwa 600 nicht ei
‚gefunden ‚haben, Es möchte in diefer Rückſicht intereffant/ ſeh
auch aus andern Kreifen, wo das Wahlrecht fünmtl
‚gern übertragen ift und ein ihnen viel näher liegendes J
betrifft, — 3. B. von Wahloerfammlungen für, Erwählung -?
Stadtverordneten im preußiſchen Staate, — das Dur ſchnit
verhältniß der, Stimmberechtigten zu den ‚wirklich €
kennen zu lernen. — In früheren Perioden: der, franzöſiſch
Revolution bat der, Eifer und das Benehmen der Jakobiner in
den. Wahlverfammlungen es den ruhigen und rechtſchaffenen
6, Weber die englifche Reform Bill, 457
Bürgern verleidet, aud) gefährlich gemacht, von dem Stimmrechte
Gebrauch zu maden, und die Faktion hat allein das Feld be—
hauptet. — Wenn die über die Wahlberedhtigung ‚gegenwärtig,
befchliefenden großen politifchen Körper eine Pflicht hoher Ge—
rechtigkeit zu erfüllen glauben, daf fie die äußerlichen Bedin—
gungen diefer Befugniß erweitern und fie einer größeren Anzahl
ertheilen, fo dürfte ihrer Erwägung entgehn, daß fie eben damit
den Einfluß des Einzelnen vermindern, feine Vorſtellung von
defien Wichtigkeit und dadurch fein Intereſſe, dieß Recht: aus—
zuüben, ſchwächen, abgefehen von der frage, wie überhaupt irs
gend eine Staatsgewalt dazu komme, über diefes Recht der Bür—⸗
ger zu disponiren, dabei 50 oder 100 Franken oder ſo viel Pfund
Sterling in Ueberlegung zu nehmen und dieß Recht nach ſol—
hen Größen zu ändern — ein Recht, welches feiner Beflimmung
nah als fouverän, urfprünglich, unveräußerlich, überhaupt als
das Gegentheil davon angenommen: — —8 es — oder
genommen werden könne. I
Wie der in fo gutem Rufe ſtehende — Vienſchenw⸗
ſtand des engliſchen Volkes die Individuen die Unbedeutendheit
ihres Einfluſſes auf die Staats-Angelegenheiten durch ihre ein—
zelne Stimme empfinden läßt, fo giebt derſelbe geſunde Men—
ſchenverſtand auch das richtige Gefühl feiner geringen Befähigung
‚am die zu hohen Staats-Aemtern erforderlihen Talente, Ges
ſchäftskenntniß, Fertigkeit und Geiftesbildung zu beurtheilen; foll=
ten ihm 40 Shillinge vder 10 Pfund Grund-Rente, oder 200
Franken direkter Steuern, die Zuſatz⸗ Centimen mit eingerechnet
oder nicht, einen fo großen Zuwachs von Befähigung zu enthals
ten feheinen? Die Strenge der franzöſiſchen Kammern, den
Gefihtspunkt fonfiiger Befähigung gegen diejenige Befähigung,
welche in den 200 Franken mit oder ohne die Zufag-Centimen lie
gen joll, auszufchliefen und fie nur den Mitgliedern des Inſti—
tutes zuzufßreiben, ift charakteriftifch genug; der Formalisinus
der Achtung der 200 Franken hat die Achtung für die Befähigung
B8 vul. Aufſate vermiſchten Inhalts.
und den guten Willen von Prãftklur⸗ Gerichtsräthen, Aerzten,
Advokaten u, f. f., die nicht fo viel Steuetn bezahlen, überwuns
den, — Ueberdieß wiffen die Stimmgebenden, daf fie vermöge
ihres fouveränen Rechtes überhoben find, eine Beurtheilung oder
gar Prüfung der ſich vorſchlagenden Kandidaten vorangehen zu
laffen, und daß fie ohne all dergleichen zu entſcheiden Haben. &
ift daher eben fein Wunder, daf in England die Individuen in
großer Anzahl — und es käme nod darauf an, ob nicht di
Mehrzahl, — es bedürfen, zu der ihnen wenig wichtigen Müh-
waltung des Stimmgebens durch die Kandidaten aufgereizt, und
für folhe Mühmaltung, die den Kandidaten zu Gute kommt,
von denfelben mit Bändern, Braten und Bier und einigen Gui⸗
neen fchadlos gehalten zu werden. Die Franzofen, neuer im dies
fer politiſchen Laufbahn, allerdings auch durd die: voichtigfien
Intereffen des noch nicht tiefer konſolidirten, vielmehr in Ännerfle
Gefahr gebrachten, Zuſtandes gedrängt, find noch nicht fo fehr
auf diefe Art von Schadloshaltung gefallen; aber |
Sachen und ihren Antheil daran ernfter zu nehmen aufgeregt
worden, haben fie fi für die Geringfügigkeit des individuellen
Antheils ihrer Souveränetät an den. öffentlichen Angelegenheiten,
durch felbft genommenen Antheil au an den Sachen in In
furrektionen, Klubs, Affociationen u, f. f. entfhädigt und Recht
verfchafft, Be;
Die vorher berührte Eigenthümlichteit einer Gewalt im Eing-
land, welde untergeordnet feyn fol, und deren Mitglieder zu:
gleich ohne Inftruktion, Werantwortlickeit, ohne Beamte zu
feyn, über die Gefammtangelegenheiten des Staats beſchließen,
begründet ein Verhältniß zu dem monarchiſchen Theile der Ber:
faffung; es ift zu erwähnen, welden Einfluß die Reform Bill
auf diefes Verhältnif, und auf die Regierungsgewalt überhaupt
haben möge, Für diefe Betrachtung ift vorher an die nächſte
folge der erwähnten Eigenthümlichkeit zu erinnern, daß nämlih
in England durch diefelbe die monarchiſche Gewalt und die Res
’
6, Ueber die englifhe Meform= Bill. 9°
gierungsgewalt fehr von einander verfhieden find. Der monars
chiſchen Gewalt kommen die hauptfächlichften Zweige der höchſten
Staatsmadht zu, vornehmlich diejenigen, welde die Beziehung
zu andern Staaten betreffen, die Macht, Krieg und Frieden zu
befchliefen, die Dispofition über die Armee, die Ernennung der
Minifter, — doch ift es Etifette geworden, daß der Monarch
direkt nur den Präfidenten des Minifter-Konfeils ernennt und
diefer das übrige Kabinet zufammenfegt, — die Ernennung der
Armee - Befehlshaber und Offiziere, der Gefandten u. f. f. Ins
dem num dem Parlamente die fouveräne Beſchließung des Bud⸗
gets (mit Einfchluß felbft der Summe für die Suftentation des
Königs und feiner Familie) d. i. des Gefammt=Imfangs der
Mittel, Krieg und Frieden zw machen, eine Armee, Gefandte
u. f. f. zu haben, zuſteht, und ein Minifterium hiermit nur re⸗
gieren, d. i. eriftiren kann, in fofern es fi) den Anfichten und dem
Willen des Parlaments anfchließt, fo ift der Antheil des Mo—
narchen an der Negierungsgewalt mehr illuforifch als reell, und
die Subftanz derfelben befindet fih im Parlamente. Bekanntlich
hat Sieyes, der den grofen Ruf tiefer Einſichten in die Orga
nifation freier Berfaffungen hatte, in feinem Plane, den er ende
lich bei dem Uebergange der Direktorial-Werfaffung in die Fort»
fularifhe aus feinem Portefenille hervorziehen konnte, damit nun
Frankreich in den Genuß diefes Refultates der Erfahrung und
des gründlichen Nachdenkens gefest werde, einen Chef an die
Spige des Staats gefiellt, dem der Pomp der Repräfentation
nad außen und die Ernennung des oberſten Staatsraths und
der verantwortlichen Minifter, wie der weitern umtergeordneten
Beamten, zuftände, fo daf die oberfte Negierungsgewalt jenem
Staatsrath anvertraut werden, der Proclamateur-electeur aber
feinen Antheil an derfelben haben follte. Man kennt das foldas
tiſche Urtheil Napolcon’s, der fi zum Herrn und Regenten ges
macht fühlte, über dieß Projekt eines folden Chefs, in welchem
er nur die Rolle eines cochon à l'engrais de quelques mil-
460 VI. Auffäge vermifchten Inhalts.
lions fah, welde zu übernehmen ſich kein Mann von einigem
Talent und etwas Ehre geneigt finden werde. Es war in dies
ſem Projekt überfehen (und hier wohl redlicher Weife, was in
andern mit vollem Bewußtſeyn und vollſtändiger Abſicht eingerichtet
worden ift), daß die Ernennung der Perfonen des Minifteriums
und der andern Beamten der ausübenden Gewalt für fich etwas
Formelles und Unmächtiges ift und der Sache nach dahin fällt,
wo effektiv ſich die Negierungsgewalt befindet. Diefe fehen wit
in England im Parlamente; wenn in den mannigfaltigen me
narchiſchen Konflitutionen, deren Erſchaffung wir erlebt haben,
die formelle Scheidung der Regierungsgewalt, als der ausüben
den, von einer nur gefeggebenden und richterlichen Gewalt ausge
fproden, und jene fogar mit Pomp und Auszeichnung herausgeflellt
ift; fo ift immer die Belebung des Minifteriums das Centrum
der Konteftation und des Kampfes, — des der Krone unbedingt
zugefchriebenen Rechtes diefer Beſetzung ungeachtet, — geworden,
und die fogenannte nur gefeggebende Gewalt hat den Sirg du
vongetragen; ſo iſt, aud unter der neueften Verfaſſung Frant⸗
reichs in den täglichen politifhen und anderen Anfragen und
Kontefiationen, die Tendenz nicht zu verkennen, das Mrinifterium
zu nöthigen, das Hauptquartier der Regierung in die Deputirs
ten- Kammer zu verlegen, wo jenes felbft dahin gebracht worden
iſt, ſich mit feinen Unterbramten in öffentlide Konteftationen ein⸗
laffen zu müſſen. ee
Eine Beziehung auf die im Parlamente liegende Regierungs:
gewalt hat zunächft das, was die Gegner der Reform-Bill zu
Gunften der Burgfleden, durch deren Befig viele Parlamentss
Site von einzelnen Individuen oder Familien abhängen, anfüh—
ren, daß nämlich vermittelft diefes Umftandes die ausgezeichnetz
ſten Staatsmänner Englands den Weg in das Parlament und
von da in das Minifterium gefunden haben. Es wird wohl
geſchehen, daß ein ausgezeichnetes gründliches Talent oft eher der
Private Freundfchaft bekannt wird, und in dem Fall iſt, nur
N
6, Ueber die englifche Reform = Bill. 461
durch individuelle Großſinnigkeit zu dem ihm gebührenden Platz
gelangen zu können, den es bei mangelndem Vermögen und Fa—
milienzuſammenhang von der Maſſe der Bürger einer Stadt
oder Grafſchaft ſonſt vielleicht nicht erreichen würde. Aber ders
gleichen Beifpiele können dem Reiche der Zufälligkeiten zuge—
ſchrieben werden, wo ſich einer Wahrſcheinlichkeit leicht eine ans
dere, einem möglichen Nachtheil ein möglicher Vortheil, entgegen
flellen läßt. — Verwandt damit ift eine andere angebliche Folge
von größerer Wichtigkeit, auf welde der Herzog: von Welling-
ton aufmerkjam machte, der zwar nicht das Anfehen eines Red»
ners hat, weil ihm die wohlfliefende, ftundenlang fort unterhals
tende und an Selbfloftentation fo reihe Geſchwätzigkeit abgeht,
durch welde viele Parlaments =» Glieder zu fo geofem Rufe der
Beredfamkeit gelangt find, deſſen Vorträge aber trog des Abges
riffenen der Säge, was ihnen zum Vorwurf gemacht wird, eis
nes Gehalts und das Werfen der Sache treffender Gefüchtspuntte
nicht ermangeln, Er äufert nämlich die Beforgnif, daf an die
Stelle derjenigen Männer, denen jest im Parlamente die Bes
forgung des öffentlichen Intereffes anvertraut fey, ganz andere
treten werden, und fragt ein andermal, ob denn die Krämer,
aus welchen, wie früher angegeben, nad feiner Anfiht, in Folge
der neuen Bill, die größere Maſſe der Wähler beſtehen werde,
die Leute ſeyen, welche die Mitglieder für den großen Nath der
Nation wählen follen, der über die einheimiſchen und auswärts
gen Angelegenheiten, über die Intereffen des Aderbaues, der
Kolonieen und Fabriken zu entfcheiden hat? — Der Herzog
fpricht aus der Anfchauung des englifchen Parlaments, in wel
chem über der Maſſe unfähiger und unwiffender, mit dem: Fire
nif der gewöhnlichen Vorurteile und aus der Konverfation ges
ſchöpfter Bildung, oft nicht einmal hiermit verfehener Mitglieder
eine Anzahl talentvoller, fich der politifhen Thätigkeit und dem
Staats» Jntereffe gänzlid) widmender, Männer ficht. Auch dem
gröfern Theile von diefen ift ein Sig im Parlament gefichert,
—
462 VII. Auffäge .
Theils durch ihren eigenen R m
felbft oder ihre Fame in einen 2
ſchaft befigen, Theils durd den Einfluß 2
dann ihrer Partei⸗ Freunde. |
An diefe Klaffe ſchließt fü eine De änner an
es, daf fie dieß aus Liebhaberei thun und von unabhän
Vermögen find, oder daß fie öffentliche Stellen bekleiden
diefe durch die Konnexion mit parlamentarifgem Einfluß erla
haben; aber auch wenn fie diefelben fonft erhalten haben,
nen fie fowohl nach ihrer amtlichen Stellung, als nach dem a
gemeinen innern Beruf es nicht unterlaffen, fih an die: oliti
Klaſſe und eine Partei derſelben —⸗ —
dienſt nicht an ſonſtige Bedingungen z. B. ge
licher Studien, Staats⸗ Prüfungen, Fat
Kurfe umd dergleichen geknüpft ift, muß das
jener Klaffe einverleiben; es hat in ihr eine Wichtigkeii
verfhaffen, ift durch ihren Einfluß getragen, wie umgekel
feinige derfelben zugefhlagen wird. Seltene Anoma
von diefer Konnerion ifolirte Individuen, wie z. B
in das Parlament tommen, darin * nicht unter
meiner zu machen. *
Ein Haupt⸗ — — han
defen fonfige: Bande, Familien Ronnrpionen,; Golkt ren
Reden bei Gaftmalen u. f. f., der unendliche, nad allen The
der Erde ſich erfiredende, politifhe Briefwechfel, auch das
meinfame Herumtreiben auf Zandfigen, Pferderennen, Fuc
den u. ſ. f., zwar nit geflört werden, — die Dispofition näi
lich über eine Menge En rleidet allerdii
durch die Reform-Bill eine bedeutende Modifikation wel
moßL-Bie. Dam Gerjog; berüete Wirkung haben ag,
andere Individuen am du Gülle folder teen, Die zu Den
genwärtigen Kreife der fi dem Intereffe der Staat
}
6, Ueber die englifche Meforms Bill, 463
rung Widmenden gehören, aber die auch den Erfolg nad) ſich zu
ziehen geeignet ift, daß die Gleihförmigfeit von Marimen und
Rückſichten, die in jener Klaſſe vorhanden find und den Verſtand
des Parlaments ausmachen, eine Störung erfährt. Zwar ſcheint
es nicht, daf 3. B. Hunt, fo fehr er ifolirt ſteht, über die gez
wöhnlichen Kategoricen von Drud des Volks dur die Auflas
gen, Sinefuren u. f. f. hinausginge, aber der Weg in das
Parlament mag durd die Reform für Jdeen offen werden, die
den Intereffen jener Klaffe entgegen, daher auch noch nicht in
ihre Köpfe gefommen find; — Ideen, welde die Grundlagen eis
ner reellen Freiheit ausmachen und die oben berührten Verhälts
niffe von Kirheneigenthum, Kirchen = Organifation, geiſtlichen
Nflichten, dann die gutsherrlichen und die fonfligen aus dem Les
hensverhältniffe ftammenden bizarren Rechte und Beſchränkun⸗
gen des Cigenthums und andere Maffen des Chaos der englis
fchen Gefege betreffen, — Ideen, die in Frankreich mit vielen
weitern Abſtraktionen vermengt und mit den bekannten Gemalt:
thätigkeiten verbunden, umpermifchter in Deutſchland längft zu
feften Prineipien der innern Weberzeugung und der öffentlichen
Meinung geworden find, und die wirtlide, ruhige, allmälige,
gefeglihe Umbildung jener NRechtsverhältniffe bewirkt haben; fo
daf man bier mit den Inſtitutionen der reellen Freiheit ſchon
weit fortgefchritten, mit den wefentlichften bereits fertig und in
ihrem Genuffe ift, während die Regierungsgewalt des Parlaments
kaum noch ernftlih daran erinnert worden, und England von
den dringenden Forderungen jener Grundfäge und von einer
verlangten raſchen Verwirklichung derfelben in der That die
größten Erſchütterungen feines gefellfhaftlichen und des Staats—
Verbandes zw fürdten hätte. So enorm innerhalb Englands
der Kontraft von ungeheurem Reichthum und von ganz rathlo⸗
fer Armuth if, fo groß, und leicht noch größer, ift der, welcher
zwifchen den Privilegien feiner Ariftotratie und überhaupt den
Inſtitutionen feines pofitiven Rechts einer Seits und anderer
464 VII. Auffäge vermifchten Inhalts.
Seits zwifden den Rechtsverhältniffen und Gefegen, wie fie ſich
in den civilifirteren Staaten des Kontinents umgeftaltet haben,
und den Grundfägen flatt findet, die, infofern fie auf die allge
meine Bernunft gegründet find, auch dem englifchen Verſtand
nicht, wie bisher, fo immer fremd bleiben können. — Die novi
homines, von denen der Herzog von Wellington‘ beforgt, daf
fie fih an den Pag bisheriger Staatsmänner eindrängen wer
den, mögen zugleih an diefen Grundfägen für den Ehrgeij
und die Erlangung von Popularität die flärkfie Stütze fin
den. Weil es in England nicht der Fall ſeyn kann, daß Diele
Grundfäge von der Regierungss Gewalt, die bisjegt in den Hat
den jener privilegirten Klaffe ift, aufgenommen und von ihr ans
verwirklicht werden, jo würden die Männer derfelben nur als
Dppofition gegen die Regierung, gegen die beſtehende Ordnung
der Dinge, und die Grundſätze ſelbſt nicht in ihrer konkreien
praftifchen Wahrheit und Anwendung, wie in Deutſchland, fondem
in der gefährlichen Gefialt der franzöſiſchen Abſtraktion einten
müffen. Der Gegenfag der hommes d’elat und der hommesä
prineipes, in der Frankreich zu Anfang der Revolution gleich gan
ſchroff eintrat und in England noch keinen Fuß gefaßt hat, mag wohl
durd die Eröffnung eines breiteren Wegs für Parlaments- Site
eingeleitet ſeyn; die neue Klaffe kann um fo leihter Fuß faſſch
da die Prineipien felbft als folde von einfacher Natur find, des
wegen fogar von der Unwiſſenheit ſchnell aufgefaßt und mit
einiger Leichtigkeit des Talents, (weil fie um ihrer Allgemein
heit willen ohnehin die Prätenfion haben, für Alles auszurei⸗
den), fowie mit einiger Energie des Charakters. und des
Ehrgeizes für eine erforderliche Ales angreifende VBeredfamteit
ausreihen und auf die Vernunft der zugleich eben fo. hierin
unerfahrenen Menge eine blendende Wirkung ausüben; woge⸗
gen die Kenntnif, Erfahrung und Gefchäfts-Routine der hom-
mes d’etat nicht fo leicht ſich anſchaffen laſſen, welche für
BT 0 22
\
6. Weber die englifhe Neforms Bill. 465
die Anwendung und Einführung der vernünftigen Grundfäge in
das wirkliche Leben glei) nothwendig find. n
Durd ein foldes neues Element würde aber nicht nur, dies
jenige Klaffe geftört, deren Zuſammenhang die Staats-Geſchäfte
in Händen bat, fondern es iſt die Regierungsgewalt, die aus ih—
rem Gleife gerüdt werden könnte. Sie liegt, wie bemerkt wor-
den, in dem Parlament; fo fehr es in Parteien unterfchieden ift,
und mit fo großer Heftigkeit diefe einander gegenübertreten, fo
wenig find fie Faktionen; fie ſtehen innerhalb deijelben allgemei—
nen Intereffes, und ein Minifterwechfel hat bisher mehr nad)
aufen, in Rüdficht auf Krieg und Frieden, ald nad) innen bes
deutende Folgen gehabt. Das monarchiſche Princip hat. dagegen
in England nicht mehr viel zu verlieren. Der Abgang des wel-
lington’fhen Minifteriums ift befanntlih dur die Minorität
veranlaßt worden, in der es fi über die vorzunchmende Re—
gulirung der Eivil=Lifte des Königs befand; — eine Veranlaf-
fung, die von dem befonderen Intereffe iſt, daß fie eines der
wenigen Elemente betraf, die noch von dem monarchiſchen Prin-
eip in England übrig find. Der Reft der Domänen= Güter, die
jedoch den Charakter von Familiengut, von Privat Eigenthum
der königlichen Familie, eben fo gut hatten, als die Güter der
berzoglichen, gräflihen, freiherrlihen u. f. f. Familien in Eng»
land, war im vorigen Jahrhundert an die Schatzkammer über-
laffen und zur Entfehädigung eine dem Ertrag entfprechende,
unter dem übrigen jährlih vom Anterhaufe zu verwilligenden
Budget mitbegriffene Summe fefigefegt, worden. Dief Domänen
Gut, der ſchmale Reſt des frühern großen Vermögens der Krone,
das durch Verſchwendungen, vornehmlich durd das Bedürfnif,
in bürgerlichen Kriegen Truppen und, den Beiftand von Baro-
nen zu erkaufen, fo, ſehr gefhwächt worden war, hatte eine Aus—⸗
ſcheidung von dem, was Familiengut bleiben, und dem, was für
allgemeine Staats= Zwede verwendet werden follte, nicht erfah⸗
ten. Wenn nun, die Qualität von Familien» und Privat: Eis
Vermiſchte Schriften, * 30
Bo
466 VII. Auffäge vermifchten Inhalts.
genthum, die einem Theile jenes Vermögensreſtes zukam, wenig
fiens der Form nach durch feine Werwandlung aus Grundeigen⸗
thum in eime in das jährliche parlamentarifche Budget einge
ſchloſſene Verabfindungs- Summe bereits alterirt worden war,
fo blieb doch noch eine Geftalt monardhifcher, obgleich dem Mi-
nifterial= Konfeil unterworfener, Einwirkung auf diefen gerit-
gen Theil der jährlichen großbritanniſchen Staats- Ausgabe. Durh
die nenerlich von dem Parlamente verfügte Ausfcheidung eins
Theils, der zur Dispofltion des Königs für fi und feine Fam
lie geſtellt ift, und der Anheimgebung des andern ſchon bisher
auf Staats Zwede verwendeten an die parlamentarifche Berfüs
gung wird auch diefes Weberbleibfel Föniglich = monarchiſcher Die-
pofition aufgehoben. Es läßt ſich dabei nicht überfehen, da dir
Majorität, weldpe "gegen ein monarchiſches Element bedeutend
genug war, um das wellington’fche Minifterium zur Abdantung
zu vermögen, bei der. zweiten Leſung der Reform= Bill, welhe
gegen ariſtokratiſche Prärogativen gerichtet ift, ——
von Einer Stimme war. vi Ju
Als charakteriſtiſch für die Stellung des — —
ments Tann ber, wie bei der katholiſchen Emancipations⸗Sil
fo auch in den Verhandlungen über die Reform Bill, dem Mi
nifterium gemachte Vorwurf angefehen werden, daß es nämlich
die diefer Maafregel zu Theil gewordene Zuſtimmung des Ki
nigs habe laut werden laffen. Es Handelt fich hier micht um die
Ausübung einer monarchiſchen Machtvolltommenheit; was umge
hörig gefunden wird, iſt mur die Autorität oder der Einfluß, den
die perfönliche Anſicht des Königs ausüben könnte. So fehr
damit einer Seits eine Delikateffe, bei der Verhandlung der
Bil niet in die Verlegenheit, dem Willen des Monarchen zu
widerſprechen, gefegt werden zu wollen, "geltend gemacht wird,
fo fehr liegt darin, daf das Parlament auch in Betreff der
Initiative, welche dem monardifchen Elemente, der Krone, zus
ſteht, es nur mit einem von ihm abhängigen und ihm’ inkorpo⸗
6. Heber die englifche Reform «Bill. 467
rirten Minifterium, und eigentlich nur mit den eignen. Misglies
dern, da die Minifler nur im diefer Qualität den Vorſchlag zu
einer Bill machen können, zu thun haben wolle, wie denn aud)
das dem Könige, als drittem Zweige der gefeggebenden Macht,
zufichende Recht der Beflätigung oder Verwerfung einer von den
beiden Häufern angenommenen Bill in ſofern mehr nur illuſo⸗
rifch wird, als das Kabinet wieder daffelbe, dem Parlamente
einverleibte Minifterium if. Der Graf Grey hat auf jenen
Borwurf erklärt, daß in der Einbringung der Bill durch das
Minifterium ſchon von felbft die königliche Cinftimmung ent
halten fey, aber den Tadel der ausdrüdlicen Erzählung, daf fie
die Auftimmung des Königs habe, nur dadurch abgewälzt, daß
diefe Erwähnung nicht von den Miniſtern, fondern von anders
wärts ausgegangen: ſey. 7 | ern
Der eigenthümliche Zwiefpalt, weldyer durch bie neuen. Min:
ner in das Parlament gebracht werden könnte, würde daher nicht
der Kampf seyn, Mit welchem jede der, mehreren frangöfifchen
Konftitutionen jedesmal darüber. brgann, ob die Regierungsge-
walt dem Könige und feinem Minifterium, als welcher Seite
fie ausdrüdlic zugelegt war, wirklich zukommen folltez in dem
Zuftande der englifchen Staats- Verwaltung iſt längſt entſchie—
den, was in frankreich einer entscheidenden authentiſchen Inter—
pretation durch Infurcektionen und Gewaltthatendes‘ infurgirten
Volkes immer erſt bedurfte, Die Neuerung der Neforms Bill
kann daher nur die effektive Regierungsgewalt treffen, welche
im Parlament etablirt iſt; dieſe erleidet nad dem bisherigen
Zuflande nur oberflählihe Schwankungen, die als Wechſel von
Minifterien erfeheinen, feinen wahrhaften Zwiefpalt durd Prin—
cipien; ein neues Miniſterium gehört‘ derfelben Klaffe von In—
tereffen und von Staatsmännern an, welder das vorhergehende
angehörte. Wenn nun 'aud das jogenannte Intereffe des Ader-
baues erklärt zu haben ſcheint, bei der neu einzuführenden Wähl⸗
act feine Rechnung zu finden, auch ein grofer Theil der) bishe—
30 * |
470 VIII. Auffäge vermiſchten Inhalis. 6. Ueber d. eng. Meform-Bil,
bau, fo gut wie gar nicht eingreift. Dieſer freiere Zuſtand des
bürgerlihen Lebens Fann die Wahrfcheinlichkeit vermehren, daß die
formellen Prineipien der freiheit bei derjenigen Klaſſe, welche über
der niederen, in England freilich höchſt zahlteichen und für jenen
Formalismus am meiften offenen Klaffe fieht, fobald den Ein-
gang nicht finden werden, den die Gegner der kl in
drohender Nähe zeigen.
Solite aber die Bi, mehr noch durch ihr Princip, als
duch ihre Dispofitionen, den dem bisherigen Syſtem entgegen
gefesten Grundfägen den Weg in das Parlament, fomit im den
Mittelpunkt der Regierungsgewalt, eröffnen, fo daß fie Mit gr
ferer Bedeutung, als die bisherigen Nadital-Meformer zu ge⸗
winnen vermochten, dafelbft auftreten könnten; ſo würde der
‚Kampf um fo gefährlicher zu werden drohen, als zwiſchen den
Intereffen der pofitiven Privilegien ımd den Forderungen ber
reellern Freiheit keine mittlere höhere Macht, fie zuriickzupalen
und zu vermitteln, fände, weil das monardifche Element hier
ohne die Wacht ift, durch welche ihm andere Staaten den Ir
bergang aus der frühern, nur auf pofitives Recht gegründeten,
Gefegebung in eine auf die Grundfäge der reellen Freiheit ba
firte — und zwar einen von Erfchüitterung, Gewaltthätigkeit und
Raub rein gehaltenen Uebergang verdanken konnten. Die an:
dere Macht würde das Volk ſeyn, und eine Oppofition, Die, auf
einen, dem Befland des Parlaments bisher fremden, Grund ge-
baut, im Parlamente der gegenüberfiehenden Partei ſich nicht
geivachfen fühlte, würde verleitet werden können, im Wolke ihre
Stätte zu ſuchen und dann rat einer Reform eine nn
——
miles
uam Wurm \
+
IX 23.4 Pu TB,
4. Aug bem Koncepte zu einem Briefe an IB. Voß in
Keibelberg.
Jena 1805,
IJIn⸗ bat mich an ſich gezogen, als ich unter drei Aufenthalts—
orten zu wählen hatte, in der Zeit, als ich mich der Wiſſenſchaft
übergab. Denn wenn es auch nur die Gemeinſchaft des Wohns
orts if, wo mit Eifer und aus eigenem Thun Kunft und Wiſ⸗
fenfhaft ſich regt, fo hat diefe Wirkfamteit die, Gewalt über
den aufftrebenden Geift, ihm einen höheren Begriff feines Thuns
mit mehr Wahrheit vorzuhalten. — Daß Iena die Interefie
verloren hat, wiſſen Sie felbft am beften, indem Sie es felbft
dadurch, daß Sie es verlaffen, fhmälern halfen. In Heidelberg
fehen wir das wieder aufblühen, was hier verloren gegangen ifl,
In der Nähe des Kreifes folder Männer zu leben, die ſich dort
verfammeln, muß ich zum wärmſten Wunfche machen. ‚Meine
MWiffenfhaft, die Philofophie, und zwar die neue Philofophie,
wird fi dort Feiner ungünftigen Anſicht zu gewärtigen haben;
die den befonderen Disciplinen vorfiehenden Männer find gewiß
überzeugt, daf fie die Secle aller Wiſſenſchaften ift, alle empor=
hebt und weiter treibt. Ohne Regfamteit erfhlaffen die einzel-
nen Wiſſenſchaften, diefe erhalten fie durch den Begriff, der von
der Philofophie ausgeht, die die Wiffenfhaften in ihr, Eigen»
thum verwenden, fo wie fie wiederum von ihnen ihre Nahrung,
474 IX. Briefe.
Materie und Reihthum erhält. In wie fern ich hierbei etwas zu
leiften vermögend ſeyn könnte, kann ich nicht ausſprechen; was ein
jeder ift, das muf er durch feine That und feine Wirkung auf
Andere bewähren; ih kann mid nur auf unfertige Werke bes
rufen. Wenn ich von dem, was ich in der Wiſſenſchaft leiſten
könnte, ſprechen foll, ſo habe ich nach den erfien Ausflügen, bie
für den billigen Beurtheiler als Verſuche daliegen (in dem kri—
tifchen Journal), vor dem größeren Publikum geſchwiegen und
vor einem kleineren Kreiſe Vorleſungen über die geſammte Wiſ—
ſenſchaft der ſpekulativen Philoſophie, Philoſophie der Natur,
des Geiſtes und Naturrecht gehalten. Außerdem würde ich in
Heidelberg über die Aeſthetik in dem Sinne eines cours de li-
terature leſen und mid glücklich ſchäzen, mich Ihrer Uns
terftügung dabei erfreuen zu dürfen. Eine größere Arbeit (die
Phänomenologie des Geiftes) werde ich auf den Herbft als ein
Syſtem der Philofophie darlegen; id hoffe, dag wenigfiens fh
daraus fo viel ergeben wird, daf es mir nit darum zu tun
ift, den Unfug des Kormalismus zu fordern, den die Unwiſſen-
heit gegenwärtig befonders mit Hülfe einer Terminologie treibt,
wohinter fie fich verftedt. Luther hat die Bibel, Sie Homer
deutſch reden gemacht, das größte Geſchenk, welches dem Volke
geboten werden konnte; denn ein Volk ift fo lange barbariſch
und ſieht das Vortreffliche nicht als fein Eigenthum an, als «8
daffelbe nicht in feiner Sprache kennt. Wenn Sie diefe beiden
Beifpiele vergeffen wollen, fo will id) von meinen Befirebungen
fagen, daß ich verſuchen will, die Ppilofophie deutſch ſprechen zu
Ichren. Iſt es einmal fo weit gekommen, fo wird es unendlich
ſchwerer, der Plattheit den Schein von tiefem Reden zu geben. —
Dieß führt mid) nun auf einen andern Grgenftand, der
mit den vorhergehenden in naher Verbindung ſteht. Es ſcheint
die Zeit für Deutſchland gefommen zu feyn, daf, was Wahr-
heit ift, offenbar werde, in Heidelberg fcheint eine neue Morgen⸗
wöthe dem Heil der Wiſſenſchaft aufgehen zu können, und Sie,
1. An 3. H. Voß. — 2, An van Ghert. 4755
theuerfter Here Hofrath, find es vorzüglich, der mir diefe Hoff:
mung giebt. Ein Grundverderben fcheint mie das Zufehen, der
Mangel an Publicität der Wiffenfchaft, bei aller freiheit, welche
von Staatswegen eben fo fehr gewährt, als von unnügen Mäulern,
welche nur das allgemeine Gefhwäg vorbringen, gerühmt wird,
Laſſen Sie mid nod meine Gedanken von der Hoffnung
einer wirkſamen, ih die allgemeine Bildung eingreifenden, Bethäs
tigung der Wiſſenſchaft und Kunft ausfpreden, einer Hoffnung,
die mit meinem geäußerten Wunfche, den Lehrern Heidelberg’s
zugtzählt zu werden, aud) darum fo nahe zufammenhängt, weil ich
die Erfüllung deſſelben vorzüglich Sea ne > Eur
nn - anheim ftelle. —
2. An Hau Sheet in Xinftecbam, | *
Hochgeſchätzter Herr In Freund!
Die Kataftrophe von Jena hatte meine Weifättnife's * *
ner Univerfität allerdings zerſtört, und mid genöthigt, eine Bes
fhäftigung zu übernehmen, die mir eine augenblictiche Hülfe
verfchaffte, und es erlaubte, die Zeit befferer Ausſichten abzu:
warten. Ich bin nun feit einem Jahre Rektor und Brofeffor
der philoſophiſchen Wiffenfchaften am hieſigen Gymnaſtum, mit
ungefähr 1100 FL Befoldung, wodurd für die nächte Noth—⸗
wendigkeit des ökonomiſchen Bedarfs geforgt iſt. Ich hatte eine
Hoffnung, durch die neuern politiſchen Veränderungen eine Ges
legenheit zu einer Lehrſtelle auf einer Univerſttät zu erhalten;
inzwiſchen hat ſich jedoch noch nichts darüber entfdieden. — Sie
werden nach Ihrer Theilnahme an meinem Schickſale hieraus
gern erfchen, daß daffelbe wenigſtens nicht fo ſchliimm als Sie
gefürchtet, und erträglich war. Meine Amtsbeſchäftigung hat
zwar eine heterogene Seite, liegt jedody meinem eigentlichen Ins
tereffe für Philofophie im ihrem firengen Sin ganz hu a
ift zum Theil wirtlich damit verbunden.
476 IX, Briefe.
Ich Könnte übrigens nicht anders, als meiner gegenwärtigen
Lage diejenige vorzuzichen, zu welcher Sie mir eine Ausficht zu
eröffnen und Ihre Verwendung anzubieten, die Freundfchaft ha:
ben. — In Anfehung der Sprade, in der die Kollegien auf
holländif—hen Univerfitäten zu halten gewöhnlich ift, fo würde
dieß in lateiniſcher Sprache, wenigflens im Anfange, gefchehen
müffen; wenn die Gewohnheit es erlaubte, hiervon abzugeben,
würde ich mid bald in der Landesfprahe auszudbrüden firchen;
denn ich halte es an ſich für wefentlich zur wahrhaften Uneig-
nung einer Wiffenfhaft, daß man diefelbe in feiner Vrutterfprade
befist. — Eines wichtigen Umſtandes thun Sie Erwähnung
der in Holland herrfhenden Gleichgültigkeit oder Abneigung ges
gen Philofophie, befonders gegen deutſche. — Es käme hierbei
näher darauf an, zu wiffen, ob Philofophie wenigftens als all:
gemeines Erforberniß zur Bildung und zum Studium überhaupt
angefehen wird, und für die Einleitung und abftratte Grumdlage
der übrigen Wiffenfhaften gilt, und ob deren Studium, als von
propädeutifhem Werthe, vorgefhrieben ift. In fofern fie auf ein
feloftftändiges und fogar das höchſte Intereſſe Anſpruch machen
kann, muß der Lehrer überdieß allenthalben zugeben, daß fie nur
für Wenige diefen Werth hat. Je objektiver die Form iſt, welde
die Wiſſenſchaft der Philofophie überhaupt gewinnt, defto unbe:
fangener und anfpruchslofer wird ohnehin ihre Geftalt, und deflo
fähiger, es dem Empfangenden zu überlaffen, fie in der bloßen
Bedeutung eines Mittels und Eingangs, oder aber in ihrem
vollem Werthe zu nehmen, was aud in Deutfhland nur bei
dem geringeren Theile von Individuen der. Fall’ feyn wird. —
Zum Boraus wüßte ih doch, dag ih an Ihnen einen warmen
und treuen ‚Freund der Philofophie fände, und es wäre ſehr ans
genehm für mich, im Ihrer Nähe zu feyn. — Eine nähere
Hoffnung, auf einer deutſchen Mniverfltät eine Lehrfielle zw er—
halten, würde mich in Anſehung der Wahl in Verlegenheit
fegen. 5 20 77 5"
2, An van Ghert, 477
Was die Fortfegung meines philoſophiſchen Werkes betrifft,
nad) der Sie ſich Iheilnehmend erkundigen, fo habe ich nur uns
terbrochen daran arbeiten können. — Für Ihr gütiges- Aner-
bieten, in Anfehung eines Verlags in Amfterdam fih bemühen
zu wollen, bin id Ihnen ſehr verbunden, und behalte mir vor,
von Ihrer gütigen Erlaubnif, mich darüber an Sie wenden zu
dürfen, im Notbfalle, feiner Zeit Gebraudy zu machen
Ich ſchließe mit der wiederholten Bezeugung meiner Freude
über Ihr Wohlergehen und Ihr gütiges Andenken an mich; ic)
wünfde ftete Fortdauer des erflern und bitte Sie um: gütige
Fortfegung des andern, und bin mit der größten Hohadtung
Ihr, hochgeehrtefter Herr und werthefter Freund,
gehorfamfter Diener und Freund
Nürnberg, -d. 16. Dechr. Rektor und Profeffor
1809. Hegel,
An Denfelben.
Hochgeſchätzter Herr und Freund!
Nürnberg, den 15. Okthr. 1810, |
Die politifchen Veränderungen in Ihrem Baterlande wers
den ohne Zweifel auch auf die Einrichtung und den Beftand
Ihrer fonft fo wohl begründeten Univerfitäten Einfluß haben,
Diefe ehrwürdigen und rei dotirten Sige grümdlicher Gelehrs
famteit, die ihren Ruhm fortdauernd erhalten, werden, traurig
genug, dem politifhen Schidfale des Ganzen folgen müffen,
Körper jener Art, die ein für ſich beftehendes, freies Ganze aus-
machten, gerathen freilich mit der Zeit in eine Art von Stagna⸗
tion, behalten aber eine gewiffe Gediegenheit, die unfern moder-
nen deutfchen Akademien immer mehr fehlen wird, je mehr fie,
wie es mit den franzöſiſchen Infiituten der: Fall zu ſehn scheint,
nad) äußerer Nützlichteit und nach Staats» Zweden Hin gerich⸗
tet werden, und nicht mehr als etwas, das am und für ſich und
in fich geſchloſen fepn foll, als Werkſtätte der Gelehrſamten
als folder, gelten. Der Zweig der Philofophie, der in dem hol⸗
ländifhen Infituten ſich feine tiefen Wurzeln 'gegraben hatte,
wird freilich noch weniger dabei gewinnen; in jegiger Zeit müfs
fen wie nur darauf denken, daß fie fich in einzelnen Individuen
erhält und fortpflanzt, bis die Regierungen und das weitere Pus
blitum von feiner äußern Noth und Drang ſich wieder erhebt md
nach Höherem ſieht.
Es hat mich ſehr intereſſirt, daß Sie * mit dem Magn:
tismus befchäftigten; diefe dunkle Region des organifchen Ber
hältniffes fcheint mir au darum große Aufmerkffamkeit zw vers
dienen, weil die gemeinen Phofiologifhen Anſichten darin wer
fhwinden; gerade feine Einfachheit halte ich für das Mlertwür
digfte, denn das Einfache pflegt immer für etwas Dunkles aus
gegeben zu werden. Auch der Fall, in welchem Sie den Magne-
tismus angewendet, war eine Stodung in den höhern Syſtemen
des Lebens=Procefies. Um meine Meinung kurz zu fagen, jo
ſcheint er mir überhaupt in ſolchen Fällen wirkſam, wo ein
krankhaftes Ifoliren in der Seite der Senfibilität, z. B. auch
NRheumatism, eintritt, und feine Wirkung in der Sympathie zu
beftehen, in die eine animalifche Individualität mit einer andern
zu treten vermag, in fofern die Sympathie derfelben mit fh
ſelbſt, ihre Flüffigkeit in fi, unterbrochen und gehemmt iſt. Jene
Vereinigung führt das Leben wieder in feinen durchdringenden
allgemeinen Strom zurüd. Die allgemeine Idee, die ih davon
habe, ift, daß der Magnetismus dem einfachen allgemeinen Le—
' ben angehört, das ſich dabei als der Duft des Lebens überhaupt,
ungefondert in befondere Syſteme, Organe, und deren ſpecielle
Wirkſamkeit, als eine einfahe Seele verhält und manifeftirt,
2, An van Öhert. 479
womit der Somnambulismus und überhaupt die Aeuferungen
zufammenhängen, die fonft an gewiffe Organe gebunden, Bier
von andern faft promiscue verrichtet werden können.
Es ift mir lieb, wenn die Anzeige meiner philofophifchen
Schrift in den heidelberger Annalen, die Wirkung gehabt hat,
das Yublitum mehr aufmerkfam darauf zu maden, dieß ift zu⸗
nächſt das Weſentliche, was NRecenfionen leiften können; fo wie
es mich freut, daf Herr Bachmann fi fortdauernd mit Philos
fophie befchäftigt, und nad) feinem Eifer und Kenntniffen etwas
darin leiften wird. Es fiheint allerdings, wie Sie auch in Ih—
rem Briefe bemerken, der Inhalt habe ihn, wie auch einige an-
dere Recenfenten vorzüglich befehäftigt; das, worauf bei allem
Dhilofophiren, und jest mehr als fonft, das Hauptgewicht zu
legen ift, ift freilich die Methode des nothwendigen Zuſammen⸗
hangs, des Uebergehens einer Form in die andere, Dod) ift
jene Anzeige, fo viel ich wenigſtens gefehen, noch nicht gefchlofs
fen, und kommt vielleicht nod darauf zu reden.
Ihr
ergebenſter
Hegel,
An Denfelben.
Hochverehrter Here und Freund!
Endlich ift Ihre gütige Abſicht erreicht, und Jakob Böhm
fammt den andern Beilagen mir mwohlbehalten zugefommen.
