HANDBOL'ND
AT THE
UNIVERSITY OF
TORONTO PRESS
G R R M A N I A.
V I ERTELJAHRSSCHRIFT
DEUTSCHE ALTKKTHUMSKUNDE.
HERAUSGEGEBEN
FRANZ PFEIFFER.
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WIEN.
VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN.
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INHALT.
Seite
Der Dichter der Erlösung. Von Karl Bartsch 1
Raparius. Von Adolf Wolf 43
Wolframs Parzival und seine Beurtheiler. Von San-Marte 55
Über Nicolaus von Jeroschin. Von Fedor Bech 74
Der goldene Baum in mittelhochdeutschen Gedichten. Von I. V. Zingerle . . 101
Heinrich von Rucke. Von Franz Pfeiffer . . 110
Becherinschrift. Von I. V. Zingerle 112
Zu Hartmanns Erek. Von Wilhelm Müller 12!»
Über Christians von Troies und Hartmanns von Aue Erec und Enide. Von Karl
Bartsch 1-11
Zum Märchen vom Zaunkönig. Von Demselben 185
Der Rhein und andere Flüsse in sprichwörtlichen Redensarten. Von I. V. Zingerle 187
Griechische und deutsche Sagen. Von Karl S c h e n k 1 :
1. Das Märchen vom Schlauraffenland 193
2. Die Flunder 195
3. Frau Holle —
Zum Nibelungenliede. Von Adolf Holtzmann 196
Mitteldeutsch. Von Franz Pfeiffer 226
Zu den Büchern Mosis. Von Johann La m bei 230
Zu den deutschen Appellativnamen. Von Reinhold Köhler 235
Zum Raparius. Von Adolf Mussafia 237
Althochdeutsche Glossen. Von Karl Bartsch 239
Was Minne sei. Von I. V. Zingerle 241
Die Partikel A. Von Demselben 257
Kleinere Mittheilungen. Von Karl Bartsch:
1. Ein althochdeutsches Bruchstück 267
2. Saute Margareten Marter 268
3. Zur Gudrun 270
4. Zum Jüngern Titurel 271
5. Zum Lohengrin 274
6. Zur geistlichen Dichtung 276
Zu Karajans Sprachdenkmalen des XII. Jahrhunderts. Von Karl Bartsch . . . . 278
Das niederdeutsche Hildebrandslied. Von Demselben 284
Zu Wolfram von Eschenbach. Von Fedor Bech 291
Zu Eulenspiegel. Von Reinhold Bech stein 304
Seite
Zu Wernhers Marienleben. Augsbiirger Bruchstücke. Herausgegeben von Benedikt
Greiff '. 305
Drei Predigten aus dem XIII. Jalirbiuidert. Von Franz Pfeiffer 330
Adams Erschaffung aus acht Theilen. Von Reinhold Köhler 350
Über Johannes Rothe. VII. Von Fedor Bech 354
Gold, Milch und Blut. Mythologisch. Von E. L. Eochholz:
1. Das goldene Zeitalter 385
2. Das Milchmeer 392
3. Das schreiende Blut 413
Zu Hartmauns Erek. Von Fedor Bech 429
Über die Herleitung des Namens Baier. Von Conrad Hofmann 470
Die Erde als jungfräuliche Mutter Adams. Von Reinhold Köhler 476
LITTERATUR.
Recensionen:
Carolus Müllenhoff, de carmine Wessofontano etc. dissertatio. Von Karl Bartsch 113
1. Das Rolandslied, übersetzt von W. Hertz. 2. Roland, traduit par P. Jonain.
Von Adolf Mussafia 117
Neues Hausbuch für christliche Unterhaltung. Herausgegeben von Dr. L. Lang.
Von I. V. Zingerle 128
1. The story of Burnt Njal. By G. W. Dasent. 2. Islenzkar bjodsögur og a;fintyri.
Safnadhefir Jon Arnason. Von K. Maurer 247
Des Sachsenspiegels erster Theil oder das sächsische Landrecht, herausg. von C. G.
Homeyer. Von Heinrich Siegel 252
Die deutschen Gesellschaftslieder des XVI. und XVII. Jahrhunderts, gesammelt von
Hoffmann von Fallersleben. Von J. M. Wagner 253
Alfons Huber, die Waldstätte Uri, Schwyz, Unterwaiden etc. Von I. V. Zingerle 254
Frankfurter Sagenbuch, herausg. von Karl Enslin. Von Demselben. . . . . . —
Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen, von Wilh. Körte.
Von Demselben 255
J. I. Schneider , systematische und geschichtliche Darstellung der deutschen Vers-
kunst etc., von Karl Bartsch 367
Reisen des Joh. Schiltberger aus München in Europa, Asia und Afrika von 1394
bis 1427, herausg. von K. F. Neiunann. Von Reinhold Köhler 371
J. V. Grohmann, Apollo Smintheus. Von I. V. Zingerle 380
I. E. L. Rochholz, Naturmythen. 2. AI. Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus
den fünf Orten. 3. J. J. Vonbim , Beiträge zur deutschen Mythologie. Von
Demselben 381
Der Minne Regel von Eberhardus Cersne aus Minden , herausg. von F. X. Wöber.
Von Fedor Bech 481
Esopus von Burkhard Waldis, herausg. von Heinr. Kurz. Von Felix Lieb recht. 497
■••■■
DER DICHTER DER ERLÖSUNG.
VON
KARL BARTSCH.
Wie so viele, namentlich geistliche Dichter, hat der Verfasser der
Erlösung seinen Namen uns verschwiegen, auch nicht in der beliebten
Weise des Akrostichons einen Fingerzeig zur Auffindung desselben
gegeben. Vermag ich ihn auch nicht zu nennen, so kann ich ihn doch
als einen in unserer Litteraturgeschichte schon bekannten nachweisen,
indem ich ihm ein anderes Werk zuschreibe , das ihn in den Augen
der Litteratnrfreunde vielleicht höher stellen wird als die Erlösung. Es
ist dies Werk kein anderes als das Leben der heiligen Elisabeth, von
welchem Grafts Diutiska 1, 343 — 489 einen Auszug gegeben hat. In
der Einleitung zur Erlösung S. XXII — XXIV habe ich nachzuweisen
gesucht, daß die in Haupts Zeitschrift 5, 515 — 564 abgedruckte „Marien
Himmelfahrt" den Dichter der Erlösung zum Verfasser hat, dabei aber
schon auf einige Verschiedenheiten aufmerksam gemacht, die eine solche
Annahme nur unter gewissen Umständen gestatten *). Mag es bei
„Marien Himmelfahrt" noch immer zweifelhaft bleiben oder wenigstens
ein vollständiger Beweis nicht geführt werden können (ich werde im
Verlauf der Untersuchung weitere Übereinstimmung und Verschieden-
heit hervorheben), so ist dies , glaube ich , bei dem Leben der h. Eli-
sabeth vollständig möglich. Wir müssen zuerst die mundartlichen
Eigenthümlichkeiten, ferner den Versbau und die Reimart, sodann ge-
wisse charakteristische Worte und endlich ganze Verse und Stellen mit
einander vergleichen.
*) Das von mir für oberrheinisch erklärte Mute: niu/e (= nihte, Hs. hude: nude)
ist, wie mir Weigaud mittheilt, auch hessisch , widerspricht also nicht der Heimat der
Erlösung.
GERMANIA VU. \
2 KARL BARTSCH
I. Die Sprache. Daß der Dichter der heiligen Elisabeth Mittel-
deutschland angehört, bezweifelt niemand: schwieriger scheint es die
nähere Heimat zu bestimmen. Wackernagel (Literaturgeschichte S. 164)
hält ihn für einen Thüringer: soviel wir aber von nachweislich thürin-
gischen Dichtern und Dichtungen kennen , weichen sie von der Elisa-
beth bedeutend ab, namentlich fehlt dieser ein untrügliches Zeichen des
thüringischen Dialektes, die Apocope des e im Infinitiv. Mit größerem
Rechte dürfen wir Hessen als Heimat des Gedichtes ansprechen : darauf
weist Marburg, das in der Verehrung der Heiligen und auch im Ge-
dichte eine so bedeutende Rolle spielt; darauf die Mundart der noch
jetzt in Hessen (Darmstadt) befindlichen Handschrift *); darauf endlich,
wenn auch die Beschaffenheit der Handschriften nicht in Anschlag
gebracht wird, die Spracheigentümlichkeiten, wie sie sich hauptsächlich
aus den Reimen ergeben.
Beide Dichter brauchen a für o, nach niederdeutscher Weise (zur
Erlös. 503); in der Elisabeth sal: beval S. 393: dal 415.
e für i (zur Erlös. 5732;, vollenbr engen: ersprengen Elis. 345. ver-
brennen: hinnen (Hs. virbirneri) Mar. Himm. 781.
o für e in wollen für wellen (zur Erlös. 6499) : in der Erlösung
kein beweisender Reim, daher ich gegen die Hs. überall wellen geschrie-
ben habe. Nun bietet die Ergänzung der einen Lücke aus der Prager
Handschrift (Germania 3,471) V. 55 ir wolt: ir solt, und damit stimmt
genau der Gebrauch der Elis. S. 430 , wo solle: icolle reimt; zugleich
ein Beweis, daß das doppelte l in ersterem W'orte bereits dem Dichter
zukommt.
o für u (zur Erlös. 516) wird in der Elis. bewiesen durch Bit-
terolt: uiigedolt 349; gedolde: wolde 388. Die Nürnberger Hs. ist in
diesem Gebrauche des o für u freigebiger als der Dichter, den weni-
gen Reimen nach zu urtheilen, damit war.
o für ö in ztvolf, mochte (Conjunctiv) und ähnlichen Worten in
beiden Gedichten durchgängig (zur Erlös. 516), nach allgemein mittel-
deutschem Gebrauche, ohne daß ein beweisender Reim vorläge.
*) Die zweite vollständige Hs. in Donaueschingen (Perg. 14 Jahrh. Fol.), deren
Anfang und Schluß Scheffel, die Handschriften altdeutscher Dichtungen u. s. w. S. 13 fg.
mittheilt, trägt zwar auch mehr mitteldeutsches als oberdeutsches Gepräge, sie hat aber
nicht /.. I!. il für ( im Anlaut und Inlaut (nur wirdekeide); dagegen schließt sich das
Koblenzer Bruchstück (Mones Anzeiger 6, 54— 58) in der Schreibung wie in den Les-
arten genau an die Darmstädter Hs. an. Die beiden Quartblätter, aus denen das Bruch-
stück besteht, sind in verkehrter Folge abgedruckt, Vers I — =- ü7 muß nach V.98 — 193
kommen.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 3
u für m, ebenso allgemein: weder ö noch ü kennen die Hand-
schriften; in der Elis. begegnet ein beweisender Reim bumen (brennen):
zürnen 447.
Die langen Vocale betreffend ist zunächst der Gebrauch von a,
das vor doppeltem Consonanten zu a verkürzt wird, für e zu erwähnen
(zur Erlös. 3890): in der Elis. gelart : gehart 392; verhärten', larten 414,
zwar durch keinen Reim bewiesen (ebensowenig in der Erlösung), aber
in allen Hss. übereinstimmend, auch in der Prager, harte: larte in dem
eine Lücke ergänzenden Texte, Germania 3, 471, 33. Mehr noch be-
weist das sonst nicht vorkommende läre für lere {läre: vdre Erl. 6064:
offenhäre Elis. 392. 456) die Übereinstimmung beider Gedichte in diesem
Gebrauche.
ä für o scheint, wenn alsd und sä in den zur Erlös. 5694 ange-
führten Beispielen, wozu noch aus der Prager Hs. (Germania 3, 472)
alsd: paschd 90: da 131 kommt, nicht für also und so stehen, nicht
vorzukommen. Daß aber letzteres der Fall ist, dafür spricht die sehr
häufige Schreibung sa für so in der Darmstädter Hs. der Elisabeth.
Nun begegnet zwar in diesem Gedichte kein Reim m oder aha auf a,
wohl aber steht häufig iesd im Reime meist als Füllwort, wie in den
Stellen, die ich zur Erlös. 4346 gesammelt, und somit könnte in allen
Stellen beider Gedichte der Dichter entweder alsd oder iesd geschrieoen
haben und nur die Hss. abweichen.
e für d ; in der Erlösung fregen für fragen (zu 4325) , aber nicht
im Reime. Elis. 435 nehet {nahet): gesmehet; dagegen Erlös. 4082 nähet :
gdhet, daher wrohl nahet: gesmdhet zu schreiben.
e steht für a; allgemein in allen Hss. der Erlösung und der Eli-
sabeth, ebenfalls nach allgemeinem md. Gebrauche, aber durch keinen
Reim bewiesen (zur Erlös. 168), wie es deren sonst in den meisten md.
Dichtungen gibt (vgl. zu Herbort 113; Nicolaus von Jeroschin S. LVII
u. s. w.); aber gerade die Übereinstimmung des Gebrauches beider
Gedichte ist ein auffällendes Merkmal des nahen Zusammenhanges und
beweist uns , daß das feinhörende Ohr zwischen dem e = mhd. e und
e = mhd. a? wenigstens mundartlich einen leisen Unterschied wahrnahm *).
Eine Schwächung des 03 in e begegnet in den Mascul. auf a;re, nach
Abwerfung des kurzen e im Auslaut: Elis. 349 reimt Walther: schriber,
Erlös. 1526 nach der besseren Lesart von P dm huninc, din heiler iedoch
*) Vgl. Elis. 435, wo mazre: siccere, sere: sere als verschiedene Reimpaare unmittelbar
auf einander folgen.
1*
4 KARL BAETSCn
in armüt humit er (vgl. heiler Elis. 4401, womit die Reime Jupiter'.
Alexander Erlös. 6508, alher: November Elis. 476 zu vergleichen sind.
i für ie, was in der Erlösung mehrere Keime beweisen (zu 2020)?
findet sich auch häufig in der Dannstädter Hs. der Elisabeth in hi, wi,
di, licht, nit (= niet) u. s. w. neben dem gewöhnlichen ie, das in dem
Koblenzer Bruchstück überwiegt und auch in beiden Hss. der Er-
lösung Kegel ist. Beweisende Reime aus der Elisabeth für % ■== ie
zeigt Grafts Auszug nicht, aber eine bemerkenswerthe Übereinstimmung
haben beide Gedichte darin, daß gienc , vienc, hienc nicht auf kurzes i
reimen (zur Erlös. 2020) , was sonst bei mitteldeutschen Dichtern sehr
gewöhnlich ist (vgl. nachher über ü = uo): in den Hss. waltet nur der
Unterschied, daß die Nürnberger hier i schreibt, die Prager und die
Hss. der Elisabeth ie. Durch Contraction entsteht i in gelin für geligen
(: kunegin) Elis. 352, analog wie heget (= begebet) : gebet 463 ; in der
Prager Hs. steht eben so sen für segen , aber nicht im Reime , Ger-
mania 3, 472, 107. Vergleichen darf man auch die durch ähnliche
Contraction entstandenen i (= ie) in den zur Erlös. 2020 angeführten
Stellen.
6 für ä steht in beiden Gedichten in iesö für iesä (zur Erlös. 5694),
wenn man nicht iesö als Verstärkung von so betrachtet, wie aha = sä
(s. oben) : wie dem auch sei , immerhin ist auch hier die Überein-
stimmung im Reimgebrauche sehr merkwürdig, iesö: frö Erlös. 4727;
: Libanö 5694; iesö: frö Elis. 356- : Brundosiö 405; in der Elisabeth die
Form iesö auch häufig außer Reime, vgl. S. 404. 411. 423. 441 (zwei-
mal) und in dem Kobl. Brachst. (Anz. 6, 55) V. 49. Einmal steht ie dö:
vrö Elis. 440 und ebenso Erl. 5015 ie do: also, vgl. Anm. zu 1609.
6 für den Umlaut ce , ebenfalls in allen Hss. beider Gedichte all-
gemein, wie bei allen mitteldeutschen Dichtern, wird in der Erlösung
(zu 275) durch Reime gesichert; ebenso in der Elis. zubröde: snöde 447
und 483 da mide er icolde schone der frouwen houbet frönen mit hoher
cre chrönen, wenn man hier chrönen als schw. dat. sing, fasst (doch vgl.
vorher eine chröne: schone): richtiger ist wohl frönen = freenen und
chrönen ■= ehr w ii en. Himm. 1205 eröne: schöne (schoene).
ü steht für iu allgemein in den Hss. beider Gedichte, in der Er-
lösung durch einen Reim (zu 2330) bewiesen , ergibt sieh auch aus
einem nicht ganz unbedenklichen Reime der Elisabeth : fründe (Jriunde) :
enzunde (Präter. von enzünden) S. 403. Nicht unbedenklich nenne ich
diesen Reim, weil sonst aus keinem anderen beider Gedichte eine Kür-
zung f runde sich ergibt (Anm. zur Erlös. 93) y wohl aber frünt: sinnt
und ähnliches in der Erlösung, nünde: /runde Elis. 455 reimt, und der
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 5
Dichter wohl ebensowenig frunt als ginc, vinc, hinc und stunt (= stuoyd)
sprach.
ü für uo (zur Erlös. 93) beweisen in der Elis. (die Darmst. Hs.
hat u und ?/, letzteres aber bezeichnet keineswegs die Aussprache uo)
meist dieselben Reime, sun: tun 347, zu: du 382.467, nü: frü 409. 427.
478.: zu 412. 420. 432. 446. 456. 458. Kobl. Br. 82: iezü 442. 446.
466. 471. 486. nü: zu Himmelf. 271. 317. sun: tun oft (Erlös. S. XXII).
Das schon erwähnte stünt für stuont reimt nicht auf kurzes u, wie z. B.
bei Herbort (zur Erlös. 93), sondern nur auf üi tünt: stünt Elis. 426;
dagegen in der Himmelfahrt an vielen Stellen auf u (Erlös. S. XXII).
Ebenso steht ü für den Umlaut von uo d. h. üe. Letzteres zeigen
die Hss. gar nicht; für die Erlös, beweisen zwei Reime (zu 523), für
die Elisab. unsüze (unsuoze): filze (füeze) 366 (= Erlös. 4794); rnüwe
(müfje) ; rüwe (ruowe) Kobl. Br. 68. Daß auch hier vor doppelter Con-
sonanz keine Kürzung eintritt zeigt der Reim stünde (= stüende) : pründe
(phrüende) Elis. 392.
ou für den Umlaut öu (zur Erlös. 5110) in schouwete: erfromoete
(derselbe Reim in der Erlösung) Elis. 407. 414; ervromvet: geschouicet
421; sclwuwene: frouwene. 473.
Nicht geringere Übereinstimmung zeigt sich in Bezug auf die
Consonanten. So der Gebrauch von d für t im Inlaute, im hessischen
Dialekte sehr gewöhnlich, in der Erlösung durch zahlreiche Reime be-
legt (zu 303) und ebenso in der Elisabeth, von der zwei Handschriften
sowohl im Anlaut als im Inlaut dies d durchgängig setzen. Stade:
schade 352. rede: stede 386. 396. 418. 437. 449. 461. fride: mide 405.
friden: uberschriden 399. hdde: gnade 383 (die anderen Stellen sieh unter
haben), gnade: räde 412. 420. 434. 436. 437. 443. 445. dräde: Cünräde
395. gnaden: däden 427. zide: gesmide 355. ziden: liden 376. 416. 438.
452.463. geltden: r iden 402. döde: genode 441. 464. 472. güde: müde 362.
: lüde 357. lüden: güden 460. müder: brüder 390. 438. 483. güder: brüder
464. Vageliveide: gereide 349. bekleidet: beidct 381. scheiden: beiden 396.
scheident: beide nt 400. leide: heilikeide 408. : gereide 431. : jämerkeide 435.
477. : geduldekeide 442. eide: gereide 478. ougenweide: geleide 410. be-
rieden : schieden 402. : sieden 425. schieden : genieden Kobl. Br. 6G- In
der Himmelfahrt kein beweisender Reim , aber die offenbar in Hessen
geschriebene Handschrift, die noch dem 13. Jahrhundert angehört,
zeigt dies d durchgäno-io-. In diesem Umfange kennen den Gebrauch
nur wenige Dichter (Heinrich von Veldeke vielleicht ausgenommen,
dessen Mundart aber in anderen Punkten wesentlich abweicht), Herbort
gar nicht, ebensowenig Hermann von Fritslar.
g KARL BARTSCH
Den Übergang von g in h vor t im Präter. und Particip von legen,
verbunden mit einem Rückumlaute (Iahte, geiaht), haben mitteldeutsche
Dichter selten (das mhd. Wörterbuch führt nur Stellen aus der Himmel-
fahrt und der Elisabeth an): außerdem begegnet er im Karlmeinet
(über Karlmeinet S. 242 fg.i, wo noch das Präter. und Particip. von
segen (sagen) ebenso gebildet wird, und bei Berthold von Holle (vgl.
S. LYII) , also nicht mitteldeutschen Dichtern. Die Stellen der Erlö-
sung sind zu 6443 gesammelt: daß an allen nur das Particip, nicht
das Präteritum vorkommt, ist zufällig: in der Elisabeth Iahte: muhte
346. 369. geiaht: gemäht 444. 476.
Die Ausstoßung des h in beiden Gedichten gleichmäßig, zum
größeren Theil in denselben Worten (zur Erlös. 455); niet: diet Elis.
384.385. 448. : schiel 389.401. worte: vorhte 354. icorten: vorhten 'Mo.
395. Berhte (Hs. Berthe) : gerte 354. In der Himmelfahrt begegnet
außer twerhs: du gers 1663 kein solcher Reim, wenn man nicht die Reime
lieht: niet (zur Erlös. S. XXIII) so auffasst.
Die Erweichung der Tenuis k vor t in h, in der Erlösung geschiht
{geschiel): pfliht 2817. : niht 6458. geschiht: iht. Elis. 435. schihte: verrihte
355. understriht: niht 370. naht: hedaht Erlös. 2888. dahte: mähte
Elis. 444.
n im Auslaute für m scheint dem Dichter nicht zuzukommen:
nur einige wenige derartige Reime begegnen in der Erlös, sten: Jeru-
salem 1692, in der Elis. sun: furstendüm 347. 353.
p steht im Anlaute für ph (zur Erlös. 447); vgl. peif = pheij
Elis. 349; prunde = phrüende 392; plegen, pliht u. s. w. Im Auslaute
hat die Elis., nicht die Erlösung, einen beweisenden Reim, daß p für
f steht, scharp : erstarp 373.
r wird nach niederdeutscher Weise umgestellt (zur Erlös 56);
beweisend ist in der Elis. burnen: zürnen 447; vgl. außerdem burne
451. 465 (born Erlös. 3873); burnde osterkerze Erlös. 2548.
ic steht im Inlaute für j (zur Erlös. 5834), was durch einen Reim
der Elisabeth bewiesen wird, müwe (müeje) : rüwe (ruoice) Kobl Br.68;
wodurch zugleich das in der Anmerkung erhobene Bedenken über die
Form von ruoice erledigt wird.
Eine mundartliche Eigenheit, die die Erlösung zeigt, findet sich
in den bis jetzt gedruckten Theilen der Elisabeth nicht, die Abwerfung
des b (p) im Auslaute nach m, in tum, krum, dum (zur Erlös. 5216):
doch selbst wenn die noch ungedruckten Stücke sie nicht darböten,
winde sie für die Verschiedenheit der Mundart und der Dichter bei
im übrigen so überraschender Einstimmung nichts beweisen.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 7
In Bezug auf Flexion bemerke ich die Pluralformen starker Neutra
in e, icibe, kinde durch Reime in der Elis. gesichert, vgl. 400. 415.
417. 419; in der Erlösung wenigstens nicht im Reime begegnend. Das
Pronomen person. der dritten Person lautet im Plural sie, wie beinahe
allgemein mitteldeutsch, nicht si oder st, vgl. sie: hie Erlös. 4100 .4111.
5005. 5039. 5601. 5610; 3607 ist nach P zu ändern daz sie den konic
suchten hie . intrüwen mir gehiezen sie (N reimt hier : mir) ; in der Eli-
sabeth hie: sie 368.467; knie: sie 413. Dazu vgl. aus Marien Himmel-
fahrt sie: wie 822. 1402. 1742. -.knie 900. : hie 1224. 1485. -nie 1710.
Das Pronomen ir erscheint in den. Hss. beider Gedichte durchgängig
flectiert und ich habe unrecht gethan die unflectierte Form in der Er-
lösung durchzuführen. An vier Stellen (29. 2657- 3820. 3904) ist die
flectierte Form aus metrischen Gründen gesetzt worden (vgl. S. VII).
Derselbe Grund gilt auch für die Elisabeth. Der Dichter baut näm-
lich seine Verse in regelmäßigem Wechsel von Hebung und Senkung;
ir (unflectiert) würde an manchen Stellen eine fehlende Senkung hervor-
rufen, vgl. ir brüdegamen iren frünt 374. sie ginc an iren Juzen bar 375.
mit ime in irme herzen 379. sie gab im iren mantel dar 381. daz wib
gein irem manne 391. di müter schöne an iren munt 397. volget irme
herren nach 401. hevant an iren milde 419. bi allen iren jären 423.
die ir minne und iren geist 441. sie leit an irme herzen 461. uf gab di
selege iren geist 470. von allen iren sinnen 443 u. s. w. ; und so sind
auch zahlreiche Stellen der Erlösung zu bessern: die ivinde hatten iren
doz 149. swelhe sele in iren tagen 1288. und dich erkennent iren got 1418.
daz die lüte in iren tagen 1427. und daz geschehe in iren tagen 2350..
in allen iren jären 2400 (Vgl. Elis. 433); ebenso noch 2549.2893.2923,
3049. 3360. 4592. 4594. 4755. 5462. 5675. Die flectierte Form auch in
der Himmelfahrt, deren Verse nach dem gleichen Gesetze gebaut sind,
sinen sun in iren lip 113. irre (Hs. ir) sicester sun Jöhan 251. 394. an
ires sunes füze 1630.
Beim Verbum ist zu erwähnen die 1. Pers. Sing. Präs. in n (be-
weisende Stellen aus der Erlösung, Anm. zu 4465, wozu aus der durch
P ergänzten Lücke noch kommen ich gebin: lebin Germaii. 3, 471, 67.
ich kussin: zuschin 83): vgl, ich sagen: getragen Elis. 360. ich leben: geben
361. ich liden: ziden 452; ich enbiden (das andere Reim wort nicht an-
gegeben) 462. Ebenso in der Himmelfahrt (vgl. Erlösung S. XXII).
Einmal in der Elisabeth ich gesteige: Ludewige 393, hier könnte der
Dativ des Eigennamens auch Ludewigen lauten. Die Himmelfahrt hat
übrigens ich sage: dage 594. ich merke: Sterke 551. ich bescheide: leide
1702. Die Doppelform begegnet auch in anderen Gedichten. Vgl. über
Karlmeinet S. 245.
8 KARL BARTSCH
Die zweite Person Sing, wirft ihr t ab, was in der Erlösung
durch Keime bewiesen wird (Anm. zu 757); die Darmstädter Hs. der
Elisabeth hat auch s statt st, aber nirgend im Reime, wenigstens so
weit sie gedruckt ist. Dagegen stimmt die Himmelfahrt mit der Er-
lösung, du gern', twers 1663. Die 3. Person Plur. Präs. wirft ebenfalls
ihr t ab (zur Erlös. 2382), wofür auch in der Elisabeth der Reim wer-
den (= werdent) : erden 390 beweist. Dagegen spricht der Reim hdnt:
fulmänt 409. 432 für die Beibehaltung des t, also auch hier eine Dop-
pelform. Derselbe Reim ist wahrscheinlich auch in der Erlösung 2643
herzustellen, indem man schreibt:
und ist ez der sehste mänt
daz sie daz kint gezilet hdnt.
(Hs. monat: hat.)
Im Präteritum schwacher Verba geht die 2. Person Sing, in e statt
est aus (zur Erlös. 2148); ebenso in der Himmelfahrt (Erlös. S. XXH),
aber in dieser nicht im Reime; die Elisabeth bietet dafür keine Beweise.
Die Abwerfung des n im Infinitiv, die schon bei der Erlösung
nicht sehr wahrscheinlich ist (Anm. zu 2768), zeigt die Elisabeth nicht;
leider gestattet die Prager Hs. für alle hierher gehörenden zweifelhaften
Stellen keine Vergleichung. Der Infinitiv wird mit einfachem n, weder
mit nn noch nach niederdeutscher Weise mit nd flectiert : den Gebrauch
des flectierten Infinitivs mit zu liebt der Dichter in beiden Gedichten:
hup an zu sagene: zu tragene Erlös. 3878. zu gotelichem lebene, zu gel-
dene, wider gebene (nach P) 3892. mit heilielichem lebene, zu läzene und
zu gebene 3985. an vinc . . zu tragene und . . zu sagene 4052. wurden
sie versant zu predigen und zu sagene und gotes wort zu tragene 5504.
zu oristenlichem lebene zu Idn und üf zu gebene 5517. daz düt er nü mit
gebene (: lebene) 5865. Ebenso in der Elisabeth gleich der Anfang: giide
dventür zu sagene ist. gar icol zu verdragene 344. geistliche zu geneseney
der ftize sich zu lesene 344. in zeme wol zu lebene (: ebene) 347. den lan-
gen wec zu sparne den sie vor in zu varne hetten 358. daz er gewalt hede
zu sagene . . zu jagene 393. gelobete kusch ummer me zu lebene (: ebene) 393.
hatte üf gesetzet zu varene, daz riche zu bewarene 395. durch got ein deil
zu gebene (: lebene) 437. toas geschicket zu gebene (: ebene) 437. der riet
ir zu lebene (: ebene) 442. rät zu gebene (: ebene) 443. sie beschloß zu we-
sene . . zu cresene 444. erbere zu schouicene . . zu frouwene 47.">. daz ist
niet wol zu sagene, mit Worten üz zu tragene Kobl. Br. 40. Vgl. Ilimmelf.
16 dem nicht zu dune unmngelich ist; 697 zu irvullene nnne Zuversicht.
Das Präteritum des Verbums haben zeigt in beiden Gedichten
dieselbe Manigfaltigkeit der Formen (vgl. zur Erlös. 4537). Neben
DEE DICHTER DER ERLOSUNG. 9
hdte, wofür die Darmstädter Hs. gewöhnlich häde schreibt, welche er-
weichte Form durch zahlreiche Reime auch der Elisabeth belegt ist
(häde: gnade 383. 398. 414. 423. 429. 438. 440. 442. 446. 452. 453. 455. 467.
469. 474. 476. 477. 478. 480. 481. 485. 488. Kobl. Br. 5. 39. häden : gnaden
394. 441. : maladen 479. 489), kommt vor hatte (: begatte 359. 447);
ferner hefte (: begette 444. 474. heften: begetten 419) und endlich hete
oder hede, wie die Hs. schreibt, als Indicativ und Conjunctiv gebraucht
(hede: gerede 363. 447. : gewede 378. :stede 393. : rede (rayte) 433).
In der Himmelfahrt die Formen hette (: bestette 797) und hete oder hede
(:stete715. 1041. :dede 852. :bede857. liefen: propheten 1449. : stSten 1599).
Wie die sprachlichen Erscheinungen, so zeigt auch
II. Der Versbau und die Reimart große Übereinstimmung.
,ch habe schon oben (S.7) das Streben des Dichters hervorgehoben, seine
Verse durch regelmäßigen Wechsel von Hebuno; und Senkung zu glätten.
Die mangelhafte Überlieferung der Erlösung in N lässt diese Eigen-
tümlichkeit, die der Dichter von seinem Vorbilde Gottfried (vgl. Ein-
leitung S. V. XXIII) entlehnte, nicht so deutlich erkennen als die bes-
sere der Elisabeth: doch würden auch so manche Verse glätter, manche
Senkung ausgefüllt worden sein, wenn ich bei der Herausgabe schon
den Zusammenhang zwischen beiden Gedichten geahnt hätte. So sind
die in der Anmerkung zu 2419 gegebenen Belege von ausgelassenen
Senkungen meist zu berichtigen: 2419 ist wie 2609 zu schreiben daz
selbe kint sol werden gröz. 461 steht da iht ivere, vielleicht iht dar innen
were. 3892 ist schon oben in zu gotelichem lebene gebessert. 3253 1.
hine icert zu deme grabe , und so ist noch manchmal durch ime deine
so wie durch das schon besprochene flectierte ir die fehlende Senkung
auszufüllen. Doch selbst in der mangelhaften Überlieferung von N
(das Bruchstück aus P , Germania 3, 471 — 472, liest sich viel glatter)
erkennt man das Bestreben des Dichters.
Der Auftakt in der Elisabeth ist fast durchgängig einsilbig ode.
aus zweisilbigem in eine Silbe verschleifbar : dies Gesetz ist nun auch
auf die Erlösung anzuwenden, und alle schwereren zweisilbigen (Anm.
zu 5142) und noch mehr alle dreisilbigen (Anm. zu 2112) sind zu ent-
fernen. In dieser Beziehung hilft die Vergleichung von P an vielen
Stellen. Die Himmelfahrt, die nur in einer einzigen Handschrift über-
liefert ist, bedarf häufiger Nachbesserung.
Die klingend reimenden Verse von vier Hebungen mit überzähliger
Silbe (bei nicht fehlendem Auftakte also neunsilbige Verse) kommen
in der Elisabeth äußerst selten, vielleicht gar nicht vor. Auch die in
der Erlösung (Anm. zu 1968) und in der Himmelfahrt vorkommenden
Stellen sind wohl meist gegen des Dichters Absicht.
10 KARL BARTSCH
In der Reinheit der Keime stimmen beide Gedichte genau überein.
Sie trennen a und ä nicht nur vor Muten, sondern auch vor Liquiden,
vor n und r. Die wenigen Ausnahmen von der Regel , die die Er-
lösung bietet, habe ich in der Anmerkung zu 80 besprochen. Sie wür-
den wahrscheinlich, wenn P vollständig erhalten wäre, sich meist be-
seitigen lassen, wie das einzige Beispiel von an: an (man: alsdn 2934,
lies man, der an Piläte daz irwan = P). maz : underläz 1091 wird durch
mdz ausgeglichen, brahte: mähte 5776, indem man ändert:
die den zur werlde brahte
der himel und erde erdähte.
ical: mal 5680 hat Bech zu bessern versucht. In der Elisabeth be-
gegnet von d: a kein Beispiel, denn alle jär: gebar S. 354 ist unrich-
tige Lesart für alle gar. Zu bemerken ist offenbar, das immer auf d
reimt (vgl. mhd. Wörterbuch 2, 433a), offenbar: klär Erlös. 287. 2988.
5138.6246. :jär 3718. : war 1458. 3195; offenbar: klär Elis. 465. 482.
: jdr 363, 476. iivär 466. 487, also dieselben Reimwörter; auch in der
Himmelf. offenbar: klar 1444. Dagegen wird sunderbar immer mit a
gebunden, sunderbar: dar Erlös. 3398. : schar 4072. 4384. sunderbar: gar
Elis. 421. : dar 438.486. : gewar 456. Von e: e gewährt die Erlösung
keinen Beleg: in der Elisabeth reimt begct (= begebet) : gebet i6'3. Him-
melf. 131 reimt her: ker, doch kann man hier her schreiben (sit du von
dinem vater her gegin der erden dede ker), dagegen ist her: mer 1059
ein sicheres Beispiel von e: e. In Bezug auf i: i habe ich die Bindung
von lateinischen Wörtern auf it mit it (— iet) bemerkt, solche Belege
fehlen natürlich in der Elisabeth, die lateinische Citate nur sehr spärlich
(z. B. 344) zu enthalten scheint. Die anderen Reime der Art in der
Erlösung sind wohl zu bessern: 6360 viel: wil, indem man ändert da
von gewan er schände vil (: wil), 3606 hier : mir ist schon oben nach
P gebessert. Der Dativ von dri, in der Erlösung drin (nicht drin),
kommt in der Elisabeth nicht vor; dagegen in (ein) übereinstimmend
mit kurzem i, in: sin Elis. 417; in: gewin Erlös. 5017. Auch in der
Himmelfahrt in, hin: drin 1137; dagegen in: kunegin 757, wenn hier
Länge des zweiten Wortes anzunehmen. Die Feminina in in haben
langen Vocal in beiden Gedichten, kunegin: sin Elis. 355. 356. 361.
schefferin: sin 456. drosterin: gesin 478. Vgl. kunegin: schrin Himmelf.
511. : sin 1619. Doch scheint daneben in letzterem Gedichte in vor-
zukommen, vgl. zu dein schon erwähnten in: kunegin 757 noch hin
kunegin 929. in: kunegin 1837. Die Adjectiva in lieh werden gewöhn-
lich auf kurzes, selten auf langes i gereimt; auch hierin stimmen beide
Dichtungen (und die Himmelfahrt, vgl. Erlös. S. XXH) ; mich : tugentlich
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. H
Elis. 346. sich: mugelich 357. : minne dich 385. '.glich 434; dagegen rieh:
cristenlich 408. o und 6 werden ebenso streng von einander gesondert
wie a und d , nur bei Eigennamen schwankt die Erlösung. Elis. 450
in zwei einzeln mitgetheilten Zeilen reimt Ion: von; ich bin nicht sicher
ob sie durch den Reim zusammengehören. Das allgemein mitteldeutsche
horte gehört auf worte wort u. ähnl. reimend findet sich , bezeichnend
srenno-, in keinem von beiden Gedichten, ebensowenig in der Himmel-
fahrt, u : u ist scheinbar in den beiden Wörtern räch : briich gebunden,
Erlös. 1233.5714, und ebenso an folgenden Stellen der Elisabeth:
so weset (= wesset für wehsei) doch ir edel ruch :
sus. hatte ir dugent keinen hruch 367;
er gab ivunneclichen ruch,
der süzekeide keinen hruch 474;
daz ander greber gebent ruch
daz schaden bringet unde brnch 478.
Weder ruch noch brüch ist zu schreiben, sondern in beiden Wor-
ten kurzer Vocal, bruch ist „Mangel, Verlust" ; vgl. noch daz hüs wart
edeles rorhes vol Erlös. Bruchstück aus P, German. 3, 471, 38 und
dienesthaft dem röche (Ausg. ro<-he) sin Erlös. 6496. Somit kein Beispiel
von gebundenem u : u. Sonstige Ungenauigkeiten und Ungleichheiten
des Reimes, wie sie sehr vereinzelt in der Erlösung vorkommen (vgl.
Anm. zu 1526) sind wohl fast alle zu entfernen und unecht, so eben
1526 heilant : dan (in P heiler: er) u.a. Der auffallende Reim got:
vogt (Anm. zu 2358, wo noch hinzuzufügen ist 1805, vgl. Bech in der
Germania 3, 332) scheint in der Elis. nicht vorzukommen: P schreibt
wirklich vot (Lesarten zu 1805) , und so war auch des Dichters
Aussprache.
Der Dichter zeigt eine gewisse Vorliebe für den klingenden Reim,
wie schon Gottfried und seine Nachfolger (im Gegensatz zu Wolfram,
bei dem der stumpfe Reim überwiegt). Wie den klingenden , so hat
er auch den Gebrauch des gleitenden Reimes (zur Erlös. 5418, wo
durch Versehen „klingende Reime" steht; hinzuzufügen ist noch reinegte:
vereinegte aus P, German. 3, 471, 35), von Gottfried entlehnt. Die
Elisabeth hat ihn ziemlich häufig, ertegen: vertegen 358. gesc.heffe.de:
effede 358. schouwete : erfrouivete 407 und öfter- (s. ou für oii). geduldegen:
unschuldegen 421. mediterende : speculerende 422 (zweimal), handelte:
vimoandelte 422. kfockete : erschockete 428. enzuckete : druckete, zeisete:
reisete 450. handelen: wandelen 461. contemplerende : speculerende 465.
jubilerene: contemplerene 470. schouioene : frouwene 473. leckete : ersmeckete
480. 486. Vgl. noch Himmelfahrt 1239 engeles : stengeles.
12 KARL BARTSCH
Den rührenden Reim haben beide Gedichte und ziemlich gleich-
mäßig, ohne daß der Dichter besondere Vorliebe für ihn zeigte (zur
Erlösung 1456 f., vgl. noch vertust: gelust German. 3, 471, 45). Wörter
bei vollem Gleichklange, aus der Erlösung ein Beleg (was: was 5177),
und aus der Elisabeth bis jetzt auch einer (oder dannoch Ithte me . si
hüb und trüg in ummer me 453, wo me verschiedene Bedeutung hat).
Composita und Ableitungen, vernomen : genomen Elis. 352. gewant : um-
meivant 376. gelust: verlust 370. enphiengen: ummeviengen 397. mäht:
vermaht 452. lust: gelust 459.369. befienc: enphienc 465. In der Himmel-
melfahrt stunt: besinnt 1044. wunne: gewunne 1635. wunden: verwunden
474. godeheit: menscheit 537. Die Silbe lieh: lieh wird in der Elisabeth
wie in der Erlösung fast nur gebunden, wenn in dem einen Reimworte
dem / ein c vorhergeht, andechtecliche : cristenliche 358. erliche: wirdecliche
363. otmüdecliche: tugentliehe 376. sicindecUche: unv er sehenliche 403. wun-
derlich: erber meclich 418. müterliche: mildecliche 419. mugeliche: wirdecliche
434. sunecliche : dugentlichei36. güdecliche: schameliche 457. eislich: minnec-
lich 473. Scheinbar ausgenommen davon ist geliehen : anlichen 385, aber
hier ist glichen zu schreiben, und dies g vor l kommt dem c ganz nahe;
vgl. gliche: liehe 427. Wirkliche Ausnahme bildet nur endelwhe: tugent-
liehe 381, wo aber vielleicht endecliche zu schreiben ist. Die Himmelfahrt
gewährt lobelich: gelich 1061. Anders ist liehe (Leiche): andechtecliche
Elis. 426. liehe: lobeliche Himmelfahrt 603. : gew erliche 785. :fröliche 1199.
Endlich der gebrochene Reim : derselbe gehört bei allen mhd.
Dichtern so zu den Absonderlichkeiten und Seltenheiten , daß auf
Übereinstimmung hierin wohl etwas zu geben ist. Die Dichter, die ihn
gebrauchen, verzeichnet W. Grimm zur Geschichte des Reims S. 68 *).
Die Erlösung hat ihn an drei Stellen (Anm. zu 797), die Elisabeth bis
jetzt an zweien, und beidemal sehr ähnlich, mandel-ris: wandel Erlös.
797; Swäben: Buben -berc Elis. 354 **) ; anderseits sonnen: wonnen-
clich Erlös. 1354 (besser sonne (stark): wonne-clich, denn der Dichter
scheint die Composition ohne n zu bilden) : die zweite von mir über-
sehene Stelle der Erlösung ist 3782 :
*) Noch in dem von mir (Erlösung S. 190) herausgegebenen Marienleiche des
13. Jahrhunderts sorgen: morgen- Sterne V. 17. 18.
**) Ist daher auch sonst Bäbenberc zu schreiben? Die Nebenformen mit 6 und au
{Segehart von Baubemberg in der Heidelberger Handschrift; von Eilharts Tristan) scheinen
dafür zu sprechen, <Iie Contraction in Barn- ist nicht dagegen. Der Keim der Elisabeth
würde .stärkere Beweiskraft haben, wenn nicht auch sonst die Quantität verletzt würde,
wovon gleich nachher. Gewöhnlich schreibt man Bäbenberc.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 13
wä her die toisheit queme
die also gar geneme-
cliche sich erguzze;
die Ausgabe geneme gliche. In der Elisabeth bilde: milde-clich 363.
Vielleicht auf Grund dieser Reimeigenthiimlichkeit setzt Wackernagel
(im Lesebuche) die Elisabeth unmittelbar hinter Konrad von Würz-
burg, der den gebrochenen Reim am meisten anwendet.
Die Quantität im klingenden Reime verletzt der Dichter der Er-
lösimg und Elisabeth in doppelter Weise (zur Erlös. 2739). Einmal
lässt er ein wirklich klingendes Wort (mit langem Vocal der vorletzten
Silbe) auf ein zweisilbiges Wort mit kurzer Penultima reimen ; stigen :
ligen Elis. 380 (derselbe Reim Erlös. 2896). Ludewigen : ligen 405. 406.
lobesamen: vernämen 357. 409. : quämen 406. 408. 426. 454. 470. 471.
: nämen 413.438. : amen 477; und die Belege von lichame, wofür ich
in der Anmerkung die Form lichnäme vorschlug, welche auch bei an-
deren Dichtern anzunehmen ist*); so reimt lichamen: nämen Elis. 408.
: quämen 471; dagegen lichamen: lobesamen 422.476. lichame: grüwesame
473; wodurch jene Annahme wieder zweifelhaft erscheint (ebenso Erlös.
4942 lobesame: lichame). lichame reimt auf langes a auch in der Him-
melfahrt Itchamen: nämen 223. 1153. : amen 1843. Andere Beispiele
der Art begegnen in ihr nicht, denn die Besserung Haupts 701 ist
unrichtig (becliben: bliben, die Hs. blben), vielmehr ist zu lesen becliben :
biben „beben." Die andere Verletzung der Quantität in beiden Gedichten
besteht darin, daß zwei solche zweisilbige Reimworte mit kurzer Penul-
tima klingend angewendet werden:
des wart den lüten fride.
da wonte wärheit mide 387 ).
alle in godes namen,
den sie doch sunder gamen 399.
an weisedüm gedriben
und ungedrostet bliben 410.
gevangen under ivegen.
so müz man rädes plegen 412;
*) So beim Stricker (vgl. Karl S. LXIII), bei seinem Vorbilde Konrad ; Haupt in
den Monatsberichten der Berliner Akademie, November 1856, wo aber das älteste Beispiel
dieser unorganischen Verlängerung, die auf anderer Deutung des unverständlich gewor-
denen dih-hamo beruht, Otfrid 1, 7, 4 mit lidin lichämen druhtinan diuren übersehen ist;
ferner im Annoliede 689 lichnämin : lagin, Fundgruben 1, 141,36 lichndmen: ätem, 186, 33
ichnämen : enphdhen.
**) Dieselben Reimworte, ebenso verwendet, Erlösung 641. 4412.
14 KARL BARTSCH
und ebenso noch biten: siten 419. lobesamen: Uchamen 422. verdrihen:
verschroben 4.'!4. glider: nider 445. legen', gedegen 445. siden: gesniden 448.
/vi/»': zustede 449. lichame'. grüwesarne 473. lichamen: lobesamen 476.
Derselbe Gebrauch auch in der Himmelfahrt:
efer s«-me an haften habe.
im gienc am ersten abe 25.
5ws quämen (sie) zusamen
von sunder landen namen 835 ;
und noch undenoegen: spgen 1070. wesen: gelesen 1343. Immer aber
sind es zweisilbige stumpfe Reime , die so gebraucht werden , niemals
einsilbige, wie sie z. B. Ottacker hat. Daneben und häufiger die Ver-
wendung solcher Worte als stumpfer Keime nach alter Weise. Damit
hängt eine andere Eigenthümlichkeit des Versbaues zusammen, daß
Worte wie rede, geben u. s. w. auch innerhalb des Verses nicht einsilbig
gebraucht werden. Die etwa so gebauten Verse der Erlösung sind zu
berichtigen.
Syncope im Reime zeigt das Präteritum und Particip. von machen
(zur Erlös. 5051), vgl. mähte: Iahte (legte) Elis. 346. 369. : dahte (deckte)
444. mechte: lechte (= machte: lachte) 440. Die Form mechte öfter,
z. B. Elis. 428, 17 mechten. Erlös. 898 mehfe, nach Bechs richtiger
Deutung, du mehte 2148. geiaht (gelegt): gemäht Elis. 444.476. Vgl.
noch gebeit (gebeitet) : gereit Elis. 380 , und aus der Himmelf. getouft:
kouft 177, wie Erlösung 4546.
So zeigt sich auch im Versbau und Reimgebrauch die gleiche
Ähnlichkeit und Übereinstimmung. Sie verräth sodann auch
III. Der Wortbestand. Wenn wir ihn untersuchen, werden wir
natürlich auf gewöhnliche Worte, die überall vorkommen, uns nicht
einlassen, sondern hauptsächlich mundartliche und seltenere Ausdrücke
ins Auge fassen. Außer den im Folgenden als übereinstimmend nach-
gewiesenen zeigt jedes Gedicht eine Reihe ihm allein gehöriger , an
denen namentlich die Elisabeth, die ihrem Stolle nach einen viel größe-
ren Kreis des mittelalterlichen Lebens, also auch der Sprache umfasst,
die eine Menge Ausdrücke aus dem täglichen Leben enthält, zu deren
Anwendung in der Erlösung keine Gelegenheit war, sehr reich ist.
Auf diese aufmerksam zu machen überlassen wir dem künftigen
Herausgeber *).
*) Es freut mich mittheilen zu können, daß das Gedicht, welches nach dem
Urtheil aller Kenner eine Ausgabe verdient, von Max "Rieger zur Herausgabe vor-
bereitet wird.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 15
ä angehängt, zur Verstärkung (zur Erlös. 5026). heia hei Elis. 458.
flüchä flach 470. heia hei auch in der Himmelfahrt 1264.
äbentimbzzi daz ich diz dbentimlnz du mit üch Erlös., Germania
3, 472, 98 (vgl. noch dsterimbiz 88). so man daz Cibentimmez gaz Elis. 351.
alle wege. swer die armen hete in pflege und trost die siechen alle
xoege Erlös. 2567. alle zit und alle wege (: plege) Elis. 365. sie danhete
gode auch alle wege (: plege) 416. nä und alle wege (: plege) 432. den hielt
sie bi ir alle wege (: plege) 453.
an beginne (zur Erlös. 1507). Das dort vermuthete Femininum
wird von Bech (Germania 3, 331) bezweifelt und als Genit. Plural,
erklärt, der indess ebenso ungewöhnlich ist als das bisher unbelegte
Femininum, daz anbeginne in der Erlösung fünfmal, einmal aneginne,
und in dieser Form auch Elis. 467 von dem aneginne (: minne). Mehr-
mals in der Himmelfahrt, vgl. 28. 204. 771. 869.
anderweit, neben dem gewöhnlichen anderweide, das Elis. 415
(: herzeleide) und 452 (: gereide) im Keim erscheint, ist nur mitteldeutsche
Form (vgl. mhd. Wörterbuch 3, 552a). anderweit: miltikeit Erlös. 4098.
anderweit: dtmüdekeit Elis. 400. : leit 463. \geleit 476. : so gereit Kobl.
Bruchs! 93.
ang esiht: vor unser angesiht (:üfgeriht) Erlös. 1413. von dlner
ougen angesiht (: gcsehiht) 1567. slner angesiht (: geschiht) Elis. 385. zu
des volkes angesiht (: lieht) Himmelf. 749. vor min angesild (: nild) 654.
von des düvels angesiht (: niht) 665.
aromatä: baisam unde aromatd Erlös 4939. baisamen unde aro~
rnathä Elis. 474.
bach als Femininum, allgemein mitteldeutsch (zur Erlös. 11).
wusch ir cleider in der bach (: ungemach) Elis. 421.
l>[e]drübekeit, welches Kelle (German. 3, 469) unbedacht anzwei-
felte (Erlös. 1571), steht in der Elisabeth ein paarmal, was das mhd.
Wörterbuch übersehen hat. des uns bedrühikeit ist komen 433. waz von
mir bedrübekeit (: leit) miner suster ist geschehen 436. daz sie die bedrü-
bekeit von kuschekeide wegen leit 441.
bedrübnisse (wie P 1571 statt bedrübekeit liest), steht noch Erlös.
982 in betrübnis und in pmen; ferner Elis. 366 in bedrüpnisse unde in
werren; 416 umme ir bedrübnisse (-.gewisse); und ganz gleichlautend 440.
ir bedrübnisse unde ir smächeit 441.
begaten (zur Erlös. 769), sehr häufig in der Elis., das Präteritum
lautet begatte und begette, das Particip begat. Die Stellen sind gesam-
melt im mhd. Wörterbuch 1, 489. Beizufügen sind noch 419 und ouch
ir früht begetten daz sie narunge hetten, und 475 den sie mit süzer volleist
güdes vil begatte (: schatte).
16 KARL BARTSCH
bi mit dem Accus, (zur Erlös. 1862) auch in der Elis. 412, 6: ir
su-iger bi sie sitzen gienc.
brück „Mangel," sieh oben S. 11.
br üdegame, Erlös. 3842, im Keime (brüdegamen: amen) mit der
Form in a auch in der Elisabeth 374, 2 ir brüdegamen iren frünt.
dan in der Verbindung mit üz für das gewöhnliche dar üz: dan
üz sie eine salbe göz P in der German. 3, 471, 31. dan Hz so dede he
vliezin 3835 nach P; dan dz man schone fliezen sack 4929, ebenfalls
nach P, N hat überall dar üz. Ebenso in der Elis. dan üz enstünt 480,
dan üz . . daz corperlin geschaffen wart 481.
dirre und der. des sehe vor sich dirre und der Erlös. 100. des
sinen dirre und der began Elis. 348. daz sine dirre und der besach 363.
achten dirre und der began 436. toie diz und daz die Stade vant 472.
Auch in der Himmelf. frouwe sprach dd dirre und der 965.
düfe, mhd. tiefe; üzer düfen in den luft Erlös. 1019. der düfe
nie man vinden kan 1042. din düfen hänt mich umbgenornen 1572, wodurch
abyssus ausgedrückt ist. Dasselbe Wort scheint düfene Elis. 420 durch
gröze düfene hatte man gesezzet ivegesteine, »weil der Schmutz zu tief war."
ei, eiä. Diese Interjectionen, die nicht allzuhäufig sind, begegnen
in der Erlös, und Elis. so oft, daß schon dieser Umstand allein merk-
würdige Einstimmung verräth; vgl. zur Erlös. 1280. N schreibt in
der Regel eya, was ich, wenn nur einsilbiger Auftakt erforderlich war,
in ei geändert habe, ei ist auch in der Elis. die übliche Form, ei herre
526. 1280. 1869. 2258. 2710. ei wie ez nu gevangen lit 862. ei vater hei-
liger got 2438. ei helfent alle biien got 3140. ei ist die rede ieman kunt
3199. ei hänt, sie mich betrogen, ei hänt sie mir alsus gelogen 3402. 3.
ei mohte ieman verswinden 3655. ei frouwe müter 3824. ei seil: sint die
armen 4094. ei frouwe dohter 4172. ei vater 4464. ei edele koniginne 5656.
ei frouwe drösterinne 5780. ei cristenlicher orden 5937. und eiä: eiä un-
getrüicer rät 333. eiä rät untrüwelich, eiä menschlichez kunne 340. eiä
Barmeher zikeit 853. eiä herre drehtin 2203. eiä minniclicher got 2478.
und in der Elisabeth: ei herre 344. 381. 386. 433. 436. ei seligen lüde 364.
ei lät uns mezzen 364. ei welch ein selic mahelschaft 369. eifurste riebe 379.
ei vil lieber Up 381. ei getrüwe suster min 382. ei wer mochte sich ent-
hoben 398. ei welch ein selic messen 400. ei waz ist dirre sache 402.
ei lieben alle saget an, ei waz bedunket ie den man 402. ei wie rüweliehe
clage 403. ei ist min reiner brüder nü gevangen 412. ei frouwe min 413.
ei wie. . . 419. ei höret 420. ei wel gedruwe mahelschaft 423. ei wi geneme
dtmüdekeit 423. ei wel inbrunstes minne 423. ei wel ein lüter andäht 433.
ei ivel ein selec angest 423. ei wi her gewisse was 427. ei wi selec 427.
DER DICHTER DEE ERLÖSUNG. 17
ei bide für nun ungemach 452. ei frouwe 458. ei schouwet 459. ei Heben
461. ei reine vrouice 462.463. ei minne liebe 468. ei welch ein heilec erde
480. ei sPlecllchez erden cloz 48 1 . und ein : eiä wt unlidelich 403. eiä
welch ein suzer sanc 467; immer also in der Anrede, einen Ausruf,
eine Aufforderung einleitend. Auch in der Himmelfahrt ziemlich oft :
ei sdzer got vil guter 130. ei herzesun Ihesus 286. ei herzesun vil süze 304.
ei vater unde herre min 525. ei selic mensche, du so niht 1696.
ein, in der Verbindung mit Präpositionen, in der Bedeutimg
„einander", zur Erlös. 5112, wo Stellen mit mit ein, zu ein, bi ein (vgl.
noch Germ. 3, 471, 64) angeführt sind; hinzuzufügen ist ivider ein Erl.
2579. In der Elis. begegnet bi ein außer Reime 476. mit ein : mit ein
sie aber giengen 306. mit ein sie sich berieden 406. mit ein algeliche 475.
under ein: daz sie driben wider ein (: schein) 351. zwein gemecheden wider
ein (: zwein) 369. von ein : gescheiden alle also von ein (: bein) 428. wider
ein: wolden singen wider ein in hrieges uns 429. In der Himmelfahrt
begegnet under ein und von ein ; vgl. Erlösung S. XXIII.
ensten in der Erlös, häufig: wlssagen entstünden 1157. J\Ioyses
her nach enstünt 1261. die lüle danne wol enstenl „verstehen" 1541.
froude an dem morgen fr ü entstat 5361. do nü der pßngestac enstünt 5430.
wie er engestlich entste der Tag 6120. Auch in der Elis. ein leben daz
ir sulde ensttn 377. dan üz enstünt ein also wunnecllcher smac 480.
entlimen „nachlassen, aufhören," in dieser Zusammensetzimg nur
Erlös. 3457 (vgl. die Anm.) nachgewiesen, begegnet auch in der Elis. 450
do sie der rede niht entle.im „nicht von der Rede abließ," ebenfalls auf
heim reimend.
entseben, ein allgemein mitteldeutsches Wort; vgl. zur Erlös. 652.
In der Elis. entsüb (: erhüb) 351. 364. 369. entsahen : ent haben 398. -.haben
470. : erhaben Kobl. Br. 184. Eine Compositum besehen nur in der Elis.
waz süze sie besübe (: irhübe) 422.
entsinnen, ieclicher sich der dinge entsan (: maii) Erlös. 2839.
zuhant sie sich der dinge entsan (:gewan) 2965. niet baz entsan der junge
sich Elis. 416. wä sich di vrouwe nü entsan (: geivan) 420. der sich rehtes
wol entsan (: man) 442.
entsitzen. die menscheit iedoch die martelujige entsaz (:daz) Erlös*
2054. der rede nu die frouwe entsaz (:naz) Elis. 412. got sie niht
enfsäzen (:vergäzen) 414.
emestlich. die rede ist ernestlich gevar Erlös. 101, wo Bechs
Conjectur (Germ. 3, 328) einlich unstatthaft ist. an formen erneslich
gevar Elis. 392.
GERMANIA VII. 2
18 KASL BARTSCH
erosen „ausschöpfen, leer machen," vorzugsweise mitteldeutsch
und nicht häufig, sus wil ich alzumCde den helletal erosen (: erlösen) Erlös.
1025. sus weren gar eröset ir hove Elis. 391.
ersten (vgl. ensten). den argen pin erstfit Erlös. 1834. jämer üf
erstiint 3976. da mit ein füric flamme erstet 6131. wanne die liebe zit
erstet Elis. 376. üf ersten 451.
erveren*. sich erver en „sich fürchten." du sah niht erver en dich
Erlös. 2604- ir solt ach ?richt erveren (: untren) 3078. di frouwe erveren
sich began Elis. 412.
erzoug en im Reime auf ougen Erlös. 3802. erzouget: ouget 6293.
Außerdem noch die elemente erzougent wunder 18. unser herre erzouget
sich 6248; vgl. bezüget 1244. gezouget 3108. In der Elis. began irzougen
sine kunst 349. sine gnade erzouget 364. so kan er dirre dinge vil erzou-
gen sinen kinden 379. wel inbrunstec minne da sich erzouget inne 423.
daz got erzouge sin gebot 435. erzougent daz mit gerüches güde 487.
florieren „schmücken." an allez florieren (: ge zieren) Erlös. 88.
mit gnade florierte . . sin gebet Elis. 484 (: zierte), nach eren florieret
(: gezieret) 488. innerliche zieren und üzene ouch ßorieren 383.
garwe „gänzlich" auf varwe reimend Erlös. 468S. Elis. 378. 453.
gater „Genosse" habe ich aus zwei Stellen der Erlös, nachge-
wiesen (zu 1202, beidemal auf vater reimend;. In der Elis. das Com-
positum tischgater „Tischgenosse" : vater 383, Hs. dissegader.
geinde, contrahiert aus gegende, durch Erlös. 5128 (: gemeinde)
belegt, kommt auch in der Elis. vor, geinde: bescheinde 401. iweinde 431.
Die eine Stelle hat schon Bech, German. 3, 336 angeführt.
gekrüte, Collectivum von krüt: daz edel gekräde plauzen sal
Erlös. 1954. gut geerüde (: lüde) Elis. 420.
geligen, von der Gebärenden gebraucht; vgl. zur Erlös. 2728,
und dazu noch biz sie des kindes nü gelac 2713. iz sol di kunegln noch
hhit in dirre naht gelin Elis. 352.
gelit, im Plural gelider, im Reime (: nider) Erlös. 2686, und ebenso
(: nider) Eils. 445.
g emechede „Ehegatte." daz ganze trüwe blibe zwein gemechten
immer me Erlös. 185. daz ez mohte unschmlieh vor sim gemechte wanderen
331, und Elis. 369 daz in so grozer liebe craft zwein gernecheden under
ein was gefiget.
gern ende „fröhlich." der herre was gern ende (: hende) Erlös. 3505.
P liest genende, welches auch Elis. 471 begegnet, des qualmen wol ge-
nende (: ende) geistliche lüde sä gereit, und 484. daz sie der fursten hende
so her also genende üf üzer erden hüben. Offenbar sind alle drei Stellen
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 19
gleich zu sehreiben, wahrscheinlich jenes gonende, das ohnedies sonst
nicht belegt ist, ganz zu streichen.
geraten, mit dem Infinitiv verbunden (zur Erlös. 3098, vgl.
Gramm. 4, 96). In der Elis. ebenfalls mehrmals : biz sie gerieden sweimen
356. seht die geriet man düden 357. des sie gerieden holden 358. des ge-
rieden zürnen 447. daz volc geriet zu dringen 475. Ein anderer Gebrauch
von geraten ist ir drostes sider me geriet (-.schiet) Elis. 410, der ebenso
Himmelf. 398 begegnet wie Jesus inartel da geriet (: schiet) und 1212
ich wene ie sterben baz geriet (: vir schiet).
g e sc h i h t. von waz geschiht daz were Erlös 3028. er flöch vil
balde, in der geschiht (: wiht) begap er unsern heilant 4045. Judas riwet
vü stre dise geschiht ( : wiht) 4543. in der geschulte (: gerillte) 5932.
Ebenso als Femin. in der Elisabeth, er was in aller der geschiht (: ange-
siht) so lustecUcher minne 385. von geschulte 386. sie vergaz durch keine
geschiht (: niht) 421. Ein Neutrum daz geschulte hatte ich zur Erlös.
3427 vermuthet, was Bech (German. 3, 336) bezweifelte. Seine Ver-
gleichung mit dem mnd. geschule (geschah) gestattet noch kein Präter.
geschihte für geschach anzunehmen. Zu lesen ist wohl nach P doch
umme die geschulte. Eine Stelle der Elis. 422, die leider nicht voll-
ständig mitgetheilt ist, könnte das von mir vermuthete daz geschulte
vielleicht bestätigen: dort bittet Ysendrut Elisabeth ihr zu offenbaren:
ir weinen unde ir lachen,
daz wunderlich geschulte,
die gnade der gesihte;
allein hier ist wohl zu verbinden: daz ivunderlich geschulte die gnade
„das Weinen und Lachen, welches wunderbar fügte (geschicte, vgl. oben
S. 6) die Gnade." Die erste Stelle der Erlös. (4085) hat auffallende
Ähnlichkeit mit der bei gesiht anzuführenden Stelle aus der Elisabeth :
der dumme flöch in der gesiht ; an beiden Stellen ist wohl geschiht zu lesen.
gesiht: nach Bechs wahrscheinlicher Vermuthung (German. 3, 331)
muß Erl. 1456 statt geschult (: geschiht) gelesen werden die gesiht „vi-
sionein," und ebenso 2182: der sach in der gesiht (Ausgabe geschiht)
der naht; dagegen ist 1566 von geschiht (:angesiht) mit P zu lesen statt
von gesiht. die gesiht (Femin.) auch Elis. 386 in der gesiht (:niht). die
gnade der gesihte (: geschulte) 422.
g e sinnen, swes man zu dir gesinnet (: minnet) Erlös. 1109. wie
dicke er des an sie gesan Elis. 453. toes er an got gesinnet (: minnet) 481.
gevar. die rede ist ernestlich gevar Erlös. 101. die sint nü en-
g estlich gevar 338. wie die rede was gevar 3213. daz aht daz ist also
2*
20 KAHL BARTSCH
gevar 6210. alle idcch also gevar 6281. die vierde gäbe ist sd gevar 6390.
blümen allerlei gevar 424. Dazu vgl. aus der Elis. wie dise rede si gevar
346. wiz brun rot gel gevar 360. an formen ernesUch gevar 392. wie di
Sache was gevar 411. ordene aller leie gevar 472. wi sin andächt was
gevar 475. wi gevar ir suche xoas 478. wi ir süchede was gevar 479-
489- Auch Ilimmelf. 1164 ir lip was ouch so lieht gevar.
gir. er sprach mit früntltcher gir (; mir) Erlös. 2248. 2414. fronwe
dich mit hoher gir (: dir) 4394. mit innieücher gir (: dir) 5154. ich rief
mit innielicher gir (: mir) 5638. Noch häufiger in der Elisabeth, in vil
lieplichcr gir (: mir) 360. sie sprach in fruntUcher gir (:ir) 413. daz du
erf alles mine gir (: dir) 429. in süzer gir (: mir) 429- (: ir) 458. 467-
(:mir) 468.469. in minnecücher gir (:ir) 485. Vgl. noch Himmelf. 196
bit vientliche¥ begir (: dir).
goume. sie nämen sin ouch goumen Erl. 4354 (: boumen, vgl. die
Anm.) daz sie wol goume neme 4952. mit innerlicher goume (: droume)
Elis. 451. des ir goume hat genomen 352. des ir goume genomen häi '452.
herre: so, nicht herre, sprach der Dichter, wie alle mitteldeutschen.
Die Keime der Erlösung sind zu 3202 verzeichnet, vgl. dazu aus der
Elis. herre: verre 358. 382. 403. 414. herren : werren 345.366.395.406.
Auch Himmelf. 383 merre : herre , was freilich auch merre : herre sein
könnte; doch vgl. Strickers Karl S. LXXXV. Vgl. auch sterre.
herte lautet das Adject. in der Elisabeth (: geverte 392. : zerte 473),
dagegen hart (:wart) Erlös. 5530; und ebenso Himmelf. 1085 do aber
er geicare wart daz im nan kraft doch was zu hart (Hs. strac, Haupt
starc). Doch haben auch andere Dichter die Doppelform.
hochprophete. der ouch ein hochprophete was Erlös. 1516. der
ein hochprophete was 1637. Nicht in der Elisabeth, wo zur Anwendung
des Wortes keine Gelegenheit war, wohl aber in der Himmelfahrt 95
er was ein hochprophete (: liefe).
iegenote, in der Erlös, nur einmal, der ich zu dirre friste doch
ignote (P igenod) swigen wil 1716. Dazu vgl. sie was andeelaic igendt
(:ddt) Elis. 440. iz wart ouch igenode (:dode) betwungen der vil güder
464 und die oben S. 5 angeführten Stellen von genode.
iezü, in beiden Gedichten sehr häufig: Erlös. 3339.3499.3568.3595.
4144. 4257 u. s. w. ; Elis. 442 (: nü). 446. 466. 471 u. s. w., überall auf nü
reimend und manchmal wohl nur Füllwort (zur Erlös. 4346), wovon nachher.
ing esigel. aller wazzer ingesigel (: rigel) Erlös. 1574. gezeichent
mit insigele (: rigele) Elis. 480.
itewiz, sonst immer ifewiz (mhd. Wörterbuch 3, 784n). Durch
den Reim itewiz'. vergiz Erlös. 747 ist bei der sonstigen Reimgeuauigkeit
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 21
die Kürze bewiesen; dafür scheint auch eine Stelle der Elisabeth zu
sprechen, wo des idewizzes schände ^435) steht : die Hs. setzt, wenn ich
recht beobachtet habe, zz nur nach kurzem Vocale.
ja: über den häufigen Gebrauch dieser Partikel am Anfange von
Sätzen oder zur Wiederaufnahme und Verstärkung eines schon vorher
genannten Begriffes habe ich zur Erlös. 5691 gehandelt; zu den dort
angeführten (18) Stellen kommen noch zwei aus P: hie sprach unse
herre zu „ja, sivigin üiver kindir nü" Germ. 3 , 471 , 18. daz Symon
unsin herren sach, ja Symon phariseus 23. Ein paarmal begegnet
dieser ungewöhnliche Gebrauch auch in der Elisabeth, einmal am An-
fang eines Absatzes (wie Erlös. 1760) Ja der furste lobesam 408. ja
daz reine godes her 411. Wohl auch 476 ir zarte sele iezü, ja (Hs. In)
der selecliche geist. Sonst hat die Hs. sehr häufig sa (= so), was einige-
mal auch für ja genommen werden kann. In der Himmelf. 1718 ja
quemes du ir als nähe bt
jdmerkeit, ein nicht sehr häufiges Wort, an fünf Stellen der
Erlösung (zu 1672) nachgewiesen, wozu noch kommen oioe der grozen
jdmerkeit 348. in hunger unde in jdmerkeit 6318. Nicht minder häufig
in der Elis. vor rehter jdmerkeit (: ungeseit) 398. vor herzen jdmerkeide
(: leide) 410. mit grozer jdmerkeide (: leide) 435. alhr dirre jdmerkeit
(: arebeif) 466. von dirre jdmerkeide (: leide) 477 (vgl. Erlös. 885). Auch
in der Himmelf. 396 durch siner mumen jdmerkeit (: leit).
jubilieren, in frouden jubilierende (: bosunierende) Erlös. 5418.
in eirne jubilerene (: contemplerene) Elis. 470.
kindelbette, ein nicht häufiges Wort, in der Erlös, (zu 2728)
viermal vorkommend, begegnet auch einmal in der Elis. ir kindebettes
innekeit 375.
kleiderltn. ir kleiderltn sie ndmen Erlös. 4351. cleiderlin und
aide todt Elis. 390. Sonst nicht belegt.
korper in der Erlösung für lip gebraucht (an vier Stellen, vgl.
Einleitung S. IH) , im mhd. Wörterbuche nur durch ein paar Stellen
aus Mar. Himm. belegt (vgl. Erlös. S. XXIH) , begegnet oft in der
Elisabeth: den corper sie beiounden 411. er warf den corper her und dar
463. daz man den heren unbestat corper ober erden liez 473. der corper
also lobesam 474. den corper alsd heren 475. den corper lobesamen 476,
und das Deminutiv cor perlin Elis. 481. Immer ist es der entseelte Leib :
wollte man an den Stellen der Erlös, und, Elis. lip dafür setzen , so
würde dem Verse jedesmal eine Senkung fehlen.
krot, eines der merkwürdigsten Worte, das fast nur aus der Elis.
belegt war (mhd. Wrtb. 1,888), begegnet zweimal in der Erlös, (zu 834)-
22 KAKL BARTSCH
Ifii, verkürzt ans leie, in der Elis. 472 durch den Reim pre-
monstrei: manger lei bewiesen, ist auch für die Erlös, anzunehmen. 193
habe ich geschrieben an einer leije, du het got, besser an einer lei, da
hete got, wodurch der fehlerhafte Versschluß (zu 21 15) vermieden wird.
lei steht auch Erlös. 424, leie oder leije dagegen erfordert der Vers
Erlös. 129 manger leije könne; ebenso joch mit keiner leie rede Elis. 418.
mit ander leie dache 448. mit ander leie dackete 449.
lezzen, nach Bechs richtiger Vermuthuug Erlös. 1463 für Uzet
zu schreiben; vgl. Elis. 381 lazzet in derselben Bedeutung.
lobebere. der lobebere (: wäre) Cristus Erlös. 1844. des bat der
lobebere (: viere) 2245 und öfter, der lobebere (: were) Elis. 442. der
lobebere (: schirmere) Gregorius der ndnde 455 und öfter.
lobelich, in beiden Gedichten ungemein häufig. Erlös. 1173.
1341. 1633. 1984. 2116. 2192. 2258. 5757. 5763. Elis. 430. 475. 484 u. s. w.
Auch in der Ilimmelf. 1456. 1466.
lo besam, nicht minder oft als das vorige (vgl. Haupt zum Engel-
hard 1145). Erlös. 165. 1582. 1620. 2792. 3503. 3554. 3855. 3926. 3947.
4340. 4606. 5022. 5066. 5095. 5162. 5510 u. s. w. Elis. 375. 377. 380. 382.
386. 389. 395. 396. 399. 408. 415. 430. 438. 439. 455. 459. 474. 489. Andere
Stellen sieh oben S. 13.
mal, namentlich in der Verbindung zu male , zeim male Erlös. 284.
alzumdle (: tribunäle) 470. (: quäle) 1024. zumal 1786. in des todes male
(: quäle) 2816. zu dem male 4720. sä zumal (: tribunäl) 6256. Aus der
Elis. habe ich angemerkt alle iesä zu male (: zindäle) 360. iesä zu male
(-. sträle) 367. zu disem male (: zindäle) 377. M disem male (: quäle) 381.
iesö zu male (: quäle) 403. so zu mal (ispitäl) 476. Vgl. noch alzumdle
(-.quäle) Himmelf. 1275.
mal ä,t, in der Elis. durch den Reim (: rät 461), im Plur. mäläden
(: häden 479- 489) gesichert; in der Erlösung (zu 2072) begegnet maletzer
(P maledich) und 5546 maletziger: beides ist wohl nach den sicheren
Stellen der Elis. zu ändern.
meine, starkes Femin., in der Elis. nach cristenlicher meine (: ge-
steine) 426. in du<jentllcher meine (: reine) 439, begegnet zwar nicht in
der Erlösung, wohl aber in der Himmelfahrt, ir aller drler meine
(: alleine) 723. ir samenunge meine (: reine) 921. sunde und vulsche meine
(: unreine) 1755.
mer , im Reime neben me (:e Elis. 346.347 und öfter) und mere,
in der Erlösung (zu 263) und Elis. mir : hPr 361.449.486.: ser 472,
also auf dieselben Worte reimend. Auch in- der Ilimmelf. alle drei
Formen im Reime, mir steht 1675 (:ser) und 1060 (: her).
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 23
rnugelich Erlös. 235 : des dunket uns wol mogenlich 3249. mich
hat unmugelich 584 (und Anm.). und duckte sie wol rnugelich Elis. 357.
nach unser mugentlichen kraft 361 (doch wobl Ableitung von mugent).
alse iz was icol rnugelich 481. Vgl. noch Himmelf. 16 dem niht zu dune
unmugelich ist.
ordenlich, roas gemachet ordenlich Erlös. 117. des ordenlichen
sanges 5224. gesaget ordenlichen 5508. ordenlich geschriben stdt 5753.
nach ordenUchen sachen 6402. mit ordenlichen fügen Elis. 471. vemounden
ordenliche 482 und öfter.
persone, in der Erlösung, wo es der Stoff mit sich brachte (es
wird hauptsächlich von der Dreifaltigkeit gebraucht) natürlich häufiger
als in der Elisabeth, persdnen underscheiden dri Erlös. 46. der persönen
underscheit 1198. der persdnen underbint 1204. von des suns persone
(: schone) 1226, in Cristus doch persone (: schöne) 2143. dri an drin per-
sonell 5562. dri persone sint ein got 5580. In eigenthümlicher Bedeutung
Elis. 469 nu frägeten di persone (die Umstehendem die frouwen lobebere.
prisant „Geschenk": diese Form des Wortes in beiden Gedichten
nicht selten, prisant icirt im gegeben Erlös. 1368. zu prisande 1920.
mit prisande suchten 2356. mit gäbe iind mit prisande (: lande) 3216.
mit prisande enpßengen 3347. höhen prisant (: heilant) 3361. In der Elis.
den aller icehesten prisant (: behaut) 359. lochen prisant (: getoant) 360.
sie danketen ir prisande (: lande) 361. zu hohem prisande (: lande) 430.
quit „er spricht:" nur diese Form des Verbums in beiden Dich-
tungen, wie überhaupt im 13. Jahrhundert üblich, quit: zit Erlös. 1657.
ez quit „es bedeutet" 5207. der koninc Davit in deme salter also quit
Elis. 344.
reine gen. er teil sie dem golde glich reinegen Erlös. 1663. aller
lOte misset ät reineget er 1929. der die iverelt reinegen sal 3929. van
he sie reinegte (: vireinegte) German. 3, 471, 35. sie reinegete die maladen
Elis. 489.
samit. Die Form samät, die einmal (Erlös. 5708, P samit) in der
Erlösung vorkommt, wird durch die Reime der Elis. widerlegt; vgl.
samit: k ursit 360. samide: kurside 379. : side 373.
schinlic h. die frouwe sach schinlich in ir droume Elis. 45 1 ; dasselbe
Wort ist wohl unscheinlich Erlös. 330, wo demnach unschiidich zu lesen ist.
schrien: das Präter. Plural, in der Elis. schrüwen (:nüwen 409.
:ruwen 475) durch den Reim gesichert: auch in der Erlös. 5005.5039,
aber nicht im Reime; die Ausgabe schreibt unrichtig schruioen.
sehen „aussehen." wie ein mensche üf erden sihet, also soltu sehen
Erlös. 1320. di frouwe rüweliche sach Elis. 301.
24 KAKL BAßTSCB
sint „nachher": dies in der Elis. die gewöhnliche Form, sint:
kint 346. 347. 396. :wmi423; einmal«*«: ztt 416, und außer Keime 444.
Letztere Form in der Erlösung durch den Reim belegt, sit: ztt 2468.
5949. Daneben sider: nider 5523. Außerdem in beiden Gedichten
mehrmals, nicht im Reime, wo aber der Versbau die zweisilbige Forin
erheischt: geioonheit die doch sider nie Erlös. 3465. der sider wart zu
Bäben-berc undrüweMche erslagen Elis. 354. di sider nam zu wibe 374.
sider rne alleine bleib 446. sint kommt in der Erlösung nicht vor, wenn
man nicht 3715 worden sint (: kint) zoorden = ivurden und sint als Adv.
nimmt, was wohl angeht. Die Abwechslung der Form begegnet auch
bei anderen Dichtern.
Spiegelglas, in der höfischen Dichtung nicht selten als Vergleich
gebraucht: des vater Spiegelglas (: icas) , der sun Erlös. 1036. same ein
iCder Spiegelglas (-.was) Elis. 480. Auch Himmelf. 1529 min Spiegelglas!
spor „Fußspur." sin wege bereiten unde sine spor (: vor) Erlös.
2803. hie trete ich aber üf daz spor , da wir die rede liezen vor 3158.
sie dräten an daz selbe spor , daz in drat der heilant vor 3982. sioanne
ir komet an daz spor (-.vor) 4301. daz sie dräten an daz spor, daz in
vor ir heilant drat 5534. des koment sie mit der spur(:vur, 1. spor: vor)
der heilicllchen lere 6051. so dretent nach hin an daz spor (:vor) des
himelischen trones 6553. Aus der Elisabeth : sie santen üf ein selic spor
lobeliche boden vor 428. den werren deute fursten riche üf ein dugentlichez
spor vemulzen sime herren vor 435. er sagte ir mit drüwen vor der hei-
legen leben und ir spor 442.
sterre: diese niederdeutsche Form in beiden Dichtungen durch
den Reim belegt; vgl. zur Erlösung 3202. In der Elisabeth werren'.
sterren 352. sterre : verre 392. leidesterren : herren 408. leidesterre : herre
410. Auch in der Himmelfahrt sterre: verre 573.
sil che de „Krankheit." suhte sint (1. süchede ist, wie P hat) im
worden kunt Erlös. 2071. den lobelichen man . . viel ein süchede an
Elis. 406. den man viel aber groze süchede an 407. xoie ir süchede was
gevar 479. 489 ; dagegen 478 wie gevar ir suche was. ir süchede 420. in
grozer süchede 453.
s und er: über den Gebrauch sieh zur Erlös. 1813, wo aber sunder-
ewic zu streichen ist. Vgl. aus der Elisabeth si inheite sunder ungemach
und innerlichen smerzen 379. zu sunder gnade 443. daz sie sunder gnade
enphienge 445. sie hatte ir sunder ouch begert 446. ir dage sunder sie
verdreib 446. von sunder gnade des bäbestes 455. daz sunder ie der
mensche dei 475. von sunder mahelschefte 482: Ähnlich der Gebrauch
in der Himmelfahrt: Erlösuno- S. XXIII.
DEE DICHTER DER ERLÖSUNG. 25
tasten „berühren." Erlös. 6489. 6490. 6501. Nicht in der Elisabeth,
doch in der Himmelf. 1168 mustert sie do tasten und tastende also Meiden.
touc mit ze und dem flectierten Infinitiv, nicht in der Erlösung,
wohl aber in der Elis. und Himmelf. ivand in niht wol indohte den lan-
gen wec zu sparne Elis. 358. daz douc ach niht zu inberne Himmelf. 1390.
überlast, mit der sunden überlast (: gast) Erlös. 1180. mit driezes
uberleste (:geste, die Hs. überlaste: geiste) Elis. 381.
uberlüt, als Füllwort im Reime, uberlüt: gotes trat Erlös. 1328.
3848. unverholen uberlüt (: Gerdrüt) Elis. 352. daz wizzet, lieben, uber-
lüt (: drüt) 380.
üf erstende =■ ur st ende, Erlös. 5193; sin üferstant Himmelf. 401.
u f legen „anordnen," in der Erlös, häufig (Anm. zu 6443, wo
noch hinzuzufügen ist dise wort het üf geleit 554, Ausg. üz geleit). Auch
in der Elis. mehrmals ir üf gelegeten wallevart 411. waz der godeliche
rät zu gnaden üf geleget hat 412. in des wart ir üf geiaht (: gemäht) 444.
Elizabeth hatte armen lüden üf geiaht (: gemäht) 476.
ummeganc, seltenes Wort, der himele ummeganc Erlös. 115.
von der wazzer anevanc biz an der loerlde ummeganc 1534, ad fines
terrae Vulg. der firmamentes ummeganc Elis. 350.
ummehleit , ebenfalls sehr selten, sie machten ir ein ummehleit
Erlös. 5713 manicvalt ivas ir ummehleit gestalt 5760. di frouwe nam
ir ummehleit Elis. 583. Auch 575 ummecleit und einen roc.
underbint, von der Dreieinigkeit gebraucht (zur Erlös. 1204).
In anderem Sinne die mime geiste ein underbint (: sint) behagent Elis. 391.
da sich mit underbinde di vater und di hinde scheident 400.
underhomen, in der Bedeutung „erschrecken" (= erhomen) sehr
selten: zweimal in der Erlösung (zu 3297), einmal in der Elis. der junge
farste is underquam mit schrecken, gerade wie Erlös. 1443 ich bin von
schrechen underhomen.
underläz: an underläz Erlös. 1092.1118. Elis. 466.
underscheit: zur Erlösung 6575, wo noch beizufügen sind an
underscheii Erlös. 600. 1134. In der Elis. mit güdem underscheide (: beide)
362. an underscheit (ismächeit) 417. : stedeheit 457. mit vorgenanten
underscheit 393. Auch in der Himmelf. an underscheide: beide 1498.
venje, im Reim auf menje, allerdings auch bei anderen Dichtern
häufig genug, aber nicht mehr seit der Mitte des 13. Jahrhunderts:
daher auch diese Übereinstimmung hervorgehoben werden muß. vielen
an ir starke venje (imenje) Erlös. 1129. die herliche menje viel nider an
ir venje 3350. die herlichen menige lägen an ir venige 5534. des bat sie
dar und aber dar mit andäht an ir venje (: menje) Elis. 362. seht aber viel
sie venje (: menje) 364.
2(5 KARL BABTSCB
vergebene „vergebens:" diese gewöhnliche mhd. Form im Reime
auf lebene steht Erlös. 5276, auf ebene Elis. 464. Daneben in beiden
Gedichten die seltene Form vergebenes (ileberies) Erlös. 6583 (vgl. die
Anm.) Elis. 440; die andere Reimzeile fast wörtlich wie Erlös. 6584:
der (iwieüches lebenes = des ewiclichen lebenes. vergebene (: lebene) auch
in der Ilimmelf. 1659, nicht vergebenes.
v er rihten: über die verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes
in der Erlösung s. Anm. zu 3281. Dazu vgl. aus der Elis. die boden
man verrihte (: schiläe) Elis. 355 , wofür 388 gleichbedeutend steht daz
man di boden rihte 358. man rillte sie 360; ähnlich ist Erlös. 5700. wart
der für sie riche verrihtet 408. toaz got mit uns verrihten teil 412.
verschriben: er wolte sich verschroben (: büben) der wereltlichen ere
Erlös. 3857. ir güdes gar verschriben (: verdriben) Elis. 434. Sie wollte
der schulde sich verschriben (: bliben) 450. toi di frouice sich verschreib
wereltlicher sache 455.
vlec oder vi ecke: dxn vlecke hat (oder vlec enhät) an dir niht
twäl Erlös. 5681, nach Bechs Vorschlag, ir leben reine sunder vlec (: quec)
Elis. 466.
v letze, kein frouwe sol in dritten zu bette noch zu fletzen (\ setzen)
Erlös. 1977 und Anm. als einer frouwen rehte quam die eime fursten wol
gezam zu ßezze und auch zu bette Elis. 347. di leiven als sie giengen, daz
flezze da beviengen 360.
voll eist, ein Lieblingsausdruck des Dichters, der heilic geist,
der so süze volleist kan geben Erlös. 372. im gap der heilic geist wizzen
unde volleist 1227. als er häte volleist von dem vater aller meist 1644.
im gap der heilic geist kuntschaft unde volleist 2276. so gib mir din volleist
(nveist) 2483. gar ivirdicliche volleist komt dir der heilige geist 2631. nach
gotelicher volleist (: geist) 3517. hie zu der heilige geist gab ivirdiclichen
volleist 3961. nu quam werde volleist (: geist) 4907. 5395. 5453. 5487. daz
in gibt der heilic geist zu leben allen volleist 5963. hat der heilic geist uns
gar süze volleist gelän 6362. Aus der Elisabeth : ob ich die volleist hMe 345.
diz was ein here volleist (: geist) 355. wände ir gab der heilig geist zu ivizzene
gnde volleist 376. in dugentlicher volleist beval er gode sinen geist 409.
der heilige geist der mit süzer volleist innerliche dreisten kan 414. wand ir
gebrach der volleist (: meist) an gtide 447. di siechen doch aller meist, den
sie mit suzer volleist gddes vil begatte 473. von godelwher volleist (: geist)
476. der heilige geist mit stner süzen volleist 477. Immer als Femininum,
und darnach auch in der Erlösung durchzufahren. Vgl. noch Ilimmelf.
209 saute den vil heiligen geist bit einer dCiben zu volleist. 490 den sant
er in zu volleist (: geist, IIs. uolleiste: geiste).
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 27
wallevart, sehr seltenes Wort, an der herren wallevart (Ausg.
walfart) Erlös. 3601. do hup sich ein wallevart 3737. ir üf gelegeten walle-
vart Elis. 411.
wec. under wegen: ouch ist niht wider wegen bliben Erlös. 1596.
und ist doch under wegen bliben gar vil 3149. diz ist niht under wegen
bliben 5480 (und Anmerk.). nu müz sie leider bliben von mir duren under
wegen Elis. 345. gevangen under wegen 412. Vgl. auch Ilimmelf. 1069
heg eine „begegne" under wegen. — von wegen-, fast ausschließlich mittel-
deutsch, von des heiligen geistes ivegen (: pflegen) Erlös. 5632. von uwer
wegen Elis. 435. von küschekeide ivegen 441. von des dodes wegen (iplegen)
456. Vgl. Himmelf. 582 von sinen wegen.
weinen mit dem Accus, (zur Erlös. 4541); ebenso in der Elis.
di musten alle weinen des fursten clegelichen dot 413. uwer keine inweine
mich, iegelich weine ok selbe sich 469.
weiz: das Präter. lautet in beiden Gedichten nur wiste, nicht
weste, wisse, wesse; zur Erlös. 4421. Vgl. wisten: fristen Elis. 345. —
weiz got, got weiz: letzteres Erlös. 6201 (\sweiz); ersteres Erlös. 3622
nach P; häufig in der Elis. er vielt in weiz got unde fluch 381. daz weiz
got nü alleine 404. sie vüren weiz got vaste 405. di musten weiz got alle
weinen 413. so wil ich weiz got allen dac ir zu bezzerunge stein 436. er
wolte ir weiz got abe legen 445. da wolde er aber weiz got nü geben 446.
den sie weiz got also frisch schickete 451. da solde iz weiz got inne sin 480.
werbe „Mal." daz selbe drl werp dd geschach Erlös. 4499. dri
werp verloukent er sin hie 4525. ander werbe Elis. 452.
wert „wärts," nicht wart, was mitteldeutsch sehr gewöhnlich ist.
wider wert (: gert) Erlös. 1676. zu lande wert (ipfert) 3387. zu hove
wert (: begert) 3434. dar wert 4447. gein dem berge wert (: sweri) 4481.
hine wert 5253. hin wider wert (: gert) 5660. gein der höhe wert (: begert)
6014. zu Jerusalem wert (: begert) German. 3, 472, 91* — gein lande wert
(: pert) Elis. 360. gein hüse wert (: begert) 438.
widerkere. daz sie widerkere (: lere) balde und endeliche tun Erlös.
6053. ir widerkere genomen hän Elis. 401. nu det er widerkere (: ere) 409.
sie däden widerkere (: mere) 409.
widervanc: sonst nicht vorkommend, der planeten widervanc
Erlös. 116 =Elis. 351.
wirdikeit, in beiden Gedichten ungemein häufig, ebenso in der
Himmelfahrt.
Ich habe zur Erlös. 4346 die Ausdrücke zusammengestellt, mit
denen der Dichter den Vers und Keim füllt: die meisten dieser Füll-
wörter begegnen auch in der Elisabeth, sunder gamen Erlös. 4346-
28 KARL BARTSCH
in dem seihen gamen 2473. sunder spotes gamen (: namen) Elis. 388.
sunder gamen (: namen) 399. sunder wän, in der Erlösung wenigstens
sieben Stellen; sunder allen wän (: getan) Elis. 353. (: hän) 459. sunder
wän (: getan) Elis. 420. (: hän) 381. zustunt zustünde zustunden: zur
Erlös. 3091. iesä zustünde (: munde) Elis. 406. zustat Erlös. 5402. so
zustat (:bat) Elis. 415. zustede Erlös. 3381. 3733. 4497. 5273. 5697.
sä zustede (:rede) Elis. 386. iesä zustede (:rede) 449. zuhant Erlös.
4673.5229.4383. sä zuhant (: genant) Elis. 405. iesd zuhant (: gewant) 404.
: want 413. iesä Erlös. 1578 etc. Elis. 355. 365. 382. 438. 483. in den ziden
Erlös. 3818. (: Tiden) Elis. 376.416.438. sunderbar Erlös. 4072 u. s. w.
Elis. 421. 438. 456. 486. wolgereit Erlös. 1451. 3524. ir get uz morne, sit
gereit (vielleicht sä gereit zu lesen) Erlös. 1695. sus gereit 1554. gereite 502.
886. 3365. 5647. gereit Elis. 464. so gereit 356. 478. iesd gereit 423. 483.
sä gereit 484. 486. Kobl. Br. 98. gereide 426. sä gereide 428. iesä gereide
431.443.479. Kobl. Br. 177. iesä gereit 418. alles an gereide, ein ganzer
Vers 434, wie Erlös. 4013. wol gereide JZlis. 423. frist Erlös. 4845. sunder
fristen Elis. 391. mal, vgl. oben S. 22, namentlich zumäle z. B. Elis. 360.
In der Elisabeth noch iesd gendde 441. Auch iezü und nü werden häufig
so verwendet, vgl. die oben S. 5 angeführten Reime, iesä besunder Elis.
379, und manches andere.
IV. Es bleibt nur noch übrig, einzelne Stellen der Elisabeth mit
der Erlösung zu vergleichen, um daraus die vollständigste Gewissheit zu
gewinnen, daß beide Gedichte nur von einem Verfasser herrühren können.
Denn wenngleich hin und wieder ein Nachahmer seinem Vorbilde ein-
zelne Stellen, Bilder und Ausdrücke entlehnt (wie namentlich die
Nachahmer Wolframs lieben, dessen scharf hervortretende Manier ihn
besonders dazu geeignet machte), so ist es doch nirgend in gleichem
Umfange der Fall und erstreckt sich nicht auf so wenig eigenthüm-
liche und auffallende Stellen^ wie wir sie zum Theil unter den folgen-
den finden werden.
Elisabeth. Erlösung.
345. des helfet alle biden got. 3140. ei helfent alle bitengot.
6568. nu helft mir alle biten got.
346. daz ir mit filze nemet ivar, 101. die rede ist ernestüch gevar. . .
wie dise rede si gevar, nu hört und nemet der rede war.
346- icaz sulde langer rede nie? 2475. waz solte langer rede mef
448. waz solde nd der rede me? 2843. waz solte nu da' rede me?
486. waz sulde uns lange rede mer? 5328. waz-sol langer rede me? 4149.
4509.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG.
2!)
Ähnlich Himmelf. 81 ivaz sal ich da von sagen me? Vgl. auch die
anderen zur Erlös. 5328 beigebrachten Stellen , in denen der Dichter
sich ans Kurzfassen erinnert.
347. zußezze und ouch zu Lette.
348. Ungere unde Unzen
Sassen unde Prüzen.
351. der plantten widervanc.
1978. zu bette noch zu fletzen.
6066. heiden unde Prüzen,
Kriechen unde Rdzen.
1 16. der planeten widervanc,
auch die vorhergehende Zeile des ßrmamentes ummeganc = 115 der
himele umheganc.
351. nu teas ez iezü homen dar.
353. vor hine edse lange.
355. und anders ir gesellen vil,
der ich nü gedagen wil.
487. noch ist der zeichen harte vil,
von den ich dochniht sprechen wil.
355. e ich der zide me verzer.
ir was ein lobelichez her.
359. smaragden, jachande.
3764. nu was ez aber also homen.
4144. nu was ez iezü also homen.
3660. 5042. vor hin harte lange.
2929. vor hin etwa lange.
1329. vor hin lange.
2386. noch ist der sache harte vil
der ich doch nü geswigen wil.
6159. noch ist der propheten vil
der ich nü geswigen wil..
4910. des ich nü geswigen teil (: zil).
3160. e ich der ztt sd vil verzer,
wie daz lo bell che her. . . .
415. smaragden, jachande.
360. früntliche in zu di irouive sprach 2248. er sprach mit früntltcher gir:
in vil liejdicher gir:
gedrüwen f runde, loset mir.
361. sie muste jdmer rüren (ivüren).
420. di kummer ivolde rüren ('.gefüren)
362. des bat sie dar und aber dar.
486. geßozzen dar und aber dar.
366. von Christus :
sin hende und sine füze
durchslagen gar unsüze.
373. mit nageln bitter unde scharp.
366. von Elisabeth:
wände ein bitterlichez swert
was durch ir zarten sele wert
mit gewalt gedrungen.
369. beide heilic, beide gut.
375. daz sie dein nach geivonheit
frünt Symeon, nu lose mir.
2414. er sprach mit früntltcher gir:
frünt Zacharid , luse mir.
1626. die solhe froude rürte (: vürte).
4471. des bat er aber und aber dar.
5232. geslagen dar und aber dar.
4794. ebenfalls von Christus:
sie slügen im unsüze
durch hende und durch füze
dri quecke negel unde scharf.
4827. von Maria:
daz durch ir sele muste gen
iedoch ein. bitterlichez swert.
vgl. auch Erlös. 3497.98.
1806. tuschen heilic unde gut.
3469. einnsun swelche froiveden hette
(vgl. 3465),
30
KARL JiAItTSCII
sohle nach den vierzic dagen
ir Mndelin zu kirchen dragen.
376. wände ir gab der heilte geist
zu roizene güde volleist.
379. alse ich hän vernomen.
403. ilende als ein rise düt,
der zu lonfe sinen müt
ebene hat gesezzet.
433. der iesch die ritter alle dar.
448. alse ich üch sagete e.
4.">4. als üch ist gesaget e.
455. als ouch hi vor geschriben stet.
477. hl nähe vor geschriben stet.
455. als üch gesaget ist.
469. ein gar wunneclicher sanc
in ir helen süze erldanc.
469. üicer keine inweine mich,
ig euch weine oh selbe sich.
die solte in nach den vierzic dagen
dem priester in den tempel dragen.
1227. sam im gap der heilec geist
zu wizene unde (güde ?) volleist *).
6235. als ich vil rehte hän vernomen.
1347. einem risen glich gemüt,
der wunderlichen Sprunge düt,
der sinen icec wil gäben.
4285. sine junger iesch er dar,
3518. als ich üch sagte e.
3713. als üch ist gesaget me.
1230. er sprach, als hie geschriben stet.
4369. als üch gesaget ist.
5726. von in ein süze stimme erklanc.
sie sungen disen wundersanc.
4782. er sprach »niht enw einet mich,
ieclichz macwol weinen sich,"
sagt in der Erlösung Jesus zu den ihn begleitenden Frauen : und auf
diese Stelle bezieht sich Elisabeth.
4043. flüc von mir, unreine
creätüre und arger wiht.
470. flücliä flach,
du arger wiht.
386. der dumme fldch in der gesiht.
472. ordene aller lei gevar.
474. verneinet ouch icaz ich üch sage.
475. daz volc geriet zä dringen.
478. alse ich üch bescheiden na.
Vol. Himmelf. 1702 als ich dich wol bescheide; 993 des künde ich üch
wol bescheiden.
er fluch vilbaldein dergesehiht**).
424. blürnen aller lei gevar.
5385. nu merket reht waz ich üch sage.
4061. daz volc geriet zu dringen.
6427. als ich üch bescheiden sal.
478. alse ich hän gelesen.
479. da wart vil blinden sehende.
481. die blinden wurden sehende.
481. ob er ir drüweliche gert:
alsus wirt ie der man geteert
lo es er an gof gesinnet,
ob er daz beste minnet.
1996. als ich hän gelesen.
4212. die blinden machte er sehende.
4242. die machet er gesehende.
1107. keinem man der ir begert,
wan daz man schiere wirt gewert
stoes man zu dir gesinnet,
der dich von herzen minnet.
*) zu. wisene P: dann aber ist, wnde in NT nicht üchtig.
**) Vgl. oben 8. 19.
DER DICHTER DER ERLOSUNG.
31
482. als iz ivol prüfet ieder man,
der wärheit ivol geprüfen han.
482. di here heiserlich geioalt,
hdchgeweltic, manicvalt,
hat sich ir geseiget,
zu sehene an geneiget.
Vgl. noch hdchgeweltic Erlös. 6252,
und wegen neigen Erlös. 967. 2103.
487. von den üch e gesaget ist.
488. vil blinden wurden sehende,
di himelwunne spehende
cristenliches glouben.
sie gab iesö den douben
daz sie hörten über al
stimme und ander leie schal.
sie det den stummen üf ir munt,
13. daz briifet wol ein wiser mau,
der wunder wol gebrufen kan.
2683. sus hat die gotelich gewalt,
hdchgeweltic, manicvalt,
geneiget sich her nider
in fleisch und ouch in glider.
3790. die höhe gotelich geioalt,
hdchgeweltic, manicvalt.
1156. als uch hie vor gesaget ist.
5548. sie machten blinde sehende,
an Jhesum Cristum jehende,
sie gäben ouch den touben
gehörde und rehten glouben.
4986.
den stummen det er uf den munt,
er macht der siechen vil gesunt.
und Himmelfahrt in
Haupt-
vil siechen machte sie gesunt.
Ubereinstimmuno: zwischen der Erlösung:
ganzen Versen habe ich Erlösung S. XXIII hervorgehoben,
sächlich sind es zwei Stellen:
H i m m e 1 f a h r t. Erlösung.
343. Johan, der da stet, si dm sun : 4538. sich, müter mm, daz ist din sun,
er sol dir sunelichen tan. der sol dir trüwelichen tan.
460. ein berc heizet Olivet, 4452. an den berc zu Olivet,
da vil oleboume stet. da vil der oleboume stet.
Außerdem habe ich ano-eführt die Stelle über Johannes Jimo;-
fräulichkeit (Himmelf. 435 — 37. Erlös. 3810); dazu ist die ähnliche aus
Elisabeth (365) über Johannes den Evangelisten zu vergleichen. Ferner
vergleiche man die Anrede , die Jesus an Maria richtet (Himmelf.
1526 — 32), mit der gleichen in der Erlösung 5678 ff. Und noch eine
Stelle:
1209. daz ir singen und ir schal 4378. der lobesanc al umbe erschal,
in die stat her nider hol. hoch er in die ivolken hol;
vgl. Elis. 469 daz man den minneclichen schal hört in der zellen über al.
Auch zwischen der Himmelf. und Elis. lassen sich noch einige überein-
stimmende Stellen nachweisen; außer den schon erwähnten vgl.
Himmelfahrt. Elisabeth.
1183. und also sdze was der smac, 480. ein also wunneclicher smac,
daz nieman daz volenden mac daz nieman vollesagen mac.
32 KARL BARTSCH
1520. sd lieliter schin, so süzer smac, 470. der engele wunnecliche schar,. . .
da nieman von gesprechen mac. di dirre zarten scle
223. und wie die engele nämen engegen alle qudmen
im reinen Itchamen und ouch di lobe«awen
und fürten in vil schone fürten wunnecliche
gegen dem hohen tröne, hin üf zu himelriche
da got in siner majestät für godes ougen schone,
die süze magt gekrönet hat. die ewecliche cröne. .zu dragene.
Unter den übereinstimmenden Versen der Elisabeth und Erlösung
habe ich mehrere erwähnt, die als subjective Bemerkungen des Dichters
an seine Zuhörer gerichtet sind, Anrede an dieselben, Beziehung auf
die Quelle, auf die Behandlung des Stoffes. Solche Ausdrücke kehren
zwar ähnlich bei anderen Dichtern auch wieder (vgl. über Karlmeinet
S. 366); aber sie werden hier bei so vielfacher Einstimmung als Zeichen
näherer Verwandtschaft gelten dürfen. Die Erlösung betreffend vgl.
die Anm. zu 4398. 5328. 6568. Beide Dichter reden ihre Zuhörer an
mit „ihr Lieben" (Erlös. 6469. 6593), wie Jesus selbst thut (ouch wiz-
zent, lieben, sunderbar Erlös. 4072, in der Bergpredigt) ; woraus ich mit
Recht (Erlösung S. HL) auf geistlichen Stand des Dichters geschlossen.
daz wizzet, liehen, uberlüt Elis. 380. ei, lieben alle, saget an 402. des
pnlbet, lieben, so gereit 418; vgl. das ähnliche ei stiegen lüde, nemet icar
364. Beide wenden sich überhaupt häufig an die Hörer: ei höret was
di nü began Elis. 420. verneinet ivaz nu me geschach 425. vernemet
wunderliche dinc 462. nu, hört ein lutzel me hie von 464. verneinet ouch
waz ich ach sage 474. oder als üch ist geseit 346. alse üch wilent ist
behaut 354. als ich der rede ouch (üch?) e verjach 425 (vgl- jedoch 488).
als üch di stat ist e genant 425. als üch ist gesaget e 454. von den üch
e gesaget ist 487. ich sage üch ander mere 451. ich sage üch ander rede
me 474. als ir dicke höret lesen 457. als ich üch bescheiden 478. Ebenso
begegnet bei beiden das Streben sich kurz zu fassen (zur Erlös. 5328) :
waz sulde langer rede me? Elis. 346 (vgl. S. 28 f.). der rede wil ich nü
gedagen 354. daz ich des ende mache 387. der rede ich me geswige 393 ;
und besonders 488 doch wil ich üf ein stlec heil kurliche (kurzliche?)
raren hie ein de'd und in gemeinde setzen, daz uns iht möge letzen kein
alzu lange wtle, des ich de baz nu ile. Vgl. auch Himmelf. 428- 495.
Die Beziehungen auf Quellen sind meist dieselben, namentlich
die Bibel, die bei der Erlösung ja die Grundlage bildet. Die Elisabeth
bezieht sich auf das Evangelium (in deme ewangeliö, da er gesprochen
hat also, alse ir dicke höret lesen 457), auf die. $ (sam in der e geschriben
stet 357, Beziehung auf Bileam), auf die Schrift (wi in der schrift
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 33
geschriben stet 457), auf Davids Psalter (hie von der konic Davit in deme
salter also quit „cum sancto sancius eris, cum (fehlt Darmst. Hs.) per-
verso perverteris (D. eruerteris)" 344); sie erwähnt den Heidenrichter
Balaam (d. h. Bileam, Elis. 353, vgl. Elis. 1302. 3009); den Evangelisten
Johannes (365) und Absalon (glich kern Absolöne, den sin frechez här
gevienc, daz er an eime aste hienc und also begab sin leben 459). All-
gemeinere Beziehungen (vgl. zur Erlös. 4398) sind: als ich iz las 385.
als ich hdn gelesen 478. ouch saget man uns ofenbdr 363. als ich hdn
vernomen 379. alse man uns jach 476. Den Stoff der Elisabeth nahm
der Dichter hauptsächlich wohl aus mündlicher Überlieferung, da er
der Zeit der Heiligen noch ziemlich nahe stand (ouch saget man uns 303),
doch benutzte er daneben schriftliche Aufzeichnungen (als ich iz las,
mit Bezug auf den Landgrafen Ludwig, 385; als ich hdn gelesen, von
einem Wunder, das nach dem Tode der Heiligen geschah, 478). Der
Dichter zeigt sich als gelehrten Mann (vgl. Erlösung S. H) durch Ein-
flechtung lateinischer Bibelstellen (344) und durch Gebrauch von Wor-
ten, die direct aus dem Lateinischen entnommen sind (meditieren, spe-
culieren, contemplieren, jubilieren, vgl. S. 422. 465. 466. 470 ; auch Jcorper
gehört hierher, s. oben S. 21). Hierher ist auch zu ziehen die in der
Erlösung öfter vorkommende, dem Lateinischen nachgebildete Wort-
stellung, Anm. zu 5327 (vgl. noch zu 1901. 5949; Einleitung S. H).
Solche Belege gewährt auch die Elisabeth : meist geht die steife Wort-
stellung aus dem Bestreben hervor, die Verse möglichst glatt machen
zu wollen, daz ir langen arebeit sie hatten wol behalden 358 (vgl. Erlös.
2301). di vrouwe na Sophie zu hirchen wolte heren 300. die bischove aber
ndmen den fronen Wchamen drostliche unser s herren 408. daz vrouwe nü
Sophie, di edele und die vrie, sulte sich vereinen 411. al da zu hove weren
des fursten eteswanne besunder dienestmanne 414. daz sie di wider plachete,
mit ander leie dachete düchen wi sie hmde 449- daz man den heren (Hs.
herren) unbestat corper ober erden liez 473.
Die Vertrautheit des Dichters mit der weltlichen höfischen Poesie
geht aus der Erlösung (89 ff.) hervor: wie er die Stoffe derselben
kennt und nennt, so auch in der Elisabeth die hauptsächlichsten welt-
lichen Dichter, S. 349 :
her Wolferam von Eschebach,
der tugenthafte Schriber,
her Reimdr und her Walther
von der Vogelweide.
da bi was ouch gereide
zu sänge meister Bitterolt
GERMANIA VII. 3
34 KARL BARTSCH
und in gefüger ungedolt
Heinrich von Oflerdingen.
Daß er Gottfried nachahmt, habe ich im Verlaufe der Unter-
suchung mehrmals bemerkt und Erlösung S. V — VI durch Belege
gezeigt: dasselbe an der Himmelfahrt (Erlösung S. XXIII). Auch in
der Elisabeth spielt der Dichter nach Gottfrieds Art mit den Worten,
indem er sie tändelnd wiederholt und umkehrt:
mit einvalter tc7sheit,
mit wlser einvaltekeit.
Über die Trennung des Adjectivums von seinem Substantivum
durch den Reim habe ich zur Erlös. 624 gehandelt: auch hiervon bietet
die Elisabeth Belege, daz eine ist, druweliche zw ein \ brüdem hellen
wol in ein 391. di stiege und di reine volgete aber eine | dagevart ir
herren nach 402. der lobebere | Gregorius der nünde 455. dem also lobe-
samen \ furslen ummer. amen 477. Auch die Himmelfahrt kennt diese
Trennung: der vil ungehure | hellewolf 190; vgl. Erlös. 624 der gar un-
gehure \ vient; und ähnlich unde sagen furbaz wie \ lange die magt
Prbcre 496.
Bei aller Übereinstimmung, die sich zwischen Marien Himmelfahrt
einerseits, zwischen der Erlösung und Elisabeth anderseits zeigt,
werden wir doch eine merkliche Verschiedenheit des erstgenannten
Gedichtes in der ganzen Art und Weise, im Ausdruck, im Wort-
vorrath, selbst im Versbau nicht verkennen. Daher es noch immer
zweifelhaft bleiben muß, ob die Himmelfahrt von dem Dichter der
beiden anderen Dichtungen herrührt, da zwischen diesen eine ungleich
größere Ähnlichkeit waltet. Somit trage ich Bedenken, die vor der
Vergleichung der Elisabeth ausgesprochene Behauptung (Erlös. S. XXIV),
„der Dichter der Erlösung habe auch Marien Himmelfahrt, aber in
einer späteren Zeit, gedichtet," zu wiederholen. Vielmehr glaube ich,
daß der Dichter der Himmelfahrt sich am Dichter der Erlösung und
Elisabeth gebildet und aus ihm (so wie aus Gottfried) manches entlehnt
hat : immerhin kann dann die von mir hervorgehobene Beziehung (Him-
melf. 398 — 403, Erlös. S. XXIII) die Erlösung meinen. Die Heimat
der Himmelfahrt wird wohl auch Hessen sein, worauf die jetzige Heimat
der einzigen Handschrift (Gießen), mehr noch die, Sprache derselben
und mehr als beides die Sprache des Gedichtes selbst führen: Ober-
rheinisches (wie ich S. XXII wegen hüde: nüde vermuthete) ist nach
der S. 1 gegebenen Berichtigung nicht darinnen. Da nun die Hand-
schrift der Himmelfahrt noch dem 13. Jahrhundert angehört (also wohl
gleichzeitig mit dem Dichter fällt), so muß der Dichter der Erlösung
DER DICHTER DER ERLOSUNG. 35
und Elisabeth wenigstens bald nach der Mitte des genannten Jahr-
hunderts fallen, und die früher von mir gegebene Zeitbestimmung (Er-
lösung S. VII) wird sich auch jetzt nicht wesentlich ändern. Welches
von beiden Gedichten das frühere ist, lässt sich nicht bestimmt sagen.
Die oben angeführte übereinstimmende Stelle (Elis. 459. Erlös. 4782.83)
macht nicht unwahrscheinlich, daß die Erlösung älter ist und daß hier,
bei Anführung einer biblischen Stelle, der Dichter in der Elisabeth
auf sein früheres biblisches Gedicht Bezug nahm. Zu dieser Annahme
stimmt die größere Gewandtheit, die der Dichter in der Elisabeth ver-
räth. Nehmen wir an, er habe von 1250 — 1275 gedichtet, so ist auch
denkbar, daß er mit Konrad von Würzburg gleichzeitig ist und von
diesem, der 1287 starb, manches schon entlehnen konnte. Die Zeit-
bestimmung „um 1300" (Gödekes Grundriss S. 73) macht die Elisabeth
entschieden zu jung.
Für die hessische Heimat des Dichters , auf die alle Umstände
hinweisen, lässt sich noch ein äußerer Grund geltend machen. Es wurde
nämlich die Erlösung zu einem leider nur bruchstückweise bekannten
„ Schauspiel von der Geburt Christi" benutzt, welches Jo. Conr. Die-
terich, Professor in Marburg, in seinem Specim. antiquitatum biblicarum
(Marpurgi Cattarum 1642. 4°.) p. 122 erwähnt. Gödeke verweist auf
eine mir nicht zugängliche Schrift von Fr. v. Stade: Specimen lectt.
antiquarum francicarum, Stade 1708. 4°. p. 34, wo aber auch nicht mehr
mitsretheilt scheint, als was v. d.Haofen im neuen Jahrbuch der berlinischen
O 7 O
Gesellschaft 7, 349 — 350 aus Dieterich wiederholt. Das erwähnte Schau-
spiel, in welchem Augustinus den Virgil auffordert zu verkünden, was
er von Christo wisse, schreibt die Erlösung wörtlich aus: die Verse
des Bruchstückes 1 — 6 entsprechen Erlös. 1894 — 99; Brachst. 11 —58
sind Erlös. 1902 — 73, jedoch mit mancherlei Auslassungen, es fehlen
Erlös. 1966 — 67, 1918 — 23, 1926—27, 1934-45, 1958-59; die Verse
1946 — 51 sind versetzt und folgen nach 1957. Die dem Schauspiele
zu Grunde liegende Hs. der Erlösung kann weder die Prager, noch
die Nürnberger sein, noch viel weniger die Trierer, sie war eine sehr
vorzügliche, sorgfältiger als alle vorhandenen, und gehörte ohne Zweifel
noch dem 13. Jahrhundert an, denn das Weihnachtsspiel selbst fällt
spätestens in den Anfing des vierzehnten. Auch sie weist uns auf
Hessen, speciell auf Marburg, und ich bin nicht abgeneigt, in ihr die
Originalhandschrift zu erblicken und nach allen Anzeichen den Dichter
der Erlösung und Elisabeth für einen Marburger zu erklären. Für die
Zeitbestimmung der Erlösung gewinnen wir durch diese Benutzung
einen neuen Anhaltspunkt, der meine frühere Annahme (Mitte des
3*
36 KARL BARTSCH
13. Jahrhunderts) wahrscheinlich macht. Für den Text der Erlösung
ist das Bruchstück nicht unergiebig, meist hilft es die Lesarten der
besseren Prager Handschrift bestätigen; vgl. 1903. 1912. 1947. 1952.
1957. 1965. An anderen Stellen aber stimmt es mit der Nürnberger
gegen die Prager, vgl. 1917; und an mehreren gewährt es gegen NP
das richtige, so 1924.25:
frides volle xcirdic dan.
der herre wirt ein wiser man,
welche Zeilen in N umgestellt, in P verderbt sind. — 1930 gar nach
gotücheme side , NP nach gar. — 1950.51: die von mir vermuthete
Umstellung der Reimworte in N (womit, wenn man Keiles Angabe
trauen darf, auch P stimmen würde) bestätigt das Bruchstück. — 1951
sie für sich, wie NP lesen. Die Übereinstimmung mit N einerseits,
mit P anderseits macht es wahrscheinlich, daß das Bruchstück die
Originalhandschrift darstellt, aus der N und P, unabhängig von einan-
der, wenn auch nicht unmittelbar flössen.
Aber nicht nur für den Text der Erlösung, sondern mehr noch
für die Geschichte des deutschen Schauspieles hat das Bruchstück
Wichtigkeit, indem es einen bis jetzt einzigen Beleg gibt, daß man
ein geistliches Gedicht in Reimpaaren zu einem geistlichen Schauspiel
umgestaltete. Wie einfach die Umgestaltung geschah, können wir aus
dieser Probe schon sehen : es hat der Bearbeiter den Text der Erlösung,
so weit er nicht erzählend war (und zum Theil ist sogar die Erzählung
oder der redende Dichter benutzt, wie 1894 ff.), wörtlich aufgenommen,
allerdings einige Stellen weggelassen, eigenes aber, mit Ausnahme von
7 — 10, die die Aufforderung des vom Bearbeiter eingeführten Augustin
an Virgil enthalten, gar nicht dazugethan. Daß auch die vorhergehende
Weissagung der Sibylla (Erlös. 1760 — 1837) von dem Verfasser des
Schauspiels benutzt wurde, sehen wir aus Dieterichs Erwähnung : eodem
modo idem autor Sibyllas tanquam prophetissas de Christo servatore
mundi introducit venusto carmine (Hagen 7, 350) , und ebenso wahr-
scheinlich auch die übrigen Propheten (Erlös. 1164 ff.). Von ähnlicher
Anlage ist das bei Mone, altdeutsche Schauspiele S. 145— 164, ge-
druckte Fronleichnamsspiel : nur mochte sich in dem bruchstückartig
erhaltenen die Geburt Christi, vielleicht auch die Leidensgeschichte,
anschließen. Das von mir im Auszuge mitgetheilte Schauspiel (German.
3, 267 — 297) beginnt sogar mit der Geschichte des alten Testaments,
behandelt die messianischen Weissagungen (German. 3, 270) und geht
dann noch durch das ganze neue Testament bis zur Auferstehung
Christi.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 37
Die handschriftlichen Hilfsmittel für die Erlösung lassen sich
noch weiter vermehren. Ich bedauere bei meiner Ausgabe vor allen
nicht die Prager Handschrift, die leider auch nur Bruchstück ist, ge-
kannt zu haben. Ihre Lesarten hat Kelle in der Germania, 3,465 — 480
mitgetheilt und bei dieser Gelegenheit die Vermuthung ausgesprochen,
„aller Wahrscheinlichkeit nach" sei die Nürnberger Handschrift eine
Copie der Prager; ja er hält es sogar für nicht unmöglich, daß letztere
die Stammhandschrift sei , das Gedicht also vor dem Anfange des
14. Jahrhunderts nicht verfasst sein könne. Daß weder die eine noch
die andere Vermuthung gegründet ist, zeigen zahlreiche Stellen, an
denen P entweder Fehler oder Lücken hat, die N vermeidet. So fehlt
1238 in P das nothwendige was; 1456 reimt P geschiM: geschrift, mit
einer in der Erlösung wie in der Elisabeth unerhörten Freiheit; das
richtige ist das von Bech vermuthete gesiht. 1504 für JliV,, das das
lateinische gurgites verdeutscht, liest P Mut; N hat das richtige, was,
wenn P Vorlage oder gar Originalhs. wäre, nicht sein könnte, nament-
lich wenn man den Schreiber von N für so gedankenlos hält wie Kelle
thut. 1592 die er erhante sine frunt, quos cognovit amicos suos (auch
diese Stelle gehört zu denen, wo der Dichter lateinische Ausdrucks-
weise nachbildet, vgl. oben S. 33) ; in N richtig, P hat sante für erhante,
was sinnlos ist. 1661 und glich swer silber füret; P liest unsinnig ubir
für siver, aber durch Verlesen leicht erklärbar. 1678. 79 fehlen in P,
während sie doch den Schluß der Bibelstelle bilden, also nicht fehlen
dürfeii. 1783 der (der Hölle) porten sol er v eilen: in P propheten für
porten; im lateinischen Texte inquirens tetri portas infringere averni.
1799 ein grülich büsnnenschal : P hat trulich, offenbarer Schreibfehler
1811 entstellt P das richtige vleisch, wofür N Übe hat, in vluch; lat.
carni. 1926 — 27 fehlen in P, nicht in N: sie übersetzen ecl. 4, 22;
ebenso fehlen 1938. 39, die ecl. 4, 23 ausdrücken. Doch genug der Be-
lege. Kelle wird hoffentlich die unbedachtsam ausgesprochene Behaup-
tung fallen lassen.
Auf eine vierte Handschrift der Erlösung habe ich schon oben
(S. 35) hingedeutet : sie befindet sich in der Stadtbibliothek zu Trier
und ist von Hoffmann in den altdeutschen Blättern 1, 325 erwähnt
(Pap. 15. Jahrhundert). Die Erlösung führt hier die Überschrift Hye
hebet an eyn histonjge tvye got die icerlt machet. Die wenigen Stellen,
die daraus von Hoffmann mitgetheilt sind, V. 59 — 65, 81 — 104, lassen
nicht erkennen, ob die Handschrift das Gedicht vollständig enthält (es
nimmt in derselben 31 Blätter ein): sie zeigen aber, daß eine Ver-
gleichung für den Text sehr wenig ergiebig sein würde. Nicht nur sind
38 KARL BARTSCH
die Verse schauderhaft entstellt, die metrische Form zerstört, sondern
auch häufig ein oder mehrere Zeilen ausgelassen. Höchstens könnte es
von Interesse sein, die auch durch P nicht ausgefüllte Lücke (ein Blatt
in N) nach 2565 zu ergänzen , wenn man auch wird darauf verzichten
müssen, sie nach der Trierer IIs. einigermaßen lesbar zu geben.
Ich lasse zum Schlüsse Verbesserungen zur Erlösung folgen, mit
Benutzung der ■wohldurchdachten „sprachlichen Erläuterungen" etc. von
F. Bech (Germania 33 328 — 337) und der Lesarten von P (Germ. 3,
471 — 480). Die nun gewonnene Erkenntniss des Versbaues leitet an
vielen Stellen zunächst auf Erkenntniss von Fehlern und hilft meist
auch bessern. Die in den Anmerkungen schon gemachten Vorschläge,
so wie die in vorliegender Untersuchung gebesserten Stellen über-
gehe ich.
19 phundes Bech. 56 gevruht Bech : über die Kürzung (= gevruhtet)
vgl. Anm. zu 5051. 58 daz üz eim eie wirt ein hun. 80 wil düten.
87 vieren nach der Trier IIs. 90 iedoch oder doch den stnen. 101 die
rede ist ernestlich gevar. 106 werelt, vgl. Anm. zu 1435; und ebenso ist
zu schreiben 119. 1163. 1378. 1485. 1777. 1800. 1902. 1964. 1967 u. s. w.
108 gotellchen und so immer gotelich für gotlich, vgl. 113. 155. 174.739.
1398.1399.1724.1961 etc.; ebenso boteschaft für botschaß 2434 u. s. w.
goteheit für gotheit 700. 731. 779. 811. 836. 1038. 1403.1589. 131 ime,
und ebenso für im 2052. 2158. 2458. 2867. 4216. 4450. 4846. 6009.
148 unde. 150 hine, und so noch 273. 2869. 6552. 154 gute war. 165 gar
lobesam. 216 ewicUchez. 256 schemeüche. 282 da wohl zu streichen.
291 zegelich. 331 wunder: ander; der Reim war gleitend, demnach
wanderen : anderen, und die zweite Zeile ist fehlerhaft. Wenn man klin-
genden Vers mit überzähliger Silbe gestattet, so wäre erlaubt sus schule
iclichz ab dem anderen. 393 der tron der was gemachet ivol. 429 samen
schin Bech. 436 seclun Bech. 459.460 finster (== fensler) : dinster Bech.
463 vinsternisse , ebenso 1300.2295. 507 um den zweisilbigen Auftakt
zu entfernen, etwa die herren se alle gliche. 521 Barmeherziheit , und
so auch 537. 549. 553. 585.659. 715. 853.873. 1030. 1057. 1067. 1404. 2809;
und barmeherzic 529.4113. 556 gedenke ouch, vgl. 588. 638. 567 icorie
als Norm Plur. wie wtbe , kinde in der Elis., vgl. oben S. 7. 618 und
da die rede verneme. 651 sollent , und ebenso 1257. 1319. 2418. 3065.
695 harte für gar. 705 alle. 766 barmelic/te , vgl. S61. 809 der da
kunftic was. 881 nimmer mer. 892 ein die ist zu streichen. 916 laste.
926 wider zu streichen. 958 geboren, und ebenso 1222. 1741. 1845. 1899.
1989.2012. 2039. 2241 . 2244. 2262 u. s. w. 1055, 56 wie der mensche sterben
must und so gar verderben. 1073 wan. 1093 sie sungen algeliche sus,
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 39
vgl. 1131. 1105 vogt: verzogt Becli. 1143 etwanne. 1157 — 62 der
sechsfache Reim ist zu verwerfen; zwei Zeilen (1159. 1161) ganz zu
streichen und 1160.1162 reimen zu predegen und zu sagene und gotes
wort zu tragene. 1200 irkante P. 1206 sus drUich ime got erschein P.
1214 sohlen P. 1234 inkeinen P. 1243 heimelicher P. 1248 genomen
wirt der Juden e. 1250 ein leider P. 1254 des da beident P. 1271 dienest.
1277 Pharaons. 1278 seht; gote: geböte klingend. 1290 joch virhort als
iz gezimt P. 1291 irit P. 1295 des behaut P. 1301 beguamP. 1326 ztte,
1329 hatte ouch vor hin lange P. 1355 — 58 der Besserungsversuch
Bechs, plüme für lüme, ist, da P wollen für wölken bietet, nicht statt-
haft: P liest für 1355.56 wunnecliche dirre herre kumit, also sanfte er
sich niht sümit , was nicht richtig sein kann , da diese Verse mit vier
Hebungen und überzähliger Silbe gelesen werden müssten; auch schließt
sich dann 1357 nicht an, wo wenigstens ein sam vor regen stehen
müsste. Ich bleibe daher bei lüme von N: nu schouwet wie gar wonnec-
lich der herre kume, als sanfte joch als lume regen in wollen slüfet und
druf (N drauf = mhd. trouf druf — truf im Passional) üf erden träfet.
1361 vur dem mCinen P. 1368 im ouch P. 1344 gar] vil P. 1384 ge-
segent P. 1406 vorte (=vorhte) P. 1415 vor in in dirre P. 1417 kunnent P.
1421 dhi zeichin und diu tv. P. 1431 icie got sich wolde geben P ; geben:
leben klingend. 1432 menschliche P. 1440 die tilge mit P. 1451 der
heilege kumit P. 1456 gesiht Bech. 1458 doch tilge mit P. 1463 und
sal niht lange sumen sich P, oder lezzit mit Bech. 1466 gegebin P.
1482 ander] alre P; omnes gentes Vulg. 1488 fi". gein dem solt ir sin
gereit, cren unde wirdikeit der tempel sol ervullet sin. 1498 in Judeen
laut P. 1499 die minste (minima) P, ebenso daher auch 3289. 1502 vil
rehte hart P. 1526 heiler : kumit er) P. 1540 inne P. 1564 dine flut P.
1574 mich P, wie schon Bech vermuthete. 1578 was also P. 1579 abir
do P. 1582 in denen t. P. 1607 sollen. 1629 sicä. 1630 man] U P.
1641 gotheit wol gezam P. 1678 enslage Bech. 1689 der ivtssage ouch
geschriben hat P. 1694 invortet ach (ach fehlt P) niht, sit gemeit P.
1698 ubir üch gesehen P. 1719. 20 biz ich daz wevel und daz warf unz
aldd hin hart getragen P. 1721 alhie nü P. 1730 hat P. 1751 wer in
daz niht P. 1752 tilge ouch. 1755 hat unsir got verzigen P. 1758 wort P.
1759 wundir vort P. 1765 heimelichen P. 1772 ein kuninc P, rex im
Latein. 1782 dann tilge mit P. 1790 besser erhöhet xoerdent alle tal.
1801 er kündet uns den jämertage: uns aus P, wo aber den fehlt.
1805 böse und reht den hoen vot (=vogt) P, von Bech schon gebessert.
1806 zusehen heilic Bech, tuscher heilich P. 1813 sunder ewic Bech: P
bestätigt. 1822 erwegen] ergeren P: das echte wird sein ergenen, dehiscens.
40 KARL BARTSCH
1832 Übende P. Die zehn Verse in P nach 1837 sind ohne Zweifel
echt: sie beziehen sich auf das im lateinischen Texte liegende Akro-
stichon, das aber in der von mir nach einer Nürnberger Hs. gegebenen
Gestalt vielfach zerstört ist. 1839 hau wir noch hie vor P. 1852 die
flamme P. 1852 die rihte vierzic P. 1854 schächbanden P, von Bech
schon gebessert. 1903 ist für sol P und B (das Bruchstück des Schau-
spiels). 1911 daz B. 1936 Helen aber vert P. 1944 er] leint P. 1947 kouf-
schatz P und B; von Bech gebessert. 1951 sich] sie B. 1952 dot P
und B. 1954 er tilge mit den Hss. 1957 kein tilge mit P und B.
1965 erbibet P und B. 1968.69 begin: sin. 1973 herre für her, wie
auch die Hs. (B here) lesen. 2004 üf ime P; vgl. super eum Vulg.
2024 etwa er sol onch g. 2031 Bechs Vermuthungen sind unhaltbar;
slagen, was ich vermuthete, bestätigt P: die sioert zu sensen alle slagen.
Vomeres wäre genau plügisen, nicht sensen, und so ist wohl das echte
die sreert zu plügisen slagen. 2033 sol an den Anfang der nächsten
Zeile mit P. 2045 die wäre minne P. 2058 clagelit P. 2064 wir hän
gesehen in zu vrist; zu fehlt in N; P liest in gesehen. 2087 den tilge
mit P. 2110 aldä zustunt P. 2113 sprichit P. 2114 daz ich teil wecken P '.
2122 gereht ist unser herre tcolP. 2125 wanhaft: N wdrhaft, P wonaft.
2126 gar getrüweliche dan P. 2147 demonstrasti P. 2157 vestieliche.
2181 der (P de) sprach P. 2182 gesiht Bech. 2189 mite, ebenso 2477.
2216.17 ivaz mac ouch sin die dore , beslozzen vast da vore: klingend.
2222 daz reine P. 2284 zite. 2289 einzelingez. 2325 daz wir die niht
gar schone enphän. 2329 durch daz wart die frist getan. 2361 sit unser
herre doch niht e. 2363 danne. 2380 sehen. 2381 den zu streichen.
2396 der selbe man der häte. 2397 einen. 2455 ungelouben. 2483 dines.
2497 die Bech. 2499 dine gnade oder dm genäde. 2522 blüwet (= blüejet) ;
ebenso 2559 blüwest. 2524 gnade, oder ein zu streichen; ebenso 2590.
2526 me wohl zu streichen. 2593 gebenediet. 2597 ane. 2598 gesprach,
2601 komit oder komt mir. 2613 üfe. 2632 komit. 2637 wncZ<? sw i?i7 mehtic
kraft. 2652 geschehe. 2691 schrifte, und ebenso 2915.3030.3535. 3817.
3943. 5119. 6018. 2704 swra. 2711 herre zu tilgen. 2751. 52 nein ez sol in
keine tvis genennet werden Z. 2768 besser reden geriet er schiere. 2773 und
hat ez fri gemäht: 2774 heil hat er uns üf, nobis Vulg. 2778 besser
durch der höchpropheten munt. 2796 gefrit von edler vorhte gar. 2803 sine
spor. 2808 ir zu streichen. 2832 besser und da geschehen solde. 2843 waz
sohle nü der rede me. 2866 daz ez ouch an. 2902 Bech will kint für
kindelin: glatter wird der Vers durch frowe oder maget. 2912 sine.
2914 als der herre. 2927 häte oder hine. 2930 vor geseit. 2962 (Zeme:
Bech will dem kindelin. 2974 der selben zit. 2999 dehein. 3004 cfcrc smen.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 41
3005 weder zu streichen, oder noch dafür. 3036 doch zu streichen.
3038 hat geprediget. 3096 ditze. 3121 nam do .wunder. 3178 dare.
3180 vorgesihticl/chen. 3187 ir komen Bech. 3227 niht verbrächen Bcch.
3237 kundiclich Bech: doch liest auch P wie N. 3243 herre P. 3247 solde P.
3248 ubir alle kuninge rieh P. 3259 habit ir. 3262 die rede erkant P.
3263 oriant P. 3264 wnd zu streichen. 3280 wirt P. 3281 verrihtet.
3292 fro^ef. 3300 hau erslagen. 3303 besser konige rieh, vgl. 3248.
3309 tmd zu streichen; ebenso 3391. 3317 beger. 3330 diz zeichen
eines kuniges ist. 3340 dem selben hase, oder deme hüse. 3355 derne.
3376 Aem P. 3378 furesihtikeit oder furgesihiikeit. 3394 machte he P.
3407 es P. so//;'. 3412 «Zudem /an« P. 3428 die im P. 3477 noch
zum vorigen Satze. 3479 sin leben P. 3482 vogelen P. 3490 kindes P,
wie Bech vermuthete. 3520 herre got (gegen NP) nn les (P fes z'r) dw
?m'c/*. 3527 in zu streichen. 3541 <7<?s P. 3570 daz P. 3595 iesä Bech.
3598 und min (1. nitne) man P. 3599 mäze?i, was Bech vermuthete,
liest auch P: doch halte ich an mästen fest. 3603 hüten P. 3608 her
wider P. 3609 sie heten iht. 3612 sie betrugen mich P. 3622 vorderlicli]
iveiz got P. 3627 hie wa hat P für höre in N: es muß ein Ausruf
sein; entstellt aus eiä? 3628 setzen hie gein uns. 3650 Sarracen P.
3651 det itf alsolih leit ersten P. 3663 Rdmä P. 3670 getrostit P.
3677 s^6'/«V (== siecher) vor seZie P. 3697 gesendet P. 3701 a7« tilge
mit P. 3717 e P. 3718 die schrift uns offenbar. 3723 kindelin. 3734 m<2 P.
3745 in iciderstrtt P. 3775 gesuchet. 3799 sz'c/i Awp £w Cdna in Galile P.
3800 was tilge. 3801 sme. 3807 einen. 3811 schrifte hänt. 3819 s£ö
mohtis niet P. 3835 vliezen P. 3846 d«z P. 3847 /i«2 wwszV 7*we a7«
getan P. 3851 7«e7Z cm im. 3854 heilikeite. 3858 teer eltlichen. 3868 e?e-
keinen. 3872 m dem waWe P. 3873 burnen. 3874 eine. 3880 a/ m5m>
«7 P. 3886 ötmndekeit P. 3898 dem zu tilgen mit P. 3900 alle halten,
vgl. P. 3901 Diz (Dise P). 3904 besprachin P. 3906 das uns sint
komen mere P. 3913 machis P. 3914 dow/e P. 3919 kumit P. 3920 vor P.
3925 smc P. 3926 der herre P. 3933 in alle wls P. 3942 reht als P.
3945 d/e rede nider P. 3958 a/j dem ich min (P m^r) bevallin hdn P.
3969 ?ra?i er begienc den ungevüc P. 3988. 89 sie lerten oach die jüngeren
vasten dursten hungeren P. 3994 iedoch] also P. 4011 dine. 4016 von
des brotes (P in des b.). 4017 xoan ouch. 4036 eftne P. 4037 ane P.
4063 smac P. 4079 /«£ ?M'ß sunde üch rüwen P. 4135 gebenedtet; ebenso
4407. 4137 herre hat P. 4153 ei frünt P. 4166 unz tilge mit P.
4169 lov-hte hin P, wie Bech schon besserte. 4175 kuninc her P. 4181 sine.
4193 sine. 4194 s?f de/j hiden hin von gote P. 4202 gesehen P. 4206 die
Vermuthung Bechs, halzen für hinken, bestätigt Elis. 479. 488. 4207 und
42 KAEL BAETSCB
zu streichen. 4254.55 gezien: von hinnen vlien. 4273 ein gerüfe und
Bech. 4319 igelicher. 4337 zm </£ne. 4357 samjre P. Die zwei Verse
in P nach 4363 sind sicher echt; geriten: Uten klingend. 4395 komii.
4402 kindir P. 4443 zeinander P. 4454 t/W hin P. 4470 a« mir irge P.
4479 a#e rfar. 4483 ^?/e P. 4508 rae ach unde ice P. 4527 ouch hegan P.
4543 vom P. 4545 besser daz er got verkonfte . sin här er üz geroufte.
4557 er nam die pfenninge alle sä, vgl. P. 4572 iedoch tilge mit P.
4573 wol die schrift P. 4576 also P. 4579 alle gar. 4598 bovel (P popil).
4603 so verspiet P. 4608 do tilge mit P. 4612 von P. 4616 von tilge
mit P. 4624 ubels tilge mit P. 4625 so wer er niet gevangen P.
4632 er nam in in den sal hin dan, vgl. P. 4639 sag an zweimal, P.
4647 gewelde lutzil P. 4648 wer sie dir P. 4654 hin vure P. 4658 noch
dtleine. 4663 einen vf den östirdac P. 4667 nein luz B. P. 4689 vil P.
4690 unkennelich. 4691 willechch P. 4708 ein kuninckleit P. 4711 dornen P.
4713 dar vf geknuttelieret P. 4727 also P. 4735 gewant P, vgl. 4918.
4746 dekeine. 4758 gewalt in ir gewer P. 4770 muste heben (: dreben) P ;
vgl. meine Bemerkung unterm Texte. 4772 zogtin P. 4778 sine.
4784 äo//»7. 4796 wraefo scAar/ P. 4798 schdehman P. 4819 jdmernot P.
4836 ««e P. 4853 &«. 4892 dtf<ta P. 4894 5&s P. 4902 dine.
4921 aWar P. 4935 daz irwan (:man) P. 4947. 48 gehören zusammen:
Bech. 4976 ewidlcher. 4981. 5000 bekomen P. 5004 stürmen P. 5051 von
dm sefon P. 5067 min«. 5142. 43 von den seien ubir al hup sich ein
wunnecllcher schal P. 5168 in alre wls det alsus P. 5241 bereidit P.
5253 deme. 5261 sie do gän. 5265 sie üf höher baz: P vffohir. 5300 ndheV.
5306 Jtsum, herre, von N. P. 5307 mm dros£ mwi Zeom P. 5308 sin
worden iht gewar. 5316 bevluz P. 5318 geben edlet mustu sin P. 5327 waz
du häs P. 5338 mlne P. 5397 a/fe gwte. 5423 gäbe er. 5489 den
ininen geist. 5496 sm bistum ml ein ander hat. 5518 alle wereltere;
oder aZ der werelt vre. 5526 cristenheite. 5564 cZr?e. 5588 ane gende.
5590 t'or tüar der swn. 5618 encelet. 5639 antworte niht engap er mir.
5650 z're?i /rw«£ den zooltes haben. 5680 sunder mal Bech. 5681 kein
vlec enhdt an dir niht twäl: twäl nach Bechs Vorschlag; verkürzt wie
schäl (Anm. zu 5451). 5719 zinemln. 5731 rouches gertelin Bech, der
aber riiehes schreibt. 5739 ist für in ? 5774 koniginne. 5775 etwa von
der ist alhie gesagt. 5786 vollekomen. 5810 werden iht. 5825 vPhet.
5839 unde wirf. 5846 er machet ouch daz tempel. 5916 slehet. 5960 der
vierde halber. 5974 niht zu valle. 5978 weret. 5992 vierdehalp. 5997 c/a/m
aoer #&. 6000 sprichet. 6001 möz icA fr/n, vgl. 6003. 6006 sollet.
6040 r/arw. 6044 daz er sus zubr. Vit. 6094 envert. 6144. 6167 <?«-
schihet. 6177 nie manne. 6183 ^r/w/t zu streichen. 6234 drlzehende.
DER DICHTER DER ERLÖSUNG. 43
6244 solich. 6245 liüwe. 6249 einem — glich. 6259 dort gefur et. 6267 irürec-
lichen. 6290 über alle menschen diet. 6316 solle?i. 6319 schätze liehen.
(J322 unkihchere. 6340 ouc/* fo'/^ hie. 6375 oi^c/t zu tilgen. 6397 so
den der mensche. 6407 gnant zu tilgen; wohl auch uch. 6428 da.2 ersig
daz ist. 6457 cZ« sa^ du rehte. 6498 sie/« verrilde. 6489 m'Aä enmulen.
6493. 6519 wn<i zu streichen. 6496 dienesthaft dem röche. 6531 zornic-
Uche. 6533 gonget. 6534 füwer. 6541 /<i'e vor.
EAPAKIUS.
Diese Aufschrift fährt das lateinische Gedicht, nach welchem in
den Griinm'schen Kinder- und Hausmärchen das Märchen Nro. 146
„die Rübe" mitgetheilt ist, in der in Straßburg vorhandenen Papier-
handschrift (Mss. Johann. C. 102). Nach der Anmerkung zu diesem
Märchen (Band 3 der Griinm'schen KM. 3. Aufl. S. 229 ff.) stammt die
Handschrift, in welcher dieses Gedicht vorkommt, aus dem 15. Jahr-
hundert. Die Grimm erwähnen a. a. O. , daß ebendasselbe Gedicht
in Wien in einer gleichzeitigen Handschrift enthalten sei, wie ihnen
aus der Recension bei Denis bekannt wurde. Eine genauere Besich-
tigung dieser im Besitz der k. k. Hofbibliothek befindlichen Hand-
schritt machte es unzweifelhaft, daß diese spätestens im 14. Jahrhundert
niedergeschrieben worden sei , wodurch die Bemerkung der Brüder
Grimm, daß das Gedicht bereits im 14. Jahrb. verfasst worden sein
möge, bestätigt wurde. Zugleich ergab die Vergleichung des a. a. O.
abgedruckten Bruchstückes mit der entsprechenden Stelle der Wiener
Handschrift (Vers 323 — 369), daß die Abweichungen der beiden Ver-
sionen bedeutend genug sind, um einen vollständigen Abdruck dieses
Gedichtes gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
Die Handschrift Nro. 1365 (Recens 3356, Denis II. 2. p. 1271,
cod. DLXII) , aus 92 auf Pergament geschriebenen Blättern in 8°. be-
stehend, befand sich früher im Besitze des Benedictiner-Klosters Monsee
in Ober-Osterreich, von welchem sie in die k. k. Hofbibliothek gelangte.
Sie enthält nebst einigen Abhandlungen theologischen und medicinischen
Inhalts Ovidius, de remedio amoris und Galfredus de Vinisauf, Nova
Poetria. Auf den Blättern 78v. col. a bis 80v. col. b befindet sich das
hier mitgetheilte Gedicht. Es trägt keine Überschrift und umfasst 430
Zeilen in elegischem Versmaße, während es in der Straßburger Hand-
schrift nur 392 Zeilen zählt. Durch ein Versehen des Dichters wird
44 ADOLF WOLF
zweimal die Aufeinanderfolge der Distichen gestört, da in den Versen
71.72 zwei Hexameter, 379.380 zwei Pentameter auf einander folgen,
f. 78v. col. a. Fama fuisse duos testatur frivola fratres,
Qu os uni mater edidit una viro.
Militie tytulus hos insignaverat ambos,
Ex quibus unus erat dives et alter inops.
5 Militis officium habebat cum nomine dives,
Alter egestatis triste ferebat honus.
Ne tarnen omnino possit mendicus haberi
Proh dolor insolitum discere cepit opus;
Mollius ergo solum rastro, modo scindit arastro,
10 Nunc radicosa manu rnra ligone serit,
Et patulis subtilem sulcis commendat avenam.
Utpote cui parva copia farris erat,
Seminat et semen, cujus fit rapula fructus,
De quo fructificat immoderata seges.
15 Rapula crevit ei reliquis enormior una,
Quae dici pleno nomine rapa potest,
Tarn dilatata foliis tarn corpore grandis,
Ut nemo penitus viderit ante parem.
Ipsius umbra viris duodenis sufficiebat,
20 Ne sub ea solis ureret estus eos.
Tarn fuit enormis, ut carrum sola repleret,
Vixque boves traherent quatuor illud honus.
Ast pauper viso tarn grandi pondere fructu
Obstupet et secum dicere cepit ita:
25 „O deus omnipotens ! celi terreque creator,
A quo conditus est primus et omnis homo,
Qui celum sole luna stellisque venustas
Et qui multiplici germine pingis humum,
Quique facis variis habitabile piscibus equor,
30 Arbitrio parent cuncta creata tuo.
Absque tuo nutu folium non projicit arbor,
Nee sine te fructus gignit ager vel humus,
Nee sine te crevit ha?c rapula prodigiosa,
Quae normam vincit transgrediturque modum.
35 Deprecor, ut fructus hie sit mihi causa salutis,
Sit paupertatis finis opumque dator.
Si nichil in terra jubet esse deus sine causa,
Hunc fruetum frustra non gencravit humus.
KATARIUS. 45
Actenus, heu domine, sub paupertate fatisco,
40 Quae me confundit degenereraque facit.
Magne deus novi, quoniam de compede tali
Me potes eximere, si tarnen ipse voles."
Ergo sub tali portento, quid sit agendum
Gonsulit uxorem, protinus uxor ad haec:
col. b. 45 „Vilis erit precii, si rapula veneat ista,
Proderit immo minus ventre vorata tuo.
Expedit, ut regi rarissima rapula detur,
Nam debent regi munera rara dari.
Forsän es a rege magno ditandus honore,
50 Quem dare pro parvis munera magna decet."
„Hoc placet, hoc plane faciam," vir ait mulieri,
„Utile consilium propositumque tuuni."
Mox igitur carrum componit et ordinat aptum
Applicat et carro quatuor ipse boves.
55 Pondere sub tanto stridet et gemit axis et ipse
It celer, ut regi munera rara ferat.
Mensibus (sie) ergo tribus sie incedens vir honestns,
Ecce die quarto regia castra petit.
Se presentari regi petit, impetrat, intrat,
60 Utpote qui munus grande daturus erat.
Hoc etenim regum sibi curia sanxit, ut omnis,
Qui nichil adtulerat, stet foris ante fores.
Nee tarnen interdum negat illi sanetio legum,
Qui cum muneribus limina regis adit.
65 Ergo ubi iste suam regis vectatur in aulam,
Qui coram rege stans reverenter ait:
„Accipe mi domine quoddam mirabile munus,
Quod soli regi censeo jure dari."
Protinus inspecto fruetu tarn ridiculoso :
70 »Pape! quid hoc monstrum, rex ait, esse potest,
Unde tibi, bone vir, hasc rapula prodigiosa?
Multa quidem mira, scio, me vidisse frequenter *),
Sed nunquam vidit tale quid nllus homo.
Non est fortassis hasc rapula filia terre,
75 E celo potius hanc cecidisse reor.
*) Hier folgen durch ein Versehen des Dichters zwei Hexameter aufeinander, so
muß man wenigstens annehmen , da im Texte durchaus keine Lücke zu sein scheint,
und ein ähnlicher Verstoß noch einmal (s. Vers 379. 380) vorkommt.
46 ADOLF WOLF
Hase erit, ut video, tibi fons et origo salutis
Judiciumque reor ominis esse boni.
Die, age simpliciter, tibi qui consangiiinei sunt,
Quaeve tibi patria, quod genitale solum?"
80 Hiisque peroratis a rege sibi intulit ille:
„Natus in imperii sum ditione tui,
Estque parentela mihi nobilis et geuerosa.
Miles erat genitor, miles et ipse fni.
Testis adest miles gemine mihi nobilitatis,
85 Quem mihi germanum f'ecit uterque parens,
Qui quamvis opibus multis fastuque tumescit
Sed tarnen haud fratrem se negat esse meum.
Ilunc tua majestas primos habet inter amicos
f. 79'. col.a. Vix est in regno ditior ullus eo.
90 Et mea continua sie nie confundit egestas,
Ut coram notis sit mihi nullus honor,
Et mihi cottidie tantis cruciatibus angor,
Ut sit non parva vivere pena mihi.
Quanta putas, domine, quod sit mihi gloria fratris,
95 Cum nie substernat indiga vita meis.
Quem natura parem mihi fecerat, ecce superbat,
Ast nie pauperies rusticitasque premit.
Proh dolor! experior, quam sit sententia vera:
Dives ubique placet, pauper ubique jacet.
100 Ecce meus frater regi placet et placet urbi,
Heu mihi! nie miserum despicit esse solnm.
Cum nie desei'erent et opes et copia rerum
Deposui gladium milicieque joeuni,
Et modo pro gladio manus utitur ista ligone,
105 Ut fodiam propria rura labore meo.
Ilostes, qui quondam eunetos terere solebam,
Nunc stimulis pungo posteriora boum.
Qui quondam studui traetare negotia belli,
Nunc pauper propria semino rura manu.
110 Ruricole more miseram sie transigo vitam,
Inde mihi victus, vestis et inde mihi.
Inde mihi domine, quam cernis, rapula praesens,
Quälern non vidit sive videbit homo.
Et quiä magna decent magnos pro munere magno,
115 Ilnec volui, prineeps maxime, ferre tibi."
RAPABIUS. 47
Ilico privatas aperiri rex jubet arcas,
Quas impregnarat grandis acervus opum.
Rex igitur variis hominem tunc rebus honustum
Gazaruin magno pondere farcit eum.
120 Gazis addit equos, nee equis redimicula desunt,
Addit et armentum lanigerumque pecus.
Singula, quid memorem, bona, quanta viro dederit rex,
Dicere sufficiat multa dedisse viro,
Qui, Varia reru.m variarum merce refertus,
125 Disponit proprios dives adire lares;
Ergo valefaciens regi gratesque repetens
Omnibus evectis ad sua vertit iter.
Ecce revertenti conjunx oecurrit eique
Oscula continuans dulcia dixit ave.
130 „Dissere, dixit, iter, si quod profeceris ipse,
Aut quod contulerit hrec mora longa tibi.
Die, age, quid sis mercedis adeptus." at ille
col. b. Gloria demonstrat, quae bona nactus erat.
„Arrisit en, ait, mihi jam fortuna seeunda,
135 Contulit et regis hrec mihi larga manus.
Ecce, vide bona, quanta meto de semine vili,
Hrec bona, quanta dedit rapula magna mihi.
O mulier, grandis tibi copiam suppetit omnis,
Amodo nequaquam pauper eris vel inops.
140 Prosperitas aderit ingensque opulentia nobis
Paupertatis enim non patiemur honus.
Nunc igitur nostros dissolvent gaudia luctus,
Gaudia succedunt, nam labor omnis abest."
Tunc accersiri jubet affines et amicos,
145 Omnibus eventus pandat ut ipse suos.
Ecce propinquorum grandis collecta gregata,
Iliisque ministratur copia multa dapum.
Cumque videret eos joeundos et temulentos
Successus proprios dicere cepit ita:
150 „Auscultate, precor, noti mea verba notate
Fortunam vobis insinuabo meam.
Nostis enim euneti, me quanta domarit egestas,
Sed salvatus ab hac sum bonitate dei.
Accidit, ut rara mihi rapula cresceret orto,
155 Haec eadem crevit grandis et absque mora,
48
ADOLF WOLF
Haue ego donavi pro magno mimere regi,
Pro qua divitias lias declit ille mihi."
Ilajc dicente viro simul afiuit inter amicos
Miles, quem fratrem diximus esse viri.
160 Ilic quoque pestifero cepit tabescere zelo,
Cum vidit fratris crescere lucra sui.
Germanique sui subitum miratus honorem
Ejus respectu se putat esse nichil.
Hoc equidem proprie sibi vendicat invidus omnis,
165 Ut putat alterius lucra nocere sibi.
Invide die, quare fratris torqueris honore,
Letari potius expedit inde tibi.
Hujus fortuna non est tibi causa ruine
Lucraque fraterna non tibi dampna struent.
170 Hiis super invidie morbo breviter memoratis
Ipsius historie nunc repetamus iter.
Convivis igitur dapibus vinoque refertis
Et satur et letus in sua quisque redit.
Tunc hominis frater etiam sua septa revisit
175 Invidie secum dira venena ferens.
Sic aurum siciens, multo licet obrutus auro,
f. 79v. col. a. Tantalus hiis mediis querit aquas in aquis,
Tunc ut opes opibus venetur et augeat ecce
Rete novum texens calliditate ait:
180 „Si meus hie frater, quem tanta premebat egestas,
Tantas pro vili merce reeepit opes,
Muneribus regem placabo satis pra?ciosis,
Quas rex restituet centuplicata mihi."
Protinus argento proprio se privat et auro,
185 Scilicet ut regem muneret ipse suum.
Gemmarum tollit praiciosa monilia, quarum
Fasce laborabant scrinia clausa diu.
Complicat et vestes operoso scemate textos,
De quibus ornari regia membra decet.
190 Omnibus hiis adjungit equos falcris coopertos,
Quorum cingebant fulva metalla jubas.
Talibus et paribus miles speciebus honustus
Pergit et evehitur regis ad usque fores.
Cumque salutasset, quo deeuit ordine regem,
195 Sinürnla demonstrans munera miles ait:
RAPARIITS. 49
„Accipe mi dominc tibi, quae miles tuus offert,
Quae ne despicias, rex reverende, precor.
Parva quidem sunt hrec minimeque decentia regem,
Cum dives fuero tunc potiora dabo."
200 Cominus bis visis „grates, rex inquit, habeto.
Gerte placent, fateor, munera data mihi.
Cardine sub celi non creditur esse superstes,
Qui dederit regi tot prreciosa suo."
Rex quoque, quid tanto posset conferre datori,
205 Reginam fertur consuluisse suam.
Ast ea regalis pollens ratio ne sophye
Ha^c responsa viro reddidit ipsa- suo :
„Inclite rex, opibus nimiis est ille refertus
Et dono penitus nescit egere tuo.
210 Argentumque tuum penitus fastidit et aurum,
Si gemmas dederis grandinis instar erunt.
Si vestes dederis, si bellica dona quiritum
Omnia despiciet nil reputabit ea.
Ne tarnen omnia regia munera despiciat vir
215 Restat, ut enormis rapula detur ei.
Hanc non despiciet, qui cetera despicit, immo
Supplebit rari muneris illa vicem."
Dixerat hrec mulier, cui rex respondit et infert:
„Utile consilium propositumque tuum."
220 Nee mora, profertur ea rapula rege jubente,
col. b. Ipsaque fit munus imperiale viro.
„En ego, rex inquit, te munero mnnere raro,
Quod mihi nee cuiquam rarius esse potest.
Hanc etenim nuper quidam dederat mihi pauper,
225 Cui bona multa dedit dapsilis ista manus."
Accepit ille miser non aeeeptabile munus
Nempe, quod accepit, rapula vilis erat.
Sic decet offerens ut supplantetur avarus,
Quem farcire nequit grandis acervus opum.
230 Mundus enim totus homini si detur avaro
Se tarnen infelix credit habere nichil.
Sic homo pra3fatus, inopem quem copia fecit,
Privatur propriis, dum peregrina sitit.
Dum lucra venatur stultus sua perdit et ecce,
235 Qui dederat magna, vile reeepit holus.
GERMANIA VII. 4
50 ADOLF WOLF
Sic liomo delirus propria deluditur arte,
Dum vult ditari perdit et id quod habet.
Au 11011 delirat homo mittens in mare fönten i ?
Fonti tollit aquas, ut innre ditet aquis.
240 Haud secus hie rniles, nt regem munere ditet,
Sic meruit propriis se spoliare bonis.
Jamque domnm remeat et amaram convocat iram
Et gratis regi tanta dedisse dolet.
[nfrendens igitur tanto sie paurmurat ore:
245 „Ecce mei fratris hoc fero dampno dolo.
Hie exultatur, ego prob pndor! deprimor, ergo
Non irnpune feret per caput istud, ait."
Convocat ergo suos, quos noverat esse fideles,
Plusque leoni furens dicere cepit ita:
250 „Nostis enim, quanta fuerit mihi gloria pridem,
Tarn mihi quam vobis hrec generalis erat.
Nnnc lecatoris cujusdam calliditate
In prreeeps eadem gloria tota ruit,
Quam sublimabar est omnis adempta facultas.
255 Hen paupertatis nunc grave porto jugum,
Heu cecidi miser, tarnen est vestrum meminisse,
In casu penitus vos cecidisse meo.
Nunc si sunt ulla pietatis viscera vobis,
Et si quis vobis est pietatis honor,
260 Semper vos vindieta meum jaculetur in hostem,
Et quod commeruit retribuatis ei."
„Qui tuus est, ajunt, et nostris est inimicus
Et quodeumque jubes hoc faciemus ei."
Haec cum dixissent animatur voce suorum,
f.80r. col.a. 265 Et quasi mentis inops talia rursus ait:
Haud proeul est vallis nemerosis consita lignis,
Qure nullis unquam frugibus apta fuit.
Haue precor assumptis intrate viriliter armis,
Sed causam penitus nemo sciat nisi vos.
270 Donec ego veniam nolitc recedere qiiDque,
( )cius assumpto vos sequar hoste meo."
Frater adit fratrem fellitus feile carentem
Et verbis false dulcibus usus ait:
„O germane! mihi pra3ter te nemo superstes,
275 Quem mihi fraterno federe jungat amor.
EArARIUS. • 51
Nos sumus una caro, nee nos natura bipartit,
Nos olim mater edidit una viro.
Porsan inest anima personis una cluabus,
Quas iudividuus jungit et uuit amor.
280 Est mihi secretum, (juocl nolo prodere euiquam,
Et tarnen id fratrem nolo latere nieuiu.
Est prope condensa vallis nee ab urbe remota,
Frondibus arboreis obsita, fruge earens.
Haec est tarn multa thesauri mole referta,
285 Ut tibi proficiat sufficiatque mihi.
Hunc ego fraterno tecum partibor amore,
Immo deum testor, pars tua major erit.
Nunc age, rumpe moras, absit dilatio, surge,
Pergamus nostram nemine teste viam."
290 Bus homo blandiciis irretitus simulatis
Fratris enim verbis nescit inesse dolos.
Annuit ergo suo fratri simul ac monitori
Surgit, abitque, earens suspicione mali.
It frater cum fratre suo, loca nota subintrat,
295 In quibus armati delituere viri.
Exiliunt hü inore eanum, justumque nefande
Tractantes et mortiricare parant.
Ut proprii rapuere canes Acteona qnondam,
Civibus haucl aliter prseda fit ille suis.
300 Jam vincire Student hominem conamine toto,
Contendunt praedam jam jugulare suam;
Sed fortuna suutn juvat et tutatur alumpnum.
Sepit et horrendum criminis hujus iter.
Accidit in terram quemdam properare scolarem,
305 Qui per eam vallem solus iturus erat.
Venit equo residens sua cantica voce resultans
More viatorum sie breviabat iter.
Cum levat hie vocem simul echo reeiproce vocem
Keddit et auditur longius iste sonus.
310 Ast ubi vox eadem lictorum perculit aures
De sola fit eis proditione timor.
Et quia non lieuit opus hoc implere scelestum
In solam pavidi spem posuere fugam.
Ne tarnen hie fugiat in saccuin mittitur atque
315 Vivus in arborea froude ligatur homo.
4*
52 ADOLF WOLF
Jlic pendet, fugiunt lictores, insuper ipse
Criminis incentor non manet, immo f'ugit.
Ecce Scolaris ibi cupiens pausare sub umbra
Arboris, in cujus fronde pependit hoino.
320 Et quia rimosum latus ipse saccus habebat,
Per rimas juvenem pendulus ille videt.
Mox ubi rasuram capitis ecce scolarem
Comperit et clamans : „quisquis es, inquit, ave!"
Ast ubi devenit vox ista Scolaris ad aures
325 Invasit nimius terror et horror eum.
Tuuc surgens stupidus loca proxima girat ocellis.
Cujus ab ore sonet vox ea nosse volens.
Cumque diu staret stupidus nullumque videret
Estimat illudi demonis arte sibi.
330 Occius ergo loco discedas, cogitat ille,
Stare tiraor prohibet sed vetat ire pudor.
Stat licet invitus vincente pudore tirnorem,
Seque salutanti personat ille loqui:
„Quisquis es aut ubi sis, a quo vox ista resultat,
335 Vellem, si possem, scire libenter ego."
Ex sacco loquitur iterato pendulus ille:
„Nil timeas juvenis, sit procul iste timor.
Erige triste caput, si vis spectare loquentem.
Possideo letus aera, sperno solum.
340 In sacco sedeo, sedet hie sapientia mecum,
Hie pendens didici tempore multa brevi.
Pape ! scolas querunt longe lateque scolares ;
Hie tarnen veras noveris esse scolas.
Utque scias, Saccus quid contulerit mihi praesens,
345 De multis saltim suggero pauca tibi.
Hie artes multas doeuit me phylosofia,
Ut sit nota mihi machina tota poli.
Hie ego stellarum didici cognoscere signa,
Quatenus ex ipsis qua) futura sciam.
350 Hie me naturas fateor ferarum diclicisse,
Hie mihi natura panditur omnis avis.
Addo, quod herbarum didici discernere vires,
f. 80v. col.a. Ut bene conjiciam, qua3 bona, quae mala sit.
Hie arbustarum didici vires lapidumque
355 Et didici, quid sit utilitatis in hiis,
RAPAEIUS. 53
Et didici tumidi maris indagare profundum;
Hoc totum Saccus contulit ille michi.
Audisti, qualis sacci natura sit hujus,
Qui possessori dat bona tanta suo.
360 Hie certe Saccus pnecioso dignior ostro,
Regali melior utiliorque scola.
Experior certe deliros esse scolares,
Qui multas quaerunt circumeuntque scolas.
Quidam parysius aut oppida cetera gyrant,
365 Expendunt multa proficiuntque parum.
Hie ego momentum transegi sie sine sumptu,
Et didici quidquid scire novisse fuit.
Hie tibi, si detur saltini brevis Lora studendi,
Disces, quid locus hie utilitatis habet."
370 Hiis nugis simplex juvenis male traditus orat,
Quatenus in saeco possit habere locum.
Pendulus „absit, ait, nee enim sie deeipies ine,
In saecum, socie, non ita venit homo."
Et contra juvenis vocem prorurnpit in istam:
375 „Sacci, ni fallor, istius hospes ero.
Jam novi, quanta Saccus virtute redundet,
In cujus pausat phylosofia sinu.
Jam satis es sciolus, adeo jam doctus es, ut te
In mundo nullus doctior esse queat.
380 Quisquis es in saeco, sit mihi pausa brevis *).
Si te forte precum non flectunt verba mearum,
Muneris, ut spero, te bene flectit amor.
Et ni sponte ATelis flecti mercedis amore,
Pendere curabo quiequid habere voles."
385 Tunc ut invitus e saeco prodiit ille
Pendulus, ac iterum verba rependit ei:
„Niteris in vanum, non est mihi tybia tanti,
Ut pretio Saccus veneat iste tuo.
Utque scolas istas me velle relinquere speres
390 Absit, deeiperis, spes tua tota perit.
Mallem mori, socie, quam perdere delicias has,
Si mihi sim nequam, cui bonus esse queo.
*) Corrigiert steht hier: „sit mihi pausa" anstatt „mihi sit hora." Fehlerhafter-
weise stehen hier zwei Pentameter nach einander, s. o. V. 71. 72.
54 AI »ULF WOLF, RAPARIUS.
Non tibi delicias sacci me venderc speres,
Absit, in hunc sacoum non ita venu homo.
395 Non mihi continget istmn venumdare saccum.
In cujus pausat phylosofia sinn,
col.b. Et quia discendi niulto flammescis amore,
Cedo tibi gratis ad breve tempus ego.
Cumque satis fueris potitus tonte sophie,
400 Delicias sacci tnnc mihi redde mei.
Ocius ascende ramum, restemque rescinde,
Ut voto compos efficiare tuo."
IIoc miser audito pendenti laetus obedit,
Ut sacci possit ntilitate frni.
405 Exit hie, ast alter festinat, ut ingrediatur,
Seque trahi sursuni postulat, ille negat.
„Differ, ait, modicum, socie, sie non habet ordo,
In saccum, socie, non ita venit homo.
Deponasque caput ad humum, talosque supinans,
410 Hsec est lex sacci, sie erit intus, ait."
Base dicens miserum libravit in ethera smsum,
Ac in riodoso stipite vinxit eum.
Staus igitur cepit sie insultare Scolari
Et derisoris voce locutus ait:
415 „Ecce, quod optasti, quod qusesisti, quod amasti,
Nunc compos voti factus es ipse tui.
Jana puto cepisti doctissimus esse sophista,
Ut toto similis non sit in orbe tibi.
( ) te felieem niinis egregiumque magistrum !
420 Quem fovet in gremio phylosofya suo.
Experiar certe, quantum modo delicieris,
Quem talis sacci claustra beata tenent.
Phylosofare modo propone, quod hie didicisti,
Quaritumcumque potes, phylosophare modo.
425 ütere sorte tua, (piam toto corde petisti,
Quamque deus tribuit utere sorte tua.
Nunc superem, ut pace tua mea teeta revisam,
Jam non in saccum curo venire nieniii."
lliis dictis ascendit equum peadentis, abit
430 Et clamans inquit: „magne sophista vale!"
WIEN. ADOLF WOLF
55
WOLFRAMS PARZIVAL
UND SEINE BEURTHEILER.
VON
SAN -M ARTE.
So einstimmig auch die Litterarhistoriker in dem Ausspruch zu
sein pflegen, daß der Parzival des Wolfram von Eschenbach ein höchst
tiefsinniges, seinem innersten Kern nach tief religiöses Gedicht sei, so
begnügen sie sich doch entweder meist mit solchem allgemeinen Urtheil,
das dem Leser überlässt, es sich selber nach seiner Ansicht zu be-
gründen, oder wenn sie schärfer auf eine Analyse des religiösen Inhalts
eingehen , so wandeln sie im besten Fall in einem Helldunkel , in
welchem weder die Personen feste Gestalt, noch der Gedanke klaren
Inhalt gewinnen. Ein Hauptgrund dieser wenig erbaulichen Erscheinung
bei der Beurtheilung des großen Gedichtes unseres deutschen Meisters
scheint mir hauptsächlich darin zu liegen, daß sie dieses Gedicht und
die darin vorgetragene Sage vom heiligen Gral und der Geschichte der
Erlösung des Parzival und Amfortas nicht als ein in sich fest abge-
schlossenes Ganze unabhängig von allem früheren oder späteren Bei-
werk, welches die altfranzösische und nachwolframsche Litteratur lieferte,
sondern in Zusammenhang mit diesem ihrer Kritik unterwarfen , und
so mussten sie freilich bei diesem Versuch, das Unvereinbare zu verei-
nigen, scheitern; wodurch sie jedoch nicht berechtigt wurden, in dem
Missmuth über das verfehlte Resultat das Ganze als unklar, verworren,
hypermystisch und unverständlich zu verwerfen. — Sie mögen Recht
haben in Beziehung auf die französischen Überlieferungen der Gral-
nnd Parzivalsage — ich fühle mich nicht berufen, für diese eine Lanze
zu brechen, und überlasse das gern den Franzosen selbst — , aber
entschiedenes Unrecht begehen sie, wenn sie in gleicher Weise auch
über Wolfram den Stab brechen und ihm beilegen , wovon er nichts
wusste, ja nach seinem eigenen Zeugniss nichts wissen wollte, und
was er daher für seinen Zweck und seine Auffassung des Gegenstandes
als unbrauchbar verwarf oder unberührt bei Seite liegen ließ. Mau
lichte ihn lediglich nach seiner That , nach seinem Gedicht, und
man wird gerechter sein.
Es thut dem Herzen wehe , wenn wir einem alten Lehrer und
Freunde aus der Jugendzeit nach langen Jahren wieder begegnen, und
ihn dann im späteren Alter gänzlich verändert finden, und ihn das
5(5 SAN -MAßTE
verwerfen hören, was er uns früher mit Begeisterung gelehrt und ge-
priesen hat. Einen ähnlichen in der That schmerzlichen Eindruck machte
mir das wegwerfende Unheil, welches Rosenkranz (die Poesie und
ihre Geschichte. Königsberg. Bornträger, 1855. S. 487 — 489) über
Wolframs Parzival fällt, und es kann mich nicht versöhnen, wenn er
ihn auch S. 512 „ein noch so hoch stehendes Kunstepos" nennt, da ich
Jen Gedankengehalt von der vollendeten künstlerischen Form nicht zu
trennen vermag. Der Name des geehrten Verfassers und jenes sein
Werk sind zu bedeutend, als daß ein solches Verdammungsurtheil nicht
schwer in die Wagschale fallen und leicht das zahlreiche Geschlecht
unserer jetzigen schnellfertigen Litteraturgeschichtenschreiber verführen
sollte, es ohne weiteres Besinnen nachzuschreiben und weiter zu ver-
breiten : wie ja schon gerade in diesem Litteraturgebiet gewisse Sätze
zu stereotypen Floskeln geworden sind, die blind wiederholt werden.
Wenn ich daher zur Abwehr desselben nach langem Zögern dem gleich-
wohl dankbar verehrten Lehrer mit aufgebundenem Helm entgegentrete,
so habe ich wenigstens schon den Trost und Vortheil für mich, den
Literarhistoriker Rosenkranz v. J. 1830 als deckenden Schild zur Seite
zu haben, und mit diesem vereint denselben v. J. 1855 zu bekämpfen.
Es scheint nöthig, den Verf. erst selbst sprechen zu lassen, wobei
nur die einzelnen Sätze zur besseren Sonder ung mit Zahlen bezeichnet sind.
S. 483 und 487 wird die Richtung der bretonischen Sage häre-
tisch genannt, und der Verf. fährt fort:
(1.) „Der Gral ist allerdings eine christliche Reliquie. Er wird
von Hütern verehrt, die Christen sind und sich Templeisen (templois,
templiers) nennen. Aber er ist eine Reliquie eigenthümlicher Art. Die
Ableitung des Wortes Gral kann uns weiter keinen Aufschluß über
die wunderbare Function des Grales geben, nach welcher er nämlich
seine Verehrer kleidete und nährte, sie durch sein Anschauen am Leben
erhielt und durch leuchtende Inschriften, die auf seinem Rande erschie-
nen, den Seinigen Befehle gab , ähnlich wie der jüdische Hohepriester
auf seinem Brustschilde aus den Buchstaben desselben göttliche Ver-
kündigungen las. Er war also ganz souverän."
(2.) „Von einer Unterordnung der Templeisen, die selber Priester
waren, unter den Klerus und unter den Papst ist nirgends eine Spur.
Der Gral verlieh jedoch nicht nur irdisches Wohlsein, sondern sicherte
auch die künftige Seligkeit. Seine Verehrer waren also in dieser Be-
ziehung völlig unabhängig von der Kirche. Der Gral rekrutierte sich
durch seine Orakel und verkündete die Namen der Personen, die er
sich zu seinem Dienste gewählt hatte."
WOLFRAMS PAKZIVAL. 57
(3.) „Der Dienst selber bestand in einem Kultus sehr einfacher
Art , wenn auch nicht ohne prachtvolle Dekoration. . Allein von einer
Darbringimg des Messopfers , diesem Centrum der römischen Kirche,
ist ebenfalls keine Spur. Selbst am Charfreitage schwebt eine weiße
Taube vom Himmel nur dazu herab, eine Oblate in das Gefäß zu
legen, welche die Wunderkräfte der Ernährung und Erhaltung besitzt."
(4.) „Die männlichen Templeisen müssen den Wald durchstreifen,
der um Munsalwäsehe herum liegt, Unberufene abzuhalten, oder sie
müssen die Missionen ausführen , welche ihnen der Gral auflegt. Im
Allgemeinen ist dieses Alles ziemlich geistlos."
(5.) „Manche Andeutungen scheinen aber auf eine häretische
Doctrin vorn Ursprung des Bösen zu führen, die einen gnostischen
Charakter verräth, z. B. die Geschichte Lucifers, aus dessen Krone der
Erzengel Michael im Kampfe mit ihm den Stein herausgeschlagen haben
soll, aus welchem wunderbarer Weise die Schüssel verfertigt wurde,
die dem Erlöser zu seinem letzten Mahle diente; so daß also der Gral
auch die vor weltliche Genesis des Bösen, das aber von der Liebe des
menschgewordenen Gottes überwunden ist, repräsentiert."
(6.) „Nun war der Gedanke, einen priesterlich ritterlichen Cha-
rakter aus dem naiven Naturmenschen Parzival zu schaffen , und ihm
den Ritter Gawan als einen Virtuosen der chevaleresken Lebenskunst
gegenüberzustellen, in der That ebenso poetisch, als den Gral mit der
Tafelrunde zu kontrastiren. Allein auch hier dürfen wir nicht vergessen,
daß Parzival zum Königthum im Gral ohne alle kirchliche Vermittlung
gelangt."
(7.) „Er hat bei seiner ersten Anwesenheit auf Munsalwäsehe nach
der Bedeutung der Wunder zu fragen vergessen, die seinem Auge
vorüberzogen; in der That recht unbegreiflich, um nicht zu sagen
stumpfsinnig."
(8.) „Hinterher irrt er dann vier Jahre auf gut Glück umher, sei-
nem Pferde den Weg überlassend , den es ihn führen will , weil er an
Gottes Vorsehung zweifelt. Als er endlich durch Trevrecents Belehrung
bekehrt wird, sucht er den Gral, thut aber eigentlich nichts wahrhaft
Gutes, Schönes und Großes, solches Glück zu verdienen, das ihm
dann plötzlich zu Theil wird, und seine Geschichte vollends zu einem
geistigen Stillstande bringt."
(9.) „Daher kommt es, daß die weltliche Seite, die in Gawans
Abenteuern in Chastel Marveille kulminiert, eigentlich viel menschlicher
und lebendiger ist, als die geistliche, die von dem Fetischismus der
unpersönlichen Reliquie bedrückt wird."
58 SAN -M AKTE
(10.) „Das priesterliche Ritterthmn hätte im Kampf sich die
Märtyrerkrone verdienen müssen, allein die verworrene Mystik der
Sage hat es nicht zu dieser Consequenz des Urgedankens kommen
lassen."
(11.) „Die Composition ist nun ein recht weitschichtiges Durch-
einander der seltsamsten Dinge und Begebenheiten geworden, worin
die Phantasie stets neuen Stoff zur Verwunderung findet" (S. 489).
Anders lautete das Urtheil in desselben Autors „Geschichte der
deutschen Poesie im Mittelalter" (Halle, Anton und Gelbcke, 1830),
und zwar S. 269: „Obwohl Wolfram seinen Stoff vorgefunden, so ist
dennoch seine Kraft unermesslich gewesen. An Gelehrsamkeit, Bildlich-
keit und Gefühl steht er Niemandem nach, an Wahl des Ausdrucks?
an Gefälligkeit des Metrums , an Wohlklang und Bestimmtheit kaum
Gottfried von Straßburg; an Religiosität und Größe der Gesinnung
übertrifft er Alle. In keinem Dichter hat sich das Positive des deut-
schen Mittelalters so wie in ihm konzentriert und einen solchen Umfang
im Verein mit solcher Tiefe gewonnen." S. 270: „In Wolfram strebte
das Romantische und Scholastische zur gegenseitigen Durchdringung,
gerade wie in jener Zeit selbst diese Tendenzen mit einander als das
Abbild des Kampfes zwischen Reich und Kirche in ihrer Analyse be-
griffen waren. . . . Nach seiner Anschauuno- ist der Mensch frei über
der Natur, der Genosse Gottes. Gott aber ist das sich ewig offen-
barende Räthsel, was der menschliche Geist zu betrachten und worüber
zu sinnen er nicht müde wird, weil seine Lösung sein eigener Begriff
ist." S. 271 : „Wie sehr auch Wolfram in die Formen des Religions-
kultus seiner Zeit versenkt sei, nirgends geht ihm das Bewusstsein aus,
dal,'« der Mensch wie bei seiner Sünde so bei ihrer Sühne als er selbst
gegenwärtig sein müsse. In Parzivals Geschichte entwickelt er vor-
trefflich, wie der Geist seine vergangenen Thaten vernichten könne.. . .
Die Reue ist nach ihm der einzige Weg, seine Entzweiung mit Gott
aufzuheben; um in diesem Schmerz des Bösen nicht zu vergehen und
in beständiger Buße zu bleiben ist nichts anderes übrig, als die eine
wahre Liebe zu lieben, die Liebe Gottes." S. 278: „Der Gral ist die
Offenbarung des göttlichen Wesens." S. 282: „Das feierliche Mahl
aller Graldiener ist ein Kultus, es ist kein gemeines Mahl, sondern
fast eine Agape." S. 299: „War Parzival zuvor mit Gott durch ein
keckes Trotzen auf seinen guten Willen und auf sein Verdienst ent-
zweiet und hat er ihn mit demselben Maße wie sich gemessen, so ent-
stand nun durch den Begriff seiner Liebe und Menschwerdung die
entgegengesetzte Entzweiung in ihm, daß er nämlich sich selbst
WOLFKIMS PAEZIVAL. 59
zürnte und hasste, und durch Buße und Demuth Gott mit sich zu
versöhnen suchte. Statt das Böse in sich zu sehen, hatte er es in
Gott gesetzt und gemeint, daß dieser ihn hassen könne. Nim er aber
seiner wesentlichen Einheit mit ihm sich bewusst geworden, strebte er
auch, sich zur Wirklichkeit dieser Versöhnung zu erheben." S. 300:
„Völlige Befriedigung beendigt das Gedicht. . . . Die Frage, was Gott
sei, der Zweifel über sein Wesen und die Lösung desselben gibt dem
Gedicht seine innerste unendliche Bedeutung."
Es können nicht wohl zwei Auffassungen desselben Gedichtes
sich schroffer gegenüberstehen und die Beurtheilung von entgegenge-
setzteren Gesichtspunkten ausgehen als diese desselben Schriftstellers;
wir glauben den Unterschied zwischen beiden kurz und scharf dahin
bezeichnen zu können: die erstere stützt sich auf das Dogma der
Hierarchie, die letztere auf das reine Evangelium, wie die h.
Schrift es bietet; und beides, Hierarchie und Evangelium, waren die
gewaltigen Hebel, welche den von den Lehrstühlen zu Paris und von
den Kanzeln selbst hochgestellter Priester bis in die unteren Schichten
des Volkes gedrungenen tiefen religiösen Zwiespalt in Bewegung setzten,
waren die Fahnen , um welche die religiösen Parteien zu Ende des
zwölften Jahrhunderts sich schaarten , und waren die Zielpunkte, nach
denen sie rangen, bis die siegende Kirche ihre Gegner mit Feuer und
Schwert zu vertilgen begann. Die Kämpfe der Hohenstaufen gegen
Rom geben Zeugniss , wie mächtig auch Deutschland diese Bewegung
ergriff; Fürsten, Ritter und Dichter nahmen sie mit vollem Bewusst-
sein in sich auf; Guiots Bilde und andere ähnliche Schriften, die pro-
venzalischen Dichter, die zahlreichen Ketzersecten des südlichen Frank-
reichs und nördlichen Italiens und Spaniens bezeugen dasselbe für jene
Länder. Bildete sich doch allmählich unter den Waldensern eine unter
dem Einflüsse der provenzalischen Poesie erwachsende Litteratur, welche
meist geistlichen Inhalts, aber in poetischer Form die eigenthümlichen
Grundsätze der Secte unter dem Volke gangbarer und flüssiger machte.
Wir erinnern an das berühmte, etwa 1180 geschriebene Lehrgedicht
„La nobla Leyczon" welches waldensische Ideen durch die h. Geschichte
hinführt, und an andere Poesien, wie „La Barca," nLo novel sermon,"
nLo novel confori," „L,o Payre eternol," „Lo despreeza del mont" (con-
temtio mundi) und „L'avangeli de li quatre semenez," was das Gleichniss
Matth. 13, 5 von viererlei Samen behandelt. Sie alle enthalten insbe-
sondere starke antipapistische Elemente und gehören zu den Erzeug-
nissen des Antihierarchismus, die den Kampf gegen Rom von dem mehr
kirchlichen Gebiete auf den Boden des Volksthums verpflanzten. Wie
(50 SAN-MARTE
zürnt nicht Bernhard von Clairvaux über Abälard: er habe es dahin
gebracht, daß in Paris schon von den Gassenbuben auf den Straßen
über die Lehren der Trinität disputiert werde! Es war ein Sturm, wel-
cher die ganze abendländische Christenheit in allen Schichten der Be-
völkerung durchtobte , ein Gährungsprocess , der , damals mit Gewalt
niedergeschlagen , dreihundert Jahre später in der Reformation sich
wiederholte und zum Durchbruch kam. Wenn daher Reichel (Studien
zu Wolframs Parzival. Wien, Gerold, 1858, S. 6) mir bei meiner Deu-
tung des Gralorakels und Parzivals unterlassener Frage (Parz. Über-
setz. 2, 509) den Vorwurf macht, daß ich weit mehr theologische
Elemente zu Hilfe genommen habe, als aus dem Gedicht zu recht-
fertigen ist, so meine ich dagegen, daß gar nicht genug Theologie
des zwölften Jahrhunderts zum Verständniss unseres Gedichtes zu Hilfe
genommen werden kann, und mein Versuch *) , von dieser Seite das-
selbe zu durchdringen, ist nur erst ein erster Anfang dazu. Denn was
wir jetzt nach Jahrhunderten mühsam und dennoch nur lückenhaft zur
Erklärung der äußeren geschichtlichen Erscheinungen jener religiösen
Kämpfe hervorsuchen müssen, das umgab die damalige lebende Well
wie eine feurige Atmosphäre, in welcher sie athmete und die sie in
allen Poren des Lebens durchdrang. Die Elemente des religiösen Zwie-
spaltes, die jetzt kaum der Fachgelehrte zu durchschauen und methodisch
zu ordnen weiß , waren damals in Kopf und Mund der Massen und
trieben sie zu Thaten; — und liefern in fast jeder anderen Beziehung
die Dichtungen jener Zeit ein treues Spiegelbild damaliger Erscheinun-
gen in Thun und Denken, so muß dies auch von einem Werke gelten,
das vorzugsweise eine religiöse Tendenz hat, die schon in dessen ersten
zwei Zeilen sich ausspricht. — Überhaupt wäre es zu wünschen , daß
auch die jetzigen Kirchenhistoriker in. Schriften und akademischen Vor-
trägen bei dem stets wachsenden Studium der älteren deutschen wie
französischen Litteratur auf die in diesem Gebiete angestellten For-
schungen und wieder aufgefundenen Schätze mehr Rücksicht nähmen.
Sie würden dann noch vieles finden , was der Reformation oft schon
sehr früh präformierend vorangieng. und würden deutlicher erkennen, wie
die dogmatischen Sätze sich in Glauben und Gesinnung des Volkes
praktisch gestalteten und bei ihm ihren besonderen Ausdruck fanden.
Denn ein Anderes ist es, wie die Doctrin den Glaubenssatz formuliert,
*) S. die schon in diesen Blättern besprochenen „Parzivalstudien," Heft II : „Über
das Religiöse in den Werken Wolframs von Eschenbacfi und die Bedeutung des h.
Grals in dessen Parzival." Halle, Waisenhaus, ISb'l.
WOLFRAMS FARZIVAL. 61
und ein Anderes, wie der Laie ihn aufnimmt und wiedergibt. — Auf
welcher Seite aber Wolfram steht, ob er Weif oder Ghibelline, römisch-
hierarchisch oder apostolisch-evangelisch ist, das entscheidet über den
Standpunkt , von welchem aus sein Gedicht beurtheilt und begriffen
werden muß. Und mag man daher auch etwa den Dichter als Ketzer
verdammen, so darf man doch von seinem Gedicht nicht fordern,
daß es lehre, was er verwirft, sondern um es zu würdigen muß man
eingehen in seine religiöse Richtung, die er völlig klar und unverholen
zu Tao-e leo;t.
Auf Grund jener historischen Weltlage und religiösen Geistes-
strömung am Ende des zwölften Jahrhunderts kann die Absicht unseres
Dichters nicht wohl mehr zweifelhaft sein: daß er in dem Templeisen-
thum eine christliche Genossenschaft, ein Reich der Gläubigen und
Auserwählten des Herrn ohne römische Hierarchie, ohne Papst und
bevorrechtete Priesterschaft, ohne Bann, Interdict und Ketzergerichte
schildern wollte, worin vielmehr Gott selbst durch die Offenbarung des
Grals im Geist des reinen Evangeliums Herrscher und Richter seiner
Gemeinde ist, und daß er das christliche Priesterthum in das nach
wahrer Gotteserkenntniss ringende Individuum, nicht in einen exclusiven
Stand legte, so hoch er diesen auch achtet; und daß er von dem da-
mals noch makellos blühenden Tempelherrenorden die dichterische Hülle
zu der idealen Gestaltung dieser Genossenschaft entlieh (Studien 1. c.
S. 220 flg.). Diese Idee , nach römischer Ansicht offenbar ketzerisch,
führte es mit sich, daß das allein selig machende Gralreich ebenso zum
römisch-orthodoxen Christentimm , wie es durch die bestehende sicht-
bare Kirche repräsentiert ward, wie zum Heidenthum in Gegensatz trat;
aber es ist ein schöner Zug des Dichters, daß er sich weder zur offe-
nen Polemik gegen die herrschende Kirche, noch zum Fanatismus gegen
das Heidenthum hinreißen lässt. Wie also darf man sich wundern,
wenn in dem Gedichte „von einer Unterordnung der Templeisen unter
Klerus und Papst keine Spur zu finden ist" (Nr. 2 oben), daß Parzival
„ohne alle kirchliche Vermittlung zum GralkÖnigthum gelangt" (Nr. 6),
und daß er „sich nicht die Märtyrerkrone im Kampfe verdiente, wie
es consequent der Urgedanke der Dichtung erfordert hätte" (Nr. 10)?
— Dieser Urgedanke aber gründet sich nicht im Didatus Gregorii VIT,
noch im Ausspruche Innocens's III: „Papa veri dei vicem gerit in
terra," sondern im Evangelio unmittelbar und im Spruch des Apostels
1 Petr. 2, 9, 10: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das könig-
liche Priesterthum, das heilige Volk, das Volk des Eigenthums, daß
ihr verkündigen sollt die Tugenden Dess, Der euch berufen hat von
62 SAN-MARTE
der Finsterniss zu seinem wunderbaren Licht!" welchen Spruch die
Strophen 44 und 45 in Wolframs Titurel - Fragmente last wörtlich
wiedergeben. — Darum ist es auch unzulässig, den h. Gral als „eine
christliche Reliquie" (Nr. 1) zu bezeichnen, ihn zum „Repräsentanten
der vorweltlichen Genesis des Bösen" (Nr. 5) zu machen, und „die
geistliche Seite der Dichtung vom Fetischismus der unpersönlichen
Reliquie bedrückt" zu sehen (Nr. 9). Hierzu konnte nur das Herein-
ziehen von Zeugnissen über Lucifers Fall und den h. Gral verführen,
die sämmtlich jünger sind als Wolframs Dichtung, oder — wenn sie
älter sind — die er nicht hereinzieht, die also für die Kritik unseres
Gedichtes als nicht vorhanden müssen behandelt werden. Wolfram
hat keine spezielle Beziehung auf jene Abendmahlschüssel von Cäsarea,
weiß nichts von Joseph von Arimathia und nichts davon, daß der
Stein des Grals erst in der Krone Lucifers gesessen, sondern nach
ihm ist er der lapis herilis, der Stein des Herrn, der uranfänglich bei
Gott war. Das Gedicht stellt ihn nicht als eine Reliquie, vollends als
die eines gefallenen Engels, sondern als ein Symbol dar, in welchem
der dreieinige Gott der Christenheit gegenwärtig und wirksam ist;
und als ein christliches, seligmachendes Ileiligthum, nicht als ein Fetisch,
ward der Gral den Menschen gegeben, gleichwie Gott den Heiland zur
Erlösung der Menschheit zur Erde gesandt hat (Stud. 1. c. S. 228—234);
oder wie J. L. Hoflmann (Nürnberger Album des litter. Vereins, 1852,
S. 65 flg.) in seiner warmen Analyse des Parzival es ausdrückt: „Der
christliche Glaube mit seinen Segnungen waltet als Seele im Stein
des Grales, welche dunkel und doch klar angedeutete Idee in den
folgenden Jahrhunderten eine stete Anziehungskraft weckte." — Ja es
ist die Frage, ob nicht die erst i. J. 1264 bestätigte, von der h. Juliana,
Priorin zu Korneliberg bei Lüttich, einer Deutschen, gestiftete Feier
des Allerheiligsten in dem Frohnleichnamsfeste wesentlich auf Wolf-
rams Idee von dem seligmachenden Gralgelasse beruht oder ob sie
wenigstens nicht Einfluß darauf geübt hat? — Es ist sonach Gott
selbst, der aus dem Grale in der Schrift an seinem Rande spricht,
und daß der Allmächtige „ganz souverän ist" (Nr. 1) darf wohl unser
Befremden nicht erregen. Diese vom Dichter anerkannte Souveränität
spricht sich auch darin aus , daß er der Lehre von der successio apo-
stolica in seinem Gedicht keinen Raum gibt (Stud. 1. c. S. 239). In
der Auffassung Wolframs ist daher im Entferntesten nichts von Gnosis
oder von einer häretischen Doctrin vom Ursprung des Bösen zu finden,
sondern er folgt der h. Schrift und diese stützt sein Dogma, wie es
aus Reden und Thaten seiner Figuren erhellt, mit den treffendsten
WOLFRAMS PARZIVAL. 63
Worten, wenn wir jene nach seinem Sinn in die theologische Schul-
sprache übertragen. --- Während der Verf. 1830 die Gralfeier fast für
eine Agape erklärte, vermisst er 1855 „jede Spur von der Darbringung
eines Messopfers, diesem Centrum der römischen Kirche" (Nr. 3) —
und, setzen wir hinzu, auch der akatholischen Christenheit. Die Um-
stände aber, unter denen zweimal die Gralfeier uns vorgeführt wird,
die dabei vorhergehende Reue und Beichte der anwesenden Templeisen,
das Vortragen des Marterinstrumentes , der blutenden Lanze , in Ver-
bindung mit der oben angegebenen symbolischen Bedeutung des Grales,
lassen darüber keinen Zweifel , daß in dieser ernsten Erinnerungsfeier,
an welche sich zugleich, und zwar an die erste die Hoffnung auf Er-
lösung und an die zweite die wirkliche Erlösung des kranken Königs
aus namenlosem Leide knüpft, wirklich nach der ganzen dichterischen
Allegorie das Sakrament des h. Abendmahls nach dem Gralkultus dar-
gestellt wird, so wie daß die alle Samstags Nacht Sigunen vom Gral
in ihre Klause gespendete Speise eben auch das geweihte Brot des
Lebens ist , das die Hand des Herrn der reuigen Büßerin zu ihrem
Seelenheil sendet (1. c. S. 246 flg."1. Demnach erhalten aber auch Par-
zivals Unterlassung der Frage bei der ersten Feier, die Rosenkranz
„unbegreiflich, um nicht zu sagen stumpfsinnig" (N. 7) findet, und der
ihn desshalb treffende Fluch der Graldiener ihre wohlbegründete tiefere
Bedeutung, indem hier der auch von Wolfram adoptierte Glaubenssatz
in Geltung tritt, daß dem Unbußfertigen der Genuß des h. Abendmahls
nichts nützt, wie geschrieben steht: „Welcher unwürdig isset und trinket,
der isset und trinket ihm selber das Gericht damit, daß er nicht unter-
scheidet den Leib des Herrn'1 (1 Corr. 11, 29^. Bußfertig aber wurde
Parzival erst später nach der Belehrung in Trevrecents Klause. Mag
auch der Unbußfertigkeit ein Stumpfsinn, mehr Herzensverhärtung gegen
Gott und seine ewige Liebe, zum Grunde liegen, so versteht der Verf.
seinen Ausdruck doch offenbar nur im allgemeinen , nicht in diesem
geistlichen Sinne.
