Skip to main content

Full text of "Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Werke"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 


It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 


Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 


We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 


atlhttp: //books.google.com/ 


Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 


Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 


Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 


Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des Öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 


+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 


Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books.google.comldurchsuchen. 


N 


' 36105 025 b22 16? 














Georg Wilhelm Friedrih Hegel’s 
vermifcdte 


Shurifte n. 


Herausgegeben 
von 
D. Friedrich Foͤrſter 
und 


D. Ludwig Boumann. 


Zweiter Band. 





Mit Konigl. Würtembergiſchem, Großherzogl. Heſſiſchem und der freien Stadt 
Frankfurt Privilegium gegen den Nachdruck und Nachdrucks⸗Verkauf. 


EEE EEE SEE EA warmem — 
Berlin, 1835. 


Berlag von Dunder und Humblot, 


‘ 


& % 


Georg Wilhelm Sriedrid Heg el's 


Werke 


Vollſtaͤndige Ausgabe 
einen Verein von Freunden des Verewigten: 


D. Ph. Marheineke, D. J. Schulze, D. Ed. Gans, 
D. £p. v. Henning, D. 8. Hotho, D. K. Michelet, 
D. F. Föͤrſter. 


— 
. 0,” 


- Eitbenzebster: Band; 


Täindts der nltiorov loxcoet Aöyov. 
Sophocles, 





. Mit Königl. Würtembergifhem, Großherzog. Heſſiſchem und der freien Stadt ' 
“ Sranffurt Privilegium gegen den Nacydrud und Machdruds » Berfauf. 


m | | 
! \ N Es 8 

" Berlin, 1835 
Verlag von Dunder und Humblot 





Ss 


AÄnhaitsanzeige. 





Seite 

IV. Kritiken. (Fortſetzung.) 
5. Ueber Friede, Heine, Jatobla Were, Dritter Band +... 3 
6, Ueber Hamanns Schriften —V — — 442⸗ 38 


7. Ueber „Aphorismen ber Nichtwiſſen und abſolutes Wiſſen im 
ag — chriſtlichen Glauhenserkenntnißz von Karl Fried⸗ 
rich Gira ' ...„... 2 
8. Mecenfion der Eäriften: * Ueber die hegelfepe Rehre, oder: 
abſolutes Wiſſen u. moderner Pantheismus. — 2. Ueber Philo⸗ 
fophie überhaupt und Hegel's Encnklopädie der philofovhifchen 
Wiſſenſchaften insbefondere, Ein Beitrag zu Beurtheilung dee 
legten; von D. K. E. Echubacth und D 2, A. Carganico. — 
3, Ueber den gegenwärtigen Standpunkt der philofophifchen 
Wiſſenſchaften, im befonderer Beziehung auf das Syſtem Hes 
gel's; von E. H. Weiffe, — 4. Briefe gegen die hegel'ſche 
Encyklopädie der philofophifchen Wiffenfchaften. Erſtes Heft. 
Dom Standpunkte der Encnklopädie und der Philoſophie — 
5, Ueber Seyn, Nichts und Werden, Einige Zweifel an ber 
* des Herrn Prof. Hegel“ — 4409 
(NB. Die Recenſionen über die —* ‚legten Shift 

Ä find nicht erfchienen.) 

9. Ueber: „Der Idealrealismus. Erſter * Von D. Al⸗ 
bert Leopold Julius Oblert ! .. 229 
Recenſion der Schrift: „Ueber bie Grundlage, — und 
Zeitenfolge der Weligeſchichte. Drei Vortraͤge, gehalten an 
der Ludwig Mar-Univerſitaͤt zu Münden; von J. Görres" 249 

V. Vorrede zu Hinrichs’ Neligionsphilofophie .* 280 
VI, Drei lateinifche Reden, gehalten an der Friedrich Wilhelm’sslinis 

verſitaͤt zu Berlin. 

4, Rede bei der. Promotion des D. Roſe —4 307 

2, Rede beim Antritt des Rektorats an der berl, Univerfität --. 311 

3. Mede bei der dritten Säfulars Feier der Uebergabe der auges 
burg ſchen Konfelfiou »+...=+na0nunn0sonnesnsunnanannanenn 318 


40 


« 


U 


vi | Indhalt. 


»2 Seite 
VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 
Aus einem Briefe Hegel's vom 23. Oktober 1812 an Niet⸗ 
hammer: leber den Vortrag der philoſophiſchen —— 
Wiſſenſchaften auf Gymnaſien .............................. 333 
- An den koͤniglich preußiſchen Regierungsrath md Profeſſor 
Friedrich v. Raumer: Ueber den Vortrag der — A 
Univerſitaͤͤen 
An das Miniſterium des Unterrichts: uicba den — 
in der Philoſophie auf Gymnaſien ........ ................ 357 
Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitfehrift. %n dad Mis 
nifterium des Unterrichts eingefandt) — —— ........ 368 
VII. Auffäge vermiſchten Inhalte. 
1. Marimen des Journals der deutſchen Literatur (1806) ». » 393 


2. Wer denkt abſtrakt? .......................... — — 400 
3. Ueber Leſſing's Briefwechſel mit ſeiner Tran — 406 
4, Ueber Wallenſtein ......................... isses 411 
5, Ueber die Bekehrten ................ — ——— ... 414 
6. Ueber die engliſche Re fon Bil ————— —— ... 425 
L. Briefe. 

1. Aus dem Koncepte zu einem Briefe an J. H. Voß in Hei⸗ 
delherrtgge⸗⸗⸗ 473 
2. An van Ghert in Amſterdam ..... Sr ——— — 475 
3. An Daub in Heidelberg -- .................... ........ 483 
4. Un Goethe ......................... ee — 501 
5, An den D. Hinrichs in Heidelberg — FF 608 
6. An den Rektor und Profeſſor D. Gabler in Bayreuth .... 517 
7. An Duboe .................. BA RERSCCPEUPALEE eds 520. 
8. Un Lieutenant Kavenfein — RERENEROE EUER: 529 
9, An Geh. Legationgs Rath Bambagen von Fa Re 530 
410. An den Profeffor Gans ...................... ............ 632 
11. An den Oberlandesgerichtsrath Sochen IIOPPPTELDFLPEPLFERR 535 
12. An den D. Foͤrſter + nn 538 
13, An den Minifter v. Altenſtein ..................... BETTER, 540 
Antwort des. Minifters von Altenftein an Hegel ERBE . 542 

14. Auszüge aus Hegel's Briefen an feine Gattin. 
A. Meife nach den Niederlanden im Jahre 1822 +........ 544 
B. Reife nad Wien im Jahre 18% ...... — ..... 566 
C, Reiſe nach Paris im Jahre 1827 .......... 594 
x. Nachtrag zu den Briefen. 

1. An den Studioſus Zellmann ............. 627 
2. An Knebel ............. ——— — erinnere 629 
3, An Heinrich Beer ESP EEDRTEHTEETTT su... 693 


— — — — 


— 


IV. 


Keritiken. 


(Fortſetzung.) 
\ 
Bermifchte Schriften. * — 1— 





4 | - 1. Kritiken. 


‚Vielleicht hätte man wünſchen mögen, daf in der Folgen⸗ 
reihe diefer Sammlung die frühere Schrift Jacobi's, die 
Briefe über die Lehre des Spinoza, den im gegenwär⸗ 
tigen Bande enthaltenen Abhandlungen vorausgefhidt worden 
wäre, da diefe Briefe fih an ein Zeit-Intereffe tnüpfen, das 
der Erfcheinung nad älter ift, als die philofophifchen Geftalten, 
mit denen ſich jene Abhandlungen befhäftigen, nämlich an die 
zur legten Mattheit herabgefuntene Leibnitziſch⸗Wolfiſche Meta⸗ 
phyſik, an welcher die jacobiſche Philoſophie zugleich den ge⸗ 
meinſchaftlichen Ausgangspunkt mit der kantiſchen Philoſophie 
hat, welcher fie fpäter gegenüber getreten iſt. Die genannten 
Briefe flellen auch die Anfiht Jacobi’, von der Nidhtig- 
keit aller wiffenfhaftliden Ertenntnif des Gött- 
lien, in einer gewiffen Ausführung und Begründung dar, — 
eine Anficht, die in den vorliegenden Schriften nicht etwa mit 
der Einſchränkung auf die: darin behandelten philofophifchen 
Syſteme, fondern in ihrer ganzen Allgemeinheit herrſchend iſt, 
und mit fo viel Geiſt und Wärme begleitet fie auch vorkommt, 
doch für die, welde über die Wahrheit noch nad Gründen zu 
‚fragen gewohnt find, weitere Wünfche zuläßt; die Norausfhidung 
der Briefe hätte mehr no. als die Vorausfchidung des Ge⸗ 
ſprächs: David Hume über den Glauben, im II. Bande, 
als eine diefer Gewohnheit erzeigte Ehre angefehen werden kön⸗ 
nen. — Die in gegenwärtiger Anzeige darzuftellende Art und 
Weiſe, wie fih Jacobi den im’ vorliegendem Bande behandelten 
Philoſophien gegenüber ftellt, wird mehr Klarheit und Anſchau⸗ 
licgkeit gewinnen, wenn wir vorher daran erinnert haben, wie 
fein Geift fih in’ das Studium des Spinozismus vertieft, und ' 
fih in diefer Beſchäftigung fein Standpunkt firirt hat, auf wel⸗ 
chem ihn fehon mit ſich fertig, die kantiſche Philoſophie bei ihrer 
Erſcheinung antraf. Zur Erläuterung deſſen iſt aber Einiges 
über den damaligen Zuſtand der Philoſophie ins Gedãchtniß 
zu rufen 


5. Ueber Friedrich Heinrich Jacobi's Werke. 5 


Die franzöſiſche Philofophie hatte den großen Geift des 
Kartefianifchen: cogito ergo sum, den Gedanken als den Grund 
des Seyns zu wiſſen, und die Seftaltungen des legtern nur aus 
und in jenem zu erkennen, aufgegeben, und den umgekehrten. 
Weg des Lodeanismus eingefhlagen, den Weg, aus dem unmit- 
telbar Gegebenen der Erfheinungsmwelt den Gedanken abe 
zuleiten. Infofern noch das Brdürfniß blieb, auch in der Er- 
fheinungswelt einen allgemeinen Grund zu faflen, wurde cine 
begrifflofe Allgemeinheit, nämlich eine unbeſtimmte 
Natur. oder vielmehr eine Natur, an welde die ganze Ober- 
flächlichteit einiger dürftigen Reflerions-Beflimmungen von Gans 
zem, Kräften, LZufanmenfegung und dergleichen Formen der 
Aeuferlikeit und des Mechanismus geheftet wurde, als Grunds 
weien ausgeſprochen. Die‘ deutf he Bildung hatte der Sache 
nach diefelbe Richtung genommen, und die Auftlärung die 
Traditionen chrwürdiger Lehre und Sitte, den empfangenen 
und unmittelbar gegebenen Inhalt einer göttlihen 
Welt nad) allen Seiten aufgelöfl, und diefes fogenannte Poft- 
tive, weil und infofern das Selbſtbewußtſeyn ſich in ihm nicht, 
oder, was daſſelbe ift, weil es ſich nicht im Selbſtbewußtſeyn 
fand, aufgegeben und verworfen. Was übrig blieb, war der 
Todtenkopf eines abſtrakten leeren Wefens, das nicht er⸗ 
kannt werden-Lönne, d.h. in welchem das Denken fc) felbft 
niet habe, das an und für fih Seyende war damit ei⸗ 
gentlih auf Nichts-veducirt; denn was das Selbfibewußtfchn 
in fi fand, waren endlihe Zwede, und die NRützlichkeit 
als die Beziehung aller Dinge auf folhe Zwede. Diefer Ans 
“ fledung begnügten fih Andere ihr veligiöfes Gefühl entgegenzu- 
fegen, ſchrieben auch die theoretifchen Refultate Fehlern, die das 
Erkennen begebe, zu, und fuchten etwa die Wahrheit durch Be⸗ 
sichtigung und Verbefierung der Erkenntniß derfelben zu flügen 
und zu reiten. Jacobi dagegen fegte nicht nur die Sicherheit 
feines Gemüths entgegen, fondern die tiefe Gründlichkeit feines 


6 m. Kritiken. 

Geifles blieb nicht bei den kahlen Reſten, in denen die Meta— 
phyſik ein ermattetes Leben, dürftig friftete und noch fchaale Hoff- 
mungen nährte, ftehen; fie faßte vielmehr die Philofophie in den 
Quellen des Wiffens auf, und verſenkte ſich im ihre kräftigſte 
Gediegenheit. Wie aud das philofophifche Beſtreben fonft in 
Materien der Metaphyſik ſich mit Analpfiren, Unterſcheiden oder 
Zufammenleimen, mit Erfinden von Denkmöglichkeiten und Wis 
derlegung anderer Möglichkeiten abmühen mag; wenn es die 
gediegene umendliche Anfchauung und Erkenntnif des Einen 
Subftantiellen, welche der Spinozismus if, und im deren Beſitz 
wir Jacobi fehen, nicht zu feiner Grundlage hat, und alle weis 
teren Beflimmungen nicht daran mißt, fo fehlt diejenige Bezie— 
hung, durch welde alle Erkenntniß> Beftimmungen allein Wahr- 
heit erhalten, — die Beziehung, welche Spinoza fo ausdrüdt, 
daß Alles unter der Geftalt des Ewigen betrachtet werden 
müfle. Jacobi trat mit diefer ausgezeichneten Ueberlegenheit in 
der Zeit der vormaligen Metaphufit auf, weil ihm die Gedie- 
genheit jener Anfhauung beiwohnte, die Anderen aber das Ins 
tereife des Erkennens in etliche dürftige, begrifflofe Verftandes- 
beftimmungen von Dafeyn, Miöglichkeit, Begriff und dergleichen 
legten. Es macht keinen Unterfchied, daß bei diefem Philofo- 
Phiren Gott der Gegenftand und das Ziel war; indem er durch 
Beflimmungen jener Art gefaßt werden foll, fo find fie es, die 
den Inhalt der Erkenntniß ausmachen. Die Idee Gottes 
felbft bleibt außer ſolchem endlihen Inhalt, eine blofe Vor— 
ftellung oder Empfindung, die nad ihrer Unendlichkeit nicht 
in jenes Erkennen eintritt. In dem Einen Abſoluten aber find 
diefe Endlichkeiten des Inhalts und damit ebenfo das fubjektive 
Abmühen mit denfelben aufgezehrtz der Geift erreicht daffelbe 
und wird Bewußtfepn der Vernunft, nur indem er dieſe feine 
Beſchränkungen als nichtige, als Formen bloß der Erſchei— 
nung erkennt, und fie jomit in jenen Abgrund verſenkt. — 
Zacobi hatte diefe höchfte Anſchauung nicht bloß im Gefühl und 


5. Ueber Friedrich Heintich Jacobi's Werke. 7 


in der Vorſtellung erreicht, — einer Form, bei welcher die bloße 
Religiofität ftchen bleibt, — fondern auf dem höhern Wege des 
Gedantens, mit Spinoza gefunden, daß fie das legte wa hr⸗ 
hafte Refultat des Denkens fey, daß jedes konſequente 
Philoſophiren auf den Spinozismus führen müffe. 

Hier tritt nun aber der große Unterſchied ein, daß die Eine 
abſolute Subſtanz nur als die nädfte Form des nothwendigen 
Nefultats gefaßt, und daß über diefelbe binausgegangen werden 
muß. In Jacobi zeigte ſich daher das ebenjo fefte Gefühl, 
daß das Wahre in. diefer. feiner. erfien Unmittelbarkeit, 
für den Geift, der nicht ein Unmittelbares ift, ungenügend, daf 
es noch nicht als der abfolnte Geiſt erfaßt if. Das Objett, 
wie es vom finnlichen Bewußtſeyn aufgenommen wird, iſt das 
geglaubte Seyn endlicher Dinge. Das zur Vernunft fortfhreis 
tende Bewußtfeyn verwirft aber ſolche Wahrheit des Unmittelba- 
sen und den Glauben der Sinnlichkeit. Das zur Unendlich⸗ 
teit erhobene Seyn iſt die reine Abſtraktion des Denkens, 
und dieß Denken des reinen Seyns if nicht finnlihe Anfhau- 
ung, fondern intellettwuelle oder Bernunftanfhauung. 
Weil aber das unendlihe Seyn in diefer Unmittelbarteit 
das nur abfirafte, unbewegte, ungeiflige ift, vermißt ſich das 
- Freie als das fih aus fich felbft Beftimmende, in jenem Ab⸗ 
grund, in den fi alle Beflimmtheit geworfen and zerbroden 
bat; die Freiheit ift ſich unmittelbar Perfönlidteit, als der 
unendlige Punkt des an und für fih Beflimmens. In 
dee Einen gediegenen Subftanz aber, oder, was daffelbe' 
if, in dem reinen Anfhauen, als. dem abftratten Den- 
ken, if nur die Eine Seite der Freiheit enthalten, nämlich 
die Seite, wonach das Denken zwar: aus den Endlichkeiten des 
Seyns und Bewuftfeyns zum einfachen Elemente der All 
gemeinheit gekommen ift, aber darin noch nicht die Selbftbe- 
flimmung und Perfönlickeit gefegt bat. Denn es hilft nichts, 
daf in der abfoluten Subflanz das Denten, das Princip der 


Freiheit und Perfönlichkeit, ebenfo wohl wie das Seyn oder 
die Ausdehnung Attribut if. Weil die Subftanz die unun— 
terfchiedene und ununterſcheidbare Einheit der Attribute ift, fo 
ift ihre Grundbeffimmung wieder nur die Unmittelbar 
keit oder das SeHhn, Aus diefem Seyn ift daher fein Ueber— 
gang zu dem Verſtande und zum Einzelnen vorhanden. Die 
noch näher liegende Forderung wäre, daß ein Uebergang von 
dem AbfolutsEinen zu den göttlihen Attributen auf- 
gezeigt würde, Es ift aber nur angenommen, daf es ſolche 
Attribute giebt, fo wie ferner, daß ein endlicher Berftand, 
oder Einbildungstraft, und im denfelben einzelne und 
endlihe Dinge find. Das Seyn derfelben wird zwar ims 
mer zurüdgenommen, und als ein Unwahres in die Unendlichs 
keit dee Subftanz verfentt; fie haben dabei die Stellung eines 
gegebenen Yusgangspunttes für diefes Erkennen ihrer 
Regativitätz aber umgekehrt ift die abſolute Subftanz nicht als 
Ausgangspunkt gefaßt für Unterfhiede, Vereinzelung, 
Individuation, überhaupt für alle Unterſchiede, wie fie er— 
feheinen mögen, als Attribute und Modi, als Seyn und Denten, 
Berfland, Einbildungstraft u. ſ. w. Alles geht dahet in der Sub- 
ſtanz nur unter, fie ift unbewegt in ſich, nichts kehrt aus ihr zurück. 

Es iſt aber in der That eine einfache Betrachtung, welde 
in der Subſtanz felbit das Princip der Abfcheidung  erfennen 
läft, — eine Betrachtung nur deffen, was die Subftanz, faktiſch 
fo zu fagen, enthält. Indem fie nämlich als die Wahrheit der 
einzelnen Dinge, welde in ihr aufgehoben und ausgelöſcht find, 
erkannt worden, fo ift die abfolute Negativität, welche der 
Quell der Freiheit ift, die in fie felbft bereits gefegte Beftim- 
mung. — Es kommt hierbei nur darauf an, die Stellung unb 
Bedeutung des Negativen richtig ins Auge zu faſſen. Wenn 
daffelbe nur als Beftimmeheit der endlichen Dinge genoms 
men wird (omnis' delerminatio 'est negatio), fo ift die Vor— 
flellung mit dem Negativen aus der abfoluten Subftanz heraus, 


5, Leber Friedrich Heinrich Tacobi’d Werke. 9 


hat die endlichen Dinge aus ihr herausfallen Laffen, und erhält 
fie außer ihr. So wird die Regation, wie fle Beflimintheit 
der endlichen Dinge ift, nicht aufgefaßt. als im Unendlidhen 
oder als in der Subſtanz vorhanden, die vielmehr das Aufe 
gehobenſeyn der endlihen Dinge if. — Wie aber dagegen 
die Negation in der Subſtanz ifl, dieß ift ſchon gefagt, und das 
ſyſtematiſche Fortſchreiten im Philoſophiren beftcht eigentlich in 
nichts Anderem, als darin, zu wiſſen, was man ſelbſt ſchon ge⸗ 
ſagt hat; — die Subſtanz ſoll nämlich ſeyn das Aufgehoben⸗ 
ſeyn des Endlichen, damit ſagt man, daß ſie iſt die Negation 
der Negation, da dem Endlichen nur die Negation zuge: 
theilt il; — als Negation der Regation ift die Subflanz hiers 
mit die abfolute Affirmation, und ebenfo unmittelbar reis 
heit und Selbſtbeſtimmung. — Der Unterſchied, ob -das 
Abfolute nur als Subftanz oder als Geiſt beſtimmt iſt, bes 
ſteht hiernach allein in dem Unterfchiede, ob das Denten, welches 
feine Endlichkeiten und Vermittlungen vernichtet, feine: Regatios 
nen negirt und hierdurch das Eine Abfolute erfaßt hat, das Bes . 
wußtſeyn deſſen befigt, was es im Erkennen der abfoluten Subr 
flanz bereits gethan, oder ob es dief Bewußtſeyn nicht hat. — _ 
Jacobi hatte diefen Mebergang von der abfoluten Subftanz zum 
abfoluten Beifte, in feinem Innerſten gemadt, und mit un⸗ 
widerfiehlihem Gefühle der Gewißheit, ausgerufen: Gott 
ift Geiſt, das Abfolute ift frei und perfönlid. — In Rüde 
fiht auf die philofophifche Einfiht war es von der bedeutend 
ſten Wichtigkeit, daß dur ihn das Moment der Unmittel⸗ 
barkeit der Erkenntniß Gottes aufs beflimmtefte und kräftigſte 
herausgehoben worden ift. Gott ift kein todter, fondern lebens 
diger Gott; er ift noch mehr als der Lebendige, er ift Geift 
und die ewige Liebe, und ift dieß allein dadurch, daß fein 
Seyn nit das abftratte, fondern das ſich in filh bewegende 
Unterfcheiden, und in der von ihm unterfähiedenen Perſon Er⸗ 
kennen feiner felbft iſt; und. fein Wefen if die unmittelbare, 


40 a RT 


d. t ſeyende Einheit, nur infofern es jene ewige Vermittlung 
zur Einheit ewig zurüdführt, und diefes Zurüdführen ift 
ſelbſt diefe Einheit, die Einheit des Lebens, Selbfigefühls, der 
‚Perfönlichkeit, des MWiffens von fih. — Was das Erkennen 
betrifft, ſo hat Jacobi von der Vernunft, als dem Weber- 
natür lichen und Göttlihen im Menſchen, welches von Gott 
weiß, behauptet, daß fie Anſchauen if, Die Vernunft, indem 
fie als Leben und. Geift- weſentlich die Vermittlung, ift, iſt un- 
mittelbares Wiffen nur als Aufheben jener Vermittlung. Ein 
todtes, ſinnliches Ding. ift allein ein Ummittelbares nicht, durd) 
die Vermittlung, feiner mit ſich ſelbſt. — Jedoch hat bei Jarobi 
der Mebergang von der Vermittlung zur Unmittelbarkeit mehr 
die, Geftalt einer, äußerlichen Wegwerfung und Verwerfung 
der Vermittlung. Es iſt infofern das reflektivende Bewußtſeyn, 
welches getrennt, von: der Vernunftanſchauung, jene vermittelnde 
Bewegung des Erkennens von diefer Anfhauung entfernt; ja er 
‚gehts noch, weiter und: erklärt jene Bewegung fogar für etwas, 
mas dieſer Anſchauung hinderli und verderblich fey. Es find 
hier zwei Aktus zu unterſcheiden, erſtlich das. endlihe Erkennen 
felbft, welches nur mit Gegenftänden und Formen zu thun hat, 
die nicht am und für fi), fondern bedingt und begründet durch 
Anderes find, — ein Erkennen, deffen Charakter fomit die Ver— 
mittlung ausmadt; — das zweite Erkennen iſt dann die fo 
eben genannte Reflerion, welche ſowohl die Gegenftände als die 
ſubjektiven Erkenntnifweifen des erften für einen Inhalt und. 
für Formen der Vermittlung, und damit für nicht abfolut er- 
Kennt Das zweite Erkennen iſt daher einer Seits felbft ver- 
mittelt, denn es iſt wefentlich auf jenes erfie Erkennen bezogen, 
hat daffelbe, zw feiner Borausfegung und Gegenſtande; anderer 
‚Seits ift es Aufheben jenes erfien Erkennens; — alfo, wie vor= 
hin geſagt wurde, ein Vermitteln, weldes Aufhebung der Ver— 
mittlung iſt; — oder ein foldes Aufheben der Vermittlung, nur 
inſoſern es felbft ein Vermitteln if. Das Erkennen, als Auf 


5. Ueber Friedrich Heinrich Jacobi's Werke. 1 


heben der Vermittlung, iſt chen damit ummittelbares Erkennen; 
faßt es feine Unmittelbarkeit nicht fo auf, fo wird nit aufges 
faßt, daß diefelbe fo allein die Unmittelbarteit der Ver⸗ 
nunft, nit eines Steines if. Im natürlihen Bewußtſeyn 
mag das Wiffen von Bott die Erfheinung von einem blof uns 
mittelbaren Wiſſen haben, es mag die Unmittelbarkeit, in wels 
cher ihm der Geift iſt, der Unmittelbarkeit. feines Wahrnehmens 
des Steines gleich erachten; aber das Geſchäft des philofophiſchen 
Miffens iſt es, zu erkennen, worin wahrhaft das Thun jenes 
Bewußtſeyns beficht, — zu ertennen, daß im ihm jene Unmit⸗ 
telbarteit eine lebendige, geifige ifl, und nur aus. einer ſich ſelbſt 
aufhebenden Vermittlung hervorgeht. Das natürliche Bewußt⸗ 
ſeyn entbehrt dieſe Einſicht gerade fo, wie es als organiſch⸗le⸗ 
bendiges verdaut, ohne die Wiſſenſchaft der Phyſiologie zu be⸗ 
figen. Wie es ſcheint, iſt Jacobi durch die Form ber Erkennt 
ni von Gott, weldhe man früher die Beweife vom Daſehn 
Gottes genannt hat, zu der Vorſtellung veranlaßt worden, daß 
dem Bewußtſeyn damit zugemuthet worden fey, zu glauben, daß 
es Fein Wiffen von Bott ſeyn könne, ohne die Reihe der Schlüffe, 
vorausgejegter Begriffe und Folgerungen, die jene Beweife ent» 
hielten, förmlich durchgemadt zu haben; — gerade, wie fo 
eben erinnert, als ob man dem Menſchen zumuthete, zu glau⸗ 
ben, er könne nicht verdauen, noch gehen, noch fehen, noch ber 
ren, ohne Anatomie und Phpfiologie fudirt zu haben. — Ein 
damit zufammenhängendes Mißverſtändniß iſt dieſes, daß das 
Wiſſen von Gott und das Seyn Gottes ſelbſt, durch die 
Vermittlung des Erkennens zu einem abhängigen, in einem 
Andern gegründeten gemacht worden ſey. Dieß ſcheinbare 
Mißverhältniß iſt aber ſchon durch die Sache ſelbſt aufgehoben; 
— indem nämlich Bott das Reſultat iſt, fo exklärt ſich im Ge⸗ 
gentheil darin dieſe Vermittlung ſelbſt als ſich durch ſich aufhe— 
bend. Was das Letzte iſt, iſt als das Erſte erkannt; das 
Ende if der Zweck; dadurch, daß es als der Zweck und zwar 


42 een 
als der abfolute Endzweck erfunden wird, ift dieß Produkt viel 
mehr‘ fü das unmittelbare, erſte Bewegende erklärt. Diefes 
Fortgehen zu einem Nefultat ift hiermit ebenfo ſehr das Rüd- 
gehen in fi, der Grgenftof gegen ſich; es ift das, was vorhin 
als die einzige Natur des Geiftes angegeben worden, als des 
wirtenden Endzwedts, der ſich ſelbſt hervorbringt. Wäre er ohne 
Wirken, ein unmittelbares Sehn, fo wäre er nicht Geift, nicht 
einmal Leben; wäre er nit Zwed, und ein Wirken nad) Sweden, 
fo fände er nicht in feinem Produkt, daß diefes Wirken nur ein 
Zufammengehen mit fi felbfi, nur eine Vermittlung ift, durch 
welche ihre Beftimmung zur Unmittelbarkeit vermittelt wird. 
Indem nun Jacobi die Vermittlung, die im Erkennen 
iſt, wegwirft, und fie ſich ihm nicht innerhalb der Natur des 
Geiſtes, als deſſen weſentliches Moment, wiederherftellt, — fo 
Hält’ fich fein Bewußtfeyn des abfoluten Geifies in der 
Form des unmittelbaren, nur fubftantiellen Wiffens 
feft. "Die einfache Grundanfhauung des Spinozismus hat die 
Subftantialität zum einzigen Inhalt, Wenn aber, wie bei Ja— 
cobi der Fall ift, die. Anſchauung des Abſoluten ſich als intel- 
lektuelle, d.h. erfennende Anfchauung weiß, wenn ferner ihr 
Gegenftand und Inhalt nicht die ſtarre Subflanz, fondern der 
 Geifift, ſo mußte ebenfo die bloße Form der Subftantialität 
des Wiſſens, nämlich die Unmittelbarkeit deffelben, weggeworfen 
werden, Denn eben durch das Leben und die wiffende Bewe- 
gung im ſich felbft unterfcheidet ſich allein der abfolute Geift von 
»er abfoluten Subftanz, und das Wiffen von ihm ift nur ein - 
Geiſtiges, Intelleftuelles. — Es ift nun hauptfähli die von 
Jacobi in feiner, Vernunftanfhanung gefundene * Beftimmung 
‚von Grift, woran er die philofophifchen Syſteme mift, die er 
in den in dem vorliegenden‘ Bande enthaltenen Abhandlungen 
zu feinem Gegenfiande macht. Er ſpricht diefen Philofophien 
gegenüber nicht nur den Inhalt, fondern ebenfo hartnädig diefe 
fubfiantielle Form feiner Vernunftanfhauung aus. Die kan⸗ 


5. Ueber Friedrich Heinrich Yacobi’s Werke, 43 


tifhe, fihtefche und die Natur⸗Philoſophie find es, welche hier 
von ihm betrachtet werden; und der Grundcharakter feiner Bes 
handlungsweiſe ift durch das Angegebene bezeichnet. 

Die Abhandlungen felbft find dem Publikum fattfam 
betannt. Die Leidenschaft der Zeit, in der fle erfihienen, ‚darf 
als vorbeigegangen angeſehen werden; die Betrachtung ihrer 
Momente kann darum um fo Fürzer und aud) unverfänglidher 
ſeyn und fih auf das Wefentlihe befchränten. Ucherflüffig darf 
die vorliegende Sammlung und deren Studium nicht etwa ſchei⸗ 
nen, weil ein Theil der Philofophien, auf die fie fich bezicht, 
vergangen ſey. Ungern fehe ich aud Jacobi S. 340 in 


dem Tone fprehen, daß es bekannt fey, wie ſchnell die philoſo⸗ 


phifhen Syfteme feit 25 Jahren in Deutſchland gewechfelt has 
ben. Denn dief pflegt fonft vornehinlich die Sprache derer zu 
ſeyn, die fi über ihre Verachtung der Philoſophie nicht nur 
bei ſich rechtfertigen, ſondern auch auf die Bemerkung ſich etwas 
zu Gute thun wollen, daß ja die philoſophiſchen Syſteme ſich 


ſo ſehr widerſprechen und fo oft wechſeln, daß es, hiegmit eine 


fimple Klugheit fey, ſich nicht einzulaffen, um fo mehr, da dieß 
Einlaffen den Sinn habe, in einem fo Vergänglichen nicht ein 
Vergängliches fuhen und haben zu wollen, fondern vielmehr uns 
vergänglihe Wahrheit. — Was in der That vergänglid if 
und gewefen ift, find die vielerlei Beſtrebungen, ohne Philofo= 
phie philofophiren und eine Bhilofophie haben zu wollen. Doch 


diefes Vergängliche felbft Tann aud als unvergänglih, der 


Wechſel als perennirend angefehen werden. — 
Die jacobifhen Behauptungen von der Unfähigkeit der 
Wiſſenſchaft, das Göttliche zu ertennen, können wohl nicht das 


von freigefprochen werden, die Folge gehabt zu haben, daß die _ 


Unwiffenheit und Geiftlofigkeit ſolche Säte als ein bequemes 
Polſter utiliter acceptirt, und fi daraus ein gutes Gewiflen, 
und fogar Hochmuth bereitet hat, wie die kantiſche Philoſophie 
das Objekt zu einem problematifhen Etwas herabgefegt, und 


14 0 TV Kritiken. 


ihm nad einem geiftreichen Ausdrucke Jacobi’s S. 74 als Ding- 
anzfid, ein otium cum dignitate zu geniefen verſchafft hat. 

"Die kantiſche Philofophie ift hauptfächlicd der Gegen- 
fand der zweiten Abhandlung, deren Titel oben angegeben wor= 
den; die anderen Abhandlungen, insbefondere die dritte, kommen 
Häufig auf dieſe ·Philoſophie zurüd. Ich will von ihr, als der 
erften, und von der jacobifchen Polemik gegen diefelbe zuerft 
ſprechen, und kurz angeben, warum ihre Lehrſätze, an dem gro- 
‘fen Grundfage Jacobi’s gemeffen, daf das Abfolute als Geift zu 
erfaſſen ift, ſich für denfelben fehr ungenügend zeigen müſſen. 
Was diefe Philofophie nämlich auf dem theoretifhen Wege, 
das heißt, ein Erkennen defien, was ift, als das Höch ſte fin- 
det, find im Mllgemeinen bloße Erfheinungen. Als deren 
Mefenheiten aber ergeben ſich drei Beflimmungen, in welde fie 
analyfiet find, nämlich erftens ein Dingsan-fid, dem gar 
feine weitere Beſtimmung zutommt, als dief ganz begrifflofe 
Ding -an⸗ſich zu feynz; zweitens das Ich des Selbſt be— 
wußtſeyns, infofen es aus fih Vertnüpfungen mad, 
aber hierbei durch ein gegebenes Mannigfaltiges bedingt iſt, und 
nur ſendliche Verknüpfungen des Endlichen hervorbringt, end⸗ 
lich drittens das andere Extrem zum reinen Ding san=fid, 
das Ich als reine Einheit. 

Ih im jener endlichen Thätigkeit hat Kant Verſtand, 
Ich als die reine Einheit Vernunft genannt. Die beiden 
Ertreme des Schluffes, als welder das Erkennen deffen, 
was ift, dargefiellt wird, das Dingsan-fih und die reine Ein- 
heit des Selbfibewußtfenns, find fomit abſtrakte Ailgemeinheiten ; 
und fo firirt, find fie durchaus ein ungeifliges. Die Mitte 
des Schluffes iſt zwar ein Konkretes, aber dafür ein äußer— 
lies AZufammentommen und Zufammenbringen wefentlid) ge= 
gen einander äußerlich bleibender Ingredienzien; ebenfo wenig 
ift daher hierin der nicht nur feiner felbft, fondern aud) des An- 
dern als eines Wahren gewiffe Geift zu erkennen, Für das 


5, Ueber Friedrich Heinrich Jaeobi's Werke. 45 


Wiſſen aber defien, was ſeyn foll, des Praktifchen, fand Kant 
im Selbfibewußtfegn diefelbe formale Einheit, die das eine 
Extrem des vorigen Schluſſes ausmachte, als das Princip, wos 
durch das Gute und die Pflicht konſtituirt werden fol. Diefem 
Princip gegenüber macht eine mannigfaltige Natur das andere . 
Ertrem aus; die konktete, allgemeine Einheit diefer Extreme 
bleibt im Lantifchen Syſteme ein Jenſeits. Die innere Ge⸗ 
wißheit nur feiner felbft, und die als Außerlih vorgefundene 
Wirklichkeit werden als fchlechthin gefchiedene und wahrhaft. 
feyende erhalten; die Einheit deffen, was ifl, und defien, was 
ſeyn foll, des. Dafeyns und des Begriffs kann deßwegen nur 
als perennirendes Poftulat, nicht als das, was wahrhaftig ift, 
bervortommen. 

Das Praktifche hat darum aud den Geift nicht zu feinem 
letzten Refultate, und damit, wie vorhin erläutert wurde, findet 
ee ſich nicht in ihm als erſte Grundlage und Wahrheit. 

Jacobi hat nun an die kantiſche Philoſophie nicht bloß fei- 


nen Maafftab als vorausgefegt angelegt, fondern hat fie 


auch auf die wahrhafte Weiſe, nämlich dialektiſch, behandelt. 
Die kantiſche Beflimmung der Form, nad) welder die Aufgabe 
der Philofophie gefaßt und gelöft werden follte, gab felbft un⸗ 
mittelbar die Waffe dazu. Kant flellte die Trage auf: wie find 
fonthetifhe Mrtheile a priori möglich? flatt die Nothwen- 
digkeit diefer Uxtheile als den Gegenftand der Philofophie zu 
beftimmen. Er theilte die Stellung der Aufgabe mit der Mes 
tbode der Metaphufit feiner Zeit, welche von den Begriffen, fo 
auch von dem Begriffe Gottes, allererfi die Möglichkeit dar- 
thun zu müffen meinte. Solcher Möglichkeit, da fie von Mirk- 
tihkeit und Rothwendigkeit noch getrennt gehalten werden foU, 
biermit ein Abſtraktum ifl, liegt die abſtrakte Identität, die 
formelle Einheit des Verfiandes, zu Grunde Jacobi 
nimmt dicfe Form auf, und hält fo Raum als Eines, dic 
Zeit als Eines, das Bewußtſeyn als Eines, deffen reine 


16 00T Kreltiken. 


Syntheſis, die Syntheſis an ſich, von Thefls und Mntithefis 
unabhängig, d. h. die ganz abſtrakte Kopula, Iſt, Iſt, If, 
ohne Anfang und Ende, nad dem trodnen Verflande feſt, in 
dem fie vorkommen, und fragt num mit Recht, wie hier die 
Möglihteit, dag ein Knoten gefhlungen werde, Statt 
finden follte, In der That, wenn das Weife nur weiß, das 
Schwarze gegemüber nur ſchwarz bleiben fol, fo ift nicht mög- 
lid), daß ein Grau oder fonft eine Farbe entfiche, noch beflche. 
— Ferner fehildert nun Jacobi mit gleichem Recht foldhe Ab— 
ſtraktionen als leere Gedantendinge, als Schatten und Heren- 
raue, — Nur bleibt er dabei ſtehen, die Nichtigkeit des ab⸗ 
firatten- Raumes, der abfiratten Zeit, der abfirakten Jdentität 
und der abftraften Verfchiedenheit, als feine eigene, diefen Ab 
firaftionen äuferliche Reflerion zu betrachten. Dieß ift info- 
fern ganz Fonfequent, als die Dialektik hier nur gegen die kan— 
tiſche Darftellung gerichtet "war, und nur deren gleichfalls ab- 
firaftes Nichts daraus hervorgehen ſollte. Die folden Ab— 
firaktionen immanente Nichtigkeit aber wäre die objektive Dia- 
lektik derfelben gewefen, und hätte zur Nothwendigkeit des 
Konkreten geführt, des hier fogenannten Synthetifchen a priori. 
Der Beweis von der Unmöglichkeit des Konkreten, der 
aus der vorausgefesten Gültigkeit jener Gedankendinge geführt. 
wird, wäre fomit, vermittelft ihrer aufgezeigten Unwahrheit, in 
das Grgentheil, in den Beweis der Nothwendigkeit des 
Konkreten umgeſchlagen. — Ferner tommt dann aud das Kon» 
krete, als Einbildungstraft, Urtheilen, Apperception des Selbft- 
bewußtſeyns, in Bezichung auf jene Abftraktionen, vor. 
Für dieß Verhältniß, indem die Abftraktionen als für ſich befle- 
hende firirt find, ergiebt fi nur, daß fie, und ebenfo auch die 
Konkreta, in ihrer Verſchiedenheit wieder abſtrakt feftgehalten, 
die nicht ſich felbft aufhebende, dialektifhe, fondern befichende 
Grundlage von einander find; — daf die Vernunft auf dem 
Berftande ruhe, der Verfiand auf der Einbildungstraft, diefe 





18 IV. Kritiken, 


und zulegt Vernunft, — als ganz anfällig gegen ein— 
ander, wie ihr Aufammentommen in einer blofen Hiſtorie er» 
fheint, zu nehmen, und indem fie als abſtrakte Grundlagen. 
firiet werden, den Widerſpruch geltend zu machen, der darin 
liegt, daß fie zufammengebradt und in Eins gefegt wer» 
den. Diefe Geiftlofigkeit ihrer Auffaffung, der Mangel diefer 
Darftellung, an das Aufzeigen fowohl der Nothwendigkeit 
diefer Geiftesthätigkeiten in ihrer Beftimmtheit, als des Kon- 
treten derfelben nicht gedacht zu haben, ift das, was durch bie 
jacobiſche Kritit ar gemacht wird. Diefe Kritit erhält derma- 
Ion eine um fo größere Bedentfamkeit, als felbft Freunde Ja— 
cob?’8 haben meinen können, fogar eine Werbefferung der 
kritiſchen Philofophie damit gefunden zu haben, daf fie die Er— 
kenntniß des erkennenden Geiftes zur Sache einer Anthropos 
logie machen, — zu einem fimplen Erzählen von That— 
ſachen, die im Bewußtſeyn follen vorgefunden werden, wo— 
bei das. Erkennen dann in nichts Weiterem beflche, als in einer 
Zergliederung des Vorgefundenen. Sie geben damit vor— 
ſätllich, als ob dich das Rechte wäre, den Gedanken auf, die 
Thätigkeiten des Geiſtes in ihrer Nothwendigteit zu erken- 
nen, da dod) der Mangel diefer Nothwendigkeit, die Zus 
fälligkeit und Aeußerlichkeit, in welder die Beſtimmun— 
gen des Geiſtes gegen einander bei Kant erfeheinen, das ifl, was 
Zacobiin den Grund feiner Dialektik gegen deren Syntheſis 
überhaupt und gegen die ſchlechten, endlichen Verhältniſſe giebt, 
welde bei jener vorausgefegten Aeußerlichkeit der Thätigkeiten 
des Geiftes zum Vorſchein kommen. 

Es ift hiernach noch kürzlich zu erwähnen, wie der Man- 
gel deffen, was die kantiſche Philofophie von der praktiſchen 
Vernunft Ichrt, in der jacobifchen Abhandlung aufgefaßt wird, 
Der theoretifchen Vernunft find die Jdeen von Gott, freiheit 
und Unfterblichkeit unerweislich, diefe ihre Gegenftände kön— 
nen nicht erkannt werden; fie geht auf das, was iſt; zur 





20 IV. Keititen. 
matifhe Weife im Aufammenhange der Nothwendigteit darzu— 
ftelen. Wenn bei Kant das Objekt zu einem unerfannten und 
unerkennbaren Dingsanzfic erſt gewilfermaßen durch den gan— 
zen Verlauf der Kritik zufammenfchrumpft, und aufer dem Be— 
reich des Verfiandes und dann auch der Vernunft erfi durch die 
Erkenntniß diefer fogenannten Seelenvermögen gefegt wird; fo 
teitt bei Fichte gleich unmittelbar die reine Einheit des 
Ih mit ſich ſelbſt, und ihm gegenüber fogleich ebenfo ab» 
firatt das Dingsan-fih, als Nicht-Ich auf; die fernere Ent» 
widlung der Formen, welde die Beftimmung des einen 
durd das Andere annimmt, hat jenen Gegenfaß fortdauernd 
zum Grunde liegen, indem jede weitere Form zwar eine reichere 
Synthefis deffelben ift, aber nicht dazu kommt, ihm zu übers 
winden. Diefe Auflöfungen bleiben defwegen Verhältniffe 
und endlihe Formen, deren legte Auflöfung gleichfalls ins 
Prakliſche hinübergewiefen wird, welches aber ebenfo nicht weis 
ter gebracht ift, als zu einem einfeitigen, mit einem Jenfeits be= 
bhafteten Sollen und Streben. Bon fo unendlider Wich— 
tigkeit das fihtefche Princip als Moment feinem Inhalt nad) 
ift, oder don Seiten der Form, durch welche Fichte dem kanti— 
ſchen Prineip diefe hohe Abftraktion gegeben hat; fo muß cs, 
weil es im feiner Einfeitigkeit abfolutes Princip bleiben foll, 
und nicht zum Moment herabgefegt wird, dem konkreten Geifte 
‚gegenüber, gleichfalls als ein Geiſtloſes erſcheinen. 

Jacobi hat diefe Philofophie nicht dialektifh behandelt, wie 
‚die Fantifche, obgleich fie ihrer wiſſenſchaftlichen Korm wegen ſich 
einfacher diefer Behandlung dargeboten hätte. Denn indem 
Fichte mit IH = Ih als dem erften abfoluten Grundfag fris 
ner Philofophie anfängt, fo läft er unmittelbar den zweiten 
folgen, daß das Ich ſich ein Nicht-Ich ſchlechthin entgegen- 
fegt, welder Grundfat feiner Form nah, als Entgegen- 
fegen nämlich, gleichfalls unbedingt ſey. Diefe beiden Un— 
bedingten find eben ſolche mit ſich identifche Abftraktionen, wie 


+ 


5. Ueber Friedrich Heinrich Jacobi's Werke. 2 


der abſtrakte Raum und die abſtrakte Zeit oder das abſtrakte 
Iſt bei Kant. Gegen den dritten Grundſatz bei Fichte, welcher 
die Syntheſe jener Abſtraktionen und die Grundlage aller fols 


genden Spnthefen enthält, konnte diefelbe Unmöglichkeit geltend - 


gemacht werden, wie gegen die kantiſche Syntheſe. Jacobi be⸗ 
gnügt ſich hier, feine gediegene Anſchauung des abfolut Konkre⸗ 


ten, des Geifligen, gegen jene Abftrattion des Ih, die auch in 


ihrer Syntheſe nod) immer diefelbe bleibt, auszufprechen, und 
aus jenem Standpunkt heraus die Einfeitigkeit der fichtefchen 
Subjettivität zu verwerfen. Was Jacobi S. 40 das Moral—⸗ 
prineip der Vernunft nennt, was aber eigentlid) nur das 
Drincip einer zum Verſtand beruntergebradhten. Bernunft 
ift, nämlich die abfirafte Einftimmigkeit des Menſchen mit ſich 
felbft, beftimmt er richtig als öde, wüft und Icer, und ſtellt ihr 
das Vermögen der Ideen als nicht leerer, die konkrete 
Vernunft, unter dem populoren Namen Herz entgegen. — Im 


Grunde if dieß daffelbe, was fhon Ariftoteles an dem mos 


raliſchen Princip tadelt CHIıx. uey. A); er. fagt nämlich, der 
erſte Lehrer der Moral, Sokrates habe die Tugenden zu' ei⸗ 


nem Wiffen (Emiosnun) gemacht, — das Gute und Schöne 


ift die praktifche Idee nur als Allgemeines, — dief aber 
ift unmöglich, fest er hinzu, denn alles Wiffen ift mit 
einem Grunde (Aöyog), der Grund aber gehört der 
dentenden Seite des Geiſtes an; es wiederfährt ihm 


Daher, dag er die alogifhe Seite der Seele aufhebt, 


den Trieb und die Sitte (nadog xai NIog). — Das 
Allgemeine des Praktiſchen enthält nur, was ſeyn foll; Ariſto⸗ 
teles vermißt, wie Jacobi, daran die Seite, durch und nad) wels 
- her das Allgemeine ifl. Trieb und Sitte des Ariſtoteles fas 
gen aber etwas viel Beflimmteres als das bloße Herz. — Es 
ift von jeher für das Werk der weifeften Männer erachtet wor⸗ 
den, nicht nur das Allgemeine, die abflrattien Gefege zu ken⸗ 
nen, fondern aud die Einfiht in das zu haben, was dem Trieb, 


a 


22 IV. Kritiken. 


der Gewohnheit und Sitte, als bewußtloſer Seite, angehört, und 
- die Regulirung dieſer Seite zu finden und zu Stande zu brin- 
gen. Durch eine folhe Regulirung hat jene abflrafte Seite 
eine. natürliche Realität in einem befondern Volke, und das 
Geſetz hat als Sitte für den Einzelnen eine ſeyende Gültig- 
keit; fo ift es nicht nur als fein Trieb, fondern ift auch als 
das Beflimmende für den noch unbeftimmten, rihtungslofen Trich 
gegeben. Für die höher gebildete Gefinnung und für deren 
Moralität ift aber eine noch allgemeinere Erkenntniß erforders 
lich, nämlich, das, was feyn foll, nicht nur als das Seyn 
eines Volkes vor fi zu haben, fondern es auch als das Seyn, 
welches als Natur, Welt und Geſchichte erfcheint, zu wifs 
fen. Das Fehlen diefes Willens ift daffelbe, was vorhin als 
die Einfeitigkeit des praktiſchen Grundfages, wie er im kanti⸗ 
fhen Syſteme gefaßt if, aufgezeigt wurde, daß er nämlid) vom 
theoretifhen Momente abftrahirt, und daher fubjektiv ifl. — 
Es kann feheinen, daß. der Tadel des Ariſtoteles vielmehr gerade 
das Gegentheil betreffe, und darauf gehe, daß die Tugend von 
Sokrates zu einem Wiſſen gemacht, d. i. das moraliſche Prin⸗ 
cip etwas Theoretiſches ſey. — Eines Theils aber tadelt 
Ariſtoteles es nicht, daß das, was im Sittlichen das Allgemeint 
iſt, d. i. das Gute, gefaßt werde, vielmehr findet er im wei⸗ 
teen Verfolge die Betrachtung deſſelben nothwendig, mur unters 
ſcheidet er ſite von der Unterſuchung über die Tugend. Jacobi 
weicht infofern hiervon ab, als cr diefe Form des Guten und 
eine Pflichtenlehre verwirft, und darüber an das Herz verweift. 
— As immanenter Zwed des Selbſtbewußtſeyns iſt nım 
das Gute, und fein Schn if ein An⸗- und Fürſichſeyn, ine 
fofern gehört es zum Theoretiſchen; es ift aber infofern einfeis 
tig, als es in der Form der Allgemeinheit gegen die kon— 
trete Idee feftgehalten wird, Sein Inhalt ift dagegen das, 
was ſeyn foll, alfo was als fubjettiver Zwed gefest ift. 
Hiervon iſt die andere Seite die Realität, das eigentlich theores 


5. Ueber Friedrich Heinrich Zacobi’d Werke, 23 


tifche Moment, was als Unvernünftiges, als Natur, fowohl als 
äuferliche, körperliche, wie auch als innerlihe, Gefühl, Trich, 
Gewohnheit, Sitte vorgefunden wird. Das Wiffen von Diefer 
Natur erhält ihr feiner Seits diefe Form der Unvernünftigkeit, 
infofern es des Begriffes, wie fie ſeyn foll, entbehrt, in ihr 
nit den abfoluten Endzwed, fie nicht als bloße Realifas 
tion und Darficllung deflelben weiß, fo wie das Gute geiftlos 
bleibt, und ſich nicht über den Standpunkt des Daſeyns, näms 
lich das bloße Streben, erhebt, infofern es ſich nit durch die 
Anficht der Realität ergänzt. 
Es geſchieht jedoch noch in einem andern Sinne, daß Jacobi 
das Herz hier dem an ſich Guten, dem an ſich Wahren gegen- 
überftellt; er fagt S. 37, daf er daffelbe nicht kenne, von ihm nur 
eine ferne Ahnung habe; er erklärt, daß es ihn empöre, wenn man 
ihm den Willen, der Nichts will, diefe hohle Nuß der Selbſt⸗ 
fländigkeit und Freiheit im abfolut Unbefimmten aufdrin⸗ 
gen wolle; denn das ſey jenes an ſich Gute. Jacobi erklärt 
fi feierlicher in der darauf folgenden ſchönen Stelle: „Ja, ich 
bin der Atheiſt und Gottloſe, der dem Willen, der Nichts 
will, zuwider, lügen will, wie Desdemona ſterbend log; lüs 
gen und betrügen will, wie der für Oreft ſich darſtellende Py⸗ 
lades; morden will, wie Timoleon; Geſetz und Eid breden, 
wie Epaminondas, wie Johann de Witt; Selbfimord 
beſchließen, wie Otho; Tempelraub unternehmen, wie David; 
— ja, ehren ausraufen am Sabbath, aud nur darum, weil 
mid hungert, und das Gefeg um des Menſchen willen 
gemacht iſt, nit der Menſch um des Gefeges willen; 
— mit der heiligftien Gewißheit, die ich in.mir habe, weiß ich, 
dag das Privilegium aggraliandi wegen folder Verbrechen wis 
der den reinen Buchſtaben des abfolut- allgemeinen Vernunftge⸗ 
feges, das eigentlihe Majcflätsreht des Menſchen, das 
Siegel feiner Würde, feiner göttlihen Natur if.“ — 
Dian kann die Abfolutheit, die das Selbſtbewußtſeyn in fi 


24 IV. Kritiken. 


weiß, nicht wärmer und edler ausfprechen, als hier geſchieht. 
Warum erfheint aber diefe Majeftät, die in demfelben ift, 
diefe Würde, diefe göttlide Natur bier der Vernunft 
entgegengefegt? IA es nicht fonft allenthalben die ausdrücklichſte 
Behauptung Jacobi's, daf die Vernunft das Uebernatürliche, 
das Göttlihe im Menſchen if, welches Gott offenbart? — Aber 
dieß Göttliche ift hier nur dem Vernunftgefege, dem Bud 
flaben des Gefeges, umd in den aufgenommenen Beifpielen, 
den Gefegen von beftimmtem Inhalt, welde diefen beſtimm⸗ 
ten Inhalt zu einem Abfoluten machen, entgegengeftellt, — den 
beftimmten Gefegen, welde abfolut verbieten zu lügen, zu 
betrügen, zu morden, Geſetz und Eid zu breden, Selbfts 
mord zu befchliefen, die Tempel zu berauben, den Sabs 
bath zu breden. — Ich will, fagt Jacobi, ſolches thun, 
berechtigt durch die Majeftät, die im Menschen iſt! — Spricht 
er bier nicht einen abfoluten Willen aus, der Nichts will, 
d. ir nicht ein befimmtes Gefeg, nicht ein beftiimmtes Als 
gemeines, — eine Selbfiftändigkeit und Freiheit im abfolut 
Unbeftimmten? Die Handlungen Desdemona’s, des Pylades, 
Timoleons u. f. f. find äußerlich-konkrete Wirklichkeiten, aber 
ihre Inneres ift der Willen, das innerlid Konkrete, das diefe 
Hoheit und Majeflät nur durch die unendliche Kraft der Ab- 
firattion von dem Beſtimmten erreicht, und das allein 
dadurch Selbſtſtändigkeit und Freiheit if, daß es ſich als das 
abfolut Unbeſtimmte, das Allgemeine, an fih Gute weif, 
und fich zum abfolut Unbeflimmten macht, zugleid aber eben 
darum fih nur aus fich felbft beftimmt, und konkretes Hans 
deln if. — So wichtig ferner es num iſt, daß der Wille als 
diefe allmächtige, rein allgemeine Negativität gegen das Be— 
fimmte erfanut werde, fo wichtig ift es, aud den Willen in 
feiner Befonderung, die Rechte, Pflichten, Gefege, zu erfens 
nen und anzuerkennen; fie machen den Inhalt der fittlihen oder 
. moralifhen Sphäre aus. Wenn Jacobi an die unbeflimmte 





26 A Reiten. 


wie gern die Menſchen licher großmüthig als rechtlich, lie— 
ber edel als moraliſch zu handeln geneigt find, und indem 
ſte wider den Buchftaben des Gefeges zu handeln fi erlaus 
ben, ſich wicht fo ſehr vom Buchftaben als vom Gefet Ins» 
iprechen. — Außerdem ift jenes, aus göttlicher Majeftät fih vom 
Geſetze losfagende Handeln, auf deſſen Beifpiele fi) Jacobi be— 
zuft, gleichfalls bedingt, bedingt durch befonderes Naturell 
des Charakters, vornehmlich durch Lage und Umflände, und 
durch welde Umſtände? duch Verwickelungen des höchſten Un— 
glücks, durch ſeltene höchſte Noth, in welche ſeltene Individuen 
verſetzt ſind. Es wäre traurig mit der Freiheit beſchaffen, wenn 
fie nur in außerordentlichen Fällen graufamer Zerriffenheit des 
ſtutlichen und natürlichen Lebens und in auferordentlihen Ins 
dividuen ihre Majeſtät beweifen, und ſich Wirklichkeit geben 
könnte, Die Alten haben dagegen die höchſte Sittlichkeit in 
‚dem Leben. eines wohlgeordneten Staates gefunden. Von reinem 
ſolchen Leben Fönnte man auch fagen, daß darin der Menſch 
vielmehr um des Gefeges willen, als das Gefeg um des 
Menſchen willen gemadt ift amd gilt. Der umgekehrte bes 
kannte Sat, der oben angeführt. wurde, fchloß eine hohe Wahr- 
heit im fi, indem er das pofitive, d. i. bloß flatutarifche Geſetz 
meinte; aber das fittliche Gefeg allgemein genommen, fo ift es 
wohl wahrer, zw fagen, daß der Menfd um dafjelbe gemacht 
iſt; denn wenn man einmal Gefeg und Menſch fo trennen und 
entgegenfegen will, fo bleibt dem Menſchen nur die Einzelnheit, 
die finnlihen Zwede der Begierde übrig, und diefe können nur 
als Drittel im Verhältniß zum Gefege betrachtet werden. 
Wir gehen nun no zu der Schrift von den gött- 
lihen Dingen über. Sie ift aber ohne Zweifel von ihrer 
erſten Erfeheinung her noch fo in der Erinnerung des Publi— 
kums, daf es unzweckmäßig ſeyn würde, ſich länger dabei aufs 
zuhalten. — Der erfie Theil betrifft die Einfeitigkeit,des Po— 
fltiven in der Religion, wenn daffelbe in blog äuferliher Hal— 





28 nn 9, Kritiken. 


gründeten Dialektik bloßgeftellt if. Dieß Verhältnif kann au- 
Ferdem nur vermittelft der vollftändigen Durchführung zur Wahrs 
heit verklärt werden, und alle die unvollkommenen Berhältniffe 
abfteeifen, in denen es vor dem Ende erfcheint. 

0 Was aber: zweitens die Dialektik Jacobi’s. hierbei betrifft, 
fo hängt fie nicht fowohl von dem Gehalte feines Standpunt« 
tes, als von der beharrliien Form ab, im welcher er diefen 
Standpunkt ‚behauptet. Nur diefe Form will ich daher näher 
zu beſchreiben ſuchen. Sie hat bekanntlich das Eigenthümliche, 
der Entwickelung aus Begriffen, dem Beweiſen und der Mes 
thode im Denken entgegengefegt zu ſeyn. Entblößt von diefen 
Erkenntnifformen, durch welde eine Idee als nothwendig 
aufgezeigt wird, zeigen- fih die pofitiven Ideen Jacobi’s nur 
mit dem Werthe von Verficherungen; Gefühl, Ahnung, 
Unmittelbarteit des Bewußtſeyns, intelleftuelle Ans 
ſchauung, Glauben, — umwiderfichlihe Gewißheit der 
Ideen find als die Grundlagen ihrer Wahrheit angegeben. 
Mas nun aber dem Vortrage von Verficherungen und dem blos 
fen Berufen auf folde Grundlagen die Trockenheit benimmt, ift 
ber edle Geift, das tiefe Gemüth, und die ganze vielfeitige Bil- 
dung des verehrten, liebevollen Individuums. Hiervon umgeben 
treten: die Ideen gefühlvoll, gegenwärtig oft mit tiefer Klarheit, 
immer geiftreich hervor. Das Geiftreihe ift eine Art von 
GSurrogat des methodifch ausgebildeten Denkens, und der in 
ſolchem Denken fortfchreitenden Bernunft. Ueber den Verftand 
erhaben hat es die Idee zu feiner Seele; es ergreift die Anti— 
thefe, in der die Idee liegt; indem es aber nicht deren abſtrak— 
ten Gedanken, noch den dialektifchen Mebergang in Begriffen 
zum Bewußtfepn bringt, fo hat es nur konkrete Borftelluns 
gen, auch verftändige Gedanken zu feinem Material, und 
ift ein Ringen, darin das Höhere reflettiren zu machen. Diefer 
Schein des Höhern in Verfländigem und in Vorfiellungen, der 
durch die Gewalt des Geifies in ſolchem Material hervorgebracht 





30 | IV, ‚Steitifen, 


angemeſſen. — Auch die äußere Geftalt der Abhandlungen, welde 
der vorliegende Band enthält, zeigt Feine methodifche und dok— 
teinelle, fondern zufällige Abfihten und Veranlaffungen, deren 
die Vorberihte Erwähnung thun, zugleich mit der Angabe der 
erlittenen Anterbrehungen, fo wie der auch mehrfachen Abändes 
rung der urfprünglichen Abficht im Fortgange der Seit und der 
Arbeit; — Umftände, die für das Verſtändniß der Geftalt dies 
fer Schriften angegeben find, welche Angabe ihnen aud von 
diefer Seite dem Charakter zufälliger Ergiefungen oder einer 
Mittelgattung, die mehr vom Briefe als einer Abhandlung hat, 
bewährt. 

Es hat aber bei Jacobi die eigene Bewandtnif, daf er 
dieß Zufällige der Form und das Geiftreihe nicht nur unbe 
fangen als Manier feines Geiftes hat, ſondern daß er poſitiv 
und 'polemifh an dem Standpunkte hält, ſpekulatives Wiſſen, 
begeeifendes Erkennen für unmöglich zu erklären, — ja felbft 
für etwas Aergeres als das Unmöglide, indem wir z. B. bei 
ihm die Rede finden, daf ein Gott, der gewußt würde, fein 
Gott mehr wäre, daß fi ſelbſt der Menfh und das Wefen 
Gottes unergründlich fey, weil fonft im Menſchen ein übers 
göttliches Vermögen wohnen, Gott von dem Menſchen müßte 
erfunden werden können, — und anderes in diefem Sinne. 
Es wird nicht leicht in Abrede geſtellt werden, daß es das ge— 
meinfame Werk Jacobi’s und Kants if, der vormaligen 
Metaphpfit nicht fo fehr ihrem Inhalte nad, als ihrer 
MWeife der Ertenntnif, ein Ende gemacht, und damit die 
Kothwendigkeit einer völlig veränderten Anfiht des Logifhen 
begründet zu haben. Jacobi hat hierdurd in der Geſchichte der 
deutfchen Philofophie, und, da aufer Deutfchland die Philofo- 
pbie ganz verkommen und ausgegangen ifl, in der Geſchichte der 
Philoſophie überhaupt eine bleibende Epoche gemadt. Bei An- 
erkennung diefes VBerdienfies in Anfehung des Erkennens muf 
fichen geblieben werden; denn das Weitere ift, daf, wie Kant 





32 IV. Keititen, 


als ein unmittelbares Bewußtſehn kennt, und die Ausfchlies 
fung des Begriffs aus ſich thetifch behauptet, fo muf ihm der 
Mißverſtand widerfahren, ſich felbfi, feine eigene Anfhaus 
ung, fowohl der Form als dem Inhalte nah, in Ausdrüden 
und Geftalten nicht wieder zu erkennen, welde denfelben Inhalt, 
diefelben materiellen Refultate enthalten, und nur dadurd von 
feiner Anſchauung verfhieden find, daß fie das Denken und den 
Begriff zu ihrer Seele haben. So hält es nicht ſchwer, z. B. 
ſchon in den erflen Definitionen Spinoza’s, in dem Begriffe der 
causa sui für fib, in der Definition derfelben, als einer fols 
hen, deren Natur nur als eriftirend begriffen werden könne, 
in der Definition der Subftanz, als eines ſolchen, das in⸗fich 
ſey, ‚und aus ſich begriffen werde, d. i. deſſen Begriff 
nicht des Begriffs einer andern Sache bedürfe, — etwas 
Höheres zu finden, als bloß das ſtarre Seyn, die geiſtloſe Noth— 
wendigkeit. Es iſt vielmehr der reine Begriff der Freiheit, des 
fürsfihfegenden Denkens, des Geiftes darin enthalten, fo 
fehr als indem Subjett-Objett. — Nur müfte 3. B. die 
causa sui nicht auf die mechaniſche Weiſe entflanden vorges 
fielit werden, wie dieß ©. 416 über die Lehre des Spi— 
noza gefchehen ift, als ob nur dem Sage, daf Alles feine 
Urſache habe, zu Liebe, um Gott darunter einfchliefen zu 
können, bei Gott eine andere Urſache, fo wie auch eine an— 
dere Wirkung formeller Weife weggefähnitten, und er felbft ſich 
auch zur Urſache, fo wie zur Wirkung binzugefegt worden ſeh; 
fo daß der Begriff der causa sui eigentlich eine bloße äußerliche 
Zurichtung, niht an und für fih ein Gedanke ſeyn würde, 
Bei Gelegenheit des Begriffes der Urſache mag im Vor— 
beigehen erwähnt werden, daß es als eine Inkonſequenz gegen 
die Abneigung von Begriffen und Begriffsbeftiimmungen erſchei— 
- nen Fann, wenn wir Jacobi ein Gewicht darauf legen fehen, 
daß Gott nicht als Grund, fondern als Urſache der Welt 
gedacht werden follte. Man kann es als eine populare Befugs 


5. Ueber Friedrich Heinrich Facobi’s Werke, 33 
nif, oder im Philofophiren als einen augenbli@lihen Nothbehelf 
gelten laffen, ſolche Berhältnifie zur Beſtimmung der Natur Got- 
tes oder feiner Beziehung zur Welt zu gebrauchen; es möchte 
ſeyn, daf das eine in Rüdfiht einer Seite einen kleinen Vor— 
zug vor dem andern hätte, aber beide find gleihmäfig nur 
Berfiandesbeftimmungen, BVerhältniffe der Endlichkeit 
Coergl. S. 43), die hiermit den Begriff des Geiftes nicht zu 
faffen vermögen. Die causa sui ift auch im diefer Rückſicht 
das Geiſtreichere, weil fie das urfachliche Verhältniß zugleich in 
feinem Gegenftoße gegen ſich felbft, und das Aufheben der End- 
lichkeit deffelben enthält, — nicht daß es gar nicht ſeh, fondern 
es ift fo, daß es zugleich diefe Bewegung, ſich felbft aufzuheben 
ift; fo wie auch, wenn Gott als Grund ſich beftimmend gedacht 
wird, er ebenſo weſentlich als ewig ein foldes Verhältniß auf- 
hebend gedacht werden muß. — .Dergleichen Beſtimmungen, 
mod mehr die dunkleren, welde in bloßen Präpofitionen, z. B. 
außer mir, über mir u. f. f. enthalten find, mögen nicht wohl 
dazu dienen, Dlifverfiändniffe zu entfernen; der Erfolg hat viel 
mehr gezeigt, daß fie foldhe cher veranlafen und vermehren. 
‚Denn der blofen Verftändigkeit, die zunächſt damit ausgedrückt 
iſt, und zwar in den Präpofitionen auf eine unvolltommnere 
Weife, ift die im Uebrigen herrſchende Idee des Geiftes zuwider, 
Inden aber doch der Nachdruck auf fie gelegt wird, als ob in 
ihnen der Gegenfat, der gemeint ifi, wahrhaft gefaßt feb, fo ge» 
ben fie. ſchon für ſich zu Angriffen eine Berechtigung, nod mehr, 
da andere Stellen ſolchen Behauptungen der einen Seite des 
‚Gegenfages widerſprechen müſſen. Oft ift die Seite ganz nahe 
gelegt und ſelbſt verbunden, durch welche diejenige berichtigt und 

gehoben wird, welche behauptet werden follte. So behauptet 

bi durchaus, daß es das Uebernatürliche im Menfchen 

‚ Meburd; Gott offenbaret wird, S. 424, das höchfte Weſen 

enfchen, was von einem Allerhöchften aufer ihm zeugt; 

der Geift in ihm allein von einem Gotte (S. er diefe Mas 
Vermiſchte Schriften. * 











jeftät im Menſchen wird- auch, wie oben angeführt, feine gött- 
liche Natur genannt. — Somit ift cs felbft gefagt, daß Gott 
ebenfo fehr nicht außer mir ift, denn was wäre das gottver- 
laffene Göttliche in’ mir? nicht einmal das Gott, wie Jacobi 
geiftreich den bewußtlofen Naturgott nennt; — aud nicht das 
Böfe, denn dief Göttliche in mir ift der heilige Zeuge von 
Bott. Mit der Idee des Geiſtes, als diefes Zeugen in mir, 
wird man auch den Hauptfag im Briefe an Fichte nicht 
übereinftimmend finden können, der ©. 49 fo ausgedrüdt ift: 
„Gott if, und ift außer mir, ein lebendiges, für ſich bes 
flehendes Wefen, oder Ih bin Gott; es giebt fein 
Drittes.“ Man wird diefen Gegenfag vielmehr als dem gan— 
zen übrigen Sinn Jacobi’s widerfprechend anfehen fönnen, und 
namentlich demjenigen, was S. 253 mit einem ſchönen Bilde 
in Anfehung des Chriſtenthums ausgedrüdt, und als die offen- 
bare Richtung der Schrift von dew göttliden Dingen ans 
gegeben wird, welde Schrift auf mannigfaltige Weife darthun 
fol, daß der religiöfe blofe Idealiſt, und der religiöfe bloße 
Materialiſt fi nur in die beiden Schaalen der Muſchel 
theilen, weldye die Perle des Ehriftenthums enthält. 

In obigem Entweder, Oder: es giebt fein Drit- 
tes, ift das principium exclusi tertii zu Grunde gelegt und 
anerkannt, ein Verftandes-Princip der vormaligen 
Logik, welde fowohl in ihrem übrigen Umfange, als insbefon- 
dere nad) diefem höchſten Grundfage der Einfeitigteit des Ver⸗ 
ſtandes, gerade das Erkenntnißgeſetz der vormaligen Metaphyſik 
ausmachte, — ein Erkenntnißgeſetz, das ausdrücklich zu verwer— 
fen ein Hauptgedanke, und, wie oben erwähnt, ein Hauptverdienſt 
Jacobi's iſt. 

Der Geiſt und die Grundanſchauung Jacobi's iſt ſoweit 
von ſolchen Beſtimmungen des trocknen Verſtandes entfernt, daß 
dieſer dennoch gemachte Gebrauch derſelben, um die Natur Got— 
tes zu beſtimmen, wohl nichts als Mißverſtändniſſe veranlaſſen 


- 5, Ueber Ftiedrich Heinrich Sacobi’e Werke. 35 


tonnte, wenn er für ernſtlicher gelten und genommen: werden 
follte, als mit dem Sinne des tiefen Denkers und deffen übris 
- gem geifteeichen Formen verträglich war. — In der allgemeinen 
Borrede diefes Bandes und. in dem befondern Borberihte 
zu der Schrift von den göttlichen Dingen läßt fi Jacobi 
auf einige ſolche Mißverſtändniſſe ein, die ihm widerfahren find, 
unter Andern auch in Betreff feines Chriſtenthums. Cs 
begegnen uns überhaupt in diefen philofophifchen Verhandlungen 
viele Yenferungen über Perfönlichteit. Jacobi fagt 3. B. zu 
Fichte, in dem Briefe an denfelben S, 46, daf er ihn pers 
ſönlich für keinen Atheiſten, für keinen Gottloſen halten würde, 
wenn er ſchon deſſen Lehre, gleich der des Spinoza, atheiſtiſch 
nennen müßte; eben ſolches Zeugniß legt er von dieſem ab, und 
führt die ſchöne Stelle über ihn an, worin er ihn anrief: „Sey 
du mir gefegnet, großer, ja heiliger Benedictus! wie. | 
du aud über die Natur des höchſten Wefens philofo- 
phiren und in Morten did veritren mochteſt; feine 
Wahrheit war in deiner Seele, und feine Liebe war 
dein Leben.” — Diefe gefühlvolle und wahre Huldigung be= 
trifft einen edeln, fo verfannten Schatten; etwas Fremdartiges 
" und Anderes aber liegt in öffentlichen Behauptungen über die 
perfönliche Gefinnung und Religion eines gegenwärtigen Indi⸗ 
viduums. 

Bei der vorhin dargeſtellten Art und Weiſe Jacobi's, feine 
Anfihten über die höchſten Ideen zu äußern, war die Abgleitung 
‘von diefen Jdeen und deren Unterfuhung auf die Perfon nahe 
gelegt; fo will dann auch ich, ohne weiteren vergehlihen Ver⸗ 
ſuch, jene Mifverfändniffe zu, vermitteln, diefe Anzeige mit der 
Aruferung des Gefühls fließen, das die meiften Lefer der jas 
cobiſchen Schriften wohl mit mir theilen, fih im Studium der= 
felben mit einem liebevollen und edeln Geiſte unterhalten zu haben, 
und vielfältig, tief, Ichr- und finnreih angeregt worden zu fehn. 

Es knüpft fi) hieran, von n felbft die noch zu machende = 

3 * 


— 


36 ivV Krinken. 


wähnung der angenehmen Zugabe von 23 Briefen, in denen 
wir Jacobi in feiner eigenthümlichften Geftalt, der liebenden, 
gedankenreichen und heitern Perſönlichkeit fehen; fie werden das 
ber feiner weitern Empfehlung bei unferen Lefern bedürfen. Ich 
hebe zur Probe aus denfelben nur Einiges über einen befonders 
merkwürdigen Freund Jacobi's, Hamann, heraus, der uns 
darin näher auf eine intereffante MWeife zur Anſchauung gebracht 
wird, und: deffen Schriften wir vielleiht von Jacobi nod) ges 
ſammelt zu ſehen hoffen dürfen. Jacobi ſchreibt an feinen Bru—⸗ 
der in freiburg, den 5. September 1787, Folgendes über ihn: 
„Der Genuf,.den id) an ihm habe, läßt fi nicht befchreiben, 
wie denn immer bei auferordentlihen Menſchen, was ihren be— 
fondern und eigentlichen Eindruck ausmacht, gerade das ift, was 
ſich nicht befchreiben oder angeben läft. Es ift wunderbar, in 
wel’ hohem Brade er faſt alleErtreme in fid vereinigt. 
Deswegen ift er auch von Jugend auf dem principio contra- 
dietionis” (— damit um fo mehr dem vorhin erwähn— 
ten principio exclusi tertii —), „fo wie dem des zu⸗ 
reichenden Grundes von Herzen gram gewefen, und immer nur 
der coincidentiae oppositorum nadgegangen. Die Coinci— 
denz“ C— Jacobi faßt fie hier nicht als einen leeren Abs 
‚grund; als Ungeftalt, Chaos, durdaus Unbeftimme 
tes, das Nichts als Nichts, fondern vielmehr als die höchſte 
Lebendigkeit des Geiftes, auf —), „die Formel der Auflö— 
füng einiger entgegengefegten Dinge in ihm, bin 
ich noch nicht im Stande, volltommen zu finden, aber 

ich erhalte doc, faft mit jedem Tage darüber neues Licht, unters 
deſſen ich-mich an der Freiheit feines Geiſtes, die zwiſchen 
‚ ibm und mir die köſtlichſte Harmonie hervorbringt, 

befländig weide. — Er ift ebenfo geneigt, wie ich, feiner Laune 
freien Lauf zu laffen, umd die Anfiht des Augenblids zu vers 
folgen; — — Buchholz fagte im Scherz von ihm, er ſeh ein 
volltommener Indifferentift, und ich habe diefen Beinamen 


‘ 


5x Ueber Friedtich Heiurich Sacobire Werke... 37 


nicht abkommen laffen. Die verfchiedenften, heterogenften Dinge, 
was nur in feiner Art fhön, wahr und ganz ift, eigenes Leben 
hat, Fülle und Virtuofität verräth, genießt er mit gleichem Ent⸗ 
‚züden; omnia divina, et humana omnia. — Lavater’s Durft 
‚nah Wundern ift ihm ein bitteres Aergerniß, und erregt ihm 
Mißtraun in Abfiht auf die Gottfeligkeit des Mannes, 
den er Übrigens von Herzen liebt und ehrt, u. f. f“ — Dürfe 
ten wir hiernach nicht die Gewißheit haben, daß Jacobi, wie ee . 
. bier den Geift Hamanns ſchildert und fi mit ihm harmoniſch 
findet, auch ebenfo fih in Harmonie mit einem Erkennen fin 
den muß, das nur ein Bewußtſeyn der Coincidenz, und ein 
Wiſſen der Ideen von Perfönlichkeit, Freiheit und Gott, nicht 
in der Kategorie von unbegreiflidhen ——— und 
——— in? 


6. Ueber: „Bamann’g Srhriften. Beraufgegeben 
bon Friedrich Moth, VII Chile, Berlin, bei Kei⸗ 
mer 1821 — 1825,” — 


C(dahrbücher f. wiſſenſch. Kritik 1828. Nr. 77 — 80, 100 — 114.) 


Das Publitum iſt dem verehrten Hrn. Herausgeber den größs 
ten Dank dafür fehuldig, daß es durch defien Beranftaltung und 
Ausdauer fih Hamann's Werke in die Hände gefördert ficht, 
nachdem fie früher ſchwer, und vollfländig nur Wenigen zugäng« 
lich gewefen waren, und nachdem fih fo manche Ausſichten zu 
einem gefammten Wicderabdrude derfelben zerſchlagen hatten; 
Hamann leiftete (S.X Vorr.) der vielfältigen Aufforderung, eine 
Sammlung feiner Schriften zu veranftalten, nicht felbft Genüge. 
Wenige nur befaßen eine vollfländige Sammlung derfelben; 
Goethe (I. aus meinem Leben XII. 8.) hatte den Gedanken 
gehabt, eine Herausgabe der hamann'ſchen Werke zu beforgen, 
aber ihn nicht ausgeführt. Jacobi, der ernſtliche Anſtalten 


. 


dazu madıte, wurde daran durd das Schidfal verhindert; eim . 


jüngerer freund Hamann’s, wirkt. Geh. Ober⸗Regierungsrath 
Hr. L. Nicolovius in Berlin, hatte dieſe Beſorgung abgelehnt 
und den jetzigen Hrn. Herausgeber vielmehr dazu aufgefordert, 
welcher als der in der letzten Lebens⸗Periode Jacobi’s mit ihm 
aufs Innigſte vertraute Freund von dieſem zum Gehülfen der 
Herausgabe gewählt worden war; ſo vollführte denn dieſer das 
Vermächtniß des ehrwürdigen, theuren Freundes und befriedigte 


mſtalter — 
—* Zr verhindert, und der jegige Herr 

IE ebendaf., daß die, Erläuterungen, die 
X len, nur eine fehr mäßige | 
—* —** — 2* — 

elen auf Hamann's ft bezüg⸗ 








40 IV. Kritiken. 


lichen Briefe die vornehmlichſte Erleichterung des Verſtändniſſes 
gewähren müffen. Außerdem findet man bald heraus, daf das 
Räthſelhafte ſelbſt zum Charakterififchen der Sähriftfiellerei und 
der Individualität Hamann’s gehört und einen wefentlihen Zug 
derfelben ausmacht. Das Hauptduntel aber, das über Hamann 
überpaupt (ag, iſt damit fon verfhmunden, daß deffen Schrif- 
ten nun vor ung liegen. Die allgemeine deutſche Bibliothek 
hatte ſich freilich viel mit ihm zu thun gemacht, aber nicht auf 
eine Weife, die ihm Anerkennung und Eingang beim Publitum 
verfchaffen follte. Herder dagegen und Jacobi insbefondere 
Cabgefehen von Goethe’s einzelner Yeußerung, die Vorr. S. X 
- angeführt ifl, aber durch deſſen ausführlichere gründliche Würdi— 
gung Hamann’s am vorhin angeführten Orte ihre Einfhräns 
fung erhält) erwähnten deffelben fo, daß fie ſich auf ihn wie 
auf Einen zu berufen fohienen, der da habe kommen follen, der 
im vollen Befige der Dinfterien ſey, in deren Abglanz ihre vis 
genen Offenbarungen nur fpielten, wie in den Freimaurer⸗Logen 
die Mitglieder vornehmlich auf höhere Obere hingewiefen wer— 
den’ follen, welde fih in dem Mittelpuntte aller Tiefen der 
Geheimniſſe Gottes und der Natur befänden. Ein Nimbus hatte 
fih fo um den Magus aus Rorden (dief war eine Art von 
Titel Hamann’s geworden) verbreitet. Dem entſprach, daf er 
ſelbſt in feinen Schriften überall nur fragmentariſch und fibyllis 
niſch geſprochen hatte, und die einzelnen Schriften, deren man 
babhaft werden konnte, auf die übrigen neugierig machten, in 
» denen man ſich Aufjcluß.verfprehen mochte. Durch diefe Aus 
gabe feiner Werke, die nun vor uns liegen, find wir in Stand 
gefest, zw jehen, wer Hamann, was feine Weisheit und Wiffens 
{haft war, 

Faffen wir zuerfi die allgemeine Stellung auf, in welder 
Hamann fib zeigt, fo gehört er der Zeit an, wo in Deutſch- 
land der denkende Geiſt, dem feine Unabhängigkeit zunächft 
in der Schul Philofopbie aufgegangen war, fid nunmehr in 















> Mn, mie Rufen ub 
MENGES SONGER Klaffen in 
h erhoben hatten, auch in Deutſch⸗ 
. 26 Bat in Berlin am Hofe Friedrich IL 
3 aufhielt, viele andere vegierende deutſche 
eid I Mh) «fh ur Cr vun, mi 
feinen Fr 1 in Bekanntſchaft, Verbindung 
*— — — — —— 
fäi aus a ge mit 
es geiftli 3es, unter dem, während in Frank⸗ 
h gegen denfelben gerichtet war, viel» 
hi ihre thätigfien und wirt- 
ter zäfle Dann aber fand ferner zwifchen 
Unterfehied ſtatt, daß in Frankreich diefem 
= Einpören des Denkens Ales fich anſchloß, 
Talent, Edelmuth beſaß, und dieſe neue 
dem Glanze aller Talente und mit der 








42 ten 


Friſche eines naiven, geiftreichen, energifchen, gefunden Menſchen— 
verftandes erfehien, In Deutſchland dagrgen fpaltete fi jener 
große Impuls im zwei verfchiedene Charaktere. Auf der einen 
Scite wurde das Gefhäft der Aufklärung mit trodenem Ber- 
ftande, mit Principien kahler Nüslihkeit, mit Seichtigkeit des 
Geiftes und MWiffens, kleinlichen oder gemeinen Leidenfchaften, 
und wo es am refpektabelften war, mit einiger, dody nüchternen 
Wörme des Gefühls betrieben, und trat gegen Alles, was fi) 
von Genie, Talent, Gediegenheit des Geiftes und Gemüths aufz 
that, in feindfelige, tracaffirende, verhöhnende Oppofition. Bers 
lin war der Mittelpumft jenes Auftlärens, wo Nicolai, Mens 
delfohn, Teller, Spalding, Zöllner u. f. f. in ihren Schriften, 
und die Gefgmmtperfon, die allgemeine deutfche Bibliothek, in 
gleichförmigem Sinne, wenn aud mit verfchiedenem Gefühle 
‚ thätig waren; Eberhard, Steinbart, Jeruſalem u. f. f. find als 
Nachbarn in dieſen Mittelpunkt einzurechnen. Außerhalb deſſel⸗ 
ben befand ſich in Peripherie um ihn her, was in Genie, Geift 
und Bernunfttiefe erblühte, amd von jener Mitte aus aufs Ge— 
häffigfte angegriffen und herabgefegt wurde. Gegen Nordoft fe= 
‚ben wir in Königsberg Kant, Hippel, Hamann, gegen 
Süden in Weimar und Jena Herder, Wieland, Gocthe, 
fpäter Shiller, Fichte, Schelling u. A.z weiter hinüber. 
gegen Wellen Jacobi mit feinen Freunden; Leffing, kängft 
gleichgültig gegen das Berliner Treiben, lebte in Tiefen der 
Gelchrfamteit wie in ganz anderen Tiefen des Geiftes, als feine 
Fremde, die vertraut mit ihm zu ſeyn meinten, ahneten. Hippel 
etwa war unter den genannten großen Männern der Literatur 
Deutfchlands der Einzige, der den Schmähungen jenes Mittel- 
punftes nicht ausgeſetzt war. Obgleich beide Seiten im Iutereffe 
der Freiheit des Geiftes übereinfamen, fo verfolgte jenes Auf— 
klären, als trodener Verſtand des Endlichen, mit Haß das Ges 
fühl oder Bewußtſeyn des Unendlichen, was ſich auf diefer Seite 
befand, deſſen Tiefe in der Poefie wie in der denkenden Vers 


- 


44 7 IV, Kritiken. 


mit dem ſich das Verhältniß auch in dem Briefwechſel am in⸗ 
nigften und rüdhaltslofeften zeigt, mit Jacobi, welder nur 
Briefe, und gleichfalls wie Hamann tein Buch zu ſchreiben fä- 
big war; doch find Jacobi’s Briefe in fih Bar, fie gehen auf 
Gedanken, und diefe kommen zu einer Entwidelung, Ausfüh- 
rung und einem Fortgang, fo daf die Briefe zu einer zuſam— 
menhängenden Reihe werden und eine Art von Bud ausmachen. 
Die Franzofen fagen! Le stile c'est ’homme meme; Has 
mans Schriften haben, nicht fowohl einen eigenthümlichen 
Styl, als daß fie durd und durch Styl find. In Allem, was 
aus Hamann’s Feder gekommen, iſt die Perfönlichkeit fo zur 
dringli und das Ueberwiegende, daß der Lefer durchaus allent⸗ 
halben mehr noch auf fie als auf das, was als Inhalt aufzus 
faffen wäre, bingewiefen wird. An den Erzeugniſſen, welche ſich 
für Schriften geben und einen Gegenfland abhandeln follen, 
fällt fogleich die unbegreifliche Wunderlichkeit ihres Verfaſſers 
auf, fie find eigentlich ein und zwar ermüdendes Räthſel, und 
man ficht, daß das Wort der Yuflöfung die Individualität ihres. 
Berfaffers iſt; diefe erklärt ſich jedod nicht in ihnen felbft, Die 
Verſtändniß vornehmlich wird uns nun aber in der Sammlung 
der Werte durch die Bekanntmachung zweier bisher ungedrudter 
Yuffäge Hamanı's aufgefchloffen; der eine if die von ihm im 
Sahre 1758 und 1759 verfaßte Lebensbefchreibung, welche freis 
lich nur. bis zu diefem Zeitpunkt geht, fomit nur den Anfang 
feines Lebens, aber den wichtigften Wendungspuntt feiner Ent- 
widelung enthält; der andere, am Ende feines Lebens verfaßt, 
follte die ganze Abficht feiner Autorfchaft enthüllen (Bd, VIE 
Borr, S. VID), und giebt eine Meberfiht über diefelbe. Die 
reichhaltige bisher ungedrudte Brieffammlung vervollftändigt die 
Diaterialien zur Anfchaulichteit feiner Perfönlichteit, Es ift 
jene Zebensbefchreibung, von der wir auszugehen haben, die auch 
als das vornehmlichſte Neue. * Ausgabe eine ausführlichere 
Anzeige verdient. 


6, Ueber Hamann's Schriften. 45 

Sie ift im 1. Bde. S. 149 — 242 enthalten, und führt , 
den Titel: Gedanken über meinen Lebenslauf, Pf. 94, 19 (der 
Anfang), datirt von London, d. 21. Apr. 1758. Die Stim- 
mung, in der fi Hamann dafelbft befand, ift in dem ruhig 
und fehr gut fiplifieten und infofern beffer als meift alle feine 
fpäteren Schriften geſchriebenen Anfange eines andern Auffages: 
Biblifhe Betradtungen eines Chriften, aud von Lons 
don, d. 19. März am Paimfonntage 1758 datirt, ausgedrüdt: 
„Ich babe heut, mit Gott, den Anfang gemacht, zum zweiten 
Deal die heilige Schrift zu Iefen. Da mich meine Umftände 
zu der größten Einöde nöthigen, worin ich wie ein Sperling 
auf der Spige des Daches fge und wache, fo finde ich gegen 
die Bitterkeit mancher traurigen Betrachtungen über meine ver 
gangenen Thorheiten, über den Miß brauch der Wohlthaten und 
Umftände, womit mic die Vorfehung fo gnädig unterfiheiden 
“ wollen, ein’ Gegengift in der Gefellfhaft meiner Bücher, in der 
Beſchäftigung und Webung, die fie meinen Gedanken geben. 
Die Wiffenfhaften und jene Freunde meiner Vernunft feinen 
gleich Hiob’s mehr meine Geduld auf die Probe zu ftellen, an— 
ſtatt mich zu tröften, und mehr die Wunden meiner Erfahrung 
biuten zu machen, als ihren Schmerz zu lindern. Die Natur 
hat in alle Körper ein Salz gelegt, das die Scheidefünftler aus- 
zuziehen wiffen, und die Vorſehung (es ſcheint) in alle Wider» 
wärtigkeiten einen moraliſchen Urſtoff, den wir aufzulöfen und 
haben, und den wir mit Nugen als ein Hülfsmittel 
gegen die Krankheiten unferer Natur und gegen unfere Gemüths- 
übel anwenden können. Wenn wir Gott bei Sonnenfchein in 
der MWoltenfäule überfehen, fo erſcheint uns feine Gegenwart 
Rats in der Feuerfäule fihtbarer und nachdrücklicher. Ich 
m größten Vertrauen auf feine Gnade durch eine Rüde 
ſicht auf mein ganzes Leben berehtigt. Es hat weder an meis 
nem böfen Willen gelegen, noch an Gelegenheit gefehlt, in ein 
weit tieferes Elend, in weit ſchwerere Schulden zu fallen, als 


! ’ 


46 . IV. Kritiken. , 


worin ich mich befinde, Gott! wir find foldhe armfelige Ge— 
ſchöpfe, daß felbft ein geringerer Grad unferer Bosheit ein 
Grund unferer Dankbarkeit gegen dich werden muß.“ Die Vers 
anlaſſung zu diefer bußfertigen Stimmung, fo wie zu dem Nies 
derfchreiben feines bisherigen Lebenslaufs waren die Verwicke— 
lungen, in welche er in biefer Epoche gerathen war, und die 
bier mit den früheren Haupt-Diomenten feines —— her⸗ 
auszuheben ſind. 

Hamann iſt den 27. Auguſt 1730 in Königsberg in Preu⸗ 
fen geboren; fein Vater war ein Bader, und, wie es fiheint, 
von bemittelten Umſtänden. Das Andenken feiner Eltern (S, 
152) „gehört unter die theuerfien Begriffe feiner Seele, und ift — 
mit zärtlicher Bewegung der Liebe und Erkenntlichkeit verknüpft;“ 
ohne weiteres Detail über ihren Charakter ifi gefagt, daß die 
Kinder (Hamann hatte nur nod einen etwas jüngeren Bruder) 
„au Haufe eine Schule an der Auffiht, ja an der firengen Aufs - 
ſicht und an dem Beifpiele der. Eltern fanden“ Das elterlide 
Haus war jederzeit eine Zuflucht junger Studierenden, melde 
die Arbeit fittfam machte; im diefem Umgange trieb Hamann 
Spraden, Griechiſch, Franzöſiſch, Italienifh, Dlufit, Tanzen, 
Malen; „ſo ſchlecht und recht wir in Kleidern und in anderen 
Thorheiten kurz gehalten wurden, fo viel Ausfchweifung wurde 
uns, hier verftattet und nachgeſehen.“ In feiner Schulerziehung 
hatte er fieben Jahre Unterricht bei einem Manne, der ihm das 
Latein ohne Grammatik beizubringen gefucht hatte; alsdann bei 
einem mehr methodifchen Lehrer, bei dem er dafür nun mit dem 
Donat anfangen mußte. Die Fortſchritte, die er hierin machte, 
waren fo, daß derfelbe ſich und Hamann ſchmeichelte, an dieſem 
‚ einen großen Lateiner und Griechen erzogen zu haben, Hamann 
nennt ihn einen Pedanten, und über die erlangte Fertigkeit im 
Meberfegen griechiſcher und lateinifcher Autoren, in der Rechnen— 
tunft, in der Muſik, läßt ex fich im den damals ſich verbreiten 
den Unfichten gehen, daß die Erziehung auf Bildung des Ver— 


6. Ueber Hamann's Schriften. 47 


flandes und Urtheils gerichtet ſeyn müſſe. Der junge Adel und 
viele Bürgerstinder follten eher die Lehrbücher des Nderbaues 
als das Leben Alerander’s w f. f. zu Lehrbüchern der römifchen 
Sprade haben und dergleichen; Anſichten, von welden die ba= 
fedowfhen, campe'ſchen u. a, Deflamationen und Auffchneide- 
reien, wie ihre pomphaften Unternehmungen ausgegangen, und 
welde auf die Organifation und den Geift des öffentlichen Un— 
tereichts fo nachtheilige, noch jeßt, fo fehr man davon zurückge— 
Bommen, in ihren Folgen nicht ganz befeitigte Einwirkungen ge— 
habt haben. Hamann klagt, daf er in Hifiorie, Geographie 
ganz zurüdgelaffen worden und nicht-den geringften Begriff von 

> der Dichtkunſt erlangt habe, den Mangel der beiden erfien 
niemals gehörig habe erfegen können, auch ſich in vieler Mühe 
‚finde, ‚feine Gedanken mündlich und fehriftlid in Ordnung zu 
fammeln und mit Leichtigkeit auszudrüden, Wenn ein Theil 
diefes Mangels auf den Schulunterricht kommt, fo Liegt jedoch. 
davon, wie wir weiterhin fehen werden, wohl am meiften in der 
fonft charakteriſtiſchen Temperatur und Stimmung feines Geiſtes. 
Ebenſo haratteriftifch für ihn, obgleich wohl nicht für den 

ne ift, was er ferner angiebt, daß alle Ordnung, 
‚aller Begriff und Luſt an derfelden in ihm verdunfelt worden 
ſey. Mit einer Menge Wörter und Sachen überſchüttet, deren 
Verſtand, Grund, Zuſammenhang, Gebrauch er nicht gekannt, 
ſey er in die Sucht verfallen, immer mehr und mehr ohne 
Wahl, ohne Unterfuhung und Meberlegung auf einander zu 
ſchütten; und diefe Seuche Habe fh auf alle feine Handlungen 
—— auch in ſeinem übrigen Leben iſt er hierüber nicht 
N“ geworden. Als einen weitern Abweg, in den er verfallen, 
Per eine Neugierde und kindiſchen Vorwig an, in allen. 
egereien bewandert zu werden; — „fo ſucht der Feind unferer 
len und alles Guten den göttlichen Meizen durch) fein Un— 
— * Nach ferneren Schulſtudien, worin er die 
‚ern Begriffe von Philofophie und Mathematik, von Theologie 








48 E IV. Kritiken. 

und Hebräifhem befam, ein neues Feld von Ausfhweifungen: 
— „das Gehirn wurde zu einer Jahrmarktsbude von ganz neuen 
Waaren;“ mit diefem Mirbel fam er im Jahre 1746 auf die 
hohe Schule. Er follte Theologie fludieren, fand aber ein Hinz 
derniß „in feiner Zunge, ſchwachem Gedädtniffe, viele Heuchel- 
hinderniſſe in feiner Denkungsart u. ſ. w.“ Was ihn vom Ge- 
ſchmacke am derfelben und an allen ernfihaften Wiſſenſchaften 
entfernte, fey eine neue Neigung gewefen, die in ihm aufgegans 
gen, nämlid zu Alterthümern, Kritik, hierauf zu den ſogenann⸗ 
ten ſchönen und zierlichen Wiſſenſchaften, Porfie, Romanen, Phi— 
lologie, den franzöfifchen Schriftfiellern, und ihrer Gabe zu dich⸗ 
ten, zu malen, zu ſchildern, der. Einbildungsfraft zu gefallen u. ſ. w., 
er bittet Gott inbrünftig um Berzeihung diefes Mifbrauds feis 
ner natürlichen Kräfte u. f. f. Er bekannte ſich alfo „zum, 
Schein zur Rechtsgelehrfamteit, ohne Ernft, ohne Treue, ein 
Juriſt zu werden;“ feine Thorheit, fagt er, ließ ihm eine Art 
von Großmuth und Erhabenheit fehen, nicht für Brod zu flus 
dieren, fondern nad) Neigung, zum Seitvertreibe und aus Liebe 
zu den Wiffenfchaften felbft, weil es beffer wäre, ein Märtyrer 
denn ein Taglöhner und Miethling der Muſen zu feyn; „was 
für Unfinn läßt ſich,“ fügt er mit Recht gegen foldhen Hochmuth 
binzu, „in runden und wohllautenden Worten ausdrüden.” 

Er gedachte nun eine Hofmeifterftelle anzunehmen, um Ges 
legenheit zu finden, in der Melt feine Freiheit zu verfuchen, 
auch weil er im Geld etwas fparfam gehalten wurde; er fhiebt 
die Schuld, mit feinem Gelde nicht beffer ausgefommen zu feyn, 
auf den Mangel des göttlichen: Segens, die „Unordnung, den 
allgemeinen Grundfehler meiner Gemüthsart, eine falſche Groß— 
muth, eine zu blinde Liebe und Wohlgefallen für Anderer Ur— 
theile, und Sorglofigkeit aus Unerfahrenheit;" — von dem Feh— 
ler des Mohlgefallens an Urtheilen Anderer ift er bald nur zu 
fehr geheilt worden. 3 

Aus dem Detail der Mißverhältniſſe, in die er in ſeinen 


6, Ueber Hamann's Schriften, 49 


Hofmeifterftellen fih verwicelte, mag ‚hier nur ausgehoben werz 
den, was er davon auf feinen Charakter ſchiebt; — „feine un= 
gefellige oder wunderliche Lebensart,“ fagt er S. 177, „bie 
Theils falſche Klugheit, Theils eine Folge einer 
inneren Unruhe war, an der er fehr lange in feinem Leben ſiech 
geweſen; — eine Unzufriedenheit und Unvermögenheit ſich felbft 
zu ertragen, eine Eitelkeit, ſich felbige zum Räthfel zu machen 
— verdarben viel und machten ihn anſtößig.“ In feiner erften 
Stelle fhrieb er an die Mutter feines Zöglings, eine Baronin 
re Briefe, die ihr das Gewiſſen aufwecken follten; 
Antwortfchreiben gab ihm feine Entlaffung; es iſt ©. 255 
iblich abgedrudt, der Anfang mag hier fichen: „Herr Ha= 
ie Selben fi gahr nicht bei Kinder von Condition 
ie information ſchiden, noch mir die ſchlechte Briefe gefallen, 
i Sie meinen Sohn fo auf eine gemeine und niederträch— 
ibmalen u. f. f.“ — Für die Demüthigungen feines 
Stolzes fand er in der Zärtlichkeit des Kindes, und in der 
Schmeichelei, unfhuldig zu feyn und mit Böſem für Gutes be— 
lohnt zu werden, einige Genugthuung; „id widelte mic,“ fagt 
er, in den Mantel der Religion und Tugend ein, um meine 
Blöße zu deden, ſchnaubte aber vor Wuth, mic zu räden und 
mic) zw rechtfertigen; doch verrauchte diefe Thorheit bald.” In 
ähnliche Mißverhältniſſe gerieth er in einem zweiten Haufe, und 
iterhin in noch weitere Mifftimmungen dadurch, daf er, nach— 
n er daffelbe verlaffen, ſich nicht enthalten konnte, ſowohl fei- 
folger, einem Freunde, als aud den Zöglingen ferner- 
feine brieflichen Belchrungen und Zurechtweifungen aufzu= 
n; „fein Freund fehien diefe Yufmerkfamkeit für den jun- 
Baron als Eingriffe oder. Vorwürfe anzufchen, und der 

bezahlte ihn (Hamann) mit Haf und Verachtung.” 
In Königsberg hatte Hamann die Freundſchaft eines der 
Berens aus Riga gewonnen; — „der die Herzen 
prüft umd zu brauchen weiß, hat feine weifen Abſich- 

4 




















50 IV, Kritiken. 


ten gehabt, uns beide durch einander in Verfuchung zu führen.“ 
In der That find die Verwidelungen mit diefem Freunde und 
deffen Familie das Durcbgreifendfte in Hamann's Schidfal. Er 
lebte eine Zeitlang in diefem Haufe, wo er, wie er fagt, als 
ein Bruder, ja beinahe als ein älterer Bruder angefehen wurde; 
aber er giebt zugleih an, daß er ungeachtet alles Anlaffes zus 
frieden zu ſeyn, ſich der Freude in der Gefellfchaft der edelften, 
munterſten, gutherzigften Menſchen beides Geſchlechts doch nicht 
überlaſſen konnte; nichts als Mißtrauen gegen ſich ſelbſt und 
Andere, nichts als Qual, wie er ſich ihnen nähern oder entdecken 
follte; er ſieht dieß als eine Wirkung der Hand Gottes an, die 
ſchwer über ihm geworden, daß er ſich felbft unter allem dem 
Guten, was ihm von Menfchen gefhah, — als deren Bewun— 
derer, Verehrer und Freund er ſich zugleich angiebt, — nicht 
‚ erfennen follte. — Hamann befchreibt diefen Zuſtand feiner 
inneren Unruhe als ein Gedrüdtfeyn, das gegenüber der wohls 
wollendften Freundfchaft, die er auch empfand und anerkannte, 
nicht zu einem Wohlwollen gegen die Freunde, und damit nicht 
zur Offenheit und Freimüthigkeit des Verhältniffes gelangen 
konnte. Die Franzoſen haben einen kurzen Ausdrud für einen 
Menſchen von diefer Widerwärtigkeit des Gemüths, welche wohl 
Bösartigkeit zu nennen ift; fie nennen einen folden un homme 
mal eleve, indem fie Wohlwollen und Offenheit mit Recht für 
die nächſten Folgen einer guten Erziehung anfehen. Auch kein 
anderer Keim zu einer fpäteren, höhern Selbfierzicehung von In— 
nen heraus, deſſen Zeit ifl, in der Jugend zu erwachen, thut in 
Hamann’s Jugend ſich hervor — nicht irgend eine Poeſie die— 
fer Lebenszeit oder, wenn man will, Phantafterei und Leiden- 
ſchaft, die ein zwar nod) umreifes, ideales, aber feſtes Intereſſe 
für einen Gegenſtand geifliger Thätigkeit enthält und für das 
ganze Leben entfcheidend wird. Die Energie feines intelligenten 
Naturells wird nur zu einem wilden Hunger geifliger Zerftreus 
ung, die keinen Zweck enthält, in den fie fih refumirte. Aber 


6. Ueber Hamann's Schriften. 51 


das Nebel ſeiner Gemüthsart ſollte bald in einer Prüfung auf 
eine ſchlimmere Weiſe zum Ausſchlag kommen. 

Er war auf kurze Zeit in die zweite Hofmeiſterſtelle zurück⸗ 
gekehrt, die er in Kurland bekleidet hatte. Jedoch zurüdgerufen 
nad Haus, um feine flerbende Mutter noch einmal zu fehen, 
und auf das Anerbieten engerer Verbindungen mit dem Berenss 
fen Haufe in Riga, verließ er jene Stelle wieder: „Gott,“ 
fagt er ©. 189, „gab außerordentlihen Segen, daß ich von 
dem Haufe aus Kurland, mit Scheingründen und ohne Aufrich⸗ 
tigkeit, losgelaffen wurde, unter dem Berfprechen wieder zu kom⸗ 
men, das eine offenbare Lüge, und wider alle meine Abſichten 
und Neigungen war.” Die Verbindung mit den Brüdern Bes 
rens war die Aufnahme Hamann’s in ihre Dienfte, Geſchäfte 
und Familie; er follte auf ihre Koften eine Reife thun, „um 
fih aufzumuntern und mit mehr Anfehen und Geſchick in ihr 
Haus zurüdzutchren” Nachdem er feine Mutter fierben gefes 
hen, wo, wie er gefteht, trog der unfäglichen Wehmuth und Bes 
trübnif, die er empfunden, ‚an ihrem Zodtenbette fein Herz 
weit unter der Zärtlichkeit geblieben ift, die er ihr ſchuldig ge⸗ 
wefen, und fih im Stande gefühlt hat, ungeachtet der nahen 
Ausficht, fie zu verlieren, fih auf der Welt anderen Zerſtreuun⸗ 
gen zu überlaffen,” — trat er am 1. Oktober 1756, mit Geld’ 
und Vollmacht verfehen, die Reife nah London an, über Bers 
lin, wo er unter Anderm die erſte Bekanntſchaft mit Moſes 
Drendelsfohn machte, — über Lübel, wo er bei Blutsverwandten 
die Wintermonate zubrachte, — und Amfterdam. In diefer Stadt, 
fagt er, babe er alles Glüd verloren, Bekannte und Freunde 
nad feinem Stande und Gemüthsart zu finden, worauf er ſonſt 
fo ſtolz gewefen ſey; er glaubte, daß ſich Jedermann vor ihm 
(heute, und er felbft ſcheute Jeden; von jener einfachen Erfah⸗ 
rung in einer ganz fremden holländiſchen Stadt weiß er fid 
Teinen andern Grund anzugeben, als daß Gottes Hand fchwer 
über ihm gewefen, weil er ihn aus den Augen geſetzt, nur mit 

; 4* 


52 IV. Kritiken, 


lauem Herzen ihm befannt habe u. f. f. Auf der Meiterreife 
nach London wurde er von einem Engländer um Geld betrogen, 
den er Morgens auf den Knieen betend gefunden, und daher 
Zutrauen zu ihm gefaßt hatte. In London, wo Hamann den 
18. April 1757 ankam, war fein erfter Gang, einen Markt- 
freier aufzuſuchen, von dem er gehört hatte, daß er alle Fehler 
der Sprade heilen könne, (ſchon oben war eines folden Feh— 
lers erwähnt, der wohl im Stottern beftand). Weil aber die 
Kur koſtbar und langwierig ſchien, unterzog fi Hamann ders 
felben nicht, und mufte alfo, wie er fagt, feine Gefchäfte mit 
der alten Zunge und mit dem alten Herzen anfangen; er ent— 
deckte felbige (wie es ſcheint Schuldforderungen) denjenigen, an 
die er gewiefen war. „Man erflaunte über deren Wichtigkeit, 
noch mehr über die Art der Ausführung, und vielleicht am mei 
fen über die Wahl der Perfon, ‚der man felbige anvertraut 
batte;“ man dädelte, und benahm ihm die Hoffnung, etwas 
auszurichten. Hamann aber fpiegelte fih nun als das Klügfie - 
vor, „fo wenig als möglich zu thun, um nicht die Unkoſten zu 
häufen, fich nicht durch übereilte Schritte Blöfen zu geben und 
Schande zu madhen.” Er ging alfo unterdrüdt und taumelnd 
bin und her, hatte keinen Menſchen, dem er ſich entdeden, und, _ 
der ihm rathen oder helfen konnte, war der Verzweiflung nabe 
und fuchte in lauter Zerftreuungen felbige aufzuhalten und zu 
unterdrücken. „Mein Borfag war nichts, als eine Gelegenheit 
zu finden (und dafür hätte ich Alles angefehen), meine Schule 
den zu bezahlen umd in einer neuen Tollheit anfangen zu kön— 
nen; die leeren Verſuche, in die ich duch Briefe, dur) die 
Borftellungen der Freundſchaft und Erkenntlichteit aufwachte, 
waren lauter Schein; nichts als die Einbildung eines irrenden 
Nitters und die Schellen meiner Narrentappe waren meine «gute 
Laune und mein Heldenmuth.” So befchreibt er die Rath⸗ und 
Haltungslofigkeit, in der fih fein Charakter befand. Endlich 
zog er auf eim Kaffeehaus, weil er keine Seele zum Umgang 


6. Ueber Hamann's Schriften. 53 


mehr hatte, „einige Aufmunterung in öffentlichen Geſellſchaften 
zu haben, um durch diefen Weg vielleicht eine Brüde zum Glück 
zu baten.“ So ganz heruntergefommen durd den Eigenfinn 
einer herumlungernden, alle Haltung und Rechtlichkeit, wie den 
Zuſammenhang mit feinen Freunden in Riga und mit’feinem 
Bater verfhmähenden Thorheit fehen wir ihn nad) einem ohne 
alles Geſchäft und Zweck verbrachten Jahre in einem Haufe 
bei einem ehrlichen dürftigen Ehepaar vom 8. Febr, 1758 an 
einquartiert, wo er in drei Monaten höchſtens vier Mal ordent- 
Tiche Speife gehabt und feine ganze Nahrung Waffergrüge und 
des Tags einmal Kaffee war: Gott, fagt er, bat ihm felbige 
‚außerordentlich gedeihen laſſen, denn er befand ſich bei diefer 
Koſt in guter Gefundheitz die Noth, fügt er hinzu, war der 
ſtartſte Beweggrund zu diefer Diät, diefe aber vielleicht das 
einzige Mittel, feinen Leib von den dolgen der Völlerei wieder 
Die innerlich und äußerlich rathlofe Rage trieb ihn, eine 
Bibel aufzuſuchen; bier beſchreibt ex die „Zerknirſchung, die 
das Lefen derfelben in ihm hervorbrachte, die Erkenntniß der 
Dieſe des göttlihen Willens in der Erlöfung Chrifti, feiner ei⸗ 
genen Verbrechen und feines Lebenslaufs in der Gefhichte des 
Jüdischen Volkes; fein Herz ergoß ſich in Thränen, er konnte es 
‚nicht länger, konnte es nicht länger feinem Gotte verhehlen, daf 
er der Brudermörder, der Brudermörder feines eingebornen Soh- 
mes war. Mir finden aus der damaligen Zeit häufig Schil- 
derungen von der Angft und Qual, in welde Menfhen von 
‚einfachem ruhigem Leben geriethen, wenn fle die Forderung zur 
und die Bedingung der Gnade, in ihrem Herzen eine ab- 
e Sündhaftigkeit zu finden, bei aller Erforſchung ihres 
‚erfüllen konnten; aber fie belehrten ſich endlich, 
, die Sündhaftigkeit nicht in ſich zu entdeden, die 
ſelbſt fey, und waren hiermit auf den Weg, Buße 
gediehen, Hamann hatte nad) dem, wie er feis 











54 IV. Ktititen. 


nen Aufenthalt in London ſchildert, diefe Wendung nicht nöthig. 
Durd feine Buße und Irene fühlte er nun fein Herz beruhigter 
als jemals in feinem Leben; der Troft, den er empfangen, vers 
ſchlang alle Furcht, alle Traurigkeit, alles Miftrauen, fo daf 
er feine Spur davon mehr in feinem Herzen finden konnte, Die 
nächſte Anwendung, die er von diefem empfangenen Trofte machte, 
war die Stärfung gegen die Laft feiner Schulden; 150 Pfund 
Sterl. hatte ir in London durchgebracht, ebenfo viel war er in 
Kurland und Liefland ſchuldig geblieben; „feine Sünden find 
Schulden von unendlich mehr Wichtigkeit und Folgen, als feine 
zeitlichen; wenn der Ehrift mit Gott wegen der Hauptſache rich 
tig geworben, wie follte es diefem auf eine Kleinigkeit ankom—⸗ 
men, fie obenein zum Kauf zw geben; die 300 Pfund Sterl, 
find feine Schulden; er überläßt nun Gott alle Folgen feiner 
Sünden, da derfelbe deren Laſt auf fih genommen.“ 

In fo beruhigter Stimmung ſchrieb er diefe höchſt harat⸗ 
teriſtiſche Schilderung ſeines Lebenslaufs und ſeines Innern, bis 
Ende April 1758, und ſetzte fie auch von da noch weiter fort, 

Auf Briefe von Haufe und von Riga, die ihm ein Mann 
brachte, der ihn zufällig endlich auf der Straße traf, kam er 
zum. Entfhluß, nad) Riga zurüdzutchren, wo er im Juli 1758 
wieder eintraf, und in dem Haufe des Herrn Berens, wie er 
fagt, mit aller möglichen Freundfchaft und Zärtlichkeit bewills 
kommnet wurde, Er bleibt in»demfelben; feine Geſchäfte beftes 
hen bloß in einem Briefwechfel mit dem Bruder des Hrn. Bes 
tens, in dem Unterricht der älteften Tochter des Hauptes der 
Familie, und in kleiner Handreihung bei einem jüngern Bruder, 
der auf dem Komptoir war. Er dankt Gott, daß derfelbe bis- 
ber diefe Arbeit mit fihtbarer Hand geſegnet, und nad einer 
fchlaflofen, in Ueberlegung zugebrachten Nacht ſteht er am 15. 
December mit dem Gedanken auf, zw heirathen, nachdem er ſich 
und feine Freundin, eine Schwefter feiner Freunde, der Herren 
BDerens, der Barmherzigkeit: Gottes empfohlen. Rach erhaltener 


6. Ueber Hamann’s Schriften. 55 


Zuflimmung feines Vaters eröffnet er feinen Eutſchluß ben 
Brüdern. Berens und deren Schwefter felbit, die einverflanden 
fheint; aber der Ickte Tag des Jahıs 1758 ift voll aufer- 
ordentlicher Yuftritte zwifchen ihm und ‘einem der Brüder, den 
er wie Saul unter den Propheten mit ihm (Hamann) 
schen hart; das war ein Tag der Noth, des Scheltens und Lä- 
flerns; erbaulich genug fpricht er aber auch dabei von der un⸗ 
gemeinen Rührung über die Sinmesänderung (?) und die Ein- 
drüde der Gnade, die er in jenem wahrzunehmen dien, und 
wie er mit Freudigkeit, die Nacht zu ſterben, ins Bett geht, 
wenn Gott fo gnädig feyn follte, die Seele diefes Bruders 
zu reiten. „In einem Briefe.an feinen Vater giebt er den 
Tag jener Auftritte der faulfihen Propheten⸗Sprache, der Roth, 
des Scheltens u. f. f. für einen Jahresſchluß von vielem außer- 
ordentlihen Segen aus, den ihm Gott widerfahren laffen. 
Mit einem bußfertigen und falbungsvollen Gebete für alle feine 
Freunde, vom erſten Tage des Jahrs 1759, ſchließt das Tage- 
buch. Roh in jenem Briefe an feinen Vater vom 9. Januar 
ſchreibt er von den Hoffnungen, die Einwilligung des einen Bru⸗ 
bers Berens, der ſich zu Petersburg befand, und der Chef der 
Familie gewefen zu feyn fcheint, zu der Heirath mit defien 
Schweſter zu erhalten. Aber die Sammlung ift hier lüdenpaft; 
der nächſte Brief derfelben vom 9. März ift aus Königsberg; 
aus demfelben geht hervor, dag er Riga verlafien hat, und zu⸗ 
nãchſt alle Verhältniſſe zwifchen ihm und dem Berens’jchen 
Haufe abgebrochen find. Im Verfolg des Briefwechfels zwifchen 
Hamann und dem Rektor 3. ©. Lindner in Riga, dem ge⸗ 
meinſchaftlichen Freunde Hamann’s und der Gebrüder Berens, 
finden fih jene dunkel gebliebenen Borfallenheiten nicht weiter 
aufgehellt, aber man lieft genug, um die gänzliche Mißſtimmung 
der beiden Theile zu ſehen, bei den Herren Berens die tiefe 
Empfindung des Kontrafts zwifhen Hamauns üblem Betragen 
in England, fo wie der Fortſetzung eines unthätigen Lebens, 


56 24 IV. Kritiken. 


und zwiſchen dem breiten Auslegen ſeiner Frömmigkeit und der 
von Gott empfangenen Gnade, insbeſondere der Prätenfion, 
durch feine Frömmigkeit foviel vor feinen Freunden voraus zu 
haben, und von ihnen als ihre Meifter und Apoftel anerkannt 
zu werden. Hamann hatte feinen Lebenslauf, der durch das 
Angeführte genug charakterifirt ift, dem Herrn Berens, wie es 
ſcheint, nad) dem Heiraths= Projekt und den zur felben Zeit: er= 
folgten Erplofionen, in die Hände kommen laffen; es erhellt 
von felbft, in welcher Abſicht und ebenfo mit welcher Wirkung; 
von Berens kommt die Weuferung vor, daß er diefen Lebens— 
lauf mit Efel gelefen, ©. 362; um fi zu überwinden, nad) 
Riga zurüdzutommen, damit er nicht Hungers flürbe, habe Has 
mann die Bibel nöthig gehabt; ©. 355 fogar lieft man von der 
Drohung, Hamann zu feiner Befferung in ein Loch fleden 
zu laffen, wo nicht Sonne noch Mond feine. Der vorhin ge 
nannte Lindner, und dann aud Kant bei der Anwefenheit 
eines der Herren Berens in Königsberg, den Gefhäfte dahin 
geführt hatten, bemühten fid) als gemeinfchaftliche Freunde bei— 
der Theile, das Mifverhältnif auszugleihen. Die Briefe Ha- 
manm’s im diefer Angelegenheit, befonders auch einige an Kant 
find von dem Lebendigften, auch DOffenften und Berfiändlichften, 
was aus feiner Feder gefloffen. Nachdem Hamann’s Frömmig- 
keit hauptfächlich die Stimmung der Bußfertigkeit, innerer Freu— 
digkeit und nicht nur einer Ergebenheit gegen Gott, fondern aud) 
‚einer äußern Beruhigung gegen ein Berhältnif und den Zu— 
fland mit Menſchen gehabt hatte; jo wird jest in dem Gedränge 
des Mifverhältniffes mit feinen freunden feine ganze Leiden— 
fhaftlichteit und geniale Energie erregt, und diefe Leidenſchaft⸗ 
lichkeit umd Unabhängigkeit feines Naturells in diefe Frömmig— 
keit gelegt. Da in diefem ein halbes Jahr fortgefesten Kampfe 
und Zanke die ganze Individualität Hamann’s, wie feine Dar: 
‚fellungsweife und Styl ihre Entwidelung erlangt, aud) feine 
eigentliche ſchriftſtelleriſche Laufbahn hier ihre Veranlaffung hat; 


6. Ueber Hamann's Schriften. 57 
fo verweilen wir bei der Heraushebung der Züge dieſes Zants, 
die für das Verſtändniß diefes Charakters die bedeutendften wer- 
den; fie find auf einen allgemeinern, wefentlihen und darum 
überall durchdringenden Gegenfag gegründet. 

Beide Theile dringen und arbeiten auf eine Sinnesände- 
zung des andern Theils; an Hamann wird die Forderung der 
Anerkennung und des wirklichen Eingehens in ein rechtliches, 
brauchbares und arbeitfames Leben gemadt, und die Präten- 
fion feiner Frömmigkeit, infofern diefe ihm nicht auch zu jenem 
treibt, nicht geachtet. Hamann dagegen fest ſich in der Stel- 
lung feiner innern Zuverſicht auch praktiſch feft; feine Buße amd 
der am die göttliche Gnade erlangte Glaube find die Burg, in 
der er ſich ifoliet, und nicht nur gegen die Anforderungen feiner 
‚Freunde, mit ihnen über die Verhältniffe der Mirklichkeit zu 
‚etwas Gemeinfamem und Feſtem zu tommen und objektive Grund⸗ 
füge anzuerkennen, fondern aud gegen ihre Vorwürfe die Hals 
tung umkehrt, ihnen die Erkenntniß ihrer felbft zu erwerben 
aufgiebt und Buße und Vekehrung von ihnen verlangt. Der 
gemeinſchaftliche Punkt, der fie zufammenhält, ift das, auch nad) 
allen Differenzen ſcheinbar, wenigftens bei Hamann unerfehütter- 
Lich; gebliebene Band der Freundfchaft; aber indem er daraus 
Rechte und Pflichten gegen die Freunde nimmt, weift er zugleich 
Alles ab, was fie daraus gegen ihn geltend machen wollen, und 
laßt fie nicht an ihn kommen. Das Princip, aus dem er feine 
Dialektit führt, ift das religiöfe, welches feine Superiorität ge— 
gen die fogenannten weltlichen Pflichten und gegen die Thätig- 


u ee für befichende Verhältniffe abſtrakt behauptet und 







ät feine zufällige Perfönlichkeit einfhlieft: — 
; die auf diefe Weife Sophifterei wird, Als Haupt- 
re mit einiger Anführung der eigenthümlichen 
der fi) Hamann’s Humor dabei ausfpricht, ausgeho= 
— Zunächſt kommen die Freunde Lindner und 
u felbft fehr übel weg. Als ihm 


58 * IV. Kritiken. 

jener unpartheiiſch ſeyn wollende Mittelsmann die Aeußerungen 
des Freundes Berens mittheilt, fragt Hamann, „ob das neutral 
ſeyn heiße, wenn man geharniſchte Männer unter den Dache 
feiner Briefe einnchme, und fein Kouvert zum hölzernen Pferde 
made,“ er fegt diefe Gefälligkeit mit der einer Herodias gegen 
ihre Mutter, das Haupt des Johannes ſich ausjubitten, paral- 
lelz er heißt: dief als ein Heuchler in Schafstleidern zu ihm 
kommen u. ff. An Kant jchreibt er über deſſen Bemühun— 
gen: Ich muß über die Wahl eines Philoſophen zu dem End— 
zweck, eine Sinnesänderung in mir hervorzubringen, laden; ich 
fehe die beſte Demonftration wie ein vernünftig Mädchen einen 
Liebesbrief, und eine baumgarten'ſche Erklärung wie eine wigige 
Fleurette an“ Am meiſten charatteriftifch drücte Hamann feine 
‚Stellung in diefem Kampfe dur die Worte aus, daß Kant, 
indem er mit hereingezogen worden, der Gefahr. ausgeſetzt wor= 
den ſehy, „einen Menſchen zu nahe zu kommen, dem die Krank 
heit feiner Leidenfhaft eine Stärke zu. denken und zw 
empfinden gebe, die ein Gefunder nicht -befige“ Dieß if 
ein Zug, der für die ganze Eigenthümlichteit Hamann's treffend 
iſt. Die Briefe an Kant find mit befonderer, größartiger 
Leidenfchaftlichkeit geſchrieben. Wie es fheint, hatte Kant nicht 
mehr auf Hamanın’s Briefe oder deſſen erften Brief geantwortet, 
und Hamann vernonimen, daß Kant deffen Stolz unerträglich 
gefunden habe; über diefen feinen Stolz und Kant's Stillſchwei— 
gen entgeguet und fordert ihn Hamann mit weitläufiger Heftige 
keit heraus; . er fragt ihn: „Ob Kant fih zu Hamann’s Stolz 
erheben wolle, oder Hamann ſich zu Kant's Eitelkeit herablaſſen 
ſolle.“ — Den Vorwürfen, die ihm wegen feines frühern Bes 
nehmens und feiner jetzigen Beftimmungslofigteit gemacht wer— 
den, entgegnet er atıf die einfache Weife dur) die Warchefie 
des Bekenntniffes und Zugeftändniffes, daß „er der vornehmfte 
unter den Sündern ſey; eben in diefer Empfindung feiner 
Schwäde liege der Troft, den er in der Erlöfung genoſſen;“ 


6, Ueber Hamann’ Schriften. 59 


die Demüthigung, die aus jenen Vorwürfen gegen ihn erwachſe, 
erwiedere er mit „dem Stolze auf die alten Lumpen, welche ihn 
aus dee Grube gerettet, und er prange damit, wie Jofeph mit 
dem bunten Rode,” — Die nähere Beforgtheit feiner Freunde 
um feine Lage und Zukunft, feine Unbrauchbarkeit und Arbeits. 
loſigkeit beantwortet er damit, daß feine Beflimmung weder zu 
einem Staats⸗, Raufs noch Weltmann fey; er danke Gott für 
die Ruhe, die derfelbe ihm gebe. — Hamann Ichte, nachdem er 
Riga verlaffen, bei feinem alten Vater; diefer, fagt er, gebe 
ibm Alles veichlih, was ihm zur Leibesnahrung und Nothdurft 
‚geböre, und wer frei ſey und frei ſeyn könne, folle nicht ein 
Knecht werden; er gehe feinem alten Vater zum Seite und frage 
nicht darnach, wie viel Vortheil oder Abbruch er diefem fchaffe; 
Bibellefen und Beten ſey die Arbeit eines Ehriften; 
‚feine Seele fey in Gottes Hand mit allen ihren moraliſchen 
Mängeln und Grundtrümmen. Wenn inan ja wiffen wolle, 
was er the; — er lutherifire; es müffe doc etwas gethan 
Mens Diefer abentpeuerliche Mönch fagte zu Augsburg (1): hie 
bin ich — ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!“ — 
‚Seine Geldſchuld gegen das berens’fche Haus tut er zumächft 
‚(im dem einen Briefe an Kant S. 444) fo ab, daß, wenn da= 
von vielleicht die Rede würde, Kant dem Hrn, Berens fagen 
ſolle, daß er, Hamann, jest nichts habe, und felbft von feines 
‚Baters Gnade leben müſſe; — wenn er ſterben follte, wolle er 
dem Hrn. Berens feinen Leihnam vermachen, den er, wie die 
Aegyptier, zum Pfand nehmen könne. Cin Jahr fpäter (III. 
>. f) ſchreibt er an jenes Haus, um den Anſpruch 
Schulden auf einen ordentlichen Fuß zu bringen; er er— 

t die Erledigung in der Antwort, daß der Abſchied, den er 
jenem Haufe genonimen, die Quittung aller Verbindlichkei- 

pm möge, die je zwifchen ihnen geweſen.“ — Die haupt« 
— ſeines Benehmens gegen ſeine Freunde iſt 
die Umkehrung des Angriffs auf fie, die Anforderung an ſie, 









A ze. 


60 19, Kritiken. 
zunächſt an einen der Brüder Berens, daß er bei allen ben 
gründlichen Entdedungen, die er über Hamann’s Herz gemacht, 
in feinen eigenen Bufen fühlen, und fi) felbft fo gut 
für einen Miſchmaſch von großem Geifte und elendem 
Tropf erkennen möge, als cr ihn, Hamann, mit viel Schmei> 
chelei (die Schmeicheleien, die Berens ihm made, thuen ihm 
weher als feine beifenden Einfälle) und Treuherzigkeit dafür 
erkläre, Daf er in feiner Privatfahe dem Freund Lindner 
fo überläftig geworden, fey gefchehen, fagt er, weil er gewünſcht 
und gehofft, das Lindner mehr Anwendung davon auf ſich 
felbft maden würde. Wie oft fey er (Hamann) aber an 
das Leiden unfers Erlöfers erinnert worden, da feine Nächften, 
feine Tifchfreunde der Feines vernahmen, und nicht wuß— 
ten, was er redete und was er ihnen zu verſtehen geben 
wollte. Man befchuldige ihn, daß er die Mittel verachte: aber 
fonft wäre er ein Verächter der göttlichen Ordnung; was für 
ein beffer Mittel hätte fi) fein Freund von Gott felbft erbitten 
*önnen als ihn, den man für einen alten, wahren freund ans 
fehe, wenn er in feinem eigenen Namen komme? Weil man 
aber den nicht kenne, der ihn gefandt habe, fo werde 
‚er (Hamann) aud verworfen, fo bald er in deſſen Namen 
tomme; fie verwerfen den, den Gott verfiegelt habe zum 
Dienfte ihrer Seelen. Seine Freunde ekle vor der ofen 
Speife, die fie in feinen Briefen finden; was lefe er aber in 
den ihren? Nichts als die Schlüffe feines eigenen Fleiſches und 
‚Blutes, das verderbter fey als ihres; nichts als das Murren 
feines eigenen alten Adams, den er mit feinen eigenen Satyren 
geile, und die Striemen davon cher als fie felbft fühle, länger 
als fie felbft behalte, und mehr darunter brumme und girre als 
fie, weil er mehr Leben, mehr Affekt, mehr Leiden⸗ 
ſchaft beſitze, nad ihrem eigenen Geſtändniß. 
Den ihm von Gott zugetheilten Beruf, feinen Freunden 
zur Selbſterkenntniß zw verhelfen, beftätigt er noch weiter damit, 


6. Ueber Hamann's Schriften. 61 


daß er ſagt, wie man den Baum an den Früchten erkenne, fo 
wiffe er, daß er ein Prophet ſey, — aus dem Schidfal, das 
er mit allen Zeugen theile, geläftert, verfolgt und verach— 
tet zu werden; — die größte Stufe des. Gottesdienftes, den 
Seuchler Gott bringen, fagt er feinen Freunden. ein ander 
Mal, befiche in der Berfolgung wahrer Bekenner. Dies 
ſer angemaßten Stellung gemäß fordert er Kant (S. 505) her⸗ 
aus, ihn „mit eben dem Nachdruck zurückzuſtoßen und fi feinen 
Vorurtheilen zu widerfegen, als er (Hamann) ihn und feine 
Vorurtheile angreife; ſonſt werde in feinen Augen Kant's Liebe 
zur Wahrheit und Tugend fo verächtlich als Buhlerfünfte aus— 
feben. Mitunter giebt er and) den ganzen Hader für eine ges 
Prüfung ihrer Herzen, feines mit eingefchloffen, 

a.&% an Lindner ©. 375, er fol rihten, was er, Ha- 
mann, fage, und das Gericht feines Nächſten als eine Züdhti- 
gung des Heren anfehen, auf daf wir nicht fammt der Welt 
verdammt werden; er, Lindner, folle die Wunden, die Hamann 
ihm ſchlagen, den Schmerz, den er ihm machen müffe, als ein 
Chriſt vergeben. So erkennt, wie er S. 353 fehreibt, Hamann 
die Heftigkeit nicht, die in des Freundes Berens Zufchriften ſich 
finde; er fehe Alles als eine Wirkung der Freundſchaft deffel- 
ben, und diefe fowohl als ein Geſchenk wie als eine Prüfung 
Gottes an. Daf er (Hamann) S. 393 in einem fo harten 
nn gefehrieben, fey nur darum gefchehen, „daß 
eigung, euer Herz gegen uns offenbar würde vor Gott; 

llte verfudhen, was in meinem Herzen die Liebe Chrifti 
m euch für Bewegungen hervorbringen würde, und was die 
iebe Chrifti in euch gegen ung herborbringen würde“ — Bei 

ur Herausforderung an Kant und bei dem Scheine, fi) mit 
mden in die Gemeinfamkeit der Prüfung zu flellen, 

iſt, wie angeführt, die Zuperfiht der eigenen Vollendung in der 
Buße amd. der Meberlegenheit über die Freunde zu ſtark ausge- 
chen, als daß diefe darin nicht Hamann’s „Stolz“ vornehm- 



















62 TV. Kriliken. 


lich hätten empfinden müffen. Unter jenen Borausfegungen von 
feiner Seite, fieht man wohl, konnte es zu feinem Verftändniffe 
tommen. Kant fcheint, wie erwähnt, ſchon früher fih mit Has 
mann über diefe Sache nicht weiter eingelaffen»zw haben; der 
legte Brief Hamann’s an Kant (S. 504) macht ihm Vorwürfe 
über fein Stillſchweigen und verſucht ihm zu Erklärungen zu 
zwingen; auch fühlt Hamann ebenfo, daß er vergebene Mühe 
aufiwendet, den anderen freunden Lindner und Berens (S. 469: 
„Alle meine Sirenen= Künfte find umfonfi u. f. f.) zu imponis 
ren, und madt (S. 405) den Vorfchlag, da der Briefwechfel 
zwifchen ihnen immer mehr ausarten möchte, von der Materie 
abzubredhen und denfelben eine Weile ruhen zu laffen. In der 
That ift die Erfahrung, welde Hamann hierbei gemacht hat, 
für ihn nicht verloren gegangen; wir fehen ihn von nun an 
gegen Lindner. mit dem der Briefwechfel nad längerer Zeit 
wieder aufgenommen wurde, fo wie auch gegen fpätere freunde 
in einem veränderten, verfländigen Benehmen, das fich auf die 
Gleichheit des Rechts moralifher und religiöfer Eigenthümlich- 
keit gründet, und die freiheit der Freunde unbeeinträchtigt und 
unbedrängt läft. 

Allein diefer Verzicht, die Herzen feiner freunde zu bear— 
beiten oder fie wenigftens zu Diskuffionen über den Zuftand 
ihrer Seelen zu drängen, ift mehr ein äuferliher Schein und 
erfiredt fih nur auf das direkte Benehmen gegen fie. Gein 
Drang wirft ſich jest, weil er es im der Korrefpondenz aufgeben 
muß, fid als Meifter und Prophet anertannt zu fehen, in das 
andere Mittel, dag Wort zu haben, — in das Mittel von 
Druckſchriften. Wir fehen fhon in den legten Briefen an Lind» 
ner, und vornehmlich an Kant, die Keime und dann die nähere 
Ankündigung der fotratifhen Dentwürdigteiten, des 
Anfangs feiner Autorfhaft, wie Hamann felbft diefe Schrift 
nennt. Er ftellt den jungen Berens mit Kant gegen fih in 
das Verhältnif von Aleibiades zu Sokrates, und: bittet um die 


6. Ueher Hamann's Schriften. 63 


Erlaubnif, als der Genius zu reden. In dem ganz charakte— 
riſtiſchen, höchſt geiftreihen Briefe (S. 430) an Kant geht er 
zu der- Wendung über, daf es ihm (Hamann) „um die Wahr- 
heit fo wenig zu thun ſey als Kant’s Freunden;“ „ich glaube, 
wie Sokrates, Alles, was der Andere glaubt — und gehe nur 


‚darauf ans, Andere in ihrem Glauben zu flören.“ Im 


andern öfters angeführten Briefe an Kant (S; 506) wirft er 
diefem vor, es ſey ihm nichts daran gelegen, ihn (Hamann) zu 
verfichen oder nicht zu verſtehen; feine (Hamanı’s) Anerbietung 


ſey gewefen, die Stelle des Kindes zu vertreten, Kant hätte ihn _ 


daher ausfragen follen; dieß Einlaffen ift es, was er auf alle 
Weiſe hervorzurufen befirebt if, und zwar in dem Zwecke, die 
Freunde zur Selbſterkenntniß zu bringen. Die ſokratiſchen 
Dentwürdigkeiten find die Ansführing und ausdrückliche 
Erpofition der Stellung, die er fich nehmen will — als So— 
krates ſich zu verhalten, der unwiſſend gewefen, und feine Un— 
wiffenheit ausgeftellt habe, um feine Mitbürger anzuloden und 
fie zur Selbſterkenntniß und einer Weisheit zu führen, die im 
Berborgenen liege, Man ficht im Verfolge, daf Hamann mit 
dem eigenthümlichen Zwecke diefer Schrift nicht glüdlicher ge= 
wefen als mit feinen Briefen; auf Kant hat fie offenbar weiter 
Feine Wirtung gemacht, und ihn nicht zum Einlaffen vermocht; 
von der andern Seite her, wie es feheint, hat fie ihm Verach— 
tung und felbft Hohn zugezogen. Aber fie drüdt fowohl den 
allgemeinen Grundtrieb der ſämmtlichen Schriftftellerei Hamann's 
aus, als aud) aus ihr die Säge gefhöpft worden find, welde 
fpäterhin eine allgemeine Wirkung hervorgebracht haben. Wir 
— daher bei ihr noch etwas, indem wir nur noch bemer—⸗ 
Hamann zum Behuf diefer Schrift fi), wie er irgend- 
, nicht einmal die Mühe gab, den Plato und Xeno⸗ 
phon felbft nadhzulefen. 

In der Zueignung — fie iſt gedoppelt, an Niemand, 
den Kundbaren (das Publitum) und an Zween — charakte— 






64 IV, Kritiken. 
riſirt er dieſe Legteren (Berens und Kant, I. Bd. ©. 7): „Der 


erfte arbeite am Stein der Meifen, wie ein Menfchenfreund, 


der denfelben für ein Mittel anfieht, den Fleiß, die bürger- 
lichen Tugenden und das Wohl des gemeinen Wefens 
zu fördern; der andere möchte einen fo allgemeinen Welt 
weifen und guten Münzwardein abgeben, als Newton 
war.” (Hamann =) Sokrates felbft feh ungeachtet der Reihe 
von Lehrmeiftern und Lehrmeifterinnen, die man ihm gegeben, 
unwiffend geblieben; aber „er übertraf die Anderen an Weis— 
beit, weil er in der Selbfterkenntnif weiter gefommen war als 
fie, und wußte, daß er nihts wußte. Mit diefem feinem: 
Nichts weiß ich! wieß er die gelehrten und neugierigen Athe— 
nienfer ab, und erleichterte feinen ſchönen Jünglingen die Vers 
läugnung ihrer Eitelkeit, und fuchte ihre Vertrauen durd feine 
Gleichheit mit ihnen zu gewinnen.” „Alle Einfälle des So— 
frates, die nichts als Auswürfe und Abfonderungen ſei— 
ner Ummwiffenheit waren, fihienen den Sophiften, den Ges 
lehrten feiner Zeit, fo fürchterlich, als die Haare an dem Haupte 
Medufens, dem Nabel der Aegide.“ Von diefer Unmwiffenheit 
geht er dazu über, daf unfer eigen Daſehn und die Eriftenz 
aller Dinge aufer uns geglaubt und auf keine andere Weiſe 
ausgemacht werden müſſe. „Der Glaube,” fagt er, „ift kein 
Merk der Vernunft, und kann daher aud Feinem Angriff der— 
felben unterliegen, weil Glauben fo wenig durd Gründe ges 
ſchieht als Shmeden und Sehen. Für das fotratifche Zeugs 
nif von feiner Unwiffenheit giebt es kein ehrwürdigeres Siegel 


als 4. Kor, 7: „So Jemand fi) dünken läßt, er wiffe Etwas, 


der weiß noch Nichts, wie er wiffen fol. So aber Jemand 
Gott liebt, der wird von ihm erkannt,“ — „Wie aus der Un— 
wiffenheit, diefem Tode, diefem Nichts, das Leben und Weſen 
einer höhern Erkenntnif neu gefchaffen hervorkeime, fo weit reicht 
die Nafe eines Sophiften nicht,” 

„Aus diefer Unwiſſenheit des Sokrates fliegen als leichte 


6. Ueber Hamann’ Schriften. 65 


Folgen die Sonderbarkeiten feiner .Lehr- und Dentart. Was 
ift natürlicher, als dag er ſich genöthigt fah, immer zu fragen, 
am Plüger zu werden; daß er leihgläubig that, jede Meinung 
für wahr. annahın, und lieber die Probe der Spötterei und 
guten Laune als eine ernfihafte Unterſuchung anſiellte; Ein⸗ 
fälle ſagte, weil er keine Dialektik verſtand; daß er, wie 
alle. Idioten, oft ſo zuverſichtlich und entſcheidend ſprach, 
als wenn er unter allen Nachteulen feines Vaterlandes die ein⸗ 
zige wäre, welche der Diinerva auf ihrem Helm fäße” Man 
fieht, wie auch nach der Seite des Styls Hamann den Sofrates 
und fich felbft zufammenmengt; die legteren Züge diefer Zeich⸗ 
nung paſſen ganz auf ihn ſelbſt, und mehr als auf Sokrates; 
ſo auch Folgendes, worin ſchon oben Angeführtes nicht zu ver⸗ 
kennen iſt: „Sokrates antwortete auf die gegen ihn gemachte 
Anklage mit einem Ernſt und Muth, mit einem „Stolz“ und 
Kaltfinn, dag man ihn eher für einen Befehlshaber feiner Rich— 
ter als für einen Angeklagten hätte anfchen follen. Plato macht 
die freiwillige Armuth des Sokrates zu einem Zeichen ſei⸗ 
ner göttlichen Sendung; eine größeres ift feine Gemeinſchaft an 
dem letzten Schickſale der Propheten und Gerechten (Mat—⸗ 
thãi 23, 29; ſ. oben: geläſtert, verſpottet zu werden).“ 

So ganz perſönlich, wie der Sinn, Inhalt und Zweck die⸗ 
ſer Schrift iſt, während ihr zugleich gegen das Publikum der 
Schein eines objektiven Inhalts gegeben wird, iſt zwar der 
"Sinn anderer Schriften nicht, aber in allen iſt mehr oder wes 
niger das Intereſſe und der Sinn der Perſönlichkeit eingemiſcht. 
Auch die Säge über den Glauben find auf ähnliche Weiſe 
zunãchſt vom chriftlihen Glauben hergenommen, aber zu dem 
allgemeinen Sinn erweitert, daß die. finnlihe Gewißheit 
von äuferlichen, zeitlihen Dingen, — „von unferm eignen Da⸗ 
ſeyn und von der Eriftenz aller Dinge,” auch ein Glaube 
genannt wird. In diefer Erweiterung iſt das Princip des 
Glaubens von Jacobi bekanntlich zu dem Principe einer Phi⸗ 

Vermiſchte Sıhriften, * a: 5 


66 IV. Kritiken, 
lofophie gemacht worden, und man erkennt in den jacobi’fchen 
Sätzen nahezu wörtlich die hamann’fhen wieder. Der hohe 
Anfprud, den der religiöfe Glaube nur kraft feines‘ abfoluten 
Inhaltes hat, ift auf diefe Weiſe auf das fubjeftive, mit ‚der 
Parritularität und Zufälligkeit relativen und endlichen Inhalts 
behaftete Glauben ausgedehnt worden. Der Jufammenhang 
aud) diefer Verkehrung mit Hamann’s Charakter überhaupt 
wird ſich weiterhin näher ergeben. r 

Die Freundſchaft war im BVerhältniffe der Gelehrten 
und 2iteratoren der damaligen Zeit eine wichtige Angelegenheit, 
- wie wir aus den vielen Briefwechfeln, die feitdem in Drud ge- 
fommen find, erfehen. Die Vergleihung der verſchiedenen Ar- 
ten und Schidfale diefer Freundfchaften würde wohl eine inte- 
reffante Reihe von Charakteriftiten liefern können, befonders 
wenn man jene Briefwechfel mit den gleichfalls zahlreichen Bän- 
den von gedrudten Briefen der franzöfifchen Literatoren der da- 
maligen Zeit parallelifiren wollte. Hamann’s religiofe Wen- 
dung hatte die Geftalt einer abfiratten Innerlichkeit genommen, 
deren hartnädige Einfachheit objektive Beflimmungen, Pflichten, 
theoretifche wie praktiſche Grundfäge nicht als ſchlechthin wefent- 
| li anerkennt, nod em legtes Intereffe für diefelben hat. Eine 
über Grundfäge ftattfindende Verſchiedenheit Fann daher aller- 
dings ſehr weit gehen, ohne die Freundſchaft zu ſtören, welche 
aus demfelben Grunde meift durd Zufall und fubjeftive Nei- 
gung entflanden ift; ein Hauptzug Hamann’s ift daher aud) 
feine Beftändigkeit in derfelben. Es ift intereffant, ihn über 
- feine WVorftellung von der Freundſchaft fi) erklären zu hören, 
was er befonders bei dem gefchilderten frühern Hauptzwift mit 
feinen damaligen Freunden vielfadh thut. Nach feinem Sinne 
gelten die heftigſten Borwürfe, die leidenſchaftlichſten Arußerun— 
gen bloß als Prüfungen (Bd. I, ©. 391); die Freundfchaft- ift 
ihm ein göttliches Geſchenk, infofern Alles dasjenige, was auf 
‚ Ihre Vernichtung zu zielen ſcheint, nichts als ihre Läuterung und 


6. Ueber Hamann's Schriften. 67 


Bewährung hervorbringt. Sie hat ihm (Bd. I, ©. 474) mit 
Lehren, Unterrichten, Umkehren und Bekehren nichts zu ſchaffen. 
„Bas ift denn das Augenmerk der Freundſchaft?“ fragt er. 
„Lieben, Empfinden, Leiden. Was wird Licbe, Empfindung, 
Leidenſchaft aber eingeben und einen freund lehren? Geſichter, 
Mienen, Verzuckungen, Figuren, redende Handlungen, Strate: 
geme, Schwärmerei, Eiferſucht, Wuth.“ — Ferner: „Ich würde 
der niederträchtigfte und undankbarfte Menſch ſeyn, wenn ich 
mich durch die Kaltfinnigkeit des Freundes, durch fein Mifver- 
ſtandniß, ja felbft dur feine offenbare Feindſchaft fo 
bald follte abſchrecken laffen, fein Freund zu bleiben; unter die- 
fen Umftänden iſt es defto mehr meine Pfliht, Stand zu hal- 
ten, und darauf zu warten, bis es ihm gefallen wird, mir fein 
Zutrauen wieder zw ſchenken.“ So behält Hamann’ diefelben 
warmen Gefinnungen gegen die Brüder Berens, mit denen er 
fo hart zufammen gefommen, fein ganzes Leben bei. So wachen 
auch in ihm nah Mendelsfohn’s Tod frühere Empfindun- 
gen gegen denfelben auf, dem „der Antritt von feiner (Ha- 
matın’s) literarifchen Laufbahn nicht verächtlich gefchienen habe; 
er überredet fih nad) allen. Heftigkeiten, im die er gegen den— 
felben erplodirt war, deffen Freund geblieben zu feyn, und daf 
er ihn hiervon noch hätte überzeugen können. — , Mit Her⸗ 
der’n ſteht er fortdauernd, wenigſtens in dem (oft ſehr ge— 
ſchraubt oder auch perſifflirend werdenden) Tone vertraulicher 
Freundſchaft. Bei aller dieſer Freundſchaft erklärt Hamann 
‚einmal Herdern (Bd. V, ©, 61), was fonft offen genug da— 
pe daß beider Geſichtspunkt und Horizont zu entfernt und 
fey, um ſich über gewiffe Dinge vergleichen zu kön— 
1; er „verdammt“ eine der Preisſchriften Herder's (ebend, 
die diefem fonft viel Ruhm erworben hatte; ja von 
über die Apokalypſe fchreibt ihm Hamann (Bd. 
vı, ©. 103) vom 29. Okt. 1779, daß dieß Buch das erfie ſeh, 
welches er (Hamann) aus der Fülle des Herzens und Mundes 
5 * 


68 IV, Kritiken. 


lichen und loben könne; welche Aeußerung um fo weniger wahr 
ift, ein je geringeres Verhältnif jene Schrift überhaupt zur Fülle 
des Herzens und Geiftes hat. Es ift ein allgemeiner, aber eben 
fein Zug des Mohlwollens, daß Hamann gerade durd Die 
Schriften feiner beften (Freunde jo aufgeregt wird, daß er in 
Auffägen über fie herfällt, die, obgleih zum Drude beſtimmt, 
nad feiner ſonſtigen Weiſe mit leidenſchaftlicher Heftigkeit und 
Muthwillen angefüllt, felbft nicht ohme ein Ingredienz find, das 
als bitterer Hohn empfunden werden und kränkend ſeyn kann. 
Ueber Herder's Preisſchrift vom Urſprung der Sprachen hatte 
Hamann in der königsberger Zeitung eine kurze Anzeige ge— 
macht, welche ſich nur verſteckter Weiſe gegen deren Hauptge— 
danken erklärt; aber er verfaßte auch einen fehr heftigen Auffag 
unter dem Titel: Philologifhe Einfälle und Zweifel u, 
1. f) Bd. IV, ©. 37 ff.), worin er feine Zweifel bis zu der 
frage ausdehnt: .„ob es dem Berfaffer je ein Ernft gewefen, 
fein Thema zu beweifen oder auch nur zu berührenz“ die 
Diertmale zu diefem Zweifel fänden ſich darin, daß der ganze 
Beweis (vom dem menfchlichen Urfprung der Sprade) aus eis 
nem runden Eirfel, ewigen Kreifel, und weder verfiedtem 
noch feinem Unfinn znfammengefest, auf verborgenen Kräf- 
ten willkürlicher Namen und gefellfchaftlicher Lofungswörter oder 
Lieblings Jdeen beruhen. ſ. f. Diefen Aufſatz enthielt ſich Ha— 
mann jedoch druden zu laſſen, nachdem Herder, der davon ges 
hört, ihm den Wunſch, daß derfelbe nicht vor das Publitum 
gebracht werde, geäußert hatte. Ebenfo ließ er eine für die kö— 
nigsberger Zeitung verfertigte Necenfion über Kant’s Kritik der 
reinen Vernunft, und den Auffag: Metakritit, auf den wir ſpä— 
terhin zurüdkommen werden, wenigftens ungedrudt. Daß Ja 
cobi's Schriften in Betreff feiner Diffidvien mit Mendelsfohn, 
die Briefe über Spinoza u. f. f., auf die fid Jacobi fehr viel 
zu Gute that, vor Hamann feine Gnade fanden, wird noch ſpä— 
terhin berührt werden. 


6. Ueber Hamann’s Scriften. 69 


An dieſe befondere Art von Freundſchaft ſchließt ſich das 
Eigenthũmliche ſeiner Frömmigkeit an, der Grundzug in ſeiner 
Schriftſtellerei wie in ſeinem Leben überhaupt, welcher nun nã⸗ 
her anzugeben iſt. Wir ſahen ihn früher in dem religiöſen Ge⸗ 
fühle feines äußern und innernñ Elends, aber auch bald daraus 
zur Freudigkeit eines verföhnten Herzens übergegangen, fo daf 
die Qual und Unfeligkeit eines in die religiöfen Forderungen 
und in das denfelben widerfprechende Bewuftfeyn der Sündhaf- 
tigkeit perennirend entzweiten Gemüths überwunden war, ber 
in dem, was über jene Periode aus feiner Lebensbefchreibung 
-ausgehoben worden ifl, und in dem Auflage felbft in der breites 
ften Fülle, liegt jene frömmelnde Sprache und der widrige Ton: 
ſchon ganz fertig vor, welcher noch mehr die Sprache der Heu⸗ 
chelei als der Frömmigkeit zu ſeyn pflegte. Daß er der erſtern 
verfallen ſey, dafür vermehrt ſich der Anſchein, wenn Hamann, 
nachdem er fich innerlich von feinen Sünden abſolvirt hat, nun 
nicht nur auf die Anerkenntniß, der größte Sünder zu ſeyn, ge⸗ 
gen ſeine Freunde pocht, fondern auch über feine bungernde, be⸗ 
ſtimmungs⸗ und arbeitsſcheue Lebensart ihnen mit dem Pan⸗ 
theismus der unãchten Religioſität, daß Alles Gottes Wille ſey, 
entgegnet. „Der Chriſt,“ ſchreibt ev an feine Freunde, „thut 
Alles in Gott: efien und trinken, aus einer Stadt in die andere - 
zeifen, fih darin ein Jahr aufhalten und handeln und wandeln, 
oder darin ftillfigen und harten (geht auf feinen Aufenthalt in 
England), find Alles göttliche Geſchäſte und Werte.“ Es 
würde‘ ihm nicht gefehlt haben, cinen vergnüglihen Kreis von 
neuen Freunden aufzufinden, mit denen er ſich gemeinfam in 
dem Dunfte felbfigefölliger Sündhaftigkeit hätte laben und prei- 
fen Tönnen. Goethe in feinem Leben erzählt, wie zu jener 
Zeit „die Stillen im Sande” zu Frankfurt dem Hamann ihre‘ 
Yufmerkfamkeit jumwendeten und mit ihm ſich in Verhältniß ſetz⸗ 
ten; wie dieſe frommen Menſchen ſich Hamann nach ihrer Weiſe 
fromm dachten, und ihn als „den Magus aus Norden“ mit 


⁊ 


71° ° IV. Kritiken. 


Ehrfurcht behandelten; aber bald Nergernig fhon an feinen 
Wolken und noch mehr an dem Titelblatt zu den Kreuz züe 
gen eines Philologen nahmen, auf weldem das Ziegens 
Profil eines gehörnten Pans, und noch ein weiterer ſatyriſcher 
Holzfhnitt (die aud in diefer. Ausgabe Bd. II, ©. 103 u. 134 
zu finden find): ein großer Hahn, Takt gebend jungen Hühnchen, 
die mit Noten in den Krallen vor ihm fanden, fi höchſt lächer⸗ 
lich zeigte, worauf fle ihm ihr Mißbehagen zu erkennen gaben, 
er aber fih von ihaen zurüdzog. Hamann würde wohl in feis 
ner Gegend gleichfalls dergleichen neue Freunde haben. finden 
tönnen, und wenn etwa das Naturell feines Bruders, der im 
Blödfinn endete, eine weitere Wahrſcheinlichkeit, daß er die 
Richtung der Heuchelei verfolgen würde, an die Sand gäbe, fo 
bewahrte ihn hiervor die in feinem Gemüthe noch flarte und 
frifhe Wurzel der Freundſchaft, die geniale Lebendigkeit feines 
Geiſtes und das edlere Naturell. Jene Wurzel der Freundſchaft 
erlaubte ihm nicht, in ihm ſelbſt unredlich gegen ſich und gegen 
fie zu werden, und das Princip weltlicher Rechtlichkeit zu ver⸗ 
ſchmähen. Es hatte eines fireng pofitiven Elements, eines har⸗ 
ten Keils bedurft, der durch fein Herz getrieben werden mußte, 
um defien Hartnädigkeit zu überwinden; aber es wurde damit 
nicht getödtet, fondern vielmehr deffen energifche Lebendigkeit 
ganz in die Frömmigkeit aufgenommen. Hamann hat darüber 
ein beftimmtes Bewußtieyn, fo daß er aud Gott dafür dankt, 
(Bd. I, S. 373), daf er „wunderlich gemacht iſt.“ 

In dem oft angeführten Kampfe mit feinen Freunden fpricht 
er vielfach diefe Verknüpfung feiner Frömmigkeit und feiner eis 
genthümlichen Lebendigkeit aus; fo fagt er (Bd. I, ©. 393); 
„Wie Paulus an die Korinther in einem fo harten. und felte 
ſamen Tone gefhrieben (mas er mit feinem eigenen Benehmen 
in Parallele fegt), was für ein Gemiſch von Leidenihaf- 
ten habe diefes fowohl in dem Gemüthe Pauli als der Korin⸗ 
ther zu Wege gebracht? Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlan⸗ 


6. Leber Hamann's Schriften. 7 


gen, Eifer, Nahe; — wenn der natürliche Menſch fünf Sinne 
babe, fo ſey der Chriſt ein Inftrument von zchn Saiten, und 
ohne Leidenfhaften einem klingenden Erz ähnlicher als 
einem neuen Menſchen.“ Diefe Frömmigkeit, die fo das welt: 
liche Element einer eminenten Genialität zugleich in fid trägt 
unterſchied ſich weſentlich ebenfo fehr von den Arten ciner bor- 
nirten piefiflifhen, füßlichen oder fanatifhen Frömmigkeit, als 
auch von der ruhigern, unbefangenern Frömmigkeit eines rechts 
ſchaffenen Chriſten, und geftattete ferner auch Anderen, die nicht 
zu den „Stillen im Lande“ gehörten, mit ihm in Gemeinfam- 
keit und Anerkennung zu feyn. 

Der Hr. Herausgeber macht (Borr. zu Bd. II, ©. VI ff.) 
die in Bezug auf Hamann intereffante Erwähnung einer von 
dem vicljährigen Freunde deſſelben, ©. I. Lindner, noch im 
Jahre 1817 herausgegebenen Schrift, worin diefer eine Schilde⸗ 
rung von Hamann entwirft, und in Beziehung auf feine Reli⸗ 
giofltät fagt, daß feine bewundernswürdigen, nicht bloß Eigen- 
heiten, fondern talentvollen Geiftesträfte, die Urſache gewefen, 
dag derfelbe in feiner moralifhen und religiöfen Dentart 
fdwärmte; er war, ift hinzugefügt, „der firenge Verthei— 
dDiger der kraſſeſten Orthodoxie.“ Mit diefem Namen 
wurde damals dasjenige bezeichnet, was in der proteflantifdhen 
Kirche die wefentlihe Lehre des Chriftenthums war. Der Name 
der Drthodorie ift nachher zugleih mit dem Namen der Hete- 
rodorie, welcher legtere den Meinungen der Aufklärung gegeben 
worden war, verfhwunden, feitdem diefe Meinungen beinahe 
aufgehört haben, etwas Abweichendes zu feyn, und eher faft die 
allgemeine Lehre nicht nur der fogenannten rationaliftifchen, ſon⸗ 
dern meift felbft der fogenannten eregetifchen und namentlich der 
Grfühls- Theologie geworden find. Hamann war in der für 
fein Gemüth erlangten Verſöhnung ſich des. objektiven Sur 
fammenhangs diefer Verföhnung wohl bewußt, welcher Zufam- 
menhang die hriftlihe Lehre von der Dreieinigkeit Gottes: 


72 IV, Kritiken. 


iſt. Mit Hamann’s, wie mit dem Iutherifchen und chriftlichen 
Blauben überhaupt tontraftirt es auf das Stärkire, wenn heutis 
ges Tages Theologen vom Fache noch der chriſtlichen Verſöh⸗ 
nungslehre zugethan ſeyn wollen, und zugleich leugnen, daß die 
Lehre von der Dreieinigkeit die Grundlage derſelben ſey; ohne 
dieſe objektive Grundlage kann die Verſöhnungslehre nur einen 
ſubjektiven Sinn haben. Bei Hamann ſteht ſie feſt; in einem 
Briefe an Herder (Bd. V, ©. 242) fagt er: „Ohne das ſo⸗ 
genannte Geheimniß ber heiligen Dreieinigteit ſcheint mir gar 
Fein Unterricht des Chriftenthums möglich zu feyn; Anfang und 
Ende fällt weg.” Er fagt in diefem Zufammenhange von einer 
Schrift, mit der er damals umging, daf das, was man für 
die pudenda der Religion hält (eben das von Anderen kraſſe 
Drthodorie Genannte), und dann der Aberglaube, felbige zu 
befhnciden, und die Raferei, fie gar auszufhneiden, der 
Inhalt diefes Embryons feyn werde. Mit der Drthodorie aber 
pflegt die fernere Vorftellung verbunden zu feyn, daß file ein 
Glaube fey, den der Menſch nur als eine todte, dem Geifte oder - 
. Herzen äußerliche Formel in ſich trage. Hiervon war Niemand 
entfernter als Hamann, fo daß fein Glaube vielmehr den Konz 
traft- in fi) hatte, bis zur ganz foncentrirten, formlos werden« 
den Lebendigkeit fortzugehen. Am nachdrücklichſten iſt dieß im 
dem ausgedrückt, was Jacobi (auserleſener Briefwechſel IL Bd. 
1827, S. 142) von Hamann in einem „Briefe an F. L. Graf 
von Stolberg“ angiebt; Hamann ſagte mir einmal ins Ohr: 
„Alles Haugen an Worten und buchſtäblichen Lehren der Relis 
gion wäre LZama-Dienfl.” Ins Ohr pflegte fonft Hamann 
bei feiner Parrheſie eben nicht zu ſprechen. Allenthalben beweift 
die geiſtige Weiſe ſeiner Frömmigkeit jene Freiheit von dem 
Tode der Formeln. Unter vielem Andern mag folgende dircktere 
Stelle aus einem Briefe Hamann's an Lavater v. J. 1778 
(Bd. V, S. 276) ausgehoben werden; im Gegenſatze gegen La⸗ 
vater's innere Unruhe, Unſicherheit, Durſt und äußere 


6. Ueber Hamann's Schtiften. 73 


Gefhäftigkeit, gegen deſſen Anſtöße in derfelben und Plage 
damit, wie mit feinem Innern felbft, faßt Hamann das Gebot 
feiner eigenen chriſtlichen Gefinnung fo zufanmen: „IE dein 
Brodt- mit Freuden, trin® deinen Wein mit gutem Muth, denn 
dein Werk gefällt Gott; brauche des Lebens mit deinem Weibe, 
das du lich haft, fo lange du das eitle Leben haft, daf dir Gott 
unter der Sonne gegeben hat. Ihre (Ravater’s) Zweifeltnos 
ten find ebenfo vergänglihe Phänomene, wie unfer Syſtem 
von Himmel und Erde, alle leidigen Kopier- und Rechnungs⸗ 
Maſchinen mit eingeſchloſſen“ — Er fügt hinzu: „Ihnen von 
Grund meiner Scele zu fagen, ift mein ganzes Chriftenthum 
ein Geſchmack an Zeichen, und an den Elementen des Waſ⸗ 
fers, des Brodtes, des Weins. Hier ift Fülle für Hunger und 
Durfl: eine Fülle, die nicht bloß, wie das Gefeg, einen Schats 
ten der zutünftigen Güter hat, fondern dur vıv eixova 
Toy noayudzov, infofern felbige durch einen Spiegel im Räth- 
fel dargeftellt, gegenwärtig und anfhaulich gemacht wers 
den können; das releıov liegt jenfeits.” Was Hamann feinen 
Geſchmack an Zeihen nennt, ift dieß, daß ihm alles gegen 
ſtändlich Vorhandene feiner eigenen inneren und äußeren Sits 
fände, wie der Geſchichte und der Lehrfäge, nur gilt, infofern 
es dom Geiſte gefaßt, zu Geifligem gefchaffen wird, fo daß der 
durch diefe Umfchaffung entflehende Sinn des Gegenftändlichen 
weder nur Gedanke, noch Gebilde einer fhwärmenden Phantafle, 
fondern allein das Wahre, das Geiftige ifl, das fo gegenwärtige 
Mirklichkeit hat. Es hängt damit zufammen, was der Herr 
Herausgeber am angeführten Orte noch aus der Schrift ©. J. 
Lindner’s aushebt; diefer erzählt dort auch, daß.er einft über 
Hamann’s AYuslegungen ganz gleichgültiger Stellen der Bibel 
gegen denfelben geäußert habe, daß er (Lindner) mit Hamann’s 
originellem Talente, feinem Proteus-Wige, Erde in Gold und 
Strohhütten in Teens Paläfle verwandeln könnte; daß er aus 
dem Schmutze crebillon’fher Romane u. f. f. Alles das fublimis 


74 IV. Kritiken. 


ten wollte, was Hamann aus jeder Zeile der Bücher der Chro⸗ 
niten, Ruth, Efiher u. f. f. gloffire und interpretire; Hamany 
habe erwiedert: Darauf find wir angewiefen. — Obgleid 
Hamann’s Glaube eine fefte pofitive Grundlage zur Voraus⸗ 
ſetzung behielt, fo war. für ihn doch weder ein äußerlich vorhau⸗ 
denes Ding (die Hoflie der Katholiken), noch eine als buchſtäb⸗ 
liches Wort behaltene Lehrformel (wie bei dem Wortglauben der 
Orthodoxie vorkommt), noch gar ein äußerlich Hiſtoriſches der 
Erinnerung ein Göttliches; ſondern das Poſitive iſt ihm nur Aus 
fang, und wefentlich zur belebenden Verwendung für die Geftals 
tung, für Ausdrud und Verbildlihung. Hamann weiß, daß dief 
belebende Princip weſentlich eigener individueller Geiſt iſt, und 
daß die Auftlärerei, welche fi mit der Autorität des Buchſta⸗ 
bens, welchen fie nur erkläre, zu brüſten nicht entblödete, ein 
falſches Spiel fpielte, da der Sinn, den die Eregefe giebt, zu⸗ 
gleich verftandener, fubjektiver Sinn iſt; welhes Subjektive des 
Sinnes aber damals die Verflandes-Abfiraktionen der wollen 
Schule, wie nachher anderer Schulen, waren. 

So ift Hamann’s Chriftentyum eine Energie Icbendiger 
individueller Gegenwart; in der Beſtimmtheit des pofitiven Eles 
ments bleibt er der freifte, unabhängigfte Geift, daher für das 
am entfernteften und heterogenfien Scheinende wenigſtens formell 
offen, wie oben die Beifpiele- feiner Lektüre gezeigt haben. So 
erzählt Jacobi in dem angeführten Briefe an Graf Stolberg 
auch, daß Hamann gefagt: „Wer den Sokrates unter den Pro⸗ 
pheten nicht leiden kann, den muß man fragen: wer der Pro⸗ 
pheten Vater fen? und ob fi unfer Gott nicht einen Gott 
der Heiden genannt habe?” — Er wird von Bahrdt’s 
ausführlichen Lehrgebäude der Religion, wenigfteng für ein paar 
Tage aufs Höchfte begeiftert, fo fehr er ihn als einen „Irrleh⸗ 
ver” Tennt, weil „der Mann mit Licht und Lehen von der Liche 
redet.” Hamann’s eigene geiftige Tiefe hält ſich dabei in voll- 
kommen toncentrirter Jutenſität, und gelangt zu feiner Art von 


6, Leber Hamann's Schriften. 15 


Erpanflon, es fey der Phantaſie oder des Gedankens. Gedante 
oder ſchöne Phantafle, welde einen wahrhaften Gehalt bearbeis 
tet und ihm Entfaltung giebt, eriheilt demfelben eine Gemeins 
famteit, und benimmt der Darftellungsweife den Schein derje= 
nigen Abfonderlichkeit, welche man fehr häufig allein für Ori⸗ 
ginalität nimmt. Weder Kunftwerke oder etwas der Art, noch 
wiffenfchaftliche Werte kann die Singularität hervorbringen. 
Der fchriftftellerifche Charakter Hamann’s, zu dem wir num 
übergeben, bedarf keiner befondern Darftellung und Beurthei- 


lung, da er ganz nur der Ausdruck der bisher geſchilderten per⸗ 


ſönlichen Eigenthümlichkeit ift, über. welche derfelbe kaum zu ei⸗ 
nem objektiven Inhalte hinausgeht. Der Herr Herausgeber fagt 
in feiner treffenden Charakterifirung der Schriften Hamann’s 
Th. I, Vorr. S. X, daß fie zur Zeit ihres Erfcheinens nur von 
einer Kleinen Zahl mit Achtung und Bewunderung, von den 
Meiften als ungeniefbar mit Gleihgültigkeit, oder auch als 
Werte eines Schwärmers mit Verachtung aufgenommen worden 
feyen. Es mag ſich wohl bei uns, als bereits einer Nachwelt, 
jenes Beides — das Bewußtſeyn des Achtungswerthen und der 
Ungeniegbarkeit — mit einander verbinden, die Ungeniefbarkeit 
aber in einem noch flärkern Grade für uns vorhanden feyn als 
für die Zeitgenofien, für welde die Menge von Partikularitä- 
ten, mit denen die hamann'ſchen Schriften angefüllt find, noch 
eher ein Intereffe und aud mehr Verfländlichteit haben konnte 
als für uns. — Die Unfähigkeit Hamann's, ein Bud zu ſchrei⸗ 
ben, ergiebt ſich aus dem Bisherigen von ſelbſt. Der Herr Her⸗ 
- ausgeber giebt am angeführten Orte (Th. I, Vorr. S. VIII) 
von. den zahlteihen Schriften Hamann's an, daf feine über 
fünf, die meiften nicht über zwei Bogen ſtark waren. „Ferner: 


Alle waren durch beſondere Veranlaſſungen hervorgerufen, kei⸗ 


neswegs aus eigener Bewegung, noch weniger um des Erwerbs 
willen (einige Ueberſetzungen aus dem Franzöſiſchen, Anzeigen 
für die Rönigsberger Zeitung und Anderes dergleichen hatte je- 


76 IV. Kritiken. 

doc wohl diefen Zwed) unternommen; wahre Gelegenheitsfchrifz 
ten, voll Perfönlichkeit und Oertlichkeit, voll Beziehung auf 
gleichzeitige Erfheinungen und Erfahrungen, zugleih aber Ans 
fpielungen auf die Bücherwelt, in der er lebte.” Die Veran 
laffung und Tendenz aller ift polemifh; Recenfionen gaben feis 
ner Empfindlichkeit die häufigfte Anregung zum Schreiben. Was 
ihn zu feiner erfien Schrift, den fotratifhen Dentwürdige 
feiten, antrieb, war. ein perfünlicher und auf.etliche Perfonen 
gerichteter Zweck; die andere, hiermit halbe und ſchiefe Richtung 
gegen das Publikum ift oben bemerkt worden. Diefe Schrift 
hatte auch eine gedoppelte Kritik zur Folge, die eine von der 
Oeffentlichteit her in den hamburgifchen Nachrichten aus dem 
‚Reiche der Gelchrfamteit vom Jahre 1760, die andere war, wie 
es nach dem Titel und der Kräntung, die Hamann darüber 
empfand, fiheint, eine bittere Erwiederung aus dem Kreife der 
Bekannten, denen Hamann mit feinen Dentwürdigkeiten impo— 
niren wollte; dieſe Angriffe veranlaften Hamann zu weiteren 
Broſchüren. — Die Kreuzzüge des Philologen vom Jahre 
1762, eine Sammlung einer Menge Kleiner, unzufommenhäns 
gender Auffäge, die meiften Theils ſehr unbedeutend, doch einige 
Derlen enthalten, brachten ihn in Beziehung zu den Literaturs 
Briefen, zu Nicolai und Mendelsfohn, welde, befonders 
der Lestere, fein Talent hochachtend, ihn für ihre literarifche 
Mirkfamkeit zu gewinnen ſuchten. Vergeblich! Hamann hätte 
in folder Verbindung ebenfo wohl der Eigenthümlichkeit feiner 
Grundfäge als feiner zufälligen und baroden Art ſchriftſtelleri— 
ſcher Kompofition entfagen müſſen. Diefe Beziehung wurde vicl- 
mehr die nähere Beranlaffung zu vielfachen Angriff» und Vers 
theidigungs-Brofhüren, voll partitularen Witzes und rächender 
Bitterkeiten. Andere Aufregungen erhielt er durd andere Zus 
fälligteiten, 3. B. durd Klopfio ck's Orthographie, durch des 
berüchtigten (als Katholik und proteftantifher Hofprediger in 
Darmftadt verftorbenen), früher mit ihm in Verkehr gewefenen 


6, Ueber Hamann’s Schriften. 77 


Stark's (ſ. den Briefwechſel mit Herder und Anderen) Apolos 
gie des Freimaurerordens u. f. f., durch Eberhard’s Apologie 
des Sokrates u, f. f. Auch fein Acciſe-Amt verleitete ihn, eis 
nige franzöfifhe Bogen, unter Anderen an D, Jcilius, Gui- 
ſchard, in Druck ausgehen zu laffen; fie drüden feinen Unmuth 
sowohl über feinen kärglichen Gehalt und über feine Noth, wie 
über das ganze Acciſeſyſtem und den Urheber deffelben, Fried» 
rich I, doch über diefen mehr nur verbiffen, aus. Keine Wir- 
fung irgend einer Art, ſeh's bei den Einfluß-habenden Indivi— 
duen, ſehis beim Publitum, konnten dergleihen Aufſätze hervor— 
bringen; die Partikularität des Intereſſes, der geſchraubte, fro— 
ſtige Sumor iſt hier vollends zu ſehr überwiegend, und weiter 
ſonſt kein Gehalt zu erſehen. Hamann hat ſich nicht an die 
gewöhnliche bewundernde Hochachtung ſeiner Landsleute und ſei— 
ner Mitwelt gegen ſeinen König, den er ſpottweiſe häufig als 
„Salomon du Nord“ bezeichnet, angeſchloſſen, noch weniger 
aber ſich dazu erhoben, ihn zu verfichen und zu würdigen; viel- 
mehr ift er gegen ihn, über die Empfindung eines deutichen 
Subalternen im Zollamt, welder Franzofen zu feinen Vorge— 
festen und einen allerdings Färglichen, felbit einige Mal nod) 
‚einer Reduktion ausgefegten Gehalt bat, und über die Anficht 
eines abfiratten Haſſes gegen die Aufklärung überhaupt nicht 
binausgefommen, — Cs ift ferner bereits bemerkt, daß aufer 
den Schriften von Solchen, die feine Gegner waren oder wur- 
den, befonders beinahe auch die jedesmaligen Schriften feiner 
Freunde eine Veranlafung für ihn zu leidenfhaftlihen, harten 
und bitteren Auffägen wurden; er ließ fie zwar meift nicht druden;. 
— in der vorliegenden Ausgabe erfcheinen mehrere zum erften 
Dale; — auch enthielt er fi, fie die Freunde, gegen deren - 
Schriften er fo losgebrochen war, leſen zu laſſen, doch theilte er 
fie unter der Hand anderen freunden handſchriftlich mit. — 
Die ſtärkſte Aufregung gab Hamann die berühmte mendelsfohn- 
ſche Schrift: „Serufalem oder über religiöfe Macht und Ju— 


78 IV. Kririken. 


denthum; Hamann’s dagegen gerichtete Broſchüre: Golgatha 
und Scheblimini, ift ohne Zweifel das Bedeutendfle, was er 
geſchrieben. 

Was nun die nähere Angabe des Inhalts der Schriften 
Hamann’s und «der Form betrifft, in der er denfelben ausges 
drüdt hat, fo wird das folgende darüber Auszuhebende mehr 
Belege des bereits Gefhilderten geben als neue Züge Bon 
dem Gehalte fahen wir ſchon, daß er das Tieffte der religiöfen 
Mahrheit war, aber fo Foncentrirt gehalten, daß daffelbe dem 
Umfange nad fehr eingefhräntt bleibt. Das Geiftreiche der 
Form giebt dem gedrungenen Gehalte Glanz; aber ftatt einer 
Yusführung bringt die Form nur eine Ausdehnung hervor, Die 
aus fubjektiven Partitularitäten, felbfigefälligen Einfällen und 
dunkeln Schraubereien, nebft vielem polternden Schimpfen und 
fragenhaften, felbft farcenhaften Ingredienzien zufammengefet 
ift, mit denen er ſich felbft wohl Spaf machen, die aber weder 
die Freunde, noch vichweniger das Publikum vergnügen oder 
intereffiren fonnten. s 

Wie er ſich feinen Beruf -vorfiellte, drüdt er in folgendem 
ſchönen Bilde aus (Bd. J. ©. 397): „Eine Lilie im Thal, und 
den Geruch der Erkenntniß verborgen auszuduften, wird immer 
der Stolz ſeyn, der im Grunde des Herzens und in dem innern 
Menſchen am meiften glühen fol.“ Unmittelbar vorher hatte 
er ſich mit der prophetifirenden Efelin Bileam’s verglichen. In 
einem Briefe an Hm. v. Mofer (Bd. V, ©, 48) führt er das 
‚früher angeführte Parallelifiren feines Berufs mit dem des So- 
rates weiter fo aus: „Der Beruf des Sokrates, die Moral 
aus dem Olymp auf die Erde zu verpflanzen, und ein delphi- 
ſches Dratel- Sprüdlein (das der Selbfterfenntmif) in prakti— 
ſchen Augenfhein zu fegen, kommt mit dem meinigen darin 
überein, daß ih ein höheres Heiligthum auf eine analo— 
giſche Art zu entweihen und gemein zu machen gefucht, zum ge— 
rechten Aergerniß unferer Lügen-, Schau: und Maut-Pro- 


L 


6. Ueber Hamann's Schriften. . 9 


pheten (— wohl Maul- Propheten); alle meine Opuscula 
machen zufammengenommen ein alcibiadifhes.Gchäus aus — 
(Anfpielung auf die Vergleihung von Sokrates mit den Sile⸗ 
nen-Bildern). Jeder hat fich über die Façon des Satzes oder 
Plans aufgehalten, und Niemand an die alten Reliquien des 
Lleinen lutherifhen Katehismus gedacht, deffen Schmack 
und Kraft allein dem Papſt- und Türkenmord jedes Aeons 
gewachſen iſt und bleiben wird.“ Daſſelbe beſagt der Titel ſei⸗ 
ner Schrift: „Golgatha und Scheblimini“ (Bd. VII, ©. 
125 fi); jenes ift nad) feiner Erklärung der Hügel, auf dem 
das Holz des Kreuzes, das Panier des Chriftenthums, gepflanzt 
worden; von Scheblimini erfährt man dort auch. gelegentlich, 
daß es ein Fabbaliftifcher Name fey, den „Luther, der -deutfche 
Elias und Eineuerer. des durch das Meſſen⸗ und Maüfln - Ges 
wand der babylonifhen Baal entflellten Chriftenthums dem 
Schutz g eiſt feiner Reformation gegeben;” — „reine Schat⸗ 
tenbilder des Chriftentbums und Lutherthums, 'welde, 
wie der Eherubim, zu beiden Enden des Gnadenfluhls das vers 
borgene Zeugniß meiner Antorfhaft und ihrer Bundeslade bes 
dedten vor den Augen der Samariter, der Philiſter und 
des tollen’Pobels zu Sichem.“ Diefes Chriſtenthum mit 
ebenfo tiefer Innigkeit als glänzender geiftreiher Energie auge 
geſprochen und gegen die Aufklärer behauptet, macht den gedir- 


genen Inhalt der hamann'ſchen Schriften aus. In dem Ange - 


führten fpringen auch die Mängel der „Façon“ hervor, welche 
feinen Zweck mehr oder weniger „verbargen,“ d. h. nicht zur 
ausgeführtern und fruchtbringendern Dlanifeftation kommen lie⸗ 
fen. Ueber die Eigenthümlichkeit feines Chriſtenthums faßt fol- 
gende Stelle (aus Golg. und, Schebl. Bd. VII, S. 58) auf’s 
Beflimmtefte Alles zufammen: „Unglaube im eigentlichſten his 
ſtoriſchen Wortverftande ift die einzige Sünde gegen den Geift 
der wahren Religion, deren Herz im Himmel, wie ihr 
Himmel im Herzen ifl. Nicht in Dienften, Opfern und 


= 
80 IV. Kritiken. 


Gelübden, die Gott von den Menfhen fordert, beficht 
das Gcheimniß der chriftlichen Gottfeligkeit, fondern vielmehr im 
Berheifungen, Erfüllungen und Aufopferungen, die Gott zum 
Beſten der Menſchen gethan und geleiftet; nidt im vor 
nehmſten und größten Gebot, das er aufgelegt, fondern 
im höch ſten Gute, das er geſchenkt hat; nicht in Gefete 
gebung und Sitteniehre, die bloß menſchliche Gefinnungen 
und menſchliche Handlungen betreffen; fondern in Ausführung 
göttliher Thaten, Werte und Anftalten zum Heil der 
ganzen Welt. Dogmatik und Kirchenrecht gehören ledig— 
lich zw dem öffentlichen Erziehungs- und VBerwaltungsanftalten, 
find als foldhe obrigkeitliher Wilttür unterworfen; — 
diefe fihtbaren, öffentlichen, gemeinen Anftalten find weder Re— 
ligion noch Weisheit, die von Oben herabfommt, fondern 
irdiſch, menſchlich und teuflifch nach dem Einfluß welfcher 
Kardinäle oder welſcher Ciceroni, poctifcher Beichtväter oder 
profaifcher Bauchpfaffen, und nad dem abwechſelnden Syſtem 
des ſtatiſtiſchen Gleich- und Uebergewichts, oder bewaffneter To— 
leranz und Neutralität,” Man ſieht, daf für Hamann das 
Chriſtenthum nur eine ſolche einfache Präfenz hat, dag ihm wer 
der Moral, das Gebot der Liebe als Gebot, noch Dogmatik, 
die Lehre und der Glaube an Lehre, noch Kirche, wefentliche 
Beftimmungen find; Alles dahin Bezügliche fieht er für menſch— 
lid, irdifch an, fo fehr, daß es nah Befund der Umſtände 
fogar teuflifch feyn könne. Hamann hat ganz und gar verfannt, 
daf die lebendige Wirklichkeit des göttlichen Geiftes ſich nicht 
in folder einfachen Kontraktion hält, fondern die Ausführung 
feiner zu einer Welt, eine Schöpfung. und dieß nur ift durch 
Hervorbringen von Unterſcheidungen, deren Befchräntung freilich), 
aber ebenfo ſehr auch ihr Recht und ihre Nothwendigkeit im 
Leben des darin endlichen Geiftes anerkannt werden muß. In 
den Schriften Hamann’s können es daher nur einzelne Stellen 
ſeyn, welde einen, und zwar jenen angegebenen Gehalt haben; _ 


6. Ueber Hamann's Schriften. 81 


eine Auswahl derſelben würde wohl cine ſchöne Sammlung ges 
ben, und vielleicht als das Zweckmäßigſte erfheinen, was gethan 
werden könnte, um dem wirklich Werthvollen Eingang bei eis 
nem geößern Publitum zu verfchaffen. Immer aber würde es 
Schwierigkeiten haben, Stellen fo auszuheben, daf fie von den 
übeln Ingredienzien, mit. denen die Schreibart Hamann’s allent« 
halben behaftet ift, gereinigt wären. 