Id ftatte Ihnen für dieß ſchöne Geſchenk des Andentens und
der Freundſchaft meinen herzlihen Dant ab; es hat mich fehr
erfreut; die Ausgabe und das Eremplar ift fehr vorzüglid. —
Id kann Jakob Böhm num genauer fludiren als vorher, weil
ich nicht felbft im Befig feiner Schriften war; feine Theoſophie
iſt immer einer der merkwürdigſten Verſuche eines tiefen, jedoch
ungebildeten Menſchen, die innerſte Natur des abſoluten Weſens
480 IX. Briefe >
zu erfaffen. — Für Deutfchland hat er das befondere Intereſe,
daß er eigentlich der, erſte deutſche Pbilofoph iſt. — Bei d
wenigen Fähigteit feiner Zeit, und bei der.eigenem
dung, abſtrakt zu denten, ift fein Beſtreben der Bürste Rum,
das tiefe Spekulative, das er in feiner Anfchauung hat, in die
Vorſtellung zu bringen, und zugleich das Element des Borfick
lens fo zu gewältigen, daß das Spekulative darin ausgedrüdt
werden könne. Es bleibt deswegen fo wenig Stätes und. Fels
darin, weil er immer die Unangemefienheit der Vorftellung zu
dem fühlt, was er will, und fie wieder umkehrt; wodurch, weil
dieſes Umkehren der abfoluten Reflexion ohne beflimmtes Ber
wußtſeyn und ohne die Begriffsform if, eine fo große Verwirrung
erfcheint. Es wird ſchwer, oder wie mir fheint, unmöglich ſeyn
aufer der Anerkennung der allgemeinen Tiefe feiner Grundydrin⸗
cipien, das zu entwirren, was En Detail und Beſtimmiheit
hingeht. 2
—
An Denſelben.
Nürnberg, den 18, Dechr. 4812,
Ich verdante es vornehmlich Ihnen, daß meine Arbeiten in
Holland Aufmerkfamkeit erregen; es thut mir leid, daß über
das Schwere der Darftellung geklagt wird. Die Natur folder
abftrakten Gegenflände bringt es aber mit fih, daß ihren Bears
beitungen nicht die Leichtigkeit eines gewöhnlichen: Leſebuchs ge⸗
geben werden kann; wahrhaft ſpekulative Philoſophie ann auch
nicht das Gewand und den Styl locke'ſcher oder der gewöhnlichen
franzöſiſchen Philofophie erhalten. Uneingeweihten muß jene
ihrem Inhalte nad ohnehin als die verkehrte Welt erfcheinen,
als im Widerſpruche mit allen ihren angewöhnten Begriffen,
und was ihnen fonft nad dem fogenannten gefunden: !
verftande als gültig erfhien. — Andern Theils aber muß. ih
äufrieden ſeyn, vor’s erſte mir die Bahn gebroden zu haben;
2. An van Ghert. 481
unfer ganzer Zuſtand bringt es mit ſich, daß ich diefe Arbeit
nicht noch zehn Jahre herumtragen und fort daran beffern kann,
um fie in jeder Rüdficht vollendeter vor das Publikum zu
bringen; ich habe zu diefem und zu den Haupt= Jdeen wenige
ftens das Zutrauen, daß fie fih Eingang verfchaffen.
In Anfchung meiner Differtation würde ich gern Ihr Ver—
langen erfüllen; aber ic habe kaum nod ein Eremplar davon;
Sie verlieren ohnehin nicht viel; — zum Studium der Aſtro—
nomie iſt es beinahe gleichgültig, welche Anleitung Sie zur Hand
nehmen; Bode’s Lehrbücher haben viel populaires Verdienſt. In
das Tiefere einzudringen, erfordert Geläufigkeit des Differential—
und Integral-Kalkuls, beſonders nad) den neueren franzöſiſchen
Darftellungen, . ’
Ihr *
aufrichtiger und ergebenſter
Hegel.
An Denfelben,
Heidelberg, den 25. Juli 1817;
— Die näheren Urfadhen aber diefes langen Yuffhubs was
von, daß ich voriges Jahr das Schreiben fo Lange anſtehen
laffen wollte, bis ich Ihnen die Vollendung meiner Logik, deren
zweiter Theil, wie ich aus Ihrem Briefe erſehe, nah meiner
MWeifung angelangt if, — und da igt die Unterhandlung meis
ner Verſetzung auf eine Aniverfität einfiel, bis ich Ihnen die
Entfcheidung hierüber melden könnte; id war von der baierſchen
Regierung nad) Erlangen zur Profeſſur ernannt, zugleich erhielt -
ih aud einen Ruf nah Berlin, als ih eben für Heidelberg
mein verbindendes Wort gegeben hatte; — eine Beftimmung;
die ich bisher noch Leinen Augenblid zu bereuen Urſache gefuns
den habe. Bor Allem aus wünfche id Ihnen, obgleich ich von
den Lesten der Gratulanten ſeyn werde, recht fehr Glüd zu Ihren
Vermiſchte Schriften, * 31
482 IX. Briefe,
neuen Celle in Bräfet; ich ſtelle mir fe als ſehr delikat vor,
befonders da Sie Proteftant find, — Einige der Profeſſoren,
die nad Belgien berufen worden, kenne ich; Becker, der bier
fiudirte, hat vorigen Winter bei mir gehört; Stahl, aus Land
but, der ehemals in Jena war, ift, fo viel ich weiß, proteſtantiſch
Sie finden cs nit gut, daf man die hulländifhen und bra
bantifchen Univerfitäten nicht mehr amalgamirt habe; ich muh
darin anderer Meinung ſeyn; durch die fharfe Scheidung und
genaue Bewahrung deffen, was jede Partei für ihr Recht anfe
hen kann, wird das erſte Ucbel, das allen Verbeſſerungen und
Näherungen fich widerfest, das Miftrauen aufgehoben; ſe—
bald durch jenes Mittel ein Vertrauen gewonnen, fo macht
ſich daffelbe fo wie alle die Berpallifadirungen des Mif—⸗
trauens nad) der Hand von felbft überflüffig und zerſtört
fi. — Auch habe id) in mehrern deutfchen Ländern die Täu—
{hung gefehen, daf die ſich unparteiifch meinende Umparteilih-
keit alle äufern Schranken aufhob, und dadurch die Weöglihfeit
gewann, unter dem Vorwande der Unparteilichteit Pparteiifh m
fegn. — Sie erwähnten in einem frühern Briefe Friedrich
Schlegel's, als eines, der wohl geneigt feyn möchte, für Freiheit
‚von ultramontanen Grundfägen thätig zu ſeyn; ich Habe aber
alle Gründe, zu vermuthen, daf gerade das Gegentheil bei ihm
der Fall ſeyn möchte. A
Für die Meberfendung Ihres zweiten Tagebuchs —
oder vielmehr mehreren magnetiſchen Kuren, das, ich vor etwa
vier Wochen empfangen, danke ich Ihnen chen fo ſehr als für
das erfte; im zweiten insbefondere habe ich mehrere ſehr in—
tereffante Umftände angegeben gefunden; wenn ic dazu kommen
tann, will ich in den heidelberger Jahrbüchern eine Anzeige da
von madıen. — 7
Meine Enchklopädie der philofophifchen — —
ich vor einigen Wochen zum Gebrauch bei meinen Vorleſungen
vollendet; ich werde ein Exemplar davon an Sie beſtellen laſ—
2. An van Ghert. — 3, An Daub. 483
fen. — Bei der wenigen Nahrung und Ermunterung, welche
das philofophifche Studium feit langer Zeit gefunden, habe ich
doch mit Vergnügen die Theilnahme bemerkt, welche für eine
beffere Philofophie fich fogleich bei der Jugend zeigt, wenn ihr
eine ſolche geboten wird, und ich bin daher fowohl mit diefem
Intereffe der Jugend, als mit meiner Situation auf der Univers
fität ganz wohl zufrieden.
* |
Prof. Hegel.
3. An Daub in Heidelberg.
Hochwürdiger, Hochzuverehrender Herr Prorettorl
So ſehr mich Ihr gütiges Schreiben vom 3, vorigen Mo⸗
nats erfreut hat, fo haben mich insbefondere die freundfchaftlichen
Gefinnungen eines Mannes, für den ich feit lange eine Rn
Berehrüng empfinde, immer gerührt. AR
Auf die gemachte geehrte Unfrage, ob ich die Stelle eines
ordentlichen Profeffors der Philofophie in Heidelberg, mit einem
Gehalt von 1300 Fl. und den bezeichneten Naturalien anzuneh—
men geneigt wäre, beeile ich mich, zw erwiedern, daß mein ge-
genwärtiges Gehalt in 1560 Fl. beftcht; dennoch bin ich aus
Liebe zum akademiſchen Studium geneigt, dem Rufe gegen die
angegebene Befoldung zu folgen; hoffe jedoch, da ich hier eine
Amtswohnung habe, die in den biefigen niedrigen Miethspreis
fen auf 150 Fl. anzufchlagen ift, dag mir auch der Vortheil
der Wohnung zugeftanden werde, die der abgehende Hofrath
Fries inne hatte, indem im Heidelberg Wohnungen etwas —*
zu bekommen ſeyn ſollen.
Ich hoffe auch die Zuſage der Regierung zu erhalten, daf
fünftighin mein Fixum nad Verhältniß der Zufriedenheit der⸗
felben, die ich mir zu erwerben mich befireben werde, und nad)
i 31 *
—* gefegt — idw —
Profeſſur der Philoſophie in Vorſchlag gebracht bin;
Vortheile, die ich durch die Aufopferung d jr A fi Mr
darf ich in dem, erwähnten —* der
"Wegen des Wittwen- — Seh ser Mi
Iorem gefbästen, Da Brite ine ale ——
mr
Meinem Eintreten für das 2 inter- Semefler wi
nichts weiter im Wege fiehen, fo wie der < —
bald die Verehrung und vollkommenſte S
auszudrüden, mit der ich bin —— =
Da ra 7 ea ri
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ri ann 2 Tuer 7
Reber, d 6 Aug: 1516.
ee u 0er 7 r 2
ren IE RN 1 1
n Denfeiber
pa mn Curer Magnifien; —
Kae ar ws en AA —
beantworte ich mit umlaufender Poſt Ihr ge
vom 16. d. kürzlich, um Ihnen zu —**
Verwilligung einer Verbeſſerung der —
1500 Fl. gebracht iſt, auch die legte, die ökon
—
— ———
——A— ww u u
3. An Daub. 485
Ihnen daher nicht zu fagen, welche Wichtigkeit diefe Seite für
mic) bat, und wie fehr ich die zugefagte Vermehrung anertenne, -
Mas die noch übrige Stipulirung des Quantums an Früchten,
4 Malter Korn zu 5 Fl. 30 Kr. und ein dergleichen Spelz zu
4 Fl. berechnet, betrifft, die die Meuferung des Herrn Staates
Rath Eichrodt mir freiftellt, fo muß ich einer Seits glauben,
je mehr mir an Früchten fipulirt werde, defto vortheilhafter ſey
es, anderer Seits darf ich eben fo wenig unbefcheiden hierin ers
feinen, und ich weiß nichts Befferes hierüber zu thun, als, da
Sie fo viel bereits für mid übernommen, Sie aud nody zu er—
fuchen, nad) dem, was ftehen und gehen mag, das Quantum
auszumaden, und die billige Beflimmung hierüber in Ihre
Hände zw legen. -
Was meine Vorlefungen betrifft, da Sie Logit und Nas
turrecht das nächſte halbe Fahr nicht für wünſchenswerth erklä—
zen, fo will ich Enchklopädie der philofophifchen Wiffenfhaften
und Gefcichte der Philofophie leſen; mit jener glaube ich zus _
gleih am ſchicklichſten meine Vorlefungen eröffnen zu können,
indem dadurd eine allgemeine Ueberſicht der Philoſophie, ſo wie
die Anzeige der beſondern Wiſſenſchaften, über die ich in der
Folge eigene Kollegien anzuſchlagen gedenke, gegeben werden
kann; ausführlicher will ich mich über die Naturphiloſophie, d. h.
als Theil des Ganzen verbreiten, und dann keine beſondere Vor—
leſung über diefe halten; ein drittes Kollegium, die Geifteslehre,
fonft Pſychologie genannt, möchte für das Publitum wie für
mich felbit für den Anfang zu viel werden; mit der Enchklo⸗
pädie wird es zwedmäßig ſeyn können, ein Konverfätorium zu
verbinden. Id müfte aber glauben, meine fhuldige Achtung
gegen meine dermalige Regierung zw verlegen, wenn eine von
mir verfaßte Anzeige öffentlich erfhiene, che ih von derfelben
meine Dimiffion erhalten, oder wenigſtens mein Dimifflons-
Gefuc eingereicht hätte; indem ich aber in legterem der Beru— 2
fung durdy die großherzogliche Regierung erwähnen müßte, fo
486 IX. Briefe.
wird dieß nicht wohl gefchehen können, che ih von der Gench
migung des Grofherzogs benachrichtigt worden, was wohl ml
‚der Signatur, der Sie erwähnen, zu verfichen ſeyn wird. 6
füge. über diefen Umſtand nur dieß hinzu, daß ich im derglei:
hen Verhältniſſen ganz nur nad) der Anweifung eines darin m
fohrenen Freundes zu verfahren gewohnt war, umd da ein
dergleichen mir gegenwärtig hier abgeht, ich nicht weiß, ob mein
Anſicht über die Schritte, die ih im diefer Beziehung num yı
thun habe, zu bedenklich oder richtig iſt. Auf jeden Fall dadı
ich, Fönnte mit der Ankündigung vorgefchritten werden, fo wi
jene Signatur, die großherzogliche Genehmigung enthaltend, oda
die Benachrichtigung von Ihnen eingetroffen, denm zugleich werd
ich doch davon benachrichtigt werden, und hiermit mein Dimik
flions- Gefuc) unmittelbar einreihen. Auf die bisherige feiesfk:
Wohnung, wenn dermalen noch nicht darüber disponirt ifl, Tiefe
ſich vielleicht doc noch eine einflweilige Mbficht haben; d. b. ganz |
als Privat-Sade, gegen einen ordentlichen Miethszins, vn
allen bejondern Vortheil, wenn nämlich um jene Wohnung gam
als um eine Privat- Wohnung verhandelt werden kann; id) werde
Herrn Dr. Paulus um eine Beftellung einer Wohnung für mid
erfuchen, ſey es mim diefe oder eine andere,
"Und nun darf id mid) für fo glüdlich fdägen, —
Geiſt und Herz ganz als den Ihrigen anſehen zu tkönnen; ich
gehe mit verjüngtem Gemüthe meiner Beſtimmung, der Univer⸗
ſität und den Wiſſenſchaften zu leben, der Aufforderung, die
freundſchaftliche Güte, die Sie mir haben erweifen wollen, zu
rechtſertigen, der Hoffnung Ihrer baldigen perfönlichen Bekannt
ſchaft, meinen übrigen theuren Freunden, dem Bilde der Freunde
‚lichkeit und Heiterkeit, unter dem Heidelberg immer erfcheint, ent
gegen, und bin mit Verſicherung meiner — 95— Hoch⸗
achtung
Ihr —
Segel.
—
3. An Daub. 487
P.S. Ih habe mir Gewalt angethan, in vorliegendem
Antwortfchreiben nicht ganz die Dankbarkeit auszudrüden, die -
ich Theils für das Jntereffe, das Sie an meiner Angelegenheit
nehmen wollen, Theils für das Mitgefühl empfinde, das Sie
an dem Zuflande der Ppilofophie in Deutfepland und auf uit-
fern Univerfitäten nehmen; eben fo erfreulich ift mir Ihre Güte,
mit der Sie meine bisherigen Arbeiten betrachten, und noch mehr
von meiner Wirkfamteit auf einer Univerfität hoffen. Man ift
in der That in keiner Wiffenfhaft fo einfam, ald man in der
Philoſophie einfam if, und ich fehne mich herzlich nad) einem
lebendigern Wirkungskreiſe; ich kann fagen, er ift der höchſte
Wunſch meines Lebens; ich fühle auch zu fehr, wie meinen bis-
herigen Arbeiten der Mangel an einer Iebenbigen Wechſelwir⸗
tung ungünſtig gewefen.
Mie flieht es aber mit der Theologie? ift der Kontraft *
ſchen Ihrer tiefen philoſophiſchen Anſicht derſelben und dem was
häufig für Theologie gilt, nicht eben fo grell oder noch ſchreien⸗
der? Mein Arbeiten wird mir auch die Satisfattion geben, es
als eine Propädeutit für Ihre Wiſſenſchaft zu betrachten zu haben.
Ic hoffe meine, allenfalls voftenfible Antwort, wird keine.
Schwierigkeit machen, nur darüber weiß ich nicht förmlichen Bes
fcheid, ob meine Lektionen Antündigung früher erſcheinen darf,
ehe ic) von meiner Regierung die Dimiffion habe, Mit unbes
grenzter Hochachtung und Liebe ganz der Ihrige ,
| 9,
Meine übrigen. Freunde in Heidelberg bitte ich vorläufig.
herzlich zu grüßen; ich. babe dermalen von früh an bis im die
Nacht das langweilige Eramen von Schullehrern, und feinen
freien Augenblid, ihnen zu fhreiben.
DW
zur s
| —F
F *
* 3
4. J
J ⸗
* 2
488 ° i J
— 007 nn. fe
Schreiben an denfelben beigelegt, worin ich ihn
Berehrung, fo wie meine Bereitwilligkeit der A * he
Aber wie foll ich Ihnen ausdrüden, mit welder freu g
ſucht ich meiner Hinteiſe zu Ihnen entgegen ſehe \
habe ich mein förmliches Dimiffiens- Gefuh eingegebe
—— en Ban Be
ner annoncirt und um Befchleunigung d fertigun
das Datum des Anfangs der Borlefungen in-$
nicht genau bekannt, wenn ich A la rigueur ei
im Laufe des Septembers hoffe id aber jene
erhalten, um auf die zweite Hälfte Otto
bei Ihnen einrichten zu können. Wegen A in
ſtellung nach hat ſie nun keinen Anſtand mehr,
Sie daher um die Veranſtaltung derſelben dürfe
Ein Beiſatz bei meinem Namen, etwa „der erwartet:
wöchte dienlich ſeyn, die Pofitivität abzuflumpfen, die 7 n
——— —— fol. — io Snchtlopi
lung der Raturphilofophie und einem $ orium), fer
Geoecſchichte der Philofophie; die —* F Stunde m; ei
auf meine, Ankunft verſparen. Zwar fehe J
gedruckten Katalog, dag Herr Hofrath Weiſe d
— — — —
3. Un Da. 489
* das erfiere Kollegium lieſ't, ich halte ‚aber Feines für fo geeignet, _
um fowohl von dem Geifle und der Architektonik der Philoſophit
eine beſtimmte und lehrreiche Idee zw geben, fo wie mit meiner
Anficht und Behandlung befannt zu machen. Sonſt wollte ich
auch Geiſtesphiloſophie leſen.
Geſtern habe ich auch ein Schreiben vom preußiſchen mi⸗
niſterium des Innern aus Berlin erhalten, das ich ſehr ehren
muf, indem es einen Anftand wegen‘ meiner acdhtjährigen Ente
fernung vom afademifchen Vortrag mir felbft als einem redlichen
Mannt zur Prüfung und Beurtheilung überläft, Wenn id)
antworten kann, daf auf meinen unvolltommenen und fchüchter
nen Anfang zu Jena ein adhtjähriges Studium und Vertraut⸗
werden mit meinen Gedanken und eine achtjährige Hebung auf
dem Gymnaſium, — eine wegen des Verhältniſſes zu den Stu:
direnden, vielleicht wirkfamere Gelegenheit zur Befreiung des Vor—
trags, als der atademifche Katheder felbft, — gefolgt iſt, — fo
wird meine Haupterwiederung feyn, daß ich mid) bereits in Heiz
delberg engagirt ſehe.
Es thut mir leid, daf ich Ihnen fo viele Mühe verurfadhe,
ic) kann Ihnen für alle diefe freundſchaftliche Bemühung nur
meine dankbarfte und aufrichtigſte Hochachtung ———
d. 29, Aug. 1816.
An Denfelben.
€ mM. j
glaube ich von dem Umftande meiner Ernennung zur Profeſſur
der Philologie in Erlangen, die im geftern erhaltenen königl
baierfhen Regierungsblatt vom 4 d. angefündigt ift und von
da ohne Zweifel in andere Zeitungen übergehen wird, Benach— . .
richtigung geben zu müffen, um nöthigen Falles, wenn diefe Er-
ſcheinung bei meinen für Heidelberg feftgefnüpften Verhältniſſen
auffallend feyn follte, die erforderliche Auskunft darüber, fo wie
490 1X. Bf ”
über mein Benehmen dabei, geben zu können. Ich meine Sie {hm
in Kenntniß gefegt zu haben, daf ih am 24. v. M. mein fürn
liches Dimiffions ⸗Geſuch aus den baierſchen Dienſten eingereidt
habe, nachdem ich Herm Geheimen Rath von Zantner. am W
zum Voraus um feine Proteftion zur baldigen Erledigung meins
Dimiffions- Gefuhs gebeten hatte, das ich einreichen wiirde, for
bald ich dazu in Stand gefegt fey; da ich die Benachrichtigung
von der Genehmigung Sr. tönigl. Hoheit des Grofherzogs durd
Herrn Staats- Rath Eichrodt Tags darauf erhielt, fo erfolgte
alfo fogleidh meine Eingabe am 24. Auf meine am 25. geſche⸗
bene Ernennung nad Erlangen, folgte nun in Beziehung dar-
auf ein königl. Reftript vom 31, Aug., das mir am 6. Septkr.
infinuirt wurde, des Inhalts, da Se. Maj. mid für die Unis
verfität Erlangen zu erhalten wünfchen, mic, ſchriftlich zu vers
nehmen, ob ich num jene Stelle nit dem Rufe nad) Heidelberg
vorziehe; meine gefiern den 7. abgegebene Erklärung geht dahin,
daß wenn ich auch ſonſt den Ruf zur philoſophiſchen Lehrfele
in Heidelberg der philologifchen in Erlangen nicht vorzöge, woy
ich jedoch alle Urfache habe, mein gegebenes Wort, das mic
bereits vermocht, einen Ruf nad) Berlin abzulehnen, nur mein Ge⸗
fuch um meine allergnädigfte Entlafung zu erneuern mich nöthige
Sie werden aus diefer Darftellung erfehen, daß jene Er—
nennung mein Berhältnif auf demfelben Punkte gelaffen hat,
gegen die großherzogliche Regierung auf dem Punkte meiner Ver⸗
bindlichkeit, gegen die königl. baierfdhe dem meines —
| um die Entlafung, welde nun feinen Anftand länger mehr yo ⸗·
ben kann, und deren baldiges Eintreffen ich fehnlichft wünfche,
um fo bälder meiner Beftimmung und Ihnen nigegen eilen |
zu können.
Das Prorektorat zu Erlangen verlangte vor —
die Ueberſendung meiner Anzeige dahin, worauf ich erwiederte,
daß dieſe nicht mehr möglich ſey.
Nürnberg, d. 8. Sptbr. 1816, —
3 An Daub, m 491
An Denfelben.
Es war erfi gegen Ende des März, daß Herr D. Bort
bicher gekommen (eine Krankheit hat ihm den ganzen inter in
Münden aufgehalten), und mir Ihren freundfchaftlichen Brief
vom September v. 3. gebracht hat. Dieß ift die nächſte Ur-
ſache einer fo fpäten Erwiederung deffelben. Ob aber gleich diefe
meine Zeilen durch jene Ihre Zuſchrift zunächſt veranlaft find,
fo fehen Sie diefelben zugleich als aus dem eigenen Bedürfnif
‚hervorgegangen an, mir durch fehriftlihe Unterhaltung gleichfam
ein näheres Gefühl Ihrer Gegenwärtigkeit zu geben. Indem
mir eine ſolche Unterhaltung zu einer Art von Reife und Bes
fuch wird, für deren ruhigen Genuf id) mit den andern Ges
fhäften abgeſchloſſen haben will, fo geht es mir damit, wie es
mit lange vorgehabten Reifen zw gehen pflegt; man kömmt
am fpäteflen oft zu dem, was man am liebften und am ofteften
thun möchte. Ih kann Ihnen nicht genug ausdrüden, wie
werth und unummlöft mir das Andenken an Sie, und wie
theuer und flärfend mir die Freundſchaft und Liebe ift, die Sie
mir vormals geſchenkt und die Sie mir fo »treu erhalten. Bei
_ meinem Entfchluffe, Heidelberg zu verlaffen, habe ich fehr wohl
gewußt, was ich durch meine Entfernung von Ihnen verlie-
ren würde und fühle dieß noch immer; Ihr herzliches Andenken
an mid vermindert die Aufopferung, die ich gemadit; daß Sie
an meinen philoſophiſchen Arbeiten Intereffe finden, muß mir
zur befonderen Befriedigung gereihen, und ich muß es als ein
ſeltenes Geſchenk betrachten, da Sie felbft am beften wiſſen,
wie das Spekulative von’ unfern Schrift-, Sylben- und Res
densarten= Gelehrten angefehen wird.
Meine Rechtsphilofophie ſoll längſt in Ihren Händen ſeyn;
ich wünfhe, daß die, Hauptfahen wenigfiens Ihre Zuftimmung
erhalten ; ih habe nicht auf alle Seiten, deren ſich fo viele an
dem Gegenftande finden, das partituläre Studium ausdehnen
492 "1X. Briefe,
fönnen; dergleichen mußte ich mir auf die Zukunft werfparen
und vornehmlich nur darauf fehen, mit dem Ganzen durchzu⸗
tommen; fo habe ich mir das Studium Ihres Judas Ifcharioth
auf fernere Durcharbeitung des moralifchen Standpuntts vor
behalten. Laſſen Sie die Hoffnung, Ihre Dogmatit und Mo-
ral erfeheinen zw fehen, nicht lange unerfüllt; auf erftere bin
id) um fo begieriger, als ic) mid) diefen Sommer an die Re:
ligionsphilofophie gemacht habe. Schleiermader läßt, fo viel id
böre, gegenwärtig gleichfalls an einer Dogmatik druden; die Kenie
fällt mir dabei ein; „Lange kann man mit Rechenpfennigen zah⸗
len, doch endlich muß man den Beutel doch ziehn!“ — Ob die
fer Beutel aber auch weiter nichts als Rechenpfennige ausſchüt⸗
ten wird, müffen wir fehen; feine Abhandlung über die Prä—
deflination ift mir doc höchſt kahl vorgefommen. Be‘
© eben höre ich, dag mein Naturrecht in den heidelberger
Jahrbüchern igigen ſchmutzigen Gewandes, das ich allein Darm
gefehen, angezeigt ſey; ich hörte mur dies — und begehre, nenn
Sie oder Hinrichs mir nicht eine Aufforderung machen, nicht
mehr davon zu wiſſen, — daß das Abgedruckte ſich mit der Vor—
rede beſchäftige, daraus ſchließe ich auf meinen alten Landsmann
Paulus! Mit meinem Vorwort und dahin einfhlagenden Aeu—
ferungen habe ich allerdings, wie Sie gefehen" haben werden,
diefer Fahlen und anmafenden Sekte, — dem Kalbe, wie man
in Schwaben zu reden pflegt, — in's Auge ſchlagen wollen;
fie war gewohnt, unbedingt das Mort zu haben, und ift zum
Theil- ſehr verwundert gewefen, daß man von wiffenfhaftlicher
Seite nichts auf fie halte und gar den-Muth haben könne, öfz
fentlich gegen fie zw ſprechen; aud hier, wo diefe Partei insbes
fondere das Wort zu führen gewohnt ift und war, und fid für
eine puissance hielt, — habe ich freilich faure, wenigſtens
ſtumme Gefihter gegen mich zu fehen gehabt. Auf vormals ſo—
genannte Schmalzgefell’nfhaft konnten fie nicht ſchieben,
3. An Daub. 493
was id) gefagt, wird waren daher um fo mehr in Verlegenheit,
in welche Kategorien fie die Sache bringen follten. —
Leben Sie nun recht herzlich wohl, lieber, verehrter Mann,
erhalten Sie mir fortwährend Ihre wohlwollende Freundſchaft.
Berlin, d: 9. März 1821.
An Denfelben.
Endlich, verehrtefter Freund, bin ich fo weit, heute oder
morgen den Anfang mit Sendung Manufkripts der’ zweiten Auf—
lage von meiner Enchklopädie machen zu können. Ich melde .
Ihnen dieß im Dankgefühl für die Gefälligkeit, die Sie mir
erweifen, der Revifion des Druds fi freundfhaftlihft annche
men zu wollen. So höchlich id Ihnen dafür verbunden bin;
fo habe ich zugleidy einiges übles Gewiffen, darauf in Anfehung
der Beſchaffenheit des Manufkripts mich zu viel verlaffen zu ha⸗
ben, denn es iſt allerdings von der Art, daß es einen aufmerk-
famen Scher erfordert, und daß Ihren daher wohl mehr Bes
mühung gemacht wird, als ich billig in Anſpruch nehmen darf.
Doch bin id bemüht gewefen, die Veränderungen, Einſchal—
tungen u. f. f. ſehr forgfältig und beftimmt zu bezeichnen. Uebri—
gens gebe ich Ihnen freie Vollmacht, wo Ihnen Dunkelheit,
Unverftändlichkeit, auch Wiederholungen vortommen, ganz nach
Ihrem Dafürhalten zu korrigiren, flreihen und einzuhelfen.
Wünſchen muß ih, daß Sie duch das Intereffe des Gehalts
einigermaßen unterhalten oder fhadlds gehalten würden; es iſt
nur die freundliche Aufmunterung, welche Sie meinen Beftrebun=
gen haben angedeihen laffen, die mir es erlauben kann, auch
noch diefe gütigen Bemühungen für mid anzunehmen.
Der Einleitung insbefondere habe ich eine vielleicht zu große
Erweiterung gegeben, es hätte mid) aber am meiften Zeit und
Mühe gekoflet, fie im’s Engere zu bringen. Feſtgehalten und
494 IX. Briefe,
zerftreut durch die Vorlefungen und hier in Berlin auch mitunter
durch Anderes, Habe ich mich ohne Ueberſicht darin fo gehen Lafen,
daf mir die Arbeit über den Kopf gewachfen und die Gefahr
war, es werde ein Buch daraus; fo habe ich fie mehreremal
herumgearbeitet; die Behandlung der Standpunkte, die ich darin
unterſchieden, follte einem zeitgemäßen Intereffe entfpredhen; d
ift mir diefe Einleitung aber um fo fhwerer geworden, weil fit
nur vor und nicht innerhalb der Philofophie felbft ſtehen kann. —
Das Uebrige habe ich wohl beftimmter, und fo weit es geht,
klarer zu machen geſucht; aber nicht abgeändert iſt der Haupt:
mangel, daß der Inhalt nicht dem Titel Encpklopädie mehr ent
ſpricht, nicht das Detail mehr eingeſchränkt und Dagegen das
Ganze mehr überfihtlih gehalten if. Dod für meine Bor
lefungen über die einzelnen Theile ift wieder das ausführliche
Detail auch paffend.
Nun’ aber genug und zuviel — — Blum iſt wohl
bereits bei Ihnen; von unferem weitern berliner Lebweſen wird
ee Ihnen alfo mehr erzählen können. Ebenfo Marheineke, dr
in etlichen Wochen bei Ihnen zu fehm gedenkt, wird ‚Ihnen von
dem literarifhen Unternehmen, über das Sie Ihr Intereſſe bes
zeugt und Ihre thätige Theilnahme bereits zugefagt haben, er
zählen können; wenn es auch noch nicht im Zuge ift, fo iſt doch
befiimmter Anfang und Eingang gemadt. Vor Januar foll das
erfie Heft fertig werden. Ebenſo hoffen wir auf Freumd Creu⸗
zer's und Thibaut’s thätige Mitwirkung; ich bitte, mich beiden
beftens zu empfehlen. Eine Hauptfchwierigkeit bei unferem Une
ternehmen ift die geringe Anzahl bedeutender Werke, die es ver⸗
dienen, ſich mit ihmen abzugeben. Sie ſchrieben mir im Mai
von einem bypodondrifhen Dämon; ich definire Hypochondrie
als die Krankheit, nicht aus ſich heraustommen zu können. —
Ich wüßte viele Arten’ diefes Heraustommens. — Ich riethe
aber die Ordnung, in der Sie das Verhältnif des Dämons
und der Thätigkeit fegen, umzukehren, nicht auf den Abzug von
3. An Daub. . 495
jenem zu warten, wm diefe eintreten zu laſſen, ſondern vielmehr
durch diefe jenen zu vertreiben.
Nun berzlichfies Lebewohl.
Berlin, d. 15. Aug. 1826,
An Denfelben.,
Hochgeſchätzter Freund.
Ich erhalte heute den 13. abgedrudten Bogen der Euchs
tlopädie und bin eigentlich täglih im Falle, Ihnen meinen
Dank für die mühfame Arbeit, die Sie übernommen, zu fagen
zu haben; ich wünfdhe nur, daß Sie durch das Intereffe, das
ich der neuen Bearbeitung zw geben fuche, dabei einigermaßen
unterflügt werden: Mühe koſtet es mich wenigftens ziemlidy; ‚das
Befireben, gleihfam der Geiz, fo viel als möglich flehen zu laſ—
fen, vergilt fi) wieder durch die auferlegte größere Mühfelig-
keit, Wendungen auszufuhen, durch welde die Veränderungen
den Tertesworten am wenigften Eintrag thun. Sie werden nun
einige Bogen der Naturphilofophie in Händen haben; ich habe
darin weſentliche Beränderungen vorgenommen, aber nicht ver—
hindern können, hie und da zu fehr in ein Detail mid einzu—
laffen, das wieder der Haltung,-die das Ganze haben follte,
nicht angemeffen genug ift. „Ich vermuthe, daf die Druderei
Ihnen die ganze Arbeit der Korrektur übermacht, flatt der bloßen
Revifion, und dadurd Ihre Mühe weſentlich umd ungehörig
vermehrt; ich habe ein Billet hierüber an Herrn Oswaldt beis
gelegt. Gegenwärtig bin id an der Geiftesphilofophie und mit
der größeren Hälfte — bis auf das nochmalige Durchgehen —
fertig; die zweite Hälfte werde ich freilich wohl ganz umarbei=
ten müffen.
Eine der vielen Unterbrechungen, durd welche diefe Arbeit
aufgehalten wurde, liegt auch in einem Artikel, den ich für uns
496 IX. Brief
fere kritiſche Zeuſchuiſt (über Herrn W. 2. Sumboie ik
* über die Bhagavatgita) verfertigen mußte, — (einen ziis
ten über daffelbe muß ic) mir fpäter verſparen). Von Ihn
fehen wir mit Verlangen Arbeiten Dafür entgegen.
Früher hat mir Marheineke die vergnügliche Nachricht ge
geben, daß Sie eine Anzeige der zweiten Ausgabe der Encytle—
pädie zw machen gedenken; nichts kann mir. fo ſchãtzbar und
angenehm feyn, und ich glaube um fo mehr darauf rechnen. zu
können, da ſich ein ſolcher Artitel Ihnen leicht unter den Hãn⸗
den bei Ihrer gegenwärtigen Bemühung damit machen kann; und
ich hoffe darauf als auf etwas, worauf wir uns verlaſſen können
Aber nun kommt zugleich eine neue weitere Bitte an Sir,
nämlich eine Anzeige der zweiten Yusgabe der Dogmatik von
Marheinete zu machen; ich fage nichts von dem höchſt intenfioen
ntereffe, das diefes Merk hat, fondern erwähne vornehmlich
den Umſtand, daß wir außer Ihnen Niemand wüßten, der
von demfelben ſprechen könnte, und unumgänglich ift, dag nicht
nur in unferer Zeitſchrift, fondern daß überhaupt gehörig davon
geſprochen wird, daf die Aufnahme, die es in den Öffentlichen Blät-
tern erfährt, nicht allein Mißhandlung if, und das Volt, das
darüber herfallen wird, nicht allein das Wort habe, Ich hoffe
darum darüber "eine günftige Zufage von Ihnen und noch mehr,
einen Sn Aufjag; diefer braucht ja nicht, oder ganz belie⸗
big, in ein Detail zu gehen und fih anf einzelne Lehren
einzulaffen; die Hauptjahe ift die Beſprechung des allgemei-
nen Standpunkts. — Es ift darum zu thun, daß. bemerk-
lid; gemacht werde, dag Marheinete in. feiner. Dogmatik
(bereits in der erften hinlänglich) ein Zeichen feiner Richtung
gegeben. Dieß hoffe ih von Ihnen. Auch von Freund Ereuzer
wünfchten wit ein kritiſches Lebenszeichen zu erhalten; ich erſucht
Sie, ihm nebft meinen beften Grüßen zu fagen, daß ich den
Auftrag habe, bei ihm anzufragen, oder fogar ihm aufzutragen,
— daß er Böttiger's Jdeen zur Kunft» Mipthologie, vornehmen
|
3, An Daud. 497
möchte; ob dieß intereffant genug ift, um eine Anzeige von ihm
zu verdienen. Wäre es fonft etwas, worüber er fich ausſprechen
möchte, fo möge er es mir zu wiffen thun. Die Zeitfchrift nicht
bloß verfpricht ſich Beiträge von Ihnen beiden, fondern noch
mehr wünſche ich, daß Sie beide Ihre gute Sache zu Worte
bringen und geltend machen. Mit wo BEE ra
hochseſchãtter, lieber rg Fa
. Ihr mNP anni nu
Berlin, d. 19. Diebe 1836. 27 m
An dicken
Hochverehrter Freund. | ya
Mit der Abfendung der Worrede zu der neuen Auflage er=
wiedere ich Ihnen zugleich Ihren freundſchaftlichen Brief vom
15. d.5 ich erfah zunächft daraus, daß Sie an diefem Datum
erft den 27. Bogen zur Revifion vor ſich hatten; ſo hat denn
die Verzögerung des Ubgangs der neuen Vorrede feinen Aufenthalt
im Drude gemacht; diefe Vorrede it — indem mir unter dem Aufs
fegen derfelben Tholud’s Bud) von der Sünde zw Geſicht kam, —
weitläufiger geworden, als ich im Sinne hatte Ich dankte Ih—
nen wiederholt für diefe freundfchaftlihe Mühwaltung der Nez
vifton, deren gütige Mebernahme die Beſchaffenheit des "Mans
feriptes doppelt und dreifach mühevoll, und um fo viel ſchätzba⸗
rer und dankenswerther gemadt hat. Die Hauptverzögerung
der ganzen Arbeit entfland daraus, daf mir die erſte Ausarbeis
tung der Einleitung auch in ein Bud) auszulaufen anfing, und ich
daher eine Umarbeitung von vorne an vornehmen mußte, Daffelbe,
um biervon auf Weiteres überzugehen, das Sie in Ihrem Briefe
erwähnen, fehe ich, iſt mit einem Artikel: über Marheinete’s
Dogmatik gefchehen. "Sie geben uns nur das allgemeine Vers
ſprechen, daß Sie einen vorläufigen Auszug * triliſchen
Vermiſchte Schriften, *
no 4 am) „Isiim
498 IX, Briefe,
Jahrbüchern beftimmen; in jeder Rüdfiht, unter andern auh,
daß diefelben größern Zuflufles an Manuftript: ſehr Hedürfig
find, darf ih Sie bitten, uns denfelben reiht bald zukommen ju
laffen. Wie haben Ihnen Carove’s und Marheineke's Artitıl
über den Katholicismus und Katholifiren zugefagt? Es ift ebenſ
noch zeitgemäßeres Bedürfniß, die aufgeflärte und, wie fie fih
nennt, die newe Theologie zu befprechen, mit der ſich auch Mar
heinete in einem Artitel, — dod von einer etwas zu befond
ven — Seite, zu thun gemacht; diefe Theologie ſcheint beinahe
in der Vorftellung zu feyn, das Monopol des Wortführens zu
befigen. Sie werden in den legten Bogen der Encyklopädie
und im der neuen Vorrede finden, daf auch ich am dergleichen
Artikel, befonders an Herrn Tholud gefommen bin,
Wenn Sie fih denn noch zu der Anzeige meiner Enchtlo⸗
pädie entfchliefen könnten, fo würde dieß unfern Jahrbüchern een
fo wie mir intereffant und ehrenvoll ſeyn; nach Ihren. freundlir
hen Heußerungen in Ihrem Letzten, hatte Sie die ‚Einkiung
zunächft dazu aufgeregt, aber die Breite des Uebrigen cher übe
gehalten. Ich ſollte meinen, daß dieß Ihre erfte Abſicht, Ihre
Anſichten über die Gegenflände der Einleitung darzulegen, nicht
rüßgängig machen follte. Cine Anzeige in unſern Jahrbüchern
iſt für ſich ſchon geeignet, ein eigener Artikel aus Veranlaſſung
einer Schrift — mehr als eine bloße Kritit, und) Anzeige der
felben zu ſeyn — und ein Artitel von Ihnen würde won ſelbſt
eine höhere Boreinleitung in den Gegenftand derfelben werden;
wobei das Detail des Buches etwa nur kurz berücfichtigt, oder
felbft übergangen werden kann. Den Standpunkt des; Buches;
und. etwa den der eigenthümlichen wiſſenſchaftlichen Behandlung
auseinander zu fegen, würde ja ein ganz intereffanter und ‚ges
mügender Stoff ſeyn, — und bloß ſolchen Stoff abzuhandeln,
daranf würde Sie von felbft ſowohl Ihr Intereffe an der Sache
als folder, wie ſelbſt Ihre Freundſchaft beſchränken.
Bere 808. Clay hat en chi Lagen Misc
3, An Daub, 499
über die bildenden Künfte vor einem zahlreichen gemiſchten Pu—
blitum — tief kann er freilich nicht gehen, — aber fir fein
Publikum if feine deutliche und beredte Art fehr paffend.
Leben Sie nun herzlichſt wohl — mit ——
Freundſchaft und Hochachtung ıc.
Berlin, d. 29, Mai 1827.
. An Denfelben,
Längſt Hätte ih Ihre freundliche Zuſchrift vom —
worin Sie, verehrter Freund, mir Herrn Profeſſor Roux's
Schrift nebſt deſſen Brief überſchickten, beantworten ſollen. Der
Schuldnerzuſtand meiner Korreſpondenz, aus dem ich ſelbſt ge—
gen liebe Freunde nie herauskomme, iſt eines der — die ich"
zu tragen habe. nu
Eine nähere Aufforderung, die mich ebenfalls ‚Härte treiben
follen, früher zu fchreiben, führte die Erledigung der philoſophiſchen
Lehrftelle in Heidelberg und die Anfrage eines Freundes herbei, ob
er fi) nicht den Gedanken machen könnte, daf auf ihn Bedacht ge»
nommen würde; es ift Rektor Gabler in Bayreuth. Er meinte,
ob er nicht etwa der dritte Rektor ſeyn konnte, der aus Baiern
nach jener Lehrſtelle berufen würde. Er iſt Ihnen wohl ſchon
ſelbſt aus feiner Propädentit der Philofophie, und aus Re—
cenfionen in unfern kritiſchen Jahrbüchern befannt, und fo brauche
ich zu feiner Empfehlung nach diejer Seite nichts hinzu zu ſetzen;
gründliche philofophifche Einſicht ift bei ihm ohne Schwirhelei‘
und Gähren, vielmehr mit Klarheit und Beftimmtheit vergefells
ſchaftet, — Eigenſchaften, die, wie fie die Lafter feichter Philos
fophie, fo bei gründlicher Richtung unſchätzbar find; er iſt dabei
ein fehr redlicher, einfacher, ruhiger und freundlider Charakter.
Ich babe feinem Wunſche, bei Ihnen eine Anfrage darüber zu
machen, nicht entfichen wollen; ich bin überzeugt, daß Heidelberg
\ 32%
500 IX. Briefe.
ſehr gut mit ihm fahren würde, und darf fie um ein Wort ie
Antwort für ihm darüber erfuchen. 2 —
Hertn Profeffor Rour bitte ih Sie, noch meinen Dam
für die mir überſchickte Schrift zu maden; ich habe fle der Re
daktion der Jahrbücher übergeben, es ift längft beftimmt, du
fie angezeigt werden foll; aber Sie wiffen, wie‘ es mit Dergli:
hen Aufträgen und Vorſätzen geht, — und wiffen dieß an Jr
nen ſelbſt. Längft fahen wir wieder einem Beitrag von Ihnen
entgegen, befonders nad der von Ihnen gemachten Hoffnung,
daß Sie nah überftandenen körperlichen Ungemächlichkeiten an
ſolche Arbeit gehen wollten, ic) hoffe, daß der Sommer, — dr
freilich nicht ſehr günftig geweien, — doch das — —
rer gänzlichen Wiederherſtellung beigetragen hat. L
Ih habe — leider! muß id es fagen, — angefangen,
Gegner, deren eine Anzahl voriges Jahr gegen meine Philoſe⸗
phie aufgetreten, in den kritiſchen Jahrbüchern vorzunehmen; —
befchräntt man fi auf das etwa nicht Abweisbare, eim der:
gleihen Schrift flüchtig durbzulaufen, fo tommt man mit den
allgemeinen Verdruffe ab; aber eine Kritik bringe es mit fih,
alle Einzelneiten des üblen Willens und der Unfähigkeit des
Denkens durchzugenießen. Ganz verloren beim Publitum mag
jedoch die kritiſche Arbeit, fo ſauer fie ift, nicht ſeyn; Fo groß
ſich daffelbe durch ſolche Schriften den leeren Kopf oft machen
läßt und durch Stillſchweigen in dem günftigen Eindruck beſtä—
tigt wird, fo giebt es denfelben aud wieder eben fo leicht auf
und will nichts davon gehalten haben, wenn man
ſtark entgegen tritt, Es ift in der That in diefen Schriften
Vieles zu niederträchtig.. Die Zweifel über Seyn, Nichts und
Werden, hat mir der BVerfaffer, Kollege und —
ſelbſt zugeſchickt.