Milder als Rosenkranz drückt Reichel (1. c. S. 12 u. 13) den Fehl
Parzivals aus: „Die Beachtung der ihn gelehrten Etiquette sei dem
Wirth gegenüber in Herzlosigkeit ausgeartet," und „der natürliche
Edelmuth eines einfältigen Herzens war ihm abhanden gekommen: die
Zucht allein muß sich aber als unzulänglich erweisen, wo der Mensch
als solcher in Frage kommt." Übersetzen wir jedoch diesen letzten
unklaren und matt ausgedrückten Satz in die eherne Sprache der Schrift
und er wird sich treffender dem christlichen Dogma anschließen. Par-
zival konnte, wie er mit sicherem Verstände überlegt, in seinem Schweigen
64 SAN-MARTE
kein Unrecht finden, da er ja die guten Lehren der Mutter und des greisen
Gurnemanz treu und streng befolgt, und er hielt sich desshalb dadurch
in seinein Verhalten für vollkommen gerecht. Aber dieses ihm gegebene
Gesetz, analog dem des alten Bundes, gab ihm zwar gewisse Formeln
und Formen des Kultus nebst einigen Klugheitsregeln, aber es enthielt
nichts von dem Evangelium der Liebe des neuen Bundes; darum rich-
tet der Held in seiner tum] heit und bis zu seiner Bekehrung auch nur
durch dessen Befolgung nichts als Unheil an; und diese ihm noch
unverständliche Folge seines Thuns treibt ihn immer schärfer zum
Trotz auf seine Gerechtigkeit , der gerade so treuen , gewissenhaften
und thatkräftigen Charakteren vorzugsweise eigen ist. Parzivaln traf
der Fluch, weil er sich für gerecht hielt. „Verflucht ist jedermann,
der am Holze hängt" (Gal. 3, 13; vgl. 1 Joh. 1, 17), und Parzival
hieng am Holze des Gesetzes. So lautet Reicheis weltlich ausgedrückter
Satz in der geistlichen Sprache. — Wolfram konnte freilich nicht in
dieser Sprache der h. Schrift reden, ohne sein Epos in ein dogmatisches
Lehrgedicht umzuwandeln und den ganzen Zauber seiner lebensvollen
Schöpfung und die tiefdurchgehende Allegorie derselben zu zerstören.
Ans den heftigen Vorwürfen der beiden Gralangehörigen Sigune und
Trevrecent und des Templeisen am Thore , so wie Kundriens, aber ist
abzunehmen, daß dem Dichter wohl dieser religiöse Gedanke vor-
schwebte; denn bei den übrigen formell sonst leidlich guten Christen
an Artus Hofe, die eben auch am Holze des Gesetzes hiengen, wird
nur Bedauern mit ihm, nicht Vorwurf laut. Sie begreifen so wenig
wie Parzival selbst damals, wesshalb jener Fluch ihn mit Recht trifft.
Die dichterische Motivierung und Darstellung des Benehmens Parzivals
durch die Unterwerfung unter das Gebot der zuht umhüllt daher nur
die theologische Wahrheit, hebt sie aber nicht auf, und der ganze
fernere Verlauf der Begebenheiten und Parzivals allmäliche Seelen-
reinigung und Erhebung zum Gott des neuen Bundes bestätigt, wie
eben jenes starre und „unzulängliche" Gesetz der Mutter und des Gurne-
manz in Folge von dessen werkheiliger Befolgung ihm „zum Zucht-
meister auf Christum" (Gal. 3, 23 — 25) geworden.
Bei einer Glaubensrichtung, die Papst und Hierarchie verschmäht,
die vielmehr immer nur auf Gott und sein heiliges Wort unmittelbar
als den einzigen Glaubenscpiell zurückgeht, kann daher auch die Erlö-
sung Parzivals von dem Fluche nicht anders als nur durch ihn selbst,
als sein eigener Priester, durch fortgesetzte Reue und Butte bewirkt
werden, »ohne daß es dazu einer kirchlichen Vermittlung bedurfte" (Nr. 6).
Wir finden denselben Glaubenssatz im Gedicht dadurch ausgesprochen,
WOLFRAMS PARZIVAL. 65
da ß auch TVevrecents Einsiedlerleben und die Gebete der Templeisen
um Genesung ebensowenig als die seltensten Wundarzneien dem An-
fortas Heilung gewähren. Auch hören wir nicht, daß Kyot und Man-
pfilot, die im Schmerz über Schoysianens Tod dem Schwert entsagen
und Einsiedler werden (P. 186, 26. T. 20— 23), darüber besonders be-
lobt werden. Es war das dem Dichter zwar eine zu seiner Zeit ge-
wöhnliche Erscheinung, für die er jedoch keine Sympathie hat, wenn-
gleich er der in Ascetik verharrenden Siffune wegen ihrer über das
Grab hinausreichenden Treue das höchste Lob spendet; aber sie that
auch, wie der Apostel spricht: „Das ist eine rechte Wittwe, die einsam
ist, die ihre Hoffnung auf Gott stellt, und bleibet im Gebet und Flehen
Tag und Nacht" (1 Tim. 5, 5), worauf der Dichter ausdrücklich hin-
deutet: Sigüne doschesse Borte selten messe. Ir lehn was doch ein venje
gar (P. 435, 23. 436). Von dem Manne verlangt der Dichter mehr als
dumpfe Ascetik; wie die Kampfbegier ohne sittlichen Zweck, so ver-
wirft er auch die thatenlose Beschaulichkeit und preiset den Mann,
der sich niht versitzet noch verget Und sich anders xcol verstet (P. 2, 15);
und ich vindiciere mit Reichel 1. c. S. 25 und mit Bezug auf P. 827, 19
vollständig dem Dichter „den hohen Gedanken, daß er die sittlichen
Schätze des christlichen Glaubens im Leben verwerthet wissen will."
„Die Consequenz des Urgedankens des Epos, zu dem es die
verworrene Mystik der Sage nicht hat kommen lassen" (Nr. 10), konnte
demnach nicht füglich darin bestehen, daß der Held im Kampf für
den Gral die Märtyrerkrone errang, denn der Gral ist eben keine
aggressiv-hierarchische Macht, und der Widersacher Gottes, der Hoch-
muth, wird nicht in eine dem Gläubigen gegenüberstehende Person,
sondern in die eigene Brust des Kämpfenden und Kingenden verlegt.
Die Art, wie Parzival diesen Feind und die der Menschheit eingeborne
Sündhaftigkeit zu überwinden hatte, konnte daher auch ihren Ausgang
nicht in einem Tod durch Feindes Hand, sondern nur in dem Sieg
über das Böse in ihm selbst finden. Aber selbst die wirklich verwor-
rene Mystik der Sage , wie sie bei Chrestiens de Troyes und seinen
Fortsetzern , und noch weiter im Prosaroman von Parzival und dem
h. Gral sich ausbreitet, und der sogar die so tiefsinnig gedachte Unfind-
barkeit der Gralsburg dergestalt abhanden kömmt, daß ein wahres
Treibjagen darnach entsteht und auch wirklich viele Unberufene, frei-
lich ohne Resultat, dahin gelangen, auch diese Mystik lässt zum großen
Verdruß unseres Verfassers von 1855 sogar Parzival als Gralkönig selig
versterben ohne Märtyrerthum. Unser Gedicht ist keine tragische Hei-
ligenlegende, und es darf daher nicht an dasselbe eine Forderung gestellt
GERMANIA VII. 5
66 SAU -MÄHTE
werden, die seiner ganzen Idee widerspricht. Das „wahrhaft Gute,
Schöne und Große, um das Heil zu verdienen," was der Verf. nicht
erkennt (Nr. 8), besteht eben in dem Ringen, den begangenen Fehl
durch innere Läuterung gut zu machen (daß den Helden weder das
Abenteuer der Zauberburg, noch Orgelusens Reize von seiner Bahn
ablockten, sind Thaten hohes Preises werth) , und die Hoffnung auf
Gottes Erbarmen und die sacramentale Liebe zu seinem Weibe sind
die Engel, die ihn auf seiner Bußfahrt unterstützen. — ■ Unverständlich
ist mir, wie durch die Erhebung zum Gral, also durch den Schluß
und das Ziel des Gedichts, die Geschichte „zum geistigen Stillstand"
(Nr. S) gebracht wird, da selbst nach diesem Schluß noch der Dichter
die Aussicht in das ferne Reich des Priesters Johannes eröffnet, und
die Wirkung des neuen Gralkönigs bis zum fernen Indien und dessen
Zukunft zeigt. — Ohnehin wäre mit einem Märtyrertode die Erlösungs-
frage nicht einmal beantwortet, sondern ins Jenseits geschoben. Richtig
charakterisiert daher Vilmar (Litt. Gesch. 2. Ausg. S. ] 63) das Gedicht
als ein Epos „nicht der Thaten der Völker u. s. w., sondern der Thaten
tles Geistes und der Begebenheiten der Seele, des Leides und der
Freude des inneren Menschen, ein Epos der höchsten Ideen von gött-
lichen und menschlichen Dingen: wie Welt und Geist gegen einander
streiten und Ilochmuth und Demuth mit einander ringen; und es scheut
sich nicht, in ruhigem Bewusstsein seiner Wahrheit, im vollen Bewusst-
sein der siegenden ewigen christlichen Wahrheit das letzte Wort aus-
zusprechen, was Gocthe's Faust (Thl. I) nicht wagt." Auch nach ihm
enthält das Mysterium des Grals „den Inbegriff des geistlichen christ-
lichen Lebens" (S. 165); aber wir vermissen ungern eine nähere Offen-
legung des religiösen, ja wir dürfen sagen biblischen Fadens , den der
Dichter unausgesetzt festhält und der sich mit den schlagendsten Beleg-
stellen nachweisen lässt.
Gervinus (Gesch. der deutsch. Nat. Litter. 1. Ausg. S. 365) be-
zeichnet zwar auch „die Reinigung der Seele als den Mittelpunkt im
Parzival;" aber Äußerungen wie z. B. „die unbegreifliche Sehnsucht,
die den Helden aus der wirklichen Welt auf etwas außer dieser und
über dieser Gelegenes hinweist (S. 362), indem vom Dichter das Irdi-
sche nicht mehr genügend gefunden, sondern ein höherer Bezug auf
ein Unendliches gesucht wird" (S.358); ferner das ..ganz Überraschende,
wie schön und entsprechend das Fatum im Parzival eingeführt ist, das
der Held in sich selbst trägt" (S. 362), und endlich die Fragen: „Wel-
ches war das Heil, das hier verheißen, das- Glück, das hier erlangt
war? Wohin endlich führte dieses mühselige Ringen den feurigen Dulder?
WOLFEAMS PARZIVAL. 67
Was gab ihm sein neues Leben zur Entschädigung für die Opfer, die
er brachte? Fragen nach der inneren Seligkeit des Lebens, welche jene
Zeit nicht beantworten konnte und die erst Dante in seinem „Paradiese"
dichterisch zu lösen verstand" (S. 365) — alle diese Äußerungen zeigen,
daß dem geistvollen Schriftsteller dennoch ebenso der evangelische
Leitfaden, der uns durch das geheinmissvolle Dunkel des Gedichtes
führt, .entschlüpft, als auch überhaupt die poetische Struktur des ganzen
Gedichtes in seinen drei Hauptkreisen, die es umfasst, entgangen scheint.
— Rosenkranz von 1S55, wie er die Geschichten vom Gral und das
Treiben der Templeisen „im Allgemeinen ziemlich geistlos" (Nr. 4)
findet, erkennt in der ganzen Composition „nur ein recht weitschwei-
figes Durcheinander der seltsamsten Dinge und Begebenheiten, worin
die Phantasie stets neuen Stoff zur Verwunderung findet" (Nr. 11),
obwohl er 1830 (I.e. S. 269) dem Dichter doch noch „eine unermess-
lictie Kraft" zuschrieb. Gervinus (S. 353) findet zwar jenes träumerische
Handeln ohne Princip, das dünkelhafte Wesen ohne Grund, jene tapfe-
ren Thaten ohne Zweck, das Gewirr der Abenteuer ohne Ende, alles,
was in den bretonischen Romanen so stehend ist, auch im Parzival:
aber (S. 356) er setzt doch nach Tiefe des Planes und Größe der Ideen
den Parzival über Gottfrieds Tristan, und findet das scheinbar Zufäl-
lige in den äußeren Begebenheiten mit dem Notwendigen in des Hei-
den innerer Entwickelung ganz vortrefflich in Beziehung und Ver-
knüpfung gesetzt (S. 362). Es genügt uns aber nicht von ästhetischer
Seite die auch von Vilmar, Reich el, Göschel (die Sage v. Parz. u. dem
h. Gral. Berlin, W.Schulze, 1855) u. s. w. hervorgehobene Bemerkung:
die vielen Abenteuer Gawans sollen im Gegensatz der übersinnlichen
Welt des Grals nur die Herrlichkeit der irdischen Welt schildern:
Gawans weltliche Ritterlichkeit, er, »der Virtuose chevaleresker Lebens-
kunst" (Nr. 6), soll dem geistlichen Ritterthum Parzivals zur Folie dienen:
die Arthurfeste und die Zauberburg Klinschors bilden interessante
(Kontraste zu dem heiligen Leben auf der Gralsburg, u. dgl. in. —
Alles das ist zwar richtig und trifft die Wahrheit, aber nur zum Theil
und erschöpft sie bei Weitem nicht. — Mochte es als gewagt gelten,
aus dem Gedicht eine Glaubensrichtung des Dichters herauszulesen,
die weit über seine Zeit hinauszugehen scheint, die gleichwohl aber
in keiner kleinen Fraction seiner Mitwelt herrschend war, und zwar
dergestalt herrschend, daß selbst die Kirche davon erschüttert und sie
zu den gewaltsamsten Mitteln zu ihrer Unterdrückung getrieben ward,
- können wir aber Schritt für Schritt in einem Theile desselben und
nach einer Richtung hin , und zwar im dargelegten Verhältniss des
5* -
(58 SAN -M ARTE
Menschen zu Gott (Gral, Amfortas, Parzival), die Erzählungen des
Gedichtes folgerecht in die positiven Sätze der Glaubenslehre über-
tragen: so darf — ist dieses gelungen — die Untersuchung nicht auf
halbem Wege stehen bleiben , sondern sie darf hoffen , daß bei einem
so tiefsinnigen Dichter und Denker wie Wolfram auch das Gleiche auf
die übrigen Theile Anwendung findet, also auch auf das Verhältniss
des Menschen zum Bösen außer uns und das Verhältniss des Menschen
zur Welt; und dann werden wir nicht mit Hoffmann (S. 89) sagen
dürfen: „die Verbindung Arthurs mit dem Gral sei eine bloß äußer-
liche, nur durch Parzivals Figur vermittelte, und Klinschors Geschichte
gehöre gar nicht zur Sache" (S. 93). — Ohne einen strengen , inneren
geistigen Zusammenhang: des Grals mit Arthurs Weltreich und den
Anfechtungen des Unglaubens und Bösen wäre die Durchführung der
herrschenden Idee in Parzivals Geschichte nur einseitig und unvoll-
ständig, während das Gedicht durch diesen Zusammenhang dagegen ein
wirklich weltumfassendes wird. Der Strom der Welt, in welchem die
Tafelrunde schwimmt, und die Zauberburg , wo die düsteren feindseli-
gen Mächte Qual und Verderben gegen alles Geschaffene, was Freude
und Tugend athmet, brüten, sind vielmehr Gegensätze jenes Gottes-
reichs des Grals, die mehr als nur eine poetische Dekoration bedeuten
und mehr als ästhetischen Reiz bezwecken. — Die weitere Ausführung
dieser beiden letzteren Punkte wird der für das Verständniss unseres
Dichters sich interessierende Leser im dritten Heft meiner Parzival-
Studien, das unter der Presse ist, finden; doch möge mir gestattet
sein , bei dieser Gelegenheit wenigstens einige vorläufige Andeutungen
zu geben.
Kirchenlehre und Volksglaube, gestützt auf die h. Schrift, erkann-
ten ein Reich des Satans und seiner Engel und Dämonen, deren Wal-
ten auch über die Erdgebornen gieng, als Feinde Gottes und aller derer,
die fromm und treu ihm anhiengen, an, und auch Wolfram lässt ein
solches demgemäß in seiner Dichtung bestehen. Äußerlich zwar, wie
jedes andere irdische Königreich anzusehen, hat es seinen Sitz im fer-
nen Orient, dem Lande der Zauber, Ungeheuer und unermesslicher
Schätze, dem Wohnplatz der missgeschaffenen Sprösslinge adamitischer
Weibesgier, wo das Heiclenthum in unbeschränkter Macht und Blüthe
stand; und von hier gehen alle Anfechtungen gegen das Gral- wie
gegen Arthurs Weltreich aus. Allein so wenig wie in der Geschielitc
Parzivals ihm der Erlöser, Engel und Heilige (abweichend von den
Prosaromanen von Percival und de St. Gröal) persönlich entgegen-
treten, ihn lehren und führen, so wenig begegnet uns auch hier der
WOLFRAMS PARZIVAL. b'9
leibhafte Satan mit Hörn, Schweif, Pferdefaß und Krallen, wie Dante's
Vorgänger schon ihn ausführlich malten, sondern seine Repräsentanten
und Organe reihen sieh künstlerisch und menschlich in sein romanti-
sches Epus als durchaus natürliche Figuren ein, worüber wir indess
ihren infernalischen Charakter nicht vergessen dürfen. Sekundille, die
Heidenkönigin, verlockt den Gralkönig Amfortas zu verbotener Minne,
d. h. zum Abfall von Gott; zwrar ermannt er sich insoweit, sie im Stich
zu lassen, aber er fällt bald wieder in die Schlingen der Orgeluse, in
deren Dienst er die giftige Wunde , und zwar von einem Heiden em-
pfängt, der den Gral bekämpfen will, in welchem wir daher nur einen
Abgesandten der Finsterniss zu erkennen vermögen; und so macht
Gott, wie ja fast immer, den Bösen zum Werkzeug seiner strafenden
Gerechtigkeit gegen Amfortas. Auch Klinschor stand mit Sekundillen,
der er die Spiegelsäule und andere Schätze stiehlt, in Beziehuno-; sein
verbrecherischer Umgang mit der Königin Iblis , die nicht ohne Be-
deutung den Namen des muhamedanischen Satans führt, und die mit
satanischer Bosheit selbst sein Verbrechen verräth , treibt ihn nach
seiner schmachvollen Bestrafung zur Schwarzkunst und macht ihn zum
eifrigsten Jünger des Schwarzen. Klinschor am wenigsten ist, wie
Rührmund (v. d. Hagen, Germania, Jahrb. der Berl. Gesellsch. IX, 14)
meint: „eine Karrikatur Abälards und ein Vorläufer des Faust, nur mit
mehr wälschem als deutschem Charakter." — An ihn reihen sich jene
Unseligen, Irot, GraniofJanz, Orgeluse, und schließen Pacte mit ihm
zu ihrem Schutz gegen ihn, und diese ziehen auch Arthurs Verwandte,
Gawan und seine Schwester, in ihre feindseligen Conflicte, wie Klin-
schor selbst dem Arthur Weib und Mutter entführte und auf der
Zauberburg einsperrte. So schlingt sich kunstvoll das dichterische Ge-
webe der Erzählung um alle Repräsentanten der oben von uns bezeich-
neten drei Reiche, ohne daß jedoch der Dichter deren symbolische
Bedeutung und ihr ethisches Verhältniss zu einander aus dem Sinne
verliert. Wir erkennen dabei, daß Arthur und seine Tafelrunde ein
Christenthum haben und üben, wie es eben in den höfischen Kreisen
zu des Dichters Zeit herkömmlich war. Sie hören regelmäßig Messe
beobachten getreu die gebotenen Kultusformen, die fahrenden Herren
und Ritter führen Kapläne und kirchliche Ornamente sogar auf Reisen
mit sich, beten auch wohl in der Noth, wie Gawan auf dem Zauber-
bette, oder herkömmlich in der Kirche wie Ginevra; aber nicht Einer
lässt sich die Äußerung einer tieferen Gotteserkenntniss oder die mehr
als übliche Formel wäre, entschlüpfen; und auf gleich äußerlicher Stufe
hält sich auch ihre höfische Moral. Gewiss ist es nicht andächticre
7(1 SAN-MAKTE
Verehrung dos li. Stuhls , sondern scharfe, beißende Ironie, wenn der
Dichter d^n Baruch, den heidnischen Papst, mit dem h. Vater in Rom
vergleicht, der auch Ablaß ertheilt und bei dem man heidnische Orden
sieht -- wobei indess zugleich die Lehre der Kirche hineinspielt, daß
die Dämonen die heiligen Gebräuche der christlichen Kirche im heidni-
schen Gottesdienste nachahmen. — Dieser sichtbaren äußerlichen Kir-
chengemeinschaft mit ihrer todten Werkheiligkeit steht die Genossen-
schaft des Gral-Evangeliums gegenüber, und Avie nach Wolframs An-
sicht die Kirche jener ersteren Gesellschaft zwar nicht geeignet ist,
zur Gralseligkeit zu führen, so hält er sie doch für genügend stark,
mit ihren Heilsmittel dem „Teufel außer uns" zu begeernen, den Herze-
loide und Gurnemanz dem Parzival bezeichnen, und der in der That
von Kirche, Volksglauben und zahllosen Legenden so materiell und
äußerlich, um nicht zu sagen massiv, aufgefasst ward, daß der be-
drängte Mensch sich seiner auch mit jenen äußerlichen Mitteln, welche
diese Kirche bot, mit gewissen Gebetsformeln, Schlagen des Kreuzes,
Segenssprüchen u. s. w. erwehren konnte. Darum konnte es auch dem
weltlichen, jedoch im Geist dieser Kirche genügend frommen lütter
Grawan gelingen, im Bund mit seiner zuht, männlichen Rechtschaffen-
heit und seinem Heldenmuth, den Zauber von Schastel-Marveille zu
überwinden und dieses dämonische Zauberland der gewöhnlichen Chri-
stenwelt zurückzugeben; aber zur Gralseligkeit gelangte er desshalb
noch nicht. — Nach Wolframs Meinung aber ist ein solcher Versucher
für den wahren Jünger des Grals gar nicht vorhanden, jedenfalls gegen
ihn machtlos; denn wie der Erlöser auf der Höhe des Berges zum
Satan sprach: „Hebe dich weg von mir, denn es steht geschrieben, du
sollst anliefen Gott deinen Herrn und ihm dienen" (Matth. 4, 10), so
weist Parzival Orgelusens Verlockung mit voller innerer Festigkeit
zurück: .lehn toil iicer minne niht, Der grdl mir anders Jcumber gihtl
Sus sprach der lieh mit zorne" (P. 619, 11), und lässt die Bestürzte in
tiefster Beschämung stehen.
Gawan aber hat eine doppelte Mission und geht darauf unbe-
wusst, wie Parzival auf die seinige, ein. Einmal folgt er der vom Gral
ausgehenden, von Kundrien am Plimizol ausgesprochenen Aufforderung
zur Befreiung der gefangenen Frauen, und, daraus folgend, zur Zer-
störung von Klinschors Zaubern, somit zur Überwindung dieser vor-
geschobenen Colonie des Reiches der Finsterniss. Jedoch gibt der
Dichter ihm noch eine zweite Mission, die innig mit seiner klaren
Anschauung dessen, was im damaligen Ritterleben verwerflich war und
den Keim künftiges Verderbens wirklich in sich trug, zusammenhängt.
WOLFRAMS PARZIVAL. 71
Er geißelt die ungezügelte Kampflust ohne sittlichen Zweck, er tadelt
scharf die lächerlichen Grillen eines hochgespreizten Stolzes und ver-
kehrten ritterlichen Ehrgeizes, und noch schärfer in sehr zahlreichen
Aussprächen die zu seiner Zeit schon großen Ausschweifungen des
ritterlichen Minnedienstes und die Vergötterung der Minne, die im
Tristan ihren weltlichen , im Mariendienst ihren geistlichen Ausdruck
fand — was alles nicht allzulange nach ihm in Ubermuth des Adels,
Raubwesen und gröbster Unsittlichkeit neben abergläubischer Bigotterie
seinen verderblichen Ausgang nahm, wie es bei einer Erziehung nicht
wohl anders möglich war, welcher die strenge sittlich-religiöse Grund-
lage fehlte. Dieser sinnlichen, überkünstelten Minne stellt er das Ideal
wahrer christlicher Gattenliebe, die „wahre Liebe" Parzivals und Kon-
dwiramurs gegenüber. — Die ungemessene Leidenschaft Orgelusens zu
Lidegast, die in blutgierigen Rachedurst gegen dessen Mörder Gramo-
flanz umschlägt, die sie zum Bündniss mit Klinschor und sogar dazu
treibt, daß sie sich selbst dem zum Preise aussetzt, der ihr zum Rache-
werkzeug dienen würde, — ferner der überstolze Hoehmuth des Gramo-
flanz und sein wilder Hass gegen Gawan zeigen die tiefste sittliche
Verirrung, die sich fast zur Geisteszerrüttung steigert. Auch der Fähr-
mann Plippalinot, Orgelusens kriechender Diener, krankt an sittlicher
Fäulniss. Sie alle sind in den Banden des Bösen. Gawan erhält den
Beruf zugetheilt, den er nicht ohne Straucheln und mehrmals in naher
Gefahr zu fallen erfüllt, das edle Rittertimm über die unreine Minne
und den unwürdigen Dienst derselben zu erheben , zugleich aber auch
jene Gefallenen und Verirrten aus den dämonischen Banden ihrer wil-
den Leidenschaften zu reißen. Und wie trefflich dieß gelingt, sehen
wir an dem Wege der Demüthigung, Reue und Buße, den, ähnlich
wie Parzival in seiner Richtung, auch Orgeluse und Grainoflanz gehen
müssen , bis sie aus ihrem sittlichen Verfall sich wieder erheben ; und
gleichwie der Graljünger durch den Glauben, werden diese verirrten
Weltkinder durch Edelsinn und wahre Herzensliebe zu Preis, Ehre
und zeitlichem Glück zurückgeführt und den Mächten der Finsterniss
entrungen. Das ist meines Erachtens die ethische und theologische
Bedeutung von Gawans Abenteuern, die nur zu leicht durch den
bunten, in allen Farben spielenden Glanz der Dichtung verhüllt wird,
aber unverkennbar darin enthalten ist.
Auch Feirefiß, mutterhalb Heide und Parzivals Halbbruder, wird
von Sekundillen selbst als dessen dritte Geliebte umstrickt; in ihrem
Dienst zieht er in das christliche Abendland, und sein Zusammentreffen
mit Parzival ist der letzte Versuch der finsteren Mächte, einen Todesstoß
72 SAN-MABTE
irecen das Gralreich zu führen. — Es würde nicht wohl begreiflich
sein, wesshalb der Dichter gerade diesen Kampf so feierlich ankündigt,
ihn mit den leidenschaftlichsten Gefühlen der Angst und Freude be-
gleitet, und ihn zum Wendepunkt für Parzivals Schicksal macht,
wenn ihm nicht ein besonderer, großer religiöser Gedanke und mehr
als eine bloße sentimentale Rührung, daß Geschwister hier kämpfen.
in der Seele gelegen hätte. Daher sagt Lachmanns Ausspruch (Parz.
S. XXV): „Parzival habe im unverschuldeten Kampf mit Freund (Ga-
wan) und Bruder das Härteste erfahren," viel zu wenig; denn wie
groß wäre der Triumph der Hölle gewesen, wenn dieser neue und
letzte Abgesandte des Bösen den von Gott auserwählten künftigen
Gralkönig überwunden hätte? Wie groß aber auch dann, wenn Feirefiß
von Bruderhand fiel und Parzival aufs Neue Blutschuld der Ver-
wandtentödtung auf sich geladen, und so wiederum Gottes Huld und
die Gralgemeinschaft verloren hatte? Darum ruft der Dichter: gcli'i<-L-f
scheidez äne tot (P 738, 10). Hier wie nirgend anderswo im Gedieht
wird der Gottesheld durchweg der Getaufte und Feirefiß der Heide
genannt; jener ruft zu seinem Beistand den Gral und seine sacramental
geliebte Kundwiramurs, dieser seine Heidengötter und unheilig ge-
minnte Sekundille an; jener betet zu Gott, dieser vertraut der Zauber-
kraft seiner Edelsteine. Gott selbst entscheidet den Kampf, indem er
Parzivals Schwert zerbrechen lässt — Andeutungen genug, daß nach
dem Sinne des Dichters hier mehr als ein Sieg um Ritterpreis, Leib
und Leben , daß vielmehr der Sieg des Lichtes über die Finsterniss
und die Erringung des seligen Heiles für Parzival auf dem Spiele steht-
Ohne diesen Hintergedanken konnte dieser Kampf nicht zum Gipfel-
punkt des ganzen Gedichtes erhoben werden. Und unmittelbar darauf
folgt auch Kundriens Heilsbotschaft. — Diese Lösung des Kampfes,
der Sieg über die Macht, „die stets das Böse will und stets das Gute
schafft," führt Parzivaln zur Herrlichkeit und Feirefiß durch die Liebe
zur Taufe, und entreißt somit letzteren den Gewalten, denen er bisher
verfallen war; und er selbst ist es, der das Christenthnm , wie der
Gral es lehrt, im fernen Reich Sekundillens verbreitet. Alle jene
schwarzen feindseligen Mächte sinken in Ohnmacht und Nacht zurück,
und so vollendet im Gedicht sich zugleich neben des Amfortas Er-
lösung und Parzivals Heiligung die Erhebung der Gralkirche zur Ec-
clesia triumphans. Mochte der überlieferte Sagenstoff auch noch so
verstreut und durcheinander gewürfelt vorliegen, unser Dichter verstand
es, aus seinem Material nicht bloß — ich wiederhole es — in der Ge-
schichte seines Haupthelden die Bekehrung des Christen zum reinen
WOLFEÄMS PAEZIVAL. 73
Evangelium und in der Gemeinde des Grals das Ideal einer evangeli-
schen Kirchengemeinschaft nach dem Typus des besten geistlichen
Ritterordens seiner Zeit darzustellen, sondern- damit auch die Feier des
Sieges der Offenbarung des neuen Bundes über das Dämonenreich des
allgemeinen Kirchenglaubens, und endlich die sittliche Erhebung des
Ritterthums über seine unsittlichen Gebrechen zu verbinden , und Se-
kundille , Klinschor , Gawan , Orgeluse und Feirefiß sind ebensowohl
nothwendige Träger des hohen dichterischen Gedankens, wie Parzival,
Amfortas, Trevrecent und die Templeisen.
Wie hoch aber der Dichter das Gralreich über jenes Weltreich
Arthurs und der Tafelrunde stellt, spricht er klar und gewaltig in den
beiden großen Scenen von Kundriens Erscheinen aus. Parzival schien
am Plimizoel das höchste irdische Glück erreicht zu haben: ein schönes
treues Weib, ritterliche Triumphe der glänzendsten Art, allgemeine
Bewunderung der höchsten Tapferkeit, die höchste Ritterehre durch
Aufnahme in die Tafelrunde: und er schien dieses Glückes so würdig
zu sein. Doch der Gralsbotin Wort schleudert ihn in den Abgrund der
Schmach, schilt die Tafelrunde entehrt durch solchen Genossen, und
zerschellt auf einmal all den Glanz und die Ehre Arthurs als eine
werthlose Scherbe, und alles, was er aufgeboten, zerfließt als eitel Blend-
werk vor der höheren Aufgabe, die dem Gott und nicht die Welt suchen-
den Menschen gestellt ist. Kundrie spricht es aus: wie der Herrlichste
vor den Menschen doch der Verworfenste vor Gott sein kann: wie er
von jenen gefeiert, von diesem gezüchtigt wird. — Und wiederum auf
Joflanze,wo abermals Parzival nach den ruhmvollsten Kämpfen die höchste
Ehre errungen, er wiederum durch Wiederaufnahme in die Tafelrunde
mit erhöhtem Glanz verklärt wird, wo Artus und all die Seinigen sich in
ihrem höchsten Ruhm und Glück wiegen, da erscheint wieder Kundrie
mit der Verkündigung: daß Parzivals endlicher Lohn nicht hier, sondern
beim Gral verliehen werde. — Gewiß erkennt Wolfram die sittliche Kraft
des weltlichen Menschen, die hohe Würde des echten Ritters als ein
Nothwendiges, Heilsames und Berechtigtes in der bestehenden Welt an,
aber er erkennt es auch ebenso in seiner Unzulänglichkeit zur höchsten
Aufgabe der Menschheit, und es wiederholt sich auch Artus und seinem
Reich gegenüber der Grundgedanke: „Gott, dem ewigen König, dem
Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen sei Ehre und Preis
in Ewigkeit" (1 Tim. 1, 17), den Spruch des Heilandes bekennend:
„Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln
in Finsterniss, sondern wird das Licht des Lebens haben" (Job. 8, 12).
74 FEDOK BECH
DBEE NICOLAUS VON JEROSCHIN.
VON
FEDOR BECH.
Die Herausgabe des vollständigen Textes der preußischen Chronik
des Nicolaus von Jeroschin, welche wir Strehlke :::) verdanken, wird
Kennern und Freunden der preußischen Geschichte eine um so will-
kommenere Gabe sein, je bedeutender die Stellung ist, welche dieses
Werk neben der lateinischen Chronik des Peter von Dusburg in der
Überlieferung der vaterländischen Geschichte einnimmt. Aber die Ge-
schichtsforschung ist es nicht allein, um derentwillen wir diesen Bei-
trag willkommen heißen. Nicht geringer, wenn nicht um vieles be-
deutender ist das Interesse, welches in der jüngsten Zeit die deutsche
Sprachforschung dieser reichen Fundgrube mitteldeutscher Sprachformen
zugewandt hat. Wieder angeregt war dasselbe bekanntlich in neuer
Zeit durch das epochemachende Werk Pfeiffers, nachdem über hundert
Jahre verflossen waren, seitdem J. L. Frisch in seinen „Miscellaneis
Berolinensibus" und in seinem „deutsch-lateinischen" Wörterbuche vom
Jahre 1741 durch Mittheilung einer Zahl von seltenen Ausdrücken die
Aufmerksamkeit der Sprachforscher zuerst darauf gelenkt hatte. In den
Auszügen, welche Pfeiffer aus dieser Chronik gab, und in dem mit
seltener Sorgfalt und Genauigkeit ausgearbeiteten Glossar, welches der-
selbe beifügte, war bereits eine erschöpfende Darstellung des Sprach-
stoffes gegeben. Zugleich aber erwarb sich Pf. in der lehrreichen Ein-
leitung zu dieser Schrift dadurch ein bleibendes Verdienst, daß er das
besondere Sprachgebiet des Mitteldeutschen in klaren und festen Um-
rissen zeichnete und gegen alle Einwendungen auf überzeugende Weise
sicher stellte, nachdem er bereits früher im ersten Theil der deutsehen
Mystiker das mitteldeutsche Lautsystem nachgewiesen und W.Grimm
dasselbe weiter in Athis und Prophilias verfolgt hatte.
Eine neue Wichtigkeit, welche Nicolaus mit Heinrich Hessler,
dein Verfasser einer paraphrasierten Apokalypse, theilt, besteht in der
Mittheilung der Regeln, welche für ihn hinsichtlieh der Metrik und des
Reimes bei Abfassung seines Buches maßgebend waren. Die ausführ-
liche Besprechung, welche nächst Pfeiffer besonders Bartsch im ersten
*) L>i foröntke von Prüzinlant des Nicolaus von Jeroschin. Herausgegeben von
Ei'nst Strelülce. Separatabdruck aus dem ersten Bande der Scriptores Rerum Prussicarum,
herausgegeben von Th. Hirsch, M. Toppen und E. Strehtke. Leipzig, Verlag von S.
Hirzel. 1861.
ÜBER NICOLAUS VON JEEOSCHIN. 75
Bande dieser Zeitschrift S. 192 folg. diesem Gegenstande widmete, hat
nicht wenig dazu beigetragen, auch nach dieser Seite hin das Interesse
für Nicolaus zu steigein.
Die neue Ausgabe der ganzen Chronik, welche Strehlke besorgt
hat, stützt sich zum größten Theil auf die eben genannten Vorarbeiten.
Der Herausgeber bekennt selbst, daß er „bei Bearbeitung des Textes
in vielen Dingen an Pf. einen trefflichen Führer gehabt habe," daß er
namentlich „bei der Erklärung seltener und fremdartiger Wörter in
den bezüglichen Noten ihm häufig folgen konnte."
Die hier folgende Beurtheilung wird nun eines Theils zu zeigen
suchen, in wie weit Strehlke im Stande gewesen ist, vermittelst dieser
Vorarbeiten und der neugewonnenen handschriftlichen Überlieferung
einen befriedigenden Text zu beschaffen; anderen Theils und zwar zuerst
soll hier von Neuem versucht werden , mit Bezug auf den nun voll-
ständig vorliegenden Text die in mehrfacher Hinsicht schwierigen Vers-
regeln Jeroschins und Hesslers zu deuten und auf die Verse des Dich-
ters anzuwenden; denn für Jeroschins Texteskritik ist die genaue und
sichere Kenntniss seiner metrischen Kegeln unerlässlich. Um aus den
verschiedenen Handschriften einen dem Original möglichst nahe kommen-
den Text zu gewinnen, muß der Herausg. vor Allem diesem Punkte
seine Aufmerksamkeit zuwenden und ein bestimmtes zuverläßiges Re-
sultat zu gewinnen streben. Mit anderen Worten: um zu bestimmen.
ob in den vorhandenen Textesüberlieferungen die Verse in des Dichters
Sinn und Weise gemessen und gereimt, oder durch Abschreiber und
Correctoren verderbt und entstellt sind, muß zuvor festgestellt sein,
nach welchen Regeln der Dichter seine Verse gemessen und gereimt
haben wollte. Diese Regeln sind nun von Pfeiffer und von Bartsch
selbst in den wesentlichsten Punkten verschieden aufgefasst worden.
Die Schwierigkeit, sie für uns fassbar zu machen, hat aber hauptsäch-
lich darin ihren Grund, daß es der Zeit des Mittelalters überhaupt an
einer festen allgemein angenommenen Terminologie in Bezug auf diese
Dinge zu fehlen scheint und daß es daher sehr schwer hält, sich mit
dem Sinn der von diesem oder jenem Dichter gelegentlich gebrauchten
Kunstausdrücke vollkommen vertraut zu machen.
Vergleicht man nun die von Nicolaus gegebenen Vorschriften mit
der Art und Weise selbst, wie er seine Verse gemessen und gebaut hat,
so lassen sich besonders folgende für uns wichtige Gesetze wahrnehmen:
1. Kein Vers darf unter sechs noch über neun Silben enthalten.
2. Die mit einander reimenden Verszeilen müssen in Bezug auf die
Zahl ihrer Hebungen und Senkungen einander gleich sein.
7(j PEDOE BECH
Ausnahmen: a) Eine Senkung mehr bildet scheinbar der Auf-
taut der einen oder der anderen Zeile, dieser wird indess nicht
mitgezählt.
b) Ausfall einer Senkung in der einen oder der anderen Zeile des
Verspaares ist bloß gestattet innerhalb längerer, zumal zusam-
mengesetzter Wörter, welche neben dem Hochton unmittelbar
noch einen Tiefton haben, mithin keine Senkung zwischen sich
zulassen.
3. Die reimenden Endsilben des Verspaares müssen gleiche Laute
und möglichst gleiche Betonung haben; die Quantität der Vocale
wird dabei nicht weiter berücksichtigt.
4. Metrum und Rhythmus dürfen nicht mit dem geläufigen Ausdruck
des Gedankens, dem Genius der Sprache, in Widerspruch stehen.
Diese liegein werden von Nicolaus durch das ganze umfangreiche
Werk seiner Chronik so streng gehandhabt, daß die verhältnissmäßig
seltenen Fälle, in welchen gegen sie gefehlt scheint, durchaus nicht in
Anschlag gebracht werden können, die meisten eher auf Rechnung
schlechter Überlieferung kommen. Beispiele werden dieß im Laufe der
Auseinandersetzung darthun. Zuvor aber bedarf diese der bisherigen
Erklärung zum Theil widersprechende Auffassung der metrischen Re-
geln, welche Nicolaus v. 235 — 301 aufgestellt hat, einer näheren Be-
gründung, und zwar soll dieß geschehen unter Vergleichung der ganz
ähnlichen Gesetze , welche Hessler in seiner Paraphrase gegeben hat.
Vgl. Bartsch 1. 1.
Was nun 1) das Zählen nach Silben betrifft, von Nicolaus deut-
lich ausgesprochen v. 247 — 255 und 294 — 296 *), so darf man, wie
*) Sus ist i'i'-h offenbare \ wurden der matärjen sttm. \ Ouch ich diss getichtes rhu \
üf dt zal der silben züne, sagt Nicolaus v. 293 folg., nachdem er den Inhalt seiner
Chronik und die in derselben befolgte Anordnung angegeben hat. Was aber der mat$rjen
sinn bedeute, ist Pfeiffer so wenig als Wackernagel im Stande gewesen bestimmt zu
sagen; mich, hat sieh in deutscher Zunge stim bis jetzt nirgends finden lassen. Ich
schlage daher vor, mit einer ganz leichten Änderung zu lesen der matirjen stam: ram.
Beide Ausdrücke, stam wie ram, von Dichtern zuweilen zur Ausfüllung ihrer Eeime ge-
braucht, geben hier einen ganz erträglichen Sinn. Über stam und seine Bedeutungen
sieh Grimm zu Ruoland 12!), 1 und Köpke zum Pass. S. 771 '' : und über ram = Kahmen
zum Sticken, Nähen, Wiirken , ein Gestell um die Zeuge darin auszuspannen, dann all-
gemein Einfassung, Begrenzung, Umfang, Maß, vgl. Frisch 2, S±c und mhd. Wörtb. 2,
551. Der Sinn ist dann: auch ich das Maß, den Umfang meiner Verse, auf die Zahl
der Silben beschränke. Das Missverstehen von ram oder die leichte Verwechslung mit
rtm war vielleicht die Veranlassung zur Änderung. Aberes ist auch möglich, daß der
Dichter stim, nur nicht stim, im Sinne hatte, wenngleich dieß ungewöhnlich verkürzte
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 77
Bartsch S. 198 — 199 richtig bemerkt, dabei nicht vergessen, daß „das
Gesetz der Hebungen trotzdem noch fortbesteht." Auch ist damit noch
nicht ausgeschlossen, daß eine Senkung, d. h. in diesem Falle in bei-
den Zeilen des Verspaares zugleich, je zuweilen ausfallen darf. Bei
Hessler, wie man aus den Bruchstücken bei Roth ersieht, ist dieß sehr
häufig der Fall ; weniger häufig, wenn auch nicht so selten als Bartsch
meint , bei Nicolaus. So baut letzterer Verse von sieben Silben , aus
vier Hebungen und drei Senkungen bestehend und gemessen wie acht-
silbige stumpfe, in folgender Weise: 2894 cliz ist dt slenkre da mit \
kein Goliam trat Davit, 8530 der dritte meistir vorioar \ und träc daz
amt achte jär (wenn nicht amecht zu lesen ist?), 1520 der bischof hiz
Cristian \ und was ein geistlichir man u. s. w. Ferner Verse von sechs
Silben, wie siebensilbige stumpfe zu vier Hebungen gemessen, sind
z. B. 1460 als süi andäJd in banl \ in daz heilige lant, und so 1464 — 65,
4017 — 18 wol inmittin gesät \ eine vorneme stat. Zu fünfsilbigen Versen
hat sich Nicolaus wohl nirgends verirrt, er verpönt sie ausdrücklich
v. 249. Was sich davon in vorliegendem Texte findet, beruht sicher
nur auf Unachtsamkeit seiner Abschreiber und hätte von Strehlke S. 116
nicht sollen in Schutz genommen werden. So v. 743 als vortilgere, wo
mit K zu lesen ist vortiligere; v. 8960 und Uz ob al daz velt | slain üf
vil gezelt, vielleicht unde L o. a. d. velt \ slagin üf vile gezelt oder vil
manic gezelt; über den ungeheuerlichen Vers 8780 sieh weiter unten.—
Von den Versen, welche alle Senkungen ausdrücken, ist noch zu mer-
ken, daß die sechssilbigen stets klingend gereimt sind, z. B. 23158 — 59
und dt dit geleide \ alliz ir getreide; daher ist die Stelle v. 11813 — 16
entweder fehlerhaft überliefert, so daß der erste und dritte Vers je
eine Silbe eingebüßt haben, oder das Ganze ist strophisch zu fassen.
Sehr selten bedient sich Nicolaus des neunsilbigen Verses, z. B. 6317
und vir und zwenzic toepenere \ mit den sich machte der geivere, so wie
13981, 20992, 21060, 23250, 24066, 26290, 27655, 1792, 2090 u. s. w.
Zelmsilbige Zeilen, wie Strehlke S. 116 glaubt, kommen nirgends vor;
der einzige eben berührte Fall v. 8781 beruht auf Verderbniss des
Textes, dessen Heilung später gezeigt werden wird.
2) Nicht genug aber, daß die einzelne Zeile als solche durch die
Silbenzahl begrenzt ist, auch das Verspaar als solches ist durch die
Zahl bedingt, indem der Anlage nach die beiden reimenden Hälften
Wort im Reim auf r/m nicht recht passend scheint. Indessen bei einem Dichter wie
Nicolaus darf dieß nicht auffallen, wenn man erwägt, daß er vhit : sinl, rinde: geslnde,
vtrde: wirde, inzirt: wirt u. dgl. als Reime sich erlaubt; vgl. Pfeiffer S. L1X.
78 FEI »OK BECH
durch gleiche Mengen der Silben sich gegenseitig decken müssen, die
naöhschlagende Zeile das Maß der vorschlagenden nicht überschreiten
darf. Das eine folgt nothwendig aus dem anderen. Auch die frühere
höfische Poesie hat seit H. v. Veldeken ihr Streben darauf' gerichtet,
dem epischen Verspaare mehr Einheit und Geschlossenheit zu gehen
durch gleichmäßigeren Rhythmus seiner Zeilen; nur begnügte sie sich
bekanntlich mit dem Zählen der Hebungen und gewährte so einen
größeren Spielraum für „die mannigfaltigen Formen des Gedankens
und der Empfindung" *). Beschränkt ward diese Freiheit der Bewe-
gung aber bereits nach festen bewussten Regeln durch Konrad von
\\ ürzburg, den deutschen Nonnus, wie ihn Lachmann mit Hecht ge-
nannt hat. Er ist der erste, der mit durchgreifender Consequenz mit-
telst eines gleichmäßigeren Tonfalls seine Verse zu glätten, so wie die
zu einem Paar verbundenen Zeilen einander gleich und parallel zu
machen sucht. Seine Verspaare haben, abgesehen von der den Auftact
bildenden ersten Senkung, bereits ein numerisch bestimmtes Maß, ge-
rade so wie bei Hessler und Nicolaus; ja auch rücksichtlich der Aus-
nahmefälle, unter denen das Fehlen einer Senkung in einer der zwei
Vershälften gestattet ist, hat er mit unserem Dichter die größte Ähn-
lichkeit, vergl. darüber Haupts Zeitschr. 2, 372 folg. und zum Engel-
hard 3G6; daher darf man vermuthen, daß Hessler unter den „alten
Meistern," auf deren Vorbild er sich beim Bau seiner Verse beruft,
v. 1385 u. 1389, vorzugsweise den Konrad von W. im Auge gehabt
habe, dessen goldene Schmiede ihm jedenfalls bekannt war.
Die Art nun, wie Hessler und Nie. sich über dieses ihren poeti-
schen Formen überall zu Grunde liegende Gesetz äußern, ist verschie-
den gedeutet worden. Noch Bartsch schwankt, indem er S. 199 1. 1.
darüber sagt mit Bezug auf die Worte dt lenge lielt der silben sali
„Natürlich kann Nicolaus nicht meinen, daß je zwei mit einander rei-
mende Verszeilen auch gleiche Silbenzahl haben müssen, sondern es
ist allgemein zu verstehen: es dürfen neben allzulangen nicht allzukurze
Verse in einem Gedichte vorkommen, außerhalb der vom Dichter ge-
steckten Grenzen. Indess wird man bei Nie. auch die specielle Be-
ziehung auf ein einzelnes Reimpaar gelten lassen, denn meist verbindet
er bis auf den willkürlich fehlenden Auftact Verse von gleicher Länge."
Wenn aber die in dem letzten Satze ausgesprochene Beobachtung richtig
*) Der seine Verse nach der Zahl der Silben wägende Hessler kann dagegen als
Beispiel angeführt werden für die Eintönigkeit und Steifheit, bis zu welcher sich spätere
Dichter verirrten. So stehen ■/.. B. zwölf siebensilbige Verse unmittelbar hinter einander
in den Saarbrücker Bruchstücken bei Ivuth Dichtungen. S. 7.
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCH1N. 79
ist, woran Niemand zweifeln kann, der des Nicolaus Verse gelesen hat,
so muß auch die Forderung; der darüber a;e<2;ebenen Rea;el eine ent-
sprechende sein; es ist nicht gut denkbar, daß Nie. später bei der
Ausführung selber das Gegentheil sollte gethan haben von dem, was
er vorher als Norm aufstellt. Um indessen vollständig ins Reine zu
kommen, muß man sich erst klar zu machen suchen, was der Dichter
unter rlm verstanden hat; aber gerade hier scheint man sich viel zu
sehr an die moderne Bedeutung des Wortes gehalten zu haben, indem
man es vorzugsweise, ja von mancher Seite ausschließlich, wie unser
„Reim" im jetzigen Kunst verstände = homoeoteleufon gefasst hat. Das
Mittelalter scheint es jedoch nicht immer in diesem enteren Sinne a-e-
braucht zu haben , sondern, wie heut zu Tage noch in manchen Dia-
lecten unseres Volkes, in dem weiteren Sinne von Verszeile (Verspaar),
also ganz gleichbedeutend mit den im Lateinischen hin und wieder auf-
tretenden rliytlimi teutonici, germanici, vulgares = deutsche Verse. Darauf
deuten die Prädicate und der Zusammenhang, in welchem es sich da
und dort bei den Alten findet. So lässt Wolframs r%me brechen und
r. samenen (Parz. 337, 26) nach der Auslegung, welche J. Grimm den
Worten gibt, kaum etwas anderes als gereimte Verse unter rlme ver-
muthen. Ferner wenn Rud. von Ems dem H. v. Veldeken nachrühmt,
daß er rehter rlme aller erste began (v. d. Hag. Ms. 4, S. 866) , so ist
vielleicht mit allzu einseitiger Hervorhebung dieß auf die Silben des
Endreimes bezogen worden. Das Neue der durch Heinrich auf deut-
schen Boden verpflanzten Kunst bestand aber darin nicht allein; mit
Recht wird schon anderen Dichtern kurz vor ihm die Handhabung voll-
kommener reiner Reime zugeschrieben, wie dem Verf. des Pilatus. Ein
nicht geringeres Verdienst erwarb er sich durch das rhythmische Eben-
maß seiner Verse, indem er nicht mehr wie vor ihm geschah und im
Volksgesange so wie in den Dichtungen der Geistlichen zuweilen nach
ihm noch zu geschehen pflegte, Verse von ungleich vielen Hebungen
oder sonst von unverhältnissmäßiger Länge auf einander reimte; und
hierin hatte er jedenfalls die Bahn gebrochen. Wenn der Umdichter
Heinrichs des Glichesäres von sich sagt sumellcher rlme sprach er me
dan e dran weere gesprochen, so kann ebenfalls über die Bedeutung von
rlme kein Zweifel sein. Thomasin v. Zircl. 56 ob mir lichte geschiht \
etlichen rim ze überheben \ daz er nien werde reht gegeben wird zwar von
Lachmann z. Iwein S. 484 und nach ihm von Rückert zu d. St. auf
die Verwendung des Reimwortes gedeutet, doch läßt sich ebenso gut
auch der Gebrauch allzulanger oder ungleicher Verse darunter denken;
ein Fehler, dessen sich Thomasin in der That hin und wieder schuldig
30 FEDOK BECH
gemacht zu haben scheint; vergl. z.B. Rückert zu v. 1249. Im Renner
17782 lieisst es ein rim mi drin worten stet | ofte, so einer färbaz get \
über siben oder achte wort; 18698 zweinzic rime zivlie ich da herin | die
eint kern Vrtdanks und nicht min, und so 19519. Andere Stellen weiter
unten in der Anmerkung. In diesen beispielsweise herangezogenen
Fällen hat rime seiner Bedeutung nach noch viel Ähnlichkeit mit dem
althochd. Worta rim bei Graff 2, 506 = series numerus; vergl. auch
daselbst garimjan, numerare. \\ ie nun aber die oben aufgeführten Bei-
spiele, ebenso lassen die bei Nicolaus und die bei Hessler (höchstens
mit Ausnahme von v. 1411 u. 1412) meines Erachtens keine andere
Auffassung zu. Bartsch hat zuerst darauf aufmerksam gemacht. Es
gehört dahin Jerosch. 299 xmd min rim werden gebuit \ an dem ende ü
glichen luit und besonders v. 234 — 241 ouch des tichteres zunge \ an der
maierjen strdze \ sol dt rechte mdze \ behalten an den rlmen, \ glich zu
glichem Urnen, \ an lenge sinne Ute. Diese Worte haben nur dann Sinn,
wenn man unter rime die Verszeilen versteht. Ich verstehe daher die
Stelle so: Was die Länge der mit einander reimenden Zeilen (lenge),
ihren Gedankenausdruck (sin) und ihren Endreim (lüt) betrifft, so soll
man hier stets das rechte Maß inne halten und nur Gleiches zu Glei-
chem fügen. Die drei zuerst genannten Punkte werden dann in den
folgenden Versen, wie Bartsch 1. 1. und Strehlke S. 9 richtig bemer-
ken, einzeln weiter ausgeführt.
Mit dem glich zu glichem Umen ist wohl die Ebenmäßigkeit, der
Parallelismus der gereimten Zeilen bezeichnet, namentlich in Rücksicht
auf den Reim und die Zahl der Hebungen und Senkungen. Dasselbe
Gesetz drückt Hessler folgender Maßen aus :
wand ich hän die rime geioegen
mit ebenglichen vüzen —
oder
wand ich sie gar durchmezzen
und, eben gliche hän geioegen —
d. h. ich habe die Zeilen des Reimpaares so gegeneinander abgemessen,
abirewoiren, daß sie in Bezim- auf die Menge der Füße einander cor-
respondieren. Dass die Deutung von Bartsch , welcher hierbei an die
„gleiche Quantität der Reimsilben" denkt, nicht richtig ist, erweist der
Zusammenhang mit den folgenden Versen, in welchen näher vom Zäh-
len der Silben, den längeren und kürzeren Reimzeilen die Rede ist; da
ist offenbar rim lengen und lanc rim nur vom Vers, nicht vom Endreim
zu verstehen. Über lenge vergl. die Erklärungen von Bartsch S. 199
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 81
und Strehlke *). Don Ausdruck Urnen hat Nicolaus von älteren Dich-
tern entlehnt, die sich dessen in ähnlichem Zusammenhange bedienten ;
so Trist. 119, 35 vom Blikker: wie er diu mezzer tvirfet \ mit behen-
declichen rimen , | wie kan er rvme Urnen \ als ob sie da gewahsen sin :
Wigal. 297 , 9 und begunde si wider Urnen \ mit ganzen niuwen rimen ;
Albr. v. Halberstadt ed. Bartsch S. 2, 29 ob ir vundet in den rimen \
die sich zeinander Urnen \ valsrh oder unrecht; Konrad Trojan. 276 ich
büeze im siner brücke schravz, | den kan ich iool geltmen \ zeinander hie
mit rimen, \ daz er nicht fürbaz spaltet; Eraclius ed. Maßm. S. 4. mit
rime die ich zusamne Urne; Rudolf v. Ems bei v. d. Hagen Ms. 4, 866
rimen: Urnen; Martina 292, 5 ich hän getichtet ze rlme \ mit kranker
hmste Urne. Verwandt sind auch die ab und zu gebrauchten Ausdrücke
nme slihten, r. rihten, worüber zu vergleichen ist. J. Grimm zu Reinh.
S. 114 u. Maßm. zu Otte S. 620. Ob auch der Ausdruck binden mit
Bezug auf den vorliegenden Fall zu verstehen sei, ist fraglich. Hesler
sagt 1381 folg. rlm zu rlme vinden | und die nicht rechte binden \ und,
die nicht wegen gliche \ daz stet unhoveliche; und Nicolaus 26663 ouch
hänt dl rlme recht gebint (: leint) ; vergl. auch die vorhin in der Anm.
citierten Stellen aus Suchenwirt und Kellers Erz. Mir scheinen die
Ausdrücke binden, gebint, bunt vorzugsweise das Binden der Reimsilben
zu bezeichnen, was Nicolaus so ausdrückt: min rlm werden gebut an
dem ende üf glichen lüt.
Mit Rücksicht auf das eben Gesagte kann man nun, wenn von
rvme brechen oder r. zubrechen oder r. zusniden die Rede ist (vergl.
Hesler 1340, 1360 und II. v. Krolewitz 3979), dieß darauf beziehen,
daß entweder die Ebenmäßigkeit der zu einem Paar verbundenen Verse
oder daß der Gleichklang der Endsilben gestört ist. Zusätze oder Weg-
lassungen können solches im ersten, falsche Laute im zweiten Falle
bewirken. Spuren von Unebenheit rücksichtlich des ersten Falles finden
sich auch in den Texten der besseren Dichter nicht selten; sie haben
hier nach gewöhnlicher Annahme theils in dem mangelnden Kunstsinn
*) Dichterstellen , in welchen des Zählens der Verssilben gedacht ist , sind noch
folgende: Rumelant in MS. 3, 5(J (6) Vil lieber Manier, du hast die müseken an de»
haut, die silleben an dem Dinger gemezzen; Suchenwirt S. GS der ich ze lichten hän ge
dacht, | wie vor der meister zvmge vlacht | matSrg zuo reim mit sluz im punt, \ der süben
tal, der leunsten grünt \ ir her-: iras cmkerheftig ; Erzähl, ans altd. Handschr. ed. Keller
(!43, 20 — 24 die wort meisterlich gemezzen \ wurden fr: wises herzen grünt. | Jeder rim
üf stnem 1<>'dI | an siben Worten was gerecht, | ir wort ivärhaft unde siecht. Ähnlich
drückt sich Hugo von Trimberg im Renner 17782 aus, welche Stelle oben bereits mit-
getheilt wurde. Beachtung verdient iiberdieß noch die Bedeutung, welche hier wort hat
= Silbe; auch Hesler scheint es v, 1479 so gebraucht zu haben.
GERMANIA. VII. ß
82 FEDOE BEC1I
theils in der nachlässigen Überlieferung ihren Grund, vgl. Grimm zu
Graf Rudolf S. 12; zu Athis u. Proph. 8. 25; Haupt zn Servatius
S. 76'; Lachmann zu Lanzel. 1069; Sommer zu Flore 121; Rückert zu
Thomasin 124!).
Als nicht gebrochen, d. h. dem Gesetz der Ebenmäßigkeit nicht
widersprechend sind bei unserem Dichter und bei Hesler so wie bei
anderen solche Verszeilen anzusehen, in denen mitten in einem Worte
eine Senkung fehlt. Eines Theils gehören hierher Namen von Personen,
Ortern u. dgl., z. B. bei Nicolaus
7953 den man nänte Bre — mer
linde mit im wepe — - ner.
8554 daz man nante Crön — switz.
brüdir Henrich hätte ditz.
12264 da der Bärtin höubit — man,
den man nante Di — wän.
13239 von Tirberc brüdir Con — rät.
der alte mit stritlicher tat.
1986 därzü gäbin ratis 1er,
von Mässow bischof Günt — her.
943 di si gewünnen creftic — lieh,
dö köufte brüdir Hen — rieh.
11794 daz ein brüdir schikte sich
zu spänne der hiz Hein — rieh,
andern Theils gehören hierher nomina appellativa, adjeetiva u. dgl., z. B.
5949 man in leite härm — schär
kein der cristin — lichin schär.
1 1373 und so bittre härm — schär
di brüdre und di cristin — schär.
11629 und zubüiten di vil gär.
darnach so mänic härm — schar.
6391 dö Swäntopolc da vörge — s&t
nicht schuf mit der välsch — eit. (vergl. 7585 >
7585 den äldin vride ändir — weit.
idöeh sin aide bös — heit. (vergl. 11638 .
ÜBER NICOLAUS VON .IEKOSCHIN. 83
19788 und mit stetir är — beit
wi er di gotis cristen heit.
11423 ein stürmin an di berc — vrit,
da daz hiis vorbüwit mit.
7223 von dem Colmin üz der stat
quamen an di wäl — stat (vergl. 12817).
8751 widir sinen schepf — er
er vleiz sich mit ällir ger.
1 0459 daz man in nante wät — mal
in dem lande übiräl.
6811 des geloubin echt — er,
und wi di cristinheit gewer.
8963 in riunlichir hoch — värt
ouch er dö zu rate wärt.
14839 und irslügin in dem lüdir
zwen und einen halb — brüdir.
5943 gotis also vrücht — sam
gewTurfe sines trespis sam.
8039 üf dem sande des — wrär,
daz si wedir her noch dar.
9461 di er zu Glatbach weste sin,
barvüz unde wül — lin.
10717 heldin namen in der stünt,
der so manic tu — sunt (vergl. 3190, 10527.)
An allen diesen Stellen lässt auch Konrad v. W. die Senkung aus.
Vielleicht gehören auch noch folgende Fälle, in denen ein Asyndeton be-
absichtigt ist, hierher: 4186 er loufit hin, er loufit her, \ itzuntvol, itznnt
{er; und 12672 gingin zu mit sturmis drö : \ dise holz, gene strö.
Es wäre auffallend, wenn die hier genannten Ausnahmefälle als
selbstverständlich vorausgesetzt und nicht ausdrücklich erwähnt wären
da wo beide, Nicolaus wie Hesler, so bestimmt das Zählen ihrer Vers-
silben betonen. Daher wage ich, gegen die Auffassung von Bartsch,
folgende Stellen hierauf zu beziehen: Jerosch. 294 ouch ich diss getichti*
rhu | üf dl zal der silben züne \ — — bucilen ich zwü kurze \ üf eine
6*
84 FEDOB BECH
lange stürze, und Hesler 1466 folg. sioelch meister scharf gesüne \ Sinnes
habe, der spreche nü, \ sit her daz ich inirechte tu, \ daz her mich des
begrüze, \ weder ich zu vil der vüze \ setze dar oder zu deine. | doch
dinge ich ouch üz diz eine \ daz ich dicke zwene kurze milz \ dar setzen
vor einen langen vüz. An beiden Stellen ist das Zählen als Princip hin-
gestellt und sind die Ausnahmefälle angegeben , in welchen dasselbe
scheinbar verletzt ist. Bei Nicolaus kann zwü kurze üf (K. vor) eine
lange stürzen schwerlich so viel sein als: „auf eine lange Silbe zwei
kurze folgen lassen." Vielmehr, hält man an der Grundbedeutung von
stürzen fest = obtegere, so ergibt sich hier folgender Sinn : an die Stelle
einer langen Silbe zwei kurze setzen oder an der Versstelle, wo in der
einen Zeile des Reimpaares eine lange Silbe ist, in der andern zwei
kurze anbringen. Das stürzen könnte man also darauf beziehen, daß
die zu einem Verspaar vereinigten Zeilen einander decken. Wie diese
nämlich im Ganzen einander decken, d. h. hier eine auf die andere
„gestürzt" sind, so werden im Besonderen wieder die sich entspre-
chenden Silben in beiden als einander deckend, als auf einander gestürzt
gedacht. Ganz diesem entsprechend sagt wohl Kessler zwene kurze setzen
vor einen langen vüz. Er gebraucht nämlich vüz gleichbedeutend mit
silhe oder vielmehr Tacttheil im Metrum. Und zwar würde ein langer
vüz eine solche Silbe sein, welche die Währung von Hebung und Sen-
kung zugleich hätte, ein „kurzer Fuß" dagegen eine Silbe, die nach
unserer Art zu reden entweder nur eine Hebung oder nur eine Senkung
ausfüllte. Ist diese metrische Bestimmung richtig, dann hat man jeden-
falls ihren Ursprung in der Musik zu suchen. Dort würde der lange
vüz der einen ganzen Tact, der kurze vüz der einen halben Tact gel-
tenden Note gleich kommen.
Der Auftact besteht bei Nie. ebenso wie bei Konrad von W. nur
aus einer Senkung. Da, wo der Text bei Strehlke jetzt zwei Senkungen
bietet, sind dieselben der Art, daß sie sich bequem verschleifen lassen,
wie dieses in S (= Stuttg. Hclschr.) hin und wieder, in K (= Königs!) .
Hdschr.) meistentheils auch graphisch ausgedrückt ist. Z. B. 8813
sinmüstin, 9119 dimvindist, 16380 si entorstin, K syntorsiin; 26115 dd
inhät, K donhat ; vergl. 4228, 28085 u. s. w. Daß dieser Auftact nicht
mitgezählt wurde, sobald er nur einer der beiden Zeilen des Keimpaares
beigegeben war , sagt zwar weder Nie. noch Hesler ; indessen ergiebt
sich dieß aus der Vergleichung ihrer Verse von selbst. Ohnehin war
es nicht ihre Absicht, ein vollständiges Regulativ zu geben, sondern
ihnen lag bloß daran, gegen die Verunstaltungen des Textes durch die
Hände roher Abschreiber oder unverständiger Verbesserer sich von
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCIIIN 85
vornherein zu verwahren und dem Leser zu zeigen , daß sie es besser
verstanden hatten, vergl. Nicol. 26663-66 u. Hesler 1349 folg.
3) Die Norm , welcher Nie. in Bezug auf die Reimsilben folgt,
findet sich in folgenden Worten ausgedrückt: 243—45 vil wort man
gliche schribit, | der lüt unglich sich tribit, \ sulch rimen sul man müden;
und 299 — 300 und nun rim werdin gebuit \ an dem ende üf gltchin hat.
Da Nicolaus beim Binden der Endsilben des Verses keine Rücksicht
darauf nimmt, daß die auf einander reimenden Vocale auch der Quan-
tität nach einander gleich sind (sieh die Zusammenstellungen bei
Pfeiffer S. XLIV folg.), so muß er unstreitig unter den worten der lüt
unglich sich tribit etc., vorausgesetzt, daß er darunter die Reimsilben
begriff, etwas anders gemeint haben als solche Silben, die dem Buch-
staben oder der Schreibung nach gleich, der Quantität nach verschieden
sind. Es bleibt da nichts weiter übrig, als mit Bartsch an die durch
Accentuation bedingte Aussprache zu denken; man soll, so will es
mich bedünken, betonte Silben nicht mit unbetonten (noch unbetonte
unter einander) reimen. Es war dieß in den Volksliedern, in den Rei-
mereien Ungebildeter hin und wieder der Fall. Reich an Beispielen
sind auch die Gedichte älterer Zeit; denn die stark betonten Schluß-
silben hatten für die Zeit Jeroschins nur noch die Geltung von schwach
betonten, stummen Silben; so in den Büchern Mosis in Hoffmann's
Fundgruben, in König Ruother, im Ruolandsliede u. clgl. ; z. B. vater : mär
: her, genomen : sen, gotes : des : tu es, wellet : het, schalen : unsdlegen, nennen
: hinden , venie : himele. Diese Art zu binden mußte dem Ohre eines
Dichters aus der Zeit des Nicolaus durchaus zuwider sein. Bei Hesler
ist, obwohl er, wie Bartsch bemerkt, in klingenden Reimen die Quan-
tität der Vocale strenger zu wahren weiß, dieser Fall nicht vorgesehen.
Er verwahrt sich in seinen Vorschriften allein gegen das Binden ver-
schiedener Vocale oder, wie er 1400 folg. sagt, daz kein büchstap be-
gegene \ der vamfer an dem ivorte(?) \ daz einer an dem borte, \ der
ander an dem ende stc. | deme ä begegne rächt daz e | deme e daz i, deme
6 daz ü.*) Er sagt, daß er dieß um der lihten willen erwähne, die
*) Die Ausdrücke ivorte: borte sind dem Sinne nicht recht förderlich und scheinen
verdorben. Ca liest orte statt borte. Sehr nahe liegend und dem Zusammenhange weit
entsprechender scheint folgende Änderung: daz kein büchstap begebene \ der vumfer an
dem borte, \ daz einer an dem orte, | der ander an dem ende ste. Daß an dem borte,
(1. h. dem Ausgange des Verspaares, sich nicht ungleiche Vocale in den Reimsilben be-
gegnen, will offenbar der Dichter sagen, nicht aber an dem icorte, welches nur gezwun-
gen auf die Endsilben bezogen werden könnte. Der bort des Reimpaares umfasst ort
und ende, d. h. die Ausgänge der beiden Reimzeilen. Eine ähnliche Vertauschung von
gß 1ED0R BECH
buch ui'i wollen machen und die nicht rechte binden u. 8. w. v. 1378 folg.
Unter diesen lihten sind offenbar Dichter niederen Ranges gemeint, die
viiii der höheren feineren Kunst wenig verstanden. Nicht ganz richtig
ist die Vorstellung, welche Bartsch hier bringt , indem er an solche
denkt, „die es mit der Kunst des Keimens leicht nehmen (die lihten)." *)
15ei Nicolaus ist nun aber noch eine andere Erklärung möglich. Denn
daß unter vil icort der lüt unglich sich tribit dem Zusammenhange nach
nur Reimsilben verstanden werden, ist nicht nothwendig. Man könnte
sieh die Sache auch so denken: es finden sich oft Verspaare, die
äußerlich, der Menge ihrer Silben nach aus gleich großen Zeilen be-
stehen (die man gliche schribit), aber ihnen mangelt die gleichmäßige
stetige Abwechselung von Hebung und Senkung (== ir lüt unglich
sich trtbit).
4) Das vierte Gesetz endlich finde ich bei Nicolaus in folgenden
Worten ausgedrückt: 246 den sin (sal man) nicht vorsntden; vorher:
des tichteres zunge sal di rechte mäze behalten — an sin; und v. 299
min rim werden gebuit an dem ende üf glichen hat, nicht velschendc der
rede sin. Da dieses Verbot den sin zu vorsniden oder der rede sin zu
rehchen unmittelbar an jenes über den Endreim sich anschließt, so vi ird
wahrscheinlich ein Fehler gemeint sein, in den der Dichter beim Suchen
nach Reimsilben leicht verfallen konnte. Trennung des Adjectivs oder
der Präposition vom Nomen , Spalten losegefügter längerer Composita
kann nicht gerade gemeint sein, weil der Fall bei Jeroschin selbst sowie
bei Ilesler und anderen so häufig ist, daß man ihn zu den erlaubten
und unanstößigen rechnen muß. Vergl. Nicol. 905 dem spitäle der vrlen \
maget S. Marien, ferner 2179, 4690, 6378, 8260, 8279, 9986, 20412.
21230 u. s. w. undHesler 1410; bei Roth 1. 1. 2 (53): 3, 61; 9, 255;
13, 20; 13, 29; 15, 86; 15, 91; 17, 149; vergl. ferner Hahn zu Otte
680, Lachm. z. Nib. 470, Haupt z. Erec S. XIV, Fromm, z. Herb.
45, Wackern. Altfr. L. S. 219. Am passendsten scheint mir daher unter
u und & findet sich in den Saarbrücker Brachst, der Offenbarung bei Roth Dicht, v. 94
Walache statt Bedache, 12S westäm statt bestän, 208 webart für bewart, über den Ge-
brauch des Wortes bort vergl. außer dein mhd. Wörterb. noch das Progr. des Zeitzer
Stiftsgymnas. 1859 S. 10 und Martina 2, Hl üf der erde bort: ort; S9, 62; über al der
werlte bort 96, 55; 100, 28; anevanc noch ende» bort 111, 49. Gold. Schm. :'>55.
*) Unter den lihten verstand man die Leute geringeren Standes im Gegensatze
zu den besten; vergl. darüber so wie über lihtez hunne mhd. Wörterb 1,997. Ein lihter
man wird bei Thomasin 1987 entgegengesetzt einem herren und bei Senkenberg Viss.
div. S. '!!'■) und 27-1 einem edeln, erbaren man. Die lihten sind elaher hier im Gegen-
satze zu den meisteren v. 1375 als die geringeren Dichter zu fassen, welche vermöge ihrer
Bildung einen niedrigeren Bang einnehmen.
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 87
den von Bartsch 8. 201 und 202 vorgeschlagenen Erklärungen die,
„daß es um des Reimes willen erlaubt sei, den Sinn, den gebotenen
Fortgang der Rede zu unterbrechen." Und mit Bezug hierauf wage
ich zu erklären die Stelle bei llesler 1410 folg.
da von müz man mit gelegenen
ir orten die rime suchen,
den sin also berücken
daz wir nicht valsches sprechen.
doch müz manz (?) unlen brechen,
1415 des endarf sich aber nieman schämen.
iz machet dürft der lüte namen,
die nieman han bekennen
anders, die müz man nennen
also sie genamet sin,
1420 und müz rime zien darin
die sich den namen glichen.
xoir setzen wol: der riehen,
der edelen und der vrien
namen sante Marien.
1425 daz vrien, stund iz anderswar,
daz were valsch und ist ganz dar,
wand sich rimet da der name.
den landen, steinen ist alsame,
den steten^ bürgen, bergen,
1430 die nieman han vorbergen,
noch wort, die mit uns wanderen,
die nieman han voranderen,
die müze wir wol setzen
an gevellichen vletzen
mit hübe die buch machen.
Hier ist erstlich wohl zu beachten, daß der Verf. nicht mehr aus-
schließlich vom Reime als solchen redet, so wie daß das brechen erläutert
isi durch den sin also berüchen daz wir nicht valsches sprechen; hierauf
bezog sich wahrscheinlich auch der Ausdruck den sin zubrechen in v.
1340, 1452, 1459, was Nicol. nennt den sin vorsniden. Im weiteren
Verlauf zeigt nun Hesler an einem Beispiel (1422 — 24), wie gleichwohl
der Dichter bei Namen, die ihrer Natur nach fest und unwandelbar
seien, oft in Verlegenheit gerathe und, um das betreffende Reim wort
anzubringen, genöthigt sei zu brechen. Denn daß an dem gegebenen
Beispiel ein ungewöhnlicher der strengeren Regel nicht vollkommen
88 FEDOB BECH
gemäßer Fall vor Augen gestellt werden soll, das zeigen diu darauf
Folgenden Worte: daz vrten, st find e: anderswar, duz were valsch, und
ist ganz dar, wand sich rtmet da der narne, sowie weiter unten 1433:
die müze wir wol setzen an gevellichen vletzen ete. An dem Keime vrten :
Marien an sich, so sagt der Dichter selbst, ist nichts anstößiges (ist
ganz dar); gleichwohl muß die Stellung, welche das Wort vrten hier
im Satze einnimmt, eine auffallende ungewöhnliche sein, weil sonst der
Dichter nicht dazu bemerkt hätte: daz vrten, stund ez andersioar etc.
Es muß, kurz gesagt, einer der seltenen Fälle sein, in denen man aus
Noth „den Sinn dem Reime unterzuordnen" erlaubt. Nun ist allerdings
auf den ersten Blick in der Wortstellung des angeführten Beispiels eine
ungewöhnliche Verschränkung wahrnehmbar. Denn die übliche Rede-
weise würde streng genommen das Wort namen als das Regens vor
oder nach dem Genitiv, nicht in die Mitte der denselben ausdrückenden
Wörter stellen. Aber kann das der Dichter gemeint haben? wäre dann
noch ein Wort nöthig gewesen um vrten in seiner Stellung zu verthei-
dis;en? war dann nicht vielmehr die Stellung von namen zu betonen
und in Schutz zu nehmen? Ich glaube daher, daß irgend ein Lese-
fehler hier versteckt liegt, und zwar suche ich ihn in dem Worte namen.
Die Schwieiigkeit dünkt mich nämlich gehoben, wenn man schreibt :
— — — — der riehen,
der edelen und der vrten
manne Sante Marien.
Das Ungewöhnliche liegt alsdann in der Stellung der Worte vrten
manne statt manne vrten d. h. der vom Manne unberührten. Diese
Umstellung, so meint wohl der Dichter, ließ sich hier wegen des
Namens Maria entschuldigen, es musste vrten um des Reimes willen an
das Ende des ersten Verses, manne in den Anfang des folgenden ge-
rückt werden. Daß manne leicht in namen verderbt werden konnte,
bedarf keines Beweises. Und was die manne frte anbelangt, so ist
darüber zu vergleichen z. B. Ulrich v. d. Türlin Willen. 54a : herre,
ich wil | von iu toizen wie deine si \ ein mag et ein muoter manne frt;
Diemer 230, 10 da toart siu sicanger ane man; Walther v. d. V. 4, 23
lindes muoter — — an aller manne mitewist : Gold. Schm. 445 du ge-
birre ein kindelin gar sunder mannes läge, vergl. 460 sunder niannes
orden ; Erlös, ed. Bartsch 2221 die den herreu Crist gewan und den
gewan an allen man und ebendas. S. 198, 83 reiuiu mag et mannes ane,
und S. 201, 186 ein lohter im vater gebar, — er ir Uni, si mannes bar.
lTm, falls die versuchte Erklärung richtig ist, sich ein deutliches Bild
davon zu machen, wie die Dichter das sin vorsniden möglicher Weise
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 89
verstanden haben könnten, will ich noch ein paar Stellen anführen, in
denen eng zusammengehörige Worte nicht bloß auf 2 Verse vertheilt,
sondern überdies noch durch ein anderes dazwischen geschobenes dem
Keime zu Liebe auseinander gerissen sind. So Nicolaus selbst v. 331
in dem lobesamen | unsirs lierrin narnen und 3203 dl brüdere des sin
gewon j des datschin ordinis (codd. hüsis) genant ; Herbort 464 da stunden
drizic inne (:zinne) \ türme hoch unde w2t; 3372 Theophilus ein hunic
gemeit | hette zehene dar geleit \ schif mit spisen; 16159 da tvären drizic
inne \ rittere verborgen und verhobt*).
Wenden wir uns nun zu dem von Strehlke hauptsächlich nach
S und K gegebenen Texte, so müssen wir vor allem bedauern, daß
das auch ohne des Nicolaus ausdrückliche Angabe leicht erkennbare
Princip der Silbenzählung so wenig in Betracht gezogen worden ist.
In streitigen Fällen, in denen es sich um diese oder jene Schreibung
eines Wortes, sei es um eine verlängerte oder um eine verkürzte Form
desselben handelte, würde eine klare Einsicht in das metrische Gesetz
einen sicheren Wegweiser abgegeben haben bei der Wahl der Lesart.
Statt dessen scheint sich Strehlke mehr von einem dunkeln Gefühl
haben leiten lassen, das, wie sich nachweisen lässt, in sehr vielen Fällen
nicht zu entscheiden vermochte, was es in den Text und was es unter
denselben zu setzen hatte. Beispiele hiervon gibt es fast auf jeder
Seite mehrere; statt sie alle aufzuspeichern, sollen hier nur einige stehen,
an denen man das eben ausgesprochene Urtheil prüfen mag. So ist un-
endlich oft ohne alle Beachtung des Metrum und statt unde in den
Text gesetzt, selbst da, wo K oder S die richtige Lesart hatte, z. B.
856 di eine werde stat da haut \ und sullin sin gemant , wo K richtig
unde bietet; ebenso falsch und gegen die bessere Lesart in K 860,
3032, 3061, 3539, 5103, 6223, 7290, 7533, 7414, 8018, 8048 u. s. w. und
gegen die bessere in S 8665 u. s. w. ; ferner mußte gegen K sowohl wie
gegen S und in unde geändert werden v. 3335, 3365, 3541, 3615,
3778, 3857, 4242, 4477, 4579, 4691, 4798, 4965, 5012, 5017, 5356,
5435, 5473, 5531, 5624 (lies unde mit im), 5725, 6573, 6676, 6789 u. s. w.;
umgekehrt verlangt das Versmaß und statt unde 3596, 3648, 4328, 4785,
5688, 5859, 6135, 6177, 7881 u. s. w., wo es zum Theil schon
*) Noch Opitz in seinem Buch „von der deutscheu Poeterey" S. Gl (Wittenberg'
1641) sagt: „Die ävKOZQoeprj oder Verkehrung der Worte stehet bei uns sehr garstig,
als : Den Sieg die Venus kriegt, für : Die Venus kriegt den Sieg. Item : Sich selig dieser
schätzen mag, für: Dieser mag sich selig schätzen. Und so ofte dergleichen gefunden
wird, ist es eine gewisse Anzeigung, daß die Worte in den Vers gezwungen und ge-
drungen seien."
90 FEDOB BECH
darum falsch ist, weil Nicolaus nie zweisilbigen Auftact duldet. Wie
hier so lässt sich noch bei einer Menge anderer Wörter and nicht
selten mit Übereinstimmung einer der genannten Handschriften dadurch
der Vers glätten, daß man je nach Bedürfhiss desselben entweder die
vollere oder die kürzere Form setzt; und dies kann oft um so bedenk-
licher geschehen, da anderwärts beide durch die Handschriften bezeugt
weiden. Dahin gehört z. B. 202 unglwh lies ungllche mit K; 1075
nutzstin 1. nutzistin; 2169 vortihjtin lies vortilgitin ; 2410 u. 4734 vrevelich
lies vorevelich; 2510 Jiouptmannen 1. houbitmannen; 2521 nemt 1. nemit;
2874 spricht für sprichit wie 2826, 2631; dagegen 2844 sprichit für
spricht ; 2925 #nuc für genüc; 957 herzog Frid/rich mit K für herzöge
Friderich; 3342 lies grüwesam für grüsam; 4622 lies belibin für blibin;
5561, jagit oder jaite iür jait; 6087 päbistis für pdbstis; 6445 u. 6554
tüwirin für tnwrin-, 6519 bewarit für beicarf; 6601, 6883 /t«7^ mit K
für heilige; 7028 tüvilis mit K für tüvils; 7892 vorholinlich für ror-
holnlich vergl. 8093; 8536 menliche für tnenlich; 9370 hurzeicae mit K
für kurzwile; 11053 mitelidunge für mitUdunge; 11736 und öfter war«
mit K für wären;' 23806 szV/t ÄöJ mit K für sw/t erhüh , welches dem
Gesetz über den Auftact widerspricht, sowie auch 10705 dro für aVfo
(richtig 11316); 12462 zweigir mit K für zw»; 13940 — 41 herinde und
zesamene mit K; 14413 inwoner für imvonere; 14833 geschreie mit K
für geschrei; 15817 gegrifin mit K für grtfin; 16613 getorstin mit K für
torstin; 5478 geicorcld für worclit u. s. w. u. s. w. Ferner 12566 ist un-
nöthiger Weise ztf irvtrne gesetzt , wo besser nach K zw werne oder
nach S zw »/(»•«« zu setzen war, vergl. Pfeiffer S. 252; — 27204 ist
Avohl (/er anderin dikein genas zu lesen für cZer andern dilceinre, und die
Vermuthung „niktinre" unterm Texte ist müßig, denn diheiner, dikein =
null us braucht Nicolaus auch sonst, z. B. 3800, und ist dies gerade
bei Mitteldeutschen nicht unhäufig für dehein.
In den genannten Beispielen scheint bald übertriebene Scheu vor
der Überlieferung, bald Rathlosigkeit in Bezug auf die Wahl der Lesart
den llerausg. geleitet zu haben. Nicht selten hat das Metrum hier
allein zu entscheiden. So ist namentlich von demselben abhängig der
Gebrauch der Formen viant viande viende vinde, vergl. Pfeiffer S. 264:
viende statt vinde steht im Text z. B. 3285, 3962, 6730, 7194,
7470, 7496, 16316 u. s. w., richtig dagegen vinde 7310 u. s. w. ; da-
gegen ist vintliche falsch 3210, 5997,5393, 16579. Dasselbe Schwanken
begegnet in Bezug auf die Formen brüder brüdr, brüdere brüdre, brü-
derin brüdern brudrin, sowie leitrin leitirn (— scalis), anderin andrin,
eristenin cristnin cristin: auch hier hätte das Versmaß öfter zu Rathe
ÜBEE &ICOLAUS VON JEROSCHIN. 91
gezogen werden können, wiewohl es auch Fälle gibt, in denen nur
schwer zu entscheiden ist, wie der Dichter sprach.
Nächst diesen sind noch viele Fälle vorhanden, in denen durch
Zusätze vom Zusammenhang geforderter Wörter oder durch Weg-
lassimg oder durch leichte Umstellung die dem Autor angemessene
Lesart sich erreichen lüsst. So 14680 da sunder ander not, S sunder ane
not, lies da si ane ander not, denn es fehlt das Subject, und überdies
muß der Vers siebensilbig sein; — 10487 — 90 zu meistere, und xoant er
ebin | xoeste dl gelegenheide | dirre lande beide, wo man leicht ändern
kann in zu meistre, w. e. xoeste ebin \ dt gelegenheide | etc. oder in
ebin \ xoeste dirre beide \ lande gelegenheide; — 3479 durch hungir, un-
gemachj \ armüt, snodekeit man sach \ si in demüt ummevdn, wo entweder
got oder in nach durch einzuschalten war ; — 4497 loan er ane xoandils
iure \ buregreve von Meideburc \ toas in der zit irhant, wo S und K
richtig lesen was er d. i. loas er (ß) in d. z. L, vergl. 7593, wo derselbe
Fall; — 5899 no<*h ane michil blüt \ daz vil manic cristen gut, vielleicht
und nicht ane in. bl. ; — 6062 daz tet dem päbste ande, \ davon er ouch
so hin sande \ zu Pruzin ouch vil drdte, hier ist mit K das erste ouch
zu tilgen; 499 di ich genant habe nü, reimt auf einen achtsilbigen Vers,
daher vielleicht genamit; — 6415 daz der tac den bejac | in so seliclichen
ivac, vielleicht daz der tac dt d. b. = daß gerade der Tag; — 6735
mit schandin und mit unheile \ widir zu jeme teile, das zweite <mit ist
nach K zu streichen; — 7471 sus sprengtin st di vinde an \ vor dem Chi min
der stat, lies an der stat = illico; — 16692 si vültin und irvnschin, daz \
di burc ivas gemannit baz , lies vestin mit K für burc, ebenso ist zu
bessern 7793, vergl. über dies Wort Pfeiffer S. 264, sowie dessen Ur-
barbuch 96, 11 und 199, 20; — 8778 des hond er trigin wol \ vf der cri-
stinheit unheil, \ sin her in zioei teil \ er schichte dcsivär harte listiclich, j
mit der einen schar er sich, über diese monströsen Verse, in denen ein fünf-
silbiger mit einem zelmsilbigen gebunden ist, verwundert sich Strehlke
selbst S. 116 Anm. und glaubt sogar einen dreisilbigen Auftact (er
schichte) annehmen zu dürfen. Das ist rein unmöglich. Die Heilung ist
leicht: man rücke die Worte er schichte, welche der Schreiber eine
Zeile zu tief gesetzt hat, wieder an ihre erste Stelle, er schichte sin her
in zwei teil \ deswär harte etc.; — 9175 ist durch den Artikel der dem
Verse eine Silbe zu viel gegeben wie 9737, 21498, vergl. 12903; 116
und 117 verlangt das Metrum Tilgung einer Silbe, daher vielleicht her
Diteri-h statt brüdir &., und rneistir statt homeisiir wie 213; — 3204
des dütschtn husis genant; — 16415 menschlichis heilis ein echter \ und
les geloubin ein anvehtSr , man tilge entweder mit K ein vor anvehter
92 FEDOR BECII
oder schreibe gloubin; — 17165 und gewidirtin den schadin \ damit s7
sus warn vorladin , besser in K damit si wdrin sus vorladin ; 287!) so
werdin si dem vrdze \ sich begebin mit unmdze, das Metrum verlangt
gebin, und so steht in K; — 20390 ist allein richtig die Lesart von
K vridis heu der cristinheit ; 6547 brüdre und gewapinte man, besser in K
wäpinman wie 19202; 1327 dö der vorgangin zwelfhundirt warn, hier
passte die Form vorgdn in den Vers, welche K hat, vergl. die ver-
kürzten Participien im Reim 15136 und 27566; — 2398 üf daz vor-
bescheidne zil | von dem hemerere; \ da zu nam ere | der sinen wol fumf-
tüsint man, an einen fünfsilbigen Vers ist nicht zu denken, vielmehr fehlt
eine Silbe , daher vielleicht da zu der sinen ere \ nam wol fumft. m. oder
da zu nam wol ere \ der sinen f. m., vergleiche über ere = er 9850.
Als Beispiele, in denen die Herstellung des Textes missglückt ist,
ja zuweilen gerade zu fehlerhafte Formen gewählt oder stehen geblieben
sind, führe ich noch folgende Stellen an: v. 18871 ist mine geivizzen,
als femininuin, fest zu halten nach der Lesart beider Handschriften,
nicht min, vergl. inhd. "Worterb. 3, 791; — 18261 ist statt des durch
die Handschr. gesicherten vorsunne sich mit Unrecht in den Text ge-
setzt vorsinne sich, vergl. über den conj. praet. Graff 6, 228; — 993
zuletzt trat er des tudis spor, des niman mac sin vorhabin, so offenbar
dem Sinne gemäß in K, während Strehlke irhabin aus S aufgenommen
hat; — 15451 ist willentlichen aus S beibehalten statt des üblichen
willeclichen, welches hier K hat und 8552 von allen Handschr. bezeugt
ist; 3694 über di Wizlin samen so zu bessern statt Wizil intsamen,
denn Wizile, Wizil ist stets nur sw. f. bei Nicolaus, z. B. 3697, 3741; —
4689 und 10363 ist nach K und S die schwache Form Marien wieder-
herzustellen; — 4228 si reitin ouch nicht wochin, wo K sicher die echte
Schreibung bewahrt hat sin reitin d. i. si enreitin; — 19942 da her Ka-
simir gesach, wo S do der, K do er liest, hat wohl K das echte,
vergl. diese Zeitschr. 5, 498; auch der Lohet in v. 27057 ist verdächtig,
vielleicht ist das Comma nach der und nicht vor der zu setzen; —
2636 durch der rechte dulde pin, wo K durch dar bietet, ist zu schreiben
durch daz r.; — 1824 ist aus S da an gewählt, ein Fehler des Copisten
für dar an, wie in K steht; — 2154 mit sus getane liste hraft, fälsch
für getdnir, welches K gewährt; — 9147 irgiz als Imperativ, besser
und dem Dialecte gemäßig in K irguz; — 7080 ist der Fehler vor-
diste beibehalten statt vorderste d. i. vorderste ; 9931 des herrin zart, aber
in K findet man des siegin zart, welches offenbar verdorben ist aus
des degin zart, vergl. mhd. Wörterb. 1, 309; — 16261 ist ohne Noth
das bei Nie. sonst nicht gebräuchliche züzim gesetzt gegen die bessere
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 93
Überlieferung in K und S; — 27074 wi lestirlichen man do tet \ Lohet
der valsche vurste, hier ist von Strehlke man im Texte weggelassen,
unterm Texte wdn dafür vermuthet ; höchst wahrscheinlich muß es mein
heißen, über welches sieh Pfeiffer S. 194; — 4781 ist bi eime vliz gegen
das Metrum gesetzt, richtiger K bi ein vliz , vergleiche die Beispiele
von bi mit Accusat. bei Pfeiffer S. 131; 3869 ist helfamme = obstetrix
nach S, wo es noch dazu über einer Rasur steht, dem Texte einver-
leibt, die echte Lesart aber in K hefamme verschmäht worden. Ich
entsinne mich nicht das erstere irgendwo schon gelesen zu haben außer
in Philipps Marienl. 2005 nach der Heidelb. Handschr., wohl aber lie-
veamme hefamme hebamme, sieh mhd. Wörterb. u. Fundgr. 2, 196, 3,
Grieshab. Predd. 2, 3 und 111. - — Schließlich noch einige Beispiele
von der ungleichmäßigen und unsicheren Behandlung, welche gewissen
Wortformen zu Theil geworden ist. So scheint Strehlke an den meisten
Stellen die Trennung von do und da durchführen zu wollen, obwohl
zuweilen die Reime dagegen sprechen, auch sonst nicht selten nach
niederdeutscher Weise 0 für a auftritt, vergl. Pfeiffer S. LX. Sehr auf-
fallend ist namentlich das Schwanken bei den Formen iman, niman (im
Reim 6017) und imant nimant (im Reim 19208); bald setzt der Herausg.
nach K die ersteren in den Text, wo S imant nimant hat, wie z. B.
17960, 21278, bald und dies ist am öftesten der Fall imant nimant
nach S mit Zurücksetzung von K z. B. 15597, 16786, 11455. Ebenso
geht es ihm mit den Formen her und er, secht (in K gewöhnlich setli)
und sct, obldtd und abldtä 18971 u. 21405, Heinrich und Henrich, sowie
mit den mit ent- (int-) zusammengesetzten Verben, bei denen meist
die Form int - gewählt , zuweilen aber in - belassen ist. Der Dialect
des Nie. ist allerdings der Art, daß er in diesen und ähnlichen Fällen
nach Bedürfniss bald zu dieser bald zu jener Form greifen darf, wie
dies aus den Reimsilben sich verweisen lässt ; gleichwohl kann ein
Verfahren, welches ohne Rücksicht und ohne Noth in der Wahl schwankt
oder eine Regel nur halb durchführt, unmöglich ein kritisches genannt
werden.
Auch unter den Erklärungen, welche Strehlke unterm Texte hin
und wieder beigefügt hat , sind einige zu berichtigen. So ist bern,
sw. v., in v. 14764 im vaste um di backen bern mit den vuisten falsch
erklärt durch „streben," sieh vielmehr mhd. Wörterb. 1, 143 — 144; —
17561 ist libberen weder „liberare" noch „librare schütteln," sondern
wie Wackernagel und Pfeiffer S. 302 nachträglich vermerkt haben:
gerinnen, coagulari; vergl. noch Fundgr. 1, 323, 4. Roth Denkm. 81;
das Wort gehört zu lebere — Leber ; im mhd. Wörterb. 1, 970 steht
94 FEDOE BECH
es :m anrechter Stelle: 211)14 in den grundeldsen Inf, hier ist luf un-
richtig gedeutet durch „Luft," das Richtige zeigt Pfeiffer S. 191; -
L5136 '"' wdrin da burger begän noch westin waz me grtfin an d. h.
min waren die Bürger betroffen erschrocken, in Verlegenheit, nicht
aber wie Strehlke sagt „zu Ende, fertig, es war aus mit ihnen;" du
das mhd. Wörtern, diese Bedeutung nicht kennt, so setze ich zur Ver-
gleichung noch her Pass. H. 18, 60 Joseph was dö begangin wä er sich
mochte nider län; Pass. K. 463, 48 dö tcas st begangen ob si geloubete
oder nicht; Altd. Blätter 2, 43, 87 der jongfrouioen vater was sere be-
gangen; — 22907 der vogit sinen rnäc sach dar nidir stgin tot, wo slgin als
„niederdeutsch" bezeichnet wird, obwohl das Wort sich auch sehr häufig
im Oberdeutschen findet; — 25170 daz wir kumen zu der genist, der
er im himil ist gewist d. i. versichert ist, nicht aber rgeic?st d. i.
zugewiesen."
Für das Verhältniss und den Werth der hier am meisten in Be-
tracht kommenden Handschriften lässt sich schon aus den bisherigen
Anführungen ermessen , daß die Stuttgarter auf eine einseitige nicht
zu rechtfertigende Weise vom Herausg. bevorzugt worden ist. Die Scheu
vor den glatteren, den Vers meist bessernden Lesarten der Königs-
bergerin, so wie vor den in derselben befindlichen Correcturen , wie
begründet und lobenswerth sie manchen andern Handschriften gegen-
über auch sein mag, war sicherlich hier nicht am rechten Orte. Und
zwar darum nicht, weil gerade *n der aus dem Zählen der Silben ent-
stehenden Glätte und Eintönigkeit die charakteristische Eigenthüm-
lichkeit der Verse des Nicolaus beruht. Was die metrische Regel an-
belangt, so steht K unfehlbar dem Originale um vieles näher als S.
Aber auch in Bezug auf die Schreibart und namentlich in Bezug auf
ihre verhältnissmäßig zahlreicheren niederdeutschen Formen hätte K
an nicht wenigen Stellen eine genauere und günstigere Berücksichtigung
finden sollen.
Noch sind bei Nicolaus einige seltene Ausdrücke übrig , die den
Erklärer zu einer eingehenden Besprechung herausfordern. Unter ihnen
wähle ich folgende:
abetrossen, sw. v., in v. 24457 dl kost, dl si da hatten abge-
trost (nicht „abgetrost"), = abladen, vergl. mhd. Wörterb. 3, 115a und
trosserieme im Ordensbuch ed. Schönhuth S. 71 ; trossieren bei Cl.
Hätzler. S. 306 (22).
beklipfen , sw. v., in v. 21850 sundir ouch dämitte d? laut von
dem intritte des rzcJiis zu Egipten dt heiden gar beklipten geivinninde bürge
nnde stete. Hat nicht beklipten das „violenter absüdernnt" des latein.
ÜBER NICOLAUS VON JEKOSCHIN. 95
Originals ausdrücken sollen? dann ließe sieb etwa das ahd. kluipa
kluppe= foreipula bei Graft 4, 549 und mhd. Wörterb. 1, 846 (anders
Renner. 21703) sowie das angels. clyppan, amplecti vielleicbt vergleicben.
Oder ist das Wort verderbt aus bekripten= bekripften? dies käme der
Bedeutung von violeuter abstulerunt wobl am nächsten, vergl. auch
krippen bei Scbmell. 2. 392. Vergleicbungs halber hier noch zwei
Stellen aus dem j. Titurel, dessen Verf. folgenden Reim auf Egipten
hat : 3948 vierstund fünf kunige \ fuert der uz Egipten \ mit grozer kraft
der menige \ und vor allem strit die unverkripten ; und 4057 also die von
Egipten \ hievor bi alten ziten \ in gedrange die verkripten \ dolten für die
gerner strlten. Über die Bedeutung von diesem verkrippen weiß
auch das mhd. Wörterb. keine Auskunft.
bekroten, sw. v. = belästigen beschweren behindern oecupare,
in v. 8348 {betreuen in K.), welches Pfeiffer ehemals nicht weiter nach-
weisen konnte und Strehlke darum neuerdings für ein aVa| Asyofisvov
erklärte, ist jetzt durch andere Beispiele belegt von Pfeiffer in den
Beiträgen zur K. d. köln. Mundart 90b, vergl. auch mhd. Wörterb.
1. 888; ferner Purgoldt's Rechtsbuch ed. Ortloff. S. 42 daz man des
danne unbekrodet blibe; S. 60 daz s7 nimant sal bekroden ader vorletzen 1
S. 87 daz ome ntmant in deme rechtin xoidir sinen willen bekroden sal;
S. 94 in der sträze sal nimant graben noch die bekrodin daz ez erre zu
wandern. An die niederdeutschen Formen kruden hekruden schließt
sich an das Wort bekrudde (nach K, bekurde nach S) = Belästigung
in v. 22650 , für welches Pfeiffer behudde vermuthete , sowie crude st.
f. = molestia Qual in v. 25147. Endlich gehört auch hierher krotelich
Lrodelich, adj. = molestus bei Ortloff 1. 1. S. 355. Für beiretten, welches
oben die Königsb. Handschr. bei Nicol. bietet statt bekrooten, ist viel-
leicht bekretten zu lesen, vergl. kretten bei Frisch 1, 547c.
dumpf, dumpfe? v. 11768 zu jugist im der dumpfe (: strumpfe)
besinnt mit absulcliir not, daz er vil darnidir tot. Ich vergleiche Sündenf.
ed. Schöneman. 2394 dat kindelln lach bi my jo up deme bedde, lichte
dat ik it sulven dumpet hedde, wo dumpen soviel ist als ersticken; im
j. Titurel 6095 ist iumphen wohl in timpfen zu ändern, bei Meister
Altswert 27, 12 ez begunde flammen dumpfen \ sunder allez argez rüm-
pfen-, nicht recht klar bei Albrecht v. Haberst. ed. Bartsch S. 206, 49
der kneht damphen began, sold er die melde läze etc. Ist Pfeiffer's Er-
klärung = „Dampf des aus dem kopflosen Körper entströmenden Blutes"
richtig , dann möchte ich nicht im in in ändern , dagegen bestän für
intransitiv = stehen bleiben, halten wie 23941, so daß der Sinn wäre:
„zuletzt blieb ihm der Blutdampf, der Lebensodem stille stehen; „ dumpfe
96 PEDOE BECK
wäre dann soviel wie toum dovm, z. B. Pass. K. 265, 13 des llbes tonm
entging im = aniinam exhalavit, und so auch 337, 4; Heinrich v. d.
Türlin in der Krone 12167 nn was er von dem foume des bluotes er-
runnen, vcrgl. mhd. Wörterb. 3, 60. Bedeutet dagegen dumpfe = suffo-
eatio, dann wäre im in in zu ändern, um einen passenden Sinn zu
erhalten.
entspen, sw. v. in v. 7332 kästü genen kriecht gesen, den läz
dir mit nicht entspen. Ich erkläre: den laß dir nicht durch Spähen ab-
wendig machen.
ergrensen, sw. v. im Reime auf: Mensen, bei Pfeiffer S. 149,
ist schwerlich etwas anderes als das bei Nie. sonst noch vorkommende
ergremezen; auch ist die Bedeutung = in Wuth versetzen dem Zu-
sammenhange weit bequemer. Vergl. Köpke z. Pass. 718.
geh ehe geheve, adj., vergl. Pfeiffer 156 und Ben. Wörterb. 1,
602b. Ich füge hinzu Pass. K. 321, 78 sin hüs was so gehebe (: gast gebe)
daz bl im mancher nacktes bleib; 557, 68 nu uns so gar g. (:gebe) an
dem kerzen Leönhart ; 642 , 22 die edele die gekebe (: gebe) ; 687 , 89 die
edele dirn, die schone und die fjekebe {'gebe); Michelsen, Mainz. Hof z.
Erfurt S. 38 die redekasten und leufte umb die mälstein sal er alle zeit
gehebe u. ganz bekalten, vergl. Frisch 1, 389° = „non perfluus, nullam
rimam habens." Vergl. auch ungekebe bei Pfeiff. S. 245 und in dessen
Marienlegg. S. 153 (22), wo ungekebe wohl beizubehalten ist, Pass.
K. 14, 12.
gemeinen, sw. v. transitiv gebraucht in v. 27578 daz ick dick
müz gemeinen \ unde dem unreinen; vielleicht zu bessern in mit dem
wir einen, vergl. David v. Augsb. in Haupt' s Zeitschr. 9, 31 du uns
toider teilhaft machest dtner gotkeit, die du mit dem vater käst eweeliche
gemeinet. In den Alten Ges. von Nordh. ed. Förstern, ist gemeinen c.
acc. soviel wie mit einem gemeinschaftliche Sache machen, z. B. S. 28,
91; 41, 183; 42, 191; 56, 52; 71, 133. Vergl. mhd. Wörterb. 2, 102a.
grant, adj., v. 22962 daz ungewittere uf si doz % grandir und t
grandir; von Pfeiffer S. 167 ist grandir als Comparativ vom partic.
gerant gefasst mit Berufung auf Grimm zu Athis S. 67; Frisch leitet
es von grandis heftig ab. Ich möchte letzteres nicht so ganz verwerfen.
Denn es findet sich z. B. grandewerre im j. Titurel 4052, 4 ob sie da
sanfte lebten oder lebten sie mit grandewerren ; und 4193, 4 uz Talmnilt
die geste, von den sack man kie nock grande werren; Ms. 3, 281 (9)
mökte ick einen grantwerren betrahten; dasselbe ist wohl ein grozer toerre
bei Suchenwirt S. 109 vergl. Schmellcr 4, 136; ferner grande = groß
j. Tit. 6048, 1 da In. in einem lande zvekset der pfeffer zanger kleine und
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 97
und ouch grande; und grande als Substantiv = grandewerre im Eisen-
acher Rechtsbuch cd. Ortloff S. 747 ivere ez daz amchtlüthe daz
gemeine volg dorch grozis grandis willen adir umme unzucht stüretin mit
der liant.
grünt als st. f. ist niederdeutsch, z. B. in Sündenf. ed. Schönem.
1991 ik höde dir nedden in der grünt. Von md. Autoren führe ich noch
an J. Rothe Chron. S. 620 in einer langen grünt; Eisenacher Recht
ed. Ortloff S. 731; Kulm. Recht ed. Leman S. 196.
hohem hoern hörn = mhd. hcehern, im mhd. Wörterb. nur
durch ein Beispiel bezeugt, steht bei Nicol. 27661 gotis dinst er sere
werte, horte unde zirte, vergl. 15828 si gehotin und gemertin; bei Lanzel.
1297 die ir leben gehcehert hänt vil sere; Habsb. Urbarb. ed. Pfeiffer
55, 6 die sint gehcehert unde gemeret so rerre; 157, 7; 243, 31; dahin
gehört auch Pass. K. 192, 11 Gordiänus sin vater hiz, \ gehört an deine
rate, \ der Romere Senate , geioaldec u. wise , von mir falsch gedeutet in
den Programmen des Zeitzer Gynm. von 1859 S. 25 u. von 1861 S. 8.
Bei Hesler in Roth's Dicht. S. 1 (5) so iverdent irhört der guten hörn —
Psalm 74, 1 1 : et exaltabuntur cornua justi.
hur gen, sw. v. nach S von Pfeiffer S. 176 angesetzt, sonst un-
gebräuchlich , hat jetzt bei Strehlke 10245 wohl mit Recht dem auch
sonst im md. vorkommenden schurgen Platz gemacht, welches in K
steht, vergl. Pfeiffer S. 217; Förstern. Alte Ges. v. Nordh. S. 188 unde
ivolde disse ding üf ander lüthe schörge; auch Herbort, Troj. 4599 ist
wohl nicht mit Fromm, schocketen, sondern schorgeten zu lesen; Renner
22225 die Misncere die wort wol schurgent (iwurgent); Walther v. Rheinau
168, 12 und 172, 40 sume stiezen, sume sluogen, sume schür gten un-
gevuogen.
inhant, adv., = „zuweilen, hie und da," Pfeiffer S. 143, bei
Strehlke 285, 3676, 24974, 19644; es bleibt noch zu untersuchen, ob
das Wort aus in-hant oder ie-ein-hant (alsdann inhant) entstanden ist.
Im mhd. Wörterb. ist nichts darüber. Beim Verf. des Lebens des h.
Ludwig 35, 23 io ein haut = saepius, vergl. Rückert dazu S. 121;
bei Stolle I75b sie renten yenihant üf der Burgunder her; 182b sie
zwackten den herzogen ynehant uf das heir; 204b als er vormals zu Yne-
hant (?) hatte gethan ; 456b also daz feie lüthe jonehant mheisten (== ein-
heizten) ; 274 dö regentes ynehant. In der Livländ. Reimchronik steht
nur enhant , z. B. 209 ez gienc in wol enhant und ähnlich 452 , 2084,
2382, 6959, 6967, 7489.
leren, sw. v. = discere, 3070 di Judin — bi in (sc. den heiden)
strttin lerten und d? lere kertin vurbaz ouch an irekint; und so Schönhuth,
GERMANIA VII. 7
98 FKDOR BECH
Ordensb. S. 42 si sulen ez leren von den pvisteren heimelichen; II. Rafold
in Ges. Abent. ed. v. d. Hagen 1, 445, 4 er engeierte nie buochstap',
Köpke z. Pass. S. 747; Dyocletian. 306 u. 476 leret : begeret ; lert:<i<-
rnört Lassb. Ls. 3, 60 (141); si lerten : bewerten E. v. Kirchb. 751; vergl.
in dieser Zeitschr. 5, 241.
missetirn, sw. v., in V. 18450 dl dtt sich hatte missettrt und zu
dem lesten vornoighi. Mir liegt das lateinische miscitare zu fern, welches
Wackernagel vorgeschlagen hat. Es kann das Wort recht wohl von
dem niederdeutschen tire ür dire = indoles abgeleitet werden, so daß es
im Sinne von degenerare, sich verwerfen missrathen zu fassen ist. Vergl.
mhd. Wörterb. 3, 35. Von einem niederdeutschen t für z findet sich
sonst im Anlaute der Silben bei Nicolaus kein Beispiel. Dem mhd.
Wörterb. 3 , 877 , welches missezieren in unserer Stelle vermuthet,
scheint die Stelle Konrads v. W. in MS. 2, 324a entgangen zu sein:
schänden gran und ir zan missezierent riehen man.
pur in V. 23714 daz gab den heidin sulchin schrie, daz als in einis
ougen blic wart ein gebrach, der luite pur, da mit ouch nam dt dtt den
snur gar zustrouioit an di vtucht recht als eine starentrucht , so man st
vorschoiehit tut. Nu jagit nach, 6 helde gut! Die Erklärer haben wohl
nicht das Rechte getroffen. Der Dichter malt hier in altepischer Weise
den Schreck der Feinde, die sich wie ein Wild vom Jäger haben über-
raschen lassen und nun einer Schaar Staare gleich schwirrend davon
fliehen. Die Worte wart ein gebrach der luite pur bedeuten: entstand
ein Geräusch das lautete, klang wie purrr! Pur, bur bedeutet dasselbe
was bruheh purhee = interjeetio venantium et bestias irritantium bei
Frisch 1, 45a und 2, 75a. Daher das Zeitwort purren, anpurren = irri-
tare ebendaselbst, = machen daß das Wild aufspringt d. i. t/f burt.
Namentlich gehört hierher burren in der Jägersprache bei Hadamar
v. Laber 486 man mag ez ouch versnurren \ an allez widerbringen. \ Seine
und ze snellez burren j muoz man mit fliegen an die mäze dingen, \ diu
henget niht ze snelle und niht ze ira>ge; vergl. auch Schmell. 1, 193.
Der Ausdruck ist eng verwandt mit burn bom ahd. burjan — erigere
tollere suscitare, welches sich hin und wieder auch burren geschrieben
findet, sich Graff 3, 163 — 167 und Erlösung 3564 u. 3703, wo«/ harren
intransitive Bedeutung hat = aufbrechen, sich reisefertig machen, ähn-
lich anborn in den Trierer Interlinearversionen ed. Graff S. 265: von
den anboriden an mich = ab insurgentibus in nie.
r au den in V. 23382 in mortlichim rauden (xPograuden) scheint
doch nur eine zu Gunsten des Reimes vom Dialekte zugelassene Vcr-
unstaltung; des Wortes räden = mhd. raten zu sein. So findet sich in
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 99
K zu V. 24760 vörsnaultenipraulten, 25083 vorwaidten:vorstaulten, 2577 4
kault : enthault, 13590 clauive : Pobrauwe, 25352 darnaw: Wenzeslaio. Über
die Vertauschung der tenuis t mit d sieh Pfeiffer S. LXV.
visier in V. 21994 got hat in sime grimme dlner eren ristir, den
kunic ti. den prtstir , vorwürfen gar in schände — ist wohl nicht für
„riester lacinia entstellender Fleck" mit Pfeiffer S. 211 zu halten noch
mit Strehlke gleich reistev Lenker Verwalter zu setzen, sondern viel-
mehr riester dentile stiva Sumerlat. 6, 15 und 32, 5. ahd. riostar, vergl.
Schindler 4, 145. Derselbe Reim findet sich im Renner 2773: man
wihet leider manchen priester, dem vil baz zeme daz er zwei (?) riester an
einem pfluoge solte haben. Der seltene Ausdruck ist wie so viele andere
bei Nicolaus nur um des Reimes willen gewählt; ursprünglich bezeichnet
er entweder den Theil des Pfluges, aufweichen man sich beim Pflügen
stützt, mit welchem man lenkt, die Pflugsterz (stiva), oder den, an
welchem das Schar sitzt, den Scharbaum (dentalia), vergl. H. Voß zu
Virgils Georg. S. 96—100.
strewen, sw. v., von Pf. S. 226 als strewen = strcvjen gefasst,
in V. 23686 man inst si strewin vor sich als dt lewin — ist wohl weiter
nichts als des mhd. streben; ebenso steht ewin für eben in V. 18144
der visch geformit ewin \ tvas nach einie lewin.
trafen, sw. v. in V. 24160 (:sldßn) ist von Pfeiffer S. 234 sicher
= traben droben gedeutet, vergl. Ottocar in Kaiserchr. ed. Massm. 2,
S. 618 (240) dem grauen :si begunden heim draven; S. 633 der kunic —
— dem maregräven manegen boten hiez draven und besonders Lassb. Ls.
1, 459 (88) traft: kraft, 464 (45), 475 (16) draft , 502 (50), 626 (42);
2, 303 (355) der hunt traft des ersten an in der Weidmannssprache;
3, 64 (273) 319 (89) gedraft: botschaft; im Ring des Heinrich Witten-
weiler l7b, 11 er traf t sich = trabt sichSh, 38 und 9b, 30 = eilt, begiebt
sich fort. In unserer Stelle erinnert der Ausdruck cid quam der tüvel
traßn und beiz in in den ze an eine ähnliche Stelle in den Priameln,
welche in dem Berichte der deutschen Gesellschaft zu Leipzig vom
Jahre 1837 S. 18 Leyser mitgetheilt hat: all hellische feint züdraben
und, fürbaz gewalt über die sele haben, wobei der Heransg. das Traben
des Wolfes als Ausdruck der Jäger erwähnt.
usele, bei Strehlke 14304, sieh bei Pfeiffer S. 309; zu den
Stellen im mhd. "Worterb. füge hinzu j. Tit. 5809, 4, Lohengr. 17
(164), Ges. Abent. 1, 215 (150).
vorlazzen, sw. v. im Sinne von säumig betreiben, versäumen,
steht bei Strehlke 16580 diz alz vorlazte Bertolt und wüc geringe doch
di scholt; so Rothe im Rittersp. 3650 waz man in andirn dingen vor-
100 FEDOE BECH
soumit adir vorlazzit (:vorfazzit) und 3654; Förstern. Neue Mitth. 1, 2,
86 welch rat disse ding vorlazzete adir vorseumete durch lip adir leit;
Ernst von Kirchb. 804 her virlazzete sich; und = laz machen Ettm. zu
Frauenlob S. 298 (44, 3); j. Titurel 3793, 4; Lassb. Ls. 1, 588(125);
Ges. Abent. 2, 443 (1004). Im mhd. Wörterb. finde ich dies Wort nicht.
stuwen (?), sw. v. von Pfeifler S. 229 angesetzt und erklärt durch
„unterstützen helfen?" findet sich bei Strehlke 17024 ouch betrat Mertin
in dem bade \ zen man, den er gerade \ da stuite äne iren danc, \ da von
in ubile getane , | want i nach des slagis swanc | gewan daz blüt so groben
ganc | daz daz lebin in intslanc. Für stuite liest K stuyete. Ich ver-
muthe, daß es derselbe Ausdruck ist, den Frisch 2, 350b aus dem
Nürnberger Vokabularius von 1482 aufführt: stuchen lassen ventausen
ventosare und stuche lastkopf (lies lazkopf) vintauste ventosa sowie studier
ein schrepfer scarificator. Nun erst erhält unsere Stelle Licht. Der
wackere Kempe Martin überrascht seine Gegner im Bade und schrepft
sie da so tüchtig mit seinen Schwertschlägen, daß sie von diesem
Aderlaß sich todt bluten.
vorebel, vorebele, vorebelich, sieh Pfeiffer S. 268; dieselben
Wortbildungen erscheinen auch in den Alten Ges. v. Nordh. ed. För-
stern. So der vorebel S. 51, 12; 55, 45; 56, 49; vorebeliche S. 52, 13;
53, 26; vorebelen, sw. v., 53, 25; 55, 44; vorebyl Kulm. Recht ed.
Leman S. 355.
vorsetzen, sw. v., in V. 9063 lihir menlich stritin wen daz wir
uns vorsetzin und läzin also letzin, daz uns M zu vorhtin stät. Hier ist
wohl nicht an „wider setzen" zu denken, eine Bedeutung die vorsetzin
nicht gut ausdrücken kann, sondern vielmehr an = verpfänden; es ist
nämlich vorher von einem gedinge die Rede, wonach die Brüder den
Preußen sollten Geiseln stellen, sich gevangen geben.
vorwickunge, als Überschrift bei Str. S. 128 u. 148 = divinatio
vaticinatio pramosticatio , sieh mhd. Wörterb. 3, 618. Über wichen
wichen vergl. noch Renner 10254 der vierde reiet unde springet, der fumfle
tdchet unde wichet, der sehste vil böser worte sprühet ; Ernst v. Kirchb.
668 si wicketen alle daz vorwdr, daz ez swer arbeit diite = augurati sunt,
divinaverunt; u. ebendaselbst daz wichen nicht betrog = divinatio Ver-
muthung; 752 der apgot künde wicken (: schicken) igllchem nach sinem
willen = zaubern, wahrsagen; Sachsensp. ed. Homeyer 1, S. 117 u. 398
svelk leersten man mit wickene umme gaet; E. v. Repgow Zeitb. S. 122
he wickede (nicht wtckede) eme dat he keisere solde werden = „praxlixit;"
Pfeiffers Beitr. z. K. d. Köln. Mundart S. 131\
ÜBER NICOLAUS VON JEROSCHIN. 101
regen, sw. v. im Sinne von anregen, anzeigen bei Strehlke 17666
(Pfeiffer S. 209) vor dem dö brüdir Conrad regele und in klage legete
daz unrecht. Hierher gehört auch eine S. 65 in dieser Zeitschrift be-
sprochene Stelle aus Joh. Rothe: frunthuld geregen etc. d. i. indicare,
zur Anzeige bringen; die von mir daselbst gewagte Vermuthung gebe
ich auf. Almlich ist der Ausdruck tumpheit, triwe regen = indicare
ostendere bei Wolfram im Parz. 783, 12; im Willeh. 125, 22.
ZEITZ, im October 1361.
DER GOLDENE BAUM
IN MITTELHOCHDEUTSCHEN GEDICHTEN.
Im Wolfdietrich wird eine goldene, wunderbar gefertigte Linde
erwähnt, auf der künstliche Vöglein singen. Die betreffende Stelle lautet
in Hagen's Handschrift :
Sy nam in bei der hende und weist in in ein sal 567
der was von merbelstaine und leuchtet über al,
dar in stund ein linde, dy was guldin gar,
als sy der haiden fraissam het gemachet dar.
Zwen und sibenzig este nam er an der linden war, 568
dy vogel dy dar auf saßen dy waren guldin gar,
sy waren gemacht mit listen und waren innen hol:
wenn sy der wint durchwsete, ir stimmen sungen wol.
(Hagen's Heldenbuch 1, 233.)
Ausführlicher gibt die Beschreibung dieser Linde das alte Heldenbuch
(Bl. 129 von Goedeke's M. A. 488.) und die überarbeitete Piaristen-
HS., aus welcher die betreffende Stelle mir durch Pfeiffer's Güte mit-
getheilt worden. Letztere lautet :
Bl. 235. Da stund ain grüne linden dort bi dem palast rieh,
dar uff da sassen vogel, di sungen minniglich,
mit rotem gold gegoßen und auch von ecleln gestain
mit bernlin durch floriret, daz minniglichen schain.
Wol durch den stam uffgingen zwelf roren rot goldein,
die o;aben süße stimme vil manchem vogelin.
dar an zwen plasbelg waren gemacht mit ganzem flis
rjar maisterlich beschlagen mit klarem silber wis.
J02 L v- ZINGERLE
Wann man di plasbelg rurte, claz gab in ouch süßen don
uff durch di guidein roren di vogel sungen schon,
di stimm kam in di vogel hin durch di roren hol,
daz iglichs gab sin done und sungen alle vvol.
Ain tafel rieh von golde under der linden stund
mit rotem gold beschlagen, daz lobt des forsten mund,
mit wißem helfenbaine gar wol durchgraben was.
dar ob wol tusent ritter mit gutem räume sas.
Und wan der kunig riche da hin zu tische ging
mit sinem Hofgesinde und an zu essen fing,
er lis di sinen ruren di beige sa zu haut,
so sungen schon zu tische di vogel alle sant.
Man blis dort bi der linden die plasbelg über al,
sich hub von vogelstimmen ain wunniglicher schal,
si sungen süße done wol an der selben stunt.
Wolfdieterich der spise nie nam in sinen munt.
Man möchte diesen goldenen Baum mit den singenden Vöglein
für ein Spiel der Phantasie halten, wenn wir nicht ein historisches
Zeugniss für ein solches Kunstwerk aus dem Mittelalter hätten. Der
Bischof Luitprant von Kremona berichtet über einen ähnlichen Baum,
den er im J. 968 in Constantinopel gesehen hat ,. in seinem Werke
Antapodosis Hb. VI. c. 5 Folgendes: „Aerea sed deaurata qusedam
arbor ante imperatoris sedile stabat, cujus ramos itidem aerese diversi
generis deauratreque aves replebant, qua? seeundum species suas diver-
sarum avium voces emittebant. Imperatoris vero solium hujusmodi erat
arte compositum, ut in momento humile, excclsius modo, quam mox
videretur sublime; quod immensse magnitudinis , incertum utrum asrei
an lignei, verum auro tecti leones quasi custodiebant, qui cauda terram
percutientes , aperto ore, linguisque mobilibus rugitum emittebant. In
hac igitur duorum eunuchorum humeris ineumbens , ante imperatoris
praesentiam snra deduetus. Cumque in adventu meo mugitum leones
emitterent, aves seeundum species suas perstreperent, nullo smn terrore,
nulla admiratione commotus, quoniam quidem ex his omnibus eos, qui
bene noverant, fueram percontatus" (Pertz Script. III, 338, vgl. Gibbon,
röm. Weltreich, deutsch v. Sporschil, 3. Aufl. X, 420). Wir haben
hier denselben Baum, von dem im Wolfdietrich die Rede geht, und
es ist möglich, daß der Dichter das Wunderwerk nach eigener An-
schauung beschrieben habe, wie Luitprant es gethan. Gesandtschaften
nach Konstantinopel gehörten ja damals nicht zu den Seltenheiten, und
DER GOLDENE BAUM. 103
daß fahrende Dichter oft zu solchen Fahrten benützt wurden, ist be-
kannt. Die eitlen Griechen, die durch äußeren Prunk die innere Fäulniss
des Staates verbergen wollten, ließen gewiss keine Gelegenheit vorüber-
gehen , durch ihre Schätze und Kunstwerke das Staunen und die Be-
wunderung der fremden Botschafter rege zu machen. Wie sehr dies
mit dem goldenen Baume gelang, geht daraus hervor, daß er als ein
Wunderwerk der Kunst auch in andern Gedichten ausführlich be-
schrieben wurde. Albrecht von Scharffenberg schmückt mit einem
solchen Baume den Graltempel:
Ein boum üz rotem golde leuber zwi und esten 372
besetzet als man wolde, vogel wol über al der aller besten,
die man an süezer stimme lobet ze prise.
üz balgen gie dar in ein wint, daz iegelich vogel sanc in siner wise.
Einer hoch, der ander nidere, ie nach der slüzzel leite, 373
der den ze wege widere was in den boum gewiset mit arbeite,
swelicherleie vogel er wolde stungen,
der meister wol erkande den slüzzel ie dar nach die vogel sungen.
Vier engel üf den esten uzen an dem ende 374
die stuonden an gebresten, von golde ein hörn iegelich in einer hende
het, und bliesen die mit grozem schalle
und wincten mit der andern haut in der wise: nü wol üf ir tuten alle! —
(Titurel ed. Hahn.)
In der Folge beschreibt er eine goldene, klingende Rebe :
Uf der müre vil gezirde die kcer dar im der viengen 378
mit fremder künste wirde spinnel starc dar über bogen giengen.
dar lif von golde boume hoch gegrüenet,
mit vogelinen übersezzen, die wären alles krieges gar versüenet.
Wan sie wol bringen mohten, da wart da vil erfunden .'IT1.»
mit reben gar durchflohten über al die bogen in zwo sich oben wunden,
die über sich nach buge an ein ander giengen
und über die gestüele beidenthalben wol klefters lenge sie hiengen.
Die reben starch von golde wären übergrüenet, 380
als ez der meister wolde und ouch dar umbe, dazs diu ougen küenet.
und gab ouch schat vor manigen sunderglaste,
durch daz in allen kceren die müre mit smaragde wären gemenget vaste.
Diu leuber wären dicke, wenn sich ein luft erborte, 381
daz man sie sunder schricke in einer süezen wise klingen horte,
reht als ob sich tüsent valken swungen
in einer schar geliche und schellen groz von golde an in erklungen.
]04 I. V. ZINGERLE
Die reb al über flucket waren mit schow der engel, 382
als ob sie wseren gezucket üz paradis und swenne der reben klengel
der klanc begunde wegende füeren,
die engel sust gebarten sam sie sich lebelichen künden rüeren *).
Auch im großen Rosengarten wird zweimal die goldene Linde,
auf welcher goldene Vögelein singen, erwähnt. Die erste Stelle lautet :
In deme rösengarten git diu linde lichten schin,
dar üf gewirkt mit listen driu tüsent vogelin
195 gesmit uz rotem gokle hol unde wünneclich :
swan sie der wint erwsewet, ir stimme ist vröudenrich.
so man den balg diuhet, durch die roeren get der wint
oben in der linde, da die vögele sint,
so singent sie gein ein ander, einer kleine der ander gröz.
200 ez wart nie man so trüreg, daz in der kurzewile verdroz.
Die andere ist:
Do sprach der margräve, der degen unverzeit:
„sold ich mit möhte gehoeren üffe der linden breit
singen wünnenclichen diu güldin fc-gelin."
990 Do sprach diu küneginne „daz sal geschehen sin."
den balg hiez sie cliuhen, durch die roeren gieng der wint
oben in die linden, da die schoenen vogel sint.
sie sungen gein einander, einer klein der ander groz.
ez wart nieman so trürec daz in der kurzewile verdroz.
Im Orendel kommen die singenden Vögel und die Linde bei der
Beschreibung des automatischen Helms vor. Es heißt :
Dar zu fürt er einen heim
der vil stolze degen snel
mit nüntzehen ecken,
1240 den fürt der selbe recke,
der was so wol umfangen
mit vier gülden Stangen,
waren meisterliche buchstaben
schon und hofelich ergraben.
1245 dar uf swebte also schon
ein güldine krön.
dar in was oreo-ozzen ein linden dolde
von schönem reinen golde.
an der linden was manig bletlin,
1250 dar an swebte ein güldin veglin.
*) füeren. Hahn.
DER GOLDENE BAUM. 105
da was mit zouber gewinkt dar in
ein blasbalk mit sehs rören güldin.
Wan der rise den blasbalk twank,
do horte man der vogel sank
1255 reht als ob si lebten
und in den lüften swebten.
In der linden was gewürkt ein rat,
also uns dis buch noch sagt,
mit tusent güldinen schellen vin.
1260 Was mochte kluger do gesin!
Wan der wint von dem blasbalk wat
und das rat umbe trat
und die schellen klangen
und die vogel sungen.
1265 wer do gewesen aller sehen spil,
so kund es dem nit glichen zil.
Under der linden ouch gestrecket lac
ein loüwe und ein trac,
ein ber und ein eberswin,
1270 was möhte kluger do gesin!
dar an stunt der wilde man,
für wor ich uch das sagen kan,
von golde, reht als er lebte
und gegen den lüften strebte.
(Orendel ed. Hagen S. 36.)
Die singenden Voglern sind in diesem Gedichte auch ein anderes
Mal erwähnt:
man brohte dem degen küne
990 ein sper, was ungefüge,
halber was er hürnin,
daz ander helfenbeinin ;
daz ander isen unde stahel,
als wir das buch hören sagen.
995 er was gewürkt mit sinne,
die vögel sungen drinne,
die nachtigal und die zise
die sungen wol nach prise.
ob im da swebte
1000 von gold ein valke sam er lebte. (Hagen S. 29.)
106 J- V- ZINGERLK
Die wundersamen Vöglein , die in andern Gedichten erwähnt
werden, schreiben sich vermuthlich von ähnlichen Nachrichten aus
Byzanz her. Ich verweise nur auf die Stellen :
er fuort ein sper wiz und rein,
das was luter von helfenbein,
dar inne in vil süßer nise
ein nachtegal so lute sang,
wan ers fuorte an der hende,
das in dem walde süße erklang
und in der steines wende :
ir stimme die gap süeßen don,
wan siu mit großen listen wras in daz sper verwirket schon.
Diet. und s. Gesellen Str. f>.
Nuon füeret er den selben ast
gein iuch meister Hiltebrande,
er git von golde liebten glast,
sin kraft daz sper erkande:
oben üff dem spere singet
von zouberlisten ein nahtegal, daz in dem walde lüt erklinget
ibd. Str. 33.
In Laurins Helm sangen künstliche Vöglein :
do sungen inne vogelin,
nahtigal, lerchen, zise
lieplich in süezer *) wise
geliche, so si lebeten
490 und inme walde swebeten.
daz was mit listen erdäht,
und von zouber so volbraht.
Aber nicht nur die singenden Waldvöglein, auch die brüllenden
Löwen des byzantinischen Kaiserpallastes klingen in den mittelalterl.
Dichtungen nach. So in der Krone:
Ein wäfen vuort der recke
äne valsch von lasüre,
und ein lewen, sam in natüre
I0."i45 clar uf geweiht het von golde,
mit gebseren, sam er woldc
die werlt gar verslinden,
und von den widerwinden
*) stiller, Etmüller,
DER GOLDENE RAUM. 107
gap er von listen einen doz,
10550 des stimme was ze mäzen gröz,
sam er lebte und schriwe da,
und hete lange scharpfe klä,
ze mäzen verre üz gezogen,
und het sich üf diu bein gesmogen,
10^55 rebt sam er stüende ze Sprunge,
und vuor ime diu zunge
enwäge in der chewen;
ez bäte den selben lewen
ein buckel von gokle bedaht etc.
Auch in Fleiers Garel kommt ein ähnlicher Löwe vor:
Enmitten im fürt stet ein lewe,
der gint wit mit siner kewe,
dem steket ze aller stunde
ein banier in dem munde
und ist üz ere gegozzen dar
mit list, des sult ir nemen war
swen des gelüste und des gezimt,
daz er die banier genimt
dem lewen üz dem munde,
so kumt im an der stunde
üz dem halse ein solich döz,
daz ist so michel und so gröz, (Bl. 1096),
daz manz beeret vaste breit.
Von einem Bilde dieser Art erzählt auch Stricker in Daniel von
Blumenthal: „Beim Eingang in das Land ist ein Thier, aus Gold ge-
gossen, es hat im Munde ein Panier, durch das Thier fließt ein Wasser:
zieht man das Panier heraus, so erhebt das Thier ein solches Geschrei,
daß alles zur Erde fällt und ruft so den König und seine Mannen
herbei." (Stricker's Karl ed. Bartsch v. XII.) Derselbe Dichter berichtet
auch von einem Drachen, der durch Wind in Bewegung gebracht wurde :
Man sach von golde dar an stän
einen tracken, der was wol getan,
der was innen hol.
als er des windes wart vol,
so gebarte er alse er lebte
und gein den liuten strebte. (Karl 9641 ff.)
Schon Lamprccht beschreibt uns ein Bildwerk, das durch Blase-
bälge bewegt und tönend wurde :
108 !• v- ZINGERLE
5850 mitten in ir palas,
ein scone tier geworht was,
daz was alliz golt rot,
alse siz selbe gebot.
daz tier was vil herlich
5855 eineme hirze gelten.
an sim honbit vorne
hat iz dusint hörne.
üf allir hörne gelich
stunt ein fugil herlich
5860 üf dem tiere saz ein man
scone unde wol getan,
der fürte zwene hunde
unde ein hörn ze sinem munde.
nidene an dem gewelbe
5865 lägen viere und zwenzich bläsebeige.
z' aller beige gelich
gingen zwelif man creftich.
so si di beige drangen,
di fugele scone sungen,
5870 an deme tiere vorn;
so blies ouh der man sin hörn,
so galpeden ouh die hunde.
ouh lütte an der stunde
daz herliche tier
mit der stimmen als ein pantier etc.
Dies Bild führt auch den goldenen Hirsch in der Oswaldlegende,
der von den zwölf Goldschmieden gefertigt wurde (Ettmüller 2278.
ff', u. 2297. ff.). König Aaron bemerkte über dies Wunderthier:
du vil stolzer wahtasre,
zwar daz habe üf al min ere,
daz getiht gät von den goltsmiden her;
2335 wan die sint aller künste vol,
und habent den hirz inne gemachet hol,
daz er loufet vor dem winde.
Durch Luft und Wasser wurden somit diese Thierbilder, die aus
Griechenland her bekannt waren, in Bewegung gesetzt. Ihnen konnte
zunächst das Lob gelten : sie waren, als ob sie lebten , das wir so oft
schönen, lebhaften Bildern von mittelhochdeutschen Dichtern ertheilt
DER GOLDENE BAUM. 109
finden. Gewöhnlich ist der Reim „lebte" oder „leben" mit „swebte"
oder „sweben", „strebte" oder „streben" gebunden. Z. B.
Die vogel manegen slahte
swebten dar inne,
geweben mit solhem sinne,
rehte sam si lebten
und üf zen lüften swebten. Erec 7645.
so stuont er als er lebete,
vogeliche er swebete. Lanz. 4785.
daz stuont dran als ez lebte,
so ez iezuo hie swebte,
so rukt ez aber fürbaz. Lanz. 5827.
Von golde dar üf gemeistert was
ein tracke, als er lebete
und obe dem helme swebete. Wigal. 1906.
ein adelar dar obe swebt (e)
von golde reht, alsam er lebt (e). Ecke Str. 95.
der stuont alsam er lebete
und ob dem helme swebete. Meleranz 10085.
ein ar alsam er lebte
und ob dem helme swebte. Garel 27b.
reht alsam er lebte
und ob dem helme swebte. Garel 24°.
dar inne ain pantel swebt
planch, als ob ez lebt. Ottaker c. 62.
si stuonden als si lebeten
und an dem vanen swebeten. Laur. 411.
schone sus er lebete
und nach gewilde strebete. Laur. 497.
schone sus si lebeten
und in den lüften swebeten. Laur. 1870.
Ähnliche auf meisterhafte Bildwerke bezügliche Stellen sind: als
ez leben solde Wigalois 36, 10; als er leben solde Wigal. 169, 27.
üz dez gehürne swarz geborn
was in den wizen schilt geleit
ein grife mit behendekeit,
der stuont reht als er lebte. Konrads Troj. 9570. —
und was ein löuwe küene
von bläwer siden drin geweben.
der stuont, als ob er künde leben
FRANZ PFEIFFER
und was gekrcenet schöne, ebd. 30042.
und swebte drinne ein blanker swan,
der lühte silberwiz her dan,
als ob er lebende waere. ebd. 30865.
In einem velde läsürblä,
daz ouch von sielen was geweben,
stuonden als si solten leben
vogelin an maneger etat. Engelhart 2545.
als er leben solde,
stuont üf dem kröpf ein guldin ar. Meleranz 1310.
Den mich lerne an der hauben wunder äne tzal,
dar umb die gülden porten, baide, brait und smal,
hirszen unde binden, serm sy lebentig sein. Hugdietr. Str. 24.
dar zu hoflich würken dy schoenen vogelein
mit golde und mit seiden, sam es lebentig möcht gesein. ebend. Str. 57.
Hirszen unde binden stuonden auch daran
von dem roten golde, sam sie daz leben hau. ebd. 64.
rehte enmitten üf dem köpfe,
der lim mit vogelen was bezogen,
reht als si wseren geflogen
üz dem Spehtsharte. Helmbrecht 35.
INNSBRUCK, 10. Sept. 1861. I. V. ZINGERLE.
HEINRICH VON RUCKE.
Heimat und Geschlecht dieses Liederdichters sind noch uner-
mittelt. Die Herausgeber des Minnesangs Frühling S. 270 beobachten
darüber tiefes Schweigen, wohl aus dem guten Grunde, weil sie dem,
was Laßberg Liedersaal 2, 41 und ihm nach v. d. Hagen MS. 4, 158
vorbrachten, nicht beizupflichten vermochten. Laßberg war nämlich
der Meinung, Heinrich gehöre dem edeln Geschlechte der Ruggen an,
die sich nach der zwischen dem Kloster Fischingen und ßichelsee im
Thnrgau gelegenen, von den Appenzellem im J. 1405 gebrochenen
Burg Tanneck „die Ruggen von Tanneck" nannten. Allein abgesehen
von verschiedenen andern Bedenken, die sich dieser Ansicht entgegen
stellen, reicht ihre Unrichtigkeit darzuthun schon der Umstand hin,
daß der Beiname, den die von Tanneck führen, ein offenbarer, häufig
vorkommender Personenname (Förstemann 1, 7J2. 713), das Rucke oder
HEINRICH VON RUCKE. XU
Rugge dagegen, nach welchem der Dichter sich nennt, ebenso deutlich
ein Ortsname ist. Beide Namen haben daher nichts miteinander gemein,
und sie zu vermischen hätte schon die Verschiedenheit der Wappen
verhindern sollen. Diese beschreibt Laßberg a. a. O. ; Abbildungen
von beiden gibt auch Konrad von Grünenberg in seinem Wappenbuche
von 1483. Das hier von „Hern Hainrich von Ruche" gegebene stimmt
genau mit dem in der Weingartner Liederhandschrift S. 53 befind-
lichen überein.
Nicht nur die Stammburg, sogar die Person des Dichters, wie
ich glaube , kann aufs bestimmteste urkundlich nachgewiesen werden.
Durch eine zwischen 1 175 — 1178 ausgestellte Urkunde übergiebt Abt
Eberhard von Blaubeuern dem Kloster Salem Güterstücke in Hohen-
buch und Grötzingen (bei Ehingen) „per manum advocati nostri domni
Gebizonis de Rugge" und unter den Zeugen erscheint neben dem noch-
mals genannten Gebizo ganz zuletzt „Heinricus miles de Rugge" (wir-
temb, Urkundenbuch 2, 178). Bei der Übereinstimmung des Vor- und
Zunamens dürfen wir Zeuge und Dichter für identisch halten; um so
mehr als auch die Zeit hiefür kein Hinderniss bildet. Der Leich Heinrichs
ist unter dem unmittelbaren Eindruck der Trauerbotschaft vom Tode
Kaiser Friedrichs I. im Spätjahr 1191 geschrieben (MSF. 97. 270), also
etwa 13 — 15 Jahre nach obiger Urkunde. Seine Lieder, deren Ver-
fasserschaft allerdings keineswegs überall sicher ist, hat aber Heinrich
früher als den Leich gedichtet. Das beweisen die von mir schon Germ.
3, 506 hervorgehobenen ungenauen Reime in jenen, und der Mangel
solcher Reime in diesem. Der Leich setzt die durch Heinrich vom Vel-
deken neu aufgekommene Reim- und Verskunst voraus , während die
Lieder vermöge ihres noch unausgebildeten Reimes vor 1184 fallen
müssen.
Die unmittelbare Anregung zum Gesänge könnte Heinrich leicht
durch den Vorgang Meinlohs von Sevelingen empfangen haben. Söf-
lingen, unweit von Ulm, liegt an der Straße, die nach dem nur ein
paar Stunden entlegenen Blaubeuern führt, und dicht bei diesem Städt-
chen, auf dem rechten Aachufer, stand auf einem hohen Bergrücken,
der noch jetzt der Ruckenberg heißt, die alte, erst im Jahre 1571 ab-
gebrochene Burg Rucke. Meinloh und Heinrich waren also die nächsten
Nachbarn und standen einander auch der Zeit nach nicht so fern, daß
sie sich nicht ganz gut persönlich gekannt haben könnten.
Zwischen den von Rucke und den Grafen, später Pfalzgrafen, von
Tübingen, bestand schon in frühester historisch nachweisbarer Zeit ein
verwandtschaftliches Verhältniss. Von den ersten Grafen von Tübingen,
112 L V. ZIXGERLE, BECIIERINSCHRIFT.
den drei Brüdern Hugo, Anshelm und Siboto , die um 1085 das
Kloster Blaubeuern stifteten, nannte sich der letztere „comes de Rugka."
Wie die Verbindung dieser beiden Linien zusammenhängt, liegt noch
im Dunkeln. Nach Stalin (Wirtemb. Gesch. 2, 427) scheint „das
Schloß Ruck durch Erbschaft oder Heirat an die Grafen von Tü-
bingen gekommen zu sein und diente zum Wohnsitz wahrscheinlich
nachgeborner Brüder." Nach dem frühen Erlöschen von Siboto's Stamm,
im 12. und 13. Jahrhd., war die alte Burg bloß ein Sitz Tübingischer
Vögte (Stalin a. a. O. S. 429). Als solchen haben wir den vorge-
nannten Gebizo zu betrachten, und Heinrich, der Sänger, war wohl
sein Bruder.
Die alte Namenform der Burg lautet Rugka, Ruccha, die dem
Dichter gleichzeitige Riike, Rucke (s. Wirtemb. Urkundenbuch 2, 210.
272: Urk. von 1181 und 1191), und diese letztere Schreibung ist auch
für uns die richtige, dem mhd. und nhd. Lautsystem allein angemessene.
Rngge dagegen, wie in der Pariser Hs., in der oben angeführten, nur
in späterer Abschrift erhaltenen Urkunde und anderwärts steht (die
Weingartner Liederhandschrift dagegen liest Ruche, die alte Heidel-
berger Rucche), ist alamannische Schreibung der 2. Hälfte des 13. und
des 14. Jahrhundertes und ist so wenig der Zeit des Dichters gemäß
als V eidegge für einen niederrheinischen Dichter des 12. Jahrhunderts.
WIEN, März 1862.
FRANZ PFEIFFER.
BECHERINSCHRIFT.
Des Pleiers Verse
mannes langer mangel
daz ist des herzen angel
Meleranz v. 689 stehen mit kleiner Änderung auf dem Becher der Mar-
garetha Maultasch in der Ambraser Sammlung. Sie lauten hier:
langer liebes mangel
ist meines herzen angel.
Steub, drei Sommer in Tirol S. 304.
I. V. ZINGERLE.
LITTEßATUR.
De carmine Wessofontano et de versu ac stropharum usu apud Germanos
antiquissimo dissertatio quam pro loco in ordine philosopborum Berolinen-
sium rite obtinendo scripsit Carolus Müllen hoff. Berolini, W. Hertz.
1861. 4.
Die Abhandlung sucbt darzutbun , daß in dem Wessobrunner Gebet drei
verscbiedenen Dichtungen und Zeiten angebörige Bruchstücke erhalten sind. Be-
kanntlieh hat W. Wackernagel den letzten Theil (von den Worten enti cot
heilac an) für Prosa erklärt, wählend andere schon vor Müllenhoff die poetische
Form auch hier nachzuweisen suchten. Die Schwierigkeiten , die etwa in me-
trischer Beziehung entstehen möchten, will M. schon von vornherein dadurch
unschädlich machen, daß er annimmt, es habe der Dichter dieses Schlusses,
den M. bei dem großen Buchstaben in Z. 12 des Originals Cot almahtico be-
ginnen lässt, keine Verse zu machen verstanden. Wackernagel wies, um seine
Behauptung, daß wir in dem Schluß eine prosaische Beichtformel vor uns haben,
zu stützen, auf ganz ähnliche Formeln hin, die M. mit einigen weiteren Belegen
vermehrt wiederholt. Weil nun der Rhythmus der Worte sieb zuweilen wie
Verse lesen lässt, weil man einige richtig gebaute Verse darin erkennen kann,
zunächst die zwei
in dinö ganädä rehta galaupa,
enti cötan willeon, wistöm enti spähida,
so muß gleich noch ein neuer Dichter (also zu den drei im Wessobrunner Gebet
vertretenen noch ein vierter!) erfunden werden, der die stehende Beichtformel
in richtige Verse brachte, aus welchen der Schreiber zwei in sein Schlußgedicht
aufnahm. Welche geschraubte und gezierte Annahme! Wenn der Schreiber im
Stande war einen Vers zu machen wie den folgenden
enti du mannun so manac cot forgäpi,
der metrisch ebenso untadelich ist wie die beiden andern, warum könnten nicht
auch jene von ihm herrühren? Warum die lächerliche Annahme eines neuen bis
auf jene zwei Zeilen verlorenen Gedichtes ? Doch betrachten wir die ganze me-
trische Eintbeilung dieses Schlusses näher:
Cot almahtico, du bimil enti erda gaworahtös,
enti du mannun so manac cot forgäpi,
forgip mir
in dinö ganädä rehta galaupa
enti cötan willeon, wistöm enti spähida
enti craft
tiuflun za widerstantanne enti arc za piwisanne
enti dinan willeon za gawurchanne.
GERMANIA VII. 8
114 L1TTERATUR.
Aus dieser Darstellung wird der Grund der Müllenhofi'schen Annahme er-
sichtlich: den Kritiker störten die nicht in den Vers passenden Worte forgip
mir einer- und enti craft andererseits. "Weil aber das zwischen diesen Worten
liegende sich in Verse bringen ließ , weil Laehmann die Worte in dinö ganadä
rehta yaluupa als eine richtig gebaute Laugzeile bezeichnet hatte, so mußte es
aus einer anderen Dichtung hier eingeschaltet sein. Wie scharfsinnig! Schade
nur, daß die letzte Zeile des Wessobrunner Gebetes ebenso in einer Gebetformel
wiederkehrt , in der von M. aus Flaccius Vorrede zum Otfrid entlehnten thinan
willen zi giwircanne; warum könnte denn diese Zeile nicht ebenso von dem
Dichter der beiden anderen gemacht und hier aufgenommen sein ? — Mit
gleichem Rechte ließe sich die von Wackernagel mitgetheilte Formel in Verse
zerlegen, und man brauchte nicht einmal so willkürlich vier Worte auszustoßen :
Truhtin god, thü mir hilp,
[indi] forgip mir gawitzi,
indi gödan galaupun,
(indi) tbina minna
5 indi rehtan willon,
heili indi gasunti
indi tbina guodun huldi,
wo wir zugleich Alliteration (Z. 1. 2 yod — for9~ip) und Reim (Z. G. 7) ga-
sunti : laihli) hätten. Und so getraute ich mir aus althochdeutscher Prosa ein
gut Theil Verse herauszubringen, und es wäre nichts leichter als auf diese Art die
deutsche Litteratur um eine bedeutende Anzahl von bruchstückartigen und ganzen
Gedichten zu vermehren. Lässt man sich nun gar herbei, daneben solche Verse
zuzugeben, wie du Tiimil enti er da yaworahtbs, mit sechs Hebungen, ferner tiuflun
■ii widarstdntänne , mit fünf Hebungen (warum auch nicht hier sechs tiuflun zu
widarstdntdnne, um so mehr als die darauf reimende Zeile enti dre zäpiwisännt
ebenfalls sechs Hebungen bat?), so entsteht eine Willkür, die aus jedem Prosa-
stücke beliebig Verse machen kann. Verse von vier, fünf und sechs Hebungen
auf einem so kleinen Räume von wenig Zeilen annehmen, dazu noch, um ein
paar richtige Verse zu erhalten , vier Worte aus dem Rahmen der übrigen
streichen, und zu diesem Zwecke eigens einen neuen Dichter erfinden müssen —
das ist eine kritische Leistung, um welche selbst ein Anfänger den Hrn. Müllenhoff
schwerlich beneiden dürfte!
Im zweiten Theile des Gedichtes, der bei M. von du dar niwiht bis cot
keilac reicht, erblickt der Verfasser ein Bruchstück eines in christlicher Zeit
verfassten Gedichtes von der Weltschöpfung. Die Verse fügen sich leicht dem
metrischen Gesetz, nur sind nach dem Vorgange der Brüder Grimm die Worte
dar wärun auh ausgeworfen werden.
Dö dar niwiht ni was enteö ni wentaö,
enti dö was der eino almahtico cot,
mannö miltisto enti manake mit inan
cootlihhe geistä enti cot heilac . . .
Hier möchten wir nur fragen, wie Herr Müllenhoff die siebente Ilalbzeilc ge-
lesen wünscht? Das natürlichste wäre enti manake mit inan; aber ist anzu-
nehmen, daß bei dem Alter des Gefliehtes die beiden Silben von inan als stumpfer
Versausgang verwendet sein sollten? Die Bedenken, die einer solchen Annahme
LITTERATUR. 115
entgegenstehen, scheinen für den Verfasser gar nicht vorhanden gewesen zu sein,
denn er verliert kein Wort über den Bau dieses Verses. Im Übrigen bietet
der zweite Theil keine Schwierigkeiten ; eine poetische Reminiscenz des Schreibers
des Ganzen ist er in jedem Falle, ob freilich aus einem in der Weise wie M.
will begrenzten Gedichte , ist noch immer sehr zweifelhaft. Um so mehr haben
wir bei dem ersten Theile, der bis mareö seo reicht, nichts gegen die mythische
Deutung, denn diese stand schon vor M.'s Abhandlung ziemlich fest, wohl aber
gegen die Handhabung der Kritik zu bemerken. Der kritischen Besprechung
hat der Verf. eine Untersuchung der Frage nach der Beschaffenheit der ältesten
deutschen Verse vorausgeschickt. Wenn wir gleich Wackernagels Ansicht, es
sei der Vers von vier Hebungen erst durch die geistliche Poesie des 9. Jahi--
hunderts nach dem Vorgange der lateinischen Hymnen eingeführt worden,
nicht zu theilen vermögen , so scheint uns doch auch die Beweisführung der
Gegner an vielen Mängeln zu leiden. Die überwiegende Anzahl der in altd.
alliterierenden Denkmälern erhaltenen Verse fügt sich allerdings dem Gesetze,
welches wir an Otfrid's Versbau am genauesten kennen lernen; aber bedenklich
ist es schon, daß im Hildbrandsliede so viele Verse (l4) von Lachmann ge-
bessert werden mußten, um metrisch richtig zu sein, daß man sich mit der An-
nahme behelfen mußte , es sei das Hildebrandslied von zweien der Metrik ganz
unkundigen Schreibern überliefert (welche Annahme M. natürlich auch auf das
Wessobrunner Gebet und auf Muspilli anwendet), daß man endlich einer bei
Otfrid in seinem umfangreichen Werke nur einmal vorkommende Freiheit *), in-
dem eine tieftonige lange Silbe ohne darauf folgende Senkung als Hebung gilt,
im Hildebrandsliede unter 130 Halbzeilen 23mal, im Muspilli unter 2 08 Versen
2 4mal begegnet, wobei noch gar nicht die von gewaltsamer Kritik (Hr. M.
schreibt jetzt z. B. im Muspilli statt kerno lüoi, hdrto ivlsc, mäno vallit — Jcerno
k/tuoc. harto piutisS, mäno Jcifallii) geänderten Zeilen in Rechnung kommen. Da
nun dem Verf. die Seltenheit der aus Otfrid und der geistlichen Dichtung des
9. Jahrhunderts entlehnten Beispiele nicht entgeht, so sucht er nach einer Ana-
logie und findet sie — in Hartmann, dessen Erec ungleich mehr kürzere Verse
zulasse als der spätere Iwein. Ehe man das als Analogon aufführt, wäre doch
zu bedenken, daß uns der Erec in einer einzigen sehr jungen Handschrift er-
halten ist, daß bessere Überlieferung wahrscheinlich manchen Vers ganz anders
gestalten würde. Wir können diese Untersuchung im Einzelnen hier nicht weiter
verfolgen ; sie gehört einer Geschichte der deutschen Metrik an , mit welcher
Referent seit Jahren beschäftigt ist. Nur das Gesammturtheil sei hier kurz zu-
sammengefasst : es ist wahrscheinlich, daß der alliterierende epische Vers der Ger-
manen, die Scandinavier und Angelsachsen eingeschlossen, ursprünglich allerdings
aus acht Hebungen, aus zwei Halbzeilen zu je vier, bestand ; aber eben so sicher
ist, daß aus den uns erhaltenen alliterierenden Denkmälern die Gesetze, die in
der späteren Poesie der Geistlichen vorliegen, nicht ohne greße Willkür der
Kritik gefolgert werden können.
*) Zudem darf man Von den Otfrid'schen Versen zwei abziehen, «Tic man ebenso
gut betonen kann
flSug er stinnun Holt.
bi tltes sterren fort.
8*
1 1 ß LITTERATUK.
Die strophische Anlage der alliterierenden Dichtung in Deutschland verneint
der Verfasser mit Recht, gegen W. Müller; sie stößt auf so viele Hindernissein
der Ausführung und dem Nachweise, daß eben kein Beweis daraus sich ergiebt.
Wahrend nun M. die einfachere Strophenbildung der althochdeutschen alliterierenden
Poesie nicht einräumt, sucht er die jüngere kunstvollere Bildung der altnor-
dischen Poesie, Ijvrfahätlr genannt, gerade an dem ältesten Theile des Wesso-
brunner Gebetes, das ein Bruchstück einer heidnischen Cosmogenie enthalten soll,
nachzuweisen : zum Glück hat er der so zuversichtlich ausgesprochenen Behaup-
tung gleich ein ni fallor hinzugefügt; es wird wohl keinen Besonnenen und Un-
befangenen geben, den die Beweisführung und Textkritik des Verf. überzeugt
hat. Denn wenn es an sich schon bedenklich ist, aus einigen Zeilen ein in
Deutschland sonst nirgend nachweisbares Metrum zu folgern, so ist es noch un-
wahrscheinlicher, daß dies Metrum, das offenbar einer späteren Kunstcpoche an-
gehört und auch in der nordischen, noch mehr in der ags. Poesie, einen nur
beschränkten Gebrauch hat, in einer so uralten Dichtung, als welche Hr. M. dies
Bruchstück betrachtet, angewendet sein soll. Die Bedenken wachsen, wenn man
sieht, daß die erste Hälfte dieser im Ijorlahättr geschriebenen althochdeutschen
Strophe nur durch Tilgung einer Halbzeile gewonnen wird, und ebenso die zweite nur
dadurch, daß zwei Halbzeilen, indem zwei Worte gestrichen, bezüglich versetzt worden,
in dine vereinigt werden. Die Halbzeile noh paum noh pereg ni was wird im Grunde,
nur deswegen ausgeworfen, weil sie mit vier Hebungen sich nicht gut lesen lässt,
denn mit Recht bemerkt der Verf., es sei kein Grund vorhanden, das eine noh
vor dem andern zu betonen (noh paum noh pereg oder noh paum noh pereg) ; aber
dieselbe Betonung müßten wir annehmen in noh sunna ni seein, wenn sich Hr. M.
hier nicht anders geholfen hätte, indem er frischweg schrieb noh sunna ni liuhta.
Daß die ausgeworfene Halbzeile für den Sinn nothwendig sei, wird man nicht
behaupten wollen; aber daß es verba inepta seien, ebensowenig, und man muß
so wenig Achtung vor der Überlieferung haben wie Hr. M., um aus diesem
Grunde sie zu verwerfen. Die Ergänzung suigli sterro in der folgenden Zeile,
um eine Alliteration auf sunna zu gewinnen, da sterro allein, was Grimm und
Wackernagel ergänzen wollten , nach dem Gesetze der Alliteration nicht mit
sunna alliterieren kann, hätte manches für sich, wiewohl das Wort nicht durch
hochdeutsche Belege gesichert ist, wenn nicht aus diesem Grunde nohheinig der
Hs. in nohhein geändert werden müßte , um einen richtig gebauten Vers zu
erhalten; denn wenn Hr. M. als Begründung hinzufügt cum Saxones sine dubio
dixerint ni suigli sterro nigen , so ist das geradezu lächerlich; folgt daraus, daß
der hochdeutsche Dichter nohhein statt des ebenso richtigen nohheinig gesagt haben
müsse? Die Form stern aber, durch die sich Müllenhoff helfen möchte, wenn
man nohheinig belässt, ist nicht belegt; der vorkommmende Plural sternä beweist
nur, daß der Singular slerno in einigen Formen auch stark flectiert wurde, denn
ebensowenig darf man aus dem mhd. Plural Sterne einen Singular stern folgern,
dieser findet sich vielmehr nur bei mhd. Dichtern, die auch in anderen Wörtern
das e am Schlüsse abwerfen, wie der pseudo -gottfridische Lobgesang, aus dem
W. Wackernagel im Wörterbuch zwei Stellen anführt. Dadurch wird auch die
Wahrscheinlichkeit der Müllenhoff'schen Ergänzung erschüttert.
Über die folgenden Halbzeilen geht Hr. M. sehr leicht hinweg, wiewohl
er nicht weniger als drei Änderungen darin anbringt ; statt des überlieferten
LITTERATUR. 117
noh sunna ni seein
noh mäno ni liuhta
noh der märeo seo,
schreibt er nämlich:
noh sunna ni liuhta
noh mäno noch der märeo seu.
Die Gründe sind ersichtlich ; im ersten Vers stoßen die drei Hebungen , da
nuh zu betonen kein Grund ist, also muß ni seein getilgt werden, außerdem weil
es ein Missklang sei, im zweiten Halbverse zwei Worte mit s anfangen zu lassen
(die aber gar nicht alliterieren; solche Belege ließen sich in Menge sammeln) und
an die Stelle der ausgeworfenen kommt ni liuhta. Ebenso anstößig war in m«-
trischer Beziehung der dritte Vers; daher mußte der zweite und dritte in einen
zusammengezogen werden. Und auf diese Weise, durch ein solches Verfahren soll
das Vorhandensein des Ijudahättr in der ahd. Poesie gesichert sein ! Wer eine
Spur von kritischem Gewissen hat, muß gegen eine solche gewissenlose Behand-
lung unserer ältesten Denkmäler entschieden Widerspruch erheben. Auf diese
Weise ließe sich aus allem alles machen. Wenn die kritische Schule Lachmann»
nichts besseres und gründlicheres zu leisten vermag , dann hat sie ihr geistiges
Unvermögen genügend bewiesen.
2 4. Februar 186 2. KARL BARTSCH.
1. Das Rolandslied. Das älteste französische Epos, übersetzt von Dr. Wilhelm
Hertz. Stuttgart, Cotta, 1861. 8. XIV u. 163 S.
2. Roland, poeme heroique de Theroulde, trouvere du XI. siecle, traduit en
vers francais par P. Junain, sur le texte et la version en prose de Fr.
Genin. Paris, Chamerot, 1861. 12.
1. Es darf als ein nützliches und dankbares Unternehmen bezeichnet werden,
die bedeutendsten Denkmäler der altfranzösischen Litteratur dem deutschen Volke
durch Übersetzungen zugänglich zu machen. Es wird dadurch einmal den zahl-
reichen Pflegern deutscher Litteratur ein wesentlicher Dienst geleistet, denn es
wird wohl Jeder unter ihnen Werke zu kennen wünschen , welche mit dem
Gegenstande ihrer Studien in so naher Beziehung stehen , nicht Jeder hat aber
Muße genug, um die zu einer nicht aufhaltenden Leetüre erforderliche Ver-
trautheit mit der Sprache zu erlangen. Mit gleicher Freude dann wird jeder
Gebildete Arbeiten begrüßen, welche ihm in den vorzüglicheren Erzeugnissen
einer beinahe unbekannten Litteratur eine neue Quelle des Kunstgenusses eröffnen.
Bisher ist aber, meines Wissens, in dieser Richtung nur sehr wenig geschehen,
und gerade jene Werke, welche Übersetzer gefunden haben (z. B. le roman de
Ruu durch Franz Frhr. Gaudy, Glogau 18 35 und le vornan de la rose durch
II. Fährmann, Berlin 183 9), wenn auch in anderer Beziehung wichtig, zeichneu
sich eben nicht durch künstlerischen Werth aus. Am ersprießlichsten wirkte noch
der unermüdliche Adalbertv. Keller, welcher durch Prosaübersetzungen und Auszüge
zur Kunde altfranzösischer Litteratur in Deutschland wesentlich beitrug. Man muß
daher Hrn. Hertz zu wahrem Danke verpflichtet sein, daß er an das schöne Unter-
nehmen, poetische Übersetzungen zu liefern, Hand gelegt hat, und ihn beglückwünschen,
daß ihm schon der erste Versuch so vortrefflich gelungen ist. Die Wahl der
Dichtung, mit welcher der Anfang zumachen war, konnte kaum zweifelhaft sein :
[lg LITTERATÜE.
das scliünc Volksepos, welches noch in der uns geretteten Gestalt so viel von
der edlen Einfachheit und der großartigen Auffassung der Volkslieder bewahrt,
denen er seine Entstehung verdankt, die Chanson de Roland, bot sich von selbst
dar. Daß schon eine Prosaübersetzung, die von Keller, vorhanden, war vielleicht
II. Hertz, der ihrer nicht erwähnt, unbekannt: dieser Umstand konnte in jedem
Falle eher anregend als zurückhaltend wirken. Die Übertragung nun , mit der
uns Hertz beschenkt, zeugt eben so sehr von echt dichterischer Begabung als
von liebevoller Hingebung an seinen Gegenstand. H. H. ist mit allen Eigen-
thümlichkeiten der Sprache seines Originals wohl vertraut, und weiß sie mit
Meisterschaft in seiner eigenen wiederzugeben. Er übersetzt treu, Vers für
Vers*) und dennoch so, daß er nirgends einen Zwang, ein Ringen mit den
gewiss bedeutenden Schwierigkeiten verräth. Daß er den Sinn an mehr wie einer
Stelle besser trifft als sein Vorgänger, ist ein Vorzug, welchen man zunächst den
weit reicheren Hilfsmitteln, die ihm zu Gebote standen, zuzumessen hat, so daß
die Hervorhebung dieses Vorzuges durchaus nicht zu einem ungerechten Ver-
gleiche auffordern will. Vollkommen zu billigen ist es, daß der H. Übersetzer
der Versuchung widerstand, die Assonanz beizubehalten: nur zu oft sieht man
sonst gediegene Arbeiten an ähnlichen ganz äußerlichen und selbstgeschaffenen
Hindernissen scheitern.
Ich glaube auf keine bessere Weise dem H. Übersetzer das Interesse
bezeugen zu können, welches mir seine schöne Arbeit einflößte, als dadurch, daß
ich auf dieselbe etwas "näher eingehe*'").
*) Mit einer einzigen Ausnahme, Tir. 123, 5 — b': cL'un gist sur l'altre, en enverse
adenz': ' Sie liegen da der Eine iiber'm Anderen, der auf dem Angesicht, der auf dem Kücken'.
**) Bei den folgenden Bemerkungen mußte ich natürlich eine nähere Bekanntschaft
mit unserem Gedichte voraussetzen: ich erlaube mir hier jedoch eine kurze bibliogra-
phische Skizze über dasselbe mitzutheilen. Ich beschränke mich auf jene Schriften, welche
die Schicksale des Textes unmittelbar betreffen, und übergehe daher jene, welche (wi<
Wolfs Leistungen etc.', Fauriel's Vorträge u. s. w.) sich mehr mit der litterarhistorischen
Bedeutung unseres Epos beschäftigen.
Die Handschriften hat Wilhelm Grimm in der Vorrede zum Ruolandes Liet
S. XXX VII— XXXVIII aufgezählt: A Oxford; B Paris 7227, 5; C früher Versailles, dann
Garnier, endlich Bourdillon, wovon eine neuere Abschrift auf der k. Bibl. zu Paris 2Ö42 ' ;
]) Lyon: E Cambridge: dazu kommt aus den Venedigern die Handschr. Gall. Nr. 4,
welche ich mit P bezeichne.
18. Jahrh. Die neue (Benedictiner-) Ausgabe von Du Cange führt häutig den
Roman de Roncevaux (nach B) an; dorn Rivet, Hist. litt. 7, LXXIII erinnert an eine
andere nunmehr verschollene Handschrift; Tyrwhitt zu Chaucer's Canterbury tales
v. 13741 spricht schon von A.
L817. Mnsset. Louis de, in den Memoires de la societe des antiquaires de France
1, 145 — 171, zeigt C an und theilt daraus einige Verse mit.
„ Conybeare, J. F., im Gentleman's magazine S. 103, verspricht Nachrichten
über das Lied nach englischen Handschriften, also A und E.
1832. Paris, Paulin, in der Vorrede zu Berte aus grans pies. Paris. 8. S. XL1I, kün-
digl eine Ausgabe von Bourdillon an.
„ Monin, Henri. Dissertation sur le roman de la bataille de Roncevaux. Paris. 8.
Nach 15 und C. Darüber
„ Raynouard, F. J. M., im Journal des Savans S. 385 -398, und
„ Michel, Francisque, in einer eigenen Abhandlung/ Examen critique de ladisser-
tion de Mr. 11. M. sur lc r. d. R. Paris. 8°.' Er* weist darin auf A an.
1834. La Rue, Gervais de. In den essais historiques sur les bardes, les Jongleurs et
les trouveres. Paris, 4". 2, 57 — (J-3 gibt Proben aus A.
LITTER ATUE. H<)
Bei ähnlichen Übertragungen ist selbstverständlich die Wahl des Textes,
welchem man zu folgen hat, von großer "Wichtigkeit. Auch hierin war H. Hertz
recht glücklich. Er kündigt uns nämlich an, daß er neben den gedruckten
Recensionen von A noch eine bis jetzt ungedruckte benützt habe, welche
Prof. Conrad Hofmann in München auf Grundlage neuer Handschriftenverglei-
chung und mit Benützung der bisher nur zu wenig berücksichtigten Venediger
Handschrift veranstaltet hat. Diese Nachricht wird sicherlich Jeden , der sich
mit unserem Gedichte beschäftigt, mit wahrer Freude erfüllen , denn von einem
so tüchtigen Grammatiker und so bewährten Kritiker, wie Ilofmann es ist,
darf man endlich eine Ausgabe unseres Liedes erwarten , welche dasselbe
seiner echten Gestalt möglichst nahe bringt. Die Verbesserungen nun, welche
die Form der einzelnen Wörter, das Versmaß, die Assonanz u. s. w. be-
treffen, können natürlich an einer Übersetzung im Allgemeinen nicht ersehen
werden; überall aber, wo die Recension , welche uns H. Hertz bietet, von
den bisher bekannten im Inhalte selbst abweicht, können wir mit ziemlicher
Bestimmtheit annehmen, daß dies auf die Grundlage der Arbeit Hofmann's
geschehen sei. Es lohnt sich der Mühe über diese Abweichungen einiges mit-
zutheilen. Manche Verse wurden ausgelassen; eine größere Anzahl, darunter
eine ganze Tirade, hinzugefügt; einzelne Verse und Tiraden wurden versetzt. Schon
1S35. Duval, Amaury. Hist. litt. 18, 719 ff., eine sehr dürftige Notiz über A.
1S37. I. Ausgabe. La Chanson de Roland ou de Roncevaux publiee par Francisque
Michel!" Paris. 8°. Mit Proben aus BCDE. Das Titelblatt trägt das Datum 1837;
Schon im Anfange 1836 findet sich darüber im Journ. des Sav. eine Recension
von Raynouard.
1839. Deutsche Prosaübersetzung nach dieser Ausgabe in 'Altfranzösischen Sagen ge-
sammelt von H. A. Keller. Tübingen. 8. Bd. 1.
1840. Bourdillon, Jean-Louis. Le poeme de Roncevaux, traduit du roraan en franeois.
Dijon, 12°. Nach seiner Ausgabe, erschienen
1841. Roncisvals mis en ramiere par J. L. Bourdillon. Paris, 12. Eclectisch. Er benutzt
auch F, über welche Handschrift schon manche Kunde gedrungen war. Aber erst in
1844. Keller, Adelbert von, Romvart, Mannheim und Paris. 8°. S. 12 — 23, findet sich
daraus ein größerer Abschnitt
L845. Delecluze, Etienne Jean. Übersetzung von A nach der Ausg. Mc.'s. in Roland
et la chevalerie'. Paris. 8°. Bd. 2. Darüber Magnin in der Revue des deux mondes,
juillet 1846.
„ Paris, Paulin. Hist. litt. 22, 727 ff. ein Aufsatz über das Epos mit einigen guten
Vorschlägen zur Emendation von A. Der Band trägt die Jahreszahl 1852; der
Aufsatz wurde aber geschrieben vor
L850. II. Ausgabe. La chanson de Roland, poeme de Theroulde . . . aecompagne d'une
traduetion par Franeois Gen in. Paris. 8. Nach A. Enthält Bruchstücke aus C F.
Darüber Vitet, R. d. d. m., juin 1852; Magnin, J. des sav. 1852 septembre — 1853
mars. Innerhalb der letzteren Zeit fällt ein Aufsatz von Paulin Paris in der Bibl. de L'ec.
des chartes III. Serie, II. Bd. Mit dieser Ausgabe, welche eine heftige Polemik
hervorrief, mag im Zusammenhang stehen
1852. Guessard, Franeois. Lettre sur les variantes de la Chanson de Roland. Paris. 8".
„ Andere Prosaübersetzung von Genin in der Revue de Paris, auch im Separat
abdrucke. Paris. 8". Inzwischen war erschienen
1851. III. Ausgabe. La Chanson de Roland, berichtigt und mit einem Glossar versehen
von Dr. Theodor Müller. Göttingen. 8. Nach A. Die erste allein erschienene Ab-
teilung enthält den Text und kritische Bemerkungen. Mir ist über diese Aus
gäbe keine Recension begegnet.
[20 LITTERAT l'K.
im Anfange findet man eine Versetzung der Tiraden zwischen XX und XXIV *),
denen 2 0 — 2 5 **) entsprechen. Sie scheint zwar nicht durchaus nothwendig,
sie bringt aber doch die Erzählung in einen natürlicheren, geregelteren Gang.
Vollkommen zu billigen ist die Versetzung von CXII — CXIII nach CXXIV,
wodurch einerseits die Worte Marsilies veit de sa gent li martirie', welche beim
ersten Eintreffen des Königs wohl unpassend sind, andererseits das Lob, welches
in der Tir. CXXVI Roland dem Erzbischofe spendet, verständlich werden. Auch
die Theilung von CXXIII in zwei Tiraden, zwischen welche CXXIV eintritt,
ist zu genehmigen, um das Darauffolgen zweier Tiraden mit gleicher Assonanz
zu vermeiden***,). Sehr schwer zu rechtfertigen scheint mir die Einschiebung der
A ganz unbekannten Tirade 111. Man findet deren Inhalt, wenn auch nicht
den Wortlaut, in D (Mich. S. LXIII) und bei Bourdillon; in der Gestalt, wie
sie uns die Übersetzung vorführt, wird sie wahrscheinlich in F enthalten sein.
Allerdings mag hier eine Verwirrung statt gefunden haben : die neu hinzuge-
kommene Tirade aber macht, meiner Ansicht nach , das Übel nur noch größer.
Machen wir uns die Stelle gegenwärtig.
Bis 108 siegen immer die Franken. — 109 V. 1 — 6. Franken und
Heiden kämpfen gut. Mancher Franke stirbt. V. 9 — 16. Karl ist sinnlos und
weint. — Schon der erste Theil könnte verdächtigt werden, indem bis jetzt die
Franken immerfort als siegreich, die Heiden als geschlagen erscheinen; indessen
zeigt der Vergleich mit 110 und 112, daß hier noch nachträglich erzählt wird,
daß wenn auch die Heiden eine gänzliche Niederlage erlitten, sie es dennoch an
Tapferkeit nicht ermangeln ließen und daher die Franken manchen Verlust zu
*) Zur leichteren Orientierung werde ich die Tiraden bei Michel mit römischen,
die bei Hertz dagegen mit arabischen Chiffern bezeichnen.
**) Um eine mehr, weil XX getheilt wurde. V. 1—6 entspricht 20; V. 7— 22=2:3.
Eben so wurde XXV ganz richtig in 26, 27 aufgelöst, denn wenn auch die Assonanz
immer in E ist, so ist sie doch in den ersten sechs Versen weiblich, in den übrigen aber
männlich. Nur scheint es mir nicht zu billigen, daß schon der 6. Vers zu 27 gezogen
wurde; denn einerseits müßte dann im zweiten Hemistiche 'vos en orrez noveles' das
Wort orrez an das Ende des Verses kommen, was eine Silbe zu viel geben würde, an-
dererseits bliebe die gewiss sehr harte Wiederholung des Zwischensatzes 'dist Guenes'
in zwei unmittelbar auf einander folgenden Versen. Rechnet man dagegen den 6. Vers
noch immer zur 26. Tirade, so bedarf es keiner Veränderung, und die zwei Reden
Gucnelons gehören zwei verschiedenen Tiraden.
***) Ist es ein festes Gesetz , daß zwei Tiraden mit gleicher Assonanz nicht auf
einander folgen dürfen? Oder mit anderen Worten soll, so lange die Verse miteinander
assonieren, keine neue Tirade angenommen werden? Hertz, oder richtiger Hofmann, scheint
sich dieser Ansicht in so weit zuzuneigen, als der Sinn nicht nothwendig eine Pause
erfordert. Man findet wenigstens CvH— CVIII = 10f), CXCVni— CXCIX = 202, CCXI
— CCXH = 214, CCXXIX— CCXXX = 232, wo überall bei gleicher Assonanz die Er-
zählung ohne Unterbrechung fortschreitet. Indessen wäre noch bei den anderen Fällen,
wo zwei gleich assonierende Tiraden auf einander folgen, zu erwägen, ob wirklich überall
der Sinn eine solche Spaltung erfördert. So bei VIII— IX, XXXIX— XL, LXXV ■ LXXYI,
(I.YIII-CLIX, CLX] CLXII, CXCV-CXCVI, CCXXTV - CCXXV , CCXLVI—
CCXLVTI, ja (VXXX1I — CCXXXIII— CCXXXIV, welche letztere alle die männliche
O-Assonanz haben, und besonders was CCXXXII— III betrifft, innig zusammengehören.
Vgl. Magnin im Journ. des Sav. 1852 S. 774. Noch möge bemerkt werden, daß, wie
Genin, auch Hertz den letzten Vers von CXC (=194) zur folgenden Tirade zieht. Wie
der Vers li dui niessage descendent al perrun ohne eine bedeutende Veränderung zur
weibl. [-Assonanz stimmen könne, sehe ich nicht recht ein.
LITTEKATUE. 121
beweinen haben. Der zweite Theil aber ist entschieden am unrechten Platze.
Es ist daher nur zu billigen, wenn H. denselben einklammerte.
110. V. 1 — 8. Lob der Franken, alle schlagen gemeinsam und die
Heiden sterben tausendweis . V. 9- — -11. Mehrere Franken sind gestorben.
V. 12 — 26. Stürme, Hagel, Erdbeben verkündigen den Tod Rolands. — V. 1 — 8
verbinden sich ganz gut mit der vorhergehenden Tirade (natürlich von der zweiten
Hälfte abgesehen); V. 9 — 11 erwähnen der Verluste der Franken*); was von
V. 1 2 an folgt, ist an dieser Stelle durchaus unpassend. Wir wohnten bisher
nur dem Siege der Christen bei; wie sollte nun plötzlich die Rede vom Tode
Roland's sein, jenes Kriegers, welcher erst nachdem alle seine Gefährten über-
wältigt sind uuterliegt? Es ist daher zu wundern, daß, während in der vorigen
Tirade der zweite Theil, welcher im Nothfalle doch vertheidigt werden könnte,
von H. H. mit richtigem Gefühle als an diese Stelle nicht gehörig bezeichnet
wurde, hier jede Andeutung eines Zweifels fehlt.
111 ist eingeschoben. V. 1 — 28. Margariz holt Marsilie. V. 29 — 39.
Die Franken rufen die Pairs an (ohne -daß jedoch von der wirklichen Ankunft
des Heidenkönigs etwas gemeldet wird), aber Turpin und Roland sprechen
ihnen Muth zu.
112. Lob der Franken. Sie sind eben beschäftigt ihre Leichen aufzusuchen,
als Marsilies kommt. Nimmt man die Einschiebung von 111 als echt an, so ist
allerdings diese Tirade ganz unpassend, weshalb sie auch H. einklammern mußte;
verwirft man aber diese Einschiebung, so schließt sich 112 ganz genau an den
ersten Theil von 109 und 110 an. Es ist derselbe Gedanke, welcher, wie so
oft, dreimal wiederkehrt. Uns Margaris vorzuführen, wie er zu Marsilie geht
und ihn zum Kampfe auffordert, ist ganz in der Manier der späteren Erweite-
rungen; der Recension von A liegt weit näher die Sache so darzustellen, daß
während die Franken eben beschäftigt sind, ihre Leichen aufzusuchen, da steigt
Marsilies auf mit seinem Heere . Dieser einzige Vers sagt Alles. Wenn er
kommt, so wird er wohl Kunde von der Niederlage der Seinigen bekommen
haben. Man erwäge auch Dieses. Der zweite Theil von 111 enthält Tröstungen
des Turpin, die fast mit gleichen Worten in der Tir. 114 wieder vorkommen;
und zwar nicht in der Weise der gewöhnlichen auf einander unmittelbar fol-
genden Wiederholungen, sondern in einiger Entfernung und in anderem Zu-
sammenhange, was uns deutlich zeigt, daß wir hier nur zwei ganz verschiedene
Redactionen vor uns haben, welche man zusammen gehen lassen will. Wenn mau
also überhaupt etwas an dem Texte rühren will, so sollten, meiner Ansicht nach,
die Tiraden iu nachstehender Ordnung folgen: 109, 1 — 8. 110, 1 — 11 (vielleicht
auch nur 1 — 8). 112. Dem zweiten Theile von 109 und 110 wären dann ge-
eignetere Stellen zuzuweisen; letzterer z. B. könnte sich an 174 (CLXXl)
füglich anschließen.
Mit den anderen hinzufügten Versen wird man sich im Allgemeinen viel
leichter einverstanden erklären. So z. B. 16, 13: Schicket ihm als Boten einen
der Barone , ein Vers, ohne welchen die gleich darauffolgende Frage des Kaisers
geradezu unverständlich ist. In F (Romv. 17, 12) lautet der Vers: De li uostri
*) Freilich heißt es hier: verloren geht der Franken bestes Rüstzeug', was mit
der früheren Aussage, daß 'Alle1 noch kämpfen und alle zwölf Paü-s noch rüstig und
kampflustig sind, iu einem ziemlich grellen Widerspruche steht.
122 LITTERATUR.
baron uos li manda u'. Vgl. auch Hist. litt. 22, 754. Tir. 13G, 8; 157, 3
sind die zwei Verse von A, welche von Mic. aus Unachtsamkeit weggelassen,
und später von Genin aufgenommen wurden. Daß besonders der erste von un-
gemeiner Wichtigkeit ist, ist hinlänglich bekannt. 2 9, 3; 5 8, 4 (F que jusque
l'os la carne l'a trencie); 71, 5 — 6; 120, 9; 124, 6; 125, 10; 127, 24;
13 5, 18; 22 9, 10 (schon bei Gen.); 248, 8 (id.) sind weitere Zusätze, welche
entweder unerlässlich nothwendig oder wenigstens zum leichteren Verständnisse
höchst willkommen sind.
Weggelassene Verse. — In der Tir. 13 6b ist zwischen 5 — 6 ein Vers
abgefallen, welcher allerdings nicht durchaus nothwendig ist, den man aber viel-
leicht ungerne vermissen wird. Zwischen der Angabe die Franken steigen ab
und sie sprengen drein , scheint die, daß sie es destrers muntent nicht geradezu
überflußig. Weit mehr wird man bedauern den Abgang eines Verses zwischen
2 und 3 von Tir. 154. Es ist die Rede von den letzten Kämpen des christ-
lichen Heeres, Roland, Walter, Turpin; jedem widmet das Gedicht einen Vers
des Lobes und der Eine will nicht von dem Anderen lassen . In der Über-
tragung wird aber nur der zwei ersteren gedacht, der Erzbischof geht leer aus.
Ich kann daher an eine vorsätzliche Auslassung hier nicht glauben , und ver-
muthe eher ein kleines Versehen. Tir. 27 9 zwischen 8- — 9 ist der Vers puis si
li servet par amur e par feid uuübersetzt geblieben. Etwa weil er in der fol-
genden Tirade wieder vorkommt f Aber gerade dieser Umstand sollte ihn
schützen, denn vielleicht an keiner anderen Stelle des Gedichtes findet sich eine
früher berathene Rede so genau wiedergegeben, wie eben hier. Und diesen echt
volksma'ßigen Zug sollte man doch nicht verwischen *). Warum ist Tir. 284
neben Sporen, Halsberg, Schwert, Schild und Lanze der Helm vergessen worden
Lur helmes clers unt fermez en lur chefs ? — Tir. 29 3 zwischen 9 — 10 fehlt
der Vers Guenes est turnet a perdiciun grant . Er scheint mir wegen des si
nerf von Vers 10 nothwendig. Auch Gen. ließ ihn weg, aber ohne irgend
eine Bemerkung. Wenn dann Tir. 9 3 zwischen 21 — 22, 2 03 zw. 8 — 9, 262
zw. 2 — 3 (schon bei Gen.), 274 zw. 10 — 11 je ein Vers und endlich die drei ersten
Verse von 29 5 (schon bei G.) ausgelassen wurden, so kann dies weder aus-
drücklich genehmigt noch missbilligt werden. Es sind eben Verse die man leicht
vermisst, welche aber auch nicht so störend sind, daß ihre Entfernung geboten
wäre. Vollkommen zu billigen scheint mir hingegen, daß der vorletzte Vers von
CLXI (i63) und der fünfte von CCLXXXVII (2 8 9) gestrichen wurde.
An den bisher besprochenen Stellen muß natürlich Hertz zunächst der
Rcdaction Hofmanns gefolgt sein; im Übrigen aber mag er sich, nach der
Vorrede zu urtheilen, an die gedruckten Texte gehalten haben, und nur an
zweifelhaften Stellen die neue Recension zu Rathe gezogen haben. Der IL
Übersetzer scheint bloß zwei Ausgaben gekannt zu haben, die von Michel und
Genin. Ich gestehe, daß es mich eben so überraschte als befremdete, die von
Theodor Müller gänzlich übergangen zu sehen. Es ist ein kleines Büchlein,
nicht zu vergleichen mit den stattlichen Bänden der zwei französischen Heraus-
geber, aber ein schönes Beispiel jenes Fleißes und jener Bescheidenheit, welche
') Findet sich doch bei II., eben so wie bei Gen,,- in dieser zweiten Tirade der
Vers Todt ist Roland, wir sehen ihn nimmermehr', welcher hei A fehltund nichts anders
ist als eine wörtliche Wiederholung des 9. Verses von 279.
LITTERATUK. ] 23
deutsche Gelehrte so sehr auszeichnet. Müller hatte nur sehr spärliche Behelfe,
und dennoch gelang es ihm auf wenigen Seiten eine Menge von scharfsinnigen
Bemerkungen zusammenzubringen, und Verbesserungen vorzuschlagen, welche zum
Tlieile durch den von Gen. gesammelten kritischen Apparat bestätigt wurden,
zum Theile aber, wie gerade unsere Übersetzung zeigt, noch nicht genügende
Berücksichtigung gefunden haben. Es ist nur zu bedauern, daß Müller mit allzu
ängstlicher Gewissenhaftigkeit selbst die überzeugendsten Verbesserungen nicht
in den Text aufzunehmen wagte und dadurch die praktische Brauchbarkeit seines
Buches, besondere bei Vorlesungen, bedeutend schmälerte. Mit den französischen
Herausgebern kann sich H. Herz natürlich nicht zufrieden erklären. Michel war
wohl der erste, welcher den Schatz hob und daher einiger Nachsicht bedürftig,
it verfuhr aber nicht selten mit ziemlicher Flüchtigkeit; Genin gab sich viel
Mühe, ließ A einer neuen Durchsicht unterziehen, sammelte Varianten, benützte
jedoch das gewonnene Material auf seine nur zu bekannte Weise, und erlaubte sich
häufig genug Veränderungen, welche durchaus unberechtigt sind*). Wenn aber
II. Hertz klagt , daß die vorhandenen Ausgaben von Unwörtern und falschen
Lesungen strotzen, so ist sein Vorwurf, besonders Gen. gegenüber, ein solcher?
welcher durch Vergleichung des Textes des letzteren mit vorliegender Über-
setzung als nicht genügend gerechtfertigt erscheint. Bei weitem die meisten Ab-
weichungen, welche Hertz in Vergleich zu Michel bietet, sind schon bei Gen.
zu treffen, und die Anzahl der Fälle, wo er weder der einen noch der anderen
französischen Ausgabe folgt, weil beide Unsinniges enthalten, ist sehr gering.
So wenig also auch die von Mich, und Gen. besorgten Texte als kritisch ver-
lässlich anzusehen sind, so ist dennoch der Vorwurf vom Standpunkte einer
Übersetzung aus als ein zu harter zu bezeichnen. Die Arbeit des H. Hertz ist an
und für sich so verdienstlich, daß sie sehr leicht auf ähnliche Vergleiche Ver-
zicht leisten kann.
Mit Vergnügen sah ich in der Tir. 38, 13 die Übersetzung Keller's be-
stätigt. Die Originalstelle lautet: n'en est dreiz que plus muet . Das letzte Wort
stört die I-Assonanz und gibt keinen Sinn. Müll, bemerkt nichts; Gen. entgeht
der Schwierigkeit dadurch, daß er den Vers streicht. Und doch braucht man
nur die drei Striche, welche das m bilden sollen, als ui aufzufassen, um das
richtige Wort tauet zu erhalten. Schon bei Keller liest man : daß er nicht mehr
zu leben verdient'. Und ebenso H.: nicht länger soll er leben . Nicht weniger
befriedigend ist die Veränderung von gerun (28 0, 7) in f/ernun, welche aus der
Übertragung keinen Bart' zu schließen ist.
7 7, 2 bis zur Meeresküste gibt das wohl einzig richtige entresques ä
la marine von F wieder. A entresqu' Ascaz marine; C a Samarie ; Gdn. vermuthete
ä Scamarine, was er mit Piratenstadt erklärte.
80, 1. Statt pin ist pui richtig gelesen worden. Schon Michel bemerkte,
daß die Handschrift beide Lesungen gestatte, und Müller hatte sich durch den
*) Es mögen nur ein Paar Beispiele für die Art seines Verfahrens genügen. III,
yijil hat A ejo n'ai nient de mal' in der E-Assonanz. Gen. setzt ohne Weiteres rpour
obtenir une rime' aus C 'ne suis point empire'. Hütte er nach Die/, faltrom. Sp'rdkm.
<ü OC\ <.!„ ..,„1 . • ..i' 1 __ _ •• 1_ * 1 1 , T ■ «■ •,!-,. ,-.- •
,. rcp;.-_.
das Ende des Verses, um das Richtige zu treffen.
J24 LITTEEATUR.
Vergleich der Stelle bei Bourdillon und Konrad bestimmt gefunden, pui den
Vorzug zu geben. Es passt auch gewiss weit besser, wenn Oliver, der besonnene
würdige Held, um die Bewegungen der Feinde zu erspähen , einen Hügel be-
steigt, als wenn er auf eine hohe Fichte hinaufklettert. Man kann aber im
Verse selbst eine Bestätigung dieser Lesart finden. Er lautet bei Mc. Oliver est
desur un pin haut muntez . Nach der Bemerkung Genin's sind die zwei letzten
Worter erst nachträglich und von anderer Hand hinzugefügt worden. Um dem
Verse, der eine Silbe zu viel hat, aufzuhelfen, setzte nun Gen. statt desur bloß
sur. Einfacher wäre es gewesen den 1. Vers der folgenden Tirade zum Vorbilde
zu nehmen und haut, eines der später hinzugeschriebenen Wörter, zu streichen.
In jedem Falle aber bleibt am Ende des Verses muntez, welches Wort in der
U-Assonanz nicht passt. Müller, welchem freilich der Umstand unbekannt war,
daß der Vers später corrigiert ward, meinte, man dürfe keine Veränderung vor-
nehmen. Wir können aber mit einiger Zuversicht sagen , daß in der ursprüng-
lichen Lesart von A Olivier est desur un pin nur das Wort montez nach est
einzuschalten und pui zu lesen ist. Daraus bekommt man den ganz richtigen
Wers c01iver est montez desor un pui , welcher vollkommen in die männliche
U-Assonanz passt.
Der Eber (vers) von Tir. 58 ist bei H. ein Bär. F hat in der That un
ors . . . in does caenes'. Und der Vergleich mit 186 bestätigt diese Lesart. Nicht
so überzeugend dagegen ist Löwen statt urs in der Tirade 185. Konrad (245,
19) hat beides Mewen und beren . Bourd. bloß urs. Die Lesart von A spricht
schon deshalb mehr an, weil später ein einzelner Löwe , der König der Thiere,
vorkommt, um mit dem Kaiser zu kämpfen.
115, 3 qui pas ne fut produme der floh vor keinem Menschen. Ob
letzteres richtiger? Freilich ist jetzt die Reihe zu siegen an den Heiden, so
daß das Lob ihrer Tapferkeit, welches ihnen überhaupt nie vorenthalten wird,
am allerwenigsten hier unangemessen erscheinen darf; indessen wäre doch zu
erwägen, daß Climorin in Verbindung mit Geneion, dem Verräther, gebracht
wird, daß es von ihm heißt er wollte schänden unserer Väter Land .
40, 4. Die Stelle ist verderbt. Guaz vos en dreit par cez pels sabelines .
Müller macht verschiedene Besserungsvorschläge, Gen. liest Guaz vos en dei ,
und beide fassen die Stelle so auf, daß Marsilies dem Geneion einen Pelz als
Ersatz für die ihm angethane Schmach bietet. Keller übersetzt: Hüllt Euch alsbald
in diesen Zobelpelz'. Auch Bourd. Ces peax de martre vos doins par amendie .
Bei IL liest man: 'Empfangt ein Pfand für Eure Zobelpelze. Es scheint hier
Bezug genommen zu werden auf den (3 6, 12) von Geneion abgeworfenen Zobel-
mantel. Worin besteht aber das Pfand?*) Wie gesagt, die Stelle ist dunkel,
und der II. Übersetzer hätte hier gut getban , in den Anmerkungen den Vers
im Originale nach der ihm vorliegenden Recension mitzutheilen.
Auch an folgender Stelle (9 5, 23) mag die von der gewöhnlichen Auffassung
abweichende Übersetzung auf verschiedener Lesung beruhen. Nuveles vos di, mort
vos estoet suffrir . Allerdings ist im ersten Ilemistich, wie man es bisher aus-
legte ( wisset es, das sage ich euch, u. s. w. ) weder Sinn noch Ausdruck recht
*) Delecluze, welchem die große Freiheit seiner Übersetzung es möglich machte,
sich nach Bedürfniss seinen Text einzurichten, hat : "Vous avez gäte ä ce moment des peaux
zibelines . . . avant demain . . . la reparation de cette perte sera belle'.
LITTERATUE. 125
befriedigend. Was soll aber bedeuten Und einen neuen Tod sollt ihr erleiden ?
Es wäre wohl zu hart, den Ausdruck neuen Tod auf die früheren Niederlagen
der Heiden zu beziehen.