Was unter den Gegenſtänden, auf welche Hamann zu 
mt, herauszuheben weiteres Jutereſſe hat, iſt ſein 
zut Philoſophie und feine Anſicht derſelben. Er muß 
gen darauf einlaſſen, weil das theologiſche Trei⸗ 

kn fl Zei ohnehin unmittelbar mit der Philofophie und 

nächſt mit der wolfifchen zufammenhängt. Jedoch war feine 







eit noch fo weit entfernt, über die hiſtoriſche Geftaltung der 
teligiöfen Dogmen hinaus im Innern derfelben einen fpetulatie 
ven Inhalt zu ahnen (worauf am frühften Kirchenväter ſchon 
und dann die Doktoren des Mittelalters neben dem abſtrakten 
hiſtoriſchen Gefihtspuntte ſich gewendet hatten), daf Hamann 
keine Aufregung zu folder Betrachtung weder von Außen, noch 
weniger in ſich felbft fand. Die beiden Schriften, die Hamann 
vornehmlich veranlaften, über philofophifhe Gegenflände zu 
ſprechen, find Mendelsfohn’s Jerufalem und Kant’s 
Kritik der zeinen Vernunft. Es ift hier wundervoll zu 
feben, wie in Hamann die konkrete Idee gährt und ſich gegen 
mungen der Reflerion wendet, wie er diefen die wahre 
mmung entgegenhält, Mendelsfohn ſchickt, um das 
Mtniß der Religion und des Staats zu begründen, die 
m Grundſätze des Naturrechts feiner Abhandlung voraus, 
die fonft gewöhnlichen Unterſcheidungen von vollkom— 
md unvolltommenen Pflichten oder von Zwangs-, Ge— 
= und Wohlwollenspflicten, von Handlungen und Ges 
‚vor; zu ‚beiden werde der Menſch durd Gründe ges 
zu jenen durch Bewegungsgründe, zu diefen durch 


Bermifchte Schriften. * 6 












82 IV. Kritiken. 


Wöührheitsgründe, der Staat begnüge ſich allenfalls mit 
todten Handlungen, mit Werken ohne Geift; aber aud der 
Staat Fünne der Gefinnungen nicht entbehren; damit Grund» 
füge in Geſinnungen und Sitten verwandelt werden, folle die 
Religion dem Staate zu Hülfe fommen, und die Kirde eine 
Stüge der bürgerlichen Gefellfchaft werden; die Kirche dürfe je 
doc keine Regierungsform haben u, f. f. Das tiefer blidende 
Genie Hamann’s ift darin anzuerkennen, daß er jene wolfifchen 
Beſtimmungen mit Recht nur als einen Aufwand betrachtet 
Bd. VII, ©. 36), „um ein kümmerliches Recht der Natur auf 
zuführen, das kaum der Nede werth fey, und weder dem Stande 
der Gefellihaft, nad der Sache des Judenthums anpaffel” 
Ferner urgirt er gegen die angeführten Unterſcheidungen ſehr 
rihtig (S. 39), daß Handlungen ohne Gefinnungen und Ge— 
finnungen ohne Handlungen eine Halbirung ganzer und leben— 
‚diger Pflichten in zwei todte Hälften find‘; alsdann daf, wenn 
Bemwegungsgründe keine Wahrheitsgründe mehr ſeyn 
dürfen, und Wahrheitsgründe zu Bewegungsgründen 
weiter nicht taugen, alle göttliche und menſchliche Einheit aufs 
bört in Gefinnungen und Handlungen u. f. f. So fruchtbar 
an fich die wahrhaften Principien find, an denen Hamann ges 
gen die Trennungen des Verfiandes fefthält; fo kann es bei ihm 
nicht zur Entwickelung derfelben kommen, nod) weniger zu dem 
Schwereren (was aber das wahre Intereffe der Unterſuchung 
wäre), mit der Bewährung der höheren Principien zugleich die 
Sphäre zu beflimmen und zu rechtfertigen, in welcher die for- 
malen Interfheidungen von fogenannten Swangs= und Gewifz 
fenspflihten u. ſ. f. eintreten müſſen und ihre Gelten haben. 
Hamann hält wohl das Wefen des Rechts und der Sittlich— 
keit, die Subftanz der Gefellfchaft und des Staats gegen die 
Beflimmungen von volltommenen und von unvolltommenen 
Pflichten, von Handeln ohne Gefinnung, von Gefinnung ohne 
Handlungen fe, — Beftimmungen, die zu den Principien des’ 


6. Ueber Hamann’s Schriften. 83 


Rechts, der Sittlichteit, des Staats gemacht, nur jenen befanns 
ten Formalismus von vormaligem Naturrecht und die Ober: 
flãchlichteiten eines abſtrakten Staates hervorbringen; — aber 
ebenſo nothwendig wie das Feflhalten der Subftanz ift die An— 
erkennung der Gültigkeit der untergeordneten Kategorien für ihre 
Stelle; die Meberzeugung von der Nothwendigkeit und dem 
Werthe diefer Kategorien iſt und bleibt ebenfo unüberwindlich, 
—9* von der Nothwendigkeit der Subſtanz. Es hat daher 
me wahrhafte Wirkung, nur jene Wahrheit zu behaupten, und 
diefe Kategorien überhaupt nur zu verwerfen; foldes Verfahren 
muß als leere Deklamation erfheinen. Daß Hamann die Trens 
nung der Wahrheitsgründe von den Bewegungsgrüns - 
dem verwirft, verdient darum befonders ausgezeichnet zu werden, 
weil dieß aud die neueren Vorftellungen trifft, nad welden 
Sittlichkeit und Religion nicht auf Wahrheit, fondern nur auf 
Gefühle und fubjektive Nothwendigkeiten gegründet werden. 
Der andere Fall, deffen wir noch erwähnen wollen, wo 
Hamann ſich auf Gedanken einläft, tommt in dem Aufſatze ge- 
gen Kant, die Metakritit über den Purismum der 
reinen Vernunft, vor (im VII. Bande), nur ficben Blätter, 
aber fehr merkwürdig. Dean hat (Rint in Manderlei zur, 
Gefhihte der metatritifhen Invafion 1800) diefen 
Aufſat bereits an’s Licht gezogen, um darin die Quelle nachzu— 
weifen, aus welcher- Herder feine, mit großem Dünkel aufge 
trelene und mit gerechter Herabwürdigung aufgenommene, nun 
längf vergeffene Metakritit geſchöpft habe, die, wie die Vers 
gleichun g ergiebt, mit dem geiftreichen Auffage Hamann’s nur 
Zitel gemein hat. Hamann ftellt fih in die Mitte des 
lems der Vernunft, und trägt die Auflöfung defielben vor; 
er faht diefe aber in der Geflalt der Sprache. Wir geben 
mit dem Gedanten Hamann’s auch ein weiteres Beifpiel feines 
Bortrage. ‚Er beginnt damit, hiftorifche Standpunkte der Rei- 


nigung der Philoſophie anzugeben, wovon der erfle der Theils 
6 * 












54 IV. Kritiken. 


mifverflandene, Theils miflungene Verſuch gewefen ſey, die Vers 
nunft von aller Meberlieferung, Tradition und vom Glauben daran 
unabhängig zu machen; die zweite noch tranfcendentere Reini— 
gung fey auf nichts weniger binausgelaufen als auf eine Unab— 
bängigkeit von der Erfahrung und ihrer alltäglichen Induktion, 
Der dritte höchſte und gleihfam empirifhe Purismus betreffe 
alfo (?!) nod die Sprade, das einzige, erfle und letzte Or— 
ganon und riterion der Vernunft; S. 7; und num fagt er: 
„Receptivität der Sprade und Spontaneität der Be 
griffe! Aus diefer doppelten Quelle der Zweideutigkeit ſchöpft 
die reine Vernunft alle Elemente ihrer Rebthaberei, Zwei— 
felfudt und Kunſtrichterſchaft, erzeugt durch eine ebenfo 
willtürliche Analyfis als Synthefis des dreimal alten Sauer 
teigs neue Phänomene und Meteore des wandelbaren Horizonte, 
fchafft Zeichen und Wunder mit dem Allhervorbringer und Zer— 
flörer, dem merkurialifhen Zauberfiabe ihres Mundes, 
oder dem gefpaltenen Gänſekiel zwifchen den drei fpllogiftis 
ſchen Schreibefingern ihrer herkulifhen Kauft — — —“ 
Hamann zieht auf die Metaphyſik mit feinen ferneren Verſiche— 
rungen los (S. 8), daf „fie alle Wortzeichen und Rede- Figu⸗ 
ren unferer empirifdhen Erkenntnif zu lauter Hieroglyphen und 
Typen mißbrauche,“ daß fie dur dieſen gelehrtin Unfug die 
Biederkeit der Sprade in ein fo finnlofes, Läufiges, 
unfätes, unbefimmbares = X verarbeite, daß nichts als 
ein windiges Saufen, ein magifhes Schattenfpiel, 
höchſtens, wie der weiße (I) Helvetius fagt, der Talisman und 
Rofenkranz eines tranfcendentalenAberglaubens an en- 
tia rationis, ihre leeren Schläuche und Loſung übrig bleibt“ 
Unter folden Erpektorationen behauptet Hamann nun weiter, 
das ganze Vermögen zu denken beruhe auf Sprade, wenn 
fie auch der Mittelpuntt des Mifverftands der Vernunft 
mit ſich felbft ſey.“ „Laute und Buchſtaben find alfo (!?) 
reine Formen a priori, in denen nichts, was Empfin— 


hai 


6. Ueber Hamann's Echriften. Ss 


dung oder zum Begriff eines Gegenftandes gehört, angetrofs 
fen wird, und die wahren äſthetiſchen Elemente aller 
menſchlichen Ertenntnif und Vernunft.” Nun erklärt er ſich 
gegen die kantiſche Trennung der Sinnlichkeit und des Ver- 
fandes, — da diefe Stämme der Erkenntnif aus Einer 
Wurzel entfpringen, — als gegen eine gewaltthätige, unbefugte, 
eigenfinnige Scheidung deffen, was die Natur zufammengefügt. 
„Vielleicht,“ fügt Hamann hinzu, „gebe es annoch einen chy— 
miſchen Baum der Diana nicht nur zur Erkenntnif der 
Sinnlichkeit und des Verſtandes, ſondern auch zur Erläute— 
rung und Erweiterung beiderſeitiger Gebiete und ih— 
ter Grenzen;“ in der That kann es in dem Sinne der Wiſ— 
fenfhaft allein um die entwidelte Erfenntnif, welde Ha— 
mann den Dianenbaum nennt, zu thun feyn, und zwar fo, daß 
diefer zugleich felbft der Prüfften der Grundſätze ſehn muf, 
welche als Wurzel der denkenden Vernunft behauptet werden 
follen; weder dem Belieben ımd der Willkür nod der Infpira= 
tion kann die Angabe und die Beftimmung diefer Wurzel ans 
heimgefiellt werden; nur ihre Erplitation macht ihren Gehalt 
wie ihren Beweis aus. „Einſtweilen,“ fährt Hamann fort, 
„ohne auf den Beſuch eines neuen Lucifers zu warten, noch ſich 
felbft am dem Feigenbaum der großen Göttin Diana zu 
ergreifen, ‚gebe uns die ſchlechte Buſenſchlange der gemeinen 
Bolktsfprade das ſchönſte Gleichniß für die Hypoftati- 
fhe Bereinigung der finnliden und verftändlidhen 
Naturen, den gemeinfchaftlichen Idiomen-Wechſel ihrer Kräfte, 
die ſynthetiſchen Geheimniffe beider Forrespondirenden 
und fi widerfireitenden Geflalten a priori und a poste- 
riori, fammt“ (ift der Mebergang zu. der andern Seite, daß die 
Sprade aud der Mittelpuntt des Mifverftandes der Ber- 
nunft mit ihe felbft ſey) „der Transfubftantiation fubjettiver 
Bedingungen und Subfumtionen in objektive Präditate und 
z“ umd dieß „durch die Kopulam eines Macht» oder 


86 IV. Kritiken. 


Flickworts,“ und zwar zur Verkürzung der langen Weile und 
Yusfüllung des leeren Raums in periodifhemn Galimathias 
per Thefin und Antithefin (Anfpielung auf die kantiſchen 
Antinomien).“ Run ruft er aus: „DO um die Handlung 
eines Demoſthenes (Hamann felbft war, wie erwähnt, von 
fhwerer Zunge) und feine dreieinige (?) Energie der Bereds 
famteit oder die noch kommen ſollende Mimik, ſo würde ich 
dem Leſer die Augen öffnen, daß er vielleicht ſähe Heere von 
Anſchauungen in die Veſte des reinen Verfiandes hinauf, 
- und Heere von Begriffen in den tiefen Abgrund der fühle 
barſten Sinnlichkeit berabfleigen, auf einer Leiter, bie 
tein Schlafender fih träumen läßt, und den Reihentanz diefer 
Mahanaim oder zweien Vernunftheere, die geheime und ärger⸗ 
lihe Chronik ihrer Buhlfhaft und Nothzuht, und die ganze 
Thevgonie aller Riefen= und Heldenformen der Sulamith und 
Muſe, in der Mythologie des Lichts und der Finſterniß, bis. 
auf das Formenfpiel einer alten Baubo -mit ihr ſelbſt, 
“ inaudita specie solaminis, wie der heilige Arnobius fagt, und 


* 


einer neuen unbefleckten Jungfrau, die aber keine Muts- 


ter Gottes feyn mag, wofür fie der heilige Anfelmus hielt.“ 

Na diefen ebenfo großartigen als höchſt baroden Expek⸗ 
torationen feines gründlichen Unwillens gegen die Abſtraktion, 
wie gegen die Vermiſchung der beiden Seiten des Gegen⸗ 
fages und gegen deren Produkte, geht Hamann zur nähern Bes 
. flimmung deffen über, was für ihn das konkrete Princip iſt. 
Mit einem Alfo und Folglich, die zum Vorhergehenden eben 
kein ſolches Verhältniß haben, giebt er als die Natur der Wör⸗ 


ter an, "daß fie ale Sichtlihes und Lautbares zur Sinn lich⸗ 


feit und Anfhauung, :aber nach dem Geifte ihrer Einfegung 
und Bedeutung zum Verſtande und zu den Begriffen ges 
hören, fowohl reine und empirifhe Anfhauungen als auch reine 
und empirifhe Begriffe feyen. Was er jedoch hieran weiter 
tnüpft, fheint nur etwas gemein Pfychologifches zu feyn. Nun 


6. Ueber Hamann's Schriften. 87 


iſt fein Uriheil über den kritiſchen Idealismus zulegt dich, „daß 
die von demfelben behanptete Möglichkeit, die Form einer em— 
piriſchen Anfhauung ohne Gegenftand noch Zeichen aus der 
reinen und leeren Eigenfhaft unfers äußeren und inneren. 
) Gemüths herauszufbhöpfen, das fög nor od oro und roW- 
zov WVeidag, der ganze Edftein des fritifhen Idealismus und 
feines Thurm = und Logenbaucs der reinen Vernunft ſey.“ Er 
überlaffe dem Lefer, wie er im Gleihnif der Sprade bie 
Zranfeendentalphilofophie vorgeftelit, die „geballte Kauft in 
eine flache Hand zu entfalten.“ Zu dem Angeführten neh— 
men wir noch eine Stelle aus einem Briefe an Herder (Bd. 
VI, ©. 183); nachdem er gefagt, daß ihm alles das tranfcen- 
dentale Gefhwäs der kantiſchen Kritif am Ende auf Schul- 
füdferei und Worttram hinaus zu laufen feheine, und daß 
ihm nichts leichter vorfomme, als der Sprung von einem Ex— 
trem ins andere, wünfcht er Jord. Brunus Schrift de Uno auf- 
zutreiben, worin deffen principium coincidentiae erklärt feh, 
das ihm (Hamann). Jahre lang im Sinne liege, ohne daf er 
8 weber vergeffen noch verfichen könne; diefe Koinci- 
denz feine immer der einzige zureichende Grund aller 
Widerfprüdhe und der wahre Proceß ihrer Auflöfung 
und Schlichtung, um aller Fehde der gefunden Vernunft und 
reinen Unvernunft ein Ende zu machen Dan ficht, daß die 
Idee des Roincidirens, melde den Gehalt der Philofophie 
ausmacht, und oben in Beziehung auf feine Theologie, fo wie 
auf feinen Charakter ſchon befproden worden, und von ihm an 
der Sprade gleichnißweiſe vorfiellig gemacht werden follte, dem 
Seiſte Hamanns auf eine ganz feſte Weife vorfeht; daf er aber 
Fauft“ gemacht, und das Weitere, für die 

jaft allein Verdienftliche, „ſie in eine flade Hand zu 
‚entfalten, dem Leſer überlaffen hat. Hamann hat fi feiner 
Seits die Mühe nicht gegeben, welde, wenn man fo fagen 
könnte, Gott, freilich in höherem Sinne, ſich gegeben hat, den 





88 IV. Kritiken. 


geballten Kern der Wahrheit, der er iſt (alte Philoſophen fage 
ten von Gott, daf er eine runde Kugel fey), in der MWirkliche 
keit zu einem Spfteme der Natur, zu einem Syſteme des Staats, 
der Rechtlichkeit und Sittlichkeit, zum Syſteme der Weltgefchichte 
zu entfalten, zu einer offenen Hand, deren Finger ausgeftredt 
find, um des Menſchen Geift zu erfaffen und zu fich zu zichen, 
welcher ebenfo nicht eine nur abſtruſe Intelligenz, ein dumpfes 
koncentrirtes Weben in ſich felbft, nicht ein bloßes Fühlen und 
Praktieiren iſt, fondern ein entfaltetes Syftem intelligenter Or⸗ 
ganifation, deffen formelle Spige das Denken ift, das heißt feis 
ner Natur nad die Fähigkeit, über die Oberfläche der göttlichen 
Entfaltung zuerft hinaus oder vielmehr, durch Nachdenken über 
fie, in fie hinein zu gehen, und dann dafrlbft die göttlihe Ents 
faltung nadyzudenten: eine Mühe, welde die Beftimmung des 
dentenden Geiftes an und für ſich und die ausdrüdliche Pflicht 
deffelben iſt, feitdem Er ſich ſelbſt feiner geballten Kugelgeftalt 
abgethan und fi zum offenbaren Gott gemacht, — was er 
ift, dieß und nichts Anderes, und damit auch und nur damit 
die Beziehung der Natur und des Geiftes geoffenbart hat. 
Yus den obigen Urtheilen Hamann’s über die kantiſche Kris 
tik und aus den mannigfaltigfien Aeußerungen feiner Schriften, 
wie aus feiner ganzen Eigenthümlichkeit geht vielmehr hervor, 
daf feinem Geiſte das Bedürfnif der Wiſſenſchaftlichkeit übers 
haupt, das Bedürfnif, im Denken fi des Gehaltes bewußt zu 
werden, ihn in demjelben ſich entwideln und hiermit ebenſo fehr 
ihn ſich bewähren zu laffen, als das Denken für ſich zu befrie⸗ 
digen, ganz-ferne lag. Die Aufklärung, welche Hamann bes 
tämpft, diefes Aufſtreben, das Denken und deffen freiheit im 
allen Intereffen des Geiftes geltend zu maden, wird, fo wie die 
von Kant durchgeführte, allerdings zunächſt nur formelle Freiheit 
des Gedantens, ganz von ihm verfannt, und ob ihm gleid) mit 
Recht die Geflaltungen, zu welden es dieſes Denken brachte, 
nicht genügen fonnten, fo poltert er ganz nur fo, um das Wort 


6. ileber Hamann's Schriften. | so 


zu ſagen, ins Gelag und ins Blaue hinein gegen das Denken 
und die Vernunft überhaupt, welche allein das wahrhafte Mit⸗ 
tel jener gewußten Entfaltung der Wahrheit und des Erwach⸗ 
ſens derſelben zum Dianenbaume ſeyn können. Er muß ſo auch 
noch mehr dieß überſehen, daß ſeine, obgleich orthodore, Koncen⸗ 
tration, die bei der intenſtoen ſubjektiven Einheit feſtbleibt, mit 
dem, was er bekämpft, in dem negativen Reſultat übereintommt, 
alle weitere Entfaltung von Lehren der Wahrheit und von deren 
Glauben als Lehren, ja von fittlihen Geboten und rechtlichen 
Pflichten, für gleichgültig anzufehen. 

Es find nun aber noch die fonftigen Ingredienzien näher 
zu erwähnen, mit denen der große Grundgehalt von Hamann 
ausſtafſirt, und vielmehr verunziert und verdunkelt, als geſchmückt 
und verdeutlicht wird. Die Unverſtändlichkeit der hamann'ſchen 
Schriften, infofern fie nicht den aufgezeigten Gehalt, der freilich 
überdieg für Viele unverftändlich bleibt, fondern die Formirung 
deffelben betrifft, ift für ſich unerfreulih, aber fie wird es noch 
mehr dadurch, daß fie ſich beim Lefer mit dem widrigen Eins 
drude der Abfichtlichtrit unausweidhlid) verbinde. Man fühlt 
Hamann’s urfprüngliche Widerborfligkeit hier als eine feindfelige 
Empfindung gegen das Publitum, für das er ſchreibt; nachdem 
er in dem Lefer ein tiefes Intereffe angeſprochen und fo fi 
mit ihm in Gemeinſchaft geſetzt hat, ſtößt er ihn unmittelbar 
durch eine Fratze, Farce, oder ein Schimpfen, das durch. den 
Gebraud von biblifhen Ausdrücken eben nichts Befferes wird, 
oder durch irgend einen Hohn und Myſtifikation wieder von 
fich, und vernichtet auf eine gehäffige Weife die Theilnahme, 
die er erwedt, oder erſchwert fie wenigftens und häufig auf un= 
überwindlihe Weife, indem er barode, ganz entfernt liegende 
Ausdrüde hinwirft oder vielmehr zufammenfhraubt, und den 
Leſer vollends damit muflificirt, dag nur ganz platte Partitulas 
sitäten unter ſolchen Ausdrüden verborgen find, durch welde er 
den Schein oder die Erwartung einer tieffinnigen Bedeutung 


90 UW. Kritiken. 

erweckt hatte. Viele von ſolchen Anſpielungen geſteht Hamann, 
auf die Anfragen von Freunden, die ihn um Erläuterung ers 
ſuchen, nicht mehr zu verfichen. Die damalige Recenfirliteratur 
aus den fünfziger und folgenden Jahren des vorigen Jahrhun— 
derts, hamburger Nachrichten von gelehrten Sadıen, allgemeine 
deutfche Bibliothek, Literatur-Briefe, eine Menge anderer längft 
vergeffener obfturer Blätter und Schriften müßten durchſtudirt 
"werden, um den Sinn vieler Auedrücke Hamann’s wieder aufs 


zufinden; eine um fo mehr undantbare und unfruchtbare Arbeit, 


als fie in. den meiften Fällen auch äuferlid erfolglos ſeyn würde, 
Der Herr Herausgeber felbfi, indem er in einem adten Bande 
Erläuterungen verfpriht (Bd. 1, Vorr. S. XIII), muß hinzus 
fügen, daß fie nur eine fehr mäßige Erwartung befriedigen wer— 
den, Es bevürften die meiften oder ſämmtlichen Schriften Has 
mann’s eines Kommentars, der didleibiger werden könnte als 
fie ſelbſt. Man muf hierüber dem beiftimmen, was fhon Men— 
delsfohn (von Hamann in den Literatur= Briefen XV. Theil 
IBd. U, ©. 479] auf feine farcenhafte Weife fommentirt) dars 
über fagt: „Noch überwindet ſich Mander, die düfteren Irrwege 
einer unterirdifchen Höhle durdzureifen, wenn er am Ende er 
habene und wichtige Geheimniſſe erfahren kann; wenn man aber 
von der Mühe, einen dunklen Schriftfteller zu enträthfeln, nichts 
als Einfälle zur Ausbeute hoffen darf, fo bleibt der Schrift- 
fieller wohl ungelefen.“ Der Briefmwechfel giebt Erläuterungen 
über mehrere ganz partitulare Anfpielungen, wovon die Ausbeute 
oft nur allzufroftige Einfälle find; wenn man Luſt bat, fehe 
man über Velo Veli Dei (Bb. IV, ©. 187) die Aufflärung 
(Bd. V, ©. 104) nad; oder über den Mamamufdi von 
drei Federn (Bd, IV, S. 199); der Name fey aus dem Gen- 
tilhomme bourgeois des Moliere genommen, und nidt ein 
Bafla von drei Noffhweifen Fondern ein Zeitungsfchreiber ſei— 

nes Verlegers und Papiermüllers in Trutenau verflanden; ein _ 
‚ anderer Mamamuſchi kommt (Bd. IV, ©. 132) vor, in dem 


6. Ueber Hamann's Schriften. 91 


Zuſammenhange, daß Hamann auf feine Art feine Ungelegens 
beiten in ein Schriften: Die Apologie des Buchſtabens H., 

ingt, und hier von ſich erzählt, „daß er (ſ. oben in feis 
nem Lebenslauf) auf zwei Kanzleien einen Monat und fechs 
Monate umfonft gedient, und vor überlegener Konkurrenz invas 
lider Schuhpuger und Broddiebe (Hamann's eigene Befähigung 
zu einem Amte und feine Amtsführung hat fi aus dem früher 
Erzählten ergeben) nicht ein ehrlicher Thorſchreiber habe werden ' 
tönnen, und jest ein der Jugend wahres Beſtes fuchender Schul 
meifter, und dieß venerabler fey, als ein wohlbeftallter Sands - 
plader, Stutenmäller und Jordan Mamamuſchi von drei 
Shlafmügen ohne Kopf, außer zur Geldfüchferei, zu ſeyn;“ 
diefe drei Schlafmügen bedeuten — wen? die drei „Lönigl. 
Kammern zu Königsberg, Gumbinnen und Marienwerder!“ 
Hamann hatte freilich um fo mehr Urfache, feine Satyre auf 
königl. Behörden zu verfieden, als er ſich gerade damals bei 
einer folden um eine Anftellung bewarb. Noch eine Myſtifika— 
tion der Art führen wir aus Golgatha und Scheblimini an, 
einer Schrift, deren Gehalt wohl verdient hätte, reiner von Far— 
eenhaftigkeit gehalten zu werden, Indem Hamann (Bd. VII, 
&.31 fi) die Vorftellung des gefellfhaftliden Vertrags - 
betrachtet, die in den damaligen wie noch jest in den meiften 
Theorien des Naturrechts und Staats herrſchend ift, und fehr 
richtig die ſchlechte Worausfegung, die daraus für das Staats: 
leben genommen worden, erkennt, nämlich die der Abſolutheit 
des zufälligen, partifularen Willens, fegt er diefem Princip 
den an und für fi allgemeinen göttlichen Willen entgegen, und 
macht vielmehr das Verpflichtetfepn des partitularen Willens 
und die Unterwürfigkeit defelben unter jene Gefege der Gerech— 
tigkeit und: Weisheit zum wahrhaften Verhältnif. Vom Ich 
des partikularen Willens führt ihn die Konfequenz auf den Ge- 
danten des monarchiſchen Prineips, aber feine gedrüdte Acciſe— 
Eriftenz macht ihm daffelbe fogleic zur Farce; „für keinen Sa- 


je W. Sitten, } 
lomo, Nebukadnezar, nur für einen Nimrod, im Stande der 
Natur, würde es ſich ziemen, mit dem Nachdruck einer gehörn- 
ten Stimm auszurufen: Mir und mir allein kommt das Ent 
fheidungsreht zu, 0b? wie viel und wem? wann? ich zum 
Wohlthun (er hätte ſelbſt hinzufegen können; zum Recht) 
verbunden bin. Iſt aber das Ich, felbfi im Stande drr Nas | 
tur, fo ungerecht und unbeſcheiden, und hat jeder Menſch ein 
gleiches Recht zum Mir! und Mir allein! fo laſſet uns fröh— 
lich feyn über dem Wir von Gottes Gnaden, und dankbar 
für die Brofamen, die ihre Jagd» und Schoofhunde, Wind- 
fpiele und Bärenbeifer unmündigen Waifen übrig laffen. „Sithe 
er ſchluckt in fi den Strom, und acht's nicht groß, läſſet fih 
dünfen, er wolle den Jordan mit feinem Munde ausfhöpfen, 
Hiob 40,18. Wer that (sic!) ihm zwingen, armen Erndtern 
ein Trinkgeld hinzuwerfen! Wer that ihm wehren, die Pfui! 
Pfuil armer Sünder einzuverleiben!” Mer wird auss 
finden, daß, wie Hamann in einem Briefe an Herder erklärt, 
unter den Pfuil Pfuit armer Sünder die früher angeführten 
Fohgelder der Aecife- Beamten zu verfichen ſehen, welche von 
Friedrich II. zur Acciſe-Kaſſe eingezogen wurden; und deren für 
Hamann fehr empfindlicher Verluſt in feinen Briefen ſehr häus 
fig erwähnt wird. — Goethe (aus meinem Leben II. Ip. 
©. 110) fpridt von der fchriftftellerifchen Manier Hamann’s; 
unter feiner Sammlung, erzählt er, befinden ſich einige der ges 
drudten Bogen Hamann’s, auf denen diefer an dem Rande eis 
genhändig die Stellen citirt hat, auf die fih feine Andeutungen 
beziehen; ſchlägt man jene auf, fügt Goethe hinzu, fo giebt es 
abermals ein zweideutiges Doppellicht, das uns höchſt angenehm 
erſcheint, nur muß man durdaus auf das Verzicht thun, mas 
man Berfichen nennt; Goethe führt dort an, daf er felbft ſich 
zu foldem fybillinifhen Styl durd Hamann habe verleiten lafs 
fen; wir wiffen, wie fehr er davon zurüdgefommen, und wie er 
namentlich den noch anzuführenden Gegenfag von Genie und 


6. Weber Hamann’ Schriften. 93 


Geſchmack, in dem er ebenfo mit der ganzen energifchen Pars 
rheſie feines Geifles zuerft aufgetreten, überwunden hat. 
In der Weife des legten Gegenfages, der damals an der 
Tagesordnung war, fafte Mendelsfohn im den Literaturs 
Briefen fein Urtheil über Hamann ab, defien ganzer fehriftftels 
leriſcher Charakter zu auffallend it, um nicht von den Veſon— 
neneren feiner Zeitgenoffen richtig genommen worden zu feyn. 
„Man: erkennt," fagt Mendelsfohn, „das Genie in Hamann’s 
Schriften, aber vermift Gefhmad in denfelben;“ eine Rates 
gorie, die ſonſt gültig und erlaubt war, aber heutiges Tages 
aus der deutſchen Kritit mehr oder weniger verbannt ift; Ge— 
ſchmadk von einer Schrift zu verlangen, würde als eine wenige, 
ſtens befremdende Forderung erfheinen, Hamann felbft erklärt 
bereits dieſe Kategorie für „ein Kalb, welches das Gemächte 
eines Originals (wohl Voltaire's) und ehebrecheriſchen Volks 
fey“ Mendelsfohn findet in Hamann einen Schriffteller, der 
eine feine Beurtheilungstraft befige, viel gelefen und verdaut 
habe, unten von Genie zeige, und den Kern und Nachdruck 
der deutſchen Sprache in feiner Gewalt habe; der fo einer uns 
ferer beiten Schriftfieller hätte werden können, der aber durch 
die Begierde, ein Original zu feyn, verführt, einer der ta= 
delhafteften geworden fey. In partitulare Subjektivität ein— 
geichloffen, und darin nicht zur denkenden oder künſtleriſchen 
Form gedeihend, konnte das Genie Hamann's nur zum Humor: 
‚werden, und noch unglüdlicer zu einem mit zw viel Widrigem 
verfegten Humor. Der Humor für ſich ift feiner ſubjektiven 
Natur nad) auf dem Sprunge, in Selbfigefälligkeit, fubjektive 
täten und trivialen Inhalt überzugehen, wenn er nicht 

gut gearteten und gut gezogenen großen Seele bes 

herrſcht wird. In Hamanns Mitbürger, Geiftesverwandten und 
Bekannten oder auch Freunde, Hippel, der wohl 

ohne Widerſpruch der vorzüglichſte deutſche Humoriſt genannt 
werden darf, erblüht der Humor zur geiſtreichen Form, zum Tas 


9 y IV. Kritiken, 


lent eines Auszeichnens von höchſt individuellen Geftalten und 
originellen Charakteren, Situationen und Schickſalen, von den 


feinſten und tiefſten Empfindungen und philoſophiſch gedachten 


Gedanken. Von dieſem objektiven Humor iſt der hamann— 
ſche eher das Gegentheil, und die Ausdehnung, die Hamann 
durch denſelben ſeiner koncentrirt bleibenden Wahrheit zu geben 
ſich den Spaß macht, kann nicht dem Geſchmack, ſondern nur 
dem zufälligen Guſtus zuſagen. Man kann über dergleichen 
Produktionen die verſchiedenſten Aeußerungen vernehmen. Has 
mann’s Freund, Jacobi 3. B., fagte über deſſen „neue Apologie 
des Buchſtabens H.“ (Bd. IV, Vorr. ©. vw, er wiffe nicht, 
„ob wir in unferer Sprache Etwas aufzuweifen haben, das an 
Tieffinn, Wis und Laune, überhaupt an Reichthum von eigent⸗ 
lichem Genie, ſowohl was Inhalt als Form angeht, diefe Schrift 
überträfe” Es wird der Fall ſehn, daf Andere aufer dem Ref, 
auf keine Weife von diefer Schrift fo angeregt werden, Goethe 
hat den Einfluß Hamann's in ihrer gemeinſchaftlichen Zeit em⸗ 
pfunden, und eine mächtige Aufregung durch denfelben erhalten, 
wie in einem reichen Gemüthe viele ſolche mädtige Erregungen 
ſich verfammelt haben. Was Goethe hin und wieder, wovon 
Einiges bereits angeführt worden, über Hamann gefagt, Tann 
alles weitern Einlaffens in die Schilderung des ſchriftſtelleriſchen 
Charakters deffelben überheben. Hamann ift für Viele nicht nur 
etwas Intereſſantes und Eingreifendes, fondern ein Halt und 
Stügpuntt in einer Zeit gewefen, im der fie eines foldhen, ges 
gen die Verzweiflung an ihr, nöthig hatten, Mir Spätere müfs 
fen ihn als ein Driginal feiner Zeit bewundern, aber können 
bedauern, daß er im ihr nicht eine bereits ausgearbeitete geiftige 
Form vorgefunden hat, mit welcher ſich verfhmelzend fein Genie 
wahrhafte Geſtalten zur freude und Befriedigung feiner Mit— 
wie der Nachwelt hätte produciren können, oder daf ihm: zu ſol⸗ 


her objektiven Geſtaltung ſich felbft herauszuarbeiten das Schid- 


fal den heitern und wohlwollenden Sinn nicht gewährt hatte. 


6. Ueber Hamann's Schriften. | 95 


Wir verlaffen nun aber das Bild feines Daſeyns und 
Wirkens und heben aus den Materialien, welche uns die vor⸗ 
tiegende Sammlung liefert, noch den Schluß feines Lebens. aus. 

“Mas feine literarifche Laufbahn betrifft, fo hatte er fie mit ei⸗ 
nem „fliegenden Brief“ beſchließen wollen, den wir bier zum 
erftien Male gedrudt erhalten. Drei Bogen davon hatte er bes 
reits unter dem Ausarbeiten druden laſſen, aber dabei gefühlt, 
daß er, wie er an Herder fehreibt (Bd. VII, S. 312), „auf 
einmal in ein fo leidenfhaftlihes, blindes und taubes 
Geſchwätz gerathen, daß er den erften Eindrud feines Jdeals. 
ganz darüber verloren und keine Spur davon wieder berftellen 
Tönne,” Die in der Sammlung abgedrudte Umarbeitung hat 
meiflen Theils die Manier des erflen Entwurfs behalten; die 
Stellen defielben, die dem zweiten, der 31. Bogen ausmacht, feh⸗ 
len, will der Herr Herausgeber im achten Bande nadliefern. _ 
Die nächſte Beranlaffung zu diefem Abfagebriefe war wieder 
eine Recenfion im 63. B. der allgem. deutfchen Bibl. über fein 

Golgatha und Scheblimini; „an dem politifhen Philifter F. 
(Chiffre des Recenf.) muß ich mich rächen mit einem Efelstinn- 
baden,” fehreibt er (Bd. VII, S. 299). In diefem Briefe giebt 
er vollftändige litergriſche Notizen über feine Schriften, bedauert, 
feinen alten freund Mendelsfohn vor defien Tode nicht von der 
Redlichkeit feiner Gefinnungen überzeugt zu haben, wiederholt 
vornehmlich die Gedanken feines Golgatha und Scheblimini und 
ſpricht insbefondere aufs Heftigfte feinen Unmuth über die „alls 
gemeine deutfche Jeſabel,“ „die allemanniſche Schädelftätte, des 
ren blinden fchlafenden Homer und feine Gefellen und Burſchen“ 
aus, über „die geſchminkte Weltweisheit einer verpefteten Men⸗ 
fhenfreundin,” „den theologico-politico-hypotritifchen, Sauer- 
teig eines in den Eingeweiden grundverderbter Natur und Ge⸗ 
fellfaft gährenden Machiavellismus und Jefuitismus, der fein 
Spiet mit den Sufannenbrüdern und Belialstindern unferes er- 
leuchteten Jahrhunderts trieb,” u. ſ. f. Er kommt öfters dar⸗ 


x 


96 IV. Kritiken. 


anf zu reden, daß ihm die Art feiner Schriften zuwider ſey, und 
daß er in Zukunft anders, ruhiger und deutlicher zu fehreiben 
ſich bemühen werde, abet er endigt in diefem Aufjage in derfele 
ben gefchraubten, eifernden, widerlichen Weife, einige Stellen 
ausgenommen, in denen er die gehaltvolle Tendenz feines Lebens 
und feines fehriftftellerifhen Auftretens mit rührender Empfins 
dung und ſchöner Phantafie ausſpricht. Es ift angeführt wor« | 
den, wie im Anfang feiner Laufbahn, im Jahre 1759, er ſich 
über feine Tendenz in dem ſchönen Bilde einer Lilie im Thale 
ausdrüdte. Im Jahre 1786, am Schluſſe feiner. Kaufbahn, 
fpricht er die Beſtimmung derfelben fo aus (Bd. VII, S. 120): 
„Diefem Könige (deffen Stadt Jeruſalem ift), deffen Name wie 
fein Ruhm groß und unbekannt ift, ergoß ſich der kleine Bach 
meiner Autorfhaft, veradhtet wie das Waſſer zu Siloah, das 
ftille gebt. Kunſtrichterlicher Ernſt verfolgte den dürren Halm, 
und jedes fliegende Blatt meiner Dlufe; weil der dürre Halm 
mit den Kindlein, die am Markte figen, fpielend pfiff, und das 
fliegende Blatt taumelte und fhwindelte vom Ideal. eines Kö— 
niges, der mit der größten Sanftmuth und Demuth des Here 
zens von fi rühmen konnte: Hie ift mehr denn Salomo. Wie 
ein lieber Buhle mit dem Namen feines lieben Buhlen das wilz 
lige Echo ermüdet, und keinen jungen Baum des Gartens noch 
MWaldes mit den Schriftzügen und Malzeichen des markinnigen 
Namens verfhont, fo war das Gedächtniß des Scönften unter 
den Menſchenkindern mitten unter den Feinden des Königs eine 
ausgefihüttete Magdalenen= Salbe, und floß wie der köſtliche 
Balſam vom Haupt Yarons hinab in feinen ganzen Bart, bins 
ab in fein Kleid, Das Haus Simonis des Yusfägigen in Be— 
thanien ward voll vom Geruche der evangelifchen Salbung; ei— 
nige barmberzige Brüder und Kunſtrichter aber waren unwillig 
über den Unrath und hatten ihre Naſe nur vom Leichengeruche 
voll.“ Hamann kann ſich nicht enthalten, den hohen Ernſt, mit 
dem dieſe Schilderung anfängt, und die gefällige, wenn auch 


— 


6, Ueber Hamann’s Schriften. 97 


felbftgefällige Tändelei, mit der er fie fortfegt, mit einem (wie 
die meiften übrigen Ausdrüde, aus der Bibel entlehnten) Schluß⸗ 
bilde des Unraths zu verumgieren, 

- Während er auf diefe Weife die feindfelige und Fämpfende 
Thätigkeit feines Lebens zu ſchließen befhäftigt war, fehnte er 
fi, feinen lebensmatten Geift im Schoofe der Freundſchaft zu 
erftiſchen oder ihn wenigftens endlich darin ausruhen zu laſſen. 
Das Schidfal diefer Freundſchaft ift noch in feinem Verfolg zu 
betrachten. Obgleich die freundſchaftlichen Gefinnungen Hamann's 

er’s, eines der älteflen feiner (freunde, im Ganzen 

dieſelben blieben, und ihr Briefwechfel, an dem ſchon früh ein 
geſchraubter Ton fühlbar wird, ſich fortfegte, fo verloren die 
Meittheilungen immer mehr an Lebhaftigkeit der Empfindung, 
und der Ton fiel cher in die Langeweile der Klagfeligkeit herab; 
Hamann ſchreibt an Herder von Pempelfort aus am 1. Sept. 
1782: „Seit einigen Jahren muf Ihnen mein matter, fiumpfer 
Briefwechfel ein treuer Spiegel meiner traurigen Lage gewefen 
ſeyn.“ Herder, der fich ſchon von jeher trübfelig gegen Hamann 
zu thun gewöhnt hatte (wie er gegen Andere ſich mehr mit wi- 
driger, auch hochfahrender, vornehmer Trübfeligkeit benahm, f. 
Goethes a, m. Leben), antwortet (28. Okt. 1787): „Ich erröthe, 
über mein langes Stillſchweigen, aber ich kann mir nicht hel- 
fen; auch jest bin ich fo müde und matt von Predigt u. fi f. 
alles iſt eitel Cein häufiger Ausruf in feinen Briefen), Schreis 
ben und Mühen u. f. f.; auch Sie haben des Lebens Ueberdruß 
geſchmedt u. ſ. f.“ — Was Hamann’s Verhältniß zu Hippel 
und Scheffner betrifft, mit denen er in einem ganz kordaten, 
äufigen und vieljährigen Umgange war, fo ſchreibt er an Ja— 


. April 1787, Iacobi’s Werte 4, Bd., 3. Abth., ©. 330): 
=: diefer Leute ift ebenfo fonderbar als ihr Ton; was 
ich für eine Figur zwiſchen ihnen vorftelle, weiß ic) felbft nicht, 
Es ſcheint, daß wir uns einander lieben und ſchätzen, 
ohne uns felbfi recht zu trauen. Sie feinen gefunden 

Bermifchte Schriften. * 7 


F 





98 IV, Keitifen. 


zu haben, was ih noch fuhe Mit allem Kopfbrechen geht 
es mir wie dem Sancho Panfa, dag id mid endlich mit dem 
Epiphonem beruhigen muß: „Gott verficht mich.” Ins Bes 
fondere ift ihm an Hippel das ein Wunder und Geheimnif, 
wie derfelbe bei feinen Gefdhäften an folde Nebendinge (die 
Fortfegung feiner Lebensläufe) denken fann, und wo er Yugen- 
blide und Kräfte hernimmt, Alles zu beflreiten; er ift Bürger- 
meifter, Policeidireftor, Ober - Kriminal- Richter, nimmt an allen 
Gefellfchaften Theil, pflanzt Gärten, hat einen Baugeift, ſam— 
melt Kupfer, Gemälde, weiß Luxus und Ockonomie, wie Weis— 
heit und Thorheit, zu vereinigen.“ — Cine intereffante Schil- 
derung eines fo genialen lebens⸗ und geiftesfrifhen Mannes. — 
Bon fi fagt Hamann cebendaf. S. 336, er habe in Könige- 
berg Niemand, mit dem er über fein Thema fprechen könne, 
nichts als Gleichgültige. Defto inniger war die Freundfchaft 
mit Jacobi, defto lebhafter ihr Briefwechfel geworden, (die Ans 
rede von Sie an Hamann lief Jacobi bald mit dem Du und 
Vater abwechfeln, in das fie bald ganz überging; doch Ha— 
mann, im Begriffe zu reifen, fehreibt an Jacobi: dugen kann 
ich mich nur unter vier Augen! Hamann’s Briefw. mit Jacobi 
©. 376). Dazu hatte fi die Freundſchaft eines Herrn Franz 
Buchholz, Barons von Wellbergen bei Münſter, eines jungen 
fehr begüterten Mannes angeknüpft, der aus. tieffter Verehrung 
gegen Hamann diefen gebeten, ihn zum Sohn anzunehmen, 
ihm bedeutende Geldfummen übermadt und dadurch die Sorge 
um feine und feiner Familie Subfiftenz und Erziehung gemins 
dert hatte, und nun aud die Reife nah Weſtphalen zu diefen 
beiden Freunden möglich machte. Hamann fühlte das Drüdende 
fo weit reichender Verbindlichkeiten; er ſchreibt an Hartknoch, 
der ihm gleichfalls Geldanerbietungen gemacht hatte, daf „er 
unter dem Drude der MWohlthaten jenes Freundes genug leide, 
und davon fo gebeugt werde, daf er feinen Schultern feine ans 
dere Bürde aufladen könne, wenn er der Laft nicht unterliegen 





6, Ueber Hamann's Schriften. 99 


folle; er führt dann feine Empfindungen auf ein Miftrauen 
gegen ſich felbft zurüd, das ihn um fo mehr an die Wors 
fehung anfhliefe und zu einem gebundenen Knecht des eins 
zigen Herrn und Vaters der Menfhen made,” Der Sinn der 
Freundfchaft diefer beiden Männer und Hamann's benahm als 
lerdings jener Wohlthätigkeit das unter anderen Verhältniffen 
natürlich im beiderfeitige VWerlegenheit Segende. Nicht bloß im 


der Bizarrie eines Jean Jacques (auch I. ©; Hamann unters _ 


ſchreibt fi zuweilen Hanns Görgel), der feine Kinder in 
das Findelhaus ſchickte (Hamann ließ feine ‚Töchter in einer 
nicht wohlfeilen, von einer Baroneffe gehaltenen Penfion erzie- 
ben), und vom Notenfchreiben ſubſiſtiren wollte, fondern wohl 
auch allgemeiner ift über den Punkt der Geldverhältniffe (auch 
des Dutzens u. f. f.) die Delitateffe der damaligen franzöfifchen 
Genies und Literatoren (man fehe 3. B. Marmontel’s Leben) 
anders gewefen als die der deutfchen. Hamann erhielt auf feine 
Gefuche um Urlaub von feiner Behörde im erften Jahre eine 
abſchlãgige Antwort, im zweiten Erlaubniß zu einer Reife auf 
einen Monat; im dritten unter dem Nachfolger Friedrichs II. 
endlich erfolgte auf feine Eingabe, worin er, nad) der Refolus 
tion (am angef. Orte ©. 363) zu urtheilen, die Ueberflüffigkeit 
feines Dienſtthuns wohl zu flart *) gefchildert, doch nicht ge— 
dacht hatte, daf die Wirkung bis zu diefer Länge gehen würde, 
feine Penfionirung (indem feine Stelle mit einer andern kom— 
binirt wurde) mit der Hälfte feines Gehaltes (150 Thaler, die 
jedoch bald auf 200 vermehrt wurden). Niedergeſchlagen über 
jene Refolution, die Jacobi ein „Tyrannen-Urtheil“ nennt, in 


. ) Berlin, den 26. April 1787. „Daß bei der jegigen Stelle des 
s Hamann zu Königsberg wenige und Theils unnüse Ges 
zu verſehen ſind, ſolches iſt hier ſchon bekannt, und wird in deſſen 
unter dem 16. anhero eingereichter Vorſtellung von ihm ſelbſt bekraͤftigt. 
er überflüffigen Poſten bei der jegigen Hccife » Einnahme auf 
Allerh. Befehl eingezogen, die Bora befdyäftigten aber mit 

anderen verbunden werden follten, fo u. ſ. w.“ 

7* 





102 IV, Kritiken, 


bie bekannten Schilderungen gegeben hat. — Wir ftellen bie 
Daten zufammen, wie ſich in diefem, wenn man will, Romane 
der Freundfchaft die handelnden Perfonen fhildern. 

Bon der Diotima, Fürſtin Galligin, ſchreibt Has 
mann immer mit der größten Verehrung; er ſchildert fie einmal 
(8b. VII, ©. 367), höchſt charakteriſtiſch für fie wie etwa für 
einen Theil der umgebenden Vortrefflichkeiten, in einem Briefe 
an eine Freundin in Königsberg: „Wie fehr würden Sie,“ ſagt 
et, „bon diefer einzigen Frau ihres Gefchlechts eingenommen 
fepn, die an der Leidenfdhaft für Größe und Güte des 
Herzens ſiech if.” Die Fürftin durfte ohne Zweifel den Mann, 
der, da er ſchon fo viel gefunden, wohl nicht weit hin zu haben 
fheinen konnte, um den legten Schritt zu thun, mit ihrer bes 
fannten Profelyten- Macerei nicht unangefohten laffen, was 
freilich bei Hamann nicht verfangen konnte. Als eine Spur 
ſolchen Verſuchs mag wohl nicht anzufehen feyn, daß er num, 
wie er fagt, die Vulgata mit Vorliebe citirt; eher dief, daß er 
fi) jest (nad einem Beſuch bei der „frommen Fürſtin“) alle 
Morgen aus Sailer’s Gebetbuche erbaue, in das er ärger 
als Johannes (d, i. Lavater) verliebt ſey, nahdem er es tens 
nen gelernt (Hamann’s Briefwechfel mit Jacobi S. 406). Er 
fagt über jenes Buch richtig, wenn Luther nicht den Muth ges 
habt, ein Keger zw werden, Sailer nit im Stande gewefen 
wäre, ein fo ſchönes Gebetbuch zu fehreiben (Bd. VII, S. 420). 
Dief Gebetbudh war zu jener Zeit des Streits über Krypto— 
katholicismus fehr berüchtigt gemacht, als ein Bud, das, wenn 
nicht dazu beftimmt, doch dazu gebraucht worden fey, die Pros 
teftanten über die Natur des Katholicismus zu täufhen. Es 
findet fih (Bd. VII, S. 404) ein intereffanter Brief Hamann’s 
an die Kürflin vom 11. Dec. 1787, defien Anfang oder Beran- 
laffung nicht ganz klar ift, worin es aber im Verfolg beißt: 
„Dhne fi) auf die Grundfäge zu verlaffen, die mehrentheils 
auf VBorurtheilen unfers Zeitalters beruhen, noch felbige zu ver: 


6, Ueber Hamann's Schriften. 103 


ſchmähen, weil fie zu den Elementen der gegenmwärti- 
gen Welt und unferes Zufammenhanges mit derfelben gehö- 
ren (ein fehr wichtiges, geiftreihes Wort), ift wohl der fidherfte 
Grund aller Ruhe, fih an der lautern Milh des Evanges 
Lii zu begnügen, fih nad der von Gott, nicht von den 
Menfhen gegebenen Leuchte zu richten u. f. f.“ Es find hier 
Bellimmungen angegeben, welche mehrere Ingredienzien der Res 
ligiofität der Fürſtin abſchneiden. 

Mit Kris Jonathan, Jacobi, hatte ſich Hamann in der 
legten Zeit feines Briefwechfels in vielfache Aeußerungen und 
Gegenzeden über deffen philofophifhe und Streitfhriften gegen 
Mendelsſohn und dit Berliner eingelaffen; Jacobi hatte darein 
das ganze Intereſſe feines Denkens, Geiftes und Gemüths mit 
feiner im hohen Grade gereizten Perfönlickeit gelegt; beinahe 

. alles diefes dabei von Jacobi geltend Gemachte machte Hamann 
auf feine, d. i. nichts fördernde, nichts entwirrende oder aufklä— 
rende MWeife zum Theil ſchnöde herunter. Was Jacobi faft 
ganz in Hamann's Worten über den Glauben mit großem Aufs 
fehen und Wirkung, wenn bier und da aud nur auf ſchwache, 
fon mit dem bloßen Worte Glauben ſich begnügende Mens 
schen, aufgeftellt hatte, machte Hamann heftig herunter; fo auch 
die Gegenfäge von Jdealismus und Realismus, die Jacobi auch 
in feinem, um diefelbe ‚Zeit herausgegebenen Hume und über- 
haupt befhäftigten; fie fenen, fehreibt ihm Hamann, nur enlia 
rationis, wächſerne Nafen, ideal; nur feine Unterfcheidungen 
von Ehriftenthbum und Lutherthum ſeyen real, res facti, leben- 
dige Organe und Werkzeuge der Gottheit und Menſchheit; fo 
‚jenen ihm (Hamann) Dogmatismus und Stepticismus die „volle 
tommenſte Identität,“ wie Natur und Vernunft. Wenn frei— 

| ftenthum und Lutherthum ganz anders konkrete Reali- 
und MWirklichkeiten find, als abflrafter Idealismus und 

‚und Hamann's in der Wahrheit fiehender Geift über 

dem — von Natur und Vernunft u. ſ. f. ſteht; fo iſt 










104 IV. Kritiken. 


ſchon früher ausführlicher bemerkt worden, daß Hamann gänzs 
lich unfähig wie unempfänglic für alles Interefie des Denkens 
und der Gedanken, und damit für die Nothwendigkeit von jenen 
Unterfheidungen war. "Am ſchlimmſten tommt Jacobi’s Werth: 
ſchätzung des Spinoza, welche doch nur ganz den negativen Sinn 
hatte, daß derfelbe die einzig konſequente Verftandes-Philofophie 
aufgeftellt habe, bei Hamann weg, der wie gewöhnlic weiter 
nichts als fchimpfendes Poltern zu Stande bringt. Jacobi trage 
den Spinoza, fagt Hamann, „den armen Schelm von Fartefias 
nifch-tabbaliftifhem Somnambuliften, wie einen Stein im Ma— 
gen herum; das feyen alles „Hirngefpinnfte, Worte und Zei— 
chen, de mauvais (es) plaisanteries mathematiſcher Erdichtung 
zu willkürlichen Konſtruktionen philoſophiſcher Fibeln und Bi— 
bein” (Hamann’s Briefwechſel mit Jacobi S. 349 — 357 u. f). 
„Berba find die Gösen Deiner Begriffe,” ruft er ihm zu (ebens 
daf. ©. 349), „wie Spinoza den Budhftaben zum Werkmeiſter 
fi) einbildete” und dergl. Hemfterhuis, den Jacobi fo fehr 
verehrte, iſt Hamann ebenſo fehr verdächtig („eine platonifche 
Mausfalle”); er ahmet in diefem wie in Spinoza nur taube 
Nüffe, Lügen-Syſteme u. f. fe. Er (ebendaf. S. 341) geſteht 
Jacobin aufrichtig, daß ihm feine eigene Autorſchaft näher liege 
als Jacobi’s, und ihm, der Abfiht und dem Inhalte nad, felbft 
wichtiger und nützlicher zu feyn fiheine.” Im derfelben Zeit 
kam Jacobi fehr ins Gedränge mit fliner gegen die Berliner 
unternommenen Bertheidigung des von ihm ſelbſt veracdhteten 
Stark; er erfährt von Hamann keine beffere Aufnahme mit eis 
ner folden politifhen Freundfhaft, wie Hamann jene 
BVertheidigung bezeichnet. Jacobi erwiederte auf diefe Mifbillie 
gungen aller feiner literarifchen Unternehmungen nur dieß, daf 
wiffenfhaftliche Werftellung nicht in feinem Charakter fey, und 
daß ihm nie in den Sinn gekommen, weder dem Publikum nod) 
irgend Jemand Etwas weiß zu machen. Aber gewiß hatte ihm 
unter diefen vielfachen Verwidelungen, die alle Intereffen feines 


6. Ueber Hamann’s Schriften. 105 


Geiftes in Anfprud nahmen, nichts Empfindlidheres geſchehen 
tönnen als die Alles mifbilligenden Erplofionen Hamann’s, 
die ohnehin fo ins Blaue und in die Kreuz und Quere liefen, 
daß fie das Verſtändniß einzuleiten oder zu fördern wenig ges 
eignet waren, Doch ſchwächte Alles dick das innige Vertrauen 
nit; in der Gegenwart follte Jacobi die Seele Hamann’s, je⸗ 
nen legten Grund ihrer Freundſchaft, finden, und darin die Auf⸗ 
löfung allee Mifverftändniffe, die Erklärung der Räthſel des 
Geiftes erkennen und verfichen lernen. ber Jacobi fehreibt 
nad) dem Aufenthalte Hamann’s bei ihm an Lavater, 14. Nov. 
1787 (fr. 9. Jacobi’s auserl. Briefw. I, ©. 435): „Es hat 
mich gekoftet, ihn zu laffen (von diefem Laffen nachher); von 
einer andern Geite mag es gut feyn, daf er mir entzogen wurde, 
damit ich mich wieder ſammeln konnte. Seiner Kunſt zu 
leben und glücklich zu ſeyn, bin ich nicht auf den 
Grund gekommen, wie ſehr ich es mir auch habe angelegen 
ſeyn laſſen“ *). An denſelben vom 21. Ian. 1788 (ebendaſ. 
©. 446): „Du ſprichſt von Buchholzens Sonderbarkeiten; 
der ift, von diefer Seite betrachtet, Nichts, platterdings Nichts 
gegen Hamann; id kann Dir nicht fagen, wie der Hamann 
mich geflimmt hat, ſchwere Dinge zu glauben; ein wahres 
scrar iſt diefer Mann an Gereimtheit und Ungereimtheit, an 





) Ravater (ebendafelbft S. 438) fagt in feiner Antwort über diefe 
ng Hamann’d: „Diefes feltfame Gemifh von Himmel und 
Erde fönnte übrigens für unfer Eins ald eine Fundgrube großer Ges 
danken benust werden.“ Gpäterhin, als Rehberg in Hannover gegen 
Sacobi den Ausdruck gebrauchte, daß diefer fih „zu fo verwirrten Köpz 
fen wie Ravater u, And. gefellt habe; entgegnet Jacobi (ebend. S. 471) 
auf Aähnlidye Weife in Anfehung Lavater's, daß derfelbe „ein lichtvols 
ee (?) Geift fen, in deffen Schriften ſich Vieles finde, was den Mann 
1 Genie charakterifire, und auch von dem abftrakteften und tieffinnigften 
Dhilofophen, und vielleicht von ihm am mehrften, trefflich benugt werden 
Eönne. Bon Hamann hat Sacobi nur die sunächft Hume entnommenen 
vom Glauben benugt, nicht fein principium coincidentiac, das 
te feiner Idee. Aber man Fann ſich wundern, daß foldhe innige 
er fi) auf das Ealte Ende der „Benutzung“ reduciren fol. 









106 IV. Kritiken. 


Licht und Finfternif, an Spiritualismus und Materialismus.“ 
Das Refultat, daß Jacobi „der Kunft Hamann’s, glüdlich zu 
ſeyn, nicht auf den Grund gekommen,“ ift nicht ein Mißver—⸗ 
fländnif, etwa ein Unverftändnif zu nennen; er ift durch deffen 
Gegenwart an ihm nicht irre geworden, aber irre geblieben. 

Was endlich den andern Sohn, den Alcibiades Bude 
bolz betrifft, deffen großmüthige Geſchenke und vertrauensvolles 
Berhältnif die Grundlage zu Hamann's Reife ausmachten; fo 
fhreibt Jacobi über denfelben aufer dem Angeführten, am 23, 
Juli 1788, an Lavater nah Hamann's Tode (am angef. Orte 
©. 482): „Buchholz mit Frau u. f. f. ift abgereift; Gott, was 
mich diefer Mann gedrüdt hat. Ich habe diefen fonderbaren 
Menſchen erft vorigen April, da ih Hamann zu befüchen in 
Münfter war, näher kennen gelernt, Hamann bat ihm das 
Geſchenk, das er von ihm erhielt, wahrfheinlid mit dem 
Leben bezahlt. Und doch hat eben diefer Buchholz Eigen: 
ſchaften, die Ehrfurcht, Bewunderung und Liebe einflöfen. Ich 
glaube nicht, daß eine menfchlihe Seele reiner feyn fann als 
die feinige. Aber fein Umgang tödtet.” 

Hamann felbft war zunächſt von feinem törperlihen Zus 
ftande gedrüdt; er hatte fi, wie er (Bd. VII, S. 411) ſchreibt, 
„mit gefchwollenen Füßen und einer zwanzigjährigen Ladung 
böfer Säfte, die er durch eine figende grillenfängerifche Lebens— 
art, leidenfchaftlihe Unmäßigkeit in Nahrungsmitteln des Bauchs 
und Kopfs gefammelt hatte,” auf die Reife gemadt. Won der- 
felben Unmäßigkeit im Effen und Lefen fpricht er während ſei— 
nes Aufenthalts in Weftphalen, und die im Lefen giebt fih aus 
feinen Briefen fattfam zu erkennen. Die Brunnenturen, ärzt— 
liche Behandlung und forgfamfte, liebevollſte Pflege, die er in 
feinem Aufenthalte zu Münfter, Pempelfort und Mellbergen 
genof, vermochten feinen geſchwächten Körper nicht mehr zu er= 
neuen. Er von feiner Seite drüdt allenthalben die vollkom— 
menfte Befriedigung aus, die er in dem neuen Kreife des Um⸗ 


6. Ueber Hamann's Schriften. 107 


gangs gemoß; „der Zobredner oder Runftrihter feiner wohls 
thätigen freunde zu feyn, könne ihm aber nicht einfallen“ (VII. 
Bd. ©. 366). „Ich lebe hier," ſchreibt er no am 21. März 
1788 von Dlünfter aus, „im Schoofe der Freunde von gleichem 
Schlage, die wie die Hälften zu meinen Jdealen der Seele 
pafien. Ich habe gefunden, und bin meines Fundes fo froh 
wie jener Hirte und das Weib im Evangelio; und wenn es 
einen Vorſchmack des Himmels auf Erden giebt, fo ift mir dies 
fer Schatz zu Theil geworden, nicht aus Verdienft und Würdig- 
teit“ Bd. VII, S. 409). Defters fagt er, „die Liebe und Ehre, 
die ihm widerfahre, ift unbefchreiblih, und er habe Arbeit ge= 
habt, fie zu erdulden und zu erklären,“ er war zunächſt von 
„Allem übertäubt und verblüfft.“ Immer drüdt er fi in 
biefem Sinne und in der Empfindung der Liebe aus, wie aud) 
fonft die Briefe an feine Kinder aus diefer Periode fehr milde, 
anziehbend und rührend find. Aber Hamann, der das Bewuft- 
feyn hatte, daß Jacobi „mande ſchwere Probe der Geduld mit 
feinen böfen Launen ausgehalten und deren noch mehr zu er= 
warten hatte” (Bd. VII, S. 376); Hamann, der bei feiner ins 
nern vollkommenen Gleichgültigkeit gegen Alles um fo mehr 
felbft auszuhalten fähig war, konnte es doch nicht fortgefegt une 
ter diefen „Idealen der Menſchheit,“ wie er feine Umgebung 
öfters bezeichnet, aushalten. Daß in feinem Innern fo Vieles 
vorging, was er nicht befehreibt, und was in der Empfindung 
„des efthreiblich vielen Guten und Wohlthätigen, das er 
genoß,“ nicht ausblich, wäre ſchon aus der gezeichneten Umge— 
bung zu ſchließen; aber es drängen ſich beftimmtere Blide im 
Hamann’s Inneres auf. Jacobi erzählt einige Monate nad) 
deſſen Tode (Jacobi’s auserl, Briefw. S. 486), Hamann habe 
fi) mit jenem Befeffenen verglichen, den ein böfer Geift wech— 
felsweife bald ins feuer, bald ins Waffer warf; diefer Ver- 
‚gleich paſſe gewiffermagen auch auf ihn (Jacobi). „O daf mir 
die Hand erſchiene,“ ruft er aus, „die mid) lehren könnte ge= 


* 


108 IV. Kritiken. 


ben auf dem Wege menfhliden Dafeyns.” „Die Hand, 
die Hand!” rief ih mehrmals meinem Hamann zu. „Vielleicht“ 
war unter einem Strom von Thränen eins der legten Worte, 
die ich aus feinem Munde hörte” Man ficht hier zwei Män— 
ner fo gebroden in fih, der Belehrung, auf dem Wege 
menfhlihen Daſeyns zu gehen, noch fo bedürftig, einans 
der gegenüber ſtehen, die ſchon ein fo tief bewegtes Leben des 
Gemüths durdlaufen hatten. — Nach dem Aufenthalte von et— 
lichen Monaten bei Jacobi zu Pempelfort (vom 12. Yuguft an, 
und zu Düffeldorf vom 1. Oktober bis 5. November 1787) vers 
läft Hamann das Haus feines Freundes plötzlich, wirft ſich, 
ohne ein Wort von feinem Vorhaben zu fagen, bei Fläglicher 
Witterung, mit einer feiner Meinung nad) auflebenden Geſund⸗ 
heit in den Poftwagen, und fährt wieder nad Münfter zu Bud 
holz. Der nähere Aufſchluß über diefe Flucht, die er „mit Ges 
walt und Liſt habe ausführen müſſen“ (einige hierher bezüglich 
ſcheinende Billete find nicht abgedruckt; ſ. Hamann's Briefwech— 
ſel mit Jacobi S. 384), liegt gewiß nicht in mißliebigen Vor— 
fallenheiten oder verletzenden Benehmungen, ſondern vielmehr in 
dem Gegentheil, das ſeine Verlegenheit zur Angſt ſteigerte, aus 
der er ſich nur durch Flucht Luft zu machen wußte Er erplis 
eirt fh (Hamann’s Briefw. mit Jacobi S. 386) nur fo dars 
über: „Du, armer Jonathan, haft fehr übel an Deinen beiden 
Schweftern und an mir Lazaro gethan, das harte Joch und die 
fchwere Laſt einer fo männliden Freundſchaft, einer fo heis 
ligen Leidenſchaft, als unter uns obwaltet, ihrem Gefchlecht, 
das die Natur weicher und zahmer gemacht hat, aufjubürden. 
Haft Du nicht bemerkt, lieber Jonathan, daß die beiden Ama— 
zonen es darauf angelegt hatten, mich alten Mann um bie 
Ehre meiner ganzen Philofophie, um alle Deine günftigen Vor— 
urtheile für felbige zu bringen, und ung beider Seits in folde 
Berlegenheit zu fegen, daß wir uns Beide wie ein Paar phi— 
loſophiſche Geſpenſter lächerlich vorrommen würden?“ Ha⸗ 





6. Ueber Hamann's Schriften. 109 


mann’s Philofophiren, oder wie man das irrlichternde Gefpen- 
ſtige feines Fühlens und Bewuftfeyns nennen will, tonnte ſich 
leicht gegen geiftreiche Frauenzimmer, mit denen nicht durch Polz 
tern und Kruditäten etwa, womit er fich fonft beraushalf, abzus 
tommen war, in Bedrängniß und Angft gefest fühlen, wenn es 
aus feiner Nebulofität zur Klarheit des Gedankens oder der 
Empfindung herauszutreten follicitirt wurde. — Im folgenden 
Briefe von Hamann heift es: „Die Liebe, die ih in Deinem 
Haufe genoffen, hat Fein Verhältniß zu meinem Verdienft; ic) 
bin wie ein Engel vom Himmel darin aufgenommen wor=- 
den; wenn ich ein leibhafter Sohn des Zeus oder Her- 
mes gewefen wäre, hätte ich nicht größere Opfer der Gaflfrei- 
heit und großmüthigen Berleugnung finden können, worin ſich 
Helene (eine der Schweftern Jacobi’s) unfterblih hervorgethan. 
Sollte ich nun dieſe Uebertreibung des Mitleids bloß mei⸗ 
nen Bedürfniſſen und nicht vielmehr der Freundſchaft für mich 
zuſchreiben und mir etwas anmaßen, was Dir mehr als mir 
ſelbſt gehörte?“ Die übergroße Verehrung und Sorgſamkeit, 
die er genoß, und die er der Freundſchaft für Jacobi und nicht 
für feine Perſönlichkeit zuſchrieb, vermehrte noch jene Verlegen— 
heit und Noth feines Zuſtandes. 

In demſelben Briefe (vom 17. Novbr. 1787, ſ. Briefwechſ. 
mit Jacobi S. 383) appellirt Hamann wegen feiner Flucht an 
die Freundſchaft Jacobi’s, als des Jonathans feiner Seele, der 
er ſeyn und bleiben werde, fo lange er (Hamann) ſich feines 
Daſehns und Lebens bewußt ſey, mad fo vielen und großen 
Berbindlichteiten für all das Gute w.f.f. Auf Jacobi’s Aeuße— 
zung, ob es ihm (Hamann) in feinem Aufenthalte bei Buch— 
holz in Münfter etwa übel gehe, entgegnete Hamann: „Hier 
an dem eigentlichen Orte meiner Befiimmung und meines Aus— 
gangs aus meinem Waterlande? War es nicht mein Fran 
Buchholz), der mich rief und ausrüftete zu diefer ganzen Laufe 
bahn, die ich mit Frieden und Freude zu vollenden der beften 


440 IV. Krittten. 6. Ueber Hamanun's Schtiften 


Hoffnung lebe und des befiens Willens bin? Hier follte es mir 
übel gehen, wo ich wie ein Fiſch und wie ein Vogel in meinem 
rechten Elemente bin?“ Diefer Empfindung und Meinung uns 
erachtet, hielt es Hamann nicht lange dafelbfi aus. Jacobi 
führeibt vom 21. Januar 1788 (auserlefener Briefwechfel Bd. I, 
&. 446) an Lavater: „Hamann if kaum vierzehn Tage im 
Münfter gewefen, fo hat er den Einfall befommen, ganz allen 
nah Wellbergen, Buchholzens Nitterfige, zu reifen. Alle Vor⸗ 
flellungen, Bitten und Zürnen halfen nichts; er ging. Und was 
Jedermann vorausgefehen hatte, geſchah, er wurde krank.” Nach 
einem vierteljährigen Aufenthalte während des Winters an dies 
fem, wie Jacobi fagt, moraftigen und feuchten Orte, während 
defien der Briefwechfel zwifhen Beiden flodte, kehrte Hamann 
gegen Ende März nad Münfter zurüd, von wo er nad der 
Mitte Juni's noch einmal Jacobi zu befuchen im Begriff wer, | 
um von ihm Abſchied zu nehmen und nad Preußen zurüdzus 
tehren; aber an dem zur Abreiſe beflimmten Zage erkrankte er 
ri und beſchloß den Tag darauf, am 21. Juni 1788, — 
und ſchmerzlos fein fo: bedrängtes Leben. 


7. Ueber: „Aphorismen über Nichtwiſſen und abſo— 
lutes Wiſſen im Verhältniffe zur chriftlichen Glau— 
benserkenntnid, — Ein Beitrag zum Verſtänd⸗— 
niffe der Philofophie unferer Zeit. Bon Carl 
Frieberich Desssak — ’ 

Darum rühme fih Niemand eines Menichen. Es it Alles Euer. 
&3 ſey Paulus oder Apollo, cs ſey Kephas oder die Welt, cs ſey das 
Beben oder der Tod, es fen das Gegenwärtige oder das Zufünfe 
tige, Alles iſt Euer, Ihr aber jeyd Ehrifti; Ehriftus aber ift Gottes, 
1 Kor, 3, 1— 23. — 

Berlin, bei E. Franklin. 1829, 
(Rüdfeite des Titelbl. Motto: 1 Kor. 1, 20 — 23.) 
GSahrbücher f. wiſſenſch. Kritif 1829, Nr. 99 — 102, 105 u. 106.) 


Mpporisnien mochte der Hr. Berfaffer feine Betrachtungen über | 
die auf dem Titel genannten Gegenftände etwa nur darum nen— 
nen, weil er fie nicht in die förmlichere Methode der ſyſtemati— 
ſchen Wiſſenſchaft und in abflraktere Ausführlichkeit gefaßt hat. 
Sonft fieht der Vortrag innerhalb der befonderen Mlaterien und 
Gefihtspuntte, welche betrachtet werden, in gründlichem Zuſam— 
menbang, und erfordert einen aufmerkffamen denfenden Lefer, der 
auch da, wo die Expoſition ſprungweiſe zu gehen ſcheint (was 
doch nur mehr in dem erſten Abſchnitte als in dem folgenden 
der Fall iſt), den Faden der Gedanken zuſammen zu halten ge— 
wohnt iſt. Dieſe Schrift hat das Ausgezeichnete und Seltene, 
— ſie iſt, wenn man will, ein bedeutendes ſogenanntes Zeichen 
der Zeit, — daß der Hr. Verf. in frommem Sinne ſich ebenſo 






112 IV. Kritiken. 


von der Wahrheit der alten, d. i. eigentlichen chriftlichen Glaus 
benslehren als von dem Bedürfniffe der dentenden Vernunft 
durchdrungen und zu durdhgeübter Bildung derfelben gefommen 
beweift, Hiermit befindet fih hier das Intereffe, dem Inhalt 
und der Form nach, unmittelbar in dem Mittelpuntte der fpe> 
Eulativen Philofophie. Der Unterfchied, der zwiſchen Chriftens 
thum und philoſophiſchem Denken als eine unendliche Entfers 
nung und unausfüllbare Kluft vorgefpiegelt zu werden pflegt, 
ift mit einem Dale zurüdgelegt; diefer angebliche Zwifchenraum 
ift in diefer Tiefe gar nicht vorhanden. Die vorliegende Schrift 
ift daher nicht ein Einleiten und Vorreden vom Miffen, 
von Religion und Glauben, weldes CEinleiten und Vorreden, 
obgleich es fih außerhalb der Sache hält, dennoch von der 
Theorie des Nihtwiffens für die ganze Wiffenfhaft felbft, ja 
fogar für die Religion ausgegeben worden ift; bier wird viel 
mehr von der Sache gehandelt. Wenn oft das Aufftellen des 
fogenannten NRäthfels der Welt für die höchſtmögliche Anftrenz 
gung und Erhebung des Geiftes ausgegeben wird, fo daf aber 
von deffen Auflöfung wefentlidh zu abfirahiren fey; fo ift dage— | 
gen dem Hrn, Verf. die Befriedigung in der durd die Offene 
barung längft gegebenen Yuflöfung früh geworden, und in Bes 
ziehung hierauf befchäftigt ſich diefe Schrift weiter mit der Aufe 
löfung des fubjektiven Räthfels, wie jene urfprüngliche Einheit 
des Chriftenthums und der fpekulativen Vernunft, und die felbfts 
bewußte Einigung derfelben, ſich für die Vorftellung als unfaßs 
lich zeigen möge. Es ift einer Seits der auf das alte Chriften- 
thum gegründete Glaube, und anderer Seits die rationaliftifche 
Theologie, welhe der Hr. Verf. mit der Philofophie zu verſtän— 
digen ſucht, jenen, infofern derfelbe von dem Miftrauen, ja von 
der Feindſchaft gegen die Philofophie befangen ift, diefe, weil 
von ihr ebenfo wohl.die chriftliche als die philofophifche Erkennt⸗ 
niß Gottes verworfen, und die Vernunft überhaupt, deren Nas 
men fie im Munde führt, völlig verkannt wird. — Die Wide 


7. Ueber &.,...178 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfel. Wiſſen. 113 


tigkeit der abgehandelten Materien, wie die Art und Weife ihs 
rer Behandlung, zugleich aud, wie wir nicht unerwähnt laffen 
dürfen, das vielfadhe Verhältniß der Behandlung zu den philo- 
ſophiſchen Bemühungen des Referenten, veranlaffen diefen, durch 
einen ausführlihern Bericht die Lefer auf diefe Schrift, die an— 
derwärts etwa nur verunglimpft oder am liebſten ignorirt wer— 
den möchte, aufmerkjam und vorläufig mit derfelben bekannt zu 
maden. 

Es ift „die Philoſophie unſerer Zeit,“ über welche der Hr. 
Berf. den unbefangenen Ehrifien in's Klare zu fegen und ihm 
deren Gegenfag gegen den nur Endliches dentenden und alle 
WBaheheiti verendlichenden Verſtand der rationaliftifchen Theolo⸗ 

ſich bemüht. Er fagt ©. 2, daß „die Aufgabe: 
fih in die Zeit und damit uns in die unfrige zu ſchicken in 
Beziehung auf die Philofophie derfelben und deren gegenwärti— 
gen Höhepunkt, von denjenigen Chriften, welche ihre Berufsvers 
hältniffe zur Wiſſenſchaft gerufen haben, ohne Sünde nicht leicht 
ganz abgewiefen werden könne.” „Sie nöthige,” fügt er hinzu, 
„auch demjenigen Chriften, der für ſich an feinem einfachen, 
lebendigen Glauben genug hat, und in dem vorftellenden Eles 
mente der abfoluten Wahrheit gewiß wird, befondere Aufmerk⸗ 
famteit ab.” Das Eine, was die Philofophie und zwar als 
MWiffenfchaft zw leiften hat, ift, die Form des Denkens aufzus 
ſuchen und im diefer den Gehalt der Wahrheit zu erkennen; 
aber die Wahrheit ift aud für fih in dem frommen Glauben 
des Ehriftentyums längft vorhanden, und diefer macht in feiner 
göttlichen Zuverſicht die Forderung an die Ergebniffe des Den: 
tens, daf „fie ſich mit ihm übereinftimmend zeigen.“ Den früs 
Kanes; diefer Forderung durch die Vorfpiegelung füch zu 
daß Religion und vernünftiges Denken zwei ganz 
Gebiete fehen, und ganz auseinander gehalten wer— 
den müſſen, verſchmäht die Philoſophie neuerer Zeit nicht nur, 
fondern ‚fie felbft iſt es, welche diefe Verhleichung hervorruft 

Vermiſchte Schriften, * 8 






114 IV. Kritiken. 


und das Recht des Glaubens, daß feiner Forderung Genüge 
geleiftet werde, anerkennt. „Die Philoſophie unferer Zeit,“ fagt 
der Hr. Verf., „nennt ſich wohl eine chriſtliche, fie will nicht 
als eine Förderung oder Bervollfommnung des Chriſtenthums, 
fondern als deffen Frucht und Werk gelten, fie nennt ſich, ‚als 
das Gemeingut des Menſchengeſchlechts, das höchſte Erzeugnif 
des Chriftenthums; fie ſpricht unbedingt ihre Achtung vor dem 
geoffenbarten Worte Gottes als der gegebenen abfoluten Wahr: 
beit aus, und eifert unverdroffen gegen alle Verdrehung und 
Auslcerung des realen Gehalts der heil. Schrift, und gegen def 
fen lofe Verflüchtigung in puren ſelbſtgemachten Geiſt und baa— 
en Menſchenverſtand.“ — Ungeachtet es hiernach ſehr gemagt, 
ja nicht zu verantworten ſehn würde, wenn dieſe wiſſenſchaft 
lichen Beſtrebungen, ohne nähere Kenntniß davon zu nehmen, 
mit dem Argwohne angeſehen würden, daß am Ende doch die 
Wahrheit der geoffenbarten Religion darin mittelſt des Be— 
griffs eine andere werde, als die in der Vorſtellung unmit- 
telbar gegebene („hiermit ift beftimmt und gründlich der Punkt 
der Kontrovers” ausgefprocden); fo gefhicht es dennoch, und 
zwar auf die merkwürdige Weiſe, daß die bibelgläubigen 
Ehriften mit ihren Gegnern, die fi) als die Verftändigen die 
Rationaliften nennen, in „Nichts übereinzufimmen 
ſcheinen, als in den Anklagen gegen die fpekulative Philofophie.“ 
„Der Nationalismus bleibt ſich treu und Fonfequent, wenn er 
als die fubjektive, abfirakt-finnliche Verſtandes weis— 
beit (— 1 Kor. 4, 21, weil die Welt durch ihre Weisheit 
Gott in feiner Meisheit nicht erfannte — ) der ſpekulativen 
Philoſophie, als dem objektiven Gedanken, fi widerfegt, ins 
dem fein Standpuntt die fpefulativen Ergebniffe fofort verzerrt 
und ihrer Geltung entkleivet. Der fogenannte Supermaturgar 
lismus ift als Syſtem der chriſtlichen Theologie weſentlich in 
allen Beziehungen, folglich aud, in feinem Verhältniffe zur fpe= 
tulativen Philofophie, verichieden von dem Rationalismus, Es 





7. Ueber ©.....78 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abſol. Wiffen. 115 


iſt daher nur der Verirrung einzelner chriſtlicher Theologen zus 
zufchreiben, wenn fie mit dem Nationalismus gegen die Philo- 
fophie gemeine Sadje machen, fie werden felbft rationaliftifch, 
wenn fbekulative Lehren von ihnen dem abftratt-finnlichen Ver— 
ſtande unterworfen und hiermit in ihrem innerfien Weſen ver- 
legt und verkehrt worden find. "Die Intonfequenz folder Theo- 
logen ift, daß fie im diefem Verfahren in eine Sphäre zurüd- 
fallen, die fie, als unwirklich und lügenhaft, und fo wenig als 
phen anerkennen, und wonad fo wenig die Theologie 
| gerichtet werden,” Die gründliche Anfiht des 
. Hrn. Berfaffers beweift ſich im diefer genauen und einfachen 
Beflimmung des Unverſtandes, in welchem die chriſtliche Theo— 
logie gegen ſich befangen ift, wein fie ſelbſt den rationatififchen 
BEErRand, der ihrem eigenen Inhalte tödtlich if, auf- und on: 
nimmt, fobald fie ſich gegen die Philoſophie kehrt. Unterſucht 
man das der chriſtlichen Theologie und dem rationaliſtiſchen Vers 
ffande Gemeinfhaftliche näher, fo findet ſich die Quelle ihrer 
Berkehrungen in dem Mangel an Erkenntniß der Natur det 
Kategorien, deren fie ſich bei der Behandlung, es ſey Behaup⸗ 
tung oder Beftreitung, philoſophiſcher Säge bedienen. Hart oder 
überhaupt ungehörig ſcheint die Beſchuldigung, daß ſie nicht 
wiſſen, was’ fie ſagen. Aber wenn eine geläufige Reflexions- 
Bildinig einen Inhalt in feinen Zufammenhängen und Gründen 
raifonnirend oder falbımgsvol zu crplieiren weiß, fo ift von 
foldyer Fertigkeit noch fehr das logiſche Bewußtſeyn über den 
Werth der Formen felbft zu unterſcheiden, in denen alle Vers 
bindungen der vorgetragenen Vorftellungen gemadjt werden. Auf 
diefe Formen aber kommt es in fpekulativer Betrachtung nicht 
nur weſentlich, fondern fogar allein an; denn in diefer höher 
Sphäre des Dentens erkennt fih (was den innerſten Punkt 
ausmacht) die Unwahrtheit des Unterfehiedes von Form und In— 
half, und daß es die reine Form felbft ift, welche zum Inhalt 
wird. Daß die Beſchuldigung, nicht zw wiffen, was man fagt, 
8 * 













116 IV. Kritiken. PM 1 27 ı Bi 


nicht unwahr ift, ergiebt fi auf- eine in der That unglanblide 
MWeife an den nächſten beften, wie an den sausgezeichnetften der 
vielfältigen Verhandlungen, welche gegen die ſpekulative Philo⸗ 
ſophie gerichtet ſind. Die Entwirrung der mancherlei Angrifft, 
Einwendungen, Zweifel, welche der Hr. Verf, in der vorliegen⸗ 
den Schrift vornimmt, wird eben dadurch fo Mar und erfolge 
reich, daß derfelbe, im Beſitze jenes ſcharfen Bewußtſeyns über 
die Gedantenformen, mit Veftimmtheit diejenigen aufzeigt, welche 
in jenen Angriffen unbefangen gebraucht werden; — diefes Auf⸗ 


zeigen erleichtert nicht nur, fondern führt ſogleich beinahe von 
ſelbſt und für ſich die Einfiht in ihre Unftatthaftigkeit herbei 


Formen der Entzweiung und des Unmahren, die Kategorien bes 
Endlichen, ſind an ſich felbft unbrauchbar, um das im ſich Ei⸗ 
nige, das Wahre, zu faſſen und zu bezeichnen; — in den Eine 


wendungen gegen das Spekulative wird aber nicht nur immer 
von ſolchen Gedantenformen Gebrauch gemacht, fondern es ge⸗ 


ſchieht fogar ferner dieß, daß diefe Formen des Unwahren an 
die Stelle der fpekulativen Gedanken, die beurtheilt werden fol: 
len, gefegt, und diefen fo ein falſches Faktum untergeſchoben wird, 

Der Hr. Verf. betrachtet zuerft die Theorie des Nihtwif 
fens, und zwar läft er fi die Mühe nicht verdriefen, dem 
Schickſal defielben, wie es fih in den Darfiellungen des „Heer 
führers auf diefer Geiftesftufe im diefer Zeit, H. Ir. Jacobi," 
allerdings am beflimmteften und fpredhendften ausweiſt, nachzu—⸗ 
gehen. Peinlich ift diefe Mühe, weil fie mit dem Glauben, bei 
einem geadhteten berühmten Schriftfteller ſey wenigſtens Zuſam—⸗ 
menhang und Webereinftimmung in den VBorftellungen herrfchend, 
an denfelben berangeht, und fih dann in die Schwierigkeit, die 
Uebereinftimmung einzufehen, verwidelt, bis es ſich durd fand» 
baftes Verfolgen und Wergleichen herauswirft, daß man in völ⸗ 
lig _widerfprechenden Beflimmungen herumgetrieben wird, ja, 
- woran man zunächft gar nicht denken kann, in dem Widerfprude 
der Behauptung deffelben Standpunkts, gegen welden von dies 


7. Ueber ©.....1'8 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol. Wiſſen. 147 


fer Theorie des Nichtwiſſens fo eben die ſchärſſte Widerlegung 
und Verurtheilung geivendet worden war. 

Doch ift vorher anzuführen, wie in Beziehung auf das 
Nichtwiſſen die Unterfheidung der Standpunkte, weldhe den nä⸗ 
bern Gegenftand diefer Schrift ausmachen, eingeleitet wird. Das 
Berhältnig derfelben ift S. 9 beſtimmt fo angegeben: „Die 
Berziehtleiftung auf das Philofophiren, die es nur bis zum 
Nihtwiffen bringt, ohne daf der von der verabfchiedeten 

zerſtörte Glaube wieder bergeftellt wird, 
ift er angefehen nur halbe Berzichtleiftung.“ — „Denn 
das unglüdlide Element der Wiffenfchaft, weldes den’ 
Glauben zerflört, und eben deswegen ihr felbft die Verabfehie- 
dung zugegogen hat, ift wirklich nicht verabfehiedet worden. Zu 
Eonfequenter Verzichtleiftung gehört vielmehr, daß auch jenes ums 
glückliche Element nit anerkannt wird, womit demfelben 
von felbft fein Einfluß auf den objektiven Glauben benommen 
iſt. Siernach ergiebt ſich ein zweiter Standpunkt in folgender 
Befimmung (S. 10): „Nachdem durch die Konfequenz jener 
Berziehtleiftung dem Gedanken oder vielmehr deſſen wereinzelten 
Elementen fein einfeitiger, negativer Einfluß auf den über 
ihm fichenden objektiven Glauben und hiermit die höchfte Autos 
eität, Die der Gedanke ufurpiven wollte, entzogen, der Glaube 
felbft aber als die Treue des unbedingten Vertrauens auf die 
geoffenbarte Wahrheit ‚gefichert ift, Kann es nicht fehlen, daß 
demungeadhtet die Vernunft im Dienfte des Glaubens und uns 
ter der Zucht des Wortes, als der Mahrheit, gebraucht wird, 
um Die gegebene Vorftellung mehr und mehr zum Leben und 
zum Berftändniffe zu bringen; fo erzeugt fid) die Stufe des 
Glaubens und Wiſſens, welde beides fondert, diefes jenem: 
unterordnet, fo daß der Gedanke dem Glauben mur nügen, nicht 
fdaden kann; — eine Stufe der Glaubenserkenntnif, die auf 
der Stufe des abfoluten Wiffens (dem dritten Stand» 
punkte), weldes die Wahrheit in der Form der Wahrheit hat, 





118 - j u IH ‚IV. Kritiken, i 12 ....:ıl0 MER ZZ 


als das in der Vorftellung gegebene, und mit Gedan- 
- Ben durchflochtene, aber nicht von dem Gedanken durchdrun⸗ 


gene Wahre bezeichnet wird, weil diefe Stufe mit dem Ger 


danken nicht foweit als mit dem Glauben ift und diefen von 
ihrem Berftande unabhängig weiß. Diefes Glauben, und Wis 
fen ficht demnach zwiſchen dem Richtwiſſen und dem abfo 


Wiſſen in der Mitte.“ — Der Hr. Verf. geht zuerft am die 


Betrachtung der beiden Extreme, in dem Intereffe, die Philoſo⸗ 
phie unferer Zeit nad ihren legten Refultaten, d. h. in. ihren 
Verhältniffen zum Chriftenthum näher und gründlicher tennen 
zu lernen. ah 

Die Schrift zerfällt daher in die drei Theile: L Das 
Nichtwiſſen. I. Das abfolute Wiffen, und III. Glau— 
ben und Wiffen. Wir wollen verfuhen, der Darftellung in 
den Haupt-Miomenten zu folgen; aber da fie ausgezeichnet geifte 
und gebankenreich, gedrängt in ihren Folgerungen und zugleich 
von frifher warmer Lebendigkeit if, wird, wenn über die allges 
meinen Ausdrüde des Urtheilens zu einer abgefürzten Anführung 
des Inhalts hinausgegangen wird, au diefer an dem Gewichte 
und Berdienfie, das ihm die Darſtellung giebt, freilich .— 
müffen. 

Zu der erfien Abtheilung giebt der Hr. Verf. A 
nad) Anleitung der jacobi'ſchen Schrift von den göttlichen 
Dingen die Antworten an, welche das Nichtwiffen auf „die 
legte aller Tragen,” die Frage: Was ift Gott? ertheilt. — 
An diefer Frage zeigt fh das Nichtwiſſen in feiner ganzen Un— 
befangenheit. Gott iſt; das ift das Erfte. Gott iſt Gott; 
das ift das Zweite und Legte; Erift allein Sid ſelbſt 
glei, und aufer Ihm ift Ihm Nichts gleich (nach dem Prinz 
cip der abfiratten Identität des Verſtandes). Hiermit iſt die 


Wahrheit unmittelbar gewiß; und es folgt daraus das Ue— 


brige; Gott iſt — Alles, was wir nicht wiffen Binnen, 
er. ift toto coelo von dem geſchieden und verfcieden, was Er 


Bas 


| 


7, Ueber &.....1°5 Aphorlsmen über Nichtwiſſen u, abſol. Wiſſen. 119 


nicht Selbft ift, auferweltlih, tranfcendent — und doch auch 
in und mit ung — ift wirklich, kein Individuum, kein Einzel 
"nee — und doch Perfon, ja die Perſönlichteit felbft; — Pers. 
fon und doch ſchlechthin unendlich, grenzenlos, überall und nir- 
gends. — Daß ſich diefes Sag für Sag aufhebt und widers 
fpricht, entgeht dem Nichtwiſſen nicht; es folgert aber daraus 
nur, daß Gott unbegreiflih, unausſprechlich ift, was ſchon im 
dem oberfien Sag liegt, daß Gott nur fi ſelbſt gleich if. 
„Statt dag nun diefes Richtwiſſen,“ fährt der Hr. Verf. fort, 

„gerade auf die Nothwendigkeit und Wirklichkeit der Offen⸗ 
barumg des (nad) jenem Nefultate) in ſich verborgenen 
Gottes führen follte, beſchränkt es ſich mit der im Gewiffen ges 
gebenen natürlichen Offenbarung, fo ſehr fie aud) der Natürlich 
keit des Gedankens widerſpricht;“ — jene fogenannte natürliche 
Offenbarung im Gewiffen ift das unmittelbare Wiffen, alfo 
Wiſſen nur jener abfiratten Sichfelbfigleichheit Gottes, das fid) 
dem Gedanken entzieht, welcher vielmehr für ſich auf Fülle des 
göttlichen Wefens und fomit auf Fonkrete Erkenntniß getrieben 
if, Diefes unglüclihe Herübers und Hinübergeworfenwerden 
der Seele, diefes ihr raftlofes Abmühen, ihren eigenen Anſichten 
zu entflichen, die fie doc nicht laſſen Tann, wird nun weiter 


In dem ausgefprochenen Worte, der Schöpfung, if Gott 
die Urfache, er erfand das Maaf und die Geftalt, Gefeg und 
endliches Wefen, Raum und Zeit, die Tage und Jahre und 
Drte, die Sprache und die Sprachen, den Begriff und den 
Menſchen; er ſelbſt if nicht nad Maaß, ift über Zeit und 
Raum 1 f. f., er felbft fpricht nicht; — unter allen diefen Re— 
densarten löſt ſich Gottes Realität und Selbfiftändigkeit nur in 
das unendliche Wefen auf, das aller Wirklichkeit zu Grunde 
liegt, ohne felbft für ſich, ohne wirklich zu feyn. „Immer wird 
‚wiederholt, daß es in dem Intereffe der bekämpft werdenden 
Wiſſeuſchaft liege, die Realität aufzulöfen und zu vernichten, 





490 IV. Kritiken. 


indem das Objekt aufgehoben werden müffe, um gewußt zu wer⸗ 
den. (Der Hr. Verf. citirt hierzu auch die Schrift: die wahre 
Weihe des Zweiflers, zweite Beilage.) Und doch fehen wir die⸗ 
jenigen, welde auf diefe Weife ihr Nidwiffen deduciren, in 
gleichen Nihilismus verfallen.“ — Der Hr. Verf. behält fehe 
feft diefes Unwefen der behaupteten Sichfelbfigleichheit, der abe 
ſtrakten Identität im Auge, in welcher diejenigen immer behar⸗ 
ten, welche, indem fie die ſpekulative Philofophie bekämpfen, fle 
Identitätsſyſtem zu nennen ſich nicht entblöden. Er hält es feſt, 
daf das jacobiſche Princip nichts ift, als diefe Identität, welche 
zunächſt Nihilismus des nur unendlichen Weſens und dann, in 
ihrer affirmativen Form, der Pantheismus iſt, den Jacobi 
aufs Beſtimmteſte anderwärts fo ausgeſprochen hat, daß Gott 
das Seyn in allem Dafeyn ift, d. h. jenes immanente und 
zugleich ganz unbeflimmte Abftrattum. — Insbefondere zeigt er 
ferner, wie Jacobi ſich gegen das Chriſtenthum verhält, „das 
Chriſtenthum,“ fagt er ©. 21, „ift hier, wie überall, die Probe, 
- an der die geheimften Gedanken der Seele offenbar werden und 
. zerſchellen; die hochmüthige Idee nimmt trog aller Demuth 
und Befcheidenheit ein Aergerniß an der Knechtsgeſtalt des Soh⸗ 
nes Gottes; — dieß Aergerniß wird von dem menſchlichen Hoch⸗ 
muth dadurch befeitigt, daß wir das, was uns an der fremden 
Merfon ärgert, auf ung übertragen, denn an uns felbft können 
wir ſolche Vorzüge ſchon eher leiden. Indem: wir die fremde 
Erfcheinung als unweſentliche Einkleidung anfehen, und das 
Weſen in die Idee, die Idee in uns felbfi fegen — als die 
Kunde des innerfien Gewiſſens — find wir des Aergerniſſes 
überhoben;” — „wir find jenes Ideal, der Jrrthum des Chris 
ſtenthums liegt nur darin, daß dieß Ideal auf ein einzelnes 
Menſchenweſen übertragen wird.” 

Ferner wird genau nachgewiefen, wie in diefer Theorie der £ 
Verſtand, „welder ſich befcheiden mußte, von göttlihen Dingen 
nichts zu wifjen, mithin aud aus dem MWiderfpruche und der 





7 Ueber ®.....18 Aphorismen über Nichtwiffen u. abſol. Wiffen. 121 


Ungedentbarkeit nicht auf das Nichtſehn fließen, und dem, was 
ſich widerfpricht, mod nicht die Realität abſprechen konnte, — 
wie auf einmal derfelbe Berfiand gegen die Geflalt in der 
Religion mit infallibler Dreiftigkeit nad demſelben Gefege des 
Widerſpruchs entſcheidet, welches er (f. oben) erft auch antiquirt 
hatte.” — „Faſt fheint es, als wenn unfer natürlicher Menfch 
vor Gott in Seiner Majeftät weniger Scheu empfände, als vor 
Gott win» Seiner Erniedrigung” (der Gott nur in feiner Ma— 
unnahbare Gott, den der Menſch als das Jenſeits 
vom Leibe und vom Geifle hält); der Gott des Vers 
aus purer Unendlichkeit zu vornehm, fid in unfer 
Fleiſch und Blut zu tleiden; „es gehört,“ fagt der Verf, „eben 
bie ganze, Liebe Gottes dazu, ſich thatſächlich, perfönlic in fein 
gefallenes Geſchöpf zu verfegen, und es ſelbſt zu ſeyn.“ — 
»Diefe Philofophie des Nichtwiffens hat gelehrt, Gott kennen 
heiße Gott verendlihen, erniedrigen; nun Tonnten wir freilich 
Gott nicht ernicdrigen, folglih auch nicht ertennen. Jetzt 
erniedrigt Er aber Sich Selbft zu Seiner Offenbarung, und « 
nun nehmen wir wieder in unferm Stolze an Seiner Niedrige 
keit Anſtoß.“ Diejenigen, welde dem Glauben an die Offen» 
barung getreu bleiben, aber in der Behauptung, daf Gott nicht 
zu erkennen fen, mit dem Nichtwiffen übereinftimmen, behaupten 
ſo in Einem Flufe der Rede, Gott habe fi in Chriflus den 
Menſchen geoffenbart, und zwar habe er dieß von ſich geoffen- 
bart, daß er ſich nicht geoffenbart, daß er ſich micht zu erkennen 
gegeben habe. Sie nehmen an, Gott habe fih zum Menfchen 
verendlicht, die Endlichkeit in ſich und ſich in die Endlichteit 
‚gefegt, er ſey aber nur das abfirakte Unendliche, das von der 
Endlichkeit ganz entfernt gefaßt werden müffe. 

Dem Antworten in den jacobifhen Darftellungen * die 
andere Frage: was iſt der Menſch? folgt der Hr. Verf. von 
©. 30 — 47 ebenſo genau in den Anläufen, Schwankungen 
und Widerfprüchen nad, in die cs ausläuft. „Die Frage: was 





12 70T 0 0 Kriciten. han 0 


- if der Menſch? flieht mit der Frage: was iſt Gott? in 
folder Wechfelwirtung, daß mit einer au die andere beante 
wortet feyn würde, — denn rigentlid fragen wir dod mit beis 
den nichts Anderes, als: was ift Gott im Verhättniffe 
zum Menfhen? was ift der Menfh im VBerhältniffe 
zu Gott?“ — Ein fehr wichtiger Sag, den diejenigen nicht 





einfehen, die nur das Verhältnif des Menfchen zu Gott ange 


ben und erkennen wollen, und dabei behaupten, daf man von 
Gott nichts wife. Indem vom Hrn. Verfaffer den jacobi'ſchen 
Darfiellungen tiefe Blide in das Herz des Menfchen zugeftane 
den werden, wird ebenfo bemerklich gemacht, daf oft, wo über 
die höchſten Fragen Erwartungen von Auffchlüffen erregt wer— 
den, dieſe auf allgemeine Yusfprüche, mit denen nicht viel ges 
wonnen, auch auf die „Iehrreiche Unterbrechung durd) die Anz 
Fündigung, daf das Nahteffen aufgetragen fey,“ Hinz 


auslaufen. Insbefondere wird die ſchöne Seele, die in jenen 


Darſtellungen ſich fo heraushebt, näher unterfudht, dann aber 


der Grundirrthum aufgededt, der überall über die Hauptſache, 
über die Natur des Böfen, obwaltet, Diefer zeigt fi darin, 


daß aus dem Seyn die Güte des Seyns abgeleitet wird (auch 

nad dem Berftandesfage der Identität), und daf, wie ſich der 
Hr. Verf. ferner ausdrüdt, gefehloffen wird, daf das Herz auch 
edelgeboren fey, weil es, was das Nihtwiffen gern zugiebt, 
edelgefhaffen if. Diefes Nichtwiſſen, weldes doch nichts 
weiß, fege dabei das wirtlihe Schn des Menſchen unmit— 
telbar voraus. Um diefe Beflimmungen des Hrn. Verfaſſers 
auch nur zu verſtehen, müßte das Nichtwiſſen freilich die weſent⸗ 
lichen Unterſcheidungen, von dem, was nur urſprüngliche, ab⸗ 
ſtrakte Natur, Anlage, noch nicht Wirklichkeit iſt, und zwiſchen 
dem, was Wirklichkeit iſt, kennen. Zur Erläuterung mag bier 
nur dieß angeführt werden, daß das Thier ebenfo wohl als der 
Mensch gut von Natur, und des Thieres Wirklichkeit auf dieſes 
von Natur Gutſehn beſchränkt iſt. Aber die Wirklichkeit des 


7. Ueber &..... 178 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol. Wiffen, 123 


Menſchen iſt eine erſt geiftig zu bewirkende, und weſentliches 
Moment iſt darin, daß das von Natur Gutſeyn nicht das iſt, 
wodurd er feine Wirklichkeit ſchon hätte, da diefes Gutſeyn 
von Natur für diefes fein geifliges Seyn, worin allein feine 
Wirklichkeit befteht, vielmehr das Nichtgute ift. Näher zeigt der 
Hr Berf., daf jener Grundirrthum fi dahin entwidelt, die 
Natur des Böfen fo fehr zu verkennen, daß, wenn dod) ein— 
mal die Rede von demfelben ſeyn foll, daffelbe bloß in die 
Endlichkeit geſetzt wird, ſo daß das Endliche ſich in der Er— 
kenntniß als Nichtwiſſen zeigt, im Willen als Sinnlichkeit. 
Das Gute, das wir wirklich in unferem Herzen finden, leiten 
wir aus unferem Herzen ab, hingegen das Böfe, wenigſtens 
den Hang dazu, fehreiben wir nicht unferer Freiheit, fo 
viel wir aud) fonft von ihr halten, fondern unferer Endlichkeit, 
unferer Sinnlichkeit zu; diefe aber ift an ſich nichts als nothe 
wendige Schranke für diefes Leben. — So laffen wir Böſes, 
Endliches, Unvolltommenes, Sinnliches bunt durch und in eine 
ander fliegen, und um ja nicht aus dem behaglichen Dunkel - 
über ums felbft hinaus zu fommen, thun wir das Letzte hinzu, 
die Schuld des Böfen — als des Sinnlichen, Endlichen, der 
nothwendigen Schranke für diefes Leben, auf Gott zu wälzen, 
welches wir wieder damit gut machen, daß wir das Böfe etwas 
beffer machen. - Und doc, fügt der Hr. Verf. hinzu, bedürfte es 
für Diejenigen, die aus ſich felbft nichts zu wiffen eingefehen ha— 
ben, — wenn das Nichtwiffen die Herzenseinfalt und Geis 
fiesarmuth wären, welche in der Bergpredigt felig gepriefen 
wird, — weiter nichts, als daf fie fih vom Worte Gottes be 

ben; — ein einziger, ernfter, heller Blick in das dritte 
Kapitel der Genefis wirde genügen, um über fid und die Welt 
zum Berftändniffe zu tommen.“ (Im Nachwort S. 190 kommt 
der Hr. Verf. auf diefes Kapitel zurück, und giebt auf Veran⸗ 
laſſung ‚einer Neuerung des Ref. in diefen Jahrbüchern inter 
zeffante, klare Erläuterungen darüber.) Wie das Nichtwiffen mit 


124 IV. Kritiken. 


den tieferen Bedürfniffen und Gedanken unbetannt if, fo glaus 
ben und nehmen au, wie der Hr. Verf. bemerkt, die vorhin 
erwähnten „ſchönen Seelen” der jacobi’fhen Zeit von Bibel 
und Katechismus nicht allein nichts an, fondern wiffen aud 
wirklich nichts davon. — Ein Beifpiel giebt die bei einer ans 
dern Gelegenheit angeführte fromme Fürſtin Galligin, die erſt 
durch Hamann veranlaßt wurde, fi mit der Bibel, die fie nie— 
mals noch gelefen hatte, befannt zu machen. 

Im zweiten Abfhnitt (S. 48 — 115): Das abfolute 
MWiffen, fest der Hr. Verf. den allgemeinen Standpunkt ſo— 
gleich fo feft, daß alle Geiftesthätigkeit (nicht ein  befonderes 
Bermögen oder Theil des Geiftes) ſich eben dadurd als Geift 
erweife, daß fie das ihr entgegengefegte ruhige Seyn in ſich aufs 
zunehmen und hiermit den Dualismus, welder fie von dem 
Seyn trennt, aufzuheben das Streben hat, um nidht an, fon 
dern in dem Gegenflande zu fryn. — Die als die Natur der 
Thätigkeit des Geiftes überhaupt ins Auge gefaßt; würde der 
Pſychologie zu einem weniger oberflächlichen Zuftande verhels 
fen, als der ift, in weldhem wir fie gewöhnlich fehen; und ums 
gekehrt, wenn die gewöhnlichfien Thätigkeiten des Geiftes im 
dem, was fie bezweden und vollbringen, unbefangener und zwar 
nur empirifch betrachtet würden, fo würde dadurch gleichfam als 
durch eine Induktion die Apprehenfion entweichen, welche die 
fpetulative Idee bei den Ungeübten erwedt, indem Diefe nichts 
Anderes ausfpricht, als was am offenbarfien in allem Thun der 
Seele ſich zw erkennen giebt. Gewöhnt an die Form der Jdre 
in diefer ihrer Erfcheinung der Anwendung; würde das Bewußt⸗ 
feyn leiter die Idee für ſich felbft im ihrer Unbeſchränktheit 
faffen, wo es nicht mehr um endlichen Gehalt, fondern um den - 
unendlichen der Wahrheit felbft zu thun ift. Die Aufgabe und 
das Streben, von dem nun der Verf. fpricht, geht auf diefe 
Wahrheit; es gehört der gefammten Geiftesthätigkeit am, in 
welche fi der Geift aus jenen befonderen Gefchäftigkeiten und 


7. Ueber G....ls Aphorismen über Nichtwiſſen u. abſol. Wiffen, 125 


deren befehränttem Gehalte zurüd nehmen muß. Es ift (S. 48) 
nicht dem menſchlichen Geifte an und für ſich, d. i. dem Geiſte, 
der fih dem Menſchen offenbart, fondern eben dem Menſchen 
ſelbſt im feiner abfiraften Natürlichkeit, der Zerftüdelung des 
Geiftes in einzelne Richtungen und der eigenmächtigen Operas 
tion mit vereinzelten felbftifchen Kräften zur Laft zu legen, wenn 
das Streben auf keine Weife befriedigt, die Aufgabe auf keine 
Weife gelöfet wird, wodurch es endlich dahin Lommt, daß Sehn 
und Wiffen ſich gänzlid trennt, und Erſteres als das Un- 
verwũſtliche eben darein gefegt wird, daß cs nicht weiß und 
nicht gewußt wird. 

Das Seyn ift unwahr und unwirklih, weil es A 
rn wirklich iſt nur der Geift, womit von felbft 
Endlihes und Unendliches aus der Wirklichkeit ſchei— 
den.” (S.49.) Diejenigen aber können nicht zu diefem Scheis 
den und damit auch nicht zum Bewußtſeyn der Wirklichkeit ge- 
langen, welde an dem Gegenfage des Endlihen und Unend» 
lichen und, eben deswegen am Endlicen Leben bleiben. Scharf 
finnig vergleicht num der Hr. Verf. Nichtwiſſen und abfolutes 
MWiffen in Anfehung ihres Verhaltens zum Seyn; beide foms 
men darin überein, daß fie dem Seyn eine Unerkennbarkeit zu— 
ſchreiben, fie, unterfcheiden fi) aber dadurch), daß das Nichtwiſſen 
dieſem Seyn die Wirklichkeit zufchreibt, das abfolute Wif- 
fen aber dem bloßen Seyn nicht nur die Erkennbarkeit, fondern 
damit aud die Wirklichkeit abfpricht; dem Nichtwiſſen ift Seyn 
und Nichtwiſſen, dem abfoluten Wiffen Nichtſeyn und Nichtwiffen 
identifh. — Das Nichtwiſſen weiß viel von einer Erhebung 
über die Natur zu reden; aber es liegt in feiner Natur, nicht 
zu wiffen, was es heißt, fi über die Natur zu erheben; die Er— 
hebung über die Natur würde das Nihtwiffen in Wiffen ver— 
wandelt haben, 

Nach diefer AUndeutung des Weberganges von dem Nichte 
wiffen zum Miffen, die ihre weitere Beftimmung in dem Gate 


126 007 1V. Kritiken. 7 "5 


bat, daß fo lange Gott dem Subjett nur als Gegenftand 
'entgegentritt, er nicht erkannt werden Bann, betrachtet der Hr, 
Verf. wieder zuerft die Frage: was iſt Gott? „So lange wir 
Gott nicht wiſſen, wiffen wir überhaupt nichts, denn was if 
außer Gott und ohne Gott?” — Der Hr. Berf. geht, 
einer Seits frei von den Trivialitäten und Eitelteiten der end⸗ 
lichen Reflerion, anderer Seits feft in dem chriſtlichen Glauben 
— in dem lebendigen, erfahrenen Pfingfiglauben, welcher aus 
dein Gehorfam des Kirchenglaubens ſich entwidelt — in das 
Innerſte der Nacht diefes Grgenftandes, welhe für den zu jener 
Freiheit und zu jener Feſtigkeit gekommenen Geiſt zum Tage 
der Erkenntniß ſich erleuchtet: Es wird dabei von Darſtellun⸗ 
gen des Neferenten ausgegangen, es werden „wo möglich die 
verfänglichften und gefährlichften, oder die verſchricenſten Aeuße— 
rungen“ vor dem Lefer vorübergefühtt, die Säge mit der Lehre 
der Schrift verglichen, und Schwierigkeiten und Mifverfländ- 
niffe, die ein im endlihen Denten befangenes Meinen erwedt, 
oder vielmehr Abſprünge und Abgleitungen von dem Sinne und 
wirklichen Inhalte der Säge vorgenommen umd aufgeklärt. Der 
4 Herr Verf. behandelt: den fpefwlativen Gegenftand mit ebenfo 
viel Yebendiger Originalität als mit der fhärfften Beſtimmtheit 
des Denkens; die Begriffe gewinnen in der friſchen und ſcharf— 
finnigen Behandlung eines feloftftändigen Denkens weitere Ve: 
währung und neue Klarheit. Es find Hauptſäte, und einige 
Züge, die wir davon kurz herausheben wollen. Nadidem die 
Immanenz des Begriffs aus dem Sage, daf die abfolute Subz 
flanz ebenfo fehr Subjekt, und das abfolute Subjekt ebenfo fehr 
Subftanz ſeh, beftimmt worden ift, wird (S. 62) angeführt, daß 
die Schrift, indem fie lehrt, daß der Menſch aus ſich felber, 
aus feiner von Gott getrennten Subjettivität zu Gott und zur 
Erkenntniß Gottes nicht gelangen kann, ſich felbft als das Wiſ— 
fen erweift, welches nichts Anderes ausfagt, als daß der Menſch 
nur durch Gott, als das allgemeine Wiffen (das befondere Wifr 


7. Ueber &.....18 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfol. Wiſſen. 427 


ſen ift das von Gott getrennte, eigene, zufällige Wiſſen des 
Menfihen), zu Gott als der allgemeinen Wahrheit gelangen 
kann. Näher werden folgende Säge entwidelt., Das Erfte 
iftz Gott felbft ift nicht bloß das ewige Seyn (Subftanz), fons 
dern aud das Wiſſen Seiner Selbft (Subjett) — wie mögen 
"die, welche die, fpetulative Philoſophie beurtheilen wollen, diefen 
ausdrücklichſten Sat derfelben ignoriren, um fie des. Pantheis- 
mus zu befehuldigen! —; Gott ift nur infofern wirklich, als Er 
Sid) felbft weiß; mit Seinem Bewußtſeyn wird und verſchwin⸗ 
det fein Dafeyn; mit diefer Beziehung des Seyns und Wiſſens 
auf Gott, als das abfolute Objekt, welches ſich felbft abfolutes 
Subjekt ift, ftimmt die Schrift überein. Das Zweite iſt (& 
63, 65): Gott, als das Seyn in Sid Selbſt, if das Willen 
Seiner in Sich Selbſt — Selbfibewuftfenn Gottes —; 
und als das Seyn im Andern ift er das Sichwiffen aufer- 
halb Seiner, — das Bewuftfenn Gottes, in der Welt, in 
den einzelnen Wefen als Kreaturen Gottes; — indem aber 
Gott in feinen Kreaturen ſich weiß, ift dieß AWußerfid- 
ſeyn ebenfo wohl wieder aufgehoben, aufgelöfet; denn die 
einzelnen Wefen find nach ihrem Seyn und Wiffen in Gott 
als aufbewahrt, fie find nicht Gott felbft, vielmehr ift Bott nur 
Er felbft in Sid Selbſt. Wenn Gott wirtlid in und mit fei- 
nen Kreaturen ift, welches die Schrift lehrt, fo ift and das 
Wiſſen Gottes in ihnen — weil er nur ift, indem er ſich weiß 
— und diefes Wiffen Gottes im Menſchen iſt ebem die allge 
meine Bernumft, die nicht meine Vernunft, auch nicht ein ges 
meinſchaftliches oder allgemeines Vermögen, fondern das Seyn 
felbft if, die Identität des Seyns und Wiffens. — „Das Seyn 
und Wiffen Gottes in mir enthält daher nicht bloß die Erkennt⸗ 
nig, welche Gott von mir bat, fondern auch die Erkenntnif, die 
ich von Ihm habe, und die mehr oder weniger durch das Ich 
getrübt werden kann, je mehr oder weniger fic aus der Identi— 
tät mit der — Gottes von mir heraustritt. Für dieſes 


4128 | IV. Kritiken. * 


Zweite, die Beziehung des Seyns und Wiſſens auf den Men—⸗ 
ſchen — die Subflanz ift ebenfo Subjett — ſpricht wiederum 
die Berheifung” Die Bergleihung jener Säge mit der Schrift 
wird durch folgende Ausdrüde näher gebracht (S. 63): „Gott 
weiß die Welt, die Menſchheit nur infofern, als er in ihr ifl, 


oder, wenn fie nicht in Ihm geblieben ift, Sich, feiner Seits in _ 


fie verfegt. Der Menſch weiß Gott nur infofern, als er in 


Ihm ift, oder, wenn er abgefallen ift, wieder in Ihn verfegt 


wird. Der Menſch kann aber nur dur Gott in Gott fehm, 


und wenn er foldhes einmal aufgehöret hat, nur durd Gott in 





Gott verfegt werden, und zwar nur infofern, als fih Gott ze 
vor in ihm verfegt und felbft Menſch wird und fih ihm offen 


batt. Nur im diefer Offenbarung, nur in Jeſu Chriſto er⸗ 
fennet der Menſch Gott, und hat feinen Namen, indem er Gott 
anbeten foll, als den Namen des Dienfchenfohnes” — Aber in 
wie vielen Lehrbüchern der Theologie trifft man nod die Lehre 
von der Menſchwerdung Gottes, in wie vielen noch Whilofophie an? 

Der Hr. Verf. kommt nun auf die immer wiederholte An—⸗ 
tlage der Selbfivergötterung des Miffens, welde aus den 
Sägen des fpefulativen Willens gefolgert zu werden pflegt: 
Gottwiffen ift Gottſeyn. Iſt Gott, indem er den Mens 
Then weiß, felbft Menſch, fo ift auch der Menſch, indem er Gott 
weiß, Gott felbft; das if, heißt es, die unausweichliche Folge 
des abfoluten Wiſſens, die es füch feldft nicht verhehlen darf. 
Der Hr. Verf. zeigt zuerſt, daß in der Darftellung, deren Haupt 
züge fo eben angeführt worden, diefe Konfequenz bereits befeitigt 
if, Er zeigt, daß darin, daß der Menſch Gott erkenne, nicht 
nur dieß liegt, daß Gott im Menfchen ift, fondern aud dieß, 
daß der Menſch in Gott ift, aber nur dieß, daß der Menſch 
in Gott ift, nicht daß der Menſch Gott ift; — die vorhin 
gegebene nähere Beſtimmung enthält dieß fo, dag das Aufer- 
ſichſeyn Gottes, fein Seyn in feinen Keeaturen, auch aufgelöft 
if, daß die einzelnen Wefen in Gott find, nad) ihrem Seht 

















7. Ueber &.....18 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abſol. Wiſſen. 129 


und Wiſſen als aufbewahrt, daß fie nicht Gott felbft find, viel⸗ 
mehr nur Gott Cr Selbſt in Sich Selbft if. Aber nicht aus 
dieſer Immanenz, fondern aus der Identität, weldhes Wort 
in der philofophifhen Expofltion vorgefunden wird, iſt es, daß 
jene Konfequenz der Selbfivergötterung gemacht wird, — Bei 
den fo eben angeführten formen, daß Gott in dem Menſchen, 
der Meuſch in Gott if, könnte man an Jacobi’s Gewohn⸗ 
heit, in Präpofitionen zu philofophiren, flatt die Kategorien, 
die im jenen nur enthalten find, wirklich auszudrüden, erinnert 
werden, eine Manier, die, obgleich fie recht beſtimmt zu feyn, die 
Beflimmtheit auf das Letzte, das Einfachſte der Präpoſitionen, 
hinaus zutreiben das Anſchen hat, den Blick vielmehr im Unbe⸗ 
ſtimmten und Trüben läßt, und das Bewußtſeyn abhält, über 
die Kategorien, -in denen det Verſtand ſteckt, wach werden 
und fi darüber wach erhalten zu können. Wenn auch jene 
Hormen, die der Hr. Verf. oft gebraucht, hie und da Schwierige 
keit machen follten, fo ift dagegen fon aus dem Angeführten 
zuglei hervorgegangen, daß denfelben jener Vorwurf nicht trifft, 
fondern die Präpofitionen, die als -nothwendige Abbreviaturen 
“auch in der philofophifhen Sprache von großem Dienfte find, 
von ihm nur momentan angewendet werden, und daß fie fi 
in ihre befiimmten Kategorien herausgehoben, umd diefe zum 
Dialektifchen ihres Begriffes fortgeführt zeigen. 

Diefes Wachfeyn über die Kategorien, welde der die Phi⸗ 
lofophie antlagende Verſtand gebraucht, ift es, was diefem fehlt; 
es ift anziehend, zu fehen, mit welder Schärfe der Hr. Verf. 
über diefes in feinem blinden Schliefen pochende Denken ein 
offenes Auge hat und es in den Wendungen feines falfchen _ 
Spieles ergreift und fefthält. Es hilft nichts, einen philoſophi⸗ 
fen Begriff in feiner ſpekulativen Entwidelung dargeftellt zu 
haben, nod auch außerdem aufzuzeigen, daß eine Behauptung, 
deren die Philofophie angeklagt wird, innerhalb jener Entwide- 
lung nit vorhanden fey. Die Ankläger der Philofophie machen 

Bermifchte Schriften. * 9 


130 IV. Kritiken. 


ihre Konfequenz, und blyiben mit derfelben aufer jener: Expo» 
fition fichen; denn es iſt die Konſequenz, die fie gefhloffen has 
ben; darüber, daß fie richtig ſchließen können, kommt fein Zweis 


fel bei ihnen auf. Sie zeigen jedoch damit nur, daß fie der 


fpetulativen Erpofition nicht gefolgt find, fonft würden fie for 
viel haben merken können, daß die formen des Schliefens, def 
fen fie ſich undefangen bedienen, hier felbft in Anſpruch genom- 
men werden, daß eine ganz andere Gedankenbildung vorausge— 
fegt wird als die, im der fie fi unbefangen und zutrauensvoll 
bewegen. — Um auf den Gang des Hrn. VBerfaflers zurückzu— 
kommen, fo bemertt er in Anfehung der fo gewöhnlich urgirten 
Identität zunächſt, daf diefelbe, wie fie im fpetulativen Er— 
kennen vorkommt, den Unterſchied nicht ausſchließe, vielmehr we 
fehtlih in ihrer Beſtimmung habe. Es gefhicht aus eigener 
Machtvollkommenheit und Willfür, daß jene Ankläger die Iden— 
tität, die fie als ein gefhriebenes Wort vor ſich fehen, allein 
berauslefen, und fie fo abftraft gemacht der Philofophie zumu⸗ 


then; hätten fie die Augen auf die Erpofitionen felbft geworfen, 


fo hätten fle gefehen, daf das Gegewtheil der abſtrakten Iden⸗ 
tität gefagt worden. Der Hr. Verf. rückt aber näher dem „im 
Denten fo fehwerfälligen, d. i. trägen, als leichtfertigen“ Ver⸗ 
ftande auf feine VBerfälihungen. (S. 69.) Bon dem Urtheile: 
Wiffen Gottes — Seyn Gottes, geht diefer Verſtand 
kurzweg zu dem Schhluffe: alfo Gott wiffen = Gott fehn; 
und von da zu dem Endrefultate: Wenn ih Gott zu wif 
fen behaupte, muß ih Gott felbft zu feyn behaupten, 
Bei dem erſten Schluffe ift das Vorderglied, Wiffen Gottes, in 
Gott wiffen verändert worden, das zweite aber unverändert ge— 
blieben; hierdurch wird der grobe Mißverſtand veranlaft, welder 
gleichwohl nicht dem eigenen fehler, fondern dem Gegner beige: 
meſſen wird, Wenn jene Veränderung des einen Theile des 
Satzes vorgenommen wird, fo muß aud der andere gleichen 
Schritt halten, auch in ihm Gott in den Accuſativ kommen, 





[2 


- 


7. Ueber &.....1’3 Aphorismen über Nichtwiffen n. abfol. Wiſſen. 434 


und damit Senn in Haben fih verwandeln, Gott wifen — 
Gott haben. Haben iſt ein Seyn, das das nicht felbft iſt, 
was es hat: Weiter iſt auch felbft der Uebergang von jenem: 
‚ ®ott wiffen = Bott feyn zum Refultate: wenn Ich Gott 
weiß, fo muß Ih Gott ſeyn, erfhlihen. Im Gottwiffen 
war noch unbeftimmt, wer Ihn wiſſen könne, ob es nicht Gott 
Selbſt ſey. Nun aber tommt Ich, diefer Ich dazu, und zwar 
fo, daß Ih dem Präditate „Gottwiſſen“ vorausgefegt twerde, 
36 {dom fertig da bin, ch’ es an Gott kommt; da ich 
doch er Gott wiffen muß, ch’ ich mich wiffen kann, und erft 
mid wiffen muß, ch’ ich feyn kann, ja zu allererfi Gott mid) 
wiffen muf, eh’ ich Gott und in Gott mid wiffen fann. Der 
Hr. Verf. führt zu diefer gründlichen Erörterung noch die los 
giſche Beftimmung an, daß ich als diefer Ich, welden der 
finnliche Verſtand meint, Gott nit wiffen kann, mithin 
nur als aufgehobener dieſer, d. h. negativ dur Selbftent- 
äuferung, pofitiv durd Gott Gott weiß, alfo mit anderen 
Morten Gott nur weiß, infofern ich in Gott, alfo nicht die- 
fer IH für mid bin. — Bollloinmen erreicht ift in diefer 
 &xpofltion die Abficht des Hrn. Berfaffers, in einem Ichrreichen 
Beifpiel zu zeigen, wie der finnlich abſtrakte Verſtand fid mit 
den fpekulativen Wahrheiten zu geberden pflegt, wie er denfels - 
ben unvermerkt einen andern Sinn ertheilt. Der fpekulative 
Begriff ſtellt Alles auf den Proceß der Gelbfientäußerung des 
natürlihden Seyns und Willens des Menſchen, und macht die- 
fen Proceß der geiftigen Wiedergeburt zum einzigen Inhalt der 
Erpofition des wahrhaften Wiffens, wie zur einzigen Wirklid- 
keit des Geifles. Aber im Schlafe des Gedantens macht der 
ſinnlich abſtrakte Verſtand die unvermerkte Verfälfhung, wie 
feine Identität an die Stelle der Begriffs- Identität, fo an die 
Stelle des Begriffs der Subjektivität und des Wiſſens und ih- 
res Procefies, das unmittelbare Subjekt, Ich diefen Wiſſen⸗ 
u: Er 


— 


132 IV. Kritiken. 1— 


den, die natürliche Geburt und das unmittelbare natürliche Mei⸗ 


nen und Wiffen zu fegen. i 

Auf die philofophifche Beantwortung der Frage: was iſt 
der Menſch? (S. 76 — 116) können wir uns, da wir bereits 
fo weitläufig geworden, nicht fo ausführlich, wie fie es verdiente, 


einlaffen. Die Beantwortung jener Frage wird in dem Intereffe 
der beftimmtern Frage: wie der Menſch zu Bott gelange? 
betrachtet. Hierüber wird ſogleich bemerkt, daß diefe Stellung 


der Frage nur dem Verflande des Nichtwiffens zufommt, das, 
dem eben gerügten Fehler gemäß, von dem Subjekte als dem 
Erften ausgeht, und dadurd fogleich die Antwort abſchneidet 
und verfümmert; daß dagegen im abfoluten Willen, das von 
dem Abfoluten, von der Subflanz als dem objektiven Worte 
Gottes ausgeht, es fh fragt: wie Gott zu dem Menſchen 
gelange? — Es kommt hier vornehmlich auf die ſchwierigen 
Begriffe von der Freiheit, dem Böfen und der Sünde, und 
dann der Berfühnung an; der Hr. Verf. faft diefelben in 
ihrer tiefften Wahrheit auf. — Die Freiheit (S. 84) iſt nach 
ihrem wahren Begriffe und Weſen der abfolute Wille, als abs 
foluteer Wille ift fie in ſich ſelbſt beftimme Willkür ift das 
Gegentheil der Freiheit, die Knechtſchaft der Sünde, Gott iſt 
frei, weil er die Macht if, Er Selbſt zu ſeyn. — Die Natur 
des Böfen ift in der ganzen Beftimmtheit ihrer Schwierigkeit 
angegeben. Das Böfe ift nicht bloß das abwefende Gute, 
fondern dich Negative behauptet im Gefühle eine pofttive Wirte 
lichkeit; und doc ift es nur das an fi) Nihtige; die Sünde 
beruht auf Abfall, Verwirrung, auf Nichts — fie ift eitel Täu— 





EB 


fung; das Böfe ift daher, da es beides, eine pofitive Wirte 


lichkeit, hiermit das Gute, und die Nichtigkeit in ſich enthält, 
das verkehrte, entgegengefeßte, entflellte Gute; es kommt ihm 
eine, aber auf den Kopf geflellte, Wirklichkeit zu. Da es das 
Fürſichſeyn iſt, fo ift diefelbe die fubjettive, mithin halbe Wirk⸗ 
lichkeit; die wirkliche Wirklichkeit iſt An- und Fürfihfeyn; das 





7, Ueber &,....18 Aphorismen über Nichtwiſſen U. abſol. Wiſſen. 133 


Anſich des Böſen, das Gute, geht das Vöfe felbft als den fi) 
auf das Fürſichſeyn fegenden Willen nichts an, das Böfe ift 
auf fein fubjeftives Seyn und Weſen befchräntt. — Bei dem 
Begriffe des Böfen wird fomit nicht weniger gefordert, als den 
Widerſpruch zu denken, was nad der gewöhnlichen Logik, 
dem Epfieme der Berftandes- Jdentität, unmöglich ſeyn fol, 
und zwar ift das Böfe fogar als die Eriftenz des Wider 
ſpruchs zu faffen. — Es hängt mit dem Böfen unmittelbar der 
Begriff der Erlöfung zufammen, welde gleichfalls (S. 90) 
nicht nur als Aufhebung und Vernichtung des Böfen oder der 
Zrenmung von Gott, fondern auch nad) dem in der Negation 
ſchon enthaltenen pofitiven Momente als Verföhnung dis 
böfen Wefens mit Gott als mit dem Guten zu faffen iſt. Hier 
bat der Verf. die Kühnheit, ſich des Ausdruds nicht zu enthak 
ten, daß die Erlöfung als Verföhnung die Aufhebung des 
Unterſchieds zwifhen Gut und Böfe if. Dieß entwidelt 
der Hr. Verf. fo: die Verfühnung tft nicht ohne Vergebung; 
Böfes verzeihen enthält aber das Gedoppelte, nämlich erftens, 
daß darin das Böfe als Böfes anerkannt wird (nicht, wie 
oben, in dem Sinne, daß der Menfh gut geboren und das 
Böfe nicht böfe, nur Schranke, Endlichkeit, Sinnlichkeit fey), 
indem es der Verzeihung bedürfen foll (die Schranke, 
Endlichteit, Sinnlichkeit, bedarf keiner Verzeihung; für fle-ift 
die Berföhnung und Erlöfung überflüfftg, fogar finnlos); aber 
zweitens enthält die Verzeihung des Böfen auch ebenfo wohl, - 
daß das Böſe als an ſich gut anerfannt und mit dem Guten 
ausgeglichen wird, indem es wirklich Verzeihung erlangt. 
Der Hr. Verf. entwidelt diefe Begriffe in dem Laufe ihrer 
Rechtfertigung gegen die Einwürfe des abftraften Verſtandes 
und gegen deffen Auffaffungsweife des Spekulativen, welche ſich 
auch hier, wie immer, darauf reducirt, von dem fontreten Gans 
zen nur das Halbe aufzufaflen, und das Faktum der Totalität 
des Begriffes zw einer Halbheit zu verfälfchen. Es ift ebenfo 





4 


194 IV. Kritiken. 


intereffant als lehrreich, zu fehen, wie forgfältig der Hr. Werf. 
diefe Halbheiten der Abſtraktion feftyält und erörtert; der JIrr⸗ 
thum, die Unwahrheit ift immer das, was in der Halbheit fles 
hen bleibt; die Abſtraktion, von der diefelbe erzeugt wird, if 
(S. 80) die abfolute Diskretion des harten Herzens, welches 
für ſich if, fih in feiner flarren Vereinzelung zum Wefen malt, 
und als das Böſe und Richtige ſich erweift; fo it (S. 84) die 
finnlihe Verſtandesweiſe, welde einen abftraften, unlebendigen, 
finnliden, mafhinenmäßigen Begriff an die Stelle des ſpekula⸗ 
tiven Begriffs unterfchiebt, die Sünde, welche alle Begriffe ver⸗ 
kehrt, und ſie verunreinigt. 

Der, Berftand, der nad) dem Gefege der Identitãt verfãhet, 
hebt alle Schwierigkeit, die im Begriffe des Böſen liegt, mit 
der Entfernung des Widerſpruchs auf, aber eben damit die 
Sache ſelbſt, den Begriff des Böſen, welches der Widerſpruch 
ſelbſt iſt, und klagt dennoch die Philoſophie des Vergehens am, 
etwa nicht fo ſehr deſſen, den Begriff des Böſen dis vielmehe 
den Begriff des Guten zu verderben dur Jpdentificirung deſſel⸗ 
ben mit dem Böſen. Der Hr. Verf. bleibt auch hier nicht zus 
rüd, die Täuſchungen zu verfolgen, wenn ſie noch ſo ſehr glei⸗ 
fen. Vom Verſtande auf das Acrußerſte getrieben (S. 91), er⸗ 
kennt die Einſicht, daß das Gute, auf welches der Verſtand 
pocht, weil es ein Abſtraktum iſt, ſelbſt böſe iſt, da es als 
ſolches nur Anſich Gutes exiſtirt, in dem Fürſichſeyn ſelbſt, 


wæas der Mangel feiner Beſtimmung iſt, noch als abſtraktes feſt⸗ 


gehalten wird. Gut und Böſe, als die Pole des Gegenſatzes, 
als diskrete Pole aufgefaßt, von welchen jeder den andern aus⸗ 


ſchließt und für ſich bleibt, find gleich böfe; — das Gute erxiftirt 


fo in den Geftaltungen der fubjektiven Sefinnung der ſchönen 
Seele und des abftraften Geſetzes der. allgemeinen Pflicht. Die 
bloße Vorſtellung vom Guten ift freilich ebenfo etwas Unſchäd⸗ 
liches,- als fie ein -Unwirkliches if. Wie der Verfland bei feis 
nem Guten nur die Hälfte, das Anſichſeyn, vor fih hat, 


7. Ueber &.....1°6 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfol. Willen. 135 


ebenjo faft er von der fpekulativen Idee in Betreff des Unters 
ſchiedes von Gut und Böfe nur die Hälfte auf; wenn die— 
fer Unterſchied als an ſich nichtig in ihr ausgefproden wird, 
fo greift er die Moment auf, fhreit es als die ganze der, 
als die ganze Beflimmung über den Unterſchied von Gut 
und Böfe aus, und überläßt ſich moralifhen und frommen De— 
flamationen dagegen. Erſtlich läft er das andere Moment, 
die Beftimmung des Fürſichſeyns, willtürlid hinweg, welche 
‚allen eriflirenden Willen, Handlung, Moralität, Imputation u. 
f. f in ſich begreift, die Beftimmung, in welcher der Unterſchicd 
des Guten und Böſen ausdrücklich gefegt und als weſentlich 
behauptet it, im Begriff für unzertrennlich von dem Anſichſeyn 
erklärt und logiſch als unzertrennlich aufgezeigt wird; fo daf 
ſogleich hierdurch ausdrüdlih die Sache als nicht in jenem An— 
ſich vollftändig ausgefprocen erklärt if, Außer dem Moment 
des Fürſichſeyns läßt der Verſtand zweitens die dritte Haupt- 
beflimmung hinweg, nämlich die Berföhnung, in welder erfl 
und allein jene erfte, die er ifolirt, ihre Bedeutung und Wahr: 
‚heit erhält, was in Anfehung der zweiten derfelbe Fall ift. ‚Ohne: 
hin, wie anderwärts zur Genüge erinnert worden, iſt der Aus— 
drud, daß am ſich das Gute und Böfe daſſelbe feyen, wie 
er fo unmittelbar lautet, für ſich fchief und übel gewählt, fo 
dafi-er gleichfam zu Mifverftändniffen einladet und auffordert; 
es ift mehr der Verftand, der ihm zum Behufe feiner Polemik | 
viel im Munde führt, als die Philofophie. Die konkrete Be— 
deutung des Satzes aber, die er allein in der Verſöhnung erſt 
befommt, vor umd außer welder er nur umwahr und felbft finn- 
dos ift, ift vorhin aus der trefflihen Darftelung des Hrn. Verf, 
ausgehoben worden. 

Ref. muß fid enthalten, die weiteren äußerſt intereffanten 
Erdrterungen des Hrn. Verſaſſers auszuzeihnen, die im diefem 
Abſchnitte über die höchſten Lehren, über die Lehren von dem 
dreieinigen Gott, der Perſönlichteit der Drei, im ihm zu un— 





6 - IV. Kritiken. 


terfheidenden, der Menſchwerdung Chriſti u. f. f. gegeben weis 
den. Aber eine beachtende Aeußerung hat Ref. auf das zu 
madhen, was am Schluſſe diefes Abſchnitts (S. 113 ff.) der 
Hr. Verfaffer, der auf einem fo hohen Standpunkte des Chriſten⸗ 
thums und der Erkenntniß ſteht, der Philofophie, die derfelbe 
dort vor Augen hat, oder, wie er fagt, ihrem Anfange zu bes 
denten giebt: ob fie nämlich in ihrem Fortgange nicht-an 
Lit und Beftimmtheit gewinnen würde, wenn fie fid entfchies 
dener an das Wort Gottes anfhlöffe, aus welchem fie 
ſich entwidelt hat, und beflimmter, nämlih namhafter (d. h. 
mit Kennung des Namens), von der Sünde ausginge, Melde 
ſich ihr als Abſtraktion manifeftirt hat, ohne deren Voraue⸗ 
fegung fein Verſtändniß der Welt, ohne deren Anerkennung 
Teine Sclöfterkenntniß, ohne deren Aufhebung keine Gotteser⸗ 
tenntniß möglich iſt; — nah diefer Philoſophie felbft fey der 
Gedanke nicht das Höchſte, fondern die Borftellung, die Ges 
flalt, nur daß diefelbe als immanent, als mit dem Wefen iden- 
tifche Erſcheinung des Weferis zu erkennen feh; das Wiffen, als - 
ebenfo wohl in der Wahrheit der abfoluten Realität, wie diefe 
in ihm, feh das Seyn des Geiftes, welches den Begriff wie bie 
Vorftellung und den Glauben als fi felbft einfchließe und pflege; 
daran heine der Formalismus diefer Lehre felbft nicht immer 
zu denken; „denn, daß wir nichts verfchweigen, mehr als einmal 
ift uns in dem Bereiche diefes reinen Wiffens fo unkörperlich 
und gefpenftig und fo unheimlich zu Muthe geworden, daf wir 
uns recht ernfilih nach Perfonen und Geftalt gefehnt, und dann 
nirgend anders als bei dem Worte Gottes Zuflucht gefucht und 
gefunden haben, ja oft durd einen einzigen Bibelſpruch', ale 
durd die Kraft Gottes, an Mark und Bein erquidt worden 
find; fo finnlich fühlen wir uns, daf wir um des Begreifens⸗ 
willen das Greifen mit den Händen nicht miffen wollen.” Ref. 
für fih kann, wie aus dem vom Heren Verfaffer für feine For⸗ 
derungen Angeführten felbft hervorgeht, diefelben nicht abmweifen. 


7. Ueber &,...,18 Aphorismen fiber Nichtwiffen u. abfol, Wiſſen. 437 
‚Der Herr Berfaffer hat damit einen intereffanten Gefichtspuntt 
berührt, — das Herübergehen überhaupt von der Vorftels 
lung zum Begriffe und von dem Begriffe zur Vor— 
ftellung — ein Herüber» und Hinübergehen, das in der wif- 
ſenſchaftlichen Meditation vorhanden ift, und von dem hier ges 
fordert wird, daß es aud in der wiffenfchaftlichen Darftellung 
allenthalben ausgefptohen werde. Wie Homer von einigen Ges 
firmen angiebt, welchen Namen fie bei den unfterblihen Göt- 
term, welchen andern bei den ſterblichen Menſchen führen, fo ift 
Bee der Vorftellung eine andere als die des Begriffs, 
fc erfennt die Sade nicht bloß zunächſt an dem 

— Vorſtellung, ſondern in dieſem Namen iſt er erſt 
lebendig bei ihr zu Hauſe; die Wiſſenſchaft hat daher nicht bloß 
in jene abſtrakten Räume des Begriffs, — abftraftere als die, 
worin jene unfterblichen Götter, nicht der Wahrheit, fondern der 
Phantaſie wohnen, — ihre Figurationen einzuſchreiben, fondern 
deren Menfchwerdung, und zwar einer jeden ummittelbar für ſich 
felbft, die, Eriftenz, die fie im wirklichen Geifte erhalten (und 
dieſe ift die Vorftellung), nachzuweiſen und zw verzeichnen, Ref. 
dürfte, wenigſtens zum Behufe feiner Entfhuldigung über Unvolls 
kommenheit ſeiner Arbeiten nach dieſer Seite, daran erinnern, daß 
eben der Anfang, den auch der Hr. Verf. nennt, vornehmlich die 
Mothwendigkeit auflegt, ſich feſter an den, der Vorſtellung in oft 
‚hartem Kampfe abgerungenen, im reinen Gedanken ausgedrüds 
"tem Begriff und deffen Entwidelungsgang anzuſchließen und in 
‚feinem Gleife ſich firenger zu halten, um deffelben ſicher zu wer— 
den, und die Zerftreuungen, welde die Wielfeitigkeit der Wors 
ſtellung wie die Form der Zufälligkeit in der Verbindung ihrer 
Beflimmungen mit fih führt, gewaltfam abzuhalten; diefe Viel— 
feitigkeit bringt der Bequemlichkeit die Gefahr zu nahe, im der 
Strenge der Methode des Gedankens nachzugeben. Die erlangte 
‚größere Feftigkeit im der Bewegung des Begriffs wird erlauben, 
gegen die Verführung der Vorſtellung unbeforgter zu feyn, und 


6: 





138. | IV. Kritiken. DEN ie 


fie unter der Herrſchaft des Begriffes freier gewähren zu Laffen; 
wie ihrer Seits die im göttlichen Glauben ſchon vorhandene 
Sicherheit von Haufe aus geftattet, ruhig gegen den Begriff zu 
feyn und ſich in denfelben einzulaffen, fowohl furchtlos vor feinen 
Konfequenzen als auch unbefümmert um feine Konfequenz, weldye 
bei vorausgefegtem Glauben ſich nicht felbft als frei zu erweifen 
bat. Aeußerlich betrachtet, wird ſolche Torftellungsform im der 
Philoſophie gegenüber dem göttlichen Glauben cher geftattet feyn, 
als dem Unglauben gegenüber, der wenigſtens das gute Recht 
hat, des Beifpiels der ſcholaſtiſchen Philofophie ſich zu erinnern, 
welde mit der Worausfegung des feften Kirchenglaubens Philos 
fophirte, und darum micht zur Freiheit des denkenden Begriffes 
gedeihen konnte, der Unglaube, der im Gedanken und fogar in 
der Vernunft zu verfiren vorgiebt, und mit Recht deren Befrie— 
digung fordert, wird dur die Namhaftmachung der Glau- 
bensformen abgefhredt, auf die begreifende Vernunft zu hören, 
wenn er zw ahnen meint, daf ihr Gang dod nur auf die Er- 
kenntniß Gottes, und gar auf die Dreieinigkeit, die Menfchwers 
dung Chriſti w. f. f. hbinauslaufe, da folde Refultate des 
Philoſophirens vielmehr bereits von vorn herein und zwar mit 
Hintanfehung der Vernunft feftgeftellte Vorausſetzungen fehen 
und nur diefe ſeyn können; ja feine Apprebenfion geftaltet ſich 
zur Ungeduld und zur Empörung darüber, daß Ernſt damit ge— 
macht werden ſolle, in jenen Lehren die Vernunft nachzuweiſen. 
Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 
bat freilich felbft diefe negative Aufmerkſamkeit nicht erregt, weil 
darin jener Ernft der Spekulation nicht zu erfennen war, und 
der Verſuch, den er nad) diefer Seite machte, nad) feinem fon- 
fligen Spfteme ſogleich für ein müfiges, überflüffiges Spiel ges 
nommen werden Tonnte. — Wenn in Rüdfiht der angeführten. 
Gebundenheit an die Gedankenform diefe in einer logifchen Aus— 
arbeitung überwiegend ſeyn wird; fo muß es um fo willtomms 
ner fehn, in einer Schrift, wie die vorliegende ift, die ſpekulati— 














7. Ueber &.....178 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol, Willen. 139 


‚ven Begriffe zue Anerkennung ihrer »Mebereinftimmung mit der 
zeligiöfen Vorftellung herausgearbeitet und die Worte und Zeis 
den der einen in die Sprache der andern überfegt zu haben. 
Nicht nur ift dadurd dem Zutrauen Vorſchub geſchehen, weldes 
der Glaube wieder, wie in der feholaftifchen Theologie, zur den= 

enden, aber nunmehr in ihrem Denken freien Vernunft gewins 

nen kann, fondern jene Vergleihungsweife hat es aud mit ſich 

gebracht, die fogenannten Einwürfe, welde von Seiten des nicht- 
wiflenden Denkens wie von Seiten des Glaubens gemeinfdaft- 

lid) mit demfelben einfeitigen Verſtande gemacht werden, auf 
deren eigenem Felde erörtern zu können. Der Herr Verfaſſer 
macht für folde Erörterung S. 67, indem er die Art, wie fid 
das Widerlegen zu verhalten habe, auf tieffinnige Weife aus- 
drũckt, die Forderung, „daß das Syſtem ſich dadurd als Syſtem 
au befunden habe, daß cs aus ſich heraustrete, diefe feine legte 
Abſtraktion überwinde, und ſich als Liebe befumde, indem es 
gerade demjenigen Momente, weldes fi ihm entgegenfegt, fei= 
ner Seits fih nit widerfege, fondern ſich in daffelbe ver— 
ſetze.“ Die wahrhafte Widerlegung einer Behauptung muß in 
der That an diefer felbft, nicht durch Entgegenhaltung anderer, 
außerhalb ihr liegender Principien gefchehen; fo unendlich mãch⸗ 
tig iſt die Natur des Begriffs, daß im einem unwahren Sage 
felbft das Gegentheil der Beſtimmung enthalten, ja oft. auch 

ſchon ausgefprochen ift, weldhe in ihm behauptet wird, Es ift 
"daher nur folder Sap felbft zu nehmen, durch Analyfe jenes 
Grgentheil, fomit fein innerer und zwar unaufgelöfter Wider- 
ſpruch, aufzuzeigen. Dabei fann die Bemerkung hinzugefügt 
werden, daß die Einwürfe, welche gegen ein fpekulatives Syſtem 
gemacht werden — wenn fie anders den Namen von Einwürfen 
verdienen; micht jedem ganz äuferlichen ſchlechten Einfalle mag 
auch nur jener felbft dürftige Name zutommen — direkt inner 
‚halb des Syſtems enthalten und behandelt find. Die Cinwürfe, 
wenn fie wirklich mit der Sache, gegen die fie gerichtet find 








10 IV. Kritifen. I. 


zufammenhangen, findseinfeitige Beſtimmungen, die Theile, wie 
früher angegeben worden, durd Werfälihung des fpefulativen 
Faktums hervorgebracht und zur Anklage gegen daſſelbe gemacht, 
Theils als Behauptungen gegen dieß Faktum aufgeftellt werden, 
Diefe einfeitigen Beſtimmungen, als mit der Sache zufammen 
hängend, find Momente ihres Begriffs, die alfo bei fei- 
ner Erpofition in ihrer momentanen Stellung vorgefommen, 
und deren Negation in der immanenten Dialektit des Begriffs 
aufgezeigt feyn muß; diefe Negation ift das, was, indem fie als 
Einwürfe geftellt worden, in die Form ihrer Widerlegung zu 
fichen kommt, Inſofern refleftirende umd ihrer Reflerion etwas 
zutrauende Menfchen die Geduld nicht haben, in die dargeftellte 
Dialektik des Begriffs einzudringen, worin fie den Gehalt ihres 
Einwurfs erkannt und gewürdigt finden würden, vielmehr folde 
Beftimmung als aus ihrem fubjettiven Berftande kommend vor 
zubringen gern vorziehen, ift das Geſchäft des Herm BVerfaffers 
popular und fehr dankenswerth, ſolche Befimmungen als Eins 
würfe aufzunehmen und zu behandeln. Die Wiffenfhaft könnte 
die Forderung machen, daß ſolches Geſchäft überflüfftg wäre, 
denn es wird nur durd) den Mangel an Bildung des Denkens 
und dur die Ungeduld der Eitelkeit mangelhaft gebildeten Den» 
tens veranlaft. Allein es ift nicht abzuwenden, daf Solche das 
Mort nehmen, die nur das lieben, was ihnen einfällt, und die 
diefe Zufälligkeit ihres Verſtandes dem objektiven Gange der 
MWiffenfhaft und der Nothwendigkeit deffelben vorziehen — inte 
dem fie das Bewußtſeyn entbehren, daß die Veftimmungen, die 
aus ihrem befondern fubjektiven Denken zu pulluliren fcheinen, 
durch die Natur des Begriffes hervorgetrieben werden, und in 
der Erörterung deffelben daher felbft ſchon, freilich nicht in einer 
zufälligen, loſen Stellung, fondern mit Bewuftfeyn und nad 
ihrer Nothwendigkeit müffen dagewefen feyn. Da es Viele giebt, 
die mit dem, was man noch guten Willen nennt, aber mit der 
‚ YAusrüftung ihrer fubjektiven Gedanken und der Gewohnheit, ſich 





7. Ueber Gern. 18 Aphoriemen über Nichtwiſſen u. abfol. Wiſſen. 444 


etwas einfallen zu laffen, im Gefühl ihrer freiheit ſich weigern, 
gleichfam an Händen und Füßen gebunden dem Gange der 
Wiſſenſchaft ſich hinzugeben, und da die Wiſſenſchaft weſentlich 
lehrend ift, fo wird fie auch dieſe äußerliche Geite der Belch- 
zung anwenden mögen, und auf die Vermuthung jenes guten 
Willens hin dazu beizutragen ſuchen, jene Hinderniffe aus dem 
Wege zu räumen. Dief hier Gefagte, veranlaft durd das 
gute Beifpiel des Heren Verfaffers und durd feine Aeußerun— 
gen, foll zugleich zum entſchuldigenden Vorwort, fo wie in Ans 
fehung der Beſchaffenheit deffen, was Einwürfe gegen einen wife 
ſenſchaftlichen Gang und, was deren Widerlegung ift, zur Eine 
leitung in die Beurtheilung einiger Schriften dienen, welde 
kürzlich gegen das Philofophiren des Nef. erfihienen find, und 
zu deren Anzeige derfelbe anheifchig gemacht iſt. 

Doch es ift möthig, des dritten Abſchnitts, überfäirichen: 
die Glaubensertenntnif oder Glauben und Wiffen 
(S. 116 — 189) wenigfiens nody zu erwähnen. Es wird darin 
der moderne Gegenfag von Wiffen und Glauben nad allen 
Seiten und Wendungen vorgenommen, und die Nichtigkeit der 
vermeintlihen Unverträglichkeit beider, und ihrer Trennbarkeit 
felbft aufgezeigt. Das trogige Vorurtheil diefes Gegenfages, 
das ihn für eine fefte, unüberwindlihe Wahrheit giebt, wird in 
alle die Weifen des Verftandes, die es vorbringt, in 29 Kleines 
zen Abſchnitten begleitet; der Herr Verfaſſer läft ſich, wie mit 
gründlicher Meifterfchaft des Denkens, fo mit gründlichem chrifts 
lihem Glauben und warmem Gefühle mit diefen Reflerionss 
Formen ins Gefpräh ein. An diefen Abſchnitt können diejeni- 
gen verwiefen werden, welde jenem Vorurtheile der Zeit noch 
ergeben find, oder vielmehr: wenn es ihnen nicht um das Pochen, 
fondern um die Sache Ernſt ift, werden fie fich felbft daran 
mweifen. „Wenn,“ fagt der Here Verfaffer S. 112 von feinen 
Bemerkungen, „fie nicht alle Zweifel und Mifverfländniffe lö— 
fen können, fo weifen fie doch an der Löfung einiger Zweifel 





"442 IV. Keititen mn. 


die Quelle nad, woraus alle Mifverftändniffe fließen; dieſe 
Bemerkungen könnten dazu dienen, daß ſie uns reizten zum ge⸗ 
wiſſenhaften Gehorſam im Lernen, welches fo leicht bei 
der Aufenfeite und am einfeitigen Nefultaten fichen bleibt, und 
diefen einen andern Sinn unterfhiebt — zur Liebe im Ber 
ſte hen, denn ohne Liebe, ohme Verfegung in das Andere ift fo 
wenig als ohne Berfland ein Verſtändniß möglid — und vor 
Allem zur chriſtlichen Borficht im —— vor dem Vers 
ſtändniſſe.“ 8 
Der Herr Verfaſſer giebt — den Unterſchied an, der 
zwiſchen Glauben und Wiſſen Theils ſtattfindet, Theils fälſchlich 
angenommen wird, und zeigt, daß dieſer Unterſchied nicht eine 
Trennbarkeit derſelben oder einen wahrhaften Gegenſatz begrün—⸗ 
det. — „Das Wiſſen findet den Glauben in ſich, der Glaube 
findet au das Wiffen in fi, denn Glaube ift Glaubens— 
ertenntniß; — dein Glauben wächſt mit deinem Wiſſen, dein 
MWiffen mit deinem Glauben, wie die Wurzel mit dem Baume, 
der Baum mit der Wurzel” — Wenn der Philofophie ale 
MWeltweisheit (mit welchem Namen man fie früher unbefans 
gener Weife überfegte, neuerlich aber zuweilen [wie etwa Friede, 
Schlegel] als mit einem Spitnamen belegte) das Wiffen der 
Welt zugefchrieben worden; fo zeigt der Herr Verfaffer, daß 
ſolche ausſchließliche Erkenntniß der Welt für fih und ohne 
Gott nichts Anderes wäre, als das Unwaähre ohne das Licht der 
Wahrheit erkennen; die Welt erkennen kann nichts Anderes’ heiz 
fen, als die Wahrheit der Welt, die Wahrheit in dem für ſich 
Unwahren erkennen, und diefe Wahrheit ift Gott. Ebenfo nur 
wer die Welt erkennet, erfennet audy Gott; wer in dem übers 
ſinnlichen Wefen Gottes nicht aud die Natur und die Perſon 
Gottes erkennt, der erkennt auch nicht die Mebernatürlichteit Gote * 
tes, Wenn 18 cin Wiffen giebt, wenn wir das Wiffen um des 
Nichtwiſſens (des nichtigen Wifjens, des Wiffens des Nichtigen) 
willen nicht aufgeben wollen, fo muß es glei dem Glauben 


’ 





7. Ucher &e....18 Aphorismen über Nichtwiſſen u. abfol. Wiſen. 143 


görtlich und übernatürlic — * fo muß als ũbernatürlich die 
Philofophie wie der Glaube das Wort Gottes zur einzigen 
Grundlage, und die Vernichtung der gefallenen Ratur, die Ers 
löfung von der Natur, zum Zwede haben. Beide find übernas 
türlich, infofern fie den Menſchen über die gefallene Natur ers 
heben, welches durd die Natur ſelbſt nicht bewirkt werden kann; 
. beide find aber auch infofern natürlih, als fie die Wiederher- 
fiellung der wirklichen Natur zur Folge haben follen. An der 
inhaltlofen Meberfinnlichkeit ift es, daß der Nationalismus ſich 


Der Herr Berfaffer gebt hierauf zu dem Wegen, die Andere 

‚zu der Weife, wie fie fih ausgedrüdt, gedrüdt 

und gewendet haben, um eine Berfhiedenheit von Glauben und 
Wiffen zu firiren. Von diefen Kategorien mögen nur einige 
mehr beifpielsweife angeführt werden. Es wird gefägt, der Un— 
terſchied beftche im Denken, welches felbft und deſſen Wert das 
Willen fen; — Niemand wird behaupten wollen, entgegnet der 
Herr Berfaffer, daß der Glaube gedankenlos fey; die Philoſo— 
phie hat als wirkliches Denken aud das wirkliche Seyn, Leben 
und Thun, weldes fie mit dem Glauben identiftcirt. — Ferner, 
der Glaube fange doch nicht mit dem Denken an, er überliefere 
mit einem Male und wefentlic die Wahrheit, er komme ohne 
unjer Zuthun, das Wiffen beruhe auf Selbfithätigkeit - 
Der Here Verfafer erwiedert &. 135: „Ein foldes Vertrauen 
haben wir durd Chriftum zu Gott, nicht, daf wir durd) uns 
auf uns bauen, und aus ung felber tüchtig find, etwas zu den- 
ten als aus uns felber, fonden etwas zu denken und zu begrei- 
feu (Aoyioaodeı), das ift von Gott und aus Gott und durd) 
Ehrifium, welcher ift der Logos, der ung Logik lehrt, und 
ſich ſelbſt erniedrigt hat, daf wir ihm erkennen und begreifen 
lernen.” Es wird aufgezeigt, daß alle dergleichen Unterfchiede, 
wie auch die heutiges Tags fo beliebte Kategorie der Immit- 
telbarkeit, ſich verflühtigen, wenn die unbeflimmten Ausdrüde, 


144 "IV, Keitiken, 


in welchen fie ſich bewegen, berichtigt und beflimmt werden. Ins— 
befondere lautet auch ein Unterſchird fo, der Glaube gehe vom 
Herzen aus, das Wiffen vom Verflande; der eigenthümliche 
Irrthum unferer Zeit liege in dem Losreifen der intelleftuellen 
Kraft aus ihrer natürlichen Verbindung mit unferem empfinden: 
den und handelnden Weſen. Diefer Vorwurf, erwiedert der 
Herr Verfaſſer, fällt erfiens felbft in den Irrthum, den er vor 
wirft, wenn er ein Gebiet der Erkenntnif neben dem Gebiete 
alles Schns und Lebens ftatuirt, und zweitens fällt er in den 
Irrthum, die poftulirte Verbindung natürlich zu nennen; ob⸗ 
gleich urſprünglich, ift fie darum doch nicht natürlich; natür— 
lich ift vielmehr die Entzweiung der Geiftesfräfte im Menſchen, 
— Eine Philofophie ohne Herz, und cin Glauben ohne Ver— 
fand find felbft Abftraftionen von dem wahren Peben und Sehn 
des Wiſſens und Glaubens. Wen die Philofophie kalt läßt, 
oder wen der wirkliche Glaube nicht erleuchtet, der fehe wohl zu, 
wo die Schuld liege; fie liegt in ihm, nicht im Wiffen und 
Glauben. Jener befindet fih noch auferhalb der Philofophie, 
diefer außerhalb des Glaubens, — Schon früher (S. 97) war 
gefagt worden: „Sep du doch an deinem Theile nicht fo ſtolz 
und fo vornehm abgefhloffen gegen die Spekulation, welche du 
des Stolzes und der Kälte zeiheſt; — verfege du dich licher auf 
lebendige Weife in die Begriffe der Philoſophie; leide fie nur 
erft und nimm fie nur erft in die Gefinnung auf, und du 
wirft ihr Leben und ihre Wahrheit, d. h. ihre Uebereinftimmung 
mit dem Morte Gottes, deſſen Meberfegung fie find, erfahren.” 
In Bezichung hiermit ftcht die weitere Frage ©. 146 ff, ob 
die menfhliche Vernunft die Wahrheit, die fie erft der Bir 
bei gefiohlen (und was in jener wahr ift, das feh allerdings 
aus diefer entwendet), aus fich felbft zu haben fid nicht ein» 
bilde? Der Herr Berfaffer entgegnet, daß der Nationalismus 
der natürlihen Vernunft, die fih für ein abfolutes, ſelbſtſtändi— 
ges Eigenthum hält und ſich fo gebraucht, mit der fpefulativen 








7° Ueber G....,08 Aphorismen über Nichtwiffen u. abfol. Wiſſen. 145 


Philoſophie nichts zu ſchaffen hat; daß der ganze Anterfihied 
um den wir uns bei jener Frage herum bewegen, auf den 
zwiſchen heiliger Schrift und allgemeiner objektiver Ver— 
nunft hinauskomme; daß unter dieſer wir aber nichts An— 
deres als den Geift Gottes verficehen, welder, nad der Schrift, 
im Glauben und zum Glauben uns mitgetheilt wird. In— 
ſoweit ſich aber dennoch ein Unterfchied erhalte und geltend 
mache, ſey davon der Glaube nicht weniger als das Wiſſen be— 
rührt, Denn Niemand verfiehe die heilige Schrift ohne die 
Bermittelung des Heiligen Geiftes; Er ſey cs, der das Verftänd- 
niß der Bibel, die er ſelbſt diktirt hat, jedem Einzelnen eröffnet; 
nicht alfo die Bibel, fondern der Geift ihres Verfaffers, indem 
er der allgemeine, gemeinfame Geift wird, ſey der Anfang und 
das lebendige Princip alles Glaubens. (Mit dem Pochen auf 
feine natürliche Vernunft verbindet der Nationalismus das Pochen 
auf die Eregefe der Bibel; feine Theologie foll weſentlich nur 
eregetifch, nur bibliſch ſeyn; er begeht die Täufhung oder den 
Betrug, nicht zum Bewußtſeyn kommen zu laffen, daß es der 
eigene Geift iſt, der eregefirt, und erfpart fi die Mühe, das 
Gefühl, den Verftand, die Logik, die eregefirt, näher zu unter 
ſuchen und als den Geift der Wahrheit zu beweifen; er gebraucht 
geradezu den abſtrakten Verfland, die fogenannte natürliche Ver— 
nunft) — Wenn gefagt werde, die Philofophie gehe nit von 
der Bibel aus, fo gehe auch der Glaube, indem er wird, nicht 
von der Bibel aus, fondern auf die Vibel zu, in welder er 
die Wahrheit und hiermit ſich felbft erfaßt. Es fey ein Vorurs 
theil «(dem das Faktum der Philofophie direkt entgegen ift), das 
Princip und hiermit den Begriff der Philoſophie in ihrem Aus— 
gangspuntte, in ihrem Anfange zu fuchen, da beides vielmehr 
als Eins erſt in ihrer Vollendung zw fuchen ſey. S. 149. 
Ebenfo tieffinnig begegnet der Herr Verfaffer den Katego= 
rien von dem Aufheben der Perfſönlichkeit Gottes, das 
durch die Philofophie gefehehen folle, — von der Unbegreif- 
Bermiichte Schriften. * 10 


146 IV. Kritiken. 


lichkeit Gottes. „Es ift der Glaube,” fagt der Hr. Verf. 
S. 157, „welder, von Oben gegeben, das Unbegreifliche begreif- 
li madt, und das Unerforfchliche erforfchet, ohne von einer 
endlichen Grenze gehalten zu ſeyn; das kein Auge gefehen, kein 
Ohr gehört hat, und in Feines Menſchen Herz gekommen ift, 
das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben, uns aber bat es 
Gott offenbaret dur Seinen Geift. Denn der Geift erfor: 
fhet alle Dinge, aud die Tiefen der Gottheit.” — 
Glauben und Philofophie find ſich alfo in Rückſicht des Begrei- 
fens nicht abfolut entgegengefest. — „Wenn die Philofophie 
fi) im Begriffe bewegt, der Glaube fi) aber auf innere Erfah— 
rung und das Gewiffen beruft, fo ift das Gemwiffen, worauf 
die Berufung gefhicht, nicht. etwas Partitulares, fondern 
das allen Menſchen ‚Gemeinfhaftlihe; und der Geifl, der das 
Gewiffen erwedt, die Vernunft erleuchtet und in die allgemeine 
verfegt, ift nicht der Herren eigener Geifl. Wie Keiner dem 
Andern den Glauben geben kann, fondern jeder von Gott felbft 
gelehrt werden muf, fo hat auch die Philofophie ihren Punkt, 
der nicht erlernt, nicht äußerlich aufgenöthigt, von einem Men 
ſchen nicht in den andern übergetragen werden kann; und ift 
dieß nicht gerade der Lebens punkt? Auch der Philofoph feiert 
feine Pfingften; ohne Wiedergeburt fommt Niemand aus der. 
Sphäre des natürlichen Verſtandes in die fpefulativen Höhen 
des lebendigen Begriffs. — Aber die Wahrheit beſteht nad ihrem 
eigenen Weſen in ihrer Nothwendigkeit, fie hat ihre Nöthigung 
in ſich felbft; fie müßte fi alfo, meinen wir, aud) erzwingen 
und aufnöthigen laffen, fo daf wir nicht widerfichen, fie müßte 
fi doch fo gründlich nachweiſen laffen, daß wir ihr nicht aus— 
weichen könnten, Der Menſch kann aber überhaupt der Wahr- 
beit, der allmächtigen Wahrheit allerdings widerftehen. Und was 
verfiehen wir unter jenem gründlichen und allgemein gültigen 
Nachweife, den wir am Glauben vermiſſen? fuchen wir ihn nicht 
in unferm eigenen Innern, flatt im Innern der Sache, — 














7. Ueber. &....,18 Aphorismen üher Nichtwiſſen u. abfol, Wiffen. 147 


im Subjette ſtatt in der Wahrheit? IR es nicht das Selbfl- 
gemachte, in unfern eigenen Gedanken Zufammengefuchte, 
was wir gründlich nennen, und was gleichwohl, wenn es gemacht 
ifl, nichts wirkt und nichts beweifet, weil es nichts if? Eben 
weil die Wahrheit ihre Nöthigung in ſich felbft bat, eben darum 
kann fie nicht in dem Beweife, als einem von der Wahrheit 
ſelbſt verfhiedenen Beweife liegen, — weil fie Geift ift, 
” fie dem ifolirten Verſtande umd deffen Beweifen unzu— 
nglic, kann fie nicht dem ifolirten, verfallenen Verſtande des 
denſchen zukommen; von diefem Berftande‘provorirt daher der 
Taube auf den unzerſtückten Geift, auf dag Gewiffen, von dem 
Beweiſe auf die innere Erfahrung. So ift auch alles ſpekulative 
Verſtandesbeweis pofitiv nicht zu erzwingen; auch 
die Philofophie muß erfahren, daf ihre Gegner Ohren haben zu 
hören, und nicht hören, und Augen haben zu fehen, und nicht 
wa 
In Betreff der Behauptung, daß der Glaube vermittelſt 
des Gefühls uns auf die Abhängigkeit der Kreatur von Gott 
weiſe, die Wiſſenſchaft dagegen vermittelſt des Gedankens frei 
made, weiſt der Hr. Verf. darauf hin, daß, wenn wir uns im Glau⸗ 
ben abhängig fühlen, wir uns von Gott abhängig fühlen, die Abhän— 
gigkeit von Gott aber, nad) deffen Wefen, freiheit in Gott ift, fo wie 
Seyn außer Gott Seyn außer der Freiheit ift; fo ihr glaubt, wer- 
det ihr die Wahrheit erfennnen, und die Wahrheit wird euch 
frei maden. Auf andere Weife kann auch feine Philofophie 
frei maden; nur in Gott ift Freiheit. ©. 169. 
So viel, fagt der Hr. Verf. am Ende, zum Frieden zwifchen 
MWiffen und Glauben; — der Unterſchied zwifchen beiden kann 
nicht abgeläugnet werden, aber der Unterfchied fehlieft die Iden— 
tität nicht aus, fo, daß zwar jede Weife die andere von fich uns 
terfcheidet, aber auch zugleich als unzertrennlich mit ſich verbuns 
ben weiß. Denken und Glauben find als Theile Eines lebendigen 


Ganzen anzufehen, die für ſich unfelbfiftändig find, fo daf fie als 
10 * 












148 IV. Kritiken. 7. Ueber &. ....18 Aphor. üb, Nichtw. u. abfol, Wiſſen. 


getrennte in der Wirklichkeit ſich nicht behaupten können, und, 
dennoch getrennt, in Zerrbilder des Heiligſten ſich verkehren. 
Wohl uns, wenn wir dem Apoſtel Paulus mit gutem Gewiſſen 
nachſagen können: „Ich weiß, an wen ich glaube!“ Denn 
es iſt ein köſtlich Ding, daß das Herz feſt werde; und es wird 
nur feſt und gewiß, wenn es weiß, an wen es glaubt. 

Ref. aber begrüßt in dieſer Schrift die Morgenröthe dieſes 
Friedens, welchen fie von eben ſo frommem als kräftigem Den— 
ten und Herzen und deren erlangter Verſöhnung auch nach Aufen 
wirffam einzuleiten beftimmt if. Sie ift ein gutes Zeugnif, von dem 
Ehriftenthum über die Philofophie abgelegt; cs möge ein Autos 
ritäts- Zeugnif für die feyn, welde das Zeugniß des Geifles 
nur im Nutorltäts- Zeugniffe eines frommen Herzens (und doch 
wohl nicht nur ihres perfönlichen, individuellen Herzens) anerken⸗ 
nen; — aber fie ift eben fo fehr ein Zeugniß des tiefdentenden 
Geiftes, der die Verftahdes = Kategorien in das Gericht des Den- 
fens bringt, welche der evangelifche Chriſt die doppelte Inkonſe— 
quenz begeht, gemeinfchaftlid mit dem Nationalismus, (dem 
gemeinfamen Antipoden der fpekulativen Philofophie und des 
Glaubens) gegen die Philofophie zu gebrauchen und zugleich ihr 
die Kategorien zur Laft zu legen, in welden (S. 82) „jene 
feichte Lehre der Verftandesaufflärung verfirt, die gegenwärtig 
im Verfcheiden liegt, aber freilich defto mächtiger und krampf— 
bafter gegen ihren Zod antämpft.” — Wenn das Gebot: Meidet 
allen böfen Schein! oft Gutes, wenigftens Gehoriges verhindert, 
ja fogar Böfes geftiftet, fo hat die Gefahr des böfen Scheines 
der Parteilichkeit für die eigene Sache den Ref. nicht abhalten 
können, von dieſer Schrift mit freudiger Anerkennung des Gehalts 
und des Vorfhubs zu Sprechen, welchen fle der Wahrheit gethan 
und thun wird, nod,davon, zum Schluffe dem Hrn, VBerf., der 
perfönlich dem Ref. unbekannt ift, für die Seite der nähern Be— 
ziehung der Schrift auf deffen Arbeiten für die fpekulative Phi— 
fofophie, die Hand dankbar zu drüden. 








Ss. Zecenfion: „1, Weber die Hegelfche Lehre ober: 


abſolutes Wien und moderner Pantheismus. Leip- _ 


zig 1829. bei Chr, €, Yiolimannı, 8, 236. — 
2. Neber Philofophie überhaupt und Hegel’: En- 
iltlapädie ver philoſophiſchen Wiffenfchaften ing- 
befondere, Ein Beitrag zur Veurtheilung ber 
letztern, Don Dr. %, €, Schubarth und Dr. L. 
A, Carganico. Berlin 1829. in der Enslin’fchen 
Buchhandlung, 8. 222. — 3. Ucher ven gegen- 
wärtigen Stanbpunfit ver philoſophiſchen Wiffen- 
fchaft, in beſonderer Beziehung auf das Sijſtem 
Hegels. Von Ed. Weiffe, Prof. an ver Uniber- 
fität zu Teipzig. Teipzig 1829. Verlag von Joh. 
Amtr, Barth. 8.228 — 4. Briefe gegen die 
Degel’fche Encijtlopädie ver philofophifchen Wiſſen⸗ 
fchaften, Erftes Heft, vam Standpunkte ver Encij⸗ 
Klopäbie und der Philofophie, Verlin 1829, bei 
Joh. Chr, Fr. Enslin, 5.94. — 5. Ueber Sein, 
Michte und Werden, Einige Zweifel an ver Tehre 
des Ben, Prof, Hegel. Berlin, Pofen und Bram: 
berg, bei €, 8. Mittier 1829. 8. 24.% 


€ Sabrblicher f. wiſſenſch, Kritik 1829, Nr, 10 u. 11, 33 u. 14, 37—40, 117—120,) 


Ref. hat, indem er die Anzeige der hier verzeichneten Schriften 
übernommen, zum Voraus die Verlegenheit gefühlt, in welde 


150 IV. Kritiken. 


ihn dieſe Wrbeit verfegen würde; die Ausführung hat dies Ge— 
fühl nod um Vieles erhöht. In einem frühern Artikel iſt bei 
Beranlaffung der Schrift: Aphorismen über Nihtwiffen 
und abfolutes Wiffen, die Beſchaffenheit, von der die Ein- 
würfe gegen fpekulative Philofophie zu ſeyn pflegen, ingleihen 
das Verfahren, wie diefelben zu behandeln feyen, auseinanderge- 
fegt worden; die Anwendung diefes Verfahrens wird für ſich 
um fo fchwieriger, je leichter und bequemer es ſich die Verfaſſer 
der oben genannten Schriften, jeder in feiner Art, mit ihren 
Einwürfen gemadt haben. 

Eine eigenthümlihe Schwierigkeit aber ergiebt fh, wenn 
derjenige felbft, gegen deffen Philofophie die Schriften gerichtet 
find, ſich über die in denfelben enthaltenen Angriffe erklären 
foll; dieſer Umftand bringt die Forderung mit fih, daß folde 
Erklärung eine Beantwortung, vor allem eine gerechte, "nichts 
übergehende Auseinanderfegung des gegen ihn Vorgebrachten fep. 
Ein bloßes Urtheil könnte nur einem Dritten geftattet fehn, vom 
Angegriffenen felbft ausgegangen müfte es als abfprechend und 
parteiifch erfcheinen. Eine Auseinanderfegung aber, die, um 
dem Vorwurf zu entgehen, daß nicht Alles widerlegt worden, 
Alles beachten follte, müßte auferdem, daß der Verfaffer derfels 
ben noch viel cher ermatten würde, für die Lefer tädios werden; 
vollends wenn es fich nicht um Grörterungen über die großen 
Gegenftände des geiftigen Intereffes handelte, wie denn die Verf. 
der genannten Schriften hiezu wenig Beranlaffung gegeben, ins 
dem fie ſich nicht in ſolche Tiefen einlaffen, fondern mehr nur 
mit formellen oder äußerlihen Seiten abgeben. Sollte aber 
auch die Redtfertigung denen, die ſich für die Sache intereffiren, 
genügend erfcheinen; fo zeigt ſich Leicht ein anderer Nachtheil, 
daf nämlich die, welche den gegen eine Philofophie vorgebrad- 
ten Tadel gründlich oder wenigftens bedeutend fanden, dann, 
wenn ihnen das Seichte defielben aufgededt worden, die erflen 
zu ſehn pflegen, welche jene Schriften für der Beachtung unwerth 


8. Recenfion: 1. Ueb. Hegel's Lehre, od: abfol. Wiſſen u.mod. Panth. 151 


erklären, und auf diefe Weife den Tadel, den fie aus denfelben 
gegen den, den er betraf, ſchöpften, nun nur in den andern Ta— 
del umkehren, daß derfelbe fi) mit der Erörterung folder Ans 


griffe eingelaffen habe. 


Doch trotz diefer und anderer Mifftände ift das. einmal 
übernommene Gefchäft in Ausführung zu bringen. Zunächſt ift 
wenigſtens diefe Erleichterung zu rühmen, daß die Verfaſſer der 
zu betrachtenden Schriften nicht zu der Fahne des unmittelbaren 
MWiffens, des Gefühls und Glaubens gehören, fondern mehr 
oder weniger Denken, ja felbft Begreifen und fpekulatives Den- 
fen zugeben, wie fie ſich denn in diefen Schriften felbft bin umd 
wieder verleiten laffen, auf dem Grunde des von ihnen Bekämpf⸗ 

tem Berfuche im Philofophiren aufzuftellen. Diejenigen, welche 
—— Wiſſen kleben zu bleiben ſich entſchloſſen, und 
deshalb auch wirklich in demſelben zu bleiben vermeinen, können 
ſich konſequenterweiſe nicht zu einem Raiſonnement qusbreiten, 
ſondern müſſen ſich begnügen, in Vorreden und bei andern Ge- 
legenheiten aus der Autorität ihres Gefühls und Glaubens ab- 
fprechende, nicht mit Raifonnement noch weniger von Begriffen 


unterſtützte Verficherungen zu machen; an denen es übrigens in 


den vorliegenden Schriften gleichfalls nicht fehlt. 

Am ſchwierigſten macht die zuerft genannte Schrift: Weber 
die Sſche Lehre oder: abfolutes Wiffen und moder- 
ner Pantheismus, von einem Anonymen, das Gefchäft des 
Befprechens durch die eigenthümliche Werworrenheit und Into- 
härenz der Gedanken und des Ganges in dem Vortrage, Es 
ift unmöglich ihr in die Einzelnheiten nadyzugehen; beinahe jede 
Zeile enthielte eine Aufforderung zu einer Korrectur; es iſt nichts 
anders thunlich, als zu verfuchen ihre Manier in einer Charat- 
terifirung zufammen zu faffen, und dann Details als Beleg hin- 
zuzufũgen, nicht um die Vertheidigung alles defien, was -ange- 
griffen wird, zu erfhöpfen, oder nur um alles dagegen Vorge— 
brachte angeben zu wollen. Der bei begonnenem Durchlefen 


152 IV. Kritiken. 
fih, wie gefagt, faft in jeder Zeile findenden Aufforderung, einen 
MWiderfpruch oder eine Bemerkung einzulegen, fo wie dem Uns . 
willen, der über die ganze Benchmungsweife des Verf, empfun- 
- den werden könnte, fann man grade deshalb kein Gehör geben, 
weil ſolche Aufforderungen oder Empfindungen bei der fortgefeg- - 
ten Lektüre fi immer zu fleigern im Begriffe find, Es drängt 
ſich zunächſt das Gefühl auf, daß man es hier etwa mit dem 
AYusbruche eines hypochondriſchen Humors zu thun habe, weldyer 
in dem Berf., was auch deſſen Beſchäftigung oder Studium ſeyn 
möchte, die Vermögen richtigen Auffaffens, ja richtigen Leſens, 
die Fähigkeit ſich deffen, was er gefagt, nach wenigen ‚Zeilen 
zu erinnern, ohnehin alle ruhige Vergleichung gelähmt hätte. 
Die ganze Konſtruktion der Schrift deutete auf etwas der Art; 
der Vortrag geht ohne Unterbrechung, Eintheilung und Dtb- 
nung in Einem Eifer fort, die hitzige Polemik, die eben fo fehr 
dafjelbe wiederholt, als auf die zufälligfte Weife ſich in Anderes 
binüberfpricht, wechfelt kunterbunt mit eigenen eben fo verworre— 
- nen Verfucden von Deduktionen ab, dann mit pomphaften Des 
flamationen voll vortreffliher Gefinnungen und hoher Anforde— 
rungen; von den Anfirengungen wird behaglic) in gemüthlichen, 
falbungsvollern Ergiefungen ausgeruht. „Die Philofophie," 
beginnt der Verf. S. 11., ſtrebt nah Wahrheit; — nur zu 
oft werden die Schidfale der Philoſophie mit der unfterb=, 
lichen Philoſophie felbft verwechfelt; die Werke einzelner Men- 
fhen werden ihr angefhuldigte. — Man beobachte die Neu— 
gierigen, die Gleichgültigen, die Selbfigefälligen u. f. f. (ſolcher 
Man's folgt noch beinahe eine Seite 14.) — Der Geift der 
MWiffenfhaft kennt Feine Parthei. Im ihr wirkt die 
Wahrheit, fie ift unfterblih md ewig u. f..&. 15. — 
Die Gegenwart ift ein Refultat der Vorwelt, allein nicht bloß 
ein Refultat der Vorwelt. Man cehre die Alten, allein man 
fuche das Lebendige nicht im Todten u. f. f.“ | 
„Rur die Bewegung führt zur Ruhr, — wo die 








8. Recenfion. 4,Ucb. Hegel’s Lehre, od.: abfol. Wiffen u.mod. Panth. 153 
Ruhe, die wahre Ruhe waltet, da waltet (ein Lieblingswort 


des Verf.) die freie, wahrhaft lebendige Bewegung” S. 16,17 


geht es fo fort: „Man fey nicht ungerecht gegen unfere Zeit 
u. f. f. Man beobadyte nicht allein die Gährung in Philofophie 
und Religion, man vergleiche beide mit der Geftaltung des Le— 
bens überhaupt u. f. f.“ Anderwärts, &. 94, heißt es: „wo 
nad wahrer Ertenntnif gefirebt wird, muß der Irr— 
thum verworfen werden. (— Gewiß —) u. f. f.“ Schr 
freigebig insbefondere find überall die Koderungen eines nor= 
malen Fortſchreitens, eines normalen Entwidelns oder ſich 
entwideln Laſſens des Einzelnen aus der Totalität, u. ſ. f. 
ausgefireut. Es wäre leicht, von dem, was in den Deklamatio- 

nen des Berf. noch von Gedanken vorhanden ift, zu zeigen, 
daf daffelbe nur aus der Philofophie gefhöpft if, die er be— 
fireitet und verunglimpft. Dergleihen Kategorien, wie die Ent- 
wicklung aus der Totalität, die Objektivirung der 


. Bernunft, Verwirtlidung der Subſtanz im der 


Rothwendigkeit u. f. f. erfcheinen aber bei dem Verf, in 
flacher Allgemeinheit, da er fie zu nichts als zum Grofthun ges | 
braucht; fie find daher unfähig, Früchte zu tragen und bleiben, 
ungeachtet der oft gebrauchten Worte von Jdee, lebendigem 
Auffaffen, tiefem Aufaffen u. f. f. todt und flach. Sonſt 
würde glei von dem vorhin angeführten Sage, daß in der 
wahren Ruhe die wahre Bewegung waltet, wenn der Verf. 
das geringfte Bewuftfepn über die darin enthaltene Vereinigung 
‚von Entgegengefegtem, von Pofitivem und Negativem, gewonnen 
und zu entwideln gewußt hätte, wie von der Entwidlung aus 
der Totalität der Idee u. f. f. die Frucht die haben ſeyn müffen, 
daß er ohmgefähr feine ganze Schrift weggeſtrichen hätte. 