Iſt Gans nicht bei Ihnen geweſen? er ift während meiner
Abweſenheit von hier — ich habe eine kurze Tour nad) Böh⸗
men gemacht, — ich lebte in Carlsbad 5 Tage mit Shelling
6. eher dierenglifhe Neforme Bil. Aal
jenigen Klaffe, deren Intereffe mit jenem Zuſtande der Kirche
zufammenhängt, mehr als das Gleichgewicht halten,
Die gutsherrlihen Rechte, welde gleichfalls in jener
Beforgniß vor der ſich auf fie mit der Zeit ausdehnenden Re—
form befaßt werden können, gehen in England feit lange nicht
mehr bis zur Hörigkeit der aderbauenden Klaffe, aber drüden
auf die Maſſe derfelben fo fehr wie die Leibeigenſchaft, ja drüs
den fie zw einer ärgeren Dürftigkeit als die Leibeigenen herab.
In England ſelbſt, zwar in der Unfähigkeit gehalten, Grundeis
genthum zu befigen, und auf den Stand von Pächtern oder
ZTagelöhnern reducirt, findet fie Teils in dem Reichthume Eng-
land's überhaupt und in der ungehenren Fabrikation, wenn diefe
in Flor if, Arbeit; aber mehr noch halten die Armengefege, die
ein jedes Kirchfpiel verpflichten, für feine Armen zu forgen, die
Folgen der äuferften Dürftigfeit von ihr ab. In Irland dages
gen hat die allgemeine Eigenthumslofigkeit der von der Arbeit
des Aderbaues lebenden Klaſſe diefen Schus nicht; die Beſchrei—
bungen. der Reifenden, wie die parlamentarifh dofumentirten
Angaben, fhildern den allgemeinen Zuftand der iriſchen Land—
bauer als fo elend, wie ſich felbft in Fleinen und arınen Diſtrik—
ten der civilifirten, aud der im der Eivilifation zurüdftchenden
Länder des Kontinents nicht leicht Beifpiele finden. Die Eigene
thumslofigkeit der Landbau treibenden Klaffe hat ihren Urfprung
in Berhältniffen- und Gefegen des alten Lehensrechtes, welches je—
doch, wie es aud noch in mehreren Staaten befteht, dem an den
Boden, den er zu bauen hat, angehefteten Bauer eine Subftftenz
auf demfelben fihert; indem aber auf- einer Seite die irifchen
Leibeigenen wohl perfönliche Freiheit befigen, haben auf der ans
dern Seite die Gutsherren das Eigenthum fo volltändig an ſich
genommen, daß fie fih von aller Verbindlichkeit, für die Sub—
fittenz der Bevölkerung, die das ihnen gehörige Land baut, zu
forgen, losgefagt haben, Nach diefer Berechtigung ift es gefches
.
IR, Briefe.
dieß mit einem Errmplare deffelben und einem jo gütign
tiben gemadt haben, noch einmal recht durch zu genirkn
t, Eräftigen Theil zu nehmen, wie Cie bieber gerban. Es if bir
nicht von einer Durdhyufegenden Meinung, fondern von einer mie
uenden Merhode, deren ſich ein Jeder als eines Werkzeugs, ma
ienen möge.
ven bör” ich von manchen Orten ber, daf Ihre Bemühen,
junge Manner nadzubilden, bie beften Früchte bringt; es thut frelid
Noch, daß in dieſer wunderlichen Zeit irgendwo aus einem Mittelpurh
eine Schre ſich verbreite, woraus theoreriich und praktiſch eim Leben zu fi
dern fen. Die hehlen Köpfe wird man freilich wicht hindern, ſich in vom F
Verftellungen und tönenden Worrfhällen zu ergchen; Die guten Köpfe jeträ
find auch übel daran, denn indem fie falſche Merhaden gewahren, in di
man fie von Jugend auf verfiricdie, ziehen fie ſich auf ſich ſelbſt zurid,
werben abjtrus oder transcenditen.
Möge ſich Iht Verdienft, mein Theuerfter, um Welt und Raddı
) die fchönften Wirkungen immerfort belohnt fehen.
Treulichſt
dena, d. 7. Dfibr, 1820. Soethe.
“>
Ew. Wohlgeboren fühle id) mich genörhigt auszudrücken, mie fr
mich Ihre Zuſchrift erfreut hat.
Das Eie mein Wollen und Leiften, wie es auch ſey, fo innig durks
bringen und ihm einen vollfommenen, motivirten Beifall gebem, iſt mir yu
großer Ermunterung und Fördernig. Gerade jur redyten Stumde langen
Ihre Blätter an, da ich, durch die meufte Bearbeitung der emtöptifcen
Farben aufgeregt, meine ältern chromatifhen Akten wieder mäftern mt
mich nicht erwehren kann, gar Manches durd) forgfältige Redaktion einer
öffentlichen Erfcheinung näher zu führen.
Ihre werthen Aeußerungen ſollen mir immer vor Augen liegen und
seinen Glauben ftärfın, wenn mid) die unerfreulihe Behandlung derfels
ben Materie, deren ſich die Zeitgenoffen fhuldig machen, mandymal, wo
‚nicht zum Wanfen doch zum Weichen verleiten moͤchte. Nehmen Eie
alfo meinen wiederholten Dank umd erlauben eine von Zeit zu. Zeit erz
neute Sendung. Da Sie fo freundlich mit den Urphänomenen gebaren,
ja mir felbft eine Verwandtſchaft mit diefen daͤmoniſchen Weſen zuerfens
nen, fo nehme ich mir die Freiheit, zumaͤchſt ein Paar tergleichen dem
Philofophen vor tie Thür zu bringen, überzeugt, daß er fie fo gut wie ihre
Geſchwiſter behandien wird.
Treulichſt
Weimar, d. 13. April 1821. Goethe.
3
Ew. Wohlgeboren Andenken, welches bei mir immer friſch und lebendig
bleibt, wurde durch eine heiter von Berlin surhdftchrende Dame völlig zur
1 Goeihe. 503
und dieß Gefchent mit einigen meiner zufälligen Gedanken zu
erwiedern, — um hierdurch wenigftens bas Intereffe zu beur⸗
tunden, das ich daran genommen, — dieß Alles hatte ich mir
auf die freien Feiertage vorbehalten gehabt; id) glaubte damals
gegen Em. Ercellenz die Bezeigung meines Dauks wohl bis
dahin anftehen laffen zu dürfen, indem ich Sie für überzeugt
glauben tonnte, wie werth mir Ihr gütiges Andenken, dieſe
neue Bereicherung meiner Einfihten und wie erfrifchend mir die
fonftigen ernft=heiteren Weußerungen Ihres Genius ſeyn würden.
In jenen Ferien ift es mir jedoch nicht fo wohl geworden, und
ich kann es nunmehr. nicht länger anſtehen Laffen, ie Zeigen
meiner Erkenntlichkeit von mir zu geben.
Unter dem fo reichen Inhalte des Heftes habe ich aber vor
Allem aus Ew. Ereellenz für das Verfländnif zu danken, wels
dies Sie uns über die entoptifchen Farben haben aufſchließen
wollen; der Gang und die Abrundung diefer Traktation, wie
der Inhalt, haben meine höchſte Befriedigung und Anerkennung
erwecken müffen. Der fo vielfahen Apparate, Madinationen
und Verſuche über diefen Gegenftand uneradhtet, oder vielmehr
wohl gar um —— willen ſelbſt, — ja ſogar trotz **
Gegenwart — ſo daß ich mich nicht enthalte mit Wenigem =
wieder einmal mich fheiftlich unmittelbar darzuftellen. Noch bin ih Dank
ſchuldig für bedeutende Sendungen; leider ward ich von jenen Kapiteln
abgejogen und weit feitwärts geführt, deshalb denn die Benugung auch
noch bevorficht.
Da Ew. Wohlgeboren die Haupteichtung meiner Denfart billigen, fo
betätigt mich dieß in derſelben nur um deito mehr und ich: glaube nad)
einigen Seiten bin bedeutend gewonnen zu haben, wo ‚nicht für's Ganze,
doch Für mich und mein Inneres. Möge alles, was ic) noch zu leiflen
fähig bin, ſich immer an dasjenige anfdliehen, was Sie gegründer —*
und auferbauen.
Erhalten Sie mir eine ſo ſchone, laͤngſt bertönamliche Neigung,
bleiben überzeugt, daß ich mich derfelben als einer der ſchönſten B
meines immer mehr und mehr fid) entwickelnden Seelenfrühlings zu er⸗
freuen durchaus Urſache finde,
Eroebenf
Weimar, d. .. Mai 1524, BGoethe.
su)
504 IX, Briefe.
terſchaft und Vaterſchaft, hatten wir von den‘ erften malusfhm |
und den ferneren hieraus bervorgegangenen Erſcheinungen nichte
verftanden; bei mir wenigftens aber geht das Verſtehen über
Alles, und das Intereſſe der trodenen Phänomene iſt für mid
weiter nichts als eine erwedte Begierde, es zwi werflchen.
Um diefe eben genannte Gevatterfhaft, — da 1 ellen
fih no einer Erwähnung, die ich von Beihülfe zu sein Baar
Buchſtaben vormals an Sie gethan, haben ——
gleich von vorn herein abzuthun, fo wiſſen Ew. Er
bin, wie, wenig mehr in unferen Zeiten die Gevatterfhaft bi
einem Kinde auf ſich hat; alsdann aber nöthigt nich doch je
Erinnerung, mid auf die ausdrüdlide Erklärung ' einzulaffen,
daß es bei jener meiner Erwähnung einer Beihülfe, nicht auf
eine Ehre, oder gar ein files Verdienſt meiner Seits, abgeſchen
ſeyn, fondern diefe Erwähnung lediglich gleichſam eine Parabel
vorſtellen follte, als bei welder bekanntlich die gebrauchte Begeben-
heit nicht einen gefährlichen Werth für ſich haben, ſondern gan
allein cine allgemeine Vorkommenheit, — das Tabula docet;—
bedeuten foll; und zwar fo, daß jener einzelne gebrauchte Fal
völlig geringfügig feyn, und vollends, wenn bie, allgemeine Lehre
auf einen andern Fall gedeutet wird, es geſchehen kann, daf
er gegen diefen in ganz und gar ?eine Vergleichung des Ge⸗
halts kommt und an ihn ſelbſt nicht mehr gedacht ‚werden. darf.
So wie mın von Licht und Farbe die Rede wird, fo liegt es
nah, den geringfügigen Umſtand etwa eines Beitrags zu einem
Buchſtaben oder Komma doch darum aufzunchmen, weil er von
weitem paraboliſch an die häuſige Vorkommenheit erinnert, daß
ſolche, die was ſie haben und wiſſen, (wobei es ſich nicht um ei⸗
nen oder den andern Buchſtaben, ſondern um Alles handelt), ganz
allein von Ew. Excellenz profitirt haben, nun thun, ale als ob
ſie aus eigenen Schachten es geholt — und wenn ſie etwa auf
ein weiteres Detail ſtoßen, hier ſogleich, wie wenig ſte das Em—⸗
pfangene auch nur ſich zu eigen gemacht, dadurch beweiſen, daß ſie
4, An Goethe, 505
ſolches etwaige Weitere nicht zum Verfländnif aus jenen Grund
lagen zu bringen vermögen, und cs Ew. Excellenz lediglich ans
beim ftellen müffen, den Klumpen zur Geftalt heraus zu Inden
und durch folde wahrhafte Gevatterfchaft ihm erft einen geiftis
gen Dthem in die Nafe zu blafen. Diefer geiftige Othem —
und von ihm ift es, daß ich eigentlich fpredhen wollte, und der
eigentlich allein des Beſprechens werth iſt, — iſt es, der mid
in der Darfiellung Ew. Ercellenz von den Phänomenen der
entoptifchen Farben höchlich hat erfreuen müffen. Das Einfache
und Abftrakte, was Sie fehr treffend das Urphänomen nennen,
ſtellen Sie an die, Spige, zeigen dann die konkreten Erſcheinun⸗
gen auf, als entfichend durch das Hinzukommen weiterer Eins
wirfungsweifen und Umſtände, und regieren den ganzen Ber-
lauf fo, daß die Reihenfolge von den einfachen Bedingungen zu
den zufammengefegtern fortfchreitet, und fo rangirt das Vers
widelte nun, durch diefe Defompofition, in feiner Klarheit ers
ſcheint. Das Urphänomen ausjufpüren, es von den andern,
ihm felbft zufälligen Umgebungen zu befreien, — es abfiratt,
wie wir dieß heißen, aufzufaffen, dieß halte ich für eine Sache
des großen geifligen Naturfinns, fo wie jenen Gang überhaupt
für das wahrhaft Wiffenfhafllide der Erkenntnif in diefem
Felde. Newton und die ganze Phyſikerſchaft ihm nad), fehe ich
dagegen irgend eine zufammengefegte Erſcheinung ergreifen
und fi in ihr feftrennen, und fo den Gaul beim Schwanze
aufzäumen, um wid des Ausdruds zu bedienen; es iſt ihnen
biebei gefhehen, daß fle die dem Urſtande der Sache gleichgüls
tigen Umftände — felbft wenn diefe nichts Anderes wären, als
daß ihnen beim Aufzäumen des Schwanzes ein Unglück paffrt *
wäre, — für die Bedingungen derfelben ausgeben, und Alles,
was vor= und rüdwärts liegt, hineinſchuſtern, zwängen md
lügen. An einem Mr Laffen fie es dabei nicht fehlen; fie brinz
gen ein metapbufiihes Abſtraktum herbei, — als. erfchaffene
Geiſter erſchaffen fie den, Erſcheinungen ein erſchaffenes, ihrer
En —
05 IX, Briefe.
ſelbſt würdiges Inneres hinein, a
die Weisheit und Herrlichkeit eben fo erfreut, eben fo emnfihaft
Arbeiter wie die Freimaurer um den Tempel Salomonis, ——
Bei den Urphänomenen fällt mir die Erzählung ein, die En.
Ercellenz der Farbenlehre hinzufügen, — von der Begegnii
nämlich, wie Sie mit Büttner’s ſchon die Treppe hinabeilenden
Prismen noch die weiße Wand angefehen und Nichts gefehe
haben, als die weiße Wand; diefe Erzählung hat mir den Ein
. gang in die Farbenlehre fehr erleichtert umd fo oft ich mit da
ganzen Materie zu thun befommen, fehe id das Urphänomm
vor mir, Ew. Excellenz mit Büttner’s Prismen die weiße Wan
betrachten, und nichts fehen als weiß. Darf ich Ew. Crecllen
aber nun aud noch von dem befondern Intereffe fprechen, wel
des ein jo herausgehobenes Urphänomen für uns Philoſophen
hat, daß wir nämlid ein foldes Präparat — mit Em, Ertl
len; Erlaubnif, — geradezu in den philofophifhen Nugen vr
wenden tönnen! — Haben wir nämlich) endlih unfer zumädt
aufternhaftes, graues oder ganz fhwarzes — wie Sie wollen —
„Abfolutes, doch gegen Luft und Licht bingearbeitet, daß es de
felben begehrlidh geworden, fo brauden wir Fenfterftellen, ım
es vollends an das Licht des Tages herauszuführen; unfer
Schemen würden zu Dunft verfhweben, wenn wir fie fo geradezu
im die bunte verworrene Gefellfeyaft der wiederhältigen Welt
verfegen wollten, Hier fommen uns nun Ew. Ercellenz Urphä—⸗
nomene vortrefflich zu ftatten; in diefem Zwielichte, geiftig und
begreiflih durd feine Einfachheit, ſichtlich oder greiflich durch
feine Sinnlichkeit, begrüßen ſich die beiden Welten — unſet
OAbſtruſes und das erſcheinende Dafeyn. So präpariren ums
Ew. Ercellenz aud) die Geftirne und felbft etwas vom Die
tallifchen zum Granit hin, den wir an feiner Dreieinigkeit leicht
paden und zu uns hereinholen können, — wohl leichter, als ſich
feine vielen, etwas aus der Art gefchlagene, Kinder im feinen
Schooß zurüdbringen laffen mögen. Längſt haben wir es danf-
’
4, An Goeche. 507
bar zu erkennen gehabt, daß Sie das Pflanzenweſen feiner und
unferer Einfachheit vindieirt haben. Knochen, Wolken, kurz Als
les führen Sie uns näher herbei. — Wenn ich nun wohl aud)
finde, dag Em. Excellenz das Gebiet eines Unerforſchlichen und
Unbegreiflidien ungefähr eben dahin verlegen, wo wir haufen, eben
dahin von wo heraus wir Ihre Anfichten und Urphänomene rechtfer⸗
tigen, begreifen, — ja wie man es heißt, beweifen, deduciren,
konſtruiren u. f. f. — wollen, fo weiß ich zugleih, daß Em.
Excellenz, wenn Sie uns eben feinen Dank dafür wiffen kön—
nen, ja Ihre Anfichten, felbft das Stichelwort: Naturphiloſophiſch,
dadurch anfriegen könnten, uns doch toleranterweife mit dem
Ihrigen fo nach unferer unfhuldigen Art gebehrden laffen, —
es ift doch immer nod nicht das Schlinmfte, was Ihnen wider
fahren ift, und ich kann mid; darauf verlaffen, dag Em. Excel⸗
lenz die Urt der Menſchennatur, daf wo einer etwas Tüchtiges
gemacht, die Andern herbeirennen und dabei auch etwas von dem
Ihrigen wollen gethan haben, erkennen. — Ohnehin aber haben
wir Philofophen bereits einen mit Ew. Ercellenz gemeinfchafts
lichen Feind — nämlid) an der Metaphyſik. — Schon Newton
hat die große Warnungstafel angeſchlagen: Phyſik! hüte did)
vor Metaphyſik! Das Unglück aber ift, daß, indem er dief
Evangelium feinen Freunden vermacht und diefe es treulich vers
fünden, er und fie damit nichts Anderes geleiftet haben, als nur
die unzählbaren Wiederholungen des Zuftandes jenes Englän-
ders zu geben, der nicht wußte, daß er fein ganzes Leben hin-
durch Profa gefprohen, Diefer fam am Ende doch zur Ein-
ficht, jene aber find dermalen noch nicht fo weit, zu wiffen, daf
fie verdammt ſchlechte Metaphyfit fhrechen. IL laſſe es aber,
von der Roth, den Phyſikern diefe ihre Metaphyſik zu ruiniren,
noch etwas zu fagen. Ich muß auf eine der Belchrungen Ew. Er-
celfenz zurüdtommen, indem id) mich nicht enthalten kann, Ihnen
noch meine herzliche Freude und Anerkennung über die Anſicht zu
bezeigen, die Sie über die Natur der doppelt tefrangirenden
fa
1X. Briefe,
eben haben; — diefes Begenbild von derfelben Sad,
als durch äußerliche mechanifhe Mittel dargeſtellt, —
n . eine innere Damaftiveberei der Natur — iſt, mei⸗
ad), gewiß einer der ſchönſten Griffe, die gethan
ft naftmeberei, vor der Hand von Hellung und Dunt-
weiter führen; das Lebendige im Schönen if
chtbarkeit, Die es befigt. Weil cs aber bei all
ein u bedauern giebt, fo hätte ich allerdings dieß zu
wlebrende Reihe der Phänomene nicht mit
liebfien freilih unter der Leitung Em,
babe durchlaufen fönnen. Dod dürfte ich mir viclk
it mw und Tagen noch dieſe Vergünſtigung verfpreden,
diefe Hoffnung felbft vertilgt jenes Bedauern, und um bie
ıd Em. Excellenz nicht noch durch längeres Plaudern in
uch zu nehmen, erlaube id mir nur noch, meinen vernig:
Dank für Derfelben gütiges Andenken und für die mr
eichhaltigen Belehrungen zu wiederholen.
5. An ten D. Binrichg in Beibelberg.
Berlin, »d. 7. April 1821.
Ich habe, hochgeſchätzter Freund, mit wahren Vergnügen
das überſchickte Manuftript durdlaufen, — 18 ganz wörtlich
durchzuftudiren, dazu habe ich nicht kommen können, — und will
die Rüdfendung nidyt länger aufhalten, um die weitere. Bes
handlung und Beflimmung dadurch nicht zu verzögern.
Ihren Wunſch, diefe Ihre Schrift mit einem Vorworte von
mir an das Publitum begleitet zu fehen, werde ich herzlich gern
erfüllen; damit hat es jedoch, während des Verlaufs des Ab-
drucks Ihres Manuſkripts, noch Zeit. Ich leſe diefen Sommer
5, An den D. Hinriche. 509
Religionsphilofophie, bin alfo damit veranlaßt, meine —
ohnehin nad) dieſer Seite zu wenden,
Sie fordern mich auf, in meinem Vorwort meine Gedan-
ten über die Tendenz Ihrer Schrift zu fagen; erlauben Sie
mir aber, hier ſchon ein Metheil gegen Sie und vornchmlid)
meine Wünfche über dasjenige zu äußern, was ich für vortheils
haft hielte, dag Sie für diefe gewichtige Abhandlung, im Rüde
füht auf ihre Richtung gegen’ das Publikum, und auf die Ein-
richtung derfelben noch vornähmen. Dieſe Wünſche beziehen ſich,
wie gefagt, nicht auf den Inhalt und die Sache und derem
Darftellung felbft; mein Urtheil if, daß Sie ſich in der Sache
mächtig gezeigt, und ich habe mit wahrer Satisfaftion Ihr ties
fes, fpekulatives Eindringen erkannt; Sie geben mit diefer
Schrift einen genügenden Beweis für Ihre Fertigkeit und Brüs
fenz, in den höchſten Regionen der Spekulation mit Beftimmt-
heit und Freiheit fi) zu bewegen, im einem fonfequenten Gange
die Sache aus dent denkenden Begriffe zu produeiren "und fort⸗
zuführen, — Einzelne Belege von diefer meiner Befriedigung)
will ich nicht anführen, — ich habe auch, wie gefagt; nicht alles
Einzelne durchgemacht — aber z. B. Ihre Darfiellung vom
Beweifen des Dafepns Gottes, von dem, was Manifeftation ift,
von Gewißheit und Wahrheit — u. f. f. die Darſtellung der ſchel⸗
Iing’fhen Philofophie fo wie der vorhergehenden u. ff! —:
die dialektifhe Nothwendigkeit des Fortſchreitens — 1.1. f.
haben mich recht fehr intereffirt.. m
Meine Wünfche betreffen äufere Zuthaten, um den Leſer,
— db. bh. nicht bloß den ſchon mit der Spekulation vertrauten, —
defto eher einzuführen. Ihe Gang ift eine Vertiefung in dem
Inhalt, der gediegen fortwaltet, ohne dem Leer Ruhepunkte der
Reflerion zu geben; ſolche, fo zu fagen hiſtoriſche (nicht von äufes‘
rer Hiftorie, fondern von der Vorhererzählung deffen, was Sie
ist im Gedankengange vornehmen werden, genommen) wilden
zur nöthigen, fogenannten Berftändlichfeit ungemein beitra—
510 h IX. Briefe.
gen; und cs iſt bei der Herausgabe Ihrer Schrift ſowohl Darm,
Leſer zu haben, — als aud) vornehmlich darum. zw thun, daf Ih
donum docendi daraus erfehen werden könne. — Ich will ver⸗
fuchen, einige nähere Umflände darüber anzugeben, 1) Sdh
dieß würde zur Erleichterung beitragen, wenn ——
und Abſchnitte in den Abſätzen machten; die f
find ohne Einſchnitt, die fehs folgenden eben fo u. ef Im
223 —238 if Ein Abfag, fo von 24 — 251 u. ff. Dit
& linea weiter durch 1), 2), 3), u. ff. unterſchieden, trüge febt
wefentlich ‚zur Meberficht bei; — 2) das Nähere aber müßten
jene hiſtoriſchen Einſchnitte der Reflerion thun, 3 B. daß dief
und dief, diefe Stufe, Form u. ſ. f. dieſe Beflimmung, habe,
aber die mähere Betrachtung zeige den. Uebergang, Auflöfung
diefes Standpunkts u. f. f., dich erläutere ſich durch Folgendes;
— oder, dich fey nun zu beweifen oder bewiefen worden u. f. f.—
befonders wäre zu unterfheiden und herauszubeben,
verftändiger Konfequenz gefolgert ift, und wo nun die di
ſche Betrachtung anfange; — überhaupt eine fubjektive Himstie
fung für den Lefer, daß igt dieß vorzutragen, zu erläutern, zu
beweifen ſeh, — es komme hier darauf an u. dgl. Die für fih
runde Sache wird auf diefe Weife gegen den Lefer hingekehrt, fonft
fagt er, er wiffe nit, wo er es anfaffen, was er damit anfan«
gen folle, — Wie über das Einzelne, fo iſt auch fürdas Ganze
eine ſolche Meberfiht und — Meberfiht gebende Eintheilung —
wenn gleich, wie gefagt, nur hiftorifch, vortheilhaft und nöthig. —
Gleih am Anfang der erften Abtheilung wünfhe ich auch eine
folde vorausgehende Hinweifung und. Orientirung, daß zuerft
die Natur des Gefühls w. dgl. zu betrachten feh.: Ein ſolches
Einleiten für das Ganze und für die einzelnen Theile, ja für Ab⸗
fäge und Säge wird Ihrer Abhandlung gewiß eine ganz andere
Yufnahme verihaffen, als ohne dafjelbe. An dem Inhalte würde,
nichts zu ändern kommen, aber durch jene einleitende Zuthaten
würde fie um ein Viertel oder Drittel auszuweiten ſeynz fle iſt
!
l
|
|
5. An den D. Hinrichs. Sit
fo zu replet vom bloßem Stoffe und Inhalt, und diefe zweite
Seite noch erforderlich, den Leſer auf den Gang und die Refultate
aufmerkfam zu maden. 3) Nod einen Unterſchied berühre ich, auf
welchen aufmerkfam zu machen, oder vielmehr das Bewußtſeyn dar«
über felbft anzugeben wäre — was nämlich als Vorausſetzung an«
genommen oder wo aus Vorausfegung gefproden wird. ı So
3. B. glei von Anfang, was Sie über das Gefühl fagen, foll
nicht als ein Dedueirtes gelten, — fondern Sie fegen die Vor⸗
ftellung (— oder Deduktion) des Gefühls voraus, und geben
bier nur das an, was dafjelbe enthalte; dief würde ih aus«
drüdlich unterfcheiden; (— cbendafelbft wünfchte ich die nä—
here Beflimmung angegeben, in wiefern und nach welder Seite
das Gefühl zugleih das Unbefimmte iſt — de b.welde
Weiſe der Bellimmung ihm fehlt) — die Erläuterung durch
Beifpiele würde bier, wo Sie vorausfegend wu — an *
rer Stelle ſeyn.
Ih würde über dieß Alles nicht fo weitläuftg nein. die)
oder auch gar nichts über diefe Seite gefagt haben, wenn Sie nur
für mic) und einige wenige Freunde der einfachen Spekulation
ſchrieben — (und aud) für diefe und für mich wünſchte ich; von jenen
Zuthaten etwas; es würde mid große Anftrengung koſten, mich
ganz dur das Einzelne hindurch zu lefen) aber Sie ſchreiben
ferner für ein lefendes und fiudirendes Publitum, — aber! nod)
mehr aud) für ein nur lefendes Publikum, das durdaus jene Eins
leitungen und Reflexionen nöthig hat und fie fordert, und —
mit Recht — vornehmlich darin das Lehren als foldes ſieht, —
Der zehnte Theil des Stoffs, den Ihre Abhandlung enthält —
oder der zwanzigfie, dreißigſte u. f. fr — mit jener Verdeutli⸗
hung vorgetragen, würde hinreihen, um mehr Eindruck zu machen,
und wohl um mehr zu belehren, als jene Gediegenheit in ihrer
abgeſchnittenen Geftalt Sie bei dem Publitum einführen möchte,
auf weldes wir hierbei vornehmlich unſre Wünſche richten kön—
nen. Sie verkennen meine Abficht nicht, im der ich allen die—
512 IX. Brief.
fen fcheinbaren Tadel vorbringe, und werden denfelben auch fe
beurtheilen, daf er vielmehr an fich als ein Lobfpruch zu deu
ten iſt. — Nun noch kurz von dem Uebrigen; — daß Sie die
Logik, wie fie dermalen noch geftaltet if, polemifch vornehmen
wollen, wird ein fehr zwedmäßiges Werk und Werdienft fehn;
— es hilft am Ende nit, wenigftens nicht allein, wenn man
die Sache felbft darflellt; man muß die Sache im des Feind
Land fpielen; die nöthigt ihm eher, ſich umzuſchauen und du
vornehme Ignoriren aufzugeben, — und ſich aus Befchämun
zur Bertheidigung einzulaffen
Das Sie mir die Redaktion der ſich nennenden ‘neuen ber
liner Monatsfhrift zumuthen, macht mid um fo mehr vermu
then, daf viele Andere, die mich weniger fennen, als Sie, mid
defielben zeihen werden; es ift freilich viel von mir darin die Res,
aber um fo weniger follte man den Verdacht hegen, daß ich daran |
Antheil habe; — auch von meinen Gedanten — und gelegene
lichen Einfällen etwa lauft auch Manches unter — aber nnig
fiens habe ich dergleichen nicht zu ſolchem Gebrauch, wie dafıkk
davon gemacht ift, geäußert; der Gedante iſt übrigens gut an
ſich ſelbſt; es muß immer auf were Weiſe die -Sade a
das Publikum gebracht werden. — 000 un mn
Aufſätze von Benipteger ee ich nit glauben, dei
eine: befondere Ausfchliefung erfahren würden; ſchicken Sie der
gleichen auf jeden Fall; hauptſächlich thut es der Zeitſchrift Noth,
dag fie einen mannichfaltigeren Ton, bei aller Einheit der Ten
denz, erhielte. — Ich habe dem Hauptunternehmer von Ihrer
Abſicht geſprochen — es ift D. Förfter — ſchicken Sie an ihn,
was Sie ins Publitum auf diefe Weife zu bringen wünfchen.
» Fahren Sie in Ihrer fehreibenden und ‚vorlefenden Thätige
tet — ſeyen Sie meiner herzlichen —— —
She nt) ri
Hegel.
EEE II I N Zur u
5. An den D, Hinrichs, 513
An Denfelben.
Berlin, den 4. April 1822,
Hier überfchide ih Ihnen Manuſkript, ganz ift es noch
nicht; es fehlen jedoch nur noch etwa 1 oder 2 Bogen; id) wollte.
aber Sie nicht länger verzögern, wenn id) am Ende nicht gar
zu fpät komme.
a. Das Manuffript in befferen Stand zu feten erlaubte
die Zeit nicht mehr; bei der unterbrochenen Arbeit hatte ich oft
den Zufammenhang verloren; es kann alfo in der Redaktion
nicht anders als der Nachhülfe bedürftig erſcheinen.
b. Sie find an Ort und Stelle des Drucks, werden alfo
Sorge für den ordentlichen Abdruck haben; die Stellen, wo ein
alinea zu maden, find richtig bemerkt, — aber es bedarf eines
aufmerkffamen Setzers, — vielmehr eines aufmerkſamen Dirck-
tors, umd diefer müffen Sie feyn; wo es Ihnen zu fehlen *
nen ſollte, müſſen und werden Sie es reguliren.
c. Laſſen Sie mir ein halb Dutzend Eremplare beſonders
abziehen. — Schiden Sie ein Eremplar etwa an unfern Herrn
Miniſter. —
d. Id bin auf Ihre Werk befonders neugierig; da es ſchon
abgedrudt ift, hätte ic) ein Eremplar bereits erhalten können.
Halten Sie mir das Allgemeine des Inhalts, — das zum
Theil nur Wiederholung von anderswo Geſagtem iſt, — zu Gute;
— das Zerſtreute meiner Exiſtenz geſtattet es nicht anders; —
auf unfere jetzige Theologie hat es hin und wieder direkten Bes
zug, was Ihnen’ und Daub nicht entgehen wird. — Aber von
Daub erwarte id) eine offene Erklärung, ob denn das die Dogs
matik der unirten evangelifhen Kirche fey, was man ung, —
freilich nur in einem erfien Theile, vermuthlid weil man für
MWeiteres in diefen Zeiten der Unterdrüdung, wie man es heift,
nit traut, — als folde zu bieten die Unverfhämtheit und
Plattheit gehabt hat. — Bon Daub fehne ich mich, bald einen
Vermiſchte Schriften. * 33
514 1 0
gedruckten Gruß zu vernehmen; vum a m
darauf hoffe und deſſen benöthigt bin
BL
in den nächſten Tagen ſchreiben.
—
24
An *
Berlin, am Il
Hiermit folgen, verehrter Freund, di
Vorrede, der Anfang ift den 4. April von *
wagen abgegangen, den Schluß macht eine Stelle au
Ihrer Briefe, über Ihren ſubjektiven Gang und >
Schrift; die Stelle hat mich ebenfo . |
ebenfo freut es mich, fie hier abdruden I
fagt mit feharfer Beftimmtheit die Zenden 3
aus, und wenn Sie felbft für hen Drut ih über 2 *
niß hätten ausſprechen ſollen, ſo hätten Sie es nicht
und unbefangen gethan. — Einige en b
gelaſſen, weil ich erſt heute das Stückchen *
geriſſenen Petſchaft fand, das einige den 2
machende Worte enthielt. Die Worte in
meine Philoſophie näher ausdrücken, habe ich —*
Ein Wort, das ich zur Deutlichkeit anſtatt eines
ſetzt, iſt wohl Ihr Sinn geweſen, doch war es mie
klar; um die Unklarheit wegzubringen, habe s —
eingeſezßt, — und wenigſtens fo wie es fo le
und muf fo bleiben. — Und nun meine —* Vünſche
den wirklichen Eintritt in die Welt; — welche Aufnahme
zu erwarten haben, habe ich in der Lore aa >
ift darin ausdrücklich für Daub gefagt, den is 5
fen bitte, und von dem ich aud) bald etwas ©
hoffe. Es thut Noth, daf wir nad) und —*
EN
5. An den D. Hinrichs. 515
3 Sagen Sie Daub ganz im Stillen, man ſpreche davon, ihn
m md Schwarz hierher einzuladen, um über Theologie und Kirche
zu konferiren; — fagen Sie ihm dabei, daf ich nichts fehnlicher
wünfcen könne, aber daf bei uns Jahre und Tage vergehen,
m che ein Gedanke, den man gefaßt, zur Ausführung komme.
Wenn mir der Hr. Minifter davon ſpricht, werde ich ihm ſa—
gen, er braude nur die beiden Herren 1) um die Artikel ihrer
Union und 2) um- eine Kritit der Dogmatik der evangelifchen
! Kirche (wovon der Verfaſſer mit dem zweiten Theil, det fon
Weihnachten erſcheinen follte, ſich wohl nicht getraut herauszu—
rücken) zu erſuchen, ſo werde er ſchon klar genug finden können,
was ſie von Theologie und ſolcher Berliner Theologie halten.
Ich hoffe bald gute Nachrichten über Ihre Hoffnungen in
Heidelberg zu erhalten. — Ein ſolches Kleeblatt von ordent⸗
lihen Profefforen der Philoſophie, wie Sie in Heidelberg ha—⸗
ben, ift übrigens etwas fo Erquifites, daß es beinahe Schade
wäre, wenn ein Blätthen ausgerupft würde, Wir werden an-
derwärts jedoch felbft folhe befigen, in Halle z. B. — Dod
die Niederträchtigkeiten der dafigen Zeitung gegen mid) mögen
leicht, nicht von foldem Kleeblatt, fondern vielleicht gar aus der
Nähe von Ihnen, oder noch mehr von Daub, — einem vierten
ſchlechten Blatte zu dem Kleeblatt ächter Art, kommen.
Leben Sie wohl!
Ihr
Hegel,
Wie fteht es mit der Oswaldifchen Buchhandlung in Heiz
delberg, ift fie noch auf guten Füßen, oder wenigftens auf Füßen?
Es intereffirt mich, dieß zu wiffen,
33 *
IX. Briefe.
An Denfelben.
Berlin, den 13. Auguft 182,
e⸗ iſt freilich ſchon ſeht lange, daß Sie, geſchätzter Frem)
nichts von mir hören; ich wollte Ihnen über mögliche Ausſi
ten bei ung gern etwas ſchreiben können; und ob ich gleich md
nichts Beſtimmtes hierüber zu ſagen habe, fo will ich es dei
nicht zu lange anſtehen laffen, Ihnen mwicder Nachricht von mi
zu geben.
Soviel weiß ich inzwifhen, daß Ihre Schrift einen guim
Eindrud gemacht hat; die ſpekulative Haltung und Tiefe ifi «
die bei uns, — d. b. in gewiffer und zwar ſehr bedentene
Hhäre, — fehr empflichlt, Theils an und für fich, Theils ud
um, weil fie nad), Außen keinen Anfiof und die Blöfen nicht
giebt, weldhe zu Dlifverfländniffen leicht aus populären Dark
tungen gefhöpft werden können. Flaches, bedeutungslofer Pie
Iofophiren theilt zwar auch diefen Vortheil, nichts Gefährt
zu zeigen, und nicht Beranlafjung, fompromittirt zur werden, ii
geben; aber ſolches Philofophiren erhält bei uns doch nicht dm
Vorzug vor dem anderen. |
Der Hr. Minifter drüdte gegen mich keine ungeneigte Ge:
finnungen in Rüdfiht auf Sie aus, als id) Veranlaffung nahn,
von meiner Borrede auf Ihr Buch und deſſen Verfaſſer zu
tommen.
Sonft hörte ih, daß das Schreiben, mit dem Sie e8 bes
gleitet, nur formell gewefen; — bei uns darf man wohl dem
Minifter des Unterrichts — auch ein konkretes Wort, auf Ge
halt und Anfiht gehend, — fagen. Sie haben fi daher zu⸗
. nähft auch einer folhen formellen Antwort zu gewärtigen; daß
fie aber fo lange verfhoben worden, iſt immer ein Zeichen, daß
man ſich das Buch gründlicher angefehen, und ſich auch mit
Rückſichten auf die Perfon des Verfaſſers beihäftigt hat. Ein
Hauptumftand, um fi zu etwas entfchliegen zu können, ift die
6, Weber die englifche Keform «Bill. 457
Bürgern verleidet, auch gefährlich gemacht, vondem Stimmrechte
Gebrauch zu maden, und die Faktion hat allein das Feld be—
hauptet. — Wenn die über die Wahlberehtigung ‚gegenwärtig
befchließenden großen politiſchen Körper eine Pflicht hoher Ge—
rehtigkeit zu erfüllen glauben, daß fie die äußerlichen Bedin-
gungen diefer Befugnif erweitern und fie einer größeren Anzahl
ertheilen, fo dürfte ihrer Erwägung entgehn, daf fie chen damit
den Einfluf des Einzelnen vermindern, feine Vorfiellung von
defien Wichtigkeit und dadurch fein Intereffe, dieß Recht aus:
zuüben, ſchwächen, abgefehen von der frage, wie überhaupt ir—
gend eine Staatsgewalt: dazu komme, über diefes Recht der Bür—
ger zu Disponiren, dabei 50 oder 100 Franken oder fo viel Pfund
Sterling in Weberlegung zu nehmen und dieß Recht nad fols
ben Größen zu ändern — ein Recht, weldhes feiner Beflimmung
nad ‚als fonverän, urſprünglich, unveräußerlich, überhaupt als
das Gegentheil davon angenommen —— * es aa oder
genommen werden könne. { vn
Wie der im fo gutem Rufe fichende geſunde Menfihenver-
fand des englifchen Volkes die Individuen die Unbedeutendheit
ihres Einfluffes auf die Staats- Angelegenheiten durd) ihre ein—
zelne Stimme empfinden läßt, fo giebt derfelbe gefunde Men—
ſchenverſtand auch das richtige Gefühl feiner geringen Befähigung
‚um die zu hohen Staats-Aemtern erforderlichen Talente, Ge=
ſchäftskenntniß, Fertigkeit und Geiftesbildung zu beurtheilen; foll=
ten ihm 40 Shillinge oder 10 Pfund Grund-Rente, oder 200
Franken direkter Steuern, die Zufags Centimen mit eingerechnet
oder nicht, einen fo großen Zuwachs von Befähigung zu enthals
ten feheinen? Die Strenge der franzöflfchen Kammern, den
Geſichtspunkt fonftiger Befähigung gegen diejenige Befähigung,
welche in den 200 Franken mit oder ohne die Zufag-Centimen lies
gen foll, auszufchließen und fie nur den Mitgliedern des Inſti—
tutes zuzufßreiben, iſt charakteriſtiſch genug; der Formalismus
der Achtung der 200 Franken hat die Achtung für die Befähigung
IR. Bi 2
tigft an mich überfcietten ( um!
lichen Brief hätte antworten ——
ſchuldung anklagen; und es iſt nur, in
thige Nachficht zähle, daß ich jest miten
men und von meiner Nachläſſigkeit
aus dieſem Zuge derſelben ihren Grab er
nichts thun, als mir recht fehr Ihre V
nur dieß hinzufügen, daß dieß einer *
ich nach langer Zeit wieder fdhreibe. er mi u
Aeuferung meines Dants bin, fo werden © on F
zeugt geweſen ſeyn, daß ich nicht ——
Ihr Werk und in der Anerkennung des I
wefen. Schon vor längerer Zeit wird vun 9
der guten Aufnahme zugetommen feyn, welde J
unferem Herrn Minifter gefunden, Weber diefe €
— da Sie wohl wünfchen möchten, hierüber eı
vernehmen, — gleid) die hinzufügen, daß ich ——
anzugeben weiß, — (mas auch auf die Verzöge
wort Einfluß gehabt hat), — ob die Wohlmein
etwas Neellerem führen könne; eine Hauptſache dabei ü
‚dem Etat einer Univerfität eine Summe — RE
ein dringendes — äuferes Bedürfnif zur Befegung e
ſophiſchen Lehrſtelle vorhanden ift; — es iſt in manche
ficht bei uns eine größere Latitüde dadurch, daß wir Fein
minal-Profeffuren haben, aber es geht bei uns wie überall
die meiften anderen — befonders materiellen — Bedürfni
dringender gelten als die der Philoſophie.
Ueber die Vorzüge Ihrer Schrift find wir Au
gewefen, daf fie die Gründlichkeit der —
der Beſtimmtheit und Klarheit der Entwicklung —*
vereinigt. Beſonders ſehe ich die Exkurſe, .