Die gewiss verdorbene Stelle CLXXII, 5 — 6 Deus! meie culpe vers les
tues vertuz De mes pecchez etc. , welche MI. nach B in m. c. rend as t. v.
bessern wollte, wird nach F: Deus miserere per la toa vertu durch Erbarm'
dich, Herr, um deiner Tugend willen übersetzt.
2 15, 5 statt Biterne findet man Gironde . Der G.Vers tient sun espiet,
si'n fait brandir la banste , dessen letztes Wort, eben so wenig wie Biterne
im vorhergehenden, in die U-Assonanz passt, wird wie folgend übersetzt: nimmt
in die Hand die Lanze von Blandone . Die Abweichung ist ziemlich stark,
stärker als der kleine Verstoß es erfordern würde.
Überhaupt findet man hie und da die Lesarten von A durch andere ver-
drängt, ohne daß die Notwendigkeit einer solchen Veränderung recht einleuchtete.
So gleich im Anfange, Tir. 5. Marsilies verspricht seinen Baronen Silber, Gold,
Länder. Sie erwidern darauf nach A De 90 avum nus asez . Der Ausdruck ist
gerade nicht höflich; soll man aber deshalb der Variante von F: Ben dis nostre
avoge den Vorzug geben? C bietet: bien s'en doit hom pener.
Nicht selten finden sich Abweichungen in den Zahlen, welche in den ein-
zelnen Handschriften schon durch die Bezeichnung mit Ziffern großen Schwan-
kungen unterworfen sind. Im Allgemeinen scheinen mir die Veränderungen,
welche H. vornahm, zum Vortheile des Textes zu gereichen. So wird T. 5 4
statt cent richtiger sieben gesetzt; der Calif flieht nicht mit 400 tausend Mann
(T. 55), was Karl wahrscheinlich auch nicht hätte glauben wollen, sondern bloß
mit dreitausend *). Gen. hat 300 tausend. Tir. 2 22 hat A im ersten Hemistich
xi milie ; diese kleine und ungerade Zahl geht wohl nicht an; Bartsch bemerkte
richtig (Karl Meinet, S. 120), daß xl zu lesen ist. Hertz hat r dreißig . Da milie
mit dem Accente auf dem ersten i, also zweisilbig auszusprechen ist, so fordert
das Versmaß quarante', wenn man anders nicht mit Gen. das Wort ben am An-
fange des Verses hinzufügen will. — Tir. XIV, 10. A liest De ses paiens
veiat quinze . Mich, setzte um den Vers zu vervollständigen milies nach quinze.
Da der Vers noch immer um eine Silbe zu kurz ist, schrieb Gen. enveiat. Daran
hatte er wohl recht, da ein Verbum veier für enveier nicht vorkommt; hätte er
aber Orelli's treffliche Bemerkung (Altfr. Gr. S. 7 9) berücksichtigt, so würde
er das milie entschieden abgelehnt haben. Handelt es sich doch hier nicht von
einer Armee, sondern von einer Botschaft. Auch Konr. (40, 2) bloß vunfzehen
graven . F und Bourd. weichen ab. Zur Herstellung des Verses schlägt Mül.
vor, das zweite Hemistich 'vos enveiat quinze zu lesen, wo also enveiat vier-
silbig wäre. Ich würde vorziehen, vor vos noch ein Wort, welches dem 'einst
von H. entspräche, zu setzen. «
Auch in Bezug auf Eigennamen findet man einige Unterschiede. Von den
weniger wichtigen absehend, will ich die treffliche Emendation erwähnen , durch
welche in der Tir. 6 4 an die Stelle der unbekannten oder, besser gesagt, ver-
stümmelten Namen Joces , Jastors, Guifier die richtigen Otes, Sansun, Engelier
*) Im Hemistich e :vi iij. c. armez' fehlt aber eine Silbe. Besser ist es also aus
A mir 'milie' zu streichen, iiij aber beizubehalten: 'vi iiij. c. armez1 gibt das richtige
Versmaß.
]2(j I.ITTKhWTl'W.
hergestellt werden. Ebenso wünscbenswerth wäre es aber gewesen, daß man der
überzeugenden Bemerkung Ml.'« zu Tir. 9 6 Rechnung getragen und statt En-
gelier den allein richtigen Namen Gerina gesetzt hätte. Dann würde unter den
Pairs, von denen jeder seinen Heiden erschlägt, nicht Gerins vermisst werden,
Engelier würde nicht zweimal vorkommen und es hieße nicht von ihm, daß
Gerer sein Gefährte war. Aucb Walter geht, wie Ml. ebenfalls bemerkt, in
der T. 101 nicht an, denn er ist schon früher von Roland in's Gebirg geschickt
worden. D hat Hues (häufig mit Otes verwechselt); Bourd. Öles ; Konr. Haue.
Zu erwägen wären noch die Zweifel Ml. 's über den Namen Marganices (Anru.
zu V. 191 1) und der Vorschlag (zu 3017 ff.) Naimes und Jozerans nicht als Mit-
anführer der ersten Schaar anzusehen. Eine andere Stelle endlich, wo eine
offenbare Unrichtigkeit vermieden worden wäre, wenn man die Ausgabe Ml. 's
gebührend berücksichtigt hätte, ist folgende. In der Tir. 193 beauftragt Ba-
ligant seine Boten, dem Könige Marsilie den Handschuh und eine Unze reinen
Goldes cest uncel d'or mer zu überbringen. Und wenige Verse darauf wiederholt
er, sie sollen den Handschuh und den Stab tragen. Als sie sich des Auftrages
entledigen, übergeben sie Stab und Handschuh , welche zwei Gegenstände auch
bei Gelegenheit der Botschaft Carl's an Marsilie vorgekommen waren. Vgl. Tir.
17, 19, 21. Man bemerke endlich, daß das angeführte Hemistich um eine
Silbe zu kurz ist. Liest man dagegen mit Ml. 'cest bastuncel , so ist alles in
der Ordnung.
Zur Übersetzung selbst nur noch ein Paar unbedeutender Bemerkungen.
26, 1 Den Handschuh hielt frz. li tent . Der Ausdruck reichen schiene mir
besser in den Zusammenhang zu passen. — 92, 5. Die Worte die hier geblieben
u. s. w. beziehen sich auf die Hinterhut; auch Keller übersetzt: 'die, so hier sind :
mir scheint aber, die Originalstelle eil ki Va sunt auf die Armee Karl's zu
deuten. — Ist die Veränderung von vermeils in grün (7 9, 6) absichtlich V
Bei einer so genauen Arbeit wie die vorliegende, kann man selbst bei der ge-
ringsten Kleinigkeit nicht an Willkühr oder Unachtsamkeit glauben. Vergönnte
man etwa nicht den Heiden die Farben blau weiß roth, welche später die Franken
zu Felde trugen, und die nach der vielleicht nur witzigen Bemerkung Genin's
noch immer in der französischen Tricolore erscheinen? — 13 2, 10 'Zum Unheil
zeigt ihr Eure Tapferkeit . Möge man proecce oder parecee lesen, so bezieht sich
in jedem Falle das Verbum auf die frühere Weigerung Roland's das Hörn zu
blasen: mar la veismes ; das Präsens halte ich daher für nicht sehr passend. —
240, 2 die zwölf Könige. Ein kleines Versehen, es sind deren nur zwei. Vgl.
T. 233 und 234. — 256, 8 Des francs barons i ad mult grant damage der
Frankenritter . Ich hätte lieber das Wort francs als Adjectivum aufgefasst, denn
hier wird die Tapferkeit der Heiden nicht weniger gerühmt als die der Franken.
Vgl. in der vorletzten Tiraxie cune caitive franche' von Bramimunde. — Was
bedeutet racaler radialer in den zwei Stellen CXXXVI (l 38), 4 und CCXXX,
5 (232, ll)? H. folgte der Übersetzung von Gen. und dem Glossare von Henschel,
nach welchen dieses Wort antworten, widerhallen bedeutet. Ich kann aber nicht
verstehen, was z. B. an der zweiten Stelle mit hellem Hörn giebt Antwort
er den Freunden 'D'un graisle cler racatet ses cumpaignz bedeuten soll. Nicht
deutlicher wird die Stelle, wenn man mit Kell, 'ses -cumpaignz als Subject auf-
fasst: mit einem helltönenden Ilorne antwortet sein Geselle. Ich schließe mich
daher der Ansicht Gachet's in seinem Glossar zum Chevalier au eygne etc.
LITTERATUR. 127
(Bruxelles, 185 0) an, welcher das Wort mit ital. accattare raccattare aus ad-
capi&re in Verbindung bringt und ihm die Bedeutung 'versammeln beilegt.
Und hiemit will ich von dem anziehenden Buche Abschied nehmen, indem
ich dasselbe noch einmal der Aufmerksamkeit jedes Freundes der Litteratur recht
warm anempfehle und zugleich dem innigen Wunsche Ausdruck leihe, daß die
in Aussieht gestellte Recension Ilofinann's uns recht bald erfreuen möge.
2. Zu den drei französischen Prosaübersetzungen des llolaudsliedes tritt
nun endlich eine vierte poetische hinzu. Man durfte sich in der That wundern,
daß die Franzosen , wenn auch zu Übertragungen in Prosa sehr geneigt, doch
bisher keinen Versuch gemacht hatten, ein so wichtiges Denkmal ihrer National-
litteratur auch in poetischer Form allgemeiner zugänglich zu machen. Jetzt scheint
dies aber gar von zwei Seiten auf einmal geschehen zu sein; wenigstens sagt
J. Michelet in einer Zuschrift an den Übersetzer: 'Je lis dans l'Opinion natio-
nale du 12 (aoüt 186 0) que vous avez un coneurrent, M. Assolant, qui vient
de donner la mort de Roland . Wenn damit wirklich eine Übersetzung unseres
Epos gemeint ist, so kann man sich der Hoffnung hingeben, daß sie ihren Zweck
vielleicht mehr erreicht habe, als die Arbeit, welche wir hier besprechen. Denn
was H. Jönain uns bietet, kann man mit dem besten Willen nicht für das gelten
lassen, was es sein will. Er bringt wohl lobende Zeugnisse bei, und von Männern
von gutem Geschmacke, wie von Jules Michelet und dem liebenswürdigen neu-
provenzalischen Dichter Fr. Mistral ; sie werden aber gewiss nicht vermögen,
Jene zu überzeugen, welche von einer Übersetzung eine treue Darstellung des
Originals erwarten. H. Jönain sagt in seiner Vorrede, S. XIII: J'ose traduire
le Roland presque vers pour vers. Mais voiei que j'ose plus encore: l'abreger .
Das erste Wagestück findet sich aber in seinem Buche nur sehr selten : in einem
um so ausgedehnteren Maßstabe führte er das zweite aus. Man hat schon lange
bemerkt, daß mit dem Tode Roland's das Interesse um ein Beträchtliches sinkt,
daß die langwierigen Kämpfe zwischen Karl und den Heiden manchmal als eine
ermüdende Wiederholung erscheinen. Es mag hier allerdings eine Erweiterung
der Sage stattgefunden haben ; sie muß aber wohl in eine Zeit verlegt werden,
wo die Tbaten Karls und Rolands noch in einzelnen Volksliedern gesungen
wurden, in eine Zeit also, welche vor jener liegt, wo aus den einzelnen, älteren
und jüngeren Liedern das Volksepos von Roland entstand, von welchem uns in
A, wenigstens dem Grundstocke der Sage nach, wahrscheinlich die älteste Fassung
bewahrt ist. Denn in dem Epos selbst stehen diese Zusätze in einem zu innigen
organischen Zusammenhange mit dem Ganzen , und sie dürfen daher durchaus
nicht verworfen werden. H. Jönain aber war anderer Meinung , und demnach
behielt er vom 4. und 5. Gesänge Genin's nur einige Bruchstücke: den Tod
Alda's, das Urtheil über Geneion mit dem Zweikampfe zwischen Thierry und
Pinabel und die Taufe der Bramimunde. Nicht weniger willkürlich verfährt
er mit dem, was er der Mittheilung werth findet. Schlachtbeschreibungen werden
bedeutend abgekürzt, Wiederholungen fast immer gestrichen: als Ersatz lässt er
hie und da seiner Phantasie freien Lauf. Das Gedicht sagt z. B. von den Kriegern,
welche ihrer Heimat bedenken, mit wirksamer Einfachheit les remenbret. . . des
pulceles e des gentils oixurs , H. Jon. macht daraus :
La tendre vierge en penser des absents
La noble L5pouse aux pnrs embrassements !
und gibt dann aus Eigenem hinzu :
Que les hauberts cachent de battements !
128 LITTEEATUE.
Man hat bemerkt, daß im ganzen Epos nur ein Gleichniss vorkommt. Dies
könnte als ein Nachtheil angesehen werden , und H. Jon. hilft dem bei Gele-
genheit ab. So stürmen bei ihm die feindlichen Heere an einander
comme trombes formees
D'ire, de foudre et de destruetion.
Wenn nichts dergleichen sich im Texte findet, so soll dies nur unsere Dank-
barkeit für den schönen Zusatz vermehren. Auch mit dem richtigen Verständ-
nisse des Originals steht es nicht immer gut. Da aber H. Jon. erklärt, Genin
gänzlich gefolgt zu sein, so trifft eigentlich der Vorwurf nur diesen. Unter die
sonderbarsten Missgriffe gehört aber jedenfalls die Auffassung von V. 685 der Uli.
Tirade, nach welcher der Khalif aus lauter Ungeduld, Christ zu werden, das
Lager Marsilie's verlassen hätte.
Ich will aber die Leser und mich selbst nicht länger aufhalten. Man mag
das Büchlein gerne lesen, man wird vielleicht selbst von demselben entzückt' (ravi
sagt Mistral) sein : man wird aber immerhin behaupten können, daß die Fran-
zosen auch durch diese neue Übersetzung nicht in den Stand gesetzt worden sind,
ihr erstes und größtes Nationalepos in seiner echten Gestalt zu genießen.
WIEN. ADOLF MUSSAFIA.
Neues Hausbuch für christliche Unterhaltung. Herausgegeben von Dr.
Ludwig Lang. VIII. Band. Augsburg 1861. Schmid'sche Verlagsbuch-
handlung. 482 S. 8.
Es verdient dieser Band bei Freunden deutscher Sagenkunde und Mytho-
logie Beachtung, weil er werthvolle Beiträge aus Hannover und Westphalen ent-
hält. Bernhard Müller theilt nicht weniger als 5 3 Sagen und Gebräuche aus den
genannten Ländern mit, darunter manches Neue oder doch in neuer Fassung. So
z.B. Spinnengewebe sind Freier. „Mach mir die Freier nicht weg", sagt im Münster-
lande das Mädchen, wenn es sieht, daß jemand ein Spinnengewebe wegputzen will
(S. 2 2 8). In Sögel sagt man zu den Kindern, die auf fremdem Acker Ähren
sammeln: „Nimm dich in Acht, daß dich der Komoer nicht kriegt." Den Komoer
denkt man sich als den Beschützer der Kornfelder, ebd. Im Monde sitzt ein Mann,
der näht ein Hemd. Jedes Jahr macht er einen Stich, und wenn das Hemd fertig,
dann vergeht die Welt, ebd. Ein Weißbrod heißt Stuten. Wer die letzte Kruste
vom Stuten bekommt, muß weinen. Die erste Schnitte heißt aber das Lachköstken
(S. 2 30). Wir haben hier zweifelsohne die Erinnerung an ein altes Gebildebrod, das
eine Stute darstellte. In den Anmerkungen ist mit lobenswertber Sorgfalt auf die
einschlägige Litteratur hingewiesen. Auch aus Tirol enthält dieser Band mehrere
Beiträge zur Sagenkunde (23 5), darunter einen längeren Bericht über Wetter-
glocken und ein interessantes Märchen „der weiße Reiter" (S. 2 3 8).
I. V. ZINGEKLE.
ZU HARTMANN'S EREK.
VON
WILHELM MÜLLER.
Die folgenden Bemerkungen zum Erek mögen sich an die von
dem Herausgeber dieser Zeitschrift (4, 192 fg.) mitgetheilten Verbesse-
rungen anschließen. Wenn sie auch nicht alle das Richtige treffen, so
werden sie doch die Erkenntniss begründen, daß der Text der Aus-
gabe von Haupt auch nach dem, was Andere bis jetzt dafür gethan
haben, noch manche Stellen enthält, welche der Berichtigung bedürfen.
Wenigstens scheinen mir noch mehrere verdorben zu sein, die ich in
dem Folgenden nicht berühre. Bei einer neuen Auso;abe, die allerdings
wünschenswerth ist , wird es angemessen sein , die Abweichungen der
Handschrift , auch wo sie nur die Schreibweise betreffen , in einem
größeren Umfange mitzutheilen , als es in der vorliegenden geschehen
ist. Die Kritik kann dadurch unter Umständen sehr gefördert werden.
42. sine fraget nihtwan durch guot.
Die Handschrift hat mein fraget nur. Da sie mehrfach Worte aus-
lässt, so wird zu lesen sein : min fromoe fraget wan durch guot.
111. Lies under ougen. Die Hs. schiebt seinen ein, undern die
Ausgabe.
131. L. mit iwem hulden statt in. Vgl. Hartm. L. 22, 4 ich var
mit iuwern hulden.
149. L. do oder nü statt ouch.
166. er tete als der dem leit geschiht.
Die Hs. der dem da. Besser ist es wohl der zu streichen.
199 fg. sioes friundinne den strit
behielt ze siner hochzit,
daz st diu schosnste ivcere,
diu nam den spanvosre.
Die Hs. neme statt nam. Darnach wird behielte und nceme zu lesen sein.
324. der roc was grüener varwe,
gunzieret begarwe,
abehcere über dl.
GEKMANIA VII. q
130 WILHELM MULLER
Da die Hs. giezieret hat, so ist gezerret (zerrissen) offenbar richtiger
als <nntzieret. Vgl. Iw. 4928: ir hemde toas ein sactuoch, gezerret, swarz
wide grnz. Diese Verbesserung, die bereits im nihd. Wß. 3, 877
mitgetheilt ist, rührt von einem meiner Zuhörer her.
377. L. kulter von (statt und) zenddle; vgl. En. 49, 18. Parz. 549, 29.
485 fg. er was gewäfent und ich bluz,
des iz dd benamen gendz.
Das ist dem Sinne nach richtig; aber die Hs. hat ich doch, was von
Lachmann in iz dl) geändert ist , obgleich die Ausgabe sonst immer
ez schreibt, ich kann auch richtig sein, wo dann des ich dd benamen
lützel gnoz oder ähnlich zu schreiben wäre. Vgl. Iw. 700: sin ros was
starc, er selbe groz; des ich vil lützel gendz. In dem ersten Verse ist
wohl ez (daz getioerc) statt er zu setzen.
527. wan sin herze wart ermant
mit dirre rede sä zehant.
Hier vermisst man das Object, daher vielleicht leides wart ermant.
625. Die handschriftliche Leseart dd hiez si (se) kann bleiben.
642. er hete harte missejehen,
sioer ein wip erkande
niwan bi dem geioande.
Es wird missesehen zu lesen sein, wie das folgende man sol einem vnbe
kiesen In dem Übe zeigt.
651. und xoair si nacket sam min hant.
Doch wohl sam ein hant wie Er. 5400 und sonst mehr. Die Hand-
schrift wird sam mein hant haben. Daß Erek hier spricht, verschlägt
nichts; vgl. MS. 1, 69a. Vielleicht ist auch selbst nacket in bloz zu
ändern; vgl. hendebloz.
724 fg. ich hän mich also verre
an der rede uz getan.
Die Hs. hat na der rede uz getan, was bleiben kann; wenigstens wird
sich üz tuon gewöhnlich mit dem Genitiv verbunden. Vgl. Er. 8663.
781 fg. dd von in geliche
vil gar lobeliehe
xo ol diu fünfte just ergie,
daz ir deioeder vertivälte nie.
Die Handschrift hat verwalte, und das ist unbedenklich in vervälte
(fehlte) zu bessern, namentlich da w und v in derselben, wie in andern
Handschriften, mehrfach verwechselt werden, und dem Schreiber die
Tiunierausdrücke, wie andere Stellen zeigen, nicht geläufig waren, ge-
välte findet sich Gregor. 1446. Auch ist wohl V. 781 das so der
ZU HAllTMAKN'S EREK. 131
Handschrift beizubehalten oder in sus zu ändern und V. 786 hinter
zerbrachen ein Punkt zu setzen.
832. Dieser Vers wird von Benecke in der Zeit sehr, für d.
Alterth. 3, 266 geschrieben: zesamne liezens sider gdn. Doch hat sider
kaum eine Beziehung. Es geht auch: zesamne liezen si dar gdn. Die
Hs. hat Hessen si dir.
877. L. ir dewederre statt ir ieheederre.
933. L. von sime (statt vorne) geiioerge. Die Hs. von seine. Vgl.
995. 1030.
939. Daß gegen diesen Vers, so wie er in der Handschrift steht
(uf den heim er verbaut), nichts zu erinnern ist, hat bereits Benecke im
mhcl. WB. 1, 136b. bemerkt.
1023 fg. ezn miiez min frowe diu künecßn
xoider ir lasier geret sin.
Die Handschrift hat irs lasters, und das führt darauf, daß xoider falsch
ist und ein Verbuni mit dem Genitiv da stand. Ich lese deshalb ir
lasier s er geizet sin. Vgl. in dem Folgenden besonders V. 1028: des
sult ir ze buoze stän.
1037. Hier steht besser nach gerochen ein Punkt und V. 1043
hinter geslagen ein Comma.
1114. L. ir statt in. Die Handschrift im.
1124. sus und so ist schwerlich richtig; sus allein genügt.
1247. er gwallte mir mit siner hant.
Die Handschrift hat geweitigt mich. Ich stimme Pfeiffer (Germ. 4,
199) darin bei, daß Lachmann's Versuch diese Stelle zu bessern,
verunglückt ist; doch liegt das von ihm vorgeschlagene er betivanc mich
von der Handschrift zu weit ab. Ich lese er gevalte (fällte) mich. Vgl.
V. 5566, wo gewalte vom Herausgeber richtig in gevalte gebessert ist.
1268. Hinter diesem Verse scheint etwas zu fehlen.
1287. L. von rehte statt mit rehte.
1330. L. rehte statt reht.
1335. Benecke (vgl. mhd. WB. 3, 878b.) zieht es vor der Hs.
mehr zu folgen und liest: daz (oder des) begunde im Erec verzien.
1358. ich mache in riclier, daz ist war.
Das Wort richer fehlt in der Hs. Besser ist: ich mache in rzclie.*)
1440. Hinter diesem Verse ist wohl eine Lücke anzunehmen.
1463. L. erivegte statt errahte-, vgl. Parz. 437, 28.
*) Die einfachste Änderung wäre riche, mache reich, statt mache. Pfeiffer.
9*
132 WILHELM MÜLLER
1784. ze zu streichen.
1857. daz was der rninne ungeicin.
So Lachmann; die Hs. da — gewin. Hiernach wohl: da was der Minne
gewin: da siegte die Minne, was sich recht gut an das Folgende anschließt.
2104 fg. ouch vant man an dem guote
niht vil sinr ebenrlchen.
Kein besonderes Lob für einen König der Zwerge. Ich lese niht stnen
ebenrlclien.
2130. Hier wird doch wohl äze für fräze gelesen werden müssen;
vgl. mhd. WB. 1, 760b.
2134 fg. da von ich iu kürzen wil
ze sagenne von der Wirtschaft.
kurzen ze sagenne ist schwerlich sonst nachzuweisen. Die Hs. wird
ze sagen haben , setzt aber ze vor dem Infinitiv mehrfach falsch. Ich
lese: da von ich iu kurze wil gesagen von der Wirtschaft. Vgl. 6200.
2227. Es wird der bei Hartmann (Er. 5679. Iw. 1 182) sich wieder-
holende Vers ze Britanje in daz lant herzustellen sein. Irlant die Hs.,
ir lant die Ausgabe.
2258. deste greezeren vliz
gäben sine reete
wie erz da wol geteete.
Obgleich das verstanden werden kann, seine Überlegung war um so
sorgfältiger, wie u. s. w., so ist es mir doch höchst unwahrscheinlich,
daß man im Mittelhochdeutschen sagte die raitegehent vliz, wie. Ich schlage
daher vor: deste greezeren vliz gab er an sine rcete. Statt der Präposition
an könnte auch eine andere stehen. Vgl. Hartm. Büchl. 2, 79 ; uf daz
selbe wunschleben so het ich minen vliz gegeben in miner frouwen geweilt.
2283. Nicht State statt mäht? Vgl. Benecke zu Iw. 2197.
2483 fg. im was des äbents geschehen
des groezllchen wart gejehen.
Die Handschrift hat: der ward groslichen geyehen im icas des abends
gescheiten. Darnach lese ich: des wart grazliche im gesehen, swaz des
äbendes was geschehen. Vielleicht ist auch statt grcezliche ein anderes
Wort zu setzen.
2520 fg. daz tet der icortwlse
dem künege Artuse bekant.
Die Handschrift hat zehant, von Lachmann in bekant geändert; außerdem
fehlt der vor worhclse. Ich schlage vor: daz kunte der wortwise dem
künege Artus zehant. Hartmann sagt im Iwein mehrere Male einem
kunt tuon, nicht aber bekant tuon.
ZU HAETMANN'S EREK. 133
2889. den zu tilgen.
2898. und zu tilgen.
2908. zuo swederre siner siten
er sinhalp sach, so fröuter sich.
Die Handschrift hat er sich doch sach, und das von dem Herausgeber
gesetzte sinhalp ist mindestens überflüssig, er do sach reicht aus.
3308. daz er den andern rite.
Fs ist zuo rite zu lesen; vgl. 3315.
3408 fg. und möht man dehein ere
an wibe Uben hegän
ez solde niht so ringe stän.
In dem letzten Verse verlangt der Sinn iuch niht so ringe stän. Ful-
das von Lachmann gesetzte au ivlbe üben hat die Handschrift an
weiben. Dieses kann entweder bleiben, oder es genügt, wenn der Vers
eine Verlängerung nöthig hat, iht an wlben begän.
3550. L. die hende.
3595. ein vor knabe mag bleiben; vgl. mhd. WB. 1, 419b.
3597. Weshalb das handschriftliche daz in des geändert ist, ist
nicht zu ersehen.
3807. ez zu tilgen.
3955. doch ist zu streichen und für deheinen wohl sinen zu
schreiben. Vgl. Iw. 4146.
4009. nu vernemt ivaz irs erholt.
So Lachmann; aber das handschriftliche waz ir tuon solt ist nicht
zu ändern, wie schon Benecke (mhd. WB. 1, 7031'.) bemerkt hat.
4033. von dem släfe er uf erschrac.
Die Handschrift: wider auf. Es sind beide Worte zu streichen; vgl.
Gregor. 3533.
4037. stille schrei er: wdfen!
Daß stille nicht richtig sein kann, ist schon Zeitschr. für d. A. 3, 269
bemerkt. Nach Iw. 3511 und Gregor. 162 schlage ich vor: „wäfen,"
schre er, „wäfen!" oder lüte schre er.
4138. L. nü horte si si zuo varn. In der Handschrift fehlt das
zweite si; die Ausgabe setzt si in.
4221. Vor sioerten wird den einzuschalten sein.
4259. L. da statt do.
4393. Für das unrichtige die schilte ist die schefte zu lesen.
4535 fg. min gebart ich iu nennen sol.
ich warne ez vil wol
von geburt wesen mac.
134 WILHELM MÜLLER
In der Anmerkung wird vorgeschlagen, cz zu streichen. Eher ist das
doppelte gehurt unrichtig und für das erste gesläkte zu setzen. Vgl. 4522.
45(50. ein andr getrüwent eine starke Kürzung. L. ein ander trüwent.
4912. wand er in starc unde guot sach.
Was soll das heißen: er freute sich, weil er ihn gut sah? L. wand er in
gesunden sach.
4945. her ist zu streichen; vgl. 4893.
4948. Das hdschr. wurde braucht nicht in wart geändert zu werden.
4956. Der Sinn erfordert: ob ir im dienstes willic Sit. im fehlt
in der Handschrift.
5052. da, von Lachmann in daz geändert, ist richtig.
5172 fg. ii ich die hant umb leerte
oder zuo gesläege die brä
so fuor si hin und schein doch da.
st lebete ir vil werde.
im lüfte als üf der erde
mohte si ze ruoioe sioeben,
üf dem wage und drunder leben.
Die Stelle gibt zu mehreren Bedenken Anlaß. Was heißt zu-
nächst: die Fee war in kürzerer Zeit als einem Augenblicke weg und
wurde doch da erblickt? Sie konnte an zwei Orten zugleich sein?
Das will der Dichter schwerlich sagen, sondern vielmehr, daß sie sich
in unglaublich kurzer Zeit von einem Orte zum andern begeben konnte.
Dieser Sinn ergiebt sich, wenn man das sä der Handschrift, welches
von dem Herausgeber in da geändert ist, beibehält und dort statt doch
schreibt (so fuor si hin und schein dort sä). Will man aber da lesen,
so muß doch gestrichen werden. Was heißt ferner: die Fee konnte
sowohl in der Luft als auf der Erde schweben? auf der Erde schwimmen
oder fliegen? Eher ist V. 5175 mit dem folgenden enger zu verbinden,
dagegen mit 5177 ein neuer Satz zu beginnen und deshalb slioas statt
was st zu lesen. Hiernach lauten die Verse: si lebete ir vil werde im
lüfte als üf der erde, sie mohte ze ruoioe sweben üf dem wage und drunder
leben d. h. sie lebte in der Luft ebenso behaglich wie auf der Erde, sie
konnte auf dem Wasser schwimmen und unter dem Wasser leben. —
Dabei ist mir freilich der Ausdruck ze ruoioe noch verdächtig, weil (las
kaum etwas anderes heißen kann, als um auszuruhen. Passend wäre mit
gemache.*) Wollte man die Interpunktion des Herausgebers und was si
:) Am nächsten liegt doch wohl geruowec, vgl. Myst. II, 233, 22. 207, 6. Megen-
bere S. V,\'j. Pfeiffer.
ZU HARTMANN'S EREK. 135
behalten, so bleibt nichts übrig als sioeben und leben zu vertauschen;
also: mohte st mit gemache leben, üf dem wäge und drunder sioeben.
5183 fg. unde so st des began,
so machte st den man
ze vögele ode ze tiere.
Den ersten Vers lese ich : und so st des gern began wenn sie es
wollte. Vgl. 5241 : so kreftecliche liste die st wider Kriste uopte so des
gerte ir muot.
5196. die wären alle undr ir haut.
Es wird in ir liant zu lesen sein; vgl. Iw. 3990. mhd. WB. 1, 629il.
5204 fg. der tiuvel was ir geselle.
der sante ir ze stiure
ouch üz dem fiure,
swie vil si des wolde.
Das Wort ouch passt nicht in den dritten Vers , weshalb Lachmann
üf dafür vorschlug, wohl aber in den zweiten. Statt ßure darf helle-
ßure gesetzt werden; vgl. Parz. 482, 8. Ich lese also: der sante ir ouch
ze stiure uz dem helle/ture, sivie vil st des wolde.
5229. Der Vers verlangt wohl : danne icwre Fämurgän. waire
fehlt in der Handschrift.
5254. ze ist zu streichen; vgl. 5129.
5280. L. si in statt st?
5308. mit sorge ergap si in gotes phlege. Vgl. Germ. 4, 218. Ich
möchte lesen: so ergap st in in gotes phlege.
5371. L. üz der not. der fehlt in der Hs. Vgl. Iw. 3864: half
dem lewen üz der not.
5531. er weer zem ersten erslagen.
zu dem ersten die Hs. Die Annahme, daß bei zem ersten das Wort
slage zu ergänzen sei, bedarf noch weiterer Bestätigung ; in Gr. 4, 263
werden nur ähnliche neuhochdeutsche Ausdrücke angeführt. Ist schiere
oder schiereste zu lesen?
5551. L. ern släegez. er schlüge es die Hs., er sluogez die Ausgabe.
5572. daz er niene künde gesagen.
nyemand die Hs. Darnach zu lesen: daz ez nieman künde gesagen.
5811 fg. also daz ez im wol gezimt
ob mim dtn gwalt danne nimt,
daz selbe reht vinde ich mir.
In dem ersten Verse hat die Handschr. nit, und dieses ist eher zu
streichen als mit Lachmann in im zu verwandeln. In dem dritten kann
vinde ich mir nicht richtig sein, da Enite kein Recht zu finden hat,
136 WILHELM MULLER
sondern sich Gottes Richterspruche unterwirft. Es ist zu lesen: daz
selbe reht vint mir, als Anrede an Gott.
5841. L. do si ir deheinez komen sack, si ruo/te etc. Die Aus-
gabe mit der Handschrift der si deheinez.
5882 lese ich: hete ich umbe den versolt
daz im geviele mm Up,
dem wolde ich sin ein stectez wip.
Die Ausgabe mit der Hs. ich hete, mit einem Punkte hinter Up.
5886. von diner Ure Jcumt daz ich
also verkere den site
daz ich ivlp mannes bite.
Das Wort lere ist unverständlich. Welche Lehre hat der Tod der
Enite gegeben? Der Zusammenhang erfordert minne: meine Liebe zu
dir bewirkt es, daß u. s. w.
6027. boum zu streichen.
6132. L. geschihte statt geschulten.
6228. wand ez mag iu niht vervän.
Das Wort vervän verbindet Hartmann in der Bedeutung, in welcher
es hier steht, im Iwein und im armen Heinrich mit dem Accusativ,
und dieser wird auch hier herzustellen sein. Wenigstens sind für den
Dativ noch sicherere Belege zu suchen als diese Stelle und die im
mhd. WB. 3, 209a aus Laßberg s Liedersaal angeführte.
6230. für schaden, der oucJi veige ist.
So Lachmann statt des handschriftlichen der euch ivenig frumb ist.
Daß seine Änderung unverständlich und verfehlt ist, hat Pfeiffer Germ.
4, 221 gezeigt. Doch fragt sich, ob nicht, mit Hindeutung auf den fol-
genden Antrag, zu lesen ist : für schaden der ouch (oder doch) frum ist ;
vgl. Iw. S. 140. Diesen Vorschlag unterstützt der Umstand, daß V. 6266
der Graf sagt: sehet, nu wirtiuwol srlun, daz iu iwers mannes tot frumt*\
6253. Das handschriftliche da dicke kann bleiben.
6566. des teart vil ungefüege
ir geschrei wider dem site.
ir /.läge und geschray die Hs. L. des wart vil ungefüege ir klage und
schre (sie schrie) wider dem site.
6611. L. ern weste wie. er weste niht die Ausgabe mit der Hs.
6627. L. wände swem. unde sivem Lachmann, von wem die Handschr.
*) Ich halte an meiner Emendation fest und führe zu ihrer noch besseren Be"
gründung au: daz ich den kumber da/nkes hä/n gebunden zuo dem beine (für unbe-
deutend halte: mhd, WU. 1, 1U0'J.), für den ich lides niht enkan: Hartmann's Büchlein
1, 1733. Pfeiffer.
ZU HARTMANN'S EEEK. 137
6644. L. under (statt andern) henken; vgl. Ivv. 1287. 1376.
6686. L. unde ir freude. ir nicht in der Hs.
7284. L. sis statt siz.
7398. Das handschriftliche nach äventiure ist von dem Heraus-
geber in üf äventiure geändert. Doch sagt Hartmann gewöhnlich nach
äventiure riten. Kommt überhaupt üf äventiure rtten im dreizehnten
Jahrhundert vor? Im mhd. WB. findet sich unter äventiure kein Beispiel.
7510. weterwiser verwirft Pfeiffer (4,225) mit Recht; es ist werc-
iviser zu lesen. Vgl. 7467.
7995. Wohl zu lesen: unz ich die rede baz iveiz.
8363 fg. nu habent si wol gezzen
und sint dar nach gesezzen
und retten aller hande.
Daß das Präteritum retten nicht recht passen will , scheint der
Herausgeber selbst gefühlt zu haben ; aber der davon abhängige Genitiv
edler hande verstoßt auch gegen die Grammatik. Das Richtige: mit
rede aller hande lag hier nahe genug.
8399. an ist auch hier zu streichen, wie 3003.
8405 fg. ze jungest er in an sach :
belangen er zuo im sprach.
Das Wort belangen, welches meines Wissens außerdem nur noch
in der heiligen Elisabeth und Kindheit Jesu 86, 76 vorkommt, wird
der Schwabe Hartmann schwerlich gebraucht haben. Der Bedeutung
nach ist es „in, nach einiger Zeit, endlich, kaum, zögernd", wie W.
Grimm in der Zeitschr. für d. Alterth. 3, 272 erklärt, also mit ze
jungest in dein ersten Verse synonym und steht deshalb hier unpassend.
Wenigstens wird Niemand den Ausdruck : „zuletzt sah er ihn an,
endlich sprach er zu ihm", sehr geschickt finden. Ich schlage vor : lange
er in an sach: ze jungest er zuo im sprach.
8431. die berge er müele kleine,
ze mulen die Hs. Darnach eher : zermüeler *).
8438. Das handschr. doch zu streichen, nicht in ouch zu ändern.
8449. L. sunderprls statt sundern pris.
8480. L. st suochten düäventiure nach der Hs.
*) Nicht müele, zermüde, sondern mute oder zermüle, zermalme, vergl. mhd. WB.
2, 28a. In einem alten Arzneibit che des 13. Jahrb., das ich nächstens herausgeben werde,
kommt das Verbum müln, klein stoßen, häufig vor. Z. B. nim senef und mute den in
einem morscere 4b. nim solsequium und abrotanum unde salvei unde mlil diu driu ze-
samen 5b. der sol nemen diu Meter agrimonie unde mül si flizehlichen u. s. w. Pfeiffer.
138 WILHELM MULLER
8493. L. erge statt ge. Vgl. 8885.
8534 fg. da ich under ttlsent phunden
wäge einen phenninc.
Sinn und Zusammenhang verlangt wider tusent phunden: ich wage einen
Pfenning gegen tausend Pfund.
8601. Statt volbringen hat die Hs. verbringen, also wohl für bringe».
8623. L. zen toren statt ze t.
8712. dar gieng ein engez phat.
da die Hs., und das ist richtig. Parz. 226, 6 haben alle Handschriften :
da gent unkunde icege.
8718. die vor boume zu streichen.
8780. L. iueh riwen statt iu riwen. Ich finde diesen Druckfehler
nirgend berichtigt.
8938 fg. an hete si geleit
einen mantel langen
(da het si sich in gevangen),
daz doch ein richer sainit was.
Eine starke Änderung Lachmanns, die aber nicht allein unriöthig,
sondern auch unzulänglich ist, weil die Worte daz doch (welcher Mantel
doch?) sich eben so schlecht an das vorhergehende anschließen, wie
bei der Leseart der Handschrift. Diese hat: einen mantel harmlin da
liet si sich gefangen in, und das ist ganz richtig. Nur ist härmtn zu
schreiben und in dem folgenden Verse dach für doch zu setzen. Man
lese also: einen mantel härmin, da hete si sich gevangen in: daz (oder des)
dach ein rieher samit was. Der Überzug über den Hermelin war ein
kostbarer Sammt. dach in dieser Bedeutung ist bekannt genug and steht
auch Er. 8236. hermelin auch im Engelh. 3102 in hermin zu bessern.
8966. wan sin zuht wart vil grdz.
Kein besonderes Lob für den König Erek. L. was statt wart.
8977. 78. Die Umstellung des Wortes hie ist unnöthig.
9084. L. genendeclichen muthig statt ungencvdecUclien.
9091. L. gerieten trafen statt gereichten? vgl. Iw. 7087.
9114 fg. daz die eschinen schefte
kleine unz an die hant zerkluben
und zwispilte ilf stiiben.
Daß das von Lachmann gesetzte zwispilte unrichtig ist, hat Pfeiffer
(4, 228) gezeigt. Es ist zu lesen: und daz (die?) spclteren üf stubcu
mit Anschluß an die Hs. und nach Lanz. 5294. daz den degenen milte
die starken schefte zerkluben und die spelteren üf stuben.
ZU HAKTMANN'S EREK. 139
9164. L. daz ez statt daz.
9171 fg. diu da gegenwürtic saz,
diu gehalf vir manne baz,
ob im dehein zwivel geschach,
sivenn er si danne wider an sach,
ir schcene gap im niwe kraft,
so daz er etc.
Die Handschrift liest den zweiten Vers: da geschvff ' ir manne baz,
allerdings unrichtig, aber Lachinann's Vermuthung hebt den Fehler
nicht. Der Dichter lässt sich fragen, wie Erek und sein Gegner den
Kampf so lange aushalten konnten (wie erwerte inz der lip?), und ant-
wortet darauf, daß das ihre Gattinnen bewirkt hätten. Mabonagrin
gewann neue Kraft durch den Anblick seiner Geliebten , die da saß ;
Erek wurde durch den Gedanken an seine Enite bei dem Kampfe ge-
stärkt. Fasst man diesen unzweifelhaften Sinn der Stelle in's Auge, so
ergibt sich bald, daß es durchaus gegen den Gedanken des Dichters
ist, wenn man mit Lachmann diu gehalf ir manne baz setzt, weil
Mabonagrin's Geliebte diesem nicht mehr half, als Enite dem Erek, der
noch nicht im Nachtheil ist; daß dagegen der Fehler nur in baz steckt,
wofür daz zu schreiben ist. Man lese also: diu da gegenwürtic saz da
geschuof ir manne daz : ob im dehein zwivel geschach, sicenn er st danne
an sach, ir schcene gap im nitce kraft. — ivider vor an sach ist zu streichen,
weil es den Vers überladet und den Sinn stört.
9219. er zu streichen, nicht in her zu ändern.
9354. 55. L. daz statt des und allez statt al. allein die 11s.
9397. Nicht an daz gras?
9431 fg. ouch zceme dirre frowen baz,
diu disiu jär hinne saz,
under andern iviben.
wie ir mugt beltben
ein also wcctlicher man,
swie mich des niht verwundern kein,
ivan bl den Hüten ist so guot.
Der mhd. Sprachgebrauch verlangt bei zemeu in einem solchen
Falle die persönliche Construction. Es ist also zu lesen: ouch zceme
disiu frouwe baz under andern iciben; vgl. Er. 3740. 5892. Büchl. 1,
1469. Hat die Handschrift wirklich dirre? Das Folgende hat der
Herausgeber dadurch, daß er das handschriftliche wie in sivie ändert,
noch unverständlicher gemacht, als es vorher war. Wackernagel hat
(Zeitschr. für d. A. 3, 273) durch seine Verbesserung wie mich des ver-
140 WILHELM MÜLLER, ZU EARTMANN'S EEEK
wundem kan\ den richtigen Sinn hergestellt; nur muß wohl wundern
geschrieben werden.
9482 fg. do icolde mir min ceheim
des niJit langer beiten,
ichn müeste swert leiten.
verbessert von Lachmann, ich nam das schwert zu den selben zelten die
IIs. Ich lese mit genauerem Anschlüsse an dieselbe : do wolde min ceheim
mir des niht langer biten, ichn nceme swert zuo den ztten.
9548. 49. L. hie ist statt hie wcer. In dem folgenden Verse ist
si sprach zu streichen.
9555 fg. daz ir hie inne mit mir stt,
wir zwei, unz an die zit.
wir zwei stört und ist wahrscheinlich zur Verlängerung der Hartmann'-
schen Verse von dem Schreiber eingeschoben. Es wird zu lesen sein:
daz ir hie inne stt mit mir unz an die zit, oder: daz ir hie inne mit mir
stt unz an die selben zit.
9588. und zu streichen.
9592 fg. wan mit mir zoas im (dem Hofe) benomen
elliu sin wünne gar
und swaz er schcener freuden bar.
und was es die Hs. Darnach muß es heißen: und was er schcener freuden
bar. Vgl. Er. 2988 : sin hof wart aller freuden bar.
9617 fg. daz ist da nü gehangen,
unz michs mac belangen,
ungebläseti manegen tac
daz ich diss heimuotes phlac.
Wahrscheinlich daz michs — unz ich.
9672. wis gefreut unde gepriset.
gefreut ist in geret zu ändern; vgl. Er. 9945.
9699. L. dort sitzen unde weinenl unde fehlt in der Hs.
9723. von einer stat ze Hute erborn.
Ist ze Hute erborn mittelhochdeutsch? Ich vermuthe, daß unter Hute
der Name der Stadt sich verbirgt.
9808 fg. so fluhen si daz von leide
daz si dar ninder Immen
da st freude vernämen.
Es ist entweder daz in dem ersten Verse zu streichen, oder iender für
ninder zu lesen.
GÖTTINGEN, im November 1861.
141
ÜBER CHRISTIAN'S VON TROIES UND
HARTMANN'S VON AUE EREC UND ENIDE.
VON
KARL BARTSCH.
Ob Hartmann's Erec unmittelbar nach dem französischen Gedichte
Christian's gearbeitet sei, darüber sind die Ansichten noch getheilt:
zusammengestellt hat sie Holland, Chrestien von Troies S. 32 fg. Jetzt,
wo der altfranzösische Text gedruckt vorliegt (Zeitschrift für deutsches
Alterthum 10, 373 — 550) , wird es endlich einmal Zeit sein das Ver-
hältniss beider Gedichte näher zu beleuchten, wozu der Herausgeber des
deutschen Erec weder Muße noch Lust zu haben scheint. Der Eingang
von Hartmann's Erzählung, der uns vielleicht auch die Quelle genannt
hätte, ist leider verloren und erst von V. 127 des französischen Textes
ist die Vergleichung möglich. Der Inhalt bis dahin ist folgender: Um
Ostern hält König Artus Hof zu Karadigant und beschließt den weißen
Hirsch zu jagen. In seinem Gefolge befindet sich auch ein Ritter,
Namens Erec, der an der Tafelrunde großes Lob genießt. Er bietet
der Königin Genievre, die hinten nachfolgt, seine Begleitung an, die
sie dankend annimmt. Hiermit beginnt das deutsche Gedicht, dessen
ersten Vers M ir und hl ir wiben (worauf vielleicht reimte beliben) der
Herausgeber mit Unrecht weggelassen, wie er selbst S. V zugesteht.
Gleich der Anfang zeigt eine geringe Verschiedenheit: bei Christian
ist die Königin nur von einer Jungfrau (127), bei Hartmann von
mehreren (22) begleitet. Die erste übereinstimmende Stelle ist:
138 mais mout i orent pou este, 4 nu riten si unlange trist
neben ein ander beide,
e daz si über die beide
quant il virent un cbevalier verre in allen gäben
venir arme sor son destrier... zuo riten säben
143 delez li chevauchoit a destre einen ritter selbe dritten.
une pucele de grant estre, vor ein getwerc, da enmitten
et devant lor sor un roncin eine juncfrowen gemeit
venoit uns nains tot le cbemin. schcene unde wol gekleit.
Die Königin wünscht zu wissen, wer der Ritter und die Jungfrau
sei (Erec erbietet sich zu fragen, sie bittet ihn bei ihr zu bleiben:
Hartmann) und sendet die Jungfrau [eine ihrer Jungfrauen H. 22] zu
ihm. Die Jungfrau geht [ihre Anrede an den Zwerg nur bei H.]. Der
Zwerg gebietet ihr umzukehren; aber
142 KAEL BARTSCH
169 la damoisele avant s'est traite, 47 diu magt enlie niht umbe daz
passer vuet outre, a force faite. sine wolde riten fürbaz.
Der Zwerg schlägt sie mit der Geisel, die er trägt über [Haupt
und II.] die Hand [die sie zum Schutze vor das Gesicht hält, Chr.],
Sie kehrt weinend zu ihrer Herrin zurück. Die Königin sagt: was bei
Hartmann Erec denkt:
189 ba, Erec, beax amis , fait ele, 65 Erec dö abten began,
192 mout est li Chevaliers vilains, der ritter waer kein frum man
quant il sosfri que tel faiture daz er ez vor im vertruoc
feri si bele creature . daz sin getwerc die maget sluoc.
Sie bittet Erec zu dem Ritter zu reiten [bei Hartmann erbietet
sich Erec selbst dazu] : er thut es. Der Zwerg gebietet auch ihm um-
zukehren [bei H. stellt Erec den Zwerg zur Rede und wird dann auf-
gefordert seiner Wege zu gehen] und schlägt ihn. Erec kehrt, weil
waffenlos (H. 102, vgl. Chr. 233) [beschämt H. 105] zur Königin zurück,
der er sein Leid klagt:
229 si ma le nains cuvers blecie 118 daz micb ein sus wenic man
que tot m'a le vis depecie, so lästerlichen bat geslagen
ne l'osai ferir ne tocber. und ich im daz muoz vertragen,
des scbam ich mich so sere.
Hartmann fasst die seinen Helden beschimpfende Situation so auf,
daß sie ihn nicht in dem Maße entehrt wie bei Christian ; bei diesem
gesteht Erec ganz treuherzig, er habe sich vor dem Ritter gefürchtet,
weil er seine Waffen nicht bei sich gehabt *), bei Hartmann schmerzt
ihn am meisten die Schande, vor den Augen der Königin geschlagen
worden zu sein, sein Leben dünkt ihn nun nichts mehr werth. In
beiden Gedichten aber steht sein Entschluß fest die Schande zu rächen.
Indem er die Königin [die ihm von der Reise abräth, H. 146] Gott be-
fiehlt, reitet er dem Ritter nach.
Der französische Dichter (269—335) lässt hier die Fortsetzung
der Jagd folgen: Artus will, als Erleger des weißen Hirsches, sein
Recht, eine Jungfrau küssen zu dürfen, nehmen ; die Königin bittet ihn
es bis zur Rückkehr Erec's aufzuschieben.
Erec folgt den Spuren des Ritters [bis zum Abend, H. 172] und
sieht ihn endlich in ein Schloß eintreten (den Namen desselben Tulmein,
so wie den des Besitzers, herzöge Imäin, hat nur Hartmann 174. 175,
worüber später), wo er wohl empfangen wird. Der deutsche Dichter
erzählt hier nun gleich die Veranlassung, weswegen der Ritter kam:
*) Doch bemerke ich, daß die Verse 228 -238 in der Hs. bei San-Marte (Arthur-
Sage S. 302) fehlen : dort beginnt die Rede : dame, fait il, jou vengerai (= Bekker 239).
ÜBER CHRISTIAN'S UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. 143
das Sperberfest, das beim französischen Dichter später (551 ff.) erwähnt
wird. Bei Christian folgt Erec dem Ritter in das chastel, um sich zu
überzeugen, daß er in demselben bleibt, dann heißt es 367 un petit est
avant alez, et vit gesir sor uns degrez un vavassor auques dejorz = H. 273
do sack er sitzen da einen man, der was gra, sin här von alter sneiviz;
das stimmt allerdings , aber vorher hat Hartmann erzählt , was bei
Christian fehlt, daß Erec in der von Gästen überfüllten*) Stadt (market
222**) keine Herberge findet und endlich ein altes Gemäuer erblickte,
das er für unbewohnt hält und wo er unterzukommen glaubt. Vielleicht
hat Hartmann Christian's degrez 368 missverstanden. In der Schilderung
des Alten ist der deutsche Dichter ausführlicher; beide sagen, er sei
arm gekleidet, doch von edlem Benehmen gewesen (Chr. 370 — 72,
Hartm. 286—288).
Erec geht auf den alten Mann zu [seine Furcht auch hier ver-
trieben zu werden nur bei H.], der ihn willkommen heißt. Der Alte
ruft Frau und Tochter (bei H. nur letztere) herbei. In der Schilderung
der Jungfrau müssen wir einige gemeinsame Züge hervorheben, die für
das Verhältniss beider Dichter bedeutend sind:
396 ... sa fille, qui fu vestue 326 dar under was ir hemde sal
d'une chemise, par panz lee, und ouch zebrochcn eteswä.
delie blanche et ridee. so schein diu lieh da
404 mais desoz estoit beax li cors. durch wiz alsam ein swan.
406 que tote i avoit mis s'entente 338 ich warne got sinen vliz
an si häte geleit
nature qui faite l'avoit. von schoene und von saelekeit.
421 plus ot que n'est la flor de lis 335 ir lip schein durch ir salwe wät
cler et blanc le front et le vis. alsam diu lilje da si stät
under swarzen dornen wiz.
Der französische Dichter ist in der Schilderung ihrer Reize aus-
führlicher: ihm eigentümlich ist der Vergleich mit der blonden Iseut
(418), welche Art von Vergleichen er liebt; s. unten zu 2256 ff". Das
Erröthen der Jungfrau beim Anblicke des Fremden hat Chr. allein.
Der Vater gebietet ihr das Pferd zu nehmen, was bei Hartmann etwas
früher gesagt ist (Chr. 444—448, Hartm. 315—320). Erec's Einwand,
es zieme der Jungfrau nicht, und des Alten Entgegnung hat nur Hartmann.
Die Behandlung des Pferdes ausführlich bei Christian (453 — 462),
während Hartmann sinniger das Glück des Helden hervorhebt, einen
so süßen Schildknecht zu haben, der Gott selbst genügt hätte: anee-
*) Vgl. Chr. 556 por ce sont li Jwstel si plaxn,
**) Dasselbe kann auch Christian's cJiastel 339, 303 heißen, daher auch 345 von
rues (vgl, Hartm. 247) die Rede ist.
144 KARL BAETSCH
deutet ist ähnliches bei Chr. 456. Die Bewirthung bei Christian in
der gewöhnlichen Weise der Roinandichter, aber hier unpassend, weil
erdenWirth selbst vorher arm nennt, glänzend beschrieben (473 — 494);
der deutsche Dichter schildert sachgemäß : sie hatten keine guten
Teppiche noch bettewät mit Sammet bezogen u. s. w., auch kein reiches
Essen, der gute Wille musste es ersetzen (365 — 394). Hartmann erzählt
uns, wie der Ritter arm geworden, und wie er auch jetzt, wo er nicht
einmal einen Knecht halten konnte (412: Christian gibt ihm einen 480),
mit Zucht die Armuth verhüllte. Christian legt dies dem Ritter selbst
in den Mund, der auf Erec's unzarte Frage, warum seine Tochter so
ärmlich gekleidet sei , erwidert , er habe alles im Kriege verloren, und
dann ebenso unpassend seiner Tochter Schönheit rühmt: 'sie könnte
von ihrem Onkel, dem Grafen (vgl. Hartm. 434) Kleider genug be-
kommen.' Daß die Anordnung des französischen Gedichtes auch Hartm.
in seiner Quelle hatte, geht aus 469-^471 hervor, wo Erec den Wirth
nach seinen Verhältnissen fragt. Erec erkundigt sich nach dem Grunde
des Festes:
543 donc li demande qu'il li die 446 den wirt er fragen began
dont estoit tex chevalerie waz der schal von den liuten
möhte bcdiuten
qui ou chastel estoit venue. den er in dem markte het gesebn.
550 et li vavasors li a dit. do begunde im der wirt jehn.
Hier folgt nun, was bei Hartmann früher erzählt war, die Ver-
anlassung des Festes; die Umstellung ist Absicht des deutschen Dichters,
nicht hatte seine Quelle seine Ordnung, denn die Übereinstimmung mit
Christian zeigt sich auch hier.
559 car devant trestote la gent 187 het er hoch an eine stat
iert sor une perche d'argent einen sparwa?re üf gesät
uns espreviers molt bien assis. üf eine stange silberin.
567 s'il i a Chevalier tant os 199 swes friundinne den strit
que vuille le pris et le los behielt ze siner höchzit,
de la plus bele desranier, daz si diu schcenste waere,
s'amie fera l'esprevier diu nam den sparwaare.
devant touz ä la perche prendre.
Hier erkundigt sich nun Erec nach dem Ritter mit dem Zwerge
(Christ. 575—580, Hartm. 455—459) ; der Alte gibt ihm bei Christian
ausführlichen Bescheid, während Hartmann das früher erzählte nur kurz
wiederholt und schon hier den Namen des Ritters nennt; mit jener
früheren Erzählung stimmt Christian.
585 c'est eil qui aura l'esprevier 203 den het der ritter genomen
sanz contredit de Chevalier.
589 par deus anz l'a il ja eu, zwir, ouch was er komen
ÜBER CHRISTIAN'S UND IIARTMANN'S EREC UND ENIDE. 14,",
c'onques chalongiez ne li fu. 215 [in gctorstc da nieman bestän]
mais se il encor un an l'a, daz ern zem dritten meme :
a toz jors mais deservi l'a; und ob ez also kajme,
james n'iert anz que il ne l'ait so het er in immer mere
quite sanz noise et sanz plait. äne strit mit voller ere.
Weiter berichtet nun Erec seinem Wirthe, welches Leid ihm der
Zwerg zugefügt : bei Christian sagt er nur cest chevalier ne aing je pas
596, wozu Hartmann' s Bemerkung und lud in doch sin tingemach 461
stimmt. Er bittet den Alten um Rath (Chr. 601, II. 494) und um
Waffen. Bei Hartmann theilt er gleich seine Absicht mit, Eniden als
seine arme, auf das Fest zu bringen und sie, wenn er siege, zum Weibe
zu nehmen. [Der Alte will es nicht glauben und hält es für Spott, aber
Erec weiß ihn zu beschwichtigen, Ilartm.] Der Alte bietet ihm seine
Waffen leihweise (Chr. 608, 616, vgl. H. 599 daz ichz im tihen sohle)
an. Jetzt bittet Erec um Erlaubniss mit Eniden gehen zu dürfen, ver-
spricht sie zum Weibe zu nehmen und nennt Namen und Abstammung
(Chr. 645, IL 519). Bei Christian freut sich der Vater dieser Mit-
theilung höchlich und verlobt ihm die staunende Jungfrau (663 — 684);
während bei Hartmann der erwähnte Zweifel auftaucht, von Verlobung
nichts gesagt wird. Am andern Morgen reiten Erec und Enide (bei
Hartmann 680 gehen sie*) nach dem Festplatze. Vorher erzählt Chr.,
wie ihn die Jungfrau waffnet, ferner die staunenden Ausrufe des Volkes
in den Straßen, durch die sie reiten; Hartmann dagegen den Empfang
beim Herzog Imain, der Eniden besser kleiden will, was Erec nicht
zugibt, die Glückwünsche des Herzogs für seinen Kampf, von Messe
und Imbiß vor dem Beginn; auch bei Christian bat Erec Messe ge-
hört, aber in dem Münster, der Ausdruck selbst stimmt genau:
694 au monstier vont orer andui, 661 mit dirre rede si kamen
et firent de saint espen'te da si messe vernamen
messer canter a un bermite. von dem beilegen geiste.
Auch der Ritter mit dem Zwerge führt seine Dame zu dem
Sperber**). [Grosses Gedränge des gemeinen Volkes, das der Graf
mit einem Stocke abwehrt. Der Ritter lässt seine amie nach dem Vogel
greifen: Erec tritt hinzu und verhindert es: Christ.]. Erec spricht
zu Enide:
821 'bele fait il, avant venez, 685 frouwe, Iceset diu baut
l'oisel h la perebe prenez : und nemt den sparwaer üf die hant.
*) Allerdings beißt es auch bei Christian 73G Erec n'i voust -plus delaier, anz
s'en va. Dclez li ä coste cn mainne la fille son oste, genau wie bei Hartm. G82 erfuorte
si. an shier sUen; aber daß beide reiten, gebt aus Chr. 714. 734 hervor.
**) Dies sagt zwar TT. nicht ausdrücklich, aber es ergibt sich aus 684. 0'.Qf>— GDO.
GERMANIA VII. IQ
140 KARL BARTSCH
Car bien est droiz que vos l'aiez. wan daz ist war äne strit,
827 que vos ne s'aparoille nule. liie ist niemen schoener danne ir sit.
Hierauf weist bei H. der lütter Emden zurück, wie bei Chr.
vorher Erec die Geliebte des andern , bei Chr. wendet er sich gleich
an Erec. Der sich entspinnende Wortwechsel , der bei Chr. insofern
naturgemäßer ist, als die Erbitterten nur in kurzen Sätzen sprechen,
endet damit, daß sie sich zum Kampfe anschicken. In der Schilderung
desselben stimmt der Verlauf, nicht die Einzelheiten, was aber nichts
beweist, da hierin jeder Dichter selbständig verfahren darf: einzelne
Züge zeigen indess auch hier Übereinstimmung:
860 par assembler les chevax poignent. <65 zesamne liezens strichen.
804 les lances eslicent et froissent. 779 die schefte flugen in von der hant
zerbrochen über des Schildes rant.
Bei Hartmann tröstet Erec im Kampfe die weinende Enide *),
bei Christian stürzen beide Kämpfer vom Rosse, im deutschen Ge-
dichte nur Erec's Gegner, während nachher Erec auf's Knie stürzt,
sich aber bald wieder aufrafft. Dann heißt es:
881 li chaples dure longuement. 880 der nach so wart dazspil gegeben!**)
tant se fierent menuement mit manegem fiurinen slage...
que tuit se laissent et recroient. 884 so sere däz die zwene man
muoden begunden.
Iders macht den Vorschlag , eine Weile auszusetzen , weil ihre
Schläge schwach und nicht mehr männlich seien (Chr. 889 — 902 = H.
896 — 908). Erec ist damit einverstanden :
900 Erec respont bien avez dit . 909 dö was Erec der rede frö.
lors se reposent un petit. ze ruowe säzen si dö.
Der Kampf beginnt von Neuem: Erec denkt (was bei Chr. während
der Ruhezeit geschieht) an die ihm zugefügte Schmach und blickt zu-
gleich auf Enide: durch diesen Anblick gewinnt er neue Kraft. Auch
in diesem Gedanken stimmen beide Dichter genau, Chr. 911 — 918,
II. 929-933 und
905 Erec regarde 934 und als er dar zuo ane sach
vers s'amie die seheenen froun Eniten,
qui por li si durement prie. daz half im vaste striten.
tot maintenant qu'il l'a vo"ue, wan da von gewan er dö
li est molt grant force creue. siner krefte rehte zwo ***)
i Vgl. Chr. 884 adonc les puceles ploroient. chaseuns voit la soe plorer.
**) Das Bild vom Spiel ist, dem deutschen Dichter eigenthümlich.
;,::,::i:) In der folgenden Zeile ist die handschriftliche- Überlieferung nicht anzutasten,
was auch Pfeiffer thut: üf iln> /n/m er verbaut ist Spieleransdruck, wie das folgende
Bild (941— !>47); vgl. auch 871.
ÜBER CHRISTIAN/S UND HAK" I '.M ANN'S EREC UND ENIDE. 147
Der Kampf, nach beendigter Pause von Chr. noch weitläufig be-
schrieben (926 — 978) , während H. mit einem Bilde sich begnügt
(939 — 949), endet mit der Besiegung Iders. Es heißt wörtlich über-
einstimmend:
979 Erec per le hiaume le sacbe; 950 als erm den heim abe brach,
ä force dou chief li esrache
et la ventaille li deslace. dö lösterm ouch daz hüetelin.
Vgl. auch 985 — 89 mit Hartm. 952-956. Der Besiegte behauptet
Erec keine Beleidigung zugefügt zu haben (Chr. 1000, H. 960) und
fragt, als Erec mit fja' antwortet, ganz gleich:
1003 ha sire qoi? dites le donques, 985 er sprach wie meinet ir daz?
ich gediente nie iwern haz,
ne vos vi, moi soveigne, onques. -wand ich iuch nie mere gesach.
Und als ihn Erec aufgeklärt, sagt er bei Hartmann, was ihm
Christian schon vorher in den Mund gelegt (Chr. 1005 — 6, II. 1000 — 1).
Erec verlangt als Buße bei Hartmann die Hand des Zwerges , dessen
Namen Maledicur (1076) wir bei dieser Gelegenheit erfahren: allein er
begnügt sich damit ihn durchprügeln zu lassen. Davon nichts bei
Christian, der auch den Namen nicht hat. Der Auftrag, den Erec dem
Ritter gibt, ist in beiden Gedichten derselbe (vgl. Chr. 1023 — 33 mit
Hartm. 1079 — 1090). Bei Christian nennt sich nun der Besiegte und
bittet auch Erec um seinen Namen; bei Hartmann thut er dies frei-
willig, den Namen des Gegners kennt er schon (464). Idiers reitet
weg. Hier holt Hartmann nach, was Christian früher erzählt hat, den
Schluß der Hirschjagd (1098 — 1148). Die Übereinstimmung mit dem
französischen Gedichte zeigt aber, daß dies eine absichtliche Umstellung
des deutschen Dichters ist. Vgl. namentlich folgende Stellen :
Chr. 276-278 = Hartmann 1098—1100.
281-283 = 1112-13.
282 = 1104—5.
327—333 = 1115—1148.
Dann geht die Reihenfolge der Erzählung wieder übereinstimmend
weiter. Der Ritter mit seinen Begleitern kommt nach Kardigan (Ca-
radigani). Dort waren gerade Gäwein (Walwän II. 1151, Gauwains
Chr. 1084) und Key (Kex li seneschaux Chr. 1085, der trulisceze Kenn
H. 1152) vor das Schloß zusammengegangen {es loges de la sale fors
Chr. 1083, für daz kastei II. 1156) und sehen die herankommenden.
Sie melden es der Königin (bei Chr. thut es Key allein); diese steht
auf (Chr. 1122, II. 1162) und tritt an ein Fenster (es fenestres en est
venue 1136 = an ein venster si kam 1164). Sie erkennt den Ritter
10*
148
KARL BARTSCH
alsbald und merkt an seinem blutigen Harnisch und zerstückelten
Schilde, daß er gekämpft hat (Chr. 1141. 1144-46= Hartm. 1179-84).
Bei Christian nimmt Gawein diese Vermuthung der Königin auf und
fügt eine weitere, von der Königin 1141 — 4.3 angedeutete hinzu; bei
Bartmann spricht die Königin selbst sie aus:
1157 Erec l'envoie a nos ici 1189 od er hat den ritter gesant
en prison, en vostre merci ; sigelosen in ditz lant
ou il s'en vient trop folement 1187 und ist durch ruom her komen,
vanter ici par hardement
qu'il a Erec veineu ou mort.
ne cuit qu autres noveles pnrt .
fait la roine je le cuit'.
bien poet estre ce dient tuit.
a tant
Ydiers entre en la porte
qui les noveles lor aporte.
Ydiers vient au perron
real;
la descendi de son cheval.
1175 quart descendu furent tuit troi,
si le moinnent devant le roi.
lä ou Ydiers vil la roine,
jusque devant les piez 1 ancline.
1181 et dist dame ,
en vostre prison.
m envoie ci uns gentis hon.
Sein Bericht ist im Französischen kürzer, aber namentlich
Schlüsse wörtlich mit Hartmann stimmend:
daz er den sige hat genomen.
1 186 er hat Erecken erslagen.
1192 des gedinge ich sere .
nu jähens alle der künegin,
der eintwederz mühte sin.
dö diu rede was getan,
Yders üf Kardigan
gegenwürtic üf den hof reit
zuo einem steine der was breit.
1201 der was gemachet üf dem hüs
daz der künic Artus
da erbeizte unde ouch üf saz.
1206 bi dem steine erbeizte er sä.
als man in diu ros enphie,
mit dem getwerge er dö gie
und mit siner friundin
mit zühten für die künegin.
diu bot im herlichen gruoz.
nu viel er ir an den fuoz.
er sprach 'frowe riche,
nu enphähet gnaedecliche
in iwer gewalt einen man.
1 2ö2 ir dürft umb in niht sorgen :
er kumt iu selbe morgen
und bringet mit im eine maget
daz iu nieman ensaget
daz er keine scheener habe gesehen.
I 1 93 savez vous quant Erec venra ?
dame, demain si amenra
une pucele ensemble o lui
c'onqucs si bele ne conui .
Die Nachricht erfreut alle. Hartmann fügt ein kurzes Lob Erec's
hei, wovon nichts bei Christian. Bei diesem riith Artus der Königin,
was sie bei Hartmann von selbst thut:
I 199 cortoisement li dist amis,
puis qu'en ma merci ci es mes,
plus en iert ta merci legiere.
1220 cest Chevalier quite clamez
de sa person, par tel covant
1277 zuo dem ritter sprach diu künegin
iwer buoze diu sol ringer sin
danne ir doch gearnet hat.
ÜBEll CimiSTIAN'S UND HAETMANN'S EKEC UND UN1DE. 149
que il soit des or en avant ich wil daz ir Lie bestät
de ma mesnie et de ma cort . und unser ingesinde sit'.
1230 eil gaires proier ne s'eu fist. daz muos oueh wesen äne strit.
Beide Dichter kehren nun zu Erec zurück, den Christian (12 40)
mit Tristan vergleicht: in dem Lobe, das ihm das Volk spendet,
stimmen mehrere Zeilen genau, Chr. 1244—49, II. 1303—11. Die Be-
merkung über die Schämigkeit der Frauen (II. 1319 — 32) kommt dem
deutschen Dichter allein zu. Des Grafen Einladung , bei ihm zu
wohnen, lehnt Erec ab :
1259 Erec respont 'ne vos ennuit, 1339 sus antworte er im du
'herre, wie tret ich danne so,
ne lairai pas mon oste en nuit, solt ich ininen wirt län
qui mout m'a grant bonor portee, der mir vil guotes bat getan ?
quant il m'a sa fille donee. 1348 er gap mir sine tohter.
Aber die weitere Motivierung bei Hartmann, der Wirth möchte
denken, Erec thue es seiner Armuth wegen, fehlt beim französischen
Dichter, der ja, in Widerspruch mit der ärmlichen Erscheinung von
Vater und Tochter, jenen nicht arm erscheinen lässt. Da Erec ablehnt,
so beschließt der Graf die Nacht bei seinem Schwager zuzubringen
(Chr. 1277 — 82. Hartm. 1363 — 68). Sie kehren heim, die Jungfrau den
Sperber auf der Hand (paist sor son poiny cest esprevier 1298 = wart st
äf ir haut truoc den gewunnen nparware 1376):
1300 mout avoit le jor 1379 sus bäte diu magt
conqueste saeleclicbe bejagt
bonor et joie et seignorie. von lobe micbel ere:
en son corage estoit molt lie doch freute si sich mere
de 1 oisel et de son seignor. von schulden ir lieben man.
In der Beschreibung des Pferdes, das der Graf Erec schenkt, ist
Hartmann ausführlicher, doch stimmt bezeichnendes:
13<8 onques meillors n'ot rois ne cuens. 1422 in der werlde kein man
sebeener phert nie gewan.
1384 et se ne vi onques plus quoi. 1432 ez was senfte und frö.
1391 ainz va plus aise et plus soef 1437 ez gienc vil dräte über velt
que s'il estoit en une nef. schone, sam ein schef, enzelt.
Abschied und Abreise sind auf gleiche Weise geschildert: Erec
lehnt die Begleitung ab (Chi-. 1441—44, II. 1480—82). Die Trennung
von den Eltern schildern beide Dichter, Hartmann gemüthvoller , bei
aller Übereinstimmung (Chr. 1450—52, II. 1463 — 65); Christian schließt
noch einige moralische Betrachtungen an (1453 ff.). — Erec und Enide
unterwegs (Chr. 1469-1506, H. 1483 — 1496): Christian ist ausführ-
licher, weil er Emdens Gestalt beschreibt; im übrigen stimmen beide.
Auch ihre Ankunft an Artus Hofe : nur daß bei Härtmann Artus und
150 KARL BARTSCH
seine Ritter ihnen entgegen reiten, bei Christian nur vom Fenster sie
kommen sehen und dann auf den Hof eilen. Die Namen der Ritter
sind genau dieselben: statt Estors Chr. 1518 liest die Hs. Tors, und
so schrieb wohl Hartmann, der et lors vor sieh hatte (was bei Chr.
17 IG wirklich steht). Perceväus und ein herre genant alsus, der künec
Yels von Guides ist aus 1515. 16 et si vint mes sire li rois, Kex et Ter-
cevaux li Gcdois hervorgegangen , indem Hartmann las et si vint uns
sire, li rois Kecs. Die Königin nimmt Emden nach der Begrüßung in
Empfang und führt sie in ihre Kemenate, wo sie andere Kleider be-
kommt. Die Rede Erec's vorher (Chr. 1544—71) lässt Hartmann aus.
Die Besehreibung der Kleider (Chr. 1580—1660, H. 1538—77) ist bei
dem französischen Dichter viel länger, was Wunder nehmen muß, da
Hartmann als Anfänger Schilderung äußeren Schmuckes liebt. Nur
einzelnes stimmt genauer: Enide bekommt einen Mantel (Chr. 1580,
H. 1566), mit Hermelin gefüttert (Chr. 15S6, H. 1567); eine Borte
in's Haar (Chr. 1645, II. 1572) und ein schapel (H. 1575, un cercle
ovre" a flors Chr. 1649). Die Einführung von Frau Armuth und Frau
Reichheit ist Hartmann eigen (1578-1609). Die Königin nimmt Enide
bei der Hand und führt sie vor die Tafelrunde (Chr. 1662 — 70, H.
1610—14).
Nun folgt das Verzeichniss der Ritter an der Tafelrunde (Chr.
1679 — 1738, H. 1628—1692), wozu als drittes das in der Krone 2291
— 2346 kommt. Auch in dieser Aufzählung stimmt das meiste in der
Reihenfolge und den Namen zu Christian: Chr. 1680—98, IL 1628—46,
wobei nur Folgendes zu bemerken ist. Groliold Chr. 1683 hat H. des
Reimes wegen in Groharz geändert; li laiz IJardiz Chr. 1685 durch
Missverständniss in Layshardiz verwandelt; Melianz dou Liz Chr. 1686
(vermuthlich Melianz von der Lilie und identisch mit Meleranz von
Frankreich; Krone 596 steht Milianz li ros) in Meljanz (besser vielleicht
Melianz, denn auch bei Christian ist der Name dreisilbig) von Uz ; Esliz
Chr. 1693 in Esus , vielleicht nur von IL verlesen; H. 1649 Ywain
jll li roi UriMn, Chr. 1694 et Yvains li filz Uriein, ohne den Beisatz
'König': vielleicht las IL et Y. filz roi U.; Yvain Vavoutre Chr. 1696
von IL missverstanden und als Name gedeutet Iwain von Lafultere 1644;
Yritin ,h' Caraliat Chr. 1697 mit leicht erklärlicher Verlesung des
ersten Namens in Onam von Galiot 1645; auch der folgende Name ist
verderbt; der Chevalier Licor 1699 ist ganz übergangen und aus dem
vallez au cercle d'or Chr. 1700 der mit dem guldinen bogen II. 1648
gemacht. Im folgenden sind von Hartmann hinzugefügt Gärel (vom blü-
henden Thale) 1649, Titurel 1650 und die meisten Namen von 1665 - 92.
UBE1J CHRISTIANS UND HAETMANN'S EEEC UND ENIDE. 15 \
So weit sich Übereinstimmung verfolgen lässt, ist zu bemerken: statt
Bliholtleherin, wie Haupt 1650 sehreibt, las Hartmann wohl Büoble-
herins, worauf im der Hs. deutet. Die bei Chr. 1703— 6 folgenden
fehlen bei Hartmann; es folgt Karados brie-braz rmit dem kurzen Arme'
Chr. 1707, woraus H. Garedeas von Brebas 1651 macht; Gues von
Strauz H. 1652 ist le cuens d'Estraus Chr. 1713, wie auch vorher aus
d'Estrangot Chr. 1698 ein von Strangot 1646 geworden; Baulas H. 1652
muß wohl Saulas gelesen werden und scheint aus uns chevaliers de
grant solaz Chr. 1707 entstellt, indem letzteres Wort als Eigenname
gefasstist; II. 1658 Lis von quinte carotis aus Chr. 1711 livallezd'Es-
cume carroua; vermuthlich las die französische Hs. d'escuine, denn auch
Krone 2313 steht von Quine. Ither von Gaheviez H. 1657 ist eine
eigenmächtige Änderung des Herausgebers; die Hs. liest liier Gaheries,
letzterer Name lautet bei Chr. 1713 Galeries, mithin ist r richtig, auch
die Krone hat Galeres. Glangodoans H. 1658 ist aus zwei Namen
Grains Gornevelns Chr. 1715 entstanden und wohl wieder in zwei auf-
zulösen: Gran Godoans. Gareies ist Guerrees bei Chr.; II. 1660 Estorz
fil Ares, bei Chr. 1716 et Torz li filz le roi Ares; die Hs. hat fifares,
wie sie 1640 las filar eis, woraus der Herausgeber fil li roi gemacht hat ;
auch hier ist fil li roi Ares zu schreiben. Christians Tavas, <jui onques
d'armes ne fu las 1717. 18 ist bei H. ausgelassen; für Loliolz Chr. 1720
steht Lohnt II . 1663; 1664 scheint Praverdüs aus li desreez 1721 ent-
stellt; Blerios 1665 vielleicht aus Bedoiers 1723. Im folgenden ist keine
Übereinstimmung mehr zu bemerken: nur Galerantins li Galois 1726
ist Galagaundris und Guides 1661 und Breons 1735 stimmt zu H.
1667 Brien.
Wenn Heinrich von dem Türlin (Krone 2348 ff.) behauptet, er habe
die von Hartmann im Erec übergangenen Namen aufgeführt, so ist das
nicht, wie Haupt (Zeitschr. 3,267) meint, 'ungenaue Erinnerung', sondern
die Vergleichung, die Haupt schon damals hätte anstellen können,
da die betreffende Stelle gedruckt war, ergibt, daß Hartmann manche
Namen nicht nennt, die sich in der Krone finden, die aber Christian
hat, zum Theil jedoch auch dieser nicht. Ferner ergibt die Verglei-
chung, daß Heinrich nicht bloß Hartmann's Text vor sich hatte, sondern
einen französischen Erec oder ein anderes französisches Gedicht. Statt
E.sliz Chr. ] 693 liest Heinrich Elies, wofür Sommer (Flore S. XXXIV)
mit Unrecht Clies vorschlägt; den Zusatz Heinrichs von Landuz hat
weder Christian noch Hartmann. Von Love Urien 2300 ist aus zwei
Zeilen entstanden: von Lore aus (Yvain) de Lceuel 1695 und Urien aus
(Yvains li filz) Uriein 1694; ein Iwain fehlt demnach, ebenso Yvain
[52 KABL BARTSCH
Vavoutre, den Hartmann hat. Lohencis von Ouein 2302 ist entweder
aus Yvain Vavoutre oder Ycain d'Loenel hervorgegangen, her Brantri-
vlers 2303 fehlt hei Ohr., wenn nicht in Braavains 1725 derselhe Name
steckt, nicht hei Hartmann 1677. BUos von Bliriers 2304 ist Bleoble-
heris 1702. Die heiden folgenden 2305. 6 hat weder Christian noch
Hartmann. / eures von Rämide 2307, entstellt aus li f eures d' armes
1705, fehlt hei Hartmann: der Zusatz der gerner streit dan er het vride
zeigt deutlich Benutzung von Christian' s Erec: qui mieuz amoit guerre
que pas 1706. Chr. 1708. 9 uns Chevaliers de grant solaz et Caverrons
de Rebedic bei Heinr. 2310. 11 Cauterous von Solaz, nach dem ein recke
Rebedinch: solaz demnach ebenso wie von Hartm. missverstanden. 2315
Galeres von Destrauz, Chr. 1713 Galeriez le cuens oVEstraus, von Hein-
rich richtiger als von Hartmann gefasst; missverstanden ist 1714 Galez
11 chamsf Kr. 2316 Gäles Lithanz. Statt Grains Gorneveins et Guerrees
1715 hat Kr. 2318. 9 vier Namen: dar nach Gram und Gotegrin und
Gradoans und Caroes, Gotagrin ist aus Chr. 1431 heraufgeholt. Kr.
2320 Silares aus filz (le roi) Ares Chr. 1716 entstellt; Kr. 2321 be-
deutend entstellt aus Chr. 1717; ebenso Nebedons 2323 aus Bedoiers
172.*!; Labigädes 2324, aus Labigodes 1729, fehlt bei Hartmann; Brainons
2324 aus Braauains 1725; Quadoqueneis 2325 aus li cuens Cadorcaniois
1730; Chr. 1726 bei Heinr. 2326 nicht so entstellt wie bei Hartm.
1661. Gronosis 2327 auch hei Chr. 1728 ebenso Nelotons 2327, entstellt
aus ne Letrons 1731; beide fehlen Hartmann. Die bei Heinrich fol-
genden Namen 2328 — 44 sind einer späteren Stelle des Erec entnommen
(Chr. 1923 ff.) und weiden noch besprochen werden.
Beim Anblick so vieler Ritter schämt sich die Jungfrau:
1739 quaut la bele pucele estrangc 1707 also si dö zuo in
von erste gie zer tür in
vit toz les chuvaliers en ränge, und si sitzen gesach,
1743 verpoi^ne in ot, ne fu merveille. schäme tet ir ungeniach.
la face en devint vermeille. diu rosen varwe ir entweich.
niais la honte se li avint 1 730 dö ir varwe wandel nara,
que plus vermeille en devint. von grözer schäme daz gescliaeli.
Das dazwischen liegende Gleichniss von der Sonne, die eine
\\ olke verhüllt, gehört Hartmann allein, ebenso das Staunen der Ritter
über Emdens Schönheit. Dann aber stimmen beide Dichter wieder
wi'h) lieh :
1747 quant li rois la vit vergoignier, 1743 der künec gegen ir gic:
1749 par la main duueement l'a prisc bi der haut er si vie,
die frowen Eniten,
(et) delcz lui a destre assise. und saztes au sin siten
ÜBER CHRISTIANE UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. 153
de la senestre part s'asist unde anderhalp sin
la roine. die tugonthaften künegin.
Bei Christian räth man dem Könige, das Recht des Kusses nicht
länger aufzuschieben, bei Hartmann bedarf es dieser Aufforderung nicht.
Folgende Stelle legt Chr. der Königin in den Mund, die Hartmann in
gleichen Worten erzählend ausdrückt:
1761 ja ne dira nus qui ne mente 1762 nü wart niht wider da gestriten,
que ceste ne soit la plus gente sine wasre diu schamste da
des puceles qui ceanz sont
et de celes de tot le mont. und über die werlt ouch anderswä.
Dann hat Hartmann einen Vergleich von Mond und Sternen, der
bei deutschen Dichtern oft begegnet, Christian nichts entsprechendes.
Bei diesem hält Artus eine lange Anrede an die Ritter und wünscht
auch ihre Meinung über die Schönste zu hören. Das deutet Hartmann
nur kurz an (1783 — 90), ebenfalls mit Beziehung auf die Gewohnheit
von Artus Vater Utpanclragon, den Chr. Pendragon nennt. Dann heißt
es in wörtlicher Übereinstimmung :
1835 Erec comme cortois et frans, 1805 do gedäht der tugentriche
Erec vil ritterliche
de son oste fu en espans. an sines swehers annuot
1840 qu'il li envoia maintenant unde santim schoenez guot
cinq soniiers sejornez et gras 1811 zwene soumaere,
chargiez de robes et de dras. der bürde was vil swajre,
1844 mil mars d'or et d'argent en plates. si truogen silber unde golt.
Daß diese Geschenke von Artus herrühren, sagt nur Hartmann.
Die Boten sollen den Alten (Chr. erwähnt hier auch Enidens Mutter)
in Erec's Land d'Oulre Gates 1862 (3815 steht d'Estregales, womit H. 1818
Destregdh stimmt) führten, wo er zwei Schlösser (Chr. 1869- 70, vgl. 1325
29- H. 1827) beherrschen soll. Erec dünkt die Zeit bis zur Hochzeit lang:
das sagen beide Dichter (Chr. 1906. H. 1846); aber H. führt den Ge-
danken aus und malt auch Enidens Empfindungen (1846 — 85). Bei
Chr. bittet Erec den König um Erlaubniss, an seinem Hofe Hochzeit
halten zu dürfen: bei H. besteht Artus, was passender scheint und
wohl deshalb von H. geändert ist, darauf, daß Erec bei ihm die Ver-
mählung feiere; die Worte stimmen bei beiden ; Chr. 1908 — 16, Hartm.
1888—95, 1899—1900).
WTieder folgt ein Verzeichniss von Namen, das Heinrich (Krone
2328 ff.) fälschlich für eine Aufzählung der Tafelrunder hält, worauf
sich vielleicht sein Tadel Hartmann's bezieht. Die Einleitung dazu
zei«[t wieder wörtliche Übereinstimmung;:
].-,4 KAKL BAETSCH
1920 je vos dirai, or entendez, 1901 im nenne ich iu die grävun gar
qui furent li conte et li roi. unde oueh der fürsten schar
molt [i] vienent ä riche conroi. diu zuo den Höchziten kam.
Hartmann steht hier Christian viel näher als bei dem vorher be-
sprochenen Verzeichniss. Abweichungen sind folgende: Graf Brandains
hat bei Chr. 1923 hundert liosse, bei II. 1406 fünfhundert Gesellen;
ein Zusatz H. wohl nur des Keimes wegen ist 1916. Bemerkenswert!!
ist außer der Übereinstimmung der Namen die in der Schilderung des
'gläsernen Werdes' hervortretende :
1934 vint Maheloas unz hauz her, 1918 und der herre Maeloas.
li sires de l'isle de voirre. von dem glesinen werde genant:
sus stuont ez umbe sin lant
en cele isle n'ot Ten tonoirre daz dar über benamen nie
ne n'i chiet foudre ne tempeste, dehein ungewiter ergie:
ouch was da grözer geinaeh,
ne boz ne serpenz ni areste wan man da nie kein wurm gesach:
n'i fait trop chaut ne n'i yverne. da wart nie kalt noch heiz.
Heinrich (Kr. 2328 — 36) weicht stärker ab, er lässt außerdem die
näheren Beziehungen auf die Länder weg. Aus Loecestre 1923 macht
er Linis 2328, aus mens de Clivelon einen Elis de Clinton, den Sommer
für identisch mit Clies hält; Chr. 1927 lässt er aus; Godegrains 1931
stand bei ihm früher 2318; 1929 und 1934. 35 sind ihm zu einer
Person geworden, 2331; Graislemiers 1940 in Gaurn erans (ohne Beisatz)
geändert; Guilemers in Guinganiers; aus ile d'Avalon ist ein Manns-
name Davalon li fiers gemacht; Guergesins li ditx de Hautbois in Gwir-
nesis li isnel 2336 entstellt, woraus man sieht, daß Heinrich willkürlich
französische Beinamen hinzufügt, wie einige Zeilen vorher 2334 li fiers.
Hartmann unterscheidet alte und junge Könige, jede Partei ist
gleich gekleidet. Davon sagt Christian nichts, wenn er auch bei ein-
zelnen Anzug und Tracht schildert. Die Namen der fünf ersten (der
jungen) Könige stimmen mit Hartmann : die Königssöhne Coi und
Cadrez Chr. 1960 lauten bei Hartmann 1974. 75 Com und Goafdroet;
letzterer Name, wiewohl Cadrez sehr unähnlich, ist doch suis filz Cadret
entstellt. Beide Dichter sagen :
1971 ne n'i ot nul, quelxque i tust, 1964 ieglicher fuorte üf der haut
qui faueon ou tercuel n'eust. vier muzersparwsere.
Die Schilderung der alten Könige bei H. ausführlich (1978 — 2072);
nichts davon bei Chr., der aber doch in den Namen und einzelnen
charakteristischen Zügen stimmt.
J975 Quarrons li viauz rois 2073 daz was der künec Jcrnis
d'Ariel von Ried, biderbe unde wis.
ÜBER CHRISTIASPS UND BARTMANN'S EKEC UND ENIDE. 155
n'i amena nui jovcncel,
ans ot coinpaignons tex trois cenz
dont li moins Jones
ot sept vinz anz.
les chief orent
chenuz et blans,
car vescu avoient lonc tans.
les barbes ont jusqu'as centures.
der brähte mit im dar
eine lobeliche schar,
driu hundert gesellen.
der alter beeret zellen.
2083 der aller jungest, daz ist war,
der het vierzic unde hundert jär.
2079 in was daz houbet gar
und der bart snevar,
nider gewahsen also tief,
daz er in üf die gürtel swief.
Auch in der Schilderung der beiden Vettern (H. sagt 'Brüder')
Beim (Btlei) und Briens (Brian*) stimmen die Texte überein (Chr.
1983 ff. Hartm. 2085 ff.).
Die Vermählung zeigt einen, wenn nicht bedeutenden, doch charak-
teristischen Zug der Verschiedenheit. Christian bemerkt, man habe
erst am Tage der Hochzeit Emdens Namen erfahren (2015 — 20): dies
ließ Hartmann als deutscher Sitte widerstrebend weg. Der Erzbischof
von Canterbury (Chr. 2022, H. 2124) segnet sie ein. Die Schilderung des
Festes ist frei behandelt, doch Übereinstimmung der Anlage nicht zu
verkennen: man tanzt (Chr. 2037, H. 2141), verschiedene Arten von In-
strumenten werden genannt (Chr. 2034, H. 2151), die Spielleute zeigen
ihre Kunst (Chr. 2026 ff. II. 2157 ff.), sie werden mit Kleidern und Rossen
beschenkt (Chr. 2103—8, II. 2182), die Hochzeit währt 14 Tage (Chr.
2109, H. 2192). Christian allein schildert die Freuden der Brautnacht
(2071—98). Artus verlängert, Erec zu Liebe (Chr. 2113, H. 2215),
das Fest um vierzehn Tage (Chr. 2114. 15, IL 2213. 14). Es ist
ein Turnier verabredet; auch hier verräth sich die Übereinstimmung
deutlich genug:
2117 tuit ensamble communement
empristrent un tornoiement.
mes sire Gauvains s'avanca,
qui d'une part le fianca
entre Euroc et Danebroe.
et Meliz et Meliadoc
1 ont fiancie d'autre partie.
Das Missverständniss Hartmanns in Bezug auf Euroc und Dane-
broe ist leicht erklärlich, wenn man erwägt, daß Hartmann den Gebrauch
von enire vor zwei Namen in der Bedeutung zu gleicher Zeit, zu-
sammen' keimen mochte. Im Folgenden heisst es wieder, genau stimmend:
2125 li tornoiz assemble et ajoste 2235 der turnei wart gesprochen
un mois apres la penteeoste über dri wochen
von dem nächsten mäntage. . .
desoz Danebroe en la plaigne. 2240 zwischen Tanebroc und Prürin.
2228 des antwurt Gäwein zehant,
die solden ouch si vinden da.
einen turnei nam er sä
wider dise vier gesellen,
der namen beeret zellen.
Entreferich und Tenebroc,
Meliz und Meljadoc.
156
KAHL BARTSCH
Prurin hat Haupt nach Parz. 134, 12 geschrieben: die handschrift-
liche Überlieferung weist zunächst auf Euerln oder Eurln, was Chri-
stian's Euroc 2121 näher steht: die Endung ist geändert, wie 1683
Grohoht in Groharz des Reimes wegen, wiewohl auch denkbar, daß
bei Chr. 2121 Eurin gestanden oder wenigstens Hartmann so gelesen.
Auch Prurin könnte in der französ. Hs., die IL vorgelegen, schon ge-
standen haben: in jedem Falle aber ist sicher, daß Prurin oder Ev er 4n
an dieser Stelle aus Chr. 2121 entnommen ist, indem H. einmal den
Namen richtig fasste , das anderemal ihn und Tanebroc als Personen-
namen betrachtete. Evenn stimmt auch trefflich zu Entre-ferich IL 2233.
Eine andere Quelle als Christian folgt aus dem Namen keineswegs.
Auch die folgende Beschreibung des Turniers, namentlich Erec's Aus-
rüstung, die bei Chr. ungleich kürzer ist (2128—2260), bei Hartmann
V. 2247 — 2824 umfasst, kann recht wohl Erweiterung des deutschen
Dichters sein; denn soviel Spielraum hatte, bei aller Gebundenheit
an den Stoff, auch der mittelalterliche höfische Dichter, der in diesem
Falle sich nicht einmal vom Thatsächlichen entfernte, da ja auch Chr.
das Turnier beschreibt. Auch zeigen einzelne Seilen, daß IL wirklich
Chr. Gedicht vor sich hatte.
2205 Erec ne voloit pas entendre
ä chevax ne chevalier prendre,
mais en joster et en bien faire.
2161 Erec
touz sous s'en va au chief dou ranc
per joster, se il trauve a cui.
de l'autre part encontre lui
muet li orgoilleus de la Lande.
2169 le fiert Erec de grant vertu
qu'ä la terre l'a abatu.
2219 bien le fist nies sire Gauvains.
Gifflez li filz Due (et Yvains)
et Sagremors li desreez
ceus de lä ont si conreez.
2230 toz estoit retenuz et pris
cpuant Erec
cort a la rescouse.
2172 et Rinduranz li vint avant.
2179 Erec tant com hante li dure,
le trebuche ä la terre dure.
2213 que jusqu'as portes les embatent.
2214 de inon seignor Gauvain vuil dire,
2429 ir rosse er niene ruocbte
wan daz er fürbaz suochte
ritterschaft mere.
2571 Erec der herre
kam hin für so verre
daz er justierens state gewan.
engegen reit ein frumer man,
der höchvertige Landö.
2581 Erecke dö so wol geschacb
daz er in von dem rosse stach.
2665 her Gäwein der edel man,
der doch nie lasters teil gewan,
unde aller tugende wielt,
iil Don Gilules bi im hielt
und Segremors. Dise dri
enthielten vaste wider si.
2675 doch müestens sin gevangen
2680 wan daz Erec fil de roi Lac
schöne in geriten kam.
2692 widr in justierte Boydurant.
den edeln riter entsazte er
ouch mit sinem sper.
2701 und täten se änc widerstrit
vaste unz an ir bämit.
2719 Gäwein tet ez des tages da
ÜBER CHRISTIAN'S UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE.
157
2181
qui mout le fait et bien et bei.
en 1 estor abati
Gulncel
et prist Gaudin de la Montaigne.
le roi de la Roge cite-
en son encontre a encontre.
2194 ceingles ne reinnes ne peitrax
ne poent le roi retenir:
k la terre l'estuet venir.
ensinc vola jus del destrier :
ne guerpit sele ne estrier,
et nes les rainnes de son frain
en porta totes en sa main.
2250
2256
guot als ouch anderswä.
2781 zwene ritter vienger da zehant:
der ein Ginsei*) was genant,
der ander Gaudin de Montein.
2769 dö sprach ein ritter zehant,
der was Royderodes genant,
daz er justieren wolde.
27 < 5 gegen im er ze velde reit,
2796 daz im daz fürbüege brach.
darmgürtel und surzengel brast.
2801 er viel dö im misselanc
vome ros wol drier schefte lano.
2799 im beleip ein swachez phant,
der zoum zerbrochen in der hant.
2810 Erec der tugenthafte man
wart ze vollem lobe gesagt:
den pris het er da bejagt
und den so volleclichen
daz mann begunde geliehen
an wistuom SalomOne,
an schoene Absolöne,
an sterke Samsönes gröz.
sin milte dühte si so gnöz,
diu gemäzte in niemen ander
wan dem muten Alexander.
Entscheidend für das Verhältniss beider Dichter ist namentlich
letztere Stelle. Die Vergleichung von Salonion u. s. w. **) ist kein that-
sächlicher Zug des Gedichtes, sie ist in demselben Geschmacke, den
gerade Christian auch sonst sehr häufig zeigt, Personen seines Gedichtes
mit anderen bekannten Helden und Heldinnen zu vergleichen; man sehe
418. 1240. 2066. 4910. 5730. 5843. 6296. 6625. 6629. Unter den tur-
nierenden Rittern ist kein Name, den nicht auch Chr. hätte. Am
Schlüsse seiner Schilderung beschreibt uns H. die Freude und das Leid,
das Enide bei dem Rufe der Waffenthaten Erec's empfindet (2825 — 50),
ein Zug, der Chr. fehlt.
Nach dem Turnier nimmt Erec mit seinem Weibe Abschied, um
in sein Land heimzukehren (Chr. 2261 — 64, H. 2858—64); sechzig
Ritter begleiten ihn (Chr. 2286. 87, H. 2871. 72). Der Empfang in
seiner Heimat ist bei Chr. mehr ausgeschmückt, namentlich fehlen bei
H. die Geschenke, die die Unterthanen ihm entgegenbringen.
que tuit li chevalier disoient
qu'il avoit le tornoi vaineu.
il sembloit
Asalon de face
et de sa langue Salomon.
de fierte" resembloit lyon,
et de doner et de despandre
fu pareilz
le roi Alexandre.
f) Haupt Ginsps, aber der Reim (:heT) ergibt, daß Ginsei die echte Lesart ist.
') Vielleicht lesen andere Hss. bei Chr. 2258 de force resemSloit Samson.
158 KABL BAETSCH
Erec's Verliegen schildert Hartmano anschaulicher, doch treffen
beide Dichter ziemlich überein. Namentlich verdient eine Stelle her-
vorgehoben zu werden.
2940 mais onques perce ne donoit 2957 swier deheinen turnei suochte,
de riens moins a ses Chevaliers daz er doch beruochte
armes et rabes et destriers. sin gesellen algeliehe
nul leu avoit tornoiement daz si vil vollecliche
nes i envoiast vichement von in selben mohten varn.
por tornoier et por joster, er hiez si also wol bewarn
que qu'il li deussent coster. als ob er selbe mit in rite.
Als Enide von dem Tadel der Leute über Erec hört, ist sie be-
trübt; auch hier stimmen beide Dichter genau (Chr. 2451 — 60, IL
2998—3011). Besonders
2461 Tant li fu la chose celee 3012 Nu kam ez also nach ir site
qu'il avint une matinee daz er umb einen mitten tac
lä ou il jurent en lor lit. an ir arme gelac.
Der in die Kemenate dringende Sonnenschein ist Hartmann's
Zusatz. Bei Chr. schläft Erec, bei H. wähnt Enide nur er schlafe. Sie
klagt über sein Verliegen, ausführlicher im französischen Gedichte. Auf
Erec's Drängen lässt H. sie die Befürchtung hegen, er möchte schlim-
meres von ihr denken, wenn sie schweige. Im Folgenden ist Chr. weit-
läufiger: Enide wiederholt noch einmal die Beschuldigungen, die man
von Erec sagt (2528 — 63), während H. nur ganz kurz referiert (3046 — 48).
Hier hat der deutsche Dichter mit Takt die Redseligkeit seines Vor-
bildes gemieden, auch in dem was zunächst geschieht, den Zurüstungen
zur Reise und der Abreise: hier entsprechen Chr. Verse 2566 — 2748
den Hartmann'schen 3052—91; dieser Unterschied wird hauptsächlich
dadurch bewirkt, daß Chr. eine lange Klage Enidens einschiebt (2577
— 98), daß Erec's Wafihung viel ausführlicher beschrieben ist (2612 — 40),
daß Erec's Vater eingeführt wird, der den Sohn zurückzuhalten sucht
(2671 — 2727) und endlich, daß eine wirkliche Abschiedsscene erfolgt
(2728 — 48), während bei H. Erec mit dem Vorwande auszureiten sich
entfernt und in der Küche sagen lässt, man möge das Essen bis zur
Rückkehr bereit halten.
Erec's Abenteuer mit dem Raubritter und dessen zwei Genossen:
bei Hartmann (3115) sind es drei Räuber. Chr. berichtet uns zuerst
die Gespräche der drei Männer, die II. etwas später folgen lässt, aber
in den Ausdrücken mit Chr. stimmend:
2786 seignor, savez, que je vos chanl? 3189 Nu sprach ein roubasre
fait il a ces deux compaignons. ich sage iu liebiu ma?re...
se orendroit ne gaaignons, 3199 hie endet unser armuot.
mauvais serons et recreant. . .
ÜBER CHRISTIAN'S UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. ]59
ci vient une dauie molt bcle. 3195 er frieret eine frouwen.
ne sai s'ele est dame oupucele;
mais molt est richement vestue. 3198 ir kleider sint herlich.
2804 je Tai veu premierement 3192 der häte si von erste ersehen.
et porce est droiz que je aille 3206 daz mir erloube . . . iwer munt
faire la premiere bataille'. die ersten just hie zestunt.
eil li outroient et il point. 3214 do gewerten se in der ere.
desoz l'escu se clot et Joint. den schilt er dö ze halse nam.
Bei Chr. bedingt er sich das Ross der Frau aus, bei H. sagt er
nur, er wolle die "Wahl am Raube haben, ohne sich näher zu ent-
scheiden. Emdens Selbstgespräch ist bei Hartmann länger (3148 — 78,
Chr. 2817 — 27) und in den Gedanken abweichend, aber dann heißt es
wieder übereinstimmend :
2828 vers li s'en torne isnelepas 3179 her urnbe si zuo im sach
et dit, vorhtlichen unde sprach
sire, que pensez vos? sich üf, lieber herre. . .
ci vienent poignant apres nos 3184 dinen schaden mag ich nihtverdagen.
troi chevalier qui molt nos cbacent. dir sint ritter nähe bi
paor ai que mal ne nos facent. die dir schadent, mugen si.
Christian lässt auf diese Warnung hier wie bei den folgenden
Abenteuern gleich Erec's Strafrede folgen, Hartmann, was passender
ist, nach vollbrachtem Kampfe, wo Erec auch bei Chr. nochmals die
Drohung widerholt. Bei H. redet er mehr, worauf sie erwidert und
er nochmals spricht: H. 2337—63 ist bei Chr. 2833—37. Die fol-
genden Zeilen Chr. finden sich bei H. so ausgedrückt:
2838 ceste fois iert pardonee: 3266 ich wil diz ungerochen län.
mais s autre foiz vos avenoit, ob ez iu immer mere gesehiht,
ja pardone ne vos seroit. ich vertrage ez iu niht;
und auf Erec's Tadel erwidert Enide bei Chr. wie bei H. :
2906 cele respont non ferai gie 3257 si sprach herre. . .
james sire, s'il ne vos plait. 3264 ez gesehiht mir nimmer mere.
Bei beiden Dichtern muß Enide die Rosse pflegen. Den Kampf
selber schildert Chr. eingehender (2841—97), H. nur kurz (3215—33),
aber im Ganzen mit denselben Zügen. — Erec und Enide reiten une
liue 2909, bei H. dri nule 3292 , als ihnen abermals fünf Räuber (H.
3297, vgl. Chr. 2911. 15) begegnen: was Hartmann von ihrer Gemein-
schaft mit den früheren sagt, hat Christian nicht. Eniden's Selbst-
gespräch ist bei Hartmann ein wenig länger (3352 — 76), aber in den
Gedanken zusammentreffend. Erec's Antwort auf ihre Warnung: fole:t
bei Chr. wieder gleich, bei IL nach dem Kampfe, worauf Enide entschul-
digend erwidert (H. 3399—3438, Chr. 2983—96). Der Kampf bei
Chr. sehr ausführlich beschrieben (2997—3052), beschränkt sich bei
160
KARL BARTSCH
II. auf wenige Zeilen (3385—98). Enide muß die fünf neugewonnenen
Rosse führen (Chr. 3062 ff., H. 3439 ff.): ihre Führung schildert II.
näher (3442—70) und meint sinnig, die wilden Rosse hätten sich ihr
gefügig gezeigt. Chr. hat dafür eine Schilderung der Nacht, in der
Enide bei dem unter einem Baume schlafenden Ritter Wache hält und
über das ausgesprochene Wort klagt (3070—3104).
Es begegnet ihnen ein Knappe, von dem es übereinstimmend heißt:
3108 endroit midi uns escuiers
lor vint devant en un valet.
avec lui erent dui vallet
qui portoient gastoax et vin
et gras fromages de Gayn.
3115 li escuiers fu de gran vide.
quant il vit Erec
et Enide,
bien apercoit que il avoient
la nuit en la forest geu.
3489 nii bekam in üf dem wege
ein knabe, der bet in siner pblege
gesoten schultern unde bröt.
3495 ein kendel fuorter an der hant
mit wine.
3498 du dirre knabe zuo reit,
ze vlize begunder scbouwen
die bekumberten frouwen.
3508 der knabe an im du wol sach
daz er grözen ungemach
die naht het erbten.
Bei H. fordert der Knappe sie auf in dem Schlosse seines Herrn
einzukehren, bei Chr. bietet er ihnen nur Speise und Trank an, was
er nachher auch bei H. thut :
3128 sire, je crois et pans
qu a. nuit avez molt travaillie.
3133 se vos plait un po a mengier,
3136 li gastel sont de bei froment,
bon vin ai et fromages gras.
3531 mich dunket daz ir habt gestriten
und gröze arbeit erbten,
und twinge iuch dehein hungers not,
ich fiier hie schultern unde bröt
unde vil guoten win.
Unbedeutend sind die Abweichungen, z. B. daß bei H. der Knappe
Wasser in seinem Hute holt, damit sie sich vor dem Essen die Hände
waschen. Dagegen stimmt wieder wörtlich:
3157 puis a devant aus estendue
la toaille sor l'erbe drue.
le gastel et le vin lor b;iille.
3165 quant maingie orent et beu,
Erec cortois et sages fu.
amis l.iit il,
en guerredon
vos fais d un de mes chevax don.
prenez
celui
qui mieuz vos siet.
3173 et eil respont que il fera
volentiers quanque lui plera.
puis vint es chevax, ses deslie.
le vair en prent, si 1 en mercie.
3551 die twehel leite er üf daz gras:
dar üf die spise diu da was,
fleisch bröt unde wio.
3555 als si du gnuoc äzen
und wider üf gesäzen,
Erec sprach zuo dem knehte
knabe, ir sult von rehte
etelichen Ion enphän.
3564 gesell, nü tuot des ich iuch bite
unde nemet hie die wal
under der rosse zal,
einz daz in daz liebste si .
3574 der knabe daz vil gerne tete;
3579 als er du ein ros genam,
des in aller beste gezam,
du gnadet er im verre.
ÜBER CHRISTIANE UND HARTMANNS EREC UND ENIDE.
161
Mehr weicht das Folgende ab: der Knappe bittet bei H. Erec,
Eniden der Rosseleitung zu entheben, was Erec verweigert. Der Knappe
führt sie in das Schloß seines Herrn, der ihn fragt, von wem er das
Ross bekommen. Der Graf ladet Erec und Enide ein zu bleiben: Erec
lehnt es ab und begibt sich in ein Wirthshaus. Bei Christian lässt
sich Erec durch den Knappen sogleich in ein Wirthshaus führen, der
Knappe kehrt zu seinem Herrn zurück, der an ihn dieselbe Frage
richtet wie bei H. (Chr. 3202, H. 3609). Bei H. reut den Grafen,
der sich in die schöne Frau verliebt, daß er sie nicht zurückgehalten,
und er geht in Erec's Herberge. Auch bei Chr. thut er letzteres, be-
gleitet von drei Rittern (3252), bei H. von vieren (3721). Von hier an
stimmen beide Gedichte wieder genau, so daß kein Zweifel über die
Quelle sein kann.
32 f 8 sire, fait il, je vos demant
congie, mais ne vos ennuit or,
par cortoisie et par doucor
vuil lez cele dame seoir.
3288 Erec ne fn mie jalous.
3290 sire, fait il, pas ne nie poise.
3296 et li euens s'est assis selonc.
3300 liay, fait li euens, molt nie poise
quant vos alez a tel vilance :
grant ennui en ai et pesance.
3306 il vostrc beaute eovenroit
granz honors et grant seignorie!
33 1 4 bien sai et voi que vostre sire
ne vos aimme
ne no vos prise.
3303 mais se croire nie voliez,
honor et preu i auriez,
et molt granz biens vos en venroit.
3310 vos seriez m'amie chiere
et dame de tote rna terre.
3745 der gräve bat in fürbaz
<laz erz lieze äne haz
ob er ZUO ir s:vze . . .
des antwurt im Erec dö ■
gemocht irs, herre, icb bin es frö
3751 er sprach als er zun ir ge-az:
3756 mir erbarmde nie so serc
weder man noch wip
als iwer wsetlicher lip.
3762 vil na ez mineni herzen kam.
3767 nu zaemet ir wajrliche
ze frowen an dem liehe.
wer gap iueh armen solhem man
der enmac noch enkan
iueh geren ze rehte?
3777 und hast mich iwer got gewert,
ir w;eret bezzer eren wert.
weit ir, noch geschult iu allez guot.
3792 daz ich iueh gerne machen sol
ze frowen riisem lande.
Namentlich entscheidend ist in Enidens Antwort eine Stelle:
3320 mieuz ameroie ie, fusse ä nestre 3816 wan ich wolde erweln e
ou en un feu d'espine arse, daz ich lebende hie zehant
si que la cendre fust esparse, ze pulver wurde verbrant
que j'eusse de riens fause . . . und man den zessete
3328 je non feroie en nule guise. e ichz iemer getaute.
Auf seine Drohung (Chr. 3329—43, H. 3825-36) nimmt sie zur
List Zuflucht: die erfundene Erzählung, daß Erec sie ihren Eltern ge-
GERMANIA VII. 1 1
J62 KARL BARTSCH
raubt, hat nur Hartmann *). Daß sie ihrem Gatten das Sehwert stehlen
wolle, sagt Christian nicht. Bei beiden Dichtern muß der Graf ihr
schwören.
3393 li cuens respont liez et joianz 3896 lachende antwurt er ir dö
ir muget iuch mit ruhte erwern :
tenez, ma foi je vos fianz. wand ich wil iu stsete swern.'
3399 lors en a cele la foi prise. 3900 diu frowe gap im den eit.
Nachts schlafen Erec und Enide in einem Zimmer, aber gesondert
(Chr. 3424—27, H. 3948—53). Emdens Selbstgespräche treffen in den
Gedanken überein. Enide weckt Erec und theilt ihm die Gefahr mit,
bei Chr. indem sie nochmals berichtet (3453 — 69), bei H. besser bloß
beiläufig berührt (3995). Erec schenkt beim Abschiede dem Wirthe die
sieben Rosse, und dieser
3498 si l'en encline jusqu'as piez. 4015 der wirt neig im an den fuoz.
Daß er den Scheidenden sant Gertrüden minne bringt, ist ein
deutscher Zug (4018—20). Die Ankunft des Grafen, der sich ver-
schlafen hat, mit neunzehn (Chr. hundert 3507) Rittern, seine Ent-
täuschung, sein Gespräch mit dem Wirth und die Verfolgung berichtet
Chr. sehr gedrängt (3506—20), H. ist ausführlicher (4027- 4112). Erec's
Verweis folgt bei Chr. gleich nach der Abreise (3501 — 5), bei H. pas-
sender unterwegs (4119 — 37), wodurch ein schicklicher Übergang zum
folgenden gebildet ist. Denn auch jetzt hört und sieht Enide früher
als Erec die Gefahr, was H., der die Unwahrscheinlichkeit fühlte, zu
einem Erklärungsversuche veranlasst, den Chr. nicht hat (4149 — 64).
Dem Kampfe geht bei H. ein Wechselgespräch zwischen Erec und
dem Grafen voraus. Erec sticht den Gegner vom Rosse (Chr. 3600,
H. 4214): daß er ihm einen Arm abhaut, sagt nur PI., so wie daß er
noch sechs Ritter tödtet, die andern fliehen. Bei Chr. tödtet er erst
den Seneschall und wirft den Grafen ab: die andern wollen ihn ver-
folgen, aber der Graf, der sich eines besseren besonnen, hält sie in
einer langen Anrede davon ab (3555 — 3646).
Den Zwergkönig Guivrez schildern uns beide Dichter ganz gleich:
3663 de lui 4279 von des selben manheit
vos sai verite dire, ist uns wunder geseit.
qu'il estoit de cors molt petiz, er was ein vil kurzer man.
mais de grant euer estoit 4288 dar under er ein herze truoc
hardiz. vollecliche manhaft.
*) Doch deutet auch Chr. an (3379—81), daß sie ihres Gatten überdrüssig sei
(vgl. H. 386*2) : die rohe Äußerung (Chr. 3382 je vos voudroie ja sentir en im lit certes
nu h nv) hat Hartni. als seinem feineren Gefühle widerstrebend weggelassen.
ÜBER CHRISTIANE UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. 163
Bei dieser Gelegenheit knüpft Hartmann eine Bemerkung über
Kühnheit und Zagheit an und fügt hinzu:
wir müezen siner geschiht (des Zwerges)
ein michel teil verdagen.
man möhte vil da von gesagen,
wan daz der rede da wa?r ze vil :
da von ich iu si kürzen wil (4298 — 4302),
und schildert dann nach wenigen Zeilen gleich die Begegnung des
Zwerges mit Erec und Enide, deren Warnung nur durch eine Zeile
(4319) angedeutet ist. Stattdessen hat Christian die Verse 3665 — 3753,
worin erzählt wird, daß Guivrez die Ankommenden von der Höhe eines
Thurmes erblickt, sich waffnen lässt und ihnen entgegen reitet. Enide
hört ihn kommen und überlegt was sie thun solle: sie entschließt sich
auch diese Gefahr ihm mitzutheilen und wird von ihm, aber ganz kurz
und nicht hart (3749. 50), verwarnt. Haupt vermuthet (zu 4318 und
Zeitschr. 3, 269) eine Lücke: denkbar wäre indess nach der erwähnten
Äußerung Hartmanns, daß er absichtlich ausgelassen, um nicht durch
Wiederholung zu ermüden. Allerdings steht jene Äußerung zunächst
in Verbindung mit dem Zwerge, und sie trifft ihn auch, indem die
Waffnung (Chi-. 3665-98) weggeblieben ist: aber auch das, was sich
ihr zunächst anschloß, die Warnung Enidens.
Nach der Begegnung beginnt bei H. ein Gesprach zwischen Erec
und Guivrez, das Chr. nicht hat (II. 5323 76), bei diesem erfolgt so-
gleich der Kampf, der an vielen Stellen wieder große Ähnlichkeit zeigt:
3754 4377 als Erec dö gesacli
contre le chevalier s'esmuet daz im ze vehten not gescbacb,
qui de de bataille le semont. sin ros er wider kerte,
assemble sont ou pie dou mont, als in sin eilen lerte.
lä s'entreflerent et desfient. zesamne riten zwene man . . .
es fers des lances s'escremient 4387 diu sper si üf stachen
ambedeus de totes lor forces. daz si gar zerbrachen.
3766 et li destrier sont aterre : diu just wart so krefteclich
car molt ierent ambedui fort. daz diu ros hinder sich
an die hähsen gesäzen.
3761 ne lor valurent deux escorces do muosten si lazen
li escuz qui es cols lor pendent. die schilte von den handen*).
3770 isnelement sont redrecie. 4395 si erbeizten beide geliche
vil unmüezecliche
3774 des fuerres traient les espees. unde erfuorten diu swert.
si s'entrevienent par grant ire. ir ietwederre wart gewert
3777 que de rien nes'entresparnierent. volleclichen an der stat.
3811 si l'a si roidement feru 4412 unde sluog im von der hant
*) Demnach ist schilte doch richtig, Zeitschr. 3, 269.
11*
Iß4 KARL BARTSCH
sor la penne de son escu. den schilt unz an den riemen.
3806 s'espee li a embatue 4434 üf den heim er in sluoc
en l'iaume jusqu'au chapeler, daz der wenige man
dar durch eine wunden gwan
si que tot le fait chanceler. unde daz er vor im lac.
3800 des tierce jusqu'apres de nonne 4459 nu het gewert dirre strit
dure la bataille tant fiere. unz an die nöne zit (vgl. 4405).
3844 Erec respont plus i estuet: 4467 er sprach ichn muote mere
que tant n'en iroiz vos pas quites. von iu deheiner ere,
wan daz ir mir äne schämen
vostre estre et vostre non nie dites*) rehte nennet iwern namen.
'sire, fait il, vos dites bien. 4473 er sprach herre, daz si getan.
je sui de ceste terre rois, ich wil iuch wizzen län,
mi home lige sont Irois: ich bin künec über Irlant,
n'i a nul ne soit mes rentiz. Guivreiz le pitiz genant .
j'ai ä non Guivrez li petiz. 4480 Erec eine binden brach
3108 chascuns . . . de sa chemise ab einem wäpenrocke sä.
trencha bandes longues et lees. 4487 einander si verbunden
s'ont lor plaies entrebandees. ir ietweder die wunden.
Gerade die Übereinstimmung in Kampfschilderungen , wo jeder
Dichter, auch im Mittelalter, die meiste Freiheit hat, zeigt, daß Chr.
Gedicht unserem H. vorlag. Auch der Schmerz Emdens, den Christian
nur berichtet (3791—98), während H. sie sprechen und Erec antworten
lässt (4420—30), ist ein übereinstimmender Zug, der auf nähere Ver-
wandtschaft als die durch den Stoß' bedingte weist,
In dem was II. nun erzählt, bis zur Lücke der Hs. (4628),
weichen die Darstellungen von einander ab. Zwar in beiden Gedichten
fordert Guivrez den Helden auf bei ihm Rast zu halten (Chr. 3883 ff'.,
II. 4561 ff'.); aber bei Chr. lehnt Erec die Einladung ab, bei H. nimmt
er sie an (4569 — 4628). Nach der Lücke beginnt H. in einer Charakter-
schilderung Kais (4629 — 63), die Chr. nicht hat. Die Übereinstimmung
mit diesem zeigt sich aber gleich wo thatsächliches berichtet wird. Auf
Kai's Aufforderung, mit ihm an Artus Hof zu kommen, erwidert Erec :
3993 Erec respont . . . 4667 er sprach herre,
3996 encor m'estuet aler molt loing. ich han ze varne verre.
4674 ir sult mich ze dirre wile
laissiez m'aler, que trop demor. mine sträze läzen varn.
3999 Kei respont 4677 dö sprach der valsche Käin
grant folie dites, herre, lät die rede sin.
quant dou venir vos escondites. ir sult niht also scheiden.
Bei Hartmann's Darstellung muß man voraussetzen, was Chr.
ausdrücklich sagt, daß Kai Erec's Pferde in die Zügel gegriffen, daher
*) Die folgende Zeile et je vos redirai li mien drückt H. nicht aus.
UflEK CHEISTIAN'S UND HARTMANNS EREC UND ENIDE. 165
ziehet zuo iu die hant 4705, traiez vos lä 4019. Kai folgt der Auffor-
derung (Chr. 4023. H. 4711) uud kehlt um. Kai's Niederlage stimmt
genau (Chr. 4028—44 = H. 4719—42). Bei H. fragt nun Erec den
Besiegten nach seinem Namen: Kai will dessen erlassen sein, allein
Erec droht ihm das Ross nicht wiederzugeben, worauf Kai sich nennt
und erzählt, er habe es von Gawein entliehen, was er bei Chr. gleich
bei der ersten Bitte hinzusetzt. Dieses Zwischengespräch fehlt im
französischen Gedichte. Auch daß Kai nun seinen Sieger nach dem
Namen fragt, Erec es ablehnt, fehlt bei Christian: hier kehrt Kai gleich
mit dem Rosse zu Artus zurück und berichtet alles (4057 — 60, H.
4832 — 44). Bei H. spricht Kai die Vermuthung aus, es sei Erec ge-
wesen: bei Chr. fordert Artus, ohne diese Vermuthung, Gawein auf
dem Ritter zu folgen und ihn an den Hof zu bringen, was Gawein in
Begleitung zweier Knappen thut. Auch bei H. erhält Gawein, aber
naturgemäßer mit Kai, diesen Auftrag. Bei H. nennt nun Gawein den
Erec gleich beim Namen, bei Chr. richtet er, ohne ihn zu nennen,
Artus Botschaft aus:
4077 sire, fait il, en ceste voie 4942 nu bat uns da ze stunde
li rois Artus ä vos m'envoie. äne not so verre
le roine et li rois vos man de diu künegin und min herre
saluz, et prie et commande daz wir iu ilten her nach . . .
qu avec aus vos veingniez deduire. und iuch im brachten ze hüs.
Erec dankt mit gleicher Wendung (H. 4958-82, Chr. 4084—93).
Gawein's List ist ebenfalls dieselbe. Als Erec sich überlistet sieht,
gibt er bei Chr. (4137) erst jetzt sich zu erkennen: bei H. zürnt er
ernstlich, wird aber beschwichtigt. Sein Empfang bei Hofe stimmt,
nur schildert H. eingehender namentlich Ginover's Benehmen gegen
Enide. Bei H. lässt die Königin, bei Chr. der König das Pflaster der
Fee Morgana bringen, dessen Wirkung der deutsche Dichter ausführ-
licher beschreibt. Außerdem hat H. hier einen Excurs über Fdmurgnn
(5158 — 5241): vermuthlich schob hier H. anderwärts hergenommene
Kenntniss ein, nicht aber hatte sein Vorbild schon diese Abschweifung,
die sich ganz gut herauslösen lässt. Erec wird gebeten, vierzehn Tage
zu bleiben (Chr. 4215): das sagt H. nicht, aber auch bei ihm wie hei
Chr. lässt sich der Held bewegen, eine Nacht zu verweilen. Das Zürnen
des Königs über die Weigerung, die Bewirthung und die Betten
schildert H. nicht (Chr. 4225—58, vgl. H. 5255—58). Auch der Ab-
reise fehlen bei H. manche Einzelheiten (Chr. 4259—85, H. 5269—82).
Der Anfang des nächsten Abenteuers zeigt wieder genaue Über-
einstimmung (Chr. 4288—94, H. 5292—99). Nachdem sie das kla-
gende Weib gefunden, heißt es weiter:
166
KAKL BARTSCH
43U
Erec la voit, molt s'en merveille
et prie li
qu'ele li die
porqoi si forment brait et crie.
la pucele plore et sospire,
en plorant li respont beau sire,
n'est merveille se je fais duel.
5334 als er dö die armen
in solher ungehabe sach,
vil nach weinende sprach
der tugenthafte man
frowe, durch got saget an
waz ist daz ir weinet? . . .
ir herzen suft daz wort zerbrach
daz si vil küme gesprach
' weinens get mir michel not.
Erec's Gespräch mit der Jungfrau, zum Theil Stichomythie bei
H., stimmt, wiewohl Chr. diese hier wohl angebrachte Kunst nicht hat,
in einzelnen Ausdrücken genau :
4322 que mon ami en moinnent pris
dui jeant felon et cruel,
qui sont ses enemi mortel.
4350 quel part s'en vont? sire, parci.
vez ci la voie et les escloz.
4336 damaisele, g'irai apres
fait Erec . . .
4340 ou avec lui pris esterai
ou jel vos rendrai tot delivre.
4354 la pucele
ä dieu le commande,
et prie deu molt doucement.
5353 herre, da habent mir in benomen
zwene risen, die fuorten in
des gevertes vor mir bin.
5363 nü wiset mich nach in',
herre, hie riten si hin.
5367 Erec sprach frowe, gehabt iuch wol,
wände ich benamen sol
bi im beliben tot
oder ich hilfe im üz not .
nu bevalh in diu guote
mit worten und mit muote
in unsers herren gewalt.
ir gebet wart vil manecvalt.
Nicht minder verräth die Schilderung der Riesen und ihres Ge-
fangenen, daß H. keinem anderen als Chr. folgt. Auch hier hebe ich
die bezeichnendsten Stellen aus :
4359 Erec s'en va tote la trace.
ä esperons les jeanz chace.
tant les a chaciez et seuz
que il les a aconseuz.
4368 li jeanz n'avoient espiez,
escuz n'espees esmolues ;
fors que tant seulement macues
et corgies andui tenoient.
4364 et vit le chevalier en cors
deschau et nu sor un roncin,
les mains
liees
et les piez.
5377 Nu was er komen üf ir slä
und ilte in vil sere nä
unz er se begunde sehen an.
nu beten die zwene grözen man
weder schilt noch sper.
5385 waz ir wäfen wa^re ?
zwene kolben swajre.
5393 ouch fuorten die unguoten
zwo guiselruoten.
5399 er reit äne gewant
unde blöz sam ein hant.
geleit warn im die hende
ze rücke mit gebende
und die füeze unden
zesamene gebunden.
vil manegen geiselslac er leit
da er vor in hin reit.
ÜBER CHRISTIAN'S UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE.
167
4372 de quoi le Chevalier batoient
qui ja li avoient dou dos
la char rompue jusqu'as os.
4366 con s'il fust pris ä larrecin.
4376 li corroit co.treval li sans,
si que li roncins estoit toz
en sanc jusqu'au ventre desoz.
si sluogn in an erbarmen
so sere daz dem armen
diu hat ab hin hie
von dem houbet an diu knie.
5413 und wrere er begangen,
an diebes stat gevangen,
solher zuht waer ze vil.
5420 daz bluot regens wis flöz
des rosses siten hin ze tal:
ez was bluotic über al.
Ebenso groß ist im folgenden (H. 5428 — 55) die Übereinstimmung
mit Christian (4379 — 400). Nur ist bei H. Erec's Benehmen sanfter,
er sucht auf dem Wege der Güte mit den Riesen zu verhandeln : bei
Chr. tritt er gleich entschiedener auf. Sein Kampf mit dem Riesen
folgt im ersten Theile (5500 — 34) Schritt für Schritt der Beschreibung
Christians (4421 — 36). Nachdem Erec beide Riesen erschlagen, erzählt
H., daß den misshandelten Ritter inzwischen sein Ross fortgeführt, Erec
aber nach den Blutspuren ihn aufgefunden und zu seiner arme geschickt,
worauf ihm beide gedankt, der Ritter seinen Namen genannt und von
ihm an Artus Hof gesendet worden. Bei Chr. bringt Erec den Ritter,
der nicht vom Ross entführt wird, erst zur Geliebten, nachdem der-
selbe sich genannt und den Auftrag erhalten, nach Kardigan zu gehen.
Als die Frau den Geliebten wiedersieht, weiß Chr. (4534. 35) nur zu
sagen, sie habe sich gefreut, weil sie ihn nicht mehr zu sehen hoffte:
psychologisch richtiger sagt H. (5599 — 5626): sie hatte Liebe und Leid,
und knüpft daran ein Gleichniss»
Erec kehrt zu Eniden zurück; auch im Folgenden ist Christian
Vorbild:
4558
Erec toute voie ne fine
de chevauchier ä grant esploit
lii oü Enide
l'atendoit.
4564 que toz ses cors en sanc baignoit,
et li cuers faillant li aloit.
a un tertre qu'il avaloit
chei toz a un fais aval
jusques sor le col dou cheval.
si con il relever cuida,
5709 ouch schiet vil balde
wider üz dem walde
der tugentriche Erec
unde suocbte den wec
da er frowen Eniten
sin e hiez biten.
5719 des bluotes was er gar ersigen,
die siege heten in erwigen
daz im diu varwe gar erbleich
und im diu kraft so nach entweich
daz er mit grözer arbeit
hin widere gereit.
5329 als sich der halptöte man
zuo neigen began,
als er erbeizen wolde,
wand er ruowen solde,
fgg KARL BARTSCB
do was er su betoubet
Ia sele et les estriers vuida, daz im daz houbet
vor den füezen nider kam.
et chiet pasmez einen solhen val er nam
com s'il fust mort. daz er lac für tot.
lors commenca un duel si fort nü huop sich ein bitter not
und alles leides galle
quant cheoir le vit. von disem valle
Enide in froun Eniten muote.
molt li poise quant ele vit. von jämer huop diu guote
4577 en haut l'escrie... ein klage vil barmecliche.
si tort ses poinz. 5755 dar nach sluoc si sich zen brüsten
4580 ses crins commence a detirier 5759 daz här si vaste üz brach,
et sa tendre face dessire. an ir libe si sich räch
nach wipiiehem site;
woran H. wieder eine allgemeine Bemerkung knüpft (5763 — 72) , die
bei Chr. fehlt. Eniden's Klage behandelt H. frei, doch mit überein-
stimmenden Zügen: Chr. ist kürzer. Sie ruft den Tod (Chr. 4584,
H. 5885) und wundert sich, daß er zaudert (Chr. 4620, H. 5894); sie
klagt sich der Schuld an, weil sie das Wort gesprochen (Chr. 4588 — 93,
IL 5940—53); sie will, weil der Tod sie verschmäht (Chr. 4622, H.
6045), sich ihr Recht wider seinen Willen nehmen (Chr. 4626, H. 6050) ;
sie zieht das Schwert aus der Scheide (Chr. 4634, H. 6063) und be-
trachtet es (Chr. 4635, H. 6084); aber nur bei H. redet sie es an.
Es folgt das Abenteuer mit dem Grafen Oringles von Limors,
wie ihn auch Chr. 4913 übereinstimmend mit H. 6121. 22 nennt, nicht
li cuens orquitteus, wie Ginguene angibt. Seine Dazwischenkunft er-
zählen beide Dichter auf gleiche Weise. In seinem Gespräche mit
Enide hebe ich als beweisend namentlich hervor:
4650 si li commence h enquerre... 6171
s'ele estoit sa ferne ou s'amie. was er iwer aruis ode iwer man?
Tun et l'autre, fait ele, sire . beide, berre'.
Seine Trostrede, die bei H. passender, erst nachdem er sich mit
seinen Gesellen berathen, folgt, ist zwar im Deutschen ausgeführter,
hat aber denselben Gedankengang (Chr. 4657 — 72, IL 6215—80) und
ebenso Eniden's Antwort (Chr. 4674—78, H. 6285—300). In der An-
rede an seine Kitter, die bei Chr. der Graf erst im Schlosse ange-
gekommen hält, zeigt sich zum Theil wörtliche Entlehnung:
4714 en dementres li cuens conseille 6185
a ses barons priveenient. er sprach zr den gesellen sin
ein -dinc ist wol sebio,
+ Tbs vos povez bien apereevöir, daz muget ir wol schouwen,
lt <:e nu'ele est bele et sage, an dirre irouwen :
ÜBER CHRISTIANE UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE.
169
qu'ele est de molt gcntil lignage.
sa beautez mostre et sa franchise.
4716 seignor, fait il, isnelement
vuil ceste dame rccevoir.
4722 qu'en li seroit bien l'onör mise
ou d'un roiaume ou d'un empire.
swä si der ritter habe genomen
oder swie si her si komen,
si ist benamen ein edel wip:
daz zeigt ir minnecllcher lip.
6196 nu rastet vaste min sin
daz ich si ze wibe neme.
mich dunket daz si wol gezeme
ze frowen über min Iant.
ich habe kurze an ir erkant,
je ne serai ja de li pire. si ist mir gnuoc wol geborn.
Die eilige Hochzeitsfeier der widerstrebenden Enide (vgl. Chr.
4734—36, H. 6347 — 49) stimmt in allen Hauptzügen. Hartmann er-
zählt, daß der Graf Eniden zum Essen holen lässt und endlich selbst
kommt (6357 — 79): dies weicht von Chr. ab, der hier ganz kurz ist
(4739 — 42). Daß jedoch auch hier Chr. Werk, wenn auch vielleicht
in einer vollständigeren Hs. (in dem gedruckten Texte stimmen die
beiden Zeilen 4743. 44 nicht zum Zusammenhange) vorlag, lehrt die
dann folgende Übereinstimmung in den Trostreden des Grafen. Er lässt
sie auf einen Faltstuhl (faudestuel 4749, valtstuol 6429) sitzen, mit dem
gleichen Zusätze (estre son vuel 4750, sunder deine 6426'. Bei H. ist
des Grafen Rede rhetorisch kunstvoller, aber in den Gedanken auf
Chr. beruhend.
4765 povre esties, or estes riebe.
n est pas fortune euvers vos chiche,
que tel honor vos a donee
c'or seroiz comtesse clamee.
6470 e wärt ir arm, nü sit ir rieh.
6479 6 fuorent ir wiselös
unz iwer srelde mich erkös.
e wärt ir aller gnaden bar,
nü habt ir die ere gar.
6477 e muost ir üz der ahte sin,
nü ein mehtic gra?vin.
Er schließt mit der gleichen Aufforderung und Enide antwortet
auf gleiche Weise:
4777 mangiez que je vos en semon .
sire, fait ele, je n'ai son.
certes ja tant con je vivrai
ne maingerai ne ne beurai
se je ne voi maingier aineois
mon seignor qui gist sor ce dois
6505 nu ezzent durch den willen min .
do sprach diu edel künegin
herre, ir habt mir gnuoc gesaget.
6511 bi dem eide geloubet daz,
in minen munt kumt nimmer maz,
min töter man enezze e;
worauf sie der Graf schlägt (Chr. 4790, H. 6520), seine Barone ihn
tadeln (Chr. 4792. 94, II. 6528 ff.) und er dasselbe erwidert (Chr.
4801—3, H. 6545—48). Auf Eniden's Widerrede (Chr. 4805, H. 6574)
schlägt er sie nochmals (Chr. 4806, H. 6577) und mit großer Über-
einstimmung wird Erec's Erwachen geschildert.
170 KARL BARTSCH
4817 entre ces diz et ces tencons 6586 dö si so lüte begunde klagen,
revint Erec Erec fil de roi Lac
de paumoisons 6593 er lag in einem twalme
und erschrihte von dem galme
ausi eon li hons qui s'esveille. als der da wirt erwecket.
6597 er fuor üf von der bare
von fremdem gebäre
s'il ß'esbahi, ne fu merveille, und begunde mit den ougen sehen,
des genz qu'il vit environ lui. in wundert waz im waare geschehen
mais grant duel ot et grant ennui, und weste niht wier dar kam.
quant la voz sa ferne entendi. anderstunt er si vernam.
dou dois k terre descendi. 6614 üf sprang er mit grimme
4828 cele part cort oü il la voit. und rüschte vaste under si.
Bei Chr. ergreift Erec sein eigenes Schwert (4825), bei H. eins
von den an der Wand hängenden (6616 — 18). Die Flucht schildern
beide Dichter übereinstimmend (Chr. 4833—49, H. 6623-64); aber
H. anschaulicher, mit mehr individuellen Zügen, er fügt auch eine
Entschuldigung hinzu, warum in diesem Falle die Flucht keine Schande
gewesen (6665 — 86). Überall tritt uns sein liebevolles, an den han-
delnden Personen wie an Bekannten theilnehmendes Gemüth entgegen,
während der französische Dichter trockenes Sinnes nur den ihm vor-
liegenden Stoff wiedergibt und höchstens eine Sentenz, ein Sprichwort
einschaltet. Die Art und Weise, wie Erec wieder zu seinem Pferde
kommt, ist in beiden Gedichten dieselbe, nur mit dem Unterschiede,
daß die Begegnung mit dem Garzun (Chr. 4861, H. 6714) im fran-
zösischen Gedichte noch innerhalb des Burgthors geschieht (vgl. Chr.
4874, H. 6707). Die Versöhnung Erec's mit Eniden stimmt überein.
Bei Hartmann bringt ein aus Limors entronnener Knappe dem König
Guivrez Nachricht von dem Geschehenen (6812) ff.), bei Christian
allgemein la novelc (d. i. das Märe), der an Schnelligkeit nichts gleicht
(4903 — 6). Bei beiden Dichtern ahnt Guivrez, daß es sich um Erec
handle und will ihm zu Hilfe eilen: bei Chr. nimmt er tausend (4924),
bei H. dreißig Ritter mit (6854). Bei der Begegnung lässt Erec Eniden
absteigen und zur Seite gehen:
4938 descendre fait de son cheval 6886 nu erbeizent zuo der sträze,
Enide delez une haie. unz ir gesehet wiez erge .
n'est pas merveille s'il s'esmaie. ich warne der frowen e
lützel leider ie geschach.
4952 que por paor ne remenra 6880 nune wil ich äne wer
also zagelichen
que ä l'encontre ne lor aille. üz dem wege niht entwichen.
et s'il i a nul qui m'assaille, vil ringe ist min kraft.
ÜBER CHRISTIANS UND HAKTMANüTS EREC UND ENIDE. 171
de joster ne li faudrai pas, doch gibe ich in ritterschaft
se sui je molt doillant et las. ze etslicher inäze;
und ganz ebenso stimmt was über den Mond gesagt ist:
4965 qu'en I'ombre d'une nue brune 6893 der mäne bot in schoene naht,
s'estoit esconsee la lune. der dö der wölken was bedaht.
Nach dem Kampfe übernachten alle auf einer Wiese (parmi ces chans
Chr. 5077, an einem wiseflecken H. 7035). Der Vergleich Erec's mit
einem Schiffbrüchigen ist Hartmann's Znsatz (7060 — 77). Die Schil-
derung des Nachtlagers weicht insofern ab, als H. sie unter Bäumen,
auf einem Lager von Laub ruhen lässt: bei Chr. hat der König sein
Zelt mit (5087 if.) und die Bewirthung lässt nichts zu wünschen übrig
(5166 — 23), während bei H. vom Essen gar nicht die Rede ist. Doch
heißt es von den Betten auch bei Chr. fist un lit faire haut et lonc:
qiiassez troverent herb et jonc 5103. 4.
Die Schilderung von Guivrez Schlosse, bei Chr. Penurzs (5141),
bei H. Penefrec (7187) genannt (welcher Unterschied sich graphisch
leicht erklärt), ist im deutschen Gedichte sehr umständlich (7117 — 7200),
bei Chr. gar keine Beschreibung. Auch dies kann selbständiger Zusatz
Hartmann's sein und braucht nicht auf andere Quelle zu weisen. Beide
Dichter schildern dann ziemlich übereinstimmend Erec's Heilung durch
des Königs Schwestern (Chr. 5145, H. 7211); doch setzt H. hinzu,
das Pflaster sei von demselben ein Theil gewesen, das Fämurgän be-
reitet (7224—29). Den Abschied malt Chr. weiter aus (5214—69), wo
H. nur wenige Zeilen hat (7766—71. 87—89), der dagegen mehr als
500 Verse auf die Beschreibung von Eniden's Pferde verwendet. Daß
auch hier Christian's Schilderung (5270 — 5312) die Grundlage ist, zeigt
die Vergleich ung deutlich :
5274 ne valoit pas moins que li suens 7266 si het ir phärt verlorn. . .
qui estoit remes a Limors. üf Liinors.
5308 or ot bien Enide la perte 7271 daz si ez nü verlorn hat,
des sol doch wol werden rat;
dou vair palefroi restoree. si wirt es wol ergetzet.
7289 also was ez gezieret:
5278 partie estoit par tel devise, rehte geparrieret,
que tote ot blanche une joe, schilthalp begarwe
mit volblankur varwe.
et l'autre noire comme choe. 7305 alse swarz was disiu hie.
entre deus 73 10 zwischen den varwen beiden
avoit une ligne, was ein strich über geleit
wol eines halben vingers breit.
plus vert der strich grüene was
que n'est lüelle de vigne, unde rehte sam ein gras,
qui departoit le blanc dou noir. 7307 ez was doch swarz unde wiz.
172
KARL BARTSCH
5303 uns Grez taillierrcs qui la fist,
au taillier
plus de set anz mist.
5291 li ar9on estoient d'ivoire.
5302 toute ä fin or apareillie.
5301 sutil fu l'uevre et bien taillie.
5292 si fu entailliee l'estoire
coment Eneas
mut de Troie,
et com h Cartage ä grant joie
le recut
Dido en son lit
coment Eneas
la decut;
coment ele por lui s'ocist;
coment Eneas puis conquist
Laurente et tote Lombardie,
et Lavine
qui fu s'amie.
5289 la sele fu d'autre maniere,
coverte d'une porpre chiere.
dirre misseliche vliz
was schone underscheiden.
7469 ein meister hiez Umbriz *)
der doch allen sinen vliz
dar leite für war
wol vierdehalp jär.
7527 er (der satel) was von helfenbeine
und von edelem gesteine
joch von dem besten golde.
7535 su hete des meisters sin
geprüevet diz gereite.
7544 an disem gereite was ergraben
daz lange liet von Troyä.
7552 wie der herre Eneas,
der vil listige man,
über se fuor von dan
und wier ze Kartägö kam,
und wie in in ir gnade nam
diu riche frowe Diclo
unde wie er si dö
vil ungeselleclichen liez
und leiste ir niht des er gehiez.
7563 so was einhalp ergraben
ir vil starkez missehaben.
7567 bescbeidenliche stuont hie
swaz er dinges begie
daz sagebasre wesen mac
von der zit unz an den tac
daz er Laurente betwanc.
7574 jenhalp stuont daran
wie er frowen Laviniam
ze elichem wibe nam.
7581 da mite der satel was bedaht,
daz was ein phelle wol geslaht.
Hartmann fügt freilich noch eine Menge anderer Dinge seiner
Beschreibung hinzu, die aber nicht nothwendig aus einem französischen
Erec stammen , sondern von ihm hinzugedichtet sind , weil er Freude
am Schildern fand.
Bei Hartmann reiten sie fünf Meilen (7818), bei Christian trente
liues galesches (5323) und sehen eine Burg vor sich (Chr. 5325, H.
7819), von der der deutsche Dichter eine weitläufige Beschreibung gibt
(7833—92), während sie Chr. in wenigen Zeilen abfertigt (5326—29),
die aber auch bei Hartmann sich wiederfinden:
*) Auch dieser Name erklärt sich, wie so viele, durch Missverständniss oder falsche
Lesart aus ima grez.
ÜBER CHRISTIAN'« UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. 173
5326 tout clos entor de mur novel 7845 ein burcmüre hoch unt die.
et par desoz ä la roonde 7873 drunder
corroit une eue molt parfonde, t-in wazzer hin flöz,
lee et bruiant cornme tempeste. des val gap michelen döz;
und ebenso sind die bei Chr. folgenden Verse genau wiedergegeben
(Chr. 5330—36, H. 7893—96). Die Auskunft über das Schloß stimmt
so wohl im allgemeinen wie in den meisten Einzelheiten : der Name
(Brandiganz 5343, Brandigän 7958), der des Besitzers (Chr. 5358, H.
8604. 67) und des Abenteuers (joie de la cort 5419, joie de la curt
des ho/es freude 8001. 5). Im Schlosse ist Tanz und Spiel (Chr. 5458,
Hartm. 8062) ; die Bewohner klagen beim Anblick der Gäste, bei Chr.
(5462) um Erec, bei H. (8081) um Eniden. Ein Zusatz Hartm. ist,
daß Erec sich nicht um Vorzeichen und Angang bekümmert habe
(8122 — 39). Der Empfang ist fast wörtlich übereinstimmend:
5501 li rois Eurains enmi la rue 8174 der wirt gegen im gie
vint encontre, verre für daz bürgetor,
si les salue. da saldierte er in vor.
Eine nicht unwesentliche Abweichung sind die bei H. vorkom-
menden achtzig Frauen (8220—8357), von denen Christian gar nichts
sagt. Bei diesem folgt vielmehr bald nach dem Empfange das Essen
(5532 ff.), das H. dann auch erwähnt (8358 ff.)- Das folgende stimmt:
in dem Gespräche zwischen Wirth und Gast nennt H. die Namen
einiger in dem Garten erschlagener Ritter: Venegus 8501, Opinäus 8504,
Libaut von Winden 8505. Sie sind aus Missverständniss hervorgegangen,
Chr. 5730-31 führt Thiebäuz li esclavons , Opiniax und Ferragus als
Beispiele furchtloser Helden an In der Schilderung der Vorgänge
vor dem Kampfe treffen beide Dichter zusammen. Die Wehklage der
Bürgerschaft bei Christian ausführlicher (5656—73) als bei Hartmann
(8688—91). Auch die Beschreibung des Baumgartens harmoniert im
wesentlichen :
5691 8698 so was also erziuget
ou vergier der selbe boumgarte.
n'avoit environ 8702 ich sage iu daz dar umbe
ne mur müre noch grabe gie,
ne paliz se l'air non : noch in dehein zun umbe vie.
8750 man sach ein wölken drumbe gän
mais de l'air est de totes parz 8747 ich weiz wol daz unmanec man
par nigromance clos li jarz, den list ze disen ziten kan
da mite ditz w;is getan,
si que riens 8708 und künde doch dehein man
entrer n'i pooit. dar iu gen noch geriten.
5699 i avoit 8716 der vant da swes in gezam,
von wünneclicher ahte
174
KARL BARTSCH
llors et fruit maur.
et li fruiz avoit tel aur
que leanz se laissoit maingier,
au portier en fesoit daingier :
car que point porter en vousist,
jamais ä l'uis ne revenist. . .
tant qu'en son leu le fruit mesist.
5707 ne soz ciel n'a oisel chantant
qui plaise ä home tant ne quant
par lui desduire et resjoir
que 1 en ne i poist oir
plusor de chascune nature.
die boume nianeger slahte,
die einhalp obez baren.
8738 des obzes moht man ezzen
swie vil od swaz man wolde:
er muoste unde solde
daz ander da beliben län.
ez was dar umbe also getan,
ez mohte nieman üz getragen.
8731 und der vögele widerstrit,
den si uopten ze aller zit,
und solcb diu ougenweide,
swer mit herzeleide
waere bevangen,
ksem er dar in gegangen,
er müeste ir da vergezzen.
Bei Christian tritt alles Volk mit in den Garten ein (5718), hei
Hartmann nur Erec, Ivrein, Enide und Guivrez (8753 ff.). Nach dieser
geringfügigen Abweichung treffen beide Dichter wieder genau zusammen:
5726
5732
veoit
une merveilie
ill.
car devant aus,
sor pelz aguz,
avoit hiaumes luisanz et clers;
et s'avoit desa les cerclers
teste (Vorne desor chascun.
mais au chief des pex avoit un
oü il n' avoit neant encor,
fors que tant seulement un cor.
il ne set que ce senefie
ne de neant ne se detrie;
ainz demande
7764 im kämen si vil schiere
daz si da begunden sehen
des si von schulden muosten jchen
ez wa?re ein seltsame dinc.
hie was gestalt ein witev rinc
von eichinen stecken.
daz wundert Erecken.
ir ieglicher was sus bedaht,
<>in mannes houbt dar üf gestallt,
wan einer der was Ia?re.
w;'i von daz waere?
da hiong ein groz hörn an.
Erec do fragen began
wiez hier umbe wa?re getan ;
que ce puet estre.
worauf ihm derselbe Bescheid gegeben wird ; ganz wörtlich entlehnt
ist z. B. :
5760 que li pex vostre teste atent. 8789 der stecke der noch tare stät
der ist der iwer gebiten hat:
da sol iwer houbet fiffe stan.
Bei diesem Anblick und Bescheide beginnt Enide zu wehklagen
(Chr. 5781); bei H. wird sie, wieder psychologisch richtiger, ohn-
mächtig. Der Trost, den ihr Erec gibt, zeigt wiederum wörtliche.
Entlehnung aus Christian:
ÜBER CHRISTIAN'« UND HARTMANNS EREC UND ENIDE.
175
5785 et eil qui bien conut son euer
li a dit bele douce suer,
gentix dame loix et sage,
bien conois tot vostre corage.
paour avez grant, bien le voi :
si ne savez encor por qoi.
mais porneant vos esmaiez,
jusqu' k tant que veu aiez
que mes eseuz iert depeciez
et je dedens le cors plaiez,
et vos verroiz covent de sanc
les mailies de mon haubert blanc,
et mon bieume frait et quasse
et moi de mes membres lasse\
5802 lors porroiz faire vostre duel ;
que trop tost commancie" l'avez.
8837 Erec vil manlicben spraeb
frowe, lät den ungemach,
min süeze Enite.
ir weinet ze unzite.
waz get iu solher klage not?
weder bin ich siech oder tot ?
ja sten ich bt iu wol gesunt.
ir möhtent beitn unz an die stunt
daz ir mich saehent bluotvar
oder minen schilt zerhowen gar
douce dame, encor ne savez
que ce sera, ne je ne sai.
de neant estes en esmai.
mais sachiez bien certainnement :
s'en moi n'avoit de hardement
que tant con vostre amors nie baille,
ne doteroie ja sanz faille
cors a cors null rien vivant.
oder minen heim verschroten
und mich dar under toten,
dannoch hast ir guote zlt.
nu heizet ez doch ein strit
der under uns sol geschehen,
wem noch des siges werde gejehen,
des haben wir dehein gwisheit.
8861 so dürft ir niht so sere klagen :
wan ich wil iu zeware sagen,
het ich aller manheit
niender eines häres breit
wan der die ich von iu hän,
mir möhte nimmer missegan.
Ich denke, auch diese Übereinstimmung, wie so viele, kann nicht
zweifelhaft lassen, daß Christian's Erec und kein anderer Hartmann
vorgelegen.
Von dem Pavillon , den Erec in dem Garten erblickt und unter
dem eine Frau auf einem Bette sitzt (H. 8900—24), spricht Chr. nicht:
dieser erwähnt nur ein lit d'argent 5832 (vgl. H. 8953 — 55) covert cCun
drap borde ä or. Er beschreibt auch nicht die Kleider der Frau, wie
H. (8925 — 52) thut, aber beide Dichter rühmen ihre Schönheit (Chr.
5836 — 45, H. 8926 — 35, der nur Eniden ausnimmt). Auch im folgenden
ist Chr. kürzer: bei ihm findet sich keine Beschreibung des heran-
kommenden Ritters, wie sie II. (9010—22) hat. Das Wechselgespräch
zwischen beiden Männern, bei H. zum Theil stichomythisch (9028 — 47)
und mit Einfügung einer Fabel (9049 — 57), ist bei Chr. kürzer und
weniger kunstreich, bewegt sich aber in denselben Gedanken und
schließt mit der Ausforderung. Die Schilderung des Kampfes nimmt
bei H. viel mehr Raum ein (9069—9399) als bei Chr. (5890—5998).
Doch zeigt sich auch hier Entlehnung:
17(-> KARL BARTSCH
5891 que puis n'i ot reinnes tenues. 9082 diu ros si nänien mit den sporn,
n'orent mie lances menues. 9086 die eschinen schefte
wurden dö geneiget
und in diu vart erzeiget
5896 sor les eseuz par tex esforz zuo den nageln an der hant.
s'entiefierent des fers trancbanz, in mezzen wart du wol bewant,
que par mi les escuz luisanz wan si gereichten beide . . .
passe de chascune une toise. durch beide schilte unz an die hant.
mais li uns l'autre en pan n'adoise. die starken schefte ganz beliben,
ne lance brisiee n'i ot. swie sere se wurden dar getriben.
chascuns au plus tost que il pot wider zugen si diu sper,
a sa lance retraite h lui. in manlicher ger,
si s'entrevienent ambedui und riten von einander dan,
die zwene gelich gemuoten man,
et revienent äjoste droite u. s. w. durch justieren mere u. s. w.
Hartmann lässt sich bei dieser Schilderung durch seine Leser
interpellieren (9167), was natürlich sein eigener Gedanke ist und nicht
auf seinem Vorbilde beruht. Er und seine Nachfolger lieben diese Art
die Erzählung zu unterbrechen. Der weitere Verlauf des Kampfes zeigt
nicht so genaue Übereinstimmung, namentlich von 91 ">5 an weicht H.
stärker ab und folgt eigener Erfindung. Erst am Schlüsse, wo der
Sieger des Besiegten Namen wissen will, und auf ihm knieet, treffen
sie zusammen : vorher berühren sich nur einzelne Stellen (Chr. 5947. 48,
H. 9276. 77; Chr. 5952, II. 9302'. Bei Chr. nennt Erec dem Be-
siegten freiwillig seinen Namen und Mabonagrains erst im Laufe des
Gespräches (6083), bei II. Erec erst nach Aufforderung des Gegners
und lachend, weil es wider die Sitte ist (9365 ff.). Die Mittheilungen,
die Mabonagrfn über sein Verhältniss zu seiner Frau macht (9461 — 79),
finden sich bei Chr. später (6221 — 41) der Frau in den Mund gelegt
und ein wenig abweichend. Übereinstimmend in Bezug auf Inhalt und
Reihenfolge erzählen beide Dichter den Grund, warum Mabonagrin im
Garten gelebt, II. ausführlicher, aber mit vielen wörtlichen Anklängen,
namentlich 9562—73, vgl. Chr. 6044—46, 6059—61. — Das Zusammen-
treffen der beiden Frauen, ihr Gespräch und ihre Erkennung durch
dasselbe geschieht auf gleiche Weise, doch hat H. hier nicht größere
Stellen wörtlich nachgeahmt. Der König des Landes hält ein Fest,
das nach Chr. (6344) drei Tage, nach H. (9771) vier Wochen dauert,
an dessen Schlüsse Erec zu Artus abreist (6346 ff.). Bei H. fällt da-
zwischen die Bestattung der Häupter der Erschlagenen und Erec's
Fürsorge für deren Frauen, die er zu Artus mitbringt (9745 — 51 und
9781 — 9856), was bei Chr., der die Frauen gär nicht erwähnt, natürlich
auch fehlt.
ÜBER CHRISTIANE UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. \ft
Bei der Abreise erwähnt Hartmann, der Wirth von Brandigän
habe ein schönes kastilisches Ross bestiegen, die seinigen ros von Ravine
(9866), wozu schon Haupt bemerkt hat, es scheine hier ein Missver-
ständniss des französischen ravine vorzuliegen. Ein solches ist aus dem
Bekker'schen Texte nicht zu folgern*); wohl aber können andere Hss.
des Erec (sie verzeichnet Holland, Crestien S. 15) hier ausführlicher
sein und eine derartige Stelle haben. Dies ist um so wahrscheinlicher,
als gleich darauf, in den nächsten Zeilen, H. mit Chr. stimmt:
6348 grant gent ot ä lui convoier. 9868 und condwierten die geste.
Den Empfang bei Artus schildert Chr. ausführlich (6368 — 6458),
Hartm. dagegen ganz allgemein, erwähnt aber auch hier wieder die
trauernden Frauen (9902—5. 9916—61). Übereinstimmung lässt sich
nicht nachweisen, wie überhaupt gegen den Schluß hin H. selbständiger
verfährt. Zusammen treffen beide Dichter wieder bei der Botschaft des
Todes von Erec's Vater:
6460 li rois les retint avec lui, 9962 Erec der Eren holde
ses tint molt chier et honora. unde Guivreiz le pitiz
Erec ä cort tant demora, die wurden do en allen vliz
Guivrez et Enide, entrax trois, geeret unde enthalten . . .
9968 unz daz Erecke ein masre kam
que morz fu ses peres li rois. daz sin vater wsere tot.
Christian erzählt von Boten, die nach Tintajeul kommen, es Erec
zu melden (6466 — 75), Hartmann sagt nur ein rncere kam; der um-
gekehrte Fall Chr. 4903—6, H. 6813 ff. Erec lässt Messen für seines
Vaters Seele singen und beschenkt die Armen (6459) : letzteres sagt
auch H. (9980), nicht das andere. Dagegen schildert der deutsche
Dichter ausführlich Erec's Empfang in seiner Heimat. Christian erzählt
nicht einmal, daß Erec heimgekehrt, sondern bei ihm bittet Erec den
König Artus ihn zu krönen : worauf dieser einen Hof nach Nantes ent-
bietet, wohin auch Erec die seinigen kommen heißt (6516). Eniden's
Eltern werden gleichfalls dazu eingeladen (vgl. H. 10117) und dem
Könige und der Königin vorgestellt (6523 ff.). Auch bei II. gebietet
Erec eine töchzit (10055), aber in seinem Lande, und empfängt die
Krone (10062), aber nicht von Artus, der gar nicht mehr erwähnt wird.
Den Schluß des französischen Gedichtes bildet die Beschreibung des
Festes in Nantes : auffallend bricht es plötzlich darin ab mit den Worten
(6891-94):
ne porquant, si je ne les vi,
bien en seusse raison rendre;
mais il m'estuet aillors entendre;
*) 216ß heißt es et sist sor un cheval (Virlande, qui l'en pprtoit de grcmt ravine.
GERMANIA VII. 12
178 KARL BARTSCH
worunter vom Schreiber explicit cV Ertc et dCEnide. Es ist kaum zu
glauben, daß dies der wirkliche Schluß von Christian's Gedichte sein
sollte. Die Pariser IIs. (Cange 27), bei Holland S. 25, schließt be-
friedigender, indem sie wenigstens die Beschreibung des Festes zu
Ende führt; aber auch sie bricht mit einem huimais pores o'ir avant ab,
was auf einen unvollständigen Text deutet, gerade wie der Schluß des
Bekker'schen Textes auch. Eine andere Hs. , auf der San - Marte's
Auszug (Arthursage S. 299 — 320) beruht, berichtet in der That von
Erec's Heimkehr in sein Land. Der Umfang des Gedichtes wird nach
den IIss. verschieden angegeben : während der von Bekker heraus-
gegebene Text 6894 Verse zählt, soll eine andere Hs. (Mr. Cange 73,
Holland S. 23) nur 6545 haben. Wie in dieser, wenn die Angabe
richtig, offenbar Weglassungen stattfinden, so konnte die von H. be-
nutzte Hs. einen vollständigeren Text orehabt haben.
Es scheint daher eine Vergleichung der übrigen Hss. des fran-
zösischen Erec sehr wünschenswerth, hauptsächlich um denjenigen Text
zu ermitteln, der dem von Hartmann benützten am nächsten steht.
Die Übereinstimmung zwischen Hartmann und Christian würde sich,
namentlich im Ausdruck, wahrscheinlich noch mehren, keinesfalls min-
dern. Auch für die Kritik Christian's wäre es von hoher Wichtigkeit,
eine bestimmtere Anschauung von dem französischen Texte zu gewinnen,
da wir auf diese Weise eine Hs. kennen lernen würden, die an Alter
alle bisher bekannten überträfe und der Abfassungszeit des Gedichtes
sehr nahe stände. Möge der von Bekker herausgegebene Text relativ
der beste sein, worüber mir kein Urtheil zusteht, so folgt daraus nicht,
daß nicht relativ schlechtere Hss. an einzelnen Stellen und ganzen
Partien das echte enthalten können. Daß die altfranzösischen Dich-
tungen wegen der leichteren Versification und des leichteren Reimes
von den sie vortragenden Jongleurs vielfach verändert und interpoliert
wurden , lehrt die Vergleichung der Hss. bei andern Gedichten und
zeigen mehrere Zeugnisse ; in der Einleitung seines Erec sagt Christ. :
d'Erec, le fil Lac, est li contes,
que devant rois et devant contes
depecier et corrompre suelent
eil que de conter vivre vuelent (19 — 2 2),
oder, was andere Hss. bieten, eil que contrerimoier vuelent 'die Reime
fälschen'; vgl. Holland S. 24.
Um zu zeigen, daß auch der Bekker'sche Text nicht bloß 'für
wenige Verse noch Einsicht der übrigen Händschriften zu wünschen
übrig lässt, lasse ich eine Reihe Berichtigungen folgen. 4 lies por ce,
ÜBER CHRISTIANE UND HARTMANN'S EREC UND ENIDE. J7<)
wie Gange 73, Paris. 6987 (Holland S. 22. 23) lesen. - 111 e« la
roine Ven va merdant, ein Vers von zehn Silben, auf den reimen soll
beax amis , vostre compaignie ! Offenbar ist zu lesen et la roine Ven
mercie. 155 — 157 ist verderbt: cel chevalier alez kann man nicht sagen,
in iVainors scheint ein Verbund zu stecken, von dem chevalier abhängt :
ich glaube demander ce fait la roine, 'cel chevalier qui lä chemine alez.
164 qui de folie fit toz plains; dem Sinne und dem Charakter des
Zwerges angemessener ist die Lesart, die San-Marte's Text (Arthur-
sage S. 301) bietet: qui de felonie fut piain; vgl. 208. 212. — 187. 188
lies hleciee: corrociee; ebenso ist blecUe 191 zu lesen, weil sonst der Vers
zu kurz ist; denn blecie ist zweisilbig (vgl. 229). — 292 lies ceste. —
409. 410 lässt B. reimen rnervoillie: feie"; vielmehr ist zu schreiben
niervoilliee: fSe, aber auch so fehlt dem zweiten Verse eine Silbe, feiee
aber wäre Adjectiv, prov. fadada. — 562 lies mnes statt meues, denn
346 reimt mues:rues. — 591. 592 reimt Va:Va; wenn auch solche
Reime bei Christian nicht unerhört sind (vergl. W. Grimm, zur Ge-
schichte des Reimes S. 176), so liegt es doch nahe, hier durch leichte
Änderung ihn zu entfernen, indem man schreibt ä toz jors deservi taura.
■ — 623 fehlt eine Silbe: lies li hiaumes est et bons et beax, vgl. 1409
car mout le vit et bei et gent. — 679. 680 auffallend reimt IU (keta)
statt liee oder lie auf outroU; die Form lie reimt auf seignorie 1302.
Ein ähnlicher Reim begegnet 1231 outroie : mesnie, was auch zu ändern
ist, wenn man liest: la remenance lor outrie (: mesnie). So ist auch hier
wohl lie : outrie (Präsens) das echte. - - 683. eine Silbe zu viel , denn
meisme ist dreisilbig, wie 703 und öfter; vielleicht aber ist vor honorie
zu elidieren. — 729 lies de Vernois ä parier ne fait. 746 vielleicht
zu lesen li uns dit ä Vautre en Vorritte, wie 4096 steht. — 827 reimt
nuleihme; das könnte als ungenauer Reim gelten: wahrscheinlich aber
ist lune statt mde, wie prov. lunh statt nulh. -- 914 agrigneroit; besser
agreigneroit oder agraigneroit, und darnach ist zu bessern engignerai 240
in engreignerai oder engraignerai ; vgl. 2005 und San-Marte (Arthursage
S. 302). — 1005 lies mesfait ; übrigens fehlt eine Silbe, daher zu
schreiben et se de rien mesfait vos ai. — 1018 lies tele und de bot (:plot),
vgl. 852. — 1109 corroca für corroga und 1131 d'illucques für d'illueques
sind wohl nur Druckfehler; ebenso 1293 puit für puis. — 1179 fehlt
eine Silbe: lies saluee Va tot premiers. -- 1395 nach prent ein Komma,
höchstens ein Kolon. — 1591 et vor bloies überfüllt den Vers und
muß daher gestrichen werden. — 1615. 16 lies bailliSes : aparoilliSes.
— 1673. 4. lies diesme : quinziesme. — 1677 gehört noch zum vorher-
gehenden Satze: nach reonde ist der Punkt zu setzen. — 1823 lies
12*
180 KARL BAETSCH
baisiee, weil sonst der Vers zu kurz ist. — 1869. 70 lies Mont- Revel
Vun opeloit Van (: Rodelan) , vgl. 1325. 29 und Hartm. 1827. — 1871
lies ses chasteleins ; die ganze Rede ist indirect. — 1881 lies en es lejor. —
1893 muß der Plural stehen; daher ist zu lesen quü les tendroient aussi
chiers. — 1905. 9 lies que statt qui. — 1922 ist um eine Silbe zu lang:
entweder molt oder i ist zu streichen. — 1942 lies frere oder frers. —
1978 lies jone. — 1981. 82 lies centures : Arlures. — 1986 fu ist zu
streichen, denn Briens ist zweisilbig, vgl. 1988. — 2067 um eine Silbe
zu kurz: wohl ne Brangiene en son leu mise. — 2079 lies vuidiee. —
2373. 74 lies seingniee : enseingnUe. — 2456 lies changiee. — 2581 lies
forsenage. — 2642 lies se pernent tiiit ä mervoillier. — 2665. 66 lies
aperoilliee : merveilliee. — 2677 lies chascuns se paroffre et presente , vgl.
832. 3261. — 2767. 68 lies essaucUe : abassiee. — 2828 isnelepas lies
en es le pas. — 2846 lies esloingniees. — 2965 assez niocie, wahrschein-
lich lassez mocie 'gesetzt er tödte mich.' — 3071. 2 reimt vindrent:
pristrent; offenbar ist an zweiter Stelle die auch vorkommende Form
prindrent zu schreiben. — 3373 nach prendre ist natürlich ein Komma
zu setzen. — 3409 ist metrisch richtig, wenn man Hiatus annimmt:
besser indeß qxüil ßanciee li avoit. — 3427. 28 lies couchiee : corrociee. —
3434. 35 ist zu interpungieren bien sei que sHl Va enbaillie, de son seignor
ne puet faiüir. — 3491 lies merite (Druckfehler). — 3548 vermuthlich
desprisiez (: prisiez) für despisiez zu lesen. — 3672 zu kurz ; denn hiamne
ist zweisilbig: daher zu lesen brun et luisant. — 3718. 9 lies qui la
menace molt et cJwse et comande quele se taise: Bekker Ca menace und
commandS; aber aus chose sieht man, daß auch die andern Verba Prä-
sentia sind. — 3712 um eine Silbe zu kurz; wohl paroler statt parier.
— 3815 lies brisiee. — 3881 desor moi: lies desormais. — 3972 lies
vuilj Bekker uiil. — 4106—8 ist directe Rede: der Übergang aus in-
directer in directe ist im Altfranz, ebensohäufig wie im Deutschen. —
4127 lies ont (Druckfehler); ebenso 4207. — 4194 nach place keine
Interpunction; ebenso 4240 nach aprerfer. — 4412 ne ist schwerlich
richtig, vermuthlich plus. — 4629 fehlt eine Silbe, vielleicht ne riens
ne nie vaudroit complainte. — 4640 der Punkt nach aleure ist zu tilgen.
— 4664 US ist nicht richtig, vielmehr lie zu betonen (vgl. zu 679). —
4674 finez soll auf deduiez reimen ; das ist ganz gegen den Gebrauch
französischer Dichter; man lese fuiez, und vermuthlich wird auch die
IIs. so lesen. — 4687. 88 besser reimt no viicovi oder non viiconvi,
wie le va:leva 4432, lo gie:logie 5081 und oft. — 4713 um eine Silbe
zu kurz, ohne daß es bezeichnet wäre; lies quele merveille. — 4754 lies
rienragevis. — 4829 vielleicht zu ergänzen et fiert parmi le vis le conte. —
ÜBER CHEISTIAN'S UNI) HARTMANN'S EREC UND ENIDE. 181
5039 nach avoit fehlt wohl eine Negation oder ja. — 5069 en saint
leu würde heißen fan heiligem Orte', genieint ist aber en min hu
'gesund gelegen, vgl. 5146. — 5116 nach li ist keine Interpimction
zu setzen. — 5292 lies entaillUe. — 5301. 2 lies taillUe : aporcillUe. —
5391 tercuel ist zwei-, nicht dreisilbig, vgl. 1972, daher zu schreiben
maint tercuel et rnaint espervier. - 5347 wohl jusquä Liege. — 5534
pss scheint nicht sowohl Druckfehler als aus unrichtiger Auflösung von
pls = plus hervorgegangen. — 5629. 30 lies irUe : empirUe. — 5641 lies
empiriees. — 5750 die Worte bien Vavons conneu sind als Parenthese zu
fassen. — 5984 fehlt eine Silbe, etwa que je Voie, aber auch Voie ist
nicht richtig, denn das Object folgt, daher zu schreiben que je oie la
verite. — 6070. lies naeroit (Druckfehler?) von ncer cnier. — 6066 lies
foimentis oder foimenti. — 6070 lies avoie statt auoi*. — 6121 um eine
Silbe zu lang: entweder fair oder ne chanter. — 6177 lies corociee:
dreciee. — 6235. 36 falsch interpun giert ; lies ä moi plot et lui cCautre
pari. <moi demora et lui fu tart. — 6241 lies estions. — 6265. 66 l.
deseonsoilliSe : aporoilliee. — 6319. 20 besser als ein Satz aufzufassen. —
6466 nach inessage ist ein Komma zu setzen. — 6551 statt coste ist
coste (: oste) zu lesen, wie poverte (— poverte) : overte 4763. — 6678
lies tailliee. — 6697 das zweite grant ist zu streichen. — 6745 lies
cTor. — 6769 vielleicht Larges als Eigenname? und demgemäß 6780
Larges U rois. — 6784 es ist nicht nothwendig eine Lücke anzunehmen;
man schreibe corroit für corrent.
Die vergleichende Darlegung beider Gedichte hat ergeben, daß
Hartmann nicht nur im Thatsächlichen, im Verlaufe der Erzählung, fast
überall zu Christian stimmt, sondern auch in dem was dem französischen
Dichter als Eigenes gehört, in Gesprächen, Beschreibungen, Vergleichen
u. s. w. hat der deutsche zahlreiche Stellen wörtlich (so viel ihm die
Gebundenheit des Verses und Reimes es erlaubte) wiedergegeben (vgl.
auch W. Grimm's Athis und Prophilias S. 372). Die meisten Ab-
weichungen sind der Art, daß sie sich als absichtliche Änderungen
Hartmann's kund geben , der in soweit seinen Stoff beherrschte , als
er das unpassende mancher Situation in seinem Vorbilde durch leichte
Motive zu mildern suchte oder Andeutungen in seinem Originale zu
neuen Situationen erweiterte. Hartmann's sinnige und maßvolle Natur
findet, bei aller Abhängigkeit im Stoffe, wie sie die Gewohnheit und
Überlieferung mittelalterlichen Dichtern auferlegte, doch noch immer
reichlich Gelegenheit sich geltend zu machen. Er fühlt das Unschick-
liche, wenn bei Chr. Eniden's Vater seiner Tochter Schönheit rühmt,
die reiche Kleider senuo; bekommen könnte und keinem Fürsten zur
182
KARL BARI S< B
Schande gereichen würde; und lässt diese Prahlereien weg (oben S. 143).
Aus gleichem Grunde ändert er die Beschreibung und die Bewirthung
im Hause von Eniden's Eltern, die bei Christian im Widerspruch zu
ihrer Armuth steht, naturgemäß ab (S. 144). Er lässt den Vater Enidens,
dem Erec den Antrag macht seine Tochter zu heiraten , misstrauisch
sein und an dem Ernste des Antrages zweifeln (S. 145). Das Misstrauen
des Armen kann der feiner fühlende Erec Hartmanns nachempfinden
und scheut sich es zu wecken und so den Armen zu verletzen (8. 149)-
Bei Hartmann besteht Artus darauf, daß Erec an seinem Hofe die
Vermählung feiere, während bei Christian Erec den König darum bittet
(S. 153). Der Tadel Erec's über Eniden's unerlaubtes Sprechen geschieht
bei Hartmann immer erst nach überstandener Gefahr (S. 159 fi'.). Die
schamlose Äußerung, die Christian, wenn auch eine als Verstellung,
Eniden dem Grafen gegenüber thun lässt, hat Hartmann nicht in sein
Gedicht herübergenommen (S. 162, Anm.). Das Nachtlager im Walde,
mit dem Könige Guivrez, wird von Hartmann der Sache und den Um-
ständen gemäß geschildert, daß sie unter Bäumen auf Laub geschlafen,
vom Essen ist nicht die Rede, während Christian von mitgebrachten
Zelten und Speisekisten spricht (S. 171).
Hartmann fügt psychologische Bemerkungen ein, die seinem Vor-
bilde fehlen und die uns den Charakter des deutschen Dichters von
der liebenswürdigsten Seite zeigen: so über die Schämigkeit der Frauen
(S. 149). Er bemerkt, daß die wilden Rosse sich Eniden's Leitung
willig gezeigt (S. 160). Er fügt eine Charakterschilderung Kai's ein
(S. 165) und setzt entschuldigend hinzu, daß die Flucht vor dem vom
Tode erstandenen Erec keine Schande gewesen (S. 170). Unwahrschein-
lichkeiten der Erzählung sucht Hartmann so gut er kann zu erklären,
so den Umstand, daß Enide immer früher die Gefahr herankommen
hört als Erec, durch seine Rüstung (S. 162). Als unwahrscheinlich er-
laubt er sich Zahlen zu ändern, so, wenn Guivrez bei Christian tausend
Begleiter mit sich nimmt (mit denen dann Erec in Kampf geräth),
macht Hartmann nur dreißig daraus (S. 171); umgekehrt erhöht er die
Dauer des Festes auf Brandigan, die Christian auf drei Tage angibt,
auf vier Wochen (S. 177).
Andeutungen des Originals werden von Hartmann zu neuen Zügen
und Situationen erweitert, so in der Schilderung von Erec's Eintritt
und Ankunft bei Eniden's Vater (S. 143), und die erfundene Erzählung
Enidens, daß sie von ihrem Gatten geraubt worden (S. 162).
In den Beschreibungen und Schilderungen von Äußerlichkeiten
ist Hartmann theils kürzer, theils länger. Kürzer z. B. in der Be-
ÜBER CHRISTIANS UND HARTMANN'S EREC l'ND ENIDE. 183
Schreibung der Kleider, die Enide von der Königin bekommt (S. 150),
und einmal mit ausdrücklicher Bemerkung (S. 163). Meist aber ist er
länger, so in der Schilderung der fünf alten Könige, die zum Turnier
kommen (S. 154), in Erec's Ausrüstung zum Turnier (S. 156) und über-
haupt in der ganzen Turnierschilderung, die aber doch auf Christian
beruht (S. 156 — 157). Ferner in dem Excurs über Fämurgän (S. 165), die
Hartmann auch später nochmals hereinzieht (S. 171), in der Schilderung
der Burg (S. 171), in der Beschreibung von Emdens Pferde (S. 171 ff.),
des Zeltes im Garten (S. 170) und dos Kitters, mit dem Erec daselbst
kämpft (ebd.).
Bis hierher können wir uns die Abweichungen erklären und den
Gründen, aus denen sie Hartmann sich erlaubt, meistentheils nach-
gehen. Wir können jedoch nicht verschweigen, daß sich manche that-
sächliche Unterschiede von größerer Bedeutung finden, die nicht so
schlechthin als Willkür des deutschen Bearbeiters gelten dürfen, sondern
bei denen die Frage nach einer andern Quelle berechtigt erscheint.
Betrachten wir zuerst die Namen, so scheinen bald im Beginn des Ge-
dichtes einige zu solcher Vermuthung Anlaß zu geben. Hartmann nennt
das Schloß Tulmein, auf welchem der Herzog Imdtn, der Veranstalter
des Sperberfestes, wohnt (S. 143); allein beide Namen sind durch Miss-
verständniss zu erklären, vielleicht eines und desselben Wortes. Chri-
stian sagt 1347:
et sa cosine estoit germaine
et niece le conte domaine;
daraus oder aus einer ähnlich lautenden Stelle machte Hartmann einen
Mann, Namens Imain (d' 'Omain- e)*), und aus einer andern Stelle, 6200
niece, fait ele, sui le conte
qui tient Lalut en son domainne,
ist daz hüs Tulmein hervorgegangen. Ahnliche Missverständnisse sind
in der deutschen Litteratur nicht selten: ich will hier nur ah Herborts
meisler Donjon erinnern, der aus Benoits li mestre dovjons 'der Haupt-
thurm' entstand (vgl. Frommann in dieser Zeitschrift 2, 77).
In Hartmann's Erec selbst begegnen wir noch anderen Missver-
Ständnissen dieser Art, so die ros von Ravine (S. 177), die allerdings
aus keiner Stelle des Bekker'schen Textes erklärlich sind , und die
Ritter Venegus, Oj/ina.v und Libauz (S. 173). Dahin gehören auch die
Namen Tanebroc und Prürin (Euroc), von denen ich schon oben (S. 156)
*) Ein ähnliches Missvefständniss scheint sich ein neuerer zu Schulden kommen
zu lassen, wenn er von einem pauvre preudhomme vassal du baron deyCeans spricht
(San-Marte, Arthursage S. 303).
184 B A15L BARTSCH
gesprochen habe. Endlich der Name des Zwerges Maledicur (S. 147),
den Wolfram (Parz. 401, 14), ohne Zweifel aus Hartmann's Erec, J/a-
liclisier nennt. In der Endung scheint letztere Form den richtigen
Vocal zu haben: Wolfram reimt den Namen auf condeicier. Auch
dieser Name ist aus Missverständniss einer Stelle Christians zu er-
klären. Nachdem Yders, von Erec besiegt, sich an Artus Hof und zur
Königin begeben, sagt diese zu ihm (1200):
puis qu'en ma merci ci es niis,
plus en iert la merci legiere,
ne n'ai talant que mal te quiere.
Las etwa Hartmann in der letzten Zeile ne demande que mal li
quiere; so konnte er bei dem geringen Verständniss des Französischen,
das er besaß, sie verstehen cich verlange nur Malliquier, und aus dieser
Form konnte leicht Maldisier und ähnliches werden. Allerdings wird
bei Hartmann der Name schon früher genannt, gleich nachdem Erec
seinen Gegner besiegt hat (1076), aber derselbe Fall, das Heraufnehmen
eines bei Christian erst später genannten Namens, begegnet bei Enidens
Eltern, die Chr. erst am Schlüsse (6846. 48) *) , Hartmann gleich am
Anfang (427. 429), und bei Eniden selbst, deren Namen Christian zum
ersten Male bei der Vermählung nennt (S. 154).
Wenn daher aus diesen Namen nur ein stellenweis abweichender
Text, nicht aber Benutzung eines andern Gedichtes gefolgert werden
kann, so müssen einige andere Züge geltend gemacht werden, bei denen
solche Erklärungsweise nicht genügt. Zwar die Nennung anderer Ritter
der Tafelrunde bei Hartmann lässt sich so erklären , daß er andere
frauzösiche Dichtungen über Artus gekannt und aus diesen weitere
Namen hier eingetragen (S. 150 ff.). Dagegen rechne ich hierher die
Bewirthung durch den Knappen im Walde und was ihr zunächst folgt
(S. 160 ff.), die Einladung des Zwerges König Guivrez (S. 164J, die
Einführung der achtzig Frauen auf Brandigan (S. 173. 177) und endlich
der Schluß der Gedichte, der indess insofern übereinstimmt als beide
Dichter eine Festschilderung geben, Christian eine lange, Hartmann
eine gedrängte, und auf den ich insofern weniger Gewicht legen möchte,
als das Abbrechen des Bekker'schen Textes zu deutlich hervortritt und
andere Hss. das Gedicht um einen Schritt weiter zu führen scheinen
(S. 178).
Ehe wir daher, gegenüber der unverkennbaren Übereinstimmung
zwischen Christian und Hartmann im Großen und Kleinen, in der An-
*) Was Pfeiffer (Germania 4, 196) entgangen ist.
ÜBER CHRISTIAN'S UND HARTMANNS EEEC UND ENIDE. JS5
läge des Ganzen wie in der Ausführung des Einzelnen, uns der Ansicht
anschliessen, es habe dem deutschen Bearbeiter ein anderer Erec vor-
gelegen als das Gedicht Christians , scheint es unerlässlich, die fran-
zösischen Handschriften sowohl in einzelnen Lesarten als im Ganzen
zu vergleichen. Sie werden das Resultat, zu welchem unsere zerglie-
dernde Vergleichung gelangt ist, nicht umstoßen, vielmehr dazu bei-
tragen, einen dem Hartmann'schen im Einzelnen noch näher stehenden
Text zu ermitteln.
Eine in's Einzelne gehende Vergleichung der deutschen höfischen
Dichtungen mit ihren französischen Originalen scheint für die richtige
Würdigung beider Litteraturen von großer Wichtigkeit. Wir lernen
dadurch in die Gedankenwerkstätte unserer Dichter blicken; wir sehen
(und das wird auch vorstehende Untersuchung hoffentlich erreicht haben)
die engen Grenzen, innerhalb deren sich die dichterische Kraft gegen-
über der 'Quelle' bewegte, und lernen eben deswegen, soviel wir auf
der einen Seite von der Selbständigkeit abziehen müssen, auf der
andern Seite unsere Dichter doppelt lieb gewinnen, die, mit solchem
Zwange umgeben, es doch verstanden, die mehr oder weniger trockenen
Vorbilder fmit warmem Leben' zu erfüllen und ihnen, wie W. Grimm
(Athis S. 372) es schön ausspricht, fdie deutsche Seele einzuhauchen'«
ROSTOCK, im November 1861.
ZUM MÄRCHEN VOM ZAUNKÖNIG.
(Germania, t>, 80— 10b'.)
Die zweite der von Pfeiffer besprochenen Bearbeitungen dieser
Fabel (6, 87 — 89) ist nach einer vollständigeren Handschrift als die
Stuttgarter ist, in Fichard's Frankfurtischem Archiv für ältere deutsche
Litteratur und Geschichte 3, 316—323 abgedruckt. Die den Eingang-
bildende Anrede des Königs, die in der Stuttgarter Handschrift fehlt,
lautet hier:
Ich byten uch herren alle gar
Das ir rnyner eren nement war
Und das myn lant in fryden sy
Das ich von laster leben fry (/£i/i&&€*n
Und radent mir wy das ich
Möge bewaren min konigrich
Und wisent recht und eben
Wie ich solle in eren leben.
|S(; KARL BARTSCH
Dem Rathe des Geiers, der in der Stnttg. Hs. den Anfang bildet,
gehen noch zwei Absätze von je sechs (im zweiten fehlt jedoch eine
Reimzeile) Versen vorher. Die Namen der Vögel sind hier und in
allen folgenden Absätzen nicht hinzugefügt. Im Ganzen sind es dreißig
Absätze, also 29 Rathgeber; ein regelmäßiger Wechsel zwischen guten
und bösen Rathgebern findet nicht statt.
Von der dritten Bearbeitung, die ich in der Einleitung zur Er-
lösung S. XLIII — XLV nach einer Nürnberger Handschrift habe ab-
drucken lassen, und von der Pfeiffer (S. 89) noch eine S. Florianer
Handschrift anführt, gibt es oder gab es noch eine dritte, eine Papier-
handschrift vom Jahre 1475 (8 Bl. fol.) auf der königl. Bibliothek zu
Berlin, aus der Bibliothek des Christoph von Wolkenstein (1594)
stammend. Hier hat das Gedicht 23 gute und 23 böse Rathgeber. Der
Anfang lautet :
Das Chünigl.
Ir herren gebt mir ewren rat
Wye wir des landes er behaltn.
Adlar.
Her du solt in milde gebn
So macht du wol in ern lebn.
Stockar.
Her du vrizz allain dein speys
So dunckest du mich weys.
Vgl. Serapeum 12, 339, wo zugleich bemerkt wird, daß die Hand-
schrift nicht mehr vorhanden sei. Sie enthielt außerdem poemata moralia
nun figaris, wohl auch deutsche didaktische Gedichte.
Ein niederdeutsches Gedicht desselben Inhaltes ist abgedruckt in
Brun's Gedichten in altplattdeutscher Sprache S. 135—140, aus einer
Helmstädter (jetzt Wolfenbüttler) Handschrift. Als König ist hier nicht
der Zaunkönig bezeichnet, aber die Übereinstimmung mit dem nieder-
ländischen Gedichte, welches Maßmann in der Germania 6, 232 mit-
getheilt hat und von dem es gleichwohl verschieden ist (es stimmt
z. B. wörtlich der Rath des Aaren, vgl. auch Germania 6, 95; ferner
der Rath der Unke S. 137:
wen di arme lüde clagen,
den scaltu richten unvorsagen,
mit German. 6, 83:
und wenn die armen uch clagen,
daz süllent ir enden und nit vertragen;
ZUM MÄRCHEN VOM ZAUNKÖNIG. 187
im Sinne stimmt was der Kibitz S. 138 räth mit dem Käthe der Eule
Grerman. 6, 85; wörtlich wieder die Rede des Wiedehopfs S. 138 mit
den zwei ersten Zeilen desselben Vogels German. 6, 86, 103), zeigt
deutlich, daß nur der Zaunkönig gemeint sein kann.
Ein anders niederdeutsches Gedicht befindet sich in einer Stock-
holmer Handschrift, die im Serapeum 10, 38 erwähnt wird. Das
Gedicht beginnt :
Hir begynders de vögele spräche
Velle nuts mag me dar ave markens.
Nach diesen Zeilen, die eine Art Überschrift zu bilden scheinen,
lässt sich nicht beurtheilen, ob es eine der schon bekannten Bearbei-
tungen ist.
Noch bemerke ich, daß das zweite niederländische Gedicht, welches
Maßmann (Germania, 6, 232) erwähnt, bereits in Serrure's vaterländ.
Museum 1, 319 — 321 gedruckt ist, vgl. Hofimann's Übersicht (2. Aus-
gabe) Nr. 501, S. 43; es enthält 52 Reimzeilen.
KARL BARTSCH.
DER RHEIN UND ANDERE FLÜSSE IN SPRICH-
WÖRTLICHEN REDENSARTEN.
Bei den mittelhochdeutschen Dichtern begegnen uns oft Flüsse,
voran der Rhein , in sprichwörtlicher Weise. Zuvörderst war es eine
beliebte Sitte Gränzen nach Flüssen zu bezeichnen. Namentlich mußten
der Rhein und die Rhone (Roten), der Po (Pfät) und die Elbe dazu
dienen. Sie galten ja als natürliche Marken des deutschen Reiches. Schon
in der Kaiser-Chronik werden uns Rhein und Rhone als Gränzen genannt :
Von dem Rine unz an den Roten
so vlugen boten ubir boten,
Diemer 467, 31. Maßm. 15283.
Ebenso im Nibelungenliede:
vonme Roten zuo dem Rine üf bi Elbe unz an daz mer
so ist ir deheiner also gewaltic niht. 1268, 2.
Walther und Neidhart nennen die Elbe neben dem Rheine
von der Elbe unz an den Rin
und her wider unz an Ungerlant. Walth. 56, 38.
daz ez lüte erhillet von der Elbe unz an den Rin.
Neidh. ed. Haupt 73, 23.
188 I- V. ZINGEELE
Hieher gehören noch die Stellen:
Swaz meister in den landen ist
bi Rine und bi der Elbe,
die künden ein gewelbe
von künsterichen Sachen
so starkez niht gemachen,
als einez an dem turne lac.
Konrad's Trojan. 17482.
Öfters kommt das Meer im Gegensatze zum Rhein vor. Z. B. :
von dem mere unz an den Rin. MSF. 3, 8.
von dem mer biz an den Rin.
Enenkel. Maßm. Kehr. III, 188, 103.
daz msere witen wart erkant
von dem mer unz an den Rin. Enenk. Ebd. III, 430, 6.
Neben Po steht Rhein bei Hildebold v. Schwangau:
von dem Pfade unz üf den Rin. MSH. 1, 282.
Ein andermal sind Maas und Rhein zusammengestellt:
enzwischen Mase unt dem Rine.
Herzog von Brabant MSH. 1, 17a.
Als Grenze begegnet uns auch der Rhein im Verse:
sam im dien daz lant von Ungern an den Rin.
MSH. 3, 289».
Rhein, Elbe und Po nennt Neidhart nebeneinander :
Von hinne unz an den Rin,
von der Elbe unz an den Pfät,
diu lant diu sint mir elliu kunt. ed. Haupt 93, 15.
Die Elbe kommt außerdem als Gränze vor:
zwischen der Elbe und dem mer. Biterolf 13329.
Die Rhone wird noch genannt in folgenden Stellen:
von Grikuläne unz an den Roten. Wolfr. Wilh. 86, 21.
diu scheenest und diu beste frouwe
zwischen Roten und der Souwe.
Veldeke. MSF. 56, 10. MSH. 1, 35a.
Walther stellt einmal die Seine und Muhr, den Po und die Tra-
venna zusammen:
Ich hän gemerket von der Seine unz an die Muore,
von dem Pfade unz an die Traben erkenne ich al ir fuore. 31, 13.
DER RHEIN UND ANDERE FLÜSSE. 189
Um das Unwahrscheinliche und Unmögliche zu bezeichnen (als
loci ix to£ ädvvarov) gebrauchen griechische und römische Dichter
nicht ungerne von Flüssen entlehnte Bilder, z. B.
ava Tiora^icöv isqcov %cöqov<jl nayul Euripid. Medeia 409.
In caput alta suum labentur ab aequore retro
flumina. Ovid. Trist, I. 8, 1.
„Cum Paris Oenone poterit spirare relicta,
ad fontem Xanthi versa recurret aqua,"
Xanthe, retro propera, versaeque recurrite lymphae !
sustinet Oenonen deseruisse Paris. Ovid Heroid. V, 29.
Vergilius singt:
Ante pererratis amborum finibus exsul
aut Ararim Parthus bibet, aut Germania Tigrim.
Ecl. I, 62.
In ähnlicher Weise drücken unsere mhd. Dichter das Unmög-
liche aus; z. B.
si möhten e den Rin
gekeren in den Pfat,
e ich mich iemer sin
getroste. Hausen. MSF. 49, 8.
Er kerte den Rin e in den Pfat,
e ich sie lieze, diu mich hat
betwungen. Guotenburc. MSF. 75, 6.
er schiede e Musel und den Rin,
e er von ir daz herze min
gar enbünde. Guotenburc. MSF. 71, 39. MSH. 1, 115b.
Du kumpst leicht ee von Pern,
knabe, ee daz du erwürbde,
daz ich dir holt würde
oder holt möcht gesein;
ee muestu den Reyn
bringen über den hcesten berg
ein aller slacht hantwerk. Kellers altd. Erz. p. 128, 15.
Um das Unmögliche zu bezeichnen, gebrauchen griechische und
römische Schriftsteller die Phrase, ehe sollte die Welle Feuer werden
oder mit dem Feuer sich verbinden, z. B. fi-üööov ecptj 7ti>Q vdart ^u%~
ftrjöSTat, rj ixsCvrjv xaxayßr\GB%ai. Dio C. 1. LV c. 13:
Terra feret Stellas, coeliun findetur aratro,
unda dabit flammas et dabit ignis aquas.
Omnia naturae praspostera legibus ibunt, Ovid Trist, I, 8, 3.
]90 I. V. ZINGKRLK
— ante cum flammis aqua?,
cum morte vita, cum mari ventus fidem
foedusque jungent. Seneca Thyestes V. 480.
— ignibus junges aquas
et amica ratibus ante promittet vada
incerta Syrtis. Seneca Hippolitus V. 568.
Prius undis flamma, ut ait poeta nescio quis, prius denique omnia,
quam aut cum Antoniis respublica, aut cum repubJica Antonii redeant
in gratiam. Cicero phil. 13, 21.
Diesen Bildern entspricht die deutsche Redensart: Eher soll der
Rhein oder ein anderes Gewässer brennen; z. B. :
ich waen noch lihter den Phät
allen verbrande,
daz sin ninder dehein schrät
flüzze in dem lande,
e daz ich din getsete rät.
Hartmann v. Aue. Büchlein I, 1775.
sä wart enprant
von mir der Rin mit allen.
Krist. v. Luppin. MSH. 2, 206.
iedoch verbriinne e der Rin.
Frauenzucht 594. (Gesammtab. 1, 57.)
nu giht din zorn, ich habe den Rin enbrennet.
Wartburgkrieg ed. Simrock Str. 89, 10.
weder hän ich iu den win vergozzen,
oder den speht erschozzen?
oder hän ich iu den Rin verbrant?
ir habt mich unreht erkant.
Alte Mutter 237 (Gesammtab. 1, 95.)
e muest verbrinnen
der Rein, ob es mögt gesein,
e ich dem lieben herren myn
leystet solch untrewen.
Keller's altd. Erz. 295, 24.
ein steinwant slof in ein twerk,
da von verpraten wart der Rein.
Suchenwirt XLV, 52.
ez brinnent elliu wazzer, e diu liebe minhalp verderbe.
Wolfram Titurel 77, 4.
DER RHEIN UND ANDERE FLUSSE. 191
Weniger kräftig ist die Phrase: eher soll der Rhein oder das
Meer trocken werden; z. B.:
— ich wände ez mohten sanfter meres flüete
trocken werden danne er scholt ersterben.
j. Titurel (ed. Hahn) 3583, 2.
Er sprach: vraw, des mag nicht gesein,
ez müest e trucken sein der Rein.