Wenn ſchon die polemifche Hitze in der Abwechflung mit 
der Parthefie paränetifcher ZTrivialität, die Inkohärenz der 
Darftellung, auf ein bypochondrifches Uebel hinweift; fo könnte 
‚man auch nur aus einem ſolchen die Art erklärlich finden, wie 


154 IV. Kritiken. 


der Verf. mit dem Faktiſchen in Anfehung der Pbilofophie 
umgeht, die er befümpft. „Der Zwed der gegenwärtigen 
Schrift if,“ fagt er ©. 31, „das vernünftige, wahrhaft 
fpetulative Denten zu befördern. — Hinfichtlich ihres 
(jener Bhilofophie) geſchichtlichen Gegenflandes muß alſo 
diefe Schrift es fi) zur Pflicht machen, dahin zu führen, daf 
derfelbe in jeder Beziehung richtig verftanden, ers 
kannt und begriffen werde” Wenn man dem Verf, auch 
das Verftichen, Erkennen und Begreifen des Gegenflandes er 
laffen wollte, fo beſchränkte fi die Pflicht diefes Führers zus 
nähft auf das richtige und damit redlihe Angeben des 
gefhihtlihen Gegenftandes. Wir wollen zuerft an Beifpie- 
len fehen, wie der Verf. diefe Pflicht beobachtet hat... 
Das erfie Beifpiel von der Art, wie der Berf, auffaßt, 
nehmen wir aus ©: 100, 101. Nachdem dafelbft eine verwor— 
rene Unzufriedenheit über die logifche Beftimmung der Realität 
bezeigt ift, heißt es: „Einen Beweis für feine Yufftellung 
bat Hegel noch nicht gegeben. Indeſſen die Beifpiele fagen 
auch nichts.“ Es werden nun aus Logik 1.Bd, 1. Abth. S.54 
die Beifpiele Eritifirt, die für den Gebraud) des Wortes Rea— 
lität, in verfchiedenen Beftimmungen, angeführt werden. Wir 
müffen zunächft die Worte diefer Stelle der Logik felbft anfüh— 
ren. „Realität,“ heißt es dafelbft, „kann ein vieldeutiges Wort 
zu feyn fcheinen, weil es von verfchiedenen, ja entgegengefegten 
Beflimmungen gebraucht wird. Wenn von Gedanken, Begriffen, 
Theorien gefagt wird, fie haben feine Realität, fo heift 
dieß hier, daf ihnen kein äuferlihes Dafeyn, Feine Wirklichkeit 
zutomme; an fich oder im Begriff könne die Idee einer, 
platonifhen Republit wohl wahr feyn. Umgekehrt, wenn 
3: B. nur der Schein des Reichthums im Aufwande vorhanden 
ift, wird gleichfalls gefagt, es fehle die Realität, es wird 
verflanden, daß jener Yufwand nur eim äuferliches Dafeyn fey, 
das feinen innern Grund hat.” Es ift hinzugefügt, daß auch 


8, Recenſion. 1. Ieb. Hegel's Lehre, od. 3 abfol. Willen u, mod, Panth. 155 


| von Befchäftigungen gefagt werde, fie feyen nicht reell, wenn 
fie feinen Werth) an ſich haben, oder von Gründen, infofern 
fie nit aus dem Wefen der Sache gefhöpft find. — Wit 
zeigt num der Verf., daß diefe Beifpiele nichts fagen? „Es 
wird gefagt,“ führt er richtig an, „man foge von einer Theorie, 
3. DB. der platonifchen Republik, fie kann an ſich wohl wahr 
ſeynz“ „die,“ urtheilt der Verf, „beweiftzwar, (was?) daf 
die platonifche Nepublit eine beftimmte Seite der Realität 
nicht hat, daf fie nämlich nicht in einem wirklichen Staate 
dargeftelit werden könnte, welches Plato auch nie gewollt hat, 
(dies hätte der Verf. etwa zu beweifen), indeffen die platonifche 
Republik hat allerdings Realität, als ideale Darftellung, 
fie hat aud ein Seyn für Andere, denn fie ift für ung ein 
unfhägbares Wert.“ Ja wohl! Iſt aber in dem, was der 
Berf. vor ſich hatte, im geringften von dem Werthe diefes Werks 
die Rede gewefen, und nicht bloß von dem Sinne, welden in 
jenem (gerechten oder ungerehten) Sagen der Ausdrud Rea—⸗ 
lität habe? Iſt es überhaupt um folde kahle Behauptung zu 
thun, wie die, „daß Platon's Republit ein unfhägbares Wert 
ſey?“ „Das zweite Beifpiel, daß Aufwand ohne Reichthum keine 

| Realität Habe,“ fagt der Berf., „paßt wieder nicht;“ er fügt 
- die Berichtigung hinzu, „daß er zwar unbefonnen und werthlos 
fe, er fey aber an ſich (was heißt: der Aufwand ohne Reich— 
thum ift an ſich?) und aud für Andere, welde Vortheil dar= 
aus ziehen, wie leider die tägliche Erfahrung zeige” Was foll 
ſolche ohnehin triviale moraliſche Diskuſſion hier, wenn bloß 
von dem Sinne, den Realität in jenem populären Ausdrude 
hat, die Rede ift! — Uber es verbindet ſich hiemit ein nod) 
unmittelbareres Beifpiel von der Art, wie der Verf. „den ge= 
ſchich tlich en Gegenſtand“ aufzufaffen fähig if. S. 101 wird 
als Faktum angegeben, „in der Vorrede zum hegel'ſchen Natur- 
recht S. XIX. werde behauptet, daß Platon (Dativ) die he— 
gel’fhen Säge: was vernünftig iſt, das ift wirklich, was 





456 IV. Kritiken. 


wirklich ift, das ift vernünftig, im hegel'ſchen Sinne die Angel 
feyen, um welde fib das Unterfheidende der platoni- 
fhen Idee (in dem Werke über die Republik) drehe.” Als 
Ref, jene Vorrede S. XIX nachſchlug, fand er, daß dafelbil 
gefagt ift, „Plato habe im Bewußtſeyn des in die griechifche 
Sittlichkeit einbrechenden tiefern Princips, das an ihr unmittel- 
bar nur als unbefriedigte Schnfucht, und damit als Verderben 
erfcheinen konnte, aus eben der Sehnſucht die Hülfe dagegen 
ſuchen müffen, die aber aus der Höhe fommen mußte; 
er habe die Hülfe zunächſt nur in einer äußern befondern Form 
der Sittlichkeit ſuchen können, durd welche er gerade den tiefern 
Trieb jener Schnfucht, die unendliche Perſönlichkeit, am tiefften 
verlegt; er habe fi) aber dadurch „als der große Geift bewie— 
fen, daß eben das Princip, um welches fi das Unter— 
ſcheidende feiner Idee dreht, der Angel ift, um weldhe die 
bevorfichende Umwälzung der Welt ſich gedreht hat.” Hier ift 
fo ausdrüdlih, daß ein Mifverftand unmöglich fcheint, das 
Princip des Chriftenthums, und das abflraktere Princip der uns 
endlichen Perſönlichkeit, als das genannt, das in der Sehnſucht 
Plato's angedeutet ſey, und um das fich der Angel der Welt: 
gefhichte gedreht habe. Mit diefer Betrachtung über die Hinz 
deutung der platonifchen Tendenz auf das Chriftenthum  fehlieft + 
der Abfag. Ganz getrennt hievon folgen die beiden berüdhtigt 
gemachten Sätze, die der Verf. anführt; fie find in einen Zus 
fammenhang mit weiter Folgendem gefegt und ausgefprodhen; fie 
find und ſtehen vor Augen aufer Berbindung mit dem Angel 
der Weltgefhichte. Aber der Berf. Fonnte dem Princip des 
Ehriftenthums, um das. fi die bevorfichende Umwälzung der 
Welt gedreht habe, jene Säge in feinem Lefen fubftituiren. 
Noch einige Beifpiele diefer Art! S. 159 heift es bei dem 
Berf.: „So ift denn 3. B. das Eins zugleich das Leere,“ 
wozu Log. 1. Bd. 1. Buch S. 1—129 citirt if. Dafelbft 
S, 102, wo das Eins und. das Leere abgehandelt wird, ift aufs 





8. Necenfion, 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffen u.mod. Panth, 157 


gezeigt, daf das Leere nicht unmittelbar für fih if, dem Eins 
gleichgültig gegenüber, fondern daß es in der Beflimmung des 
Eins enthalten ift, ferner fi zum Eins verhält, und daf das 
Fürſichſeyn fi zum Eins und dem Leeren beftimmt, — Eben- 
dafelbft heißt es bei dem Verf., „Hegel habe gefürchtet, aus 
feinen Sägen könnte die fehiefe Folgerung gezogen werden, 
daß weil —a.Ha=— a? wäre, umgekehrt Ha. —a—-ra? 
gebe. Logit 1. Bd. I. Buch ©. 63 iſt gezeigt, wie der bloße 
IF entgegengefegter Größen überhaupt, der jedermanns 
grif iſt, auf ſolche Folgerung führen könnte, Folg. ©. wird 
von der Behauptung erzählt, „daß die Negation der Negation 
deshalb das Pofitive wäre, weil —a.— a=a? wäre,’ dazu iſt, 
wie vorhin, Logik 1.Bd. Buch 2, S. 63 citirt. Weder daſelbſt, 
noch irgendwo, iſt das Faktum ſolcher Behauptung zu finden. 

- Ein merfiwürdiges Beifpiel von gefhihtlihem Auffaſſen ift 
folgendes. „Das Ziel des Philoſophen,“ ruft der Verf. ©. 
190 in einem feiner Anfälle detlamirender Vortrefflichkeit aus, „ſteht 
höher, als das gewöhnliche Treiben in der Welt; degradirter ſich 
zu dieſem, fo ift das Herrlichfie der Wiſfenſchaft für ihm 
verloren. Bei Hegel heift es aber, wenn das Geiſtliche 
die Eriftenz feines Himmels zum irdifdyen Dieffeits und 
zur gemeinen Weltlichkeit in ver Wirklichkeit und in der Vor— 
fiellung degradire, — das Weltlihe dagegen fein abftraftes 
Fürſichſeyn zum Gedanken und dem. Principe vernünftigen 
Seyns und Wiſſens hinaufbilde, dann fey die wahre Ver— 
föhnung objektiv geworden.” Eitirt iſt Hegel’s Naturrecht, 
S! 354. Die Art des Verf. in Betreff der Richtigkeit der 
Angabe des Faktiſchen bier deutlich zu machen, erfordert al- 
lerdings einige Umftändlichkeit; aber der Sag, den er für fak— 
tiſch ausgiebt, ift grell genug, um Beleuchtung zu verdienen. 
Die fo abrupt angeführten Worte finden ſich in dem Abſchnitte 
jenes Naturrechts, welder die Sauptmomente der Weltgefhichte 
kurz angiebt, und zwar in den SS. über das Princip der ger— 


458 | IV. Keitifen. 

maniſchen Völker, in welche die ehriftliche Religion gelegt wor- 
den feh. In $. 359 wird angegeben, daß die Innerlichkeit 
des Princips, als die noch abftrafte, in Empfindung als 
Glaube, Liebe und Hoffnung eriftirende, Berfühbnung md 
Löfung alles Gegenfages, fih einer Seits zum weltliden 
Reiche, einem Reiche der für fi) feyenden rohen Willkühr und 
der Barbarei der Gitten entwidelt habe, anderer Seits zu ei— 
ner jenfeitigen Welt, einem intellettuellen Reihe, deſſen 
Inhalt wohl die Wahrheit des Geiftes fey, aber noch unge— 
dacht in die Barbarei der Worftellung gehüllt, und als geiflige 
Macht über das Gemüth, fi als eine unfreie fürdterlide Ge— 
walt gegen daſſelbe verhalte. Auf die Angabe diefes Grgenfages, 
wie ihn das Mittelalter geſchichtlich darfteltt, folgt 8. 360 die 
Angabe des Ganges der Auflöfung deffelben fo: „indem im, 
dem harten Kampfe dicfes Gegenfages jener Reise, das 
Geiftlidhe die Eriftenz feines Himmels zum irdifchen Dieffeits 
und zur gemeinen Weltlichkeit, in der Wirklichkeit und in der 
Borftellung degradirt, — das Weltlidhe u. f. f.“ — Hier 
hat zunächſt der Verf. die Worte, weldhe den Uebergang der 
Kirche im ihr Verderben ausdrüden, richtig abgefchrieben, fo 
auch die nächften, welche die Heraufbildung des weltlidien Reichs 
betreffen, nur daß er die Heraufbildung deffelben aud zur Wer- 
nünftigkeit des Rechts und Gefeges übergangen. Was 
nun aber eigentlich zu rügen ift, ift die Weglaffung folgender 
Worte: „fo” (indem die Kirche zur Weltlichteit berabgefuns 
ten, das weltliche Reich ſich feiner Seits zu Wiſſenſchaft, zu 
Recht und Gefeg erhoben) „ift an ſich der Gegenfag zur 
marflofen Geftalt geſchwunden;“ (— daf an ſich der 
Gegenfag zum Schein gefhwunden, ift nody nicht die exiſt i— 
rende Verſöhnung; wodurch diefelbe zur Eriftenz gebracht 
worden, dieß ift im darauf Folgenden fo ausgedrüdt:) „Die 
Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Will: 
für, und die Wahrheit ihr Jenfeits und ihre zufäls 





4 


| 


I 


8. Recenfion, 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od.: abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 159 


lige Gewalt abgeftreift, fo daß die wahrhafte Verſöh— 
nung objektiv geworden.“ Diefe aus dem An fi nun 
zue Objektivität erhobene Verſöhnung ift hierauf in Anſe— 
bung des Staats, der Religion und der Wiffenfehaft näher be= 
fimmt, und zwar fo, dag im Staate „das Selbſtbewußtſeyn die 
Wirklichkeit feines fubftantiellen Wiffens und Wollens in or— 
ganifcher Entwidlung, in der Religion das Gefühl und 
die BVorfiellung diefer feiner Wahrheit als idealer 
Wefenheit finde, und in der Wiſſenſchaft die freie begrif- 
fene Erkenntniß diefer Wahrheit.” — Man fieht aus diefem 
wörtlichem Auszuge, daß die Religion, wie fie in der volls 
führten Verſöhnung fey, ausdrücklich unterfchieden und 
unterfhieden gefchildert wird — von jener Degradation des 
Geiftlihen, von welcher der Verf. geſchichtlich angiebt, 
daß in ihr die Verfühnung als objektiv geworden angegeben 
id. Bon nun an bis ans Ende feiner Schrift wiederholt er 
das Wort Depradation, an dem er einen folhen Fund gethan, 
beinahe auf jeder Seite, und verwendet es zu falbungsreichen 
Tiraden: „Wer es wagen will, den Himmel zu degras 
diren, degradirt ſich ſelbſt,“ ebendafelbft und folgende ©. 
„jest will man den Himmel degradiren, und. ift vor— 
nehm genug, zu überfehen, daß man fi felbft degradirt 
w ſa f.“ — (Mohl! In dem citirten $. und in der Geſchichte 
mit den ungeheuren Zügen findet es ſich angegeben, wer den 
Himmel zum irdifhen Diefjeits und zu gemeiner Weltlichkeit de— 
gradirt hat!) — Lähmung des Vermögens, überhaupt gefchicht- 
lich aufzufaffen, und Unwirkſamkeit des VBerflandes, das Be- 
ftimmte feftzuhalten, und aus dem Unterſchicde, der dabei ges 
macht ift, zu merken, daß es auf foldes Beſtimmte antommt, 
find ohne Zweifel Folgen der Hypochondrie. Iſt es aber etwa 
die Schilderung des Verderbens der Kirche, welche bier die hy— 
pochondriſche Gereiztheit fo hoch gefteigert hat, daf der Verf. 
aus der Angabe, die er vorfand, die Erhebung des Staats 


160 IV. Kritiken. 


zur VBernünftigkeit des Rechts und Gefeges weg— 
läßt, und dann fi) auch Fein Bedenken daraus macht, der 
Schilderung der Religion, fo wie fie in der objektiv ge 
wordenen Berföhnung befchaffen fey, nämlich daß das GSelbft- 
bewußtfenn in ihr das Gefühl und die Vorſtellung der 
Wahrheit, des fubftantiellen Wiffens und Wollens, 
als idealer Wefenheit, (wie im Staate die vernünftige Wirt: 
lichkeit defelben) finde, zu fubflituiren die Degradation 
des Himmels, der im geiſtlichen Reiche hatte exiſtiren follen, 
zur gemeinen Weltlihteit? Zu verfihern, nicht das 
geiftlihe Regiment habe, fondern man habe den Himmel 
degradirt? Aber Schilderung jenes Regiments und Degradas 
tion des Himmels ift freilich bei Manchen gleihbedeutend, — 
Bei geringer Ueberlegung bätte fid) der Verf. auch den Unwillen 


und ein Räfonnement erfpart, in das er um zwei Seiten vor= 


ber geräth. — Aus demjelben Raturrecht führt er S. 52 anı 
„Ich,“ heißt es da, „habe diefe Glieder, das Leben nur, infofern 
ich will, das Thier kann ſich nicht felbft umbringen oder ver: 
ftümmeln, wie der Menſch.“ Dies ift in der Anmerkung zu 
einem $. gefagt, in welchem vom Ih ausdrüdlih als Perſon 
die Rede iſt; ebendafelbft und in vorhergehenden Perioden der 
Anmerkung iſt die Seite, dag Ich lebendig bin und einen 
organifchen Körper habe, von der freien Perſönlichkeit unterſchie— 
den, und nur von diefen beiden Beftimmungen ift die Rede, 
Der Berf. fagt nun zu jenen angeführten Worten: . „Diefer 
Sag hätte ſchon an fih nicht in ein, in einem chriſt⸗ 
lichen Staate geſchriebenes Naturrecht gehört. Dieſe 
Theorie (!) der Selbſtverſtümmlung und Selbſttödtung ver⸗ 
trägt ſich nicht mit dem Chriſtenthum“ (doch etwa gar die 
Praxis?) „Dagegen (wogegen?) iſt jener Sag offenbar une 
wahr.“ Nun kommt ein Meifterftüd von Widerlegung: , „Der 
Menſch ift nicht Herr darüber, daß er geboten werden 
foll.“ (Gewiß nicht! aber wenn der Verf für nöthig findet, diefe 





8. Recenſion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, 0d.: abfol. Wiffen u. mod. Panth. - 161 


Gegenrede zu machen, fo bringt er den Schein herbei, als ob 
gefagt worden wäre, daß der Menfch Herr darüber feh, ob er 
geboren werden folle. Daß es dem Verf. um diefen Schein 
ganz wefentlich zu thun fen, dafür zeugt vollends das, was der= 
felbe am Schluß feiner Deduttion verfihert, daß dieſer Sa 
(von der Möglichkeit, daß der Mienfch ſich verftümmle, ja tödte), 
„ame aufgeftellt ift, um die abfolwte Kaufalität des ein- 
selmen Subjetts zu behaupten.“ Ref. hat wohl in einer 
alten Iefuiter- Komödie: „die Erfhaffung der Welt” bes 
titelt, dieBorftellung gefehen, daß Adam vor feiner Erfchaffung 
auftritt und in einer Arie den Wunſch ausfpricht, ach wenn er 
doch ſchon gefehaffen wäre! ber auch dort if micht fo weit 
gegangen, daf Adam als Herr darüber aufgeführt wäre, „ob 
er geboren werden ſolle.“ — „Die Dauer feines irdiſchen 
Lebens hängt nicht von ihm ab“ Man höre nun weiter das 
Raifonnement des Verf. hierüber: „Will er (der Menſch) ſich 
umbringen oder verffümmeln, fo muß er Naturkräfte anwenden; 
ob ihm fein Vorhaben gelingt, hängt nit allein von ihm 
ab (— bereits eine Beſchränkung des vorhergehenden Satzes, 
daß die Dauer feines Lebens nicht von ihm abhänge), fondern 
von einer aufer feinem Willen gefegten Wirkfamteit. 
 „Dergleihen Unfchläge miflingen oft;“ (gelingen alfo aud) 
zuweilen) — „gelingen fie, fo kann der Menſch doch nicht be= 
flimmen, weldher Augenblick grade den Tod bringe; Chier 
ift die Abhängigkeit auf fehr wenig redueirt) „mißlingen fie,” 
(fo ift es mit den Anſchlägen der Willenskraft doch noch nicht 
aus, denn der Berf. iſt finnreih genug, einen weitern Anfchlag 
auszufinden) „und iſt er (fährt der Verf. fort) nun einmal fo 
jämmerlich verkehrt, daß er, wenn er Willenskraft behält, ſich 
todthungern wollte; (man ſieht, der Verf. hatte die Anwendung 
von Gefängnif und Banden gegen jene Willenskraft ausgeſon⸗ 
nen) „fo ift er nit im Stande, zu beflimmen, wann der Hun⸗ 
gertod eintreten ſolle.“ Wenn dieß Raiſonnement auch ſcharf⸗ 
Vermiſchte Schriften. * \ 4 


162 IV, Kritiken. | 


finniger wäre, als es ift, um einen gewiffen Grad der Abhän- 
gigkeit zu beweifen, fo wäre es felbit hierfür nicht erfchöpfend; 
dem Verf. ift der Fall no entgangen, daß der Selbfimörder 
den Augenblid feines Hungertodes vorausbeflimmen nicht ges 
wollt hätte; fo hätte er doch feinen Willen durchgeſetzt. 

Sole Lähmung im Auffaffungsvermögen ift etwas Schlim— 
mes, aber auch als ein böfer Genius läßt fi der Humor der 
Hypochondrie vermuthen, wenn das halbe und noch dürftigere Auf— 
faffen allzu gewalttyätig gefchicht, wenn das MWeggelaffene fo 
nahe vor Augen lag, daß das MWeglaffen durd ein nur ober 
flächliches Hinſehen allein nicht erflärlich if, wenn daffelbe dazu 
dient, einen Sinn hervorzubringen, der in eine, in einem chriſt⸗ 
lichen Staate gefhriebene, Philofophie nicht gehörte. Schon die 
angeführten Beifpiele deuten fattfam auf das böſere Ingrediens 
in der Faſſungsweiſe des Verf. Insbefondere zeigt ſich derglei⸗ 
chen, wenn Halbes oder ausdrücklich Verkehrtes im Borbeige 
hen angeführt wird, — gleichſam auch mit halbem Gewiffen, oder 
mit ganzem VBorbeigehen des Gewiffens. Solches Hinwerfen er— 
ſcheint ohnehin am dienlichften, um Unrichtigkeiten zu verfteden; 
was im Vorbeigehen hingeworfen wird, pflegt nicht näher uns 
terfucht zu werden, und thut, wenn der Inhalt arg genug iſt, 
doc feine Wirkung. — S. 109 nennt, der Verf. die Darfiel- 
lung tomifch „daß das Unendliche aus dem Endlichen kommt, 
oder, wie anderwärts gefagt ift, daß Gott da wäre, wenn 
endlihe Subjette, die Menſchen, ihn dachten” Die 
Halbheit und Sciefheit, deren ſich die erfte diefer Anführungen 
fhuldig macht, übergehen wir und beleuchten nur die zweite, 
„daß Gott da wäre, wenn die Dienfchen ihn dächten;“ wozu 
Phänomenologie S. 637 eitirt if. In diefer Stelle ift der 
Begriff der natürlihen (Natur=) Religion, und näher die Bes 
ftimmtheit angegeben, nach welder der Unterfchied der Religio- 
nen von einander abfiratt zu machen feh. Zu diefem Behufe 
ift zunörderft angegeben, in welder Geftalt die Idee in der Res 














8, Necenfion, 1. Ueb. Hegel's Lehre, 0d.: abfol, Wiſſen u. mod. Panth. 163 


ligion überhaupt iſt; es heißt: „die Geftalt der Religion ent» 
hält nicht die Geftalt des Geiftes, wie er als vom Gedanken 
freie Natur, nod wie er vom Dafenn freier Gedanke ift; 
fondern fie ift das im Denken erhaltene Daſeyn, fo wie 
ein Gedachtes, das fid da if.“ Alſo der Gegenſtand in 
der Religion ift weder das Dafeyn abfirahirt vom Denten (die 
Natur als die Idee in der einfeitigen form des Dafeyns) noch 
der Gedanke abftrahirt vom Dafeyn, (der Geift als die Idee in 
er einfeitigen Form des Denkens, alfo der endliche Geift, oder 
) enken abftratt überhaupt, was gleichfalls endliches Den- 
ze: Dafeyn, weldes Denken, und Denken, wele 

ſeyn if. Wo ift Gott nicht fo definiet worden (infofern 
es zun um eine abſtrakte Beſtimmung zu thun iſt), daß Gott, 

er Gedanke, zugleich ungetrennt Dafeyn habe, ein Da— 
feyn ſey, das ungetrennt Denken fey? und im Gegenfage das 
Endlidhe fo, daß in ihm Denken, obgleidy mit Dafeyn verknüpft, 
doch auch trennbar ſey? — Wie ift nun hierin etwas von 
dem zu leſen, was der Verf. als ein Citirtes, Faktiſches ans 
giebt, — daß „Gott da wäre, wenn endliche Subjette, die Men— 
ſchen, ihn dächten?“ und fonft von Dafeyn und Denken findet 
ſſch auf der citirten Seite nichts, ohnehin nichts von Menſchen 
und endlichen Subjekten. 

Aus dem Reichthum diefer Schrift an dergleichen kurzen, 
im Borbeigehen gemachten Anführungen nur nod einige Kleinere 
Beifpiele. S. 183 heißt es: „in den Lehren Spinoza’s und 
Schelling's lag eine Andacht (welche bei Hegel nur ein 
Proceß iſt)“ Was bei Hegel Procef heißt, wird nicht bei- 
gebracht; er ift eine Thätigkeit, in den beflimmten Momenten, 
die fie durdläuft, aufgefaft. — Weggelaffen ift ferner die Bes 
ſtimmtheit, durch welche die geiftige Thätigkeit Andacht if. Man 
hätte dem Berf. beinahe zu danken, daß er nicht auch angeführt 
bat, bei Hegel fey die Religion, Gott nur ein Proc u. ſ. f. 
Die Stelle, die der Verf. mag vor Augen gehabt haben, ift 

j4 * 








— A E 4 


164 IV. Krititen. 


wohl 8. 555. der Enchklopädie, 2. Ausgabe, wo es heißt: „der 
Glaube ift in der Andacht in den Procef übergegangen, den 
Gegenfas, der nod im Glauben, der Gewifheit von der ob- 
jeftiven Wahrheit, ift, zur geiftigen Befreiung aufzuheben, durch 
diefe Vermittlung jene erſte Gewifheit zu bewähren und die 
konkrete Beftimmung derfelben, nämlid die Berföhnung, die 
Wirklichkeit des Geiftes zu gewinnen.“ If bier die Andacht 
nur ein Procef, wie der Verf. fagt? — Ein paar Zeilen 
weiter heißt es ebenfo überhaupt die „von Hegel befpöttelte 
Frömmigkeit; citirt ift dazu Encyklopädie, 2. Ausgabe, S. 519, 
wo eine inhaltsloſe Frömmigkeit genannt if. Im wiefern 
nach des Verf. ebendafelbft gemachter Verfiherung, Viele ders 
jenigen, welche folder Frömmigkeit das Wort reden, dem Spi- 
noza und Schelling, als in deren Worten eine Andacht gelegen 
habe, Vieles zu verdanken haben, möchte er felbft bei jenen 
Vielen rechtfertigen. 

Wie der Verf. die von ihm der Polemik vorgefchriebene 
Bedingung: „geſchichtlich richtig und hiemit redlid Das 
aufzufaffen und anzuführen, was befämpft werden fol,“ erfüllt, 
hat, mag aus den gegebenen Beifpielen klar genug hervorge⸗ 
gangen fepn. Ueberdieß flechten fh, wenn nun die Polemik 
felbft, oder vielmehr nur Proben davon dargeftellt werden follen, 
allenthalben die Beifpiele von falfchen Angaben en. Die Dar— 
ftellung wird in der Polemit noch befchwerlicher und tädidfer, 
weil es bei diefer auf die Fähigkeit, einen Gedantengang zu 
verfolgen, ankommt, aber zu der Lähmung des Vermögens, 
Gegebenes aufzufaffen, nod die Lähmung, dem Gedantengang 
eines Andern zu folgen, fo wie feine eigenen Gedanken zuſam— 
menzubhängen und im Zufammenhang zu erhalten, bei dem Berf. 
ſich hinzugefellt. Bei der Unmöglichkeit, diefe Paralyſis in ei⸗ 
nem Berlaufe von Raifonnement, wo jede Zeile zu kritiſiren 
wäre, diplomatifch genau darzuftellen, find die Angaben hierüber 
und die Benrtheilung, deren es eben nicht viel bedarf, allgemei- 








8, Necenfion, 1.1eb. Hegel's Lehre, od. : abfol. Wiffen u.mod, Panth. 165 


ner zu halten, und nur Sauptmomente anzugeben, die der Verf. 
‚in feiner Widerlegung zu erhärten beftrebt if. 

Um dich an das Vorige anzutnüpfen, (die Antnüpfungss 
meifen des Verf. in feinem Fortgange find nicht beffer) fangen 
wir von der Lehre, in der, wie der Verf. S. 183 fagt, „ein 
tiefer Sinn, eine Andacht lag,” — von dein Spinozismus 
an, um zu fehen, wie der Verf. das Verhältniß der Philofophie, 
die er bekämpft, zu demfelden angibt. Es ift die einer der 


Punkte, die er ausführlich behandelt; das Refultat if, S. 184, 


‚das, was an den Lehren|Spinoza’s und Schelling’s haupt: 
fü ift worden, im der hegelfchen Lehre nicht etwa er 
gänzt ondern das Mangelhafte auf eine fihroffe Weife nä- 


ber (I) auf die Spige getrieben ſey.“ 
S 163 kommt der Verf. hierauf, nahdem er S. 162 prä 
ludirt hatte: „man hatte,” giebt er über die Phänomenologie 
an, „eine beftimmte Anficht zur Vorausſetzung, eine beflimmte 
Anſicht, welche erreicht werden follte” (eine Abſicht erreichen, ift 
ein bekannter Ausdruck; aber eine Anficht erreichen ift nicht fo 
Har). Alsdann bemerkt-er, &. 163, „die Begriffe, Seyn und 
Wefen, wenn fie nit von einem beflimmten Geſichtspunkte, 
den man gerade C!) feſthalten wollte, äußerlich (!) betrach- 
tet worden wären, hätten die ihnen in der hegel'ſchen Lehre zu 
Theil gewordenen Schiefale nicht haben Können, Nun 
fen aber das höchſte Refultat diefer Begriffe die Subftanz 
(es wird weiterhin die Unmöglichkeit bemerklich gemacht werden, 
die es. für den Verf. hat, eine freie Entwidlung der Begriffe 
und das Hervorgehen eines Refultates aus derfelben zu faſ— 
fen; er bedarf es ſchlechthin, eine Vorausfegung dazu zu finden, 
oder auf pſychologiſche Weife zu erfinnen) und werde,“ fährt der 
Verf. fort, „ausdrücklich auf die ſpinoziſtiſche Subſtanz Bezug 
genommen, Logik Bd. 1, Buch 2, S. 2%.” (Dafelbft wird 
aber mehr als nur Bezug darauf genommen: es wird das Mans 
gelhafte des Spinozismus beflimmt nacdhgewiefen). „Schon hier- 








466 IV. Kritiken. 


aus,” (aus der bloßen Bezugnahme) „gebt hervor, daf die 
hegel'ſche Lehre die Lehre von der fpinoziftifhen Subſtanz zur- 
Vorausfegung haben möchte; daß es wirkli fo iſt, kann 
gar nicht bezweifelt werden. Denn die hegel'ſche Lehre 
foll zwar den Spinozismus widerlegen; — der Standpunkt 
defielben foll zuerft als wefentlih und nothwendig anerkannt, 
aber aus fi felbft auf den höhern herausgehoben wer- 
den; er foll dadurd ergänzt werden, daß das Princip der 
Derfönlichkeit, die Freiheit, gerettetund aus der Sub- 
ftanz felbft abgeleitet werde.” Diefe Angabe des Verhaltens 
der in Rede fiehenden Philoſophie zum Spinozismus kann äu⸗ 
ßerlich richtig genannt werden, wie auch die folgende Zeile: „bie 
hegel'ſche Lehre bewegt fi demnach zur Subflanz hin und aus 
ihr heraus.” Nun fährt der Verf. fort: „die Lehre von der 
Subftanz zeigt fh alfo als das eigentlide Centrum de 
eigenthümlichen Grundanſicht der Lehre.” Daſſelbe wiederholt 
er S. 165. „Es dürfte als gewiß anzunehmen feyn, daß 
man fchledhterdings den Begriff der Subftanz habe zum Centro 
der Lehre machen wollen, es dürfte fih aud ergeben, daß 
man fih auf eine beftimmte Weiſe aus ihm habe her aus be⸗ 
wegen wollen.“ Der Verf. hat die Augen ſo weit aufgethan, 
um zu fchen, daß in der Lehre, die er beſtreitet, in Heraus: 
bewegen aus der Subftanz vorhanden ſey. — Gr nennt 
diefe am liebften die fpinoziftifche; der Begriff der Subftanz be- 
findet fih aber (wenn wir von der ſtkeptiſchen und damit ver- 
wandten Philofophie abftrahiren) im jeder Philofophie, fo wir 
in aller Theologie; nur daß die andern Philofophien, als Die 
“ fpinoziftifhe, ingleichen. die Theologie ſich aus diefem Begriffe 
herausbewegen. Nun hätte aber der Verf. auch nur feine 
phyſiſchen Augen weiter bemühen follen, um zu finden, daß das 
Herausbewegen, von dem er erzählt, ein anderes Ziel, als nur 
die Subftanz, nämli den Geift zum Centrum gewinnt, und 
dag es allenthalben ausgedrüdt ift, daß die fernere Ziel, zu 


8. Recenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.; abfol. Wiffenu.mod. Panth. 467 


dem der Begeiff ſich fortbeftimmt, die Wahrheit der Subftanz 
fey, die Subftanz als Centrum aber die Unwahrheit. 

Daß der Verf. dieß nicht weiß, ift nur aus der ſchon an— 
‚gedeuteten Gelähmtheit erflärlich, welche nun ferner zu der Ver— 
fiberung: daf die Lehre von der Subftanz fih alfo als das 
eigentlihe Centrum der eigenthümlidhen Grundanficht der 
Lehre zeige, hinzuzufügen fi nicht emtblödet: „dich Fönnte 
duch unzählige Stellen (— dergleichen” wäre nicht bloß 
dur Stellen, fondern durch den ganzen Inhalt einer Phi— 
Lofophie zu beweifen) bewiefen werden” — (wozu? da bereits 
ein; alfo vorherging). „Hier verweifen wir nur darauf, daf 
auch am Schluſſe u. f. f. der abfolute Geift die eine und allge— 
meine Subftanz als geiftige genannt wird, (Encyklopädie 
2, Ausg. S. 499). So unbefangen ift der Berf., eine Stelle 
anzuführen, die ausdrüdlicd das Gegentheil von dem fagt, was 
er damit zeigen will; der üble Genius der Hypochondrie, wenn 
es auch nichts weiter ift, hat ihn hier aufs Schlimmfte zum Be— 
ſten gehabt. Die ſchiefe Stellung vom Nennen aud zugegeben 
‚(in der eitirten Stelle heißt es: „der abfolute Geift ift die eine 
und allgemeine Subftanz als geiftige”), fo zeigt die Stelle, 
daf nit die fpinoziftifhe Subftanz, als welcher die Beflimmung 
von Perſönlichteit, von Geiftigteit mangelt, das Centrum der 
Lehre iſt; fie ſpricht aus, was alle hriftliche Theologie ausfpricht, 
daß Gott das abfolut felbfiftändige Werfen, die abfolute Subftanz 
ift, aber das abfolut felbftftändige Wefen, das Geift iſt, — der 
Geift der abfolut felbftftändig if. — Geift ift als folcher fchlecht- 
bin das Subjekt, und es ift durchgängige Behauptung der Lehre, 
‚eben in den unzähligen Stellen wie in der. angeführten, daß die 
abjolute Beflimmung Gottes, nicht die der Subftanz, fondern 
des Subjetts, des Geiftes if. — Allerdings bleibt dem Geifte 
auch die Beflimmung der Subftantialität; hat der Verf. Gott 
als Geift im Sinne, fo, daß er nicht fubftantiell wäre, oder 
weiß, er von einer Theologie, in weldher Gott wäre, ohne an 


168 IV. Kritiken, 


und für ſich zu beſtehen, abfolut felbfiftändig zu ſeyn? — Aus 
Enchklopädie $ 384. führt der Verf. S. 186 den Anfang einer 
Anmerkung an: „Das Abfolute ift der Geift; dieß ift die höchſte 
Definition des Abfoluten” Dieſe Stelle findet fih in dem Ab- 
ſchnitt, der überfchrieben ift: „Begriff des Geiftes,” zu Anfang 
der Philofophie des Geiftes, im welcher zuerft der endliche Geift 
in zwei Abtheilungen und im der dritten der abfolute Geift ab- 
gehandelt iſt. Hiemit felbft ift der bloße Begriff von feiner 
Realifation und von feiner Idee unterfchieden. — Was 


fagt nun der Verf. zu jener Anmerkung? Er verbindet jene 


Stelle vom Begriffe des Geiftes unmittelbar mit der Lehre 
vom abfoluten Geifte (— er unterf&heidet hiemit das unbeftimmte 
Abfolute und den abfoluten Geift gleichfalls nicht von einander) 


und fagt dann: „Jene Definition ift aber, gewaltig ungenüs 


gend, dem menfhlidhen Geifte paffiren manderlei nicht 
abfolute Dinge.” — Gewiß! wie 5. B. hier dem Verf. 

Dean wird aber müde, ſolche Verkehrungen bei demfelben 
zu rügen, und folde ungemeine Inftanzen der Anftrengung feiner 
Denkkraft bemerklich zu machen; wir übergehen auch die weitere 
Art, wie er die Entwidlung der Subflantialität, der Nothwen— 
digkeit, den Mebergang aus derfelben in die Freiheit auffaft. 
Diefer Uebergang wird (Enchklopädie S. 400) der härtefte ges 
nannt; der Verf. entgegnet S. 165: „Es flreitet gegen bie 
Philofophie, daß im ihr felbft folde Härten nothwendig wä— 


ren, und es drängt fih daher die Bermuthung auf, daß— 


Jemand (der ſonſtige Man) jene Härte habe hineinbringen 
wollen.” Dean kann dem Verf. verfihern, daf, wenn man nur 
mit dem Wollen oder vielmehr Mögen und nicht mit der Na— 
tur der Sache zu thun gehabt, man fid die Härten gern erfpart 
hätte; der Verf. ift infoweit glüdlidher daran. In feinem Rai— 
fonnement über die Nothwendigkeit und Wechſelwirkung ver— 
fihert er (S. 178), „daß die Stellung derfelben in der hegel’- 
ſchen Lehre nicht gerechtfertigt fey, uud ſchwerlich je gerecht— 


8. Mecenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffen u. mod. Panıh. 169 


fertigt werden könne; dieß macht er zu dem guten Grund für 
ihn felbft, daß aud „wir den ausführlidhern Beweis unferer 
Stellung deswegen wiederum vorenthalten können.“ 

Jener Stelle und der unzähligen Stellen ungeachtet bleibt 
dem Berf. aber als Reſultat der Lehre, „die Spige, auf welche 
durch fie die Lehren Spinoza's und Schelling’s getrieben fehen ;“ 
er trägt dief ©. 181 fo vor: „die abfolute Subflanz wird 
nicht felbft frei, fondern ihre Manifeftationen; fie felbft bleibt 
ſtarr (? — ungeachtet fie der Geift ift) und die fpinoziftifche 
Subflanz wird nicht belebt, fondern fie bleibt die eine und 
blinde Subftanz, dennoch (!) enthüllt fie fi, im Einzelnen 
wie im Allgemeinen, welde das Befondere zu ihrer Mitte ha— 
ben. Die Einzelnen find die aktive Kaufalität, das 
Allgemeine ift die paffive Kaufa lität der abfoluten Subſtanz“ 
(vergl. ©.195). Dieß erzählt der Verf. auch S. 184 mit einer 
Konfequenz, die er daraus zieht, „die Einzelnen, als mit der 
Subftanz identifch, find die aktive Kaufalität Gottes, folglich 
wird dadurch gefagt, es gäbe keinen perſönlichen Gott im obi- 
gen Sinne, (nämlid als die allervolltommenfte Intellis 
genz, als das höchſte Leben, ein an ſich perfönlih (wenn man 
diefen Ausdrud gebrauchen darf) abfolut wirkendes 
Agens) „fondern die Perfönlichkeit Gottes wären die einzelnen 
Individuen.” Diefe Quinteffenz von Behauptungen ift näher 
zu beleuchten. Zunächſt, was die paffive Kaufalität fey, da— 
von erhält man wohl durch die Schrift des Verf. ziemlich) eine Vor—⸗ 
ftellung, die Kaufalität des Verftandes zeigt ſich darin fehr paf- 
flo; aber für einen philoſophiſchen Vortrag hätte er diefelbe, 
und den Sinn, im welchem er der Lehre, die er befämpft, zus 
ſchreibt, daß in diefer das Allgemeine eine folde Kaufalität fe, 
näher erläutern follen. Was die Befimmung der Perfünlich- 
keit Gottes betrifft, fo ift es undeutlih, ob die angeführte Pa— 
rentheſe eine Schüchternheit ausdrüdt, die ihn befallen hätte, 
den Ausdruck perfonlich zu gebrauchen. — Wenn nun aber 


e 
170 IV. Kritiken. 


ferner das höchſte Leben als perfönlich beſtimmt werden foll, 
fo kann dieß nur gefihehen, indem es als Intelligenz, wie 
auch der Verf. thut, beſtimmt wird; — übrigens ift das Prä- 
dikat der allervolltommenften aus der wolf'ſchen Philoſo— 
phie, um feiner Leerheit willen, mit Recht obfolet, und durch 
andere erfegt worden. Daß der Verf, aber in der Intelligenz 
eine andere Beftimmung,-überhaupt und in Beziehung auf Per 
ſönlichkeit, gefagt zu haben meint, als die in dem Geift über- 
haupt, und mäher in dem fib als Geift wiffenden Geift 
liegt, (welche Definition er aus der Enchklopädie wiederholt 
anführt) würde nicht zu glauben ſeyn, wenn es nicht fonft klar 
genug geworden wäre, wie fehr ihn ein übler Genius blendet.- 

Die aktive Kaufalität Gottes aber, welde die Einzel 
nen feyn follen, fteigert fich ihm fogar zur abfoluten Kaufalität 
des einzelnen Subjetts; und von da aus hat er dann wei- 
ter Peine Scheu, von Sclbftvergötterung in der Lehre, die er 
beftreitet, zu fpreben, — davon S. 202 „daß die einzelnen 
Subjekte ſich als Gott wiffen ſollen.“ S. 216, „daf die ein 
zelnen Gefhöpfe die abfolute Lebenskraft ſelbſt ſeyen.“ (S. 223 
macht er der Lehre dagegen den Vorwurf, daß die Selbfithätig- 
keit für etwas Eitles erklärt werde) „und fih nur auf hege- 
ſche Weife als abjoluter Geift zu behaupten brauchten, um ſich als 
Gott felbft zu wiſſen.“ — Dergleihen Berfiherungen eine inver: 
ſchämtheit zu nennen, muß man durch die Befanntfcaft, die man 
mit dem eben erwähnten böfen Genius fo vielfach) in diefer Schrift 
gemacht, abgehalten werden. Wo der Verf. die abfolute Kaus 
falität der einzelnen Subjekte finder, ift die ſchon angeführte 
Stelle, worin es heift, „daß es dem Menfchen möglich ſeh, ſich 
zu verflümmeln und zu tödten.” „Diefer Sat,” fagt der Verf. 
©. 189, „it nur aufgeftellt, um die abfolute Kaufalität des 
Subjekts zu behaupten.“ Es ift ein Sag, den bekanntlich die 
und zwar „in den chrifllihen Staaten erfcheinenden“ Sterbrli- 
ſten in allen Intelligenzblättern aufftellen. — Das Berhält 


3. Necenfion, A.llch. Hegebs Lehre, od: abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 474 


niß aber des endlichen Geiftes zu Gott ift die tieffte Jdee, fo 
daf das Denken derfelben der forgfältigfien Wachſamkeit über 
die Kategorien, die es dabei gebraucht, bedarf. Im den oben 
angeführten „Aphorismen über Nihtwiffen w f. f.“ find 
dieſe Tiefen: Wiffen Gottes, Wiffen Gottes in ſich, Wiffen Got- 
tes in mir, Wiffen meiner in Gott, denkend behandelt: das ift 
nufrimentum spiritus in etwa nahbarlibem Latein, Nahrung 
für den Geift, jedoch nicht Koft für den Verf. Daraus wäre 
das ſcharfe Wachſeyn über die Kategorien zu erlernen, wie die 
Art des „ſchwerfälligen, d. i. fo trägen als leihtfertigen 
Denkens” zu erfehen. — In folhen Materien bedarf es nicht 
nur, obgleid) das Denken im Konkreteften ift, der reinften Dent- 
befiimmungen, fondern, da, wie man wiffen muß, diefe felbft 
nur Beflimmungen der Endlichkeit find, bedarf es auch deffen, 
daß ſogleich diefer Mangel corrigirt wird. Aber aus einer fol 
hen Darftellung der Jdeen die Hälfte einer Beftimmung, das 
heißt, diefelbe mit Weglaffen der fie aufhebenden, berichtigenden 
Beſtimmung, herausheben, heißt beim Geiftigen nur roh mit 
umwahren Kategorien darein fahren. Der Verf. hat nicht ein- 
mal ein Bewußtfeyn darüber, daß ſelbſt wenn er den Sag for— 
mirt (in der Idee der göttlichen Aetuofität giebt es Feine Sätze 
mehr): die Einzelnen feyen die aktive Kaufalität Gottes, 
diefe Kaufalität nody eine Kaufalität Gottes wäre. Aber wenn 
die Kategorie: Kaufalität Gottes, wohl in vormaliger Metaphhy— 
fie gebraudt worden, und wenn es ein wenigftens zuläffiger 
Ausdrud im populären unbefangenen Vortrage ift, Gott fey 
Urfade der Welt, (wie ja aud Jacobi noch ein großes 
Gewicht auf diefen Ausdrud gelegt hat); fo ift es etwas anders, 
wenn auf die beſtimmte Bedeutung der Begriffe gefehen wird. 
Sagt man doch aud im populären Vortrage ſchwerlich: Gott 
ſey Urfadhe der Menſchen, umd die Menſchen gehören 
doch wohl zur Welt, fondern man fagt: Schöpfer der Menſchen, 
wie auch: Schöpfer der Welt; noch weniger wird man fagen, 


172 IV, Kritiken. 


die Menſchen, die Welt, ſeyen fine Wirkung Gottes, was 
doch der Urfache entfpricht. Sagt man doch nicht einmal von | 
den Produktionen des endlichen Geiftes, er fey Urfache derfelben; 
man fagt nicht, Homer fey Urſache der Jliade oder diefe eine 
Wirkung Homers. Wenn daher die Kaufalität ausgeſprochen 
wird, wird in eine außergöttliche, endliche Sphäre herabgetre- 
ten, (die jedoch nicht gottverlaffen, nicht gott=los if); fo das 
die Kaufalität Gottes nicht Er felbft, infofern er an und für ſich 
iſt, ſeyn ann. 

Aber das Verfahren des Verf. hat noch einen gröbern Zug 
in fi, der zu beleuchten iſt. Zuerſt fpricht er von dem Sake, 
daß die Einzelnen „die aktive Kaufalität der abfoluten 
Subftanz“ ſeyen; dieß feigert fidy ihm zur aktiven Raufalität 
Gottes, ja wie wir gefehen, zur abfoluten Kaufalität des, 
einzelnen Subjekts. Jene Steigerung hängt mit einer ausge 
dehnten Verfälfhung zufammen, der er ihre Grundlage darin 
gegeben hat, daß er bem Syſteme in der „Hinausbewegung“ 
der Subftanz zum Geifte wicht folgt. Der Verf. läßt ſich auf 
feine Weife mit dem Begriffe des Subflantialitäts-Verhältnik- 
fes ein, wie daffelbe in der Logik, und zwar im deren zweiten 
Theil, dem Wefen, abgehandelt ift; im dritten Theile der Logik, 
welde von dem. Begriffe nnd der dee handelt, find wahrere 
Formen an die Stelle der Kategorien von Subſtanz, Raufalität, 
Wechſelwirkung, die dafelbft kein Gelten mehr haben, getreten, 
Bon der logifhen Idee wird fernerhin die konkrete Idee als 
Geift, und die abfolut=tonkrete, der abfolute Geift, unterfchieden, 
und in einem andern Theile der Philoſophie abgehandelt. Der 
Berf. aber fubflitwirt Gott an die Stelle der Subftanz, in 
jener logiſchen Sphäre der Subftanz, ©. 184. „Das Abfolute 
ift als abfolute Subflanz in der Wechſelwirkung nur fi felbft 
unterfcheidende Nothwendigkeit,“ — dieß hat er richtig abges 
fohrieben, aber nun fährt er fort: „die Selbftunterfheidung iſt 
ihre Wahrheit” (etwa die nächfle, aber höchſtens auch nur die 


8, Necenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od. + abfol. Wiſſen u. mod, Panth. 173 


nächſte halbe) oder Bott erfihafft nicht einzelne Wefen, fondern 
unterfcheidet fih als blinde Nothwendigkeit m. f. f. (worauf 
auch das vorhin Angeführte von den einzelnen, welche die aktive 
Kaufalität Gottes fehen, folgt). Umgekehrt, wo der Verf. 
S. Wi nun auf die Lehre von dem abfoluten Geifte zu reden 
kommt, der allein als die wahrhafte Beftimmung für Gott aufs 
geſtellt wird (um den Lieblingsausdrud des Verf. zu gebraus 
Gen; es gefchieht aber im der Philofophie mehr, als daf nur 
geflellt wird, es wird bewiefen), weif er fein Auffaſſungs— 

u nicht über die Kategorien der logiſchen Subftantialis 

Sphäre hinauszubringen, Das, was er „die begePfhe 
eieinigkeitslehre” nennt, (die freilich auch nicht in Sätzen 
:faßt iſt, fondern wo aufzufaflen gewefen wäre, (ſ. Encyklopä— 
die $. 571.) das Leben, das fi in dem Kreislaufe konkreter 
Geftalten der Vorſtellung erplicitt, — der Eine Schluß der 
abfoluten Vermittlung mit fih, den drei Schlüffe ausma- 
Ken) — diefe Lehre von dem ſich erplicivenden Geiſie erſchafft 
er zw „weiter nichts“ als zu „einer mit einigen Erläute run— 
gen ausgefdmüdten Anwendung der oben ausgeführten 
Lehre von der Selbfiunterfcheidung der abfoluten Subſtanz oder 
des Abfolnten in der Wechſelwirkung.“ Einen Theil dieſer 
Erpofltion fertigt er S. 202 kurz damit ab, daß fie ein „Ge— 
ſchwãtz ſey und „in der jümmerlichen Lehre von der Selbſtun— 
terſcheidung der abjoluten Subftanz murzle.” Dann aber wird, 
die Berkehrung des Aufzufaffenden, der Eifer (— ein Eifer, 
der darum nocd nicht heilig zu nennen ift, daß der Verf. dem 
Ausdruc heilig von chriſtlichen Lehren gebraucht, um fie dadurdy 
dem Denken, vor dem fie fich wicht zw ſcheuen brauchen, zw ent- 
ziehen) — der Eifer gegen die von ihm erzeugte Degradationg- 
marime, die Berunglimpfung immer transcendenter, fo daß das 
Mißreden ſich S. 209 bis zu diefer Erbaulichkeit fleigert, daß 
man dafelbfi kief’t, „wenm Hegel desfalls nicht zu Gott bes 
ten wolle, daß er ibm diefe Sünde gegen den heiligen Geift 


174 IV, Kritiken. 


vergebe, fo werden Andere für feine Seele beten.“ Für die 
Vergebung der Sünde, auf welche die Beten allein geben 
tönnte, der Marime, die fpetulativen Jdeen der Natur Gottes 
und feiner Dreinigkeit zu den Kategorien des abſtrakten Ver— 
flandes, die Jdee des Geifles zur Form der Subftanz zu degras 
diren, und die in ihrer konkreten Lebendigkeit dargeftellten Pers 
fonen des göttlihen Weſens zu den abflratten formen des 
Begriffes, der bloßen Allgemeinheit, Befonderheit und Einzeln— 
heit zu verblafen, — mögen die „Andern“ beten, welche fie 
begangen haben; diefe Sünden find in des Verfs. Schrift im 
bineeihender Menge zu finden, Weil der Verf. nicht gefagt. 
hat, daf Er das Gebet, von dem er ſpricht, bereits verrichtet, 
(— und warım, fönnte man fragen, hatte er es nicht bereits 
verrichtet, wenn es ihm mit feinem Reden von Beten Ernft Hd) 
noch die Zuſicherung macht, daf er es thun werde; fo ift auch 
dem, zu deffen Seele Beftem es gefchehen follte, erfpart, was 
freilich auch fonft überflüfftg wäre, Gott zu bitten, daß er jenes 
Beten, das aus ſolchem Geifte (oder etwa nur aus einer Seele, 
als womit auch die Thiere begabt find, da es nur für eine Seele 
gethan ſeyn foll) käme, wenn daffelbe auch in eine Meffe ein- 
gefchloffen werden follte, nicht erhören möge. Wäre dem Gebet des 
Verfs. eine Kraft zuzutsauen, wäre er flärfer und geübter darin, 
als er fih in der Nichtigkeit des Auffaflens und im Sprechen 
des Richtigen zeigt; fo hätte er Gelegenheit, feine Geübtheit im 
Beten zum Beſten der Kraft zu gebrauchen, deren er unmittel⸗ 
bar nachher erwähnt. Nach der angeführten unwürdigen, leicht— 
finnigen, ja höhniſchen Art, das Beten herein zu ziehen, fügt 
er Dinzu, „daß fie” (jene „Andern“) „deshalb“ (weshalb?) 
„nicht im Mindeſten davon ablaffen werden, fid allen Bemü— 
hungen, das Heiligfte zu degradiren (— daf aus einem 
Mindeften von Geübtheit, das Richtige zu fpreden, die man 
Mahrheitsliche zu nennen pflegt, diefer Ausdrud von Degras 
diren entfprungen, ift oben aufgezeigt worden — hier erröthet: 











8. Kecenfion. 1. Ueb. Hegels Lehre, od. abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 475 


das Produkt folder Wahrheitslicbe nicht, fih in Zufammen- 
bang mit dem Beten gebracht zu fehen —) mit aller Kraft, 
welche Gott verlichen, entgegenzuftellen;“ der Verf. mit jenen 
„Andern“ zufammen dürften, ohne unbefcheiden in ihrem Ver— 
langen zu ſeyn, um Vermehrung diefer „aller ihrer Kraft” für 
die Ausführung ihrer Drohung ihr Beten verwenden können. — 
Ora et labora ift das ganze Gebot; die Arbeit des Studiums 
und Nachdenkens ift allerdings fhwerer, als die Arbeit Gebete 


zu plappern; aber freilich muf aus dem Gebet, das, um wahr 


haft zu ſehn, aus dem Geifte der Wahrheit auffleigen muf, vor 
Allem der ihm verheißne Seegen, die erſte Bedingung des Stu⸗ 
diums, der Sergen der Redlichkeit im- Auffaſſen der Gedanken, 
die man kennen lernen und beurtheilen will, und der Redlichkeit 
im Erzählen von denfelben, gewonnen worden ſeyn. 

Aber indem Ref. ſich fehnt und beftrebt, aus diefem uner- 
gründlichen Pfuhle einen Ausgang zu gewinnen, erinnert er fi) 
daran, daf noch erft vom Anfange zu reden wäre. Denn der 
Berf. beginnt mit der Unterfuchung des abftraften logiſchen An— 
fangs, und fommt darauf oft zurüd; er läßt fi aud auf weitere 
logiſche Materien, nad) Willtühr und Zufall, und auf die Me— 
thode insbefondere, übergehen. Nachdem feine Berfahrungsweife 
an konkretern Gegenfländen gefchildert worden if, an welden 
die Anwendung der Verdrehung, fattifche Unrichtigkeit, und Ver- 
unglimpfung bei den Unkundigen das fehreiendfte Auffchen her— 
vorbringt, fo kann das Ergehen des Verf. über abftrafte Ma— 
terien kürzer behandelt werden. Dhmehin ift es unmöglich, 
demfelben dur) ‚die Art oder vielmehr Umart des Gewirres von 
Raifonnement zu folgen; der Vortrag zerfährt allenthalben in 
eine Funterbunte Bermifhung abſtrakter Formeln, trivialer pſy⸗ 
chologiſcher Popularitäten, unterbrochen durch falbungsreiche 
Ziraden vortreffliher Gefinnungen, mit derfelben Paralyfis des 


Auffaſſens und zufammenhängenden Denkens, die aufgezeigt . 


worden. Um zuerfl von dem etwas zu erwähnen, was ber Verf. 


176 IV. Kritiken. 


über die Methode der Philofophie, die er beftreitet, vorbringt, — 
und hiemit macht er ſich viel zu thun, — fo verkehrt die ride 
tige Vorftellung, die er angiebt, daß diefe Philofophie ganz auf 
ihre Methode berube, fi ihm in die, daß die Methode im ihr 
ein nur Vorausgeſetztes feh, und derfelben zu Liebe die Re 
fultate wie die Yusgangspımkte angenommen werden, Auf die 
BVerfiherungen, die Methode fete voraus „daß die Wahrheit 
einen negativen Charakter habe,” (S. 39) fie beruhe „auf dem 


‚ verneinenden Princip,“ auf der Abftrattion, die ihrer GSeits vor 


ausfege (S. 53 und öfters), daß „man duch Weglaffen 
desjenigen, was bloß Beſtimmung der Sade ſey, bie 
Wahrheit erkenne,” werden wir zurüdtommen. Es ift dabei 
nicht gegen das Vorausfegen felbfi, daß ſich der Verf. erklärt; 
er dringt nidt darauf, daß in der Philofophie eine Worausfegung 
bloß für eine Autorität gilt, und daß nicht ihr, ‚fondern nur 


der Kirche erlaubt ift, die Wahrheit auf Autorität zw gründen. 


Woher der Verf. aber feiner Seits die Vorausſetzungen genom— 
men, die er felbft macht, wird ſich im Werfolge zeigen. 

Um die Behauptung zu unterflügen, daß die Methode vor 
ausgefegt fey, fagt er (S. 121), „von der Miethode ift im der 


Logik, inder Borrede und Einleitung, endlih am Shluffe 


derfelben, in der Lehre von der abfoluten Jdeer, die Nede, und 






in der legtgedachten Lehre wird fie als das Allgemeine der 


Form des Inhalts betrachtet. Durch diefe Stelle ber 
urkundet fih denn ganz klar, daß fie das Mittel geweſen 
ift, die ganze Lehre herauszubringen; ferner beurtunder fid 
dadurch, daf fie früher fertig war, als die Wiſſenſchaft, endlich 
aber möchte hieraus erhellen, daß man nicht fo fehe dem 
Inhalt zu, durchdringen, a's vermittelt der Methode einem ein- 
mal vorhandenen Inhalt aneinander zu reihen ſuchte.“ Wenn 
jene Ungaben ganz klar beurkundet heißen, fo fcheint es nur 
ein aufwachendes Gewiffen zu feyn, weldes den Ton der Vers 
fiherung wieder in ein: möchte herabdrüdt, In der Logik, 


8. Recenfion. 2. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffenu. mod. Panth. 177 


die der Verf. citirt, wie in der Enchklopädie, iſt zu wiederholten 
Malen gefagt, daß in Vorreden und Einleitungen, d. i. 
vor der Wiffenfchaft, nicht wiſſenſchaftlich, fondern geſchichtlich 
und etwa nur täfonnirend geſprochen werde; es ift wohl noch 
Kiemand eingefallen, in die Vorrede und Einleitung die wiffen- 
ſchaftlichen Grundlagen einer Philofophie zu verlegen, eben fo 
wenig, als fie darin zu fuhen. Der Schluf aber enthält das 
Refultat; die Prämiffen, welche die Grundlage dazu bilden, find 
im Borhergehenden, und im vorliegenden Fall, im ganzen Ver- 
lauf der Wiffenfchaft enthalten. Wenn es daher in dem ange- 
führten Schluffe heißt: ‚die Methode ſey das Allgemeine der 
Form des Inhalts,” und wenn ſich etwas dadurch beurkun⸗ 
dem ließe, fo müßte es nicht fehn, daß die Methode das Mittel 
zum Inhalte, fondern vielmehr der Inhalt (um in des Verfs. 
Ausdrüden zu fprehen) das Mittel zur Methode gewefen ſey. 
Jener angefhuldigten Methode ftellt der Verf. feiner Seits einen 
Begriff derfelben entgegen; „das Erkennen ſelbſt,“ fagt er (©. 
483), „muß die Wahrheit gewinnen; die Methode fucht die 
Wahrheit in ihrem, in ihr felbft enthaltenen, durch fie 
ſelbſt gegebenen Zuſammenhange, in ihrer ſolchergeſtalt durch 
fie felbft gefegten lebendigen Entwidlung darzuftellen. 
So ift derin ihre höchfle Stufe die Dialektik, eine Bewe— 
gung im Erkennen wie das Werden; ift die dialektiſche 
Thätigteit des Erkennens vollendet, fo ift die Wiffenfchaft 
da.’ Ref. kann diefen Vorausſetzungen nicht anders als Beifall 
geben, denn es find deſſen eigenſte Ausdrücke, wie fie ſich zur 
Genüge in deffen Logik und Enchklopädie finden; fogar das 
Werden als Bewegung tauht hier wieder auf; wie fehr 
der Verf. ſich früher (S. 29) damit gemartert, werden wir 
nachher anführen; auch die Dialektik, dieß negative Princip, 
bat hier bei ihm einen Ehrenplag erhalten. Der Berf. hat ſich 
diefe angeführten Gedanten fo fehr zu eigen gemadt, daß er 
damit unbefangen als mit dem Seinigen und zwar mit ber 
Vermiſchte Schriften ·· 12 


[4 


478 IV. Kritiken. 


Miene groß thut, als ob damit gegen die Philofophie, die er 
beftreitet, etwas gefagt worden fey. Wenn diefe die Methode 
darein fest, daf der Inhalt durch ſich felbft ſich entwidle, und 
der Verf. dieß wörtlich nachſpricht, fo hätte ev vorab und 
inetwa (wie derfelbe zu fpredhen pflegt) bei diefer Philofophie, 
die Methode als Form bei den Sägen, über die er fidh aus— 
läft, zunächft vergeffen und ſich in den Inhalt vertiefen müffen; 
fo wäre er in deffen Fortbeftimmung eingegangen, und hätte | 
dann das Bewußtfeyn über diefen Gang des Inhalts, über die | 
Methode, erlangen können. Diefes fih Fortbeſtimmen des In— 
halts aber, und ob es wahr ift, daf derfelbe fid) fo beftimmt, 
dieß kümmert den Verf. nicht. Durchweg faßt er vielmehr das, 
was ihm vorzunehmen beliebt, als ein Aufgeftelltes, erzäh—⸗ 
lungsweife führt er Säge und Reihen von Sätzen an, bie 
aufgeftellt ſeyen, ohne ſich darauf einzulaffen, ob der Inhalt 
an ihm felbft die Säge herbeigeführt habe. Aber ein ehern 
Band (wäre es au nur als einen Schnitt der Haare) hat ihm 
der Gott (der Hypochondrie? — oder die Gewalt, welde ihm 
die Schilderung der Degradation diefer Gewalt zu einer Degra— 
dation des Himmels (f. weiter oben) graduirte?) um die Stirn 
geſchmiedet,“ um das nicht zu fehen, was vorhanden ift. 

Die eigene Methode des Verfs. aber in den unzählbaren 
faktifchen Unrichtigkeiten feiner Erpofitionen des Logifhen, in 
den weitern Verkehrungen durch Schließen und Raifonniren dar- 
über, zu fehildern, wird hier vollends unthunlich. Einiges, um 
die Charakterifirung zu vervollftändigen, ift auszuheben. 

Eine einfache Weife, die oft wiederfommt, ift die Verſiche— 
rung, daß von Sägen, die er vornimmt, gar kein Beweis ge 
geben ſey. Der Verf. gebraucht diefe feine belichige Angabe als 
Grund, weshalb er für feine Behauptungen Teinen Beweis zu 
geben nöthig habe. Die Verſichrung, daß kein Beweis gegeben 
ſey, macht er, felbfi, indem er diejenige Expofition, welche den 
Beweis enthält, hererzählt; wie ſolche Auszüge beſchaffen find, 






\ 


” 8, Recenſion. 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od. : abfol. Wiffenu.mod. Panth. 179 


ift ihnen freilich nicht anzufehen, daß fie ein Beweis find. er 
So heißt es, S. 114: „Von dem Wefen wird nicht die min- 
defte Erklärung gegeben.“ Die Erklärung, was das Werfen ift, 
macht, wie dem Berf. befannt ift, einen eigenen Band der Logik 
aus, die er kritifirt. Gleich einfach if es, wie z. B. ©. 169, 
nachdem die Expofition der Momente des Begriffs, Einzelnheit, 
Befonderheit und Allgemeinheit, allerdings fahrläſſig genug, er⸗ 
zählt worden, zu verfihern: „Es liegt aber klar vor Au⸗ 
gen, daß diefe Momente nicht ihrem wefentlichen Begriffe nad) 
aufgefaßt worden find.” Es wäre für ein Glück zu achten, 
wenn dieß klar vor Augen läge, denn der Verf zeigt ſich nicht im 
Stande, es darthun zu können. Die verbraudte rhetorifche Wen⸗ 
dung fehlt auch nicht, nachdem irgend etwas gegen einen Gegen- 
Aland vorgebracht worden, bald auszubredhen in ein: „da fi 
nun ergeben hat, (©. 216) es wird.fih fo ziemlich klar 
ergeben haben, daß jene Lehre gar Feinen vernünftigen 
Sinn hat“ Zu einem folden gar feinen, gehört eigentlich 
mehr als nur ein: fo ziemlich. Am meiſten Befriedigtung 
‚ giebt dem Verf. die Entdedung, mit der er gleich anfängt, daf 
die Philoſophie, die er ritifirt, ſich abſtrahirend verhalte, 
verneinend zu Werke gebe, und in ihre die Wahrheit einen 
negativen Charakter habe. Biel befhäftigen ihn die Säge, 
die in der Logik vom Seyn und Nichts aufgeftellt ſeyen, be⸗ 
fonders läßt er ſich das Nichts fehr angelegen fehn, und fpricht 
dazu fehr ernfihaft von „der Pflicht, aufs innerfle zu prüfen,“ 
„dem Zwede feiner Schrift, das vernünftige, fpetulative Denken 
zu befördern.” Weber die Verwirrung, in welder der Verf. ſich 
hier über jene allereinfachften Kategorien herumtreibt, wollen wir 
daher etwas Näheres angeben. S. 26 heißt es: „Werden 
fey vorgeftellt als die Bewegung eines unmittelbaren Verſchwin⸗ 
dens des einen in dem andern (des Seyns und Nichts);“ der 
Verf. macht hierüber die Kritik: „es werde ſchon Lei der Erör⸗ 
terung des erſten Begriffs des Seyns, ehe vom Werden Die 
412% 





480 -IV, Keitifen, 


Ride fey, behauptet: das Seyn fey in der That Nichts,“ — 
in allen Theilen der Logik konnte er daffelbe finden, daf zuerſt 
von derjenigen Beſtimmung, aus der- eine andere hervorgeht, die 
Rede ift, und naher von der, die daraus hervorgeht. Eben 
fo bemerkt er (8.27, 29): „daß das Seyn ſchon an ſich Nichts 
ſeh, ehe das Nichts an ſich erörtert worden — und ehe die im 
MWerden behauptete Bewegung gefest fey;” — etwas Aufmerk⸗ 
ſamkeit auf fein Denten hätte ihm fagen können, da felbft das 
was er anführt, die Gedantenreihe, Seyn (weldes ſchlechthin 
in der Vorftellung vom Nichts verſchieden feyn fol) it ſchon 
an ſich Nichts; eben diefe Bewegung felbft ift, die alfo nicht 
vor ihr ſelbſt ſchon gefegt feyn kann, fie „diefe dialektiſche Thä—⸗ 
tigkeit des Erkennens,“ die vom Verf. felbft erwähnt worden, — 
und wenn, S. 29, „der Unbefangene fagen foll: das Seyn feh 
alfo ſchon zu nidhte geworden, ehe man zum Nichts gekom— 
men,” fo möchte der Verf. doc den unbefangenen Wundermen- 
ſchen herbeibringen, dem etwas zu nichts hätte werden können, 
ehe, und alfo noch ohne, daß er bei dem Nichts deffelben 
wäre. Der fo leere Beftimmungen vorbringende Verf. ſpricht 
©. 204, im Unterfohiede gegen eine elementarifhe und konkrete 
Natur, von einer ätherifhen Natur, und macht der Philo 
fopbie, die er befireitet, den Vorwurf: daß „in derfelben von 
der „ätherifhen Natur“ nicht die Rede ſey,“ (— „was 
leicht erklärlich ſey“ — vielleicht aber wohl aus dem entgegen 
gefegten Grunde, als der Berf. etwa im petto hat); — was 
diefe „ätherifche Natur” ſey, hat er übrigens nicht näher ante 
gegeben. Aber die dünnen Regionen des abftratten Denkens 
find wohl noch ätheriſcher, als des Verfs. ätherifhe Natur; die 
leifefte Nuance macht fi) ſchon als Unterfchied bemerkbar, und 
ein noch fehr inhaltlofer Sag iſt ſchon eine Handlung, über 
welche und deren tempi in diefem Felde ein Bewußtſeyn zu 
haben nöthig if. Jedoch haben wir fo eben gefehen, daß auch 
der Verf. fo dünne Unterfchiede zu maden weiß, daß nichts an 


8. Recenfion, 1, Heb. Hegel’s Lehre, 0d.: abfol. Wiſſen u. mod, Panth. 191 


ihnen bleibt; fo macht er ferner, S. 30, den feinen Unterſchied, 
daß „das VWerfhwinden des Nichts und des Seyns an ſich 
- felbft, etwas anderes fey, als das Verſchwinden des einen in 
dem andern; — es hätte ohne Zweifel intereffant werden 
können, wenn er aufgezeigt hätte, wie z. B. das Verſchwinden, 
d. 5. das zu Nichts werden des Seyns an fich, zu denken fe, 
ohne an fein Anderes, das Nichts, dabei zu denken, — wie das 
Seyn an fid) verfehwinde, und dich fein Anderes dabei weg—⸗ 
bleibe. 

Wenn er nun eben daſelbſt verſichert: „das Verſchwinden 
des einen in dem andern made eben den Beweis aus, daf 
weder das Seyn noch das Nichts ſey;“ fo ſieht er nicht, daß er 
hiemit eine der, in der Logik aufgeftellten Beltimmungen, 
ſelbſt ausfagt, daf nämlich weder Seyn noch Nichts fey (70 dv 
odder uälhov Tod un övrog); — indem er aber hinzufügt, 
daß umgekehrt beide Seyn und Nidhts der Beweis fehen, daf 
das Verſchwinden nicht ſey, fo feht er dagegen die Feſtig— 
Feit des Seyns und des Nichts voraus, wie er vorhin das 
Berfhwinden vorausfegt, und zu demfelben fogar weder ein 
Seyn noch ein Nichts bedarf, Wenn er fortfährt, daß das 
Werden felbft ein Verſchwinden fey, ſich verneine, fo ift dieß 
wieder eine der Beflimmungen "jener Logik felbft, aber immer 
auch nur die eine, — und damit für einfeitig erklärte. Vor— 
nehmlich aber hat er viel mit dem Nichts zu thun, das er ſich 
vorhin als ſelbſtſtändig vorftellte und es fo als Beweis ges 
brauchte, daß kein Verſchwinden ſey. — Das Nichts it Nichts, 
Nichts ift gar nicht; (und dann ex nihilo nihil At), ift der 
Sag der Eleaten und jedes metaphhfifchen Pantheismus. „Das 
Nichts,” ſagt der Verf. ©. 59, „hat nody Niemand geſehen,“ 
(wahrſcheinlich nicht; — auch nicht das Nichts, woraus Gott 
die Welt erfihaffen; ſchwerlich auch jemand das Stüd ägypti— 
ſcher Finfterniß, welches in einer Flafche als Neliguie fol aufs 
bewahrt werden); „kein Menſch hat es je gedacht.“ Wie 


— 


182 IV. Krinken. 


kommt der Verf, dazu, daß ihm dieß auf die bloße Autorität 
feines Verſicherns, oder, wenn er lieber will, dieſes feines 
Aufftellens, geglaubt werden fol? Wenn cs auf’s Verfühern 
nur anfäme, fo wäre das Philofophiren freilich eine leichte Ar— 
beit. Wie tommt er dazu, von „keinem Menfhen je” zu 
fprehen? weiß er von allen menfhlichen Indididuen, die je 
gelebt haben? Möge er angeben, wo die Geſchichte von diefen 
Allen und dann von Allem, was jedem je durd den Kopf ge 
gangen, aufgezeichnet it? — Wenn es gleichfalls erlaubt wäre 
fo in’s Grlag hinein, von allen Menfchen, die je gelebt haben, 
zu verfihern, fo wäre die Gefchichte eine leichte Arbeit. Nur 
wenn es um leere Tiraden zu thun if, erlaubt man ſich, von. 
feinem Menſchen je Verfiherungen zu maden. Eher ließe 
ſich, wenigftens auf raifonnirende, nicht aber auf geſchichtliche 
Art, plaufibel machen, daß Alle Menſchen, z. B. auch der Verf, 
das Nichts gedacht haben; fehen läßt es ſich nicht; wenn wir 
dieß aus der Erfahrung zugeben, fo könnte man fhliefen, daß 
es ein Gedanke fey, Der Verf. führt Nichts oft genug im 
Munde Wenn er, wie früher angeführt, einmal fagt: „die 
Beifpiele (in der Logik) beweifen auch nichts,” war dieß nur 
gedankenlos fo gefagt? Ohne Zweifel hat der Verf. auch ges 
lernt, glaubt, hat vielleicht auch gelehrt, daß Gott die Welt aus 
Nichts gefhaffen? ift dieß auch nur gedankenlos gefprochen? 
Bei ſolchem Satze, wie der, daf Gott die Welt aus Nichts 
gefchaffen, fommt man mit dem Nichts nicht fo leicht weg, daf 
man nur zu fagen braucdte: Niemand hat das Nichts gefchen, 
kein Menſch bat es je gedadht. Der Verf. tommt (S 59) in 
feinem Eifer jo weit, daß beide, auch das Seyn, wie 
das Nichts, weder Begriffe (daß fie keine Begriffe, fondern 
nur Gedanken find, ift ein Sat der Logit —) noch Vorftelluns 
gen, fondern, wie fie dahingeftellt find, bloße Worte fehen. 
Doch fehreibt er diefen Mangel nicht etwa dem Hinftellen der 
Logik zu, fondern fagt aus ſich (ebendafelbft oben), daß „das 





8, Mecenfion, 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od. : abſol. Wiffenod. mod. Panth. 183 


Nichts flets nur eine Bezeihnung bleiben muß und nie eine 
abſolute Bedeutung haben kann.“ Das Wort: „abfolut” 
ift wohl bier nur des Wohltlangs oder auch Tiefklangs wegen 
da; eine relative Bedeutung, die dem Nichts bleiben könnte, 
wäre ſchon genug, um das Gegentheil deffen zu ſeyn, was der 
Berf. fagen will, Bleibt es aber, worauf der Verf. das Muf 
feiner Autorität legt, eine Bezeichnung, ein Wort, fo wird man 
doch ſich dabei etwas vorftellen und, mit gutem Glüde, aud) ct 
was denken wenn dief Etwas aud bloß das Nichts wäre; 
auch der Verf. wird das Nichts von anderem finnlofen Laute oder 
bedeutende Worte zu unterfheiden wiffen, und ohne Zweifel nur 
durch die Bedeutung. Der Verf. macht S. 96, wo er ganz 
richtig angiebt: „daß die Vernunft das Nichts nicht anerkenne,” 
[ ſich den Einwurf, „daß dod das Werden, als aus dem Schn 
und Nichts kommend, zugleich das Schn und Nichts ent- 
halte” Er giebt darauf als „die eine Antwort” (die andere 
fol nachher angeführt werden), das, was oben ſchon erwähnt 
ift, „das hegelſche Seyn und Nichts fey ſchon verſchwunden, 
ehe an ein Werden gedacht wurde.” Der Verf. hätte unbead)- 
tet laffen können, was in jener Zogit davon vorkommt, und nur 
mit gewöhnlicher Analyfe an das denken follen, was in feiner 
Borftellung des Werdens enthalten if. Darüber findet fih ©. 
441 wenigftens doch fo viel, daß es heift: „fo kann man freis 
lich fagen, Werden ſey ein anderes als das bloße Seyn, in- 
dem man beim Werden mehr denkt, als bei Seyn.“ So ha= 
‚ben wir hier wenigftens zunächſt das Seyn, dem er früher auch 
das Seym abfprad); — dann ein anderes, darin ift doch wohl 
eine Regation; — und fomit mehr im Werden als im Seyn. 
Was wäre diefes Mehr anders, als das Nichts? — Es ver- 
fieht ſich von felbft, daß in des Verfs., wie erinnert, fo fehr als 
im jedes Anderen Vorftellungen, die Kategorien von Seyn und 
Nichts unterlaufen; es würde lächerlich feyn, aus feinem Vor— 
trage hievon weitere Beifpiele beibringen zu wollen, Der Verf, 


l 


J 


1 IV. Kritiken. 

wie jeder Andere, der an dem Nichts, als allgemeinem Ele⸗ 
mente einen Anftog nimmt, wolle die Anforderung an fih 
machen, irgend etwas aufzufinden, in welchem nicht die Beftime. 
mung des Nichts, die eines Negativen, einer Beſchränkung fich 
fände. Bon dem Endlihen giebt man foldes etwa leicht zu, 
findet aber mehr Schwierigkeit in Anſehung des Unendlichen in 
feinem- affirmativen Sinne. An die Selbflentäußerung Gottes, 
vermöge deren er Knechtsgeflalt angenommen, mögen die erin« 
nert werden, welden die höhern Wahrheiten noch etwas gelten; 
daß aber, überhaupt in Geifl, Thätigkeit u. f. f. die Beflimmung 
des Negativen, — der intenfioften Affirmation ungeadhtet —. 
liege, darüber ift auf die Logik zu verweifen, wo aud jenes 
Abſtraktum Gottes, an das fi die theiftifhe Vorſtellungsweiſe 
hält, das höch ſte Wefen in feiner — in ihm aufgelöften Res 
gation, beleuchtet-ift. — Das, worauf es angekommen wäre, 
würde gewefen feyn, gezeigt zu haben: pas bekannte Seyn und 
Nichts müffen, und, zwar noch vor aller dialektiſchen Betrachtung, ; 
nur fo, wie fie für ſich ausgefprodhen werden, logiſch anders 
beſtimmt werden, als fie in der beftrittenen Logik aufgefieltt . 
find. Darauf hätte man neugierig feyn können, was etwa der 
Verf. für eine Definition nur des Sehne, da er vom Nichts 
nichts wiffen will, gegeben hätte; defien aber hat er ſich 
wohl enthalten. Diejenigen, welche Schwierigkeit in dem Ans 
fange der Wiſſenſchaft, wie ihn jene Logit madt, finden, mögen 
fi) verfuchsweife die Aufgabe flellen, das Seyn zu definiren, 
nur das Seyn in feiner volltommenen Abftrattion; die Schwies 
tigkeit, die fie in der Erfüllung diefer wiſſenſchaftlichen Forde⸗ 
rung finden werden, möchte fie vielleicht mit jener Schwierigkeit 
ausföhnen. 

Die andere originelle Antwort darauf, daß das Seyn und 
Nichts im Werden enthalten ſey, ift (ebendafelbft S. 95), daf 
abfolut aufgefoßt, (was foll hier das abfolute Auffaſſen hei⸗ 
fen?) im Werden kein Nichts, fondern ein Wechſel enthalten 


8. Recenſion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiſſenu. mod. Panth. 185 


fey. Wie aber ein Wechſel von dem Uebergehen des einen in 
ein Anderes verfhieden, wie ein Wechſel, unter anderem 
die Wechfel, weiche Entſtehen und Vergehen genannt 
werden, ohne Negatives in fi) zu enthalten, fey, hat der Verf. 
zu fagen ſich gleichfalls erfpart; nur dieß ift feine Leiſtung, an 
die Stelle des Werdens das Wort Wechſel, und damit 
einen ganz leeren Wortwechfel gefegt zu haben. Er fügt pa= 
thetifh Hinzu: „mag diefer Wechſel oft von uns nicht 
wahrgenommen (!) werden können, mag es uns entgehen, 
wie ih Alles flets neu und immer neu wieder bildet — .ein 
Nichts treffen wir nirgends, es iſt nirgends.” Der Berf. 
fpricht Hier den heraktlitifhen Sag aus: „Alles if ein 
Werden;“ (f. Logit 1. Bd. 1. Buch, S. 24). — Es fehlt 
niemals, daß das, was der Verf. an Richtigem mit Salbung 
als feine Weisheit vorbringt und mit Prätenflon docirt, in der 
Philoſophie vorhanden ift, die er aufs Heftigfte anfeindet und 
gegen die er es vorbringt. Die Verweiſung auf die Logik, die 
fo eben gemacht worden, ift daher nicht an den Verf. gerichtet, 
denn er mußte wiflen, daß das, was er vorbringt, darin flieht. 
Doch muß aud hier die Billigkeit eintreten, zu erwähnen, daß 
der Verf. fo billig auf feine Urt gewefen, hie und da zu ſa⸗ 
gen: „daß einiges diefer Art bei Hegel felbft zu finden ſey.“ 
So fagt er S. 89: „Auch Hegel bat zugeflanden, daß 
Abſtrahiren nit alles vermöge, daß fie (flattes) an ſich 
unvolltommen if.” Nur ift über ſolche Anführung zu be- 
merken, daß es fich dabei weder um ein bloßes Zugeftehen 
Hegel’s, no um ein: Auch handelt, noh aud um ein Alles 
oder Nicht-⸗Alles-Vermögen der Xbftrattion, noch bloß 
um eine Unvollkommenheit derfelben, noch dag fie nur an 
ſich unvolltommen fey. Auch da, wo der Verf. thut, als ob er 
etwas zugeftände, macht fich dieß fo flach und unrichtig, daf man 
es fo, wie er es zugefteht, nicht annehmen kann, fondern viel 
fach torrigiren müßte. An demfelben Orte, ©. 94 f., fagt er 





186 IV. Kritiken. 


gleichfalls: „Auch kann fih die Natur (!) hier nie ganz (!) 
verläugnen wie die hegel'ſche Lehre felbft zeigt; der abfolute 
Anfang und mehrere (vielmehr alle) Anfänge fpecieller Lehren 
werden durch die nächitfolgenden Momente verneint, weil fie 
nichts find.“ — Das Nichts, weiß der Verf., kommt nur im 
allererfien Anfange vor; dort ift es eim für allemal abgethan, 
und kommt nie wieder zum Vorſchein. Es ift die ſich nicht 
verläugnende Natur des Verf., an den Fortgängen und den Re— 
fultaten die Hauptfache, die Affirmation, zu, überfehen, und blof 
natürlich und geiftlos nur das Verneinen aufzufaffen. Weit 
läufig läßt er fich eben über dieß Abſtrakte und das Abftrahiren | 
aus: „Wenn ich,“ fagt er, (©. 48, 53, 65 und fogar ned 
öfters wiederholt er diefe Weisheit), „Beſtimmungen weglafie, 
die Dinge aber diefe Beffimmungen haben, fo ers 
tenne ich offenbar dieſe Dinge nicht, denn ich nehme ihnen 
Beftimmungen, welde fie wirklich haben.“ Wer hat hieran N 
je gezweifelt? Der Verf. hätte fich‘ diefer Wahrheit am meiften 
felbft bei feinen hiſtoriſchen Relationen über die Philofophie 
erinnern follen, mit der er feine Leſer befannt machen will 
Wie er das Verneinen im dialeftifchen Fortgange darftellt, 
in diefe Verworrenheiten ſich einzulaffen, ift nicht Mmöglid. Die 
Bewuftlofigkeit über die Negation in einem Fortgange, geht ins 
Weite; S. 53 verfidhert er 3. B. mit feiner gewöhnlichen Ems 
phafe: „der Webergang vom gewöhnlien Denken zum ſpe⸗ 
tulativen ift fein verneinender, fondern ein Erheben zu hö— 
herer Einſicht.“ Getroffen! Geſchieht denn num aber ein 
Erheben ohne Weggehen, ift ein Höheres ohme ein Nicht? 
Iſt alfo nicht ein Weglaffen, Berneinen, Abftrahiren in dem 
Erheben enthalten? Aber mehr als Bemuftlofigkeit ift es, 
wenn er feinem unausgefegten Ereifern immer die ‚Stellung eis 
nes Eifers gegen die Philofophie giebt, deren Säge und Morte 
fein Eifer gebraucht, und der er auch S. 95 (nad) der großartigen 
Rede: „das vernünftige Denken lebt aber im Reihe 





8. Recenſion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffenu.mod. Panth. 187 


wirklicher lebendiger Gedanken) das Zeugnif giebt, daß 
„fie nicht an der abfiratten Seite, fondern an derjenigen 
Seite fortgeht, welche die tontrete Totalität (diefes Wort 
bat er ſich daraus zum Lieblingswort, — aber audy nur als 
Wort; — genommen) enthält;“ (das konnte alſo doch der Verf. 
nicht unterlaſſen zu erwähnen, daß die von ihm bekämpfte Logik 
durchweg die Nichtigkeit der Abſtraktionen darthut, und dieß eine 
der wichtigſten Seiten derſelben ausmacht; dem Verf. wird aber 
dieß dazu, daß die Form der Abſtraktion, das Allgemeine über⸗ 
haupt, ein Richtiges fey,) — „daraus zeige fie, daß fle ihre ei⸗ 
genen Erzeugniſſe verwirft;“ (dazu nur wird dem Verf. das 
Fortgehen) „vor ihnen” (— vielmehr immer nad und aus 
ibnen —) „ins Reich wirklicher Gedanten zu- entfliehen 
ſucht.“ Solches Entflieden wäre ſchon darum überflüffig, weil 
Erzeugnifle „des Fortgangs an der konkreten Totali= 
tät” welchen er jener Logik zufchreibt, doch wohl bereits wirt- 
liche Gedanken find; — aber fo flart if die Inkohärenz der 
Gedanten des Verfs. — Ein Meifterflüd von Expoſition ift 
fein Verſuch (S. 51 ff.), „das abftrahirende Brincip näher zu 
erklären und dieß fo faßlich zu geben, daß beim Lefer keine Bes 
kanntſchaft mit den Ausſprüchen beſtimmter Philoſophieen vor⸗ 
ausgeſetzt wird.“ 

„Die Philoſophie ift fein Geheimniß, ſie iſt eine 
rege Thätigkeit der menſchlichen Vernunft. Sie 
ſtrebt dahin, Licht in unfre Ertenntniffe zu britt= 
gen u, ſ. f.“ Was diefe Emphafe für Wahrheiten erzeugt 
Tann man daſelbſt nachſehen; nur eins mag daraus entnommen 
werden. ©. 54 fellt der Verf. einen Unterfehied des Abſtra⸗ 
hirens, als eines fubjektiven Thuns vom wirklichen Ver— 
neinen auf: diefen läßt er darin befichen, daß jenes „etwas 
Willtührlihes, Unwahres if, das wirkliche Verneinen aber nicht 
unmwahr if.” Das hinzugefügte Beifpiel wird wohl „Lidl in. 
diefe Erkenntniß bringen: „Sage ih“ (die Bongigkeit, die 





4188 IV, Kritiken. 


man etwa vor dem wirklichen Verneinen hätte faſſen kön— 
nen, mildert ſich dadurch; cs ift doch nur ein Sagen) „3 ®. 
die Erde ift nicht vieredigt, fo ift diefes nicht unmwahrz laſſe 
ich) aus der Vorftellung der Erde die Vorftellung des Runden 
weg, fo bleibt fie rund, meine Borftellung der Erdeift alſo 
eigentlich unwahr, und ich weiß durd mein Weglaffen 
weniger als vorher.” — Bon einem Unterfchiede eines 
wirklihen Verneinens und eines Abſtrahirens weiß man, 
nachdem diefe Erklärung gegeben worden, wohl fo wenig als 
vorher, höchſtens dieß: wenn ich das Unrichtige verneine, fo bin 
ich richtig daran, wenn ich aber das Richtige vermeine, fo bin 
ich unrichtig daran. Es muf aber dem Verf. zugeftanden were 
den, daß er fein Wort gehalten, fo faßlich zu ſeyn, daß keine 
Bekanntfchaft mit den Ausſprüchen beftimmter Philofophieen 
beim Leſer nöthig fey, um ſolche Wahrheiten zu faſſen; man 
muß zugeben, daß „dergleichen Philofophie Fein Geheimniß“ if; 
nur daran kann gezweifelt werden, ob dergleichen Weisheit ein 
Produkt „der Thätigkeit der menſchlichen Vernunft“ iſt! — 
Der aufgeftellte Kanon: „daß das wirkliche Verneinen nicht un— 
wahr iſt,“ iſt aber auch gefährlich; denn wenn Jemand von 
des Verfs. Schrift wirklich, d. i. durch Sagen verneinte, 
daß in des Verfs. Schrift irgend ein intellektueller und moralis 
ſcher Werth feh, fo würde dieß nad) dem kanoniſchen Rechte 
des Verfs. nicht unwahr feyn. Jedoch wenn es im des Verfs. 
Beifpiel heißt: „wenn ich ſage,“ hätte er etwa damit das wirf- 
liche Verneinen nur ſich felbft vorbehalten wollen? 

Sonft hält man dafür, daß das Denken, das Erzeugen 
des Allgemeinen nicht ohne Abſtraktion vor fich gehe, daß 
alles Allgemeine, die Gattung, unter anderem auch die konz 
krete Totalität, die der Verf. aufgenommen, u. f. f. das Ingres 
dienz der Abftrattion in fi enthalte, Aber der Verf. fieht durch 
das Abſtrahiren Alles nur zu Nichts werden; er fagt demfel- 
ben überall das Uebelſte nad; daß, ©. 83, man fhon oft 


8. Recenfion, 1. Ueb, Hegel's Lehre, od.: abfol. Wiffen u: mod. Panth. 189 


bemerkt habe, „daß die tieffien Ideen ſich nicht abſtrakt auf- 
faffen lafien, daß bei dem Beftreben, fle rein aufzufaffen, fih in, 
der Seele begleitende Borftellungen“ (die Allotria, die 
dem Berf. überall einfallen, find Belege dazu) „zeigen.“ ©. 90: 
„daß die Abſtraktion, wenn fie das Allgemeine erzeugen fol, 
nur Undinge erzeugt.” Seines Unwillens gegen das Abftrahiren 
ungeachtet oder vielmehr um deffelben willen, läßt er ſich in eine 
Erklärung des Abſtrahirens ein: „Da aber“ (fagt er ©. 54), 
„nun einmal abfirabirt worden, da fogar (?) auf ab» 
folnte Weife abftrahirt worden, fo muß die Abftrattion, da fle 
ſich als menfhlihe Thätigkeit dargeftellt hat, auch aus 
der menfhlihen Thätigkeit erklärt werden.” Man ſieht, 
der Berf. ift fo billig, das Abflrahiren doch auch gelten zu laſ⸗ 
fen und fih mit deffen Erklärung zu befaffen, und zwar darum, 
weil nun einmal abftrahirt worden ift; die Erklärung ſelbſt ift 
allzufaßlich, um einer Beleuchtung zu bedürfen. — Aber ein 
Weiteres, worauf der Berf. kommt und worauf er ſich viel zu. 
gute thut, ift noch näher zu erwähnen, nämlich feine Expoſition 
der Diomente des Begriffs, der Einzelnheit, Befonderheit und 
Allgemeinheit. S. 166 ff. macht er die Darſtellung, die: davon 
„in der hegel'ſchen Logik gegeben ſey,“ wie ſchon angeführt wor⸗ 
den, herunter, indem er fagt, „daß klar vor Augen liege, daß 
fie nicht ihrem wefentlichen Begriffe nach aufgefaßt worden ſeyen; 
nämlich die behauptete Identität jener Diomente fage weis 
ter nichts aus, als daß diefe Diomente zufammengehören, 
und bleibe eine bloße Behauptung, welde nie darüber 
wegtommen würde, daß Einzelnes einzelnes, Befonderes befon- 
deres, Allgemeines allgemeines bleibe.“ Selbſt die ganz. ent: 
ſtellende Erzählung, die der Verf. von jener Exrpofition giebt, 
zeigt, daß die Identität mehr ausdrüdt, als bloß das Flache eis 
nes Zufammengehörens; die Jdentität (und zwar, wie immer, 
nicht die abſtrakte, fondern die konkrete, die den Unterfchied der 
Momente qn ihr hat) ift als Untrennbarkeit diefer Mo— 





190 IV. Kritifen, 


mente, und zwar an jedem ſelbſt feine Untrennbarkeit von 
den andern, was die Dialektik derfelben ausmacht, aufgezeigt, 
fo daß das Einzelne wicht einzelnes, das Befondere nicht bes 
fonderes, das Allgemeine nicht allgemeines bleibt. Der Verf, 
der hier verfihhert, die Behauptung werde nie darüber, daß Ein- 
zelnes einzelnes u. f. f. ſth, hinauskommen, hat feiner Seits 
über diefe Beflimmungen ©. 66 ff. ein Kunftfiüd feiner Art 
geliefert. In demfelben legt er das „nothwendige Inein— 
anderfenn des Einzelnen, Beſonderen und Allgemeinen zu 
Grunde,“ und macht in feiner Weife klar: „das Einzelne an 
und für ſich könnte weder feyn nod gedaht werden, 
wenn es keine Befonderheit hätte u. f. f.;“ fo daß m 
nad) feinem Klarmadıen, ©. 67, dazu kommt, zu fagen: „das 
Befondere kommt daher aus dem Einzelnen, das Befondere 
wird allgemein, indem es das Princip der Cinzelnheit fich im 
- Befondern als foldem fest.“ Wo bleibt hier das Bleiben 
des Einzelnen als einzelnen u. ſ. f., über weldyes Bleiben man 
nicht hinaustommeh könne? Wie mochte der Verf. mit diefem 
nothwendigen Jneinanderfeyn der befagten Momente doch jener 
Untrennbarteit widerfprehen? Er macht fi hier, wie immer, 
mit dem Gelernten als mit dem Seinigen, breit, und eben dass 
felbe verunglimpft er, wenn er davon fpricht, daß es fih in der 
Logik eines Andern befinde. Der Verf. geht von da aus weis 
ter, er läßt fich verführen, acht Formen der Beziehung des Ein- 
zelnen, Befonderen und Allgemeinen zu deduciren — auf 
feine Weife, d. h., fo viel fih herausfinden läßt, auf die Weife, 
daß er eines Theils Berhältniffe, die er. dialektifch erwiefen vor— 
gefunden, geradezu vorausfegt, andern Theils den Verſtand dies 
fer Formen ſich felbft vorbehalten hat, in den wenigfiens Ref. 
nicht näher einzudringen vermochte. 

Nur dief war einzufehen, daf der Verf. alte logifche For— 
men dadurdy hat beleben wollen; „die eine feiner Formen,” 
fagt er, „entfpreche dem dietum de exemplo, eine andere dem 


8. Necenfion: 1. Ueb. Hegel’s Lehre, od. : abfol. Wiffen u.mod. Panıh. 194 


dietum de diverso, u. f. f.“ Er führt weiterhin das „Bers- 
hen“ an: „S vult simpliciter verti, P verte per accidens 
u. ſ. f” Dieß iſt in der ganzen Schrift die einzige Spur, daf 
der Berf. fi früher je mit irgend etwas Wiffenfchaftlichem bes 
ſchäftigt hat; ſchwerlich ift feit 50 Jahren in diefen verlebten 
Yusdrüden alter Schul=Lagit auf einer proteflantifchen Schule 
oder Univerfliät Unterricht ertheilt worden. Und dennoch hat 
der Verf. fi) verführen laffen, gegen jene alte Logik vornehm 
zu thbun; ©. 96 fagt er, bei einer feiner Ergehungen gegen 
Seyn und Nichts: „auf das hegel'ſche Seyn konnte logifch, 
oder (um nicht in den Verdacht zu gerathen, daß hier der 
Ausdruck logifh nur auf die gewöhnlide Schul-Logit 
hindeuten folle), fpetulativ = dialettifh gar nichts 
folgen, u. f. f.“ Alſo nicht weniger als fpetulativ = dia= 
lettifch ſpricht der Verf.! In einer der unzahmen Xenien iſt 


irgend einem geſagt, daß ihm gern die moraliſche Delikateſſe 


erlaſſen würde, wenn er nur ſo nothdürftig die zehn Gebote er⸗ 
füllte; fo könnte man beim Verf. wünſchen, daß er ſtich mehr 
in den Verdacht gefegt hätte, die gewöhnliche Schul⸗Logik zu 
befolgen. Wie treu aber der Verf. auch den Unterricht in der 


Schul-⸗Logik behalten, geht aus dem Weitern hervor, das er. 
©. 75 auffagt: „die gewöhnlichen modi der zweiten Figur 


werden partitulär, die der dritten verneinend ausgedrüdt; 
(durch dieſe Verwechslung der zweiten und dritten Figur zeigt 
der Verf. entweder Unwiſſenheit in der Schul⸗Logik, oder, was 
gar noch fhlimmer wäre, daß er die Stellung der Figuren in 
der hegel’fihen Logik aufgenommen hat; im diefer allein ift als 
zweite Figur geftellt, was in der fogenannten Schul-Logik, 
auch in der ariftotelifchen die dritte Figur ift umd umgekehrt. 
Eben fo giebt das Folgende von der Reduction auf die vierte 
Figur ein Zeugnif von den Schulfiudien des Verfs.) — und 
dieg flimme, wenn man der Sache tiefer auf den Grund gehe, 
ganz mit feiner Darſtellnng; in den modis an fich feyen 


192 IV. Kritiken. de 
ſolche Refultate der ſyllogiſtiſchen Thätigkeit ausgedrüdt, welde 
fi) nad) dem obigen „Verschen“ auf die vierte Figur redu⸗ 
ciren laſſen. — Woher iſt dem Verf. der Gedanke einer Bes 
lebung der abgelegten ſyllogiſtiſchen Formen gekommen? In der 
Logik, die er kritifirt, hat er eine Belebung und Vernünftigung 
derſelben vorgefunden. Er kommt ferner ſogar dahin, zu ſagen, 
S. 75, „daß alle Schlüſſe ſich als ein Trieb zeigen, daß bie 
Syllogiſtik der Trieb des Begriffes ſey, ſich in ſich voll⸗ 
ſtãändig zu realiſtren;“ ferner, S. 97: „der abſolute Begriff fegt 
ſich als Princip.und dieſes iſt der ſpekulative Begriff 
des Urtheils;“ S. 80: „ſobald der Begriff überhaupt da if, 
iſt das Urtheil feine nächſte Thätigkeit.” Beim Einzel 
nen ſpricht er ohnehin immer davon, daß es fi durch Beſon⸗ 
derheiten manifeflire. S. 81 ff. fagt er vom Verhältniſſe 
der Form und des Inhalts: „daß jene der Begriff, und der 
Inhalt dieſer Form dasjenige ſey, was durch den Begriff als 
daſeyend gefegt, und das Weſen der Sache fey, dag der fo durch 
die Form gefehte Inhalt valltommen der Form entſpreche.“ Zu 
dem Letztern entblödet er ſich nicht, ‚hinzuzufügen: „daß Form 
und Inhalt daher nicht, wie Hegel meine, eine Reflerionsbes 
fiimmung des Grundes fehn möchten.“ Auch hier, wie fonfl, 
trägt er Beflimmungen, die ganz nur aus. jener Philofophie ent» 
nommen find, fo vor, als ob er damit etwas fagte, was er ihr 
entgegenftellte. La verite en la repoussant, on lembrasse, 
— wenn der Verf. noch ein halb Dugend polemifhe Schriften 
gegen diefelbe Philofophie fhreiben möchte, fo möchte er Ges 
fahr laufen, noch ſechsmal mehr von derfelben ſich anzueignen, 
vielleicht auch bis fo weit angeftedt zu werden, daf er zur Auf⸗ 
richtigkeit des Bekenntniffes diefes Umflandes getrieben wäre, 
Wenn wir nicht die obige Hypotheſe übler Hypochondrie gelten 
ließen, die bekanntlich alles Aeußerliche falſch und ihr zumider 
fieht, was fie davon empfangen hat, ſich felbft zuzuſchreiben und 
dieſes gegen jenes, wovon ſie es empfangen, widerwärtig hin⸗ 


8. Recenfion. 1. Ueb. Hegel's Lehre, od: abfol. Wiſſen u. mod. Panth, 193 


auszukehren pflegt; fo würde es noch widerwärtiger ſehn, fich 
‚eine andere Hypotheſe zur Erklärung folder Bewußtloſigkeit 
zu machen, als fh über das Verhältnif der thetifhen Säge 
amd Vorfiellungen diefer Schrift zu der Philofophie, gegen 
welche fie polemiflrt, überall zeigt. Manches ift beim Verf. 
fo geläufig, (— freilich leidet er überhaupt an dem Fehler ſchlech— 
ter Schriftfteller, in ihrer Werworrenheit das Dürftige, was fle 
inne betommen haben, unzähligemal zu wiederholen), daf man 
auf die Vermuthung verfällt, es fen ihm noch durch andere Art 
der Belehrung, als das Leſen, fo geläufig geworden; dann gilt 
u mehr ein dielum der Xenien auch hier: 
Sat man Schmarotzer doch nie dankbar dem Wirthe geſehen! 
weit es mit der Anfledung des Werfs. bereits gekom— 
ge noch folgende Stelle, S. 129, zeigen: „Durch die 
Methode überhaupt entwidelt fih das vernünftige Er- 
!ennen zur Wiffenfhaft. Nur die Gewißheit, daf das 
wahrhaft Vernünftige aud das Princip der Dinge 
überhaupt fey (und fonft S. 130, 136 wiederholt), kann die 
menfhlidhe Vernunft berehtigen, die Dinge an fi 
betradten zu wollen, und das vernünftige Erkennen erfaft 
das BVernünftige in allen Dingen“ Macte virtute puer! 
möchte man hiebei dem Verf. zurufen und füh nur wundern, 
wie viel Anderes in ſolchem Kopfe noch daneben Plag hat. Ref, 
nicht der Verf., citirt zu jenen Sägen, Phänomenologie S. 174, 
wo es heißt: „die Vernunft geht darauf, die Wahrheit zu wife 
ſen; — fie hat — ein allgemeines Intereffe an der Welt, weil 
fle die Gewißheit ift, Gegenwart in ihe zu haben, oder daß die 
Gegenwart vernünftig iſt.“ Dod um bloße Stellen über die 
Anſicht jener Philofophie von der Vernunft, kann es —* 
thun fehn. 
Wir verlaſſen aber endlich auch die philoſophiſche —* 
und philoſophiſchen Erertionen des Verfs.; wenn die Charakterifl- 


rung vervollfländigt werden follte, wären die vielen Allotria, die 
Vermiſchte Schriften, + 13 












194 IV. Kritiken. 


er einmifcht, und zulegt die ſchon erwähnten paränetifchen Vor⸗ 
trefflichkeiten näher anzugeben. Der Vortrag der Schrift gleicht 
dem eines Predigers, der bei gänzlihem Mangel geiftiger Bil 
dung die Ubficht hat, gründlich, tief und herrlich ſeyn zu wollen. 
Der Mangel an Bildung läßt Feine Meberfiht und Ordnung 
auftommen; find die Schleufen einmal aufgethan, fo geht es in 
hitziger Verworrenheit fort, die rechts und links nad) Allem greift, 
was ihr einfällt, daffelbe in der Verlegenheit wiederholt, im der 
Mitte nicht über den Anfang binausgefommen, im Fortgang 
vergeflen hat, was früher gefagt war, und fi von der ſauren 
Anfirengung und dem Umhergeworfenwerden von der erhitzten 
Unruhe in dem füßen Fluſſe honigvoller, edler Tiraden erholt: 
Bon den Allotriis Fönnte die vom Verf, aufgeftellte Ber 
ziehung der hegelfchen Philofophie auf diefe Jahrbücher für 
wiſſenſchaftliche Kritit angeführt werden, Der Verf. hat ſich die 
Mühe nicht verdriefen laffen, gegen anderthalbtaufend Seiten 
diefer Jabrbücher zu durchlaufen, bis er eine Stelle findet, die 
ihm Auffchluß giebt; S. 1480 findet er eine folge, die gegen 
gewiffe Theologen (— der Verf. fagt &,199 — „einen Stand, 
dem das Heiligfte anvertraut if,“ im der proteftantifchen Kirche 
ift daffelbe gleicherweife den Layen anvertraut — „der fo viele 
würdige Mitglieder zähltz“ — in derjelben Kirche würdig 
nicht durd) den Stand, fondern nur durch Wiſſenſchaft und 
Wandel) gerichtet iſt; — auf diefe Stelle dedt er die Hand 
und zieht in feiner Weiſe Schlüffe daraus; — Schlüffe, über 
welche fi die Jahrbücher felbft ausweifen; (— „dem Inſtitute 
felbft,“ heißt cs ©. 10, „wünfchen wir” (der®erf.) „einwahr - 
ftes Gedeihen, die Publicität und Theilnahme ansgezeid: 
neter Gelehrten zeihnen es aus;“ — Saloperie derSchreibart 
braucht an einer ſolchen Schrift nicht befonders gerügt zu werden). — 
Andere Allotria, (z.B. die geſchichtliche Notiz, daß Friedrich ve Schle⸗ 
gel ein Lehrer Hegel’s gewefen, wodurch wenigfiens der Urfprung , 
der hegel'ſchen Philofophie etwa fogar einer gewiſſen Kirche folkte 





8. Recenſion. 1. Ucb, Hegel's Lehre, od»: abfol. Wiſſen u. mod. Panth. 195 


vindieiet werden), übergehen wir, die Unvichtigkeit des Verfs. 
im Geſchichtlichen iſt genug dofumentirt worden, Nur ein Al⸗ 
lotrium mag nod angeführt werden, in welchem der Humor 
des Berfs. ſich zur Poſſierlichkeit fteigert; cr kommt, ©. 197, 
auf die — von ihm als Vertheidigung des Pantheismus 
qualifieirten — Anführungen aus morgenländifchen. Schriftfiel- 
lern, welche fih am Schluffe der 2. Ausgabe der Enchyklopädie 
befinden; „ſehr charatteriſtiſch“ (2) fagt er, S. 198, „ift cs, 
daß Hegel dort auf kraſſe mohamedanifhe Dichtungen Bezug 
ne: bat, — zu einer Zeit, wo die Ehriften mit 
ngläubigen kämpfen.“ Der Verf. hätte die Chro— 
zu Rathe ziehen follen, fo hätte er gefunden, daf jene 
. be noch vor dem Ausbruch wenigftens des Krieges der 

uſſen gegen die Türken erfehienen ift; daß die Theils vor— 
=. Zheils verdienftliben Sammlungen von Blüthen mor— 
genlãndiſcher Poefie, aus deren einer jene Stellen entlehnt find, 
zur Zeit des bereits begonnenen Freiheitskampfes der Chriften Grie⸗ 
chenlands mit den Ungläubigen bekannt gemacht worden find, 
das folde Mittheilungen nicht aufhören bekannt gemacht zu 
werden; — oder. ift der Verf. mit dem Stande ber Litteratur 







ganz unbefannt? Bor allem hätte er bedenken müffen, wie 


fehe vielmehr eine Schrift voll Verworrenheit, Unphiloſophie 
und böfen Eifers dem Türkenthum die Hand bietet und Vor— 
ſchub thut. 
Wir fliehen endlich mit dem verdienten Lobe der edelften 
Gefinnungen, mit deren Ausbrüchen nicht nur die ganze Schrift 
durchwebt ift, fondern natürlich auch mit dem glänzendfien Epi— 
phonem endigt. Bon der gefhilderten gewaltigen Exasperation 
amd von dem Strome fattifcher Unrichtigkeit, allgemeiner Schief⸗ 
beit und Verdrehung gebt fie, quasi re bene gesta, in einen 
faolbungsvolten Fluß der trefflichflen Lehren und Aufmunterungen 
aus; nur einige Tropfen aus diefem, mehrere Seiten fort ſich 
ergiefenden Endſtrome; S. 230 heift es: „der Beruf unferer 
. 13 * 


196 IV. Keitifen, 


Seit ift, das Verhältnif der fpetulativen Vernunft zur 
reinen Idee in der Logik, Phyſik und Ethik,“ (gleich von 
Anfang tadelt er die Encyklopädie, daf dafelbft ſtatt Ethit 
der dritte Theil die Philofophie des Geiftes ſey), zu Leben, Nas 
tur und Kunft umd zur Religion zu begreifen. — Mödten 
alle diejenigen, die ſich mit träftigem Sinne, treuer (jawohl!) 
Liebe zum Wahren, Guten und Schönen und andädhtiger Ber 
ehrung für das Höchfte und Ewige der Wiſſenſchaft widmen, 
fi) brüderlih die Hand reihen (f. des Verfs. Schrift) 
Belehrung empfangen (dieß hat der Verf. geleiflet), Belehrung 
ertheilen; fanft walte die Eintradt, allein — fie ſey Te 
bendig und kräftig.” — ©. 334: „Die Philoſophie verſöhnt 
nicht Parteien, fie verföhnt nicht den Irrthum umd die Einſei⸗ 
tigkeit, fie verföhnt nicht Irdifches und Himmlifches (— warum 
nit? —), fie bedarf Feiner Verföhnung (?!) Das 
Tiefſte erfaßt fie in feiner Tiefe — fe erfaßt den tiefen Gedan- 
ten, feine unendlihe Offenbarung u. ſ. f.“ ©. 2333: „Der 
Geift der Philofophie ift der Geift des Friedens: — der 
Frieden ift das wahre Leben der Perſönlichkeit. Wo wahre 
Derfönlichkeit ift, da erzeugt fie die Ordnung (f. des Werfs, 
Schrift). Durch Ordnung fhafft fie Einigkeit, und fo ge: 
biert fie die Freiheit. Wahre freiheit ift thätig durch die Liebe, 
die Liebe iſt u. ſ. f“ ©. 2335: „Es wache der prüfende Geifl, 
er ſchaue ernſt in die Tiefen, er blicke forfchend umher u. ff.“ 
„Liebend umfaffe der Menfch die herrlichften Früchte des Le— 
bens, er fürdere die Erkenntnif der Wahrheit auf Erden, mit 
Demuth verehre er andächtig das Heiligfte u. f. f.“ Wen folde 
Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein Menſch zu ſeyn! Aber 
was verdient der, der „in etwa” von foldhen Lehren, die er 
giebt, fo wenig, fo gut als nichts, befolgt hat? — Diefe Schrift 
ift hin und wieder für fehr bedeutend unter der Hand ausgege- 
ben worden; es ift dem Ref. fauer angetommen, zu dokumen⸗ 
tiren, wie fie beſchaffen ift; wenn es erlaubt wäre parva com- 





8, Recenſſon. 2, Ueb. Philofophie überh, u. Hegel’s Encnklopädie insbef. 197 


ponere magnis, fo hätte er fih mit dem Scidfale eines 
großen Königs getröftet, der einen Haufen von Halbbarbaren 
( ſchlimmere als die ganzen) einem Begleiter mit den Worten 
zeigte: „Sicht er, mit ſolchem Gefindel muß ih mic herum— 
fölagen.“ . | 


Das Vorwort der zweiten Schrift ſpricht in den erſten 
"Sägen einen ihrer Hauptgefihtspuntte aus; es beginnt fo: 
„Meber ein philofophifhes Syſtem läßt ſich nicht wohl 
ſprechen, ohne über die Philofophie überhaupt mit zu res 
den;“ dieß if freilich eine Trivialität, die man fonft nicht 
leicht ſich entfahren läßt; nad) dem Verf. jedoch ift es eine Aus- 
nahme, daß beim Befondern auch das Allgemeine zur Mitlei— 
denheit gezogen wird. Das darauf Folgende ift etwas Neuss: 
„Ebenfo wenig,” wird fortgefahren, läßt ſich irgend cin 
einzelnes pbilofophifches Syſtem angreifen oder verwerfen, 
ohne daß man die Philofophie überhaupt angreift oder 
verwirft.“ 

Da dief in Beziehung auf die Philofophie, die in diefer 
Schrift befämpft wird, gefagt ift, fo könnte man etwa meinen, 
diefe Philoſophie fey biemit fo hoch geftellt, daß an ihr Schick— 
fal das Schidfal der Philofophie überhaupt geknüpft 
werde; es heift nicht weniger in dem Vorworte, (die Seitenzahl 
kann nicht angegeben werden, da daffelbe ohne Seitenzahl ift; 
aud) find wie bei einer refpeftsvollen Dedifation die Seiten nur 
halb bedrudt) „ein fehr glückliches“ Cja wohl!) Zufammentref- 
fen habe die beiden Verfaſſer in der hegel’fchen Philofophie das 
Derzeitig intereffantefte Geiftesphänomen erbliden laſſen.“ 

Mean ficht aber bald aus der Schrift felbft, daf beide Ver— 
faffer zufammen es nur zu einer höchft oberflächlichen oder zu 


gar Feiner, Bekanntfhaft mit andern philofophifhen Syſtemen 


gebracht (obgleich felbft Plato und Ariftoteles citirt werden), und 
daß fie ihr philofophifches Studium wohl erſt, aus weldem 


—9— 





198 "m. Keltiken. 


Grunde es ſey, etwa aus dem der Derzeitigkeit, mit dem 
von ihnen befämpften Spftem begonnen haben; ebenfo erhellt, 
daß fie über das Ueberhaupt der Philofophie zu wenig bin 
ausgefommen, ja kaum bei demfelben angefommen find. Es 
wird daher natürlich, daß für fie im diefer einen Philofophie 
alle Philofophie verworfen ift; aber fie thun Unrecht, für An— 
dere, die fonft mit Philofophie Bekanntſchaft haben, dergleichen 
auszuſprechen. — UWebrigens kann wegen jenes „fehr glüclichen* 
Uebereintreffens beider Freunde” die Weitläufigteit, mit zweien 
zu thun zu haben, abbrevirt und — file füglih für Einen ge 
nommen werden. 

Die angeführten Säge bangen fogleih mit der eigenthüm- 
lichen Verſchrobenheit zuſammen, welche in diefer Schrift über 
das Allgemeine herrfhend if. Das Vorwort’ fcheint das 
ganze Raifonnement des Verfaſſers concentrirt darzuftellen; bei 
der Vergleihung mit den Grundvorfiellungen der Schrift fieht 
man aber, daß das Vorwort eine Modifikation enthält; jene 
BVorftellungen müffen dem Verfaſſer einer Verbefferung bedürftig 
gefihienen haben, nachdem die Schrift fertig war. Aber aud) 
jenes Vorwort bedürfte noch) einiger folder Vorworte, um dies 
felben auf das Niveau der gewöhnlichen, in allen Wiſſenſchaf— 
ten geltenden logifchen Beltimmungen über das Allgemeine, den 
Begriff und die Wiſſenſchaftlichkeit überhaupt zu bringen, — - 
Ref. will zuerft von dem Inhalte der Schrift felbft eine Vor— 
ftellung zu geben ſuchen, und nachher aud die Modifikationen 
des Worworts angeben. 

Sie zerfällt in drei Abfchnitte, wovon der erſte „vom 
Standpunkte der gegenwärtigen Kritit, — auch wieder „übers 
haupt” handelt; es wird darin jedoch mehr, — es werden ing 
Grofe gehende allgemeine Anſichten (au) den Namen Appereus 
entlehnt der Werfaffer von Göthe, wie er denn faft jede Seite 
feiner Schrift mit Stellen deffelben verziert) in pretentiöfen Re— 
flerionen gegeben. Die Schrift wird dann als die beurtheilende 


8, Necenfion, 2, Ueb. Philoſophie überh u. Hegel's Encnklopädie insbef. 199 


Anzeige der hegel'ſchen Enchklopädie bezeichnet; es ſcheint, eine 
beabfichtigte Recenfion iſt dem Verfaffer zu einem Buche ange: 
laufen. Warum es nun vor Allem erforderlich ſey, den eigenen 
Standpunkt des Verfaffers gegen jene Enchklopädie anzugeben, 
dafür wird der gute Grund hinzugefügt, weil „die Beſchaf— 
fenheit deffelben auf die der norzunehmenden Beurs 
tbeilung von wefentlihem Einfluß ſeyn muf.” Gewiß! 
Ebenſo methodifch wird die nähere Angabe diefes Standpuntts 
behandelt; — es feyen die drei Fälle möglich, — daß der Ber: 
faffer mit jener Philofophie übereinftiimme, — oder ihr eine ans 
dere entgegen flelle, — oder keins von beiden; dief wird fo aus— 
geführt: „ein Dreifaches, Cheift es,) iſt in Hinficht des Stand⸗ 
puntts nur gedentbar: entweder daß derfelbe als in dem des 
anzuzeigenden Werkes bereits enthalten, mit demfelben zus 
fammenfällt“ Wie nun, oder warum dieß nicht der Fall 
feh, expliciet der Verfaffer (S.4) dahin, daß „folder Stand— 
punkt die unbedingte Zufiimmung in das Syſtem Hegel's 
fihern, und in der Hauptſache nichts als eine Wiederho- 
lung des bereits Gegebenen darbieten würde, feine Erweites 
rung, kein Fortfchritt in der Sache felbft davon zu erwarten 
wäre” Wenn ſolche Motivirung nur ſchleppend oder, je nach— 
dem man es nimmt, poffirlich ausfällt, fo ift der Grund, „war— 
um zweitens der Standpunkt des Verfaffers nicht einer andern 
Geftaltung der Philofophie angehöre und fo ein gegneriſcher 
fehn würde,” noch abfonderliher, „das etwa fo Gewonnene 
dürfte wegen der Gleidartigfeit des Hauptintereffes 
immer noch einen unfideren unentſchiedenen Charakter an 
ſich behalten, und wir nicht recht gewiß werden, ob wir 
nicht in dem Widerſpruche, in der Widerlegung einer Befanz | 
genheit nur eine andere dafür eingetaufcht hätten.“ Das gleich— 
artige Intereffe wäre die Philofophie; daß der Verfaffer nicht 
auf diefem Boden mitreden zu wollen erklärt, iſt wenigftens 
-reblich gegen fih und gegen das Publitum gehandelt, bei der 


— 





- 
r 


200 IV. Kritiken. u 


Ueberzeugung, die er von fi ausfpridt, es auf diefem Boden 
nur zu Unficherem und Unentſchiedenem, nicht zur rechten Ges 
wißheit, ob er nicht von einer bangen Befangenbeit nur im eine 
andere verfiele, bringen zu können. — „Zu einer völligen Uns 

befangenbeit und freiheit der Anficht zu gelangen, feine nun 

nur möglih, wenn man das ganze Gebiet räume, md 

drittens den Standpuntt fo nehme, daß er gänzlich aufer 

halb der Sphäre der Philofopbie fällt“ Der Verfaſſer 
„geſteht gern, daf er am Liebſten eine folde Stellung ein= 

nehmen würde” Was hält num den Verfaffer noch ab, ohne 

Weiteres diefer feiner Lieblingsneigung nachzugehen? Es iſ 

dieß: „es frage fih nämlid nur zuvörderft, fagt er, ob ein 

Stand diefer Art zu faſſen möglich ſey, und fodann, ob, , 
wenn er einzunehmen wäre, er auch binlänglihd würdig fehn 
mödte, um in Mnfehung defien, was er leiftet, die Ber 
gleihung mit demjenigen nicht feheuen zu dürfen, was bie 
Philofophie zw leiften in Anfpruc nimmt“ — Methodifch bes 
trachtet der Verfaſſer zuerſt das Erftere, die Möglichkeit 
folden Standpuntts. Darüber finde nun wohl kein Zweifel 
ftatt, und dich aus dem guten Grunde, — „da derjenige Theil 
der Menfhheit, und wahrlid weder der kleinſte noch der 
fdyledytere, der Feine Gelegenheit gehabt bat, noch bat, fich phir 
lofophifche Kultur anzueiguen, ſich auf denfelben geftellt findet.“ 
„And zwar habe diefer Theil der Menfhheit das Größte in 
Religion, Sitte, Kunft, Wiffenfhaft, Staat geleiftet ohne 
alle Dazwifhentunft der Philofophie, dergeftalt daß 
diefe nicht etwa nur dabei nicht zu Rathe gezogen wurde, ſon— 
dern fehr häufig noch erſt gar fih zu regen anfangen follte, 
wenn von den großen Grundvermögen der Menſchheit, Ge— 
nie, Vernunft und Gewiffen, Alles bereits vollbradıt war,” das 
her „dürfen wir denn nun aud am dem zweiten Punkte, 
nämlich der Würdigkfeit des Geleifteten, ebenfo wenig zwei— 
feln, und zwar um fo weniger als die Philoſophie felbft in 


8, Recenfion, 2, Ueb. Philofophie überh. u, Hegel's Encyklopädie insbeſ. 201 


diefem Gehalte oft (?) ihren einzigen Inhalt findet und ohne 
denfelben fih in großer Berlegenheit um ihr Dafeyn 
befinden würde” — Gewiß! ohne den Gehalt, den Genie, 
Bernunft und Gewiflen hervorbringen! — Warum bat ſich 
aber der Berfaffer nicht an die ungeheure Autorität und an die 
Arbeit diefer „außerphiloſophiſchen Menſchheit“ ange— 
ſchloſſen, um ohne Verunglimpfung der Philoſophie, ja „ganz 
unbekümmert um fie,” in Kunſt, oder Religion, oder Wiſ— 
fenfhaft, oder im Staat etwas, wenn auch nicht das Gröfte, 
doch Etwas hervorzubringen? Die Menfchheit giebt ihm das 
Beifpiel, in einem Standpunkte nur infofern etwas zu leiften, 
als fie fih in demfelben befindet; — der Verfaffer uns 
ternimmt dagegen, über die Philofophie etwas zu leiflen und 
ſich doch aufer ihr zu flellen. Es ift auf diefe Weife eine 
feine Zweideutigteit, wenn gleich auf der erfien und folgenden 
Seite des Vorworts gefagt ift, daß „die Verfaſſer bald gefühlt 
haben, daf fie in ihren Geſichtskreis das Gebiet der gan 
zen Philofophie aufnehmen, ja! denfelben über das Gebiet 
der Philofophie hinaus erweitern müſſen.“ Das ganze Gebiet 
der Philoſophie in ihren Gefichtspuntt aufnehmen, beift nad 
der fo eben angeführten Beftimmung ihrer auferphilofophifchen 
Stellung, gar nichts von der Philofophie in denfelben aufneh— 
men, und ihm über fie hinaus erweitern, heißt ihn nicht einmal 
bis an diefelbe hinan ausdehnen. 

In demfelben Formalismus von methodiſcher fchleppender 
Gründlichteit, der ſich im Bisherigen bemerklich gemacht, gebt 
der Berfafer weiter an die Angabe deffen, was die Menfd- 
heit als eigenthümlich in jener Stellung bezeihne — 
Hier biete fih zunähft die einfahe Wahrnehmung dar — 
welche? daf „die Menfchheit, in mannigfaden Richtungen 
Geift und Vermögen (ein eigenthümlicher Unterfhied) übend 
und bethätigend vorgefunden werde” Das Nähere iſt 
dann,. dab „erfiens diefe Bemühungen nicht ziel= und maaf- 


u 


202 IV. Kritiken. 


loos, daher nicht ohne Gegenfiand ſehen.“ Solche große Ap- 
pergus ergeben fi dem Verfaffer, wenn er die Menſchheit bes 
trachtet. Daf er auch noch daran denkt, für dergleichen Theſen 
einen Beweis zu geben, ift felbft ein Beweis für die Gründ- 
lichkeit feines Verfahrens. Es brauden hierfür, heift es, „mir 
die vier höchſten Gegenftände jener mannigfaltigen Thätigkeit 
genannt zu werden, Religion, Kunft, Staat, Wiffen 
ſchaft.“ Das fünfte früher Genannte, die Sitte, bleibt hier 
ohne weitern Grund und Beweis hinweg. “ 
Das zweite Appereu wird als dasjenige angekündigt, 

„Was am Allgemeinften, rein theoretifcher Art, auf dies 
fem Standpunkte (ders Ganzen, des Volltommenen, des Abges 
fchloffenen u. f. f.) angetroffen werde, infofern es noch befon- 
ders neben allem jenem Wirtfamen und Thätigen ausgefproden 
zu werden verdiene” (Bei wie vielem Anderen, was er fagt, 
hätte dem Verfaſſer noch das Bedenken aufftoßen können, ob es 
auch ausgefprochen zu werden verdiene?) Jenes am allgemeins 
ſten Angetroffene fey darin befaßt: „die Menfhheit ift für 
ihren jedesmaligen Schauplag und gegenwärtige 
Lage mit allem an Wiffenfhhaften und Vermögen Erfors 
derlihen immer zur Genüge verfehen.” Glüdlihe Menſch— 
beit! weifer Autor! der feine Reden fo gut bedingt, daß fie in 
richtige Tautologien auslaufen; — flellen wir uns den abfirat- 
ten Sat des Verfaffers in konkreterer Geftalt vor, fo wird es 
für ſich einleuchtend feyn, daf zu einer jedesinaligen, gegenwär— 
tigen, mittelmäßigen oder weniger als mittelmäßigen Schrift 
alles Erforderliche, Unwiffenheit insbefondere in dem Gegenftande, 
über welchen geſchrieben wird, und überdieß in Wiſſenſchaftlichem 
überhaupt, Kahlpeit und Dürre der Vorfiellung, Steifheit der 
Rede u, ſ. f. und u. f. f. immer zur Genüge vorhanden ift, auch 
noch ein Reichthum Eigendünkels, um „jene Genüge“ felbft als 
Reichthum zu betrachten. Der Verfaſſer mehrt fogleidy die Ge— 
nüge der. Menſchheit; er fährt fort: „fo weit fie es bedarf 


8. Necenfion, 2. Uleb. Dhilofophie überh. u. Hegel's Encyklopädie insbeſ. 203 


und fähig ift (— wieder ein weifes Bedingen), weiß fie fi 
über die höchſten Gegenftände volltommene Redene 
ſchaft zu geben, nicht bloß dieß, fondern fie befigt auch diefe 
Gegenftände, zum Beifpiel, das Göttlide, Natürliche 
(fo reich ift die Menfchheit, daß das Göttliche und Natürliche 
nur beifpielsweife angeführt find) — ganz; (dieß ift viel! 
aber zur vordern Bedingung kommt hinten nod eine binzu,) 
foweit dieſe höchſten Gegenſtände und Weſen irgend nur in 
die der menſchlichen Natur eigenthüͤmliche Begrenztheit 
einzugehen vermögen.” Jene hohe Beglüdung der Menſch— 
beit, das Göttlihe und Natürliche 3. B. ganz zu befigen, 
ift durch die Bedingung, foweit fie foldres Beflges fähig, foweit 
die hohen Gegenftände und Wefenheiten in die Begrenztheit der 
Menſchheit einzugehen vermögen, entſetzlich herabgeftimmt. Aber 
da auf diefe Weife nichts geſagt gewefen wäre, richtet es der 
Berfaffer wieder auf, indem er fortfährt: „Es ift aber die tiefe 
Natur jener Hohen Gegenftände, im jede Art von Begrenzt- 
heit, die als von ihnen felbft erſchaffen ſich darftellt, wie 
zum Beifpiel die Menfhheit — (der Verfaffer ift in feinen 
Beifpielen immer großartig —) nach ihrer Natur ifl, einzus 
geben, ohne doch von der Natur ihrer Wefenheit etwas 
zu verlieren“ SHierüber hätte man neugierig ſeyn können, 
etwas Berfländiges zu vernehmen, wie die hohen Gegenftände 
und Wefen in das Begrenztefte eingehen (— ein beques 
mes Wort) und von ihrer Wefenheit (oder wie der Vers 
faffer nadhdrüdlicher fagt:) von der Natur ihrer Wefenheit 
dabei nichts verlieren. Mas er hinzufest, klärt die Schwies 
rigkeit. nicht auf, — im -Gegentheil! „Der Sinn jener Bes 
. geenztheit foll für den Menſchen nicht ſeyn, ein bloß Hemmen— 
des, Niederzichendes, Laftendes für ihm zu ſeyn, fondern das 
was feiner Eriftenz, die ſchrankenlos genommen, ein 
Gleihgültiges, Unbeſtimmtes wäre, erft Art, Maaf und Ziel 
verleiht, — nad einem auch fonft wohl ſchon bekannten 


, 


204 IV. Keitifen, 


Sage, daß fih in der Befhräntung recht eigentlich erfi 
der Meifter zeige Es ifi ein gar gründlicer Gedanke, daß, 
wenn die Eriftenz des Menfhen fchrantenlos genommen 
werde (— wie kommt der Verf. zu ſolchem Nehmen!), fie ein 
Gleihgültiges und Unbeftimmtes fey; fo aber feyen die Schran- 
ten das, was der Eriftenz Art, Maaf und Ziel ertheile. Nach 
andern Anfichten find es umgekehrt die hohen Gegenftände und 
Weſen, ift es Religion, ferner Staat, Recht, Sittlicteit, Mif- 
ſenſchaft, woher dem Menfchen Art, Maaß und Ziel kommt; 
wäre 8 bereits die Begrenztheit feiner Natur felbft, feine 
Endlichkeit, welche ihm Art, Ziel und Maaf ertheilte, was bes 
durfte es des Eingehens jener hoben Gegenftände und Wefen? 
— Am fhlimmften kommt dabei die angeführte ſchöne Zeile Götheis 
weg, die der Verf. mit gänzlichem Unverftande für feine unverdaus 
ten Gedanken gebraucht, in denen ihm die Begrenzung der Mei- 
fterfhaft, und dann Art, Maaß und Ziel, d. i. die Vernunft, 
das Göttliche der Gefege der Natur und des Geifles zufammen- 
läuft mit den Schranten als dem Endliden, von ihm felbft 
den hohen Gegenftänden und Wefen Entgegengeftellten — dem 
Endlichen, welches das Vergängliche, Eitle, ja das Princip des 
Schlechten und Böfen if. — Solches Beifpiel giebt ein Recht, 
dem Nusfpruch des Meifters den anderen entgegenzuflellen, dag 
in folder Beſchränkung recht der Schüler fid) zeige. 

In dem Angeführten beginnt der Mittelpuntt der Verwor— 
renheit des Verfaſſers ſich aufzuthun; er hebt ſich vollftändig 
heraus, wenn er daran geht, die vier oben genannten Gegen 
flände zu „durchmuſtern“ um zu zeigen, wie es die Menſch— 
heit — die (wie oben angegeben), auf dem Gebiete ihrer nicht 
philofophifchen Bildung in mannigfadhen Richtungen thätig und 
übend angetroffen werde,“ bei Hervorbringung derfelben ges 
halten habe. In diefer „Durchmuſterung“ findet der Verf, das 
- Refultat, daß „die menschliche Vernünftigkeit thätig geweſen 
ſey, es in Allem möglihft zu einem Abſchluſſe, zu einem 





8, Recenſſon. 2. Web. Philofophie uͤherh. u. Hegel's Encyklopädie insbeſ. 205 


Ganzen zw bringen.“ Ehe wir den Sinn, den der Verf. die 
ſem leeren Refultate gegen die Philoſophie giebt, weiter bes 
traten, führen wir ein anderes, obgleich abfiraktes, doch ges 
baltvolleres Reſultat deffelben an, dieß nämlid, daß „in dem 
Entwidelungsgange fid für den Anfangspunkt nur der Begriff 
der Einzelnheit ergebe, die aber in ihrer Ausbildung zu eis 
nem Zielpuntte gelange, der eine Totalität, erfüllter Ans 
fang fey, als eine volle Wirklichkeit das erreicht habe, was 
der Begriff der Einzelmheit nur der Idee, der Möglichkeit, 
der Anlage nad, als vorhanden darbiete.“ Man fleht, der 
Berfaffer geniert fih nicht, hier einen Sat der Enchklopädie, 
die er in jeder Rüdficht verdammt, meift mit deren eignen Worz 
ten nachzureden, und dabei auf folches fein fogenanntes Refuls 
tat ſich viel zu Gute zu thun. 

Des Verfaſſers Durdmufterung der genannten vier Ge 
biete ift auf wenigen Seiten abgethan; fie ift jedoch nicht ober— 
flächlier, als cs für den grofen Say nöthig ift, daß die 
Menfchheit in allem ihrem Thun es immer zu einem Ganzen 
zu bringen thätig gewefen fey. Wir heben nur das aus, was 
der Verfaſſer in den Leiftungen der Menſchheit über die Wiſ— 
fenfhaft findet; es wird aus diefer Anführung auch hervors 
gehen, was der Verf. unter einem Abfchluffe, einem Gan⸗ 
zen meint. 

In der Wiſſenſchaft * die Natur der — aber 
derſelbe ſey im Wiſſen nicht mit der Anlage zum Wiſſen 
gleichzeitig vollfändig gegeben (— ſchon das Wiſſen 
felbft ift mit der Anlage zum Wiſſen nicht gleichzeitig, und ges 
wiß aud nicht vollfiändig gegeben; auch ift ebenfo gewiß im 
MWiffen der Gegenftand, die Natur nicht gleichzeitig vollftändig 
gegeben; was aber die Anlage zum Miffen betrifft, fo pflegt 
man dafür zu halten, daß die Natur nicht nur gleichzeitig mit 
Adam oder mit jedem Kinde, fondern felbft noch vor demfelben 
„vollſtändig gegeben“ fey. — Aber dergleichen Schiefheit und 


206 IV. Kritiken. 


gefchraubte Leerheit üft wohl mit jedem Satze des Verf. gleid- 
zeitig und vollftändig gegeben). — „Da der Gegenfland, die 
Natur fi erſt fpäter und nur nad und nad) enthülle, fo feh 
die Wiffenfchaft daher größtentheils nur noch erft im Wiffen 
begriffen, habe noch nicht die Reife der Totalität” ( — und 
wenn und wo fie nach dem Verfaſſer diefe erlangt hätte, follte 
fie da in etwas Anderem als im Wiffen begriffen fen?) 

„In den eigentlichen Naturwifienfchaften fehle noch der Ab⸗ 
ſchluß; nur in einzelnen kleineren Kreifen habe das 
Wiſſen fon, wenigftens im Umriffe, den Eharaftter ei⸗ 
ner Ganzheit zu gewinnen begonnen, wie 3. B. in der Bor 
tanik dur die Lehre von der Metamorphofe, und in 
der Farbenlehre.“ Ohne zu rügen, daß die legtere ihren 
Gegenftand auf ganz andere Weiſe wiſſenſchaftlich aufgefaft, d 
als die Botanik, die durch die Lehre von der Mietamorphofe 
fhon „den Charakter einer Ganzheit“ gewinnen folite, 
fo müßte der Verf, um feine Verficherung über das Mangels 
bafte der Naturwiſſenſchaften zu begründen, zeigen, daß er weir 
tere Kenntniffe von denfelben befige, als nur dasjenige, was er 
aus Gorthe’s Arbeiten darüber kennt. Wie mag er mit fei- 
nem Abfchluffe, feiner Ganzheit vereinigen, was er wei 
terhin S. 195 aus Goethe triumphirend anführt: „Die Natur 
bat fein Syftem (d. i. nad der Erläuterung des Verfs: fie 
ift kein ordinairer (1) in ſich abf&hliefender Rreis, den 
man im Begriffe fertig vorzuzeigen vermödhte), fie hat, fie 
ift Leben und Folge aus einem unbekannten Centrum zu einer 
nicht erfennbaren Grenze. Naturbetrachtung ift daher end» 
los u. ſ. f.“ — Ferner ift es auch eine Stelle Goethe’s „über 
die Wichtigkeit der Wirkung, welde die Entdedung, daß bie 
Erbe rund ift, und die Lehre des Eopernicus auf die menfde 
lihe Vorftellung hervorgebracht haben,“ die den Verf. bes 
wegt, in den mathematifchen Wiffenfhaften der Geographie 
(unter diefe Wiſſenſchaften rechnet fie der Verf.) und der Aſtro⸗ 


8, Recenfion. 2, Ueb. Philofopbie überh. u. Hegel's Eucnflopädie inebef. 207 


nomie den Abſchluß erreicht zu finden Mean ficht die 
Genügfamkeit der Forderungen in dem, was zur Vollendung 
einer Miffenfchaft gehöre; in den Kenntniffen, die in den Tris 
vialfchulen gelehrt werden, daß die Erde rund ift und daß 
fie ih um die Sonne bewegt, find für ihn „Geographie 
und Aftronomie‘ fertige vollendete Wiſſenſchaften. Es hätte 
+ den Berf. doc) wundern müffen, daß die Geographen und Aftros 
nomen, nachdem ihre Wiffenfchaften in jenen Entdedungen be— 
reits die Reife der Totalität erreicht haben, doch noch immer 
im Wiffen begriffen waren, und nod darin begriffen find. — 
Der fernere Fund einer erbaulichen leeren Parallelefirung diefer 
zwei vollendeten Wiffenfchaften mit religiöfen Lehren giebt dem 
Berf. fo viele Befriedigung, da er fie zum Ueberdruſſe wies 
Indem nun der Berf., (wie, nach feiner Angabe, die ganze 
Menſchheit) feinen Standpunkt außerhalb der Philofophie nimmt, 
glücklicher Weife jedoch nicht die ganze Menfchheit, um über 
die Pbilofophie mitzureden, fih mit dem Erforderlichen zur 
Genüge verfehen glaubt; fo erfpart er uns die Mühe, das zu 
fagen, was er felbft hiermit von feiner Arbeit fagt, daß er, um 
den gewöhnlichen Ausdrud hierfür zu gebrauchen, von der Phi— 
lofophie wie ein Blinder von der Farbe ſpricht; es kann daher 
nur eine Sache äuferlicher Kuriofität fepn, noch weiter zu ſe— 
ben, wie der Verf. fich dabei benimmt. — Die Kaprice, die er 
ſich über die Philoſophie erſchaffen hat, und in der Schrift aus- 
führt, iſt kurz dieſe, „daß die menſchliche Thätigkeit in den 
Sphären der Religion, Kunft, Wiſſenſchaft, Staat, es zu einer 
Totalität bringe, die Philofophie aber fi das All der 
Dinge, die Allheit, auch Alles fagt er, zur Aufgabe mache.“ 
Woher der Verf. dieß hat, giebt er nicht anz er bleibt bei die- 
fer trodenen Berfiherung, und läßt fih nit auf eine Erörte— 
zung des Unterfchiedes von ZTotalität und Allheit, noch übers 
haupt auf die unterfchiedenen Formen der Allgemeinheit 


208 IV. Kritiken. 


ein, welche in dem logiſchen Theile der Enchtlopädie ausein- 
andergefegt find; das übel gebildete Denken des Verfs. greift 
zu der fehlechteften diefer Kategorien, zu der Allheit, und mu— 
thet aus feiner Autorität fle der Philofophie überhaupt und ins: 
befondere auch derjenigen zu, welche fih am ausdrüdlichiten ges 
gen diefe Kategorie erklärt bat, und der fo wenig als andern 
Philofophien, vollends fie zum Prineip zu machen, je eingefal- 
len ift. Die Totalität will der Verf. fih zum Lieblingswort 
vorbehalten. Wie der Eigenfinn der faktifhen Unrichtigkeit, 
dem Allgemeinen, der Idee, dem Begriffe das Al, Alles, die 
Allheit zu fubftitwiren, mit feinem Grund = Appereu zufammen 
hängt, wird ſich nachher ergeben. „Ob mun glei), fährt der 
Berf. fort, die Allheit fi zum. Gegenflande und Aufgabe zu 
machen, der Philofophie eigenthümlich ſey, fo feh doch der Ans 
Klid und der Begriff des Als dem Menſchen, ſelbſt dem 
nicht philofophifchen, Feineswegs gänzlich entzogen.‘ . Je 
doch, S. 49, verfichert er, „der philofophifche Standpunkt gehe 
erweislic von einer Aufgabe aus, welde weit über die Kräfte 
und Angemefjenheit des Menfchen reiche; denn es zeige ſich kein 
von Hauſe aus eriflirendes Organ der Menfhheit für 
die Allheit;“ womit bat denn nun der nichtphilofophifde 
Menſch den ihm keineswegs ganz entzogenen Anblid und fos 
gar den Begriff des Al’s aufaenommen? ©. 11 hieß es be 
reits: „die Forderung eines All's laffe fih ſchon innerhalb der 
menfchlichen Sphäre als unangemeffen und unerfüllbar 
abweifen;“ — man Tann fi daher nur wundern, warum 
nicht auch der Verf. aus der Reflerion feines Standpuntts, den 
er als den auferphilofophifhhen angiebt, da die Menfchheit oh— 
nehin von Haufe aus fein Organ für die Allheit befigt, die— 
ſelbe abgewiefen hat; aus dem philofophifhen, Fünnen wir ihm 


die Nachricht geben, ift diefe Kategorie nicht nur längft abge— 


wiefen, fondern, wie gefagt, niemals darin gewefen. Zu ders 
gleichen Gerede, das er Unterſuchung nennt, unterläßt der Verf. 





— — — 





8. Recenfion, 2. Ueb. Philofophie überh. u. Hegel's Encyklopäbie insbef. 209 


nicht, in der Weife feiner ſchwerfälligen Bevorwortung mit der 
Zufiherung einzuleiten (S. 48), daß er mit der gehörigen 
Gründlihfeit und Tiefe zu Werke gehe. 

Es ift ſchon erwähnt worden, daß der Verf, im Vorwort 
auf fein Hauptappereu von der Philofophie zurüdtommt. Auch 
von diefer Darfiellung und dem daran geknüpften Raifonnement 
muß fo viel als möglich abgefürzte Rechenſchaft gegeben wer— 
den; jedoch ift beim Verf. allee Inhalt mit der bleiernen 
Schwerfälligkeit des Vortrags fo fehr verwebt, daß diefe ſich 
kaum trennen läßt. — Der Verf. ftellt hier feine Verfiherung, 
daß die Philofophie ſich die Allheit zur Aufgabe made, bei 
Seite, und nimmt deren Angabe, das Allgemeine vorzugsweife 
zu behandeln, auf. Diefer Vorzug der Philofophie ift es, 
den er bier behandelt. „Da es nämlid, argumentirt er, 
doch nur diefelbe menfchlihe-Natur fey, die in der Philofophie 
das Allgemeine behandeln folle und die in anderen Beziehungen 
ein Befonderes zu wirken fiheine; da fie ferner, was fie 
Aechtes, Wahres, Gründlides zu Stande bringe, nur aus ihs 
rer gefammten Kraft, deren Gefeg die Totalität fey, bes 
wirkte, fo verfchwinde hieran bereits der Unterfcyied gänzlich. 
Diefelbe menſchliche Natur wirkte überall das Unterſchiedene 
auf diefelbe Weise; das Wahre werde daher in Abſicht auf 
das Kraftmaaf überall von derfelben Totalität menſchlicher 
Natur zu Stande gebracht.“ — Mas für ein Kraftmaaf die 
menſchliche Natur bei ihren Hervorbringungen aufwende, darü— 
ber wird nicht leicht jemand das Intereſſe haben, Betrachtun⸗ 
gen anzuflellen, aus dem einfachen Grunde, weil diefelben über 
die Unbeſtimmtheit des quantitativen Unterfchiedes nicht hinaus- 

' tommen könnten. Aber mehr Genoffen mag der Verf. in dem 
Stehenbleiben bei der Oberflächlichkeit des abftraften Sates fine 
den, daf rben alles Wahre von derfelben Totalität der 
menfchlihen Natur bewirkt werde. Hier geht jedod die Duumpf- 
heit fo weit, auch noch zu fagen, daß alles Unterſchiedene 

Vermiſchte Schriften. * 14 





20 IV. Kritiken. 


auf diefelbe Weife von ihr bewirkt werde. — Infofern num 
aber doch ein befonderer Unterfhied in Anfehung des Inhalts, 
zwifchen Whilofophie, Religion, Kunft, Wilfenfhaft, Staat ans 
zuerfennen ſey, fo gleiche diefer ſich an ſich felbft aus, „denn 
jedes Befondere fey, da ihm urfprünglic im Abſicht auf 
feine Kraftanlage gleicher Werth zufomme, nicht ungleich in 
Rang und Werth, in Beziehung auf anderes Befondere, fon: 
dern in Beziehung auf ſich felbft, in wiefern es das ur 
fprünglide Kraftmaaf in ſich nod nicht erfhöpft hat 
und volltommen darſtellt.“ Sollen nun Religion, Kunfl, 
Wiſſenſchaft, Staat, in Beziehung auf ſich felbfi, an Rang 
und Werth ungleich ſeyn können, d. h. wenn wir den Inhalt 
von den fleifen Ausdrüden, in die er gehüllt ift, entkleiden, — 
kann es ſchlechte Religionen, ſchlechte Kunftwerke und Kunſt⸗ 
epochen, ſchlechte Staaten und Wilfenfchaften geben, — mie 
ſteht es dann damit, daß die Menfchheit zu allen Zeiten mit 
allem Erforderlichen hinlänglich verfehen ift, ihre hohen Gegens 
fände und MWefenheit immer ganz befist, fih im Wiſſen voll 
kommen Rechenſchaft darüber giebt u. f. f. — Ein Unterſchied 
von falfhen, ſchlechten und von wahrhaften Religionen, guten. 
oder ſchlechten Kunftwerten u. f. f. würde auf Vorausfegung von 
Grundfägen, Normen des Schönen, Wahren u. f. f. führen; 
das Allgemeine aber ift es, wogegen der Verf. fih auf alle Weife 
fträubt; fo drüdt er ſich mit den gefchraubten Formeln von Uns 
gleihheit gegen fich felbfl, nicht völliger Erſchöpfung des Krafte 
maafes u. dergl. herum. — Nun folgt das ganz eigenthümliche 
Raifonnement gegen die Vhilofophie, das dem Verf., nachdem 
feine Schrift geendigt war, noch eingefallen if und im Vor— 
worte nadhgebracdht wird. — „Wolle die Whilofophie einen ges 
wiſſen Vorzug behaupten, fo bleibe hierfür nichts übrig, als 
eine gewiffe Gemeinfhaftlidhkeit des Inhalts mit Reli— 
gion, Kunft u. f. f. Hierin wurzele die von ihr ald befonderer 
Vorzug in Anfpruc genommene Aelgemeinheit ihrem eigents 


8, Recenſion. 2. Ueb. Philoſophie überb, u. Hegel's EncnElopädie insbef, 214 


lichſten Sinne nah.” — Hier verfällt alfo der Verf., flatt der 
in der Schrift felbft der Philoſophie zugemutheten Ailpeit, auf 
die gleich ſchlechte Kategorie der Gemeinſchaftlichkeit, und 
verſichert, dieß ſey nicht nur der eigentliche, ſondern der eigent⸗ 
lichſte Sinn der philoſophiſchen Allgemeinheit. — Zuvörderſt ents 
gegnet der Verf. gegen den der Philoſophie fälſchlich aufgebür— 
deten Vorzug der Gemeinſchaftlichkeit des Inhalts mit Religion, 
Kunft u. f. f., daß fi eine ſolche Gemeinſchaftlichkeit 
nicht denken laffe. (Wie dagegen Religion, Kunft, Wiſſenſchaft, 
Staat, bei der einen Totalität det menſchlichen Natur, die As 
les überall fogar auf diefelbe Weife bewirkte, zu einem unters 
fhiedenen Inhalt kommen, — nad) einer Erklärung über 
dergleichen darf man bei dem Verf. nicht nachfragen.) Nun 
höre man die tieffinnige Argumentation, daß eine Gemeinſchaft— 
lichkeit des Inhalts, von Religion, Kunft u. f. f. ſich nicht den» 
ten laſſe. „Haben nämlich Religion, Kunft, Wiffenfhaft, Staat 
ihren Inhalt nicht ganz für fi, fo daß fie ihn nicht für 
fih behalten, fondern an cin Anderes abtreten können oder 
müffen; fo haben fie ihn überhaupt nicht, und es giebt 
dann noch Feine wahre Religion, Kunft, Wiffenfhaft, Staat 
nf. f” — Wo ift je einem Menſchen, außer dem Berf,, in 
den Sinn gekommen, daf die Religion, Kunft u. f. f. ihren In— 
halt an ein Anderes abtreten können oder müffen, um eine 
Gemeinfhaflicteit zu haben? If cs dem Verf. in der 
That Ernft damit, daß z. B. die indifchen,. griechifchen, chriſt⸗ 
lihen Kunftwerke, Poeme, Skulpturwerke, Malereien u. f. f. 
nichts Gemeinfhaftlices haben mit dem Inhalte diefer Relis 
gionen? Der Berf. führt unter feinen Gebieten auch die Wiſ— 
fenfhaft auf; halt er dafür, daß die Miffenfchaften des 
Staats, darunter des Rechts u. f. f. der Religion u. f. f. nichts 
Gemeinfchaftlihes haben mit dem Inhalte des Staats, des 
Rechts, der Religion u. f. fe? — Dffenbar hat der Verf, bei 
den leeren Abſtraktionen, in denen er fo breit iſt, ſich nichts ge— 
14* 


212 IV. Kritiken. 


dacht, nicht den konkreten Sinn derſelben vor ſeiner Vorſtellung 
gehabt. Aber das andere Horn des Dilemma iſt noch beſſer, 
als die Umgereimtheit des erften: „Haben Religion u. f. f. aber 
ihren Inhalt ganz für fih, fo Fann er an ein Anderes au— 
fer ihnen nur zerffüdelt, d. h. in feiner Unwahrheit 
übergeben“ Das Refultat diefes fupenden Scharffinns ift 
dann, daß „die Philofophie in ihrer Allgemeinheit, als chen 
durch die Gemeinfchaftlichkeit des Inhaltes aller andern Geiſtes— 
gebiete erwirkt, überhaupt nur ein Falſches habe, und ihr be— 
fonderer Unterſchied als radifaler Vorzug cben nur die 
Falſchheit gegen alles andere menſchliche Treiben 
und Beginnen“ ſehy. 

Dean ficht wohl, daß der Verf., der ein Buch von zwei 
Bänden über Goethe gefährieben, das, was diefer geiftreich 
behauptet, daß ein Kunſtwerk, Naturproduft und Charakter u. 
f. f. in feiner konkreten Individualität für fih aufjufaffen und 
der Genuß und Begriff defielben nicht durch Vergleichung, durch 
Theorien und viele andere Einfeitigkeiten einer abftraften Re— 
flerion, die eine frühe und lange Plage für ihn geworden was 
ren, zu verfümmern und zu zertrümmern fey, — das was bei 
Goethe von der Einheit des Inhalts und der Form, die bei 
einem wahrhaften Kunftwert Statt hat, vortommt, — daf der 
Berf. diefe Beftimmungen ſich fo cingeprägt, und fie zum Eck— 
fein feiner Weisheit auf eine fo fhülerhafte Weiſe gemacht hat, 
daß er auch da, wo es fi um ganz andere Ganze, als ein 
Kunſtwerk ift, handelt, um Grundfäte, Gefege, Gedanken, übers 
haupt um einen Inhalt, der feiner Natur nad) allgemein, nicht 
finnlidy konkret ift, dabei fichen bleibt, und ungefchidter Weife 
hier ohne alles Bewußtſeyn über die Berfchiedenheit der Form 
diefer Gegenftände eine Anwendung von jenen finnvollen Forde— 
rungen macht. Indem er diefe Vorſtellungen in einer Allge— 
meinheit nimmt, die er für fich verdammt, geräth er in die 
volfländigfte Verwirrung und in die flachen Abftraftionen von 


8. Hecenfion. 2. eb. Philofophieüberh. u. Hegel's Encnklopädie insbef. 213 


Menſchheit, Ganzes, Totalität, das urfprünglice Kraftmaaf, 
Das, um das Wahre, Aecchte u. f. f., hervorzubringen, in feiner 
Zotalität wirkſam ſeyn müfe u. f.f.— Es iſt die Form 
der Allgemeinheit felbft, welche es dem Verf. möglich macht, von 
feinen Gebieten und hohen Gegenfländen und Mefenheiten zu 
reden, welche aber auch zugleich den Bortheil oder vielmehr Nach— 
theil bringt, ihm die Inkohärenz feiner Gedanken zu. verfieden. 
Sind denn Religion, Kunft, Wiflenfhaft, Staat, die hohen Ge— 
genflände und Wefenheiten, nicht Allgemeine, Gattungen, Ideen, 
— die Gegenftände in Form der Allgemeinheit? fo feine Kate- 
gerien von Form und Inhalt? u. ſ. f. Das Schlagwort, die 
Totalität, zu der fid die Einzelnheit erweitern fol, was ift 
fie ohne Allgemeinheit? Daß aber die Allgemeinheit wefentlich 
im ſich konkret ſey, — und diefe konkrete Allgemeinheit iſt die 
Zotalität, — und nur fo Wahrheit habe, ift einer der Haupts 
fäse der Philofophie, die der Verf. beftreitet und deren Haupt- . 
füge er nit kennt. — Das Einzelne, fordert der Verf., foll 
für ſich zur Totalität erweitert, felbfiitändig ſeyn, und fo felbftz 
Händig genommen werden; das Befondere, als ein in fi Gans 
zes, Abgefchloffenes, Fertiges, nicht auf Anderes bezogen, nicht 
unter Allgemeines fubfummirt werden; daher ift ihm die Phi— 
lofophie um ihrer Allgemeinheiten, d. i. um feiner, — allerdings 
bei ihm flach genug bleibenden — MWefenheiten und hohen Ge— 
genflände willen, durch und duch ein Falſches. Weil der Verf, 
die Natur des Allgemeinen felbft nicht betrachtet und ergründet, 
treibt er ſich in gleich verworrenen als oberflächlichen Allgemeins 
beiten herum. Das Verhältniß des Allgemeinen zum Befondern 
in feiner Bielgeftaltung zu erkennen, ift die Aufgabe der logi— 
ſchen Philoſophie; dem Verf. aber fehlt es an der Kenntnif und 
dem Bewußtſeyn über die trivialften Formen jenes Verhältniffes. 

Den fublimftien Schwung feiner Verworrenheit darüber giebt 
ſich der Verf. bei Gelegenheit feiner Zirade über den Glauben 
an die Unfterblichkeit der Seele, S. 146. Die hölzerne Dekla— 


214 IV. Kritiken. 


mation, in der er aufzählt, was diefer Glaube alles dem Men— 
ſchen aewähre, fhlieft er damit: „Die Natur und ihre Wiſſen⸗ 
ſchaft hat den Werth einer Wahrheit an fih, aufer und nes 
ben der Wahrheit des Geiſtes“ (— dief ift eine neue 
Natur, die ohne Beziehung auf den Geift Wahrheit hat — eine 
neue Wiffenfchaft, ohne die Beziehung auf die Wahrheit des 
Geiftes —), „kurz, C!) das ganze Univerfum erfcheint vor 
ihm“ (dem Menſchen mit jenem Glauben) „als ein in allen 
feinen Theilen ſelbſtſtändig organifirtes Ganzes“ (— ein 
für ſich verworrener und zweideutiger Ausdrud, — wenigftens 
faffen wir daraus, daf es cin Ganzes if, von dem die Rede 
ſey —), „wovon jeder Theil in feiner höchſten Wahrheit nur 
als ein Ganzes, das nicht aufzulöfen ift, nicht aber bezies 
hbungsweife nur, Wahrheit hat“ Für den Verf, ift es kein 
Galimathias, daß das Univerfum Ein Ganzes, das nur 
Theile bat, genannt wird, und daß dennoch jeder Theil des— 
felben felbft ein Ganzes feyn foll, deffen höchſte Wahrheit fey, 
ohne Beziehung auf andere Theile und damit (da das Ganze 
die Beziehung der Theile auf einander ift), ohne Beziehung auf das 
Ganze zu feyn, deffen Theil er if. — Solche Logik foll der 
Glaube an die Unfierblichkeit der Seele lehren; den Verf. hat 
derfelbe nur in den volltommenen Widerfpruc geführt, nicht 
zur Ahnung, in welchem Widerfprud er befangen ift, und um 
diefer Umviffenheit willen nodp weniger zum Bedürfnif und zur 
Schnfucht, den Widerfprud aufzulöfen. 

Ref. unterläßt es, von dem ungereimten Apperçu des Verf. 
über die gefammte Gefhichte der Philoſophie, auferhalb 
deren er ſich zu befinden angiebt, mehr als das Nefultat anzus 
führen. Der Verf. madt (S. 40) folgende Eintheilung diefer 
Gefhichte: „Zuerſt ſey das All vor der Welt, vor allem 
gegenwärtigen Dafeyn und Seyn aufgefucht worden; — biefe 
BVerrüdtheit, das All aufzufuchen, und es vor der Welt aufs ' 
zufuchen, muthet er den griechifchen Philofophen zu: Wenn er 





8. Meceufian, 2.Uch. Philoſophie überh. u. Hegels Encpflopäbieinsbef. 215 


etwa von din Pythagorãern oder Eleaten gehört hat, daß jene 
fagten: „das All und Alles iſt die Zahl; dieſe: das AU und 
Alles IR Das Eine, ifi das Seyn;“ fo hätte er darin fehen 
möäffen, daß diefe, wie die andern Philoſophen, das AU und Als 
les nicht erſt gefucht, fondern, wie andere Menſchen, das vor 
ſich gehabt Haben, was man das AU oder das Alles fo In’s 
Blaue hin zu heißen pflegt; daß fie eben fo wenig das Yu oder 
Alles zu ihrem Gegenflande gemacht, fondern vielmehr ſich da= 


von nbgewendet, dag ihre Denten einen andern Gegenfland ges 


ſucht und ihn in der Zahl, im Einen, im Seyn gefunden habe. 
ber die Zumuthung geht über Alles, dag wir glauben follen, 
daß jene Philoſophen das AU und das Alles vor der Welt aufges 
fucht haben — dann fey das Al in der Zufammenfaflung des 


Birklichen (— bier ift das Allgemeine als Zufammenfafe _ 


fung genommen —) alfo innerhalb des Wirklichen geſucht wor⸗ 
‚ dan; der dritte philofophifche Standpunkt endlich ſey, als Kriticismus 
namlich, der, wo das All nach der Welt gejegt werde; diefer 
fey. aber zulegt dahin gelangt, das All aufgeben zu müf« 
fen, und „auf das abfolute Gegentheil, auf ein Nichts zu- 
rũckgekehrt, und läugne nun jeder menfhlihen Erkennt⸗ 
niß ihre objektive Wahrheit und Wirklichkeit ab, 
als ob (!) zwifhen ALL und Nichts kein Drittes in der Mitte 
liege?” — Daß nun aber zwifchen folden Phantasmen von ; 
AU und Nichts ein Drittes liege, und was diefes Dritte fey, 
döcirt der Verf. fo: „Daſſelbe fey weit entfernt, AU zu feyn, 
doch ebenfo wenig Nichts; nämlid, es fey — Etwas.” Das 
iſt doch eine große Entdedung! — und noch mehr: „das Et⸗ 
was. ſey nicht ein todtes, leeres, fondern geglicdertes Etwas 
nf. f.” — Es kann nur die äußerſte Dürftigkeit des Geiſtes 
ſeyn, die mit folhem Etwas und mit den Worten von todtem, 
keerem, gegliedertem Etwas u. f. f. etwas gefagt zu haben meint. — 
Wir übergehen gleichfalls, was der Verf., von außerhalb der 
Philoſophie, diefer Wiſſenſchaft weiter Uebles nachzufagen ſich 


216 IV. Kritiken, 


anftrengt; die Unwiſſenheit, zu der er fich über diefelbe bekennt, 
ſchließt es von ſelbſt aus, daß er etwas Treffendes vorzubringen 
fähig ſey. Er behilft ſich damit, einen Gedanken, der über den 
geſchichtlichen Moment der Erſcheinung des Philoſophirens von 
Seiten der durch ihn beſtrittenen Philoſophie geäußert worden 
iſt, aufzunehmen, — aber freilich ohne von der Hauptſache etwas 
zu wiffen, — den Gedanken nämlich, daß der Geift aus dem uns 
glüdlien, entzweiten Zuſtand einer eriftirenden Melt in ſich 
zurüdgedrängt, ſich in. einer ideellen, wahrhaftern Welt eine Zus 
flucht, ein Heilmittel, und den höhern Frieden, der ihm im Das 
feyn nicht mehr werden kann, gewinnt, Er verfichert dagegen, 
©. 48: „daß von der Erftrebung eines objektiven wahren 
Inhalts durd die Philofophie durdaus nie und nirgends 
Etwas ſich zeigte” Schwerlich ift je der fanatifchfte Zelot ges 
gen die Philofophie in der Blindheit feines Verunglimpfens fo 
weit gegangen. Bei andern Zeloten findet fich oft eine Wärme, 
Lebhaftigkeit, Energie, Kühnheit; hier aber geht Alles in derfel- 
ben Kälte, Steifheit, geſchtaubten Demüthigkeit und Schwer- 
fälligkeit vor fih. 

Bon folder Erkenntniffähigkeit und Geiftesdispofition iſt nichts 
weiter als gemeine, invididfe Worftellungen zu erwarten. So 
findet fi) S. 72 die Konfequenz: „Der: Staatsmann, der Res 
ligiöfe, der Künftler, das entdedende Genie denken alfo nidt;“ 
folde Konfequenz erlaubt fih der Verf. gegen eine Philofophie 
zu maden, welde von aller menſchlichen Thätigkeit behauptet, 
daß Denken darin ſey. Gleich darauf fest der Verf. ſolche 
Unbeftimmtheiten, wie „höheres, angemeffenes Denken,“ 
das den andern Gebieten abgefproden werden folle, an die 
Stelle der beftimmten Unterſchiede, welde die Philofophie macht, 
und führt das Untergefhobene als hiftorifche Angabe von der— 
felben auf, wie er kurz vorher die Konfequenz machte, daß auf 
andern Gebieten, außer der Philofophie, gar nicht gadacht 


8 Mecenſen. 2. Ueb. Philoſophie überh. u. Hegels Encpflopädie insbef. 217 


werde· Damit "bringt er ferner eine ähnliche, fharffinnige 
rgumentation in Verbindung, wie die oben erwähnte. | 
Die Philoſophie nehme den Inhalt der andern Gebiete in 
Anſpruch und behaupte, ihm die gedantenmäßige Form verleihen 
ya wollen; nun fragt der Berf.: „wie Tann ein vernünftiger 
Anhalt ohne feine verhältnigmäfige Gedantenform beftes 
ben?” — was niemand in Abrede flellen wird, — und inacht jetzt 
das teefflihe Dilemma: „haben jene Gebiete nicht vor Dazwi- 
ſchenkunft der Philoſophie die ſchlechthingem äße, vernünfe 
tige Gedankenform, wo iſt ihr Inhalt überhaupt vernünftig? 
Will die Philoſophie aber zu einem nicht vernünftigen 
Suhalt die vernünftige Form Hinzufügen, ſieht fie denn 
wicht,” fragt er, „daß dieß entweder ſchlechthin nichtig oder je= 
.denfalls ein fehr vergebliches Bemühen iR?“ Der Tieffinn des 
zweiten Horns diefes Dilemma geftattet, daffelbe mit Stillſchwei⸗ 
gen zu übergehen; in Anfehung des erften wäre es überflüfflg, 
3 B. zu bemerken, daß Gott die Welt vernünftig erfchaffen hat, 
dag aber diefer vernünftige Inhalt in der finnlichen Anſchauung 
noch nicht die vernünftige Gedantenform hat, fondern erft durch 
das Nachdenken der Menſchen diefe Form erhält; daß die Wif- 
fenfhaften, welche mit den einzelnen Naturgeftaltungen und Ers 
ſcheinungen zu thun haben, nur darum Wiffenfchaften find, weil 
fie diefe in den finnlihen Schein vernunftlofer Aeußerlichkeit 
gehüllten Einzelnheiten durch einen allgemeinen Charakter bes 
flimmen, fie auf Gattungen, Arten, auf Gefege reduriren, und 
daß Gattungen, Arten, Gefege, allgemeine Charaktere u.f.f. Ge⸗ 
dankenformen find. Wer einer Seits ein philofophifches Syſtem 
-fludirt zu haben und beurtheilen zu wollen angiebt und anderer 
Seits fih fo ſehr auf den unphilofophifhen Standpunkt ſtellt, 
daß er dergleichen Kenntniffe nicht hat, gegen’ den wäre es, wie 
gefagt, überflüffig, das Angeführte auseinander zu fegen und Die 
"fernere Anwendung davon auch auf die Geftaltungen der geiſti⸗ 
gen Welt zu zeigen. Der Verf. greift, wie oben zu einem Verfe, 


Pe IV. Krriuten. 


bier (S. 120) aud) einmal in Anfehnng der Allgemeinheit zu einem 
andern Ausſpruche: „wer in Einem Falle die Taufende mitzuſehen 
nicht vermöge, ſey Bein wiffenfchaftliher Kopf.“ Der Verf. hätte 
auch wiffen müffen, daß ein folder umgekehrt in taufend Fällen, 
Pflanzen, Thieren, Begebenheiten u. f. f. nur Einen Fall, nur 
Eine Pflanze u. f. f. fehen, d. i. daf er denken kann, und 
daß das Denken jenen individuellen Einzelnheiten, in den Klafs 
fen, Gattungen, Gefegen u. f. f. eine andere Form 'giebt, als 
fie in ihrer empirifhen Eriftenz, haben und doch ihren Inhalt fo 
wenig verändert, daf es fie damit vielmehr auf ihren wahrhaften 
Inhalt zurüd bringt. Diefe Begriffe find fo elementarifch, daß es 
den außerppilofi ophifchen Standpunkt des Verfs. keineswegs kompro— 
mittiren würde, einige Kenntniffe davon zu haben, wie cr an 
dem Beifpiel der fonft gebildeten auferphilofophifchen Menſchheit 
fehen kann, als welcher jene Beftimmungen ganz geläufig find. 
Aber die Gedantenwelt und das Vernünftige liegt nicht fo auf 
ber finnlidyen Oberfläche, daß es nur fo „in die Hand“ gegeben, 
noch mit einigen aufgerafften Sprüden und dem Dünkel einer 
rohen dürftigen Reflerion erfaßt werden könnte, 

Der zweite Theil der Schrift (von &.79— 118) „ein 
Abriß des Syſtems des Herrn Hegel nad) deffen Enchklopädie 
der philoſophiſchen Wiſſenſchaften,“ — ift Theils ein trodnes 
Anhaltsregifter, von dem man nicht ficht, wen es dienen foll, 
Theils ein weitläufigerer, in den Vortrag der Sache eingehender 
Yuszug der Einleitung; es wird dadurch etwas glaubhaft, daf 
ein anderer der beiden fonft fo „fehr glüdlich übereintreffen- 
den” Verfaſſer denfelben angefertigt habe; in der übrigen Bro— 
ſchüre giebt ſich nichts zu erkennen, das ein Eindringen in die 
Sache und ein Faffen und Erkenntniß des Inhalts zeigte. Die 
eignen Reflexionen des Verf. find ohne die geringfte Kritit der 
von ihm gebrauchten Kategorien herausgequält; zu einigem Bez 
wußtſeyn über feine Gedantenformen fo wie zu einiger Rückſicht 
‚auf den Sinn deffen, was er beftreitet, hätte er fih, wenn er 


9. Mecenfion.2. Ueb. Philofophieüberh.u. Hegels Eneyflopäbieinsdef. 219 


das befämpfte Werk felbft fludirt hätte, dod wohl verleiten 
Der dritte Abſchnitt, von S. 119— Ende, ift: „Kritik 
des hegePichen Syſtems.“ Zu derfelben findet der Verf. für feinen 
außerphilofophifchen Standpunkt einen bequemen, bereits fertigen 
Anknüpfungspuntt durin, daß er in diefem Syſteme die Vers 
nunft für etwas Wirkliches erklärt findet, „‚worüber es 
ihm nicht entfernteft einfallen könne, Hegel etwa deswegen bes 
ſchelten zu wollen“ S.121: „Eine Kritik ſey hiermit eben aud) 
angewiejen, dieß Verhältniß der Wirklichkeit aufzufaffen und prak⸗ 
tiſch (! > wie theoretifch die Gleichung feiner (?) mit dem fpes 
kulativen Refultate vorzunehmen; — die Gefhraubtheit der Re— 
flerionsweife macht den Verf. aud ein fo ungeſchicktes Deutſch 
ſchreiben. — Bei der Vollzichung diefer Gleihung, wie er ſich 
ausdrückt, hat der Verf. kein Bedenken über die eine Seite, 
nämlich ob er faktifh, ohne Philofophie, Philofophifches aufzus 
faffen befähigt fey; er fcheint diefe Fähigkeit für fi vorauszufes 
gen, ohne ſich daran zu erinnern, daß er der Mienfchheit von 
Haus aus das Organ für das, was er als den Gegenftand der 
Dbilofophie anficht, abfpriht; es ift daher aud nicht thunlich, 
Die Bildung und Uebung eines mangelnden Organs, eine Ges 
mohnheit im Denken und im Auffaffen von Gedanken bei ihm Zu 
verlangen. Was dagegen die andere Seite betrifft, fo meint er 
(5. 121), „daf wir uns über dasjenige, was aud wir für- 
"wirklich halten, leicht vereinbaren dürften, aber damit möchte 
die Uebereinftimmung in dem, wie wir es uns als wirklich 
denken, und denken müffen, mit Hrn. Hegel noch nicht gegeben 
fen” Wie kommt der Verf. hier auf einmal zu einem Den» 
fen und Denken müſſen? und vollends darauf, von einem 
Denken des Wirklichen zu ſprechen? Beſäße er fonft mehr von 
dem Organ der Philofophie, fo wäre ihm ferner befannt, daf 
das Wie des Denkens, das ihm Bedenken macht, fi zum 
Was zu fchlagen pflegt, und diefe Unterſcheidung fehr nichts— 


220 IV. Kritiken, 


fagend if. Ein genügendes Beifpiel, wie das Wie des Mei— 
nens zu einem biftoriihen Was wird, bietet der Verf. felbft 
dar, der im einer frühern Schrift, fo viel Ref. ſich noch erinnert, von 
Homer die geſchichtliche Darſtellung macht, derſelbe ſey ein 
Trojaner, Zeitgenoſſe und Vetter des Aeneas geweſen, habe an dem 
Hofe eines nad Ilium's Fall weit dahinten in Aſien ſich fort— 
erhaltenden trojanifhen Reiches gelebt, wie denn die Dichter an 
den Höfen leben müffen, was Göthe's Beifpiel beweife; als Tro⸗ 
janer habe Homer die Grieben als die unſittlichſten Menſchen 
gefchildert, indem er fie am Tage der Zerflörung Troja's ſich 
babe betrinten und gegen die Sittlichkeit Abends eine Volks— 
verfammlung halten laffen, welche dann auch unordentlich genug 
ausgefallen fey, u. f. f. — Dan ficht, daß, wenn fo der Berf. 
fein Wie, die fuperiören Appergus, die ihm aus feinem Den- 
ten müffen der Wirklichkeit hervorgehen, zu dem biftorifchen 
Mas zu ſchlagen gewohnt ift, allerdings die zweite Seite der 
Wirklichkeit unüberwindlihe Schwierigkeiten mit ſich führt, ſich 
mit ihm darüber zu vereinbaren. — Ein drittes Ingredienz 
dabei ift das Raifonnement, da die Bergleichung zwifchen den 
Thatſachen und den Begriffen doch nicht ganz nadt vorgenom- 
men werden kann. Bon dem außerphilofophifchen Raifonnement 
des Verf. über philoſophiſche Gegenftände find Proben genug 
gegeben; aber in diefer kritiſchen Partie wird daffelbe noch tran- 
feendenter. Es foll nur Weniges davon ausgehoben werden; 
zunächft fein hier breiter ausgeführtes Naifonnement gegen bie 
Form des fpetulativen Denkens. Er ftellt die Frage: ob diefe 
Form die allgemeine Form des Wahren fey, in welder ſich 
die Wirklichkeit darbiett? Es wäre mit ja! auf diefe Frage 
zu antworten, daß fi) die Wirklichkeit dem Denten in diefer 
allgemeinen form, weide die Form des Denkens ift, dar— 
biete; diefe Antwort feßte einen platten Sinn der frage voraus, 
aber er zeigt fih im Verfolg als nod) platter; nämlich, ob ſich 
die Wirklichteit jedem Verhalten zu ihr überhaupt, es fey ein 


8. Recenfion. 2. Uch. Ppilofophieüberh.n. Degers Encpflopädieinsbel. 224 


Hinfehen,: Binhöeen .. ſ. f., was es fonft ſeyn mag, in fpehulatle 
wer: form darbiete? , Er raifonnirt gegen diefen feinen Einfall, 
— wus freilich ein Leichtes if, — indem er fagt, „daß die Speku⸗ 
lation die Form der. Allgemeinheit vielmehr der Wirkliche 
lichkeit‘ abſpreche und ſich vindicire;“ er docirt das Meberflüffigfie, 
„daß Kunſt, Wiſſenſchaft, Staat, Religion, als Wirklichkeit 
gefaßt, ſich in der That in einer von der Form der Spekula« 
tion ‚ganz verfhiedenen Form darſtellen.“ Er führt dieß in 
ewem. weiteren Raifonnement aus, „wenn das Wefen der ge⸗ 
nannten Gegenflände durch die eigenthümliche Form in der 
Wirklichteit nicht ausgedrückt würde, ſondern dieß erſt durch 
. Vie: Spekulation. geſchehen müßte, fo müßte bis dahin, auf 
ein Nichtwiſſen, Nichtkunſt, Nichtreligion, Nichtflaat zu er⸗ 
kennen ſeyn.“ Der Verf. würde, wie oben bemerkt, von 
Aufang an konſequenter geweſen ſeyn, wenn er ſich ſonſt und 
auch bier enthalten hätte, vom Weſen zu ſprechen, da er - 
das ‚Allgemeine überhaupt perhortefeit; eben fo wenig, als 
mit folder leeren Abſtraktion, if dann mit der eigenthüms 
‚ Ligen Form gefagt; dieß ift ein gleich unbeflimmter Ausdrud, 
Dächte er fih bei Wefen und bei Eigenthümlichkeit in 
der That etwas Beftimmtes, fo hätte ihm einfallen müflen, daß 
es Religionen, Künfte u. f. f. gegeben hat, welde das Wefen 
ihrer Segenflände im Apis, oder Affen u. f. f. in frazzenhaften 
oder fhonen Stein= und Farbenbildern, wohl auf eine eigen⸗ 
thũmliche, aber nicht dem Wefen eigenthümliche, Weife gewußt 
und ausgedrüdt haben, fo, da die Philofophie allerdings auf 
fhledhte, oder, wenn der Verf. lieber will, auf Nicht-Religionen,; . 
Richt» Künfte u. f. f. erfannt hat. — „Damit aber,” fo wird, 
weiter argumentirt, „verfällt die Spekulation in einen neuen 


Widerſpruch, da ja jene Grgenflände dod in der-That Wirte — 


lichkeiten ſind; und auf der andern Seite, wenn es nur Nicht⸗ 
virklichkeiten find, fo hat fie keine Objekte, da fie es doch mit, 
Wirklichem zu thun. hat.” — Der Verf. hat feine Einfälle in: . 