ſche und bei diefer Weranlaffung ariſtoteliſche P
handeln, für Mufter der Expofition an. Mi ı Di
)
6, Ueber die englifche Neforms Bill. 459
gierungsgewalt fehr von einander verfchieden find. Der monar-
chiſchen Gewalt fommen die hauptfächlichften Zweige der höchſten
Staatsmacht zu, vornehmlich diejenigen, welche die Beziehung
zu andern Staaten betreffen, die Macht, Krieg und Frieden zu
befchließen, die Dispofition über die Armee, die Ernennung der
Minifter, — doch ift es Etifette geworden, daf der Monard)
« direkt nur den Präfidenten des Mlinifter- Konfeils ernennt und
dieſer das übrige Kabinet zufammenfegt, — die Ernennung der
Armee- Befehlshaber und Offiziere, der Gefandten u. f. f. Ins
dem nun dem Parlamente die fouveräne Befchliefung des Bud»
gets (mit Einfluß felbft der Summe für die Suftentation des
Königs und feiner Familie) d. i. des Gefammt-Imfangs der
Mittel, Krieg und Frieden zu machen, eine Armee, Gefandte
u. f. f. zu haben, zuſteht, und ein Minifterium hiermit nur res
gieren, d. i. eriftiren kann, in fofern es fidh den Anftchten und dem
Willen des Parlaments anfchlieft, fo ift der Antheil des Mo—
narchen an der Regierungsgewalt mehr illuforifch als reell, und
die Subflanz derfelben befindet fih im Parlamente, Bekanntlich
hat Sieyes, der den großen Ruf tiefer Einſichten in die Orgas
nifation freier Verfaſſungen hatte, in feinem Plane, den er end⸗
lid) bei dem Mebergange der Direktorial-Verfaſſung in die kon—
fularifhe aus feinem Portefenille hervorziehen tonnte, damit nun
Frankreich in den Genuß diefes Nefultates der Erfahrung und
des gründlichen Nachdenkens gefegt werde, einen Chef an die
Spige des Staats geflellt, dem der Pomp der Repräfentation
nad) außen und die Ernennung des oberiten Staatsraths und
der verantwortlichen Miniſter, wie der weiteren untergeordneten
Beamten, zuftände, fo daß die oberfie Regierungsgewalt jenem
Staatsrath anvertraut werden, der Proclamateur-electeur aber
feinen Antheil an derfelben haben follte, Man kennt das folda=
tifche Urtheil Rapoleon's, der fich zum Herrn und Regenten ge=
macht fühlte, über dieß Projekt eines folden Chefs, in welchem
er nur die Nolle eines cochon a l’engrais de quelques mil-
F
7 An Dubar. *
Berlin, den 4
Ich habe Ihnen, hochgechrteſter Herr, über di
meiner Antwort auf das geneigte —
mid) haben bechren wollen, meine Eniſchuldig
Durd Ihren: erfien Brief freute es —
Freunde der Wahrheit bekannt zu werden, und nu
zweiten ferner mit einem Kenner der Kormen, er
Philofophie die Wahrheit zu faflen bemüht — fer
einem durch innere und äußere Erfahrung gereiften, im
tiſcher Beſtimmung thätigen, und in diefer Thätigkeit, ı
feinen häuslichen Verhältniffen, zufriedenen Mann. D
tigen, die Sie mir von Ihnen geben wollen, erleichtern
die Antwort, nicht nur indem fie mir nährre Ausgangsp
für die Darlegung meiner Gedanken angeben, fondern aud) |
dem die Einigkeit des Gemüths mit fich felbf und mit feiner
Lage dieſe innere Gefundheit des Geifles beweift, we che
für das Individuum die Grumdlage ächter Ertenntniß. ausma
während beim Gegentheil das Nachſinnen leicht in ee) ran
tes Grübeln ausgehen kann, das fein Ende und keinen Anfang
findet, — und zunächſt — weil es in der That keinen fi
den will. " yr 8
Was nun die Erklärung meiner Gedanten über d Wahı
heit betrifft, wozu Sie mid auffordern, fo wiffen Sie fe Ibfi, daß
ſolche Gedanken, um fid zu rechtfertigen, eine erſchöpfende Yus
einanderfegung fordern, und ein Brief nur bei allgemeinen An:
7. An Dubor. 521
deutungen fichen bleiben kann; auch wünfchen Sie, daß id Ih—
nen diejenige meiner Schriften angebe, worin Sie das Berlangte
finden könnten. — Ib will die Erwiederung auf Beides zu
verbinden fuchen.
Ich kann es übergehen, davon zu fprechen, daß dem Men—
ſchen im Allgemeinen die Wahrheit in der Weife der Religion,
belebt und befruchtet durch feine Gemüths- und Lebenserfahrung,
zunächft manifeflirt iſt; denn es ift ein weiteres Bedürfniß, fie
in Form des Gedankens zu erfaffen, — fle, um den von Ihe
nen gebrauchten Ausdrud anzuwenden, nicht bloß zu glauben,
fondern zu fehen, — nämlid mit den Augen des Geiftes, denn
mit den leiblichen geht es nit an, — d. i. fie zu wiffen,
und das Intereffe Ihres Geiſtes hat Sie längft auf den Stand»
punkt diefes Bedürfniffes geflellt. — Ueber das Verhältniß von
diefen beiden formen habe ich kürzlich in etlihen Blättern ge—
fprochen, von denen ich ein Exemplar beizulegen die Freiheit
nehme (nut bitte ich, die angezeigten Drudfehler vorher forgfäls
tig zu korrigiren), und die das Vorwort zu einer Schrift eines
meiner Schüler, D. Hinrichs über die Religion im- Verhältnif
zur Wiffenfchaft, find.
Bei dem Gedanken aber, die Wahrheit im Denten zu ers
faffen, zu begreifen, begegnet uns fogleidy die kantiſche Anficht
der bloßen Subjektivität des Denkens, — eine Anfiht, mit der
Sie bekannt, und über die Sie hinaus find; da Sie, wie id
aus Ihrem Briefe fehe, ein geborner ffranzofe, und dann ein
in gefunder Wirkſamkeit Ichender Dann find, Tonnten Sie bei
deutfcher, hypochondriſcher Weife nicht ftehen bleiben, welche ſich
alles Objektive vereitelt hat, und dann nur noch diefer Eitelkeit +»
in ſich felbft genieft. Aber auch abgefehen von den übrigen
Verdienſten der kantiſchen Philofophie will ich doch dieß anfüh-
ren, wie es intereffant und lehrreich ift, bei Kant nicht nur im
feinen fogenannten Poftulaten das Bedürfnif der Idee, fondern
auch die nähere Beſtimmung derfelben zw fehen; was in feiner
5223 IX. Briefe.
Kritik der Urtheilstraft von dem Gedanken eines —
den Verſtandes, des Selbſtzwecks, der zugleich auf cin
natürlide Weife, im den organifchen Dingen. cxiſtirt, gefagt:
it, — kann fehr gut als Einleitung für die weiteren Anſichten
dienen; der dortige Standpunkt, daß dergleichen Ideen nur als
eine fubjektive Maxime der Betradhtung genommen werden, muf
freilich abgezogen werden. — Ih knüpfe hieran ſogleich an,
was Eie in Ihrem Briefe anführen, daß ih die dee als
Werden, als Einheit des Seyns und Nichts befiimme. Ih
bemerkte zweierlei hierüber, — erſtens daß Seyn und Nichts
die aller abfiratteften, ärmften, darum anfangenden Formen
des Grgenfages find; Seyn und Weſen, Seyn und Denten,
Foralität und Realität, Begriff und Objektivität, — wie die
reinholdiſchen Veränderliches und Unveränderliches, — Bereinis
gung und Unterſcheidung m. ſ. f. find andere Formen, am deren
feine aber als ausfchliefliche fi) zu halten if; vielmehr fehe ih
dieß allein als die wiſſenſchaftliche Darficllung der Jdre an, daf
der Fortgang, und zwar vom Abſtrakten aus, — denn aller Ans
fang ift dieß, — zum Konkreten, — als die ſich aus ſich ſelbſ
forttreibende und-entwidelnde Jdee aufgezeigt werde, Ueberhaupt
iſt die Idee weſentlich konkret, als Einheit von Unterſchiedenen,
und die höchſte Einheit ift die des Begriffs mit ſeiner Objekti—
vitätz wie denn Wahrheit, — aud Thon in Beziehung auf die
BVorftellungen als Uebereinſtimmung derfelben, mit den Gegen-
ftänden beftimmt. wird. Aber Wahrheit nehme id dann in dem
beftimmteren Sinn, daß fie den Gegenſtänden an ihnen ſelbſt
zutomme oder nicht; ein unwahrer Gegenfland kann wohl exiſti—
ren, und wir eine richtige Worftellung von demfelben haben;
aber ein folder Gegenftand ift nicht, wie er feyn foll, Di,
feinem Begriffe nicht gemäß (was wir auch ſchlecht heißen), eine
ſchlechte Handlung ift eine unwahre, der Begriff des vernünftis.
gen. Willens ift in ihr micht objektiv, und diefer Begriff if das,
was eine Handlung feyn foll, ihre eigenthümliche Beftimmung.
7. An Dubot. 503
So ift denn die Idee, in ihrer höchſten Bedeutung, Gott, allein
das wahrhaft Wahre, d. i, das, wo der freie Begriff an feiner
Odbjektivität keinen unaufgelöften Gegenfag mehr hat, d. i. auf
feine Weife in Endlichteit befangen if. — Zweitens bemerte
ich, daf zwar wohl folde Definitionen, wie die Idee ift die Eine
heit des Seyns und Nichts, des Begriffs und der Objektivität,
des Veränderlihen und Unveränderliden u. f. f., — und ſolche
Säge: das Seyn ift Nichts, der Begriff ift die Objektivität,
das Ideale ift das Reale und umgekehrt u. f. f., aufgeftellt wers
den müffen, daf aber zugleicy nöthig ift zu wiffen, daf alle ders
gleichen Definitionen und Eäge einfeitig find, und die Oppofls
tion gegen fie infofern ein Recht hat; der Mangel, den fie an
ihnen haben, ift eben diefer, daß fie vornehmlich nur die Eine-
‚Seite, die Einheit, das If, — ausdrüden, und damit nicht
auch den vorhandenen Unterfhied (das Seyn und Nichts u. ff.) |
und das Negative, das in Beziehung folder Beflimmungen liegt.
Reinhold's Weife fih auszudrüden: unterfheidende Vers
einigung w f. f. bat hierin ihren fehr guten Grund. Meine
Anſicht ift infofern, daf die Idee nur als Proceß im ihre (wie
Wer den ein Beifpiel ift), als Bewegung ausgedrüdt und ge—
faßt werden muß; denn das Wahre ift nicht ein nur ruhendes,
feyendes, fondern nur als ſich felbft bewegend, als lebendig; —
das ewige Unterfcheiden und die in Einem feyende Reduktion
des Unterfchiedes dahin, daß er fein Unterſchied iſt; — was
auch Empfindungsweiſe aufgefaft, die ewige Liebe genannt wors
den iſt; nur als diefe Bewegung in ſich, die ebenfo abfolute
Ruhe ift, ift die Idee, Leben, Geift.
Dod es ift Zeit zu fchliefen, und ich füge daher nur nod)
dieh hinzu, daß ich dafür halte, daß diefer Inhalt in allem äch—
ten Bewußtſeyn, in allen Religionen und Philofophien vorhan-
den, daß aber unfer jegiger Standpunkt if, denſelben ent—
widelt zu erkennen, und dieß nicht anders geſchehen kann, als
auf wiſſenſchaftliche Weiſe, welche dann zugleich die einzige Art
-
524 IX. Briefe,
ift, wie er bewiefen werden kann. Zu meiner Stellung. habe
» ich mir dieß genommen, auf die Erhebung der Philofophie zur
Wiſſenſchaft binzuarbeiten, und meine bisherigen — freilid
Theils unvolltommenen, Theils unvollftändigen Arbeiten Haben
nur diefen Zweck; eine Ueberſicht habe ich in meiner Enchklo⸗
pädie zu geben verfucht, die aber fehr einer Umarbeitung bedarf,
Nach diefem Zwede wollen Sie aljo meine bisherigen und fünf
tigen Schriften betrachten; eine Logik und dann die Mechts-Phi-
lofophie (die dem demagogiſchen Volke großen Anfioß gegeben)
follen folde wiffenfchaftlihe Bearbeitungen, jene des Allgemei⸗
nen, diefe eines Theiles der in der Wirklichkeit ſich offenbarenden
Idee feyn, die in Allem die Eine; Sie werden daraus. ‚meine
Methode näher erfchen können, die nichts als den aus dem Bes
griffe nothwendigen Fortgang entwideln, und fi fonft um keine
guten Gründe und Meinungen umfehen und befümmern fol.
Ich wünfde nun, daf dief Wenige dazu dienen möge, 3
nen die verlangte Bekanntfhaft mit meiner Anfiht und Witt
des Philofophirens ungefähr zu geben, Sie werden im diefem
Berfuche wenigftens erkennen, wie fehr es mich gefreut Hat, eis
nen Freund der Philofophie (des oberflählihen Eigendüntels
giebt es deren eine Menge) in Ihnen kennen zu lernen; mit
aller Hochachtung
Ihr
ergebenſter
Prof. Hegel.
An Denfelben.
Berlin, den 29. April 1823,
46 babe Ihnen, verehrter Freund, zuvörderſt recht ſehr
Entfuldigungen über meine Saumfeligteit im Beantworten
Ihrer beiden Briefe zu mahen, und muß Sie darüber bitten,
mit mir Nachſicht zu haben; cs waltet hierin ein eigenthümliches
7. An Duboc. 525
Mißgeſchick über mir; jeden Brief, den ich fehreibe, fehe ich mich
genöthigt, mit Bitten um Verzeihung anzufangen, Indem id)
aber jest unabänderlic an die Beantwortung tommen will, habe
ich Ihre beiden Briefe, die id mir vor Kurzem zu diefem Bes
hufe befonders legte, nicht vor mir; um die Zeit und Luft nit
wieder mit Suden hinzubringen, muß id) nur aus der Erinnes
rung fehreiben. Es find philofophifche Bedürfniſſe und ragen,
die Cie: mir vorlegen, und die mir Ihe gründlices Interefie
und Bemühen für die Erforfhung der Wahrheit bezeigen;- uns
ter den Veranlaffungen zur Zögerung ift dann auch diefe gewe—
fen, daß ich die Apprehenfion haben kann, in einem Briefe den
Gegenftand, um den es fid) handelt, nicht genügend auseinander
fegen zu können. Ih will es nun verſuchen, freilich nur nad
Anleitung der Erinnerung, mid) über die Bedenklichkeiten, die
fi) bei Ihnen erheben, zu erklären, Die eine entftand, wenn
mir recht ift, zunächſt über das Refultat meiner Erpofition des
Kaufal= Zufammenhangs. Was Ihnen dabei auffiel, ſchien mir
nicht fo fehr die Natur diefes Begriffes felbft zu betreffen, als
vielmehr die Folgen, welde es für andere Erkenntniffe haben
würde, wenn jener Begriff nicht Stand hielte. Außerdem daf
ich hierüber bemerken würde, daß die Begriffe ohne alle Rück⸗
fiht auf Anwendung und Folgen zu betradhten, in der Logik
ganz umerläßlich fey, und diefelben ganz nur für ſich fichen oder
fallen müffen, würde ih Sie an das Refultat der Fantifchen
Philofophie erinnern, mit weldem Sie bekannt find, und das
in Rüdfiht der Verflandesbegriffe dahin geht, daß vermittelft
derfelben fh nur Erſcheinungen erkennen, aber nicht das Wahre
ſich in jene Formen faffen laffe. Es handelt fi in diefer Un—
terfuhung nur darum, weldes die Gedantenbeftimmungen feyen,
die fähig find, das Wahre zu faffen. Es ift darum nichts ver=
loren, wenn diefer oder jener Begriff fih dazu nicht befähigt
zeigt; dergleichen Beftimmungen find in der endlichen Welt zu
Haufe, oder das Endliche ift eben dicfes, in folchen Beflimmuns
526 IX. Briefe,
gen zu feyn; die Idee muß cine hiervon verfhiedene Form ih
rer Einheit mit fih haben, — zu weldem Standpumtte die
kantiſche Kritik nicht fortgeht, — für die Erkenntnif des Wal
ren im Endlichen felbft muß ſich hierdurd denn auch eine at
dere Weife beflimmen, als die jener. Kategorien. |
Ich wollte eben daran, von dem Zuſammenhange des Ge⸗
fagten mit dem Inhalte auch des zweiten Briefes zu ſprechen, al
ic) nad) wiederholtem Suden denn doch glüdliher Weife ihren
zweiten vom 3. März habhaft wurde; es geht derſelbe weiter
auf das Allgemeine, metaphyſiſche Anfiht und Stellung des Er
kennens zum Wahren zurüd. Zunächſt füge ich zum Gefagten,
dag wenn im Geifte, Gemüthe, befonders in der teligiöfen Em-
pfindung, — von der Sie im erfteren Briefe, au) im Zuſam⸗
menhange mit Ihrem Lebensgange und Ihrem Verhältniſſt als
Haus- und Familienvater, zugleich) ebenfo gefühlvoll und gedir
gen als freundfchaftlich- vertraulich fprahen, — alfo wenn im
Menfhen der Glaube, Gewißheit, Weberzeugung oder wie nit
es qualificiren wollen, an die Wahrheit, an Gott, für ſich fl
fieht, es ſich nicht erfi darum handelt, diefe Meberzeugung duch
die Erkenntniß zu erlangen, — oft-wird es jedod auch der Fall
feyn, daß der Menſch auf. dem Wege philofophifcher Einfiät
dazu fommt, — als vielmehr alsdann darum, dieſe für das
Gemüth bereits fefte Grundlage zu erfennen und zu begreifen.
In diefer Stellung ift der Geift, fo zu fagen, fiher gegen das
Erkennen; befriedigt fi das Begreifen nicht, fo thut dieß jemer
Gewißheit keinen Eintrag; fie kann unwankend bleiben, es feh,
daß man das Miflingen der Erkenntniß dem befonderen Wege,
den man eingefehlagen, oder auch ſelbſt der Natur des Erkennens
überhaupt zufchreibt; die Erkenntniß kann nad) diefer Stellung
mehr als ein Lurus des Geifles, als für ein Bedürfnif deffelben
angefehen werden.
Hieran knüpft fih nun das, was Sie in Ihrem zweiten
Briefe von dem Verhältniß fagen, weldes Reinhold, — welcher
7. Un Dubor. 597
tedliche Forſcher, wie ich aus den Zeitungen erfahre, vor kurzem
geftorben ift, und befonders auch von Ihnen betrauert worden
ſeyn wird, — und die Schottländer dem Wahren und deſſen
Vorſtellung zu einander geben; — daß nämlich das wahre Seyn
an ſich wahr, und das Vorſtellen nicht zu ſeiner Vorausſetzung
habe; das menſchliche Vorſtellen ſetze dagegen jenen unabhän—
gigen Gegenſtand voraus, und wiſſe die Wahrheit nur als eine
relative Uebereinſtimmung mit ſich, die Wahrheit des Schns an
ſich fey dagegen abfolute Webereinfimmung des Seyns mit
ſich ſelbſt.
Weil es nahe liegt, will ich hier die Bemerkung machen,
daß, wenn von dem Seyn dieß geſagt wird, daß es eine Ue—
bereinſtimmung ſeiner mit ſich ſelbſt ſey, und dann doch von
demſelben als einem Unerkannten und Unerkennbaren geſprochen
wird, — damit das Gegentheil von dem geſagt wird, was ſo
eben geſchehen, — denn die Beſtimmung von dem Scyn, daß
es die abſolute Uebereinſtimmung mit ſich ſelbſt ſey, iſt ja eine
Denkbeſtimmung, d. i. eben hiemit wird es gedacht und im fo
weit erkannt. — Alle jene Sätze übrigens, in ſofern ſie ſich
eben auf die Ratur des Vorſtellens beziehen, gebe ich ganz zu;
Vorſtellen iſt allerdings das nur im Relativen ſtehende, dv. h.
mit einer Worausfesung behaftete Erkennen. Aus demfelben
Grunde aber enthalte ich mich des Ausdruds, 3. B. das Abfo-
lute als Einheit des Borftellens und Seyns zu bezeichnen.
Das Borftellen gehört einem andern Boden an, als dem der
Erkenntniß des Abfoluten.
Ton hier gehe ich zu der Darflellung über, die Sie von
meinen Gedanken maden, und worüber Eie ein Urtheil von
mir haben wollen. Es hat mich gefreut zu fehen, wie tief Sie
eingedrungen find, und geradezu den Punkt, wo die Sache am
fpetulativften ift, ergriffen haben. Zunächſt will ih aus dem
Gefagten wiederholen, daß ich dem Inhalte der reinhold'ſchen,
ſchott'ſchen u. f. f. Philofophie nicht chtgegergefegt bin, fondern
*
Bu 4 me
IX. Briefe,
mich auferbalb folden Standpuntts befinde, und darin nur ih
nen widersprechen würde, daß jener Standpunkt des Borftellu
der höchſte und legte fe. — Zu Ihrer Erpofition von meine
Abficht, — welche ich fehr genau und gründlid aufgefaßt find,
— mill ih nur dieß bemerken: daß, wenn Sie als Refulte
über den Unterfchied, der zugleih in Einem kein Unterfchied if,
fagen, diefe fcheinende Differenz ſey der bloße Schein der Dife
renz und die abfolute Wahrheit des Geifles ſey Die abfe
Iute Indifferenz, Identität, Einheit, das Wort: abfolut leicht
den Sinn des Abftraften bekommen könnte (wie abfolus
ter d. i. abſtrakter Kaum), und fo wäre die Wahrheit nur die
abfirafte Indifferenz, Zdentität, Einheit, — wie oben das Senn
nur als Webereinftimmung mit fi beflimmt worden ift. Aber
im Sinne des philofophifch-Abfoluten beflimmte ich das Wahre
als das in fih Konkrete, d. i. (wie Sie auch anführen), al
Einheit entgegengefester Beftimmungen in fi, fo daß dire
Entgegenfegung in der Einheit nod erhalten iſt, — ode die
Wahrheit nicht als ein Stehendes, Starres (aljo Adentilät,
Seyn), fondern als Bewegung, Leben in fi) felbft, als Indiffe⸗
zenz nur als in fid fheinende Andifferenz, oder mit einem
Unterſchied in ihre, der als in ihr, in der Einheit, zugleich kei⸗
ner, als ein aufgehobener, d. h. vernichteter und aufbewahr-
ter if, — der darum, daß er ein fcheinender ifl, nicht — nicht iſt.
Ich wünſche nun, daß diefe Bemerkungen ihren Zwed, Ih
nen die Richtigkeit Ihrer Darftellung meiner Begriffe zu beflä-
tigen, erfüllen mögen; mit herzlicher Hochachtung und Freundſchaft
Ihr
ergebener
Hegel.
1
8 An Ravenftein. 529
8. An Mabenfein,
Königl. Preuf. PremiersLieutenant.
Ich habe recht fehr um Berzeihung zu bitten, auf Ihr be⸗
reits am 5. v. M. gefälligft an mid) gerichtetes Schreiben nicht
früher geantwortet zu haben; was ich über diefe Verzögerung
anzuführen hätte, daf es mir mit der Korrefpondenz überhaupt:
nicht anders zu gehen pflegt, würde mehr nur eine Erweitermg
meiner Schuld, als eine Entſchuldigung abgeben.
- Es konnte mir nicht anders, als fehr erfreulich fepn, aus
Ihrem Schreiben zu erfehen, daß das, was ich in der Philoſo—⸗
phie verfucht, Zuftimmung bei Ihnen gefunden; fo fehr der in
feinem Denken lange einfam Beſchäftigte, für ſich in feinem
Gange Befriedigung finden mochte, fo fehr wird es ihm zur ere
freulihen Bewährung und Stärkung, in dem Geifte Anderer
eine Zuftimmung ihm entgegentommen zu ſehen. Solche Theils
nahme, wie Sie bezeugen, muß mir um fo werther fehn, als
ein tieferes Intereffe an den großen. Gegenfländen unferes Geis
fies und. der Ernft des dentenden Studiums derfelben: ſich auf
Wenige zu befchränten pflegt. Diefelbe ift aud) ein reicher. Erz
fag gegen die Verunglimpfungen, deren Sie erwähnen; gegen
diefe hilft nichts anderes, als abgehärtet dagegen zu ſeyn, ‚und
man wird dieß um fo leichter, als ſich bald zeigt, daß die, welde
fi) foldhe erlauben, nicht einmal die billige Forderung erfüllen,
eine Kenntniß von dem zu haben, was fle verunglimpfen.
Was Ihre Anfrage über eine frühere Schrift von mir:
„Meber die Differenz der fihtefhen und ſchelling'ſchen Philofo=
phie“ betrifft, fo ift mir bekannt, daß diefelbe feit langem nicht
mehr im Buchhandel ift, wie ich felbft fie aud nicht befige und
nicht mehr zu einem Eremplare derfelben habe tommen können.
Ihren Wunſch, die Abfchrift eines Heftes von meinen Vor—⸗
lefungen über die Wiffenfhaft der Religion zu erhalten, weiß
Vermiſchte Schriften. * 34
530 1X. Briefe
ich nicht zu befriedigen; Sie werden dieß cher durch Zuſan/⸗
menhänge mit Studenten bewerkſtelligen können, unter denn
ſolche Hefte, mir unbewuft, und nad den wenigen, die id u
fehen Gelegenheit gehabt, eben nicht immer zu meiner Zufrit
denheit, cirkuliren. Ich made Sie bei diefer Veranlaſſun
auf eine vor etlichen Monaten hier — bei E. Franklin — m
fchienene Schrift aufmerkfam: „Aphorismen über Michtwifen
und abfolutes Wiſſen, — ein Beitrag zum Verſtändniſſe dr
Philofophie unferer Zeit; von €. Fr. ©....1” (fo viel ich hör:
Göſchel, Dberlandesgerihts- Rath in Naumburg.) Der Ber
faffer beſchäftigt fid darin vornehmlid mit meinen Darftellun
gen der chriſtlichen Ideen, und einer nad) allen Seiten ſich wen
denden Rechtfertigung derfelben, und zeigt eine ausgezeichnete
Bereinigung tiefer chriſtlicher Frömmigkeit und des —
ſpekulativen Denkens.
Noch bitte ich Sie, dem Herrn D. Hügel, ———
ſchaftliches Andenken an mich Sie erwähnen, auf's beſte mid w
empfehlen, und die nochmalige Verſicherung des Intereſſes, dat
mir Ihre Theilnahme an meinen philofophifhen Wrbeiten er—⸗
wedt, und meiner volllommenen Bochachtung anzunehmen, mit
der ich bin | vo
Ihr ze
ergebenfter um
Berlin, d. 10. Mai 1829, \ Prof. Hegel
9, An Barnhagen bon Enfe, hal
Eben war ich im Begriff die Feder anzufegen, um Ihnen,
verehrtefter Herr Geheimer Rath, für das neulih von Ihnen
erhaltene Geſchenk meinen verbindlichften Dank zu fagen, den
ich aufgeſchoben hatte, bis mich ein orbentlicheres Leſen in Stand
1. u Fr ı Ge j
9. An Varnhagen von Enfe- 531
gefegt hätte, zu dem allgemeinen Intereffe, das mir rin Merk
von Ihrer Hand, und ſo auch diefes, bei dem. erfien rapiden
Durdjlaufen erwedte, und zu der Empfindung über das Freund⸗
fchaftlihe der Gabe etwas Näheres über den eigenthümlidhen
Eindrud und die befondere Belehrung, die ich fah, daf ic) dar—
‚aus gewinnen würde, hinzu zu fügen, als ich Ihr zweites Ge⸗
ſchenk empfange, mit dem Sie mir die Ehre haben erweifen
wollen, meinen Namen in:nähere Verbindung zu fegen, ‚Hier:
über darf ich es nicht anftehen laffen, Ihnen zu bezeugen, wie
fehr ich den Werth diefer Auszeihnung und der höchſt verbinds
lien Art, die den Werth derfelben faft bis zu einer Beſchä—
mung erhöht, empfinde. Ich thue dieß jedoch mit mattem Kopfe,
denn ich habe die wunderbare Anfhauung, die Sie ung darger
reicht, vergangene Naht noch verſchlungen, das Meifte gelefen,
fo daß ih von den vielfachften Erregungen durchbewegt bin.
Wenn in Zinzendorf das Innere ohne Entwiclung, beinahe
ohne Täufhung und Kampf, von früher Jugend an entſchieden,
und er nur diefe Individualität ift, ohne Individualität ein fer
tiges Werkzeug feines feften Höchſten zu feyn; fo führen Sie
uns in Erhard einen erflaunungswürdigen Autodidaktos vor,
und der es nach allen Beziehungen ift; unter dem großen Reich»
thum des Stoffs von Intereffe und Geift verfehlt ihre Wirkung
die wunderbare Erfheinung nicht, die fi ihm von der Jugend»
macht feines Gemüths als ein Reft treu erhalten hat, und die
Sie mit dem tiefen Sinn für Individualität, der Ihnen fo ei—
gen ift, fo treffend und ſchön S. VIII bevorworten, Aber ich
darf mid auf die Fülle von Anregungen, Stimmungen und Bes
trachtungen, die in mir erwedt worden, nicht einlaffen, um die
Bezeugung der befonderen dankbaren Empfindung nicht zu ver
zögern, mit der mich das Freundſchaftliche Ihrer Güte erfüllt
hat; ich verdanke derfelben ſchon fo mannigfaltige Genüffe und
Belchrungen ; wie ich jede Ihrer Produktionen mich mit foldem Ges
winn erfüllend finde, eben fo ſehr vermehrt jede die Hochachtung,
34
532 IX. Beil
die ich Ihnen gewidmet und deren Ansdrud und meinen tm
bindlichften Dank ic Sie gütig anzunehmen bitte,
Berlin, d. 23. Mai 1833. He
1 ln a VE
ud re
10. An ben Profeffor Sau. — &
. im Berlin, den 3, Oktbr. 182%,
Auf das Zweite, gefhäftsgemichtige Vülletin, — das id
heute erhalten, — mit umlaufender Poft, in Eile, — vor Allen
aber mit rüdwärtsfehender angenehmer Eriwiederung auf das
erſte, nicht anders, als mit anerfennender Belobung der Preis
würdigkeit und Nüglichteit der mehreren Subjekte, in’s Befon
dere meines gehörig gefthägten Freundes Wendt, — eines Man
nes, wie auserlefen zum Weſen ꝛc., welde Sie auf dieſem, von
mir in Deffau bei fo ſchönem Wetter und info vergnüglicher Gr
feltfchaft, fo oft mitgewünfdten Wege, zufammgepuftet, aufdaf
Andere thun mögen, was für den großen Zweck gefhehen mu —
Auch Marheineke, wie ih zum Beften unferer guten Sade bit
anführe, iſt nicht ohme folde reiche Aufrührung Anderer zurid:
gekommen. Mas Döderlein’s Behandlung betrifft, denke ih
wohl, daß Sie diefelbe nicht vollfländig beſchrieben, nur feine
Eigenthümlichteit gemeldet, die für fi die Würde unfers Un—
ternehmens von oben herab benchmen that, als welches keine
Recenfir-Anftalt und kein Engagiren an eine Recenfir-Anfalt
involvirt, — freilich können unfere Gelehrten nur nach umd nah
fi) zum Standpunkte eines rohen Canevas erheben, den fie al
ihrer, nicht unferer eigenen Aktivität zuſtehend, anfehen zu ler
nen hätten; — Baum dürfen wir rotten 'boroughs merken
laffen, um unfre parlamentarifche Haltung gehörig zu ſchützen
Es ift nicht anders als zweddienlih und nothwendig geweſen,
dag Sie von Nürnberg gleich nad) Stuttgardt geeilt, nachdem
fi) weder fonft die beftellten und felbft vorgehabten Briefe Cot-
ta’s noch auch am erſten Drt bei dem Gewürzträmer Küffner die
10. An Gans. 533
gewünſchte Auskunft gefunden, Daß Sie mit Cotta abgefchlofe
fen, dieß ift num die, d. h. Eine Hauptfahe, — denn Sie wife
fen, daf zu Einer Sache viele Hauptſachen gehören, Nun Glüd
auf! Gut! Recht! Um fo zwedmäßiger und verdienftlicher, ja
nothwendig, zeigte fih die Reife und perfönliche Gegenwart; —
Eotta ftedt in fo vielen Verwicklungen und Zufammenhängen,
die es erfehweren, eine bedeutende Sache rein herauszuſchälen
und feft zu machen, die felbft ein ſo weitläufiger Komplex ift;
er. blieb auch vorher dunkel über folde weitere Antnüpfungen;
hatte er uns, ja felbft feinem Gefchäftsträger, dem Gewürzträs
mer Küffner, nichts davon zu verfichen gegeben, fo fegelten wir
über Klippen und Untiefen, wo wir reine Fahrt fahen. — Denn
freilid Münden’s Glenzfhwangerfhaft ift drohend für uns; es
find drei Requiflte, mit denen eine folde wiffenfhaftlihe Epoche
fih, — und wehe! ob nicht auf unfere Koften, verfehen muß;
1) berühmte Namen — deren Ruhm werden Sie wohl in Mün—
hen erfahren; 2) eine thätige Buchhandlung, d.h, eine folde,
welche ſchlechten Autoren ein beträdhtlihes Honorar bezahlt, und
auf weißem Papier druden läßt, und mit, Unternchmungsgeift,
mit oder ohne Kapital, nad einem Jahre -inen cklatanten
Bankrutt macht; 3) eine Literatur= Zeitung, nämlich aber wie
nie eine gewefen, d. b., wenn nun Gott den Schaden. beficht,
fo alltäglich oder alltäglidher als je andere, gewefen find. Den
Cotta, an defien Eifentopf fo viele diefer Glanz Aniverfitäts-
Schwangerfhaften und ihrer Buchhandlungen vorübergegangen
und darin hart geworden, hat das neue füddeutfhe Zion der
Wiſſenſchaft breit zu fchlagen bis jegt nicht verſtanden.
Und fo fichen uns denn defto herrlichere Ausfichten bevor,
höheren, welthiſtoriſchen Styls, die Vereinigung des füdlichen
Deutfälands, das auf feinen eigenen Beinen hodgefinnt gegen
ung treten wollte, und des nördlihen Deutſchlands, — eine Vers
einigung, die ſchon auf’s Würdigfte begonnen, und von um fo
gründlicherer Wirtfamkeit feyn muß, ols für die patriotifchen
w 1X. Briefe,
— fomit aud ins Befondere für Thierſch, — ſolch cn
— ein Panier iſt, dem fie gern und patriotiſch, ja felbi
mit Enthuflasmus, zu folgen fi gedrungen fühlen. "Diefe
fiht a priori zu faffen, war übrigens überflüffig; fle wird fid
Ihnen ſchon von felbft genug, — bei Altbaiern in’s Befond
aufdringlid) machen, als das einzige Motiv, womit fie zu be
ſchwichtigen wären, — für ſolches Nachgeben und Mbeichwerdn,
wie es Thierſch ſchon angefommen ſeyn fol. Uebrigens hab
Sie von ſelbſt die weiteren Titel in Händen, die Einladung de
etwaigen Brauchbarkeit Thierfh’s, Fr. v. Bader’s umd einige
wenigen Anderen, — deren berühmte Namen Sie in Münde
erfahren werden, — meines Freundes Niethammer wirkliche Thã⸗
tigkeit, — dann eine pſychologiſche Hauſtgrundlage am der in
neren Gewifheit, aud der Hohlen, von der Unzulänglichte
Leerheit und barbarifhen Unbraudbarkeit der Eifrigfin, —
ſchließlich zu erwähnen, dag Sie mit Cotta abgefchloffen, ar
nur die weiteren Zwede, die weitihweifige Bemantelung (nit
Eotta zufrieden zu machen), die große welthiftorifche Abſtcht der dis
einung und das Zufammenpuften Anderer, die arbeiten, ſeyn werden.
Alles diefes alfo zur freundlichen Erwiederung Ihrer gefällis
gen Bülletins, um deren Kreundfchaftlichkeit und Wergmüglide
keit dankbarſt, — fo weit es von Weiten feyn kann, — zu der
noriren, — fo wie meinen Dant für die gefällige Beforgung
der Angelegenheit bei meiner Schweſter. ; ef
Nun noch, was ich feither an hiefigen New’zkeiten gefams
melt; — Grillparzer war hier, eim recht fchlichter verftändiger
und eifriger Dann, — dann haben Raupach's Nachtwächter
nicht zu ihrem Vortheil getutet; fie haben vorgeſtern in Pols⸗
dam geblafen; ob den Herren da weniger Schaden gefchehen, if
mir noch unbewuft. — Profeffor Blum ift gegenwärtig hier
auf feiner Durdreife; — Leo ift in geftriger Sitzung bei der
Bibliothet mit 400 Rthlr. angeflellt worden. — Profeſſot
Abegg aus Königsberg ift hier, er und ich wermiffen Ihre Ans
2, An van Ghert, 477
Was die Fortſetzung meines philofophifchen Werkes betrifft,
nad der Sie ſich theilnehmend erfundigen, fo habe id nur un-
terbrochen daran arbeiten können. — Für Ihr gütiges Aner—
bieten, in Anfehung eines Verlags in Amſterdam fi) bemühen
zu wollen, bin ich Ihnen fehr verbunden, und behalte mir vor,
von Ihrer gütigen Erlaubnif, mich darüber an Sie wenden zu
dürfen, im Notbfalle, feiner Zeit Gebraud zu machen, g
Ich ſchließe mit der wiederholten Bezeugung meiner Freude
über Ihr Wohlergehen und Ihr gütiges Andenken an mich; ich
wünſche ſtete Fortdauer des erſtern und bitte Sie um gütige
Fortſetzung des andern, und bin mit der größten Hochachtung
Ihr, hochgeehrteſter Herr und wertheſter Freund,
gehorſamſter Diener und Freund
Nürnberg, d. 16. Dechr. Rektor und Profeſſor
1809. Hegel.
An Denfelben.
Hochgeſchätzter Herr und Freund!
Nürnberg, den 15. Dftbr, 1810,
Die politifchen Weränderungen in Ihrem Baterlande wers
den ohne Zweifel auch auf die Einrichtung und den Beſtand
Ihrer fonft fo wohl begründeten Univerfitäten Einfluß haben,
Dieſe ehrwürdigen und rei dotirten Sige gründlicher Gelehr⸗
ſamkeit, die ihren Ruhm fortdauernd erhalten, werden, traurig
genug, dem politifhen Schidfale des Ganzen folgen müffen,
Körper jener Art, die ein für fich beftehendes, freics Ganze, aus-
machten, gerathen freilich mit der Zeit in eine Art von Stagna=
tion, behalten aber eine gewiffe Gediegenheit, die unfern moder⸗
536 IX, Briefee.
nennen, die es mir, der ich ohnehin ein Ge
zuläßt, die Beantwortung eines werthen ;hrige,
als eine Geſchäftsſache abzuthun: fie gilt mir vielmehr als ein Un
gang mit dem Manne, an den ich zu fhreiben habe, — bl
eine ſolche Unterhaltung, zu der ih Sammlung und Nuhe ie
darf und abwarten will, aber der ich im einem Zuftande, in den
das Gemüth mit äußerer Zerfirewung überfüllt iſt, wicht fähi
bin; in einem ſolchen Zuftande aber habe ich mich das werfle F
fene Jahr über befunden, und indem ich die erfte Zeit der Mu) |
zu folder Unterhaltung benugen wollte, bin ich von dem erſin
Augenblide an mit einem Falten Fieber heimgefucht worden, mit
dem ich mich feit einem Vierteljahre herumfchlage. Ein nähe
ver Grund anfänglichen Aufſchiebens war der Wunſch, eine A |
zahl anonymer Schriften, von denen mir berichtet war, daß Eit |
der Verfaffer fenen, zu erhalten; mein langes Warten darauf
aber war vergebens, und zugleic hoffte ich, bei bereits einge
tener Verfpätung, Ihnen im Frühling eine neue :
ner Enepklopädie zufenden zu können, deren Beforgung dk
meine freien Stunden in Anfprud) nahm, und von der id de
Verdruß gehabt habe, daß fie fo eben erft erſchienen ; ich nehme
mir die Freiheit, ein Eremplar hiemit beizulegen, und fie Jh
‚gütigen Nachſicht zu empfehlen; im einzelnen Ausdruck Habe ih
Vieles zu verbeffern gefucht. In der Vorrede zu dieſer Ausgabe
babe ic) mich nicht enthalten können, einen Gegenftand zu be
rühren, über deffen einen Theil Ihr Schreiben fih geäußert Hatte,
Ohne Zweifel Hatte die hallenfer Geſchichte Sie gleichfalls am
geregt, welche das Publitum, das Mlinifterium und ſelbſt hö—
here Etagen, auch die Gerichte in Anfprud genommen hatte;
aber Sie haben gefehen, was aus —* Bewegung für eine
ſchlaffe Beruhigung hervorgegangen iſt. Sie hatten vielleicht
gleichfalls die Hoffnung gefaßt, daß die Parteien fi gegenſei⸗
tig nöthigen würden, an die Sache zu kommen und in eine
Entwicklung von Inhalt einzugehen; mobei von felbft Ihre Yphos
Be
2. An van Ghert. 479
womit der Somnambulismus und überhaupt die Aeußerungen
zufammenhängen, die fonft an gewiffe Organe gebunden, Bier
von andern faft promiscue verrichtet werden können.
Es ift mir lieb, wenn die Anzeige meiner pbhilofophifchen
Schrift in den heidelberger Annalen, die Wirkung gehabt hat,
das Publitum mehr aufmerkfam darauf zu machen, dieß ift zus
nächſt das MWefentliche, was Recenfionen leiften können; fo wie
es mich freut, daß Herr Bachmann fi fortdauernd mit Philos
fopbie befhäftigt, und nad feinem Eifer und Kenntniffen etwas
darin leiften wird. Es ſcheint allerdings, wie Sie aud) in Ih—
rem Briefe bemerken, der Inhalt habe ihn, wie auch einige an—
dere Recenfenten vorzüglich befchäftigt; das, worauf bei allem
Philoſophiren, umd jest mehr als fonft, das Hauptgericht zu
legen ift, ift freilich die Miethode des nothwendigen Zufammen
hangs, des Webergehens einer Form in die andere, Doch ift
jene Anzeige, fo viel id) wenigfiens gefehen, noch nicht gefchlof- |
fen, und kommt vielleicht noch darauf zu reden.
Ihr
ergebenſter
Hegel.
An Denfelben,
Hocverehrter Herr und Freund!
Endlich ift Ihre gütige Abſicht erreicht, und Jakob Böhm
fammt den andern Beilagen mir wohlbehalten zugefommen,
Id) flatte Ihnen für dieß fchöne Geſchenk des Andentens und
der Freundſchaft meinen herzlichen Dant ab; es hat mich fehr
erfreut; die Ausgabe und das Eremplar ift fehr vorzüglid. —
IH kann Jakob Böhm nun genauer ftudiren als vorher, weil
ich nicht ſelbſt im Beſitz feiner Schriften war; feine Theoſophie
iſt immer einer der merkwürdigſten Verſuche eines tiefen, jedoch
ungebildeten Menſchen, die innerſte Natur des abſoluten Weſens
538 ‚IX, Briefe.
diefes lauten Lärms entgegen ſtellen kann, fo glaube ich tam,
daf fie im jene Kreife, die ſich fo bequem gebettet, eindringn
könne; fie darf es fih, — auch zum Behuf der Beruhigung -
bewußt werden, daß fie nur für Wenige ſey. Indem ich mit
daran gewöhnt, in dem Treiben derfelben die Befriedigung mi
mes Geiftes zu ſuchen, fo iſt es mir zugleich höchſt erfreulich u
erquidlich, wenn einiges davon in Anderen wiederklingt und id
ihnen auf gleichen Pfaden begegne; wie ſchägbar mir die Bi
gegnung mit Ihnen fey, fprede ih mit tiefgefühltem Dantı
und mit inniger Verehrung aus; mit diefer erlauben Sie, mid
Ihrer ferneren gütigen Gefinnung zu empfehlen. 0.
Ihr
Berlin, d. 13. Dechr. 1830. BDrof. Hegel
12. An ven D. Forfter. .
‚Schr werther Flüchtling! —
Es war am 24. September, daß mic der Inſtinkt zu de
betrübten Strohwittwe führte, das für mid von Ihnen beſtimmte
Blätthen abzuholen. Ih babe Ihr blumenbetränztes Bild mit
herzlicher Freundſchaft begrüßt, Ihnen zw dem glücklichen Be
gebnif Ihrer Reife Glück gewünfht und für Ihre freundliche
Erinnerung und deren Quelle, wie für die gegebenen Notizen
aus Münden, gedankt. Ich habe mit Scelling in Karlsbad
(wohin ich auf der Tour durch Töplig, Prag, dann Weimar, —
zum achtzigjährigen Jüngling, — Jena, tam) 5—6 Zage in
alter fordater Freundfchaft zugebradht, In Prag bitte ich wicht
zu verfäumen, Herrn Profeffor der Gefhichte, von Henniger
(pri: Hennigahr), einen Schwager meines dortigen Ontes
und hiefiger Tante, breite Gaffe, fhlichting’fihes Haus, dem ih
Sie annoncirt, aufzufuchen, — er ift mit eigenem Triebe fehr
2, An van Ghert. 481
unfer ganzer Zufland bringt es mit fi, daß ich diefe Arbeit
nicht noch zehn Jahre herumtragen und fort daran beffern kann,
um fie in jeder Rüdfiht vollendeter vor das Publitum zu
bringen; ich habe zu diefem und zu den Haupt-Ideen wenig-
fiens das Zutrauen, daf fie fih Eingang verfhaffen.