Enenkel Weltchronik (H. Gesammtab. 2, 523.
Maßmann K. chron. III, 457, 278).
Von einem, der eine thörichte oder vergebliche Arbeit unternahm,
sagte man : er will den Rhein verschwellen , er trägt Wasser in den
Rhein; z. B.:
Swer den Rin mit leime wil verswellen,
der hat min, swie tumbe ich si, ze helfe niht.
Marner. MSH. 2, 238b.
Daran erinnert das noch gebräuchliche Sprichwort:
Man kann den Rhein wohl schwellen,
aber nicht stellen. Simrock N. 8445. Körte 6348.
Vintler sagt von einem , der an nicht Bedürftige seine Gabe
wegwirft , er sei
gleich als der da wasser trueg in den Rein.
Tngendbl. Innsb. HS. p. 57.
Noch heutzutage ist das Sprichwort: „das hieße Wasser in den
Rhein tragen", weit verbreitet. Vergl. Simrock Sprichw. Nr. 11240.
Man vergleiche damit auch :
sun, hochgeburt ist an dem man
und an dem wibe gar verlorn,
da wir niht tilgende kiesen an,
als in den Rin geworfen körn. Winsbecke Str. 28.
Um einen Trägen zu bezeichnen sagt Albr. von Scharfenberg :
Wer sich bi dem Rine erdürsten lieze
man zalt in ze den lazzen, die da lebent in selben ze widerdrieze.
j. Titur 3344, 3.
und im Fastnachtspiele: das Korgericht, heißt es:
Ainer, der über Rein ist gefaren,
den übel durst und wasser will sparen,
ist der niht ain rechter gauch? Fastnachtspiele 322, 8.
Das Sprichwort: „Bis dahin läuft noch viel Wasser den Rhein
hinunter, Simrock 11239, begegnet uns schon im Wartburgkrieg:
192 KARL SCHENKL
für Megenze gut
die wile des klaren Rines harte vil.
ed. Simrock Str. 24, 15.
Vom spurlosen Verschwinden sagt der Dichter der Tochter Syon :
alle sunden in minem lohen
sint also schiere verblohen
als ein cleinez glensterlin
verlischet mitten in dem Bin. Diutisca 3, 17,
Um süßes Minnespiel zu bezeichnen sagt ein Dichter:
Si giengen mit ein ander dö
ze bette da ze stunden,
eins spiles si da begunden,
also man jensit Rines tuot.
Ritter unterm Zuber 140 (Gesammtab. 2, 301).
Der Vollständigkeit halber füge ich noch zwei Stellen an, in denen
der Rhein vorkommt. Wolfram sagt:
der den Rin und den Roten
vierzehen naht verswalte,
und den tarn der von schalte,
dine gaebn so grözer güsse niht
also man Terramere giht. Willehalm 404, 22.
Von verkehrten Benennungen sagt Sibot:
ich heize sine kazze müs,
und nante sinen wint Rin.
Frauenzucht 498 (Gesammtab. 1, 54).
Von einer fruchtlosen Arbeit galt schon frühe der Spruch: das
ist ein Schlag in's Wasser; z. B. :
die mir sint enpfallen gar als in daz mer ein slac. Walther 124, 16.
est als ein slag in einen bach, so niht vervät, swaz man mir git.
Singenberg 23. MSH. 1, 296a.
ez ist in einen bach ein slac. Winsbecke Str. 35.
daz ist als ein wazzerslac. Teichner. Denkschr. der k. Akad. VI, 98.
Wie man auch spricht zu aller frist,
wenn jemands (müh) vergeblich ist,
es ist nichts denn ein wasser schlagen. Eyering I, 19.
ich wil noch hiute in isen houwen sam in einen wac.
Neidhart ed. Haupt 168, 24.
2f>. März 1862. I. V. ZINGERLE.
KAEL SCHENKL, GRIECHISCHE UND DEUTSCHE SAGEN. 193
GRIECHISCHE UND DEUTSCHE SAGEN.
I. DAS MÄRCI1EN VOM SCHLAURAFFENLAND.
Bekanntlich findet sich bei den Völkern des griechischen und
germanischen Stammes dieselbe Sage von einer seligen Urzeit. Wie
dort die Götter zuerst das goldene Menschenalter erstehen lassen,
welches man später in die Zeit, wo Kronos im Olympos gebot, ver-
setzte und dessen Andenken in dem Feste der Kgovia fortlebte , so
kennt die Edda ein Goldalter der Götter, wo sie in ruhigem Genüsse
frei von Habgier und Unrecht lebten. Die [icdkxqcov vrJGot, oder das
^HkvGiov Tiedcov, welche auf dieselbe Sage zurückgehen, erkennen wir
in der Valhöll wieder, und wenn Hesiodos "Egy. 174—5 singt:
Mrjxez eizsiT ScpsiXov iyco ni\iTixoi<5i [istetvai,
avögccöw, aXt r[ tcqoG&s fravslv r] stcsitu yevEö&cu,
so erinnert dies an jenen Kreislauf, wornach mitten in dem allgemeinen
Verderbnisse wieder ein neues Paradies den Fluthen entsteigt und die
glücklichen Zeiten wiederkehren (Welcker gr. Götterlehre 1, 727 ff.,
Grimm Myth. 783 ff, Simrock Myth. 1, 173 ff).
Es ist nun kein Zweifel, daß jene Sage von der goldenen Zeit
zu den beliebtesten ygacödeig pvftoL gehörte und mit gläubig-frommem
Sinne erzählt wurde. So finden wir sie, freilich mit scherzhafter An-
wendung, bei Lukianos Saturn, c. 7, wo Kronos selbst berichtet, wie
unter seiner Herrschaft aGitoga xal avrjgora itdvrcc icpvsto <xt;rofs
(rotg äv&griitoig), ov 6xa%v£g , «AA' sroipog agxog xal xgea ioxsva-
6{isvcc, xal 6 oivog eggst, Ttora^irjöov xal itv\yal piXirog xal ydXaxrog.
Viel später aber ist offenbar diejenige Form entstanden, in welcher
durch die Aufnahme gemeiner Züge der gläubige Ernst des Märchens
verwischt und diesem eine scherzhafte, ironische Färbung gegeben
wurde. Auch in dieser Gestalt muß dasselbe in Griechenland allbekannt
gewesen sein. Die alte Komödie, welche aus dem Borne der Volks-
sagen mit Vorliebe schöpfte, wie dies z. B. die häufige Benützung der
Spukmärchen beweist, hat auch diese Fabel in sehr verschiedener
Weise verwendet und mit allen möglichen Zügen ausgestattet. Athenaios
zählt im sechsten Buche, p. 267, e — 270, a, acht Stücke von sieben
Dichtern der alten Komödie*) auf, in denen dieses Märchens gedacht
*) Vgl. Meineke Fragm. Com. Graec. H, 1, p. 108, 237, 299, 316, 360, H, 2,
p. 753, 850, 1158. Freilich zweifelte man schon im Alterthume, ob die IJ^qocxl dem
Pherekrates oder einem anderen Verfasser augehörten, vgl. I, p. 70.
GERMANIA VII. 13
194 KARL SCHENK L
wird, an ihrer Spitze die IIXovtol des genialen Kratinos. Die Be-
schreibung, welche sie von dem Leben zu den Zeiten des Kronos
geben, stimmt in allen Einzelnheitcn mit den Schilderungen des Schlau-
rafi'enlandes in unseren Märchen und Liedern überein. Die Menschen
sind jeder Arbeit überhoben, da die Geräthe belebt sind und selbst den
Dienst verrichten; man lagert sich auf weichen Polstern an Strömen,
die statt des Wassers Wein oder leckere Brühen führen. Und damit
man sich ja nicht beim Essen plagen dürfe, so kommen Kuchen oder
gebratene Vögel in den Mund geflogen. Die Fische schwimmen an
den Herd, um sich dort selbst zu braten. Auf den Waldbäumen
wachsen Ktfehen -und Backwerk aller Art, gebratene Drosseln und
Würste. Statt des Schnee's fällt Weizen, statt des Regens ein Brei,
den man mit dem Munde auffangen kann. Diese Doppelform des
Märchens finden wir nun auch in der neueren Zeit. Bald erscheint
die Sage in gläubigem Kinderernste, wie im Märchen: „Hansel und
Gretel" (Grimm Nr. 15, vgl. 3, 239), wo uns das Zuckerhäuschen mit
seinem Kuchendache begegnet, bald finden wir dieselbe scherzhaft be-
handelt, welche Art bei weitem häufiger vorkommt. Man vergleiche
die Beispiele bei Grimm 3, 239 ff., Haupt's Zeitschrift 2, 564 ff.,
Gödeke Grundriß zur Gesch. der deutsch. Dichtung 1 , 232 , n. 28
u. 29, S. 282, n. 46.
Da aber in dieser Form das Schlauraffenland zu dem Lande der
Unmöglichkeit wird, so ist es begreiflich, daß man mit jenem Namen
auch bloße Lügenmärchen bezeichnete. Und dahin gehört das
Märchen vom Schlauraffenland, das sich unter Nr. 158 in der Grimm'-
schen Sammlung findet. Da dasselbe, wie Grimm 3, 239 bemerkt,
auf ein altdeutsches Gedicht des dreizehnten Jahrlmndertes zurückgeht,
so muß diese Umgestaltung ziemlich alt sein, und es ist somit an eine
Entlehnung aus dem Griechischen in keinerlei Weise zu denken. Wie
sehr übrigens diese Lügenmärchen beliebt waren , das zeigt die große
Zahl von Bearbeitungen, die sie zu verschiedenen Zeiten gefunden haben
(vergl. Grimm 3, 239 ff.). Auch den Griechen waren dieselben nicht
unbekannt. Die beiden Schriften des Lukianos 'sJArjd-rjg ißrogia und
(pilotyevdijg enthalten eine ziemliche Anzahl, die zum Theile aus dem
Volksmunde geschöpft zu sein scheinen, und es ist bezeichnend genug,
daß wir in der ersteren Schrift c. 5 ff. mitten unter den abenteuer-
lichsten Lügenmären auch eine weitläufige Schilderung der Inseln der
Seligen ganz in der Manier des Schlauraffenlandes finden
«RIECHISCHE UND DEUTSCHE SAGEN. 195
II. DIE FLUNDER.
A. Kuhn in seinen „Sagen, Gebräuchen und Märchen aus West-
phalen," zweiter Band, n. 245, S. 81 erzählt folgende Sage: „Die
Flunder hat ihren flachen Bauch davon bekommen, weil sie zur Strafe
für ihren Hochmuth von Gott auseinander gerissen wurde." Eine ähn-
liche Sage scheint bei den Griechen bestanden zu haben, wo dieser
Fisch (tyijxxcc) als rj[iixoiiog oder xex^irj^ievr] bezeichnet wird. Daher
heißt es Aristoph. Lys. 115 — 6:
iya de y dv xdv aüJtSQsl iprjxrav doxa
dovvcci dv efiavxfjg 7tccQxcc[iovGa &ij[iL6v., ^
und Piaton Symp. p. 191, d lässt den Aristophanes, um sein Märchen
von der Bildung der Menschengestalt zu versinnlichen , das Beispiel
der iprJTTa anführen. Liegt hier nun wirklich eine ähnliche Sage, wie
die oben erwähnte , zu Grunde , dann bekömmt dieses Beispiel eine
sehr tiefe Bedeutung.
III. FRAU HOLLE.
Eben daselbst n. 3, S. 4 lesen wir Folgendes: „Während die
Wöchnerin schläft, kommt die Holle, nimmt das Kind, macht die
Windeln los, reinigt es, trocknet die Tücher und legt das Kind wieder
hinein. Eine Wöchnerin erwachte und sah , wie die Holle mit dem
Kinde beim Feuer saß und die Tücher trocknete. Sie schrie, da warf
die Holle das Kind in's Feuer und verschwand." Damit stimmt nun
die eleusinische Demetersage in den meisten Punkten überein, und
zwar besonders in der Form, wie sie Apollodoros I, 5 erzählt: ^Ovxog
de xfj xov KeXeov yvvatxl Mexuvelou rcaidiov, xovxo exoeyev q /lv\-
{itjxrjQ TiaQalaßovöa' ßovlo^ievn] de avxo u&dvaxov itoirjöcci, rag vvxxccg
etg tcvq xuxexi&ei xö ßgeyog xa\ izeQMjQSi xdg ftvrjxdg ödoxccg avxov.
xatf r^ieQav de necoadö^cog av^avo^ievov xov zJrjfioqxövxog (xovxo yctQ
rjv ovo{iu xä TtatdC) ijtex^Q7j6ev rj IlQcd-tfreu, xal xaxakaßovda elg itvo
iyxexQV[i[i£vov dveßörjöe. didneo xo (iev ßoeepog vno xov nvobg uvv\-
Ara-O^ , 7) &eä de ccvxrjv e^ecprjve. Es kann dies um so weniger auf-
lallen, da Holle und Demeter, wie aus Grimm's Myth. S. 248 erhellt,
in manigfacher Weise zu einander in Beziehung stehen.
INNSBRUCK. KARL SCHENKL.
13
196 ADOLF HOLTZMANN
ZUM NIBELUNGENLIEDE.
VON
ADOLF HOLTZMANN*).
Lachmanns Ausgabe der Noth gibt bekanntlich den Text der
Handschrift A getreu wieder. Zwar ein diplomatisch genauer Abdruck
ist sie nicht, aber die stillschweigend gemachten Verbesserungen be-
schränken sich darauf wegzulassen, „was Schreibfehler , was Willkür
des Schreibers, was allzu barbarisch in der Schreibung oder zu ge-
meine Form war." Dagegen sind verderbte und überflüssige Worte
nicht verbessert und getilgt, sondern durch die Schrift kenntlich ge-
macht und die nöthige Besserung ist am untern Rand oder am Ende
des Bandes zu finden. Zwar ist, wie ich anderwärts gezeigt habe,
die stillschweigende Änderung nicht ganz in den gesteckten Grenzen
geblieben ; aber im Allgemeinen (mit einigen wenig erheblichen Aus-
nahmen) ist es doch wahr, daß man bei Lachmann den Text von A, also
nach Lachmann' s Ansicht die älteste Überlieferung sammt ihren Fehlern
vor sich hat. Nun aber ist ohne ein einleitendes Wort ein sogenannter
vierter Abdruck des Textes der ältesten Überlieferung erschienen **),
in welchem die Vorrede und die Noten weggelassen und die von
Lachmann vorgeschlagenen Verbesserungen in den Text selbst aufge-
nommen sind. Es ist daher nöthig, die Leser aufmerksam zu macheu,
daß sie in diesem Abdruck nicht die älteste Überlieferung und auch
nicht die jüngste, sondern in manchen Stellen einen gar nicht über-
lieferten, sondern von Lachmann gemachten Text vor sich haben. So
lange diese „Verbesserungen" nicht in den Text selbst aufgenommen
waren, konnte man sie nach Gefallen unberücksichtigt lassen; jetzt aber,
da sie in einem wohlfeilen Abdruck als älteste Überlieferung feil ge-
boten werden, müssen sie genauer betrachtet werden; und ich habe
um so mehr Veranlassung, sie zu prüfen, als die bekannten Nachtrcter
*) Die Heidelberger Jahrbücher der Litteratiir genießen so geringe Verbreitung,
daß die nachstellende Recension Holtzmann's, die dort 1859 S. 483— 508 abgedruckt ist,
wohl den meisten Lesern der Germania noch unbekannt sein wird. Aus diesem Grunde
lind weil sie mir die Beachtung der Fachgenossen und der Freunde des Liedes in hohem
Grade zu verdienen scheint, theile ich sie hier mit. Nackter und greller tritt der Mangel
an jedweder Pietät vor der Überlieferung, die Urtheilslosigkeit und Impotenz der Schule
wohl nirgends zu Tage als in diesem vierten Abdruck, dem Holtzmann in scharfer aber
verdienter Weise sein Recht widerfahren lässt. . Pfeiffer.
**) Der Nibelunge Noth und die Klage, nach der ältesten Überlieferung heraus-
gegeben von Karl Lachmann. Vierter Abdruck des Textes. Berlin, Reimer, 1859. S°.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 197
in ihrer versuchten Widerlegung meiner Ansichten als von einer un-
bestreitbaren Wahrheit von dem Satz ausgehen, daß in diesen Ver-
besserungen der ursprüngliche Text der Lieder und ihrer Fortsetzungen
hergestellt ist.
Ich werde also der Reihe nach die auf dem letzten Blatt der
Ausgabe enthaltenen Verbesserungen (mit Ausnahme derjenigen, die
nicht von Lachmann herrühren, sondern aus den andern Handschriften
genommen und mit einem Stern bezeichnet sind) einer Prüfung unter-
werfen. Die eingeklammerten Zahlen sind Lachmanns, die nicht ein-
geklammerten meine Zählung der Strophen.
[22] 4 hat die Handschrift hey waz er sneller degne ze den Bur-
gonden vant; und [127], 4 den gast man sit vil gerne ze den Bvrgunden
sack. Lachmann bemerkt : „der ersten Hebung und Senkung des letzten
Halbverses, wenn er nach der Art älterer Lieder vier Füße haben soll,
genügen nicht zwei Kürzen mit zwei unbetonten e: hier [22] und
[127] ist daher zuo den zu schreiben". So wird also im vierten Ab-
druck wirklich geschrieben. Es ist gewiss richtig, daß ze den nicht
reichte, den Vers zu füllen, wenn er vier Hebungen haben sollte ; wenn
es aber Lachmann beliebt hätte, seinem Volksdichter N. 1 Schlußverse
von drei Hebungen zu gestatten, so hatte nicht nur hier zen oder ze
den ausgereicht, sondern es wäre auch [55], 4 die Betonung die her-
lichen meit vermieden worden. Da nun aber beschlossen war, vier He-
bungen zu verlangen , warum nicht aus den andern Handschriften das
Wörtchen sit und da aufnehmen, da doch an vielen andern Stellen
solche einsilbige Wörter, die in A ausgefallen sind, stillschweigend
ergänzt werden ? Allein dann hätte man nicht diese Stelle gebrauchen
können, um zu zeigen, daß der gemeine Text durch Besserung aus A
entstanden sei. Es wird also zuo den für das Ursprüngliche erklärt;
weil der Schreiber von A dafür ze den schrieb, war der gemeine Text
veranlasst, sit zu ergänzen. Es ist noch zu bemerken, daß bei A die
zwei Silben ze den nicht dafür angeführt werden können, daß nicht
zen gelesen werden dürfe: A hat öfters ze den für zen, z. B. 1616,4
da ze den Burgonden ; so gut wie hier da vor ze den steht, könnte auch
sit ze den in [22] und da ze den in [127] stehen. [886], 4 wird da zen
herber gen vant ergänzt.
Daß nun die Sache nicht den Verlauf hatte, den Lachmann
glaublich fand, geht sehr einfach daraus hervor, daß die Verbesserung
zuo den unmöglich ist, weil zuo den an diesen beiden Stellen ein grober
Sprachfehler wäre. Auf die Frage wo? wird nie geantwortet zuo den
Burgonden , zuo den ffiunen, und es kann nie so geantwortet werden.
198 ADOLF HOLTZMANN
zuo, ursprünglich ein Adverbium, beginnt nicht vor Ende des zehnten
Jahrhunderts die Präposition ze zu verdrängen ; aber nur auf die Frage
wohin? oder wozu?; später, aber schwerlieh vor der Mitte des drei-
zehnten Jahrhundertes , auch auf die Frage wo ? In den Nibelungen
antwortet zuo nie auf die Frage wo: stets ze, da ze, hie ze, oder in.
Einige Beispiele des Gebrauches von zuo mögen hier stehen. Frage
wohin? 28,4 rtten. 27,3 laden. 84,2 sin ongen er wenken zuo den
gesten lie. 120,4 gän. 220,4 fuorten zuo den Burgonden. 262,4 komen
zuo der Burgonden lant. 269, 3 bringen. 399, 3 si schouicent her nider zuo
zuns. 435, 1 er trat zuo dem känige. 525, 4 varn zuo den Burgonden.
586.3 gälten, u. s. w. Ferner bei Sf rechen häufig, 157,1 er sprach
zuo dem satele. 2251,3 si wolden dun striten zuo den gesten. 1033,2 si
zucten zuo den handen diu wäfen. Ferner 1268, 2 vonnie Roten zuo
dem Rme.
Es ist ferner zuo bei Zeitbestimmungen erlaubt. 45,2 zuo der
selben stunt: sieh Wörterbuch zur Klage.
Ferner steht es auf Frage wozu? wofür? 170,4 er gewan zuo der
reise tusint degene. 344,4 sich bereiten zuo der verte. 358,4 zuo der reise
haben zierlich gewant. 535,3 dd kom in zuo zir reise ein rehter wazzer-
wint. 1292,2 der ivart in zuo der verte vil manigez nu bereit. 2153,4
Sit icir zuo dem lebene haben kleinen loän. 2250,4 diu friuntschaft zuo
ziu muoz gescheiden sin. Sieh Klage 2110 zuo wem sol ich trost haben.
Ferner drückt es aus: noch dazu, drüber hinaus. 349,3 zuo uns
ziuein noch zwene. 984,4 den kodier zuo dem swerte. 1979,4 daz si diu
morgengäbe zuo Nuodunges briute. 2152,3 des scaden zuo den schänden.
Aber niemals antwortet zuo auf die Frage wo? Einige Stellen
verdienen hervorgehoben zu werden. 159,4:
daz si mich suochen reellen mit herverten hie,
daz getäten uns noch degene her zuo disen landen nie.
Stünde hier nicht her dabei, so könnte man zweifelhaft sein; ge-
täten nimmt suochen auf: bis hieher in diese unsere Länder hat noch
Niemand uns zu belästigen gewagt. A nach seiner gewöhnlichen groben
Auffassung setzt hie ze lande. 594,2 ir sult zuo disen landen groze loille-
komen sin: nach neudeutschem Sprachgebrauch würde hier wo? gefragt;
aber es heißt oft icillekomen her; sieh das Wörterbuch zum Lied;
willekomen wird also wie komen mit der Fraj^e wohin? construiert. —
824.4 daz elliu disiu riche zuo sinen henden solden stän: auch hier ist
nicht wo? gefragt, obgleich die späteren Abschreiber von a und D so
fragten und in für zuo setzten; es heißt nicht in seinen Händen,
sondern zu seinen Händen, ihm zu Dienst bereit. C hat also nirgends
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 199
zuo auf die Frage wo: dagegen in A und DI steht es wirklich 925
[860], 4 zuo einie halten brunnen verlos er sit den lip. Aber CB, also
die alten Handschriften , haben richtig zeinem. Es beweist die Stelle
nur, daß A schon ziemlich jung ist, und schwerlich noch in die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts gehört. Lübben führt außerdem noch
an [1370] 2 iure tagen zwelfen si körnen an den Min, ze Wormez zuo dem
lande. Aber das heißt nicht Worms, das im Lande Hegt, sondern sie
kamen zu dem Land, oder vielmehr zuo der veste, wie C liest 1458.
Nach Lübbens Auffassung wäre auch 447, 3 si ritent ze Wormez zuo
dem Eine: sie ritten nach Worms am Rein: aber wo nicht wohin? ge-
fragt wird, steht nie ze Wormez zuo dem Rine; vergl. 6, 1 ze Wormez
Li dem Rine si iconten. So erledigt sich auch die andere von Lübben
angeführte Stelle 536 [495], 3 unz in ir hüs ze Wormez zuo der bürge.
Man vergleiche 1388,2 si riten ze Wiene zuo der stat ; aber 1390,1 si
ne mohten niht beliben ze Wiene in der stat.
Wie sicher zuo immer nicht auf den Ort des Verweilens, sondern
auf das Ziel der Bewegung bezogen wurde, zeigen Stellen wie
1101,2 ich schaffe iu guot geleite und heiz iuch icol bewarn
zuo Sigemundes lande;
1055,4 'die heizet näher gen sprach si 'zuo der Iure.
Ein Missverständniss war nicht zu besorgen, so wenig als im
armen Heinrich der ist zuo der helle geborn. Wenn Benecke ein Beispiel
aus Iwein anführt, so ist das nicht genau, zuo ir angesihte heißt: so
daß sie es sehen kann oder muß.
Es ist also die Besserung Lachmann's ein grammatischer Fehler,
dessen sich der Liederdichter N« 1 nicht schuldig gemacht haben kann.
[118,3] Nach swerten rief do sere von Mezen Ortwin'.
er mohte Hagnen swestersun von Tronje vil icol sin :
daz der so lange dagfe, daz icas dem Jcünege leit.
Dazu Lachmann: „dem känege." Wie albern! indem alle die Seinen
in Zorn und Bewegung sind , thut es dem zaghaften König weh , daß
der junge Ortwin nicht spricht. Der Zusammenhang fordert dem käenen
oder dem degene, nämlich Ortwin, der zürnt, daß sein Oheim Hagen
so lange schweigt: aber Gernot hält beide vom Streit zurück".
Wenn hier gesagt ist, daß Günther betrübt darüber war, daß
Ortwin so lange schwieg, so ist das allerdings mehr als albern; denn
Ortwin hat ja nicht geschwiegen. Aber ich sehe nicht ein, warum der
in 3 nicht auf Hagen bezogen werden darf, wenn känige steht. Es war
dem König leid, daß Hagen so lange schwieg. Und das ist dann doch
nicht so gar albern. Hagen hatte [102] den Rath gegeben, man solle
200 ADOLF HOLTZMANN
beim Empfang Siegfried's sich so benehmen , daß man dessen Zorn
nicht errege. Als nun Ortwin Siegfried zum Kampf herausforderte, so
konnte Günther sehr wohl erwarten , Hagen werde den heißblütigen
Neffen zurecht weisen ; und weil dies nicht geschah , that es Gernot.
Ich glaube, daß diese Auffassung die natürliche ist, und daß also eine
so gewaltsame Besserung nicht gerechtfertigt ist.
[214] 1. Do het der herre Liudeger üf eime scJiilte erkant
gemäht eine kröne.
Lachmann ufme. Dieß ist eine wirkliche Besserung; der bestimmte
Artikel wird verlangt. Man sehe ähnliche Fälle im Wörterbuch zum
Lied unter der. Nur ist besser ufern zu schreiben. Nach kurzem Vocal
verschwindet von eme (aus deme) das erste e: anme, inme; aber nach
langem daz zweite: uzem, ufern.
[234] 2 Sindolt unde Hunolt, die Gernotes man,
und Rümolt der küene, die hänt so vil getan — .
Zu dieser und der vorhergehenden Strophe bemerkt Lachmann :
„Fünf Burgunden und ihre Schaaren; die von Tronje, Sindolt, Hunolt,
Gernots Mann, endlich unerwartet auch Rumolt, statt dessen der Ver-
fasser, wenn er nicht so gedankenlos war wie die Abschreiber , Ver-
besserer und Ausleger, den Fahnenträger Volker hätte nennen müssen.-'
In der Erzählung des Krieges wird Rumolt nirgends, aber Volker
einigemal genannt. Es ist daher auffallend, daß der Bote von Rumolt
spricht und Volker nicht erwähnt. Es liegt nahe, Volker für Rumolt
zu setzen. Dennoch wage ich nicht, die Besserung in den Text auf-
zunehmen. Denn es ist doch schwerlich die Meinung des Dichters
gewesen, daß der Küchenmeister zu Haus geblieben sei. Da man von
ihm erwartete, daß er die Könige auf dem Zug zu den Hunnen begleiten
sollte, so scheint es sich von selbst zu verstehen, daß er auf dem Zug
gegen die Sachsen nicht gefehlt hat. Ihn besonders hervorzuheben,
dazu war er vielleicht dem Dichter nicht wichtig genug. Aber als
Grimhilde sich erkundigte , wie es ihren Verwandten und Bekannten
im Kriege gegangen sei, musste der Bote auch ein Wort von Rumolt
sagen, der, eben weil er ein Hofamt hatte, der Königstochter bekannt
sein musste, während Volker ihr vielleicht nicht näher gekommen war.
Undeutlich aber ist mir, wie Lachmann „Gernots Mann '' versteht.
die Gernotes man sind Sindolt und Hunolt.
[264] 3 durch des küneges liebe. Lachmann: „hieß es etwa ur-
sprünglich Günthers? die beiden Brüder werden 266 auch namentlich
genannt". Der alte Text hat der kimige. Es wird durch die Änderung,
zu der keine Veranlassung vorhanden ist, durchaus nichts gewonnen,
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 201
wenn nicht etwa, daß sie zeigen soll, wie der Text C am weitesten
vom Ursprünglichen entfernt ist. Der Dichter schrieb Günthers , der
Abschreiber setzte dafür des küneges, und daraus machte ein späterer Ab-
schreiber der kimige. Das ist freilich deutlich , und es muß daher
Günthers gebessert werden.
[274] 3 und irtohter wolgetän. Dazu Lachmann : „in diesem Lied
ist nirgend zweisilbiger Auftakt, am wenigsten in der zweiten Vers-
hälfte. Ich vermuthe und ir tohter sän. Dies Wort, nicht überall in
dieser Form üblich, ward im Reim verändert." Da also gegen die
Überlieferung nichts einzuwenden ist, als daß sie mit den metrischen
Liebhabereien des Volksdichters Nr. 3 nicht verträglich ist, so behalten
wir sie bei.
[290] 4. mit minneclichen tugenden. Dazu Lachmann: „von der
Minne finden wir in der 292sten Strophe noch genug: hier hieß es
wohl ursprünglich mit mag etlichen tugenden.'1 Lachmann wollte [291]
für unecht erklären. Nun aber beginnt [292] in A mit den Worten
er neig ir minnerächen, und im zweiten Vers steht noch einmal minne.
Daher mußte [290] gebessert werden. Man behalte [291] bei und lese
[292] nicht in der lüderlichen Fassung von A, so ist nichts zu ändern.
[325] 2. Den alten Text von C B ir geliche enheine man wesse
ninder me hat der Schreiber von A geändert ir geliche xvas deheiniu me.
Lachmann gibt nun als das ursprüngliche ninder ir geliche was deheiniu
me, und dann ist deutlich, daß A dem ursprünglichen am nächsten
steht und in BC verbessert wurde.
[327] 4. darumbe helde vil muosen sit Verliesen den lip. Lachmann
bessert des für dar umbe. C B dar umbe muosen helede sit Verliesen den
lip. Der Schreiber von A hat den Vers verdorben. Lachmann bessert
nur, um nicht sagen zu müssen, daß A aus B geflossen ist.
[347] 4 bi den frouwen. Lachmann bi der frouwen. Ebenso hat
Lachmann schon [136] 3 geändert daz was der frouwen leit. Dort hatte
eine Handschrift B wirklich der; und wenn V. 4 gelesen wird von ir
minne, wie in NA, so ist die Änderung nothwendig; lautet aber 4 wie
in C, so kann sehr wohl den frouioen bleiben , mit Rückbeziehung auf
Strophe 131 u. 132. Hier dagegen hat keine Handschrift der; und da
Grimhilde ohne Zweifel nicht allein war, so ist die Änderung unnöthig.
Übrigens wird wirklich den für der geschrieben. Man sehe das auf-
fallende Beispiel 668, 1, wo beide Handschriften lesen er stal sich von
den frouwen.
[378] 2. B. liest: ist iu daz iht künde umb disiu magedin. Dafür
schreibt A: ist iu iht daz künde ob disiu magedin. So gewiss ob ein
202 ADOLF HOLTZMANN
Fehler ist, so gewiss ist auch die davon abhängige Umstellung von
daz iht ein Fehler. Lachmann bessert ob stillschweigend; aber iht duz
will er halten, indem er sagt: für daz hätten die Verbesserer baz setzen
sollen." Also Günther soll sagen: ich kenne diese Frauen gar nicht,
kennst du sie vielleicht besser?
406, 4 [383] 8. des wart Sit geiiuret des künec Günther es lip. Die
Frauen hatten gesehen, daß Siegfried dem König diente; darum wurde
-später dem König von den Frauen um so mehr Ehre erwiesen. Dafür
setzt die Noth gedankenlos: des dulde sieh getiuret. Lachmann bessert
si für sich. Das genügt nicht. Denn es soll nicht gesagt werden, daß die
zusehenden Frauen meinten, es geschehe dem Könige eine große Ehre,
sondern daß sie selbst Günther für einen sehr mächtigen König hielten,
weil ihm ein Held wie Siegfried diente.
[393] 3. Will man die Lesart von A beibehalten , so ist die
Besserung die ich für die nöthig, aber nicht ausreichend. Denn die ich
dort sihe füllt den Vers nicht , obgleich A solche schlechte Verse
nicht scheut.
[398] 3 sit luillekomen her Sifrit her in ditze lant. Lachmann be-
hauptet, daß in den echten Strophen Brunhild und Siegfried einander
duzen. Da nun diese Strophe für echt gelten soll, so muß die Anrede
stt verbessert werden. Doch soll nicht die zweite, sondern die dritte
Person stehen: si ivillekomen, aber st müsste nach willekomm stehen.
Lachmann verweist auf [344] 1 %% willekomen nun bruoder; aber so steht
nirgends als bei Lachmann. Es heißt 'willekomen si min bruoder, und
nur A liest mit doppeltem Fehler si loillekomen bruoder. Ferner weist
Lachmann auf [1107] 1 si uns ivillekomen min valer; aber alle außer A
haben Nu si. Doch ist das gleichgültig. Die Änderung si ist jedenfalls
eine ganz ungerechtfertigte, gewaltsame.
Aber freilich ist sie noch sanft gegen die folgende [401] 1 er ist
ge heizen Günther. Dafür Er sprach: hie ist Günther. Die zwei vor-
hergehenden Strophen sollen gestrichen werden; die eine, weil Siegfried
Ihr sagt, die andere, weil er nicht sanft genug spricht. Nun war aber
doch der Übergang von Strophe [398] zu [401] selbst für den Lach-
niann'schen Volksdichter Nr. 4, der doch sonst in solchen Stücken
Großes leistet , etwas zu schroff; also wird gebessert. Wenn solche
Besserungen erlaubt sind, so weiß ich nicht, was noch unerlaubt ist.
[402] 4. B. ist aber daz ich gewinne. A gewinne aber ich. Wenn
erwiesen wäre, daß B aus A abgeleitet ist, so wäre Lachinann's Besse-
rung gewinne aber ich ir einez zu billigen; da aber im Gegentheil er-
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 203
wiesen ist, daß A den gemeinen Text zur Grundlage hat, so ist auch
hier A nur lüderliche Abschrift.
[436] der helt in icerfene pflac CB ; zu lesen ist wahrscheinlich
werfen gepflac. A der helt des wurfes pflac. Lachmann bessert der helde,
das stehen soll für der helende. Es ist dieß eine der schönsten Con-
jecturen Lachmann's ; aber sie könnte nur aufgenommen werden, wenn
die Abhängigkeit des gemeinen Textes von A erwiesen wäre, der helt
ist ganz unverfänglich, da gerade vorher Siegfried genannt ist.
[448] 4 (helfe) von üz erioelten rechen die iu noch nie wurden
behant.
Ich gestehe nicht einzusehen, warum die Lesart von A, die durch
B a bestätigt wird , geändert werden muß , denn der Grund , der zu
[494] angegeben wird, genügt nicht. Wenn es aber geschehen soll,
so weiß ich wiederum nicht, was der Besserung Lachmann's diu in
noch ie amrde behant zur Empfehlung gereicht.
[476] 1. An einem morgen fr uo. Die Zeitbestimmung sei zu un-
genau, „vielleicht an jenem." Es ist vorher von keinem Morgen die
Rede, aber allerdings ist der unbestimmte Artikel nicht passend. Ich
denke es ist anme zu lesen , und der Fehler an eime erklärt sich wie
oben üf eime. In der Nacht war Siegfried angekommen 495, 1 ; er
weckt die schlafenden Nibelunge 499. 501. 514; sie versammeln sich
bei Kerzenschein 515; und nun schließt sich ganz natürlich an 520, 1
vil fmio anme morgen huoben si sich dan.
[477] 4 sie fäerent segel wize die sint noch wlzer danne sne. „Ent-
weder ist riche zu lesen oder das Epitheton muß ganz gestrichen
werden, si fäerent segele." Der letzte Vorschlag ist im vierten Abdruck
angenommen, rtche haben CaBI. sie fäerent segele ist für den Vers
ungenügend. Übrigens wird nichts destoweniger segele mit B zu schreiben
sein, da segel Masc. ist, ich habe fälschlich nach Wackern. und nach
der Form segel das Neutrum angesetzt.
[564] 2 do spranc von einer stiegen Ghelher ze tal. Lachmann
sprach. Diese Änderung ist für den gemeinen Text fast nöthig, aber
nicht für den Text von G.
[569] 3. B daz si in niht versprechen xoolde aldä zehant
A. daz si in versprach aldä niht ze hant.
Lachmann daz si in versprechen icolde aldä niht ze hant. Wiederum eine
Besserung, um eine Nachlässigkeit des Schreibers von A zu beschönigen.
[581] 4. ÜB dd sach man vil [der] degene [da7t] mit Stfride gän.
Die eingeklammerten Worte hat A ausgelassen ; um das nicht zugeben
zu müssen, wird gebessert mit Stfride dannen gän.
204 ADOLF HOLTZMANN
[583] 3 C der vil mcere degen
was vil dicke sanfter bl andern fr ouwen gelegen.
B. der zierliche degen
er heete dicke samfter bl andern tollen gelegen.
A. zierlicher degen
er hete dike samfter bl anderen tolben gelegen.
Lachm. zierlicher degen
der hat t — .
C sagt einfach: Günther sei oft mit größerem Vergnügen bei andern
Weibern gelegen. B will vielleicht dasselbe sagen : heete, hete kann In-
dicativ sein; vielleicht aber wollte er haßte als Oonjunctiv und dicke als
Verstärkung von samfter verstehen; also der zierliche Held wäre mit
viel größerem Vergnügen bei andern Weibern gelegen. A aber hat
zierlicher statt der zierliche geschrieben , ohne recht zu wissen , was er
wollte: sein Text ist durch gedankenloses Abschreiben unsinnig ge-
worden, und was Lachmann daran flickt, hilft nichts; ich wenigstens
gestehe, Lachmann's Besserung nicht zu verstehen.
[643] 4. B. er sprach: ja mag uns Günther
ze werlde niemen gegeben.
A. nimmer hin gegeben.
Lachmann. nimmer niemen hin gegeben.
Dazu gehört [677] 4 B, daz in endarf ze der werlde niemen holder gesin
A. daz in darf zer werlde niemer holder sin
L. niemer niemen holder sin.
Die Verbindung der Negationen niemer und niemen kommt im Lied
nirgends vor.
[677] 1 . 1)6 sprach der künic Günther : ir recken sult von mir sagen.
so BAD. I lässt recken weg, um dem Vers zu helfen. Der Fehler
ist aber das eingeschobene von mir. In C ir recken ir sult sagen.
Lachmann bessert der künic sprach: ir recken sult von mir sagen (oder
gesagen, wie in A stand).
[704] 4. ich füere tüsent degene. so A; alle andern hundert, „nach
746, 1 waren es zweihundert: vermuthlich ist also hier zwei hundert zu
lesen. Aus tvehunt ward tüsunt. In einem andern Liede 962, 1. 969,2
sind es hundert: danach ist 746, 1 in C und unsere Stelle schon in
den gewöhnlichen Texten verändert". Ich hoffte, der ungenannte ße-
sorger des vierten Abdruckes werde doch an dieser Stelle einige Selb-
ständigkeit bewahren ; aber nein : er hat richtig zwei hunt drucken lassen.
Diese Besserung und die Begründung derselben zeigt deutlich, daß
Lachmann auf die unbedingte Receptivität der ihn umgebenden gebo-
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 205
renen und erzogenen Nachtreter mit Sicherheit rechnen konnte. Alle
Handschriften haben hundert statt tüsent A, und daß hundert die rich-
tige Zahl ist, zeigt sich an anderen Stellen. Der alte Text bleibt sich
darin gleich; der gemeine Text hat einmal 810,1 zw elf hundert statt
einlif hundert , wonach Siegmund zweihundert Mann haben mußte,
während es doch 1040,2 in allen Texten richtig heißt einlifhundert.
Statt nun zuzugeben , daß jenes zweihundert ein begreiflicher Fehler
für einlif hundert ist, wird vielmehr in diesem Wechsel der Beweis ge-
funden, daß das Gedicht aus Volksliedern entstanden ist. Der eine
Volksdichter glaubte, Siegmund habe zweihundert Mann gehabt, der
andere hatte nur von einhundert gehört. Und es folgt nun weiter,
daß im Text von C durch spätere Besserung die eine Zahl durch-
geführt ist. Nun aber findet sich in A eine weitere Stelle, wonach
Siegmund nicht hundert und nicht zweihundert, sondern tausend Leute
hatte. Es ist das natürlichste zu behaupten, das sei die Ansicht eines
dritten Volksdichters gewesen. A ist der echteste Text, weil in ihm
noch drei verschiedene Lieder zu erkennen sind; in B haben wir die
erste Überarbeitung , durch welche die eine , ganz abweichende Zahl
entfernt wurde ; aber da B noch nicht bemerkt hatte, daß zweihundert
mehr ist als einhundert, so mußte C noch einmal glätten. So wäre
die Sache am einfachsten zu erklären. Allein Lachmann fand kein
Mittel, die Stellen [704] und [746] zwei verschiedenen Liedern
anzuweisen. In demselben Lied mußte aber doch dieselbe Zahl bei-
behalten werden, also muß an unserer Stelle zweihundert herausgebracht
werden. Das geschieht nun mit überraschender Leichtigkeit, tüsent ist
verschrieben für twehunt und dieß steht für twei hunt. Es ist aber
hunt (centum) ein Wort, das zwar noch bei Notker, aber später nie
mehr gehört wird. Es wäre doch vor allem nachzuweisen, daß ein
Dichter um 1190, denn früher darf er ja nicht gedichtet haben, zwei
hunt sagen komite. Es ist vermuthlich, um diesem fühlbaren Mangel
abzuhelfen , daß Lachmann [1537] die fehlerhafte Lesart von DA wol
sihenhundert ze helfe dar statt tool sibenhundert oder mer durch Änderung
von hundert in hunt verbessert. Dieß ist das einzige hunt, das aus
der ganzen deutschen Litteratur dem gewünschten zweihunt zur Hilfe
beigezogen werden kann. Aber ferner soll der Übergang von zweihunt
zu tüsent durch tvehunt vermittelt sein: also die Noth oder wenigstens
das Volkslied N. N. lag dem Schreiber von A in einer nicht etwa
thüringischen, sondern völlig niederdeutschen Urschrift vor. Das ist
jedenfalls ein der Rede werther Aufschluß, den wir hier gelegentlich
erhalten.
206 ADOLF IIOLTZMANN
[710] 774. Der alte Text:
den boten zogete sere wider ff den wegen.
do kom wol ze lande Gere der denen.
er wart vil wol enpfangen.
Der gemeine Text:
Den boten zogete sere ze lande vf den wegen.
do kom zen Burgundern, Gere der degen.
er icart vil wol enpfangen.
A Die boten zogten sere ze lande vf den wegen.
do kom von Burgonden lant Gere der degen,
er wart vil icol enj fangen.
Man sieht hier deutlich die stufenweise Verschlechterung. Der
gemeine Text nimmt ze lande vor, und muß nun wol ze lande durch
zen Burgunden ersetzen. Dies hatte der Schreiber von A vor sich,
und er machte gedankenlos von Burgonden lant daraus nach [695] und
[688]. Zugleich entsteht dadurch ein sehr fühlbarer Gegensatz zwischen
Gere mid den Boten. Lachmann hatte nun die Aufgabe, das lüder-
liche Machwerk des Schreibers von A durch eine Conjectur zu retten
und daraus durch allmäliche Besserung den ganz untadelhaften Text
von C entstehen zu lassen. Den unpassenden Gegensatz entfernt er durch
eine kühne Interpunction. do Gere kom, er wart. Aber es steht eben
nicht do Gere kom, sondern do kom Gere. Also die zweite Zeile soll
Vordersatz sein. Das ist im höchsten Grad gezwungen, wenn man
auch nicht gerade behaupten kann, daß eine solche unrichtige Wort-
folge für alle Fälle unmöglich sei. Im Lied ist mir kein einziger Fall
dieser unnatürlichen Verrenkung bekannt, kom muß verstanden werden :
er kam nach Haus, ze lande ist zu ergänzen aus 1. Ferner darf von
nicht ein Fehler von A sein für zen, obgleich dergleichen Versehen oft.
zugegeben und stillschweigend verbessert werden, sondern es muß ge-
lesen werden von Norwcegelant. Wenn nur diese Bezeichnung des Landes
der Nibelunge sonst irgendwo zu finden wäre , ja wenn sie nur nicht
unmöglich wäre! Das Land wird nach einem Volk oder nach einem
König genannt. Burgondenlant , Etzelen lant', aber Norwage lant? was
soll das heißen? Lachmann scheint die Schwierigkeit gefühlt zu haben,
denn er sagt entschuldigend: „wenn des Dichters Sprache die Form
Nonocege nicht gemäß war , so mußte er lant um des Verses willen
hinzusetzen". In solche Schwierigkeiten aller Art muß man sich ver-
wickeln, so gewagte unmögliche Hypothesen muß man aufstellen, wenn
man die einfache Wahrheit, daß A aus B abgeleitet ist, nicht gelten
lassen will.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 207
[722] 3. dar si heten freuden wän. des Metrums wegen het für heten.
[741] 4. kamen wird gebessert in erheizten. Ich gestehe, die Noth-
wendigkeit der Besserung nicht einzusehen, und ich wundere mich über
die ganze lange Erörterung Lachmanns, daß, weil die Sättel der Frauen
erwähnt seien, auch gesagt sein müsse, wie sie von den Sätteln her-
untergehoben worden seien, und daß man die Gäste nicht habe hinein-
führen können , wenn sie nicht vorher von den Pferden abgestiegen
wären. Man mag körnen oder erbeizten lesen , so bleibt dem Leser
immer einiges zu ergänzen, was der Dichter nicht zu sagen für nöthig
hielt, weil es sich von selbst verstand. Mit oder ohne die Besserung
ist das Sätzchen, womit die Strophe schließt, ohne rechte Beziehung.
In C dagegen schließt es sich sehr natürlich an die folgende Strophe an.
[754] 1 vertribens für vertriben si hätte nicht als Conjectur auf-
geführt werden sollen: es werden viel stärkere Änderungen als bloße
Besserungen der Orthographie bezeichnet, z. B. [295] 4 ez gediente soll
ezn diente geschrieben werden , und so wird nun auch in dem neuen
Abdruck wirklich geschrieben.
[775] 4. Brünhilde soll gesetzt werden gegen alle Handschriften
für Kriemliilde. Von dieser Besserung wusste Lachmann selbst noch
nichts, als er die Anmerkungen herausgab. Er bemerkt zu der un-
mittelbar folgenden Strophe: diese mit der vorhergehenden verknüpfte
Strophe stört den Zusammenhang. Kriemliilde Mägde putzen sich,
Brünhild macht sich auf den Weg, auch Kriemhild kleidet sich an.
Erst als Brünhild schon vor dem Münster steht , kommt [788] 4
Kriemhild mit ihrem Gesinde. Wie kann es nun schon hier heißen
„sie kamen zu dem Münster"? und dann wird erst nachgeholt „Sieg-
fried's Mann warteten ihrer vor dem Hause".
Also es war noch Kriemhild, die sich ankleidet. Warum soll nun
geändert werden? Einen Grund finde ich nirgends angedeutet; aber
ohne Zweifel hat Lachmann gefunden, daß auch nach Tilgung der den
Zusammenhang störenden Strophe der übrige Text doch noch nicht
recht zusammenhangend ist. Dieß wird schwerlich Jemand läugnen,
der den Text bei Lachmann liest ; aber auch die Besserung hilft nichts.
[775] 3 Brünhilde begibt sich auf den Weg. [775] 4 Brünhilde kleidet
sich auch, [777], 1 die Leute wundern sich , daß die Königinnen nicht
mit einander kommen. Ich weiß nicht, wie Lachmann schließlich sich
das zurecht legte; aber ich finde, daß auch der Text von C den
Schwierigkeiten nicht abhilft, und glaube, daß allerdings eine Heilung
nöthig ist, und daß Lachmann das richtige Heilmittel vorgeschlagen
hat, nur muß es nicht bei dem gänzlich unheilbaren Text von A,
208 ADOLF HOLTZMANN
Sondern bei dem weniger leidenden Text von C angewendet werden.
Ich möchte 840,2 lesen ze wünsche was gekleidet der schienen Prün-
hilde lip. So glaube ich ist genügend geholfen. 840,3 die Frauen
kleiden sich aufs prächtigste. 840, 2 Prünhilde mit ihrem Gefolge
erscheint zuerst. 840, 4 bis 841, 2 die Pracht der Prünhilde und ihres
Gefolges wird geschildert. 842 die Leute wundern sich, daß Prünhilde
ohne Grimhilde kommt. 843,1 — 3. Prünhilde mit ihrem Gefolge nimmt
Platz vor dem Münster. 843, 4 nun erscheint auch Grimhilde mit ihrem
Gefolge. 844 die Pracht ihres Gefolges wird geschildert. Auf diese
Weise ist alles deutlich und befriedigend. Nur 841,4, daß Prünhilde
von den Leuten Siegfried's erwartet wurde, könnte auffallen, und man
könnte eine weitere Änderung versuchen. Aber genau betrachtet, ist
nichts zu ändern. Die Leute Siegfrieds wussten noch nichts von dem
Hader der Königinnen; sie erwarteten also vor dem Hause zur Zeit
des Kirchganges wie gewöhnlich beide Königinnen; und es schließt
sich ganz gut die Verwunderung der Leute an, sie nicht mit einander
kommen zu sehen. Vielleicht hat eben diese Nennung Siegfrieds den
Fehler in 840, 4 veranlasst.
Man vergleiche noch in 840 [775] den Text von C u. BA. Der
gemeine Text hat in 2 da wart vil wol gezieret, und in 4 do wart ouch
wol gezieret. Dies ist nicht nur eine widerliche Wiederholung, sondern
durch das hinzukommende ouch wird für BA die Besserung Prünhilde
unmöglich gemacht; denn dieß ouch verlangt, daß in 4 eine andere
o-enannt ist als in 3. Das könnte vielleicht den Anhängern von A die
Au^en öffnen. Die Besserung Lachmann's ist allerdings nothwendig;
sie ist aber für den Text A u. N unmöglich, aber sie ist möglich für
den Text C. Wird also nicht der Text C der ältere sein?
[785], 1. Der gemeine Text hat der Grimhilde eine ihrer un-
würdige und mit dem folgenden nicht vermittelte Erwiderung auf
PrünhUden's Drohung in den Mund gelegt und dadurch den Vers ver-
dorben; Lachmann sucht zu helfen, indem er übermuot in muot ändert.
Allein muot genügt hier nicht, es muß ein Wort sein, das deutlich
einen Vorwurf enthält. Der Text von C ist untadelhaft.
[806] 4 zuo einer spräche statt zuo smer vrouwen. In diesem Theile
des Gedichtes wie an manchen andern Stellen ist es nach meiner An-
sicht, die ich in den Untersuchungen ausgeführt und begründet habe,
unverkennbar, daß ein altes Gedicht nach dem Geschmack der Zeit
überarbeitet, theils abgekürzt, theils aber auch erweitert worden ist.
Das Ringen in der Brautkammer ist nachweislich ein späterer Zusatz,
ebenso der Verrath des Geheimnisses der verwundbaren Stelle. Es
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 209
versteht sich , daß solche Zusätze eine Menge anderer Veränderungen
und Ausführungen zur Folge hatten. So ist in den Abschnitten zwischen
dem Zank bis zur Ermordung Altes und Neues gemischt und es ist
an diesen, wie an manchen andern Stellen ein vergebliches Bemühen,
die inneren Widersprüche, die Spuren mehrfacher Überarbeitung läugnen
oder durch Besserung entfernen zu wollen ; denn das alte Gedicht her-
zustellen kann unsere Aufgabe nicht sein. Die Strophe 878 [814] wird
von Lachmann für unecht erklärt. Wirklich ist sie unverträglich mit
dem Vorhergehenden und stört zugleich den Zusammenhang sowohl in
N als in C. Der Zank hat vor dem Münster Statt gefunden 853.
Wenn es nun in 878 heißt: vor dem münster cd zuo dem sah dan, so
ist dies eine deutliche Rückbeziehung auf 853, und es muß also alles
vorhergehende, also sogar die Verschwörung gegen Siegfried's Leben
öffentlich und in Gegenwart der Grimhilde vor dem Münster vorare-
fallen sein. Soll man also die Strophe streichen? Aber sie findet sich
in allen Handschriften und es ist kaum denkbar, daß Jemand das Be-
dürfniss fühlte, sie hinzu zu dichten. Viel eher ist glaublich, daß die
Strophe aus Versen des alten Gedichtes gebildet ist, in welchen erzählt
war, daß Grimhilde, nachdem sie die Königin gedemüthigt hatte, von
Siegfried's Leuten begleitet mit Stolz vom Münster zum Schloß heim-
gekehrt sei, während Günthers Leute betrübt stehen blieben. Die Deniü-
thigung, die Grimhilde selbst noch vor dem Münster erhielt, und der
Reinigungseid Siegfrieds sind in dieser Strophe nicht vorausgesetzt;
es sind dies spätere Zusätze, deren Dichter gewiss nicht die Absicht
hatte, die Strophe beizubehalten.
Ebenso verhält es sich nun mit 871 u. 872. Wenn Brünhilde vor
dem Münster in der W^eise, wie wir es jetzt lesen, beleidigt wurde,
wenn Günther dazu kam und Siegfried vor dem ganzen Gefolge des
Königs seine Unschuld beschwor, so ist es unbegreiflich, wie Hagen
von der Sache nichts wissen konnte und die weinende Brünhilde fragt,
was ihr denn widerfahren sei. Es hilft aber nicht, wenn man die
Strophe streicht und in 871 zuo einer spräche liest. Denn nicht nur
ist es kaum glaublich, daß auf zuo der spräche sogleich folgte zuo der
rede, sondern die Strophe 872 wird auch in 881, 3 vorausgesetzt. Viel-
mehr sind auch diese Strophen aus der älteren Fassung des Gedichtes,
vertragen sich aber schlecht mit den jüngeren Veränderungen und Er-
weiterungen der Erzählung.
Was sollen aber die Leser des vierten Abdruckes denken, wenn
sie [806] lesen : do hom von Tronege Hagne zuo einer spräche gegän, und
gleich darauf: er vrägte waz ir wcere. Wenn man so kühne Änderungen
GERMANIA VII. 24
210 ADOLF HOLTZMANN
aufnimmt, so muß man noch weiter gehen , und auch die für unecht
erklärten Strophen herzhaft streichen.
[827] 4 u. [828] 1. do sprach der degen küene: daz sol Sifrides haut
nach allen iuren eren mit fitze understän.
Es soll gelesen werden: daz weret Sifrides haut.
nach allen iuren <?ren mit filze icliz understän.
Grund der Änderung ist kein anderer, als daß die Verbindung der
Strophen nicht geduldet werden soll. Sonst ist Verbindung der Strophen
Zeichen der Unechtheit, hier aber soll nicht getilgt, sondern gebessert
werden. Es ist so ziemlich sicher, daß man mit eben so gelinden
Mitteln alle andern verbundenen Strophen trennen könnte. Lachmann
findet selbst, daß ich stän im Reim anstößig sei; aber nicht nur stän,
sondern auch ichz und der ganze Satz ist anstößig. Warum dem
Volksdichter N. 7 lieber so anstößige Dinge zutrauen, als ihm die
Verbindung der Strophen gestatten, die doch dem Volksdichter N. 20
erlaubt ist?
[828] 2 ich tuon noch den degenen als ich in e hän getan A. D ebenso
ohne in. Die andern als ich hän e getan. „Der Vers würde glätter,
wenn man getan tilgte. [854] 3 so wil ich jagen riten, als ich dicke hän.
Der Casus wäre wiederholt wie [783], 2 icen hästu hie verkebsetf daz
hän ich dich." Im neuen Abdruck ist getan getilgt. Ich glaube nicht,
daß das erlaubt ist. Das Beispiel [783] ist anderer Art, da hästu vor-
ausgeht. In Ca lautet die Antwort aber daz tuon ich dich. In [854]
steht A, wie es scheint, allen andern gegenüber, die hän getan lesen,
bei der Entstellung der Strophe in der Noth kam der Schluß des
vierten Verses als ich vil dicke hän getan in die dritte, wo sie eine
Hebung zu viel hatte, weshalb einige vil tilgten, A aber getan wegließ.
Eine Parallelstelle ist also noch zu suchen ; denn die von Haupt MSF.
80,15 gemachte ist natürlich ohne Gewicht.
[841] 2 ich beoilhe dir uf triuioe man den lieben min.
zu lesen : ich bevilhe üf triuioe dir den wine min.
In den Anmerkungen wurde noch kein Bedürfniss der Besserung
empfunden; in der Ausgabe 1841 sollte wohl dem Übelstand abge-
holfen werden, daß auf man den lieben in Vers 3 folgt den lieben man,
und zugleich der zweisilbige Auftakt entfernt. Vielmehr wollten die
Abschreiber den Ausdruck wine entfernen, wofür D vriedel, I herren,
A man setzte. Man sieht, wie überall, daß aus C durch stufenweise
Verschlechterung A entstanden ist. Das gesteht Lachmann gewisser-
maßen zu, indem er mne aus CB aufnimmt.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 211
[857] 1 weit ir nilit n e m e n einen ? niican für nemen. Auch diese
Änderung war in den Anmerkungen noch nicht vorgeschlagen; sie ist
aber sehr glücklich. Ich möchte sie auch in Ca aufnehmen und lesen
Bedurft ir niwan eines oder Bedürfet ir wan eines. [871] gtns ist wieder
bloß orthographische Hilfe. [885] 4: für daz statt daz; auf diese Art
wird der sinnlose Text von A nothdürftig gebessert; es ist deutlich,
daß A aus BD entstanden ist. Lachmann sagt, die Verbesserungen,
d. h. die Lesarten CBDI, hätten wenig Wahrscheinlichkeit. Was ist
daran auszusetzen ? offenbar nur das eine , daß sie zeigen , daß CN
nicht aus A, sondern A aus N geflossen ist.
[939] 4 ouch muoste sän ersterben', so bessert Lachmann die Lesart
von A sam muost ersterben onch. Aber auch mit der Besserung ist es
ein flacher, nichtssagender Ausdruck, der an die Stelle von du muhte
reden nilit nitre getreten ist.
[1032] 2. 3. C ez geschürt von kurzewile leider nimmer mer
deheinen hüniges mögen, danne uns ist geschehen.
N setzt hinfür oder fürbaz statt leider, wodurch der schöne und not-
wendige Gegensatz von kurzewile und leider vernichtet ist; es musste
nun in 3 danne in daz geändert werden und dabei wurde 3 a geändert
hünege noch sinen mägen ; dazu Lachmann „die Unregelmäßigkeit des
Verses ist ohne Zweck und leicht zu vermeiden. Der Dichter sprach
hünege und (oder ati) sinen mägen." an wurde schließlich vorgezogen;
und der Gedanke ist also : an einem Freudenfest geschieht künftig einem
König nie mehr an seinen Verwandten, was uns an Siegfried geschehen
ist. Damit vergleiche man C, und man wird sich nicht lauge bedenken,
welchen Text man für den echten halten soll.
[1042] 4 si was zer hirchen gerne unt tet vil willecliche daz.
Schon früh suchte man die Tautologie zu entfernen; güetlichen BI, mit
gruzer andaht tet si daz D. Lachm. : „dem Sinn fordert vil inneclichen,
d. i. andächtig, oder wenigstens billichen.u Schließlich ist billichen auf-
genommen. Man hätte viel zu thun, wenn man alles tautologische, alle
Wiederholungen durch Conjectur entfernen wollte; hier wäre besser
durch dicke für gerne geholfen. — 1136 (1063)4 C ja ne hete is Hagene
äne schulde nilit gegert. Den Schatz zu begehren hatte Hagen guten
Grund, weil der Schatz unerschöpflich war. Daraus macht B ja ne
hete es äne schulde nilit gar Hagene gegert. Es wurde aus Versehen äne
schulde in den vorderen Halbvers genommen und nun musste zur Aus-
füllung etwas zugesetzt werden, gar vor nilit, und es kann verstanden
werden nicht ganz ohne Grund, obgleich die Stellung der Worte
eine gezwungene ist. A versetzt Hagene gar nilit gegert, was nun
14*
212 ADOLF HOLTZMANN
vollends sinnlos ist , aber nach des Schreibers Meinung heißen soll,
Hagen sei so unschuldig gewesen, daß er nach diesem Schatz gar kein
Verlangen gehabt habe. Um nun nicht zuzugeben , daß A aus B und
dieses aus dem untadelhaften C durch stufenweise Verschlechterung
entstanden ist, bessert Lachmann in A dar für gar und liest also ja
ne liet es äne schulde Ilagne dar niht gegert. Der Sinn ist also: Hagen
hatte Grund, den Schatz dahin (nach Worms) zu begehren. Der Sinn
ist derselbe wie in C, aber ist die Wortstellung nicht eine äußerst ge-
zwungene, fast unmögliche?
[1107] 3. C von rnanigem recken guot. N setzt riiter für das alt-
modische rechen, und A will verschönern und setzt edelen für rnanigem.
Lachmann setzt als echten Text von rittern edel guot, aus dem dann
durch A der Weg zum gemeinen Text gebahnt ist, aus welchem C
durch eine Vorliebe für veraltete Ausdrücke entstand. Jedoch macht
Lachmann die merkwürdige Bemerkung: „Vielleicht von rittern edelguot,
wie 598,2 im Frauendienst nu zogt uz, ritter edelguot; richtig ist es
auch bloß rittern zu bessern: und am Ende ist es vielleicht am wahr-
scheinlichsten, daß edelen ein Schreibfehler statt manegern ist." Es ist
gut, daß Lachmann es selbst sagt, denn wenn ich es sagen wollte,
daß edelen an dieser Stelle ein Fehler für manegern, und also A aus N
abzuleiten sei, so sollte man das Wuthgeschrei der Herren Nachtreter
vernehmen, die ihre beliebten Kraftausdrücke von Blödsinn und Bosheit
nicht sparen würden.
1208 [1124] 1 des hüniges ncehsten mäge homen da man si sach, die
nächsten Verwandten des Königs kamen dahin, wo man die Boten sah.
So hat auch I gelesen, aber homen als Infinitiv verstanden, und daher
geändert man gen in homen sach. BA lesen die gierigen da man sach.
Daraus bessert Lachmann dringen dar man sach. Aber solche unnatür-
liche Wortstellungen wie hier man kommen im Lied nicht vor.
1211 [1127] 1 er bräht in zuo dem sedele da er selbe saz. Man
muß nachlesen, wie ganz natürlich sich dieser Vers in C an die vor-
hergehende Strophe anknüpft, während im gemeinen Text nicht deutlich
ist, ob Günther oder Gernot als Subject gemeint ist. Der Accusativ
aber ist deutlich der in allen Texten vorher genannte Rüdeger. Es ist
an sich an dieser Zeile durchaus nichts zu tadeln und zu bessern ; aber
wenn man Strophe [1126] für unecht erklärt, weil sie verworren sei,
was in C durchaus nicht der Fall ist, und wenn man dem gemeinen
Text und A folgt, so ist durchaus nicht zu ersehen, wer denn zum
Sitze geführt wird, und die Änderung ist nöthig. Lachmann sagt daher:
„ursprünglich hieß es ohne Zweifel er brähte Rüedegeren da er selbe saz.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 213
Wenn solche Änderungen erlaubt sind, so kann man aus jedem Text
machen was man will.
[1 146] 1 und [1152] 1. An beiden Stellen ist der zweite Halbvers
zu lang. Meine Ansicht ist, daß man solche Schwierigkeiten mit Vor-
sicht behandeln muß ; es können gebliebene Reste eines älteren Verses
von vier Hebungen sein. Will man den gemeinen Text ändern, so sind
Lachmann's Besserungen ganz passend. Auch in C sind beide Stellen
nicht ganz ohne Anstoß. In der ersten ich behäete wol immer daz kann
man wol immer streichen ; in der zweiten ähnlich wie Lachmann schreiben
mir han, sprach aber Ilagene, niemen ividersagen. Aber ich würde mich
besinnen, durch solche Änderungen den gewöhnlichen Gang des Verses
herzustellen.
1232 [1148], 4. CB. swar an ir wol gelunge daz solt ir ungevehet
län. Ich berichtige hier zuerst einen leidigen Fehler meiner Ausgabe,
wo sult ir statt solt ir gedruckt ist. Nur D und A suchen ungevehet zu
vermeiden: D gelieben, A beliben. In den Anmerkungen steht nur: „Wacker-
nagel vermutet daz solt ir iu geliehen län." In der Ausgabe wird geändert
daz soldet ir iu lieben län. Das ist eine sinnige und leichte Än-
derung; aber man wird nichts destoweniger die Lesart CB vorziehen.
[1154] 2 statt Gernot soll Gere gelesen werden, „ich glaube, es
hieß ursprünglich Gere nnde Giselher: denn Gernot ist mir in diesem
Liede überhaupt verdächtig, und Gere übernimmt 1155 die Bestellung."
Die Noth soll aus Liedern zusammengesetzt sein. Die Volksdichter
dürfen nicht alle die drei burgundischen Brüder kennen, damit sie sich
deutlich von einander unterscheiden. Z. B. der Volksdichter Nro. 11
kennt Günther und Giselher, aber von Gernot weiß er nichts; es ist
also deutlich ein anderer als der Dichter Nro. 1 , der Günther und
Gernot kennt, aber nichts von Giselher weiß ; und wieder deutlich ein
anderer ist Nr. 2, bei dem Günther keine Brüder hat, und N. 3,
der die drei Brüder nennt. Wenn es im zweiten Lied heißt [116] ob
ir unt iwer Iruoder (brüeder) hetet niht die teer, so ist nach der An-
merkung nur an den einen Gernot zu denken; und im zweiten Lied
wird Gernot „erst [179] eingeschwärzt.'
Auch die Fortsetzer hatten in dieser Beziehung: noch verschiedene
Ansichten, wie die angeführte Strophe [116] eine unechte ist, und wie
der Fortsetzer in [199] nicht mehr als sieben Burgunden kennt, die er
alle zu nennen beflissen ist. In dem Lied 11 ist ebenfalls Gernot
öfters eingeschwärzt ; aber eben daran erkennt man die unechten
Strophen: und in unserer Stelle hieß es ursprünglich, als Hagen die
Vermählung hintertreiben wollte, hätten Günther, Giselher und Gere
214 ADOLF HOLTZMAXX
beschlossen, sie wollten Grimhilcle nicht hindern. "Wie kommt Gere
in den Rath der Könige? Was hat Gere über Grimhilde zu verfügen?
Es steht zwar Gernot im Text, aber diesen darf der Dichter nicht
kennen, weil er sonst nicht deutlich ein anderer wäre, als der Dichter des
ersten Liedes. Also muß hier Gere mit den Königen über Grimhildens
Schicksal Beschluß fassen. — Es gehört wirklich Überwindung dazu,
dieses kindische Spiel, womit Lachmann seine Nachtreter an der Nase
herumführte, jetzt noch bloß zu legen ; aber man muß es thnn , denn
die Herren Nachtreter verlangen immer noch , daß man ihnen , und
ihnen ausschließlich, Glauben schenke.
1257 [1 173], 4. 0. wan ich vlos ein den besten den ie vrouioe mer gewan.
Ebenso die Noth, wo nur wan ich vlos geändert ist in ja verlos ich.
Daraus macht nun A mit der gewöhnlichen Liederlichkeit ja verlos ich
einen den vrouwe ie gewan. Lachmann schlägt in den Anmerkungen vor :
„vielleicht ja verlos ich mer an eime denne vrouwe ie gewan.u In der
Ausgabe wird gebessert ja verlds ich eine mere denne vrouwe ie gewan.
Es kann nicht im mindesten zweifelhaft sein, daß der tiefpoetische
Schmerzensruf in C (wo natürlich ein Accusativ für eineti) nicht aus
dem sinnlosen Text von A hervorgegangen sein kann, und ebenso
wenig, daß die Lachmann sehe Besserung nicht das ursprüngliche ist;
sie kann eigentlich nichts anders sagen, als : „ich Grimhilde allein habe
mehr Männer verloren, als je eine Frau hatte." So wollte es freilich
Lachmann nicht verstanden haben.
[1222] 1 C. Do sprach diu frouwe Kriemhilt. Daraus B da sprach
diu klagende vromee, und A ändert noch einmal hünigin für vrouwe. Man
sieht, wie eines aus dem andern entstand. Die Königin hier eine kla-
gende zu nennen, war nicht passend, aber ein Abschreiber konnte es
sehr leicht in die Feder bekommen. Lachmann will wieder von A aus-
gehen und liest daher durch Besserung diu riche hünigin.
1319 [1233], 3. Aus dem untadelhaften Text von C ist durch die
Gedankenlosigkeit eines Abschreibers geworden :
vil minneclichen scheiden sach man an der stunt
von Rüedegeres friunden des maregrdven man.
Lachmann bessert von Kviemhilde friunden. Aber das genügt nicht,
denn die Burgunden sind es, die Abschied genommen haben und nun
scheiden.
[1236] 2 die berge wurden leere in BA. Dafür ist natürlich her-
berge zu lesen mit C und Lachmann's Besserung ist also keine Con-
jeetur; nur die Weglassung des Artikels ist eine Neuerung, die mit
Berufung auf [318], 1 vorgeschlagen wird. Ich habe ebenfalls den
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 215
Artikel in Klammern gesetzt. Indessen ist er doch an dieser Stelle
nicht leicht zu entbehren, und es fragt sich, ob der Dichter sich nicht
erlauben dürfte, herberge zweisilbig herbere zu sprechen. Kl. 3917.
[1303] 4. C. ich ween man alle zite bi frouwen Kriemhilde vant
den herren Dietrichen.
B liest dem statt frouwen, und A dem hünige. (Es ist in meiner Aus-
gabe das Verhältniss von B zu A falsch angegeben.)
Der Schreiber von B wollte wahrscheinlich schreiben bi dem kü-
niae vant: er sah aber, daß es Kriemhilde heiße und vergaß das schon
geschriebene dem zu streichen. Daraus machte dann A bi dem hünige
Kriemhilde, ohne aber den folgenden Accus, zu ändern. Es ist auf-
fallend, daß hier Lachmann den Text von B zum Ausgangspunkt nimmt,
nicht den von A. bi dem soll verbessert werden: in eben oder bi neben.
Der erste Vorschlag erhielt den Vorzug. Warum nicht lieber beneben,
das in Klage und Lied vorkommt, während in eben allein stünde?
Aber es ist überhaupt keine Conjectur nöthig, sondern C herzustellen.
1396 [1309]!. C ouch gab ir nie deheiner zuo sin selbes hochgezit
etc. Es ist eine der Stellen, in denen am deutlichsten zu sehen ist,
wie die Noth durch Nachlässigkeit eines Schreibers entstanden ist. In
C ist gesagt, die Recken der Grimhilde hätten bei ihren eigenen Festen
nicht so verschwenderisch ihre Kleider verschenkt, als sie es hier bei
dem Fest der Grimhilde thaten. In N ist dieser Gedanke verwischt.
Und A verschlechtert noch einmal und liest ouch gap hünec nie deheiner.
Der Schreiber meinte wohl: nie hat ein König bei einem Fest so viel
Kleider verschenkt, als bei diesem Feste zu Ehren der Grimhilden ver-
schenkt wurden. Dann ist aber sin selbes hochgezit unnöthig hervorgehoben.
Lachmann hält A fest, bessert aber ouch gap känic nie einer, und beruft
sich auf [1939] 4 wan ich gast nie einen. Dies ist fehlerhafte Lesart
von A: und die Besserung känic nie einer ist sehr gewagt, so lange
nicht bessere Parallelstellen gefunden sind. Jedenfalls ist N und A
nur aus C verdorben.
[1357] 2 niemen scheint aus Versehen nicht mit dem Punkt be-
zeichnet, denn es haben alle Handschriften außer A niemen.
[1362] 2 von lande ze lande wird gebessert von lant ze lande. Die
jedenfalls unerhebliche Besserung soll möglich machen mit drei He-
bungen zu lesen von lant ze lande', aber ich gestehe nicht zu wissen,
wie Lachmann Vers 1 zuo dem Rine sande gelesen wissen wollte; soll
zuo dem Auftakt sein ? warum nicht ze dem ?
[1375] 2. den wart ez gesant wird gebessert den wart ez zehant.
Die Boten schickten ihre Reisekleider (natürlich aus der Herberge)
216 ADOLF HOLTZMANN
denen , die sie haben wollten. Eine Änderung ist unnöthig. Ob In
loart daz geweint leicht verstanden werden konnte für „sie erhielten,"
möchte ich bezweifeln.
[1405] 4. Ich warne nlht daz Ilagene iueh noch vergiselt hat. Die
Verschiedenheit der Texte ist hier sehr groß, a liest unt wizzet daz lu
Ilagene daz weegist noch geraten h<V. Dieser Text ist vollkommen ge-
nügend und das folgende schließt sich vortrefflich an; aber der ge-
meine Text ist sehr schwer zu verstehen. Lachmann verbessert lernen
für Ilagene, und erklärt „ihr habt hier vollen Reichtimm und Gewalt:
denn ich glaube nicht, daß euch bis jetzt Jemand verpfändet hat, daß
ihr auf Befehl zu Kriemhild fahren und euch lösen müsset." Lachmann
nennt das einen einfachen und natürlichen Gedanken: mir scheint der
Gedanke ein sehr künstlicher und verworrener, und ich sehe fast nicht,
wie man ihn in den Worten finden kann. Ist vergisele soviel als ver-
pfänden? Im Wörterbuch wird erklärt: ich glaube nicht, daß Hagen
euch der Gefahr aussetzt, der gisel eures Feindes zu werden, wie die-
jenigen thun, die euch rathen in Etzelen Land zu reiten. Diese vom
Wörterbuch für die natürlichste gehaltene Erklärung sucht also den
Gedanken zu finden, der in a wirklich ausgesprochen ist. Mir scheint
es, daß in dem Exemplar, aus dem N geflossen ist, ebendasselbe stand
was in a, aber unleserlich, vielleicht lückenhaft geschrieben. Aus wccglst
scheint vergiselt geworden zu sein, und schwerlich hätte der Schreiber
selbst sagen können, was er sich bei seiner Ergänzung dachte.
[1420] 4 trelt uns lernen argen muot daz wlrt uns deste baz beJcant.
Der gemeine Text liest willen für muot, wodurch der Vers vernichtet
ist, und AI erkant. Lachmann sagt: „der Sinn scheint zu erfordern
erwant oder bewant." Es scheint mir, daß die Besserung unnöthig ist.
Hagen gibt den Burgunden den Rath, bald nach den Boten abzureisen,
damit die überraschten Hunnen um so leichter ihre wahre Gesinnung
zu erkennen geben. Ändert man bewant, so ist in der folgenden Strophe
dasselbe gesagt und es könnte nicht mit ouch angeknüpft werden.
1526 [1433]. C. urloup genomen litten von wibe unt von man
die boten Krlemhilde. mit freuden sl dö dan
fuoren unz In Siuäben.
Dieser ganz untadelhafte Text ist in N in Verwirrung geratuen.
B. Urloup genomen litten die boten nu von dan
von toiben und von mannen, vrcelich si dö dan
fuoren In ze Swdben.
A. Urloup genomen litten die boten nu von dan
von mannen und von wiben. vrcelich als ich iu sagen kau
sl fuoren unz In Sioäben.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 217
Es ist deutlich, wie B aus 0 und A aus B entstand. Lachmann gibt
als ursprünglichen Text :
urloup genomen fielen von wiben und von man
die boten vrceltche, als ich iu sagen kan,
fuoren unz in Siväben.
Sollte das wirklich Jemand besser gefallen, als der Text von C? Aus
diesem muß doch die Besserung in 1 genommen werden, warum nicht
lieber alles? Die erbärmliche Ausfüllung als ich iu sagen kan, die in A
gesetzt ist, um den gleichen Reim in B zu vermeiden, ist ebensowenig
verführerisch als der fröhliche Abschied und die constructio uito kolvov.
(1436) 4. a. daz si si sehen solJen des wart vil vrcelich ir lip.
GotJinde und Rüdeger freuen sich, daß sie die Burgunden auf ihrer
Reise zu den Hunnen sehen sollen. Es ist nichts zu ändern. N liest
sohle für sohlen. Der Sinn bleibt der gleiche, aber es ist weniger
passend , daß nur von Gotlinde gesprochen wird. A lässt durch ein
Versehen , das an hundert andern Stellen stillschweigend aus N be-
richtigt wird, si aus. Hier nun darf nicht si ergänzt werden, weil dies
nur auf die Burgunden gehen könnte, da Strophe [1435] der Zahlen-
grille wegen gestrichen werden muß. Es wird also gebessert daz si
seren solde. In V. 2 hat a ganz gut si (die Boten) sagetenz (daß die
Burgunden kamen) Riledegere. Der gemeine Text schlecht man seitez,
daß die Boten gekommen wären. Nun wird daz si seren solde heißen
sollen, daß sie die Boten ehren durfte, darüber war sie erfreut. Aber
von der Ankunft der Burgunden erfährt sie nichts. Es ist unnöthig,
ein Wort hinzufügen.
[1461] 4 daz herzen nieman samfie tuot. Der gemeine Text herze
ebenfalls als Dativ, nieman ist gewiss falsch. Lachmann „ich denke
numer oder niener.'' Beides kann stehen: ich habe vorgezogen niene,
vielmehr nienen zu schreiben , weil ich meine bemerkt zu haben , daß
zuweilen niemen für nienen gesetzt ist. 1816,4 daz Jean ich niemen ge-
sagen ; besser scheint nienen, ebenso 737, 4 ez emeart nie antphanc richer
zer iverlde niemen behant. Dasselbe scheint der Fall zu sein mit iemen.
772, 4 die besten die man vant oder iemen vinden künde über allez Si-
frides lant. 852, 1 sivaz man gote gediente oder iemen da gesanc. 1031, 3
daz ir daz saget iemen, daz er si erslagen. 146, 2 habt ir iemen vriunde.
An diesen Stellen ist iemen nicht recht befriedigend; wenn ein dem
nienen entsprechendes ienen nachgewiesen werden könnte, wäre es un-
bedenklich zu setzen, nienen und ienen wie niener und iener.
[1475] 4. A hat gavant statt wät geschrieben. Die Folge ist, daß
der Reim ergat nicht passt, daher wird iwer hovereise ergdnt geschrieben.
218 ADOLF HOLTZMANN
Wiederum darf aber A nicht aus B verdorben sein, sondern B ans A
verbessert. Daher wird gelesen: wie iu si zen Hinnen iioer hovereise
gewant. Der gemeine Text habe die vier gleichen Reime vermeiden
wollen. Beiläufig mache ich auch aufmerksam, daß in dieser Strophe A
nicht Recht hat, wenn sie das Meerweip du sagen lässt, denn nur die
andere „ehrlichere" darf dutzen nach Lachmann.
[1493], 2 lieht unde schäme was er von golde rot. A schreibt ge-
dankenlos was er vol goldes rot. Lachmann vertheidigt A mit der
Besserung was er und goldes rot. golde* rot kommt vor von Sattelzeug
und Zaum; aber der Ring ist nicht goldes rot, sondern von golde rot,
von rothem Golde. Es zeigt dieses Beispiel, wie hartnäckig Lachmann,
wo er es für möglich hält, A zu halten sucht, während er doch in
einer Menge ganz ähnlicher Fälle stillschweigend einen Schreibfehler
zugibt.
1593 [1497] 3 a nu nemt hin minnekliche nun eilendes solt.
B nu nemt hin vriuntliche Mute minen solt.
A ebenso mit Weglassung von Mute.
Man sieht, wie immer, die stufenweise Verschlechterung. Lachmann
hält an A fest und bessert nu nemet vriuntliche hin minen solt.
[1501] 1. Do ivolde er baz erzürnen den übermüeten gast.
Lachmann: „warum Hagen hier der übermüete genannt wird, ist nicht
einzusehen, den ungemuoten wäre passend." Diese Conjectur erhält eine
glänzende Bestätigung durch a. Damit ist aber zugleich erwiesen, daß
Ca nicht aus N, sondern umkehrt NA aus Ca abgeleitet ist. Hätte
Lachmann gewusst, daß der Text Ca wirklich den ungemuoten bietet,
so hätte er sich vielleicht angestrengt, um eine andere Conjectur zu
machen.
[1501] 4 B. da von der Elsen verge grozen schaden da gewan. da
fehlt aA. A hat aber den grozen. Um nicht A aus B abzuleiten,
bessert Lachmann dö den grdzen schaden gewan. Aber der Artikel steht
in A fehlerhaft.
[1502] 4 B. den stolzen Burgonden. A (wie auch a) lässt stolzen
aus. Lachmann ao den : er gibt zu, daß den edeln oder den stolzen oder
den edeln ebensogut wäre ; aber do den erhält den Vorzug, weil auf
diese Weise der Weg vom Urtext zu A und von A zu B hand-
greiflich wird.
[1549] 4. Ca dö wart im vollen bekant. Für vollen schreiben NA
völlig sinnlos striten. Hätte hier Lachmann den Text von C nicht
gekannt, so würde er wie oben 1501 das richtige gesetzt haben. Da
aber N nicht aus C geflossen sein darf, so sagt er „striten, v allen C,
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 219
vielmehr strüchen." Es scheint, daß er den Vers nicht auf Hagen be-
zieht, von dem ja gesagt ist, daß er hinters Ross saß, was doch kein
Sträuchen, sondern ein Fallen ist. Mir ist nicht zweifelhaft, daß Hagen
gemeint ist ; im kann nur auf Ilagene, bezogen werden : der Dichter will
erklären, wie es möglich war, daß Hagen so leicht vom Pferd gestoßen
werden konnte: daz färb liege brach; sonst wäre Hagen von Gelpfrats
Stoß nicht abgesetzt worden. Aber das Unmögliche zugegeben, daß
Gelpfrat gemeint ist, kann von einem auf dem Pferde Sitzenden der
Ausdruck strüchen gebraucht werden? strüchen, kann nur, wer auf seinen
Füßen steht. So ist es auch im Lied an allen Stellen nur von Fuß-
kämpfern gebraucht, nie von Reitenden, und wenn 1940,4 von dem
reitenden Volker gesagt wird, daß er nicht absichtlich, sondern von
einem strüche den Hunnen erstochen habe, so ist der strüch vom Pferd
zu verstehen, nicht von dem darauf sitzenden Helden.
[1553] 1. CB. Do begund er rüefen Danewarten an.
A. Do begunde er ruofen Danewarten vil vaste an.
Dies will Lachmann nicht gelten lassen, weil vaste nicht in der letzten
Senkung stehen darf. Er bessert do begunde er Dancioarten vil vaste
ruofen an. Vergleicht man D , so scheint D und A hervorgegangen
aus do begunde er vaste Danewarten ruofen an.
[1556] 4 den tvas allen ze gäch. So alle. Lachmann ändert so gdch
für ze gäch. Ich weiß nicht, wie er den Vers verstand, und kann nur
angeben, wie ich ihn auflasse. Von einem, der in sein Verderben rennt,
sagt man im ist ze gdch. 434, 2. 1638, 2. 1641, 2. Hier nun wird gesagt:
die Baiern flohen, Hagens Leute verfolgten die Feinde, die es niht en-
gelten wänden, den was allen ze gäch. Diejenigen der Feinde: die meinten,
sie würden ungestraft davon kommen, denen war ze gäch gewesen, sie
hatten sich bei dem Angriff auf die Burgunden übereilt. Auf diese
Weise wird angedeutet, daß die Verfolger noch viele der Fliehenden
erlegten oder verwundeten. Lachmann interpungiert anders : do jagten
die van Tronje im vienden nach, dies niht enkelten wänden: den ivas allen
so gäch. Man sieht, daß gesagt werden soll, die Verfolgten hatten die
größte Eile, nämlich um zu entfliehen. Aber nicht nur ist das ein sehr
matter Gedanke, sondern es bleibt auch dies niht enkelten wänden
ziemlich überflüssig.
[1 567] 4 si wurden ivol enphangen da ze Pazzowe sint. Statt Paz-
zowe wird gebessert Bechlären. Dieß ist wieder eine der gewaltsamen
Veränderungen, mit welchen Lachmann den Text für seine Lieder-
theorie zustutzt. Passau und Pilgrim dürfen in den Liedern nicht ge-
nannt sein, weil sonst, wie S. 163 gesagt wird, die Abschnitte von
220 ADOLF HOLTZMANN
28 Langzeilen nicht herauskommen. Aber die Strophe [1567], in welcher
ebenfalls Pazzowe genannt ist, will Lachmann doch nicht entbehren:
er hilft also auf andere Weise, indem er Bechlären für Pazzowe setzt.
Es ist hier nicht meine Sache, die Lieder, die Lachmann zurecht macht,
vom poetischen Standpunkt zu würdigen (Liebhabern empfehle ich be-
sonders das 14.) aber ich frage, was die Leser dieses vierten Abdruckes
sich denken sollen, wenn sie die von Lachmann gebesserte Zeile si
tourden wol enphangen da ze Bechlären sinf lesen, und es folgt dann der
Empfang in Passau? Hätte der Herausgeber nicht wenigstens andeuten
sollen, daß Bechlären nichts als eine Besserung Lachmanns und daß
alle Handschriften Pazzowe haben?
[1579] 2. der sizzet bi der sträze unt ist der beste wirt
der ie kom ze hüse.
Wirth und Haus gehören zusammen; wer ein Haus hat, ist ein
Wirth nach altem Sprachgebrauch, und wer ein Wirth ist, hat ein
Haus. Es haben auch alle Handschriften ze hüse. Nur A schreibt mit
gewöhnlicher Liederlichkeit sträze, das dem Schreiber noch aus der
Zeile vorher in der Feder war. Es ist nun fast unglaublich, daß
Lachmann nicht zugibt , daß die anderen Handschriften Recht haben.
Weil in der vorhergehenden Strophe ze hüse kamen in anderem Sinne
stehe, so müsse hier für ze sträze eine andere Besserung gesucht werden.
Die ist denn auch gefunden. Es wird gebessert ze gesajze. Ich muß
abwarten, ob man irgendwo den Wirth, der ze geseeze kommt, nachweist.
[1604]. Es ist in C nichts zu ändern. Die junge Markgräfin küsste
die drei Könige, also (oder also.ni) tet ir muoter; wie ihre Mutter ge-
than hatte. Der gemeine Text verdirbt den Vers durch den Zusatz
alle vor dri. Dem Vers wird aufgeholfen, wenn junge gestrichen wird ;
und dann allerdings muß man mit Lachmann tohter statt muoter setzen.
[1638] 4 des gät mir armen wibe not. A mir armer mit Aus-
lassung von wibe. Lachmann bessert mir armer muoter. an mir armen
ivibe ist nichts auszusetzen ; weil aber A nicht aus N abgeleitet werden
darf, macht Lachmann einen andern Vorschlag, des gät mir armer not
sei keine natürliche Betonung ; aber warum nicht dSs gät mir ärmer not ?
Daß Nudung der Sohn der Götlinde sei, ist nirgends deutlich gesagt.
1779. [1678] C. ' Het ich gewist diu mcere\ sprach dö Hagene,
'daz iu gäbe bringen sohlen degene,
ich wwre wol so rtche, het ich mihs baz verdäht,
daz ich iu mine gäbe her zen Hiunen hete bräht.
So mit geringen Abweichungen alle außer DA. Diese lesen in 1
waz sint disiu mojre? und 3 und 4 ich ivesse iueh wol so riehen als ich
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 221
mich kan verstau (D, ob ich mich baz kan verstau A), daz ich in ininer
gäbe her ze lande niht gefäeret hän. Es ist wohl nicht zweifelhaft, daß
diese Lesart durch ein Missverständniss entstanden ist. Lachmann ob
ich nach baz versan, und her ze lande niht gewan.
[1709] 3 ich iceiz in sd übermüeten daz er mir lougent niht.
Ca. in wol so kämen. Lachmann gemuoten.
[1737] 4 (ja vorhten si den tot) von dem videlcere. (1738) beginnt
du sprach der videlcere. Lachmann : der videlcere ist wohl nur aus der
folgenden Zeile in diese gerathen; passender scheint „von den zw ein
degenen.u In Ca beginnt (1738) dö sprach der küene Volker. Es ist
kein Grund zu ändern.
[1904] 2 A. e schade geschcehe mer. Für schade wird schaden ge-
bessert, was kaum eine Conjectur, sondern nur Berichtigung eines
Schreibfehlers ist. Auch lesen alle andern Handschriften wirklich
schaden; es wird also nur der Punkt vergessen sein.
[1907] 2 A. sin icäfen herlichen durch die helme ranc. So A durch
Schreibfehler für erklanc. Lachmann will wieder A retten und setzt dranc.
[1908] 2. Gtselheren soll in Volkeren gebessert werden. Solche
Verwechslungen der Namen finden allerdings Statt. Aber da gerade
vorher [1903] und [1904] Volker bereits hervorgehoben ist, so ist die
Besserung nicht wahrscheinlich.
In derselben Strophe V. 3. Ca. doch sach man Gtselheren ze
vorderst stdn
bi den vianden; er was ein helt guot.
N. doch sach man vor in allen Gtselheren stdn
gein den vienden: er was ein helt guot.
A ebenso: aber statt er was wird geschrieben ez ist. Weil diese
offenbar falsche Lesart nicht wie ein Verderbniss der gemeinen aus-
sehe, solle gelesen werden zerste'n helt guot. zerste ist nicht gleich ze
vorderst; ferner wäre es tautologisch nach vor in allen) endlich ersten
für erste den wäre kaum erlaubt.
[1913] 1. daz tuon ich sicherltchen. „schierlichen wäre passender."
Nach Lachmann kommt dieses Adverbium zweimal in der Noth vors
[714] 4 si kumet scierlichen; an dieser Stelle haben alle sicherlichen, A.
sicer liehen. [1531] 4 wir werden schierliche bestän; die Handschriften
haben sicherlich, D scherlich, A scherliche; Lachmann also ohne Hand-
schrift. Ich bezweifle , ob das Wort , das Lachmann an zwei Stellen
durch stillschweigende Berichtigung eines Schreibfehlers in den Text
bringt, ein wirkliches Wort ist. Die Adverbia auf liehe können zwar
von Adjectiven , aber nicht von Adverbien gebildet werden ; von
222 ADOLF HOLTZMANN
kilme, stire kann es keine Ableitung kümeltche , serliche geben : nun
gibt es kein Adjectiv seiner, sondern nur ein Adverbium scioro. Das
von Lachmann mit Vorliebe gepflegte Wort S'ierliclie hätte also sehr
nöthig in der wirklichen Litteratur nachgewiesen zu werden. Ahd.
ist es nicht vorhanden, mhd. ist es mir ebenfalls unbekannt, und ich
halte es für eine den Gesetzen der Wortbildung widerstrebende Er-
findung Lachmanns.
[1918] 1 der voit von Rine: so die Noth aus Gedankenlosigkeit
für voget von Berne Ca. Lachmann hatte in den Anmerkungen nicht
übel Lust zu schreiben von Eo?ne; wenn dieß das rechte wäre, so
könnte man nicht zweifeln, daß Ca durch Besserung aus N hervor-
gegangen ist. Aber Lachmann hat die Vermuthung selbst zurück-
genommen und in der Ausgabe anerkannt, daß Ca das echte biete,
das in N verdorben ist.
[2031] 2 loelt ir diz starke hazzen ze einer suone legen. A ditze
starke mit Auslassung von hazzen. Statt nun zuzugeben , daß hazzen
eines der vielen Wörter ist, die der Schreiber von A aus Nachlässigkeit
nicht geschrieben hat, und die sonst stillschweigend ergänzt werden,
soll hier vielmehr starke für ein selteneres Substantivum stehen, weil
A auch [2007] 2 stareken für kradem schreibt. Das seltenere Substan-
tivum, das 1836 noch nicht gefunden wurde, war 1841 strafen', und so
wird also im vierten Abdruck gelesen:
weit ir ditze strafen ze einer suone legen.
Es ist wohl nicht nöthig ernstlich zu widerlegen, daß Günther ge-
beten haben soll, ihm die Strafe zu erlassen; es wird auch Niemand
glauben , daß aus ditze strafen zuerst durch einen Schreibfehler diize
starke, und dann durch Besserung diz starke hazzen geworden sei. Wäre
es nicht klüger gewesen, wie im vorhergehenden Fall, die Vermuthung
zurückzunehmen und diese Stelle als Schreibfehler aus N zu berichtigen?
2171 [2051] 4. Ca für trinken unt für spise kan niht anders nu
gesin. Dafür B ez enmac an disen ziten nu niht bezer gesin. A ebenso,
nur et nach mac, und nu getilgt. Lachm. ez en mac et niht bezzer an
disen ziten gesin.
[2054] 4. C. sit vil manic scheene ivip. B setzt ivcetlich für scheene.
B lässt manic aus und schreibt vil wcetlichez wip. Man sieht wieder
deutlich, wie C zu B, B zu A wurde. Lachmann bessert sit manic
waitlichez wip und macht dann durch den Schreibfehler vil für manic
A zum Ausgangspunkt.
2269 [2148]. Ca. Daz edel ingesinde was komen gar dar in.
Volker unde Hagene die spungen balde hin.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 223
N setzt was nu; und A allein schreibt holde da hin. An Ca ist nichts
auszusetzen. Wie ein nu zugesetzt werden konnte, ist sehr begreiflich.
In A kommt ein neuer Fehler hinzu. Lachmann aber sagt: „offenbar
ist zu lesen was nu komen gar — sprangen holde dar. Der Schreiber
von A hatte da hin aus dar gemacht" u. s. w. Es soll aber nicht
gesagt werden , das Gefolge Rüdegers sei gekommen , sondern es sei
in den Saal eingedrungen; dar in kann nicht entbehrt werden.
2314 [2192] 4. loirn künden überwinden niht diu grcezlichen leit, so
C und N; nur IA zoirn künden niht überwinden diu vil grcezlichen leit.
Um A zu halten, soll verwinden gelesen werden. Das Wort ist dem
Lied fremd; aber überwinden kommt öfters in gleicher Bedeutung vor.
[2203] 2325, 3 mit sinen tiefen wunden Ca, mit starken verh-
w unden DI, starch verch w. B, starch w. A. Lachmann mit starken wunden.
Es ist nicht nöthig, an Ca zu ändern ; da der Held todt ist, so braucht
nicht gesagt zu werden, daß es verchwunden sind.
Wenn die Noth mit starken verchwunden liest, so ist es nur die
gewöhnliche Nachlässigkeit des Schreibers von A, daß er verch auslässt.
Auffallend ist nur, daß A und B in dem Schreibfehler starch zusammen-
treffen. Es kann aber in B die Abkürzung für en verbleicht sein, und
A konnte beim rch von starch meinen beim rch in verch zu stehen. Die
Besserung Lachmanns genügt auch nicht für den Vers ; denn mit
starken icunden füllt den vordem Halbvers nicht. Es kann nicht ge-
lesen werden mit starken wunden. Solche Ungeheuer von Versen hielt
Lachmann für erlaubt und für schön und alterthümlich , weil er sonst
hätte zugeben müssen, daß A die Verse entsetzlich verdirbt. Daß mit
einen Versfuß (Hebung und Senkung) bilde, hielt er in der Anmerkung
46 und 581 noch für sehr ungewiss, obgleich er in der Cäsur die
„mehrsilbigen" Wörter mittim und mittir gestattete (sieh zu 118. 333,4
so mäht du mit ir und 401,3 durch dich mit im). Später wird es auch
an andern Stellen gestattet. Es ist in der That nicht einzusehen, warum
es nicht ebenso gut dazu fähig ist, als an i?i, an Sinem morgen vrüo
(sieh zu 476), oder in in GünthSres Idnt (46). Es werden solche
schauderhafte Schreibereien von A von Lachmann zu mustergültigen
Versen erhoben, durch solcher Verse würdige Theorien, wie z. B. daß
mittim ein mehrsilbiges Wort sei.
[2209], 1. u. 2. er ist so grimme gemuot — sprach Volker der
degen guot. guot wird getilgt und im ersten Vers gelesen er ist so
grimme erwegen. Die Besserung ist geschickt; aber sie ist unsicher,
so lange grimme erwegen oder ganz ähnliches nicht anderwärts nach-
gewiesen wird. Die von Lachmann beigebrachten Stellen genügen
224 ADOLF HOLTZMANN
nicht. Mir scheint in anderer Weise geholfen werden zu müssen. In
2 liest (J der helt guot und Lachmann scheint zu betonen sprach Volker
dir hell guot: „fehlerhaft, sagt er, mit dem eigentlich zweisilbigen helt
in der letzten Senkung." Die Regel, daß ursprünglich zweisilbige
Wörter nicht in der letzten Senkung stehen dürfen, ist eine ganz will-
kürliche Erfindung, von der die Dichter selbst keine Ahnung hatten.
Man sehe nur, wie Lachmann es mit unde macht. Da das Wort zwei-
silbig ist, so darf die einsilbige Form nicht in der letzten Senkung
stehen. Nun steht sie aber gar häufig in der letzten Senkung. Da
wird nun der Vers zuerst gedrückt, um für unde Platz zu gewinnen;
dann werden Ausnahmen gemacht, wo die einsilbige Form erlaubt sei.
Und endlich wird die einsilbige Form überall gestattet, wenn man nur
nicht und, sondern unt schreibt. Ist das nicht ein kindisches Spiel?
Ich nehme auf solche Regeln natürlich keine Rücksicht. Ich setze
überall ohne Bedenken unt oder und, und ebenso helt und ähnliche
Wörter (in der Klage sogar einmal solt für solde) in die letzte Senkung.
Hier aber kann es nicht wohl geschehen, weil dir helt güot kaum
möglich ist. Der Artikel kann nicht höher betont sein als das Sub-
stantivum. Ich glaube, daß Volker eine Glosse ist. Da er vorher ge-
nannt ist, so ist hier sein Name überflüssig. Man lese sprach der Mit
güot. Im ersten Vers aber ist vollkommen sprachrichtig zu lesen er ist
so grim gemuot. grim ist Adjectiv, nicht Adverbium. Bei gemuot steht
ebenso das Adjectiv 127, 4 er wart ein lützel senfter (N Adv. sanfter)
gemuot: und 2257, 1 herte gemuot. gemuot ist eines der seltenen Wörter
wie geherz, gehont, gesit. Wie diese ursprünglich construiert wurden,
ist noch dunkel. Im Lied haben wir 1590,1 er ivas müelich gesit; da
ist müelich schwerlich als Adverbium zu fassen, sondern: er war un-
erträglich von Sitten. Ebenso heißt er grim gemuot : er ist grimmig von
Muth. Das Adjectivum ist so richtig als in blint geborn; aber die Ana-
logie hat überwogen und so heißt es gewöhnlicher, obgleich eigentlich
unrichtig, mit Adverbium hohe gemuot, grimme gemuot u. s. w.
2421 [2299]3. 4.
Ca. do was mit sime leide ir sorge ein teil benomen.
si sprach (känig Günther, sit mir gröze willekomen.
BD. dö was mit sime leide ir sorgen vil erward.
si sprach 'willekomen, Günther üzer Burgonden lant.
I. si sprach frcelichen \oillecomen, Günther,
ein künic von Burgunden, ich gesach dich nie so gerne mtr.
K. si sprach 'willekom, Günther von Burgunden lant.
ich hän iuch hie zen Hiunen vil gerne bekant.
ZUM NIBELUNGENLIEDE. 225
A. si sprach 'willekomen, Günther, ein helt uz Burgonde lant!
nu löne iu got, Kriemhilt, ob mich ixoer triwe des ermant.
Lachm. ebenso , mit Tilgung von ich sprach und mit Besserung ein
helt uz erhant.
Es wird kaum eine Stelle geben, wo die Handschriften so sehr
von einander abweichen. CBD sind im wesentlichen gleich. KIA
lassen 3 aus und fällen die Strophe in verschiedener Weise; am eigen-
tümlichsten A, das eine Antwort Günthers bringt, die aber mit der
folgenden Strophe nicht wohl in Einklang gebracht werden kann.
Lachmann's Änderungen sollen dem Vers aufhelfen.
Wir sind zu Ende gekommen. Einige der Besserungen Lach-
manns sind ein wirklicher Gewinn ; die meisten haben nur den Zweck,
begreiflich zu machen, daß A die Urschrift ist, aus der alle andern
geflossen sind, und den Text so zu gestalten, daß die Liedertheorie
ihn brauchen kann. Dabei erlaubt sich Lachmann die willkürlichsten
und gewaltsamsten Änderungen. Zu merken ist jedoch, daß Lachmann
selbst diese Vorschläge nicht in den Text aufgenommen hat; er gibt
nicht selten zu verstehen, daß sie ihm nichts weiteres sind als sehr un-
sichere Vermuthungen. Erst der ungenannte Nachtreter, der diesen
neuen Abdruck besorgte, wagte es, alle diese Conjectnren aufzunehmen,
und somit nicht mehr einen überlieferten, sondern großentheils will-
kürlich ersonnenen und für gewisse Zwecke in gewaltsamer Weise
zurecht gemachten Text drucken zu lassen. Lachmann hätte dazu seine
Erlaubniss schwerlich gegeben; und gewiss hätte er nicht gebilligt,
daß auf dem Titel dieses Abdruckes steht „herausgegeben von Karl
Lachmann", statt daß es heißen sollte: „nach der Ausgabe Lachmanns
mit sklavisch treuer Ausführung aller vom Herausgeber gemachten Ver-
änderungsvorschläge für den Druck besorgt von **."
Für diesen Herrn, dessen Namen Jeder kennt, ist dieser vierte
Abdruck ein Denkmal vollkommener Armseligkeit. Der Erfolg der Aus-
gabe wird ermessen lassen, in welchem Grade die blinde, völlig gedanken-
und willenlose Nachtreterei in unseren Schulen und gelehrten Kreisen
noch herrschend ist.
GERMANIA VII. 15
226 FRANZ PFEIFFER
MITTELDEUTSCH.
Trotz den von gewichtigster Seite gegen diesen Ausdruck erho-
benen Einwänden und Bedenken ist derselbe dennoch zu immer allge-
meinerer Geltung gekommen und wird gegenwärtig von der weit
überwiegenden Anzahl der deutschen Philologen als Gesammtname für
die Mundarten des mittleren Deutschlands , also des Fränkischen,
Hessischen , Thüringischen , Obersächsischen , Schlesischen und Ost-
preußischen, ebenso anstandslos gebraucht, als der Name Hochdeutsch
für die Mundarten der oberdeutschen Lande, des Alamannischen,
Schwäbischen, Bairisch - Osterreichischen. Eine Benennung, die so
rasch und allgemein sich Bahn bricht und unter Gelehrten der ver-
schiedensten Richtung sich einbürgert, muß doch wohl auf besserem
Grunde beruhen als etwa einer bloßen Grille, um nicht zu sagen einem
Irrthum. In der That haben fortgesetzte eingehende Forschungen den
wirklichen Bestand einer Sprache, die vom oberdeutschen und nieder-
deutschen Lautsystem gleich weit entfernt zwischen diesen beiden
gleichsam in der Mitte steht und sie vermittelt, in immer helleres Licht
gestellt und die dagegen erhobenen Zweifel mehr und mehr zerstreut.
Steht aber einmal die Thatsache fest, so ist jede Benennung, sofern
sie nur das Wesen der Sache richtig bezeichnet und dem Missverständniss
und der Verwirrung wehrt, gut und berechtigt. Gegen diese Forde-
rungen verstößt der Name „mitteldeutsch" nicht, und die gehegte Be-
fürchtung einer schädlichen Verwechslung mit dem schon länger ge-
bräuchlichen Ausdruck „mittelhochdeutsch" hat sich bis jetzt als eine
grundlose erwiesen. Wo es sich um feinere Unterscheidungen handelt,
wird man die Einzeldialekte stets bei ihrem besondern Namen nennen,
und nachdem wir die Mundarten, die wir als mittelhochdeutsch zu be-
zeichnen gewöhnt sind, immer schärfer und bestimmter sondern lernen,
werden wir uns wohl auch hüten, die verschiedenen Dialekte der mittel-
deutschen Sprache unterschiedslos zu vermischen. Dasselbe gilt von
den Mundarten des niederdeutschen Sprachgebietes. Das Niederrhei-
nische, Westfälische, Ostfriesische, Niedersächsische zeigt in derselben
Zeit, bei aller Übereinstimmung im Großen und Ganzen, doch viel-
fache Besonderheiten, die die wissenschaftliehe Forschung streng be-
obachten und auseinander halten wird. Gleichwohl hat man kein Be-
denken getragen, die genannten Mundarten unter dem Gesammtnamen
„niederdeutsch" zusammen zu fassen. Was dem Einen recht ist dem
Andern billig. Die Berechtijnmo; der Mundarten des mittleren Deutsch-
MITTELDEUTSCH. 227
land zu einein gemeinsamen Namen steht daher außer Frage; sie
kann überdies durch ein altes Zeugniss aufs bündigste dargethan werden.
Diesen Nachweis zu liefern ist der Zweck nachstehender Zeilen.
Auf der Leipziger Universitätsbibliothek befindet sich unter Nr. 34
eine Pergamenthandschrift, deren Inhalt eine deutsche Übersetzung der
vier Evangelien vom Jahre 1343 bildet. Von dieser Übersetzung, als
einer der ältesten die es gibt, gab die erste spärliche Kunde Joach.
Feller in seinem Catalog (Lips. 1686. p. 68. 69), und seitdem war bei
den Litterarhistorikern öfter davon die Rede. Genaueren Einblick in
die Beschaffenheit des Werkes gewährte jedoch erst die sorgfältige
Beschreibung, die Prof. Dr. Theodor Möbius in dem „Verzeichniss der
Herren Prediger an der Universitätskirche zu Leipzig 1849- — 50" (wieder
abgedruckt in Naumann's Serapeum 1850. Nr. 3. 4) von der Hand-
schrift lieferte. Leider war mir dieselbe, als ich Ende 1853 die Ein-
leitung zum Jeroschin schrieb, entgangen. Später, von Zarncke darauf
aufmerksam gemacht , theilte mir Möbius freundlich einige weitere
Notizen aus der Hs. mit und im vergangenen Herbst hatte ich sie in
Leipzig selbst in Händen. Die Hs. umfasst 234 Blätter in Quart und
ist mit großen , deutlichen Zügen geschrieben. Der Inhalt theilt sich
in eine Reihe Vorstücke (Bl. 1 — 52b), die Übersetzung der vier Evan-
gelien (Bl. 53-224), Beigaben und Schlußrede Bl. 224—234). Ohne
mich auf die einzelnen Theile des Werkes hier einzulassen, theile ich
daraus nur so viel mit, als mir zu meinem Beweise dienlich scheint:
Anfang und Ende.
Den Beginn macht eine Übersetzung des bekannten Briefes des
Lentulus „Diz ist von unsis herren gestellnisse vnd sinen gelegen (roth.
Bl. lab). Man liset in den ierlichen bucheren der Romere, daz unsir herre
Jesus Christus, der genant ist von den heiclen ein prophete der warheit,
was einer edelin lenge , mittelmezic vnd schowelich (spectabüis) vnd
hatte ein erber antlitze , daz di vorchtinden (so : intuentes) mochten üb
habin vnd vorchten, vnd hatte har einer welischen nuss varwe, er wanne
rife (nucis avellance prcematurce), siecht (planos) vil na biz zu den oren,
von den oren gerinnelit (circinnos), crusp, wachsgelir varwe vnd etwaz
glitzende vnd von den ahselin floyrende (ventilantes) , vnd hatte eine
scheitele mitene des houbites nach den sitten der nazarei; eine siechte
vnd eine wunnecliche stirne sunder runzelin vnd flec vnd di zarte rote.
Vnd nasen vnd mundes inwas zu male kein strafunge (reprehensio), vnd
hatte einen volligen (copiosam) bart glicher varwe der hare, nicht lanc,
sunder an den kinne was her ein wenic gezweigespeldit (bifurctam).
Vnd hatte ein einvaldic vnd ein vollinbracht angesichte , mit grawen
15* "
228 FRANZ PFEIFFER
ougin, di waren maniger hande var vnd clar vnd her was an der be-
strafunge irverlich (in increpatione terribilis), an der vermanunge senfte
vnd minneclich, vnd was wunneclich mit behaldener genellikeit (hilaris
servata gravitate). Etwanne weinete her, aber ni gelachite her. An der
lenge des lichamis was her wol vollic vnd gerichte (propagatus et rectus)
vnd arme vnd hende waren wol gemazet, an der gesiehte was her
lustlich, an dem gekose tapfir vnd selzin (in colloquio gravis, rarus) vnd
senftmutic, also daz billiche was noch ysaian gesprochin. Her ist wol
gebildet an der formen vor den svnen der menschin, wan her ist der
kunic der eren, in den di engele begeren zu schowine, des schonede
svnne vnd mane sich wunderen, der heilant der werlde, meister des
lebines. Ime si ere vnd glorie in di werlde der werlde. Amen."
Unmittelbar darauf folgt:
lb „ Von dises buches lobe vnd werdikait. Diz ist der schätz der
heiligen cristenheit alse gantz vnd heizet zu latine plenarius**), aber zu
düte ein irfullere. Ditz buch hat sancte Iheronimus zu samen gelegit
nach pfeffelicher kunst vnd nach meisterlicher kunst, alse di vorrede
sprichet. Ditz buch hat di heilige cristenheit zu ir genumen vnd zu
ir geordent nach dem einualdigen texte, also alse di heiligen ewangelia
einer iclichen heiligen zit vnd ouch eime iclichen heiligen zu geeigent
sint. Ditz buch hat in sich beslozzin alliz daz, dz got an siht in siner
ewigen vorsichtikeit nach wirkender tat. Diz buch hat ouch in sich
beslozzin alliz daz, dz da gesehen ist vnd nü geschit vnd noch gesehen
sal. ditz ist alliz beslozzin in dem ewigen nü den heiligen in dem
lichte der glorien. Diz buch oder sin glich ist der tureste schätz, den
daz ertriche treit vnd der himel bedackit hat von liplichen dingen,
vnd ist daz erste, gantze buch, daz uz dem latine in dutsche zunge
bracht ist.
Der himelische vatir vnsis liben heren Jhesu Christi der si ge-
lobit vnd benediget nu vnd ewielichen. amen."
Der Schluß des Evangelium Johannis lautet wie folgt:
Bl. 224a:
nHie endet daz buch sente Johannis des ewangelisten. Got si gelobit
(roth). Uz der byblien ist dise ubirtragunge in daz mittelste dutsch mit
einualdigen slechtin Worten uz gedruckit zu glicheit des einualdigen
*) „Missale plenarium, nude interdum plenarius vel plenariwm, liber ecclesiasticus,
in quo Evangelia et Epistolae pleniter continentur" : Ducange.
MITTELDEUTSCH. 229
textes mit hülfe des heiligen geistes, der ouch mit einualdigen worten
angewiset hat di ewangelisten volginde Jacob deme geminneten , der
von zcamen siner mutir tyrenspise (?) bereite vnd irarnete von dem
vatere intfahin genugtikeit der benediunge, vnd niht alse sumeliche
orekützelere phlegen, di mit floyrenden gespitzetin sinnen von des vatirs
lande des textis gen imvec in ein verre kunicriche eines vromden sinnes,
di daz fyne golt mit glisendem kuntirfelle (so = kuntirfeite) obircziren
wollen, vnde den wollerychenden baisamen mit fenchilwazzere rüchtec*)
machin. Dise iagen wilt mit dem gehazzetin Esan vnd irwerbin neuwe
zeitlichen segin, vnd ubir dise clagit sente Paulus in sinen epistolen,
daz si verliehen mit dem meisten schaden letzin di warheit, vnd nennit
si gelyt Sathane vnde Sathanam ir houpt. AMEN."
Hierauf folgt Bl. 224b— 233b eine synoptische Erzählung der
Leidensgeschichte nach den vier Evangelisten. Die Handschrift schließt
234a mit folgender roth geschriebenen Schlußschrift:
„Dise dutunge des latines in daz dutsche ist gemachit Mathie von
Beheim dem clusenere zu Halle nach vnsirs herren geburt tusent iar
vnd drie hundert vnd in dem dri vnd virzegistem iare an sente Jacobis
abinde des apostolen. Amen." (24. Juli 1343).
Der Verfasser nennt sein Werk „Übertragung in das mittelste
Deutsch." Man war sich also schon um die Mitte des 14. Jahrhd.
bewusst, daß es einen Dialekt gebe, der zwischen oberdeutschem und
niederdeutschem in der Mitte steht, und nannte ihn damals schon mit
dem von mir eingeführten Namen. Eine glänzendere Rechtfertigung
kann ich mir nicht wünschen. Daß die Sprache in dieser Evangelien-
Übersetzung alle wesentlichen Merkmale des Mitteldeutschen an sich
trägt, zeigt dem Kundigen Ein Blick auf die oben mitgetheilten Stellen
oder auf das durch J. Kehrein (zur Geschichte der deutschen Bibel-
übersetzung vor Luther. Stuttgart 1851) S. 82 — 85 abgedruckte fünfte
Capitel aus Matthäus. Wir finden hier a für o: seil, sah; e für ce: ge-
lezen, jerlichen, Homere, mitelmezic , erber, irverlich, clusenere; i für e in
den Partikeln in-, int-, ir- und den Endungen en; % für ie: dt, ni, Üb,
Üben (=zliep, lieben), tclich, licht, ziren, wolrichenden, virzegestem; o für e
in wollen (=tvellen), vorterben (= verderben: Kehrein), für ü in vorsichiikeit,
verzornit (Kehrein), für ö in vromden ; 6 für ce in rote, di bösen (Kehrein);
u für o: genuinen; für tu: dütsch, dutunge, türeste, husche (Kehrein), für
u. s. w. ; für ü: ubir, kunicrich , irfullere; für oberdeutsch e oder i in
*) Hs. rächtet. — ruchtec machen, in guten Geruch bringen, wohlriechend machen,
vgl. famare: Diefenbach's Gloss. 224" und misruchtich maken, diffamare : Theut. 214.
Der Sinn ist: die etwas Edles durch etwas Geringes verbessern wollen.
230 JOHANN LAMBEL
dem Worte hülfe; für uo: zu, buch, mütir, senftmCdic. Das einige Mal
über dem u erscheinende o (nii, zu, düte, genugtiheit, orehutzelere) soll
nicht den Diphthongen, sondern die vocalische Natur des u bezeichnen,
vgl. meine Bemerkung Germania 6, 357. 358. Kennzeichen des Mittel-
deutschen sind ferner dl für diu, drie für driu, uch für iu, er, prius
(= e) , gesehen, gesohlt, imant, nimant, umme (=umbe), unsis, Uwes
(Kehrein) , her für er, die schwachen Feminina : an der formen , der
glörien, die erweiterten Formen: wazzere, vatere u. s. w., das Zusammen-
fallen des 3. PI. Prres. Indic. mit dem Conj. phlegen, gen, jagen, ir-
werbin u. s. w.
Alle diese Lauterscheinungen und Wortformen sind genau die-
selben, wie sie von mir im ersten Bande der Mystiker S. 570 ff. und
im Jeroschin, von Wilh. Grimm zum Athis und Prophilias und von
Bartsch, Bech und Andern anderwärts sind nachgewiesen worden und
wie sie in jedem auf dem mitteldeutschen Sprachgebiet entstandenen
Denkmal unfehlbar zu Tage treten. Die Existenz des Mitteldeutschen
als einer besonderen Hauptmundart ist eine feststehende Thatsache und
auch die Benennung dürfte nunmehr gegen alle Anfechtung sicher-
gestellt sein.
Zum Schlüsse will ich einen Fehler berichtigen, dessen sich un-
begreiflicher Weise Alle schuldig gemacht haben , die seit Feller über
diese Bearbeitung berichtet haben : Hopf , Möbius , Kehrein , Heppe
(Zeitschrift 9, 265. 266). Alle nennen die Übersetzung ein Werk des
Matthias von Beheim, während doch die Worte: „dise dutunge des
latines ist gemachit Mathie von Beheim dem clusenere zu Halle" deut-
lich nur besagen, daß die Übersetzung dem, d.h. für den Matthias von
Beheim gemacht wurde, in seinem Auftrag also, auf seine Kosten. Aber
in Halle oder in der Nähe dieser Stadt war der ungenannte Übersetzer
gleichwohl zu Hause: Halle liegt noch auf mitteldeutschem Sprach-
gebiet, unfern der Grenze zwischen der mitteldeutschen und nieder-
deutschen Mundart, die etwas unterhalb des Einflusses der Saale in die
Elbe von Südwest nach Nordost läuft (sieh Bernhardi's Sprachkarte).
WIEN, Meli 1862. FRANZ PFEIFFER.
ZU DEN BÜCHERN MOSIS.
Auf zwei Pergamentblättern im Museum Francisco- Carolinum zu
Linz befindet sich ein Bruchstück des Gedichtes, das Diemer aus der
Vorauer Handschrift in seinen 'Deutschen Gedichten des 11. und 12. Jahr-
hunderts' S. 1 — 90 mitgetheilt hat. Unser Bruchstück reicht von 57,
ZU DEN BÜCHERN MOSIS. 231
23 — 66, 8. Die Handschrift, aus der uns diese beiden Blätter erhalten
sind , war von einem gewandten Schreiber sicher noch im 13. Jahrh.
geschrieben; das beweist außer anderm ganz besonders jene eigenthüm-
liche, Germania, 3, 344 besprochene Form des Z. Das Format ist
kl. Fol., die Verse sind nicht abgetheilt, sondern nur durch Punkte
geschieden, die Initialen sind roth, jede Seite enthält 32 Zeilen. Von
den beiden erhaltenen Blättern ist das zweite am linken Rande be-
schnitten , so daß für Seite a der Anfang , für b das Ende der Zeilen
fehlt. Allem Anscheine nach dienten die beiden Blätter als Buchdeckel ;
ich konnte aber nichts näheres darüber ermitteln, denn ich fand sie
schon abgelöst unter andern Pergamenten und Papieren des Museums
und meine Nachfrage blieb erfolglos.
Zu Danke bin ich besonders den beiden für das Museum zu Linz
eifrig thätigen Herren J. Stülz und Weishäupl verpflichtet, auf deren
Bemühung hin mir die Blätter freundlichst zur Verfügung gestellt
wurden. Ich gebe im Folgenden eine getreue Copie des Textes, wobei
es mir nicht überflüßig scheint auf die Vorauerhandschrift, die übrigens
auch wenn unsere Handschrift ganz erhalten wäre, doch im ganzen
den Vorzug behalten müßte, Rücksicht zu nehmen, natürlich nur dort,
wo wirklich die beiden Hss. auseinandergehen, abgesehen von ortho-
graphischen oder sonstigen allzu unerheblichen Verschiedenheiten.
Bl. 1. a.
da beten si vf gesetzet, zwei bilde wol gesnitzet. vil rot guldin. glich
cbervbyn et seraphin. da waren inne. vier ringe, zwo stasge stacten
dar inne. da mit sis tragen solden. so si v... wolden. Si bebielten
dar inne. daz beilictüm mit sinne, die gerten aaron. die taveln
Moyses. uii manna daz himel brot. uii einen einber d5, was golt rot. 5
daz waren diu vier heilictüm. von diu biez diu arche ppiciatorium.
Vvie gerne ich iu sagte, daz bediute daz ez habte. nach der heilig-
en lere, des helfe uns unser herre. Daz daz dacb rot was. die he-
iligen zwelf boten bezeichent daz. die die christenh . . . da., en. swa
so si mähten, si twanc d* regen uii ds sne. si dulten ach uii .ve. untz 10
die vil guten, also aenten i ir blute. Och bezeichent ez zware. die
da furhtent unsern herren. uii si in allen gaben, von schaiiii rote ge-
vahent. den mugen wir niht versagen, die wellet stat daran haben.
An dem zwilhen tüche. da svlt ir an suchen, die patriarchen uii
die wissagen. alse wir vsnomen haben, die in eime cite waren. 15
uii ein and z sahen, si sagten gnügiv dinc. daz bezeichent den zwilh-
inc. an dem geiz hare. merken wir die suntasre. vil wachse iz ist
3. varn. Die drei letzten Buchstaben fehlen, da das Pergament durchlöchert ist. und
ist kaum ihre untere Hälfte noch erkennbar. 8. 9. heiligen fehlt V. Christenheit (labten.
Loch im Pergament. 10. ach uii we] also manec ser F., die Änderung liegt ivohl in un-
serem Bruchslücke, das de». Beim reiner zu machen suchte Die erste Hälfte des 10 in we"
ist durch ein Loch ausgefallen. 14. An] In V. 16. gnvgiu] tougeniu V. 17. Diemer's
232 JOHANN LAMBEL
un stiebet, als in diu riwe brichet. daz wizzet 6cb zware. der be-
libet 6cb dare. coecus der was rot. wände er was zware getunchot.
2 0 der bezeichent zware. die beren marteraere. die ze minnen bab-
ten. die wile si lebten, ze gote uil zer ebristenbeit. si dulten ser
uii ilige her. vil schone an der wint were.
Ein pfellol ds hiez bissvs. daz sint die confessoribus. varwe habt ir
wizze. der was geworht mit flizze. vil wol si die livte lerent. ze
2 5 gote sis cherent. si re. .ent ir schvlde. ufi gewinnent uns gotes hvl-
de. nu wizzet wol zware. mit wnnen sint si dare. Der pvrper
varwe phellol d ist gut. der bezeichent di diemüt. got uns d*von sa-
gte, do er mit uns hie wonete. swer hie diemütelichen lebte, daz
er die hobis. en stat bebabte. ez ist umbe die diemüt so getan, si sol
30 den gantzen Ion han. Diu tugent diu ist edele. si gwinnent den
Ion der magede. nu wizzet wol zware. mit den bihtaeren. ir en
wirt ds Ion niht versaget, die die marteraere habent. vil wol
Bl. 1. b.
lichent si gote. er wil in Ionen sam den boten, wan si ist ein tugent
hie nidene. vil here da ze himele. Der iochant der ist ein seh ... er
stein, wie schone er..d. m. gecelte schein, an dem tuncheln tage, so
ist d stein ascher vare. so der bimel ist heiter, so ist ds stein lvter. er
5 bezeichent die liute. die noch sint in dem strite. Saphirvs der
edele. der bezeichent die magede. er ist himellichen var. ir gemüte
ziuhet si dar. zem wnneclieben lande, da gent si nach dem lambe.
gotes müter ist ein magt. diu hat die andern dar geladet, ein ni-
wez g..anc s. singent. die Christen si minnent. des sänget niht vs-
10 stat. sw. r vssüchet hat die hitat. Ein stein heizet topazius. daz
ist der contemplativvs. der ist vil tiure. er ist gevar nach dem fiu-
re. sin schin ist von golde. er bezeichent die gotes holden, daz svlt
ir wol glöben. die da sehent mit den innern ougen. Ich wil
iu sagen masre. von dem innern altajre. der da beslozzen stünt. der
15 bezeichent daz herze un den müt. ob wir mit der gotes minnen.
unser gebet dar uf bringen, ettewenne weine wir Och. daz bezei-
chent daz wiroch. die zwene die da stünden, un si des fivres hüten,
die bezeichent under stunde, daz alte Urkunde, uii bezeichent die
niwen e. diu ensol nimms zergen. in unserm globen. daz heitert
20 uns die innern ougen. Ich wil iu sagen maere. von dem uzzern
altsere. da man daz vihe zu treip. daz ist der sunden gwizzenheit. der
Vermuthung, es sei 'geizeneme hare' zu lesen, scheint mir bei der Übereinstimmung beider
Hss. unnöthig. da vor merken V. ist ez V. 18. ovb vor in V. brichet] begrifet V, auch
hier scheint der Reim für unsere Hs. Veranlassung zur Änderung gewesen zu sein, och]
wol V. 19. zware] in di uarewe V. 20. ze fehlt V. minne V. 22. abgeschoben, leit und
daz heil sind noch äußerst schwach erkennbar. 23. Obwohl unser Bruchstück hiez bietet,
was Diemer in den Anmerkungen als Vermuthung aussprach, halte ich doch heizet für
die hier einzig richtige Lesart, confessores V. 25. reinent] vgl. zu 22. 28. hie fehlt V.
29. holdsten] s. zu 22. 30. den nach gwinnent fehlt V. 32. die die] den die V.
Bl.l.b. 2. nidere V. schöner s. zu 1 a, 3. 3. an dem] s. zu 1 a, 3. 9. gesanc si] s.
zu la, 9. niht] nine V. 10. swer] s. zu 1 a, 9. 11. contemplacius F. 16. gebe V. 18. under
stunde — bezeichent fehlt V ., der Schreiber verirrte von dem Worte bezeichent vor under
auf das vor die, icodurch die paar Worte ausfielen. 20. mere F. 21. den svnden V.
ZU DEN BÜCHERN MOSIS. 233
ohse den der man slüc. ds bezechent die ubsmüt. die wir von uns
svln tun. durh den himelischen Ion. diu getelosen pockelin. unchiu-
sche mach iz wol sin. daz ist diu wirste meintat. gesah in got d*
si goph*t hat. ds mach wol mit eren. ze dem innsn altaer keren. 25
Der harte stozente ram. daz ist der zornige man. swaz ime
ze. . . .wirt getan, des enlat er niht svs hine gan. mit
vollen er giltet. ettewenne er schiltet. daz svln wir von
uns cheren. dvrh willen unsers vil lieben herren. der unz daz
bilde hat vor getan, daz wir die räche lazen stan. Nu bezei- 30
chent diu höhe, drie namen here. den vater uii den svn. unde
den spiritum sanctum. diu wite ufi diu lenge. bezeichent die
Bl. 2. a.
diu. . . .er. .rget. die wile diu werlt stet. Vvirn svln
vergezzen. daz der alter was beslozzen. so wir got minnen.
wir in twingen. wellen wirz dvrh rüm sagen, so müzen wir
ur den Ion haben. Si chomen in eine wste. ze lvtzelme
chomen wrme under die menige. sine mähten sich ir nih 5
sw. n gebeiz ds slange. des leben was unlange. Moyses
wise man. einen slangen er frviTi began. uzer chopher un
z bezeichent dich christ herre. den hiez er in allen gahen.
r menige uf hahen. swer den frü ane sach. dehein schade
geschach. Sine waren da niht lange, si hüben sich danne.
n in ein lant. da beten si michel getwanch. drie kvnige
die vart si in werten. Moyses mit in vaht. got im den
do gie ds vil küne. uf einen berc hohen, aaron uü vr die gü-
die arme si im stünden, so sis uf habten. die israhele gesi-
er die arme nids lie. den sinen harte misse gie. Diu me- 15
igte, als ez got wolte. do sanden die hsren. vierzec un zwe-
em guten lande, daz si daz erfunden, wie daz lant waere.
ds weher baere. si baten die gesinden. mit listen erfind-
diu niwen maere. in dem lande waeren. Die selben spe-
everte was vil maere. si chomen ze iericho. dannen schieden 20
b div gute, die recken si behüte, mit allen ir sinnen.
daz ir da niemen wart innen.
ie heiden wrden inne. d* niwen chömelinge. si suchten si
Unser Bruchstück bestätigt die Vermuthung Jac. Grimms in d. Anm. 22. der vor man
fehlt V. 27. Loch im Perg. 28. zwischen er und schiltet ist in der Handschrift ein
leerer Raum, ohne daß im Text etwas ausgefallen wäre.
Bl. 2. a. 1. rainne F. nimmer zerget] abgeschoben, diu] diseu F. 2. des niht F. 3. daz
siiüe F. 4. den lop für F. 5. tröste, do F. ir niht fehlt F. 6. irwerien F. swen]
Loch im Perg., das noch dazu an dieser Stelle etwas abgeschabt ist. 7. was ein F. uzer]
uzze F. 8. uzer ere. F. daz] abgeschoben . dich christ herre] crist den herren F. allen]
aller F. Das richtige, das unser Bruchstück bietet, hat schon Diemer in d. Anm. her-
gestellt. 9. under der V., hahen] hahen F. von Diemer hergestellt. 10. ime F. Nach dem
Baume zu schließen, stand in unserer Handschrift wohl noch ein Wort. 11. si chomen
F. drie] di V. 12. si irten F. 13. sick gab V. üfen ein V. 14. guten under F.
15. gesigeten als F. 16. menige gesigete F. 17. zwene zu deme F. waere] päre F.
18. unde wilch daz F. baere] wäre V , in unserer Handschrift haben die beiden Worte
die richtige Stelle vertauscht. 19. befinden, wilch F. 20. spehare. der geuerte daz F.
vil vor maere fehlt V. 21. si fro. raap F. behüten F. behüte ist schon in d. Anm. her-
gestellt. 22. Hier bietet F. keine Ergänzung. 23. Es fehlt nur der rothe Initial Die.
234 JOHANN LAMBEL, ZU DEN BÜCHERN MOSIS.
allenthalben, diu hvs in den walben. raab was ein heidenin.
25 och vil guten sin. si bare si mit sinnen, vf ir dillen. mit
e belegte, die herren si entsagte. Vil schiere si sich hüb-
m lande si füren, raab bat si mit flize. ich warne si irz
ob si mit gewalte dar wider körnen, daz sis in ir gnade.
en. Do gap si in ein zeichen, si bat si daz sich marcten.
30 an ir wende, haben einen roten pentel. durh diu venster
ivre. si bat vil tiure. daz si ir des gedachten, wie si si dan-
hten. Daz gelobten die herren. vil schiere si dannen füren.
Bl. 2. b.
si ilten vil harte, in einen wingarten. da vvnden si einen tr
uii tiuren. si trügen in danne. gebunten an einer stange. si w. . .
ze minnen. under daz her bringen, daz si dar an stehen, wi
Weher in dem lande wsere. Do si den trvben brahten. u
5 harte vahten. si sagten in diu msere. diu wids got waren, si sa. . .
lande, die starken wigande. die bvrge wseren werhaft. des liv. . . .
si die craft. die tvrne sint mit chrefte. gemuret in die lvf
ein beslozzen. mit plie begozzen. ez si iu leit oder liep. sine e . .
in daz lant niht. Do wart michel brachten, und den z
10 hten. von chinden uii von wiben. vil michel we schrien, v
ren ir schulde, da verlvrn si gotes hulde. si begunden sich vV . .
wolden Moysen steinen, der hat uns braht in die not. in der. . . .
uns die friunt tot. Do waren in den geslashten zwene
knajhte. die waren also werhaft. der tugende heten si die c
15 was caleph un iosue. si ilten drate dar gen. si sagten in do
daz iz gelogen wasre. weit ir got minnen. mit einvaltige
sone dorfet ir deheinen zwifel han. iu wirt daz la
JWLoyses der gute man. gie zu ds wölken su da fleg
von himele. umbe die schuldigen menige. des antwrte
20 stimme, von dem hohen himele. si habent erwecket minen
hulde habent si vslorn. heiz si her für mich gen. ir ensol dehei..
sten. In der selben stunte. Moyses dem liute daz kunte. ir
oder alt. ir sit blöde oder balt. Iwer deheiner s abe sten. . .
si fehlt V. 24. V. bietet leeine Ergänzung 25. si habete doch V. vil fehlt V. ufen V.
26. flahse si si V. in segete V. insegete, intsegete (verläugnete sie) ist richtige Lesart.
Diemer's Vermuthung ni segete =neseite wird dadurch überflüssig. 27. hüben, uz deme V.
28. gehizen V. sis] si V. in fehlt V. 29. gefingen V. Unser Bruchstück hat sicher das
richtige; es heißt, wenn sie wieder mit Gewalt kämen, wollten sie ihr gnädig sein, sie
in ihre Gnade aufnehmen. Die Emendat. gelinge wird damit imnöthig. 30 si wolde V.
31. an der V wie] daz V.
/.>'/. 2. 1). 1. traben edele. V. Unser Bruchstück bestätigt Diemers Vermuthung
einen trüben. 2. si wolden in V. 3 wi feizt daz V. 4. wider got si V. 5. sahen in
deme V. 6. Hutes habeten V. 7. lüfte mit regelen V. 8. lant euh V. 9. in fehlt V.
zwelef geslahten V. 10 vil fehlt V. vil groz wart V.- 11. vereinen, si V. 12. unsich V.
wüste sint V. 13. zwelefe tuerliche V. Hier hat offenbar unsere Handschrift das rich-
tige; denn, nicht zwölfe werden in der Folge genannt, sondern nur die zwei: Caleph u.
Josua. 14. craft. daz was V. 13. duz ze wäre. 16. einvaltigen dingen. V. 17. lant
understan V. 18. sule stan] abgeschoben, flegete er got V. 19. ime den V. 20. zorn.
mine V. 21. neheiner da besten V. 22. An der V. selben fehlt V. daz den liuten V.
sit iunc V. 23. *"| des verwischt, abe gen V. ir sult V. 24. für got V. zornigem.
REINHOLD KÜHLER, ZU DEN DEUTSCHEN APPELLATIVNAMEN. 235
alle her für gen. Do sprach got der gute mit. . .nigem n
mich habent erbliget. ze dein zorne gereitzet. die müzen liden 2 5
in dirre wste ligent si tot. uii iriu chint uii. . . . wip. min
ist michel cit. uii elliu diu houbet. die in die luge habent
Do sprach unser herre. ze dem Hute mere. ez si iu leit od*
chomet in daz lant niht. ich wil ez mit minnen. tei
kinden. caleph uä iosue. die suln in daz lant gen. die hab 3 0
vollen, uii niezen ez swie so si wellen, daz si durh minen
übel ilten stillen, des habent si immer ere. under allen isr
WIEN, 11. Mai 1862. JOHANN LAMBEL.
ZU DEN DEUTSCHEN APPELLATIVNAMEN
Wackernagel hat in seiner Abhandlung über die deutschen Appel-
lativnamen auch die geographischen Eigennamen berücksichtigt. fEs
werden' — sagt er Germania 5, 310 — 'auch Landes- , Volks- und
Ortsnamen, die wirklich bestehen , wortspielsweise umgedeutet und zu
Appellativen erweitert, es werden andere den wirklich bestehenden
charakteristisch nacherfunden'. Der reichen Beispielsammlung, die
Wackernagel gegeben hat, mögen sich noch die folgenden Beispiele
anschließen.
Altenhausen. Sie ist von Altenhausen, H. Sachs Werke, Nürnberg
1578, IV, 3, 72b.
Altheim. So sie gen Altheim werden schieben, Fastnachtspiele
245, 31.
Beiieimoeil. Komm ich nit hinüber, so bleib ich im Dörflin Beit-
einweil unterwegen. Fischart, Geschichtklitterung, cp. XXXIX.
Bubenhausen. Leichtmann von Bubenhausen. Erasmus Alberus
Ehbüchlin C, iijb.
Darmstadt. Da fieng sie der Happetit von Darmstadt und Eß-
lingen an zu reiten, satzten sich der wegen ordenlich zu tisch. Fischart,
Geschichtkl. cp. XXVI.
Eichenstett. Man soll ihm den Vogt von Eichenstett mit seiner
ungebrenten Eschen übers Leder schicken. Spangenberg's Lustgarten
453 bei Grimm WB. 1, 581.
s. zu 23 mute. di. 25. erbliget] gewezzelt V. gereitzet] irgeizzet V. Joe. Grimm ver-
muthet In d. Anm. gewezzet:irheizzet. Ich glaube, man wird zum Theil an unsere Hand-
schrift sich anschließend lesen dürfen gewezzet : gereizet, michel not V. 2b'. iriu s. zu 23.
miner räche V. 27. geloubet V. 28. Hb. irne V. 29. teilen everen V. 30. habent ez
mit. 31. willen V. 32. daz uupilde tillen. V. Unserem Schreiber war wohl tillen un-
verständlich, darum änderte er. isrl'en. V.
236 REINIIOLD KÜHLER, ZU DEN DEUTSCHEN Ar^ELLATP7NAMEN.
Eßlingen, s. Darmstadt.
Fingencalde. Da klatscht, da kämmert sich das alte Trödel weib . . .
Wie oft sich Frau und Mann bei dem Begräbnis raufen
Und Fritz und Florida nach Fingervvalde laufen.
Günther, der entlarvte Crispinus von Schweidnitz , in den Gedichten,
Breslau und Leipzig 1751, S. 501.
Höhnstadt. Seid ihr von Höhnstadt? Complimentierbüchlein von
1654, im Weimarischen Jahrbuch 1, 326.
Koldingen. Im Eulenspiegel, Cap. 16, fragen nackte Buben zu
Peine den Eulenspiegel, wo er her käme? 'Er sprach, ich kum von
Koldingen, er sach wol, daß sie nit vil an hetten. Sie sprachen: Hör
hierher, wa kamstu von Koldingen, was enbüt uns dann der winter?
Ulenspiegel sprach: der wil euch nüt enbieten, er wil euch selber an-
sprechen, und reit hin. Koldingen ist ein Dorf bei Peine; das Wort-
spiel zwischen diesem Namen und kold, kalt, ist nicht zu verkennen;
s. Lappenberg zu der Stelle.
Laufenburg. Er hat nach Laufenburg appelliert, Eiselein, Sprich-
wörter S. 411.
Nagelstadt, Nageleck, s. u. Wargelstadt.
Mibeleck, s. Wargelstadt.
Steiermark. Ein wegen seiner Einfälle bekannter Lumpensammler
aus der Gegend von Buttstädt im Großherzogthum Sachsen - Weimar
begegnete einst dem Herzog Ernst August (1728 — 1748). Nun waren
gerade damals gewisse Steuern in empfindlicher Weise erhöht worden,
und als daher der Herzog den Lumpensammler fragte, was es in seiner
Gegend neues gebe, antwortete er: Durchlaucht, die Leute in Buttstädt
sagen, die Welt hätte sich gedreht und sie seien nach Steiermark ge-
kommen. (Mündliche Tradition.)
Taubach. Er ist aus Taubach d. h. ist taub. Diese Redensart
hört man zuweilen in Weimar und Umgegend; Taubach ist ein fünf
Viertelstunden von Weimar entferntes Dorf.
Wargelstadt. Ein schwäbisches Räthsel vom Floh bei Meier
(Deutsche Kinderreime aus Schwaben S. 83) heißt:
In einem engen Gässchen
begegnete ich einem schwarzen Pfäfichen.
Da nahm ich es nach Wargelstadt,
von Wargel Stadt nach Nagelstadt
und da ward er gerädert.
Ähnlich ist ein schweizerisches Räthsel bei Rochholz. Aleman-
nisches Kinderlied S. 223:
ADOLF MUSSAFIA, ZUM RAPARIUS.
Es chömmet zwe Manne,
sie führet eine g'fange,
von Ribelegg üf Nagelegg
von Nagelegg nfs G'richte.
Endlich verweise ich noch auf das 7. Capitel von Fischart's
Geschichtklitterung, wo eine ganze Reihe theils wirklicher, theils fin-
gierter Ortsnamen , die alle Bezug auf Essen und Trinken haben,
vorkommen.
WEIMAR, September 1860. REINHOLD KÖHLER.
ZUM RAPAEIUS.
Als mein geschätzter Freund H. Adolf Wolf im ersten Hefte des
vorliegenden Jahrganges dieser Zeitschrift den f Raparius' nach der Wiener
Handschrift 1365 abdrucken ließ , übersah er , daß dies durch F. J.
Mone in dessen 'Anzeiger (Jahrg. 1839 S. 571 — 581) schon geschehen
war. Dieses kleine Versehen ist um so leichter zu entschuldigen, wenn
man bedenkt, daß W. Grimm in den sonst so ausführlichen Nachweisen
zu den 'Hausmärchen (Göttingen 1856) der stattgefundenen Veröffent-
lichung mit keiner Silbe erwähnt. Da nun einmal zwei Abdrücke einer
und derselben Handschrift vorliegen und diese an manchen Stellen von
einander abweichen , so hielt ich es für nützlich , diese Abweichungen
an der Handschrift selbst zu prüfen. Das Ergebniss dieses Vergleiches
theile ich in folgenden Zeilen mit. Mit W bezeichne ich den Abdruck
von Wolf, mit M den von Mone, mit H die Handschrift selbst. Ortho-
graphische Unterschiede bleiben unberücksichtigt; es genüge für diese
zu bemerken, daß Mone die Schreibweise berichtigt (also onus praesens
titulus etc.)*), während Wolf die der Hs. diplomatisch getreu wieder-
gibt (Jwnus presens tytulus). Emendationen nahm in der Regel auch
Mone nicht auf; und nur am Fuße der Seite räumte er einigen Con-
jecturen Platz ein.
Vers 11 W subtilem (stößt gegen das Metrum), MH sterilem —
80 W sibi intulit , MH subintulit — 96 W superbat, M superbit, H
superbK — 126 W repetens, MH rependens — 127 WH vertu, M tendit
— 130 W Her, MH item — 132 W die age quid (dem Verse fehlt
das richtige Maaß), MH die age die, quid — 138 W grandis copiatn
suppetit, MH gr. copia sup. — 143 WH succedunt, M sueeedant, was
*) Dazu V. 354: arbustarvm st. arbustorum und V. 368 saltem st. saltlm.
2;-}g ADOLF MUSSAFIA, ZUM EAPAEIUS.
vielleicht als eine Emendation anzusehen ist, da der Imperativ in den
Zusammenhang etwas besser passt als der übrigens ganz zulässige
Indicativ — 179 W calliditate ait (2. Heimstich eines Pentameters), MH
calliditatis ait — 186 W monilia, quarum, M mon., quorum, Hqfy —
188 W vestes teitos, MH v. textas — 204 W posset, M possit. Die
Hs. hat posseif , aber unter dem e steht der Tilgungspunkt und oben
darauf von derselben Hand i — 210 W penitus, MH pariter — 245 W
hoc fero dampno dolo (2. Hemist. eines Pent.) M hwcfero dampna.
Die Hs. hat K dampno ; Mone hat also in Bezug auf das zweite Wort
eine schon durch das Metrum gebotene Emendation vorgenommen —
W plusque leoni, MH pl. leotie — 249 W quam sublimabar, M
qua subl. Damit stimmt die Hs., welche qf bietet; auch lässt der
Sinn nur qua zu — 257 W penitus, M H pariter — 266 W nemerosis, M
nemorosis , H nem'osis — 271 W sequar, M sequor und erst als Con-
jectur sequar. Die Hs. hat seqi^ was nach der eben jetzt bemerkten
Abkürzungsweise derselben (q = qua) sequar bedeutet — 292 W monitori,
M monitorum, H monitor. Der Sinn lässt nur die Lesart von W zu —
297 W tractantes et (1 Hemist. eines Pentam.), MH tr. efiam — 320
W ipse, MH idem — 322 W capitis ecce, MH capitis viltit ecce —
324 W H ista, M illa — 349 W quo? futura sciam (2. Hern, eines
Pentam.), M H quieque fat. — 350 W fateor ferarum didicisse, M mit
richtigem Maaße didicisse ferarum. Der Schreiber hatte fateor zweimal
geschrieben ; da ihm nun für das letzte Wort kein Platz in derselben
Zeile übrig blieb, so benützte er einen in der vorhergehenden Zeile frei-
gebliebenen Raum; das Anführungs - Zeichen findet sich richtig nach
didicisse — 361 W hie Saccus. . . regali melior. . . scola, MH stola —
378 W es sciolus, M est sc; die Hs. hat e. Dem Sinne nach ist die
zweite Person allein zulässig, wie denn auch Mone als Conjectur es
vorschlägt. — 380 Die Angabe von Wolf, es sei in diesem Distichon
nur der Pentameter vorhanden, ist ungenau. Die Hs. bietet, wie bei
M richtig abgedruckt, die zwei Verse Quisquis es in saeco quosso mise-
rere miselli, Quatenus in saeco sit mihi pausa brevis. Man sieht, daß
das Auge von einem saeco auf das andere geschweift ist *) — 397 W
*) V. 71 dagegen bietet die Hs. wirklich nur den Hexameter ohne den dazu ge-
hörigen Pentameter. Ich möchte dennoch darin eher die Nachlässigkeit des Schreibers
als mit Wolf die des Dichters erblicken. Freilich fühlt man keine Lücke ; indessen wird
der Pentameter nur den Gedanken, der im Hexameter ausgedrückt ist, wiederholt haben.
Vergl. in der Salmansweiler Hs. V. 61 — 2. Die rogo die, unde fruetus provenent iste,
Unde tibi species prodigiosa nimis?
KARL BARTSCH, ALTHOCHDEUTSCHE GLOSSEN. 239
fiammescis, MH flammascis, 400 WH redde mei, M red. mihi*) —
427 W superat, MH superest.
Zu den von Mone vorgeschlagenen Conjecturen sei es mir erlaubt
noch zu fragen, ob nicht etwa V. 63 interdum in introitum und V. 367
novisse in necesse zu bessern sei.
WIEN. ADOLF MUSSAFIA.
ALTHOCHDEUTSCHE GLOSSEX
In einem Buche, worin man sie nicht suchen sollte , dem ' Spici-
legium Solesmense complectens sanctorum patrum scriptorumque eccle-
siasticorum anecdota hactenus opera curante Domno J. B. Pitra. Parisiis
1852.' 1, 259—261. 503. 504 finden sich eine Reihe ahd. Glossen. Die
ersten, zum Juvencus gehörig, aus einer Handschrift des Junius, jetzt
in der Bodleianischen Bibliothek, sind in Nyerups symbol. ad lit. teuton
179 — 180 abgedruckt, von Graff mit Ja bezeichnet.
Hist. evang. 1, 24. nectunt heftant.
26. rependit farkeltant ').
31. flammivoma laucspiantaz.
37. altithronus höh sidillo.
16. adcumulant huftbnt.
21. vertigo poli suuintilod himiles 2).
38. tueri uuarten.
vicibus hertom.
39. digesto kizaltemu3).
1, 41. parilis kalihem (fehlt Nyerup).
43. soboles chind.
vergentibus sliffentem4).
45. adytum zuakanc5).
73. supremi spanontigemu.
70. repertor findo.
81. dispendia farloranissa.
84. delata kaoparot.
139. repedat unidricat.
*) Moue schlägt mei erst als Conjectur vor, die Hs. bietet aber, wie gesagt, eben
dieses Wort auf unzweifelhafte Weise dar.
') Graff 4, 188 farkelta». 2) Graff 6, 884 himeles. 3) Graff 57,651 kizaltemo,
degesto. *) Graff 6, 807 sliftenten. 5) Graff 4, 102 nicht aufgeführt.
240 KARL BARTSCH, ALTHOCHDEUTSCHE GLOSSEN.
2, 266. solers akaleizaz.
357. avidi keroe.
358. seta purst.
613. distractum farloranero.
4, 267. hirsutum hirtum ruhaz.
17. pignoribus fantum.
72. arduum stechal.
81. ales focal.
201. tffidarum facolono.
220. rutum 6) uunfruataz. 7)
2, 622. duelli uuichaftemu.
661. bnstum grap.
685. dicolor unkifaruer. 8)
729. cominus rumor.
771. obex unkifuari.
801. culmis ritta.
816. agellus acharli.
818. vivor gruani.
in veste lugubri in kare kiuuate. 9)
4, 24. mussanti runentemu.
47. connubiis kimahhidom.
Glossae theotiscae Bertinianae.
Spicil. Solesm. 1, 503. 504. Sie stimmen überein mit den in Graff1 s
Diutiska 1, 279 ans einer Reichenauer Handschrift mitgetlieilten Glossen,
inanis gloria, id agelp lü) inobedientia, hunorsami 13).
invidia abant * '). iactantia rhuom 14).
ira abulgi. hypocrisis, liba ' 5).
tristitia, unfreuuida. contentiones, bag.
avaritia, scatz girida. pertinacia, kreg.
ventris ingluvies, kelagi ridai12). discordia, unguezut Iß).
luxuria, firin lust.
Glossae Remigianae.
Aus einer ehemals dem Hincmar gehörigen Handschrift zu Rheims
(Nr. 513 — 510. fol. Bl. 196) des neunten Jahrhunderts: inspiciunt
8) Hei bratum. ') für unfruataz (so Nyer.) ') fehlt bei Graff (Ny er. unkifaruuer).
•) Graff 1, 743 harekiuuate. '") Graff ital gelp. ") Graff abunst. '*) für kela girida;
Graff heia girida. '") für unhorsami. '*) Graff hrnom; diese und die folgenden Glossen
sind von einer Hand des 17. Jahrh. am tintern Bande der Seite nachgetragen. li) Graff
iha. ") Graff ungezunft.
I. V. ZINGERLE, WAS MINNE SEI. 241
quaestiones de diversis sermonibus super canones interpretantibus. Ich
theile sie wegen ihres sachlichen Interesses mit. Sie finden sich im
Spicil. Solesm. 1, 504 abgedruckt.
Pragmaticum, causa.
Conniventes, consentientes.
Obtitii, tituli.
Rusticas parrochias, id est, agrestes parrochias.
Cardinales diaconi, id est, ubique in domo sanctorum ad episco-
patum consecrati.
Seditiosus, id est, qui rixos Tel dissensiones vel injurias [exercet],
nee non qui dicitur in rustica parabola. lT)
Auspicium, id est, qui videt avem contra eum volentem et di-
vinat propter eam.
Horrescens, dispiciens, seu in rustica proverbia: egiro (lies egisö).
Philacteria, ist est, decem verba legis vel scriptura vana, quod
ligat homo aut super caballum aut super caput suum.
Formata littera, id est, sigillata ab episcopo.
Temelici, joculatores.
Plebejos psalmos, id est, rusticos psalmos vel cantus sine auetoritate.
KAEL BARTSCH.
WAS MINNE SEI.
Zu der schönen Stelle in Wolframs Titurel Str. 64:
Minne, ist daz ein er? mäht du minn mir diuten?
ist daz ein sie? kumet mir minn, wie sol ich minne getriuten?
muoz ich si behalten bi den tocken?
od fliuget minne ungerne üf hant durh die wilde? ich kan minn
wol locken.
bieten ein Gegenstück folgende naive Verse im Gedichte: Der Müller
mit dem Kinde (Keller's altd. Erzählungen S. 465, 33.)
Wer hat minne noch gelert? oder wechset sie an dem gevilde ?
ich gehört nie mer sie nennen. ist sie swarz, weiß oder gra,
wie solt ichs dann erkennen? grüen, gel, rot oder bla? —
Wachsens uf bäumen oder in garten daz sage mir, so nim ich ir war,
oder wo sal ich ir warten? biz daz ich eigenlich ervar,
ist sie zame oder wilde waz minne sei vnd waz sie sol.
I. V. ZINGERLE.
7) Das deutsche Wort ist nicht beigefügt.
GERMAXIA VII. 16
LITTERATTJR.
1. The Story of Burnt Njal, or lifo in Iceland at the end of the teuth Cen-
tury. Froni the Icelandic of the Njals Saga. By George Webbe Dasent.
D. C. L. With an introduction, maps and plans. Edinburgh, Edmonston and
Douglas. 1861. 2 Voll. 8.
Durch eine Reihe von Arbeiten auf dem Felde der altnordischen Litte-
ratur hat sich Hr. Dasent bereits vorlängst bekannt gemacht. Eine englische
Übersetzung der Snorra-Edda liegt von seiner Hand vor (Stockholm, 1842),
und ebenso eine Übersetzung der großen isländischen Grammatik von Rask
(London, 1843); ihnen folgte eine Ausgabe verschiedener Bearbeitungen der
Theophilus- Legende, darunter auch solcher in isländischer und altschwedischer
Sprache (LondoD, 1845); dann, in den Oxford Essays für 185 8, eine cultur-
historische Abhandlung, welche den Titel führt: The Norsemen in Iceland. Sein
neuestes Werk, welches hier besprochen werden soll, hat derselbe bereits seit
dem Jahre 1843 in der Arbeit, und sich somit vollauf Zeit genommen zu reiflich
überlegter Vollendung; Grund genug, um solche Arbeit auch außerhalb der
Grenzen Englands der Beachtung zu empfehlen.
Der Natur der Sache nach füllt die Übersetzung der Njäla selbst den bei
Weitem größten Theil des Werkes; S. 1 — 25 6 des ersten und S. 1 — 349 des
zweiten Bandes werden von ihr in Beschlag genommen. Gerade über sie ist
indessen vom deutschen Standpunkte aus am Wenigsten zu sprechen nöthig, da
der deutsche Leser, wenn ihm der Originaltext Schwierigkeiten bietet, eher bei
der lateinischen Übersetzung, welche im Jahre 180 9 erschien, als bei der eng-
lischen sich Raths erholen wird. So mag demnach hier die Bemerkung ge-
nügen , daß die Übersetzung im Ganzen getreu, und soweit sich dies von
einem Fremden beurtheilen lässt, auch fließend und gut lesbar zu sein scheint,
was natürlich nicht ausschließt, daß im Einzelnen an derselben mancherlei aus-
zusetzen bleibt ; hiefür ein paar Belege. Verfehlt scheint bereits der Titel des
Werkes. Freilich wohl wird der in seinem Hause verbrannte Njäll Brennu-Njdll
genannt; allein ebenso heißt Flosi, der Anführer der Mordbrenner, Brennu-Flosi,
seine Leute werden als brennumenn bezeichnet , ja sogar Kari, der Schwieger-
sohn Njals, welcher aus dem brennenden Hause zu entkommen das Glück hatte,
trägt hin und wieder den Namen Brennu-Käri. In allen diesen Fällen ist die
Namensbildung dieselbe, und man darf darum nicht wie der Übersetzer thut im einen
Falle Burnt-Njäl, im anderen Burning-Flosi u. s. f. übersetzen ; im einen wie im an-
deren Falle ist vielmehr der Beiname gleichmäßig von der bloßen Theilnahme der
Person an der Njälsbrenna hergenommen, ohne daß dabei berücksichtigt würde,
daß diese Theilnahme hier eine active , dort aber eine passive war. Zu weit
getrieben scheint ferner das Bestreben des Übersetzers, bei der Übertragung
isländischer Worte die Verwandtschaft der Wortstämme zu berücksichtigen. Nicht
selten, und jedenfalls weit öfter als Hr. Dasent selbst zugesteht (Preface,
S. XV — XVI, not.), lässt er sich dadurch verleiten, .dem altenglischen Sprach-
schatze Worte abzuborgen, welche heutzutage kaum noch allgemein verständlich
sein möchten; in anderen Fällen gebraucht er gar, was noch bedenklicher sein
LITTERATUR. 243
möchte, für isländische Worte stammverwandte englische, welche doch eine völlig
andere Bedeutung gewonnen haben als jene. So ist z. B. freilich richtig, daß
das englische „town" mit dem isländischen „tun" eines Stammes ist; aber im
Isländischen bezeichnet das Wort den unmittelbar beim Hofe liegenden einge-
zäunten Grasgarten, während schon das angelsächsische „tun" regelmäßig die
Niederlassung selbst, also Hof, Dorf oder Stadt bedeutet, und nur ausnahms-
weise etwa noch die Zusammensetzung „gasrstün" die isländische Bedeutung
festhält. Das englische „town" vollends kann gar nicht mehr anders denn als
„Stadt" verstanden werden. Die Übertragung von tun durch town (z. B. 1,
127 — 8) muß hiernach unwillkürlich auf den kundigen Leser einen unangenehm
schillernden, auf den unkundigen aber einen falsche Vorstellungen erweckenden
Eindruck machen. Nicht zu rechtfertigen ist ferner des Verf.'s Art, die Eigen-
namen zu behandeln. Darüber zwar mag man verschiedener Ansicht sein, ob
es räthlicher sei die isländischen Casuszeichen beizubehalten oder nicht; soviel
aber sollte denn doch unzweifelhaft fest stehen, daß man nicht willkürlich starke
Formen in schwache, und umgekehrt, umsetzen, und daß man nicht andere als
die Nominativformen in der Übersetzung gebrauchen dürfe. Hr. Dasent aber
nennt Gunnars Frau unbedenklich Hallgerda, während ihr Name doch Hallgerdur,
oder mit Weglassung des Casuszeichens Hallgerct lauten müsste ; er schreibt
Thordisa für bordis, Gudruna für Gudrun, Asvora (nicht Asvara) für Asvör,
Thorkell Geiti's son für Geitisson , Thingvalla für pfngvellir, u. dgl. m. Hin-
sichtlich der Ortsnamen scheint mir auch Dasent's Gewohnheit nicht richtig,
solche ihrer Wortbedeutung nach in's Englische zu übertragen , statt sie als
Namen unverändert zu lassen. Bei solchem Verfahren hört der Name geradezu
auf Name zu sein. Vergeblich wird der isländischer Topographie und Geschichte
kundige Leser mit den umgeformten Ortsbezeichnungen sich zurecht zu setzen
versuchen, zumal da die Ungleichförmigkeit, mit welcher bei deren Umformung
verfahren wird, und die schon erwähnte Benützung veralteter Worte noch weitere
Schwierigkeiten herein bringt; es thut geradezu weh, statt der liebgewonnenen
Klänge Hlidarendi, Bergporshvoll, Raudaskridur, Arnarbadisös Lithend, Berg-
thorsknoll, Redslip, Arnbasls Oyce (warum nicht wenigstens Eagleseyriesoyce ?)
lesen zu müssen.
Der Verf. hat seiner Übersetzung kurze Anmerkungen beigefügt, in welchen
er zumal dunkle dichterische Ausdrücke in den eingestreuten Versen zu er-
klären, oder über Örtlichkeiten und Personalien die nöthig scheinenden Behelfe
beizubringen sucht. Was er giebt, ist dankenswerth ; nur hat er leider manche
sehr erhebliche Schwierigkeiten völlig unberücksichtigt gelassen. Hiefür zwei
Beispiele. Wir erfahren aus c. 9. der Njäla, daß porvaldur Ösvifrsson „ä Mect-
alfellsströnd undir Felli" wohnte, und zugleich die Bjarneyjar im Breidifjördur
besaß; in c. 11 — 13 wird sodann erzählt, wie der Mann daselbst getödtet wird,
und seine Genossen auf einem geliehenen Schiffe nach Reykjanes an's Land über-
setzen. Nehmen wir nun die Medalfellsströnd, wie wir doch müssen, mit dem-
jenigen Bezirke identisch , welcher heutzutage den Namen der Fellsströnd trägt
(vgl. z. B. Eyrbyggjasaga, c. 9, S. 20, und c. 14, S. 40), somit auch den
Hof und ir Felli identisch mit dem jetzigen Hofe Stadarfell , so erscheint einer-
seits kaum möglich, daß unter den Bjarneyjar diejenigen Inseln verstanden sein
sollten, welche, weit draußen im Breidifjördur liegend, heutzutage noch diesen
Namen tragen, ist vielmehr weit eher an andere, im Hvammsfjördur gelegene
16*
244 LITTEKATUK.
Inseln zu denken, welche früher diesen Namen führten ; aber freilich führt von
letzteren dann die Fahrt nicht nach Reykjanes hinüber. Ferner in c. 12 6 (125)
wird der Zug der Flosi mit seinen Genossen von Svinafell nach Bergporshvoll
geschildert. Am Sonntag in aller Frühe hören die Leute in Svinafell ihre Messe,
und essen dann noch, ehe sie zu Pferd steigen. Langsam wird geritten, und
wenn Einer sich aufzuhalten hat aus der zahlreichen Schaar, sollen Alle seiner
warten. Nur zwei Pferde hat der Reiter und dennoch sollen die Leute bereits
Montag Nachmittags am prihyrni'ngur eingetroffen sein. Den Reiter möchte ich
sehen, der selbst allein, auf stets neu unterlegten Pferden und in raschestem
Ritte die ungeheuere Strecke unwegsamsten Landes in kaum anderthalb Tagen
zurücklegen könnte! Und wie soll man überdies, von der Zeit ganz abgesehen,
reiten, um von Kirkjabser aus an den Fiskivötn vorbei nach dem Godaland zu
gelangen? Der Verfasser hat diese Schwierigkeiten völlig unberührt gelassen,
und doch sind sie nicht so bedeutungslos als sie vielleicht scheinen möchten ;
derartige Verstöße gegen die topographische Möglichkeit zeigen, daß die Sage
unmöglich in der Gegend entstanden und aufgezeichnet worden sein kann, von
■welcher sie handelt, denn kein Landeskundiger hätte jemals solche Irrthürner
sich zu Schulden kommen lassen können.
Auf Schwierigkeiten mehr sachlicher Art, wie die Sage solche in Hüüe
und Fülle darbietet, gehen die Anmerkungen des Verf.'s nicht ein; diesem Mangel
wird indessen gutentheils abgeholfen durch die sorgfältig gearbeiteten Excurse,
welche derselbe dem Anfange und dem Ende seines Werkes beigefügt hat. Eine
sehr ausführliche Einleitung (S. I — CIC) nämlich handelt von der physischen
Beschaffenheit der Insel, ihren keltischen Papar und den späteren norwegischen
Einwanderern, von der Religion und dem Aberglauben, dann den socialen Ver-
hältnissen dieser letzteren. Die Landnamezeit wird sodann lebendig geschildert,
und die Bedeutung des Gebens und Nehmens von Land erörtert; die Gewalt
der goctar wird besprochen, und die allmäliche Entstehung und Ordnung des
isländischen Staates und seiner Verfassung verfolgt. Von den wichtigeren Land-
namemännern im Südwesten der Insel wird noch etwas eingehender gehandelt
und die Zeitrechnung der Sage festgestellt. Weiterhin wird dann noch das täg-
liche Leben zur Zeit Njäls mit lebendigen Farben ausgemalt, und dabei zumal
die Einrichtung der Baulichkeiten eingehend erörtert; endlich wird auch von
dem öffentlichen Leben und dem alping als seinem Mittelpunkte, dann von den
vielfältigen Reisen der Isländer ein gutes Bild gegeben. Ein Anhang zum zweiten
Bande (S. 351 — 416) bandelt dann noch von den Vi'kingsfahrten, von der Kö-
nigin Gunnhildur von Norwegen, endlich von dem Geldwesen im 10. Jahrb.
Alle diese Excurse bringen zwar, den letzten ausgenommen, wenig durchgreifend
Neues; allein sie stützen sich durch die Bank auf die besseren Speciniarbeiten,
welche über die einzelnen Materien bereits vorhanden waren, und geben, mit
ungewöhnlicher Wärme und Liebe für den Gegenstand geschrieben , ein klares,
ansprechendes Bild altisländischer Zustände, ohne den nicht fachmäßigen Leser
irgendwie durch übel zur Schau getragene Gelehrsamkeit zu stören. In einzelnen
Punkten berichtigt Hr. Dasent dabei auch wohl seine Vorgänger, während er in
anderen deren Irrthümer theilt, in wieder anderen auch wohl auf eigene Faust
etwas gewagte Ansichten aufstellt. Als Beispiel nach der ersteren Seite hin mag
eine gegen den Unterzeichneten selbst gerichtete Bemerkung dienen. Während der
Verf. im Übrigen, und zumal auch in einer Reihe bestrittener Fragen zu meiner
LITTERATUR. 245
Freude den Ergebnissen sich anschließt , welche ich vor einem Jahrzehnd in
einer kleinen Schrift über die Entstehung des isländischen Staates und seiner
Verfassung ausgesprochen hatte, erklärt er sich (l, LVI und CLXX) gegen
die von mir aufgestellte Vermuthung, daß vor der Begründung einer Ge-
sammtverfassung bereits ein der Function des späteren lögsögumactur ähnliches
Amt in einzelnen Bezirken vorgekommen sei. Mit Recht. Die beiden Sagen, auf
welchen allein jene Vermuthung beruhte, die Svarfdada nämlich und die Isfirch'nga
saga, sind in der Gestalt, in welcher sie uns vorliegen, allzu verdächtige Quellen,
als daß auf sie, und sie allein, ein derartiger Schluß gebaut werden dürfte ; es
mag sein , daß der spätere Überarbeiter beider Sagen den aus der Verfassung
seiner Zeit ihm bekannten lögmadur in die Vorzeit hineingetragen hat. Sehr
gesunde Kritik übt der Verf. auch gegenüber einer um das Jahr 1700 geschriebenen
Aufzeichnung über die Lage der Dingbuden am alping, welche unter dem Namen
der „alpingis Catastasis" bekannt ist; auch ich theile die Überzeugung, daß die-
selbe uns keine ächte und alte Überlieferung, sondern nur einen späteren, nicht
eben glücklichen Versuch giebt, die in der Sage selbst erwähnten Localitäten
zurecht zu legen (vgl. 1, CXXXV — IX). Minder möchte dagegen die Art zu
billigen sein, wie der Verf. (1, CX — XI) den Ackerbau und Waldreichthum der
Vorzeit den schlimmeren Zuständen der Gegenwart gegenüberstellt. Weit genug
verbreitet ist freilich die Meinung, daß vordem das Wachsthum auf der Insel
weit besser gewesen sei als jetzt; richtig scheint sie mir indessen dennoch nicht.
Schon in der Lebensbeschreibung des Bischofs Gudmundur, welche der Abt
Arngrimur um 135 0 schrieb, heißt es von Island: skögr er par engi utan björk,
ok pol ltils vaxtar ; körn vex l fäm stöctum sunnaulands, ok eigi nema bygg"
(Biskupa sögur , 2, 5), und auch die ältere Sagenlitteratur giebt kein we-
sentlich anderes Bild von der Fruchtbarkeit der Insel. Aus dem Namen Grenivik (im
Eyjafjörctur) hat man wohl schließen wollen, daß dort früher Nadelholz gewachsen
sei; aber aus der Landndma, c. 23, S. 130 — 1 und Gi'sla snga Sürssonar S. 14.0
sehen wir, daß der ganz ähnliche Name Grenitresnes oder Nesgranatre von
Treibholz hergenommen war. Einer ähnlich falschen Deutung anderer Local-
namen scheint der Bericht der Svarfdasla, c. 12, S. 141 — 2 von Eichen auf
Island und von einem Schiffe seine Entstehung zu verdanken , welches aus ein-
heimischem Holze im Svarfactardalur gebaut worden sei ; jedenfalls ist diese Sage
viel zu unverlässig , als daß auf ihre Angaben irgend Gewicht gelegt werden
könnte. So wird wohl außer Birken, einigen kleinen Weidenarten und wenigen
Vogelbeerbäumen früher wie jetzt von Waldwuchs auf der Insel nichts zu finden
gewesen sein. Es ist ferner allerdings in einzelnen Fällen von Bauholz die
Rede, das aus eigenem Walde gewonnen wurde (z. B. Laxdasla, c. 24, S. 96;
Eyrbyggja, c. 35, S. 178; Vigaghima, c. 19, S. 368; Grägäs, §. 122, S. 232
und öfters), in anderen und weitaus häufigeren, von der Benützung einhei-
mischen Holzes zum Kohlenbrennen; allein Beides ist eben nur nach islän-
dischem Maßstabe zu verstehen, wie denn z. B. die Graugans ausdrücklich von
einem Brennen von Kohlen „til ledengi'ngar," d. h. zum Dengeln der Sensen,
spricht (§. 122, S. 232; §. 220, S. 137), und in so begränztem Umfange wirft
auch noch heutigen Tages der isländische Wald dieselben Nutzungen ab. Davon
aber, daß isländisches Holz zum Bau von Seeschiffen genügend befunden worden
wäre, weiß ich nur ein einziges Beispiel aus einer verlässigen Quelle anzuführen
(Landndma, I, c. 14. S. 4 7). Richtig ist zwar, daß vielfach der vorhandene
246 LITTERATUK.
Wald durch schlechte Wirthschaft verwüstet wird ; richtig aber auch, daß er bei
besserem Betriebe ebenso oft sich wieder erholt. Hiefür ein Beispiel. Den viel-
berühmten Wald im Fnjdskadalur bezeichnet Eggert Olaffsson, der die Gegend
im Jahre 1752 bereiste, noch als den besten im Lande, obwohl er bemerkt,
daß derselbe innerhalb der letzten hundert Jahre sehr verloren habe (Reise igjennem
Island, S. 679 — 80, und 733 — 4). Im Jahre 1777 kam Olaus Olavius eben
dahin; er sah nur noch ein Schattenbild des früheren Waldes und erfuhr, daß
dieser in den letzten zwanzig Jahren verkommen sei (Öconomisk Reise, S. 361 — 2).
Eben diesen Zustand fand Mohr im Jahre 1781 vor (Forsägtil en Islandsk Na-
turhistorie, S. 3 7 5), und noch im Jahre 1814 sah Ebenezer Henderson nicht
einen einzigen Baum in dem früheren Walde (Island, übers, v. Franceson, I,
S. IG 7). Dagegen sahen Thienemann und Günther, welche im Jahre 1821 des
Weges zogen, schon wieder einen ziemlich dichten Birkenwald im Thale, freilich
nur von höchstens 6 Fuß Höhe (Reise im Norden Europa's, S. 14 8). Als ich
vor vier Jahren das Thal kreuzte, zeigte der Wald bereits wieder ein ganz
stattliches Aussehen, und wenn Preyer und Zirkel, die im Jahre 186 0 den-
selben durchschritten, ihm eine Breite von 3/4 Stunden, eine Höhe von 15 — 20
Fuß und seinen Stämmen am Boden einen Durchmesser von bis zu V Fuß
beilegen (Reise nach Island, S 17 8), so kann ich diese Angaben nur vollständig
bestätigen. Ahnlich wie bezüglich der Waldungen steht die Sache wohl auch
bezüglich des Ackerbaues. Allerdings kann keinem Zweifel unterliegen, daß
dieser vordem in nicht ganz geringem Umfange betrieben wurde; aber wir wissen
auch, daß es als etwas ganz Ungewöhnliches galt, wenn ein einzelner günstig
gelegener Acker regelmäßig seine Frucht trug (Vi'gaglüma, c. 7, S. 340; Sturl-
ünga, I, c. 13, S. 9 3), und daß andererseits auch heutzutage noch der Kornbau
auf der Insel möglich, wiewohl in ökonomischer Beziehung schwerlich vorteil-
haft und lohnend ist. Nach beiden Seiten hin mag auf die treffliche Abhandlung
über den Ackerbau auf Island verwiesen werden , welche Baldvin Einarsson in
seinen Armann ä alpingi, Bd. II, S. 6 6 — 12 6 eingerückt hat. — Unrichtig
scheint auch, wenn der Verf. (l , CLI, dann CLXXI — II, not.) den islän-
dischen kvidur nicht der englischen Jury verglichen wissen will, viemehr den
dornur des isländischen Rechts mit letzterer parallelisiert. Bei solcher Auffassung
würde es schwer halten, ein Analogon für das Gericht nachzuweisen, welches
denn doch keinesfalls entbehrt werden könnte, und in der That widerspricht
ihr die eigene Angabe des Verf. 's, daß der kvictur mit der alten jury de vi-
cineto übereinkomme.
Doch genug solcher einzelner Ausstellungen gegenüber einem Werke, das
als Gesammtleistung durchaus tüchtig und erfreulich genannt werden muß. Als
sehr anerkennenswerthe Beigaben derselben sind noch hervorzuheben : eine
kurze Übersicht über die Chronologie der Sage (1, CCI — IV); ein mit unge-
wöhnlicher Sorgfalt durch einen der Verieger, Hrn. Douglas, ausgearbeitetes
Register (2, 417 — 9 8); Grundplan, Länge- und Querdurchschnitt, dann Pro-
spect einer altisländischen Halle , nach der Zeichnung eines tüchtigen islän-
dischen Künstlers, Sigurctur Gudmundsson ; eine Generalkarte von Island, eine
ausführlichere Karte des Südwestens der Insel, so wie eine Übersichtskarte des
Nordwestens von Europa, welche die Verbreitung der Nordleute im 10. Jahrb.
erkennen lässt; endlich zwei Pläne der Gegend von pingvellir, welche Capitän
Forbes dem Verf. geliefert hat. Leider sind gerade diese Pläne, welche zum
LITTEEATUE. 247
Verständnisse der Njäla nicht nur, sondern auch so mancher anderer Quellen-
schriften gar viel beitragen könnten, nichts weniger als genau aufgenommen, wie
dies Jeder bezeugen wird, der die Dingstätte aus eigener Anschauung kennt.
Die äußere Ausstattung des Werkes endlich ist eine glänzende; nur ist zu be-
dauern, daß eine Fülle von Druckfehlern den ruhigen Genuß des Lesers stört.
2. Isleiizkar jjjöttsögur Og sefintyri. Safnadhefir Jon Ärnason. Fyrsta
bindi. Leipzig, actforlagi J. C. Hinrichs's bökaverzlunar, 1862. 8°.
Als ich vor zwei Jahren meine „isländische Volkssagen der Gegenwart"
herausgab (vgl. Bd. V. S. 378 — 80 dieser Zeitschrift), konnte ich das baldige
Erscheinen einer umfassenden Sagensammlung in isländischer Sprache als nahe
bevorstehend in Aussicht stellen. So mag mir gestattet werden von der begon-
nenen Veröffentlichung dieses Unternehmens, dessen erster Band soeben die Presse
verlässt, nunmehr die erste Anzeige zu machen.
Es enthält aber der XXXIV und 666 SS. starke Band die vier ersten
Capitel der Sammlung , die mythologischen Sagen nämlich , die Spuksagen , die
Zaubersagen und die Natursagen. Jedes Capitel ist wieder in eine Reihe klei-
nerer Abschnitte zertheilt, an deren Spitze einleitende Bemerkungen des Heraus-
gebers zu stehen pflegen ; dann folgen, mit Rücksicht auf ihren Inhalt geordnet,
die einzelnen Sagen, deren der Herausgeber habhaft werden konnte, und zwar
fast ausnahmslos mit den Worten des Gewährsmannes , der solche geliefert hat.
Es hat diese Einrichtung ihre guten wie ihre schlimmen Seiten. Die Gleich-
förmigkeit der Darstellung, sogar der Orthographie, wird durch dieselbe verletzt,
manche Wiederholung veranlasst , auch hin und wieder die Aufnahme eines
Stückes verschuldet, daß nach Form und Inhalt für die Sammlung nicht recht
geeignet ist (sieh z. B. die mehrfachen Variationen der Erzählung „Raudhöfdi,"
S. 83 — 89, oder „Hallgerdur ä Blafelli," S. 157 — 159; dann als Muster einer
schlechten Erzählung den „pättur af Grimi Skeljüngsbana," S. 247 — 25 6). Da-
gegen wird aber auch die Originalität der einzelnen Sagen auf keinem andern
Wege so vollständig gewahrt wie auf diesem ; die Sammlnng gewinnt an Manig-
ialtigkeit gerade durch die Verschiedenheit der Diction und an Localfarbe,
welche jede einheitliche Redaction nothwendig beeinträchtigen müsste, endlich,
was im gegebenen Falle nicht gering anzuschlagen ist, gewährt die zumeist un-
veränderte Aufnahme der einzelnen Beiträge die Möglichkeit, auf den Bildungs-
grad der einzelnen Beisteuernden einen Schluß zu ziehen. Trotz alledem, was
in älteren wie in neueren Reisebeschreibungen Gegentheiliges gesagt worden,
ist man auswärts noch immer geneigt die Isländer als ein verkrüppeltes Polar-
volk zu betrachten, den Lappländern etwa oder Grönländern vergleichbar; mit
ungläubigem Lächeln pflegt man es aufzunehmen , wenn ein heimkehrender Be-
sucher der Insel versichert, daß der Durchschnittsgrad der Bildung ihrer Be-
wohner ein höherer sei als der des gemeinen Mannes in Deutschland, von Frank-
reich oder England gar nicht zu reden. Hier ist nun ein Mittel geboten , von
der Richtigkeit solcher Behauptung sich wenigstens annähernd zu überzeugen.
Ein großer Theil der mitgetheilten Sagen ist von isländischen Bauern aufge-
zeichnet, und gerade solche Stücke gehören zu den besterzählten , welche die
Sammlung überhaupt enthält; ich wüsste z. B. nicht, wie eine Spuksage vor-
trefflicher erzählt werden könnte , als dieß ein mir persönlich bekannter Bauer,
porvardur Ölafsson, bezüglich der Stücke „Sigurdur og draugurinn," und „pe-
248 LITTER ATUR.
ni'nga hälftunnan" (S. 265 — 8) gethan hat. Wie viele unserer deutschen Bauern
würden wohl im Stande sein eine einheimische Gespenstergeschichte in so leben-
diger Darstellung und so klassischer Sprache niederzuschreiben ?
Bei Weitem die meisten, aber doch keineswegs alle mitgetheilten Sagen
sind aus der mündlichen Überlieferung des heutigen Tages geschöpft; einige sind
älteren Handschriften entnommen, und zumal eine Reihe sehr interessanter Stücke
aus der Arnaniagnreanischen Bibliothek gezogen. Aber auch Abschnitte dieser
letzteren Art sind nur dann aufgenommen worden, wenn sie den Charakter volks-
mäßiger Tradition tragen, wie z. B. die Erzählungen über Sajmundur frödi
(S. 485 — 90), Äsmundur flagdagaefa (S. 171 — 9) u. dgl. m. Materiell freilich
haben sich nicht alle Theile des isländischen Volksglaubens von fremden , ge-
lehrten Einflüssen gleich rein zu erhalten vermocht ; die Zaubersagen zumal, und
dann wieder die Natursagen, zeigen neben vielem unzweifelhaft Einheimischen
auch manches aus der Fremde Eingeführte. Von den Thiersagen scheinen mir die
von „Skoffi'n og skuggabaldur" (S. 612 — 13), unter den Pflanzensagen die von
der Diebswurzel (S. 645) auf fremden Ursprung hinzuweisen; unter den Steinen
vollends, welchen übernatürliche Kräfte beigelegt werden , deuten manche schon
durch ihre Namen in die Ferne, wie z. B. der „Hirundosteinn" oder der „Cal-
cedonius" (S. 655). Unter den Zaubermitteln sind die „Hjälparhringar Karla-
magnüsar" (S. 44 6), der „Sator arepo" (S. 4 4 8) und so manche halbbiblische
oder lateinische Beschwörungsformeln (z. B. S. 45 7, 45 9 u. dgl. m.) offenbar
fremden Ursprunges. Es handelt sich eben hier wie in dem verwandten medi-
cinischen Aberglauben um den Versuch , einheimische Überlieferungen durch
fremde Geheimmittel zu vervollständigen. Schon die Jons biskupssaga lässt
den Sajmundur frödi im Auslande die Zauberkunst lernen, und die neuere Sage
setzt die hohe Schule der schwarzen Kunst zu uns nach Deutschland (S. 4 91);
ganz ebenso finden sich aber auch in handschriftlichen Sammlungen von Haus-
mitteln und naturgeschichtlichen Notizen, wie solche heutigen Tages noch auf
Island umlaufen , gar nicht selten Verweisungen auf auswärtige , zumal auch
deutsche Ärzte und Adepten, und es scheint, daß die früheren Handelsverbin-
dungen mit der Hansa in dieser Beziehung ganz ebensogut ihre Spuren auf der
Insel hinterlassen haben, als in so manchen Geräthen mit älteren deutschen In-
schriften, welche sich daselbst noch finden. Ich besitze eine im Jahre 1822
von dem bekannten Purkeyjar-Ölafur (vgl. über ihn S. 2 , Anm. 4) angelegte
Sammlung vermischter Notizen, in welcher sich unter Andern eine „Chyromantia,
— til samans skrifad af D. Rudolpho Galetio til Marborg," eine „ Physiognomia
Ars, — samansskrifad af Doctor ok pienara (Kiennara?) Dr. Rudolpho Golenit,
M. til Marburg, ok prentad anno 1621," eine Instruction über den Urin und
Stuhlgang „skrifad og saman dreigid af Doctor Laurentio Friscio, ütlagt af Henrik
Smid," ein Stück, „um nockra nätturnsteina, ür bök Alberti Magni" befinden.
Eine andere in meiner Hand befindliche Aufzeichnung über das Aderlassen nennt
sich „samanskrifad af Doctor Märtino Ruland" und nimmt, wie auch ein von
Schleissner (Island undersögt fra et lasgevidenskabeligt Synspunkt, S. 17 4) bereits
angeführtes ähnliches Werkchen, auf einen astrologischen Kalender von Marcus
Freund Bezug. Eine dritte, ebenfalls mir gehörige Handschrift hat ein Stück
„um Planeturnar, ur peirri pysku planetubokinni ," wieder jene „Physiogno-
tica Ars, — samanskrifad af Doct. Rodolfo Galenid Mynor (junior??) til Mar-
borgar, og prentad ä pvi Are 1661," eine Chiromantie „I Latinu fyrst saman-
LITTERATUE. 249
skrifutt af vellasrduin Doctor og Kenara Rudolpho Holeniion til Marborgar, og var
prentuit og utgefen d pvi are epter Christi Fieiting 1621," u. dgl. m. Auf den
inedicinischen, naturwissenschaftliehen und zauberischen Aberglauben dürfte sich
aber auch der fremde Einfluß beschränken; die Sagen im eigentlichen Sinne des
Wortes zeigen dagegen zwar oft genug die schlagendsten Züge stammlicher Ver-
wandtschaft mit unseren deutschen Traditionen, aber soviel ich ersehen kann
keine mechanische Einwirkung derselben.
Für die Fülle und den dichterischen Gehalt der isländischen Sagen legt
die Sammlung schon in ihrem ersten Bande ein glänzendes Zeugniss ab , und
Niemand wird fortan , wie Schleissner dies noch vor dreizehn Jahren gethan
(a. a. O. S. 164 — ö), in der einen oder anderen Beziehung dieselben den
dänischen, schwedischen oder norwegischen Überlieferungen nachsetzen wollen.
Eben dieser Reichthum schließt natürlich jeden Versuch aus, auf das Einzelne
des Werkes hier einzugehen ; doch mögen ein paar vereinzelte Bemerkungen, wie
sie sich eben darbieten wollen , hier noch verstattet sein. — Sehr reich ver-
treten erscheinen vor Allem die Elbensagen, und ihre Haltung ist der aller an-
deren germanischen Sagengebiete gegenüber eine sehr eigenthümliche und wie
mir scheinen will ursprüngliche. Auf Island wird nicht wie anderwärts zwischen
Eiben, Zwergen, Nixen, Kobolden, Schrättelein, Moosweiblein und wie alle die
Geister heißen mögen geschieden; alle diese verschiedenen Gruppen liegen vielmehr
hier noch ungesondert als eine einzige Masse beisammen, innerhalb deren höchstens
zwischen guten und bösen Eiben hin und wieder unterschieden wird, und von
welcher höchstens etwa das Meerniännlein sich abzweigt, zu den übrigen, mehr
der Thierwelt angehörigen Wassergeistern einen Übergang bildend. Die Elbe
stehen dabei als ein geschlossenes Volk neben dem Menschenvolke, ganz wie
bereits in den ältesten Quellen Alfheimar neben Mannheimar stehen ; sie haben
ihren König und ihren Bischof wie die Menschenleute (z. B. S. 53. 89 — 93),
ihre Psalmen und ihre gottesdienstlichen Gebräuche (z. B. S. 29; 31 — 34;
93 — 100), ihre Bibel (S. 99) u. s. w., was natürlich nicht ausschließt, daß sie
anderemale wieder an dem Gottesdienste der Menschen sich ungesehen bethei-
ligen (z. B. S. 7 4, 7 6, 10 4), den sie nur nicht bis zu seinem Schlüsse ver-
tragen können, oder daß von ihnen gesagt werden kann, es gelte ihnen die
Bibel als Uuterhaltungslectüre, während sie unsere romantischen Sagen als eine
Art von Bibel läsen (S. XVI). Einzelne Elbensagen zeigen auch wohl einen
Übergang zu den Mährchen; die Stücke „Una alfkona," „Ulfhildur alfkona,"
„Hildur älfadrottnmg," „Snotra4* (S. 105 — 116) mögen als Belege dafür dienen.
Beachtenswerth erscheint auch, daß schon sehr frühzeitig Elbensagen metrisch
bearbeitet sich finden, wie z. B. Kötludraumur, Ljüfli'ugsljöct, und daß die Versart,
welche vorzugsweise zu solchem Behufe verwendet zu werden pflegte, geradezu
den Namen „ljüfli'ngslag" erhielt (S. VIII — IX; vgl. auch was Guttbrandur Vig-
füsson in den Ny felagsrit 1861, S. 120 hierüber beibringt). Einzelne Über-
reste solcher Versificationen theilt unsere Sammlung mit, wie z. B. das prächtig
humoristische Fragment: „Skönäla-Bjarni i selinu svaf" (S. 12 9); häufigerfinden
sich nur einzelne Verse in die Erzählung eingestreut, von denen zweifelhaft
bleiben muß, ob sie überhaupt einem umfassenderen Gedichte jemals angehörten
(z. B. „Deildu tvser um daudan kalf," S. 116), oder die auch wohl mit der
Sage selbst in gar keiner näheren Berührung stehen (z. B. „Drottnfng gipti
döttur sina," S. 52). - — An die Elbensagen reihen sich neben den wenig zahl-
250 LITTERATUB.
reichen Sagen von Wassergeistern nur noch die Riesensagen ; von Göttersagen
war trotz sorgfältigsten und ausgiebigsten Nachforschens keine Spur mehr zu
finden. Die Riesen werden ihrerseits ganz in der derben, altertümlichen "Weise
geschildert, wie sie unter den deutschen Sagen zumal die Tirolischen zeigen.
Wild genug sind sie, und zumal Menschenfresser; aber auch empfänglich für
jede Freundlichkeit, und wäre es nur ein höflicher Gruß (S. 15 7), und von
ihrer berühmten Treue wird hier ein gar schönes Beispiel gegeben. Die Leute
in der ))i'ngeyjarsysla waren einmal in der Zeitrechnung irre geworden und
wussten nicht mehr bestimmt, wann Weihnachten auftreffe; sie sandten darum
einen Boten quer durch's Land nach Skälholt, um beim Bischöfe anzufragen.
Der begegnet unterwegs einer Riesin , wird von ihr um sein Geschäft befragt
und giebt ihr darüber Bescheid; da spricht das troll: „hätte der Christ, der
Maria Sohn, so viel für uns Riesen gethan, wie ihr sagt, daß er für euch Menschen
gethan habe, wir hätten seines Geburtstages nicht vergessen!1' Vermöge ihrer
gutmüthigen Arglosigkeit sind sie leicht zu bethören; öfters kehrt zumal der
Zug wieder, daß Menschenleute , die von ihnen gefangen gehalten werden , sich
dadurch befreien, daß sie das troll auf irgend eine mühselige Expedition aus-
schicken, z. B. um zwölfjährigen Haifisch zu holen, oder neues Bockfleisch
(S. 187 — 8, 190 — 2). Auch die Riesen suchen nämlich, wie die Elbe, Menschen
zu sich zu locken, und die von ihnen geholten nehmen dann nach und nach,
wenn es ihnen nicht gelingt rasch zu entkommen, selbst riesische Natur an; sie
vergessen ihren Christenglauben und werden auch äußerlich den Riesen ähnlich;
ein weißes Kreuz an der Stirne, eine Folge der empfangenen Taufe, ist das
einzige Zeichen, an welchem man den ehmaligen Menschen erkennen kann
(z. B. S. 19 3, 517). Sehr hübsche Localsagen über versteinerte Riesen und
Riesinnen werden mitgetheilt; darunter eine recht drollige, welche an die aus
der Landnäma bekannte purictur sundafyllir anknüpft (S. 211 — 12). Die leben-
digere Gestaltung der Riesensage dürfte darin sich aussprechen, daß weit öfter
als in unseren deutschen Sagen individuell gezeichnete und durch Eigennamen
hervorgehobene Riesen und Riesinnen auftreten; eine specielle Erscheinung unter
diesen bildet die Gryla mit ihrem Manne Leppa-Lüdi und ihren Kindern, den
Jölasveinar, über welche manches Schöne beigebracht wird (S. 218 — 21; vergl.
S. 12 9J. Auch von den Riesensagen gilt übrigens, was oben von den Elben-
sagen und ihrer frühzeitigen Versification zu sagen war; der von Guctbrandur
Vigfflsson neuerdings (l860) nach der Flateyjarbdk edierte Völsa battur ist einem
alteren Gedichte entnommen , und der Äsmundar bättur flagctagasfu in gegen-
wärtiger Sammlung (S. 171 — 17 9) nicht minder: der Grylukvredi vollends giebt
es in Hülle und Fülle. — Auf den alterthümlichen Charakter der isländischen
Spuksagen, das Fehlen nämlich jedes specifisch religiösen und kirchlichen Ele-
mentes in denselben , habe ich schon bei anderer Gelegenheit aufmerksam ge-
macht; ein anderer Punkt mag hier betont werden. Wie die Elbe und Riesen,
so können auch die Gespenster den Tag nicht vertragen ; ihr Leben hängt daran,
daß sie vor Tagesanbruch wieder in ihre Grube kommen, und darum opfern sie
Alles, um nicht vom Sonnenlicht überrascht zu werden (S. 2 6 4). Man sieht,
auch die draugar leben noch und können noch sterben, nur ist ihr Leben ein
anderes als das der Menschenleute, und so haben • sie auch andere Lebens-
gewohnheiten; ein Gespenst z. B. isst zwar, aber ohne dabei eines Messers sich
zu bedienen, vielmehr nach Art der Unholde die Speise zerreißend (S. 2 7 6).
LITTER ATUR. 251
Regelmäßig sprechen die Gespenster in Versen , und eine Reihe recht schauer-
licher ist den einzelnen Erzählungen eingestreut; humoristische Züge sind sel-
tener, und mehr in halbwegs verdächtigen Gespenstersagen zu finden, deren ein
paar sehr drollige mitgetheilt werden (S. 3 09 u. folg.). Sehr charakteristisch
für den isländischen Volksglauben sind die zahlreichen Sagen von Erweckten,
u. z. Th. hiemit zusammenhängend, von Folgegeistern ; über beide Klassen von
Gespenstern wird reichstes Material beigebracht, und von einzelnen Folgegeistern
geradezu eine vollständige Lebensgeschichte zusammengestellt. — Unter den
Zaubersagen hebe ich zumal den zweiten Abschnitt, der von den Zaubermitteln,
und den dritten hervor, der von einzelnen berühmten Zauberern handelt. Man-
cherlei wunderliche Zauberformeln werden mitgetheilt, deren einige auf Sa?mundur
fröcti zurückgeführt werden (S. 458 — 9); auch des Runenzaubers wird eingehend
gedacht, und durch wohlgelungene Holzschnitte sind die dabei gebrauchten Zeichen
mehrfach erläutert (z. B. S. 445 — 6; 464), wie denn auch vorher schon (S. 235)
zwei isländische Runensteine in getreuester Nachbildung mitgetheilt worden waren.