29% IV. Kritiken. 

eine in der That bündig erwiefene Verlegenheit verfegt: die 
Wirklichkeiten find nicht in der Form der Spekulation, alfo find 
fie ihr Nichtwirklichfeiten; nun aber find fie Theils doch, Theils 
bat die Spekulation felbft es mit Wirklidjkeiten zu thun, wie 
kann fie erifliren, wenn fie nur Nichtwirklichkeiten vor ſich hat? 
„Wollen diefe,“ fährt der Verf. fort, „aber dody eine Wirklich» 
keit behaupten, fo würde Wirklichkeit gegen Wirklichkeit auftre- 
ten, (diefe zweite Wirklichkeit find die fpefulativen Einfälle des 
Werfs.) und eine davon müßte eine nur gemachte, falfche, einges 
fchwärzte ſeyn.“ Was in foldem Drange die Spekulation für 
einen Ausweg fuche, giebt der Verf. auf feine Weife an; ihm 
felbft aber muß es überlaffen bleiben, die von ihm erſchaffene 
Berlegenhrit zu heben. — Andere Kruditäten feines Scharffinns, 
82. ©. 181, daf er uns belehrt, daß die Dinge keineswegs 
verfhmwinden, wenn wir auch unfer Bewußtſeyn über dies 
felben verfhwinden maden, oder S. 204, daß er gegen die 
in der Enchklopädie betradytete Unmittelbarkeit, belichig ans 
giebt, was er mit dem Namen unmittelbare Hervorbringungen 
belegt wiffen will; und daß er noch willfürlicher die Vermittlung, 
die in allen von ihm angeführten Beifpielen, am allernädhften 
in der Kategorie des Hervorbringens felbft, liegt, außer Acht läßt; 
— den langen Zug von Trivialitäten durdmuftern, ſie zerglies 
dern, widerlegen zu wollen, infofern fie Cinwürfe, Belchrungen 
oder Vernichtungen feyn follen, ift für fi unflatthaft. Aber 
vollends unthunlic wird es durch ein weiteres Ingredienz in 
diefem Gebräue, das wo möglich noch abftogender ift. Das Vers 
fahren, bei der Kritik einer Philofophie von der Philofophie zu 
abftrahiren, und zwifchen dem, was der Verf. Wirklichkeit in 
Religion, Staat u. f. f. nennt, und dem, was er für faktifche 
Refultate der kritiſirten Philofophie, ebenfo ohne Grund, wie 
den Homer für einen Trojaner, Better des Aeneas u. f. f., aus 
giebt, eine äußerlide Vergleichung anzuftellen, giebt das 
wohlbewußte Mittel an die Hand, eine Philofophie durch alle 


8. Roceufon. 2. ch; Phdofeyhic äberh. u Gegel’s Encpfiopädieinätef. 223 
belichige Schäffigkeiten hindarch zu führen Dieſes, felbh 
in den Sünden von düriligen und ſchwachen Köpfen fonfl 
mädtige, Mittel if icdoch längfi fumpfer geworden, ſey es durch 
Gleichgũltigkeit gegen Die Philoſophie der gegen die Religion, 
oder ſey es aus einem tiefern und würdigern Gefühle beider. 
Es ift das Verfahren, Religion überhaupt, Chrifienthum insbes 
fondere und defien nähere Lehren, die Dreieinigkeit, Chriſti Er⸗ 
feinen, die Unflerblichteit, und überdich den Staat, wie diefe 
Beflimmungen geiſtlos in den mächften beflen pofitivea Ausdrũ⸗ 
den aufgenommen werden, zufammenzuficlien mit dem, was 
Theils faktiſch falſch, Theils fo für die Nefultate einer Philos 
fopbie ausgegeben wird, daß es zu begriffloien Worten vereins 
zeit worden if. Der Verf. ſteigert dieß Berfahren vollends zu 
einer transfcendenten Birtuofität, indem er wifientlih die Form 
der Wiſſenſchaftlichkeit verkennt; derfelbe Inhalt, infofern er 
gedadt if, ift für ihm dieſer Inhalt nicht mehr. Er iſt fo 
dürftig, immer diefelbe Polemit gegen die Form des fpekulatis 
von Begriffes zn wiederholen, nur in immer größerer Verwor⸗ 
renpeit. ©. 131 weiß er von einem Anfinnen „der Spekula⸗ 
tion, nad welchem“ die Wirklichkeit, „Wahrheit als abfolut 
wahr nur infofern entwideln folle, dag fie niht au im 
fi ſelbſt Wahrheit ſey,“ (— man verfudhe, hiebei ſich 
etwas zu denten! —) „fondern ihre höchſte Sanktion erſt aus 
einem Andern, wie 3 3. dem fpekulativen Begriffe, ent⸗ 
wideln mũſſe,“ — wo hat der Berf. gefunden, aufer in feiner 
eigenen Verkehrung, daß der wieder beifpielsweife angeführte 
fpetulative Begriff etwas Anderes ſeyn folle, als die innere 
Wahrheit der Wirklichkeit ſelbſt? Cr fährt fort: „die Wahrs 
heit der Wirklichkeit in fpetulativer Form fey diefer fremd“ 
— dieß Hauptargument des Verfs. kann ihm, bei der Unbe⸗ 
Rimmtheit der vorausgefegten Wirklichkeit, beliebig zugegeben 
werden, und chen fo ſehr auch nicht; — die Wahrheit in Form 
der Religion ift eben fo fehr der Sonne, den Geflirnen u. f. f., 


224 . IV. Reitifen. 


den Pflanzen und den Thieren, aud) dem Bedürfnig — Gefhäftss 
leben der Menfchen fremd; die Sonne, die Geftime u. f. f., 
die Pflanzen, Thiere, Menfchen, find eben fo wenig Kunſtwerke. 
Daß der Verf. die MWiffenfchaften, freilih bei eingefchräntten 
Kenntniffen von denfelben, nicht aber den, fh und die Wirklich— 
keit im. reinen Denken wiffenden Geift, als eine Wirklichkeit 
gelten läßt, ift ein Belichen feiner Idioſynkraſie, weldes, weil 
der Wirklichkeit die Wahrheit in fpefulativer Form fremd fch, 
diefe für „eine Fiktion,“ für ein Machwerk des fpekulativen 
Begriffs erklärt, womit er ſich felbft und Andere täuſche. — 
Die Kategorien: Fiktion, Täufhung, welche die dünkelvolle Un— 
wiffenheit des Verf. von fpekulativer Wiffenfchaft gebraucht, kön— 
uen als ganz richtig auf die Kunft angewendet betrachtet wer— 
den; defjen ungeachtet gilt dem Verf. die Kunft für eine Wahre 
beit der Wirklichkeit, ift eine feiner Sphären der hohen Gegen 
fände und Wefenheiten der Menſchheit. Seiner Menſchheit 
macht es dann der Verf. im Gegenfage gegen jenes fpefulative 
Fingiren u. ſ. f. fehr bequem mit ihrer wahrhaften Wirklichkeitz 
„die Wirklichkeit,” fagt er, „weiß (7) nur, daf, wenn man 
die höchſte Wahrheit finden will, man ſich auf die höchſten 
Standpunkte ihrer, wie fie in der Wirklichkeit ift, ſtellen 
müſſe.“ Es ift damit eine große Leichtigkeit angegeben, die 
Wahrheit zu finden; man hat fid) eben ohne Weiteres auf die 
höchſten Standpunkte zu flellen; vielleicht foll aud) nur aus- 
gedrückt werden, daf die Wirklichkeit — dod wohl nur die des 
Berf., — von dem Wege, auf dem zur Wahrheit zu gelangen 
fe, nur fo viel anzugeben weif. Schon vorher, ©. 120, hatte 
er dem Glauben folde Leichtigkeit zugefchrieben; „derſelbe,“ 
beißt es dort, „giebt mit einem Male in die Hand, was 
das Zählen, Rechnen‘, (darunter verftcht er das Denken), „mühe 
felig zu Stande bringt” Die oben angeführte „Durchmuſte⸗ 
rung” der Wiſſenſchaften, der Geographie und der Afironomie, 
mag den Kefern des Verf. wohl den Glauben in die Hand ge= 


. 8, Reorenfion. 2. Uich. Piüefegickbcch. u. Degel't Encgliopädie indker. 23 
ben, daf deffen wiffenfhaftlie Kruutnif nicht durd) vieles Zäh- 
len, Reben zu Etande gekommen if, und in Unfchung der 
Philoſophie iſt dem Ref. dur) die Gceift des Berf. der Glaube 
nleichfalls nahe gelegt, dafı ſie aicht darch Gedanken, and) nicht 
durch ſchlichten Glauben dem Berf. in Die Hand gegeben wers 
den il. Der fhlihte Glaube ſpreizt fh nicht, über Wiſſen⸗ 
ſchaften mitzureden, auferhalb deren er feine Stellung zu haben 
weiß, viel weniger betritt er dem finfiern Weg der Gehäſſigkeit, 
des Hohns, oder gar ciner, vielleicht ſelbſt ſcarril zu nennenden 
Laume. — Auf den Grund der anzuſtellenden Bergleihung der 
xhiloſophiſchen NRefultate mit der Wirklichkeit, Tann der Berf. 
S. 173 mit behaglicher, ſatyriſch⸗ fepmfollender Wohlmeinenpeit, 
„nicht die Gelegenheit vorübergehen laffen, Hrn Hegel in Schut 
(? welche gewidhtige und wohlwollende Protektion?) zu nehmen, 
. gegen einen Borwurf, der ihm, in Beziehung auf fein Philofos 
phiren uber den Staat, gemacht wird, nãmlich gegen den, daf 
er anr gewiffen Anſichten zu Liebe, fi bequeme, die Mos 
narchie als die höchſte, als die abjolute Form des Staats für 
den Begriff zu entwideln. Bon folhem Borwurfe befreie in⸗ 
deſſen Hrn. Hegel am Meiſten (— man flcht, dag dem Berf. 
nicht der Begriff der Sache und das Beweifen aus demfelben, 
fondern eroterifche Beziehungen, für das Meifte gelten —) 
dieß, daß er in einem Staate lebend, welcher nicht im eigentli⸗ 
chen und entwideltern Sinn fonflitutionell genannt wer⸗ 
den kann (— und warum nicht? verfchweigt der Berf. Der Name 
thut nichts zur Sache; welche der vielen Theorien von einem 
tonftitutionellen Staate er im Kopfe habe, hätte er angeben, 
und vor allem zeigen müffen, daß feine Theorien etwas taugen), 
und beauftragt (?), über Naturreht und Staatswiſſenſchaft 
Borlefungen zu halten, die rein (?) Tonflitutionelle Monarchie 
feiner wiſſenſchaftlichen Ueberzeugung nad) als das Abfolute 
einer Staatsform, nit die Monardie an fi, aufftellt.“ 
Der Verf. bemüht fi, in behaglicher Gehäffigkeit mit wieder 

Bermifchte Schriften. ” 15 


226 IV. Kritifen. 


holter befonderer Anführung der Beauftragung, ſolchen Wider 
ſpruch in gefliffentlihern Zügen auszuführen; die ift ihm, wie 
feine Flosteln vom Abfoluten einer Staatsform, und fein 
Abſtraktum von einer Monarchie an ſich, zu überlaffen. 

Die widrigfte Seite der Schrift ift leider endlih aud noch 
zu erwähnen: der traurige Kigel des Verf., launig und fpafhaft 
zu thun; es mag das eine Beifpiel von diefer abgefchmadten 
Sucht erwähnt werden, wo fie ihn bei der Lehre von der Unfierb= 
lichkeit befällt. Diefe Lehre ift, außer den politifchen Infinuatio- 
nen, diejenige, die am häufigften gebraucht zu werden pflegt, 
um auf eine Philofophie Gehäffigkeit zu werfen. — Für den 
Berf., — er findet die erwähnte Lehre nicht in der Philofophie, 
die er zu betradhten vorgiebt, — iſt es nicht vorhanden, daf in 
diefer Philofophie der Geift über alle die Kategorien, welche Ver— 
gehen, Untergang, Sterben u. f. f., in ſich fchliefen, erhoben 
wird, abgefehen von anderen, eben fo ausdrüdlichen Beftimmungen; 
er mag die Lchren des Chriſtenthums etwa in der Form des 
Katehismus erkennen, aber das Philofophifhe und derfelbe 
Inhalt, wenn er in philofophifcher Form ift, exiſtirt nicht für 
ihn. Im Zufammenhang mit jener Lehre vermift er auch den 
Tod im jener Philofophie, S. 143; und umgefehrt, wenn ihm 
einmal zu wenig vom Tod darin vorfommt, ift ihm ein anders 
mal zu viel darin. . Bei der Angabe der Lebensalter (8. 396. 
der Enchklopädie), fagt der. Verf., wäre der rechte Plag für die 
Abhandlung des Todes gewefen, und tadelt es, daß er zum 
Greifenalter, nit auch ausdrüdlid den Tod genannt findet, 
(— mill der Verf. den Tod als ein Lebensalter betrachtet wife 
fen? foll in der Todesanzeige von einem Menfchen gefagt wers 
den: er feh in das Lebensalter des Todes getreten?) und indem 
er den Tod hier nicht findet, und dann, wie es feheint, an einem 
Uebergange des Begriffes flodt, wird er (— Gottlob? heift es 
irgendwo; hier möchte man ausrufen: Gott fey’s geklagt! er 
wird). — mwigig?! — Er geht — in einem fonft genug ver= 


8. Recenſien. 2. Ueb. Philoſophie äberh. u. Hegel’ Encyflopädie insbef. 227 


worrenen Unzufammenhang, den Ref. zu entwirren nicht im 
Stande war, — zu der Komfequenz fort, zu fragen: „Ob Ges 
gel meine, bei lebendigem Leibe gen Himmel gefah- 
ren zn feyn? Derfelbe würde erſt dem legten Beweis für die 
Richtigkeit feiner Philofophie und der ihm zugleich die allge⸗ 
meinfle Zufimmung fiherte, geben, wenn er wenigftens 
wie der ewige Jude auf Erden nicht flürbe.” Hat der Verf 
in der Freude über feinen Einfall nit bedacht, daf er mit der 
Zumuthung: nur wenigfiens, fo wie der Dann in der Le⸗ 
gende, nicht zu flerben, eine zu leidhte Forderuug an den Be- 
weis der Richtigkeit einer Philoſophie gemacht hat? oder halt 
der Berf. im Ernſte jene Legende für eine wahre Geſchichte, 
wie die Zeitgenofienfdaft und Vetterſchaft Homers mit Acncas? 
— Dann hätte cr fi noch weiter über die geiſtreiche Grund⸗ 
lage feines Einfalls auslafien können, wie das geforderte Nicht⸗ 
flerben von ihm und Andern, für die damit cin Beweis geleiftet 
werden follte, zu erleben wäre! — zur die Talentlofigkeit des 
Berfs. zum Spaßhaften, in welchem er es nicht über die dürre 
Sucht des Hohnes hinausbringt, konnte noch fein Herumreiten 
anf einer Aufpielung angeführt werden, die er auf die Redens- 
ert: „hic Rhodus, hic salta” und auf das bekannte Eymbol 
der Rofentreuzer, welches feine Umwiffenheit nicht zu erkennen 
ſcheint, gefunden hat. ber von derlei Ingredienz trifter Ges 
reiztheit und eines anfhuldigenden und verunglimpfenden Un⸗ 
muths iſt die Schrift zu widrig angefüullt, um fi) darauf, wie 
auf das damit Fontraflirende fromme Aufjpreisen mit Chri- 
ſtenthum, einlafien zu konnen. Diefer Ton unglüdlicher Ge⸗ 
reiztheit, mit dem Mangel an Kenntnifien und mit der Schalt» 
. Iofigkeit der Vorſtellungen verbunden, maden, wenn man fi 
auch durch die ſteife, fehwerfällige Wohlgefegtheit und Ungeſchick⸗ 
lichkeit der Rede und des Styls durdyzuarbeiten geneigt wäre, 
den Gedanken vergehen, hier Einwürfe zu fehen und das Bor- 
gebrachte widerlegen zu wollen; eine Polemik, die zum Voraus 
15 * 


228 ae IV. Kritiken. 

in ben Gegenfland nicht eingehen zu. wollen erklärt, und fi 
aus gehäffigen Inſinuationen und höhniſch ſeyn follenden Ab⸗ 
geſchmacktheiten zuſammenſetzt, iſt zu ärmlich — man weiß 
nicht, ob es zu viel wäre, ſie ſchäbigt zu nennen, — um ſich 
nicht mit Ekel davon abzuwenden und fie in der Meinung, 
wie in dem Genuffe der felbfigepriefenen, „gehörigen Tiefe und 
Gründlichteit” weiter ungeflört zu laffen. 


Bemerkung. 


Die Recenſionen über: „Ueber den gegenwärtigen 
Standpunkt der philofophifhen Wiffenfhaften ı. 
Bom Prof. E. H. Weiffe zu Leipzig; — Briefe gegen 
bie Hegel'ſche Enchtlopädie:c Erfles Heftzc.; — Ueber 
Senn, Nichts und Werden, 10.” find nicht erfchienen. 


* 


9. Ueber: „Der Idealrealismus. Erſter Cheil.“ 
Auch unter dem Titel: 
„Der Idealrealismus als Metaphijlt in bie 
Stelle des Idealismus und Jealismus gefetzt 
bon Dr. ib. Teop, Jul, Oblert. & air 
yao Cousv zai zwodusde zur Zouev. Act. Ap. 
17, 28. MReuftabt a. dv. Orla. 1830. 228 8.” 


CHahrbücher f. wiſſenſch. Kritif 1831, Nr. 106— 108.) 


De Verf. diefer Schrift zeigt fih als einen geübten und 
fharffinnigen Denker, der — ein Haupterfordernif des Philo- 
fophirens — die Geduld hat, fi mit abftraften Gedanken zu 
befchäftigen und in einem Raifonnement metaphufifcher Begriffe 
ſich zu ergehen, dem dabei auch das Feld des Spefulativen nicht 
nur nicht fremd ift, fondern was im vierten Buch als die Wahr- 
heit dargeftellt wird, beruht ganz auf fpetulativer Jdee. Dabei 
befleifigt fih der Hr. Verf. der Klarheit, und erreicht fie das 
durch von felbft, daß er nicht irgend einem abſtrakten Forma⸗ 
lismus hingegeben iſt. 
Man erkennt, daß das, was er vorbringt, fein in dem Ges 
genftande, den er behandelt, befindliches, beftimmtes Raifonnes 
ment ift; der Vortrag hat dadurd eine empfehlende Popularität, 
wobei jedoch auch hier, wie fonft, häufig die Gründlichkeit leidet; 
‚ jene verlangt unter anderem, daß Vorftellungen und Säge, die 


230 IV. Kritiken, 


in unſerer wiſſenſchaftlichen oder philofophifchen Bildung zuges 
laffen find und gelten, nicht analyfirt, an ihnen nicht gerüttelt 
wird; ift das Raifonnement bis auf fie zurüdgeführt, oder auch, 
geht es von ihnen aus, fo findet ein verfländiges Bewußtſeyn in 
ihnen, als etwas Bekanntem, Ruhepunkte und einleuchtende Be— 
friedigung; foll es aber über fie hinausgeführt werden, fo geräth 
es Leicht durch deren Entzichung in die Unruhe der Unficherheit 
und des Miftrauens, und meint etwa, nun nichts mehr zu 
verſtehen. 

Der Gang, den der Hr. Verf. in feiner Unterſuchung nimmt, 
ift einfach und zwedmäßig. Paſſend für die Art der Darftellung, 
in der die Schrift gehalten if, wird der Ausgang von den Wi— 
derfprüchen, Zweifeln und Fragen genommen, in die der Menſch 
im Fortgang feiner äußern und innern Erfahrung ſich verwidelt 
finde und deren Löfung die Philofophie zu leiften habe. Hier— 
auf werden die zwei entgegengefegten, einfeitigen Wege diefer 
Löfung, der reine Jdealismus und der reine Realismus ausein- 
andergefegt und Eritifirt, und zulegt der reine Idralrealismus 
als das Verföhnende beider und als das, die Forderungen, die 
man an die Philoſophie zu machen berechtigt ſey, befriedigende 
Syſtem dargeftell. — Ref. hat nun von diefem Gange einiges. 
Nähere anzugeben, und will dabei Veranlaffung nehmen, bin 
und wieder bemerklid zu machen, im wiefern ibm fcheine, 
daf die Analyfe für die Forderung der Gründlichteit nicht weit 
genug verfolgt ſey, und daf zu oft innerhalb gewohnter Ver— 
ftandesbeftimmungen und VBorftellungen ſtehen geblieben werde, 

Es ift gleich in der Einleitung, F. 1—16., daf der Hr. 
Berf. $. 5. felbft, und gewiß mit Recht, fordert, daß man, um 
eine fefte Philofophie zu erlangen, damit beginnen müffe, alles 
früher Geglaubte und Gemeinte zu vergefien, oder es doch bis 
zur Beflätigung durch das philofophifche Nachdenken, bei Seite 
zu ſetzen; irgend welche Vorausſetzung verderbe von vorne her— 
ein die Unterſuchung. Doc kann diefe Schrift felbft vielfältig 


% 


% 


% De Teakeeliiumi. 1 
zum Beiſpiel dienen, daf dieſe Zerberung leiter zu machen, 
vorausfehen und gelten lafien, zu überwinden if. — Das Bild, 
des der Hr. Berf. hierauf von dem Philoſephen, und gar von 
dem vollendeten Philoſophen, beidreibend macht, wäre wohl 
beffer weggeblieben; dergleichen (— wie: „in ſolchem Philoſo⸗ 
yhen hart alles ubereilte, unterbrochene Denken auf, nichts Un⸗ 
erwartetes Tann ihm außer fich ſetzen; er if ohne Leidenſchaften 
und Sieftigteit der Gefühle, Affekte und Begierden wohnen 
nicht in ihm u. f. f.“ —) erinnert zw fchr an die Rednereien 
der Stoiker und Epikurãer von dem Weifen; diefe Philofophien 
hatten es notbig, zum Subjektiven, als zum letzten beſtimmen⸗ 
den Grund, zurüdzugehen, weil ein folder ihren abfiraften Prin⸗ 
cipien mangelte; aber die moderne Philofophie geht auf Princi- 
yien, die von konkreter Ratur find, — (von welder Art aud) das 
Princip des Hrn. Berfs. it) — und nicht bloß eine nur abs 
ſtrakte Grundlage, fondern auch ſelbſt die der Beflimmung und 
Extwillung in fid enthalten; daher denn dergleichen Schilderung‘ 
vom Gubjekte des Philoſophirens müfig und einem Tadel an⸗ 
derer Art, wenigſtens horazifhem Scherze über den Weifen, der 
glũcklich, reich, ja ein Konig fe, — aufer wenn ihn Berfdhleis 
mung beſchwere, — ausgefegt ifl. 

Für die Beſtimmung der Philoſophie felbfi nun wird (S.6) 
daran erinnert, „daß ſich alies Willen auf Erfahrung gründe, 
entweder ãußere, durch die Sinne, oder innere, dur) das Bes 
wußtſeyn defien, was in der Seele lebe und vorgehe, oder 
doch vorzugehen fcheine; was man nicht erfahre, davon könne 
man nichts wiſſen,“ — das Letztere wird man, nad jenem ganz 
unbeflimmten Sinne der Erfahrung, wohl zugeben; daß fie aber 
als Grund fi zum Willen verhalte, iſt Theils zu unbeflimmt, 
Theils ſchon zu viel prafumirt. Der Geift, mit ihr ſich nicht 
befriedigend, forfde nah) Gründen, und zwar den legten Grũn⸗ 
den der Erfahrung, und die Wiffenfhaft, welche diefe auffucht, 


232 IV. Keitifen, 


ſeh bie Philofopbie. Diefe foll (S. 12) „das, was dem 
Denker im der Erfahrung unklar, zweifelhaft oder gar widerfpres 
hend vorkommt, aufhellen, löfen, verfühnen; deshalb werde fie 
weder ganz Noologismus noh Empirismus feyn dürfen, 
wenn fie nicht einfeitig verfahren und dadurd in Irrthum vers 
falfen wolle.” Wir fehen, die Erfahrung wird fhon felbit als 
der Grund und zwar des Wiffens angegeben; die Miffen- 
{haft als die Gründe jenes Grundes auffuchend; — wir wer— 
den fomit in dem beliebten Kreife herumgeführt, in welchem im 
der Wiffenfchaft der Grund, weshalb fie eine Kraft und mit 
folhen und folden Befimmungen annimmt, die Erfahrung ift, 
umgekehrt aber die Kraft zum Grunde deffen, was in der Er— 
fahrung und deren Neuferung if, gemadht wird. — Das leidige 
Herumfprecdhen vom RVerhältniffe der Erfahrung und des Wiſ— 
fens kann auf ſolche Weiſe zw nichts Veſtimmtem kommen. 
- Einen Vorzug vor jener lofen Erpofition hat durdaus noch im— 
mer die kantiſche Einleitung, nämlich den, fogleid die Erfah— 
rung felbft zu analyfiren, und in ihr die zwei Momente (Beſtand⸗ 
flüde nad) ihrem Ausdrud), — das eine, die finnliche Einzelnheit 
des Wahrnehmens, — das andere, die Verftandesbeftimmungen, 
Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aufzuzeigen; dieß läßt ſich 
auf eine populäre Weife thun, und bringt fogleih auf den 
Punkt tüchtiger Betrachtung, — es hat den Vortheil, das Den- 
ten in der Erfahrung felbft implicirt zu nehmen, fo daf daffelbe 
nit auf die gar zu populäre gewöhnliche Weife vorgeftellt wird, 
wonach es zu der Erfahrung hinzutreten und nad den Gründen 
derfelben fragen fol.— Der Hr. Verf. ſchließt die Einleitung das 
mit, daß „der Menſch fi nicht mit dem Miffen begnügen 
könne, wenn er gleich möchte;“ es ift nichts Empfehlendes, 
wenn von jemand gefagt wird: er möchte wohl, aber er kann 
nicht; daß es mit dem Menſchen überhaupt, mit dem Wiſſen 
der Vernunft, von. der doch eigentlich hier nur die Rede ſeyn 
follte, diefeBewandnif habe, um dieß zu erhärten, verfüchert der 


9. Der Idealrealismus 233 


Hr. Verf. noch ferner, daß „der Geift fo lange zu begreifen 
firebe, bis er an etwas Unbegreiflides komme;“ (— ift 
der Geift fehon, che er an ein foldhes kommt, nur im Streben 
des Begreifens, fo könnte man die Folgerung ziehen, daf er 
ſich hier ſogleich nur bei Unbegreiflihem befinde —) „der Geift 
wolle mit einem Großen, Gewaltigen endigen, von dem 
er fih ganz danieder gedrüdt fühle, — das er nicht er— 
kenne, fondern das er glaube; — den Troft, die Beruhigung, 
die freudige Ausſicht in die Zukunft, vergebens von der Wiffen- 
ſchaft verlangt, gewähre der Glaube, — über deffen Gegen- 
fände die an die metaphnfifche, natürliche Theologie ſich anſchlie— 
fende, Offenbarung handle” — Der Hr. Berf. thut dem 
zeligiöfen Glauben, von dem er hier fpricht, Unrecht; nach dem, 
was wohl nad) allgemeiner Webereinftiimmung ‚darunter verftan- 
den wird, foll in demfelben der Menſch ſich, ſtatt „ganz nieder⸗ 
gedrückt,“ vielmehr vollkommen befreit fühlen; nur in dieſe 
Befreiung wird „die Befriedigung des Bedürfniſſes ſeiner 
Seele, die Stillung der Sehnſucht des Herzens” geſetzt, die $. 15. 
vom Glauben verfpriht. — Auf das Verhältnif des Wiffens 
und der Philofophie zum Glauben, kommt der Hr. Verf. in 
dem Buche über den Idealrealismus, das Spftem, das alle 
Forderungen erfülle, die an die Philofophie gemacht werden kön— 
nen, nur infofern zurüd, als $. 141. die Abhandlung von der 
Dffenbarung in den-befondern Theil, die NReligionsphilofophie, 
verwiefen, und das fo eben Angeführte troden vom Bedürfnif 
des Glaubens: wiederholt wird; aber das, um was es zu thun 
gewefen wäre, an jenem Jdealrealismus ſelbſt den Mangel und 
die Lücke aufzuzeigen, durch welche er unbefriedigend ſeyn ſoll, 
und weiter zur Offenbarung und zum Glauben treibe, ift unters 
laſſen. Es kann für fehr zwedmäßig anerfannt werden, daf 
um zu der Philofophie hinzuführen und ihr Bedürfniß zu er 
wecken oder aufzuzeigen, wie hier geſchieht, (im erften Bude 
8 17—49.) mit den Zweifeln und Widerfprüdhen bes 


234 ö IV. Kritiken. 


gonnen wird, in welche das Bewußtſeyn in ſeinen Erfahrungen 
ſich verwickelt finde. Zum Behuf einer ſolchen Anleitung iſt 
gerade nicht für erforderlich anzuſchen, daß die Zweifel und 
Widerſprüche in ſyſtematiſcher Folge entwickelt, und nach ihrer 
nothwendigen Entſtehung dargeſtellt werden, — wie für die 
Wiſſenſchaft verlangt werden muß. Hier konnte es genügen, 
eine beliebige Anzahl von ſolchen zur Philoſophie aufregenden 
Verlegenheiten der Reflexion, wie ſie ſich zufällig anbieten mö— 
gen, aufzuführen, wenn ſie nur von der Art ſind, daß ſie früh 
und häufig vorkommen. Der Hr. Verf. hätte bei folder Dar— 
ftellung an Kant’s Antinomien erinnert werden können, die ihm 
nicht nur mehrere Beifpiele an die Hand geben, fondern auch 
weitere und wichtige Geſichtspunkte eröffnen konnten. f Gleich 
dagegen, daß der Hr. Verf. $. 17. aus einem Raiſonnement 
ableitet, daß die Widerſprüche zwifcdhen den innern und äufern 
Erfahrungen, — und nur zwifchen diefen foll es Widerfprüdhe 
geben, — nur fheinbar ſeyen, enthält die Fantifche Betrach— 
tung den für die Wiffenfchaft fo hoch intereffanten und Epode 
machenden Sag von der Rothwendigkeit der Widerfprüde; 
diefer Gefihtspuntt iſt für die Bedingung anzufehen, daf das 
Philofophiren eine Tiefe gewinne. — Ob und wo dann übers 
haupt Widerfprüdbe Statt finden, hängt von den Vorausſetzun— 
gen ab, die gemadht werden; damit nimmt cs der Hr. Verf. 
nicht genau genug; er macht es dem Lefer zu leicht, die Annah- 
men nicht gelten zu laffen, die einen Widerſpruch hervorbringen 
follen. Schon im Anfange, $. 17., wo gezeigt werden foll, daß 
weder in der Natur für ſich noch im Geifte die Quelle der Wis 
derfprüche liegen könne, geftattet fih der Hr. Verf. ohne Weis 
teres eine ſolche unerwiefene Annahme, welche ſich auf die Nas 
tur des Widerfpruchs felbft bezieht, und in Unfehung deren er 
vor allem das aus $. 5. Angeführte hätte befolgen müſſen, 
nämlich alles früher Geglaubte und Gemeinte zu vergeffen, oder 
einftweilen bei Seite zu -fegen. „In der Natur,“ heißt es, 


9. Der Vrelreaiiums. 235 

„tonmen teine Biderſprũche liegen, denn Widerfpreihendes 
Seht ih auf und kaun nit exiſtiren;“ die Natur aber fol 
exiſtiren; ebenfe „der Geiſt denkt nicht Widerſprechendes; 
und dieſe Beſchaffen heit deſſelben,“ wird ſortgefahren, „iſt ja 
eben die Urſache davon, daf man Widerſprũche erblickt und 
se löfen verfaht” — Der Hr. Berf. wäre glüdlich zu preifen, 
wenn ihm in der Welt, in der Ratur und in dem Thun und 
reiben wie im Denten der Menſchen, noch keine Widerfprüche, 
wenn ihm noch keine fid ſelbſt widerſprechenden Exiſten⸗ 
zen vorgelommen wären; er fagt mit Recht: „der Widerſpruch 
hebe fih auf,“ aber daraus folgt nicht, daf „er nicht erifirt;“ 
jedes Verbrechen, wie jeder Jerthum, überhaupt aber jedes e ad⸗ 
lide Seyn und Denken ifi ein Widerſpruch; fo fchr, dag noch 
weiter fogar gefagt werden muß: daß es nichts giebt, in dem 
nit ein Widerfprud eriflirt, der ſich aber freilich chen 
fo fchr aufbebt. Allein in. dem felbft, was darüber vorgebracht 
wird, if wohl der größte Widerſpruch nicht zu verkennen: die 
Befchaffenheit des Geifles, (Beichaffenbeit if ein Ausdruck, 
der für den Geift, vollends wo von der Natur defielben die Rede 
ſeyn foll, wohl ungeeignet ift), nichts Widerfprechendes denten 
zu Tonnen, foll felbft die Urfacdhe feyn, von was? — davon, 
dag man Widerfprühe erblidt, — nicht mit den leiblichen 
Yugen,-die Ratur fol keine darbieten, fondern mit den Augen 
des Geiſtes, d. i. daß er foldhe überhaupt in feinem Bewußtſeyn 
bat, und fogar denkt, — fie foll Urſache ſeyn, daß man fie zu 
löfen ſucht; — wenn fie nicht exiſtirten, wo es fch, in der äus 
fern oder innern Erfahrung des Denkens, würde man nidt in 
Berfuhung kommen können, fie löfen zu wollen. Wenn auf 
der Hr. Verf. diefelben auf das Verhältniß von Geift und 
Natur, von innerer und äußerer Erfahrung (willkürlich) bes 
fräntt, und folde Widerfprüde nachher anführt, fo ift er eben 
damit im Falle, von Miderfprüchen zw wiflen, fie zu denken, 
ihre Duelle anzugeben. — Der Hr. Verf. hat fi) gegen das, 


36° IV. Kritiken. 


was er hier unmittelbar thut, fo wie gegen das, was er 
in der Erfahrung, noch mehr aber im Denken, unzähligemal 
muß vorgefunden haben, durch ein gewöhnliches Schulgefhwätge 
bereden laffen, die allerunwahrfte Annahme, daß es Feine Wi- 
derfprücdhe in der Natur und im Bewußtſeyn gebe, blindlings 
zu machen. ' 

Mit der Annahme, daf das Miderfprechende nur in das 
Verhältniß des finnlichen Anſchauens und des Denkens falle, 
tommt fogleih in Kollifion, daß jenes felbft, in der vorfeyenden 
Betrachtung denkend aufgefaßt wird; fomit ift es nicht ſolches An⸗ 
ſchauen und das Denken, fondern es find in den Beifpielen des. 
Hrn. Verfs. nur Gedanten, die mit Gedanken verglichen und 
einander widerfprechend gefunden werden. So fängt $. 18. da= 
mit an, daf es „die finnlihe Erfahrung fey, welde be— 
haupte, daß Alles, was if, fi verändere, das Denken 
dagegen fage, Alles, was ift, bleibt dafjelbe, immer und ewig; 
Beränderung ift undentbar.” — Schon die erfiere Bes 
hauptung hätte doch nicht fo geradezu zu einer Annahme der 
finnlihen Erfahrung gemacht werden follen. Erftens, wie 
käme die finnlihe Erfahrung zu: Allem; das Alles, als 
finnlid, it im Raume, ebenfo in der Zeit, und zwar der 
Bergangenheit, Gegenwart und Zukunft; wie möchte man num 
fagen: Alles an allen Orten des Raumes (3. B. im Innern 
der Erde wie der Sonne und der Geftiene, und im äußern Hin— 
aus des Himmels), Alles zu allen Zeiten und felbft in der Zus 
kunft, ſey erfahren worden und fogar wiffe man von diefen 
Erfahrungen? — wie könnte man fonft von ihnen ſprechen? 
Beſchränken wir fie etwa auf das nächſte befte, was wir finn- 
lich erfahren, und von deffen Erfahrungen wir wiffen, fo fällt 
doch zweitens gleich die frage ein, haben wir denn oder wer hat 
fonft die Erfahrung gemacht, daf diefe Gebirge der Erde, dieſe 
Welttheile u. ff, daß diefe Geftirne, Sonne und Mond 
(die beobachtete Bewegung ift nur die Veränderung ihres Orts, 


9. Der Ipenlrealismus 237 


der Lichtwechſel mur ihres Lichtſcheines u. ſ. f), ſich verändert 
haben? — Es kann etwa ungeeignet ausfehen, wenn wir in 
hoher metaphyſiſcher Betrachtung fichen, an ſolches Triviales zu 
erinnern, was wir, und zwar nicht wiſſenſchaftlich, fondern nad 
der gemeinften finnlihen Erfahrung uns gemerkt haben. Die 
Alten, wie befonders Sokrates bei Kenophon u. U. und felbft 


aus dem Munde des erhabenen Plato, haben ſich und ihr Phis 


lofophiren nicht für zu vornehm gehalten, um die nächſten beften 
Wahrnehmungen des gemeinen Lebens aufzunehmen, und von 
da aus zu ihren allgemeinen Sägen, und felbft zu den Ideen, 
aufzufleigen, oder diefe dadurch als an Beifpielen zu erläutern, — 


mitunter auf eine fo redfelige Weife, daß fie uns, die wir an 


abftrafte Säge mehr gewöhnt find, als überflüffig und felbft 
langweilig erfcheint. Aber wo von finnlidher Erfahrung gefpro= 
ben wird, find die Beifpiele nicht nur erläuternd, fondern be— 
weifend; ein Sag diefes Gebiets beruht ganz auf der Induktion, 
die aus ihnen allein gezogen werden kann. Allgemeine Säge 
ins Blaue hinein über die finnlihe Erfahrung auszufagen und 
gelten zu laffen, ift eine üble Gewohnheit unbedachten Metaphy— 
firens, der fid) die Philofophie zum wenigften eben fo fehr ent- 
gegen ſetzen follte, als es der gefunde Menſchenverſtand thut. — 


Bollends wenn diefem unter dem Titel von „Jedermann“ 


und „allen Menſchen,“ zu dem Behuf, das Bedürfnif zur Phi- 


lofophie in ihm aufzuzeigen, folche falſche Säte, wie daf man 
erfahre, daß Alles fi verändere, mit der Berufung auf ihn, 
beim Antritt zum Philofophiren, an den Kopf geworfen iverden, 
fo kann ihm foldhes nur befremdlich vorkommen, ebenfo fehr 
als daf dem Denken die Veränderung undenkbar feyn folle, — 
daß es das Denken ſey, welches den Sat, daß alle endlichen 
Dinge veränderlich find, daß die Weränderlichkeit die Natur der 
endlichen Dinge ausmacht, verwerfe. Das hierauf folgende 
Raifonnement über das Entfichen und Vergehen, ift nicht 
fo ſcharf, als das der alten Eleaten; diefe famen nicht zu dem 


— 


238 IV. Keitifen. 


Schluffage, daß „ein Anderes (und ein Anderes ift doch wohl 
auch Etwas), alfo das Etwas ein Neues aus ſich hervorge— 
ben laffe, oder daf Etwas vielmehr gar einen Theil (wie 
kommt hieher die Kategorie eines Theile?) von ſich abfondere, 
und dann gleich, daß nur die Form oder Befhaffenbeit 
eine andere werde. — Wie dergleichen Kategorien, fo ift unter 
Anderem dann gar der, allen ſolchen Annahmen widerfprechende, 
Sat jenes Pantheismus: Aus Nichts wird Nichts, geradezu 
als feftftiehend angenommen. S. 211 kommt der Hr. Verf. 
auf den Pantheismus und die Interfchiedenheit des Ideal⸗ 
realismus von demſelben zu reden; er macht es ſich daſelbſt 
leicht mit dem Pantheismus, indem er geradezu annimmt, „je⸗ 
des Individunm babe ein felbfiftändiges Dafeyn;“ dann aber 
hätte er früher nicht einen Sat müſſen gelten laffen, der die 
eleatifche Einheit, die abſtrakte, die unveränderliche Identität 
ausſpricht. — Gleich darauf, $. 21., wird der Sag der Kaus 
falität dem finnlichen Anſchauen zugefchrieben, wie fo eben dem 
Denken der Begriff der Veränderung abgefprochen worden u. f. f. 
Dod zu ähnlichen Zweifeln und Ausftellungen könnte die 
ganze Nusführnng des erften Buchs über die Zweifel und Wi— 
derfprüche, welche den menſchlichen Geift zur Philofophie treiben 
follen, Beranlaffung geben; bei einer fo unkritiſchen Einführung 
von Kategorien und Sägen, wie fie hier Statt hat, ficht man 
näher, wie fehr es zu bedauern ift, daß das Studium der Fans 
tifchen Kritik, eigentlich aus einer Art von Vornehmigkeit, ges 
ringfhägig geworden; die nächfte Frucht folden Studiums ift 
wenigftens ein gebildeteres Verfahren des Denkens felbft im 
bloßen Raifonnement über abftrafte Gegenftände, und ohne foldye 
zuvor erworbene Bildung follte nicht an weiteres Philofophiren, - 
noch weniger an fpekulatives gegangen werden, | 
Das. Ende des erſten Buchs giebt als die drei möglichen 
Wege der Löfung der MWiderfprühe den Idealismus, den 
Realismus und den Jdealrcalismus an; jene beiden 


9. Der Idealtealismus. 239 


werden in ihrer beftimmten Konfequenz aufgenommen, nad) wel⸗ 
her ($. 47.) der reine Realift wie der reine Jdealift feinen wah⸗ 
ren Gegenfat zwiſchen Geiftigem und Sinnlihem anerten- 
nen, indem jenem das Geiftige nicht verfchieden dem Weſen 
nad vom Sinnlichen ift, und für den zweiten es teine wahre, 
feine andere Außenwelt giebt, als welde von dem Ih in ſich 
felbft getragen wird. Mit Recht wird dann aud das Dritte, 
was der Hr. Berf. den Idealrealismus nennt, dahin bes 
ſtimmt, daf es nicht ein Gemifche aus den beiden Gliedern 
des Bewußtſeyns neben einander ſeyn foll. 

Das zweite Buch handelt nun vom reinen Idealis— 
mus, und giebt im erften Abfchnitt ($. 50— 62) eine Darſtel⸗ 
lung deffelben nach der entfchiedenfien Geftalt, die er als fich— 
te'ſches Syflem hat. Diefe Darftellung ift in Anfehung ber 
Principien im Ganzen gründlid) und ſcharf beftimmt zu nennen; 
es ift als richtig anzuerkennen, daf der Gegenſatz des Objekts 
und die Theilung des Gegenftändlichen in das Ich und das Ob⸗ 
jeft als Thatſachen von diefem Spfteme aufgeführt und ange— 
nommen werden. Jedoch enthält der Hebergang (8. 53.) zur nähern 
Beſtimmung des fihtefhen dritten, des fonthetifhen, Grundfages, 
ein Raifonnement, das weder als flichtefch noch als fonft für ſich 
bündig angefehen werden kann. „Das Ich würde nämlich,” fagt 
der Hr. Verf,, „alles, was auf dem Gegenfase feiner und des 
Nicht-Ich beruht, nicht finden, fvenn ein Nicht-Ich als 
abfolutes Wefen eriftirte, denn dann würde das Ich eine 
Borfielung von ſich haben können, ohne daf eine entgegen- 
gefeste fie begleitete; (— eine ſolche Borftellung des Ich von 
ſich, d. i. reines, abſtraktes Selbfibewuftfeyn wird uns übrigens 
nicht abgefprodhen); „weil alsdenn bereits ein Objekt für 
feine Tätigkeit da wäre, von diefem (Objekte) auf ſich 
reflektiert, hätte es nicht nöthig, in dem Erfaſſen feiner felbft zu— 
gleich das Nicht Jh, das Reſultat eines Aets feiner Thätigkeit, 
zu ſetzen.“ Nach dem ($.51.) angeführten erſten ſchlechthin uns 


240 IV. Keitifen. 


bedingten Grundfage Fichte's: Ih bin Ich, erfaßt Ich ſchlecht— 
bin.rein ſich felbft; indem es aus feinem Gegenfage ſich in ſich 
teflektirt, vermag es rein fich zu erfaffen, gleich viel, ob das 
Gegenfäglihe als Objekt oder als Nicht-Ich, als Produkt des 
Ich, beftimmt worden ſey. Infofern aber Jh an dem abfolut 
vorhandenen Niht= Ih ein Objekt feiner Thätigkeit ha— 
ben foll, ift ja damit eben das Verhältnif von Ich zu einem 
Nicht-Ich ausgefprodhen, das eine Zeile vorher darin liegen 
follte, daß es Fein ſolches Nicht-Ich gäbe. 

Bon dem Raifonnement, das 8. 54. über die unendlich 
vielfahe Thätigkeit des Jh gemacht wird, kann Ref. 
gleichfalls nicht zugeftchen, daß es dem fichte'fchen oder dem reis 
nen Idealismus überhaupt angehöre. Die vielfadhe Thä— 
tigkeit des Ich ift allzueinfach auf die Weife eingeführt, daß 
° 28 dafelbft heißt: „Wenn das Nicht-Ich einfach wäre, fo 
könnte die Thätigkeit des Jh nur fehr (wohl, ganz würde 
folgen,) einförmig, oder wenn es aud fie wechſelte, könnte 
diefelbe doch nicht zugleih auf mehrere Objekte gerich- 
tet ſeyn.“ Sie fey aber unendlid vielfach und dränge fo 
vielfach) als möglich fih zu äußern; — foldes Borausfegen 
dürfte fi der reine Idealismus nicht erlauben, — cben fo we— 
nig als die folgende Konfequenz: „Darum iſt das Nicht-Ich 
fo zufammengefegt, und befteht aus einer gar grofen 
Anzahl von Individuen, welde die verfhiedenartigfte 
Beſchaffenheit an fi tragen, und dadurd der Wirkſamkeit des 
Ich das freiefte Feld bieten.” Auf ſolche Art hat wenigftens 
der fichte'ſche Idealismus fich nicht erlaubt, Annahmen zu mas 
hen und zu raifonniren; er ift vielmehr wegen feiner Eigen— 
thümlichteit, Alles zu deduciren und zu konſtruiren, verfpottet 
worden. — Doch dief mag zur Bezeugung des Wunſches ges 
nügen, daf die Darflellung des Idealismus mehr der Strenge, 
die er ausgezeichnet ſich zum Gefeg gemacht, entfpredhen möchte, 
und Nef. will, mit Mebergehung des Weitern diefer Darftellung, 


9. Der Idealrealismus. 24 


no den zweiten Abſchnitt, die Kritik des reinen Idealismus, 
($. 63-68.) berühren. 

Die erfie Frage, die hier ($. 63) gemadt ifl: „Kann der 
Idealismus — dem Dienfhen genügen, befriedigt er die menfd= 
lichen Bedürfniffe, die ihn erzeugten?” wird mehr dadurch 
befeitigt, daß fie bei Seite geftellt, als dadurch, dag auf fie ges 
antwortet wird. Der Hr. Verf. hätte nach feinem, vorhin auch 
citirtn Grundfage ($.5.), „daß man alles früher Geglaubte . 
und Gemeinte bis zur Beflätigung deffelben durch das philoſo⸗ 
phiſche Nachdenken, bei Seite zu fegen habe,“ das Herbeibringen 
von fo was, wie „menfhlihe Bedürfniffe,” und die Ver⸗ 
gleihung des Princips mit folder Vorausfegung, unterlaffen . 
und verwerfen müffen. Die folgende Yusmahlung des Schau⸗ 
derns des Ih, — wohl ohnehin nicht, wie der Hr. Verf. ſagt: 
„vor feinem reinen Selbſtbewußtſeyn,“ wäre damit befier weg- 
geblieben, vollends die Zufpigung der Deklamation dazu, daß 
„das Ih in dem reinen Bewußtſeyn feiner ſelbſt“ (was ganz 
verfhieden vom Egoismus ift, den der Hr. Verf. daſelbſt 
nennt), „alle Bande der Menſchheit, die Realität des höchſten 
Weſens und fein Berhältniß zu.diefem, beinahe (!) für Nichts, 
als fragenhafte Gebilde feiner Phantafie halte.” — 
Dergleichen blinden Vorftellungen und falfhen Borfpiegelungen 
folte am wenigften eine philofophifhe Darftellung durd eigene 
Verwechslung des reinen Selbſtbewußtſehns mit dem, was Egois⸗ 
mus heißt, Vorſchub thun. 

Intereſſanter iſt, daß der Hr. Verf. im folgenden 8. das 
Princip ſelbſt vornimmt; was er zunächſt an demſelben aufzeigt, 
beweiſt die Fähigkeit des Auffaſſens abſtrakter Sätze, das aber 
zu bald in gewöhnliche Manier unphiloſophiſcher Reflexion zus 
rückfällt. — Yus dem Sage 8. 64., „daß Ich ſich nur ergreifen 
könne, indem es fih als Gegenfag eines Nicht Ich betrachtet, _ 
und fih mit dem Nicht-Ich zugleich fest, wird abgeleitet, 
daß Ih nie (—die Zeitbeſtimmung iſt hier — dazu kom⸗ 

——— Schriften. * — 


242 IV. Kritiken. 


men könne, fich felbft, abgefondert und allein zu fegen.“ 
Allein es darf der erſte Sag Fichte's: „Ich —Ich, oder Id 
bin Ich,” der Ausdrud des reinen Selbſtbewußtſeyns, ein Sat, 
der ein paar Zeilen nachher felbft angeführt wird, nicht vergefjen 
werden. Bielmehr wäre die fihtefhe Intonfequenz bemerklich 
zu maden gewefen, auf diefen unbedingten Sat nod zwei 
- Säte folgen zu laffen, deren jeder gleichfalls ein unbedingtes 
Moment enthält, darunter den vom Hrn. Verf. bier allein ans 
geführten, „daß Ih fi mit dem Nicht-Ich zugleid fege.“ 
Weber jenen Sag: „Ih fest ſich,“ ſagt der Hr. Verf. her— 
nach, „alfo weiß es, daß es Ih ift;“ das heiße: „es wife von 
fi Nichts; ob es nicht eine todte, ganz unfruchtbare Erkennt⸗ 
nif ſey, wenn Ich von ſich nur wife, daß es eriftire.” 
Hätte der Hr. Verf darauf reflektirt, daß diefes abftrafte Wif- 
fen des Ih von fi, diefe ganz abſtrakte Eriftenz des Wiſſens, 
in der Ich ſich fegen könne, die Grundlage von der Perfönlich- 
feit und Freiheit und von Wllem, was damit zufammen hängt, 
wie von der Unfterblichteit der Seele ausmacht, fo hätte diefer 
Sat für ihn wohl nicht den Schein von Todtem und Unfrucht— 
barem behalten, Abſtrakt ift diefer Sag und diefes Wiſſen 
freilich; deswegen muß von ihm aus weiter gegangen werden, 
was denn auch Fichte in feinem zweiten und dritten Grundfage 
thut, worin er zum Richt-Ich und zu der Beziehung des Ich 
darauf übergeht. Damit kommt allerdings der Widerſpruch 
zwifchen dem Ich und ihm als ſich beziehend auf ein Richt = Ich 
(— ein großes, gewaltiges, prächtiges Nicht-Ich! heift 
es ©. 83) herein. Diefer Jdealismus aber ift es felbft zu al- 
Vererft, der den Widerſpruch, welcher in diefer Beziehung liegt, 
anerkennt, ihn zu vielen weiten Widerfprücen entwidelt und 
fie löft, aus weldhen Löfungen felbft andere Widerfprüdhe ent» 
fiehen, die einer neuen Löfung bedürfen. _ Nach jener Inkonſe— 
quenz von drei Grundfägen mit drei unbedingten Beſtimmungen 
ift diefe Entwidlung und die Art die Widerſprüche zu löfen 





z 


9. Der Fdealrealiemus. 243 


das, was das wefentliche Interefie diefes Syſtems ausmacht; 
das BVerdienft des Verſuchs, die Welt der Gedankenbeftims 
mungen in nothbwendigem jortfchreiten abzuleiten, hat der 
Hr. Verf. nicht bemerklich gemacht, überhaupt von diefer Ents 
widlungsweife und der Methode der Deduktion ganz abgefehen, 
wie auch fein eigenes Verfahren nicht zeigt, daß er folden Ge— 
danken gefaft, und diefer eine Wirkung auf daffelbe gehabt hätte. 
Schüchtern zeigt fi der Ausdrud dialeftifh; „wenn,“ heißt 
es ©. 83, „man ein wenig dialettifch verfahren wollte, fo 
könnte man alfo ſchließen u. ſ. f.“ Die Dialettit ift aber 
nicht das Schliefen einer Konfequenzenmaderei aus Voraus— 
fegungen und beliebig herbeigenommenen Beftimmungen, wie das 
„wenige Dialektiſche,“ das ums bier gezeigt wird; „das Ich 
foll eine Sesung ſeyn; die Setzung ift aber eine blof gei— 
flige Tätigkeit, ein Gedanke;“ fagt man aber nicht im 
Sinne des Idealismus oder überhaupt eines notwendigen Den- 
tens, daß durch den jesigen Augenblid der nächftfolgende, durch 
diefen Raum der nächſte begrenzende, durch die Urſache die Wir- 
tung (die der Hr. Verf. aud in die Region der Sinnlichkeit 
verlegt) u. f. f. gefest werde,” und diefe Verhältniffe find 
doch wohl nicht einfeitig geiſtige Thätigkeiten? — „alſo,“ 
wird fortgefahren, „ift das Ich ein Gedanke, folglid nicht 
teal. Oder foll. etwa das Denken das Reale ſehn?“ —. 
Diefe unbeftimmte Frage fchlieft unbeantwortet, wohl weil: fi 
die Antwort von felbft verfiche, und damit das Sich=fegen des 
Ich für fih evident ad absurdum geführt fey? — Obgleich 
der Hr. Berf. bier ſich in die populäre Vorfiellung, das Dens 
‚ten fen ja das Ideelle und nicht ein reales Ding, als weldhes 
mit Händen zu greifen fey, hat hineingehen laffen, fo hätte er 
ſich wenigftens daran erinnern müſſen, daf er hier bei dem Idea⸗ 
lismus ift, für welchen allerdings das Denten das Reale und 
das Allein-Reale ift, wogegen bloß die Frage zu machen: ob 
etwa das Denken das Reale ſeyn foll? nichts weniger als dia— 
16 * 





244 IV. Kritiken. 


lektiſch iſt. So ein leerer, unbeſtimmter Ausdruck, wie hier das 
Reale hereinkommt, thut ohnehin zum Begriffe nichts. Aber 
das Betrachten eines Sages, Begriffs an ihm felbfi, was den 
Hrn. Verf. in eine ganz andere Weife der Dialektik eingeleitet 
haben würde, ift ihm hier allzufremd geblieben, wie in der Mienge 
anderer Konfequenzen und Raifonnements, die in diefem Ab 
fehnitt über das Ich durdeinander laufen. Nur noch in Bes 
ziehung auf das fhon erwähnte „große, gewaltige, prächtige 
Richt-Ich“ ein Beifpiel, wie fehr der Hr. Verf. im Stande 
ſey, im Populären ſich zu verlieren und zu vergeffenz $. 67. 
heißt es: „Es ift durchaus Fein Grund vorhanden, warum das 
Ih fih nicht auf einem würdigen Standpunkt, mächtig 
und gewaltig, als Theil des Nicht-Ich erblidt, (— dieß 
follte dem Ich Würde geben, fid als ein Theil des Nicht— 
Ic zu fehen;) fiatt daß es nun vielleicht! verachtet, kaum 
als ein Punkt, der Bedeutung verdient, erſcheint.“ Um auch 
eine Frage zu machen, deren Antwort ſich von felbft verftehen 
foll, fo fragen wir: Liegt. nicht die Bedeutung, Würde und 
Macht des Geifles gegen die ausgedehnte Welt gerade im der 
Einfahheit des Denkens, in der es Punkt, aber freilich kein 
räumlicher, noch zeitlicher, ift? 

Das dritte Buch giebt vom reinen Realismus gleid- 
falls im erften Abfhnitte die Darftellung, und im zweiten die 
Kritik deffelben. Die Darftellung des Jdealismus, infofern er 
als reiner, auf die Spitze der abſtrakten Subjektivität des Ich's 
getriebener Idealismus mit Recht genommen wurde, bietet we— 
gen der Beftimmtheit feines Princips. wohl weniger Schwierig- 
keit dar, als die des Realismus, der fo vielfacher Auffaſſungs— 
weifen fähig ift, indem er zugleih Metaphyſik ſeyn foll, wie 
auch der Hr. Verf. denfelben als in ſich konfequentes Shftem, in 
„Vereinigung der Erfahrung mit den Poftulaten des Denkens 
in Bezug auf das Seyende“ ($. 71.) darzuftellen bemüht ift. 
Es wird im Ganzen mit Recht das atomiftifche Syſtem zu 


9, Der JIdealrealismus. 245 


Grunde gelegt, Toll jedoch nicht ſowohl gefchichtlich, als in feiner 
eigenen Konfequenz dargeftellt werden. So fdharffinnig vieles in 
diefer Ausführung ift, fo laufen doch Annahmen und Raifonnes 
ments unter, die ein denkender Realismus wohl nicht auf ſich 
nehmen würde, 3. B. ($. 40.) es ſey: „matürlicdh, daß es 
eine beffimmte Anzahl von Weſen giebt, wenn wir aud) 
nicht wiffen, wie groß diefelbe ift,“ (— wohl eine, durd) 
ihre Natürlichkeit nicht ſchon gerechtfertigte, auch fonft ganz mü— 
Fige Annahme); oder, 8. 71., ift das Raifonnement nicht Klar, 
daß „der erfüllte Raum ſchon cin fich felbft widerfprechender 
Begriff ſeh;“ (— iſt diefe Annahme für den Realismus noth⸗ 
wendig? oder die folgende): „daß der leere Raum die höchſte 
Potenz der Undentbarkeit fey; alfo könne zwiſchen den ein— 
zelnen Wefen oder Elementen Nichts feyn“ (Nichts wäre 
nur der leere Raum); der Hr. Verf. folgert dagegen, alfo „müſ— 
fen die einzelnen Wefen einander berühren,“ heißt dief 
aber nicht zu dem erften, dem „für in fich widerfpredhend“ er— 
Härten Begriff zurückkehren? — Dod können wir diefer Aus— 
einanderfehung nicht weiter folgen, die viel andere Schwähen 
des Raifonnements in ſich enthält, übrigens die zerflörenden 
Kehren des Realismus richtig aufzeigt, deren Konfequenz er nicht 
ablehnen kann. 

Der zweite Abfchnitt, $. 82—97., beginnt wohl die Kritik 
des Realismus mit der intereffanten Bemerkung: „daß derfelbe 
mit dem Idealismus, ohne es zu wiffen, ein und daffelbe 
Princip habe, denn daß nad dem Realismus das Ich eine 
eine äußere und innere Erfahrung habe, ſey nichts anderes als 
was der Idealismus vom Ich fage, daß es ſich feiner und zus 
gleich eines Nicht-Ich bewußt fey, die fich einander befchräns 
ten; doch ift ſolche Erſcheinung oder fogenannte bloße That— 
ſache des Bewußtfeyns noch Fein philoſophiſches Princip zu 
nennen, — Alein Mehreres auszuzeichnen, wie anderes nad) 


[3 


246 IV. Kritiken. 


den fihon angegebenen Mängeln des Naifonnements zu rügen, 
verbietet uns der Raum. 

Ueber das vierte Bud, (8. 98—143.), weldes den 
Idealrealismus darftellen fol, wollen wir gleichfalls kürzer be— 
merken, daf man mit dem zu Grunde liegenden Gehalte ganz 
wohl einverftanden feyn kann. Nah der im Vorhergehenden 
berichteten Einfiht des Hrn. Verfs. von der Einfeitigkeit des 
reinen Jdealismus und des reinen Realismus, mufte fih ihm 
die Erkenntnif der Wahrheit als der Einheit, nicht der ab» 
flraften, die das Sinnlihe und Geiftige nur wegläft und nicht 
über eine folche dürre Verftandesbeftimmung, wie Wefen, Iden— 
tität und dergleichen, hinausgeht, ergeben, und $. 7—18, fpre= 
ben diefe Idee ganz gut, beredt und mit Wärme aus, Es 
wird vom „Bewußtſeyn feiner felbft, als einer Thatſache, 
angefangen, die jeder zugebe und die daher nicht bewiefen wer— 
den dürfe,” (das heißt wohl, daf fie feines Beweifes bedürfe, 
— gewiß, aber um die Thatſache, nur als folde, iſt es nicht 
zu thun), — welches Bewußtfepn feiner felbft „aus der Wer 
bindung von Geiftigem und Sinnlihem hervorgehe“ (— vier 
fer Ausdrud möchte einem Tadel unterliegen), „ſich auf beides 
beziehe, und fi als Gefühl, oder als Denken, oder als klares 
Schauen zeige. Auch diefe Unterfchiede find zweckmäßig aus- 
einander gefegt; „klares Schauen” nämlih nennt der Hr. 
Verf. „das Zurüdtchren des Bewuftfeyns in ſich,“ in welchem 
daffelbe „ſich als die unmittelbare Identität des Wiſſens und 
Seyns, folglich als das Reale, das ſich felbft und in fih alles 
Andere ſchaut.“ Außerdem daß es „um ſich, ſchaue es 
auch über fi, und ſchaue fo den Urgrund als das Ab— 
folute u. f. f., das Von⸗ſich-ſeyende, als die urfprünglichfte 
Einheit, welche alle ſcheinbare Vielheit aus ſich entſtehen laffe, 
und in der alle Vielheit ſich wieder in eine Einheit verwandle, 
folglich als das Einfache.“ Sehr gut giebt der Hr. Verf. 
an, daß das „Bewuftfeyn das Abfolute nicht nur in feiner 


9, Der Idealrealismus. 247 


Fülle, als die Identität des Seyns und der Entwidlung ans 
fchaue, fondern auch als ruhend und abgefchloffen von dem thä— 
tigen, aus ſich beraustretenden, das Abfolute für fid von ihm 
in feinem Andersfeyn, für die Betrachtung trennen könne; 
wovon das Legtere, der Inbegriff aller relativen Individualitä- 
ten, für das menfchliche Bewußtſeyn die Welt fen.” 

Dem Hrn. Verf. muf aljo zugeflanden werden, dag er ſich 
im Mittelpuntte des Bewußtſeyns der fpekulativen Jdee befins 


Det; wenn der Yusdrud des Schauens für foldes Bewußt— 


ſeyn an ſich gleichgültig ift, fo iſt derfelbe doch charakteriſtiſch 
für die Expofitionsweife, die ſich in diefem vierten Buch für die 
Idee vorfindet. Abgefehen davon, daß hie und da mehr philo- 
fophifche Präcifion, z. B. in Beſtimmung des Verftandes, auch 
der Idee felbft, alsdann das Weglaffen von einigen bloßen Des 
klamationen gegen denfelben und von Rüdfichten auf empirifche 
pſychologiſche Zuftände gewünfcht werden könnte, muß jeder Les 
fer wefentlih den Beweis vermiffen, daß die Idee, wie fie als 
jene Einheit beftimmt worden, in der That abfolut, das Wahre 
iſt. Die Aufforderung des Bewuftfeyns zu dem Schauen def- 
fen, was das Abfolute genannt und von dem in den angeführ- 
ten Beſtimmungen gefprochen wird, und, die Verficherung, daß 
ſolches Schauen die Wahrheit befige und fie felbft fey, reicht für 
die Meberzeugung des Gedantens nicht aus, Die Religionen 
enthalten im Allgemeinen diefes Schauen, in Schwärmercien ift 
es ausdrüdlicher herausgehoben, aud) in allen wahrhaften Phi⸗ 
loſophien ausgeſprochen; aber Theils iſt daſſelbe darin mit man⸗ 
cherlei Heterogenem und Falſchem vermiſcht; Theils, wenn es 
rein und in ſeiner wahrhaften Tiefe im Bewußtſeyn iſt, iſt das 
Eigenthümliche der Wiſſenſchaft, ſolches Schauen nicht bloß aſſer⸗ 


toriſch auszuſprechen, ſondern die Wahrheit feiner Beſtimmung 


zur begreifenden Ueberzeugung, zur Einſicht in die Nothwendig— 
keit, daß das Abſolute ſo und nicht anders beſtimmt werden 
müſſe und ſich ſelbſt fo beſtimme, zu bringen. Für ſolche Ein— 


— 


238 IV, Kritiken. 


Schluffage, daß „ein Anderes (und ein Anderes ift doch wohl 
auch Etwas), alfo das Etwas ein Neues aus ſich hervorge— 
ben laffe, oder daß Etwas vielmehr gar einen Theil (wie 
tommt hieher die Kategorie eines Theils?) von ſich abfondere, 
und dann glei, daf mir die Form oder Befhaffenheit 
eine andere werde. — Mie dergleichen Kategorien, fo ift unter 
Anderem dann gar der, allen foldhen Annahmen widerfpredhende, 
Sat; "jenes Pantheismus: Aus Nichts wird Nichts, geradezu 
als feftfichend angenommen. ©. 211 fommt der Hr. Verf. 
auf den Pantheismus und die Unterfhiedenheit des Ideal⸗ 
realismus von demſelben zu reden; er macht es ſich daſelbſt 
leicht mit dem Pantheismus, indem er geradezu annimmt, „je⸗ 
des Individuum babe ein felbfiftändiges Daſeyn;“ dann aber 
hätte er früher nicht einen Sat müffen gelten laffen, der die 
eleatifche Einheit, die abfirafte, die unveränderlice Identität 
ausſpricht. — Gleich darauf, $. 21., wird der Sat der Kau— 
falität dem finnlihen Anſchauen zugefchrieben, wie fo eben dem 
Denten der Begriff der Veränderung abgefprodhen worden u. f. f. 
Dod zu ähnlichen Zweifeln und Ausſtellungen tönnte die 
ganze Ausführnng des erften Buchs über die Zweifel und Wi— 
derfprüche, welche den menſchlichen Geift zur Philofophie treiben 
follen, Veranlaffung geben; bei einer fo untritifhen Einführung. 
von Kategorien und Sägen, wie fie bier Statt hat, fieht man 
näher, wie fehr es zu bedauern ift, daß das Studium der Fans 
tifhen Kritik, eigentlich aus einer Art von Vornehmigkeit, ges 
ringfhägig geworden; die nächfle Frucht ſolchen Studiums ift 
wenigftens ein gebildeteres Werfahren des Dentens felbft im 
bloßen Raifonnement über abftratte Gegenftände, und ohne folde 
zuvor erworbene Bildung follte nicht an weiteres Philoſophiren, 
noch weniger an fpekulatives gegangen werden. 
Das. Ende des erften Buchs giebt als die drei möglichen 
Wege der Löfung der Widerfprühe den Jdealismus, den 
Realismus und den Jdealrealismus an; jene beiden 


9. Der Idealrealismus. 239 


werden in ihrer beftimmten Konfequenz aufgenommen, nad) wel- 
her (8. 47.) der reine Nealift wie der reine Jdealift feinen wah⸗ 
ven Gegenfag zwiſchen Geiftigem und Sinnlidem anerten- 
nen, indem jenem das Geiftige nicht verfdhieden dem Weſen 
nad vom Sinnlichen ift, und für den zweiten es keine wahre, 
eine andere Außenwelt giebt, als welche von dem Ich in ſich 
felbft getragen wird. Mit Recht wird dann auch das Dritte, 
was der Hr. Verf. den Jdealrealismus nennt, dahin bes 
ſtimmt, daf es nicht ein Gemiſche aus den beiden Gliedern 
des Bewußtſeyns neben einander feyn foll, 

Das zweite Buch handelt nun vom reinen Idealis— 
mus, und giebt im erften Abfchnitt (F. 50 — 62) eine Darſtel⸗ 
lung defelben nach der entichiedenften Geftalt, die er als fich— 
te’fhes Syſtem hat. Diefe Darftellung ift in Anfehung der 
Prineipien im Ganzen gründlich und ſcharf beflimmt zu nennen; 
es ift als richtig anzuerkennen, daß der Gegenfag des Objekts 
und die Theilung des Gegenftändlichen in das Ich und das Ob- 
jeft als Thatſachen von diefem Spfteme aufgeführt und ange— 
nommen werden. Jedoch enthält der Mebergang ($. 53.) zur nähern 
Beftimmung des fichte'fchen dritten, des ſynthetiſchen, Grundfages, 
ein Raifonnement, das weder als fiichte'ſch noch als fonft für ſich 
bündig angefehen werden kann. „Das Ich würde nämlich,“ fagt 
der Hr. Verf, „alles, was auf dem Gegenfage feiner und des 
Nicht-Ich beruht, nit finden, wenn ein Nicht-Ich als 
abfolutes Wefen eriftirte, denn dann würde das Ich eine 
BVorftellung von fid haben können, ohne daf eine entgegen= 
geſetzte fie begleitete; (— eine ſolche Borftellung des Ich von 
fi, d. i. reines, abftraftes Selbftbewuftfeyn wird uns übrigens 
nicht abgefprodhen); „weil alsdenn bereits ein Objekt für 
feine Thätigkeit da wäre, von diefem (Objekte) auf ſich 
reflektirt, hätte es nicht nöthig, in dem Erfaffen feiner felbft zu— 
gleich das Niht- Ih, das Refultat eines Akts feiner Thätigkeit, 
zu fegen.” Nach dem ($.51.) angeführten erften ſchlechthin uns 


248 IV. Keitifen. 


fiht, um deren willen allein wir das Bedürfniß der Philofophie 
haben, ift es nicht genügend, die Einfeitigkeit der beiden frühern 
Gefichtspunkte auf die Art gezeigt zu haben, auf welde es der 
Hr. Verf. verſucht hat; es ift vielmehr erforderlich, jene entge= 
gegengefegten, das (endliche) Geiftige und das Sinnliche — 
(oder auf welche andere Weife der Gegenfas aufgefaßt werden 
möge) an ihnen felbft zu betrachten und in ihnen zu erkennen, 
daf fie, wie fie beftimmt gegeneinander feyn follen, vielmehr dief 
find, in ihr Gegentheil fih aufzuheben, — fomit die Identität 
eines jeden mit feinem Andern aus ihnen felbft ſich ableitend zu 
wiffen, — was die wahrhafte Dialektit und allein die von der 
Dhilofophie zu leiftende Beweisführung iſt. Diefe Richtung aber 
ift dem Hrn. Verf. in feiner Exrpofition des fogenamnten Abfo- 
Iuten nod) zu fremde geblieben, um mehr als Affertionen zu ges 
ben, die nicht allein dunkel und voller Unbefiimmtheiten bleiben, 
fondern ftatt zu beruhigen, die höchſten Widerfprüde darbieten, 
So bemerten wir noch, daß, was von 8. 120, an, über „die 
Entwidlung des Abfoluten, wie fie geſchehe,“ gefagt wird, 
vornehmlih an dem Grundmangel leidet, aus direften Annahs 
men und blofen Raifonnements zufammengefegt zu fehn, und 
feine Ableitung des Inhalts, die aus dem Schauen des Abſo— 
luten gefchehen müßte, gegeben zu haben; felbft von dem Gedan⸗ 
ten der Wefentlichkeit foldher Ableitung findet ſich nirgend eine 
Aeußerung, obgleich der fichtefhe Idealismus, den der Hr. Verf. 
kennt, wie oben bemerkt, für immer die Wirkung auf das Phi- 
lofophiren haben follte, das immanente Aufzeigen der Nothwens 
digkeit unerläßlic zu machen Der Hr. Verf., der bereits fo 
tief eingedrungen, und Intereffe und Gewohnheit abftratten Ge— 
dankens befigt, möge auch dieß Erfordernif der Form für das 
Philofophiren durch weiteres Nachdenken und Studium für feine 
Arbeiten noch gewinnen! 





* 


10. Kecenſion. „Ueber die Grundlage, Gliederung 
und ZTeitenfolge der Weltgeſchichte. Drei Vor— 
träge, gehalten an der Ludiw. Ma2, Uniberfität 

zu München, van J. Görres. Breslau 1830. 


Gahrbücher f. wiſſenſchaftliche Kritik, 1831. IL, Mr. 55—58,) 


| N. Görres zeigt fich in diefer Schrift dem Publitum in einer 
neuen Stellung, als Univerfitäts= Lehrer, der einen didaktiſchen 
Bortrag über einen wiſſenſchaftlichen Gegenſtand vorhat und hier 
in drei Vorleſungen die Einleitung dazu auch dem Publikum 
mittheilt. Früher ausgezeichnet durch die Befchäftigung mit den 
beiden Ertremen, mit alter aflatifher, nordiſcher u. f. f. My— 
thologie und Dichtkunſt und dem gegenwärtigen politifchen Ins 
tereffe und der Handlung der Tagesgefchichte, dort graue Geftalten 
oder kahle Namen und trodene Züge mit tiefen Ahnungen, mehr 
mit einer Phantafie des Gedanfens, als mit Gedanken felbft, 
und mit fühnen Kombinationen, belebend, erweiternd, erfüllend, 
bier unmittelbar in die Situation des Augenblicks eingreifend 
und das Gemüth des Volks mit leidenfchaftsvoller Beredfamteit 
zum Enthufiasmus der That entflammend, Jene dunteln An— 
fünge durd die lange Kette der Weltgefehichte mit der jegigen 
Gegenwart zu verknüpfen, macht ſich nun der Hr, Berf. zur 
Yufgabe. Schon der Gegenftand, der die offen liegende Gefchichte 
iſt, wie der. leidenfchaftslofe Zweck, wiſſenſchaftliche Einficht und 
Belehrung zu bewirken, muß viel von der Behandlungsweife, 


250 IV. Kritiken. 


durch welche jene Arbeiten einen Theil ihrer Eelebrität erhalten 
haben, entfernen. Wenn dort Phantafle, Fühne Kombinationen, 
Hige, Beredfamkeit, zu oft auch mit Phantafterei, leerem Spiele 
von Analogieen und mit bloßen Einfällen, blinder LAldenfhaft- 
lichkeit und Bombaft verbunden waren, fo muß dergleichen hier 
in dem Lehrvortrage eines wiſſenſchaftlichen Ganzen gegen Ge— 
danken, hiſtoriſche Begründung und Kälte des Verſtandes zurück— 
treten; doch in einer Einleitung, die uns der Hr. Verf. einſtwei⸗ 
len im die Hände gegeben, wird ein Ingredienz von blühender 
Phantafie, von Bildern, Wärme und Beredfamkeit nicht an un— 
rechter Stelle gefunden werden. 

Für den Zweck einer kritiſchen Anzeige ſollte der reinere, 
d. i. abſtraktere Inhalt herausgehoben werden, aber es zeigt ſich 
beinahe unthunlich, ihn von der lebhaften, warmen Bilderfprache, 
in die er nicht fowohl eingehüllt, als an die er vielmehr ganz 
gebunden ift, zu befreien; es könnte felbft leid thun, den Schmud 
des Vortrags ganz bei Seite zu feßen; es ift jedoch nicht zu 
läugnen, daß dieß durd alle Perioden der drei Vorlefungen forte 
quellende rednerifche Tönen, der Wirkung durch die Ermüdung 
Abbruch thut, umd felbft im Lefen zu häufig mehr die Ohren 
als den Geift erfüllt. — In der erftien Vorleſung giebt der 
Hr. Verf. ©. 6 den Inhalt diefer und der zwei. folgenden dahin 
an, daß er ſich darüber zu erklären habe: 

erftens, welches herrſchende Grundprincip er der Gefchichte 
unterlege, und in welcher Weife er von dem Entgegengefegten 
ſich losfage; 

zweitens, in welder — dieß herrſchende Grund— 
princip mit den andern abgeleiteten und untergeordneten Prinz 
cipien ſich verkette, und wie eben daraus auch die gegenfeitige 
Unterordnung und Bedeutung der verſchiedenen Normen: fih ab— 
leite, die als Leitfterne wie den Gang der Geſchichte felbft in der 
That, fo aud Die Wiſſenſchaft in der Anſchauung lenken 
und regieren; endlich 


410, Necenfion, 3. Goͤrres, üb. d, Grundlage ıc. d. Weltgefchichte. 251 


drittens, wie aus dieſer innern Werkettung ſich die in- 
nere organifche Gliederung der Geſchichte ſelbſt entwidle, und 
wie fie in diefer Gliederung” in große natürliche Perioden zer— 
falle, die 'mit ihren wohlgeordneten, durcheinander gefchlungenen 
Kreifen die ganze Fülle der Ereigniffe umfihreiben. 

Die Natur einer Einleitung bringt es zwar mit fi, 
daß der Inhalt nur im Allgemeinen vor die Vorftellung gebracht 
werden foll, und es darin noch nicht um das Begründen und 
BDeweifen zu thun feyn kann; aber daf es überhaupt nicht um 
ein ſolches für die Wiffenfchaft, wie fie in diefem Wortrage der 
Weltgeſchichte verftanden wird, zu thun feyn foll, würde man 
ſchon daraus abnehmen müffen, daß die Anſchauung als das 
angegeben wird, was der Wiffenfchaft zum Unterfchiede von der 
That der Gefchichte eigenthümlich fey. Nirgends ift in diefen 
Borlefungen das Bedürfnif ausgedrüdt, daf von dem, was der 
Hr. Berf. für die Wahrheit ausgiebt, auch bewiefen werde, 
daß es Wahrheit ſey, fowohl was die äußerlich = Po als 
was die höhere fubftantielle betrifft. 

Es ſcheint dem Hrn. Verf. völlig unbefannt, für ihn über: 
haupt nicht vorhanden zu ſeyn, daß die Einfiht in die Nothe 
wendigkeit allein durch das Denken und Begreifen bewirkt, wie 
die Beglaubigung des Geſchichtlichen nur auf hiſtoriſche Zeugs 
niffe und deren kritiſche Würdigung gegründet werden kann, und 
daß ſolche Erkenntniß allein Wiffenfhaftlihkeit genannt wird, 
Selbft das Wort Gedanke erinnert fih Ref. in der ganzen 
Schrift nicht gefehen zu haben, das Wort Begriff fommt 
©. 55 vor; aber nur von „beſchränkten Begriffen“ iſt da— 
felbft die Rede und unter der gewöhnlichen, abgedrofchenen Um⸗ 
gebung von „engherziger Weiſe,“ „künſtlichem Syſteme,“ „hin— 
. einzwängen der Mannichfaltigkeit in dieſelbe,“ u. ſ. f. Es wird 
fih an dem, was wir von der Abhandlung herauszuheben haben, 
ergeben, wie in der Unfhauung, die der Hr. Verf, für feine 
Erkenntnißweife nimmt, die Abſtraktionen und Kategorien einer 


252 IV. Kritiken. 


gewöhnlichen Verftandesbildung durchlaufen, ingleihen wie diefe 
Anſchauung verfährt, um ſich das geſchichtliche Material zu vers 
ſchaffen. R 

Die erſte Vorleſung beginnt die Darlegung der Wahrheit, 
die der Weltgeſchichte zu Grunde liege, mit dem Gegenſatze der— 
felben gegen die Irrlehren; diefer wird durch die Parallelifirung 
mit der „zweifahen Anſchauung“ eingeführt, die „in dem 
Naturgebiete“ gefunden werde — die eine, die den finnliden 
Schein zu Grunde lege, nad welchem die Erde die eigentliche 
Mitte des ganzen MWeltgebietes fey, die von der Tiefe aus 
über die Höhe gebiete, — die andere entgegengefeste, welche die 
Sonne in die Mitte fielle, und nad Erfindung der keppler'ſchen 
Gefege und des Grundgefeges der Schwere alle Ungleichheiten 
an diefe Drdnung der Mitte leicht antnüpfe. — Der Hr.. Verf. 
nimmt keinen Anſtand, die belichte Kabel zu wiederholen, daf 
die legtere Weltanſchauung durch das frühefte Alterthum hindurch— 
gegangen fen, und fid als ein zweifelhafter Schimmer, eine ver= 
blihene Weberlieferung, in einigen Priefterfhulen auf 
bewahrt habe; auch verfchmäht er es nicht, für diefe Vorftellung 
die populäre Reflerion über das „Unzuläffige der unges 
heuern Geſchwindigkeit,“ welche die tägliche Bewegung des 
Sternenhimmels vorausfegte, anzuführen. — Diefen MWeltan- 
fhauungen werden zwei Grundanfhauungen der Ge fhidhte 
gegenüber geftellt; die eine, welde das Natürliche für das 
Herrſchende erfenne, — eine „durd das gefammte Alterthum“ 
(gleichfalls!) „durchgreifende Anfiht, die mit allen Sinnen 
fid) an den Naturfchein heftend, die Erde und in ihr das Natur 
princip als das Gebietende im geiftigen Reiche geehrt, und 
das Göttlibe in unterwürfiger Dienfibarkeit an die 
Allperrfcherin geknüpft; in diefer Anficht feyen es nur Ratur— 
mäcdte, die in Wahrheit die Gefhichte wirken, und Men— 
{hen und Götter, obgleich diefe dem Himmel angehören und auf, 
dem Gipfel des Olympus ihren Sig gewählt, feyen doch in 


40. Reruiien. 3. Secres üb. d. Gemblage sc. d. Wehgefihichte. 253 


innerer Wurzel glei erdenhaft und an die Natur verfallen 
und von ihrer Nothwendigteit unbedingt und blind bes 
herrſcht“ — Es hat wohl Kircdenväter gegeben, welche die grie- 
chiſchen Götter, auf welde der Hr. Berf. hier näher anfpielt, 
für Dämonen, teuflifche Yusgeburten erklärt haben; aber wenn 
es wohl au dem if, daß „der Berg Olympus feine Wurzeln in 
die Tiefe der Erde ſchlage, und die Heimath diefer Götter mit 
der Heimath der andern Erdgebornen verbinde,“ fo iſt es zu 
viel, wenn aus diefer Aufhanung entnommen wird, daf das 
Naturprincip fo einfeitig, wie der Hr. Berf. annimmt, ohne 
Geiſtigkeit und geiflige Freiheit das Wefen des griechiſchen Be⸗ 
wußtfeuns des Gottlichen ausmache; über diefen Göttern ſchwebt 

allerdings das Berhängnif, als eine geiftlofe Nothwendigkeit; die 
griechiſche Religion iſt nicht zum Letzten gedrungen, zur unend⸗ 
lichen, tontreten Berföhnung des ewigen Geifles im endlichen 
mit ſich felbft; aber fhon jenes Schidfal ift nicht daſſelbe was 
Raturnothwendigteit, die nur auf die Ratur geſtellt ift; fie iſt ein 
Abſtraktum anderer Art, als das Raturprincip; das Negative, 


und nur erfi Negative, gegen die Endlichkeit, Zufälligkeit, m 


welcher dem Menſchen das Bewußtſeyn der geifligen ‘Freiheit 
verlichen war. Aber diefe Freiheit macht fogar ausdrüdlid ges 
gen das bloß Natürliche, die Titanen der Zeit, (Chronos), der 
Erde (Gäa), des Himmels (Uranos) u. f. f., das Princip 
der griechiſchen Götter aus, und jene höher als fie gefegte Noth⸗ 
wendigkeit ift die Anerkennung der Beſchränktheit, in welder 
das Princip der Geiftigkeit und Freiheit nur erſt manifeftirt iſt. 
Dian vermift daher in des Verfs. Auffaffendie Grundanſchauung 
des griehifchen Geiſtes und feiner Götterwelt; Hr. Görres tft 
nur in das Produkt der Reflerion über file, in das Negative 
derfelben, nämlich die Nothivendigkeit, gerathen, und bat ferner 
dieß Abſtraktum unrichtig als Raturprincip aufgefaßt. Solcher 
Mangel findet jedoch nicht bloß in Anſehung des ausgehobenen 
griechiſchen Lebens flatt; der abſtrakte Werflandesgegenfag von 


254 h IV, Kritiken. 


bloßer Naturmadıt, an welde Götter und Menſchen verfallen 
ſeyen, die objektive Geſchichte felbft wie die fubjektive Anſicht 
derfelben, — und von dem Gott der fogleich anzuführenden an— 
dern Anſchauung der Geſchichte, ift zu oberflächlich für die kon— 
trete Wirklichkeit der Gefbichte und die Vernunft Erkenntnif; 
wir werden weiterhin fehen, daß Hrn. Görres geſchichtliche Ans 
ſchauung wefentlih dem fernen, zwar tiefen, aber gleichfalls 
noch abitrakten BVerfiandesgegenfage von Gut und Böſe ver— 
fallen bleibt, | 

Die andere Anſchauung der Gefchichte wird als diejenige 
charakteriſirt, welde allein der fchöpferifhen Gottestraft die 
Würde und Bedeutung zugefteht, das Erſte und Herrfchende zu 
ſeyn; dieſe Kraft handelt ihres Thuns ſich bewußt, felber frei, 
jede ethifche Freiheit achtend; fie lenkt als ewige Vorfehung 
den Lauf der Begebenheiten, die willigen Freiheitskräſte leitend, 
die wiederftrebenden ziehend, und. nur die gefnechtete Natur im 
Zügel der Nothwendigkeit haltend und fie an unbeugfame Ge— 
fege bindend. „Unfere Geſchichte,“ fagt der Verf., „bekennt ſich 
ohne allen Zweifel zu diefer Lehre,” und gewiß jede philoſophi— 
ſche Weltgeſchichte, wie überhaupt die chriſtlich-religiöſe Anſicht 
der gegenwärtigen und vergangenen Wellbegebenheiten. Dieß 
Princip wäre für ſich in ſeiner Allgemeinheit weder etwas Neues 
noch Eigenthümliches; bei dieſer Allgemeinheit deſſelben bleibt 
der religiöſe Glaube ſtehen; aber eine Darftellung der Weltge— 
ſchichte hat daffelbe in feiner Entwidlung beſtimmt aufzuzeigen, 
d. i. den Plan der Borfehung zum Verfländnifi zu bringen; 
wie diefen Plan die dritte Vorlefung, die denfelben zum Gegen- 
ſtande hat, auffaßt, haben wir nachher zu fehen. Zunächſt giebt 
der Hr. Verf. von diefem Principe felbft das Geſchichtliche an, 
daf wie die zuerfi genannte Anſchauung der Gefhichte bis nahe 
an den Urfprung der Dinge hinüberreihe, fo diefe andere da— 
gegen aus einem böhern und beffern Zuftande eines nähern 
und vertrautern WBerhältniffes mit der Gottheit hervorgegangen 


410, Recenfion. 3. Görres, üb, d, Grundlage ıc. d. Weltgeſchichte. 255 


fen, fi durch priefterliche Meberlieferung fortgepflanzt, von Seit 
zu Zeit in gottbegeifterten Propheten ſich erneut habe u. f. f.; 
Diefe Lehre fey „im Heiligthume des erwählten Volkes zuerft ver- 
kündet worden;“ im der That finden wir geſchichtlich bei dem 
jüdifhen Volke, freilich noch im fehr unbeftimmter Weife, die 
Lehre von der göttlihen Weltregierung und Vorfehung. Aber 
das Fabelhafte jener Vorſtellung ſpricht ſich unummunden in 
dem Folgenden aus, nämlich: „daß die äußerſten Strahlen die— 
fer. Lehre im Heidenthum mit uralten verblaften Erinnerun- 
gen vereint unter der Hülle der Myſterien ihr Werk voll 
bracht und dann in jenem andern Göttergeſchlechte, das ſich als 
eine Geburt des Lichts bekannt und erfannt habe, Etwas, 
das wenigftens ſy mboliſch die Wahrheit andeuten, mochte, 
hervorgerufen hoben.” Es tonnte nicht anders erwartet werden, 
als daf Hr. Görres auch in diefen Vorträgen eine Vorſtellung 
zum Ausgangspunfte machen würde, die er mit Friedrich von 
Schlegel und andern katholiſchen Schriftftellern, befonders mit 
modernen franzöfifhen, außer dem Abbe Lamennais, Baron 
Edftein, auch mit Gelehrten, die mit der Kongregation zufam- 
menbingen, theilt. Im Intereffe der Fatholifhen Religion, um 
ihre auch der Eriftenz nad Allgemeinheit und Urfprünglichteit 
zu windiciren, wird die in den Menſchen als Geiſt, als Ebenbild 
Gottes, allerdings urfprünglich gelegte Vernunft fo als ein vor⸗ 
bandener Zuftand vorgefiellt, daß in demfelben vor der An— 
ſchauung des Menſchen, der eben fo ethifch volltommen gewe- 
fen, auch die Natur in allen ihren Tiefen und Gefegen klar und 
offen da gelegen habe; dieſe Fülle von Ertenntnif, unter ans 
dern auch die Erkenntnif der erwähnten keppler'ſchen Geſetze, feh 
er durch die Schuld der Sünde verdammt worden, nun durch 
die mühfelige Arbeit von Jahrtaufenden wieder herzuftellen, und 
babe foldyes zugleih nur vermocht, nachdem durd das Opfer 
des zweiten Menſchen die Erlöfung vom Böfen vollbradht wors 
den; — wobei man unter Anderem nicht einficht, warum nicht 


4 


36 IV. Seitifen. 


mit dem Chriftenthum dem Menſchen unmittelbar auch jene Fülle _ 
der Erkenntnif und der Wiſſenſchaften zurüdgeftellt worden iſt. 
— Alles, was ſich von richtiger, höherer Bottes= fo wie von’ 

Naturerkenntnig unter den Völkern finde, ſeyen Trümmer, die das 
Menſchengeſchlecht aus dem Schiffbrud, den es dur das in 
die Geifterwelt eingedrungene Vöſe erlitten, mannichfaltig, durch 
mannichfaltige Schickſale modifleirt, gerettet habe. Was den 
geſchichtlichen Nachweis von Spuren wiffenfhaftliher Kennts 
nif der Natur in den indiſchen, chineſiſchen u. f. f. Traditionen 
betrifft, die man früher dafür angeführt hat, fo hat ſolche Be— 
geündung jener Behauptung aufgegeben werden müflen, nachdem 
die unbeftimmten Erzählungen der Leihtgläubigkeit und Ruhm— 
redigkeit durch die erlangte Einfiht in die Originalwerke diefer 
Nationen verdrängt worden find, und die hohe Meinung von 
ihren wiffenfchaftlichen Kenntniffen fih als ungefhichtlih und 
unwahr erwiefen bat. Auf der andern Seite, nämlich in Ans 
fehung der Erfenntnif Gottes, hat vornehmlich die lamaifche und 
buddhiftifhe Religion, da fie das Ausgezeichnete der ausdrüdli= 
hen Borfiellung eines Gottmenſchen haben, das Jntereffe gelehr— 
ter Anterfuchung bereits erworbener Schäge und des Aufſuchens 
dermalen noch unzugänglider Quellen, durch veranftaltete Reis 
fen, von neuem belebt, wodurd bereits die intereſſanteſten Auf— 
ſchlüſſe über religiöfe Vorftellungen und Philofopheme des hin— 
tern Drients — 3. B. aud) über das Princip der Dreiheit in 
dem Abfoluten, gewonnen worden, und damit nocd weitere 
verfprocdhen find; aber damit hat es nod weithin zu dem ge= 
ſchichtli chen Zufammenhang, auf den die Behauptung ging; 
noch kahler ficht es mit dem apriorifhen Zufammenhange aus, 
der aus oberflächlichen Nehnlichkeiten gefhöpft wird. — Gegen 
den, die abfirafte Grundlage von Hrn. Görres Weltanfhauung 
ausfprechenden Sat, daf (S.16) in den Geiftern wie in Allem, 
was höher und tiefer fi) rege und bewege, Gott als aller Be— 
wegung Anfang, Mitte und Ende gelten müffe, — dagegen ift wie 


10. Mecenfion. 3. Goͤrres, üb, d, Grundlage ıc. d, MWeltgefihichte. 957 


fon bemerkt, nichts einzuwenden; — auch Fönnte man ſich die 
- Manier der Befchreibung ‚, welche ebendafelbft vom Anfang ges 
macht wird, gefallen laffen, daß nämlich „Gottes Wort aus dem 
Innerften feiner Wefenheit geſprochen, ins Nichtſeyn ein fid 
felbft tragender Hall ausgetönt, und im Halle fih in die Gei— 
ſterwelt zugleich mit der erften Materie ausgefchaffen hat, 
und daf das Wort in den Geiftern fih aus der Materie fels 
ber die Schrift geftaltet und gefest, im die ee, die Seele in 
den Leib, eingekehrt, und die alfo gefegte lebendige Schrift in’s 
Buch der Natur ſich eingefchricben hatz“ — ferner nod, was den 
Fortgang betrifft, daß „der Anfang, gegeben durd Gottes 
Allmacht, dem alles Gute in der Gefhichte, alles Böfe aber 
ihr felber zugerechnet werden müffe, im Lichte und in eins 
heit flche, die Mitte von feiner Liebe getragen, in Der Ent— 
jweiung und im Kampfe; das Ende aber in der Schiednif 
durch die Gerechtigkeit wieder zur Verklärung gelange.“ — 
Allein, wenn num jener Anfang nicht im Sinne bloß des gött- 
lichen Anſichſeyns, fondern eines gefhihtlihen Zuſtan— 
des genommen, wenn foldye Meinung für die „uralte, biftorifche, 
priefterlihe Grundanſchauung“ (S. 17) ansgegeben wird, fo 
harakterifirt fi darin die dur das Ganze durdgehende Eis 
genthümlichkeit des Hrn. Verfs., die Affertion von feinem Anz 
{hauen cben fo fehr über die hiftorifche Autorität für das Ma- 
terial, als über den Begriff, der denkend die göttliche Nothwens 
digkeit in der Gefchichte erkennt, zu ftellen. 

Nirgend findet ſich im diefen Vorlefungen die Erwähnung 
der Aufgabe, dem Gange der göttlichen Vorſehung, indem der= 
felbe in der Betrachtung der Weltgeſchichte zu Grunde gelegt 
wird, mit denkender Vernunft zu folgen. Hr. Görres zeigt ſich 
mit keiner andern Berfahrungsweife aufer der Partitularität 
feines Anfhauens und aufer der endlichen Verſtandesanſicht 
befannt. Die leptere ift es, die er in der einfeitigen abftrakten 
Geftalt, in der er fie auffaft, noch in der erften Vorlefung, dem . 

Bermifchte Schriften, * 47 


958 IV. Kritifen. 


Gehalte nad) mit richtiger Würdigung, aber nicht ohne fragen 
hafte Bildnerei fhildert; „jener eisgraue Alte, der Dämogor- 
gon der griechifchen (?) Sage, der gefhäftig arbeitend im 
Mittelpuntte der Erde fige, — das Chriſtenthum babe ihn zur 
Ruhe gewiefen, — er aber rege fi) aufs Neue im tiefen Na— 
turgrunde aller Dinge, aud des Menſchen, ſuche aufs Neue die 
höhern Freiheitsträfte als Fürſt der Welt durch alle telfurifchen 
Kräfte zu beberefhen,; da habe der Zwergkönig Wlberich der 
Heldenfage feine Puren, Gnomen und Kobolde durch alle 
Adern der Erde ausgefendet, daß fie als Fundige Schmiede das 
Metall ausfchmieden, daß des Goldes Glanz und Silbers Schein 
das Licht der Sonne überftrahle u. f. f. — die Salamander 
feyen efendet u, ſ. f.“ — Der Fluch nun folden Treibens, - 
die B mniß diefer Zeit, in der die gefellihaftlihe Verbin— 
dung, ausgehend von dem Grunde eines thörichten Selbfibes 
lügens, fih zu einem frehen gegenfeitigen Belügen 
ausgeftaltet,” — foll von der Jugend abgewendet werden, — 
vorher hatte er diefe Richtung auch die „Rückkehr des alten 
Heidenthums“ genannt, „in einer Zeit, die nad der Weltorbd- 
nung ganz dem Chriftenthume und feiner Weltanficht angehören 
follte.“ Hr. Görres erzeigt der Weltordnung, die nad) der von 
ihm zum feften Grunde gelegten Anſicht wefentlicd vom der gött— 
lichen Worfehung geleitet worden, fo wie dem Chriftenthum und 
deſſen Weltanfiht wenig Ehre, ſchenkt derfelben wenig wahre 
haften Glauben und Bertrauen, wenn er ihre nur geſteht, daf 
die Zeit ihr angehören follte, zugleidy aber behauptet, daß 
diefe Weltordnung fo wenig Kraft und Macht habe, daß dieſe 
Zeit dem Heidenthume verfallen, die ganze geſellſchaft— 
lihe Berbindung fih zu einem frechen gegenfeitigen 
Belügen ausgeflaltet habe, u. ſ. f. Der gründliche Glaube 
an fein Prineip hätte den Hrn. Werf. vielmehr daranf leiten 
müſſen, zu allererft in folde Anſicht der Zeit, die ihm nur die 
Anfhauung von Lüge, Nichtigkeit, Frevel, Heidenthum u, f. f. 


410, Mecenfion. 3. Görres, üb. d, Grundlage ıc. d. Weltgefehichte, 259 


giebt, Zweifel zu fegen, — Zweifel, welche fogleic aus der eins 
fachen Betrachtung entfiehen, daß diefe Anficht als Anſchauung 
ein fubjektives Vorftellen ift, und bei der Berfhmähung der Be- - 
griffe und der Wiſſenſchaftlichkeit doch an dem Princip ihren 
Maaßſtab haben muf, mit diefem aber in dem ganz ungeheuern 
Widerſpruche flieht, welcher ohne Auflöfung gelaffen iſt. Der 
gründliche Glaube hätte dann dem Hrn. Verf, das Bertrauen 
gefchentt, daß, wenn er, fatt dem bequemen Anſchauen ſich zu 
überlaffen, die Mühe des Studiums, des Gedantens und der 
Einſicht fi geben würde, ſolche Bemühung ihm die belohnendere 
Ertenntniß und Leberzeugung von der Macht und Wirklich— 
keit der göttlichen Vorfehung aud in diefer Welt und in diefer 
Zeit gewähren müſſe. Was an jenen viele Seiten fortgehenden 
Shildereien und Dellamationen des Hrn. Görres auffällt, ift 
nur bie trodene Berfiandesabftrattion des Böfen, diezu Grunde 
liegt und mit diefen Detlamationen ausftaffirt ift; und daß diefe 
ganz froftig bleiben, weil fie ohne weitere Fülle und Reichthum 
eines- Gehalts find. N 

In der zweiten Borlefung, S. 30, foll das Berhältnif 
bes göttlichen Princips zu dem natürlihen, ihre Verkettung 
in Ueber- und Unterordnung, ihre Formen und Mo— 
mente, die Gefege ihrer Wirkſamkeit, endlich die Art und 
Meife, wie diefe Gefege an uns gelangen, aufgeftellt werden. 
Hier fomit wird uns Hoffnung gemacht, daf wir zu einem Ins 
halte gelangen follen; in der That aber kommt die Vorlefung, 
gleichfalls nicht über das formelle hinaus, Es iſt eine fehr 
gute Schilderung, die Hr. Görres ©. 33 „von der göttlichen 
Mechanik in der Natur und von dem in den Himmel und die 
Erde hineingelegten harmoniſch ordnenden Gefege des Gleichge- 
wichts macht, das wie eine herrfchende urbildlihe Idee durch 
alle ihre Bewegungen durchgreife u. f. f., auf welche Grundlage 
dann eine höhere Gefchichte, die der freien Natur erbaut 


werden fol. Den Erbauern diefes Reichs habe der Meiſter mit 
17% 


ei 


260 IV. Kritiken, 


den nöthigen Kräften ein gleiches, harmoniſch ordnendes Gefet 
des Gleichgewichts innerlich angefhaffen, das auch äußerlich all 
ihr Thun mit aller Macht einer herrfchenden urbildlichen Ider 
durchgreifen foll, an der alle ethiſchen Ungleichheiten ſich aus— 
gleihen und ausfhwanten müflen; die Jdee, ausgegangen 
aus der Fülle des Guten, die Gott in ſich ſchließt, will in der 
Geſchichte nur einen Abglanz diefes Guten ausgeftalten und 
einen äußern Nachklang feiner innern Harmonie hervorrufen.‘ 
Ref. kann nicht anders, als diefer großartigen u Anſchauung, 
wenn Hr. Görres will, beiſtimmen und ſich erfreuen, ſie hier ſo 
wahr ausgeſprochen und anerkannt zu finden; — um ſo mehr 
ift aber zu bedauern, nicht nur daß es bei dieſer allgemeinen 
Wahrheit bleibt, fondern daß die Wusführung, auf welde es 
dann ankäme, um die äußerlich- reelle Bewährung zu geben, der= 
felben vielmehr den größten Eintrag thut. — Es heift ſogleich 
weiter, daß jene „Werwirklihung der Idee Gott den geiftigen 
Naturen angefonnen, und ihnen in den Bewegungen der Him— 
"melstörper ein Mufterbild hingefiellt, dem fie nur nad 
bilden dürfen;” damit wäre den geiftigen Naturen, vollends 
wenn fie die Kenntniß der ſchon erwähnten keppler'ſchen Gefese 
immer bereits befeflen hätten, die Sache leicht gemacht. 

Die Erplitation aber, die num auf das Beftimmtere, näms 
lich auf das Verhältnif des göttlichen Willens zur menfchlichen 
Freiheit, zugehen fol, hat fi der Hr. Verf. noch leichter ge— 
macht, indem er dabei an dem trodnen Gegenfag vom Guten 
und Böfen fefthält, und über den Hauptpunkt bei Katechismus— 
Vorſtellungen ſtehen bleibt, nämlid) darüber, daf „Gott die Ge— 
fchichte in ewiger Gegenwart ſchaue, und wie er fie ſchaut, fie 
vollbringen müſſe, aber daß er fie fhaue wie fie durch die Mit- 
wirkung freier Geifter ſich vollbringt.“ Wenn es vorher für 
gut gefugt gelten kann, „daß Gott jene Verwirklichung lieber 
als eine freie Gabe aus der Hand der freien Kreatur, 
und als eine Bezeugung ihrer Liebe und Dankbarkeit hinneh— 


10, Recenſion. 3. Görres, üb. d, Grundlage ꝛc. d. Weltgefhhichte. 264 


men wolle,“ fo ift es zunächſt ungeeignet, darein zu mifchen, 
daß er dieß durch Zwangsbefehl hätte eintreiben kön— 
nen; — von dem Leeren folder Möglichkeit mußte nicht mehr 
die Nede ſeyn. In Rüdfiht des Werhältniffes aber von Gottes 
Walten zum Handeln der Menſchen beläft es der Hr. Verf. bei 
Allgemeinheiten, wie die folgenden: „jenes von Gott vorausge— 
fhaute Handeln der freien beftimme fein Schauen, weldyes dann 
erft hinterher das in Handlung hervorgegangene Vorſchauen 
alfo beftimme, daf indem (?). Gottes Wille zum Vollzuge ge— 
langt, Alles zum Guten ausſchlage in der Geſchichte — 
wobei die Gewalt der höhern göttlihen Macht als eine über» 
mannende Nothwendigkeit dem Mißbrauch der freien Kür ent 
gegen trete und ihre ewige Ordnung gegen die Unordnung, 
die jene in fie gebracht, vertheidige u. ſ. f., der Herr aber dem 
MWilligen, der mit überlegter Einſicht frei den beffern Theil ges 
wählt, Helfer fey und ‚aus eigener Fülle feine Leiflungen 
ergänze u. f. f.“ Für fo richtig und felbft gehaltvoll man 
diefe Worftellungen und die weiteren ähnlichen Erläuterungen 
aud) gelten laſſen mag, ob fie gleich mehr eine fholaftifhe Ver— 
ſtandesanſicht nachſprechen, als daß fie eimer Vernunfteinſicht 
entnommen wären, fo find fie doch formell gegen den Inhalt, 
nad) welchem bei einem konkreten Gegenſtande, wie die Weltges 
fehichte if, gefragt wird; der Kindergeiſt wird zuerft in elemen- 
tarifche Beflimmungen, weil fie als die abftratteften die noch 
einfachſten und leichteſten find, eingeführt; gleichfalls kehrt auch 
der gebildete Religiöfe immer zu denfelben zurüd; aber jener 
bat erft in der Erfahrung der Welt und feines eigenen Gemüths 
wäher zu erlernen, was denn gut und bös, was denn Ord— 
nung undilnordnung ift; diefer kehrt zu denfelben gleichſam 
als zu Abbreviaturen und abflratten Zeichen des reichen Inhalts 
zurüd, deſſen Bewußtſeyn er fich im Leben, Geſchichte, Studium 
u. f. f. erworben hat, In dem abfiratten Innern des Gewif- 
fens, in der Religion, vor Gott laufen die konkreten Unterſchiede 


262 IV. Kritiken. 


in den einfachen von Gut und Böfe, Ordnung und Unord⸗ 
nung etwa zufammen; aber wo es um bie felbft erplicite Er— 
kenntniß eines erpliciten Gegenftandes — und der erplicitefte ift 
die Weltgefhichte — zu thun ift, da reichen diefe Abftraktionen 
nicht aus. Ein befonnener Menſch wird es ſchwerlich vermögen, 
über ein ‚Individunm das Urtheil zu fällen, daß daffelbe gut 
oder daß es böfe ſey; aber vollends die individuellen Geftaltuns 
gen der Völker und deren im Verlauf der Weltgefhichte hervor- 
gegangene, in ſich fo reiche Zuftände und Thaten diefer Geflals 
tungen nur umter Kategorien jener Art zu faffen, tontraftirt ſo— 
gleich zu fehr mit der Fülle der Aufgabe, als daf nicht felbft 
ein nur oberfläcdhliches Intereffe ſich unbefriedigt fühlen follte. 
Der Verfolg (S. 41) fcheint zunähft einen Inhalt näher 
bringen zu wollen. Nachdem von den drei Reihen, — dem 
Reihe Gottes, — der mit Nothwendigkeit gemijchten Freiheit 
— umd der Natur, — die fih in der Weltgeſchichte durchdrin— 
gen, angegeben ift, daß fie aufdrei Gefegen beruhen, einem in 
den Tiefen der Gottheit verborgenen (?), einem in den 
menſchlichen Geift gelegten, einem in die Materie einges 
tragenen, fo foll der Menfc das erfte Reich mit Gott wirkten 
in der geiftigen Welt, wozu derfelbe mit Freiheit ausgeftattet wor⸗ 
den; die Mebung diefer freiheit aber fd an die Einfiht in 
die Wege der Borfehung und an die Kenntnif der 
gottgegründeten Gefege, in denen jenes Neid gewirkt 
werden foll, geknüpft. Nun fcheine es, daß das dem Men— 
{hen von Gott eingefäpriebene Geſetz hinreichend ſeyn 
müßte, die zwei andern Gefege zu deuten umd fie zur Richtſchnur 
feiner Handlungsweife zu machen. — Ueber diefes Scheinen 
folgt aber der populäre Mebergang, „wenn Gott dem Menſchen 
diefe Einſicht nicht verlichen Habe, (— weld ein Wenn!! der 
Hr. Verf. macht es fi leicht, dergleihen Säge einzuführen!) 
oder wenn der damit Wusgeftattete unvorſichtig die verlichene 
Gabe verfcherzt habe, (— es wäre etwas mehr als ſolche Wen 


460, Necenfion, J. Goͤrres, üb. d. Grundlage ıc. d. Weltgeſchichte. 263 


dung vonnöthen gewefen, um ein Verhältniß diefer Fälle mit 
dem frühern Einfchreiben des göttlichen Gefeges und feiner Gram— 
matit in die Menfchenbruft und in die Natur anzudeuten) fo 


müffe Gott, folle ferner noch von einer im menſchlicher Mit- | 


wirkung ausgewirkten höhern Gefhichte die Rede feyn, den 
Menſchen einer höhern Belehrung würdigen, ihm als Lehrer 
jenes göttliche Gefeg durh Offenbarung mittheilen.“ 

Auf diefe vage und äuferlihe Weiſe. die uns nur auf den 
ganz gewöhnlichen, trodnen Schulboden verfest, wird die Dffen- 
barung als Bibel eingeführt, S. 43, und ihre Beftimmung 
zunächſt dahin angegeben, daß in ihr das Geſetz, weldes Gott 
in aller Geſchichte realifirt haben wolle, fund gethan fey; fo 
daß das Geſetz der drei Reiche in die drei Bibeln, die Bi— 
bei der Natur, die Bibel des Geifles, und die Bibel 
der Geſchichte eingeſchrieben, die beiden erſten aber der dritten 
untergeordnet feyen. 

Nun aber erhebe fi ein MWidereinanderreden vieler Stim- 
men, der vielen Völkerſchaften; kaum eine habe Anftand genom— 
men, ſich felber zum allgemeinen Schwerpunfte der Geſchichte 
aufzuwerfen, und jede reiche Bücher dar, von denen viele Zeugen 
aus Einem Munde betheuern, fie ſeyen ihnen, den Gottbegünftig- 
ten, vorzugsweife vor allen andern mitgetheilt. — Es werden 
alfo die Kriterien angegeben, wonad) zu erkennen ſey, in welchem 
unter den heiligen Büchern aller Völker, — vorausgefegt, daß 
in diefe auch Wahrheit eingegangen, — die lautere Quelle der 
Wahrheit fliefe und wem der Vorrang gebühre. Diefe Kriterien 
find, um fie kurz anzuführen, ſchlichte, prunklofe Einfalt, 
welche die von einer Betradhtung zu erfchöpfende Fülle, wie 
Gott ſelbſt in Unſichtbarkeit verbirgt und das Verborgene 
doch wieder allen Suhenden offen und neidlos hinlegt; 
(— wir werden bei der dritten Vorleſung fehen, was dem Su— 
ben des Hrn. Verfs. ſich offen dargelegt hat, aber wohl an— 
dern Suchenden in Unfihtbarkeit verborgen geblieben iſt 


264 IV. Kritiken. 

und aud nad) des Hrn. Berfs, Yufdeden wohl bleiben wird) — 
zweitens der volle Einklang der menfhlichen Wiffenfhaft, — 
(wobei abermals die Schilderei des einen Grundgedantens von 
der in die Natur und in den Geift eingefchrichenen Gramma= 
tie der göttlichen Sprache, welde die fdhaffende Gottheit ins 
Nichts hineingeredet, wiederkehrt,) — mit der Schrift, die durch 
jene bewährt werde und ihrer Seits jene bewähre (S. 48), je- 
doc fo, daß dem Göttlihen der Vorrang gebühre, und 
ı das Menfhlide vor der Zulaffung fich zuvor über feine 
unzweifelbafte Gültigkeit ausmweifen müffe; — man 
kann dieß als richtig zugeben, aber es erhellt eben fo, daß mit 
folden allgemeinen Worten im Geringfien nichts für ein Krites 
rium geleiftet ift. Zur Bekräftigung der Leerheit ſolchen Kanons 
fügt der Hr. Verf. ſogleich hinzu, daß das Menſchliche feiner 
Natur nach der Fehle unterworfen, jene Bücher oft ſchwer vers 
ſtändlich feyen, in ihrer Deutung ſich vielfältig die Meinungen 
theilen (freilidy! leider!) u. f. f. Dafür wird ein drittes Kenn 
jeidhen „ höchſter Würde heiliger Bücher“ hinzugeſetzt, daß „fie 
das ſchöne Ebenmaaß und die ruhige Sicherheit herr— 
ſchender und umſchreibender Einheit wirklich in ſich tra— 
gen.“ — Es iſt gleichfalls in der dritten Vorleſung, wo ſich 
die Sicherheit des Hrn. Verf. kund giebt, in den Büchern der 
Hebräer, die nad) der gefhichtlihen Seite als ein beſchränktes 
Nationalbuch erfcheinen können, die für die Weltgeihichte um— 
fhreibende Einheit zu finden, — Den Schriften der He— 
bräer nämlid habe nun der beffere Theildes Geſchlechts 
feit Jahrtaufenden den Vorrang und den Standpunkt in 
der berrfchenden Mitte einftimmig zuertannt u. f. f.; man 
findet bier in den vagen Ullgemeinheiten und dem Tone der 
Sicherheit vollftiändig den Styl des Abbe Lamennais und andes 
derer älterer und neuerer Häupter der Kirche, Es fpielt an eis 
nen befjern Gedanken an, was der Hr. Verf. dabei jagt, was 
aber nody weiterer Beflimmungen bedürfte, um mehr als etwas 


— 


40, Recenfion, 3. Goͤrres, üb. d. Grundlage ıc. d. Weltgeſchichte. 265 


Triviales zu ſeyn, daß „fo oft eine neue erweiterte Standlinie 
für die Auffhauenden gewonnen ſey, Aller Blide fih aufs 
Rene nad) folder Urkunde richten, ob ihr Gefes noch unverfehrt 
aufbewahrt, ob ihr Verborgenes fib dem forfhenden Blid 
auf dem neuen Standpunkt nicht tiefer aufgefchloffen u. f. f.“ 
Die Eregefe hängt freilid von dem Geift der Zeit ab; aber 
Zuthern -hat der Geift getrieben, feine und feines Volkes 
Blide auf die fo lange verborgen gehaltene Bibel über- 
haupt zu richten; doch nicht Alle haben den Segen diefer Rich— 
tung aufgenommen. Wenn aber, wie der Hr. Verf. verfüchert, 
dieß Alle thun, und er ſich denfelben angeſchloſſen hat, fo 
vindieirt er fi) dagegen als eigenthümlich, was in feinen Wor—⸗ 
ten anzuführen ift, S. 52 daf, „indem er die Aufgabe, wie er 
wohl fagen dürfe, in einer Allgemeinheit und bis ins Einzelne 
vordringenden Befondernheit aufgefaft, wie man es theilweife 
aus verſchiedenen Gefihtspuntten zwar verfucht, aber in gleichem 
Umfange nie vollführt, es ihm, wie er wohl glauben dürfe, 
fhon einmal (!) gelungen fey, einer Seits den Strom der in 
diefen Büchern enthaltenen Wahrheit reinigend, läuternd, 
deutend, ertlärend und zugleich erfrifchend in die Anſchau— 
ung der Weltgeſchichte hineinzuleiten, und andrer Seits 
diefe Geſchichte in allen ihren Richtungen als die faktiſche 
Gewähr und die dem Geifte unabweislie Bürgſchaft für diefe 
Wahrheit darzuftellen.” Wie der Hr. Verf. die Reinigung, Läutes 
zung, Deutung, Erklärung — jener Bücher vorgenommen, daf 
ihre Wahrheit in die Weltgeſchichte eingefloffen, und wie die 
fattifhe Bewährung, die er fo gefundener Wahrheit verfchafft, 
befhaffen if, werden wir nachher angeben. Aus der zweiten 
Borlefung ift in diefer Rückſicht noch anzuführen, daf ©. 55 
ausdrüdlic proteftirt wird, daf „nicht die Rede feyn könne, der _ 
Mannigfaltigkeit irdifher Ausgeflaltung irgend Gewalt anzuthun, 
fie durch willkürliches Wegnehmen und Hinzufegen in die Um— 
riffe eines künſtlichen Syſtems hineinzuzwängen u. ſ. f., durch 


266 IV. Keitifen. 

überfünfllihe Deutung Fehlendes hinein-, Unbequemes her- 
auszudeuten u. f. f. den vollen Erguf des Lebens aus 
feiger Aengſtlichkeit zu ſcheuen.“ 

Noch aber fängt in diefer Vorleſung der Hr. Verf. an, der 
Sache felbft näher zu treten; es werden die Hauptmomente 
der Gefchichte angegeben, — „als drei aller natürlihen Ge— 
fehichte, die in einem vierten fih der höhern anfchlieft, die 
fie beherrſcht“ Cift nicht grammatifch klar —). Auf diefe Anz 
gabe folgt unmittelbar ein: Denn, „Denn dieß ift die Paral- 
lelifirung des Lebens des Geſchlechts mit dem des einzelnen 
Menſchen, fo daf jenes ſich in denfelben Stadien verläuft 
wie dieſes!“ Man kann geneigt ſeyn, diefe Parallelifirung auf- 
zunehmen und gelten zu laffen. Aber fhon „das Schema,” die 
Angabe der Stadien des Lebens des Einzelnen, ift nicht 
ganz deutlih. Als das erfle Stadium wird das natürliche 
Daſeyn angegeben, das den Menſchen zuerft aufgenommen 
habe, die Jugend; die andere Stufe ift die der Thätigkeit 
der dem Menſchen einwohnenden lebendigen Kräfte, und 
begreift die Verhäliniſſe, in die er zur Familie, zum Stamme, 
zu feinem Volke eingetreten, Das dritte Gebiet if das der 
in ihn gelegten moraliſchen, ethiſchen Kräfte; das legte, 
das religiöfe Element. Wenn zwar der Yusdrud von Le= 
bensaltern vermieden ift, fo wurde man dody auf diefe Vor— 
ftellung gelenkt. Anfangs if von dem Lebensverlauf des 
Einzelnen in Stadien nad der Naturordnung die Rede, 
ingleihen wird das erfle die Jugend genannt; die folgenden 
beißen jedoch nicht mehr Stadien, fondern Gebiete, und wer— 
den auch nicht etwa als Gebiete des Jünglings, des Man— 
nes und Greifes aufgeführt; es würde freilih auffallend ge— 
wefen fen, erft in das legte Alter das religiöfe Element zu le— 
gen. Damit ift aber zugleich die angetündigte Parallelifirung 
hinweggefallen; wir erhalten nur die Angabe der unterſchiedenen 
Hauptmomente des menfchlichen Lebens, bei denen es etwas Lee⸗ 


10, Recenſion. 3. Görres, üb, d. Grundlage ꝛc. d. Weltgeſchichte. 267 


res war, mit dem einzelnen Menſchen anzufangen und auf ihn » 
fi) zu berufen, daf wenn er fein eben betrachte, er ſolche darin 
werde gefunden haben. — Plato, an defien Gang in der Re— 
publit man ſich erinnern könnte, geht umgekehrt fogleic zur Be⸗ 
trahtung der Gerechtigkeit im Staate über, und von da 
aus erfi zur Yusprägung derfelben Grundbeftimmungen im Ein- 
zelnen, aber auc wieder fo, daß hier nicht eine bloße Wiederho- 
lung derfelben flatt findet, fondern daß er fie, wie fie am In— 
dividuum eigenthümlic fi hervorthun, richtig als die Tugen- 
den auffaßt und befchreibt. . 

Mas fih nun am Einzelnen ausgewiefen, werde auch 
in der Univerfalgefchicdhte Geltung haben. „Denn der 
Stammvater des Geſchlechts if felber eine einzelne Perſön— 
lichkeit gewefen, die daher Grund und Anfang aller Gefchichte 
iſt;“ — ein fhwaher Zufammenhang, der beweifen fell, daß 
biemit die Stadien, die vorhin an der einzelnen Perfon 
aufgewiefen worden, aud die Stadien der Univerfalgefchichte 
ſeyen. „Das ſich mehrende, über die ganze Erde ausbreitende 
Geſchlecht,“ — wird fortgefahren, — „bat die klimatiſch, geo— 
logiſch und geographiſch geſchiedene Gliederung derfelben im ſich 
ausgeprägt; — erfles und unterfies, am meiften nature 
verwandtes Element; das zweite ift das ethnographiſche, 
— Theilung in Racen und Völker und Stämme und Gefchlechter, 
mit eigner Zebenseinrichtung, eigenem Inftintte, Anlagen u. fs f.“ 
— man ſieht dabei nicht gut, wie das geographifche Element, 
(das wohl für ſich befhrieben werden mag), indem es auf die 
Menſchen bezogen und in denfelben ausgeprägt wird, nicht 
ein Moment nur des ethnographifchen ſeyn und wie es von dies 
ſem getrennt, ein befonderes menfchliches Element abgeben follte, 
Als das dritte Moment wird das etbifh=-politifche, im Ge— 
biete des Rechtsflaates angegeben; das vierte, das kirchliche 
Element, beftcht darin, daß jedes Volk auf feinem Erbe und 
Looſe an der Oberfläche der Erde, den Theil des Wortes, 


8 IV. Kritiken. 


der ihm zugefallen, verarbeitet, mehr oder weniger mit menfch- 
licher Zuthat ihn verfegend (— wenn ihm nur ein Theil zus 
gefallen, wäre das Wort in ihm fchon endlich genug, und die 
fogenannte menſchliche Zuthat bereits ganz in der Endlid- 
lichkeit, daß ihm nur ein Theil zugefallen, befaßt.) 

Die Einfachheit diefer Momente war ſchon durch jene Pas 
rallelifirung unnöthig verdoppelt, in der zweiten Angabe ift fie 
weniger durd) Gedanken entwidelt, als mit leeren und trodnen 
Redensarten umgeben. Hier wo die allgemeine Eintheilung die 
Angabe beftimmter Unterſchiede verlangt, ift es am unangenehm= 
flen, Ausführungen vorzufinden, wie 3. B. folgende (S. 62) beim 
ethiſch = politifhen Elemente, „indem fih die innerlide 
Einheit der geiftigsethifchen Kräfte im Verlaufe der Gefhichte 
aufgethban und ihren reichen Inhalt in vielfach ausgelegten 
Richtungen ausgelegt hat;“ nun heift es nody ferner: „im 
Spiele diefer Kräfte hat eine neue höhere Dynamit 
fi) begründet, die Elemente des Lebens, ergriffen von jener Bes 
feelung, find in —? andere Werhältniffe gegen einander einz 
getreten, in einer —? gefteigerten Sheidefunft miſchen fie 
ſich und trennen fi nad) —? geändertem Gefese, und Ger 
bilde, die einer —? andern Drönung der Dinge angehören, 
geftalten fid (— zu was?) — in ihrem Vertehre” So 
läßt fi) ohne Gehalt lange fortfprechen. 

Vornehmlich ift e8 in der dritten VBorlefung, daß fol- 
cher Reflerionsformalismus und der gleich leere und phantaftifche 
Shall und Schwall, wovon früher Beifpiele angeführt worden, 
abwechfelnd, das Ahrige zu dem Tädiöfen ihres Inhalts hinzu— 

‚thun. Die glänzende Verworrenheit in dem grundlofen, abftrat- 
ten Formalismus, macht es ſchwer, nod von dieſer Vorlefung 
(S. 66— 122) Rehenfhaft zu geben, in welder nun „ber 
Grund» und Aufrif des großen Gebäudes der Weltgeſchichte“ 
felbft aufgeftellt, „das Wert, das wir zu vollführen unternom— 
men, zu feiner Vollendung gebracht werden ſoll.“ Wie der Ber- 


10, Recenfion. 3. Goͤrres, üb, d, Grundlage x. d. Weltgeſchichte. 269 


lauf der Weltzeiten zuerſt nacheinander angegeben iſt, dem läßt 
fi etwa folgen; aber wo nun, ©. 111, der Ueberblick des gan- 
zen Periodenbaus jener Anfhauung gewährt werden foll, da 
wird der Kalkul (denn die Grund- Kategorie iſt Zahlen» Sches 
matismus) zu tranfcendent, als daß er zur Bemühung um defz 
fen Entwirrung einladen könnte. S. 67 ift die Rede „von der 
Zeit und richtungslofen Ewigkeit, in der die Selbftoffenbarung 
der Gottheit (— diefes Yusdruds bedient fid der Hr. Verf. 
oft) vor dem erſten Anbeginn der Dinge fhon erfolgt” (&.72) 
(— die Methaphufit oder vielmehr Rhetorik diefer Ewigkeit 
übergehen wir —) „fo hat ſich an diefe erfte That, die über 
aller Gefchichte liegt, die zweite angefnüpft, in der die ſchaf— 
fend gewordene Gottheit das Weltall hervorgebracht, in Zeiten 
und Tage die Schöpfungszeit theilend.” Diefer Zeiten 
find fechs, in denen „die geiftige und natürliche Welt in allen 
ihren Hierarhien hervorgebradht worden; in drei Scheidun— 
gen und drei Einigungen; „die erfte Scheidung, die von 
innen nad aufen gegangen, hat Licht und Finſterniß ges 
trennt, damit die erfie Hierarchie ins Univerfum eingeführt: 
fo geht es durch die fehs Schöpfungsmomente der mofaifchen 
Darftellung hindurch; wie aber diefe Succeffion der Schöpfuns 
gen als Scheidungen und Cinigungen, je drei und drei, und 
deren Hieradhien vom Hrn. Verf. no zufammen — fonftrus 
irt, wie man es fonft genannt — oder in Anfhauungen 
von Berkmüpfungen und Gegenfägen gebracht werden, enthalten 
wir ung auseinander zu ſetzen. 

Nur dieß Eigenthümliche wollen wir berausheben, daß der 
Hr. Verf. aus dem Seinigen (der Proteflation gegen wills 
kürliche Erfindungen ungeachtet) bier auch dieß binzufügt, daß 
„an die legte der drei erfin Scheidungen (die Erſchaffung der 
Sonne und der Geftirne) fi) eine andere vierte angeknüpft, in 
der die geiftigen Elemente wie die Naturelemente ſich geſchie⸗ 
den” und welde ebenfalls drei Scheidungen in ſich gehabt has 


k 


270 : IV. Kritiken. 


ben foll; die Anseinanderfegung diefer drei Scheidungen giebt 
eine des Feuers von dem Elemente des Waffers, eine ans 
dere des Unwachfens der Gebirge über das Trodene, und 
eine dritte, der Ausklärung der Luft, der Aufleuchtung in Me— 
teoren u. f. f. — wobei dem Ref. unter anderem unklar ges 
blieben ift, wie darin über eine Scheidung der geiftigen Ele— 
mente etwas befagt ſeyn foll, obgleich es auch unmittelbar hernach 
wieder heißt, daß „das Alles gleicherweife auf der Natur= wie 
auf der geiftigen Seite fid) vollbradıt habe;“ was auf der 
lestern vollbradht worden, hat dem Hrn. Verf. beliebt, in ſich 
verborgen zu behalten. 

Das ift nun die „erfte hHiflorifhe (12) Periode, die in 
ihren fehs Zeiten abgelaufen if.“ „In ihr hat Gott allein 
gewirkt und gewaltet, und Alles, was er herdorgebradt, ift gut 
gewefen” Nun aber „in der zweiten Weltzeit beginnt von 
der geiftigen Natur aus die Genefis des Böfen,“ die, wie die 
Ausihaffung des Guten durch die erſten Weltzeiten in den hö— 
bern Regionen (fiche vorher) begonnen, fo durd die des 
Böfen in den dortigen höheren Geiftern gefchehen fey; — 
und ebenfalls ift, nad) der Verficherung des Hrn. Berfs., „in 
drei abfleigenden, und drei andern frech anfleigenden 
Akten der Sündenfall in das höhere Geiſterreich eingetreten, 
und hat fi audy in das aus Geift und Natur gemiſchte 
Reid unten an der Erde verbreitet.” 

Mit diefer „Vollendung der Genefis des Böfen in ihren 
fehs Momenten,” über deren hiftorifhen Berlauf wir frei— 
lich keinen weitern Yuffchluß erhalten, ift „die zweite große 
Weltzeit abgelaufen.” Hierauf folgt „die dritte Weltzeit, von 
dem Sündenfall bis zur Weltfluth, der Kampf. auf Leben und 
Tod zwifchen dem Reiche des Guten und des Böfen, den das 
Gericht der Weltfluth, — ein freilich einfaches Mittel — zu 
Ende bringt.“ Für diefe Weltzeit weiß uns der Hr. Verf. 
(S. 83 ff.) vielen Beſcheid darüber zu geben, was die Habe- 


10, Recenſſon. J. Görres, üb, d. Grumdlage ꝛc. d. Weltgeſchichte. 271 


liten und die Sethiten und Kainiten gleichfalls in ſechs 
Diomenten gethan haben würden, wenn kein Sündenfall einge- 
treten, und, wieder im entgegengefegten all, wenn der Fluch 
der Sünde allein geherrfht hätte ; ferner aud, wie jener Kampf 
in drei Zeiten zwifchen der Gottesfladt, welche die Habeli- 
ten, und der Erdenftadt, welche die Kainiten erbauten, geführt 
worden, wobei die Töchter der Menden nnd die Nephilim 
ihre weltgefhichtliche Rolle zu fpielen nicht unterlaffen. „Mit 
der Fluth ift die Urgeſchichte abgelaufen;”“ hätte es der Hr. 
Verf. dabei bewenden laffen, daß das Hiſtoriſche derfelben mit 
den Habeliten, Semiten und Kainiten, für uns ebenfo, wie Die 
Waſſer der Fluth, abgelaufen ift, fo hätte er beffer gethan, ebenſo, 
wenn er es bei der Darftellung der Bibel, die von ſechs Schö— 
pfungstagen fpricht, dagegen nichts von ſechs Weltzeiten, 
die wieder von der Weltfluth an bis auf die Erfheinung Chriſti 
vollendet worden, aud) nichts von weitern ſechs von da ausge- 
henden Weltzeiten berichtet, hätte belaffen wollen. i 

Doch zunächſt wird die neue Weltzeit (S. 87) in drei 
engere Zeiten (— diefe drei Meltzeiten find hauptfächlich 
im Auge zu behalten, um nicht in der folgenden Rechnung kon— 
fus zu werden) gegliedert; in der erften wird „der Keim eines 
neuen Menfchengefchledhts, der in der Arche geborgen, in den 
Fluthen die fühnende Taufe erlangt,“ (— wohl eine grofe 
MWaffertaufe, der aber vom Hrn. Verf. nicht viel Geift hinzu— 
gefügt worden —) in allen Gegenfägen ſich entfalten, — in 
ber mittlern die heilträftige Einwirtung der Gottheit zur Df- 
fenbarung gelangen und die Verheifung ſich erfüllen, — in 
der dritten in der verföhnten Menſchheit der Kampf mit dem 
Böſen fi) zum Ziel ausftreitn. — Es wird nun angegeben, 
wie die erfte Weltzeit in der Folge von fehs Zeiten abgelaus 
fen, — „nad dem in fie gelegten Typus der frühern Ge— 
nefis.“ Nach foldher leeren Grundlage eines Schema wird die 
Geſchichte diefer erften Weltzeit der neuen Seit wieder aus drei 


972 IV. Kritiken, 


Wurzeln, dem Sem, Japhet und Cham dur die drei erfien 
Zeiten diefer Häufer, des Nimrod, des Unterfangens, in dem 
Thurm das Kapitol des neuen Erdenfiaats zu bauen u. f. f., 
durdgeführt. „Die vierte Zeit geht im Kampfe der erhals 
tenden Kräfte, an die geweihte Stätte der Kinder Gottes 
(des Geſchlechts Heber’s) geknüpft, mit den zerfiörenden, 
die in den Kindern der Menſchen wirken, dahin, und nun 
erfolgt über die ganze Erde hin vom Norden ber im 
Stamme der Japhetiten die Gegenwirkung, welche die 
beiden folgenden Weltzeiten erfüllt.” Auch find es die Ja— 
phetiten, durch welde die Univerſalmonarchien mit neuer Lehre 
dritter Ordnung im Zeusdienft gegründet ſeyen. „Die 
fünfte wird nämlih durch baktriſch-mediſch-perſiſche 
Weltherrſchaft, feit den Zeiten Feridun's von Jran aus die 
Völker umfaffend (— daß Keridun nicht fehlen würde, 
konnte man aus des Hrn. Verfs. Einleitung zu feiner Webers 
fegung des Shahnahme wohl erwarten —) erfüllt, und die Ges 
walt dadurch dem öftlihen Melttheile zugeteilt. Bald 
aber geht die Herrſchaft nah Europa über und die feste 
Weltzeit grüßt die Griehen als die Gebieter der Erde, 
denen die Römer den Herrfherfiab entwinden.” Diefe Zeile 
ift Alles, was vom Geifte der griehifhen und römifchen Welt 
gefagt, wird, Wenn der Hr. Berf. den Habeliten, Semiten, 
Iapheriten und folden Häufern die große Bedeutung in der 
MWeltgefhichte ertheilt, fo fann man ſich nur wundern, daß mit 
jener Fahlen Kategorie von Herrfhaft, die dur die Gries 
hen auf Europa gebracht, und ihnen von den Römern ent 
wunden werde, diefe reichen, gegen jene nebulofen Schemen hoch— 
herrlichen Wirklihkeiten von Wölkergeiftern, abgefertigt werden; 
doch ift fhon oben bemerkt worden, daß der Hr. Verf. gricchiſche 
Mopthologie die trübe, fpäte, unbedeutende Ausgeburt nennt, in 
welder ein Dämogorgon vorkommt. 

Die zweite Weltzeit ift die des neuen Sabbaths, des 


40, Recenſion. 3. Görres, üb, d. Grundlage ꝛc. d. Weltgeſchichte. 273 


andern Adam, des Stammvaters eines neuen geiftigen Ge— 
ſchlechts; über der begeifterten Rhetorik, in der die Vorſtellun— 
gen vorgetragen find, fcheint der Hr. Verf. nicht dazu gekommen 
zu ſehn, die ſechs Zeiten des Schemas für diefe Weltzeit an= 
zugeben. 

Bon da geht nun die dritte Meltzeit aus, von welder 
der wefentlihe Charakter, (wie in der, die nad) dem falle be= 
gonnen,) ſich fund gebe, im Kampfe des Lebens, das aufs 
Rene in der Menſchheit Wurzel gefaßt, mit dem Tode, der 
aus der frühern Zeit noch hinüberwirkt. Von der Ausbreitung 
des Ehriftenthums aus wurde zwifchen ihm und dem Mo= 
bamedanismus die neue Geſchichte in Licht und Nacht 
getheilt und es war Abend und Morgen der erſte Tag 
in ihr, — von den ſechs Tagen. Es mag vom Ferneren nur 
noc bemerkt werden, daf von der Reformation an nun erſt 
der dritte Tag begonnen haben foll,, in dem wir noch leben; 
wir enthalten uns aber hierüber ein weiteres Detail aus der 
Darftellung zu geben; fie hat allenthalben denfelben ſchwallen⸗ 
den Ton des überladenen Farbenglanzes bei der Trodenheit der 
Gedanken und der Zahlenfpiclerei. Man mag die Nuseinans 
derfegung ©. 111 nachleſen, wie aus der gedoppelten Drei 
zahl, im die der ganze Verlauf der Weltgeſchichte eingefchloffen 
fey, fi die Siebenzahlgewinne, und die vier großen Umläufe 
vier und zwanzig Zeitläufe in ſich begreifen, wie aber wenn 
wir am Schluffe das große Schaufpiel, wovon es doch fhien, 
daf wir erft einen Theil erlebt haben, wieder im ſich zerfällen, 
in febs und dreißig grofe Zeitabtheilungen der ganze 
Zeitverlauf der Gefhichte umferieben fey. Das Zählen 
macht die äuferlichfte Seite der Betradhtungsweife aus; die grund⸗ 
Iofe Willtür, in der es hier fogar zum Princip gemacht wird, 
kann nur Ungeduld, Ueberdruß erweden. Wie vorhin ein Bei— 
ſpiel von der Rhetorik der Reflexion ohne Gehalt, gegeben wor— 
den, fo mifcht fie ſich auch im diefem Theile, in welchem bas 
VBermiſchte Schriften. * 18 


ni. Cr 696 


274 IV Rtitifen, 
Beftinmtere der geſchichtlichen Geftaltungen und ihres Verlaufs 


angegeben werden foll, allenthalben ein, und man wird dabei zu 
fehr can den ältern Styl franzöfifcden weltgeſchichtlichen Vor— 
trags in deflamatorifchen Allgemeinheiten, als ein weiteres In— 
gredienz zu dem Uebrigen, gemabnt; alle, neue, allmählig, 
Verwirrung u. f. f., dergleichen und andere unbeftimmte For— 
men berrfchen duch lange Ausführungen hindurch, und ermüden 
das Beflreben, irgend einen beftimmten Gedanken zu faffen. Um 
diefe hohle Manier zur nähern Anſchauung zu bringen, führt 
Ref. nur Einiges aus der breiten Darftellung der Wirkſamkeit des 
Ehriftenthums an nachdem ein ausführliches Gleihnif vonder Saat 
vorangeſchickt ift, heißt es vom Ehriftenthum felbit (S. 98): „Diefe 
Saat, quellend, keimend, wurgelnd, fproffend im meuen Boden 
und allmählig zum erdbefhattenden Baum erwacfend, 
hat nur im Streite diefe Entfaltung fi errungen, aufbietend 
die ihre eingepflanzten überirdifhen Kräfte gegen die, im 
denen das rdifche fi) wirkſam erweift,” — nun wird dafjelbe 
wiederholt: „bewaffnend das ihr inwohnende beffere Prinz 
cip gegen das Böfe, das die Welt durhwudert, hat fie 
ausunfheinbarem Anfangeu. f.f“— „In dem Maafe 
aber wie der neue Glaube der Verwirrung und der Zer ſtö— 
rung Meifter geworden, und in der Berwefung neues Le— 
ben bervorrufend, das Erftorbene zu neuer Thätigkeit gewedit 
und das in regellofer (abermals —) Verwirrung Aufgelöfte 
in die Kreife der Ordnung zurüdgeführt, hat es in allmäh— 
Liger Ausbreitung alle Regionen des menſchlichen Dafeyns, alle 
Gebiete und Gegenfäte durhdrungen, in denen die menſch— 
lie Natur ſich aufgeſchloſſen u. f. f“ — Doc genug an * 
allgemeinen Worten. * 
Es iſt ſchon angegeben worden, daß der durchweg herrſchende 
Gegenſatz für das Reich des Geiſtes, deſſen Freiheit dem trade 
nen Gegenfas an der Natur hat, der abſtrakte des Guten md 
Böfen if, dann kommt der Kampf beider miteinander; auch 


10, Reeenfion. I. Görres, übe d. Grundlage zc. d. Weltgeſchichte. 275 


kommt es noch zu der Unterfcheidung von ſchaffenden, zerftö- 
renden und erhaltenden Kräften; wie der Hr. Verf. folche 
abftrafte Grundlagen des Verftandes, nebft den Zahlunterſchieden 
für Anſchauung anfehen und ausgeben mag, ift nicht wohl zu 
verftehen; noch weniger wie der Geift und eine geiſtige Anſchauung, 
wenn denn Anſchauung feyn fol, — in der Geſchichte und in der 
MWeltgefchichte fi damit begnügen könnte. Der Grundmangel in 
diefen Vorlefungen ift, daf es ihnen ganz für den großen Gegenftand, 
mit dem fie ſich befchäftigen wollen, an einem tontreten Prins 
eipe fehlt, deffen gedankenvoller Gehalt entwidelt, uns nicht nur 
die Gottheit, wie Hr. Görres fid) oft ausdrüdt, fondern den 
Geiſt Gottes und des Menſchen zeigen, und in der Weltgefchichte, 
ſtatt einer äußerlichen, durch Zahlen beflimmten Schematifirung 
ihrer Erfcheinungen und noch mehr folder Nebelhaftigkeiten, wie 
die Habeliten u. dergl. find, die organifhe Syſtematiſirung des 
Geiftes darftellen würde; in folder Schematifirung lebt und wohnt 
kein Geift. Es thut nichts zur Sache, daf der Hr. Verf, fie ein 
Gefeg nennt, und mit eben folder Proteſtation, wie, die oben | 
angeführte, ſchließt; ©. 1142 — „dirß gefundene Gefeg meiftre 
nicht den Gang der Ereigniffe, noch wolle es nad irgend vors 
gefaßter Meinung Gewalt anthun den Thatfahen, — und 
den innern (wo käme diefer her?) Zufammenhang der Dinge 
— verkennen und flören. Noch weniger foll diefe Anſchauungs— 
weife überall nach bloßen Aehnlichkeiten“ (Zahlen geben fos 
gar Gleichheiten) „haſchen, gröblich den innern Unterſchied 
— verfennend, und dadurd eine langweilige Monotonie in die 
Hiftorie bringen.” Der Hr. Verf. hat nod durch mehr, auch durch 
die fortdauernde Wiederkehr der angeführten wenigen dürftigen 
Abftraktionen, und durch die ganze Art des Vortrags, die wir ges 
nug charakteriſirt, für Monotonie geforgt; und wie dieſe fo möchte 
man leicht alle jene andern Eigenfchaften, und noch die weitern, 
die er folgen läßt, — daß die Ordnung nicht wie ein mathema⸗ 
tiſches“ (das Zählen und die Wiederholung von Ebendemfelben 
18 * 








976 IV. Krititen. | J 
iſt freilich noch nicht etwas Mathematiſches —) „Netz die Maſſe 
der hiſtoriſchen Thatſachen umziehen und — fie mühſam und 
tümmerlich zufammenhalten dürfe, — diefe Eigenfchaften, die der 
Hr. Verf. ablehnt, möchte man leicht in ſtarkem Maaße gerade 
in folder „Hierarchie“ der Weltgeſchichte finden, und die häufi— 
gen Proteftationen der Art cher der Ahnung eines folden Vor⸗ 
wurfs zufchreiben. 

Noch wäre zum Schluf, da der Vortrag an Studirende ges 
richtet ift, die Art anzugeben, wie er fih an diefe wendet; doch 
ließe fich_diefelbe nicht wohl anders dyarakterifiren, als daß diefe 
Anreden größtentheils felbft hieher gefegt würden ; darum Fönnen 
wir nur darauf als etwas Befonderes binweifen, daf der Hr, 
Berf. in der legten Borlefung, am Schluſſe S.119 ff. den Ver⸗ 
ein, den er vor fich hat, nad) den Stämmen, denen derfelbe an= 
gehöre, fhildert; Baiern find es, die ihn zunächſt und allermeift 
umgeben, ihren Sinn und ihre Art habe er die vergangenen zwei 
Jahre hindurch geprüft, und probehaltig, und widerhaltig 
‚zur Genüge gefunden; dann ftellt er ihnen die Nativität als 
nicht gewandt aber flark auftretend u. f. f.; fo nad der Reihe 
den Schwaben, Schweizern, Franken, denen er ſelber an— 
gehöre; wie ehemals ogy giſch jedes Uranfängliche genant wor— 
den, fo habe die neuere Zeit nichts Früheres als Altfräntifches 
anzugeben gewußtu. f.f. „Einige aus dem Norden haben ſich 
wohl auch herzugefunden; dort feh der Verſtand das Vermögen, 
das man von je „forgfamft gepflegt,” was auf Einfeitigkeit ge— 
führt; wollen fie hinhören auf die Stimme, die immer aus dem 
vollen Ganzen redend, aus der Geſchichte fpricht, fo werden 
fie, ohne, was in ihrer Weife tüchtig, aufzugeben, aud) profitiren 
können, indem fie gegen jene Einfeitigkeit fi eine höhere Frei— 
heit der Anfiht gewinnen.“ — Dod die perfönliche Seite der 
Stellung, die ſich der Lehrer zu feinen Zuhörern giebt, wenn er 
diefelbe auch vor das Publitum bringt, N fi nicht dazu, 
weiter befprocdhen zu werden. - 





| Bo i E ede 
Hinrichs Religionsphiloſophie. 


— — 





Der Segenfag von Glauben und Vernunft, der das Intereffe 
von Zahrhunderten befhäftigt hat, und nicht bloß das Intereſſe 
der Schule, fondern der Welt, — kann in unferer Zeit von feis 
ner Wichtigkeit verloren zu haben, ja beinahe verſchwunden zu ſeyn 
feinen. Wenn dem in der That fo wäre, fo, würde vielleicht 
unferer Zeit hierüber nur Glück zu wünſchen feym. Denn jener 
Gegenfag if von diefer Natur, daß der menſchliche Geift ſich 
von feiner der beiden Seiten deffelben wegwenden tanz jede 
beweift fib vielmehr in feinem. innerfien Selbſtbewußtſeyn zu 
mwurzeln, fo daß, wenn fie im Widerflande begriffen find, der 
Halt des Geiftes erſchüttert und die unfeligfte Entzweiung fein 
Zufand if. Wäre aber der Miderftreit des Glaubens und der 
Bernunft verfhwunden und in eine Ausfühnung übergegangen, 
fo würde es wefentlih von der Natur diefer Ausfühnung felbft 
abhangen, in wie fern zu ihr Glüd zw wünſchen wäre, 

Denn es giebt auch einen Frieden der Gleichgültigkeitge- 
gen die Tiefen des Geifles, einen Frieden des Leichtfinns, der 
Kahlheit; im einem folchen ‚Frieden kann das Widerwärtige bes 
feitigt feinen, indem es nur auf die Seite geftellt iſt. Dasje— 
nige aber, was nur überfehen oder verachtet wird, ift darum 
nicht überwunden. Im Gegentheil, wenn nicht im der Ausſöh— 
nung die tiefften wahrhaften Bedürfniffe befriedigt, wenn das 
Heiligthum des Geiftes fein Recht nicht erlangt hätte, fo wäre 
die Entzweiung an ſich geblieben, und die Feindſchaft eiterte ſich 


280 V. Morrede 


deflo tiefer im Innern fort; der Schade würde, mit fich felbft 
unbekannt und unerkannt, defto gefährlicher fehn. 

Ein unbefriedigender Friede kann zu Stande gekommen 
fehn, wenn der Glaube inhaltslos geworden, und von ihm nichts 
als die leere Schale der fubjektiven WMeberzeugung übrig geblies 
ben iſt, — und anderer Seits die Vernunft auf die Erkenntniß 
von Wahrheit Verzicht gethan hat, und dem Geiſte nur ein Er— 
gehen Theils in Erſcheinungen Theils in Gefühlen übrig gelaſ— 
fen iſt. Wie follte da noch großer Zwiefpalt zwifchen Glauben 
und Bermmft ftatt finden können, wenn in beiden kein objektis 
ver Inhalt mehr, fomit tein Gegenftand eines Streites vorha 
den ift? | 

Unter Glauben verfiche ich nämlich nicht, weder das bloß 
fubjektive Ueberztugtſeyn, welches fi auf die Form der Gewiß— 
beit beſchränkt, und noch unbeftimmt läßt, ob und welden Ins 
halt diefes Meberzeugtfeyn habe — noch auf der andern Seite 
nur das Kredo, das Glaubensbekenntniß der Kirche, weldes in 
Wort und Schrift verfaßt ift, und in den Mund, in Vorſtellung 
und Gedächtniß aufgenommen ſeyn kann, ohne das Innere durch— 
drungen, ohne mit der Gewißheit, die der Menſch von fid hat, 
mit dem Selbfibewuftfenn des Menſchen fich identificirt zu has 
ben. Zum Glauben rechne ich, nach dem wahrhaften alten Sinn 
deffelben, das eine Moment eben fo fehr, als das andere, und 
ſetze ihn darein, daß beide in unterfehiedener Einheit verbunden 
find. Die Gemeinde (Kirche) ift in glüdlihem Zuftande, wenn 
der Gegenfag in ihr fi rein auf den angegebenen formellen 
Unterſchied befchräntt, und weder der Geift der Menſchen aus 
ſich einen eigenthümlichen Inhalt dem Inhalte der Kirche ent— 
gegen fest, noch die kirchliche Wahrheit zw einem äußerlichen 
Inhalte übergegangen ift, welder den heiligen Geiſt gleichgültig 
gegen ſich läßt. Die Thätigkeit der Kirche innerhalb ihrer felbft 
wird vornehmlich in der Erziehung des Menfchen beftehen, in 
dem Gefchäfte, die Wahrheit, welche zunächſt nur der Vorftellung 


zu Hineichs’ Neligionsphilofophie, 281 


und dem Gedädhtnif gegeben werden kann, zu einem Innerlichen 
zu maden, fo, daf das Gemüth davon eingenommen und durch— 
drungen werde, und das Gelbfibewußtfenn ſich und feinen wes 
fentlihen Beſtand nur in jener Wahrheit finde. Daß diefe 
beiden Seiten weder unmittelbar noch fortdauernd und feſt in 
allen Beflimmungen miteinander vereinigt find, fondern eine 
Trennung der unmittelbaren Gewißheit feiner felbft von dem 
wahrhaften Inhalte vorhanden ift, gehört in die Erfcheinung jes 
ner fortdauernden Erziehung; die Gewißheit feiner felbft iſt zus 
nächft das natürliche Gefühl und der natürliche Wille, und das 
demfelben entfprechende Meinen und eitle Vorftellen; — der 
wahrhafte Anhalt aber kommt zuerft äußerlich in Wort und 
Buchſtaben an den Geiſt — und die religiöfe Erziehung bewirkt 
beides in Einem, daß die’ Gefühle, die der Menſch nur ummit- 
telbar von Natur hat, ihre Kraft verlieren, und —— 
ſtaben war, zum eigenen lebendigen Geiſte werde. 

Dieſe Verwandlung und Vereinigung des zunächſt äufertis 
ben Stoffes findet zwar -fogleich einen Feind vor, mit dem fle 
es zu thun hat; fie hat einen unmittelbaren Widerſacher an dem 
Naturgeiſte, und muß ſolchen zur Worausfegung haben, eben 
weil es der freie Geift, nicht ein Naturleben ift, was erzeugt 
werden foll, der freie Geift aber nur als ein Wiedergeborner ift. 
Diefer natürliche Feind ift jedoch durch die göttlihe Idee urs 
fprünglich überwunden und der freie Geift erlöſt. Der Kampf 
mit dem Naturgeifte ift darum nur die Erfheinung im endlichen 
Individuum. Aber es kommt aus dem Individuum nod ein 
anderer Feind hervor — ein Feind, der nicht in der blofen Na— 
türlichkeit des Menſchen den Ort feines Ausgangs, fondern viel- 
mehr in dem überfinnlichen Weſen deffelben, im Denten hat 
— dem Urflande des Innern felbftl, dem Merkzeichen des götte 
lichen Ursprungs des Menſchen, demjenigen, wodurd er fi vom 
Thiere unterfcheidet und was allein, wie es die Wurzel feiner 
Hoheit, fo die feiner Erniedrigung ift; denn das Thier iſt we- 


282 BL V. Vorrede 


der der Hoheit noch der Erniedrigung fähig. Wenn das Deu— 
ten ſich eine folde Selbftftändigkeit nimmt, daf es dem Glau— 
ben gefährlib wird, fo ift ein höherer hartnädigerer Kampf 
eingeleitet, als jener, erflere Kampf, in welchem nur der natür— 
lihe Wille und das unbefangene, fi noch nicht für fid) ftellenve 
Bewußtſeyn befaßt if, Diefes Denken ift dann dasjenige, was 
man menſchliches Denken, eigenen Verſtand, endliche Vernunft 
genannt, und mit Recht von dem Denken unterfcheidet, weldhes, 
obwohl im Menſchen, doch göttlich ift, von dem Verſtand, der 
nicht das Eigene, fondern das Allgemeine fucht, von der Ber- 
nunftz welde nur das Unendlihe und Ewige als das allein 
Seyende weiß und betrachtet, 
Es iſt jedoch nicht mothwendig, daß jenes endliche Denten 
fogleidy der Glaubenslehre entgegengefest fen. Zunächſt wird es 
vielmehr innerhalb derjelben, und vermeintlich zu Gunften der 
Religion bemüht ſeyn, um fie mit feinen Erfindungen, Neugier— 
den und Sharffinnigkeiten auszuſchmücken, zu unterftügen und 
zu ehren. In folhem Bemühen geſchieht es, daß der Verftand 
als Folgerungen oder Borausfegungen, Gründe und Zwede, eine 
Menge von Beſtimmungen, an die Glaubenslehren anfnüpft — 
Beftimmungen die von endlihem Gehalte find, denen aber leicht 
eine gleiche Würde, Wichtigkeit und Gültigkeit wie der ewigen 
Wahrheit felbft beigelegt wird, weil fie in unmittelbarem Zuſam— 
menhange mit diefer erfheinen. Indem fie zugleid nur endlichen 
Gehalt haben, und daher der Grgenrede und Gegengründen ausgefegt 
find, bedürfen fie leicht, um behanptet zu werden, äuferlicher Au— 
torität, und werden ein Feld für menfchliche Leidenfchaften. Im In— 
tereffe der Endlichkeit erzeugt haben fie nicht das Zeugniß des heili⸗ 
gen Geiftes für ſich, fondern zu ihrem Beiftande endliche Intereffen. 
Die abſolute Wahrheit felbft aber tritt mit ihrer Erſchei— 
nung in zeitliche Geftaltung und in deren äußerliche Bedingun— 
gen, Zufammenhänge umd Umftände. — Dadurch ift fie von 
felbft ſchon mit einer Mannichfaltigkeit von örtlichem, geſchicht⸗ 


zu Hinrichs’ Meligionspbilofophie. 283 


lihem und anderem pofitivem Stoffe umgeben. Weil die Wahr: 
heit ift, muß fie erfcheinen und erſchienen ſeyn; diefe ihre Ma— 
nifeftation gehört zu ihrer ewigen Natur ſelbſt, ift jo untrennbar 
von ihr, daß diefe Trennung fie vernichten, nämlich ihren In- 
halt zu einem leerem Abſtraktum berabfegen würde; von der 
ewigen Erſcheinung aber, die dem Weſen der Wahrheit inhärirt, 
muß die Seite des momentanen, ‚örtlichen, äußerlihen Beiwefens 
wohl unterfchieden werden, um nicht das Endliche mit dem Un— 
endlichen, das Gleihgültige mit dem Subſtantiellen zu verwech— 
ſeln. Dem Verfiande wird an diefer Seite ein neuer Spielraum 
. für feine Bemühungen und die Vermehrung des endlichen Stof- 
fes anfgethan, und an dem Zufammenhange diefes Beimefens 
findet er unmittelbare Veranlaſſung, die Einzelaheiten deffelben 
zu der Würde des wahren Göttlihen, den Rahmen zur Würde 
des davon umſchloſſenen Kunfiwerkes zu erheben, um für die 
endlihen Geſchichten, Begebenheiten, Umftände, Vorſtellungen, 
Gebote u. f. f. diefelbe Ehrfurcht, denfelben Glauben zu for— 
dern, wie für das, was abfolutes Seyn, ewige Geſchichte, iſt. 
An diefen Seiten, ift es denn, wo die formelle Beden- 
tung des Glaubens hervorzutreten beginnt, — die Bedeutung, 
daß er ein Fürwahrhalten überhaupt ſey, das was fiir wahr 
gelten foll, mag ſeiner innern Natur nach beſchaffen feym, wie 
es wolle, Es if dieß dafjelbe Fürwahrhalten, welches in den 
alltäglichen Dingen des gemeinen Lebens, deſſen Zufländen, 
Berhältniffen, Begebenheiten, oder fonftigen natürlichen Eriften- 
zen, Eigenfhaften und Befchaffenheiten an feinem Orte iſt und 
gilt. Wenn die ſinnliche äußerliche Unfhanung, oder. das innere 
unmittelbare Gefühl, die Zeugniffe Anderer und das ZJutrauen - 
zu ihnen uf. f. die Kriterien. find, aus weichen dev Glaube für 
dergleichen Dinge hervorgeht, fo kann wohl hiebei ‚eine Ueber⸗ 
-zeugung, als ein durch Gründe vermittltes Fürwahrhalten, 
von. dem Glauben als foldhem unterfchieden werden. Uber dieſe 
Unterfheidung ift zu geringfügig, um für ſolche Ueberzeugung 


284 V. Vorrede 


einen Vorzug gegen den bloßen Glauben zu behaupten; denn 
die fogenannten Gründe find nichts anderes, als die rn. 
Quellen deffen, was bier Glauben heißt. 

Von anderer Art aber ift in Anfehung diefes — 
Fürwahrhaltens ein Unterſchied, der ſich auf den Stoff und inss 
befondere den Gebrauch bezieht, der von dem Stoffe gemacht 
wird, Indem nämlich diejenigen endlichen und äußerlichen Ge— 
fehichten und Umftände, welde in dem Umfange des religiöfen‘ 
Glaubens liegen, in einem Zufammenhange mit der ewigen 
Geſchichte, welche die objektive Grundlage der Religion aus 
macht, ſtehen, fo fehöpft die Frömmigkeit ihre mannichfaltigen 
Erregungen, Erbauungen und Belehrungen über die weltlichen 
BVerhältniffe, individuellen Schidfale und Lagen aus diefem 
Stoffe, und findet ihre Vorftellungen und den ganzen Umfang 
ihrer Bildung meiftentheils oder ganz an jenen Kreis von Ges 
ſchichten und Lehren, von welchem die ewige Wahrheit umgeben 
if, angeknüpft. Auf alle Fälle verdient folder Kreis, in wels 
chem, als einem Volksbuche, die Menſchen ihr Bewußtſeyn über 
alle weiteren Berhältniffe ihres Gemüths und Lebens überhaupt 
gefhöpft haben, ja. welder aud das Medium ift, durch welches 
fie ihre Wirklichkeit zu dem religiöſen Geſichtspunkt erheben, 
wenigftens bie größte Achtung und eine ehrfurchtsvolle Behandlung. 

Ein Anderes ift es nun, wenn folder Kreis unbefangen 
blog von der frommen Gefinnung gebraucht und für diefelbe bes 
nust wird, als wenn er vom Verflande gefaßt und wie er von 
diefem gefaßt und feftgefegt ift, anderem Werftande fo geboten 
wird, daß er Diefem als Regel und Feſtes für das Fürwahrhals 
ten ‚gelten, hiemit diefer Verſtand nur dem Berftande fih unters 
werfen foll, und, wenn diefe Unterwerfung im Namen der gött⸗ 
lichen Wahrheit gefordert wird, “ ) 
| In der That thut foldhe Forderung das Gegentheil ihrer 
ſelbſt; da es nicht der göttliche Geift des Glaubens ift, fondern 
der Verftand, welcher die Unterwerfung des Verftandes unter ſich 


zu Hinrich's Neligionsphilofophie. 285 


verlangt, fo wird vielmehr der Verftand unmittelbar dadurch be= 
rechtigt, das Hauptwort in den göttlihen Dingen zu haben, 
Gegen folden Inhalt des Buchflabens und der Orthodorie hat 
der beffere Sinn ein göttliches Recht. So geſchieht es denn, 
daf je breiter ſich dieſe endliche Weisheit über- göttliche Dinge 
macht, je mehr fie Gewicht auf das äuferlihe Hiftorifche, und 
auf die Erfindung ihres eigenen Scharffinns legt, fie defto mehr 
gegen die göttlihe Mahrheit und gegen fid) felbft gearbeitet hat, 
Sie hat das der göttlichen Wahrheit entgegengefeste Prineip 
hervorgebracht und anerkannt, einen ganz andern Boden für das 
Erkennen aufgethban und bereitet; auf diefem wird die unendliche: 
Energie, die das Princip des Erkennens zugleich im ſich beftgt, 
und in der die +tiefere Möglichkeit feiner einfligen Verſöhnung 
mit dem. wahren Glauben liegt, fi gegen die Einzwängung in 
jenes endliche Verftandesreich kehren, und deſſen Anfprüde, das 
Himmelreich feyn zu wollen, zerflören, 

Es iſt der beffere Sinn, der empört über den Widerſpruch 
folder Anmafung, Endlichteiten und Aeußerlichkeiten als das 
Göttliche anerkennen und verchren zu laffen, ausgerüftet mit der 
Waffe des endlichen Denkens, als Aufklärung einer Seits 
bie Freiheit des Geiftes, das Princip einer geiftigen Relis 
gion, hergeftellt und behauptet, anderer Seits aber als nur ab- 
firaktes Denten Feinen Unterfbied zu maden gewußt 
bat, zwifchen Beftimmungen eines nur endlichen Inhalts, und 
Beftinunungen der Wahrheit felbf. So hat diefer abftrakte 
Berftand ſich gegen alle Beflimmtheit gekehrt, die Wahrheit 
durchaus alles Inhalts entleert, und ſich nichts übrig behalten, 
als einer Seits das reine Negative felbft, das caput mortuum 
eines nur abftratten Wefens und anderer Seits endlichen Stoff, 
Theils den, der feiner Natur nad) endlih und äußerlich ift, 
Zheils aber den, den er ſich aus dem göttlichen Inhalt verfhafft 
hat, als welchem felbft er zu der Aeußerlichkeit von bloß gemein 
biftorifchen Begebenheiten, zu lokalen Meinungen und beſondern 


Bu 


286 er V. Vorrede 
Zeitanſtchten herabgeſetzt hat. — Unthätig kann aber das Den— 
ken überhaupt nicht ſeyn. Aus und in jenem Gotte iſt nichts 
zu holen, noch zw erholen, denn er iſt bereits in ſich ganz hohl 
gemacht. Er ift das Unerkennbare, denn das Erkennen hat es 
mit Inhalt, Beftimmung, Bewegung zu thun, das Leere aber ift 
inhaltslos, umbeftimmt, ohne Leben und Handlung in fi. Die 
Lehre der Wahrheit ift ganz nur dieß, Lehre von Gott zu fehn, 
und deffen Natur und Geſchäft geoffenbart zu haben. Der Ver— 
fand aber, indem er allen diefen Inhalt aufgelöft hat, hat Gott 
wieder eingehüllt und ihn zu dem, was er früher zur Zeit der 
bloßen Schnfucht war, zu dem Unbekannten, herabgefegt. Der 
denkenden Thätigkeit Lleibt daher kein Stoff, als der vorher an- 
gegebene endliche, nur mit dem Bemwußtfeyn und der Be— 
ffimmung, daß es nichts als zeitlicher und endlicher Stoff ift; 
fie ift darauf befchräntt, in ſolchem Stoffe fi zw ergehen und 
die Befriedigung in der Eitelkeit zu finden, das Eitle vielfach 
zu geftalten, zu wenden, und rine große Maffe deffelben — 
Aue vor ſich zu bringen. 

,» Dem Geifle aber, der es in diefer Eitelkeit nicht aushält, 
ift nur das Sehnen gelaffen; denn das, worin er fi) befriedigen 
wollte, ift ein Jenfeits; es iftgeftaltlos, inhaltlos, beftimmungs- 
los; nur durch Geftalt, Inhalt, Beſtimmung ift aber etwas für 
den Geift, ift es Vernunft, Wirklichkeit, Leben, ift es an und 
für ſich. Jener endliche Stoff aber ift nur etwas Subjektives, 
und unfähig, den Gehalt für das leere Ewige abzugeben, Das 
Bedürfnif des nad) Religion wieder fuchenden Gheiftes hat 
darum näher die VBeftimmung, daß es einen Grhalt, der an und 
für fich fey, eine Wahrheit verlangt, die nicht dem Meinen und 
dem Eigendünfel des Verftandes angehöre, fondern welde ob= 
jettiv fey. Was num diefem Bedürfniffe allein noch übrig bleibt, 
um zu einer Befriedigung zu gelangen, ift, in die Gefühle 
‚ jurüdgetrieben zu werden. Das Gefühl tt noch die eine 
zige Weife, in welcher die Religion vorhanden ſehn kann; am 


zu Hinrichs” Religionsphiloſophie. 287 


den höhern Geftalten ihrer Eriftenz, an der Form des Vor—⸗ 
ftellens und Fürwahrhaltens eines Inhalts, hat immer 
die Reflerion einen Antheil, und die Reflerion hat ſich bis zur 
Regation aller objektiven Beflimmung getrieben, 

Dieß find kurz die Grundzüge des Ganges, den die for 
melle Reflerion in der Religion genommen hat. Das Syſtem 
von fpigfindigen, metaphpfifchen, Tafwiftifhen Unterfcheidungen 
und Beftimmungen, in welde der Verftand den gediegenen Ins 
halt der Religion zerfplitterte, und auf die er die gleiche Auto— 
rität, wie auf die ewige Wahrheit, legte, ift das erfie Hebel, das 
innerhalb der Religion felbit beginnt. Das andere Uebel aber, 
fo fehr es zunächſt das Gegentheil zu ſeyn fheint, iſt ſchon in 
dieſem erften Stahdpuntte gegründet, und nur eine weitere Ent» 
wicklung deffelben; es ift das Uchel, daß das Denken als felbft- 
fländig auftritt, und mit den formellen Waffen, welden jene 
Draffe von dürrer Gehaltlofigkeit ihren Urſprung, und die es 
felöft jenem erſten Geſchäfte verdankt, ſich dagegen kehrt, und 
fein letztes Princip, die reine Abftraktion felbft, das beflimmungs- 
lofe höchſte Wefen, findet. Für die philofophifhe Betrachtung 
hat es Intereffe, eben diefes: der Reflerion felbft unerwartete 
Umfchlagen in ein Feindfeliges gegen das, was ihr Werk ift, zu 
bemerken, — ein Umfchlagen, welches ebenfo nur die a. Be 
fimmung der Reflerion felbft ift. 

Nah dem Gefagten befiimmt fi) das Uebel, in — die 
Aufklärung die Religion und die Theologie gebracht hat, 
als der Mangel an gewußter Wahrheit, einem objekti— 
sen Inhalt, einer Glaubenslehre. Eigentlid kann jedoch 
nur von der Religion gefagt werden, daß fie folden Mangel leide, 
denn eine Theologie giebt e8 nicht mehr, wenn es keinen folhen In 
halt giebt. Diefe ift darauf reducirt, hiftorifche Gelehrfamteit, und 
dann die dürftige Expoſition einiger fubjektiven Gefühle zu feyn. 
Das angegebene Refultat aber ift das, was von der religiöfen 
Seite geſchehen if, zur Verfühnung des Glaubens und der Ber> 


la 
rm 


288 V. Vorrede. 


nunft. Es iſt jetzt noch zu erwähnen, daß die Philoſophie 
auch von ihrer Seite zu dieſer Ausgleichung, und zwar auf die— 
felbe Weife die Hand geboten hat. 

Denn der Mangel, in den die Philofophie — * iſt, 
zeigt ſich gleichfalls als Mangel an objektivem Inhalte. 
Sie iſt die Wiſſenſchaft der denkenden Vernunft, — wie der re— 
ligiöſe Glauben das Bewußtſeyn und abſolute Fürwahrhalten 
der für die Vorſtellung gegebenen Vernunft, — und dieſer Wiſ— 
ſenſchaft iſt der Stoff ſo dünne geworden, wie dem Glauben. 

Die Philoſophie, von welcher der Standpunkt der allgemei- 
nen Bildung des Gedankens in neuerer Zeit zunächſt fefigeftellt 
worden, und welde ſich mit Recht die kritiſche genannt hat, 
bat nichts Anderes gethan, als daß von ihr das Geſchäft der 
Aufktärung, weldes zunächſt auf konkrete Vorflellungen und Ge— 
genftände gerichtet war, auf feine einfache Formel redueirt wor— 
den ift; dieſt Philofophie hat feinen andern Inhalt und Res 
fultat, als aus jenem räfonnirenden Verftande hervorgegangen 
if. Die kritiſche oder kantiſche Philofophie ift zwar, fo 
gut wie die Aufklärung etwas dem Namen nad) Antiquirteg, 
Und man würde übel anfommen, wenn man denjenigen, welde 
fih die Philofophen unter den Schriftftellern nennen, ferner den 
wiffenfchaftlihen Schriftftellern über Materien. der Theologie, 
Religion, Moral, fo auch denen, welche über politifhe Angeles 
genheiten, Gefege und Staatsverfaffungs- Saden fchreiben, heu— 
tiges Tags noch Schuld gäbe, was von Philofophie in ihren 
Schriften zu ſeyn fheinen könnte, fey kantiſche Philofophie; fo. 
wie man eben fo übel antommen würde, wenn man den räfone_ 
nirenden Theologen, und noch mehr denen, welche die Religion 
auf fubjektive Gefühle fielen, noh die Auftlärung zuſchrei— 
ben wollte, — Wer hat nicht die kantiſche Philoſophie widers 
legt, oder verbefiert, und wird nit etwa noch jest zum Ritter 
an ihr? Mer ift nicht weiter fortgefchritten? Betrachtet; man 
aber die Thaten diefer Schrififiellerei, der philoſophiſchen, mora⸗ 


zu Hinrichs Religionsphiloſophie. 2869 


liſchen und der theologiſchen, welche letztere häufig gegen nichts 
ſo ſtark, als dagegen, etwas Philoſophiſches ſeyn zu wollen, 
proteſtirt, ſo erkennt man ſogleich nur dieſelben Grundſätze und 
Recſultate, welche aber hier bereits als Vorausſetzungen und 
anertannte MWahrheiten erfcheinen. An ihren Früchten 
ſollt ihre fie erkennen. Der Umftand, fi ganz nur auf der 
Heerfiraße der Zeitvorftellungen und Vorurtheiie zu befinden, 
hindert den Eigendünkel nicht, zu meinen, daß feine aus dem 
allgemeinen Strome aufgefchöpften Trivialitäten, ganz originelle 
Anfihten und neue Entdedungen auf dem Gebiete des Geiſtes 
und der Wiffenfchaft feyen. 

Das, was an und für-fid) ift, und was endlich und zeitlich 
if, — dieß find die zwei Grundbeflimmungen, die bei einer 
Lehre von der Wahrheit vorkommen müffen, und von weldem 
Gehalt eine folde Lehre fey, das hängt davon ab, wie diefe 


zwei Seiten gefaßt und feitgeftellt- find, und welche Stellung dem . 


Geifte zu ihnen angewiefen if. Betrachten wir hiernach die 
Wahrheiten der Zeitphilofophie, — Wahrheiten, die fo fehr für 
anerkannt gelten, daß fein Wort mehr über fie zu verlieren fey. 

Die Eine der abfoluten Vorausfegungen in der Bildung 
unſerer Zeit ift, daß der Menfh nichts von der Wahrheit 
wiffe. Der aufflärende Berftand ift nicht fomohl zum Bewußt⸗ 
ſeyn und zum Ausfpredhen diefes feines Refultats gekommen, 
als daß er es herbeigeführt hat. Er ift, wie erwähnt worden, 
davon ausgegangen, das Denken von jenen Feſſeln des andern 
Verſtandes, der auf dem Boden der göttlichen Lehre felbft feine 
Endlichkeiten gepflanzt hatte, und für dieß fein mucherndes Un⸗ 
fraut, die abfolute göttliche Autorität gebrauchen wollte, zu bes 
freien, und die freiheit herzuftellen, welde von der Religion der 
Wahrheit errungen und zu ihrer Heimath gemacht worden. So 
bat er zunädft den Irrthum und Aberglauben anzugreifen den 
Willen gehabt, und was ihm wahrhaft gelungen ift zu zer— 
ſtören, iſt auch nicht die Religion gewefen, fondern jener 

Vermiſchte Schriften. * 19 


— 


4 


290 V. Borrede ° 


pharifäifche Verfiand der über die Dinge einer andern Welt auf 
Weiſe diefer Melt Elug gewefen und feine Klugheiten auch Re— 
ligionslehre nennen zu können gemeint bat. Er hat den Irr— 
thum entfernen wollen, mur um der Wahrheit Raum zu 
machen; er hat ewige Wahrheiten gefucht und anerkannt, und 
die Würde des Menſchen noch darein gefeht, daf für ihn, und 
für ihm allein, nicht für das Thier, folde Wahrheiten find, 
In diefer Abficht follen diefe Wahrheiten das Fefte und Ob- 
jettive gegen die fubjettive Meinung und die Triebe des Gefühls 
ſeyn, und das Meinen wie die Gefühle wefentlic der Einſicht 
der Vernunft gemäß und unterworfen und durch fie geleitet ſeyn, 
um eine Berechtigung zu haben. 

Die tonfequente und felbfifändige Entwicklung des 
Princips des Verftandes führt aber dahin, alle Beflimmung und 
damit allen Inhalt nur als eine Endlichkeit zu faffen, und fo 
die Geftaltung und Beftimmung des Göttlihen zu vernichten, 
Durch diefe Ausbildung ift die objektive Wahrheit, die das 
Ziel ſeyn follte, mehr bewußtlos zu der Dünne und Dürre her— 
abgebradht worden, welde nun von der Fantifchen Philofophie 
nur zum Bewußtfeyn gebradt und als die Beflimmung des 
Field der Vernunft ausgefproden zu werden nöthig hatte. 
Demnad) ift von diefer die Identität des Verſtandes als 
das höchſte Princip, als das legte Refultat wie für das Erken— 
nen felbft, fo für feinen Gegenftand, angegeben worden, — das 
Leere der atomiftifchen Philofophie, Gott beftimmungslos, ohne 
alle Prädikate und Eigenfhhaften, in das Jenfeits des Wiſ— 
fens hinaufgefegt, oder vielmehr zur Inhaltslofigkeit herabgefegt 
Diefe Philofophie hat diefem Berflande das richtige Bewußt— 
feyn über fi gegeben, daß er unfähig ſey, Wahrheit zu erfens 
nen; aber indem fie den Geift nur als diefen Verſtand auffafte, 
bat fie es zum allgemeinen Sage gebradt, daf der Menſch von 
Gott, — und als ob es aufer Gott überhaupt abfolute Gegen- 
fände und eine Wahrheit geben könnte — überhaupt von dem, 


zu Hinrichs“ Religionsphiloſophie. 291 


was an ſich iſt, nichts wiſſen könne. Wenn die Religion die 
Ehre und das Heil des Menſchen darein ſetzt, Gott zu erkennen, 
und ihre Wohlthat darein, ihm dieſe Erkenntniß mitgetheilt und 
das unbekannte Weſen Gottes enthüllt zu haben, fo iſt in dies 
fer Philoſophie im ungeheuerften Gegenfage gegen die Religion, 
der Geift zu der Beſcheidenheit des Viehs, als zu feiner höchſten 
Beſtimmung, verkommen, nur daß er unfeliger Meife den Bor 
zug befige, nod das Bewuftfeyn über diefe feine Unwiſſenheit 
zu haben; wogegen das Vieh in der That die viel reinere, wahr» 
bafte, nämlich die ganz unbefangene Befcheidenheit der Unwiſſen— 
heit befist. Dief Refultat darf man unn wohl dafür anfehen, 
daß es mit weniger Ausnahme allgemeines Vorurtheil unferer 
Bildung geworden iſt. Es hilft nichts, die Fantifche Philoſophie 
widerlegt zu haben, oder fie zu verachten; die Fortſchritte und 
Einbildungen von Fortfchritten über fie hinaus, mögen ſich fonft 
auf ihre Weife viel zu thun gemacht haben; fie find nur die- 
felbe Weltweisheit, wie jene, denn fie leugnen dem Geifte die 
Fähigkeit und die Beftimmung zur objektiven Wahrheit. 

Das andere hiemit unmittelbar zufammenhängende Prin— 
eip diefer Weisheit ift, daß der Geift, indem er freilich erfennend, 
aber die Wahrheit ihm verfagt ift, es nur mit Erfcheinungen, 
mit Endlichkeiten zu thunm haben kann. Die Kirche und die 
Frömmigkeit haben häufig die weltlichen Wiffenfchaften für ver- 
dächtig und gefährlih, ja oft für feindfelig gegen fie gehalten, 
und diefelben dafür angefehen, daf fie zum Atheismus führen. Ein 
berühmter Aſtronom foll gefagt haben, er babe den ganzen 
Himmel durchſucht, und keinen Gott darin finden können. In 
der That geht die weltlihe Wiſſenſchaft auf Erkennen des 
. Endlihen; indem fie in das Innere deffelben hineinzufteigen 
fi) bemüht, find Urfachen und Gründe das Letzte, bei welchem 
fie fich beruhigt. Aber diefe Urſachen und Gründe find wefent- 
lid ein dem zu Erklärenden Analoges, und darum find es 
gleichfalls nur endliche Kräfte, welche in ihren Bereich fallen. 

19 * 





298 V. Vortede 


Wenn num glei) diefe Miffenfehaften ihre Erkenntniffe nicht 
zur Region des Emigen, — weldes mehr als nur ein Ueber: 
finnliches ift, (denn auch jene Urfahen und Kräfte, das Innere, 
welches vom refleftirenden Verſtande erzeugt und auf feine Weiſe 
erkannt wird, find nicht ein Sinnliches) — hinüber führen, da 
fie nicht das Geſchäft diefer Vermittlung haben, fo ift doch die 
Wiſſenſchaft des Endlichen durch nichts abgehalten, eine gött- 
liche Sphäre zujugeben. Gegen eine ſolche höhere Sphäre liegt 
es für fi) ganz nahe, dasjenige, was nur durch die Sinne und 
die verfländige Reflerion in das Bewuftfeyn kommt, für einen 
Inhalt anzuerkennen, der nichts an und für fih, der nur Er— 
fcheinung if. Aber wenn auf die Erfenntnif der Wahrheit 
überhaupt Verzicht geleiftet ift, dann hat das Erkennen nur 
Einen Boden, den Boden der Erfcheinung. Auf diefem 
Standpunkte kann es aud in den Bemühungen der Erkenntniß 
mit einer von ihr fonft als göttlid anerkannten Lehre nicht um 
die Lehre ſelbſt, fondern allein um die äuferlihe Umgebung 
derfelben zu thun ſeyn. Die Lehre für fich bleibt außer dem 
Intereſſe der geiftigen Thätigkeit und es kann nicht eine Einfiht, 
ein Glaube und Ueberzeugung von derfelben gefucht werden, 
denn ihre Inhalt ift als das Unerreihbare angenommen. So 
muß die Befhäftigung der Intelligenz mit den Lehren der Re— 
ligion fih auf ihre erfcheinenden Seiten beſchränken, fih auf 
die äußerlichen Umſtände werfen, uud das Antereffe einem Hi— 
ftorifhen werden, einem folden, wo der Geift cs mit Bers 
gangenheiten, einem von ſich Abgelegenen, zu thun hat, nicht 
felbf darin präfent if. Was die ernfihafte Bemühung 
der Gelehrfamkeit, des Fleißes, des Scharffinns u. f. f. heraus 
bringt, wird gleichfalls Wahrheit genannt, und ein Meer ſolcher 
Mahrheiten zu Tage gefördert und fortgepflanzt; aber dieß find 
nicht Wahrheiten der Urt, wie fie der ernfte Geift der Religion 
für feine Befriedigung fordert, 

Wenn nun das, was dieffeits if, und Gegenwart 


zu Hinrichs” Neligionsphilofophie, 293 


für den Geiſt hat, dieſes breite Reich des Eiteln und Erſchei— 
nenden iſt, das aber, was an und für ſich iſt, dem Geiſte ent— 
rückt, und ein leeres Jenſeits für ihn iſt, wo findet er noch ei— 
nen Drt, in weldem ihm das Subftantielle begegnete, das Ewige 
an ihn käme, und er zur Einigkeit damit, zur Gewißheit und 
dem Genuffe derfelben gelangen könnte? Es ift nur die Res 
gion des Gefühls, wohin fih der Trieb zur Wahrheit flüch- 
ten kann. Das Bewuftfeyn vermag das Gehaltvolle, vor der 
Reflerion niht Wankende nur noch in der eingehüllten Weiſe 
der Empfindung zu ertragen. Diefe Korm ermangelt der Ges 
genftändlichkeit und der Beftimmtheit, die das Miffen und der 
feiner bewußte Glauben erfordert, die aber der Verſtand zu 
nichte zu machen gewußt hat, vor welcher eben wegen diefer Ge— 
fahr die Religiofität ſich nur fürchtet und deswegen in diefe 
Einhüllung zurüdzicht, welche, dem Denken keine Seite, zum 
dialektifchen Angriff darzubieten feheint. Im folder Religiofität, 
wenn fie aus ächtem Bedürfniffe hervorgeht, wird die Seele den 
verlangten Frieden finden, indem fie durch die Intenfität und , 
Innerlidfeit das, zu ergänzen befirebt ift, was ihr an Inhalt 
und Ertenfion des Glaubens abgeht. 

Es muß aber nody als das dritte allgemeine Vorur— 
theil die Meinung angeführt werden, daf das Gefühl die wahr- 
bafte und fogar einzige Form ſey, im welder die Neligiofität 
ihre Aechtheit bewahre. 

Unbefangen ift zunächſt diefe NReligiofität nicht mehr. Der 
Gift fordert überhaupt, weil er Geift ift, daß was in dem Ge— 
fühle ift, für ihn aud in der Vorftellung vorhanden ſey, der 
Empfindung ein Empfundenes entfpredhe, und die Lebendigkeit 
der Empfindung nicht cine bewegungslofe Koncentration bleibe, 
fondern zugleich eine Befchäftigung mit objektiven Wahrheiten 
und dann, was in einem Kultus geſchieht, eine Ausbreitung zu 
Handlungen ſey, welde fowohl die Gemeinfamteit der Geifler 
in der Religion, beurtunden, als au, wie die Beſchäftigung 


294 V. Morrede 


mit den Wahrheiten, die religiöfe Empfindung nähren und in 
der Wahrheit erhalten, und ihr den Genuß derfelben gewähren. 
Aber ſolche Ausdehnung zu einem Kultus wie zu einem Umfange 
von Blaubenslchren verträgt ſich nicht mehr mit der Form des 
Gefühls; vielmehr ift die Neligiofität in der bier betrachteten 
Geftalt aus der Entwiclung und Objektivität zum Gefühle ge— 
flohen, und hat diefes polemifch für die ausfchliefende oder über— 
wiegende Form erklärt. : 

Hier ift es denn, wo die Gefahr diefes Standpuntts, und 
fein Umſchlagen in das Gegentheil deffen, was die Religiofität 
in ihm fucht, den Anfang nimmt, Dies ift eine Seite von 
größter Wichtigkeit, welche nur kurz noch zu berühren ifl; wobei 
id mid, ohne in die Natur des Gefühls hier weiter eingehen 
zu können, nur auf das Allgemeinfte berufen muf. Es kann 
kein Zweifel dagegen Statt finden, daf das Gefühl ein Boden 
ift, der für fih unbeftimmt, zugleich das Mannigfaltigfte und 
Entgegengefegtefte in ſich ſchließt. Das Gefühl für fi ift die 
natürliche Subjektivität, ebenfo wohl fähig gut zu feyn, als 
böfe, fromm zu feyn, als gottlos. Wenn daher, nachdem vor= 
mals die fogenannte Vernunft (was aber in der That der end— 
liche Berftand und deffen Räfonnement war) zum Entfcheiden- 
den fowohl über das, was ich für wahr halten, als was mir 
Grundfag für das Handeln ſeyn foll, gemadt worden war, nun 
das Gefühl es feyn foll, aus welchem die Entfheidung, was ich 
fey und was mir gelte, hervorgehen foll, fo ift auch noch der 
Schein von Objektivität verfhwunden, der wenigftens im Prin= 
cip des Verftandes liegt; denn nad diefem foll das, was mir 
gelten foll, doc auf einem allgemein gültigen Grunde, auf ets 
was, das an und für fich ſey, beruhen. Noch beftimmter aber 
gilt in aller Religion, wie in allem fittliben Zufammenleben 
der Menfchen, in der Familie wie im Staate, das an und für 
ſich ſeyende Göttliche, Ewige, Wernünftige, als ein objettives 
Gefeg, und dies Objektive fo als das Erfie, daf das Ge— 


zu Hinriche? Neligionephilofophie. 295 


fühl durch daffelbe allein feine Haltung, allein feine wahrhafte 
Richtung bekomme. Die natürlichen Gefühle follen vielmehr 
durch die Lehren und die Hebung der Religion und durch die 
feften Grundfäge der Sittlicykeit beftimmt, berichtigt, gereinigt, 
und aus diefen Grundlagen foll erft in das Gefühl gebradt 
werden, was dafjelbe zu einem richtigen, veligiöfen, moras 
lifhen Gefühle macht. 

„Der natürliche Menſch vernimmt nichts vom Geiſte 
Gottes und kann es nicht erkennen, denn es muß geiſtlich ge— 
richtet feyn.” Der natürlide Menſch aber ift der Menſch in 
feinen natürlichen Gefühlen, und diefer iſt es, der nad) der 
Lehre der Subjektivität zwar nichts erkennen, aber allein es ſeyn 
fol, der, wie er als natürliher Menſch ift, den Geift Gottes 
vernehme. Unter den Gefühlen des natürlichen Menſchen be— 
findet ſich freilich aud ein Gefühl des Göttliche, ein anderes 
jedoch ift das natürliche Gefühl des Göttliden, ein anderes ber 
Geift Gottes. Aber welde andere Gefühle finden ſich nit noch 
in der Menſchen Herz? Selbft daf jenes natürliche Gefühl ein 
Gefühl des Göttlichen ſey, Liegt nicht im Gefühle als natür— 
lihem; das Göttliche ift nur im und für den Geift, und der 
Geift ift dich, wie oben gefagt worden, nicht ein Naturleben, 
ſondern ein Wiedergeborner zu ſeyn. Soll das Gefühl die 
Grundbeſtimmung des Weſens des Menſchen ausmachen, ſo iſt 
er dem Thiere gleichgeſetzt, denn das Eigene des Thieres iſt es, 
das, was ſeine Beſtimmung iſt, in dem Gefühle zu haben, und 
dem Gefühle gemäß zu leben. Gründet ſich die Religion im 
Menſchen nur auf ein Gefühl, fo hat ſolches richtig keine wei— 
tere Beflimmung, als das Gefühl feiner Abhängigkeit 
zu ſeyn, und fo wäre der Hund der befte Chrift, denn ‚er trägt 
diefes am flärkften in ſich, und lebt vornehmlich in diefem Ges 
fühle. Auch Erlöfungsgefühle hat der Hund, wenn feinem Hun— 
ger durch einen Knochen Befriedigung wird, Der Geiſt hat 
hat aber in der Religion vielmehr feine Befreiung und das Ge- 


296 V. Borrede 


fühl feiner göttlichen Freiheitz nur der freie Geift hat Religion 
und kann Religion haben; was gebunden wird in der Religion, 
ift das natürliche Gefühl des Herzens, die befondere Subjekti— 
pität; was in ihr frei wird, und eben damit wird, ift der Geiſt. 
In den fihlechteften Religionen, und dies find foldhe, in welchen 
die Knchtfhaft und damit der Aberglaube am mächtigſten iſt, 
ift für den Menſchen in der Erhebung zu Gott der Ort, wo 
er feine Freiheit, Unendlichkeit, Allgemeinheit, — d. i. das Hö— 
here, was nicht aus dem Gefühle als foldem, die aus dem 
Geifte ſtammt, — fühlt, anfhaut, genießt. 