In Anſehung meiner Differtation würde ich gern Ihr Ver—
langen erfüllen; aber ich habe kaum noch ein Eremplar davon;
Sie verlieren ohnehin nicht viel; — zum Studium der Afiro-
nomie ift es beinahe gleichgültig, welche Anleitung Sie zur Hand
nehmen; Bode's Lehrbücher haben viel populaires Verdienſt. In
das Tiefere einzudringen, erfordert Geläufigkeit des Differential⸗
und Integrals Kalkuls, befonders nad) den neueren franzöfifchen
Darfleklungen. J
Ihr Den
aufrichtiger und ergebenfter
Hegel
An Denfelben.
Heidelberg, den 25. Juli 1817.
— Die näheren Urſachen aber diefes langen Aufſchubs wa—
ven; daf id voriges Jahr das Schreiben fo lange anſtehen
laffen wollte, bis ih Ihnen die Vollendung meiner Logik, deren
zweiter Theil, wie ih aus Ihrem Briefe erfehe, nad meiner
Weiſung angelangt if, — und da itzt die Unterhandlung mei—
ner Verfegung auf cine Univerfität einfiel, bis ich Ihnen die
Entjcheidung hierüber melden könnte; ic) war von der baierſchen
Regierung nad) Erlangen zur Profeffur ernannt, zugleich erhielt -
ich auch einen Ruf nad Berlin, als id eben für Heidelberg
mein verbindendes Wort gegeben hatte; — eine Bellimmung,
die ich bisher nod) keinen Yugenblid zu bereuen Urſache gefun—
den habe: Bor Allem aus wünſche ic Ihnen, obgleich id von
den Letzten der Gratulanten ſeyn werde, recht fehr Glück zu Ihrer
Bermifchte Schriften, * 31
ER: Briefe.
rathener wäre, bie Vergleichung mit Calderon fo a
ganz auf die Seite zu fiellen und fo ein Stũck gan m
urtheilen, wie es da vor ung auf der Bühme ficht undgckt
bit haben an Shafetpeare laborirt, — umd haben dami
M zugleich das Juterefie, die Zumuthung, ums auf da
ıter die Schönheiten eines Shakespeare, Ealderom xc. geib|
u laffen, nicht zu fanttioniren, — doch nicht etwa den b
ibern von Windfor zu gefallen?!!
Aulegt noch einmal meinen Beifall zum Ausritt des Gm
Ehurfürften, — es ifl in feiner Art Maffüph-
‚Hegel
13. Seiner Ercellenz dem Minifter kan Mitenfein,
Euer Errellenz
halten mir zu gute, wenn ich dem Drange nadhgebe, in Yen
Zagen des herbfien Schmerzes, der noch über Euer Eredım
verhängt werden konnte, Diefelben mit diefen Zeilen anzugehen.
Was von Gefühlen der Verehrung und Dankbarkeit, von Be
kanntſchaft mit der fegensreihen Wirkfamteit Euer Ercellen; in
Ihrer hohen Stellung, mit den Arbeiten und ſchweren Verhält—
niffen derfelben, mit den hohen Tugenden des öffentlichen un
des Privat- Lebens, die der Gegenfiand der allgemeinen Hob-
achtung find, dann mit den ſchweren Leiden und Prüfungen, denen )
Euer Ereellenz von höherer Hand unterworfen worden find, mas
von folhen Empfindungen und Erinnerungen fih im Gemütbe
gefammelt hat, vereinigt fid) bei dem Anblick folder harten Le
benswendung im eine Foncentrirte Wergegenwärtigung, die fih
zur Aeußerung getrieben fühlt; und der Schmerz der Theilnahme
über den unermeßlichen Verluft, den Hochdieſelben erlitten, drängt
fih in feinen Mittelpunkt, fih in der Stätte niederzulegen, mo
er in feinem ganzen Umfange und Stärke und damit in feinem
2. An van Ghert. — 3, An Daut, | 483
fen, — Bei der wenigen Nahrung und Ermunterung, welche
das philoſophiſche Studium feit langer Zeit gefunden, Habe ich
doch mit Vergnügen die Theilnahme bemerkt, welche für eine
beffere Bhilofophie ſich fogleidy bei der Jugend zeigt, wenn ihr
eine folde geboten wird, und ic) bin daher fowohl mit diefem
Intereffe der Jugend, als mit meiner Situation auf der Univer⸗
fität ganz wohl zufrieden.
Ihr
Prof. Hegel
3. An Daus in Yeibelderg.
Hochwürdiger, Hoczuverehrender Herr Prorektor!
So fehr mid Ihr gütiges Schreiben vom 3, vorigen Mo—⸗
nats erfreut hat, fo haben mich insbefondere die freundſchaftlichen
Gefinnungen eines Mannes, für den ich feit lange eine — *
Verehrung empfinde, immer gerührt,
Auf die gemachte geehrte Anfrage, ob ic) die Stelle eines
ordentlichen Profeffors der Philoſophie in Heidelberg, mit einem
Gehalt von 1300 Fl. und den bezeichneten Naturalien anzuneh—
men geneigt wäre, beeile ich mid), zu erwiedern, daß mein ges
genwärtiges Gehalt in 1560 Fl. beſteht; dennod bin ich aus
Liebe zum akademiſchen Studium geneigt, dem Rufe gegen die
angegebene Befoldung zu folgen; hoffe jedoch, da ich hier eine
Amtswohnung habe, die in den biefigen niedrigen Miethspreis
fen auf 150 Fl. anzufchlagen ift, daß mir aud der Vortheil
der Wohnung zugeflanden werde, die der abgehende Hofrath
Fries inne hatte, indem in Heidelberg Wohnungen etwas ſchwer
zu befommen feyn follen.
Ih hoffe auch die Zufage der Regierung zu erhalten, daß
fünftighin mein Fixum nad Verhältniß der Zufriedenheit der⸗
felben, die ic) mir zu erwerben mich beftreben werde, und nad)
31 *
542 dan Mr a
EG 00
ee
Schmerz in diefe ſtille Gruft verfenkt und ve
nun nichts mehr fommen, was den.
wahrhaft zu flören und zu erfhüttern vermöchte. Für ein
vielbefaffendes, lebendiges Herz bewahrt der Schooß Der. zutünk
tigen Tage noch eine Erndte von Befriedigungen und Frtudu
So wůnſche ih auf's Innigfe, daß Euer Ercellenz für old
Erndte ein langes Leben, an weldes zugleid fo große Inter
fen: geknüpft‘ find, befipeert -fepn mögen — —
Verehrung er Ar
Euer Erg Imia ih Balken
Berlin, * 27. Mai
1830. (gez.) Degel
| — — —
ur
Antwort Sr. Ercellenz des Minifersae. ».
an 3 Degehı nr ul
Euer Hodwohlgeboren a
meinem Schmerze fo unendlidy freundlich gewidmete Zeilen be
ben ihren edeln Zweck ganz erfüllt. Ich Pa
möglid, daß Jemand, außer mir, in folden Zügen die Berklärtt
in allen ihren Berhältnifen auffaffe, und dem Manne, der das
geliebte mir entſchwundene Wefen, fo meinem Herzen im treuen,
lebendigen Bilde wieder gegeben hat, darf ich nicht erſt fagen, |
mie unendlich wohlthätig mir dieſe Aeuferungen des, zartefien
und zugleich träftigften und erhabenfien Mitgefühls find, Wit
bei der geliebten Verklärten alles Edle und Großartige im dem
anfpruchlofeften Anſchließen und Verehren ſich äußerte, fo bat
ſich aud ihr Verhältniß zu Ihnen gebildet und immerfefler ber
gründet. Sie ſetzte einen großen Werth auf Sie, und halle
die herzlichſte und zartefte Theilnahme für Alles, was Sie und
3, An Daub. 485
Ahnen daher nicht zu fagen, welche Wichtigkeit diefe Seite für
mich bat, und wie fehr ich die zugefagte Vermehrung anerkenne.
Was die noch übrige Stipulirung des Quantums an Früchten,
4 Malter Korn zu 5 Fl. 30 &r. und ein dergleichen Spelz zu
4 Fl. berechnet, betrifft, die die Neuferung des Herrn Staates -
Rath Eichrodt mir freiftellt, fo muß ich einer Seits glauben,
je mehr mir an Früchten ſtipulirt werde, defto vortheilhafter ſey
es, anderer Seits darf ich eben fo wenig unbefcheiden hierin er=
feinen, und ich weiß nichts Beſſeres hierüber zu thun, als, da
Sie fo viel bereits für mid übernommen, Sie auch noch zu er=
fuchen, nad dem, was fichen und gehen mag, das Quantum
auszumachen, und die billige Beflimmung hierüber in Ihre
Hände zw legen. i
Was meine Vorleſungen betrifft, da Sie Logit und Nas
turrecht das nächfte halbe Jahr nicht für winfchenswerth erklä—
ren, fo will ic) Enchklopädie der philofophifchen Wiſſenſchaften
und Geſchichte der Philoſophie leſen; mit jener glaube ich zus _
gleih am ſchicklichſten meine Vorlefungen eröffnen zu können,
indem dadurch eine allgemeine Weberfiht der Philoſophie, ſo wie
die Anzeige der beſondern Wiſſenſchaften, über die ich in der
Folge eigene Kollegien anzuſchlagen gedenke, gegeben werden
kann; ausführlicher will ich mich über die Naturphiloſophie, d. h.
als Theil des Ganzen verbreiten, und dann keine beſondere Vor—
leſung über dieſe halten; ein drittes Kollegium, die Geiſteslehre,
ſonſt Pſychologie genannt, möchte für das Publikum wie für
mic ſelbſt für den Anfang zw viel werden; mit der Encyklo—
pädie wird es zweckmäßig feyn können, ein Konverfätorium zu
verbinden. Id müfte aber glauben, meine fehuldige Achtung
gegen meine dermalige Regierung zu verlegen, wenn eine von
mir verfaßte Anzeige öffentlich erfchiene, ehe ich von derfelben
“ meine Dimiffton erhalten, oder wenigflens mein Dimifflons-
Geſuch eingereicht hätte; indem ich aber in leterem der Beru—
fung durch die großherzogliche Regierung erwähnen müßte, fo
mn. 0. — —
"Berlin, den 31. Mai 4830. ©
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44. Auszüge aus Degel& Briefen a
erh 4 Nam g
A, Reife, nad deu Niederlanden in dem *
nn Bonntag fruͤh, den 15, €
Hm — — aus
Marie, —— — —* Dr
haben ihr Auge noch nicht auf das '
worfen. Die Journaliere, ——— om
ee.
3 An Daub, 487
P.S. Ich habe mir Gewalt angethan, in vorliegendem
Antwortfchreiben nicht ganz die Dankbarkeit auszudrüden, die
ic Theils für das Jntereffe, das Sie am meiner Angelegenheit
nehmen wollen, Theils für das Mitgefühl empfinde, das Sie
an dem Zuflande der Philofophie in Deutſchland und auf un—
fern Univerfitäten nehmen; eben fo erfreulich ift mir Ihre Güte,
mit der Sie meine bisherigen Arbeiten betrachten, und noch mehr
von meiner Wirkſamkeit auf einer Univerfität hoffen. Man ift
in der That in keiner Wiffenfchaft fo einfam, ald man in der
Philoſophie einfam ift, und ich fehme mid) herzlich nach einem
lebendigern Wirkungskreiſe; ih kann fagen, er ift der höchſte
Wunſch meines Lebens; ich fühle auch zu fehr, wie _meinen bis—
berigen Arbeiten der Mangel an einer lebendigen Wechſelwir⸗
fung ungünſtig geweſen.
Wie ſteht es aber mit der Theologie? iſt der Kontraſt *
ſchen Ihrer tiefen philoſophiſchen Anſicht derſelben und dem was
häufig für Theologie gilt, nicht eben fo grell oder noch ſchreien⸗
der? Mein Arbeiten wird mir auch die Satisfaktion geben, es
als eine Propãdeutik für Ihre Wiſſenſchaft zu betrachten zu haben.
Ic hoffe meine, allenfalls oftenfible Antwort, wird feine.
Schwierigkeit machen, nur darüber weiß ich nicht förmlichen Ber
fcheid, ob meine Lektionen Antündigung früher erſcheinen darf,
ehe ich von meiner Regierung die Dimiffton habe. Mit unbes
grenzter Hochachtung und Liebe ganz der Ihrige
| | 8;
Meine übrigen Freunde in Heidelberg bitte ich vorläufig
herzlich zu grüßen; ich habe dermalen von früh an bis im die
Nacht das langweiligfte Eramen von Schullehrern, und keinen
freien Augenblick, ihnen zu ſchreiben.
546 IX. Briefe,
—
Alſo im Kaſſel bin ich glücklich heute früh amgekom
und nachdem ich mich Vor- und Nachmittag noch viel erganı
babe, will ich mich diefen Abend mit Dir, meine Liebe, w
mit der Relation meines bisherigen Lebe= und er |
fhäftigen. Meine Reife geht nicht fo ſchnell, als ich Anfım
im Sinne gehabt. Es ift mir bisher zwar leidlich gegangm
und für Leute, die Geld haben, und fih an die Seerſtraße bil
ten, ift die Melt in gutem Zuflande; — es gehört jedod ad
dazu, daß fie gute Nachrichten von den Ihrigen haben; viellidi
bringt mir die Poft von heute Abend noch reinen Brief von Dir
Ich bin beruhigt wegen Deiner abgereift, aber ganz aufer Sort
kann ich nicht feyn, und auch fonft habe ich mich mit geofem
Widerwillen auf den Weg gemacht, umd reife eigentlich nur fer,
weil ich einmal auf der Reife bin und ſeyn fol. —
Doch nun zur Sache. Alſo aus dem Arrangement ai km
Lohnkutſcher ift nichts geworden; fo haben wir, ich und der Ey
länder, uns dann in Magdeburg Montags Nachmittag auf die
Diligence gefegt nad Braunſchweig. Diefe Route nad Kafl
ift die gewöhnlichfie, nur eine oder zwei Meilen weiter als dit,
welche ich als die direktefte im Sinne hatte, — hat allenthalben
vortrefflihe Landſtraßen und gute Poſtwagen; ich muß daher
dem preußischen Poſtweſen, gegen das id im vorigen Brief we
gen der andern Route ungehalten war, Abbitte thun. — Beim
Vorſchlag, über Braunfchweig zu geben, war mir ohnehin eins
gefallen, daß mir der Hr. Negier.-Bevollm. Schulz von einem
Gemälde gefagt hatte, das ſich dafelbft befinde, und allein einer
Reife werth ſey. — Wir haben alfo das dortige Mufeum, vor
nehmlid die GcmäldesGallerie und zwar darin ganz porzüglice
und ausgezeichnete Stüde gefehen. Das Grmälde, das der Hr.
Reg. Ber. Schulz im Sinne hatte, ift befonders von ganz rir
genthümlicher Wortrefflichkeit. TX
- 3 An Daub. 489
das erftere Kollegium: lieſ't, ich halte aber keines für fo geeignet, _
um fowohl von dem Geifte und der Architektonik der Philofophie
eine beflimmte und lehrreiche Idee zu geben, fo wie mit meiner
Anſicht und Behandlung bekannt zu machen. Sonſt wollte iu
auch Geiftesphilofophie lefen.
‚Geftern habe ich auch ein Schreiben bom preufifchen Mi⸗
niflerium des Innern aus Berlin erhalten, das ich fehr ehren
muß, indem es einen Anftand wegen‘ meiner acdtjährigen Ent—
fernung vom akademiſchen Vortrag mir felbft als einem redlichen
Mannt zur Prüfung und Beurtheilung überläßt. Wenn id)
antworten kann, daß auf meinen unvolltommenen und ſchüchter—
nen Anfang zu Jena ein achtjähriges Studium und Vertraut-
werden mit meinen Gedanken und eine achtjährige Uebung auf
dem Gymnaſium, — eine wegen des Verhältniffes zu den Stu:
direnden, vielleicht wirkfamere Gelegenheit zur Befreiung des Vor—
trags, als der afademifche Katheder felbft, — gefolgt iſt, — fo
wird -meine Haupterwiederung feyn, daß ich mic bereits in Heis
delberg engagiert fehe.
Es thut mir leid, daf ich Ihnen fo viele Mühe verurſache,
ich kann Ihnen für alle diefe freundfchaftliche Bemühung nur
meine dankbarfte und aufrichtigfte Hochachtung en
d. 29, Aug. 1816,
An Denfelben.
EM. s
glaube ich von dem Umſtande meiner Ernennung zur Profeffur
der Philologie in Erlangen, die im geftern erhaltenen königl.
baierfchen Regierungsblatt vom 4. d. angefündigt ift und von
da ohne Zweifel in andere Zeitungen übergehen wird, Benach-
richtigung geben zu müffen, um nöthigen Falles, wenn diefe Er-
ſcheinung bei meinen für Heidelberg feſtgeknüpften Verhältniffen
auffallend feyn follte, die erforderliche Auskunft darüber, fo wie
548 IX, Briefe,
mannigfaltigen Bäumen, ohne alles Gebüſch, —
ben durchfichtig, am Ende ein fhöner Wafferfpiegel,
genden Weiden hie und da ein Alfer befegt, Bänke u. f. f, mi
ein Haus, wo man — im freien Kaffee trinfen kann, $
d. bh. Eichorien=- Brühe; feit vielen Tagen babe ich nur folh
und keinen Kaffee mehr zu trinken gekriegt; das ganze brau
fhweiger Land ift mit lauter (luren diefer lügenhaften Wuyl
bededt. Morgen werde ich auf die Wilhelmshöhe und in di
Gallerie gehen. — — —
*
Freitag, den 19, Sepiht.
Wie ich heute nah Tiſche wieder nad der Poſt ging, —|
wo ich mich auch für Morgen auf die Diligence nad Gicfe
einſchreiben laffen, erhielt id Deinen Brief, meine Liebe, —
und Tann Dir nicht genug fagen, welde Freude mir. dal
gemadt. — — FrI
Nun noch etwas von meinem heutigen Tage; es ifitm,
beifammen, denn eine VBefchreibung, wenn fie genügend fen
follte, müßte zu weitläufig werden; Vormittag alfo war id auf
der Bibliothef, und fah dann die Gemälde» Gallerie, von du
wohl die vortrefflihften Stüde von Paris aus, ftatt hierher,
nach Petersburg gefommen find; — aber es ift noch genug Bor
teefflihes da, — befonders von Niederländern, Nachmittags
fuhr ich mit dem Engländer, den ich bier wieder fand, — nad
MWilhelmshöhe, ein herrlicher Punkt! Nachdem wir aber 5 — 60
Stufen geftiegen, war es zu langweilig, nod zu dem Serkules
hinauf zu ſteigen. — Es ift eim prächtiges Luſtſchloß, vom
Churfürften bewohnt, — mit den trefflihften Spaziergängen
und der weiten Ausfiht auf Kafel und das fruchtbare Thal,
von fernen Hügeln begrenzt. — Wir trafen es eben noch zeit;
auf dem Heimweg fing Regen an, — gerade am 19. Septbr,
— der herbſtlichen Nactgleihe- Epoche, wie vor drei Jahren
3% Un Daud. 4601
An Denfelben.
Es war erſt gegen Ende des März, daf Herr D. Bort
hicher gekommen (eine Krankheit hat ihm den ganzen Winter in
Münden aufgehalten), und mir Ihren freundfchaftlichen Brief
vom September v. I. gebradt hat. Dieß ift die nächſte Urs
ſache einer fo fpäten Erwiederung deffelben. Ob aber gleich diefe
meine Zeilen durch jene Ihre Zuſchrift zunächſt veranlaft find,
fo fehen Sie diefelben zugleich) als aus dem eigenen Bedürfnif
hervorgegangen an, mir durch fehriftlihe Unterhaltung gleihfam
ein näheres Gefühl Ihrer Gegenwärtigkeit zu geben. Indem
mir eine ſolche Unterhaltung zu einer Art vom Reife und Be—
ſuch wird, für deren ruhigen Genuf ich mit den andern Ge—
ſchäften abgeſchloſſen haben will, fo geht es mir damit, wie es
mit lange vorgehabten Reifen zu geben pflegt; man kömmt
am fpäteften oft zu dem, was man am liebften und am ofteften
thun mödte, Ih kann Ihnen nicht genug ausdrüden, wie
werth und unumwlökt mir das Andenken an Sie, und wie
theuer und ſtärkend mir die Freundſchaft und Liebe ift, die Sie
mir vormals geſchenkt und die Sie mir fo »treu erhalten. Bei
meinem Entſchluſſe, Heidelberg zu verlaffen, habe ich fehr wohl
gewußt, was ic durd meine Entfernung von Ihnen verlie-
ren würde und fühle dieß noch immer; Ihr herzliches Andenken
an mic, vermindert die Aufopferung, die ih gemacht; daf Sie
an meinen philoſophiſchen Arbeiten Intereffe finden, muß mir
zur befonderen Befriedigung gereihen, und ich muß es als ein
ſeltenes Geſchenk betrachten, da Sie ſelbſt am beften wiſſen,
wie das Spekulative von’ unfern Schrift-, Sylben- und Res
densartens Gelehrten angefehen wird. f
Meine Rechtsphiloſophie fol längft in Ihren Händen fepn;
ic) wünſche, daß die, Hauptſachen wenigfiens Ihre Zuftimmung
erhalten ; ich habe nicht auf alle Seiten, deren ſich fo viele an
dem Gegenftande finden, das partituläre Studium ausdehnen
IX. Briefe,
Mutter aumter den Mitfeiernden und Mlitanftoßenden ſch
»; fie wird daher in das Bild des Tifches, mit dem ih a
de, aleihfalls eingeſchloſſen ſehn. — Alfo Generalfalve, ul
gemeines Bivat!!
Aum hätte ich meine Reifebefhreibung fortzufegen. — In
\ ft bin ih Sonnabend Nachmittag abgegangen; mein En
der blich dort noch zurück; hier befand ich mich von nun a
ter lauter deutſchen Landslcuten ganz volksthümlich — und un
Ite meinen ſchönen, freien Engländer um fo mehr. Wir mo
ven zu Sechs, drei anf jedem Sitze; id rüdwärts (ein Student
ans Göttingen hatte und behielt feinen Sitz Nr. 1. im Fb
air gegenüber unverrückt —), wir faßen eng, es war nicht zum
ken. — Wir kamen bald an die Lahn, und folgten jest die
immer; fiöne fruchtbdare Gegenden! Sonntags Mittag mu
‚ wir in Marburg, einer bucklichen, ſchlkcht behänferten ni
verfitäts- Stadt; aber die Gründe und Hügel fehr ammathiz
ſah da die Eliſabethkirche, in reinem gothiſchen Gefdmt,
der Chor hat Fatholifhen Gottesdienſt, das Schiff haben die
Roformirten, — dicſe Kirche iſt eiwas ganz Anderes als da
magdeburger Dom, für den unfer König, wie die Magdeburg
fagten, 40,000 Thaler zur Ausbefferung ausgefest. Das Grab
mal der Elifabeth ift in der Art, wie das magdeburger, aus
zwölf Apoficl in derfelben Größe wie die nürnberger, aber ſitzend,
— von Silber und Goldüberzug, gefhlagene Arbeit, — nidt
vorzüglich.
Dann ging's nady Giefen, eine angenehme Stadt und Um—
gebung, — mit zwei hübſchen Burgen in der Rachhbarſchafſt.
Hier war ich mit drei Konfratribus zuſammen; Demi giefner
Nrofeffor der Philoſophie — Snell, — dem marburger des⸗
gleihen Ereuzer, einem Better vom heidelberger — und einem
außerordentlihen Profeffor der Theologie, einem Marme von
Streben, Einfiht und Bildung Der giefener Konfrater hat
uns gleid) zum Mein geführt, und uns mit ſehr gutem Gewächs
N
'
3, An Daub. 493
was ich gefagt, und waren daher um fo mehr in Verlegenheit,
in welche Kategorien fie die Sache bringen follten. -
Leben Sie nun recht herzlich wohl, lieber, verchrter Diann,
erhalten Sie mir fortwährend Ihre wohlwollende Freundfcaft.
Berlin, d 9. März 1821.
An Denfelben.
Endlich, verehrtefter Freund, bin ich fo weit, heute oder
morgen den Anfang mit Sendung Manufkripts der’ zweiten Auf⸗
lage von meiner Enchklopädie machen zu können. Ich melde z
Ihnen die im Dankfgefühl für die Gefälligkeit, die Sie mir
erweifen, der Revifion des Druds ſich freundſchaftlichſt annch—
men zu wollen. So höchlich ih Ihnen dafür verbunden bin,
fo habe ich zugleich einiges übles Gewiffen, darauf in Anfehung
der Beſchaffenheit des Manuftripts mich zu viel verlaffen zu ha⸗
ben, denn es iſt allerdings von der Art, daß es einen aufmerk—
famen Setzer erfordert, und daß Ihren daher wohl mehr Bes
mühung gemacht wird, als ich billig in Anſpruch nehmen darf,
Doch bin ich bemüht gewefen, die Veränderungen, Einfdal-
tungen u. f. f. fehr forgfältig und beftimmt zu bezeichnen. Uebri—
gens gebe ich Ihnen freie Vollmacht, wo Ihnen Dunkelheit,
Unverſtändlichkeit, auch Wiederholungen vortommen, ganz nach
Ihrem Dafürhalten zu Torrigiren, ftreihen und einzuhelfen.
Wünſchen muß ih, daß Sie durch das ntereffe des Gehalts
einigermaßen unterhalten oder ſchadlos gehalten würden; es iſt
nur die freundliche Aufmunterung, welche Sie meinen Beftrebuns
gen haben angedeihen laffen, die mir es erlauben kann, aud)
noch diefe gütigen Bemühungen für mid anzunehmen.
Der Einleitung insbefondere habe ich eine vielleicht zu große
Ermeiterung gegeben, es hätte mich aber am meiften Zeit und
Mühe gekoftet, fie in's Engere zu bringen. Feſtgehalten und
| IX. Briefe,
in werde ich aber ſchon längft Brüffel paffirt haben, md
Amfterdam, Emden, Hamburg. — — —
Köln, den 28. Eon
— — In Koblenz, wo mein legter Brief aufhört, bradı
ich noch den Nahmittag und den anderen Wormittag wegen bi
üblen Wetters meift zu Haufe zu, lief die Schnellpoften, Wii:
fer Diligencen und andere Gelegenheiten abgehen; doch Rad
\ittags am Mittwoch machte es fih heiter; ich nahm eine
ben und fuhr nad; Neuwied auf dem ſchönen Rhein; fh
Sa8 herrnhuter Schwefierhaus u. f.w. Das Schönfte war da
nd, — herrlicher Mondſchein überglänzte den Rhein, der an
nen Fenſtern vorbeiflog; Eulen, die ih in meinem Lehm |
d nicht fprechen gehört, muficirten darein, — Morgens nd
AUhr auf die Waffer-Diligenee. — Anfangs konnte mark
s auf dem Verdeck ſeyn, dann aber wurde es windig, hi,
egnigt, zulegt Tontinuirlicher, heftiger, kalter Regen, Die &
fellfdaft war nun in die Kajüte eingefhloffen, darunter and
Studenten, die ihre Rheinreife madıten, alfo den Manzen mit
grünem Wadhstuc überzogen, am jeder Seite deffelben cinın
heraus hängenden Stiefelfuß, breite neue Riemen, — alles in
Drdnung Go machte ih denn aud) meine Nheinreife, aber
fah darum nicht mehr, und fland ihnen darin nach, daß ich das
ſtolze Bewußtfeyn, eine Nheinreife zu machen, nicht gewinnen
konnte. Schon das Regenwetter in Koblenz, — vollends dieſe
Rheinreiferei, verleideten mir das Reifen, und wenn es nur nidt
fo weit nad) Haufe zu Euch gewefen wäre, flugs wäre ich bei
Euch angetommen. Ich reife doch im Ganzen nur aus Pflicht
und Schuldigkeit, und hätte hundert Mal mehr Befriedigung,
wenn ich meine Zeit zwifchen meinen Studien und Euch theilen
könnte. Wenn Du einmal mit mir. an diefen Rhein kommſt,
fo werde ih Dich anders führen; auf dem Waſſer ficht man
3 An Daub. 495
jenem zu warten, um diefe eintreten zu laſſen, ſondern vielmehr
durch dieſe jenen zu vertreiben.
Nun herzlichſtes Lebewohl.
Berlin, d. 15. Aug. 1826,
An Denfelben.
Hohgefhägter Freund.
Ich erhalte heute den 13. abgedrudten Bogen der Ench—
tlopädie und bin eigentlich täglih im Falle, Ihnen meinen
Danf für die mühfame Arbeit, die Sie übernommen, zu fagen
zu haben; ich wünſche nur, daß Sie durd das Intereffe, das
ich der neuen Bearbeitung zu geben ſuche, dabei einigermaßen
unterflügt werden: Mühe koſtet cs mich wenigftens ziemlich; das
Beftreben, gleichfam der Geiz, fo viel als möglich fiehen zu laf-
fen, vergilt fi wieder durch die auferlegte größere Mühfelig-
keit, Wendungen auszufuhen, durch welde die Veränderungen
den Tertesworten am wenigften Eintrag thun. Sie werden mın
einige Bogen der Naturphilofophie in Händen haben; ich habe
darin wefentliche Veränderungen vorgenommen, aber nicht ver=
hindern können, bie und da zu fehr im ein Detail mid) einzus
laffen, das wieder der Haltung, -die das Ganze haben follte,
nicht angemeffen genug ift. ‚Ich vermuthe, daß die Druderei
Ihnen die ganze Arbeit der Korrektur übermadt, ftatt der bloßen
Revifion, und dadurd Ihre Mühe wefentlih und ungehörig
vermehrt; ich habe ein Billet hierüber an Herrn Oswaldt bei-
gelegt. Gegenwärtig bin ic an der Geiftesphilofophie und mit
der größeren Hälfte — bis auf das nochmalige Durchgehen —
fertig; die zweite Hälfte werde ich freilih wohl ganz umarbei—
ten müffen.
Eine der vielen Unterbrechungen, durd welche diefe Arbeit
aufgehalten wurde, liegt auch in einem Artitel, den ich für un—
IX. Briefe,
bedienen; — ein leeres Opernhaus, wie eine leere Kirk
in Mangelhaftes, — bier ift ein Hochwald und zwar ds
ftiger, kunſtreicher, — der für ſich ſteht und da ift, ob Miu
n da drunten herumkriechen und gehen, oder nicht, es lin
m nichts daran, — er ift für ſich, was er iſt, er iſt für fh
fi gemadt, — und was fi) in ihm ergeht, oder betet, odn
mit den grünem Wachstuchranzen, die Pfeife im Munde, ib
berheinreiſt, verliert fi fammt dem Küfter in ihm und ift, wi
es flieht und gebt, in ihm verſchwunden. — Frau Witte Som,
eine höchſt brave, wohlthätige, ächt kölniſche Frau, die ich bei
ndifhmann kennen gelernt, hat mich in Bonn fchun auf heut
zum Mittageffen geladen; nad den Mlittageffen hat mir ik
hn feine Sammlung von Olasmalereien, die reichte, die well
100 große Fenfler, 4— 500 kleine Piecen, gezeigt. Vu
ver Dom aud) für prächtige gemalte Fenſter hat! auch ander
Kirchen. — Durch Vergünftigung der frau Horn habe id and
lieversberg’fche Grmäldefammlung gefehben, Herrliche Sükt,
eins wahrfheinlih von Leonardo; — auf ihre Empfehlung in
ich auch bei Wallraf gewefen, — ein fo kordater, licher 75jäh:
tiger Mann! — feine Gemälde — eine herrliche flerbende Mo:
ria (kleiner als die bei Boifferee), hat er mir noch gezeigt, mib |
dann eine halbe Stunde in der Stadt — durch alle römiſch
alte campos herumgeführt; der Dann ift fehr freundlich un
liebevoll gegen mich gewefen, — das ift ein rechtſchaffener, bras
ver Mann! —
Das ift mein Tagewerk, — verſteht fi, daß ich auch den
Rhein, die unabfehbare Reihe von großen Zweimaftern gejehen.
Morgen Sonntags werde id in Geſellſchaft der jungen Grafen
Stolberg und ihres: vieljährigen Lehrers, des Dechanten Keller
mann, der bei Stolberg’s Tod anwefend war, noh den Dom
mit muſikaliſcher Dickie — und Anderes fehen, und dann Mor
gen Nachmittag nad) Aachen abgehen.
In fo weit bisher, gottlob, alles gut; wenn ich nur nicht
3. An Daub. 497
möchte; ob dieß intereffant genug ift, um eine Anzeige von ihm
zu verdienen. Wäre es fonft etwas, worüber er ſich ausfprechen
möchte, fo möge er es mir zu wiffen thun. Die Zeitfchrift nicht
bloß verſpricht fih Beiträge don Ihnen beiden, fondern noch
mehr wünſche ic, daß Sie beide Ihre gute Sache zu Worte
bringen und geltend maden. Mit dem berzlichften Lebewohl,
hecheeſchacte/ lueher * u Wild an a nee
Abe. un ran Yin
Ber) d. 49. Dice 1825 BT ET
An —— — MT WETTEN
Kreis, Zreum, Er ty) amd
Mit der Abfendung der Worrede zu der neuen Auflage er⸗
wiedere ich Ihnen zugleich Ihren freundſchaftlichen Brief vom
15. d.5 ich erſah zunächſt daraus, daß Sie an dieſem Datum
erſt den 27. Bogen zur Reviſton vor ſich hatten; ſo hat denn
die Verzögerung des Abgangs der neuen Vorrede keinen Aufenthalt
im Drude gemacht; diefe Worrede ift — indem mir umter dem Aufs
fegen derfelben Tholuc’s Buch von der Sünde zu Geſicht kam, —
weitläufiger geworden, als id) im Sinne hatte, Ich danke Ih—
nen’ wiederholt für diefe freundfchaftlide Mühwalumg der Res
vifion, deren gütige Mebernahme die Beſchaffenheit des Manu—
ftriptes doppelt und dreifach mühevoll, und um fo viel ſchätzba⸗
ver und dantenswerther gemaht hat. Die Haupiverzögerung
der ganzen Arbeit entſtand daraus, daf mie die erſte Ausarbeis
‚tung der Einleitung auch in ein Bud) auszulaufen anfing, und ich
daher eine Umarbeitung von vorne an vornehmen mußte, Daffelbe,
um hiervon auf Weiteres überzugehen, das Sie in Ihrem Briefe
erwähnen, fehe ich, iſt mit einem Artikel über Marheinete’s
Dogmatik gefchehen. "Sie: geben uns nur das allgemeine Ver⸗
ſprechen/ daß Sie einen vorläufigen Auszug teitifchen
Bermifchte Schriften, *
498 IX. Briefe.
Jahrbüchern beſtimmen; in jeder Rüdfiht, unter andern auch,
daß diefelben gröfern Zuflufies an Manuſtript fehr bedürftig
find, darf ih Sie bitten, uns denfelben recht ‚bald zutommen zu
laffen. Wie haben Ihnen Carove's und Marheineke's Artikel
über den Katholicismus und Katholifiren zugefagt? Es ift ebenfo
noch zeitgemäßeres Bedürfnif, die aufgeflärte und, wie fie ſich
nennt, die neue Theologie zu befpredhen, mit der ſich auch Mar⸗
heineke in einem Artitel, — doch von einer etwas zu befonde-
ren — Seite, zu thun gemacht; diefe Theologie ſcheint ‚beinahe
in der Vorftellung zu feyn, das Monopol des Mortführens zu
befigen. Sie werden in den legten Bogen der Encyklopädie
und in der neuen Worrede finden, daß aud id am dergleichen
Artikel, befonders an Herrn Tholud gefommen bin.
Wenn Ste fi denn noch zu der Anzeige meiner Enchklo—
pädie entfchliefen könnten, fo würde dich unfern Jahrbüchern eben
fo wie mir intereffant und ehrenvoll feyn; nad Ihren freundlie
hen Meuferungen in Ihrem Lesten, hatte Sie die Einleitung
zunächft dazu aufgeregt, aber die Breite des Mebrigen cher abe
gehalten. Ich follte meinen, daß dief Ihre erfte Abficht, Ihre
Anfichten über die Gegenftände der Einleitung darzulegen, nicht
rũckgängig machen follte. Eine Anzeige in unfern Jahrbüchern
ift für ſich ſchon geeignet, ein eigener Artikel aus Veranlaſſung
einer Schrift — mehr als eine bloße Kritik und Anzeige der⸗
felben zu ſeyn — und ein Artifel von Ihnen würde von felbft
eine höhere Voreinleitung in den Gegenſtand derfelben werden;
wobei das Detail des Buches etwa nur kurz berüdfihtigt, oder
felbft übergangen werden kann. Den Standpunkt des Buches;
und etwa den der eigenthümlichen wiffenfchaftlichen Behandlung.
auseinander zu fegen, würde ja ein ganz intereffanter und ge—
nügender Stoff fen, — und bloß foldhen Stoff abzuhandeln,
darauf würde Sie von felbft ſowohl Ihr Interefie an der Sache
als folcher, wie ſelbſt Ihre Freundſchaft beſchränken.
Herr A. W. Schlegel Hält ſeit acht Tagen Vorleſungen
3. An Daub, 499
über die bildenden Künfle vor einem zahlreichen gemiſchten Pu—
blitum — tief kann er freilich nicht gehen, — aber für fein
Publtkum ift feine deutliche und beredte Art fehr paffend.
Leben Sie nun berzlihft wohl — mit se
Freundſchaft und Hochachtung ze.
Berlin, d. 29, Mai 1827.
s Un Denfelben,
Längft hätte ich Ihre freundliche Zuſchrift vom Frühling,
worin Sie, verehrter Freund, mir Heren Profeſſor Rour's
Schrift nebft deffen Brief überfchidten, beantworten follen, Der
Schuldnerzuftand meiner Korrefpondenz, aus dem ich felbft ge—
gen liebe Freunde mie heraustomme, ift eines der Leiden, die ich‘
zu tragen habe.
+ Eine nähere Aufforderung, die mich ebenfalls hätte —
ſollen, früher zu ſchreiben, führte die Erledigung der philoſophiſchen
Lehrſtelle in Heidelberg und die Anfrage eines Freundes herbei, ob
er fi nicht den Gedanken machen könnte, daß aufihn Bedacht ge⸗
nommen würde; es ift Rektor Gabler in Bayreuth, Er meinte,
ob er nicht etwa der dritte Rektor ſeyn konnte, der aus Baiern
nach jener Lehrfielle berufen würde. Er ift Ihnen: wohl ſchon
felbft aus feiner Propädeutit der Philofophie, und aus Res
tenfionen in unfern kritifchen Jahrbüchern befannt, und fo brauche
ich zu feiner Empfehlung nad diefer Seite nichts hinzu zu fegen;
gründliche philofopbifhe Einfiht ift bei ihm ohne, Schwindelei
und Gäbhren, vielmehr mit Klarheit und Beflimmtheit vergefells
ſchaftet, — Eigenschaften, die, wie fie die Lafler feichter Philos
ſophie, fo bei gründlicher Richtung unfchägbar find; er ift dabei
ein ſehr redlicher, einfacher, ruhiger und freundlicher Charakter.
Ich habe feinem Wunſche, bei Ihnen eine Anfrage darüber zw
machen, nicht entſtehen wollen; ich bin überzeugt, daß Heidelberg
32 *
IX, Briefe,
ten ider — oder auch für einen Engländer; cs
ws, daß er das Letzte if. — Wir vertrugen uns redt ı
fammen, er dufelt oder dämmert ruhig im die Welt bin
ijt in Italien, Frankreich, überall gewefen, dufelt für den-
flen Winter nad Paris, für den Sommer nah Wien, —
diefem Reifegefellihafter hatte ich geflern früh den Wagen hin
allein; in Löwen fegten fi noch drei Leute ein; der Wu
lauter fruchtbares Kornland, mie in ſchwediſch Pommern, dan
von Löwen an herrlich abwechſelnde Gründe zur Seite — hir
liches fruchtbares Land. — Zirlemont ein angenehmes Lan
fädtden, — Löwen eine große Stadt, mit fchönen Häufen
gothifhem NRathhaufe, mit einem Saal, den ich nicht geichen,
rin 80 Quadrillen zugleid können getanzt werden 1. —-
In den Niederlanden if’s eine Freude zu reifen, — m
Lüttich bis Brüffel find 24 Stunden, fie werden auf gepflfe:
ter Straße — (Pflaſter wie das neue der Königsftrafe in der
lin) in 42 Stunden zurüdgelegt — für 10 Franken. W
Land ift reih. — —
So eben komme id von einem Spaziergang mit van Gh
zurück. Brüffel ift eine fehr ſchöne Stadt, in vielen Strafen
die untere Etage nur Eine Neihe von großen Fenſtern mit da |
fhonften Waaren, elegant aufgeftellt, viel geſchmackvoller, gt: |
puster als in Berlin. Brod ebenfo hinter breiten ſchönen fen
flern. Heute Nachmittag Mazieren wir auf das Schloß Par
fen. — —
Ich werde wohl bis Sonntag hier bleiben. — — —
Antwerpen, Dienftag, den 8. Okibr.
— Es if feit einigen Tagen die erſte ruhige Stunde, in
der ich allein bin und die Relation meiner Reife an Dich, meine
Liebe, fortfegen tann. — — Am freitag: befuhten wir in eis
nem Kabriolet das Schlachtfeld von Waterloo — und ic ſah
3. An Daub. — 4 Un Goethr. 501
in alter kordater Freundſchaft zufammen, — abgereift, ohne, wie
man mir fagte, noch recht zu wiffen wohin? Er bat, wenn er,
wie ich nicht zweifle, zu Ihnen gekommen ift, von unferm Leb—⸗
wefen erzählen können, wie id alsdann aud) viel von Ihnen
durdsihn zu hören hoffe. Noch bitte ich, meine herzlichfien Em+
pfehlungen an die alten freunde Thibaut und Creuzer zu ma—
chen. Ich verbleibe mit aller Berchrung und Liebe
hr treuer
Berlin, d. 27. Sptbr. 1829. 9.
4. An Goethe *).
' Berlin, den 24. Sptbr, 1821,
Ew. Ercellenz erfreuliches Gefhent, das Sie dem Publi-
um mit einem neuen naturwiſſenſchaftlichen Hefte und mir
*) Zum näheren Verſtaͤndniß diefes Briefes theilen wir hier drei
Briefe Goethes an Hegel mitz zwar ftehen nur die beiden erften davon
in unmittelbarer Bezichung zu Hegel’ Briefe, allein man wird aus dem
dritten ebenfalls gern erfahren, mit welcher Genugthuung Goethe feine Vers
dienfte um die Naturwiffenfichaft von Hegel anerkannt fah.
1.
Em. Wohlgeboren möge beifommendes Heft zur guten Stunde treffen!
und befonders der entoprifche Auffag einigermaßen genug thun. Sie haben
in Nürnberg dem Hervortreten diefer fchönen Entdeckung beigewohnt, Ges
varterftelle übernommen, und auch nachher geiftreich anerfannt, was id)
getban, um die Erfcheinung auf ihre erften Elemente zurüchuführen. Bei—
kommender Auffag liefert num, in möglichftee Kürze, was ich von Anfang
an, befonders aber in den legten zwei Fahren bemerkt, verfucht, verfchies
dentlich wiederholt, gedacht und gefchloffen; wie ich mid; Theils in. dem
Kreife gehalten, Theils denfelben ausgebreiret, auch, Analogien von mans
dien Seiten herangezogen und Alles zulegt in eine gewiffe Ordnung aufs
geftellt, welche mir die geläufigfte war und die anfchaulichfte ſchien, wenn
man die Erfahrungen felbft’vor Augen legen und die Verſuche der Reihe
nad) mittheilen wollte,
Möge das Alles einigermaßen Ihre Billigung verdienen, da es freis
lich ſchwer if, mit Worten. auszudrüden, was dem Auge follte darges
bracht, werden, Fahren Sie fort an meiner Art, die Naturgegenftände zu
u
502 IX, Briefe.
überdieß mit einem Eremplare deffelben und einem fo gütigen
Schreiben — — haben, noch einmal recht durch zu genießen
Schandeln, Fri Fräftigen Theil zu nehmen, wie Sie bisher sb sah, 1 88 iR ie
die Nede nicht von einer durchjufegenden Meinung,
zutheilenden Methode, deren fich ein Jeder als eines Werkzeugs, nad)
feiner Art, bedienen möge.