Die Erzählungen von einzelnen Zauberkünstlern , die gutentheils sehr humori-
stische Färbung zeigen, enthalten begreiflich viel auch in anderen Beziehungen
Interessantes; ich weise beispielsweise nur auf die Sage hin, daß Scemunduv
fröcti die ihm vielfach zugeschriebenen SöIIarijo'd erst drei Tage nach seinem Tode
gedichtet habe! (S. 4 9 0). Beachtenswerth ist auch, daß solche Erzählungen
sich noch an Männer knüpfen, die vor nicht allzu langer Zeit noch gelebt haben,
an sira Saemundur Holm z. B., der erst im Jahre 1821 starb (S. 60 1 — 2, vgl.
S. 104); daß vorzugsweise Pfarrherren im Rufe der Zauberkunst stehen, erklärt
sich von selbst; doch knüpfen sich ähnliche Sagen auch an den berühmten
Juristen Päll Vidah'n (S. 5 8l) und an einfache Bauern. — Die Natursagen
endlich sind selbstverständlich zumeist sehr kurz und stehen gutentheils auf der
Grenze des Gebietes der Sage; unter ihnen mögen noch besonders die auf die
See bezüglichen Stücke (S. 6 60 — l) hervorgehoben werden.
Eine sehr werthvolle Beigabe zu der Sammlung ist die Vorrede, welche
Gudbrandur Vigfüsson, der Herausgeber der Biskupasögur und einer Reihe an-
derer älterer Sagen, dieser vorgesetzt hat. Der Leser erhält in derselben nicht
nur getreuen Bericht über das, was in neuerer Zeit für die Veröffentlichung
isländischer Volkssagen gethan und erstrebt worden ist, sowie insbesondere über
die Entstehungsgeschichte der vorliegenden Sammlung, sondern auch über die
Geschichte der Sage selbst und der Beschäftigung mit ihr wird einlässlich
gehandelt, und über eine Reihe älterer Aufzeichnungen, die mehr oder minder
in dieses Gebiet einschlagen, auf Grund handschriftlichen Materiales umfassender
Aufschluß ertheilt. Zumal was über Jon Ijertti, Björn ä Skardsä, Ölafur gamli
gesagt wird, erscheint in hohem Grade dankenswerth ; aber auch über Ami
Magnüsson, dann Jon Olafsson von Grunnavi'k und deren Beziehungen zu der
Sagenwelt ist viel Interessantes hier zu lesen.
So mag denn das , unserem Altmeister Jacob Grimm gewidmete Werk
meines isländischen Freunc'es Jon Arnason dem deutschen Publikum bestens
empfohlen sein; die Verlagshandlung hat auch ihrerseits, wie hier schließlich
noch dankend anzuerkennen ist, Alles gethan, um dasselbe solcher Empfehlung
werth zu machen.
MÜNCHEN. KONRAD MAURER.
202 LITTERATUR.
Des Sachsenspiegels erster Theil, oder das sächsische Landrecht. Nach
der Berliner Handschrift v. J. 1369 herausg. von Dr. C. G. Homeyer,
ordentl. Professor der Rechte an der Friedrich -Wilhelms- Universität zu
Berlin. Dritte umgearbeitete Ausgabe. Berlin, Fried. Dümmler's Verlags-
buchhandlung 1861. 8. XVI, 524 S.
Die erste Ausgabe des Sachsenspiegels von Homeyer erschien im Jahre
182 7. Nur wenige Jahre waren verflossen, als bereits eine zweite Ausgabe
nbthig geworden; sie erschien 1835 in einer schon sehr vervollkommneten Gestalt.
Nach einem längeren Zeitraum brachte uns endlich das verflossene Jahr eine
dritte Ausgabe, und diese hat die fortwährend dem Rechtsbuche zugewandte
Thätigkeit, der Scharfsinn und Fleiß des Herausgebers zu einem Werke ge-
schaffen, dem gegenüber jede Kritik verstummt, dessen vollen Werth man sich
nur zum Bewusstsein zu bringen hat. Was Homeyer in den vorhergehenden
Ausgaben bereits geleistet hat, ist bekannt, es genügt daher, wenn das neu
Hinzugekommene, und Neues ist hinzugekommen von der Einleitung an bis zum
Register, verzeichnet wird.
Noch in der zweiten Ausgabe war die Einleitung bloß dazu bestimmt,
Aufschluß über die Edition selbst und ihren Plan zu geben; jetzt hat sie einen
weiteren Bestandtheil erhalten, eine unübertreffliche Darstellung der Geschichte
des Rechtsbuches. Darin wird vor Allem der Verfasser festgestellt, die Zeit,
die Gegend und die Sprache bestimmt, in der das Buch geschrieben wurde, und
endlich letzteres selbst nach allen Seiten hin charakterisiert. Sodann veran-
schaulicht eine Ausführung, welche den wesentlichen Inhalt einer im Jahre 1859
erschienenen akademischen Abhandlung über die Genealogie der Handschriften
des Sachsenspiegels wiedergibt, auf Grundlage von 186 Texten die allmähliche
Gestaltung des Rechtsbuches. Weiterhin werden die Vor- und Schlußreden be-
sprochen, sowie die Übersetzungen, welche von dem Spiegel gemacht wurden.
Und um ganz den Einfluß des Rechtsbuches zu vergegenwärtigen, werden auch
sämmtliche Rechtsdenkmäler verzeichnet, welche für andere Zeiten, Gegenden,
Stände, besondere Zwecke berechnet, mit ihm dadurch verwandt sind, daß sie
sich auf dasselbe gründen oder doch einzelne Sätze aus ihm entlehnten. Mit
einer Aufzählung der sämmtlichen Ausgaben des Sachsenspiegels im Druck, nebst
Feststellung dessen, was durch sie geleistet worden, schließt dieser neue lehr-
reiche Theil der Einleitung. Bei der Wiedergabe des Textes erkannte Homeyer
als seine Aufgabe, das Rechtsdenkmal auf seinen verschiedenen Wegen und
W endungen, in seiner Verzweigung und Verschlingung, selbst in manchen seiner
Auswüchse zu verfolgen, sodann es auch in dieser seiner Vielfarbigkeit darzu-
stellen . Ein tiefes Durchdenken hat diese große Aufgabe in der glücklichsten
Weise gelöst. Es bedurfte nicht des schwerfälligen Nebeneinanderstellens mehrerer
Texte, es genügte der vollständige Abdruck eines Textes, unter Anwendung
verschiedener Schrift und Beifügung von Noten, Randbemerkungen und Tabellen.
Waren nun aber zu der Ausgabe von 1835 2 6 Handschriften und Drucke benutzt
worden, so sind für die vorliegende nicht weniger als 109 Texte, und zwar zur
Hälfte vollständig, verglichen worden. Auch das, was der Herausgeber für das
Verständniss des Textes in engem Räume geleistet hat, ist ansehnlich bereichert
worden. Die Zahl der jedem Artikel vorangestellten Autoren der Neuzeit und
Parallelstellen aus anderen Rechtsquellen, sowie der den meisten Artikeln nach-
folgenden Glossenauszüge ist stark vermehrt worden. Außerdem wurden nunmehr
LITTERATUK. 253
Erläuterungen aus den Bildern beigefügt. Das Register endlich über Wörter
und Sachen, dessen Werth philologische Aufklärungen und Nachweise erhöhen,
wurde bedeutend erweitert, während ein zweites über Orte, Länder, Personen
und Stämme neu hinzukam. So bereichert in allen ihren Theilen tritt die Ausgabe
des ersten sächsischen Rechtsbucbes, die zugleich die schwierigste war, ebenbürtig
neben die Ausgaben der übrigen Rechtsbücher des Sachsenlande's. Sie werden
gebraucht werden , so lange das deutsche Recht der Vergangenheit eine Pilege
findet, und mit ihnen wird der Name Homeyers stets dankbar genannt werden.
WIEN. H. SIEGEL.
Die deutschen Gesellschaftslieder des XVI. und XVII. Jahrhundertes. Aus
gleichzeitigen Quellen gesammelt von Hoff mann von Fallersleben.
In zwei Theilen. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann. 1860. 8. XX,
3 76 und 27 4 SS.
Die erste Auflage des vorliegenden Werkes erschien im Jahre 1844.
Hoffmann gebrauchte damals zuerst den seither so geläufig gewordenen Ausdruck
^Gesellschaftslieder" für jene Gattung der lyrischen Poesie, die den Übergang
von der Volksdichtung des XIV. — XVI. Jahrhundertes zur eleganten Kunst-
lyrik der schlesischen Schule vermittelte. Die fleißige Sammlung, die nach Zeit,
Inhalt und Ausführung als eine sehr willkommene Ergänzung zu Uhland's großem
Liederwerke gelten konnte, ward sehr beifällig aufgenommen, auch viel benutzt
und ausgeschrieben. Doch während sich die Andern damit begnügten, war
Hoffmann selbst unablässig bemüht, das von ihm unserem litterar -historischen
Wissen gewonnene Gebiet weiter zu erforschen und auszubeuten, wozu sich ihm
bei seinen steten Reisen vielfach lohnende Gelegenheit bot. Nun liegt als das
reiche Ergebniss eines sechzehnjährigen unermüdeten Fleißes die erwähnte Samm-
lung in neuer erweiterter Auflage vor uns. Fast möchte man bei ihrem Anblick
mit Friedr. Spee ausrufen :
„Wer will die Stücklein zählen all,
So die dann figurieren?
Concerten, Fugen, Madrigal,
Auf hundertfalt Manieren." (Trutznachtigall S. 119.)
Der Inhalt der ersten Auflage ist darin auf mehr als das Doppelte an-
gewachsen, — von 198 auf 401 Nummern. Trotzdem ist die Auswahl der
Stücke so umsichtig und streng, als von dem Geschmacke des Herausgebers nur
immer zu erwarten stand. Was die sprachliche Seite der Arbeit, die Behandlung
der Texte betrifft, so war schon die erste Ausgabe ein Beleg dafür, daß Hoffmann
in diesem Puncte den richtigen Takt besitzt. Bei Entfernung aller Verwilderung
und Willkürlichkeit in der Schreibung blieb doch geschont, was als Eigenthüm-
lichkeit der Zeit oder Mundart Beachtung verdiente. Für das Verständniss
seltener Wörter ist durch Anmerkungen unter dem Texte gesorgt. In der Vor-
rede giebt Hoffmann einen kurzen, aber frisch und anziehend gehaltenen Überblick
über die Geschichte seines Gegenstandes und verspricht zum Schlüsse, was auch
den Forschern der Musik hochwillkommen sein wird : ein vollständiges Ver-
zeichniss aller von ihm eingesehenen und benützten Liedersammlungen. — So
sei denn die fleißige, Ludwig Unland gewidmete Sammlung auf's neue der Auf-
merksamkeit Aller, die sich für die Vergangenheit unserer Dichtung interessieren,
bestens empfohlen !
WIEN. JOS. MAR. WAGNER.
254 LTTTERATUB.
Die Waldstätte Uri, Schwyz, Uuterwalden bis zur festen Begründung ihrer
Eidgenossenschaft, mit einem Anhange über die geschichtliche Bedeutung
des Wilhelm Teil, von Dr. Alfons II über, Privat-Dozenten an der Uni-
versität zu Innsbruck. Innsbruck, Verlag der Wagner'-scken Buchhand-
lung 1861. VIII und 128 S. 8.
Wir müssen auf diese treffliche Schrift deshalb verweisen, weil sie die
bekannte Teilsage einer gründlichen Erörterung unterzieht (S. 8 9 ff.). Dr. Huber
weist mit genauer Kenntniss der einschlägigen Litteratur aus ihrer Verwandt-
schaft mit Sagen in andern Gegenden nach, daß der Tellschuß auf historische
Wahrheit keinen Anspruch haben könne, sondern daß ihr vermuthlich eine all-
gemein germanische Sage zu Grunde liege. Die Zahl der drei Pfeile, auf die
der Verfasser namentlich hinweist, ist wohl ohne tiefere mythische Bedeutung.
Sie hängt zunächst mit den drei Schüssen zusammen, die in Freischützensagen
so oft vorkommen. So erzählt Bader, daß ein Jäger, weil er die drei Frei-
schüsse gethan, alles, was er wollte, schießen konnte. Die Freischüsse that er so,
daß er auf ein Tuch kniete und das erste Mal gegen die Sonne, das zweite Mal
gegen den Mond, das dritte Mal gegen Gott schoß, wobei vom Himmel drei
Blutstropfen auf das Tuch fielen. Bad. Sagen Nr. 3 9 3. Ein Jäger, der auf
Hohenzollern diente, wäre gern ein guter Schütz geworden; deshalb wollte er
drei Pfeile auf ein Kreuzbild schießen; denn es hieß: wer das thue, der könne
alles treffen, was er nur erreichen wolle. Meier, schwäb. Sg. Nr. 325. Einen Bauer
von Kleinheubach lehrte der Teufel, wie man alle Tage drei sichere und gewisse
Schüsse thun könne. Er gab ihm eine Wurzel und forderte ihn auf, sofort mit
ihm drei Schüsse zu thun. Er niusste zuerst nach der Sonne, dann gerade in
die Höhe nach dem lieben Gott, das drittemal nach dem steinernen Bildstock
am Steiner schießen. Dafür hatte er jeden Tag drei gewisse Schüsse , so daß
er drei Rehe, Hasen, Enten oder andere Vögel wegschießen konnte. Wolf, hess.
Sagen Nr. 12 4. Letztere Sage ist Kleinheubacher Hexenakten entnommen. —
Eine Sage von einem erbosten Amtmanne, der dreimal gegen Himmel schoß,
theilt Temme mit. Pommer'sche Sg. Nr. 3 64. — In all diesen Sagen tritt wohl
die Dreizahl nur deshalb auf, weil sie dem deutscheu Volke als die heiligste
und geläufigste galt. Wie oft kommen in deutschen Märchen und Sagen drei
Herren, drei Geister, drei Schwestern, drei Geldsäcke, drei Blutstropfen vor.
Auch in dem Aberglauben und abergläubischen Gebräuchen spielt sie eine vor-
ragende Rolle: z. B. um vor Brandunglück sich zu schützen, verschluckt man
am Palmsonntage drei Palmkätzchen. Vernaleken Alpensagen S. 343. Um vor
dem Besuche der Hexen sich zusichern, zündet man drei Kerzen an. Ebendort.
— Unter drei Brücken muß man sich das Gesicht waschen, um die Ereignisse
des folgenden Jahres in der Christnacht zu sehen. Tir. Sitten Nr. 876. Zu drei
Brunnen muß man in der Christnacht gehen, um den künftigen Bräutigam zu
sehen. Ebendort Nr. 906. Vergl. Tir. Sitten S. 16, 24, 91, 138. — Die
Grundzahl drei kehrt dann in den beliebten Trilogien Deutschlands und Scan-
dinaviens so häufig wieder. Vergl. Simrock's Myth. Nr. 19 0. ZESTGERLE.
Frankfurter Sagenbuch. Sagen und sagenhafte Geschichten aus Frankfurt
am Main. Herausgegeben von Karl Enslin. Neue Ausgabe. Frankfurt
a. M. Verlag von II. L. Brönner 1861. 291 S. 8.
Da im Munde des Frankfurter Volkes nur noch wenig Sagenanklänge fort-
leben, füllte der Herausgeber sein Buch mit Stadtgeschichten, Anekdoten u. ähnl.
LITTERATUR. 255
Selbst der neue Paris von Göthe muß herhalten, um die Blätter voll zu machen.
Deshalb sagt Hr. Enslin mit Recht von seinem Buche, es sei nicht für wissen-
schaftliche Zwecke , nicbt von einem Wissenden für Wissende geschrieben und
es verlange nicht, in die Bibliotbekcn der Gelehrten aufgenommen zu werden.
Von der schwülstigen Darstellung vieler Nummern geben die drei Leyern (S. 16 7)
eine entsprechende Vorstellung, wo unter andern Apollo mit den drei Erzengeln
erscheint (S. 17 4). Wir bewundern die Geduld des deutschen Lesepublikums, das
sich noch solche Ungereimtheiten unter dem Titel eines Sagenbucbes bieten lässt.
ZINGERLE.
Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen. Nebst
den sprichwörtlichen Redensarten der deutschen Zechbrüder und aller
Praktik Großmutter. Gesammelt und mit vielen schönen Versen, Sprüchen
und Historien in ein Buch verfasst von Wilh. Körte. Zweite verbesserte
Auflage. Leipzig, F. W. Brockhaus 1861. XXXII u. 57 9 S. 8.
Neben Simrock's Werke : Die deutschen Sprichwörter (Frankfurt a. M.
1846) ist die vorliegende Sammlung entschieden die reichhaltigste. Sie hat aber
vor jener eine wissenschaftliche Einleitung, worin über den Begriff, den Namen,
die Geschichte und Litteratur des Sprichwortes gehandelt wird, und schätzens-
werthe Aufschlüsse über einzelne Sprichwörter voraus. Der Herausgeber weist
bei Vielen verwandte Gnomen und Redensarten anderer Völker nach, oder gibt
uns Bericht über die Genesis und das Altei derselben. Durch solche Anmer-
kungen wird oft erst der Sinn vollständig aufgehellt, oder der Spruch gewinnt
durch das nachgewiesene hohe Alter noch höhere Würde und Bedeutung. Sehr
wünschenswerth wäre es gewesen, daß Hr. Körte dabei mehr die mittelhoch-
deutsche Litteratur berücksichtigt hätte; denn viele dieser Sprüche kommen
schon im 12. und 13. Jahrhundert als allgemein bekannte, altherkömmliche vor.
Ich verweise beispielshalber nur auf folgende:
Zu 1166 halte man:
swer daz hör und den mist
rüeret, daz ervület ist,
der vindet niuwan stanc. Krone 148 6.
Zu 1513: Swenne dem esel ist ze wol,
so get er tanzen üf daz is. Frauenlist 282.
Zu 1530: der nahtegallen und der krä. sanc
die gebent ungelichen klanc. Krone 6 303.
Zu 1>823 vergl. :
an im erfulte diz mort
daz alt gesprochene wort,
daz da sprichet, daz vil schcene si,
da lüze dicke schade bi ;
ez ensi ouch allez golt niht,
daz man doch glizen siht. Stricker's Karl 2 50 0.
Zu 30 64: swaz man mit unreht gewinnet,
daz ez schiere zerinnet,
sprechent joch diu kleinen kint,
diu noch gar swaches sinnes sint. Krone 20 253.
— — ez ist nicht guot
256 LITTERATUR.
mit Herren kirsen ezzen.
si hänt sich dos vermezzen,
wer mit in kirsen ezzen wil,
dem werfent si der kirsen stil
in diu ougen. Boner 8, 3 2 ff.
Zu 3441: wer mit herren essen wil
kirsen, dem werden gern die stil
geworfen in die äugen
offenlich vnd taugen. Keller's altd. Erzähl. 511, 15.
i Zu 3584 u. 3586:
unrehter höchmuot
dem manne lihte schaden tuot. Erec 122 9.
Zu 5173: man sol den mantel keren,
als ie die winde sint gewant. Tristan 2 6 2, 32.
Zu 5599: man sol narren mit ktlben lüsen.
Ritter mit den Nüssen 196.
Zu 637 7: ein alt Sprichwort giht :
alt schult lit und rostet niht. Krone 1883 6.
Zu 6910: selbe taste, selbe habe. Rudolf von Fenis. MSF. 85, 2 2.
nu sol ichz ouch von schulden tragen,
wan ich ie horte sagen :
selbe taete, selbe habe. Krone 6810.
selb tet, selb hab, der schade si din. Boner 2 4, 40.
Diese Beispiele mögen genügen. Wie viele ließen sich im Freidank, im
deutschen Cato , bei Boner und andern nachweisen! — Wie reich sind noch
die Schriftsteller des 16. Jahrhundertes an alten körnigen Sprichwörtern! —
Luther , Fischart und Nas haben einen wahren Schatz derselben in ihren
Schriften niedergelegt. (Über Sprichwörter beim letzten s. Schopfs Johannes
Nas p. 20.) Durch solche Nachweise hätte Körte's reiche Lese gewiss an Werth
noch gewonnen. Dagegen hätten manche Sprüche griechischer Schriftsteller außer
den Anmerkungen wegbleiben können. Denn selbst Euripides sinnreiche Sen-
tenzen gehören doch nicht als solche in eine Sammlung deutscher Sprichwörter.
— Die Redensarten der deutschen Zechbrüder und der alte Wetterkalender sind
willkommene Beigaben. I. V. ZINGERLE.
VERBESSERUNGEN.
Jahrg. VII, S. 115, Z. 6. lies: nicht Z. 22. ein paarmal vorkommenden
S. 116, 7. Cosmogonie S. 117, 7. stören S. 205, Z. 13 v. u. humt kommt noch bei
Ottokar vor, z. B. die da ze helf und ze wer sant dem kilnic Ruodolf der Salzpurger pischolf
der icas icol dreu hunt. von in wart geiuunt vil manger polänischer gast. Cap. 159, 51 ff.
Pfeiffer.
— '-~jft-i i
DTE PARTIKEL A.
Grimm bemerkt darüber: „der mhd. Sprache eigenthümlich ist
eine Partikel d, die sich an andere laut ausgerufene Wörter hängt und
sie dadurch sinnlich zu Interjectionen stempelt. Da zuweilen 8 ge-
schrieben wird und dieses d als Vocativsuffix erscheint (s. 289 Anm.),
könnte man sie für identisch mit der unter a verhandelten Partikel halten,
oder für ein abgekürztes ah ? vielleicht entsprang sie aber auch aus io (s. 2 1 9).
Bald lautet sie aus, bald steht sie, wenn sich das Hauptwort wiederholt,
in der Mitte; im Ganzen gleicht sie dem ebenfalls angehängten oder
in die Mitte tretenden ags. la ! unverkennbar." (Gramm. 3, 290). Ist
diese Partikel auch nur ein unbedeutendes Sandkorn im mhd. Sprach-
schatze, so ist sie dennoch unserer Aufmerksamkeit nicht unwerth.
Schon das plötzliche unerwartete Auftauchen derselben erst im Mittel-
hochdeutschen erregt unsere Aufmerksamkeit. Zudem macht diese
volltönende Silbe in Verbindung mit wiederholten Imperativen eine
nicht verkennbare Wirkung. Sie gibt der Befehlsform eine eigenthüm-
liche Kraft, einen stärkeren Nachdruck, als bei unsern Imperativen
möglich ist. Wie viel nachdrucksvoller ist das Walthersche:
bekerä dich, bekere 9, 12,
als das neuhochdeutsche :
Bekehre dich, bekehre.
Es darf uns deshalb nicht wundern, wenn das ä so oft wieder-
kehrt, wenn manche Wiederholungen der Imperative, Substantive und
Partikel beinahe sprichwörtlich geworden sind. Ich verweise nur auf:
xcichä , wiche; hlingä, klinc; stichä , stich; dringä, drine; Letzteren Bei-
spielen gibt das gedehnte ä einen Wohlklang, der sich im Neuhoch-
deutschen nicht wiedergeben lässt. Noch malerischer erscheint es
manchmal, wenn ä zweimal gebraucht wird z. B.
trinkä, herre, trinkä, trinc. Helmbrecht 986.
Es mögen diese Eigenschaften der bisher wenig beachteten Partikel
mich entschuldigen, wenn ich ihr eine eingehendere Betrachtung widme.
GERMANIA VII. ]7
258 I. V. ZINGERLE
Ich gehe zunächst von dem Gebrauche derselben aus , dem ich am
Schlüsse die sich ergebenden Resultate folgen lasse, a wird suffigiert
Partikeln, Substantiven und Imperativen schwacher und starker Verba.
I. Wenn sie nur einmal stehen:
1. Bei Partikeln.
neinä, herre Sivrit, ja vürht ich dinen val. Nibel. 932, 1.
neinä, herre Bioedel, ich bin dir immer holt. „ 1954, 1.
neinä, herre Bloedel, sprach do Dancwart. „ 1976, 1.
neinä, herre Dietrich, vil edel ritter guot. „ 2038, 1.
neinä, Hinnen recken, des ir da habet muot. „ 2156, 1.
neinä, küniginne. Johansdorf. MSF. 93, 24.
neinä, trüt geselle. Lanzelet 950.
neinä, trat geselle min. „ 5212.
neinä, helt, daz verbir. „ 7904.
neinä, werder degen balt. Parz. 213, 3.
neinä, herre guoter. „ 476, 14.
neinä, herre, sist so guot. Walther 14, 18.
neinä, frowe, daz sis iht enge! „ 41, 8.
neinä, daz wser alze sere. „ 73, 28.
,neinä, herre!' sprach er do. Wigal. 50, 24.
er sprach: neinä, vrouwe min. Mai 33, 23.
neinä, saelic vrouwe guot. „ 66, 9.
neinä, lieber osheim min. „ 112, 39.
neinä, lieber sun vil guoter. Helmbrecht 1098.
neinä, herre, lät mich betagen „ 1733.
neinä, roter munt, so lache mir durch dine güete. Neifen 8, 3.
si sprach: „neinä, Hartmuot. Gudrun 1294, 1.
neinä künik riche. Rabenschlacht 419, 1.
neinä, lieber ceheim min „ 943, 1.
neinä, vil lieber bruoder. Rosengarten 551.
neinä, vil werder Egge. R. Ecke 137, 3.
neinä, herre Dieterich. Rother 1985.
neinä, herre Asprian. „ 4632.
neinä, mäge und man. „ 4809.
neinä, herre, sprächen sie. K. Pass. 513, 4.
neinä, tugentricher helt. Trojanerkrieg 4272.
neinä, süezer friunt, nü sage. Engelhart 5930,
neinä, helfet vro beliben. MSH. II, 73".
neinä, min zertel, lä dich noch erbarmen. MSH. H, 23*.
DIE PARTIKEL A. 2f>!>
neinä, tuoz, e mich der zit betrage. MSH. I, 163*.
neinä blibet, frowen min. Meleranz 4810.
neinä, degen üz erkorn. „ 5158.
neinä, ir habt noch einen. Sibots Frauenzucht 553.
neinä, liebe tohter. „ „ 565.
neinä, trat geselle. Teufelsacht 138.
neinä lihe im etswaz an. Nackter König 160.
„neinä!" sprach diu alte müs. Boner 43, 62.
neinä, trut geselle min. „ 59, 49.
nainä, helt und kunig herleich. Kellers altd. Erz. 6, 14.
nainä, ziere helt guot. Ottokar 206*).
— — — nainä
man sol in län genesen. „ 235a**).
„iarä!" sprach Wolfhart. Biterolf 11106.
iariä, wä is Constantin. Rother 2856.
iariä! — sprach Constantin. „ 3045.
„jariä" sprach Hagene, „waz haben wir getan." Nib. 446, 3.
diu sei sprach: iariä. Tundalus 51, 30.
jariä der klagelichen zit. Warnung 3013.
eiä, herre got der guote. Iwein 1610.
eyä, Gyburc. Wolfr. Willeh. 14, 28.
eiä, arme, wie ich nu virstözin bin. Rother 1466.
eiä, türlicher degin. „ 2811.
eiä, buole, blib durch mine bete. Georg 747.
eiä, bruoder, tuo mir daz bekant. „ 1285.
eiä, süezer got! „ 2029.
eiä wol im. Lobo-esaner.
eiä got herre. Renner 6193.
eiä zartez kindelin. Grieshabers Predigten II, 4.
ei ja, vrouwe sant Gedrüt! Rittertreue 252.
eijä, süeze wol getane. Frauenlist 360.
eijä, du rehter tore. Marien-Bräutigam 54.
der schuoler sprach: eijä, durch got. Maria u. Schüler 288.
eya, wie rechte wol mir ist. K. Passional, 180, 17.
eya, du ungetruwer man. „ 180, 56.
eya, sag an sunder spot. „ 186, 17.
eya, liebe, nu sage. „ 194, 88.
*) So lese ich statt naida>
**) nainda.
17
260 J- v- ZINGERLE
eya, als ir mir schribet. K. Passional, 199, 17.
eya, sprach Gregorius. „ 203, 79.
eya, liebe, seht ir icht. „ 222, 53.
eya, wa ist gewest din sin. „ 226, 56.
eya, herre, tut so wol. „ 296, 6.
Cristoforus sprach: eya nein „ 348, 58.
eya, kint, eya kint. „ 349, 77.
eya, lieber vater min. „ 379, 85.
eya, dürftige, nu swic. „ 382, 56.
eya, lieber bruder min. „ 399, 75.
eya, wie daz die muter sneit. „ 416, 86.
eya, so la dich gezemen, „ 417, 16.
eya, wie unmazen vro, „ 420, 8.
eya, saget mir vurbaz, „ 420, 91.
eya, wer mac dir gesagen „ 461, 81.
„eya, liebe", sprach si do, „ 463, 51.
eya, torechter man, „ 463, 85.
heya, ritter, wis et fro. Helmbrecht 1026.
heia! ez was äne mäze staete. Rabenschlacht 627, 5.
heiä! der edle vogt von Berne „ 920, 5.
heiä! nü bite, recke masre, „ 945, 5.
heiä! er begunde vaste gähen „ 661, 5.
heiä, waz der kaffere was. Rother 246.
heiä, gewalt unt wistnom. Anegenge 28, 38.
nü heiä, Tanhüsaere. MSH. II, 87 a, 88a, 89\
heiä, sumerwunne. II 87\
a heya! wie sein stolzer leib. Suchenwirt XV, 26.
nurä, edele riterschaft. Wälsch. Gast 11360.
2. Bei Substantiven.
Wäfenä, wie hat mich Minne geläzen. Hüsen MSF. 52, 37.
ziehent, herze, wäfenä. MSH. H, 91b, 92\
wäfenä der leide. I, l7lb.
der ungetriwe wafeno rüefet. Parz. 675, 18.
lüte schrei er: wafino. K. Passional 422, 18.
gnädä, lieben herren min. Heidin ed. Bartsch 163.
gnädä, lieber wirt „ 557.
süsä, wie wunnekliche der üz Oesteriche vert. MSH. IL 233b.
DIE PARTIKEL Ä. 261
3. Bei Verben.
a) sehwache:
hcerä, Walther, wiez mir stät. Walther 119, 11.
„horä" sprach dirre, „horä" sprach der. Tristan 94, 37.
dö sprach der bischof: „horä hie. Maria u. Schüler 264.
hora wunder! sprachen si. H. Passional 188, 40.
diu hörn bediutent, hoerä waz. Frauenlob 171, 13.
„hoerä" sprach die junge MSH. I, 1516.
nu hoerä, du vil siecher man. MSH. III, 239b.
hora wunder, sprach er do. K. Passional 302, 49. 537, 9.
losä wie die vögele alle doenent. Neidhart 27, 3.
losä durch des tiuvels tot. Ritter unterm Zuber. 368.
nu kerä, helt mrere. Rabenschlacht 939, 1.
nu kerä, degen msere. Ecke Str. 74, 3. Str. 93, 3.
nu kerä, helt, her ane mich. „ Str. 78, 1.
nu kerä, degen here. „ Str. 96, 3.
kerä dich umbe unde sprich. Irregang 1155.
sie riefen alle: kerä dan. Barlaam 308, 37.
hurtä: lät die tjoste tuon. Parz. 597, 25.
hurtä, wie da gehurtet wart. W. Willehalm 54, 9.
hurtä, wiez da wart getan. „ 77, 22. Parz. 673, 10.
hurtä, wie die getouften
borgeten und verkouften. 373, 21.
hurtä, waz in nu strites kumt. „ 37i', 11.
hurtä, wie der markis. „ 420, 15.
hurtä, wie daz versuochet wart. „ 430, 23.
hurtä, waz mit sporn wart gezwicket, j. Tit. 3252, 2.
hurtä, welch gedrenge! j. Titurel 2181.
hurtä zuo! Gerhart 3642.
hurtä, ir degen masre* Helbling XIII, 182.
nu merkä, wiser meister. Wartburgkrieg ed. Simrock 67, 13.
nu wachä, kint. „ 57, 3.
lonä, küneginne! ich bin der lones gert. Neidhart 58, 33. ■
nu sagä mir, Hiltebrant. Dietrich und Gesellen Str. 598, 2.
sagä mir, herze, dinen müt. Bartsch Heidin 623.
sagä, waz wiltu mich mane? Bartsch alt. Weib. List 104.
sagä, waz solde mir din here „ 204.
sagä ane, waz seint deineu lait. Keller altd. Erz. 143, 36.
wartä, wie diu heide stät. Hartmanns Lieder 23, 8. MSH. I, 330b.
wartä, waz dar inne si. Frauenlist. 604.
262 l v ZINGEKLE
„wartä" sprach der Reusse. Ortnit Str. 408, 1.
wartä, trüt geselle min. Boner 52, 25.
er sprach : warta, sun mein. Keller, altd. Erz. 498, 26.
warta, traut geselle. „ „ 499, 18.
er sprach: warta hynder dich. „ „ „ 499, 32.
wartä zuo den noeten. Ottokar 22a.
liep, trostä mich. Bartsch Brechenleit 213.
noch trcestä du mich, soelik wip. Frauenlist 406.
gedenkä, tohter, daz ich dich truok. Frauenzucht 586,
nu ruorä du den hozel bozel vaste. MSH. II, 116a.
nu werä dich, vil werder vürste Amur. H. MS. II, 313\
do stuont sin sin, sin wort, sin rät
üf anders niht wan: „leschä, herre!" MSH. II, 233\
„sucba" sprach do vurbaz K. Passional 229, 36.
susä süsly. Wolkenstein XXX, 3, 34.
hin get der maie, seusa mostl „ LVIII. 5, 1.
nur: mordä! scheuz, stich und slach. Suchenwirt X, 190.
6) starke:
nu rata, degen küene. Nibel. 315, 4.
rata, lieber Hafenruoz. MSH. III, 2406.
nu stritä durch eren solt. Dietr. Gesellen Str. 548, 11.
hilfä, lieber bruoder. Nibel. 1653, 2.
hilfä, künio here. Gudrun 686, 2.
mit lauter stimme: hilffa, ja. Keller altd. Erz. 529, 14.
und haltä du, getriuwer degen. Trojan. Krieg 30304.
„swigä!" sprach her Dieterich. Alphart 32, 4.
sweyga vnd habe gemach. Keller altd. Erz. 53, 24.
läzä hiute schinen den tugentlichen muot. Nibel. 2038, 2.
nu läzä mich doch hceren. Ortnit 133, 1.
läzä klingen! waz do swerte erklanc. Willeh. 413, 1.
läzä näher rücken! „ 440, 20.
läzä mich dich, liebez lieb, erbarmen. MSH. H, 21 b.
läzä wichen. MSH. I, 142a.
„sichä!" sprach der geselle. Marienlegenden 25, 78.
wichä, herre, lä wichen, j. Titurel 1969, 2.
wirrä, wie geworren wart da an allen siten „ 4087, 1.
nu swerä, lieger. MSH. II, 250".
n. Oft kommt ä bei Wiederholung des Wortes vor. Gewöhnlich
ist es dann nur dem ersten Worte angehängt.
DIE PARTIKEL Ä. 263
I. Bei Partikeln.
Neinä, tohter, neine. Neidhart 4, 1).
si sprach: „neina, vater, nein." Mai 23, 29.
neinä, liebiu mnoter, nein. „ 67, 33.
do sprach diu vürstin: neinä, nein. Lohengrin 1061.
si schrei lüte: rneinä, herre, nein!" Frauenzucht 584.
neinä nein! da wurd ich liht ze here. MSH. III, 260.
Ottokar fügt einmal beiden nein die Partikel d bei:
nainä, herr, nainä! 755b.
„järä ja!" sprach Hagene. Nibel. 488, 3.
„järä ja!" sprach dö Wolfhart. Bitterolf 7875.
järä ja !
wie die megde den selben lobent. MSH. II, 113b.
sie schryen alle: jorä jo! Keller altd. Erz. 456, 27.
owe und heia hei. Ulrichs Trist. 585, 38.
owe unde heia hei. Parz. 103, 19. 160, 3. 403, 16. 496, 22.
der künec rief lüte: heiä hei. Parz. 525, 24.
unt ruofet
ez lüte: heia hei. MSH. I, 142°.
schrient alle: heia hei! MSH. I, 147b.
heiä nu hei. MSH. H, 85b, 89a.
heiä hei! sist ze lange gewesen üz miner huote. MSH. II, 91b.
heiä hei, daz waere aller dienste ein Überguide. „ II, 92\
heiä hei, brachte ich die, wie lieb ich danne waere. Ebendas.
heiä hei! unt waer ich da der gere. MSH. III, 260*.
nu singe ich aber hei,
heiä nu hei. MSH. H, 87\
man dorft niht ruofen: „herä her!" Wigalois 278, 28.
der sol komen : herä her. Lichtenstein 69, 20.
da ruoft vil maneger: herä her. „ 287, 11.
nu herä her! MSH. H, 364".
hie kumt der anker, fiä fi. Parz. 80, 5.
da schrei man immer fiä fi. Georg 154.
wohrä woch, waz sol daz sin? Parz. 584, 25.
so trinkt der sibende, worä noch. Haslau 496.
2. Bei Substantiven.
nu tuo her sperä sper. Lichtenstein 79, 24.
wir ruoften beide : sperä sper. „ 462, 23.
sperä her! sperä her. Ritter m. d. Bocke. Innsbr. 45. 1096.
wäfenä, herre, wäfen. Flore 6388.
2(34 I. V. ZINGERLE
du wart von Schilden stöz vernomen,
und von seheften krachä krach. Lichtenstein 177, 29.
man hört da niht wan krachä krach. „ 488, 31.
der erste sprach: „so süsä, süs!" Zwei Kaufmänner 327.
3. Bei Verben.
a) schwache:
bekerä dich, bekere. Walther 9, 12.
heyä, nü kerä, helt, nü kere. Rabenschlacht 937, 5.
die riefen alle kerä, ker. Parz. 181, 14.
kerä, helt, kere. Ulrichs Tristan 545, 13.
kerä, ritt er, nu kere. Krone 3736.
nü krazzä kraz. Schrätel 258.
ir gelfer lüt ist : „kroenä, künic, kroene!" Frauenlobs Frauenleich 8, 5.
leschä, lesen, verschamtiu weit. MSH. II, 22 lb.
so schrit der wahter wartä, wartä. Renner 8920.
wartä zuo dir, wartä dar. „ 8917.
wartä, herre, wartä. Ottokar 31 0\
wartä, wartä! waz ist daz? Boner 20, 34.
wartä, wartä! sehent an. „ 52, 69.
losä, herre, los Ottokar 231".
losä, her, nu los. „ 309".
lesä, losä, wie die vogel singent. MSH. I, 25b.
beita, vater, beite. K. Passional, 534, 71.
hurtä, hurtä, Ungerlant. Suchenwirt I, 207.
b) starke:
bliuwä, herre, bliu. Ulrichs Willehalm 146".
nu dar näher dringä, drinc. Parz. 220, 28.
dringä, ritter, dringe. Krone 810.
und sach da niht dan dringä, drinc! Frauen Turnei 260.
nu hin dar näher! dringä, drinc! Gerhart 3640.
hin zuo vrunden dringä, drinc. Haupt Zt. III, 13.
von frouwen zoumen klingä, klinc. Parz. 681, 29.
da bi von swerten klingä, klinc. „ 69, 14.
man hört da niht dan klingä, klink. Fr. Turnei 259.
wichä, herre, wiche. Wigal. 80, 16. Meleranz 8143. Krone 822.
a wichä, wich! MSH. II, 365".
ävoi, wichä, herre, wiche. Meleranz 1033.
si ruoften alle: wichä, wich. Lichtenstein 172, 5.
— wichä, wich
ruoft man dö beide dort unt hie. r 193, J0.
DIE PARTIKEL Ä. 265
wichä wich, lä wichen ! Gerhart 3641.
und schre: her weichä, weich. Maget Krone 1156.
stichä stich! slahä slach. Helmbrecht 1029.
was anders niht wan slahä slach und stichä stich. Trojan. Krieg 48251.
wan da was niht wan slahä, slach. Reiher 386.
nn slahä slach! nu klingä klinc. Heinrichs Tristan 1806.
slahä slach! vähä väch. Ottokar 158a.
nu vähä, herre, väch. Nibel. 1612, 2.
si schriren alle: vähä väch. H. MS. H, 114a.
dö schrei niemant: vächä väch. Suchenwirt X, 189.
hie garzüne ruofa ruof. Parz. 72, 2.
die toren sprechent „snia sni." AValther 76, 1.
„haldä, morder, halt!" er rief. K. Passional 15, 30.
läzä läz daz tengeln. Georg 1234.
nü bizä biz! nü limmä lim!
nü krazzä kraz! nü krimmä krim! Schrätel 257.
III. Wird das Wort dreimal oder öfters wiederholt, so ist ä ge-
wöhnlich zweimal gebraucht, z. B.:
1. Bei Partikeln.
fiä fiä fie,
fi ir vertäuen! Parz. 284, 15.
2. Bei Substantiven,
sperä, herre, sperä sper. Parz. 79, 24.
Derselbe Vers begegnet bei Ulrich von Lichtenstein. 74, 23.
3. Bei Verben.
a) schwache:
jagä, ritter, jagä jac. Helmbrecht 1028.
werä, werä, herre, wer. Georg 5011.
hm-tä, hurtä, hurte. W. Willehalm 404, 3.
b) starke:
wetä, herre, wetä wet. Parz. 74, 26.
trinkä, herre, trinkä trinc! Helmbrecht 986.
wichä, herre, wichä wich. Lichtenstein 237, 28. 285, 20.
wichä, herre, wichä wich !
wichet, lät jostierens pflegen. „ 484, 6.
Eine Ausnahme davon macht der Dichter des h. Georg , wenn
er das ä am dritten Platze gebraucht, z. B.:
kerä, edeler ritter, kere,
kerä durch din wirdekeit. 5490.
2(36 IJ V- Z1NGEKLE
und der Dichter des Passionais, der einmal das ä nur dem ersten
Worte anhängt:
kerä, swester, kere,
kere von der sunden noch. H Passional 369, 84.
Ein merkwürdiges Beispiel von dem noch öftern Gebrauche der
genannten Partikel gibt Heinrich von Morungen, wenn er singt:
Du sprichest iemer neinä nein,
neinä neinä neinä nein MSF. 137, 21.
Durchgeht man die hier mitgetheilten Beispiele, so ergibt sich:
1. Daß die Partikel ä erst gegen das Ende des 12. Jahrhunderts
angehängt wird. Die ältesten Beispiele geben Ulrich von Zazikhoven.
H. v. Morungen , Konrad Fleck. Später mehren sich dieselben. Am
häufigsten gebraucht es Wolfram, während andere, z. B. Gottfried von
Straßburg, sich desselben ganz, oder größtentheils , z. B. Rudolf v.
Ems, enthalten.
2. Am öftesten kommt ä vor, wenn das Wort nur einmal gesetzt
wird; namentlich tritt es bei den Partikeln nein, ja, ei, hei auf. Selten
wird es Substantiven angehängt. Es scheint sich hier auf wäfen, gnade,
süs zu beschränken. Es tritt ohne Unterschied der Form an starke und
schwache Verba bei der 2. person. sing, des Imperativs.
3. Wird ein Wort wiederholt, so wird ä das erste Mal gesetzt,
z. B. neinä nein, järä ja, heia hei, fia fi, sperä sper, krachä krach,
süsä süs, kerä kere, losä los. — Nur bei warten wird ä beidemal gesetzt
wartä, wartä. — Ausnahmsweise finden sich losä losä, nainä nainä,
hurtä huriä.
4. Seltener finden sich dreimalige Wiederholungen. In diesem
Falle ist es Kegel, daß ä die beiden ersten Male gesetzt wird, z. B,
fia, fia, fie; sperä, sperä, sper; jagä, jarjä, jac ; tritt kä, trinkä, trinc etc.
Eine Ausnahme von der Regel bildet, wenn ä das erste und dritte
Mal gesetzt wird, wie es in der Georgslegende vorkommt, oder wenn
es nur das erste Mal antritt, wie im Passional.
5. Es finden sich aber auch bei Dichtern , die das ä brauchen,
Beispiele, daß sie bei Wiederholungen es nicht anwenden, z. B. :
schone, herre, schone,
schone, unser armen vurbaz me. K. Passional 237, 76.
höre uf, höre uf, vrowe gut. .. 330, 93.
ja ich, herre, ja, ja. „ 360, 35.
„nein, nein," sprach si darzu. „ 416, 76.
kere, ritter, kere. j. Tit. 1310, 2.
nu wein, Sigün, nu weine. „ 1339, 1.
slach. slach her, slach. Ottokar 235".
DIE PARTIKEL A. 267
6. Tritt das ä an ein mit Vocal auslautendes Wort, wird der
Hiatus durch ein eingeschobenes r vermieden, z. B. järä ja, nura.
7. Statt des ä begegnet uns im baierischen Dialekte ö, z. B.
tcäfeno.
Was die Herkunft dieses ä betrifft, so ist es nach meiner Über-
zeugung die Interjektion «, die manche Dichter selbständig dem Worte
vorsetzen, z. B. :
ä wie sere ers da ze stede entgalt. Alexmiderlied 611.
ä wie erhafte sie im ze gegene quämen.
ä waz Gapadotia gebrach.
ä waz ime da helede tot beleih.
ä, Tristan, wsere ich alse duo. Tristan 94, 30.
ä, herre got, durch din gebot. „
ä, sprach er aber, trüt vater min. „
ä, herre! sprächens under in. „
ä, herre, sprächens alle do. „
ä, neve, daz ich dich ie gesach. „
Grimm bemerkt (Gramm. III, 291)
mhd. Periode überdauert zu haben, wenigstens gebraucht noch Fischart
im Garg. 241b horcha sunl 247" höra! 96a lerma.u
Ob das ä noch jetzt fortlebe, kann ich nicht darthun. Dagegen
wird das dem ä entsprechende Suffix o im baierischen Dialekte noch
gebraucht, z. B. slillo, hcerö, muedero (Schmellers b. Wörterbuch I, 8).
Daß dies Suffix 6 in Tirol noch fortdauere , wird J. B. Schöpf in
seinem tirol. Wörterbuche nachweisen.
INNSBRUCK, 15. Juni 1862. I. V. ZINGERLE.
n
705.
»
752.
»
779.
94, 30.
98, 2.
101, 11.
147, 22.
155, 21.
167, 6.
„dieses
Suffix
scheint die
KLEINERE MITTHEILUNGEN
VON'
KARL BARTSCH.
J. EIN ALTHOCHDEUTSCHES BRUCHSTUCK.
Der Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1855, Sp. 80,
theilte aus einer dem germanischen Museum gehörigen Handschrift
(Nr. 1266), die Gregors Moralia über Hiob enthält (Pg. kl. fol. 10.— 11
Jahrh.), folgende althochdeutsche Verse mit, die schon vorher Mass-
mann im neuen Jahrbuch der berlinischen Gesellschaft 10,185 hatte
abdrucken lassen, und die ich hier in etwas besserer Schreibung wie-
derhole:
268 KARL BARTSCH
ja diu sele adelfrouwe
diu get diu for der ir diuwe.
der licham ist der sele chamerwip,
er mac ir Verliesen den ewigen lip.
5 diu sele shol ir selber raten,
al guot der diuwe gebieten.
siu shol irsterbin dur diu chint,
diu des lichamen ubeliu werc sint.
siu shol edeliu chint gewinnen,
10 di siu mage ze dem gotes erbe bringen.
2 u for den. 5 ratent. 6 gebitent. 8 ubeluu wec. 10 brigen.
Daß diese Verse schon anderweitig bekannt waren, scheint noch
nicht bemerkt wrorden zu sein. Sie gehören dem in der Vorauer Hand-
schrift Bl. 97a — 98c stehenden Gedichte an , dem Diemer den Titel
'Die Schöpfung' gegeben hat. Die angeführten Verse stehen bei Die-
mer 102, 1 — 10. Der Text stimmt mit Ausnahme der beiden ersten
Zeilen, die bei Diemer lauten: Gotis bruth duo seil adilurowi . uorchti
du der iri duwi, sehr genau.
2 SANTE MARGARETEN MARTER.
Das unter diesem Namen von mir in der Germania 4, 440 — 459
herausgegebene Gedicht , welches ohne Zweifel dem zwölften Jahr-
hundert angehört , und von welchem Jos. Maria Wagner eine zweite
Handschrift in Klosterneuburg aufgefunden hat (vgl. Germania 6,
376 — 379), die an einigen Stellen zur Textverbesserung beilragen kann,
im wesentlichen aber denselben stellenweis überarbeiteten Text der
Prager Handschrift bietet , hat eine unverkennbare Übereinstimmung
mit 'Margareten Passie', die nach zwei kölnischen Drucken von 1513
und 1514 O. Schade in seinen 'geistlichen Gedichten des XIV. und
XV. Jahrhunderts vom Niederrhein' S. 93 — 96 veröffentlicht hat. Der
Eingang des Textes der Prager Handschrift fehlt bei Schade wie in
der Klosterneuburger Abschrift; dagegen stimmt gleich der Anfang
der eigentlichen Erzählung:
61 Ein heideniseher patriarch Schade 1 It war ein heidensch patriarch1),
der war edel unde starch, der was wail wise und stark,
geheizen Theodosiüs. gebeizen Theodosius.
in Antiochia was sin hüs. in Amiochia stunt sin huis.
6 5 er was ein vil edel man. 5 he was ein vil edel man.
eine tohter er gewan, ein einige dochter he gewan.
') So auch in der Klosterneuburger Handschrift : Ez uaz ein heidnischer patriarch.
KLEINERE MITTHEILUNGEN.
269
in sirae alder wart si geboren,
zo godes dienst wart si erkoren.
Margaretha was si genant,
1 0 in manieher bände gnaden wailbekant.
ir moeder starf ir af zo vroe,
ein amme si vort up zoe.
in sinem alter geporn,
zuo dem gotes dienst erchorn:
Margarete ist si genant.
7 0 ir narn ist witen erchant.
diu muoter starp im fruo :
dem cbinde gie arbeit zuo.
dö g p man daz chint danne
von der purch ze einer amme2).
7 5 als si daz alter gewan,
und sieb des rebten versan,
dö liebet ir diu ebristenheit.
der heiden geloube was ir leit.
des ebristentuomes si sieb underwant,
80 da man si ze leste ane vant.
swaz man si dö marteröte,
des vorbte niht sant Margarete.
So schlagende Übereinstimmung begegnet allerdings im Verlaufe
des Gedichtes nicht wieder, wenigstens nicht an einer so langen Stelle:
wohl aber lassen sich einzelne Zeilen und kleinere Stellen mit einander
vergleichen.
do si dat alder gewan,
dat si sich selver besan,
1 5 do beliefde ir die Christenheit,
die heidenschaft sie vermeit.
des rechten gloven si sich underwant,
dair man sie zo leste inne vant.
nieman sie dair af brengen moiehte,
2 0 in wat wisen man dat besoiebte.
109 Üb si im mochte gezemen,
er welle si ze ehonen nemen.
121 gevrewe mich, herre Jhesü Crist,
wan du vil gena3dic bist,
sende mir dinen geist
zuo einer volleist.
143 si petet an der Christen got.
189 si versagte im gar daz.
203 er hiez si nachet üf hän
und mit gerten wol durchslän.
267 daz pluot vaste von ir ran.
270 daz . . in selben den rihtasre
der frouwen marter verdröz.
295 daz chriuze si für sich tete:
si sprach ze gote ir gepete.
299 vater aller weisen
tröste mich in allen vreisen.
369 dö saeh si . . . ein vil swarzen tivel.
381 min bruoder was Ruffö genant.
420 wie ist geheizen din nam ?
522 daz min lip . . .
dar inne werde getoufet.
653 Theodosius der wise man
und ir amme prallten dan
die vil heilige lieh.
37 dat he sie woldezeinem wive nemen,
of sie im van adel mochte bezemen.
45 genäde mir, here Jhesu Christ,
want du der wair got bist,
und sende mir zo hüde
dinen engel vil güde.
59 sie anbedet den heiigen Christ.
79 vaste si im versachte.
83 doe dede he sie üp hain
und mit besemen sere slain.
126 dat bloit ir den lif lanks af ran.
89 bit dat it die sleger verdroiz.
146 ein cruiz si vur sich dede
mit manichen gebede.
144 soe help mir armen weisen
van desen engestliehen vreisen.
136 ein vil hezlich düvel.
175 Rufus was he genant.
165 du salt mir sagen dinen namen.
304
und sie dair wurde gedeuft.
422 Theodosius ein vil guit man
iren licham he aldae nam.
3) Die Reimpaare 71 . 72 und 73 . 74 sind in beiden Handschriften vertauscht.
270 KARL BARTSCH
Schade hatte nach dem niederrheinisehen Texte schon eine Grund-
lage des zwölften Jahrhunderts vermuthet (S. 77), der aber das von
mir herausgegebene Gedicht schon der Mundart nach viel näher steht,
als die von dem niederrheinischen Dichter mit großer Freiheit unter-
nommene Bearbeitung. Dennoch glaube ich, daß einige Stellen durch
den niederrheinischen Text auf ihre ursprüngliche Gestalt zurück-
geführt werden können. So :
125 daz ich gestä äne schände 49 üp dat ich minen magedüm bchalde
vor dem heidenischen välande. und dat der beide min niet enwalde.
ursprünglich hieß es wohl:
daz ich minen magetuom behalde
vor dem beidenischen välande.
451 owe welich ein wunder, 252 ich ligen nu alhie gebunden
daz ein magt besunder von einer maget junge,
mac uns tieveln an gesigen.
Ursprünglich :
owe welich ein wunder,
daz ein maget junge u. s. w.
Einige Stellen, die ohne Frage in dem alten Gedichte ebenso
lauteten, hat Schade's Text unentstellt überliefert, während sie in dem
andern verloren giengen , so Seh. 55 ir Herren sie ez sageten, als siz
vernomen habeten, vgl. den Text der Prager Hs. 137 ff.
3. ZUR GUDRUN.
Die von Fr. Gärtner unternommene Versrleichunp- der Gudrun-
Handschrift mit Hagens Drucke (Germania 4, 106 — 108) hat zwar Be-
deutendes nicht ergeben; doch hilft sie an einigen Stellen den Text
verbessern.
39, 3 (Vollmer), wo Hagens Text gewährte vntz das dem kunige
reiche, ergänzten die Herausgeber die erste Halbzeile auf verschiedene
Weise; Vollmer: si riten an allen enden, Ettmüller: und schuof in
herberge, \\ . Grimm (?): in den kemenäten. Vor reiche steht in der Hs.
aus, also wird etwa zu lesen sein:
unze daz dem künige uz vil manigem riche.
63, 3 versmähm, wie die Herausgeber seit Hagen lesen, steht wirk-
lich in der Handschrift (verschmähen); ebenso wird 164, 3. 174, 1. 463,2.
721, 4. 919, 1. 975, 3. 1074, 4. 1137, 2. 1434, 4. 1546, 2. 1577, 4.
1684, 4 das von den Herausgebern gesetzte durch die Handschrift
bestätigt.
615, 4. do sprach er Hartmuot, wo für er geschrieben wurde her,
hat die Handschrift der, daher wohl zu lesen do sprach der herre Hart-
muot, oder statt herre ein zweisilbiges Adjectivum.
KLEINERE MITTHEILUNGEN. 271
629, 4. Die Hs. hat ivär, nicht war, wofür man ivas setzte; daher
ist zu bessern :
<laz er hieze Hartmuot und wasre von Ormanielande.
648, 4. Hagen die wissten nu, die Hs. die nu ivissten , woraus sich
das richtige die enwisten noch natürlicher ergeben hätte.
739, 1 wir suln von Normandhi brüeven herverte ; Hagen und die
Ausgaben lesen in Normandin.
766 4. diu edele und diu zarte minie den küenen Herwigen sere.
Hagen bietet guoten statt hüenen.
877, 4. die Hetelen vriunde ivolten sine tohter wider gewinnen; Ha-
gen hat bringen statt gewinnen. Reime wie misslingen : geunnnen begegnen
aber in der Gudrun öfter, z. B. küneginne : bringen 225. 592. 1646.
hüneginne : widerbringen 906. gewinnen : gedinge 945.
939, 3. sundersprdchen, wie die Hs. bietet, kann als Infinitiv ste-
hen bleiben; die Herausgeber lesen sunderspräclie.
1051, 3. die man von allem rehte bt vürsten kindn alzit solle suo-
chen. Hagen hat von allen r eilten.
1178, 4. mich vil armen küniginnen (: hinnen) , Hagen küniginne;
und so sind die Reime auch an andern Stellen, wenn gleich gegen die
Handschrift, zu glätten.
1486, 4. sivie riche ich hie vor wa?re; Hagen hat vor hie, wofür
Vollmer und Ettmüller vor ie.
1550, 4. swaz si uns ie getäten, wir nemen in wol tüsentstunt mere;
Hagen und die Herausgeber nämen.
1591, 4. Hs. gegen, Hagen liest gen; lür den Vers ist beides
gleichbedeutend.
1594, 2. sirie ivol man doch ir aller mit handelunge pflac ; Hagen
hat da für doch, und so auch die spätem Ausgaben.
4. ZUM JÜNGERN TITUREL.
Gewöhnlich nimmt man jetzt an , daß der Dichter des Jüngern
Titurel keine weiteren Quellen als Wolframs Werke benutzt habe, und
daß seine r Dichtung lediglich auf die zwei Gedichte Wolframs und die
eigene unklar ausmalende Erfindungskraft' (Wackernagel , Litteratur-
geschichte S. 195) sich stütze. Gleichwohl möchte es genauerer Unter-
suchung vielleicht noch gelingen, für einzelne Parthien des Gedichtes
besondere Quellen nachzuweisen , wie ich es augenblicklich an einer
zu thun im Stande bin. Die Schilderung nämlich vom Priester Johann
und den Wundern seines Landes (6031 — 6160 Hahn) beruht auf
ziemlich genauer Übertragung des bekannten Briefes vom Priester Jo-
hann, der bald an den byzantinischen ;Kaiser Manuel (f 1180), bald an
272
KARL BARTSCH
andere Herrscher gerichtet erscheint. Die Übereinstimmung beginnt mit
6032; ich stelle die ersten Sätze des lateinischen Originals, von dein
mir gerade der in Jubinals Rutebeuf 2, 444-454 gedruckte Text vor-
liegt, dem Gedichte gegenüber.
6032, 1. Sin gewalt ez wit und verre,
benennet wirdicliche;
diu zwei teil aller terre
und darüber zwei und sibenzic riche
was ich ein im gar üf ze dienste gebende.
6033, 4. wan erst ein cristen reine
unde tuot ouch niht wan daz beste.
6034, 7. Dri Indiä die witen
im dienent gar für eigen:
die Cristes widerstriten
kan er ze lobe unde zeren neigen.
Z.33.
septuaginta duo reges nobis
tributarii sunt.
34. devotus sum christianus.
40. in tribus Indiis dominatur
nostra magnificentia.
39. in voto habemus . . . humiliare
et debellare inimicos crucis Christi.
Die zunächst folgenden zwei Strophen zeigen keine direkte Ent-
lehnung aus dem Lateinischen, wenn nicht die lateinischen Texte und
Handschriften, wie wahrscheinlich ist, von einander abweichen. Eist
6045 beginnt wieder die Übereinstimmung und zwar in sehr treuem
Anschluß.
6045. der berc al oben schinet
gedieh dem fiures glaste.
ein hrunne sich ravinet
da neben drabe, der diuzet also vaste.
Ydön wart der brunne mit schrift genennet.
sin fluz der teilt sich witen
die virre: in mengem lande ist er bekennet.
6046. In des brunnen grieze
vint man edel steine,
vil nütze an dem genieze.
ez sint saphir, smaragd, karfunkel reine,
topaz, krisold, sardin, berille, onichel,
ämatist, serent,
ardel, achät, die warn an kreften michel.
6047. Ein krut affidiöse
wehset bi dem flümen :
des kr.ift ist tugende ein rose,
sin würz kan sich an tugenden niht ver-
sümen.
swer die würz hat in der hant ze tragene,
der mac den boesen geisten
swaz er wil gebieten im ze sagene.
6048. Da bi in einem lande
wehst der pfeffer zanger,
kleine und ouch grande,
der eine der ist kurz, der ander langer,
gelich alsam ein walt von ror vil dicke.
60. Inter paganos per quendam
terram
transit fluvius
qui vocatur Idonus fluvius iste, de pa-
radiso progrediens, expandit sinus suos
per universam provinciam illam diver-
sis meatibus;
et ibidem inveniuntur
naturales lapides,
smaragdi, carbuneuli, saphiri,
topazii, crisoliti, onichini, berilli,
an.etisti, sardinei et plures
alii preciosi lapides.
Ibi nascitur herba
que vocatur effidios,
radicem cujus si quis super
se portaverit aereum spiritum
effugat et cogit eum dicere
quid sit vel unde sit et nomen ejus.
In alia quadam provincia nostra
Universum piper nascitur. . .
est autem terra illa nemorosa
admodum salicti plena.
KLEINERE MITTHEILUNGEN. 273
Die Übereinstimmung geht so fort bis zur Strophe 6057, dann folgt
eine kleine Unterbrechung (6058—6060) und hierauf wieder 6061 — 6082,
im Ganzen sich an die Reihenfolge des lateinischen Textes anschlie-
ßend. Hierauf eine Reihe von Strophen 6083 — 6099), in denen sich keine
Übereinstimmung mit dem mir vorliegenden lateinischen Texte findet.
Dagegen sind die Strophen 6100—6132 in genauem Anschluß gedichtet,
so gleich die erste:
6100. Die werdekeit des landes 164. Omnibus divitiis que sunt munde
und ouch des landes herre, superabundat et precellit magnificentia
den vint geliche pfandes nostra. Inter nos nullus mentitur nee
üf erde niht der minner noch der merre. potest aliqnis mentiri ibi , et si quis
swer an einer lüge hie wirt erfunden, ibidem scienter mentiri cepit. . . quasi
gemeiner guoter dinge mortuus inter nos reputatur nee ejus
wirt er von den Hüten sä gebunden. apud nos fit mentio.
6101. Si sint getriwe, gewaere, Omnes sequimur veritatem et diligi-
sunder haz und niden. mus nos invicem.
meineide und ebrechsere Adulter non est inter nos; nullum
müezen disiu lant mit stsete miden. vitium apud nos regnat.
geistliche so vert der künic schöne,
in got iedoch verwäpent,
mit grözi m her vert er ze Babilone, Singulis annis visitamus corpus Da-
6102. Ie zuo den järziten nielis prophetse cum exercitu magno
Danielis des propheten, in Babiloni deserta;
den lewen hungergiten
erkanten daz die spise an im niht beten.
mit strft an wurmen gröz ist ergesigende et omnes sunt armati propter tirios
alle jär vor Babilone et alios serpentes qui vocantur demetes.
durch Daniel, wan er da nähe istligende.
Nach zwei nicht übereinstimmenden Strophen (6133. 34) folgen
wiederum zwei entlehnte (6135. 36), wogegen die beiden nächsten
(6137. 38) keine Übereinstimmung verrathen. 6139, 6142 — 53, 6157
schließen sich wieder an das lateinische Original an.
6157. Zuo drin höchgeziten 307. In die nativitatis nostre
priester Jöhan schone et quotiens coronamur
get in den palas witen : intramus palacium illud.
richlich übr alle künige treit er kröne.
Wahrscheinlich ist , wie ich schon bemerkte , daß auch bei den
dazwischenliegenden Strophen, die keine Verwandtschaft zeigen, das la-
teinische Original zu Grunde liegt, da auch bei diesem verschiedene
Textrecensionen anzunehmen sind. Dasselbe Verhältniss ist bekanntlieh
auch bei den Titurelhandschriften, die bald mehr, bald weniger Strophen
haben. Somit dürfte die Vergleichung lateinischer Texte unter einan-
der, so wie der deutschen Handschriften, ein ziemlich sicheres Krite-
GERMANIA VJI. Jg
274 KAHL BARTSCH
rium an die Hand geben, um den Werth der Recensionen zu bestim-
men und das wirkliche Eigenthum des Dichters von etwaigen spätein
Hinzudichtungen zu sondern.
5. ZUM LOBENGRItf.
Die handschriftlichen Mittel für dieses Gedicht sind bekanntlich
sehr mangelhaft; mit Ausnahme eines älteren Fragmentes und der aus
dem Wartburgkriege entlehnten Stücke haben sich nur Papierhand-
schriften des 15. Jahrhunderts erhalten , von denen zwei (die beiden
Heidelberger) Rückert benützt hat; eine dritte, über die Pfeiffer nähere
Auskunft zu geben versprochen hat, befindet sich in der Piaristen-
bibliothek zu Wien (Germania 3 , 245). Einen Theil des Lohengrin
(so wie den Wartburgkrieg) enthält auch die Kolmarer Handschrift
687°: Diß ist ein teile an dem Lorengel dez mit einander IHIC lieder sint
im swarezcn tone. Es sind 41 Strophen; die erste beginnt:
Ein edel herczog von prafant;
die letzte :
Der swan stieß snabel vnde krag
al in den wag nu merckent ob ichs rechte sag. (= R. 66).
Endlich besitzt eine vollständige Handschrift des Lohengrin die
Münchener Bibliothek. Es ist ein Quartband von 134 Blättern, der die
Bezeichnung cod. germ. 4871 führt und im Jahre 1461 geschrieben
ist. Der Text beginnt:
Ein vater seinem chinde rief
Vor eines sees tamme lag es vn slief
Nu wacha chind ya weckch ich dich mit trew
Für war den wakch den dringet wint
Vnd chumbt dy nacht vinster wacha liebes chindt
u. s. w.
Die Schlußstrophen beginnen:
(762) Dis abentewr der Antschow fein.
(763) Nv ist der abentewr grünt.
(764) Het er gedacht nicht chunste hört.
(765) Ist ein tragmundt bey seiner arch.
(766) Dew red ist an end gesagt.
(767) Seint es mein sündig munt beschreit;
die letzte Zeile lautet:
Des helf mir parmhertzig mueter raine.
Dann nennt sich der Schreiber Johannes Fritz von Passaw. Auf
den Lohengrin folgt, von anderer Hand geschrieben, ein Gedicht von
Oswald von Wolkenstein, beginnend:
KLEINERE MITTHEILUNGEN. 275
Mir dringet zwinget fraw dein guet
mein gemuet
und schließend:
Dein aigenn bleib ich immer
auff dy gnade dein etc.
Unter den gedruckten Liedern des Wolken steiners kann ich es
nicht finden. Endlich von derselben Hand, wie dies Lied, Peter Su-
chenwirts 'schöne abenteur (Primisser Nr. XXV) beginnend:
Ich gie nach lusst für einen wald
Der stund so wunigklich gestalt
Dabei ein michel wasser flosß
Lautter frisch vnd nitt zw gros.
Schluß:
Die red gepluemtter kunst zw stewr
Genanntt dy schön Abentewr.
Zu bemerken ist die Stelle, wo sich der Dichter nennt, V. 170;
dieselbe lautet hier:
Zeit war dass man äss
sprach ein edle fraw guet
die was Trwchsässin wolgemuett
vnd dy was fraw zucht genennt
die het mich schir erkennt
vil lieber hanns von Treubach
der nie von frawen übell sprach
rett sy zw mir zw hannt
sag an wer hat dich her gesannt.
Auch die andere Stelle, wo Suchenwirts Name vorkommt (365)
ist so verändert:
Sag an vil lieber Treubechk
An adel vesst an ernn kechk.
Noch eine Stelle hebe ich aus , wo die Münchener Handschrift
ein Reimpaar mehr hat; für 315—316 heißt es:
Wirtt er an der flucht wuntt
Er ist zw klagen als ein hundt
Wirt er dann daselbs geuanngen
Es ist im schäntlich £nug erffanngfem
O Ö O Ö
Ob diese noch unbenutzten Handschriften des Lohensnrin für die
Kritik des Textes Wesentliches ergeben, bleibt freilich zweifelhaft; im-
merhin aber ist bei dem handschriftlichen Zustande des Gedichtes eine
Vergleichung wünschenswerth.
18*
276 KAEL BARTSCH
0. ZUR GEISTLICHEN DICHTUNG.
Ich gebe hier einige Ergänzungen zu den als Anhang zur 'Erlö-
sung' gedruckten 'geistlichen Dichtungen vom 12. bis 15. Jahrhundert'.
Das Marienlied S. 192 — 193 findet sich auch in der Kolmarer Hs.
unter Suchensinns Liedern, mit dessen Strophenform es übereinstimmt;
Bl. 798° herkent ich alle blurnen blang , ebenfalls drei Strophen. Das in
meiner Sammlung folgende fDreifaltigkeitslied' (S. 193-195), das ich
nach drei Nürnberger Texten mittheilte, war bereits in Hagens Minne-
singern 3, 468ld gedruckt, aber nicht in das Strophenverzeichniss auf-
genommen, daher es mir entgangen ist. Es ist entnommen aus der
Wiener Hs. th. 457, die Hoffmann nicht mit anführt. Für den Text
werden einige Verbesserungen aus der Vergleichung gewonnen; so 5
das zweifache begin, 29 an gexprinc, 30 ist sin punt, 32 stigt äne tverc,
39 noch zit noch stat, 60 und sage uns welch sin forme s% 65 über hör,
73 sine al min iht, 75 ö sine.
Von dem in der Einleitung S. XLII erwähnten Gedichte ein ge-
sunde ler gar christenlich führt eine Augsburger Handschrift an Keller
in der Nachlese zu den Fastnachtspielen S. 325. Die ebenfalls S. XLII
angeführten Sprüche, die an Freidank anklingen, stimmen mit denen,
die Graft' in der Diutisca 1, 325 aus einer Straßburger Handschrift gibt:
manger klaget sin guot, Graff: Manger wainot daz guot
daz er unnutzlich vertuot. daz er vertuot.
wir clagten pillich unser zit, so wain ich min zit
die uns nieman wider git. die mir nieman wider git.
ez ist worden niuwe es ist in aller weit worden niwe
guot rede an alle triuwe. guot red an alle triwe.
Einen andern von mir angeführten Spruch : siver den andern über-
mac, der schiubet in in den sac, citiert ganz gleichlautend (nur stozet
für schiubet und einen für den) das mhd. WB. 2, lla mit Verweisung
auf Martina 289 ; ich kann die Stelle nicht finden.
Mit dem von mir herausgegebenen 'Marien Rosengarten' (S. 284
— 290) ist zu vergleichen fder goldene Rosenkranz Mariens' in einer
niederdeutschen Handschrift zu Wien (R. 840, jetzt 3014, Hoffmann
S. 319); es sind 51 vierzeilige Strophen, mein Text enthält deren 50;
wahrscheinlich enthält die Wiener Hs. dasselbe Gedicht.
Das Gedicht O froioe und rnaget minnielich, von dem ich in der
Anmerkung zur Erlösung 2520 eine Stelle mitgetheilt , und dessen
Handschriften ich S. LIX angeführt habe, findet sich außerdem in
einer Wiener Hs. des 15. Jahrhunderts (Nr. 3009; Hoffmann S. 190);
ferner in dem von Mone (Schauspiele 1, 210—250) herausgegebenen
KLEINERE MITTHEILUNGEN. 277
' Spiegel' (aus einer Papierhandschrift des 15. Jahrhunderts zu Constanz),
von welchem das von Th. Jacobi (Haupts Zeitschrift 3, 130 — 134) ver-
öffentlichte 'Bruchstück eines Marienliedes' , in welchem das fragliche
Gedicht auch vorkommt , nur ein Fragment ist , das eine Lücke der
Constanzer Handschrift (nach V. 1064) theil weise ergänzt (durch
V. 1 — 12). Das Gedicht 'O frowe etc. bildet V. 1141 ff. des Spiegels,
so daß von ihm jetzt schon 7 verschiedene Aufzeichnungen vorliegen.
Deutsche Texte des Ave prcedara (vgl. Erlösung S. 293—296 und
S. LX) finden sich außer den von mir angeführten noch in einer zwei-
ten Wiener Hs (2975, j. c. 244, 15. Jahrh. Papier) Bl. 153a — 154%
Hoffmann S. 172, so wie in einer Klosterneuburger (Nr. 533), die im
Serapeum 11, 107 erwähnt ist.
'Die heiligen drei Könige' (S. 296—298 und S. LXII) finden sich
in der Heidelberger Handschrift 372 , und sind darnach in Hagens
Minnesingern 3 , 458" gedruckt, aber nicht in das Strophenverzeichniss
aufgenommen, daher sowohl mir als Pfeiffer und Hoffmann dieser Text
entgangen ist. Derselbe enthält sieben einleitende Strophen; dann ent-
sprechen folgende des Hagenschen Textes den meinen 8 = 1, 9 = 2,
mit manigfacher Abweichung 10 = 3, 12 = 4, 13 5, 14 = 8; da-
gegen fehlen in der Heidelberger Hs. 7 und 9 meines Textes; sie hat
nach 14 noch 22 Strophen, im Ganzen 36, und schließt doch mit einem
etccetera, was jedoch nicht nothwendig auf unvollständige Überlieferung
deutet. Auch in der Kolmarer Hs. Bl. 810a steht das Gedicht als Graf
Peters von Arberg Tagweise und hat 26 Strophen ; der Anfang wie in
der Heidelberger. Dagegen wie in meinem Texte beginnt es in zwei
Wiener Hss. (Nr. 4696 und 2856) , beide aus dem 15. Jahrhundert,
Hoffmann S. 169 . 249, und in beiden siebenstrophig.
Der 'Deich' des 15. Jahrhunderts, den ich S. 305 — 306 aus einer
sehr schlechten Nürnberger Handschrift herausgab (vgl. S. LXIV),
findet sich als Tagweise gedruckt im Liederbuch der Hätzlerin S. 31,
wo aber Y. 1 — 16 fehlen, dafür nur vier andere Verse stehen. Dort besteht
das Gedicht aus drei Strophen, die mit Ausnahme der zweiten, vielfach
entstellten, 15 Zeilen haben. Mit gleichem Anfang Ich wachter so! erwecken
meiner Wiener Hs. (Nr. 2856, 15. Jahrb.), Hoffmann S. 248, und endlich
in der Kolmarer unter dem Namen des Grafen Peter von Arberg, Bl. 812"
ebenfalls dreistrophig. Daraus ergibt sich, daß der Nürnberger Text noch
verderbter ist als ich verrnuthete, und daß die Bezeichnung 'Leich' nicht
mehr zutrifft, sondern das Ganze ein dreistrophiges Lied bildet.
Von der einen Bearbeitung der Visio JliiUberti, die in einer Wie-
ner Hs. (Nr. 2880, Hoffmann S. 159) erhalten ist, gibt es noch eine
278 KAKL BARTSCH
zweite Hs., zu München (cod. germ. 714, Bl. 247b— 258'1) , in welcher
der Anfang lautet;
Der sei clag.
Eins mals in einer winter zeyt
Geschach ein jemerlicher streyt
Bey nacht als ich peschayden wil
Froßtes vnd reyffes vil
Beczwungen heten alle lant
Die schrift thut mir bekant
Wie das ain weiser pfaff sich
Der listig was und künsten reich
Ains nachtes het sich geleyt. u. s. w.
ROSTOCK, im Juli 1862.
ZU KARAJANS SPRACHDENKMALEN DES
ZWÖLFTEN JAHRHUNDERTS.
Der klägliche Zustand der Klagenfurter Handschrift hat die Ge-
dichte, welche Th. G. v. Karajan aus derselben veröffentlicht hat, in
sehr lückenhafter Gestalt auf uns gelangen lassen. Manche Ergänzungen
des Fehlenden hat der Herausgeber versucht ; eine Reihe anderer so
wie stellenweise Verbesserungen gedenke ich hier zu geben.
Der fehlende Reim in den Versen 25, 22 :
die haut bot er ir . . .
er gereit ze vordirst an der schare,
ist vom Herausgeber durch zewäre ergänzt worden, was die verschie-
dene Quantität nicht gestattet. Nahe lag das richtige bot er ir dare.
Ein ähnlicher Fehler ist 25, 24 begangen:
da si fuor in der . . .
si lühte ubir alle die schare,
wo gebäre ergänzt ist; das richtige ist in der gevare, vgl. die ganz ähn-
liche Stelle 37, 3: daz diu brat da fuor in der vare
unde si louhfe ubir alle die schare.
Ebenso unrichtig ist 51, 11. 12 als Reim angenommen genäden;
geladen.
In dem Bruchstück Vom verlornen Sohne'- 47, 6 ist die unleser-
liche Reimzeile zu ergänzen in secuta seculorum.
49, 24 ist natürlich zu schreiben alle meres (K. nieres) gründe.
ZU KARAJANS SPRACHDENKMALEN DES XII. JAHRH. 279
50, 17. Die Keimzelle ist zu ergänzen: so bist du rehtir rihtcer
da[r inne] : grimme.
51, 13. 14. vermuthlich zu ergänzen:
ir schephcer [und herre
wiset si] vil verre;
vgl. 52, 20.
51, 17. lies weinen unde süflot (: not). K. liest süfton, vgl. Graff
6, 173.
51, 22 scheint der Reim entstellt; es ist wohl zu lesen:
dan ist Ion andir,
wan mit viurinen banden etc.
Die Hs. hat: andir Ion.
52, 11 ergänze ich:
so get des unseren sch[epha3res zorn
ubir] die viande sin.
52, 15. wahrscheinlich
daz ne mach nimmir z[erinnen.
da wonit] got inne.
53, 3 reimt state (Hs. stcete) auf gesatent (Hs. gesatten)', menege
dagegen auf sanges und angist; dreifacher Reim öfter, z.B. 47, 13. 14.
53 , 9. Die Reimzeile ist zu vervollständigen [vil lieben ges]eU.en
(: ervillen).
53, 11. 12. zu ergänzen:
so wirt da michil vroude
[ubir alle die mjenege.
53, 13 lies:
vil wol erchen[nelich.
si] sehent got tägelich.
53, 15 etwa daz er [da sihet] die micheln mandunge.
53, 17. nicht suochen, sondern ruochen wird zu lesen sein.
54, 14 ff. sind zu ergänzen:
daz er enphien[ch dinen slach.] (vgl. 54, 4.)
nu sihe ich wol daz ich enm[ach
dir niht] entrinnen.
nu wil ich widir sin[nen,
dine] hulde wil ich gewinnen;
wiederum dreifacher Reim am Schlüsse eines Absatzes; Karaj an schreibt
suo[c/itu\ statt sinnen.
54, 20. Die unleserliche Zeile ergänze ich :
nu so[ldich daz chundeii] (: gesundet).
280
KARL BARTSCH
54, 24 ergänze ich: nu wil ich mich [selben mögen] : genuoge; vgl.
55, 4 und wil da, mögen den rät; 59, 23 wil ich mögen miniu oren;
Haupts Zeitschrift 3, 523, 133 ttn sunde hegundi rügin. Auch das ver-
stümmelte ruo 54, 25 ist wohl möge', ebenso 57, 11 nu wil ich mo\gen];
vgl. auch 55, 12.
55, 9 ff, sind zu ergänzen:
wände niht enfsümet der tojt;
der nähet aller tägelich.
von [diu furhte ich m]ich.
Nu hilf mir got der [guote
durch willen] diner muoter.
55, 14. Das Reim wort war ohne Frage wi[ben] (: sundirstige) ;
vgl. 60, 2.
55, 16. Das auf gestellet reimende Wort war da er manege [vellet];
auf nezze 55, 16 reimte ge[sezzet. vil] dicke tage joch naht.
56, 4 ist unrichtig ergänzt; lies:
herre, nu [gehöre mich ;
wjande ich dinge an dich;
K. schreibt: [ujiande.
56, 13. 14 ist zu lesen:
[durch] die villäte,
die dir die [Juden täten,
do si] dich marteröten;
wiederum dreifacher Reim am Schlüsse, wie 53, 3. 54, 14. Die drei-
fachen Reime auch in dem von Haupt mitgetheilten Bruchstück (Zeit-
schrift 3, 518 ff.), das er rdie Bekehrung des h. Paulus' nennt, regel-
mäßig am Schlüsse; vgl. Wackernagel, Litteraturgeschichte S. 131,
Anm. 5. Die Übereinstimmung des Bruchstückes Vom verlornen Sohne
mit dem 'Paulus' ist Karajan entgangen; vgl. Wackernagel a. a. O.
S. 99, Anm. 33, S. 163, Anm. 162; aber nicht richtig scheint, wenn
Wackernagel bemerkt, es seien in dem Gedichte von dem verlornen
Sohn einzelne Gebetstellen aus dem Paulus benützt, und wenn er an-
drerseits vermuthet, es möchte das unter dem Namen rS. Paulus' bei
Karajan S. 109 — 112 gedruckte Stück mit dem von Haupt veröffent-
lichten zu einem und demselben Werke gehören. Vielmehr ist der ver-
lorne Sohn und Paulus (richtiger als 'Bußgebet' von Gödeke, Grund-
riß S. 16 bezeichnet) ein und dasselbe Gedicht, denn jenem andern
Paulus fehlen die dreifachen Reime.
56, 17 ist zu ergänzen: die si v[vider der dhu-n] hulde (: sunde).
ZU KAKAJANS SPRACHDENKMALEN DES XII. JAHRII. 281
57, 4 zu ergänzen: noch [in niht entdten (: gewtete) gejnäden durch
den dmen icillen.
57, 6. Das Reimwort auf altäre war herre.
57, 10 zu ergänzen [dö dich die juden vjiengen, oder, wenn dazu
der Raum zu klein ist, [dö si dich gev]iengen; wiederum dreifacher Reim.
57, 18. Das verstümmelte Wort lautete [>nic1i\elen : bestrichen; das
folgende Reimwort vertriben ist nicht richtig, denn es reimt als dritter
Reim auf minne, inne.
57, 20 sind 'zu ergänzen:
Ubirmuot diu ist so getan,
diu [vellet mane]gen man.
diu hat ouch mich ervel[let
unde hat] an mir gestellet
huor unde [ubil geljust
unde andir manich ächust,
[zorn u]nde tob[eheit] (K. tob[esuht])
unde luge vil breit.
58, 2. zu ergänzen: huoch unde [spot. d]anne erlöse mich, got.
58, 13. Das Reimwort war [vorh]ten : worhten.
59, 16 fl*. sind zu ergänzen:
[des man i]ch dich durch die [nagele,
die] dir wurden geslagene
durch [hende jo]ch durch fuozze,
daz sich mine [sele vrowen] muozze.
59, 21 ff. sind etwa zu ergänzen:
der cheisir aller chunege,
der [schephagre d]er himele *),
du geruoche mich [hören.
im \v]il ich ruogen miniu oren.
60, 6 reimte auf riet wohl da was den [ . . . . liep.].
60, 11 — 14 ergänze ich:
So mich ar[me liute
durch dinen] willen bäten
tranch[es unde mazzes,
daz verjnam ich lazze.
si hor[tenz ungerne,
si schieden] danne mit zorne.
*) vgl. Ruolant 1, 1 Sdiephäre allir dinge, chelser allir chuninge.
282 KAKL BARTSCH
61, 14. mac ist nicht richtige Lesung, denn die Handschrift hat
am Schlüsse immer ch statt c; es muß ein Reim aufwar sein, die dritte
Reimzeile ist ganz unleserlich (61, 15).
61, 16. Das Reimwort auf [ver\nam war man (swaz ich sundiger man).
61, 17 lies: si rieten mir genofe, daz [ich daz getcste].
61, 26 reimte auf mine (25) : durh [die . . . pine, die] du er Ute
durch mich.
62, 4—19 entspricht dem bei Haupt 3, 520, 31- 57 abgedruckten;
bei K. 62, 4 mußte daher Rex großen Anfangsbuchstaben haben, denn
vorher geht dreifacher Reim : not, durch diu heil[igez gebot], und Sabddt.
Die ersten Zeilen dieses Abschnittes weichen von dem Rheinauer
Bruchstück ab und können daher mit Hilfe desselben nicht ergänzt
werden.
62, 8 hieß es:
der drie tage be[graben lach,
durch denjselben namen bitte ich [dich].
62, 12 — 13 weichen ebenfalls von dem Rh. Br. 47 — 48 ab und
werden zu ergänzen sein:
[den du durch] unsir not,
herre, a[n dem crüce truoge,
dö du ze] helle vuore.
62, 16 hieß, abweichend von Rh. 54, [e] tninem ende, herre. Die
beiden nächsten Verse bei K. fehlen in Rh. ganz , es reimte u[on . . .
helle und] von den toizzen allen.
62, 17 ist zu ergänzen daz [tuo durch dme] chraft.
62, 19 — 65, 3 gieng in Rh. dem eben erwähnten Abschnitt vorauf,
denn 65, 4 — 19 bilden den Anfang des Rheinauer Bruchstückes 1 — 30,
und was bei K. folgt (65, 20-67, 6) schließt sich in Rh. unmittelbar
an den besprochenen Abschnitt an (V. 58 128).
62, 19 ist zu ergänzen:
Herre got [höre mich,
an dine] genäde dinge ich.
Auf chum 62, 21 reimte wohl und e an [mnte Marjun{\ und dann weiter :
[wände du, heijligir geist,
mich solt behuoten [allir meist
vor] allen minen sunten.
60, 2 ergänze ich:
swie michil [min schult si, -
sost din ge]näde da bi
michil me[re.
ZU KARAJANS SPRACHDENKMALEN DES XII. JAHRH. 283
63, 8 lies:
unde den tievil [bimde
mit diner ge]waltigen hende.
63, 10. Das Reim wort auf vor war daz heilige [tor].
63, 19 lies [oder durch] deheiner sunden gelust (: dehnst).
63, 20 lies daz läzze ubir minen [lip gäii\.
63, 22—24 sind zu ergänzen:
swaz du ge[biutest ubir m]ich,
herre Christ, daz lobe ich,
[ob ich von minem hjeile
nine werde geschei[den].
64, 5 lies:
[daz] si mit himilischer ch[raft
mir wese] immir wegehaft.
64, 8. 9 lies [vergip mir mine] sunte : urstende.
64, 1 1 ff. ergänze ich :
[ich] mane dich diner w[orte,
dö du sprseche fnolo] mortem
peccat[oris . . . ich] wil zwäre,
daz er [sich bekere.
swaz ich] sundigir man
wid[ir dir hän getan],
daz riwet mich vil [sere.
nu gip daz ich mich] bechere.
Nu vergip [mir mine schulde
und] gip mir dine hulde,
lä mich [des geniezzen,
daz] du dich selben hiezze
pastor[em bonum,
den] guoten hirte vronen.
64, 24. nu mohtest du [mich becheren] : sere; dann reimte Miede
(65, 1) offenbar mit schulde, etwa nu riwent mich mine schulde.
65, 4 ff. entspricht, wie schon bemerkt, dem Rh. Br. 1 ff. Aus
diesem ergeben sich mehrfache Besserungen des K. Textes : 65 , 7 1.
domine statt dune', 65, 8 hieß das Reimwort [ow]?ne, K. [] iene; die fol-
genden Zeilen lauteten abweichend von Rh.:
daz eine was Ana[nias,
daz ander Asari]as;
ja sagent uns diu [buoch daz,
daz Misahel der] dritte was.
284 KARL BARTSCH
des viu[res chraft tet in ni]nder we,
ez mohte si [niht enbrennen,
din] engel was mit in darinnen] ;
aber in diesem Texte bleibt eine Reimzeile (ive) ohne Reim; im Rh. Br.
reimt hier Misahel : we. — Rh. 16. 17 fehlen in K. Texte, ebenso 20.
21 (letztere mit Recht); die folgenden Zeilen weichen ab bei K. 65, 15:
nu bitte ich inch [chnaben dri,
daz ir] mir helfnnde sit.
Der dreifache Reim Rh. 28-30 ist bei K. 65, 19. 20 auch vor-
handen; aber indem die Reimzeile Rh. 59 dazu gezogen ist, welcher
Abschnitt sich bei K. hier gleich anschließt. Der Anfang , etwas ab-
weichend, ist bei K. so zu ergänzen:
[so lose] mine sele,
daz si nine brinne sere,
[also du ouch Danijelen
behuotest durch min[ne
vor sinen vianjden grimmen.
66, 6 fi. weicht wieder von Rh. 75 ff. ab und ist zu ergänzen:
daz ouch du mir sist [vergebende
alle mine] sunde,
die ich in al[len stunden
hän gevru]met mit minem libe [ — Rh. 76].
Die Verse Rh. 80. 81 fehlen bei K. wohl mit Recht.
66, 9, etwas abweichend von Rh. 82, hieß für di[ch, htrre, allein e].
66, 11 hieß:
[sie zigen si eines huo]res [Hs. . . res eines)
unde sprächen [daz si des todes] wert waere;
vgl. Rh. 84. 85. Das Folgende stimmt ziemlich genau; Rh. 118—121
fehlen bei K., vgl. 67, 3. 4.
ROSTOCK, im Juli 1862. KARL BARTSCH.
DAS NIEDERDEUTSCHE HILDEBRANDSLIED.
Auf den niederdeutschen Text des Hildebrandsliedes, welches in
hochdeutscher Fassung im Frankfurter (Ambraser) Liederbuch Kr. 207
und in gereinigtem Texte, nach Benützung anderer Drucke, bei Unland
Nr. 132 steht (vgl. S. 1013), hat schon K. Gödeke im Weimarischen
Jahrbuch 4, 11 hingewiesen. Die niederdeutsche Bearbeitung, die im
Wesentlichen nur Umschreibung aus dem hochdeutschen Dialekte ist,
DAS NIEDERDEUTSCHE HILDEBRANDSLIED. 285
bat jedocb mancbes Eigenthümliche; daher ein Abdruck wohl gerecht-
fertigt erscheint. Ich habe durch die Gefälligkeit von Wiechmann in
Kadow eine sorgfältige Abschrift; gebe dieselbe jedoch in orthogra-
phischer Beziehung nicht genau wieder, sondern in etwas vereinfachter
Schreibung, mit Bezeichnung der Längen und mit Interpunktion. Von der
Beschaffenheit der Orthographie kann man sich aus den zwei Strophen,
die Gödeke hat abdrucken lassen, und aus dem nachfolgenden Titel ein
Bild machen : Twe schone hi- | storien Lede, Dat erste j Vati dem Olden
II die- | brande, Dat ander, \ van der eddelen \ Lucretia. || Do se vmme
er ehre quam, \ Do hadde se also grote schäm. | Dat se sich seihtest dat
leiten nam. j Vnd is in des Speten Thone. Es sind 4 Bl. in kl. 8°., o. O.
u. J., 32 Zeilen auf der Seite, die Verszeilen nicht abgesetzt, zwischen
den Strophen keine größeren Räume gelassen. Das Hildebrandslied be-
ginnt auf der Rückseite des Titels, das zweite Lied, dessen Verfasser
Ludwig Binder ist, fängt 3a an.
Die Reime des Hildebrandsliedes sind zum guten Theile nur As-
sonanzen (22. 26. 50. 78. 86. 98. 138. 142), unter welchen folgende
auch in ihrer Ungenauigkeit die hochdeutsche Fassung als die ursprüng-
liche darthun : schermeslage : habe 22 , Didericlc : lef 26, wit : vnf 78,
disch : unbillick 138; vel : disch 142. Ebenso mehrere der genauen Reime:
slac : erschrac 74, rät : hat 126. sagen : erslagen 146. Für die Zeit und
Mundart bezeichnend sind noch die Reime tit : ret (zeit : raii) 130,
schand : la?ü 82, er (ere) : her 154. Dagegen sind als zum Niederdeutschen
neigend zu bemerken der Reim dach (tac) : sach 6, was niederdeutsch
genauer ist als hochdeutsch ; weshalb auch Kaspar v. d. Ron ändert
tag : enpflag. Vielleicht gemach : gesacht (für gesaget) 50, wenn man in
Anschlag bringt, daß in niederdeutschen Denkmälern die Formen ge-
sacht und gelacht oft vorkommen (vgl. über Karlmeinet S. 242); die
andern Texte reimen hier gemach : gesagt, slän (für slahen) : gän 58 ist
zwar auch ein in hochdeutschen Gedichten häufiger Reim, ist aber dem
niederdeutschen Texte eigenthümlich , die andern setzen man : gän.
Endlich roh : spot (hochd. rouch : spot) , wahrscheinlich wegen rdm
Schmutz geändert, das dem niederdeutschen Bearbeiter nicht geläufig
war. Seine Änderung ist allerdings nicht gelungen, zeigt aber, daß er
mehr beabsichtigte als eine bloße Umschreibung, daß er wirklich um-
dichten wollte.
fIck wil to lande üt riden
sprack sick meister Hillebrant,
fde mi den wech dede wisen
to Bern wol in dat lant«
286 KARL BARTSCH
5 he is mi unkunt gewesen
so mengen leven dach;
in twe unde dörtich jären
frow Güde ick nü ensach.
'Wultu to lande üt riden
10 sprack sick hertoch Amelung,
'wat bejegent di üp der heide?
ein sneller degen junck.
wat bejegent di üp der marke?
din sön de Hillebrant;
15 ja redestu sulf twolfte,
van em wördestu angerant.'
'Scholde he mi so anrennen
in einem avermöt,
ick dorchhowde em sinen brünen schilt,
20 dat dede em nummer got;
ick tohowde em sin brunne
mit einem schermeslage,
ja dat he frow Güden
ein jär to klagen habe.'
25 'Dat schaltu jö nicht done,'
sprack j unker Diderick ;
'ick hebbe den jungen Hillebrant
von ganzem herten lef.
du schalt en mi ser gröten
30 al umme den willen min,
dat he di late riden,
also lef ick em mach sin.
Do he den rosengarden üp ret,
wol in des Berners mark,
35 dar quam he in grot arbeit
van einem helde stark,
van einem helde jungen
wart he an gerant:
'wat deistu, olde grise,
40 in mines vaders lant?
19 sin brune. 20 gudt. 21 sin brune schilt. 22 scharmeslage.
2 4 hat. 25 doen. 34 marke. 3 6 starcke. 3 7 junck.
DAS NIEDERDEUTSCHE HILDEBRANDSLIED. 287
Du vorst din hämisch lüter und klär,
recht als ein koninges kint;
du wuld mt, junger helde,
mit senden ogen maken blint.
45 du scholdest to heinie bliven
und hebben ein gut geinack.'
mit einem sn eilen lüde
de olde lachede und sprack:
'Schold ich to heime bliven
50 und hebben ein gut gemack,
van stride und van vechten
dar is mi af gesacht;
van striden und van vechten
üp mine henevart,
55 dat segg ick di, vel junger helt,
dar af gräwet mi min bart.'
rDen bart wil ick di üt ropen
und dar to sere slän,
so dat di jo dat rode swet
60 aver dine wangen schal gän.
din harnasch unde brüne schilt,
dat schaltu läten mi
und bliven min gevangen,
wultu behalden dat leven din.'
65 'Min hämisch unde brüne schilt
heft mi vaken ernert;
ick trüwe Christ van hemelrik,
it wert di hir erwert.'
se leten van den worden,
70 se togen twe scharpe swert;
wat de twe helde begerden,
dat worden se gewert.
De junge brächte dem olden [man]
so einen swären slag,
75 dat sick de olde Hillebrant
van herten ser erschrack.
4S held. 45 tbor. 5 2 gesecht. 6 4 leuent; Gödeke luent.
6 7 hemmelrike.
288
KARL BARTSCH
he spranc liinder sick to rugge
wol söven faden wit.
'nun segge mi, vel junger helt,
80 den slach lert di ein wif.'
'Schold ick van wiven leren,
dat were mi ein schand,
ick hebbe vel ridder und knechte
in mines vaders lant.
85 ick heb vel ridder und gräven
in mines vaders hof,
und wat ick nicht geleret heb,
dat 1er ick överst noch.'
He grep en in dat middel,
90 dar he am smalsten was,
he swanc en under sick to rugge
al in dat gröne gras.
rnu segge mi, vel junger,
din bichtvader wil ick wesen:
95 bistu ein junc Wulfinger,
van mi machstu wol genesen.
De sick an olde ketel rivet,
de entfengt gerne rök;
so hefstu gedän, vel junger helt,
100 hir jegen dinen spot.
nu sprick noch üp din sunde,
din bichtvader wil ick sin :
bistu van des wulves geslecbte,
dat schal baten dat leven din.'
105 'Du sechst mi vel van wulven,
se löpen in dem holt;
ick bin ein edel degen,
geborn üt Greker lant.
min moder het frouw Güde,
110 ein waldige hertogin,
min vader is de olde Hillebrant,
ick hebbe en nicht gekant.'
7 7 minder. 7 9 segg. 80 lerde. 82 wer my eine. 83 ridders.
15 ridders. 9 4 wesen] synn. 104 leuent.
DAS NIEDERDEUTSCHE HILDEBRANDSLIED. 289
fHet din moder frow Güde,
ein weidige hertogin,
115 so bin ick de olde Hillebrant,
de leveste vader din.'
he dede em üp sinen gülden heim
und kussede en üp sinen munt:
fnu mote des got gelavet sin,
120 wi sint noch beide gesunt.'
fOch vader, leveste vader,
de wunden de ick jü heb geslagen,
de wolde ick dremäl lever
in minem hovede dragen.'
125 fnu swich, min leve sone,
der wunden wert noch wol rat,
sint dat uns got albeide
to höpe gevöget hat.'
Dat warde van der nöne
130 wente to der vespertit,
wente dat de junge Hillebrant
to Berne al in ret.
wat vörde he üp sinem helme?
van golde ein krenzelin.
135 wat vorde he an siner siden?
den levesten vader sin.
He vorde en in siner moder hüs
und settede en baven an den disch;
dat düchte siner moder frow Güde
140 gar unbillick [sin].
roch sone min leveste sone,
is dat nicht der eren to vel,
dat du mi einen vangen man,
settest baven an den disch?'
145 fNu swiget, min leveste moder,
ick wil jü niemere sagen,
he quam to mi üp der heide
und hadde mi nä erslagen.
132 Beren. 146 hye mer.
OERMANIA VII.
19
290 KAR], BARTSCH
nu höret, leveste möder,
150 min gevangen schal he nicht sin:
he is de olde Hillebrant
de leveste vader min.
Och moder, leveste moder min,
nn bedet em tucht und er.'
155 dö höf se np und schenkde in
und droch em sulvest her.
wat hadde he in sinem munde?
van srolde ein vingerlin :
dat let he in den beker sinken
160 der levesten frouwen sin.
Anmerkungen. 8. Güde statt des richtigen Ute, das die hochdeutschen Texte
hahen; doch hat auch Kaspar v. d. Eon Gut. ensach, im Frkft. Liederb. ersach, Uhland
gesach; entune hat Uhland 25, enpflag Kaspar v. d. R. 8. Vgl. deutsches Wörterbuch
3, 447. — 14. Hillebrand, diese Entstellung aus Alebrant (bei Uhland i auch im Frank-
furter Liederbuch und bei Kaspar; vgl. noch 27.J13L — 17. besser als im Hochdeutschen,
wo es heißt ja rennet er mich ane, oder rennet er mich denn an; ein kurzsilbiges "\\ ort
als klingende Cäsur gebraucht findet sich noch 5 gewesen, 107 degen, 121 vader, 125. 141
sone. — 19. brüne schilt, ebenso 61. 65, die andern Texte haben grünen schilt'; ersteres
ist die ältere epische Ausdrucksweise , vgl. E.A. 35. 78. Namentlich wird braun von
Schwertern, aber auch von Schilden gebraucht. — 21. Die Entstellung brune srltilt für
brünne hat in etwas anderer Weise das Frkf. Liederbuch, wo es bende heißt. — 24. die
falschen Eeime slag : hat hat auch das 1 rkf. Liederbuch. — 25. Las unorganisch ange-
hängte e findet sich noch in helde für hei t 43. — 29. Die andern Texte bieten: du solt im
freuntlich zusprechen, Kaspar und sprich zu im ein freuntlich wort', vielleicht ist grüßen'
das echte, nur ist mi im niederdeutschen Texte eingeschoben, vielleicht hieß es da schal
en schone groten. 33 üpret, also hochd. auf rait, die andern Texte haben außraiä.
— 36.37. Die audern Texte haben die jüngere Form helden, ebenso im Xom. plur. 71.
— 39. 40 die hochdeutschen Texte : nun sag an, du vil alter, was suchst in meins vaters
land. — 43. 44 lies du, machst mich jungen helden mit sehenden äugen blint. — 47.
Die andern Texte: ob (auff) ainer haißen glute; lüde mag aus glute entstellt sein; aber
der niederdeutsche Bearbeiter verband 47 mit 48 uud verstand: 'mit einem starken Laute
lachte der alte.' — 57. Den ist vielleicht Druckfehler für Diu, die andern haben Dein.
59. swet, Schweiß, Blut' ; auch hier die ältere Ausdrucksweise , wo die hochdeutschen
Texte blut haben. 62. 64 läten mi für iip geven ; din in V. 64 ist offenbar hinzugefügt
und macht den Vers länger als erlaubt ist, derselbe Fall 96 im Frkf. Liederbuch. —
66. 68. Der Text scheint hier richtiger als in den andern; uhland emern : erwern, Frkf.
Liederbuch stimmt 66 mit dem niederdeutschen Texte, 68 mit Uhland. — 101 — 104
abweichend von den übrigen, aber mit dem niederd. Texte stimmt Kaspar v. d. Eon:
nun sag mir her dein peichte , dein priester wil ich wesen pistu ein Wulfing rill eichte,
so mochstu wol genesen; allerdings fehlen bei Kaspar die Verse 23—26. Vielleicht reimte
102. 104 urspr. wesen : leben. — 108. Die andern Texte haben auß Kriechenlanden stolz
< : holz): wenn nicht auch die erste Zeile des niederdeutschen Textes im Beim stimmte,
könnte man vermuthen in dem lant (•. lant). — 111. 112 entstellt: lies so ist Hiltebrant
DAS NIEDERDEUTSCHE HILDEBRANDSLIED. 291
drr alte der liebste voter wein. — lo9. 140 seheinen im niederd. Texte dem ursprüng-
lichen näher zu stehen; nur muß man abtheilen:
dat dulde stner möder
frov. Güde gar unbillich\
die andern Texte : er bot im eßen und trinken, das daucht die muter unbillich. Die Ent-
stellung des Reimes tisch : sin hat auch das Frankfurter Liederbuch.
ROSTOCK, Juli 1862. KARL BARTSCH.
ZU WOLFRAM VON ESCHENBACH
VON
FEDOR BECH.
Parz. 31, 1 — 3 unser vanen sint erkant,
daz zwene vinger uz der haut
biutet gein dem eide].
Der Singular des Zeitwortes Mutet nach zwene finger ist unerhört.
Lachmann hat dazs für daz vorgeschlagen. Wahrscheinlicher ist mir
diu haut für der haut.
P. 80, 6 folg* zegegen kom im gehurtet bt
ein fürste üz Anschouwe
(diu riwe was sin frouwe)
mit üf kerter spitze:
daz lert in jetmers witze\.
In Dgg steht mit üf gecherter Schildes spizze, und dies hätte unbedenk-
lich beibehalten werden können. S/>izze allein, ohne Beifügung von
Schildes oder swertes, wäre undeutlich. Über Umkehren der Waffen,
als Zeichen der Trauer, vergl. Parz. 91, 11 ich sach mtns bruoder wä-
pen tragen | mit üf kertem orte; 92, 1 — 3 si hänt ir schuldes breite nach
jämers geleite zer erden gekeret; 98, 15 die den schilt verkert da haut
getragen; Frommann z. Herbort 15548; MSH. 4, 94 (162 folg.)
tili sivert sach ich der scheide bar | bi dem spizze vüeren hin | diu
banner wart verhöret, | der vleder hie/.c vor im zetal (= Lassb. LS. 2, 325).
P. 145, 4 folg. sin vater was gekleidet paz
ufern tepch vor Kanvoleiz.
der geliez nie vorhilichen sweiz.
im kom ein ritter widerriten.]
Rechten Sinn erhalten diese Zeilen nur, wenn man die Interpunktion
am Ende der dritten tilgt und liest: der nie geliez vorhtlichen siceiz, im
kom etc. Diese Ausdrucksweise ist bei Wolfram ziemlich häufig. Ahnlich
heißt es von Parzival 148, 28 dor Parzivältn worhte, der vreise weide vorhte
und 181, 25 den rehtiu zageheit ie floch, der rebeizte nider unde zoch etc.
19*
292 FEDOlt BECH
P. 151, 24 folg. ir lange zöpfe cläre
die want er umbe sine hanl,
er spancte se Sine türbant.
ir rücke wart kein eit gestabt:
doch wart ein stap so dran gehabt etc.]
Der Überlieferung aller Handschriften zum Trotz hat hier Lachmann
türbant gesetzt. Aber was kann das hier heißen: einen spengen eine tür-
bant? Wie spange (spengelm) dasjenige bezeichnet, welches die ihrer
Spannung nach auseinander strebendenTheile mit Gewalt zusammenhält,
so spengen sw. v. — zusammenzwängen, verschränken, coercere, coniinere,
oder mit Spangen versehen, z.B. j. Tit. 368, 4; 2533, 2; MS. 2, 228,
7; verspengen im j. Tit. 377, 4; überspenge 4412, 2; entspengen 3649, 3;
erspengen Martina 265. 69; dann in übertragenem Sinne: j. Tit. 3647. 3;
Pass. K. 439, 73; 559, 19; Wiggert, Scherfl. 1, 50; verspengen Pass*
K. 466, 40; entspengen 342, 64; sich spengen Pass. K. 211, 15; 366, 11;
Fundgr. 1, 322, 8; sich sp. üf Pass. H. 345. 31; Pass. K. 559, 19;
sich sp. von 243, 45; 517, 72; 675, 83; sich sp. dawider 551, 30;
583, 40; sich sp. in 545, 43; auch spangen findet sich, z.B. Frauen-
lob S. 116, 67, 11; Martina 265, 69 und erspangen 272, 38. Hiernach
könnten die Worte: er spancte se äne türbant etwa bedeuten: er zwängte
sie so sehr, packte sie so fest, daß ihr alles Sträuben nichts half;
es war dieß aber ein spengen mit bloßer Hand, wobei er sich eines
„Spängelbandes" (türbant) nicht zu bedienen brauchte. Weit weniger
gezwungen ist der Sinn , welchen die überlieferte Lesart gewährt : iur
tiwer iure bunt statt türbant. Keie fasst Kunnewaren im Zorn bei ihrem
Haar, indem er ihre langen Zöpfe um seine Hand windet, und versetzt
mit seinem Stabe ihrem Rücken Schläge. Das war , fügt der Dichter
scherzend hinzu, kein kostbares Band Q)orte im Erek 1572), das er
ihr in das Haar wand , kein Eid, den er ihrem Rücken stabte. Auch
Simrock und San Marte halten sich nicht streng an den Lachmann-
schen Text und scheinen mit dem türbant nichts anfangen zu können.
Der erstere übersetzt: er spängte sie ohne Spängelband^ der andere: und
hefteile sie ohne Band und Spange. Über staben vgl. Ges. Abent. 2,
118, 45: die andern mit den gerten \ in slahen zuo der herten \ und mit
den zwigen staben.
P. 155, 12 folg. icibe siufzen, herzen jdmers kratz
gap Ithers tot von Gaheviez,
der wiben nazziu ougen liez].
wtbe siufzen ist schwerlich richtig, wegen der iciben in der dritten Zeile.
Für wibe steht bibes in g; vielleicht hieß es riwe oder ivS siufzen?
ZU WOLFRAM VON ESCHENBACH. 293
P. 165, 26 folg. der wirt in mit im ezzen hiez:
der gast sich da gelabte,
in den barn er sich so habte,
daz er der spise swande vil.]
Es ist unwahrscheinlich, daß der Dichter den jungen P., wie unhöfisch
und ungeschlacht seine Sitten auch noch waren, an der Tafel des Sitten-
meisters Gurnemanz aus einem barn (= Trog, Krippe für Kühe,
Pferde u. dgl.) sollte haben essen lassen. Daß barn aber für „Schüssel"
genommen werden könne, wie es San Marte übersetzt, ist nicht nach-
weisbar; auch mag Simrock so etwas gefühlt haben, denn er umgeht
das Wort, indem er dafür setzt: in don Gaumen schob er sohlte Last,
viel Speise ward zu nicht gemacht. Vielleicht aber ist gar nicht barn,
sondern barn gemeint; bar bare ba>re = gebare gebcere gestus habitus,
wie sich bcerde =-- gebärde findet 115, 11 und 709, 29. Über das Wort
vgl. mhd. WB. 1, 145b und 147b und dazu Leben Christi, herausge-
geben von Pfeiffer in Haupt's Zeitschr. 5, 29, 450: si geloubten daz er
woer | ein got kunee in menschlicher pcer — Lucifer u. Jesus ed. Massm.
in v. d. Hagens Germ. 9, 179; Clara Hätzl. S. 25a, 92: du weizst mich
von des tadeis pdr; v. d. Hagens Germ. 10, 144: an also getaner bere —
als wi drlzich jdr alt weren, und 1 73 : daz dat tier quam an solicher bere
also em,e ein houet gewundet were; Sündenfall ed. Schcenem. 1272: leve
sone, ton hebbe gy al sodene bere?
P. 171, 6 folg. im ist noch wirs dan den die gent
nach porte aldä diu venster stent.]
Für porte, welches D allein hat, lesen die andern Handschriften alle
brote; und dies ist dem Sinne weit angemessener: ihm d. i. dem kum-
berhaften man gehts noch schlimmer als denen, welche vor den Fenstern
ihr Brot suchen, den Siechen und den Bettlern. San Marte sucht durch
Beimischunor eines fremden Zusatzes dem Sinne einigermaßen aufzu-
helfen: er duldet schlimmere Pein als die, die nach der Thüre blind hin-
tappen, wo nur Fenster sind. Wäre porte richtig, so würde man den
Artikel kaum entbehren können. Über die Redensart nach brote gen
vgl. Iwein 3303 : hie gienc ein venster durch die want, da durch rahter im
die haut und leit im üf ein bret ein bröt: daz buozt im die hungers not;
Rechtsb. des Joh. Purgoldt ed. Ortloff S. 292 (92) man sul in mit
nichte läzen not liden ader nach brode gen; Rothe's Chron. Cap. 437:
ich scheine mich noch brote zu gen und ebenso S. 355, Z. 5; vgl. Wig-
gert Scherfl. 2, 9 aus den Sittensprücken des Facetus (15) illius seinen
nunquam panem male quceret; Herbort v. Fritzl. 162, 4 her ginc dö umme
brot in eines betelers wise; 214, 18 her ginc ummebrotvor alle sinen vrundeu.
294 FKDOR BECK
P. 172, 30 ich wil iu mer von wibes orden sagen\. Dieser Vers ist
unnatürlich überladen. Vielleicht hieß es: lät iu mer oder hcert mer
von w. etc.
P. 193, 9 und arger schützen harte vi!]. Lachmann vermutet atger-
8öhützen; aber auch ärher schützen = solche Schützen, die in den per-
friden und ärkern aufgestellt wurden, könnten gemeint sein, vgl. 183,
25 und die Varianten dazu und 351, 28 — 30 dar zuo der zinnen ieslich
mit armbruste ein schütze pflac, der sich schiezens her uz bewac.
P. 197, 24 folg. wie ein phetero?re
mit würfen an in seigte (: neigte),
seigen, sw. v. , factitiv. zu sigen, = sigen machen, so in Haupts Zeit-
schrift 7 , 325 , 1 1 den ast hete vil vaste der wint daruf geseiget und in
Frauenlobs Sprüchen 363, 9 : al durch die wären minne er got sich mensch-
lich zuo uns seigte (-.zeigte -.neigte) u. in d. Elisab. Diut. 1, 482: diu
here keiserlich gewalt, hat sich ir geseiget, ze seltene an geneiget. Besonders
bedeutet es, mit Bezug auf Beschwerung der Wagschale, des Wage-
balken durch Gewichte, = wägen, z. B. Heinr. v. d. Türlin in der
Krone 6218: solt ich sie beide seigen (: gezeigen), disiu wceg s6 verrevür \
daz jeniu vil gar verlür : dann = abwägen, abmessen V. 23780: daz er
(der Zauberhandschuh) daz erzeigte \ und geliche an ir seigte. \ misset <H
u?ide tugent; daher seigccre = Wagebalken, Wage in Parz. 272, 16,
bei Späteren = horologium, Diefenb. 147, Stolle Erf. Chron. 159, 192, 195,
203. Dieselbe Bedeutung bewahrt das Wort seigen auch in Parz. 434,
17: sus kan sin wäge seigen. sin selbe* pris vf steigen und du andern leren
sigen (: wigen , duellis) d h. so weiß seine Wage zu wägen, seinen
Ruhm treibt sie (steiget si üf) in die Höhe, den anderer lässt sie sinken.
Weder Simrock noch San Marte übersetzen hier genau, indem sie es
= sich neigen, sich senken nehmen; es ist vielmehr hier ganz allge-
mein gedacht und umfasst beides : das iif steigen und das sigen leren.
In den Interlinearvers, der Psalm. S. 266 heißt es: äne unrecht lief ich
unde seigete — rihtete — ich = sine iniquitate cueurri et direxi; dahin
gehört auch j. Tit. 1570, 2: an clärheit uz geseiget \ was si die trugelist
da het gescheiden \ von in und 3393 ich hän die üzerwelten in unser schar
geseiget, nach Lachm. Auswahl S. 274 soviel als ausencOhlt. In einer
verwandten Bedeutung wird es von Wurfgeschossen gebraucht, sei es
daß sie von der Hand erst zum Schusse gewiegt oder daß sie mittelst
Schwungmaschinen geschleudert werden, daher = schleudern, werfen
(vgl. wegen im mhd. WB. 3, 62'', 32 folg. ; "in letzterem Sinne ist es
an unserer Stelle zu fassen: als wenn eine Steinschleuder mit ihren
Würfen auf ihn schleuderte, schösse; daher das adj. anseige im Lanzel.
ZU WOLFRAM VON ESCHENBACH. 295
1618: sioie im anzeige der riche ivirt wcere, vgl. Graff 6, 131 «= irruens,
mfestus; ferner Gottfr. Trist. 402, 23: dem (dein Wurfe mit der Stange)
hcete er sine unir.e an der seige und an dem läze rehte in der merke ge-
geben etc., wo seige wohl richtiger mit v. d. Hagen WB. z. Trist.
413 für Schwenkung , Wucht., als mit Groote S. 525 für Neigring ge-
nommen wird. Neben diesen Beispielen finden sich andere , in denen
seigeh wieder in die intransitive Bedeutung von sigen übergegangen ist
so in Heinrich v. d. gemeinen Leb. ed. Diemer 13: omnes declinaverunt:
daz sprichet si liänt sich alle geneiget , er meinet die da habent geseiget
von got ze dem ewigen volle und Wigal. 282 , 8 : sin manheit in niht
ruowen liez, üf den herren Gdwein seiget er = stürzte , schoß, schwang
er sich; und seige, st. f., = occasus solis bei Frauenlob Spr. 272, 7:
diu sänne, ist üf der seige; auch gehört hierher wohl das Adject. seig
und das Subst. seigel st. m. = Sprosse, Stufe, Weist. 1, 13, 2: diu
linener zu dem dritten seigel fliegen mugint und Walth. v. Rheinau 19,
13: do waren die frowen ze dem tempel alomonis komen, da man üf
fünfzehn seigel gie. Das in Myst. 2, 650, 25 vorkommende erseigen in
den Worten we mir wie ist min eilende erseiget halte ich mehr für eine
Ableitung von sihen. Vgl. noch Schmell. 3, 209 — 10.
P. 317, 28 folg. er was riuse und vengec vach,
sin manlichez eilen
kund den pris wol gesteilen,
gest eilen und stellen, im Sinne von nachstellen, auflauern, darnach trach-
ten, hat sonst nur den Dativ oder Präpositionen wie üf, nach, zuo bei
sich. Im eigentlichen Sinne gebrauchen z. B. dieses Wort die Eisenach.
Rechtsbb. ed. Ortloff S. 730 : stellit ein man wilde adir vogiln in sime
zvingarten; Pass. K. 177, 62: kund ir mir ourh zu stellene mit gelubde
Worten; 393, 69: mit geicalt und mit vären wolden si in stellen und ir
leben vellen ; 564, 80: nü wart ir (der juncvrowen) me gestalt von deine
übeln vürsten; 598, 34: sus wart Martind gestalt. Beispiele mit nach bei
Griesh. Predd. 2, 34: der lerer nach dem zerganclichen guote ze vaste
stellet, und S. 62: du stellest nach weltlichen eron unde nach irdeschen
fröuden; Myst. 1. 312, 26; Clara Hätzl. 90, 142; 208, 204; Frauenlob.
Spr. 24. 11 und Schmell. 3, 629; mit »/sieh Boner ed. Ben. S. 463;
Trojan. 14716: er künde in einem w aide wit ein tier vil baz gev eilen denn
üf den Ion g es teilen den fr oicen minne Mutet; Schwanritter 361 ; Walth. v.
Rheinau 46, 41: er was ie gestellende üf reht als ein gewcerer gotes kneht ;
mit zuo Herbort. Troj. 15156: du sah mit dinen gesellen zu irme tode
stellen; Massm. Denkm. 128 36: der lintworm steh dem leioen zuo (:nuo);
Haupt, Zeitschr. 11, 494,55: do man zuo der hochzit stalte; mit enkegen
296 FEDOK BECH
bei Ebernand 2572 : und häte dar enkegen gestalt = dagegen maehiniert ;
— ganz absolut in Eisenach. Rechtsbb. S. 750: wer ein hert machit
unde stellit darftf mit eime garne; Rechsbb. Purgoldts 4, 67: also verre
daz her nim and mit dem jagen, beizen adir stellen schaden tu; Martina
63, 33 : alsus stellit er mit mähte wie er vil menge trahte in bereite sun-
derlich. Eine andere Struktur dieses Zeitwortes in der aus der Waid-
mannssprache entnommenen Bedeutung ist mir nicht bekannt worden.
Daher ist an unserer Stelle wohl der Acc. den pris zu ändern und der
Vers mit 4 Hebungen zu lesen.
P. 388, 1. wer da nach prise wol rite
und nach der wibe löne strite?
ine möht ir niht erkennen^
Besser scheint vol rite, vgl. Erek 8049: daz er benamen vol rite, und
8053: ezn half dehein widerstriten, er wolde vol riten; Gauriel von Mon-
tavel in dieser Zeitschr. 6 , 402 , 66 : dö wart im harte leit daz er mit
in niht vol reit.
P. 424, 3 folg. ich bin des unervmret,
heten si gesch&ret
als ein valke sin gevidere:
da rede ich niht widere.]
Der Dichter redet von jungen Mädchen , welche mit Antikonien —
ganz gegen sonstige höfische Sitte — den tapfern Rittern bei Tische
aufwarteten: solche Schenken, meint er, hatten nicht zu befürchten,
daß sich die Hosennestel lösten ; es waren Jungfrauen in ihren besten
Jahren ; ob sie wie die Falken mit ihrem Gefieder bereits die Maußer
bestanden hatten , darüber will ich nicht streiten. In gleichem Sinne
bedient sich des Wortes schären, schceren Ulrich von Türheim in seinem
Rennewart, sieh die Nabburger Bruchst. von K.Roth S. 123. 11: daz
horte ich etesioanne \ in mlnen lieben jären : | so diu maget beginnet schä-
ren | und entwerfen sich diu brüstel, \ si) bestdt sie ein gelüstel. Dort wird
schären erklärt mit das Haar kräuseln und Simrock übersetzt unsere Stelle :
trugen sie gekraust die Locken. Jedenfalls beweist die Stelle aus dem
Rennewart, daß das Wort von dem Beginn der Mannbarkeit verstanden
werden darf, üb es verwandt ist mit dem von San Marte in dieser
Zeitschr. 2, 87 verglichenen charer = tomber cader e , wage ich nicht
zu entscheiden Dem Sinne nach scheint es dem oft ähnlich gebrauchten
reren sich zu vergleichen, z. B. P. 469, 11: sus rert der ferus rnüze sin;
Willeh. 309 , 27 : so diu erde ir gevidere reret unde si der meie leret ir
muze alsus volrecken; 392, 25: diu cristenheit sich rerte, diu heidenschaft
sich merte (nachgeahmt im Loherangr. 4384); Frauenlobs Lieder. 12, 2:
ZU WOLFKAM VON ESCHENBACH. 297
diu rninne alsam ein vederspil sich müzet, si reret leit und kleidet an sich
rieh gevidere in werndez lief, Üttocar in Massm. Kaiserchron. 2, S. 629
v. 312: st er der krefte gevider rert gein des tödes muze ; davon müze-
rere, z. B. Parz. 170, 18: verschämter Itp , waz touc der mer, der wont
in der müze rer; j. Tit. 494, 2: die da phlegent der tugent miizerere
vgl. 497, 4: ob si beübent sunder mfize reric; 1191, 3: ir jungez herze
pß'ic der muze rere; vgl. auch Georg 4419 folg., dort heißt es von
Alexandrina, welcher durch das Wort des Marias die Brüste wieder
wachsen : der jungen sä zehant die brüste entsprungen, der süezen und, der
clären , als vor zwelif jären woeren gewahsen und niht nie — hie stuont
min frowe diu keiserin als ein müzersprinzelin so ez im vollen kröpfe stät
etc., und Helbling 1, 1075: du hast rehte verwollen (?) als ein müzer-
sprinze; Wolfr. Lieder 9, 17: ein müzervalke, ein terze , dem mac brüst
niht baz dan dir diu dine stän.
P. 429, 27 folg. dar zuo sehs andriu kindelin.
dise ahte jnncherren sin
warn gebürte des bewart,
elliu von edeler hohen art.
Sie wären im durch sippe holt
und, dienden im vf sinen solt.~\
Durch Lachmanns Interpunktion am (Schluß der vierten Zeile ist der
Zusammenhang dieser Worte gestört ; daher auch bei beiden Übersetzern
ungenau übersetzt ist. Des im dritten Verse bezieht sich offenbar auf
den später folgenden parataktisch angefügten Gedanken : si wären im
durch sippe holt etc. Daher ist nach art ein Komma zu setzen. Eine
ganz gleiche Satzverbindung findet sich 582, 23: die edelen mit der
hohen art wären ir zühte des bewart , wan siz mit willen täten, ir süezen
munde in bäten da stenes unz er gceze. Si wären ir gebürte des bewart
bedeutet: sie waren vermöge ihres angebornen Triebes darauf bedacht,
hatten darin einen angebornen Takt, daß sie ihm zugethan waren und
um seinen Lohn dienten. Über das absolut stehende gebürte sowie zühte
vgl. Trist. 255, 18: daz er gebürte ein herre was.
P. 436, 9. man mac noch dicke schouwen
froun Lüneten riteu zuo
etslichem rate gar ze fruo.]
Den Ausdruck zuo ri.ten hilft eine Stelle in der Guoten Frau ed. Som-
mer 225 erläutern: lebte er (— der man) mir niht daune, so xomre ich
ze manne al ze vrüeje geriten , womit zu vergleichen ist ebendas. 2338:
swelch frouwe ze manne gähet, tuot siz äne rät, ob ir danne missegät,
sd muoz siz eine sitzen.
298 FEDOB BECH
P. 454, 15. mit der sternen um bereise vart
ist gepüfel aller menschlich art.]
Wie hier gepüfel, so steht in der Erlös, ed. Bartsch 4598: daz gebofel
ii ml die knehte; gleichwohl hat das nur in D befindliche Wort hier
durchaus keinen passenden Sinn, bessern ohne Zweifel die Lesart der
andern Handschriften gepruovet, vgl. nihd. Wß. 1, 230.
P. 463, 15. do Lucifer fuor die hellevart,
mit schär ein metische nach im wart.}
Was das circumflektierte schär hier bedeuten soll, ist nicht einzusehen ;
auch wüsste ich nicht, was gegen die Interpunktion nach schar, wie
sie Dg hat, einzuwenden wäre. Unbedenklich ist San Martes Über-
setzung: als Lucifer zur Hölle gefahren mit seiner Schar. Vgl. Lanz.
1405: si besfuonden in mit schäm (: gevarn) und 6238 (: varn) ; MS. 2,
S. 82 (21): üf den avper da man die jungen mit schäm siht zuo sigen;
Dietmar in MS. 2, S. 174 (4): der karge vert ze helle und meret dem
tiuvel sine schar (: gar). Der Name Lucifer scheint übrigens, wenn wir
ihn nach heutiger Weise auf der ersten Silbe betonen, nicht recht be-
quem für den Vers, weshalb wohl Lachmann fuor hellewart vermuthete.
Ist's denn aber ausgemacht, daß der des Lateinischen unkundige Wolf-
ram ihn auch so aussprach? Wenn man Rudolf von Ems vergleicht
im G. Gerhard 4337 : und von Lucifers hochvart \ der zehende hör ver-
vellet wart, so könnte man versucht sein, den Hauptton auf die Mittel-
silbe zu legen: alsdann wäre in unserer Stelle ein zweisilbiger Auftakt
anzunehmen.
P. 464, 28 folg. got seihe anilütze hat genomen
nach der ersten meide f ruht:
daz xcas sin er hohen art ein znht.]
Simrock übersetzt gegen den Sinn der Worte: so erwies er hohe Mü-
digkeit, und ebenso das mhd. WB. 3, 938 : das war die Barmherzigkeit
seiner menschlichen Natur; in San Martes Übersetzung erkennt man
den Wortlaut des Textes nicht wieder. Zuht bedeutet hier höchst wahr-
scheinlich foetus soboles proles , vgl. Graff 5, 615—616 und mhd.
WB. 3, 937", 47 folg. Erlös. 189; Heinzelin in der Minne Lehre 164;
Ebcrnand. 735 folg.: wie von dem gotes knehte bequeme ein geslehte, daz
von des edeln Stammes zuht bequeme ein also süzefruht etc. und in Laßb.
LS. 2, 713, 95 heißt es von einer stalten frowen: gert si diu saftic ivur-
zes zuht, uz der diu süeze baisam vruht erbluomet und ersprungen si.
P. 481, 23. so nähn hinzuo ir süezer smac -
dennoch niht sin verrochen mac]
Diese Wortstellung ist sehr auffallend; vielleicht hieß es:
ZU WOLFRAM VON ESCHENBACH. 299
so nahm hinzuo verrochen mac
dennoch niht shi ir süezer smac.
P. 486, 18. und do sd maneger frouwen varwe glänz] , entweder ist
varice zu tilgen oder manecvar frowen glänz zu schreiben.
P. 506, 12. er begreif der linden einen ast,
er sleiz einen louft drube als ein ror.
Simrock : da riß er von dem Lindenast ein Zweiglein nieder wie ein Bohr,
und im mhd. WB. 1, 1047a wird louft an dieser Stelle für Schößling
eines Baumes, Zweig erklärt. Das ist nicht richtig. Louft bedeutet hier
= Bast, Schale, Bastrohr, welches in die Wunde gesteckt werden soll,
um das im Leibe angesammelte Blut herauszuleiten. Vgl. Sumerlat.
16, 28: suber, corte.r, louft vel maser , und Admonter Vocabularius in
Haupts Zeitschr. 3, 379b: suber, rincla, loft; Schmeller 3, 445: lauf,
die Schale, Hülse; vgl. auch das mhd. flintenlauft.
P. 508, 5. der bürge man noch Mute giht,
daz gein ir sturm.es horte niht.]
In G steht horte Sturmes, in d hurte. Ich vermuthe: daz si (dazs) gein
ir sturmes hurte (oder vorhfe) niht. Derselbe Gedanke findet sich 564,
30 : für allen stürm niht ein her go?b si ze drizec jären, op man si icolte
vdren, und Lanzel. 312: si vorhten keinen fremden gast noch deheines
hüneges her, und 4822: daz gezelt stuont unervorht vor aller slahte wetere;
5035: si (diu burc) ervorhte aller manne list so groz niht als umb ein här.
P. 515, 25. iwer unversichert hant mac greifen wol an sma'her pfant.]
Unvers. haut übersetzt Simrock mit ungeschworne Hand, San Marte un-
berufene Hand; beide wohl nicht genau. Gawan hat zuvor Orgelusen
versprochen mit seiner Hand um ihre Minne zu dienen v. 21 ; noch
hatte aber diese Hand keine Bürgschaft, keinen Beweis dafür gegeben,
daß sie das Versprochene leisten, die entgegenstehenden Schwierig-
keiten überwinden werde; von seiner noch unversuchten unerprobten
Hand will Orgiluse nicht angefasst sein. Über die Bedeutung von ver-
sichern vgl. Willen. 189, 3 und 428, 8; ähnlich braucht er sichern Hart-
mann im Erek 6783 : nü häte er ir lip ersichert gänzlichen icol als man
d<r: golt sol Untern in der esse. In dem Dienst, den Gawan der Frau
durch Aufheben auf's Pferd leisten wollte, würde er ein Pfand, eine
Bürgschaft für den zu hoffenden Lohn erblickt haben; davon will sie
für jetzt nichts wissen.
P. 551, 25. solch varwe tuot die wärheit hnnt,
die man sloufet in den munt.]
Von der blassen bleichen Gesichtsfarbe ist die Rede, welche das mit
Weinessig bereitete Gericht entstehen lässt: die Gesichtsblässe verräth
300 FEÜOR BECJB
den, der die Wahrheit verschlucken, verbergen will. Vgl. Fundgr. 2,
45, 21, wo es von Laban heißt: erbes unde scatzes unde aller slahie
nutzes litte er ai (Rachel und Lea) bestozen , liefe si verchoufet , gar in
den munt gesloufet. Wie dort so ist wohl auch hier in den munt sloufen
als ein sprichwörtlicher Ausdruck anzusehen, etwa = verbergen, ver-
heimlichen, vorenthalten. Simrock: solche Farbe thut mit Wahrheit kund,
was gegessen hat der Mund — damit scheint mir der Wortlaut des
Textes nicht zu stimmen.
P. 598, 30 folg. ir sit ouch llht ze sere wunt
üf strites gedense.
daz täte iu we zer gense.]
Daß Orgiluse den schwer verwundeten Gawan mit diesen Worten ver-
höhnen und reizen will, ist klar. Aber was soll daz toste iu we zer gense
heißen? Simrock sagt: Blut lassen macht Euch schwächen; San Marte
umgeht vorsichtig den ganzen Vers; im mhd. WB. wird zer gense
erklärt: neben dem säubern Titel, den ich Euch gegeben (515, 13) habe.
Vielleicht ergiebt sich aus der Vergleichung folgender Stellen das
Richtige. Bei M. und Mooyer Altd. Dicht. S. 45, 104 antwortet eine
Frau einem Ritter, der um ihre Liebe zu dienen ihr verheißt: wo JcSrne
du her, daz dich di gense niht enbizzm? Meister Stolle in MS. v. d. Hag.
3, S. 1 0a : so we dir, arme ritterschaft — — — , sd du gedienes an daz
zu, des wcere zit, daz man dir h l/en solte, so häs'ü gense ertrettet vi/,
und zihen dich du sis ein man, der nieman volgen wolte: also qeheizen
sumelirhe herren vür daz geben: d. h. o ihr bedauernswerthcn Ritter,
wenn ihr mit Euerm Dienen an das Ziel Eurer Wünsche gekommen
zu sein meint, so daß es an der Zeit wäre Euch zu helfen, da beißt es,
ihr hättet doch weiter nichts gethan als Gänse todt getreten, man wirft
Euch vor, ihr hättet niemand recht folgen wollen u. s. w. Ähnlich an
unserer Stelle: ihr seid wahrscheinlich zu sehr verwundet, als daß ihr
euch auf neuen Kampf einlassen könntet, es würde euch weh thun,
wenn ihr's auch nur mit Gänsen aufnehmen solltet. Der Singular und
der bestimmte Artikel in zer gense kann nicht auffallen, vgl. Erek 2042
folg. Über gedense : gense vgl. noch Kellers Erz. 506, 25: ich hän mit
enteu und mit gensen gehabt manig groz gedense\n\ ; im Ring von II. v.
Wittenweiler 53c, 35 : die risen Hoffend her mit ihrem gedens recht sam
die wolf in ander gens; Clara Hätzl. S. 70, 70.
P. 672, 29. swaz ir des habt genozzen,
daz zeiget unverdrozzen.
Ir möht zeinr witwen wol tuon.]
Simrock: ivas dabei sich zugetragen, wnlt davon uns Kunde sagen. Per
Witwe Schaden ziemt Euch nicht. Der Gedanke ist schwerlich in Gawans
ZU WOLFRAM VON EBCHENJ5ACH. 3()1
Antwort beabsichtigt ; auch ist das Wort sivaz dieser Übersetzung ent-
gegen. Gawan bittet vielmehr Artus, daß er den Schaden, der ihm im
Kampfe mit den Leuten der Herzogin von Logroys zu Theil geworden,
sich aus dem Sinne schlagen möge, da sie eine Witwe sei, der wohl
zu thun die Ritterpflicht erheische, vgl. 673, 25 folg. Daher ist wohl
mit Streichung der stärkeren Interpunktion nach unverdrozzen so zu
übersetzen: was euch auch dabei begegnet sein mag, gebt das unver-
drossen zu erkennen, daß ihr bereit seid, einer Witwe wohl zu thun.
Der letzte Satz ist, wie so oft bei Wolfram, parataktisch gebaut.
P. 675, 13 folg. got mit den liuten wunder tuot.
wer gap Gawan die frouwen luot ?
sus sprach Keye in sime schimpf.
daz was gein friunde ein sivach gelimpf.]
Simrock : Gott mit den Leuten Wunder ihut : wer gab Gawanen Frau und
Gut? sprach Herr Kei in seinem Eifer; dem Freund missgünstig war sein
Geifer. So zahm und so wenig beißend kann der auf Gawan im höch-
sten Grade erbitterte Keie unmöglich hier gespottet haben. Schwerlich
wüicb' nach einer solchen Äußerung der Dichter zu einer so einge-
henden Betrachtung über Keies neidischen Charakter übergegangen sein.
Der Scherz war gewiss derberer Art. Ich finde, daß besonders die Worte
frouwen luot darauf berechnet waren. Das sonst selten auftretende luot
scheint mir um so mehr absichtlich gewählt, als es in der höfischen
Umgangssprache schwerlich anders als von gemeinen unedeln Wesen
gebraucht wurde, so der heiden luot, des tiuvels luot, vgl. mhd. WB.
1, 1053, und j. Tit. 2692, 1: sam da ein luot von hunden bestet einen
eber küene (im mhd. WB. 1, 1057b, 44 s. v. lüt aufgeführt); frei von
aller unedlem Nebenbedeutung und ganz allgemein = Schaar, Rotte
erscheint dies Wort erst in der spätem Zeit, so bei Nie. v. Jeroschin,
vgl. Pfeiffer S. 192 h. 1.
P. 570, 17. im dürft mit enUitzen niht] vielleicht ist mir statt mit
zu schreiben; gleiche Verwechselung findet 701, 4 statt.
P. 757, 1. dar wider ein wäpenroc erschein,
rüch gebildet, snevar.]
Buch gebildet gibt Simrock durch rauh gebildet, San Marte durch lang-
haarig wieder. Mir scheint gebildet hier etwas anderes zu bedeuten,
wie ich aus folgenden Stellen schließe: Renner 22713: brisschuohe hosen
gebildet hemde wären im biz an sin ende fremde, und 22719: ouch ica>n
ich daz froun Even gewant lützel bilde hete und valten, 12538: snuore an
rocken, an kitein bilde maclxent meide und knappen wilde ; Parz. 71, 17
heißt es von einem tväfenroc, dessen Zeug gleichfalls im Orient gefer-
302 FEDOR BECH
tigt ist: mit golde er gebildet was ; Lanzel. 4812 von einem %tvrmt: manie
bilde drane was mit starken listen gemacht; Ulrich von Lichtenst. 248,
18: sin roc von einem phelle ivas, da was von golde vf manec tier gema-
chet, daz vil liehte schein; in den Nibel. 347 ed. Lachm. matraze ruhe
— geworht mit guoten bilden, mit golde wol erhaben. Jedenfalls ist hier-
nach gebildet soviel als mit bilden, Figuren versehen: bilde als Bezeich-
nung in der Weberei für figurce intexice verzeichnet auch Frisch 1, 96b
und Mone 8, 256: gebildet duoch ciclas. An unserer Stelle wird
überdies für rüch, welches zu gebildet nicht mehr recht passen will,
ein anderes Wort zu suchen sein: die Handschriften schwanken zwi-
schen räch rieh höh ouch durch: etwa rieh oder weehe? Da das Wort
zu Anfange der Zeile steht , ist möglicher Weise vom Rubrikator ein
falscher Buchstabe, gewählt worden.
P. 789, 14. nü hete diu teile des erbiten.] Hier ist wile persönlich
gedacht, wie Wilewalde, Wilscelde, daher wohl besser diu Wile. Vgl.
Pass. K. 653, 89: swaz mir diu Wile hat beschert, daz ist mir worden
unerwert; Georg 5983 und 5990.
P. 789, 2. graezer wunder selten ie geschach,
stt ir ab got erzürnet hat
daz sin endelosiu trinität
iwerx willen werhaft toorden ist.]
Den zweiten Vers übersetzt Simrock : da Gott erzürnet hat eure Thal :
San Marte: ob Ihr gleich mit Gottes Zorn beladen Euch; beide treffen
aber wohl kaum das Richtige. Vielmehr: größer Wunder ist selten
noch geschehen, seit ihr von Gott mit Eurem Zorn es ertrotzt habt, daß
u. s. ., vgl. Berthold 271,3. ed. Pfeifler: so wil eteliche niht genüegen daz er
in git, und wollen alle got grdz dinc erbiten oder abe ergrinen oder abe
erzörnen nnd sprechest: owe herre, wie hästü mich so gar unscelic er-
schaffen, daz du dem so vil gibest unde mir so wenic. Ebenso zu ver-
stehen ist Parz. 463, 1 : im megt im ab erzürnen niht — ihr mögt ihm
nichts abertrotzen mit Eurem Zorn, wo ebenfalls die Übersetzer den
Sinn nicht richtig wieder gegeben haben; vgl. mhd. WB. 3, 908b, 33.
P. 825, 9 — 10 höfsch, mit zühten wis ein man,
mit triwen milte an dderstoz,
was sin lip missewende bloz.\
Zu dem Ausdruck äderstdz habe ich kein einigermaßen analoges Bei-
spiel finden können; es ließe sich allenfalls darunter das Hervorstehen
der Adern oder sonstige durch die Blutcanäle verursachte Missbildungen
an der Oberfläche des Körpers, vielleicht auch die vom Aderlaß zurück-
gebliebenen Narben verstehen, vgl. Gregor 2749: ich kiuse an den sehen-
ZU WOLFKAM VON ESCHENBACH. ;{().'}
kein deheinen val noch stüz; alsdann aber müsste an äderstdz auf die
folgenden Worte bezogen und das Komma nach milte gesetzt werden:
auch nicht ein unrechtes Aderchen (wie man unterm Volke noch sagt)
hatte er an sich, er war durchaus fehlerlos. Was Simrock sich gedacht
hat, wenn er übersetzt freigebig ohne Aderschlag oder San Marte, wenn
er sagt freigebig ohne Aderlaß , vermag ich nicht zu errathen , gewiss
aber etwas anderes als was Hartmann unter milte äue riuwe im Erek
2734 meint. Indessen das fragliche Wort ist durch unzureichende
Zeugen gestützt; die bessern Handschr. lesen understoz D, unde stoz g,
understoz d: diesen nach möchte an vnderstoz, welches an sich unver-
werflich ist, die echte Lesart sein. Vgl. Servatius 2705 daz der geste
deheiner drunder list oder untriuive stieze) Gotfr. Trist. 365, 12 ]\!elot — ■
halte mit valsrhltcher klage und mit vil arger ähust wol understözen sine
brüst; mit '. fröuden understoze (igroze) im j. Tit. 4840, 2 ; außerdem findet
sich understoz häufig bei Mystikern, meist wrenig verschieden von under-
scheit, z.B. Haupt, Zeitschr. 8, 249, Z. 27; Myst. ed. Pfeiffer 2, 175,
5 — 6; 327,59; 660,19; 677, 14. Gleichbedeutend mit understoz braucht
der Dichter im Willen. 5, 12 underswanz und underreit.
Willen. 2, 4. ouch louft in diner hende
der siben sterne gälten,
daz sin himel wider ruhen.]
Was widervähen (so als ein Wort zu schreiben) in diesem Zusam-
menhange bedeute, lehren folgende Stellen: j. Tit. 2751, 2: der stern
ist vier und drie, die daz firn tarnen tum widervähen (: jähen); Willen. 216,
17: got den luft wol widerveehet; Elisabet in Gratis Diut. 1, 384: da mite
lüde giengen , die weizgot iciderviengen der heiligen gesezze ; Hätzlerin
S. 159a, 596: Frou Minn ist worden bekant , daz man irn orden tue
swachen: daz wolt si widerfachen. In allen diesen Beispielen ist's =
obniti adversari oder enthaldeu , wie Wolfram im Parz. 782, 15 sagt
die — siben sterne — sint des fimuimentes zoum, die enthalden sme snel-
heif, und ähnlich im Willen. 216, 9: got daz firm, an liez unt die siben
plätteten hiez gern des himels snelheit kriegen. Im mhd. WB. finde ich
diese Bedeutung nicht vermerkt. Zu widervanc = Geeenbewescunc; der
Planeten vgl. außer der dort citierten Stelle noch Erlös, ed. Bartsch 116.
Willen. 58, 15 folg. ir gunerten arrazin,
ob bediu hunt unde swin
iueh iriiegen und da zuo diu wip
sus manegen werlichen Up,
für war rnölit ich wol sprechen doch
daz iwer ze vil wae.r da.nnochS\
304 1«'K INHOLD BECHSTEIN, ZU EULENSPIEGEL.
Die Worte sind mir unklar. Vielleicht stund als iezuo oder ahe. nuo
an der Stelle von und da zuo in der dritten Zeile. Dann wäre der Sinn:
ihr verwünschten Sarazenen ! wenn ihr auch lauter Hunde und Schweine
wäret in der Weise als ihr nun streitbare Männer seid, so müsste ich
selbst dann noch bekennen, daß euer zu viel wären ! Wilhelm lässt im
Gefühl tiefster Betrübniss diese Äußerung fallen, als er sich der Sei-
nigen gänzlich beraubt und das Gefilde von Alischanz mit einer un-
absehbaren Menge von Heiden bedeckt sieht.
Willeh. 316, 5. wol gelieret wart daz velt.] Natürlicher ist geher-
berget, wie Itz lesen und wie 319, 21 steht: so beherberget was daz velt.
ZU EULENSPIEGEL.
Im Weimarischen Jahrbuche (V, 479) macht Reinhold Köhler
sämmtliche Historien vom Eulenspiegel namhaft, welche von Hans Sachs
bearbeitet wurden. In dem sechsten Buche der von H. Sachs eigen-
händig geschriebenen Sprüche und Comödien (Deutsches Museum,
neue Folge, 1. Bd. S. 151 ff.) befinden sich zwei Schwanke über Eulen-
spiegel , welche in die Gesammtausgabe nicht aufgenommen sind. In
dem einen, Eulenspiegel auf dem Seil (Nr. 87 des Registers), ist die
3. und 4. Historie benutzt (Lappenberg, S. 5 — 7), doch hat beim
Dichter die Erzählung dadurch eine drastischere Wirkung, daß Eulen-
spiegel die Schuhe der geprellten Zuschauer nicht auf die Erde, son-
dern in das Wasser wirft. Der zweite Schwank, Eulenspiegel mit dein
Schalksnarren im Lande zu Polen (Nr. 88 des Registers), ist die
23. Historie (Lappenb. S. 31). Hier findet sich in der Darstellung
größere Übereinstimmung , welche sich selbst auf einzelne Worte
erstreckt.
LEIPZIG. REINHOLD BECHSTEIN.
BENEDIKT GREIFF: ZU WEKNHER'S MARIENLEBEN
ZU WERNHER'S MARIENLEBEN.
Aü( rSBURGER BRUCHSTÜCKE.
HERAUSGEGEBEN
VON
BENEDIKT GREIFF.
Ein günstiger Znf'all setzt mich in den Stand, die Zahl der bisher
bekannten Fragmente vom Marienleben des Priesters Wernher durch
Mittheiluno- der folgenden zu vermehren.
Die vollständige Handschrift, von der diese Fragmente herstam-
men, muß ehemals der Bibliothek eines Klosters oder eines Stiftes des
Kreises Schwaben und Neuburg angehört haben, denn anders lässt sich
ihr Vorhandensein auf der königlichen Kreis- und Stadtbibliothek in
Augsburg nicht erklären. Noch bestimmter geht dies aus dem Inhalte
der Federproben hervor, welche ein Klostergeistlicher theils am Rande,
theils mitten im Texte dieser Fragmente angebracht hat*), und die es
außer Zweifel stellen , daß diese schöne , in jeder Beziehung höchst
beachtenswerthe und vielleicht älteste Handschrift dieses Marienlebens
schon im 15. Jahrhundert dadurch ihren Untergang fand, daß sie aus
Unkenntniss und Geringschätzung der unbarmherzigen Hand des Buch-
binders überliefert wurde, der sie für seine Zwecke zerschnitt, oder
wenn es gut gieng, ihre losen Blätter zu Buchdecken verwendete.
Diesem letzteren Umstände verdanken wir die Erhaltung von noch
vier Pergamentblättern dieser Handschrift , die ich , jedoch bereits von
den Buchdecken abgelöst, unlängst auf der hiesigen Bibliothek, wo sie
wohl mehr denn 40 Jahre verborgen lagen , wieder aufzufinden so
glücklich war. Ich sage so glücklich war; denn selbst der fragmenta-
rische Fund des ursprünglichen Textes eines so alten mhd. Gedichtes
— und als solchen kündigt sich der Text dieser Augsburger Fragmente
beim ersten Blicke an — ist gewiss ein glücklicher zu nennen. Jeden-
*) Z. B. : „In honore beatissime marie Virginis iubilemns dno. Venite cxultemus
dno iubilemns deo salvatori nostro" etc.
„Nativitas tua dei genetrix Yirgo gaudium annunciavit vniverso mundo , ex te enira
ortus est sol iusticie, xpe domine, qui solvens maledictionem, dedit benedictionem."
„Gaudent in celis anime sctorum qui xpi vestigia sunt secuta et quia per eius
amore sanguinem suuni fuderunt ideo cum xpo gaudent omnes sancti, amicti stolis albis
secuntur agnum" etc.
Alles ohne Interpunction und mit den dem 15. Jhd. eigenen Abbreviaturen ge-
schrieben.
GERMANIA VII. 20
;>,,,(} BENEDIKT GREIFF
falls ist daraus ein wissenschaftlicher Gewinn zu erwarten, und darum
eine Veröffentlichung derselben im Interesse der Wissenschaft geboten.
Kein Zeitpunkt könnte hiefür günstiger sein, als der gegenwärtige,
wo die im Deutschordens-Archive zu Wien durch B. Dudik unlängst
entdeckte zweite vollständige Handschrift dieses nach des Dichters
eigener Angabe im Jahre 1172 abgefassten Marienlebens *), so wie die
von K. Bartsch und Mone aufgefundenen Fragmente desselben von
neuem die Aufmerksamkeit der deutschen Philologen und Literarhisto-
riker auf dieses früher vielfach besprochene Gedicht gelenkt haben.
Anregung hiezu gab vor allen Bartsch in seiner gründlichen Recen-
sion über die von Julius Feifalik herausgegebene Wiener Handschrift**).
Bereits sind durch ihn die Untersuchungen so weit geführt, daß es
sich nunmehr um eine feste und sichere Bestimmung des gegenseitigen
Verhältnisses der verschiedenen Textesrecensionen und um eine darauf
gegründete Herstellung eines möglichst ursprünglichen Textes handelt.
Überzeugt, daß gerade der Text der hiesigen Fragmente um sei-
ner ausgesprochenen Originalität willen zur Lösung dieser Fragen we-
sentlich beizutragen vermöge, sei er hiemit um der gegenseitigen Ver-
gleichung willen in diplomatisch getreuem Abdruck der Öffentlichkeit
übergeben.
Die nachfolgenden Bemerkungen beabsichtigen, einiges zur rich-
tigen Würdigung dieser Fragmente beizutragen.
Betrachten wir zu diesem Zwecke zunächst die Handschrift
selbst.
Sie weicht hinsichtlich des Formates von den bisher bekannten
Handschriften und Fragmenten darin ab, daß sie Groß- oder Hoch-
Quart ist.
Der Schreiber derselben, ein Meister in der Kalligraphie, hat auf
ihre Ausstattung eine besondere Sorgfalt und Liebe verwendet. Eine
solch reine, zierliche und zugleich correcte Handschrift kann nur aus
einem Kloster hervorgegangen sein, mit dem eine Klosterschule ver-
bunden war, in der man nach vorausgegangener langjähriger Übung es
zu solcher Fertigkeit in der Kalligraphie brachte und solche Kalligra-
phen zu bilden verstand.
Sieht man sich aber am Ende des 12. und im Anfang des 13. Jahr-
hunderts in den Klöstern des Kreises Schwaben und Neuburg um, so
*) Sie erschien unter dem Titel: Des Priesters Wernher driu liet von der maget.
Nach einer Wienerhandschrift mit den Lesarten der übrigen herausgegeben von Julius
Feifalik. Wien 1800.
**) Sieh Germania 6, 117 ff.
ZU WEENHER'S MARIENLEBEN. ;^)7
sind es höchstens zwei, die dieses Lob beanspruchen können, das Be-
nediktiner Stift Sanct Ulrich und Afra in Augsburg und das Kloster
Ottobenren.
Von dem erstem wissen wir bestimmt, daß diese Kunst sogleich
mit der Gründung im Jahre 1012 in dasselbe durch Mönche aus Te-
gernsee und Sanct Gallen, die darin für die ersten Meister galten, ein-
zog und fortan eifrigst gepflegt wurde. Nicht so zuverläßig möchte das von
dem Kloster Ottobeuren nachzuweisen sein , dessen Handschriften bei
der Säcularisation leider sehr zerstreut wurden, so daß die hiesige
Bibliothek nur zwei ältere lat. Codices aus demselben besitzt*), wäh-
rend weitaus die größte Anzahl des hiesigen Handschriftenschatzes **)
aus dem Kloster Sanct Ulrich und Afra stammt. Es dürfte demnach
nicht allzu gewagt erscheinen, wenn wir aus diesen und später noch
beizubringenden Gründen den Schreiber der Handschrift in diesem
Kloster suchen.
Diese Quarthandschrift bestund aus Lagen von 8 Blättern von
dickem, sammetartigem, rauchig gelblichem Pergament. Die erhaltenen
Fragmente gehörten dem ersten Quaterne an und bildeten darin die
Blätter 2, 4, 5 und 7. — Blatt 7b hat bei der Ablösung Schaden gelitten,
weshalb der Text nur theilweise zu entziffern war. Der Gesammttext
dieser 4 Blätter umfasst 581 Verszeilen ***), welche aber nicht abgesetzt,
sondern fortlaufend wie Prosa geschrieben sind , jedoch so , daß die
einzelnen Verszeilen durch Punkte bezeichnet werden.
Wegen des auf allen Seiten freigelassenen breiten Randes enthält
jede Seite nicht mehr als 27 Zeilen. Die größern Abschnitte des Ge-
dichtes beginnen abwechselnd mit rothen, blauen und grünen, zwei,
bisweilen drei Zeilen hohen Anfangsbuchstaben, während die Anfangs-
buchstaben der kleinern nur abwärts roth durchstrichen sind.
*) Und selbst von diesen ist nicht bestimmt nachzuweisen , ob sie unmittelbar
ans dem Ottobeurer Kloster in die hiesige Bibliothek gekommen seien.
**) Derselbe findet sich verzeichnet in: G. C. Mezgers Geschichte der vereinigten
königl. Kreis- und Stadtbibliothek in Augsburg. Augsburg 1842. S. 53 — 128.
***) Nach der Berliner Handschrift, herausgegeben von Hoffmann im 2. Bande seiner
Fundgrube, vertheilen sie sich in folgender Weise:
I. Seite 148, 37 bis Seite 150, 21,
II. Seite 152, 14 bis Seite 155 und
III. Seite 158, 1 bis Seite 159, 27.
Nach der "Wiener Handschrift, herausgegeben von Jul. Feifalik, bilden sie :
I. 130 — 240
II. 3fi4 — 622 und
III. 775 — 909.
20*
:^,)g BENEDIKT GREIFF
Der Schreiber kannte keine Abbreviaturen *), keine Interpunctions-
noch Theilungszeichen. Accente zur Bezeichnung langer Silben kommen
höchst selten vor , und wo sie gesetzt sind , scheinen sie von einer
spätem Hand herzurühren.
Er kannte ferner keine Schluß-.1?, sondern an- wie aus- und in-
lautend nur langes /, und keine Punkte über dem i.
v und u wechseln, doch ist v vorherrschend.
Selten schreibt er statt des gewöhnlichen r das sogenannte fran-
zösische i, und das nur nach dem Vocale o, also: ot.
Wie die eben angegebenen Merkmale, so deuten namentlich auch
der runde Ductus der mit einem scharfen abschneidenden Querstrich
versehenen Buchstaben (gothische Minuskel), so wie der Charakter der
farbigen großen Anfangsbuchstaben eher auf einen Schreiber des 12.
als des 13. Jahrhunderts.
Während schon zu Anfang des 13. Jahrhunderts in Folge der
höfischen Epik nach Veldeke's, Hartmann's etc. etc. Vorgang ein
großes Gewicht auf die Technik des metrischen Baues, auf kunstvolle
und genau gemessene Verse und reine Reime gelegt wird, finden sich
dao-eo-en im Texte unserer Fragmente Schluß- und andere Verse mit
5, 6 und mehr Hebungen , so wie eine überwiegend große Anzahl as-
sonierender Reime, welche im 13. Jahrhundert strenge verpönt waren**).
Würde demnach die hiesige Handschrift dem 13. Jahrhundert ange-
hören , so ist wohl mit Gewissheit anzunehmen , daß entweder vom
Schreiber oder von einer andern kundigen Hand diesen groben Ver-
stößen gegen die höfische Epik durch Auflösung der Assonanzen und
Umwandlung in regelrechte Verse würde abgeholfen worden sein, wie
das beim Wiener Codex nur zu sichtlich der Fall ist.
Einen weitern Beweis für das höhere Alter und die Ursprüng-
lichkeit des Textes der hiesigen Fragmente finde ich, im Gegensatze
zu Feifalik, in den von ihm sogenannten Erweiterungen des Tex-
tes unserer Fragmente gegenüber der Einfachheit und Kürze, um derer
willen er dem Wiener Codex die erste Stelle einzuräumen sich verleiten
ließ und aus diesem Grunde in demselben, den übrigen gegenüber,
die ursprünglichste und ächteste Fassung erkennen zu müssen glaubte.
*) Ausgenommen vn und dz, und daß u nach w fehlt, wie : weher, icnder.
**) Z. B. : 8 u. 9. rede : wege. 26. blome : röwe. 28. michel : sicher. 30. svn : wi-
stnm. 36. sele : here. 44. anger : stangen. 88. getruben : genügen. 90. lere : sele. 106. Jacobe
: hohe. 145. übe : frasüme. 233. gäbe : beneme (für gäbe wohl gäbe zu lesen) etc.
Auf ±20 Verse 54 Assonanzen; demnach auf 8 Verse je ein assnnierender Reim.
ZU WEKNHER'S MAKIENLEBEN. 309
Diese Erweiterungen sind nicht etwa Zusätze einer spätem Zeit, son-
dern ursprünglich und vollberechtigt, denn sie enthalten historische
Hinweisungen auf kirchliche Zustände des 12. Jahrhunderts.
Recht deutlich zeigt sich dieses, wenn wir 46 — 48 und 72 — 84
betrachten. In beiden Stellen eifert der Dichter gegen den irretuom,
d. h. gegen ketzerische Lehren. Er bezeichnet dieselben allgemein als
manichäische Irrthümer. In der That aber meint er damit die vom hl.
Bernhard von Clairvaux im Jahre 1140 ausgegangene Opposition gegen
das Dogma, von der Conceptio Immaculata Deijarae, die auch zu seiner
Zeit noch viele Anhänger zählte. Als ein orthodoxer Priester tritt er
darum als Polemiker für die Kirche in die Schranken und will durch
seine Dichtung dem Dogma zu Geltung und Ansehen verhelfen.
Nur von diesem Gesichtspunkte aus, meine ich, erhält die Stelle
ih weiz dez tiwiles strit
diche winthalsen glt,
bozes nit becchen
aitergez hecchen
der vnwirdischen diet
daz sie schelten div liet,
div in wislicher ahte
vergelten niemen mähte
mit grozim göte widerwegen.
ih waene sie den floch vvr den segen
von gote enphahent
die sih daran vergahent (= 55 — 67)
ihre richtige Erklärung, Sinn und Bedeutung. Nur auf diese Weise
kann man sich die Polemik des Dichters erklären und sie berechtigt
und zeitgemäß finden. Um diesen Zweck zu erreichen, wendet er sich
zunächst an den geistlichen Stund in den Klöstern und widmet diesem
seine Dichtung — Mönchen und Nonnen —
dz si ez alle mvzen lesen,
die gotes kint wellen wesen;
vn och mvzen scöwen
phaffen vn frowen. (= 10 — 13)
Fragt man sich nun. was den Abschreiber oder, besser gesagt,
den Überarbeiter der Wiener Handschrift bewogen habe , diese polemi-
sierenden Stellen auszulassen , so wird die Antwort einfach nur dahin
lauten können , er fand diese Polemik zu seiner Zeit , wo das Dogma
wieder zu Geltung gelangt war, nicht mehr zeitgemäß und am Platze.
Zu Anerkennung gelangte es aber erst um die zweite Hälfte des
310 BENEDIKT GEEIFF
13. Jahrhunderts, wesshalb Pfeiffer und Bartsch auch schon aus diesem
G runde in vollem Rechte wären, wenn sie der Überarbeitung des Ma-
rienliedes, wie sie in der Wiener Handschrift vorliegt, ihre Stelle erst
in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts anweisen.
Daß der Benediktiner Orden bereits im 12. Jahrhundert
einen besondern Eifer und Thätigkeit für Aufrechthaltung dieses an-
gefochtenen Dogmas entwickelt habe, ist eine bekannte Thatsache.
In den Klöstern dieses Ordens, wo man vor allem bemüht gewesen
sein wird, sich möglichst bald Abschriften des Wernherschen Marien-
lebens zum Vorlesen zu verschaffen, wird man auch die ältesten Hand-
schriften dieses Gedichtes zu suchen haben. Aber kaum dürfte das
irgendwo früher der Fall gewesen sein, als in dem Stifte St. Ulrich
und Afra, dessen Äbte mit den Augsburger Bischöfen , gerade zu der
Zeit, wo Wernher sein Marienlied dichtete, wetteiferten, den der Ver-
ehrung der hl. Jungfrau geweihten Festen durch eine erhabenere Feier
und glanzvollere Begehung derselben eine höhere Würde und kirchli-
ches Ansehen zu verschaffen. Zum Belege für diese Behauptung ver-
weise ich auf die unten angeführten Stellen , welche ich dem : ,Cata-
logus Abbatum Monasterii S. S. Udalrici et Afrae Augustensis' des
Fr. Wilhelm Wittwer (Ende des 15. Jahrhunderts) entnommen habe.
Sie finden sich im 1. Hefte des 3. Bandes des , Archivs für die Ge-
schichte des Bisthums Augsburg vom Domcapitular Anton Steichele' *).
Und diese Wahrnehmungen sind es vorzugsweise, die mich bestimmten,
diese Handschrift gerade einem Schreiber dieses Klosters zuzuweisen
und zugleich darin einen weiteren Beweis für das höhere Alter und
die Ursprünglichkeit derselben zu finden.
Ich habe oben unter den Vorzügen der hiesigen Fragmente na-
mentlich die Correctheit derselben hervorgehoben. Wenn ihnen
hierin keine der übrigen Handschriften und Fragmente gleichkommt,
so sind sie doch auch nicht ganz frei von Schreibfehlern, z. B. 34. not-
dufte. 224 clayelige. 244 maisterscehfte. 245 gemdichate. 259 sehnt für
seid, 315 gesvrdert für gesundert, 317 wolle für volle. 320 u. 322 be-
gnüge, während anderwärts begunde etc. etc. Es sind ihrer aber im
*) So klagt Abt Udalscalcus f 1148: 'Serpunt exsangues haeresis vel scismatis
angues, Exacuunt dentes perversum dogma tenentes.' Und von Abt Udalrich de Castro
Biberbach f 1176 heißt es: 'Hie diein annunciationis b. Marias Virginis in sumniis cele-
brari jussit.' Und Abt Hainricus f 1 183 : 'Conceptionem' sive festum Sancte Dei gene-
tricis Marie consilio et hortatu fratrum et auetoritate et preeepto Domini Conradi , Ar-
chiepiscopi Moguntini, et voluntate Udalscalci, Episcopi Augustensis, celebrem apud noe
et nustro monasterio in summte celebrari jussit.' a. a. O. Seite 10H. 131. 144.
ZU WERNHER'S MARIENLEBEN. 311
Ganzen so wenige und so unbedeutende, daß ich füglich darüberhätte
hinweggehen können, wenn nicht der gewichtige Umstand damit ver-
bunden und zu erwähnen wäre, daß mehrere derselben von einer gleich-
zeitigen und wie es scheint andern Hand theils durch überschriebene
Buchstaben verbessert, theils durch unterschriebene Punkte angedeutet
worden sind. Offenbar liegt diesen Verbesserungen das löbliche Be-
streben zu Grunde, eine möglichst getreue Copie von dem originalen
Texte der Vorlage zu erhalten. Wie nun, wenn die Vorlage das Ori-
ginal des Dichters gewesen wäre? Der Fleiß und die Liebe, die der
Schreiber auf die schöne Ausstattung der Handschrift verwendete, die
Gewissenhaftigkeit und Treue, wTomit er sie copierte, so wie die bes-
sernde Hand lassen eine derartige Vermuthung zu.
Um so auffallender ist es daher, daß die von K. Bartsch auf-
gefundenen Fragmente, die, wie die Vergleichung zeigt, zweifellos auf
die Benützung einer und derselben Quelle wie die hiesigen zurück-
weisen, so sehr an Incorrectheit leiden*).
Es zeigt sich indess bei näherer Prüfung bald, daß diese Mängel
ihren Grund nur in der Handwerksmäßigkeit und Gedankenlosigkeit
des Abschreibers haben. Man vergleiche beispielsweise nur folgende
Stellen :
Augsburger Fragmente: Bartsch's Fragmente:
183. von siner wnneclichen chouen : von siner wunneclichen cronen.
199. vn ain scahte der gar vers windet: und ein schade der gar verwindet.
208. harte chelte sie ir lip : harte hilt sie den lip.
324. ir sin vor en wedele: ir sin fuor als ein wedele.
325. sam von dem winde daz löp: tut vor deme winde daz Ioup.
561. din tohter ist her un wich: di tochter ist herlich.
562. ir ne wart nie niemen gulich: ir wart nie kein vrowe glich.
Der Text des Docen sehen Fragmentes (B) hat bisher für
den ältesten und ursprünglichsten gegolten. Bartsch hat ihm deswegen,
wo er sich in der Germania a. a. O. über das Verhältniss der ver-
schiedenen Textesrecensionen ausspricht, die erste Stelle neben seinen
Fragmenten (C) angewiesen **), und Hoffmann will (Fundgruben 2. Bd.)
in ihm so^ar das Orio-inal des Dichters erkennen. Nun stimmen aber
sprachlich wie orthographisch die hiesigen Fragmente mit dem Docen-
schen Texte vielfach zusammen.
*) Ich konnte diese Vergleichung nur nach dem Nachtrage anstellen, in welchem
Feifalik S. 189 ff. die Lesarten dieser Fragmente mittheilt. Es kommen dabei 401 — obM
und 813 — 887 in Betracht.
**) Sieh Germania 6", 117.
312 BENEDIKT GKEIFF
Ich mache nur auf den Gebrauch der 3. Pers. Plur. Prses. Indic.
auf ent aufmerksam, wie: habetit, werent; auf stvnt für stutit; ferner
auf den Gebrauch von : nehein, seltsceite, und auf die Stelle 58. 59 :
niemen mohte ir sin
errechen noh irgrunden
verglichen mit 14. 15 der Augsburger Fragmente.
Bezeichnen wir demnach die Augsburger Bruchstücke mit E , so
wird es nach dem bisher Gesagten wohl nicht beanstandet werden
können, wenn wir ihnen ihre Stelle neben B und C anweisen und das
Yerhältniss also bestimmen:
B C E
/ ~\
A D.
d. h.:
B Docens Fragment; C Mones und Bartschens Fragmente; E die
Augsburger Fragmente ; D die Berliner Handschrift und A die Wiener
Handschrift.
B, C und E der ursprüngliche Text, D und A spätere Überarbei-
tungen desselben. A noch später als D.
D wahrscheinlich aus derselben Quelle wie C und E entsprungen,
aber mitunter freier verfahrend und den älteren Text und seine volleren
Formen mehr der höfischen Sprache des 13. Jahrhunderts angepasst,
was in A in noch ausgedehnterem Maße der Fall ist.
Daß den hiesigen Fragmenten eine solche Stellung gebühre, wird
sich noch deutlicher herausstellen , wenn wir noch Einiges über die
Schreibweise und andere Eigenthümlichkeiten derselben
bemerken.
Ehe wir aber näher darauf eingehen, wird nöthig sein, einen Blick
auf die Zeitumstände zu werfen, unter denen \\ ernher sein Marienleben
dichtete.
Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß zu seiner Zeit der ge-
waltige Umbildungsprocess, der bereits seit Mitte des 11. Jahrhunderts
auf dein Gebiete der deutschen Sprache vor sich gieng, und dessen
Wesen man als ein Bestreben und eine Neigung bezeichnen kann, die
alten volltönenden Flexionsendungen und Formen abzuschwächen und
abzuschleifen und dadurch die geschmeidiger und biegsamer gewordene
Sprache aus den Fesseln des sie bisher beherrschenden Dialektes zu
befreien, zwar große Fortschritte gemacht ' hatte , aber doch noch
nicht zum völligen Abschluß gekommen war. Die Zähigkeit, womit
das Volk am Alten und Hergebrachten festhält und sich seinen Dialekt
ZU WERNHER'S MÄKIENLEBEN. 313
zu bewahren sucht, setzt der Entwicklung einer neuen Sprachbildung
so gewaltige Hindernisse entgegen, daß wir uns ihren Verlauf nur als
einen langsamen und stufenweisen werden zu denken haben.
Ein Dichter nun, der einer solchen Übergangsperiode angehört
und dadurch so zu sagen in eine Art Doppelstellung geräth , wird,
zumal , wenn er wie Wernher ein Volksdichter ist *) , in die Lage
kommen , der alten und der neuen Zeit Rechnung zu tragen. Denn
wenn es auf der einen Seite keinem Zweifel unterliegt , daß Wernher
der höfischen Sprache, so weit sie sich damals ausgebildet hatte, voll-
kommen mächtig war, und durch Versbau und Reim beweist , daß er
mit den Gesetzen der neuen Sprachbildung gut vertraut war , so sah
er sich doch, wenn er die Bildungsstufe des Volkes betrachtete, für
das er dichtete, und wahrnahm, wie ferne es noch der neuen Sprach-
bildung stand, in der Anwendung des neuen Gesetzes vielfach beengt
und wie die Prediger seiner Zeit genöthigt , nach altern volltönenden
Formen und alterthümlichen Wörtern zu greifen und dem Leser zu lieb
dem Dialekte zu huldigen. Im Allgemeinen nun folgt der Dichter der
mhd. Schreibung, weicht jedoch in vielen Punkten von derselben ott
wesentlich ab.
1. Zunächst machen wir die Bemerkung, daß bei ihm, wie in
dem Speculum ecclesiae und in andern Predigten aus der Mitte des
12. Jahrhunderts, der Umlaut noch nicht durchgedrungen ist; z. B.
75. chose : hose, 128. choren : hören. 233 gäbe : beneine. 343. icurde: bürde.
345. brüsten : lusten. Und außerhalb des Reims: 82. durrin. 228. mvze
für mueze (Grimm 1, 962). 260. zäheren. 21 h. frolichen. 319. anflühte.
337. gemute etc. etc.
2. Noch waltet bei ihm an- wie auslautend vielfach das ahd. i
für tonloses e vor. 14. irgrunden. 16. irchos. 34. irseein. 40. tiewil.
81. gesagin. 91. gehelfin. 97. tievelis (Gen.). 170. gezellin (Inf.). 192. wesin.
293. natir. 296. mütir etc. etc. und im Reime: 219. verderbit : irsterbit.
255. irderret : besperret. 293. slichet : irgriffit. Tonloses e ist, wo es ge-
braucht ist, durchaus geschrieben.
3. Zeugniss von dem Festhalten an alten Formen und Flexions-
endungen geben auch die öfters gebrauchte 3. Pers. Plur. Prses. Indic.
auf ent , wie : 66. enphahent : vergahent. 288 mainent : swairnent. 299.
fliezzent : geniezzent; und besonders auffallend: ir mugent, was schwä-
bisch-alamannischen Ursprung verräth.
*) Vgl. v. 2505 ff. und 2555 ff. der Wiener Handschrift.
314 BENEDIKT GREIFF
4. Dahin kann man auch die vollen Praeterita rechnen , wie :
213. gesegendte : dorrote. 205. gelaidegdt : tot. und 121. wunderote, so wie
die alterthümlichen Dative: 14. vppigeme und 170. vnserme und den
Acc. Plur. iungide.
5. Wie die eben besprochenen Flexionsendungen aufgrci, so deutet
noch mehr die constante Schreibweise der anlautend mhd. Muta h
durch cli auf alamannischen Ursprung. 2. chos&n. 15. chinde. 38. chetene.
45. chorder. 57. dicke. 93 und 340. ckundeck, chundende. 121. stärclie.
357. chunne. 126. aneblicke : dicke etc. etc. Doch 11. &m£ 21. Tdndelin
und vor Liquida c/atV*. 32. cra//!. 288. m'ggft. 304. Es ist dieses ch nicht
die gutturale Spirans ch , sondern , wie R. v. Raumer bewiesen hat,
gutturale Muta -f- gutturaler Spirans == khh, der rauhe Guttural ala-
mannischer Kehlen. (Vergleiche R. v. Raumer's Aspiration und Laut-
verschiebung S. 34 sqq. und besonders §. 51.)
6. Auslautend nach Vocalen ist k die gutturale Spirans , das
uhd. ck; z. B. ICO. 224. sprak, aber 277. sprack. Ebenso dih und dick 68.
149. genuch : trvk. 263. genihte : geblickte. In der Regel nur: mik, dik, sik,
und 381. doli, und 283. durk. (Vgl. Grimm 1, 189 und 116.)
7. Zu den Eigenthümlichkeiten der Schreibweise gehört es auch,
daß anlautend für mhd. // und sek stets ph und sc gesetzt ist.
z.B.: 13. phajfen. 37. pkalnze. 66. seepkare. 109. enphahent. 437, opkernde
etc. 12. scöwen. 34. irseein. 71. scraib : vertraib. 96. kuidenscefte. 173.
scriben etc. etc. Aber auch — doch ganz selten — sek, z. B. 1. vrsekin
und 61. schelten (Verbum); aber 177. scelten (Substantiv).
8. Als alterthümlich darf gleichfalls die consequente Durchfüh-
rung des Gesetzes der Negationspartikel ne bezeichnet werden, wor-
über ich auf Wackernagels Abhandlung in HoffmamTs Fundgruben
verweise.
Was die Vocalisation betrifft , so muß vor allem als abwei-
chend bezeichnet werden :
9. Die Schreibung ai für mhd. ei; z. B. : 32. claine '. alter saine
54. vollauf e : gaiste. 70. vertraib : scraib. 136. ein : bescain. 181. laide :
scaide. 245. genedickaite : kailichaite. 315. gescaiden : wainen etc. etc.
Nur einmal : 355. keilig und stets ein, ntkein.
Die Frage nach des Dichters Heimat ist eine schwierige und,
wie mich dünkt, zur Zeit noch nicht gelöst.
Da dürfte es denn erlaubt sein, schließlich noch darauf aufmerk-
sam zu machen, daß in einer Augsburger Urkunde vom Jahre 11S0
iinlcr den Zeugen ein: Wernkerus Presbyter majori» ecclesice Augustensis
aufgeführt ist. Diese Urkunde, mitgetheilt im 23. Bande der Mona-
zu wernhp:r'S marienleben. 315
menta boica. S. 1 und 2 handelt von der Beilegung eines Streites
zwischen dem Kloster St. Ulrich und St. Georgen in Augsburg durch
den Bischof Hartwik.
Unter der ecclesia major , an welcher dieser Wernher Presbyter
war, ist die Domkirche zu Unser lieben Frau zu verstehen. Somit ge-
hörte Wernher dem Domcapitel Augsburg an. Um die Zeit der Aus-
fertigung dieser Urkunde war Manegoldus Senior der Gemeinde zu
St. Ulrich, was nichts anderes heißt, als er versah, ehe er 1182 Abt
dieses Stiftes wurde , die mit dem Stifte verbundene selbständige
Pfarrei St Ulrich. (Sieh P. Braun, Geschichte der Kirche und des
Stiftes St. Ulrich etc. und Monum. boica 22, S. 178.)
AUGSBURG, 1. August 1862.
130 von dem ewigen vrschine la
er chunde wol chosen
von der lilien un von der rosen
diu der dorn nine hat
nu wolt och. ih den ir rat 5
135 vn ir helfe svchen
ob sie dez wolte rochen
dz ih mit dötischer rede
daz bvch Drahte her ze wege
dz si ez alle mvsen lesen 10
140 die gotes kint wellen wesen
vn och mvzen scowen
phaffen vn frowen
smechen vn irgrunden
von dem fronen chinde 15
daz im die mvter irchos
div ir magetom nie verlos
145 vil nimer mah Verliesen
wir mvgen och wol ch'esin
wie vil gnadich sie si 20
der daz kindelin sizzit bi
dz lewe un lamb ist
150 ob allen dingen zeoberist
3l(i BENEDIKT GKEIFF
beidiv lip ofl tot
hüte un lebendigez brot 25
tav im blöme
gelt un röwe
wenich vn michel
von all in sunden sicher
baidiv vater vn sun 30
ainvalt vn wistom
155 gros vn claine
dz ist er altersaine
der vns ze not dufte ir seein
er nam hie fleisch vn bein 35
sin sne wizziu sele
160 vure in die phalnzen here.
div chetene ist zerbrochen
165 gotes hande errochen
da vns der tiewil mit bant 40
dez loben wir den hailant.
sin gezelt stunt in der sunnen
besigelt ist der brunne
vngebrachet ist ir anger
ir chorder hat ir tötet den slangen. 45
Den nit wil ih verdingen
unze ih vvr bringe
disiv seltsaniv wort
170 swas mathss scraib dort
den eberaischen livten 50
dz wil ih hie zedute
sagin vn scriben
mannen un wiben
175 mit der volaiste
des hailigen gaistes. 55
ih weiz dez tiwiles strit
diche winthalsen git
bozes nit becchen
aitergez hecchen
der vnwirdischen diet 60
daz sie schelten div liet
34. notdufte = nötdurfte.
ZU WEENHER'S MARIENLEHEN. .S|7
div in wislicher ahte
vergelten niemen mähte
mit grozim gote wider wegen.
ih wsene sie den flöch vvr den segen 65
von gote enphahent
die sih daran vergab ent
swer dich bespreche
Math's mvz ez rechen
der zem eristen scraib 70
]80 vn den irretöm vertraib
den Amachei iunger sazte
do er die znngen wazte
in vppigeme chose lb
doch ne wolte die rede hose 75
div cristenhait nit enphahen
do sie die löge sahen.
Der innger heiz lencio
vnd was verworfen also
daz sin rede wart betragen 80
vn si niemen getar gesagin
wan si mit dvrrin zwigen stat
vn sie der wrze nine hat.
Math's rewaglsste
der nam im lange friste 85
vnze er ez wil rehte gar irfvr
das weder mos noch mur
185 siniv wort nemach getroben
des lat och ivch genügen
vn sce Jeronimi lere 90
die mugen iv wol gehelfin an der sele.
|oj Bi den alten ziten
got enwas niht chudech witen
not* in iudea
fremde was er anderswa 95
]Q5 do was der haidenscefte vil
die des tievelis spil
an den abgoten begingen
des och sie schaden gevingen
7 5 nie, mit dem Ttlgungspunkte unter dem i. 8 6 wil = vil. 9 3 chudech
chundech.
;5JS BENEDIKT GREIFE
anme libe vn an der sele 100
200 do be hilt die gotes lere
div israhelitesce diet
als in inoyses geriet
un ir vater abrah'a
dem waren si gehorsam l<>5
205 Ysaac vn Jacobe
der in des himeles höhe
eine lateren gasah
da in sin scephare gesprah
facie ad facie 1 1 0
210 wie mähte ez ime baz, ergen
do er den engel gewie
den er des morgenes niht verlie
vnz er in gesegenote
div huf ime dorrote 1 1 5
215 da in der engel druhte
hin naher ir sie röchte
zeinem vrchunde
hainlichen do begunde
der hailige pat'arche 120
220 des wunderote do starche
alles sin geslahte
als er vil wol mähte
sie wrdes des gefröwet
daz, er waz bescöwet 125
225 von gotes anebliche
sie söchen venie diche
gen den himelschen choren
hie mvgent ir wnder hören.
Vz dem selben chunne L30
230 waz ein kint ir Sprüngen
ein man geborn in dise werlt
got selbe hete ime erweit
sinen gedanch vn sinen sin
gehaizen waz er ioachim 135
235 vn was der besten ein
den div sunne ie bescain
112 gewie = gevie. 124 wrdes = wrden.
ZU WERNHER'S MARIENLEBEN. .'519
sin ainvalte was so groz
daz sin sit wil wol gonoz (*'o)
vor gotte un vor der lüten !40
ioachim chut
IL
wonehaite
div schaf dar für geriten 2a
365 lamp un div roten linder
ioachim stunt dar under
same div ainvalte tübe 145
siner frasüme
die wolte er da ir vollen
370 stiften gotes willen
er hete ophers genvch
daz iine sin hiwesch dar trvh 150
daz wolte er da verbrennen
den roch ze himele senden
375 fvr div gotes ögen
groz waz sin gelobe
da was ie.nit. als och nv. 155
ein scriba spranc dar zv
ruben der ewarte
380 den herren rafster starche
vn stöte in also sere
er sprah dv ne scolte niht mere 160
zv vnserme opher gan
wir haben uns alle wole enstan
385 hat dih got so verfluchet
dz er niht en röchet
en heines wchers von dir 165
der diner fravel ist so vil
dv müst dih svndern hinnen
390 wir ne wellin niht gewinnen
susgetane gesellen
wir ne mögen och dih zv den besten niht gezellin. 1 70
Von solichem itevize
mit sinen banden wizen
395 swaich er also tögen
die zähere von den ögen
;>,2ii BENEDIKT GREIFP
ez duhte in michel scande 175
doch ne waz ime nie so and*'
daz er dz selbe scelten
400 mit öbele wolte gelten
er ne wolte och nit mere
wider in sin hüs cheren 180
vü wolte sih vor laide
von sinem wibe schaiden
405 von siner wunneclicher chonen
in ainer wüste wolter wonen
in ainer wüste verre 185
dar hiez och ime der herre
al sin chorter triben
410 im wolte da beliben
des vihes wchers wolter leben
zehenden almüsen geben 190
michel baz danne e
vil weste wesin an siner e.
415 an nihte sich vorsumen
clagen vn chineren
in der einode 195
menneclicher brode
dz div werlt niht anders ist
wan stuppe im mist
vü ain scahte der gar verswindet
so sih div sele enbindet 200
von menneschlcher zarge
so zerget och selliu fröde mir arge.
Alse frowe anna dz vernam
420 daz ioachirn der ir man
so sere waz gelaidegot 205
do wäre ir über der tot.
dz vil wnnecliche wip 21'
harte chelte sie ir lip
425 dz er ir hete eintwichen
dez waz ir clage michel 210
vn so verre waz gevaren
sine trvwete niht bewaren
192 weste = veste. 199 scahte = sehate.
ZU WERNHER'S MARIENLEBEN. 321
ir hiwisch da haiine
430 dar vinbe waz ir laide
dz si vf der erde 215
witewe scolte werden
bi lebendigem manne
si mvze irbleichen danne
ir scone wart verderbit
elliv ir frode wart irsterbit. 220
Die hende höp sie hohe
gegen der phalnze frone
435 gegen dem himelriche
si sprah wil clageliche
owi gewaltiger got 225
mine vil inneclichen not
rvche dv bedenken
440 ione mach ih niht gewenken
ih ~ müze liden swaz du wil
ia h n ih angeste vil 230
wa mäht ih reste vinden
do dv mir an den kindin
445 neheine frode gäbe
dz dv mir do beneme
minen karelen also guten 235
mit solihem ungemüte
swaz dv wil dz muz irgen
450 die totin hiezestu uf sten
die armen machestv riche
in selben vngeliehe 240
die riehen lastu wallen
dez muzen sie dir alle
455 grozzer maister scehfte gehen
swaz diu öge gerochet sehen
da ist genedicha'te mere 245
denne grizes an dem mere,
diner gute manichvalte
mere denne indemewalde
immer zwiger muge sin.
ewigez vrschin 250
241 wallen = vallen.
GERMANIA VII. 21
322
BENEDIKT GREIFE
gezalt hastv dine Sternen
460 sie mvgen dir dienen gerne
die div wil beröchen
nv ledege mih von dinem flvche
der mih hat irderret 255
min warabe ist besperret
465 die scolt div (so) herre entslizen
dz ih diner hailichaite gcnize.
Anna schvt ir venie
mit zäheren also manigen 260
dz si got erhörte
470 ir angest zerstörte
do si nider genihte
vn wider vf geblichte
in ainem böngartin 265
si begüde vmbe warten
475 vü sach an ainem aste
die sperchen scrigen vaste
sie gaheten zv ainem neste
da si ir kindelin vesten 270
vn brahten in die spise
480 vs einem clainem rise
vf ainem lorböme
div frowe nam dez göme 3a
wie frolichen si fingen 275
durh dz si iungidc zvgen.
485 Si sprach owie herre
nahen nn verren
ist din gnade getailet
din trost vz gebraitet 280
für allir slahte chunter
490 dv stiftest michel wnder
durh dz dv ime allem oblist.
diner geschefede dv gist
miseliche wnne. 285
von regene ioch von snnnen
495 machestu die erde berehaft.
den nogelin gistu die craft
259 schvt, so ■= suocht. 2J0 vesten = westen. 291 viklen = wilden.
ZU WERNHER'S MARIENLEBEN. 323
dz sie ir kint mainent
swi sie in dem lüfte swaiment 290
dv gebivtist den vilden tieren
500 dz sie kint ziehfn.
div natir da suchet
sva sie ir kint irgriffit
si gat ime willeclichen bi 295
vn zeiget dz sie sin mvtir si.
von dir die vise namen
weher im samen
505 die fische in dem wazzaere fliezzent
diner gvte sie geniezzent 300
allez dz der ie wart
dz hat din segen wol bewart
dz er sich ientenivwet
510 swaz criset (so) oder fiivget
uf der erde vn in dem wage 305
nv sage ih dir gnade
dz dv mih altersaine
so verre hast geschaieden
515 von allen Sachen
die dv hast geschaffen 310
von allen den dingen
die uf dem urspringe
mit clinem gewalte sint bechomin
520 dar us hast du genomen
gesurdert ioch geschaiden 315
dz mvz ih iemer clagen vQ wainen.
He dz sie die rede volle sprach
ein engel sie sah
525 vor ir antlvhte sten
div vorhte begimge si ane gen 320
si wider sazz ez harte
do sie begimge (so) warten
an sine scone vedere
530 ir sin vor en wedele
sam von dem uuinde dz 16p 325
der engel niht vf scöp
sine potesclaft (so) frone
die frowen grvzeter scone
21*
324 BENEDIKT GREIFE
535 mit senftent (so) worten
dvne scolt dir niht fvrhtin 330
sprah der engel liehte
dir (so) alliv dinbc von nihte
chunde wol machin
540 der wil selbe wachen
vbir din raines gebete 335
als er kvnech ie tet
vber alle die ir gemvte
cherent an sine gvte
545 do din charele ioachim
als ih der chvndende bin 340
von dir ze iungeste schiet 3b
div gotes gnade ivch beriet
dz dv swangere wrde.
550 cliaiserlicher bürde
dv treist in dinen brüsten 345
dez dich wol mach lvsten
eine"tohter here
io ne wart niemer mere
555 ir geliche geboren
sie ist ze kuneginne irchorn 350
vber allez hymelschez here
sie scol den gotes sunt (so) gebern.
den heiligen crist
560 der aller der werlte vater ist.
Din tohter ist her vn wich 355
ir ne wart nie niemen gelich
vnder wiblichem chnnne
sie wirt ein michel wnne
565 aller dirre weilte
so got bvwet in ir gezelte. 360
Alse div botescaft wart ergeben
sine mähte in mere niht gesehen
wan er ze kvrzen stunden
570 vor ir waz verswnden
vn fvr ze sinem maister 365
zv andern gaisten
die ime himelriche sint
gehaizen engelseiv kint
ZU WERNHERS MARIENLEBEN. 325
Do begunde frowe anna
got loben starcbe danne 370
ir schephare sagete sie gnade
dz er sie irloste
mit svsgetanem tröste
575 von allen ietewizen
dez löpte (so) sie in mit fliscze 375
sie wart vil inneclicben fro
ir venie svbte sie abir do
dar nah ginch sie rasten
580 io bete sie dz vasten
ein tail geswendet 380
doh bete sie ir arbait wol gewendet.
In ir bette sie gelach
eine ganze naht vn einen tach
585 dz sie en häz (so) noch en tranch
sie hete rainen gedanch 385
io waz ir an der seibin zit
alse ein man oder ein wtp
mit swaregem trome
590 sliefe vnder einem böme
dem wäre cbomen de schvme (so) 390
dz er entranne chvme
vor sinen uiariden
vn er dar nah irchande
595 swenne er irwachete
[dz alle sine nöte 395
waren verswnden
alse was sie an den stunden
bechomen von ir laide
600 wnne vn waide
vn vil stetigen segen 400
hete ir der engil gegeben
ir wibe einer rofte sie
div chom ir alze seime
605 do röfte sie der magede
div was vil vngesagede 405
sie mvse ir harne (so) ofte
mere danne ir tohte
vber lanch gie sie dar
326 BENEDIKT GREIFF
do sprah div tohter ysachar
anna div raine 410
610 nu sage mir waz daz maine
wannen chvmet dir der gaist
so du min angest wol waist
dz dv so harte tragest
dz dv mih nine fragest 415
615 weder ich lebe oder tot si
dv werist mir bellichen (so) bi
ob ih den lip wolte laben
dz ih dir daz mähte gesagen.
Div maget begunde murmeln 420
620 vngezogenlichen zvrnen
si sprah waz mähte ih dir
aine getün
622 dvne 424
III.
774 tragen 4ft
775 vn warf ez vf ainen stain
er brande flaisch vn bain
dz sich der roch uf boch
der engel alda mtte flöch
vaste gen den löften 430
780 mit zaeheren vn mit zvhten
gestunt der herre eine
sin herze was luter vn raine.
Sin gebet dz waz so nuzze
vf sin antluzze 435
785 vil er nider uf daz graz
da er opherende was
er lach bi dem gezile
von der sehsten wile
vnze an die vespzit 440
790 so div sunne schaten git.
Do chomen sine hyrten
hin zv ir herren vn zv ir wirete
42 9 mtte = mite.
ZU WERNHER'K;-M ARIENLEBEN. 327
ilten sie gahen
do sie in sahen 445
795 nider ligen in der mvlten
sie wanden dz er wolte
sich selben Verliesen
vor laide den tot kiesen
si ilten in vf rihten 450
800 er sagete och ze ir gesichte
wie ez ime wäre ergangen
do wrden sie bevangen
mit ziteren iöch mit vorhten
anders si nine worhten 455
805 wan dz si lobeten alle got
der vzzer angest \n vzzer not
div rivwigen herze enbinden (so)
swa er den geloben vindet
an den gvten vn an den rehten. 460
810 alle sine knehte
die rieten dem hailigen man
dz er wrde gehorsam
dem engel vn sinen Worten.
sie sprahen sie vorhten 465
anders harte er wrde gerefset sere
an dem libe vn an der sele.
Als er des nahtes enslief
der engil ime aver zv rief
815 wes sumest dih ioachim 470
an der stunt ih böte bin
dz dv heim invzest varen
dv ne wellist ez bewaren
dv müst ez engeltin
dz anna so selten 475
nah dir vnweinende wirt
820 dv waist wol dz siv dir gebirt
aine tohter gvte
die ist in gotes hvte
von ewen vnze ewen 480
wie sol ih dih diner fröme so flehen.
825 IN dem andern morgen
do verliez er die sorgen
328 BENEDIKT GREIFF
er hvp sih vf gereite
er ne wolte niht baiten 485
er sagete siuen livten
830 des engeis rede zedöte
die rieten algeraaine
dz sie füren seime
alse dz fihe mähte gen 490
sie sprauchen (so) wolt er da bisten
835 dz müse er ane sie tvn
ez wäre ein michil wistüm
daz er also taete
als ime gechundet bete 495
der gewaltige böte.
sie röften vaste hin ze gote
vf sine bamiunge
mit waeinenden znngen.
sie fnren enalverte 500
840 dz mos ioch die herte
baidiv berch vn tal ■
dz fihe cherten sie vber al.
sie waren in der ode
fvnf manode 505
845 gewesin ioch gebvwen
mit scolicher (so) missetriwen 4b
dz er botescaft enheine
ni enbot wider heime
ze sinem sconen wibe 510
850 dz hete sie ze nide
do sie an ir gebete stunt
so dicche gvtiv kint tvnt,
mit zäheren begozzen
der engel unbedrozzen 515
855 chom ir aber ze gesvne
bi des bongarten zune
da si lak an ir chnie
der engil gegen ir gie
ir lait er ir gebvzte 520
860 do er sie gegrvezte
er sprach dz sie gienge
ir karelin wol enphinge
ZU WEKNHEK'S MARIENLEBEN. 329
zv ainer porte div hiez aurea
der wirt begegenote ir da 525
865 ane zwivel an dem tage
do waz ir trwren vn ir clage
in den wint verswnden
ir herze was gefriget vn enbvnden.
Sie gahet engegen dem burgetor 530
870 dez wirtes baite sie da vor
mit des engils gelaite
sie wolte ir langes baiten
mit zähere vndermisgen
sie stalte ir hiwische .... 535
dz rnaue flöch do witen.
sie stvnt vf aine hohe
dz sie verre sähe . . .
vn . . . . mähte scowen 540
diu vil edeliv fröwe
div vil do nider dicche
vf bliche
875 waz er fvrte da here
dar zv was ir vil ger 545
da waren
div begunden alle fragen
wenne der frowen
880 böte chome
der ir hete dz vz genomen 550
dz ir karele scowen chomen.
do sie do wrden innen
dz von der gotes stimme
885 was erschellet
anna wart gezellet 555
zv dem allerbesten wibe
libe
bi den ziten
890 ir warten vn ir biten
.... sie ane rieffen 560
elliv siniv wnder
ioachim lie dar under
die sie da vernamen
330 FRANZ PFEIFFER
lop sie ime gaben
mit zäheren sie sich begvzzent 565
div von den herzen flvzzent
895 schiere sie do sahen
vber velt gahen
ioachim vn sine schare
div fröwe dare 570
vmbe den hals sie in gewie
900 an siner hende sie g'e
sie halste in vnde chvste
sie dvhte (so) in an div (so) brüste
vn enphiench in inneclichen wol 575
sie waren baidiv sament vol
des trost
905 elliv div menigi
div trat im engegene
vn hiez in willechomen sin 580
do det got vil gvt schin.