Wenn man von religiöfen, fittlichen uff. Gefühlen fpricht, 
ſo wird man freilich fagen müffen, daf dieß ächte Gefühle feyen; 
und wenn dann (wie wir von da aus auf diefen Standpunkt 
gekommen find) das Miftrauen oder vielmehr die Verachtung 
und der Haß des Denkens, — die Mifologie, von welder ſchon 
Plato fpridt, — binzugefommen ift, fo liegt es nahe bei der 
Hand, in die Gefühle für fi das echte und Göttliche zu ſetzen. 
Es wäre, befonders zunächſt in Beziehung auf die hriftliche Re— 
ligion, freilich nicht nothwendig, für den Urfprung der Religion 
und Wahrheit nur eine Wahl zwifchen Verſtand und Gefühl 
zu fehen, und man muf das, was die hriftliche Religion für 
ihre Quelle angiebt, die höhere göttlibe Offenbarung, bereits 
befeitigt haben, um auf jene Wahl beſchränkt zu fepn, und dann 
nad Verwerfung des Verftandes, ferner des Gedankens über— 
haupt, eine chriſtliche Lehre auf Gefühle gründen zu wollen. — 
Wenn aber überhaupt das Gefühl der Sig und die Quelle des 
MWahrhaftigen ſeyn foll, fo überficht man diefe weſentliche Na— 
tur des Gefühls, daß es für fi eine bloße Form, für fid 
unbeftimmt ift, und jeden Inhalt in ſich haben kann. Es if 
Nichts, was nicht gefühlt werden kann, und gefühlt wird. Gott, 
Wahrheit, Pflicht wird gefühlt, das Böſe, die Lüge, Unrecht 
ebenfo fehr; alle menſchlichen Zuftände und Verhältniffe werden 
gefühlt; alle Vorſtellungen des Verhältniffes feiner felbft zu gei— 


zu Hinrichs' Religionsphiloſophie. 297 


ſtigen und natürlichen Dingen werden Gefühle. Wer wollte es 
verſuchen, alle Gefühle, vom religiöſen Gefühle, Pflichtgefühle, 
Mitleiden an, u. f. f. zum Neide, Haß, Hochmuth, Eitelkeit, 
u. ſ. f. Freude, Schmerz, Traurigkeit, w. fo fort zu nennen und 
aufzuzählen. Schon aus der Verfhiedenheit, nod mehr aber 
aus dem Gegenfage und Widerfpruche der Gefühle, läßt auch 
für das gewöhnliche Denken, der richtige Schluß fi) machen, 
daß das Gefühl etwas nur Formelles ift, und nit ein Princip 
für eine wahrhafte Beltimmung feyn kann. Ferner iſt ebenfo 
richtig zu fliegen, daß, indem das Gefühl zum Princip ges 
macht wird, es nur darum zu thun ift, dem Subjette zu übers 
laffen, welche Gefühle es haben will; es ift die abfolute Un— 
befiimmtbeit, welche das Subjekt fh als Mlaafftab und Be— 
rechtigung giebt, d.h. die Willkür und das Belieben, zu ſeyn und 
zu thun, was ihm gefällt, und fi zum Orakel deffen zu machen, 
was gelten, was für Religion, Pfliht, Recht, edel gelten foll. 

Die Religion, wie Pfliht und Recht, wird und fol auch 
Sache des Gefühls werden, und in das Herz einkehren, wie auch 
die Freiheit überhaupt fih zum Gefühle herabſenkt, und im 
Menſchen ein Gefühl der jjreiheit wird. Allein ein ganz Ans 
deres iſt es, ob folcher Inhalt, wie Gott, Wahrheit, Freiheit aus 
dem Gefühle gefhöpft, ob diefe Gegenftände das Gefühl zu ih— 
rer Berechtigung haben follen, oder ob umgekehrt folder objekti— 
ver Inhalt als an und für fi gilt, in Herz und Gefühl erft 
einkehrt, und die Gefühle .erft vielmehr wie ihren Inhalt, fo ihre 
Beſtimmung, Berichtigung und Berechtigung von demfelben er— 
halten. Auf diefen Unterfbied der Stellung kommt 
Alles an. Auf ihm beruht die Abfcheidung alter Rechtlichkeit 
und. alten Glaubens, wahrhafter Religiofität und Gittlichkeit, 
welche Gott, Wahrheit und Pflicht zu dem Erflen made, 
von der Verkehrtheit, dem Eigendünkel und der abfoluten Gelbft- 
fucht, welche in unferer Zeit aufgegangen, und den Eigenwillen, 
das eigne Meinen und Belieben zur Regel der Religiofität und 


298 V. Borrede 


des Rechten macht. Gehorfam, Zucht, Glaube im alten Sinne 
des Worts, Ehrfurcht vor Gott und der Wahrheit, find die 
Empfindungen, welde mit der erfteren Stellung zufammenhän- 
gen und aus ihr hervorgehen, Eitelkeit, Eigendüntel, Seichtig— 
keit und Hochmuth, die Gefühle, welde aus der zweiten Stel» 
fung hervorgehen, oder es find vielmehr diefe Gefühle des nur 
natürlichen Menſchen, aus welden diefe Stellung entfpringt. 

. Die bisherigen Bemerkungen wären geeignet, den Stoff 
für eine weitläufige Ausführung zu geben, welche ich Theils 
von einigen Seiten deffelben anderwärts fehon gemacht, Theils 
aber ift zu einer folden bier der Ort nicht. Sie mögen nur 
Erinnerungen an die angeregten Gefihtspuntte feyn, um das— 
jenige näher zu bezeichnen, was das Uebel der Zeit und da= 
‚mit was ihr Bedürfnif ausmadht. Diefes Uebel, die Zu— 
fälligteit und Willtür des fubjettiven Gefühls und 
feines Meinens, mit der Bildung der Reflerion verbuns 
den, welche es ſich erweift, daß der Geift des Wiffens von 
Wahrheit unfäbig ſey, ift von alter Zeit her Sophiftes 
rei genannt worden. Gie ift es, die den Spisnamen der 
Weltweisheit, den Hear Friedr. von Schlegel neuerlichft wies 


der hervorgefucht hat, verdient; denn fie ift eine Weisheit im, 


und von demjenigen, was man die Welt zu nennen pflegt, 
von dem AZufälligen, Unwahren, Zeitlihen; fie ift die Eitelkeit, 
welche das Eitle, die Zufälligkeit des Gefühls und das Belie- 
ben des Meinens zum abfoluten Principe deffen, was Recht 
und Pflicht, Glaube und Wahrheit fey, erhebt. Man muß freis 
lich oft diefe fophiftifhen Darftellungen Philofophie nennen hö— 
ren; doc widerſpricht nun auch felbft diefe Lehre der Anwen- 
dung des Namens von Philofophie auf fie, denn von ihr Tann 
man häufig hören, daf es mit der Philofophie nichts 
fey. Sie hat Recht, von der Philofophie nis wiffen zu wol- 
len; fie fpricht damit das Bewußtſeyn deffen aus, was fie in 
der That will und ift. Won je ift die Philofophie im Streite 


zu Hinrichs? Meligiongphilofophie. 299 


gegen die Sophiftit gewefen; diefe kann aus jener nur die fors 
melle Waffe, die Bildung der Reflerion, nehmen, hat aber am 
Inhalte nichts Gemeinfchaftliches mit ihr, denn fie ift eben dieß, 
alles Objektive der Wahrheit zu fliehen. Auch der andern Quelle 
der Wahrheit, wie die Wahrheit Sache der Religion ift, der 
heiligen Schriften der Offenbarung Tann fie ſich nicht bedienen, 
um einen Inhalt zu gewinnen; denn diefe Lehre anerkennt kei— 
nen Grund, als die eigene Eitelkeit ihres Dafürhaltens und 
Dffenbarens. . i 

Mas aber das Bedürfnif der Zeit betrifft, fo ergiebt 
fih, daß das gemeinſchaftliche Bebürfnif der Religion 
und der Philofophie, auf einen fubftantiellen, objek— 
tiven Inhalt der Wahrheit geht. Wie die Religion von 
ihrer Seite und auf ihrem Wege ihrem Inhalte wieder Anfehen, 
Ehrfurdt und Autorität gegen das belichige Meinungswefen 
verfhaffe, und fih zu einem Bande von objektivem Glauben, 
Lehre, auch Kultus herftelle, diefe Unterfuhung für fih von fo 
weitreichender Natur, müßte zugleich den empirifhen Zuftand 
der Zeit nad) feinen vielfachen Richtungen in gründliche Rück— 
fit nehmen, und daher wie hier nicht an ihrem Orte, auch 
überhaupt nicht bloß philofophifcher Art feyn. An einem Theile 
des Gefchäfts, dieß Bedürfniß zu befriedigen, treffen aber die 
beiden Sphären der Religion und der Philoſophie zuſammen. 
Denn dief kann wenigftens erwähnt werden, daß die Entwids 
lung des Geiftes der Zeiten es herbeigeführt hat, daß dem Be— 
wußtſeyn das Denken, und die Meife der Anfiht, welde 
mit dem Denken zufammenhängt, zu einer unabweislidhen 
Bedingung deffen geworden ift, was es für wahr gelten 
laſſen und anerkennen fol. Es ift hier gleichgültig auszumachen, 
in wie weit es nur ein Theil der religiöfen Gemeinde fehn 
möchte, welcher ohne die Freiheit des denkenden Geiftes nicht 
mehr zu leben, d. h. nicht mehr geiftig zu exiſtiren fähig wäre, 
oder im wiefern vielmehr die ganzen Gemeinden, in denen ſich 


302 V. Bortede 


wiffen, d. i. nur fühlen und anſchauen, fomit nur ſinnlich foll 
wiffen können. 

, Die ältern griechifhen Dichter gaben von der göttlichen 
Gerechtigkeit die Worftellung, daß die Götter das ſich Erhebende, 
das Glüdlidhe, das Ausgezeichnete anfeinden und es berabfegen. 
Der reinere Gedanke von dem Göttlihen hat diefe Vorftellung 
vertrieben, Plato und Ariftoteles Ichren, dag Gott nicht nei— 
difch ift, und die Erkenntniß feiner und der Wahrheit den 
Menſchen nicht vorenthält. Was wäre es denn anders als 
Neid, wenn Bott das Wiſſen von Gott dem Bewuftfeyn ver— 
fagte; er hätte demfelben fomit alle Wahrheit verfügt, denn 
Gott ift allein das Wahre; was fonft wahr ift und etwa kein 
göttlicher Inhalt zu feyn ſcheint, ift nur wahr, infofern es in 
ihm gegründet ift, und aus ihm erkannt wird, das Uebrige daran 
ift zeitliche Erfcheinung. Die Erkenntniß Gottes, der Wahrheit, 
ift allein das den Menſchen über das Thier Erhebende, ihn 
Yuszeichnende, und ihn Beglüdende, oder vielmehr Vefeligende, 
nah Plato und Arifioteles, wie nad) der chriſtlichen Lehre. 

Es ift die ganz eigenthümliche Erſcheinung diefer Zeit, auf 
der Spite ihrer Bildung zu jener alten Vorſtellung zurüdges 
ehrt zu feyn, daß Gott das Immittheilende fey, und feine Nas 
tur dem menſchlichen Geifte nicht offenbare. Diefe Behauptung 
von dem Neide Gottes muß innerhalb des Kreifes der chriſtlichen 
Religion um fo mehr auffallen, als diefe Religion nichts ift 
und feyn will, als die Offenbarung defien, was Gott if, 
und die hriftlihe Gemeinde nichts ſehn foll, als die Gemeinde, 
in die der Geift Gottes gefandt und in welcher derfelbe, — der 
eben, weil er Geift, nicht Sinnlichkeit und Gefühl, nicht ein 
Vorſtellen von Sinnlichem, fondern Denken, Wiffen, Erkennen, 
und weil er der göttliche, heilige Geift ifl, nur Denten, Wiffen 
und Erkennen von Gott iſt, — die Mitglieder in die Erkennt- 
niß Gottes leitet. Was wäre die riftliche Gemeinde noch, ohne 
diefe Erkenntniß? was ift eine Theologie ohne Erkenntniß Got- 


zu Hineiche’ Meligionsphilofophie. - 303 


tes? Eben das, was eine Philofophie ohne diefelbe ift, ein tö— 
nend Erz und eine klingende Schelle! 

Indem mein Freund, der mit nachſtehender Schrift ſich 
dem Publikum zum erftenmale vorfiellt, gewünfcht hat, daß ich - 
derfelben- ein Vorwort voranfhiden möge, fo mußte ſich mir das 
bei die Stellung zunächſt vor Augen bringen, in welche ein folder 
Verſuch, wie eine ſpekulative Belradhtung der Religion ift, zu 
denjenigen tritt, dem er auf der Oberfläche der Zeit zunächſt 
begegnet. Ich glaubte in diefem Worworte den Verfaffer, felbft 
daran erinnern zu müffen, welde Aufnahme und Gunft er fi 
von einem Zuftande zu verfpredhen habe, wo dasjenige, was ſich 
Philoſophie nennt, und wohl den Plato felbft immer im Munde 
führt, auch Feine Ahnung von dem mehr hat, was die Natur 
des fpelulativen Denkens, der Betrachtung der Idee, ift — wo 
in PBhilofophie wie in Theologie, die thierifche Unwiffen- 
beit von Gott, und die Sophifterei diefer Unwiffene 
beit, melde das individuelle Gefühl und das fubjektive Mei— 
nen, an die Stelle der Glaubenslcehre wie der Grundfäge der 
Rechte und der Pflichten fest, das große Wort führt, — wo 
die Schriften von chriftlihen Theologen wie eins Daub und 
Marheineke, welde noch die Lehre des Chriftenthbums wie 
das Recht und die Ehre des Gedankens bewahren, und Schrif— 
ten, worin die Grundfäge der Vernunft und Sittlichkeit gegen 
die den fittlihen Zufammenhalt der Menfchen und des Staats 
wie die Religion zerfiörenden Lehren, vertheidigt und durch den 
Begriff begründet werden, die ſchnödeſte Berunglimpfung der 
Seichtigkeit und des übeln Willens erfahren. s 

Mas aber meines Freundes eigene Tendenz bei der Abfaf- 
fung feiner Abhandlung gewefen, Tann ich nicht beffer als mit 
deſſen Worten fagen; er fihrieb mir darüber in einem Briefe 
vom 25. Jan. d. I. I. Folgendes; 

„Mein Buch hat jest eine ganz andere Geſtalt gewonnen, 
„als es in dem Ihnen zugefandten Manuſcripte hatte und ha— 


V. Vorrede zu Hinrichs? Religiondphilofophie. 


n konnte; und wird, wie ich hoffe, Sie jetzt mehr anſprechen. 
iſſelbe iſt aus dem Bedürfniſſe meines Geiſtes fo eigentlich 
vorgegangen. Denn von Jugend auf war die Religion 
„ine Frömmelei) mir immer das Höchſte und Heiligſte, und 
hielt fie für wahr, aus dem ganz einfahen Grunde, weil 
Geiſt des Menſchengeſchlechts in diefer Hinſicht ſich nicht 
ſchen läßt. Die MWiffenfhaft nahm mir aber das vorftel- 
ve Element, in welchem ich die Wahrheit zu ſchauen ge= 
bt war, und was war natürlicher, als daß ich die durch 
Wiſſenſchaft in mir bewirkte höchſte Entzweiung und höchſte 
meiflung aufzuheben, und fo in-dem Elemente des Wiffens 
Verſöhnung zu gewinnen bemüht war, Dann fagte ih zu 
e felber: kann ich das, was in dem Chriftentyum als die 
folute Wahrheit vorliegt, nicht durd die Philofophie in der 
, men Korm des Wiflens begreifen, fo daß die Idee felber 
efe Form if, fo will ich nichts mehr von alter Philoſophie 
iffen. — Uber dann muß die Wiffenfhaft (fuhr ich weiter 
ei) wie fie fih als chriſtliche Philofophie in der neuern Zeit 
„entwidelt bat, felbft das höchſte Erzeugniß des Chriftenthums 
„ſehn, und fo wurde diefe Unterfuchung, die ich in dem Buche 
„ausgeführt habe, meine Aufgabe, welche ic) denn von Seiten 
„Der Religion zu meiner Beruhigung und damit zur Anerken⸗ 
mung der Wiſſenſchaft zu löfen beftrebt gewefen bin.“ 
Beerlin, am ÖOftertage 1822. 
Hegel. 


VI. 
| | Drei * 
lateiniſche Reden, 
gehalten — der 


Friedrich Wilhelms: Univerfität zu Berlin. 





Den 9. Decbr. 1829. — Ten 18. Octbr. 1829. — Den 25. Juli 1830, 


Vermiſchte Echriften. * 20 





1. Hiebe bei ber Promotion des Dr, Kafe. 


Den 9. Decht 1829 


E: iam profligatis tam strenue adversariis fuis, et disser- 
talione tua fortiter defensa atque confirmata, — quod 
specimen eruditionis tuae ad ea specimina accedit, quibus 
ordini philosophico comprobasti, te scienliae, quam tibi 
colendam sumsisti, non solum maxima cum fide et in- 
dustria addiscendae operam dedisse, sed etiam iam in 
“ perficienda illa et ulterius, quam ipsam tibi traditam ac- 
cepisti, provehenda, cum solertia et acumine te versari, — 
meum nunc est, tibi, doctissime candidate, de his omnibus 
taın feliciter perfectis ex animo congratulari, Atque hoe 
quidem. tum ex autoritale ordinis nostri, tum etiam ex 
animi mei propria sentenlia facio. Quamvis enim opinio 
quaedam vulgus pervadat, ab ea ratione, qua tu sciehtiam 
mineralogicam excoluisti atque adauxisti, non solum diver- 
sam esse, sed eliam alienam philosophicam cognoscendi 
et sciendi rationem; diversam quidem concedo esse utram- 
que, sed tantum ex mea sententia abest, ut sibi repu- 
gnent, ut potius philosophia ipsa ex illo studii modo, quo 
tu scienliam aggressus es, fructum percipiat, imo illum ut , 

20 * 


308 VI, Drei Meden. 


sibi necessarium postulet. Inde ab antiquitate quidem 
sibi opposita judicantur, quae sensibus obnoxia sint sen- 
sibusque cognoscanlur, et ea, quae a mente in se ipsamı 
reversa pereipianlur; — deinde vero eliam sibi plane op- 
posita habentur illa, quae ex observatione atque experi- 
entia sciamus et ea, quae ex ratione hauriamus; nec raro 
alteri cognoscendi modo ab altero maledici, alterum ab 
altero contemni et despici videmus. Neque vero in solis 
philosophorum et doctorum scholis sententia de repugnan- 
tia illa obtinet, sed ipsa etiam religione confirmatur; haec 
enim praecipit, ut a sensibus rebusque forluitis animum 
avocemus, et a eupiditatibus, quae circa hoc rerum genus 
versanlur, volunfatem ad studium et ad amorem earum, 
quae aeternae sunt et ad mentem penitiorem perlinent, con- 
vertamus. Quam doctrinam religioni et philosophiae commu- 
nem quamvis et nostram esse fateamur eamque ita lueamur, 
ut omnes bonos honestosque viros in illa consentientes 
censeamus, — slaluimus, istam doctrinam neutiquam re- 
pugnare illi consensui et amicitiae, quam inter philoso- 
phiam ef eas scientias, quae uno vocabulo empiricae nun- 
cupari solent, revera oblinere reputamus. Profecto enim 
recte quidem inde a primis annis docemur et exercemur, ne 
sensuum fallaciis nos decipi nec ab iis illecebris, quibus ani- 








mum deliniunt, abripi patiamur; recte quidem a sensibus ani- 
migue cupiditatibus rebusgne fortuitis ad rationem, unicam 
veri honestique fontem nos convertere admonemur. Si qui- 
dem’ea quarundam scientiarum eondilio foret, ut tolae e sen- 
sibus penderent, eas illä, quam diximus reprobatione eoque 
'contemtu involvi, merito reputaremus. Haec vero non 
est illarum scientiarum conditio; neuliquam enimsolo visu, 
auditu, olfactu, odoratu et tactu, neque obseuris animi in- 
ternis sensationibns absolvuntur neque abseolvi volunt, 
sed aliam eamque maiorem sibi rem proponunt. Id enim 


1. Mede bei der Promesise tes De, Sof _ 8 


agunt, ut rerum modum mensuramgue definitam cozne- 
zcant, ut earum leges perennesque nermas ediscant; ‚et 
inm esse censent, si illa, quae casui obnoxia et fortuita 
sunf, accurate ab eo separaverint, quo rei natura sibi con- 
stans absolvatur. Mensura antem legesque rerum ad men- 
iem pertinent, et quamvis initiam cognoscendi a sensibus 
et observationibus fiat, — nisi illis mentis acumen inter- 
naque ideae informatio praesideat et praeluceat, nunguam 
inde aliquid generale‘ et necessarium et quod scientiae 
proficiat, redundabit. Hlud autem ipsum metrum legesque 
rerum proxima sunt maleria philosophiae ipsius, quae qui- 
dem id sibi propositum habet, ut earum, quae per expe- 
rientiam constent leges, primum fontem cognoscat easque 
ex hac sua inlima origine progressas esse videat et de- 
monstret. Neque enim mens ipsa et ratio, nec quae en- 
rum scienlia est, philosophia in vacuo versantur, — quac 
quidem multorum opinio est, — sed in recessu suo post- 
quam mens ipsam rerum omnium simplicem ideam et fon- 
tem intuita est atque concepit, progreditur ad ulteriorem 
ideae suae determinationem, et initium huius laboris ac 
definiendae rerum universitatis sibi sumit ab illa, quam 
dixi, materia, qua per scientias ab eo, quod fortuitnm est, 
pargatä atque eum in modum excultä, ut in usum philo- 
sophiae possit converli, non potest non gaudere eamque 
grato animo accipere. Laetatur itaque philosophia isto 
scientiarum progressu, quo non rudis indigestaque moles 
observationum crescat, sed quo cognitio definitarum pro- 
portionum augeatur, In quo labore quum tu, doctissime 
candidate iam feliciter versatus sis, eamque tuam soller- 
tiam ordini nostro abunde demonstraveris, non est, quod 


. diutius morer, industriae, sagacitatisque tuae fructum pu- 


blice in te conferre, teque summo in philosophia honore 


312 VE Drei Reben. 


cuius magnam partem esse indulgentiam, eäque veniam, 
quae mihi expetenda esset, iam contineri debui putare. 
Maxime deinde animum erexit ipsa rei magnitudo et 
auctoritas, ad cuius regendae nomen et speciem vocalus 
esse videor. Revera enim legibus regimur; unius ingenio 
et arbitrio nec opus nec ei locus est. Universitas haec 
litteraria propriä gaudet firmitate et spontanea valetudine; 
condita est primum et quotannis aucta regiä sapientiä al- 
que insigni munificentia, sustentata saluberrimis consiliis 
et curis Viri excellentissimi, qui huic parti rerum publi- 
carum praeest, eorumque illustrium virorum, quorum pru- 
dentia et opera ulitur, instructa denique doctrinä, ingenio 
et faına praestantissimorum collegarum. Itaque hoc aedi- 
fielum'ita in se perfectum est, ut amplitudine, ad 
illad pervenisse laetamur, non prematur, sed potius con- 
firetur, ut denigue tenuitatem hominis singularis tum ad 
illad Augendum atque promovendum, fum ad detrimentum 
ei adferendum paululum modo, aut, ut verius dicam, paene 
nihil valere existimandum "sit, | illa autem, quae necessa- 
ria institulo officia magistratuam praestanda sunt, ipsam 
rei nagnitudinem nonnisi procul attingant, ita ut si vires 
meae eis desint, illa ipsa sibi sufficiat et se tueatur. 

' Neque' vero hane rerum nostrarum rätionem in pro- 
spera illa conditione esse positaım solum reputandum mihi 
erat, sed Academiam nostram propositum suA nalurä sim- 
plieius habere quam aliainstituta, quae ad tuendam et 
augendam sanctam hominum consociationem destinata 
sünt. ' Non enim nostrum est, debellare malignitatem 
animi humani et quae inde crimina progignuntur, neque 
propulsare incommoda, quibus corpora nostra vexantur, 
vita in periculum vocatur; neque aliis malorum generi- 
bus occurrere, quibus fragilitas humana laborat. In pla- 
- eida adhuc regione versamur, in portu degimus a tempes- 


2, Rede beim Antritt des Rektorats. 3413 


tatibus adhuc intacto, quibus suo omnes tempore obiici 
eommune fatum est, in atrio laborum sumus, quos a pro- 
wectiore aetate respublica et generis humani sors difficilis 
postulant. Negotium est nobis cum iuventule; curae no- 
bis sunt litterae, artes, rerum divinarum humanarumque 
scientia; occupati sumus contemplando, docendo, praepa- 
, randis animis ad pericula et labores futuros. Vestra om- 
nino, commilitones, res est, quam agimus. De ea cum lo- 
cus et occasio postulet, pauca disputabo, summam rei bre- 
viter complectens. Et quidem duo illi rei inesse video. 
Unum, quod studetis, est vestrum ipsorum commodum , ut 
dignam et prosperam aetatem nanciscamini, atque' ea, 
'quae religio, respublica, doctrinae et artes proponunt 
dona, in utilitateın vestram convertatis; — hoc autem ipso, 
quod vestro studio ac voluntate absolvi videtur posse, alterum 
continetur,’illud nimirum, quod illa quae dixi, — religio, 
doctrinae, artes, deinde respublica et iustitia — ipsi sunt fi- 
nes bonorum, suo iure consistunt et aeterna sunt, secura 
adversus arbitrium nostram, atque ita sua sponte neces- 
saria, ut quotquot sumus, 'nonnisi instrumentorum vicem 
agamus, quibus regnum Dei, salus reipublicae, aeterna ve- 
rilas manifesta reddatur, conservetur atque augeatur. 
Sed eam esse harum rationum felicem et sanctam 
eonditionem tenendum est, ut vestrum commodum et illa 
summma bona communi vinculo eoniungantur et efficiantur. 
Falso igitur, si ita res se habet, multi haec duo separant, 
alii id, quod sibi utile sit, solum 'prosequentes, quidam, 
‚quod 'generosi hominis esse videtur, omnem utilitatem 
spernentes, veritatem tanlum et interiorem animi beatita- 
tem seclantes,. 
Verum id, quod utile est, non arbitrio et casu nititur, 
sed est ipsa‘ interna ratio rerum, quae ab ipsis rebus 
aliena esse non potest, sed illis divinitus est insita, ita ut 


— 


veritas se ipsam ad utilitatem traducat, neque esse sine 
älla possit. Unde qui meram utilitatem persequitur, im 
en ai üch, ash nn tanti 

et'in rebus gerendis prudentiam et gravitafem acquirit. 
Qui autem ultra omnem utilitatem sapere cupit, merisque 
illis bonis, quasi a rebus humanis seiuncta sint, delectatur, 
videat, ne segnitiei polius excusalionem per vanamı illam 
speciem aucupetur, ne sno proprio potius arbitrio et in- 
genio, quam divina ratione, ut quae rebus humanis se in- 
gerit tisque se cognoscendam praebet, delectetur. 

praetermittere nolui, etiam eam ob causam, qnia consilia 
quibus vos adeamus, fortuita sunt et paucis occasionibus 
reposita. Scholae quidem academicae addicti ita in liber- 
tatem evasistis, uf vestris praeserlim consiliis commissi 
silis, vestra exislimatione industriam dirigatis, ex voluntate 
vestra mores vesitros conlormetis. Neminem fugit in ea 
vitae vestrae eonditione esse aliquid quod sibi repu- 
goare videatur, illud‘ nimirum, indigere consiliorum et 
praeceptorum, (nam illorum vos indigere ne ipsi quidem 
infitiabimini), et ab iisdem immunes esse et suo dirigi in- 
genio. Sunt, in iisque non imprudentes viri, qui censeanf, 
iuventutis arbitrio nimium tribui in instituendis «moribus 
suis, algqae tum acceuratiorem custodiam ad coercendam 
protervitatem et socordiam, tum amicam, paternam inter 
doctores et invenes necessiludinem maxime exoplandam, 
imo legibus inducendam esse; neque exempla unquam 
deesse dolendum est, quae in documentum afferri possint, 
ex libertate genitam esse licentiam ‘et lasciviam. _ Nolo 
autem quaestionem hanc gravissimam altius movere et per- 
sequi, illud tantum dico, omnium legum et institutio- 
num‘ humanarım eam esse conditionem, ut vel ab iis 


quae waxiımam laudem mereantur, nunquam id praestari 


2. Rede beim Antritt des Rektorats. 315 
possit, ut nequitia penitus exstirpetur, ut eriminum exem- 
pla plane desint. Legum autem nostrarum ralione, quae 
non paucis justo laxior videtur, id effici, quod spectant, 
— doctrinae, industriae, probitatis libere natum amerem 
et spontaneam consuetudinem, — maximo documenlo est 
experientia et hoc certum testimonium, quod de moribus 
in academia nostra vigentibus ab aestumatissimo collega 
prolatum audivimus. Libertatis enim, sine qua virtus, do- 
etrina, pietas esse nequeunt, schola et mater ipsa libertas 
- est, Illud ipsum considerantes, commilitones, praecipuam 
industriae morumque dirigendorum curam vobis permis- 
‚sam esse, diligentius de vilae vestrae et studiorum uni- 
versa ratione consulatis, deinde persuasum habeatis, di- 
sciplinam ımorum, quantum ad magistratus universilatis 
attinet, nunquam remissius exereitum iri, quam optimo suc- 
cessu ad hoc usque tempus gesta fuerit, Sed etalia sunt, 
eaque maxima incitamenta virtutis et industriae, inter quae 
ea paucis refero, quae sedi acadeıniae ipsi debentur, unde 
illad colligitur, prudentissime non in solitario quodam 
loco, sed in hoc ipso capite regni scholam nostram con- 
slitutaın esse, wi 

" Habetis enim hac in urbe ante oculos gravitatem vi- 
lae publicae, imaginem et exempla. virtutum et duroram 
difficiliumque laborum, quibus ad tuendam ‚hominum con- 
sociationem et adwinistrandam rempublicam opus est; re- 
putatis inde, quanta virium vestrarum conlentio requiratur, 
ut illis laboribus pares fiatis; de ea libertate et honore, 
quo litterarum studia fruuntur, justam inde opinionem con- 
eipitis; clarum vobis,fit, eum non aliquid.in se absolutum 
et superbum esse, sed initium tantum atque humilem gra- 
dum eius honoris et auctoritatis, quam  studia vestra ac 
vota suspiciunt. Denique vero inter ea illud commcemo- 
remus, nos in conspectu regis ipsius vieinos degere;, ex- 


VI. Drei Reben. 

scessarium postulet. Inde ab antiquitate quidem 
»pposita iudicantur, quae sensibus obnoxia sint sen- 
que cognoscantur, et ea, quae a mente in se ipsamı 


rsa percipianlur; — deinde vero etiam sibi plane op- 


a habentur illa, quae ex observatione atque experi- 


sciamus et ea, quae ex ratione hauriamus; nec raro 
ı cognoscendi modo ab altero maledici, alterum ab 
b contemni et despici videmus. Neque vero in solis 
ophorum et doctorum scholis sententia de repugnan- 
ı obtinet, sed ipsa etiam religione confirmatur; haec 
it, ut a sensibus rebusque Tortuiis animum 

emus, et a cupiditatibus, quae circa hoc rerum genus 
ütur, voluntatem ad studium et ad amorem earum, 
aternae sunt et ad mentem penitiorem pertinent, con- 
18. n doetrinam religioni et philosophiae commu- 


ı sel nostram esse faleamur eainque ita tueamur, 


ıos honestosque viros in illa cousentientes 

mus, — staluimus, istam doctrinam neuliquam re- 

are illi consensui et amieitiae, quam inter philoso- 

am ef eas scientias, quae uno vocabulo empiricae num- 
cupari solent, revera obtinere reputamus. Profecto enim 
recte quidem inde a primis annis docemur et exercemur, ne 
sensuum fallaciis nos decipi nec ab iis illecebris, quibus ani- 
mum deliniunt, abripi patiamur; recte quidem a sensibus ani- 
mique cupiditatibus rebusgne fortuitis ad rationem, unicam 
veri honestique fontem nos convertere admonemur. Si qui- 
‚dem’ea quarundam scientiarum conditio foret, ut totae e sen- 
sibus penderent, eas illa, quam diximus reprobatione eoque 
‘cöntemtu involvi, .merito 'reputareınus. Haec vero non 
est illarum scientiarum conditio; neuliquam enim solo visu, 
auditu, olfactu, odoratu et tactu, neque obscuris animi in- 
ternis sensationibus absolvuntur neque absolvi volunt, 
sed aliam eamque maiorem sibi rem proponunt. Id enim 


1. Rede bei der Promotion des Dr. Mofe.. . - 309. 


agunt, ut rerum modum mensuramque definitam cogno- 
scant, ut earum leges perennesque normas ediscant; et 
tum demum experientia aliquid constare atque confirma- 
tum esse censent, si illa, quae casui- obnoxia et fortuita 
sunt, accurate ab eo separaverint, quo rei natura sibi com, 
stans absolvatur. Mensura autem legesque rerum ad men- 
tem pertinent, et quamvis initium cognoscendi a sensibus 
et observationibus fiat, — nisi illis mentis acumen inter-- 
naque ideae informatio praesideat et praeluceat, nunquam 
inde aliquid generale‘ et necessarium et quod scientiae 
proficiat, redundabit. Hlud autem ipsum metrum legesque 
rerum proxima sunt materia philosophiae ipsius, quae qui- 
dem id sibi propositum habet, ut earum, quae per expe- 
rientiam constent leges, primum fontem cognoscat easque 
ex hac sua intima origine progressas esse videat et de- 
monstret. Neque enim mens ipsa et ratio, nec quae ea- 
rum scienlia est, philosophia in vacuo versantur, — quae 
quidem multorum opinio est, — sed in recessu suo post- 
quam mens ipsam rerum omnium simplicem ideam et fon- 
tem intuita est alque concepit, progreditur ad ulteriorem 
ideae suae determinationem, et initium huius laboris ac 
- definiendae rerum universitatis sibi 'sumit ab illa, quam 
dixi, materia, qua per scientias ab eo, quod fortuitnm est, 
purgatä atque eum in modum excultä, ut in. usum philo- 
sophiae possit converti, non potest non gaudere eamque 
grato animo accipere. Laetatur itaque philosophia isto 
scientiarum progressu,.quo non rudis indigestague moles 
observationum crescat, sed quo cognitio definitarum pro- 
portionum augeatur. In quo labore quum tu, doctissime 
candidate iam feliciter versatus sis, eamque tuam soller- 
tiam ordini nostro abunde demonstraveris, non est, quod 
diutius morer, industriae, sagacitatisque tuae fructum pu- 
bliee in te conferre, teque summo in philosophia bonore 
ü 


310 VI. Drei Reden. 4. Bei der Promotion des Dr. Roſe. 


ornare. Qui autem litteris scientiisque sese dedicat, vi- 
tainque ad illas colendas augendasque dirigere se velle 
publice profitetur, non solum honore a nobis afficitur, 
sed res ipsa illum monet, gravia se officia suscipere at- 
que vero prosequendo et litterarum utilitati totiusque 
reipublicae saluti promovendae se obligare, 





2. Liebe beim Antritt des Kirktorats an der berliner 
Univerſität. 
(Den 18, Dotbr. 1829.) 





-Hanc cathedram, quam vestrae, Vir excellentissime, Viri 
illustrissiwi, praenobilissimi, dignissimi, vestrae, Collegae 
aestumnalissimi, praesenliae gravitafe, deinde vesträ frequen- 
tiä, Commilitones dilectissimi, et ownium ordinum audi- 
tores honoratissimi, circumdatam conspicio, non sine animi 
commolione conscendere polui.. 'Testes enim adestis so- 
lenniter traditi mihi wuneris gravissimi, a collegis amicis-' 
siwis in me collati; quam eorum benevolentiam Begis 
Augustissimi clementia ratam habere voluit. 

Augelur aulem commotio ista usque ad perturbatio- 
nem, cum exiguitatem quam ad res gerendas viribus meis 
inesse scio, comparem cum officiis mihi demandatis; per- 
cellit me ipsa haec necessitas, ex hoc suggestu ad vos 
verba de me faciendi. Studia enim illa, quibus me pri- 
mum natarae indoles addixit, deinde muneris publici 
olficium adstrinxit, umbratilia sunt; alienum est ab illis, 
curae. rerum administrandarum interesse, ita ut consuelu- 
dinem solitudinis polius quam lalis curae facilitatem pa- 
rent. Dubius igitur imo anxius, primum ipsä illä colle- 
garum aestimatissimorum benevolentia confirmatus sum, 


312 2.2.5, Drei Neben, 


cuius magnam partem esse indulgentism, eäque veniam, 
quae mihi expetenda esset, iam contineri debui putare. 
Maxime deinde animum erexit ipsa rei magnitudo et 
.auctoritas, ad cuius regendae nomen et speciem vocatus 
esse videor. Revera enim legibus regimur; unius ingenio 
et arbitrio nec opus nec ei locus est. Universitas haec 
litteraria propriä gaudet firmitate et spontanea valetudine; 
—— est primum et quotannis aucta regiä sapientiä at- 
que insigni ınunificentiä, sustentata saluberrimis consiliis 
et.curis Viri excellentissimi, qui huic parti rerum publi- 
carum praeest, eorumque illustrium virorum, quorum pru- 
dentia et opera ulitur, instructa denique doctrinä, ingenio 
et faına praestantissimorum collegarum. Itaque hoc aedi- 
fikluni ita in se perfectum est,‘ ut amplitudine, ad quam 
Nad' pervenisse laefamur; non prematur, sed potius con- 
firiietur, ut denique tenuifätem hominis singularis tum ad 
ud hugendum 'atque promovendum, tum ad detrimentum 
ei’ädferendum paululom modo, aut, ut verius dicam, paene 
nfhil valere existiimandum "sit, ' illa autem, quae necessa- 
ria Instituto officia magistratuum praestanda sunt, ipsam 
rei magnitudinem nonnisi procul attingant, ita ut si vires 
meae eis desint, illa ipsa sibi sufficiat et se tueatur. 
Neque vero hanc rerum nostrarum rationem in pro- 
spera illa conditione esse positam solum reputandum mihi 
erat, sed Academiam nostram propositum suä naturä sim- 
plicius habere quam alia instituta, quae ad tuendam et 
augendam sanctam hominum consociationem destinata 
sunt. Non enim nostrum est, debellare malignitatem 
aunimi humani et quae inde crimina progignuntur, neque 
propulsare incommoda, quibus corpora nosira vexantur, 
vita in periculam vocatur; neque aliis malorum generi- 
bus occurrere, quibus fragilitas humana laborat. In pla- 
- cida adhuc regione versamur, in portu degimus a tempes- 


2, Rede beim Antritt des Rektorats. 343 


tatibus adhuc intacto, quibus suo omnes tempore obiiei 
commune fatum est, in atrio laborum sumus, quos a pro- 
vectiore aetate respublica et generis humani sors difficilis 
postulant. Negotium est nobis cum iuventute; curae no- 
bis sunt litterae, artes, rerum divinarum humanarumgue 
seientia; occupati sumus contemplando, docendo, praepa- 
‚ randis animis ad pericula et labores futuros, Vestra om- 
nino, commilitones, res est, quam agimus. De ea cum lo- 
cus et occasio postulef, pauca disputabo, summam rei bre- 
viter complectens. Et quidem duo illi rei inesse video, 
Unum, quod studetis, est vestrum ipsorum commodum, ut 
digenam et 'prosperam‘ aetatem nanciscamini, atque ea, 
quae religio, 'respublica, doetrinae et artes proponunt 
dona, in utilitatem vestram convertatis; — hoc autem ipso, 
quod vestro studio ac voluntate absolvi videtur posse, alterum 
continetur,‘illud nimirum, quod illa quae dixi, — religio, 
doctrinae, artes, deinde respublica et iustitia — ipsi sunt fi- 
nes bonorum, suo iure consistunt et aeterna sunt, secura 
adversus arbitrium nostrum, atque ita sua sponte neces- 
saria, ut quotquot sumus, nonnisi instrumentorum vicem 
agamus, quibus regnum Dei, salus reipublieae, aeterna ve- 
ritas manifesta reddatur, conservetur atque augeatur. 
Sed eam esse harum rationum felicem et sanctam 
conditionem tenendum est, ut vestrum commodum et illa 
surmma bona communi vineulo coniungantur et efficiantur, 
Falso igitur, si ita res se habet, multi haec duo separant, 
alii id, quod sibi utile sit, solum "prosequentes, quidam, 
quod generosi hominis esse videtur, omnem  utilitatem 
spernentes, veritatem tanlum et 'interiorem animi beatita- 
tem seclantes. | 

Verum id, quod utile est, non arbitrio et casu nititur, 
sed est ipsa- inlerna ratio rerum, quae ab ipsis rebus 
aliena esse non polest, sed illis divinitus est insita, ita ut 


314 0 Wh Drei Reden. 


veritas se ipsam ad utilitatem traducat, neque esse sine 
illa possit. Unde qui meram utilitatem persequitur, im 
profanam se vanitatem proiicit, neque animi constanliam 
et in rebus gerendis prudentiam et gravitatem acquirit. 
«ui autem ultra omnem utilitatem sapere cupit, merisque 
illis bonis, quasi a rebus humanis seiuncta sint, delectatur, 
videat, ne segnitiei potius excusalionem per vanam illam 
speciem aucupelur, ne suo proprio potius arbitrio et in- 
genio, quam divina ratione, ut quae rebus humanis se in- 
gerit iisque se cognoscendam praebet, delectetur; | 
Hane vos paucis verbis interpellandi eccasionem 
praetermittere nolui, etiam eam ob causam, qnia consilia 
quibus vos adeamus, fortuita sunt et paucis occasionibus 
reposita. Scholae quidem academicae addicti ita in liber- 
tatem evasistis, ut vestris praeserlim consiliis commissi 
sitis, westra existiımatione industriam dirigatis, ex voluntate 
vestra mores vestros conlormetis Neminem fugit in ea 
vitae vestrae 'conditione esse aliquid quod sibi repu- 
guare videatur, illud nimirum, indigere consiliorum et 
praeceptorum, (nam illorum vos indigere ne ipsi quidem 
infitiabimini), et ab iisdem immunes esse et suo dirigi in- 
genio. Sunt, in iisque non imprudentes viri, qui censeant, 
iuventutis arbitrio nimium tribui in instituendis moribus 
suis, algae tum accuraliorem custodiam ad coercendam 
protervilatem et socordiam, tum amicam, paternam inter 
doctores et iuvenes necessiludinem ınaxime exoplandam, 
imo legibus inducendam esse; neque exempla unquam 
deesse dolendum est, quae in documentum afferri possint, 
ex libertate genitam esse licentiam et lasciviam. Nolo 
autem quaestionem hane gravissimam altius movere et per- 
sequi,; illud tantum dico, omnium legum et. institutio- 
num‘ humanarum eam ‚esse conditionem, ut vel ab iis 
quae maximam laudem mereantur, nunquam id praeslari 


2, Mede beim Üntritt des Nektorats. 315 
possit, ut nequilia penitus exstirpetur, ut eriminum exem- 
plz plane desint. Legum autem nostrarum ratione, quae 
non paucis iusto laxior videtur, id effici, quod spectant, 
— doctrinae, industriae, probitatis libere natum amorem 
et spontaneam consuetudinem, — maximo documento est 
experientia et hoc certum testimonium, quod de moribus 
in academia nostra vigentibus ab aestumatissimo collega 
prolatum audivimus. Libertatis enim, sine qua virtus, do- 
ctrina, pietas esse nequeunt, schola et mater ipsa libertas 
- est. Lllud ipsum considerantes, commilitones, praecipuam 
industriae morumque dirigendorum curam vobis permis- 
‚sam esse, diligentius de vilae vestrae et studiorum uni- 
versa ralione consulatis, deinde persuasum habeatis, di- 
sciplinam morum, quantum ad magistratus universilalis 
attinet, nunquam remissius exereitum iri, quam oplimo suc- 
cessu ad hoc usque tempus gesta fuerit, Sed et alia sunt, 
eaque maxima incitaınenta virtutis et industriae, inter quae 
ea paucis refero, quae sedi academiae ipsi debentur, unde 
illad colligitur, prudentissime non in solitario quodam 
loco, sed in hoc ipso capite regni scholam nostram con- 
stitutam esse, rem 

Habetis enim hac in urbe ante oculos gravitatem vi- 
tae publicae, imaginem et exempla. virtutum et durorum 
diffieiliumque laborum, quibus ad tuendam hominum con- 
sociationem et adwinistrandam rempublicam. opus est; re- 
putatis inde, quanta virium vestrarum conlentio requiratur, 
ut illis laboribus pares fiatis; de ea libertate et honore, 
quo litterarum studia fruuntur, iuslam inde opinionem con- 
cipitis; clarum vobisgfit, eum non aliquid.in se absolutum 
et superbum esse, sed initium tantum atque humilem gra- 
dum eius honoris et auctoritalis, quam studia vestra ac 
vota suspieiunt. Denique vero inter ea illud commemo- 
remus, nos in conspectu regis ipsius vieinos degere;, ex- 


316 NE Dei Reden. 


emplum eius pietatis, virtatis, industriae ob oculos quoti- 
die versari, testem eum praesentem et proximum spectato- 
rem omnis vitae nostrae rationis nos habere. Quod ut 
gravissimum ita laetissimum ad illa plara, quae tetigi, ac- 
cedit argumenta, quibus libertatem iuventuti nostrae con- 
cessam ad integritatem morum et in studiis industriam in- 
eitari et sponte dirigi censeam. Neque vero mentio, quam 
postremo inieci, eo fine continetur, qui eius occasio fuit. 
Oinnes enim causae conditionis prosperae et robustae re- 
rum nostrarum in unum communem fontem et fundamen- 
tum redeunt, scilicet in magnamini regis Friderici Gui- 
lelmi fortunam, quam universae reipublicae praeesse gra- 
tulamur, fortunam dico eam, quam pii animi et sapien- 
tium consiliorum, divina providentia iussit esse comitem 
et fructum. Cuius fortunae non minimam partem, imo in 
nobilissimis splendidissimisque, quibus augustissimus Prin- 
ceps diadema regium ornavit, gemmis, fas est habere scho- 
las, quas invenum animis ad pielatem, doctrinam atque 
eam utilitatem, quae respublica ex eadem pietate et do: 
ctrina capiat, informandis sacras esse voluit. 

Tanto nostram universitatem praesidio frui eonsiderans, 
animum ab anxietate levatum esse sensi, qua eum solen- 
nis species fascium academicorum capessendorum primo 
repleverat. Confirmor inprimis prudentia et gravitate 
aestumatissimorum collegarum, qui insequente anno sena- 
tum constituunt et quos iam renuntio. Sunt autem mem- 
bra eius | 

Decanus theol, facultat. Dr. Marheinecke 
— juridd — Prof. a, Lancizolle 
— medic.. — — Wagner 
— pphilos. — — von der Hagen. 
Manserunt in Senatu Dr. Straufs, Prof. Bekker; suffecti 
sunt Prof. Boeckh, Prof, Wilken, Prof, Gans. 


2, Rede beim Antritt des Rektorats. | 317 


Confirmor denique, prosperum et pacatum rerum 
statum respiciens, quam tu amicissime collega tradidisti, 
cui de peracto feliciter stadio gratulor, qui munus a me 
susceptum non deseris, sed eadem humanitate, qua rudem 
me negotiis tractandis hac tenus initiasti, consilium tuum, 
fidem, auxilium mihi adfore benevolenter promisisti. Dixi. 


2 


3. TViede bei der beitten Säkular- Feier ver Ueber—⸗ 
gabe ber augshurgifchen Uonfeſſion. 


(Den 25. Juni.) 


VIRI EXCELLENTISSIMI, ILLUSTRISSIMI, REVERENDISSIMI, 


COLLEGAE DOCTISSIMI, CONIUNCTISSIMI, COMNMI- 
LITONES ORNATISSIMT, 


AUDITORES OMNIUM ORDINUM SPECTATISSIMI! 


Mandatum mihi est a senatu amplissimo, ut solennitati s 
qua diem hunc festum regia auctoritas celebrare Univer- 
sitati huic litterariae permisit, occasionem et causam re- 
nuntiareın. Nam, ipsum illud immortale facinus, cujus 
memoriam animo repetimus, quum in profitenda et stabi- 
lienda religionis doctrina versatum sit, praeter ceteros ad 
venerabilem Universitatis nostrae ordinem theologorum 
. pertinere, eumque praecipuam hujus solennitatis partem 
sustinere fas esse visum est: cujus rei Dnus spectabilis De- 
canus digne et erudite gravitatem nos edocebit eamque in 
animis nostris altissime imprimet. Verumtamen illa res 
. Augustae non a consessu doctorum theologiae et antisti- 
‚tum ecclesiae peracta est, qui doctam disputationem inirent, 
deinde quid verum esset decernerent, gentemque profanam 
id ratum habere eique fidem et obsequium praestare ju- 
’ berent. Sed vis ejus diei haec praecipua fuit, quod prin- 





\ 





3. Rede bei d, dritten Saͤkular⸗Feier d, Ueberg. d. nugeb, Konf. 319 


eipes civitatum urbiumque imperii consules doctrinam 
evangelicaım e superslilionum, errorum, mendaciorum, om- 
nis denigue generis injuriarum et flagiliorum mole tandem 
restauratam, jam perfectam esse, ultrague ancipitem dispu- 
‚ tationis fortunam ultraque arbitrium et quodcunque impe- 
rium positam, remque divinam a se susceptam esse, decla- 
raverunt: Qua re laicis, qui antea fuerant, licere de re- 
ligione sentire edixerunt, nobisque hanc libertatem inaesti- 
mabilem vindicarunt. Itaque mihi hanc ' solennitatem 
inchoare jusso, si de re ipsa verba faciam, dicendi quidem 
facultatis meae exiguae excusalione opus est, et indulgen- 
tiam Vestram, Auditores amplissimi, expetere me oportet, 
sed proderem libertatis illo, quem celebramus, die nobis 
vindicatae causam, si ideo excusationem inirem, quod homo 
laicus qui sim, de re ad religionem perlinente disseram. 
Ea mihi potius solennitatis pars commissa esse videtur, 
quam lubenter suscepi, ut parta facultate utamur, posses- 
sionem palam declaremus et testemur, Quam ob rem de 
hac ipsa libertate ceteris, qui theologi non simus, compa- 
rata mihi dicendum esse putavi. 

Fuit enim pridem ista Christiani orbis conditio, ut in 
duos ordines esset discissus, quorum. alter libertatis ‘per 
Christum nobis comparatae jura et adıinistrationem ar- 
ripuisset, alter ad servitutem detrusus hujus libertatis ip- 
sius mancipium esset. Libertatem autem Christianam eam 
esse intelligimus, ut unus quisque dignus declaratus sit, 
qui’ ad Deum accedat eum cognoscendo, precando, colendo, 
ut negotium, quod sibi cum Deo sit, Deo cum homine, 
quisque cum Deo ipse peragat, Deus ipse in mente hu- 
mana perfieiat. Neque cum Deo aliquo negotium nobis 
est, qui naturae affectibus sit obnoxius, sed qui sit veritas, 
ratio aeterna, ejusque ralionis conscientia et mens. Hac 
autem ralionis conscientia Deus hominem esse praedilum 


320 an N Drei Reden. ER ie 


atque ita a brutis animalibus diversum voluit, ut Dei esset, 
effigies, atque mens humana, quippe aeternae lucis sein-, 
tilla, huic luei pervia. Ideo porro, quod homo Dei esset 
imago, Deus humanae naturae ideam sibi vere inesse mor- 
tali generi palam fecit, atque amari se ab hominibus et 
permisit et voluit, eisque sui adeundi infinitam largitus est, 
facultatem ac fiduciam. Summum igiturı hoc, quodı ho- 
mini concedi potuit, bonum ei denuo ereptum fuit, nam- 
que intimum animi adytum, qui ejus sancetae communionis 
solus esse polest locus et occasio, terroribus et commen- 
tis inquinatum,  foedisque superstitionibus obrutum fuit, 
quibus quasi muro aheneo commereium illud intereeptum 
est. Hi cancelli, inter Deum et animum ejus accedendi, 
desiderio flagrantem interjecti, fons et origo servilutis 
fuerunt; amor enim, divinus liberum et infinitum est com- 
mereium, quod, quum finibus impeditur, in ejusmodi con- 
sortionis naturam redigitur, quae inter mortales esse solet, 
sanctaeque res in rerum vilium, quas manu possidere, vi et 
armis conlinere, immo emere et vendere possis, condilio- 
nem pervertuntur. In ejusmodi consociatione dominio, 
arbitrio locus est; ibi quaecungue animis, a libertate di- 
vina alienis, insunt, ambitio, regnandi libido, avaritia, 
odium, omnisque tyrannidis et socordiae genus nascilur. 
Itaque in gremio libertatis Christiana gens in dominos et 
servos divisa est, perque hanc legem imperium impietatis 
penitus invietum et perenne redditum esse videbatur. 

‚Hos vero carceres perfregit vera Dei conscienlia 
amorque ejus infinitus, redditusque est homini liber ad 
eum accessus. In illo Augustano conventu se servitutem 
exuisse, et abdicavisse ordine laico, ut theologi se ordine 
clerico abdicaverant, atque hos ordines omnino abrogatos 
esse, revera promulgaverunt proceres Germaniae suo et 
populorum nomine: itaque pravum illud schisma, quod 


3. Rede bei d. dritten Saͤkular⸗ Feier d. Ueberg. d. augsb. Konf. 321 


non de quorundam hominum fortuita auctoritate certamen 
fuerat, neque ecelesiam modo sed ipsam religionem tur- 
baverat, immo perverterat, sublatum fuit, Interfuerant 
quidem etiam antea principes conciliis, ut famoso illi con- 
eilio Constantiensi, non tamen veluti ipsi sententiam ibi di- 
cerent, sed ministrorum instar adessent, qui deeretis do- 
ctorum subseriberent, deinde carnifices eorum decretorum 
. vim sanguinolentam re, id est, caede exprimerent. Caesar 
autem, qui conventui Augustano praesidebat, non aequali 
jure neque eadem libertate, id est, non divina auctoritate 
egit: Carolus ille quintus, cujus regna tam late patuerunt, 
ut sol in ipsis non oceidere diceretur, idem ille qui päu- 
cis ante annis urbem Romam, sedem Pontificis, exereitui 
expugnandam, diripiendam, comburendam, omni laseiviae 
et ludibrii in ipsum Pontificem genere deperdendam per- 
miserat, is tum Augustae tutorem ac patronum ecclesiae, 
id est, satellitem Pontificis se profitebatur, pacem in ec— 
clesia restituere sibi in animo esse ita declarans, ut pristi- 
nam servitutem minaretur, contentus istis ambitiosis, cru- 
entis, -libidinosis ex orbe terrarum et urbe Roma et ipso 
Pontifice captivo reportatis manubiis, sed gloriam immor- 
talem spoliorum opimorum e tyrannide contra religionem 
usurpata reportandorum aliis relinquens, surdus ille, quem 
lateret Deum, ipsum sursum esse, ejusque esse illam tu- 
bam, quae jam mirum Christianae libertalis sonum spar- 
geret, — impar ille sancto aevi sui ingenio. 

Sed ut ii,.quos sonus ille pervaserat, qui se jam eman- 
eipatos putabant, liberi, non-liberti essent, id in eo posi- 
tum fuisse apparet, ut principes populorum et urbium 
consules rei praeessent. Qui enim e superstilionis vincu- 
lis modo evaserunt animi, illi fieri non potest quin ea le- 
gum et civitatis ratione, quae ad pristinae religionis nor- 
mam conformata est, adhuc premantur. Neque enim»re- 

Bermifchte Schriften, * 21 


322 mu V. Drei Reden. Er 

ligio in recessu menlis contineri et ab agendi ratione.'et 
vitae institutione secludi potest; fanta ejus est vis et au- 
etoritas, ut, quicquid ad humanam vitam pertineat, com- 
plectatur et moderetur, ideoque reformata religione, civita- 
tis quoque et legum morumque rationem reformari Opor- 
teat. Itaque noyae sane res erant, quas Lutherus noster 
molitus fuerat. Sed quum principes et magistratus civita- 
tum illi essent, qui Augustanum negotium solenniter per- 
agerent, boc testimonio declaratum est, rem publico 
consilio et voluntate, non per vim multitudinis esse con- 
fectam, neque legum et principnm majestatem et auctori- 
tatem oppressam, sed legitimo ipsos eivitatum statui et 
obsequiosis populis praeesse. 

In quo quidem nonnulli sunt diffieiliores, cum docere 
insliluunt a perfecta re initium esse discernendum, quod 
etsi eventus et finis in rem legitimam converterit, non 
minus crimine dignum fuisse contendunt: vere illi quidem 
negantes coeptum Lutheri simpliciter ad doctrinam: per- 
tinuisse, nec contra leges, quae antea valuissent, quicquam 
esse aclum. Quin hoc ipsum seditioni proximum esse 
elamant, si illi rei latebras quaeras ac speciem justitiae ita 
praetendas, ut judieium de ea ferendum ad eventum re- 
jieias, et pro nocente habeas eum, qui suceubuerit,-pro 
justo, qui vicerit; itaque si vielrix quidem illa causa Deo 
placuerit, his Catonibus scilicet displicebit, quia vieta 
olim legitima fuerit. Haud dubie gravissimum est, quod 
‚ istipraecipiunt, civibus nihil sanctius esse debere, quam 
obedientiam legibus praestandam et reverentiam  alque 
fidem principi suo servandam. Verum de ejusmodi dis- 
putatione illud afferre liceat, quod Cicero de Socrate et 
Aristippo dixit: Neutiguam, ait, quemquam hoc ‚errore 
duci oportet, ut si quid illi viri contra morem consuetu- 
dinemque civilem fecerint locutique sint, idem sibi ar- 


3. Rede bei d, dritten Säfulars Feier d. Ueberg. d, augeb, Konf. 393 
bitretur licere; magnis enim illi et divinis bonis hunc 
licentiam assequebantur. His autem, quae Cicero magna 
ac divina bona esse praedicat, quanto majora et magis 
divina sunt ea bona, quıbus recuperatis laetamur, quanto 
igitur magis legitima et justa fuit illa licentia, qua Lu- 
therus ejusque amici, nec hi solum, sed cum jis princi- 
pes et magistratus, multa, quae in jure civili pridem justa 
et legitima habebantur, mutarunt et innovarunt, Videant 
potius, qui opus religionis evangelicae restitutae eo, quo 
diximus, modo criminantur, ne contra Lutheri seditionem 
verbosi, de suo erga leges et magistratus obsequio et 
fervore ideo glorientur, quod veritatem divinam esse 
omnino negent, omnemque religionis doctrinam commen- 
tis et opinionibus hominum adnumerent. 

Iidem illi sunt, qui ob eandem causam aegre ferunt, 
in conventu Augustano professionem doctrinae factam 
esse, ita enim eos, qui se liberos esse declararint, cate- 
nas mufasse tantum: censent enim nulla esse veri prae- 
cepia, nec nisi suas cuique opiniones certas esse volunt, 
et libertatis esse, ab 'ea, quae communis est, doctrina 
dissentire. Qui cum per illan Magnam Chartam, qua 
ecclesia evangelica se conditam et constitulam esse pro- 
mulgavit, eidem vincula injecta esse eriminantur, oblivi- 
scunfur, in communione per illam fundatä hoc indefessum 
studium diligentissime tum manu et oculis tum cogita- 
tione quiequid est rerum divinarum humanarumque per- 
quirendi progenitum, inde nihil ab ingenio intentatum 
intactumque relictum, inde omnium disciplinarum, libera- 
lium artium litterarumque genera mortalibus reddita, nec 
reddita solum, sed novo et infinito ardore refecta et 
aucta esse, perennique quotidie vigore augeri, crescere, 
ea simul libertate, ut haec'studia a quovis adiri possint 
ea necessitate, ut quivis ad id, quod justum, quod verum, 

* 21* 


324 VI. Drei Reden. 


quod divinum sit, sua sponte cognoscendum. undique in- 
vitetur, impellatur, incitetur. — Sed milto ulteriorem de 
vinculis, quae doctrinae qualicunque publicae inesse per- 
hibent, disputationem, quae tum propter difficultatem 
rei longius me abduceret, tum, quia multiplici suspicione 
et invidia referta jam est, tristior esset et parum con- 
veniens hujus diei laetitiae. Hoc sufficiat monuisse, uber- 
rimam illam segetem neutiquam a serva scafurigine pro- 
gigni potuisse. Quanta autem vis praeceptis religionis 
tune restauratis ad corrigendas leges et instituta civilia 
insit, jam eo tempore, quo res coepta est, tum vero no- 
stris diebus singulariter apparuit. De hac evangelicae 
doctrinae natura, quae pertinet ad id, quod nobis tractan« 
dum fuit propositum, accuratius disquiramus. 

Ac prineipio quidem schisma illud, quo animi sancta 
penetralia inter se ipsa dissidebant, atque respublica in 
duplicem potestatem eivilem discissa erat, abolitum esse 
videmus; reipublicae licere auctoritate divina unam in 
se esse intellectum est, atque civitati civibusque sua jura, 
honestatisque praecepta divinitus esse legitima. Potestas 
principum reconciliata est cum ecclesia; dum illa con- 
sociatur cum divina voluntate, haec dominatus injuria 
sese abdicat, In quo illud maximum censendum esse 
reor, quod non fortuita et externa quaedam principum: 
et iheologorum ea pactio fuit, sed religionis ipsius atque 
civitatis praecepta et intimae raliones germana veritatis 
pace coaluerunt. Quod fundamentum tum jactum pro- 
cedente tempore uberius se ita explicuit, ut tandem (nam 
id quidem nonnisi lentius fieri potest) in omnem vitae 
humanae disciplinam et omnium officiorum praecepta sese 
insinuaret afque informaret. | 

Revocemus igitur in memoriam, Auditores amplis- 
simi, quae vitae humanae officia sint, deinde quae doctrina 


.Rede bei d. dritten Eäfulars Feier d, Ueberg. d. augsb. Ronf. 325 


veteris ecelesiae illa oppugnaverit, immo perverterit. Sunt 
autem illa omnibus cognita, primum, quae ad familiam 
pertinent, mutuus conjugum, parentium et liberorum 
amor, deinde justitia, aequitas, et benevolentia erga alios 
_ homines, - diligentia et probitas in re familiari admini- 
stranda, denique patriae et prineipum amor, qui illis tu- 
endis vel vitam profundi jubet. Quarum virtutum im- 
mortalia exempla, quae Graeci et Romani nobis admi- 
randä et imitanda reliquerunt, ecclesiae patres fuerunt, 
qui splendida vitia fuisse edixerunt. Itaque his virtuti- 
bus justique et honesti legibus ecclesia Romana aliam 
vitae rationem, sanctitatem scilicet, opposuit et praetulif. 
Et primum quidem illud sane demus, virtatem Christianam, 
quae ex amore Dei proficiscatur, longe praestantiorem 
et sanctiorem esse illa, quae non ex eodem fonte mana- 
rit. Verumtamen illa officia, quae ad familiam, ad com- 
mercium, quod hominibus est inter sese, quaeque ad pa- 
triam et principem spectant, illa igitur ipsa contendimus 
ac Iuemur a voluntate Dei proficisci, virtutesque, quae 
ad illa pertinent, pietate Christiana, id est, amore divinae 
voluntatis potius confirmari, neutiquam vero per eam 
eontemni, vilipendi aut abrogari. Haec autem offieia et 
virtutes infirmanlur et everluntur iis, quae ecclesia Ro- 
mana sanctilatis praecepta declaravit et hominibus suis 
imposuit; quae, ne sermo noster vagus et vanus videatur, 
singula nominemus, | 

Voluit itaque ecclesia, carere conjugum et liberorum 
caritate atque pietate sanctius esse matrimonio. Ad quam 
societatem quum natura impellamur, bruta quidem ani-— 
malia in eo, ad quod natura feruntur, consistunt, sed 
hominis est, illum impetum ‘ad cousortionem amoris et 
pietatis transformare. Profecto veleres dum Vestam aut 


326 VI. Drei Reden. 


Lares ac Penates familiae praesidere rati sunt, rectius in 
ea divini aliquid inesse senserunt, quam ecclesia statuit, 
in eontemtu matrimonii inesse praecipuam quandam san- 
etitatem. Mittamus mentionem facere, qui ex illa steri- 
litatis lege mores profligatissimi progenili sint; quum 
satis quidem constet, inter clericos, qui isti sanctitati ad- 
dieti essent, quam plurimos eosque summae auctoritatis 
et dignitatis fuisse homines libidinosissinos et palam dis- 
solutissimos: Hoc enim vitium non legis ipsius esse con- 
tenditur, sed humanae libidini et pravitati tribuitur, Ve- 
rum quae officia Deus hominibus injunxit et quae sancta 
ipsis esse voluit, ad omnes pertinent, seyque amori omnium 
ordinum aequaliter patere vult; ex illa autem sanetimo- 
niae lege quum id conseculurum esset, — quod sane est 
ineptum, — ut toti generi hLumano matrimoniis interdicere- 
tur, {um vero omnis honeslatis et morum disciplinae fun- 
damentum convellitur, quod in pielate familiae constat 
esse posilum. 

Deinde. paupertatem sanclam esse virtutem ecelesia 
praccepit; itaque dum industriam et probitatem in re fa- 
miliari tuenda et administranda diligentiamque in acqui- 
rendis bonis, quae tum vitae sustentandae necessaria 
sunt, tum aliis adjuvandis inserviunt, vilipendit, labori 
inertiam, ingenio socordiam, providentiae et probitati in- 
curiam ita praetulit, ut clericis per paupertatis votum 
seu potius mendacium licentia avaritiae et luxuriae ac- 
quirerelur; scilicet ut ipsi soli pecuniosi et omnium divi- 
tiarum, quas stulte atque adeo impie compararent alii, 
possessores essent, ideo divitiarum possessio et compara- 
tio condemnata est. 

NHis duobus praeceptis tertium adjunxit haec ecclesia, 
coronam omnium, coecitatem obsequiü, et servituten men- 





3, Rede bei d, dritten Saͤkular- Feier d. Ueberg. d. augsb. Konf. 327 


tis humanae, ita ut amor Dei non ad libertatem ; nos 
perduceret, sed ad servitutem detruderet, ad servitutem 
aeque in minimis rebus, quae casui et arbitrie cujusque 
permissae sunt, atque in maximis, id est, in scientia ejus, 
quod justum, honestum, pium est, ‚et in instituenda atque 
gerenda vita; — scilicet ut privatam vitam et rem do- 
mesticam regerent, et reipublicae principumque domini 
essent ii, qui se servos, immo servorum servos esse, de- 
voverent. male | 
Quis, qui miti et benigno sit animo erga secus ‚de 
religione sentientes, qui: odium, quod religionis 'causa 
tam dia et tam immaniter populos agitaverit, 'sopiri ‚tan- 


dem cupiat, nec sopitum‘denuo 'expergefieri; quis igitur. 


neget,-haec, quae dixi, esse praecepta £colesiae Romanae, 
ea omnem vitae humanae rationem ampleecti, isque om—- 
nem ejus justitiam et honestatem turbari et pessumdari. 
Itaque non solum illam Sanctitatem, cujus'titulum ‚sibi 
sumserat Romanus pontifex, sed ista graviora, id est, no- 
centissima sanctitatis praecepta abolita esse, a civitatum 
rectoribus  Augustae declaratum, itaque civitatem cum 
Deo, Deum cum civitate reconciliatum esse 'promulgatum 
est. Tunc dissidium, quo leges justi honestique homini- 
bus quidem, sed Deo aliud quiddam placere: putaretur, 
compositum, tunc illa ambiguitas et duplicitas 'sublata, 
eujus ope perversi homines criminum ebinjuriarum veniam 
sibi'poscerent, probi vel ad seditiones et scelera vel ad 
ineptias et socdrdiam adducerentur; tum ‚demum divinae 
voluntatis conscientia diversa a conscientia 'veri et justi 
esse desiit. \ 

"Neque legum in animis — firma fiducia esse 
poiest, nisi persuasum habent, eas religioni non modo 
non repugnare, sed eliam originem inde ducere. Quam- 


% 


328 1 VI. Drei Reden. ze 


vis enim nostro tempore plurimi iique magna auctoritate 
et ingenio praediti eam demum 'veram sapientiam esse 
putent, quae religionem a civitate separet, graviter hi,ta- 
men in eo errant. Quod enim in animis firmissimum 
alque summum, omniumque officiorum unicum principium 
esse apparet, Dei notio est, ut quod inde non pendeat 
neque: specie voluntatis divinae sancitum sit, id a casu 
aut arbitrio cujuscunque aut violentia' proficiseci videatur, 
neque vere obligare ac religare homines possit. Unde 
imprudentia eorum non satis reprehendi potest, qui insti- 
tutorum legumque eivitalis reformationem fieri posse pu- 
tent, vera religione, quacum hae consentiant, non restau- 
rata. Divinae libertatis recuperatae ejusque. solius fru- 
etus est libertas et justitia eivilis; istorum, qui. hane>rei 
naturam intellectu. non assequuntur, errorem terribilis 
magister, evenfus rerum, nosträ memoriä graviter redar- 
guit.  Vidimus ‘enim per  omnia  Catholici : orbis regna, 
quorum nobiliores cives jam verior ejus, quod: honestum.et 
justum est, scientia 'pervaserat,  instaurationem legumci- 
vitatis et morum tenfatam esse, sed ‚vel consentientibus » 
vel dissentientibus principibus,  dissentiente autem reli- 
gione,  ausa illa»jam' ab initio suo. foeda, deinde omni 
eriminum et:malorum genere obruta>esse et denique cum 
acerbissima auctorum ignominia irrita cecidisse. 0.1100 
+ »Nobis quidem divind providentiä id contigit, ut‘re- 
ligionis, (quam profitemur, praecepta cum eo, quod civi- 
tati justum sit, consentiant. Hoc tribus ab hine saeeulis 
principes et populi Germaniae inchoaverunt, deinde quum 
partim ipsi partim eorum posteri longis bellorum \cladi- 
bus et miseriis illud immensum et diuturnum depravatae 
religionis Christianae flagitium expiassent, tandem in-tato 
collocaverunt eam, quam nobis pretiosissimam heredita- 


. 


3. Rede bei d. drinnen Edfnier = Feier d. Ueberg. d. angib. Kenf. 399 


tem reliquerunt, concordiam civitalis et religionis liberam, 
et religionis quidem evangelicae, cujus illam propriam 
esse diximus. Qua concordia illud efficitur, quod nostris 
temporibus praecipue ad salutem communem profuisse 
gaudemus, ut quae ad augendam liberlatem, ad emen- 
dandas leges, ad instituta civitatis uberius et liberalius 
excolenda ingenium detexit et rerum necessilas adduxit 
idonea atque utilia, ea sine motibes intestinis et crimimi- 
bus, tranquille, auctoribus illis ipsis, penes quos summa 
potestas est, per ipsorum intelligentiam atque benevolen- 
tiam perfecta sint. Quod cum maximum sit,- illud addo, 
quod, si principes nostri pii sint, ea pietas nobis non me- 
tuenda est, ut pietas funesta et horribilis ista regum Gal- 
liae, qui in cives religioni evangelicae addictos, in viros 
pariter nobilissimos et ignobiles, caede, rapina, omni atro- 
citatis genere saeviri jusserunt, immo sua manu saevie- 
runt; pietatis nomen hac infamia contaminantes, quippe 
quae borum, qui illam committerent, religione sancita es- 
set. Principes evangelici ita se pie agere sciunt, si rem- 
publicam ad justitiae aeternam normam conforment ct 
administrent, et: incolumitatem populo praestent; neque 
ei dissonam sanctitatem aut norunt aut agnoscunt. 

Ita pietas principum fiducia et securitate nos replet, 
amoremque nostrum iis concilia. Quodsi Friderici Gui- 
lelmi, Regis nostri clementissimi, die natali quotannis vir- 
tutum ejus effigiem ob oculos ponimus, et beneficia, 
quae inde in hanc ejus Universitatem litterariam redun- 
dant, in memoriam- revocamus, hodie pietatem ejus exi- 
miam, fontem omnium virtutum, laete praedicemus. Quae 
quum ad cives ipsius proxime pertineat, nosque illam 
praecipue colamus, veneremur, de ea nobis gratulemur: 
magnum huic laetitiae et reverentiae id momentum acce- 


i Meden. 3 Mede b. d, dritten Säkular = Feier der ıc. 


d tus evangelicus orbis per Germaniam et quan- 
patet, causam suam interesse scit, quod om- 
vonorum, hac libertate gaudentium, admiratio et 
eorumque vota pia nobiscum communia versus 
ı  untur, quem evangelicae doctrinae ejusque li- 
rtum vindicem esse cognorunt: Deum T. O. M. 

aus et precamur, et precari non desinemus, ut 

» clementissimo et domui Augustae universae 
conservet, augeat, quibus pietatem, justitiam, 

emuneratur perpetuo. 


VI. ° 


Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


— 


Den 23. Okibr. 1812. — Den 2. Auguſt 1816. — Den 7. Februar 1823. 





Aus einem Briefe Hegels tom 23. Oltür. 1812 
an Riethammer, 


Einleitung. 


Si. hatten mir aufgetragen, meine Gedanken über den Vor— 
trag der Philofophie auf Gymnaſien niederzufchreiben, und. fie 
Ihnen vorzulegen; ich habe ſchon vor einiger Zeit den erſten 
Entwurf zu Papier gebracht, konnte aber keine ordentliche Zeit 
mehr gewinnen, ihn gehörig durchzuarbeiten; um es nicht zu lange 
anftehen zu lafien, Ihnen, Ihrem Verlangen gemäß, etwas dars 
über zu überfchiden, laffe ich es im der Geftalt, wie es mit noch 
einiger Weberarbeitung geworden ift, für Sie abfhreiben. Da 
der Aufſatz keinen andern, als einen Privatzwed hat, fo wird er 
auch jo, wie er ift, ihn erfüllen Tonnen; das Abrupte der Ges 
danken, noch mehr aber das hie und da Polemifche,-rehnen Sie 
gefälligft zur unvolltommnen Form, die für einen andern Zweck, 
als meine Meinung Ihnen darzulegen, freilich mehr Abglättung 
gefordert hätte Das Polemifche mag öfter intonvenabel feyn, 
infofern der Aufſatz an Sie gerichtet ift, und alfo fonft Niemand, 
als Sie, vorhanden wäre, gegen den polemifirt werden könnte; 
aber Sie werden von felbft daffelbe ganz bloß als einen gelegent- 
lichen Eifer betrachten, der mich bei der Erwähnung diefer oder 
jener Manieren oder Anſichten in's Blaue hinein überfallen 
bat. — 


334 VI. Amtliche Schreiben. 


Eine Schlufbemertung fehlt übrigens noch, die ich aber nicht 
hinzugefügt habe, weil ich darüber noch uneins mit mir felbft 
bin; — nämlich, daß vielleicht aller philofophifche Unterricht anf 
Gymnaften überflüfftg ſcheinen fünnte, daf das Studium der 
Alten das der Gymnafial- Jugend angemeffenfte und feiner 
Subftanz nad die wahrhafte Einleitung in die Philofophie 
ſey. — Mlein wie foll ih, der Profeffor der philofophifchen 
Borpereitungs -Wiffenfhaften, gegen mein Fach und meine Stelle 
fireiten? mir felbft dasBrod und Waſſer abgraben? Auf der andern 
Seite aber hätte ich vielleicht — da ich) auch philofophifcher Pä— 
dagog fenn fol, — ja felbft als Rektor einen Amts-Beruf 
dazu, endlich aud das nähere Intereffe, daß man die Profef- 
foren der philofophifhen Wiffenfchaften an Gymnafien für über» 
flüffig erklärte und fie anderswo hinfchaffte. ins aber zieht 
mid) wieder auf die erfie Seite zurüd: nämlich die ganz gelehrt 
werdende und zur Wortweisheit tendirende Philologie, Die Kir— 
chenpäter, Luther und die alten Prediger citirten, legten aus und 
bandhabten die Bibelterte auf eine freie Manier, bei der es in 
Rückſicht des Hiflorifch= Gelehrten auf einen Bauernſchuh nicht 
ankam, wenn fie deſto mehr Lehre und Erbauung hineinlegen 
konnten. Nad) der äſthetiſchen Salbaderei von pulcre! quam ve- 
nuste! wovon wir noch bedeutende Nachklänge hören, ift jest die 
Wort⸗, kritifhe und metrifihe, Gelehrfamteit an der Tagesord- 
nung; ich weiß nidt, ob eben fon viel davon in das Ihnen 
untergebene Perfonal eingeriffen iſt; — aber es wird demfelben 
auch bevorftchen, und in einem und dem anderen Kalle die Phi— 
lofophie ziemlidy leer ausgehen. 


« 


Aus einem Briefe Hegel’ an Rierhammer. 335 


Ueber den Bortrag ber philofophifhen Vorbe⸗ 
reitungs: Wiffenfchaften auf Gymnaſien. 


Der Vortrag der philofophifhen Vorbereitungs - Wiffenfchaf- 


| ten in dem Gymnaſium bietet zwei Seiten dar: 


I. die Zehrgegenflände felbft, IL die Methode. 
I. 


Was I die Lehrgegenftände nebft deren Vertheilung 
an die drei Klaffen betrifft, fo fest das Normativ Folgendes 
darüber feft: 

4) Für die Unter=- Klaffe if (III. $.5. IL) 
die Religions⸗-,Rechts- und Pflichtenkenntniß beftimmt, 

Dagegen V. C. ift angegeben, daß in der Unter⸗Klaſſe der 
Anfang der Uebung des fpekulativen Denkens mit der Logik 
gemacht werden könne. 

2) Für die Mittel- Klaffe: 

a. Kosmologie, natürlide Theologie, in Vers 
bindung mit den Tantifchen Kritiken. 
6. Pſychologie. 

3. Für die Ober⸗Klaſſe: philoſophiſche Encyklo— 
pädie. | 

Da in Anfehung der Unter= Klaffe der Vortrag der 
Rechts-, Pflidten- und Religionslchre, und der Lo⸗ 
gik nicht wohl zu vereinigen ift, fo babe ich es bisher fo darin 
gehalten, dag ic in der Anter- Klaffe nur die Rechts⸗, 
Pflichten- und Religionslehre abhandelte; die Logitk 
aber auf die Mittel- Klaffe auffparte, und zwar abwechfelnd 
mit der Pfyhologie in diefer Klaffe, die von zweijährigem 
Kurfus ift, vorteug. Auf die Ober⸗Klaſſe kam dann die 
vorgefhriebene Encytlopädie. 


336 VO. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten, 


Wenn ich über die ganze Vertheilung mein allgemeines rs 
theil, ſowohl nad) der Sache felbft als nad) meiner Erfahrung, 
abgeben fol, fo kann id) nur erklären, daß ic) fie fehr — 
mäßig gefunden habe. x 
Um in das Nähere hierüber einzugehen, fo ift 1) in An- 
fehung des erflen Lehrgegenftandes im Normativ der Nusdrud: 
„Religions-, Rechts- und Pflihtenlehre” gebraucht, 
worin die Vorausſetzung liegt, daß unter diefen drei Lehren mit 
der Religion der Anfang gemacht werde. Inſofern nod ein 
Kompendium vorhanden ift, muß wohl dem Lehrer die Freiheit 
bleiben, hierin nad) feiner Einficht die Ordnung und den Zus 
fammenhang zu bilden. Ich meines Orts weiß nicht anders, 
als mit dem Rechte, der einfachften und abftratteften Folge der 
Freiheit, anzufangen, -alsdann zur Moral fortzugehen und von 
da zur Religion, als der höchſten Stufe, fortzuſchreiten. — Doch 
dieſer Umſtand beträfe näher die Natur des abzuhandelnden Ins 
halts, und gehört eine weitere Ausführung nicht hicher. ® 
Wenn die Frage gemacht würde: ob dieſer Lehrgegen— 
ftand paffend fey, den Anfang der Einleitung in die 
Philoſophie zu machen? fo kann ich dieß nicht anders als 
bejahend beantworten. Die Begriffe diefer Lehren find einfach, 
und haben zugleich eine Beftimmtheit, die fie für das Alter dies 
fer Klaffe ganz zugänglich macht; ihr Inhalt ift durch das na= 
türlide Gefühl der Schüler unterftügt, er hat eine Wirklich— 
feit im Innern derfelben; denn er ift die Seite, der Innern 
Wirklichkeit felbft. Ih ziehe daher diefen Lehrgegenftand für 
diefe Klaffe der Logik weit vor, weil diefe einen abftrakteren 
und vornehmlich einen von jener unmittelbaren Wirklichkeit des 
Innern entferntern, nur theoretifchen Inhalt hat. Freiheit, Recht, 
Eigenthum u. f. f. find praktiſche Beſtimmungen, mit denen wie 
täglid umgehen und die, aufer jener unmittelbaren, and eine 
fanttionirte Exiftenz und teale Gültigkeit haben. Die logiſchen 
Beflimmungen von Allgemeinem und Befonderem x, ff. find 


ww . 


_ 


Aus einem Briefe Hegel’d an Niethammer. 337 


dem Geifte, der. noch nicht im Denken zu Haufe fi, Schatten 
gegen das Wirkliche, an das er rekurrirt, ehe er jene unabhäns 
gig von diefem feit zu halten und zw betrachten geübt if. Die 
gewöhnliche Forderung an ein einleitendes Lehren der Philoſo— 
phie ifl-zwar, daf man vom Eriflirenden anfangen und von da 
aus das Bewuftfegn zum Höhern, zum Gedanken fortführen 
ſolle. Aber in den Freiheitsbegriffen ift felbft das Eriftirende 
und Unmittelbare vorhanden, das zugleid, ohne vorherge⸗ 
bende Anatomie, Analyfe, Abftraktion u. f. f., ſchon Gedante 
it. — Es wird alfo in diefen Lehren in der That mit dem 


' Verlangten, dem Wahrhaften, dem Geiftigen, Wirklichen ange- 


fangen. — Ih habe immer bei diefer Klaffe ein größeres Ins 
tereffe am diefen praktifchen Bellimmungen, als an dem wenigen 
Theoretifche, das ich vorauszufchiden hatte, gefunden, und den 
Unterfchied diefes Intereffes noch mehr gefühlt, als ich das Er- 
ſtemal, nad der Weifung des erläuternden Theils des Norma— 
tivs, ‚mit den Grundbegriffen der Logik den Anfang madte; 
ſeitdem habe ich dieß nicht wiederholt. 

2) Die höhere Stufe für den Lernenden iſt das theore— 
tiſch Geiftige, das Logifhe, Metaphyſiſche, Pſycho— 
logifhe. Das Logiſche und Pſychologiſche zunächſt mit ein- 
ander verglichen, fo ift das Logifche im Ganzen für das Leich— 
tere anzufehen, weil es einfadhere, abftrakte Beftimmungen 
zu feinem Inhalt hat, das Pfychologifche dagegen ein Konkre— 
tes, und zwar fogar den Geiſt. Aber-zu leicht iſt die Pſy— 
chologie, wenn fie fo trivial als ganz empirifhe Pſhchologie, 
wie etwa in Kampe’s Pſychologie für Kinder, genommen werden 
fol, — Was id von Carus’ Manier’ fenne, ift fo langweilig, 
unerbaulich, leblos, geiftlos, daß es gar nicht auszuhalten if. 

Ich theile den Vortrag der Pſychologie in zwei Theile, 
@, des erfcheinenden, 4. des an und für ſich ſeyenden Geiftes; — 
in jenem handle ic das Bewußtſeyn, nad) meiner Phäno- 
menologie des Geiftes, aber nur in den dort bezeichneten 

Vermiſchte Schriften. * 22 


338 VIR Saueiben in amtlichen Yngelegenheiten, 


drei erfien Stufen, 1) Bewuftfeyn, 2) Selbſibewußtſeyn, 3) Ver⸗ 
nunft, in dieſem die Stufenfolge von Gefühl, Anſch auung, 
Vorſtellung, Einbildungskraft u. ſ. f. ab. Beide Theile 
unterfcheide ich fo, daß der Geift als Bewußtſeyn auf die Be— 
flimmungen als auf Gegenfände thätig ifl,'und fein Beſtim— 
men ihm zu einem Verhältnif zu einem Gegenſtande wird, daf 
‚er als Geift aber nur auf feine Befimmungen thätig ift, 
und die Veränderungen in ihm als feine Thätigkeiten beſtimmt 
find, und fo betrachtet werden. — 

Indem die Logik die andere Wiſſenſchaft der Mittel- 
Klaſſe ift, fo fcheint damit die Metaphyſik Icer auszugehen, 
Es ift dieß ohnehin eine Wilfenfhaft, mit welder man heutiges 
Tags in Berlegenheit zu ſeyn pflegt. In dem Normativ ift die 
kant'ſche Darftellung der antinomifhen Kosmologie und der eben 
fo dialettifhen natürlihen Theologie angegeben. In 
der That ift dadurch nicht fowohl die Metaphyſik ſelbſt, als die 
Dialektik derfelben vorgeſchrieben; womit diefe Parthie wieder 
in die Logik, nämlich als Dialektik, zurüd fommt, 

Nach meiner Anſicht des Logifchen fällt ohnehin das'Me= 
taphyſiſche ganz und gar dahinein. Ih kann hiezu Kant 


als Vorgänger und Autorität citiren. Seine Kritif reducirt das 


feitherige Metaphyſiſche in eine Betrachtung des Verftandes und 
der Vernunft. Logik kann alfo nach kant'ſchem Sinne fo ges 
nommen werben, daf aufer dem gewöhnlichen Inhalt der foge- 
nannten allgemeinen Logik, die von ihm als tranfcenden= 
tale Logik bezeichnete, damit verbunden und vorausgeſchickt wird; 
nämlih dem Inhalte nach die Lehre von den Kategorien, 
Refleriong- Begriffen, und dann den Bernunftbegrifs 
fen. — Analytik und Dialektit.— Diefe objektiven Denk— 
formen find ein felbfiftändiger Inhalt, die Parthie des ariftote- 
liſchen Organon de categoriis, — oder die vormalige Onto= 


d 


logie. Ferner find fie unabhängig vom metaphyſiſchen Spflem; 


— fie fommen beim tranfcendentalen Idealismus eben fo fehr vor, 


Aus einem Briefe Hegel’s an Niethammer, 339 


wie beim Dogmatismus; diefer nennt fie Beſtimmungen der 
Entium, jener des Verflandes. — Meine objektive Logik wird, 
wie ich hoffe, dazu dienen, die MWiffenfchaft wieder zu reinigen, 
und fie in ihrer wahren Würde darzuftellen. Bis fie mehr ges 
kannt wird, enthalten jene kant'ſchen — — bereits 
das Nothdürftige oder Grobe davon. 

In Anſehung der kant'ſchen Antinomien wird ihre 
dialektiſche Seite unten noch erwähnt. Was ihren ſonſtigen 
Inhalt betrifft, ſo iſt er Theils das Logiſche, Theils die 
Welt in Zeit und Raum, die Materie Im fofern 
in der Logik bloß ihr logiſcher Gehalt, — nämlich die 
antinomifchen Kategorien, welde fie enthalten, — vorfommt, 
fo fällt es hinweg, daß fie die Kosmologie betreffen; _ 
aber in der That if jener weitere Inhalt, nämlich die Welt, 
Materie w dergl. auch ein unnüger Ballafı, ein Mebelbild der 
Borftellung, das keinen Werth hat. — Was die kant'ſche 
Kritik der natürlichen Theologie betrifft, fo kann fie, wie ich 
gethan habe, in der Religionslehre, worin ein folder Stoff 
befonders für einen dreis und tefp. vierjährigen Kurſus nicht 
unwillkommen ift, vorgenommen werden. Es hat Intereffe, Theils 
eine Kenntniß von den fo berühmten Beweiſen vom Dafeyn 
Gottes zu geben; — Theils mit der eben fo berühmten kant’= 
fhen Kritik derfelben bekannt zu machen; — Theils diefe Kritik 
wieder zu kritiſiren. | 

3) Die Eneyklopädie, da fie philoſophiſch feyn 
fol, ſchließt wefentlih die, ohnehin gehaltleere und der Jugend 
auch noch nicht nützliche Literarifhe Enchklopädie aus. Sie 
kann nichts Anderes enthalten, als den allgemeinen Inhalt 
der Philofophie, nämlich die Grundbegriffe und Principien 
ihrer befondern Wiffenfhaften, deren ich drei Hauptwiffenfchafz 
ten zähle: 1) die Logik, 2) die Philofophie der Natur, 3) die 
Philofophie des Geiftes, Alle andere Wiffenfhaften, die als 
— angeſehen werden, fallen in der That nach 

22 * 


— 


340 VIT. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 

ihren Anfängen in diefe, und nad diefen Anfängen follen fie 
allein in der Encytlopädie, weil fie philoſophiſch ift, betrach—⸗ 
‚tet: werden. — Go zwedmäßig es nun ift, auf dem Gymna- 
fium eine ſolche Weberfiht der Elemente zu geben, fo kann fie 
auch wieder bei näherer Betrachtung für überflüffig angefehen 
werden, — darum, weil die in der Enchklopädie kurz zu bes 
trachtenden Wiffenfchaften in der That ſchon ſelbſt ausführ— 
lider — gröftentheils da gewesen find Nämlich die 
erſte Wiffenfchaft der Enchklopädie, die Logik, von der be= 
reits oben gefprodhen; die dritte Miffenfhaft, die Lehre vom 
Geifte, 1) in der Pſychologie, 2) in der Rechts-, Pflichten⸗ 
und Religionslehre; (— felbft ſchon die Pſychologie als ſolche, 
— die in die zwei Theile des theoretifchen und praktiſchen Gei= _ 
fies, oder der Intelligenz und des Willens, zerfällt, kann größe 
tentheils der Ausführung ihres zweiten Theils entbehren, weil 
derfelbe in feiner Wahrheit fhon als Rechts-, Pflichten— 
und Religionslehre vorgefommen ift. Denn-die bloß pſy— 
chologiſche Seite der legten — nämlihd Gefühle, Begierden, - 
Triebe, Neigungen, — find nur ein Formelles, das feinem wah— 
ren Inhalte nad, — z. B. der Trieb nah Erwerb oder nad 
MWiffen, die Neigung der Eltern zu den Kindern u. ſ. fr 
— in der Rechts- oder Pflichtenlehre als nothwendiges 
Verhältniß, als Pflicht des Erwerbs mit der Einſchränkung 
der Rechtsprincipien, als Pflicht, ſich zu bilden, als Pflich— 
ten der Eltern und Kinder u. f. f., bereits abgehandelt if.) — - 
Inden zue dritten Wiſſenſchaft der Enchklopädie noch die 
Religionslehre gehört, fo ift auch diefer ein befonderer Un— 
terricht gewidmet. Zunächſt ift daher nur die zweite Wif- 
fenfhaft, die Philofopbie der Natur noch für die 
Encpklopädie übrig, — Allein 1) hat die Naturbetrahtung 
nod wenig Reize für die Jugend; das Intereffe an der Natur fühlt 
fie mehr — und nit mit Unreht"— als eine theoretifche Mü— 
Bigkeit, in Vergleihung gegen menſchliches und geiftiges Thun 


. 


u 
Aus einem Briefe Hegel's an Miethammer. 34 


und Geflalten; 2) ift die Naturbetradhtung das Schwerere; denn 
der Geift, indem er die Natur begreift, hat das Gegentheil 
des Begriffs in den Begriff zu verwandeln, — eine Kraft, 
der nur das erflarkte Denken fähig iſt; 3) fest die Naturphilo- 
ſophie, als fpekulative Phyſik, Bekanntſchaft mit den Naturers 
ſcheinungen, — mit der empirifhen Phyſik — voraus, — eine 
Bekanntſchaft, welche hier noch nicht vorhanden if, — Als ih. 
im vierten Jahre der Eriftenz des Gymnaſtums in der Ober: 
Klaffe ſolche Schüler erhielt, welche die drei Kurfe der Philoſo— 
phie in der Mittel und Unter-Klaſſe durdlaufen hatten, 
mufte ich die Bemerkung machen auf, daß fie mit dem größ— 
ten Theil des philofophifchen wiſſenſchaftlichen Kreifes ſchon 
betannt ſeyen, und ich des größten Theils der Enchklopädie ent- 
behren könnte; ich hielt mic alsdann vornehmlid an die Na- 
turphiloſophie. — Dagegen fühlte ih als wünfchenswerth, 
daf eine Seite der Philofophie des Geiftes, nämlid die Par— 
thie des Schönen, weiter ausgeführt würde, Die Aefthetit 
ift, außer der Naturphilofophie, die befondere Wiſſenſchaft, welche 
in dem wiffenfehaftlihen Cyhklus noch fehlt, und fie fheint fehr 
wefentlih eine Gymnaſial-Wiſſenſchaſt ſeyn zu können. Sie 
könnte dem Profeffor der klaſſiſchen Literatur ‚in der Ober- 
Klaffe übertragen fepn, der aber mit diefer Literatur ſchon genug 
zu thun bat, weldyer es fehr fchädlich wäre, Stunden zu entziehen. 
Es wäre aber höchſt nüglich, wenn die Gymnaflaften außer mehr 
Begriff von Metrit, auch beflimmtere Begriffe von der Nas 
tur. des Epos, ber Tragödie, der Komödie u. dergl. er— 
hielten. Die Aefihetit könnte einer Seits die neuern, beffern 
Anfihten von dem Weſen und dem Zwecke der Kunft geben, 
anderer Seits aber müßte fie ja nicht ein bloßes Gewäſche von 
der Kunft bleiben — fondern fi), wie gefagt, auf die befonde- 
ren Dictungsarten und die befonderen antiken und modernen 
Dihtungsweifen einlaffen, in die charakteriftifhe Bekanntſchaft 
mit den vornehmften Dichtern der verſchiedenen Nationen und 


/ 
342 VI, Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


Zeiten einleiten, und diefe Bekanntſchaft mit Beifpielen unter 
flügen, — Es würde dief eben ein fo lehrreicher als angenehmer 
Kurfus feyn; er enthielte lauter folde Kenntniffe, die für Gym— 
naflaften höchſt pafiend find; und es kann als ein reeller Man— 
gel gelten, daſſ diefe MWiffenfchaft feinen Lchrgegenftand in einer 
Gymnaſial-Anſtalt ausmadıt. — Die Encyklopädie wäre auf 
diefe Weife, der Sache nad, im Gymnaſium „mit Ausnahme 
der Naturphiloſophie, vorhanden; es fehlte etwa nur noch eine 
philoſophiſche Anſicht der Geſchichte, die aber Theils 
noch entbehrt werden, Theils auch ſonſt, z. B. in der Relis 
gionswiſſenſchaft, bei der Lehre von der Vorſehung, ihre Stelle 
finden kann. Die allgemeine Eintheilung des ganzen Gebiets der 
Philoſophie, daß es drei find, reines Denten, Natur und Geift, 
muß ohnehin öfters bei der Beflimmung der einzelnen Samen 
erwähnt werden. 
I. Methode. 

A. Im Allgemeinen unterfcheidet man philofophifches Sy— 
ſtem mit feinen befondern Srientien und das Philofophis- 
‚ren felbft. Nach der modernen Sucht, befonders der Pädagogik, 
fol man nit fowohl in dem Inhalt der Philofophie unters 
‚riöhtet werden, als daf man ohne Inhalt philofophiren 
lernen foll; das heißt ungefähr: man foll reifen und immer 
reifen, ohne die Städte ‚ Hlüffe, Länder, Menfhen u. f. f. ken— 
nen zu lernen. 

Bor’s Erſte, indem man eine Stadt kennen lernt, und 
dann zu einem Fluſſe, andern Stadt u. f. f. kommt, lernt man. 
ohnehin bei diefer Gelegenheit reifen, und man lernt es nicht 
nur, fondern reift ſchon wirflid. So, indem _man den Inhalt 
der Philofophie Fennen lernt, lernt man nicht nur das Philofo= 
phiren, ſondern philofophirt aud ſchon wirklich. Auch wäre der 
Zweck des Reiſenlernens ſelbſt nur, jene ER uf. . ., ben 
Inhalt kennen zw lernen. _ ) 

Zweitens enthält die Philofophie die höchſten vernünfs 


Aus einem Briefe Hegels an Niethannner. 343 


tigen Sedanten über die wefentliden Gegenflände, 
enthält das Allgemeine und Wahre derfelben; cs if von 
großer Wichtigkeit, mit diefem Inhalt bekannt zu werden, und 
diefe Gedanten in den Kopf zu betommen. Das trau 
tige, bloß formelle Verhalten, das perennirende inhaltslofe Suchen 
und Herumtreiben, das unfpflematifche NRaifonniren oder Speku— 
liren hat das Gehaltleere, das Gedankenleere der Köpfe zur Folge, 
daf fie nichts Fönnen Die Rechtslehre, Moral, Religion ift 
ein Umfang von widhtigem Inhalt; cben fo ift die Logik eine 
inhaltsvolle Scienz, die objektive (Kant: tranfcendentale) enthält 
die Grundgedanken vom Seyn, Wefen, Kraft, Subflanz, Ur⸗ 
ſache u. ſ. few. f. f.; die andere die Begriffe, Urtheile, 
Schlüſſe u. f. f., eben fo wichtige Grundbeftimmungen; — bie 
Pſychologie Gefühl, Anfhanung u. f. f.; — die philofophi- 
fhe Enchklopädie endli überhaupt den ganzen Umfang. Die 
wolffhen Scientien, Logik, Ontologie, Kosmologie u. f. f. 
Naturrecht, Moral u. f. f., find mehr oder minder verſchwunden; 
aber darım iſt die Ppilofophie nicht weniger ein ſyſtematiſcher 
Kompler inhaltsvoller Scientien. — Ferner aber ift die 
Ertenntnif des abfolut=Abfoluten — (denn jene Sci— 
entien follen ihren befondern Inhalt aud in feiner Wahrheit, 
d. h. in feiner Abfolutheit, kennen lernen) — nur allein möglid) 
durch die Erkenntniß der Totalität in ihren Stufen eines 
Soflems; und jene Scientien find ihre Stufen, Die Scheu 
vor einem Spftem fordert eine Bildfäule des Gottes, die feine 
Geftalt haben folle, Das unfpftematifche Philofophiren ift ein 
zufälliges, frägmentarifches Denken, und gerade die Konfequenz 
ift die formelle Scele zu dem wahren Inhalt, 

Drittens. Das Verfahren im Bekanntwerden mit einer 
inhaltsvollen Philofophie if num kein anderes als das Lernen. 
Die Philofophie muß gelehrt und gelernt werden, fo gut, 
als jede andere Wiſſenſchaft. Der unglüdfelige Pruritus, zum 
Scelbfidenten und eigenen Produciren zu erzichen, hat 


344 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


diefe Wahrheit in Schatten geftellt; — als ob, wenn ich, was Sub- 
flanz, Urfache, oder was es-fey, lerne, — id nit felbft 
dächte, als ob ich diefe Beftimmungen nicht felbft in meinem Den 
ten produeirte, fondern diefelben als Steine in daffelbe ges. 
worfen würden; — als ob ferner, indem ich ihre Wahrheit, die Be- 
weife ihrer ſynthetiſchen Beziehungen, oder ihe dialektifches Ueber— 
gehen einfehe, nicht ſelbſt diefe Einfücht erhielte, nicht felbft von dies 
fen Wahrheiten mic überzeugte, — als ob, wenn id) mit dem ph= 
thagoräifchen Lehrfag und feinem Beweife bekannt worden bin, nicht 
ich felbft diefen Sat wüßte und feine Wahrheit bewiefe. So 
fehr an und für fid) das philofophifche Studium Selbftthun iſt, 
eben ſo ſehr iſt es ein Lernen; — das Lernen einer bereits 
vorhandenen, ausgebildeten, Wiſſenſchaft. Dieſe iſt ein 
Schatz von erworbenem, herausbereitetem, gebildetem Inhalt; 
dieſes vorhandene Erbgut ſoll vom Einzelnen erworben, d.h. 
gelernt werden. Der Lehrer befist ihn; er denkt ihn vor, 
- die Schüler denken ihn nad. Die philofophifchen Scientien 
enthalten von ihren Gegenftänden die allgemeinen wahren 
Gedanken; fie find das refultirende Erzeugniß der Arbeit der 
dentenden Genie’s aller Zeiten; diefe wahren Gedanken über- 
treffen das, was ein ungebildeter junger Menfh mit feinem 
Denken herausbringt, um eben fo viel, als jene Maffe von 
‚genialifcher Arbeit die Bemühung eines foldhen jungen Menſchen 
übertrifft. Das originelle, eigenthümliche Vorftellen der Jugend 
über die wefentlichen Gegenftände ift Theils noch ganz dürftig 
und leer, Theils aber in feinem unendlic größern Theile Mei 
nung, Wahn, Halbheit, Schiefpeit, Unbeſtimmtheit. 
Durch das Lernen tritt an die Stelle von diefem Wähnen die 
Wahrheit. Wenn einmal der Kopf voll Gedanken ift, dann erſt 
bat er die Möglichkeit felbft die Wiffenfchaft weiter zu bringen 
und eine wahrhafte Cigenthümlichteit in ihre zu gewinnen; 
darum aber ift es in öffentlichen Unterricitsanftalten, vollends in 
Gymnaſien, nicht zu thun, fondern das philoſophiſche Studium 
—* 


Aus einem Briefe Hegel s an Riethammer. 35 


iſt wefentlich auf diefen Geſichtspunkt zu richten, daß dadurch 
etwas gelernt, die Unmwiffenheit verjagt, der leere 
Kopf mit Gedanken und Gehalt erfüllt, und jene natür— 
liche Eigenthümlichteit des Denkens, d. h. die Zufäl- 
ligkeit, Willkür, Beſonderheit des Meinens vertrieben werde.‘ 

B. Der philofophifhe Inhalt hat in feiner Methode und 
Seele drei Formen; 4) it er abfiratt, 2) dialettifh, 
3) fpetulativ; abfirakt, in fofern er im Elemente des Den— 
tens überhaupt ift; aber bloß abfiraft, dem Dialektifchen und 
Speculativen gegenüber, ift er das fogenannte Verſtändige, 
das die Beftimmungen in ihren feften Unterſchieden fefthält und 
kennen lernt. Das Dialektiſche ift die Bewegung und Ver— 
wirrung jener feften Beflimmtheiten; die negative Vernunft. 
Das Spetulative iſt das pofitiv -Vernünftige, das Geiflige, 
erft eigentlich Philofophifche, 

Was den Vortrag der Philofophie auf Gomnaflen betrifft, 
fo ift erflens die abſtrakte Form zunädft die Hauptſache. 
Der Jugend muf zuerft das Schen und Hören vergehen, fie 
muf vom konkreten Vorftellen abgezogen, in die innere Nacht 
der Seele zurüdgegogen werden, auf diefem Boden fehen, Bes 

ſtimmungen feflhalten und unterfcheiden lernen. 

Ferner, abfiratt lernt man denken durch abſtraktes 
Denten. Man kann nämlich entweder vom Sinnlichen, Konkre— 
ten anfangen wollen, und diefes zum Abftratten durch Analyfe 
heraus und hinauf präpariren, fo, — wie es ſcheint, — den natur⸗ 

gemäßen Gang nehmen, wie aud fo vom Leichtern zum Schwe= 
rern auffteigen. Dder aber man kann gleich vom Abſtrakten 
feloft beginnen, und daffelbe an und für fi nehmen, lehren und 
verftändlih machen. Erſtlich, was die DVergleihung beider 
Wege betrifft, fo ift der erfle gewiß naturgemäßfer, aber 
darum der unwiffenfhaftlide Weg. Obwohl cs natur— 
gemäßer ift, daf eine das Runde ungefähr enthaltende Scheibe 
aus einem Baumſtamme, durch Abſtreifen der ungleihen, her⸗ 


346 VI, Schreiben in amtlidyen Angelegenheiten. 


ausfichenden Stückchen nad) und nad) abgerumdet worden feh, 
fo verfährt doch der Geometer nicht fo, fondern er macht mit 
dem Zirkel oder der freien Hand gleich einen genauen ab— 
ſtrakten Kreis, Es ift der Sache gemäß, weil das Reine, 
das Höhere, das Wahrhafte natura prius ift, mit ihm in der 
Wiſſenſchaft aud) anzufangen; denn fie ift das Verkehrte des 
bloß naturgemäfen, d. h. ungeiftigen Vorftellens; wahrhaft ift 
jenes das Erfte und die Wiſſenſchaft foll thun, wie es wahrhaft 
iſt. Zweitens ift es ein völliger Irrthum, jenen naturge- 
mäßen, beim konkreten Sinnlihen anfangenden und zum Ge⸗ 
danken fortgehenden Weg für den leihtern zu halten. Er if 
im Gegentheil der ſchwerere; wie es leichter ift, die Elemente 
der Tonſprache, die einzelnen Buchſtaben, auszufprechen und zu 
lefen, als ganze Worte. — Weil das Abſtrakte das Einfachere 
ift, iſt es leichter aufzufaffen. Das konkrete ſinnliche Beiweſen ift 
ohnehin wegzuftreifen;.es iſt daher überflüffig, es vorher dazu 
zu nehmen, da es wieder weggerhafft werden muf, und es 
wirft nur zerfireuend. Das Abſtrakte ift als ſolches verftänd- 
lid) genug, fo viel nöthig ift; der rechte Verſtand foll ja über- 
dieß erſt durch die Philofophie hineintommen. Es ift darum 
zu thun, die Gedanken von dem Univerſum in den Kopf zu 
befommen; die Gedanken aber find überhaupt das Abſtrakte. 
Das formelle gehaltloje Raifonnement ift freilich auch ab= 
firatt genug. Aber es wird vorausgefegt, daß man Gehalt und 
den rechten Inhalt habe; der leere Formalismus, die gehaltlofe 
Abſtraktion aber, wäre es auch über das Abſolute, wird eben 
durch das Obige am beſten vertrieben, nämlich durch Vortrag 
eines beſtimmten Inhalts. — 
Hält man fi nun blof an die abfirakte Form des philofophi= 
ſchen Inhalts, fo hat man eine (fogenannte) verfändige Philos 
fopbie; und indem es auf dem Gymnaflum um Einleitung und 
Stoff zu thun ift, fo if jener verftändige Inhalt, jene ſyſtematiſche 
Mafe abftratter'gehaltvoller Begriffe, unmittelbar das Philoſo— 


= 


Aus einem Briefe HegePs an Niethammer . 347 


phifche als Stoff, und ift Einleitung, weil der Stoff über- 
haupt für ein wirkliches, erfheinendes Denken das Erfte iſt. 
Dieſe erſte Stufe ſcheint daher das Vorhertfehende in der mr 
nafial= Sphäre feyn zu müffen. 

Die zweite Stufe der Form if das Dialektifhe | 
Diefe ift Theils ſchwerer als. das Abftratte, Theils der, nach 
Stoff und Erfüllung begierigen, Jugend das am wenigfien In⸗ 
tereſſante. Die kant'ſchen Antinomien find im Normativ ange⸗ 
geben, in Rückſicht auf Kosmologie; ſie enthalten eine tiefe 
Grundlage über das Antinomiſche der Vernunft, aber dieſe Grund⸗ 
lage liegt zu verborgen, und — ſo zu ſagen — gedankenlos 
und zu wenig in ihrer Wahrheit erkannt in ihnen; — andern 
Theils ſind ſie wirklich ein zu ſchlechtes Dialektiſches, — weiter 
nichts, als geſchrobene Antitheſen: — ich habe fie im meiner Lo= 
git, wie ich glaube, nad) Verdienft beleuchtet. Unendlich beffer 
aiſt die Dialektik der alten Eleatiker und die Beifpiele, die uns 
davon aufbewahrt find. — Da eigentlich in einem ſyſtemati— 
ſchen Ganzen jeder neue Begriff durd) die Dialektik des Vor— 
hergehenden entficht, fo hat der Lehrer, der diefe Nas 
tur des Philofophifchen kennt, die Freiheit, allenthalben den 
Verſuch mit der Dialektit zu machen, fo oft er mag, und wo 
fie feinen Eingang findet, — ſie zum MAR Begriff über- 

zugehen. 

Das Dritte ift das eigentlich Spetulative, das beißt, 
die Erfenntnif des Entgegengefegten in feiner Einheit; 
— oder genauer, daß die Entgegengefegten in ihrer Wahrheit 
Eins find. Diefes Spekulative iſt erſt das eigentlih Philofo- 
phiſche. Es ift natürlid das Schwerfte; es ift die Wahrheit. 
es felbft ift in gedoppelter Form vorhanden: 1) in gemeiner, dem 
Vorfiellen, der Einbildungstraft, aud dem Herzen 
näher gebrachten form, z. B. wenn man von dem allgemeinen, 
ſich felb® bewegenden, und in unendlicher Form geftaltenden Le— 
ben der Natur ſpricht; — Pantheismus und dergleichen — wenn 





348 vu. Schreiben in amtl, Angel, Brief Hegel's an Niethammet. 


man von der ewigen Liebe Gottes Spricht, der darum Schöpfer 
ift, um zu lieben, um ſich felbft in feinem ewigen Sohne — 
und dann im einem der Zeitlichteit dahin gegebenen Sohne, der 
Melt, — anzufhauen u. dergl. Das Recht, das Selbfibewuft- 
ſeyn, das Praktifche überhaupt, enthält ſchon an und für ſich 
felbft die Principien oder Anfänge davon, und vom Geifte und 
dem Geiftigen ift eigentlich auch nicht Ein Wort zu fagen, 
als ein fpetulatives; denn er ift die Einheit im Andersſeyn mit 
ſich; — fonft fpricht man, wenn man au die. Worte Seele, 
Geift, Gott braucht, doch nur von Steinen und Kohlen. — In= 
dem man nun vom Geifligen bloß abſtrakt oder verftändig fpricht, 
fo kann der Inhalt doc fpekulativ ſeyn, — fo gut, als der In= 
halt der volltommenen Religion höchſt ſpekulativ if. — Mber 
dann bringt der Vortrag, er ſeh begeiftert, oder wenn er dieß 
nicht ift, gleichſam erzählend, — den Gegenfland nur vor die 
Vorftellung, — nicht in den Begriff. | 

Das Begriffene, und dieß heift das, aus der Dialektik , 
hervorgehende, Spekulative ift allein das Philofophifche in der 
Form des Begriffs. Dieß kann nur fparfam im Gym— 
naflal- Vortrag vorkommen; es wird überhaupt von Wenigen 
gefaßt; und man kann zum Theil auch nicht recht willen, ob es 
von ihnen gefaßt wird. — Spekulativ denken lernen, 
was als die Hauptbeftimmung des vorbereitenden philofophifchen 
Unterrichts im Normativ angegeben wird, ift daher gewiß als 
das nothwendige Ziel anzufehen; die Borbereitung dazu iſt 
das abflrafte und dann das dialeftifhe Denken, ferner die Erwer— 
bung von Borftellungen fpetulativen Inhalts. Da der Gymna= 
fial= Ynterricht wefentlid vorbereitend ift, fo wird er darin vor— 
nehmlich befichen Fönnen, auf diefe Seiten des Philofophirens 
binzuarbeiten. / 





An ben Königl. Preußifchen Kegierungsrath und 
Profeffor Friedrich v. Haumer, 





Ueber den Vortrag der Philofophie auf 
Univerfitäten. 


En, Hochwohlgeboren erlaube ich mir hiermit, auf Veranlaſſung 


unſerer mündlichen Unterhaltung, meine Gedanken über den Vor— 
trag der Philoſophie auf liniverfitäten nachträglich vor— 
zulegen. Ich muß recht fehr bitten, daß Sie auch mit der Form 
gütigft vorlieb nehmen mögen und mehr Ausführung und Zus 
fammenhang nicht verlangen, als fi in einem eiligen Briefe 
geben läßt, der Sie noch in unfrer Nähe einholen foll. 

Ich fange fogleih mit der Bemerkung an, wie überhaupt 
diefer Gegenftand zur Sprache kommen könne, da es fonft eine 
ganz einfache Sache fiheinen fann, daß von dem Vortrage der 
Dhilofophie nur daffelbe gelten müffe, was von dem anderer 
Miffenfhaften gilt; ich will mich in diefer Rüdfiht nit damit 
aufhalten, daf auc von jenem gefordert werden müffe, daf er 
Deutlichkeit mit Gründlichteit und zwedmäßiger Ausführlichkeit 
verbinden folle, daß er auch dieß Schidfal mit dem Bortrage 
der andern Miffenfchaften auf einer Univerfität theile, zum Bes 
bufe der feflgefegten Zeit, in der Regel eines halben Jahrs, 


zugerichtet werden zu müffen, dag die Wiffenfhaft hiernach zw 


fireden oder zufammen zu ziehen, erforderlich fey m. f. f. Die 
befondere Art von Verlegenheit, die fi dermalen für den Vor— 
trag der Philofophie wahrnehmen läßt, ift wohl in der Wen⸗ 


- 


— 


350 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten 


dung zu fuchen, welde diefe MWiffenfchaft genommen hat, und 
woraus das gegenwärtige Verhäliniß hervorgegangen ift, daf die 
vormalige wiffenfhaftlihe Ausbildung derfelben und die befon- 
dern Miffenfchaften, in die der philofophifche Stoff vertheilt war, 
nad Form und Inhalt, mehr oder weniger antiquirt worden; 
— daß aber auf der andern Seite die an die Stelle getretene 
dee der Philoſophie nod ohne wiffenfdaftlihe Ausbildung 
fieht, und das Material der befonderen Wiffenfchaften feine 
Umbildung und Aufnahme in die neue Idee unvollfändig oder ° 
gar noch nicht. erlangt hat. — Wir fehen deshalb einer Seits 
MWiffenfhafrlihkeit und Wiffenfchaften ohne Intereffe, 
anderer Seits Intereffe ohne Wiſſenſchaftlichkeit. 

Was wir daher auch im Durchſchnitt auf Univerfitäten 
und in Schriften vorgetragen fehen, find noch einige der alten 
Wiſſenſchaften, Logik, empiriſche Pſychologie, Naturrecht, etwa 
noch Moral; denn auch denen, welche ſich ſonſt noch an das 
Aeltere halten, iſt die Metaphyſik zu Grunde gegangen, wie 
der Juriftenfatultät das deutſche Staatsrecht; wenn dabei die 
übrigen Wiffenfhaften, die fonft die Metaphyſik ausmachten, 
nicht fo fehr vermißt werden, fo muß dieß wenigftens in Anfes 
hung der natürlihen Theologie der Fall feyn, deren Ge— 
genftand die vernünftige Erkenntnif Gottes war. Von jenen 
noch beibehaltenen Wiſſenſchaften, insbefondere der Logit, ſcheint 
es beinahe, daf es meiſt nur die Tradition und die Rückſicht 
auf den formellen Nutzen der Berftandesbildung ift, welche die= 
felben noch erhält; denn der Inhalt derfelben, wie aud ihre 
und der übrigen Form, fieht mit der Idee der Dhilofophie, auf 
welche das Intereffe übergegangen, und mit der von diefer anz 
genommenen Weife zu philofophiren zw fehr im Kontrafl, als 
daf- fie noch befriedigende Genugthuung gewähren könnten. 
Wenn die Jugend auch erft das Smdium der Wiffenfhaften 
beginnt, fo ift fie doch fchon, fey es nur von einem unbeſtimm⸗ 
ten Gerüchte anderer Jdren md Weifen berührt worden, fo daf 


‚ Un den ze. Prof, F. v. Raumer. 351 


fie ohne das erforderliche Vorurtheil von der Autorität und Wich⸗ 
tigkeit jener an das Studium derfelben kommt, und leicht ein 
Etwas nicht findet, zu deffen Erwartung fie ſchon angeregt if; 
ich möchte fagen, daß auch das Lchren folder Wiffenfchaften, 
wegen des einmal imponirenden Gegenfages, nicht mehr mit der 
. Unbefangenheit und vollem Zutrauen geſchieht, wie vormals; 
eine daher entfpringende Unſicherheit oder Gereiztheit trägt dann 
nicht dazu bei, Eingang und Kredit zu verſchaffen. 

Auf der andern Seite hat die neue Jdee die Forderung 
noch nicht erfüllt, das weite Feld von Gegenftänden, welde in 
die Philofophie gehören, zu einem geordneten, durch feine Theile 
hindurch gebildeten Ganzen zu geflalten. Die Forderung be= 
flimmter Erkenntniffe und die fonft anerkannte Wahrheit, daß 
das Ganze nur dadurch, daß man die Theile ‚durchgearbeitet, 
wahrhaft gefaßt werde, iſt nicht blof umgangen, fondern mit der 
Behauptung abgewiefen worden, daf die Beſtimmtheit und 
Mannigfaltigkeit von Kenntniffen für die Idee über- 
flüffig, ja ihr zuwider und unter ihr fey. - Nach folder 
Anficht ift die Philofophie fo kompendiös, wie die Medizin oder 
wenigfiens die Therapie zu den Zeiten des Brownfhen Spflems 
war, nad) welchem fie in einer halben Stimde abfolvirt werben 
fonnte. Einen Philofophen, der zu diefer intenfiven Weife 
gehört, haben Sie vielleicht indeß in München perfönlid kennen 
gelernt; Franz Baader läft von Zeit zu Zeit einen oder zwei 
Bogen druden, die das ganze Weſen der ganzen Philofopbie 
oder einer befondern Wiſſenſchaft derfelben enthalten follen. - 
Wer im diefer Art nur druden läßt, hat noch den Vortheil des 
Glaubens des Publitums, daß er auch über die Ausführung 
folder allgemeinen Gedanken Meifter fey. Aber Friede. Schle- 
gel’s Auftreten mit Vorlefungen über Transcondental=Philofos 
phie erlebte ich noch in Jena; er war in fehs Wogen mit jei- 
nem Kollegium fertig, eben nicht zur Zufriedenheit feiner Hus 
börer, die ein halbjähriges erwartet und bezahlt hatten. — Eine 


= 


352 VI Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


größere Breite fahen wir den allgemeinen Jdeen mit Hülfe der 
Dhantafie geben, die Hohes und Niederes, Nahes und ers 
nes, glänzend und trübe, mit tieferem Sinn oft und ebenfo oft 
ganz oberflächlich zufammenbraute, und dazu befonders diejenigen 
Regionen der Natur und des Geiftes benußte, die für ſich felbft 
teübe und willkürlich ſind. Ein entgegengefegter Weg zu meh— 
rerer Ausdehnung ift der kritiſche und ſkeptiſche, der an 
dem vorhandenen Material einen Stoff hat, an dem er fort« 
geht, übrigens es zu nichts bringt, als zu dem Unerfrenlichen 
und Langeweile Machenden negativer Reſultate. Wenn diefer 
Weg aud etwa den Scharffinn zu üben dient, das Mittel der 
Dhantafle aber die Wirkung haben mochte, ein vorübergehendes 
Gähren des Geiftes, aud) etwa was man Erbauung nennt, ı 
zu erweden, und in Wenigen die allgemeine Idee felbft zu ent⸗ 
zünden, fo leiftet doch Feine von diefen Weiſen, was geleiftet 
werden foll, und was Studium der Wiffenfhaft if. 

Der Jugend war 18 beim Beginn der neuen Philofophie 
zunächft willtommen, das Studium der Philofophie, ja der Wif- 
fenf&haften überhaupt, mit etlichen allgemeinen Formeln, die Als 
les enthalten follten, abthun zu können. Die aus diefer Mei— 
- nung entfpringenden Zolgen, Mangel an Kenntniffen, Un— 
wiſſenheit fowohl in philofophifhen Begriffen als 
auch in den fpeciellen Berufswiffenfhaften, erfuhren 
aber an den Anforderungen des Staats, ſo wie an der fonfligen 
wiſſenſchaftlichen Bildung einen zu ernfihaften Widerfprud und 
praktifche Zurüdweifung, als daß jener Dünkel nit aufer Kre- 
dit gelommen wäre. So wie es die innere Nothwendigkeit der 
Philofophie mit ſich bringt, daß fie wiſſenſchaftlich und in ihren 
Theilen ausgebildet werde, fo ſcheint mir dief aud) der zeitges 
mäfe Standpunkt zu ſehn; zu ihren vormaligen Wiffenfchaften 
läßt fih nicht zurückkehren; die Maſſe von Begriffen und Ins 
halt, die fie enthielten, läßt füch aber auch nicht bloß ignoriren; 
die neue Form der Idee fordert ihr Recht und das.alte Mia- 


— 


An den ꝛc Prof. F. v. Raumer. 353 


terial bedarf daher einer Umbildung, die dem jetzigen Stand» 
punkte der Philofophie gemäß ift. > Diefe Anfiht über das 
Zeitgemäße kann ich freilich nur für eine ſubjektive Beurthei— 
lung ausgeben, fo wie id auch zunachſt für eine ſubjektive Rich⸗ 
tung diejenige anzuſehen habe, die ich in meiner Bearbeitung 
der Philoſophie genommen, indem ich mir früh jenen Zweck ge— 
ſetzt; ich habe fo eben die Herausgabe meiner Arbeiten über die 
Logik beendigt, und muß nun vom Publitum erwarten, wie es 
diefe Art und Weife aufnimmt. 

So viel aber glaube ich für richtig annehmen zu können, 
daß der Vortrag der Philoſophie auf Univerſitäten das, was er 
leiſten fol, — eine Erwerbung von beſtimmten Kennt 
niffen, — nur dann leiften kann, wenn er einen beftimmten, 
methodifchen, das Detail umfaffenden und ordnenden Gang 
nimmt. In diefer Form ift diefe Wiſſenſchaft, wie jede andere, 
allein fähig, gelernt zu werden. Wenn der Lehrer auch dief 
Wort vermeiden mag, fo muf er das Bewußtfeyn haben, daf 
es darum zunächſt und weſentlich zu thun if. Es ift ein Vor— 
uetheil nicht allein des philofophifchen Studiums, fondern aud) 
der Pädagogit, — und hier noch weitgreifender — geworden, 
daß das Gelbfidenten in dem Sinn entwidelt und geübt, 
werden folle, daß es erftlich dabei auf das Material nit 
antomme, und zweitens als ob das Kernen dem Selbfs 
denken entgegengefeßt fey, da in der That das Denken 
fih nur an einem ſolchen Material üben kann, das Feine Ge— 
burt und Zufammenftellung der Phantaſie, oder feine, es heiße 
ſinnliche oder intelleftuelle Anfhauung, fondern ein Gedante 
ift, und ferner ein Gedanke nicht anders gelernt werden kann, 
als dadurch, dag er felbfi gedacht wird. Nad einem gemei— 
nen Irrthum feheint einem Gedanken nur dann der Stempel } 
des Selbſtgedachten aufgedrüdt zu fehn, wenn er abweichend 
von den Gedanken anderer Menſchen if, wo dann das Bekannte 


feine Anwendung zu finden pflegt, daß das Neue nicht. wahr, 
Vermiſchte Schriften, * 23 


354 VI. Seeeiben im amrlichen Ungelegenfeiten. 


und das Wahre nicht neu iſt; — fonft iſt daraus die Sucht, 
daf jeder fein eignes Spftem haben will, entfprungen, 
und. daß ein Einfall für defto origineller und vortrefflicher ge— 
halten wird, je abgeſchmackter und verrüdter er iſt, weil er eben⸗ 
dadurch die Eigenthümlichteit und. Verſchiedenheit von dem Ge— 
danfen Anderer am meiften beweift. 

Die Fähigkeit, gelernt zu werden, erlangt die Philofophie 
durch ihre Beſtimmtheit näher infofern, als fie dadurch allein 


deutlich, mittheilbar und fähig wird, ein Gemeingut 


zu werden. So wie fie einer Seits befonders fiudirt ſeyn will, 
und nit von Haus aus fhon darum ein Gemeingut ift, weil 
jeder Menſch überhaupt Vernunft hat, fo benimmt ihre allges 
meine Mittheilbarkeit ihr den Schein, den fie in neuern Zeiten 


unter andern auc erhielt, eine Idioſynkraſie etliher trans- 


cendentaler Köpfe zu ſeyn, und wird ihrer wahrbaften Stellung 
angemeffen, zu der Philologie, als der erfien propädeu— 
tifhen Wiffenfhaft für einen Beruf, die zweite zu ſeyn. 
Es bleibt dabei immer offen, daß Einige in diefer zweiten 
Stufe fieden bleiben, aber wenigitens nicht aus dem Grunde, 
den es bei Manchen hatte, die, weil fie fonft nichts Rechtes 
gelernt hatten, Philofophen wurden. Ohnchin ſcheint jene Ge— 


fahr überhaupt nicht mehr fo groß, wie ic) vorhin erwähnt, und 


auf jeden Fall geringer, als die, bei der Philologie, der er= 
ften Stufe, glei hängen zu bleiben. Eine wiſſenſchaftlich aus- 
gebildete Philofophie läft dem beftimmten Denken und gründ- 
licher Erkenntniß fchon innerhalb ihrer felbft Gerechtigkeit wider- 
fahren, und ihr Inhalt, das Allgemeine der geiftigen und na= 
türlichen Berhältniffe, führt für fich unmittelbar auf die po— 
fitiven Wiffenfhaften, die diefen Inhalt in konkreter Ge— 
fialt, weiterer Ausführung und Anwendung zeigen, fo fehr, daß 
umgekehrt das Studium diefer Wiffenfchaften fi als nothwen- 


dig zur gründlichen Einfiht der Philofophie beweift; da hinge— 


gen das Studium der Philologie, wenn es einmal in das De- 


' 


An den x. Prof. F. v. Raumer. 355 


tail, das wefentlich nur Mittel bleiben fol, hineingerathen ift, 
von den übrigen Wiffenfchaften etwas fo Abgefondertes und 
Fremdartiges hat, daß darin nur ein geringes Band und we— 
nige Uebergangspunkte zu einer Wiffenfhaft und einem Berufe 
der Wirklichkeit liegen. 

Als propädentifche Wiffenfhaft hat die Philofophie insbe- 
fondere die formelle Bildung und Hebung des Denkens zu leiften ; 
dieß vermag fie nur durch gänzlide Entfernung vom Phanta— 
ftifchen, durch Beflimmtheit der Begriffe und einen konfequenten 
methodifchen Gang; fie muß jene Uebung in einem höhern 
Maaf gewähren können, als die Mathematik, weil fie — 

wie dieſe, einen ſinnlichen Inhalt hat. 

| Ih erwähnte vorhin der Erbauung, die oft von der 
Philofophie erwartet wird; meines Erachtens foll fie, auch wenn 
der Jugend vorgetragen, niemals, erbaulic ſeyn. Aber fie hat 
ein damit verwandtes Bedürfnif zu befriedigen, das id noch 
kurz berühren will, So fehr nämlich die neuere Zeit die Rich— 
tung auf einen gediegenen Stoff, höhere Ideen und die Reli— 
gion wieder hervorgerufen hat, fo wenig und weniger als je ge— 
nügt dafür die Form von Gefühl, Phantafle, verworrenen Be— 
griffen. Das Gehaltvolle für die Einficht zu rechtfertigen, es in 

beftimmte Gedanken zu faffen und zu begreifen, und es dadurch 
vor trüben Abwegen zu bewahren, muß das Gefhäft der Phi- 
loſophie ſeyn. — In Anfehung diefes, fo wie übeehaupt des 
Inhalts derfelben, will ic) nur noch die fonderbare Erſcheinung 
anführen, daß ein Philoſoph etliche Wiffenfhaften mehr oder 
weniger, oder fonft verfhiedene, in derfelben vorträgt als ein 
Anderer; der Stoff, die geiflige. und natürlihe Welt ift immer 
diefelbe, und fo muß auch die Philofophie in diefelben befondern 
Wiſſenſchaften zerfalien. Jene Verfchiedenheit ift wohl vornehm⸗ 
li der Verworrenheit zuzufchreiben, die es nicht zu beflimmten 
Begriffen und feften Unterfhieden fommen läßt; die Verlegen- 


heit mag auch das Ihrige beitragen, wenn man neben einer 
23.* 


- 356 VI. Schreiben in amt, Angel. An den zc. Prof, F. v. Raumer. 


neuften tranfcendentalen Philofophie alte Logik, neben einer fke= 
ptiſchen Metaphyſik, natürliche Theologie vortragen follte. Ich 
habe ſchon angeführt, daß der alte Stoff allerdings einer durch⸗ 
geführten Umbildung bedarf, und nicht bloß auf die Seite ge— 
legt werden kann. Sonſt iſt es beſtimmt genug, in welche 
Wiſſenſchaften die Philoſophie zerfallen muß; das ganz abſtrakte 
Allgemeine ‚gehört in die Logik, mit allem, was davon ehemals 
auch die Metaphyſik im ſich begriff; das Konkrete theilt fi in 
Raturpbilofophie, die nur einen Theil des Ganzen abgiebt, 
und in die Philofophie des Geifles, wohin außer Pſhcho— 
logie mit Anthropologie, Rechts⸗ und Pflichten=Lehre, dann 
Hefipetit und Religionsphilofophie gehört; die Geſchichte der Phi— 
loſophie kommt nod hinzu. Was auch in den Principien für 
eine Verſchiedenheit Statt finden könnte, fo bringt die Natur 
des Gegenftandes eine Eintheilung in die genannten Wiffen- 
ſchaften und deren nothwendige Behandlung mit fih. 

Ueber äußerliche Veranſtaltungen zur Unterftüsung des Vor— 
trag’s, 3. B. Konverfatorien, enthalte ih mich etwas hinzuzufü— 
gen, da ich mit Schrecken fehe, wie weitläufig ich bereits ge— 
worden und wie fehr ich Ihre Nachficht in Anfpruc genommen; 
ich füge nur noch den herzlichen Wunſch der glücklichen Fort 
fegung Ihrer Reife und die Verfiherung meiner ausgezeichneten 
Hochachtung und Ergebenheit hinzu. 

Nürnberg, d. 2. Aug. 1816. 

(8e3.) Hegel. 


Au das Minifterium des Unterrichts, 


Ueber den Unterricht in der Philofophie auf 
Gymnafien. 


Das Königliche Minifterium hat in dem gnädigen Reftript 
vom 1. November vorigen Jahres, worin mir aufgegeben wor— 
den, über die abgehaltenen Kepetitionen des Dr. von Henning 
zu berichten, zugleich), da von mehreren Seiten die Klage erho— 
‚ ben worden, daß die fludirende Jugend ohne die erforderliche 
Vorbereitung für das Studium der Philofophie auf die Univer— 
fität zu kommen pflege, auf meine defhalb chrerbietigft vorge— 
legten Bemerkungen gnädigft Rüdfiht zu nehmen, und mir 
aufzutragen geruht, mich gutachtlich Zu äußern, wie eine zwed- | 
mäßige Vorbereitung hiezu auf Gymnaſien zu veranftalten fehn 
möchte. 

Ich nehme mir in diefer Rückſicht zuerft die Freiheit, an= 
zuführen, daß eine, die Abhülfe jenes Mangels bezwedende Ver- 
anftaltung auf Gymnaſien von felbft nur auf diejenigen eine 
Wirkung äußern könnte, welde diefe Anftalten befucht haben, 
che fie die Univerfität beziehen. Nach den beftehenden Geſetzen 
aber find die Univerfitäts-Nektorate angewiefen, aud) ungebil- 
dete und unwiſſende Jünglinge zu IUniverfitäts- Bürgern aufs 
zunehmen, wenn foldye nur ein Zeugnif über diefe ihre gänz— 
liche Unreife mitbringen. Die ältere Einrichtung bei Univerfitäten, 
daf der Dekan derjenigen Fakultät, für die fih ein Studiren- 
wollender meldete, eine, freilich zur Kormalität herabgefuntene, 
Prüfung mit demfelben vornahm, hatte den Univerfitäten doch 


358 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


immer nod) die Möglichkeit und Berechtigung, gänzlid) ungebil- 
dete und unreife Menſchen auszufchliefen, belaffen. Wenn eine 
Beflimmung, die aus den Statuten hiefiger Univerfität, Ab— 
ſchnitt VIII, 8.6, Urt. 1. und 43. hicher gezogen werden könnte, 


der gemachten Anführung und der Praris zu widerfireiten ſchiene, 
fo wird dod deren Wirkung duch die nähere Beſtimmung, 


welde in dem Edikte wegen Prüfung der zu den Univerfitäten 

übergehenden Schüler vom 12. Dktober 1812 fid findet, und 

welcher die Praris fid) gemäß verhält, aufgehoben, Als Mit— 

glied der wiffenihaftlichen Prüfungs» Kommiffion, der mid das ' 
Königliche Minifterium beizugefellen geruhet hat, hatte ich Ge— 

legenheit, zu fehen, daß die Unwiſſenheit folcher, die fi, um die 

Univerfität zu beziehen, ein Zeugniß abholen, durd) alle Grada⸗ 

tionen hindurch geht, und daß eine zu veranſtältende Vorberei— 

tung für die mehr oder weniger beträchtliche Anzahl ſolcher Sub⸗ 

jefte zuweilen von der Orthographie der Mutterſprache anzu⸗ 

fangen hätte. Da ich zugleich Profeſſor an der hieſigen Uni— 

verſitãt bin, fo kann ich bei folder Anſchauung von Mangel 

aller Kenntniſſe und Bildung an Univerſitäts-Studirenden, 

nicht anders, als für mich und meine Kollegen erſchrecken, wenn 

id) daran denke, daß wir die Beſtimmung haben ſollten, für 
ſolche Menſchen zu lehren, und daß eine Verantwortlichkeit auf 
uns ruhen ſollte, wenn der Zweck und der Aufwand der Aller— 

höchſten Regierung für Univerſitäten häufig nicht erreicht wird, 

— der Zwei, daß die von der Univerfität Abgehenden nicht 

bloß für ihr Brodfludium abgerichtet, fondern daß auch ihr Geift 

gebildet fey. — Daf die Ehre und die Achtung der Univerſi— 

täts - Studien durch jene Zulaffung von ganz unreifen Jünglins 

gen gleichfalls nicht gewinne, wird feiner weitern Ausführung 

bedürfen. r 

. Ich erlaube mir Hierbei dem Königlichen Minifterium meine 
bei der wiſſenſchaftlichen Prüfungs» Kommiffion gemachte Erfah— 
rung ehrerbietig anzuführen, dag nämlich, infofern bei jenen 


J 


J 
— 


An das Miniſterium des Unterrichts. 359 


Prüfungen beabſichtigt werde, diejenigen, die noch nicht gehörig 
für die Univerfität vorbereitet erfunden werden, durd) das hiers 
über ausgeftellte Atteft über das Maaß ihrer Kenntniffe zu bes 
lehren, und ihnen dadurd. den Rath an die Hand zu geben, 
die Univerfität nody nicht zu besichen, fondern vorher die mans 
gelnde Vorbereitung zu ergänzen, — diefer Zweck ſchon darum 
gewöhnlich) nicht erreicht zu werden feine, weil folden Exa— 
minaten, denen ihre Unwiſſenheit bezeugt wird, nichts Neues da= 
mit gefagt wird, fondern fie mit dem vollfländigen Bewußtſehn, 
tein Latein, kein Griechiſch, nichts von Mathematit nod von 
Gefchichte zu verftehen, den Entſchluß gefaßt haben, die Univer— 
fität zu-beziehen, nad) diefem gefaßten Entfchluß bei der Kom— 
miſſion nichts fuchen, als durch das Atteft die Möglichkeit, im⸗ 
matrikulirt zu werden, zu erlangen; ein ſolches Atteſt wird ſich 
denſelben um fo weniger als ein Abrathen von der Beziehung 
der Umiverfität vorftellen, da ihnen damit, der Inhalt mag feyn 
weldyer er wolle, vielmehr die Bedingung, zu der Univerfität 
zugelaffen zu werden, in die Hand gegeben wird. 

Um nun auf den nähern, von dem Königlichen Minifterium 
bezeichneten, Gegenfland, die Vorbereitung auf Gymna— 
fien zum fpetulativen Denken und dem Studium der 
Philofophie überzugehen, fo fehe ich mic genöthigt, dabei 
von dem Unterſchitde einer materiellen und einer formels 
len Rorbereitung auszugehen; und ob jene gleich indireft umd 
entfernter ift, glaube id) diefelbe als die eigentliche Grundlage 


des fpefulativen Denfens betrachten und darum hier nicht mit, 


Stilfhweigen übergehen zu dürfen. > 

Indem es jedodh felbt Gymnaflal- Studien find, welche 
ih als den materiellen Theil jener Vorbereitung betrachten würde, 
fo habe ich nur nöthig, diefe Gegenftände zu nennen, und deren 
Beziehung auf den Zweck, welder bier in Rede fleht, zu er 
wähnen. ' 

Der eine Gegenftand, den ich bicher rechnen möchte, 


360 VIT. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. - 

würde das Studium der Alten fen, in fofern dadurd Ges 
müth und Borftellung der Jugend in die großen gefchichtlichen 
und" Kunft- Anfchauungen von Individuen und Völkern, deren 
Thaten und Schidjalen, wie von ihren Tugenden, fittlichen 
Grundfägen und Religiofität eingeführt werden, Für den Geift 
und deffen tiefere Thätigkeit ann aber das Stndium der klaſ— 
fifchen Literatur nur in Sofern wahrhaft fruchtbar werden, als 
in den höhern Klaffen eines Gymnaflums die formelle Sprach— 
kenntniß mehr als Mittel angefehen, jener Stoff dagegen zur 
Hauptfache gemacht und das Gelchrtere der Philologie auf die 
Univerfität und für diejenigen aufgefpart wird, welde füch der 
Philologie ausfhlieflih widmen wollen, 

Der andere Stoff aber enthält nit nur für ſich den 
Inhalt der Wahrheit, der auch das Intereffe der Philofophie 
bei eigenthümlicher Weife der Erkenntnif ausmacht, fondern er 
hat in ihm zugleih den unmittelbaten Zuſammenhang mit dem 
Formellen des fpekulativen Denkens. Unter diefem Gefihtspuntt 
würde ich hier den dogmatifhen Inhalt unferer Reli— 
gion in Erwähnung bringen, indem derfelbe nicht nur die Wahr- 
heit an und für fi, fondern fie auch dem fpekulativen Denken 
fo fehr entgegengehoben enthält, daß er fogleich felbft den Wider- 
ſpruch gegen den Verfland und das Darniederſchlagen des Rais 
fonnements mit fih führt. Ob aber diefer Inhalt diefe auf 
das fpefulative Denten vorbildende Beziehung haben folle, wird 
davon abhängig feyn, ob beim Vortrage der Religion die kirch— 
liche dogmatifche Lehre etwa nur als eine hifterifche Sache be— 
trieben, überhaupt nicht die wahrhafte, tiefe Ehrfurcht für dies 
felbe eingepflanzt, fondern die Hauptfadhe auf deiflifche Allge— 
meinheiten, moraliſche Lehren oder gar nur auf fubjektive Ge— 
fühle geftellt wird. Bei folder Vortragsweife wird vielmehr die 
dem fpekulativen Denken entgegengefegte Stimmung erzogen, 
der Eigendüntel des Verftandes und der Willfür an die Spige ges 
fiellt, welcher dann unmittelbar entweder zur einfachen Gleichgültig- 


An das Minifterium des Unterrichts. 361 
keit gegen die Philofophie führt, oder aber der Sophiſterei an= 
heim fällt. 

Diefes Beides, die etaffifhen Anſchauungen und die reli⸗ 
giöfe Wahrheit, in fofern fie nämlich) noch die alte dogmatifche 
Lehre der Kirche wäre, würde ich fo fehr als den fubflantiellen- 
Theil der Vorbereitung für das philofophifhe Studium anfehen, 
daf, wenn nicht Sinn und Geift des Jünglings mit ſolchem er— 
füllt worden, dem Univerfitäts- Studium die kaum mehr lös— 
bare Aufgabe bliebe, den Geift erft für fubftantiellen Inhalt zu 
erregen und die ſchon fertige Eitelkeit und Richtung auf die ge= 
wöhnlichen Intereffen zu überwinden, welde fonft nun fo leicht 
ihre Befriedigung findet. 

Das eigentlie Wefen der Philoſophie würde darin geſetzt 
werden müffen, daß jener gediegene Inhalt ſpekulative Form ge⸗ 
winne. Daß aber der Vortrag der Philoſophie noch von dem 
Gymnaſial-Unterrichte auszuſchließen und für die Univerſität 
aufzuſparen ſey, dieß erſt auszuführen, bin ich bereits durch das 
hohe Refeript des Königlichen Miniſteriums, welches dieſe Aus— 
ſchließung ſchon ſelbſt vorausfegt, überhoben. 

Für den Unterricht des Gymnaſiums bleibt ſo für ſich ſelbſt 
das Mittelglied übrig, welches als der Uebergang von der 
Vorſtellung und dem Glauben des gediegenen Stoffes zu dem 
philoſophiſchen Denken anzufehen iſt. Es würde in die Beſchäf— 
tigung mit den allgemeinen Vorftellungen, und näher 
mit Gedantenformen, wie fie dem blof raifonyirenden Den 
Een und dem philofophifchen gemeinschaftlich find, zu ſetzen ſeyn. 
Eine folhe Beſchäſtigung hätte die nähere Beziehung auf das 
ſpekulative Denken, Theils daf diefes eine Hebung vorausfegt, 
in abftratten Gedanken für fih, ohne finnlihen Stoff, der in 
dem mathematifchen Inhalte noch vorhanden ift, fich zu bewes 
gen, Theils aber, daf die Gedankenformen, deren Kenntnif durch 
den Unterricht verfchafft würde, fpäter von der Philofophie eben 
fowohl gebraucht werden, als fie auch einen Haupttheil des Dia- 


| | 


362 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 

terials ausmachen, das fie verarbeitet. Eben diefe Betannts 
fhaft und Gewohnheit aber, mit fürmliden Gedans 
ten umzugehen, wäre dasjenige, was als die direktere Vor— 
bereitung für das Univerfitäts- Studium der Philofophie anzu= 
ſehen ſeyn würde, 

In Betreff des beſtimmteren Kreiſes der Kenntniſſe, auf 
den der Gymnaſial-Unterricht in dieſer Rückſicht zu beſchränken 
wäre, möchte ich zunächſt ausdrücklich die Geſchichte der Phi— 
loſophie ausſchließen, ob fie ſich gleich häufig zunächſt als 
paſſend dafür darbietet.. Ohne die ſpekulative Idee aber vor⸗ 
aus zuſetzen, wird fie wohl nichts Anderes als nur eine Erzählung 
zufälliger, müßiger Meinungen, und führt leiht dahin, — (Zus 
weilen möchte man eine ſolche Wirkung als Zweck derſelben 
und ihrer Empfehlung anſehen), — reine nachtheilige, verächt— 
liche Meinung von der Philoſophie, insbeſondere auch die Vor— 
ſtellung hervorzubringen, daß mit dieſer Wiſſenſchaft Alles nur 
vergebliche Mühe geweſen, und es für die ſtudirende Jugend 
noch mehr vergebliche Mühe ſeyn würde, fi mit ihr abzugeben. 

Dagegen würde id) unter den, in den fraglichen Vorberei— 
tumgsunterricht aufzunchmenden Kenntniffen 
1. die fogenannte empirifhe Pſychologie anführen. Die 
Borfiellungen von den Empfindungen der äufern Sinne, von 
der Einbildungstraft, Gedächtniß und von den weitern Seelen—⸗ 
vermögen, find zwar filr ſich ſchon etwas fo Geläufiges, daf ein 
hierauf ſich befehräntender Vortrag leicht trivial und pedantifch 
feyn würde. Eines Theils würde aber dergleihen um fo cher 
von der Univerfität entfernt, wenn es fon auf den Gymnaſien 
vorgebommen, andern Theils liche es ſich auf eine Einleitung 
in die Logik beſchränken, wo doch in jedem Falle eine Erwäh— 
nung von den Geiftesfähigkeiten anderer Art, als das Denten 
als folches ift, vorausgefchidt werden müßte Bon den äußern 
: Sinnen, den Bildern und Vorflellungen, dann von der Verbin—⸗ 
dung, fogenannten Aſſociation derfelben, dann weiter von der 


Un das Minifterium ded Unterrichts, | 363 


Natur der Sprachen, vornehmlich von dem Unterſchied zwiſchen 
Vorſtellungen, Gedanken und Begriffen, ließe ſich immer viel 
Intereſſantes und auch in ſofern Nützliches anführen, als legte 
ter Gegenftand, wenn auch der Antheil, den das Denten am 
Anfchauen u. f. f. bat, bemerklich gemacht würde, eine direktere 
Einleitung in das Logiſche abgeben würde, 

2. Als Hauptgegenfland aber würden fid die Anfangss 
gründe der Logik anfchen laſſen. Mit Befeitigung der fpe= 
tulativen Bedeutung und Behandlung, könnte ſich der Unter: 
richt auf die Lehre von dem Begriffe, dem Urtheile und Schluſſe 
und deren Arten, dann von der Definition, Eintheilung, dem 
Beweife und der wiffenfhaftlidhen Methode erfireden, ganz nad 
der vormaligen Weife. 

In die Lehre von dem Begriffe werden ſchon gewöhnlich 
Bellimmungen, die näher in das Feld der fonftigen Ontologie 
gehören, aufgenommen; aud pflegt ein Theil derfelben in der 
Geftalt von Dentgefegen aufgeführt zu werden. Bortheilhaft 
würde es feyn, hieran eine Bekanntſchaft mit den Lantifchen 
Kategorien als fogenannten Stammbrgriffen des Verſtandes an— 
zuſchließen, wobei die weitere kantiſche Metaphyſik vorbeigelaffen, 
doch durd Erwähnung der Antinomien nod eine, wenigſtens 
negative und formelle, Ausficht auf die Vernunft und die Ideen 
eröffnet werden könnte. Für die Verknüpfung diefes Unterrichts 
it der Gymnaflalbildung spricht der Umftand, daf Fein Gegen 
fland weniger fähig if, von der Jugend nad) feiner Wichtigkeit 
oder Nugen beurtheilt zu werden. Daß diefe Einfiht auch allges 
meiner untergegangen, madt wohl den Hauptgrund aus, wefhalb 
ſolcher, in früherer. Zeit Statt gefnndene, Unterricht nach Jund 
nad) eingegangen if. Außerdem iſt folder Gegenfland zu wenig 
anzichend, um die Jugend in der Univerfitätszeit, wo es in ih— 
rein Belieben fleht, mit welchen Kenntniffen fie ſich aufer ihrem 
Brodftudium befhäftigen will, allgemeiner zum Studium des 


Logiſchen zu vermögen; aud möchte es nicht ohne Veifpiel feyn, , 


364 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


daß Lehrer pofitiver Wiffenfchaften den Studirenden das Stu— 
dinm der Philofophie, worunter fie auch wohl das Studium der 
Logik. begreifen könnten, abrathen. If aber diefer Unterricht 
auf den Gymnaſien eingeführt, fo haben die Schüler derfelben 
es doch wenigfiens einmal erlebt, förmliche Gedanken in den 
Kopf befommen und darin gehabt zu haben. Ms eine höchft 
bedeutende fubjektive Wirkung wäre es zu betradten, daß Die 
Aufmerkfamkeit der Jünglinge darauf hingewiefen würde, daß es 
ein Reid) des Gedantens für fd) giebt, und die förmlichen Ges 
danken felbft ein Gegenftand der Betrachtung find, — und zwar 
ein Gegenftand, auf welden die öffentliche Autorität, durch ſolche 
Beranftaltung des Unterrichts darin, ſelbſt ein Gewicht lege. 
Daß derfelbe die Faſſungskraft der Gymnafial- Schüler nicht 
überfteige, dafür fpricht fhon für fih die allgemeine ältere Er— 
fahrung, und wenn es mir erlaubt ift, der meinigen zu erwäh- 
nien, fo habe ich nicht nur als mehrjähriger Profeffor der phi— 
lofophifhen Vorbereitungsmwifienfhaften und Rektor an einem, 
Gymnaftum, die Fähigkeit und Empfänglichkeit folder Schüler 
dafür täglich vor Augen gehabt, fondern erinnere mich auch, 
in meinem zwölften Lebensjahre wegen meiner Beftimmung für 
das theologiſche Seminarium meines VBaterlandes, die wolf'ſchen 
Definitionen von der fogenannten Idea clara an erlernt, und 
im vierzehnten Jahre die ſämmtlichen Figuren und Regeln der 
Schlüffe inne gehabt zu haben, und fie von daher noch jest zu 
wiffen Wenn es den jegigen Borurtheilen vom Selbſtdenken, 
produftiver Thätigkeit u. f. f. nicht zu fehr Trog bieten hiefe, fo 
wäre ich nicht abgeneigt, etwas diefer Art für den Gymnaflal-Uns 
terricht diefes Zweigs in Vorfchlag zu bringen; denn eine Erkennt» 
niß, fie ſey welche fie wolle, auch die höchſte, um fie zu befigen, 
muß man fie im Gedächtniffe haben, man fange hiemit an oder 


J 


endige damit; wird damit angefangen, fo hat man um fo mehr j 


Freiheit und Weranlaffung, fie felbft zu denken, Ueberdieß könnte 
dann auf ſolchem Wege am fidherfien dem geftenert werden, was 


2. Hede beim Antritt des Leſttorats an ber berliner 
Univerſität. 
(Ten 18, Dctbr. 4829.) 





-Hanc cathedram, quam vestrae, Vir excellentissime, Viri 
illustrissimi, praenobilissimi, dignissimi, vestrae, Collegae 
aestumalissimi, praesentiae gravitale, deinde vesträ [requen- 
tiä, Commilitones dilectissimi, et omnium ordinum audi- 
tores honoralissimi, circumdatam conspicio, non sine animi 
commolione conscendere polui, Testes enim adestis so- 
lenniter Lraditi wihi wuneris gravissimi, a collegis amicis- 
simis in me collati; ‚quam eorum benevolentiam Regis 
Augustissimi elementia ratam habere voluit. 

Augelur aulem cowmotio ista usque ad perturbatio- 
nem, cum exiguitatem quam ad res gerendas viribus meis 
inesse scio, comparem cum officiis mihi demandatis; per- 
cellit me ipsa haec necessitas, ex hoc suggestu ad vos 
verba de me faciendi. Studia enim illa, quibus me_pri- 
mun natarae indoles addixit, deinde muneris publici 
olfieium adstrinxit, umbratilia sunt; alienum est ab illis, 
curae rerum administrandarum interesse, ita ut consuelu- 
dinem solitudinis polius quam talis curae facilitätem pa- 
rent. Dubius igitur imo anxius, primum ipsä illä colle- 
garum aestimalissimorum benevolentiä confirmalus sum, 


| 


366 VIE Sdheiben im amtlichen Angelegenheiten. | 
fentlich befannt worden, durch richtige Begriffe über die Natur 
der Berpflitung des Menſchen und Gtaatsbürgers entgegen 
zu arbeiten. — Dieß wäre die unmaßgebliche Meinung, die id) 
über die Ausdehnung des Inhalts der philofophifchen 
Vorbereitungs= Studien auf Gymnaflen dem Königlichen Mi⸗ 
nifterium ehrerbietigft .vorlege, Was etwa nod die Yusdehnung 
in Anfehung der Zeit, ingleihen die Stufenfolge des Vor— 
trags jener Kenntniffe betrifft, fo würde über das, was rüdficht- 
lich des Religiöfen und Moralifchen erwähnt worden, in diefer 
Beziehung nichts weiter zu erinnern feyn, In Betreff der Ans 
fänge pfphologifher und logiſcher Kenntniffe könnte an— 
gegeben werden, daß, wenn zwei Stunden wöchentlich im 
Einem Jahres-Kurfus darauf verwendet würden, der pſycho— 
logifche Theil vornehmlich als Einleitung zu behandeln und 
dem Pogifchen vorauszuſchicken ſeyn würde. Würden bei gleicher 
Stundenzahl, die fü als genügend anfehen ließe, etwa drei oder 
"vier halbjährige Kurfe darauf verwendet, fo liefen ſich ausführ— 
lichere Notizen von der Natur des Geifles, feinen Thätigkeiten 
und Zuftänden beibringen, und dann könnte es vortheilhafter 
feyn, von dem einfachen, abftraften und darum leicht zu faffens 
den logifchen Unterricht anzufangen. ‚Er würde fo in eine früs 
here Periode fallen, wo die Jugend für die Autorität noch folge 
famer und gelchriger, weniger von der Prätenfion angeftedt ift, 
daf, um ihre Aufmerkfamteit zu gewinnen, die Sade ihrer 
Vorfiellung und dem Intereffe ihrer Gefühle angemeffen ſeh. 
Die etwaige Schwierigkeit, die Stunden des Gymnaſial— 
Unterrichts mit zwei neuen zu vermehren, ließe ſich vielleicht am 
unbedentlichften dur das Abbrechen von einer pder zwei Stun 
den an dem fogenannten Linterrichte im Drutfchen und der deut— 
ſchen Literatur, — oder noch paffender durch das Aufheben der 
Vorlefungen über jwridifche Enchklopädie, wo folde auf Gym— 
naſten vorkommen, und Erfegung derfelben durch die logiſchen 
Lektionen befeitigen, — um fo mehr, damit die allgemeine 


An dad Minifterium des Unterrichts. 367 


Geiſtesbildung auf den Gymnaſien, die als derſelben ausſchließ⸗ 
lich gewidmet angeſehen werden können, nicht bereits verkümmert, 
und auf ihnen nicht ſchon die Abrichtung auf den Dienſt und 
auf das Brodſtudium eingeleitet zu werden ſcheine. 

Was ſchließlich noch die Lehrbücher betrifft, welche für 
folden BVorbereitungs= Unterricht fi den Lehrern empfehlen lies 
fen, fo wüßte ich feines von den mir bekannten als vorzüglich 
vor den andern anzugeben; der Stoff .aber findet fi) wohl un⸗ 
gefähr in jedem, und zwar in den ältern reichlicher, beſtimmter 
und unvermiſchter mit heterogenen Ingredienzien, und eine Hohe 
Inſtruktion des Königlichen Miniſteriums würde die Anweiſung 
ertheilen können, welche Materien herauszuheben ſeyen. 

In ſchuldiger Ehrerbietung verharre ich 


Eines Königl. Hohen Miniſteriums 


gehorſamſter 


ae > Re (993) 6. W. 5 Hegel 
Berlin, den 7. Febr. 1823. Prof. p. o. der Bhilofophie an 
j hiefiger Königlichen Univerfität, 


An 
das Königliche Minifterium 
der Geiftlichen=, Unterrichts- 
und Diedizinal- Angelegen- . 
heiten. 


Ueber die Einrichtung einer Kritifchen Zeitfchrift der ' 
Literatur. 
(Un das Miniſterium des Unterrichts eingefandt.) 


J 


Ry der Darlegung eines Entwurfs über die Zweckmäßigkeit 
und über die Art und MWeife, eine Eritifhe Zeitſchrift der 
Literatur in Berlin anzulegen, glaube idy mid nicht mit 
der Auseinanderfegung des allgemeinen Zweds der Inftitute 
diefer Art aufhalten zu dürfen, fondern deffelben nur erwähnen 
zu müffen, um in Beziehung darauf das Eigenthümliche zu ent- 
wideln, worin das Intereffe, eine ſolche Anftalt bier in’s Ruf 
zu fegen, liegen könnte, 

Der Zwe derjenigen Recenfiranftalten, welche ſich nicht 
auf eim einzelnes wiſſenſchaftliches Fach beſchränken, neigt ſich 
in der Art und Weife der Ausführung entweder mehr dahin, 
die Lefer von dem Inhalte der literarifchen Produktionen, der 
in wiffenfchaftliher oder anderer Rückſicht eine Merkwürdigkeit 
hätte, — oder mehr dahin, nur von der Eriftenz folder Pro— 
duftionen und durd ein Mrtheil von dem Werthe oder Un— 
werthe derfelben zu unterrichten, — wobei dann weiter die Ser— 
aushebung der wihtigern Erſcheinungen, oder auch nur deſſen, 
was der fubjektive Zufall den Mitarbeitern in die Hände führt, 
(wie.bei den heidelberger Jahrbücdern) oder vornehmlich die 
Vollſtändigkeit zum Ziele gefegt wird, 4 


VII. Amtliche Schreiben. Ueb, d. Errichtung einer krit. Zeitfchrift ꝛe. 369 


Der Nugen, — um fogleid auf diefen zu kommen, — 
der fich von folden Anſtalten verſprochen wird, gefichtete, gründ⸗ 
liche Kenntniffe zu verbreiten, und den. Fortgang und das. Ge— 
deihen der Wiffenfhaften, befonders durd das ausgeübte Gericht 
über das Mittelmäßige und Schlechte, zu befördern, — diefer 
Nutzen, fo plaufibel ſich dafür das Mittel zunächft darftellt, ſcheint 
fi) jedoch, wenn man die Erfahrung darüber zu Rathe: zieht, 
eben nicht in ausgedehnter, durchgreifender Wirkung zu ergeben, 
fondern die Maſſe des Mittelmäfigen und Schlechten cher in 
dem Verhältniffe, als diefe Recenſir-Anſtalten ſich vermehrten, 
gewachſen zu. ſeyn, und an Breite wie an Autorität gewonnen, 
und gleicherweife das Publikum zu der Meinung geleitet zu has 
ben, Journal-Wiffenfhaft und das Lefen von Zeitungen fey das 
ausreichende Mittel zu Fortfchritten in Bildung, und Kenntniffen, 
und das bequeme Surrogat für Studium und Befhäftigung mit 
Inhalt und Sade. Geht man der Quelle folder Wirkung nä> 
ber nad, fo ift wohl nicht zu verfennen, daß in folden Recen— 
firanftalten die Mittelmäßigkeit ſich gegenfeitig hegt und pflegt, , 
Namen und Ruhm ertheilt, und daß einer Seits aus der Ger 
wohnheit des Wburtheilens und andrer Seits aus der perenni— 
renden Anſchauung des Mburtheilens der Wahn und Eigendüntel 
zur allgemeinen Weberzeugung gedeiht, fo etwas, wie die Andern, 
wenigftens und gewiß etwas Befferes auch produeiren zu können; 
fo daß man wohl jene gegenfeitige Pflegung der Mittelmäfigs 
keit eben fowohl als diefes beftändige Herabfegen gleicherweife 
für den Dünger halten könnte, der die Fruchtbarkeit diefer Mit⸗ 
telmäßigteit ins Unendliche erhöht, 

Für eine kritifche Zeitfchrift, die fi) zu erfreuen hätte, uns 
ter den Aufpicien einer Königlihen Staatsbehörde aufzutreten, 
erfchiene es als ſchickliche Beſtimmung, fid außerhalb des Kreiſes 
jenes Umtriebs zu ftellen, und feinen Wirkungen und Zwecken 
vielmehr entgegen zw arbeiten. Sie möchte ſonach den Charat- 


ter einer bloßen allgemeinen Recenſir-Anſtalt auszuſchließen und 
Bermifchte Schriften. * 24 


wu vu, Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


fi darauf zu befchränten haben, imländifche und ausländifche 
Merte, welche für die Wiffenfhaften und für Kenntniffe ei— 
nes umfaſſenden Intereffes einen wirklichen. Werth haben, zum 
Gegenftand der Beurtheilung zu machen, und fie vornehme 
lich) mit dem Zwecke anzuzeigen, ihren Inhalt zur allgemeinen 
Kenntniß zu bringen, dagegen das Gewöhnliche, Beſchränkte, 
Mittelmäßige und Schlechte, das nur eine negative Kritik er- 
leiden könnte, gänzlich umbeachtet zu laffen. Etwa nur foldhe- 
Werke von weniger gediegenem Werthe könnten beachtet werden, 
denen äuferliche Umſtände ein großes Aufjehen verfhafft, oder 
denen dieß, daß fie ausgezeichnete Nepräfentanten einer allge— 
meinen Gattung find, eine weitere Bedeutſamkeit gegeben hätte, 
Bei diefem fo beſchränkten Umfange würde allerdings Vollſtän— 
digkeit zum Ziele zu machen ſeyn. Ausgeſchloſſen würden fer 
ner die Werke, die ganz fpreicllen Wiffenfhaften und fpeciellen 
Ziveigen derfelben gewidmet find, — der Theologie, Jurispru— 
denz, Mediein, fo wie der Technologie, der Kameralwiffenfehart 
und dergleichen; wobei es offen bleiben könnte, ſolche in diefe 
Fächer einſchlagende Schriften hereinzuziehen, welchen Theils der 
umfafende Inhalt, Theils ein allgemeinerer philoſophiſcher Ge— 
füchtspuntt, — wie bei Werken der Theologie, naturphiloſophi— 
ſchen Syftemen der Medicin, philofophifchen Anfichten der Ge— 
feggebung, der Staatsötonomie u. f.f. — cin allgemeineres Intereffe 
oder die Prätenfion eines ſolchen gäbe. Schriften politifhen In— 
halts, vornehmlich die der Zeitpolitik, blieben dabei gänzlich entfernt. 

In diefer, obgleich mehr negativen, jedoch hier wohl hin- 
reihenden Beflimmung der zu beadhtenden Bücher, ergäbe ſich, 
ja erwüchfe wohl felbft fon gröftentheils für fich die Beftim- 
mung der Haltung und des Tones, der in dem Jnflitute 
herrſchen würde und zu behaupten wäre. Einen Hauptbeſtand⸗ 
theil feiner würdigen Haltung machte es, daß das Gediegene, 
Tüchtige, Intereffante, die Wiffenfhaften und Kenntniffe wirt- 
lich Bereihernde anertannt und mit Zuftimmung, die auf 


Ueber die Errichtung einer Fritifchen Zeitfchrift. 371 


gründlichen Urtheil beruhte, bekannt gemacht würde. Außer der 
bei der Beihäftigung mit dem Beurtheilen, befonders mittelmäs 
figer Produttionen, dem Beurtheiler fo nahe liegenden Sudt, 
durch Tadel fih das Bewußtſeyn feiner Ueberlegenheit, ja felbft 
erft das Bewußtſeyn des Berufes zum Beurtheilen zu geben, wie 
er aus demfelben Grund auch zu Dem entgegengefesten Zone 
der vornehmen Schonung und Milde geführt wird, — mag ſich 
mit dem Gefchäfte der Beurtheilung, eines bedeutenden Werts 
leiht der Sinn und die Forderung verknüpfen, als ob der Bes 
urtheiler zugleih nicht nur fid) als Herr über das Fach, fondern, 
daf er dieß in einem höhern Grade als der Verfaffer ſeh, 
zu beweifen hätte, Wie ſich denn als das legte Reſultat der 
Beurtheilungen fehr gewöhnlich dich ergiebt, daß, wenn es dem 
Referenten gefallen hätte, ein Werk über den Gegenfland zu 
fihreiben, er etwas Vorzüglicheres geleitet. haben würde, — ein 
Refultat, das, wie das damit etwa fid) verbindende Bedauern 
der Lefer, in dem Umflande feine Erledigung findet, daß die 
Referenten felbt Schriftfteller, etwa von demfelben, und leicht 
von minderem, MWerthe, find, als die, gegen deren Werke fie 
jene Meinung von ſich erwedten, und daß fie mit ihren Pro— 
duktionen daſſelbe Schidfal ihrer Seits erfahren. Die Aner— 
kennung, daf in der That, es feh im Inland 'oder Ausland, 
literarifche Produkte erfheinen, welche eine wirkliche Vereiche— 
rung der Kenntniffe, Erweiterung der wiſſenſchaftlichen Anficht, 
Neuheit der Entwidlung und der Ideen, aud für den Referen- 
ten, von welder Stärke fonft feine Gelehrfamkeit und der Stand- 
punkt feines Denkens fey, enthalten, — dieſe Anerkennung wird 
durch die obige Beftimmung erleichtert, daß nur gewichtige Werke der 
Beurtheilung unterworfen würden, fo wie dann dadurd, daß 
das Gefchäft der Beurtheilung ſchon felbft anerkannten wiffens 
ſchaftlichen Männern übertragen würde. Ohnehin ereignet ſich 
bei den vorhandenen Recenſir-Anſtalten der Fall häufig, daß 
die bedeutendſten Werke nur darum Jahre lang und mehrere 
24% 


372 . VIE Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


gar Feine Beuriheilung erfahren, weil die beftellten Recenfenten ſich 
erft bemühen, nicht nur in das Wert hinein, fondern aud) 
darüber hbinauszutommen, und bis fie nicht durch eigenes 
Studium des Grgenflandes auf den Schultern des Verfaffers weiter 
zu fehen glauben, die Arbeit verſchieben zu müffen meinen. Indem 
als die Abſicht des Publikums bei der kritifchen Anftalt vorauss 
gefegt wird, mit den Fortfhritten der Wiffenfhaften, 
und nicht mit der Weberlegenheit der Recenfenten bes 
kannt zu werden, fo würde es um fo mehr Einwirkung der Re— 
gierung fehn können, jenes Intereffe des Publitums gegen ein 
ſolches etwaiges Intereffe der Referenten geltend zu machen. 
Die erwähnten fubjettiven Richtungen, von denen, ob fte 
gleich individuell find, die Haltung eines Journals großen Theils 
abhängt, habe ich geglaubt berühren zu müffen, weil fie ohne, 
Zweifel nicht zufällig find, fondern dur die Ratur einer An— 
ftalt Theils unterflügt, Theils aber felbft hervorgerufen werden, 
und nicht fowohl durd Vorſchriften oder zutrauensvolle Vor— 
ausfegungen, fondern allein duch die Art und Weife der Eine 
richtung, zurüdgehalten und entfernt werden fünnen, r 
An das Berührte würde fi in Anfehung der Veſchaffen 
heit der Kritiken dieß anſchließen, daß fie überhaupt abh an— 
delnd durch ihren Inhalt, weniger über die Subjektivität 
des Buchs und feines Berfaffers, als über die von ihm bearbei= 
tete Sade Ichrreih wären, und bei der Gründlichkeit zugleich 
die Rückſicht für das Publikum durch Klarheit der Darſtellung 
und würdige Popularität, wenigſtens durch die Vermeidung ei— 
nes zu ſehr ſich vereinzelnden Details zum weſentlichen Augen⸗ 
merk hätten. 
Ib kann der Mühe überhoben ſeyn, die Bemerkung zu 
machen, daß eine folche litterarifche Anftalt, vorzüglich der Haupts 
ſtadt des Reichs, dem Site der Atademie der Wif- 
fenfhaften und der Hauptumiverfität, entfpredhend und 
anftändig erfcheint, eben fo, daß diefe dreifachen Meittelpuntte 


Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitfchrift. 373 


eine Zahl von Männern darbieten müffen, durch welche ein fol 
ches Inſtitut ind Werk und in einen gedeihlihen Zuftand 
gefest und darin erhalten werden könnte. Daß ſchon von 
felbft es Mehrern ein Bedürfniß iſt, eine Gelegenheit zu fine 
den, fi vor dem Publikum über neue gelehrte Werke aus— 
zufprechen, dafür läßt fih wohl der Umſtand anführen, daß 
Profeſſor Solger eine gehaltvolle Arbeit diefer Art, feine legte, 
an die wiener Jahrbücher gegeben hat, auferdem daf ein 
großer Theil der übrigen Aufſätze diefer Jahrbücher, von 
preufifchen Gelehrten herrühren foll, die ohne Zweifel nur aus 
Mangel einer inländifhen Gelegenheit eine foldie Fremde, we— 
nigflens entfernte, aufſuchen. 

In Beziehung auf das genannte onrnal gehe ich auf den 
wichtigſten Gefihtspuntt über, in den eine hieſige kritiſche Anz 
ftalt zu treten beftimmt ſeyn würde, nämlich ihre Stellung 
zur Regierung. Auf den meiften, beinahe allen Univerfis 
täten Deutfchlands waren dergleichen Veranſtaltungen entſtan— 
den, — entweder der Univerfitäten felbft, oder, wie in Göttin 
gen, einer dortigen fonft Tonftituirten öffentlichen Geſellſchaft. 
Daß ſolche Veranftaltungen, indem: fie der freiwilligen Thätig— 
feit und dem Patriotismus der Profefforen überwiefen waren, 
mit der Zeit in Verfall geriethen, fih in einem ſiechen Gange 
fortfchleppten oder ganz aufhörten, und daß Privatunterneh- 
mungen an ihre Stelle traten, ift ein eben fo bekannter als 
natürlicher Erfolg. Aber fo viel ich mic erinnere, hat keine die 
Qualität und den Titel einer Regierungsanftalt getragen; auch 
die wiener Jahrbücher gelten, wenn ich recht unterrichtet bim, 
zwar dafür, mit Vorſchub der Regiernng entflanden zu feyn und 
ihrer Auffiht und Bethätigung zu genießen, aber dieß Berhält- 
niß ſcheint zugleich als ein privates gehalten zu werden, und fie 
tragen jenen Titel nicht an der Stirne. Das franzöfifche Jour- 
nal des Savans erfeheint dagegen als eine bleibende und aus— 
drückliche NRegierungsanftalt, eben fo wie eine Univerfität, oder 


Fu 


374 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 

näher wie die Arbeiten einer Akademie der Wiſſenſchaften, und 
deren Herausgabe; — Arbeiten, welde die Beförderung der 
Wiffenfhaften dur eigene Produktionen, wie eine kriti⸗ 
{che Anftalt durch die finchtbare Betanntmahung der, 
Arbeiten Anderer, zum Zwede haben. Schon die Betrach⸗ 
tung, daß der letztere Zwed dem erftern Parallel gebt, ja als 
ein wefentlihes Komplement deffelben erſcheint, macht eine 
weitere Ausführung davon, daß ein foldes Inſtitut würdig 
wäre, Beranfialtung der Königlichen Staatsbehörde 
zu ſeyn und fo zw heißen, überflüffig. Aber dich möchte wohl 
einer weitern Ausführung bedürfen, in wie fern es mir ſcheint, 
daf nur als Veranftaltung des Gouvernements ein fol- 
des Inſtitut diejenige Wirkfamteit für Beförderung und Vers 
breitung der Wiffenfhaften, und auf das fhriftfielierifhe Treiben 
haben könne, welde in feinem Zwecke liegt, indem es mur als 
Regierungsanftalt diejenige Einrihtung befommen und ſich 
erhalten Tann, durch welche es jene Wirkſamkeit auszuüben im - 
Stande if, - en 
Was diefe Wirk ſamkeit zunächſt betrifft, fo if, um von 
ihr vollftändiger zu fpreben, die Rüdwirkung der Meinung 
des Publikums mit in Anſchlag zu bringen, wodurd fie ver— 
ſtärkt wird, — eine Seite, weldye mehrere verwandte Rüdfid- 
ten darbietet, die ih, um micht zu ausführlid, zu werden, zu— 
glei) mit anführen werde. Ich verfiche unter jener Rüde 
wirkung zunächſt, daß ein kritiſches Inſtitut ſchon dadurch, 
daß es exiſtirt und thätig iſt, im Publikum die Vorſtellung er— 
zeugt, daß auf diefer Mniverfität, Stadt u. ſ. f. ſich eine Ver— 
fammlung fompetenter Richter zufammen befinde, cin Mittels 
punkt, der durch feine geiftigen Mittel, wie durch den äußern Zus 
fammenhang eines foldhen Unternehmens, als eine Autorität 
erſcheint. Diefer Schein wirft ſich auf den Ort, wo eine foldye 
Zeitfchrift erfcheint, felbft wenn nur der Redakteur und etwa eis 
nige Mitarbeiter fich dafelbft, deren Mehrzahl aber auswärts 


*⁊ 


Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 375 


“aufhält, So hat wohl die allgemeine deutſche Bibliothek das 
Ihrige beigetragen, vormals Berlin das Anfehn eines literarifchen 
Mittelpuntts und Richterſtuhls zu verfhaffen. Wieder ſchließt 
fi) dann von ſelbſt Vieles gern an eine ſolche Autorität an und 
vermehrt damit ihren Gehalt und ihre Wirkſamkeit. So hat 
vielleicht der jena'ſchen Literatur- Zeitung, an der immer bei 
bei weitem die Minderzahl der Arbeiter aus dort Anfäffigen 
beftand, die dafige Univerfität einen Theil ihres Anſehens zu ver= 
danken gehabt, und diefes Anfehen, die Neigung, dort als Lehrer 
angeftellt und Mitarbeiter an der Lritifchen Anflalt zu werden, 
vermehrt. Und zwar mag jenes Blatt dabei noch in fofern näher 
mitgewirtt haben, als eine folde kritiſche Anftalt ſich im Falle 
befindet, zu einer ausgebreiteten und gründlichen Kenntnif der 
Gelehrten, deren Fähigkeit und Braudbarkeit zu tommen; fo 
daß wohl diefe Gelegenheit dazu beigetragen hat, daf es den 
Nutritoren der dortigen Mniverfität gelingen fonnte, den fort— 
währenden Abgang dafelbft berühmt gewordener Gelchrter immer 
wieder mit noch wenig öffentlich befannten, aber tüchtigen Män— 
nern zu erfegen, und auf diefe Weife auch ohne große Koften 
den Ruf der Univerfität auf gleiher Höhe zu erhalten. — Um 
nod) die göttinger gelehrte Anzeigen zu erwähnen, fo haben fie, 
fo leicht ihre Werfaffer es fih mit der intelligenzartigen Redat- 
tion machen, dazu doch gewiß mitgewirkt, die daſige gelchete 
Gefellfhaft zur Würde eines Mittelpuntts zu erheben, dem - 
mancher. Gelehrte und Staatsmann feine Arbeiten, Entdedungen, 
Merkwürdigkeiten und dergleichen vorlegte und widmete, weil 
es dafelbft eine Beachtung und öffentliche Würdigung zu erwars 
ten hatte. Eine Akademie, welche durd die fpeciellen Unterſu— 
ungen ihrer einzelnen Mitglieder, — wie eine Iniverfität, 
welche durch den Vortrag ihrer Lehrer und die vereingelten Schrifz 
ten derjelben thätig iſt und: ihre Exiſtenz beweift, genieft wohl 
darum noch micht diefes Anfehens und Einfluffes, wenn fie nicht 
ein beurtheilendes Inſtitut damit verbindet, und auch über 


376 VL. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


die Arbeiten Anderer fortwährend das Wort hat, Bon 


jener erften Mirkfamkeit können ohnehin immer nur Wenigere 
Gewinn ziehen, im Vergleich mit denen, für welche es Bedürf- 
niß if, durch Andere mit dem allgemeinen Zuftande der 
wiſſenſchaftlichen Fortfähritte bekannt gemacht zu werden, und von 
kompetenten Richtern ein Urtheil über die bedeutenden literari— 
ſchen Erfcheinungen zu erhalten. Die Bedürfnif einer Yutos 
rität, um fi bei ihr zu beruhigen, oder erft auf fie hin felbft 
anzufangen, ift der wichtigfte Umſtand, der die kritiſch- literaris 
ſche Wirkſamkeit nach Aufen einleitet und begünftigt und dann 
fie felbft zum Anfehen erhebt. | 

So wichtig ſich diefe tombinirte Wirkſamkeit — um 
nicht bloß Bücherkenntniß, ſondern die Sachkenntniß bei dem 
Publikum zu vermehren und richtige und beſtimmte Begriffe zu 
verbreiten, ſo wird ſie ſich auch über den Theil deſſelben, der ſich 
mehr auf das Empfangen beſchränkt, hinaus und auf den at— 


tiven, fhriftftellerifhen Theil defielben erfireden. Wem 


bei jenem Theil das Bedürfniß der Yutorität vorherrſchend if, 


fo zeigt ſich bei diefem vielmehr das Gegentheil; aber in der 


That nimmt bei ihm die Abhängigkeit von Yutorität nur 
eine andere Geftalt an. Betrachtet man den wiſſenſchaftlichen 
Zuſtand Deutſchlands nach ſeiner aktiven Seite, ſo heben ſich 
bei der Klaſſe von Schriftſtellern, welche zum Auffaſſen und po— 
pulären verſtändigen Verbreiten und Lehren beſtimmt zu fehn 
ſich beweiſt, die zwei Erſcheinungen hervor, in Anſehung des Ins 
halts ganz von der Routine abhängig, ja befonders in Anz 
fichten und in die wiffenfhaftliche Weife der Ausländer vergras 
ben: zu fehn und das Einheimifche gar nicht zu beachten und 
aufzunehmen, che es von Franzoſen oder Engländern her— 


vorgezogen und anerfannt worden ift, — und dabei unmittelbar, , 


und zwar um fo mehr, je dürftiger ein Inhalt aufgefaßt ift, ſich 
ſelbſt dieß, daß fie bloß durch ein Aufraffen der Gedanken Anne 
derer einen kümmerlichen Beſitz haben, gänzlich zu verbergen und 


Ueber wie Errichtung einer Eritifchen Zeitſchriſt. 377 


zu verläugnen, und fogar mit Herabfesung Anderer und zunächſt 
derer, von denen fie Alles gelernt haben, was fie wiffen, die 
Prätenſion eigener Entdedungen, eigenthümlicher newer 
Theorien und felbfigefchaffener Gedanken zu haben. Daf fie 
die gediegenen Gedanken und Anfichten Anderer aufnehmen, iſt 
nicht das, was man wegwünfchen kann; im Gegentheil find ja 
die Wiffenfhaften eine Produktion von mehrtaufendjähriger Ars , 
beit, und derjenige ift ein großer Gelehrter, der feine Wiffen- 
fhaft auf dem Standpunkt, auf dem fie jest fleht, erlernt hat 
und gedacht inne hat. Lehrer an Univerfitäten und andern Anftals 
ten haben zunächft keine andere Pflicht zu erfüllen, als eine 
ſolche gedachte Kenntnif deſſen, was da ift, zu befigen und fie 
Andern zu wiederholen. Was fie weiter thun in Anſchung des 
Inhalts, ift, wenn es nicht etwa zweidentig und noch mehr if, 
wenigftens unbeträchtlic) gegen die Maffe deffen, was fie der, 

‚Zradition verdanken. Und die Bedingung, um die Wiffenfchaft 
weiter zu bringen, ift immer: fi in die vorhandene Wiſſen—⸗ 
ſchaft einftudirt zu haben. Jene Mehrzahl aber kommt nicht 
nur durch ihre geringe Kenntnif zw der Prätenfion von Origi— 
nalität, fondern diefe Prätenfion macht es ihr wieder unmög- 
lich, fidh die erfte Bedingung, die Kenntnif des Vorhandenen 
zu verfhaffen. Man kann überall. als eine Wirkung, die aus 
dem Mangel eines imponirenden wiffenfhaftliden 
und literarifhen Mittelpuntts in Deutſchland her 
vorgehe, die Selbftftändigkeit, Originalität, Freiheit der Unfiche 
ten, die in unferer Literatur herrfche, rühmen hören, Die Haupts 
krankheit aber unfers fchriftfiellerifhen Publitums fcheint wohl 
eben durch die Definition ausgedrüdt zu fehn, welde Voltaire 
in dieſer Rüdfiht von Deutfchland giebt, es fey un pays fer- 
tile en mauvais originaux, Denn man möchte bei jenem af- 
tiven Theile des Publitums vielmehr leicht den höchſten Man— 
gel an Originalität des Inhalts, ja an einer blofen Ausdeh— 
nung.und Dlannigfaltigkeit deffelben erbliden, dagegen die defto 


378 Vik Schreiben innmtlichen Angelegenheiten. 


größere formelle Originalität der Einbildung, die fih auf die 
Dürftigkeit ihres Stoffes und die Seichtigkeit und Verkehrtheit 
ihrer Einfälle ftüst, um zu beweifen, daß fie etwas Befondes 
res, d. i. vom Anerkannten und Vernünftigen Abweichendes zu 
Tage gebradt habe. Dieſe Sucht nad etwas Beſonde— 
rem, die zu einem negativen Geifte gegen das Gediegene, Gels 
tende und Anertannte wird, ift es, die auf dem theoretifchen 
Felde erzogen und genährt, dann, wenn das Prattiſche und Po— 
Litifche ein eigenthümliches Intereſſe erwedt hat, ſich auf dieſes 
wirft, wo die Originalität der Seichtigkeit ganz homogene, nur 
jest einen Kreis von ganz anderer Bedeutung und Würde ans 
taſtende Erfcheinungen bervorbringt, und: der Anfang des leeren 
Auffpreigens mit hohlen Gedanken die Bahn zu praktiſchen Dris- 
ginalitäten, d. i. zu thörichten, gefährlichen, verbrecheriſchen Un— 
ternehmungen und Handlungen eröffnet. f 
Die gewöhnlichen Recenfir -Anftalten, wie oben deren Trei⸗ 
ben und Zwede berührt worden find, arbeiten diefem Geifte des 
Negativen gegen das Anerfannte und Anzuertennende nicht nur 
nicht entgegen, fondern pflegen und befördern ihn, da er auf 
ihrem Felde felbft den Hauptton ausmacht. "Wenn daher eine 
allgemeinere Wirkung von einem kritiſch- literarifchen Inftitute 
gedacht werden kann, fo wird fe fi ohne Zweifel daran anfchlies 
fen, daß durd daffelbe im Felde des Wiffenfhaftlichen, durch 
das Hrrausheben und Anerkennen des Tüchtigen und Verdienſt— 
vollen, und durch ein Stillihweigen über das Mittelmäßige und 
Schlechte, die anerkannte gründliche Wiſſenſchaft in ihrem Rechte 
behauptet, und gegen die Prätenfion,; Aufſehen zu machen, der 
Maaßſtab deffen aufgeftellt und fortdauernd bethätigt würde, 
was von neuen Produktionen die Aufmerkſamkeit eines gelehrten 
Inftituts auf fich ziehen könne, — eines Infituts, deffen Autos 
rität, fo wie der Wunſch, von demfelben beachtet zu werden, 
dadurd) erhöht wird, daf eine darin erwiefene "Auszeichnung un- 
ter den Augen einer hohen Staatsbehörde ertheilt wird, und 


Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 379 


gleihfam als ein diefer abgeftattetes Gutachten angefehen werden 
kann. Einem preußifchen Schriftſteller wird es nicht gleichgültig 
feyn, wenn ihm eine folhe Beachtung und welche ihm wider- 
fährt, und aud für andere deutſche Schriftfteller wird dieß im 
mannigfaltigen Beziehungen nicht ohne Intereffe feyn. Diefe 
Wirkung möchte gerade um fo kräftiger fen, je unbefangener 
fie erfcheint und cs wirklich ift, indem die Cenſur von unpars 
theiifhen Gelehrten ausgeübt wird, und das Wiffenfchaftliche zu 
ihrer nächſten und einzigen Rüdficht hat, Ich gehe in dieſer legten 
Beziehung gleich zu einem ſpeciellen Umſtande über, der damit in 
unmittelbarer Verbindung fteht. Am nämlich die Unabhängige 
keit des direkten wiffenfchaftliden Zwecks fortwährend vor dem 
Publitum zu wergewiffern, würde es unerlaßlich feyn, daß zu 
jeder Abhandlung der Name des Verfaffers brigefegt 
werde. Diefe Beflimmung partikularifirt wieder gegen das Pu— 
blitum die Thätigkeit des. Inftituts, und ſtellt deren Erfcheinung 
in diejenige Entfernung von der Regierung, in der fie von die- 
fer ſteht. Die allgemeine Verfiherung einer rückſichtsloſen, bloß 
gelehrten Beurtheilung, fo wie die, es fey anfangs oder von 
Zeit zu Zeit, aufgeführte namentliche Lifte der Mitarbeiter würde 
immer in der Meinung des Publitums eine Unbeftimmtheit, 
oder eine arriere-pensede übrig laffen, welche der Wirkſamkeit 
der Anſtalt nad ihren verfchiedenen Seiten nur hinderlid wäre, 
Auferdem liegen in diefer Nennung der Namen andere Garan- 
tien, welche diefelbe rathen. Werden die Krititen anonym ges 
gegeben, fo haben fie den äufern Schein, Produkte, Anfichten 
und Urtheile des ganzen Inſtituts zu fehn, weldes damit in 
pofitivem Sinne refponfabel erfchiene, während zwar aller 
dings eine folidare Refponfabilität, aber ohne Zweifel nur im 
negativen Sinne auf ihm liegen muf, daf es nämlich nicht für 
die einzelnen Anſichten und Meinungen der Mitarbeiter, wohl 
aber dafür einftcht, daß nichts auf irgend eine Weife Unſchick— 
liches, Unmürdiges und nichts Werthlofes mit unterläuft, Wenn 


x 





380 var. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 

der leere Stein eines gemeinfamen Gerichtshofes, den gewöhn— 
liche Recenfiranftalten aus der Anonymität der Verfaſſer der 
Kritifen ziehen, ihnen bei dem Publikum auf der einen Seite 
etwas Impofantes leihen kann, und wenn er ihnen felbft, um 
fi) Mitarbeiter zu verfchaffen, die fie wegen der fonftigen Un— 
bedeutenheit ihres Namens nicht eingeftehen möchten, und die ſich 
felbft öffentlich zu erfcheinen nicht getrauten, nothwendig iſt; fo 


ift er ihnen um fo nachtheiliger in Abficht auf die Rüdwirtung, 
die er auf die Recenfenten ausübt, denen er leiht einen eigenen‘ 
Ton des Aburtheilens und etwas von der Meinung einflößt, 


nicht perfönlich für ihre Arbeit einzuftehen, im Gegentheil, für 
ihre Subjektivität befondere Rechte und Freiheit erhalten zu ha— 
‚ben. — Es würde aber zu weitläufig und verdrießlich ſeyn, 
den leicht unendlichen fubjektiven Verwicklungen nadyzugehen, die 
fämmtlid) durch das Gefes, daf der Name des Verfaffers einer 
Anzeige genannt werde, niedergefhlagen werden. RESET 

Wenn ic die entwicelte Wirkfamkeit Theils auf die alle 
gemeine Bildung, Theils auf das fchriftftellerifhe Wefen und 
Unwefen, einer Veranftaltung dur eine Königlihe Staatsbe— 
hörde nicht unwürdig halten darf, fo babe ich zugleich die Ue— 
berzeugung, daß eine folde Anftalt in Wirklichkeit gefest und 
ihrem Zwede treu erhalten werden tönne, nur in fofern fie als 
eine öffentlihe Anfalt der Regierung exiſtirt. — 
Mas aus Privatunternehmungen diefer Art geworden iſt, hat 
man gefehen und ficht es noch täglich. Privatunterncehmungen 
find ein Eigenthum eines oder einer Gefelfchaft von Gelehr— 
ten, oder einer Buchhandlung. Der Eigenthümer legt ein Ka— 
pital in eine foihe Unternehmung, um pekuniären Vortheil dar— 
aus zu ziehen. Welche löbliche Borfäge und glänzende und ehr— 
liche Verſprechungen der Eigenthümer und die Mitarbeiter, die 
ſich dazu finden, anfangs auch haben und geben mögen, fo reift 
die Befchaffenheit der Sache ſolche Inftitute bald von dem vor— 
geftekten und verheifenen Wege ab. Außer dem durd bie 


Ueber die Errichtung einer Fritifchen Zeitſchrift. 381 

Küdficht des Gewinnes gewöhnlichen Zwede einer allgemeinen 
Bollftändigkeit, der mehr oder weniger eine Fabritarbeit und die 
negative Behandlungsweife herbeiführt, findet fi der Eigenthüs - 
mer einer Seits dahin gebracht, dem vermeinten Geſchmacke des 
Publitums zw huldigen und hienach die Mitarbeiter aufzuſuchen, 
— anderer Geits fieht er ſich genöthigt, ſich mit bunderterlei 
Rüdfihten auf feine Mitarbeiter, um ihre gute Laune und Mit— 
wirkung zu erhalten, herumzubrüden, den Gang des Ganzen von 
ihrer Gefälligkeit, — denn gegen den Privateigenthümer, der den 
Gewinn des Ganzen zieht, bat ihre Arbeit. zugleich weſentlich 
dieſe Qualität, — vom ihren Zufälligkeiten und Bequemlichkei— 
ten abhängig werden, und um den ununterbrochenen Fluß der 
Hefte zu erhalten, ſie von den mittelmäßigen Arbeitern, welche 
die rüſtigſten find, anfüllen zu laſſen. — Es fehlt dem Privat- 
eigenthümer, — gleichgültig ob es einer oder eine Geſellſchaft iſt, 
— an dem rüdfihts= und intereffelofen Anfehen, um eine Gefell- 
ſchaft bedeutender Gelehrter Theils zufammen zu bringen, Theils zu 
einer regelinäfigen Ablieferung von Arbeiten zu bewegen, Theils 
fie überhaupt zufammen zu halten. — Wenn das Gouverne- 
ment aud), wie bei den heidelberger Jahrbüchern der Fall if, 
fowohl mit Geldunterflügungen an die Buchhandlung, welde Ei— 
genthümerin ift, als mit Aufmunterungen und Ermahnungen an 
die bei der dortigen Aniverfität angeftellten Gelehrten berzuteitt, 
fo hebt dieß fo wenig die Grundbeftiimmung, die in dem Ei⸗ 
genthumsredhte der Buchhandlung liegt, auf, daß dadurd das 
Verhältniß und das Intereffe defto unbeftiimmter und ſchwankender 
wird, und die Anſtalt vollends alle Feftigkeit und Richtung verliert. 
Das Mittel daher, um eine Einrichtung zu bewirken und 
zu erhalten, wodurch die innern Zufälligkeiten befeitigt werden, 
durch die eim foldhes Unternehmen über kurz oder’ lang zur mit- 
telmäfigen Gewöhnlichkeit herabfintt und ſich ruinirt, kann ich 
einzig darin finden, daß es Eigenthum und Beranftaltung 
der Regierung if, Wenn die Arbeit daran fowohl der Aus— 


‚382 VI, Schreiben in amtlichen Angelegenheiten, 


wahl der anzuzeigenden Werke und der Redaktion als der Auf⸗ 


fäge felbft eine Art amtliher Gefhäftsfadhe if, fo wird 
-der Zufammenhalt bewirkt, der dem Inftitute feften Zwed, Ton 
und Dauer fihert. Sollte die bloße Privatehre des Gelehr— 
ten an eine ſolche Anftalt geknüpft werden, (wie man den Fall 
bei den obenerwähnten Univerfitäts- Inftituten diefer Art anfes 
ben kann), — die öffentlihe Ehre hat er in dem fonftigen Amte 
oder feinen fhriftfiellerifchen Werken, — fo kann er folde Vers 
bindung läffig halten oder zurüdnchmen, unbefhadet feiner be— 
fondern Ehre, die er bloß an fein Amt, oder an was fonft weiter 
fein Belieben ift, knüpfen kann. Die Amtspflicht und Amtschre ers 
feine dagegen als dasjenige, was das Belieben überhaupt ab- 
fchneidet und den Zufälligkeiten, befondern Anſichten, unbedeu—⸗ 
tenden Empfindlichkeiten u. f. f. der Mitarbeiter, diefen unfchein- 


baren und ſich nicht geftehenden, aber defto gewiſſer wirkenden 


Keimen des Untergangs, allein das Gleihgewicht haften kann 

Das oben angeführte Journal des Savans ſcheint in dem 
vorhin angegebenen Sinne gefaßt zu ſeyn, — nämlid der ges 
Ichrten eigenen Arbeit der franzöſiſchen Staatsanftalten für die 
Wiſſenſchaften, diefe zweite Seite, die Befanntmahung und Een 
fur der Arbeiten Anderer hinzufügen zu follen. Die Einrichtung, 
welche diefes Journal zu einer Staatsanftalt macht, erfcheint 
ferner als dasjenige, was den Werth und die Würdigkeit deffelben 
und zwar in fo langer Dauer gefihert hat. Das Specielle der 
innern Einrichtung ift mir nicht näher bewußt, aber die weſent— 
lichen Züge davon liegen in ihm felbft vor Augen. 