Mir Freuden hör’ ich vom manchen Orten her, daß Ihre Bemühung,
junge Männer nachzubilden, die beften Früchte bringt; es thur freilich
Noth, dab im diefer wunderlichen Zeit irgendwo aus einem Mitt
eine Lehre ſich verbreite, woraus theorerifch und praktiſch ein Leben zu für
dern ſey. Die hohlen Köpfe wird man freilich nicht hindern, ſich in vagen
Vorftellungen und tönenden Wortſchaͤllen zu ergehen; die guten Köpfe —
find auch übel daran, denn indem fie falſche Methoden gewahren, im die
man fie von Jugend auf verſtrickte, ziehen fie ſich auf fich felbft zurüch,
werden abſtrus oder transcendiren.
Möge ſich Ihr Verdienſt, mein Theuerſter, um Welt und Nachwelt
durch die ſchoͤnſten Wirkungen immerfort belohnt ſehen.
Treulichſt
Jena, d. 7. Okibr. 1820, Goethe,
2
Em. Wohlgeboren fühle ich mich genöthigt auszudrüden, wie ſehr
mich Ihre Zufchrift erfreut bat.
Das Eie mein Wollen und Leiten, wie es auch fey, fo innig durch⸗
dringen und ihm einen vollfommenen, motivirten Beifall geben, ift mir an
großer Ermunterung und Fördernif. Gerade zur rechten Stunde
Ihre Blätter an, da ich, durd die neuſte Bearbeitung der entop
Farben aufgeregt, meine Altern dyromatifcyen Akten wieder müftern und
mich nicht erwehren kann, gar Manches durch forgfältige Redaktion einer
öffentlichen Erfcheinung näher zu führen,
Ihre werthen Aeußerungen follen mie immer vor Augen liegen und
meinen Glauben ftärfın, wenn mid) die unerfreuliche Behandlung derſel⸗
ben Materie, deren ſich die Zeitgenoffen fchuldig machen, mandmal, wo
‚nicht zum Wanken doc zum Weichen verleiten möchte. Nehmen Eie
"alfo meinen wiederholten Dank und erlauben eine von Zeit zu Seit ers
neute Sendung, Da Sie fo freundlich mir den Urphänomenen gebaren,
ja mir felbft eine Verwandtſchaft mit diefen Dämonifchen Weſen zuerfens
nen, fo nehme ich mir die Freiheit, zumächft ein Paar vergleichen dem
Ppilofophen vor die Thür zu bringen, überzeugt, daß er fie fo gut wie. ihre
Geſchwiſter behandlen wird.
Treulichſt
Weimar, d. 13, April 1821. ou ——
3.
Ew. Wohlgeboren Undenken, welches bei mir immer ftiſch und Tebendig
bleibt, wurde durch eine heiter von Berlin zurückkehrende Dame Höllig zur
„en
4. An Goethe. 503
und dieß Geſchenk mit einigen meiner zufälligen Gedanten zu
erwiedern, — um hierdurch; wenigftens das Intereffe zu beur-
kunden, das ich daran genommen, — dieß Alles hatte ich mir
auf die freien Feiertage vorbehalten gehabt; id; glaubte damals
gegen Em. Ercellenz die Bezeigung meines Dants wohl bis
dahin anftehen laffen zu dürfen, indem id Sie für überzeugt
glauben konnte, wie werth mir Ihr gütiges Andenken, diefe
neue Bereicherung meiner Einfihten und wie erfrifhend mir die
fonftigen ernft=heiteren Meuferungen Ihres Genius ſeyn würden.
In jenen Ferien ift es mir jedoch nicht fo wohl geworden, und
id) kann es nunmehr. nicht länger anftehen laffen, ein Zeichen
meiner Erkenntlichkeit von mir zu geben.
Unter dem fo reichen Inhalte des Heftes habe ich aber vor
Allem aus Em. Excellenz für das Verftändniß zw danken, wel
des Sie uns über die entoptifhen Farben haben aufſchließen
wollen; der Gang und die Abrumdung diefer Traktation, wie
der Inhalt, haben meine höchſte Befriedigung und Anerkennung
erwecken müffen. Der fo vielfahen Apparate, Macinationen
und Verſuche über diefen Gegenftand unerachtet, oder vielmehr
wohl gar um derfelben willen felbft, — ja fogar trog Gevat-
Gegenwart verwandelt, fo daß ich mich nicht enthalte mit Wenigem auch
wieder einmal mic) fehrifrlich unmittelbar darzuftellen. Noch bin ich Dank
ſchuldig fire bedeutende Sendungen; leider ward ich von jenen Kapiteln
abgezogen ‚und weit. feitwärts geführt, deshalb denn die Benugung auch
noch bevorftcht. —
Da Ew. Wohlgeboren die Hauptrichtung meiner Denkart billigen, fo
beftätigt mich dieß im derfelben nur um deſto mehr und ich glaube nach
einigen Seiten bin bedeutend gewonnen zu haben, wo nicht für's Ganze,
doch für mich und mein Inneres. Möge alles, was ich noch zu leiſſen
fähig bin, ſich immer an dasjenige anſchließen, was Sie gegründer haben
und auferbauen. i |
Erhalten Sie mir eine fo fchöne, längft berfümmmlidhe Neigung und
bfeiben überzeugt, daß ich mich derfelben als einer der fchönften Blüthen
meines immer mehr und mehr ſich entwickelnden Seelenfrühlings zu ers
freuen durchaus Urſache finde,
Ergebenft
Weimar, d. .. Mai 1824, Soerhe
folen ſchwotzen Stein — berrlihe, geifioo
ten Meiſters 00 — *
nem fort, — fruchtbares den. = {
Dampfboot über eine Bucht des I St
Mein lieber Freund, der Südmef, der mi
ter gebracht, half auch zu befferer Meberfahrt;
von weitem, ein ftolzer Dreimafter, w
fer, weiger Turban, ebenfo geſchwollenes FEN)
dann weißes, weiteres Anterkleid, ee car i
vierzig, oder Gott weiß, wie viel tauſend
hier im eigentlichen Holland, — alle Häuſer au
Bachſteinen, mit weißen Linien; feine Kante, keine
telt oder abgefiumpft, — ſchöne Kanäle, it B ume
durch die Stadt gehend, Alles voll großer Sch fe:
wieder nad) 3 Uhr über die breite Maas; ? =
Rotterdam; melde große Stadt! ANA
und nad) einer halben Stunde in das böne g a
in der That ein Dorf — allenthalben
Gemüfegärten, ein fe eu Bob mh
Reihen Bäumen unterbrochen und mit %
Chauſſee, neben der immer ein Kanal geht, von einande
ſchnitten, — überall Vieh darauf, — lauter fi hwan + *
ſcheckiges; man ſieht Abends auf den wulen & ‚di
melten; man reift unter lauler Potter’s u
4, An Goethe. 505
ſolches etwaige Weitere nicht zum Verſtändniß aus jenen Grund
lagen zu bringen vermögen, und es Ew, Excellenz lediglich an⸗
beim fiellen müffen, den Klumpen zur Geftalt heraus zu locken
und durch folde wahrhafte Gevatterfchaft ihm erft einen geiftie
gen Othem in die Nafe zu blafen. Diefer geiftige Othem —
und won ihm ift es, daf ich eigentlich fprechen wollte, und der
eigentlich allein des Befpredhens werth ift, — iſt es, der mid)
in der Darftellung Ew. Ercellenz von den Phänomenen der
entoptifchen Farben höchlich hat erfreuen müffen. Das Einfache
und Abftrafte, was Sie fehr treffend das Urphänomen nennen,
ftellen Sie an die Spige, zeigen dann die konkreten Erſcheinun—
gen auf, als entfichend durch das Hinzutommen weiterer Eins
wirfungsmweifen und Umſtände, und regieren den ganzen Ver—
lauf fo, daß die Reihenfolge von den einfahen Bedingungen zu
den zufammengefegtern fortfchreitet, und fo rangirt das Vers
widelte nun, durch diefe Dekompoſition, in feiner Klarheit er=
ſcheint. Das Urphänomen ausjufpüren, es von dem andern,
ihm ſelbſt zufälligen Amgebungen zu befreien, — «8 abfiratt,
wie wir dieß heißen, aufzufaffen, dief halte ich für eine Sache
des großen geiſtigen Naturfinns, fo wie jenen Gang überhaupt
für das wahrhaft Miffenfchaftlihe der Erkenntnif im diefem
Felde, Newton und die ganze Phyſikerſchaft ihm nach, fehe ich
dagegen irgend eine zufammengefegte Erfcheinung ergreifen
und fh in ihr feſtrennen, und fo den Gaul beim Schwanze
aufzäumen, um mich des Ausdruds zu bedienen; es ift ihnen
biebei gefhehen, daß fie die dem Urſtande der Sache gleichgül—⸗
tigen Umftände — felbft wenn diefe nichts Anderes wären, als
daß ihnen beim Yufzäumen des Schwanzes ein Unglüd paffirt
wäre, — für die Bedingungen derfelben ausgeben, und Alles,
was vor= und rüdwärts liegt, hineinſchuſtern, zwängen und
lügen, An einem Ur laſſen fie es dabei nicht fehlen; fie brin—
gen ein metaphyſiſches Abſtraktum herbei, — als: erfchaffene
Geifter erfchaffen fie den. Erſcheinungen ein erfchaffenes, ihrer
1X. Beiefe.
und wie die andern Städte, bat neben fid das
"es — es gäbe noch viel zu fehen, aber das Shi
und * die Hauptſache habe ih geſehen. Jede Statt
reich, niedlih und reinlid. Wo man bie gemeinen Leute
Armen, befonders in Haag, binftellt, kann ich mod nicht cin
ben, nirgends ein verfallenes Haus, kein güchtbrüdhiges Dis
keine verfaulte Thüren, zerbrochene Fenſter — Im Haag, m
vollends hier, find alle Strafen voll der ſchönflen Läden, m
endliche Bor he, — Gold, Silber, Porcelan, Tabak, Br,
Schuhe, — Alles. a ” Schönſte rangirt. — Im Amfterdın
um 12 Ubr and 1, — fogleih auf die Gemälde: Galı
— bier ei ‚ von 15—20 Fuß brei,
Beh ih les gefehen. Diefe Su
in | eere ge und auf dem feflen Yu
if fie es 6 36 fi 1 reine alte räudhrige Cult
vor, fie ift eben n als die c eren; — unzählige Sul,
Schiffe, — ein wühle, Gelaufe, les voll Gefhäft — m
um 3 Uhr an der Börfe geläutet wird, ſtrömt es zu, wie mn
es in Berlin aus der Komödie fih drängt, — est dent ih
an den Rüdzug, — Tug und Naht werde ih nad Hambın
eilen. — Urber Emden, wohin Du mir fhreiben wilift, tom |
ih nicht, —
Harburg, Hamburg gegenüber, von dem mid; nır
die Elbe trennt, Nachts 10 Uhr, im Augenblicke mes
ner Ankunft, d. 18, Oktbr.
So weit wäre ich denn glüdlich, meine Liebe. — — Mein
legter Brief aus Amflerdam wird nun in Deinen Händen feyn,
ich ſchickte denfelben Sonnabend früh ab, an welchem ich noch
den zweiten, mannigfaltigften, Theil des Gemälde - Kabinets fah
— herrliche Sachen darunter, — ferner das ehemalige Rathhaus,
das Napoleon zu einem Töniglihen Palaft einrichten lief. Diefe
Bimmereintheilung weggerechnet, fo ift das Gebäude die herrlichſte
—
4. Un Goethe. 507
bar zu erfennen gehabt, daß Sie das Pflanzenweſen feiner und
unferer Einfachheit vindieirt haben. Knochen, Wolken, kurz Als
les führen Sie uns näher herbei. — Wenn ich nun wohl aud)
finde, dag Ew. Ercellenz das Gebiet eines Unerforſchlichen und
Unbegreiflihen ungefähr eben dahin verlegen, wo wir haufen, eben
dahin von wo heraus wir Ihre Anfihten und Urphänomene rechtfer⸗
tigen, begreifen, — ja wie man es heißt, beweifen, deduciren,
fonfirwiren u. ſ. f. — wollen, fo weiß ich zugleih, daß Em.
Ercelleng, wenn Sie uns eben feinen Dank dafür wiffen kön—
nen, ja Ihre Anfichten, felbft das Stihelwort: Naturphilofophifch,
dadurch ankriegen Fönnten, uns doch toleranterweife mit dem
Ihrigen fo nach) unferer unſchuldigen Art gebehrden laffen, —
es ift doc immer noch nicht das Schliinmfte, was Ihnen widers
fahren ift, und ich kann mid) darauf verlaffen, dag Ew. Excel
lenz die Art der Menfchennatur, daf wo einer etwas Tüchtiges
gemacht, die Andern herbeirennen und dabei auch etwas von dem
Ihrigen wollen gethan haben, erkennen. — Ohnehin aber haben
wir Philofophen bereits einen mit Ew. Ercellenz gemeinfhaft-
lichen Feind — nämlid an der Metaphyſik. — Schon Newton.
hat die große Warnungstafel angefhlagen: Phyſik! hüte dich
vor Metapbufit! Das Unglüd aber ift, daß, indem er dieß
Evangelium feinen freunden vermacht und diefe es treulich ver—
fünden, er und fie damit nichts Anderes geleiftet haben, als nur
die unzählbaren Wiederholungen des Zuftandes jenes Englän-
ders zu geben, der nicht wußte, daf er fein ganzes Leben hin-
dur Profa geſprochen. Diefer kam am Ende dod zur Ein-
ſicht, jene aber find dermalen noch nicht fo weit, zu wiffen, daß
ſie verdammt ſchlechte Metaphyſik ſprechen. Ich laſſe es aber,
von der Noth, den Phyſikern dieſe ihre Metaphyſik zu ruiniren,
noch etwas zu ſagen. Ich muß auf eine der Belehrungen Ew. Ex—
cellenz zurüdtommen, indem ich mich nicht enthalten kann, Ihnen
nod meine herzliche Freude und Anerkennung über die Anſicht zu
bezeigen, die Sie über die Natur der doppelt zefrangirenden
IX. Briefe,
v gefchloffen worden; — gegen 3 Uhr flieg ih
Diligence, die nad Bremen gebt, und trennte mic hie w
terwegs von meinem guten hildesheimer Herrn, der nad Su
nover ging. Wir hatten ſchönes Wetter, — der Somnenihi
dauerte mich nur, ſolche Steppen befcheinen zu müſſen. ©
Bremen ſah ich holländifch grüne Wiefen, mit der Nacht fanı
wie dort an, von wo ih mich mit Ertrapoft hicher verjegt
Der Himmel verregnete den Bremeniern ihren 18. Dtton:
Patrietismus diefen Vormittag; dod der Abend ließ mid di
hamburger Raketen und anderes Feuerwerk noch deutlich fe
hen. — —
Hamburg, d. 19. Olm
So eben komme ich an, laſſt meine Sachen vom &hif
ı + der Poſt fahren, um heute auf der Schnellpoſt zu fm,
auf’s baldefte bei Euch, meine Lieben, zu ſeyn; — ki
Play mehr offen, felbfi auf Mittwoch nit, dagegen zur im
penfation finde ich zwei liebe Briefe von Dir vor ; wie beruhigtun
erfreut bin ich über diefe guten Nachrichten von Dir — -
Sige nun hier im König von Hannover — vor der fchönfe
Ausſicht — aber bis Montag zu warten habe ich Feine Gel
mehr, habe vor den Poſtwagen ohnehin eine Apprehenſion bekom—
men, werde — wenn ic meine Gefhäfte und einige Beſuche hin
abgemadht — Ertrapoft nehmen und weiß nidt, ob dieſer Bric
vor mir anfommen kann.
B. Reife nah Wien im Jahre 1824.
Dresden, d. 7. Septbr. 182.
— Meine Reife ift bis hieher ganz gewöhnlich und durd
die MWetterveränderung fehr erträglicd gewefen; am Sonntag br
dedter Himmel — einigemal Regen — bis Jüterbogk; dann
5. Anden D. Hinrichs, 509
Religionsphilofophie, bin alfo damit veranlaft, meine ——
ohnehin nach dieſer Seite zu wenden,
Sie fordern mid) auf, in meinem Vorwort meine Gedan—
ken über die Tendenz Ihrer Schrift zu fagen; erlauben Sie
mir aber, bier ſchon ein Urtheil gegen Sie und: vornchmlid)
meine Münfche über dasjenige zu äußern, was ich für vortheils
haft hielte, daß Sie für diefe gewichtige Abhandlung, in Rück—
ſicht auf ihre Richtung gegen das Publitum, und auf die Ein—⸗
richtung derfelben nod vornähmen, Dieſe Wünfchebezichen ſich,
wie gefagt, nicht auf den Inhalt umd die Sache und deren
Darftellung felbft; mein Urtheil if, dag Sie fih in der Sache
mächtig gezeigt, und ic, habe mit wahrer Satisfaktion Ihr tie—
fes, fpekulatives Eindringen erfannt; Sie geben mit diefer
Schrift einen genügenden Beweis für Ihre Fertigkeit und Prä—
fenz, in den höchſten Regionen der Spekulation mit Beftimmt-
heit und Freiheit fi) zu beiwegen, in einem fonfequenten Gange
die Sache aus dem denkenden Begriffe zw produciren und forte
zuführen, — Einzelne Belege von diefer meiner Befriedigung
will ich nicht anführen, — ich habe auch, wie gefagt, nicht alles.
Einzelne durchgemacht — aber 3. B. Ihre Darfiellung vom
Beweiſen des Dafeyns Gottes, von dem, was Manifeftation: ift,
von Gewißheit und Wahrheit — u. ſaf. die Darſtellung der ſchel⸗
ling'ſchen Philoſophie fo wie der vorhergehenden u: (fl —
die dialektiſche Nothwendigkeit des en — = f.
haben mich recht fehr intereffirt. Anh | |
Meine Wünſche betreffen äufere ah um den er,
— db. bh. nit bloß den ſchon mit der Spekulation vertrauten, —
defto eher einzuführen. Ihe Gang ift eine Vertiefung in den
Inhalt, der gediegen fortwaltet, ohne dem Lefer Ruhepunkte der
Reflexion zu geben; folche, fo zu fagen hiſtoriſche (nicht von äufe⸗
rer Hiftorie, fondern von der Vorhererzählung deffen, was Sie
ist im Gedankengange vornehmen werden, genommen) würden
zur nöthigen, fogenannten Berftändlichteit ungemein beitra—
568 AR Balfer
ge ns dac
a ee hildwache auf B
daß es 1 Uhr ſey, — alſo er
und um 45 Uhr fertig, — Wir f
unfreundliches Wetter, das den feidenen €
fondern Een.
Ich hatte hier eine Gelegenheit ai
gen allein zw nehmen, und fand vermiſch
Komödiantin mit Kind und ————
doch ging's. Das Reiſen mit jeder erſten
wird mir immet langweiliger, — ja, wenn es m
aber da Du einmal nicht dabei Bin, fo reife |
allein. — Kein Bud) irgend einer Art habe
hen, wie ich mir die Zeit mit — Gedanken — auc
mit Phantaflen vertreibe. — Das ſchönſte Wetter — f
ten zu viel, doch will ich es nicht gefcholten haben,
den Weg hinab, die Einfiht in’s Böhmerland,
ee ee * an
J — ganz zum. ———
von Preußen if, ein. — Heute, —*
der dem Gaſthof gegenüber iſt, — auf — *
man ganz die Umgegend von Töplitz, d. b. wenn m ia
die ganze weite Gegend — zuletzt von höheren Berg fügen be
gränzt, — die mannigfaltigfte Abwechslung von Hüge n
lern, Häuferzügen — Alles höchſt heiter. — Na '
5. An den D. Hinrichs. 541
ſo zu replet von bloßem Stoffe und Inhalt, und dieſe zweite
Seite noch erforderlich, den Leſer auf den Gang und die Refultate
aufmerkfam zu machen. 3) Noch einen Unterſchied berühre ich, auf
welchen aufmerffam zu machen, oder vielmehr das Bewuftfehn dar
über felbfi anzugeben wäre — was nämlich als Borausfegung an«
genommen oder wo aus Vorausſetzung gefproden wird. So
3: B. gleich von Anfang, was Sie über das Gefühl fagen, foll
nicht als ein Dedueirtes gelten, — fondern Sie fegen die Vor—
ftellung (— oder Deduktion) des Gefühls voraus, und geben
bier nur das an, was daffelbe enthalte; dieß würde ih aus—
drüdlich unteriheiden; (— ebendafelbft wünfchte ich die nä—
here Beflimmung angegeben, inwiefern und nad welder Seite
das Gefühl zugleih das Unbeſtimmte iſt — & h welde
MWeife der Bellimmung ihm fehlt) — die Erläuterung durch
Beifpiele würde bier, wo Sie vorausfegend fpreden, — an'ihe
rer, Stelle ſeyn.
Ich würde über dief Alles nicht fo weitläufig geworden feyn,
oder auch gar nichts über diefe Seite gefagt haben, wenn Sie nur
für mic) und einige wenige Freunde der einfachen Spekulation
ſchrieben — (und auch für diefe und für mich wünfchte ich von jenen
Zuthaten etwas; es würde mich große Anftrengung koſten, mid)
ganz durch das Einzelne hindurch zu lefen) aber Sie ſchreiben
ferner für ein lefendes und fludirendes Publitum, — aber noch
mehr aud) für ein nur lefendes Publiftum, das durdaus jene Ein⸗
leitungen und Reflexionen nöthig hat und fie fordert, und —
mit Recht — vornehmlich darin das Lehren als foldes ſieht, —
Der zehnte Theil des Stoffs, den Ihre Abhandlung enthält —
oder der zwanzigfie, dreißigfte u. ſ. ſf — mit jener Verdeutli—⸗
dung vorgetragen, würde hinreichen, um mehr Eindruck zu maden,
und wohl um mehr zu belehren, als jene Gediegenheit im ihrer
abgeſchnittenen Geftalt Sie bei dem Publikum einführen möchte,
auf welches wir hierbei vornehmlich unfree Wünſche richten kön—
nen. Sie verkennen meine Abſicht nicht, in der ich allen die—
— —— —
geſchrieben, und ich bin darin ſo pünktlich,
wiſſen daraus machte, etwas von dem Verz
geſucht zu haben. — Aber was ich geſche
es gelehrte altdeutſche Leckerbiſſen betrifft, — Die zu bef
tönnte Dich eben nicht ſehr intereffiren, noch ich
friedigender Kennerſchaft ausführen. Gef
noch auf der Bibliothet gewefen, —
zwei altdeutfche Bilder; — dergleichen ferner
— nad Tiſch über die Brüde — auf
Seite von Prag, d. h; auf den Theil, der a
der Moldau liegt. Diefer Theil geht einen Süge
dem die fogenannte kaiſerliche re — (flelle
ter einen modernen Palaft vor, nicht fo ein , win
und: unnopnlißs; nformnlihes, fe nflerlo
eckiges, ungeftaltes Ding, wie die Burg von Nürn er;
Domtirche Liegt herum gleichfalls, und dieß zufammen 1
Hradfhim Da eben, wie ih da ‚don‘
von denen ich mich nicht mehr weit befand, kano
ging ich zum Thore hinaus; igt rückten die Negimente
und Kutſchera wieder vor, drüdten unter Ka - und
Gewehrdonner den Feind immer weiter ve
nad), bis: mir des Gi we Marſches e |
und ich mich. — h nicht arfchlaaen. — vefirir
‚5. An den D, Hinrichs, 513
An Denfelben.
Berlin, den 4. April 1822.
Hier überfchide id Ihnen Manuſkript, ganz ift es noch
nicht; es fehlen jedoch nur noch etwa 1 oder 2 Bogen; ic) wollte
aber Sie nicht länger verzögern, wenn id) am Ende nicht gar
zu fpät komme,
a. Das Manuffript in befferen Stand zu fegen erlaubte
die Zeit nicht mehr; bei der unterbrochenen Arbeit hatte ich oft
den Zufammenhang verloren; es kann alfo in der Redaktion
nicht anders als der Nachhũlfe bedürftig erſcheinen.
b. Sie find an Ort und Stelle des Drucks, werden alfo
Sorge für den ordentlichen Abdrud haben; die Stellen, wo ein
alinea zu machen, find richtig bemerkt, — aber es bedarf eines
aufmerkfamen Setzers, — vielmehr eines aufmerkſamen Dirck⸗
tors, und diefer müffen Sie feyn; wo es Ihnen zu fehlen er
nen follte, müffen und werden Sie es reguliren.
c. Laſſen Sie mir ein halb Dutzend Exemplare beſonders
abziehen. — Schicken Sie ein Exemplar etwa an unſern Herrn
Miniſter. —
d. Ich bin auf Ihr Werk beſonders neugierig; da es ſchon
abgedruckt iſt, hätte ich ein Exemplar bereits erhalten können.
Halten Sie mir das Allgemeine des Inhalts, — das zum
Theil nur Wiederholung von anderswo Gefagtem ift, — zu Gute;
— das Serfireute meiner Eriftenz geftattet es nicht andırs; —
auf unfere jegige Theologie hat es hin und wieder direkten Bes
zug, was Ihnen und Daub nicht entgehen wird, — Aber von
Daub erwarte ich eine offene Erklärung, ob denn das die Dog—
matik der unirten evangelifhen Kirche ſey, was man uns, —
freilich nur in einem erſten Theile, vermuthlic weil man für
Meiteres in diefen Zeiten der Unterdrüdung, wie man es heißt,
nit traut, — als foldye zu bieten die Unverfhämtheit und
Plattheit gehabt hat. — Bon Daub fehne id) mid, bald einen
Berinischte Schriften. * 33
nen und bei ihrer herzlichen und freundfhaftlichen
Nach Tiſch führte uns ———
anmuhigen Wergnügungsert. — Sir if
—— ⸗—
—— —
— e iR za en
le en
der Donau, — ohne ſie noch zu fehen, —
Grund, fo einen Tag fort, — —— yat ı
Anfiht von Wien, — nad) 6 Uhr in Wien felbfi, da
Poſt, — Fiater, ein Wirthehaus zu fu in
herzog Karl ein Zimmer in den Hof hinaus, eine Tr
— die nad vorn hinaus waren befegt; wie id
den
. 5. Un ben D. Hinrichs. 515
Sagen Sie Daub ganz im Stillen, man fpredie davon, ihn
und Schwarz hierher einzuladen, um über Theologie und Kirche
zu konferiren; — fagen Sie ihm dabei, daß ich nichts fehnlicher
wünſchen könne, aber daß bei uns Jahre und Tage vergehen,
che ein Gedanke, den man gefaßt, zur Ausführung komme.
Wenn mir der Hr. Minifter davon ſpricht, werde id ihm ſa—
gen, er brauche nur die beiden Herren 4) um die Wrtifel ihrer
Union und 2) um eine Kritit der Dogmatik der evangelifchen
Kirche (wovon der Berfaffer mit dem zweiten Theil, det ſchon
Weihnachten erfcheinen follte, fich wohl nicht getraut herauszus
rüden) zu erfudhen, fo werde er fchon Klar genug finden können,
was fie von Theologie und folder Berliner Theologie halten.
Ich hoffe bald gute Nachrichten über Ihre Hoffnungen in
Heidelberg zu erhalten. — Ein ſolches Kleeblatt von ordent⸗
lichen Profefjoren der Philofophie, wie Sie in Heidelberg has
ben, ift übrigens etwas fo Erquifites, daß es beinahe Schade
wäre, wenn ein Blättchen ausgerupft würde. Mir werden ans
dermwärts jedoch felbft ſolche befigen, in Halle z. B. — Dod
die Niederträchtigkeiten der dafigen Zeitung gegen mid) mögen
leicht, nicht von ſolchem Kleeblatt, fondern vielleicht gar aus der
Nähe von Ihnen, oder nod mehr von Daub, — einem vierten
ſchlechten Blatte zu dem Kleeblatt ächter Art, tommen.
Leben Sie wohl!
Ihr
Hegel,
Wie ſteht es mit der Oswaldiſchen Buchhandlung in Hei:
delberg, ift fie nod auf guten Füßen, oder wenigftens auf Füßen?
Es intereffirt mich, dieß zu wiffen.
un j
f os oz) or ur —
578 1X. Buehe
Ne tn
von demfelben! (Lebtere hat uns abe "
ders, fehr ennupixt) die Sänger und ©
trefflichteit wa: daS nun ©
an feinem. Dat ud. Stelle erfheint;
und Donzelli, trefflicher Baryton, hatten
viel zu fingen, wie Baader in Olympia; vor
me und Kraft und Stärke — die oberen Töne Fiftel
leicht, fo in Einem Webergang, als ob's nichts Bef
dann. der berlihe Waf Labladde, dann- Botticeli,
Gegen das Metall diefer, befonders der Männer! ir
der Klang aller Stimmen in Berlin, die M
ausgenommen, ein Unreines, Rohes, Raubes oder
— wie Bier gegen — —
feurigen Wein ſage ih, — keine Fault
6, An den D. Gabler, 517
Bedingung, von polizeilier Seite die Gewißheit zu erhalten,
daß Sie wegen demagogifher Umtriebe und Gefinnungen nicht
bekannt worden find, Indem ich die Meberzeugung habe, daf
Ihre ganze geiffige Richtung fo wie Ihr Charakter von ders
gleichen Gefhwäge, Gethue und Gemeine Sie ganz entfernt ges
halten, fo wird Ddiefe Seite wenigftens fein Hindernif in den
Weg legen. — Gie werden daher ctwa noch etlihe Wochen
höchſtens auf die Beantwortung Ihres Schreibens zu warten
haben, und der Inhalt derfelben Ihnen über etwaige dermalige
Yusfichten im preufifhen Staate die Entfcheidung geben. —
Meine und Ihre edlen freunde, Daub und Ereuzer, werden,
im all es verlangt würde, gewiß an ihrem Zeugniſſe es nicht
fehlen laffen. -
Dieß allein ift es, was ich im diefer Angelegenheit Ihne
zu fchreiben habe; es redueirt fi darauf, Sie auf das miniſte—
rielle Antwortfchreiben, deren eines Sie auf jeden Fall erhalten,
zu verweifen.
So viel für die Mal; faum bin ic) dazu gekommen, dieß
zu fchreiben; meine frau liegt feit beinahe drei Wochen an ei—
ner harten Krankheit darnieder, und ich habe bittere Leidenstage
und Nächte gehabt; noch dürfen wir keine fidhere Hoffnung auf
Befferung ſchöpfen. Meine befien Grüße an Daub und Creu—
zer; ob der erfle den zweiten Theil von Scleiermaders Dog⸗
matit gefehen?
Der Ihrige
Hegel
6. An ben Vektor und Profeffor D. Gabler in Balreuth.
Berlin, den 4. März 1828.
Ih, der der erfle hätte feyn folen, Ihnen, hochgeſchätzter
Freund, für das mir und dem Publitum gemachte Gefchent
Dank abzuftatten, der ohnehin längft auf Ihren, mit dem güs
576 "RO —
wohnen wollte, weil der Kaifer u
war, allein man durfte nicht fo
meftihe Menge von Menfgen dr
Manöuvre bald ab und id he
habt, als ein paar Stunden ge
(an, — bci in (0 dm van 2
hend oder fichend, fige nur Q
mb Sorde im Zoe; vr,
fondern nur pantomimifdes 2
Eafperl gewefen und alfo jegt audi
„ ding geſehen. — Es iſt nicht —
griff davon zu geben. Die S
Schuſter, — die Stüde in denen er ff
Donna — Di Sie im A, — 8
fel, — alfo gar BR berord
tomiſche Stüde. — Schuſter ift ei
m re un nie en ul
hen gefehen, ein leiner, butliger Mat —*
— Bere Bene ae c fonft fent
moralifh lahm, — die übrigen Akteurs unendli
langweiliger, als die mittelmäfigen in Berlir
dauerte etwa eine Stunde, dann — *
fit, — die ewige Geſchichte vom Harlekin n
Da je Ba ma ie Of in
keit angefehen, — dieß ift eine ganze $
nigteiten, — Gaffenhauer, Zangmuftt, rap u
tehalb Stunden ohne Raſt und Ruhe fort. -
hat mich fehr unterhalten, — man bat kaum Zeit |
— denn immer kommt etwas Neues
mit der größten Luftigkeit, —
darin vor, — keine Beinausſtreckereien, zũe
gereien, — kurz, TR ergögt kam ich, be
davon nad Haufe. 4J "A
’
4. An Goethe. 507
bar zu erkennen gehabt, daß Sie das Pflanzenweſen feiner und
unferer Einfachheit vindieirt haben. Knochen, Wolken, kurz Als
les führen Sie ung näher herbei. — Wenn ic) nun wohl aud)
finde, daß Ew. Ercellenz das Gebiet eines Unerforſchlichen und
Unbegreiflichen ungefähr eben dahin verlegen, wo wir haufen, eben
dahin von wo heraus wir Ihre Anfichten und Urphänomene redhtfers
tigen, begreifen, — ja wie man es heißt, beweifen, deduciren,
konſtruiren u. f. f. — wollen, fo weiß ich zugleid, daß Em.
Ercelleng, wenn Sie uns eben keinen Dank dafür wiffen kön—
nen, ja Ihre Anfichten, felbft das Stichelwort: Naturphilofophifch,
dadurch anfriegen Fönnten, uns doc toleranterweife mit dem
Ihrigen fo nad) unferer unfhuldigen Art gebehrden laffen, —
es ift doc immer noch nicht das Schlimmfte, was Ihnen widers
fahren ift, und ich kann mich darauf verlaffen, daß Ew. Excel⸗
fenz die Art der Menſchennatur, daß wo einer etwas Tüchtiges
gemacht, die Andern herbeirennen und dabei aud etwas von dem
Ihrigen wollen gethan haben, ertennen. — Ohnehin aber haben
wir Philofophen bereits einen mit Ew. Ercellenz gemeinfchaft-
lichen Feind — nämlid an der Metaphyſik. — Schon Newton.
hat die große Warnungstafel angefhlagen: Phyſik! hüte dich
vor Metaphufit! Das Unglück aber ift, daf, indem er dieß
Evangelium feinen Freunden vermacht und diefe es treulich ver—
tünden, er und fie damit nichts Anderes geleitet haben, als nur
die unzählbaren Wiederholungen des Zuftandes jenes Englän—
ders zu geben, der nicht wußte, daf er fein ganzes Leben hin—
durch Profa gefprochen. Diefer kam am Ende doch jur Cin-
fit, jene aber find dermalen nod nicht fo weit, zu willen, daf
fie verdammt ſchlechte Metaphyfit ſprechen. I Taffe es aber,
von der Roth, den Phyſikern diefe ihre Metaphyſik zu ruiniren,
noch etwas zu jagen. Ih muß auf eine der Belehrungen Ew. Er-
cellenz zurücdtommen, indem id) mic) nicht enthalten fann, Ihnen
noch meine herzliche freude und Anerkennung über die Anſicht zu
begeigen, die Sie über die Natur der doppelt zefrangirenden
!
|
—
|
|
A — Du um
Tage in Mranjücz find noch nicht ganz v
5. Anden D. Hinriche, 509
Religionsphilofophie, bin alfo damit veranlaft, meine Gedanten
ohnehin nad diefer Seite zu wenden.
Sie fordern mid auf, in meinem Vorwort meine Gedan—
ten über die Tendenz Ihrer Schrift zu fagen; erlauben Sie
mir aber, bier fhon ein Urtheil gegen Sie und vornchmlidy
meine Wünfche über dasjenige zu äufern, was id) für vortheile
baft hielte, daß Sie für diefe gewichtige Abhandlung, in Rüde
ſicht auf ihre Richtung gegen das Publitum, und auf die Ein-
richtung derfelben noch vornähmen. Dieſe Wünſche beziehen ſich,
wie gefagt, nicht auf den Inhalt und die Sache und deren
Darftellung felbft; mein Urtheil iſt, dag Sie ſich in der Sache
mächtig gezeigt, und id; habe mit wahrer Satisfaftion Ihr ties
fes, fpekulatives Eindringen erfannt; Sie geben mit diefer
Schrift einen genügenden Beweis für Ihre Fertigkeit und Prä—
fenz, in den höchſten Negionen der Spekulation mit Beftimmt-
heit und Freiheit fi zu bewegen, in einem konſequenten Gange
die Sache aus dem denkenden Begriffe zu produciren und Forts
zuführen, — Einzelne Belege von diefer meiner Befriedigung
will ich nicht anführen, — idy babe and), wie gefagt, nicht alles
Einzelne durchgemacht — aber z. B. Ihre Darfiellung vom
Beweifen des Daſeyns Gottes, von dem, was Manifeftation iſt,
von Gewißheit und Wahrheit — u. f. f. die Darftellung der fchels
ling'ſchen Philofophie fo wie der vorhergehenden u. ff —
die dialektiſche Nothwendigkeit des Fortſchreitens — u. " fs
haben mid) recht fehr intereffirt. I n
Meine Wünfche betreffen äußere Juthaten, um den RER
— db. bh. nicht bloß den ſchon mit der Spekulation vertrauten, —
defto cher einzuführen. Ihr Gang ift eine Vertiefung in dem
Inhalt, der gediegen fortwaltet, ohne dem Lefer Ruhepunkte der
Reflerion zu geben; ſolche, fo zu fagen hiſtoriſche (nicht von äufes
rer Hiftorie, fondern von der Vorhererzählung defien, was’ Sie
ist im Gedantengange vornehmen werden, ‘genommen ) wilrden
zur nöthigen, fogenannten Berftändlichfeit ungemein beitras'
san; da in cn halten Sünde d e italienifeh
vorfieht. a ln
7. An Duboc. 523
So ift denn die Idee, in ihrer höchften Bedeutung, Gott, allein
das wahrhaft Wahre, d. i. das, wo der freie Begriff an feiner
Odbjektivität keinen unaufgelöften Gegenfag mehr hat, d. i. auf
keine Weife in Endlichkeit befangen if. — Zweitens bemerke
ich, daß zwar wohl folde Definitionen, wie die Jdee ift die Eins
heit des Seyns und Nichts, des Begriffs und der Objektivität,
des Beränderlihen und Unveränderlichen u. f. f., — und folde
Säge: das Seyn ift Nichts, der Begriff iſt die Objektivität,
das Ideale ift das Reale und umgekehrt u, f. f., aufgeftellt wer—
den müffen, daf aber zugleich nöthig ift zu wiffen, daf alle ders
gleichen Definitionen und Sätze einfeitig find, und die Oppofls
tion gegen fie infofern ein Recht hatz der Diangel, den fie an
ihnen haben, ift eben diefer, daß fie vornehmlich nur die Eine“
Seite, die Einheit, das If, — ausdrüden, und damit nicht
auch den vorhandenen Unterfhied (das Sehn und Nichts u. ff.) _
und das Negative, das in Beziehung folder Beftimmungen liegt.
Reinhold's Weife fih ausjudrüden: unterfheidende Vers
einigung u, f. f. hat hierin ihren fehr guten Grund. Meine
Anſicht ift infofern, daß die Idee nur als Procef in ihr (wie
Werden ein Beifpiel if), als Bewegung ausgedrüdt und ge—
faßt werden muß; denn das Wahre ift nicht ein nur ruhendes,
feyendes, fondern nur als fich felbft bewegend, als lebendig; —
das ewige Unterfcheiden und die in Einem feyende Reduktion
des Unterfchiedes dahin, daß er kein Unterſchied iſt; — was
auch Empfindungsweiſe aufgefaßt, die ewige Liebe genannt wors
den ift; nur als diefe Bewegung im fi, die ebenſo abfolute
Ruhe if, ift die Idee, Leben, Geift.
Dod es ift Zeit zw fchließen, und ich füge daher nur noch
dieß hinzu, daß ich dafür halte, daß diefer Inhalt in allem äch—
ten Bewußtſeyn, in allen Religionen und Philoſophien vorhan-
den, daß aber unfer jegiger Standpunkt ift, denſelben ent—
widelt zu erkennen, und dieß nicht anders gefhehen kann, als
auf wiſſenſchaftliche Weife, welche dann zugleich die einzige Art
c 7. An Duboc. 525
Mißgeſchick über mir; jeden Brief, den ich fehreibe, fehe ich mich
genöthigt, mit Bitten um Verzeihung anzufangen. Indem ic)
aber jegt unabänderlih an die Beantwortung kommen will, habe
ich Ihre beiden Briefe, die id mir vor Kurzem zu diefem Bes
hufe befonders legte, nicht vor mir; um die Zeit und Luft nit
wieder mit Suden hinzubringen, muß id) nur aus der Erinnes
rung ſchreiben. Es find philofophifhe Bedürfniffe und ragen,
die Sie: mir vorlegen, und die mir Ihr gründliches Intereffe
und Bemühen für die Erforfchung der Wahrheit bezeigen;: uns
ter den Beranlaffungen zur Zögerung ift dann auch diefe gewe—
fen, daß ich die Apprehenflon haben kann, in einem Briefe den
Gegenftand, um den es ſich handelt, nicht genügend auseinander
fegen zu können. Ih will es nun verfuchen, freilich nur nad)
Anleitung der Erinnerung, mid) über die Bedenklichkeiten, die
ſich bei Ihnen erheben, zu erklären. Die eine entfland, wenn
mir recht ift, zunächſt über das Nefultat meiner Exrpofition des
Kaufal- Zufammenhangs. Was Ihnen dabei auffiel, ſchien mir
nicht fo fehr die Natur diefes Begriffes felbft zw betreffen, als
vielmehr die Folgen, welde es für andere Erkenntniffe haben
würde, wenn jener Begriff nicht Stand hielte. Außerdem daf
ich hierüber bemerken würde, daß die Begriffe ohne alle Rück—
fiht auf Anwendung und Folgen zu betrachten, im der Logik
ganz unerläßlich fen, und diefelben ganz nur für ſich fliehen oder
fallen müffen, würde ih Sie an das Refultat der kantiſchen
Dpilofophie erinnern, mit weldem Sie bekannt find, und das
in Rüdfiht der Verftandesbegriffe dahin gebt, daß vermittelt
derfelben ſich nur Erfcheinungen erfennen, aber nicht das Wahre
fi) in jene Formen faffen laffe. Es handelt fih in diefer Une
terfuchung nur darım, weldes die Gedankenbeſtimmungen ſeyen,
die fähig find, das Wahre zu faffen. Es ift darum nichts vers
loren, wenn diefer oder jener Begriff ſich dazu nicht befähigt
zeigt; dergleichen Beftimmungen find in der endlihen Welt zu
Haufe, oder das Endliche ift eben dieſes, in ſolchen Beflimmuns
4
5 IX. Briefe,
Freitag, den 1, Ok
— Ich fühle noch die Müdigkeit von dem geftrigen
dieß. war ein flarker Marſchtag. — Nah der Schreibfhunde, k
id mit Dir gehalten — (id) meine, ohne bei Die zueril
geſprochen zu haben, nicht ausgehen zu Pönnen), ging id
nächſt nod einmal in die Fürſtlich lichtenſteinſche Gallerie;
wenn ich noch zehnmal hinginge, würde ich ihre Schäte
erfhöpfen; — bis 12 Uhr darin geflanden, — dann auf
Währing, — jene Gallerie ift eine halbe Stunde beinake
fernt, — von da, — um meinen Kollegen, den Profefor
biefigen Lehrkanzel der Ppilofophie, Rembold, aufzufucen. &
ift nicht fo alt wie ih, ein ordentlicher Landsmann von mi
dem melne Schriften nicht unbefannt find, — nur bleiben di
Leute hier alle zu fehr verhocken, — das Reifen und ſich un⸗
thun geht ihnen nicht fo leicht von flatten, wie und, — In
da über einen Donauarm geſetzt — und in den Aurgartır m
Mittageffen, noch nie fo wohlfhmetend und wohlfrilet ds
meinem Gaflhof (mo das fatale Karteneffen flatt hat) md mi
gütemn Appetit gegeffen; hierauf im Mugarten mich umgeſha
Der Garten if ebenſo gehalten wie der in Schönbrunn, —
breite, großartige Aleen, — die Bäume, Gefträuche in du
Gängen zu ſenkrechten ebenen Wänden gefchnitten, die Bäum
wie Fächer, oder wie wenn Du an einer Birne den Stiel läflh,
und fie auf ihm zu einer Scheibe fehneideft, die fo did ift, mr
der Stiel, — fo daf man nur zwifchen den Bäumen, nicht un
ter Bäumen und Laub fpaziert, und immer den Simmel, de |
heute befonders fchön blau war, über fi hat; auch flcht di
Sonne ſchon tiefer, alfo Schatten von den Wänden, — Dtm
am Ende des Yugartens ift eine Ausſicht auf den reichfien Grund,
der die, etwa eine Stunde entlegenen, Hügel — Leopoldsberg,
Kabhlenberg zur Begrenzung hat, — in der ſchönſten Beleuch⸗
tung, die ſchönſte Landſchaft! — Um ſolche Punkte find mir
hier zu beneiden. — Hierauf in den Prater — ein Wald, wie
7. Un Duboc. 527
redliche Forſcher, wie ich aus den Zeitungen erfahre, vor Zurzem
geftorben ift, und befonders auch von Ihnen betrauert worden
ſeyn wird, — und die Schottländer dem Wahren und deffen
Borftellung zu einander geben; — daf nämlich das wahre Schn
an fih wahr, und das Vorſtellen nicht zu feiner Worausfehung
babe; das menfchliche Vorſtellen fege dagegen jenen unabhäns
gigen Gegenftand voraus, und wiffe die Wahrheit nur als eine
relative Uebereinſtimmung mit fi, die Wahrheit des Seyns an
ſich ſey dagegen abfolute Webereinftimmung des Seyns mit
ſich floh.