571 gewic = gevie.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT.
Die nachfolgenden Predigten habe ich einer Pergamenthandschrift
in Octav entnommen , die mir Herr Domdecan Dr. Karl Greith in
S. Gallen vor zehn Jahren freundlichst zur Benützung mitgetheilt hat.
Sie stammt aus der noch im 12. Jahrhunderte gestifteten, vor einigen
Jahren aufgehobenen Benedictiner Frauenabtei Hermetschwil im Canton
Argau. Die von verschiedenen Händen herrührende, zum Theil zierliche
Schrift deutet auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Leider ist die
Handschrift nicht mehr vollständig : nicht nur der Anfang und das Ende
fehlen, auch in der Mitte sind da und dort Blätter ausgerissen, so daß
sie deren nur noch 127 zählt.
Diese Predigten bieten in der Sprache, in der Darstellung und
im Satzbau manches Eigenthümliche , was sie eben so von Berthold,
David und den Grieshaber'schen Predigten als von den Mystikern des
J4. Jahrhunderts unterscheidet. Mit Gewissheit glaube ich sie noch ins
DREI PREDIGTEN AUS DEM XUI. JAHRHUNDERT. 331
13. Jahrhundert setzen zu dürfen. Die zweimal, Bl. 13a und 16b, vor-
kommende Anrede an die brüeder lässt vermuthen , daß sie in einem
Kloster gehalten sind. Die zum Theil alterthümliche alamannische Or-
thographie (vgl. auch milwan Bl. 92% bürdinun 38b, minnut 36"', gesel-
ligot 90a, gedünrot 60") habe ich sorgfältig beibehalten *) : die wenigen
Änderungen, die ich anzubringen für nöthig erachtete, sind alle unter
dem Texte angegeben.
Außer diesen drei Predigten und einigen kleineren, wenig bedeu-
tenden Stücken enthält die Hs. noch auf Bl. 20 — 70 eine, vielleicht
von demselben Verfasser herrührende Abhandlung, deren Inhalt zum
Theil dem Hohenliede entnommen ist; ferner Bl. 71 ff. den Tractat
über die sechs Namen des Frohnleichnams von dem Mönch von Hails-
bronn , dessen gereimte Emgangs- und Schlußrede ich in den altd.
Blättern 2, 350—54 aus einer Münchner Handschrift habe abdrucken
lassen. Beide letztere fehlen übrigens nicht nur hier, sondern auch in
allen den andern zahlreichen Hss., die ich von diesem Tractate kenne.
Da ich zu einer Abschrift der ganzen Hs. damals keine Zeit
finden konnte, aber doch dasjenige, was sie in Bezug auf die Sprache
Bemerkenswerthes bietet, gerne vor möglichen Wechselfällen sicher
stellen wollte, so habe ich sie ganz durchgelesen und die Wörter und
Sprachformen, die mir neu oder selten oder doch eigenthümlich schie-
nen, aufgezeichnet und sie in ein kleines Glossar zusammengestellt.
Da mir zu dessen Mittheilung hier nicht der rechte Ort scheint, lege
ich es zurück, bereit, es nebst andern derartigen Beiträgen seiner Zeit
dem im Aussicht stehenden Supplementband zum mhd. Wörterbuch zu
Gute kommen zu lassen.
FRANZ PFEIFFER.
.... (BL la) wir jerliches in unser gedenknüsse nemen di klegde
der marter unsers herren, also daz wir der marter Cristi alle järe ge-
dehten an disem tage. Und wan wir hiute nü sien worden ein kleinez
volke oder weisen sien worden äne vater, und dar umbe so liset man
nü 'herre, gedenke, waz uns nü geschehen si,' unde dar nach so volget
'wir sien worden ein kleinez völkelin äne vater.' Und dar umbe so lesen
*) Dahin gehören, außer den Femininis berhafti, güeti, groszi, den Diminutiv-
ormen brünneli, gemechitli, türtertiubli , loibeli, namentlich die Flexionen kerzun, spei-
chelun, minnot, hätun, bezeichnut, räflut, ferner die unorganischen e in volke, riefe, Jwubte,
gote, arnpte la, holze 1", bluote 2b, nakte, leide 3a u. s. w.
332 FRANZ PFEIFFER
wir die klage in Jeremias. Von disem vater ist geschriben in eccle-
siaste 14° capitele fdaz gerihte des vaters.' Her über sprichet diu glöse
'welhes vaters?' Daz ist unsers vaters, unsers herren gottis. Daz hce-
rcnt, ir lieben süne.
Jesus der riefe mit grözer stimmen und neigte sin houbte und
gab üf sinen geist. Bi der marter unsers herren Jesu Cristi sint ze
merkenne fünf sache. Diu erste ist: war umbe daz gotte aller meist wolte
den tot liden an dem holze denne dekeines andern tödes. Zuo dem an-
dern male : war umbe daz Cristus an deme kriuze mit einer lüterrn
stimme schrei oder rief. Zuo dem dritten male: war umbe daz er mit
geneigtem houbte üf gap sinen geist. Zuo dem vierden male, daz er
mer wunderlicher zeichen tete an dem tode. Zuo dem fünften male,
daz daz heilige ampte der messen geordent ist. Aber war umbe daz
Cristus an dem kriuze sterben wolte, daz sint drie sache. Diu erste
sache ist, wan der tiuvel den menschen überwunden hat mit dem holze,
und dar umbe so was ez pillich unde reht, daz der tiuvel ouch (lb) über-
wunden würde mit dem holze, und da von so wolte Cristus daz holze
nemen dar an ze sterben, umbe daz er den schaden des holzes loeste
unde vertribe. Diu ander sache was: wan daz paradise wart beslozzen
mit dem holze, so was ouch reht, daz ez üf geslozzen würde mit dem
holze, und da von ist uns üf getan diu türe des himelriches. Diu dritte
sache ist, daz sich Cristus wolte zeigen daz er sterben wolte für alle
die werlt, wan daz kriuze was von vier stüken. Daz niderste teil des
kriuzes bezeichnot die da warn in der helle; daz teil zuo der linken
hant des kriuzes bezeichent die sündere; und daz teil zuo der rehten
hant daz bezeichent die gerehten menschen; aber daz oberste teil be-
zeichent die engele, umbe daz, daz die zale der engele die menschen
widerbrehten. Und umbe daz so wolte Cristus mer an dem kriuze
sterben denne dekeines andern tödes. Zuo dem andern male, war umbe
daz Cristus an dem kriuze mit lüterre stimme schrei, und her zuo mac
man antwürten in drier hande wis. Diu erste sache ist , daz er sinen
grozen smerzen zeigte , wan sin smerze der was gröz , wan er von
Unschulden was. Hie von sprichet sant Peter 'Cristus der ist einest tot,
der gerehte für die ungerehten.' Und noch grcezer was er, wan er ge-
schach von sinen friunden, und er was da von noch groezer, wan er
in leit für die, die im sin lützel dankten. Nu sprichet sant Peter 'der
gerehte der starp für die (2") ungerehten.' Daz er sprichet fder gerehte,
dar an ist ze merken, daz er unschuldic was. "Aber da er sprichet fiir
die ungerehten', ist ze merken, daz er starp für unser bösheit, durch
der willen er liden wolte, umbe daz er uns opferte got sinem vater.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 333
Nu sprichet sant Bernhart, daz unser herre Jesus Cristus, der da kam
ane sünde in dis weilt , der enfüere niht ane siege üzer dirre werlt.
Aber du , mensche , du bist in sünden komen in dis weit unde du
wilt ane siege varn wider üzer dirre weit? alse ob er spreche, des
enmac aber niht sin. Von den andern sprichet Cristus selber rder hat
mich verraten, den ich da minte.' Sant Bernhart sprichet rwer sint die
siege, die enmitten in dine haut geslagen sint, du guoter Jesus? und
er antwertet rdiz sint die siege, die mir die geslagen hant, die mich
da minten, daz ist, die mich da geminnet solten hän ane siege.' Von
den dritten sprichet David 'die da mit übel guot vergeltent, die hant
mir min leben benomen.' Sant Bernhart sprichet rdu aller liebster jun-
gelinc, waz hast du getan, daz du also vil geliten hast? sicherlich, ich
was sache dines lidens.' Und diz enverstuonden noch enmarkten noch
verstent die undankbaren niht. Aber umbe daz, daz wir sinen smerzen
merken unde versten, so rüefet er zuo uns durch den propheten unde
sprichet fö ir alle, die an deine wege da für gänt, sehent, ob ie smerze
was so groz so min smerze?' Mit dem daz er schriet '6' git er ze ver-
stenne die grözheit sines smerzen (2b) unde suochet da mit alle, die
an sine marter gedenken wellen, unde swaz er bittet, des begeret er
daz ez geschehe.
Nu volget darnach: ceiä nü merkent unde schouwent!' War umbe
sprichet er: rnü merkent'? Daz heizet er gedenken mit bekentnisse des
herzen umbe daz, daz siu ein mitliden mit im haben. Nü sprichet er
nü sehent', daz ist als vil, als sehent mit begirde iuwers heizen, daz
ir iuch demüetigent; wan sehent, diz lide ich umbe daz, daz ir iht
wegent oder ahtent iuwer liden groz, wan ich hau noch groezer geliten:
sehent , daz sehent ir wol umbe daz, swaz ir lident , daz ir ez dester
gedulticlicher lident , und daz ir ouch wizzent , mit waz arbeiten ich
iuch zuo mir gebunden hän. Ez sprichet sant Beinhart feiä, wie mit
eime starken umbevange du mich umbevangen hast , du guoter Jesu,
an dem kriuze, dö daz wazzer üzer diner siten flöz , mit dem du uns
änderst geborn hast.' Daz bluote, da er uns mit erloste, daz flöz von
sinem herzen, und diu sele, damit er uns behaltet, diu fuor von sinem Übe.
Nü volget dar nach: rob dekeiu smerze glich si minem smerzen?
Ja, 0I1 dekeiu smerze noch unverwunnen si? Wau von dem junger, zuo
dem ich zuoversiht hate, bin ich verraten, und von dem andern, den
ich hate gesast zuo einem fürsten des Volkes, der hat mins verloukent,
und die andern jungem liezen mich, und von den Juden, den ich vil
guoter werk tet, von den wart ich gebunden unde wart von in gegeben
in den tot. und wider alle orrlenunge der gerehtikeit (3a) so sint si
334 FßANZ PFEIFFER
gegen mir gegangen unverwunnen unde zugen mich doch zuo dem
tode und zuo der begrabunge unde zuo dem tot gäben sie mich. Bar-
rabas der Schacher bittet umbe daz leben, aber ich, der allen menschen
leben gibe , suoche den tot und einen also schemlichen tot ; wan ich
wart verkouft umbe drizic pfennige reht alse umbe ein swin, unde
wart dar zuo getriben, daz ich muost tragen den galgen mines kriuzes,
unde wart gestellet nakte vor allem volkc, unde groezer pine leide ich
denne ie dekein verworhter mensche verdiente.' Sant Bernhart sprichet
fdaz houpt, daz die engelschen geiste erfürhtent, daz ist mit vil dornen
durchslagen, und diu ougen , diu liehter sint denne diu sunne, diu
wurden verdunkert mit dem töde, unde diu oren, diu daz engeis ge-
sange hoerent: heilic, heilic, heilic, diu horten daz rüefen der sündere,
daz ist, do die Juden schrouwen: kriuzig, kriuzig in, und daz antlütze,
daz vil schönre was denne aller menschen antlütze, daz wart gehals-
lekt unde wart mit speichelun verunreint, unde der, der die apostolen
lerte unde die wärheit redde, der wart getrenkot mit gallen und ezzich,
unde die hende, die da gemachet häten himel und erden, und die füeze,
der fuozschemel was diu erde (wan si sint heilic) , die wurden mit
nagelen durchslagen. Und wan lützel menschen an sin rüefen geden-
kent, dar umbe so klagt unser herre Cristus durch den propheten Da-
viden unde sprichet fich hän gearbeitet mit rüefenne.' (3b) Bernhardus
spricht rowe , guoter Jesu , du klagest billich diu heisri , wan von der
zit diner geburt biz an die zit , daz du an dem kriuze verschiet , so
engehortost du nie üf, du arbeitost alle zit rüefende.'
Zuo dem dritten male: daz er mit geneigtem houpteüfgap sinen
geist. Cristus der neigte sin houpt durch sechs hant sache. Diu erste
ist, daz er were der selbe in dem himele mit der demüetikeit. wan
alse sant Lucas schribet rswer sich hoehet der wirt genidert.' Zuo dem
andern male, daz er der brüt gnuoc tet, daz ist der getriuwen sele*);
wan also ist geschriben in der minne buoch fer hat mich geküsset
mit dem küsse sines mundes'. Sehent, diz ist ein zeichen der versüen-
unge. Zuo dem dritten male, daz er daz tittel oder die schrift, diu da
über sin houpt gesetzet was, daz er die vermitte, daz ist, daz geschriben
was fdirre ist der Juden künic' Zuo dem vierden male, so swä im ge-
breste an der stimme dö er riefe 'koment, ir gesegenohtcn mines va-
ters', daz er in doch winkte mit dem houpte. Zuo dem fünften male,
daz er winkte, daz denne der geist zuo der vorhelle füere umbe die
gevangnen. Zuo dem sechsten male, daz er sinen vater bete um die,
die in kriuzigten, wan er sprach 'vater, si enwizzen, waz si tuont'.
*) se.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 335
Zuo dem vierden male: war unibe an sinem ende vil zeichen ge-
schähen, daz geschach dar umbe, daz bi der ertbideme ze versten (4n)
were unde bezeichent were diu vorhte des herzen, alse der prophet
sprichet fder anvank der wisheit daz ist diu vorhte'. Unde daz diu sunne
verdnnkert wart, bediutet unde bezeichent versmächeit dirre werlt. Diu
erde wart beweget, diu sunne wart verdunkert, die stein zerrizzen oder
zerspielten unde diu grebere wurden üf getan unde der umbehanc in
dem tempel zerreize in zwein stüken unde die heiligen erschinen. Uf
daz erste sprichet sant Johannes 'swer die weit minnöt, der enhät die
minne niht in im'. Diu zerrizunge oder zerspaltunge der steine be-
zeichent die riuwe des herzen, wan also sprichet David cdaz opfer
gottis ist ein geist der riuwe'. Aber daz diu grebere sich üf teten,
daz bezeichent die verjehunge des mundes, alse sant Jacob sprichet
iuwer einre dem andern sol verjehen sine sünde.' Aber daz die hei-
ligen erstuonden bezeichent die verläzunge der sünden. Waz ist Israhel?
Daz ist als vil, als daz du bist in einem vrömden lande. Ez sprichet
Barne, daz diu erschinunge der heiligen bezeichne den inganc des himel-
riches, wan rehte alse der adelar lokt sinen kindern ze vliegenne, rehte
also tuot Cristus.
Zuo dem fünften male: daz er begienc daz opfer sines lichamen
hiute. Hinte werdent die altere bereubet unde hiute rävelt man unde
man lintet hiute niht unde hiute löschet man die kerzen biz an ein. (4b)
Der alter der bezeichent Cristum, aber diu altertüecher diu bezeichent
die jungern; aber diu weschnnge des alters mit wine und mit dem
wazzer bezeichnut die herten gevenenüsse Cristi, wan da wart der alter
(daz ist Cristus) beroubet von allem sinem gezierde, daz ist von allen
sinen kleidern. Daz geschach ouch , daz er von allem sinem gezierde,
daz ist von allen sinen jungern verlän wart; daz geschach do si alle
von im fluhen. Und dar nach wart er mit wine geweschen, daz was,
do Cristus von den dieneren der fürsten der Juden hertielich gevangen
wart unde gebunden wart. Aber daz man räflut, daz bezeichent, daz
er durch die langen naht verspottet wart, dö si in sluogen unde sprä-
chen zuo im 'wissage uns, wer hat dich geslagen, wer ist er?' Aber
daz man niht enliutet, daz bezeichent, daz ir gar lützel wären, die da
Cristi verjähen, wan si sprächen 'wir hätun hoft'enunge, daz Cristus
solte erloeset haben daz volle von Israhel.' Aber daz man die kerzen
erlöschet des tages, daz bezeichent, daz der gloube zemäle tot was in
sinen jungern, und diu minne, die siu zuo Cristum hätun an dem
äbende, do er in sinem lichamen gap, wan da brunnen si alle rehte
alse die kerzun in der minne Cristi, wan si globten im alle, wie daz
336 FRANZ PFEIFFER
si mit im wolten sterben. Aber do erlaschen si alle, do siu niht glouben
wolten , daz Oristus nach dem töde solte erstän , sunder nuowen ein
(5a) kerze diu bleip. Daz bediutet die kerze, die man des nahtes ver-
birget : diu bezeichent unser vrouwen, wan in ir bleip die drie tage der
gloube alzemäle der heiliger kristenheit alleine, unde rehte alse man
von der kerzen, die man verborgen hat, enzündet alle die andern ker-
zen, und also wurden die jungern unde die andern menschen dar nach
an dem glouben von unser vrowen enzündet, und dar uinbe so singet
diu heilig kristenheit daz ampte von ir unde vastet des samstages,
wan si den glouben der kristenheit alleine behielte, mit welhem glouben
wir nü behalten müezen werden. Des helf uns got. Amen.
II.
fD6 diu volheit der zit komen was, do sante got sinen sun unde
wart geborn von einem wibe unde wart gemachet daz er gehorsam were
der e umbe daz , daz er die , die da under der e weren *) , erloste.
An disen Worten des apostels sülen wir merken alrmeist vier stüke.
Daz erste : die zit , daz andere : die persönen , daz dritte : die wise,
daz vierde: die Sache. Von der zit sprichet der apostel des ersten fdo
diu volheit der zit kam', daz ist: so diu zit volbräht wart. Unde von
der persönen sprichet er dar nach cdö sante got sinen sun', unde dar
nach sprichet er von dem dritten 'der was geborn von einem wibe
unde gemachet under der e,' unde von der sache sprichet er cumbe daz,
daz er die, die under der e weren, erloste.'
Waz ist daz zuo (51') versten, daz er da sprichet 'diu volheit der
zit?' Daz ist alse vil ze versten alse diu zit**) der gnaden, unde diu
zit väht an von der zuokunft unsers herren, wan diu zit ist ein zit der
erbarmede und der gnedikeit; wan diu ediu***) ist durch Moysen ge-
geben, aber diu gnade unde diu wärheit diu ist gemachet durch Kri-
stum, daz ist: Kristus hat uns mit im bräht in diso werlt gnade und
wärheit. Er hat uns des ersten die gnade bräht, daz ist: er hat uns bräht
apläz aller siinden. Er hat uns ouch bräht die wärheit, daz ist: er hat uns
allez daz bräht unde gegeben, daz er unsieglopt häte, daz gab er uns. Und
also ist uns durch JesumKristum unser sünde vergen f), und ouch ist uns
durch Jesum ervollet und waz uns von got glopt ff) ist. Aber war umbe
daz diu sache also lange üf geschoben wurde oder üf gezogen, daz der
arzät Jesus niht enkam, daz er den siechen (daz ist den sünder) niht
gesunt machte lange vor, unde wä von daz er niht vor tot was oder
*) were. **) zit fehlt. ***) dv. f) d. i. = vergeben. ff) globpt.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XDJ. JAHRHUNDERT. 337
starbe umbe daz volke , daz alle die menschen iht verdorben weren,
alse si alle verdürben *) e daz Kristus starp, daz ist uns niht bevolhen
ze bedenken noch zuo betrahten, sunder wir sülen ez bevelhen der
ewiger wisheit. Daz lert uns sant Paulus, da er sprichet 'owe du hohiu
richeit der wisheit unde der kunst gottes , wie gar umbegriflich sint
diniu **) urteile unde wie (6a) wenig sint zerspüren unde zervinden dine
wege, oder wer hat erkant den sin oder den gedank des herren oder
wer was sin ratgebe?' Nu hat doch diu himelsche höcheit des rätes
geordent, daz dar umbe der himelsche arzat üf zoch, daz er niht vor
oder e kam , daz er den menschen ***) vor erlöst häte oder gesunt ge-
machet häte. Wan wer er sneller komen, so möhte der sieche gewent
hän, daz er niht von der kraft der arznien gesunt wer worden, sunder
von der mäht der nätüren, oder da von, daz in des gedüht hete, daz
diu siecheit alse klein wer gesin , daz er da von dester e gesunt were
worden, und also so hete er des arzäts deste minre geahtet. Nu häte
sich der sünder sere gröz geahtet an sinen kreften unde gerüemet,
daz er sprach rdes gebristet niht hie, der da groz werke würken sol
oder etwaz tuon sol, sunder des gebristet hie, der da gebieten sol,
daz man etwaz tüewe,' f ) reht als obe der sünder spreche 'ich were be-
reite ze tuonne, weste ich nuon waz ich tuon solte, wan ich vermöhte
ez gar wol.' Und fürbaz sprichet er, der sünder: cwaz uns got heizet
tuon, daz tuon wir allez unde heern ez gerne.' Und dar umbe swelher
sieche niht mistrouwunge hete zuo sinerff) kraft, und ouch swelher
sieche niht erkante sine groze siecheit noch krankeit , der riefe niht
noch enhiesche der helfe des arzätes.
Nu zoch unde schob üf got unser behalter , daz er niht her ab
von himel kom, biz daz der sünder nach im riefe unde schriuwe emp-
ziclich und ernstlich (6b) unde spreche fküm, herre, und ensüme dich
niht.' In der ersten e dö brähte^ got daz vermügen, daz ist: er gap
im craft unde mäht zuo allen guoten werken. Aber in der andern e
gab er im bekentnüsse, daz ist: er gab im zuo erkennen die wärheit.
In der dritten e gab er im ein wollen, daz ist : er gab im guoten willen
zuo allen gnoten werken. Nu brähte er im des ersten (daz ist in der
ersten e) die mäht unde kraft in der nätüre, daz ist: er hat dem men-
schen von nätüre gegeben, daz er hat craft unde mäht zuo allen guoten
dingen. Zuo dem andern male (daz ist in der andern e) hat er im ge-
geben kunst mit der schrift, daz ist : er hat dem menschen die heiligen
schrift gegeben, da mit er gelert wirt alle wisheit und alle kunst zuo
*) verdvr **) din din. ***) mensche. -f) = tüeje. ff) sinen.
<;ehmania vu. 22
338 FRANZ PFEIFFER
allen guoten werken. Zuo dem dritten male (daz ist in der dritten e)
hat er im gegeben den willen mit siner gnaden, daz ist: er hat dem
menschen sine götliehe *) gnade gegeben, von der der mensche guoten
willen empfangen hat zuo allen guoten werken. Und also so hat got
dem menschen des ersten gegeben die natürlichen e, daz ist, daz er
im gegeben hat von naturen kraft unde mäht, wider ze stän dem tiuvel
und allen bcesen dingen, wan anders so möhte sich der mensche en-
schuldigen **) unde sprechen fherre , ich bin gevallen , wan ich enhäte
niht mäht noch kraft ze stenne , ich was ze kranke.' Unde da von so
hat got dem menschen abgenomen, daz er sich niht entschuldigen mag,
wan der mensche mag bestän in allen guoten werken von rehter craft
der naturen (7a), aber er wolte niht bestän, wan der mensche enviele
niht von krankeit , sunder von bcesem willen. Und ouch hat er dem
menschen gegeben die e der schläft, daz der mensche mit der schläft
überwunne den tiuvel und alle bcese anvehtunge, daz sich der mensche
iht enschuldigen möhte unde sprechen rdar umbe bin ich gevallen,
wan ich bekante niht wole, wie daz ich bestanden were, ich weste niht,
wie ich solte sin bestanden.' Nu nimt diu schrift dem menschen abe
die enschuldigunge, wan von der lernunge der heiligen schrift ist der
mensche gelert unde hat erkant, wie daz er sich wol vor allem übele
gehüeten möhte; aber er wolte sich niht enhüeten, und umbe daz so
was zimlich unde behoerlich, daz nach iewederre e, dö diu zit gevellig
was (daz ist : dö ez gote zit tohte , daz gesehach , do diu naht der
sünde den mittern wege gegangen, daz ist: dö diu naht der sünden
in ir hoestez komen was), dö kam des almehtigen gottis rede, daz ist:
daz worte gotis kam unde wart vleische und brähte die e der gnaden,
umbe daz, so swaz der mensche vermöhte von naturen unde swaz er
bekante von der schritt, daz er daz erfulte unde volbrehte mit der
gnaden. Unt dar umbe, dö diu zit kam, daz ist: dö diu zit volbraht
wart, dö sante got sinen sun. Got der saute sinen sun: da er was, da
hin sante er in, aber er sante in nach der menscheit, da hin da er was
nach der gotheit, wan er was in der (7h) weit und diu werlt wart
durch in gemachet unde diu werlt erkante sin niht. Er kam under
die sinen unde die sinen erkanten sin niht noch enpfiengen
sin niht.
Aber sit daz nü ist, daz drie sint die da geziuge gebent in dem
himele (daz ist der vater unt daz ewige wort unt der heilige geist),
und war umbe kam dö der vater selber niht oder war umbe sante der
*) götlichiv. **) enschuldige
DEEI PEEDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 339
heilige geist niht den sun *) ? war umbe wart der sim gesant ? Her über
so mügen wir wol merken, daz sant Paulus sprichet f6 du hocheit der
richeit, der wisheit unde der kunst gotis , wie gar unbegrifenlich sint **)
diniu urteile, unde wie unervindelich sint dine wege, oder wer hat er-
kaut den ***) sin oder den gedank des herren oder wer was sin ratgebe?'
Doch so hat diu himelsche hocheit geahtet oder gefüeget, daz got, der
da geschaffen hat die werlt in siner wisheit (wan also sprichet Salomon
in der wisheit buoche 'herre, du hast in diner wisheit gemachet elliu
ding' , umbe daz so hat got die werlt gemachet in siner wisheit) , daz
er in der selber wisheit die werlt wider brehte. Unt diz meinet daz
ewangeJi , daz da seit von der vrouwen , diu da enzunte eine lanterren,
umbe daz, daz si funde den zehenden pfenninge, den si da verlorn häte.
Nu wart der sun in der gotheit dar umbe gesant in menschliche
natüre unde geborn in menschlicher nätüren, daz der, der da den na-
men der (8ft) sünlicheit behielte in der gotheit , daz ist , daz der , der
da sun was in der gotheit, daz ouch der selbe sun wurde des menschen
in der menscheit. Nu ist noch ein verborgneriu sache und ein behen-
deriu, daz der sun gesant wart: daz ist diu sache, die uns der prophete
Jonas bewiset, da er sprichet fund ist daz cliz gewäswitter entsprungen
ist durch minen willen, so werfent mich üz in daz mer'. Doch ist ez
anders umbe disen propheten zuo versten, und anders umbe gotis sun.
Und ouch wie daz ez anders und anders bediutet werde , von (den)
einen meistern sust, von den andern also, doch so mag ez wol zuo
verstau sin, daz daz erste gewäswiter entsprang in dem fiurinen himele
unt daz ander gewäswitter entsprang in dem paradise, unt daz erste
gewäswitter entsprang under den engelen unde daz ander entsprang
under den menschen. Nu was daz erste gewäswitter, daz da under den
engelen entsprang, daz was diu erhebunge der hochvart, wan von
hochvart so wolte Lucifer üf gegangen sin zuo der glicheit gotis, daz
ist : er wolte got glich sin worden von hochvart. Des begerte er von
hochvart f), daz er got glich würde, wan also stät von im geschriben
'ich wil üf gän in den himel und wil minen stuole setzen in aquilön
unde wil glich werden dem alreff) obersten.' Aber dö er wolte üf gän,
do viel er wider nider, wan also so stät geschriben 'wenne viele du
nider, Lucifer, du wert doch gar früege üf gegangen (8b).
Daz ander gewäswitter was der brunst der gitikeit, mit der daz
der mensche begerte der gütlicher kunst. Wan daz geschach, do der
slange in dem paradise gehieze Adam und Even unde sprach cund ez-
*) sun. **) so sint. ***) dez. f) hochvar. ff) airre.
22*
340 FRANZ PFEIFFER
zent ir disses obzes, so werdent ir wizzende als die göttere übel unde
guot.' Aber dö siu begerten vrömeder dinge, do verluren *) siu daz ir
eigen was. Wan ez geschult wol, daz einre stellet üf des andern guot,
daz er da mit daz sin verliurt. Unt daz bewiset daz ewangeli, da ez
sprichet rein mensche der gienge üf von Jerusalem und gienge zuo
Jericho und ez komen rouber über in und beroubten in unde verwunten
in.' Dise **) zwo Untugenden , da von da vor gesprochen ist (daz ist
diu höchfart unde diu gitikeit), die sint ein wurzel und ein Ursprung
aller Untugenden, wan ez stät geschriben von der hochvart 'ein anvange
aller sünden, daz ist diu höchfart'; aber von der gitikeit sprichet sant
Paulus fein wurzel alles Übels daz ist diu gitikeit.'
Nu wizzent, daz man in der heiliger und in der unteillicher und
ungescheidener driveltikeit dem vater zuoleit oder zuogit die einikeit
in der driveltikeit, umbe daz, wan er ein beginne und ein anvange ist
in der driveltikeit. Und die glicheit leit man zuo oder man eigent si
dem sune in der driveltikeit, durch daz, wan er ein mittel ist in der
driveltikeit. Unde dem heiligen geiste dem eigent man zuo, daz er si
ein (9:1) zesamenbindunge oder ein bant, umbe daz, wan er sich ge-
meinet ietwederre persönen in der driveltikeit oder gesellet, daz ist:
daz er den vater unde den sun in der driveltikeit zesamen knüpfet
in der minnen , die der heilig geist selber ist in der driveltikeit. Und
umbe daz ***) so sprichet man, daz daz erste gewäswiter, daz da entsprang
ander den engein (wan ez entsprungen was durch die glicheit, daz ist:
daz er got glich wolt werden) , daz daz selbe gewäswitter entspränge
durch des sunes willen in der gotheit; wan von dem sprichet sant
Paulus, daz er dekeinen roup getan hat, umbe daz er geahtet hat, daz
er got glich si. Man git ouch dem vater den gewalt in der driveltikeit
unde dem sun git man die wisheit nnde dorn heiligen geist git man
die minne in der driveltikeit.
Aber daz ander gewäswiter, daz da entsprank under den menschen,
daz selbe gewäswitter ensprank durch des sunes willen gottis, wan
also sprichet sant Paulus 'der sun in der driveltikeit ist gottis craft
unde gotis wisheit.' Nu merkent. Swer nrsach git des schaden, von
dem sprichet man, daz er den schaden getan habe, und umbe daz f),
so ist der gewärig Jonas (daz ist unser herre Jesus Cristus) der ist
sünderlich gesanI in diz ff) groze mer und in diz breite mer, daz ist
in dise werlt, in der er verslanden wart von dem vische , daz ist: er
wart begraben in dem grap. Wan also stät geschriben, rehte alse Jonas
*) verlören. **) diz. ***) daz fehlt. f ) daz fehlt. ff) dis.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 34 1
der prophete was dri tage unde dri nebte in dem buche des (9b) vi-
scbes, also so sol des menschen sun sin in dem herzen des ertricbes.
Nu stät anderswä geschriben fich kam in die hocheit des meres unde
die gewäswittere die versankten mich.' Umbe daz so kam der sun
gottis in dise weit, daz er widerbrehte alle die in dem himele und
in der erden sint, daz ist: daz er widerbrehte den val des engeis unde
den val des menschen.
Nu ist gottis sun gemachet under der e der schrift, umbe daz,
so daz er erlöste die da wern under der e der schulde , unde wider-
machte die e der nätüren mit der e der gnaden. Aber war umbe daz
got niht ensprach? Er hat widergemachet oder er hat gebotten oder er
hat geschaffen als wol, alse daz er sprach. Er sprach und siu sint ge-
worden, und er gebot und siu sint geschaffen. Und war umbe daz er
so grozen smerzen und so gröz pin unde so grozen itwize geruochte
ze liden durch unser sunden wille, war umbe er diz allez getan habe,
daz bevelhen wir der ewiger wisheit gottis , als sant Paulus sprichet
fö hocheit der richeit gottis' etc. Doch so hat diu hocheit des himel-
schen rätes gefüeget , daz er mit sinem töde hat erlöst daz menschliche
gesiebte , umbe daz er sine vigende enzunde mit der minnen und daz
er die höchfertigen brehti unde widerleite zuo der demüetikeit. Waz *)
wolt iuch mer enzünden zuo der götlichen minnen, wan daz got sinen
eigenen sun niht vertragen (10a) wolte, er gebe in in den tot? Wan er
sprichet in dem ewangeliö 'nieman hat grcezer minne, wan der sin sele
git für sinen friunt.' Waz möhte iuch nü mer zuo der demüetikeit rüe-
fen oder laden, denne daz der, der da was in der forme gottis und de-
keinen roup getan hat, daz er sich geahtet hat, daz er got glich si,
daz sich der genidert hat und an sich genomen hat glichnüsse unde
forme eines knehtes unde wart gehörsam biz in den tot des criuzes?
Nü waz möhte heimlicher unde verborgener sache sin dirre erlcesunge,
denne von der, daz der prophete David sprichet in dem salter fdiu er-
bermede und diu wärheit begegenöten ein ander.' Und ouch sprichet er
'diu gerehtikeit unde der vride hänt in umbevangen.' Wie daz doch diz
anders verstanden werde von etlichen unde von etlichen andern ouch
anders verstanden werde und bediutet werde, doch mac n.an ez wol
versten , waz zwiischen der barmherzikeit und zwüschen der wärheit
müelichez oder pinlichez geredd wart. Doch ist ze verstän, daz diu
wärheit zuo ir rief zuo einer helfe und zuo einem rate die gerehtikeit
und diu barmherzikeit diu gewan zuo einer rätgeberinnen unde zuo einer
342 FRANZ PFEIFFER
verwinnerinnen den vriden. Aber die zwo tugent die hoercnt wol zuo
der gütlichen wishcit, undc siu hat erwelt diu gütliche vriheit, umbe
daz er mit disem vriden stilti den krieg unde daz urliuge (lü1'). Sit
daz der herre von vriheit des willen siner obersten gäete gemachet hat
den menschen zuo sinem bilde unde zuo stnem glichnüsse , so wer ez
umbehoerlich und unzimlich, daz ein solich edel creatüre unde wirdigiu
alzemale verderben solte. Aber und wer si verdorben, so wer Tottis
meinunge gehindert unde verdruket; wan dar umbe so hat er den
menschen gemachet, daz er in bekante, und so er in bekante, daz er
in denne minnöte, und er in denne, so er in geminte, alle zit in siner
minne behüebe, und daz er also behalten würde unde selig würde in
der selikeit. Wan war umbe hete got den menschen gemachet, und hete
er in erkant, daz er alzemale verlorn solte sin ? daz enmöhte von de-
keime guoten willen geschehen, sunder ez müeste geschehen von einer
freislicher ungenedikeit; und dar umbe so wer ez ein groz unmiltikeit
und ungenedikeit, und vergeze got, daz er sich niht erbarmte über den
menschen, und er ouch sin erbarmherzikeit behüebe in sinem zorn vor
dem menschen.
Aber doch so ist war und ist ze merken nach dem daz diu schrift
geziuget, sit daz got dekein ding enhazzet die er geschaffen hat, umbe
daz so gevellet im wole, daz er sich erbarme über den menschen, und
also so wil er, daz nieman verderbe. Aber diu wärheit der gerehtikeit
von rehtem rate antwertet si in diser wis und sprichet also : sit daz got,
der unschuldig ist in allen dingen unde von dekeinen dingen ze schul-
digen ist, daz der von gerillte oder urteile siner (lla) gerehtikeit durch
die sünde der menschen beslozzen käte daz paradise und häte gesetzet
für die türe des paradises den Cherubin und ein fiurinz swerte, so daz
der engele betwunge den tiufele und daz fiurin swert den menschen
betwunge, und also so wer ez umbillich und unbehoerlich, daz er daz
paradis wider üf entslüzze den boesen menschen , unde wer ouch
unpillich, daz er gebe die heilikeit den hunden, oder daz er würfe die
margariten für diu swin. Wan got disses niht entuot, so ist daz war,
daz got vergütet die gäbe den höchvertigen. Daz ist zuo versten, daz
got dekein boesiu werc ungerochen lat, wan er tnot einem ieklichen
nach sinen werken, wan als diu schrift beziuget unde sprichet rsiu
hänt alle mit einander geneiget zuo der bösheit unde sint alle üpig
und itel Avorden.' Wan alle menschen die sint unrein, wan siu sint alle
enpfangen von einem unreinen sämen und hänt sich angenomen ze
sünden. Noch fürbaz so sprichet diu barmherzikeit noch mer: wie doch
daz si, daz der mensche sere unde vil gesündiget habe, doch so hat
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 343
er dar nach volkomniu riuwe gehept, und dar umbe, swaz der sünder
verlorn hat von der sünde wegen, daz bringet er allez wider mit der
riuwe unde mit der buoze. Wan also sprichet unser herre in dem ewan-
geliö 'swelher zit daz der sünder vergibt siner sünden , so werdent si
im ]iuterlicben vergen.' Aber her (llb) wider so sprichet diu wärhcit
und antwertet mit solichen Worten unde sprichet also: swie daz ist,
daz diu riuwe die sünde vertilget , aber doch so gibet si niht wider
die unschult und die ersten lüterkeit , wan alle zit so blibet doch diu
neigunge unde diu füerunge der sünden, wan diu senungc unde diu
klage der nätüre oder der jämer der nätüren ist ein morder des vlei-
sches. Und umbe daz, swie daz doch diu riuwe miige abe n einen die
pine der hellen, doch so mag si niht wider geben daz lieht der güen-
lichi. Wan also sprichet diu schrift 'alle menschen habent gesundet
und alle bedürfent si der gnade gottis.' Aber daz dekein unreinre
mensche geantwertet würde dem götlichen antlütze , und disiu ding
einander begegnuteu, so hat diu götlich wisheit wislich und fürsihtic-
lichcn bedäht die gedenke des vriden, unde sach, daz diu gerehtikeit
geseret würde unde geleidigöt würde , niuvven ez würde denne der
mensche umbe ein ieglich sünde gepinigöt. Aber diu erbermede oder
diu barmherzikeit verdürbe zemale unde were ze nihtiu guot, unde were
daz der mensehe umbe ein ieglich sünde volkomenlich gepinigt soltc
werden. Aber sit daz got gereht ist und ouch barmherzig vil mer,
wan er selber ist diu gerehtikeit unde diu barmherzikeit , so enmöhte
er niht würken äne die barmherzikeit noch enmöhte niht getuon wider
die gerehtikeit; wan diu barmherzikeit unde diu gerehtikeit sint alle
die wege gottis. Unde da von sprichet der prophete 'diu barmherzikeit
( L2a) und daz gerillte habent dir gesungen.' Und also so hat er ein
wis fluiden , mich der wise er gnuog getan hat einem ieklichen von
disen zweien, daz ist: der gerehtikeit unde der barmherzikeit. Er hat
sin gerillt dar über getan und sin urteil dar über gegeben, daz er an
sich neme arbeit unde liden für alle menschen, und daz er allen men-
schen durch sin selbes willen gebe die himelschen güelichi. Und umbe
daz so habent sich umbevangen under einander unde gehalsen diu ge-
rehtikeit und der vride und sint über ein komen.
III.
Ir sülent wizzen, daz man hiutebegät die erschinunge unsers herren
und niht begat man alleine ein erschinunge, sunder man begät drivelticlich
erschinunge, alse wir ez verstanden unde vernomen haben von unseren vete-
ren: hiute ist erschinen unser deiner künig Jesus Christus. Dolützel tege
344 FRANZ PPEIPFEB
vergangen wären, ja nuowen zwelfe lege nach siner geburt, dö erschein er
den früegen opfern der heidene, dazist dendrien künigen, die da warn ein
f'rüegez opfer, wansi wären die ersten, die sich zuo Christo unde zuo dem
glouben kerten under allen heidenen. Den erschein er hiute mit erliuh-
tunge des Sternes, der ob in hiute erschein. Zuo dem andern male so
erschein er dö er drizig jär gelebt häte nach dem fleische (der doch
daz selbe ist nach der gotheit daz got ist, wan siniu jär und sin alter
enhät dekein ende) under den scharen des Volkes, do er (12'') heimli-
chen gieng zuo dem Jordäne und getoufet wolt werden. Aber er wart
gekündet von dem vater, der im geziucnüsse gäbe, dö er sprach rdiz
ist min sun, in dem ich mir wol gevalle.' Und zuo dem dritten male
so ist er hiute erschinen do er mit sinen jungern geladen wart zuo der
brütlöft, do da wines gebrast, do er diu zeichen tet siner wunderlicher
grözer almehtikeit , daz er wazzer ze wine verwandelöt. Aber diz er-
vroute si, wan ez in der jugent unsers behalters geschehen ist. Die
selben erschinunge solen wir mit grözein vlize unde mit grozem ernste
ansehen , wan si ist diu alre lüstlichöst unde man erkennet daz wol,
daz si hiute aller sünderlichöst ze begände ist.
Nu merkent, daz hiute (alse wir vernomen haben in der lectien
des ewangelis), daz die künige hiute komen sint 'von Oriente, daz ist
von dem teile der werlt da *) diu sunne üfgät, zuo Jerusalem. Ja pil-
lich so koment si von orient, die da der sunnen der gerehtikeit ge-
kündet habent einen niuwen üfganc, unde die da mit einem niuwen
mere alle die werlt ervrouwet habent unde mit einem vrcelichen mere,
unde die alle die werlt erliuhtet habent , sunder nuowen alleine die
judischen diet. Wan siu daz lieht haztön, so wurden si von der clärheit
des niuwen schines verdunkert, und ieriu dunkelen ougen von der clär-
heit des schines der ewiger sunnen wurden si noch mer verdunkelt
unde verblendet. Aber die künige, die da komen von orient, waz die
gesprochen haben, daz sülen wir nü beeren.
cWä ist der da ein künig geborn ist der Juden?' Owe weih ein
starker gloube! (13a) wan si enzwffelten fürbaz niht mer, wan si en-
suochten noch envrägtön niht, ob er geborn were, sunder siu retton
von einer ganzer getrouwunge unde vrägtön äne allen zwifel , wä er
were der da geborn were künig der Juden. Aber dö der künig Herödes
gehörte in nennen einen künig, dö erschrac er und ervorhte, daz er in
an sinem künkrich hindern solte. Aber doch so enist ez dekein wunder,
daz der künig Herödes betrüebet wart , sunder daz ist ze wundern,
*) do.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 345
daz diu stat ze Jerusalem, diu da genennet was und ist ein stat gottis
und ein stat des vriden, daz diu mit Herode betrüebet was. Wen ver-
wundert disses niht?
Nu nement war, lieben brüeder, wie schedlich daz grözer gewalt
ist unde boeser gewalt, wie daz daz boese houpt leret unde wiset die
bösheit alle die, die im undertenic sint! Owe weih ein unreiniu unde
jemerliehiu stat diu ist, in der daz der künig Herödes richsenut! wan
ane zwifel si wirt teilhaftig aller der bösheit, die da Herodes begat,
unde si wirt beweget von betrüebde von dem üfgange des hiutigen
schines, des hiutigen liehtes, daz hiute niuwes erschinen ist. Aber ich
getriuwe daz wol , daz hiute nieman under uns hie ist, in dem daz
Herodes richsene. wie doch daz geschehe, daz er zuo etlichem koemc,
doch daz in got bekeret. Wan wizzent, daz hiute ein bösheit ist Herödis
und ouch ist ez ein bösheit von Babilön, daz ein mensche wil erleschen
die geistlichen geburt in der sele (13b) und der diu kleinen kint von
Jerusalem zertruket, daz sint diu guoten werc und die guoten gedenke,
der die vertribet. Wan swaz daz ist, daz da gehoert zuo der selikeit,
oder swaz geistlicher gebürt entspringent in der sele, swer den wider-
stät oder swer den widerstritet oder vihtet, sicherlich der pinigt sich
unde müeget sich dar zuo, wie daz er mit den von Egipten verderbe
unde toete diu kleinen kindere des sämen von Jerusalem, daz sint elliu
tugentlichiu werc des menschen; ja er ehtet den behalter mit Herode.
Nu sülen wir nach volgen der historien, die man hiute angevangen
hat, daz ist: wir sülen fürbaz von der materiell hiute reden. Ich wil
daz glouben, swer diz von im wizze oder an im erkenne, er vlize sich,
daz er sich fürbaz davor behüete unde strafe an im selben daz herö-
dianische gemüete, daz er iht teilhaftig werde des tödes oder eins soli-
chen tödes , alse Herodes genomen hat. Und also die künige , die da
suoehten den künig der Juden, und ouch Herodes, der da die schriber
und die meister der schrift vragte von der stat, da unser herre geborn
wart, und die selben alle, nach dem alse der prophete gesprochen hat,
so hänt sie alle gekündet den namen der stat, da unser herre geborn
wart. Do aber die künige fuoren von Jerusalem und die Juden verliezen,
sehent, dö erschein aber der sterne unde gie vor in, den si da gesehen
hattön in Orient, unde gie vor in enweg an die stat, da Christus ge-
born wart. Hie mite git man oflenlich zuo verstan, daz (14a) man mit
dem menschlichen rate verliuset gerne dieleitunge und die wisunge gottis,
daz ist: swer vil die menschen vräget, den wiset noch enfüeret got
niht gern; und ouch, swer sich keret oder erbiutet zuo der irdischen
lernunge, der verliuret gerne diu himelschen zeichen. Und da von ge-
346 FRANZ PFEIFFER
schach daz, daz als balde, so daz die künige Herödem geliezen, zehant
so wurden siu gevrouwet mit einer grözen vroude. Nu merkent. Der
steine der gie vor in unde gieng biz daz siu körnen dar daz kint ge-
boren was. DA, stuont der sterne , unde siu giengen in daz hüs und
fanden daz kint mit siner muoter Marien, und siu vielen nider für daz
kint und betöten ez an. Eyä, ir lieben vrömeden künige, wä von hätönt
ir disses, daz in disiu gnade geschach? noch wir enhaben niht funden
solichen glouben in Israhel. Enwiderstät in niht der stal oder diu
wonunge des stalles? oder ist in niht wider diu arme wiege der krip-
pen, noch enwas iu niht wider der armen muoter gegenwürtikeit, noch
enschemtent iuch niht von dem sügenden kindelin ? Nu merkent fürbaz,
alse der ewangeliste sprichet: siu täten üf ir schetze oder in hörde und
brähten im gäbe : daz was golt und wirrouch und mirren. Wan und
were daz, daz siu alleine golt bräht beten, so möhte man wenen, daz
siu geraten heten der armen muoter, daz si vil guotes behüebe oder
vil guotes behielti , da mit si iren deinen sun ziehen möhte. Nu hänt
aber siu (14b) mit ein ander golt und mirren und wiröch bräht. Sunder
zwivel hie mit offenbärent siu und bewisent ein sünderlich geslehte
eines opfers, oder siu gäben hie mit zuo versten sünderlich opfer. Daz
golt daz fürtriffet oder ist daz edelst under allen richtuomen, und ist
da bi ze merken: swenne wir genziclichen zemäle verläzen die rich-
tüeme und daz guot dirre weit, daz wir uns selber denne geopfert
haben von siner gnaden andehticlichen dem schepfer unserm herren.
Wan ez ist nötdurft, swenne daz wir volkomenlichen versmäht haben
diu irdenischen ding, daz wir denne mit einer blüegender ernstlicher
begirde diu himelschen ding snochen. Wan also so opfern wir den
gesmak des wiröches. Bi dem ist uns zuo versten , alse man liset in
sant Johannis buoch der tougni, diu gebete oder daz gebete der hei-
ligen. Und da von so sprichet der prophete in dem saltere rherre, min
gebet daz werde gerihtet für din antlütze , alse der rouch des wirou-
ches.' Und also liset man an einer andern stat in der schritt , daz daz
gebet des gerehten durchdringet die himele; aber niht aller menschen
gebet, sunder nuowen daz gebet des gerehten. Wan swer der ist der
siniu ören keret von den gebotten gottis daz er siu iht hoerc, des gebete
ist sere ze scheltenne. Und dar umbe, wilt du gereht werden und wilt
daz du diniu ören niht enkerest von den gebotten gottis , üf daz er
niht enkere siniu ören (15a) von dinem gebette, und her zuo so ist
notdürftig, daz du niht alleine die gegenwertige zit versmähest, sunder
ouch daz du kestigest und pinigest din vleisch oder dinen lip und
machest in undertenig dem gütlichen dienste. Wan der, der da gespro-
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIII. JAHRHUNDERT. 347
eben hat an einer stat in dem ewangeli 'nuowen swer niht widerseit
oder sich verzihet alles des , daz er besezzen hat oder swaz er hat,
der enniag min junger niht gesin.' Und ouch sprichet er an einer an-
dern stat fwilt du volkomen werden, so verkouf allez daz du habest
und gib ez armen liuten und küm und volge mir nach.' Und des gliches
sprichet er an einer andern stat fswer mir nach welle volgen, der ver-
loukene sin selbes und hebe üf sin criuze und volge mir.' Und diz hat
bediutet sant Paulus unde sprichet 'alle die, die da sint unsers herren
Jesu Christi, die haut gecriuziget ir vleisch und iren lip, der da mit
Untugenden und mit boesen begirden besezzen was.'
Und dar umbe so sol unser gebette haben zwene flügele oder
zwo vetichen. Diu ein ist versmahunge dirre werlt, diu ander ist kcsti-
gunge des vleisches. Und daz were äne zwivel, daz ein solichez gebette
durchdrunge den himele unde gerihtet würde alse der rouch des wir-
rouches für daz antlütze gotis. Aber diz gebette oder diz opfer daz
wirt got dankneme. In welhem opfer? in deine, da mit dem golde und
mit dem wirrouch ouch ist diu mirre. Wan wie daz ist, daz diu mirre
bitter ist, so ist (15b) si für fiuli guot unde si behaltet den lichamen
frisch von fiuli, den lichamen, der da tot ist von der sünde wegen,
also daz er niht gefliezen mac fürbaz in groezern gebresten noch sünde,
also daz er niht fürbaz gefülen müge.
Disiu rede alle ist dar umbe nuowen gesprochen kürzlichen durch
des willen , daz man nach volge der opferunge der drier künige. Zuo
dem andern male ist ez dar umbe gesprochen, wan wir diz opfer oder
dis höchzit heizen ein erschinunge umbe daz, wan dar inne erschinen
ist, daz ist: daz da, hiut an disem tage erschinen ist, daz ist wirdig
und ist ouch zimlich, daz wir daz suochen. Nu ist ze merken nach
sant Paulus Worten , daz hiute erschinen ist diu gnedikeit oder diu
miltikeit und diu menscheit unsers behalters, unsers gottis. Sehent,
wir hän hiute gehört in dem ewangeli, daz die künige, do si in körnen
gegangen in daz hüs, do funden siu daz kint mit Marien siner muoter.
Waz ist nü anders ze merken an des kleinen kindes lichamen, daz diu
magt Marie sin muoter zöch und sougte in irme schözen *) oder an irme
herzen? Niht anders nuowen die wärheit, daz erschinnen was daz ge-
wärig fleische, daz daz ewig worte an sich genomen hate. Nü waz ist
da bi ze merken, daz daz kleine kindelin mit siner muoter funden wart?
Nuowen daz der gewärig mensche des gewarigen menschen sun er-
schein (16a).
Nü merke die andern erschinunge und ahte, ob niht eigenlichen
an dirre erschinunge beweret unde beziuget si **) von der stimmen des
*) schoschen. **) si fehlt.
348 FRANZ PFEIFFER
vaters, daz dirre mensche ist gottis sun , wan die himele die wurden
ob im üf getan und der heilig geist in einein liplichen gestaltniisse
einer tuben kom er von dem himel nider unde saz üf in , unde diu
stimme des vaters diu wart gebeert in dem lüfte unde sprach 'dirre
ist min geminnoter sun, in dem daz ich mir selber wol gevallen hän.'
Und des gliches so ist wol ze merken und zuo verstenne, daz der selbe
mensche an den selben Worten, diu der vater sprach, und ouch an der
erschinunge der tüben, von not daz muoz sin, äne allen zwivele, daz
er si der gewärig got; wan nieman der zwivelot hir an, daz der men-
schen süne niht ensien menschen, und ouch der vihe *) kindere en-
zwivelet man ouch niht nuowen si sien irs geslehtes, von dem daz sin
geborn werdent: des enzwivelt nieman. Doch so sülent ir wizzen, umbe
daz, daz nieman dekeiner irresal oder irrunge, dekeines ungelouben
blibe oder habe, so sint die drierhant erschinunge hiute erschinen.
Wan bi der ersten erschinunge so ist ze merken, daz er ist ein gewärig
mensche, und ist beweret und erliuhtet, daz er ist ein sun der men-
schen. Unde mit der andern erschinunge ist uns ze versten gegeben,
daz er ist der herre, der gewärig gottis sun. Und an der dritten er-
schinunge ist ze (16b) merken, daz er ist der gewär got und ein sche-
pfer aller nätüren und ein herre. Wan von sinem gewalt unde von siner
herschaft so verwandelönt sich alle nätüren, und dar umbe, vil lieben,
so sülen wir Cristum minnen rehte als einen gewärigen menschen und
ouch alse unsern bruoder. und ouch so sülen wir in erun *) alse gotis
sun unde sülen in an betten alse got. Wir sülen sicherlichen an in glou-
ben. Ja wizzent , min brüedere , wir sülen im sicherlichen glouben,
wan ime gebristet dekeiner mäht, er habe wol mäht, daz er uns wol
behalten müge unde selic machen müge, wan er ist der gewär got und
der gewäric sun gotis. Und ouch so gebristet im dekeines guoten willen,
er welle daz wir selic sien , wan er ist von unserre nätüre geworden
ein gewär mensche und ein sun der menschen. Und wie mohte er uns
werden unhoerlich, nuowen er müeste unser gebet hoeren, wan er durch
unsern willen worden ist uns glich lidende, wan er was lidelich unde
leit alse ouch wir.
Nu merkent. Und ist daz ir begerent etwaz ze hoeren von disen
erschinungen zuo einer lere , so daz ir da von etwaz geleret wellent
werden zuo iuwerre bezzerunge, so daz ir da von gebezzerot mügent
werden , so sülent ir des ersten merken , daz Cristus des alre ersten
erschein ein kint mit siner muoter. Und hie bi sin wir gelert, daz wir
*=) vehe. **) in fehlt.
DREI PREDIGTEN AUS DEM XIH. JAHRHUNDERT. 349
vor allen dingen (17a) einvaltige *) unde demüetig sülen sin. Sant Ma-
theus schribet ouch in dem ewangelio von dirre höchzit also , und hie
bi sülen wir merken, daz wir ouch opfer sülen bringen dem gebornen
künige, wan er ist ein iteler oder ein üppiger bitter, der niht mit an-
däht hiute disem kindelin opferet. Wan also schribet Moyses in dem
buoche Exodi 'vor minem antlütze sol nieman itel noch lere erschinen.'
Nu sülen wir des ersten ze opfer bringen golt. Daz ist also ze verstau,
daz wir uns mit vlize üeben sülen und uns erheben sülen über uns
selben in die gütlichen wisheit, unde sülen da schouwen, wie guot daz
got in im selber si, und wie wirdic und wie löblich er mit dem men-
schen si. Wan also sprichet Salomon in der wisheit buoch 'diu wisheit
ist verre bezzer denne alle kostlicher richtuom oder richeit, und dekein
dinc, wie begerlich oder wie lustlich ez si, daz enmac sich niht glichen
der wisheit.' Und noch **) sprichet Salomon in der wisheit buoch vi!, c.
'ich hän si gesast oder geahtet für elliu rieh und für alle stüele ,' daz
ist für allen gewalt , unde hat ***) ouch gesprochen , daz dekein lich-
tuom ir glichen müge.
Zuo dem andern male so sülen wir opfern wirrouch, daz ist unser
andehtigez gebet, des wir uns flizen sülen. Wan also sprichet David
'herre, rihtc unser gebet für din angesiht.' Nu merkent. Daz wirrouch
(I7h) smeket wol unde riuehet wol unde brinnet in dem fiuwer. Also
sol ouch unser gebet widersmeken oder widerriechen mit emzigunge,
so daz wir ez enizicllchen tuon sülen. Wan also sprichet sant Lucas
in dem ewangelio 'man muoz alle zit betun unde niemer sol man abe-
län'. Daz gebet sol riechen mit demüetikeit, wan also ist geschriben
in ecclesiaste xxxv. c. 'daz demüetige gebet daz durchdringet die
gewolken und den himel.' Und daz gebet sol ouch brinnen von andäht,
wan also sprichet sant Paulus zuo den Chorinten xini. c. 'ich psalliere,
daz ist : ich fröuwe mich geistlichen mit dem geiste, und ouch psalliere
ich mit dem gemüete.'
Und zuo dem dritten male so sülen wir opfern die mirren, daz
ist: wir sülen bettun mit riuwe und mit bitterkeit des herzen unde
mit arbeit des libes. Diu mirre ist bitters gesmakes und diz meinet
bitterkeit der buoze oder der riuwe. Wan also der mage von überiger
oder unmeziger spise den süezen smak verliuset nnde wirt widerbräht
von dem bittein trank des arzätes, also wirt des menschen herze, daz
da erfület ist von liebi der sünde, daz enmac von dekeinen dingen so
wol widerbräht werden so von bitterkeil ( 18") des herzen und alremeist
*) einvoltige. **) ouch. ***) hau.
350 EEINIIOLD KÖHLER
daz man dem herzen dike die bitterkeit ze drinken gebe. Wir sülen
drinken win mit mirren, daz ist mit betrahtunge nnsers herren marter.
Von dem so sprichet David 'du hast uns getrenket mit dem wine der
riuwe.' Wan also vil so ist diu riuwe seliger unde bezzer dem menschen,
also vil so ez bitterre ist von gedenkunge der sünden oder betrahtunge.
Nu fürbaz. Diu mirre widerstat der fiuli , wan swar zuo man si leit
daz enfület niht gerne. Und da bi ist ze merken üebunge des libes.
Von dem so sprichet Salomön in der minne buoch rmin liep ist ein
mirrenbüschelin oder min geminter.' Und fürbaz sprichet er fmin ge-
minter mir und ich im.' Und hie von sprichet sant Bernhart; er spri-
chet niut ein bürdi, sunder er sprichet: ein bürdelin ist min geminter,
daz' ist, daz er mit minnen oder von minnen, die si zuo im hat, lihticlich
si füeret unde lihticlich treit, waz er ir arbeit erzeiget unde smerzen.
ADAMS ERSCHAFFUNG AUS ACHT THEILEN.
Jacob Grimm hat in der zweiten Ausgabe der deutschen Mytho-
logie S. 531 ff. und in den Nachträgen dazu S. 1218 fünf der Zeit
und dem Ort nach einander fern liegende Überlieferungen von der Er-
schaffung Adams aus acht Theilen beigebracht. Seitdem aber sind noch
mehrere Aufzeichnungen hinzugekommen , auf welche aufmerksam zu
machen um so weniger überflüssig ist, als sie zum Theil in minder
allgemein bekannten Werken sich zerstreut finden.
In dem angelsächsischen Dialog zwischen Saturn und Salomon
(Thorpe's Analecta S. 95) lesen wir: „Saga me bret andworc ne Adam
wods of-ge-worht se arusta man? Ic ne secge of viu punda ge-wihte.
Saga me hwaet hatton nage? Ic ne secge ba?t abroste wses földan pund,
of ctam bim wass flesc ge-worht; oder wses fyres pund, ])anon him wses
na2t blöd read and hat; bridde wses windes pund, nanon him wses seo
asdung ge-scald; feortle w»s wolcnes pund, nanon him waes Ins mödes
unstadel fsestnes ge-scald; fifte wa?s gyfe pund, nanon him wass ge-
scald se fat and gedang; syxste waes blostnena pund, nanon him wass
cagena myssenlicnys ge-scald; scofode was deawes pund, nanon him
becom swat ; cah to the wass sealtes pund, ])anon him waaron pa teares
sealte." Also aus Erde das Fleisch, aus Feuer das rothe und heiße
Blut, aus Wind der Athem, aus Wolken des Sinnes Unbe-
ständigkeit, aus (?) Fett und Sehnen, aus Blumen die Augen,
aus Thau der Schweiß, aus Salz die Thränen. Dieß stimmt, ab-
gesehen von der Aufeinanderfolge, genau mit dem Rituale ecclesise clunel-
ADAMS ERSGH^FFUNG AUS ACHT THEILEN. 351
mensis bei Grimm S. 531 bis auf einen Bestandtheil. Dort haben wir:
„pondus gratiae, inde est sensns hominis;" oder nach der angelsächsi-
schen Interlinearversion: „pund gife, of pon is poht monnes; hier:
gyfe pund panom him wres ge-scald se fat and gedang."
In einer englischen Räthselsammlung des 15. Jahrhunderts rQue-
stions bitwene the Maister of Oxinford and Ins Scoler' (Reliquia) an-
tiquae 1 , 230) wird gefragt : „ Whereof was Adam made ?" und geant-
wortet: „Of vmthingis : the first of erilw, the second of fire, the iud of
toynde, the nn,h of cloivdys , the vth of aire where thorough he speketh
and thinketh, the vi,h of dewe whereby hi sweteth , the vnth of flowres
wherof Adam hath Ins ien, the vm is salte wherof Adam hath salt teres."
Hier haben wir wieder genaue Übereinstimmung der Bestandtheile mit
den beiden angelsächsischen Überlieferungen bis auf einen Bestandtheil,
der in allen dreien ein anderer ist, und hier zwar: die Luft, wodurch
der Mensch athmet und spricht*).
Aus einer provenzalischen Sammlung von Räthselfragen hat Karl
Bartsch in der Germania 4, 314 unter andern das folgende mitgetheilt:
„De cantas causas fo fags Adam ? De vn **) : de limo e de l'ayga de la
mar e del solelh e de las nivols del cel e del ven e de peyras e del
santz esperitz : del limo della terra fo facha la sia carn, el sanc de Vayga
de la mar, eis huells de solelh, car enaysi coma lo solelh es lums de la
terra, enayssi so los huells del cors, e de la nivol fo facha la cogitatio,
e del venl [-.••], e de las peyras son los osses, e del santz esperitz
Varma. enayssi co fo fagz del limo de la terra , dec esser plus lis e
de l'ayga motz savis e del solelh motz nobles e las nivols motz cars
e del ven motz laugiers e de las peyras motz durs e dels santz esperite,
per que dec esser motz bos e motz hobediens a nostre senhor dieus
et als cieus mandamens."
Diese provenzalische Überlieferung stimmt genau , auch in der
Reihenfolge der Bestandtheile, mit der französischen bei Grimm S. 1218
aus Paulin Paris les manuscrits fran^ais de la bibliotheque du roi 4,
207, nur ist sie unvollständig. Denn zunächst fehlt die Angabe dessen,
was aus dem Winde entstanden ist, nämlich der Athcm, und dann die
Angabe des achten Bestandtheils und dessen, was daraus erschaffen.
Aus einer Handschrift des Brittischen Museum (Cod. Clarend.
vol. XV. fol. 7 p. 1) ist in dem neuerdings erschienenen Werke 'Three
*) Die Stelle aus Saturn und Salomon und aus den Questions hat Thomas Wright
in den Anmerkungen zu: The vision and creed of Piers Ploughman. Second edition.
London 1856, 2, 532 beigebracht.
**) Gedruckt in der Germania ist XII.
352 REINHOLD KÖHLER
irish glossaries. With a preface |and index by W. S. London 1862,
S. XL fl1. die folpende irische Aufzeichnung bekannt gemacht worden :
„Is fisigh cidh diandernadh adham .i. do vii[i] rannaib: in ced
rann do talmain : indara rann do mui : in tres rand do ghrein : in ce-
thramha rann do nellaib: in cuigid rann do gaith: in se[isedb] rann do
clochaibh : in sechtmadh rann don spirad naomh : [in tochmadh rann do
soillsi in domuin]. Rand na talman, as 1 sin in colann in duine: rann na
mara, is i sin fuil in duine: rann na greine a qhne 7 a dreach: [rann
dönellaib ]; rann nagaoithe anal an duine: rann na doch a chnamha:
rann in spirada naoim in anmain [leg. a anam] : an rann dorighne[dh]
do soillsi in domuin as i sin a chräiqheacht [leg. chräibhdheacht]. Madhi
in talmaidhecht bhus fortail isin duine bud lease. Madhi in inuir budh
enaidh. Madhi an grian bud alainn beödha. Madhiat na neoil bud otrom
druth. Madhi in gaoth bud laidir fri gach. Madhiat na clocha bud cruaidh
do traoth a[dh] 7 bu gadaiqhe 7 bu sanntach. Madhi in spirad naomh
bud beodha deqhgneach 7 bud lan da rath in scribtuir dhiadha. Madhi
in tsoillsi bü duine sogradhach sotoqhtha."
D. h. nach der Übersetzung des Herausgebers ins Englische: „It is
worth knowing what Adam was made of, i. e. of eight part: the first
part, of earth; the second part, of sea; the tliird part, ofsun; the fourth
part, of clonds; the fifth part, of wind; the sixth part,', of stones; the
seventh part, of the Hohj Ghost, [the eight part, of the light oftheivorld]
The part of the cartli , this is the man's body ; the part of the sea , this
is the man's blood; the part of the sun, Ins face and Ms countenance;
the part of the clouds. . . .]; the part of the wind, the man's breath; the
part of the stones, his bones; the part of the Holy Ghost, his soul; the part
that was made of the dight of the world, this is his piety. If it be the
carthiness that is prevalent in the man, he will be slothful. If it be the
sea, he will be changeful (?). If it sun, he will be beautiful, lively. If it
be the clouds, he will be light, forlish. If it be the wind, he will be
strong to every one. If it be the stones, he will be hard to subdue and
be a thief and be covetous. If it be the Holy Ghost, he will be lively,
of a good countenance, and be füll of the grace of the divine scripturc.
If* it be the light, he will be a loveable, sensible man."
Auch diese irische Aufzeichnung stimmt genau mit der französischen,
und auch der achte Beständtheil, dort „la clarte du monde", hierdasLicht
der Welt, fehlt nicht. Daß es im Französischen heißt: „la clarte du monde
signifie Criste et sa creance", und im irischen : der Theil des Lichts der
Welt ist die Frömmigkeit des Menschen, kömmt auf eins hinaus. Ebenso
wenn im Französischen aus dem heiligen Geist das Leben, im Irisehen
und Prövenzalischen die Seele herrührt.
ADAMS ERSCHAFFUNG AUS ACHT THEILEN. 353
Die französische, provenzalische und irische Überlieferung fließen
offenbar aus einer und derselben Quelle , ohne Zweifel aus einer lateini-
schen. Läge sie vor, dann würden sich auch die scheinbaren Abwei-
chungen in der Angabe der Eigenschaften beim Vorwiegen irgend eines
der acht Theile wohl nur als verschiedene Übersetzungen herausstellen.
Die französische Überlieferung gibt — was Grimm nicht mitgetheilt
hat — als ihre Quelle die Offenbarung des Methodius*) an, allein man
sucht vergeblich diese Erzählung von Adams Schöpfung darin.
Mit der Stelle aus Gottfried von Viterbo bei Grimm S. 532 stimmt
genau eine Stelle eines nicht näher bezeichneten Gedichtes einer Grazer
Handschrift , welche Diemer in den Anmerkungen zu seinen deutschen
Gedichten S. 78 hat abdrucken lassen. Der Dichter muß aus Gottfried
selbst, oder aus derselben Quelle wie dieser, geschöpft haben.
Endlich gehört noch hierher eine Stelle aus einem Tractate des
Bruders David von Augsburg (Zeitschrift 9, 29). Dort wird vom Men-
schen gesagt: „aller dinge nätüre und glichnisse ist in ime: der erden an
dem vleische , der steine an dem gebeine , des luftes an dem geiste , der
winde an den blausten, des fiures an der werme, des wazzers an dem bluote,
der liehte an den ougen , der bäche an den ädern , des himels an der
hirneschalen." — Man bemerke, daß hier die Adern von den Bächen
herrühren. Sonst kommen die Adern nur noch in dem Gedicht der Vor-
auer Handschrift bei Grimm S. 532, bei Diemer S. 320, vor, wo sie
aber aus den Kräutern (würzen) hergeleitet werden.
Schließlich erwähne ich noch, daß der englische Herausgeber jener
irischen Aufzeichnung, die er als besonders interessant wegen ihrer
Übereinstimmung mit den von Grimm angeführten Überlieferungen be-
zeichnet, dazu noch bemerkt: „Ich confess that to ine it appears to have
quite a Talmudic appearance. A some what similar passage, however,
oecurs in Yäjnavalkya," s. Dharmacastram , ecl. Stenzler , 76, 77, 78,
See, too, Spiegel's Die traditionelle Literatur der Parsen, S. 116.
Die Stelle aus Yajnavalkya's Gesetzbuche lautet nach Stenzlers
Übersetzung: 'Von dem Äther bekommt er (der Mensch im Mutterleibe
im dritten Monat) Leichtigkeit, Feinheit, Laut, Gehör, Kraft u. s.w.;
von dem Winde Gefühl, Bewegung, Entfaltung der Glieder und Härte.
Von der Galle das Sehen, Verdauen, Hitze, Aussehen, Glanz; vom
Wasser den Geschmack , Kälte , Geschmeidigkeit , Feuchtigkeit und
*) Nicht des Methodius Patarensis, des Bisehofs von Tyrus, im 3. Jahrhundert,
sondern wahrscheinlich eines Patriarchen von Constantinopel dieses Namens aus dem
13. Jahrhundert.
GERMANIA VIT, 23
354 FEDOR BECTT
Sanftheit. Von der Erde Duft und Geruch , Schwere und Form. Alles
dies bekommt der neugeborne Geist im dritten Monat , dann bewegt
er sich.'
Nach der citierten Stelle aus Spiegel's Werke heißt es im Bund-
chesch bei der Auferstehung: Zu jener Zeit entstehen (wieder) aus der
göttlichen Erde die Knochen, aus dem Wasser das Blut, aus den Bäumen
die Haare, aus dem Feuer die Lebenskraft, wie sie das bei der ursprüng-
lichen Schöpfung angenommen haben. Vgl. Grimm S. 536.
WEIMAR, Juli 1862. REINHOLD KÜHLER.
ÜBER JOHANNES ROTHE
VON
FEDOR BECH.
VII.
In dem sechsten Bande dieser Zeitschr. S. 51 — 67 *) wurde der
Versuch gemacht, das von Vilmar herausgegebene Gedicht „Von der
stete ampten" u. s. w. Johannes Rothen zuzueignen und auf S. 61 zu-
gleich vermuthet, daß der eigentliche Titel des fraglichen Werkes
„Des rätis czucht" gelautet habe. Diese Vermuthung gründete sich auf
eine in den Eisenacher Rathsfasten dem Namen Reinhardus Pinckernail
beigefügte Bemerkung: hie Reinhardus auetor est ritmorum Germanico-
rum qui inscribuntur des rathes zucht , ut pal[et] ex litteris initialib\us]
majusculis. Es kam dabei hauptsächlich darauf an , den Namen Rein-
hardus in den litteris majusculis (den houbitbuochsiaben) wiederzufinden.
Die aus der Fuld. Handschr. dort mitgetheilten Hexameter zeigten vom
Akrostichon wie es schien noch die Silbe Rein . . . . , alles übrige war,
so wurde weiter vermuthet, in Folge des Ausfalls mehrerer Verse ver-
loren gegangen. Jetzt liegt mir eine durch die Güte eines Freundes
besorgte Abschrift der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ge-
fertigten Berliner Handschrift (hinter Philipps Marienleben, vgl. v. d.
Hagens und Büschings Grundriß S. 420 — 421) vor, welche schon
darum mitgetheilt zu werden verdient, weil sie nicht nur die Vermu-
thung jener Lücke in der Fuld. Handschr. bestätigt, sondern auch das
*) In der citierten Abhandlung muß es S. G2 Z. 14 ff. der Deutlichkeit wegen
heißen : „bei ihm stehen die beiden gereimten Vershälften , wie jedenfalls schon in der
Fuldaer Handschr., noch unter einander statt" u. s. w. Ferner auf S. 54 Z. 20 sind die
Worte: „hiernach ist" u. s. w. bis „nichts Anstößiges hat," zu streichen, desgl. auch S. 63
Z. 13 — 15 von „dagegen" bis „nachgewiesen winde." S. 65 Z. f> von unten lies senfticUch
faße statt senffticlich.
ÜBER JOHANNES ROTIIE. VII. 355
Akrostichon des Namen Reinhard vollständig bewahrt hat. Der Um-
fang des hier erhaltenen Gedichtes ist ohnehin weit größer als Vilmar
auf S. 1 ff. vermuthungsweise angegeben hat ; es enthält hier im Ganzen
577 Verse, während es nach Vilmars Annahme nur 244 (245) betragen
würde. In ihm finden sich wieder die Verse 109-310, 360 — 373,
376 — 385, 502 — 527 und noch einzelne versprengte; andererseits er-
scheinen hier mehrere längere Abschnitte, welche in der Fuld. Handschr.
fehlen, so zwischen V. 282 und 283 einer von 58, nach V. 310 einer
von 126, nach 527 einer von 96 Zeilen. Die bei Vilmar von 334 — 359
reichenden Verse bilden in der Berl. Handschr. zum Theil und mit
neuen vermischt den Schluß. Der Abschnitt, welcher von der forstin
rätgeben handelt und den letzten Theil in der Fnld. Handschr. abgiebt,
fehlt dagegen hier gänzlich. Die vor V. 109, sowie die zwischen 385
und 502 vermissten Stücke sind, wie in dem Litterar. Grundr. bereits
vermerkt worden ist, durch Ausschneiden von erst 4 und dann 2 Blät-
tern verloren gegangen.
Schon aus diesen Angaben erhellt , daß beide Redactionen von
einander durchaus unabhängig sind. Die um fast ein halbes Jahrhun-
dert jüngere Berliner bietet trotz ihrer jüngeren Sprachformen, trotz
ihres in Folge von Missverständniss und Willkür im Allgemeinen
schlechter gestalteten Textes, doch im Einzelnen hin und wieder bes-
sere Lesarten dar. Im Folgenden werden daher außer den neuen Ab-
schnitten, welche die Berl. Hs. mehr enthält, auch die Abweichungen
derselben vom gemeinsamen Texte angegeben werden. Sonst wurde
nach den in dieser Zeitschr. 6, 40 angegebenen leitenden Grundsätzen
hierbei verfahren.
Die Berliner Hs, (— B) beginnt mit V. 109 bei Vilmar (= A):
109 B. den. 112 hy weck. 113 besser ist dir eyn äuge indazlx. lli dan
mit beyden äugen. 116 in fremde lant. 117 dan du kettest. 118 und er-
würbest damit eyn böse e. 119 g.g. ist eß gar ivol eß auch st. 120 wan eyn h.
121 da werden sie von. 122 die kamer hie mit ich m. 123 sohl (so immer!).
sin fehlt, getraw. 124 buwe. 125 und sohl nicht s. sy g. 126 diez bekomet
vnd stet. 127 so In den schaden m. 128 bezzern vnd g. Darauf Überschrift :
von den schopphen. 129 dye k. der menschen vnd den m. 130 by den
wort vnd diez leunt. 131 geruht : nicht. 132 die warheyt. 133 rechtes.
134 vnd auch daz recht nß sagen. 135 wyß man. 136 i. d. buche] etwaß.
137 d. g. mannes. 139 spricht . gericht : p flicht. 140 alle zyt in w. phl.
141 gesecz g. daz ist. 142 sinen. 143 kundigen, gebot. 144 gesecz . derat.
145 auch (so immer!), den stunden. 146 den munden. 147 wer auch wol
durch miß (iveiß?) kan spehen. 148 die boß wicht . gegehen. 149 vnd die
23*
356 FEDOR BECH
spüret als eyn getreioer hunt. 150 iren lumunt. 151 vnd erkennet der lute
vnder scheyt. 152 a. t. vnd an boßheyt. 153 vnd meldet waz do ist vn-
togtlich. 154 icol. 155 die den edeln g. enpheet. 156 vnd auch den stanch.
157 nach den also spricht hie von. 158 i. d. w. buch Salomon. 159 ich
habe in allem mynt lein. 161 also der ivirre den vsericeckt. 162 des ge-
ruches nymandes vor silct (?). 163 Überschrift: von den wechtern. (D) y
em die sin den w. gut. 164 die di stete haben in hutte. 165 gen. 166 neme.
167 die in den st. 169 tagh. 170 enmag] magh. 171 an der stat da haben
sie macht. 175 — 176 aber die xoechter vff den mtiren \ die soln horchen
vnd Schuten (schüren'?) \ vor den finden die f runde \ vnd al (?) wachtene
xcol vor (?) künde. 177 das der rynt sie icht der sleyche. 178 vnd daz
volgk vortilge glich. 179 d. s. st. geschriben also. 181 flyssyclichen. 182
ir wist . xoan u wir . Sachen. 183, 184 kome vnd uch heymelich slaltu
vorderbe alle glich. 185 Überschrift: von den wepnern. — Dy armen
daz sin die wepnere. 186 stete auch z. 187 dicz mag . mercken. 188 arme,
starcken. 189 auch fehlt in B. 190 also eyn iglicher daz wol acht. 191
a. tr. an heben an r. 193 es geschriben stet. 195 sein. 196 synem armen.
197 Überschrift: von den schützen. — [d]y arme daz sein auch. 198 die
zu der were dich musßen. 199 vnd alle ander W. 200 muß han.
201 Überschrift : von den liauptmann. — [d]as vorhercz vne die brüst.
2()2 die mag man wol dxden alsust. 203 es mag . heubtm. 204 sache fehlt.
nympt. 205 dy an treffen d. g. 206 beyde in den st. 207 voyt . ampm.
208 xoepner. 209 zu den krigen. 210 S. underthan wohl gestercken. 211
aller stete lute. 212 also daz herz den steten chute. 213 deß im ampman
geburt. 214 sey. 215 Überschrift: von den kauffluten. — sich] sie. 216
fehlt mit. 217 also. 219 stetichlich. 220 also . kaufflute. 221 bringen. 222
dorff ader nichten hat. 225 wann, edemet rne. 226 geschit . allen gliden.
227 wan man der nicht füret zu. 228 noch ir so müssen sie u. g. 229
wonetin\ ivaren. 231 müssen dar vmb. 232 vnd also die äuge edempten
menschen. 233 Überschrift : von den bruwern vnd schencken. — die bloßen.
234 »in. 235 der trenckerie toolden. 236 taberne. 237, 238 die muß man
in den steten hau \ uff daz trincken daz finde eyn iglich man. 239 Über-
schrift : von den fleischman fischer vnd becken. — ich] ich uch 240 den
magen. 241 — 244 mit den fischern vnd becken \ die den magen denen vnd
smecken \ hacken (?) kricheti (?) vnd garbretere [cfr. Ortloff, Distinct. 5, 22
knochenhouwer kouche und dy garbretere, und Anzeiger f. K. d. D. Vorz. 3,
303 , wo zu dem fleifiiverg gerechnet werden ieger weydelute fieißhower
schinder koche garbreter.\ dieser haben die stet nuz vnd ere. 245 Über-
schrift: von den treger vnd schrotere. 246 die dich die last muß drucke.
247 bezeigen uns die tr. 248 vnd der legi 1 >'<iß pfl. Darauf noch vier Verse,
welche in A fehlen :
ÜBER JOHANNES KOTHE. VH. 357
Die da tragen lieben vnd schroten in
Beyde wasser her mede vnd win
Vnd auch ander were (sie!) last
Die da kauffet vnd vorkauffet der gast.
249 </. h. ingeiceide ader lip. 350 sein. 252 stetlicli] stete, bleyben. 253
zummem. 254 nehm. 255 desselben. 256 also . neryt] daz da neret. 257
Überschrift: von den botenlavffern. — bey den beynen . vorsten. 258 die
kriecht 259 gezeiten. 260 sey. 261 Überschrift: von den schelchen. 262
ampt, 263 ettelichen. 264 Do werden schal&k. 265 vnd fehlt, der ere haben.
266 was solde ich von den sonderlich sagen. 267 wan ich gliche. 268 dy
da sten den vnfr. 269 — 272 Ein böses glichet sich eym boßen | Dach so
sal man sie nich abelosen | Man Jean des alles weningk enpem \ alles der
guten glide xoil ich gewern. 273 also mvß man die. 274 hie mit muget.
275 ganz. 276 Eins menschlich glichenis. 277 dar vmb daz es alles an
eyme l. 278 sey. 279. 280 umgestellt: da es zu gesaezt ist | vnd den
andern dinen z. a. fr.
Nach V. 280 sind in B folgende Verse eingeschaltet , welche
in A fehlen:
281 Hat der licham sine glede
in möge in macht, so blibit ein frede;
werden di abir abegehowen,
so muez man gebrechin schowen.
285 Adir io erdin si kräng adir suchtig,
so werdin si zuhaut nicht tüchtig.
Wel ein gledemdz daz tu,
daz dem andirn geborit zu,
in glichir wise daz den stet
290 also der üf dem houbit get,
dem vorkerit sich mage lebir mit lungin.
Merkit daz, ir aldin und ir jungin !
Welch stat er rechtin amchtlüde enperit,
der werdit unsaldin gnüg bescherit.
295 Welch hantiverg krankit mit ungehorsam,
daz lidit vele dicke schäm.
281 seyn glide. 2 8 2 eyn fride. 283 die aber glide abegehawen scha-
wen. 2 85 aber . krank. 2 87 wil . glidemaz . thu. 28 8 geburet. 289 Über-
schrift: Ein gemein rede von der gemeyn. - — den]? etwa dem oder danne.
29 0 heubt. 291 verkeret . mach . mit] vnd. 29 3 ir . amptluten. 294 wird
vnselden. 29 5 hantwerg krancket. 29 6 vi!. 29 7 lute.
358 FEDOR BECH
Wo haz ritt di lüte maclät suchtig,
da werdin si selbir vortuchtig.
Wan hende arme fuz und beine
300 mit dem Jioubt und herzin nicht sin eine,
wer en danne krefte wolde gebin,
daz enkan ich nicht gewizzin ebin.
Wan di gemeinde der stete mit aldin
nicht woldin di eintrechtikeit behaldin,
305 so werdin si selbir kräng und eigin.
Dit wel Aristotiles bezeigin,
do her spricht daz di gesamet kraft
habe groz Sterke und meistirschaft,
und wan si nicht bi einandir ist,
310 so ist si füle als ein mist.
Der ibisir man konig Salomon
der spricht ouch etswaz darvon,
man sulle mit fiize daz herze beivar,
wan in eine si daz lebin gar.
315 Daz herze der stete daz ist der rat,
wan der nicht gute bewarunge hat
und nicht xcerdit gehalden in Jude,
so komit en seidin icht zu gute.
Wd belrübit wer dit daz herze,
320 und so daz hoibit pingit der smerze,
do ist nirgen kein gesuntheit
in den ganzen Ucham geleit.
Daz ist ivo zweischellig werdit der rät,
und der amchtman gehören hat,
325 do ist von dem annin biz an den riehen
nirgen kein /rede sicherlichen
noch schedunge narunge noch schuez
noch keinerlei ere noch nuez.
Dicke ist abir gesehen, di czweitracht
330 in den stetin habin gemacht,
2 98 vertuchtig. 300 heubt. 301 yn dan. 3 02 nit. 304 eintrechtig-
keit. 305 krank. 306 diez . wil. 307 do her. 308 meinsterschaft. 3 09 bey.
311 wyß man konigk. 312 auch . etwaz. 313 solle. 314 in im sie. 317 wirt.
318 in. 319 wert. 320 heubt. 3 23 zweyscheldig . wirt. 3 24 amptman .
gehören] vielleicht gehorne. 3 25 do ist] daz . von de . reichen. 3 26 fride.
327 scheüdunge (?)• 3 29 ab geschein . die zweyetracht. 3 30 habn.
ÜBER JOHANNES ROTHE. VII. 359
daz si wenig gütis irw orbin
und selbir lestirlichin vortorbin,
Wd sich ein samenunge lezit teile,
daz komit en allin zu unheile,
335 ez si in stetin adir vf dem felde.
Gesamint kraft ich nicht enschelde,
roan welchir man dri sterke hat,
der tut vor sechse dicke ein tat:
also tut tuchtigir getrüioir rät.
Von dem rate.
r Rätisman bes stete, tu gerne des fruinin bete, 1
Füre recht gerichte, sprich wibin obil mit nichte,
Erbuit got ere, bes setig, czorne nicht sere,
Geistliche lüte bewerdige, nicht fingerdüte.
e Ere habe vor gote, wer eider ist ime rate, 5
An gene an siczin, nach ordenunge nach wiczin,
Czuvordirst sere rätsmeister und kemerere,
Wanne di besorgin di stad beide abunt und morgin.
i In diner gewalde saltü dich suzeclichen halde,
Abe dir entrinne daz glucke daz man dich minne. 10
Bescherit dir got ere, homütige dich nicht zu sere
Uzen an deme libe, din herze läz nedir blibe.
n Nicht lüte kose, wäre worte gütlichin lose,
Wanne du salt rede, bes setig diner gelede,
Vortrag den aldin, czu wtsheit saltü dich haldin, 15
Her buivit üf ise, wer sich dunkit zu wise.
h Hüte dich vor speie, bes nuchtirn, kose nicht vele,
Saltü icht sagin, sich by (?) dich vor missehagin,
331 erworben. 333 samanunge lesset . teile] tribe. 33 4 kumpt in . vnheil.
335 sey . stete . de. 336 gesampt . nit . enscbelde] scheide. 337 welch' . dry
sterck. 338 sechs dick. 339 getrawer.
Überschrift in B: von den ratesmannen. 1 A rätzm. B atesman. A bis,
B biß. B gern dem fremden sein b. 2 B Eine rechte . vbel wyben mit nicht.
3 B bute. A bis, B biß. B zürne nit. 4 B geistelich. A B bewirdige. 5 B ere
fru vnd spat . in de rat. 6 fehlt in B. A gen . wicze. 7 A czu vorderste.
B die ratmeinster kamerer. 8 B wan sie . abent ; fehlt beide. 9 B demutig
halde. 10 B ab . gluck. 11 -ß gebet. A dy ere so mutige. B so vber hebe
dich des nit. 12 B Doch schon geberde Machet dich amptlute werde. 13 kose]
A . . . se. B war wert. A gutlich. 14 B wan . so bist set . bede. 15 von hier
ab in A eine Lücke. 17 B spil . biß . vil. 18 sich by] ? schuwe? schütze?
360 FEDOR BECH
Ouch rüme dich seidin, vorgib nimande mit eoheldin.
a Arme und riche dt saltil läzin bi gliche, 20
Ldz alliz vechtin, volge snelle, gestant deme rechtin,
Waz du salt scheide mit orteil wyche mit dem eide.
Schone nicht der f runde, liep leit zeige glich eine sunde.
r Rät gerne zu /rede, dich bedenke tvau du salt rede.
Gestüte nicht geverde, rede kort, ldz ende werde. 25
Obir winde met gute, straf heimeclich in süzem mute.
Nicht scheine dielt frage, höre gar uz waz man dir sage.
d Din elichez lebin, diu cleit halt czemelichin ebin.
Mit fromedin xvibin in liden nicht vermiden (?)
Meziglichen zere, bes hobisch, gut, nicht iure sicere. 30
Süze schemp/e gerne, daz man in schempfe lerne.
Du ensalt nicht riden dne satel czu keinin gezidin,
Nicht ouch gebräche der hosin von linen tüche,
Nicht uf den gassen noch cleidem noch uf vassen (?)
Noch fegen di reine, des nachtis nicht gen alleine. 35
■ Der werke dich scheme, di dir nicht mögen gezeme.
In glichem zile di münz ldz stempfen vile.
Mit stigen mit fallin vorget der kouflilte schallin.
Gebot nuwe nicht mache, ez si dan redeliche sache,
Di dich bewege, der di zoarheil muge sege (?). 40
Nicht thuge geböte, di nicht bestendig sin gote.
Gehe nicht zu retin, du werdist dan dar zu gebetin.
Nummer dich gewere, wan du icht nuezis salt swere.
Schone wol der armin, der unschult ldz dich erbarmin.
Wiche üz den retin, wan dich di sache an tretin. 45
Du ensalt nicht Mibe biz daz man dich darvon tribe.
Keine czweitracht mache, fromder sunde bis nicht ein sache.
Daz din ertrachten icht schade, daz saltü achten.
Den manger wise grisen ldz dich gerne unterwisen.
Nimandis lare vorsmehe, darnach recht gebäre. 50
19 auch . nymand. 20 dy . by. 21 alles . valge . dem. 2 2 urteil.
23 schon .an. 2 5 vberwynde mit. 2 9 fremden . in liden (= und lidigen?).
30 biß . hubisch . thure. 51 schumpfe, beide Male. 3 2 rytn . gezeitn. 34 viel-
leicht Meß es ledirin noch vorwazzin? oder noch kleibin noch üfvazzen? 3 6 Sche-
men : gezemen. 3 7 daz stemet . vil (auch zele : vele iväre dem Dialecte gerecht).
38 kaufflute. 39 sey. 4 1 thugen. 42 rechten. 43 nymer. 45 rethen . sach.
4 6 bliben . triben. 4 7 fremder . biß. 4 9 mhgn wisen.
ÜBER JOHANNES ROTH IL VII. 361
Waz gancz sal bliben, daz sal man gancz läze sehnten.
Di schrift bewart an straffen mä daz gart (?)
Ere dt gesiechte, so troezin dir nicht dine knechte.
Mit gote mit eren saltü gut alles weren (?)
Bis here des gutes, wedirstdz gewalt starkes mütes. 55
Din sin dine trachte dines werk es endes suln achte.
Pßige guter dinge, noch gemeinem nuez alles ringe.
Nym (?) nicht zu sere, noch schimpfe lüten an dt ere.
Meziclichen rume (?), daz strafft und gebit syite (?).
[ Gib din macht und laß dich richten (?)]
Waz man wel suchte, daz zweie du vordir mit rächte* 60
Bede nicht unnueze, mit redin unrecht nicht schueze.
Sich wi du lebist, daz du icht ergerunge gebist.
Merkemm (?) bedüten gloube nicht allen litten.
Fluch ouch lipnisse, ringe nicht sere nach genisse (?).
Vortrag, laz dir sagin, daz dir dang süner tragin. 65
Di wärheid daz findet, daz si gröz ding obirwindet.
Rätisman bes wise, laz zucht dich sere prise.
Sal man dir schriben ersam, so mustü ez bliben.
Clüg vorbedechtig wärhaftig getrüwe eintrechtig
Bescheiden frome, dese sullin alle an dich kome. 70
Din rät si nuczlich fredesam tröstlich und schuczlich.
Waz du salt rechin, daz saltü selbir nicht brechin.
Des nummer vorherige, waz gemeinen nuez nicht eubrenge.
Wer gut xoolde ende, daz saltü nicht xuedirivende,
Noch nummer geirre der stat und ouch nicht errpirreQ) 75
Ouch bes dö seiden bi, waz nicht redelich und gut si.
Laz dir gefalle doch waz die andern tun alle.
Die bei Vilraar auf V. 311 bis 359 folgenden Verse fehlen in B.
Für die von V. 360 an folgenden Verse merke ich aus B folgende
Varianten an: 362 er statt he. 363 xoazn eyn ratesman. 364 auch der
stat. 366 her. 369 nicht. 371 sanffte antwert, 373 sin ampt. 374, 175 feh-
len in B. 377 der l. kundige mit wachen. 379 mute. 383 wan er. 385 ve-
5 2 etwa bewarit : da sparit? 5 3 gesuchte . dein. 5 5 biß herre . wider-
stoß . starken. 5 6 din synne dyne trachten . deines . aebten. 5 9 gibet. Viel-
leicht erinne : sinne? 6 0 wil . zwey . vor dir. 6 4 der Reim verdächtig, vgl. bei
Vilmar v. 5 6 0. 6 5 zuner. 6 6 vberw. 6 7 rateßman . biß wyß. 6 8 schreiben.
6 9 getrau. 7 0 diß sollen. 7 1 sey . fridsam. 7 3 nymer vorhengen . brengen.
7 4 widerw. 7 5 auch. Etwa gevere : enbere? oder geerre : enwerre? 7 6 auch
biß da . sey.
362 FEDPR BECH
sten . sein. 386 — 501 fehlen, nur die Worte: der lute sach wol machen
finden sich statt dessen. 502 fehlt und in. 503 forchte. 504 sollicher.
505 also . gegenw. 507 gericht gern. 508 wan. 509 sin wol derfaren. 511
saltu sache] die sach. 512 rechte. 513 also. 514, 515 fehlen. 516 nyman
vor sagen. 517 die . rechte wil clagen. 519 die hende laze dich. 520 biß
vnbeczwungen \ nich vorkauff din zungen. 522 auch sinne gerne. 523 ny-
mant. 524 an allen st. 525 für d. a. saltu vechten. 526 haben sie gebr.
527 daz daz gancz nicht w. g. Hierauf folgt in B:
Von dem schribere.
1 Der schriber sin sal gar fiizig vorstehin die anzal,
Frorne gelobit, mit togunde schone begäbit (= Vilm. 530, 531).
Geschede richtig in allen dingen vorsichtig (= Vilm. 532 — 33).
Hobisch und gedigen geduldig und sere vorsioigen,
5 In mancher banden gewerben wol verstanden (= Vilm. 536 — 37).
Und ouch erfaren fiizig waz man sal bewaren (= Vilm. 538 — 539).
Gehorche den aldin, sin truwe reine behaldin,
Nicht gäbe nemen di smen eren nicht zemen (= Vilm 558—59).
Zu allen geziden di unwärheit sere miden (= Vilm. 570 — 71).
10 In ernsten dingen sich ernsthaftig läzen finden.
Doch schumpfelich mede zu geziden sin mit rede,
Gütlichen den luten erin nucz dicke bedüten,
Ouch wilde nicht wesin, di büchir dicke obirlesin,
Recht schriben und zcol, sin guter samwiczen (?) vol,
15 Di brife smucken, sich huden vor bösen tucken,
Wol kunne gerechin, vil dicke erfülle die gebrechin
Mit schriben wo her kan, vormanunge tun dem amchtman,
Zu dem sich zihen, bos geselschaft sere flihen,
Di vbirmäze an cleidern anslahin, an quäze
20 Und an inbuice, eme selbir nicht getrüwe,
Ab wol ein ander man eme gloubit adir gutes gan.
Werdit ein gedrenge, dö sal her sich nicht in menge.
Von der gemeine formunden.
In allen stunden sullen sin der gemeine formunden
Senftmüdig fredesam wizhaftig dem rate nicht gram
B von den scribere. 1 B flissigk . vorstand am zal. 2 A frutue. B schon.
3 A geschide. B fürsichtig. 4 hübsch. 5 B handen. A geworben. 6 B waz
sal man. 7 hehalde. 8 seinen. A die da mochten brengen daz Schemen.
9 geziten. 11 mete . gezvten. 12 iren . dich. 13 auch . wesen . vberlesen.
14 schreiben. 15 brieffe. 16 können gerechten . dick er fülle (erfolle?) 17 er.
thun den. 18 dö. 19 vbcr masse. 2 0 ym selber . getrauwe. 21 ym glaubt.
22 wirt . nit yn. 23 sollen. 2 4 senfftmutigk fridsam wyshafftigk . rat.
ÜBER JOHANNES EOTHE. VII. 363
25 Und von den aldin, so werdit di eintracht gehaldin.
Sie ensullen nicht alle üz eime hantwerge gefalle.
Noch sin gemöge adir gut nach gewinnunge woge,
Noch czornige lüte adir di nimant künde bedüte,
Di togin nicht hir in, di de drunken tag und nacht sin,
30 Mutwillige torin und di di er lantrecht hän vorlorin
Adir lichte di ere, lutter, riffian adir logenere,
Ouch uneliche kint adir di vorsüchit der werg sint,
Wan man di dicke muz mit in (?) brife schicke.
Nicht vel gefräge noch vor dem rotismeistere sage (= Vilm. 568).
35 Hinderwert nicht rede, ez entrage sich danne zefrede (= Vilni. 582 — 83).
Soldin ouch di seibin man noch vel sunderliches zu sprechen han,
Dunkit si icht imglich, daz sidlen si furbrenge gütlich
Dem rät alleine und vorneme ici man daz meine,
Üf daz daz icht czweitracht üf argin wän werde gemacht.
40 Wer ez dan nicht ivol getan, so sullin si bitten den amchtman,
Daz her daz abe tu und kere daz beste dar zu.
Di seibin formundin sint allirmeist darumme fundin,
Dazicht ein czxveitracht in den steten werde gemacht.
Des sin si mittelere der lüte, des folkis sünere.
Von den borgern in den steten.
45 Von borgen komen di borger, hän ich vornomen.
Was müren umme sich hat, daz heizt ein borg adir ein stat.
Wer vater brüder vorsiezet (= Vilm. 329).
Wer geistlich lebin wedir ere hat üf gegebin (= Vilm. 334 — 35).
Die in B hierauf folgenden Verse sind ans dem bei A von 598
bis 653 reichenden Stück entnommen. Ihre Reihenfolge mit den Va-
rianten ist die : 598 , 599 B wer hern wer steten wer landen czu fuge
schänden. 600, 601 vorladen. 608, 609 gebot. 612, 613 des . sein, 614, 615
w. g. adir ere. 622, 623 heymlich rede nicht swiget. 624, 625 die lande
ader lute. 626, 627 der offenbare . rat spricht. 630, 631 ofenbar siez.
632, 633 genomen . sie. 638, 639 wer ivirt g. ader ist vn erlichen. 640,.
641 Zu fehle zu gehet ader zuget \ und schentlichen vor fremden flüget.
652, 653 Diß und ir glichen \ So uz dem rat wychen. An diese Zeilen
25 wirt die. 26 Sin si sollen, hantwergk gefallen. 27 wagen. 28 ader
die die.konde. 2 9 die da. 30 mutwilige thoren. die die ire . furloren
31 ader . die . lugenere. 3 2 versuchet . wereke. 33 briff. 3 4 gefragen . rotes
meinstern . sagen. 35 reden . friden. 3 7 sollen . furbringen. 4 0 sollen sie
amptman. 4 2 dar umb. 44 sie . falcks. Überschrift: von burgern i. d. st
45 von burgern . burger. 46 umb.burgk. 47 wes. B besiezet. 48 AB wider.
364 FEDOB BECH
reiht sich zum Schlüsse ein Stück, das zum Theil wieder in dem Ab-
druck bei Vilmar V. 338 bis 352 sich findet:
1 Und siezen mit nichte an den rät noch an daz gerichte (= Vilm. 338—39).
Von dem rate zu bliben.
Rat blibet in frede, hat her gesunde gelede (= Vilm. 342).
Rät blibit in frede, ican wisheit folget dar mede,
Rät blibet in frede, so züchte walden der rede (= Vilm. 342 — 43).
Von gehorsam in dem rät.
5 Rät blibit in Salden, so gehorsam werdit gehalden (= Vilm. 346 — 47 i.
Rät blibit in Salden, wan heruz get von den alden (= Vilm. 348 — 49).
Rät blibit in salden, so geschiente werden gehalden = Vilm. 350 — 51).
Rät blibit in erin, wanne er nicht meider beswerin (= Vilm. 352 — 53).
Di ere dl salde muz got den fromen behalde.
Amen.
1 B noch körnen mit nichte. A ime r. noch an gerichte. 2 B blibet
und so immer. A B fride und so immer. B gelide. 3 B damit. 4 B züchten wolde.
5 A seiden und so im Folgenden. B wirt. 6 get] B er komet. 8 B wan in .
melde der. 9 B die . behalden.
ANMERKUNGEN.
28 2 in möge in macht] oder in m. und machll Über möge = mhd. muge sieh
mhd. WB. 2, 10"; Martina 116, 6 in so menger miige (lüge) ; Walther von Rheinau
6, 2 3 mit allem filze und muge (:zuge); 28, 4 7 de?- die na Iure und der geist geben
m. und volleist. Leben d. h. Ludwig 6 8, 20 des bin ich bereit nach aller miner möge.
Förstern. A. Ges. v. Nordh. S. 175 noch siner macht und möge. u. 187 si gäben
den reihen ganeze möge und macht; Limburger Chron. ed. Rössel. S. 60 u. 72 u. 98.
300 nicht sin eine] über sin = mhd. sint, vgl. Ritt. Sp. 4105 sin : hirin;
Ortloff 2, S. 144 sin: pin.
310 der wisir man~\. Über die von Rothe gepflegte Eigenheit des Dialectes,
nach dem bestimmten Artikel die starke Flexion des Adjectivs eintreten zu lassen,
sieh diese Zeitschr. 5, 2 2 9.
315 daz herze der stete u. s. w.] vgl. Das Rechtsb. Purgoldts 9, 114 wander
stat herze ist der rät, und ez zemet nicht anders, do muz gancz gloube trawe und warheit
der stat inne seyn. Ditz spricht Aristotües.
3 23 zweischellig] = „dissonans discrepans," sieh v. Liliencron Gloss. zu
Rothe's Chron. 7 34 und Haltaus lex. 2187, 1610, 1611.
33 7 — 339 der dreifache Reim, schon von altern Dichtern hin und wieder
am Ende längerer oder kürzerer Abschnitte gebraucht, lässt vermuthen, daß in diesen
von B allein bewahrten Zeilen der echte Schluß dieses Abschnittes überliefert ist.
Zu dem Abschnitte Von dem rate:
5 ere habe vor gote wer etc.] Über die Bevorzugung des Ältesten im Rathe
vgl. Purgoldt 10, 21.
8 besorgin: beide abunt und morgin] ebenso im Ritt. Sp. 387 6.
ÜBER JOHANNES ROTHE. VII. 365
9 in diner gewalte etc.] Dasselbe sagt mit etwas andern Worten Purgoldt 9,5 3
nach mittage sal man keynen rät halden etc. Vgl. die gleiche Vorschrift für Richter
und Schepfen im Sachsensp. 8, 69, 2 und Schwabensp. ed. Wackern. S. 121.
2 1 gestaut deine rechten]. Unter den 3 6 Stücken, welche bei Purgoldt 9, 24
zu einer lare dtn rätismannen aufgestellt werden, lautet das fünfte: gestand deine
gerechten menschen.
3 1 süze schempfe gerne etc.] Die 1 1 . Lehre für Rathsmänner bei Purgoldt 9, 24
heißt : schympfe gerne, wohe deyn schympf gene/ne ist, und schympfe auch nymandt an
dy ere und das im schedelich sey; ebenso 9, 3 8 daselbst.
3 3 — 3 5 nicht auch gebrüche der hosen etc.] Zur sachlichen Erläuterung der
Stelle führe ich an Purgoldt 9, 40: einem radtsmanne geboreth auch icol
das er sich auch mit seynen cleydern der Stadt und deme rathe czu eren erbarlichen
holde und czyhe. Des haben etzliche stete ir gebolh darüber gethan, das keyn radts-
man zeuryssene oder gelappte cleyder a>i tragen sol oder thorenfedern uf dy hülhe
stecken nach seyner fraiven cleyder pelcze mentel oder korsen uff der Strasse tragen
oder in leynen hosen oder barschenkel gehen etc., und ebendas. 9, 41: in den heusern
fif den gössen oder uf dem velde sal sich auch ein iglicher ratsman bewaren vor
unezemelicher erbeyt vor den lewthen zu tlain , an kleyben , kleyptreten , steyne oder
dreck tragen oder den mist außfegen, keren und tragen und alle erbeyt dy den
tveyben geboret zeu üben etc.
5 7 nach gemeinem nuez] cfr. Ritt. Sp. 3009 u. 3354, Elisabeth 157 (8 9b)
si begonde edles dar nach zu ringen.
6 8 Sal man dir schriben ersanij d.i. soll man dir den Titel irsam geben;
so Ritt. Sp. 7 05 den riltern unde knechtin schrlbet man den gestrengin, vgl. 7 03;
Ortloff 2, S, 215 (30) einem trowlös und rechtlös schriben.
7 0 dese sullin edle an dich komej de.se = diese Eigenschaften; ebenso
sagte Rothe im Ritt. Sp. 20 3 6 dese gehorin alle dem libe zu,
Von dem schribere:
1 gar fltzig vorsten di anzalj. Über Bedeutung und Gebrauch von anzal
bei Rothe sieh in dieser Zeitschr. 6, 5 9.
2. frome gelobet : begäbet]. Derselbe Reim in der Elisab. 179 (l00b) her
worde sunderlich begäbet : di ritterschaft wart sere gelobet, und 191 (10611) got si
des gelobet, der uns richlich hat begäbet.
4 hobisch und gedigen\ vgl. Vilm. 108 wärhaftig gclrüwc und versteigen \ an
schalkheid und wol gedigen; Ortloff 2, S. 174 wo der rät ist unvorswigen | und di
amptldt ungedigen; Windberger Interlin. der Psalm. S. 143 (3 2) in Hute gedignem
(„gravi") lobe ich dich; Zeitbuch des Eike von Repkow 119 Galba, en gedegen
man, rvart de sestc keiser = „Galba, prudens homo, sextus factus est imperator" ;
mhd. Wb. 1, 3 3 0\
13 auch wilde nicht teesen] vgl. Elisab. 144 (8 3") des himelslouft ivas cm wilde.
14 samwiezere] samwieze st. f. = conscientia, vgl. Leyser Predd. 15 7 und
somwizzekeid bei Rotbe in dieser Zeitschr, 6, 6 0.
16 icol kunne gerechen] vgl. Ritt. Sp. 2655 di kvnst fromil ouch vele, daz
man wol katm gerechen.
19 quazc\. Dasselbe Wort im Ritt. Sp. 3319. 3439, Elisab. 2060 A;
quäzer st. m. bei Ortloff 2, S. 265; vgl. Rückert /. Leben d. h. Ludw. 80, 22;
Renner 5 4 20 quäzen : slräzen,
366 FEDOR BECIT
2 7 gemoge] ge?näc, plur. gemäge, adj. und subst. = verwandt, der Ver-
wandte, gesippe, vgl. mhd. WB. 2, 128(?); Ortloff 2, S. 45 (86) daz si gemäge
adir gej "altern gewest weren ; Renner 7 504 wan manige verrer sint gemäge denn
Sträzburc Ackers unde Präge; j. Tit. 255 0 dem kunic Isenharte toas Rassalic
gemäge ; 5 4 2 2 er was mir iool gemäge ; 4080 die ungemägen die gesippen under-
dringen ; gemägen sw. v. 319 7: gefriunt und ouch gemäget ( : gefräget) wart ich
nie so gerne. Das im mhd. WB. I. 1. aus Ziemann ohne Beleg aufgenommene
mägelich adj. = verwandtschaftlich findet sich in einer Düringer Urkunde von
1395 in der Zeitschr. „des Vereins für thüring. Gesch. und Altertb." 4, S. 316:
erberlich gehalden mit rechter mogentlicher pflege.
28 di nimant künde bedüte] wie hier bedüten = zur Besinnung oder Ver-
nunft bringen, beruhigen, besänftigen, so im Ritt. Sp. 3 580 daz si stehin iool
zu bedütin.
29 hir in : sin]. Derselbe Reim im Ritt. Sp. 4105 — 4107. In Betreff der
Form togin vgl. Ritt. Sp. 3 47 2 si login nicht an di spitzin und Purgoldt 10, 7.
Nachträglich will ich noch in Betreff der deutschen Hexameter
bemerken , daß Rothe zu seiner Zeit nicht der einzige war , der sich
dieser Versart bediente. In dem vor Kurzem von F. X. Wöber heraus-
gegebenen Gedicht von der Minne Regel, dessen Abfassung in die Zeit
Rothe's fällt , finden sich ähnlich gebaute Verse , ja so ähnlich in Stil
und Ton, daß man sie für eine Nachahmung Rothe's halten könnte.
So 2853 ff.:
Nicht girich, logencr, kein flüchir, kein offenbarer.
Lieb andrer lüte wyd wischaft nicht abetrüte.
Ouch ives bereite zu allen frouwen gebeite.
Nach hobischen dingen mit seten saltü, geringen-
Übe nicht der minne spil vordir dan liebichin wil.
und 2047—48:
Bistu eilende, vurarmet, ich abewende
Mich von dir snelle, sus hastü gröz ungcvelle.
und 4811:
Wolt ir in vinden, gezeuwet uch balde zu Minden.
Schließlich benutze ich noch die Gelegenheit, die Aufmerksamkeit
der Leser auf ein bisher noch wenig gekanntes größeres Werk Rothe's
hinzulenken. In Adelungs Magazin nämlich B. II, St. 4, S. 108 ff.
hat Kinderling Mittheilung gemacht über ein didaktisches Gedicht
„Von der Keuschheit". Die Handschrift, welche dasselbe enthält, befand
sich damals im Besitze des Prof. Gebhardi in Lüneburg und war durch
Vcrmittelung des Prof. Conr. Arnold Schmidt in Braunschweig an
Kinderling auf kurze Zeit überlassen worden. Am Schlüsse sagt der
Schreiber derselben, Johannes Rutink van Segen:
ÜBER JOHANNES ROTIIE. VII. 367
Ydoch sol man danchen nicht
das ich es selber habe gedieht
und mir die ere zu sagen
sunder ein prister, der by sinen äagen
grosse bucher had gemacht
uss dem latin in dutscli ertracht,
derglichen ich nach ny gesach,
und had gewönnet zu Ysennach.
sin name toas herre Johannes Mode,
sine seh bevele ich gode.
Diese Schrift ist nach den dort gegebenen Auszügen zu schließen
durch ihre mehrfachen Anspielungen und durch ihre lebensvollen Schil-
derungen schon in kultur-historischer Hinsicht von nicht geringer
Bedeutung. Doch — wo ist die Handschrift verblieben ? Wer kann
darüber Auskunft geben?
ZEITZ, im August 1862.
LITTEBATUR.
Systematische und geschichtliche Darstellung der deutschen Verskunst
von ihrem Ursprung an bis auf die neuere Zeit. Eine gekrönte Preis-
schrift in erweiterter Gestalt. Von Dr. Job. Imm. Schneider, Professor
am offen tl. evang. Gymnasium zu Bistritz in Siebenbürgen. Tübingen,
J. J. Heckenhauer. 1861. 8. XVI, 3 20 Seiten.
Das Bedürfniss einer zusammenhängenden Darstellung der älteren deutschen
Metrik werden alle, die sich mit deutscher Philologie beschäftigen, längst em-
pfunden haben. Zwar sind in neuerer Zeit mehrfache Übersichten der mhd. Me-
trik gegeben worden , aber keine Geschichte. Daher ist ein wenn auch unvoll-
kommener Versuch, diesen Gegenstand selbständig zu behandeln, als dankens-
werth zu bezeichnen. Das vorliegende Buch ist aus einer Preisfrage hervor-
gegangen, welche die philosophische Facultät der Universität Tübingen im Jahre
1852 stellte und die ursprünglich nur bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts sich
erstreckte. Der Verfasser , dessen Arbeit für preiswürdig erkannt wurde , hat
seitdem sich mit dem Gegenstande noch eingehender beschäftigt und seine Gren-
zen erweitert, so daß in gegenwärtiger Gestalt das Buch die Gescbichte deutscher
Verskunst bis auf Opitz führt, mit dem in der Tbat die neuere Zeit der deut-
schen Metrik durch die plötzlich veränderten Principien beginnt. Die Mängel,
an denen das Buch leidet, sind dem Verfasser selbst nicht entgangen; nament-
lich wird der Kenner die selbständige Forschung vermissen, die noch viele Lü-
cken auszufüllen haben wird, ehe ein einigermaßen vollständiges Gesammtbild
entsteht. Der Verf. hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, das in vielen
Büchern zerstreute Material, das seine Vorgänger gesammelt haben, übersichtlich
368
LITTERATUR.
zu ordnen , wobei die Selbständigkeit seiner eigenen Ansichten jedoch anzu-
erkennen ist. Je nachdem also seine Vorarbeiten mehr oder weniger vollstän-
diges Material darboten, ist auch seine Arbeit bald mehr bald weniger erschö-
pfend und befriedigend. Doch wir wollen darüber nicht rechten ; ein erster Ver-
such dieser Art kann nicht auf einmal leisten , was erst durch eine gewaltige
Menge von Einzeluntersuchungen erreicht werden kann. Mehr Tadel verdient es,
daß nicht einmal überall das vorhandene Material benützt und verarbeitet worden
ist, wie wir das bei einzelnen Gelegenheiten zeigen werden.
Der erste allgemeine Theil (S. 1 — 3 7) behandelt die Grundbegriffe und
Grundsätze der germanischen Metrik . Hier kommt natürlich zuerst das Ver-
hältniss und die Verschiedenheit der antiken und deutschen Metrik zur Sprache,
welche von den bisherigen wohl Rieger am besten und treffendsten charakteri-
siert hat. Die Anwendung des Quantitätsgesetzes glaubt der Verf. auch für die
ältesten Zeiten germanischer Poesie dem Accente unterordnen zu müssen, indem
wohl niemals die Quantität, wenn auch keineswegs ohne Einfluß auf die deutsche
Metrik, die Bedeutung in ihr gehabt habe wie bei den Griechen und in der
Kunstpoesie der Römer, denn die römische Volkspoesie war nach allem, was wir
von ihr wissen, in erster Reihe auch vom Accent beherrscht. Dieser Auffassung
des Verhältnisses zwischen Quantität und Wortbetonung müssen wir uns voll-
kommen anschließen. — Es wird sodann das Verhältniss von Hebungen und
Senkungen erörtert; hier ist es eine Unrichtigkeit, wenn der Verf. S. 17 (vgl.
S. 5 5) unter Malfüllung, wie er nach dem nordischen mälfylling schreibt, die
Umkleidung der Hebungen mit schwachen oder unbetonten Silben (Senkungen)'
versteht, da nach nordischer Terminologie darunter vielmehr die dem alliterie-
renden Worte, namentlich dem Hauptstabe vorausgehenden unbedeutenden Silben
begriffen werden. In Bezug auf die Bedeutung des Wortes rim (ahd. hrim) ver-
wirft der Verf. den Zusammenhang mit rhythmus gänzlich (S. 21), ohne jedoch
eine andere Ableitung oder Erklärung vorzuschlagen. Mit Recht stimmt er denen
bei, die den Reim nicht als etwas von außenher in die deutsche oder romanische
Poesie eingeführtes (etwa von den Arabern) , sondern als ein jeder Poesie ur-
sprünglich innewohnendes Element betrachten, das in der volksthümlichen Dich-
tung jedes Volkes zu Tage tritt. — Der zweite besondere Theil betrachtet
zunächst 'die Alliterationsperiode' (S. 38 — 60). Was den metrischen Bau der
alliterierenden Verse betrifft , so theilt der Verf. Lachmanns Ansicht , daß die
epische alliterierende Langzeile aus acht Hebungen, aus zwei Halbzeilen von je
vier Hebungen bestanden habe (S. 4 6), eine Ansicht, die bekanntlich unter an-
dern an Wackernagel einen Gegner gefunden hat. Wir haben bei Gelegenheit
einer andern Schrift über diesen Gegenstand gesprochen. Auch scheint er sich
zu der Annahme von Strophen (S. 48) hinzuneigen, die namentlich W. Müller
für die ahd. Alliterationspoesie nachzuweisen versuchte. Aber ein auffallender
Mißgriff ist es , wenn , um die überschlagende Alliteration zu erläutern , S. 5 1
folgender Vers aus dem Heliand angeführt wird :
jac so hardo farholen himilrikies fader,
wo also hardo-himilrikies , und anderseits furholcn-fader alliterieren soll! — Den
Grundsatz der Einsilbigkeit der Senkungen in der hochdeutschen Poesie hält der
Verf. S. 5 7 ff. mit Recht fest. Am Schlüsse dieses Abschnittes sucht er zu zeigen,
daß auch im Heliand viele nach ahd. Regel richtig gebaute Verse sich finden, die
allerdings bedeutend in der Minderzahl seien; aber die Beiego sind zum Thtil
LITTERATUE. 369
unglücklich gewählt, denn ich wüsste nicht, wie man die Verse helaga gtst, adal
ordfriano, alomahtig, endi seggian ford ohne Zwang mit vier Hebungen lesen wollte;
der letztgenannte ist allerdings metrisch gerade so gebaut wie Heribräntes siinu im
Hiltebrantsliede, welchem Verse auch Lachmann vier Hebungen zuerkennt. — Im
folgenden Capitel wird die althochdeutsche Periode des Endreims' (S. 61 — 106)
behandelt. Hier ruht die Darstellung im Wesentlichen auf Lachmanns Abhandlung
über althochdeutsche Betonung und Verskunst.' Außerdem wird darin das Fort-
leben der Alliteration in der spätem Dichtung und im Sprichwort durch einige
Beispiele erläutert, wobei auch Belege aus der griechischen und römischen Poesie
nicht fehlen ; ferner das Wesen der Sequenzen , die Entstehung der Leiche , die
lateinische Hofdichtung unter denOttonen nach ihrer formellen, der deutschen Poesie
entlehnten Seite (nach J. Grimms Bemerkungen in den lat. Gedichten des XI. Jahr-
hunderts) und endlich die Reimprosa besprochen. Als ältestes Denkmal derselben
nennt der Verf. die Beschreibung des Himmels und der Hölle (Haupts Zeit-
schrift 3, 44 3 ff.), die aber der Reime mit wenigen Ausnahmen ganz entbehrt
und vielmehr, wie Haupt dargethan , eine in regelrechten otfridischen Versen
gebaute reimlose Dichtung ist; von diesem Herstellungsversuche scheint der Ver-
fasser nicht gewusst zu haben. Den größten Raum nimmt naturgemäß die Dar-
stellung der mittelhochdeutschen Zeit' (S. 107 — 214) in Anspruch. Das vor-
handene Material war hier reichhaltig genug, namentlich in den Anmerkungen
zum Iwein , so wie in den Übersichten von Rieger und Zarncke lag es zur Be-
nützung bereit. Wir können hier auf das Einzelne der Materien nicht eingehen,
sondern müssen uns beschränken, einige Unrichtigkeiten und Mängel anzudeuten.
Wenn z. B. von der Betonung kretischer Wörter (-o-) die Rede ist (S. 13 2)
und als Belege dafür jüngelmc, sübertn, rceseleht angeführt werden, so ist das
richtig; nicht aber darf diese Betonung für die ganze mhd. Zeit als richtig
gelten bei Wörtern wie handelten , entwäfende , pflngesten , vielmehr ist hier die
ursprüngliche Betonung pfingesten u. s. w. in der Epik eben sowohl richtig und an-
wendbar, oder es herrscht eine schwebende Betonung, was bei jungelvnc u. s. w.
nicht mehr denkbar ist. — Als ein Unterschied zwischen der epischen und lyri-
schen Dichtung wird S. 133 angegeben, daß in letzterer zweisilbige Senkungen
erlaubt gewesen seien , und als Beleg die daetylischen und anapästischen Verse
angeführt. Hier waltet aber nicht das Gesetz von Hebungen und Senkungen,
sondern das der Silbenzählung; mithin dürfen die mhd. Dactylen der Lyriker
nicht als Beweis erlaubter zweisilbiger Senkungen gelten. Von anapästischen
Versen kann gar nicht die Rede sein ; was man etwa dafür halten mag , ist
daetylisch aufzufassen. Unglücklich gewählt ist das Beispiel Heinrichs vom Veldeken:
die bluomen entspring ent an der heide,
die vögele singent in dem wähle ;
denn einmal sind diese beiden Verse die einzigen des betreffenden Liedes, die
daetylisch scheinen könnten , das übrige durchaus in gewöhnlichem Versbau ;
sodaun aber ist der zweite Vers gar nicht (denn vögele ist zweisilbig), der erste
nur durch die fehlerhafte Lesart ehtspringent für springent an einer Stelle dae-
tylisch. Wenn endlich von den daetylischen Verseu nichts weiter gesagt wird,
als daß sie seit Heinrich vom Veldeken und Heinrich von Morungen immer häu-
figer werden , so ist dies entschieden unrichtig , denn bereits im Anfange des
13. Jahrhunderts sind die Dactylen (abgesehen von den ganz verschiedenen spä-
tem leoniuiseheu Hexametern) selten und begegnen nur vereinzelt bei Dichtern
GERMANIA vir. 24
370 LITTERATUR.
wie Ulrich v. Liechtenstein ; der eigentliche Zeitpunkt ist die 2. Hälfte des
12. Jahrhunderts (etwa 1175 — 1200). — Bei der Behandlung der Nibelungen-
strophe (S. 158 — 163) ist dem Verfasser Simrocks Schriftchen über diesen
Gegenstand entgangen. Er würde darin eine von kräftigern Gründen unterstützte
Beweisführung für die Annahme, daß die erste Hälfte des Nibelungenverses vier,
nicht bloß drei Hebungen hat, gefunden haben. Wenn man aber wie der Verf.
diese Ansicht theilt, so muß man auch der Gudrunstrophe, die aus der Nibelungen-
strophe hervorgegangen, in der ersten Hälfte ihres Verses vier, nicht drei Hebungen
zuerkennen, und demnach der letzten Strophenzeile neun, nicht acht Hebungen
geben (S. 16 4), nämlich der ersten vier, der zweiten fünf, denn die klingenden
Endreime, die ganz verschieden von den scheinbar klingenden der Nibelungen
sind , gelten nach dem Vorgange der Lyrik allerdings nur für eine Hebung,
nicht aber die weiblichen Cäsuren. Der Zusammenhang der Gudrun- und Titurel-
strophe hätte S. 165 hervorgehoben werden müssen. S. 177 wird eine Strophe
von Heinrich von Morungen als Beleg für Verse von sechs Hebungen angeführt ;
es sind aber vierfüßige Dactylen :
Leitliche blicke und grözliche riuive
liänt mir daz herze und den lip nach verlorn.
In der Strophe Hadloubs S. 188 sind die Inreime nicht erkannt, wie überhaupt
von Inreimen gar nicht gehandelt wird; es ist zu schreiben:
Herbst wil aber sin lob niuwen,
er wil brinwen manig&n rat]
wan daz stät den sinen iren ivol]
und eben so natürlich der Schluß des Abgesanges. — Die Betrachtung der
mhd. Leiche (S. 204 — 214) ist durchaus ungenügend und gewährt einen klaren
Einblick weder in das Wesen dieser Dichtungsart, noch in die Veränderungen,
die sie im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts erfahren. Wenn bei dieser
Gelegenheit die Reigen und Tänze (S. 212) besprochen werden, so muß bemerkt
werden, daß, so weit es Tanzleiche sind, sie sich in der Form von den übrigen
Leichen wenig oder gar nicht unterscheiden; tragen sie aber Liedform, wie die
Lieder Neidharts, so mussten sie an anderer Stelle besprochen und Liliencrons Ab-
handlung (Haupts Zeitschr. Bd. 6) zu Grunde gelegt werden, die wir nirgend
erwähnt finden. Eine Sonderung der Dichtungsgattungen, eine Darstellung ihrer
formellen Verschiedenheiten sucht man überhaupt vergeblich. Zwar werden die
Tagelieder S. 116 erwähnt, aber nicht genügend erörtert; die zahlreichen Gat-
tungsnamen, die uns eine unter Reinmars des Fiedlers Namen überlieferte Strophe
aufzählt, werden nicht einmal genannt. Verhältnissmäßig das meiste Eigene hat
der Verf. zu dem dritten Abschnitt gethan , der die Übergangszeit aus dem
Mhd. ins Nhd.' (S. 214 — 3 2 0) behandelt. In der That ist dieser Abschnitt
grammatisch wie metrisch ein noch wenig angebautes Gebiet; noch fehlt es fast
ganz an Einzeluntersuchungen wie die trefflichen Kobersteins über P. Suchen-
wirt. S. 226 spricht der Verf. von der seit dem Ende des 13. Jahrhunderts
mehr und mehr verbreiteten Silbenzählung; unter den Belegen werden aber die
beiden wichtigsten Zeugnisse, von H. Hesler und Nicolaus von Jeroschin , beide
aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, vermisst. — Die Untersuchungen über die
Einführung antiker Versmaße sind über Wackernagels Geschichte des deutschen
Hexameters (l 8 3 1) nicht hinausgegangen, wiewohl seitdem viel schätzbares und
zum Theil älteres Material aufgefunden worden. Ich erinnere an den ältesten
LITTERATUE. 371
deutschen Hexameter, der sich im Rudlieb findet; ferner an die dem 11./12.
Jahrhunderte angehörigen Langverse des Gedichtes über das Himmelreich (Zeit-
schrift 8, 145), welches S. 194 in anderer Beziehung erwähnt wird. Wenn der
Verf. mit Wackernagel einen für einen Hexameter erklärten Vers aus Wolframs
Titurel mit Recht gegen solche Erklärung vcrtheidigt (S. 2 3 2), so mußte er
ihn auch richtig accentuieren :
hat dich min muemel hetwiingen owol dich der lieplichen melde.
Die Betonung der spondaisch gebildeten Wörter, die sonst am Schlüsse des
Verses zwei Hebungen ausmachten, auf der vorletzten Silbe allein, ihre Ver-
wendung zum klingenden Reime, die S. 247 erwähnt wird , findet sich nicht
erst im 16. Jahrhundert, sondern schon im 13., z. B. bei Konrad von Würz-
burg und seinen Zeitgenossen. Die für ungenau gehaltenen und als solche an-
geführten Reime auf S. 249 sind zum Theil nur durch falsche Schreibung un-
genau, wie: troni : hän (1. hoii), fürsten : teursten (1. türsten), gut : muot (1. guot :
muot), besunder : ivonder (1. minder) u. s. w.; denn wenn man auf die Schreibung
achten will, so könnte man auch in der besten mhd. Zeit viele Ungenauigkeiten
herausbringen. — S. 27 6 werden die aus der alten epischen Strophe hervor-
gegangenen Modifikationen späterer Zeit erwähnt: aber sie hätten zum Theil
in den zweiten Abschnitt gehört, wie die Strophenform von Walther und Hilde-
gunde, die bei Gelegenheit der Gudrunstrophe bespi'ochen werden musste. Das-
selbe gilt von der Rabenscblacht. Daß der kleinere Rosengarten oder Luarin
viel jünger sei als der große, wie S. 27 6, Aum. 1 behauptet wird, ist ent-
schieden unrichtig; zudem kann man bei diesem Gedichte nicht so allgemein
reden, sondern muß die verschiedenen Bearbeitungen trennen. Die Strophenform
des Wartburgkrieges und des Lohengrin (S. 2 3 9) hätte gleichfalls schon dem
2. Abschnitt angehört. Unbegreiflicherweise hat sich unter die Formen des Volks-
liedes, beiläufig gesagt ein sehr ausgiebiger Stoff, der in vorliegendem Buche
nur in schwachen Umrissen behandelt ist, ein in der Form nichts weniger als
volksthümliches geistliches Lied von Zach. Richter (S. 30 9) eingeschlichen, das
eine Nachbildung der sapphiseben Strophe enthält , also an einem ganz andern
Orte (vgl. S. 2 3 7) hätte erwähnt werden müssen. — Die mitgetheilten mhd.
Textstellen sind voll von Fehlern, die nur zum kleinern Theile in dem Druck-
fehlerverzeichniss berichtigt sind. — Doch wir wollen nicht mit Tadel, sondern
mit dem schon im Eingange ausgespiochenen Danke schließen, daß es der Verf.
unternommen hat, das weitverzweigte Gebiet einmal einer eingehenden Behand-
lung zu unterwerfen, und möchten ihn ermuntern, auf diesem Wege weiter zu
gehen und namentlich auch durch Einzeluntersuchungen neuen Stoff herbei-
schaffen zu helfen. KARL BARTSCH.
Reisen des Johannes Schiltberger aus München in Europa, Asia und
Afrika von 1394 bis 1427. Zum ersten Mal nach der gleichzeitigen
Heidelberger Handschrift herausgegeben und erläutert von Karl Friedrich
Neumann. Mit Zusätzen von Fallmerayer und Plammer-Purgstall. Mün-
chen 1859. Auf Kosten des Herausgebers. 8.
Die Reisen Schiltbergers waren im 15. und 16. Jahrhundert ein Lieb-
lingsbuch der Lesewelt und sind deshalb in jener Zeit mehrmals gedruckt worden.
Aus einer seitdem verschollenen Handschrift gab sie im Jahr 1814 A. J. Penzel
24*
372 LITTERATUR.
in willkürlich modernisierter und deshalb unbrauchbarer Gestalt heraus. Der
rühmlichst bekannte Orientalist Neumann hatte schon seit längerer Zeit eine
Ausgabe Schiltbergers beabsichtigt und endlich einen Text hergestellt, der, wie
er selbst S. 14 sagtj „eine Art kritischer Arbeit war, hervorgegangen aus Ver-
gleichung der Incunabeln und anderer Drucke, und mit einer Anzahl Varianten
versehen." Von Franz Pfeiffer schon vor Jahren auf eine Heidelberger Hand-
schrift aufmerksam gemacht , begab er sich nach Heidelberg ( vor wenigen Wo-
chen,' sagt er), um jenen Text und die Handschrift zu vergleichen, und fand
bald, daß es das beste sei , seine Recension aufzugeben und sich bloß an die
Handschrift, die höchst wahrscheinlich eine gleichzeitige Copie der .Eigenschrift
Schiltbergers ist, zu halten, sie also einfach abzudrucken. Schiltbergers Reise-
buch,' sagt er S. 15, wird demnach von uns nicht bloß zum erstenmale erläu-
tert, sondern zum erstenmale, wie der gefangene Reitersmann wahrscheinlich es
schrieb, dem Druck übergeben. Die früheren Ausgaben sind willkürliche, mit
allerlei Zusätzen und nach der Sprechweise der Zeiten vorgenommene Um-
schreibungen.
Wir haben also in der neuen Ausgabe einen Abdruck der Handschrift.
Selbst die verschiedene Sehreibung, sagt der Hg. S. 14, einzelner Namen und
Wörter habe ich beibehalten; nur offenbare Fehler, wie gleich im Eingange
44 für 94, könig für herzog von Buryund und einiges andere wurden entfernt.
Auch in den Überschriften einzelner Abschnitte ward mehreres nach meinem
Texte abgeändert und das Ganze dann in der jetzt gebräuchlichen Weise inter-
punktiert.'
Wir müßten dem Hg. gewiss recht dankbar sein, wenn er uns einen cor-
recten Abdruck einer sorgfältigen Abschrift der richtig gelesenen Handschrift
gegeben hätte ; aber leider haben wir einen solchen nicht erhalten. Erstlich
stört uns eine Unzahl gemeiner Druckfehler, die doch kaum dadurch entschul-
digt werden können, daß das Werk auf Kosten des Herausgebers, was immerhin
höchst anerkennenswerth, gedruckt ist. Sodann begegnen wir einer Menge offen-
barer Fehler, die vielleicht auch zuweilen nur Druckfehler sind, aber wohl öfter
Lesefehler des Herausgebers oder auch Fehler der Handschrift selbst, die ver-
bessert werden mußten. Konnte das bei diesen letztern nicht sicher geschehen,
dann war es doch gewiss Pflicht des Herausgebers , auf das Bedenkliche und
Schadhafte hinzuweisen, vielleicht auch zuweilen aus seinem Apparate mitzuthei-
len, wie solche Stellen in den alten Drucken lauten. Das Schweigen des Hg.,
der mit Ausnahme von zwei oder drei Stellen den handschriftlichen Text überall
für richtig zu halten scheint, verbunden mit der argen Incorrectheit des Druckes
gibt dem Leser ein eigenes Gefühl der Unsicherheit. Man fragt sich nur zu
häutig , ob man die ächte Lesart der Handschrift vor sich habe oder ob sie
falsch abgeschrieben oder abgedruckt sei. Ich lasse nun eine lange Reihe von
Verbesserungen folgen und bemerke dabei , daß ich bei weitem nicht alle ge-
wöhnlichen Druckfehler, besonders die Verwechslungen von mt n, u, sowie von
/, Z, i, r bemerkt habe. An einigen Stellen habe ich zwei mir zugängliche ältere
Drucke zu Rathe gezogen, einen Frankfurter vom J. 155 3 durch Hermann
Gülfferich und einen Nürnberger ohne Jahrszahl durch Johann vom Berg und
Ulrich Neuber.
S. 51, 2 v. u. lies dem ysnin tor statt ysuin, — S. 52, 10 1. mit zicai-
hundert mannen statt manne. — S. 52, 22 1. zweintziij pauer statt zwenilzig. —
LITTERATUE. 373
S. 53, 14 1. und da der kunig erhört, daß der herzog die vind an hefte geritten
statt und da kunig .... hetten geritten. ■ — S. 53, 19 1. pfert statt pfurt. —
S. 5 7, 14 1. den schielet er künig Soldon .. zu einer erung statt den schickt der
kilnig. — S. 6 0, 7 1. war sach daß., statt wärsach daß. Derlei ungehörige
Zusammenziehungen oder auch Trennungen im Drucke sind häufig. — S. 6 0,
2 2 1. ir secht statt ir fecht. — S. 61, 1 1. da das beschach statt da da beschach.
— S. 7 3, 5 1. Tatarien statt Tararien. — S. 7 6, 2 1. in dem land zoch man
nur vich statt ner vich. — S. 7 6, 4 1. gelitten hette statt hetten. — S. 77, 15
1. vf ein schöne eben statt schönen. — S. 80, 3 1. und besetzt die stat mit sechs-
tusent mannen. Im Druck fehlt mit. — S. 8 7, 2 v. u. 1. ir priester sint bar-
fiißerordens und künden nit laiin statt beyerfüßer ordens und künden mit latin.
künden ist s. v. a künnen, können, Schmeller 2, 307. — S. 94, 7 1. es gehö-
rent statt gehört. — S. 9 4, 11 1. aber hie zu land statt die.
S. 101, 2 1. ein haiß und ungesundes land statt ein haist. — S. 104, 2
1. in dem deinen India statt cleien. — S. 111, 14 1. fiertail oder fiertel statt
fiertal. — S. 113, 6 v. u. 1. die heiden haben in in großen eren statt großen
herren. — S. 115, 4 v. u. 1. macht statt nacht. ■ — S. 116, 14 v. u. 1. Oliveti
statt Oliveli. — S. 1 20, 10 v. u. 1. kam statt tarn, — S. 121, 15 1. und das
bein schätzent die heiden einen frysengech [orientalisches Maß] statt schützet. —
S. i 2 3, 9 1. do verstund er, das das der mensch war statt er das, das. — S. 12 7,
12 1. mit guldin und mit sametin tüchern statt sainetin. vgl. 152 samattin röckin,
157 sameten tüchern. — ■ S. 12 7. 13 v. u. 1. und spricht gen dem volk: rufent
got an statt gen den volk, rufent. — S. 12 8, 2 1. undertänig statt xmderiünig. —
S. 128, 3 I. sprechent statt sprachent. — S. 12 9, 5 v. u. 1. da verbot Machmet
allen den, die an in gelouben, den win bi schwärem ban, es toärent geistlich, welt-
lich, keiser . . . Schergen und allen den, die in sinem glouben sin, das sie keinen
win mer trinkent statt allen den, die in dem ivin gelouben schwären bän. Es rcä-
rent. . .allen den die in minem glouben sind. Die beiden Drucke haben: da verpol
M. allen denen, die in irem glauben waren, es teeren geistlich . . . und allen denen,
die in seinem glauben sein. — S. 131, 17 1. Es ist ein got und Machmet sin
liepster bot statt hepster bot. Ebenso 13 2, 4 v. u. der liepst fründ und 13 4, 4
gots liepster bot statt hepst, hepster. — S. 1 3 2, 12 1. demütig statt demüntig. —
S. 13 2, 19 1. daß die heiden geloubent statt daß d. h. den geloubent. — S. 134,
1 1. silnd statt sind. — S. 13 4, 9 v. u. 1. verhengt statt verhenge. — S. 134, 4
v. u. 1. die heiden nemen, an dem tag er geboren si da sin tusent kirchen under-
gangen statt nemen an, dem tag. . . . Nemen für unser annehmen hat Schiltberger
auch 10 7, 15 : sie nement, er si heilig.
S. 136, 8 I. Constantinopel heißent die kirchen Istimboli statt heist. —
S. 13 8, 10 1. underwilen statt anderwilen. — S. 13 9, 16 1. das sin der bischof
innen ivürd statt sin in der. — S. 14 0, 9 1. all statt ull. — S. 14 2, 5 1. demü-
tiglich statt denmütiglich. — S. 142 , letzte Zeile, 1. grosse statt grosse. —
S. 143, 10 v. u. 1. prütgam statt prütgold. — S. 143, letzte Zeile, 1. und
statten. — S. 144, 3 1« und statt hin. Ist haiste (hieß) richtig? — S. 145,
10 1. von statt oon. — S. 145, 11 1. wann ich zu der meß gangen statt wann
die. — S. 145, 12, 1. zu cristen gelouben statt cristem. — S. 145, 13 I. ha-
bent statt habet. — S. 14 5, 7 v. u. 1. da schlug er umb, ward zu einem heiden
und., statt umb weid zu... Auch die beiden Drucke haben ward. — S. 147,
3 1. das gros wunderzaichen , das er Constantino gethan hett statt wunderzaichen
374 LITTEBATUB.
C. getlian hett. — S. 147, 4 1. von der sundersichtig statt von den sunder sichtig.
— S. 147, 10 1. der geaalt, den du mir statt den gewalt, dem du dich. . —
S. 14 7, 6 v. u. und er meint im statt in.
S. 149, 3 1. Also gieng der künig allein aß statt Allein gieng . . . Auch
die beiden Drucke haben Also. — S. 150, 9 1. wandeln statt vandeln. — S. 15 0,
1 v. u. 1. hinz an die vier den sipp statt huitz. Vgl. Schindler bair. Wörterb. 2,
2 2 0. — S. 151, 1 sie machent vil geuariiezi unser s geloubes. Was ist geuartiezi?
In den beiden Drucken fehlt der Satz. — S. 151, 4 v. u. 1. sie haltent ir e
nit als tvir statt ir nit. — S. 15 2, 15 v.u. und och wenn ein armer stirbt on licht
oder on gottes lichnam, so geioint man im den kirchhof von den seinen emoalt. Die
letzten Worte sind wohl fehlerhaft. Die Drucke haben nur: von dem seinen, —
S. 154, 4 1. kein andern wiroch denn toiß zuiroch, der in Arabien und in Indien
tcechst statt das und Indea. — S. 154, 13 Und wann ein priester oder ein bi-
schoff unrecht tut, so straf ent sie in dorumb und sprechent, ein priester, der das
gottes iccrt tut und des nit verstand und verniement, der siindet. Das letzte ist
offenbar verdorben. Die beiden Drucke haben besser : ein priester, der da gottes
wort leret und das nicht verstehet, der sündiget. — S. 15 5, 13 1. niderlegen statt
inderlegen. — S. 15 9, 5 1. uns statt und. — S. 1G0, 9 1. vol statt icol. —
S. 160, 1 v. u. 1. Meichsen (Meißen) statt Neichsen. — S. 160, 11 sie hat
drühundert und sechzig turn und under den sint hundert ganz messi. Die beiden
Drucke haben ganz messing. Wahrscheinlich ist messin, d. i. messingen, zu lesen,
vgl. mhd. Wb. 2, 159 und Alsatia, neue Folge, 1858 — 61, S. 309 ff., ein
messin kessel, ein messin becken u. dgl. — S. 161. In den letzten Perioden
ist, wenn die Handschrift richtig ist, Schiltberger mehrfach aus der Construction
gefallen und so ist eine Confusion entstanden, die durch des Herausgebers
schlechte Interpunction noch vermehrt worden ist. Die beiden Drucke haben
zum Theil nicht unglücklich geändert.
So wie der Herausgeber nichts für Verbesserung des Textes gethan hat,
so hat er auch so gut wie nichts für die sprachliche Erläuterung desselben
gethan. Etwa ein halbes Dutzend Wörter hat er in den Anmerkungen erklärt,
aber durchaus nicht immer richtig, obwohl er sich nicht die schwersten ausge-
sucht hat. Es wird vielleicht manchem Leser erwünscht sein , wenn ich hier in
alphabetischer Ordnung aus Schiltbergers Wortvorrath einiges Bemerkenswerthe-
res folgen lasse.
abhin, hinab, 7 7. Schindler 1, 9. 2, 19 9. Grimm Wb. — ablcschen, aus-
löschen, 58. — ächten, verfolgen, 130, 145. Schindler 1, 22. — ächter, Ver-
folger, ein groß ächter der cristenheit 10 0, ein groß durchächter der cristenheit
121. — achtende, octavus, bis an den achtenden tag 152, s. Grimms Wb. —
als, als groß 55 als zornig, daß... 62, als stät 62, als vil, daß.. 63, als groß,
daß... 7 4, vgl. Grimms Wb. 1, 257, als gut..., als er... 71, als er war, also
wolt er. . . 64, als rein, als ein cristen 125, vgl. Grimms Wb. 1, 251. — angesicht,
zu angesicht dem volke in der stat 6 7. — anheber, Gründer, ein anheber der
vesten stat ze Babilonie 10 9, vgl. Grimms Wb. ankommen einen, antreffen 13 0,
s. Grimm. — anriten, den find anriten 53. — antlüt, Antlitz, 88, 138, s. mhd.
Wb. und Grimm. — antworten, dem empfalch er die wag und das handwerk,
so daß der darob war, daß ein ietlicher sin handwerk getruwlich antworten (?)
solle 124. — armusen, Almosen, 82.
LITTERATUR. 375
begreblnus, Begräbniss 126, s. Grimm u. Begrebtnis. — begrifen, ergreifen,
149, s. mhd. Wb. 1, 571. — behoben den strit 54, vgl. Iwein 167. — beküm-
mern (sieb mit — einem), Umgang haben 82. — bereit, bereite elefanten, d. i.
ausgerüstete, 73, 77, s. Scbmeller 3, 15 5. — sich besamen 91, sich besam-
meln, 88, Grimm u. besammen. — bestüten, befestigen, 146. — bestehen, mie-
then, pachten, 6 5, s. Grimms Wb. 1,167 2. — bet, Gebet, 89, 124, 125, 12 6,
s. Grimm. ■ — bettrüse, bettlägerig, 115, s. Grimm u. betrise. — sich bichten,
beichten, 12 5. — birg, der birg 6 6, daselbst aber auch der berg. Sehr häufig
das birg oder bürg oder pirg, z. B. 66, 68, 69, 73, 121, daneben das gebirg 66,
ein pirgesch land 87, ein gepirges land 105, vgl. mhd. Wb. 1, 105. Schmeller
1, 19 6. — blumen. Sie haben kein gemäl noch kein bild in den tempeln, nur
ir geschrift, gewächs, rosen und phnnen haben sie darinn 125 Diese Verbindung
fRosen und Blumen' statt rRosen und andere Blumen' kommt zuweilen im Mittel-
hochdeutschen vor. Gottfried von Neifen 11, 35: nu stet diu liebe beide bar
der wunnecliehen bluomen und der liebten rosen rot; 21, 7: beide bluomen unde
rosen rot. Düring VIT, 1 (in von der Hagens MS.): von bluomen unde rosen
rot. Hadlaub XX, 2: bluomen und rosen rot. Gesammtabent. LXXXIX, 49 und
18 6. rosen und bluomen. vgl. Ehenheim I, 1: viol, rosen, liljen, bluomen. Had-
laub XXVI, 1: viol, rosen, bluomen, kle. Tannhäuser VII, 2: bluomen rot,
darzuo viol unde kle. Konrad von Würzburg X, 1 und XI, 2 nennt das Gefilde
gerceset und gebluemet.' Für das Neuhochdeutsche vgl. Hans Sachs I (155 8,
117'1: blümlein und rosen, III (l 589), 1, 15d der röslein und der blumen,
III, 2, 13 6a rosen, feiel und blumen, I, 4a rosen, lilien und blumen, I, 3 99a
würzen, liljen und blumen; vgl. auch III, 2, 2 0 3° all feindselig Vögel und raben.
— bomlut (?) 121, wohl Druckfehler. — bomöl, Baumöl, 112. — bomivol, Baum-
wolle, 100. — bot, Gebot, 128, 134, s. Grimm. — prech, sie sprechent zwi-
schen irs geloubens und des unsern si nur ein bar zwischen, aber zwischent der
kriechen gelouben und irs gelouben si ein groß prech 151. Hier haben wir ohne
Zweifel das von Grimm Wb. 2, 34 2 besprochene Wort die breche. Wir würden
heutzutage ähnlich sagen: zwischen beiden Glauben ist eine große Kluft, d. i.
Unterschied. Die beiden Drucke haben: sei großer felh. — brein 9 0, prein 104,
prin 95, Hirse, s. Frisch 1, 13 2. Schmeller 1, 25 6. — büchsen zum Schießen 60,
wohl einer der ältesten Belege des Wortes in dieser Bedeutung, s. mhd. Wb. 1,
27 7 und Schmeller 1, 14 7.
dirthalb, das sind land hie dirthalb der Tonow 92; s. Schmeller 2, 17 5,
welcher derhalb und hiederhalb, diesseits, anführt; dirhalb bei Keller Erzählun-
gen 487, 10.
empfor (?) , empor, 15 5. — engegenen, entgegen kommen, begegnen,
s. Grimm u. entgegnen. — enhalb , jenseits , 116, s. Schmeller 2 , 175 und
Grimm. — sich ergehen, vor sich gehen, geschehen, 7 3, 82, s. Schmeller 2, 6.
— erhaben (?), aufhalten, zurückhalten 7 8. — erhaben brot, gesäuertes Brot,
138; unerhaben prot, 149, s. Schmeller 2, 136. — erriten, reitend einholen, 62,
s. Grimm. Vor Swabacher tore wurden sie erritten , Germania 4, 3 64. —
erung, Verehrung, Ehrengeschenk, 57, vgl. Schmeller 1, 96. H. Sachs III, 3,
29d wolt ir der frau ein erung tun, das stet bei euch. Grimm führt im Wb.
nur eine Stelle aus Logau an. — erwinden, ablassen, aufhören, 6 9, s. Schmeller
1, 9 6 u. Grimm.
376
LITTERATUR.
vanknvs 84, 108, vänkmts 65, 66, vanknust 86, Gefangenschaft, s. Grimm
u. Fangnis. Vanknust kommt auch sonst, z. B. in Hugo von Langensteins Mar-
tina 61, 106; 285, 34, vor. — vart, ein vart, einmal, 95, s. Schmeller 1, 566,
u. Grimm unter Fahrt no. 10. — fechten , sie taten an demselben tag zwei
vechten 58, sie taten zwei fechten 73, die strit und die vechten 9 2. Es fragt
sich ob wir hier den Singular des im Mhd. gewöhnlichen Substantivs die viihle
haben. Aber Schiltberger scheint dieß Substantiv nicht zu kennen, sondern braucht
immer den Infinitiv, z. B. ein vechten geschach 7 5, bi einem vechten 13 0, ein
vechten tun 7 0. Darnach könnten die vechten auch der Pluralis des Infinitiv sein,
vgl. altd. Bl. 2, 395: vil siufzen wollen töten mich; Leysers Predigten 3 6, 28:
in den anbeginnen ; 3 6, 10: diu trinken. Vielleicht auch Walther von der Vo-
gelweide 7 8, 6: bewar uns an dem ende... vor helleheizen wallen. — ver-
fallen, erfüllen, anfüllen, 141. — verkeren, bekehren, 124, 130, 131; aber auch
oft bekeren, z.B. 124. — vermeinen, zudenken; er hett einen sun, dem ver-
meint er das künigrich 85, s. Schmeller 2, 586; mhd. Wb. 2, 111. — ver-
bracht (?) zwen und sübenzig turen al verpracht mit marbelsteinen 109. — ver-
richten er wölt sich mit dem schwert mit im verrichten 7 7, also wurden sie
mit einander verriebt 7 8 , und wer gegen dem andern ein haß oder vintschaft
hat, der muß vor der kirchen ston, man lat in nit hinnen, biß er verriebt wirt
150. — sich verschlagen, da verschlug er sich in einen berg 6 6. — verschriben,
der im verschriben und botschaft geton hat, er solt komen 88, vgl. Schmeller
3? 505. — versitzen, der zins den er im wol fünf jar verseßen und vorgehalten
hett 81, s. Schmid schwäb. Wb. 4 9 6, Schmeller 3, 301. — versteinigen, stei-
nigen, 115. — vertragen, eines dinges vertragen (d. i. überhoben, womit ver-
schont) werden 161, vgl. Schmeller 1, 485. — viensler, Fenster, 120. — finden
mit Genitiv: und wenn der prütgom der prut nit junkfrow vindt, so lat ers sin
muter wißen 143, vgl. Grimm u. finden 6a. — finstern, da es nun zu der nacht
vinsterte 68, s. Grimm. — fliegen, eines fiiegens dahin fliegen 110. Über derlei
Verbindungen vgl. meine Anmerkung zu H. Sachs Dialogen 12, 20. — flug,
Flügel, 110, s. mhd. Wb. 3, 3 44. — volk, sin vater und sin muter ist ein
armes volk gewesen 122, der herr reit mit einem kleinen volk für die stat 64.
— vor, einem vor sin, obsiegen, bezwingen, z. B. wir mugen uch nit vor gesin 6 0.
— vor an hin, für an hin, voran, voraus, 53, 68, 77, 78, 89, 127, 131. —
freßen, es ist ze merken, daß sich der Tamerlin drierlei sach fraß , daß er krank
ward 81, do fraß er sich, daß er das wip hett töten laßen 8 2. Neumann sagt
r freßen, fretten, wie das engl, fret, plagen, Verdruss haben.' — friimmen, voraus
bestellen; sie habent kein mess, man früm sie dann 13 9. Der Frankfurter Druck
hat die schwäbische Form 'pfrem,' der Nürnberger frem.' S. Schmeller 1, 612.
— fürder, vorwärts, weiter, dahin, fort; wir furent fürder 159, so ist der apfel
füder [sie!] 137, wo die beiden Drucke dannen' haben. — fißgengel, Fuß-
gänger, 5 3, 6 8, s. mhd. Wb. 1, 4 7 7.
geäßer , Futter; man muß under ir geäßer [für Tauben] zucker tun 110.
— gebärt, Bart; ir gebärt nit abschniden 12 8. — die gevärd, Hinterlist (von
raren), one alle gevärd 82, s. mhd. Wb. 3, 371, Schmeller 1, 551, Schade
Satiren und Pasquille aus der Reformatinnszeit im Index. — das gevert, Art
und Weise, Sitte, Benehmen (von varen) , die hetten vor och mit den Türken
gevochten und westen ir gevert baß dann die andern 53, und wan man in in
der herberg hört, so bereit man im ein pferd daß ers bereit vind; so reit er
LITTERATUR.
377
zu der andern herberg, da vindt er och eins bereit... und dis gefert hat künig
Soldan uf allen Straßen 110, s. mhd. Wb. 3, 2 55, Schmid 181, Schmeller 1.
566. — der gemach, das Gemach, 110, s. Schmeller 2, 542. — gereit, leicht,
schnell; daß es die priester, die bi dem tempel saßen, gereit hörten 82, s. Wa-
ckernagels Glossar. — geschäft, also zugen sie heim on geschäft, d. i. unver-
richteter Sache 7 9. — geschöpft, Geschöpf, 123, 128, s. Schmeller 3, 3 7 9. —
getiill, Befestigung durch Pallisaden, 141, s. mhd. Wb. 3, 128, Schmeller 1
492. — gewarach (?) gras und gewarach 107. Neumann erklärt es für Gesträuch,
ohne Begründung. Die beiden Drucke haben nur Gras. — gütlich, götlichen
gewin 132, 13 9. Gütlich ist nicht etwa göttlich, divinus, sondern gütlich, con-
veniens, passend, schicklich, Schmeller 2, 80.
hantwerk, er hieß büchsen bringen und hantwerk machen 60, vgl. Frisch
1, 411, Schmid 23, Schmeller 4, 141, Grimm u. Antwerk. Die Handwerke
können hier, wie Schmeller an andern Stellen vermuthet, die Laffetten der
Büchsen bedeuten. Gewöhnlich aber bedeutet Antwerk oder Hantwerk ein Ge-
schütz. An unserer Stelle müssten dann Büchsen und Handwerke verschiedene
Geschütze «ein. — lierfaren, erfahren, 51. — hergehen, ergeben, 5 2. — her-
schlagen, 5 3, 54. — himel, wenn ein jüngling stirbt, so legt man in in ein par
und macht ein himel über in 89. — himelkint, wir sin, ob got wil, himelkint
vor got 55. — hinder, einem hinder das künigrich helfen, einem zum k. verhelfen
71. — hingeber, koufer und hingeber 13 2. — Minen, honen, heulen winseln,
82, s. Schmeller 2, 202. — hut, den hut abtun 128, den hut abnemen 142.
— hören, aufhören, 5 6, s. Schmeller 2, 233.
imber, ingwer, 119. — in, eine kirche gestift in unser frowen ere 113.
gepawet in vierzig martrer ere 113, in Annen eren 115, vgl, Schmeller 1, 92.
— italig, ein ytaliger vels 119. Die beiden Drucke haben 'eiteler.' Italig ist
das mhd. itelich, mhd. Wb. 1, 7 58. Schmeller 1, 129 führt italige Heller an.
kirsenpfad, Taufhemd, 140, von der krisam, chrisma, Schmeller 2, 395,
und die pheit, mhd. Wb. 2, 487, Schmeller 1, 325. — kluben, klauben, 64,
102, 159, s. Schmeller 2, 34 9. — kocken, breite, rundliche Schiffe, im Gegensatz
der langen, schmalen Schiffe (Galeeren), s. Frisch 1, 531; mhd. Wb. 1, 85 7,
Ausland 1859, S. 188. kocken und galeien (galeen) 92, 106, 141 , wir
sahen einen kocken 158, uf der kocken 159. (Das grammatische Geschlecht
schwankt also bei Schiltberger) ; der wind schlug die kocken hinder sich 15 9.
Neumann erklärt 158 mit Unrecht kocke für ein kleines Schiff. — koldigen (?),
ich bin zwirot zu Jerusalem gewesen, mit einem koldigen, der hieß Joseph 114.
Auch die beiden Drucke haben dieß mir räthselhafte Wort. — kränz, wie sich
sin jüngstes wib mit einem siner landesherren bekümert und ir kränz zerbrochen
hett 82.
letvthus, 129, Lithaus, Haus, wo Lit geschenkt wird, Schenke überhaupt,
s. mhd. Wb. 1, 7 3 9, Frisch 1, 609, Schmeller 2, 521.
mar, mürbe, 105, vgl. Schmeller 2, 608. Schmid 374. — merspinne,
Schnecken und merspinnen 159, vgl. Germania 5, 242 u. Konrad von Megen-
berg, ed. Pfeiffer, 246, 16. — mittag, hinnach mittentag 7 3, ze mittemtag 1 24,
nach mittentag 151, s. mhd. Wb. 2, 196.
nachen 161, nahent 147, nachent 141, nahe. — nache, Nähe, mhd. nähe,
nsehe, mhd. Wb. 2, 2 9 3, als Tämerlin von der stat zoch, da zoch küng Soldan
heruß von siner hoptstat, und meinet dem Tämerlin ein nachen an ze gewinnen
378 LITTEKATUR.
7 5. Die beiden Drucke haben: ein Nehe an zu gewinnen. — sich niederschla-
gen, sich niederlassen, 54, 65, 68, 122, 156. — nienen, nirgends 148, 8. mhd.
Wh. 1, 745. Schmeller 2, 668. — nüchter, nüchtern, 1 05, s. Schindler 2, 6 7 5,
mhd. Wb. 2, 423. — nütz, nichts, z. B. 73, 74, 76, 79, 96, 100, 113, 145,
159, nüntz 64, 76, 79, 90, 91, 114, 159, nuntz 64, 78, 140, nichtz
56, s. Schmid 404, Schmeller 2, 6 74. — nun, öfters in der Bedeutung von
nur ; nun ein schlechter landsherr 85, sie puwen nun prin 9 5, sie singen nun
kyrieleyson und nit kristeleyson 142, nun ein man und kein wip 15 0, nun mit
win und nit mit wasser 15 0, sie eßent nun öl 151, ir heiige tage haltens nun
ein sampstag 151, si firent nun ein tag 151, man hört es nu susen 121, vgl.
Schmeller 2, 6 9 8, Schmid 410.
recht, es soll auch kein fro in die kirchen gon , die ir recht hab 150 (d.h.
qua? sit menstrua) , vgl. Fastnachtsp. 3 2 2, 2 0 und hab ein schwaches krankes
weib, die hat ir recht die wuchen siben tag. — regnieren, regieren, 9 0. — reis,
Heerzug, Feldzug, 80, 105, s. Schmeller 3, 125. reisspieß 67, 85, s. Schmeller
3, 126. — renner, Bote, Läufer, 53, s. Frisch 2, 110, Schmid 431. Bei Schmeller
3, 100 fehlt diese Bedeutung. — ross , an rössern und anderm viech 81, vgl.
Hugo von Langenstein Martina 101, 54: etliche sie bunden wilden rossirn an
sweifen, vgl. auch u. scheff.
mmpl, Sand, 99, s. Schmeller 3, 249. — schaffen, befehlen, gebieten,
mit nachfolgendem daß, z. B. 55, 58, 59, 60, 62, 122, vgl. Schmeller
3, 330. — schaffen, stellen, 73: der \A eyasit hett drißig tusent man
von den wißen Tataren, die schuf er vornen an den strit. — scheff, Schiff,
s. Schmeller 3, 3 35, uf die scheffer 5 4 (vgl. oben ross). schiblich, rund,
114, 115. — schibumb, ringsum, 114. — schibicise, rund, 140, s. Schmel-
ler 3, 309. — schlaf wip, Beischläferin, 129, s. Schmeller 3, 434. schlagen,
zwei land betten sich an den Joseph geschlagen 84; da schlug sich der
Weyasit für die stat 59, da schlug er sich ze veld 77, Tämerlin schlug
sich für die stat 7 8. — stabel, Stäbchen, 148. — sunder, besonders, zumal, 128,
139, 153, s. Schmeller 3, 26 7. — sunder süchtige, Aussatz, wann er in von den
j lies : dei] sundersichtig rein gemacht hett 147, so würd er gesund von siner
sundersüchtige 14 7, vgl. Schmeller 3, 195 und 26 8.
tilijüchs, täglich, 15 5. — tegenkint , Knabe, 12 4, s. Schmeller 1, 359 u.
mhd. Wb. 1, 818, wo mau noch aus Gesammtabenteuer XLVIII, 5 3 degen-
kindelin beifüge.
überilen, übereilen, überholen ; da reit er über sie und überilt sie , daß sie
nit zu wer mochtent komen 6 6. — überlegen, belegen, bedecken; zu dem ostertag
überlegt künig Soldan Abrahams tempel mit einem samat tuch 128, vgl. mhd.
Wb. 1, 993. — u/heben, wie der Bayasit ein ganz land ufhub 5 6 , er zog hin
gen Ungern und hub ein ganz land uf und fürt mit im uß dem selben lande
sechzehen tusent man mit wiben und mit kinden mit allem irm gut 5 7. —
umberen, umackern, umpflügen, 76, s. Schmeller 1, 97, Schmid 17 0. —
umbfallen (?), sie liefen zu dem turen und umbvielen (?) in, daz er nit davon mocht.
Da sprang er durch ein vienster 12 0. — umbiegen, besetzen, einschließen; sie
umbiegten die eben 60, er umbleit die stat 70, das birg 73. — umbsäs , um-
sässig, 152, s. Schmeller 3, 287. — underwinden, "Weyasit erzürnet und sprach
dristunt daß sich einer des Karamans underwund. Und erst zum dritten mal kam
einer und underwand sich sin und fürt in hinder sich und köpft in 5 9. — der
LITTERATUR. 379
ungesund, die Ungesundheit, 99, s. Schindler 3, 267, — unz, Unze; ein schlich
sol nun unz haben und ein unz ist das erst gelid an dem dornen 103. — an-
ziiber , Ungeziefer, 103, s. Sehmelier 4, 228. — urfar, Platz zur Anfahrt,
Landeplatz, 136, s. mhd. Wb. 3, 25 0, Schmeller 1, 54 7. — vßhoren, (die
Sophienkirche in Constantinopel ist gebaut) mit ußgeborten marmelstein und ist
och darmit gepflastert 160, — ußgenomen , ruch an irem lip, ußgenomen an
den henden 8 8, ußgenomen die Armeni 13 6, uCsgenomen einer 15 6, es gehö-
rent zu der stat drü hundert schloß, on (?) ußgenomen die hoptstett 94, vgl.
Grimms Wb. — vßgerichten, ißrichten, aburtheilen, richten. Gregorius bat Sil-
vestrum den bapst, daß er im gewalt gab, daß er sin priesterschaft ußgerichten
möcht und sin volk 148; der künig gab im gewalt über das land, das richtet
er uß 12 3, vgl. Grimms Wb. u. ausrichten.
wagensun, Pflugschar, 86, s. Frisch 2, 415,429, Schmeller 3, 258. 4,41.
— ivärts, gen oeeident wertz der sunnen 113, gein dem tal Josaphat wertz 1 15,
gein dem mer wertz, gein dem land wertz 141. — ivatsecke, Mantelsäcke, 89, s.
Schmeller 4, 194. — tvite, Weite, weiter Raum, vgl. Schmeller 4, 199, uf einer
schönen wit 114, 13 7, uf eine schöne wit 116. Daneben aber 5 8, 71: uf ein
weit. Wite, Weite, und weide, Waide (vgl. S. 65) scheinen mit einander ver-
mengt. — - der widerteil, Gegner, 7 1, s, mhd. Wb. 3, 2 2, — zoolke, ein schwar-
zer wölk 122, 123, einen schwarzen wölken 123, ein wölke, der was schwarz
122, das schwarze wölken 123. Schiltberger hat also innerhalb weniger Seiten
viermal der Wolke (Wolken) und einmal das Wolken. Letzteres stimmt zu dem
mhd. daz wölk.' Als Mascul. führt Frisch 2, 45 6 Wolke aus Kaisersberg und
Golius an. — der worten, daß..., in der Meinung, in der Absicht, daß...,
55, 132, s. Schmeller 4, 165, Schmid 538. — wundern, und sie hotten in in
großen eren und wunderten dorumb, daß er ein cristen priester was gewesen 120.
zehren, zähem, weinen, 54, 59, s. Schmeller 4, 2 3 9. — zit, den ziten,
zu den Zeiten, 64, den ziten, als.. 101, 104, den selben ziten 65, der ziten,
als... 6 3. — zer tragen, wenn zwei eelüt mit einander zertragent und daß eins
das ander nit wil, so scheid man sie zu bett und zu tisch 151; vgl. sich zer-
tragen, in Zwist geraten, Feind werden, mhd. Wb. 3, 7 5, Schmeller 1, 485,
Frisch 2, 3 80 und Zarncke zu Brand 7, 2 3. — zu, es sol zu keiner sprach
mess gehapt werden dann in kriechischer sprach 13 9. — - zugehör, das ganz
künigrich mit sinem zugehör 85. — zugehör de, pferd mit allen zugehörden 1 09,
mit vich und mit iren zugehörden 104, vgl. Frisch 1, 467. Gehört hierher 134:
wan wir got fürchten und tun alweg unserm gelouben zugehörd recht und red-
lich? — zuhören, die stat mit allem zuhören [bei Neumann verdruckt: zuhören]
6 7. Die beiden Drucke haben zugebörungen.' — züllen, Schiff, Nachen, 15 8,
s. Schmeller 4, 2 5 3. — zwei. Man beachte: mit zwein hundert tusent mannen
6 9, zwein monat 6 9, mit zwein und drißig mannen 7 0, den tartarischen herren
und zwein landesherren 70. — zwirent, 80, 94 101, zwirel 103, zivirot 114,
zweimal, s. Schmeller 4, 307. — zwischen, oft auch Zwüschen, zweschen 116,
sehr häufig zioischent und zwüschent , mit Dativ und Genitiv, z. B. 93, 151,
s. Schmeller 4, 310; enzwischen 113, wie im mhd., daneben ezwischen, etzwischen
110, 151. — zioistern, Cisterne, 119. Ebenso in Rothes düringischer Chronik
509, vgl. Germania 5, 247.
Bemerkungen über lautliche Eigenthümliehkeiten der Sprache Schiltbergers
oder wenigstens der Heidelberger Handschrift seiner Reise unterdrücke ich be-
380 LITTERATUR.
sonders aus jenem Gefühle der Unsicherheit in Bezug auf genaue Wiedergabe
der Handschrift.
WEIMAR, August 1S62. REINIIOLD KÜHLER.
Apollo Smintheus und die Bedeutung der Mäuse in der Mythologie der Indo-
germanen, von Dr. Joseph Virgil Grohmann. Prag 1862, Calve'scher
Verlag. 86 S. 8.
Bekanntlich führt Apollo öfters eine Maus als Attribut und wurde deß-
halb Smintheus genannt. Er sandte Mäuse als weisende und als strafende Thiere.
Aus den Sagen und Mythen des griechischen Alterthums geht unzweifelhaft her-
vor, daß es zwischen Apollo und den Mäusen tiefe und uralte Bezüge gegeben
habe , für welche den spätem Griechen selbst schon das Verständniss verloren
gegangen war. Wie dem genannten Gotte der Griechen , war die Maus auch
dem Rudra der Inder geweiht. Von diesen beiden Anhaltspunkten ausgehend,
kommt Hr. Grohmann mit Beziehung vieler germanischer und slavischer Volks-
sagen und Aberglauben auf scharfsinnige Weise zu folgenden Resultaten. „Die
Mäuse sind Gewitterwesen, ihr Zahn ist der Blitzzahn. Wenn sie denselben fallen
lassen, so wird die Seele des Menschen geboren, die nun als Maus im Körper
wohnt, um nach dem Tode des Menschen wiederum als Maus zurückzukehren
in die Schaar jener Sturmgeister, von denen sie ausgegangen ist. Die Seele des
Frommen und Gottesfürchtigen vereinigt sich mit der Schaar der lichten seligen
Geister, den Genossen und Gehilfen der Götter, den weißen Mäusen ; die Seele
des Gottlosen aber mit den götterfeindlichen Dämonen , den Schwarzeiben und
Trollen, den Panis und Rackschasen , den schwarzen Mäusen. Als Führer der
Sturmgeister, der Maruts, sind die Sturmgötter Rudra und Wuotan, nebst seiner
Gemahlin Freya, so wie Apollo auch die Führer der weißen Mäuse; als blitz-
führende Gewittergottheiten waren sie nach theriomorphischer Anschauung ur-
sprünglich selbst wohl Mäuse. So erklärt sich insbesondere der Name Smintheus
und die Verehrung der weißen Mäuse im Tempel zu Hamaxitus. Der Donner-
gott aber, der Feind der finstern Dämonen, war auch der entschiedenste Gegner
der dunklen Mäuse, die insbesondere zur Winterszeit die Oberhand gewannen.
Mit seinem Donner schreckt er sie bei Beginn des Frühlings aus dem Hause.
Als Vertilger der Mäuse erscheinen neben Donar ausdrücklich noch die Acvinen,
die ja auch , indem sie die Morgensonne am Himmel entzünden , die Dämonen
der Nacht, welche beim Anblick des Tages zu Stein werden, verscheuchen. Alle
diese Vorstellungen galten ursprünglich nur für die himmlischen Mäuse. Sie
wurden aber auf die irdischen Mäuse übertragen , nachdem sich die Götter und
Dämonen zu voller Menschlichkeit entwickelt hatten, die traditionelle Redeweise
aber hinter dieser Entwicklung zurückgeblieben war. Nun entstand nach einem
ganz gewöhnlichen Vorgange (Mannhardt, Götterwelt S. 3l) entweder der Glaube,
daß jene Wesen die Macht hätten, sich in Mäuse zu verwandeln oder zeitweilig
in diese Gestalt verzaubert würden, oder man erzählte sich nun von den irdischen
Mäusen , was früher von den himmlischen gegolten hatte. Apollo und Freya
geboten nun auch den Feldmäusen und sandten diese zur Strafe auf die Äcker
der Gottesverächter, und Donar vertrieb nicht mehr die himmlischen Mäuse,
sondern die irdischen , die nun seine Abzeichen eben so scheuten , wie früher
die dämonischen Mäuse." (S. 7 5 u. 7 6.)
LITTER A.TUR. 381
Mit so großem Scharfsinne und reicher Belesenheit die Untersuchung auch
geführt ist, können wir den gewonnenen Resultaten gleichwohl nicht beistimmen.
Nach unserer Überzeugung stehen die Mäuse mit Apollo — als Lichtgott in
Beziehung. Apollo als solcher ist auch Frühlingsgott. Thaut die Erde vor den
Strahlen des Sonnengottes auf, so schlüpfen die Feldmäuse aus ihren Löchern;
sie galten desshalb als Boten des Frühlings und waren dem Lichtgotte heilig.
Als Verkündigern der annahenden schönen Jahreszeit wurde ihnen prophetische
Gabe zugetraut, und dies war ein neuer Grund, sie mit Apollo in Beziehung
zu setzen. Wie dem genannten Gotte waren sie auch der Saatgöttin geheiligt,
denn vergoldete Ähren und vergoldete Mäuse wurden der phönicischen Ceres
als Sühnopfer dargebracht (Welcker, griech. Götterlehre 1, 484). Wie aber die
Mäuse dem Apollo und der Ceres geweiht galten , weil sie den Beginn des
Frühlings und das Aufkeimen der Saat anzeigten; ebenso glaubte man, daß sie
als rächende Boten von diesen Gottheiten gesandt werden. Im germanischen
Volksglauben ward die Maus wohl nicht dem Wuotan oder Donar, sondern dem
Freyr (Frö) heilig. Er war Sonnen- und Frühlingsgott und Spender der Frucht-
barkeit und diesen Eigenschaften entsprach das Attribut der Maus. Die Aber-
glauben (S. 17), die sich an die Maus knüpfen, sind desshalb auf Freyr nach
meiner Meinung zu deuten , dem ja auch der Eber (vgl. S. 5) geheiligt war,
und dem ich das Farnkraut (vgl. S. 18) als heilige Pflanze in meiner Abhand-
lung St. Johannissegen und Gertrudenminne zuweisen mußte. Haben wir keine
schlagenden Mythen, welche die Maus dem Freyr zutheilen, so sind desto be-
merkenswerther die Legenden und Glauben, welche die Maus mit der hl. Ger-
trud in innigste Beziehung setzen. Gertrud ist aber, wie ich in meiner genannten
Schrift nachzuweisen bestrebt war, an die Stelle von Freys Gattin, der leuch-
tenden Gerdr, getreten ; sie ist Saatgöttin und repräsentiert die wiederaufthauende
Erde. Gertrud hat eine Maus am Spinnrocken, weil an ihrem Feste (17. März)
die Mäuse aufs Feld laufen. An demselben Tage soll man aber den Feld- und
Gartenbau beginnen, weil sie die erste Gärtnerin war. Wenn Seelen als Mäuse
erscheinen, so gelten die Mäuse als elbische Wesen. Sie können als solche um-
somehr mit Freyr in Verbindung stehen , da dieser Gott den Elfen vorstand
und über Alfheim herrschte. — Diese Bemerkungen mögen genügen. Ich hoffe
die Bedeutung der Mäuse in der deutschen Mythologie und ihr Verhältniss zu
Freyr und Gerdr in dieser Zeitschrift nächstens eingehender behandeln zu können.
Obwohl ich mit dem Ergebniss nicht einverstanden bin, verdient dennoch
die vorliegende Schrift wegen des reichen Materials und der selbständigen um-
sichtigen Forschung mit Freuden begrüßt und empfohlen zu werden.
I. V. ZINGERLE.
1. Naturmythen. Neue Schweizersagen, gesammelt und erläutert von Ernst Lud-
wig Rochholz. Leipzig bei Teubner 18G2. XIV und 288 S. 8.
2. Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Lucern, Uri, Schwiz, Unter-
waiden und Zug. I. Sagen. Von Alois Lütolf. Lucern bei Schiffmann
186 2. Erste Lieferung 80 S. 8.
3. Beiträge zur deutschen Mythologie. Gesammelt in Churrhätien von Dr.
J. J. Vonbun. Chur bei L. Hitz. 1862. 137 S. 8.
Vorgenannte drei Werke zeigen, mit welchem Eifer in der Schweiz an
die Sammlung von Sagen und Volksbräuchen gegangen wird. Während vor we-
382 LITTER ATT TR.
nigen Jahren noch eine wissenschaftliche Lese von Schweizersagen ganz fehlte,
reiht sich jetzt Sammelwerk an Sammelwerk, nachdem Rocbholz den glücklichen
Wurf gethan und in seinen Aargauer Sagen gezeigt hat , wie man Sagen sam-
meln , darstellen und ihren Gehalt wissenschaftlich verwerthen solle. Sein vor-
treffliches Werk, dem die verdiente Anerkennung nirgends versagt wurde, mußte
zur Nacheiferung anregen und selbst Verächter alter Volkstraditionen bekehren.
1. Von dem unermüdlichen Sammler, der mit scharfem Blicke die Ent-
stehung und Entwicklung vieler Sagen durchforscht und aufgedeckt hat, liegt ein
neues Werk vor, das sich von den schon vorhandenen Schriften über deutsche Sagen-
forschung und Götterlehre unterscheidet. Er zeigt darin die schweizerische Sagen-
bildung als bedingt durch den geologischen Bau des Gebirges und den Gang seiner
Gewässer. In der trefflichen Einleitung zeigt er, wie den Sagen vom Türst und der
wilden Jagd des Tösjägers mächtige Naturerscheinungen in den Alpen zu Grunde
liegen. Die Sammlung selbst zerfällt in zwei Abtheilungen, deren erste die Ab-
schnitte: die Wetterherren, der Kornweg, der wilde Jäger in Jura, Sturmthiere,
die Zwerge in Jura, waschende Jungfrauen enthält. Die zweite behandelt die Hort-
sagen, das Irrlicht, Schlange und Drache, die Wolken, den Mond und die Hasen-
frauen. Zu der Abhandlung über die Wetterherren S. 1 — 16 glaube ich bemerken
zu müssen, daß in Tirol Johann und Paul, und Oswald als die größten Wetterherren,
St. Margaretha als Wetterfrau verehrt und gefürchtet werden. Sind in der benach-
barten Schweiz diese Traditionen ganz verschollen? — Sehr zahlreich sind die
Sagen vom wilden Jäger in Jura. Schon die erste „der Türst auf Eroburg" in-
teressirt durch den Namen, der an den Gott Fru erinnert. Sagen von kegelnden
Riesen und Geistern, von Schweinreitern u. a. folgen. Hat sich in den auch
anderswo nicht selten auftretenden Sagen von Schweinerittern ein Anklang an
den auf dem goldborstigen Eber reitenden Freyr erhalten? — Nicht weniger
reichhaltig sind die Abschnitte von den Sturmthieren und den Zwergen in Jura.
All die Züge, die anderswo von Erdmännlein und Wichtein erzählt werden,
kommen hier wieder vor. Dasselbe gilt von den Hortsagen (S. 15 3), die auch
das Capitel von Schätzen durch ihre Allseitigkeit beinahe erschöpfen. Viele neue
Züge enthalten die Abschnitte: Sehlange und Drache, der Mond und die Hasen-
frauen. Wir haben hier selbständige Abhandlungen, die durch den Reichthum
des Stoffes, scharfsinnige Forschung, neue Resultate und schöne Form in hohem
Grade anziehen. Daß Hr. Rochholz in diesen, wie in den Anmerkungen zu den
Sagen die ganze einschlägige Literatur berücksichtigt, braucht nicht erst bemerkt
zu werden. Ein sehr zweckmäßig angelegtes Sachregister schließt das ausgezeich-
nete Buch ab, das gewiß alle Freunde deutscher Sagenforschung mit ungetheilter
Freude begrüßen.
2. Hr. Lütolf verdient unsern Dank, da er es unternommen hat, den Sa-
genhort der Urcantone zu heben. Daß er die Sache nicht leicht nahm und erst
nach «rundlichen Vorstudien die Hand ans mühevolle Werk legte, beweisen die
den einzelnen Sagen beigegebenen Anmerkungen, welche eine lobenswerthe Kennt-
niss der Sagensammlungen und der deutschen Mythologie bekunden. Das vor-
liegende Heft enthält Sagen von Gewittermächten, von dem wüthenden Heere,
von Zwergen und Riesen , von schatzhütenden Geistern und der guten Frau.
An der Spitze des Ganzen steht die mit großer Ausführlichkeit behandelte Pi-
latussage. Der Pilatusberg, an dem sich eine Menge von Sagen und Mythen
abgelagert hat, war zweifelsohne eine heidnische Cultusstätte. Dies beweist hin-
EJTTERATUR, 383
länglich das uralte strenge Verbot wider den Besuch des genannten Sees. An
dem Pilatusberg haften auch die Sagen vom Domini. Dieser, wegen seiner Ver-
brechen verwünscht und versteinert, muß einen unermeßlichen Goldschatz so
lange hüten, bis ihn Jemand zur Herausgabe des Hortes zwingen kann. Interes-
santer ist folgende Sage (S. 17): Der Domini, wohnhaft im Chirbel , war dort
ein zauberverrufener Mann. Da es endlich mit ihm zu Ende gieng, jagte der
Türst bei seinem Hause vorbei und man hörte rufen : Domini chumm, 'sist zit,
Domini chumm, 'sist zit." Sogleich gab er den Geist auf. — Er ward somit
vom wilden Jäger abberufen und in sein Gefolge aufgenommen. Diese Sage bat
ein sehr altes Gepräge. Da der Pilatusberg das Lieblingsrevier des wilden Jägers
(S. 28), dieser aber Wuotan ist, so gewinnt dadurch Rochholz und Runge's
Ansicht, daß Pilatus hier von pileatus, der Behütete, abzuleiten sei, neuen Halt.
— Unter den übrigen Sagen verdient namentlich die von Frau Zälti (S. 7 2)
unsere Aufmerksamkeit. Denn unter diesem Namen lebt noch in der Urschweiz
die von mittelhochdeutschen Dichtern so oft genannte „vrou Saelde" fort. An
sie hat sich aber vieles angelehnt , was anderswo von der Frau Berchta und
Hulda erzählt wird. Nirgends kann aber Frau Zälti, diese Glücksgöttin, ihre alte
Güte und Freundlichkeit verleugnen. Die Anmerkungen sind mit großer Umsicht
und Kenntniss geschrieben. Zu weit geht aber Herr Lütolf, wenn er hinter dem
in Volksliedern so oft vorkommenden Namen Anneli die Göttin Nanna vermu-
then möchte.
3. Geben Rochholz und Lütolf meist die Sagen einfach erzählt nach dem
Inhalt geordnet, und fügen ihnen erklärende Anmerkungen bei , so verfolgt der
uns schon früher rühmlich bekannte Verfasser eine andere Weise. Er liefert
eine kleine Mythologie Churrhätiens und berichtet in fortlaufender Rede über
Götter und Halbgötter, elbische Wesen, über Zauber, Thiere, Bäume und Kräuter.
Grimms Mythologie und Mannhardts Götterwelt bilden gleichsam den Zettel,
die Sagen aus Graubünden und Vorarlberg den Eintrag dieses Gewebes. Wir
ziehen die von den andern befolgte einfachere Weise vor. Sind die Sagen ein-
mal gesammelt und klar geordnet, dann kann sich einer das Vergnügen machen,
eine Mythologie des betreffenden Stammes oder Gaues zu bilden, wie dies Hr.
Quitzmann gethan hat. — Vonbuns Büchlein enthält neben den Belegen für
lang bekannte Volkstraditionen auch manches Neue. Das Ganze ist mit feinem
Sinne, großer Wärme und vielem Geschmacke geschrieben. Wir wünschten nur,
daß er in seinen Verweisen auf die einschlägigen Sammelwerke der benachbarten
Länder: Tirol, Baiern und Würtemberg mehr Rücksicht genommen hätte. Da-
durch hätte das Buch viel gewonnen , und manche Parthie wäre dadurch viel
mehr aufgehellt worden. Sehr werthvoll sind die Mittheilungen über das mit
Musik umziehende, Kühe schlachtende Nachtvolk (S. 2). Irrig ist es aber, wenn
das S. 1 2 erwähnte Todtenvolk oder die Nachtschaar geradezu mit dem Nacht-
volk verwandt bezeichnet wird. Der aus mehreren Thalschaften Churrhätiens
beigebrachte Volksglaube hat mit dem Nachtvolke nichts zu thun , er ist das
zweite Gesicht, das namentlich in Westphalen , doch auch in Tirol vorkommt.
Freilich sind auf dasselbe in Churrhätien Züge von dem Nachtvolke und dem
wiithenden Heere übertragen. Der S. 2 0 mitgetheilte Reim kommt auch iu Tirol
vor. Wir können aber trotz alles Bemühens in den Versen :
Gott alls grota lot
Zwüschat alla stega und wega
384 LITTERATUR.
nicht herausfühlen, daß sie wie ein alter Hymnus klingen. Zu weit geht Vonbun,
wenn er in allen weißen Frauen (S. 25 u. 26) Holda-Berchta sucht. Dankes-
werth und trefflich ist das über die Nornen (S. 33 — 3 8) Mitgetheilte. In dem
Abschnitte elbische Wesen bespricht er den Schräthlig, das Doggi, die Fänken,
Dialen und Bütze. Bei den Fänken hätten jedoch jene Sagen, die uns dieselben
als gefrässige Riesen darstellen, ausgeschieden werden sollen. — Interessant ist
die Mittheilung über die geographische Verbreitung der "VVildfanggen (S. 6 3);
die Thäler, die in näherer oder weiterer Entfernung vom Wurzelstocke des Sel-
vretta auslaufen, sind die eigentlichen Heimatsitze der Fänken. Unter den Dialen-
sagen zeichnet sich die von Selbst gethan (S. 6 7) aus. Der Abschnitt „Zauber"
behandelt Hexen und Hexenakten. Da werden uns viele Namen der Hexenteufel
und die Tanzplätze (S. 91 und 101) aufgezählt. Außerdem bietet dieser Abschnitt
wenig neues. Das Verfahren bei Hexenprozessen, das angebliche Treiben dieser
Unglücklichen war ja überall dasselbe. Der werthvollste Theil des ganzen Büch-
leins ist die Abhandlung über Thiere, Bäume und Sträucher (S. 104). Sie gibt
viele neue Züge und hellt manches Dunkel auf. Ich verweise nur auf den
Scbwarzspecht , der mit der hl. Gertrud in Verbindung steht. Letzteres rührt
daher, daß dieser Vogel als Frühlingskünder angesehen wird , wie die genannte
Heilige als Frühlingsbringerin gilt (S. 110). Die S. 118 vom drachenbändigenden
Zwerge mitgetheilte Sage kommt auch in Ulten vor. Zusammenstellungen des
Python mit dem Lintwurm (S. 119) und der Io mit dem Kuhbauch (S. 121)
sind zu gesucht und nutzlos. Beachtenswerth ist die heilige , dem hl. Georg
geweihte Tanne (S. 124). Die Sage vom Rennthiermoos (S. 13 5) ist auch in
Tirol weit verbreitet, wie ich in meinen Volkssitten und Sagen aus Tirol längst
nachgewiesen habe. Die Mittheilungen über St. Johannsnacht und St. Johanns-
tag (S. 13 3) verdienen unsern Dank und erwecken den Wunsch, der Verfasser
möchte über die Sitten und Bräuche Vorarlbergs und Churräthiens bald meh-
reres veröffentlichen.
J. V. ZmGERLE.
GOLD, MILCH UND BLUT.
MYTHOLOGISCH
VON
E. L. ROCHHOLZ.
I. DAS GOLDENE ZEITALTER,
Das Blut, das alle Körpertheile durchdringt, gehört mit zum In-
begriff der Lebenskraft und wird entweder als die Seele selbst oder
als deren Stellvertreter gefaßt. „Die Seele des Fleisches ist im Blute.
Das Blut ist die Seele selbst." 3. Mos. 17, 11. — 5. Mos. 12, 23.
War es nun der geistige Versuch eines jeden Zeitalters, die bunte
Reihenfolge der selbstbewussten Wesen geordnet zu überblicken , die-
selben nach dem ihnen zukommenden Maße von Geist und Lebenskraft
zu überzählen, und bedarf man dazu eines allgemeinen Gradmessers,
so konnte man wohl meinen, am Blute zuerst einen solchen Maßstab
gefunden zu haben. Das Alterthum hat im Allgemeinen die zu höchst
stehenden Wesen als die Feinblütigen und Blutreichen angesehen, als
Dickblütige oder ganz Blutlose aber diejenigen, welche auf der unter-
sten Stufe geistiger Geltung und physischer Kraft standen. Vollstän-
diger Blutmangel galt als vollständiges Aufhören von Leben, als voll-
ständige Abwesenheit von Geist. Insgesammt bedürfen die alles er-
schaffenden und erhaltenden Götter ihres eigenen Geblütes, hierin allein
schon liegt der Grund alles blutigen Opfers: denn je blutreicher ihr
göttlicher Körper durch den Genuß eines gediegenen Opfermahles
gemacht werden kann , um so ewiger wird ihre Gottheit und um so
herrlicher vermögen sie fortzufahren , eine, immer in den Tod zurück
sinkende Menschheit zu entsühnen, zu erlösen, zu verjüngen. Die natür-
lichste Folge dieser Voraussetzung muß sein, daß solcherlei Götter
auch verwundbar sind und ihr eigenes Blut vergießen, dieses aber muß,
damit es sich vom menschlichen unterscheide, bald Gold, bald Milch,
bald M.Ich und Blut zugleich sein.
Den Götterhimmel mit all seinen Gestirnen, den Leib der Götter
selbst, nicht minder auch den ihrer Lieblingswesen, ihrer Gefolgs- oder
GERMANIA VII. 25
386 E- L- ROCHHOLZ
Wappenthiere durchrinnt ein Geblüt , das pures Gold ist. Dies wird
hier sofort zum Erweis gebracht.
Den ganzen Himmelsraum durchrinnt ein goldenes Liebes- und
Glückseligkeitsblut. Die Sonne streut im Aufgange Gold aus und geht
im Westen wieder zu Golde. Morgenstund hat Gold im Mund. Wo
der Regenbogen seinen Schenkel auf die Erde setzt, glaubt man die
goldenen Atelspfenninge und Regenbogenschüsselein zu finden. Als das
gutherzige Mädchen ihr Stück Brod , ihr Häubchen und Kleid der
Reihe nach an die bettelnden Kinder hingegeben hat und zuletzt auch
noch das Hemdchen , daß es Nachts nackt im Walde dasteht , fallen
darüber alle Sterne gerührt vom Himmel in den Wald herein und
lassen sich als Sternthaler auflesen. KM. Nr. 153 . Als das Marienkind
im Märchen ein wenig an den Glanz der Dreieinigkeit rührt, wird ihm
davon der Finger golden. Das Graumännchen erlaubt dem Knaben nicht,
das siebente Zimmer, das verschlossen gehaltene im Hause, zu betreten,
nicht im Garten bis an den Brunnen zu gehen. Als der Knabe hierauf
den Finger wenigstens durchs Schlüsselloch jener siebenten Thüre steckt,
als er dennoch in den Brunnen hineinlangt, wird der Finger drüber
golden, denn dort hat er in den Himmel, und da in dessen Milchmeer
(von welchem noch hernach) hinein gegriffen, und auf den ersten Trunk
aus diesem wäre das Kind ganz golden geworden. Letzteres erweist
sich im Märchen von den Goldkindern Nr. 85. Als da der Goldfisch
gefangen und verzehrt ist, bekommt des Fischers Ross zwei Goldfüllen,
des Fischers Frau zwei Goldsöhne, und dazu wachsen noch zwei gol-
dene Lilien auf. Da nun der eine Sohn auszieht zu freien, muß er sich
und sein Ross erst in ein Bärenfell verhüllen, als ob er nur ein armer
grober Bettler wäre. Sobald er aber einmal im Königsschlosse über
Nacht behalten wird und seine Bärenfelle vor dem Bette abgeworfen
liegen, erblickt man staunend in diesem Schläfer einen herrlichen gol-
denen Mann. Der König schlägt nach dem armen Mädchen Allerleirauh,
das bei ihm im Schlosse Magd geworden ist, einmal mit der Peitsche,
da bekommt ihr Rauhmantel einen Riß, ein prächtiges Goldkleid schim-
mert drunter hervor, neugierig reißt der König den Riß größer und
sie ist entdeckt als die schönste Königstochter der Welt (KM. 3, 116).
Solcherlei kleine Züge zeigen uns also die Göttergestalt ganz golden;
sie würden aber nur liebliche deutsche Zufälligkeiten heißen können,
wenn sie nicht durch alle Welt giengen und bei allen Völkern wieder-
kehrten.
In den tatarischen Heldensagen , die Castren aus dem Munde
der altaischen Völker gesammelt hat (Ethnologische Forschungen, Pe-
GOLD, MILCH UND BLUT. 387
tersburg 1837), kehrt unser Hans mein Igel und Allerleirauh wieder.
Alten- Arga, d. h. Goldmädchen, entflieht den Liebeswerbungen des
Alten- Aira, d. h. Goldknoten. Mittelst eines umgeworfenen Federhemdes
schwingt sie sich durch die Lüfte, wird aber von ihm erreicht und von
seiner Peitsche getroffen ; dadurch platzt das Federgewand mit Adler-
schwingen ihr auf dem Rücken entzwei und sie stürzt als nacktes
Goldmädchen auf die Steppe herunter, pag. 187. Ebendaselbst entflieht
Alten-Bürtjük, d. h. das Goldblatt, vor der gewaltthätigen Bewerbung
des Alten-Taktai ; sie verwünscht sich erst in die zottige Gestalt einer
Fischotter und entfliegt dann in einem Kleide mit Adlerschwingen.