In dem Hefte, womit ein neues Jahr oder Halbjahr — 
ſteht das Bureau de Redaction und die Auteurs verzeichnet; 
aber an der Spite über beiden ficht der Titel von Monsei- 
gneur le Garde des Sceaux. — Wenn der Chef der obers 
fien Unterrichtsbehörde die Spige der bisher dargeftellten Unftalt 
mit feinem Titel beehren wollte, fo würde dadurch nidyt nur der 
ganze Charakter derfelben gegen das Publitum bezeichnet, und 


— —— - 


Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 383 


durch ſolche Verknüpfung widerführe den Wiſſenſchaften als fol 
hen ihre Ehre, fondern diefer impofante Name bezeichnete ſchon 
den Mitarbeitern aufs unmittelbarfte und öffentlich ihre Pflichten, 
Ferner würde wohl fhon das Aeußere der Arbeit es unthuns 
lich maden, dag Ein Redakteur ihr Genüge leiſtete; eine 
Anzahl von etwa fünf oder ſechs würde ſich aber auch als: nütz⸗ 
ih, ja feloft als nothwendige Vedingung dazu zeigen, daß 
das Gefhäft der Beurtheilung und Eutfeheidung über die Zweck⸗ 
mäßigkeit fowohl der Arbeiten felbft, als darüber, weldhe Werte 
anzuzeigen wären, nicht als Sache Eines Individuums fondern 
eines KRollegiums erfihiene, das zugleich die Würde einer 
Behörde hätte. Ohne eine ſolche Form ſänke das Verhältniß 
der Mitarbeiter wieder Theils zum bloß perfönlihen Verhältnif 
mit Einem Individuum, Theils zur Zufälligkeit und Konvenienz 
derfelben zuriid. So fehr die Konvenienz bei der Wahl der 
Bücher, welche die Mitarbeiter zu beurtheilen übernähmen, von 
felbft ſich zur Berüdfihtigung aufdränge, fo würde es, wenn fie 
allein es beflimmte, Sache des Zufalls bleiben, ob nicht wich⸗ 
tige Werte ganz unbeachtet blieben. Wenn außerdem zwar ſchon 
in der Qualität der Mitarbeiter die Garantie für den Gehalt 
und Ton ihrer Arbeiten liegen würde, fo kann es doch nit an 
Fällen fehlen, wo Rüdfihten der Schidlichteit, der Zweck der 
Anftalt, — der zum Beifpiel die Ausführlichkeit gelehrten Details 
und zu fpecielle Erörterungen durdy ein beabfihtigtes allgemeines 
Intereſſe befchräntte, — hie und da den Wunſch zu Abkürzungen, 
zu Modifitationen eines Ausdruds, einer Wendung u. f. f. hers 
beiführen. Solche Wünſche könnten dann unverfänglicher an 
den Verfaſſer der Arbeit gebracht werden, wenn ſie durch kolle— 
gialiſche Berathung hindurchgegangen, den Charakter von ſub⸗ 
jektiver Anficht nicht mit ſich führten, Für den Zuſammenhalt 
und die fefle Begründung des Ganzen, fo wie für die fo eben 
berührten Rückſichten möchte es faft als unerläßlich erfcheinen, 
nicht nur, daß die Mitglieder des Nedattions- Bureau von der 


’ 


— 


354 VI Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


oberfien Staatsbehörde ernannt würden, fondern daf 
fid unter diefen auh Mitglieder der oberfien Behörde 
für den öffentlichen Unterricht befänden, es fey in unbeftimmter 
oder feftgefegter Anzahl. Diefe ausdrüdliche Vereinigung von 
gelehrten Regierungsmitgliedern mit bloßen den Wiſſenſchaften 
und dem Lehramt gewidmeten Gelchrten dringt ſich infofern als 
zweckmähig auf, als dadurd Verhältniſſe und Umftände erfegt 
werden, durch welche die, Mitglieder des franzöfifhen Inftituts 
fhon in nähere Beziehung auf die Regierung geftellt find, und 
in der wiſſenſchafllichen Arbeit zugleih eine Rüdfiht auf die 
Bethätigung der Staatszwecke befeſtigt ift; fo wie eine ſolche 
Anordnung die Regierung in werkthätigem Intereffe nicht nur 
für die wiſſenſchaftlichen Anftalten, fondern für die B— 
ten und die Literatur ſelbſt zeigte. 
In Anſehung der Wahl anderer Mitarbeiter er 
das Burcau feine Unfichten gleichfalls der mehrgedadhten Staats- 
behörde vorzulegen haben. Hiebei zeigte fich die Frage nicht als 
unwichtig, ob. eine beftimmte Anzahl feftgefest oder ob allerwärts 
bin Aufforderungen und Einladungen zu erlaffen wären. Der 
bisherigen Vorſtellung der Einrichtung könnte es als entfprechend 
erfcheinen, eine beffimmte Anzahl und zwar hiefiger Ges 
lehrten feftzufegen, Theils weil das Ganze dadurch wirklich 
eine Anftalt des Mlittelpuntts der Monarchie wäre, und nur fo 
ihre eigenthümliche Wirkfamkeit und Anfchen nah Außen fi 
begründete, Theils weil die Mitarbeiter, nur in fofern ihrer eine 
beftimmte Anzahl ift, für den ununterbrocdpenen Fortgang des 
Ganzen verantwortlich gemacht werden könnten, da es ausges 
ſchloſſen wäre, ſich auf das zufällige Einlaufen von Artiteln An— 
derer zu verlaffen. Es wäre dabei nicht ausgefchloffen, fondern 
es ließe ſich ausdrücklich damit verbinden, daß auch mehrere wicht 
biefige Gelehrte, um ihrer für die Anftalt wünſchenswerthen 
Tätigkeit willen, wie zu ihrer Auszeichnung, zur. Mittheilnahme 
aufgefordert und gezogen würden, fo daß diefe Beiträge als eine 


Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitſchrift. 385 


zufällige Zugabe betrachtet, und die Lieferung des erforderlichen 
Quantums von Materialien auf die Thätigkeit der ordentlichen 
Mitarbeiter und der Mitglieder des Redaktions-Bureau geftellt 
bliebe. ; u 

Speciellere Beftimmungen, unter andern, daf die Mitglie— 
der des Bureau regelmäfige Sitzungen hielten, würden 
fi von felbft als Folgen der wefentlihen Einrichtung ergeben. 
Ich berühre nur diefe, dag die Worlefung eines jeden aufzu— 
nehmenden Auffages in der Verfammlung des Bureau, — fo 
fehe dieß deffen Geſchäft zunächſt weitläufiger zu machen ſchei— 
nen kann, — leicht als eine weſentliche Anordnung ſich empfeh- 
len dürfte. Nicht nur machte das Bureau, als aus allgemein gebil- 
deten und zugleich aus Mitgliedern von verfihiedenen Fächern 
zufammengefegt, für fid) fehon ein Publitum, und empfände in 
ihm die Wirkung, die ein Aufſatz auf das öffentliche Publikum 
machen könnte, fondern auch die Rückſicht des Verfaſſers auf 
eine folde Probe vor einer Gefammtheit, von deren Zuftimmung 
die Aufnahme eines Auffages abhinge, würde von felbft dazu 
beitragen, daß mit Vermeidung eines Details von zu fpecieller 
Ausführung diejenige Allgemeinheit und Intereſſe der Anfichten 
und Gegenftände, diejenige Klarheit der Darftellung herrſchend 
blieben, welde für, eine höhere und. würdige Popularität die 
wünfcenswertheften Eigenfchaften fepn würden, — ein Zweck, 
auf welchen das Referiren, das doch immer ‚Statt: haben 
müßte, nicht fo einwirken könnte, Das Referiren für ſich nähme 
gleichfalls Zeit weg; es fehte das Lefen des Aufſatzes beim Re— 
ferenten voraus, der ſich wielleicht veranlaft finden könnte, ein 
ſchriftliches Urtheil zu machen, — Gefchäfte, wodurch aud an Zeit 
gegen die zum Worlefen erforderliche eben nicht viel gewonnen 
werden möchte; — außerdem daf ein Referat über die’ Arbeit 
eines Kollegen leicht Delitateffen mit. ſich führte, die durch: das 
bloße Verlefen ſich befeitigten. Bei diefem würden ſich ohnehin 


Abkürzungen als thunlich zeigen, welde die Arbeit der Verſamm⸗ 
Bermifchte Schriften. * 25 


356 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten, 

lung befchleunigten. — Db andere äuferlidhe Arbeiten, die bei 
dem Anftitute vorfämen, einem einzelnen Mitgliede des Bureau 
gleihfam als Sekretär aufzutragen wären, würde fid) wohl bei. 
der Beftimmung der nähern Art und Weiſe der Geſchäftsfüh— 
rung finden. 

Der legte Punkt, der noch zu erwähnen fände, würde der 
Meberfhlag der Koften ſeyn, den eine folde Unternehmung 
der Königlihen Regierung verurſachen könnte. Daf von dem 
anſcheinend äußerlichen Umſtande, ob der Staat oder ein Privat: 
mann Cigenthümer wäre, meiner Anſicht nach, der ganze fich zu 
verfprechende Erfolg abhänge, habe ich vorhin erwähnt. Indem 
id von der Berechnung der Koften nicht als Sadhverfländiger 
ſprechen kann, kann ich nur etwa Folgendes in dieſer Rückſicht 
bemerken. 
Ein Theil der Ausgaben diefes Inftituts, — die Anſchaf— 
fung der anzuzeigenden Werte, — würde durd die 

Anfhafungen der Königlichen Bibliothek ausfallen, wenn eine 
höhere Beflimmung die in diefer Rüdfiht von der Bibliothek 
zu madenden Ablieferungen für den Gebrauc des Inflituts res 
gulirte. - 

Ob die Erſcheinung der Hefte monatlid oder viertel— 
jährig erfolgte, würde auf die Koften infofern Einfluß haben, 
als: etwa die monatliche Lieferung für den ganzen Jahrgang 
wohl eine größere Bogenzahl veranlaffen würde. Ob das eine 
oder das andere fonft vorzuziehen wäre, hängt größten Theils 
von näherer Konvenienz ab, Nur daf in dem einen und dem 
anderen Falle die Mblieferungen auf beffimmte Termine 
und regelmäßig erfolgten, erſcheint ſowohl für die Ordnung 
in den Arbeiten als in der Erwartung des Publitums fogleich 
für ſich als vortheilhafter. . Sonft die monatlide und viertel- 
jährige Erfcheinung mit einander verglichen, Fönnte man bei der 
erfleen den Vortheil fehen, daß dem Publikum öfter etwas 
Neues in die Hand gegeben wird, das Lefen eines diden vier— 


— 


Uleber die Ertichtung einen kritiſchen Zeitfchrift. 387 


teljährigen Hefts mehr die Art der Lefung eines Buches hat, 
und die geringere Bogenzahl ſchon für ſich die zu große Aus— 
führlichkeit der Abhandlungen unthunlicher erfcheinen läßt. 
Wenn für ein Monatsheft zehn Bogen, vornehmlich 
infofern das Quartformat vorgezogen würde, — beim Oktav— 
format könnte man auch bei at oder neun Bogen fichen blei— 
ben, — gerechnet werden, ſo betrüge die Bogenzahl: eines 
Jahrgangs einhundert und zwanzig, und die Yusgabe 
für einen Bogen, zu 750 Eremplaren, mit Redaktions-Hono— 
rar und Druck- und Papierkoſten auf ſechs Friedrichsd'or 
angefchlagen, betrüge die Nuslage des Ganzen piertaufend 
Thaler, Wenn ein Drittel Rabatt für die Poft und Buch— 
bandlungen berechnet und das Eremplar eines Jahrgangs auf 
zehn Thaler angefegt wird, fo wäre der Abfag von ſechs hun—⸗ 
dert Eremplaren erforderlich, um die Koften zu deden. In 
fofern von finanzieller Seite die Unternehmung nicht als ein 
Riſiko, fondern als eine Ausgabe für ein wefentliches wiſſenſchaft⸗ 
liches Bedürfnif und für das Anfehen des Staates behandelt 
würde, fo ließen fich die Koften eines Eremplars fogleich herab» 
fegen, was den Abgang felbft befördern würde, wohingegen Buch⸗ 
handlungen um des Riſiko's willen auf: eine Anzahl von Ex⸗ 
emplaren, deren Abfas fie als wahrfcheinlid annehmen, ſogleich 
den ganzen Koftenbelanf zu ſchlagen gewohnt: find. Die Re 
daftionsz Koften, die ich unter dem Aufwand aufgeführt habe, 
würden fi bei diefer Anſtalt höher belaufen, weil bei einem 
Privatunternehmen der Eigenthümer, wenn er zugleich Redak⸗ 
teur ift, fie in den Gewinn, den er vom Ganzen: bezieht, einrech⸗ 
net, und weil nad) dem bisher entwidelten Plane die Redaktion 
die Qualität eines verpflihtenden Amtsgefhäfts und die Aus: 
gabe dafür die eines Funktionsgehalts erhielte. + Ob übrigens 
diefe Yusgabe dadurdy einer Verminderung fähig wäre, daß Mit: 
gliedern der Königlichen Akademie der Wiſſenſchaſten ſchon in 
diefer Qualität und in Rüdfiht auf von daher bezogene: Ge— 
25 * 


388 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


halte, jenes Gefchäft zur Pflicht gemacht werden könnte, ift ein 
weiter gehender Umftand, der über meinen Gefühtstreis und den 
gegenwärtigen Gegenftand hinaus liegt. 

Die Anfügung eines IntelligenzsBlatted könnte für Die 
Verminderung der Koften gleichfalls in Berüdfihtigung kom— 
men. Buchhändleranzeigen würden der Artikel feyn, der einen 
Ertrag abwürfe. Antikritiken, die, wenn fie gegen die Anftalt 
felbft gerichtet wären, ohnehin nicht gut zu einem Gegenftande 
des Ertrags gemacht werden könnten, fowohl folden, als 
noch mehr den gegen andere Zeitungen und kritiſche Blätter 
gerichteten, wäre es wohl durchaus das Rathſamſte und Anſtän— 
digfte, im jeder Nüdfiht den Zugang zu verſchließen; fo wie 
auch Antikrititen und fonftige Neußerungen, die in andern Zeit⸗ 
föriften oder fonft gegen diefe Anftalt gerichtet wären, beffer 
unbeantwortet bleiben würden. Grörterungen über Fakta oder 
andere wiffenfchaftliche ilnterfuhungen mödten nur in ganz eins 
zelnen, höchſt feltenen Fällen zuzulaffen feyn, indem die Bent 
theilung und Anzeige literariſcher Produkte, nicht wiſſenſchaſtliche 
Erörterungen der Hauptgegenfiand des Journals wären, — 
Sonft könnte,ein Notizenblatt andere Zwede erfüllen und dazu 
gebraucht werden, Königlide Verordnungen und Ber: 
anfaltungen, welche die Miffenfhaften und den öffentlichen 
Unterricht betreffen, betannter zu machen, von den öffentlichen 
Sisungen der Akademie der Wiffenfhaften, ihren Preisaufgas 
ben und ertheilten Preifen Rechenſchaft zu geben. Die Ausdeh—⸗ 
nung jedoch auf alle gelehrte Neuigkeiten, Anftellungen und To— 
desfälle von Gelehrten, wo ohnehin die Grenze, wer noch unter 
die Gelehrten zu rechnen fey, unbeftimmt ift, und das Zufams 
menlefen folder Notizen aus andern Blättern aller Art, würde 
Theils eine eigene Redaktion erfordern, Theils für ſich diefer 
Anftalt fremd ſeyn. Ob aber inländiſche Anftellungen bei der 
Akademie, den Univerfitäten, Gymnaſten und dergleichen, von 
der Königlichen Staatsbehörde als officiell mitgetheilt, nicht eine 


Ueber die Errichtung einer kritiſchen Zeitfchrift. 389 


Yusnahme von jener Ausfchliehung machen follten, habe ich ganz 
höherem Ermefien anheim zu fielen. j 

Wenn übrigens gleich zum Voraus von dem Königfichen 
Diinifterium auf die Hälfte oder fonft einen beftimmten Theil 
des mit der Zeit doch wohl zu erwartenden Gewinns Verzicht: 
gethan würde, fo würde hierin, — außerdem daß auch dem übri— 
gen Theile eine mit dem allgemeinen Zwecke des Juſtituts in 
Beziehung ſtehende Dispofition erhalten werden könnte, — ſchon 
durd das Liberale folder Beftimmung eine aufmunternde Möge 
lichkeit liegen, den Redakteurs und den übrigen Mitarbeitern die 
Nusfiht zu einer von ihrer Thätigkeit zum Theil abhängigen 
Erhöhung des Bezugs und Honorars zu geben. Geficherter pers 
ſönlicher Vortheil einer Seits und amtsgemäße Thärigkeit als 
derer Seits wären fomit überhaupt die beiden Momente, welde 
der eigenen Neigung von Gelehrten für dergleihen Beſchäf— 
tigungen und ihrem Intereffe für die Natur des Zweds die er— 
forderlihe nähere Regulirung und den fändigen Antrieb geben 
follten. 

Das bisher Dargelegte mödten etwa die Hauptmomente 
ſeyn, die bei der äufern Einrichtung des Inftituts, deſſen Grund 
züge ich zu entwideln verfucht habe, in Rückſicht kommen könn 
ten, und bei der Ausführung übrigens wohl noch manche Mo— 
difikationen zu erleiden hätten, um die Beſtimmung zu erfüllen, 
deren in dem Obigen zerſtreute Züge ich zum Schluſſe in dem 
Zwecke zuſammenfaſſe: als Eigenthum und Beranftaltung des 
Königlihen Gouvernements ein Inftitut zu begründen, das eis 
nen ergänzenden Zufag zu dem Syſteme der fo ausgezeichneten 
Veranftaltungen des Königreichs für Wiffenfhaften und Bils 
dung ausmarhte, und zur Entwidelung, öffentlihen Anerkennung 
und Benugung diefer Beranftaltungen beitrüge, und nit nur 
den mit denfelben gemeinfchaftlichen, fondern aud den weiteren 
Zweden des Staates nad) der Seite der Gelehrfamteit und des 
Standes der Gelehrten hin, in fofern förderlich wäre, daß da= 


weißen in amtl. LAngel. Ueb. d. Erricht. einer keit. Zeitfchrift. 


das Öffentliche Beurtheilungsweſen der fchriftftellerifchen 
ikte aus feiner Zufälligkeit, Unbefiimmtheit und Abhängig- 
on Privatzweden und Privatanfichten geriffen, und diefem 
tilen, das einmal durd ein allgemeines Bedürfniß her⸗ 
jerufen ifl, und dem gelehrten und fchrififtellerifchen Treiben 
ein fefler, an den Staat geknüpfter Mittelpuntt im Kos 
reihe und in Deutſchland verfchafft würde, 


Aufſaͤtze vermiſchten Inhalts, | 


1. Marimen bes Journals ver deutjchen Titeratur. 
(1806. ) L 


De allgemeine Zwed ift die Beförderung der wiſſenſchaftlichen 
und äſthetiſchen Bildung, an welcher Jeder, der nicht zur Ge— 
werbsklaſſe gehört, Antheil nimmt, durch Kritik der in Deutſch— 
land herauskommenden neuen Schriften, welche die Wiſſenſchaf— 
ten und die Kunſt betreffen. 

a) Alle Aufſätze, die nicht die Kritik einer Schrift enthal— 
ten, find ausgefäloffen, da ihr Inhalt um der Unbeftimmtheit 
feines Kreifes willen zu heterogen wird, und bei feiner Einzeln- 
heit ein zu eingefchränttes, bei feiner Allgemeinheit, — die um 
der geringen Ausführung willen leicht Oberflählichkeit wird, — 
ein zu geringes Intereffe enthält. 

b) Die Kritik hat nicht die Literatur- Kenntnif zum Zwecke, 
alfo auch nicht eine vollftändige Anzeige aller erfcheinenden 
Schriften, die von andern Journalen ohnehin auch mehr nur 
verfprochen als wirklich gegeben werden kann. Gefliffentlich wird 
daher Theils das Ummichtige, Theils was nicht zur wiffenfhaftlis 
chen und ſchönen Literatur gehört, übergangen; es ift alfo das 
õökonomiſche, technologifche und dergleichen Fächer ausgefchloffen. 

ce) Das Detail der befondern eigentlichen Wiffenfchaften, 
der Theologie, Jurisprudenz u. f. f. bleibt cbenfo aus diefem 
Plane weg, in fofern es nur denjenigen intereffiren Tann, der 


 „VUL. Aufſaͤte vermiſchten Jubalts. 


ausſchließend und unmittelbar damit beſchäftigt. Aber bei 
igemeinen Werten über dieſe Wiſſenſchaften, wie auch 
r Medizin, Phyſik, Naturgeſchichte, Chemie, Mathematik, 
chichte, Philologie, kann es nicht ſo ſehr von ihrem In⸗ 
te abhängen, ob eine Kritik derſelben dem Zwecke dieſes 
ſtituts entſpricht, als es vielmehr von der Art dieſer Kritik 
: abhängt, ob die allgemeine geiſtige Bildung überhaupt und. 
enſchaft und Geſchmack dadurch gewinnt. 

d). Diefe werben nicht durch gewöhnlich ſogenannte Recen- 
en und Beurteilungen gefördert, wodurch eine Schrift nur 
:akterifirt, aber nicht in den Inhalt derfelben eingegangen 
d, — wodurch man etwa erfährt, ob das Buch gut oder 
ht iſt, und die. Titel, die der Verfaſſer abhandelt, aber. wo⸗ 
ch die Sache felbft nicht unterſucht und mit ihm durchgeſpro⸗ 
wird. Die Kritiken ſollen daher mehr von der abhan⸗ 
nden Art, wobei. die Darſtellung des Verfaſſers zum 
unde gelegt und ihr gefolgt wird, als von recenfirender Art 

ſich haben, 

e) Infofern ein Werk, es ſey empiriſchen oder theoreti⸗ 
ſchen Inhalts, ſo beſchaffen iſt, daß es ſich zwar intereſſant zeigt, 
aber die Neuheit ſeines Inhalts noch keine eigentliche Beurthei— 
lung geſtattet, iſt eine hiſtoriſche Darlegung feines In— 
halts (Analyſe) zu geben, und die falſche Schaam zu entfer- 
nen, die, weil der Recenſent ſich nicht im Stande fühlt, ſich als 
einen bereits. mit allem scibili fertigen und Alles beſſer wiſſen⸗ 
den Meifter daran zu zeigen, es verhindert, daf überhaupt von 
ſolchem Werte die Rede wird; wie es z. B. mit Winterl’s und 
manchen andern Schriften der Fall ift, bei denen die Recenfen- 
ten noch nicht die thun zu können fi bewußt find, und doc 
nicht darauf Verzicht thun und mit einer Analyfe ſich begnügen 
wollen, die einftweilen das Publitum benadhridtigt und die ihm 
erwünfcht ift und oft erwünfchter als das Urtheil; wenn es nur 


4, Marimen des Journals der deurfchen Literatur. 395 


unter beidem, einer Analyfe und einer reinen Recenfion zu wäh- 
len bat, wird ihm gewiß die erflere willtommen feyn. 

f) Eben fo haben Necenfionen feinen Platz, die in der Ab⸗ 
fiht, dem Verfaſſer die Aufmerkſamkeit, mit der feine Schrift 
gelefen worden ſey, zu beweifen, außer dein allgemeinen Urtheil 
ein Dialog mit dem Autor find, und ihm Mäkeleien mas 
den und Berichtigungen an die Hand geben, die nur zwi— 
ſchen dem Verfaffer und dem Recenfenten, aber für feinen 
Dritten ein Intereffe haben. Meberhaupt fällt Alles hinweg, was 
nur perfönlice Meinung des Necenfenten feyn follte, ob er fich 
gleich dabei die Stellung eines Repräfentanten des Publitums 
gäbe. 

8) Sich hingegen auf den weientlidhen Inhalt von Wer— 
ten aus beflimmten Fächern einzulafeen, hat eben fo fehr 
allgemeines Intereffe, als es der Wiffenfchaft förderlich if. Im 
ein beftimmtes Beifpiel anzuführen, würde dief bei einer Recen— 
fion von einem Bude, wie Paulus Kommentar über das Neue 
Teftament der Fall ſeyn, wenn eine Recenfion die Maximen 
deffelben unterfuchte. — In andern befondern Wiffenfhaften, 3.8. 
der Jurisprudenz, gehört eben fo das Naturrechtliche, Staatsredht- 
liche, auch Pandektenſyſteme, Unterfuhungen über Kriminaljuftiz, 
Code Napoleon und dergleichen hieher. So von der Medizin 
das Syſtematiſche derfelben, wie geiftreiche Anſichten und Be- 
bandlungen einzelner Krankheiten, das gelbe Fieber mit feinem 
temporären Intereffe u, f. f. Von der Phyſik wie Chemie ge— 
hören weſentlich folde Werke hicher, die eine Bereicherung der 
Wiſſenſchaften enthalten. Alte Literatur foll ohnehin das Inte— 
reſſe jedes gebildeten Menſchen für fi haben; es ift wichtig, 
diefem den Weg dazu zu bahnen und zu erleichtern, befonders 
durch Herabfegung »des- Werths der bloß pedantifhen Bemühuns 
gen damit, und der scientiae arcanae, deren Schein ſich Manche, 
die von der Profeffion find, geben die ſich aber, näher unterfucht, 
als ihre Grille und Willkür zeigt. 


396 VII, Aufſaͤtze vermifchten Inhalts. 


h) Es ſteht gegenwärtig allen Wiffenfhaften eine Wieder- 
geburt in Anfehung ihrer Begriffe und der Geiftlofigteit bevor, 
die wiffenfchaftlichen Inhalt in bloßes Material verwandelt, und 
die Begriffe, deren fie zu haben gewöhnlich nicht einmal weiß, 
unteitifh und bewußtlos handhabt. Die theoretifhe und empi—⸗ 
rifhe Seite macht eine Tradition aus, die unbefehen, als etwas 
längft Bewiefenes und in den Schag Gelegtes, von einer Hand 
in die andere überliefert wird. Gegen diefe Tradition, welche 
ohnehin fhon, wenn nicht die Verachtung, doch die Langeweile 
des Publitums gegen ſich hat, hat befonders die Kritik ihre Un— 
terfuchung zu richten. Gerade das, was gäng und gäbe ift, was 
das Herkommen für fi) hat, was als längft bekannt gilt, — 
eine Art alten Trödels, von dem der Gebrauch und gleihfam 
eine tonventionelle Lebensart es mit ſich bringt, daß man ihn 
gelten läßt, ohne daf es denen, die immer darin fortfpredhen, 
eigentlich mehr Ernft damit if, als den Afironomen, wenn fie 
fid) der Redensart vom Umlaufe der Sonne um die Erde bee 
quemen, — gerade "dieß Althergebrachte bedarf es am meiften, 
auf den Kopf geftellt und in Unfprudy genommen zu werden, um 
zunächft wenigftens Verwunderung und Stugen zu erregen, umd 
weiterhin Nachdenken zu veranlaffen. 

i) Es ift damit nicht gemeint, in die Manier der gegenz 
wärtigen Gährung der Wiffenfchaften einzugehen, die von der 
Philoſophie aus fle überſchwemmt und verwirrt. Theils iſt zum 
fiegreichen Angriff der leeren und geifllofen Wiffenfhaftlichteit 
nur der gefunde Menfchenverftand nöthig, wenn er die gebildete 
Sicherheit befist, die ſich durch die ernfihafte Miene jener nicht 
irre machen nod) imponiren läßt. Theils ift jene philoſophiſche 
Miffenfchaftlichkeit, die eine Anwendung und der Mebergang der 
abftratten Ideen zum beftimmten Inhalte und den eigentlichen 
Wiſſenſchaften ſeyn follte, als um was es gegenwärtig zu thum 
ift, — vielmehr größtentheils leerer Formalismus, unreifes Ge— 
braue halb aufgefafter Begriffe, feihte, und meift fogar läppi— 


Marimen des Journals der deutfchen Biteratur, 397 


fche Einfälle, und eine Unwiſſenheit fowohl der Philofophie felbft 
als der Wiffenfchaften, wie, — um beftimmter zu bezeichnen, 
was ich meine, — das windifhmann’fche, görres’fche, aud größe 
tentheils das fteffens’fche Weſen, fo wie die Proben, welche die 
jenaer Allgemeine Literatur = Zeitung, befonders bei ihrem An— 
fange gegeben bat. Diefem rohen Waldftrome, der Vernunft 
und Miffenfchaft zu  verwirren droht, deſſen Manieren und 
Grundfäsen Schelling, nahdem er fie zum Theil angegeben und 
gebraucht, jest feierlich zu entfagen anfängt, — hat ſich eine 
wiſſenſchaftliche Kritit vornehmlich zu widerfegen. Wir werden 
dadurd dem Inſtinkte des Publikums, das von feinem erften 
Staunen zu einer Gleichgültigkeit gegen jene Manier übergegans 
gen, zu Hülfe kommen, die Achtung, welde der Philofophie we— 
gen ihres allgemeinen Bedürfniffes noch immer im Grunde ge— 
widmet wird, unterflügen, bei allen, durch Infolenz und Unreife 
zum Stillf_hweigen und Wegſehen gebraten Frrunden der Eine 
fiht Theilnahme finden, fo wie das zum Prüfen zu fchüchterne 
Staunen, das um der allgemeinen, in jenes Gethue verwebten 
Ideen willen Achtung dafür hatte, emtwirren, und durd die 
Scheidung des Unlautern ihm den Gewinn des Aechten vers 
ſchaffen. 

1) Die gründliche Unterſuchung und die Abhandlung der 
Sache ſchließt es von ſelbſt in ſich, daß das Mittelmäßige und 
Schlechte, wenn von ihm wegen irgend eines Anfehens oder we= 
gen Prätenfionen, die es hat, die Rede feyn muß, — feine 
Schonung und’ Toleranz zu gewärtigen hat, fondern allen Grün- 
den dagegen, fo wie dem Witze und den Einfällen preisgegeben 
iſt; ebenfo, daß alles Perſönliche, Hämiſche, Alles, was von ei— 
nem pruritus, ſich zu reiben oder zu zeigen, herrübrte , entfernt 
bleibt, Darin, daß es um die Sache zu thun ift, ift auch dieß 
enthalten, daß es dem Recenfenten lieber feyn muß, etwas als 
vortrefflid — mit Berftand — erkennen zu können, als dagegen 
fpredden zu müffen, befonders da es ſchwerer ift, gehörig zu ent⸗ 


2, Mer denkt abftrakt? 


Denten? Abfiratt? — Sauve qui peut! Kette fi, wer 
tann! So höre ich ſchon einen vom Feinde erfauften Berräther 
ausrufen, der diefen Aufſatz dafür ausfehreit, daf hier von Me- 
taphufit die Rede feyn werde. Denn Metaphyſik ift das 
Wort, wie Abſtrakt und beinahe auch Denken das Wort if, 
vor dem jeder, mehr oder minder, wie vor einem mit der Peſt 
Behafteten davon läuft. \ 

Es ift aber nicht fo bös gemeint, als ob, was denken und 
was abftraft fey, hier erklärt werden follte, Der ſchönen Welt 
ift nichts fo unerträglich, als das Erklären. Mir felbft ift es 
ſchrecklich genug, wenn einer zu erklären anfängt, denn, zur Noth, 
verſtehe ich Alles felbft. Hier zeigte fi die Erklärung des Den— 
tens und des Abſtrakten ohnehin ſchon als völlig überflüfftg; 
denn gerade nur, weil die ſchöne Welt ſchon weiß, was das 
Abſtrakte ift, flieht fie davor. Wie man das nicht begehrt, was 
man nicht kennt, fo kann man es auch nicht haffen. Auch wird 
es nicht darauf angelegt, hinterliſtigerweiſe die ſchöne Welt mit 
dem Denken oder dem Abſtrakten verſöhnen zu wollen, indem 
etwa unter dem Scheine einer leichten Konverſation das Denken 
und das Abſtrakte eingeſchwärzt würde, ſo daß es zuletzt unbe— 
kannterweiſe und ohne eben einen Abſcheu erweckt zu haben, ſich 
in die Geſellſchaft eingeſchlichen hätte, und gar von der Geſell— 
ſchaft ſelbſt unmerklich, hereingezngen, oder, wie die Schwaben ſich 
ausdrücken, hereingezäunſelt worden wäre, und nun der Autor 
dieſer Verwicklung dieſen fonft fremden Gaft, nämlich das Ab— 


ke 


2, Mer denke abfteakt? 401 


ſtrakte, aufdedte, den die ganze Gefellfhaft unter einem andern 
Titel als einen guten Bekannten behandelt und anerkannt hätte. 
Sole Erkennungsfcenen, wodurd die Welt wider Willen bes 
lehrt werden foll, haben den nicht zu entfchuldigenden Fehler an 
fih, daß fie zugleich befhämen, und der Madinift fich einen 
tleinen Ruhm erfünfteln wollte; fo daß jene Befhämung und 
diefe Eitelkeit die Wirkung aufheben, denn fie flogen eine um 
diefen Preis erkaufte Belehrung vielmehr wieder hinweg. 

Ohnehin wäre die Anlegung eines ſolchen Planes ſchon ver- 
dorben; denn zu feiner Ausführung wird erfordert, daß das Wort 
des Räthfels nicht zum voraus ausgeſprochen fey. Dies ift aber 
durch die Auffchrift ſchon gefchehen; in biefer, wenn diefer Auf— 
fag mit folder Hinterlift umginge, hätten die Worte nicht gleich 
von Anfang auftreten dürfen, fondern, wie der Minifter in der 
Komödie, das ganze Spiel hindurd im Ueberrocke herumgehen 
und erft in der legten Scene ihn auftnöpfen und den Stern der 
Meisheit herausbligen laffen müffen Die Aufknöpfung eines 
metaphyſiſchen Ueberrocks nähme ſich bier nicht einmal fo gut 
aus, wie die Auftnöpfung des minifteriellen; was jene an den 
Tag brädte, wäre weiter nichts, als ein paar Worte, und das 
Befte vom Spafe follte ja eigentlich darin Liegen, dag es ſich 
zeigte, daß die Gefellihaft längft im Beſitze der Sache felbft 
war; fie gewänne aljo am Ende nur den Namen, dahingegen 
der Stern des Minifters etwas Reclleres, einen Beutel mit 
Geld, bedeutet. . i j 

Was Denten, was Abſtrakt ift, daß dieß jeder Anweſende 
wiffe, wird im guter Gefellfchaft vorausgefegt und in folder be= 
finden wir uns. Die Frage ift allein darnach, wer es fch, der 
abftratt denke? Die Abſicht ift, wie fchon erinnert, nicht die, 
die Geſellſchaft mit diefen Dingen zu verfühnen, ihr zuzumuthen, 
ſich mit etwas Schwerem abzugeben, ihr in’s Gewiffen darüber 
zu reden, daß fie Teichtfinniger Weife ‚fo etwas vernadhläffige, 
was für ein mit der Vernunft begabtes Wefen rang= und flans 

Vermiſchte Schriften.* 26 


402 VII, Anffäge vermifchten Inhalts. 


desgemäß fey. Wielmehr ift die Abſicht, die ſchöne Welt mit 
ſich felbft darüber zu verföhnen, wenn fie fi anders zwar eben 
nicht ein Gewiffen über diefe Vernachläſſigung macht, aber doch 
vor dem abfiratten Denken als vor etwas Hohem einen gewiffen 
Reſpekt, wenigfiens inmerlih, hat, und davon wegfieht, nicht, 
weil es ihr zu gering, fondern weil es ihr zu hoch; nicht, weil 
es zu gemein, fondern zu vornehm, oder umgekchrt, weil es ihr 
eine Espece, etwas Befonderes zu ſeyn feheint, etwas, wodurch 
man nicht in der allgemeinen Gefellihaft fih auszeichnet, wie 
durch einen neuen Putz, fondern wodurd man ſich vielmehr, wie 
durch ärmliche Kleidung, oder auch durch reiche, wenn fie aus 
alt gefaften Edelfteinen, oder einer nod) fo reichen, aber längſt 
binefifch gewordenen Stiderei befteht, von der Seſcua· 
ſchließt, oder darin lächerlich macht. — 

Wer denkt abſtrakt? Der ungebildete Menſch, nicht A 
bildete. Die gute Geſellſchaſt denkt darum nicht abſtrakt, weil 
es zu leicht iſt, weil es zu niedrig iſt, (niedrig nicht dem äußern 
Stande nad), nit aus einem leerem Bornehmthun, das ſich 
über das wegzufegen ftellt, was es nicht vermag, fondern: weg 
der innern Geringheit der Sache. WE 

Das Borurtheil und die Achtung für das abſtrakte Denken 
ift fo groß, daf feine Nafen hier eine Satpre oder Ironie, zum 
Voraus wittern werden; allein, da fie Lefer des Morgenblattes 
find, wiffen fie, daß auf eine Satyre ein Preis gefegt iſt, und 
daß ich ihn daher lieber verdienen und darum konkurriren, als 
hier fhon ohne Weiteres meine Sachen hergeben würde. 

Id brauche für meinen Sag nur Beifpiele anzuführen, von 
denen jedermann zugeftehen wird, daß fie ihn enthalten, Es 
wird aljo ein Mörder zur Nichtftätte geführt. Dem gemeinen 
Volke ift er weiter nichts als ein Mörder. Damen machen viel- 
leicht die Bemerkung, daß er ein kräftiger, ſchöner, intereffanter 
Mann if, Jenes Volk findet die Bemerkung entfeglih; was? 
ein Mörder ſchön? wie kann man fo ſchlecht dentend feyn, und 


— 


2, Mer denft abftraft? 403 


einen Mörder ſchön nennen; ihr feid auch wohl etwas nicht 
viel Befferes! Dieß ift die Sittenverderbnif, die unter den vor— 
nehmen Leuten herrſcht, fegt vielleicht der Priefter hinzu, der den 
Grund der Dinge und die Herzen kennt. 

Ein Menſchenkenner fucht den Gang auf, dem die Bildung 
dieſes Verbrechers genommen, findet in feiner Geſchichte, in ſei⸗ 
ner Erziehung ſchlechte Familienverhältniffe des Vaters und ber 
Mutter, bei einem leichteren Vergehen diefes Menſchen irgend 
eine ungeheure Härte, die ihm gegen die bürgerlide Ordnung 
erbitterte, eine erfte Rüdwirkung dagegen, die ihn daraus ver— 
trieb, und es ihm jest nur dur Verbrechen ſich zu erhalten 
möglich machte. — Es kann wohl Leute geben, die wenn fie 
foldyes hören, fagen werden: Der will diefen Mörder entſchul— 
digen! Erinnere id) mid) doch, im meiner Jugend einen Bür— 
germeifter Elagen gehört zu haben, daß es die Bücherſchreiber zu 
weit treiben, und Ehriftenthum und Redtidaffenheit ganz auszu⸗ 
rotten ſuchen; es habe einer eine Vertheidigung des Selbftmor- 
des gefchricben; ſchrecklich, gar zu ſchrecklich! — Es ergab ſich aus 
weiterer Nachfrage, daß Werther's Leiden verftanden waren. 

Dief heißt abftratt gedacht, in dem Mörder nichts als dief 
Abftrakte, daß er ein Mörder ift, zu fehen, und durch diefe eins 
fache Qualität alles übrige menfhliche Wefen an ihm zu vertilgen, 

Ganz anders eine feine, empfindfame leipziger Welt. Gie 
beftreute umd beband das Rad und den Verbreder, der darauf 
geflodten war, mit Blumenkränzen. — Dieß iſt aber wieder 
die entgegengefegte Abſtraktion. Die Chriften mögen wohl Ro— 
fenfreuzerei, oder vielmehr Kreuzroferei treiben, und das Kreuz 
mit Rofen umwinden. Das Kreuz ift der längft geheiligte Gal- 
gen und Rad, Es hat feine einfeitige Bedeutung, das Werk— 
zeug entehrender Strafe zu feyn, verloren, -und giebt im Gegen— 
theil die Vorſtellung des höchſten Schmerzes und der tiefften 
Berwerfung, zuſammen mit der freudigften Wonne und göttlicher 
Ehre. Hingegen das Leipziger mit Veilchen und Klatfchrofen 

26 * 


404 VI. Auffäge vermifchten Inhalte. 


eingebunden, ift eine kotzebue'ſche Verföhnung, eine Art liederlicher 
Verträglichkeit der Empfindfamkeit mit dem Schlechten. . 

Ganz anders hörte ich einft eine gemeine “alte rau, ein 
Spitalweib, die Abftraktion des Mörders tödten, und ihn zur Ehre 
lebendig machen. Das abgefchlagene Haupt war aufs Schaffot 
gelegt, und es war Sonnenfhein; wie dod fo ſchön, fagte fie, 
Gottes Gnadenfonne Binder’s Haupt beglänzt! — Du bift 
wicht werth, daß dich die Sonne befcheint, fagt man zu einem 
Wicht, über den man ſich erzürnt. Jene Frau fah, daß der 
Mörderkopf von der Sonne befhienen wurde, und es alfo auch 
noch werth war. Sie erhob ihn von der Strafe des Schaffots 
in die Sonmengnade Gottes, brachte nicht durd ihre Veilchen 
und ihre empfindfame Eitelkeit die Verfühnug zu Stande, ſon— 
dern fah in der höhern Sonne ihn zu Gnaden aufgenommen. 

Alte, ihre Eyer find faul! fagt die Einfäuferin zur Sö— 
kersfrau. Was, — entgegnet diefe, — meine Eyer faul? Sie 
mag mir faul feyn! Sie foll mir das von meinen Eyern fa 
gen? Sie? Haben ihren Water nicht die Läufe an der Lande 
firaße aufgefreffen, ift nicht ihre Mutter mit den Franzoſen fort 
gelaufen, und ihre Großmutter im Spital geftorben, — ſchaff' 
fie fih für ihr Flitterhalstuch ein ganzes Hemde an; man weiß 
wohl, wo' fie dies Halstuch und ihre Mügen her * wenn die 
Offiziere nicht wären, wär' jetzt Manche nicht ſo geputzt, und 
wenn die gnädigen Frauen mehr auf ihre Haushaltung ſähen, 
ſäße Manche im Stockhauſe, — flick fie ſich nur die Löcher im 
den Strümpfen. — Kurz, ſte läßt keinen guten Faden an ihr, 
Sie denkt abſtrakt, und fubfumirt jene nah Halstud), Mütze, 
Hemde u. f. fe, wie nad) den Fingern und andern Parthien, 
auch nad Water und der ganzen Sippſchaft, ganz allein unter 
das Verbrechen, daf fie die Eyer faul gefunden hat, Alles an 
ihr ift dur und durch von diefen faulen Eyern gefärbt, da 
hingegen jene Offiziere, von denen die Höfersfrau ſprach, — 





2, Wer denkt abſtrakt? 405 


wenn anders, wie fehr zu zweifeln, etwas daran ift, — ganz 
andere Dinge an ihr zu fehen befommen haben mögen, 

Um von der Magd auf den Bedienten zu fommen, fo ift 
fein Bedienter irgendwo fehlechter daran, als bei einem Manne 
von wenigem Stande und wenigem Einkommen; und um fo 
beffer daran, je vornehmer fein Herr if. Der gemeine Menfd) 
denkt wieder abftrakter, er thut vornehm gegen den Bedienten, 
und verhält ſich zu diefem nur als zu einem Bedienten; an dies 
fem einen Prädikate hält er fell. Am beften befindet ſich der 
Bediente bei den Franzoſen. Der vornehme Mann ift fami- 
liär mit dem Bedienten, der Franzofe fogar gut Freund mit 
ibm; der Bediente führt, wenn, fie allein find, das große 
Wort, man fehe Diderot’s Jacques et son maitre, der Herr 
thut nichts als Priſen Taback nehmen“und nad) der Uhr ſehen, 
und läßt den Bedienten in allem Uebrigen gewähren, Ber 
vornehme Dann weiß, daß der Bediente nicht nur Bediente ift, 
fondern auch die Stadtneuigkeiten, die Mädchen kennt, gute 
- Anfchläge im Kopfe hat; er fragt ihn darüber, und der Be⸗ 
diente darf ſagen, was er über das weiß, worüber der Prinzis 
pal fragt. Beim franzöfifhen Herren darf der Bediente nicht 
nur dieß, fondern aud die Materie aufs Tapet bringen, feine 
Meinung haben und behaupten, und wenn der Herr etwas will, 
fo geht es nicht mit Befehl, fondern er muß dem Bedienten 
zuerft feine Meinung einraifonniren und ihm ein gutes Wort 
darum geben, daß feine Meinung die Oberhand behält. 

Im Militär kommt derfelbe Unterfchied vor; beim öſterreich⸗ 
ſchen kann der Soldat geprügelt werden, er ift alfo eine Kanaille; 
denn was geprügelt zu werden das pafflve Recht hat, ift eine Ka— 
naille. So gilt der gemeine Soldat dem Offizier für dief Ab- 
ſtraktum eines prügelbaren Subjetts, mit dem ein Herr, der 
Uniform und Port d'épée hat, fih abgeben muß, und das: ift 
um fid dem Teufel zu ergeben. — 


——— — 


j” 


3. Ueber Teffing’& Briefwechſel mit feiner Frau, 


Ri las neulich Leffing’sBriefwechfel mit feiner Frauz 
— die Empfindung, die ich Theils während des Lefens hatte, 
Theils zurüdbehielt, war ganz eigen; es war Intereſſe mit Ver— 
gnügen und Wehmuth vermifcht; nad einem langen Romanles 


fen fann nichts erwünſchter kommen, als fo eine ganz aus dem 


wirklichen Zeben genommene Unterhaltung, Man ift immer auf 
die Entwidlung begierig; obgleich Feine Intrigue und große 
Hinderniffe die Entwidlung aufhalten, — gewöhnliche Erforder⸗ 
niffe in einem Roman, um die Aufmerkfamkeit des Lefers zu 
fpammen, — fo fehlt dody das Intereffe nie, und ift um fo wiel 
herzlicher und theilnehmender, weil die Umſtände fo ganz natür— 
lich und menfchlic find; das einzige Hindernif, das fih in den 
Weg legt, bezieht fi auf den Punkt, der heutzutage am mei 
ften, oft faft allein (hier freilich nicht) in Betradyt fommt, näm— 
lih das hinlängliche Auskommen; (denn die Liebe ift nimmer 
fo ſtark, daß man miteinander in Wüſteneien zieht, aller Be⸗ 
quemlichkeiten ſich entſchlägt und nur von der Liebe lebt) — 
und da jenes Erforderniß noch nicht hinlänglich geſichert war, 
ſo wird die Verbindung immer aufgeſchoben. — Kein grauſa— 
mer Vater, kein harter Onkel oder Vormund, kein der Unſchuld 
nachſtellender Lord iſt es, der die Heirath aufhält, — die Zeit, 
in welcher der Briefwechſel fortdauert, iſt ſechs Jahre, — welche 
lange Zeit für einen Bräutigam und eine Braut! und in die— 


3, Ueber Leſſing's Briefwechſel mit feiner Frau. 407 


fem Zwifchenraum faft nichts als Verdruß und Leiden durch 
Krankheiten, und dann die Dauer der Ehe — war nur drei 
Jahre; — floßen einem bier nicht Betrachtungen über die Nich— 
tigkeit des Menſchen und feiner angenehmſten Sorgen auf? — 
Sollte man nicht denken, wenn ein Menſch dief voraus wüßte, 
würde er nicht einen frühern Tod, als ihm die. Natur be= 
ftimmt hat, einem foldyen Leben vorziehen? — Vielleicht, wenn 
man fi) ein Leben voll lauter Elend und Mühſeligkeit denkt, — 
aber man bringt nicht in Anfchlag, was das Leben in concreto 
if, — die angenehme Gewohnheit des Wirkens und Thätigfeyng, 
wie es Göthe nennt, — das uns beftändig befhäftigende un— 
aufhörlihe Einftrömen von Empfindungen in die törperliche 
Behaglichkeit; — bei einem Menſchen, der den Gedanken, ſich 
felbft außer allen diefen Verhältniffen zu fegen, ausführen kann, 
müffen die Vorſtellungen und das Wirken der Seele faft bloß 
nad innen gehen, und das Band, das durd) die Sinne ihn an 
die ganze Natur knüpft, muß ſehr ſchwach ſeyn. — Doch von 
dieſer Digreſſion wieder auf Leſſing's Briefwechſel zw kommen, 
ſo iſt der ganze Ton deſſelben, wenigſtens größtentheils mehr 
geſchickt, — den Leſer zu Wehmuth als zu angenehmer Ems 
pfindung zu ſtimmen. — Aber die Sprache des Schmerzes und 
der Leiden iſt viel beredter als die Sprache der Freude, und der 
Genuß der letztern nicht ſo bemerkbar, wie die Empfindung des 
erſtern. Der trübe Augenblick, in dem wir ſchreiben, überzieht 
auch das Andenken an frohe Stunden mit einem ſchwarzen Flor, 
auferdem, daß er das Traurige noch hervorhebt, ftärkere Farben 
aufträgt, und zu viel Schatten ins Gemälde bringt. — Oft 
mifcht ſich auch eine kleine — heimliche, dem Angeftedten felbft 
unbemerkte Eitelkeit ins Spiel, — die uns aus dem hinterſten 
Winkel des Herzens überredet, — es erwecke mehr, Intereffe, 
die Theilnahme fey größer, wenn man ung leiden, als’ wenn 
man uns fröhlich fieht, wir erfcheinen etwas größer im Schmerz 
als in der Freude u. ff. Noch eine Bemerkung war mir fehe 


a8 VII. Yuffäge vermifchten Inhalts. 

auffallend; — wenn 2effing’s Geliebte von ihrer üblen Laune, 
ihrer verdrüßlichen Lage u. dgl. fchreibt, — und er gerade guten 
Humors ift, fo kommt er mit Lebensregeln angezogen, mit Vor— 
fhriften aus der arte bene vivendi, — als ob er die vers 
gnügte Laune, in die ihn die Umftände verfegten, (vielleicht ein 
ſchöner Tag, verbunden mit dem Gefühl der Gefundheit), — 
ſich felber, der Befolgung feiner weifen Maximen allein zu dan 
ten hätte. — Hierin betrügt fih das liebe eitle Herzchen oft. 
— Durch Fröhlichteit wird Zufriedenheit mit ſich felbft über 
fein Thun und Laffen, über das Gelingen kluger Plane, über 
feine äußeren Umftände befördert; — man glaubt aber, es fey 
immer der Fall umgekehrt, nur wenn wir mit unferm Ges 
wiffen, mit unferer Klugheit zufrieden zu ſeyn Urfadhe zu haben 
vermeinen, fo foll die Folge davon Heiterkeit des Gemüths, 
und wahres Vergnügen ſeyn; — wie gefagt, meift ift es um— 
gekehrt; — Gefühl der Gefundheit — ſchönes Wetter — Freir 
beit vom gegenwärtigen Sorgen — eine Ausſicht auf ein fröße 
liches Mahl, fest uns in einen Zuſtand von Frohheit, und dies 
fer, täufcht uns gar zu gern; nur Unglüd erwedt die Stacheln 
des Gewiffens, häuft das Andenken aller zu bereuenden Un— 
befonnenheiten zufammen und läßt es ſelten dabei bewenden, 
die Seele-mit dem Gefühl der traurigen Lage, der Schmerzen 
uf. f. erfüllt zu haben, fondern ruft auch Unzufriedenheit mit 
ſich ſelbſt, Selbftanklage zu Hülfe, um der Seele vollends den 
Muth zu rauben, der fiandhaft, ftolz auf feine Unfhuld, dem 
Schmerze trost. — Aber bier hebft du allen Unterfchied zwi— 
ſchen guten und böfen Vienfhen auf? Nur bei den letztern 
mag, dein hier entworfenes Gemälde paſſen. Nein, aber der 
Unterſchied ift hier nicht fpezififh, — fondern nur den Graden 
nad. Wo finden wir den Menſchen, — der das Bewußtſeyn 
bat, immer mit der beiten Abſicht, — immer nad der ewigen 
Regel des Rechts, umd zugleid; immer mit der größten Klugheit 
gehandelt zu haben, umd der ſich in Anfehung diefer Punkte 





3, Ueber Leſſing's Briefwechfel mit feiner Frau. - 409 


nichts vorzuwerfen hat. Der Unmuth ruft oft längft abgethane 
Sadıen zurüd, — und fo fehr wir oft fireben, dergleichen Bil- 
der ſchnell wegzuhauchen, fo bleibt dod das nachfolgende 
Gefühl, das fid) mit dem vorhandenen Unmuth vermifcht, zu— 
rüd. — Doch zurüd zu kommen auf Leffing’s Moralien, fo 
finden wir oft glei im nächſten Briefe, — durch Umftände die 
Mirkfamkeit derfelben ganz aufgehoben, und den auffallendften 
Beweis, wie wenig Marimen über den Eindrud, der fih auf, 
Bergnügen und Unluft bezieht, vermögen. — 

Der Ton der Briefe ift gegenfeitige Theilnahme, Mitthei- 
lung feiner Angelegenheiten und Geſchäfte, feines Kummers und 
feiner Freude, — und Antheil daran auf der andern Seite. — 
Der Ausdrud ift ungefünftelt und bleibt bei dem Allgemeinen 
fichen, — er zergliedert die Empfindung nicht; fie giebt den 
Totaleindrud an, — gerade wie wir es bei den Griechen fehen, 
wo eine Tragödie fein Kompendium der empirischen Pſychologie 
in nuce ift, wie oft heutzutage; — dieß iſt Natur, — dieſe geht 
auf Genuß und Empfindung — Die frühen Umftände der 
Jugend und der Erziehung hemmen: den Eindrud der Natur in 
ung, — wir werden zu viel daran gewöhnt, daß die Seele fi 
mit fich ſelbſt beſchäftige, — die äußern Gegenflände zu viel 
nad Begriffen beurtheile, nicht nad den Empfindungen der 
Schönheit; — das Herz wird verfchloffen und nur der kalte, 
berechnende Verftand bleibt übrig, — der am Ende bloß an den 
Mitteln tleben bleibt, und des Zweds nie gedentt. — Ein 
fehneidender Unterfchied unferer Sitten und unfers Charakters 
von dem griechifchen ift wohl dadurch abgezeihnet, daß der 
Dichter, der zum Genuß des Lebens durd Erinnerung an den 
Tod aufriefe: „Menſch, genieße dein Leben!“ u. ſ. f., bei uns 
ſehr abgefhmadt erfcheinen würde, — Wie würde ich heute 
das Leben genichen können, wenn morgen der Tod mid ab» 
riefe! 

Nur der Grieche konnte fo genießen, fih für ein jedes 


410 VII. Aufſaͤße verm. Inhalte. Leſſing's Briefwechfel mit feiner Frau. 
Wefen, das Leben und Empfindung äufert, intereffiren; — 
überall entdeckte der reine Geift der Griechen ein ungefünfteltes 
Berhältnif, woran das Herz Theil nahm; er zeigt fid) von die— 
fer Seite am edelften in ihren Sinngedichten, er ſcheint ſich zu 
dem unfrigen zw verhalten, wie ein Sinabe, der an cine Rofe 
riecht, zu dem Apotheker, der Rofenwaffer daraus macht. Keu— 
ſche Reinheit und Lieblihe Schamhaſtigkeit ſcheint überhaupt 
ein Eigentum des griehifgen Genius gewefen zu ſeyn. 


4. Weber Wallenfteim, 


Da unmittelbare Eindruck nah der Leſung MWallenftein’s ift 
trauriges Berftummen über den Fall eines mächtigen Menſchen, 
unter einem ſchweigenden und tauben Schidfal. Wenn das 
Stüd endigt, fo ift Alles aus, das Reich des Nichts, des To— 
des hat den Sieg behalten; es endigt nicht als eine Theodicee, 

Das Stück enthält zweierlei Schidfale Wallenftein’s; — 
das eine, das Schidfal des Beftimmtwerdens eines Entfchluffes, 
das zweite, das Schickſal diefes Entſchluſſes und der Gegenwirs 
tung auf ihn. Jedes kann für fid als ein tragifches Ganzes 
angefehen werden. Das erſte, — Wallenftein, ein großer Menſch, 
— denn er hat als er felbft, als Individuum, über viele Men- 
ſchen geboten, — tritt auf als diefes gebietende Wefen, geheims 
nifvoll, weil. er fein Geheimnif hat, im Glanz und Genuf die- 
fer Herrſchaft. Die Beftimmtheit theilt fh gegen feine Unbe— 
flimmtheit nothwendig in zwei Zweige, der eine in ihm, der andere 
aufer ihm; der in ihm ift nicht fowohl ein Ringen nach derfelben, als 
ein Gähren derfelben; er befigt perfünliche Größe, Ruhm als Feld⸗ 
herr, als Retter eines Kaiferthums durch Individualität, Herrſchaft 
über Viele, die ihm gehorchen, Furcht bei Freunden und Feinden ; er 
ift felbft über die Beftimintheit erhaben, dem von ihm gerette— 
ten Kaifer oder gar dem Fanatismus anzugehüren; welde Be— 
ftimmtheit wird ihn erfüllen? er bereitet fi) die Mittel zu dem 


412 VII. Auffäse vermifchten Inhalts. 


größten Zwede feiner Zeit, dem, für das allgemeine Deutfchland 
Frieden zu gebieten; ebenfo dazu, ſich felbft ein Königreich, und 
feinen Freunden verhältnifmäßige Belohnung zu verfchaffen; — 
aber feine erhabene, ſich felbft genügende, mit den größten Zwe— 
den fpielende und darum charakterlofe Seele kann keinen Zweck 
ergreifen, fie ſucht ein Höheres, von dem fie geflogen werde; 
der unabhängige Menſch, der doc) lebendig und kein Mönch 
ift, will die Schuld der Beflimmtheit von fih abwälzen, und 
wenn nichts für ihm ift, das ihm gebieten kann, — es darf 
nichts für ihn ſeyn — fo erfhafft er fih, was ihm gebiete; 
Wallenftein fucht feinen Entſchluß, fein Handeln und fein Schid- 
fal in den Sternen; (Mar Piccolomini fpricht davon nur wie 
ein BVerliebter)., Eben die Einfeitigkeit des Unbeſtimmtſeyns 
mitten unter lauter Beftimmtheiten, der Unabhängigkeit unter lau⸗ 
ter Abhängigkeiten, bringt ihn in Beziehung mit taufend Be 
fimmtheiten, feine Freunde bilden diefe zu Zwecken aus, die zu 
den feinigen werden, feine Feinde ebenſo, gegen die fie aber 
kämpfen müffen;;und diefe Beftimmtheit, die fi in dem gäh— 
renden Stoff, — denn es find Menſchen — felbft gebildet hat, 
ergreift ihn, da er damit zufammen — und alfo davon abhängt, 
mehr, als daß er fie machte, Diefes Erliegen der Unbeſtimmtheit 
unter die Beſtimmtheit ift ein höchſt tragiſches Weſen, und groß, 
tonfequent dargeflellt; — die Reflerion wird darin das Genie nicht 
rechtfertigen, fondern aufzeigen. Der Eindrud von dieſem Inhalt 
als einem tragifchen Ganzen, fteht mir fehr lebhaft vor. Wenn 
dief Ganze ein Roman wäre, jo Fönnte man fordern, das Be— 
flimmte erklärt zu fehen, — nämlich dasjenige, was Wallens 
ftein zu diefer Herrfhaft über die Menſchen gebradt hat. Das 
Große, Beftimmungslofe, für fie Kühne, fefelt fie; es ift aber 
im Stück, und konnte nicht handelnd dramatifch, d. b. beſtim⸗ 
mend und zugleich beftimmt auftreten; es tritt nur, als Schat⸗ 
tenbild, wie es im Prolog, vielleicht in anderm Sinne, heift, 





4, Ueber Wallenftein. 413 


auf; aber das Lager ift diefes Herrſchen, als ein Gewordenes, 
als ein Produft. ; 

Das Ende diefer Tragödie wäre demnach das Ergreifen 
des Entſchluſſes; die andere Tragödie das Zerfchellen diefes 
Entfhluffes an feinem Entgegengefegten; und fo groß die erſte 
ift, fo wenig ift mir die zweite Tragödie befriedigend. Leben 
gegen Leben; aber es ſteht nur Tod gegen Leben auf, und un= 
glaublih! abfheulih! der Tod fiegt über das Leben! Die 
ift nicht tragiſch, fondern entfeglih! Dieß zerreift das Ge⸗ 
müth, daraus kann man nicht mit erleichterter Bruſt fpringen! 


5, Ueber die Behehrten. 


(Antikritiſches.) 
(Berliner Schnellpoſt ac. 1826. Mr, 8, 9, Beiwagen zur berliner Schnellpoſt Nr.4.) 
Vom 11. Januar 1826, 
Nach der geftern erfolgten zweiten Aufführung des neuen raus 
pach ſchen Stüds: „Die Bekehrten,“ erlauben Sie mir, einige 
antitritifche Bemerkungen über die Kritif, die Sie im dritten 
Stüde der Schnellpoft davon gegeben, zu überfenden; indem ic 
es Ihrem Urtheil überlaffe, ob Sie diefelben, die nicht auf Hu 
mor und Wis geftellt find, in Ihr von beiden —— 
Blatt aufnehmen mögen. 

Die erſte Bemerkung betrifft gleich die Beziehung Ihrer 
Kritik auf die geſtrige Aufführung. Bei der erſten war das Hans, 
wie Sie gefehen haben werden, nicht voll; die beiden Reihen 
Logen waren fo gut wie ganz leer! — ic flimmte von Ser: 
zen in die Deklamationen eines unferer Bekannten ein, der ſich 
darüber ereiferte, nicht lebhaftere Neugierde auf ein neues Stüd 
eines Autors zu finden, der die Bühne ſchon mit mehreren be— 
liebten Produkten bereihert hat; jener Bekannte hatte, wie er 
fagte, bei feinem fpäten Hingang zum Schaufpielhaufe, eine 
Queue vor den Thüren zu finden gehofft, der entweder bereits 
die Hände aus äuferlicher Kälte in die innere Wärme voraus 
Elatfchte, oder aud die Erfüllung deffen was gefchrieben ſteht, 
ahnen ließe: fiche, die Füße Derer, die did) hinauspochen wer- 
den, fichen fon vor der Thüre. Keins von beiden, — bie 


VII. Auffäge vermifchten Inhalte. 5. Ueber die Befehrten. 415 


Gleihhgültigkeit ift immer das Schlimmſte, Nun fand weiter 
zu hoffen, eine Anzeige in Ihrem Blatte werde auf das Stüd, 
wenigftens auf das Intereffe aufmerkfam machen, welches von 
dem ıPublitum für ein neues Stüd zu erwarten ſey. Solche 
Lauigkeit aber, wie ſich für die zweite Aufführung, fo fehr als für 
die erfte, frifhefte, zeigte, kann weder für Schaufpielee nod für 
Berfaffer aufmunternd feyn. Wenn die Zuſchauerſchaft, die ſich 
zufälliger Weiſe an einem Abende einfindet, von der Art zu 
ſeyn pflegt, nur à la fortune du pot gefommen zu ſeyn, bloß 
um die Langeweile etwas beffer als zu Haufe zu vertreiben, fo 
weiß, auch nad beflandener erfler und zweiter Aufführung vor 
der trägen Maffe, weder Dichter noch Schaufpieler, noch felbft 
Intendanz, recht, wie fie mit dem Stüd und dem Spiel bei dem 
Publitum daran find, 
Der Schnellpoſt-Artikel über: „Die Betehrten“ war 
nicht von der Net, die Lauigkeit und Trägheit zur Theilnahme 
und Bezeigung einer Theilnahme, zu bekehren. Er läßt dem 
Spiele der ſämmtlichen Schaufpieler zwar die gebührende 
Gerechtigkeit widerfahren, daß daffelbe befriedigend nicht mur, 
vortrefflich, ja, ausgezeichnet gewefen. Diefe Harmonie des Ge—⸗ 
nuffes ift ſchon nichts Alltägliches; welcher Unterfchied entftand 
durch folde Art von Harmonie und Disharmonie für die Wir: 
kung der legten Aufführungen von Don Juan und Armide! 
An die Anerkenneng, welche Sie den Leiftungen der Schaus 
fpieler angedeihen laffen, knüpfe ich aber die frage an, ob der 
Dichter nicht feiner Seits die Aufgabe in der Hauptſache müffe 
erfüllt haben, wenn er Situationen und Charaktere gezeichnet 
hat, in denen Künftler, die wir als vorzüglich Fennen, in den 
Stand gefegt wurden, ihr Vermögen zu entfalten und geltend 
zu machen. Es hilft nichts, wenn ausgezeichnete Schaufpieler 
an mittelmäfige Rollen die viele Würze ihres Talents aufbies 
ten; in mittelmäßigen Rollen mögen mittelmäßige Talente leicht 
fih als gut ausnchmen, ausgezeichnete werden cher nur eine 


416 VII, Auffäge vermifchten Inhalte, 


mittelmäfige Erſcheinung hervorbringen; fo werde ich in „dem 
Prinzen von Pifa“ durh den Widerſpruch deffen gequält, 
was Hr. Beſchort und felbft Mad. Stich in ihren Rollen lei— 
fien können, und was fie für ſich zu leiften vermögen, Nur 

Um aber Ihrer Kritit näher zu fommen, fo macht fie es 
fi) vornehmlicd mit der Kabel des Stüds, mit der Hand» 
lung, oder vielmehr mit dem Mangel an Handlung, zu thun. 
Sie laffen ſich in eine Charakterifirung der allgemeinen Manier 
des Hrn. Verfaffers verfallen. Als Hauptzug hebe ich zunächſt 
aus, daß derfelbe ſich zu fehr gefallen, mit AUußerwefentlis 
dem, mit Zufälligem zw fpielen, — daf feine Luftfpiele 
aus einer überfchraubten Gewaltaufgabe eins blinden 
Zufalls fliegen. Ich kenne nur wenige der raupach'ſchen Stüde, 
will aber deffen ungeachtet fogleich wieder die frage hinzufegen, 
und zwar nicht die allgemeinere: follen wir mit dem Zufälligen, 
dem Außerwefentlihen mehr als fpielen? fondern die nähere 
Frage: ob nicht eben dieß die Natur des Luftfpiels ift, mit dem 
Zufälligen, dem Außerweientlihen zu fpielen? Auf diefem Bor 
den ohnehin ift es, daß ſich die heiteren Lebensverwirrungen 
ergeben, die Sie für das Lufifpiel fordern. Von diefer heitern 
Art ift denn auch der eine Theil der Verwirrungen in den „Bes 
kehrten,” der andere freilich ift ernfterer Art; würde aber ein 
Luſtſpiel ganz des Ernſtes entbehren, fo fänte es in der That 
zum Poffenfpiele und noch tiefer hinab, Wenn Sie zwar dies 
fes Stück — dod wohl nur nad einer Seite oder in einem 
Augenblide der Laune — für ein Poffenfpiel anzufehen gemeigt 
feinen, fo halte ich dieß felbft nod immer für ein größeres Kom— 
pliment, als wenn, wie wir neulich gefehen, das Publitum das 
Luſtſpiel in ein Schaufpiel umtauft, und der Verfaffer felbft 
dazu Gevatter flieht. Wäre es um Autoritäten für Nicht-bloß— 
Heiteres in den Lufifpielen zu thun, fo würde ich vor allen den 
Ariftophanes citiren, im defien meiften, für uns wenigftens far— 
cenhaft zugehenden Stüden, zugleich der allerbitterfte Ernſt, 





5. Ueber die Befchrten. 47 
nämlich fogar der politifhe — und zwar in allem Ernſte, 
das Hanptintereffe ausmacht. Ich könnte fortfahren und die 
ſhakeſpear'ſchen Luſtſpiele anführen, allein ich finde, daß Sie das 
Heitere nicht ſowohl dem Ernſte, als dem Zufälligen und Ges 
waltthätigen der Zufälligkeit entgegen fegen, und will daher nur 
dieß noch bemerken, daß mir in dem neuen Luftfpiele gerade 
darin das richtige Verhältnif getroffen ſcheint, daß die ernfihafz 
ten VBerwidlungen, die VBerwidlungen der tieferen, edleren Lei— 
denfhaften, der würdigerern Charaktere, aus den komiſchen Ver—⸗ 
widlungen der untergeordneten Perfonen herkommen. 

Es wird auf die nähere Art und Weiſe antommen, wie 
das Zufällige hereingelaffen ift, Herrn Raupach's Erdennadt, 
Iſidor und Olga und was fonft von ihm früher auf die Bühne 
kam, kenne ich nicht; was id) von diefen Stüden gehört, macht 
mid) vermuthen, daf Hrn. Raupady’s dramatifches Talent vielleicht 
feitdem eine heitere, wahrhaftere Anficht gewonnen, und eine glüd- 
lidyere Laufbahn gewählt hat; es ift nicht für billig zu achten, 
Borurtheile, die aus jenen erflen Arbeiten gefchöpft ſeyn mögen, 
in die Betrachtung anderer Produktionen einzumifchen. So habe 
ich in dem neuen Stüde nichts von einer Disharmonie eines 
Gemüths in „ſich felbft” finden können, fo wenig als in der 
Kritik und Antitritit, und in Alanghu. Warum follte 
nicht ein Autor, der Betehrte auf die Bühne bringt, ſich felbft 
befehrt haben können, insbefondere, wenn das, was in Früherem 
unangenehm war, etwa mehr einer Verſtandesanſicht über einen. 
Kreis äußerlicher Verhältniffe, oder einer Theorie der Kunft, als. 
dem Talente felbft angehörte. Nur Mangel des Talents ift uns 
verbefferlich, aber aud ein ſolches, das Erfreuliches zu leiften im 
Stande wäre, wird von einer fhiefen, verderblihen Richtung 
ſchwer abzubringen ſeyn, wenn es in ſelbſtgemachte Sublimitäs - 
ten einer Kunft» Theorie feftgerannt if, und füch jene durch diefe 
rechtfertigt. — Alanghu, das zwei Tage nad den Bekehr— 
ten gegeben wurde, zu fehen, hatte mir das legtere Stüd Luft 

Vermiſchte Schriften, * 27 


418 VIII. Auffäge vermifchten Inhalte. 


gemacht. Wie ic in Ihrem Artikel las, daf Hr. Raupach ſich 
gefalle, mit dem Außerweſentlichen, Zufälligen zu fpielen, fo fiel 
mie dabei mehr noch Alanghu als die Bekehrten ein; und ich 
will mich zunächft über den einen Sinn erklären, in dem ich wohl 
damit übereinftimme, dag Hr. Raupad es mit dem Zufälligen 
nicht genau genommen habe. In Alanghu wird die Verwicklung 
durd die Eiferfucht eines der Chefs in der Horde, und deren Wer: 
bündung mit dem Fanatismus und Hochmuth des Lama, bie 
Entwidlung durch den Gott aus. der. Feuerwerter-Mafchinerie, 
der den Priefter todtbligt, bewirkt, wie jene in den Bekehrten 
durch. die Gefpenftererfcheinung, die bier jedod nur als Poſſe 
gebraucht wird, eingeleitet iſt. Dergleichen Motive gehören freis 
lich zu den ganz abgedroſchenen Theatercoups, und es liegt nahe, 
an den Dichter die Forderung zu machen, daf er uns mit et- 
was dur die Neuheit Pitantem von Zufälligkeit überraſcht hätte, 
In der That aber ift in die Erfindung der Begebenheiten 
kein ‘befonders großes Verdienſt zu fegen; fie find nur Der äus 
ferlihe Rahmen für die Karaktere, für die Leidenfchaften und 
deren Situationen, für den eigentlichen Stoff der Kunſt. Die 
Fabeln, die Sophokles in der Antigone, Elektra u. f. f. behandelt 
bat, waren doch auch wohl fehr abgedrofchene Geſchichten, wie die 
Geſchichten, die Shakespeare bearbeitete, aus Chroniken, Novellen, 
der bekannten Hiſtorie u. f. f. genommen, und wenigſtens nicht 
feine Erfindung find. Es ift um das vornehmlich zu thun, was der 
Dichter in ſolchen Rahmen eingefchloffen hat. In Alanghu Hat 
Hr. Raupach zu dem vielleicht nadläffig und bequem aufges 
nommenen Beiwefen einen etwa auch nicht weit bergeholten 
Mittelgrund einer tartarifchen Horde hinzugefügt, der es aber 
fogleih aud äuferlih nocd natürlicher und möglicher machte, 
jene breite, weinerliche Empfindfamkeit, jene weinerliche, matte 
und. oft ſchlechte Moralität, oder die Frampfhafte Leidenfhaft- 
lichkeit einer beſchränkten oder verkehrten armen Seele, — an 
denen wir fo lange gelitten und unfere Thränen erfhöpft ha— 


5, Ueber die Befehrten, 419 


ben, — zu verbannen, und dagegen das uns längſt verleibete 
Bild eines Naturkindes wieder in fein theatraliſches Recht 
einzufegen, Wir Fönnen ung mit der Unbedeutenheit, vielleicht 
felbft Trivialität des Rahmens ausföhnen, weil er als die äu— 
ferliche Bedingung erfcheint, die Hauptfigur einzuführen; — 
ein Bild von Iebens- und feelenvoller Natürlichkeit, das durch 
diefe Zeichnung die Schaufpielerin in den Stand fegt, alle Sei⸗ 
ten ihres Talents, Gemüths und Geiftes zu entfalten, und uns 
das anziehende Gemälde feuriger, unrubiger, thätiger Leidenſchaft⸗ 
lichkeit mit naiver, liebenswürdiger Jugendlichkeit, der lebhafte— 
ften, entfehloffenften Energie mit empfindungsvoller, geiftreicher 
Sanftmuth und Anmuth verfchmolzen, vor-die Seele zu bringen. 
Eine folde Hauptfigur drüdt die Umgebung, wenn fie auch mit 
mehr Bemühung erfunden wird, fehr —* zu außerweſentlichen 
Zufälligkeiten herab. 

Doch bei Gelegenheit der Bekehrten ſprachen Sie nicht ſo— 
wohl von zufälligen Zufälligkeiten, als von gezwungener, von über— 
fhraubter Gewaltaufgabe, die vermittelft eines gemachten Zufalls 
gemacht wird, Wenn, wie es fcheint, das Verhältniß von zwei juns 
gen Liebenden, deren Temperament durch ihre natürliche, aber noch 
unbefonnene, oder ungezogene Lebhaftigkeit in Heftigkeit gegen ein⸗ 
ander verfällt und fie bis zur Feindſchaft entzweit, nicht in je— 
nen Ihren Tadel eingefchloffen ift, fo trifft derfelbe dagegen ganz 
den alten Grafen, der, um dem Neffen die Geliebte zu erhalten, 
ſich felbft mit ihe trauen, dann vom Papſt fcheiden laffen, fei- 
nen Tod und Begräbniß gefpielt hat, und nun im der Expoft- 
tion des Stüds als Eremit auftritt. Ob ſolche Großmuth für 
ſich allzw abentheuerlidh, ob fie für eim Luftfpiel zw abentheuers 
lich fey, darüber Liege fih wohl hin und her reden, aber ich 

würde nicht abfehen, wie man es darüber zu einer entfcheidenden 

Anficht bringen könnte. Doc ift hierbei daran zu erinnern, daß 

die Vorausſetzung, welche jedeg Drama hat, auf Handluns 

gen und Begebenheiten beruht, die der Eröffnung defielben im 
27% 





420 VIII. Auffäge vermifchten Inhalte. 


Rüden liegen; mehr oder weniger Wahrfcheinlichkeit, Die ohne⸗ 
bin ein ſehr relatives Ding iſt, in dem was bereits hinter ung 
iſt, kann uns eben nicht viel kümmern; was ung wefentlich ans 
geht, ift die dadurch herbeigeführte Situation für ſich; fie iſt 
das Gegenwärtige, das intereffant und im Lufifpiele pikant 
ſeyn fol. Wir find es ohnehin längft gewohnt, auch felbft 
für die Tragödie in Anſehung der Borausfegungen uns 
Bieles gefallen zw laffen. Ich führe das nächſte Beifpiel an, 
an das ih durch häufige Erklärungen eines Bekannten da— 
gegen, erinnert werde; bei Lear iſt die. Vorausfegung die Abs 
tretung feines Reichs, und daß er das ſchlechte Herz (man kann 
es nicht einmal ſchlechte Gefinnung nennen) feiner beiden ältern 
Zöchter, und die baaren Niederträchtigkeiten feiner beiden Herren 

» Eidame gar nicht in feiner Empfindung gehabt, gar nicht ges 
kannt habe; — immer’ für fih eine ſtarke Zumuthung, folde 
Borausfegung zuläffig zu finden, wenn man fie auch nur als 
die äuferliche Bedingung für das Schaufpiel des fich von da 
aus entwidelnden, wahnfinnigen Kummers betradhten will, 

Es verſteht ſich aber von felbft, daf der Dichter diefe Gleich⸗ 
heit nad Weiblichkeit und Männlichkeit zu nuancirem hatte, 
eben fo, daf die Frau dabei nur gewinnen konnte; darum mag 
aud bier nur diefe Modifitation näher erwähnt werden, die der 
Dichter mit: einer Zartheit behandelt hat, welche, anvertraut der 
Künftlerin, die wir als Julia des Romeo kennen, ihre volle 
Wirkung thun mußte. In Torquato darf es nicht ſchwer halten, 
die alte Empfindung und die Hoffnung wieder zu erweden; im 

Klotilde gefchieht diefer Uebergang durch eine ſchöne Stufenfolge, 
deren Reize um fo anziehender find, je mehr fie zugleich innere 
Wahrheit hat. Die Stimmung der erften Situation exponirt 
fi in dem nod) unbelebteren aber ruhigen und edlen Sinn ei- 
ner fchmerzlofen, nicht empfindfamen, kläglichen Trauer ei- 
ner empfindungslos gewordenen, doc intereffant gebliebenen Er— 

‚ Ännerung. Diefe Ruhe wird geftört in dem Wiederfehen Klo— 


5. Ueber die Bekehrten. 421 


tildens mit Torquatoz; der erfle Moment darin erinnerte ung 
an Julia, mit dem Unterſchiede freilich, dag Julia, indem bei 
ihr in der Unwiſſenheit der Liebe, Klotilde aber, indem hier nur 
in deren Schlaf und äuferliher Erinnerung diefe Empfindung, dort 
als nie vormals gefühlt, hier wiedererwachend eintritt, von der 
gleichen reizenden Berlegenheit übergoffen wird. Klotilden’s Ver⸗ 
legenheit, — eine Schücdhternheit gegen ſich felbft fo fehr als 
gegen Torquato, — wird darum eine reichere Scene; Stellung 
und Arme bleiben, das Yuge, das man fonft in fo lebhafter 
Bewegung zu fehen gewohnt if, wagt es zuerft nicht aufjufehen, 
feine Stummheit unterbricht hie und da ein nicht zum Seufzen 
werdendes Heben der Bruft, es wagt einige verftohlene Blide, 
die denen Torquato’s zu begegnen fürdhten, es drängt ſich aber 
auf ihn, wenn die feinigen fi anderwärts hinwenden. Der . 
Dichter ifi für glüdlich zu achten, deffen Konception von einer 
Künftlerin ausgeführt wird, die es für die Erzählung des 
Inhalts, der durch die Sprache ausgedrüdt ift, überflüfftg macht, 
mehr als die Züge der ſeelenvollen Beredfamkeit ihrer Geberde 
anzugeben. Der Garten- Scene, in welder das Entfalten der 
aufblühenden Empfindung und die welke Erinnerung derfelben, 
vermittelft der Erinnerung felbft, zur belebten Gegenwart ers 
frifcht wird, weitläufiger zu erwähnen, bin ic) —— da Sie 
deren Vortrefflichkeit anerkannt haben. 

Aber der Scenen der Entzweiung iſt noch zu gedenken die 
auf die Unterbrechung der Garten-Scene durch das noch unver— 
fängliche Mittel des Huſtens und dann durch die darauf ges 
bauten Lügen erfolgt. Die Entzweiung fleigert ſich zu bitterem 
Zorne, felbfi bis zur Heftigkeit des Hohnes. Je vortrefflicher 
ſich diefe Scenen in der Darftellung machen, defto mehr können 
fie die Empfindung von Gewaltfamkeit erregen, fowohl in Rück— 
fit auf das frühere Lob der erworbenen Mildigkeit, das jeder 
ſich ſelbſt und dem Anderen darüber ertheilt hat, als in Rüd- 
fit auf die Befeiedigung, welche die zu erwartende Wiedervers 





422 VI. Yuffäge vermifchten Inhalte. 


föhnung gewähren fol. Für den Glauben jedoch an die Mög— 
lichkeit einer gründlichen Ausſöhnung find wir an den ganzen 
Zon des italienischen Kreifes gewiefen, in dem die Handlung 
fpielt, der „gleich entfernt von der in der That gewaltfamen und 
gewaltthätigen Spisfindigteit fpanifcher Delitateffe und Ehre, 
als von der moraliſchen Empfindfamteit gehalten ift, welche den 
vergänglien Zorn nicht als eine akute Krankheit kennt, fondern 
in welcher der Umwille ſich in eine chroniſche Krankheit, in ums 
endliche Gekränktheit und Verachtung eines unperfühnbaren 
Hochmuths verwandelt: Am profitabelften ließe fih der Tadel 
eines Widerſpruchs zwiſchen der Heftigkeit diefer Scenen und 
der fonfligen Empfindung und Stimmung, damit abweifen, 
daß diefer Widerfprud der Triumph der Kunft, daß er die 
Sronie fey, denn bekanntlich wird diefe für den Gipfel der 
Kunft erklärt. Sie fol darin beftehen, daß alles, was fid 
als ſchön, edel, intereffant anläft, hintennach ſich zerftöre und 
auf’s Gegentheil ausgehe, der echte Genuß in der Entdedung 
gefunden werde, daß an den Zweden, Interefien, Karakteren 
nichts fey. Der gefunde Sinn hat folde Berkehrungen fonft 
nur für ungehörige und unerfreulihe Täuſchung, folche Interefz 
fen und Karaktere, die nicht durchgeführt werden, für Halbz 
heiten genommen, und dergleihen Haltungslofigteit dem Un—⸗ 
vermögen des Dichters zugefchrieben. Wenn nun zwar die Ver— 
feinerung der Gedanken dahin getommen, jene Halbheit für 
mehr, fogar als ein Ganzes zu erklären, fo ift das Publitum 
jedoch noch nicht dahin gebracht, an Geburten folder Theorie 
Intereffe und Gefallen zu finden. In unferem Stüde werden 
die Hauptperfonen zwar befehrt, doch find fie, Gottlob! nit 
ironifch; es giebt fich, wie in den beiden früher genannten raus 
pach ſchen Stüden, ein gefunder Sinn und gefunder Geift zu 
erkennen, der nicht zur Krankheit jener Theorie verfublimirt ift, 
An Ironie fehlt es auch übrigens hier nicht, fie ift aber an ih— 
ren rechten Plas, in das Kammermädden und den Narren, 


5, Ueber die Befehrten. 423 


verlegt. Die völlige Inkonfequenz und daß fie nur in dem 
Wunſche einen Mann zu befommen, Haltung hat, nur durd das 
Gefpenft eine weitere befommt, fo wie, daß Burchiello feinen 
Widerwillen gegen eine Heirath am Ende hinunterſchlucken muf, 
ifl, wenn es einmal Ironie ſeyn foll, Ironiſches genug, wenig« 
ftens ift es Luſtiges. 

Luſtig bleibt auch der Mißton jener Scenen; aber überdieß 
bleibt er innerhalb der Möglichkeit, daß nicht bloß ein äuferli- 
ches Ende des Luftfpiels, fondern daß bei dem Naturell der Haupt⸗ 
perfonen eine gründliche Auflöfung der Verwidlung zu Stande 
komme. Der alte Graf nennt fie am Ende der Kataſtrophe noch 
Kinder, wie fie früher waren, und er felbft ficht mit ihnen und 
den Uebrigen in dem Kreife einer wohlwollenden und finnigen 
Natürlichkeit, welche durch Leidenſchaftlichkeit wohl,getrübt wer= 
den kann, eine Trübung aber, die noch frei von moralifcher 
Reflerion, nit den imnern Kern angreift und ſich nicht zur 
Zerriffenheit fleigert. Wielleiht hätte es in der Erpofition ge= 
ſchehen können, daß diefe Grundlage von Heiterkeit auch an den 
Hauptfiguren ſich fichtbarer hervorhöbe. Shakespeare bewirkt 
dieß öfters durd das Verhältniß und Konverfationen der Haupt 
perfonen mit dem Narren oder Kammerkätzchen, freilich nicht 
immer auf eine Weife, die für fein oder felbft nur für anſtän— 
dig gelten fünnte. Die Empfindlichkeit Klotilden’s, die dem 
Kammermädcen einmal mit dem Fortſchicken droht, ift vielleicht 
ein Zug, der für jenen Kreis etwas Fremdartiges hat. Dem 
Narren Burdiello ift am meiften oder allein das Reflektiren 
und die allgemeinen und ernfthaften Gedanken zugetheilt, und dief 
nad Standesgebühr, denn das Stück foll Luftfpiel feyn und ift 
Luftfpiel, Die Ausführung des „Unlogitalifhen” in dem Vor— 
geben des Grafen von feinem Tode, in einer der erften Scenen, 
in denen Burdiello auftritt, ift vielleicht etwas zw troden ges 
rathen; fonft fehlt es nicht an wigigen Einfällen, und die Rolle, 
wie das ergögliche Spiel, ift in dem zierlihen Style eines Gras 


494 VII. Auffäge vermiſchten Inhalts. 5. Ueber die Bekehrten. 
ziofo gehalten. Der Lebenstreis wie der Ton der Karaktere, er⸗ 
innert überhaupt an die heitere, finnige, edlere Sphäre, in denen 
ſich die komiſche Muſe Ealderon’s und zuweilen auch Shakespeares 
bewegt. | 

Unter den vielen Formen von Drama, in denen unfere dra- 
matifhen Autoren ſich herumverfuchen, ift diejenige, die Hr. Rau⸗ 
pad in diefem Stüde gewählt hat, gewiß vorzüglid werth, an- 
gebaut zu werden. Es find der Stüde von finniger Heiterkeit, 
die auf unferem Boden wachfen, eben nicht ſehr viele; unſere 
Bühnen pflegen fih dafür an die Bühnen unferer erfindungs- 
reihen Nachbarn zu wenden. Herr Raupad verdient daher um 
fo mehr auf dem erfreulihen Wege, den er hier eingefchlagen, 
alle mögliche Aufmunterung vom Publikum Diefe legtere Rück⸗ 
ſicht muß auch die Entfhuldigung enthalten für die Weitläufig-: 
keit, im welde diefe Bemerkungen ausgelaufen find; die Ent⸗ 
fhuldigung aber gleichfalls weitläufig zu machen, würde übers 
flüffig fehn, indem, wenn ich fie zu lefen befommen werde, id 
damit Ihre Verzeihung leſe. z 


6. Urber vie englifche Heform- Bill, 


- (Allgemeine preußifche Staatszeitung, 1831, Mr. 115—118.) 


Die dem englifchen Parlamente gegenwärtig vorliegende Re— 
form= Bill beabfihtigt zunächſt, in die Vertheilung des Antheils, 
welchen die verfchiedenen Klaffen und Fraktionen des Volks an 
der Erwählung der Parlaments= Glieder haben, Gerechtigkeit und 
Billigkeit dadurch zu bringen, daf an die Stelle der gegenwärs 
tigen Unregelmäßigkeit und, Ungleichheit, die darin herrſcht, eine 
größere Symmetrie gefegt werde. Es find Zahlen, Zotalitäten, 
Privat Intereffen, welche anders geftellt werden follen; aber es 
find zugleich in der That die edlen Eingeweide, die vitalen Prin- 
eipien der WVerfaffung und des Zuftandes Großbritanniens, in 
welche jene Veränderung eindringt. Von diefer Seite verdient 
die vorliegende Bill befondere Aufmerkſamkeit, und dieſe höhe— 
ren Gefihtspuntte, die in den bisherigen Debatten des Parla—⸗ 
ments zur Sprade gekommen find, hier zufammen zu flellen, 
fol der Gegenftand diefes Auffages feyn. Daf die Bill im Un- 
terhauſe einen fo vielftimmigen Widerſpruch gefunden und die 
zweite Zefung nur durch den Zufall Einer Stimme -durchge- 
gangen if, kann nicht verwundern, da es gerade die aud im 
Unterhaufe mächtigen Intereffen der Ariftofratie find, welche ans 
gegriffen und reformiert werden follen. Wenn alle diejenigen, 
die Theils perſönlich, Theils aber deren Kommittenten, an bis- 
heriger Bevorrehtung und Gewicht verlieren follen, ſich der Bill 


— — 


— Du | 


% 
362 VII. Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 
terials ausmachen, das fie verarbeitet. Eben diefe Bekannt⸗ 
fhaft und Gewohnheit aber, mit förmlichen Gedan—⸗ 
ten umzugehen, wäre dasjenige, was als die direftere Wor- 
bereitung für das Univerfitäts- Studium der Philofophie anzu» 
fehen ſeyn würde. — 

In Betreff des beſtimmteren Kreiſes der Kenntniſſe, auf 
den der Gymnaſial-Unterricht in dieſer Rückſicht zu beſchränken 
wäre, möchte ich zunächſt ausdrücklich die Geſchichte der Phi— 
loſophie ausſchließen, ob fie ſich gleich häufig zunächſt als 
paſſend dafür darbietet. Ohne die fpetulative Idee aber vor= . 
auszufegen, wird fie wohl nichts Anderes als nur eine Erzählung 
zufälliger, müfiger Meinungen, und führt leiht dahin, — (zus 
weilen möchte man eine folhe Wirkung als Zweck derfelben. 
und ihrer Empfehlung anfehen), — eine nachtheilige, verädht- 
lihe Meinung von der Philofophie, ingbefondere auch die Vor— 


ſtellung bervorzubringen, daß mit diefer Miffenfhaft Alles nur 


vergebliche Mühe gewefen, und es für die fludirende Jugend 
noch mehr vergeblihe Mühe feyn würde, fi mit ihr abzugeben, 

Dagegen würde id) unter den, in den fraglichen Worbereis 
tungsunterricht aufzunchmenden Kenntniffen 

1. die fogenannte empirifhe Pſychologie anführen, Die 
Borfiellungen von den Empfindungen der äufern Sinne, von 
der Einbildungstraft, Gedächtniß und von den weitern Seelen⸗ 
vermögen, find zwar für ſich ſchon etwas fo Geläufiges, daß ein 
hierauf ſich befhräntender Vortrag leicht trivial und pedantifch 
feyn würde. Eines Theils würde aber dergleihen um fo eher 
von der Univerfität entfernt, wenn es ſchon auf den Gymnaſien 
vorgefommen, andern Theils liche es fih auf eine Einleitung 


in die Logik befchränfen, wo doc in jedem Falle eine Erwäh- 


nung von den Geiftesfähigkeiten anderer Art, als das Denten 
als foldhes iſt, vorausgefhidt werden müßte, Won den äufern 


. Sinnen, den Bildern umd Vorftellungen, dann von der Verbin 


dung, fogenannten Affociation derfelben, dann weiter von der 


6, Ueber die englifche Reform s Bill. 427 


dem einfachſten Menſchenverſtand einleuchtet. Einer der bedeus _ 
tendfien Gegner der Bill, Robert Peel, giebt zu, daß es leicht 
ſeyn möge, ſich über die Anomalicen und Abfurdität der eng⸗ 
lifchen Berfaffung auszulaffen, und die Widerfinnigkeiten find 
in allen ihren Einzelnheiten in den Parlaments» Verhandlungen 
und in den öffentlichen Blättern ausführlid dargelegt worden. 
Es kann daher hier genügen, an die Hauptpuntte zu erinnern, 
dag nämlich Städte von geringer Bevölterung, oder auch deren 
— und zwar fich felbft ergänzende — Magiftrate, mit Ausſchluß 
der Bürger, fogar auf zwei bis drei Einwohner (— und zwar 
Pächter): herabgefommene Flecken das Recht behalten haben, 
Sise im Parlamente zu vergeben, während viele in fpäteren Zei⸗ 
ten emporgefommene blühende Städte von hunderttaufend und 
mehr Bewohnern von dem Rechte folder Ernennung ausgeſchloſſen 
find, wobei zwifchen diefen Ertremen noch die größte Mannig— 
faltigkeit fonfliger Ungleichheit vorhanden if. Als eine nächſte 
Folge hat fi) ergeben, daß die Befegung einer großen Anzahl 
von Parlaments- Stellen fih in den Händen einer geringen 
Zahl von Individuen befindet, (wie bereihnet worden, die Mas 
jorität des Hanfes in den Händen von 150 Vornehmen), daß 
ferner eine noch bedeutendere Anzahl von Sitzen käuflich, zum 
Theil ein anerkannter Handelsgegenftand ift, fo daß der Befis 
einer folden Stelle durch Beftehung, fürmlihe Bezahlung einer 
gewiffen Summe an ‚die Stimmberechtigten, erworben wird, oder 
überhaupt in vielfachen andern Modifitationen fih auf * 
Geldverhältniß reducirt. 

Es wird ſchwerlich —— ein ähnliches — von 
politiſcher Verdorbenheit eines Volkes aufzuweiſen ſeyn. Mon—⸗ 
tesquieu hat die Tugend, den uneigennützigen Sinn der Pflicht 
gegen den Staat, für das Princip der demokratiſchen Verfaffung 
erklärt; in dem Englifchen hat das demokratiſche Element ein 
bedeutendes Gebiet in der Theilnahme des Volks an der Wahl 
der Mitglieder des Unterhaufes, — der Staatsmänner, welchen 





428 VII, Auffäge vermifchten Inhalts. 


der wichtigfte Theil der über die allgemeinfien Angelegenheiten 
befchließenden Macht zukommt. Es ift eine ziemlich überein 
fimmende Anfiht der pragmatifhen Geſchichtsſchreiber, daf, 
wenn bei einem Volke in die Wahl der Staatsvorficher das 
Privat= Intereffe und ein ſchmutziger Geldvortheil ſich überwie- 
gend einmifcht, folder Zuftand als der Vorläufer des nothwen- 
digen Verluftes feiner politifchen Freiheit, des Untergangs feiner 
Verfaſſung und des Staates felbft zu betrachten ſey. Dem Stolze 
der engliſchen Freiheit gegenüber dürfen wir Deutſche wohl an- 
führen, daß, wenn auch die chemalige deutſche Reichsverfaffung 
gleihfalls ein unförmliches Aggregat von 'partitulairen Rechten 
gewefen, diefelbe nur das äußere Band der deutfchen Länder 
war, und daf das Staatsleben in diefen, in Beziehung auf die 
Befegung und die Rechte der Wahl zu den in ihnen beſtan— 
denen Landftänden, nicht folde Anomalie, wie die erwähnte, 
noch weniger jene alle Volksklaſſen durhdringende Eigenſuch 
in fi hatte. Wenn nun neben dem demotratifchen Elemente 
das Ariftokratifche in England eine fo höchſt bedeutende Macht 
ift, und es den rein ariſtokratiſchen Regierungen, wie WBenedig, 
Genua, Bern u. f. f. zum Vorwurfe gemadt worden, daß fie 
ihre Sicherheit und Feftigkeit in dem Verſenken des von ihnen 
beherrſchten Volks in gemeine Sinnlichkeit und in der Gitten- 
verderbniß defielben finden, und wenn es ferner ſelbſt zur Frei⸗ 
heit gerechnet wird, feine Stimme ganz nad) Gefallen, welches 
Motiv aud den Willen beflimme, zu geben; fo ift es als ein 
gutes Zeichen von dem Wiedererwachen des moralifchen Sinnes 
in dem englifchen Volke anzuerkennen, daß eines der Gefühle, 
welche das Bedürfniß einer Reform herbeigeführt, der Widers 
wille gegen jene VBerderbtheit if. Man wird cs gleichfalls für 
den richtigen Weg anerkennen, daf der Verfuch der Verbefferung 
nicht mehr bloß auf moralifhe Mittel der Vorftellungen, Er— 
mahnungen, Vereinigung einzelner Individuen, um dem Syſteme 
der Korruption nichts zu verdanken und Ihm entgegen zu ar— 





6. Ueber die englifche Reform⸗Bill. 429 


beiten, geflellt werden foll, fondern auf Die Veränderung der 
Inftitutionen; das gewöhnliche Vorurtheil der Trägheit, den als 
ten Glauben an die Güte einer Inftituton noch immer feſtzu— 


halten, wenn aud) der davon abhängende Zuftand ganz verdors 


ben ift, hat auf diefe Weiſe endlich nachgegeben. Eine durch— 
geeifendere Reform ift um fo mehr gefordert worden, als die beim 
Eintritt jedes neuen Parlaments durch Anklagen wegen vorge= 
fallener Beflehung veranlaften Propofitionen zu einer Verbeſ⸗ 
ferung ohne bedeutenden Erfolg blieben; als felbft der kürzlich 
gemachte, ſich fo fehr empfehlende Vorſchlag, das wegen erwie— 
fener Beſtechung einem Flecken genommene Wahlrecht auf die 
Stadt Birmingham zu übertragen und damit eine billige Ge— 
neigtheit felbft nur zu einer höchſt gemäßigten Wbftellung der. 
auffallendften Ungleichheit zw bezeigen, durch minifterielle Parla— 
ments=Taktit befonders des fonft für freifinniger gepriefenen 
Minifters Peel wegmanövrirt worden war, und ein im Beginn 
der Situng des gegenwärtigen Parlaments genommener großer 
Anlauf ſich darauf reducirt hatte, daß den Kandidaten verboten 
worden, Bänder an die ihnen günftig gefinnten Wähler ferner 
auszutheilen. Die Antlagen eines zur Wahl berechtigten Orts 
wegen Beftehung und die Unterſuchungen und der Prozef dar— 
über waren, da die Mitglieder der beiden Häufer, welde die 
Richter über ſolches Werbredhen find, im überwiegender Anzahl 
in das Syſtem der Korruption verwidelt find, und im AUnter- 
haufe die Mehrzahl ihre Site demfelben verdankt, für bloße 
Farcen und felbft für ſchaamloſe Proceduren zu offen umd zu 
laut erklärt worden, als daß auf ſolchem Wege aud nur eins 
zelne Remeduren noch erwartet werden konnten. 

Der im Parlament gegen Angriffe auf pofitive Rechte fonft 
gewöhnliche Grund, der aus der Weisheit der Vorfahren 
hergenommen wird, ift bei diefer Gelegenheit nicht geltend ge— 
macht worden; denn mit diefer Weisheit, welche darein zu ſe— 
gen ift, daß die Austheilung von Rechten zur Wahl der Par- 












430 « VI. Auffäge vermifchten Inhalte. 
Iamentsmitglieder nad) der damaligen Bevölkerung oder fonfti 
gen Wichtigkeit der Graffhaften, Städte und Burgfleden ber 
meffen worden ift, ficht das Verhältniß im zu grellem Widerfir 
wie ſich Bevölkerung, Reichthum, Wichtigkeit der Landſchaften 
und der Intereffen in meueren Zeiten geftellt haben. Much if 
der Gefihtspuntt, daß fo viele Individuen eine 
Bermögen, eine noch größere Menge art einer 
verlieren, nicht zur Sprache gebracht worden; der \ 
der aus der direkten Beſtechung gezogen wird, ift, obgleich alle 
Klaffen durch Geben oder Empfangen dabei betheiligt ſind, ge⸗ 
fegwidrig. Der Kapitalwerth, der an den Burgflecken, denen ihr 
Wahlrecht genommen werden foll, verloren geht, gründer ſich 
auf die im Lauf der Zeiten gefchehene Verwandlung eines po⸗ 
litiſchen Rechts in einen Geldwerth, und obgleich der Erwerb 
um einen Preis, der nunmehe herabfintt, fo gut als beim An⸗ 
kauf von Stlaven bona fide gefihehen, und fonft im 
Parlamente bei neuen Gefesen in foldem Fall fehr auf die Et⸗ 
haltung reellen Eigenthums, und auf Entfehädigung, wenn für 
daffelbe ein Verluſt entſteht, Bedacht genommen wird, fo find 
doc) im gegenwärtigen Falle eine Ansprüche darauf, noch Schwie⸗ 
rigteiten von diefer Seite her erhoben worden; fo ehr dieſer 
Umftand als Motiv gegen die Bill bei einer Anzahl von Par 
lamentsgliedern wirffam ſeyn mag. vn 
Dagegen wird ein anderes, England vorzugsweife eigene 
thümliches, Rechts⸗Princip durch die Bill angegriffen, nämlich 
der Karakter des Pofitiven, den die englifhen Inftitutionen 
des Staats-Rechts und Privat Rechts überwiegend an ſich tra ⸗ 
gen. Jedes Recht und deſſen Geſetz iſt zwar der Form nach ein 
pofitives, von der oberfien Staatsgewalt verordnetes und geſez⸗ 
tes, dem darum, weil es Gefes ift, Gehorfam geleiftet werden 
muf. Allein ‘zw keiner Zeit mehr als heutiges Tages ift der 
allgemeine Verſtand auf den Unterfehied geleitet worden, ob die 
Rechte auch nad ihrem materiellen Inhalte nur pofitiv, 











6. Ueber die englifche Neforms Bill. 431 


oder auch am umd für ſich recht und vernünftig find, und bei 
feiner Verfaſſung wird das Urtheil fo fehr veranlaft, diefen Un— 
terfchied zu beachten, als bei der englifhen, nachdem die Kontie 
nentaleBölter fi fo lange durch die Deklamationen von engli- 
ſcher Freiheit und durch den Stolz der Nation auf ihre Geſeh— 
gebung haben imponiren laffen. Bekanntlich beruht diefe durch 
und durch auf befondern Rechten, Freiheiten, Privilegien, welche 
von Königen oder Parlamenten auf befondere Veranlaffungen 
ertheilt, verkauft, gefchentt oder ihnen abgetrogt worden find; 


die Magna Charta, die Bill of rights, diefe wichtigften Grund⸗ 


Lagen der englifchen Verfaffung, die nachher durch Parlaments- 


Befchlüffe weiter beftimmt worden find, find mit Gewalt abges 


drungene Konceffionen, oder Gnadengefhente, Pakta u. ſ. f., 
und die Staatsrechte find bei der privatrechtlichen Form ihres 
Urfprunges und damit bei der Zufälligkeit ihres Inhalts ftehen 
geblieben. Diefes in fid) unzufammenhangende Aggregat von po⸗ 
fitiven Beſtimmungen hat noch nicht die Entwidlung und Um— 
bildung erfahren, welche bei den civilifirten Staaten des Konti— 
nents durchgeführt worden und in deren Genuß 4. B. die deut- 
ſchen Länder fi feit längerer oder kürzerer Zeit befinden. Im 
England mangelten bisher die Momente, welde den vornehmli— 
hen Antheil an diefen fo glorreichen als glüdlichen Fortfchritten 
haben. Unter diefen Momenten fteht obenan die wiſſenſchaftliche 
Bearbeitung des Rechts, welche einer Seits allgemeine Grund 
lagen auf die befonderen Arten und deren Verwidlungen ange— 
wendet und in ihnen durchgeführt, anderer Seits das Konkrete 
und Specielle auf einfachere Beftimmungen zurückgebracht hat; 
daraus konnten die nad allgemeinen Principien überwiegend 
verfaften Landrechte und ſtaatsrechtlichen Inftitutionen der neue— 
‚ren Kontinental= Staaten hervorgehen, wobei in Anfehung des 


Inhalts deffen, was gerecht fey, der allgemeine Wienfchenverfiand 


und die gefunde Vernunft ihren gebührenden Antheil haben durf- 
ten. Denn ein nod wictigeres Moment in Umgeftaltung des 


im der That eine Erfhütterung, die in England ganz ne 

























432 — — 


Rechts iſt zu nennen, — der große S Fi 
Yrineipien, wie das Beſte des Staates, dai ‚Gi : ihrer Unte 
thanen und den allgemeinen Wohlfiand, vornehmlich aber. das 
Gefühl einer an und für fi feyenden Gerechtigkeit, zu d 
Leitfterne ihrer legislatorifchen Wirkfamteit zu machen, ı 

her zugleich die gehörige monardifhe Macht ve iſt 
ſolchen Principien gegen bloß poſitive —— 
Privat» Eigennutz und den Unverſtand der Menge E 
Realität zu verfhaffen, England ift fo — ** n£ 
tutionen wahrhaften Rechts hinter den andern. € 
ten Europa’s aus dem einfachen Grunde zurüdgebliebe 
die Regierungs- Gewalt in den Händen —— 
ſich in dem Beſitz ſo vieler einem —— 
und einer wahrhaften Geſetzgebung wider 
gien befinden. 

Dieſes Verhältniß iſt es, auf welches die p 
form⸗Bill eine bedeutende Einwirkung haben — 
etwa dadurch, daß das monarchiſche Element der U ' 
Erweiterung von Macht betommen follte; im Gege nthei il, 
der Bill nicht fogleih allgemeine Ungunft engegentom 
muf die Eiferfucht gegen die Macht der Krone, w Ude 
nädigfte englifhe Borurtheil, gefchont bleiben, — die vo 
ſchlagene Maaßregel verdankt vielmehr einen Theil — 
larität dem Umftande, daß jener Einfluß durch fie Pets 
gefehen wird. Was das große Intereſſe erwedt, * 
niß einer Seits, die Hoffnung anderer, Seits, daß d 
des Wahlrechts andere materielle Reformen nach ſich zie 
Das engliſche Princip des Poſitiven, auf welchem ee 
merkt, der allgemeine Rechtszuſtand beruht, leidet durch di 


unerhört ift, und der Inſtinkt wittert aus ** N an r 
formellen Grundlage des Beſtehenden die weitergreifenden Wer 
änderungen. we ” 
N 





6, Ueber die englifhe Reform Bill. 433 


Bon folden Ausfichten ift im Verlaufe der Verhandlungen 
des Parlaments Einiges, doch mehr beiläufig, erwähnt worden; 
die Urheber und Freunde der Bill mögen Theils in dem guten 
Glauben ſeyn, daß fie nit weiter führe, als fie cben ſelbſt 
reicht, Theils, um die Gegner nicht heftiger aufzuregen, ihre Hoff- 
nungen nicht lauter werden laffen; wie die Gegner das, wofür 
fie beforgt find, nicht als einen Preis des Sieges vorhalten mö— 
gen; da fie viel befigen, haben fie allerdings viel zu verlieren. 
Daß aber von diefer fubftantielleren Seite der Reform nicht 
mehr im Parlament zur Sprache gebradht worden ift, daran hat 
die Gewohnheit einen großen Antheil, daß bei wichtigen Gegen- 


ſtänden in diefer Berfammlung immer die meifle Zeit mit, Er⸗ 


tlärungen der Mitglieder über ihre perſönliche Stellung verbracht 


wird; fie legen ihre Anfichten nicht als Geihäftsmänner, fondern. 


als privilegirte Individuen und Redner vor. Es ift in Eng⸗ 
land für die Reform ein weites, die wichtigften Zwecke der bürs 
gerlihen und Staatsgefellfchaft umfafendes Feld offen. Die 
Nothwendigkeit dazu beginnt, gefühlt zu werden; Einiges von 
dem, worauf bei der Gelegenheit gedeutet worden, mag als Bei- 
fpiel dienen, wie viele Arbeit, die, anderwärts abgethan ift, für 
England noch bevorfieht. Unter den Yusfichten auf materielle 
Verbefferungen wird zu allererft die Hoffnung zu Erfparnifs 
. fen in der Verwaltung gemacht; fo oft aber dieß Erfparen als 
durdaus nothwendig für die Erleichterung des Druds und des 
allgemeinen Elends, in dem ſich das Volk befinde, von der Op- 


pofition gefordert wird, fo wird auch jedesmal wiederholt, daß 


alle Anftrengungen dafür bisher vergeblich gewefen, aud) die von 
den Minifterien und felbft in der Thronrede gegebene populäre 
Hoffnung jedesmal getäuſcht worden ſeh. Diefe Deklamationen 
werden nad allen feit 15 Jahren gemachten Reduktionen der 
Zaren auf diefelbe Weife wiederholt: Zur endlichen Erfüllung 
diefer Forderungen werden in einem reformirten Parlament beffere 


Ausfihten gezeigt, nämlich in der größeren Unabhängigkeit einer 
Bermifchte Scriften, * 28 


434 VII. Auffäge vermifchten Inhalte, 

größern Anzahl feiner Mitglieder von dem Minifterium, auf deffen 
Schwãche, Hartherzigteit gegen das Volt, Intereffe m. ſ. f. die 
Schuld einer fortdauernden übermäßigen Ausgabe gefhoben wird. 
Zieht man aber die Hauptartikel der englifhen Staats =Aus- 
gabe in Erwägung, fo zeigt ſich kein großer Raum für das 
Erfparen; der rine, die Zinfen der enormen Staatsfchuld, if 
keiner Verminderung fähig; der andere, die Koften der Lande und 
Seemacht mit Einfluß der Penfionen, hängt nicht nur mit dem 
politiſchen Verhältniffe, befonders mir dem Intereffe der Bafıs 
der englifchen Eriftenz, des Handels, und mit der Gefahr inne 
rer Mufftände, fondern auch mit den Gewohnheiten und Anfor 
derungen der. diefem Stande fi widmenden Individuen, im 
Wohlleben und Lurus den andern Ständen nicht nachzufichen, 
aufs innigfte zufammen, fo daß ſich ohne Gefahr hier nichts abe 
dingen ließe. Die Rechnungen, welde das Geſchrei über diep 
. berüchtigten Sinckuren an den Tag gebracht hat, Haben gezeigb 
daß auch eine gänzliche, ohne große Ungerechtigkeit nicht zu ie 

wirkende, Aufhebung: derfelben kein wichtiger Segenftand ‚fehn 
würde, Aber man braucht ſich auf das Materielle nicht | 
laffen, fondern nur zu bemerken, daß die unermüdlichen, im das 
Pleinfle Detail der Finanzen eingehenden Bemühungen eines 
Hume fo gut als immerfort erfolglos find; dieß kann nicht allein 
der Korruption der Ariſtokratie des Parlaments und der Nach⸗ 
giebigkeit des Minifleriums gegen fie, deren Beiſtand es bebarf, 
und welche ſich und ihren Verwandten die mannigfa 

heile dutch Sinekuren, überhaupt einträgliche Stellen der Wers 
waltung, des Mikitairdienftes, der Kirche und des Hofes vers 
ſchafft, zugefchrieben werden. Die verhältnifmäßig fehr geringe 
Stimmenzahl, welche ſolche Vorſchläge zur Verminderung der 
Ausgaben für ſich zu haben pflegen, deutet auf einen geringen 
‚Glauben an die Möglichkeit oder auf ein ſchwaches  Intereffe 
für ſolche Erleichterimgen des angeblichen allgemeinen Druds, 
gegen welchen die Parlamentsglieder Oo PER 


_ vum = 





j 
| 
l 
i 
k 
( 
I 
( 
| 
| 


6. Leber die enalifche Reform = Bill, 485 


Reichthum gefchügt find. Diejenige Fraktion derfelben, melde 
für unabhängig gilt, pflegt auf, Seiten des Minifteriums zu ſeyn, 
und diefe Unabhängigkeit zeigt ſich zuweilen geneigt, weiter zu 
gehen, als es ihrem gewöhnlichen Verhalten oder den Vorwür- 
fen der Oppofition nach ſcheinen follte, bei ‚Gelegenheiten, wo 
das Minifterium ein ausdrüdliches näheres Intereffe für eine 
Geldbewilligung darlegt; wie denn vor einigen Jahren eine Zu- 
lage von 1000°Pfd., die für den ſo geadhteten Hustiffen, welcher 
wegen Meberhäufung feiner verdienfilihen Geſchäfte im Handels- 
Bureau eine einträglihe Stelle aufgab, von dem Miniſterium 
mit großem Intereffe in Vorſchlag gebracht wurde, mit großer 
Majorität abgefchlagen werden ift; wie dieß aud bei Vor— 
fehlägen von Erhöhung der für England eben nicht reichlich zu⸗ 
gemeffenen Appanagen Königliher Prinzen nicht felten gewefen 
iftz in? diefen eine Perfönlichkeit und das Gefühl von Anftand 
betreffenden Fällen hat die Leidenſchaftlichkeit die fonft bewiefene 
Lawigkeit des Parlaments für Erfparniffe überwunden. — So 
viel ift wohl einleuchtend, aß feine Reform-Bill die Urſachen 
der hohen Beſteuerung in England direkt aufzuheben vermag; 
England’s und Frankreich’ Beiſpiel könnte fogar zu der Indus 
etion führen, daf Länder, im welchen die Staatsnerwaltung von 
der Bewilligung von VBerfammlungen, die das Bolt gewählt 
hat, abhängt, am flärkften mit Auflagen belaftet find; in Frank— 
reich, wo der Zweck der englifchen Reform Bill, das Wahlrecht 
auf eine beträchtlihere Anzahl vom Bürgern auszudehnen, in 
ziemlich großem Maaße ausgeführt it, wurde fo eben in franz 
zöſtſchen Blättern das Budget diefes Landes mit einem hoff- 
nungsvollen Kinde verglichen, das täglich) bedeutende Fortſchritte 
made. Mm gründliche Workehrungen zu treffen, den drückenden 
Zuftand der englifhen Staatsverwaltung zu mindern, würde zu 
tief in die innere Verfaſſung der partitularen Rechte eingegrifs 
fen werden müſſen; es ift Feine Macht vorhanden, um bei dem 


enormen Reichthum der Privat- Perfonen ernſtliche Anſtalten zu 


28 *+ 


45— 


436 VII, Auffäge vermifchten Inhalst. 
einer erklecklichen Verminderung der ungeheuren Staatsſchuld zn 
maden, Die erorbitanten Koften der verworrenen Rechtspflege, 
die den Weg der Gerichte nur den Reichen zugänglich machen, 
— die Armen- Taxe, welde ein Minifterium in Iceland, wo dir 
Nothwendigkeit fo fehr als die Gerechtigkeit fie forderte, nich 
einzuführen vermögen würde, — die Verwendung ‚der Kirchen 
güter, der noch weiter Erwähnung gefchehen wird, — und wick 
andere große Zweige des gefellfchaftlihen Verbandes: ſetzen für 
eine Abänderung noch andere Bedingungen in der Staatsmadt 
voraus, als in der Reform = Bill’ enthalten find, — Beiläufig 
wurde im Parlament die in Frankreich geſchehene Abſchaffung 
der Zehnten der Kirche, der autsherrlihen Rechte, der Iagdreätt, 
erwähnt; alles dieß ſey unter den Yufpicien eines 
Königs und eines reformirten Parlaments geſchehen; und die 
Richtung der Rede ſcheint die Aufhebung von Rechten jener Art 
für ſich ſchon als einen bedauerlichen Umſturz der ganzen fm 
fiitution zu bezeichnen, außerdem, daf fie nod) Ar 
Anarchie jenes Landes zur Folge gehabt habe. Bekanntlich find 
in, andern. Staaten dergleichen Rechte nicht nur ohne ſolche Fol⸗ 
gen verſchwunden, ſondern die Abſchaffung derſelben iſt als eine 
wichtige Grundlage von vermehrtem Wohlſtand und wefentlicher 
Freiheit betradhtet worden. Daher möge einiges Weitere dar 
über bier angeführt werden. X 
Was zuerſt den Zebenten betrifft, fo iſt in England läa 
das Drüdende diefer Abgabe bemerklich gemacht worden ; abge: 
fehen von der befonderen Gehäfftgkeit, die auf folder Art von 
Abgabe überhaupt laftet, in England aber vollends nicht Wun- 
der nehmen kann, wenn dafelbft in manden Gegenden der 
Geiftliche täglich aus den Kuhftällen den zehnten Topf der ge— 
molkenen Milch, das zehnte der täglich gelegten Eier m. ff. 
zufammenbolen läft, fo ift auch die Unbilligkeit gerügt worden, 
die im diefer Abgabe durch die Folge liegt, daß, je mehr durch 
Fleiß, Zeit und Kofien der Ertrag des Bodens erhöht wird, um 





| 


6. Ueber die englifche Reform = Bill, 437 


fo mehr die Abgabe fteigt, fowit auf die Verbefferung der Kul⸗ 
tur, worein in England große Kapitalien geſteckt werden, ftatt 
fie aufzumuntern, eine Steuer gelegt wird. Der Zehente gehört 
der Kirche in England; in andern, befonders proteftantifchen Län- 
dern iſt zum Theil längft (in preufifchen Ländern ſchon vor 
mehr als hundert Jahren), zum Theil neuerlich, der Zehente 
ohne Pomp und Yuffeben, wie ohne Beraubung und Ungerech— 
tigkeit, abgefchafft oder ablösbar gemadt und den Eintünften 
der Kirche das Drüdende benommen und ihnen zweckmäßigere 
und anftändigere Erhebung ‚gegeben worden. In England hat 
aber auch fonft die Natur der urfprünglichen Berechtigung des 
Zehenten eine wefentlid verfümmerte und verkehrte Wendung 
erhalten; die Beſtimmung für die Subflftenz der Religions = Lehs 
ter und die Erbauung und Unterhaltung der Kirchen ift überwies 
gend in die Art und Meife eines Ertrags von Privat-Eigen- 
thum übergegangen; das geiftlihe' Amt hat den Charakter einer 
PM ründe, und die Pflichten defjelben haben fi in Rechte auf 
Einkünfte verwandelt. Abgerechnet, daf eine Menge einträg- 
licher geiftlicher Stellen, Kanonitate, ganz ohne Amtsverridtuns 
gen find, ift es mur zu fehr bekannt, wie häufig es gefchicht, 
daß englifche Geiftlihe fi mit allem Andern, als mit den Funk⸗ 
tionen ihres Amts, vielmehr mit Jagd u. f. f. und fonfligem 
Müfiggang beſchäftigen, die reihen Einkünfte ihrer Stellen in 


fremden Ländern verzehren und die Umtsverrichtungen einem ars 


men Kandidaten für ein Almofen, das ihn zur Noth gegen Hun— 
gertod fehügt, übertragen. Weber den Zufammenbang, in wel- 
chem bier der Befig einer geiftlihen Stelle und der Bezug der 
Einkünfte derfelben mit der Ausübung der Pflichten des Amtes 
wie mit ſittlichem Wandel ftehen, darüber giebt ein vor etlichen 
Jahren bei den Gerichten verhandeltes Beifpiel eine umfaffende 
Vorftellung. Gegen einen Geiftlihen, Namens Frank, wurde 
bei Gericht der Antrag gemacht, denfelben wegen Wahnſinns 
für unfähig, fein Vermögen zu verwalten, zu erklären und dies 


















fes unter Kuratel zu ſtellen; er hatte eine Pfarre von 800 Pf 
Sterl. Eintünften, aufer andern Pfründen von etwa 600 $ 
Sterl. (— etwas weniger als 10,000 Rthlr. —); Die gericht 
liche Klage aber wurde von feinem Sohne, als diefer anajoren { 
geworden, im Intereffe der Familie angebracht. Die während viele 
Tage durch eine Menge von Zeugen - Yusfagen öffentlich abgelegie 
Beweisführung über die angeſchuldigte Verrücktheit brachte Hi 
lungen diefes Pfarrers zum Vorſchein, die derfelbe, 
geiftlichen Behörde ganz ungeftört, in einem Laufe vom J 
ſich hatte zu Schulden kommen laffen, und 5. B. von der fd 
fenheit, daß er einmal am hellen Tage durch die Straßen und i 
die Brüde feiner Stadt, in höchſt unanftändiger G 
unter dem Gefolge einer Menge höhnender —— 
gen war; — noch viel ſtandalöſer waren die ‚dur 
Zeugen erhärteten eignen häuslichen Berhältniffe des Monet, 
Solde Schaamlofigkeit eines Geiftlihen von der englifi 
hatte ihm in dem Befige feines Amtes und im Ge 
Einfünfte feiner Pfründen keinen Eintrag getbanz;- die Fer 
tung, in welde die Kirche durch ſolche Beifpiele, an ‚mie 
dadurd verfällt, daß fie, der Einrichtung einer biſch Ze 
rarchie ungeachtet, folder Werdorbenheit und deren Standal 
von ſich aus nicht fleuert, trägt, wie die Habfucht ciſt· 
lichen in Beitreibung ihrer Zehenten, das Ihrige dazu bei, auch 
diejenige Achtung zu vermindern, welche von dem englifi 
blitum für das Eigenthumsrecht der Kirche gefordert wird, D 

ſolches Eigenthyum durch feine Beſtimmung für den | 
Zweck einen ganz andern Charakter habe, als Privat» Cigenthum, 
über das die freie Willkür der Befiger zu disponiren bat, — 
daf diefe Verfehiedenheit ein verfhiedenes Recht begründe und 
der Genuf diefes Vermögens an Pflichten als Bedingungen ge- 
tnüpft ſey, und daf jener Zwed in proteftantifchen Staaten eine 
Berechtigung der Staatsgewalt, für die Erfüllung diefes Zwedis | 
und der an Einkünfte gefnüpften Pflichten mitzuwachen, ber 






N 






3 “ 


6. Ueber die englifchenReferm= Bill. 439 


gründe, — dergleichen Grundfäge feinen in England noch ganz 
fremd und unbekannt zu ſeyn. Bei dem abſtrakten Geſichts— 
punkte des Privat «Rechts hierüber ftehen zu bleiben, iſt aber 
zu fehr in dem Vortheile der Klaffe, die im Parlamente, übers 
wiegenden Einfluß hat, dadurch mit dem Minifterium, das die 
hohen und einträglichften geiſtlichen Stellen zu vergeben hat, 
zufammenbängt, und die jüngern Söhne oder Brüder, Die, da 
der Grundbefig in England im Allgemeinen nur auf den älte— 
fien Sohn übergeht, ohne Vermögen gelaffen werden, durch ſolche 
Pfründen zu verforgen das Intereffe hat. Dieſelbe Klaſſe ſoll 
auch nach der Reform- Bill ihre Stellung im Parlamente be— 
halten, fogar noch erweitern; es ift daher fehr problematifch, ob 
fie für ihr Intereffe, in Rüdfiht auf die Reichthümer der * 
und ihr Patronat, etwas zu beſorgen habe. 

Die Beforgniffe über eine Reform folden Bine * 
engliſchen Kirche haben alle Urſache, ſich beſonders auf ihr Eta— 
bliſſement in Irland zu erſtrecken, welches ſeit mehreren Jahren, 
vornehmlich im Betriebe der Angelegenheit der Emancipation, 
die für ſich nur die politische Seite betraf, fo heftig angegriffen 
worden ift. Die der katholiſchen Kirche, zu der bekanntlich die 
Mehrzahl der irländifhen Bevölkerung gehört, daſelbſt ehemals 
gehörigen Güter, die Kirchen felbft, die Zehenten, die Verpflich— 
tung der Gemeinden, die Kirhen=- Gebäude in baulidem Zus 
ftande zu erhalten, die Utenfilien des Gottesdienftes, auch den 
Unterhalt der Küſter u. f. fı zu beſchaffen, alles dieß iſt kraft 
des Eroberungsrechtes der katholiſchen Kirche genommen und 
zum Eigenthume der anglikaniſchen gemacht worden. In Deutſch⸗ 
land hat der dreifigjährige Krieg vor mehr als anderthalb hun⸗ 
dert Jahren und in neuerer Zeit die vernünftige Bildung mit 
ſich geführt, daf einem Lande oder einer Provinz, Ctadt, Dorf 
die der Kirche ihrer Bevölterung gehörigen Güter belaffen wor— 
den find, oder daf auf andere Weife für das Bedürfniß des 
Kultus geforgt worden if, Selbft die Türken haben den ihnen 


_ 


370: VIE Schreiben in amtlichen Angelegenheiten. 


ſich darauf zw befhränten haben, inländifche und ausländifche 
Werke, welche für die MWiffenfhaften und für Kenntniffe eis 
nes umfaffenden Intereffes einen wirklihen Werth haben, zum 
Gegenfiand der Beurtheilung zu maden, und fie vornehm⸗ 
lich mit dem Zwecke anzuzeigen, ihren Inhalt zur allgemeinen 
Kenntnif zu bringen, dagegen das Gewöhnliche, Befchräntte, 
Mittelmäßige und Schlechte, das nur eine negative Kritik er— 
leiden könnte, gänzlich unbeachtet zu laſſen. Etwa nur’ folde- 
Werke von weniger gediegenem Werthe könnten beachtet werden, 
denen äußerliche Umſtände ein großes Auffehen verfhafft, oder 
denen dieß, daß fie ausgezeichnete Repräfentanten einer allges 
meinen Gattung find, eine weitere Bedeutſamkeit gegeben hätte, 
Bei diefem fo beſchränkten Umfange würde allerdings Vollftän- 
digkeit zum Ziele zu machen ſeyn. Ausgeſchloſſen würden’ fer> 
ner die Werke, die ganz fpeciellen Wiffenfhaften und fpeciellen 
Zweigen derfelben gewidmet find, — der Theologie, Jurispru— 
denz, Mediein, fo wie der Technologie, der Kameralwiffenfchart 
und dergleichen; wobei es offen bleiben Fönnte, folde in diefe 
Fächer einſchlagende Schriften hereinzuzichen, welchen Theils der 
umfaffende Inhalt, Theils ein allgemeinerer philoſophiſcher Ge— 
ſichtspunkt, — wie bei Werten der Theologie, naturphilofophi= 
ſchen Syſtemen der Medicin, philoſophiſchen Anfihten der Ges 
febgebung, der Staatsöfonomie u. f.f. — ein allgemeineres Intereffe 
oder die Prätenfion eines ſolchen gäbe. Schriften politifhen In— 
halts, vornehmlich die der Zeitpolitik, blieben dabei gänzlich) entfernt. 

In diefer, obgleidy mehr negativen, jedoch bier wohl hin— 
reihenden Bellimmung der zu beadhtenden Bücher, ergäbe ſich, 
ja erwüchfe wohl felbft ſchon gröftentheils für fi die Beſtim— 
mung der Haltung und des Tones, der in dem Inſtitute 
herrfchen würde und zu behaupten wäre. Einen Hauptbeftand- 
theil feiner würdigen Haltung machte es, daß das Gediegene, 
Tüchtige, Intereffante, die Wiffenfhaften und Kenntniffe wirt- 
lic) Bereihernde anertannt umd mit Zuftimmung, die auf 





6. Ueber die englifche Neform= Bill. | 441 


jenigen Klaffe, deren Intereffe mit jenem Zuftande der Kirche 
zufammenhängt, mehr als das Gleihgewicht halten. 

Die gutsherrliden Rechte, welde gleichfalls in jener 
Beforgnif vor der ſich auf fie mit der Zeit ausdehnenden Re— 
form befaßt werden können, gehen in England feit lange nicht 
mehr bis zur Hörigkeit der aderbauenden Klaffe, aber drüden 
auf die Maffe derfelben fo fehr wie die Leibeigenfhaft, ja drüs 
den fie zu einer ärgeren Dürftigkeit als‘ die Leibeigenen herab, 
In England felbft, zwar in der Unfähigkeit gehalten, Grumdeis 
genthbum zu befigen, und auf den Stand von Pächtern oder 
Tagelöhnern redueirt, findet fie Theils in dem Reichthume Enge 
land’s überhaupt und in der ungeheuren Fabrikation, wenn diefe 
in Flor ifl, Arbeit; aber mehr noch halten die Armengefege, die 
ein jedes Kirchfpiel verpflichten, für feine Armen zu forgen, die 
Folgen der Äuferften Dürftigkeit von ihr ab. In Irland dages 
gen bat die allgemeine Eigenthumslofigteit der von der Arbeit 
des Aderbaues lebenden Klaffe diefen Schug nicht; die Befchreis 
bungen der Reifenden, wie die parlamentarifh dofumentirten 
Angaben, ſchildern den allgemeinen Zuftand der irifchen Land 
bauer als fo elend, wie ſich felbft in kleinen und armen Diſtrik⸗ 
ten der civilifirten, aud der in der Civilifation zurüdftchenden 
Länder des Kontinents nicht leicht Beifpiele finden. Die Eigens 
thumslofigkeit der Landbau treibenden Klaffe hat ihren Urfprung 
in Berhältniffen und Gefegen des alten Lehensrechtes, welches je— 
doch, wie es auch nod) in mehreren Staaten befteht, dem an den 
Boden, den er zu bauen hat, angehefteten Bauer eine Subftftenz 
auf demfelben fihert; indem aber auf- einer Seite die irifchen 
Leibeigenen wohl perfönliche Freiheit beflgen, haben auf der ans 
dern Seite die Gutsherren das Eigenthum fo vollländig an ſich 
genommen, daf fie ſich von aller Verbindlichkeit, für die Sub— 
fiftenz der Bevölkerung, die das ihnen gehörige Land baut, zu 
forgen, losgefagt haben, Nach diefer Berechtigung ift es geſche⸗ 


ben, daß Gutsherren, wenn fie eine Kultur des Bodens für vor⸗ 
theilhafter fanden, bei der fie weniger Hände bedurften, die bie- 


herigen Bebauer, die für ihre Subfiftenz an dieſen Boden fo 


gut wie die Leibeigenen gebunden waren, und deren Familien feit 
Jahrhunderten Hütten auf diefem Boden bewohnten und ihm be 
bauten, zu Hunderten, ja Taufenden, aus diefen Hütten, die 
nicht das Eigenthum der Bewohner find, vertrieben und den 
ſchon Befiglofen au die Heimath und die angeerbte Gelegen- 
heit ihrer Subfiftenz entzogen, — von Rechtswegen, auch dief 
von Rechtswegen, daß fie, um fie gewiß aus dem Grunde jener 

| Hütten auszujagen und ihnen die Zögerung des Auszuges oder 
das Wiedereinſchleichen unter ſolches Obdach abzuſchneiden, Diefe 
Hütten verbrennen liefen, ZI 
Diefer Krebsfhaden Englands wird, Jahr aus Jahr ein, 
dem Parlamente vorgelegt; wie viele Reden find darüber gehal 
ten, wie viele Komite’s niedergefegt, wie viele Zeugen abgehört, 
wie viele grüindliche Reports abgeflattet, wie viele Mittel wor 
gefhlagen worden, die entweder ganz ungenügend oder ganz uns 
ausführbar fhienen! Der vorgefchlagene Abzug der Weberzahl 
der Armen durch Kolonifation müßte, um eine Wirkung zw ver 
fprechen, wenigfiens eine Million Einwohner fortnehmenz wie 
dieß bewitken? abgefehen davon, daf der dadurch entſtehende 
leere Raum, wenn die fonftigen Gefege und Verhältniſſe ‚blieben, 
auf diefelbe Weife, wie er vorher angefüllt war, fih bald ausfüllen 
würde. Eine Parlaments-Akte (subletting act), welde die 
Bertheilung in kleine Pachte, die Unterkunftsweife und den 
Brutboden der frudtbaren Bettler -Klaffe in Irland beſchränken 
follte, zeigte fi fo wenig geſchickt, dem Uebel abzuhelfen, daß 
fie, nach ein paar Jahren des Berfuchs, kürzlich zurüdgenommen 
werden mußte, Der Zeitpunkt des Uebergangs von Lehnbefis 
in Eigenthum ift unbenust dazu, der aderbauenden Klaffe Grunde 
eigenthbum einzuräumen, vorübergegangen; einige Möglicykeit 
dazu könnte dur Wenderung der Erbrechte, Einführung der 





6. Ueber die englifche: Reform = Bill. 443 


gleihen Vertheilung des älterlihen Vermögens unter die Kinder, 
die Befugniß der Beſchlagnahme und des Verkaufs der Güter 
zu Bezahlung der Schulden, überhaupt durch Aenderung des 
rechtlichen Charakters des Grundeigenthums, der unfäglide Fors 
malitäten und Koften bei der Veräußerung u. ſ. f. nad fid 
zieht, eingeführt werden, Aber die engliſche Geſetzgebung über 
Eigenthum bat im Diefen wie in vielen andern Stüden zu weit 
bin zu der freiheit deffelben, deren es in den Kontinental-Län- 
dern genieft, alle Privat-Verhältniffe find zu tief im diefe Feſ— 
ſeln eingewachfen; vollends würde die Eröffnung der Möglich: 
keit für die landbautreibende Klaffe, Grundeigenthum zu erwer⸗ 
ben, durch Aenderung diefer Gefege nur höchſt unbedeutend fepn 
im Berhältnif zum Ganzen; die Schwäche der monarchiſchen 


Macht hat über jenen Ucbergang nit wachen können; die par 


lamentarifhe Gefeggebung bleibt aud nad der Reform = Bill in 
den Händen derjenigen Klaffe, die ihr Intereffe und noch mehr 
ihre flarre Gewohnheit in dem bisherigen. Syſteme der Eigen- 
thumsrechte hat, und ift bisher immer nur darauf gerichtet, den 
Folgen des Spftems, wenn die Noth und das Elend zu ſchreiend 
wird, direkt, fomit durd) Palliative (wie der subletting act), 
oder moralifche Wünſche (daß die irländiſchen Gutshefiger ihre 
Refivenz in Irland nehmen möchten u. dgl.), abzuhelfen.: 

Auch if der Jagdrechte erwähnt worden, als eines Ge— 
genftandes, welder einer Reform ausgefegt werden könnte; ein 
Punkt, defien Berührung fo vielen englifhen Parlaments-Mit- 
gliedern und deren Zufammenhang an das Herz greift; aber der 
Unfug und die Mebelftände find zu groß geworden, als daf nicht 

eine Veränderung der Gefege hierüber in Anregung hätte ge— 
bracht werden müffen; insbefondere hat die Vermehrung der Ge⸗ 
fechte und Morde, die von den Wilddichen an den Park-Auf- 


fehern begangen werden, des Verlufts an Wild, den die Guts— 


befiger in ihren Parks erleiden, insbefondere der Verbrechen des 
MWilddiebftahls, die vor die Gerichte fommen, und nur ein klei— 


— 


nier Theil derjenigen find, welde wirklich verübt werden, dann 
der harten unverhältnigmäßigen Strafen, die auf das unberech⸗ 
tigte Jagen gefest find und verhängt werden, — denn es iſt die 
jagdberechtigte Ariſtokratie felbfi, weldhe diefe Gefege machte und 
wieder in der Qualität von Magiftrats2 Perfonen und Geſchwor⸗ | 
nen zu Gerichte ſitzt, — eine allgemeine Aufme 
gezogen. Das Intereffe der Jagdliebhaber wird gleichfalls durd 
die große Ausdehnung der Jagdberehtigung in den offenen Ge— 
bieten in Unfprucd genommen; der Sohn eines Squire hat das 
Jagdrecht, und jeder Pfarrer gilt für einen Squire, fo daß der 
Sohn diefen Vorzug haben kann, den der Vater, wenn er nicht 
feloft ſchon Sohn eines Squire iſt, nicht beſitzt u. ſ. f. Seit 
mehreren Jahren wird Jahr für Jahr eine Jagd-Bill zur Ver 
befferung  diefee Geſetze im Parlament eingebracht, aber feine 
bat noch das Glüd gehabt, gegen die privilegirten Iagd = Inter 
reffenten durchgefegt werden zu Fönnen; auch dem gegenwärtigen 
Parlamente liegt eine ſolche Bill vor. Es muf noch für pie 
blematifch angefehen werden, in wie weit die projektirte Parla⸗ 
ments-Reform auf diefe Gefeggebung, — auf die Milderung 
der Strafen, auf die Beſchränkung der perfönlihen Jagdberech⸗ 
tigung, vornehmlich auch, im Intereffe der feldbauenden Klaffe, 
auf das Recht, daß die Hirfhe, Hafen, Füchſe mit der Koppel 
Hunde und mit 20, 30 und mehr Pferden und nod mehr Fuße 
gängern durch die Saatfelder und alles offene bebaute Land vers 
folgt werden — einen bedeutenden Einfluß haben müßte Im 
vielen deutfchen Ländern machte vormals der Mildfhaden, die 
Verwũſtung der Felder durch die Jagd, das Abfreſſen der Saas 
ten und Früchte durd das Wild einen fichenden Artitel in den 
landftändifhen Beſchwerden aus; bis jest hat ſich die englifche 
Freiheit noch nicht die Beſchränkung folher Rechte auferlegt, 
welden die Fürften Deutfchlands zum Beften ihrer Unterthanen 
längft entfagt haben, A — 
Der weitfchichtige Wuft des englifhen Privat- Rechts, wel- 





6, Ueber die englifhe Keformz Bill. 445 


ches Engländer felbft einen Yugias=Stall zu nennen dem Stolze 
auf ihre Freiheit abgewinnen können, wäre genug’ befähigt, Ge— 
genftand für die Hoffnung einer Säuberung zu werden. Das 
Wenige, was Sir Robert Peel vor einigen Jahren durchgeſetzt, 
ift für fehr verdienftlich geachtet und von allgemeinem Lobe be— 
gleitet worden. Weiter eingehende Vorſchläge, die der- jegige 
Lordkanzler, Brougham, fpäter in einer fiebenftündigen Rede zur 
Verbefferung der Juftiz gemacht hat, und die mit großem Bei- 
falle aufgenommen worden find, haben zwar wohl die Nieder- 
fegung von Komité's veranlaft, aber find bis jest ohne weitern 
Erfolg geblieben. So viel als in Deutfchland eine mehrhundert⸗ 
jährige file Arbeit der wiſſenſchaftlichen Bildung, der Weisheit 
und Gerechtigkeitsliebe der Fürfien bewirkt hat, hat die englifche 
Nation von ihrer Volts-Repräfentation nicht, erlangt, und in 
der neuen Bill find eben Feine befonderen Elemente enthalten, 
welche an die Stelle Theils einer. bloß in Geſellſchaften, durch 
Zeitungen und Parlaments= Debatten erlangten Bildung, Theils 
der meift nur dur Routine erworbenen Gefchidlichteit der 
Rechtsgelehrten, vielmehr der gründlichen Einſicht und wirklichen 
Kenntnif ein Webergewicht verliehen. Die in Deutfhland auch 
für eine höhere Geburt, Reihthum an Grundvermögen u. ff. 
geftellten Bedingungen, um an den Regierungs= und Staatsges 
fhäften in den allgemeinen und in den fpecielleren Zweigen 
Theil zu nehmen, — theoretifches Studium, wiſſenſchaftliche 
Ausbildung, praktifhe Vorübung und: Erfahrung, — find. fo 
wenig in der neuen Bill wie in der bisherigen Organifation den 
Gliedern einer Berfammlung gemacht, in deren Händen die aus- 
gedehntefle Regierungs⸗ und Berwaltungsgewalt ſich befindet, 
Auch die neue Bill enthält nichts von dergleihen Bedingungen; 
fie ſanktionirt gleichfalls den Grundſatz, daf eine. freie Rente 
von 10 Pfund, aus Grumdeigenthbum gezogen, volltommen für 
das Amt qualificiet, die Befähigung zu dem Gefhäfte der, Re— 
gierung und Staats-Berwaltung, weldes im Befige der Par- 





lamente ift, zw beurtheilen und darüber zu entſcheiden. Die Vor— 
ſtellung von Prüfungstommifflonen, die ſelbſt aus einſichtsvollen 
und erfahrenen Männern, die als Beamte Pflichten hätten, be 
fiehen, ſtatt einer Menge Individuen, die nur die Eigenschaft 


- der Zehn⸗ Pfund-Rente haben, fo wie die Vorftellung von Bewei⸗ 


fen der Fähigkeit, die von den Kandidaten des Geſetzgebens und 
Staatsverwaltens gefordert würden, ift allerdings zu weit won 
der unbedingten Souveräncrät der hierüber ein 
rechtigten entfernt. En A ZU 

Wenn nun für die berührten umd ra 
tereffen vernünftigen Rechts, welde im vielen civiliffieten Staa 
ten des Kontinents, vornehmlich in den deutfchen Ländern, bereits 
durchgeführt find, in England das Bedürfnif noch beinahe zu 
ſchlummern ſcheint, fo ift es nit aus der Erfahrung; wie wenig 
oder nichts von den Parlamenten, mad) der bisherigen’ Met der 
Rechte der Beſetzung defielben, nach diefer Seite‘ hin geleifet 
worden, daß die Nothwendigkeit einer Reform aufgezeige wud; 
England wird dem Herzog von Wellington in dem beiſtimmen, 
was er kürzlich im Oberhaufe fagte, dag „vom Jahre 1688 an 
(dein Jahre der Revolution, melde das katholiſch gefinnte Haus 
Stuart vom Throne flürzte) bis jest dur den Verein von 
Reichthum, Talenten und mannichfachen Kenntniffen, der die 
‚großen Intereffen des Königreichs repräfentirte, die Amgelegen 
heiten des Landes auf das Befte und Ruhmvoltfie geleitet 
worden find.” "Der Nationalftolz überhaupt hält die Engländer 
ab, die Fortſchritte, welche andere Nationen in der Ausbildung 
der Rechts⸗Inſtitutionen gemacht, zu fludiren und kennen zu 
fernen; der Pomp und Lärm der formellen Freiheit, im’ Parlas 
mente und in fonfligen Berfammlungen aller Klaſſen und Stände 
die Staats- Angelegenheiten zu bereden und in jenem Darüber 
zw befchliegen, fo wie die unbedingte Berechtigung dazw, hindert 
fie oder führt fie nicht darauf, in der Stille des’ Nachdenkens 
in das Weſen der Gefebgebung und Regierung einzubringen, 


6. Ueber die englifhe Reform Bl. 447 
(bei wenigen europäifchen Nationen herrſcht folde ausgebildete 
Fertigkeit des Raifonnements im Sinne ihrer Borurtheile umd 
fo wenig Tiefe der Grundfäge), der Ruhm und der Reichthum 
macht es überflüffig, auf die Grundlagen der vorhandenen Rechte 
zurüdzugehen, wozu bei dem Völkern, die dem Druck derſelben 
empfinden, die äußerliche Noth und das Br gewedte Be⸗ 
dürfniß der Vernunft treibt. LE ik 
Wir kommen zu den formelleren Seflätepuntten zurüch die 
ſich unmittelbarer an die vorliegende Reform-Bill anknüpfen. 
Ein Gefichtspunkt von großer Wichtigkeit, der auch von den 
Gegnern der Bill hervorgehoben wird, iſt der, daß im Parlament 
die verſchiedenen großen Intereffen der Nation repräſentirt wer 
den follen, und welche Veränderung nun diefe Repräfentation 
durch die vorliegende Bill erleiden würde, ae 
Die Anfihten hierüber ſcheinen verſchieden, indem der Her 
zog von Wellington äufert, daß, der in: Rede fichendem Bill 
zufolge, die größere Maſſe der Wähler aus Krämern beſtehen 
würde; hiemit fehiene das Handels = Intereffe Wortheile zw er- 
langen; allein die Anſicht ift allgemein und wird zu Gunften 
der Bill fehr geltend gemacht, daß der Landbefig und das Acker⸗ 
bau⸗Intereſſe nicht nur nichts von: ihrem Einfluſſe verlieren 
fondern, — da der Entwurf von den aufzuhebenden Wahlbe⸗ 
rechtigungen den großen Städten oder dem Handels Inteteſſe 
nur 25 Mitglieder, den Grafſchaften aber oder dem Landbeſttz 
mit Einfluß kleinerer Städte, wo auch meiftentheils "der Ein- 
fluß des Landbefigers obwalte, die übrigen 81 zutheile, — viel 
mehr eine relative Erweiterung erhalten werden, Beſonders 
merkwirdig ift im dieſer Rückſicht, daf eine Anzahl von Kauf⸗ 
leuten, usd zwar die erſten Banquiers Londons, die mit der oſt⸗ 
indiſchen Kompagnie und der Bank von England in Verbindung 
ftehen, ſich gegen die Bill erklärt haben, und aus dem Grunde, 
weil diefe Maafiregel, während fie die Repräfentation des Kö— 
nigreihs auf die große Bafis des Eigenthums zu fügen und 


diefe Baſis auszubehnen beabfichtige „ in ihrer praktiſchen Wir- 
tung die Hauptzugänge verfhliefen würde, vermittelſt wel⸗ 
eher die Geld-, Handels», Schifffahrts- und Koloniab- Inter 
effen, zufammen mit allen anderen Interefjen im ganzen Lande 
und in allen auswärtigen Befigungen bis zu den entfernteften 
Püntten bisher zur Repräfentation im Parlamente gelangten, 
Diefe Hauptzugänge find die Fleden und Städtchen, 
im denen ein Parlaments-Sig direkt zu kaufen ſteht. Es Bonnte 
bisher auf dem Wege des gewöhnlichen Handels mit Parlaments 
Sigen mit Sicherheit dafür geforgt werden, daf Bant=Direkto- 
zen, ingleihen Direktoren der oftindifhen Kompagnie ſich im 
Parlamente befanden, wie die großen Plantagen» Befiger auf den 
weflindifhen Inſeln und andere Kaufleute, die ſolche große 
Handelszweige beherrſchen, ſich gleihfalls mit foldyen Stellen 
verfehen, um ihre und ihrer Affociation Intereffen wahrzunehmen, 
die allerdings zugleich für das GefammtIntereffe "Englands 
fo wichtig find. Yus dem legten Parlamente wurde. der Bant- 
Direktor Dianning, der feit vielen Jahren darin ſaß, darum aus: 
geſchloſſen, weil von feinem Konkurrenten die Anwendung won 
Beſtechung bei feiner Wahl bewiefen wurde. Daß die unter 
ſchiedenen großen Intereffen der Nation in ihrem großen Ratht 
tepräfentirt, werden follen, ift ein England eigenthümlicher Ges 
fihtspimtt, der in feiner Art auch der Konflitution der älteren 
 Reihs= und Landflände in allen Monarchien Europa’s zu Grunde 
gelegen hat, wie er no, 3. B. in der ſchwediſchen Verfaſſung 
die Bafls der Abordnung zum Reichstage ausmacht. 
dem modernen Princip, nad welhem nur der abftrafte Wille 
der Individuen als folder repräfentirt werden fol, entgegenge- 
ſetzt, und wenn in England zwar auch die fubjektive Willkür 
der Barone und der fonftigen zur Wahl Privilegirten die Grund» 
lage der Befegung der Stellen ausmacht, hiermit die Repräfen- 
tation der Intereffen felbft dem Zufall anheimgeſtellt iſt, fo gilt 
ſie dod für ein fo wichtiges Moment, daß die angefehenflen 





6. Ueber die englifche Reform- Bill, 449 


Banquiers ſich nit ſchämen, in die Korruption des Verkaufs 
von Parlamens- Stellen einzugehen, und ſich in einer öffentiichen 
Erklärung an das Parlament zu beſchweren, daf jenen großen 
Intereſſen durch die Bil diefer der Zufälligkeit nicht ausgefegte 
Weg der Beflehung abgefchnitten werden folle, im Parlamente 
repräfentirt zu werden. Moralifche Beweggründe weichen ſolchem 
wichtigen Gefichtspunfte, aber cs ift der Mangel einer Berfafs 
fung, daf fie das, was nothwendig if, dem Zufall überläßt und 
daffelbe auf dem Wege der Korruption, den die Dioral verdammt, 
zu erlangen nöthigt. Die Intereffen, wie fie ind ie Stände or—⸗ 
ganifch unterfchieden find, — in dem angeführten Beifpiele 
Schwedens in die Stände des Adels, der Geiſtlichteit, der 
Städtebürger und der Bauern, — entfpreden zwar dem jetigen 
AZuftande der meiften Staaten, nachdem, wie in England, die 
erwähnten anderen Intereffen nunmehr mächtig geworden find, 
nicht mehr volftändig; diefer Mangel wäre jedoch leicht zu bes 
feitigen, wenn die frühere Baſis des innern Staatsrechts wieder 
verftanden würde, nämlich daf die realen Grundlagen des Staats» 
Lebens, fo wie fie wirflid unterfchieden find und auf ihren uns 
terſchiedenen Gehalt wefentliher Bedadht in der Regierung und 
Verwaltung genommen werden muß, aud mit Bewuftfeyn und 
ausdrüdlich herausgehoben, anerfannt und, wo von ihnen ge= 
fprochen und über fie entſchieden werden fol, fie ſelbſt, ohne daß 
dieß dem Zufall überlaffen würde, zur Sprache gelaffen werden 
follen. Napoleon hat in einer Konflitution, welche er dem Kö— 
nigreih Italien gegeben, die Berechtigung zur Repräfentation 
nad) den Klaffen von Poffidenti, Dotti, Mercdanti, in dem 
Sinne jenes Gefihtspunttes, eingetheilt. 

Inden frühern ParlamentssBerhandlungen über vorge 
ſchlagene ſehr ‚partielle Reformen war immer ein Hauptgrund 
dagegen, der aud gegenwärtig hervorgehoben wird, der, daß bei 
der bisherigen Belegung des Parlaments alle große Intereſſen 


zepräfentirt ſeyen, daß die Sachen, Richt Individuen als ſolche, 
Vermiſchte Schriften. * > 29 


ſich auszuſprechen und geltend zu machen Gelegenheit haben fol« 
len. In diefes Moment ſcheint dasjenige einzutreten, (denn es 
ift nicht näher ausgeführt), was der Herzog von Wellington in 
feiner legten Rede dem Dberhaufe als einen Punkt an bas 
Herz legt, der bisher von demfelben, wie von dem Unterhaufe, 
überfehen worden fey, nämlich daß eine gefeggebende Ber- 
fammlung und feine Korporation von Stimmfähigen, 
ein Unterhaus und Fein neues Spftem für die Konftitwenten zu 
ſchaffen ſehen. Wenn es nit um Rechte der Stimmfähigteit 
und darum, wer die Konftituenten feyn follen, fondern um das 
Refultat, daß eine gefesgebende Berfammlung und ein Unter 
haus tonftiguirt fey, zu thun wäre, fo könnte allerdings gefagt 
werden, daß ein ſolches Unterhaus bereits nad dem bisherigen 
Repräfentations- Rechte konſtituirt ſey, — und zwar führt der 
Herzog im Verfolg der Rede das Zeugnif eines Freundes der 
Reform Bill an, daf das gegenwärtige Unterhaus fo befchafen 
ſeh, daß kein befferes gewählt werden könnte. Und in der That 
liegt in der Reform= Bill felbft weiter feine Garantie, daß din 
nad) derfelben mit Verlegung der bisherigen pofitiven Rechte ges 
wäbhltes vorzüglicher feyn werde. - eh 
Diefe Rechte fegt der Herzog im feiner Rede dem Rechte 
gleich, vermöge defien ihm fein Sit im Oberhaufe fo wenig ent- 
zogen, als dem Minifter, Grafen Grey, feine Güter in Vorkfhire 
genommen werden dürfen, Die Bil enthält allerdings das 
neue Princip, daß das privilegirte Wahlrecht nicht mehr in dies 
felbe Kategorie mit dem eigentlihen Eigenthumsrechte gefegt 
wird, Nach diefer Seite ift es als richtig anzuerkennen, was die 
Gegner der Bill ihr vorwerfen, daß fie, vermöge ihres neuen 
Princips felbft, ſchlechthin inkonſequent in fi fey. Ein perfön- 
lic) näher tretender Vorwurf hierüber Liegt in der Angabe, daf 
die Grenzlinie, nad) welder privilegirten kleineren Städtchen 
das Wahlrecht gelaffen werden folle, in der Bil mit Vorbedacht 





fo gezogen ſey, daß dem Herzog von Bedford, Bruder des Lords 


6, Ueber die englifche Reform = Bill. 451 


John Ruffell, der die Bill ins Unterhaus eingebracht hat, feine 
Boroughs nicht angerührt würden. Die Bill iſt in der That 
ein Gemiſch von den alten Privilegien und von dem allgemeis 
nen Princip der gleichen Berechtigung aller Bürger, — mit 
der äußerlichen Befchräntung einer Grund- Rente von 10 Pſd. — 
‚zur Stimmgebung über diejenigen, von welchen fie vertreten 
werden follen. Indem fie fo den MWiderfprud des pofitiven 
Rechts und des allgemeinen Gedanken-Princips in, ſich aufge 
nommen bat, flellt fie das, was bloß aus dem Boden des alten 
Lehnrechts ftammt, in ein viel grelleres Licht der Inkonfequenz, 
als wie noch alle Berechtigungen insgefammt auf einem und 
demfelben Boden des pofitiven Rechts fußten. 

Das Princip des Gedantens für fid) eröffnet allerdings 
eine Unendlichkeit von Anfprücden, der wohl zunädft die parlas 
mentarifhe Macht Schranken fegen kann; in feiner Konfequenz 
durchgeführt, würde es mehr eine Revolution, als eine bloße 
Reform ſeyn. Daf aber ſolche weitere Anſprüche nicht fobald 
mit befonderer Energie mögen erhoben werden, dafür fpricht die, 
wie es fcheint, fehr allgemeine Zufriedenheit der mittlern und 


untern Klaffen der drei Königreiche mit der Bill. Den foges 


nannten praftifchen, d. h. auf Erwerb, Subſiſtenz, Reichthum 
gerichteten Sinn der britifhen Nation feheinen die Bedürfniffe 
der oben angeführten materiellen Rechte noch wenig ergriffen zu 
haben, noch weniger ift durch ganz formelle Principien abſtrak— 


ter Gleichheit etwas bei ihm auszurichten; der Fanatismus fol 


cher Principien ift diefem Sinne fremder. Diefer praktifche 
Sinn’ zwar wird felbft in unmittelbaren Verluſt gefegt, indem 
eine große Menge den Gewinn der Beſtechung verliert, durch die 
Erhöhung der Bedingung der Wählereigenſchaft von 40 Shik 
lingen auf das Fünffache. Hat diefe höhere Klaffe *) —ãR 


*) Kürzlich iſt im Oberhauſe dieſe hoͤhere Klaſſe, der 10 Pfd. DIN: 
mit dem Namen: Paupers belegt worden. 


zu * 





452 VEIT, Auffäge vermifchten Inhalis. 


reellen Vortheil von ihrem Wählen gezogen, fo geht er ihr nicht 
verloren. So eben ift ein von der Stadt Liverpool gewähltes 
Mitglied vom Parlament ausgefhloffen worden, weil von den 
Wählern die Beſtechung bewiefen worden ift; die Wähler in | 
diefer Stadt find fehr zahlreich, und da fie fehr reich iſt, ſo 
wäre zu vermuthen, daß ſich unter den Beftochenen auch viele 
MWohlhabende befunden haben. So gut ferner, als die großen 
Gutsbefiger Hunderte und Taufende von ihren befislofen Päd- 
tern als Cigenthümer einer freien Grund-Rente von 40 Shi 
lingen aufzuführen mußten, ebenfo wird ſich auch dieſe ‚eigeh- 
thümliche Weife, fih Stimmen zu verfchaffen, bei dem neum 
Eenfus einrichten und jene abhängigen Menſchen ſich in Grund: 
Rentenbefiger von zehn Pfunden mastiren laffen. Ebenſo wer 
nig wird das mehrwöchentliche Schlemmen und der Rauſch, in 
den die freigelaffene Wildheit des englifchen Pöbels ſich auszu— 
laffen Aufforderung und Bezahlung erhielt, der Erhöhung der 
Bedingungs= Rente ungeathtet, ſich verlieren. Bei der, vorlesten 
Parlaments Wahl wurde angegeben, daß in der volkreichen 
Grafſchaft York für die Wahl eines dortigen Gutsbefigers, Beau: 
mont, 80,000 Pfd. St. (gegen 560,000 Rthlr.) ausgegeben 
worden find *); wenn in Parlaments = Verhandlungen vorge 
bracht worden ift, daß die Koften bei den Wahlen nad gerade 
allzu ſtark werden, fo ift die frage, wie das Volt es anfehen 
wird, daß an ihm die Reihen Erſparniſſe machen wollen, Wie 
fich diefe Seite eines reellen Vortheils fiellen, welde neue Kom⸗ 
binationen von der unermüdlichen Spekulation der mit dem Hans 
del der Parlaments>Sige ſich befaffenden Agenten erfunden. mer- 
den, ift noch unbeftimmt; es würde zu früh feyn, auf die Ver⸗ 
änderung, die in dieſem Intereſſe vorgeht, Vermuthungen bauen 
zu wollen. PT} 
*) In einer der Testen Sikungen des Parlaments ift der Aufwand 


der vorhin angeführten Wahl zu Liverpool auf 120,000 Pfd. Sterl, (über 
800,000 Rthlr.) angegeben worden. ‚tee 


6. Ueber die englifche Reform Bill. 453 


Ein höheres Intereffe aber ſcheint das Stimmrecht felbft 
darzubieten, indem es für fi) das Verlangen und die Forderung - 
einer allgemeineren Ertheilung deffelben aufregt. Der Erfahrung 
nach zeigt ſich jedoch die Ausübung des Stimmrechts nicht fo 
anziehend, um gewaltige Anſprüche und daraus entfiehende Bes 
wegungen zu veranlaffen. Es fcheint vielmehr bei den Stimme 
berechtigten eine große Gleichgültigkeit dagegen, des damit ver— 
bundenen Intereffes der Beftehung ungeachtet, zu herrſchen; aus 
der zahlreichen Klaffe derer, die insbefondere durd die Erhöhung 
des Wahl⸗-Cenſus dafjelbe verlieren, oder denen es, indem ihre 
Stimmen in die allgemeine Menge der Berechtigten der Graf- 
ſchaft geworfen werden, fehr geſchwächt wird, find nod Keine 
Petitionen gegen die ihnen fo nachtheilige Bill zum Vorſchein 
gekommen. Die Reklamationen dagegen find von foldyen erho— 
ben worden, welchen die Sicherheit oder Wahrſcheinlichkeit, einen 
Parlaments Sit zu erhalten, gefhmälert wird oder ganz ver- 
loren geht. Durd eine Parlamentsatte ift vor einem Jahre 
dur Erhöhung der zum Stimmrechte erforderlihen Rente in 
Irland einer Anzahl von 200,000 Individuen ihr Wahlrecht 
genommen worden, ohne daf fie eine Befchwerde über diefen 
Verluft ihres Berufs, an den Staats= und Negierungs= Angeles 
genheiten Theil zu nehmen, erhoben hätten. Nach allen Umſtän— 
den fehen die Wähler in ihrem Rechte eine Eigenfchaft, die 
vornehmlich denen zu Gute kommt, welde in das Parlament ges 
wählt zu werden wünſchen, und für derem eigenes Gutdünten, 
Willfür und Intereffe, auf Alles, was in jenem Rechte von 
Mitregieren und Mlitgefegegeben liegt, Verzicht geleiftet werde, — 
Das Hauptgefhäft bei einer Wahl, wofür die Kandidaten Agen— 
ten annehmen, die mit den Lokalitäten und Perfönlichteiten, fo 
wie mit der Urt, dieſe zu traktiren, bekannt find, ift das Auf— 
fuchen und Herbeibringen von Wahlberechtigten eben fo fehr, als 
fie zu Gunften ihrer Patrone insbefondere durch Beftechung zu 
beftimmen; die großen Gutsbefiger laffen die Schaaren ihrer 





454 VI. Aufſaͤtze vermifchren Inhalts. 


Pächter, deren cin Theil, wie vorhin bemerkt, fo eben in momen- 
tane Beflser der erforderlichen Grund-Rente traveflict worden, 
zufammentreiben. Brougham .befchrieb bei einer vorigen Wahl 
launig eine Scene, wo man fie in Höfen bei feuern, Pudding 
und Porter bivouatiren und, um fie dem Einfluß der Gegner 
zu entziehen, darin bis zu dem Augenblicke verfchliegen Tief, in 
weldem fie ihr gehorfames Votum abzugeben heben. Diefe 
Gleihgültigkeit gegen das Wahlrecht und deffen Ausübung kon— 
traftirt im höchſten Grade damit, daß in» demfelben das Recht 
des Volkes liege, an den öffentlichen Angelegenheiten, den. höch⸗ 
fen Intereſſen des Staats und der Regierung Theil zu nehmen, 
und daf die Ausübung defielben eine hohe Pfliht fey, da die 
Konſtituirung eines wefentlihen Theils der Staatsgewalt, der 
Repräfentanten-Verfammlung auf diefer Ausübung beruht, ja 
da dieß Recht und feine Ausübung im franzöfifchen Style der 
Akt der Souveränetät des Volkes, und zwar fogar der einzige 
ſeh. Aus folcher Gleichgültigkeit gegen diefes Recht kann Teiht 
die Befchuldigung der politifhen Stumpfheit oder Verdorbenhtit 
eines Volkes gezogen werden, wie aus der Gewohnheit der Bes 
ſtechung bei Ausübung deffelben, Diefe harte Anfiht muß ſich 
jedod) mildern, wenn man erwägt, was zu folder Lauigkeit mits 
wirken muß; es iſt dieß offenbar die Empfindung der wirklichen 
Gleichgültigkeit der einzelnen Stimme unter den vielen tauſen⸗ 
den, die zu einer Wahl konkurriren. Won ungefähr 658, die 
gegenwärtig in das englifche Unterhaus, oder von 430 Mitglie- 
dern, die in die franzöfifche Kammer zu wählen find (die Yens 
derung, welde diefe Zahlen demnächſt erleiden werden, iſt hier 
gleichgültig), ift es ein Mitglied, das zu ernennen ifl, — umter 
folder Anzahl fchon eine fehr unanfehnlide Fraktion; aber die 
einzelne Stimme ift eine noch um fo viel geringfügigere Frak— 
tion, als es 100 oder 1000 Stimmen find, die dazu konkurri— 
ven. Wenn die Anzahl der durch das nene ſranzöſiſche Wahl- 
gefeg zu produzirenden Wähler auf 200,000 gefchägt, die Anzahl 


6. Ueber die englifche Reform Bill, 455 


der danach zu erwählenden Mitglieder aber in runder Summe 
zu 450 angenommen wird, fo ergiebt, fd die einzelne Wahl- 
flimme als der zweimalhunderttaufendfte Theil der ganzen Wahl 
macht und. als der neunzigmillionfte Theil des einem der drei” 
Zweige der Macht, welche Gefege giebt. 