Weil es nahe liegt, will ich hier die Bemerkung machen,
daf, wenn von dem Seyn dieß gefagt wird, daß es eine Ue—
bereinflimmung feiner mit ſich felbft fey, und dann doc von
demfelben als einem Unerkannten und Unerkennbaren gefprochen
wird, — damit das Grgentheil von dem gefagt wird, was fo
eben gefhehen, — denn die Beflimmung von dem Schn, daf
es die abfolute Webereinftimmung mit ſich ſelbſt fey, iſt ja eine
Denkbeſtimmung, d. i. eben hiemit wird es gedacht und in fo
weit erkannt. — Alle jene Säge übrigens, in fofern fie ſich
eben auf die Natur des Vorſtellens bezichen, gebe ich ganz zu;
Vorfiellen ift allerdings das nur im Nelativen firhende, d. h.
mit einer NMorausfegung behaftete Erkennen. Aus demfelben
Grunde aber enthalte ich mich des Ausdruds, 3. B. das Abſo⸗
lute als Einheit des Vorſtellens und Seyns zu bezeichnen,
Das Vorftellen gehört einem andern Boden an, als dem der
Erkenntniß des Abfoluten.
Bon bier gehe ich zw der Darftellung über, die Sie von
ineinen Gedanken madhen, und worüber Eie ein Urtheil von
mir haben wollen. Es hat mich gefreut zu fehen, wie tief Sie
eingedrungen find, und geradezu den Punkt, wo die Sache am
fpekulativften ift, ergriffen haben. Zunächſt will ic aus dem
Gefagten wiederholen, dag ih dem Inhalte der reinhold’fchen,
ſchott'ſchen u. f. f. Vhilofophie nicht entgegengeſetzt bin, fondern
*
8. An Ravenftein. 529.
8. An Kabenftein,
Königl. Preuß. Premier- Lieutenant,
Ih habe recht fehr um Verzeihung zu bitten, auf Ihr bee
reits am 5. v. M. gefälligſt an mid) gerichtetes Schreiben nicht
früher geantwortet zu haben; was id, über diefe Verzögerung
anzuführen hätte, daß es mir mit der Korrefpondenz überhaupt
nicht anders zu gehen pflegt, würde mehr nur eine Erweiterung
meiner Schuld, als eine Entihuldigung abgeben:
- Es konnte mir nicht anders, als fehr erfreulich fehn, aus
Ihrem Schreiben zu erfehen, daß das, was ich im der Philofos
phie verfucht, Zuflimmung bei Ihnen gefunden; fo fehr der in
feinem Denten lange einfam Beſchäftigte, für ſich in feinem
Gange Befriedigung finden mochte, fo fehr wird es ihm zur et=
frewlichen Bewährung und Stärkung, in dem Geiſte Anderer
eine Zufiimmung ihm entgegenfommen zu ſehen. Solde Theil—
nahme, wie Sie bezeugen, muf mir um fo werther feyn, als.
ein tieferes Intereffe an den großen Gegenfländen. unſeres Geis
ſtes und der Ernft des dentenden Studiums derfelben ſich auf
MWenige zu befchränten pflegt. Diefelbe ift au ein reiher Er—
faß gegen die Berunglimpfungen, deren Sie erwähnen; gegen
diefe hilft nichts anderes, als abgehärtet dagegen zu ſeyn, und
man wird dief um fo leichter, als ſich bald zeigt, daß die, welche
ſich foldye erlauben, nicht einmal die billige Forderung erfüllen,
eine Kenntnif von dem zu haben, was fle verunglimpfen,
Was Ihre Anfrage über eine frühere Schrift von mir:
„‚Meber die Differenz der fichtefchen und ſchelling'ſchen Philoſo—
phie“ betrifft, fo ift mir bekannt, daß diefelbe feit langem nicht
mehr im Buchhandel ift, wie ich felbft fie auch nicht befige und
nicht mehr zu einem Eremplare derfelben habe kommen können.
Ihren Wunſch, die Abfchrift eines Heftes von meinen Bors
lefungen über die Wiffenfhaft der Religion zu erhalten, weiß
Bermiichte Schriften. * 34
588 ux. Briefe
Hente Morgen habe id) ausgeruht, dann die Eilway
ſchichten arrangirt, — hierauf einen Gang win ein paar Baſth
gemacht, dann in die Burgkapelle gegangen, wo ich die
gehört; ich ſtand nicht nahe genug, um Miles zu werfichen,-
nur ſchöne Spradr, Organ und Anſtand "wahrgenommen,
dann der Mefje beigewohnt, — bier ſchöne Muſik,
don den reinen Knabenflimmen, — und was die Haupiſeh
war, dabei den Kaifer und die Kaiferin fchr gut geſchen; jeun
iſt in der That ein ſehr würdiger, ſchöner Kopf, — auch In
tleinen Napoleon, wie ihn die Leute nannten, die ich nad im
Namen des kleinen Prinzen fragte, — ein Schöner Knabenten
dunkelblonde Haare, ruhig, ernſt und natürliche Haltung.
Auf dem Rückwege durch die Promenade hoffte id, cm
Gelegenheit zu haben, Dir von der hieſtgen Eleganz der Dans
eine Beſchreibung machen zu fönnen, — aber ich fah hier m
bürgerlie Leute; die vornchme Welt ift wohl nur zu Ban
im Prater zu fehen. Was ich hier aud in der Oper fah,it
mir weiter feine beflimmte Vorftellung, es ift mir nichts Bei
deres aufgefallen. — Es fiheint mir, nad) dem, was ich gelte
den, die Eleganz wenigſtens nicht größer, als bei Euch, und in
breites, platſchiges Schuh> und Gangwefen ift gewiß hier al
gemeiner als in Berlin. — Die Nusladen fiheinen mir chen
fo zahlreih, — Fleiſch- und Wurfiläden, neben Damenhüten, —
Silberläden neben Säulen u. f. f.; die verdanmt vielen Schnapt
boutiquen, Schnapstifche, Schnapsfneipen u. f. f., die fih in |
Berlin allenthalben einniften, ficht man nicht. — Nun u
Mahlzeit; diefen meinen Brief ſchließe ih noch nicht, er wird
der legte von hier ſeyn, und dann möchte ih ſchneller fliegen
können — als die Briefe. — Heute aber iſt erfier Met der
Zelmire, und weil morgen Franzens Tag ift — in allen Thea⸗
tern der Gefang „Gott erhalte Franz den Kaifer.“
|
J
9. An Varnhagen von Enfe. 531
gefegt hätte, zu dem allgemeinen Intereffe, das mir rin Wert
von Ihrer Hand, und ſo auch dieſes, bei dem. erſten rapiden
Durchlaufen erwedte, und zu der Empfindung über das Freund⸗
ſchaftliche der Gabe etwas Näheres über den eigenthümlichen
Eindruck und die befondere Belehrung, die ich fah, daf id) dar-
aus gewinnen würde, hinzu zu fügen, als id) Ihr zweites Ges
ſchenk empfange, mit dem Sie mir die Ehre haben erweifen
wollen, meinen Namen in nähere Verbindung zu ſetzen. Sier⸗
über darf ich es nicht anſtehen laſſen, Ihnen zu bezeugen, wie
ſehr ich den Werth dieſer Auszeichnung und der höchſt verbinds
lien Art, die den Werth derfelben faft bis zu einer Beſchä—
mung erhöht, empfinde. Ich thue dieh jedoch mit matten Kopfe,
denn ich habe die wunderbare Anfhauung, die Sie und darger
reiht, vergangene Naht noch verfchlungen, das Meifte gelefen,
fo daf ih von den vielfachfien Exrregungen durchbewegt bin.
Wenn in Zinzendorf das Innere ohne Entwiclung, beinahe
ohne Täufhung und Kampf, von früher Jugend an entſchieden,
und er nur diefe Individualität if, ohne Individualität ein fer
tiges Werkzeug feines feften Höchften zu ſeyn; fo führen Sie
uns in Erhard einen erflaunıngswürdigen Autodidattos vor,
und der es nad) allen Beziehungen ift; unter dem großen Reiche
thum des Stoffs von Intereffe und Geift verfehlt ihre Wirkung
die wunderbare Erſcheinung nicht, die fi ihm von der Jugend-
macht feines Gemüths als ein Neft tvew erhalten hat, und die
Sie mit dem tiefen Sinn für Individualität, der Ihnen fo ei—
gen ift, fo treffend und ſchön S. VII bevorworten. Aber ih
darf mic auf die Fülle von Anregungen, Stimmungen und Be—
trachtungen, die in mir erwedt worden, nicht einlaffen, um. die
Bezeugung der befonderen dantbaren Empfindung nicht ju vers
zögern, mit der mich das Freundſchaftliche Ihrer Güte erfüllt
bat; ich verdanfe derfelben ſchon fo mannigfaltige Genüffe und
Belehrungen; wie ich jede Ihrer Produktionen mich mit foldem Ges
winn erfüllend finde, eben fo ſehr vermehrt jede die Hochachtung,
34 =
532 1X. Briefe
die ich Ihnen gewidmet und deren Ausdruck und weinen ver
bindlichften Dank ih Sie gütig anzuncehmen bitte.
Berlin, d. 23. Mai 1830, "$Begek
| iu i urud
10, An ben Profeffor Band, _ u
Berlin, den 3, Oftbr. 1826,
Auf das zweite, gefebäftsgewichtige Bülletin, — das ich
heute erhalten, — mit umlaufender Pol, in Eile, — vor Allem
aber mit rüdwärtsfehender angenehmer Erwiederung auf das
erſte, nicht anders, als mit anerfennender Belobung der Preis:
würdigkeit und Nüglichkeit der mehreren Subjette, in’s Befon-
dere meines gehörig gefchägten Freundes Wendt, — eines Dians
nes, wie auserlefen zum Wefen ꝛc., welde Sie auf diefem, von
mir in Deffan bei fo ſchönem Wetter und in fo vergnüglicher Ges
feltfchaft, fo oft mitgewünfchten Wege, zufammgepuftet, auf daf
Andere thun mögen, was für den großen Zweck geſchehen muß. —
Auch Marheineke, wie ich zum Beften unferer guten Sache hier
anführe, ift nicht ohne ſolche reiche Aufrührung Anderer zurück⸗
gefommen. Was Döderlein’s Behandlung betrifft, denke id
wohl, daß Sie diefelbe nicht vollftändig befhrieben, nur feine
Eigenthümlichteit gemeldet, die für fi die Würde unfers Un—
ternehmens von oben herab benchmen that, als weldhes Keine
Recenfir-Anftalt und fein Engagiren an eine Recenfir-Anfalt
involvirt, — freilich fönnen unfere Gelehrten nur nad und nad
fih zum Standpunkte eines rohen Canevas erheben, den fie als
ihrer, nicht unferer eigenen Aktivität zuftehend, anfehen zu ers
nen hätten; — kaum dürfen wir rotten boroughs merken
laffen, um unfre parlamentarifche Haltung gehörig zu ſchützen.
Es ift nicht anders als zweddienlih und nothwendig geweſen,
daf Sie von Nürnberg gleih nach Stuttgardt geeilt, nachdem
ſich weder fonft die beftellten und felbft vorgehabten Briefe Cot-
ta's noch auch am erfien Drt bei dem Gewürzkrämer Küffner die
10. An Gans. 633
gerünfchte Auskunft gefunden. Daß Sie mit Cotta abgefchlofs
fen, dieß ift num die, d. b. Eine Hauptſache, — denn Sie wife
fen, daß zu Einer Sade viele Hauptſachen gehören. Nun Glüd
auf! Gut! Recht! Um fo zweckmäßiger und verdienfllicher, ja
nothwendig, zeigte ſich die Reife. und perfönlide Gegenwart; —
Eotta fett in fo vielen Werwidlungen und Zufammenhängen,
die es erfhweren, eine bedeutende Sache rein herauszufchälen
und feft zu machen, die felbft ein fo- weitläufiger Komplex if;
er. blieb auch vorher dunkel über foldhe weitere Anknüpfungen;
hatte er uns, ja felbft feinem Gefhäftsträger, dem Gewürzträs
mer Küffner, nichts davon zu verſtehen gegeben, fo fegelten wir
über Klippen und Untiefen, wo wir reine Fahrt fahen. — Denn
freilich Münden’s Glanzſchwangerſchaft ift drohend für uns; es
find drei Requifite, mit denen eine ſolche wiſſenſchaftliche Epoche
fih, — und wehe! ob nicht auf unfere Koften, verfehen muß;
4): berühmte Namen — deren Ruhm werden Sie wohl in Mün⸗
hen erfahren; 2) eine thätige Buchhandlung, d.h. eine ſolche,
welche ſchlechten Autoren ein beträdptlides Honorar bezahlt, und
auf weißem Papier druden läßt, und mit. Unternehmungsgeift,
mit oder ohne Kapital, nad einem Jahre -inen eklatanten
Bankrutt macht; 3) eine Literatur= Zeitung, nämlich) aber wie
nie eine gewefen, d. h., wenn nun Gott den Schaden. befieht,
jo alltäglich oder alltägliher als je andere gewefen find. Den
Eotta, an deffen Eifentopf fo viele diefer Glanz = MUniverfitäts-
Schwangerſchaften und ihrer Buchhandlungen. vorübergegangen
und darin hart geworden, hat das neue jüddeutfihe Zion der
Wiſſenſchaft breit zu ſchlagen bis jest nicht verſtanden.
Und ſo fichen uns denn defto herrlichere Ausfichten bevor,
‚höheren, welthiftorifchen. Styls, die Vereinigung des ſüdlichen
Deutſchlands, das auf feinen eigenen Beinen hocdhgefinnt gegen
uns treten wollte, und des nördlichen Deutfchlands, — eine Bers
einigung, die fhon auf’s MWürdigfte begonnen, und von um fo
gründlicherer Wirkſamkeit feyn muß, als für die patriotiſchen
—
534 1X. Briefe,
Baiern, — fomit auch in’s Befondere für Thierſch, — ſolch ein
Vorzeig ein Panier ift, dem fie gern und patriotiſch, ja felbft
mit Enthufiasmus, zu folgen fih gedrungen fühlen, "Diefe Ans
fit a priori zu faffen, war übrigens überflüffig; ſie wird ſich
Ihnen ſchon von felbft genug, — bei Altbaiern in's Befondere
aufdringlich machen, als das einzige Motiv, womit fie zu bes
ſchwichtigen wären, — für ſolches Nachgeben und Weichwerden,
wie es Thierſch fhon angefommen feyn, fol. Mebrigens haben
Sie. von felbft die weiteren Titel in Händen, die Einladung, der
etwaigen Brauchbarkeit Thierſch's, Fr. v. Bader’s und einiger
wenigen Anderen, — deren berühmte Namen Sie in Münden
erfahren werden, — meines Freundes Niethammer wirkliche Thür
tigkeit, — dann eine pfychologifhe Hauftgrundlage an der ine
neren Gewißheit, auch der Hohlen, von der Unzulänglichkeit,
Leerheit und barbarifchen Unbrauchbarteit der Eifrigften, —
ſchließlich zu erwähnen, daß Sie mit Cotta abgefchloffen, alſo
nur die weiteren Zwecke, die weitfchweifige Bemantelung (womit
Eotta zufrieden zu machen), die große welthiftorifche Abficht der Wers
einung und das Zufammenpuften Underer, die arbeiten, feyn werden.
Alles diefes alfo zur freundlichen Erwiederung Ihrer gefällis
gen Bülletins, um deren Freundfchaftlichkeit und Vergnügliche
feit dankbarft, — fo weit es von Weitem feyn kann, — zu ho—
noriren, — fo wie meinen Dank für die gefällige Beforgung
der Angelegenheit bei meiner Schwefter. eo
Nun noch, was ich feither an hiefigen Newizteiten geſam—
melt; — Grillparzer war hier, ein recht ſchlichter, verftändiger
und eifriger Mann, — dann haben Raupach's Nachtwächter
nicht zu ihrem Vortheil getutet; fie haben vorgefleen in Pots⸗
dam geblafen; ob den Herren da weniger Schaden geſchehen, ift
mir noch unbewußt. — Profeffor Blum ift gegempärtig hier
auf feiner Durchreiſe; — Leo iſt in gefiriger Sigung bei der
Bibliothet mit 406 Rthlr. amgeftelit worden. — Profeſſor
Abegg aus Königsberg ift hier, er und ich wermiffen Ihre Ans
10. An Gans. — 41. An Goſchel. 535
wefenheit, er hat ſich friminaliftifd und kriminell Schunte’s und
fomit Puchta's Journal angefchloffen, hat ein und andere Mo—
ralia für Sie in petto, womit wir ihn aber nicht auf kommen
laffen. — Bon Hülfen ift heute abgereif't. — Meine Büfte
ift fo gut als fertig. — Carové wird in wenigen Tagen hie»
ber kommen; man könnte Pläne — zu Furrenter, betriebfamer,
läufiger. Setretariats= Arbeit mit ihm haben. — Die Kunftaugs
ftellung hat feit zehn Tagen begonnen. — Mit Ihrer Nach—
hauſekunft hoffen wir Bericht über den Beginn. und die Yus-
ſichten zw unferem erſten Hefte zu erhalten, Die, herzlichfien
Grüße an Hotho und an meine lieben, theuren mündner Freunde,
und an Sie, mein lieber und geſchätzter Seumd, deffen Bulk
ſchaft ich fo oft vermifle. —
Ihr
Hegel,
41. An ben Oberlanbeggerichtgrath Göſchel.
Es ift ſchon geraume Zeit, über ein Jahr, daf id) von
Ihnen den freundlichen Brief erhalten, der mich benadprichtigte,
wie gütig Sie die Freiheit, die ich hatte nehmen wollen, Ihnen
perfönlich meine Hochachtung zu bezeugen, haben anfchen wol-
len, und defien wohlwollender Inhalt und fo gewichtige Worte
für das Zeitverhältniß zu fpefulativer Erkenntniß, mid für das
Mifglüden jenes Verſuchs ſchadlos hielt. Ich habe über ſolche
ungehörige Verſpätung meines Dankes Sie recht ſehr um Ver⸗
zeihung zu bitten und. meine fehr große Entſchuldigung zu ma—
hen. Was müffen Sie über folde Vernachläſſigung denken, —
habe ich mir freilich oft fagen müffen, — während mir, voll
von der innigen Verehrung gegen Sie, an der Erhaltung, Ihrer
gütigen Gefinnung gegen mich fo ſehr gelegen iſt. Ganz darf
ich nicht darüber weggehen, bie Entſchuldigungegründe a
führen; als den hauptſächlichſten muß ich eine Zriofpnkrafe
11. An Göfchel. 537
rismen zum Mitttelpuntte der Diskufflon hätten werden müf-
fen; (— biefelben find [per parenth.] bier aud in höheren
Kreifen betannt und gelefen worden; — doch pflegt aud) da—
feloft die Wirkung nur etwa bis zum Verſtummenmachen zu
gehen;) dazu aber haben fie wohl mächtig mitgewirkt, daß die
Apprehenfion vor Philofophie und damit etwa auch vor Phi-
lofophen fi gemildert haben mag, worin die erwünfchte Bes
quemlichkeit, diefelbe num ruhig auf der Seite liegen laſſen zu
können, gleichfalls ſich befriedigt findet, Indem ich ganz da»
mit übereinflimme, daß, wie Sie in Ihrem Schreiben jagen,
von Seiten der Philofophie das Anerkenntnif des; Inhalts des
lebendigen wirklichen Glaubens nicht genug wiederholt werden
tönne, ſo kann man es zugleich wohl bedauern, daß in jener
lautgemadhten Angelegenheit fo wenig Inhalt aud von diefer
Seite zum Vorſchein gebracht worden, und die Angriffe eine fo
fubjettive und perfönlihe Haltung hatten. Die andere Seite
hat fi in ihrer Weiſe mit der formellen Freiheit zu deden ges
ſucht, und ſich wohl gehütet, ihre Blöße aufzudeden; die Bes
hauptung diefer fogenannten Freiheit hat für fich eine immenfe
Popularität, und thut au darum fo trogig gegen einen Ans
griff, weil fie foldem, der das Dogma und die Form der Kirche
vertheidigt, die gehäffige Wendung eines Angriffs auf Amt und
Brod der Individuen zu geben, gleich bei der Hand ift; es ift
ein ähnliches Verhältnif, daß diejenigen, welche die Rechte der
Regenten und des Staats vertheidigen, für ſich der Servilität,
in Anfehung der ebenfo feihten Staatslehrer und Redner, —
als. es in der Religion die Rationaliften find, der, Abſicht, fie
den Regierungen verdächtig machen, und deren Ahndung auf fie
ziehen zu wollen befhuldigt werden. — Doch hat gegenwärtig
das ungeheure politifche Intereffe alle anderen verfhlungen, —
‚eine Krife, in der Alles, was fonft gegolten, problematifih ge—
macht zu werden ſcheint. So wenig ſich die Philofophie der Un—
wiſſenheit, der Gewaltthätigkeit und den böſen Leidenſchaften
IX, Briefe.
diefes lauten Lärms entgegen fielen kann, fo glaube ich kaum,
daß fie im jene Kreife, die fi fo bequem gebettet, eindringen
könne; fie darf es fih, — au zum Behuf der Beruhigung, —
bewußt werden, daf fie nur für Wenige fey. Indem ich mid
daran gewöhnt, in dem Treiben derfelben die Befriedigung mei-
nes Geiftes zu fuchen, fo ift es mir zugleich höchſt erfreulich und
erquidlic, wenn einiges davon in Anderen wiederklingt und id
ihnen auf gleichen Pfaden begegne; wie ſchägbar mir die Be-
gegnung mit Ihnen fey, ſpreche ich mit tiefgefühltem Dante
und mit inniger Verehrung aus; mit diefer erlauben Sie, mid
Ihrer ferneren gütigen Gefinnung zu empfehlen.
Ihr
| ‚Gehorfamer
Berlin, d. 13. Decbr. 1830. Prof. Hegel.
12, An ben D. Fürſter.
Sehr werther Flüchtling!
' Es war am 24. September, daß mic der Inſtinkt me
betrübten Strohwittwe führte, das für mid) von Ihnen beſtimmte
Blätthen abzuholen. Ich habe Ihr blumenbeträngtes Bild mit
berzlicher Freundſchaft begrüßt, Ihnen zu dem glüdlihen Bes
gebnif Ihrer Reife Glück gewünſcht und für Ihre freundliche
Erinnerung und deren Quelle, wie für die gegebenen Notizen
aus Münden, gedankt. Ich habe mit Schelling in Karlsbad
(wohin ich auf der Tour durch Töplig, Prag, dann Weimar, —
zum adıtzigjährigen Jüngling, — Iena, kam) 5—6 Tage in
alter kordater Freundfchaft zugebracht. In Prag bitte ich nicht
zu verfäumen, Herrn Profeffor der Geſchichte, von Henniger
(ſprich: Hennigahr), einen Schwager meines dortigen Onkels
und biefiger Tante, breite Gaſſe, fhlichting’fihes Haus, dem ih
Sie annoncirt, aufzuſuchen, — er ifl mit eigenem Triebe fehr
12. AnD. Foͤrſter. 539
bereitwillig, Ihnen für Nachforſchungen und Materialien zu
Ihren Arbeiten auf alle Wege behilflih zu feyn. Machen Sie
ihm und dann aud Herrn Bibliothefar Hanta meine beften
Empfehlungen, es wird von Intereffe für Sie feyn, einige Tage
für Prag zu beſtimmen. Der König hat ein Eremplar Ihrer
Schrift an Graf Waldftein zum Geſchenk gemacht. Leben Sie
wohl, bald glückliche Rückkehr, die auch die andern vacirenden
Kollegen nad) und nad effektuiren. — Heute wird die Rentree
der Diadame Erelinger (in Gabriele) celebrirt, wenn es nur
nicht ein commencement de la fin (Wien foll ihr ſehr nach
geſtellt haben) iſt.
Ihr
d. 3. Okthr. 1829. treuer Hegel.
An Denfelben.
Lagrime Christi.
Daran können wir nun deutlich merken, daß die Thränen,
die/der Herr über das katholiſche Unweſen ausgegoſſen, nicht
ſalziges Waſſer nur geweſen, ſondern Flaſchen tropf baren Feuers.
Nun will Ihre Freundlichkeit und Güte dem lateiniſchen
Redewaſſer, das ich dermalen durchzukneten habe, mit dieſem
Feuer aufhelfen; ich habe Ihnen zuerſt dafür zu danken, und
wenn dieß Gefäß, das dieſen Feuerſtoff durch zu deſtilliren hat,
ihn nicht verdirbt, ſo ſollen es meine geplagten Zuhörer Ihnen
verdanken, was von Wärme aus mir an fie käme.
Ihr |
Berlin, d. 22. Juni 1830, Hegel
An Denfelben.
* Dann habe ich geſtern noch einmal Ihren Aufſatz
über Raupach's Semiramis geleſen, und wollte anfragen, ob es
2 Zulegt noch einmal meinen Bea
fen Churfütſten, — es iſt in feiner Ar
x —
3m Aa um KLBPT,
13. Seiner Excellenz dem Miniſter han a
Euer Excellenz
halten mir zu gute, nn 16 dem Drunge nahe,
Tagen des herbfien Schmerzes, der noch über
verhängt werden konnte, Diefelben mit diefen Zee an
Was von Gefühlen der Verehrung und Dankbarkeit, von
tanntſchaft mit der ſegensreichen Wirtfamteit Euer’ € ei len; |
Ihrer hohen ‚Stellung, mit den Arbeiten und ſchweren Ei fe
niſſen derfelben, mit den hohen Tugenden des öffentlichen
des Privat⸗Lebens, die der Gegenfiand der allgemeinen Hot
achtung find, dann mit den ſchweren Leiden und Prüfungen, =
Euer Ercellenz von höherer Hand unterworfen mern
von folden Empfindungen und Erinnerungen ſich i
geſammelt hat, vereinigt ſich bei dem Anblick folder h
benswendung in eine koncentrirte Bergepenmärigung,
zur Aeußerung getrieben fühle; und der Schmerz der T
fi) in feinen Wittelpuntt, fid in der Stätte miederzulegen,
er im feinem ganzen Amfange und Stärke und amit 1 ei
13, An den Minſſter v, Altenftein, 541
ganzen Rechte vorhanden iſt; folde Stätte aber ift in dem Ber
zen, von welchem der volle, ausführliche, durch ein’ ganzes Les
ben hindurd erprobte Werth des Gegenftandes diefes Schmerzes
gekannt if, Won folhem Werthe ein Bild haben gewinnen
dürfen, gehört zw den beften und feltenften Erfahrungen meines
Lebens über die Menſchen. In dem Bilde derwerewigten Schwe—
fier Ener Ercellenz wird das Andenten mit allen Tugenden bes
ſchäftigt, die eine weibliche Seele ſchmücken; und wenn daffelbe
von der Worftellung eines: gebildeten Geiſtes, der Bekanntſchaft
mit dem Ernſte des Lebens und der großen Verhältniſſe, und
der noch’ frühern mit den Schmerzen und Leiden deſſelben, aber
der bimmlifchen einfachen Geduld und Ergebung, des lichenden
Mitgefühls mit allen Leidenden, der theilnchmenden Freund—
ſchaft, der unendlihen Liebe zum Bruder, — dieſem flärtiten
Gefühle einer edlen weiblichen Bruft, — von der Reihe der
einzelnen Tugenden gerührt und erfreut if, fo findet es noch den
höchſten Werth und die eigenthümlichfte Anmuth diefes Reiche
thums darin, daß derfelbe ſich im umgerfplitterter Harmonie in
die einfache Blüthe heiterer Natürlichkeit und Geradheit des
Sinnes, ja einer jungfräulihen Jugendlichkeit einer cdeln Nas
tur, zufammengefchloffen befunden hat.
Wenn mir, an der Friſche diefer aus allen —
klar fortfließenden Quelle mich zu erquicken vergönnt geweſen
iſt, wenn auch meine Frau, wenn ich dieß erwähnen darf, an
der Verewigten eine mütterliche Freundin, die an Allem Theil
nahm, gefunden, ſo hat es das unerbittliche Schickſal gewollt,
daß geſtern nichts mehr übrig geblichen war, als mit einer
Thräne und einer Hand vol Blumen und Erde ihre zw nahen,
und zum legtenmale foldyer Gegenwart Abſchied zu fagen. Dieſer
Verluſt verliert fi in dem unermeflihen Werlufte, den Euer Ex—
cellenz erlitten. Das Schickſal hat feine Schläge vollführt;
aber die Vorfehung hat Euer Errellenz die große Sache, die
die Ihrige geworden, und das große Herz gelaffen und bewahrt,
Der Minifter vom Altenftein an Hegel. 543
Ihre verehrte Frau Gemahlin: betraf. Am fo theurer iſt mir
das Denkmal, weldes fie in Ihrem: Herzen hat, und weldes
Sie ihr dur Ihre Aeußerung über fie gefegt haben, Auch
mein Gefühl haben Sie richtig aufgefaft, No läßt der Schmerz
kaum ein freundliches Licht für das mich betroffene harte Ge—
ſchick zu. Es fehlt mir ja das Weſen, weldes bei den härte—
ſten Schidjalsfhlägen als fhügender Engel mir das freundlicde
Licht gewinnen half. Es ift mein größter Schmerz, daf ich
mich von der Idee nicht trennen kann, auch jest noch bei ihr
Troft zu ſuchen, und mit der fih mir aufdrängenden Gewißheit,
daß diefer für mich auf diefer Erde nicht mehr vorhanden fey,
zu einem defto ſchmerzlichern Gefühl des are ——
erwache.
Mit großer Stärke hat die Verewigte, bei der —
Zärtlichkeit, wenn fie auch glaubte, mein Beruf überſteige meine
Kräfte, mid von ſolchem nicht abgezogen, fondern mein Gefühl
für Pflicht geehrt, und nur ihre Anftrengungen verdoppelt, mir
alle Laſten des Lebens abzunehmen, und mid zw erheitern, vers
trauend, daß ich im Schuge der Vorfehung fo lange wirken
werde, als es gut fey. Ich lebe auch jest, nachdem der Hims
mel alle übrigen ſchönen Bande diefer Erde gelöfet hat, einzig
meinem Berufe mit dem Gefühle, daß mich dabei der Verklär—
ten Geift umſchwebe und mid ermuthige, auch bei dem Verluſte
des Theuerften, ihres ſchützenden Beiftandes, fo wenig als bei
früheren Verluften, die fie mir tragen half, und die fie im hö—
beren Lichte zu mildern wußte, zw verzweifeln. So werde ic)
auch ferner ihres Beiftandes nicht entbehren, und fo wird fie
auch aus einer höhern Welt ihren wohlthätigen Einfluß auf
alles das, was in meinem Leben einigen Werth hat, ausüben,
wie fie ihn mit fo himmlifher Milde und Hingebung, ſo lange
fie auf diefer Erde weilte, ausübte, m
Nochmals wiederhole ih Ew. Hohwohlgeboren — in⸗
nigſten Dank für ein fo wohlthätig und erhebend ausgeſproche⸗
Fam überal Mes Haben; — 3 3;
— (in jedem Cafe, Reflauration, oh
ee Liranbourg, wo m
Bentigen Zeitungen zum Lefen nimmt, — |
Geneviive — di **
zu; die Kirche St.
ans: Bathebee «re Die ‘—
Die Gemälbegälferie in Im ko re, — Ein get
14. An feine Gattin. 545
eben folhem Karren, Leiterwagen, unter freiem Simmel weiter
gebracht würde, Hiermit kurz refolvirt, nad) Berlin gefchwind
zurüd zu reifen und meinen Reifewagen abzuholen, und hiermit
gut ausgerüftet, gemüthlich weiter meine Gefundheitsfahrt anzu—
treten, » Mit diefem froben Gedanken, Euch Lieben bald wieder
zu fehen, bin ich dann eingefchlafen und habe recht gut gefchlas
fen; doch, Du fichft, nicht, wie Peter, beabfihtigend zu Haufe
zu bleiben, fondern im Gegentheil recht gründlich auszuteifen.
Erfleres wäre übrigens auc fein Wunder gewefen, denn ich bin
in der That mit größerem Widerwillen, als ich fügen durfte,
auf die Reife gegangen, fo nöthig es mir in dee That geweſen
fepn’ mag.
Uebrigens habe ich gefiern Nachmittag auch, was hier zu
fehen, gefehen; — den berühmten Dom — merkwürdig mag er
fepn, weil er ein Dom iſt; — aber die ganze Architektur ift
nicht eine fo gute Konception, wie die nürnberger gothifchen
Kirchen, und was von Kunftwert inwendig ift, eine Menge Ges
fänigeltes und Gegoffenes, Gemaltes und, Geghpstes, ift gar zu
ſchlecht. Die gegoffenen Upoftel von Viſcher dem Nürnberger)
find nicht mit denen in Nürnberg au vergleichen, Die Gegen—
fände find" ganz in’s Handwerk herab verfallen! Das Liebfle,
was. ich gefehen, ift General Carnot (der berühmte), ein
liebenswürdiger Alter und Franzoſe; — er hat es freundlich
aufgenommen, daß ich ihn aufgeſucht. — Dann bin id) an die
Elbe fpaziert, es lief eine Flotte von 13 hamburger Schiffen
mit hochgeſchwollenen Segeln ein, — ſchöner Strom, ſchöne
unermefliche fruchtbare Ebenen, — der heiterfie Himmel, — —
Sp eben kommt ein Kutfcher, welcher einen Engländer in
drei Zagen nad Kaffel bringt, an den will ich mic anſchlie—
in — — — '
Bermiichte Schriften. * 35
14, Un feine Gattin. 547
Nachdem ich nun den Nachmittag ſchöne Gärten, cinen vis
fernen, 70 Fuß hohen, zum Andenken des gebliebenen Herzogs
‚ errichteten Obelisk, Abends noch eine ſchlechte Komödie gefehen,
fegten wir uns nad 10 Uhr wieder auf die Diligence Cmehe
aber nad) Wolff's Traveflirung auf die Pareſſe). — Die Nacht
war fchön, herrlich leuchteten die Geſtirne. — Beſonders (hen
ging der Miorgenftern auf, Jetzt in der Tagesgegend faher wir
eine andere Phyfiognomie der Natur als bisher, nicht mehr die
unfruchtbaren, oder fruchtbaren Plänen, fondern ſchöne Eichen
wälder, Berghügel, die fanften Abhänge mit Fruchtfeldern, die
Gründe mit Wieſen, — kurz eine heimathlihe Natur. Mit
meinem Engländer kam ich fehr wohl zurecht, — er ift ein
junger Mann von 25 — 26 Yahren, ein ſchöner Mann, guts
müthig, wohl unterrichtet, fommt ans Jtalien, und will durch
Frankreich nad) Konftantinopel reifen, ein Partikulier, nicht all—
zudid, reich, kurz wie ich mie aud in Zukunft Geſellſchafter
wünſchte. In Nordheim, wo wir um 3 Uhr Nachmittag (geſtern
Mittwochs) ankamen, und der Wagen bis gegen 8 oder 9 Uhr
Abends auf einen andern zu warten hatte, bedachte ich, daß es
mir zu unbequem fehn würde, die dritte Nacht ohne Bett und
Schlaf zuzubringen; ich nahm alfo Extrapoſt. — Es ging zu—
erft nach Göttingen, fage indef nur dem lieb. Freund S..., daf
ich als ordentlicher berliner Profeffor mir nichts daraus gemacht,
in 5 Minuten weiter. zu fahren, mie jedoch auferhalb des Thors
den Staub zwar nicht von den Füßen gefchüttelt, aber nur dar⸗
um nicht, weil ich feinen mit denjelben aufgelefen habe. So
reiſte ich vollends über Minden, wo ic) übernachtete, hierher,
Der Weg ift Schr anmutbig, Kaffel liegt ganz vortrefflid in ei—
nem weiten Thale; — den Herkules auf Wilhelmshöhe erblidt
man ſchon in der Entfernung von einigen Stunden als eine
Spitze in der Mitte eines Gebirgszugs. Um Kaffel felbft ift es
fehr ſchön, die Aue ift eine Anlage ungefähr der Art, wie der
neue Garten in Potsdam, ſchöner grüner Raſen mit gefunden
35 *
14, An feine Gattin. 549
auf Rügen; Gott gebe, daf nur auch wieder ſchönes Wetter
darauf folgt, wie damals. — Damals feierten wir den Hoch—
zeittag auf der See zufammen, dieß Mal haft Du etwa mit
den Kindern lauter, ich aber deffen in der Stille gedacht — —
Somabend Vormittag, den 23. Septbr. .
Ich bin zur Abreiſe gerüftet; das Wetter klärt ſich auf; in
Koblenz oder Köln hoffe ich einen Brief von Dir anzutreffen. —
IH muß endlich fließen. Lebt alle recht wohl, Ihr Lieben! —
Koblenz, den 24. Sepibk.
Es lebe Immanuel! *)
Hier fige ih, meine Liebe, in Erfüllung meiner Beſtim—
mung, nämlich in Koblenz, — neben einem Fenſter, das gerade
den Rhein, diefen meinen Liebling, die Brüde und Chrenbreitftein
unter fih hat, — an Euch insgefammt zu denken, und an Did)
zu ſchreiben. Auf der Poft bin ich heute früh gewefen, habe aber
feinen Brief von Dir vorgefunden; in Köln hoffe ich, wenn
hierher teiner von Dir mehr adreffirt ift, dann um fo gewiſſer
einen vorzufinden. Auf Immannel’s Geburtstag werde ic) heut
Mittag ertra cin Glas trinken, und indem Ihr auf mein Wohl«
ſeyn heute gleichfalls teinten werdet, — fo foll hiermit ganz
förmlich) angeftoßen feyn! Dem Immannel wollte ih von Kaffel
etwas ſchicken, um Euch an feinem Gekurtstag damit zu rega=
liren, es tonnte aber erft Montag mit der Poft abgehen, und
kann daher heute noch nicht in Berlin feyn. — Aber zum Feuers
wert ift heute Bein ſchön Wetter; Du ohnehin nimmft Did) doch
auch gehörig in Acht? — Eine Hauptfache weiß ich freilich noch
nicht gewiß, doch kann ich kaum zweifeln, nämlich daß unfere
*) Hegel’s zweiter Sohn.
14, An feine Gattin. 551
traktirt, In Giefen war der Scheideweg derer, die nach Franke
furt gingen, worunter, wie wir im Anfang ausgemacht, ich nicht
war. Ich war froh, von meiner bisherigen Geſellſchaft loszu⸗
fommen; cin jugendlehrender Kollege, ein ifraclitifher Schul—
meifter hielt bei mir aus; wir folgten der Lahn. — Weilburg
hat eine romantifche Lage, ſchönes vegetationsreidhes, enges Thal,
angenehme Krümmungen der Lahn, aud) als ehemalige fürftliche
Refidenz — hübſche Häufer.
Gegen Tag kamen wir dort, und dann um 44 Ahr in
Limburg an; in diefem vertraften Nefte wurden wir von ber
vortrefflichen fürſtlich Tarifhen Reichspoſt erſt um 5 Uhr weiter
befördert, und um 2 Uhr endlich kamen wir hier an; im Ne»
gen, Hodfinfterer Nacht liefen wir in einem halben Dutend
MWirthshänfern herum, bis wir endlich ein Unterfommen fanden,
wo ich diefe dritte Nacht doch noch zu gutem Schlafe kam; idy
fuchte mir jedod Morgens das Haus auf, wo id) jegt bin, die
drei Schweizer. Haſſe aus Bonn habe id) vorhin auf der Straße
getroffen und gefproden — Es wird immer viel Schreiberei,
wenn ich auch meine, nicht viel zu erzählen zu haben,
Ih komme von einem Spaziergang auf der Welle Ehren—
breitftein zurüd; herrliche Ausfücht, ſchöne folide Werte! — Ih
ging in eine Kanonenfafematte, wo eine ſchwäbiſche Maurers—
frau ihre Haushaltung hat, und mir in ſchwäbiſcher Mundart
die Sachen erplicirte; es find fehr artige Zimmer, ſchußfeſt,
troden. —
Du fichft, dag ich es nicht an Bewegung fehlen laffe, auch
an marfchirender, und daf die Strapazen mid) gut bei Kräften
erhalten. Fest geht's zw Tiſche, und obgleich gefättigt von den
köftlichen Trauben, werde ic mir es doc ſchmecken laffen. Mor—
gen werde ich nad) Bonn kommen, 18 regnet diefen Nachmittag
unaufbörlid, — übermorgen nad Köln, Wohin Du Briefe
an mich adreffiren fol, kann ic) faum angeben; Antwort auf
diefen Brief werde ih erſt in zwölf Tagen erhalten fonnen,
552 m |
| * ET
Köln, de
— wo mein letzter Brief a
ic) noch den Nachmittag und den anderen Vorm
üblen Wetters meift zu Haufe zu, lich die Schnellp
fer-Diligencen und andere Gelegenheiten abgehen; d |
mittags am Mittwoch machte es ſich heiter; ich nahr
Nahen und fuhr nad Neuwied auf dem 3 ein;
das herenhuter Schwefterhaus u. f. w. Das —* n —
Abend, — herrlicher Mondſchein überglänzte den R —
meinen Fenſtern vorbeifloß; Eulen, die ih in meinen
noch nicht fprechen gehört, muficirten darein, — Mor
8 Uhr auf die Waffer-Diligenee. — Anfangs — n
was auf dem Verdeck ſeyn, dann aber wurde es windig, —J—
regnigt, zuletzt kontinuirlicher, heftiger, kalter Regen. Die 5
felfchaft war num in die Kajüte eingeſchloſſen, darunter aud
Studenten, die ihre Rheinreife machten, alſo den Ranze t
grünem Wachstuch überzogen, an jeder Seite deffelt
heraus hängenden Stiefelfuf, breite neue Riemen, — €
Ordnung. So machte id) denn aud meine —æS a
fah darıım nicht mehr, und ftand ihnen darin nad), —
ſtolze Bewußtſeyn, eine Rheinreiſe zu machen, nicht g inne
konnte. Schon das Regenwetter in Koblenz, — voltende Di
Rheinreiſerei, verleideten mir das Reifen, und wenn es nur nid
fo weit nad) Haufe zu Euch gewefen wäre, flugs wären i
Euch angefommen. Ich reife dod im Ganzen nur aus $
und Schuldigkeit, und hätte hundert Mal mehr — zu
wenn ich meine Zeit zwiſchen meinen Studien und Eudy t *
könnte. Wenn Du einmal mit mir an dieſen Rhein kommſt,
fo werde id Dich anders führen, auf dem Waſſer ficht ma
we
—
14. An feine Gattin. 553
weder den Mhein noch die Gegend, — jenen fieht man nicht
durch Fluren und Hügel fliefen, man hat ihn nidt als einen
‚Theil des Gemäldes vor fi) (mas feine wahrhafte ſchöne Stel-
lung ifl), die Gegend ficht man nicht, denn man erkennt nicht
einmal die Ufer und merkt höchſtens, daf es hinter ihnen ſchön
ſeyn möchte. In Linz find wir an’s Land geftiegen, wo id)
das vom Hrn. Regier.-Bevollm. Schulz empfohlene Bild ges
fehen, und zwar in einer hochgelegenen Kirche, von wo man den
Rhein und die ſchöne Gegend überficht. Im abſcheulichem Re—
gen gingen wir in Bonn an’s Land, Hier fuchte ih Windiſch—
mann und feinen Schwiegerfohn Walther auf, — mit jenem,
(der durch Bereinigung im Gebet mit Fürft Hohenlohe feit eis
nem Jahre von einem fechsjährigen Augenübel geheilt worden
und nun vollfommen gefund ift), habe ich mid) recht gut ver—
ftändigt, und wir uns, vor der Hand, recht ſehr mit einander bes
feiedigt. Ebenfo gefreut hat mid Walther — diefe Begegnung
hat mic wieder recht erfrifht —, dazu Fam die Aufheiterung
des Wetters, und fo reifte ich geftern Mittag in befferer Diss
pofition ab. Bonn ift höderig, ganz engftrafig, aber die Um—
gegend, Ausſicht, botanifiher Garten — ſchön, fehr fhön, bin
aber doch lieber in Berlin.