Jeder Leser vermag hiebei an das „wunderlich gewant" der Donau-
weiber im Nibelungenliede und an das Schwanenhemd der Walküren
zu denken , durch welches man sich in Vogelgestalt verwünscht , um
so den herrlichen Goldleib eines himmlischen Wunschmädchens unter
rauher Vogelbefiederung zu verhüllen. Bekanntlich genügt oft schon
die bloße Schürzung eines Knotens zu solcher Vergestaltung, aber auch
dann blitzt ein Streifen Goldes noch durch diese schmälste Hülle. Im
KM. Nr. 41 hat das in ein Rehkälbchen verwandelte Brüderchen ein
goldenes Strumpfband als Halskette um, sowie ja auch Kerynitis, jenes
Hind der Artemis, ein goldenes Halsband trägt und darüber vom ja-
genden Herakles bis zu den Hyperboreern verfolgt werden muß. Mit
einer Goldkette ist die hohe Uferhecke umspannt und muß mit dem
Schwerte zerhauen werden, daß Blut aus ihr hervorquillt; dann über-
steigt man sie mit dem aus den fünf Brunnen heraufgeholten goldenen
Apfel und gewinnt so die fünf Prinzessinnen, die der Drache zum
Drachenstein entführt hat. Kuhn, westfäl. Sag. 2, 260. Daß diese
Goldkette hier ganz die homerische ist, an welcher die Himmelsgötter
gegen Zeus wettziehen , erweist sich aus einem Kindersprüchlein bei
Montanus, Volksfeste 1, 88:
Sagt man Regenbogen,
So sagt der Teufel, ich will's mit dir wogen!
Sagt man aber Himmel ring,
So sagt Maria: du bist mein Kind!
Wir sollen also die Himmelszeichen nicht gröblich nach ihrer elemen-
tarischen Erscheinung , sondern ehrfürchtig nach ihrer himmlischen
Wesenheit benennen und schätzen.
Beinahe überflüssig erscheint der Nachweis, daß der Körper aller
den Göttern geheiligt gewesenen Thiere von Gold durchronnen war.
Vergoldet man doch heute noch den zu Ostern und Pfingsten umher
geführten Festochsen das Gehörne, und ist sogar der Bärendreck, jener
25*
388
E. L. ROCHHOLZ
den Kindern wohlbekannte stangenfönnig gebackene Lakriziensaft, stets
an beiden Enden vergoldet; denn auch Gold ist's, was solche Thiere
von sich geben. Aber dasselbe wandelt sich stets zu süßem Blute, zu
honigvollem Meth , zu labender fetter Milch , und eben auf dieserlei
Transsubstantierung des Thierblutes soll hier als auf eine noch wenig
beachtete Anschauung hingedeutet werden. Denn wie die goldene Sonne
alles ausreift und würzig macht, so muß auch alle ihr geheiligte Creatur
Gut und Blut bescherend für uns werden.
Ich wähle dazu unser geringstes Käferchen aus und zugleich unser
größtes jagdbares Thier, den Käfer Siebenpunkt und den Hirschen.
Die coccinella septempunctata wird vom Schweizerkinde auf die
Finger zum Auffliegen gesetzt und dabei um die Lebensdauer befragt :
Wie lange soll ich leben? Dasselbe thut mit ihm das schwedische
Mädchen , indem sie sagt : er zeichnet mir meine Brauthandschuhe.
Auf Nukö bei den Inselschweden heißt er Gullhena , Goldhühnleiu
(Rußwurm, Eibofolke), in England Ladycow, in Deutschland Frauen-
kühlein , Sonnenkalb , und im Aargau wird er um Milch und Milch-
bröcklein angerufen, wobei ein goldenes Löffelchen nicht mangeln soll
(alemann. Kinderlied Nr. 184). Dies kleine Thierchen ist also aufge-
fasst als eine Milch und Butter, oder eine Butter- und Zuckerbrod
gebende Kuh , durch die zugleich Lebensdauer und Liebesglück ent-
schieden wird, weil sie unserm Herrgott oder U. L. Frau im Gold-
himmel zugehört. Viel bedeutsamer sind dagegen die an den Hirschen
geknüpften Beziehungen, und es kostet Mühe, sich hier in Kürze dar-
über zu fassen. In der Oswaldlegende schmieden 12 Schmiede den
Goldhirschen, kein Krieger oder Jäger vermag ihn einzufangen, er wird
der Braut allein zu Theil; wie aber dieser große Hirsch gebaut und
durch ihn zugleich die Hand der Königstochter erworben wird, bis sie
eines schönen Knäbleins genest, das gleichfalls den Namen Goldhirsch
bekommt, das erzählen J. W. Wolfs deutsche Hausmärchen, pag. 73.
Als Graf Botho den Hirschen im Harz für Kaiser Barbarossa einge-
fangen, bekommt er dafür die ganze Grafschaft Stolberg- Wernigerode
und dazu den Hirschen ins Wappen gesetzt; seitdem sind dorten die
Wirthshäuser zum goldenen Hirschen geschildet. Pröhle, Harzsag. 2, 195.
Das würtembergische Haus führt ein Hirschgeweih im Wappen, aber
als Sophia, die Tochter des Schwabenherzogs Christoph, starb, soll ein
solches Geweih an ihrer Zimmerwand geblutet haben. Birlinger, schwäb.
Sag. Nr. 375. Golden ist der Hirsch, weil er der Leben nährenden
Sonne angehört, darum knüpft sich Machtbesitz, Eheglück und Kinder-
segen an ihn. Auch sein Bluten wird sich sogleich erläutern. Das Ge-
GOLD, MILCH UND BLUT. 389
weih des nordischen Sonnenhirschen Solarhiötr und des eddischen
Himinhrjodhr besteht, wie der Name zeigt, aus Sonnenstrahlen. Darum
steht der Hirsch Eikthyrnir oben auf Valhölls Dache und während er
da die Gipfel der Esche Yggdrasil benagt, entspringt aus seinem Ge-
weih solche Honigfülle, daß aus der einen Schaufel 12 Ströme durch
der Äsen Wohnsitz rinnen, aus der andern 13 solche zu den Menschen
und bis in die Unterwelt. Wer von solcher Methfülle trinkt, wird hirsch-
trunken, d. ho selig. Der meth- oder begeisterungstrunkene Odhinn
wird dann entweder zum waid werklustigen Nachtjäger Muet, der selbst-
vergessen bis ans Weltende jagt, oder er nimmt selber Hirschgestalt
an, um Jungfrauen heimzusuchen, Helden zu weisen und Begegnende
zu beglücken. Nach Aufzählung aller Trunkenheitsgrade handelt Ägyd.
Albertinus „De conviviis et compotationibus" (München 1601, 75) vom
Hirschtrunkensein : „vnd in diese hirschtrunkene Zunft gehören alle
diejenige, welche wann sie doli vnd voll sein, keine ruhe haben, son-
dern nur hinausjagen, pürschen vnd beißen, vnd nur des nachts reisen
wollen; Gott geb, es ergehe ihnen darüber wie es wolle." Hier ver-
werthet sich nun erst recht jene Jägersage , welche sich in Grimms
Myth. 877 den Meklenburger Jahrbüchern von Lisch nacherzählt findet.
„Blut sollst du haben und ein Hintertheil vom Hirschen dazu," sagt
Wuotan zum Meklenburger Bauer, der ihm jagen geholfen hat ; „zieh
den Stiefel aus und nun wandere mit Blut und Fleisch zu Weib und
Kind!" Der Bauer gieng hinweg mit krummem Rücken, die Last ward
ihm schwerer und schwerer, kaum vermochte er sie zu tragen. Endlich
erreichte er seine Hütte, und siehe da, der Stiefel war voll Gold und
jenes Hinterstück vom Hirschen ein Lederbeutel voll Silber.
Dies ist jener in zahlreichen Sagen abgeschilderte Hirsch, der mit
brennenden Lichtern auf dem Geweih Nachts die Prinzessinnen des
Weges leitet und Ursache wird, daß diese die erste Kirche, das älteste
Stift in der noch heidnischen Landschaft erbauen. Aargau. Sag. 1, 246.
In ihm fließt Gold, Feuer, Blut und Honigseim als in einer Quelle,
weil ja sein Himmel dies Alles zusammen hat. So ist bald der glanz-
voll leuchtende Blick im Heldenauge, bald die Flamme, die sich auf
dem Haupte schlafender Jünglinge zeigt, bald der goldene „ritschrothe
Stern" auf der Stirne Neugeborner (KM. Nr. 9 und 96; Zeichen hoher
Abkunft; „es giebt aber auch Geschlechter, wo bei jedem Mitglied,
wenn es heftig von Zorn oder Scham bewegt wird, ein scharf gezeich-
neter rother Blutstreif auf der Stirne sich zeigt, und so erzählt es von
Pappenheim Schiller in der Gesch. des 30jähr. Krieges" (KM. 3, 175).
Somit wäre bereits gezeigt, daß Göttern, Heroen, Gestirnen und Götter-
390
E. L. ROCHIIOLZ
thieren ein gleiches Mischungsverhältniss des Blutes eigen ist, daß sie
goldblütig und dadurch einander blutsverwandt sind. Es ist nur noch
die heilige Pflanze zum Ende dieses ersten Abschnittes zu besprechen
übrig. Auch der Saft der Pflanze besteht der Reihe nach aus Gold,
aus Blut oder aus Milch, denn das Leben der Seele kehrt in die Pflan-
zenwelt zurück oder entspringt neu aus derselben. Die Zauberwurz
Alraun besitzt goldausbrütende Kraft, verliert diese aber, wenn man
aufhört, die Pflanze in Wein (Blut) zu baden und mit Milchbrei zu
füttern. Nicht anders als nur mittelst eines Goldstückes soll das Jo-
hannisblut (hieracmm pilosella) in der Nacht der Sommersonnenwende
mit der Wurzel aus dem Boden gegraben werden. Freyja's goldene
{Thronen finden sich in der orchis mascula wieder, die wir Frauenthräne,
Marienthräne nennen , gleichwie aus den Thränen der Sonnentöchter
das, was vorher nur Harz der Bäume gewesen ist, zu goldenem Bern-
stein wurde. Myth. 1234. Die Rebe thränt oder blutet nach dem Be-
schneiden, es giebt ein Reben- und Traubenblut, aber zugleich auch
eine Liebfrauenmilch , jenen zunächst Worms wachsenden Edelwein.
Dagegen stellt sich ferner auch die Pflanzen milch dar in der Wolfs-
milch (euphorbium) , in der Butterblume (caltha pallustr. und leontod. ta-
) raxac.) , welche in Angermanland trimjölksgräs heißt , weil ihr Futter
'.die Kühe täglich dreimelkig macht; in der Mistel und in der Donner-
' würz (sedum tectorum). Der weiße Saft dieses Donnerkrautes stillt
Wundenblut , und so hängt auch von einem milchigen Mistelzweig,
der aber bei Virgil aurum frondem , ramus aureus genannt wird, das
Leben des Jugendgottes Baldr ab. Am deutlichsten fasst sich Pflanze
und Baum als Mittel der Wiederauferstehung, und hier beginnt die
roth- oder die weißblühende Blume ihre Farbensymbolik. Wenn Klein-
christel im schwedischen Volksliede ihren Bräutigam eingesargt vor
sich liegen sieht, ruft sie jammernd über dieses unabänderliche Loos:
„Wer nun bricht mir das Laub von dem Lilienbaum!" Wenn aber
Joringel im Suchen nach der verlornen Jorinde die blutrothe Blume
findet, in deren Mitte ein Thautropfen von Perlengröße steht , so wird
alles, was er damit berührt, von Zauber frei und unter den hundert
damit erlösten Nachtigallen ist auch seine Jorinde; denn ahd. bluot
bezeichnet sowohl Blüthe als auch Blut , und der Begriff beider ist
Art und Geschlecht. Die im eben erwähnten Märchen gemeinte Pflanze
ist lythrum salicaria, aargauisch Blutströpfli. Drei Lilien, oder die Stu-
dentenblume, dieNarcisse und Rose sprossen aus dem Grabe der Eltern
und ihres Kindes, ebenso die Blutbuche aus demjenigen schuldlos
Gemordeter, oder es fliegen aus dem Gezweige Nachtigall und Taube
GOLD, MILCH UND BLUT. 391
zusammen auf, die Seelen des hier bestatteten Paars. In der portugie-
sischen Romanze vom Grafen Nillo heißt es:
Aus dem Grab des Grafen Nillo
Hob sich ein Cypressenbaum,
Ein Orangenbaum erhob sich
Aus der Königstochter Grab.
Beide wuchsen, und mit Kosen
Küssten sich die Wipfel sanft.
Haut mir ab die beiden Stämme!
Rief der König; es geschah.
Edles Blut entfloß dem einen,
Königsblut dem andern Stamm,
Und geboren aus dem Blute
Ward ein kosend Taubenpaar.
So weit reicht das unserm Zwecke dienende Material und nun
ist noch der Schluß daraus zu ziehen. Der seinen Tag auf der Weide
und seine Nacht unter freiem Himmel zubringende Nomade sucht die
Götter nicht hinter Geheg und Mauer, sondern über sich in dem un-
begrenzten Himmel. Hier sind sie ihm nothwendig die Leuchtenden
und Erlauchten, und so sind sie wirklich genannt in allen arischen -
Sprachen. Aus der Wortwurzel div, leuchten, entspringt sanskrit devas
(ursprünglicher daivas), latein. divus oder deus , und ist auch für das,
Deutsche erhalten in dem nord. Plural tivar. In einem leuchtenden
Himmel konnten nur'goldstrahlende Götter sein. Diese Naturanschauung
aus der Urzeit der Menschheit erscheint uns aber bei weitem erha-
bener, als sie in Wirklichkeit selbst sein wollte; auch von ihr muß
unser Sprichwort gelten: Es ist nicht Alles Gold was glänzt. Denn
die Götter mußten ja schon längst als goldener Sternenhimmel geglänzt
haben, noch ehe das Metall des Goldes bekannt, in irgend ein Werth-
verhältniss gebracht oder zum Tauschmittel gemacht war. Erst die selbst
heruntergebrachten Spät- und Halbgottheiten, die kleinen Zwerge, bieten
dem noch kunstlosen Menschengeschlechte das Metall geschmiedet an;
erst mit Heidr , dem ersten Zauberweibe , ist das Böse in die Welt
gekommen, denn sie ist mit dem Geldwort begabt, durch das erst
der Unterschied von Böse und Gut geworden ist; erst dem sinkenden
Römerreiche wird der Goldhunger zur geheiligten Mode. Aber der
Hunger nach Milch und Brei war schon der unserer herdenweidenden
Patriarchen, wie er noch der kindlich aufrichtigste ist; er findet Gnade
vor Gott und den Menschen, ohne daß er mit Gold zu zahlen braucht.
Das Gold des ältesten Götterhimmels war nicht Metall , sonst würde
392 E- L- ROCHHOLZ
es im Vorausgehenden nicht schon allenthalben auf Milch und Blut
des Himmels geführt haben, sondern es war goldrahmige Milch, gold-
gelb gebuttert vom goldhaarigen weißhäutigen Arier im goldenen Vließe
der Lämmer. Darüber soll sich der zweite Abschnitt ausweisen.
II. DA
Die homerischen Fürsten werden Rinder- und Schafhirten genannt
und die in ihren Diensten stehenden Schweinehirten göttliche, denn
das Baarvermögen nomadenhafter Völker liegt in ihren Herden ; statt
der Scheidemünze dient ihnen Milch und Käse. Es führt lat. pecus zu
pecunia, im altnord. Runenalphabet bezeichnet die Rune feu erst Vieh,
dann Geld. Bei den Lappen gilt geronnene und zerstückte Milch (Ziger)
als eine Art Münze. Grimm G. D. S. 1016. Das Käsekönigreich zu Dürk-
heim in der baierischen Pfalz hat bis zur Zeit der französischen Revo-
lution bestanden; jener Bürgerssohn, der dabei alljährlich zum Käse-
könig gewählt wurde, hatte mit seiner berittenen Mannschaft auf allen
mit Dürkheim almendgenössischen Dörfern und Höfen den Zins in
Käsen einzusammeln, und kehrte mit einem gekrönten Käse heim, hier
empfangen von Kranzjungfrauen und dem armirten Bürgerausschuß.
Schöppner, baier. Sagb. 325. Der Käsegötze ist in Schlesien der Name
eines Festbrodes (Weinhold, Dialectforschung 111), denn wie die Hirten-
gottheit den Käse beschert, so wird er ihr auch geopfert. Brod und
Käse wirft man den Feen zum Opfer in den See von Brecknock in
Südwales. Rodenberg, ein Herbst in Wales 1857, 173. Der Schotte
nennt die Quelle auf der Spitze des Minch-muir in Peeblesshire die
Käsequelle, Cheesewell, weil man Käse in sie zum Opfer hinein warf.
Liebrecht, im Gervas. Tilbur. 101. — Ein St. Galler Nonnengebet zeigt,
daß man die Last der begangenen Sünde an dem Gewichte eines Kir-
chencrucifixes gegen Käse und Brod aufwog (Wackernagel in Haupts
Ztschr. 7, 134) und daß also Käse ein kirchliches Entsühnungsmittel
war, gleichwie der Friese und Angelsachse das Gottesurtheil des cor-
snced, das Judicium casibrotiae, damit vollzog, daß er einen priesterlich
verwünschten Bissen Käsundbrod zum Erweise der Unschuld zu ver-
schlucken wagte, ohne Nachtheil dadurch zu nehmen. Hier vertrat also
Käse den Reinigungseid, wie später die geweihte Hostie; Gottes An-
wesenheit wird in beiden Substanzen vorausgesetzt und soll den von
ihnen meineidig Genießenden auf der Stelle den Tod geben. Die klein-
sten Diener der Gottheit, die Zwerge, sind in Tirol allenthalben die
käsenden Kasermand'ln und Almstrudler, sie verschenken in der Schweiz
goldene Käse (Aargauer Sag. 1, pag. 327) oder unerschöpflich sich er-
GOLD, MILCH UND BLUT. 393
neuende Gemskäslein , wie solcherlei der Zwergenkönig auf Zwei-
lütschinen genügsamen Menschen giebt. Wyß , Idyllen 1, 312. Daß
Quark (-käse) und Twarg im deutschen Norden bis Lievland beides
Zwerg und Käse bedeutet (vgl. mhd. querx und twerc) hat Förstemann
gezeigt in Kuhns Ztschr. f. Spracht". 1 , 426. Somit käsen die soge-
nannten Unterirdischen; aber nicht minder die Überirdischen. Denn
Sternschnuppen und Irrlichter werfen , wenn man sie böslich reizt , mit
faulen Käsen. Wolf, hess. Sag. Nr. 219. Dies kann gar nichts auffal-
lendes mehr an sich haben, wenn sogar der Mann im Mond, der sonst
nur ein wegen Sonntagsentweihung in den Nachthimmel versetzter frie-
render Holzdieb ist , zugleich beim Schwaben , Graubündner und
Schleswig-Holsteiner — also auf einem sehr weiten Umkreise, — als ein
käsender Senne gilt, der den Melkeimer auf dem Rücken trägt. Im
Oldenburger Hirtengebete gelten sodann die beiden Mondspitzen nicht
etwa sinnbildlich als Hörner der Kuh, sondern als die beiden Hinter-
zitzen am Melkeuter, und demnach gestaltet sich zuletzt in der däni-
schen Sage der Mond zu einem aus der Molke der Milchstraße zu-
sammengeronnenen Käse , wie er denn auf den friesischen Inseln , im
Hennebergischen und im Glarnerlande geradezu auch Käslaib genannt
wird. Die Nachweise über diese bedeutsamen Einzelheiten sind bereits
gegeben in den Naturmythen pag. 251. Einem Bildungsmenschen,
der erst von heute ist, mag eine derartige Ausdrucksweise erschreckend
trivial scheinen; indess er beruhige sich und schlage, wenn ihm die
Himmelswiesen voll Lämmerherden aus dem A. Testament nicht mehr er-
innerlich sind, nur in seinem Lieblingsautor Schiller jenes Räthselgedicht
nach von den Sternen als Lämmern und dem Mond als ihrem Schäfer,
und er findet eben dasselbe Sennengleichniss darin:
Ein Hirt ist ihnen zugegeben
Mit schön^eboffnem Silberhorn.
Der Nomade, der allen Reichthum in der Herde, allen Wohl-
genuß in Milch und Käse, alle Freiheit und Glückseligkeit auf Wunn
und Waid sucht, wird seine reichen, genießenden und freien Götter
in derselben Lage denken müssen und sie über sich im Sternenraume
herdenweidend wieder finden. Die keltische Göttin Ceridwen erscheint
als Mond sowohl, als auch in der Gestalt von Stute und Kuh. Mone,
Gesch. des Heidenth. 537. Wie man ersieht, befindet man sich bei
diesen Benennungen mitten in einem großen altepischen Gleichniss-
körper, dessen verschiedene Glieder das eine Bild von Gold und Milch,
von Gold und Käse, von Milch und Blut immer weiter fortbewegen,
neugestalten, hinüberspielend in die nächstverwandten Realitäten, um
394 E. L ROCIIHOLZ
diese alle als die naturgemäßen Theile einer landwirtschaftlichen Er-
fahrung zuletzt unter der höhern Einheit des religiösen Gedankens
zusammen zu fassen. Der Naturforscher und der Naturmensch stimmen
beide überein in der Einsicht, daß der Mensch seinen Gewinn an Milch
und Butter, an Käse und Fleisch ohne den Einfluß der Gestirne nicht
machen kann. Nur erwartet dabei der Senne gewöhnlich alles von
einem einzigen Gestirn, z. B. vom Monde je nach dessen Phasen ; die
ganze Reihe von Vermittlungen, alle secundären Ursachen erklärt er
sich als die Wirkungen jenes geheimnissvollen Nachtgestirns. Wir da-
gegen verschieben die Ursache ins Ganze, ins sogenannte Kosmische,
um dieses alsdann als nicht minder unbegreiflich gleichfalls auf sich
beruhen lassen zu müssen. Einer solchen mechanischen Nebulartheorie
mit ihrem Schlepp von physikalischen und chemischen Einzelprozessen
setzt das volksthümliche Denken einen Himmel mit Göttern, Geschöpfen
und Producten entgegen, die unter sich selbst wahlverwandt und dem
Menschen dadurch ganz begreiflich scheinen, daß er selbst sammt sei-
nen Geschöpfen und Producten ihr urältestes körperliches und sittliches
Abbild ist. Aus sich selbst also construiert er sich den Himmel und
dessen Götter.
Im goldenen Zeitalter sind die Götter gegossene, das Blut in
ihren Adern ergießt sich golden; in der Periode des Nomadenlebens,
das der Kürze wegen die Milchzeit heißen mag, sind sie gegorene und
geronnene , das Blut in ihren Adern fließt milchig. Wie der runde
Formkäse in den deutschen Gemeinden Piemonts der Guß heißt,
Fonta, Fontina , so sind ihre Gliedmaßen aus Molken gegossen. Das
Blut in den Adern der homerischen Götter ist „Ichor, der unsterblich
machende weiße Saft." Das griechische Wort erinnert mich an latein
acor, Milchsäure, so wie an mundartl. achens, womit man zu Gressoney
(eine der deutsch-piemontesischen Gemeinden) die gelabte Wellmilch
im Käsekessel bezeichnet. Als Aphrodite durch Diomedens Lanze ins
Handgelenk verwundet wird (II. V.), fließt der unsterbliche Blutsaft
Ichor, wie er den Wunden der Götter entfließt, die nicht Brod essen,
nicht Wein trinken und daher nicht Blut gleich den Menschen haben.
Als Diomedes den Ares gleichfalls verwundet hat , fließt auch die
Wunde dieses dorten doch ins Riesige gezeichneten Gottes nur von
klarer Milch:
Wie vom kräftigen Lab die Milch in der Butte gerinnet,
Flüssig zuvor, schnell aber verdickt sie sich, während man umrührt.
Das homerische Gleichnis» , dem wir sogleich bei den Germanen
wieder begegnen werden, drückt mythologisch diejenige Wahrheit aus,
GOLD, MILCH UND BLUT. 395
die naturwissenschaftlich längst feststeht, daß nämlich Milch und Blut
eins sei, insoferne der im animalischen Körper aus dem Speisebrei sich
bereitende Milchsaft, Chylus, durch die für ihn hesonders bestimmten
Gefdsse in das Blut übergeht und dasselbe fortwährend neu erzeugt.
„Hast du mich nicht wie Milch gemolken und wie Käse lassen ge-
rinnen!" betet Hiob 10, 10 in erhabener Unterwürfigkeit zum Herrn,
indem er die Bildung des menschlichen Fötus dem Processe der Coa-
gulation in der Milch gleichstellt. Aber in ganz physiologischem Sinne
berichtet das nordische Alterthum denselben Vorgang. Nicht bloß ist's
ein alter Märchenzug , daß der Vater Riese sein Kind selbst säugt.
In der Floamannasaga wird erzählt, daß Thorgil, um sein zartes Kind
zu ernähren, dessen Mutter ermordet worden war, sich in die Brust-
warzen schneiden ließ. Zuerst kam Blut, dann Molken, endlich Milch,
womit das Kind gesäugt wurde. Jac. Grimm, der hievon in den KM.
3, 159 handelt, verweist daselbst zugleich auf A. v. Humboldt, Rela-
tion historique 3, cap. 4, wo eines andern Falles gedacht ist, daß ein
Mann mit seiner eigenen Milch so sein Kind gesäugt habe. Milch und
Blut, die eigentlichen Ursubstanzen und Urflüssigkeiten zur Ernährung
des Lebens, können also dem Alles ernährenden Himmel, den einfluß-
reichen Gestirnen und den allmächtigen Göttern am wenigsten mangeln.
Voraus muß die Göttermutter eine kinderstillende sein. Li der Milch-
straße erblickte das Alterthum eine verschüttete junonische Milch, und
im Berner Oberland wird sie Romweg genannt ; letzteres nicht deshalb
nur, weil sie angeblich bis nach Rom führt (wo nach dem bekannten
Nornenspruch die drei Mareien im goldigen Haus wohnen , d. h. im
Himmel), sondern weil sie aus dem Milchrahm besteht, der mundartlich
röm, ßos lactis heißt, wie auch rüme der Milchansatz in der Breipfanne
genannt ist. Während droben die hl. Maria ihr Kind zu stillen be-
schäftigt ist , fällt dann ein Tropfen aus ihren Brüsten auf die Erde
herab; wo derselbe hinfällt, erwächst für die Winzer edelster Wein,
die Liebfrauenmilch zu Worms; oder es sprießt auf den Alpen die
Fülle der märchenhaften Milchkräuter empor , jene Muttern und Ritz
(meum mutellina und luzula spadizea), von deren Ursprung Alfons Flugi
in den Volkssagen aus Graubünden Übereinstimmendes erzählte. Ein
Silberfläschlein mit Marienmilch war einst aufbewahrt in der Michaels-
kirche zu Lüneburg, wurde aber nebst der berühmten goldenen Tafel
dorten im Jahre 1698 durch den Räuber Nikol List gestohlen. Anti-
quarius des Eibstroms 1741, 705. Im Nebenschiff der Rupertuskirche
bei Bingen, von der hl. Hildegard 448 gegründet, war auf einem Wand-
gemälde ein hier i. J. 1361 geschehenes Mirakel zu sehen: Milch und
396 E- L- ROCHHOLZ
Blut floß aus einem Marienbilde, in das ein Soldat, um einen Edelstein
heraus zn bohren , mit dem Dolch gestoßen hatte. Rheinischer Anti-
quarius 1744, 580. Solcherlei Kirchenwunder hoffen wir in dem dritten
Abschnitt dieser Arbeit zu ihrer Verwerthung zu bringen.
Wie vorhin vom Oldenburger Monde als den Zitzen einer Kuh
geredet worden , so heißt auch die Milchstraße im Gröningerlande
kaitpät. Kuhn, nordd. Sag. S. 457. Über diese Sinnbildlichkeit ist bereits
in den Naturmythen S. 52 sehr ausführlich gehandelt, und die noch
lebende Sage erweist dorten , daß die vom Gewitter halbverdeckte
Milchstrasse oder ein nur unvollständig erscheinender Regenbogen die
halbe Kuh genannt wird. So spricht man zu Purtein und Filisur in
Bünden von einem hundertäugigen Kuhbauch, der während eines nächt-
lichen Ilochgewitters von der Alpe zu Thal gerollt kam und diesem
den Namen gab Val della stermentusa notte, Thal der Schreckensnacht.
Vonbun, Beitr. z. Myth. 1862, 121. In diesem Bilde hat man die in
eine Kuh verwandelte Jo wieder, zugleich mit dem allsehenden Wächter
Argus, dem tausendäugigen Sternenhimmel. Bevor die goldlockigen,
blondbärtigen, blitzäugigen und gliederblanken Germanengötter ihren
Meth und Wein in Walhall zu trinken hatten, spendete ihnen die Ziege
Heidrun den täglichen Milchtrank der Unsterblichkeit. Sie selbst also,
nicht bloß ihre Götterfrauen, mußten von Anblick milchweiß sein,
schön wie Milch und Blut. Nicht bloß die Wasserjungfern mit ihrem
verblendenden Körperreiz , sogar der rauhhaarige Sohn des Wasser-
manns hat daher diese zarte Milch in den Adern. Oft genug hat uns
nun die Sage diesen Satz vorgesagt , immer noch hatten wir ihn ge-
dankenlos angehört. Rauh an Gesicht und Händen, rußig als ein Schmied,
sitzt der Sohn des Nix auf dem kleinen See Darmssen bei Bramsche
und schmiedet den Bauern gute Pflugeisen. Als er sich vom Vater in
den Darmssen zurückgerufen hört, darüber aber durch die Bauern
wiederum verzögert worden ist, sagt er ihnen zum Abschiede: „Ich
fürchte, die Zeit ist schon abgelaufen, die mir mein Vater gesetzt hat,
Ihr werdet nun selbst sehen, welches mein Schicksal ist. Komm ich
zu spät, so erscheint Blut auf dem Wasser, im guten Falle aber Milch,
so daß dasselbe davon ganz weiß wird. Als nun die Wellen sich über
ihm schlössen, da wurde der See roth von seinem Blut." Kuhn,
westfäl. Sag. 1, pag. 50. Grimm, der Myth. 464 darüber eine beson-
dere Aufzeichnung hat, verweist auf Mone's Anzeiger 3, 93, wo eine
Localsage dieses Zeichen der aufsteigenden Milch oder des Blutes auch
den weißgeschleierten Nonnen, Wasserjungfern, beilegt. Unselige Geister
wie Moosweibchen und Zwerge entbehren dieser Himmelsmilch und
GOLD, MILCH UND BLUT. 397
bringen ihre Neugebornen den Bäuerinnen zu, um sie von solchen
Ammen stillen zu lassen; andere Hausgeister sind schon befriedigt,
wenn man ihnen nur ein wenig Milch aufstellt, und wär's im Katzen-
schüsselchen , so daß sie daher Katzenveit , Hinzelmann , Katermann,
Napfhans heißen ; zum Entgelt striegeln und füttern sie dann das
Milchvieh im Stalle, fegen die Milchpfannen in der Küche, stoßen
aber auch schlampigen Melkmägden den Milchkübel um u. s. w. Myth.
478. Alle diese Hausgeister sind koboldartig klein, hässlich, runzlich.
Und trotzdem, daß ihre Kinder erst zu dieser Stunde geboren werden
und noch blutjung sind, erscheinen auch diese schon steinalt. Denn
alle sind im eigentlichen Sinne des Wortes blutarm, sie haben blut-
wenig Blut. Sie sind deshalb theils äußerst blutgierig, wie der grau-
same Nix, theils milchlüstern und diebisch, wie die greisenhaften Zwerge.
Das Gegentheil ihres Zustandes ist die Götterjugend, deren höchstes
Schönheitsprädicat schön wie Milch und Blut heißt, ein Ausdruck,
welcher Körperfrische , Jugendfülle , Zierlichkeit des Gliederbaues und
reizende Hautfärbung zugleich in sich schließt. Bei diesem Worte
angelangt, wird es unverwehrt sein, einen ganzen Satz hieher zu neh-
men aus Jac. Grimms Einleitung zu Liebrechts Übersetzung von Ba-
sile's Pentamerone, da dieses Buch wenig Lesern zur Hand sein wird
und wir das vom Meister Gesagte für unsern Zweck hier nicht besser
auszudrücken wüßten. Dort 1, XXII heißt es:
„Zweier Märchen Eingänge im Pentamerone (4, 9 und 5, 9) sind
darauf angelegt, daß ein Jäger im Wald eines Raben Blut auf schnee-
weißen Marmor triefen sieht, oder beim Gastmahl aus einem Fingerhut
Blutstropfen auf gelabte Milch niederfallen; beidemale versenkt dieser
Anblick in Sinnen und Trachten, und der Wunsch entspringt, eine
geliebte Frau zu besitzen von der reinen Schönheit solcher Farben.
Dieselben Wünsche steigen auf in dem Märchen vom Machandelbom
und von Snewitchen. Die Mutter schält einen Apfel und schneidet sich
in den Finger und das Blut fällt in den Schnee, oder die Königin näht
und sticht sich in den Finger, aus welchem Tropfen in den Schnee
fallen; da sehnt sie sich ein Kind zu bekommen, so weiß wie Schnee,
so roth wie Blut. Schon in der alten Dichtung von Parzival, bei Wol-
fram sowohl als mit epischer Abweichung bei Chrestien, wird der Held
zu tiefen sinnenden Gedanken an die Schönheit seiner fernen Gemahlin
gebracht, als der Falke auf einen Vogel stößt, dessen Blutstropfen in
den Schnee fallen. Ich habe dargethan , daß auch irländischen Sagen
die nämliche Verknüpfung der Gedanken zum Grunde liegt und will
hier noch eine Stelle aus Schmidts Geschichte der Ostmongolen (Pe-
398 E- L- kochholz
tersburg 1829, 139) anführen. Elbek Nigüles-suktschi Chaghan erlegte
an einem Wintertag durch Pfeilschuß einen Hasen, und als er des
Hasen Blut auf dem Schnee erblickte, rief er aus: „Gäbe es doch ein
Weib mit einem Gesichte so weiß wie dieser Schnee , und mit Backen
so roth wie dieses Blut!" — Sicher lassen sich aus andern gleich fernen
Gegenden diese Beispiele vermehren ; aber nicht aus der Mongolei oder
Irland nach Italien und Deutschland brauchten diese Geheimnisse der
Gedanken eingeführt zu werden ; sie sind unmittelbar der menschlichen
Brust entquollen und der epische Ausdruck für die den Dichtern aller
Völker geläufige Vergleichung der Schönheit mit Milch und Blut. Wie
gelegen kommt ein solches Zeugniss denen , die sich Rechenschaft
geben wollen von der unbegreiflichen und doch natürlichen Ausbreitung
der einfachen Märchenpoesie."
Nur aus dem frühesten, überall gleichen Nomadenleben der Völker
können diese Gleichnisse abstammen. Der Gete trank Pferdeblut mit
Stutenmilch gemischt, der Altpreuße zusammen Milch und Blut der
Spannthiere (Grimm, GDS. 721) und der dem Alplerleben immer zu-
gewendete Oberdeutsche füllt seine großen Blutwürste noch nicht
anders, als indem er in das zu kochende Blut zugleich Milch mit
hinein rührt. Er trinkt seine Kost, während wir sie bloß essen, sogar
unser Tabakraucher ist ihm ein Tabaktrinker , das Milch- und Ziger-
essen heißt ihm Sürflete (sorbere), sein Brei sufmuosli, Suffi heißt ihm
die zum zweitenmale erwellte Milch, Schotten und Ziger zusammen
sind ihm die Kasesvffen. Argovia 1861, 40. Uns dürstet nach Gold,
den Römer hungert darnach : auri sacra fam.es. Unser Dichter ist ein
Schöpfer (skop, von skapjan, haurire), ein trockner und wässeriger Poet
ist uns der allerschlechteste , weswegen der Rathsherr Harsdörffer für
solche eine Poetik verfasste, die der Nürnberger Trichter heißt.
Wein , Weib und Gesang heißen seit Luther die drei Grundsäulen
unserer Lebensweisheit. Bienen kommen so weit als Bären , sagt das
nordische Sprichwort, weil der Methtrinker ebenso viel vermögend
ist als der Fleischesser. Und bei Eichendorff steht gleich bedeutsam:
Das Essen bringt nicht weiter,
Das Trinken ist gescheiter,
Das schmeckt schon nach Idee.
Im Olymp sind Hebe und Ganymed die Mundschenken, in Wal-
hall stellen hundert Wunschmädchen das Methhorn auf, Mundköche
werden nicht besonders erwähnt. Zwar genießen die Olympier Ambrosia
und die derberen Äsen Fleisch, allein Odhinn bedarf ausdrücklich kei-
ner Speise, und was ihm davon an der Tafel vorgesetzt wird, das wirft
GOLD, MILCH UND BLUT. 399
er seinen zwei dienstbaren Wölfen vor, dem Geri und Freki , dem
Giermaul und dem Schnappauf. Auch von jenem Fleischmahle bei Tan-
talus, wo den Göttern eine Kinderleiche zur Speise vorgesetzt wird,
sagt Pin dar 1 Olymp. Vers 82 mit Indignation :
Aber ich mag wütenden Hungers
Keinen der Seligen zeihen.
Als Gangleri in seiner Katechese über die himmlischen Dinge den
Altgott Har befragt, ob in Walhall Wasser getrunken werde, ant-
wortet dieser , das sei eine wunderliche Meinung , daß Allvater die
Könige , die Jarle und Edeln zu sich laden werde , um ihnen Wasser
vorzusetzen ; da würde gar Mancher dafür halten, er habe den Wasser-
trunk mit Wunden und Schlachtentod zu theuer erkauft. Vgl. Wein-
hold, Altnord. Leben. In den Lateingedichten des X. u. XI. Jahrh.
ed. Grimm-Schmeller , wird dem Mainzer Bischof Heriger ebenso von
der christlichen Himmelswirthschaft vorerzählt , der Zuhörende aber
macht gerade dagegen seinen Einwurf, daß Petrus der Meister koch
des Himmels sein solle, und bei dieser gleichen Anschauung verbleibt
dann auch die folgende Zeit. Lieber dachte der Gläubige sich selbst
als ein Gefäß , in das die Gottheit ihre Weine umfüllt. So in Hoff-
manns Kirchenl. pag. 101:
Jesus, du bist der Ciperwein,
und ich dein irdisch Häfelein.
Es sind dies freilich immer noch heidnische , aber deshalb noch
keine bloß trunksüchtigen Vorstellungen, wenn es in einem andern
geistlichen Liede heißt, bei Uhland Volksl. pag. 881:
als in dem himelriche da schenkt man Ciperwin,
da sond die edlen seien von minne trunken sin.
die mägde da ze tische gand, die engel singent schon,
der hailig geist ist schenker, Maria kellerin.
Erst später, wenn die nationalen Vorstellungen erblassen, rückt
das Pöbelhafte vor und das bäuerische Prassen geht auf den Himmel
über. So z. B. in Simrocks Volksl. Nr. 339, 340 :
Margareth backt Küchlein gnug,
Paulus schenkt den Wein im Krug.
Lorenz hinter der Kirchenthür
Thut sich auch bewegen,
Tritt mit seinem Rost herfür,
Thut Leberwurst drauf legen.
Wie wenig solche gröbliche Nahrung ausreichen könnte zur be-
gehrten Seligkeit, zeigt das schwed. Volkslied von Stolzgretchen (in
400 E- L- ROCHHOLZ
Ilofimanns schles. Volksl. erwähnt pag. 5), wo auf einen einzigen ersten
Trunk das selige Vergessen alles Erdenjammers erfolgt: da holt der
Bergkönig, der das Erdenweib geheiratet und Kinder mit ihr gezeugt
hat, sie von ihrem Besuche bei der irdischen Mutter wieder in seine
Behausung zurück zu ihren eignen Kindern:
Einen goldnen Stuhl brachte das Eine heraus :
Da, traurige Mutter, ruhe dich aus !
Das Eine bracht' ein gefülltes Hörn,
Hinein warf das Zweite ein vergoldetes Korn;
Den ersten Trunk aus dem Hörn sie that,
Und Himmel und Erde sie ganz vergaß.
Jetzt erst kann das Märchen zu Wort kommen, um der Reihe
nach zu erzählen, wie jener Nektar und Göttertrank entspringt. Eines
aus der Schweiz mag beginnen.
Die großen Leute, die ehedem das Simmenthai bewohnten, haben
einen Schlag von Rindern besessen , der für alle Ställe zu groß war,
und man ließ daher das Vieh stets im Freien. Jede Kuh gab des Tags
drei Eimer Milch, daher molk man sie, anstatt in Gebsen, in einen
Weier. Die Treppe, die zu ihm hinab führte, war aus Käslaiben gebaut,
den Anken füllte man in hohle Eichbäume. Mit Anken polierte man
Hauswand und Scheunenthor, mit der Milch wusch man Geschirr und
Stubenboden. In einem Eichbaum fuhr man auf dem Weier, um die
Nidel abzurahmen und warf sie mit Schaufeln statt mit der Gone ans
Ufer. Bei einem großen Sturmwinde trat dieser Milchweier einmal aus
und ersäufte die großen Leute mit einander. (Mündlich aus dem Kander-
thale im Bern. Oberland).
Anderwärts lautet das Ende so: Jeden Abend mußte der Senn-
bube in einem Weidling auf dem Milchweiher herumfahren und die
Nidel abschöpfen. Als er dabei unachtsam gegen einen Felsen anfuhr,
der ein von selbst entstandener Ankenballen war, giengen Schiff und
Sennbube unter. Doch beim Ausbuttern fand man nachher seine Leiche
wieder. Man begrub ihn in einer von den Bienen erbauten Wachshöhle,
und jede Honigwabe darin war größer als die Stadtthore zu Freiburg
oder zu Brugg. — Hievon berichtet die Sage im Berner Oberlande,
im Freiburger Ormund , im Urnerlande, im Brugger Aarthale. Man
vgl. Bridel, Conservateur Suisse 4, 267 und Dalp, Ritterburgen der
Schweiz, Bd. 1.— Plutarch, Pyth. or. 29, erwähnt ein Milchland Böotiens,
zo raluZiov, wo einst Apoll erschien und wo Milch aus den Schafen
sprang gleich dem Wasser aus den Quellen. Welcker, griech. Götter-
lehre 1, 485. In Haupt-Schmalers wend. Volkslied 2, pag. 174 wird
GOLD, MILCH UND BLUT. 401
Gleiches von dem Teich hinter der Scheune erzählt. Treibt man da das
Ross zur Tränke und bindet ihm etwas Lab an den Schwanz, so hat
man soviel Molken und Quarkkäse fertig, daß der Bauernhof und das
Dorf sieben Jahre lang satt bekommt. Es ist bisher bereits zu merken,
daß der Älpler seinen Milchsegen der Kuh zuschreibt, der Grieche
dem Schaf, der Slave der Stute; es folgt noch der Skandinavier mit
seinem Schmalvieh. Er nennt die Götterziege Heidhrün, aus deren Euter
täglich ein Gefäß voll Meth fließt, das für alle Göttergenossen in Val-
höll genügt. Sehr merkwürdiger Weise hat sich die Sage hierüber im
bairischen Wald lebend vorgefunden und steht nun in Schöppners
baier. Sagenb. Nr. 88: Vor uralter Zeit weidete eine Gais auf dem
Hohenbogen im baierischen Walde, welche so ungeheuer groß war,
daß ihr Rücken die Wipfel der höchsten Bäume überragte. Tag für
Tag weidete sie zwei Morgen Landes ab. Einmal lag sie schlafend am
Rande des Hohlweges, ihr strotzendes Euter hieng über ihn herab. Ein
Holz wagen, der aus dem Bergwald kam, riß im Vorbeifahren eine Zitze
wes;. Sooleich ero-oß sich daraus ein Wolkenbruch von Milch und
schwemmte sieben Dörfer am Fuß des Berges mit fort. „Das war —
fügt die Erzählung noch besonders hinzu — das erste und letzte Mal,
daß Milch stromweis geflossen ist im gelobten Lande Baierwald."
Dieser Nachsatz scheint uns äußerst gewichtig, er spricht sich in ganz
gleichem Sinne und für einen ähnlichen Zweck bereits bei Beda de ra-
tione temporum aus, wenn dieser Autor erklären will, warum die Angel-
sachsen ehemals den Monat Mai Thrimüci genannt hatten, d. i. die Zeit,
da die Kühe dreiinelkig werden : Thrimüci dicebatur, quod tribus viribus
in eo per diem 'pecora mulgebantur. Talis enim erat quondam überlas
Britanniae vel Germaniae ! Dies sind förmliche Orakel, voll schlagenden
Aufschlusses über jenes früheste Zeitalter, da aller Gelclwerth und alle
Menschenaussicht allein noch in den Milchthieren lag und die Milch-
nahrung noch Alles zusammen befasste, Meth und Honig, Ael und Wein,
Fleisch und Brod. Sogar die älteste Eintheilung des Jahres gewinnt
hieraus ihre Erklärung. Denn was drückt unser Wonnemonat anderes
aus als die Zeit der wieder offen werdenden Wunn und Weide, mit
welcher ja immer wie im ags. Monat Thrimüci , Milch und Honig aus
den dreimelkig werdenden Kühen fließt. Grimm, GDS. 111 fügt diesem
schon von ihm berührten Verhältnisse noch den neuen Umstand bei,
daß das altindische Jahr zwei Frühlingsmonate zählte, die in ihrem
Namen gleichfalls unsere Mythe gänzlich unterstützen; der eine hieß
mädhu, Meth, der andere madhava, Honigsüß. Sodann gedenkt er
pag. 657 jener Ströme in Altsachsen und England, die den Namen des
GERMANIA VII. 26
402 E. L. ROCIITTOLZ
Metlis tragen: In der Wesergegend Medofulli (poeulum mulsi), in der
Landschaft Kent die in die Themse mündende Medway, deren zweite
\\ mthälftc ags. vcege, altn. veig, poeulum ist, wozu ags. ealovccge (Ael-
becher) aus Beowulf stimmt. Wie Griechen und Kömern das Gewässer
aus dem Hörn des Flußgottes strömt, folgert Grimm, so mag auch
unser Alterthum Bäche und Flüsse aus dem umgestürzten Methkrug
eines mythischen Wesens geleitet haben, woher dann der Quelle Name.
Ich glaube, dieses hier vermuthete Göttergefäß sogleich aufzeigen zu
können, und will hier nur beifügen, daß übereinstimmend mit jenem
altn. veig poeulum, die Milchschüssel für den Milchkeller altbaier. Wei-
herling, Schweiz. Weiggelin (Stalder 2, 443) genannt wird, wie auch
der aus Rahm und Brodteig gemachte Kuchen Rahmwaßjen. Der rein
sinnliche Begriff dieses Wortes heißt schütten und schütteln, woher ja
die Schotte selbst ableitet, die Nachmolke, der Milchrest im Alpkessel,
nachdem Käse sowohl als Ziger bereits daraus gewonnen sind.
Doch die Vorzeit will sowohl jenes gigantische Milchgefäß, wie
auch die Bereitungsweise des dafür bestimmten Milchtrankes näher
bezeichnen und wir hören nun ihren neuen Erzählungen zu.
Die im Volksmärchen stets genannten drei Wunderdinge sind
ein paar Schuhe , ein Stab und drittens die Schale oder der Wunsch-
säckel ; letzteres hat sich immer von Frischem mit Nahrung oder mit
Gold anzufüllen. Durch das neu auflebende Sanskritstiidium ist nun
auch eine Einsicht in das hohe Alter dieses einzelnen Märchenzuges
gewährt. Der Dichter Soma Deva aus Kaschmir hat zu Anfang un-
seres XIII. Jahrhunderts eine indische Märchensammlung begonnen (übers,
von IL Brockhaus) zur Erheiterung der Großmutter des Königs von
Kaschmir, des Ilarsha Deva. Darinnen wird unter anderem erzählt,
wie durch diese drei Wunderdinge die Gründung der hl. Stadt Pali-
bothra veranlasst wird, welche im Sanskrit Pätaliputraha heißt, Wohn-
sitz des Reichthums. Als nämlich der vertriebene König Putraka in der
Fremde umher irrt , betrifft er zwei Brüder , die sich um ihr Erbe
streiten, über Schale, Stab und Pantoffeln. Wer diese Pantoffeln anlegt,
sagen sie, der hat die Kraft zu fliegen; was mit diesem Stabe gezeichnet
wird, das entsteht sogleich, und was in diese Schale hineingewünscht
wird an Speisen , die sind auf der Stelle drinnen. Der schlaue Putraka
veranlasst die Streitenden, einen Wettlauf um den ungetheilten Besitz
der drei Dinge anzustellen, und während sie liefen, zog er die Pan-
toffeln an und flog mit Stab und Schale zu den Wolken empor. Erst,
bei der schönen Stadt Akarshika ließ er sich wieder herab. Hier wohnte
die Königstochter Patali, bewacht vor jedem Freier in einem fest ver-
GOLD, MILCH UND BLUT. 403
wahrten Schlosse. Pntraka flog bei Nacht in die Fenster ihres Schlaf-
gemaches, erweckte sie mit einem Kusse, vermählte sich mit ihr, nahm
sie in den Arm und flog durch die Lüfte mit ihr davon. Aber am Ufer
des Ganges ermattete die Geliebte; also ließ er sich mit ihr herab zum
Flusse und erquickte sie durch Speisen , die auf sein Geheiß sich in
der Schale zeigten. Dnnn zeichnete er ihr zu Gefallen mit seinem Stabe
eine Stadt in den Sand und schuf sich dazu ein mächtiges Heer. Dort
wurde er König und beherrschte die Erde bis zum Meere hin. So war
die Stadt mit ihren Bewohnern durch Zauber geschaffen und wurde nach
den beiden Namen der Gatten Pätaliputraka genannt. Vgl. Jolowicz,
Polyglotte der Orient. Poesie, S. 234.
Unser Anhaltspunkt liegt hier nur in der wunderbaren Schale.
Wo der Fürst mit ihr aus dem Flusse schöpft, schöpft er die Hülle
und Fülle erquickender Speise, und nicht bloß die hl. Stadt Palibothra
wächst sogleich zauberhaft am Gangesufer empor, sondern der Zauber
der Frauenschönheit selbst, die allen andern Freiern versagte Königin
Patali, rastet an diesem Strome zum erstenmal in erwiedernder Liebe
und wird mit dem Gatten Herrscherin bis zum Meere. Es ist die
schaumgeborne Göttin der Schönheit selbst; aber ehe sie ins Leben
getreten ist, geht ihr hier wie in den sogleich folgenden Berichten ein
alter Rangstreit oder Erbfolgekrieg voraus. Einen solchen haben im
indischen Epos Ramayana zwei Götterreihen gegen einander erhoben,
und als sie sich aussöhnen , beschließen sie gemeinsam sich den Un-
sterblichkeitstrank Amrita zu bereiten. Sie buttern nun das Milchmeer
um. Ihr Butterstempfel ist der Berg Mandara mit allen seinen Wäldern
und Waldbewohnern. Ihn umschlingt diensam der Schlangenkönig Qesha
als Strick, Devas und Asuras packen das verstrickte Riesenthier an
Haupt und Schwanz und drehen gegenseitig ziehend damit den Berg
wie einen Quirl im Milchmeer herum. Alle Löwen und Elephanten
des Waldberges, all seine Bäume und Heilkräuter stürzen mit in den
Ocean, werden zermalmt und zerbuttert; vom beständigen Drehen er-
glüht zuletzt der Mandara selbst und schüttet alles Erz seines Innern
geschmolzen ins Milchmeer aus. Dies wird goldene Butter, und schon
wollen die Riesen diese für sich allein gewinnen, zum Nachtheil der
Äthergötter. Allein aus ihr steigt nun in buttergelbem Gewände, Alles
bezaubernd und Alle bändigend, die Segensgöttin Sri hervor, und die
weiße Schale, die sie trug, war angefüllt mit Amrita. Eine Version fügt
hier bei, Gott Wischnu habe die Gestalt dieses reizenden Weibes an-
genommen, dadurch die Riesen überlistet, des Gefässes mit der Amrita
sich bemächtigt und dann in seiner wirklichen Gestalt die Gegner mit
26 *
404
E. L. ROCHHOLZ
der Waffe des Blitzes zerschmettert. Dies scheint nur eine Selbst-
entlehnung aus dem schon anfänglich erwähnten Götterkriege, um die
am Ende der Erzählung nutzlos werdenden Kiesen dadurch ganz be-
seitigen zu können. Aber wir werden dem gleichen Ungeschicke einer
eben hierin falsch abschließenden Erzählung in der Qvasirsage wieder
begegnen. Dies ist deutlich: aus dem Ende des Götterkrieges erst ent-
springt die unbeschränkte Dauer der Götterwonne. Aber die Milch der
Unsterblichkeit wird auf einem zweifachen TA ege gewonnen. Entweder
wird sie aus dem Blute des in diesem Kampfe fallenden Schlachtopfers
zubereitet, oder, was viel ursprünglicher ist, aus dem Honigflusse, aus
dem Milchmeere steigt die schaumgeborne Schönheitsgöttin empor, auf
einer Muschel stehend als der Trinkschale. In Griechenland ist es die
eine Aphrodite, zubenannt von Aphros , Schaum; in Indien sind es
53 Millionen Apsarasen, von Ap zubenannt, dem Wasser. Beide Male
ist es ein Jungbrunnen. Aus der Edda ist ein ähnlicher Vorgang zwar
bekannt genug, er muß aber der daran zu knüpfenden Beziehungen
halber hier mit in die Erzählung aufgenommen werden.
Die beiden Götterreihen der Äsen und Vanen haben sich nach
langem Unfrieden wieder geeinigt und bringen nun den Friedensschluß
unter einer eigenthümlichen Ceremonie zu Stande. Sie treten von beiden
Seiten zu demselben Trinkgefässe und spucken ihren Speichel hinein.
Um dieses Einigkeitszeichen nicht mehr untergehen zu lassen, nahmen
es die Äsen und schufen den Mann Qvasir daraus, d. h. den gegährten
Gischt und Geist. Ihm war die höchste Weisheit eigen, in seinem
Blute gohr der Strom der Begeisterung. Mit dieser einfachen Erzählung
begnügt sich die jüngere Edda noch nicht, denn Qvasirs Meth- und
Milchblut muß ihr zu wirklich trinkbarem Blute werden. Sie berichtet
daher ferner: Als Qvasir weisheitlehrend die WTelt durchzog, kam er
auch zu den Zwergen, diese erschlugen ihn und gaben vor, er sei in
der Fülle seiner Weisheit erstickt. Sein Blut aber vermengten sie mit
Honig, gewannen daraus einen kostbaren Meth und fassten ihn in ein
dreifaches Geschirr. Durch neue Gewaltthätigkeiten kam dieses alsdann
erst an den Kiesen Suttungr (Suptunger ist der Supper, Trinker, Suffi-
trinker) und an dessen Tochter Gunnlöd, und als es hier Odhinn ge-
raubt hatte, kam es schließlich wieder an die Äsen. Seitdem begeistert
dieser Trank den Odhinn selbst zur Dichtung, er heißt Odhrörir, der
gcmüthsaufre^ende Trank, und ebenso ist davon die Skaldenkunst
Qvasirs Blut geheißen, denn wer von diesem Trank kostet, wird ein
Dichter oder Weiser. Auch in der griechischen Sage wird Dionysos
von den Titanen zerrissen und sein Blut in jenem Becher gesammelt,
GOLD, MILCH UND BLUT. 405
in welchem der Gott zuvor die erste Weinspende gemischt hatte.
Dem Hellenen wird aus dem Blute, dein Germanen aber aus der Milch
der berauschende Lebenstrank ausgegoren. Wir wissen durch Castren,
wie die Tataren aus Kuhmilch das Airan, aus Stutenmilch das Kumys
sich bereiten: aber A. Humboldt und Klaproth waren auf ihrer Reise
in russisch Asien Augenzeuge, wie man im Zelte eines tatarischen
Häuptlings ihnen zu Ehren den „Quas" in derselben Weise zubereitete,
wie der eddische Trank Qvasir entstand. Die ins Zelt Eintretenden
wurden eingeladen, in einen am Eingang stehenden, mit Milch gefüllten
Eisennapf zu spucken, um alsbald darauf mit dieser dadurch in raschere
Gährung versetzten Milch bewirthet zu werden.
Aufs anmuthigste hat das finnische Epos Kalewala im zwanzigsten
Gesänge diesen Vorgang der Gährung poetisch verkörpert, um die
Erfindung der Bierbereitung daran zu knüpfen:
„Wann wohl kommen wir zusammen,
Kommt das Eine zu dem Andern?"
Summt vom Baum herab der Hopfen,
Spricht vom Felde her die Gerste.
Die beiden Jungfrauen Osmotar und liapo sieden endlich Gerste
und Hopfen zusammen, aber immer noch bleibt die Gährung aus. Ein
Eichhorn brachte ihnen Tannenzapfen dazu, dennoch hob sich der Sud
nicht; der Goldmarder brachte Schaum aus dem Rachen kämpfender
Bären, gleich vergeblich ; bis zuletzt ein Bienchen Honigseim von jener
Wiese herbei o-etrao;en bringt, in deren Gras ein Mädchen schlummernd
liegt. Da stieg das Bier im Fasse und floß über alle Ränder. Es war
braven Männern gut zu trinken, brachte die Weiber schnell zum Lachen
und die Thoren bald zu Streichen. — Besser lässt sich die epische
Formel, Schön wie Milch und Blut, nicht verdeutlichen : ein im Grase
schlummernd liegendes Mädchen, von einem naschenden Honigbienlein
umflogen.
Höchst unterrichtend durch ihre Vollständigkeit lautet die keltische
Sage vom Tranke, der allen Wissensdurst stillt; sie nmfasst nämlich
gleich den eleusinischen Mysterien Beides zugleich, des Dionysos Wein
und des Triptolemus Brod. Mone, Gesch. des Heidenth. 2, 519 erzählt
sie ausführlichst, hier genügen schon die Hauptpunkte. Mutter Cerid-
vven hat sich einen Kessel gebaut, ihn mit Heilkräutern gefüllt, ihn
Jahr und Tag lang sieden lassen und den fremden Knaben Gwion
zur Aufsicht daran gestellt. Als dieser drei Tropfen daraus nippt, ist
ihm alle Zukunft enthüllt. Zürnend jagd dem Fliehenden die Mutter
nach, ihn durch alle Elemente und Wandlungen verfolgend. Als er sich
406
E. L. ROCHHOLZ
zuletzt in ein Weizenkorn verwandelt, piekt sie es auf, wird davon
schwanger, wird nach neun Monaten eines Knaben entbunden, den sie
auf ihres Mannes Anstiften in einem Boote auf dem Meere aussetzt.
Als die Fischer dorten am ersten Mai ihre Reuße nach dem gewohnten
Maienfisch von hundert Pfund Werth durchsuchen , finden sie statt
dessen das Kind und nennen es seiner Schönheit wegen Taliesin,
Strahlenstirne. Sogleich dichtet der aufgefundene Knabe ein Lied, worin
es heißt: „Ich bin der erste Barde, geistbegabt durch den Kessel der
Ceridwen. Wasser hat die Eigenschaft, daß es Segen bringt; es ist
unbekannt, ob mein Leib Fleisch ist oder Fisch. Daß doch die Mensehen
kämen, alles Wissen bei mir zu suchen, denn ich kenne Alles, was
gewesen ist und was sein wird!" u. s. w. Man fühlt sich an die Fau-
stische Hexenküche erinnert; der Kessel siedet über dem Feuer, Me-
phistopheles verlangt einen Becher voll für seinen Freund, und die Hexe
überreicht den Feuertrank unter dem berühmten Spruch:
Die hohe Kraft, die Wissenschaft,
Der ganzen Welt verborgen!
Und wer nicht denkt, dem wird sie geschenkt,
Der hat sie ohne Sorgen.
Dieselbe Hexe kehrt wieder in der keltischen Sage vom Volks-
helden Brau le Beni , sie hinterlässt diesem zum Danke für die in
Cambrien bei ihm genossene Gastfreundschaft ein Becken , mit dem
eine tödtliche Wunde geheilt und das Leben wieder gegeben wird.
Bran le Beni hatte eine Fehde mit dem irischen Fürsten Martolouch ;
nach Beendigung derselben lud er ihn zu einem Friedensmahle ein,
bei welchem die Speisen in dem zaubermächtigen Becken aufgetragen
wurden und sich immer von neuem ergänzten. Er schenkte es zum
Pfände des Friedens dem versöhnten Fürsten ; doch als die Fehde
abermals losbrach, erwies sich dieses Becken als der mächtigste Bun-
desgenosse des Feindes und erweckte diesem jeden Krieger wieder,
der eben gefallen war. Eine andere britische Sage erzählt vom Hörne
des Bran Galed, worin man jeden Trank fand, den man sich wünschte.
Diese zwei Sagenzüge führt Lang an, Sage vom hl. Gral, nach dem
Werke von Heinrich: Le Favcival de Wolfram cC Esehenbach. Paris 1855,
pag. 50.
In den Naturreligionen gilt Kessel, Becken und Becher als Sinn-
bild des Anfangs der Welt aus dein Wasser. Drei Tropfen aus Cerid-
wens Kessel enthüllen alle Zukunft; eine Tränke aus dem Flusse am
ersten Mai macht die Milchthiere dreimelkig , sowie am ersten Mai
statt des beerehrten Fisches der Gott Taliesin selbst in der Reusse
GOLD, MILCH UND BLUT. 407
gefunden wird. Der Becher des Perserheros Dsjemsid ist selbst nach
diesem Fürsten ans dem goldenen Zeitalter benannt. Er fand ihn, als
er den Tigris überbrückte und den Grund legte zur Stadt Persepolis.
Das Gefäß vermochte den Äther in sich nieder zu ziehen und unauf-
hörlich Wein zu spenden. Der Orientale weissagte aus dem Becher.
Einen solchen besaß auch Joseph in Egypten und lässt ihn zur List
in Benjamins Kornsack verstecken. Als der Haushälter ihn hier ent-
deckt, spricht er: „Ist es nicht das, da mein Herr aus trinket und
damit er weissaget?" Gen. 44, 5. Der Satz „in vino veritas" Wein ist
ein Weissager , will also mehr sein als ein bloßes Erfahrungswort.
Allem Volke sodann diente einmal des Jahres im Salomonischen Tempel
das große eherne Meer zum Geschirr. Dasselbe fasste 200 Bath , die
der Theologe Bunting {de monetis etc. sacr. scriptnrae 1616, 21) zu fünft-
halbbundert Ohm Weines berechnet hat, das Ohm zu 40 Braunschwei-
ger Stübichen. Von einem gleichen Riesengefässe berichten Hymiskvidha
und Gylfaginning.
Wenn die Äsen im Frühlinge vereinigt ihr Gastgelage halten,
trinken sie Meth aus einem meilenweiten Braukessel, der des Meer-
riesen Gymir Eigenthum gewesen war. Fünfzig Männer können daran
sitzen und trinken, ohne daß einer den andern sieht. Oder sie versam-
meln sich beim Meergotte Oegir auf dem Meeresgrunde in einer gold-
erhellten Halle. Da wird das Becken des Meeres selbst zum Kessel,
in welchem er ihnen das Gastbier braut. Statt des einen Bechers, den
der König von Thule ins Meer wirft oder den der Taucher aus der
Charybde heraufholt, ist hier noch die Charybde selbst das unergründ-
liche Trinkgeschirr für Götter und Gestirne , und unser Göthe giebt
den besten Grund dafür an :
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer,
Kehrt wellenathmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Muß das Geschirr beides bieten, Speise und Trank, so wandelt
sich seine Form zugleich in Napf und Kelch, in Schüssel und Becher.
Dies ist bekanntlich der Gral, das in unserer Ritterdichtung so hoch
gepriesene Zaubergefäß , von dessen Beschaffenheit und Wirkung nun
noch der Schluß dieses Abschnittes handeln soll.
Eine Reichenauer Handschrift aus dem XI. Jahrhundert, abgedruckt
in Mones badischer Quellensammlung 1, 67, erzählt cap. 9 , wie Azan
aus Corsica an Kaiser Karl eine Schüssel überbringt, in welcher des
Heilands Blut war: ampula, de salvatoris sanguine plena. Diese Schüssel
408
E. L. KOCH HOLZ
galt als ein 28pfündiger Smaragd, wurde ans Kloster Reichenau ver-
gabt und dorten auf 600,000 Dukaten geschätzt. Insula fortunala
Reichenau , oder zehente Jubiläumspredigt 1724, v. H. Meyer S. J.
pag. 19. Der Reisende Andrea überzeugte sich jedoch i. J. 1763
(Briefe aus der Schweiz. Zweite Ausgabe, pag. 65), daß dieser angeb-
liche Smaragd ein grüner Glasfluß sei, wenn auch wegen Größe, Härte
und seines Feuerglanzes willen ein sehen swerth er. Das hl. Blut, das
darin gewesen, wird heut zu Tage, wie Schnars berichtet (der Bodensee
2, 168), daselbst in einem goldenen Kreuze und unter mehrfachen
Schlössern versperrt im Altar aufbewahrt. Ein zweites sehr ähnliches
Gefäß befindet sich in Genua, il sacro catwo genannt. Nach der Er-
zählung des Genueser Chronisten Jacobus a Voragine haben die Ge-
nuesen bei der Eroberung von Cäsarea 1101 zum Lohne ihrer Tapfer-
keit ein großes Gefäß aus der Beute zugetheilt erhalten und es daheim
der Kapelle Johannes des Täufers geweiht. Diese hl. Schüssel sollte
durch die Königin von Saba an Salomon geschenkweise überbracht
worden sein; sie soll ferner die Schüssel sein, aus welcher der Heiland
das Osterlamm gegessen, oder die Schale, in welcher Joseph von Ari-
mathia das Blut des Gekreuzigten aufgefangen. Sie hatte gleichfalls
für einen einzigen ungemeinen Smaragd gegolten, bis i. J. 1806 Napo-
leon bei Wegnahme Genuas den catino mit nach Paris entführte , wo-
selbst dieser Schatz sich gleichfalls als ein bloßer Glasfluß erwies.
Noch giebt es eine andere kirchliche Schüssel, die santissima scodella
im hl. Hause zu Loretto, in welcher Maria den Brei für das Jesuskind
angemacht haben soll. Correggios bekanntes Madonnenbild, in welchem
die Rast unter den Palmen dargestellt ist, wird nach diesem Gefässe
de la scodella zubenannt. Die Breischüssel führt auf den Mushafen
hinüber; das Wappen der Mundschenken war im deutschen Mittelalter
bekanntlich ein umgestürzt und geschnäbelt abgebildeter Hafen. Und
so muß hier noch darauf hingewiesen werden, daß gerade unser be-
rühmter Graldichter Wolfram selbst einen rothen Hafen als Schild-
und Helmzeichen im Wappen führte. IL Holland , Gesch. der altd.
Dichtkunst in Baiern, pag. 114.
Nicht den Gral haben wir zu schildern, sondern die an ihn ge-
knüpften Vorstellungen; dabei wird sich zeigen, daß diese von einer
ursprünglich würdevollen Anschauung rasch ins Widrige und Grausen-
hafte herabgesunken sind.
Die durch Grieshaber herausgegebenen deutschen Predigten des
XIII. Jahrhunderts, 2, i23 beschreiben das Brod, womit die Israeliten
vierzig Jahre lang in der Wüste gespeist wurden, als ein in alle Speise
GOLD, MILCH UND BLUT. 40!)
und Trank sich wandelndes Gralsbrot: Wart daz himelbrot was in in dem
munde reht als säez als ain Jionech. an swaz spise si denne gedähton,
daz daz brdt reht denne smah/e als ob si die selbon sjnse heten in icrent
munde, ämerdt si vische alder viaisches, so dulde si reht si heten visehe
un<!<' vlaisch in dem munde. Dieselbe Anschauung vom Gral und von
seiner Errnebit»;keit ist bei Wolfram ausgedrückt :
swä nach jener bot die hant,
daz er al bereite vant
spise warm, spise kalt,
>ji/se niwe unt dar zuo alt,
da: zam unt daz wilde.
wan der gräl was der sohlen /ruht,
dir werlde süeze ein sölh genullt:
er tvac vil nach gellche,
als man saget von himelriche.
Dazu ist es die reinste Magd und jungfräulich Schönste, die
Freudeverbreiterin Repanse de schoge , welche den Gral zur Gastfeier
aufträgt; gleichwie die schaumgeborne Schönheitsgöttin jene Milch der
Unsterblichkeit kredenzt, die das Haar nicht mehr ergrauen lässt, leiblich
verjüngt und zugleich den Wissensdurst stillt. Alle am Gralstische
Versammelten sind herz- und blutsverbrüderte Commensalen, die gimäzun
einer massenle, welche bei Gott selbst tischfähig geworden sind. Denn
das älteste Wort unserer Sprache für essbares Fleisch , sagt Grimm
GDS. 1009 — heißt bei Ulfila mims, ahd. viias, geht durch die alt-
slavischen Sprachen und drückt wie das latein. mensa den Fleischtisch
aus, welcher ursprünglich der Opfertisch gewesen sein wird. Eben an
diesem pflegte, der dankbare Mensch mit seinen Göttern zu theilen und
wird daher von diesen gleichfalls zur Tafel gezogen. Dies verheißt Virgil,
Eclog. IV., dem Knäblein Pollio : deus hunc niensa, dea dignita cubili est.
Der Tisch mit den Schaubroden im jüdischen Tempel sollte sämmtliche
Stämme des Volkes als eben so viele Brode Gott beständig vor An-
gesicht legen. Wer erinnert sich nicht des Sonnentisches der Athiopen,
der sich jede Nacht mit Fleisch frisch deckte, des Herodoteischen He-
liotrapezon. Die Tischstadt Trapezus hatte ihren Namen eben davon
bekommen, daß hier die Götter ihren mit den Menschen bis dahin
getheilten Gasttisch für immer umstießen, empört üher den frevlerischen
Arkaderkönig Lykaon, der ihnen sein geschlachtetes Kind zum Mahle
vorgesetzt hatte. Zwei solcher hl. Tische reichen in unser Mittelalter
herein. Als der Westgothenkönig Roderich in der Schlacht bei Xerez
711 Thron und Leiten an die arabischen Sieirer verloren hatte, fanden
4|0 E. L. ROCHHOLZ
sich unter den Beutestücken zwei kostbare Tische. Der eine war das
Missorium, massiv golden, fünfhundert Pfand schwer, der römische
Feldherr Aetius soll ihn nach der catalaunischen Schlacht dem Gothen-
könig Thorismund zum Geschenke gemacht haben; der andere Tisch
war noch höher gepriesen, seine Goldfüsse waren wie die Tage des
Jahres 365, drei Perlenreihen fassten ihn ein, man schätzte ihn auf
fünfhunderttausend Goldstücke. Je vier Gralritter essen bei Wolfram
zusammen an einem Tische, je zwei Templer hatten der Ordensregel
gemäß aus einer Schüssel zu essen. Dieselbe Satzung wiederholt sich
noch unter Ludwig dem Baier. Dessen Vater, Herzog Ludwig der
Strenge, hatte durch Albrecht von Scharffenberg Wolframs Titurel-
fragmente fertig dichten lassen ; der ritterlich nachschlagende Sohn kam
als Kaiser auf den Gedanken, in dem oberbaierischen Ettal eine Grals-
burg zu erbauen und sie nach der Art von Munsalväsche mit Templeisen
zu besetzen. Der so gegründete Orden bestand aus 14 Priestern und
13 Rittern. Letztere alle hatten ihre Frauen, Knappen und Mägde im
Stifte bei sich , zusammen ist ihnen das gemeinsame Liebesmahl der
Tafelrunde vorgeschrieben. Es heißt darüber wörtlich: Ez sullen beide,
ritter und frawen, alle bei einander ezzen, zioen ritter und zwo frawen
mit einander. H. Holland, Kaiser Ludwig und sein Stift Ettal. 1860, 13.
Also genau so lautend, wie jene Rittersatzung, die in Grimms GDS.
aus dem spanischen Romancero angeführt ist: que a unamesa comen yan.
Eine Reihe von Verurnständungen brachte es mit sich, daß diese
Vorstellungen vom Gral nicht lancce rein und unsjekränkt verbleiben
konnten. Vielleicht daß schon der Name selbst die Sache untergrub.
Noch jetzt zwar braucht man in Südfrankreich die Wörter grazal,
grazau — grial, grau für mancherlei Gefässe, aber dennoch machte die
missverstehende Wortdeutung auch aus franz. greal ein san greal und
dann aus diesem ein sang real, aus dem Becher ein Königsblut. Anlaß
hiezu gab eine durch dieses Wort und dessen Mythe zurückreichende
Erinnerung und dunkle Grübelei; litthauisch kranjas sanguis, ist welsch
crau, cruor; sanskrit kravja caro; alles zusammen drückt blutiges frisches
Fleisch, Blut selbst aus. GDS. 1010. Wird aber der Gral einmal im
Tafelkelch zum trinkbaren Blut gemacht , so wird er auch zur Erb-
schüssel, worauf das frische Schlachtopfer liegt, und das heilige Ritter-
bündniss, zu Gottes Ehren geschlossen, scheint dann ein frevelhaftes
Bluttrinken verschworener Catilinarier zu werden, oder gar ein Kani-
balen-Essen von heimlichen Menschenschlächtern. Dieser grässliche Ver-
dacht brachte dem ganzen Orden der Templer Verderben und Tod.
Der Gral selbst erscheint im Mabinogion als eine Schüssel, in der ein
GOLD, MILCH UND BLUT. 41 1
Mutiges Menschenhaupt liegt; nach dem franz. Parcival des Menessier
legt der Gralkönig am Johannistage sein Gelübde ab. und einer der
Wolframischen Gralkönige ist der Priesterkönig Johannes. So wird die
Johannislegende in die Gralmythe verschlungen. St. Johannis Minne,
kirchlieh getrunken , trifft schon im Kräuteraberglauben zusammen mit
dem St. Johannisblut, das zur Zeit der Sommerwende an den Wurzeln
des Sonnewendgürtels gegraben wird, zuletzt fällt der Gral selbst
zusammen mit jener Schüssel, auf welcher Johannes des Täufers Haupt
vor Ilerodcs getragen wird. Aus der Repanse de schoye wird dann
eine liebebrünstige Herodias, aus dem Täuferhaupte endlich ein Talisman
mit magischen Kräften, den man in Gestalt eines Menschenhauptes
abbildete und nach romanischer Sprachweise Mafomet und Baphamet
nannte. Wilcke's inzwischen neu erschienenes Werk „Die Tempelherren"
zeigt , wie dieser Orden einem deistischen System huldigte , dessen
Ceremonien der Verehrung Johannes des Täufers galten. Der Provin-
zialmeister Tanet sagte in dem Prozesse gegen die Templer aus , auf
dem Pilgerschlosse bei Accon sei ein solches zweiköpfiges Haupt bei
Ordensfeierlichkeiten auf den Altar gesetzt und unter Kniebeugen mit
der Formel angebetet worden: Gesegnet sei der Heiland meiner Seele!
Das schauderhafte Ende der Templer ist bekannt, sie bezahlten ihre
mystische Blutsbrüderschaft mit ihrem eigenen Blute.
So wären wir über die beiden Themen unserer Arbeit, Gold und
Milch, zum letzten, dem Blute gekommen. Ehe wir damit beginnen,
fassen wir das vom Gral Gesagte in einer Überschau zusammen, um
dem bisher Vorgetragenen seine Endgiltigkeit zu geben.
Die Kirche des Mittelalters hieng bewusst und unbewusst dem
Blutcultus an; ihr gehören die mannigfachen Legenden und Mirakel an
vom Blute des Gekreuzigten, wie dieses aufbewahrt und später in das
Abendland gebracht worden sei. Sepp , Leben Jesu , hat im fünften
Bande ein reiches Material hierüber angesammelt , woraus nur etliche
Angaben über die berühmtesten Blutpartikeln hier folgen. Ein Theil
des Kreuzigungsblutes kam in die Marcuskirche nach Venedig , ein
anderer 1048 nach Mantua. Von diesem kamen zwei Theile nach Rom
in die Kirche des hl. Kreuzes und zu St. Johann von Lateran ; ein
dritter Theil gelangte an Kaiser Heinrich Hl. , gieng an den Grafen
Balduin von Flandern über und dann an dessen Tochter Judith , der
nachmaligen Gattin des Baiernherzogs Weif IV. Judith theilte diese
Blutpartikel wieder in zwei. Die eine kam an bairisch Kapel in Unter-
ammergau, ist aber da schon ums Jahr 1680 verschollen; das Original-
gefäß dafür hat man dagegen vor kurzem dorten wieder aufgefunden,
412 E. L. ROCHHOLZ
einen Speisekelch mit abnehmbarem Deckel, auf beiden Seiten gothiscb
gethürmt und mit Figuren verziert , die mit jenen Personen überein-
stimmen sollen, welche bei Auffindung des hl. Blutes in Mantua 1048
beschäftigt waren. Schöppner , bair. Sagenb. Nr. 1191. Die andere
Partikel gab Judith an das schwäbische Kloster Weingarten, wo
es jetzt noch alljährlich am blutigen Freitag, unmittelbar nach
Christi Himmelfahrt, unter großem Gepränge gefeiert wird. Zwei wei-
tere gleiche Blutreliquien werden in Marseille und zu Brügge in Flan-
dern verwahrt; beide werden an jedem Freitag wieder flüssig; eine
ähnliche Reliquie ist auch in der Cistercienser Abtei Stams in Tirol.
Dieser Eindrücke vermochte die Kitterpoesie sich nicht zu erwehren,
um so weniger, als sie ja nur eine Tochter der ihr vorausgegangenen
Mönchspoesie war; und wo sie den Versuch machte, sich kirchlich zu
emaneipieren, wie in dem Nibelungen-Sagenkreise, verfiel sie ins Recken-
hafte, Heidnische. So kommt denn der Blutcultus auch in den Gral-
Sagenkreis. Bei aller Überfülle des irdischen Segens und in stetem
Anschauen der Paradieseswonne lebend, ist der Gralkönig Anfortas
doch unrettbar siech ; ja als sein vorbestimmter Erretter Parzival in
der Burg ankommt und mit an der silberstrotzenden Tafel sitzt, wird
unter allgemeinem Wehklagen der Templeisen eine bluttriefende Lanze
im Gastsaale zur Schau umher getragen. Dies sind die beiden Seiten
unseres Themas selbst, großartig zurückgespiegelt im Epos. Der Un-
sterblichkeitstrank wird von der Schönheitsgöttin kredenzt als Milch
oder Meth, oder goldener Wein; aber ein Frevel der Dämonen oder
Menschen tritt dazwischen und verwandelt die reine Milch in den
Greuel frischvergossqnen Menschenblutes, in „schreiendes Blut." Bei
aller Herrlichkeit der Wolframischen Beschreibung wird dann gerade der
Gral selbst etwas Dauerloses. Er wird plötzlich in einer Nacht aus
der abendländischen Gralburg wieder nach Indien zurück versetzt, als
in seine erste Heimat, und nachdem hier die Gralkönige der Reihe
nach gestorben sind , speist auch der Gral die Seinigen nicht mehr,
da er nun wieder in dem Lande ist, „das selbst von Milch und Honig
fließt." Diese Schluß Versicherung des Gedichtes war aber der Aus-
gangspunkt unseres Aufsatzes. Wie hat nun die deutsche Göttin dieses
Paradieses geheißen , da wir bei Wolfram nur eine romanische nennen
hören? Es ist die durch das eine Merseburgerlied festgesetzte Volla,
Freyjas Schwester, Göttin des Überflusses und der Fruchtfülle, die
domina Abundia und dame Ilabonde der Romanesen. Ihr Cultus niusste
mit dem Naturleben innigst verknüpft gewesen sein; dies erweist Grimm
(GDS. 85 — 109) aus dem ihr nachbenannten Erntemonat, welcher
der Folmänet, Fulmänt und Fülmont geheißen hat.
GOLD, MILCH UND BLUT. 41.3
III. DAS SCHREIENDE BLUT.
Menschenblut zum Zwecke der Genesung von Krankheiten zu
trinken, ist ein Brauch, der von der ältesten Zeit an fortgedauert hat
bis auf diesen jetzigen Augenblick. Plinius erzählt hierüber zweifaches
II. N. 26, 5 und 28, 2. Es ließen sich nämlich die ägyptischen Könige
zur Heilung von der Elephantiasis Bäder aus Menschenblut bereiten;
und ferner war es eine von ihm selbst noch mitangesehene Üblichkeit
zu Rom, daß Fallsüchtige das Blut tranken, das die Fechter dorten
im Circus vergossen. Sie schlürfen es, sagt er, warm und rauchend
aus dem Menschen selber ein und halten es für ein kräftiges Heil-
mittel. Beide Arten der Anwendung, das Baden und Trinken des Blutes,
sind heute noch keineswegs verschollen. Der Ncgerkönig von Dahomey
hat erst in diesen Jahren und trotz der Einsprache englischer Handels-
consuln Massenabschlachtungen Kriegsgefangener vorgenommen und mit
Menschenblut einen dafür bestimmten Teich ausgefüllt. AUg. Augsb. Ztg
20. Oct. 1 862. Das Morgenland hat Sagen von Königen, die jeden Tag einen
Menschen aus ihrem Volke für ihr Leben brauchen , und Grimm (Arm.
Heinrich, S. 2 19) bezieht darauf die vielfach gewendete Thierfabel von der
Heilung des Löwenkönigs durch die noch frisch und blutig umgeschlagene
Wolfshaut ; denn eben dies erinnert an ein ganz ähnliches Mittel der
heutigen Volksarzneikunst , wornach Gequetschte in eine abgezogene
Kalbshaut gewickelt , oder verletzte Glieder in einen frischen Kalbs-
magen gesteckt werden. Während nach dem Aberglauben durch das
Katainenienblut alles damit in Berührung Gebrachte zu Grunde gerichtet
wird: der Weinstock geht ein, die Feldfrucht stirbt ab, alle gährenden
Stoffe wie Milch und Wein stehen um , die Bienen verlassen ihren
Stock, der Glanz der Spiegel erlischt, das Schermesser wird stumpf
(Schindler, der Aberglaube 165) : so wird durch Jungfern- und Kinder-
blut das schwerste Übel geheilt. Die Berliner medicin. Zeitschrift von
1862 hebt hervor, daß die sich häufenden Schändungsfälle, mit denen
unsere Schwurgerichtsverhandlungen so oft beschäftigt werden, aus dem
Wahne entspringen , als könne das Übel der männlichen Gonorrhöe
durch den Beischlaf mit einem noch unmannbaren Mädchen geheilt
werden. Der nach dem Aussatze zubenannte llüefengüggis oder Grind-
teufel hat schon eilf Jungfrauen abgeschlachtet, um in ihrem Blute sich
heil zu baden. Vgl. Aargauer Sag. 1, Nr. 14, wo weitere hier ein-
schlägige Züge aus Geschichte und Sage mit verzeichnet sind. Der
Glaube an die Wirkungen des Menschenbluttrinkens sitzt überhaupt
noch durchaus fest. An der Aare lautet hierüber die Meinung also:
414
E. L. HOCH HOLZ
Wenn ein Fallsüchtiger vom warmen Blute eines eben Hingerichteten
trinkt und gleich darauf sich in Schweiß lauft, so stirbt er entweder
plötzlich, oder ist mit einem male geheilt. Der im verwichenen Jahre
hingerichtete Mörder Bellenot aus dem bernischen Jura gestand im
Verhör , er habe die von ihm erschlagene Frau , die wegen Verkaufs
selbstgesammelter Heilkräuter das Docterfraueli hieß, umgebracht, um
ihr Blut zu trinken und sich dadurch von dem Weh zu befreien, mit
dem er behaftet gewesen sein soll. Aargauer Ztg. 19. Mai 1861. Derselbe
Glaube wiederholte sich bei der zu Trogen in Appenzell Außer-Rhoden
im Juni dieses Jahres stattgehabten Execution eines Metzgers. Ein
Weib in einem außerrhodischen Armenhause litt an Epilepsie und er-
hielt von dem zuständigen Vorstände der Anstalt die Erlaubniss , am
Tage der Hinrichtung nach Trogen zu gehen und das grausige Heil-
mittel zu versuchen. Drei Schluck müssen unter Anrufung der drei
höchsten Namen warm hinabgetrunken werden. Bereits stand sie am
Schaffot, als ein neuer Anfall ihres Übels losbrach und die Ausführung
des Plans verhinderte. Dies berichtet die Appenzeller Zeitung selbst.
Aargauer Nachrichten vom 26. Juli 1862. Diese drei Schluck in den
drei höchsten Namen scheinen gerade das besonders Bedeutsame zu
sein; es sind die aus Wolframs Parzival (282, 21) schon in dem vo-
rigen Abschnitte berührten ein bluotes zäher rot im Schnee, bei denen
der Ritter so tief der Geliebten Kondwiramur gedenken muß. Drei
solche Tropfen fallen aus dem Himmel herab, wenn der Treflschütze
sein Gewehr gegen das Gestirn abschießt. Dreie fallen jenem Knaben
ins Gesicht, der zur Waldtanne nach dem droben herabschreienden
Wetterkinde emporschaut, Aargauer Sag. 1, Nr. 75. Von drei Bluts-
tropfen hängt des Menschen Leben ab, drei zeigen den Tod des Tau-
chers an (Kulm, westfäl. Sag. 1, Nr. 380), aus den drei ersten des
Neubegrabenen sprossen Grabblumen auf. Die verbreitetste Kinderangst
besteht in dem Glauben, mit dem einen Tröpfchen Blut aus dem Finger,
in den man sich geschnitten, könnte auch die Seele herausfahren. Auch
soll man, heißt es, nicht kopfüber im Bette liegen, sonst fällt dem
Schläfer ein Blutstropfen aus der Nase und von diesem heißt es aber-
mals: „d'Seel ist em üße." Wenn einer am Schlagfluß stirbt, so er-
klärt dies der gemeine Mann sich also: es sei ein Blutstropfen aus
dem Gehirn urplötzlich zu dem Herzen gefallen und habe dasselbe
erstickt. Dieser Blutsturz, der durch einen einzigen Blutstropfen ent-
steht , und dessen Folge die Apoplexie sein soll , nannten die Ärzte
das Gutt (Joh. Wittich, Consil. npoplceticum. Leipz. 1602, pag. 10),
wogegen die Paralysis, der lähmende Schlag, der Tropf hieß, beides
GOLD, MILCH UND BLUT. 415
gedeutet aus gutta sanguinis, der fallende Blutstropfen. „Halber gutt-
schlag ist paralysis, so man auf den schlag lam wirt an eim glid."
Büchlj von einfältig Mittlen. Msc. aus aargauisch Brugg. Anno 1643
kam ein Gutschlag über Pfarrherr Breitinger und 1645 sprach er,
von einem schweren Gutschlag getroffen, die letzten Worte. Hanhart,
Schweiz. Gesch. 4, 352. Alle eben angeführten Namensformen der
Krankheit zusammen finden sich bei Geiler, Evangelibuch Bl. 159*.
„Da bracht man einen dar, rff eim bet, den liet der schlack geschlagen,
oder der tropfft oder das parli oder wie du es nennen teilt, du merkst
vol icas ich mein, sie sagen, das der brest im hirn sei, vnd die ederli,
die cuo dem hirn gond, wenn sie gantz verstopffet sein von wuost, so werd
sunt veltins siechtag dariiß, so sprechen ir, es hangen drei tropjfcn am hirn.
Die hinfallende Krankheit wird noch der Valentin geheißen, und daß
dieselbe aus den eben erwähnten drei Gehirnblutstropfen entstehe,
wird auch von den Aargauer Besegnungen wiederholt, die ich in Wolfs
Zeitschr. f. Myth. Bd. 4 mitgetheilt habe:
Es stehen drei Rosen auf Gottes Stirn (pag. 125).
Ihr Menschen, seht mich an einen Augenblick,
Bis ich euch drei Blutstropfen verwirkt (pag. 136).
Nach aargauischer Volkstradition fällt einem Bäckerknecht in der
Fremde beim Teigkneten ein Blutstropfen ins Mehl , und er erfährt
nachher, um dieselbe Stunde sei damals daheim sein Vater verschieden.
Darüber prediget Abraham a Sta. Clara, in der Lobrede auf den hl.
Franz Xaver. Salzb. 1684, 13: „So Jemand ein Geschwistrigen hat
über hundert Meyl und derselbe etwas leydet, empfindet auch dieser,
so hundert Meyl von ihm entlegen , in seinem Geblüt eine sehmertz-
liche Veränderung, daß ihme, wie oft pflegt zu geschehen, gelbe Fleck
in den Händen auffahren oder die Nasen schwaißet; so sagt Ihr, das
bruderliche Geblüt sagt und schlagt zusammen."
Diese auf die Schneefläche oder ins Backmehl fallenden , unver-
gänglich wiederkehrenden drei Blutstropfen gehören dem Himmels-
gestirn an, aus dessen Gold, Blut oder Milch die Reihe der Crcaturen
fortwährend nachgeschafien wird; denn die schöpferische Gottheit wohnt
in den Gestirnen, und alle Welt ist der Leib Gottes". Auf diesen Grund
beruhen jene sonderbar lautenden Märchen vom Schneekind, vom Son-
nenkind, denen, so alt und weitverbreitet sie sind, noch wenig Sinn
abgesehen worden ist. Zwei Beispiele dieser Art genügen hier, das
eine unserer Gegenwart, das andere dem XIII. Jahrhundert angehörend.
In Pröhle's Harzsagen 1, 188 spricht ein Wilddieb, dem sein kleiner
Junge unrettbar krank lag, in väterlicher Verzweiflung: „Stirbt mir
416 E. L. ROCIIIIOLZ
das Kind, so schieß ich den lieben Gott todt!" Als das Kind darauf
wirklich starb, legte der Mann seine Büchse an und schoß in die helle
Sonne. Kurze Zeit nachher begab es sich, daß seine Frau einen kleinen
Jungen gebar, und alle Nachbarn, die das verstorbene Kind gesehen
hatten, erkannten in diesem Kinde das erste wieder. Dasselbe lebt noch;
es konnte schon nach den ersten Wochen sprechen und erzählte oft
von seiner Himinelsreise. Der Vater ist hernach 1853 durch Unvor-
sichtigkeit eines Jägers In der Sieber erschossen worden. Der jugend-
liche Menschenkörper mit Fleisch und Blut wird hier aus den Gestirnen
ausgeboren; nur stirbt darüber der Vater dieses Sonnenkindes, weil
er diese Geburt zwangsweise mittelst eines gegen das Gestirn gelich-
teten Treffschusses veranlasste , während die Mutter folgerichtig ent-
weder durch das aus der Sonne fallende Blut oder durch den bloßen
Sonnenstrahl schwanger geworden ist. Das Masre des snewes siin,
nun in v. d. Hagens Gesammtabenteuer Nr. 47, ist eine noch allent-
halben lebendige Volksanekdote , wornach ein Kaufmann , nach vier-
jähriger Abwesenheit heimkehrend, sein Weib mit einem zweijährigen
Knäblein vorfindet. Auf seine Frage nach dem Vater, berichtet die Frau,
wie sie voll sehnsüchtigen Verlangens nach dem Gemahl inzwischen
durch bloße Schneeflocken gesegneten Leibes geworden. Platen , im
romant. Ödipus lässt das Weib sagen:
Ich lag am Fenster , als es eben schneite,
Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken,
Wodurch ich augenblicks gewann an Breite,
Bis dieses Kind zuletzt zur Welt ich brachte
Und meines lieben Ehgemahls gedachte.
Das Märchen gedenkt nicht weiter der befruchtenden Kraft des
Schnees und sucht daher die Begebenheit mit einein Scherz abzu-
schließen, als ob es hier gälte, die bloße Weiberlist zu überbieten.
Denn der Vater nimmt das größer gewordene Söhnlein mit auf die
Kaufmannschaft, kann es in der Fremde um 300 Mark verkaufen und
berichtet heimgekehrt der Frau, ihr Flockensohn sei ihm beim Über-
schreiten des Gebirges im heißen Sonnenstrahl zerschmolzen. Demnach
wird also hier das Schneekind wieder ebenso von der Sonne zurück
genommen, wie dieselbe jenem Schützen ein Ersatzkind statt des ver-
storbenen gewährt hat ; denn die Sonne droht kleine Kinder zu fressen,
der Mond verschluckt sie, die er über lässt, macht er mönig. Darüber
handelt diese Zeitschrift 5, 78. Daß das Tag- und Nachtgestirn wirk-
lich in diesen Ideenzusammenhang gehört, lässt sich aus nachfolgender
Besegnung erweisen, welche aus dem Munde einer Dienstmagd zu Aarau
GOLD, MILCH UND BLUT. 417
aufgezeichnet wurde. Die Formel wird gegen die Kindsgichter an-
gewendet :
Gott der Herr ist mein Hort,
Der sandte vom Himmel drei gewahre Wort.
Das Erste ist die heilige Sonne,
Das Zweite ist der heilige Mond,
Das Dritte ist das heilige Brod,
Mit diesen schlag ich die wilden Gichter all zu todt.
Im Namen Gottes d. V. S. u. hl. Gst. Unser Vater.
Dieses soll mit Glauben gebetet werden.
Sonne und Mond, und zum Dritten das Produkt beider, das Brod,
erseheinen hier als die Allvermögenden. Sie lassen sich durch Bitte
oder Zwang das dem Menschen unentbehrlich Scheinende abgewinnen
und gewähren es häufig in Gestalt von Blut, Milch und Brod. Eine
Art der sie zwingenden Nöthigung ist der sog. Freischuß und Treff-
schuß. Im Nachfolgenden ist es nicht darum zu thun, den Sagenkreis
von den Treffschützen zu beschreiben oder zu erschöpfen, über welchen
schon Wolf Beitr. 2, 16 reichlich gesammelt hat, sondern aus solcherlei
Sagen das von uns hier gesuchte Resultat unleugbar herzustellen. Wir
lassen dabei die Erzählungen aus dem früheren Alterthum vorausgehen.
Der Schuß gegen Himmel soll die Gerechtigkeit der Götter an-
mahnen , in schwierigen Fällen den Entscheid zu geben. Da König
Dareios erfuhr , die Athener seien es , welche ihm seine Stadt Sardis
eingenommen und verbrannt hätten, legte er einen Pfeil auf und indem
er damit in die Wolken schoß , sprach er: „O Zeus, verleihe mir Rache
an den Athenern!" Herodot 5, 105. Derselbe Autor berichtet 4, 94
von Thrakern , sie schössen gegen Donner und Blitz in den Himmel,
den Göttern drohend, und daß eben dasselbe die afrikanischen Zauberer
von Mapongo heute noch thun , um dadurch Regen zu machen , be-
richtet neuerlich Bastian, afrikan. Reisen 1859. 1, 204. Der Regen wird
also mittelst eines gegen den Himmel gerichteten Pfeilschusses eiiciert
und erfolgt je nach Absicht des Schützen bald als erschreckender Blut-
regen, bald als Erquickungsstrom.
Als König Bei seinen Thurm fertig gebaut hat, erprobt er dessen
Himmelshöhe, indem er auf der Zinne stehend einen Pfeil in die Sonne
schießt. Mit blutiger Spitze kommt hernach der Pfeil zur Erde, eine
Warnung für den erfrechten Stolz dessen, der sich schon den Göttern
zunächst glaubt. Anders ist das Motiv in der Heraklessage. Als He-
rakles seine Fahrt zu Geryon macht und sich von den Strahlen des
Helios schonungslos gequält fühlt , schießt er seinen Pfeil gegen den
GERMANIA vir. 27
418 E. L. EOCHHOLZ
Lenker des Sonnenwagens. Und nicht missfällt dieser Muth dem Son-
nengott, er besänftigt des Helden Zorn durch einen goldenen Becher.
Dorten quillt Blut, hier aber rinnt Gold in Form eines durststillenden
Gefässes aus dem durchschossenen Himmel. Es fehlt uns zum Wein
nur noch das Brod; dies wird uns aber von der christianisierten Sage
hundertfältig mitgenannt. Der Treffschütze in Müllenhoffs schlesw. holst.
Sagen, pag. 366, lädt sein Gewehr vorerst mit einer vom Kirchenaltar
entwendeten Oblate, dann stellt er sich im Walde auf ein ausgebrei-
tetes weißes Tüchlein und schießt gegen die Sonne. Sogleich bricht
ein Unwetter los und die Stelle seiner Fußstapfen wird mit frischem
Blut gezeichnet. Es geht also auf den Schuß ein Blutthau oder Blut-
regen nieder. Und da auch der Mond zu den Zeiten , da Krieg oder
Pestilenz droht, voraus blutroth sich färbt, so wird er selbst nach der
Schleswiger Sage (Müllenhoff 362) der Wohnort des brudermörderischen
Kain, und nach Hildesheimer Glauben (Schambach-Müller, niedersächs.
Sag. 344) gilt die Figur des Mannes im Mond als ein im Anschlag
liegender Schütze. Derselbe gleicht also gänzlich dem badischen Frei-
jäger in Mones Anzeig. 1838, 223, der ebenfalls auf ein untergebrei-
tetes Tuch kniend einmal gegen die Sonne, zum andern gegen den Mond,
das drittemal gegen den lieben Gott selbst schießt; da fallen vom
Himmel die drei Blutstropfen auf sein Tuch.
Schon lässt sich aus der Litteratur einer in unserer eigenen Land-
schaft spielenden Legende weit zurück nachweisen, daß das Bluten der
Gestirne eine der deutschen Sage frei zustehende Vorstellung gewesen
ist. Die Wallfahrt zum hl. Blut in der Kirche des luzernischen Städt-
leins Willisau hat seit 1553 kirchlichen Bestand und ist seit 1554 be-
schrieben: Ein erschreckliche vnd Wahrhafftige Geschieht von dreyen
Spilern in der Stadt Willisow etc. Nürnberg bei H. Halmesing. (Vgl.
Gödeke, Grundriß 1, 294.) Der Inhalt ist kurz dieser. Auf dem öffent-
lichen Willisauer Spielplatze an dem Wiggerflüßchen hatte Ulrich
Schröter an zwei Gesellen all sein Geld verspielt und darüber erzürnt
schleuderte er seinen Dolch mit der Spitze gegen Himmel unter der
Drohung, er wolle dem Herrgott in seine linke Seite werfen. Der Dolch
blieb aus, fünf Blutstropfen (nach der Zahl der fünf Wunden Christi)
fielen auf die Scheibe des Spieltisches herab. Sie wurden noch frisch
aus der Tafel "gestochen, und sind bis heute dorten in der Kirche zur
Verehrung ausgesetzt. Schröter selbst wird unmittelbar nach seinem
Frevel von einem Wirbelwind in die Lüfte entrafft und geht verloren,
seine Mitgesellen werden mit Aussatz und Wahnsinn geschlagen. Ein
Geschick, das auch bei Homer dem gegen die Göttin die Lanze wer-
GOLD, MILCH UND BLUT. 419
fenden Diomedes geweissagt ist: „Der Thor! nicht hat er bedacht,
daß nicht lange besteht, wer selige Götter befehdet." Abgemalt zu
sehen ist Schröters Geschichte als das eimmdfünfzigste Bild auf der
Kapellenbrücke zu Luzern. Aber die Legende selbst datiert aus früherer
als aus der vorhin genannten Zeit, da schon i. J. 1499 Geiler von Kai-
sersberg zu Straßburg über sie gepredigt hat: „sicut ille, qui quum
in ludo amisisset, gladium versus coelum iecit et cruentatus decidebat."
Noch früher aber erwähnt ihrer des Thomas Cantipratensis Bonum univer-
sale de apibus, pag. 450, und viel alterthümlicher greift da der verlie-
rende Würfelspieler zu Bogen und Pfeil , worauf letzterer mit Blut
gefärbt aus dem Himmel zurückfällt. Ganz richtig verknüpft Wolf,
Beitr. 2, 16, mit diesen Schüssen die Absicht des Schützen, Wuotan
den Sturmgott zu treffen und durch den Schuß zu zwingen , weil
dieser der Schirmherr des Glückspiels ist und als wilder Jäger zu-
gleich Weidmannsheil verleiht. Allein noch allgemeiner verräth sich
dabei ein starrköpfischer Zauber- und Rachebraueh des Heiden und
des heidnisch denkenden Christen, wenn beide ihren Willen rücksichts-
los und sollte es auch ihr und der ganzen Welt Schaden sein, durch-
zusetzen gedenken. Es finden sich in der katholischen Bevölkerung
unseres Nachbarcantons Solothurn noch Spuren solcher Zauberversuche.
In einer Bauernfamilie des Dorfes D. hat sich die Zauberkunst vom
Vater auf den Sohn bis heute fortvererbt. Der jetzt Älteste dieses
Geschlechtes hat Nachfolgendes hierüber berichtet , obwohl nach län-
gerer Weigerung und erst nachdem die Weinflasche zugleich ihre
Wirkung srethan hatte. Um ein schweres Hauskreuz noch rechtzeitig
abzuwenden, oder auch um das Blut bei einer lebensgefährlichen Ver-
wundung zu stillen, nimmt man einen Halm vom eigenen Strohdach
in den Mund, tritt mit gezogenem Messer vor ein geweihtes Herrgotts-
bild und spricht: „Gott Vater, Sohn und hl. Geist sollen mich ver-
dammen! Jetzt, Teufel, nimm das Unglück hin!" Hiemit stößt man
die Messerklinge in das^Bild.
Es liegt dieser so entmenscht lautenden Fluchformel der uralte
Glaube zu Grunde, die hl. Dreifaltigkeit werde mit dem Teufel in den
Wettkampf eintreten um eine sich selbst verloren gebende Seele, es
müsse das tiefste Unglück eines hilflosen Menschen die Gottheit selbst
zum Eingreifen nöthigen ; und ferner spricht sich dabei der ebenfalls
begreifliche Aberglauben aus, der an Gottes Blut verübte Frevel müsse
das strömende Blut eines Schwerverwundeten augenblicklich erstarren,
also gerinnen lassen. Um die weiter drohenden Folgen kümmert sich
der allzeit kurzsichtige Frevler nicht, und so ist es gar nicht zu ver-
27*
420 E. L ROCHHOLZ
wundern, daß ganz derselbe Vorgang, aber mit einem ungeheuerlichen
Ergebniss, bereits im ahd. Muspilli erzählt ist. Elias und der Höllen-
wolf' streiten hier einen Wettkampf um den Besitz der auferstandenen
Seelen. Elias, unter dem des Donnergottes Gestalt verborgen ist, kommt
dazu aus den Gestirnen herab, fona himilzungalon ; der Riese Altfeind,
der Höllenwolf, der Urböse kommt aus dem Abgrunde, fona pehhe.
Der Sternen-Elias wird verwundet, und wir müssen uns hinzudenken,
dies sei durch einen gegen ihn empor geschleuderten Speer oder Pfeil
geschehen. Sobald der Altriese diesen Schuß gethan hat , bricht jener
Blut- und Glutregen los, der Alles und somit ihn selbst verschlingt.
Denn sobald des Elias Blut auf die Erde träuft , beginnt der Himmel
in Lohe zu kochen, fällt der Mond herunter, steht die weite Welt mit
Gebirg, Strom und Meer in Flammen, und nicht eher endigt diese
Vernichtungsscene, als bis ein doppeltes Göttergeschlecht hier zusammen
eingreift, ein heidnisches und ein christliches: denn von der einen Seite
her stößt der Wächter an der Regenbogenbrücke ins Giallarhorn, und
von der andern Seite wird das errettende Fronkreuz herbeigetragen,
woran der heilige Christ erhangen ward.
Von blutschwitzenden Tempelstatuen, worin man ein Vorzeichen
großer Gefahren sah , reden bekanntlich die Römer , aber sie wussten
eben so wenig einen tieferen Sinn daran zu knüpfen, als wir an unsere
ähnlichen Mirakelbilder. Vielleicht daß dies uns besser gelingt, wenn wir
noch etliche Legenden solcher Art hier kurz zusammenfassen. Ein
Hussite spaltet mit dem Schwert dem hölzernen Marienbilde das Haupt,
seitdem besteht zu Neukirchen die Wallfahrt zum hl. Blut. Schöppner,
bair. Sagb. Nr. 536. Oder ein Jude sticht mit einer Nadel in die ihm
verkaufte consecrierte Hostie, sie blutet und in zahllosen Kirchen wird
seither ein solcher Blutstropfen hergezeigt. In den schweizer. Media-
tionsunruhen schwitzt die Holzfigur eines Feldkreuzes Blut schon auf
die lügnerische Kundschaft hin , mit deren Ausbreitung man die poli-
tischen Gegner unterstützen will. Aargauer Sag. 2, Nr. 354. Zu Lands-
hut und in Markt Geisenfeld in öberbaiern gab es kirchlich oder giebt
es wohl noch zwei wächserne Heilandsfiguren blutschwitzend. Der Zweifel
behauptete von ihnen, sie seien hohl und mit rothgefärbtem Wasser
angefüllt, dies werde durch miteingeschlossene Goldfischchen in Bewe-
gung gehalten und tropfenweise durch die künstlichen Poren des Wachses
herausgetrieben. Wir wissen bereits, daß die mit solchem hl. Blute
veranstalteten Feldprozessionen, namentlich der Blutumritt in schwäbisch
Weingarten, Gelände und Gewässer mit Fruchtbarkeit zu segnen haben,
daher trifft das aus dem geschändeten Bilde rinnende Blut so oftmals
GOLD, MILCH UND BLUT. 421
zusammen mit der heiligen und profanen Speise , mit Broden und Fi-
schen, schließlich sogar mit baarem Gelde. Über Letzteres ein Beispiel.
Im Solothurner Dorfe Zuchwil hängt im Wirthshause zum Schnepfen
ein Christusbild, in das ein Spieler in Wuth über seinen Spielverlust
das Messer geschleudert hat. Alsbald nach diesem Frevel entstand hier
eine W allfahrt. Allein die Gantonsregierung bestrafte zugleich den
Schnepfenwirth , weil er etwa nicht zu rechter Zeit abgewehrt haben
mochte, um eine so hohe Summe, daß er sie nicht erlegen konnte;
er mußte daher alljährlich den Zins davon bezahlen. So gieng dies auf
seine Nachkommen über, bis sich diese seit dem Jahre 1854 durch
Abzahlung des Kapitals endlich von dieser Last befreiten. Nicht so
aber würde der Ahnherr dieselbe Servitut abgekauft haben, wTenn er
es auch vermocht hätte. Vormals hatte nämlich das Bild zu einer all-
jährlich wiederkehrenden Procession verholfen gehabt, durch deren Er-
trag dem Wirthe jene Strafsumme stets mehr als gedeckt wurde. Als
alter seit dem Jahre 1798 mit den Neufranken auch neue Ideen ins
Land einrückten, blieben hier die Wallfahrer aus; man fühlte an dem
Hausmirakel nichts mehr als die Last einer jährlich wiederkehrenden
Geldbuße und befreite sich gleichzeitig von ihr und von dem Hauswunder.
Schweiz. Illustr. Kalender, St. Gallen 1854, 112. Wie behilft sich nun
der moderne Verstand, wenn ihm solche bis auf unsern Tag reichende
und noch unter unserer eigenen Justiz gerechtfertigte Blutwunder be-
gegnen? Er sucht eine Moral dahinter, die für Alles passt und kein
Kopfbrechen kostet. Gott will, heißt es, dem Schänder seines Abbildes
mindestens es augenfällig machen , wie begründet die Verehrung sei,
die diesem Abbilde erwiesen wird; oder ein mehr nach der Urtheils-
weise des Protestantismus Verfahrender leugnet zwar das eben erzählte
Wunder des Gänzlichen, unterlegt ihm aber doch den Sinn des allge-
meinen Sittengesetzes, und gerade so findet es sich ausgesprochen in
Rückerts gesainm. Gedichten 3, 115:
Jäger gut !
Bewahr dein Rohr vor Ubermuth.
Schieß nach keinem Heiligenbild,
Obgleich aus ihm kein Blut nicht quillt.
Ziel nach keinem Himmelsstern,
Obgleich er steht dem Schuß zu fern.
Wenn auch dein Rohr nicht sündigen kann,
Sündhaft ist der Gedanke dran.
Obgleich sich derlei ganz artig liest, so ist doch eine solche
Deutung viel zu allgemein, und die ihr zu Grund liegende sittliche
422 E- L- ROCHHOLZ
Empfindung besitzt nie jenes schöpferische Vermögen, aus welchem die
erwähnten Volkssagen selbst entsprungen sind. Der wassergesättigte
Gips, gewöhnlich Mondmilch genannt, heißt beim Älpler Bergziger;
nicht bloß daß man diese milchig aussehende Erde früherhin häufig aß
und gleich der Milchspeise des Zigers zubenannte, der Entlebucher
Senne glaubt bestimmt, daß die Mond milch und die übrige Milch seiner
Herde dem günstigen Einflüsse des Mondes zuzuschreiben sei. Natur-
mythen, pag. 252. Zu derselben Anschauung führt der Volksglaube
mit seinem Hundert von Erbsätzen. Man darf, heißt es, mit dem Finger
nicht in den Himmel deuten, sonst greift man einem Engel ins Auge;
im Felde soll man den Heurechen nicht mit der Zahnreihe geo-en Himmel
legen, bei Tische das Messer nichc nach oben gekehrt, denn alles dies
sticht in den Himmel. Die Räuber legen beim Essen die Spitze des
Messers umgekehrt gegen sich ; der Jäger aber von sich , wie sich's
gehört. „Ich leg's wie ein Jäger," spricht er, „ihr aber legt's wie Spitz-
buben \" Grimm KM. 3, Nr. 105. Als man zu Anfang des Jahrhunderts
bei uns die Blitzableiter einführte , weigerte sich das Aargauer Land-
volk sehr dagegen und behauptete, damit wollten die französischen
Heiden und ihre neuen Anhänger dein lieben Gott nur die Augen aus-
stechen. Folgerichtig kehren sich diese Sätze auch um und lehren, wie
nützlich es sei, in der Gabe schon den Geber zu ehren , wTie man mit
der beobachteten Schonung des Himmlischen auch zugleich des Irdi-
schen schone.
Man soll die Milch nie mit einem schneidenden oder stechenden
Instrument umrühren, sonst empfinden die Milchkühe Schmerzen am
Euter, ergeben rothe Milch. Man soll die Milchsuppe nur einbrocken,
nicht aber einschneiden , sonst wird man zugleich mit der Brodschnitte
auch der Stallkuh „den Nutzen" die Milchergiebigkeit abschneiden.
Beim ersten Schnitt, den der Mann, welcher zugleich steinreich und
steinhart ist, zur theuern Zeit ins Brod thut, fließt Blut aus dem Laib.
Müllenhoff, schlesw. holst. Sag. pag. 145. Grimm, deutsche Sag. Nr. 240.
Märchen 2, pag. 552. Wolf, niederläud. Sag. Nr. 153. 362. 363. Selbst
wenn man das Vorbrod, sagt der bairische Bauer, ehe es recht gar
gebacken ist, übergierig aus dem Ofen nimmt, so blutet's beim An-
schnitt. Schöppner, bair. Sagenb. Nr. 882.
Aus dieser Zusammengehörigkeit der ersten unentbehrlichsten
Lebensmittel unter einander und mit den primitivsten Lebenskräften
folgerte man eine gleiche Abkunftsgesehichte derselben aus dem Himmel
und gab ihnen zusammen einen ähnlichen Grad der Heiligung. Aus
der greifbarsten Realität entsteht dann ein Symbol des Glaubens und
GOLD, MILCH UND BLUT. 423
des Rechtes für die Sippschaft und den ganzen Stamm. Hier werden
wir auf die Milch- und Blutsbruderschaft geführt. Einen Bund , sagt
Herodot 4, 70, machen die Skythen auf folgende Art, sie mögen ihn
machen mit wem sie wollen. Sie gießen Wein in einen großen irdenen
Krug, vermischen ihn mit dem Blute derer, die da den Bund schließen,
indem sie sich mit einem Messer stechen oder mit einem Dolch ein
wenig die Haut aufritzen. Sodann tauchen sie in den Krug ein Schwert,
Pfeile, eine Streitaxt und einen Wurfspieß. Und wenn sie dieses ge-
than, halten sie ein langes Gebet, sodann trinken die den Bund Schlie-
ßenden davon und auch die Angesehensten aus ihrem Gefolge. Eine
ähnliche Verbrüderungssitte der Tataren nebst den einschlägigen Bräu-
chen der Geten ist nachzulesen in Grimm's GDS. 136. Das Blut-
trinken bei den Germanen muß lange in Schwang gewesen sein, ohne
daß diese rauhe Sitte durch eine besonders erdachte Zuthat gleichsam
gemildert und zahmer gemacht worden wäre. Schon sind die Nibelungen
durch Feuer und Schwert überwältigt , allein zum Tod verschworen
bleibend, schöpfen sie Alle neue Kraft , indem sie an die Leichen der
Gefallenen niederknien und aus deren Wundenblut den Durst stillen :
da von gewan vil krefte ir etliches lip. 2054. Das Volkslied , welches
Afzelius, schwed. Sag. 3, 207, mittheilt, sucht denselben rohen Brauch
poetisch zu verschleiern. Der junge Ingemar und seine Geliebte Malfred
flüchten in die Marienkirche bei Näsum in Bleckingen , und gerathen
hier in dieselbe Nibelungennot, denn ihr Verfolger Lawmandsson lässt
die Kirche anzünden.
Das sprach der junge Ingemar am Altare bei der Glut:
Wir schlachten unsre Rosse und kühlen uns in ihrem Blut!
Ausdrücklich aber findet sich das Bluttrinken des Skandinaviers
abgeschafft. Nachdem der Held Örvarodd die räuberischen Wikinger
vertilgt hatte, fuhr er nach Svealand, um hier den muthvollen Hjalmar
vom Hofe Königs Ingwe zu bekämpfen. Nach mehrtägigem Fechten
schlössen beide Frieden und stellten zusammen diese Wikingsgesetze
fest: Niemals rohes Fleisch zu essen oder Blut zu trinken, niemals
Bauern und Kaufleute zu plündern , niemals Weiber zu bewältigen.
Diese dreifache Satzung beschwuren sie in folgender Weise nach dem
alten Herkommen der Milchbruderschaft. Sie schnitten einen breiten
Rasenstreifen los, befestigten die Enden in die Erde, erhoben ihn in
der Mitte auf zwei Speeren, traten beide darunter, schnitten sich eine
Wunde und ließen das Blut im Sande ihrer Fußspur zusammenfließen.
Darauf knieten sie und schwuren, wie Brüder ihr Schicksal zu theilen
und des Andern Tod zu rächen. Wedderkop, Bild aus d. Nord. 2,
424 E- L- ROCHHOLZ
39 ff. In solcher Fußspur erschaut alsdann der Milchbruder, wie es
dem Abwesenden ergeht, je nachdem sie sich mit Erde, Wasser oder
Blut füllt. Grimm, GDS. 137. Das hier abgeschaffte Bluttrinken
tauchte dann in halbskythischer Weise wieder auf den Universitäten
auf. Zu Helmstädt und Leipzig tranken einst die Hasen (sogen. Craß-
fiichse) Bruderschaft, indem sie ans dem aufgeritzten Arm etwas Blut
in den Becher rinnen ließen und diesen kniend leerten. Ein Überrest
hievon ist auch Folgendes: Wollen zwei Freunde einst in die Ferne
hin sich Nachricht von einander geben, so lassen sie in gegenseitig
gemachte Wunden Blut von einander träufen und diese verheilen; so
oft der Eine dann in die Narbe sticht, fühlt es der Andere, und die
Zahl der Stiche ergiebt ihm die Bedeutung. Schindler, der Aberglaube
1858, 165. Noch ist eine nun gleichfalls wieder veraltete Burschensitte
zu erwähnen; man schrieb sich mit eigenem Blute gegenseitig Stamm-
buchblätter; in den eigenen Reisestock schnitt man des Leibbursehen
Namen ein und röthete diese Zeichen mit eigenem Blute, oder statt
dessen röthete man später den in die Ziegenhainer geschnittenen Namen
mit Zinnober aus. Noch soll man das Blatt besitzen, auf dem mit sei-
nem eigenen Blute der große Baiernehui fürst Maximilian sich der
hl. Jungfrau verschrieben habe: „in mancipium tuum nie tibi dedico
consecroque, virgo Maria, hoc teste cruore atque chirographo Maximi-
lianus, peccatorum coryphaeus." Ich kenne jedoch die Quelle dafür nicht
und kann auch die Angabe nicht verbürgen, als habe dem spanischen
Philipp III. wegen einer bedauernden Äußerung, die diesem Monarehen
über zwei von der Inquisition zum Tode verurtheilte Franziskaner ent-
fiel, sein Beichtvater ein bißchen seines ketzerischen Blutes abzapfen
und gleichfalls verbrennen lassen.
Zu Fürth in der baierischen Oberpfalz ist der Drachenstich
ein alljährlich wiederkehrendes, mit mehrfachen Masken im Freien auf-
geführtes Volksschauspiel , bei dem die Georgenlegende den Verlauf
der Handlung ausmacht. Aus Reifen u. Leinwand wird ein Drachen-
leib zusammengewölbt, in dessen Innern der Todtengräber des Orts
dirigiert. Der gegen den Drachen dreimal ansprengende Ritter stößt ihm
zuerst den Speer in den Rachen, haut den sich Krümmenden dann mit
dem Schwerte, und hat beim dritten Anritt ein Pistol gegen ihn ab-
zufeuern. Was jetzt des Knalleffects wegen bis zuletzt verspart ist,
mußte ehedem die erste Angriffsweise und ein Pfeilschuß gewesen sein.
Wenn der Speerstoß des Reiters die in der Gaumenhöhlung verborgene
Blase nicht rechtzeitig trifft, so zieht irgend ein Metzgermeister sein
langes Messer und durchsticht dem Drachen das rindblasene Herz,
GOLD, MILCH UND BLUT. 425
so daß zur Freude des Volkes das Blut heraus springt. Begierig tauchen
die Bäuerinnen ihr Tüchlein darein, theilen dies in Stücke und stecken
es fetzenweise in die Felder zum Gedeihen der diesjährigen Flachssaat.
Auch als sympathisches Mittel dient dies Drachenblut „und ist eben
so gesucht, wie das Blut der armen Sünder bei Hinrich-
tungen." Dieses Volksfest soll zu Fürth seit den Pestzeiten bestehen;
wahrscheinlich war es die Metzgerzunft dorten gewesen , die dem ge-
miedenen Orte als Todtengräber zu Hilfe kamen , wie ja auch bei der
Münchner Pest die Metzger und Scheffler sich zuerst wieder auf die
verödeten Straßen heraus wagten , den daselbst hausenden Drachen
erlegten und zum Gedächtnisse daran jetzt noch dorten das Brunnen-
springen und den Schefflertanz abhalten. Vgl. Holland, Gesch. d. altd.
Dichtkunst in Bayern, S. "636. Somit ergiebt das an beiden Orten ver-
gossene Drachenblut hier frisches Ochsenfleisch und neu «;ebunclenen
Wein, dorten Flachswuchs und Körperstärke. Zuletzt darf dabei auch
das Brod nicht mangeln. Dies bringt jener von St. Clemens, dem ersten
Heidenbekehrer Lothringens, zu Metz erlegte Drache herbei, den man
daselbst den Graoulli nennt. Wenn alljährlich dieses riesige Drachen-
bild durch die Straßen geführt wurde, so hatte jeder Bäcker der Stadt
die Verpflichtung, dem am Hause vorbei ziehenden Thiere die lange
Stachelzunge gänzlich mit Weißbroden zu bestecken. Alles zusammen
wurde den Stadtarmen ausgetheilt. Hievon handelt Hockers Schrift:
Die Mosel, und zugleich ein brieflicher Bericht von A. Stöber in Mül-
hausen, an den ich die Bitte richte, hiefür meinen besten, freilich schon
verspäteten Dank hier entgegen zu nehmen.
Wenn nunmehr noch der Rechtssage vom schreienden Blute und
den Satzungen der Blutrache Grund und Zusammenhang mit dem
Bisherigen zugewiesen sein wird, so hat damit die vorliegende Arbeit
ihr Ende erreicht.
Die Kirche nennt solche Sünden himmelschreiende , welche dem
uns eingebornen Rechtsgefühle widersprechen, das, wie der Blutumlauf
in den Adern, in jedem Menschenherzen sich von selbst bewegt. Man
zählt solcher Sünden viere: Arme unterdrücken, Waisengut erpressen,
den Nachbar sittlich zu Grunde richten , dessen Blut vorsätzlich ver-
gießen. In der letztgenannten Sünde sind eigentlich die drei ersten
miteingeschlossen. Unschuldig vergossenes Blut hat eine Stimme , es
redet, Abels Blut schreit gegen Himmel, aus Blutstropfen rufen in Märchen
und Sage Menschenstimmen. So wird denn das Denk- und Sprach-
vermögen der Seele überhaupt gänzlich auf das Blut übertragen. Odys-
seus giebt den Schatten im Hades Blut zu trinken, damit diese Eidola
426 E- L- ROCHHOLZ
wieder beseelt, erinnerungs- und redefähig werden. Bevor sie den
Bluttrunk genossen haben, vermögen sie nur schwirrend sich kund zu
geben, wie es ein stehender Zug aller Gespenstergeschichten ist, daß
das Gespenst auf unsere erste Anfrage nicht zu reden vermag, son-
dern bloß mit stummen Seufzern verschwindet. Alle schon entthronten
Götter, alle schon verstorbenen Menschen leiden an diesem Blutmangel;
zum Ersatz muß ihnen daher das blutige Opfer eines Thieres oder
Menschen gebracht werden. Allem Glauben an Vampyrismus, mit dem
schon die Hellenen sich trugen und jetzt noch besonders die Südslaven,
liegt die Empfindung zu Grunde, der Verstorbene, des Blutes entbeh-
rend, verlasse sein Grab , um dem Lebenden Blut aus dem Leibe zu
saugen. Hexen sind alt und blutleer, darum trifft auch sie der Vorwurf,
daß sie Kinder schlachten. Wenn der Hellene den chthonischen Gott-
heiten keine blutigen Choen mehr opfert, sondern nur noch Trankopfer
von Wasser und Wein, so sind sie eben dadurch antiquierte Götter,
die Herrschaft ist ihnen entzogen und nun ihren Regierungsnachfolgern,
den Olympiern, gesichert. Dasselbe Schlachtopfer, das dann noch den
anerkannten Unterirdischen verbleibt, verbleibt auch noch dem Teufel:
Schwarzer Hund, Bock, Stier und Schwein werden der Hekate, den
Eumeniden u. s. w. geschlachtet. Der Teufel, nicht minder ein ge-
stürzter Engel, leidet an einem ähnlichen Blutmangel, und geizig besteht
er auf dem einen Tröpfchen Blut des Menschen, der sich zu ihm in
ein Schutzverhältniss begeben will. Göthes Mephisto sagt ja:
Blut ist ein ganz besondrer Saft,
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blute.
Hat der Todte kein Blut, liegt aber im Blut die Seele, so ist es
die Pflicht des Überlebenden , ihm diesen Mangel zu vergüten , und
zumal wenn er unschuldig den Tod erlitten hat, ihm sein Bluträcher
zu werden. Von der germanischen Blutrache sind ausgenommen und
befreit Geschwister gegen Geschwister, denn so verlangt es das Natur-
gesetz der Blutstreue, welches als erstes vor jedem andern gilt. Erst
wenn einmal Geschwister die Sippschaft brechen und Brüder sich be-
kriegen, erst dann wird bei so unerhörtem Frevel , wie die Edda aus-
drücklich sagt, der Untergang der Welt heran nahen. Denn nicht der
Tod war das Härteste und Schrecklichste für den an Wunden gewöhn-
ten Deutschen, sondern das Aufgeben der Sippe. Bekannt ist, wie jene
Stelle vom Abhauen des Fußes und Ausreißen des uns ärgernden
Auges (Matth. 5, 27) im altsächs. Heliand dahin übersetzt ist, man
solle lieber von seinem Freunde und Stammgenossen lassen, als mit
ihm vereint in Sünde willigen. Obenan steht im Gesetze die Erfülluno:
GOLD, MILCH UND BLUT. 427
der Sippschaftspflichten, aber deren erste Folge ist dann das Gebot
der Blutrache. Das Rachegelübde , das der Bataver Civilis gegen die
Römer schwört, das die Chatten bei Tacitus ablegen (Germ. 30) und
die 6000 Sachsen (bei Paul. Diaconus) gegen die Schwaben, lässt nicht
den geringen Aufschub zu, erst noch die Hände zu waschen, die Nägel
zu schneiden, die langen Haare zu kämmen und in Locken zu schürzen,
ein Kleid zu wechseln, bevor der Feind und Todtschläger darnieder
liegt. Hilde erweckt jede Nacht die erschlagenen Hedninge auf der
Walstatt durch Zaubergesänge, damit sie die unentschieden gebliebene
Schlacht von neuem ausfechten; denn Blut fordert immer wieder Blut.
Und dieser Kampf, sagt Skaldaskaparmal , soll fortwähren bis zur
Götterdämmerung, d. h. bis zum jüngsten Tage soll die Blutrache den
Odhinnsdiener nicht ruhen lassen.
Längst ist dieses furchtbare Gesetz untergegangen, gleichwohl
bricht es noch allenthalben in der Empfindung und Erinnerung durch.
Die Spuren rechtswidrig vergossenen Blutes lassen sich von keiner
Mauer abwaschen, z. B. das Wallensteins in Eger; sie schlagen unter
jeder Tünche frisch hervor. Von Conradins Tode zu Neapel gieng die
Sage, ein Adler sei vom Himmel herabgeschossen, habe seine Fittiche
durch das Blut des Enthaupteten gezogen und sich damit wieder in
die Lüfte geschwungen, Blutrache drohend; auch die Wände der Ca-
pelle, welche über jene Hinrichtungsstätte erbaut wurde, seien beständig
feucht geblieben. H. Holland, Bayerns altd. Dichtkunst, 540.
Todschlag konnte zwar später mit Geld abgekauft werden, so daß
nur der mit Blut bezahlen mußte, der keinen blutigen Heller mehr hatte,
also nicht mit Gut bezahlen konnte. Aber man weigerte sich dieses
Ersatzmittels; ich will, sagte der Vater, dem der Sohn erschlagen war,
meines Sohnes Seele nicht im Geldbeutel tragen. Und so hatte die am
Mörder vollzogene Todesstrafe darin ihren rechtlichen Begriff, daß für
das vergossene Blut des Ermordeten dasjenige des Mörders zum Ersatz
dienen sollte. Blut an die Pfosten des Wohnhauses gestrichen, bezeich-
nete beim Hebräer schon eine neuerdings zum Leben bestimmte Stätte;
an ihr gieng der Engel, der die Erstgeburt schlägt, unschädlich vor-
über. Auch befiehlt Moses sowohl für den Todschläger, der eine Seele
unversehens und unwissentlich schlägt, als auch für den Bluträcher
selbst, Freistätten zu errichten, dahin er fliehen möge und nach Vollzug
der Rache nicht noch durch die Sippschaft seines Gegners sterben müsse.
Die deutsche Satzung verfügt Ähnliches. Dem durch das Gesetz Hin-
gerichteten kommt kein Bluträcher mehr zu, Niemand aus seiner Sipp-
schaft darf seinen Tod „afern. a Damit ist der Familie des Erschlagenen
428 E. L. KOCHHOLZ, GOLD, MILCH UND BLUT.
und des für den begangenen Todschlag Hingerichteten die Ausübung
der Blutrache entzogen, und wie es im Alten Testamente heißt: „Mein
ist die Hache, spricht der Herr," so ist hier Alles dem im Namen
Gottes waltenden Gerichte übergeben. Dieses wurde nun selber die
Verkörperung des um Rache schreienden Blutes ; die Richter mußten
nämlich einen flüchtig gewordenen Mörder an drei Gerichtsstätten zu
dreien malen verschreien, oder man veranstaltete, wenn der gemuth-
maßte Mörder sich stellte, jedoch die That leugnete, das Bahrgericht.
Dieses stützte sich auf die Voraussetzung, daß beim Erscheinen des
Mörders vor der Leiche des Ermordeten diese von neuem aus den
Wunden Blut ausschwitzen oder aus dem Munde schäumen sollte.
Man erwartete, wenn der Mörder den verlangten Reinigungseid mein-
eidig ablege, so werde das in der Leiche stockende Blut unter Mit-
wirkung der Gottheit sich empören und neu aufwallen. Das Blut kreucht,
wo es nicht hingehen kann , sagt ein niederdeutsches Sprichwort. Es
konnten Gährungsausbrüche des sich zersetzenden Blutes wirklich er-
folgen, die man für ein Ausbrechen frischen Blutes hielt, wie denn aus
dem Munde Erstickter unter wiederholtem Schäumen Klumpen schwarzen
Blutes hervorgestoßen werden. Aber auch auf künstliche Mittel verfiel
man. Der Beklagte mußte die Wunden mit einem wollenen Meißel,
mit einem Pfropfen aus Schafwolle und ähnlichen Reizmitteln auf Befehl
auffrischen, um sehen zu lassen, ob nicht mindestens Blutwasser fließe.
Oder mit nackten Füssen, vom Henker am Stricke gehalten, mußte er
über die am Boden liegende Leiche hinüber schreiten. Hier steigerte
sich die Angst und erpresste unfreiwillig das Geständniss. „Denn wo
du für gericht solt komen und die weit sampt deinem eigen gewissen
dich überweisen kan deines unreinen lebens, so wird dir bald das blut
unter äugen schießen." Luther 6, 61 in Grimms Wb. 2, 171. War das
Bahrgericht unmöglich gemacht durch Verwesung der Leiche oder
durch Zerstückung und Verschleuderung, so behalf man sich mit einem
Wahrzeichen von ihr; ein einzelner Knochen wurde zu Gericht gebracht,
die Mordklage angehoben und der Reinigungseid unter den gleichen
Vorbereitungen auf das bloße Knöchlein abgelegt. Auch dieses sollte
den Meineidigen auf der Stelle mit Blut überspritzen.
Hier muß ich für diesmal der Arbeit eine Schranke setzen. Die
Rechtssag' n selbst vom Bahrrecht und vom klingenden Knochen
wünsche ich unter dein Titel „Der Ersatzknochen" in diesen
Blättern später mitzutheilen.
429
ZU HARTMANNS EREK
VON
FEDOR BECH.
Durch die eindringliche und überzeugende Kritik, welche in diesen
Blättern gewagt hat, den von Lachmann und Haupt aufgestellten Text
des Erek nach verschiedenen Seiten hin zu beleuchten , ist der freien
philologischen Forschung unlängst ein Feld zurückerobert worden, das
lange Zeit hindurch nur wenigen zugänglich , vielen sogar unantastbar
scheinen mochte. Wie viel es hier noch zu arbeiten giebt, was noch
weggeräumt, was noch aufgebaut werden muß, ehe das genannte Ge-
dicht in sprachlicher Beziehung auf gleiches Niveau mit den übrigen
Werken Hartmanns von Aue gebracht ist, davon liefern auch die kürz-
lich von W. Müller gegebenen Beiträge einen sprechenden Beweis.
Mit Anschluß an dieselben hat der Unterzeichnete gleichfalls versucht,
einen Theil seiner Wahrnehmungen und Vermuthungen auf diesem neu
erschlossenen Gebiete der Öffentlichkeit zu übergeben. Der Text jener
einzigen und noch dazu aus einer so späten Zeit stammenden Hand-
schrift des Erek hat auch nach der Läuterung und Sichtung, die er
in jüngster Zeit von bessernden Händen erfahren hat, immer noch
ziemlich viel Stellen aufzuweisen , in welchen man Sprachformen einer
weit spätem Periode vermuthen darf. Beispielsweise sei hier auf die
Bezeichnung der Negation hingewiesen. An nicht wenigen Stellen ge-
nügte dem Schreiber und seiner Zeit (16. Jahrh.J das bloße nicht; das
mhd. ne (en-, -n) ist ihm schon nicht mehr verständlich, daher äußerst
oft entbehrlich geworden. Ganz dasselbe geschieht seitens der Jüngern
Handschriften aus der nämlichen oder nächst vorhergehenden Zeit im
Iwein und im Gregor, und zwar in nicht wenigen Fällen, in denen die
vollgiltigern Zeugen der altern, Hartmann näherstehenden Ausdrucks-
weise einstimmig widersprechen. Nicht minder verdächtig ist der Ge-
brauch solcher Superlativformen , die erst in der späteren Zeit des
Mittelalters allgemeiner zu werden beginnen , wie z. B. schcenste liebste
tiurste jüngste, für welche die bessern Handschriften in den andern
Gedichten Hartmanns nur schceneste liebiste tiurisie jängeste aufweisen.
Auf diese beiden beispielsweise hervorgehobenen Punkte ist im Laufe
der hier folgenden Untersuchung erst jezuweilen Rücksicht genommen.
Eine umfassendere Besprechung dieser und ähnlicher Fragen mag einer
spätem Zeit vorbehalten bleiben.
430 FEDOR BECK
21. Si bat in deir da bi ir tioelte.
ein juncfrowen at ur: weite].
Die Handschrift ist ohne Noth verändert. Warum nicht si bat in
da bt ir tweln. Ein rnaget (froicen) begunde si uz weht? oder ein juncfrowen
begund si wein ? Maget erscheint auch v. 47, ist überdieß im Iwein von
den Schreibern öfter mit juncfrowe vertauscht.
34. Diu ist hünigin über daz lernt]. Bezeichnender wäre diust kü-
nigin über diz lernt; vgl. 3785 ich bin diss landes herre.
46. Sme weste war nach si rite]. Für Hartmanns Zeit genügt war
vollkommen, nach scheint Zusatz des Schreibers; vgl. 3516, 5289, 9588.
51 — 53. Daz getwerc werete ir den wec
(daz sach diu künegin unde Erec)
daz ez st mit der geisel sluoc].
Vielleicht ist die Parenthese zu tilgen und zu schreiben : eh gesach
diu u. s. w.
56 — 57. ze siner missewende
daz st mal davon geivan].
Das siner kann eine misverstandene Abkürzung sein für sogetemer,
vgl. 7754 und 7948, oder es ist seiher dafür zu schreiben.
66. der ritter weer kein frum jnan] Cod. nit ein statt kein; daher
wohl angemessener enweer kein (dehein) ; auch V. 125 ist ich wayß nit
vom Schreiber gesetzt für ichn weiz.
87 — 90. ir stt niht wise Hute
daz ir so vil Mute
gefräget von mime herren :
ez mac iu wol gewerren].
Ich vermuthe : im sit niht u. s. w. und dann , da ich für einen Ge-
nitiv nunes herren nach f lägen (wie im Biterolf 10696, Walther 98, 27)
aus Hartmann keinen passenden Beleg aufweisen kann,
daz ir gefräget hiute
so vil von mime herren.
97 — 98. mit der geisel ez in sluoc,
als ez der maget hete getan].
Sollte nicht der Zeit und dem Gebrauch Hartmanns entsprechender
die maget stehen? tuon tritt bekanntlich gern, zumal in so eng an-
geschlossenen Nebensätzen , die wie hier mit als eingeleitet werden,
in die Stelle und in die Construction des vorhergehenden Vollwortes,
vgl. 990, Iw. 1379, 8096 und Ben. Wort. z. Iw! S. 444. Die von Haupt
angeführten Beispiele treffen insofern nicht zu, als in V. 294 der Dativ
durch die passive Form des Zeitwortes bedingt ist, in V. 1012 aber
der Satz selbständig dasteht.
ZU HARTMANNS EREK. 431
347. man sol dem loirte hin
sinen willen, daz ist guot getan'].
Glatter lauten die Verse: man sol nnen willen län \ dem wirte, daz ist
guot getan. Über die Sache vgl. Ulrich von Z. 6333 ich warn ez noch
ein site si daz man den wirten nach giht und Parz. 458, 22 iuiver zuht
iu des niht giht, daz ir stritet wider deheinen wirf.
369 folg. erinnert an eine ähnliche Art zu schildern im Gregor
3209—3231. Nur scheint hier nicht Alles in Ordnung. So fällt beson-
ders auf V. 372: dem daz golt was unerlogen; ich verrnuthe : den da gezalt
was unerlogen , daz etc.
446 — 448. den toirt er fragen hegan
waz der schal von den Hüten
mähte bediuten].
Auch hier scheinen die Worte verrückt zu sein. Ursprünglich war
wohl die Stellung die : waz der schal bediuten | mähte von den Hüten.
502. mit mim orse hin ich ivol geriten]. Sollte sich mim nicht
streichen lassen? Vorher steht ohne Artikel — V. 498 — umh isen-
gewant, und diesem ist dem Gedankengange nach absichtlich mit orse
gegen libergestellt.
533. iuwer rede ist vil verläzenlicJi]. Über verläzenlich = ausge-
lassen, frech, zuchtlos, gesetzlos, für welches Lachmann vrevellich ver-
muthete, vgl. Specul. eccl. 54: die haiden die verldzliche lebeten äne e;
Fundgr. 1, 93, 10 : die verläzenliche tage die sint vervarn, die gehalten-
liche tage sint uns komen; Walth. v. Rheinau 28, 57: Maria pflag keiner
Ungezogenheit mit keiner lachenlicher getät diu verläzenlichen stdt; Anz.
für Kunde d. D. Vorz. 3, 175: verlezenlichen (d.i. nachlässig, salopp,
unzüchtig) gebunden lacke machen und ander verlezenliche dinc; Joh. Rothe
in des rätis zucht 971: biwilen ouch ein guoter muot also vorläzlichen tuot;
Keller Erz. 608, 33 : wo ein iciplich ivip ist alle stunt in schäme und in
bescheidenheit und nicht virlastlich (?) sich dreyt; Rulman Mersvvin S. 30:
sich an, wi si gönt so gar unpfeftiche und so gar färlezenliche mit iren
cleidern.
566. da bit ich mir so helfen got] ja statt da? vgl. übrigens über
diese Ausdrucksweise 1. Büchlein 1423 folg-
704 — 706. sine icelle diemüete jehen,
ez muoz under uns beiden
diu ritter schaft scheiden\.
Die erste Zeile rührt von Lachmann her. Was sie ausdrücken soll, ist
auf den ersten Blick nicht recht klar. Dem Zusammenhange nach könnte
sie bedeuten : im Falle daß oder wo sie {iuiver friundinne ?) sich nicht
432 FEDOR BECK
für besiegt erklärt, nicht zurücktritt. Aber diemüete jehen in dieser Be-
deutuno: scheint im nihd. unerhört. Viel natürlicher ist das, worauf die
Hs. selbst leitet: sein wellen die leute jehen; dies lässt sich so herstellen :
esne ivellen iu die Hute jehen , d. i. es wäre denn daß euch die Leute
den Preis zugestehen wollten.
734 folg. siniu sper warn gevärwet wol:
er was gezimieret:
sin ros was gezieret
mit richer covertiure].
In diesen und den folgenden Versen vermisst man unter den Waffen,
die bei Yclers genannt werden, den Schild umsomehr, als derselbe
gleich unten V. 746 , wo die "Waffen des Gegenkempen beschrieben
werden, nicht vergessen ist. Sollten die darauf bezüglichen Verse aus-
gefallen sein ? oder ist statt er was gezimieret zu lesen : sin schilt ge-
zimieret ?
866 folg. si bede sputen ein spil
daz lihte den man berouhet,
der fünfzehn üf daz ho übet.
ouch ivurdens eteswenne gegeben
beidiu da für und ouch da eneben].
Wir haben hier die Schilderung eines nitspils unter dem Bilde eines
topelspils. Verschiedene dem Spieler eigentümliche Kunstausdrücke
(zabelwort, zabehcörtelin) sind auf das Kampfspiel hier übertragen.
(Außer andern Stellen vergleiche hierüber besonders Eraclius 4791 folg.)
Dadurch erhebt sich die Darstellung über das gewöhnliche Maß und
wird nicht wenig schwierig zumal für die, denen die Anschauung fehlt
von der Art und den Regeln des gedachten ßretspiels. Schon der
Schreiber ist offenbar dadurch irre geworden; mindestens scheinen die
von Pfeiffer gegen den dritten der oben angeführten Verse erhobenen
Bedenken vollkommen gerechtfertigt, sowie für mich dessen Vermuthung,
daß in fünfzehn die erste Silbe aus wurf verderbt sei , sicher steht.
Aber auch das Wort betoubet steht ziemlich unsicher wegen des man-
gelnden Objectes (vgl. dagegen 1580, 2052). Ich vermuthe daher:
daz lihte den man betoubet,
des (sc. des spils) ivürfe gent üf daz lioubet.
Vgl. Parz. 573, 1: nü was im sin houbet mit würfen so betoubet; Erek
770: er sluoc im den schilt an daz houbet, da von wart er betoubet;
5733: du icas er so betoubet, | daz im daz 'houbet | vor den filezen
nider kam; 9122: daz den kampfgenozen wurden ir houbet vil s&re
betoubet.
ZU HARTMANNS EREK. 433
877 folg. ir ietwederre loolt ez läzen,
wan dem ivcere verwdzen
beidiu sin vre und ouch daz leben].
Der Zusammenhang verlangt : ir deweder emooltez läzen, wand im wcere
verwdzen u. s. w. Keiner der Kämpfenden wollte vom Kampfe ablassen,
weil Ehre und Leben auf dem Spiele stand. Daß jeder von ihnen ge-
wünscht hätte vom Kampfe erlöst zu sein, wäre ganz gegen Helden Art,
ja widerspräche durchaus dem Charakter Ereks, den der Dichter sagen
lässt V. 8526 folg. : got hat wol ze mir getan, daz er mich hat gewiset her,
da ich nach mmes herzen ger vinde gar ein wunschspü, da ich lätzel wider
vil mit einem würfe wagen mac, und ebenso V. 4398 — 4402.
883 folg. Die kampflustigen Helden setzen ihr Spiel so lange
fort bis in der geböte zeran
so sere daz die zwene man
muoden begunden.
si mohten noch enkunden
ir swert mit kreften niht gewegen
noch die arme also geregen
als si taten unze dar].
Die Änderungen Haupts scheinen mir überflüssig. Die drittletzte und
die vorletzte Zeile lauten in der Handschrift: ir mit kreften niht gelegen
noch die arme also erwegen. Der Leser muß sich erinnern, daß der
Dichter kurz vorher sagte : der geböte in zeran , d. h. sie hatten wie
Spieler fast nichts mehr einzusetzen, beinahe alle ihre Kraft verspielt, —
sowie daß einige Verse früher es hieß: da wart vil manec gebot geleit
und dem ein widergelt geseit. Demnach sind die Worte: si mohten noch
enkunden \ ir mit kreften niht gelegen als ein Spielerausdruck zu fassen :
sie konnten mit (von) ihren Kräften kein Gebot mehr thun; das ir auf
das vorhergehende geböte zu beziehen, kann unmöglich schwer halten.
Vgl. übrigens Willen. 427, 26: diu gebot an solchem topelspü kund er
wol strichen unde legen.
922 folg. daz witzige unde tumbe,
die stuonden dar umbe,
mit nihte erkiesen künden].
In der Hs. findet sich die erstunden ; daher wohl angemessener mit
folgender Wortfolge: die der (dar) stuonden umbe. Vgl. Iwein 7390: allez
daz der ist', Lanzel. 3352: da zoum in der der frum si; Trist. 175, 38:
und anders niemen der der ist; mlid. Wb. ], 304b, 14 folg.
941 — 942. doch jener die besten würfe zcarf
der kein zabelcere bedarf].
GERMANIA VII. 28
434 FEDOR BECH
Nach Hartmanns Sprachgebrauch würde man in einem dem Superlativ
zur Verstärkung beigegebenen Satze wie hier ein ie oder eine dem
ähnliche Umschreibung vor kein (dehein) oder vor bedarf ungern ver-
missen. Solche Sätze sind z. B. 1307, 2010, 2158, 2480, 3138, 3621,
3976 u. s. w. In der Hs. ist dieses ie vom Schreiber einige Male über-
sehen. So noch 1626: daz man in noch zalt ze einem dem tiursten man \ derie
stat da gewan ; lies : zeinem dem tiuresten man \ der ie stat da geivan ; ferner
1740 folg.: da ivas dehein man,
ern begunde ir für die schcensten jehen
die er ha'te gesehen,
welche Verse wohl (Wackernagel: zer statt für die) so lauteten:
da enwas dehein man
ern begunde ir zer schcenesten jehen
die er ie luvte gesehen.
Vgl. 1306. Derselbe Fehler scheint im Gregor 1335 — 36 zu stecken:
ir habt daz süezeste leben | daz got de)1 werlde hat gegeben, lies: ie hat
gegeben; ferner 2. Büchlein 59: von dun süezisten lone j den diu werlt
geleisten mar., lies: ie diu werlt; und V. 68 ebendaselbst: für daz aller-
beste ritters leben \ daz got der werlte hat gegeben, füge ie nach werlte hinzu.
Man vergleiche noch die Bemerkung Lachmanns zu Iw. 1316; auch
Iw. 4066 muß es wohl mit Bb. heißen: den ich dö lebende weste.
962. da mäht mich wol b? leben läit) in der Hs. stund beleiben statt
blieben; dieß lässt aber eher In libe vermuthen. Vgl. 6584: wt mir vil
armen wibe, weere min geselle bi libe.
1047 folg. da tet im sin unzuht so wol
daz man ims Ionen sol].
Der Sinn dieser Worte fällt auf. Vielleicht ist zu lesen :
da t03te im iuwer zuht so wol,
daz man ius gelonen sol,
d. h. da wäre ihm eine Lection, eine Züchtigung von Euch so gesund,
daß u. s. w. In der Hs. belonen ; über zuht in dieser Bedeutung vgl.
noch 5415 und 5472.
1051 — 52. ich wil von disem Kunde ein phant,
duz ist niht wan sin hant].
Die Hs. : ich teils disem liun.de geben ein phant; dies macht wahrscheinlich,
daß der Schreiber geebiu phant oder ein geebez phant vor sich hatte.
Auch scheint ich wil nicht zu passen, da Gawein vorher sagt: ich icil
mich uz der ahte lau, ez soltz der mag et niht haben getan. Entbehrlich ist
disem hunde. Demnach schlage ich vor:
joch (oder ouch) wil si ein gwhez phant
ZU HAKTMANNS EREK. 435
oder joch wil si von im gcebiu phant,
daz ist niht wan sin hant.
1064 folg. er hiez ez zwcne knehte
uf einen tisch recken
unde wol durchstrecken
mit guoten spizholzen zw ein].
Natürlicher scheint mir : uf einen tisch strecken \ unde wol durchrecken.
Über den seltenen Ausdruck recken, durchrecken, zerrecken = foltern
(Schindler 3, 40), prügeln, durchwalken, vgl. Ges. Abent. 1, 147, 450:
man hiez in vor dem tische \ die knehte nider strecken, \ mit knütieln durch-
recken (Wien. Hs. mit sieben uf in lekken) = Kolocz. 257. 455; Ruother
4289: er hiez di spilman mit den zugew eichen*) stoben vaste recken
unde slän; v. d. Hagen MS. 3, 187a, 4: si sach im da den balc zerrecken
(; ecken). Über strecken sieh kulm. Recht ed. Leman S. 155: ist daz her
siege vordinct hat, der richter der sal in heizen vor sich strecken und sol im
heizen slän alse vil siege u. s. w.
1083. in ir gwalt sult ir iuch ergeben]. Besser wird der Vers, wenn
man geben für ergeben setzt; vgl. Iwein 6792: der muosc sich in iedoch
gar in ir genade geben, wo einige Varianten gleichfalls ergeben haben.
1 179. da vert er sam er rite]. Vielleicht ja vert er u. s. w. Ebenso
3590 : ja (cod. da) ist ez doch niht getan gar äne sache. Über diese Ver-
wechselung sieh die Varianten zu Gregor. 2362 und 2400. Auch Erek
9604 hieß es wohl : ja hat statt ez hat.
1335 folg. do bat in der herzöge Imain
daz er die naht geruohte sin
mit im durch alle minne
mit siner friundinne].
Gewiss angemessener bi im für mit im; nachher heißts mit Bezug hierauf:
sxt ir bi mir niht wellet sin, so sullen ivir bi iu besten.
1422 folg. und wizzet tool daz vordes nie
in der werlde kein man
schamer phert nie geivan].
Das doppelt gesetzte nie ist sehr auffällig; an der zweiten Stelle scheint
es Zusatz des Schreibers , um die Silbenzahl des Verses zu mehren.
Stund etwa hier und V. 3572 pherit? vgl. mhd. Wb. 2, 482 und Iwein
3600. Derselbe Fehler ist Erek 3463 : daz ir nie dehein groz ungemach \
von den rossen niene geschach, wo das erste nie zu tilgen ist. In V. 1999
*) Über dieß Wort sieh mhd. Wb. 3, 617a; füge hinzu Keller, Erzähl. 452, 5:
da quam ein scharpfe nunne herte und bracht ein zugewaiche gerte.
28*
4.,,,(; PEDOB BECH
ist nie man für nie kein man zu lesen , wie 4953 nieman für nie nieman
mit Wackernagel.
1504. ortch luden si ez vernomen). Deutlichkeit und Zusammenhang
verlangen si ez e oder siz e statt se ez, vgl. 1754.
1548 folg. der (sc. roc) was ein grüener sarmt,
mit spannebreiter liste,
da si sich in briste,
mit gespunnem golde
beidenthalp so man sohle
von ieiwederre hende
an der siten ende].
Die drei letzten Verse scheinen, wie das unter dem Texte vermerkte
Fragezeichen andeutet, dein Herausgeber nicht recht klar gewesen zu
sein. Aus der Vergleichung verwandter Stellen hat sich mir Folgendes
ergeben: Der Rock Enitens bestand aus einem grünen Sammt mit
spannebreitem Saume; in diesen Rock schnürte die Königin Eniten ein
(lies si sin statt si sich in im dritten Verse) mittelst goldener Schnür-
faden ; das Schnüren fand auf beiden Seiten statt, stieg also von dem
Unterende der Ärmel in die Höhe und lief an den Seiten des Gewandes
rechts und links wieder herab bis zum Ende des Saumes; daher Erek
8238 folg. : dehein ermel noch ir site ivas in niht gebriset (lies : enwas in
gebriset). Über gespunnen golt vgl. Athis u. Proph. S. 92, lb'0 und
S. 94, 44 und Wigamur 4467, Loherangr. 2462; an unserer Stelle ist
damit wohl der brisvadem gemeint. Vgl. Haupt z. Konr. v. Haslau 93.
1568. da: geville härmin}. Für geville, welches außer im Erek
(sieh V. 1957 und 1987) nur noch bei spätem Schriftstellern auftritt
(mhd. Wb. 3, 294b), hat Ulrich von Z., der seinem Wortschatze nach
große Übereinstimmung mit Hartmann im Erek zeigt, nur inville, sieh
Hahn zu Lanz. 5740 , 8865. Dieselbe Form steht im Ruother 1853,
sowie, was im mhd. Wb. übersehen ist, in den Sumerlaten 33, 75: amphi-
bulus inville vel manstmga. Hiernach wäre es nicht unmöglich, daß die
jetzt im Erek erscheinende Form vom Schreiber herrührte.
1870. zuo der rnäze und dannoeh me\. Deutlicher: ze der rriäze =
in diesem, solchem Maße, denn diese Auffassung verlangt der Sinn
der Stelle; ebenso würde man V. 1925 ändern können ; vgl. auch 2293:
zuo der mdze so si sohle, vielleicht: ze der mdze als si sohle?
1 883. von dem da im leit geschiht]. Etwa : wand im dehein leügeschiht f
1974. genant toas einer Coin
und der ander Goqfilrtrt].
Der Vors gewinnt, wenn man das entbehrliche und streicht.
ZU HARTMANNS EEEK. 437
2030 folg. ir iegllcliem üf der hant
ein schamer habech setz,
sehs müzer (?) oder baz\.
Sechs Maußerfalken auf einmal und noch einen Habicht auf der Hand??
das scheint des Guten zu viel. Uberdieß kann müzer, das selbst ent-
weder einen valken oder habech oder sparwecre bezeichnet, vgl. die lehr-
reiche Bemerkung Beneckes zu Iwein 284 , so allein nicht dem habech
beigeordnet werden. Einen ähnlichen Fall in V. 1965 hat Pfeifler be-
reits glücklich beseitigt*). Daß noch sehs müzer neben dem einen Ha-
bicht gemeint worden seien, wird auch im Folgenden durch V. 2038
und 2061 nicht gerade wahrscheinlich, wo nur eines Habichtes gedacht
ist, mit dem sich jeder für die beize versehen hat. Mit Hilfe der Hs.,
welche maufie statt des von Haupt in den Text gesetzten müzer hat,
vermuthe ich: sehs müze alt oder baz , oder von sehs müzen oder baz,
d. h. der Habicht hatte sechsmal oder öfter die Maußer bestanden,
war also sechs oder mehr Jahre alt. Vgl. Lanzel. 7175: siu fuort ein
sperweere von maneger müze wol getan; Loherangr. 3404: der (pilgrin-
valke) het dicke veder in müze gereret, wo diese Art Falken ausgezeichnet
werden vor den roten valken 3394; müze steht geradezu für jär in Mo-
rolf. II, 46 (v. d. Hagen S. 44): ein alt Itengst von zivenzig müzen
( : strüzen) ; Heinrich v. d. Türlin in der Krone 638 : onch mohte man
da schouwen — vederspil, daz vil maneger müze teas.
2035 folg. si funden guote beize do,
beide buche unde 16
lagen antvogele vol.]
In der Hs. da : la für do : Id. Diese Stelle erinnert an eine ähnliche
in den altdeutschen Beispielen bei Haupt, Zeitschr. 7, 342, 35: da er
ze den ziten in einer lä antvogel weste ligen, wo jedenfalls wie hier lo
zu schreiben ist.
*) Eiu anderer Fall ist noch in Gottfr. Trist, ed. von Groote 2205: ouch was da
schone vederspil , valken pilgerine vil, smirline unde sperivere, habeche und rrmsere und
ouch in roten vederen; hiernach wird noch im mhd. Wb. 2, 2Slb, 18 citiert: sperwarc,
habeche und müzcere. Bei v. d. Hagen steht hebeche , muzeere, bei Massmann (57, ti)
häbeche, muzaire , ohne daß letzterer über das fehlende tonde in seinen Varianten etwas
vermerkt hätte. Sicher ist auch hier hebeche muzeere als ein Begriff zu nehmen, wie im
Biterolf 6975, und als Gegensatz zu fassen zu dem Folgenden; und onch in röten ve-
deren. Denn das röthliche Gefieder am Falken war wohl ein Zeichen, daß er noch keine
Maußer bestanden hatte oder überhaupt noch zu jung und ungeübt war, z. B. Loher-
angr. 3394: zwen röte valken mit im vlugen, die dannoch ze solhem vluge niht entugen,
vgl. auch MSF. 20, 10.
438 FEDOR BECH
2050. wart da was gevangen
sioaz in was gestoubet.]
Für in vermuthet Lachmann ir , und dieses, auf die zuvorgenannten
wilden Vögel bezogen, scheint das richtige. Vgl. übrigens Biterolf 6985:
der hnnt (daher auch der stöuber genannt, Haupt z. Neidh. XXIII, 17,
Sachsensp. I, S. 376) stoubte ofte kranechen vil; Loherangr. 3397: ein
valkencer si brdhie wider mit vögeln die er sloubel ; Walth. v. Rheinau
101, 55 und 57 t Jesus machte einen schal mit beden den henden sin und
stoupte die vogellin; ähnlich erstouben bei Diemer 177, 8.
2057 — 59. dö si nach der beize riten
unde friuntlichen striten,
under in was ein bescheiden haz\.
Für under in steht in der Hs. sunder. Daraus wird mir wahrscheinlich,
daß der Dichter sagte: sunder unbescheiden haz; vgl. 7008: dem unbe-
scheiden hazze zvart ein ende gegeben.
2060. ieglicher wolde daz da baz). Aber in der Hs. findet sich
ir yeglicher, welches mir mit Unrecht verworfen scheint. Will man
hier zweisilbigen Auftact nicht gelten lassen, so ließe sich doch eher
noch ir ieglich schreiben, wie Haupt V. 3230 gethan hat: ir ieglich het
ein isenhuot (cod. jr ye glich er) ; eine ähnliche Besserung erfordert V. 1 964,
vgl. V. 2507. Über ir ieglich sieh auch Pass. K. 258, 4; 293, 49.
2098 folg. so saget man uns danne,
daz kein twerc wosre noch si
kurzer danne Bilei~\.
In der Hs. gezwerg für twerc. Pfeiffer hält getwerc und verwirft dagegen
wcere noch. Ich glaube, wenn nach Überflüssigem zu suchen ist, so hat
man am ehesten getwerc zu entfernen. Es hieß wohl : daz nieman oder
daz dehein man woere noch ensi u. s. w. ; auch vom Riesen hieß es einige
Zeilen vorher: daz Brians langer wa?re dann ieman bi sinen ziten.
2167. der tet man eines niht rät]. Beneckes Vorschlag: niht eines
statt eines niht zu lesen (Haupt, Zeitschr. 3, 267), halte ich für ver-
werflich. Vgl. Erek 7793: eines häres sanfter niht; Kinth. Jesu 70,29:
der worte si einez niht vergaz = nicht ein einziges; 91, 46: der ist einer
niht beliben — auch nicht einer; Fundgr. 1, 103, 1 : do antwurte er ir
ein wort niht = auch nicht ein Wort; in dieser Zeitschr. 3, 362, Z. 16:
unde läzent einen stein ob dem andern niht; Urstende ed. Hahn 76: unt
umbe einen kleinen stein unganzes niht daran schein = auch nicht ein
Steinchen zeigte sich daran versehrt; Lanzel. 1761: dest ein wort niht
gelogen; Berthold 284, 18: den zwein sult ir aller gnaden eine niht
tuon (vgl. Kinth. Jesu 78, 31); Leben Christi in Haupts Zeitschr. 5,
ZU HARTMANNS EREK. 439
25, 307 : der einen zäher nie moht gehän = niemals auch nur eine Thräne ;
Heinrich v. cl. Türlin in der Krone 9992 : der ritter was einer niht ;
Heinzelein v. K. , von dein Ritter und Pfaffen 366: ein stunde ich niht
da wider strebe = ne horam guidem; Mai u. Beafl. 104, 21: den ein rieme
gebristet niht ; der g. Gern. 4005 : daz ein man da niht genas = auch
nicht ein Mann; Stricker, im Karl 5766: der liezens einen niht genesen;
Gute Frau 1019: unz er 500 ritter gewan, den eines ringes niht enbrast-
Pass. K. 293, 37: daz einer M im niht enbleip = auch nicht ein ein-
ziger; Martina 200, 15: von der muten gotes süeze ein häres lok in niht
engät; Hans v. Bühel im Dyoclet. 800: der jung elinc ein wort niht sprach]
Lassberg LS. 1, 617, 102: ein wort sprach si nie; Joh. Rothe Chron.
c. 49 : unde erslüg inie alle sin volg , daz einer niht davon quam ; Altd.
Bl. 1, 120: ich wil üch von alle mime gCUe ein vierling niht geben; Parz.
2, 21: sin triwe hat so kurzen zagel, daz si den dritten biz niht galt;
Closen. 95: der dirte mensche niht; Joh. Rothe im Rittersp. 2155: üf den
derten si daz niht erben; Renner 20174: daz ez der fünfte niht hat für
guot; J. Tit. 4180, 3: des wart an in der zehende niht gerochen (vgl.
4178,2); 4381, 3: er mohtez zehendest teil niht hän erzeiget; Sündenfall
ed. Schöneinann 2104: dat de hunderste begripen nicht enmach des %oun~
ders geliknisse; Berthold 280, 2: da enhäst cht aller wären riuwe einige niht;
545, 2 : dil hast der wären minne einigen trophen niht ; Pass. K. 434, 9 :
Augustinus ein einec tvort nie zu gesprach ; 678, 31: daz icir ein einec
wort niht mugen noch enturren vort gesprechen. Hiernach sind die wenigen
Beispiele bei Hartmann zu bemessen. So im Iwein 978 : daz im von
wirte selch gemach eines uahfes nie geschach; 1075: na was diu buresträze
zwein mannen niht ze mäze ; 1186 — 87 hieß es vielleicht: daz mir da
dehein man ein wort nie ztto gesprach (nach Lachmann: nie dehein m. e.
wort zuo gesprach) ; 615 nach B: derne wären zwene inender gelich;
besonders verdächtig in Hinblick auf die dargelegte Regel ist Iw. 2572:
sin (sc. Keif) hete niht einen tac \ geruochet der künec Artus | ze truhseezen
in sime hiis, wo die bessern Handschriften anders niht einen tac, also
einen überladenen Vers haben, ich vermuthe daher:
sin hete a?iders einen tac
geruochet niht der künec Artus
= Artus hätte sonst, d. h. wenn Keii nicht ein so tiwer helt gewesen
wäre, ihn auch nicht auf einen Tag zu seinem Truchsessen genommen.
Etwas ganz anders würde niht einen tac oder niht eines tages bedeuten,
z. B. Leben Christi 1. 1. 355: diu riioe wil niht eines tages gern, si muoz
die wil man lebet wem , d. h. nicht etwa nur , nicht bloß einen Tag,
sondern u. s. w.
440 FEDOR BECH
2195 folg. als diu brätlouft nam ende,
nü schiet mit richer liende u. s. w.|.
Der erste dieser Verse darf seiner Wortstellung und seiner Betonung
nach schwerlich Hartmann zugemuthet werden. Vielleicht ist als zu
streichen; ähnlich ist dann 9857: diu hdchztt häte ende. \ na schiet der
eilende u. s. w.
2200 folg. die (sc. spilman) sprachen alle — wol von den hoch-
ziten: | Erecke und Ernten \ wunsclden se aller scvlekeit]. Wol sprechen
verlangt in dieser Verbindung wohl den Dativ, so daß von vor höch-
sten gestrichen werden muß. Der Dichter wollte sagen: Sonst (V. 2170
folg.) pflegen die varenden und die spitman auf die hohen Feste, denen
sie beigewohnt haben, aus Neid zu schelten und zu fluchen (des hat er
nit und fluochet der höchzlt) , wenn sie sehen, daß der eine mehr, der
andere weniger davon getragen hat; hier, bei Enitens und Ereckes
Hochzeit, war es anders: alle wurden so überaus reichlich bedacht,
daß sie nicht anders konnten, als wol sprechen den hochziten. Vgl. 2402 :
man sprceche im anders niht so wol; 2832: daz was daz man im wol
sprach; ferner 2843, 2984, 5937; das Gegentheil lautete: si sprächen alle
xcc der stunt.
2266 folg. swaz aber im des (sc. guotes) gebrast
(ich meine daz er was da gast,
sin laut was im verre)
Artus der herre
gap im swaz er vorsprach J.
So Lachmann. In der Hs.: er maynet daß er ivas da ein gast. Ich meine,
wenn man den Geschmack des Schreibers nur etwas kennt , so lässt
sich das Richtige hieraus schnell errathen : icand er was da ein gast.
Man erinnere sich nur, wie oft in der Hs. ivcenen mit meinen vertauscht
ist ; auch hier wird der Schreiber wände statt wände gelesen und darum
in seiner Weise verändert haben.
2289- der ein hurtlich gnuoc was]. In der Hs. der einem. Hurtlich
ist in der Bedeutung gut für stoßendes Losrennen , sonst nicht weiter
belegt im med. Wb. Vielleicht hieß es: der ein chuntlich g. w\, wozu
die folgenden Zeilen noch besser passen: uzen ein liehtez Spiegelglas,
vil verre glaste des schin. Auch V. 2339 steht: wäpenroc und covertiure
al ein, beidiu genuoc kuntUch.
2329. iserhosen von Glenh]. Da die Hs. issercossen gewährt, ist
es fraglich, ob Haupt das Richtige in den Text gesetzt hat; man könnte
vielleicht noch eher an tsercolzen, romanisch calezon chausson denken,
vgl.Parz.802, 19; 683, 17; Willen. 296, 3; Diut.2,304: caliga hose t. kouce.
ZU HAKTMANNÖ EREK. 441
2371. nü warn die besten da ze icege geherberget nach ir pflege'].
nicht die gesteh auch V. 1388 hatte der Schreiber die pesten geschrieben
statt die geste.
2380 folg. Von Erek, der sich vor den zum Turnier gekommenen
Gästen still zurückgezogen hat und alles Aufsehen vermeiden will,
heißt es: er lebte als ein tvol karger man
ungiudecliclien
und icolt sich niht geliehen
einem guoten knehte,
und von allem rehte.
giudens urloup mohter hau
derz dicke für in hete getan:
ern dühte sich so volkomen u. s. w.].
Die letzte Zeile gebe ich nach der Verbesserung Pfeiffers. Die voraus-
gehenden Zeilen aber enthalten , offen gesagt , des Unsinnigen zu viel,
als daß man sich bei ihnen beruhigen könnte. Zuerst der Zusatz und
von allem rehte: das kann doch nur heißen: und mit vollstem Hechte.
Aber was soll hier der Gedanke: Erek lebte ganz geräuschlos und
wrollte sich nicht gleichen einem guoten knehte und das mit vollstem
Rechte? Eben so widersinnig wäre der folgende Gedanke: ein Recht
zu geräuschvollerem Auftreten möchte der wohl haben , der oft mehr
als Erek (so versteht und übersetzt es Lachmann!) getan hätte. Das
Widersinnige scheint mir einestheils durch Lachmanns falsche Deutung,
anderntheils durch Haupts ihr folgende Interpunction hervorgebracht
zu sein. Man w7ird wohl so lesen müssen:
ern ivolte sich geliehen
einem guoten knehte
und der von allem rehte
giudens urloup mohte hän.
derz dicke für in hete getan ,
ern dühte u. s. w.].
d. h. er wollte sich nicht gleichstellen einem bewährten knehte, dem es
doch mit vollstem Rechte zugestanden hätte, Aufsehen zu machen;
er, der oft mehr als ein solcher kneht — so und nicht anders ist/ür in
nach dem Zusammenhange zu deuten — gethan hatte (sieh V. 2627),
er hielt sich nicht für so vollkommen noch für so berühmt, daß ihm
solch Gebahren gestattet wäre.
2432 folg. do geviel im diu ere,
diu in an lobe zierte,
daz er schufte und justierte].
442 FEDOR BECII
Für schufte schreibt die Hs. fnnjft: daher vielleicht näher liegt, an
fünf stunt justierte zu denken. Vorher heißt es : Erek habe die ersten
zwei ihm entgegenkommenden lütter niedergestochen und, ohne sich
um ihre Rosse weiter zu kümmern, nach ritterschaß mcre gesucht. Da,
so heißt es dann weiter, ward ihm die Auszeichnung zu Theil, daß er
fünfmal mit Glück tjostierte. Die Fünfzahl kann hier nicht auffallen,
erscheint auch sonst als runde Zahl gebraucht, so V. 783, 2505, 3400,
2785, 3341, 3296. — Die auf 2435 folgende Zeile scheint mir auch
nach dem Verbesserungsversuche Pfeiffers noch nicht annehmbar. Ich
schlage vor, mit noch näherem Anschluß an die Hs. :
also daz nie ritter baz
zuo genande: im fuogte daz
also gröze iverdekeit u. s. w.
Vgl. Veld. Eneit 171, 34: die wol torren genenden ze manischen dingen,
und über den Gebrauch von genenden die Anm. Haupts zu Büchl. II,
214, sowie die Varianten zu Erek 2502 und 2556.
2439 folg. dise just het er genomen
?, man ze velde ivcere homen\.
Die Hs. ee yemand statt e man. Daher ändere ich: e iemen wcer ze
velde komen.
2465 folg. swer im gewartet solde hän,
der dorfte dougn niht ruoioen (an :
man sach in dort und nü hie].
Der zweite Vers ist ungebührlich überladen, der dritte stilistisch auf-
fällig. Vielleicht :
dem dorfte di ougen ruoioen län:
man sach in dort, man sach in hie.
Vgl. in Bezug auf die letzte Zeile Erek 2220 : ir wart nü minner , ir
ivart me; Gregor 1066: er was schäme, er loas starc; Lieder 5, 3: daz
ist min site und ist min rät; wahrscheinlich auch V. 3102: sioaz si ver-
nceme od sioaz si gesmhe, und nach Beneckes Vermuthung V. 6634 : hie
floch der hof, dort flach der hof; Bliker ed. Pfeiffer 186: ich wcene ja,
ich warne nein; G. Frau 1449: er ivas frd und si was fro.
2490 folg. und ergap sich im dem noch nie
voller gnaden zeran].
Entweder hat man gap für ergap zu schreiben oder, was mir wahr-
scheinlicher, im zu streichen. Das Metrum bedarf hier einer Nachhilfe.
Vgl. 7486: ivan als mir da bejach von dem ich die rede hdn; V. 7792
folg. sollte wohl lauten: daz ze deh einen ziten eines hdres sanfter niht
enlebet der üf dem ebenwäge sicebet , wo die Hs. nach daz noch jener
zufügt; vgl. auch die Varianten zu Iw. 1612.
ZU IIARTMANNS EREK, 443
2567 folg. icäpenroc und kröne
machte in dz schone
iinde so daz da zehant
kein ritter was so verre erkant].
Für machte in üz vermuthete Haupt nam in uz. Nach dem mlid. Wb.
2, 16b, 31 hielt Benecke die Bedeutung zeichnete ihn aus nicht für un-
möglich. Ich verweise noch auf j. Tit. 1959, 2: manec edel fürste, den
sin amie uz machet liehter danne blüende heide grüene; Berthold 94: alle
die sich dar uf zierent und üz machent daz sie die Hute verreizent ze
suntlichen dingen.
2579 folg. daz man in nande
zem besten inme lande.
Die Hs. bietet jn dem besten in seinem lande. Demnach könnten die
Verse auch so gelautet haben:
daz man in sineni lande
in den besten nande.
2634. ein soldiers nam daz]. Soldiers ist wohl Schreibfehler für
soldiere oder soldeniere = soldarius Förstern. A. R. 24, 64; Gregor
1704, Veld. 311, 40: soldiere : schiere; Parz. 64, 20: soldier : Her; Ludw.
Kreuzf. 6430, Ebernand 663 : soldeniere : ziere ; J. Rothe Ritt. Sp. 2237:
soldener : mer; Mein. Naturl. 12: soldener; mnrh. soldegier :ßer in Haupts
Zeitschr. 3, 12, 200.
2642. ivand er die sinen sach]. Dem Sprachgebrauche des Schrei-
bers und seiner Zeit ist freilich nur die sinen gerecht ; Hartmann aber
sagte mit den meisten seiner Zeit- und Volksgenossen wohl nur die
si7ie, vgl. Anm, z. Iw. 5322; ferner Erek 2690: als diz die sine heten
ersehen; Iwein 3737; Lanzel. 132: swer die sine verkos; Parz. 64, 3:
die sine : schine; 787, 1 : die sine : pine (nach der Lesart aller Hs.);
Willen. 10, 10: Sarrazine : die sine; 50, 13: vierzehen der sine : pine;
G. Frau 749 u. 1161 ; Exodus in Fundgr. 96, 15 : die dine : die sine.
2664. niioan ritter drie]. In der Hs. nun drie, daher vielleicht
niwan die (oder dise) drie, vgl. 8763 : niwan dise viere.
2748 folg. an Erecken fil de roi Lac
so bejaget da niemen mere:
wand er bejagt da ere.]
Die Hs. hat im 2. Verse: so b. er da, im 3. Verse: wann er bejaget
da gut und ere. Der Schreiber mag den dritten Vers für zu kurz be-
funden und darum wann er bejagt da aus der vorhergehenden Zeile
zugefügt haben; für Hartmann genügte wohl:
444
FEDOR BECK
so bejaget da niemen mere
guot unde ere.
Vgl. die Bemerkung zu 2855.
2789 folg. er woldes niht me sihnen
satel heizen rümen].
Die zweite Zeile lautet in der Hs. : pat auf ze r. Lachmanns Änderung
liegt zu weit ab von der Überlieferung. Besser wohl : er bat im ez
rümen, oder ern beute im ez rümen. In der nachgeahmten Stelle des
Lanzel. 5281 heißt es: wart si, wolten ez niht rümen, si bäten in üz (? ez)
rümen; vgl. noch Erek 2978, 5002; Herbort 10313. Auch Erek 754
hat die Hs. eine ähnliche Verderbniss des Textes.
2798 folg. darmgürtel und surzengel brast , sam ez weere ein fülez
hast]. Das Neutrum bast ist sehr verdächtig und scheint vom Schreiber
herzurühren. Die ältere Zeit kennt bast nur als st. m. So noch Hugo
v. Langenst. Mart. 165, 40: des willen im niht gebrast , daz si als einen
fülen bast in und den heiser aide. Nur bei Süßkind von Trimberg in
MS. v. d. H. 2, 259b (4, 3) finde ich : guot was ie daz bast[e], daz man
den sac da mit verbünde, wenn die Stelle nicht auch verderbt ist.
2855 folg. (si) enphienc den ir mit fr enden dd.
ouch tete also
diu frowe Ernte].
So lauten diese Zeilen nach der Hs. Haupt ändert da : also sä, welches
von Seiten des Sinnes wie des Metrums bei Hartmann unnöthig war.
Gleich kurze Verse hat er öfter, z. B. 4539: Erec heize ich; 4694: daz
ichfrum bin (nach der Hs.); 4850: dö sprach Keiin; 5115: ouch wart Er ec,
wo Haupt er zufügt; 6716: dar üf saz er.
2934 folg. als er nie wurde der man,
also vertreip er den tac].
Auffallend ist der man als Prädikat. Vielleicht: ein der man? Vgl.
mhd. Wb. 1, 419% 30, und Lanzel. 2492: so bin ich ein der man.
2985 folg. daz verkerte sich ze handen
icider die die in erkanden.]
Statt des handschriftlichen ze handen hat Haupt ze schänden gesetzt ;
dann fällt aber auf die Wiederholung desselben Reimwortes und Ge-
dankens drei Zeilen weiter: sin hof-stuont gar nach schänden. Richtiger
scheint mir daher:
daz verkerte sich zehant
wider die den er ivas erkant.
3093 folg. wird von Erek erzählt:
und gebot sinem icibe — — —
ZU II ARTMANNS EREK. 445
daz si muose für riten,
und gebot ir daz zestunt
daz in sprechenne ir munt
zuo der reise iht uf kevme,
swaz si vernceme
oder iender geseehe].
Das zweimal hinter einander gesetzte gehot bei so kurzem Zwi-
schenraum ist verdächtig, ebenso in vor sprechenne in diesem Zusam-
menhange; iender fehlt überdieß in der Hs. Ich vermuthe daher:
und verbot ir da zestunt
daz ze sprechenne ir munt
in der reise iht uf kenne,
swaz si vernceme
oder sioaz si geseehe.
Vgl. 3962 folg.: wand er verbot ir daz ir munt ze sprechen iht üf kerne
swaz si vernceme. Wahrscheinlich hat der Schreiber aus Fahrlässigkeit
ze und in vertauscht. Über in der reise sieh Lanzel. 6851 : die in der
reise waren, und Pass. K. 453, 69, obwohl sonst häufiger ist: zuo der
verte, wie Erek 3125 und ze dirre reise 3275; für in der reise könnte
auch der Acc die reise stehen wie Parz. 189, 26.
3155. nü kein ich des wagsten niht ersehen]. Dieser Vers ist über-
laden. Ich lese daher: ichn Jean des wosgsten niht ersehen. Vgl. Iwem
4871 : sol ich daz wwgest ersehen.
31S5 folg. dir sint ritter nähen bi,
die dir schadeut mugen si.
Die an sich recht hübsche Verbesserung Lachmanns liegt für mich
immer noch dem Wortlaute der Hs. zu fern , welche sein statt bi und
im 2. Verse schade mugen sein hat. Näher zu liegen scheint mir:
dir sint ritter nahen schin,
die dir schade mugen sin.
Über schade wesen sieh Hartm. Büchl. 1, 836: der rife und der wint,
die den bluomen schade sint, und 222, sowie die Beispiele bei Sommer
zu Flore 846, Zarncke z. Narrensch. 26, 2. Schade iceere mit C ist
wohl auch in Strickers Frauenehre 772 zu schreiben; Rüdiger der
Hunthover in Kolocz. 183, 998: ez ist uns schade unt schände; Konr.
Trojan. 34, 198: Priemt der ivas den kriechen scheeler dann iemen anders
bi der zit.
3196 folg. ir nmget wol schouiven,
an ir guote sint si rzch,
ir kleider sint herlich.
446 FEDOR BECH
Richtiger scheint mir, das Comma nicht nach schouwen, sondern nach
guote zu setzen und dann fortzufahren: si sint rieh. Aber auch guote
ist sehr verdächtig, denn das guot war mit den Augen nicht zu sehen,
ward nur vom Räuber vermuthet, wie derselbe V. 3200 sagt: mich
dunht sl fäerent michel guot. Die handschriftliche Lesart guete leitet
entweder auf gvvte, d. i. geweete, oder auf gvete, d. i. geverte; das eine
wie das andere ist jedenfalls dem Zusammenhange angemessener als guote.
3204 folg. ir sult mir die real län
an disem roube
und daz mir erloube
von iu iuioer beider munt
die ersten just hie zestunt.
Statt von iu erwartet man vor iu, d. i. ehe ihr es thut. Unter munt
verstehe ich hier palma potestas auetoritas, wie in den Beispielen, welche
das mhd. Wb. 236b, 17, anführt: äne eines frohstes urloub und äne sinen
munt ; daz man den geswomen des keisers munt gebe zu reden.
3261 folg. ich tet ez durch nune triuwe.
weit ir ml, daz ez mich riuioe,
so vergebet mirz durch iuwer ere].
Der Sinn fordert: enwelt ir niht daz ez mich riuwe: = wenn ihr nicht
wollt, daß ich künftighin meine Treue gegen euch verläugne, so ver-
gebet mir diesmal um euretwillen. Ähnlich sagt Enite V. 3413: ir sult
mich des geniezen län, daz ichz durch triwe hau getan, und V. 4133 folg.
3238 folg. ja verbot ich iu an den lip
daz ir niht soldet sprechen].
Zu Hartmanns Zeit war es noch sprachwidrig, daz niht, daz nie, daz
nieman, daz niender zu sagen in solchen abhängigen Sätzen, die eine
Absicht oder einen Zweck ausdrückten und das Zeitwort im Conjunctiv
hatten. So namentlich in den Sätzen, die von Zeitwörtern des Sorgens,
des Bewahrens , des Verhütens , des Verbietens (des Zweifeins ?) ab-
hängig waren, vgl. Gramm. 3, 737. Demnach muß es anstatt niht oben
heißen iht, wie es 3963 und 3099 richtig steht. Derselbe Fehler findet
sich V. 4218: die vielen über ir herren, daz im niht möhte gewerren,
lies iht statt niht. Ferner V. 8089 folg.: daz du in luvtest bewart vor
dirre leidigen vart, daz er niht dar waire komen, wo höchst wahrschein-
lich auch iht für niht zu schreiben ist. In V. 8109 folg. heißt es: diz
geschach niht mit schalle: ez wart mit murmel getan, daz er sichs niht
solde entsidn: lies iht statt niht im letzten Satze. In V. 9808 folg.: so
fluhen si daz vor leide \ daz st dar ninder kämen j da sifreude vernämen:
hier hat die JIs. darnider statt dar ninder, wofür Müller vermuthet dar
ZU HARTMANNS EREK. 447
iender, vorausgesetzt, daß daz in der ersten Zeile stehen bliebe. Allein
iender ist hier darum nicht möglich, weil nach der Regel dann der Con-
junctiv stehen müßte, also: daz st dar iender qucemen da sifreude ver-
nahmen (wie 3099) ; niender wird hier das Richtige sein. Ein ganz ähn-
licher Fall ist V. 5021 folg.:
und leit sich rehte urnbe den wec,
daz der ritter Erec
niender kosme da bi,
ern rite rehte für si].
In der Hs. komm für kceme. Entweder muß man niender hom schreiben,
oder falls man den Conjunctiv gelten lassen will, niender in iender
lindern. V. 8400 folg. steht im Text:
ivier daz mähte erioenden
und wie er im den rat erkür
daz er den lip niht verlür:
auch hier stand wahrscheinlich ehemals iht statt niht; ebenso wird es
im Gregor 303 heißen müssen : daz ouch unser kindelin mit uns iht ver-
lorn si (vorher heißts: und rinden uns etlichen rät), wo Lachmann niht
geschrieben hat, in D aber ich statt niht steht. Auch im Iwein finden
sich noch einige Stellen, in denen Lachmann das niht gegen die Regel
hat stehen lassen. So V. 2731 folg. : ez ist guot - - daz maus ime
gnade sage, daz er dar ane niht verzage., wo iht durch BDE empfohlen
ist; V. 4238 folg.: ditz sol allez ergän daz si niht wizzen wer ich s7,
wo mit E wohl iht für niht zu schreiben ist, so daß dann der Con-
junctiv, den Lachmann dort angezweifelt hat, nichts Sprachwidriges
mehr bietet.' — Iw. 4490 ist gegen Hartmanns Weise wie gegen die
bessern Handschriften in den Text gesetzt: got welle daz ichz niht
gelebe', statt dessen müsste es heißen: got welle daz ichz iht gelebe;
aber ich glaube, an der Lesart der bessern Handschriften war nichts
zu ändern: got enwelle niht, daz ichz gelebe; — ■ V. 7687 folg.: so sult
ir iuwer reht bewarn, daz ir mir niht geivalt tuot: hier hätte iht beibe-
halten werden können nach BDa, falls man tuot für den Conjunctiv
halten dürfte; — von allen Handschriften und zwar wider die Regel
gestützt, finde ich niht in Iw. 1081 folg.: da muose man sich
vil teol bewarn vor der selben slegetnr, daz man den lip da niht verlür. —
Als beweisende Stellen für obige Regel, wonach iht für niht steht, führe
ich noch an: Erek 225, 419, 827, 476, 2271, 4645, 4950, 5836, 8351
— 8354; daß die spätem Handschriften den Unterschied zwischen beiden
Wörtern oft verkannten, davon zeugen auch die Varianten zu Gregor
304 und 431, zu Iw. 3859 und 8117 u. s. w.
44S PEDOR BECH
3269 folg. dochn kurnt iuz niht ze heile:
ich rieh mich an einx teile].
Für rieh findet man in der Hs. reche; daher vielleicht: ichn rechez an
einem teile.
3408 folg. und macht man dehein ere
an wlbe Üben begän,
ez solde niht so ringe stän,
ich noeme iu zehant den lip].
So nach Lachmann. Die Hs. hat im 2. Verse bloß: an weyben begdn;
Müller will : iht an io. b. ; ich vermuthe : an iu wiben b. Die folgenden
Verse würde ich so ändern:
ezn solde niht so ringe stän,
ichn nceme iu hie zehant den üp.
3427. ir blibt niht räche gar fri\. Die Form blibt ist Hartmann
schwerlich gerecht. Hier scheint die Umstellung geboten: ir belibet
räche niht gar fri; vgl. 8619: was sin herze niht gar fri.
3462 folg. diu gotes hovescheit — da wider strebte,
daz ir nie dehein groz ungemach
von den rossen niene geschach].
Der 2. Vers scheint von späteren Händen um eine oder zwei Silben
vermehrt zu sein; nie oder das folgende niene ist überflüssig; auch das
in der Senkung stehende groz sieht aus wie ein Flickwort.
3514. er sprach: herr, iccerz iu niht leit]. Aus dem, was die Hs.
gewährt: herre und wer es, schließe ich auf: er sprach', enivcerez iu niht
leit. Die Anrede herre konnte hier wegbleiben, da, wie vorher erwähnt
ist, die Begrüßung bereits stattgefunden hatte. Auch V. 3734 steht:
herre, waere ez iu niht leit , wo wahrscheinlich auch enwoßre zu lesen ist.
Wie in dieser Redensart die spätem Handschriften das ne gerne tilgen,
zeigen die Varianten zu Iw. 6304: er sprach: eniocere ez iu niht leit, so
het ich gerne vräge; dort hat A allein das ne bewahrt, Ea schreiben
dafür un, die übrigen lassen es ganz weg.
3551. die twehel leite er üf daz gra$~\. Wahrscheinlich ist die tweheln
zu lesen wie in V. 3666: an der tweheln ort. Die starke Form in V. 3494:
in eine dwehel wize, rührt von Haupt her, denn dort bietet die Hs. : in
eines diebes icise. Die ältere Zeit gewährt , so weit mir bekannt , kein
sicheres Beispiel starker Flexion ; erst Helbling 7, 490, und noch später
Hans von Bühel flectieren stark, Dyoclet. 7319: so ivirt nun muoler mir
die zwehel lialten dar, und 7775 : do kouft er sinem gesellen umme ein hant-
wehd. Das Wort ist übrigens auch wieder herzustellen in Haupts Ztschr.
ZU HARTMANNS EREK. 449
8, 152 (259): s? ne vorderent dwahelen niht unde mantele , wo die Hs. ou
uaelen dafür hat (vgl. V. 267 : ncen : bcen = nähen : bähen).
3600. icider umbe riten begunde er dfi\. Modem klingt umbe und
ist wohl Zusatz des Schreibers. Hartmann und seiner Zeit war wider
riten ausreichend für das Rons umwenden , zurück reiten , wieder davon
reiten, vgl. 358, Iwein 379, 3778, 5044 u. s. w. Denselben Fehler ver-
muthe ich in V. 9007: und begunde gälten | wider umbe zuo dem fremden
man, wo umbe gleichfalls zn streichen ist.
3641 folg. urloubes begunden st da gern
unz er st muoste gewern\.
Zu gewern vermisst man das Object, daher ist wrohl sts statt st zu schreiben.
3669. daz er die frouwen erliez]. In der Hs. verliez, und dies
brauchte nicht geändert zu werden ; verläzen im Sinne von — loslassen,
gehen lassen, steht öfter im Iwein ; erläzen aber erfordert bei Hartmann
noch einen Genitiv wie V. 3700.
3732 folg. {daz st) an dem tische säzen
und niht mit einander äzen\.
ensament für mit einander würde den Vers mehr glätten; ensament mit
bey einander vertauscht von spätem Correctoren zeigen die Varianten
zu Iwein 6296 u. 7031; vgl. auch zu Erek 4495. In Erek 3233 giebt
zuo einander geleit keinen rechten Sinn ; es scheint dort der Schreiber
seine Vorlage misverstanden zu haben, in der es wohl hieß: zuo dem
sätnen geleit, vgl Iwein 7086; Konr. Troj. 32773; Parz. 60, 19; j. Tit.
1351, 4. Heinr. v. d. Türlin. 4601.
3812. ze xoibe und ze knehte
und ze frowen, swie er mich wil hän,
des bin ich im alles undertän].
In der Hs. fehlt swie; durch Hinzufügung desselben wird der Vers
überladen; überdieß können die Worte: und ze froiuen zum Besten des
Sinnes entbehrt werden. Sonach bringe ich in Vorschlag:
ze sicederm er mich xoil hän ;
Daß siceder in Jüngern Handschriften oft verwischt wurde, weil es früh
außer Gebrauch gekommen war, bedarf keiner Erinnerung.
3912. ez enkuinbert iueh niht svre]. niht ist Haupts Zuthat. Besser
noch, glaube ich, würde hier borsere statt niht svre gepasst haben ; dann
hieße es : es wird euch nicht allzuviel Mühe machen , euch nicht zu
schwer werden. Der ironische Sinn, welcher in borsere liegt, wäre hier
durchaus angemessen. In ähnlichem Zusammenhange heißt es V. 8568
nach Beneckes Verbesserung: ezn priset in borsere, wirt im des siges an
GERMANTA VII. 29
450 FEDOR BECH
mirgejehen, d. h. es bringt ihm nicht oben viel, herzlich wenig Ehre,
wenn er mich besiegt.
3939 folg. mit schaenen wibes listen
begunde si do fristen
ir ere und ir mannes lip.
frowe Enite was ein getriwez wip.
sus überrette si den man,
daz er seiltet mit urloube dan
ftf sollte ungewisheit,
als ich iu da hän geseit\.
Da die vierte Zeile an Überladung leidet, hat W. Grimm vorgeschla-
gen, si in der 2., teas in der 4., sowie den Punkt in der 3. Zeile zu
streichen. Aber auch so bleiben die Verse etwas matt. Annehmlicher,
wenn auch gewaltsamer, ist Lachmanns Vermnthung: si was ein getriuwez
wip. Ich glaube, wenn ein Wort zum Frommen des Metrums wie des
Sinnes entfernt werden muß, so ist es getriuwez. Mit besonderem Nach-
drucke sagte der Dichter: frowe Enite was ein wip. Enite hatte, wie es
im Charakter der Frauen liegt, dem Manne, dem Stärkeren gegenüber,
sich der Waffen bedient, auf die das schwächere Geschlecht in der Noth
angewiesen ist und auf die es sich, wenn es gilt, so meisterhaft ver-
steht, nämlich der List. Enite war ein Weib, will Hartmann sagen,
wie konnte sie anders handeln? In Hartmanns Gedichten kehrt diese
Auffassung des weiblichen Charakters, ja dieselbe prägnante fast sprich-
wörtliche Ausdrucksweise verschiedentlich wieder. So Iwein 3128 folg.,
4072, 5629, 7674 folg., 7860; ebenso spricht und urtheilt Wolfram,
z. B. Parz. 450, 5 folg.: icip sint et immer wip'. werliches mannes lip
hänt si schier betwungen: in ist dicke alsus gelungen; und 518, 25: diu wip
täten et als wip; vgl. auch die Sprüche im Freidank 104, 23 — 27. —
Weiter scheinen mir auch die 6. und die 7. Zeile der Verbesserung
bedürftig. Die erstgenannte lautet in der Hs.: daß er mit Urlaub schiede
von dann. Der Schreiber scheint sonach schiede aus der folgenden Zeile
heraufgerückt zu haben. In dieser letzteren ist wieder ungewisheit ver-
dächtig, das dem Schreiber wohl räthlicher scheinen mochte, weil er
die Ironie nicht begriff, welche hier gerade mit gewisheit vom Dichter
beabsichtigt war. Demgemäß würde ich schreiben:
daz er mit urlouhe dan
schiede fif sollte gewisheit,
als ich iu da hän geseit.
Nämlich V. 3897 folg. hat Enite aus List, um sich seines stürmischen
zudringlichen Antrages zu erwehren, dem Grafen gegen das eidliche
ZU HARTMANNS EREK. 451
Gelübde der Treue den Handschlag gegeben: ouch ga/> .v im da ze siat,
ze leistenne des er gebot, ein ungewissez phant, ir triuwe an sine hant. Auf
diese Stelle ist vom Dichter hier verwiesen; solhe gewisheil als ich iu da
hau geseit ist also eine bloße Umschreibung, ein milderer, mehr spötti-
scher Ausdruck für das oben berührte. Ungewisse phant, ungewisheit.
4015 folg. der wirt neig im an den fuoz.
als ein man gewinnen muoz,
so wirt er herzenliche fro].
Natürlicher scheint mir, was die Hs. an die Hand giebt, welche was
für wir} hat: dies giebt einen ganz guten Sinn, sobald man vor gewinnen
noch der hinzusetzt.