Das Individuum ftellt ſich ſchwerlich die Geringfügigkeit 
feiner Wirkſamkeit in diefen Zahlen vor, aber hat nicht weni— 
ger die beflimmte Empfindung diefer quantitativen Unbedeutend- 
beit feiner Stimme, und das Quantitative, die Anzahl der Stim- 
men, ift hier allein das Praktifche und Entfheidende. Es mö— 
gen wohl die qualitativen hohen Geſichtspunkte der freiheit, der 
Pflicht der Ausübung der Souveränetäts-Rechtes, des Antheils 
an den allgemeinen Staats» Angelegenheiten, gegen die Läſſigkeit 
hervorgehoben werden; der gefunde Menſchenverſtand hält fid 
gern an das Effektive; und wenn dem Individuum das Gewöhn⸗ 
liche vorgeftellt wird, daf, wenn jeder fo läffig dächte, der Bes 
ſtand des Staats und noch mehr die Freiheit in Gefahr käme, 
fo muß daffelbe fi) eben fo fehr des Princips erinnern, auf 
weldes feine Pfliht, das ganze Recht feiner Freiheit gebaut 
wird; — nämlich, daß es fi nicht durch die Betrachtung deffen, 
was Andere thun, fondern nur durd feinen eigenen Willen be— 
flimmen laffen folle, und daß feine individuelle Willfür das Letzte 
und eben das Souveräne ift, das ihm zutommt und zuerkannt 
if. — Ohnehin iſt diefer für ſich fo geringfügige Einfluß auf 
die Perfonen befchräntt, und wird nod unendlich geringfügis 
ger dadurch, daß er ſich nicht auf die Sache bezieht, diefe vikls 
mehr ausdrüdlid ausgefchloffen if. Nur in der demokratiſchen 
Konfitution Frankreihs vom Jahre II unter Robespierre, die 
vom ganzen Volk angenommen wurde, aber freilid um fo we— 
niger zu irgend einer Ausführung kam, war angeordnet, daß den 
einzelnen Bürgern aud die Gefege über die öffentlihen Ange— 
legenheiten zur Beſchlußnahme vorgelegt werden ſollten, — Die 
Wähler find ferner auch nicht einmal Kommittenten, die ihrem 


BE - 































lichſten konſtitutionellen —— 
daß die erwãhlten Mitglieder eben fo fe 
bungen fepen, als ihre Wähler in den —* 
ihren Berathungen und Beſchlüſſen über die öffentlichen Ang 
Könige, was für ihm fanttionirt iſt, für- die Erfüllung 
Pflichten Feine Verantwortlichkeit zw haben. 
In Folge des Gefühls der ftattfindenden Gerin fügi 
des Einſluſſes des Einzelnen und. der an dieh Recht geknüpft 
ſouveränen Willkür werden, wie die Erfahrung lehrt, die Wah 
‚berfammlungen überhaupt nicht zahlreich befucht; die Zahlen, 
‚man in den öffentlichen Blättern zuweilen von den Stin 
rechtigten und von den bei der Wahl wirklich Stü mende 
‚gegeben findet, zeigen ſich in Frankreich, ſelbſt —* fi 
‚ten ‚Zeiten der legten Negierungsjahre Karl's X,, ge 
‚sehr von einander abweichend; bei der neueften, im D 
‚bes politifchen Interefies, in Paris, abgehaltenen IB 
an Eifer, der Parteien, die Wahlberechtigten zum, St 
ben herbeizurufen, nicht gefehlt zu haben ſcheint, iſt bei ungefäb 
4,750 Wahlberechtigten angegeben, daf ſich etwa 600 nicht ei 
‚gefunden ‚haben, Es möchte in diefer Rückſicht intereffant/ ſeh 
auch aus andern Kreifen, wo das Wahlrecht fünmtl 
‚gern übertragen ift und ein ihnen viel näher liegendes J 
betrifft, — 3. B. von Wahloerfammlungen für, Erwählung -? 
Stadtverordneten im preußiſchen Staate, — das Dur ſchnit 
verhältniß der, Stimmberechtigten zu den ‚wirklich € 
kennen zu lernen. — In früheren Perioden: der, franzöſiſch 
Revolution bat der, Eifer und das Benehmen der Jakobiner in 
den. Wahlverfammlungen es den ruhigen und rechtſchaffenen 


6, Weber die englifche Reform Bill, 457 


Bürgern verleidet, aud) gefährlich gemacht, von dem Stimmrechte 


Gebrauch zu maden, und die Faktion hat allein das Feld be— 
hauptet. — Wenn die über die Wahlberedhtigung ‚gegenwärtig, 
befchliefenden großen  politifchen Körper eine Pflicht hoher Ge— 
rechtigkeit zu erfüllen glauben, daf fie die äußerlichen Bedin— 
gungen diefer Befugniß erweitern und fie einer größeren Anzahl 
ertheilen, fo dürfte ihrer Erwägung entgehn, daß fie eben damit 
den Einfluß des Einzelnen vermindern, feine Vorſtellung von 
defien Wichtigkeit und dadurch fein Intereſſe, dieß Recht: aus— 
zuüben, ſchwächen, abgefehen von der frage, wie überhaupt irs 
gend eine Staatsgewalt dazu komme, über diefes Recht der Bür—⸗ 
ger zu disponiren, dabei 50 oder 100 Franken oder ſo viel Pfund 
Sterling in Ueberlegung zu nehmen und dieß Recht nach ſol— 


hen Größen zu ändern — ein Recht, welches feiner Beflimmung 


nah als fouverän, urfprünglich, unveräußerlich, überhaupt als 
das Gegentheil davon angenommen: — —8 es — oder 
genommen werden könne. I 

Wie der in fo gutem Rufe ſtehende — Vienſchenw⸗ 
ſtand des engliſchen Volkes die Individuen die Unbedeutendheit 
ihres Einfluſſes auf die Staats-Angelegenheiten durch ihre ein— 
zelne Stimme empfinden läßt, fo giebt derſelbe geſunde Men— 
ſchenverſtand auch das richtige Gefühl feiner geringen Befähigung 
‚am die zu hohen Staats-Aemtern erforderlihen Talente, Ges 
ſchäftskenntniß, Fertigkeit und Geiftesbildung zu beurtheilen; foll= 
ten ihm 40 Shillinge vder 10 Pfund Grund-Rente, oder 200 
Franken direkter Steuern, die Zuſatz⸗ Centimen mit eingerechnet 
oder nicht, einen fo großen Zuwachs von Befähigung zu enthals 
ten feheinen? Die Strenge der franzöſiſchen Kammern, den 
Gefihtspunkt fonfiiger Befähigung gegen diejenige Befähigung, 
welche in den 200 Franken mit oder ohne die Zufag-Centimen lie 
gen joll, auszufchliefen und fie nur den Mitgliedern des Inſti— 
tutes zuzufßreiben, ift charakteriftifch genug; der Formalisinus 
der Achtung der 200 Franken hat die Achtung für die Befähigung 


B8 vul. Aufſate vermiſchten Inhalts. 


und den guten Willen von Prãftklur⸗ Gerichtsräthen, Aerzten, 
Advokaten u, f. f., die nicht fo viel Steuetn bezahlen, überwuns 
den, — Ueberdieß wiffen die Stimmgebenden, daf fie vermöge 
ihres fouveränen Rechtes überhoben find, eine Beurtheilung oder 
gar Prüfung der ſich vorſchlagenden Kandidaten vorangehen zu 
laffen, und daß fie ohne all dergleichen zu entſcheiden Haben. & 
ift daher eben fein Wunder, daf in England die Individuen in 
großer Anzahl — und es käme nod darauf an, ob nicht di 
Mehrzahl, — es bedürfen, zu der ihnen wenig wichtigen Müh- 
waltung des Stimmgebens durch die Kandidaten aufgereizt, und 
für folhe Mühmaltung, die den Kandidaten zu Gute kommt, 
von denfelben mit Bändern, Braten und Bier und einigen Gui⸗ 
neen fchadlos gehalten zu werden. Die Franzofen, neuer im dies 
fer politiſchen Laufbahn, allerdings auch durd die: voichtigfien 
Intereffen des noch nicht tiefer konſolidirten, vielmehr in Ännerfle 
Gefahr gebrachten, Zuſtandes gedrängt, find noch nicht fo fehr 
auf diefe Art von Schadloshaltung gefallen; aber | 
Sachen und ihren Antheil daran ernfter zu nehmen aufgeregt 
worden, haben fie fi für die Geringfügigkeit des individuellen 
Antheils ihrer Souveränetät an den. öffentlichen Angelegenheiten, 
durch felbft genommenen Antheil au an den Sachen in In 
furrektionen, Klubs, Affociationen u, f. f. entfhädigt und Recht 
verfchafft, Be; 
Die vorher berührte Eigenthümlichteit einer Gewalt im Eing- 
land, welde untergeordnet feyn fol, und deren Mitglieder zu: 
gleich ohne Inftruktion, Werantwortlickeit, ohne Beamte zu 
feyn, über die Gefammtangelegenheiten des Staats beſchließen, 
begründet ein Verhältniß zu dem monarchiſchen Theile der Ber: 
faffung; es ift zu erwähnen, welden Einfluß die Reform Bill 
auf diefes Verhältnif, und auf die Regierungsgewalt überhaupt 
haben möge, Für diefe Betrachtung ift vorher an die nächſte 
folge der erwähnten Eigenthümlichkeit zu erinnern, daß nämlih 
in England durch diefelbe die monarchiſche Gewalt und die Res 


’ 





6, Ueber die englifhe Meform= Bill. 9° 


gierungsgewalt fehr von einander verfhieden find. Der monars 
chiſchen Gewalt kommen die hauptfächlichften Zweige der höchſten 
Staatsmadht zu, vornehmlich diejenigen, welde die Beziehung 
zu andern Staaten betreffen, die Macht, Krieg und Frieden zu 


befchliefen, die Dispofition über die Armee, die Ernennung der 


Minifter, — doch ift es Etifette geworden, daß der Monarch 
direkt nur den Präfidenten des Minifter-Konfeils ernennt und 
diefer das übrige Kabinet zufammenfegt, — die Ernennung der 
Armee - Befehlshaber und Offiziere, der Gefandten u. f. f. Ins 
dem num dem Parlamente die fouveräne Beſchließung des Bud⸗ 
gets (mit Einfchluß felbft der Summe für die Suftentation des 
Königs und feiner Familie) d. i. des Gefammt=Imfangs der 
Mittel, Krieg und Frieden zw machen, eine Armee, Gefandte 
u. f. f. zu haben, zuſteht, und ein Minifterium hiermit nur re⸗ 
gieren, d. i. eriftiren kann, in fofern es fi) den Anfichten und dem 
Willen des Parlaments anfchließt, fo ift der Antheil des Mo— 
narchen an der Negierungsgewalt mehr illuforifch als reell, und 
die Subftanz derfelben befindet fih im Parlamente. Bekanntlich 


hat Sieyes, der den grofen Ruf tiefer Einſichten in die Orga 


nifation freier Berfaffungen hatte, in feinem Plane, den er ende 
lich bei dem Uebergange der Direktorial-Werfaffung in die Fort» 
fularifhe aus feinem Portefenille hervorziehen konnte, damit nun 
Frankreich in den Genuß diefes Refultates der Erfahrung und 
des gründlichen Nachdenkens gefest werde, einen Chef an die 
Spige des Staats gefiellt, dem der Pomp der Repräfentation 
nad außen und die Ernennung des oberſten Staatsraths und 
der verantwortlichen Minifter, wie der weitern umtergeordneten 
Beamten, zuftände, fo daf die oberfte Negierungsgewalt jenem 
Staatsrath anvertraut werden, der Proclamateur-electeur aber 
feinen Antheil an derfelben haben follte. Man kennt das foldas 
tiſche Urtheil Napolcon’s, der fi zum Herrn und Regenten ges 
macht fühlte, über dieß Projekt eines folden Chefs, in welchem 
er nur die Rolle eines cochon à l'engrais de quelques mil- 


460 VI. Auffäge vermifchten Inhalts. 


lions fah, welde zu übernehmen ſich kein Mann von einigem 
Talent und etwas Ehre geneigt finden werde. Es war in dies 
ſem Projekt überfehen (und hier wohl redlicher Weife, was in 
andern mit vollem Bewußtſeyn und vollſtändiger Abſicht eingerichtet 
worden ift), daß die Ernennung der Perfonen des Minifteriums 
und der andern Beamten der ausübenden Gewalt für fich etwas 
Formelles und Unmächtiges ift und der Sache nach dahin fällt, 
wo effektiv ſich die Negierungsgewalt befindet. Diefe fehen wit 
in England im Parlamente; wenn in den mannigfaltigen me 
narchiſchen Konflitutionen, deren Erſchaffung wir erlebt haben, 
die formelle Scheidung der Regierungsgewalt, als der ausüben 
den, von einer nur gefeggebenden und richterlichen Gewalt ausge 
fproden, und jene fogar mit Pomp und Auszeichnung herausgeflellt 
ift; fo ift immer die Belebung des Minifteriums das Centrum 
der Konteftation und des Kampfes, — des der Krone unbedingt 
zugefchriebenen Rechtes diefer Beſetzung ungeachtet, — geworden, 

und die fogenannte nur gefeggebende Gewalt hat den Sirg du 
vongetragen; ſo iſt, aud unter der neueften Verfaſſung Frant⸗ 
reichs in den täglichen politifhen und anderen Anfragen und 
Kontefiationen, die Tendenz nicht zu verkennen, das Mrinifterium 
zu nöthigen, das Hauptquartier der Regierung in die Deputirs 
ten- Kammer zu verlegen, wo jenes felbft dahin gebracht worden 
iſt, ſich mit feinen Unterbramten in öffentlide Konteftationen ein⸗ 
laffen zu müſſen. ee 

Eine Beziehung auf die im Parlamente liegende Regierungs: 
gewalt hat zunächft das, was die Gegner der Reform-Bill zu 
Gunften der Burgfleden, durch deren Befig viele Parlamentss 
Site von einzelnen Individuen oder Familien abhängen, anfüh— 
ren, daß nämlich vermittelft diefes Umftandes die ausgezeichnetz 
ſten Staatsmänner Englands den Weg in das Parlament und 
von da in das Minifterium gefunden haben. Es wird wohl 
geſchehen, daß ein ausgezeichnetes gründliches Talent oft eher der 
Private Freundfchaft bekannt wird, und in dem Fall iſt, nur 





N 





6, Ueber die englifche Reform = Bill. 461 
durch individuelle Großſinnigkeit zu dem ihm gebührenden Platz 
gelangen zu können, den es bei mangelndem Vermögen und Fa— 
milienzuſammenhang von der Maſſe der Bürger einer Stadt 
oder Grafſchaft ſonſt vielleicht nicht erreichen würde. Aber ders 
gleichen Beifpiele können dem Reiche der Zufälligkeiten zuge— 
ſchrieben werden, wo ſich einer Wahrſcheinlichkeit leicht eine ans 
dere, einem möglichen Nachtheil ein möglicher Vortheil, entgegen 
flellen läßt. — Verwandt damit ift eine andere angebliche Folge 
von größerer Wichtigkeit, auf welde der Herzog: von Welling- 
ton aufmerkjam machte, der zwar nicht das Anfehen eines Red» 
ners hat, weil ihm die wohlfliefende, ftundenlang fort unterhals 
tende und an Selbfloftentation fo reihe Geſchwätzigkeit abgeht, 
durch welde viele Parlaments =» Glieder zu fo geofem Rufe der 
Beredfamkeit gelangt find, deſſen Vorträge aber trog des Abges 
riffenen der Säge, was ihnen zum Vorwurf gemacht wird, eis 
nes Gehalts und das Werfen der Sache treffender Gefüchtspuntte 
nicht ermangeln, Er äufert nämlich die Beforgnif, daf an die 
Stelle derjenigen Männer, denen jest im Parlamente die Bes 
forgung des öffentlichen Intereffes anvertraut fey, ganz andere 
treten werden, und fragt ein andermal, ob denn die Krämer, 
aus welchen, wie früher angegeben, nad feiner Anfiht, in Folge 
der neuen Bill, die größere Maſſe der Wähler beſtehen werde, 
die Leute ſeyen, welche die Mitglieder für den großen Nath der 
Nation wählen follen, der über die einheimiſchen und auswärts 
gen Angelegenheiten, über die Intereffen des Aderbaues, der 
Kolonieen und Fabriken zu entfcheiden hat? — Der Herzog 
fpricht aus der Anfchauung des englifchen Parlaments, in wel 
chem über der Maſſe unfähiger und unwiffender, mit dem: Fire 
nif der gewöhnlichen Vorurteile und aus der Konverfation ges 
ſchöpfter Bildung, oft nicht einmal hiermit verfehener Mitglieder 
eine Anzahl talentvoller, fich der politifhen Thätigkeit und dem 
Staats» Jntereffe gänzlid) widmender, Männer ficht. Auch dem 
gröfern Theile von diefen ift ein Sig im Parlament gefichert, 


— 






























462 VII. Auffäge . 


Theils durch ihren eigenen R m 
felbft oder ihre Fame in einen 2 
ſchaft befigen, Theils durd den Einfluß 2 
dann ihrer Partei⸗ Freunde. | 
An diefe Klaffe ſchließt fü eine De änner an 
es, daf fie dieß aus Liebhaberei thun und von unabhän 
Vermögen find, oder daß fie öffentliche Stellen bekleiden 
diefe durch die Konnexion mit parlamentarifgem Einfluß erla 
haben; aber auch wenn fie diefelben fonft erhalten haben, 
nen fie fowohl nach ihrer amtlichen Stellung, als nach dem a 
gemeinen innern Beruf es nicht unterlaffen, fih an die: oliti 
Klaſſe und eine Partei derſelben —⸗ — 
dienſt nicht an ſonſtige Bedingungen z. B. ge 
licher Studien, Staats⸗ Prüfungen, Fat 
Kurfe umd dergleichen geknüpft ift, muß das 
jener Klaffe einverleiben; es hat in ihr eine Wichtigkeii 
verfhaffen, ift durch ihren Einfluß getragen, wie umgekel 
feinige derfelben zugefhlagen wird. Seltene Anoma 
von diefer Konnerion ifolirte Individuen, wie z. B 
in das Parlament tommen, darin * nicht unter 
meiner zu machen. * 
Ein Haupt⸗ — — han 
defen fonfige: Bande, Familien Ronnrpionen,; Golkt ren 
Reden bei Gaftmalen u. f. f., der unendliche, nad allen The 
der Erde ſich erfiredende, politifhe Briefwechfel, auch das 
meinfame Herumtreiben auf Zandfigen, Pferderennen, Fuc 
den u. ſ. f., zwar nit geflört werden, — die Dispofition näi 
lich über eine Menge En rleidet allerdii 
durch die Reform-Bill eine bedeutende Modifikation wel 
moßL-Bie. Dam Gerjog; berüete Wirkung haben ag, 
andere Individuen am du Gülle folder teen, Die zu Den 
genwärtigen Kreife der fi dem Intereffe der Staat 


} 





6, Ueber die englifche Meforms Bill, 463 
rung Widmenden gehören, aber die auch den Erfolg nad) ſich zu 
ziehen geeignet ift, daß die Gleihförmigfeit von Marimen und 
Rückſichten, die in jener Klaſſe vorhanden find und den Verſtand 
des Parlaments ausmachen, eine Störung erfährt. Zwar ſcheint 
es nicht, daf 3. B. Hunt, fo fehr er ifolirt ſteht, über die gez 
wöhnlichen Kategoricen von Drud des Volks dur die Auflas 
gen, Sinefuren u. f. f. hinausginge, aber der Weg in das 
Parlament mag durd die Reform für Jdeen offen werden, die 
den Intereffen jener Klaffe entgegen, daher auch noch nicht in 
ihre Köpfe gefommen find; — Ideen, welde die Grundlagen eis 
ner reellen Freiheit ausmachen und die oben berührten Verhälts 
niffe von Kirheneigenthum, Kirchen = Organifation, geiſtlichen 
Nflichten, dann die gutsherrlichen und die fonfligen aus dem Les 
hensverhältniffe ftammenden bizarren Rechte und Beſchränkun⸗ 
gen des Cigenthums und andere Maffen des Chaos der englis 
fchen Gefege betreffen, — Ideen, die in Frankreich mit vielen 
weitern Abſtraktionen vermengt und mit den bekannten Gemalt: 
thätigkeiten verbunden, umpermifchter in Deutſchland längft zu 
feften Prineipien der innern Weberzeugung und der öffentlichen 
Meinung geworden find, und die wirtlide, ruhige, allmälige, 
gefeglihe Umbildung jener NRechtsverhältniffe bewirkt haben; fo 
daf man bier mit den Inſtitutionen der reellen Freiheit ſchon 
weit fortgefchritten, mit den wefentlichften bereits fertig und in 
ihrem Genuffe ift, während die Regierungsgewalt des Parlaments 
kaum noch ernftlih daran erinnert worden, und England von 
den dringenden Forderungen jener Grundfäge und von einer 
verlangten raſchen Verwirklichung derfelben in der That die 
größten Erſchütterungen feines gefellfhaftlichen und des Staats— 
Verbandes zw fürdten hätte. So enorm innerhalb Englands 
der Kontraft von ungeheurem Reichthum und von ganz rathlo⸗ 
fer Armuth if, fo groß, und leicht noch größer, ift der, welcher 
zwifchen den Privilegien feiner Ariftotratie und überhaupt den 
Inſtitutionen feines pofitiven Rechts einer Seits und anderer 


464 VII. Auffäge vermifchten Inhalts. 


Seits zwifden den Rechtsverhältniffen und Gefegen, wie fie ſich 
in den civilifirteren Staaten des Kontinents umgeftaltet haben, 
und den Grundfägen flatt findet, die, infofern fie auf die allge 
meine Bernunft gegründet find, auch dem englifchen Verſtand 
nicht, wie bisher, fo immer fremd bleiben können. — Die novi 
homines, von denen der Herzog von Wellington‘ beforgt, daf 
fie fih an den Pag bisheriger Staatsmänner eindrängen wer 
den, mögen zugleih an diefen Grundfägen für den Ehrgeij 
und die Erlangung von Popularität die flärkfie Stütze fin 
den. Weil es in England nicht der Fall ſeyn kann, daß Diele 
Grundfäge von der Regierungss Gewalt, die bisjegt in den Hat 
den jener privilegirten Klaffe ift, aufgenommen und von ihr ans 
verwirklicht werden, jo würden die Männer derfelben nur als 
Dppofition gegen die Regierung, gegen die beſtehende Ordnung 
der Dinge, und die Grundſätze ſelbſt nicht in ihrer konkreien 
praftifchen Wahrheit und Anwendung, wie in Deutſchland, fondem 
in der gefährlichen Gefialt der franzöſiſchen Abſtraktion einten 
müffen. Der Gegenfag der hommes d’elat und der hommesä 
prineipes, in der Frankreich zu Anfang der Revolution gleich gan 
ſchroff eintrat und in England noch keinen Fuß gefaßt hat, mag wohl 
durd die Eröffnung eines breiteren Wegs für Parlaments- Site 
eingeleitet ſeyn; die neue Klaffe kann um fo leihter Fuß faſſch 
da die Prineipien felbft als folde von einfacher Natur find, des 
wegen fogar von der Unwiſſenheit ſchnell aufgefaßt und mit 
einiger Leichtigkeit des Talents, (weil fie um ihrer Allgemein 
heit willen ohnehin die Prätenfion haben, für Alles auszurei⸗ 
den), fowie mit einiger Energie des Charakters. und des 
Ehrgeizes für eine erforderliche Ales angreifende VBeredfamteit 
ausreihen und auf die Vernunft der zugleich eben fo. hierin 
unerfahrenen Menge eine blendende Wirkung ausüben; woge⸗ 
gen die Kenntnif, Erfahrung und Gefchäfts-Routine der hom- 
mes d’etat nicht fo leicht ſich anſchaffen laſſen, welche für 

BT 0 22 





\ 


6. Weber die englifhe Neforms Bill. 465 


die Anwendung und Einführung der vernünftigen Grundfäge in 
das wirkliche Leben glei) nothwendig find. n 

Durd ein foldes neues Element würde aber nicht nur, dies 
jenige Klaffe geftört, deren Zuſammenhang die Staats-Geſchäfte 
in Händen bat, fondern es iſt die Regierungsgewalt, die aus ih— 
rem Gleife gerüdt werden könnte. Sie liegt, wie bemerkt wor- 
den, in dem Parlament; fo fehr es in Parteien unterfchieden ift, 
und mit fo großer Heftigkeit diefe einander gegenübertreten, fo 
wenig find fie Faktionen; fie ſtehen innerhalb deijelben allgemei— 
nen Intereffes, und ein Minifterwechfel hat bisher mehr nad) 
aufen, in Rüdficht auf Krieg und Frieden, ald nad) innen bes 
deutende Folgen gehabt. Das monarchiſche Princip hat. dagegen 
in England nicht mehr viel zu verlieren. Der Abgang des wel- 
lington’fhen Minifteriums ift befanntlih dur die Minorität 
veranlaßt worden, in der es fi über die vorzunchmende Re— 
gulirung der Eivil=Lifte des Königs befand; — eine Veranlaf- 
fung, die von dem befonderen Intereffe iſt, daß fie eines der 
wenigen Elemente betraf, die noch von dem monarchiſchen Prin- 
eip in England übrig find. Der Reft der Domänen= Güter, die 
jedoch den Charakter von Familiengut, von Privat Eigenthum 
der königlichen Familie, eben fo gut hatten, als die Güter der 
berzoglichen, gräflihen, freiherrlihen u. f. f. Familien in Eng» 
land, war im vorigen Jahrhundert an die Schatzkammer über- 
laffen und zur Entfehädigung eine dem Ertrag entfprechende, 
unter dem übrigen jährlih vom Anterhaufe zu verwilligenden 
Budget mitbegriffene Summe fefigefegt, worden. Dief Domänen 
Gut, der ſchmale Reſt des frühern großen Vermögens der Krone, 
das durch Verſchwendungen, vornehmlich durd das Bedürfnif, 
in bürgerlichen Kriegen Truppen und, den Beiftand von Baro- 
nen zu erkaufen, fo, ſehr gefhwächt worden war, hatte eine Aus—⸗ 
ſcheidung von dem, was Familiengut bleiben, und dem, was für 
allgemeine Staats= Zwede verwendet werden follte, nicht erfah⸗ 
ten. Wenn nun, die Qualität von Familien» und Privat: Eis 

Vermiſchte Schriften, * 30 


Bo 


466 VII. Auffäge vermifchten Inhalts. 
genthum, die einem Theile jenes Vermögensreſtes zukam, wenig 
fiens der Form nach durch feine Werwandlung aus Grundeigen⸗ 
thum in eime in das jährliche parlamentarifche Budget einge 
ſchloſſene Verabfindungs- Summe bereits alterirt worden war, 
fo blieb doch noch eine Geftalt monardhifcher, obgleich dem Mi- 
nifterial= Konfeil unterworfener, Einwirkung auf diefen gerit- 
gen Theil der jährlichen großbritanniſchen Staats- Ausgabe. Durh 
die nenerlich von dem Parlamente verfügte Ausfcheidung eins 
Theils, der zur Dispofltion des Königs für fi und feine Fam 
lie geſtellt ift, und der Anheimgebung des andern ſchon bisher 
auf Staats Zwede verwendeten an die parlamentarifche Berfüs 
gung wird auch diefes Weberbleibfel Föniglich = monarchiſcher Die- 
pofition aufgehoben. Es läßt ſich dabei nicht überfehen, da dir 
Majorität, weldpe "gegen ein monarchiſches Element bedeutend 
genug war, um das wellington’fche Minifterium zur Abdantung 
zu vermögen, bei der. zweiten Leſung der Reform= Bill, welhe 
gegen ariſtokratiſche Prärogativen gerichtet ift, —— 
von Einer Stimme war. vi Ju 
Als charakteriſtiſch für die Stellung des — — 
ments Tann ber, wie bei der katholiſchen Emancipations⸗Sil 
fo auch in den Verhandlungen über die Reform Bill, dem Mi 
nifterium gemachte Vorwurf angefehen werden, daß es nämlich 
die diefer Maafregel zu Theil gewordene Zuſtimmung des Ki 
nigs habe laut werden laffen. Es Handelt fich hier micht um die 
Ausübung einer monarchiſchen Machtvolltommenheit; was umge 
hörig gefunden wird, iſt mur die Autorität oder der Einfluß, den 
die perfönliche Anſicht des Königs ausüben könnte. So fehr 
damit einer Seits eine Delikateffe, bei der Verhandlung der 
Bil niet in die Verlegenheit, dem Willen des Monarchen zu 
widerſprechen, gefegt werden zu wollen, "geltend gemacht wird, 
fo fehr liegt darin, daf das Parlament auch in Betreff der 
Initiative, welche dem monardifchen Elemente, der Krone, zus 
ſteht, es nur mit einem von ihm abhängigen und ihm’ inkorpo⸗ 





6. Heber die englifche Reform «Bill. 467 


rirten Minifterium, und eigentlich nur mit den eignen. Misglies 
dern, da die Minifler nur im diefer Qualität den Vorſchlag zu 
einer Bill machen können, zu thun haben wolle, wie denn aud) 
das dem Könige, als drittem Zweige der gefeggebenden Macht, 
zufichende Recht der Beflätigung oder Verwerfung einer von den 
beiden Häufern angenommenen Bill in ſofern mehr nur illuſo⸗ 
rifch wird, als das Kabinet wieder daffelbe, dem Parlamente 
einverleibte Minifterium if. Der Graf Grey hat auf jenen 
Borwurf erklärt, daß in der Einbringung der Bill durch das 
Minifterium ſchon von felbft die königliche Cinftimmung ent 
halten fey, aber den Tadel der ausdrüdlicen Erzählung, daf fie 
die Auftimmung des Königs habe, nur dadurch abgewälzt, daß 
diefe Erwähnung nicht von den Miniſtern, fondern von anders 
wärts ausgegangen: ſey. 7 | ern 
Der eigenthümliche Zwiefpalt, weldyer durch bie neuen. Min: 

ner in das Parlament gebracht werden könnte, würde daher nicht 
der Kampf seyn, Mit welchem jede der, mehreren frangöfifchen 
Konftitutionen jedesmal darüber. brgann, ob die Regierungsge- 
walt dem Könige und feinem Minifterium, als welcher Seite 
fie ausdrüdlic zugelegt war, wirklich zukommen folltez in dem 
Zuftande der englifchen Staats- Verwaltung iſt längſt entſchie— 
den, was in frankreich einer entscheidenden authentiſchen Inter— 
pretation durch Infurcektionen und Gewaltthatendes‘ infurgirten 
Volkes immer erſt bedurfte, Die Neuerung der Neforms Bill 
kann daher nur die effektive Regierungsgewalt treffen, welche 
im Parlament etablirt iſt; dieſe erleidet nad dem bisherigen 
Zuflande nur oberflählihe Schwankungen, die als Wechſel von 
Minifterien erfeheinen, feinen wahrhaften Zwiefpalt durd Prin— 
cipien; ein neues Miniſterium gehört‘ derfelben Klaffe von In— 
tereffen und von Staatsmännern an, welder das vorhergehende 
angehörte. Wenn nun 'aud das jogenannte Intereffe des Ader- 
baues erklärt zu haben ſcheint, bei der neu einzuführenden Wähl⸗ 
act feine Rechnung zu finden, auch ein grofer Theil der) bishe— 

30 * | 


470 VIII. Auffäge vermiſchten Inhalis. 6. Ueber d. eng. Meform-Bil, 


bau, fo gut wie gar nicht eingreift. Dieſer freiere Zuſtand des 

bürgerlihen Lebens Fann die Wahrfcheinlichkeit vermehren, daß die 
formellen Prineipien der freiheit bei derjenigen Klaſſe, welche über 
der niederen, in England freilich höchſt zahlteichen und für jenen 
Formalismus am meiften offenen Klaffe fieht, fobald den Ein- 
gang nicht finden werden, den die Gegner der kl in 
drohender Nähe zeigen. 

Solite aber die Bi, mehr noch durch ihr Princip, als 
duch ihre Dispofitionen, den dem bisherigen Syſtem entgegen 
gefesten Grundfägen den Weg in das Parlament, fomit im den 
Mittelpunkt der Regierungsgewalt, eröffnen, fo daß fie Mit gr 
ferer Bedeutung, als die bisherigen Nadital-Meformer zu ge⸗ 
winnen vermochten, dafelbft auftreten könnten; ſo würde der 
‚Kampf um fo gefährlicher zu werden drohen, als zwiſchen den 
Intereffen der pofitiven Privilegien ımd den Forderungen ber 
reellern Freiheit keine mittlere höhere Macht, fie zuriickzupalen 
und zu vermitteln, fände, weil das monardifche Element hier 
ohne die Wacht ift, durch welche ihm andere Staaten den Ir 
bergang aus der frühern, nur auf pofitives Recht gegründeten, 
Gefegebung in eine auf die Grundfäge der reellen Freiheit ba 
firte — und zwar einen von Erfchüitterung, Gewaltthätigkeit und 
Raub rein gehaltenen Uebergang verdanken konnten. Die an: 
dere Macht würde das Volk ſeyn, und eine Oppofition, Die, auf 
einen, dem Befland des Parlaments bisher fremden, Grund ge- 
baut, im Parlamente der gegenüberfiehenden Partei ſich nicht 
geivachfen fühlte, würde verleitet werden können, im Wolke ihre 
Stätte zu ſuchen und dann rat einer Reform eine nn 
—— 


miles 


uam Wurm \ 





+ 


IX 23.4 Pu TB, 


4. Aug bem Koncepte zu einem Briefe an IB. Voß in 
Keibelberg. 
Jena 1805, 

IJIn⸗ bat mich an ſich gezogen, als ich unter drei Aufenthalts— 
orten zu wählen hatte, in der Zeit, als ich mich der Wiſſenſchaft 


übergab. Denn wenn es auch nur die Gemeinſchaft des Wohns 


orts if, wo mit Eifer und aus eigenem Thun Kunft und Wiſ⸗ 
fenfhaft ſich regt, fo hat diefe Wirkfamteit die, Gewalt über 
den aufftrebenden Geift, ihm einen höheren Begriff feines Thuns 
mit mehr Wahrheit vorzuhalten. — Daß Iena die Interefie 
verloren hat, wiſſen Sie felbft am beften, indem Sie es felbft 
dadurch, daß Sie es verlaffen, fhmälern halfen. In Heidelberg 
fehen wir das wieder aufblühen, was hier verloren gegangen ifl, 
In der Nähe des Kreifes folder Männer zu leben, die ſich dort 
verfammeln, muß ich zum wärmſten Wunfche machen. ‚Meine 
MWiffenfhaft, die Philofophie, und zwar die neue Philofophie, 
wird fi dort Feiner ungünftigen Anſicht zu gewärtigen haben; 
die den befonderen Disciplinen vorfiehenden Männer find gewiß 
überzeugt, daf fie die Secle aller Wiſſenſchaften ift, alle empor= 
hebt und weiter treibt. Ohne Regfamteit erfhlaffen die einzel- 
nen Wiſſenſchaften, diefe erhalten fie durch den Begriff, der von 
der Philofophie ausgeht, die die Wiffenfhaften in ihr, Eigen» 
thum verwenden, fo wie fie wiederum von ihnen ihre Nahrung, 


474 IX. Briefe. 


Materie und Reihthum erhält. In wie fern ich hierbei etwas zu 
leiften vermögend ſeyn könnte, kann ich nicht ausſprechen; was ein 
jeder ift, das muf er durch feine That und feine Wirkung auf 
Andere bewähren; ih kann mid nur auf unfertige Werke bes 
rufen. Wenn ich von dem, was ich in der Wiſſenſchaft leiſten 
könnte, ſprechen foll, ſo habe ich nach den erfien Ausflügen, bie 
für den billigen Beurtheiler als Verſuche daliegen (in dem kri— 
tifchen Journal), vor dem größeren Publikum geſchwiegen und 
vor einem kleineren Kreiſe Vorleſungen über die geſammte Wiſ— 
ſenſchaft der ſpekulativen Philoſophie, Philoſophie der Natur, 
des Geiſtes und Naturrecht gehalten. Außerdem würde ich in 
Heidelberg über die Aeſthetik in dem Sinne eines cours de li- 
terature leſen und mid glücklich ſchäzen, mich Ihrer Uns 
terftügung dabei erfreuen zu dürfen. Eine größere Arbeit (die 
Phänomenologie des Geiftes) werde ich auf den Herbft als ein 
Syſtem der Philofophie darlegen; id hoffe, dag wenigfiens fh 
daraus fo viel ergeben wird, daf es mir nit darum zu tun 
ift, den Unfug des Kormalismus zu fordern, den die Unwiſſen- 
heit gegenwärtig befonders mit Hülfe einer Terminologie treibt, 
wohinter fie fich verftedt. Luther hat die Bibel, Sie Homer 
deutſch reden gemacht, das größte Geſchenk, welches dem Volke 
geboten werden konnte; denn ein Volk ift fo lange barbariſch 
und ſieht das Vortreffliche nicht als fein Eigenthum an, als «8 
daffelbe nicht in feiner Sprache kennt. Wenn Sie diefe beiden 
Beifpiele vergeffen wollen, fo will id) von meinen Befirebungen 
fagen, daß ich verſuchen will, die Ppilofophie deutſch ſprechen zu 
Ichren. Iſt es einmal fo weit gekommen, fo wird es unendlich 
ſchwerer, der Plattheit den Schein von tiefem Reden zu geben. — 
Dieß führt mid) nun auf einen andern Grgenftand, der 
mit den vorhergehenden in naher Verbindung ſteht. Es ſcheint 
die Zeit für Deutſchland gefommen zu feyn, daf, was Wahr- 
heit ift, offenbar werde, in Heidelberg fcheint eine neue Morgen⸗ 
wöthe dem Heil der Wiſſenſchaft aufgehen zu können, und Sie, 





1. An 3. H. Voß. — 2, An van Ghert. 4755 


theuerfter Here Hofrath, find es vorzüglich, der mir diefe Hoff: 
mung giebt. Ein Grundverderben fcheint mie das Zufehen, der 
Mangel an Publicität der Wiffenfchaft, bei aller freiheit, welche 
von Staatswegen eben fo fehr gewährt, als von unnügen Mäulern, 
welche nur das allgemeine Gefhwäg vorbringen, gerühmt wird, 

Laſſen Sie mid nod meine Gedanken von der Hoffnung 
einer wirkſamen, ih die allgemeine Bildung eingreifenden, Bethäs 
tigung der Wiſſenſchaft und Kunft ausfpreden, einer Hoffnung, 
die mit meinem geäußerten Wunfche, den Lehrern Heidelberg’s 
zugtzählt zu werden, aud) darum fo nahe zufammenhängt, weil ich 
die Erfüllung deſſelben vorzüglich Sea ne > Eur 
nn - anheim ftelle. — 





2. An Hau Sheet in Xinftecbam, | * 
Hochgeſchätzter Herr In Freund! 

Die Kataftrophe von Jena hatte meine Weifättnife's * * 
ner Univerfität allerdings zerſtört, und mid genöthigt, eine Bes 
fhäftigung zu übernehmen, die mir eine augenblictiche Hülfe 
verfchaffte, und es erlaubte, die Zeit befferer Ausſichten abzu: 
warten. Ich bin nun feit einem Jahre Rektor und Brofeffor 
der philoſophiſchen Wiffenfchaften am hieſigen Gymnaſtum, mit 
ungefähr 1100 FL Befoldung, wodurd für die nächte Noth—⸗ 
wendigkeit des ökonomiſchen Bedarfs geforgt iſt. Ich hatte eine 
Hoffnung, durch die neuern politiſchen Veränderungen eine Ges 
legenheit zu einer Lehrſtelle auf einer Univerſttät zu erhalten; 
inzwiſchen hat ſich jedoch noch nichts darüber entfdieden. — Sie 
werden nach Ihrer Theilnahme an meinem Schickſale hieraus 
gern erfchen, daß daffelbe wenigſtens nicht fo ſchliimm als Sie 
gefürchtet, und erträglich war. Meine Amtsbeſchäftigung hat 
zwar eine heterogene Seite, liegt jedody meinem eigentlichen Ins 
tereffe für Philofophie im ihrem firengen Sin ganz hu a 
ift zum Theil wirtlich damit verbunden. 





476 IX, Briefe. 


Ich Könnte übrigens nicht anders, als meiner gegenwärtigen 
Lage diejenige vorzuzichen, zu welcher Sie mir eine Ausficht zu 
eröffnen und Ihre Verwendung anzubieten, die Freundfchaft ha: 
ben. — In Anfehung der Sprade, in der die Kollegien auf 
holländif—hen Univerfitäten zu halten gewöhnlich ift, fo würde 
dieß in lateiniſcher Sprache, wenigflens im Anfange, gefchehen 
müffen; wenn die Gewohnheit es erlaubte, hiervon abzugeben, 
würde ich mid bald in der Landesfprahe auszudbrüden firchen; 
denn ich halte es an ſich für wefentlich zur wahrhaften Uneig- 
nung einer Wiffenfhaft, daß man diefelbe in feiner Vrutterfprade 
befist. — Eines wichtigen Umſtandes thun Sie Erwähnung 
der in Holland herrfhenden Gleichgültigkeit oder Abneigung ges 
gen Philofophie, befonders gegen deutſche. — Es käme hierbei 
näher darauf an, zu wiffen, ob Philofophie wenigftens als all: 
gemeines Erforberniß zur Bildung und zum Studium überhaupt 
angefehen wird, und für die Einleitung und abftratte Grumdlage 
der übrigen Wiffenfhaften gilt, und ob deren Studium, als von 
propädeutifhem Werthe, vorgefhrieben ift. In fofern fie auf ein 
feloftftändiges und fogar das höchſte Intereſſe Anſpruch machen 
kann, muß der Lehrer überdieß allenthalben zugeben, daß fie nur 
für Wenige diefen Werth hat. Je objektiver die Form iſt, welde 
die Wiſſenſchaft der Philofophie überhaupt gewinnt, defto unbe: 
fangener und anfpruchslofer wird ohnehin ihre Geftalt, und deflo 
fähiger, es dem Empfangenden zu überlaffen, fie in der bloßen 
Bedeutung eines Mittels und Eingangs, oder aber in ihrem 
vollem Werthe zu nehmen, was aud in Deutfhland nur bei 
dem geringeren Theile von Individuen der. Fall’ feyn wird. — 
Zum Boraus wüßte ih doch, dag ih an Ihnen einen warmen 
und treuen ‚Freund der Philofophie fände, und es wäre ſehr ans 
genehm für mich, im Ihrer Nähe zu feyn. — Eine nähere 
Hoffnung, auf einer deutſchen Mniverfltät eine Lehrfielle zw er— 
halten, würde mich in Anſehung der Wahl in Verlegenheit 


fegen. 5 20 77 5" 


2, An van Ghert, 477 


Was die Fortfegung meines philoſophiſchen Werkes betrifft, 
nad) der Sie ſich Iheilnehmend erkundigen, fo habe ich nur uns 
terbrochen daran arbeiten können. — Für Ihr gütiges- Aner- 
bieten, in Anfehung eines Verlags in Amfterdam fih bemühen 
zu wollen, bin id Ihnen ſehr verbunden, und behalte mir vor, 
von Ihrer gütigen Erlaubnif, mich darüber an Sie wenden zu 
dürfen, im Notbfalle, feiner Zeit Gebraudy zu machen 

Ich ſchließe mit der wiederholten Bezeugung meiner Freude 
über Ihr Wohlergehen und Ihr gütiges Andenken an mich; ic) 
wünfde ftete Fortdauer des erflern und bitte Sie um: gütige 
Fortfegung des andern, und bin mit der größten Hohadtung 


Ihr, hochgeehrtefter Herr und werthefter Freund, 


gehorfamfter Diener und Freund 
Nürnberg, -d. 16. Dechr. Rektor und Profeffor 
1809. Hegel, 


An Denfelben. 


Hochgeſchätzter Herr und Freund! 
Nürnberg, den 15. Okthr. 1810, | 


Die politifchen Veränderungen in Ihrem Baterlande wers 
den ohne Zweifel auch auf die Einrichtung und den Beftand 
Ihrer fonft fo wohl begründeten Univerfitäten Einfluß haben, 
Diefe ehrwürdigen und rei dotirten Sige grümdlicher Gelehrs 
famteit, die ihren Ruhm fortdauernd erhalten, werden, traurig 
genug, dem politifhen Schidfale des Ganzen folgen müffen, 
Körper jener Art, die ein für ſich beftehendes, freies Ganze aus- 
machten, gerathen freilich mit der Zeit in eine Art von Stagna⸗ 
tion, behalten aber eine gewiffe Gediegenheit, die unfern moder- 


nen deutfchen Akademien immer mehr fehlen wird, je mehr fie, 
wie es mit den franzöſiſchen Infiituten der: Fall zu ſehn scheint, 
nad) äußerer Nützlichteit und nach Staats» Zweden Hin gerich⸗ 
tet werden, und nicht mehr als etwas, das am und für ſich und 
in fich geſchloſen fepn foll, als Werkſtätte der Gelehrſamten 
als folder, gelten. Der Zweig der Philofophie, der in dem hol⸗ 
ländifhen Infituten ſich feine tiefen Wurzeln 'gegraben hatte, 
wird freilich noch weniger dabei gewinnen; in jegiger Zeit müfs 
fen wie nur darauf denken, daß fie fich in einzelnen Individuen 
erhält und fortpflanzt, bis die Regierungen und das weitere Pus 
blitum von feiner äußern Noth und Drang ſich wieder erhebt md 
nach Höherem ſieht. 

Es hat mich ſehr intereſſirt, daß Sie * mit dem Magn: 
tismus befchäftigten; diefe dunkle Region des organifchen Ber 
hältniffes fcheint mir au darum große Aufmerkffamkeit zw vers 
dienen, weil die gemeinen Phofiologifhen Anſichten darin wer 
fhwinden; gerade feine Einfachheit halte ich für das Mlertwür 
digfte, denn das Einfache pflegt immer für etwas Dunkles aus 
gegeben zu werden. Auch der Fall, in welchem Sie den Magne- 
tismus angewendet, war eine Stodung in den höhern Syſtemen 
des Lebens=Procefies. Um meine Meinung kurz zu fagen, jo 
ſcheint er mir überhaupt in ſolchen Fällen wirkſam, wo ein 
krankhaftes Ifoliren in der Seite der Senfibilität, z. B. auch 
NRheumatism, eintritt, und feine Wirkung in der Sympathie zu 
beftehen, in die eine animalifche Individualität mit einer andern 
zu treten vermag, in fofern die Sympathie derfelben mit fh 
ſelbſt, ihre Flüffigkeit in fi, unterbrochen und gehemmt iſt. Jene 
Vereinigung führt das Leben wieder in feinen durchdringenden 
allgemeinen Strom zurüd. Die allgemeine Idee, die ih davon 
habe, ift, daß der Magnetismus dem einfachen allgemeinen Le— 
' ben angehört, das ſich dabei als der Duft des Lebens überhaupt, 
ungefondert in befondere Syſteme, Organe, und deren ſpecielle 
Wirkſamkeit, als eine einfahe Seele verhält und manifeftirt, 








2, An van Öhert. 479 


womit der Somnambulismus und überhaupt die Aeuferungen 
zufammenhängen, die fonft an gewiffe Organe gebunden, Bier 
von andern faft promiscue verrichtet werden können. 

Es ift mir lieb, wenn die Anzeige meiner philofophifchen 
Schrift in den heidelberger Annalen, die Wirkung gehabt hat, 
das Yublitum mehr aufmerkfam darauf zu maden, dieß ift zu⸗ 
nächſt das Weſentliche, was NRecenfionen leiften können; fo wie 
es mich freut, daf Herr Bachmann fi fortdauernd mit Philos 
fophie befchäftigt, und nad) feinem Eifer und Kenntniffen etwas 
darin leiften wird. Es fiheint allerdings, wie Sie auch in Ih— 
rem Briefe bemerken, der Inhalt habe ihn, wie auch einige an- 
dere Recenfenten vorzüglich befehäftigt; das, worauf bei allem 
Dhilofophiren, und jest mehr als fonft, das Hauptgewicht zu 
legen ift, ift freilich die Methode des nothwendigen Zuſammen⸗ 
hangs, des Uebergehens einer Form in die andere, Dod) ift 
jene Anzeige, fo viel ich wenigſtens gefehen, noch nicht gefchlofs 
fen, und kommt vielleicht nod darauf zu reden. 

Ihr 
ergebenſter 
Hegel, 


An Denfelben. 
Hochverehrter Here und Freund! 


Endlich ift Ihre gütige Abſicht erreicht, und Jakob Böhm 
fammt den andern Beilagen mir mwohlbehalten zugefommen. 
Id ftatte Ihnen für dieß ſchöne Geſchenk des Andentens und 
der Freundſchaft meinen herzlihen Dant ab; es hat mich fehr 
erfreut; die Ausgabe und das Eremplar ift fehr vorzüglid. — 
Id kann Jakob Böhm num genauer fludiren als vorher, weil 


ich nicht felbft im Befig feiner Schriften war; feine Theoſophie 


iſt immer einer der merkwürdigſten Verſuche eines tiefen, jedoch 
ungebildeten Menſchen, die innerſte Natur des abſoluten Weſens 









480 IX. Briefe > 
zu erfaffen. — Für Deutfchland hat er das befondere Intereſe, 
daß er eigentlich der, erſte deutſche Pbilofoph iſt. — Bei d 
wenigen Fähigteit feiner Zeit, und bei der.eigenem 
dung, abſtrakt zu denten, ift fein Beſtreben der Bürste Rum, 
das tiefe Spekulative, das er in feiner Anfchauung hat, in die 
Vorſtellung zu bringen, und zugleich das Element des Borfick 
lens fo zu gewältigen, daß das Spekulative darin ausgedrüdt 
werden könne. Es bleibt deswegen fo wenig Stätes und. Fels 
darin, weil er immer die Unangemefienheit der Vorftellung zu 
dem fühlt, was er will, und fie wieder umkehrt; wodurch, weil 
dieſes Umkehren der abfoluten Reflexion ohne beflimmtes Ber 
wußtſeyn und ohne die Begriffsform if, eine fo große Verwirrung 
erfcheint. Es wird ſchwer, oder wie mir fheint, unmöglich ſeyn 
aufer der Anerkennung der allgemeinen Tiefe feiner Grundydrin⸗ 
cipien, das zu entwirren, was En Detail und Beſtimmiheit 
hingeht. 2 
— 


An Denſelben. 
Nürnberg, den 18, Dechr. 4812, 
Ich verdante es vornehmlich Ihnen, daß meine Arbeiten in 
Holland Aufmerkfamkeit erregen; es thut mir leid, daß über 
das Schwere der Darftellung geklagt wird. Die Natur folder 
abftrakten Gegenflände bringt es aber mit fih, daß ihren Bears 
beitungen nicht die Leichtigkeit eines gewöhnlichen: Leſebuchs ge⸗ 
geben werden kann; wahrhaft ſpekulative Philoſophie ann auch 
nicht das Gewand und den Styl locke'ſcher oder der gewöhnlichen 
franzöſiſchen Philofophie erhalten. Uneingeweihten muß jene 
ihrem Inhalte nad ohnehin als die verkehrte Welt erfcheinen, 
als im Widerſpruche mit allen ihren angewöhnten Begriffen, 
und was ihnen fonft nad dem fogenannten gefunden: ! 
verftande als gültig erfhien. — Andern Theils aber muß. ih 
äufrieden ſeyn, vor’s erſte mir die Bahn gebroden zu haben; 


2. An van Ghert. 481 


unfer ganzer Zuſtand bringt es mit ſich, daß ich diefe Arbeit 
nicht noch zehn Jahre herumtragen und fort daran beffern kann, 
um fie in jeder Rüdficht vollendeter vor das Publikum zu 
bringen; ich habe zu diefem und zu den Haupt= Jdeen wenige 
ftens das Zutrauen, daß fie fih Eingang verfchaffen. 

In Anfchung meiner Differtation würde ich gern Ihr Ver— 
langen erfüllen; aber ic habe kaum nod ein Eremplar davon; 
Sie verlieren ohnehin nicht viel; — zum Studium der Aſtro— 
nomie iſt es beinahe gleichgültig, welche Anleitung Sie zur Hand 
nehmen; Bode’s Lehrbücher haben viel populaires Verdienſt. In 
das Tiefere einzudringen, erfordert Geläufigkeit des Differential— 
und Integral-Kalkuls, beſonders nad) den neueren franzöſiſchen 
Darftellungen, . ’ 

Ihr * 
aufrichtiger und ergebenſter 
Hegel. 


An Denfelben, 

Heidelberg, den 25. Juli 1817; 

— Die näheren Urfadhen aber diefes langen Yuffhubs was 

von, daß ich voriges Jahr das Schreiben fo Lange anſtehen 
laffen wollte, bis ich Ihnen die Vollendung meiner Logik, deren 
zweiter Theil, wie ich aus Ihrem Briefe erſehe, nah meiner 
MWeifung angelangt if, — und da igt die Unterhandlung meis 
ner Verſetzung auf eine Aniverfität einfiel, bis ich Ihnen die 
Entfcheidung hierüber melden könnte; id war von der baierſchen 
Regierung nad) Erlangen zur Profeſſur ernannt, zugleich erhielt - 
ih aud einen Ruf nah Berlin, als ih eben für Heidelberg 
mein verbindendes Wort gegeben hatte; — eine Beftimmung; 
die ich bisher noch Leinen Augenblid zu bereuen Urſache gefuns 
den habe. Bor Allem aus wünfche id Ihnen, obgleich ich von 
den Lesten der Gratulanten ſeyn werde, recht fehr Glüd zu Ihren 

Vermiſchte Schriften, * 31 


482 IX. Briefe, 
neuen Celle in Bräfet; ich ſtelle mir fe als ſehr delikat vor, 
befonders da Sie Proteftant find, — Einige der Profeſſoren, 
die nad Belgien berufen worden, kenne ich; Becker, der bier 
fiudirte, hat vorigen Winter bei mir gehört; Stahl, aus Land 
but, der ehemals in Jena war, ift, fo viel ich weiß, proteſtantiſch 
Sie finden cs nit gut, daf man die hulländifhen und bra 
bantifchen Univerfitäten nicht mehr amalgamirt habe; ich muh 
darin anderer Meinung ſeyn; durch die fharfe Scheidung und 
genaue Bewahrung deffen, was jede Partei für ihr Recht anfe 
hen kann, wird das erſte Ucbel, das allen Verbeſſerungen und 
Näherungen fich widerfest, das Miftrauen aufgehoben; ſe— 
bald durch jenes Mittel ein Vertrauen gewonnen, fo macht 
ſich daffelbe fo wie alle die Berpallifadirungen des Mif—⸗ 
trauens nad) der Hand von felbft überflüffig und zerſtört 
fi. — Auch habe id) in mehrern deutfchen Ländern die Täu— 
{hung gefehen, daf die ſich unparteiifch meinende Umparteilih- 
keit alle äufern Schranken aufhob, und dadurch die Weöglihfeit 
gewann, unter dem Vorwande der Unparteilichteit Pparteiifh m 
fegn. — Sie erwähnten in einem frühern Briefe Friedrich 
Schlegel's, als eines, der wohl geneigt feyn möchte, für Freiheit 
‚von ultramontanen Grundfägen thätig zu ſeyn; ich Habe aber 
alle Gründe, zu vermuthen, daf gerade das Gegentheil bei ihm 
der Fall ſeyn möchte. A 
Für die Meberfendung Ihres zweiten Tagebuchs — 
oder vielmehr mehreren magnetiſchen Kuren, das, ich vor etwa 
vier Wochen empfangen, danke ich Ihnen chen fo ſehr als für 
das erfte; im zweiten insbefondere habe ich mehrere ſehr in— 
tereffante Umftände angegeben gefunden; wenn ic dazu kommen 
tann, will ich in den heidelberger Jahrbüchern eine Anzeige da 
von madıen. — 7 
Meine Enchklopädie der philofophifchen — — 
ich vor einigen Wochen zum Gebrauch bei meinen Vorleſungen 
vollendet; ich werde ein Exemplar davon an Sie beſtellen laſ— 







2. An van Ghert. — 3, An Daub. 483 


fen. — Bei der wenigen Nahrung und Ermunterung, welche 
das philofophifche Studium feit langer Zeit gefunden, habe ich 
doch mit Vergnügen die Theilnahme bemerkt, welche für eine 
beffere Philofophie fich fogleich bei der Jugend zeigt, wenn ihr 
eine ſolche geboten wird, und ich bin daher fowohl mit diefem 
Intereffe der Jugend, als mit meiner Situation auf der Univers 
fität ganz wohl zufrieden. 

* | 
Prof. Hegel. 


3. An Daub in Heidelberg. 
Hochwürdiger, Hochzuverehrender Herr Prorettorl 


So ſehr mich Ihr gütiges Schreiben vom 3, vorigen Mo⸗ 
nats erfreut hat, fo haben mich insbefondere die freundfchaftlichen 
Gefinnungen eines Mannes, für den ich feit lange eine Rn 
Berehrüng empfinde, immer gerührt. AR 
Auf die gemachte geehrte Unfrage, ob ich die Stelle eines 
ordentlichen Profeffors der Philofophie in Heidelberg, mit einem 
Gehalt von 1300 Fl. und den bezeichneten Naturalien anzuneh— 
men geneigt wäre, beeile ich mich, zw erwiedern, daß mein ge- 
genwärtiges Gehalt in 1560 Fl. beftcht; dennoch bin ich aus 
Liebe zum akademiſchen Studium geneigt, dem Rufe gegen die 
angegebene Befoldung zu folgen; hoffe jedoch, da ich hier eine 
Amtswohnung habe, die in den biefigen niedrigen Miethspreis 
fen auf 150 Fl. anzufchlagen ift, dag mir auch der Vortheil 
der Wohnung zugeftanden werde, die der abgehende Hofrath 
Fries inne hatte, indem im Heidelberg Wohnungen etwas —* 
zu bekommen ſeyn ſollen. 

Ich hoffe auch die Zuſage der Regierung zu erhalten, daf 
fünftighin mein Fixum nad Verhältniß der Zufriedenheit der⸗ 
felben, die ich mir zu erwerben mich befireben werde, und nad) 

i 31 * 























—* gefegt — idw — 
Profeſſur der Philoſophie in Vorſchlag gebracht bin; 
Vortheile, die ich durch die Aufopferung d jr A fi Mr 
darf ich in dem, erwähnten —* der 

"Wegen des Wittwen- — Seh ser Mi 
Iorem gefbästen, Da Brite ine ale —— 

mr 

Meinem Eintreten für das 2 inter- Semefler wi 
nichts weiter im Wege fiehen, fo wie der < — 
bald die Verehrung und vollkommenſte S 
auszudrüden, mit der ich bin —— = 
Da ra 7 ea ri 


— h 





ri ann 2 Tuer 7 

Reber, d 6 Aug: 1516. 

ee u 0er 7 r 2 
ren IE RN 1 1 

n Denfeiber 


pa mn Curer Magnifien; — 


Kae ar ws en AA — 
beantworte ich mit umlaufender Poſt Ihr ge 
vom 16. d. kürzlich, um Ihnen zu —** 
Verwilligung einer Verbeſſerung der — 
1500 Fl. gebracht iſt, auch die legte, die ökon 
— 
— ——— 


——A— ww u u 


3. An Daub. 485 


Ihnen daher nicht zu fagen, welche Wichtigkeit diefe Seite für 
mic) bat, und wie fehr ich die zugefagte Vermehrung anertenne, - 
Mas die noch übrige Stipulirung des Quantums an Früchten, 
4 Malter Korn zu 5 Fl. 30 Kr. und ein dergleichen Spelz zu 
4 Fl. berechnet, betrifft, die die Meuferung des Herrn Staates 
Rath Eichrodt mir freiftellt, fo muß ich einer Seits glauben, 
je mehr mir an Früchten fipulirt werde, defto vortheilhafter ſey 
es, anderer Seits darf ich eben fo wenig unbefcheiden hierin ers 
feinen, und ich weiß nichts Befferes hierüber zu thun, als, da 
Sie fo viel bereits für mid übernommen, Sie aud nody zu er— 
fuchen, nad) dem, was ftehen und gehen mag, das Quantum 
auszumaden, und die billige Beflimmung hierüber in Ihre 
Hände zw legen. - 

Was meine Vorlefungen betrifft, da Sie Logit und Nas 
turrecht das nächſte halbe Fahr nicht für wünſchenswerth erklä— 
zen, fo will ich Enchklopädie der philofophifchen Wiffenfhaften 
und Gefcichte der Philofophie leſen; mit jener glaube ich zus _ 
gleih am ſchicklichſten meine Vorlefungen eröffnen zu können, 
indem dadurd eine allgemeine Ueberſicht der Philoſophie, ſo wie 
die Anzeige der beſondern Wiſſenſchaften, über die ich in der 
Folge eigene Kollegien anzuſchlagen gedenke, gegeben werden 
kann; ausführlicher will ich mich über die Naturphiloſophie, d. h. 
als Theil des Ganzen verbreiten, und dann keine beſondere Vor— 
leſung über diefe halten; ein drittes Kollegium, die Geifteslehre, 
fonft Pſychologie genannt, möchte für das Publitum wie für 
mich felbit für den Anfang zu viel werden; mit der Enchklo⸗ 
pädie wird es zwedmäßig ſeyn können, ein Konverfätorium zu 
verbinden. Id müfte aber glauben, meine fhuldige Achtung 
gegen meine dermalige Regierung zw verlegen, wenn eine von 
mir verfaßte Anzeige öffentlich erfhiene, che ih von derfelben 
meine Dimiffion erhalten, oder wenigſtens mein Dimifflons- 
Gefuc eingereicht hätte; indem ich aber in legterem der Beru— 2 
fung durdy die großherzogliche Regierung erwähnen müßte, fo 


486 IX. Briefe. 


wird dieß nicht wohl gefchehen können, che ih von der Gench 
migung des Grofherzogs benachrichtigt worden, was wohl ml 
‚der Signatur, der Sie erwähnen, zu verfichen ſeyn wird. 6 
füge. über diefen Umſtand nur dieß hinzu, daß ich im derglei: 
hen Verhältniſſen ganz nur nad) der Anweifung eines darin m 
fohrenen Freundes zu verfahren gewohnt war, umd da ein 
dergleichen mir gegenwärtig hier abgeht, ich nicht weiß, ob mein 
Anſicht über die Schritte, die ih im diefer Beziehung num yı 
thun habe, zu bedenklich oder richtig iſt. Auf jeden Fall dadı 
ich, Fönnte mit der Ankündigung vorgefchritten werden, fo wi 
jene Signatur, die großherzogliche Genehmigung enthaltend, oda 
die Benachrichtigung von Ihnen eingetroffen, denm zugleich werd 
ich doch davon benachrichtigt werden, und hiermit mein Dimik 
flions- Gefuc) unmittelbar einreihen. Auf die bisherige feiesfk: 
Wohnung, wenn dermalen noch nicht darüber disponirt ifl, Tiefe 
ſich vielleicht doc noch eine einflweilige Mbficht haben; d. b. ganz | 
als Privat-Sade, gegen einen ordentlichen Miethszins, vn 
allen bejondern Vortheil, wenn nämlich um jene Wohnung gam 
als um eine Privat- Wohnung verhandelt werden kann; id) werde 
Herrn Dr. Paulus um eine Beftellung einer Wohnung für mid 
erfuchen, ſey es mim diefe oder eine andere, 

"Und nun darf id mid) für fo glüdlich fdägen, — 
Geiſt und Herz ganz als den Ihrigen anſehen zu tkönnen; ich 
gehe mit verjüngtem Gemüthe meiner Beſtimmung, der Univer⸗ 
ſität und den Wiſſenſchaften zu leben, der Aufforderung, die 
freundſchaftliche Güte, die Sie mir haben erweifen wollen, zu 
rechtſertigen, der Hoffnung Ihrer baldigen perfönlichen Bekannt 
ſchaft, meinen übrigen theuren Freunden, dem Bilde der Freunde 
‚lichkeit und Heiterkeit, unter dem Heidelberg immer erfcheint, ent 
gegen, und bin mit Verſicherung meiner — 95— Hoch⸗ 
achtung 









Ihr — 
Segel. 


— 


3. An Daub. 487 
P.S. Ih habe mir Gewalt angethan, in vorliegendem 


Antwortfchreiben nicht ganz die Dankbarkeit auszudrüden, die - 


ich Theils für das Jntereffe, das Sie an meiner Angelegenheit 
nehmen wollen, Theils für das Mitgefühl empfinde, das Sie 
an dem Zuflande der Ppilofophie in Deutfepland und auf uit- 
fern Univerfitäten nehmen; eben fo erfreulich ift mir Ihre Güte, 
mit der Sie meine bisherigen Arbeiten betrachten, und noch mehr 
von meiner Wirkfamteit auf einer Univerfität hoffen. Man ift 
in der That in keiner Wiffenfhaft fo einfam, ald man in der 
Philoſophie einfam if, und ich fehne mich herzlich nad) einem 
lebendigern Wirkungskreiſe; ich kann fagen, er ift der höchſte 
Wunſch meines Lebens; ich fühle auch zu fehr, wie meinen bis- 
herigen Arbeiten der Mangel an einer Iebenbigen Wechſelwir⸗ 
tung ungünſtig gewefen. 


Mie flieht es aber mit der Theologie? ift der Kontraft * 


ſchen Ihrer tiefen philoſophiſchen Anſicht derſelben und dem was 
häufig für Theologie gilt, nicht eben fo grell oder noch ſchreien⸗ 
der? Mein Arbeiten wird mir auch die Satisfattion geben, es 
als eine Propädeutit für Ihre Wiſſenſchaft zu betrachten zu haben. 


Ic hoffe meine, allenfalls voftenfible Antwort, wird keine. 


Schwierigkeit machen, nur darüber weiß ich nicht förmlichen Bes 
fcheid, ob meine Lektionen Antündigung früher erſcheinen darf, 
ehe ic) von meiner Regierung die Dimiffion habe, Mit unbes 
grenzter Hochachtung und Liebe ganz der Ihrige , 

| 9, 


Meine übrigen. Freunde in Heidelberg bitte ich vorläufig. 


herzlich zu grüßen; ich. babe dermalen von früh an bis im die 
Nacht das langweilige Eramen von Schullehrern, und feinen 
freien Augenblid, ihnen zu fhreiben. 


DW 
zur s 
| —F 
F * 
* 3 
4. J 
J ⸗ 
* 2 


















488 ° i J 


— 007 nn. fe 


Schreiben an denfelben beigelegt, worin ich ihn 
Berehrung, fo wie meine Bereitwilligkeit der A * he 
Aber wie foll ich Ihnen ausdrüden, mit welder freu g 
ſucht ich meiner Hinteiſe zu Ihnen entgegen ſehe \ 
habe ich mein förmliches Dimiffiens- Gefuh eingegebe 
—— en Ban Be 
ner annoncirt und um Befchleunigung d fertigun 
das Datum des Anfangs der Borlefungen in-$ 
nicht genau bekannt, wenn ich A la rigueur ei 
im Laufe des Septembers hoffe id aber jene 
erhalten, um auf die zweite Hälfte Otto 
bei Ihnen einrichten zu können. Wegen A in 
ſtellung nach hat ſie nun keinen Anſtand mehr, 

Sie daher um die Veranſtaltung derſelben dürfe 
Ein Beiſatz bei meinem Namen, etwa „der erwartet: 


wöchte dienlich ſeyn, die Pofitivität abzuflumpfen, die 7 n 


——— —— fol. — io Snchtlopi 
lung der Raturphilofophie und einem $ orium), fer 
Geoecſchichte der Philofophie; die —* F Stunde m; ei 

auf meine, Ankunft verſparen. Zwar fehe J 

gedruckten Katalog, dag Herr Hofrath Weiſe d 


— — — — 


3. Un Da. 489 


* das erfiere Kollegium lieſ't, ich halte ‚aber Feines für fo geeignet, _ 


um fowohl von dem Geifle und der Architektonik der Philoſophit 
eine beſtimmte und lehrreiche Idee zw geben, fo wie mit meiner 
Anficht und Behandlung befannt zu machen. Sonſt wollte ich 
auch Geiſtesphiloſophie leſen. 

Geſtern habe ich auch ein Schreiben vom preußiſchen mi⸗ 
niſterium des Innern aus Berlin erhalten, das ich ſehr ehren 
muf, indem es einen Anftand wegen‘ meiner acdhtjährigen Ente 
fernung vom afademifchen Vortrag mir felbft als einem redlichen 
Mannt zur Prüfung und Beurtheilung überläft, Wenn id) 
antworten kann, daf auf meinen unvolltommenen und fchüchter 
nen Anfang zu Jena ein adhtjähriges Studium und Vertraut⸗ 
werden mit meinen Gedanken und eine achtjährige Hebung auf 
dem Gymnaſium, — eine wegen des Verhältniſſes zu den Stu: 
direnden, vielleicht wirkfamere Gelegenheit zur Befreiung des Vor— 
trags, als der atademifche Katheder felbft, — gefolgt iſt, — fo 
wird meine Haupterwiederung feyn, daß ich mid) bereits in Heiz 
delberg engagirt ſehe. 

Es thut mir leid, daf ich Ihnen fo viele Mühe verurfadhe, 
ic) kann Ihnen für alle diefe freundſchaftliche Bemühung nur 
meine dankbarfte und aufrichtigſte Hochachtung ——— 

d. 29, Aug. 1816. 


An Denfelben. 

€ mM. j 
glaube ich von dem Umftande meiner Ernennung zur Profeſſur 
der Philologie in Erlangen, die im geftern erhaltenen königl 
baierfhen Regierungsblatt vom 4 d. angefündigt ift und von 


da ohne Zweifel in andere Zeitungen übergehen wird, Benach— . . 


richtigung geben zu müffen, um nöthigen Falles, wenn diefe Er- 
ſcheinung bei meinen für Heidelberg feftgefnüpften Verhältniſſen 
auffallend feyn follte, die erforderliche Auskunft darüber, fo wie 


490 1X. Bf ” 


über mein Benehmen dabei, geben zu können. Ich meine Sie {hm 
in Kenntniß gefegt zu haben, daf ih am 24. v. M. mein fürn 
liches Dimiffions ⸗Geſuch aus den baierſchen Dienſten eingereidt 
habe, nachdem ich Herm Geheimen Rath von Zantner. am W 
zum Voraus um feine Proteftion zur baldigen Erledigung meins 
Dimiffions- Gefuhs gebeten hatte, das ich einreichen wiirde, for 
bald ich dazu in Stand gefegt fey; da ich die Benachrichtigung 
von der Genehmigung Sr. tönigl. Hoheit des Grofherzogs durd 
Herrn Staats- Rath Eichrodt Tags darauf erhielt, fo erfolgte 
alfo fogleidh meine Eingabe am 24. Auf meine am 25. geſche⸗ 
bene Ernennung nad Erlangen, folgte nun in Beziehung dar- 
auf ein königl. Reftript vom 31, Aug., das mir am 6. Septkr. 
infinuirt wurde, des Inhalts, da Se. Maj. mid für die Unis 
verfität Erlangen zu erhalten wünfchen, mic, ſchriftlich zu vers 
nehmen, ob ich num jene Stelle nit dem Rufe nad) Heidelberg 
vorziehe; meine gefiern den 7. abgegebene Erklärung geht dahin, 
daß wenn ich auch ſonſt den Ruf zur philoſophiſchen Lehrfele 
in Heidelberg der philologifchen in Erlangen nicht vorzöge, woy 
ich jedoch alle Urfache habe, mein gegebenes Wort, das mic 
bereits vermocht, einen Ruf nad) Berlin abzulehnen, nur mein Ge⸗ 
fuch um meine allergnädigfte Entlafung zu erneuern mich nöthige 
Sie werden aus diefer Darftellung erfehen, daß jene Er— 
nennung mein Berhältnif auf demfelben Punkte gelaffen hat, 
gegen die großherzogliche Regierung auf dem Punkte meiner Ver⸗ 
bindlichkeit, gegen die königl. baierfdhe dem meines — 
| um die Entlafung, welde nun feinen Anftand länger mehr yo ⸗· 
ben kann, und deren baldiges Eintreffen ich fehnlichft wünfche, 
um fo bälder meiner Beftimmung und Ihnen nigegen eilen | 
zu können. 

Das Prorektorat zu Erlangen verlangte vor — 
die Ueberſendung meiner Anzeige dahin, worauf ich erwiederte, 
daß dieſe nicht mehr möglich ſey. 

Nürnberg, d. 8. Sptbr. 1816, — 





3 An Daub, m 491 


An Denfelben. 


Es war erfi gegen Ende des März, daß Herr D. Bort 
bicher gekommen (eine Krankheit hat ihm den ganzen inter in 
Münden aufgehalten), und mir Ihren freundfchaftlichen Brief 
vom September v. 3. gebracht hat. Dieß ift die nächſte Ur- 
ſache einer fo fpäten Erwiederung deffelben. Ob aber gleich diefe 
meine Zeilen durch jene Ihre Zuſchrift zunächſt veranlaft find, 
fo fehen Sie diefelben zugleich als aus dem eigenen Bedürfnif 
‚hervorgegangen an, mir durch fehriftlihe Unterhaltung gleichfam 
ein näheres Gefühl Ihrer Gegenwärtigkeit zu geben. Indem 
mir eine ſolche Unterhaltung zu einer Art von Reife und Bes 
fuch wird, für deren ruhigen Genuf id) mit den andern Ges 
fhäften abgeſchloſſen haben will, fo geht es mir damit, wie es 
mit lange vorgehabten Reifen zw gehen pflegt; man kömmt 
am fpäteflen oft zu dem, was man am liebften und am ofteften 
thun möchte. Ih kann Ihnen nicht genug ausdrüden, wie 
werth und unummlöft mir das Andenken an Sie, und wie 
theuer und flärfend mir die Freundſchaft und Liebe ift, die Sie 
mir vormals geſchenkt und die Sie mir fo »treu erhalten. Bei 
_ meinem Entfchluffe, Heidelberg zu verlaffen, habe ich fehr wohl 
gewußt, was ich durch meine Entfernung von Ihnen verlie- 
ren würde und fühle dieß noch immer; Ihr herzliches Andenken 
an mid vermindert die Aufopferung, die ich gemadit; daß Sie 
an meinen philoſophiſchen Arbeiten Intereffe finden, muß mir 
zur befonderen Befriedigung gereihen, und ich muß es als ein 
ſeltenes Geſchenk betrachten, da Sie felbft am beften wiſſen, 
wie das Spekulative von’ unfern Schrift-, Sylben- und Res 
densarten= Gelehrten angefehen wird. 

Meine Rechtsphilofophie ſoll längſt in Ihren Händen ſeyn; 
ich wünfhe, daß die, Hauptfahen wenigfiens Ihre Zuftimmung 
erhalten ; ih habe nicht auf alle Seiten, deren ſich fo viele an 
dem Gegenftande finden, das partituläre Studium ausdehnen 





492 "1X. Briefe, 


fönnen; dergleichen mußte ich mir auf die Zukunft werfparen 
und vornehmlich nur darauf fehen, mit dem Ganzen durchzu⸗ 
tommen; fo habe ich mir das Studium Ihres Judas Ifcharioth 
auf fernere Durcharbeitung des moralifchen Standpuntts vor 
behalten. Laſſen Sie die Hoffnung, Ihre Dogmatit und Mo- 
ral erfeheinen zw fehen, nicht lange unerfüllt; auf erftere bin 
id) um fo begieriger, als ic) mid) diefen Sommer an die Re: 
ligionsphilofophie gemacht habe. Schleiermader läßt, fo viel id 
böre, gegenwärtig gleichfalls an einer Dogmatik druden; die Kenie 
fällt mir dabei ein; „Lange kann man mit Rechenpfennigen zah⸗ 
len, doch endlich muß man den Beutel doch ziehn!“ — Ob die 
fer Beutel aber auch weiter nichts als Rechenpfennige ausſchüt⸗ 
ten wird, müffen wir fehen; feine Abhandlung über die Prä— 
deflination ift mir doc höchſt kahl vorgefommen. Be‘ 
© eben höre ich, dag mein Naturrecht in den heidelberger 
Jahrbüchern igigen ſchmutzigen Gewandes, das ich allein Darm 
gefehen, angezeigt ſey; ich hörte mur dies — und begehre, nenn 
Sie oder Hinrichs mir nicht eine Aufforderung machen, nicht 
mehr davon zu wiſſen, — daß das Abgedruckte ſich mit der Vor— 
rede beſchäftige, daraus ſchließe ich auf meinen alten Landsmann 
Paulus! Mit meinem Vorwort und dahin einfhlagenden Aeu— 
ferungen habe ich allerdings, wie Sie gefehen" haben werden, 
diefer Fahlen und anmafenden Sekte, — dem Kalbe, wie man 
in Schwaben zu reden pflegt, — in's Auge ſchlagen wollen; 
fie war gewohnt, unbedingt das Mort zu haben, und ift zum 
Theil- ſehr verwundert gewefen, daß man von wiffenfhaftlicher 
Seite nichts auf fie halte und gar den-Muth haben könne, öfz 
fentlich gegen fie zw ſprechen; aud hier, wo diefe Partei insbes 
fondere das Wort zu führen gewohnt ift und war, und fid für 
eine puissance hielt, — habe ich freilich faure, wenigſtens 
ſtumme Gefihter gegen mich zu fehen gehabt. Auf vormals ſo— 
genannte Schmalzgefell’nfhaft konnten fie nicht ſchieben, 


3. An Daub. 493 


was id) gefagt, wird waren daher um fo mehr in Verlegenheit, 
in welche Kategorien fie die Sache bringen follten. — 

Leben Sie nun recht herzlich wohl, lieber, verehrter Mann, 
erhalten Sie mir fortwährend Ihre wohlwollende Freundſchaft. 
Berlin, d: 9. März 1821. 





An Denfelben. 


Endlich, verehrtefter Freund, bin ich fo weit, heute oder 
morgen den Anfang mit Sendung Manufkripts der’ zweiten Auf— 
lage von meiner Enchklopädie machen zu können. Ich melde . 
Ihnen dieß im Dankgefühl für die Gefälligkeit, die Sie mir 
erweifen, der Revifion des Druds fi freundfhaftlihft annche 
men zu wollen. So höchlich id Ihnen dafür verbunden bin; 
fo habe ich zugleidy einiges übles Gewiffen, darauf in Anfehung 
der Beſchaffenheit des Manufkripts mich zu viel verlaffen zu ha⸗ 
ben, denn es iſt allerdings von der Art, daß es einen aufmerk- 
famen Scher erfordert, und daß Ihren daher wohl mehr Bes 
mühung gemacht wird, als ich billig in Anſpruch nehmen darf. 
Doch bin id bemüht gewefen, die Veränderungen, Einſchal— 
tungen u. f. f. ſehr forgfältig und beftimmt zu bezeichnen. Uebri— 
gens gebe ich Ihnen freie Vollmacht, wo Ihnen Dunkelheit, 
Unverftändlichkeit, auch Wiederholungen vortommen, ganz nach 
Ihrem Dafürhalten zu korrigiren, flreihen und einzuhelfen. 
Wünſchen muß ih, daß Sie duch das Intereffe des Gehalts 
einigermaßen unterhalten oder fhadlds gehalten würden; es iſt 
nur die freundliche Aufmunterung, welche Sie meinen Beftrebun= 
gen haben angedeihen laffen, die mir es erlauben kann, auch 
noch diefe gütigen Bemühungen für mid anzunehmen. 

Der Einleitung insbefondere habe ich eine vielleicht zu große 
Erweiterung gegeben, es hätte mid) aber am meiften Zeit und 
Mühe gekoflet, fie im’s Engere zu bringen. Feſtgehalten und 


494 IX. Briefe, 


zerftreut durch die Vorlefungen und hier in Berlin auch mitunter 
durch Anderes, Habe ich mich ohne Ueberſicht darin fo gehen Lafen, 
daf mir die Arbeit über den Kopf gewachfen und die Gefahr 
war, es werde ein Buch daraus; fo habe ich fie mehreremal 
herumgearbeitet; die Behandlung der Standpunkte, die ich darin 
unterſchieden, follte einem zeitgemäßen Intereffe entfpredhen; d 
ift mir diefe Einleitung aber um fo fhwerer geworden, weil fit 
nur vor und nicht innerhalb der Philofophie felbft ſtehen kann. — 
Das Uebrige habe ich wohl beftimmter, und fo weit es geht, 
klarer zu machen geſucht; aber nicht abgeändert iſt der Haupt: 
mangel, daß der Inhalt nicht dem Titel Encpklopädie mehr ent 
ſpricht, nicht das Detail mehr eingeſchränkt und Dagegen das 
Ganze mehr überfihtlih gehalten if. Dod für meine Bor 
lefungen über die einzelnen Theile ift wieder das ausführliche 
Detail auch paffend. 

Nun’ aber genug und zuviel — — Blum iſt wohl 
bereits bei Ihnen; von unferem weitern berliner Lebweſen wird 
ee Ihnen alfo mehr erzählen können. Ebenfo Marheineke, dr 
in etlichen Wochen bei Ihnen zu fehm gedenkt, wird ‚Ihnen von 
dem literarifhen Unternehmen, über das Sie Ihr Intereſſe bes 
zeugt und Ihre thätige Theilnahme bereits zugefagt haben, er 
zählen können; wenn es auch noch nicht im Zuge ift, fo iſt doch 
befiimmter Anfang und Eingang gemadt. Vor Januar foll das 
erfie Heft fertig werden. Ebenſo hoffen wir auf Freumd Creu⸗ 
zer's und Thibaut’s thätige Mitwirkung; ich bitte, mich beiden 
beftens zu empfehlen. Eine Hauptfchwierigkeit bei unferem Une 
ternehmen ift die geringe Anzahl bedeutender Werke, die es ver⸗ 
dienen, ſich mit ihmen abzugeben. Sie ſchrieben mir im Mai 
von einem bypodondrifhen Dämon; ich definire Hypochondrie 
als die Krankheit, nicht aus ſich heraustommen zu können. — 
Ich wüßte viele Arten’ diefes Heraustommens. — Ich riethe 
aber die Ordnung, in der Sie das Verhältnif des Dämons 
und der Thätigkeit fegen, umzukehren, nicht auf den Abzug von 





3. An Daub. . 495 


jenem zu warten, wm diefe eintreten zu laſſen, ſondern vielmehr 
durch diefe jenen zu vertreiben. 

Nun berzlichfies Lebewohl. 

Berlin, d. 15. Aug. 1826, 


An Denfelben., 


Hochgeſchätzter Freund. 

Ich erhalte heute den 13. abgedrudten Bogen der Euchs 
tlopädie und bin eigentlich täglih im Falle, Ihnen meinen 
Dank für die mühfame Arbeit, die Sie übernommen, zu fagen 
zu haben; ich wünfdhe nur, daß Sie durch das Intereffe, das 
ich der neuen Bearbeitung zw geben fuche, dabei einigermaßen 
unterflügt werden: Mühe koſtet es mich wenigftens ziemlidy; ‚das 
Befireben, gleihfam der Geiz, fo viel als möglich flehen zu laſ— 
fen, vergilt fi) wieder durch die auferlegte größere Mühfelig- 
keit, Wendungen auszufuhen, durch welde die Veränderungen 
den Tertesworten am wenigften Eintrag thun. Sie werden nun 
einige Bogen der Naturphilofophie in Händen haben; ich habe 
darin weſentliche Beränderungen vorgenommen, aber nicht ver— 
hindern können, hie und da zu fehr in ein Detail mid einzu— 
laffen, das wieder der Haltung,-die das Ganze haben follte, 
nicht angemeffen genug ift. „Ich vermuthe, daf die Druderei 
Ihnen die ganze Arbeit der Korrektur übermacht, flatt der bloßen 
Revifion, und dadurd Ihre Mühe weſentlich umd ungehörig 
vermehrt; ich habe ein Billet hierüber an Herrn Oswaldt beis 
gelegt. Gegenwärtig bin id an der Geiftesphilofophie und mit 
der größeren Hälfte — bis auf das nochmalige Durchgehen — 
fertig; die zweite Hälfte werde ich freilich wohl ganz umarbei= 
ten müffen. 

Eine der vielen Unterbrechungen, durd welche diefe Arbeit 
aufgehalten wurde, liegt auch in einem Artikel, den ich für uns 


496 IX. Brief 
fere kritiſche Zeuſchuiſt (über Herrn W. 2. Sumboie ik 
* über die Bhagavatgita) verfertigen mußte, — (einen ziis 
ten über daffelbe muß ic) mir fpäter verſparen). Von Ihn 
fehen wir mit Verlangen Arbeiten Dafür entgegen. 
Früher hat mir Marheineke die vergnügliche Nachricht ge 
geben, daß Sie eine Anzeige der zweiten Ausgabe der Encytle— 
pädie zw machen gedenken; nichts kann mir. fo ſchãtzbar und 
angenehm feyn, und ich glaube um fo mehr darauf rechnen. zu 
können, da ſich ein ſolcher Artitel Ihnen leicht unter den Hãn⸗ 
den bei Ihrer gegenwärtigen Bemühung damit machen kann; und 
ich hoffe darauf als auf etwas, worauf wir uns verlaſſen können 
Aber nun kommt zugleich eine neue weitere Bitte an Sir, 
nämlich eine Anzeige der zweiten Yusgabe der Dogmatik von 
Marheinete zu machen; ich fage nichts von dem höchſt intenfioen 
ntereffe, das diefes Merk hat, fondern erwähne vornehmlich 
den Umſtand, daß wir außer Ihnen Niemand wüßten, der 
von demfelben ſprechen könnte, und unumgänglich ift, dag nicht 
nur in unferer Zeitſchrift, fondern daß überhaupt gehörig davon 
geſprochen wird, daf die Aufnahme, die es in den Öffentlichen Blät- 
tern erfährt, nicht allein Mißhandlung if, und das Volt, das 
darüber herfallen wird, nicht allein das Wort habe, Ich hoffe 
darum darüber "eine günftige Zufage von Ihnen und noch mehr, 
einen Sn Aufjag; diefer braucht ja nicht, oder ganz belie⸗ 
big, in ein Detail zu gehen und fih anf einzelne Lehren 
einzulaffen; die Hauptjahe ift die Beſprechung des allgemei- 
nen Standpunkts. — Es ift darum zu thun, daß. bemerk- 
lid; gemacht werde, dag Marheinete in. feiner. Dogmatik 
(bereits in der erften hinlänglich) ein Zeichen feiner Richtung 
gegeben. Dieß hoffe ih von Ihnen. Auch von Freund Ereuzer 
wünfchten wit ein kritiſches Lebenszeichen zu erhalten; ich erſucht 
Sie, ihm nebft meinen beften Grüßen zu fagen, daß ich den 
Auftrag habe, bei ihm anzufragen, oder fogar ihm aufzutragen, 
— daß er Böttiger's Jdeen zur Kunft» Mipthologie, vornehmen 






| 


3, An Daud. 497 


möchte; ob dieß intereffant genug ift, um eine Anzeige von ihm 
zu verdienen. Wäre es fonft etwas, worüber er fich ausſprechen 
möchte, fo möge er es mir zu wiffen thun. Die Zeitfchrift nicht 
bloß verfpricht ſich Beiträge von Ihnen beiden, fondern noch 
mehr wünſche ich, daß Sie beide Ihre gute Sache zu Worte 
bringen und geltend machen. Mit wo BEE ra 
hochseſchãtter, lieber rg Fa 
. Ihr mNP anni nu 
Berlin, d. 19. Diebe 1836. 27 m 


An dicken 


Hochverehrter Freund. | ya 


Mit der Abfendung der Worrede zu der neuen Auflage er= 
wiedere ich Ihnen zugleich Ihren freundſchaftlichen Brief vom 
15. d.5 ich erfah zunächft daraus, daß Sie an diefem Datum 
erft den 27. Bogen zur Revifion vor ſich hatten; ſo hat denn 
die Verzögerung des Ubgangs der neuen Vorrede feinen Aufenthalt 
im Drude gemacht; diefe Vorrede it — indem mir unter dem Aufs 
fegen derfelben Tholud’s Bud) von der Sünde zw Geſicht kam, — 
weitläufiger geworden, als ich im Sinne hatte Ich dankte Ih— 
nen wiederholt für diefe freundfchaftlihe Mühwaltung der Nez 
vifton, deren gütige Mebernahme die Beſchaffenheit des "Mans 
feriptes doppelt und dreifach mühevoll, und um fo viel ſchätzba⸗ 
rer und dankenswerther gemadt hat. Die Hauptverzögerung 
der ganzen Arbeit entfland daraus, daf mir die erſte Ausarbeis 
tung der Einleitung auch in ein Bud) auszulaufen anfing, und ich 
daher eine Umarbeitung von vorne an vornehmen mußte, Daffelbe, 
um biervon auf Weiteres überzugehen, das Sie in Ihrem Briefe 
erwähnen, fehe ich, iſt mit einem Artikel: über Marheinete’s 
Dogmatik gefchehen. "Sie geben uns nur das allgemeine Vers 


ſprechen, daß Sie einen vorläufigen Auszug * triliſchen 
Vermiſchte Schriften, * 


no 4 am) „Isiim 


498 IX, Briefe, 


Jahrbüchern beftimmen; in jeder Rüdfiht, unter andern auh, 
daß diefelben größern Zuflufles an Manuftript: ſehr Hedürfig 
find, darf ih Sie bitten, uns denfelben reiht bald zukommen ju 
laffen. Wie haben Ihnen Carove’s und Marheineke's Artitıl 
über den Katholicismus und Katholifiren zugefagt? Es ift ebenſ 
noch zeitgemäßeres Bedürfniß, die aufgeflärte und, wie fie fih 
nennt, die newe Theologie zu befprechen, mit der ſich auch Mar 
heinete in einem Artitel, — dod von einer etwas zu befond 
ven — Seite, zu thun gemacht; diefe Theologie ſcheint beinahe 
in der Vorftellung zu feyn, das Monopol des Wortführens zu 
befigen. Sie werden in den legten Bogen der Encyklopädie 
und im der neuen Vorrede finden, daf auch ich am dergleichen 
Artikel, befonders an Herrn Tholud gefommen bin, 

Wenn Sie fih denn noch zu der Anzeige meiner Enchtlo⸗ 
pädie entfchliefen könnten, fo würde dieß unfern Jahrbüchern een 
fo wie mir intereffant und ehrenvoll ſeyn; nach Ihren. freundlir 
hen Heußerungen in Ihrem Letzten, hatte Sie die ‚Einkiung 
zunächft dazu aufgeregt, aber die Breite des Uebrigen cher übe 
gehalten. Ich ſollte meinen, daß dieß Ihre erfte Abſicht, Ihre 
Anſichten über die Gegenflände der Einleitung darzulegen, nicht 
rüßgängig machen follte. Cine Anzeige in unſern Jahrbüchern 
iſt für ſich ſchon geeignet, ein eigener Artikel aus Veranlaſſung 
einer Schrift — mehr als eine bloße Kritit, und) Anzeige der 
felben zu ſeyn — und ein Artitel von Ihnen würde won ſelbſt 
eine höhere Boreinleitung in den Gegenftand derfelben werden; 
wobei das Detail des Buches etwa nur kurz berücfichtigt, oder 
felbft übergangen werden kann. Den Standpunkt des; Buches; 
und. etwa den der eigenthümlichen wiſſenſchaftlichen Behandlung 
auseinander zu fegen, würde ja ein ganz intereffanter und ‚ges 
mügender Stoff ſeyn, — und bloß ſolchen Stoff abzuhandeln, 
daranf würde Sie von felbft ſowohl Ihr Intereffe an der Sache 
als folder, wie ſelbſt Ihre Freundſchaft beſchränken. 

Bere 808. Clay hat en chi Lagen Misc 





3, An Daub, 499 


über die bildenden Künfte vor einem zahlreichen gemiſchten Pu— 
blitum — tief kann er freilich nicht gehen, — aber fir fein 
Publikum if feine deutliche und beredte Art fehr paffend. 

Leben Sie nun herzlichſt wohl — mit —— 
Freundſchaft und Hochachtung ıc. 

Berlin, d. 29, Mai 1827. 


. An Denfelben, 


Längſt Hätte ih Ihre freundliche Zuſchrift vom — 
worin Sie, verehrter Freund, mir Herrn Profeſſor Roux's 
Schrift nebſt deſſen Brief überſchickten, beantworten ſollen. Der 
Schuldnerzuſtand meiner Korreſpondenz, aus dem ich ſelbſt ge— 
gen liebe Freunde nie herauskomme, iſt eines der — die ich" 
zu tragen habe. nu 

Eine nähere Aufforderung, die mich ebenfalls ‚Härte treiben 
follen, früher zu fchreiben, führte die Erledigung der philoſophiſchen 
Lehrftelle in Heidelberg und die Anfrage eines Freundes herbei, ob 
er fi) nicht den Gedanken machen könnte, daf auf ihn Bedacht ge» 
nommen würde; es ift Rektor Gabler in Bayreuth. Er meinte, 
ob er nicht etwa der dritte Rektor ſeyn konnte, der aus Baiern 


nach jener Lehrſtelle berufen würde. Er iſt Ihnen wohl ſchon 
ſelbſt aus feiner Propädentit der Philofophie, und aus Re— 


cenfionen in unfern kritiſchen Jahrbüchern befannt, und fo brauche 
ich zu feiner Empfehlung nach diejer Seite nichts hinzu zu ſetzen; 
gründliche philofophifche Einſicht ift bei ihm ohne Schwirhelei‘ 
und Gähren, vielmehr mit Klarheit und Beftimmtheit vergefells 
ſchaftet, — Eigenſchaften, die, wie fie die Lafter feichter Philos 
fophie, fo bei gründlicher Richtung unſchätzbar find; er iſt dabei 
ein fehr redlicher, einfacher, ruhiger und freundlider Charakter. 
Ich babe feinem Wunſche, bei Ihnen eine Anfrage darüber zu 
machen, nicht entfichen wollen; ich bin überzeugt, daß Heidelberg 
\ 32% 





500 IX. Briefe. 


ſehr gut mit ihm fahren würde, und darf fie um ein Wort ie 
Antwort für ihm darüber erfuchen. 2 — 

Hertn Profeffor Rour bitte ih Sie, noch meinen Dam 
für die mir überſchickte Schrift zu maden; ich habe fle der Re 
daktion der Jahrbücher übergeben, es ift längft beftimmt, du 
fie angezeigt werden foll; aber Sie wiffen, wie‘ es mit Dergli: 
hen Aufträgen und Vorſätzen geht, — und wiffen dieß an Jr 
nen ſelbſt. Längft fahen wir wieder einem Beitrag von Ihnen 
entgegen, befonders nad der von Ihnen gemachten Hoffnung, 
daß Sie nah überftandenen körperlichen Ungemächlichkeiten an 
ſolche Arbeit gehen wollten, ic) hoffe, daß der Sommer, — dr 
freilich nicht ſehr günftig geweien, — doch das — — 
rer gänzlichen Wiederherſtellung beigetragen hat. L 

Ih habe — leider! muß id es fagen, — angefangen, 
Gegner, deren eine Anzahl voriges Jahr gegen meine Philoſe⸗ 
phie aufgetreten, in den kritiſchen Jahrbüchern vorzunehmen; — 
befchräntt man fi auf das etwa nicht Abweisbare, eim der: 
gleihen Schrift flüchtig durbzulaufen, fo tommt man mit den 
allgemeinen Verdruffe ab; aber eine Kritik bringe es mit fih, 
alle Einzelneiten des üblen Willens und der Unfähigkeit des 
Denkens durchzugenießen. Ganz verloren beim Publitum mag 
jedoch die kritiſche Arbeit, fo ſauer fie ift, nicht ſeyn; Fo groß 
ſich daffelbe durch ſolche Schriften den leeren Kopf oft machen 
läßt und durch Stillſchweigen in dem günftigen Eindruck beſtä— 
tigt wird, fo giebt es denfelben aud wieder eben fo leicht auf 
und will nichts davon gehalten haben, wenn man 
ſtark entgegen tritt, Es ift in der That in diefen Schriften 
Vieles zu niederträchtig.. Die Zweifel über Seyn, Nichts und 
Werden, hat mir der BVerfaffer, Kollege und — 
ſelbſt zugeſchickt. 

Iſt Gans nicht bei Ihnen geweſen? er ift während meiner 
Abweſenheit von hier — ich habe eine kurze Tour nad) Böh⸗ 
men gemacht, — ich lebte in Carlsbad 5 Tage mit Shelling 


6. eher dierenglifhe Neforme Bil. Aal 


jenigen Klaffe, deren Intereffe mit jenem Zuſtande der Kirche 
zufammenhängt, mehr als das Gleichgewicht halten, 

Die gutsherrlihen Rechte, welde gleichfalls in jener 
Beforgniß vor der ſich auf fie mit der Zeit ausdehnenden Re— 
form befaßt werden können, gehen in England feit lange nicht 
mehr bis zur Hörigkeit der aderbauenden Klaffe, aber drüden 
auf die Maſſe derfelben fo fehr wie die Leibeigenſchaft, ja drüs 
den fie zw einer ärgeren Dürftigkeit als die Leibeigenen herab. 
In England ſelbſt, zwar in der Unfähigkeit gehalten, Grundeis 
genthum zu befigen, und auf den Stand von Pächtern oder 
ZTagelöhnern reducirt, findet fie Teils in dem Reichthume Eng- 
land's überhaupt und in der ungehenren Fabrikation, wenn diefe 
in Flor if, Arbeit; aber mehr noch halten die Armengefege, die 
ein jedes Kirchfpiel verpflichten, für feine Armen zu forgen, die 
Folgen der äuferften Dürftigfeit von ihr ab. In Irland dages 
gen hat die allgemeine Eigenthumslofigkeit der von der Arbeit 
des Aderbaues lebenden Klaſſe diefen Schus nicht; die Beſchrei— 
bungen. der Reifenden, wie die parlamentarifh dofumentirten 
Angaben, fhildern den allgemeinen Zuftand der iriſchen Land— 
bauer als fo elend, wie ſich felbft in Fleinen und arınen Diſtrik— 
ten der civilifirten, aud der im der Eivilifation zurüdftchenden 
Länder des Kontinents nicht leicht Beifpiele finden. Die Eigene 
thumslofigkeit der Landbau treibenden Klaffe hat ihren Urfprung 
in Berhältniffen- und Gefegen des alten Lehensrechtes, welches je— 
doch, wie es aud noch in mehreren Staaten befteht, dem an den 
Boden, den er zu bauen hat, angehefteten Bauer eine Subftftenz 
auf demfelben fihert; indem aber auf- einer Seite die irifchen 
Leibeigenen wohl perfönliche Freiheit befigen, haben auf der ans 
dern Seite die Gutsherren das Eigenthum fo volltändig an ſich 
genommen, daß fie fih von aller Verbindlichkeit, für die Sub— 
fittenz der Bevölkerung, die das ihnen gehörige Land baut, zu 
forgen, losgefagt haben, Nach diefer Berechtigung ift es gefches 


. 


IR, Briefe. 


dieß mit einem Errmplare deffelben und einem jo gütign 
tiben gemadt haben, noch einmal recht durch zu genirkn 


t, Eräftigen Theil zu nehmen, wie Cie bieber gerban. Es if bir 

nicht von einer Durdhyufegenden Meinung, fondern von einer mie 

uenden Merhode, deren ſich ein Jeder als eines Werkzeugs, ma 

ienen möge. 

ven bör” ich von manchen Orten ber, daf Ihre Bemühen, 

junge Manner nadzubilden, bie beften Früchte bringt; es thut frelid 

Noch, daß in dieſer wunderlichen Zeit irgendwo aus einem Mittelpurh 

eine Schre ſich verbreite, woraus theoreriich und praktiſch eim Leben zu fi 

dern fen. Die hehlen Köpfe wird man freilich wicht hindern, ſich in vom F 

Verftellungen und tönenden Worrfhällen zu ergchen; Die guten Köpfe jeträ 

find auch übel daran, denn indem fie falſche Merhaden gewahren, in di 

man fie von Jugend auf verfiricdie, ziehen fie ſich auf ſich ſelbſt zurid, 
werben abjtrus oder transcenditen. 

Möge ſich Iht Verdienft, mein Theuerfter, um Welt und Raddı 

) die fchönften Wirkungen immerfort belohnt fehen. 

Treulichſt 
dena, d. 7. Dfibr, 1820. Soethe. 
“> 

Ew. Wohlgeboren fühle id) mich genörhigt auszudrücken, mie fr 
mich Ihre Zuſchrift erfreut hat. 

Das Eie mein Wollen und Leiften, wie es auch ſey, fo innig durks 
bringen und ihm einen vollfommenen, motivirten Beifall gebem, iſt mir yu 
großer Ermunterung und Fördernig. Gerade jur redyten Stumde langen 
Ihre Blätter an, da ich, durch die meufte Bearbeitung der emtöptifcen 
Farben aufgeregt, meine ältern chromatifhen Akten wieder mäftern mt 
mich nicht erwehren kann, gar Manches durd) forgfältige Redaktion einer 
öffentlichen Erfcheinung näher zu führen. 

Ihre werthen Aeußerungen ſollen mir immer vor Augen liegen und 
seinen Glauben ftärfın, wenn mid) die unerfreulihe Behandlung derfels 
ben Materie, deren ſich die Zeitgenoffen fhuldig machen, mandymal, wo 

‚nicht zum Wanfen doch zum Weichen verleiten moͤchte. Nehmen Eie 
alfo meinen wiederholten Dank umd erlauben eine von Zeit zu. Zeit erz 
neute Sendung. Da Sie fo freundlich mit den Urphänomenen gebaren, 
ja mir felbft eine Verwandtſchaft mit diefen daͤmoniſchen Weſen zuerfens 
nen, fo nehme ich mir die Freiheit, zumaͤchſt ein Paar tergleichen dem 
Philofophen vor tie Thür zu bringen, überzeugt, daß er fie fo gut wie ihre 
Geſchwiſter behandien wird. 

Treulichſt 
Weimar, d. 13. April 1821. Goethe. 
3 


Ew. Wohlgeboren Andenken, welches bei mir immer friſch und lebendig 
bleibt, wurde durch eine heiter von Berlin surhdftchrende Dame völlig zur 


1 Goeihe. 503 


und dieß Gefchent mit einigen meiner zufälligen Gedanken zu 


erwiedern, — um hierdurch wenigftens bas Intereffe zu beur⸗ 
tunden, das ich daran genommen, — dieß Alles hatte ich mir 
auf die freien Feiertage vorbehalten gehabt; id) glaubte damals 
gegen Em. Ercellenz die Bezeigung meines Dauks wohl bis 
dahin anftehen laffen zu dürfen, indem ich Sie für überzeugt 
glauben tonnte, wie werth mir Ihr gütiges Andenken, dieſe 
neue Bereicherung meiner Einfihten und wie erfrifchend mir die 
fonftigen ernft=heiteren Weußerungen Ihres Genius ſeyn würden. 
In jenen Ferien ift es mir jedoch nicht fo wohl geworden, und 
ich kann es nunmehr. nicht länger anſtehen Laffen, ie Zeigen 
meiner Erkenntlichkeit von mir zu geben. 

Unter dem fo reichen Inhalte des Heftes habe ich aber vor 
Allem aus Ew. Ereellenz für das Verfländnif zu danken, wels 
dies Sie uns über die entoptifchen Farben haben aufſchließen 


wollen; der Gang und die Abrundung diefer Traktation, wie 


der Inhalt, haben meine höchſte Befriedigung und Anerkennung 
erwecken müffen. Der fo vielfahen Apparate, Madinationen 
und Verſuche über diefen Gegenftand uneradhtet, oder vielmehr 
wohl gar um —— willen ſelbſt, — ja ſogar trotz ** 


Gegenwart — ſo daß ich mich nicht enthalte mit Wenigem = 
wieder einmal mich fheiftlich unmittelbar darzuftellen. Noch bin ih Dank 
ſchuldig für bedeutende Sendungen; leider ward ich von jenen Kapiteln 
abgejogen und weit feitwärts geführt, deshalb denn die Benugung auch 
noch bevorficht. 


Da Ew. Wohlgeboren die Haupteichtung meiner Denfart billigen, fo 


betätigt mich dieß in derſelben nur um deito mehr und ich: glaube nad) 
einigen Seiten bin bedeutend gewonnen zu haben, wo ‚nicht für's Ganze, 
doch Für mich und mein Inneres. Möge alles, was ic) noch zu leiflen 
fähig bin, ſich immer an dasjenige anfdliehen, was Sie gegründer —* 
und auferbauen. 

Erhalten Sie mir eine ſo ſchone, laͤngſt bertönamliche Neigung, 
bleiben überzeugt, daß ich mich derfelben als einer der ſchönſten B 
meines immer mehr und mehr fid) entwickelnden Seelenfrühlings zu er⸗ 
freuen durchaus Urſache finde, 

Eroebenf 


Weimar, d. .. Mai 1524, BGoethe. 


su) 


504 IX, Briefe. 


terſchaft und Vaterſchaft, hatten wir von den‘ erften malusfhm | 
und den ferneren hieraus bervorgegangenen Erſcheinungen nichte 
verftanden; bei mir wenigftens aber geht das Verſtehen über 
Alles, und das Intereſſe der trodenen Phänomene iſt für mid 
weiter nichts als eine erwedte Begierde, es zwi werflchen. 
Um diefe eben genannte Gevatterfhaft, — da 1 ellen 
fih no einer Erwähnung, die ich von Beihülfe zu sein Baar 
Buchſtaben vormals an Sie gethan, haben —— 
gleich von vorn herein abzuthun, fo wiſſen Ew. Er 
bin, wie, wenig mehr in unferen Zeiten die Gevatterfhaft bi 
einem Kinde auf ſich hat; alsdann aber nöthigt nich doch je 
Erinnerung, mid auf die ausdrüdlide Erklärung ' einzulaffen, 
daß es bei jener meiner Erwähnung einer Beihülfe, nicht auf 
eine Ehre, oder gar ein files Verdienſt meiner Seits, abgeſchen 
ſeyn, fondern diefe Erwähnung lediglich gleichſam eine Parabel 
vorſtellen follte, als bei welder bekanntlich die gebrauchte Begeben- 
heit nicht einen gefährlichen Werth für ſich haben, ſondern gan 
allein cine allgemeine Vorkommenheit, — das Tabula docet;— 
bedeuten foll; und zwar fo, daß jener einzelne gebrauchte Fal 
völlig geringfügig feyn, und vollends, wenn bie, allgemeine Lehre 
auf einen andern Fall gedeutet wird, es geſchehen kann, daf 
er gegen diefen in ganz und gar ?eine Vergleichung des Ge⸗ 
halts kommt und an ihn ſelbſt nicht mehr gedacht ‚werden. darf. 
So wie mın von Licht und Farbe die Rede wird, fo liegt es 
nah, den geringfügigen Umſtand etwa eines Beitrags zu einem 
Buchſtaben oder Komma doch darum aufzunchmen, weil er von 
weitem paraboliſch an die häuſige Vorkommenheit erinnert, daß 
ſolche, die was ſie haben und wiſſen, (wobei es ſich nicht um ei⸗ 
nen oder den andern Buchſtaben, ſondern um Alles handelt), ganz 
allein von Ew. Excellenz profitirt haben, nun thun, ale als ob 
ſie aus eigenen Schachten es geholt — und wenn ſie etwa auf 
ein weiteres Detail ſtoßen, hier ſogleich, wie wenig ſte das Em—⸗ 
pfangene auch nur ſich zu eigen gemacht, dadurch beweiſen, daß ſie 






4, An Goethe, 505 


ſolches etwaige Weitere nicht zum Verfländnif aus jenen Grund 
lagen zu bringen vermögen, und cs Ew. Excellenz lediglich ans 
beim ftellen müffen, den Klumpen zur Geftalt heraus zu Inden 
und durch folde wahrhafte Gevatterfchaft ihm erft einen geiftis 
gen Dthem in die Nafe zu blafen. Diefer geiftige Othem — 
und von ihm ift es, daß ich eigentlich fpredhen wollte, und der 
eigentlich allein des Beſprechens werth iſt, — iſt es, der mid 
in der Darfiellung Ew. Ercellenz von den Phänomenen der 
entoptifchen Farben höchlich hat erfreuen müffen. Das Einfache 
und Abftrakte, was Sie fehr treffend das Urphänomen nennen, 
ſtellen Sie an die, Spige, zeigen dann die konkreten Erſcheinun⸗ 
gen auf, als entfichend durch das Hinzukommen weiterer Eins 
wirfungsweifen und Umſtände, und regieren den ganzen Ber- 
lauf fo, daß die Reihenfolge von den einfachen Bedingungen zu 
den zufammengefegtern fortfchreitet, und fo rangirt das Vers 
widelte nun, durch diefe Defompofition, in feiner Klarheit ers 
ſcheint. Das Urphänomen ausjufpüren, es von den andern, 
ihm felbft zufälligen Umgebungen zu befreien, — es abfiratt, 
wie wir dieß heißen, aufzufaffen, dieß halte ich für eine Sache 
des großen geifligen Naturfinns, fo wie jenen Gang überhaupt 
für das wahrhaft Wiffenfhafllide der Erkenntnif in diefem 
Felde. Newton und die ganze Phyſikerſchaft ihm nad), fehe ich 
dagegen irgend eine zufammengefegte Erſcheinung ergreifen 
und fi in ihr feftrennen, und fo den Gaul beim Schwanze 
aufzäumen, um wid des Ausdruds zu bedienen; es iſt ihnen 
biebei gefhehen, daß fle die dem Urſtande der Sache gleichgüls 
tigen Umftände — felbft wenn diefe nichts Anderes wären, als 
daß ihnen beim Aufzäumen des Schwanzes ein Unglück paffrt * 
wäre, — für die Bedingungen derfelben ausgeben, und Alles, 
was vor= und rüdwärts liegt, hineinſchuſtern, zwängen md 
lügen. An einem Mr Laffen fie es dabei nicht fehlen; fie brinz 
gen ein metapbufiihes Abſtraktum herbei, — als. erfchaffene 
Geiſter erſchaffen fie den, Erſcheinungen ein erſchaffenes, ihrer 


En — 


05 IX, Briefe. 


ſelbſt würdiges Inneres hinein, a 
die Weisheit und Herrlichkeit eben fo erfreut, eben fo emnfihaft 
Arbeiter wie die Freimaurer um den Tempel Salomonis, —— 
Bei den Urphänomenen fällt mir die Erzählung ein, die En. 
Ercellenz der Farbenlehre hinzufügen, — von der Begegnii 
nämlich, wie Sie mit Büttner’s ſchon die Treppe hinabeilenden 
Prismen noch die weiße Wand angefehen und Nichts gefehe 
haben, als die weiße Wand; diefe Erzählung hat mir den Ein 
. gang in die Farbenlehre fehr erleichtert umd fo oft ich mit da 
ganzen Materie zu thun befommen, fehe id das Urphänomm 
vor mir, Ew. Excellenz mit Büttner’s Prismen die weiße Wan 
betrachten, und nichts fehen als weiß. Darf ich Ew. Crecllen 
aber nun aud noch von dem befondern Intereffe fprechen, wel 
des ein jo herausgehobenes Urphänomen für uns Philoſophen 
hat, daß wir nämlid ein foldes Präparat — mit Em, Ertl 
len; Erlaubnif, — geradezu in den philofophifhen Nugen vr 
wenden tönnen! — Haben wir nämlich) endlih unfer zumädt 
aufternhaftes, graues oder ganz fhwarzes — wie Sie wollen — 
„Abfolutes, doch gegen Luft und Licht bingearbeitet, daß es de 
felben begehrlidh geworden, fo brauden wir Fenfterftellen, ım 
es vollends an das Licht des Tages herauszuführen; unfer 
Schemen würden zu Dunft verfhweben, wenn wir fie fo geradezu 
im die bunte verworrene Gefellfeyaft der wiederhältigen Welt 
verfegen wollten, Hier fommen uns nun Ew. Ercellenz Urphä—⸗ 
nomene vortrefflich zu ftatten; in diefem Zwielichte, geiftig und 
begreiflih durd feine Einfachheit, ſichtlich oder greiflich durch 
feine Sinnlichkeit, begrüßen ſich die beiden Welten — unſet 
OAbſtruſes und das erſcheinende Dafeyn. So präpariren ums 
Ew. Ercellenz aud) die Geftirne und felbft etwas vom Die 
tallifchen zum Granit hin, den wir an feiner Dreieinigkeit leicht 
paden und zu uns hereinholen können, — wohl leichter, als ſich 
feine vielen, etwas aus der Art gefchlagene, Kinder im feinen 
Schooß zurüdbringen laffen mögen. Längſt haben wir es danf- 






’ 


4, An Goeche. 507 


bar zu erkennen gehabt, daß Sie das Pflanzenweſen feiner und 
unferer Einfachheit vindieirt haben. Knochen, Wolken, kurz Als 
les führen Sie uns näher herbei. — Wenn ich nun wohl aud) 
finde, dag Em. Excellenz das Gebiet eines Unerforſchlichen und 
Unbegreiflidien ungefähr eben dahin verlegen, wo wir haufen, eben 
dahin von wo heraus wir Ihre Anfichten und Urphänomene rechtfer⸗ 
tigen, begreifen, — ja wie man es heißt, beweifen, deduciren, 
konſtruiren u. f. f. — wollen, fo weiß ich zugleih, daß Em. 
Excellenz, wenn Sie uns eben feinen Dank dafür wiffen kön— 
nen, ja Ihre Anfichten, felbft das Stichelwort: Naturphiloſophiſch, 
dadurch anfriegen könnten, uns doch toleranterweife mit dem 
Ihrigen fo nach unferer unfhuldigen Art gebehrden laffen, — 
es ift doch immer nod nicht das Schlinmfte, was Ihnen wider 
fahren ift, und ich kann mid; darauf verlaffen, dag Em. Excel⸗ 
lenz die Urt der Menſchennatur, daf wo einer etwas Tüchtiges 
gemacht, die Andern herbeirennen und dabei auch etwas von dem 
Ihrigen wollen gethan haben, erkennen. — Ohnehin aber haben 
wir Philofophen bereits einen mit Ew. Ercellenz gemeinfchafts 
lichen Feind — nämlid) an der Metaphyſik. — Schon Newton 
hat die große Warnungstafel angeſchlagen: Phyſik! hüte did) 
vor Metaphyſik! Das Unglück aber ift, daß, indem er dief 
Evangelium feinen Freunden vermacht und diefe es treulich vers 
fünden, er und fie damit nichts Anderes geleiftet haben, als nur 
die unzählbaren Wiederholungen des Zuftandes jenes Englän- 
ders zu geben, der nicht wußte, daß er fein ganzes Leben hin- 
durch Profa gefprohen, Diefer fam am Ende doch zur Ein- 
ficht, jene aber find dermalen noch nicht fo weit, zu wiffen, daf 
fie verdammt ſchlechte Metaphyfit fhrechen. IL laſſe es aber, 
von der Roth, den Phyſikern diefe ihre Metaphyſik zu ruiniren, 
noch etwas zu fagen. Ich muß auf eine der Belchrungen Ew. Er- 
celfenz zurüdtommen, indem id) mich nicht enthalten kann, Ihnen 
noch meine herzliche Freude und Anerkennung über die Anſicht zu 
bezeigen, die Sie über die Natur der doppelt tefrangirenden 


fa 


1X. Briefe, 
eben haben; — diefes Begenbild von derfelben Sad, 
als durch äußerliche mechanifhe Mittel dargeſtellt, — 
n . eine innere Damaftiveberei der Natur — iſt, mei⸗ 
ad), gewiß einer der ſchönſten Griffe, die gethan 


ft naftmeberei, vor der Hand von Hellung und Dunt- 
weiter führen; das Lebendige im Schönen if 

chtbarkeit, Die es befigt. Weil cs aber bei all 

ein u bedauern giebt, fo hätte ich allerdings dieß zu 
wlebrende Reihe der Phänomene nicht mit 

liebfien freilih unter der Leitung Em, 

babe durchlaufen fönnen. Dod dürfte ich mir viclk 

it mw und Tagen noch dieſe Vergünſtigung verfpreden, 
diefe Hoffnung felbft vertilgt jenes Bedauern, und um bie 
ıd Em. Excellenz nicht noch durch längeres Plaudern in 
uch zu nehmen, erlaube id mir nur noch, meinen vernig: 
Dank für Derfelben gütiges Andenken und für die mr 

eichhaltigen Belehrungen zu wiederholen. 


5. An ten D. Binrichg in Beibelberg. 
Berlin, »d. 7. April 1821. 
Ich habe, hochgeſchätzter Freund, mit wahren Vergnügen 
das überſchickte Manuftript durdlaufen, — 18 ganz wörtlich 
durchzuftudiren, dazu habe ich nicht kommen können, — und will 
die Rüdfendung nidyt länger aufhalten, um die weitere. Bes 
handlung und Beflimmung dadurch nicht zu verzögern. 

Ihren Wunſch, diefe Ihre Schrift mit einem Vorworte von 
mir an das Publitum begleitet zu fehen, werde ich herzlich gern 
erfüllen; damit hat es jedoch, während des Verlaufs des Ab- 
drucks Ihres Manuſkripts, noch Zeit. Ich leſe diefen Sommer 


5, An den D. Hinriche. 509 


Religionsphilofophie, bin alfo damit veranlaßt, meine — 
ohnehin nad) dieſer Seite zu wenden, 

Sie fordern mich auf, in meinem Vorwort meine Gedan- 
ten über die Tendenz Ihrer Schrift zu fagen; erlauben Sie 
mir aber, hier ſchon ein Metheil gegen Sie und vornchmlid) 
meine Wünfche über dasjenige zu äußern, was ich für vortheils 
haft hielte, dag Sie für diefe gewichtige Abhandlung, im Rüde 
füht auf ihre Richtung gegen’ das Publikum, und auf die Ein- 
richtung derfelben noch vornähmen. Dieſe Wünſche beziehen ſich, 
wie gefagt, nicht auf den Inhalt und die Sache und derem 
Darftellung felbft; mein Urtheil if, daß Sie ſich in der Sache 
mächtig gezeigt, und ich habe mit wahrer Satisfaftion Ihr ties 
fes, fpekulatives Eindringen erkannt; Sie geben mit diefer 
Schrift einen genügenden Beweis für Ihre Fertigkeit und Brüs 
fenz, in den höchſten Regionen der Spekulation mit Beftimmt- 
heit und Freiheit fi) zu bewegen, im einem fonfequenten Gange 
die Sache aus dent denkenden Begriffe zu produeiren "und fort⸗ 
zuführen, — Einzelne Belege von diefer meiner Befriedigung) 
will ich nicht anführen, — ich habe auch, wie gefagt; nicht alles 
Einzelne durchgemacht — aber z. B. Ihre Darfiellung vom 
Beweifen des Dafepns Gottes, von dem, was Manifeftation ift, 
von Gewißheit und Wahrheit — u. f. f. die Darſtellung der ſchel⸗ 
Iing’fhen Philofophie fo wie der vorhergehenden u. ff! —: 
die dialektifhe Nothwendigkeit des Fortſchreitens — 1.1. f. 
haben mich recht fehr intereffirt.. m 

Meine Wünfche betreffen äufere Zuthaten, um den Leſer, 
— db. bh. nicht bloß den ſchon mit der Spekulation vertrauten, — 
defto eher einzuführen. Ihe Gang ift eine Vertiefung in dem 
Inhalt, der gediegen fortwaltet, ohne dem Leer Ruhepunkte der 
Reflerion zu geben; ſolche, fo zu fagen hiſtoriſche (nicht von äufes‘ 
rer Hiftorie, fondern von der Vorhererzählung deffen, was Sie 
ist im Gedankengange vornehmen werden, genommen) wilden 
zur nöthigen, fogenannten Berftändlichfeit ungemein beitra— 


510 h IX. Briefe. 


gen; und cs iſt bei der Herausgabe Ihrer Schrift ſowohl Darm, 
Leſer zu haben, — als aud) vornehmlich darum. zw thun, daf Ih 
donum docendi daraus erfehen werden könne. — Ich will ver⸗ 
fuchen, einige nähere Umflände darüber anzugeben, 1) Sdh 
dieß würde zur Erleichterung beitragen, wenn —— 
und Abſchnitte in den Abſätzen machten; die f 
find ohne Einſchnitt, die fehs folgenden eben fo u. ef Im 
223 —238 if Ein Abfag, fo von 24 — 251 u. ff. Dit 
& linea weiter durch 1), 2), 3), u. ff. unterſchieden, trüge febt 
wefentlich ‚zur Meberficht bei; — 2) das Nähere aber müßten 
jene hiſtoriſchen Einſchnitte der Reflerion thun, 3 B. daß dief 
und dief, diefe Stufe, Form u. ſ. f. dieſe Beflimmung, habe, 
aber die mähere Betrachtung zeige den. Uebergang, Auflöfung 
diefes Standpunkts u. f. f., dich erläutere ſich durch Folgendes; 
— oder, dich fey nun zu beweifen oder bewiefen worden u. f. f.— 
befonders wäre zu unterfheiden und herauszubeben, 
verftändiger Konfequenz gefolgert ift, und wo nun die di 
ſche Betrachtung anfange; — überhaupt eine fubjektive Himstie 
fung für den Lefer, daß igt dieß vorzutragen, zu erläutern, zu 
beweifen ſeh, — es komme hier darauf an u. dgl. Die für fih 
runde Sache wird auf diefe Weife gegen den Lefer hingekehrt, fonft 
fagt er, er wiffe nit, wo er es anfaffen, was er damit anfan« 
gen folle, — Wie über das Einzelne, fo iſt auch fürdas Ganze 
eine ſolche Meberfiht und — Meberfiht gebende Eintheilung — 
wenn gleich, wie gefagt, nur hiftorifch, vortheilhaft und nöthig. — 
Gleih am Anfang der erften Abtheilung wünfhe ich auch eine 
folde vorausgehende Hinweifung und. Orientirung, daß zuerft 
die Natur des Gefühls w. dgl. zu betrachten feh.: Ein ſolches 
Einleiten für das Ganze und für die einzelnen Theile, ja für Ab⸗ 
fäge und Säge wird Ihrer Abhandlung gewiß eine ganz andere 
Yufnahme verihaffen, als ohne dafjelbe. An dem Inhalte würde, 
nichts zu ändern kommen, aber durch jene einleitende Zuthaten 
würde fie um ein Viertel oder Drittel auszuweiten ſeynz fle iſt 





! 
l 
| 
| 


5. An den D. Hinrichs. Sit 


fo zu replet vom bloßem Stoffe und Inhalt, und diefe zweite 
Seite noch erforderlich, den Leſer auf den Gang und die Refultate 
aufmerkfam zu maden. 3) Nod einen Unterſchied berühre ich, auf 
welchen aufmerkfam zu machen, oder vielmehr das Bewußtſeyn dar« 
über felbft anzugeben wäre — was nämlich als Vorausſetzung an« 
genommen oder wo aus Vorausfegung gefproden wird. ı So 
3. B. glei von Anfang, was Sie über das Gefühl fagen, foll 
nicht als ein Dedueirtes gelten, — fondern Sie fegen die Vor⸗ 
ftellung (— oder Deduktion) des Gefühls voraus, und geben 
bier nur das an, was dafjelbe enthalte; dief würde ih aus« 
drüdlich unterfcheiden; (— cbendafelbft wünfchte ich die nä— 
here Beflimmung angegeben, in wiefern und nach welder Seite 
das Gefühl zugleih das Unbefimmte iſt — de b.welde 
Weiſe der Bellimmung ihm fehlt) — die Erläuterung durch 
Beifpiele würde bier, wo Sie vorausfegend wu — an * 
rer Stelle ſeyn. 

Ih würde über dieß Alles nicht fo weitläuftg nein. die) 
oder auch gar nichts über diefe Seite gefagt haben, wenn Sie nur 
für mic) und einige wenige Freunde der einfachen Spekulation 
ſchrieben — (und aud) für diefe und für mich wünſchte ich; von jenen 
Zuthaten etwas; es würde mid große Anftrengung koſten, mich 
ganz dur das Einzelne hindurch zu lefen) aber Sie ſchreiben 
ferner für ein lefendes und fiudirendes Publitum, — aber! nod) 
mehr aud) für ein nur lefendes Publikum, das durdaus jene Eins 
leitungen und Reflexionen nöthig hat und fie fordert, und — 
mit Recht — vornehmlich darin das Lehren als foldes ſieht, — 
Der zehnte Theil des Stoffs, den Ihre Abhandlung enthält — 
oder der zwanzigfie, dreißigſte u. f. fr — mit jener Verdeutli⸗ 
hung vorgetragen, würde hinreihen, um mehr Eindruck zu machen, 
und wohl um mehr zu belehren, als jene Gediegenheit in ihrer 
abgeſchnittenen Geftalt Sie bei dem Publitum einführen möchte, 
auf weldes wir hierbei vornehmlich unſre Wünſche richten kön— 
nen. Sie verkennen meine Abficht nicht, im der ich allen die— 






512 IX. Brief. 
fen fcheinbaren Tadel vorbringe, und werden denfelben auch fe 
beurtheilen, daf er vielmehr an fich als ein Lobfpruch zu deu 
ten iſt. — Nun noch kurz von dem Uebrigen; — daß Sie die 
Logik, wie fie dermalen noch geftaltet if, polemifch vornehmen 
wollen, wird ein fehr zwedmäßiges Werk und Werdienft fehn; 
— es hilft am Ende nit, wenigftens nicht allein, wenn man 
die Sache felbft darflellt; man muß die Sache im des Feind 
Land fpielen; die nöthigt ihm eher, ſich umzuſchauen und du 
vornehme Ignoriren aufzugeben, — und ſich aus Befchämun 
zur Bertheidigung einzulaffen 
Das Sie mir die Redaktion der ſich nennenden ‘neuen ber 
liner Monatsfhrift zumuthen, macht mid um fo mehr vermu 
then, daf viele Andere, die mich weniger fennen, als Sie, mid 
defielben zeihen werden; es ift freilich viel von mir darin die Res, 
aber um fo weniger follte man den Verdacht hegen, daß ich daran | 
Antheil habe; — auch von meinen Gedanten — und gelegene 
lichen Einfällen etwa lauft auch Manches unter — aber nnig 
fiens habe ich dergleichen nicht zu ſolchem Gebrauch, wie dafıkk 
davon gemacht ift, geäußert; der Gedante iſt übrigens gut an 
ſich ſelbſt; es muß immer auf were Weiſe die -Sade a 
das Publikum gebracht werden. — 000 un mn 
Aufſätze von Benipteger ee ich nit glauben, dei 
eine: befondere Ausfchliefung erfahren würden; ſchicken Sie der 
gleichen auf jeden Fall; hauptſächlich thut es der Zeitſchrift Noth, 
dag fie einen mannichfaltigeren Ton, bei aller Einheit der Ten 
denz, erhielte. — Ich habe dem Hauptunternehmer von Ihrer 
Abſicht geſprochen — es ift D. Förfter — ſchicken Sie an ihn, 
was Sie ins Publitum auf diefe Weife zu bringen wünfchen. 
» Fahren Sie in Ihrer fehreibenden und ‚vorlefenden Thätige 
tet — ſeyen Sie meiner herzlichen —— — 
She nt) ri 
Hegel. 
EEE II I N Zur u 


5. An den D, Hinrichs, 513 


An Denfelben. 
Berlin, den 4. April 1822, 
Hier überfchide ih Ihnen Manuſkript, ganz ift es noch 


nicht; es fehlen jedoch nur noch etwa 1 oder 2 Bogen; id) wollte. 


aber Sie nicht länger verzögern, wenn id) am Ende nicht gar 
zu fpät komme. 

a. Das Manuffript in befferen Stand zu feten erlaubte 
die Zeit nicht mehr; bei der unterbrochenen Arbeit hatte ich oft 
den Zufammenhang verloren; es kann alfo in der Redaktion 
nicht anders als der Nachhülfe bedürftig erſcheinen. 

b. Sie find an Ort und Stelle des Drucks, werden alfo 
Sorge für den ordentlichen Abdruck haben; die Stellen, wo ein 
alinea zu maden, find richtig bemerkt, — aber es bedarf eines 
aufmerkffamen Setzers, — vielmehr eines aufmerkſamen Dirck- 
tors, umd diefer müffen Sie feyn; wo es Ihnen zu fehlen * 
nen ſollte, müſſen und werden Sie es reguliren. 

c. Laſſen Sie mir ein halb Dutzend Eremplare beſonders 
abziehen. — Schiden Sie ein Eremplar etwa an unfern Herrn 
Miniſter. — 

d. Id bin auf Ihre Werk befonders neugierig; da es ſchon 
abgedrudt ift, hätte ic) ein Eremplar bereits erhalten können. 

Halten Sie mir das Allgemeine des Inhalts, — das zum 
Theil nur Wiederholung von anderswo Geſagtem iſt, — zu Gute; 
— das Zerſtreute meiner Exiſtenz geſtattet es nicht anders; — 
auf unfere jetzige Theologie hat es hin und wieder direkten Bes 
zug, was Ihnen’ und Daub nicht entgehen wird. — Aber von 
Daub erwarte id) eine offene Erklärung, ob denn das die Dogs 
matik der unirten evangelifhen Kirche fey, was man ung, — 
freilich nur in einem erfien Theile, vermuthlid weil man für 
MWeiteres in diefen Zeiten der Unterdrüdung, wie man es heift, 
nit traut, — als folde zu bieten die Unverfhämtheit und 
Plattheit gehabt hat. — Bon Daub fehne ich mich, bald einen 

Vermiſchte Schriften. * 33 





514 1 0 


gedruckten Gruß zu vernehmen; vum a m 
darauf hoffe und deſſen benöthigt bin 


BL 


in den nächſten Tagen ſchreiben. 

















— 


24 
An * 
Berlin, am Il 
Hiermit folgen, verehrter Freund, di 
Vorrede, der Anfang ift den 4. April von * 
wagen abgegangen, den Schluß macht eine Stelle au 
Ihrer Briefe, über Ihren ſubjektiven Gang und > 
Schrift; die Stelle hat mich ebenfo . | 
ebenfo freut es mich, fie hier abdruden I 
fagt mit feharfer Beftimmtheit die Zenden 3 
aus, und wenn Sie felbft für hen Drut ih über 2 * 
niß hätten ausſprechen ſollen, ſo hätten Sie es nicht 
und unbefangen gethan. — Einige en b 
gelaſſen, weil ich erſt heute das Stückchen * 
geriſſenen Petſchaft fand, das einige den 2 
machende Worte enthielt. Die Worte in 
meine Philoſophie näher ausdrücken, habe ich —* 
Ein Wort, das ich zur Deutlichkeit anſtatt eines 
ſetzt, iſt wohl Ihr Sinn geweſen, doch war es mie 
klar; um die Unklarheit wegzubringen, habe s — 
eingeſezßt, — und wenigſtens fo wie es fo le 
und muf fo bleiben. — Und nun meine —* Vünſche 
den wirklichen Eintritt in die Welt; — welche Aufnahme 
zu erwarten haben, habe ich in der Lore aa > 
ift darin ausdrücklich für Daub gefagt, den is 5 
fen bitte, und von dem ich aud) bald etwas © 
hoffe. Es thut Noth, daf wir nad) und —* 


EN 





5. An den D. Hinrichs. 515 


3 Sagen Sie Daub ganz im Stillen, man ſpreche davon, ihn 
m md Schwarz hierher einzuladen, um über Theologie und Kirche 
zu konferiren; — fagen Sie ihm dabei, daf ich nichts fehnlicher 
wünfcen könne, aber daf bei uns Jahre und Tage vergehen, 
m che ein Gedanke, den man gefaßt, zur Ausführung komme. 
Wenn mir der Hr. Minifter davon ſpricht, werde ich ihm ſa— 
gen, er braude nur die beiden Herren 1) um die Artikel ihrer 
Union und 2) um- eine Kritit der Dogmatik der evangelifchen 
! Kirche (wovon der Verfaſſer mit dem zweiten Theil, det fon 
Weihnachten erſcheinen follte, ſich wohl nicht getraut herauszu— 
rücken) zu erſuchen, ſo werde er ſchon klar genug finden können, 
was ſie von Theologie und ſolcher Berliner Theologie halten. 
Ich hoffe bald gute Nachrichten über Ihre Hoffnungen in 
Heidelberg zu erhalten. — Ein ſolches Kleeblatt von ordent⸗ 
lihen Profefforen der Philoſophie, wie Sie in Heidelberg ha—⸗ 
ben, ift übrigens etwas fo Erquifites, daß es beinahe Schade 
wäre, wenn ein Blätthen ausgerupft würde, Wir werden an- 
derwärts jedoch felbft folhe befigen, in Halle z. B. — Dod 
die Niederträchtigkeiten der dafigen Zeitung gegen mid) mögen 
leicht, nicht von foldem Kleeblatt, fondern vielleicht gar aus der 
Nähe von Ihnen, oder noch mehr von Daub, — einem vierten 

ſchlechten Blatte zu dem Kleeblatt ächter Art, kommen. 

Leben Sie wohl! 
Ihr 
Hegel, 


Wie fteht es mit der Oswaldifchen Buchhandlung in Heiz 


delberg, ift fie noch auf guten Füßen, oder wenigftens auf Füßen? 
Es intereffirt mich, dieß zu wiffen, 


33 * 


IX. Briefe. 


An Denfelben. 


Berlin, den 13. Auguft 182, 

e⸗ iſt freilich ſchon ſeht lange, daß Sie, geſchätzter Frem) 
nichts von mir hören; ich wollte Ihnen über mögliche Ausſi 
ten bei ung gern etwas ſchreiben können; und ob ich gleich md 
nichts Beſtimmtes hierüber zu ſagen habe, fo will ich es dei 
nicht zu lange anſtehen laffen, Ihnen mwicder Nachricht von mi 
zu geben. 

Soviel weiß ich inzwifhen, daß Ihre Schrift einen guim 
Eindrud gemacht hat; die ſpekulative Haltung und Tiefe ifi « 
die bei uns, — d. b. in gewiffer und zwar ſehr bedentene 

Hhäre, — fehr empflichlt, Theils an und für fich, Theils ud 

um, weil fie nad), Außen keinen Anfiof und die Blöfen nicht 
giebt, weldhe zu Dlifverfländniffen leicht aus populären Dark 
tungen gefhöpft werden können. Flaches, bedeutungslofer Pie 
Iofophiren theilt zwar auch diefen Vortheil, nichts Gefährt 
zu zeigen, und nicht Beranlafjung, fompromittirt zur werden, ii 
geben; aber ſolches Philofophiren erhält bei uns doch nicht dm 
Vorzug vor dem anderen. | 

Der Hr. Minifter drüdte gegen mich keine ungeneigte Ge: 
finnungen in Rüdfiht auf Sie aus, als id) Veranlaffung nahn, 
von meiner Borrede auf Ihr Buch und deſſen Verfaſſer zu 
tommen. 

Sonft hörte ih, daß das Schreiben, mit dem Sie e8 bes 
gleitet, nur formell gewefen; — bei uns darf man wohl dem 
Minifter des Unterrichts — auch ein konkretes Wort, auf Ge 
halt und Anfiht gehend, — fagen. Sie haben fi daher zu⸗ 
. nähft auch einer folhen formellen Antwort zu gewärtigen; daß 
fie aber fo lange verfhoben worden, iſt immer ein Zeichen, daß 
man ſich das Buch gründlicher angefehen, und ſich auch mit 
Rückſichten auf die Perfon des Verfaſſers beihäftigt hat. Ein 

Hauptumftand, um fi zu etwas entfchliegen zu können, ift die 





6, Weber die englifche Keform «Bill. 457 


Bürgern verleidet, auch gefährlich gemacht, vondem Stimmrechte 
Gebrauch zu maden, und die Faktion hat allein das Feld be— 
hauptet. — Wenn die über die Wahlberehtigung ‚gegenwärtig 
befchließenden großen politiſchen Körper eine Pflicht hoher Ge— 
rehtigkeit zu erfüllen glauben, daß fie die äußerlichen Bedin- 
gungen diefer Befugnif erweitern und fie einer größeren Anzahl 
ertheilen, fo dürfte ihrer Erwägung entgehn, daf fie chen damit 
den Einfluf des Einzelnen vermindern, feine Vorfiellung von 
defien Wichtigkeit und dadurch fein Intereffe, dieß Recht aus: 
zuüben, ſchwächen, abgefehen von der frage, wie überhaupt ir— 
gend eine Staatsgewalt: dazu komme, über diefes Recht der Bür— 
ger zu Disponiren, dabei 50 oder 100 Franken oder fo viel Pfund 
Sterling in Weberlegung zu nehmen und dieß Recht nad fols 
ben Größen zu ändern — ein Recht, weldhes feiner Beflimmung 
nad ‚als fonverän, urſprünglich, unveräußerlich, überhaupt als 
das Gegentheil davon angenommen —— * es aa oder 
genommen werden könne. { vn 

Wie der im fo gutem Rufe fichende geſunde Menfihenver- 
fand des englifchen Volkes die Individuen die Unbedeutendheit 
ihres Einfluffes auf die Staats- Angelegenheiten durd) ihre ein— 
zelne Stimme empfinden läßt, fo giebt derfelbe gefunde Men— 
ſchenverſtand auch das richtige Gefühl feiner geringen Befähigung 
‚um die zu hohen Staats-Aemtern erforderlichen Talente, Ge= 
ſchäftskenntniß, Fertigkeit und Geiftesbildung zu beurtheilen; foll= 
ten ihm 40 Shillinge oder 10 Pfund Grund-Rente, oder 200 
Franken direkter Steuern, die Zufags Centimen mit eingerechnet 
oder nicht, einen fo großen Zuwachs von Befähigung zu enthals 
ten feheinen? Die Strenge der franzöflfchen Kammern, den 
Geſichtspunkt fonftiger Befähigung gegen diejenige Befähigung, 
welche in den 200 Franken mit oder ohne die Zufag-Centimen lies 
gen foll, auszufchließen und fie nur den Mitgliedern des Inſti— 
tutes zuzufßreiben, iſt charakteriſtiſch genug; der Formalismus 
der Achtung der 200 Franken hat die Achtung für die Befähigung 


































IR. Bi 2 


tigft an mich überfcietten ( um! 
lichen Brief hätte antworten —— 
ſchuldung anklagen; und es iſt nur, in 
thige Nachficht zähle, daß ich jest miten 
men und von meiner Nachläſſigkeit 
aus dieſem Zuge derſelben ihren Grab er 
nichts thun, als mir recht fehr Ihre V 
nur dieß hinzufügen, daß dieß einer * 
ich nach langer Zeit wieder fdhreibe. er mi u 
Aeuferung meines Dants bin, fo werden © on F 
zeugt geweſen ſeyn, daß ich nicht —— 
Ihr Werk und in der Anerkennung des I 
wefen. Schon vor längerer Zeit wird vun 9 
der guten Aufnahme zugetommen feyn, welde J 
unferem Herrn Minifter gefunden, Weber diefe € 
— da Sie wohl wünfchen möchten, hierüber eı 
vernehmen, — gleid) die hinzufügen, daß ich —— 
anzugeben weiß, — (mas auch auf die Verzöge 
wort Einfluß gehabt hat), — ob die Wohlmein 
etwas Neellerem führen könne; eine Hauptſache dabei ü 
‚dem Etat einer Univerfität eine Summe — RE 
ein dringendes — äuferes Bedürfnif zur Befegung e 
ſophiſchen Lehrſtelle vorhanden ift; — es iſt in manche 
ficht bei uns eine größere Latitüde dadurch, daß wir Fein 
minal-Profeffuren haben, aber es geht bei uns wie überall 
die meiften anderen — befonders materiellen — Bedürfni 
dringender gelten als die der Philoſophie. 
Ueber die Vorzüge Ihrer Schrift find wir Au 
gewefen, daf fie die Gründlichkeit der — 
der Beſtimmtheit und Klarheit der Entwicklung —* 
vereinigt. Beſonders ſehe ich die Exkurſe, . 
ſche und bei diefer Weranlaffung ariſtoteliſche P 
handeln, für Mufter der Expofition an. Mi ı Di 


) 


6, Ueber die englifche Neforms Bill. 459 


gierungsgewalt fehr von einander verfchieden find. Der monar- 
chiſchen Gewalt fommen die hauptfächlichften Zweige der höchſten 
Staatsmacht zu, vornehmlich diejenigen, welche die Beziehung 
zu andern Staaten betreffen, die Macht, Krieg und Frieden zu 
befchließen, die Dispofition über die Armee, die Ernennung der 
Minifter, — doch ift es Etifette geworden, daf der Monard) 
« direkt nur den Präfidenten des Mlinifter- Konfeils ernennt und 
dieſer das übrige Kabinet zufammenfegt, — die Ernennung der 
Armee- Befehlshaber und Offiziere, der Gefandten u. f. f. Ins 
dem nun dem Parlamente die fouveräne Befchliefung des Bud» 
gets (mit Einfluß felbft der Summe für die Suftentation des 
Königs und feiner Familie) d. i. des Gefammt-Imfangs der 
Mittel, Krieg und Frieden zu machen, eine Armee, Gefandte 
u. f. f. zu haben, zuſteht, und ein Minifterium hiermit nur res 
gieren, d. i. eriftiren kann, in fofern es fidh den Anftchten und dem 
Willen des Parlaments anfchlieft, fo ift der Antheil des Mo— 
narchen an der Regierungsgewalt mehr illuforifch als reell, und 
die Subflanz derfelben befindet fih im Parlamente, Bekanntlich 
hat Sieyes, der den großen Ruf tiefer Einſichten in die Orgas 
nifation freier Verfaſſungen hatte, in feinem Plane, den er end⸗ 
lid) bei dem Mebergange der Direktorial-Verfaſſung in die kon— 
fularifhe aus feinem Portefenille hervorziehen tonnte, damit nun 
Frankreich in den Genuß diefes Nefultates der Erfahrung und 
des gründlichen Nachdenkens gefegt werde, einen Chef an die 
Spige des Staats geflellt, dem der Pomp der Repräfentation 
nad) außen und die Ernennung des oberiten Staatsraths und 
der verantwortlichen Miniſter, wie der weiteren untergeordneten 
Beamten, zuftände, fo daß die oberfie Regierungsgewalt jenem 
Staatsrath anvertraut werden, der Proclamateur-electeur aber 
feinen Antheil an derfelben haben follte, Man kennt das folda= 
tifche Urtheil Rapoleon's, der fich zum Herrn und Regenten ge= 
macht fühlte, über dieß Projekt eines folden Chefs, in welchem 
er nur die Nolle eines cochon a l’engrais de quelques mil- 


F 






















7 An Dubar. * 
Berlin, den 4 
Ich habe Ihnen, hochgechrteſter Herr, über di 
meiner Antwort auf das geneigte — 
mid) haben bechren wollen, meine Eniſchuldig 
Durd Ihren: erfien Brief freute es — 
Freunde der Wahrheit bekannt zu werden, und nu 
zweiten ferner mit einem Kenner der Kormen, er 
Philofophie die Wahrheit zu faflen bemüht — fer 
einem durch innere und äußere Erfahrung gereiften, im 
tiſcher Beſtimmung thätigen, und in diefer Thätigkeit, ı 
feinen häuslichen Verhältniffen, zufriedenen Mann. D 
tigen, die Sie mir von Ihnen geben wollen, erleichtern 
die Antwort, nicht nur indem fie mir nährre Ausgangsp 
für die Darlegung meiner Gedanken angeben, fondern aud) | 
dem die Einigkeit des Gemüths mit fich felbf und mit feiner 
Lage dieſe innere Gefundheit des Geifles beweift, we che 
für das Individuum die Grumdlage ächter Ertenntniß. ausma 
während beim Gegentheil das Nachſinnen leicht in ee) ran 
tes Grübeln ausgehen kann, das fein Ende und keinen Anfang 
findet, — und zunächſt — weil es in der That keinen fi 
den will. " yr 8 
Was nun die Erklärung meiner Gedanten über d Wahı 
heit betrifft, wozu Sie mid auffordern, fo wiffen Sie fe Ibfi, daß 
ſolche Gedanken, um fid zu rechtfertigen, eine erſchöpfende Yus 
einanderfegung fordern, und ein Brief nur bei allgemeinen An: 


7. An Dubor. 521 


deutungen fichen bleiben kann; auch wünfchen Sie, daß id Ih— 
nen diejenige meiner Schriften angebe, worin Sie das Berlangte 
finden könnten. — Ib will die Erwiederung auf Beides zu 
verbinden fuchen. 

Ich kann es übergehen, davon zu fprechen, daß dem Men— 
ſchen im Allgemeinen die Wahrheit in der Weife der Religion, 
belebt und befruchtet durch feine Gemüths- und Lebenserfahrung, 
zunächft manifeflirt iſt; denn es ift ein weiteres Bedürfniß, fie 
in Form des Gedankens zu erfaffen, — fle, um den von Ihe 
nen gebrauchten Ausdrud anzuwenden, nicht bloß zu glauben, 
fondern zu fehen, — nämlid mit den Augen des Geiftes, denn 
mit den leiblichen geht es nit an, — d. i. fie zu wiffen, 
und das Intereffe Ihres Geiſtes hat Sie längft auf den Stand» 
punkt diefes Bedürfniffes geflellt. — Ueber das Verhältniß von 
diefen beiden formen habe ich kürzlich in etlihen Blättern ge— 
fprochen, von denen ich ein Exemplar beizulegen die Freiheit 
nehme (nut bitte ich, die angezeigten Drudfehler vorher forgfäls 
tig zu korrigiren), und die das Vorwort zu einer Schrift eines 
meiner Schüler, D. Hinrichs über die Religion im- Verhältnif 
zur Wiffenfchaft, find. 

Bei dem Gedanken aber, die Wahrheit im Denten zu ers 
faffen, zu begreifen, begegnet uns fogleidy die kantiſche Anficht 
der bloßen Subjektivität des Denkens, — eine Anfiht, mit der 
Sie bekannt, und über die Sie hinaus find; da Sie, wie id 
aus Ihrem Briefe fehe, ein geborner ffranzofe, und dann ein 
in gefunder Wirkſamkeit Ichender Dann find, Tonnten Sie bei 
deutfcher, hypochondriſcher Weife nicht ftehen bleiben, welche ſich 
alles Objektive vereitelt hat, und dann nur noch diefer Eitelkeit +» 
in ſich felbft genieft. Aber auch abgefehen von den übrigen 
Verdienſten der kantiſchen Philofophie will ich doch dieß anfüh- 
ren, wie es intereffant und lehrreich ift, bei Kant nicht nur im 
feinen fogenannten Poftulaten das Bedürfnif der Idee, fondern 
auch die nähere Beſtimmung derfelben zw fehen; was in feiner 


5223 IX. Briefe. 

Kritik der Urtheilstraft von dem Gedanken eines — 
den Verſtandes, des Selbſtzwecks, der zugleich auf cin 
natürlide Weife, im den organifchen Dingen. cxiſtirt, gefagt: 
it, — kann fehr gut als Einleitung für die weiteren Anſichten 
dienen; der dortige Standpunkt, daß dergleichen Ideen nur als 
eine fubjektive Maxime der Betradhtung genommen werden, muf 
freilich abgezogen werden. — Ih knüpfe hieran ſogleich an, 
was Eie in Ihrem Briefe anführen, daß ih die dee als 
Werden, als Einheit des Seyns und Nichts befiimme. Ih 
bemerkte zweierlei hierüber, — erſtens daß Seyn und Nichts 
die aller abfiratteften, ärmften, darum anfangenden Formen 
des Grgenfages find; Seyn und Weſen, Seyn und Denten, 
Foralität und Realität, Begriff und Objektivität, — wie die 
reinholdiſchen Veränderliches und Unveränderliches, — Bereinis 
gung und Unterſcheidung m. ſ. f. find andere Formen, am deren 
feine aber als ausfchliefliche fi) zu halten if; vielmehr fehe ih 
dieß allein als die wiſſenſchaftliche Darficllung der Jdre an, daf 
der Fortgang, und zwar vom Abſtrakten aus, — denn aller Ans 
fang ift dieß, — zum Konkreten, — als die ſich aus ſich ſelbſ 
forttreibende und-entwidelnde Jdee aufgezeigt werde, Ueberhaupt 
iſt die Idee weſentlich konkret, als Einheit von Unterſchiedenen, 
und die höchſte Einheit ift die des Begriffs mit ſeiner Objekti— 
vitätz wie denn Wahrheit, — aud Thon in Beziehung auf die 
BVorftellungen als Uebereinſtimmung derfelben, mit den Gegen- 
ftänden beftimmt. wird. Aber Wahrheit nehme id dann in dem 
beftimmteren Sinn, daß fie den Gegenſtänden an ihnen ſelbſt 
zutomme oder nicht; ein unwahrer Gegenfland kann wohl exiſti— 
ren, und wir eine richtige Worftellung von demfelben haben; 
aber ein folder Gegenftand ift nicht, wie er feyn foll, Di, 
feinem Begriffe nicht gemäß (was wir auch ſchlecht heißen), eine 
ſchlechte Handlung ift eine unwahre, der Begriff des vernünftis. 
gen. Willens ift in ihr micht objektiv, und diefer Begriff if das, 
was eine Handlung feyn foll, ihre eigenthümliche Beftimmung. 





7. An Dubot. 503 


So ift denn die Idee, in ihrer höchſten Bedeutung, Gott, allein 
das wahrhaft Wahre, d. i, das, wo der freie Begriff an feiner 
Odbjektivität keinen unaufgelöften Gegenfag mehr hat, d. i. auf 
feine Weife in Endlichteit befangen if. — Zweitens bemerte 
ich, daf zwar wohl folde Definitionen, wie die Idee ift die Eine 
heit des Seyns und Nichts, des Begriffs und der Objektivität, 
des Veränderlihen und Unveränderliden u. f. f., — und ſolche 
Säge: das Seyn ift Nichts, der Begriff ift die Objektivität, 
das Ideale ift das Reale und umgekehrt u. f. f., aufgeftellt wers 
den müffen, daf aber zugleicy nöthig ift zu wiffen, daf alle ders 
gleichen Definitionen und Eäge einfeitig find, und die Oppofls 
tion gegen fie infofern ein Recht hat; der Mangel, den fie an 
ihnen haben, ift eben diefer, daß fie vornehmlich nur die Eine- 
‚Seite, die Einheit, das If, — ausdrüden, und damit nicht 
auch den vorhandenen Unterfhied (das Seyn und Nichts u. ff.) | 
und das Negative, das in Beziehung folder Beflimmungen liegt. 
Reinhold's Weife fih auszudrüden: unterfheidende Vers 
einigung w f. f. bat hierin ihren fehr guten Grund. Meine 
Anſicht ift infofern, daf die Idee nur als Proceß im ihre (wie 
Wer den ein Beifpiel ift), als Bewegung ausgedrüdt und ge— 
faßt werden muß; denn das Wahre ift nicht ein nur ruhendes, 
feyendes, fondern nur als ſich felbft bewegend, als lebendig; — 
das ewige Unterfcheiden und die in Einem feyende Reduktion 
des Unterfchiedes dahin, daß er fein Unterſchied iſt; — was 
auch Empfindungsweiſe aufgefaft, die ewige Liebe genannt wors 
den iſt; nur als diefe Bewegung in ſich, die ebenfo abfolute 
Ruhe ift, ift die Idee, Leben, Geift. 

Dod es ift Zeit zu fchliefen, und ich füge daher nur nod) 
dieh hinzu, daß ich dafür halte, daß diefer Inhalt in allem äch— 
ten Bewußtſeyn, in allen Religionen und Philofophien vorhan- 
den, daß aber unfer jegiger Standpunkt if, denſelben ent— 
widelt zu erkennen, und dieß nicht anders geſchehen kann, als 
auf wiſſenſchaftliche Weiſe, welche dann zugleich die einzige Art 


- 


524 IX. Briefe, 
ift, wie er bewiefen werden kann. Zu meiner Stellung. habe 


» ich mir dieß genommen, auf die Erhebung der Philofophie zur 


Wiſſenſchaft binzuarbeiten, und meine bisherigen — freilid 
Theils unvolltommenen, Theils unvollftändigen Arbeiten Haben 
nur diefen Zweck; eine Ueberſicht habe ich in meiner Enchklo⸗ 
pädie zu geben verfucht, die aber fehr einer Umarbeitung bedarf, 
Nach diefem Zwede wollen Sie aljo meine bisherigen und fünf 
tigen Schriften betrachten; eine Logik und dann die Mechts-Phi- 
lofophie (die dem demagogiſchen Volke großen Anfioß gegeben) 
follen folde wiffenfchaftlihe Bearbeitungen, jene des Allgemei⸗ 
nen, diefe eines Theiles der in der Wirklichkeit ſich offenbarenden 
Idee feyn, die in Allem die Eine; Sie werden daraus. ‚meine 
Methode näher erfchen können, die nichts als den aus dem Bes 


 griffe nothwendigen Fortgang entwideln, und fi fonft um keine 


guten Gründe und Meinungen umfehen und befümmern fol. 
Ich wünfde nun, daf dief Wenige dazu dienen möge, 3 
nen die verlangte Bekanntfhaft mit meiner Anfiht und Witt 
des Philofophirens ungefähr zu geben, Sie werden im diefem 
Berfuche wenigftens erkennen, wie fehr es mich gefreut Hat, eis 
nen Freund der Philofophie (des oberflählihen Eigendüntels 
giebt es deren eine Menge) in Ihnen kennen zu lernen; mit 
aller Hochachtung 
Ihr 
ergebenſter 
Prof. Hegel. 


An Denfelben. 


Berlin, den 29. April 1823, 
46 babe Ihnen, verehrter Freund, zuvörderſt recht ſehr 
Entfuldigungen über meine Saumfeligteit im Beantworten 
Ihrer beiden Briefe zu mahen, und muß Sie darüber bitten, 
mit mir Nachſicht zu haben; cs waltet hierin ein eigenthümliches 





7. An Duboc. 525 
Mißgeſchick über mir; jeden Brief, den ich fehreibe, fehe ich mich 
genöthigt, mit Bitten um Verzeihung anzufangen, Indem id) 
aber jest unabänderlic an die Beantwortung tommen will, habe 
ich Ihre beiden Briefe, die id mir vor Kurzem zu diefem Bes 
hufe befonders legte, nicht vor mir; um die Zeit und Luft nit 
wieder mit Suden hinzubringen, muß id) nur aus der Erinnes 
rung fehreiben. Es find philofophifche Bedürfniſſe und ragen, 
die Cie: mir vorlegen, und die mir Ihe gründlices Interefie 
und Bemühen für die Erforfhung der Wahrheit bezeigen;- uns 
ter den Veranlaffungen zur Zögerung ift dann auch diefe gewe— 
fen, daß ich die Apprehenfion haben kann, in einem Briefe den 
Gegenftand, um den es fid) handelt, nicht genügend auseinander 
fegen zu können. Ih will es nun verſuchen, freilich nur nad 
Anleitung der Erinnerung, mid) über die Bedenklichkeiten, die 
fi) bei Ihnen erheben, zu erklären, Die eine entftand, wenn 
mir recht ift, zunächſt über das Refultat meiner Erpofition des 
Kaufal= Zufammenhangs. Was Ihnen dabei auffiel, ſchien mir 
nicht fo fehr die Natur diefes Begriffes felbft zu betreffen, als 
vielmehr die Folgen, welde es für andere Erkenntniffe haben 
würde, wenn jener Begriff nicht Stand hielte. Außerdem daf 
ich hierüber bemerken würde, daß die Begriffe ohne alle Rück⸗ 
fiht auf Anwendung und Folgen zu betradhten, in der Logik 
ganz umerläßlich fey, und diefelben ganz nur für ſich fichen oder 
fallen müffen, würde ih Sie an das Refultat der Fantifchen 
Philofophie erinnern, mit weldem Sie bekannt find, und das 
in Rüdfiht der Verflandesbegriffe dahin geht, daß vermittelft 
derfelben fh nur Erſcheinungen erkennen, aber nicht das Wahre 
ſich in jene Formen faffen laffe. Es handelt fi in diefer Un— 
terfuhung nur darum, weldes die Gedantenbeftimmungen feyen, 
die fähig find, das Wahre zu faffen. Es ift darum nichts ver= 
loren, wenn diefer oder jener Begriff fih dazu nicht befähigt 
zeigt; dergleichen Beftimmungen find in der endlichen Welt zu 
Haufe, oder das Endliche ift eben dicfes, in folchen Beflimmuns 


526 IX. Briefe, 


gen zu feyn; die Idee muß cine hiervon verfhiedene Form ih 
rer Einheit mit fih haben, — zu weldem Standpumtte die 
kantiſche Kritik nicht fortgeht, — für die Erkenntnif des Wal 
ren im Endlichen felbft muß ſich hierdurd denn auch eine at 
dere Weife beflimmen, als die jener. Kategorien. | 

Ich wollte eben daran, von dem Zuſammenhange des Ge⸗ 
fagten mit dem Inhalte auch des zweiten Briefes zu ſprechen, al 
ic) nad) wiederholtem Suden denn doch glüdliher Weife ihren 
zweiten vom 3. März habhaft wurde; es geht derſelbe weiter 
auf das Allgemeine, metaphyſiſche Anfiht und Stellung des Er 
kennens zum Wahren zurüd. Zunächſt füge ich zum Gefagten, 
dag wenn im Geifte, Gemüthe, befonders in der teligiöfen Em- 
pfindung, — von der Sie im erfteren Briefe, au) im Zuſam⸗ 
menhange mit Ihrem Lebensgange und Ihrem Verhältniſſt als 
Haus- und Familienvater, zugleich) ebenfo gefühlvoll und gedir 
gen als freundfchaftlich- vertraulich fprahen, — alfo wenn im 
Menfhen der Glaube, Gewißheit, Weberzeugung oder wie nit 
es qualificiren wollen, an die Wahrheit, an Gott, für ſich fl 
fieht, es ſich nicht erfi darum handelt, diefe Meberzeugung duch 
die Erkenntniß zu erlangen, — oft-wird es jedod auch der Fall 
feyn, daß der Menſch auf. dem Wege philofophifcher Einfiät 
dazu fommt, — als vielmehr alsdann darum, dieſe für das 
Gemüth bereits fefte Grundlage zu erfennen und zu begreifen. 
In diefer Stellung ift der Geift, fo zu fagen, fiher gegen das 
Erkennen; befriedigt fi das Begreifen nicht, fo thut dieß jemer 
Gewißheit keinen Eintrag; fie kann unwankend bleiben, es feh, 
daß man das Miflingen der Erkenntniß dem befonderen Wege, 
den man eingefehlagen, oder auch ſelbſt der Natur des Erkennens 
überhaupt zufchreibt; die Erkenntniß kann nad) diefer Stellung 
mehr als ein Lurus des Geifles, als für ein Bedürfnif deffelben 
angefehen werden. 

Hieran knüpft fih nun das, was Sie in Ihrem zweiten 
Briefe von dem Verhältniß fagen, weldes Reinhold, — welcher 


7. Un Dubor. 597 


tedliche Forſcher, wie ich aus den Zeitungen erfahre, vor kurzem 
geftorben ift, und befonders auch von Ihnen betrauert worden 
ſeyn wird, — und die Schottländer dem Wahren und deſſen 
Vorſtellung zu einander geben; — daß nämlich das wahre Seyn 
an ſich wahr, und das Vorſtellen nicht zu ſeiner Vorausſetzung 
habe; das menſchliche Vorſtellen ſetze dagegen jenen unabhän— 
gigen Gegenſtand voraus, und wiſſe die Wahrheit nur als eine 
relative Uebereinſtimmung mit ſich, die Wahrheit des Schns an 
ſich fey dagegen abfolute Webereinfimmung des Seyns mit 
ſich ſelbſt. 

Weil es nahe liegt, will ich hier die Bemerkung machen, 
daß, wenn von dem Seyn dieß geſagt wird, daß es eine Ue— 
bereinſtimmung ſeiner mit ſich ſelbſt ſey, und dann doch von 
demſelben als einem Unerkannten und Unerkennbaren geſprochen 
wird, — damit das Gegentheil von dem geſagt wird, was ſo 
eben geſchehen, — denn die Beſtimmung von dem Scyn, daß 
es die abſolute Uebereinſtimmung mit ſich ſelbſt ſey, iſt ja eine 
Denkbeſtimmung, d. i. eben hiemit wird es gedacht und im fo 
weit erkannt. — Alle jene Sätze übrigens, in ſofern ſie ſich 
eben auf die Ratur des Vorſtellens beziehen, gebe ich ganz zu; 
Vorſtellen iſt allerdings das nur im Relativen ſtehende, dv. h. 
mit einer Worausfesung behaftete Erkennen. Aus demfelben 
Grunde aber enthalte ich mich des Ausdruds, 3. B. das Abfo- 
lute als Einheit des Borftellens und Seyns zu bezeichnen. 
Das Borftellen gehört einem andern Boden an, als dem der 
Erkenntniß des Abfoluten. 

Ton hier gehe ich zu der Darflellung über, die Sie von 
meinen Gedanken maden, und worüber Eie ein Urtheil von 
mir haben wollen. Es hat mich gefreut zu fehen, wie tief Sie 
eingedrungen find, und geradezu den Punkt, wo die Sache am 
fpetulativften ift, ergriffen haben. Zunächſt will ih aus dem 
Gefagten wiederholen, daß ich dem Inhalte der reinhold'ſchen, 
ſchott'ſchen u. f. f. Philofophie nicht chtgegergefegt bin, fondern 


* 


Bu 4 me 


IX. Briefe, 


mich auferbalb folden Standpuntts befinde, und darin nur ih 
nen widersprechen würde, daß jener Standpunkt des Borftellu 
der höchſte und legte fe. — Zu Ihrer Erpofition von meine 
Abficht, — welche ich fehr genau und gründlid aufgefaßt find, 
— mill ih nur dieß bemerken: daß, wenn Sie als Refulte 
über den Unterfchied, der zugleih in Einem kein Unterfchied if, 
fagen, diefe fcheinende Differenz ſey der bloße Schein der Dife 
renz und die abfolute Wahrheit des Geifles ſey Die abfe 
Iute Indifferenz, Identität, Einheit, das Wort: abfolut leicht 
den Sinn des Abftraften bekommen könnte (wie abfolus 
ter d. i. abſtrakter Kaum), und fo wäre die Wahrheit nur die 
abfirafte Indifferenz, Zdentität, Einheit, — wie oben das Senn 
nur als Webereinftimmung mit fi beflimmt worden ift. Aber 
im Sinne des philofophifch-Abfoluten beflimmte ich das Wahre 
als das in fih Konkrete, d. i. (wie Sie auch anführen), al 
Einheit entgegengefester Beftimmungen in fi, fo daß dire 
Entgegenfegung in der Einheit nod erhalten iſt, — ode die 
Wahrheit nicht als ein Stehendes, Starres (aljo Adentilät, 
Seyn), fondern als Bewegung, Leben in fi) felbft, als Indiffe⸗ 
zenz nur als in fid fheinende Andifferenz, oder mit einem 
Unterſchied in ihre, der als in ihr, in der Einheit, zugleich kei⸗ 
ner, als ein aufgehobener, d. h. vernichteter und aufbewahr- 
ter if, — der darum, daß er ein fcheinender ifl, nicht — nicht iſt. 

Ich wünſche nun, daß diefe Bemerkungen ihren Zwed, Ih 
nen die Richtigkeit Ihrer Darftellung meiner Begriffe zu beflä- 
tigen, erfüllen mögen; mit herzlicher Hochachtung und Freundſchaft 

Ihr 
ergebener 
Hegel. 


1 


8 An Ravenftein. 529 


8. An Mabenfein, 
Königl. Preuf. PremiersLieutenant. 


Ich habe recht fehr um Berzeihung zu bitten, auf Ihr be⸗ 


reits am 5. v. M. gefälligft an mid) gerichtetes Schreiben nicht 
früher geantwortet zu haben; was ich über diefe Verzögerung 


anzuführen hätte, daf es mir mit der Korrefpondenz überhaupt: 


nicht anders zu gehen pflegt, würde mehr nur eine Erweitermg 
meiner Schuld, als eine Entſchuldigung abgeben. 

- Es konnte mir nicht anders, als fehr erfreulich fepn, aus 
Ihrem Schreiben zu erfehen, daß das, was ich in der Philoſo—⸗ 
phie verfucht, Zuftimmung bei Ihnen gefunden; fo fehr der in 
feinem Denken lange einfam Beſchäftigte, für ſich in feinem 
Gange Befriedigung finden mochte, fo fehr wird es ihm zur ere 
freulihen Bewährung und Stärkung, in dem Geifte Anderer 
eine Zuftimmung ihm entgegentommen zu ſehen. Solche Theils 


nahme, wie Sie bezeugen, muß mir um fo werther fehn, als 


ein tieferes Intereffe an den großen. Gegenfländen unferes Geis 
fies und. der Ernft des dentenden Studiums derfelben: ſich auf 
Wenige zu befchränten pflegt. Diefelbe ift aud) ein reicher. Erz 
fag gegen die Verunglimpfungen, deren Sie erwähnen; gegen 
diefe hilft nichts anderes, als abgehärtet dagegen zu ſeyn, ‚und 
man wird dieß um fo leichter, als ſich bald zeigt, daß die, welde 
fi) foldhe erlauben, nicht einmal die billige Forderung erfüllen, 
eine Kenntniß von dem zu haben, was fle verunglimpfen. 

Was Ihre Anfrage über eine frühere Schrift von mir: 
„Meber die Differenz der fihtefhen und ſchelling'ſchen Philofo= 
phie“ betrifft, fo ift mir bekannt, daß diefelbe feit langem nicht 
mehr im Buchhandel ift, wie ich felbft fie aud nicht befige und 
nicht mehr zu einem Eremplare derfelben habe tommen können. 

Ihren Wunſch, die Abfchrift eines Heftes von meinen Vor—⸗ 
lefungen über die Wiffenfhaft der Religion zu erhalten, weiß 

Vermiſchte Schriften. * 34 


530 1X. Briefe 

ich nicht zu befriedigen; Sie werden dieß cher durch Zuſan/⸗ 
menhänge mit Studenten bewerkſtelligen können, unter denn 
ſolche Hefte, mir unbewuft, und nad den wenigen, die id u 
fehen Gelegenheit gehabt, eben nicht immer zu meiner Zufrit 
denheit, cirkuliren. Ich made Sie bei diefer Veranlaſſun 
auf eine vor etlichen Monaten hier — bei E. Franklin — m 
fchienene Schrift aufmerkfam: „Aphorismen über Michtwifen 
und abfolutes Wiſſen, — ein Beitrag zum Verſtändniſſe dr 
Philofophie unferer Zeit; von €. Fr. ©....1” (fo viel ich hör: 
Göſchel, Dberlandesgerihts- Rath in Naumburg.) Der Ber 
faffer beſchäftigt fid darin vornehmlid mit meinen Darftellun 
gen der chriſtlichen Ideen, und einer nad) allen Seiten ſich wen 
denden Rechtfertigung derfelben, und zeigt eine ausgezeichnete 
Bereinigung tiefer chriſtlicher Frömmigkeit und des — 
ſpekulativen Denkens. 
Noch bitte ich Sie, dem Herrn D. Hügel, ——— 
ſchaftliches Andenken an mich Sie erwähnen, auf's beſte mid w 
empfehlen, und die nochmalige Verſicherung des Intereſſes, dat 
mir Ihre Theilnahme an meinen philofophifhen Wrbeiten er—⸗ 
wedt, und meiner volllommenen Bochachtung anzunehmen, mit 
der ich bin | vo 
Ihr ze 

ergebenfter um 
Berlin, d. 10. Mai 1829, \ Prof. Hegel 





9, An Barnhagen bon Enfe, hal 
Eben war ich im Begriff die Feder anzufegen, um Ihnen, 
verehrtefter Herr Geheimer Rath, für das neulih von Ihnen 
erhaltene Geſchenk meinen verbindlichften Dank zu fagen, den 
ich aufgeſchoben hatte, bis mich ein orbentlicheres Leſen in Stand 


1. u Fr ı Ge  j 


9. An Varnhagen von Enfe- 531 


gefegt hätte, zu dem allgemeinen Intereffe, das mir rin Merk 
von Ihrer Hand, und ſo auch diefes, bei dem. erfien rapiden 
Durdjlaufen erwedte, und zu der Empfindung über das Freund⸗ 
fchaftlihe der Gabe etwas Näheres über den eigenthümlidhen 
Eindrud und die befondere Belehrung, die ich fah, daf ic) dar— 
‚aus gewinnen würde, hinzu zu fügen, als ich Ihr zweites Ge⸗ 
ſchenk empfange, mit dem Sie mir die Ehre haben erweifen 
wollen, meinen Namen in:nähere Verbindung zu fegen, ‚Hier: 
über darf ich es nicht anftehen laffen, Ihnen zu bezeugen, wie 
fehr ich den Werth diefer Auszeihnung und der höchſt verbinds 
lien Art, die den Werth derfelben faft bis zu einer Beſchä— 
mung erhöht, empfinde. Ich thue dieß jedoch mit mattem Kopfe, 
denn ich habe die wunderbare Anfhauung, die Sie ung darger 
reicht, vergangene Naht noch verſchlungen, das Meifte gelefen, 
fo daß ih von den vielfachften Erregungen durchbewegt bin. 
Wenn in Zinzendorf das Innere ohne Entwiclung, beinahe 
ohne Täufhung und Kampf, von früher Jugend an entſchieden, 


und er nur diefe Individualität ift, ohne Individualität ein fer 


tiges Werkzeug feines feften Höchſten zu feyn; fo führen Sie 
uns in Erhard einen erflaunungswürdigen Autodidaktos vor, 
und der es nach allen Beziehungen ift; unter dem großen Reich» 
thum des Stoffs von Intereffe und Geift verfehlt ihre Wirkung 
die wunderbare Erfheinung nicht, die fi ihm von der Jugend» 
macht feines Gemüths als ein Reft treu erhalten hat, und die 
Sie mit dem tiefen Sinn für Individualität, der Ihnen fo ei— 
gen ift, fo treffend und ſchön S. VIII bevorworten, Aber ich 
darf mid auf die Fülle von Anregungen, Stimmungen und Bes 
trachtungen, die in mir erwedt worden, nicht einlaffen, um die 
Bezeugung der befonderen dankbaren Empfindung nicht zu ver 
zögern, mit der mich das Freundſchaftliche Ihrer Güte erfüllt 
hat; ich verdanke derfelben ſchon fo mannigfaltige Genüffe und 
Belchrungen ; wie ich jede Ihrer Produktionen mich mit foldem Ges 
winn erfüllend finde, eben fo ſehr vermehrt jede die Hochachtung, 
34 






532 IX. Beil 
die ich Ihnen gewidmet und deren Ansdrud und meinen tm 
bindlichften Dank ic Sie gütig anzunehmen bitte, 
Berlin, d. 23. Mai 1833. He 
1 ln a VE 
ud re 
10. An ben Profeffor Sau. — & 
. im Berlin, den 3, Oktbr. 182%, 
Auf das Zweite, gefhäftsgemichtige Vülletin, — das id 
heute erhalten, — mit umlaufender Poft, in Eile, — vor Allen 
aber mit rüdwärtsfehender angenehmer Eriwiederung auf das 
erſte, nicht anders, als mit anerfennender Belobung der Preis 
würdigkeit und Nüglichteit der mehreren Subjekte, in’s Befon 
dere meines gehörig gefthägten Freundes Wendt, — eines Man 
nes, wie auserlefen zum Weſen ꝛc., welde Sie auf dieſem, von 
mir in Deffau bei fo ſchönem Wetter und info vergnüglicher Gr 
feltfchaft, fo oft mitgewünfdten Wege, zufammgepuftet, aufdaf 
Andere thun mögen, was für den großen Zweck gefhehen mu — 
Auch Marheineke, wie ih zum Beften unferer guten Sade bit 
anführe, iſt nicht ohme folde reiche Aufrührung Anderer zurid: 
gekommen. Mas Döderlein’s Behandlung betrifft, denke ih 
wohl, daß Sie diefelbe nicht vollfländig beſchrieben, nur feine 
Eigenthümlichteit gemeldet, die für fi die Würde unfers Un— 
ternehmens von oben herab benchmen that, als welches keine 
Recenfir-Anftalt und kein Engagiren an eine Recenfir-Anfalt 
involvirt, — freilich können unfere Gelehrten nur nach umd nah 
fi) zum Standpunkte eines rohen Canevas erheben, den fie al 
ihrer, nicht unferer eigenen Aktivität zuſtehend, anfehen zu ler 
nen hätten; — Baum dürfen wir rotten 'boroughs merken 
laffen, um unfre parlamentarifche Haltung gehörig zu ſchützen 
Es ift nicht anders als zweddienlih und nothwendig geweſen, 
dag Sie von Nürnberg gleich nad) Stuttgardt geeilt, nachdem 
fi) weder fonft die beftellten und felbft vorgehabten Briefe Cot- 
ta’s noch auch am erſten Drt bei dem Gewürzträmer Küffner die 


10. An Gans. 533 


gewünſchte Auskunft gefunden, Daß Sie mit Cotta abgefchlofe 
fen, dieß ift num die, d. h. Eine Hauptfahe, — denn Sie wife 
fen, daf zu Einer Sache viele Hauptſachen gehören, Nun Glüd 
auf! Gut! Recht! Um fo zwedmäßiger und verdienftlicher, ja 
nothwendig, zeigte fih die Reife und perfönliche Gegenwart; — 
Eotta ftedt in fo vielen Verwicklungen und Zufammenhängen, 
die es erfehweren, eine bedeutende Sache rein herauszuſchälen 
und feft zu machen, die felbft ein ſo weitläufiger Komplex ift; 
er. blieb auch vorher dunkel über folde weitere Antnüpfungen; 
hatte er uns, ja felbft feinem Gefchäftsträger, dem Gewürzträs 
mer Küffner, nichts davon zu verfichen gegeben, fo fegelten wir 
über Klippen und Untiefen, wo wir reine Fahrt fahen. — Denn 
freilid Münden’s Glenzfhwangerfhaft ift drohend für uns; es 
find drei Requiflte, mit denen eine folde wiffenfhaftlihe Epoche 
fih, — und wehe! ob nicht auf unfere Koften, verfehen muß; 
1) berühmte Namen — deren Ruhm werden Sie wohl in Mün— 
hen erfahren; 2) eine thätige Buchhandlung, d.h, eine folde, 
welche ſchlechten Autoren ein beträdhtlihes Honorar bezahlt, und 
auf weißem Papier druden läßt, und mit, Unternchmungsgeift, 
mit oder ohne Kapital, nad einem Jahre -inen cklatanten 
Bankrutt macht; 3) eine Literatur= Zeitung, nämlich aber wie 
nie eine gewefen, d. b., wenn nun Gott den Schaden. beficht, 
fo alltäglich oder alltäglidher als je andere, gewefen find. Den 
Cotta, an defien Eifentopf fo viele diefer Glanz Aniverfitäts- 
Schwangerfhaften und ihrer Buchhandlungen vorübergegangen 
und darin hart geworden, hat das neue füddeutfhe Zion der 
Wiſſenſchaft breit zu fchlagen bis jegt nicht verſtanden. 

Und fo fichen uns denn defto herrlichere Ausfichten bevor, 
höheren, welthiſtoriſchen Styls, die Vereinigung des füdlichen 
Deutfälands, das auf feinen eigenen Beinen hodgefinnt gegen 
ung treten wollte, und des nördlihen Deutſchlands, — eine Vers 
einigung, die ſchon auf’s Würdigfte begonnen, und von um fo 
gründlicherer Wirtfamkeit feyn muß, ols für die patriotifchen 




































w 1X. Briefe, 


— fomit aud ins Befondere für Thierſch, — ſolch cn 
— ein Panier iſt, dem fie gern und patriotiſch, ja felbi 
mit Enthuflasmus, zu folgen fi gedrungen fühlen. "Diefe 
fiht a priori zu faffen, war übrigens überflüffig; fle wird fid 
Ihnen ſchon von felbft genug, — bei Altbaiern in’s Befond 
aufdringlid) machen, als das einzige Motiv, womit fie zu be 
ſchwichtigen wären, — für ſolches Nachgeben und Mbeichwerdn, 
wie es Thierſch ſchon angefommen ſeyn fol. Uebrigens hab 
Sie von ſelbſt die weiteren Titel in Händen, die Einladung de 
etwaigen Brauchbarkeit Thierfh’s, Fr. v. Bader’s umd einige 
wenigen Anderen, — deren berühmte Namen Sie in Münde 
erfahren werden, — meines Freundes Niethammer wirkliche Thã⸗ 
tigkeit, — dann eine pſychologiſche Hauſtgrundlage am der in 
neren Gewifheit, aud der Hohlen, von der Unzulänglichte 
Leerheit und barbarifhen Unbraudbarkeit der Eifrigfin, — 
ſchließlich zu erwähnen, dag Sie mit Cotta abgefchloffen, ar 
nur die weiteren Zwede, die weitihweifige Bemantelung (nit 
Eotta zufrieden zu machen), die große welthiftorifche Abſtcht der dis 
einung und das Zufammenpuften Anderer, die arbeiten, ſeyn werden. 
Alles diefes alfo zur freundlichen Erwiederung Ihrer gefällis 
gen Bülletins, um deren Kreundfchaftlichkeit und Wergmüglide 
keit dankbarſt, — fo weit es von Weiten feyn kann, — zu der 
noriren, — fo wie meinen Dant für die gefällige Beforgung 
der Angelegenheit bei meiner Schweſter. ; ef 
Nun noch, was ich feither an hiefigen New’zkeiten gefams 
melt; — Grillparzer war hier, eim recht fchlichter verftändiger 
und eifriger Dann, — dann haben Raupach's Nachtwächter 
nicht zu ihrem Vortheil getutet; fie haben vorgeſtern in Pols⸗ 
dam geblafen; ob den Herren da weniger Schaden gefchehen, if 
mir noch unbewuft. — Profeffor Blum ift gegenwärtig hier 
auf feiner Durdreife; — Leo ift in geftriger Sitzung bei der 
Bibliothet mit 400 Rthlr. angeflellt worden. — Profeſſot 
Abegg aus Königsberg ift hier, er und ich wermiffen Ihre Ans 





2, An van Ghert, 477 


Was die Fortſetzung meines philofophifchen Werkes betrifft, 
nad der Sie ſich theilnehmend erfundigen, fo habe id nur un- 
terbrochen daran arbeiten können. — Für Ihr gütiges Aner— 
bieten, in Anfehung eines Verlags in Amſterdam fi) bemühen 
zu wollen, bin ich Ihnen fehr verbunden, und behalte mir vor, 
von Ihrer gütigen Erlaubnif, mich darüber an Sie wenden zu 
dürfen, im Notbfalle, feiner Zeit Gebraud zu machen, g 

Ich ſchließe mit der wiederholten Bezeugung meiner Freude 
über Ihr Wohlergehen und Ihr gütiges Andenken an mich; ich 
wünſche ſtete Fortdauer des erſtern und bitte Sie um gütige 
Fortſetzung des andern, und bin mit der größten Hochachtung 


Ihr, hochgeehrteſter Herr und wertheſter Freund, 


gehorſamſter Diener und Freund 
Nürnberg, d. 16. Dechr. Rektor und Profeſſor 
1809. Hegel. 


An Denfelben. 
Hochgeſchätzter Herr und Freund! 


Nürnberg, den 15. Dftbr, 1810, 


Die politifchen Weränderungen in Ihrem Baterlande wers 
den ohne Zweifel auch auf die Einrichtung und den Beſtand 
Ihrer fonft fo wohl begründeten Univerfitäten Einfluß haben, 
Dieſe ehrwürdigen und rei dotirten Sige gründlicher Gelehr⸗ 
ſamkeit, die ihren Ruhm fortdauernd erhalten, werden, traurig 
genug, dem politifhen Schidfale des Ganzen folgen müffen, 
Körper jener Art, die ein für fich beftehendes, freics Ganze, aus- 
machten, gerathen freilich mit der Zeit in eine Art von Stagna= 


tion, behalten aber eine gewiffe Gediegenheit, die unfern moder⸗ 











536 IX, Briefee. 
nennen, die es mir, der ich ohnehin ein Ge 
zuläßt, die Beantwortung eines werthen ;hrige, 
als eine Geſchäftsſache abzuthun: fie gilt mir vielmehr als ein Un 
gang mit dem Manne, an den ich zu fhreiben habe, — bl 
eine ſolche Unterhaltung, zu der ih Sammlung und Nuhe ie 
darf und abwarten will, aber der ich im einem Zuftande, in den 
das Gemüth mit äußerer Zerfirewung überfüllt iſt, wicht fähi 
bin; in einem ſolchen Zuftande aber habe ich mich das werfle F 
fene Jahr über befunden, und indem ich die erfte Zeit der Mu) | 
zu folder Unterhaltung benugen wollte, bin ich von dem erſin 
Augenblide an mit einem Falten Fieber heimgefucht worden, mit 
dem ich mich feit einem Vierteljahre herumfchlage. Ein nähe 
ver Grund anfänglichen Aufſchiebens war der Wunſch, eine A | 
zahl anonymer Schriften, von denen mir berichtet war, daß Eit | 
der Verfaffer fenen, zu erhalten; mein langes Warten darauf 
aber war vergebens, und zugleic hoffte ich, bei bereits einge 
tener Verfpätung, Ihnen im Frühling eine neue : 

ner Enepklopädie zufenden zu können, deren Beforgung dk 
meine freien Stunden in Anfprud) nahm, und von der id de 
Verdruß gehabt habe, daß fie fo eben erft erſchienen ; ich nehme 
mir die Freiheit, ein Eremplar hiemit beizulegen, und fie Jh 
‚gütigen Nachſicht zu empfehlen; im einzelnen Ausdruck Habe ih 
Vieles zu verbeffern gefucht. In der Vorrede zu dieſer Ausgabe 
babe ic) mich nicht enthalten können, einen Gegenftand zu be 
rühren, über deffen einen Theil Ihr Schreiben fih geäußert Hatte, 
Ohne Zweifel Hatte die hallenfer Geſchichte Sie gleichfalls am 
geregt, welche das Publitum, das Mlinifterium und ſelbſt hö— 
here Etagen, auch die Gerichte in Anfprud genommen hatte; 
aber Sie haben gefehen, was aus —* Bewegung für eine 
ſchlaffe Beruhigung hervorgegangen iſt. Sie hatten vielleicht 
gleichfalls die Hoffnung gefaßt, daß die Parteien fi gegenſei⸗ 
tig nöthigen würden, an die Sache zu kommen und in eine 
Entwicklung von Inhalt einzugehen; mobei von felbft Ihre Yphos 


Be 


2. An van Ghert. 479 


womit der Somnambulismus und überhaupt die Aeußerungen 
zufammenhängen, die fonft an gewiffe Organe gebunden, Bier 
von andern faft promiscue verrichtet werden können. 

Es ift mir lieb, wenn die Anzeige meiner pbhilofophifchen 
Schrift in den heidelberger Annalen, die Wirkung gehabt hat, 
das Publitum mehr aufmerkfam darauf zu machen, dieß ift zus 
nächſt das MWefentliche, was Recenfionen leiften können; fo wie 
es mich freut, daß Herr Bachmann fi fortdauernd mit Philos 
fopbie befhäftigt, und nad feinem Eifer und Kenntniffen etwas 
darin leiften wird. Es ſcheint allerdings, wie Sie aud) in Ih— 
rem Briefe bemerken, der Inhalt habe ihn, wie auch einige an— 
dere Recenfenten vorzüglich befchäftigt; das, worauf bei allem 
Philoſophiren, umd jest mehr als fonft, das Hauptgericht zu 
legen ift, ift freilich die Miethode des nothwendigen Zufammen 
hangs, des Webergehens einer Form in die andere, Doch ift 
jene Anzeige, fo viel id) wenigfiens gefehen, noch nicht gefchlof- | 
fen, und kommt vielleicht noch darauf zu reden. 

Ihr 
ergebenſter 
Hegel. 


An Denfelben, 
Hocverehrter Herr und Freund! 


Endlich ift Ihre gütige Abſicht erreicht, und Jakob Böhm 
fammt den andern Beilagen mir wohlbehalten zugefommen, 
Id) flatte Ihnen für dieß fchöne Geſchenk des Andentens und 
der Freundſchaft meinen herzlichen Dant ab; es hat mich fehr 
erfreut; die Ausgabe und das Eremplar ift fehr vorzüglid. — 
IH kann Jakob Böhm nun genauer ftudiren als vorher, weil 
ich nicht ſelbſt im Beſitz feiner Schriften war; feine Theoſophie 
iſt immer einer der merkwürdigſten Verſuche eines tiefen, jedoch 
ungebildeten Menſchen, die innerſte Natur des abſoluten Weſens 







538 ‚IX, Briefe. 
diefes lauten Lärms entgegen ſtellen kann, fo glaube ich tam, 
daf fie im jene Kreife, die ſich fo bequem gebettet, eindringn 
könne; fie darf es fih, — auch zum Behuf der Beruhigung - 
bewußt werden, daß fie nur für Wenige ſey. Indem ich mit 
daran gewöhnt, in dem Treiben derfelben die Befriedigung mi 
mes Geiftes zu ſuchen, fo iſt es mir zugleich höchſt erfreulich u 
erquidlich, wenn einiges davon in Anderen wiederklingt und id 
ihnen auf gleichen Pfaden begegne; wie ſchägbar mir die Bi 
gegnung mit Ihnen fey, fprede ih mit tiefgefühltem Dantı 
und mit inniger Verehrung aus; mit diefer erlauben Sie, mid 
Ihrer ferneren gütigen Gefinnung zu empfehlen. 0. 

















Ihr 
Berlin, d. 13. Dechr. 1830.  BDrof. Hegel 
12. An ven D. Forfter. . 


‚Schr werther Flüchtling! — 
Es war am 24. September, daß mic der Inſtinkt zu de 
betrübten Strohwittwe führte, das für mid von Ihnen beſtimmte 
Blätthen abzuholen. Ih babe Ihr blumenbetränztes Bild mit 
herzlicher Freundſchaft begrüßt, Ihnen zw dem glücklichen Be 
gebnif Ihrer Reife Glück gewünfht und für Ihre freundliche 
Erinnerung und deren Quelle, wie für die gegebenen Notizen 
aus Münden, gedankt. Ich habe mit Scelling in Karlsbad 
(wohin ich auf der Tour durch Töplig, Prag, dann Weimar, — 
zum achtzigjährigen Jüngling, — Jena, tam) 5—6 Zage in 
alter fordater Freundfchaft zugebradht, In Prag bitte ich wicht 
zu verfäumen, Herrn Profeffor der Gefhichte, von Henniger 
(pri: Hennigahr), einen Schwager meines dortigen Ontes 
und hiefiger Tante, breite Gaffe, fhlichting’fihes Haus, dem ih 
Sie annoncirt, aufzufuchen, — er ift mit eigenem Triebe fehr 


2, An van Ghert. 481 


unfer ganzer Zufland bringt es mit fi, daß ich diefe Arbeit 
nicht noch zehn Jahre herumtragen und fort daran beffern kann, 
um fie in jeder Rüdfiht vollendeter vor das Publitum zu 
bringen; ich habe zu diefem und zu den Haupt-Ideen wenig- 
fiens das Zutrauen, daf fie fih Eingang verfhaffen. 
In Anſehung meiner Differtation würde ich gern Ihr Ver— 
langen erfüllen; aber ich habe kaum noch ein Eremplar davon; 
Sie verlieren ohnehin nicht viel; — zum Studium der Afiro- 
nomie ift es beinahe gleichgültig, welche Anleitung Sie zur Hand 
nehmen; Bode's Lehrbücher haben viel populaires Verdienſt. In 
das Tiefere einzudringen, erfordert Geläufigkeit des Differential⸗ 
und Integrals Kalkuls, befonders nad) den neueren franzöfifchen 
Darfleklungen. J 
Ihr Den 
aufrichtiger und ergebenfter 
Hegel 


An Denfelben. 

Heidelberg, den 25. Juli 1817. 