Köln ift ſehr weitfchichtig, den Dom habe id) gleich aufge—
ſucht; das Majeftätifche und Zierliche deffelben — d. h. deffen,
was von ihm eriftirt, die ſchlanken Werhältuiffe, das Geſtreckte
in ihnen, daß es nicht fowohl ein Emporſteigen als Hinaufflie—
gen ift — ift fehenswerth und bewundernswürdig, vollends als
Konception Eines Menfhen und Unternehmen Einer Stadt; es
kommt einem darin eine andere Menfchenwelt, — fo wie eine
andere Zeit in jedem Sinne, recht lebhaft vor Augen. Es ift
da nicht eine Brauchbarkeit, ein Genuf und Vergnügen, ein be—
friedigtes Bedürfnif, fondern ein weitmantlidhes Herummwan-
deln in hohen, für ſich befiehenden Hallen, denen es gleichſam
gleihgültig ift, ob Menfhen ſich ihrer, zu welchem Zweck es
554 IX. Briefe.
ſey, bedienen; — ein leeres Opernhaus, wie-eine leere Kirche
ift ein Mangelhaftes, — bier ift ein Hochwald und zwar ein
geiftiger, Eunftreicher, — der für fi fleyt und da iſt, ob Mens
fchen da drunten herumkriechen und gehen, oder wicht, es Liegt
ihm nichts daran, — er ift für ſich, was er ift, er ift für fi
felbft gemadt, — und was fid) in ihm ergeht, oder betet, oder
mit den grünen Wachstuchranzen, die Pfeife im Munde, ibm
berheinreift, verliert fid) fammt dem Küfter in ihm und ift, wie
es fieht und geht, in ihm verfchwunden. — Frau Wittwe Horn,
eine höchſt brave, mwohlthätige, ächt Fölnifche Frau, die ich bei
Windiſchmann Fennen gelernt, hat mich in Bonn ſchon auf heute
zum Mittagefien geladen; nah dem Mittageffen hat mir ihr
Sohn feine Sammlung von Glasmalereien, die reichfle, die wohl
it, 100 große Fenfler, 4 — 500 kleine Fiecen, gezeigt. Was
der Dom aud) für prächtige gemalte Fenſter hat! aud) andere
Kirchen. — Durch Vergünftigung der Frau Horn habe ich auch
die lieversberg'ſche Grmäldefammlung gefchen, herrlide Stüde,
eins wahrfheinlih von Leonardo; — auf ihre Empfehlung bin
ich auch bei Wallraf gewefen, — ein fo kordater, licher 75jähe
riger Mann! — feine Gemälde — eine herrliche flerbende Ma—
tia (kleiner als die bei Boifferee), hat er mir nod gezeigt, mich
dann eine halbe Stunde in der Stadt — durd alle römiſche
alte campos herumgeführt; der Mann ift fehr freundlich und
liebevoll gegen mich gewefen, — das ift ein rechtſchaffener, bras
ver Diann! — 9—
Das iſt mein Tagewerk, — verſteht ſich, daß ich auch den
Rhein, die unabſehbare Reihe von großen Zweimaſtern gefeben. |
Morgen Sonntags werde ich in Gefellfhaft der jungen Grafen
Stolberg und ihres: vieljährigen Lehrers, des Dedanten Kellers
mann, der bei Stolberg’s Tod anwefend war, no den Dome
mit muſikaliſcher Meſſe — und Anderes fehen, und dann Mor
gen Nachmittag nach Wachen abgeben. - u
In fo weit bisher, gottlob, alles gut; wenn id nur nicht
14. An feine Gattin. 555
fo weit von Dir und den lieben Jungen wäre, und wenn id
nur täglicd wüßte, wie es End geht; fo muf ich anfangen, fo
ſchließen. — — —
Brüuͤſſel, den 3. Okibr., Donnerſtag früh.
So ſiehſt Du nun, meine Liebe, daß ich am Ziele meiner
Reiſe, d. i. ungefähr am entfernteſten Punkte derſelben bin, —
noch einige kleine Exkurſionen in die Nachbarſchaft, — aber
meine Hauptrichtung wird nun nach Haus zu Euch, Ihr Lir-
ben, ſeyn.
Ih habe hier noch Feine Nachrichten von Dir; geftern
Abend ging ich gleich nad meiner Ankunft nad der Briefpoft,
aber das Bürcan war bereits gefchloffen; nun wird in einer
Stunde fid) zeigen, ob Briefe von Dir da find. Einftweilen
will ih Dir alfo nur noch fagen, daß ich hier bei freund van
Ghert auf das Herzlihfte aufgenommen und im Logis bin,
diefe Nacht bei ihm zugebracht habe und mich recht wohl bes
finde. — Von Köln habe ih Dir am Sonnabend gefchrieben.
Sonntag früh ließ ih mir Wallraf's Gemälde nod einmal zeis
gen, unter denfelben war das Hauptbild der Tod der Maria,
ohne Zweifel von demfelben Meifter Schorcel, von dem das
Bild deffelben Gegenftandes, das den Brüdern Boifferee gehört,
— das Du gleidhfalls immer fo gelicht haft; — das wallraf’-
ſche ift Fleiner, etwa 24 Fuß hoch, aber breiter. Der Donatar
auf dem einen Flügel, wie die Frau auf dem andern, find ganz
ein und diefelben Portraits, fie waren mir völlig alte Bekannte.
Die Anordnung der Figuren des Bildes, Stellung des Bettes
ift verfchieden. — Nachdem ich dem Gottesdienfle-im Dom beis
gewohnt und mic bei den guten Leuten, die mich fo freundlich
aufgenommen, verabfcdhiedet hatte, fuhr ich Nachmittags nad
Nahen im guter Gefellfchaft eines ältlihen, aus einem Deuts
fehen gewordenen Engländers und eines Advokaten aus Köln,
würdigkeiten, die Paris noch Napoleon — wie hundert andert
O7 ar Bü»
Wet’ gebeihen ga fehen, umd das Meimige dazu beitragm
können, — und um dieſe zu hoffende und an feinem Geh
tage im frifcheres Andenten gebrachte Befriedigung mit di
meine Liebe, noch lange zu theilen — — — —
Du bemerkt, daf ich nicht mit foldem Feuer oder Ente
flasınus von Paris fAhreibe, wie ans Wien, — und ſagſt dakt
daß Du den Freunden Vieles mitgetheilt haſt; — dief my
ſehn, — aber es iſt doch Alles zu flüchtig, mas ich frei,
daß es eben vieler Mittheilung fähig wäre; — Du muft ke
denten, daß mein Unwohlſehn mic) viele "Zeit "Hat verlieren Ik
fen — und dann, daf Alles fo ungeheuer weit und weilläui
iſt, daß man äuferlich ganz rüftig ſeyn muß, um Mchrens y
umfaflen; ferner, daß es weſentlich nöthig iſt, ſich Länger bir
aufzuhalten, um in gründliche Berathungen und Eindringun
zu kommen; — es iſt ein höchſt intertſſanier Boden, aber «tik
Wochen reihen nur Hin, um aus der Betäubung herau ch
zur Gewohnheit alles des Glänzenden und Männigfaltign
kommen. — Heute z. B. bin ich nad) einem Abattoir, b\
Schlachthaus gefahren — in welcher Stadt der Melt mürde ih
nach einem Schlachthaus fahren? — aber dieh ift eine der Mat
Große — verdankt, Dann find wir auf dem Montmartre ge
weſen, wo man den Reichthum an Häufern von Paris, und dit
herrlichen fruchtbaren, Lebensvollen Umgebungen überficht; —
aud im Palais der Chambre des Deputes. — Die Börfe —
noch vor Napoleon angelegt — fahen wir vorher, welcher Tem:
pel! — Um halb 6 Uhr fpeifte ich mit Coufin und Fauriel
(dem Herausgeber der Griehhenlieder, die auch in’s Deutfde
überſetzt find). Bor einigen Tagen fpeiften wir zufammen mit
Mignet, Thiers, Muftond, Fauriel uf. f; kurz, man muß ein
Halbjahr in Paris ſeyn, um einheimiſcher zu werden mit allem
dem, wofür man ein tieferes Intereſſe faßt, um, wie geſagt,
ı“
Ei r
De
14. An feine Gattin. 557
an den vortrefflichften Eydifchen noch wegwünfhen möchte — tft
bier völlig verfhwunden, es ift ebenfo herrlich italieniſch als
niederländifch. Ein Juwel ift gleichfalls ein Bild — eine Kreuze
abnehmung mit vielen Figuren, von Raphael gezeichnet und von
Albr. Dürer gemalt; welche Lieblichkeit, welche Schönheit!! —
Eine Frau mit einem Kinde — dem Michel Angelo von Einis
gen zugefhrieben — ift eine unendlich große Mlalerei. Aber
vollends noch eine Nacht von Eorreggio! — wie ich die dres—
denfche den Tag von Eorreggio genannt, fo dief die wahrhafte
Nacht. MWeld ein Bild! das Licht ebenfo vom Kinde ausges
hend — Diaria ift mir hier lieber als auf dem dresdener Bilde,
auch fie, wie die Umgebung, lächelt, — alles ift auch heiter —
aber ernfler, und das Hellduntel, — wie auf den Bildern Cors
zeggio’s in Sansfouci, — die fpätere Manier diefes Meiflers
— von höchſter Vortrefflichkeit. Gegen Abend habe ich nod)
einen Spaziergang gegen Burtſcheid gemadt, und da in Aachen
das berühmte Bad ift, ein Bad genommen: das ift heiß! und -
lauter Schwefelgeruch. — Dienftag früb um 74 Uhr gingen
wie don Nahen und kamen gegen 5 Uhr in Lüttich an; der
Weg geht Hügel auf, Hügel ab, meift auf einem Hügelrücken,
zu beiden Seiten tiefere Gründe, alles grün, mit unendlich vie
len Heden und Baumreihen durdzogen. Gegen Lüttich zu ficht
man in das ſchöne Maasthal; — id war ſchon in Verſuchung,
von Lüttich das. Maasthal hinauf über Namür hierher zu reifen
— doch hätte ich beinahe zwei Tage länger, wegen des Kurfes
der Magen, zugebracht und einen Theil der Neife bei Nacht
gemacht, wo man befanntlid nichts fieht. In Lüttich blieb ich
mit einem der Reifenden über Nacht; der Wagen, auf dem wir
gefommen, ging glei weiter, unter der Reifegefellfchaft war
gerade wieder ein fo platter, gefchwägiger, Deutſcher, der aud)
ein Engländer feyn will, gewefen — läftige Leute, wie id) bis=
ber in jeder Gefellfchaft auf dem Wagen einen gehabt hatte,
Meinen Gefellfhafter hielt ich zuerft entweder für einen licht»
[=
ſich aus, daß er das Lehe if. — Wir vertragen ı
zufammen, er dufelt oder bämmert ruhig in di
iſt in Jtalien, Frankreich, überall gewefen,
fien Winter nad Paris, für den Sommer
—— ———
ber allein; ee.
lauter fruchtbares Kornland, wie in ſchwediſch Po
von Löwen an herrlich abwechfelnde —
udes fruchttares Land. — Tirlemont ein angenehmes
lin) in 12 Stunden ringen _ für 4 1049
putzter als in Berlin. Brod ebenſo —
ſtädtchen, — Löwen eine große Stadt, mit ſ
gothiſchem Rathhauſe, mit einem Saal, den —*
worin 80 Quadrillen zugleich können getanzt w X
In den Niederlanden is eine — *
Lüttich bis Brüſſel find 24 Stunden, fie ‚werden a gepf
ter Strafe — (Pflaſter wie das neue der | ‚afe N
Sand in zei. — — vr
So eben komme id) von einem Spaziergang mit —* G
* Brüſſel iſt eine ſeht ſchöne Stadt, in vielen
die untere Etage nur Eine Reihe von großen Fenſte— a
ſchönſten Waaren, elegant aufgeftellt, viel gefchine
ſtern. Heute Nachmittag Manieren wir auf das €
tn. — — d -
Ich werde na bis Sonntag — bleiben. — —
* aAntwetyen, Dienftag, vn 8
— & in feit einigen Tagen die erſte ruhige Stun
der ich allein bin und die Relation meiner Reife an Dich, me
Liebe, fortfegen kann. — — Am Freitag befuchten wir i
nem KRabriolet das Schlachtfeld von Waterloo — und ich
14. Un feine Gattin. 559
bier dieſe ewig denkwürdigen Gefilde, Hügel und Punkte, —
insbefonders zeichnete fi mir die hohe, waldbewachſene Anhöhe
aus, auf der man rundum viele Meilen weit ficht, wo Napo—⸗
Icon, der Fürſt der Schlachten, feinen Thron aufgeſchlagen, den
er bier verloren. In ſchwüler Mittagshige liefen wir >— 4
Stunden auf den Wegen herum, wo unter jeder Scholle Taps
fere begraben liegen. — Sonnabend fahen wir die Gemäldes
Gallerie, fpazierten im Parke, befuchten die St. Gudula⸗Kirche,
befahen ihre ſchönen Fenſter, die ſchönſten, die ic) je gefehen, —
ihre Gemälde, Mearmorftatüen u. ſ. f. — Sonntag früh ging
noch mit Ausgehen, Kirchenbeſuch, Einkauf für Did, meine
Liebe, und Einpaden hin, und um 3 Uhr fuhr ic) mit Herrn
van Ghert, der die Freundſchaft, und zufälligerweife auch als
Retonvalescent von einer Krankheit, die Muße hatte, mich zu
begleiten, — nad) Ghent. — Hier fahen wir am andern Mor-
gen die ſchöne Kathedrale, einige andere Kirchen, umd wohnten
dann dem Akte der Uebergabe des Rektorats der Aniverfität bei,
was bis 1 Ahr dauerte, afen dann gefhwind zu Mittag, und
fuhren um halb 3 Uhr in einem Kabriolet hierher, wo wir geftern
nach 10 Uhr, gerade über von bier, an dem andern Ufer der
Schelde anfamen. — —
Dod ich muf abbreihen — es i 8 Uhr Ubends, um 9
- Uhr geht die Diligence, muf einpaden — in 19 Stunden kommt .
fie in Amflerdam an.
. Breda, den 9. Okthr.
Id habe, flatt gerade aus zu führen, der Begierde nicht
widerftehen Tonnen, hier abzufleigen, um ein Denkmal, von
Michel Angelo verfertigt, zu fehen — von Michel Angelo! wo
kann man wohl in Deutfhland eine Arbeit von diefem Meifter
fehen? — Aber um in meinem Berichte fortzufahren, fo bleiben
wir in Flamandſch Hooft (Spige von Flandern) über Naht. —
Es ift, wie gefagt, eine SE
Landfirafen find aufs ſchönſte
Fruchtfelder, Gärten und Wirfen, Di
bepflanzt. — Bon Aachen bis Lüttich ı
hierher ift ung feiner begegnet; man fi
der auf den Dörfern nur gut. er.
fein Kind in Lumpen, keins ohne Schuhe ı *
wir kamen durch ein Dorf von 15,000 Einwohnern
Geſſtern Morgens fuhren wir über *
Schelde in das große Antwerpen, wiader von
wohnern; Ghent- hat ebenſo viel, In dieſen €
Kirchen fehen! Im Antwerpen die weltberühmte
im Schiff derfelben, wie in dem ———
3 Reihen Säulen zu jeder Seite; wie es ſich de in fü
fig und frei herummwandelt! — Die Räume find ch .
chenſtühlen und zu. verbaut, es ift kein Kir
alles frei, — aber es ficht ein Saufen. von 100 €
ftapelt, von denen ſich Jeder, der kommt, einen gebe
von einem Altar zum andern trägt; — bier ein $
eine ‚Menge, immer wandelbar, kommt und Ren —
(4 Wo, rs er
. 1a Haag, den 9, 2).
Es geht rafch vorwärts, ſchöne Wege, ſchöne St übt
ſchiffe in Hülle und Fülle — weite grüne Miefen, *
lich und freundlich, wohlhabend, — gutes Wetter -
mer wird es weiter — und immer wird es breiter, 5
ift der äußerſte Punkt und nun wird es wieder zuri * ‚af
Heute Abend 8 Uhr bin ich bier. ‚angekommen, doch n
man nicht widerfiehen. — — —
y 5 »
. 4
14, An feine Gattin. 561
Haag, d. 10. Okthr. Nachts 11 Uhr.
Meine Schreiberei fängt an, fehr unordentlih zu werden —
ich weiß nicht, wie ich wieder in Ordnung kommen foll, wenn
ich Dir das noch nicht Befchriebene nachholen foll.
Alſo zulest mar von den Kirchen die Rede. Die Kirchen,
wie gefagt — in Ghent, Antwerpen, muß man fehen, wenn man
erhabene, reiche Fatholifhe Kirchen fehen will, — groß, weit,
gothiſch, majeſtätiſch, — gemalte Fenfter, Cdie herrlichfien, die
ich je gefehen, find in Brüffel); an den Säulen marmorne Sta-
tuen in Lebensgröße, in einige Höhe geftellt, Tiegend, figend, —
zu Dusenden; — Gemälde von Rubens, van Dyck und ihren
Schülern, große Stüde, herrliche darunter zu zwei bis drei Du—
genden in Einer Kirche; Marmorfäulen, Basreliefs, Beichtflühle
ein halbes oder ganzes Dugend, in der antwerpner Kirche —
jeder mit vier lebensgroßen, vortrefflichen holzgefchnigten Bildern
geſchmückt, — (ih habe an den englifchen Gruß in Nürnberg
gedacht)) — die Rathhäufer eben fo eigenthümlich gothifch. Wir
find in Antwerpen 4 Stunden Vormittags auf den Beinen ges
wefen; — ich habe feit acht Tagen viel gefchwist, bei Waterloo
dacht’ ich, daf cs doch nicht ganz fo viel gewefen feh, als die
Franzofen und die Alliirten gefchwigt haben. In Antwerpen
trennte ich mid) von meinem lieben freund van Ghert, er ging
nach Brüffel zurüd, mit dem Auftrag, nachzufragen, ob nicht
noch Briefe von Die angetommen find, und fie mir nad Am—
flerdam zu ſchicken
fo Abends, nachdem ih an Dich gefchrieben, auf dem
Magen nad) Breda, — dort das herrliche Wert von Michel
Angelo gefehen — cin Maufoleum. Sechs lebensgroße Figuren
von Mabafter — ein Graf und feine Frau, liegend im Tode,
und vier Figuren: Julius Cäfar, Hannibal, Regulus und ein
Krieger fichen gebüdt an den vier Eden des ſchwarzen Steins,
worauf jene liegen, und tragen auf den Schultern eben einen
Vermiſchte Schriften. 36
562 IX. Briefe,
ſolchen ſchwarzen Stein — berrlihe, geiftvolle Arbeit des gröf-
ten Meifters, —
Bon Breda fuhr ih Morgens um 10 Uhr mit einer Di-
ligence weiter, denn es gehen täglich drei von Antwerpen nad
Amfterdam, eben fo drei zurüd; — nad) Paris von Brüffel
Paris für 25 Franken, welche Verſuchung! wäre es nicht fo fpat
in der Jahreszeit gewefen, und außerdem, — hätte ih Nachricht |
von Dir gehabt, — würde man einer folhen Verſuchung haben
widerfichen können? Run aber von Breda ging’s geſtern im ei-
nem fort, — fruchtbares Land — bis Mördyk, von da im
Dampfboot über eine Bucht des Meeres, 4 Stunde breit, —
Dein lieber Freund, der Südweft, der mir fo lange ſchön Wet
ter gebracht, half auch zu befferer Ueberfahrt; bier kamen Schiffe
von weitem, ein flolzer Dreimafter, wie ein Sultan; majefläti-
fer, weiger Turban, ebenſo gefhwollenes weißes Mlittelkleid,
dann weißes, weiteres Anterkleid, und ein Mantel binterdrein,
wie Figura zeigt. Don hier nad Dortredt, — große Seeftadt,
vierzig, oder Gott weiß, wie viel taufend Einwohner; — von
bier im eigentlihen Holland, — alle Häufer aus röthlichen
Badfteinen, mit weißen Linien; feine Kante, keine Ede gebröf-
kelt oder abgefiumpft, — ſchöne Kanäle, mit Bäumen beſetzt,
durch die Stadt gehend, Alles voll großer Schiffe; — dann
wieder nad) 3 Uhr über die breite Maas; dann um 5 Uhr in
Rotterdam; melde große Stadt! wiederum dann durd Delft
und nad einer halben Stunde in das ſchöne Haag. Haag ift
in der That ein Dorf — allenthalben ſchöne grüne Wiefen,
Gemüfegärten, fo ſchön fie Frau Voß nur halten kann, mit
Reihen Bäumen unterbroden und mit MWaffergräben von der
Chauſſee, neben der immer ein Kanal geht, von einander abge—
fpnitten, — überall Vieh darauf, — lauter ſchwarz⸗ und weiß-
ſcheckiges; man ficht Abends auf den Wieſen Leute, die die Kühe
melden; man reift unter lauter Potter’s und Berghem’s, —
14. An feine Gartin. 563
Heute Vormittag zum Thor hinaus in einen Wald, wie der
berliner Thiergarten, nur ſchönere Alleen von Buchen und Ei-
hen, Fein Gefträuh — lauter Hoch- und Laubwald; — eine
Stunde nad) Scheveningen, bier die unbegrenzte Nordfee —
mein Freund Südweſt blies heftig und brachte die ſchönſten
Wellen. — Dann die Gallerie gefehen, Nachmittag im ſchönen
bois fpaziert, ſchöner als die Aue bei Eaffel, hertliche Waffer-
ſtücke; — dann doch einmal cine franzöftfche Komödie und zwar
drei in Einem Abend gefehen; ich mufte ausruhen, denn id) bin
viel gegangen und geftanden; — in der Gallerie ift ein würtem-
berger Infpettor, — ſchöne, fehr ſchöne Saden. — Ih habe
heute vor dem Spiegel mein Halstuch angezogen und gefehen,
daß ich, wie ich glaube, magerer geworden bin, denn ich habe
viel Fatiguen gehabt, — aber ich bin fonft geſund und rüflig
und wohl auf; auch mit dem Gelde geht's nod) gut, — verlo-
ten hab’ ich, glaub’ ich, auch noch nichts, und ärgere mich faft
darüber, denn in etwas muß man Unglüd haben, — id) rechne
aber, daf ich Alles darin büße, daß ich keine ‚Briefe von Dir
pa - —
1 Amſterdam d. 12. Okthr. Abende.
—* Erſte, daß ich Deinen und des lieben Karl's Brief
heute hier auf der Poſt vorgefunden — mit unſäglicher Freude!
ich kann Dir nicht ſagen, wie ich gerührt worden bin, über
diefe glücklichen und erfreulichen Nachrichten von Dir. Endlich
nun Gottlob! dieſe Erleichterung! Nun mit froherem Herzen
noch die Relation. Alſo Heute früh um 7 Uhr auf die Dilis
gence, — durch Harlem hieher; meld ſchönes Land! das ift ein
Sand zum Spazierengehen, überall grüne Wiefen mit frobfattem
Vieh, ohne Geifeljungen hinter ſich — Luftwälder von Eichen,
Buchen; Landhäufer — (Holland ift das bevölkertſte Sand von
der Welt, doch auf dem platten Lande wenig Dörfer), Brabant
hingegen ift ein Fruchtland voller Dörfer. Harlem reinlich,
36 *
a "Bor allem habe ih Dir ————
über die Pünktlichkeit Deiner Briefe, di tig,
vr, mein Reanien über dm Ja iv
freundlichen Inhalt der, Liebe! dann den b
fern Sachen und Umflände — zu ———
Das Arrangement mit unſerer Wohnung g
ſo ſehr für mich zur Zufriedenheit, als ge
ich ſehe und weiß, wie ſehr es Dich befriedigt. 2 J
Bedürfniß der Bequemlichteit immer flärfer zu fühle ion f
. und auf dieſer Reife noch etwas weiter dar ei
den, bin befonders zufrieden damit, Du |
‚den ‚Kontrakt auf zehn Seins as geaedrndah oſo I) |
habe Dir, — — hätte das
Amt Deines Schirmvogts, (doch das iſt nur chwäb
Titel = es iſt das Amt, die Frau ‚debh q gege
ORDER re: it an
m Alles was Du foreibf, ih gut gethan. — Ich will
am Kupfergraben leben und flerben; — ſieh' du zu,
lange Du akkordiren willſt. — Nun aber auch von.
‚Reife; — aus Brüſſel habe ich Dir gefäriet
‚Briefe wirf-Dn finden, wann wir abgereif’t, — i »ala
hr war Diontag, nachdem wir Abends vorher die Jllumination
den erſten Ausgang der Königin — mit at
14. &n feine Garn. N ‚619
zuerft über Löwen nad Lüttich — ein reiches Land — den: ans
dern Tag nady Aachen, wo wir mit Lichtern den Dom gefehen
und uns auf Kaifer Karls Stuhl abermals gefegt, dann nah
Cöln — beides Tleine Tagereifen — von Lüttich nad Aachen,
befonders reiche grüne Gründe, — im Lüttid wie in Löwen und
Ghent — find ſchöne Univerfitäts-Gebähde; — wir haben ung
auf diefen Univerfitäten umgefehen, als einem dereinfligen Rus
beplag, wenn die Pfaffen in Berlin mir felbft den Kupfergras
ben vollends verleiden; die Kurie in Rom wäre auf jeden Falt
ein chremmertherer Gegner, Alſo Mittwochs Nachmittags in
Eöln angetommen, glei) Deinen lieben Brief abgeholt, — das
bei erfahren, daß die Schnellpoft erſt Freitag, d. i. heute, mad)
Eaffel geht — dann noch, — flatt den Donnerftag im diefer
‚alten, häßlichen Stadt Merkwürdigkeiten aufzufuchen, einen Ab⸗
ſtecher nach Bonn gemacht, den lieben, alten Freund Windifche
mann meiner Seits — und dann gemeinſchaftlich den Herrn
v. Schlegel — zuerſt fein Haus mit Gewalt— und da er
endlich da heraus gekommen — ihn mit aller Kordialität umd
Munterkeit beſucht; — die gute oder vielmehr höchſt ſtattliche —
und behagliche Einrichtung dieſes Hauſes — bis auf Hühnerhof
und die Pfauenſtange und deren Anſtrich und Veranftaltung —
verfpare ich auf die mündliche Beſchreibung. — Wir hätten in
Bonn freilich mehrere Tage gemüthlich und ernſthaft Cwozu wir
jedoch überhaupt nicht aufgelegt) und intereffant zubringen kön—
nen. — — Daf wir den heutigen Vormittag mit abermalis
gem Beſuch des erhabenen Doms, der wallraff'ſchen Sammlung,
Beſichtigung der ferbenden Maria u, f. f., Auſterneſſen, Mofel-
weinteinten u. f. f., nützlich zugebracht, — muß den Schluß. ma⸗
ben, mit dem Beifage, dag ich dann allein Mittags hieher
mit nochmaliger Weberfegung der in Studententabafs-
pfeifengefelffepaft‘ gelang. ER —W
Auf dieſem neuen Blatte: aber far ich Alles "in das! Eine
[m
Nachtrag zu den Briefen.
—
Vermiſchte Schriften. *
X. Rachtrag zu den Briefen.
1. Au ben Stubiofug Sellmann *,
Jena, d 23, Januar 1807,
Tore gütige Zufchrift v. 18.Novbr. 1806 habe ich erft fpät im
December, und zwar in Bamberg, erhalten, wohin id auf ei=
nige Wochen gereift war; die Rüdreife und andere Gefchäfte
haben die Antwort von meiner Seite vemsoern worüber ich Ih⸗
nen meine Entſchuldigung mache.
Es hat mich gefreut, daß Sie mein —— in Ihrer
Abweſenheit bewahren, noch mehr, daf Sie diefen Winter der
Einfamkeit und dem Studium der Philofophie widmen. Nod
ift Beides ohnehin vereint; die Philofophie ift etwas Einfames;
ſie gehört zwar nicht auf Gaffen und Märkte, aber noch iſt fie
von dem Thun der Menſchen fern gehalten, worein fie ihr In- -
tereffe, fo wie ven dem Wiffen, worein fie ihre Eitelkeit Iegen.
Aber auch Sie zeigen ſich auf die Gefhichte des Tages aufmerk⸗
fam; und in der That kann cs nichts Ueberzeugenderes geben
als fie; davon, daß Bildung über Rohheit und der Geift über
geifllofen Verſtand und Klügelei den Sieg davon trägt. Die
Wiſſenſchaft ift allein die Theodicee; fie wird eben fo fehr davor
bewahren, vor den Begebenheiten thierifch zu flaunen, oder Flü>
*) Chriftian Gotthilf Zellmann, eines Bauern Sohn aut dem Eifes
nach'ſchen, gehörte zu den Alteften Schülern Hegel’, ftarb aber leider
fdyon im Fahre 1808,
40 *
68 —
gererweiſe ſie Zufälligkeiten des A
eines Individuums zuzuſchreiben,
einem beſetzten oder nicht beſetzten —*
als über den Sieg des Unrechts und die N
zu Magen. Was gegenwärtig verloren un dar
— ein Gut oder göttliches Recht bi
wie ſie Das, was erworben. wird, dagegen mit bi sen © Gewiſt
befigen werden. So falſch ihre — echte Be
(a0, en Di eieung von ben ERIGEER EMEEE it
Subflanz und die Kraft des Geiftes ausmacht; fi
folden Umfländen, die bis zum gänzlich Lächerlicheng
überfehen. das, was ihnen am nö Tg, und | a
dortreffliche Stügen, was fle gerade in d
Die franzöſiſche Nation ift durchs ®
nicht nur von vielen Einrichtungen befreit m
Meenſchengeiſt als über Kinderſchuhe Haie m
auf ihr, wie noch auf den andern, als ge gei
fondern auch das Individuum hat die J
das Gewohnbeitsleben, das bei Verändern
men Halt mehr in ſich Hat, anna; if
Kraft, die fie \ ‚gegen andere beweiftt. Sie la
fenheit und Dumpfbeit diefer, die, endlich gem
heit gegen die Wirklichkeit aufzugeben, int
vielleicht, indem die Innerlichteit 1 * q
wahrt, ihre Lehrer übertreffen werden, KA =.
WVonm Katpolicismus ift fürs nördliche D
nichts zu fürchten. Intereſſant würde sn den, n
Punkt der Religion zur Sprache rame, und ar 1 Ende
es wohl dazu kommen. Vaterland, d „Verfaſſ
ſcheinen nicht die Hebel zu feyn, das
bringen; es ift die Frage, was erfolgte, wenn
rührt würde. Ohne Zweifel wäre —
dieß. Die Führer ſind vom Volke getrennt, B
an
—
—
— — ———
1. An Zellmann. — 2. An Knebel, 629
gegenfeitig nicht, was die Erfteren zu leiften wiffen, hat diefe
Zeit ziemlich gelehrt, und wie das Legtere es treibt, wenn es
für fih handelt, werden Sie aus Ihrer Nachbarſchaft am beften
gefehen haben.
Leben Sie wohl, Rn Sie Ihren Freund Köhler viel⸗
mals; cs wird mid) freuen, Sie bald wieder ‚hier zu ſehen.
Mit Ihrer Schuld machen Sie es nach Bequemlichkeit. Ich
bin mit Hochachtung Ihr ergebener Freund
Segel,
D. und Prof. d. Phil.
2. An Tinebel.
Bamberg, den 30, Aug: 1807,
— — Bon Zeit zu Zeit habe id vernommen, daß Sie
und Ihre gefhäste Familie fi wohl befinden, und ob Sie
gleich diefes Frühjahr noch von einem harten Schlage betroffen
worden find, fo werden Sie doch aud davon fid wieder erholt
haben und im der Befferung des allgemeinen Zuflandes mitges
gangen feyn, der doch wenigſtens gemäßigt und fo geworden iſt,
daf wir es ertragen können. Es ift ein Hauptzweck diefes
Schreibens an Sie, Sie um Nachrichten von fih und Ihrem
Thun und Ergehen zu bitten. Was ich, und warum ih es
treibe, wiflen Sie. Sie wiſſen auch, daf ic) immer einen Hang
zur Politit hatte. Diefer hat fi) aber beim Zeitungsfchreiben
vielmehr geſchwächt, als daß er dadurd Nahrung gefunden hätte,
Denn ich habe hierbei die politifchen Neuigkeiten aus einem ans
dern Geſichtspunkte anzufehen als der Lefer, Diefem ift der
Inhalt die Hauptfahe, mir gilt eine Neuigkeit als Artikel, daß
er das Blatt füllt. Die Verminderung des Genuffes, den bie
Befriedigung der politifchen Neugierde gewährt, wird jedod) durch
Anderes erfeht; das Eine ift der Ertrag, — ich habe mich durch
Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel über-
König der Schweiz wird; — vr Ari a
Oeſterreich ift ohnehin eine befannte ©
Laſſen Sie eine ſolche Mittheilung ni
eingemeit in Die Döbere Politik, wären im A
ME TER >as zu erhel
der Soche in id wat au 3
— —
fehlt es. nicht, — es reift doc hier und da ein Dan
Oder der Gefandte Herr Reinhard, Sm
Samilie, vornehmlich das. neue 5 i
14. An feine Gattin. 573
D. Parthey fragte, fand ſich's, daf das junge Ehepaar und
Klein mit Frau bier logire, aber fo chen aus waren; — ich
den Lohnbedienten angenommen und im Reifefhmus (das dell,
eifen liegt noch auf der Mauth, um 7 Uhr war ich im Wirths—
haufe angefommen), um 48 — in die italienifhe Oper — Stüd
von Mercadante — melde Männerflimmen! Zwei Tenore,
Rubini und Donzelli, welche Kehlen, welhe Manier, Lieblich-
keit, Bolubilität, Stärke, Klang, das muf man hören! — ein
Duett derfelben von der höchften Forge. Der Baffift Lablache
hatte keine Hauptrolle, aber ſchon hier, wie mußte ich feine fchöne,
Bräftige, eben fo Liebliche Bafftimme bewundern, Ja, diefe Män—
nerfimmen muß man hören, das ift Klang, Reinheit, Kraft, volls
kommene Freiheit u. ſ. f. u. f. f. Sie haben auch eine deutfche
Sängerin, Mile. Ederlin, die ſchöne, volle, ſtarke Mitteltöne
bat, die mid an Mad. Milder erinnerten, do nur Mad, Mils
der könnte es mit jenen drei Männerfiimmen aufnehmen und
fie im Zaume halten. So lange das Geld, um die italienifhe
Dper und die Heimreife zu bezahlen, nicht ausgeht, — bleibe
ih in Wien! Nach der Oper und einem Pas de deux von
zwei Parifern — (Alles fo gut wie die Berliner, — wenn die,
Berlinerinnen nur einen rechten Winkel ausftreden, — fie bis
zum flumpfen) nad Haufe, wo ich zu unferem gegenfeitigen herz»
lichen Vergnügen Lilli und Klein fand; das ift mir nun recht
angenehm, fie bleiben diefe Woche hier und wir haben uns ſchon
engagirt, mit einander herum zu ziehen; fie waren verwundert,
daf ich aus der italienifchen Dper komme, fie find feit drei Tas
gen alle Abende im Eafperl und deutfhen Schaufpiel geweſen
und haben nod nicht die italienifhe Oper gefehen!! und noch
nicht gehört!! Diefen Morgen geht's auf Belvedere, auf die
Poft — Briefe von Dir zu holen, auf die Mauth, — —*
gelegenheiten zu berichtigen.
Mittags, — So eben komme ich von der Bildergallerie,
Welcher Reichthum, welche Schäge! heute kaum einen flüchtigen
14. An feine Gattin. 575
Hervorbringen der Töne, nicht feine Lektion aufgefagt, — fon=
dern da ift die ganze Perſon darin; die Sänger, und Mad.
Fodor insbefondere, erzeugen und erfinden Ausdrud, Koloratu-
ren aus fich ſelbſt; es find Künſtler, Kompofiteurs, fo gut als
der die Dper in Muſik geſetzt. Sra, Eckerlin (deren fhöne Ges
ftalt und herrliche Stimme mic zuerft an die Milder erinnerte)
— vermag-als eine Deutfche es nicht, ihre Seele ganz auf die
Flügel des Gefanges zu legen, und freimüthig ſich in die Me—
lodieen zu werfen, fie würde ſchon jegt viel leiften, wenn fie
diefe Energie des Wollens hätte, — Diefe Italiener find nur
den Sommer bier; — Du muft Dir nämlich vorflellen, daf
die Elite von ganz Italien hier if, und Klein und Parthey nichts
befferes dort hören können, wie auch der legtere noch nichts ders
gleichen in Italien gehört hat,
Vom Neufern Wiens kann ich nod nichts — * ich
bin noch nicht in's Aeußere gekommen, vor allen müffen die
Kunftgefhäfte abgethan werden, — Im Innern übrigens zwis
fhen Stadt und den Vorflädten, anmutbige Spazierwege, grün,
friſch noch, nicht herbftlich wie in Berlin, — ı ungeheure Palais,
aber ſchmale Straßen, Feine architektoniſche ſchöne Konftruttion zc.
wie um unfern Opernplag alle find.
Eonnabend, d. 3. Sptbr.
— Ich habe wieder viel gehört und gefehen und fahre fort,
Dir fo getreulich zu referiren wie bisher. —
Ich bin beim Donnerftag Vormittag ſtehen geblieben, wo
ich die zoologifhe Sammlung ſah; — fehr ſchön aufgeftellt und
rei; — die Auffcher find alle mit berliner Profefforen in Vers
bindung, und id) als Kollege, als der ich mic bekenne, bin ſehr
freundlid) aufgenommen, — überhaupt find alle Aufſeher höchſt
gefällig und dienfifertig, — rechte brave und kenntnißvolle Leute.
Um den Nachmittag kam id) durd ein Manöuvre, dem ich bei—
580 ER Beife
Um zu Ende zu kommen, fo bin ich Abende — wo? in
Figaro’s Hodzeit von Mozart gewefen. — Die italienischen
Kehlen hatten im diefer gehaltneren Mufit nicht fo wiele Gele
genheit, ihre brillanten Touren zu entwideln, aber-für ſich, mit
welcher Bolltommenheit wurden die Arien, Duette2c. 26, beſon⸗
ders die Necitative gegeben, — letztere find ganz die eigenen
natürlichen Schöpfungen des Künftlers; — Lablache welch ein
Figaro! Fodor — Sufanna, Sgra. Dardanelli — die Gräfin;
ich ſaß die Mal näher bei'm Theater, als das erfie Mal, da
ich. fie ſah; — weld eine ſchöne Frau, ein lieblicher italienischer
Kopf, und eine Ruhe, Nobleffe und Haltung und Aktion —
fehr lieblicher ſchöner Anftand, — faft wäre id) in Deinen Fall
gekommen und hätte mich im diefe Frau verliebt! fie iſt in der
That höchſt anmuthig. Donzelli als Graf — ſtach ziemlich ge—
gen fie ab; foldhe Situationen find nicht gut für ihn .
Dienftag, den 29. Geſtern Vormittag sin der fürftlich lich—
tenfteinifhen Sammlung, — der herrlichfte Palaft und die herr
lichſten Schäge! — was hat man aud da Alles zu fehen! Nach—
mittag nod die czerminifhe Sammlung — aud) bier. einige
Trefflichkeiten; — Abends aud einmal in’s Burg» Theater in
das höhere Schaufpiel; fehr großes Haus, ziemlid voll; Anfchüg,
den ich vor mehr als 25 Jahren gefehen, gereift, vorzüglicher
Akteur, die Anderen mit guten Parthien umd Seiten — 9—
laſſen zu wünſchen übrig. —
Ich lege noch ein-Blatt an und fehreibfelige noch —
obgleich matt und müde — von ganz tägigem Stehen und Ge—
hen in der eſterhaziſchen Gallerie und in Schönbrunn, wo ich
gegeſſen; da in einer halben Stunde die italieniſche Oper be—
vorſteht, kann ich nicht mehr von dem Einzelnen ſprechen, das
müßte eine zu große Relation: werden; nur dieß, daß es geftern
Vormittag ſich aufgehellt, umd heute das. fhönfte-Wetter von
der Welt iſt, nicht zu heiß, Befländigkeit verſprechend. — Fleiſch
und Blut hat gefämpft mit dem Willen — Freitag, d, 1. Ot⸗
414. An feine Gattin. 581.
tober von hier abzureifen; Du giebft mir jedoch die Erlaubnif,
länger auszubleiben, — ich habe im Strudel Alles gefehen, ges
offen, bin fleifig gewefen, den ganzen Tag auf den Beinen,
und noch if fo viel zu fehenz; — um das Gute zu behalten
und mir einen Schag der Erinnerung zu fhaffen, muß ich es
nun noch einmal chen, — die italienifhe Oper freilich ſehe ich
nicht erft zum zweitenmale; die ſchöne, unendlich mannigfaltige,
liebliche Gegend babe ich heute * * in ginn
Sonnenfchein verfhmedt. — u) an) nm
V VV — a EI 722777
Trrlanff en - ee
ir ua a ar
- Mittwoch, den 29. Septhr.
ng: fange fogteih wieder an, mo ich es geſtern gelaſſen
* um nicht in Nückſtand zu kommen, — in einer ſo reichen
Welt wächſt der Stoff unter der Hand — ich muß mich ſum—
marifch verhalten. Wie viel zu fehreiben wäre, wirft Du ſchon
daraus erfehen, daß eine ſolche Gemälde Gallerie, wie die beis
den, die fürftlich Lichtenfteinifche und die fürftlich efterhazifche —
jede für fich eine Stadt berühmt maden und für fih eine Reife
von 100 Meilen verdienen würden; — jede it in einem präch⸗
tigen Palafle, der mit anmuthigen Gärten umgeben, vonder
ſchönſten Ausficht. Für die Marmör- Treppe im fürſtlich liech—
tenfteinifchen Palais wollte Kaifer Franz 180,000 Fi bezahlen,
— Schäse von Gemälden, die zugleih aufs liberalfte. dem
Publikum offen fiehen. Jeder diefer beidew Fürſten hat einen
eigenen Galleriedireftor und Aufwärter; — Fein Zrinfgeld wird
gefordert, — doch ich gebe eins, — denn ich mache den Leuten
mehr zu thun, komme auch an Tagen, wo die Gallerien gefperrt
find, Vor⸗ und Nadmittag bis 6 Uhr; — auch ſonſt iſt Alles
aufs bequemfte eingerichtetz — ſie flüchtig durchzugehen, —
wenn man. nicht ‚gerade durchrennt, fondern Hauptbilder näher
betrachtet, mit Uebergehung der anderen, — erfordert 3— 4 Stun⸗