— Die näheren Urſachen aber diefes langen Aufſchubs wa— 
ven; daf id voriges Jahr das Schreiben fo lange anſtehen 
laffen wollte, bis ih Ihnen die Vollendung meiner Logik, deren 
zweiter Theil, wie ih aus Ihrem Briefe erfehe, nad meiner 
Weiſung angelangt if, — und da itzt die Unterhandlung mei— 
ner Verfegung auf cine Univerfität einfiel, bis ich Ihnen die 
Entjcheidung hierüber melden könnte; ic) war von der baierſchen 
Regierung nad) Erlangen zur Profeffur ernannt, zugleich erhielt - 
ich auch einen Ruf nad Berlin, als id eben für Heidelberg 
mein verbindendes Wort gegeben hatte; — eine Bellimmung, 
die ich bisher nod) keinen Yugenblid zu bereuen Urſache gefun— 
den habe: Bor Allem aus wünſche ic Ihnen, obgleich id von 
den Letzten der Gratulanten ſeyn werde, recht fehr Glück zu Ihrer 

Bermifchte Schriften, * 31 


ER: Briefe. 


rathener wäre, bie Vergleichung mit Calderon fo a 
ganz auf die Seite zu fiellen und fo ein Stũck gan m 
urtheilen, wie es da vor ung auf der Bühme ficht undgckt 

bit haben an Shafetpeare laborirt, — umd haben dami 
M zugleich das Juterefie, die Zumuthung, ums auf da 


ıter die Schönheiten eines Shakespeare, Ealderom xc. geib| 


u laffen, nicht zu fanttioniren, — doch nicht etwa den b 
ibern von Windfor zu gefallen?!! 
Aulegt noch einmal meinen Beifall zum Ausritt des Gm 
Ehurfürften, — es ifl in feiner Art Maffüph- 
‚Hegel 


13. Seiner Ercellenz dem Minifter kan Mitenfein, 
Euer Errellenz 


halten mir zu gute, wenn ich dem Drange nadhgebe, in Yen 

Zagen des herbfien Schmerzes, der noch über Euer Eredım 
verhängt werden konnte, Diefelben mit diefen Zeilen anzugehen. 
Was von Gefühlen der Verehrung und Dankbarkeit, von Be 
kanntſchaft mit der fegensreihen Wirkfamteit Euer Ercellen; in 
Ihrer hohen Stellung, mit den Arbeiten und ſchweren Verhält— 
niffen derfelben, mit den hohen Tugenden des öffentlichen un 
des Privat- Lebens, die der Gegenfiand der allgemeinen Hob- 


achtung find, dann mit den ſchweren Leiden und Prüfungen, denen ) 


Euer Ereellenz von höherer Hand unterworfen worden find, mas 
von folhen Empfindungen und Erinnerungen fih im Gemütbe 
gefammelt hat, vereinigt fid) bei dem Anblick folder harten Le 
benswendung im eine Foncentrirte Wergegenwärtigung, die fih 
zur Aeußerung getrieben fühlt; und der Schmerz der Theilnahme 
über den unermeßlichen Verluft, den Hochdieſelben erlitten, drängt 
fih in feinen Mittelpunkt, fih in der Stätte niederzulegen, mo 
er in feinem ganzen Umfange und Stärke und damit in feinem 


2. An van Ghert. — 3, An Daut, | 483 


fen, — Bei der wenigen Nahrung und Ermunterung, welche 
das philoſophiſche Studium feit langer Zeit gefunden, Habe ich 
doch mit Vergnügen die Theilnahme bemerkt, welche für eine 
beffere Bhilofophie ſich fogleidy bei der Jugend zeigt, wenn ihr 
eine folde geboten wird, und ic) bin daher fowohl mit diefem 
Intereffe der Jugend, als mit meiner Situation auf der Univer⸗ 
fität ganz wohl zufrieden. 
Ihr 
Prof. Hegel 


3. An Daus in Yeibelderg. 
Hochwürdiger, Hoczuverehrender Herr Prorektor! 


So fehr mid Ihr gütiges Schreiben vom 3, vorigen Mo—⸗ 
nats erfreut hat, fo haben mich insbefondere die freundſchaftlichen 
Gefinnungen eines Mannes, für den ich feit lange eine — * 
Verehrung empfinde, immer gerührt, 

Auf die gemachte geehrte Anfrage, ob ic) die Stelle eines 
ordentlichen Profeffors der Philoſophie in Heidelberg, mit einem 
Gehalt von 1300 Fl. und den bezeichneten Naturalien anzuneh— 
men geneigt wäre, beeile ich mid), zu erwiedern, daß mein ges 
genwärtiges Gehalt in 1560 Fl. beſteht; dennod bin ich aus 
Liebe zum akademiſchen Studium geneigt, dem Rufe gegen die 
angegebene Befoldung zu folgen; hoffe jedoch, da ich hier eine 
Amtswohnung habe, die in den biefigen niedrigen Miethspreis 
fen auf 150 Fl. anzufchlagen ift, daß mir aud der Vortheil 
der Wohnung zugeflanden werde, die der abgehende Hofrath 
Fries inne hatte, indem in Heidelberg Wohnungen etwas ſchwer 
zu befommen feyn follen. 

Ih hoffe auch die Zufage der Regierung zu erhalten, daß 
fünftighin mein Fixum nad Verhältniß der Zufriedenheit der⸗ 

felben, die ic) mir zu erwerben mich beftreben werde, und nad) 
31 * 













542 dan Mr a 


EG 00 
ee 
Schmerz in diefe ſtille Gruft verfenkt und ve 
nun nichts mehr fommen, was den. 
wahrhaft zu flören und zu erfhüttern vermöchte. Für ein 
vielbefaffendes, lebendiges Herz bewahrt der Schooß Der. zutünk 
tigen Tage noch eine Erndte von Befriedigungen und Frtudu 
So wůnſche ih auf's Innigfe, daß Euer Ercellenz für old 
Erndte ein langes Leben, an weldes zugleid fo große Inter 
fen: geknüpft‘ find, befipeert -fepn mögen — — 





Verehrung er Ar 
Euer Erg Imia ih Balken 
Berlin, * 27. Mai 


1830. (gez.) Degel 

| — — — 

ur 

Antwort Sr. Ercellenz des Minifersae. ». 
an 3 Degehı nr ul 

Euer Hodwohlgeboren a 


meinem Schmerze fo unendlidy freundlich gewidmete Zeilen be 
ben ihren edeln Zweck ganz erfüllt. Ich Pa 
möglid, daß Jemand, außer mir, in folden Zügen die Berklärtt 
in allen ihren Berhältnifen auffaffe, und dem Manne, der das 
geliebte mir entſchwundene Wefen, fo meinem Herzen im treuen, 
lebendigen Bilde wieder gegeben hat, darf ich nicht erſt fagen, | 
mie unendlich wohlthätig mir dieſe Aeuferungen des, zartefien 
und zugleich träftigften und erhabenfien Mitgefühls find, Wit 
bei der geliebten Verklärten alles Edle und Großartige im dem 
anfpruchlofeften Anſchließen und Verehren ſich äußerte, fo bat 
ſich aud ihr Verhältniß zu Ihnen gebildet und immerfefler ber 
gründet. Sie ſetzte einen großen Werth auf Sie, und halle 
die herzlichſte und zartefte Theilnahme für Alles, was Sie und 












3, An Daub. 485 


Ahnen daher nicht zu fagen, welche Wichtigkeit diefe Seite für 
mich bat, und wie fehr ich die zugefagte Vermehrung anerkenne. 
Was die noch übrige Stipulirung des Quantums an Früchten, 
4 Malter Korn zu 5 Fl. 30 &r. und ein dergleichen Spelz zu 
4 Fl. berechnet, betrifft, die die Neuferung des Herrn Staates - 
Rath Eichrodt mir freiftellt, fo muß ich einer Seits glauben, 
je mehr mir an Früchten ſtipulirt werde, defto vortheilhafter ſey 
es, anderer Seits darf ich eben fo wenig unbefcheiden hierin er= 
feinen, und ich weiß nichts Beſſeres hierüber zu thun, als, da 
Sie fo viel bereits für mid übernommen, Sie auch noch zu er= 
fuchen, nad dem, was fichen und gehen mag, das Quantum 
auszumachen, und die billige Beflimmung hierüber in Ihre 
Hände zw legen. i 

Was meine Vorleſungen betrifft, da Sie Logit und Nas 
turrecht das nächfte halbe Jahr nicht für winfchenswerth erklä— 
ren, fo will ic) Enchklopädie der philofophifchen Wiſſenſchaften 
und Geſchichte der Philoſophie leſen; mit jener glaube ich zus _ 
gleih am ſchicklichſten meine Vorlefungen eröffnen zu können, 
indem dadurch eine allgemeine Weberfiht der Philoſophie, ſo wie 
die Anzeige der beſondern Wiſſenſchaften, über die ich in der 
Folge eigene Kollegien anzuſchlagen gedenke, gegeben werden 
kann; ausführlicher will ich mich über die Naturphiloſophie, d. h. 
als Theil des Ganzen verbreiten, und dann keine beſondere Vor— 
leſung über dieſe halten; ein drittes Kollegium, die Geiſteslehre, 
ſonſt Pſychologie genannt, möchte für das Publikum wie für 
mic ſelbſt für den Anfang zw viel werden; mit der Encyklo— 
pädie wird es zweckmäßig feyn können, ein Konverfätorium zu 
verbinden. Id müfte aber glauben, meine fehuldige Achtung 
gegen meine dermalige Regierung zu verlegen, wenn eine von 
mir verfaßte Anzeige öffentlich erfchiene, ehe ich von derfelben 
“ meine Dimiffton erhalten, oder wenigflens mein Dimifflons- 
Geſuch eingereicht hätte; indem ich aber in leterem der Beru— 
fung durch die großherzogliche Regierung erwähnen müßte, fo 




















mn. 0. — — 
"Berlin, den 31. Mai 4830. © 
nee ae Tue rs 
—— Gealım er 


* “BD | 
nd rn Wie 
ar een — 
een en an rdd n 
u ra ran 
44. Auszüge aus Degel& Briefen a 
erh 4 Nam g 
A, Reife, nad deu Niederlanden in dem * 
nn Bonntag fruͤh, den 15, € 
Hm — — aus 
Marie, —— — —* Dr 


haben ihr Auge noch nicht auf das ' 
worfen. Die Journaliere, ——— om 
ee. 





3 An Daub, 487 


P.S. Ich habe mir Gewalt angethan, in vorliegendem 
Antwortfchreiben nicht ganz die Dankbarkeit auszudrüden, die 
ic Theils für das Jntereffe, das Sie am meiner Angelegenheit 
nehmen wollen, Theils für das Mitgefühl empfinde, das Sie 
an dem Zuflande der Philofophie in Deutſchland und auf un— 
fern Univerfitäten nehmen; eben fo erfreulich ift mir Ihre Güte, 
mit der Sie meine bisherigen Arbeiten betrachten, und noch mehr 
von meiner Wirkſamkeit auf einer Univerfität hoffen. Man ift 
in der That in keiner Wiffenfchaft fo einfam, ald man in der 
Philoſophie einfam ift, und ich fehme mid) herzlich nach einem 
lebendigern Wirkungskreiſe; ih kann fagen, er ift der höchſte 
Wunſch meines Lebens; ich fühle auch zu fehr, wie _meinen bis— 

berigen Arbeiten der Mangel an einer lebendigen Wechſelwir⸗ 
fung ungünſtig geweſen. 

Wie ſteht es aber mit der Theologie? iſt der Kontraſt * 
ſchen Ihrer tiefen philoſophiſchen Anſicht derſelben und dem was 
häufig für Theologie gilt, nicht eben fo grell oder noch ſchreien⸗ 
der? Mein Arbeiten wird mir auch die Satisfaktion geben, es 
als eine Propãdeutik für Ihre Wiſſenſchaft zu betrachten zu haben. 

Ic hoffe meine, allenfalls oftenfible Antwort, wird feine. 
Schwierigkeit machen, nur darüber weiß ich nicht förmlichen Ber 
fcheid, ob meine Lektionen Antündigung früher erſcheinen darf, 
ehe ich von meiner Regierung die Dimiffton habe. Mit unbes 
grenzter Hochachtung und Liebe ganz der Ihrige 

| | 8; 

Meine übrigen Freunde in Heidelberg bitte ich vorläufig 
herzlich zu grüßen; ich habe dermalen von früh an bis im die 
Nacht das langweiligfte Eramen von Schullehrern, und keinen 
freien Augenblick, ihnen zu ſchreiben. 










546 IX. Briefe, 


— 
Alſo im Kaſſel bin ich glücklich heute früh amgekom 
und nachdem ich mich Vor- und Nachmittag noch viel erganı 
babe, will ich mich diefen Abend mit Dir, meine Liebe, w 
mit der Relation meines bisherigen Lebe= und er | 
fhäftigen. Meine Reife geht nicht fo ſchnell, als ich Anfım 
im Sinne gehabt. Es ift mir bisher zwar leidlich gegangm 
und für Leute, die Geld haben, und fih an die Seerſtraße bil 
ten, ift die Melt in gutem Zuflande; — es gehört jedod ad 
dazu, daß fie gute Nachrichten von den Ihrigen haben; viellidi 
bringt mir die Poft von heute Abend noch reinen Brief von Dir 
Ich bin beruhigt wegen Deiner abgereift, aber ganz aufer Sort 
kann ich nicht feyn, und auch fonft habe ich mich mit geofem 
Widerwillen auf den Weg gemacht, umd reife eigentlich nur fer, 
weil ich einmal auf der Reife bin und ſeyn fol. — 
Doch nun zur Sache. Alſo aus dem Arrangement ai km 
Lohnkutſcher ift nichts geworden; fo haben wir, ich und der Ey 
länder, uns dann in Magdeburg Montags Nachmittag auf die 
Diligence gefegt nad Braunſchweig. Diefe Route nad Kafl 
ift die gewöhnlichfie, nur eine oder zwei Meilen weiter als dit, 
welche ich als die direktefte im Sinne hatte, — hat allenthalben 
vortrefflihe Landſtraßen und gute Poſtwagen; ich muß daher 
dem preußischen Poſtweſen, gegen das id im vorigen Brief we 
gen der andern Route ungehalten war, Abbitte thun. — Beim 
Vorſchlag, über Braunfchweig zu geben, war mir ohnehin eins 
gefallen, daß mir der Hr. Negier.-Bevollm. Schulz von einem 
Gemälde gefagt hatte, das ſich dafelbft befinde, und allein einer 
Reife werth ſey. — Wir haben alfo das dortige Mufeum, vor 
nehmlid die GcmäldesGallerie und zwar darin ganz porzüglice 
und ausgezeichnete Stüde gefehen. Das Grmälde, das der Hr. 
Reg. Ber. Schulz im Sinne hatte, ift befonders von ganz rir 
genthümlicher Wortrefflichkeit. TX 


- 3 An Daub. 489 


das erftere Kollegium: lieſ't, ich halte aber keines für fo geeignet, _ 
um fowohl von dem Geifte und der Architektonik der Philofophie 
eine beflimmte und lehrreiche Idee zu geben, fo wie mit meiner 
Anſicht und Behandlung bekannt zu machen. Sonſt wollte iu 
auch Geiftesphilofophie lefen. 

‚Geftern habe ich auch ein Schreiben bom preufifchen Mi⸗ 
niflerium des Innern aus Berlin erhalten, das ich fehr ehren 
muß, indem es einen Anftand wegen‘ meiner acdtjährigen Ent— 
fernung vom akademiſchen Vortrag mir felbft als einem redlichen 
Mannt zur Prüfung und Beurtheilung überläßt. Wenn id) 
antworten kann, daß auf meinen unvolltommenen und ſchüchter— 
nen Anfang zu Jena ein achtjähriges Studium und Vertraut- 
werden mit meinen Gedanken und eine achtjährige Uebung auf 
dem Gymnaſium, — eine wegen des Verhältniffes zu den Stu: 
direnden, vielleicht wirkfamere Gelegenheit zur Befreiung des Vor— 
trags, als der afademifche Katheder felbft, — gefolgt iſt, — fo 
wird -meine Haupterwiederung feyn, daß ich mic bereits in Heis 
delberg engagiert fehe. 

Es thut mir leid, daf ich Ihnen fo viele Mühe verurſache, 
ich kann Ihnen für alle diefe freundfchaftliche Bemühung nur 
meine dankbarfte und aufrichtigfte Hochachtung en 

d. 29, Aug. 1816, 


An Denfelben. 

EM. s 
glaube ich von dem Umſtande meiner Ernennung zur Profeffur 
der Philologie in Erlangen, die im geftern erhaltenen königl. 
baierfchen Regierungsblatt vom 4. d. angefündigt ift und von 
da ohne Zweifel in andere Zeitungen übergehen wird, Benach- 
richtigung geben zu müffen, um nöthigen Falles, wenn diefe Er- 
ſcheinung bei meinen für Heidelberg feſtgeknüpften Verhältniffen 
auffallend feyn follte, die erforderliche Auskunft darüber, fo wie 


548 IX, Briefe, 


mannigfaltigen Bäumen, ohne alles Gebüſch, — 
ben durchfichtig, am Ende ein fhöner Wafferfpiegel, 
genden Weiden hie und da ein Alfer befegt, Bänke u. f. f, mi 
ein Haus, wo man — im freien Kaffee trinfen kann, $ 

d. bh. Eichorien=- Brühe; feit vielen Tagen babe ich nur folh 
und keinen Kaffee mehr zu trinken gekriegt; das ganze brau 
fhweiger Land ift mit lauter (luren diefer lügenhaften Wuyl 
bededt. Morgen werde ich auf die Wilhelmshöhe und in di 
Gallerie gehen. — — — 










* 


Freitag, den 19, Sepiht. 

Wie ich heute nah Tiſche wieder nad der Poſt ging, —| 

wo ich mich auch für Morgen auf die Diligence nad Gicfe 
einſchreiben laffen, erhielt id Deinen Brief, meine Liebe, — 
und Tann Dir nicht genug fagen, welde Freude mir. dal 
gemadt. — — FrI 
Nun noch etwas von meinem heutigen Tage; es ifitm, 
beifammen, denn eine VBefchreibung, wenn fie genügend fen 
follte, müßte zu weitläufig werden; Vormittag alfo war id auf 
der Bibliothef, und fah dann die Gemälde» Gallerie, von du 
wohl die vortrefflihften Stüde von Paris aus, ftatt hierher, 
nach Petersburg gefommen find; — aber es ift noch genug Bor 
teefflihes da, — befonders von Niederländern, Nachmittags 
fuhr ich mit dem Engländer, den ich bier wieder fand, — nad 
MWilhelmshöhe, ein herrlicher Punkt! Nachdem wir aber 5 — 60 
Stufen geftiegen, war es zu langweilig, nod zu dem Serkules 
hinauf zu ſteigen. — Es ift eim prächtiges Luſtſchloß, vom 
Churfürften bewohnt, — mit den trefflihften Spaziergängen 
und der weiten Ausfiht auf Kafel und das fruchtbare Thal, 
von fernen Hügeln begrenzt. — Wir trafen es eben noch zeit; 
auf dem Heimweg fing Regen an, — gerade am 19. Septbr, 
— der herbſtlichen Nactgleihe- Epoche, wie vor drei Jahren 





3% Un Daud. 4601 


An Denfelben. 


Es war erſt gegen Ende des März, daf Herr D. Bort 
hicher gekommen (eine Krankheit hat ihm den ganzen Winter in 
Münden aufgehalten), und mir Ihren freundfchaftlichen Brief 
vom September v. I. gebradt hat. Dieß ift die nächſte Urs 
ſache einer fo fpäten Erwiederung deffelben. Ob aber gleich diefe 
meine Zeilen durch jene Ihre Zuſchrift zunächſt veranlaft find, 
fo fehen Sie diefelben zugleich) als aus dem eigenen Bedürfnif 
hervorgegangen an, mir durch fehriftlihe Unterhaltung gleihfam 
ein näheres Gefühl Ihrer Gegenwärtigkeit zu geben. Indem 
mir eine ſolche Unterhaltung zu einer Art vom Reife und Be— 
ſuch wird, für deren ruhigen Genuf ich mit den andern Ge— 
ſchäften abgeſchloſſen haben will, fo geht es mir damit, wie es 
mit lange vorgehabten Reifen zu geben pflegt; man kömmt 
am fpäteften oft zu dem, was man am liebften und am ofteften 
thun mödte, Ih kann Ihnen nicht genug ausdrüden, wie 
werth und unumwlökt mir das Andenken an Sie, und wie 
theuer und ſtärkend mir die Freundſchaft und Liebe ift, die Sie 
mir vormals geſchenkt und die Sie mir fo »treu erhalten. Bei 
meinem Entſchluſſe, Heidelberg zu verlaffen, habe ich fehr wohl 
gewußt, was ic durd meine Entfernung von Ihnen verlie- 
ren würde und fühle dieß noch immer; Ihr herzliches Andenken 
an mic, vermindert die Aufopferung, die ih gemacht; daf Sie 
an meinen philoſophiſchen Arbeiten Intereffe finden, muß mir 
zur befonderen Befriedigung gereihen, und ich muß es als ein 
ſeltenes Geſchenk betrachten, da Sie ſelbſt am beften wiſſen, 
wie das Spekulative von’ unfern Schrift-, Sylben- und Res 
densartens Gelehrten angefehen wird. f 

Meine Rechtsphiloſophie fol längft in Ihren Händen fepn; 
ic) wünſche, daß die, Hauptſachen wenigfiens Ihre Zuftimmung 
erhalten ; ich habe nicht auf alle Seiten, deren ſich fo viele an 
dem Gegenftande finden, das partituläre Studium ausdehnen 


IX. Briefe, 


Mutter aumter den Mitfeiernden und Mlitanftoßenden ſch 

»; fie wird daher in das Bild des Tifches, mit dem ih a 

de, aleihfalls eingeſchloſſen ſehn. — Alfo Generalfalve, ul 
gemeines Bivat!! 

Aum hätte ich meine Reifebefhreibung fortzufegen. — In 

\ ft bin ih Sonnabend Nachmittag abgegangen; mein En 
der blich dort noch zurück; hier befand ich mich von nun a 
ter lauter deutſchen Landslcuten ganz volksthümlich — und un 
Ite meinen ſchönen, freien Engländer um fo mehr. Wir mo 
ven zu Sechs, drei anf jedem Sitze; id rüdwärts (ein Student 
ans Göttingen hatte und behielt feinen Sitz Nr. 1. im Fb 
air gegenüber unverrückt —), wir faßen eng, es war nicht zum 
ken. — Wir kamen bald an die Lahn, und folgten jest die 
immer; fiöne fruchtbdare Gegenden! Sonntags Mittag mu 
‚ wir in Marburg, einer bucklichen, ſchlkcht behänferten ni 
verfitäts- Stadt; aber die Gründe und Hügel fehr ammathiz 
ſah da die Eliſabethkirche, in reinem gothiſchen Gefdmt, 
der Chor hat Fatholifhen Gottesdienſt, das Schiff haben die 
Roformirten, — dicſe Kirche iſt eiwas ganz Anderes als da 
magdeburger Dom, für den unfer König, wie die Magdeburg 
fagten, 40,000 Thaler zur Ausbefferung ausgefest. Das Grab 
mal der Elifabeth ift in der Art, wie das magdeburger, aus 
zwölf Apoficl in derfelben Größe wie die nürnberger, aber ſitzend, 
— von Silber und Goldüberzug, gefhlagene Arbeit, — nidt 
vorzüglich. 

Dann ging's nady Giefen, eine angenehme Stadt und Um— 
gebung, — mit zwei hübſchen Burgen in der Rachhbarſchafſt. 
Hier war ich mit drei Konfratribus zuſammen; Demi giefner 
Nrofeffor der Philoſophie — Snell, — dem marburger des⸗ 
gleihen Ereuzer, einem Better vom heidelberger — und einem 
außerordentlihen Profeffor der Theologie, einem Marme von 
Streben, Einfiht und Bildung Der giefener Konfrater hat 
uns gleid) zum Mein geführt, und uns mit ſehr gutem Gewächs 








N 
' 


3, An Daub. 493 


was ich gefagt, und waren daher um fo mehr in Verlegenheit, 

in welche Kategorien fie die Sache bringen follten. - 
Leben Sie nun recht herzlich wohl, lieber, verchrter Diann, 

erhalten Sie mir fortwährend Ihre wohlwollende Freundfcaft. 
Berlin, d 9. März 1821. 





An Denfelben. 


Endlich, verehrtefter Freund, bin ich fo weit, heute oder 
morgen den Anfang mit Sendung Manufkripts der’ zweiten Auf⸗ 
lage von meiner Enchklopädie machen zu können. Ich melde z 
Ihnen die im Dankfgefühl für die Gefälligkeit, die Sie mir 
erweifen, der Revifion des Druds ſich freundſchaftlichſt annch— 
men zu wollen. So höchlich ih Ihnen dafür verbunden bin, 
fo habe ich zugleich einiges übles Gewiffen, darauf in Anfehung 
der Beſchaffenheit des Manuftripts mich zu viel verlaffen zu ha⸗ 
ben, denn es iſt allerdings von der Art, daß es einen aufmerk— 
famen Setzer erfordert, und daß Ihren daher wohl mehr Bes 
mühung gemacht wird, als ich billig in Anſpruch nehmen darf, 
Doch bin ich bemüht gewefen, die Veränderungen, Einfdal- 
tungen u. f. f. fehr forgfältig und beftimmt zu bezeichnen. Uebri— 
gens gebe ich Ihnen freie Vollmacht, wo Ihnen Dunkelheit, 
Unverſtändlichkeit, auch Wiederholungen vortommen, ganz nach 
Ihrem Dafürhalten zu Torrigiren, ftreihen und einzuhelfen. 
Wünſchen muß ih, daß Sie durch das ntereffe des Gehalts 
einigermaßen unterhalten oder ſchadlos gehalten würden; es iſt 
nur die freundliche Aufmunterung, welche Sie meinen Beftrebuns 
gen haben angedeihen laffen, die mir es erlauben kann, aud) 
noch diefe gütigen Bemühungen für mid anzunehmen. 

Der Einleitung insbefondere habe ich eine vielleicht zu große 
Ermeiterung gegeben, es hätte mich aber am meiften Zeit und 
Mühe gekoftet, fie in's Engere zu bringen. Feſtgehalten und 


| IX. Briefe, 


in werde ich aber ſchon längft Brüffel paffirt haben, md 
Amfterdam, Emden, Hamburg. — — — 


Köln, den 28. Eon 

— — In Koblenz, wo mein legter Brief aufhört, bradı 

ich noch den Nahmittag und den anderen Wormittag wegen bi 
üblen Wetters meift zu Haufe zu, lief die Schnellpoften, Wii: 
fer Diligencen und andere Gelegenheiten abgehen; doch Rad 
\ittags am Mittwoch machte es fih heiter; ich nahm eine 


ben und fuhr nad; Neuwied auf dem ſchönen Rhein; fh 


Sa8 herrnhuter Schwefierhaus u. f.w. Das Schönfte war da 
nd, — herrlicher Mondſchein überglänzte den Rhein, der an 


nen Fenſtern vorbeiflog; Eulen, die ih in meinem Lehm | 


d nicht fprechen gehört, muficirten darein, — Morgens nd 
AUhr auf die Waffer-Diligenee. — Anfangs konnte mark 

s auf dem Verdeck ſeyn, dann aber wurde es windig, hi, 
egnigt, zulegt Tontinuirlicher, heftiger, kalter Regen, Die & 
fellfdaft war nun in die Kajüte eingefhloffen, darunter and 
Studenten, die ihre Rheinreife madıten, alfo den Manzen mit 
grünem Wadhstuc überzogen, am jeder Seite deffelben cinın 
heraus hängenden Stiefelfuß, breite neue Riemen, — alles in 
Drdnung Go machte ih denn aud) meine Nheinreife, aber 
fah darum nicht mehr, und fland ihnen darin nach, daß ich das 
ſtolze Bewußtfeyn, eine Nheinreife zu machen, nicht gewinnen 
konnte. Schon das Regenwetter in Koblenz, — vollends dieſe 
Rheinreiferei, verleideten mir das Reifen, und wenn es nur nidt 
fo weit nad) Haufe zu Euch gewefen wäre, flugs wäre ich bei 
Euch angetommen. Ich reife doch im Ganzen nur aus Pflicht 
und Schuldigkeit, und hätte hundert Mal mehr Befriedigung, 
wenn ich meine Zeit zwifchen meinen Studien und Euch theilen 
könnte. Wenn Du einmal mit mir. an diefen Rhein kommſt, 
fo werde ih Dich anders führen; auf dem Waſſer ficht man 


3 An Daub. 495 


jenem zu warten, um diefe eintreten zu laſſen, ſondern vielmehr 
durch dieſe jenen zu vertreiben. 

Nun herzlichſtes Lebewohl. 

Berlin, d. 15. Aug. 1826, 


An Denfelben. 


Hohgefhägter Freund. 


Ich erhalte heute den 13. abgedrudten Bogen der Ench— 
tlopädie und bin eigentlich täglih im Falle, Ihnen meinen 
Danf für die mühfame Arbeit, die Sie übernommen, zu fagen 
zu haben; ich wünſche nur, daß Sie durd das Intereffe, das 
ich der neuen Bearbeitung zu geben ſuche, dabei einigermaßen 
unterflügt werden: Mühe koſtet cs mich wenigftens ziemlich; das 
Beftreben, gleichfam der Geiz, fo viel als möglich fiehen zu laf- 
fen, vergilt fi wieder durch die auferlegte größere Mühfelig- 
keit, Wendungen auszufuhen, durch welde die Veränderungen 
den Tertesworten am wenigften Eintrag thun. Sie werden mın 
einige Bogen der Naturphilofophie in Händen haben; ich habe 
darin wefentliche Veränderungen vorgenommen, aber nicht ver= 
hindern können, bie und da zu fehr im ein Detail mid) einzus 
laffen, das wieder der Haltung, -die das Ganze haben follte, 
nicht angemeffen genug ift. ‚Ich vermuthe, daß die Druderei 
Ihnen die ganze Arbeit der Korrektur übermadt, ftatt der bloßen 
Revifion, und dadurd Ihre Mühe wefentlih und ungehörig 
vermehrt; ich habe ein Billet hierüber an Herrn Oswaldt bei- 
gelegt. Gegenwärtig bin ic an der Geiftesphilofophie und mit 
der größeren Hälfte — bis auf das nochmalige Durchgehen — 
fertig; die zweite Hälfte werde ich freilih wohl ganz umarbei— 
ten müffen. 

Eine der vielen Unterbrechungen, durd welche diefe Arbeit 
aufgehalten wurde, liegt auch in einem Artitel, den ich für un— 


IX. Briefe, 






bedienen; — ein leeres Opernhaus, wie eine leere Kirk 
in Mangelhaftes, — bier ift ein Hochwald und zwar ds 
ftiger, kunſtreicher, — der für ſich ſteht und da ift, ob Miu 
n da drunten herumkriechen und gehen, oder nicht, es lin 
m nichts daran, — er ift für ſich, was er iſt, er iſt für fh 
fi gemadt, — und was fi) in ihm ergeht, oder betet, odn 
mit den grünem Wachstuchranzen, die Pfeife im Munde, ib 
berheinreiſt, verliert fi fammt dem Küfter in ihm und ift, wi 
es flieht und gebt, in ihm verſchwunden. — Frau Witte Som, 
eine höchſt brave, wohlthätige, ächt kölniſche Frau, die ich bei 
ndifhmann kennen gelernt, hat mich in Bonn fchun auf heut 
zum Mittageffen geladen; nad den Mlittageffen hat mir ik 
hn feine Sammlung von Olasmalereien, die reichte, die well 
100 große Fenfler, 4— 500 kleine Piecen, gezeigt. Vu 
ver Dom aud) für prächtige gemalte Fenſter hat! auch ander 
Kirchen. — Durch Vergünftigung der frau Horn habe id and 

lieversberg’fche Grmäldefammlung gefehben, Herrliche Sükt, 
eins wahrfheinlih von Leonardo; — auf ihre Empfehlung in 
ich auch bei Wallraf gewefen, — ein fo kordater, licher 75jäh: 
tiger Mann! — feine Gemälde — eine herrliche flerbende Mo: 
ria (kleiner als die bei Boifferee), hat er mir noch gezeigt, mib | 
dann eine halbe Stunde in der Stadt — durch alle römiſch 
alte campos herumgeführt; der Dann ift fehr freundlich un 
liebevoll gegen mich gewefen, — das ift ein rechtſchaffener, bras 
ver Mann! — 

Das ift mein Tagewerk, — verſteht fi, daß ich auch den 
Rhein, die unabfehbare Reihe von großen Zweimaftern gejehen. 
Morgen Sonntags werde id in Geſellſchaft der jungen Grafen 
Stolberg und ihres: vieljährigen Lehrers, des Dechanten Keller 
mann, der bei Stolberg’s Tod anwefend war, noh den Dom 
mit muſikaliſcher Dickie — und Anderes fehen, und dann Mor 
gen Nachmittag nad) Aachen abgehen. 

In fo weit bisher, gottlob, alles gut; wenn ich nur nicht 


3. An Daub. 497 
möchte; ob dieß intereffant genug ift, um eine Anzeige von ihm 
zu verdienen. Wäre es fonft etwas, worüber er ſich ausfprechen 
möchte, fo möge er es mir zu wiffen thun. Die Zeitfchrift nicht 
bloß verſpricht fih Beiträge don Ihnen beiden, fondern noch 
mehr wünſche ic, daß Sie beide Ihre gute Sache zu Worte 
bringen und geltend maden. Mit dem berzlichften Lebewohl, 
hecheeſchacte/ lueher * u Wild an a nee 

Abe. un ran Yin 
Ber) d. 49. Dice 1825 BT ET 


An —— — MT WETTEN 
Kreis, Zreum, Er ty) amd 


Mit der Abfendung der Worrede zu der neuen Auflage er⸗ 
wiedere ich Ihnen zugleich Ihren freundſchaftlichen Brief vom 
15. d.5 ich erſah zunächſt daraus, daß Sie an dieſem Datum 
erſt den 27. Bogen zur Reviſton vor ſich hatten; ſo hat denn 
die Verzögerung des Abgangs der neuen Vorrede keinen Aufenthalt 
im Drude gemacht; diefe Worrede ift — indem mir umter dem Aufs 
fegen derfelben Tholuc’s Buch von der Sünde zu Geſicht kam, — 
weitläufiger geworden, als id) im Sinne hatte, Ich danke Ih— 
nen’ wiederholt für diefe freundfchaftlide Mühwalumg der Res 
vifion, deren gütige Mebernahme die Beſchaffenheit des Manu— 
ftriptes doppelt und dreifach mühevoll, und um fo viel ſchätzba⸗ 
ver und dantenswerther gemaht hat. Die Haupiverzögerung 
der ganzen Arbeit entſtand daraus, daf mie die erſte Ausarbeis 
‚tung der Einleitung auch in ein Bud) auszulaufen anfing, und ich 
daher eine Umarbeitung von vorne an vornehmen mußte, Daffelbe, 
um hiervon auf Weiteres überzugehen, das Sie in Ihrem Briefe 
erwähnen, fehe ich, iſt mit einem Artikel über Marheinete’s 
Dogmatik gefchehen. "Sie: geben uns nur das allgemeine Ver⸗ 
ſprechen/ daß Sie einen vorläufigen Auszug teitifchen 


Bermifchte Schriften, * 


498 IX. Briefe. 


Jahrbüchern beſtimmen; in jeder Rüdfiht, unter andern auch, 
daß diefelben gröfern Zuflufies an Manuſtript fehr bedürftig 
find, darf ih Sie bitten, uns denfelben recht ‚bald zutommen zu 
laffen. Wie haben Ihnen Carove's und Marheineke's Artikel 
über den Katholicismus und Katholifiren zugefagt? Es ift ebenfo 
noch zeitgemäßeres Bedürfnif, die aufgeflärte und, wie fie ſich 
nennt, die neue Theologie zu befpredhen, mit der ſich auch Mar⸗ 
heineke in einem Artitel, — doch von einer etwas zu befonde- 
ren — Seite, zu thun gemacht; diefe Theologie ſcheint ‚beinahe 
in der Vorftellung zu feyn, das Monopol des Mortführens zu 
befigen. Sie werden in den legten Bogen der Encyklopädie 
und in der neuen Worrede finden, daß aud id am dergleichen 
Artikel, befonders an Herrn Tholud gefommen bin. 

Wenn Ste fi denn noch zu der Anzeige meiner Enchklo— 
pädie entfchliefen könnten, fo würde dich unfern Jahrbüchern eben 
fo wie mir intereffant und ehrenvoll feyn; nad Ihren freundlie 
hen Meuferungen in Ihrem Lesten, hatte Sie die Einleitung 
zunächft dazu aufgeregt, aber die Breite des Mebrigen cher abe 
gehalten. Ich follte meinen, daß dief Ihre erfte Abficht, Ihre 
Anfichten über die Gegenftände der Einleitung darzulegen, nicht 
rũckgängig machen follte. Eine Anzeige in unfern Jahrbüchern 
ift für ſich ſchon geeignet, ein eigener Artikel aus Veranlaſſung 
einer Schrift — mehr als eine bloße Kritik und Anzeige der⸗ 
felben zu ſeyn — und ein Artifel von Ihnen würde von felbft 
eine höhere Voreinleitung in den Gegenſtand derfelben werden; 
wobei das Detail des Buches etwa nur kurz berüdfihtigt, oder 
felbft übergangen werden kann. Den Standpunkt des Buches; 
und etwa den der eigenthümlichen wiffenfchaftlichen Behandlung. 
auseinander zu fegen, würde ja ein ganz intereffanter und ge— 
nügender Stoff fen, — und bloß foldhen Stoff abzuhandeln, 
darauf würde Sie von felbft ſowohl Ihr Interefie an der Sache 
als folcher, wie ſelbſt Ihre Freundſchaft beſchränken. 

Herr A. W. Schlegel Hält ſeit acht Tagen Vorleſungen 





3. An Daub, 499 


über die bildenden Künfle vor einem zahlreichen gemiſchten Pu— 
blitum — tief kann er freilich nicht gehen, — aber für fein 
Publtkum ift feine deutliche und beredte Art fehr paffend. 

Leben Sie nun berzlihft wohl — mit se 
Freundſchaft und Hochachtung ze. 

Berlin, d. 29, Mai 1827. 


s Un Denfelben, 


Längft hätte ich Ihre freundliche Zuſchrift vom Frühling, 
worin Sie, verehrter Freund, mir Heren Profeſſor Rour's 
Schrift nebft deffen Brief überfchidten, beantworten follen, Der 
Schuldnerzuftand meiner Korrefpondenz, aus dem ich felbft ge— 
gen liebe Freunde mie heraustomme, ift eines der Leiden, die ich‘ 
zu tragen habe. 

+ Eine nähere Aufforderung, die mich ebenfalls hätte — 
ſollen, früher zu ſchreiben, führte die Erledigung der philoſophiſchen 
Lehrſtelle in Heidelberg und die Anfrage eines Freundes herbei, ob 
er fi nicht den Gedanken machen könnte, daß aufihn Bedacht ge⸗ 
nommen würde; es ift Rektor Gabler in Bayreuth, Er meinte, 
ob er nicht etwa der dritte Rektor ſeyn konnte, der aus Baiern 
nach jener Lehrfielle berufen würde. Er ift Ihnen: wohl ſchon 
felbft aus feiner Propädeutit der Philofophie, und aus Res 
tenfionen in unfern kritifchen Jahrbüchern befannt, und fo brauche 
ich zu feiner Empfehlung nad diefer Seite nichts hinzu zu fegen; 
gründliche philofopbifhe Einfiht ift bei ihm ohne, Schwindelei 
und Gäbhren, vielmehr mit Klarheit und Beflimmtheit vergefells 
ſchaftet, — Eigenschaften, die, wie fie die Lafler feichter Philos 
ſophie, fo bei gründlicher Richtung unfchägbar find; er ift dabei 
ein ſehr redlicher, einfacher, ruhiger und freundlicher Charakter. 
Ich habe feinem Wunſche, bei Ihnen eine Anfrage darüber zw 
machen, nicht entſtehen wollen; ich bin überzeugt, daß Heidelberg 

32 * 





IX, Briefe, 


ten ider — oder auch für einen Engländer; cs 
ws, daß er das Letzte if. — Wir vertrugen uns redt ı 
fammen, er dufelt oder dämmert ruhig im die Welt bin 
ijt in Italien, Frankreich, überall gewefen, dufelt für den- 
flen Winter nad Paris, für den Sommer nah Wien, — 
diefem Reifegefellihafter hatte ich geflern früh den Wagen hin 
allein; in Löwen fegten fi noch drei Leute ein; der Wu 
lauter fruchtbares Kornland, mie in ſchwediſch Pommern, dan 
von Löwen an herrlich abwechſelnde Gründe zur Seite — hir 
liches fruchtbares Land. — Zirlemont ein angenehmes Lan 
fädtden, — Löwen eine große Stadt, mit fchönen Häufen 
gothifhem NRathhaufe, mit einem Saal, den ich nicht geichen, 
rin 80 Quadrillen zugleid können getanzt werden 1. —- 

In den Niederlanden if’s eine Freude zu reifen, — m 
Lüttich bis Brüffel find 24 Stunden, fie werden auf gepflfe: 
ter Straße — (Pflaſter wie das neue der Königsftrafe in der 
lin) in 42 Stunden zurüdgelegt — für 10 Franken. W 
Land ift reih. — — 

So eben komme id von einem Spaziergang mit van Gh 
zurück. Brüffel ift eine fehr ſchöne Stadt, in vielen Strafen 
die untere Etage nur Eine Neihe von großen Fenſtern mit da | 
fhonften Waaren, elegant aufgeftellt, viel geſchmackvoller, gt: | 
puster als in Berlin. Brod ebenfo hinter breiten ſchönen fen 
flern. Heute Nachmittag Mazieren wir auf das Schloß Par 
fen. — — 

Ich werde wohl bis Sonntag hier bleiben. — — — 







Antwerpen, Dienftag, den 8. Okibr. 
— Es if feit einigen Tagen die erſte ruhige Stunde, in 
der ich allein bin und die Relation meiner Reife an Dich, meine 
Liebe, fortfegen tann. — — Am freitag: befuhten wir in eis 
nem Kabriolet das Schlachtfeld von Waterloo — und ic ſah 


3. An Daub. — 4 Un Goethr. 501 


in alter kordater Freundſchaft zufammen, — abgereift, ohne, wie 
man mir fagte, noch recht zu wiffen wohin? Er bat, wenn er, 
wie ich nicht zweifle, zu Ihnen gekommen ift, von unferm Leb—⸗ 
wefen erzählen können, wie id alsdann aud) viel von Ihnen 
durdsihn zu hören hoffe. Noch bitte ich, meine herzlichfien Em+ 
pfehlungen an die alten freunde Thibaut und Creuzer zu ma— 
chen. Ich verbleibe mit aller Berchrung und Liebe 
hr treuer 
Berlin, d. 27. Sptbr. 1829. 9. 


4. An Goethe *). 


' Berlin, den 24. Sptbr, 1821, 
Ew. Ercellenz erfreuliches Gefhent, das Sie dem Publi- 
um mit einem neuen naturwiſſenſchaftlichen Hefte und mir 


*) Zum näheren Verſtaͤndniß diefes Briefes theilen wir hier drei 
Briefe Goethes an Hegel mitz zwar ftehen nur die beiden erften davon 
in unmittelbarer Bezichung zu Hegel’ Briefe, allein man wird aus dem 
dritten ebenfalls gern erfahren, mit welcher Genugthuung Goethe feine Vers 
dienfte um die Naturwiffenfichaft von Hegel anerkannt fah. 


1. 


Em. Wohlgeboren möge beifommendes Heft zur guten Stunde treffen! 
und befonders der entoprifche Auffag einigermaßen genug thun. Sie haben 
in Nürnberg dem Hervortreten diefer fchönen Entdeckung beigewohnt, Ges 
varterftelle übernommen, und auch nachher geiftreich anerfannt, was id) 
getban, um die Erfcheinung auf ihre erften Elemente zurüchuführen. Bei— 
kommender Auffag liefert num, in möglichftee Kürze, was ich von Anfang 
an, befonders aber in den legten zwei Fahren bemerkt, verfucht, verfchies 
dentlich wiederholt, gedacht und gefchloffen; wie ich mid; Theils in. dem 
Kreife gehalten, Theils denfelben ausgebreiret, auch, Analogien von mans 
dien Seiten herangezogen und Alles zulegt in eine gewiffe Ordnung aufs 
geftellt, welche mir die geläufigfte war und die anfchaulichfte ſchien, wenn 
man die Erfahrungen felbft’vor Augen legen und die Verſuche der Reihe 
nad) mittheilen wollte, 

Möge das Alles einigermaßen Ihre Billigung verdienen, da es freis 
lich ſchwer if, mit Worten. auszudrüden, was dem Auge follte darges 
bracht, werden, Fahren Sie fort an meiner Art, die Naturgegenftände zu 


u 


502 IX, Briefe. 


überdieß mit einem Eremplare deffelben und einem fo gütigen 
Schreiben — — haben, noch einmal recht durch zu genießen 


Schandeln, Fri Fräftigen Theil zu nehmen, wie Sie bisher sb sah, 1 88 iR ie 
die Nede nicht von einer durchjufegenden Meinung, 
zutheilenden Methode, deren fich ein Jeder als eines Werkzeugs, nad) 
feiner Art, bedienen möge. 

Mir Freuden hör’ ich vom manchen Orten her, daß Ihre Bemühung, 
junge Männer nachzubilden, die beften Früchte bringt; es thur freilich 
Noth, dab im diefer wunderlichen Zeit irgendwo aus einem Mitt 
eine Lehre ſich verbreite, woraus theorerifch und praktiſch ein Leben zu für 
dern ſey. Die hohlen Köpfe wird man freilich nicht hindern, ſich in vagen 
Vorftellungen und tönenden Wortſchaͤllen zu ergehen; die guten Köpfe — 
find auch übel daran, denn indem fie falſche Methoden gewahren, im die 
man fie von Jugend auf verſtrickte, ziehen fie ſich auf fich felbft zurüch, 
werden abſtrus oder transcendiren. 

Möge ſich Ihr Verdienſt, mein Theuerſter, um Welt und Nachwelt 
durch die ſchoͤnſten Wirkungen immerfort belohnt ſehen. 

Treulichſt 
Jena, d. 7. Okibr. 1820, Goethe, 
2 

Em. Wohlgeboren fühle ich mich genöthigt auszudrüden, wie ſehr 
mich Ihre Zufchrift erfreut bat. 

Das Eie mein Wollen und Leiten, wie es auch fey, fo innig durch⸗ 

dringen und ihm einen vollfommenen, motivirten Beifall geben, ift mir an 
großer Ermunterung und Fördernif. Gerade zur rechten Stunde 
Ihre Blätter an, da ich, durd die neuſte Bearbeitung der entop 
Farben aufgeregt, meine Altern dyromatifcyen Akten wieder müftern und 
mich nicht erwehren kann, gar Manches durch forgfältige Redaktion einer 
öffentlichen Erfcheinung näher zu führen, 

Ihre werthen Aeußerungen follen mie immer vor Augen liegen und 
meinen Glauben ftärfın, wenn mid) die unerfreuliche Behandlung derſel⸗ 
ben Materie, deren ſich die Zeitgenoffen fchuldig machen, mandmal, wo 
‚nicht zum Wanken doc zum Weichen verleiten möchte. Nehmen Eie 
"alfo meinen wiederholten Dank und erlauben eine von Zeit zu Seit ers 
neute Sendung, Da Sie fo freundlich mir den Urphänomenen gebaren, 
ja mir felbft eine Verwandtſchaft mit diefen Dämonifchen Weſen zuerfens 
nen, fo nehme ich mir die Freiheit, zumächft ein Paar vergleichen dem 
Ppilofophen vor die Thür zu bringen, überzeugt, daß er fie fo gut wie. ihre 
Geſchwiſter behandlen wird. 

Treulichſt 


Weimar, d. 13, April 1821. ou —— 
3. 


Ew. Wohlgeboren Undenken, welches bei mir immer ftiſch und Tebendig 
bleibt, wurde durch eine heiter von Berlin zurückkehrende Dame Höllig zur 


„en 


4. An Goethe. 503 


und dieß Geſchenk mit einigen meiner zufälligen Gedanten zu 
erwiedern, — um hierdurch; wenigftens das Intereffe zu beur- 
kunden, das ich daran genommen, — dieß Alles hatte ich mir 
auf die freien Feiertage vorbehalten gehabt; id; glaubte damals 
gegen Em. Ercellenz die Bezeigung meines Dants wohl bis 
dahin anftehen laffen zu dürfen, indem id Sie für überzeugt 
glauben konnte, wie werth mir Ihr gütiges Andenken, diefe 
neue Bereicherung meiner Einfihten und wie erfrifhend mir die 
fonftigen ernft=heiteren Meuferungen Ihres Genius ſeyn würden. 
In jenen Ferien ift es mir jedoch nicht fo wohl geworden, und 
id) kann es nunmehr. nicht länger anftehen laffen, ein Zeichen 
meiner Erkenntlichkeit von mir zu geben. 

Unter dem fo reichen Inhalte des Heftes habe ich aber vor 
Allem aus Em. Excellenz für das Verftändniß zw danken, wel 
des Sie uns über die entoptifhen Farben haben aufſchließen 
wollen; der Gang und die Abrumdung diefer Traktation, wie 
der Inhalt, haben meine höchſte Befriedigung und Anerkennung 
erwecken müffen. Der fo vielfahen Apparate, Macinationen 
und Verſuche über diefen Gegenftand unerachtet, oder vielmehr 
wohl gar um derfelben willen felbft, — ja fogar trog Gevat- 


Gegenwart verwandelt, fo daß ich mich nicht enthalte mit Wenigem auch 
wieder einmal mic) fehrifrlich unmittelbar darzuftellen. Noch bin ich Dank 
ſchuldig fire bedeutende Sendungen; leider ward ich von jenen Kapiteln 
abgezogen ‚und weit. feitwärts geführt, deshalb denn die Benugung auch 
noch bevorftcht. — 

Da Ew. Wohlgeboren die Hauptrichtung meiner Denkart billigen, fo 
beftätigt mich dieß im derfelben nur um deſto mehr und ich glaube nach 
einigen Seiten bin bedeutend gewonnen zu haben, wo nicht für's Ganze, 
doch für mich und mein Inneres. Möge alles, was ich noch zu leiſſen 
fähig bin, ſich immer an dasjenige anſchließen, was Sie gegründer haben 
und auferbauen. i | 

Erhalten Sie mir eine fo fchöne, längft berfümmmlidhe Neigung und 
bfeiben überzeugt, daß ich mich derfelben als einer der fchönften Blüthen 
meines immer mehr und mehr ſich entwickelnden Seelenfrühlings zu ers 
freuen durchaus Urſache finde, 

Ergebenft 
Weimar, d. .. Mai 1824, Soerhe 




























folen ſchwotzen Stein — berrlihe, geifioo 
ten Meiſters 00 — * 


nem fort, — fruchtbares den. = { 
Dampfboot über eine Bucht des I St 
Mein lieber Freund, der Südmef, der mi 
ter gebracht, half auch zu befferer Meberfahrt; 
von weitem, ein ftolzer Dreimafter, w 
fer, weiger Turban, ebenfo geſchwollenes FEN) 
dann weißes, weiteres Anterkleid, ee car i 
vierzig, oder Gott weiß, wie viel tauſend 
hier im eigentlichen Holland, — alle Häuſer au 
Bachſteinen, mit weißen Linien; feine Kante, keine 
telt oder abgefiumpft, — ſchöne Kanäle, it B ume 
durch die Stadt gehend, Alles voll großer Sch fe: 
wieder nad) 3 Uhr über die breite Maas; ? = 
Rotterdam; melde große Stadt! ANA 
und nad) einer halben Stunde in das böne g a 
in der That ein Dorf — allenthalben 
Gemüfegärten, ein fe eu Bob mh 
Reihen Bäumen unterbrochen und mit % 
Chauſſee, neben der immer ein Kanal geht, von einande 
ſchnitten, — überall Vieh darauf, — lauter fi hwan + * 
ſcheckiges; man ſieht Abends auf den wulen & ‚di 
melten; man reift unter lauler Potter’s u 


4, An Goethe. 505 


ſolches etwaige Weitere nicht zum Verſtändniß aus jenen Grund 
lagen zu bringen vermögen, und es Ew, Excellenz lediglich an⸗ 
beim fiellen müffen, den Klumpen zur Geftalt heraus zu locken 
und durch folde wahrhafte Gevatterfchaft ihm erft einen geiftie 
gen Othem in die Nafe zu blafen. Diefer geiftige Othem — 
und won ihm ift es, daf ich eigentlich fprechen wollte, und der 
eigentlich allein des Befpredhens werth ift, — iſt es, der mid) 
in der Darftellung Ew. Ercellenz von den Phänomenen der 
entoptifchen Farben höchlich hat erfreuen müffen. Das Einfache 
und Abftrafte, was Sie fehr treffend das Urphänomen nennen, 
ftellen Sie an die Spige, zeigen dann die konkreten Erſcheinun— 
gen auf, als entfichend durch das Hinzutommen weiterer Eins 
wirfungsmweifen und Umſtände, und regieren den ganzen Ver— 
lauf fo, daß die Reihenfolge von den einfahen Bedingungen zu 
den zufammengefegtern fortfchreitet, und fo rangirt das Vers 

widelte nun, durch diefe Dekompoſition, in feiner Klarheit er= 
ſcheint. Das Urphänomen ausjufpüren, es von dem andern, 
ihm ſelbſt zufälligen Amgebungen zu befreien, — «8 abfiratt, 
wie wir dieß heißen, aufzufaffen, dief halte ich für eine Sache 
des großen geiſtigen Naturfinns, fo wie jenen Gang überhaupt 
für das wahrhaft Miffenfchaftlihe der Erkenntnif im diefem 
Felde, Newton und die ganze Phyſikerſchaft ihm nach, fehe ich 
dagegen irgend eine zufammengefegte Erfcheinung ergreifen 
und fh in ihr feſtrennen, und fo den Gaul beim Schwanze 
aufzäumen, um mich des Ausdruds zu bedienen; es ift ihnen 
biebei gefhehen, daß fie die dem Urſtande der Sache gleichgül—⸗ 
tigen Umftände — felbft wenn diefe nichts Anderes wären, als 
daß ihnen beim Yufzäumen des Schwanzes ein Unglüd paffirt 
wäre, — für die Bedingungen derfelben ausgeben, und Alles, 
was vor= und rüdwärts liegt, hineinſchuſtern, zwängen und 
lügen, An einem Ur laſſen fie es dabei nicht fehlen; fie brin— 
gen ein metaphyſiſches Abſtraktum herbei, — als: erfchaffene 
Geifter erfchaffen fie den. Erſcheinungen ein erfchaffenes, ihrer 








1X. Beiefe. 
und wie die andern Städte, bat neben fid das 
"es — es gäbe noch viel zu fehen, aber das Shi 
und * die Hauptſache habe ih geſehen. Jede Statt 
reich, niedlih und reinlid. Wo man bie gemeinen Leute 
Armen, befonders in Haag, binftellt, kann ich mod nicht cin 
ben, nirgends ein verfallenes Haus, kein güchtbrüdhiges Dis 
keine verfaulte Thüren, zerbrochene Fenſter — Im Haag, m 
vollends hier, find alle Strafen voll der ſchönflen Läden, m 
endliche Bor he, — Gold, Silber, Porcelan, Tabak, Br, 
Schuhe, — Alles. a ” Schönſte rangirt. — Im Amfterdın 
um 12 Ubr and 1, — fogleih auf die Gemälde: Galı 
— bier ei ‚ von 15—20 Fuß brei, 
Beh ih les gefehen. Diefe Su 
in | eere ge und auf dem feflen Yu 
if fie es 6 36 fi 1 reine alte räudhrige Cult 
vor, fie ift eben n als die c eren; — unzählige Sul, 
Schiffe, — ein wühle, Gelaufe, les voll Gefhäft — m 
um 3 Uhr an der Börfe geläutet wird, ſtrömt es zu, wie mn 
es in Berlin aus der Komödie fih drängt, — est dent ih 
an den Rüdzug, — Tug und Naht werde ih nad Hambın 


eilen. — Urber Emden, wohin Du mir fhreiben wilift, tom | 
ih nicht, — 

Harburg, Hamburg gegenüber, von dem mid; nır 
die Elbe trennt, Nachts 10 Uhr, im Augenblicke mes 
ner Ankunft, d. 18, Oktbr. 

So weit wäre ich denn glüdlich, meine Liebe. — — Mein 


legter Brief aus Amflerdam wird nun in Deinen Händen feyn, 
ich ſchickte denfelben Sonnabend früh ab, an welchem ich noch 
den zweiten, mannigfaltigften, Theil des Gemälde - Kabinets fah 
— herrliche Sachen darunter, — ferner das ehemalige Rathhaus, 
das Napoleon zu einem Töniglihen Palaft einrichten lief. Diefe 
Bimmereintheilung weggerechnet, fo ift das Gebäude die herrlichſte 


— 


4. Un Goethe. 507 


bar zu erfennen gehabt, daß Sie das Pflanzenweſen feiner und 
unferer Einfachheit vindieirt haben. Knochen, Wolken, kurz Als 
les führen Sie uns näher herbei. — Wenn ich nun wohl aud) 
finde, dag Ew. Ercellenz das Gebiet eines Unerforſchlichen und 
Unbegreiflihen ungefähr eben dahin verlegen, wo wir haufen, eben 
dahin von wo heraus wir Ihre Anfihten und Urphänomene rechtfer⸗ 
tigen, begreifen, — ja wie man es heißt, beweifen, deduciren, 
fonfirwiren u. ſ. f. — wollen, fo weiß ich zugleih, daß Em. 
Ercelleng, wenn Sie uns eben feinen Dank dafür wiffen kön— 
nen, ja Ihre Anfichten, felbft das Stihelwort: Naturphilofophifch, 
dadurch ankriegen Fönnten, uns doch toleranterweife mit dem 
Ihrigen fo nach) unferer unſchuldigen Art gebehrden laffen, — 
es ift doc immer noch nicht das Schliinmfte, was Ihnen widers 
fahren ift, und ich kann mid) darauf verlaffen, dag Ew. Excel 
lenz die Art der Menfchennatur, daf wo einer etwas Tüchtiges 
gemacht, die Andern herbeirennen und dabei auch etwas von dem 
Ihrigen wollen gethan haben, erkennen. — Ohnehin aber haben 
wir Philofophen bereits einen mit Ew. Ercellenz gemeinfhaft- 
lichen Feind — nämlid an der Metaphyſik. — Schon Newton. 
hat die große Warnungstafel angefhlagen: Phyſik! hüte dich 
vor Metapbufit! Das Unglüd aber ift, daß, indem er dieß 
Evangelium feinen freunden vermacht und diefe es treulich ver— 
fünden, er und fie damit nichts Anderes geleiftet haben, als nur 
die unzählbaren Wiederholungen des Zuftandes jenes Englän- 
ders zu geben, der nicht wußte, daf er fein ganzes Leben hin- 
dur Profa geſprochen. Diefer kam am Ende dod zur Ein- 
ſicht, jene aber find dermalen noch nicht fo weit, zu wiffen, daß 
ſie verdammt ſchlechte Metaphyſik ſprechen. Ich laſſe es aber, 
von der Noth, den Phyſikern dieſe ihre Metaphyſik zu ruiniren, 
noch etwas zu ſagen. Ich muß auf eine der Belehrungen Ew. Ex— 
cellenz zurüdtommen, indem ich mich nicht enthalten kann, Ihnen 
nod meine herzliche Freude und Anerkennung über die Anſicht zu 
bezeigen, die Sie über die Natur der doppelt zefrangirenden 


IX. Briefe, 


v gefchloffen worden; — gegen 3 Uhr flieg ih 
Diligence, die nad Bremen gebt, und trennte mic hie w 
terwegs von meinem guten hildesheimer Herrn, der nad Su 
nover ging. Wir hatten ſchönes Wetter, — der Somnenihi 
dauerte mich nur, ſolche Steppen befcheinen zu müſſen. © 
Bremen ſah ich holländifch grüne Wiefen, mit der Nacht fanı 
wie dort an, von wo ih mich mit Ertrapoft hicher verjegt 
Der Himmel verregnete den Bremeniern ihren 18. Dtton: 
Patrietismus diefen Vormittag; dod der Abend ließ mid di 
hamburger Raketen und anderes Feuerwerk noch deutlich fe 
hen. — — 









Hamburg, d. 19. Olm 
So eben komme ich an, laſſt meine Sachen vom &hif 
ı + der Poſt fahren, um heute auf der Schnellpoſt zu fm, 
auf’s baldefte bei Euch, meine Lieben, zu ſeyn; — ki 
Play mehr offen, felbfi auf Mittwoch nit, dagegen zur im 
penfation finde ich zwei liebe Briefe von Dir vor ; wie beruhigtun 
erfreut bin ich über diefe guten Nachrichten von Dir — - 
Sige nun hier im König von Hannover — vor der fchönfe 
Ausſicht — aber bis Montag zu warten habe ich Feine Gel 
mehr, habe vor den Poſtwagen ohnehin eine Apprehenſion bekom— 
men, werde — wenn ic meine Gefhäfte und einige Beſuche hin 
abgemadht — Ertrapoft nehmen und weiß nidt, ob dieſer Bric 
vor mir anfommen kann. 


B. Reife nah Wien im Jahre 1824. 


Dresden, d. 7. Septbr. 182. 
— Meine Reife ift bis hieher ganz gewöhnlich und durd 
die MWetterveränderung fehr erträglicd gewefen; am Sonntag br 
dedter Himmel — einigemal Regen — bis Jüterbogk; dann 


5. Anden D. Hinrichs, 509 


Religionsphilofophie, bin alfo damit veranlaft, meine —— 
ohnehin nach dieſer Seite zu wenden, 

Sie fordern mid) auf, in meinem Vorwort meine Gedan— 
ken über die Tendenz Ihrer Schrift zu fagen; erlauben Sie 
mir aber, bier ſchon ein Urtheil gegen Sie und: vornchmlid) 
meine Münfche über dasjenige zu äußern, was ich für vortheils 
haft hielte, daß Sie für diefe gewichtige Abhandlung, in Rück— 
ſicht auf ihre Richtung gegen das Publitum, und auf die Ein—⸗ 
richtung derfelben nod vornähmen, Dieſe Wünfchebezichen ſich, 
wie gefagt, nicht auf den Inhalt umd die Sache und deren 
Darftellung felbft; mein Urtheil if, dag Sie fih in der Sache 
mächtig gezeigt, und ic, habe mit wahrer Satisfaktion Ihr tie— 
fes, fpekulatives Eindringen erfannt; Sie geben mit diefer 
Schrift einen genügenden Beweis für Ihre Fertigkeit und Prä— 
fenz, in den höchſten Regionen der Spekulation mit Beftimmt- 
heit und Freiheit fi) zu beiwegen, in einem fonfequenten Gange 
die Sache aus dem denkenden Begriffe zw produciren und forte 
zuführen, — Einzelne Belege von diefer meiner Befriedigung 
will ich nicht anführen, — ich habe auch, wie gefagt, nicht alles. 
Einzelne durchgemacht — aber 3. B. Ihre Darfiellung vom 
Beweiſen des Dafeyns Gottes, von dem, was Manifeftation: ift, 
von Gewißheit und Wahrheit — u. ſaf. die Darſtellung der ſchel⸗ 
ling'ſchen Philoſophie fo wie der vorhergehenden u: (fl — 
die dialektiſche Nothwendigkeit des en — = f. 
haben mich recht fehr intereffirt. Anh | | 

Meine Wünſche betreffen äufere ah um den er, 
— db. bh. nit bloß den ſchon mit der Spekulation vertrauten, — 
defto eher einzuführen. Ihe Gang ift eine Vertiefung in den 
Inhalt, der gediegen fortwaltet, ohne dem Lefer Ruhepunkte der 
Reflexion zu geben; folche, fo zu fagen hiſtoriſche (nicht von äufe⸗ 
rer Hiftorie, fondern von der Vorhererzählung deffen, was Sie 
ist im Gedankengange vornehmen werden, genommen) würden 
zur nöthigen, fogenannten Berftändlichteit ungemein beitra— 






























568 AR Balfer 


ge ns dac 
a ee hildwache auf B 
daß es 1 Uhr ſey, — alſo er 
und um 45 Uhr fertig, — Wir f 
unfreundliches Wetter, das den feidenen € 
fondern Een. 
Ich hatte hier eine Gelegenheit ai 
gen allein zw nehmen, und fand vermiſch 
Komödiantin mit Kind und ———— 
doch ging's. Das Reiſen mit jeder erſten 
wird mir immet langweiliger, — ja, wenn es m 
aber da Du einmal nicht dabei Bin, fo reife | 
allein. — Kein Bud) irgend einer Art habe 
hen, wie ich mir die Zeit mit — Gedanken — auc 
mit Phantaflen vertreibe. — Das ſchönſte Wetter — f 
ten zu viel, doch will ich es nicht gefcholten haben, 
den Weg hinab, die Einfiht in’s Böhmerland, 
ee ee * an 
J — ganz zum. ——— 
von Preußen if, ein. — Heute, —* 
der dem Gaſthof gegenüber iſt, — auf — * 
man ganz die Umgegend von Töplitz, d. b. wenn m ia 
die ganze weite Gegend — zuletzt von höheren Berg fügen be 
gränzt, — die mannigfaltigfte Abwechslung von Hüge n 
lern, Häuferzügen — Alles höchſt heiter. — Na ' 


5. An den D. Hinrichs. 541 


ſo zu replet von bloßem Stoffe und Inhalt, und dieſe zweite 
Seite noch erforderlich, den Leſer auf den Gang und die Refultate 
aufmerkfam zu machen. 3) Noch einen Unterſchied berühre ich, auf 
welchen aufmerffam zu machen, oder vielmehr das Bewuftfehn dar 
über felbfi anzugeben wäre — was nämlich als Borausfegung an« 
genommen oder wo aus Vorausſetzung gefproden wird. So 
3: B. gleich von Anfang, was Sie über das Gefühl fagen, foll 
nicht als ein Dedueirtes gelten, — fondern Sie fegen die Vor— 
ftellung (— oder Deduktion) des Gefühls voraus, und geben 
bier nur das an, was daffelbe enthalte; dieß würde ih aus— 
drüdlich unteriheiden; (— ebendafelbft wünfchte ich die nä— 
here Beflimmung angegeben, inwiefern und nad welder Seite 
das Gefühl zugleih das Unbeſtimmte iſt — & h welde 
MWeife der Bellimmung ihm fehlt) — die Erläuterung durch 
Beifpiele würde bier, wo Sie vorausfegend fpreden, — an'ihe 
rer, Stelle ſeyn. 

Ich würde über dief Alles nicht fo weitläufig geworden feyn, 
oder auch gar nichts über diefe Seite gefagt haben, wenn Sie nur 
für mic) und einige wenige Freunde der einfachen Spekulation 
ſchrieben — (und auch für diefe und für mich wünfchte ich von jenen 
Zuthaten etwas; es würde mich große Anftrengung koſten, mid) 
ganz durch das Einzelne hindurch zu lefen) aber Sie ſchreiben 
ferner für ein lefendes und fludirendes Publitum, — aber noch 
mehr aud) für ein nur lefendes Publiftum, das durdaus jene Ein⸗ 
leitungen und Reflexionen nöthig hat und fie fordert, und — 
mit Recht — vornehmlich darin das Lehren als foldes ſieht, — 
Der zehnte Theil des Stoffs, den Ihre Abhandlung enthält — 
oder der zwanzigfie, dreißigfte u. ſ. ſf — mit jener Verdeutli—⸗ 
dung vorgetragen, würde hinreichen, um mehr Eindruck zu maden, 
und wohl um mehr zu belehren, als jene Gediegenheit im ihrer 
abgeſchnittenen Geftalt Sie bei dem Publikum einführen möchte, 
auf welches wir hierbei vornehmlich unfree Wünſche richten kön— 
nen. Sie verkennen meine Abſicht nicht, in der ich allen die— 








— —— — 
geſchrieben, und ich bin darin ſo pünktlich, 
wiſſen daraus machte, etwas von dem Verz 
geſucht zu haben. — Aber was ich geſche 
es gelehrte altdeutſche Leckerbiſſen betrifft, — Die zu bef 
tönnte Dich eben nicht ſehr intereffiren, noch ich 
friedigender Kennerſchaft ausführen. Gef 
noch auf der Bibliothet gewefen, — 
zwei altdeutfche Bilder; — dergleichen ferner 
— nad Tiſch über die Brüde — auf 
Seite von Prag, d. h; auf den Theil, der a 
der Moldau liegt. Diefer Theil geht einen Süge 
dem die fogenannte kaiſerliche re — (flelle 

ter einen modernen Palaft vor, nicht fo ein , win 
und: unnopnlißs; nformnlihes, fe nflerlo 
eckiges, ungeftaltes Ding, wie die Burg von Nürn er; 
Domtirche Liegt herum gleichfalls, und dieß zufammen 1 
Hradfhim Da eben, wie ih da ‚don‘ 
von denen ich mich nicht mehr weit befand, kano 
ging ich zum Thore hinaus; igt rückten die Negimente 
und Kutſchera wieder vor, drüdten unter Ka - und 
Gewehrdonner den Feind immer weiter ve 
nad), bis: mir des Gi we Marſches e | 
und ich mich. — h nicht arfchlaaen. — vefirir 













‚5. An den D, Hinrichs, 513 


An Denfelben. 


Berlin, den 4. April 1822. 

Hier überfchide id Ihnen Manuſkript, ganz ift es noch 
nicht; es fehlen jedoch nur noch etwa 1 oder 2 Bogen; ic) wollte 
aber Sie nicht länger verzögern, wenn id) am Ende nicht gar 
zu fpät komme, 

a. Das Manuffript in befferen Stand zu fegen erlaubte 
die Zeit nicht mehr; bei der unterbrochenen Arbeit hatte ich oft 
den Zufammenhang verloren; es kann alfo in der Redaktion 
nicht anders als der Nachhũlfe bedürftig erſcheinen. 

b. Sie find an Ort und Stelle des Drucks, werden alfo 
Sorge für den ordentlichen Abdrud haben; die Stellen, wo ein 
alinea zu machen, find richtig bemerkt, — aber es bedarf eines 
aufmerkfamen Setzers, — vielmehr eines aufmerkſamen Dirck⸗ 
tors, und diefer müffen Sie feyn; wo es Ihnen zu fehlen er 
nen follte, müffen und werden Sie es reguliren. 

c. Laſſen Sie mir ein halb Dutzend Exemplare beſonders 
abziehen. — Schicken Sie ein Exemplar etwa an unſern Herrn 
Miniſter. — 

d. Ich bin auf Ihr Werk beſonders neugierig; da es ſchon 
abgedruckt iſt, hätte ich ein Exemplar bereits erhalten können. 

Halten Sie mir das Allgemeine des Inhalts, — das zum 
Theil nur Wiederholung von anderswo Gefagtem ift, — zu Gute; 
— das Serfireute meiner Eriftenz geftattet es nicht andırs; — 
auf unfere jegige Theologie hat es hin und wieder direkten Bes 
zug, was Ihnen und Daub nicht entgehen wird, — Aber von 
Daub erwarte ich eine offene Erklärung, ob denn das die Dog— 
matik der unirten evangelifhen Kirche ſey, was man uns, — 
freilich nur in einem erſten Theile, vermuthlic weil man für 
Meiteres in diefen Zeiten der Unterdrüdung, wie man es heißt, 
nit traut, — als foldye zu bieten die Unverfhämtheit und 
Plattheit gehabt hat. — Bon Daub fehne id) mid, bald einen 

Berinischte Schriften. * 33 








nen und bei ihrer herzlichen und freundfhaftlichen 
Nach Tiſch führte uns ——— 
anmuhigen Wergnügungsert. — Sir if 
—— ⸗— 


—— — 
— e iR za en 










le en 


der Donau, — ohne ſie noch zu fehen, — 
Grund, fo einen Tag fort, — —— yat ı 
Anfiht von Wien, — nad) 6 Uhr in Wien felbfi, da 
Poſt, — Fiater, ein Wirthehaus zu fu in 
herzog Karl ein Zimmer in den Hof hinaus, eine Tr 
— die nad vorn hinaus waren befegt; wie id 


den 


. 5. Un ben D. Hinrichs. 515 


Sagen Sie Daub ganz im Stillen, man fpredie davon, ihn 
und Schwarz hierher einzuladen, um über Theologie und Kirche 
zu konferiren; — fagen Sie ihm dabei, daß ich nichts fehnlicher 
wünſchen könne, aber daß bei uns Jahre und Tage vergehen, 
che ein Gedanke, den man gefaßt, zur Ausführung komme. 
Wenn mir der Hr. Minifter davon ſpricht, werde id ihm ſa— 
gen, er brauche nur die beiden Herren 4) um die Wrtifel ihrer 
Union und 2) um eine Kritit der Dogmatik der evangelifchen 
Kirche (wovon der Berfaffer mit dem zweiten Theil, det ſchon 
Weihnachten erfcheinen follte, fich wohl nicht getraut herauszus 
rüden) zu erfudhen, fo werde er fchon Klar genug finden können, 
was fie von Theologie und folder Berliner Theologie halten. 

Ich hoffe bald gute Nachrichten über Ihre Hoffnungen in 
Heidelberg zu erhalten. — Ein ſolches Kleeblatt von ordent⸗ 
lichen Profefjoren der Philofophie, wie Sie in Heidelberg has 
ben, ift übrigens etwas fo Erquifites, daß es beinahe Schade 
wäre, wenn ein Blättchen ausgerupft würde. Mir werden ans 
dermwärts jedoch felbft ſolche befigen, in Halle z. B. — Dod 
die Niederträchtigkeiten der dafigen Zeitung gegen mid) mögen 
leicht, nicht von ſolchem Kleeblatt, fondern vielleicht gar aus der 
Nähe von Ihnen, oder nod mehr von Daub, — einem vierten 
ſchlechten Blatte zu dem Kleeblatt ächter Art, tommen. 

Leben Sie wohl! 

Ihr 
Hegel, 


Wie ſteht es mit der Oswaldiſchen Buchhandlung in Hei: 
delberg, ift fie nod auf guten Füßen, oder wenigftens auf Füßen? 
Es intereffirt mich, dieß zu wiffen. 


un j 


f os oz) or ur — 




















578 1X. Buehe 


Ne tn 





























von demfelben!  (Lebtere hat uns abe " 
ders, fehr ennupixt) die Sänger und © 
trefflichteit wa: daS nun © 


an feinem. Dat ud. Stelle erfheint; 
und Donzelli, trefflicher Baryton, hatten 
viel zu fingen, wie Baader in Olympia; vor 
me und Kraft und Stärke — die oberen Töne Fiftel 
leicht, fo in Einem Webergang, als ob's nichts Bef 
dann. der berlihe Waf Labladde, dann- Botticeli, 
Gegen das Metall diefer, befonders der Männer! ir 
der Klang aller Stimmen in Berlin, die M 
ausgenommen, ein Unreines, Rohes, Raubes oder 

— wie Bier gegen — — 
feurigen Wein ſage ih, — keine Fault 


6, An den D. Gabler, 517 


Bedingung, von polizeilier Seite die Gewißheit zu erhalten, 
daß Sie wegen demagogifher Umtriebe und Gefinnungen nicht 
bekannt worden find, Indem ich die Meberzeugung habe, daf 
Ihre ganze geiffige Richtung fo wie Ihr Charakter von ders 
gleichen Gefhwäge, Gethue und Gemeine Sie ganz entfernt ges 
halten, fo wird Ddiefe Seite wenigftens fein Hindernif in den 
Weg legen. — Gie werden daher ctwa noch etlihe Wochen 
höchſtens auf die Beantwortung Ihres Schreibens zu warten 
haben, und der Inhalt derfelben Ihnen über etwaige dermalige 
Yusfichten im preufifhen Staate die Entfcheidung geben. — 
Meine und Ihre edlen freunde, Daub und Ereuzer, werden, 
im all es verlangt würde, gewiß an ihrem Zeugniſſe es nicht 
fehlen laffen. - 

Dieß allein ift es, was ich im diefer Angelegenheit Ihne 
zu fchreiben habe; es redueirt fi darauf, Sie auf das miniſte— 
rielle Antwortfchreiben, deren eines Sie auf jeden Fall erhalten, 
zu verweifen. 

So viel für die Mal; faum bin ic) dazu gekommen, dieß 
zu fchreiben; meine frau liegt feit beinahe drei Wochen an ei— 
ner harten Krankheit darnieder, und ich habe bittere Leidenstage 
und Nächte gehabt; noch dürfen wir keine fidhere Hoffnung auf 
Befferung ſchöpfen. Meine befien Grüße an Daub und Creu— 
zer; ob der erfle den zweiten Theil von Scleiermaders Dog⸗ 
matit gefehen? 

Der Ihrige 
Hegel 


6. An ben Vektor und Profeffor D. Gabler in Balreuth. 
Berlin, den 4. März 1828. 

Ih, der der erfle hätte feyn folen, Ihnen, hochgeſchätzter 

Freund, für das mir und dem Publitum gemachte Gefchent 

Dank abzuftatten, der ohnehin längft auf Ihren, mit dem güs 




































576 "RO — 
wohnen wollte, weil der Kaifer u 
war, allein man durfte nicht fo 
meftihe Menge von Menfgen dr 
Manöuvre bald ab und id he 
habt, als ein paar Stunden ge 
(an, — bci in (0 dm van 2 
hend oder fichend, fige nur Q 
mb Sorde im Zoe; vr, 
fondern nur pantomimifdes 2 
Eafperl gewefen und alfo jegt audi 
„ ding geſehen. — Es iſt nicht — 
griff davon zu geben. Die S 
Schuſter, — die Stüde in denen er ff 
Donna — Di Sie im A, — 8 
fel, — alfo gar BR berord 
tomiſche Stüde. — Schuſter ift ei 
m re un nie en ul 
hen gefehen, ein leiner, butliger Mat —* 
— Bere Bene ae c fonft fent 
moralifh lahm, — die übrigen Akteurs unendli 
langweiliger, als die mittelmäfigen in Berlir 
dauerte etwa eine Stunde, dann — * 
fit, — die ewige Geſchichte vom Harlekin n 
Da je Ba ma ie Of in 
keit angefehen, — dieß ift eine ganze $ 
nigteiten, — Gaffenhauer, Zangmuftt, rap u 
tehalb Stunden ohne Raſt und Ruhe fort. - 
hat mich fehr unterhalten, — man bat kaum Zeit | 
— denn immer kommt etwas Neues 
mit der größten Luftigkeit, — 
darin vor, — keine Beinausſtreckereien, zũe 
gereien, — kurz, TR ergögt kam ich, be 
davon nad Haufe. 4J "A 


’ 


4. An Goethe. 507 


bar zu erkennen gehabt, daß Sie das Pflanzenweſen feiner und 
unferer Einfachheit vindieirt haben. Knochen, Wolken, kurz Als 
les führen Sie ung näher herbei. — Wenn ic) nun wohl aud) 
finde, daß Ew. Ercellenz das Gebiet eines Unerforſchlichen und 
Unbegreiflichen ungefähr eben dahin verlegen, wo wir haufen, eben 
dahin von wo heraus wir Ihre Anfichten und Urphänomene redhtfers 
tigen, begreifen, — ja wie man es heißt, beweifen, deduciren, 
konſtruiren u. f. f. — wollen, fo weiß ich zugleid, daß Em. 
Ercelleng, wenn Sie uns eben keinen Dank dafür wiffen kön— 
nen, ja Ihre Anfichten, felbft das Stichelwort: Naturphilofophifch, 
dadurch anfriegen Fönnten, uns doc toleranterweife mit dem 
Ihrigen fo nad) unferer unfhuldigen Art gebehrden laffen, — 
es ift doc immer noch nicht das Schlimmfte, was Ihnen widers 
fahren ift, und ich kann mich darauf verlaffen, daß Ew. Excel⸗ 
fenz die Art der Menſchennatur, daß wo einer etwas Tüchtiges 
gemacht, die Andern herbeirennen und dabei aud etwas von dem 
Ihrigen wollen gethan haben, ertennen. — Ohnehin aber haben 
wir Philofophen bereits einen mit Ew. Ercellenz gemeinfchaft- 
lichen Feind — nämlid an der Metaphyſik. — Schon Newton. 
hat die große Warnungstafel angefhlagen: Phyſik! hüte dich 
vor Metaphufit! Das Unglück aber ift, daf, indem er dieß 
Evangelium feinen Freunden vermacht und diefe es treulich ver— 
tünden, er und fie damit nichts Anderes geleitet haben, als nur 
die unzählbaren Wiederholungen des Zuftandes jenes Englän— 
ders zu geben, der nicht wußte, daf er fein ganzes Leben hin— 
durch Profa gefprochen. Diefer kam am Ende doch jur Cin- 
fit, jene aber find dermalen nod nicht fo weit, zu willen, daf 
fie verdammt ſchlechte Metaphyfit ſprechen. I Taffe es aber, 
von der Roth, den Phyſikern diefe ihre Metaphyſik zu ruiniren, 
noch etwas zu jagen. Ih muß auf eine der Belehrungen Ew. Er- 
cellenz zurücdtommen, indem id) mic) nicht enthalten fann, Ihnen 
noch meine herzliche freude und Anerkennung über die Anſicht zu 
begeigen, die Sie über die Natur der doppelt zefrangirenden 


! 
| 
— 
| 
| 





A — Du um 
Tage in Mranjücz find noch nicht ganz v 





5. Anden D. Hinriche, 509 


Religionsphilofophie, bin alfo damit veranlaft, meine Gedanten 
ohnehin nad diefer Seite zu wenden. 

Sie fordern mid auf, in meinem Vorwort meine Gedan— 
ten über die Tendenz Ihrer Schrift zu fagen; erlauben Sie 
mir aber, bier fhon ein Urtheil gegen Sie und vornchmlidy 
meine Wünfche über dasjenige zu äufern, was id) für vortheile 
baft hielte, daß Sie für diefe gewichtige Abhandlung, in Rüde 
ſicht auf ihre Richtung gegen das Publitum, und auf die Ein- 
richtung derfelben noch vornähmen. Dieſe Wünſche beziehen ſich, 
wie gefagt, nicht auf den Inhalt und die Sache und deren 
Darftellung felbft; mein Urtheil iſt, dag Sie ſich in der Sache 
mächtig gezeigt, und id; habe mit wahrer Satisfaftion Ihr ties 
fes, fpekulatives Eindringen erfannt; Sie geben mit diefer 
Schrift einen genügenden Beweis für Ihre Fertigkeit und Prä— 
fenz, in den höchſten Negionen der Spekulation mit Beftimmt- 
heit und Freiheit fi zu bewegen, in einem konſequenten Gange 
die Sache aus dem denkenden Begriffe zu produciren und Forts 
zuführen, — Einzelne Belege von diefer meiner Befriedigung 
will ich nicht anführen, — idy babe and), wie gefagt, nicht alles 
Einzelne durchgemacht — aber z. B. Ihre Darfiellung vom 
Beweifen des Daſeyns Gottes, von dem, was Manifeftation iſt, 
von Gewißheit und Wahrheit — u. f. f. die Darftellung der fchels 
ling'ſchen Philofophie fo wie der vorhergehenden u. ff — 
die dialektiſche Nothwendigkeit des Fortſchreitens — u. " fs 
haben mid) recht fehr intereffirt. I n 

Meine Wünfche betreffen äußere Juthaten, um den RER 
— db. bh. nicht bloß den ſchon mit der Spekulation vertrauten, — 
defto cher einzuführen. Ihr Gang ift eine Vertiefung in dem 
Inhalt, der gediegen fortwaltet, ohne dem Lefer Ruhepunkte der 
Reflerion zu geben; ſolche, fo zu fagen hiſtoriſche (nicht von äufes 
rer Hiftorie, fondern von der Vorhererzählung defien, was’ Sie 
ist im Gedantengange vornehmen werden, ‘genommen ) wilrden 
zur nöthigen, fogenannten Berftändlichfeit ungemein beitras' 





san; da in cn halten Sünde d e italienifeh 
vorfieht. a ln 


7. An Duboc. 523 


So ift denn die Idee, in ihrer höchften Bedeutung, Gott, allein 
das wahrhaft Wahre, d. i. das, wo der freie Begriff an feiner 
Odbjektivität keinen unaufgelöften Gegenfag mehr hat, d. i. auf 
keine Weife in Endlichkeit befangen if. — Zweitens bemerke 
ich, daß zwar wohl folde Definitionen, wie die Jdee ift die Eins 
heit des Seyns und Nichts, des Begriffs und der Objektivität, 
des Beränderlihen und Unveränderlichen u. f. f., — und folde 
Säge: das Seyn ift Nichts, der Begriff iſt die Objektivität, 
das Ideale ift das Reale und umgekehrt u, f. f., aufgeftellt wer— 
den müffen, daf aber zugleich nöthig ift zu wiffen, daf alle ders 
gleichen Definitionen und Sätze einfeitig find, und die Oppofls 
tion gegen fie infofern ein Recht hatz der Diangel, den fie an 
ihnen haben, ift eben diefer, daß fie vornehmlich nur die Eine“ 
Seite, die Einheit, das If, — ausdrüden, und damit nicht 
auch den vorhandenen Unterfhied (das Sehn und Nichts u. ff.) _ 
und das Negative, das in Beziehung folder Beftimmungen liegt. 
Reinhold's Weife fih ausjudrüden: unterfheidende Vers 
einigung u, f. f. hat hierin ihren fehr guten Grund. Meine 
Anſicht ift infofern, daß die Idee nur als Procef in ihr (wie 
Werden ein Beifpiel if), als Bewegung ausgedrüdt und ge— 
faßt werden muß; denn das Wahre ift nicht ein nur ruhendes, 
feyendes, fondern nur als fich felbft bewegend, als lebendig; — 
das ewige Unterfcheiden und die in Einem feyende Reduktion 
des Unterfchiedes dahin, daß er kein Unterſchied iſt; — was 
auch Empfindungsweiſe aufgefaßt, die ewige Liebe genannt wors 
den ift; nur als diefe Bewegung im fi, die ebenſo abfolute 
Ruhe if, ift die Idee, Leben, Geift. 

Dod es ift Zeit zw fchließen, und ich füge daher nur noch 
dieß hinzu, daß ich dafür halte, daß diefer Inhalt in allem äch— 
ten Bewußtſeyn, in allen Religionen und Philoſophien vorhan- 
den, daß aber unfer jegiger Standpunkt ift, denſelben ent— 
widelt zu erkennen, und dieß nicht anders gefhehen kann, als 
auf wiſſenſchaftliche Weife, welche dann zugleich die einzige Art 








c 7. An Duboc. 525 
Mißgeſchick über mir; jeden Brief, den ich fehreibe, fehe ich mich 
genöthigt, mit Bitten um Verzeihung anzufangen. Indem ic) 
aber jegt unabänderlih an die Beantwortung kommen will, habe 
ich Ihre beiden Briefe, die id mir vor Kurzem zu diefem Bes 
hufe befonders legte, nicht vor mir; um die Zeit und Luft nit 
wieder mit Suden hinzubringen, muß id) nur aus der Erinnes 
rung ſchreiben. Es find philofophifhe Bedürfniffe und ragen, 
die Sie: mir vorlegen, und die mir Ihr gründliches Intereffe 
und Bemühen für die Erforfchung der Wahrheit bezeigen;: uns 
ter den Beranlaffungen zur Zögerung ift dann auch diefe gewe— 
fen, daß ich die Apprehenflon haben kann, in einem Briefe den 
Gegenftand, um den es ſich handelt, nicht genügend auseinander 
fegen zu können. Ih will es nun verfuchen, freilich nur nad) 
Anleitung der Erinnerung, mid) über die Bedenklichkeiten, die 
ſich bei Ihnen erheben, zu erklären. Die eine entfland, wenn 
mir recht ift, zunächſt über das Nefultat meiner Exrpofition des 
Kaufal- Zufammenhangs. Was Ihnen dabei auffiel, ſchien mir 
nicht fo fehr die Natur diefes Begriffes felbft zw betreffen, als 
vielmehr die Folgen, welde es für andere Erkenntniffe haben 
würde, wenn jener Begriff nicht Stand hielte. Außerdem daf 
ich hierüber bemerken würde, daß die Begriffe ohne alle Rück— 
fiht auf Anwendung und Folgen zu betrachten, im der Logik 
ganz unerläßlich fen, und diefelben ganz nur für ſich fliehen oder 
fallen müffen, würde ih Sie an das Refultat der kantiſchen 
Dpilofophie erinnern, mit weldem Sie bekannt find, und das 
in Rüdfiht der Verftandesbegriffe dahin gebt, daß vermittelt 
derfelben ſich nur Erfcheinungen erfennen, aber nicht das Wahre 
fi) in jene Formen faffen laffe. Es handelt fih in diefer Une 
terfuchung nur darım, weldes die Gedankenbeſtimmungen ſeyen, 
die fähig find, das Wahre zu faffen. Es ift darum nichts vers 
loren, wenn diefer oder jener Begriff ſich dazu nicht befähigt 
zeigt; dergleichen Beftimmungen find in der endlihen Welt zu 
Haufe, oder das Endliche ift eben dieſes, in ſolchen Beflimmuns 


4 









5 IX. Briefe, 
Freitag, den 1, Ok 
— Ich fühle noch die Müdigkeit von dem geftrigen 
dieß. war ein flarker Marſchtag. — Nah der Schreibfhunde, k 
id mit Dir gehalten — (id) meine, ohne bei Die zueril 
geſprochen zu haben, nicht ausgehen zu Pönnen), ging id 
nächſt nod einmal in die Fürſtlich lichtenſteinſche Gallerie; 
wenn ich noch zehnmal hinginge, würde ich ihre Schäte 
erfhöpfen; — bis 12 Uhr darin geflanden, — dann auf 
Währing, — jene Gallerie ift eine halbe Stunde beinake 
fernt, — von da, — um meinen Kollegen, den Profefor 
biefigen Lehrkanzel der Ppilofophie, Rembold, aufzufucen. & 
ift nicht fo alt wie ih, ein ordentlicher Landsmann von mi 
dem melne Schriften nicht unbefannt find, — nur bleiben di 
Leute hier alle zu fehr verhocken, — das Reifen und ſich un⸗ 
thun geht ihnen nicht fo leicht von flatten, wie und, — In 
da über einen Donauarm geſetzt — und in den Aurgartır m 
Mittageffen, noch nie fo wohlfhmetend und wohlfrilet ds 
meinem Gaflhof (mo das fatale Karteneffen flatt hat) md mi 
gütemn Appetit gegeffen; hierauf im Mugarten mich umgeſha 
Der Garten if ebenſo gehalten wie der in Schönbrunn, — 
breite, großartige Aleen, — die Bäume, Gefträuche in du 
Gängen zu ſenkrechten ebenen Wänden gefchnitten, die Bäum 
wie Fächer, oder wie wenn Du an einer Birne den Stiel läflh, 
und fie auf ihm zu einer Scheibe fehneideft, die fo did ift, mr 
der Stiel, — fo daf man nur zwifchen den Bäumen, nicht un 
ter Bäumen und Laub fpaziert, und immer den Simmel, de | 
heute befonders fchön blau war, über fi hat; auch flcht di 
Sonne ſchon tiefer, alfo Schatten von den Wänden, — Dtm 
am Ende des Yugartens ift eine Ausſicht auf den reichfien Grund, 
der die, etwa eine Stunde entlegenen, Hügel — Leopoldsberg, 
Kabhlenberg zur Begrenzung hat, — in der ſchönſten Beleuch⸗ 
tung, die ſchönſte Landſchaft! — Um ſolche Punkte find mir 


hier zu beneiden. — Hierauf in den Prater — ein Wald, wie 


7. Un Duboc. 527 


redliche Forſcher, wie ich aus den Zeitungen erfahre, vor Zurzem 
geftorben ift, und befonders auch von Ihnen betrauert worden 
ſeyn wird, — und die Schottländer dem Wahren und deffen 
Borftellung zu einander geben; — daf nämlich das wahre Schn 
an fih wahr, und das Vorſtellen nicht zu feiner Worausfehung 
babe; das menfchliche Vorſtellen fege dagegen jenen unabhäns 
gigen Gegenftand voraus, und wiffe die Wahrheit nur als eine 
relative Uebereinſtimmung mit fi, die Wahrheit des Seyns an 
ſich ſey dagegen abfolute Webereinftimmung des Seyns mit 
ſich floh. 

Weil es nahe liegt, will ich hier die Bemerkung machen, 
daf, wenn von dem Seyn dieß gefagt wird, daß es eine Ue— 
bereinflimmung feiner mit ſich felbft fey, und dann doc von 
demfelben als einem Unerkannten und Unerkennbaren gefprochen 
wird, — damit das Grgentheil von dem gefagt wird, was fo 
eben gefhehen, — denn die Beflimmung von dem Schn, daf 
es die abfolute Webereinftimmung mit ſich ſelbſt fey, iſt ja eine 
Denkbeſtimmung, d. i. eben hiemit wird es gedacht und in fo 
weit erkannt. — Alle jene Säge übrigens, in fofern fie ſich 
eben auf die Natur des Vorſtellens bezichen, gebe ich ganz zu; 
Vorfiellen ift allerdings das nur im Nelativen firhende, d. h. 
mit einer NMorausfegung behaftete Erkennen. Aus demfelben 
Grunde aber enthalte ich mich des Ausdruds, 3. B. das Abſo⸗ 
lute als Einheit des Vorſtellens und Seyns zu bezeichnen, 
Das Vorftellen gehört einem andern Boden an, als dem der 

Erkenntniß des Abfoluten. 

Bon bier gehe ich zw der Darftellung über, die Sie von 
ineinen Gedanken madhen, und worüber Eie ein Urtheil von 
mir haben wollen. Es hat mich gefreut zu fehen, wie tief Sie 
eingedrungen find, und geradezu den Punkt, wo die Sache am 
fpekulativften ift, ergriffen haben. Zunächſt will ic aus dem 
Gefagten wiederholen, dag ih dem Inhalte der reinhold’fchen, 

ſchott'ſchen u. f. f. Vhilofophie nicht entgegengeſetzt bin, fondern 


* 








8. An Ravenftein. 529. 


8. An Kabenftein, 
Königl. Preuß. Premier- Lieutenant, 


Ih habe recht fehr um Verzeihung zu bitten, auf Ihr bee 

reits am 5. v. M. gefälligſt an mid) gerichtetes Schreiben nicht 
früher geantwortet zu haben; was id, über diefe Verzögerung 
anzuführen hätte, daß es mir mit der Korrefpondenz überhaupt 
nicht anders zu gehen pflegt, würde mehr nur eine Erweiterung 
meiner Schuld, als eine Entihuldigung abgeben: 
- Es konnte mir nicht anders, als fehr erfreulich fehn, aus 
Ihrem Schreiben zu erfehen, daß das, was ich im der Philofos 
phie verfucht, Zuflimmung bei Ihnen gefunden; fo fehr der in 
feinem Denten lange einfam Beſchäftigte, für ſich in feinem 
Gange Befriedigung finden mochte, fo fehr wird es ihm zur et= 
frewlichen Bewährung und Stärkung, in dem Geiſte Anderer 
eine Zufiimmung ihm entgegenfommen zu ſehen. Solde Theil— 
nahme, wie Sie bezeugen, muf mir um fo werther feyn, als. 
ein tieferes Intereffe an den großen Gegenfländen. unſeres Geis 
ſtes und der Ernft des dentenden Studiums derfelben ſich auf 
MWenige zu befchränten pflegt. Diefelbe ift au ein reiher Er— 
faß gegen die Berunglimpfungen, deren Sie erwähnen; gegen 
diefe hilft nichts anderes, als abgehärtet dagegen zu ſeyn, und 
man wird dief um fo leichter, als ſich bald zeigt, daß die, welche 
ſich foldye erlauben, nicht einmal die billige Forderung erfüllen, 
eine Kenntnif von dem zu haben, was fle verunglimpfen, 

Was Ihre Anfrage über eine frühere Schrift von mir: 
„‚Meber die Differenz der fichtefchen und ſchelling'ſchen Philoſo— 
phie“ betrifft, fo ift mir bekannt, daß diefelbe feit langem nicht 
mehr im Buchhandel ift, wie ich felbft fie auch nicht befige und 
nicht mehr zu einem Eremplare derfelben habe kommen können. 

Ihren Wunſch, die Abfchrift eines Heftes von meinen Bors 
lefungen über die Wiffenfhaft der Religion zu erhalten, weiß 
Bermiichte Schriften. * 34 


588 ux. Briefe 

Hente Morgen habe id) ausgeruht, dann die Eilway 
ſchichten arrangirt, — hierauf einen Gang win ein paar Baſth 
gemacht, dann in die Burgkapelle gegangen, wo ich die 
gehört; ich ſtand nicht nahe genug, um Miles zu werfichen,- 
nur ſchöne Spradr, Organ und Anſtand "wahrgenommen, 
dann der Mefje beigewohnt, — bier ſchöne Muſik, 
don den reinen Knabenflimmen, — und was die Haupiſeh 
war, dabei den Kaifer und die Kaiferin fchr gut geſchen; jeun 
iſt in der That ein ſehr würdiger, ſchöner Kopf, — auch In 
tleinen Napoleon, wie ihn die Leute nannten, die ich nad im 
Namen des kleinen Prinzen fragte, — ein Schöner Knabenten 
dunkelblonde Haare, ruhig, ernſt und natürliche Haltung. 

Auf dem Rückwege durch die Promenade hoffte id, cm 
Gelegenheit zu haben, Dir von der hieſtgen Eleganz der Dans 
eine Beſchreibung machen zu fönnen, — aber ich fah hier m 
bürgerlie Leute; die vornchme Welt ift wohl nur zu Ban 
im Prater zu fehen. Was ich hier aud in der Oper fah,it 
mir weiter feine beflimmte Vorftellung, es ift mir nichts Bei 
deres aufgefallen. — Es fiheint mir, nad) dem, was ich gelte 
den, die Eleganz wenigſtens nicht größer, als bei Euch, und in 
breites, platſchiges Schuh> und Gangwefen ift gewiß hier al 
gemeiner als in Berlin. — Die Nusladen fiheinen mir chen 
fo zahlreih, — Fleiſch- und Wurfiläden, neben Damenhüten, — 
Silberläden neben Säulen u. f. f.; die verdanmt vielen Schnapt 
boutiquen, Schnapstifche, Schnapsfneipen u. f. f., die fih in | 
Berlin allenthalben einniften, ficht man nicht. — Nun u 
Mahlzeit; diefen meinen Brief ſchließe ih noch nicht, er wird 
der legte von hier ſeyn, und dann möchte ih ſchneller fliegen 
können — als die Briefe. — Heute aber iſt erfier Met der 
Zelmire, und weil morgen Franzens Tag ift — in allen Thea⸗ 
tern der Gefang „Gott erhalte Franz den Kaifer.“ 














| 
J 





9. An Varnhagen von Enfe. 531 


gefegt hätte, zu dem allgemeinen Intereffe, das mir rin Wert 
von Ihrer Hand, und ſo auch dieſes, bei dem. erſten rapiden 
Durchlaufen erwedte, und zu der Empfindung über das Freund⸗ 
ſchaftliche der Gabe etwas Näheres über den eigenthümlichen 
Eindruck und die befondere Belehrung, die ich fah, daf id) dar- 
aus gewinnen würde, hinzu zu fügen, als id) Ihr zweites Ges 
ſchenk empfange, mit dem Sie mir die Ehre haben erweifen 
wollen, meinen Namen in nähere Verbindung zu ſetzen. Sier⸗ 
über darf ich es nicht anſtehen laſſen, Ihnen zu bezeugen, wie 
ſehr ich den Werth dieſer Auszeichnung und der höchſt verbinds 
lien Art, die den Werth derfelben faft bis zu einer Beſchä— 
mung erhöht, empfinde. Ich thue dieh jedoch mit matten Kopfe, 
denn ich habe die wunderbare Anfhauung, die Sie und darger 
reiht, vergangene Naht noch verfchlungen, das Meifte gelefen, 
fo daf ih von den vielfachfien Exrregungen durchbewegt bin. 
Wenn in Zinzendorf das Innere ohne Entwiclung, beinahe 
ohne Täufhung und Kampf, von früher Jugend an entſchieden, 
und er nur diefe Individualität if, ohne Individualität ein fer 
tiges Werkzeug feines feften Höchften zu ſeyn; fo führen Sie 
uns in Erhard einen erflaunıngswürdigen Autodidattos vor, 
und der es nad) allen Beziehungen ift; unter dem großen Reiche 
thum des Stoffs von Intereffe und Geift verfehlt ihre Wirkung 
die wunderbare Erſcheinung nicht, die fi ihm von der Jugend- 
macht feines Gemüths als ein Neft tvew erhalten hat, und die 
Sie mit dem tiefen Sinn für Individualität, der Ihnen fo ei— 
gen ift, fo treffend und ſchön S. VII bevorworten. Aber ih 
darf mic auf die Fülle von Anregungen, Stimmungen und Be— 
trachtungen, die in mir erwedt worden, nicht einlaffen, um. die 
Bezeugung der befonderen dantbaren Empfindung nicht ju vers 
zögern, mit der mich das Freundſchaftliche Ihrer Güte erfüllt 
bat; ich verdanfe derfelben ſchon fo mannigfaltige Genüffe und 
Belehrungen; wie ich jede Ihrer Produktionen mich mit foldem Ges 
winn erfüllend finde, eben fo ſehr vermehrt jede die Hochachtung, 
34 = 


532 1X. Briefe 
die ich Ihnen gewidmet und deren Ausdruck und weinen ver 
bindlichften Dank ih Sie gütig anzuncehmen bitte. 
Berlin, d. 23. Mai 1830, "$Begek 
| iu i urud 

10, An ben Profeffor Band, _ u 

Berlin, den 3, Oftbr. 1826, 
Auf das zweite, gefebäftsgewichtige Bülletin, — das ich 
heute erhalten, — mit umlaufender Pol, in Eile, — vor Allem 
aber mit rüdwärtsfehender angenehmer Erwiederung auf das 
erſte, nicht anders, als mit anerfennender Belobung der Preis: 
würdigkeit und Nüglichkeit der mehreren Subjette, in’s Befon- 
dere meines gehörig gefchägten Freundes Wendt, — eines Dians 
nes, wie auserlefen zum Wefen ꝛc., welde Sie auf diefem, von 
mir in Deffan bei fo ſchönem Wetter und in fo vergnüglicher Ges 
feltfchaft, fo oft mitgewünfchten Wege, zufammgepuftet, auf daf 
Andere thun mögen, was für den großen Zweck geſchehen muß. — 
Auch Marheineke, wie ich zum Beften unferer guten Sache hier 
anführe, ift nicht ohne ſolche reiche Aufrührung Anderer zurück⸗ 
gefommen. Was Döderlein’s Behandlung betrifft, denke id 
wohl, daß Sie diefelbe nicht vollftändig befhrieben, nur feine 
Eigenthümlichteit gemeldet, die für fi die Würde unfers Un— 
ternehmens von oben herab benchmen that, als weldhes Keine 
Recenfir-Anftalt und fein Engagiren an eine Recenfir-Anfalt 
involvirt, — freilich fönnen unfere Gelehrten nur nad und nad 
fih zum Standpunkte eines rohen Canevas erheben, den fie als 
ihrer, nicht unferer eigenen Aktivität zuftehend, anfehen zu ers 
nen hätten; — kaum dürfen wir rotten boroughs merken 
laffen, um unfre parlamentarifche Haltung gehörig zu ſchützen. 
Es ift nicht anders als zweddienlih und nothwendig geweſen, 
daf Sie von Nürnberg gleih nach Stuttgardt geeilt, nachdem 
ſich weder fonft die beftellten und felbft vorgehabten Briefe Cot- 
ta's noch auch am erfien Drt bei dem Gewürzkrämer Küffner die 





10. An Gans. 633 


gerünfchte Auskunft gefunden. Daß Sie mit Cotta abgefchlofs 
fen, dieß ift num die, d. b. Eine Hauptſache, — denn Sie wife 
fen, daß zu Einer Sade viele Hauptſachen gehören. Nun Glüd 
auf! Gut! Recht! Um fo zweckmäßiger und verdienfllicher, ja 
nothwendig, zeigte ſich die Reife. und perfönlide Gegenwart; — 

Eotta fett in fo vielen Werwidlungen und Zufammenhängen, 
die es erfhweren, eine bedeutende Sache rein herauszufchälen 
und feft zu machen, die felbft ein fo- weitläufiger Komplex if; 
er. blieb auch vorher dunkel über foldhe weitere Anknüpfungen; 
hatte er uns, ja felbft feinem Gefhäftsträger, dem Gewürzträs 
mer Küffner, nichts davon zu verſtehen gegeben, fo fegelten wir 
über Klippen und Untiefen, wo wir reine Fahrt fahen. — Denn 
freilich Münden’s Glanzſchwangerſchaft ift drohend für uns; es 
find drei Requifite, mit denen eine ſolche wiſſenſchaftliche Epoche 
fih, — und wehe! ob nicht auf unfere Koften, verfehen muß; 
4): berühmte Namen — deren Ruhm werden Sie wohl in Mün⸗ 
hen erfahren; 2) eine thätige Buchhandlung, d.h. eine ſolche, 
welche ſchlechten Autoren ein beträdptlides Honorar bezahlt, und 
auf weißem Papier druden läßt, und mit. Unternehmungsgeift, 
mit oder ohne Kapital, nad einem Jahre -inen eklatanten 
Bankrutt macht; 3) eine Literatur= Zeitung, nämlich) aber wie 
nie eine gewefen, d. h., wenn nun Gott den Schaden. befieht, 
jo alltäglich oder alltägliher als je andere gewefen find. Den 
Eotta, an deffen Eifentopf fo viele diefer Glanz = MUniverfitäts- 
Schwangerſchaften und ihrer Buchhandlungen. vorübergegangen 
und darin hart geworden, hat das neue jüddeutfihe Zion der 
Wiſſenſchaft breit zu ſchlagen bis jest nicht verſtanden. 

Und ſo fichen uns denn defto herrlichere Ausfichten bevor, 
‚höheren, welthiftorifchen. Styls, die Vereinigung des ſüdlichen 
Deutſchlands, das auf feinen eigenen Beinen hocdhgefinnt gegen 
uns treten wollte, und des nördlichen Deutfchlands, — eine Bers 
einigung, die fhon auf’s MWürdigfte begonnen, und von um fo 
gründlicherer Wirkſamkeit feyn muß, als für die patriotiſchen 


— 


534 1X. Briefe, 


Baiern, — fomit auch in’s Befondere für Thierſch, — ſolch ein 
Vorzeig ein Panier ift, dem fie gern und patriotiſch, ja felbft 
mit Enthufiasmus, zu folgen fih gedrungen fühlen, "Diefe Ans 
fit a priori zu faffen, war übrigens überflüffig; ſie wird ſich 
Ihnen ſchon von felbft genug, — bei Altbaiern in's Befondere 
aufdringlich machen, als das einzige Motiv, womit fie zu bes 
ſchwichtigen wären, — für ſolches Nachgeben und Weichwerden, 
wie es Thierſch fhon angefommen feyn, fol. Mebrigens haben 
Sie. von felbft die weiteren Titel in Händen, die Einladung, der 
etwaigen Brauchbarkeit Thierſch's, Fr. v. Bader’s und einiger 
wenigen Anderen, — deren berühmte Namen Sie in Münden 
erfahren werden, — meines Freundes Niethammer wirkliche Thür 
tigkeit, — dann eine pfychologifhe Hauftgrundlage an der ine 
neren Gewißheit, auch der Hohlen, von der Unzulänglichkeit, 
Leerheit und barbarifchen Unbrauchbarteit der Eifrigften, — 
ſchließlich zu erwähnen, daß Sie mit Cotta abgefchloffen, alſo 
nur die weiteren Zwecke, die weitfchweifige Bemantelung (womit 
Eotta zufrieden zu machen), die große welthiftorifche Abficht der Wers 
einung und das Zufammenpuften Underer, die arbeiten, feyn werden. 
Alles diefes alfo zur freundlichen Erwiederung Ihrer gefällis 
gen Bülletins, um deren Freundfchaftlichkeit und Vergnügliche 
feit dankbarft, — fo weit es von Weitem feyn kann, — zu ho— 
noriren, — fo wie meinen Dank für die gefällige Beforgung 
der Angelegenheit bei meiner Schwefter. eo 
Nun noch, was ich feither an hiefigen Newizteiten geſam— 
melt; — Grillparzer war hier, ein recht ſchlichter, verftändiger 
und eifriger Mann, — dann haben Raupach's Nachtwächter 
nicht zu ihrem Vortheil getutet; fie haben vorgefleen in Pots⸗ 
dam geblafen; ob den Herren da weniger Schaden geſchehen, ift 
mir noch unbewußt. — Profeffor Blum ift gegempärtig hier 
auf feiner Durchreiſe; — Leo iſt in gefiriger Sigung bei der 
Bibliothet mit 406 Rthlr. amgeftelit worden. — Profeſſor 
Abegg aus Königsberg ift hier, er und ich wermiffen Ihre Ans 


10. An Gans. — 41. An Goſchel. 535 


wefenheit, er hat ſich friminaliftifd und kriminell Schunte’s und 
fomit Puchta's Journal angefchloffen, hat ein und andere Mo— 
ralia für Sie in petto, womit wir ihn aber nicht auf kommen 
laffen. — Bon Hülfen ift heute abgereif't. — Meine Büfte 
ift fo gut als fertig. — Carové wird in wenigen Tagen hie» 
ber kommen; man könnte Pläne — zu Furrenter, betriebfamer, 
läufiger. Setretariats= Arbeit mit ihm haben. — Die Kunftaugs 
ftellung hat feit zehn Tagen begonnen. — Mit Ihrer Nach— 
hauſekunft hoffen wir Bericht über den Beginn. und die Yus- 
ſichten zw unferem erſten Hefte zu erhalten, Die, herzlichfien 
Grüße an Hotho und an meine lieben, theuren mündner Freunde, 
und an Sie, mein lieber und geſchätzter Seumd, deffen Bulk 
ſchaft ich fo oft vermifle. — 
Ihr 
Hegel, 


41. An ben Oberlanbeggerichtgrath Göſchel. 


Es ift ſchon geraume Zeit, über ein Jahr, daf id) von 
Ihnen den freundlichen Brief erhalten, der mich benadprichtigte, 
wie gütig Sie die Freiheit, die ich hatte nehmen wollen, Ihnen 
perfönlich meine Hochachtung zu bezeugen, haben anfchen wol- 
len, und defien wohlwollender Inhalt und fo gewichtige Worte 
für das Zeitverhältniß zu fpefulativer Erkenntniß, mid für das 
Mifglüden jenes Verſuchs ſchadlos hielt. Ich habe über ſolche 
ungehörige Verſpätung meines Dankes Sie recht ſehr um Ver⸗ 
zeihung zu bitten und. meine fehr große Entſchuldigung zu ma— 
hen. Was müffen Sie über folde Vernachläſſigung denken, — 
habe ich mir freilich oft fagen müffen, — während mir, voll 
von der innigen Verehrung gegen Sie, an der Erhaltung, Ihrer 
gütigen Gefinnung gegen mich fo ſehr gelegen iſt. Ganz darf 
ich nicht darüber weggehen, bie Entſchuldigungegründe a 
führen; als den hauptſächlichſten muß ich eine Zriofpnkrafe 


11. An Göfchel. 537 
rismen zum Mitttelpuntte der Diskufflon hätten werden müf- 
fen; (— biefelben find [per parenth.] bier aud in höheren 
Kreifen betannt und gelefen worden; — doch pflegt aud) da— 
feloft die Wirkung nur etwa bis zum Verſtummenmachen zu 
gehen;) dazu aber haben fie wohl mächtig mitgewirkt, daß die 
Apprehenfion vor Philofophie und damit etwa auch vor Phi- 
lofophen fi gemildert haben mag, worin die erwünfchte Bes 
quemlichkeit, diefelbe num ruhig auf der Seite liegen laſſen zu 
können, gleichfalls ſich befriedigt findet, Indem ich ganz da» 
mit übereinflimme, daß, wie Sie in Ihrem Schreiben jagen, 
von Seiten der Philofophie das Anerkenntnif des; Inhalts des 
lebendigen wirklichen Glaubens nicht genug wiederholt werden 
tönne, ſo kann man es zugleich wohl bedauern, daß in jener 
lautgemadhten Angelegenheit fo wenig Inhalt aud von diefer 
Seite zum Vorſchein gebracht worden, und die Angriffe eine fo 
fubjettive und perfönlihe Haltung hatten. Die andere Seite 
hat fi in ihrer Weiſe mit der formellen Freiheit zu deden ges 
ſucht, und ſich wohl gehütet, ihre Blöße aufzudeden; die Bes 
hauptung diefer fogenannten Freiheit hat für fich eine immenfe 
Popularität, und thut au darum fo trogig gegen einen Ans 
griff, weil fie foldem, der das Dogma und die Form der Kirche 
vertheidigt, die gehäffige Wendung eines Angriffs auf Amt und 
Brod der Individuen zu geben, gleich bei der Hand ift; es ift 
ein ähnliches Verhältnif, daß diejenigen, welche die Rechte der 
Regenten und des Staats vertheidigen, für ſich der Servilität, 
in Anfehung der ebenfo feihten Staatslehrer und Redner, — 
als. es in der Religion die Rationaliften find, der, Abſicht, fie 
den Regierungen verdächtig machen, und deren Ahndung auf fie 
ziehen zu wollen befhuldigt werden. — Doch hat gegenwärtig 
das ungeheure politifche Intereffe alle anderen verfhlungen, — 
‚eine Krife, in der Alles, was fonft gegolten, problematifih ge— 
macht zu werden ſcheint. So wenig ſich die Philofophie der Un— 
wiſſenheit, der Gewaltthätigkeit und den böſen Leidenſchaften 


IX, Briefe. 


diefes lauten Lärms entgegen fielen kann, fo glaube ich kaum, 
daß fie im jene Kreife, die fi fo bequem gebettet, eindringen 
könne; fie darf es fih, — au zum Behuf der Beruhigung, — 
bewußt werden, daf fie nur für Wenige fey. Indem ich mid 
daran gewöhnt, in dem Treiben derfelben die Befriedigung mei- 
nes Geiftes zu fuchen, fo ift es mir zugleich höchſt erfreulich und 
erquidlic, wenn einiges davon in Anderen wiederklingt und id 
ihnen auf gleichen Pfaden begegne; wie ſchägbar mir die Be- 
gegnung mit Ihnen fey, ſpreche ich mit tiefgefühltem Dante 
und mit inniger Verehrung aus; mit diefer erlauben Sie, mid 


Ihrer ferneren gütigen Gefinnung zu empfehlen. 
Ihr 

| ‚Gehorfamer 

Berlin, d. 13. Decbr. 1830. Prof. Hegel. 


12, An ben D. Fürſter. 


Sehr werther Flüchtling! 


' Es war am 24. September, daß mic der Inſtinkt me 
betrübten Strohwittwe führte, das für mid) von Ihnen beſtimmte 
Blätthen abzuholen. Ich habe Ihr blumenbeträngtes Bild mit 
berzlicher Freundſchaft begrüßt, Ihnen zu dem glüdlihen Bes 
gebnif Ihrer Reife Glück gewünſcht und für Ihre freundliche 
Erinnerung und deren Quelle, wie für die gegebenen Notizen 
aus Münden, gedankt. Ich habe mit Schelling in Karlsbad 
(wohin ich auf der Tour durch Töplig, Prag, dann Weimar, — 
zum adıtzigjährigen Jüngling, — Iena, kam) 5—6 Tage in 
alter kordater Freundfchaft zugebracht. In Prag bitte ich nicht 
zu verfäumen, Herrn Profeffor der Geſchichte, von Henniger 
(ſprich: Hennigahr), einen Schwager meines dortigen Onkels 
und biefiger Tante, breite Gaſſe, fhlichting’fihes Haus, dem ih 
Sie annoncirt, aufzuſuchen, — er ifl mit eigenem Triebe fehr 


12. AnD. Foͤrſter. 539 
bereitwillig, Ihnen für Nachforſchungen und Materialien zu 
Ihren Arbeiten auf alle Wege behilflih zu feyn. Machen Sie 
ihm und dann aud Herrn Bibliothefar Hanta meine beften 
Empfehlungen, es wird von Intereffe für Sie feyn, einige Tage 
für Prag zu beſtimmen. Der König hat ein Eremplar Ihrer 
Schrift an Graf Waldftein zum Geſchenk gemacht. Leben Sie 
wohl, bald glückliche Rückkehr, die auch die andern vacirenden 
Kollegen nad) und nad effektuiren. — Heute wird die Rentree 
der Diadame Erelinger (in Gabriele) celebrirt, wenn es nur 
nicht ein commencement de la fin (Wien foll ihr ſehr nach 
geſtellt haben) iſt. 

Ihr 
d. 3. Okthr. 1829. treuer Hegel. 


An Denfelben. 
Lagrime Christi. 

Daran können wir nun deutlich merken, daß die Thränen, 
die/der Herr über das katholiſche Unweſen ausgegoſſen, nicht 
ſalziges Waſſer nur geweſen, ſondern Flaſchen tropf baren Feuers. 

Nun will Ihre Freundlichkeit und Güte dem lateiniſchen 
Redewaſſer, das ich dermalen durchzukneten habe, mit dieſem 
Feuer aufhelfen; ich habe Ihnen zuerſt dafür zu danken, und 
wenn dieß Gefäß, das dieſen Feuerſtoff durch zu deſtilliren hat, 
ihn nicht verdirbt, ſo ſollen es meine geplagten Zuhörer Ihnen 
verdanken, was von Wärme aus mir an fie käme. 


Ihr | 
Berlin, d. 22. Juni 1830, Hegel 


An Denfelben. 


* Dann habe ich geſtern noch einmal Ihren Aufſatz 
über Raupach's Semiramis geleſen, und wollte anfragen, ob es 




















2 Zulegt noch einmal meinen Bea 
fen Churfütſten, — es iſt in feiner Ar 

x — 
3m Aa um KLBPT, 


13. Seiner Excellenz dem Miniſter han a 
Euer Excellenz 


halten mir zu gute, nn 16 dem Drunge nahe, 
Tagen des herbfien Schmerzes, der noch über 
verhängt werden konnte, Diefelben mit diefen Zee an 
Was von Gefühlen der Verehrung und Dankbarkeit, von 
tanntſchaft mit der ſegensreichen Wirtfamteit Euer’ € ei len; | 
Ihrer hohen ‚Stellung, mit den Arbeiten und ſchweren Ei fe 
niſſen derfelben, mit den hohen Tugenden des öffentlichen 
des Privat⸗Lebens, die der Gegenfiand der allgemeinen Hot 
achtung find, dann mit den ſchweren Leiden und Prüfungen, = 
Euer Ercellenz von höherer Hand unterworfen mern 
von folden Empfindungen und Erinnerungen ſich i 
geſammelt hat, vereinigt ſich bei dem Anblick folder h 
benswendung in eine koncentrirte Bergepenmärigung, 
zur Aeußerung getrieben fühle; und der Schmerz der T 
fi) in feinen Wittelpuntt, fid in der Stätte miederzulegen, 
er im feinem ganzen Amfange und Stärke und amit 1 ei 


13, An den Minſſter v, Altenftein, 541 


ganzen Rechte vorhanden iſt; folde Stätte aber ift in dem Ber 
zen, von welchem der volle, ausführliche, durch ein’ ganzes Les 
ben hindurd erprobte Werth des Gegenftandes diefes Schmerzes 
gekannt if, Won folhem Werthe ein Bild haben gewinnen 
dürfen, gehört zw den beften und feltenften Erfahrungen meines 
Lebens über die Menſchen. In dem Bilde derwerewigten Schwe— 
fier Ener Ercellenz wird das Andenten mit allen Tugenden bes 
ſchäftigt, die eine weibliche Seele ſchmücken; und wenn daffelbe 
von der Worftellung eines: gebildeten Geiſtes, der Bekanntſchaft 
mit dem Ernſte des Lebens und der großen Verhältniſſe, und 
der noch’ frühern mit den Schmerzen und Leiden deſſelben, aber 
der bimmlifchen einfachen Geduld und Ergebung, des lichenden 
Mitgefühls mit allen Leidenden, der theilnchmenden Freund— 
ſchaft, der unendlihen Liebe zum Bruder, — dieſem flärtiten 
Gefühle einer edlen weiblichen Bruft, — von der Reihe der 
einzelnen Tugenden gerührt und erfreut if, fo findet es noch den 
höchſten Werth und die eigenthümlichfte Anmuth diefes Reiche 
thums darin, daß derfelbe ſich im umgerfplitterter Harmonie in 
die einfache Blüthe heiterer Natürlichkeit und Geradheit des 
Sinnes, ja einer jungfräulihen Jugendlichkeit einer cdeln Nas 
tur, zufammengefchloffen befunden hat. 

Wenn mir, an der Friſche diefer aus allen — 
klar fortfließenden Quelle mich zu erquicken vergönnt geweſen 
iſt, wenn auch meine Frau, wenn ich dieß erwähnen darf, an 
der Verewigten eine mütterliche Freundin, die an Allem Theil 
nahm, gefunden, ſo hat es das unerbittliche Schickſal gewollt, 
daß geſtern nichts mehr übrig geblichen war, als mit einer 
Thräne und einer Hand vol Blumen und Erde ihre zw nahen, 
und zum legtenmale foldyer Gegenwart Abſchied zu fagen. Dieſer 
Verluſt verliert fi in dem unermeflihen Werlufte, den Euer Ex— 
cellenz erlitten. Das Schickſal hat feine Schläge vollführt; 
aber die Vorfehung hat Euer Errellenz die große Sache, die 
die Ihrige geworden, und das große Herz gelaffen und bewahrt, 





Der Minifter vom Altenftein an Hegel. 543 


Ihre verehrte Frau Gemahlin: betraf. Am fo theurer iſt mir 
das Denkmal, weldes fie in Ihrem: Herzen hat, und weldes 
Sie ihr dur Ihre Aeußerung über fie gefegt haben, Auch 
mein Gefühl haben Sie richtig aufgefaft, No läßt der Schmerz 
kaum ein freundliches Licht für das mich betroffene harte Ge— 
ſchick zu. Es fehlt mir ja das Weſen, weldes bei den härte— 
ſten Schidjalsfhlägen als fhügender Engel mir das freundlicde 
Licht gewinnen half. Es ift mein größter Schmerz, daf ich 
mich von der Idee nicht trennen kann, auch jest noch bei ihr 
Troft zu ſuchen, und mit der fih mir aufdrängenden Gewißheit, 
daß diefer für mich auf diefer Erde nicht mehr vorhanden fey, 
zu einem defto ſchmerzlichern Gefühl des are —— 
erwache. 

Mit großer Stärke hat die Verewigte, bei der — 
Zärtlichkeit, wenn fie auch glaubte, mein Beruf überſteige meine 
Kräfte, mid von ſolchem nicht abgezogen, fondern mein Gefühl 
für Pflicht geehrt, und nur ihre Anftrengungen verdoppelt, mir 
alle Laſten des Lebens abzunehmen, und mid zw erheitern, vers 
trauend, daß ich im Schuge der Vorfehung fo lange wirken 
werde, als es gut fey. Ich lebe auch jest, nachdem der Hims 
mel alle übrigen ſchönen Bande diefer Erde gelöfet hat, einzig 
meinem Berufe mit dem Gefühle, daß mich dabei der Verklär— 
ten Geift umſchwebe und mid ermuthige, auch bei dem Verluſte 
des Theuerften, ihres ſchützenden Beiftandes, fo wenig als bei 
früheren Verluften, die fie mir tragen half, und die fie im hö— 
beren Lichte zu mildern wußte, zw verzweifeln. So werde ic) 
auch ferner ihres Beiftandes nicht entbehren, und fo wird fie 
auch aus einer höhern Welt ihren wohlthätigen Einfluß auf 
alles das, was in meinem Leben einigen Werth hat, ausüben, 


wie fie ihn mit fo himmlifher Milde und Hingebung, ſo lange 


fie auf diefer Erde weilte, ausübte, m 
Nochmals wiederhole ih Ew. Hohwohlgeboren — in⸗ 
nigſten Dank für ein fo wohlthätig und erhebend ausgeſproche⸗ 














Fam überal Mes Haben; — 3 3; 
— (in jedem Cafe, Reflauration, oh 
ee Liranbourg, wo m 
Bentigen Zeitungen zum Lefen nimmt, — | 
Geneviive — di ** 


zu; die Kirche St. 
ans: Bathebee «re Die ‘— 
Die Gemälbegälferie in Im ko re, — Ein get 


14. An feine Gattin. 545 


eben folhem Karren, Leiterwagen, unter freiem Simmel weiter 
gebracht würde, Hiermit kurz refolvirt, nad) Berlin gefchwind 
zurüd zu reifen und meinen Reifewagen abzuholen, und hiermit 
gut ausgerüftet, gemüthlich weiter meine Gefundheitsfahrt anzu— 
treten, » Mit diefem froben Gedanken, Euch Lieben bald wieder 
zu fehen, bin ich dann eingefchlafen und habe recht gut gefchlas 
fen; doch, Du fichft, nicht, wie Peter, beabfihtigend zu Haufe 
zu bleiben, fondern im Gegentheil recht gründlich auszuteifen. 
Erfleres wäre übrigens auc fein Wunder gewefen, denn ich bin 
in der That mit größerem Widerwillen, als ich fügen durfte, 
auf die Reife gegangen, fo nöthig es mir in dee That geweſen 
fepn’ mag. 

Uebrigens habe ich gefiern Nachmittag auch, was hier zu 
fehen, gefehen; — den berühmten Dom — merkwürdig mag er 
fepn, weil er ein Dom iſt; — aber die ganze Architektur ift 
nicht eine fo gute Konception, wie die nürnberger gothifchen 
Kirchen, und was von Kunftwert inwendig ift, eine Menge Ges 
fänigeltes und Gegoffenes, Gemaltes und, Geghpstes, ift gar zu 
ſchlecht. Die gegoffenen Upoftel von Viſcher dem Nürnberger) 
find nicht mit denen in Nürnberg au vergleichen, Die Gegen— 
fände find" ganz in’s Handwerk herab verfallen! Das Liebfle, 
was. ich gefehen, ift General Carnot (der berühmte), ein 
liebenswürdiger Alter und Franzoſe; — er hat es freundlich 
aufgenommen, daß ich ihn aufgeſucht. — Dann bin id) an die 
Elbe fpaziert, es lief eine Flotte von 13 hamburger Schiffen 
mit hochgeſchwollenen Segeln ein, — ſchöner Strom, ſchöne 
unermefliche fruchtbare Ebenen, — der heiterfie Himmel, — — 

Sp eben kommt ein Kutfcher, welcher einen Engländer in 
drei Zagen nad Kaffel bringt, an den will ich mic anſchlie— 
in — — — ' 


Bermiichte Schriften. * 35 





14, Un feine Gattin. 547 


Nachdem ich nun den Nachmittag ſchöne Gärten, cinen vis 
fernen, 70 Fuß hohen, zum Andenken des gebliebenen Herzogs 
‚ errichteten Obelisk, Abends noch eine ſchlechte Komödie gefehen, 
fegten wir uns nad 10 Uhr wieder auf die Diligence Cmehe 
aber nad) Wolff's Traveflirung auf die Pareſſe). — Die Nacht 
war fchön, herrlich leuchteten die Geſtirne. — Beſonders (hen 
ging der Miorgenftern auf, Jetzt in der Tagesgegend faher wir 
eine andere Phyfiognomie der Natur als bisher, nicht mehr die 
unfruchtbaren, oder fruchtbaren Plänen, fondern ſchöne Eichen 
wälder, Berghügel, die fanften Abhänge mit Fruchtfeldern, die 
Gründe mit Wieſen, — kurz eine heimathlihe Natur. Mit 
meinem Engländer kam ich fehr wohl zurecht, — er ift ein 
junger Mann von 25 — 26 Yahren, ein ſchöner Mann, guts 
müthig, wohl unterrichtet, fommt ans Jtalien, und will durch 
Frankreich nad) Konftantinopel reifen, ein Partikulier, nicht all— 
zudid, reich, kurz wie ich mie aud in Zukunft Geſellſchafter 
wünſchte. In Nordheim, wo wir um 3 Uhr Nachmittag (geſtern 
Mittwochs) ankamen, und der Wagen bis gegen 8 oder 9 Uhr 
Abends auf einen andern zu warten hatte, bedachte ich, daß es 
mir zu unbequem fehn würde, die dritte Nacht ohne Bett und 
Schlaf zuzubringen; ich nahm alfo Extrapoſt. — Es ging zu— 
erft nach Göttingen, fage indef nur dem lieb. Freund S..., daf 
ich als ordentlicher berliner Profeffor mir nichts daraus gemacht, 
in 5 Minuten weiter. zu fahren, mie jedoch auferhalb des Thors 
den Staub zwar nicht von den Füßen gefchüttelt, aber nur dar⸗ 
um nicht, weil ich feinen mit denjelben aufgelefen habe. So 
reiſte ich vollends über Minden, wo ic) übernachtete, hierher, 
Der Weg ift Schr anmutbig, Kaffel liegt ganz vortrefflid in ei— 
nem weiten Thale; — den Herkules auf Wilhelmshöhe erblidt 
man ſchon in der Entfernung von einigen Stunden als eine 
Spitze in der Mitte eines Gebirgszugs. Um Kaffel felbft ift es 
fehr ſchön, die Aue ift eine Anlage ungefähr der Art, wie der 
neue Garten in Potsdam, ſchöner grüner Raſen mit gefunden 

35 * 








14, An feine Gattin. 549 


auf Rügen; Gott gebe, daf nur auch wieder ſchönes Wetter 
darauf folgt, wie damals. — Damals feierten wir den Hoch— 
zeittag auf der See zufammen, dieß Mal haft Du etwa mit 
den Kindern lauter, ich aber deffen in der Stille gedacht — — 


Somabend Vormittag, den 23. Septbr. . 

Ich bin zur Abreiſe gerüftet; das Wetter klärt ſich auf; in 
Koblenz oder Köln hoffe ich einen Brief von Dir anzutreffen. — 
IH muß endlich fließen. Lebt alle recht wohl, Ihr Lieben! — 


Koblenz, den 24. Sepibk. 
Es lebe Immanuel! *) 

Hier fige ih, meine Liebe, in Erfüllung meiner Beſtim— 
mung, nämlich in Koblenz, — neben einem Fenſter, das gerade 
den Rhein, diefen meinen Liebling, die Brüde und Chrenbreitftein 
unter fih hat, — an Euch insgefammt zu denken, und an Did) 
zu ſchreiben. Auf der Poft bin ich heute früh gewefen, habe aber 
feinen Brief von Dir vorgefunden; in Köln hoffe ich, wenn 
hierher teiner von Dir mehr adreffirt ift, dann um fo gewiſſer 
einen vorzufinden. Auf Immannel’s Geburtstag werde ic) heut 
Mittag ertra cin Glas trinken, und indem Ihr auf mein Wohl« 
ſeyn heute gleichfalls teinten werdet, — fo foll hiermit ganz 
förmlich) angeftoßen feyn! Dem Immannel wollte ih von Kaffel 
etwas ſchicken, um Euch an feinem Gekurtstag damit zu rega= 
liren, es tonnte aber erft Montag mit der Poft abgehen, und 
kann daher heute noch nicht in Berlin feyn. — Aber zum Feuers 
wert ift heute Bein ſchön Wetter; Du ohnehin nimmft Did) doch 
auch gehörig in Acht? — Eine Hauptfache weiß ich freilich noch 
nicht gewiß, doch kann ich kaum zweifeln, nämlich daß unfere 


*) Hegel’s zweiter Sohn. 





14, An feine Gattin. 551 


traktirt, In Giefen war der Scheideweg derer, die nach Franke 
furt gingen, worunter, wie wir im Anfang ausgemacht, ich nicht 
war. Ich war froh, von meiner bisherigen Geſellſchaft loszu⸗ 
fommen; cin jugendlehrender Kollege, ein ifraclitifher Schul— 
meifter hielt bei mir aus; wir folgten der Lahn. — Weilburg 
hat eine romantifche Lage, ſchönes vegetationsreidhes, enges Thal, 
angenehme Krümmungen der Lahn, aud) als ehemalige fürftliche 
Refidenz — hübſche Häufer. 

Gegen Tag kamen wir dort, und dann um 44 Ahr in 
Limburg an; in diefem vertraften Nefte wurden wir von ber 
vortrefflichen fürſtlich Tarifhen Reichspoſt erſt um 5 Uhr weiter 
befördert, und um 2 Uhr endlich kamen wir hier an; im Ne» 
gen, Hodfinfterer Nacht liefen wir in einem halben Dutend 
MWirthshänfern herum, bis wir endlich ein Unterfommen fanden, 
wo ich diefe dritte Nacht doch noch zu gutem Schlafe kam; idy 
fuchte mir jedod Morgens das Haus auf, wo id) jegt bin, die 
drei Schweizer. Haſſe aus Bonn habe id) vorhin auf der Straße 
getroffen und gefproden — Es wird immer viel Schreiberei, 
wenn ich auch meine, nicht viel zu erzählen zu haben, 

Ih komme von einem Spaziergang auf der Welle Ehren— 
breitftein zurüd; herrliche Ausfücht, ſchöne folide Werte! — Ih 
ging in eine Kanonenfafematte, wo eine ſchwäbiſche Maurers— 
frau ihre Haushaltung hat, und mir in ſchwäbiſcher Mundart 
die Sachen erplicirte; es find fehr artige Zimmer, ſchußfeſt, 
troden. — 

Du fichft, dag ich es nicht an Bewegung fehlen laffe, auch 
an marfchirender, und daf die Strapazen mid) gut bei Kräften 
erhalten. Fest geht's zw Tiſche, und obgleich gefättigt von den 
köftlichen Trauben, werde ic mir es doc ſchmecken laffen. Mor— 
gen werde ich nad) Bonn kommen, 18 regnet diefen Nachmittag 
unaufbörlid, — übermorgen nad Köln, Wohin Du Briefe 
an mich adreffiren fol, kann ic) faum angeben; Antwort auf 
diefen Brief werde ih erſt in zwölf Tagen erhalten fonnen, 






























552 m | 


| * ET 
Köln, de 
— wo mein letzter Brief a 


ic) noch den Nachmittag und den anderen Vorm 
üblen Wetters meift zu Haufe zu, lich die Schnellp 
fer-Diligencen und andere Gelegenheiten abgehen; d | 
mittags am Mittwoch machte es ſich heiter; ich nahr 
Nahen und fuhr nad Neuwied auf dem 3 ein; 
das herenhuter Schwefterhaus u. f. w. Das —* n — 
Abend, — herrlicher Mondſchein überglänzte den R — 
meinen Fenſtern vorbeifloß; Eulen, die ih in meinen 
noch nicht fprechen gehört, muficirten darein, — Mor 
8 Uhr auf die Waffer-Diligenee. — Anfangs — n 
was auf dem Verdeck ſeyn, dann aber wurde es windig, —J— 
regnigt, zuletzt kontinuirlicher, heftiger, kalter Regen. Die 5 
felfchaft war num in die Kajüte eingeſchloſſen, darunter aud 
Studenten, die ihre Rheinreife machten, alſo den Ranze t 
grünem Wachstuch überzogen, an jeder Seite deffelt 
heraus hängenden Stiefelfuf, breite neue Riemen, — € 
Ordnung. So machte id) denn aud meine —æS a 
fah darıım nicht mehr, und ftand ihnen darin nad), — 
ſtolze Bewußtſeyn, eine Rheinreiſe zu machen, nicht g inne 
konnte. Schon das Regenwetter in Koblenz, — voltende Di 
Rheinreiſerei, verleideten mir das Reifen, und wenn es nur nid 
fo weit nad) Haufe zu Euch gewefen wäre, flugs wären i 
Euch angefommen. Ich reife dod im Ganzen nur aus $ 
und Schuldigkeit, und hätte hundert Mal mehr — zu 
wenn ich meine Zeit zwiſchen meinen Studien und Eudy t * 
könnte. Wenn Du einmal mit mir an dieſen Rhein kommſt, 
fo werde id Dich anders führen, auf dem Waſſer ficht ma 


we 


— 





14. An feine Gattin. 553 


weder den Mhein noch die Gegend, — jenen fieht man nicht 
durch Fluren und Hügel fliefen, man hat ihn nidt als einen 
‚Theil des Gemäldes vor fi) (mas feine wahrhafte ſchöne Stel- 
lung ifl), die Gegend ficht man nicht, denn man erkennt nicht 
einmal die Ufer und merkt höchſtens, daf es hinter ihnen ſchön 
ſeyn möchte. In Linz find wir an’s Land geftiegen, wo id) 
das vom Hrn. Regier.-Bevollm. Schulz empfohlene Bild ges 
fehen, und zwar in einer hochgelegenen Kirche, von wo man den 
Rhein und die ſchöne Gegend überficht. Im abſcheulichem Re— 
gen gingen wir in Bonn an’s Land, Hier fuchte ih Windiſch— 
mann und feinen Schwiegerfohn Walther auf, — mit jenem, 
(der durch Bereinigung im Gebet mit Fürft Hohenlohe feit eis 
nem Jahre von einem fechsjährigen Augenübel geheilt worden 
und nun vollfommen gefund ift), habe ich mid) recht gut ver— 
ftändigt, und wir uns, vor der Hand, recht ſehr mit einander bes 
feiedigt. Ebenfo gefreut hat mid Walther — diefe Begegnung 
hat mic wieder recht erfrifht —, dazu Fam die Aufheiterung 
des Wetters, und fo reifte ich geftern Mittag in befferer Diss 
pofition ab. Bonn ift höderig, ganz engftrafig, aber die Um— 
gegend, Ausſicht, botanifiher Garten — ſchön, fehr fhön, bin 
aber doch lieber in Berlin. 

Köln ift ſehr weitfchichtig, den Dom habe id) gleich aufge— 
ſucht; das Majeftätifche und Zierliche deffelben — d. h. deffen, 
was von ihm eriftirt, die ſchlanken Werhältuiffe, das Geſtreckte 
in ihnen, daß es nicht fowohl ein Emporſteigen als Hinaufflie— 
gen ift — ift fehenswerth und bewundernswürdig, vollends als 
Konception Eines Menfhen und Unternehmen Einer Stadt; es 
kommt einem darin eine andere Menfchenwelt, — fo wie eine 
andere Zeit in jedem Sinne, recht lebhaft vor Augen. Es ift 
da nicht eine Brauchbarkeit, ein Genuf und Vergnügen, ein be— 
friedigtes Bedürfnif, fondern ein weitmantlidhes Herummwan- 
deln in hohen, für ſich befiehenden Hallen, denen es gleichſam 
gleihgültig ift, ob Menfhen ſich ihrer, zu welchem Zweck es 


554 IX. Briefe. 


ſey, bedienen; — ein leeres Opernhaus, wie-eine leere Kirche 
ift ein Mangelhaftes, — bier ift ein Hochwald und zwar ein 
geiftiger, Eunftreicher, — der für fi fleyt und da iſt, ob Mens 
fchen da drunten herumkriechen und gehen, oder wicht, es Liegt 
ihm nichts daran, — er ift für ſich, was er ift, er ift für fi 
felbft gemadt, — und was fid) in ihm ergeht, oder betet, oder 
mit den grünen Wachstuchranzen, die Pfeife im Munde, ibm 
berheinreift, verliert fid) fammt dem Küfter in ihm und ift, wie 
es fieht und geht, in ihm verfchwunden. — Frau Wittwe Horn, 
eine höchſt brave, mwohlthätige, ächt Fölnifche Frau, die ich bei 
Windiſchmann Fennen gelernt, hat mich in Bonn ſchon auf heute 
zum Mittagefien geladen; nah dem Mittageffen hat mir ihr 
Sohn feine Sammlung von Glasmalereien, die reichfle, die wohl 
it, 100 große Fenfler, 4 — 500 kleine Fiecen, gezeigt. Was 
der Dom aud) für prächtige gemalte Fenſter hat! aud) andere 
Kirchen. — Durch Vergünftigung der Frau Horn habe ich auch 
die lieversberg'ſche Grmäldefammlung gefchen, herrlide Stüde, 
eins wahrfheinlih von Leonardo; — auf ihre Empfehlung bin 
ich auch bei Wallraf gewefen, — ein fo kordater, licher 75jähe 
riger Mann! — feine Gemälde — eine herrliche flerbende Ma— 
tia (kleiner als die bei Boifferee), hat er mir nod gezeigt, mich 
dann eine halbe Stunde in der Stadt — durd alle römiſche 
alte campos herumgeführt; der Mann ift fehr freundlich und 
liebevoll gegen mich gewefen, — das ift ein rechtſchaffener, bras 
ver Diann! — 9— 
Das iſt mein Tagewerk, — verſteht ſich, daß ich auch den 
Rhein, die unabſehbare Reihe von großen Zweimaſtern gefeben. | 
Morgen Sonntags werde ich in Gefellfhaft der jungen Grafen 
Stolberg und ihres: vieljährigen Lehrers, des Dedanten Kellers 
mann, der bei Stolberg’s Tod anwefend war, no den Dome 
mit muſikaliſcher Meſſe — und Anderes fehen, und dann Mor 
gen Nachmittag nach Wachen abgeben. - u 
In fo weit bisher, gottlob, alles gut; wenn id nur nicht 





14. An feine Gattin. 555 


fo weit von Dir und den lieben Jungen wäre, und wenn id 
nur täglicd wüßte, wie es End geht; fo muf ich anfangen, fo 
ſchließen. — — — 


Brüuͤſſel, den 3. Okibr., Donnerſtag früh. 

So ſiehſt Du nun, meine Liebe, daß ich am Ziele meiner 
Reiſe, d. i. ungefähr am entfernteſten Punkte derſelben bin, — 
noch einige kleine Exkurſionen in die Nachbarſchaft, — aber 
meine Hauptrichtung wird nun nach Haus zu Euch, Ihr Lir- 
ben, ſeyn. 

Ih habe hier noch Feine Nachrichten von Dir; geftern 
Abend ging ich gleich nad meiner Ankunft nad der Briefpoft, 
aber das Bürcan war bereits gefchloffen; nun wird in einer 
Stunde fid) zeigen, ob Briefe von Dir da find. Einftweilen 
will ih Dir alfo nur noch fagen, daß ich hier bei freund van 
Ghert auf das Herzlihfte aufgenommen und im Logis bin, 
diefe Nacht bei ihm zugebracht habe und mich recht wohl bes 
finde. — Von Köln habe ih Dir am Sonnabend gefchrieben. 
Sonntag früh ließ ih mir Wallraf's Gemälde nod einmal zeis 
gen, unter denfelben war das Hauptbild der Tod der Maria, 
ohne Zweifel von demfelben Meifter Schorcel, von dem das 
Bild deffelben Gegenftandes, das den Brüdern Boifferee gehört, 
— das Du gleidhfalls immer fo gelicht haft; — das wallraf’- 
ſche ift Fleiner, etwa 24 Fuß hoch, aber breiter. Der Donatar 
auf dem einen Flügel, wie die Frau auf dem andern, find ganz 
ein und diefelben Portraits, fie waren mir völlig alte Bekannte. 
Die Anordnung der Figuren des Bildes, Stellung des Bettes 
ift verfchieden. — Nachdem ich dem Gottesdienfle-im Dom beis 
gewohnt und mic bei den guten Leuten, die mich fo freundlich 
aufgenommen, verabfcdhiedet hatte, fuhr ich Nachmittags nad 
Nahen im guter Gefellfchaft eines ältlihen, aus einem Deuts 
fehen gewordenen Engländers und eines Advokaten aus Köln, 


würdigkeiten, die Paris noch Napoleon — wie hundert andert 









O7 ar Bü» 


Wet’ gebeihen ga fehen, umd das Meimige dazu beitragm 
können, — und um dieſe zu hoffende und an feinem Geh 
tage im frifcheres Andenten gebrachte Befriedigung mit di 
meine Liebe, noch lange zu theilen — — — — 

Du bemerkt, daf ich nicht mit foldem Feuer oder Ente 
flasınus von Paris fAhreibe, wie ans Wien, — und ſagſt dakt 
daß Du den Freunden Vieles mitgetheilt haſt; — dief my 
ſehn, — aber es iſt doch Alles zu flüchtig, mas ich frei, 
daß es eben vieler Mittheilung fähig wäre; — Du muft ke 
denten, daß mein Unwohlſehn mic) viele "Zeit "Hat verlieren Ik 
fen — und dann, daf Alles fo ungeheuer weit und weilläui 
iſt, daß man äuferlich ganz rüftig ſeyn muß, um Mchrens y 
umfaflen; ferner, daß es weſentlich nöthig iſt, ſich Länger bir 
aufzuhalten, um in gründliche Berathungen und Eindringun 
zu kommen; — es iſt ein höchſt intertſſanier Boden, aber «tik 
Wochen reihen nur Hin, um aus der Betäubung herau ch 
zur Gewohnheit alles des Glänzenden und Männigfaltign 
kommen. — Heute z. B. bin ich nad) einem Abattoir, b\ 
Schlachthaus gefahren — in welcher Stadt der Melt mürde ih 
nach einem Schlachthaus fahren? — aber dieh ift eine der Mat 


Große — verdankt, Dann find wir auf dem Montmartre ge 
weſen, wo man den Reichthum an Häufern von Paris, und dit 
herrlichen fruchtbaren, Lebensvollen Umgebungen überficht; — 
aud im Palais der Chambre des Deputes. — Die Börfe — 
noch vor Napoleon angelegt — fahen wir vorher, welcher Tem: 
pel! — Um halb 6 Uhr fpeifte ich mit Coufin und Fauriel 
(dem Herausgeber der Griehhenlieder, die auch in’s Deutfde 
überſetzt find). Bor einigen Tagen fpeiften wir zufammen mit 
Mignet, Thiers, Muftond, Fauriel uf. f; kurz, man muß ein 
Halbjahr in Paris ſeyn, um einheimiſcher zu werden mit allem 
dem, wofür man ein tieferes Intereſſe faßt, um, wie geſagt, 


ı“ 
Ei r 


De 





14. An feine Gattin. 557 


an den vortrefflichften Eydifchen noch wegwünfhen möchte — tft 
bier völlig verfhwunden, es ift ebenfo herrlich italieniſch als 
niederländifch. Ein Juwel ift gleichfalls ein Bild — eine Kreuze 
abnehmung mit vielen Figuren, von Raphael gezeichnet und von 
Albr. Dürer gemalt; welche Lieblichkeit, welche Schönheit!! — 
Eine Frau mit einem Kinde — dem Michel Angelo von Einis 
gen zugefhrieben — ift eine unendlich große Mlalerei. Aber 
vollends noch eine Nacht von Eorreggio! — wie ich die dres— 
denfche den Tag von Eorreggio genannt, fo dief die wahrhafte 
Nacht. MWeld ein Bild! das Licht ebenfo vom Kinde ausges 
hend — Diaria ift mir hier lieber als auf dem dresdener Bilde, 
auch fie, wie die Umgebung, lächelt, — alles ift auch heiter — 
aber ernfler, und das Hellduntel, — wie auf den Bildern Cors 
zeggio’s in Sansfouci, — die fpätere Manier diefes Meiflers 
— von höchſter Vortrefflichkeit. Gegen Abend habe ich nod) 
einen Spaziergang gegen Burtſcheid gemadt, und da in Aachen 


das berühmte Bad ift, ein Bad genommen: das ift heiß! und - 


lauter Schwefelgeruch. — Dienftag früb um 74 Uhr gingen 
wie don Nahen und kamen gegen 5 Uhr in Lüttich an; der 
Weg geht Hügel auf, Hügel ab, meift auf einem Hügelrücken, 
zu beiden Seiten tiefere Gründe, alles grün, mit unendlich vie 
len Heden und Baumreihen durdzogen. Gegen Lüttich zu ficht 
man in das ſchöne Maasthal; — id war ſchon in Verſuchung, 
von Lüttich das. Maasthal hinauf über Namür hierher zu reifen 
— doch hätte ich beinahe zwei Tage länger, wegen des Kurfes 
der Magen, zugebracht und einen Theil der Neife bei Nacht 
gemacht, wo man befanntlid nichts fieht. In Lüttich blieb ich 
mit einem der Reifenden über Nacht; der Wagen, auf dem wir 
gefommen, ging glei weiter, unter der Reifegefellfchaft war 
gerade wieder ein fo platter, gefchwägiger, Deutſcher, der aud) 
ein Engländer feyn will, gewefen — läftige Leute, wie id) bis= 
ber in jeder Gefellfchaft auf dem Wagen einen gehabt hatte, 
Meinen Gefellfhafter hielt ich zuerft entweder für einen licht» 


[= 







































ſich aus, daß er das Lehe if. — Wir vertragen ı 
zufammen, er dufelt oder bämmert ruhig in di 
iſt in Jtalien, Frankreich, überall gewefen, 
fien Winter nad Paris, für den Sommer 
—— ——— 
ber allein; ee. 
lauter fruchtbares Kornland, wie in ſchwediſch Po 
von Löwen an herrlich abwechfelnde — 


udes fruchttares Land. — Tirlemont ein angenehmes 


lin) in 12 Stunden ringen _ für 4 1049 


putzter als in Berlin. Brod ebenſo — 



















ſtädtchen, — Löwen eine große Stadt, mit ſ 
gothiſchem Rathhauſe, mit einem Saal, den —* 
worin 80 Quadrillen zugleich können getanzt w X 
In den Niederlanden is eine — * 
Lüttich bis Brüſſel find 24 Stunden, fie ‚werden a gepf 
ter Strafe — (Pflaſter wie das neue der | ‚afe N 


Sand in zei. — — vr 

So eben komme id) von einem Spaziergang mit —* G 
* Brüſſel iſt eine ſeht ſchöne Stadt, in vielen 
die untere Etage nur Eine Reihe von großen Fenſte— a 
ſchönſten Waaren, elegant aufgeftellt, viel gefchine 


ſtern. Heute Nachmittag Manieren wir auf das € 
tn. — — d - 
Ich werde na bis Sonntag — bleiben. — — 


* aAntwetyen, Dienftag, vn 8 
— & in feit einigen Tagen die erſte ruhige Stun 
der ich allein bin und die Relation meiner Reife an Dich, me 
Liebe, fortfegen kann. — — Am Freitag befuchten wir i 
nem KRabriolet das Schlachtfeld von Waterloo — und ich 


14. Un feine Gattin. 559 


bier dieſe ewig denkwürdigen Gefilde, Hügel und Punkte, — 
insbefonders zeichnete fi mir die hohe, waldbewachſene Anhöhe 
aus, auf der man rundum viele Meilen weit ficht, wo Napo—⸗ 
Icon, der Fürſt der Schlachten, feinen Thron aufgeſchlagen, den 
er bier verloren. In ſchwüler Mittagshige liefen wir >— 4 
Stunden auf den Wegen herum, wo unter jeder Scholle Taps 
fere begraben liegen. — Sonnabend fahen wir die Gemäldes 
Gallerie, fpazierten im Parke, befuchten die St. Gudula⸗Kirche, 
befahen ihre ſchönen Fenſter, die ſchönſten, die ic) je gefehen, — 
ihre Gemälde, Mearmorftatüen u. ſ. f. — Sonntag früh ging 
noch mit Ausgehen, Kirchenbeſuch, Einkauf für Did, meine 
Liebe, und Einpaden hin, und um 3 Uhr fuhr ic) mit Herrn 
van Ghert, der die Freundſchaft, und zufälligerweife auch als 
Retonvalescent von einer Krankheit, die Muße hatte, mich zu 
begleiten, — nad) Ghent. — Hier fahen wir am andern Mor- 
gen die ſchöne Kathedrale, einige andere Kirchen, umd wohnten 
dann dem Akte der Uebergabe des Rektorats der Aniverfität bei, 
was bis 1 Ahr dauerte, afen dann gefhwind zu Mittag, und 
fuhren um halb 3 Uhr in einem Kabriolet hierher, wo wir geftern 
nach 10 Uhr, gerade über von bier, an dem andern Ufer der 
Schelde anfamen. — — 

Dod ich muf abbreihen — es i 8 Uhr Ubends, um 9 
- Uhr geht die Diligence, muf einpaden — in 19 Stunden kommt . 
fie in Amflerdam an. 


. Breda, den 9. Okthr. 

Id habe, flatt gerade aus zu führen, der Begierde nicht 
widerftehen Tonnen, hier abzufleigen, um ein Denkmal, von 
Michel Angelo verfertigt, zu fehen — von Michel Angelo! wo 
kann man wohl in Deutfhland eine Arbeit von diefem Meifter 
fehen? — Aber um in meinem Berichte fortzufahren, fo bleiben 
wir in Flamandſch Hooft (Spige von Flandern) über Naht. — 


























Es ift, wie gefagt, eine SE 
Landfirafen find aufs ſchönſte 
Fruchtfelder, Gärten und Wirfen, Di 
bepflanzt. — Bon Aachen bis Lüttich ı 
hierher ift ung feiner begegnet; man fi 
der auf den Dörfern nur gut. er. 
fein Kind in Lumpen, keins ohne Schuhe ı * 
wir kamen durch ein Dorf von 15,000 Einwohnern 
Geſſtern Morgens fuhren wir über * 
Schelde in das große Antwerpen, wiader von 
wohnern; Ghent- hat ebenſo viel, In dieſen € 
Kirchen fehen! Im Antwerpen die weltberühmte 
im Schiff derfelben, wie in dem ——— 
3 Reihen Säulen zu jeder Seite; wie es ſich de in fü 
fig und frei herummwandelt! — Die Räume find ch . 
chenſtühlen und zu. verbaut, es ift kein Kir 
alles frei, — aber es ficht ein Saufen. von 100 € 
ftapelt, von denen ſich Jeder, der kommt, einen gebe 
von einem Altar zum andern trägt; — bier ein $ 
eine ‚Menge, immer wandelbar, kommt und Ren — 





(4 Wo, rs er 
. 1a Haag, den 9, 2). 
Es geht rafch vorwärts, ſchöne Wege, ſchöne St übt 
ſchiffe in Hülle und Fülle — weite grüne Miefen, * 
lich und freundlich, wohlhabend, — gutes Wetter - 
mer wird es weiter — und immer wird es breiter, 5 
ift der äußerſte Punkt und nun wird es wieder zuri * ‚af 
Heute Abend 8 Uhr bin ich bier. ‚angekommen, doch n 
man nicht widerfiehen. — — — 


y 5 » 
. 4 


14, An feine Gattin. 561 


Haag, d. 10. Okthr. Nachts 11 Uhr. 

Meine Schreiberei fängt an, fehr unordentlih zu werden — 
ich weiß nicht, wie ich wieder in Ordnung kommen foll, wenn 
ich Dir das noch nicht Befchriebene nachholen foll. 

Alſo zulest mar von den Kirchen die Rede. Die Kirchen, 
wie gefagt — in Ghent, Antwerpen, muß man fehen, wenn man 
erhabene, reiche Fatholifhe Kirchen fehen will, — groß, weit, 
gothiſch, majeſtätiſch, — gemalte Fenfter, Cdie herrlichfien, die 
ich je gefehen, find in Brüffel); an den Säulen marmorne Sta- 
tuen in Lebensgröße, in einige Höhe geftellt, Tiegend, figend, — 
zu Dusenden; — Gemälde von Rubens, van Dyck und ihren 
Schülern, große Stüde, herrliche darunter zu zwei bis drei Du— 
genden in Einer Kirche; Marmorfäulen, Basreliefs, Beichtflühle 
ein halbes oder ganzes Dugend, in der antwerpner Kirche — 
jeder mit vier lebensgroßen, vortrefflichen holzgefchnigten Bildern 
geſchmückt, — (ih habe an den englifchen Gruß in Nürnberg 
gedacht)) — die Rathhäufer eben fo eigenthümlich gothifch. Wir 
find in Antwerpen 4 Stunden Vormittags auf den Beinen ges 
wefen; — ich habe feit acht Tagen viel gefchwist, bei Waterloo 
dacht’ ich, daf cs doch nicht ganz fo viel gewefen feh, als die 
Franzofen und die Alliirten gefchwigt haben. In Antwerpen 
trennte ich mid) von meinem lieben freund van Ghert, er ging 
nach Brüffel zurüd, mit dem Auftrag, nachzufragen, ob nicht 
noch Briefe von Die angetommen find, und fie mir nad Am— 
flerdam zu ſchicken 

fo Abends, nachdem ih an Dich gefchrieben, auf dem 
Magen nad) Breda, — dort das herrliche Wert von Michel 
Angelo gefehen — cin Maufoleum. Sechs lebensgroße Figuren 
von Mabafter — ein Graf und feine Frau, liegend im Tode, 
und vier Figuren: Julius Cäfar, Hannibal, Regulus und ein 
Krieger fichen gebüdt an den vier Eden des ſchwarzen Steins, 


worauf jene liegen, und tragen auf den Schultern eben einen 
Vermiſchte Schriften. 36 


562 IX. Briefe, 


ſolchen ſchwarzen Stein — berrlihe, geiftvolle Arbeit des gröf- 
ten Meifters, — 

Bon Breda fuhr ih Morgens um 10 Uhr mit einer Di- 
ligence weiter, denn es gehen täglich drei von Antwerpen nad 
Amfterdam, eben fo drei zurüd; — nad) Paris von Brüffel 


Paris für 25 Franken, welche Verſuchung! wäre es nicht fo fpat 
in der Jahreszeit gewefen, und außerdem, — hätte ih Nachricht | 
von Dir gehabt, — würde man einer folhen Verſuchung haben 
widerfichen können? Run aber von Breda ging’s geſtern im ei- 
nem fort, — fruchtbares Land — bis Mördyk, von da im 
Dampfboot über eine Bucht des Meeres, 4 Stunde breit, — 
Dein lieber Freund, der Südweft, der mir fo lange ſchön Wet 
ter gebracht, half auch zu befferer Ueberfahrt; bier kamen Schiffe 
von weitem, ein flolzer Dreimafter, wie ein Sultan; majefläti- 
fer, weiger Turban, ebenſo gefhwollenes weißes Mlittelkleid, 
dann weißes, weiteres Anterkleid, und ein Mantel binterdrein, 
wie Figura zeigt. Don hier nad Dortredt, — große Seeftadt, 
vierzig, oder Gott weiß, wie viel taufend Einwohner; — von 
bier im eigentlihen Holland, — alle Häufer aus röthlichen 
Badfteinen, mit weißen Linien; feine Kante, keine Ede gebröf- 
kelt oder abgefiumpft, — ſchöne Kanäle, mit Bäumen beſetzt, 
durch die Stadt gehend, Alles voll großer Schiffe; — dann 
wieder nad) 3 Uhr über die breite Maas; dann um 5 Uhr in 
Rotterdam; melde große Stadt! wiederum dann durd Delft 
und nad einer halben Stunde in das ſchöne Haag. Haag ift 
in der That ein Dorf — allenthalben ſchöne grüne Wiefen, 
Gemüfegärten, fo ſchön fie Frau Voß nur halten kann, mit 
Reihen Bäumen unterbroden und mit MWaffergräben von der 
Chauſſee, neben der immer ein Kanal geht, von einander abge— 
fpnitten, — überall Vieh darauf, — lauter ſchwarz⸗ und weiß- 
ſcheckiges; man ficht Abends auf den Wieſen Leute, die die Kühe 
melden; man reift unter lauter Potter’s und Berghem’s, — 


14. An feine Gartin. 563 


Heute Vormittag zum Thor hinaus in einen Wald, wie der 
berliner Thiergarten, nur ſchönere Alleen von Buchen und Ei- 
hen, Fein Gefträuh — lauter Hoch- und Laubwald; — eine 
Stunde nad) Scheveningen, bier die unbegrenzte Nordfee — 
mein Freund Südweſt blies heftig und brachte die ſchönſten 
Wellen. — Dann die Gallerie gefehen, Nachmittag im ſchönen 
bois fpaziert, ſchöner als die Aue bei Eaffel, hertliche Waffer- 
ſtücke; — dann doch einmal cine franzöftfche Komödie und zwar 
drei in Einem Abend gefehen; ich mufte ausruhen, denn id) bin 
viel gegangen und geftanden; — in der Gallerie ift ein würtem- 
berger Infpettor, — ſchöne, fehr ſchöne Saden. — Ih habe 
heute vor dem Spiegel mein Halstuch angezogen und gefehen, 
daß ich, wie ich glaube, magerer geworden bin, denn ich habe 
viel Fatiguen gehabt, — aber ich bin fonft geſund und rüflig 
und wohl auf; auch mit dem Gelde geht's nod) gut, — verlo- 
ten hab’ ich, glaub’ ich, auch noch nichts, und ärgere mich faft 
darüber, denn in etwas muß man Unglüd haben, — id) rechne 
aber, daf ich Alles darin büße, daß ich keine ‚Briefe von Dir 
pa - — 


1 Amſterdam d. 12. Okthr. Abende. 

—* Erſte, daß ich Deinen und des lieben Karl's Brief 
heute hier auf der Poſt vorgefunden — mit unſäglicher Freude! 
ich kann Dir nicht ſagen, wie ich gerührt worden bin, über 
diefe glücklichen und erfreulichen Nachrichten von Dir. Endlich 
nun Gottlob! dieſe Erleichterung! Nun mit froherem Herzen 
noch die Relation. Alſo Heute früh um 7 Uhr auf die Dilis 
gence, — durch Harlem hieher; meld ſchönes Land! das ift ein 
Sand zum Spazierengehen, überall grüne Wiefen mit frobfattem 
Vieh, ohne Geifeljungen hinter ſich — Luftwälder von Eichen, 
Buchen; Landhäufer — (Holland ift das bevölkertſte Sand von 
der Welt, doch auf dem platten Lande wenig Dörfer), Brabant 
hingegen ift ein Fruchtland voller Dörfer. Harlem reinlich, 

36 * 



























a "Bor allem habe ih Dir ———— 
über die Pünktlichkeit Deiner Briefe, di tig, 
vr, mein Reanien über dm Ja iv 
freundlichen Inhalt der, Liebe! dann den b 
fern Sachen und Umflände — zu ——— 
Das Arrangement mit unſerer Wohnung g 
ſo ſehr für mich zur Zufriedenheit, als ge 
ich ſehe und weiß, wie ſehr es Dich befriedigt. 2 J 

Bedürfniß der Bequemlichteit immer flärfer zu fühle ion f 
. und auf dieſer Reife noch etwas weiter dar ei 
den, bin befonders zufrieden damit, Du | 
‚den ‚Kontrakt auf zehn Seins as geaedrndah oſo I) | 
habe Dir, — — hätte das 
Amt Deines Schirmvogts, (doch das iſt nur chwäb 
Titel = es iſt das Amt, die Frau ‚debh q gege 
ORDER re: it an 
m Alles was Du foreibf, ih gut gethan. — Ich will 
am Kupfergraben leben und flerben; — ſieh' du zu, 
lange Du akkordiren willſt. — Nun aber auch von. 
‚Reife; — aus Brüſſel habe ich Dir gefäriet 
‚Briefe wirf-Dn finden, wann wir abgereif’t, — i »ala 
hr war Diontag, nachdem wir Abends vorher die Jllumination 
den erſten Ausgang der Königin — mit at 


14. &n feine Garn. N ‚619 
zuerft über Löwen nad Lüttich — ein reiches Land — den: ans 
dern Tag nady Aachen, wo wir mit Lichtern den Dom gefehen 


und uns auf Kaifer Karls Stuhl abermals gefegt, dann nah 


Cöln — beides Tleine Tagereifen — von Lüttich nad Aachen, 
befonders reiche grüne Gründe, — im Lüttid wie in Löwen und 
Ghent — find ſchöne Univerfitäts-Gebähde; — wir haben ung 
auf diefen Univerfitäten umgefehen, als einem dereinfligen Rus 
beplag, wenn die Pfaffen in Berlin mir felbft den Kupfergras 
ben vollends verleiden; die Kurie in Rom wäre auf jeden Falt 
ein chremmertherer Gegner, Alſo Mittwochs Nachmittags in 
Eöln angetommen, glei) Deinen lieben Brief abgeholt, — das 
bei erfahren, daß die Schnellpoft erſt Freitag, d. i. heute, mad) 
Eaffel geht — dann noch, — flatt den Donnerftag im diefer 
‚alten, häßlichen Stadt Merkwürdigkeiten aufzufuchen, einen Ab⸗ 


ſtecher nach Bonn gemacht, den lieben, alten Freund Windifche 


mann meiner Seits — und dann gemeinſchaftlich den Herrn 
v. Schlegel — zuerſt fein Haus mit Gewalt— und da er 
endlich da heraus gekommen — ihn mit aller Kordialität umd 
Munterkeit beſucht; — die gute oder vielmehr höchſt ſtattliche — 


und behagliche Einrichtung dieſes Hauſes — bis auf Hühnerhof 


und die Pfauenſtange und deren Anſtrich und Veranftaltung — 
verfpare ich auf die mündliche Beſchreibung. — Wir hätten in 
Bonn freilich mehrere Tage gemüthlich und ernſthaft Cwozu wir 
jedoch überhaupt nicht aufgelegt) und intereffant zubringen kön— 
nen. — — Daf wir den heutigen Vormittag mit abermalis 
gem Beſuch des erhabenen Doms, der wallraff'ſchen Sammlung, 
Beſichtigung der ferbenden Maria u, f. f., Auſterneſſen, Mofel- 
weinteinten u. f. f., nützlich zugebracht, — muß den Schluß. ma⸗ 
ben, mit dem Beifage, dag ich dann allein Mittags hieher 
mit nochmaliger Weberfegung der in Studententabafs- 


pfeifengefelffepaft‘ gelang. ER —W 


Auf dieſem neuen Blatte: aber far ich Alles "in das! Eine 


[m 





Nachtrag zu den Briefen. 


— 


Vermiſchte Schriften. * 





X. Rachtrag zu den Briefen. 


1. Au ben Stubiofug Sellmann *, 
Jena, d 23, Januar 1807, 

Tore gütige Zufchrift v. 18.Novbr. 1806 habe ich erft fpät im 
December, und zwar in Bamberg, erhalten, wohin id auf ei= 
nige Wochen gereift war; die Rüdreife und andere Gefchäfte 
haben die Antwort von meiner Seite vemsoern worüber ich Ih⸗ 
nen meine Entſchuldigung mache. 

Es hat mich gefreut, daß Sie mein —— in Ihrer 
Abweſenheit bewahren, noch mehr, daf Sie diefen Winter der 


Einfamkeit und dem Studium der Philofophie widmen. Nod 


ift Beides ohnehin vereint; die Philofophie ift etwas Einfames; 
ſie gehört zwar nicht auf Gaffen und Märkte, aber noch iſt fie 


von dem Thun der Menſchen fern gehalten, worein fie ihr In- - 


tereffe, fo wie ven dem Wiffen, worein fie ihre Eitelkeit Iegen. 
Aber auch Sie zeigen ſich auf die Gefhichte des Tages aufmerk⸗ 
fam; und in der That kann cs nichts Ueberzeugenderes geben 
als fie; davon, daß Bildung über Rohheit und der Geift über 
geifllofen Verſtand und Klügelei den Sieg davon trägt. Die 
Wiſſenſchaft ift allein die Theodicee; fie wird eben fo fehr davor 
bewahren, vor den Begebenheiten thierifch zu flaunen, oder Flü> 


*) Chriftian Gotthilf Zellmann, eines Bauern Sohn aut dem Eifes 
nach'ſchen, gehörte zu den Alteften Schülern Hegel’, ftarb aber leider 
fdyon im Fahre 1808, 

40 * 
























68 — 
gererweiſe ſie Zufälligkeiten des A 
eines Individuums zuzuſchreiben, 
einem beſetzten oder nicht beſetzten —* 
als über den Sieg des Unrechts und die N 
zu Magen. Was gegenwärtig verloren un dar 
— ein Gut oder göttliches Recht bi 
wie ſie Das, was erworben. wird, dagegen mit bi sen © Gewiſt 
befigen werden. So falſch ihre — echte Be 
(a0, en Di eieung von ben ERIGEER EMEEE it 
Subflanz und die Kraft des Geiftes ausmacht; fi 
folden Umfländen, die bis zum gänzlich Lächerlicheng 
überfehen. das, was ihnen am nö Tg, und | a 
dortreffliche Stügen, was fle gerade in d 
Die franzöſiſche Nation ift durchs ® 
nicht nur von vielen Einrichtungen befreit m 
Meenſchengeiſt als über Kinderſchuhe Haie m 
auf ihr, wie noch auf den andern, als ge gei 
fondern auch das Individuum hat die J 
das Gewohnbeitsleben, das bei Verändern 
men Halt mehr in ſich Hat, anna; if 
Kraft, die fie \ ‚gegen andere beweiftt. Sie la 
fenheit und Dumpfbeit diefer, die, endlich gem 
heit gegen die Wirklichkeit aufzugeben, int 
vielleicht, indem die Innerlichteit 1 * q 
wahrt, ihre Lehrer übertreffen werden, KA =. 
WVonm Katpolicismus ift fürs nördliche D 
nichts zu fürchten. Intereſſant würde sn den, n 
Punkt der Religion zur Sprache rame, und ar 1 Ende 
es wohl dazu kommen. Vaterland, d „Verfaſſ 
ſcheinen nicht die Hebel zu feyn, das 
bringen; es ift die Frage, was erfolgte, wenn 
rührt würde. Ohne Zweifel wäre — 
dieß. Die Führer ſind vom Volke getrennt, B 


an 





— 
— 


— — ——— 


1. An Zellmann. — 2. An Knebel, 629 


gegenfeitig nicht, was die Erfteren zu leiften wiffen, hat diefe 
Zeit ziemlich gelehrt, und wie das Legtere es treibt, wenn es 
für fih handelt, werden Sie aus Ihrer Nachbarſchaft am beften 
gefehen haben. 

Leben Sie wohl, Rn Sie Ihren Freund Köhler viel⸗ 
mals; cs wird mid) freuen, Sie bald wieder ‚hier zu ſehen. 
Mit Ihrer Schuld machen Sie es nach Bequemlichkeit. Ich 
bin mit Hochachtung Ihr ergebener Freund 

Segel, 
D. und Prof. d. Phil. 


2. An Tinebel. 
Bamberg, den 30, Aug: 1807, 
— — Bon Zeit zu Zeit habe id vernommen, daß Sie 
und Ihre gefhäste Familie fi wohl befinden, und ob Sie 
gleich diefes Frühjahr noch von einem harten Schlage betroffen 
worden find, fo werden Sie doch aud davon fid wieder erholt 


haben und im der Befferung des allgemeinen Zuflandes mitges 


gangen feyn, der doch wenigſtens gemäßigt und fo geworden iſt, 
daf wir es ertragen können. Es ift ein Hauptzweck diefes 
Schreibens an Sie, Sie um Nachrichten von fih und Ihrem 
Thun und Ergehen zu bitten. Was ich, und warum ih es 
treibe, wiflen Sie. Sie wiſſen auch, daf ic) immer einen Hang 
zur Politit hatte. Diefer hat fi) aber beim Zeitungsfchreiben 
vielmehr geſchwächt, als daß er dadurd Nahrung gefunden hätte, 
Denn ich habe hierbei die politifchen Neuigkeiten aus einem ans 
dern Geſichtspunkte anzufehen als der Lefer, Diefem ift der 
Inhalt die Hauptfahe, mir gilt eine Neuigkeit als Artikel, daß 
er das Blatt füllt. Die Verminderung des Genuffes, den bie 
Befriedigung der politifchen Neugierde gewährt, wird jedod) durch 
Anderes erfeht; das Eine ift der Ertrag, — ich habe mich durch 
Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel über- 












König der Schweiz wird; — vr Ari a 
Oeſterreich ift ohnehin eine befannte © 
Laſſen Sie eine ſolche Mittheilung ni 
eingemeit in Die Döbere Politik, wären im A 
ME TER >as zu erhel 
der Soche in id wat au 3 
— — 


fehlt es. nicht, — es reift doc hier und da ein Dan 
Oder der Gefandte Herr Reinhard, Sm 
Samilie, vornehmlich das. neue 5 i 





14. An feine Gattin. 573 


D. Parthey fragte, fand ſich's, daf das junge Ehepaar und 
Klein mit Frau bier logire, aber fo chen aus waren; — ich 
den Lohnbedienten angenommen und im Reifefhmus (das dell, 
eifen liegt noch auf der Mauth, um 7 Uhr war ich im Wirths— 
haufe angefommen), um 48 — in die italienifhe Oper — Stüd 
von Mercadante — melde Männerflimmen! Zwei Tenore, 
Rubini und Donzelli, welche Kehlen, welhe Manier, Lieblich- 
keit, Bolubilität, Stärke, Klang, das muf man hören! — ein 
Duett derfelben von der höchften Forge. Der Baffift Lablache 
hatte keine Hauptrolle, aber ſchon hier, wie mußte ich feine fchöne, 
Bräftige, eben fo Liebliche Bafftimme bewundern, Ja, diefe Män— 
nerfimmen muß man hören, das ift Klang, Reinheit, Kraft, volls 
kommene Freiheit u. ſ. f. u. f. f. Sie haben auch eine deutfche 
Sängerin, Mile. Ederlin, die ſchöne, volle, ſtarke Mitteltöne 
bat, die mid an Mad. Milder erinnerten, do nur Mad, Mils 
der könnte es mit jenen drei Männerfiimmen aufnehmen und 
fie im Zaume halten. So lange das Geld, um die italienifhe 
Dper und die Heimreife zu bezahlen, nicht ausgeht, — bleibe 
ih in Wien! Nach der Oper und einem Pas de deux von 
zwei Parifern — (Alles fo gut wie die Berliner, — wenn die, 
Berlinerinnen nur einen rechten Winkel ausftreden, — fie bis 
zum flumpfen) nad Haufe, wo ich zu unferem gegenfeitigen herz» 
lichen Vergnügen Lilli und Klein fand; das ift mir nun recht 
angenehm, fie bleiben diefe Woche hier und wir haben uns ſchon 
engagirt, mit einander herum zu ziehen; fie waren verwundert, 
daf ich aus der italienifchen Dper komme, fie find feit drei Tas 
gen alle Abende im Eafperl und deutfhen Schaufpiel geweſen 
und haben nod nicht die italienifhe Oper gefehen!! und noch 
nicht gehört!! Diefen Morgen geht's auf Belvedere, auf die 
Poft — Briefe von Dir zu holen, auf die Mauth, — —* 
gelegenheiten zu berichtigen. 

Mittags, — So eben komme ich von der Bildergallerie, 
Welcher Reichthum, welche Schäge! heute kaum einen flüchtigen 





14. An feine Gattin. 575 


Hervorbringen der Töne, nicht feine Lektion aufgefagt, — fon= 
dern da ift die ganze Perſon darin; die Sänger, und Mad. 
Fodor insbefondere, erzeugen und erfinden Ausdrud, Koloratu- 
ren aus fich ſelbſt; es find Künſtler, Kompofiteurs, fo gut als 
der die Dper in Muſik geſetzt. Sra, Eckerlin (deren fhöne Ges 
ftalt und herrliche Stimme mic zuerft an die Milder erinnerte) 
— vermag-als eine Deutfche es nicht, ihre Seele ganz auf die 
Flügel des Gefanges zu legen, und freimüthig ſich in die Me— 
lodieen zu werfen, fie würde ſchon jegt viel leiften, wenn fie 
diefe Energie des Wollens hätte, — Diefe Italiener find nur 
den Sommer bier; — Du muft Dir nämlich vorflellen, daf 
die Elite von ganz Italien hier if, und Klein und Parthey nichts 
befferes dort hören können, wie auch der legtere noch nichts ders 
gleichen in Italien gehört hat, 

Vom Neufern Wiens kann ich nod nichts — * ich 
bin noch nicht in's Aeußere gekommen, vor allen müffen die 
Kunftgefhäfte abgethan werden, — Im Innern übrigens zwis 
fhen Stadt und den Vorflädten, anmutbige Spazierwege, grün, 
friſch noch, nicht herbftlich wie in Berlin, — ı ungeheure Palais, 
aber ſchmale Straßen, Feine architektoniſche ſchöne Konftruttion zc. 
wie um unfern Opernplag alle find. 


Eonnabend, d. 3. Sptbr. 

— Ich habe wieder viel gehört und gefehen und fahre fort, 
Dir fo getreulich zu referiren wie bisher. — 

Ich bin beim Donnerftag Vormittag ſtehen geblieben, wo 
ich die zoologifhe Sammlung ſah; — fehr ſchön aufgeftellt und 
rei; — die Auffcher find alle mit berliner Profefforen in Vers 
bindung, und id) als Kollege, als der ich mic bekenne, bin ſehr 
freundlid) aufgenommen, — überhaupt find alle Aufſeher höchſt 
gefällig und dienfifertig, — rechte brave und kenntnißvolle Leute. 
Um den Nachmittag kam id) durd ein Manöuvre, dem ich bei— 








580 ER Beife 

Um zu Ende zu kommen, fo bin ich Abende — wo? in 
Figaro’s Hodzeit von Mozart gewefen. — Die italienischen 
Kehlen hatten im diefer gehaltneren Mufit nicht fo wiele Gele 
genheit, ihre brillanten Touren zu entwideln, aber-für ſich, mit 
welcher Bolltommenheit wurden die Arien, Duette2c. 26, beſon⸗ 
ders die Necitative gegeben, — letztere find ganz die eigenen 
natürlichen Schöpfungen des Künftlers; — Lablache welch ein 
Figaro! Fodor — Sufanna, Sgra. Dardanelli — die Gräfin; 
ich ſaß die Mal näher bei'm Theater, als das erfie Mal, da 
ich. fie ſah; — weld eine ſchöne Frau, ein lieblicher italienischer 
Kopf, und eine Ruhe, Nobleffe und Haltung und Aktion — 
fehr lieblicher ſchöner Anftand, — faft wäre id) in Deinen Fall 
gekommen und hätte mich im diefe Frau verliebt! fie iſt in der 
That höchſt anmuthig. Donzelli als Graf — ſtach ziemlich ge— 
gen fie ab; foldhe Situationen find nicht gut für ihn . 

Dienftag, den 29. Geſtern Vormittag sin der fürftlich lich— 
tenfteinifhen Sammlung, — der herrlichfte Palaft und die herr 
lichſten Schäge! — was hat man aud da Alles zu fehen! Nach— 
mittag nod die czerminifhe Sammlung — aud) bier. einige 
Trefflichkeiten; — Abends aud einmal in’s Burg» Theater in 
das höhere Schaufpiel; fehr großes Haus, ziemlid voll; Anfchüg, 
den ich vor mehr als 25 Jahren gefehen, gereift, vorzüglicher 
Akteur, die Anderen mit guten Parthien umd Seiten — 9— 
laſſen zu wünſchen übrig. — 

Ich lege noch ein-Blatt an und fehreibfelige noch — 
obgleich matt und müde — von ganz tägigem Stehen und Ge— 
hen in der eſterhaziſchen Gallerie und in Schönbrunn, wo ich 
gegeſſen; da in einer halben Stunde die italieniſche Oper be— 
vorſteht, kann ich nicht mehr von dem Einzelnen ſprechen, das 
müßte eine zu große Relation: werden; nur dieß, daß es geftern 
Vormittag ſich aufgehellt, umd heute das. fhönfte-Wetter von 
der Welt iſt, nicht zu heiß, Befländigkeit verſprechend. — Fleiſch 
und Blut hat gefämpft mit dem Willen — Freitag, d, 1. Ot⸗ 


414. An feine Gattin. 581. 
tober von hier abzureifen; Du giebft mir jedoch die Erlaubnif, 
länger auszubleiben, — ich habe im Strudel Alles gefehen, ges 
offen, bin fleifig gewefen, den ganzen Tag auf den Beinen, 
und noch if fo viel zu fehenz; — um das Gute zu behalten 
und mir einen Schag der Erinnerung zu fhaffen, muß ich es 
nun noch einmal chen, — die italienifhe Oper freilich ſehe ich 
nicht erft zum zweitenmale; die ſchöne, unendlich mannigfaltige, 
liebliche Gegend babe ich heute * * in ginn 


Sonnenfchein verfhmedt. — u) an) nm 
V VV — a EI 722777 
Trrlanff en - ee 

ir ua a ar 

- Mittwoch, den 29. Septhr. 


ng: fange fogteih wieder an, mo ich es geſtern gelaſſen 
* um nicht in Nückſtand zu kommen, — in einer ſo reichen 
Welt wächſt der Stoff unter der Hand — ich muß mich ſum— 
marifch verhalten. Wie viel zu fehreiben wäre, wirft Du ſchon 
daraus erfehen, daß eine ſolche Gemälde Gallerie, wie die beis 
den, die fürftlich Lichtenfteinifche und die fürftlich efterhazifche — 
jede für fich eine Stadt berühmt maden und für fih eine Reife 
von 100 Meilen verdienen würden; — jede it in einem präch⸗ 
tigen Palafle, der mit anmuthigen Gärten umgeben, vonder 
ſchönſten Ausficht. Für die Marmör- Treppe im fürſtlich liech— 
tenfteinifchen Palais wollte Kaifer Franz 180,000 Fi bezahlen, 
— Schäse von Gemälden, die zugleih aufs liberalfte. dem 
Publikum offen fiehen. Jeder diefer beidew Fürſten hat einen 
eigenen Galleriedireftor und Aufwärter; — Fein Zrinfgeld wird 
gefordert, — doch ich gebe eins, — denn ich mache den Leuten 
mehr zu thun, komme auch an Tagen, wo die Gallerien gefperrt 
find, Vor⸗ und Nadmittag bis 6 Uhr; — auch ſonſt iſt Alles 
aufs bequemfte eingerichtetz — ſie flüchtig durchzugehen, — 
wenn man. nicht ‚gerade durchrennt, fondern Hauptbilder näher 
betrachtet, mit Uebergehung der anderen, — erfordert 3— 4 Stun⸗