4027 folg. e daz sich Erec
üf machte vf den wec\
Pfeiffer hat mit Recht das erste üf im 2. Vers beanständet. Darf nicht
für statt vf gelesen werden? vgl. 5005: daz er sich balde \ für mache
üf den wec.
4143. wan st zerbrach ez da zehant]. Das ez fehlt in der IIs. Es
könnte daher mit verbindender Wortfolge so gelautet haben :
wan si ez brach da zehant.
4150 folg. von wiu kam daz diu frowe baz
beidiu gelahrte unde sach ?]
Anstatt i'on wiu bietet hier die Hs. von wanne, so wie im V. 4186:
von wann statt von wiu. Sollte von wanne oder wannen für Hartmann
so unbedingt zu verwerfen sein ? Sonst findet sich bei ihm von wanne
noch im Gregor. 1052 (C. wavon), 1055 (C. wanne))), 2399 (E. F. von
wannen), von wannen 1689 und Erek 9335; 5154: von wannen diz
phlaster nuerme, wo Haupt von gestrichen hat; 4354: wann wurde iu
Lasters btioz, bestüendet ir mich darnach, wo wen für wann in den Text
gesetzt ist; hier ließe sich wohl wannen halten. Vgl. außer den Citaten
im mhd. Wb. 3, 504 noch Lanzel. 1619 : wer er watr und wannen (: mannen) ;
G. Frau 1517: ich gedachte icannen ez kam und wie ez einen urhapgewan;
G. Abent. 2, 7, 71: wannan kam iu daz heselin; H. v. d. Türl. 28839:
wanne diu rede waire geschehen; 28983: iclin weiz xoanne ez uuere gescheiten;
Herbort. Troj. 3747: des icunderte sie gemeine wan abe daz werre , daz er
u. s. w. ; Myst. 2,12: wannan von weistu daz. In Gregor. 1462 B. :
swannan, A. von swanne; Gr. Gerhart 6420: von swannen; G.Frau 1977:
swannen si käme in daz laut.
4184 folg. da mac man wol kiesen an
daz ir si (sc. Ernten) ir vater habt genomen.
von wiu wer ez anders komen?]
29:::
452
FEDOR BECH.
Im letzton Verse scheint ohne Noth geändert. In der Hs. steht von
wann were sy ; daher war zu schreiben: von wannen wcer n anders komen.
An eurem Benehmen, sagt der fremde Kitter zn Erek, sieht man, daß
ihr das Weib ihrem Vater geraubt habt; woher wäre sie sonst in eure
Gewalt gekommen? oder wie wäre sie sonst hieher gelangt? ihre An-
gehörigen würden sie nicht einem Manne wie ihr seid gegeben haben.
4586. darnach reit er Erec\. Die Hs. kennt er = her nicht;
Lachmann hat hier, wie er es im Iwein gethan (vgl. Anm. z. 1062,
2962, 4865), dem Dichter eine seiner Mundart völlig fremde Form
aufffedrunsren. In Erek 5115 ist es Zuthat Haupts, wo für Hartmann
der kurze Vers genügt, ouch wart Erec) desgl. ist in V. 4722 entweder
er zu streichen oder ir zu schreiben. Vgl. diese Zeitschr. 5, 498.
4588 folg. niht langer daz vermiten
sine juncherren,
st liefen gegen ir herren\
Lies sine liefen. So Barlaam 5, 9: vil käme ich daz vermide ich müeze
eziu zediute sagen, wo B liest ine müeze; Iwein 1100: daz slegetor niht
enmeit, ezn schriete tsen unde bein; MS. 1, 50b: und ich des niht mtden
tvolde, ichn höhte ir lop.
4697 folg. im gesehet mmen herren, \ ivand ez in niht rnac werren].
Das in der Hs. stehende gewerren ist ohne Noth verworfen.
4796. do lech er mirz an dirre stat]. Was soll hier an dirre stat?
Bessern Sinn gewährt an der stat — auf der Stelle, sogleich. Vgl. Iwein
7169, Erek 5032, 6801.
4829 folg. durch got sagt mir wer ir stt?
er sprach: niht ze dirve zit\.
Da die Hs. im niht statt niht hat, so könnte der Vers ursprünglich
gelautet haben: er sprach: nein ich ze dirre zlt.
4942 folg. nü bat uns da ze stunde
äne not so verre
diu Jcänegin und mm herre
daz wir u. s. w.].
Der Ausdruck äne not giebt hier keinen passenden Sinn. Uberdieß hat
die Hs. hat statt bat; daher scheint in ane not ein Particip zu stecken.
Ich glaube, es hieß ursprünglich :
nil hat uns da ze stunde
ermanet (oder gemanet) also verre u. s. w.
Vgl. 4871, wo der König zu Gawein sagt: na uns gern ant\ und 4880
erwiedert Gawein dem Könige: herre, errnant miclis niht so verre!
ZU HARTMANNS EREK. 453
2945. daz wir iu Uten her ?iaeh\. Müller will her gestrichen haben.
Untadelich wäre hin nach. Auch V. 3180 steht: her umbe si zuo im sach,
während es in derselben Verbindung V. 3377 heißt: vil dräte sl hin
umbe sach,
4959 folg. mich hat der künec verschuldet ivol
daz ich im immer ivesen sol
mxnes maotes undertän].
Ich vernmthe: noch hat der künec verschuldet wol
umb mich, daz ich im immer sol
mins muötes icesen undertän].
Zuvor hat, Gawein Ereken im Auftrage des Artus dringend ersucht,
an des Königs Hof zu kommen, wenn er noch seiner Huld und Liebe
eingedenk sei. Mit Bezug darauf antwortet hier Erek : was seine Er-
gebenheit und Treue betreffe, so sei diese heute noch wie ehemals,
und walte bei ihm kein Zweifel ob, daß der König wohlbegründeten
Anspruch darauf habe (noch wol) ; was aber den andern Punkt
anbelange (V. 4966 : diss muoz ich entwern), daß er jetzt an seinem Hofe
erscheinen solle, dazu könne er sich jetzt nicht verstehen.
5025 folg. Gawein sucht Ereken mit List im Gespräche auf-
zuhalten, und daz er im die stunde
mit kurzem wege abe genam,
unz daz der künec für kam].
Unverständlich ist hier der Ausdruck mit kurzem wege; man erwartete
mit kürzenne (vgl. V. 8189 : nü kürzte in die stünde der icivt so er beste
künde und Gottfr. Trist. 205, 10) oder mit kurzer wile. Außerdem
würde, wenn man dem Dichter hier einen ungenauen Keim zutrauen
dürfte, abe gewan weit besser als abe genam gepasst haben: vgl. über
cehein und ruon im Keim Haupts Einl. z. Erek S. X^ .
5058. da hän ich nü niht zuo\. Lachmann denkt au niht muoteszuo;
ich glaube es kann heißen: da ne kan ich nü niht zuo, d. i. darauf ver-
stehe ich mich jetzt nicht, vgl. Gregor. 1365: dune kamt ze ritterschaft
niht und die Beispiele bei Sommer zu Flore 6634 und bei Zarncke
z. Narrensch. 55, 8.
5141 folg. heißt es von einem wimderthätigen Heilpflaster :
allen arc ez vertreip,
sioaz ez guotes vant daz bleij>].
Da die Hs. alles args bietet, so glaube ich wird mit besserm Rechte
allez arge geschrieben, vgl. Trist. 248, 36: iuch dunket ie daz arge guot,
daz guote dunket iuch ze arc Für daz bleip würde außerdem beleip zu
lesen sein.
454 b'EDOR BECH
r> ü 12. diu erde deheine würzen truoe]. Alterthümlicher wäre de keine
würz entruoc.
5268. da enstuont doch kein bete zuo]. Für doch würde et noch besser
sich eignen , welches hier dieselbe Bedeutung haben und in demselben
Zusammenhange stehen würde wie in den von Ben. Wb. z. Iwein 124
aufgeführten Beispielen.
5328 folg. daz doch niemen wcere \ also vestes herzen, \ het er ir
smerzen | zuo den ztten gesehen | sie müeste im erbarmeri\. Cor-
recter und alterthümlicher würde sein: sine müeste, wie V. 1591.
5411 folg. Von den beiden Riesen, welche einen Ritter aufs Pferd,
gebunden haben und ihn auf alle Weise martern, heißt es :
sl brachen vaste ritters reht
und handelten den guoten kneht,
und wcere er begangen
an diebes stat gevangen,
solher zuht wcer ze vil].
In dieser Fassung bleibt die zweite und die dritte Zeile unverständlich
und darum verdächtig. Ich vermuthe daher: sus handelnde den g. kn.
Die Riesen verletzten ritterliche Sitte , indem sie den Ritter so behan-
delten; selbst wenn er bei einem Diebstahl ertappt und gefangen worden
wäre , wäre solch eine Strafe noch zu arg gewesen. Man könnte dem
Zusammenhange aber auch dadurch nachhelfen, daß man in der 3. Zeile
schriebe : sam er wcere u. s. w.
5511 folg. der stielt ergie mit solher kraft,
daz im u-ol ellenlanc der schaft
üz gienc vor den ougen,
wie kleine ers wolde lougen
ern sige zuo der erde tdt,
als der höcesche gebot].
Der Speerstich war dem Riesen engegen in sin houbet gefahren nach
V. 5509, weshalb es kaum richtig sein kann, wenn es weiter heißt von
dem Schaft, der in seinem Haupte sitzen blieb : der schaft üz gienc vor
<ln, ougen. Wahrseheinlich hieß es üz hienc. — Im Folgenden bringt
die 11s. trawen statt des von Lachmann vermutheten lougen. Möglich,
daß der Schreiber kleine misverstand und darum änderte; es könnte
aber auch der Fall gewesen sein, daß er ougen sw. v. vorfand und sol-
ches als rührenden Reim verwarf. Für ern sige hat die Hs. e?*stach in,
welches sehr leicht aus er seic hin verlesen sein kann. Die letzten drei
Verse winden hiernach also lauten:
ZU IIAKTMANNS EREK. 455
swie kleine ers wolde lougen,
er seic hin zuo der erde tot-,
als der u. s. w. ;
d. h. wie sorgfältig er es auch zu verbergen suchte, wie .sein- er sich auch
dagegen sträubte, es half ihm nichts, er sank toclt zur Erde nieder.
5517 folg, als sin geselle
daz grdze gevelle
gesach von dem micheln man\.
Hier fallt auf von dem micheln man, wofür man in Hinblick auf sin
geselle eher einen pronominellen Ausdruck erwartet hätte. Bessern Sinn
gibt von drin wenigen man und dies auf Erek bezogen : der große Sturz,
der von dem kleinen Manne bewirkt worden war. Vgl. 7114: der vil
wenige man.
5535 folg. Von dem auf Erekes Schild losschlagenden lviesen
heißt es: daz herte bret er weichte,
daz ez sich wol en drizic kloup
linde hohe üf stoiip.
aus der crafft weere
der kolbe was so swecre u. s. w.J.
Gegen endrizic hat sich bereits Pfeiffer erklärt und gewiss mit gutem
Grunde. Nur zweifle ich , ob en , ze sprizen gerade hier das echte ge-
wesen ist; den Schriftzügen der Hs. kömmt wohl noch näher en, ze
drunzen (trunzen) , vgl. Konrad im Trojan. 6040: vil schefte er üf den
tieren stach ze stucken und ze trunzen. Den 3. und 4. Vers lese ich so:
unde hohe üf stoup \ swaz dran gehajt waere.
5545 folg. c em ze slage vollereit,
Brechen het sin snelheit
an in und wider dan getragen].
So lauten die Verse nach der Hs.; nur in der 3. Zeile ist dan von mir
gesetzt für das den Vers störende von im. Für Lachmanns gewaltsame
Änderung vermag ich keinen hinreichenden Grund zu finden.
5582 folg. daz er ze deheinen stunden
den boumen mohte entwichen:
er muoste sich dran strichen].
Wahrscheinlicher: ern müese u. s. w. , vgl. Gregor. 3302 —4: das im nilit
was entwich) u, eine het s/u alten hunst unz her behalten.
5668 folg. ja wirt es nieman erlän,
swer so mauheit Heben wil
in bringe geschiht üf daz zil u. s. w.]
455 I EDOB BECH
Für ja ist wohl jäne, für in bringe sicher in enbringe zu schreiben, vgl.
die Beispiele bei Benecke Wb. z. Iw. S. 119.
5590 folg. und bralile den eilenden man
wider ze sinem wibe
mit ganzem Übe
und doch anders ungesunden,
als er in liete funden,
mit geisein zersingen].
Für ungesunden, welches Haupt gesetzt hat, bietet die Hs. gesunden.
Der beabsichtigte Sinn scheint mir der zu sein : Erek brachte den un-
glücklichen Ritter wieder zu seinem Weibe, der, obwohl von Geisel-
hieben stark mitgenommen , doch noch am Leben war. Demgemäß
würde ich so ändern:
und brälite den eilenden in an
wider zu sinem icibe
mit ganzem e Übe
und ouch anders gesunden,
als er in hete funden,
niwan mit geisein zerslagen\-
Ähnlich lässt Hartmann den verwundeten Erek sprechen in V. 6994
folg.: mir enioirret nihf, \ ich bin anders icol gesunt, \ wart da ich von tu
xoart icunt.
5616. als der ein glas -wol schüebe?
5759 folg. daz hdr si vaste uz brach
an ir Übe si sich räch
nach iciplichem site~\.
Ebenso Konrad von Fussesbrunnen in der Kinth. 92 , 36 folg. : an ir
selber si sich räch \ als ein tobunde wvp si brach \ daz hdr uz der swarte.
4467 folg. er sprach: ichn muote mere
von iu deheiner ere
wan daz ir mir äne schämen
rehte nennet iwern namen :
ichn muote ze dirre zit,
wan daz ich icizze teer ir sit\.
Die zwei letzten Verse scheinen sehr verdächtig, weil sie unnöthig und
ungeschickt das wiederholen, was in den vorhergehenden gesagt ist.
Am unangenehmsten berührt die Wiederholung von ichn muote, bei dem
das Fehlen des Genitivs auffällt. Ich schlage daher vor, beide Verse
als unächte zu streichen.
ZI HARTMANNS EREK. 457
4641 folg. also daz er wol valsches wen
li'iti ■/• sam ein Spiegelglas].
In der Hs. vol statt a-ol. Vom Genitiv nach lüter kenne ich kein Beispiel,
wohl aber heißts im Wigal. 29, 4: wan si vor allem valsche was lüter als
ein Spiegelglas, und bei H. von Morungen in MSFr. 122, 14: doch ist vil
lüter vor valsche ir der lip. Demnach wird auch hier das Richtigere sein:
vor valsche statt vol valsches.
5988 folg. du für geheeret kein list,
man m'üeze im smen willen län~\.
Dem Dichter war wohl angemessener: dafür enheeret dehein list, man en-
müeze im sinen willen län.
5832 folg. wä nu hungerigiu tier,
bede icolf nnde her,
lewe, iuwer einez käme her
und ezze uns beide].
Daß diese Stelle verderbt sei, hat Pfeiffer gezeigt. Nur halte ich bede
nicht für fehlerhaft, sondern glaube, daß die 3. Zeile folgendermaßen
lautete : welle iwer ein, ez kume her.
6058 folg. ich icils ouch langer niht enbern
ez werde danne volbrdht].
Für ez hat man ezn zu schreiben, vgl. die Beispiele im mhd. Wb. 1,
156% 30 folg.
6086 folg. verßuochet si diu stunde
daz man dich smiden ie began].
Verfluochet hat Haupt gesetzt für das handschriftliche aice verflucht. Man
kann streiten, welches von den beiden Wörtern dem Auer mehr ge-
recht sei. In V. 2995 sagt er: n sprächen alle •: irP. der stunt daz uns min
frowe wart ie Jcunt! und diese Worte werden ein Fluch genannt V. 2992,
wie es auch mit Bezug auf unsere Stelle heißt in V. 6073: sibegun.de
dem swerte da ze stunde ßuöchen. Dem Schreiber mochte das Wort w§,
owe als interjeetio exsecrantis nicht mehr geläufig sein, vielleicht war ihm
auch der Vers zu kurz , das eine oder das andere bewog ihn wohl,
verfluochet si zuzufügen und dadurch dem Vers mehr Silben zu geben.
Ich lese daher: oice der stunde, daz mau u. s. w. Auch öuS elirre geschiht
in V. 6694 wird als ein Fluch gefasst werden müssen.
6091 folg- ja heete er anderswo, noch hie
angestlichiu dinc bestanden nie
wan daz erz tete üf dineh tröst\.
Unwahrscheinlich ist was Haupt gesetzt hat: angestlichiu dinc für das
handschriftliche dhain angestlich ding. Hartmann wird wohl gesprochen
458 FEDOH BECH
haben: jäne lioete er anderswä noch hie I dehein egeslich (oder eislich) dinc
bestanden nie u. s. w. Vgl. Iw. 408: vehtenunde ringen mit eislichen dingen
(egeslichen in b).
6242 folg. sd i'inras iwer man | so starc noch so wcetlich \ noch so
ahtebcere, \ ir mügt iwer swcere \ wo/ werden ergetzet]. Lies im müget.
6113. als er sich wolde ervellen dran]. Hier ist ohne Noth das von
der Hs. gewahrte ervallen verworfen. Vgl. die Beispiele im mhd. Wb. 3,
219% 30 folg., ferner Kaiserchr. 3343; Specul. ed. Kelle 4, Z. 12: iriueh
ervalletj ir iueh ertrenket ; Kenner 22884: eins abendes gie der munich snelle
und erviel sich über dot kruoc.
6514 folg. nutze moh'e der gräve me
im selben meister gesin,
er tete sin vntugent schin\
So nach Laehmann zu Iwein 4067. Der Schreiber, der das ne (en—, —n)
als ein ihm bedeutungslos gewordenes Wort an den meisten Stellen un-
beachtet gelassen hat, wird auch hier in seiner Vorlage ern tete gehabt
haben.
6569 folg. si stuont von im vil verre
und sprach : geloubet, herre,
ich ahte uf hoer siege ntiii\.
Haupt wollte dem ersten Verse durch Zufügung des von (welches in der
Hs. fehlt) aufhelfen ; aber auch so scheint er mir noch verdorben. Denn —
sie stand sehr fern von ihm: das zu sagen wäre doch hier mehr als müßig.
Der Dichter wollte vielmehr erwähnen , wie Enite durch die gleich fol-
gende Rede ihren Peiniger zu noch weiterer Mishandlung zu reizen suchte;
denn (6579 folg.) slnen sluc si niht doch, vil s&re si sich drunder zoch, daz
si ir mPr enphienge. Daher vermuthe ich: si schunte in vil verre. Der hand-
schriftlichen Lesart würde das gleichbedeutende stunde noch näherstehen;
doch schunden ist bei Hartmann durch Reime gesichert im Gregor. 108,
231, 3804.
6650 folg. Als der todtgeglaubte Erek mitten unter die Hochzeit-
gäste tritt, erfasst alle ein panischer Schrecken : einige fliehen zur Thiir
hinaus, andere verkriechen sich unter den Bänken. Dann fährt der Dichter
fort: eines dinges vil geschiht, des enwundert mich niht, swer sinem libe
vorlde treit, daz er durch sine gewarheit dicke ßiuhet grozen schal uf die
burc uz dem tal (d. h. von unten hinauf, das Gegentheil von zetal = von
der Burg hinab wie V. 7881):
also fluhen dise uz dem hus
und sluffen ze loche sam dm müs.
ZU BAETMANNS EREK. 459
in wart da: wÜe bürgetor
beidiu dar inne und oach da vor
ze wmec und ze enge,
so daz st mit gedrenge
vielen über müre
glich einem schüre
wan si diu grimme vorhte treip\.
Zuerst fällt in diesen Zeilen der Ausdruck grozen schal auf. Davor pflegt
man noch nicht die Flucht zu nehmen und auf die hochgelegene Burg sich
zu retten. Ich denke, es stand hier das Wort gruozsal, welches impetus
feindlicher Angriff, feindliche Belästigung recht eigentlich bedeutet, sieh
diese Zeitschr. 4, 496, Z. 7. Eine andere auffällige Stelle bieten die zwei
Zeilen, welche das Gleichniss von den furchtsamen Mäusen enthalten.
Als schlecht gebaute Verse, wenigstens in der Verfassung, in der sie der
Text bringt, hat sie zuerst Pfeiffer erkannt. Ich glaube , der Zusammen-
hang gewinnt dadurch , daß wir sie ganz streichen. Denn man vergegen-
wärtige sich nur die Gedankenverbindung hier: Das pflegt oft zu gesche-
hen und wundert mich nicht weiter , daß der , welcher für sein Leben
fürchtet, um seiner eigenen Sicherheit willen vor feindlicher Begegnung
aus dem unsichern Thal hinauf auf die sichere Burg flieht ; ihnen , d. h.
diesen Leuten hier wurde dagegen der Aufenthalt in der Burg so verleidet,
daß ihnen selbst der Ausweg durchs Thor zu enge ward, daß sie in Haufen
gleich über die Mauer weg sprangen, plötzlich und schnell wie ein Hagel-
wetter : so grimmig war die Furcht, die sie jagte. Sonst und gewöhnlich,
wollte also mit andern Worten der Dichter sagen , treibt die Furcht die
Leute auf die Burg hinauf: hier war es umgekehrt , hier trieb die Furcht
die Leute aus ihr hinab. Zwischen diesen beiden Gedanken mitten inne
stehen die zwei fraglichen Verse; sie sind mehr als zusammenhangslos,
sie widersprechen sogar dem Zusammenhange. Denn wie vereinigt sich denn
die Vergleichung : also flulien dise üz dem hüsu.s.w. mit den vorhergehen-
den Worten, worauf sie sich offenbar beziehen muß: er fliuhet üf die burc
üz dem tat? Dies genügt, um diese beiden Verse als Machwerk späterer
Hand erkennen zu lassen.
6759 folg. und als si körnen in den ivalt
üz der sorgen geivalt
wider üf ir künden wec\.
Man erwartete in dem walte, denn nach Zeile 6757 befindet sich Erek
bereits in dem erwähnten Walde. Es scheint als ob hier der Schreiber
ein altes seltenes Wort durch ein geläufigeres ersetzte: dem Sinne durch-
aus gemäß wäre hier after walde : gewalde , wie in Veld. Eneit 24, 1 4 :
4(ji) FEDOK BECH
dn die helide balde gefüren öfter walde. Im Erek 6730 u. 9848 findet sich
noch afler wege. Glatter würden dann die Verse so lauten: und als si
öfter walde | körnen tiz sorgen gewalde wider ff u. s. w. Ebenso hieß es
wohl in V. 8.367 : der künec von dem lande \ fragte se ob iht mcere \ after
wege rotere statt üf ir wege.
6804 folg. ja muot mich niht ze verre
d eh ein ander ungemacH\.
Lies: jane muote mich so verre.
6832 folg. nft gieng er für den künec stän
und begunde im sagen
wie der gräve Oringles weere erslagen~\.
Die zwei letzten Verse sind schlecht gebaut. Sehr nahe liegt:
und begunde im mcere sagen
wie der gräve weere erslagen,
oder vielleicht noch besser:
und begunde im sagen maere
wie der gräve erslagen wmre.
Vgl. Iwein 5683 : ouch ivas in geseit \ von dem risen mcere \ wie er erslagen
weere. Wie in V. 6514 zu der gräve der Name Oringles weggelassen ist,
so durfte er auch hier fehlen.
6847 folg. 6 we möht ich im frum gestn,
daz wurde ouch nünem friunde schin\.
Für frum , welches Haupt nach Lachmanns Vorschrift in den Text
gesetzt hat, bietet die Hs. vor. Ist der Ausdruck einem vor wesen so
gar verwerflich für Hartmann? Wir finden ihn doch z. B. im Lanzel.
4446: im was niht vor wan der tot; Roth. Predd. 21, 4: unser herre
bevalch ouch Marien im hin widere, daz er ir phlcege und ir vor weere
an siner muoter stete; ebenso im 1. Büchl. 457: daz st (sc. diu schale)
dem kernen fride ber die teile si da Uzen wer und daz st im vor si, d. h.
ihn schütze, wo Lachmann ebenfalls vor in frum geändert hat; Mai u.
Beafl. 26, 4 : ich mac dir doch niht vor gesin, so antwortet die Tochter
dem Vater, der kurz zuvor gesagt hatte (25, 39) : dii wilt dich mit den
listen vor mir alsus vristen; Ottocar bei Massm. Kaiserchr. Theil 2,
S. 628, 239 : ob ir unz an den fünften tag dem tode vor weset = gegen
den Tod Stand haltet, ihm widersteht; Zeitbuch des Eike von Repgow
S. 578: lange woeren se des vore, se volgeden ime iedoch = at Uli, licet
dubii, seeuniur tarnen; Leyser Predd. 123, 35: aller sin muot
was daran, wie er sin volc gewisen und geleren mochte, er was ime vor
mit xoorten und mit werken ; Joh. Rothe Chron. S. 553, Z. 1: he was
lant unde lüden vor mit grözer wisheide und was ir gar behulfig mit sime
ZU HARTMANNS EREK. 461
räde, und S. 13: got machte zwei grpze licht , daz graste daz iz vor were
deme tage, d. i. praiesset diei, wie bei Diemer 6, 15: wir sulen tuon einen
man uns selben geliehen, der sin alles vor «?, swaz so hie geschaffen si.
— Die zweite der oben angeführten Zeilen bringt einen äußerst matten
Gedanken zu dem, was die erste aussagt. In dieser Fassung stammt
sie wohl nicht von Hartmann. Ich wasre daher folgende Anderim«;:
oioe rnöht ich im vor gesin,
daz iht würre dem friunde min,
vgl. 6991 — 94 und 7027. In der Hs. steht: doch meinem freunde,
fehlt schilt.
6976 folg. ich fürhte er iu erslagen si,
ich schine ie mitten üf der vart u. s. w.
Lies ichn schine. Der Sinn ist: ich fürchte, euer Mann wird euch er-
schlagen, wenn ich mit meinen Rittern nicht zn erkennen gebe, daß
wir ihm zu helfen bereit sind.
6866 folg. daz si niht mohten bewarn
si müestn ein ander icidervarn].
Lies sine müestn oder sine müesn. Vgl. Iwein 913 und die Anm. Lach-
manns dazu , welcher seiner Metrik zu Liebe dort die beglaubigtere
Überlieferung glaifbte verwerfen zu müssen.
6938 folg. daz moht diu frowe niht vertragen.
da si dort stuont verborgen
in grözen sorgen,
si entweite keine wtle,
si spranc üz dem. zile].
Wahrscheinlich ist so zu ändern :
daz enmohte si niht vertragen
diu dort stuont verborgen
in grozen u. s. w.
6945. si sprach: nein, ritter guoi]. Hier, wo Enite durch Bitten
den Ritter abwehren will, wäre neind der üblichere Ausdruck.
7080 folg. do giengeu die knehte
spehen sä mit rehte
welch, stat in da töhte
da man in betten möhte].
Was soll hier der Ausdruck mit rehte? Unfehlbar muß es hier heißen
samint rehte, wie im V. 3084: ritter unde knehte wolden sament rehte mit
ir herren riten.
7154 folg. enthalten die Schilderungen eines Jagdschlosses des
Grafen Guivreiz, bei dem Erek eingekehrt ist, sowie der da üblichen
462 FEDOR BECH
Jagd. Mit Verbesserung der hier arg verderbten Hs. hat der Heraus-
geber sich nicht befasst; nur Benecke hat einen Versuch zur Herstel-
lung des Textes gemacht. Bei Haupt lautet der Text so :
ouch lief, der wirt die Kunde
die des mannes willen taten
ditz jagehäs tvas Lernten.
I ud wenn er daraus nach maneges sile
daz er rande da mite,
8wä er bi den zinnen saz,
SO sahen z jene mht vi/ baz
die da mite randen.
In diesen Unsinn lässt sich einigermaßen Sinn hineinbringen . wenn
man folgender Weise ändert :
ouch, het der wirt der Kunde,
die des mannes willen taten,
diz jageKus wol beraten:
swenner da was ndc/i Jagens site
und daz maii rande da mite,
swä er bi den zinnen saz,
so sahenz jene niht ril baz
die da mite randen.
Ein Genitiv wie der Kunde, abhängig von beraten, findet sich auch
V. 3020: er het die kemenäten lieKtes wol beraten: Grieshab. Predd. 1,
10S: als got die Juden beriet spise und gewandes, also mac er dich be-
raten diner notdurft; G. Gerh. 5685: des .s? got an im beriet; Titurel 9:
got hat dicK sun beraten fünf werder hin de ; Kinth. Jesu ed. Hahn. 84.
55 u. s. w. Die Verbesserungen da was sowie jagens in der 4. Zeile
kommen den Schriftziigen der Hs. möglichst nahe. — Die kommenden
Verse lauten nach Haupt so :
wer soll im ab daz enblanden
swenn er mähte mit, den frouwen
ab dem hüse schoriu-en
loufen die Kunde\.
Dem Vorhergehenden werden sich diese Verse besser anschließen,
wenn man schreibt:
teer solt imz da enblanden,
wand er mit den frouwen
moJite ab dem hüse schouiven u. s. w.
d. h. wer wollte sichs da noch viel Mühe kosten lassen, da man von
diesem Hause aus so bequem die Hunde rennen sehen konnte?
ZU HAETMANNS EREK. 463
7577 folg. mal wie da ze laude was
gewattiger herre Eneas
an alle missewende
unz an sins libes ende].
Sehr störend für die Erzählung ist hier die wiederholte Nennung des Namens
Enras, der vorher \ . 7552 bereits zur Geniige bezeichnet war, und wofür
eine pronominelle Bezeichnung allein am Orte gewesen wäre. Ich halte
die 2. Zeile für verderbt, um so mehr, als die erste nach der Hs. lautet:
und wie er da u. s. w. Die Veranlassung zu diesem Verderbniss finde
ich in dem Misverstehen des Wortes saz , welches absichtlich oder
unabsichtlich mit was vertauscht wurde. Dem Zusammenhange weit
gerechter wäre : und wie er da ze lande saz
gewalticlicJie verre haz
an alle missewende etc.
7823 — 24. und begunde in raste beswveren
daz si dar hörnen wasrenj.
Glatter und dem Auer gemäßer klingen die Verse, wenn man das hier
verdächtige besweeren mit swären vertauscht:
und bequnde im vaste swären
daz si dar komen wären.
Vgl. Iwein 2251 : daz begunde im starke swären und enweste ivie gebären.
7725 folg. an iegliches knöpfe* stat
was ein rubin ilf gesät
in läzürvarwe kästen].
In der Hs. saurvarwe für läzürvarwe. Daraus möchte man eher auf
saver — safer — sojf'er — saplürvaiive schließen. Vgl. Walter v. Rheinau
25, 45: ir äugen kreiz der was vil gar jacintin und saphirinvar ; Konrad
im Trojan. 10462: durchliuhtie sam ein sauerglas wirf noeh sin wille trüebe ;
Ernst von Kirchb. 795: saffirig blä von Orient. In der Beschreibung
eines Netzes, in welcher er oüenbar unsern Hartmann nachahmt, hat
Ulrich v. Zatz. guldme kästen reine, darinne edel gesteine; im Museum
v. d. Hagen 2, S. 78, 303 heißts vom Diamant: in einem stelin käste | da
stet her inne vaste, \ in silber und ingolde niht, | daz ist disem steine ein wilit.
7261 folg. Der Dichter erzählt, wie Erek nach seiner Genesung
an nichts als an Täterschaft denkt, wie behaglich und reizend auch die
Umgebung ist, in der er sich für den Augenblick befindet; die 14 Tage
dünken ihn ein Jahr. Dann schließt der Dichter diese Schilderung
mit den Worten :
em wolde ouch da niht iwein m$
vml vn'ir geriten, möhter, e.
464 FEDOR BECK
Störend ist hier oncli , welches schon darum hier nicht stehen kann,
weil Hartmann nicht einen neuen Gedanken bringen (denn in V. 7238
hatte er bereits erwähnt: dd hügt er wider üf die vart), sondern den Haupt-
gedanken vielmehr kurz zusammenfassen und noch einmal hervorheben
will. Zu diesem Behufe bediente er sich aber besonders gern des
Wörtchens et, welches auch hier an die Stelle von ouch treten muß;
sieh außer den Beispielen in dem Wb. zum Iwein S. 123 — 124 noch
Erek 8107 und 8153.
7277 folg. daz doch nie dehein man
dehein schoenerz gewari],
Sollte nicht das erste dehein von einem Verbesserer herrühren, der den
kurzen Vers verlängern wollte?
7890. daz iceder vordes noch sitj. Das vor der Hs. statt vordes
war unantastbar, vgl. die Anm. Lachmanns zu Iw. 4620 (1139 u. 1304).
7894 folg ze sinem gesellen er dd sprach,
ob er die hure erkande
sus anfivurte im der herre:
ich erkennes, wir sin verre].
In der Hs. ich erkannte sy für ich erkennes. Wahrscheinlicher ist mir:
ja ich, wir sin verre.
8042 folg. er ivirt doch des niht erlän,
ob es got geruochet,
ez werde au im versuochet].
Lies ezn werde, sieh W7b. z. Iw. S. 119 und Erek 8574.
8159. nüscJuntdüivizzestnihticol]. Lies : nü schinet düne wizzest wol.
8238 folg. im Palast von Join de la curt sitzen und trauern viel
Frauen, Witwen der Kitter, die im Kampfe mit Mabonagrin gefallen
waren; sie gehen reich, aber schwarz und unfroßltche gekleidet,
dehein ermel noch ir site
was in niht gebriset.
Sollte sich Hartmann hier wider seine Gewohnheit ausgedrückt haben?
ich meine, er sprach : enioas in gebrtset statt was in niht gebriset. Der
Schreiber fügte wohl niht hinzu, weil er und seine Zeit für die Nega-
tion en — wenig oder keinen Verstand mehr hatten. Über die Sache
selbst vgl. Elisab. in Diut. 1, 374: ermel äne brise als Tracht demü-
thiger Büßerinnen.
8209. Für guot unde reine erwartete man lüter unde reine.
83(i<) folg. nü wart dd niht vergezzen,
si beten alles des die kraft
daz man dd heizet Wirtschaft]. '
7X HAUTMANNS EREK. 465
Wie im Iwein 364—366, wo dieselben Verse fast wörtlich wiederkeh-
ren, wird man auch hier schreiben müssen nune wart, und sine heten
statt nu wart — si heten.
8369 folg. do saiifen im die geste \ sivaz ietwederre weste j daz doch
sagebeere geschacli\. Richtiger wohl: daz et sagebares geschach, wie im
Iwein 3909: daz im da überiges schein.
8442 folg. er sprach: von »welchen sacJien
ich niht gef ragen getar,
die sint ouch ze griulich gar].
Im Munde Ereks lauten diese Worte hier, wo sein Wirth auf alle
Fragen ihm auszuweichen sucht, weil er für des Gastes theures Leben
besorgt ist, durchaus dem Zusammenhange zuwider. Ich vermuthe :
er sprach: von siedelten saehen
ich ie (oder iht) ge/rägen getar,
die ensint ouch niht ze griulich gar.
8470 folg. darin endorfte ouch niemen sfreben
dem zihte meere
lip und ere wcere\
Statt endorfte muß es wohl heißen entorste; vgl. über diesen Fehler
zum 1. Büchl. 19 und 441.
8480 folg. dies niht wolteu haben rät
von tumbes herzen sfiurc,
s7 suochten aventiure].
Lies sine suochten. Vgl. die Beispiele im mhd. Wb. 3, 57lb, 7 folg.
8508 folg. nu die den lip habent verlor//,
so dürft irs niht versuochen\.
Für das von Haupt hier eingeführte na, welches in relativer Bedeutung
nach Lachmanns Vermuthung zum Iw. 2528 bei Hartmann ungebräuch-
lich ist, bietet die Hs. und; und dieses ist hier durchaus erträglieh,
nur muß der Satz die fragende Wortfolge erhalten :
und habent si den lip verlorn,
sone dürft irs u. s. w.
8520 folg. ich weste ivol, der selbe wec
gienge in der werlt eteswä,
reJite enweste ich aber wä,
ican deich in, suochende reit
in grozer ungewislieit
WIZ daz ich in nu f /in den hdn\.
GERMANIA \ II 30
466 FEDOK BECH
Unverständlich ist derselbe wec. Es fehlt alle Beziehung dazu im Vor-
hergehenden. Erek meint wohl, wie sich aus den folgenden Worten
vciiniitlien lässt , den Weg zu dem höchsten Ruhme, den ein Ritter
erringen kann, den Sieg über den tapfersten und kühnsten Mann, den
Kampf, um den er Gott schon lange angefleht, wofür er ihm jetzt dankt,
daß er ihn gefunden habe. Daher wage ich zu schreiben: der Saelden
wec. In der Hs. ist der selbig weg. Vgl. Parz. 8, 16: not wise mich der
Scelden wege; Barlaam 286, 24: üf vrcelicher scelden vart sin dines heiles
scelden wege gebaut in ir vil werden pflege', Gregor. 1871: ich bin ein
ungelobet man und verzagt noch nie dar an, ich gedenke dar an alle tage,
wie ich die sailde bejage, daz ich ze vollem lobe ste.
8557 folg. daz ich hie gar ze lohe ste
oder daz si (= diu ere) vol zergS].
Sollten nicht gar und vol umzustellen sein: vol ze lobe ste : gar zerge?
8584 folg. daz selbe dunket mich ein sin.
wand unde kumet ir dar in,
so geriwet ir mich serej.
Haupt in der Aura, zu dieser Stelle nimmt Anstoß an wand unde,
Lachm. verwirft es in seiner Anm. z. Iw. 155 geradezu als unrichtig.
Doch vgl. Berthold 43, 10: wan und weere ez alle sine tage ein cldsener
gewesen und mügen ez die tiuvel an dem ende von dem gelouben bringen,
so füerent sie ez u. s. w. ebenso 544, 14; Myst. 1, 402, 37: wan unde
hiet er gelebet an der selben zit, so mähten wir der bezeichenunge niht
haben bekant; 2, 607, 26: wan unde wtre daz dinc niht, daz üzerlich be-
weget, sä beschehe daz werc niht; 2, 614, 10: wan und ivere kein nemer,
so mähte der herre niemer ein geber werden. Hiernach scheint sich be-
messen zu lassen die Stelle im ersten Büchl. 1464 folg. : ivan und haste
got verlorn \ einen enget von slme riche, \ ja mähte si im sin geliche, J und
mit ir nach grozen eren \ sin here wider meren, \ wan si zcem tool an eins
engeis stat, wo vielleicht so für ja zu lesen und wol in der letzten Zeile
zu streichen ist; 2. Büchl. 736: wan und solt mir ie da vone \ geschehen
deheiner slahte guot, \ daz einiu minen willen tuot, \ des muoz ich si vil
käme erbiten; vgl. auch noch 1. Büchl. 1886 nach der Hs.
8624 folg. ez wart nie herze also balt,
im gezeeme rehtiu vorhte ivol].
llichtiger und dem Sprachgebrauche Hartmanns gemäßer: im enzeeme
(sieh auch Lachm. Bemerkung zu Iw. 163); ebenso Erek 9792—94:
ez wart nieman so freudenrich, dem doch iht erbarmen sol , ich wisse daz
benamen, vol: lies ichn wisse; vgl. Benecke zu Iw. 749.
ZU HARTMANNS EKEK. 4(J7
8716 folg- der vant da sives in gezam
von icünnecticher ahte:
die boume maneger slahte,
die einhalp obez baren
und änderst! wären
mit wünnecli^her blüete].
Im 2. Verse muß man wohl, wie der Zusammenhang lehrt, wunderlicher
lesen statt wünneclicher , welches einige Verse weiter erst an rechter
Stelle steht. Ebenso gewinnt die Darstellung, wenn man den Artikel
die vor boume im 3. Verse tilgt. Umgekehrt scheint lounderltch für
wunneclich gesetzt in V. 6159 in der Anrede: saget, wunderllchez wip,
war umbe woltet ir den lip selbe hau ertastet ? Dazu halte man den näm-
lichen Gedanken in V. 6215: er sprach: wunneclichez wip: /rar umbe
quelent ir den lip so grimme dielten sere?
8722 folg. ouch freute im daz gemüete
der vögele süezer doz:
ouclt stuont da düerde niht bloz
gegen einer hat) de breit].
Metrum und Sprache scheinen hier unter den Händen der Schreiber
stark gelitten zu haben. Ich gebe folgenden Verbesserungsversuch :
der vogelline süezer doz (oder der vögele süezer sanges doz):
ouch enstuont da diu erde bloz
tuender einer hande breit.
Auch 8144 steht gegen einem häre breit (die Hs. hat gegen eines häres
preit), wo vielleicht tuender eines häres breit das ursprüngliche ist, wie
es in V. 8864 steht. Hartmann sagte gegen einem hdre ohne breit im
Iw. 2641, dagegen [mags] häres breit im A. Heinr. 1101.
8814 folg. dirn mag et niemen des geivegen,
ez si ein ende umb dinen lip]. Lies eznsi ein ende u.s. w.
8854 folg. ouch ist mir daz für war geseii,
got si noch als gnot als er ie was].
Der zweite Vers ist überladen; kräftiger und spruchgemäßer wird er
lauten, wenn man die entbehrlichen Flickworte als gnot entfernt.
8895 folg. hie reit der künec Erec in jenen boumg arten fort].
hie ist wider den Zusammenhang; wahrscheinlich ist dafür hin zu schrei-
ben, wie z. B. Iw. 7941 : hin reit diu guote zu Anfang der Periode steht.
8954 folg. Von einem Ruhebette heißt es: wol erziuget was daz:
| die stollen gröz silberin, | von gvotem geworhte der schtn]. Auffällig
30 *
468 FEDOR BECH
bleibt das Substantiv der schin , welches keinen rechten Sinn gibt;
besser wohl : von guotem geworhte schin = strahlend glänzend.
9074 folg. der ander des auch, niht vergaz,
er bereife sich als am].
Lies ern berede, wie im Iwein 365; 3656: 6547 nach codd. B1>E.
9190 folg. mir luof. ?:orn daz dirre kleine man
a/so lange vor mir irert].
Den Vors bessert es, wenn man liest mirst zorn statt mir fünf. zorn.
über mir ist oder xoirdet zorn sieh die Beispiele im mhd. Wb. 3, 906b,
38. Mir tuot zorn kenne ich nur aus Ruother 75S und Buch der
Rügen 1483.
9304 folg. von swosre er niht enkunde
sich erholn: er suochte d'erde].
Wie hier die erde suocheu = cadere heißt es ähnlich im Tristan Hein-
richs von Freiberg 1755: ros und man mit valle suchten den sant; hier
scheint jedoch dem Metrum bequemer er seic zer erde. Auch 5515 war
er seic hin misverstanden.
9307 folg. Krec der wundern ee
machete in so swa>re
als et in wol laste
er kniete im üf die brüste].
Einen swoere machen soll nach Haupts Bemerkung soviel sein als un-
behülßich machen. Ich möchte den Dativ vorziehen: machete im so sweere,
wie man sagte: der sweiz machet mir warm. Parz. 385, 22; Heinr.
v. d. Türl. Crone 6019: disem machet ez (= daz gelücke) ze icarm, da
teider jenem al ze kalt) Hätzler. S. 216 (43); eben so sagte man einem
heiz, naz, kurz tuon.
9397. st säzen zsamne an daz gras]. Über das auffallende zsamne
sieh Pfeiffer in dieser Zeitschr. 4, 196. Das echte war vielleicht hier
samen oder sament, wie im Lanzel. 6S24 : do erheizten samen an daz
<tms die viere und 4859 : sine mugen samen niht bestdn.
9520 folg. von läute über hundert jär \ gewanete ichs nimmer umb
i in Jiär, \ ir willr si min bestez heil]. Für ir wille s7 lies ir /rille ens%
oder ir wille enwcer\ vgl. Iwein 5480: niemer werde min rat, ir wille
enweere ie min gebot. Oder ist auch bestez zu verwerfen ? dann könnte
es heißen: ir wille enweere ie min heil.
9548 folg. hie [sc. in dem boumgarten) weer daz wesen inne guot],
Vertheidigen lässt sich auch was die Hs. hat: aine = eine (ahd. eino,
Graft' 1, 315) statt inne. Denn Mabonagrin ist von Erek aufgefordert
ZU IIAKTMANNS EJREK. 4(i<|
worden, ihm darüber Aufschluß zu geben, daß er sieh von aller \\ eil
in diese Einsamkeit zurückgezogen und bloß in Gesellschaft seiner
Freundin lebe, vgl.' V. 9413 folg.: so lange ir kinne gewesen s?t, fragt
Erek, saget wie verlribet ir die zit, iu enwcere andre Hute bi? Erek wun-
dert sich um so mehr, da doch jener ein so wackerer Kitter sei und
— V. 9437 — wan bi den Unten ist sd guot. Diesem Gedankengange
zufolge kann es hier, wo Mabonagrin die Gründe seiner Zurückgezo-
genheit darzulegen hat, recht wohl heißen:
hie weer daz wesen eine guot
— hier wäre das Alleinsein gut. Der Sprechende kömmt hier auf den-
selben Gedanken zurück, mit dem er V. 9443 — 48 seine Rede begonnen
hatte. Vielleicht hieß es auch in V. 9555: daz ir hie eine mit mir sit.
9823 folg. ivan der in nach leide treestet wol\. Lies: wan der
nach leide in treestet wol.
9883 folg. und die dar umb niht westen\ Lies: und die des niht
enwesten.
9849 folg. der wirt ir willen huote,
sit er si nach ir muote ,
riwecMchen hleite,
daz ers ouch dar nach bereite,
so daz ir varwe beider
phärde unde Meider
glich vnd ivol zesamene schein].
In der überladenen und unklaren vierten Zeile ist jedenfalls oVors oder
zorse statt daz ers zu lesen. Daß weiter unten phärde dafür steht, kann
nicht weiter befremden, da im Erek auch sonst, wie z. B. 3566, 3572,
3580 und 4580, 4583 beide vertauscht werden. Vgl. übrigens V. 9877:
daz si so gel/che warn gekleit und zen phärden bereit.
9863 folg. nü saz der wirt von Brandigän
üf ein schiene castehui
unde die sine
üf ir ros von Rairine].
Die Hs. hat im letzten Verse: JRafeine für Racine. Ich glaube, daß
man hier eher an eine Misdeutung der Vorlage seitens des Schreibers
zu denken hat, und lese: üf ir runzine; wie in der Krone von Heinr.
v. d. Türlin 19605: ob er mir sin runzin welle Wien durch iuwern pin.
ZEITZ, im Mai 1862. FEDOE BECH.
470 CONRAD HOFMANN
ÜBER DIE HERLEITUNG DES N AMENS BAIER.
radaspona
Allofia
In meiner Mittheilung des „Metrologischen und Geographischen
ans dem Wessobrunner Codex" (Germania 2, 88 ff'.) hätte ich nicht
vergessen sollen zu bemerken, daß die gromatisehen Stück des Isidor
aus Columella V. 1 genommen sind, der selbst wieder aus einer jetzt
verlornen Stelle des Varro geschöpft haben soll ; dann besonders , daß
die Stelle über die Baiern sieh auch in einem Emmeramer Codex des
XI. Jahrh. (Em. G. LXXIII, fol. 47, r'J.) nebst den Städtenamen (ebenda
S. 93) findet. Dieser Emmeramer Codex enthält die von Graft' unter
Em. 31 verzeichneten Glossen. Die Stelle lautet: „Bauguueri ex proprie
ethimologia origo uocabulorum | lingue sumsserunt. Baugo enim apud
illos Corona dicitur . unde banger | uir coronatus dicitur. Ex ideo illa
progenies ex proprie lingue ethimologia | coronati uiri uocantur.
strazpurc Spira
Argentoracensis . Nimitensis . Wangionum j ciuitas uuormacie.
cholina constantinispurc ciuitas noua reginespurc
Agrippina . Constantinopölis . Neapolis . Norica
pazzouua salzpurch aeba.
Betfagia . Aliucula . Granipalacium."
Also dieselbe Überlieferung, wie in der Wessobrunner IIs. , aber
im Einzelnen correcter, am Anfange ein Name weniger, am Ende einer
mehr, dann die Variante Aliucula (oder Aliuoula) statt Ualuicula,
folglich nicht direct aus der Wessobrunner Hs. abgeschrieben.
Was den sonderbaren Buchstab in uaFea uuascum (61) betrifft,
so habe ich mich später (1859 im Juni) bei Ansicht des Vocabularius
S. Galli an Ort und Stelle überzeugt, daß es nichts anderes als ein z
sein soll; dort steht nämlich das Zeichen an einer Stelle, wo nur z
gelesen werden kann, im allerersten Worte surculus zui (Fui).
Bei der Aufzeichnung über Baucueri (Wessobr.) Bawfuueri (Emmer.)
war schon in der gemeinsamen Quelle die Überschrift Ori;/o uocabu-
lorum irriger Weise in den Text gekommen; es hatte also, ist anzu-
nehmen, ein bairischer Mönch aus einem Buche, wo noch andere solche
uocabula erklärt wären, den für ihn interessantesten Namen mit seiner
Deutung herausgeschrieben und da er der erste in der Reihe war,
zugleich die Capitelüberschrift mit hineingemischt, wodurch dann der
jetzige Unsinn entstanden ist. Aber die Verwirrung geht noch weiter.
Sie steckt in der Hauptsache , in der Erklärung des Wortes selbst.
Dci Autor hat eine schlechte, d. h. eine grammatisch und historisch
unhalthare Namendeutung gegeben; folgt daraus, daß er entweder ein
i BEB DIE HERLEITUNG DES NAMENS BAIER. 471
einfältiger oder ein unwissender MenscB gewesen ist? Gewiss eben so
wenig, als daß Bruder Berthold das eine oder das andere war, weil
er witewe von ivite tcS und ketzer von katze abgeleitet hat. Die Ety-
mologie als Wissenschaft ist die jüngste ihrer Schwestern, das Resultat
der germanischen und indischen Studien und der aus ihnen entstan-
denen vergleichenden Grammatik. Die gescheidtesten Leute haben zu
allen Zeiten die lächerlichsten Etymologien gemacht und machen sie
noch heute , wenn sie die Regeln der Kunst nicht gelernt haben oder
sich augenblicklicher Zwecke wegen darüber hinwegsetzen. Etwas an-
ders ist es im vorliegenden Falle: da wird ein Wort, welches kein Baier
brauchte, durch ein anderes erklärt , welches gar nicht existiert. Wir
nannten uns nie Baucueri oder Bauguueri und es hat nie ein schwa-
ches Masculinum baugo, sondern nur ein starkes Masculinuin laug,
bonc, pouc etc. und ein schwaches Femininum bouga (wovon franz.
la bague durch ags. bedh oder friesisches bäg stammen kann). Letzteres
hat Graff fürs Ahd. dreimal belegt: aus einem Wiener Codex, aus den
florentinischen und aus den Lindenbrogischen Glossen, pouga, armilla,
bougun, bougin, dextralia. Diese zwei könnten allerdings auch von einem
Masc. bougo kommen, aber das mhd. bonge (Mhd. Wb. I. 178) be-
stätigt das Femininum.
Wenn man nun dem Verfasser nicht eine fast unglaubliche Un-
wissenheit zutrauen will , so wird man die Stelle als corrupt ansehen
und etwa so lesen dürfen:
Origo uocabulorum.
Baguuarii ex proprise etymologia linguae nomen sumpserunt;
bauga (oder baug) enim apud illos corona dicitur, uuer autem vir.
Hinc Bauguuer coronatus vir appellatur, et ideo illa progenies ex pro-
prio lingual etymologia coronati viri vocantnr.
Damit wäre die Sache auf das Maß einer gewöhnlichen, irrthüin-
lichen Etymologie zurückgeführt, die uns um so weniger Wunder neh-
men darf, da der Verfasser, wie ich annehmen zu dürfen glaube, gewiss
kein Baier gewesen ist, erstens: weil er sagt apud illos, zweitens weil
er den lateinischen Namen der Baiern in einer Form zu Grunde legt,
die ein g hat. Nun ist von Zeuss nachgewiesen, daß diese Formen
mit g in bairischen Quellen älterer Zeit nicht vorkommen, sie finden
sich dagegen, wie man aus Förstemann sehen kann, in sehr alten und
respectabeln außerbairischen Quellen. Ein irischer, angelsächsischer
oder wenigstens fränkischer Religiöse scheint also der Urheber zu sein,
und wahrscheinlich war das Werk, in dem die famose Deutung stund,
ein berühmtes oder wenigstens ein verbreitetes, denn ich sehe nicht,
472 CONRAD HOFMANN
was man Fürsteinanns Ansicht, die nicht seltenen späteren Formen
Bauguarii etc. möchten unserem Etymologen nachgeschrieben sein, mit
Grund entgegensetzen könnte. Die Entstehung der Formen mit g, g»,
o scheint mir im romanischen Organ begründet, welches (wie das Kel-
tische) w durch gu oder g im Anlaut, durch o im Inlaut zu vertreten
pflegt. Richtig ist wohl nur Bajuwarii oder Baiwarii. Die ganze Frage
i-t indess an sich von geringer und für die wirkliche Erklärung des
Wortes von gar keiner Bedeutung.
Über einen Punkt der famosen Etymologie muß ich doch noch
einige Worte verlieren, nämlich über viri coronati. Daß der Wort-
erklärer hang mit Corona übersetzt, ist entweder eine grobe Unwissen-
heit, denn bang heißt nie Corona , und wenn man sagen wollte , ein
Ring sei ein Reif, eine Krone sei auch ein Reif, folglich könne man
Krone für Ring setzen, so wäre das gerade so geistreich, als das Ver-
fahren jenes Arbeiters , der bei Öffnung eines altfränkischen Gräber-
feldes einen gefundenen Schädel in den ehernen Reif eines Eirncr-
beschläges steckte und so einen mit der Krone begrabenen Frankenkönig
improvisierte, der bekanntlich lange in der Archäologie als Spuk um-
gegangen ist, bis ihn der Abbe Cochet beschworen hat; oder — wenn
laug = Corona nicht aus Unwissenheit floß — lag Absicht zu Gründe.
Wenn man einen Kenner des Mittellateinischen fragt, was viri coronati
heiße, wird er antworten: mönchisch geschorne Leute, Mönche; denn
Corona ist der terminus technicus für den Haarkranz , aus dem die
Mönchstonsur eigentlich besteht. Coronatus, altfr. coronez, prov. coro-
natz heißt Mönch, das engl, crown (Schädel) ist dieses mittell. Corona.
Wie, wenn der Etymologe der Wessobr. Hs. am Ende gar einen
schlechten Witz hätte machen und etwTa die Baiern wegen ihres „ge-
münchten" Herzogs Tassilo verspotten wollen? Auf ihn wird sich ja
wohl auch die Sage vom Herzog Adelger oder Theodo beziehen , und
der Ausdruck „ geschert u als Schimpfwort hat sich unter den Baiern
selbst mit merkwürdiger Zähigkeit erhalten. Er ist ganz allgemein ver-
ständlich, bezeichnet zunächst die Bauern, besonders die Rekruten,
dann Alles ohne Ausnahme. Man gebraucht ihn natürlich nie allein,
sondern immer in Verbindung mit einem Epitheton ornans. Vor -ein
paar Tagen erst hörte ich einen ganz kleinen Jungen eine Katze
„gscherts L . . . . " nennen.
Daß die Geistlichen dem unglücklichen Tassilo und seinen An-
hängern ganz besonders gram waren, ist bekannt, und es wäre ja mög-
lich, daß ein Geistlicher von der fränkischen Partei höhnend das ganze
Volk die Geschornen genannt hätte , wie später in der Sage wirklich
alle Baiern ihrem Herzog zu Lieb sich Haar und Rock abschneiden lassen.
ÜBEE DIE HERLEITUNG DES NAMENS BAIER, 473
Meine eigentliche Absicht ist, die geltende Deutung des Wortes
Baier zu untersuchen und meine Zweifel dagegen vorzubringen. Unter
dieser Deutung verstehe ich natürlich die, welche Zenss in seinen beiden
Werken: „Die Deutschen" and „Herkunft der Baiern" entwickelt hat.
Ob sie in Baiern selbst die Mehrzahl der Stimmen für sich hat,
möchte ich fast bezweifeln, aber außerhalb Baiern ist sie sicher die
herrschende. Zeuss ist bekanntlich der Ansicht, daß die Baiern die im
Anfange des VI. Jahrh. aus Böhmen ausgewanderten Markomannen seien
und daß die zwei Benennungen des Volkes , die feierliche lateinische,
Bajurarii, wie die populäre deutsche, Baigirä, Peigird u. s. w. beide
von dem alten, beim Geographus Ravennas aufbewahrten Ländernamen
Bajas herzuleiten seien, welcher selbst nichts anderes als die germani-
sierte Form des früheren keltischen Boji sei mit Verwandlung des un-
germanischen oi in ai. Mit der lateinischen Form habe ich es hier
nicht zu thun und wrüßte nicht, wie die Erklärung von Zeuss ange-
fochten werden könnte. Gegen die Erklärung des deutschen Namens
aber sind mir Zweifel aufgestiegen , die ich nicht verschweigen will,
so schön und zusammenhängend auch die Zeuss'sche Beweisführung ist,
und so schwer es mich ankömmt, gegen meinen speciellen Landsmann,
den Stolz des Ostfrankenlandes, mit grammatischen Scrupeln aufzu-
treten, denn darauf geht alles, wTas ich zu sagen habe, hinaus.
Der Punkt, um den sich die ganze Zeuss'sche Beweisführung
dreht, ist nun offenbar, daß Baigari die ursprüngliche Form des deut-
schen Namens, und daraus Baigeri durch Umlaut, endlich Baigiri durch
Assimilation entstanden sei. Dagegen wäre natürlich nichts einzuwenden,
wenn nur Baigari und Baigeri in den ältesten Quellen vorkämen. Aber
dies ist nicht der Fall , so daß schon Graft' in seiner Aufzählung der
Völkernamen auf ari (Sprachsch. 2, 338) den Namen ganz allein unter
der Form Paigira aufführt. Die entschieden ältesten Quellen, in denen
das Wort vorkommt, haben ein i. Gloss:e Cassel. (auf der letzten Seite):
spähe sint peigira (paioarii), der Wessobrunner Codex dreimal: 1. Ar-
noricus (= ager noricus) peigiro lantj 2. Istrie, paigira; 3. Istria pei-
girae. Zeuss führt aus Kozroh an peigiri (3mal), pegiri (2mal) , pegirin
(3mal) , peiri, peirin ; ferner aus der zweiten Freisinger Hs. pegirin;
dagegen aus Kozroh nur ein peiariit und aus Schannat peiariii und
peiari. Förstemann (Personenn. 273) gibt ebenfalls mehr Formen mit i
an, darunter zweimal aus dem hochwichtigen Verbrüderungsbuch von
S. Peter in Salzburg pagiri. Daraus geht zur Evidenz hervor, daß in
den ältesten und in den auf bajuwarischem Boden geschriebenen Ur-
kunden die Form mit i weitaus die andere mit a überwiegt. Paigiri ist
unzweifelhaft die älteste, in älterer Zeit die häufigste und in der aller-
474 CONRAD HOFMANN
ältesten die einzige Form des Wortes. Sie erscheint in den obigen
Beispielen, die gewiss Dicht vollständig sind, 15 Mal und wenn man
peiri, peirin dazu rechnet, 17 Mal.
Man erwäge nun dagegen, wie oft iri für ari im Ahd. überhaupt
vorkommt. Ich habe die sämmtliehen Wörter auf an, die Grraff 2,
335 — 338 verzeichnet , an den betreffenden Stellen im Sprachschatz
nachgeschlagen, wobei sich die Anzahl noch etwa um ein Dutzend ver-
mehrt hat. Dieser Bildungen auf ari sind ungefähr 450 und rechnet
man, daß im Durchschnitt jede nur viermal verzeichnet ist, so kommen
schon 1800 Formen heraus. Das Resultat ist nun folgendes: 1. Unter
diesen 1 800 Fällen findet sich iri für ari im VIII. Jahrhundert niemals.
2. iri für ari erscheint im IX. Jahrhundert und nachher in folgenden
Fällen: 1. leitiri Otfr. IV. 16. 23 (Fris. leittari) , farira O. IV. 16. 14
(Fr. farara). In beiden Fällen hat O. aus metrischen Gründen i gesetzt,
denn sonst hätte es fdrärä, leitäri heißen müssen (nach dem von Grimm
2, 126 entwickelten Gesetze) und dann hätte der Vers um eine lange Silbe
zu viel gehabt. Der Freisinger Abschreiber hat diese metrische Fein-
heit nicht gemerkt und daher die gewöhnlichen Formen gesetzt.
2. Tatian 132, 18 bigengiri eultor neben bigangere 102, 2. 3. duchiri
(= tuchari) aus Aid. 1. (IX. X. Jahrb.). k.-raiiri Sg. 292 (IX. Jahrh.).
5. stamfiri Gc, 12 (IX. Jahrh.). 6. zeltir F. 1. 7. sito-uangiren schis-
matico Notk. ps. 22, 4. Dazu kommen noch folgende Fremdwörter:
chellire (= cellarium) , pressire (= pressarium), piliri (pilarius), spichiri
O. I. 25. 16 (= spicarium, uaihiri (vivarium). Fälle wirklicher Assi-
milation, wie ligir-i, giuuitir-i, hindir-i können natürlich gar nicht in
Betracht kommen.
Aus dieser Übersicht der einzelnen Fälle (erheblich vermehren
werden sie sich schwerlich lassen) geht hervor, daß die Form iri für
ari so selten ist, daß alle Fälle vom IX. Jahrhundert an zusammen
genommen (im VIII. kommt sie, wie bemerkt, gar nicht vor) noch
nicht einmal den nachgewiesenen Peigiri an Zahl gleichkommen. Es
wäre somit eine große Willkürlichkeit zu behaupten, Peigiri stehe für
Paigari, denn wie in aller Welt sollte es möglich sein, daß eine un-
regelmäßige Form, die unter last 2000 Fällen überhaupt nur 7 Mal
(resp. 12 Mal), im VIII. Jahrh. aber nicht ein einziges Mal vorkommt,
gerade für das Wort Peigari und zwar schon im VIII. Jahrh. die Regel
wäre? Ich halte demnach für bewiesen, daß Peigiri nicht aus Peigari
entstanden ist, sondern daß man umgekehrt erst später Peigari statt
Peigiri gesagt hat, weil es germanischer klang.; denn daß das Suffix
iri als primäres gar nicht germanisch ist, weiß man aus der Gram-
matik, s. 2, 139 ff.
EE DIE BEELEITUNG DES NAMENS BAIER. 475
Damit fällt die germanische Ableitung des Namens Peigiri. Wenn
das Suffix iri nicht germanisch, die Ableitung folglich eine undeutsche
ist, so entsteht die Vermuthung, daß das Wort kein germanisches sei.
Sehen wir uns im Keltischen um, welches das nächste Anrecht
hat, zu Käthe gezogen zu werden, so erscheint wirklich ein Suffix ire,
welches solche Nomina agentis bildet , wie die germanischen auf ari
sind, und welches auch mit unserem ari ursprünglich identisch ist, indem
es sich aus aire, airi, ari entwickelt hat. Zeuss Gr. Celt. 743 : „Vin-
dicanda est lingure hibernica? derivatio — ari ut —ari, utraque sub-
stantivorum generis maseulini. Hujus transgresste in — dir exempla
sequentur mox infra ; illa substantiva e substantivis derivans facta est
infectione AIRE, IRE; echaire, mulio, notire, notarius, rectire, pnepo-
situs gentis , tectire, tecttaire, techtire, techtaire, dispensator, gubernator,
scrinire, arcarius, tablaire, tabellarius, tdisechaire, primas,/m'mVe, parasitus.
Der Stamm bag nun, aus welchem durch Hinzutritt des Suffixes
ire (oder iri) baigire entstanden sein könnte , lässt sich im Keltischen
hinlänglich nachweisen. bagh im Gälischen heißt Schlacht, Zeuss p. 20
hat ir-bdg, ir-bdga contentiones, arabdgimse, contendo, glorior, dann
noch bc'ujid (erschlossen aus dem Gen. bdiguiV) prreda, wozu er p. 753
die aus den Latein. Autoren bekannten Bagaudce stellt (manus agrestium
ac latronum, quos Bagaudas incola? vocant, Aur. Vict. de Csess. 39).
Streiten wäre also die Bedeutung des Stammes (bdgul prreda = das
Erstrittene) und damit wären wir zugleich zu der Einsicht gelangt,
daß wir unser Verbum bdgau, päcan, streiten, mit den Kelten gemein-
schaftlich besitzen. Im Keltischen fragt sich, ob bag oder lag anzu-
setzen ist (Zeuss hält bag für wahrscheinlicher), auch bagan kommt im
Altn. mit kurzem a (schw. Verb, baga neben bcegja) vor. Für die Ab-
leitung des Wortes paigiri ist dies jedoch gleichgültig, so wie es ferner
gleichgültig ist, ob das Suffix ire Infection (Verwandlung von a in ai)
bewirkt oder nicht bewirkt. Das aus den besprochenen Elementen ge-
bildete Wort nämlich würde bag-ire lauten ; im Falle ire Infection be-
wirkt, baig-ire und dieses baig-ire würde im Ahd. ebenso hie und da
peikiri lauten, wie von päkan streiten päkari neben pägari vorkommt.
Ein peikiri aber findet sich nie und ist absolut undenkbar, g in peigiri
ist also nicht organisch , sondern euphonisch , d. h. ein etwas stärker
ausgesprochenes j. Da nun in den angeführten Beispielen die Endung
ire nur in zwei Fällen Infection Avirkt , in fünf Fällen nicht (scrinire
fällt weg, weil i keiner Infection fähig ist), so würde sich wahrschein-
lich auch nicht einmal baig-ire, sondern nur bag-ire ergeben — streng
althd. päkiri oder pekiri. Mit dieser Deduction scheine ich die Mög-
476 CONRAD HOFMANN, UJBEB DIE HERLEITUNG DES NAMENS BAIEB.
lichkeit einer Ableitung von bag oder bdg ausgeschlossen zu haben —
in Wirklichkeit wollte ich bloß grammatischen Einwendungen begegnen,
die mir gemacht werden müßten und die ich mir selbst gemacht habe.
Der Grund, weshalb peigiri dennoch von bag-\-ire kommen kann, ist
ein ganz anderer und lierzt in einem eigenthümlichen keltischen Laut-
gesetz. g pflegt nämlich im In- und Auslaut sich in j, y zu erweichen
oder ganz abzufallen (destitutio), nicht erst in späterer Zeit, sondern,
wie Zeuss nachgewiesen hat , schon in einer verhältnissmäßig sehr
frühen Periode *). Die Hauptstelle findet sich Gramm, celt. 166 — 7:
„Exeussarum rnediarum, praesertim g, in voeibus et nominibus gallicis
oecurrunt jain vetusta exempla apud scriptores terra; continentis" u. s. f.
Demnach ist baj-ire, mit Erweichung, oder ba-ire anzusetzen, mit
Hiatus, zu dessen Vermeidung ein euphonisches j (= g) eingeschoben
wurde. Daß bajire gerade so lautet wie baijire, wird jeder zugeben;
auch haben uns ja die Schreibungen pagiri und pegiri (= pojiri, pejiri)
diese Form erhalten.
Die Möglichkeit, daß ein deutscher Stamm einen keltischen Na-
men trage, wird Niemand bestreiten, nachdem nicht mehr bezweifelt
wird, daß der Germanenname selbst keltisch ist. Man wird diese Mög-
lichkeit um so weniger bestreiten dürfen bei einem Stamme , der sich
ja gerade im Kampfe gegen die Kelten zuerst berühmt gemacht hat —
„praeeipua Marcomannorum gloria viresque , atque ipsa etiam sedes
pulsis olim Boiis virtute parta." Germ. 42.
MÜNCHEN, im September 1862. CONRAD HOFMANN.
DIE ERDE ALS JUNGFRÄULICHE MUTTER
ADAMS.
In Wolframs Parzival 464, 11 lehrt Trevrizent:
Diu erde Adämes muoter was:
von erden fruht Adam genas.
dannoch was diu erde ein magt.
noch hän ich in niht gesagt
wer ir den magetuom benam.
Käins vater was Adam:
*) Das g ist schon in Boii für Bogii ausgefallen. Die Bedeutung von Bögii scheint
zu .-ein: die Schnellen, s. gr. celt. 790. In adj. cambricis: buan (celer) truan (infelix);
e nudo tru, hib. vet. trog; ergo et buan e bbg'i cf. Trogus, Bogius. In armoricis : buTwrn
(celer; hod. buan, buhan) s. ferner ib. p. 58. Alternativ inter j ei gi colligenda videtur
e nominibus quibusdam vetustis u. s. f. über boji, — bogi — ßöyioi.
DIE ERDE ALS JUNGFRAULICHE MUTTEE ADAMS. 477
der sluoc Abeln umb krankez guot.
do i[f die reinen erdenz hluot
viel, ir magetuom was vervarn :
den nam ir Adämes harn.
Diese Ansicht , daß die Erde die jungfräuliche Mutter Adams —
wie Marin die jungfräuliche Mutter Christi, des Gegenhildes Adams —
sei, gehört schon alten Kirchenlehrern an. Die Erde gilt aber als Jung-
frau theils insofern sie noch nicht von liegen befruchtet und von Menschen-
hand bearbeitet war. theils insofern sie noch kein Blut getrunken, keinen
Leichnam geborgen hatte. Ich lasse die Stellen, die mir darüber bekannt
geworden sind und die ich nirgends beisammen gefunden habe, hier
folgen. Irenaeus contra omnes ha?reticos III, 31 (21, 10 ed. Stieren) sagt:
Et quemadmodum protoplastus ille Adam de rudi terra et de adhuc vir-
gine (nondum enim pluerat Deus , et lwrno non erat operatus terram) habuit
substantiam, et plasmatus est manu Dei, id est Verbo Dei (omnia enim
per ipsum facta sunt) et sumsit Dominus limum a terra et plasmavit ho-
minem: ita recapitulans in se Adam, ipse Verbum existens ex Maria,
quae adhuc erat virgo, recte accipiebat generationem Ada? recapitula-
tionis. Tertullianus adversus Judasos 13: Utique illa terra virgo, non-
dum pluviis irrigata, nee imbribus feeundata, ex qua homo tunc primum
plasmatus est , ex qua nunc Christus per carnem ex virgine natus est.
Derselbe de carne Christi 16 : Virgo erat adhuc terra , nondum opere
compressa, nondxtm sementi subaeta; ex ea hominem factum aeeipimus
a Deo in animam vivam. Igitur si primus Adam ita traditur, merito
sequens, vel novissimus Adam, ut apostolus dixit, proinde de terra,
id est carne nondum generationi resignata, in spiritum vivificantem
a Deo est prolatus. Firmicus Maternus de errore profanarum religio-
num 25: lJe virginis terra: limo homo factus est, nondum enim, ut ait
scriptura, svpra terram. pluerat .. . Ex virginis terra? limo factus Adam
praßvaricatione propria promissam perdidit vitam : per virginem Mariam
ac Spiritum Sanctum Christus natus et immortalitatem aeeepit et regnum.
Joannes Damascenus de fide orthodoxa IV, 24 : rj[ielg ds cpaptv, r<p ix
TtaQ&svov GuQxa&ivxL @ecj koycp Q-ccQQiftavtsg, cog r\ xccQ&avLa ava&ev
xal i^aQiijg evsyvxtviT)] xfj a)i)G8i xeov ccv&qcüticov, ix TtaQ%tvov yag yijg
6 avd-gco7iog itayiAaörovQy \ixai. In der Apostelgeschichte des Pseudo-
Abdias VIII, 5 sagt Bartholomäus zu dem indischen Könige Polymius:
Terra, de qua factus est Adam, virgo fuit, quia nee sanguine humano
polluta fuerat nee ad, sepulturam alicvjus mortui a quoque erat aperta. Par
ergo erat, ut (diabolus) qui filium virginis vicerat, a iilio virginis vin-
ceretur. In der Legenda aurea cap. 2 (Grässo S. IT) sagt der Apostel
4<;
U'.IMIOLl) KOHLEB
Andreas, als er mit dem Proconsul Aegeas disputiert: Quia de Im-
maculata terra factus fuerat praevaricator, congruum fuit, ut de immacu-
lata nasceretur virgine reconciliator. Der heilige Sylvester sagt in
seiner Disputation mit den Juden nach Simon Metaphrastes vita Syl-
vestri 28 (bei Surius vol. IV): Homo ex terra formatus incorrupta , in-
corrupta enim tunc erat terra, ut qua' nondum fuisset maledicta neque polluta
sanguine fratris aut ccedibus aliorum animalium neque mortuoram corporum,
ut postea vocata esset selpuchrum, aut profanis actionibus inquinata et sce-
leribus. Jacobus de Voragine laut in der Legenda aurea cap. 12
(Grässe S. 75) den Sylvester sagen: Terra, de qua Adam formatus est,
incorrupta erat et virgo, quia nee se ad bibendum humanuni sanguinem
aperuerat, nee maledictionem spinarum aeeeperat, nee hominis mortui sejml-
turam habebat, nee serpenti data fuerat ad edendum. Dem entspricht Kon-
rads von Würzburg Sylvester 3429 ff, besonders 3475:
(diu erde) was ein mag et dannoch,
wan kein schrunde noch kein loch
dar in von starkem büwe gie,
und was dar üz kein dorn nie
gewahsen noch gegangen:
ouch was si dem slangen
dannoch zeim ezzen niht gegeben,
der sit ir gnaden muoste leben,
und mit ir wart gespiset hie.
ouch was dar in begraben nie
kein toter mensche dannoch,
da von si was ein maget noch,
und äne wandelunge stuont,
als alle kiusche megde tuont.
In der Kaiserchronik (S. 293 Diemer, v. 9585 Massmann) sagt
Sylvester :
diu erde was maget raine,
si genam toten lichnamen nienehainen,
noch enphie nie mennischen pluot,
unze Kain sinen prüder resluch.
daz pluot daz von im ran
der erde iz ir magetuom benam.
Im Passional 78, 95 sagt der Heilige:
den ersten menschen Adam
Got von der erden nam
in lobelicher werde.
DIE ERDE ALS JUNGFRÄULICHE MUTTER ADAMS. 479
des muter was die erde.
die was noch husch und gut,
vor allem vluche behut
der ir dar nach wart gegeben,
do ir sun trat beneben
zu der sunden unvriunen.
noch niht was in die erde kmnen
menschen blut mit unvlat,
des ir swelgender grat
dar nach vil und vil slant.
ir was dannoch unbekant
der vluch in sulcher wise,
daz si were ein spise
der slangen an ir lebene.
Innocentius der dritte sagt in seiner berühmten Schritt de eon-
temptu mundi sive de miseria humanse conditionis (I, 3): Adam fuit
formatus de terra, sed virgine. Dieß hat Hugo von Langenstein, der in
seinem Gedicht von der heiligen Martina einen Theil jener Schrift, wie
ich in dieser Zeitschrift noch näher besprechen werde, bearbeitet bat,
übersetzt (119, 15):
do Adam gemachit wart,
dannoch ivas vil unverschart
diu erde, ein maget reine
von süntlichem meine
und dannoch unversündet.
Vgl. auch vorher 117, 69:
(diu erde) ivas dannoch ein maget,
als diu schrift saget,
von gote unverfluochet,
mit buwe niht versuochet.
Ich schließe hieran noch Stellen anderer deutscher Dichtungen.
In der Bearbeitung der Bücher Mosis bei Diemer S. 10 heißt es:
dennoch hete werden
magetuom deu erde,
unze Abel geboren wart,
von sineme brüder er reslagcn wart.
daz blüt daz von ime vür,
daz benam ire den magetüm.
In einer Bearbeitung der Genesis (Diutiska 3, 58, Hoffmann
Fundgruben 2, 26) sagt Gott zu Kain:
480 REINHOLD KÖHLER, DIE ERDE ALS JUNGFR. MUTTER ADAMS.
diu erde ist verfluchet,
diu e was rein unt maget,
diu von dinen hauten
dines prüdere plut hat verslunten.
Ebenso sagt Sylvester bei Konrad v. 3462:
got, unser lieber trehtin,
sprach, als mir diu wärheit swert,
diu erde magt und unverwert
sloz uf ir munt und trank in sieh
dins bruoder blnot vil clegelich.'
Vgl. Genesis 4, 11: Nunc igitur maledictus eris super terram,
quae operuit os suum et suseepit sangninem fratris tui de manu tua.
Im Anegenge 20, 22 heißt es bei Abels Ermordimg:
do gemailte daz bluot
die maget reinen erde,
daz der gotes werde
vor sinem bruoder üz goz.
Endlich lesen wir im Freidank 7, 8 (der neuesten Ausgabe von
Grimm):
Got geschuof Adamen
an menneschlichen sämen,
Eve wart sit von ime genomen,
diu beidiu sint von megden komen.
diu erde was do reine gar,
do was Adam und Eve bar;
die verlurn sit ir magetuom.
Viele Handschriften haben aber:
diu erde was do maget gar.
Wenden wir uns schließlich noch einmal zu Wolframs Stelle,
von der wir ausgiengen, so bleibt uns noch zu bemerken , daß er, so-
viel man aus Rochats leider zu wenig ausführlicher Vergleichung in
der Germania 3, 107 schließen kann, diese Anschauung nicht aus
Chrestiens von Troyes geschöpft zu haben scheint.
WEIMAR, Juli 1862. REINHOLD KÖHLER.
481
LITTEEATÜE,
Der Minne Regel von Eberhardus Cersne (?) aus Minden. 1404. ^Mit einem
Anhange von Liedern herausgegeben von Franz Xaver Wöber, in mu-
sikalischer Hinsicht unter Mitwirkung von A. W. Ambros. Wien 1861,
bei Wilh. Braumüller. (XXXI und 265 und 8 SS.)
Das episch-didaktische Gedicht Eberhards von Minden — so wollen wir
mit Weglassung seines zweideutigen Beinamen den Verf. einstweilen nennen —
verdiente allerdings herausgegeben zu werden schon um seines Gegenstandes
Willen, den der Dichter ziemlich geschickt zu einem in sich zusammenhängenden
Ganzen verarbeitet hat. Nicht minder verdienten wohl auch die Lieder, welche
noch zu dem Besten gehören, das jene Zeit auf dem Felde der Lyrik zu leisten
im Stande war. eine Bekanntmachung. Der bloße Abdruck aber dieser nur in
einer einzigen Handschrift vorhandenen Stücke entspricht dem Bedüvfniss doch
zu wenig, da die Hs. selbst einer so späten Zeit — „Mitte des 15. Jahrhun-
derts" — angehört und nicht frei ist von allerhand Fehlern, welche namentlich
für solche, die nicht gerade Kenner von Fach sind, das Verständniss an manchen
Stellen erschweren, ja die Leetüre geradezu ungenießbar machen. Der mnd.
nicht allen Lesern gleich geläufige und genehme Dialect, in welchem das Schrift-
stück ursprünglich abgefasst ist, erschwert ohnehin das Lesen. Es ist daher zu
beklagen, daß der Herausgeber so wenig gethan hat, die mehrentheils leicht
erkennbaren Verderbnisse des Textes zu beseitigen, noch beklagenswerther aber,
daß er es überhaupt gewagt hat, mit Anmerkungen und Erklärungen hervorzu-
treten, welche nur zu deutlich verrathen , daß er selbst in der betreffenden
Mundart wenig bewandert und in den Sinn gerade der schwierigen Stellen nicht
eingedrungen ist.
Ein nahe liegendes Hilfsmittel, welches in der Auffassung und Würdigung
dieser oder jener Stelle ihn wesentlich hätte unterstützen können, hat er nicht
zu Rathe gezogen, ich meine die Vergleichung des lateinischen Originals, des
bekannten Tractatus de arte amandi et de reprobatione amoris von Andreas Franco-
gallorum aulee reglx capellanus*). Die von Dr. Hartlieb aus München auf Ver-
langen des Herzogs Albrecht VI. von Oesterreich verfasste Übersetzung dieses
Tractates ins Deutsche hat zwar ihrem Inhalte nach in der Einleitung des Heraus-
gebers eine ausführliche Berücksichtigung gefunden , ist aber doch zu diesem
Zweck von äußerst geringem Nutzen für ihn gewesen; wo er sie in den An-
merkungen herangezogen hat, vermag sie das Schwierige und Dunkle kaum auf-
zuhellen und zu erläutern. Ich habe zu diesem Behufe die Ausgabe von Deth-
marus Mulherus benützt, welche den Titel führt : Erotica seil Amatoria Andrece
capellani regit, vetustissimi scriptoris, ad venerandum smtm amicurn Gualterum **)
*) Daß die wichtigsten Abschnitte daraus bereits bei Arretin S. 117 gedruckt
sind, scheint dem Herausgeber entgangen zu sein.
**) Daß dieser Gualterus auf den wandernden Sänger Walther zu beziehen sei,
von dem wir noch mehrere lateinische Gedichte besitzen, hat J. Grimm in Gedd. des
Mittelalters auf Kcenig Friedrich L, S. 184 vermuthet. Das dort S. 218 folg. (= Carm.
Buran. S. 155 folg.) stehende Gedicht: De Phyllide et Flora hat in seiner Schilderung
des parodisus Amoris von Strophe 59 ab manche Ähnlichkeit mit der Beschreibung des
worzegarten der Frau Minne bei Eberhard in V. 367 folg.
GERMANIA VII. 3]
482 LITTERATUR.
scripta, nunquam ante liozc edita, sed s(epit*s a inultis desiderata, nunc t andern fide
diversorum M. SS. codicum in publicum emissa a Delhmaro Mulhero. Dorpmundce,
typis Westhovianis , anno Vna-Casü et Verl <i Man Dte. Der erste Theil dieser
Schrift, welcher von der Liebe mehr im Allgemeinen handelt, ist mit Ausnahme
der auf S. 7 7 — 78 befindlichen tredecim principalia amoris prcecepta von Eberhard
unbenutzt gelassen; dasselbe gilt von dem letzten Abschnitte, welcher de repro-
balione amoris überschrieben ist S. 234 — 27 1; erst da, wo die einzelnen quce-
stiones und responsiones beginnen, von S. 156 an, hat der Dichter des vorge-
fundenen Stoffes sich bemächtigt und ihn in der freiesten Weise , bald ausführ-
licher bald kürzer, seinem Plane gemäß verarbeitet. Von einer Benützung des
bei Andreas befindlichen Materials zeugen sonach bei Eberhard die Verse 7 74
bis 7 82 und 1019 bis Ende; alles übrige hat der Dichter entweder anders
woher entlehnt oder selbst erfunden *).
Ein zweites Mittel, welches namentlich zur Berichtigung des vielfach ent-
stellten Textes sich leicht hätte verwerthen lassen, war eine genauere Berück-
sichtigung der Metrik und zunächst des Reimes. Aber auch darauf hat Herr
Wöber sich soviel wie gar nicht eingelassen. Sieht man von den hie und da
eingestreuten leoninischen Hexametern ab, die als versus memoriales immer nur
eine Regel, eine Vorschrift, eine spruchartige Sentenz hervorheben sollen, so hat
der Dichter die vierzeilige Strophenform, wie sie auch Johannes Rothe in seinem
Ritterspiegel zeigt , überall gewahrt. Nur sind die Strophen , wie ebenfalls bei
Rothe , insofern freier und beweglicher gebaut , als eine jede derselben mit der
andern verglichen ihr besonderes Maß hat, keine, wie es in einem lyrischen
Stücke nothwendig wäre, Silbe für Silbe der andern gleich zu sein braucht;
anderntheils haben sie ihren strophischen Charakter auch dadurch eingebüßt,
daß sie keinen abgeschlossenen Gedanken darzustellen brauchen , daß also dem
Sinne nach die erste Zeile der vorhergehenden, die letzte der folgenden Zeilen-
gruppe sich anschließen darf. Wo jedoch eine solche Gruppe eine Zeile mehr
als gewöhnlich hat, ist meistens nur eine Nachlässigkeit des Schreibers, kaum
ein Versehen des Dichters anzunehmen. SjJäter zugesetzt scheinen in dieser
Beziehung folgende Verse :
V. 1638: by obir linde gründe, welches eine nähere Erklärung des folgenden
Verses abgeben sollte; vgl. Andreas S. 194: rede atque provide agh 'midier, si pro
tali desinat esse amore sollicita, quia in tali tempestate optatas nunquam inveniet ancora
ripas. — V. 3 6 7 3: wil sy lob ere vazen. — V. 3 8 2 2 : syt : sus auch herwedirher,
gebildet nach V. 3828, um dem vorhergehenden Satze zu einer Copula zu ver-
helfen. • — ■ V. 4631 : an eyner guldin ketken, welcher, wie bereits in der Anmerk.
gesagt ist, drei Zeilen weiter unten wiederkehrt und dort an seiner rechten Stelle
*) Von den bei Andreas auftretenden Namen findet sich in unserem Texte nichts
wieder. Die Entscheidungen über die verschiedenen Liebeshändel, welche hier der Köni-
gin der Minne in den Mund gelegt werden, sind bei Andreas verschiedenen Personen
beigelegt; nach einander vertreten nämlich diese Rolle eine comithsa Campaniai, comit.
Flandrensis, Regina Almoriai. Mengarda Narbonensis , Domina Narbonensis, Dominai-um
curia in Varsovia. Der von Eberhard nicht genannte Held, welcher den henschin nebst
habich (chirotliecam und acciiritrem) von des Königs Hofe holen soll, ist bei Andreas als
ein Brito quidam oder quidam Britania: miles bezeichnet S. 220 folg. Statt des obscuren
Sydrus erscheint der wahrscheinlichere Name Arturus. Was endlich den Namen Truren-
feld betrifft , so habe ich bei Andreas nichts entdecken ' können , was an denselben
erinnerte.
LITTEKATUJß. 483
steht. Nicht gehört hierher der V. 4 1 5 eingeflochtene Hexameter : noch dan
quinternä gyge videle lyra rubeba.
Ausgefallen scheint dagegen ein Vers zwischen Z. 62 6 — 6 27: ir mildikeit
mit tröste \ daz ich ivas di irldste, — Zwischen Z. 1832 — 1833: dl ist geprübit
Und gemerkt, \ an dem ist ganz di lieb bewerkt. — Zwischen 2 24 3 — 44 fehlt eine
Zeile mit dem entsprechenden Reime auf ist; ebenso fehlt nach V. 2 7 82 ein
Vers nebst Reim auf sere. — V. 295 7 — 5 8 sind in eins zusammenzuziehen,
davor ist wohl eine Zeile ausgefallen.
Wiederum finden sich Störungen durch Umstellung der Verszeilen ver-
ursacht, so in Z. 1415 — 1416: erloschen hegen etc., wo die zweite vor der ersten
stehen sollte; und ebenso Z. 3953 — 3954: ich ir hij nicht nennen etc.; endlich
in Z. 29 91 — 29 92: hän der puren liebe spil u. s. w. Der Schreiber nahm hier an
der parenthetischen Satzstellung Anstoß, welche allerdings auffallend genug, aber
bei unserem durch die lateinische Satzfügung verwöhnten Dichter nicht selten ist;
man vgl. 17 91 folg. : siehslu auch din liebichin war, so hole dich vor wenken, sitzen
an der frouwen schar, willü nicht liebe krenken (sieh auch Rothe im Ritt. Sp. 549
folg.) = Andreas S. 181: ab Omnibus decet corporis nutibus abslinere. Ahnliche
Verschränkungen noch in V. 2752 — 2755, 4379—4382, 2715, 3249, 3283,
3380, 3609; in V. 2684 dagegen scheint man frund auctorilät als ein Wort lesen
zu müssen, da es in der Vorlage heißt: irrefragabili tibi auetoritate monstramus.
Endlich finden sich noch Zeilen durch Weglassung eines Wortes oder
Buchstaben am Ende derselben verdorben, wie V. 3221 — 23: grünlich er : trugit
dich, wo entweder ser nach trugit dich ergänzt, oder er gestrichen und grimmieh-
lich (wie V. 4121) statt grynlich gelesen werden kann. — Ferner 366 1 — 64:
da van ir zivier heimlikeit | worde kund und offenbar, | und ir lieb in hertzeleit \ vur-
wandelt werden und gekart, wo der zweite Vers wohl lauten muß: mochte kund
und offenbart '; vgl. Andreas S. 214: facile possent amoris arcana diffundi.- — Schließ-
lich eine Stelle aus den Liedern 12, 14, wo der Herausg. nicht bemerkt zu
haben scheint, daß der Schreiber am Ende ho ( : frö) ausgelassen hat. Dagegen
ist sein Versuch, in Lied. 5, 3 4 zu bessern, als verunglückt anzusehen; das
Fehlerhafte des Verses liegt hier in der Häufung der Silben ; diese Zeile darf die
Länge von V. 7 oder 1 4 oder 2 7 nicht übersteigen ; daher man eher din zarte gut
oder din gütlikeit statt din zarte gütlikeit vermuthen könnte. Die daselbst folgen-
den Verse , 35 — 40, müßten eigentlich das entsprechende Maß von V. 15 — 20
haben; villleicht lauteten sie so: fin zarte milde j iviz rote vilde \ oych (d. i. Auge)
unde herze j iviltü mir bilde, \ so iverden wilde | pin unde smerze.
Das Zählen der Silben ist bei Eberhard als stehendes Princip auch in der
Minneregel wahrnehmbar: die durch Reim mit einander gebundenen Zeilen müssen
stets gleiche Silbenzahl haben , ungezählt bleibt allein der Auftakt. Wäre der
Herausg. sich dieses Gesetzes bewusst gewesen , so würde es ihm hie und da viel-
leicht gelungen sein , das Unechte vom Echten zu scheiden und den von späterer
Hand verunstalteten Text reinlicher zu gestalten. So fehlt z. B. eine Silbe oder
zwei in V. 7 15: wer feste gäbe git ; — in V. 1511: ein man in liebe was un-
dirtan ist eine Silbe zu viel , was daher wohl zu streichen und in den Anfang
des folgenden Verses zu setzen. Überfüllte Verse stehen noch 17 8, 182, 310,
welche sich leicht bessern lassen. Derselbe Fall in V. 1971: dyner eidern siege
schelelewort, wo man dinr statt dyner zu lesen hat, wie es z. B. in dem gleich-
3i*
484 LITTERATUR.
langen Verse 19 96 sich wirklich findet oder auch dir (wie in V. 2254); eben
so steht in Lied. 19, 6 dyner für dir,
Von zweisilbigem Auftakt lässt sich nirgends ein beweisendes Beispiel auf-
führen ; wo der vorliegende Text dennoch zwei Silben hat, sind diese stets der
Art, daß sie bequem in e^ne verschliffen oder daß — wie dieß bei unde (und
oder ind'i) namentlich der Fall — ohne Weiteres statt der längeren die kür-
zeren Formen gewählt werden können. Z. B. 319: daz gebüdit (büdit?), 3 50
und 35 4: ir gelich, 67 0: si bedütin, 95 2: mir genügit, 9 94: so enachtich,
1039: aber, 1203: ez envolge, 1579, 2608 u. 3289: ich neweiz, 2469: si ne-
rüche, 25 65: irer (lies ir oder er) veyde, 27 23: ubirein , 2924: irer wordir,
3140: solde si, 3228: dun darbst u. s.w.
Außerdem scheint Eberhard, wie man dies bereits bei Conrad v. Würz-
burg und später bei Nicolaus von Jeroschin und Andern beobachtet hat , die
Auslassung einer Senkung innerhalb eines Wortes zuweilen zu gestatten , wie
z.B. in pdl-lds V. 4534, 4559, 4049, gi - gant 4316, 4508, vi-ant 4519,
guldin 4511, unvorsichtich (indiscretus bei Andr.) 206 5, hofart 2106, küscheid
1536, orlöb 2458, horsam 2032, woltät 3532, zügang 4129, armSt 3306 und
2045 u. 2182 (für welches anderwärts aber aremöt steht z. B. 3287 u. 1745,
ebenso arebet 3075).
Aus der Behandlung der Metrik geht nun hervor, daß der Dichter sich
im Ganzen noch an die im 14. Jahrb. geltenden Normen hält; er unterscheidet
sich darin um Vieles von Johannes Rothe aus Kreuzburg, in dessen Ritterspiegel
z. B. die Verse sehr verwildert sind. Wenn dagegen der Herausg. in seiner
Einleitung S. 2 9 absprechend bemerkt: unmöglich kann eine Dichtung, die in Vers
und Reim so verwildert ist, wie die Minneregeln, in eine so frühe Zeit gesetzt werden,
so darf man dies um so eher auf sich beruhen lassen, als er den nähern Nach-
weis für diese Behauptung schuldig geblieben ist; daß er von den Reimen des
Dichters aber eine falsche Ansicht hatte, beweist allein schon seine Bemerkung
zu dem Liede 4, 35, wonach er es sogar für möglich hält, daß Eberhard edir
haßin : wassir gereimt habe. Was der Dichter selbst (oder ein späterer .Schreiber ?)
am Schlüsse seines Werkes von V. 4813 ab in dieser Beziehung sagt, kann schon
darum nicht in Betracht gezogen werden, weil die dort gegebenen Andeutungen
zu dunkel und unbestimmt gehalten sind; und wenn dort ferner von nicht recht
gemessenen Versen die Rede ist, so hat man dies wohl mehr für eine Beschei-
denheit des Verfassers anzusehen als für einen Beweis dafür , daß die Verse
wirklich so kunstlos behandelt seien , wie der Herausg. sichs gedacht hat. Daß
der Dichter einer altern Zeit angehört , als es nach dem vom Schreiber ihm
angelegten theilweise modernisierten Gewände der Sprache zu sein scheint , be-
weist übrigens auch seine Bekanntschaft mit der früheren Literatur, denn darauf
deuten doch die Namen Secundille 35 9, Wolfram von E. 56 0, Ilorand 5 6 3,
Frouwenlob 5 6 3, Nithard von dem Ruwental 565, der Nebelungen schätz , der
Greken golt 9 72, der hört von Babylon 9 75, obir mer der balsmen gart 9 7 6,
daz laut Ebron 9 7 7, Krane und Acheloyde S. 187, Gral S. 204, und endlich
die an Neidhard erinnernden Namen Humbolt und Metzelin S. 210.
Was den Reim betrifft, so wird man aus dem Gebrauch desselben ersehen,
daß die Mundart des Verf. vorwiegend niederdeutsch war, daß der jetzige Text
aber einen großen Theil seiner mundartlichen Formen durch die Hände der
Ahschreiber eingebüßt hat. Das bunte regellose Durcheinanderlaufen von bald
LITTERATUK. 4g5
niederdeutschen , bald gemeindeutschen Wortformen sticht auffallend ab von der
Sprache jenes Fabeldichters Gerhard von Minden, eines Landsmannes von un-
serem Eberhard, der nur um weniges älter gewesen zu sein scheint, da, als er
seine Beispiele dichtete, düsent und dreihundert jur unde seventich verflossen waren.
Man vergleiche die Mittheilungen über denselben bei \\ iggert Scherfl. 2, 28 — 7 0.
Weniger auffallend ist der Abstand der Sprache gegen Berthold von Holle,
dessen Eberhard selbst in einem Liede gedenkt *) , mehr dagegen wieder in
Vergleich zu den Proben, welche in Firmenichs Germaniens Völkerstimmen von
dem heutigen Dialecte um Minden gegeben sind. Welche Noth einzelne diabe-
tische Formen dem Schreiber machten, wie er bemüht war, sie durch gemein-
deutsche zu ersetzen, ersieht man aus folgenden Beispielen:
So nahm er Anstoß an dem mnd. 6 für mhd. uo in gruz (salutatio) : genuz
(socius) 577, 956; gruz : genuz 1316, gruz : genoz 3125; dagegen reimt in den
Liedern 5, 17 genote : amo te; grün : schon 58, dagegen grün : schon 342 ; —
tuon : Ion (merces) 1165, tun : thron 90 7; unberührt ist dagegen geblieben fro :
thö (fac) 2738, rost (quies) : tost (facis) Lied. 14, 19; tzü (ad) : jo 1355, sonst
so : jo 1858, slöl (sella) : hol (amicus) 581 und 4689, ungevoch : genoch 3225,
hot (custodia) : not Lied. 11 , 5, bei Gerhard tö '.fro, vgl. Bartsch zu Berth.
Crane Einleit. S. LIII. Ferner wird das mnd. e (= mhd. ie) verdrängt in fied
(fugit) : tzeed (migrat) 7 40, abetzeet : angesiet 2 3 04; dagegen wieder gm : tzeen
1608, abetzeen : fleen 2590 u. s. w. ; — gebe : liebe (amori) 1378, 1384, 1504;
2451, 2459, 3076, 3569, kne (genua) : die (ille) 4587, sonst knt : ge (eat) 6 27,
vier (quatuor) : ler (vaeuus) 42 75; irtzeygen : betregen 449 5; tyeren (bestiis) : re-
geren 4 7 24; dagegen richtig teer : eer (prius) Lied. 15, 21 und obirvel (mhd.
iiberviel) : snel 4140; rvolgetzirde (bene decorata) : vil wir de (mhd. vil werde) 2409;
reyff (clamari) : begreyff (comprehendi) 205, steyz {== mhd. stiez) : beyz : geheyz :
enweyz Lied. 7, 26; dafür bei Gerhard lep (lief) : rep (rief), begrep : rep 3,117,
deve (für) : leve (mhd. liebe) 8, 37, bei (momordit) : het (calidus) 50, 3, bedregen
wiegen (muscam) 70, 17, were : dere (animali) 84, 6, ben : vlen (fugere) 84,26,
vel (cecidit) : snel 91, 85, vgl. auch Bartsch 1. 1. S. LXI. Nicht minder ist das
mnd. e (== mhd. ei) in folgenden Formen geändert : seen (vident) : meyn (puto)
1916, ebireyn : besten 2748. Von Consonanten ist verdächtig das im Auslaute
statt des mnd. j (v) gebrauchte b in folgenden Reimen : dieb : schieb (schief) 18 9,
1356, 2286, briebe : liebe 2648, 2663, 3900, lieb : brieb 3607 und 3697;
stip (steif) : Itp (vita) 39 72; hob (aula) : lob 86 0 und 40 20; dahin gehört auch
das häufige ab = oder; Gerhard sagt dafür def 27, 43, dref (mhd. treip) : schef
(schief) 63, 2, hof-.grof 86, 9, to hove : low 86, 13, Berthold von Holle lif :
wif, lief, blef, dref, hof, lof , vgl. Bartsch 1. 1. S. LX. Gleich verdächtig und
gewiss vom Abschreiber eingeschwärzt ist z (tz) statt des mnd. t in daz : saz
(satur) 124 5, gortil : schortzil 3 85 7 ; zweifelhaft ist der dunkele Ausdruck ertze
in dem Reime ertzen : hertzen 2683, 2702, 2740; möglich daß hier dieselbe
Hand tz aus t änderte, welche oben sat in saz und wahrscheinlich auch anevanc
in anevanz umschrieb, vgl. V. 123 6 (anevanc : swqnc?) und 166 5 (ganc : anevanc"?);
sonst findet sich der Landessprache gemäß geschrieben stert (cauda) : phert 123 7,
greit (Sand; gret?) : geleyt 7 2, ingevalt: gestalt, öfter hertlich = herzhaft sieh An m.
z. 12 und 3542, 4080, 4624. Andere Beispiele von dem schwankenden Ge-
*) Lied. 1, 4: sye tivingt mich vie dan cranen Achiloyde.
486 LITTERATUK.
brauch einzelner Formen ließen sich außerhalb des Reimes noch in Menge auf-
führen. Es mag indessen genügen, hier darauf hingedeutet zu haben.
Zur nähern Charakteristik der IIs. und um zu zeigen, wieviel der Herausg.
übersehen und theilweise misverstandcn hat, hebe ich folgende Stellen hervor:
V. 278 lies gen statt des ganz vereinzelt stehenden gon. — V. 44 8 und 4 50
müssen wohl sexte und fünfte ihre Stellen vertauschen ; der Verbesserungsvor-
schlag des Herausg. in der Anm. dazu ist unwahrscheinlich. — V. 5 63 könnte
statt des corrupten chamera vielleicht Seneca gelesen werden, dessen Name hier
kaum fehlen durfte. — V. 5 78: al dyn truten toirt gewant, lies irüren. —
V. 7 70 lies disse zile für dissez tzile. — V. 781: übe nicht der mynne spil,
vor dir dan liebichin wil , lies vordir als ein Wort und tilge das Comma nach
spil ; vgl. Andr. S. 7 8: in ainoris exercendo solatia voluntatem non excedas aman-
tis. — V. 1120 folg.: went man dy sache nydir lid, \ so lyd auch, nydir sundir
feyl | daz, da van tzu suchende phlid: so geben die Worte keinen Sinn. Man
ändere man in wan und streiche das Comma im letzten Verse , dann stimmt
damit Andreas S. 158: causa efficiente remota cito eins cessabit effectus. Über
phlid vgl. 1650. — V. 1161 lies sieht men statt sieht, vgl. Andr. S. 159:
nam istud in ipsis secularibus videmus edifieiis evenire , quod in eis dignior pars
fundamenla dieuntur. — V. 1249 — 50: unde daz dy liebe Mibe frusl \ gecrenkit
unde nicht sere ; um Sinn hineinzubringen, schreibe man keine statt blibe , sowie
gekrenke statt gekrenkit. Das Wort frusle findet sich noch in V. 2087 folg.:
mit sulchin snoden phanden dy frow hat rote unde frust durch sins speles froyde dein,
vgl. Andr. 186:fidelis amator potius debet amoris grarisshnas eligere peenas quam
vereeunda coamantis exaetione potiri vel ipsius spreto rubore gaudere , quia non
amator sed proditor appellari meretur etc. Unter frust verstehe ich Kälte = ge-
vruste, wie der Dichter vilde statt gevilde sagt, vgl. mhd: Wb. 3, 414, Clara
Hätzl. S. 88, 25; 2 49, 6 6. — V. 1575: der ist nicht sicher liebe wert, lies
sulchir wie in V. 1634. — V. 15 85: daz ist ein lustlich lieblich zart | gab, ebn
allen gaben, hier ist Sinn und Versmaß gestört, lies gäbe ebir (obir^ allen gaben.
— V: 16 78 lies nächläge = Nachfolgen, Folge, statt nachtlage. — V. 1701:
ydoch sy dusind eyde swern, sy meinens al vff fromikeid, das gäbe einen falschen
Sinn, bessern romikeid. — V. 17 10 lies ir ere statt in ere. — V. 17 3 7: so
saltu dir beivisen, lies so saltüt ir b. — V. 18 64: daz man sy nicht vurstieze (:vur-
drieze) vielleicht vurscieze? vgl. Servatius 1204. — V. 1990: gut geferte, behe-
gelich gang etc., vielleicht geperde oder gebere statt geferte , da es bei Andreas
S. 184 heißt: multam praeterea. intentionem praestat amori gestus et incessus pla-
cabilis coamemti; auch V. 1875 ist gestus durch geferte wiedergegeben. —
V. 199 9 lies gcrochle gut statt gerechte gut und vgl. 2052. — V. 2249 lies
unrechtlich für vurechtlich. — V. 22 5 2 lies und in iren stat (oder und an i. st.)
für undir iren st. — V. 23 3 0 lies machlü statt mach. — V. 2501 lies vursegen
:= versagen für vursigen. V. 236 6: entfengit sy, werden sy da van, lies entfengt si
werden sir da van oder entfengit werden si da van = entflammt, aufgebracht werden
sie; überdieß gehört ein Comma ans Ende der vorhergehenden Zeile. V. 35 7 7
folg. : her mag frilich da Irinnen | dy liehe daz nicht icerlich \ lang ist unde vil van
hinnen, lies daz liebe da nicht w. u. s. w. vgl. Andr. S. 197: nam secura polest
cognoscere veritate, quod amor in ea nullatenus perseverat, quare ergo in ea suum ponit
effectum. Also iverlich = durabilis. — V. 2 6 40 lies der nuiven lieb statt da n. I. —
V. 2653 lies züzeet für tzutzeer. — V. 27 11: dy ist nicht alleyn geivant lies ah
LITTERATUR. 487
eyn statt alleyn. — V. 30 6 3 lies gelebe für gelobe. — V. 3 060 lies um oder vur
statt unde. — V: 322 9 lies nü meinich für nu meyn, vgl. 3427, 345 7. —
V. 3 2 53 lies sach in treit oder sacke treit für sack treyt. — V. 333 2: unde gebem
irer minnenbunt, lies minnen pant, Unterpfand der Minne, vgl. vorpenden 3 06 8. —
V. 3321 scheint für men passender nvv = aber, doch, vgl. Andr. S. 208: si
vero postulaliones eorum videantur aequales. Über mir sieh das mhd. Wb. 2, 144 ,
Das sächs. Lehnr. ed. Homeyer 47, 1 Anm. und S. 597. — V. 3361 lies und
zu der wedirliebe statt unde tzu der liebe. — V. 3 3 86 lies mocht für macht. —
V. 3 39 6 lies worde für werde, vgl. 3 38 7, ingleichen irworbe im folgenden Verse
für iricerbe, vgl. 3 660 worbe : stürbe. — 3512 lies wossin gute sete an statt
wessen u. s. w., vgl. wox = mhd. wuohs in V. 4298. — V. 3580: dy tut dir
Jceyn gewinne, streich tut und setze ein Comma am Schluß der vorigen Zeile. —
V. 37 91 lies an dem ritter scMge recht statt sehe gerecht, vgl. 3 5 23. — V. 3819
gibt gemezelich keinen Sinn, bessern gemeinichlich, vgl. 3S83. — V. 385 9 lies
confect statt confert, vgl. Ges. Abent. 3, 233 (V. 1372) und C v. Megenb.
284, 13. — V. 3804 lies macht statt mach. — V. 3881 verlangt der Zusam-
menhang ein Comma nach bescomoe Jceyn; sinnstörende Interpunctionen tilge unter
andern auch 3815, 3825. — V. 3886 vielleicht von der unreinikeid statt unde
der unreynikeyt'i — V. 3893 für altzuvil gäbe hier bessern Sinn alletzil = alle
Zeit, immer, vgl. Pass. H. 340, 90 und Pass. K. 494, 85. — V. 3960 lies
sicher statt siehe. — V. 39 7 2 für auch lies mach. — V. 403 8 lies di frowen
statt den frowen. — V. 4184 lies dorch für doch. — V. 4 208: den hengst hob
er tztin siten = Andr. 224: cogens calcaribus cquum; das Präterit. von howen
lautete auf mnd. heb, vgl. 4234 und 44 9 3 (deb : heb?) aber auch how oder hob
wie bei Witzlaw in MS. 3, 7 9a und bei "Gerhard von Minden 3 3, 3 9. — V. 42 74
ryneren, richtiger wohl rioeren wie in Berth.Crane 18 78 und 1883. — V. 4281 — 82:
eyn wolgetzyret pallas j michel, hoch, rund, senenfalt', die zwei letzten Worte sind
offenbar verschrieben, man lese dafür und senewalt = mhd. sinwel, vgl. seneicold
im Sachsensp. ed. Hom. 1, 63, 4, sienewelde bei Gaupp Das alte Magd. u. Hall.
Recht S. 345 (§. 7 0) und im Kulm. Recht ed. Leman 2, 7 4 nach A. einen sene-
welden schilt. — V. 4313: wy ich den tormer (?) horte slan , lies tonre für tormer,
vgl. Andr. S. 22 5 : quod quasi tonitrua videbantur ex propinquis partibus orta; Kced.
von Salfeld 81, 2 9: der donre hatte si geslagen. — V. 44 23: liestü dich du nydir
slan | eyner der tzu füze gat, lies einen statt eyner. — V. 44 2 9 lies numme er gen
für nymmer gen. — V. 442 9 lies wille für will. — V. 44 9 4 ist ich an sine
phande stach unklar; vielleicht stund gebende, gebeinde, oder peinde beinde statt phande ;
so steht gebeinde in Pass. H. 70, 69; Eike von Repg. Zeitb. 323, 7; 351, 12;
geheime bei Pfeiffer Beitr. z. K. der Köln. Mundart 98; in den Minneregeln
findet sich noch gebirgete 42 7 2 und gesteinte 4133. — V. 4555 lies obirzalich
als ein Wort. — V. 4 6 33 lies da sach ich für do sach. — V. 469 7 lies der
frowen schar statt der frouwe seh. — Lied. 1, 11 muß es heißen: vorwar ich
bitters ni enbeiz ( : enweiz) statt enweiz , obwohl sonst im Nothfalle dergleichen
unerlaubte Reime mit unterzulaufen scheinen wie teert : wert 3 63 6 (?) , vil : eil
891, hän : hän 2933 (?). — Lied. 15, 40: ich dyn nicht enber, lies ich din nicht
enger. — Lied. 19, 17 lies ich geren oder ich gere statt ich gerne.
Reich an Misverständnissen und verunglückten Erklärungsversuchen sind
besonders die Anmerkungen des Verf. Da sie den Leser leicht irre leiten können,
bedürfen sie ganz besonders einer Widerlegung. In V. 4 3 ist nowelich = asgre,
488 LITTERATUR.
kaum, = genouwe genotce genau, sieh Diutisc. 2, 212 districte nouweleke , nicht
aber = „ze jungest, zuletzt." — Are misverstanden in V. 83: Jaspis war (lies
was) der ergeste stein mang den andern ingevalt, d. h. Jaspis war unter den dort
befindlichen Edelsteinen der geringste, Wöber dagegen : hier ist es so viel als her-
vorragend, am meisten in die Augen fallend. Ebenso falsch versteht er es in V. 37 4:
balsamies daz worzelin an gutem roch herfizer schein, doch tüchte mirs daz ergeste
sin, auch hier ist es = das verhältnissmäßig geringste, am wenigsten edele.
Ingevalt endlich ist wohl nicht, wie Wöber meint „(= eingefaltet) zusammen-
gelegt (valte = die Falte)" — , fondern so viel als eingelegt, von valten velten
= mhd. valzen velzen; letzteres in ähnlichem Zusammenhange in den Beispielen,
welche das mhd. Wb. 3, 234b aufweist; dasselbe Wort kehrt wieder V. 45 5. —
V. 103 kann vast nimmermehr bedeuten „der Ort worauf etwas ruht, die Grund-
lage", sondern vielmehr = Stand. — Tzymlurgit soll heißen rmit Burgzinnen
versehen" in V. 114. Vielleicht nur dialectisch für zimbergit, gezimbert , vgl.
ahd. zimbarjan. — Herden (: geverden) in V. 14 7 falsch gefasst = Wachsamkeit
— also die beständige Furcht, in der ein Liebender schwebt; vielmehr = mhd.
herten ausharren, standhaft und treu bleiben, mhd. Wb. 6, 6 38; herten : geverten
in Pfeiffers Jerosch. S. 17 4, geverden : vulherden bei Gerhard von Minden 91, 5 2,
Schcenemann Sündenf. S. 17 3a. — V. 189: ich hugke ich ge crump unde schieb,
hier soll hugke so viel sein als ich meine, glaube; dagegen streitet aber der Zu-
sammenhang. Sicher ist das von Frisch 1, 45 9b verzeichnete hocken gemeint =
sich niederkauern oder gebückt, unter einer Last gehen, das im md. und nd. noch
fortlebt; ebendabin gehört die Stelle in den Liedern 13, 49. — V. 253 wird cho
als Imperativ von quedan genommen, ebenso V. 6 3 9. Ich weiß nur, daß der Im-
perativ im ahd. quid, chid lautete; der Herausgeber hätte seine Auffassung durch
andere Beispiele begründen sollen ; jedenfalls hat er oder der Schreiber verlesen
für tho. — V. 3 6 1 : ir roch roch camomillen und allir blomen honte (: obirschönie)
d. i. ihr Geruch dem Geruch der Chamille und aller Blumen spottete, übertraf ihn.
Was sagt der Erklärer? „allir -honte, allerhand" — man traut kaum den Augen! —
V. 4 35: men horte sy nicht snaven (loctaven) heißt es von den harmonisch klin-
genden Vögeln, man hörte sie nicht wanken in der Stimme, nicht falsch singen,
= snaben sneben vgl. Grimm z. Reinh. S. 2 8 8, Fromm, z. Herbort 2 0, Frauenlob
Spr. 28, 16; 46, 15 ; 51 , 18; 116, 19; Rothes Chr. S. 726, Ritt. Sp. 1811
und 2366. Der Herausgeber denkt fälschlich an „schnauben, schnaufen." Ebenso
unrichtig ist es zu V. 877 mit „schnappen, haschen" erklärt; sieh Gramm. 1, 463
ed. IL — V. 45 7: darnach ir sechse sungen icol | gar sfizlich obir den faven | ut,
re, mi, ffä, lä, sol \ daz wären die oetäven. Bei faven denkt der Erkl. an ,.faba,
Bohne d. h. Notenkopf" und fasst ober den faven = „nach den Noten." Schwerlich
richtig. Sollte sfizlich obir den faven nicht soviel sein als dulcius favis oder dulcius
quam favi? vgl. die ganz gleiche Ausdrucksweise in V. 50 4: daz wassir obir lutler-
drang hatte einen süzin smag; überdieß sind lateinische Wörter bei unserem Dichter
äußerst häufig in dieser Weise verwendet, namentlich im Reim, sieh die Anm. zu
229. Der dritte der oben angeführten Verse ist um eine Silbe zu kurz, wahr-
scheinlich ist ein und oder ind ausgefallen. — Zu V. 615 ist die Bedeutung von
spiln viel zu flach und unbestimmt gefasst in den Worten: min gunst in liebe zu
dir spilt und V. 99 7: min herze diner liebe spilt = nfroh werden, sicherfreuen";
vielmehr = exsultare, tremere , vor Freuden hüpfen , freudig und lebendig sich
regen, so bei Walther 120, 13: unde spilet im sin herze g ein der wunneclichen zit,
LITTERATUK. 489
Servatius 2 736: daz herz spüle, 2257: der g eist spilte in den liden, Krolew. 30:
min herze spilt, Merswein 119: min herze vert spilende vor freuden, Ernst von
Kirchb. 66 2: so lange sin herze spilte = lebte, Alex. ed. Massm. 5154: zözin
spilete uns der Hb = hüpfte ihnen entgegen. — V. 66 7 : ir eere ne was noch
ni gesengt, hier wird gesengt von sengen abgeleitet und mit ahd. bisengan sowie
mit „schroten" verglichen; es ist aber ohne Zweifel mnd. Form von senken,
vgl. 2 051: nidersenkit wirt daz gute gebuchte dm und 3547: di begnnde senken
sin qnäd geruchte und 16 40: senken sich begunde liebe. — In den Ausdrücken
zacht ist alles leides büd (: gud) 683 und 7 2 9, wer aber were lasiirs büt (-.gut),
des werdit her ze male bfit 1836 kann unmöglich ein Zweifel sein über die Be-
deutung von büt ( = mhd. buoz); Wöber glaubt, es könne hier auch but =
„das stumpfe Ende eines Dinges, finis" (?) gemeint sein. — V. 803: halde dich
durch keinen bach (: gäch) ein minner und enrceme nicht ; gegen den Zusammen-
bang wird hier buch mit „Streit, Hader" übersetzt, richtiger war = gloriato
Prahlerei, vgl. Pfeiffer in dieser Zeitschrift 1, 226 — 2 27; 6, 160 (10); und
Bartsch über Karlm. 26 6; Hoffm. Glossar. Belg. 6. — V. 951: wiltü mir nicht
lieb gehän soll nach der Anm. bedeuten, „Liebe erwiedern"; der Herausg. täuscht
sich über die mnd. Form mir , vgl. Bartsch Anm. zu Berth. v. Holle Darifant
2 3 0. — V. 965: ich wende mir wol dusintfald \ gröz Ud ich um dir swenke;
vom Herausg. sivenke als Zeitwort gefasst und van statt um vermuthet. Beides
falsch! um dir ist mnd. = um dich, um deinetwillen; daher: ich erdulde (lidich)
um dich viel Anfechtungen. Mir im Sinne von mhd. mich ist in dieser Dichtung
so häufig, daß man sich billig über die Auffassung des Erkl. verwundern muß.
— V. 9 95 folg.: du bist di mir den sin enisert , den mir nxmand machen ganz
kan dan du frmve alleine; hier soll entseren soviel sein als „heilen". Nimmer-
mehr! Ebenso falsch aufgefasst ist V. 2 601 folg.: men sal im nicht gemachen
sund I sin wunden, di im sint entsert, wo noch überdieß falsch interpungiert war.
An beiden Stellen ists vielmehr = verwunden. Ahnliche Bedeutung hat das
Präfix ent — noch in entoffenen 3918 = eröffnen, entließen = Haft gewinnen 7 5,
entioiden = erweitern , aufthun 2183, endlich das dem Herausgeber dunkel ge-
bliebene entrouwen in V. 647, 1008, 2641 = acquiescere, perseverare, durare.
— V. 1132 : begynnlich unde naturlich, hier soll beg. sein „vom Anbeginn her
bestimmt"; vgl. jedoch Andr. S. 158: principale et naturale etc. — Das zu
V. 1217 besprochene Hauptwort vüd st. m. ist sehr unwahrscheinlich mit mhd.
miete verglichen, sicherer war es von nnden = vitare abzuleiten , also = Ver-
meidung, Unterlassung, Verachtung, Verschmähung, und nur so gefasst lässt sich
den betreffenden Stellen ein Sinn abgewinnen, z. B. : nich habe frouwe miner mid
= laß mir keine Zurückweisung zu Theil werden , verschmähe mich nicht, und
V. 1869: des salin habin keinen und = das sollst du nicht unterlassen, Andr.
S. 182: illud non est ab amantibus omittendvm ; V. 1881: wenl iz alles leid gebit
unde nicht dan und = es bat nur Leid und nichts als Verachtung zur Folge;
V, 3194 : her hatte sines liebes mid = vermied sein Liebchen, bei Andr. S. 206 :
a prioris domince cessauit solatiis. — V. 1265: zum polle wart unde nicht zur
erden, hier wird polle mit „Wipfel" erklärt. Sollte nicht an polus, pol hier ge-
dacht sein = nach dem Pol, dem Himmel zu, aufwärts? — V. 17 07 folg.: ein
teil auch reiner frouwen zucht | mid linden süzin wordin, j wan si hau irs willen
frucht , | ir ere dieblich mordin. Nach der Anm. soll hier das Prädicat gert aus-
gefallen sein im Anfange des 2. Verses. Das ist metrisch schon unmöglich.
490 LITTERATUR.
Der Dichter ist reich an Beispielen ungewöhnlicher verschränkter Wortstellung.
Vgl. übrigens Andr. S. 194: post fructum laboris assumptum tergiversatur amanti.
— V. 1924: tzornik unde er (: si-r) ist er nicht ganz richtig mit „argwöhnisch,
eifersüchtig" wiedergegeben; vielmehr = acerbus, aufgebracht, vgl. 3080, 3221,
4439, Schoenemann 1. 1. S. 172; sich erren = sich veruneinigen bei Stolle Erf.
Chron. S. 2 5 und 81, Diutisc. 2, 213: exacerbare vererren, exacerbatio verer-
ringe, 2 20: irritare erren. — V. 2 000: daz tut gar grofflich tobin (: lobin) in
bernendir liebe dinen müt; hier wird jedermann toben für furere insanire nehmen,
nimmermehr aber mit Wöber an „tobben toppen zaphen ziehen anziehen denken.
Ferner heißt es von gr off lieh „d. i. grovlik von grov, bedeutet eigentlich schwanger. "
In md. Dialecten wie im Passional , bei Ebernand von Erfurt, in der Erlösung
habe ich von dieser „eigentlichen" Bedeutung nichts entdecken können; was
der Herausg. erwähnt, ist wohl eher eine abgeleitete Bedeutung, wie sie zu-
weilen das adj. gröz und das sw. v. grozen hat; gewöhnlich ist grobeliche nur
= valde affatim vehementer. — V. 2 004: noch syt vele Sachen mir — — dt
di liebe oychin sir = Andr. S. 184: sed et alice forte sunt causce quibus amor
extenditur. Dies ist gänzlich misverstanden, wenn in der Amn. oychen so erklärt
wird: „goth. äug j an , ardugjan , also etwa: ans Tageslicht bringen, fördern,
meren und preiteH." Vgl. vielmehr Diutisc. 2, 2 02: augere oken, augmentum okinge,
und Eike von Repgow Zeitb. 107: Augustus dat qmt en dkire des rikes und
S. 544 und 545; oknisse = augmentatio S. 567; hiernach ist das Wort von
augere gebildet ; hierher gehört auch wohl das aus Frauenlob im mhd. Wb. 2,
4 5 la vermerkte ouchen. — V. 2 0 30 : die liebe von im slichit gar heimelichen
sundir gil (:icil); ob sundir gil mit dem Erkl. für „freudlos" zu nehmen sei,
ist noch zu beweisen. Bei Meister Altswert 8, 2 7 steht dem (geböte) lebe ich
sunder gille ( : wille). — V. 2183: wan — sich dan nicht entwidet \ din bulil
unde hülfe tat ist misverstanden in der Anm. , in welcher an twiden zwiden op-
temperare gedacht wird; sich twiden gäbe hier an sich schon keinen Sinn, wenn
man nicht etwa si statt sich lesen wollte. Entwiden ist offenbar hier = erwei-
tern öffnen aufthun. Vgl. Andr. S. 187: si alteri coamantium necessitates maximas
patienti abundans manus alterius non suecurrat etc. — V. 23 42: din lieb
lieblich zu dir spyret ( : getziret) , hier ist spyren spiren wohl = lat. spirare,
nicht aber = „spüren", welches spuren lauten würde wie in Lied. 16, 26;
bei Andr. S. 190 lautet die Stelle: aut ipsa in tuo atnore crescit aut de alterius
est amore sollicita. Das Wort steht noch in Lied. 3 , 18: von windes slur dir
feigen hang gar hezlich si zuspiret (: geziret) ^zerweht, zerzaust. — V. 263 7:
irlufftit si di blicken der liebe, hier ist irluftit = erleuchtet genommen. Sollte es
nicht von luft abzuleiten sein = erheben öffnen? man vgl. mhd. Wb. 1, 1051%
füge hinzu Albrecht v. Halberst. ed. Bartsch XXIV, 216: do begunde sie zu
lüfte die arme unde ersufte; Martina 114, 108: der mensche — — sich stete
guftet, sin herze lüftet gar über sin geleze und 118, 109: der mensche — —
sich su hohe lüfte und sich mit hofart gifte; 119, 6 : swie er sich hie güfte und
sin herze lüfte. Im mnd. pflegt wohl mhd. luft in luht überzugehen, nicht aber
umgekehrt; schwerlich ist also lüften dem mhd. Muhten analog. Daher wird V. 112
der pinnakel — luftit sam ein fakel anders erklärt oder lühtit für luftit geschrieben
werden müssen. In V. 3513 ist erluftit = sublimatus educatus zu nehmen,
worauf auch das Original deutet Andr. S. 213: quem de impröbitatis vitio ad
summum curialitalis ac probitatis eulmen adduxit. — V. 2 6 93 folg.: nicht tragen
LITTERATUR. 491
obirein di rechte pure minne und di genennet ist dt mein. Mit „mhd. mein, nefa-
riusa, wie Wöber glaubt, kann das hier stehende mein nicht verglichen werden;
richtiger ists = mhd. gemeine vulgaris vulgivagus, wofür im Original communis
steht; ebenso zu fassen ists in V. 2974: van sulchin meinen frouwen und V. 2 9 9 9,
endlich meinichlich = vulgo in V. 3 883 , vgl. das Sachs. Lehnrecht ed. Ho-
nieyer 7 1 , Anm. 2. Hier gilt das vom Herausg. zu V. 20 vermerkte. —
V. 293 9: man sal si iverffen uff der kfd | unde mit in halden keine duld. Das
in der Anm. herangezogene österreichische Sprichwort: „Ein' auf d'Haut außi
leg'n" hat in dem mnd. Dialect keine Analogie; hfit ist jedenfalls = huote zu
nehmen und für uff wohl uz (a/?) zu schreiben. Einen üz der hüte werfen wäre
^ anßer Acht lassen ; das Gegentheil ist in sine huote ziehen Mai und Beafl.
12 7, 12. — V. 3858 buxin unde vingerUn werden unter den Gegenständen
aufgeführt, mit denen Liebende sich gegenseitig beschenken sollen. Der Herausg.
versteht alles Ernstes „Beinkleider" unter buxin. Eines Bessern kann ihn das
mhd. Wort. 1, 27 7a belehren. Im Andr. S. 219 werden genannt: ornata capil-
lorum ligamina , auri argentique coronam, pectoris fibulam, speculum et cingulum,
marsupium laterisque cordulam , lacamentum , vascula, repositoria, vexilla. —
V. 3418: in liebe was getappelt fast ein minninglkh juncfroiuelln. Das in der
Ann", herangezogene tobbeln = „ziehen" oder „ein heimliches Liebesverhältniss
mit einer Person haben" trifft dns Richtige so wenig als die Verweisung auf
„topp = Zopf". Der Herausgeber hat sich auch hier mehr an den Klang des
Wortes als an Sinn und Zusammenhang gehalten. Man lese gecoppelt für getappelt,
darauf führt auch Andr. S. 2 1 0 : cum idoneo satis copidaretur amori und an einer
Stelle : quidam cum ignoranter se agnatce copidasset amori. Über koppeln kuppeln
sieh mhd. Wb. 1, 915b; vgl. Pass. K. 407, 40, Martina 57, 57; 267, 29. —
V. 4292: ich eyne silberyn kouchen vand | gevult mit wassir rysche, | do u-as in
wassir unde gras etc. Der Herausgeber vermuthet kache kachel Tongefäß nach
„Tilling". Das Richtige ergiebt sich aus Andr. S. 225: in eodem prato jocunda
concha residebat argenti purissima, in qua sufficienter equi potus pabida consistebant.
Sonach ist konchen zu lesen oder kochen, mhd. Wb. 1, 857a. — V. 4522: sus
was des scryes reuschen (: henschen). Der Art Reime sind bei Dichtern unerhört.
Sicher ist renschen, welches der Herausg. nicht verstanden hat; vgl. Frisch. 2,
458": ndat wrintschen der Pferde, hinnitus, holl. wrentschen, hinnire" ; Graff.
Spr. 1, 978 — 79, Homeyer zum Sachsensp. S. 400 ed. I ; in Düringen sagt man
noch brensch brenschen. — V. 4 6 25 : daz her nicht ein kyt nesach. Was kyt sei,
gesteht der Herausg. nicht zu wissen. Vgl. darüber Schmeller 2, 28 2 — 8 3 keid,
genimen und Myst. 2, 532, 34 und 35; noblen kyth = Nadelöhre bei Rothe
Elisab. 2055 B. — V. 48 1 9 bedeutet chylindirt und gemessin = abgerundet
und abgemessen ; des Herausgebers Vermuthung gelindert für chylindirt war un-
nöthig. — V. 4821: daz di rhne sundir Urne und siohne hellen wol gesezzen.
In der Anm. steht „Um d. i. gelimpf ". Das heißt doch dem Leser zu viel zu-
muthen ! — In dem dritten Liede S. 190 klugt der Dichter die houmes blüt an,
die ihm im Wege sei, ihm seine Lust und Wonne geraubt habe, und verflacht
sie, nachdem er ihr wie „Jonatas" dem Berge „Jelboe" allerhand Böses ange-
wünscht hat, tief in die unterste Hölle. Was für einen besondern Vorfall er
dabei im Auge gehabt, in wiefern die Baumblüthe oder ein blühender Zweig
seinem Liebesgetändel im Wege gestanden, ist nicht gesagt, lässt sich nur halb
errathen aus den Worten : der ulder schar I derselben grund auch neme war. Wer
492 LITTERAT UR.
nicht tud kund (d. i. nicht meldet) üf stige dar den himel rund. So einfach und
lebendig anschaulich aber auch das Ganze ist, gleichwohl ist es dem Erklärer
ein Rätbsel geblieben und hat ihn zu folgender gezwungenen Auffassung ver-
anlasst: „Das Lied bleibt bei dem Bilde vom Baume, und nennt das falsche
Liebchen: falsches Reis, das ist Wassertrieb (?), der das Vorsichtsmittel, das
eine treue Hand dem Baume gegen die Würmer umwand, herabdrückt. Ein sol-
cher Wassertrieb wird aber dann zum telgenhang (?) d. i. zu einem hängenden
Zweige, in dem der Wind hässlich wüthet." Man lese nur das Lied selber nach
und — staune! — Im vierten Liede V. 9 folg. lässt der Dichter die ihren
Liebhaber verschmähende stolze Geliebte sagen : wer ein dingh gebet hg und tar,
der mag vurivär wol heizin tuschenhagen, Ein esel ivol in rossis schar zucht lernet
zwar, her wil doch segke tragen. Die Anspielung und die Bedeutung des Wortes
tuschenhagen ist nicht recht klar; der Herausg. erklärt es zwar für „unstäter
Mensch", scheint aber auch nur obenhin gerathen zu haben. Ich will vor der
Hand an den Namen Hagen erinnert haben , den der Esel führt im Ring von
Heinrich Wittenweiler 4d, 28; 4d, 36; 8% 23; 9, 22. — Lied. 5, 20 ist
et amole (: genote) wohl nichts weiter als das lateinische et amo te, vielleicht der
Refrain eines damals bekannten Liedes. Des Herausgebers Vermuthung „het ge-
mole : dieses gewähre, gestehe zu", ist mir unbegreiflich. — In Lied 13, 3 2 ist
biltzgebüre dem Herausg. unverständlich; beltzgebüre hat der j. Tit. 4821 ed. H. ;
sonst lautet das Scheltwort vilzgebüre, vgl. mhd. Wb. 1, 291; M. Altsw. 16 6,
34; Keller Erz. 464, 35. Über biltz = peius vgl. Gerhard von Minden 2, 40J:
des ome de pils sere untgalt. — V. 1827: behobich sin soll heißen: „viel Auf-
sehen machen vgl. behoi oder behei bei Tilling" ; (??) eine sonderbare Art zu
deuten! Vielmehr hat man an behüf im mhd. Wb. 1 , 6 45a zu denken. Ernst
v. Kirchb. si machten eine grüben den toden zu iren behüben, Wiggert Scherfl.
1 , 4 3 to diner behof; davon he behovet diner = bedarf deiner, ebendaselbst;
Altd. Bl. 1, 7 83, 8 nü behove wir to biddene; und besonders Pfeiffer, Beitrag
zur Kenntniss der köln. Mundart S. 90. Demnach ist behobich = indigens, inops;
Andreas S. 181 hat dafür necessitatem habens.
Von seltenen Ausdrücken, die einer besondern Aufmerksamkeit werth,
vom Herausg. aber unversucht geblieben sind, will ich folgende herausheben :
Abescheid, st. m. = Unterschied 103 7. — Abestich, st. m. = discessus,
in Lied 10, 10: allir sorge ein abestich. Oder ist abestrich mit j. Tit. 5 958, 2
zu lesen? — Armer = brachia 2619; ebenso speler (ludi) 498 und 1198,
thormer (turres) 662, teilir (partes) 1104 u. 1246, dromer (somnia) 1939,
wordir (verba), briebir (epistolse) 3 653, schildir (clypei) 46 13. — ■ Begallen, sw. v.
1716 begallit bi dem herzen = mit Galle im Herzen. — Beklxben, st. v. 3413:
nicht beklibit edle süm = Andr. 209 : quia non semper jaeta produeunt semina
fruetum. — Beiannen, sw. v. mit Seilen, Ketten versehen, fesseln, in dem Lied.
2, 11, vgl. Ettmüller zu Veldek. 189, 4. — Bisprochelin, st. n. 1231 = pro-
verbium, vgl. Andr. S. 16 0. — Dro , st. f. 1061: ich ste in sorgen dro (: sd)
und 106 9 : er ilet üz der sorgen dro (so), als ob der Dichter an drühe
gedacht hätte, wie 3324: hilf uns armen üz der drü ( : zu) und 19 05:
.sws si din zwifel üz der drü (:zu) und 3 3 24. — Dyadragant, st. m. 376;
vgl. Konrad von Megenb. 36 6, 21: diadr. daz ist ein harz oder ein zäher
u. s. w. — Durchgizen , st. v. in den unrichtig interpungierten Versen 118
119: eine tor van innen wol durchgozzin mit hartem stäle ; ebenso bei
LITTERATUR. 493
Heinr. v. Krolew. 180: der palas gar mit golde durchgozen was. Sonst findet
sich das Wort auch bei dem Mystiker Heinr. v. Egwint S. 23 2, Tochter Syon
551, j. Tit. 3755, 3, Myst. 2, 311, 21. Im mhd. Wb. fehlt es. — Durch-
houwen, st. v. 93: daz doch was durchhoutoen mit loubem, d. i. ausgelegt, ver-
ziert, wie in den Mitteid. Gedd. ed. Bartsch 86, 77: daz hüs was durchhouwen
mit steinen gar, geztrt mit golde. Im mhd. Wb. fehlt diese Bedeutung; üblicher
war in diesem Sinne durchslahen. — Eigen, verb. def. = haben besitzen, V. 2611:
her eygit wol alsulche last (= Andr. 197: tafem ergo hominem tali dignum mu-
liere repertum tibi placet arnore gaudere); vgl. Kindlinger Gesch. d. Hierigkeit.
517: so wo dat den namen eigliet nd alder geivonheid (Urkunde von 140 4) und
mhd. Wb. 1, 415. — Entslomen, sw. v. = entschlummern, in übertragenem
Sinne V. 3 5 83: laz dit geschefte entslomen (: fronen) ; enslummen (cod. G. ent-
slommet) bei Koed. v. Salf. 12, 31; stummen in Mar. Legg. ed. Pfeiffer 18, 102.
— Vasevisen, st. n. in Lied. 19, 4: läz trat lieb diu vasevisen Q. reisen) ; vgl.
visevase bei Schoenemann Sündenf. 2 7 04 und S. 17 8b. — Vorgrisen, sw. v. in
Lied. 19, 2: sal ich vorgrisen (: reisen) durch dinen obirstr engen sin? vielleicht
von grise = grau alt; dahin könnte auch begrisen gehören in V. 2379 1 war
rechtiglich geloube da begrisit , wenn die Stelle richtig überliefert, ist. — Vor-
schoben = verworfen verschmäht verachtet V. 218, 25 2, 1098, eine sonst diesem
Worte (vorschieben) ganz ungewöhnliche Bedeutung ; gebräuchlicher ist in diesem
Sinne vorschouwen sw. v. — Vischen, sw. v. in Lied. 15, 11 : ich meinde mich
gevisched hdn, di sijt mir durch daz netze gdn =: ich glaubte Fische gefangen
zu haben, die sind mir durch u. s. w. Vgl. die Beispiele von der Beziehung auf
ein gedachtes Subj. in dieser Zeitschr. 6, 2 6 7. — Fotirs = nutrices? inV.2222:
geloube mid eintrechtikeyt — di tzwe der minne fotirs sint ; vgl. voden = nutrire,
Wiggert 1, 41. — Vursechen, sw. v. mit einem seche zerstören, umhacken , in
Lied. 2, 32. — Gebote sw. m. = Bote, Briefträger 365 5, 365 8. — Gedicht,
st. n. im Sinne von Erdichtung, Löge, V. 239 9: ir liebe ist ein los gedieht
und 3 240; ebenso schon Pass. H. 61, 1. — Geleyden, sw. v. vorzellen unde ge-
leiden wil ich f rund di frage din, ich wil si dir bescheiden und 1016: noch schö-
ner sprochelin — wil ich dir vorzellen und zuchtiglich geleyden; ähnlich heißt es
wohl in der Rechtssprache: geziuge leiten. — Geveit in V. 2212: uz dem lobe
der werden frouwen sin geveit (: vurseit) von fegen = purgare , austreiben. —
Gevelle = casus, in V. 1086: di setzit in gevelle = ponit casum, setzt den Fall,
nimmt an. — Gezophet in V. 412 : gezophet mit baldekin sach ich einen schonen
sal, wohl = mhd. gezdfet, geschmückt; dieselbe Form bei Frauenlob Spr. 13 4,
17 und Anm.; zofte : strofte bei Rothe Elis. 2058, vgl. mhd. Wb. 3, 834% 24
und 9 47a, 3 9. — Goz in Lied. 17, 27: si var dahin, si vindet tzwdr \ wol eine
güde ander goz. Der Herausgeber denkt an eine Gans „goß". Eher gebort es
unter goz, wie der arme goz in Diutisc. 2, 8 9 = Clara Hätzl. S. 2 63, 3 6 4,
worüber sieh mhd. Wb. 1, 54 2\ 5. — Grcselich, adj. in V. 4119, 4141, 4323,
4518, 4610 = grauenhaft, erschrecklich, greselike dunsternisse bei Schoenemann
1. 1. 5 74; = mhd. griusenlich , grüselich. — Grübe = mhd. grüwe. Grauen,
in V. 4119, vgl. Jerosch. ed. Pfeiffer S. 16 8. — Hoch im Sinne von multum,
valde, magnopere, V. 2013: hoch in tzicifel sltn, 345 6: des begerte hoch sin sin,
und 299 9, 509 9. — Höchbeschorn von Geistlichen hohen Standes sonst gesagt,
wie im Erek 6 631 und bei Frauenlob Spr. 3 7 9, 13 ; hier im weitern Sinne =
vornehm in V. 65 0. — Klabir, dem Herausg. unverständlich (sieh die Anm.) in
494 LITTERATUR.
V. 4 2 95 folg.: da was in ( = darin war) wazzir unde gras, fotir unde habir,
daz vitn gdtis pherdichin dz, da bi wöx gröne clabir; da an band ich m'm pherd
gering u. s. w. Wahrscheinlich ist es der nind. Ausdruck für mhd. kB ahd. chUo
gen. chlewes, welches nach Grimm Gr. 3, 3 72 „ags. clafer, pl. clafra, engl, clever,
schwed. klöfuer, dän. klever" laitet, vgl. Danneils Wo. der altm.plattd. Mundart 104
»kh'wr Klee" ; Frisch. 1, 520c „kleber, trifolium". Bei Hofi'm. Glossar. Belg. klever =
hedera. — Corde, sw. f. in V. 3 855, bei Andr. S. 2 1 9 = lateris cordula ; vgl. darüber
Bartsch ü. Karlm. 300. Das im mhd. Wb. nicht vermerkte Wort steht noch in
der Cröne Heinrichs v. d. Türl. 1737: ein korde und ein angelsnuor , in Wi-
gands Wetzlar. Beitr. 2, 22 0: corten unde seil. — Quast = mhd, queste koste
käst, in dem Sprichworte V. 2 609: da nach ein man, da nach sin quast. Statt
auf „Tilling" hätte der Erkl. besser gethan auf Haupt Zeitschr. 11, 5 0 — 5 2
zu verweisen. — Mogelich, adv. in V. 3 283: prhen di frowen sal men mogelich
= Andr. S. 207: merito midier opulenta laudatur. — Mute, mote, in der Re-
densart: er wart mute (mote) geseligit 1054 und 1138, — Ndjär, st. n. 4744:
daz lode lieb had tzwe näjär <' sin lieb ein ander kese = Andr. S. 23 0: bien-
nalis viduitas pro amante defuneto superstiti prasa'ibitur ama?iti. Das Wort ist
ähnlich zu verstehen wie ndchtac im mhd. Wb. 3, 6b, Pass. H. 2 2, 58, Konrad
Stolle 125 und 160 nöchtag ■ Weist. 1, 11 ; oder ndchteidinc WTeist. 1, 31.
Demnach näjär = das darauf folgende J. , das Wartejahr. — Narrenwagen,
als Schelte, Lied. 9, 20: tnbit narrenwagen fort \ wie alter hiuteicagenl bei v. d.
Hagen MS. 1 , ,S. 151 (XI) und kleewagen als Bezeichnung eines schlechten
Weibsbildes bei Rochholz in dieser Zeitschr. 5 , 9 3. — Obirspdn, st. m.
V. 1 7 i 1 : wan di valschen minner sin , duz ir wille ist gegdn , gar balde si zu
rugke flen und houwen löslich obirspdn. Ich vermuthe, daß unter houwen l. o. die
Bezeichnung einer Geberde zu verstehen ist, die man mit beiden Zeigefingern
hinter denen zu machen pflegt, welche man auf irgend eine Weise getäuscht
oder überlistet hat. In Diiringen nennt man dies hie und da noch „Rübchen
schaben". Bei Andreas steht dafür S. 194: post fruetum laboris asswnptinn tergi-
versatur amanti. — Obir zil , obir zel, ein adverbialer Ausdruck, = über Ziel
und Maß hinaus, übermaßig, unzählich viel, z. B. 5 70: di da wären obir zil
(: wilj, 2 3 23: ist si da sin'r zu obir zil (: spil) = ist sie allzu verdrossen dazu,
sonst auch obir zal. — Ort = Stück, TheilV in V. 6 86: triave ist der ander
ord, den di minne tragen icil ; ferner: man sal nicht ilen um den ort (= nicht
eilig über eine Sache hingehen , wenn sie auch noch so unbedeutend ist) wer
weiz waz da schülit Mnd; anderwärts scheints verderbt für hört, so in Lied 4, 16:
min hiestcr ordl und Lied. 16, 1 : zart minnichlicher ortl — Plelzen, sw. v. in
Lied. 18, 23: si pletzit in der aschen, de mirs nu allez tut; vgl. platzen platschen
bei Frisch. 2, 63b. — Roste st. f. = pausa quies Diut. 2, 226 u. 228; con-
quiescere rosten 2, 208; erscheint bei Eberhard; Lied. 4, 50 (: ost), u. 14, 18:
rost noch rast ich enhdn (: trost). — Schalen sw. v. in V. 549 : von irer cldrheid
— mir schdteten di ougen = wurden mir trübe; vgl. Altd. Wald. 3, 16 5, 47:
die Hellten ougen sint schal (: val = fahl). — Schar, adj. = steil, schroff, in
V, 4128: di cebir hoch und michel schar (: gar = sonuit) ; man vergleiche
scharren = eminere prominere bei Boner 51, 3 6 u. 5 2, und schor, schorn bei
Frommann zu Herbort 17 93, scharrantan abruptissimas bei Graff 6, 538. —
Schrd st. f. = Hagel Reif Schnee, in Lied. 16, 2 5 folg.: daz ich uf rechter sld
dich spore sunder schrd und alles tzwifels büt; dies erinnert an Neidhart 7 6, 24:
LITTERATUE. 495
vor der winderrcezen schrä (ßrä : brä) vgl. die Anm. zu dieser Stelle u. Wackern.
in Haupts Zeitschr. 5, 2 3 6. Hierher gehört ferner eine verdorbene Stelle in der
Cröne 16 020 : ein geschrei kam nach dem zagel \ diu Gäwein vil wazen(?j zagel \
erzeigte nach unde bot, | ican er in vil gröze not | davon gar balde geviel: | von na-
türe der regen wiel j und brant so ungehiure u. s. w. , ich venuuthe schrä, geschrä
(oder gächschrä?) statt geschrei, welches hier widersinnig ist, so daß es unnöthig
ist, mit dem Herausg. daz für diu in der zweiten Zeile zu schreiben , so wie
rcezen statt ivazen (vgl. oben Neidharts ivinderrceze schrä). — Selbwalt = eigen-
mächtig in V. 1361. — Siehe = sihe, sehe, pupilla, oculus? Lied. 2, 22:
di stehen di da scrankit umme gen kann auf die Augen gehen , als Wächter ge-
dacht in dem fest verwahrten unzugänglichen Thurme , unter dessen Bilde der
Dichter seine Geliebte beschreibt (vgl. Cantic. 4 , 4 folg.) — Slür in Lied.
3, 16: van wormes bis und windes slür dir telgen hang (so zu lesen =^ deiner
Aste Hängen, vom Herausg. misverstanden) — — si zuspiret; das dunkle Wort
erscheint noch als Schelte bei Hugo v. Trimb. Renn. 12194: du bist sinne und
witze ein slaur, wort und werke ein vilzgebaur; bei Boner 51, 2 0 wird der Esel
angeredet du rechter slür, vgl. dazu Beneke S. 45 9; Lassb. LS. 2, 62 7, 7:
vor andern wiben was ein slür hie vor gar ein schöne wib, die hatte etc. — Stieben,
st. v. in V. 511: eyn paulün van sydenwand — stüb sam eines robes rant, wohl
= flatterte, bewegte sich wie der Saum oder Flügel eines Mantels, vgl. Lanzel.
5 4 02: die wäfenrocke Stuben harte unten umbe sie; Reinhart. ed. Grimm S. 308,
4 7 8: vor zorne stuben sine gran. — Struttze, in V. 1093: men wirft si hin sam
struttze (: unnutze) f in der Anm. ist viel Ungehöriges dazu vermerkt; mir scheint
es = stürz, storz zu sein, wie vrohten = vorhten, Andreas sagt hier abweichend :
tamquam invida reprobatur a eunetis. — Umfagen? sw. v. in Lied. 2, 30: beide
planten unde hagen umfagen = umfegen , delere, vgl. fegen und fäwen fewen
fäen bei Pfeiffer zu Myst. 1, 376, 36, vervaghen in Horae Belg. 5, 107. Natür-
licher scheint mir jedoch vmsagen = umsägen umhauen, wie in Pass. H. 49, 5
und versegen bei Konr. v. Megenb. 154, 2 7. — Ummcf enger, st. m. 1047:
unde des obirsten teiles man, sam natüren ummej "enger , der sal ie den köre hän
= Andr. S. 157: et superioris tamquam naturce amplexator admittatur elcctor. —
Undirtän = diversus, nicht von einerlei Art, in V. 89 9: auch ist di liebe un-
dirtän u. s. w. und 829: di lüte di sinf undirtän, vgl. mhd. Wb. 3, 145a, 5.
Zu dem einzigen dort vermerkten Beispiele füge hinzu Pass. H. 18, 35: uü
began die frouwe schowen — zwo schar an lüten stän mit undertänen Sachen, die
eine sach si lachen, die andere sere weinen; 33 5, 5: sus was die wisheit undertdn
an dissen knappen beiden — dirre küne unde starc, jener ungetrü unde arc; 340, 51:
Pass. K. 690, 45. - — ■ Ungelich = uneinig, V. 3452. — Unwert, adj. = un-
willig, zornig, in V. 23 7 7 := Andr. S. 190: indignatus. — Uzmälen, sw. v. in
V. 388 7: auch di wintzige vinger klein ist vor den andern üzgemält, d. i. mit be-
sonderm Range (jnäl) vor den andern versehen, ebenso in Purgoldts Rechtsb.
ed. Ortloff 9, 25: daz er sich vor andre leuthe mit seinem vorrümeniss üß malet mit
hoffertigen worten. Vgl. daz obirste mal hän = den obersten Platz, Rang ein-
nehmen 3926; mal halden = locum teuere 345 und 515 ; obir mal treten -=■ sich
vergehen 25 2 2. Hieraus erklärt sich auch das bei düringischen Autoren vor-
kommende üzmeling = der durch Rang oder Ansehen hervorragende , ausge-
zeichnete, sieh in dieser Zeitschr. 5, 246; 6, 56. — - Willich = irgendwelcher,
aliquis, in V. 2377, 2438, 2568, = welk bei Gerhard v. Minden und im heu-
496 LITTERATUR.
tigen Dialect um Minden. — Cednar, st. m. = Zitwer, mhd. zitwar, mhd. Wb.
3, 917, Konr. v. Megenb. 426, 2. — Cyncibee und mandeltys in 380 = gin-
giber und mandelris. — Tzintzich in Lied. 14, 17: van herze sam ein tzintzich al
kastti durslungen. Ist twintich = 20 gemeint? oder bedeutet es = blandus, zap-
pelnd? vgl. zrfnzeln, zenseln zunzeln bei Schmell. 4, 2 7 6.
Zum Schluß noch wenige Worte über Titel und Verfasser des Buches.
Die vollständige, dem Inhalte durchaus entsprechende Bezeichnung desselben ist
am Schlüsse vermerkt V. 4 8 00 : der minnen regel unde zal nemet hi zin ende, also:
Der Minnen regele unde sal. Auffallend ist nun aber der vom Herausg. in der Hs.
gefundene Beiname des Verfassers , Cersne , während man bis dahin allgemein
annahm, daß er Cerlne d. i. Keiner gelautet habe. Der betreffende Vers (4 810)
heißt: C. E. R. f. und Ne heyßit auch zyn tzuname. Daß der Herausg. richtiger
gelesen habe als seine Vorgänger, braucht gar nicht in Zweifel gezogen zu
werden, wohl aber darf man nicht ohne Vorsicht seine auf S. 3 1 Einl. gethane
Äußerung entgegennehmen: „dieser fragliche Buchstabe (nämlich f) kann nun
unmöglich ein l j-ein, es wäre sonst das einzige L der Handschrift , welches mit
offener Schlinge geschrieben wäre; das aber anzunehmen, scheint mir bei den festen
ausgeschriebenen Zügen der ganzen Handschrift nicht statthaft." Ohne die Hs.
mit eigenen Augen gesehen zu haben, bemerke ich dagegen, daß sie, wie aus
den oben behandelten verderbten Stellen deutlich hervorgeht , den graphischen
Unterschied des o und e, so wie des t und c öfter nicht recht klar auszudrücken
scheint. Und was das f betrifft im Unterschied von l, so hat der Herausg. über-
sehen, daß im 13. Liede V. 35 (S. 203) geschrieben steht:
daz mir eyner schege heyf,
de mich dießer werde mey
gar trostichlichen sunder feyl
gegeben had so menigerley u. s. w.
Hier ist doch unfehlbar heyl für heyf su lesen, also f für l verlesen oder ver-
schrieben; verdächtig ist auch lyd in Lied. 13, 9. Eberhards neuer Beiname
wird dadurch noch unsicherer. An Cerlne, einem echt niederdeutschen und als
Name wenigstens nicht auffälligen Ausdrucke, konnte man keinen Anstoß nehmen.
Was der Herausg. aber über Cersne beibringt, um diesen Namen zu deuten und
zu empfehlen, ist der Art, daß ihm schwerlich jemand beipflichten wird. Um
dem Leser einen Gesammteindruck von der Methode des Herausg. an einem
einzigen Beispiele zu geben, setze ich seine eigenen Worte her: „Lese ich —
Cersne, so wird mir der Name bald verständlich. Bringe ich ihn mit zers (cauda)
oder kers, kars (candela) in Verbindung, oder fasse ich ihn, was mir annehm-
barer erscheint, als Compositum auf, d. i. zer-sne, es bieten sich mir eine Fülle
analoger Namenbildungen , wie Fürchteschnee , Hauschnee , Laschnee und viele
andere, die mich in meiner Annahme bekräftigen."
Zeitz, im September. FEDOR BECH.
LHTERATÜR. 497
Esopus von Burkhard Waldis. Herausgegeben und mit Erläuterungen versehen
von Heinrich Kurz. Leipzig 1S62. B. I SS. XLVIII u. 422. Bd. II
SS. 320 u. 2 30. 8°. (Letztere Abtheilung des zweiten Bandes enthält die
Lesarten, Anmerkungen und das Worterverzeiehniss.)
Diese neue Ausgabe des trefflichen, bis jetzt so schwer zugänglichen Fabel-
dichters bildet den Anfang einer neuen „deutschen Bibliothek", welche Kurz
von andern Mitarbeitern unterstützt herauszugeben beabsichtet und die eine
Sammlung seltener Schriften der altern deutschen Nationalliteratur enthalten soll.
Der dem „Esopus" vorgebundene Prospect besagt hierüber das Nähere und
braucht Ref. also hierauf nicht näher einzugehen. Er hat es hier nur mit der
vorliegenden Arbeit zu thun, welche von der Art und Weise, wie das Unter-
nehmen ausgeführt werden soll, eine Probe bietet, und kann dem Herausgeber
wie dem Verleger nur Glück dazu wünschen, daß dieselbe so vortrefflich aus-
gefallen, und unter dem betreffenden Publicum eine durchaus günstige Meinung
auch hinsichtlich der folgenden Bände erwecken muß. Sprechen wir zuvörderst
von dem, was der Herausgeber geleistet, der sich durch seine bisherigen Arbeiten
auf dem Gebiete der deutschen Litteratur und deren Geschichte einen so guten
NameT erworben, so lässt sich dies kurz und bündig in dem Urtheil zusammen-
fassen , daß er das im Prospect Verheißene wirklich ausgeführt habe ; denn er
hat einen diplomatisch genauen Text gegeben, ferner demselben kurze aber ge-
nügende Erläuterungen beigefügt und endlich eine erschöpfende, obschon gleich-
falls gedrungene Einleitung über den Verfasser und seine Schriften vorausge-
schickt. Er hat aber noch mehr gethan und treffliche Anmerkungen über die
Geschichte jeder einzelnen Fabel geliefert , die dem Forscher auf dem Gebiete
der erzählenden Dichtung sehr willkommen sein werden und die Ref. weiter
unten noch etwas näher besprechen will. Überdieß hat der Herausgeber die unter
dem Text befindlichen Sach- und Worterklärungen zur Bequemlichkeit des Lesers
dann noch einmal in ein alphabetisches sorgfältiges Verzeichniss zusammengestellt,
welches mehrfache Dienste leisten wird. Hinsichtlich aller dieser Punkte verweisen wir
auf die Einleitung und bemerken nur, daß die genannten Erklärungen, wie be-
reits erwähnt, vollkommen ihrem Zwecke entsprechen und zum genauem Ver-
ständniss auch für das größere Publicum, für welches diese Ausgaben gleichfalls
bestimmt sind, sich als ausreichend erweisen werden, wenn sich auch hin und
wieder einzelnes bei einer neuen Auflage möchte berichtigen oder nachtragen
lassen; so z. B. in folgender Stelle Buch II, Fabel 45, V. 39 ff.:
„Hie mag man sehen wie die Frawen
Ir Männer nieynen mit all trawen"
hat meynen nicht, wie Kurz erklärt, die Bedeutung „gesinnt sind", sondern heißt
so viel wie lieben, wie gewöhnlich im Mhd. und auch noch einmal bei Waldis ; s. das
Worterverzeiehniss s. v. zu IV, 10 0. 151. Freilich ist dies Wort an obiger Stelle nur
im ironischen Sinne gebraucht, wie aus den unmittelbar darauf folgenden Versen hervor-
geht, wo es heißt: „Bey dem sie zwantzig Jar gesessen,
Könnens in einer stundt vergessen ;
Doch wissens viel davon zu waschen" u. s, w.
Ferner heißt es B. III, F. 51, V. 44. 45.
„So will ich dir ein Wachszlicht geben,
So grosz vnd lang die schon fahr Mast.'"
GEKMANIA VII. 32
498 LITTERATUR.
Zu fahr Mast bemerkt der Herausgeber mit einem Fragezeichen „Fockmast?
vorderen Mast? Hauptmast?" Allerdings ist der Hauptmast oder große Mast ge-
meint, doch hieß er nicht der Fohrmast, sondern der Schönfahrmast, weshalb das
große Segel auch jetzt noch das Schönfahrsegel genannt wird.
Der Ausdruck „Friederichen anrufen'1 (I, 5 5, V. 55) scheint nicht auf eine
bestimmte Persönlichkeit (Friedrich den "Weisen, wie der Herausg. meint) zu gehen,
sondern nur im allgemeinen Frieden machen wollen zu bedeuten und vielleicht eine
sprichwörtliche Redensart gewesen zu sein, die durch die Paronomasie der Worte
Frieden und Friederich entstanden sein mochte ; wie wir etwa jetzt von einem
zänkischen Menschen sagen würden: »der ist auch nicht von Friedrichsstadt,K
Ahnliche Wertspiele sind nicht selten und so heißt es auch bei Waldis selbst IV,
3, 55 : „IcJi toolt zu St. Frumholt mich geloben", was Kurz richtig erklärt durch :
»Ich will fromm werden." Vgl. oben Bd. V. S. 2 95.
Doch dies genüge zu zeigen, wie vielleicht sich da und dort die Wort-
erklärungen abändern ließen, und eben so könnten die sachlichen Nachweise an
manchen Stellen vervollständigt werden. Wenn z. B. I, 83, 20 ff. gesagt ist:
„Es bgibt sich zwischen des menschen mundt
Manch fall vnd zwischen dem Becher rundt,
Dadurch der trunck offt wird verstört,
Wie vns ein ander Fabel lert,"
so ist damit das bekannte lat. Sprichwort „multa cadunt inter calicem supre-
maque labra" gemeint, welcher Hexameter aus einem griechischen übertragen ist.
„TtokÄu (i£Ta£,ir TliXsi xvÄLXog xcel %£ilsos cmqov" ; s. Corp. Paroem. Gr.
ed. Leutsch im Index.
Mit dem Poeten in der Stelle II, 49, 45 ff..-
„Der fürwitz vns so sehr geheit,
Verblendet also gar die leut,
Das vber sein ampt ein jeder klagt,
Wie der Poet dauon auch sagt,"
ist Horaz gemeint, s. dessen 14. Epistel des ersten Buches, welche die Unzu-
friedenheit der Menschen mit ihrem Stande zum Gegenstand hat.
Wenn ferner bei Waldis IV, 81, 9. 10, eine junge Frau von einem alten
Manne sagt: „Er kan dir doch nit geben muth,
Wie man jensit des Wassers thut,"
und der Herausg. dazu bemerkt: „der Sinn ist leicht zu ermitteln," so hat
derselbe vollkommen Recht ; die ibm unerklärliche Redensart erklärt sich indeß
durch eine ähnliche des Tanhuser 3, 15 (MSH. 2, 8 5n):
„Von amüre seit ich ir;
daz vergalt si dulze mir,
si jach, si lite ez gerne,
daz ich ir taste, als man den vrouwen tuot dort in Palerne" (Palermo).
Beide Wendungen, die des Waldis sowohl wie die des Tanhuser, sind scherz-
hafte Localisierungen allgemein üblichen Thuns, und dem Ref. will es fast be-
dünken, als habe Waldis seinen Ausdruck dem des altern Dichters nachgebildet;
denn daß er die frühere deutsche Litteratur kannte, zeigt sich an mehreren
Stellen des Esopus (vgl. die Bemerkungen von Kurz Bd. I, S. XXXVI), und
LITTEKATUR. 499
man muß sich nur wundern, daß diese nicht zahlreicher sind, da sich von einem
Dichter wie Waldis wohl annehmen lasst, daß er mit seinen Vorgängern in grö-
ßerm Maße vertraut gewesen sein wird, als bisher erhellt, wäre es auch nur,
um sich in der Sprache zu vervollkommnen, von der er selbst zu gestehen scheint,
daß sie ihm schwer ankam zu schreiben (vgl. Gervinus 3, 49). Es hat sich
ihm vielleicht zufällig nicht die Gelegenheit geboten, sie häufiger, als es gesche-
hen, namentlich anzuführen, und es käme daher nur darauf an, seinen anderwei-
tigen Reminiscenzen und Anspielungen hinsichtlich des altern deutschen Schriften-
thums nachzugehen, So meint Gervinus (3, 50), daß Waldis offenbar den Renner
gekannt, wenn er ihn auch nicht nenne; hat Ref. Recht mit seiner Zurückfüh-
rung obiger Stelle auf den Tanhuser, so erweiterte sich der betreffende Kreis
noch mehr und vielleicht gelingt es, diesen im Folgenden noch ferner auszudehnen.
In der 6 2. Fabel des II. Buches nämlich, welche überschrieben ist „Von
einer Witwen eins Mann begirig" sagt diese wackere Frau zu einer Freundin,
welche ihr einen Hämmling zum Ehemann vorschlägt:
„ . . . .du magst an Galgen gähn
Mit solchem vnfreundtlichen Mann
Wiewol mich nicht das ding bewegt, !
Welchs man zu nacht im Betthe pflegt,
So stehts doch an eim Manne wol,
Das er hab, was er haben soll.
Vnd ich in auch derhalb nit nem,
Doch ob sichs bgeb vnd dazu kern,
Das er im zorn wider mich schnort
Und ich mit worten gegen mort,
Das er denn het bey jm ein Fründt,
Der vns wider versönen kündt."
Hier nun möchte es scheinen, als ob Waldis ein Schwank wie Scheidung und
Sühne (Wip und man in v. d. Ilagens Gesammtab. Nr. 3 4) vorgeschwebt habe,
deßen Schluß wir hier folgen lassen:
„ie sä kusten sie sich,
Do nam der zorn ein ende ;
er vie sie bi der hende
Und wiste s' an ein bette hin.
do ergie ein suone under in,
Diu gröze vröude macht»3;
sie lachte, und er lachte,
Do sie schieden von dem bette,
sie kusten sich ze wette
Und sungen ein liet ze prise
in einer vil höhen wise."
Noch deutlicher jedoch zeigt sich hei Waldis in der nach der angeführten
Stelle folgenden Nutzanwendung die Anspielung auf eine andere ältere Erzählung ;
er sagt nämlich :
„Der Ehestandt zwischen Fraw vnd Man
Mag keines wegs im fried bestahn,
Es sey denn das der freuden Nagel,
An welchem hangt das vnder Gagel,
32*
500 LITTERATUE.
Sie beiden fest zusammen hafft :
Sonst geht die lieb nicht in jr k rafft n. s. w. "
Hiermit nun vergleiche man den Schluß von „der weisse Rosendornu (v. d. Hagen
a. a. 0. Nr. 5 3), wo es so heißt:
„Do riet ich dem schoenen wi|>,
daz si die vut zuo dem lip
Vil vaste nagelen hieze,
und des niht enlieze.
Do bat mich diu statte,
daz ich ir daz taste.
Do tet ich, des si mich bat :
hin wider an die alten stat
Sazt ich die vut, als ich wol kunt,
einen nagel sä ze stunt
Ich vil vaste dar durch treip :
diu vut immer mer beleip.
Also rät ich eim ietlichen man,
der ie liebez wib gewan,
Daz er sinem wibe
nagle die vut ze dem Übe,
Daz ir diu vut iht entrinne,
oder er ist versümt siner minne."
Ref. glaubt nicht zu irren , wenn er aus diesen Stellen , deren Zahl bei ein-
gehendem! Nachforschen sich wohl noch vermehren ließe, auf eine bei Waldis an-
zunehmende genauere Kenntniss unserer altern Litteratur meint schließen zu
dürfen, obwohl, was die Erzählungen betrifft, Waldis nicht gerade die uns jetzt
vorliegenden Bearbeitungen, sondern andere Formen derselben gekannt haben mag.
Aber auch noch weitere Ausbeute dürfte eine derartige sorgfältige Durch-
forschung des alten Fabeldichters gewähren und uns seine Bekanntschaft mit
volkstümlichen Vorstellungen, Redeweisen u. s. w. noch deutlicher erkennen
lassen als bisher. So hat z. B. schon der Herausgeber auf das III, 8 7 geschil-
derte Nobishaus aufmerksam gemacht. Zu seinen Anführungen füge man noch
Gödeke zu Job. llömoldt (1855) S. 7 5, wo viele Beispiele der Ausdrücke No-
bishaus und Nöbiskrug gesammelt sind. Nobiskratten sagt man zu Toggenburg
(Canton St. Gallen); s. Zeitschr. für deutsche Mythol. 4, 2 Nr. 20. Vgl. auch
des Ref. Bemerkungen zu seiner Ausgabe des Gervas. von Tilbury (Hannover
185<>) S. Ifi8. — Wenn ferner Waldis an der in Rede stehenden Stelle sagt,
daß die Seelen der Landsknechte in der Hölle zu Blättern eines dort stehenden
Baumes werden, so beruht dies ohne Zweifel auf einem Volksglauben, wie denn
auch in der polnischen Sage von dem Räuber Madej von einem Apfelbaume die
Rede ist, dessen Früchte Seelen sind. Grimm, d. Myth. 7 88.
Die 3 9. Fabel des I. Buches beginnt mit den Worten:
„Vor zeiten, als die Beume redten,
Wie auch dasselb die Steine theten."
Auch hier liegt gewiß eine volksthümliche Anschauung und Redeweise zu Grunde,
ähnlich jener andern „als noch die Thiere sprachen," oder wie Fischart sagt
(Geschicht-Klitt. ed. Scheible S. 420): „In illo tempore, da die Thiere redten."
Vgl. Grimm Reinh. Fuchs S.V; denn auch Bäume galten ja einst für belebt und man
LTTTERATT'R. 501
legte ihnen deshalb auch eine Sprache bei: s. Dunlop-Lvebrecht Anmerk. 89S
und zu Gervas. S. 6 3.
Auf Waldis II, 84:
„Der Teuffei kam mit einer Stangen,
Dran hat viel alter Schuh gehangen,
Sprach: „deinethalb hab mich geflissen,
Und alle diese Schuh zerrissen,"
hat bereits Grimm, Rh. Fuchs S. LX bei Gelegenheit einer ähnlichen Stelle im
lat. Isengrimus hingewiesen (s. Kurz zur Stelle). Wir sehen hier eine volks-
thümliche Weise große Entfernungen zu messen , nämlich nach zerschlissenen
Schuhen , die sich auch noch in andern Sagen und Märchen wiederfindet und
wobei wie hier bei Waldis oft auch der Teufel im Spiele ist; s. z. B. Panzer,
Beitr. zur deutsch. Mythol. 2, 5 7 „der Teuf eisstein" . Letztere Sage findet sich
auch ähnlich in Belgien wieder. Der Teufel wollte nämlich das Kloster zerstören,
welches der h. Remacle in Stavelot baute und schleppte in dieser Absicht einen
Felsen herbei , wurde jedoch durch einen Mönch vermittelst eines Korbes voll
verschlissener Schuhe ganz ebenso betrogen , wie durch das alte Weib in der
baierischen Sage. Der Felsen, den er dabei unmuthig fortwarf, ist zwischen den
Dörfern Spineux und Wanne auf dem Wege von Stavelot nach Vieil-Salm noch
zu sehen und heißt bis auf den heutigen Tag Faix du diable. S. Pimpurniaux
(Borgnet) Guide du Voyageur en Ardenne Ire 6d. Brux. 1856, I, 122 ff.
Eine ähnliche Sage wird auch auf der finnischen Insel Bunsala erzählt, und hier
vertritt, wie oft, der Riese die Stelle des Teufels, s. Morgenblatt 1841 S. 227.
Oft auch sind die Schuhe eisern, so in der Ragnar-Lodbrokssage , s. Grimm
a. a. 0. ; ferner in einem italienischen Märchen , s. des Ref. Übersetzung von
Basile's Pentamerone 2, 184; und so auch in einem neugriech. Volksliede, s.
Passow, Popularia Carmina Grsec. recent. Leipz. 1860, Nr. 505, v. 78 (p. 384).
— Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um ferneres Nachsuchen bei Waldis
zu veranlassen.
Wenden wir uns nun zu Kurz's Anmerkungen, welche die einzelnen Stücke
betreffen , so finden wir darin eine sehr schätzenswerthe Arbeit , worin er sich
bemüht hat, die erste nachweisbare Quelle und anderweitige Bearbeitungen eines
jeden von Waldis im Esopus behandelten Stoffes, der übrigens nicht bloß aus
Fabeln, sondern auch aus Schwänken und wie es scheint zuweilen auch aus
eigenen Erlebnissen besteht, in gedrungener Weise anzugeben.
Wer sich mit derartigen Nachforschungen beschäftigt, wird zu beurtheilen wissen,
wie mühsam sie sind und daher dem Herausgeber für das von ihm Geleistete
zu großem Danke verpflichtet sein, sich aber auch andererseits nicht darüber
wundern , daß mancherlei Lücken darin geblieben oder sich Ungenauigkeiten
eingeschlichen. Dies sind Mängel, die sich auf diesem Gebiete, wie auf manchem
andern fast nicht vermeiden lassen und daher Nachsicht erwarten dürfen. Dazu
kommt, daß der Herausgeber, wie er am Schluß seiner Einleitung anführt, sich
auf diejenigen Nachweisungen beschränkt hat, die er selbst in Händen hatte.
Was es heißt, hinlängliche litterarische Hilfsmittel entbehren zu müssen, weiß
Ref. aus eigener Erfahrung nur gar zu gut. Gleichwohl muß im allgemeinen
bemerkt werden , daß der Herausgeber oft größere Kürze hätte anwenden und
sich mit bloßer Verweisung auf die Angaben seiner Vorgänger auf diesem Felde
begnügen können, ohne sie, wie oft geschehen, zu wiederholen. Auch Anfüh-
rungen, die auf nur entfernt ähnliehe Stellen und Gedanken bei andern Schrift-
502 LITTERATUR.
stellern hinweisen, erscheinen meist als überflüssig, zuweilen als unrichtig. Von
diesem Gesichtspunkte aus kann man z. ß. wohl fragen, was zu I, 4 3 die Ver-
weisung auf Sadi und die Edda soll? zu I, 9 7 und II, 9 3 die auf Menander?
zu IV, 7 7 (II) die auf Fischart, Etienne und Comines? Besteht wohl zwischen
II, 12 (II „Pfaff dümmer als Esel") und Cor. 149, Phädrus I, 18, der aus
dem Moyen de parvenir angeführten Stelle ü. s. w. irgend ein historischer Zu-
sammenhang, wie der Herausgeber zu glauben scheint, da er die letztgenannten
für Bearbeitungen des der Waldis'schen Fabel zu Grunde liegenden Stoffes hält?
Gehören wohl zu I, 9 4 die Citate von der verkauften Bärenhaut aus Abstemius,
Fischart, Eyring und Hagedorn, die etwas ganz anderes besagen als der Inhalt
jener Fabel? und gehörten sie nicht besser zu IV, 88, V. 45 f.: „Die haut soll
man zu Marckt nit tragen — Man hab denn erst den Beren gschlagen"? —
Zu I, 5 9 heißt es: „Findet sich auch in Westafrika; s. Liebrecht in (Eberts)
Jahrb. für roman. Litter. 3, 155." Dies ist jedoch nicht richtig; der Ref. hat
an jener Stelle von nichts anderm als von dem Herbeiholen des Feuers durch
Vögel gesprochen und zwar als Nachtrag zu seiner auch von Kurz angeführten
Bemerkung in der Germania. — Auch das Citat „Kuhn Westphäl. Sagen
u. s. w." gehört nicht zu II, 15 und war von Ref. bei Ebert a. a. O. 3, 155
(zu Pantschat. 1, 3 7 9) aus ganz anderm Grunde angeführt worden. — Zu 1, 19
streiche das Citat „Aes. Cor. 129", das nicht hierher, sondern zu III, 4 6 ge-
hört und auch dort angeführt ist. Anderes übergeht Ref., da er es nicht über-
nimmt, alle Angaben des Herausgebers zu verifizieren oder sie zu vervollständi-
gen und will nur noch einige Bemerkungen hier folgen lassen, die sich ihm
ungesucht bieten und vielleicht nicht ohne Interesse sind, nachdem er zuvor
erinnert, daß die von Kurz in den Nachträgen zu den Anmerkungen S. 187
erwähnte, früher in den Wiener Jahrbüchern erschienene Abhandlung von Ferd.
Wolf über den Erzpriester von Hita jetzt auch, vielfach vervollständigt, in dessen
„Studien zur Gesch. der spanischen und portug. Nationnllitteratur," Berlin 1859,
S. 98 ff. zu finden ist.
I, 6. Von dem Wolff vnd Kranche. — Hier war auf die wichtige indische
Version dieser Fabel hinzuweisen bei Grimm Reinh. Fuchs S. CCLXXXI *).
Diese Fabel findet sich auch in dem Novus Aesopus des Alexander Neckam**);
8. EdeMestand du Meril, Poesies inedites du moyen äge. Paris 185 4.
*) Daß rachasi (räxasa, rakshas) einen bösen Geist bedeutet und kein Thier, hat
(Jrimm D. Myth. 521 Anm. selbst berichtigt, ohne erst auf Herrn Wagener zu warten;
s. dessen Essai sur les rapports qui existent entre les apologues de linde et les apo-
logues de la Grece. Brux. 1854 p. 117 (Mem. couron. de l'Acad.)
**) Die Fabelsammlung dieses vielgenannten aber wenig gekannten Schriftstellers
verdient immerhin bei den einzelnen Fabeln angeführt zu werden, um so mehr, als
l>n Merils Nachweise zu denselben oft sehr interessante Angaben enthalten, welche die
zu Waldis gegebenen ergänzen; deshalb wollen wir der Kürze und Übersichtlichkeit
wegen hier die in beiden Dichtern zugleich vorkommenden Stoffe zusammenstellen.
Waldis I, 2 = Neckam p. 184 Nr. 10 de lupo et agno.
180 Nr. 6 de mure et rana.
176 Nr. 1 de lupo et grue.
198 Nr. 27 de corvo et vulpe.
179 Nr. 5 de cane et asino.
210 Nr. 41 de leone et mure.
204 Nr. 35 de monteprsegnanteetparturientemurem.
203 Nr. 34 de ranis etleporibus.
211 Nr. 42 de capella et lupo.
186 Nr. 12 de pavone et gracalo et avibus.
3 =
»
P.
6 =
1»
P-
11 =
>>
P'
13 =
JJ
P«
14 =
»J
P-
21 =
)1
P-
23 —
n
P-
24 =
1»
P-
29 =
J»
P-
LITTERATUR. 503
T, 10. Vom Adler vnd der Kran. — In der von Du Meril I. c. p. 263 ff.
2 6 9. 273 aus dem Novus Avianus mitgetheilten fünffachen Version dieser Fabel
verspricht die Schildkröte dem Adler eine reiche Belohnung, welche in den ersten
beiden näher als Edelstein (gemma) bezeichnet und womit der Schildkrötenstein
(Chelonit) gemeint wird, der sich nach dem Volksglauben im Magen dieses Thieres
finden soll. Ahnlich ist der englische Glaube, wonach im Kopfe der Kröte sich ein
Stein befindet, der gegen viele Krankheiten wirksam ist, aber er muß, so lange
sie noch lebt, herausgenommen werden. S. A. Kuhn in v. d. Hagens Germania 7,
438, Nr. 29. Ein gleicher Aberglauben findet sich auch in Frankreich; der Stein
heißt dort crapaudine. Vgl. auch Pantschat. 1, 214 und dazu des Ref. Bemerkun-
gen in Eberts Jahrbuch 3, 149 f.
I, 2 2. Vom alten Jagdhunde. — Die zwei letzten Verse dieser Fabel: „Die
Pferdt, wenns nicht können ziehen bass — Nimpt jn den Habern vnd schlechts
ins Grass" scheinen sich auf die Sage von dem blinden Roß zu beziehen, worüber
s. Dunlop S. 5 41b Nachtrag zu Anm. 220 (S. 4 8 0). S. auch Hammer's Rosenöl
2, 5 7 ff. Nr. 29. Grässe bei Romberg, Wissenschaften im 19. Jahrh. I, 575 ff.
führt auch noch an Langbeins Ballade „das blinde Roß" und Camerarius Hoto
Subsecivas Cent. I c. 21 , p. 109, der sich auf die Ricordi des Mailänders Sabbas
Castiglione beruft. Aus letzterem ital. Werke stammt wahrscheinlich die Erzählung
bei Filippi, die ich zu Dunlop 1. c. erwähnt habe.
1, 2 4. Vom Zickel vnd Wolf. — Neckam s. oben Anm. 2. Über eine spa-
nische Version dieser Fabel s. Ferd. Wolf in Eberts Zeitschr. 3, 210, Anm. 3.
I, 3 6. Von einem Hirsch. — Neckam s. oben Anm. 2. S. auch Weber,
Indische Studien 3, 3 5 5, der eine ähnliche Fabel im Mahabharata nachweist, näm-
lich die von dem Kameel, welches durch seinen von Prajäpati erbetenen langen Hals
dem Schakal in die Zähne geliefert wird.
I, 42. Vom Hirsch vnd dem Ochssen. — Hinter den Nugne Curialium des
Gualterus Mapes hat deren Herausgeber Thomas Wright eine latein. Fabel ange-
„ p. 202 Nr. 32 de equo forti et asello.
,, p. 177 Nr. 2 de vespertilione et avibus.
, p. 203 Nr. 33 de cervo et cornibus ejus.
, p. 189 Nr. 16 de serpente et lima.
, p. 179 Nr. 4 de ovibus et lupis.
, p. 206 Nr. 37 de ventre et meinbris.
, p. 197 Nr. 26 de equo et nomine.
, p. 188 Nr. 15 de cane et ove.
, p. 208 Nr. 39 de lupo et cane.
, p. 209 Nr. 40 de philomena et pavone.
, p. 199 Nr. 29 de formica et cicada.
, p. 193 Nr. 22 de lupo et bubulco.
, p. 189 Nr. 17 de latrone et vicinis,
, p. 205 Nr. 36 du camelo et pulice.
i p. 201 Nr. 31 de verace et fallace.
Der von Du Meril in dem angeführten Buche gleichfalls herausgegebene Baldo,
der wahrscheinlich dem 12. Jahrb. augehört, enthält zum größten Theil eine lat. Be-
arbeitung der Fabeln des Calila und Dimna, die daher von Benfey zum Päntschatantra
jedesmal an den betreffenden Stellen angeführt sind ; von den übrigen finden sich nur
folgende vier auch bei Waldis; nämlich:
I, 27 — Baldo p. 255 Nr. 25 de vulpe et ibide.
„ 32 = „ p. 257 Nr. 27 de mulo et lupo.
„ 45 = „ p. 256 Nr. 26 de cervo et equo.
LI, 2 = „ p. 258 Nr. 28 de viro et tigride.
Waldis I,
32 =
ji
77
33 =
77
77
34 =
>i
77
36 =
»j
77
37 =
u
77
38 =
„
77
40 =
7)
77
45 =
77
77
77
77
48 =
56 =
»7
„
66 =
77
77
84 =
77
m.44 =
77
77
61 =■
77
77
84 =
7?
P7.75 =
5Q4 LITTERATUR.
hängt und dazu bemerkt: »The following fragment of Walter Mapes is found
isolated in an early MS. witbout any indication from whence it was taken." Der
Inhalt dieser Fabel des Mapes entspricht der vorliegenden des Waldis.
I, 44. Vom Fuchss vnd dem Wysel. — Vgl. Du Merils Einleitung p. 134
Nr. 3 und 4, wo er diese Fabel erwähnt und einige interessante Nachweise giebt.
I, 67. Vom alten Wysel vnd den Meusen. — Auch bei Glycas und Wartan
s. Robert Fables ined. vol. I p. LVIII u. CCXXIV (zu Lafont. Nr. 6 0).
I, 86. Vom Weibe vnd dem Wolffe. — S. auch A. Kuhn Westphäl. Sagen
2, 225 Nr. 6 „Der Teufel und der Executor" und J. W. Wolf, Hessische Sagen
S. 158 Nr. 256 „Der Advokat und der Teufel".
I, 100. Von der Eychen vnd dem Rohr. — S. auch Robert 1. c. p. CCXIX*)
u. CCXXIV (zu Lafont. Nr. 22). Ähnliches auch im Mahabharata; s. Weber Ind.
Stud. 3, 355.
II, 1. Von den Ochssen vnd dem Löwen. — Babrius 44. Auch bei Themi-
stius ; s. Grimm Reinh. Fuchs S. CCLXXV, der darin den Grund oder Anfang
des Hitopadesa erkennt; s. dagegen Benfey, Pantschat. 1, 9 3.
II, 2. Vom Weydemann vnd dem Tyger. — Baldo s. oben Anm. 2. Cor. 2 7 9.
Babr. 1.
II, 11. Vom Waldtgotl vnd Menschen. — V. 7 ff. heißt es:
„Sonderlich in Egypten landt,
Da waren Thierlin vnbekandt,
Rauh vnd vierfüssig wie ein Geysz,
Wie man das auss der Schrift wol weisz."
Der Herausgeber bemerkt hiezu , daß ihm die Stelle der Bibel, die von solchen
Geschöpfen spreche, unbekannt sei; gemeint ist jedoch Jes. 13, 21, wo der hebr.
Text sagnir hat, was Luther durch Feldteufel , die Vnlg. durch pilosi übersetzt;
vgl. Grimm D.Myth. 44 9. Nur hat sich Waldis hier geirrt, indem er den rauhen
geißfüßigen Wesen statt zwei Füßen deren gleich vier beilegt. — Wegen Egypten-
landt s. des Ref. Gervas. S. 6 ff. Nr. XVIII besonders S. 8 : „Nam Alexandriam" etc.
und dazu die Anm. S. 7 6 in Betreff des Centanren.
II, 13. Von der Mausz vnd dem Ochssen. — Ähnlich Neckam Nr. III de
culice et tauro bei Du Meril p. 17 8. Vgl. Pantschat. 1, 24 5 f.
II, 21. Vom Fuchsz vnd der Katzen. — Auch in Thom. Wright, Latin
Stories Nr. 6 2. „Cette fable est certainement l'origine premiere d'une des aventures
du Roman de Renart: V. 19 29 et suivants:" Edelest. du Meril, Etudes sur quelques,
points d'archeol. et d'hist. litter. Paris u. Leipzig 1862 p. 464 Nr. 2.
II, 2 7. Von der Ewlen vnd andern Vögeln. — S. Benfey, Pantschat 1, 24 9.
II, 3 1. Von der Spinnen vnd Podagra. — Auch im Speculum exemplarum
des Johannes de Vitriaco , s. Gödeke in Benfey's Orient und Occident 1, 543
Nr. 9. — Auf die Verwandtschaft der Boner'schen Fabel Nr. 4 8 „ Von dem,
ritten **) und von der vlö" mit einer Erzählung des Pantschatantra vom Floh
(Feuermund) und der Laus (Leisegang) ***) hat A. Kuhn hingewiesen ; s. v. d.
Hagens German. 10, 283 f. Vgl. hierzu Jac. Grimm oben 2, 3 7 8.
II, 31. Von Vischen, die aus der Pfannen sprungen. — Gelegentlich des
von Kurz in den Anm. angeführten wohlbekannten Verses „Incidis in Scyllam
*) Über den daselbst, erwähnten Beracliia Hannakdan s. Grimm Reinh. Fuchs
p. CCLXXXII.
**) Nicht ,.ri/trru, wie verdruckt steht in Kurz's Anm. zu dieser Fabel.
***) ]'><-i Benfey Pantschat. 2. 71 f. heißt sie: „die.Wanze und die Laus": vgl. 1, 22:'>.
LITTERATUR. 505
cupiens vitare (nicht incidii in Sc. qui vult eoitare) Charybdin" sei bemerkt, daß
er zuerst in des Gautier von Chatillon Alexandreis V. 301 vorkommt, und dem
griech. VT)]V XctQvßdlV ixcpvycov r\] Uxvkht] TtSQUTCeOov" nachgebildet
scheint. — Näher entsprechen jedoch der vorliegenden Fabel andere griecb.
Sprüchwörter, wie xdizvov ys cpevycov , sig to 7tvg 7t£Qi£Jieöov und fu)
zi(pgav (psvyav sig m'&Qaxiccv iteöflg. S. Leutsch 1. c. im Index.
III, 7. Vom Adler vnd Küniglin. — In Waldis Quelle (Abstemius) und
im Aes. Camerarii findet sich statt des Zaunkönigs ein Kaninchen; wie kam er
also auf erstem? Zuvörderst vielleicht durch den Gleichklang von küniglein und
cuniculus, wobei er dann auch noch an die alte Feindschaft zwischen Zaunkönig
und Adler denken mochte , welche schon Aristot. histor. anim. 9 , 11 erwähnt
{TQO%£kog aetä 7toXe[llog). S. hierüber Grimm Kinderm. 33, 246 zu Nr. 17 1
„der Zaunkönig", und füge hinzu 6, 80 ff.
III, 11. Vom reichen Mann vnd seinen Freunden. — Dunlop (S. 2 9 2R
zur 5. Novelle des Granucci) muß sich geirrt und auf den Tyrannen Dionysius
bezogen haben, was Polyaen. 1, 4 0, 1 von Alcibiades erzählt, wo jedoch von kei-
nem Sohn des letztern die Rede ist. Eine ähnliche Geschichte findet sich auch in
der Viga Glumssaga c. 13 ff. (Island, sog. 2, 35 5 ff). Diese berichtet nämlich,
daß Glums Verwalter Ingolf von einem Manne, Namens Kalb (Kälfr) aus Hlädha,
bei gewisser Veranlassung beleidigt und geschlagen wurde. Einige Zeit darauf nun
rühmt sich Ingolf der zuverlässigen Freundschaft eines andern Mannes, Namens
Thorkel, worauf Glum ihm befiehlt, sich zu diesem zu begeben und ihm zu
sagen, er (Ingolf) habe Kalb in Hlädha todtgeschlagen , nachdem ihn Glum
wirklich vorher ein Kalb in einer Scheuer (hlädha) hatte schlachten lassen.
Thorkel wies Ingolf alsobald von sich, weil er es für gefährlich hielt, ihn in
sein Haus aufzunehmen. Da sich nun Tags darauf das Gerücht verbreitete, der
Mann, welcher Kalb hieß , sei wirklich erschlagen worden , so versprach Glum
dem Ingolf seinen Schutz und erklärte sich auch in der That vor Gericht selbst
als Kalbs Mörder, für den er dann das gesetzmäßige Wergeid bezahlte. —
Bemerkenswerth ist auch noch, daß hier ebenso wie in der Novelle des Granucci
ein getödtetes Kalb zur Prüfung der Freunde dient.
III, 2 2. Von den Sperbern vnd Tauben. — Die in der Anm. angeführten
Fabeln des Anon. Nev. und Romulus gehören nicht hierher, sondern zu der nur
wenig abweichenden des Phädrus 1, 31 „miluus et colwnbce (nicht columba)" ;
s. auch Neckam bei Du Meril p. 196 Nr. 2 5 de niso et columbis. In dieser Fa-
belreihe nämlich unterwerfen sich die Tauben einem Sperber (accipiter, milvus,
maus), um größerer Gefahr zu entgehen, befinden sich jedoch dabei sehr übel.
In der vorliegenden Fabel des Waldis hingegen , so wie in den übrigen dazu
gehörigen, stiften die Tauben Frieden zwischen den unter einander entzweiten
Sperbern (deshalb auch immer accipitres im Plur.) und ernten freilich gleich-
falls schlechten Lohn für ihre Bemühung.
III, 2 5. Vom alten Mann vnd dem Todt. — Über die Boten des Todes
s. auch W. Wackernagel, Basel im XIV. Jahrh. S. 381; sie finden sich ferner
erwähnt in Bromyards Predigten s. Wright, Latin Stories Nr. 33 und p. 223.
Vgl. auch Passow Popul. Carm. Grajc. recent. Nr. 42 6 — 43 3 und dazu des Ref.
Anzeige in den Gott. Gel. Anz. 1861, St. 15, S. 575 f.
III, 2 6. Vom Geitzigen vnd seinem Geldsack. — Die aus dem Tuti-Nameh
angeführte Geschichte von den vier habsüchtigen Reisegefährten gehört nicht
hierher: vgl. Pantschatantra 1 , 48 7. — Über die goldgrabenden Ameisen s.
506 LITTERATUE.
Lassen Ind. Altertimmskunde 1, 849 ff., und Deutsche Vierteljahrsschr. 1854
zweites Heft S. 2 6 5 ff.
III, 2 7. Vom Fuchsz und Steinbock. — Zu Grimm KM. 3, 392
(II. Ausg.; 3, 311 der III. Ausg.) s. des Ref. Nachträge oben 2, 249. —
Der Spruch „quidquid agis etc." findet sich bereits im Dialogus creaturarum so
wie in den Flores Poet. (Colon. 147 2) 1. II c. 20; s. Du Mdril, Poesies ined.
p. 161 n. 6. Da nun beide den Aesop als ihre Quelle anführen, so erweist sich
des Ref. in Eberts Jahrbuch 3, 154 ausgesprochene Muthmaßung als hinläng-
lich begründet.
III, 44. Vom Fuchsz vnd dem Jäger. — - Neckam; s. oben Anmerk. 2.
S. auch Reinhold Köhler in der Zeitschr. f. deutsche Mythol. 3, 2 98 ff.
III, 54. Vom alten Mann, der den Todt fordert. — Pantschat. 1, 5 7 4, Nr. 2.
III, 7 2. Von einem Holtzhawer. — Auch eine finnische Sage erzählt,
„daß einem Hirtenknaben das Messer ins Wasser fiel, als er an dem Ufer eines
Flusses mit Schnitzen beschäftigt war. Durch seine Thränen über das ihm zu-
gestossene Unglück gerührt, kam Ahti (ein Wassergott) ans Ufer geschwommen,
tauchte bis auf den Boden des Flusses und holte von dort ein goldenes Messer
hervor. Voll ehrlicher Unschuld versicherte der Knabe, daß dieses Messer ihm
nicht angehörte und nun senkte sich Ahti zum zweiten Male auf den Boden
herab und holte ein silbernes Messer hervor. Als aber der Knabe auch dieses
nicht annehmen wollte, begab sich Ahti noch zum dritten Male in die Tiefe
hinab und holte da das rechte Messer hervor , welches der Knabe auch mit
Freuden als sein Eigenthum erkannte. Um die Ehrlichkeit des armen Hirten
zu belohnen, schenkte ihm Ahti alle drei Messer." S. Castrens Vorlesungen über
die finn. Mythol., übertr. von A. Schiefner. Petersb. 1853, S. 75.
III, 9 2. Wie ein Sewhirt zum Apte wirdt. — Dieser Schwank ist auch in
der Gascogne bekannt ; s. Contes populaires de la Gascogne par Cenac Moncaut.
Paris 1861 p. 50 ff. „Le meunier et le marquis." Die Fragen lauten: 1. Wo ist
der Mittelpunkt der Erde? 2. Was bin ich werth ? 3. Was denke ich jetzt? — ■
Der einen Erzpriester (archipretre) vertretende Müller antwortet, 1. indem er sei-
nen Stock in die Erde stößt und diesen Fleck für den gesuchten Punkt erklärt;
2. „achtundzwnnzig Silberlinge (deniers)," weil Christus für dreißig verkauft
worden; und 3. daß er für den Erzpriester gehalten werde. — Über die Räthsel-
I fragen vgl. auch noch W. Wackernagel in Haupts Zeitschr. 3, 2 5 ff. und Benfey's
Aufsatz „Die kluge Dirne. Die indischen Märchen von den klugen Rätlisellösern und
ihre Verbreitung über Asien und Europa" im Ausland 185 9 Nr. 2 0 — 25. Hierher
gehört auch ein Märchen, welches A. Schiefner in der St. Petersburger Zeitung
1849 Nr. 7 9 dem Mongolischen nacherzählt und dem Ref. freundlichst mitge-
theilt hat. Es erinnert zunächst an das Märchen vom Hirtenbüblein (Grimm KM.
Nr. 15 2), mit welchem es auch theilweise übereinstimmt.
III, 94 (II). Des Herrn Auge das beste Pferdefutter. — Simrock, Sprich-
wörter Nr. 4611 — 46 16; bes. Nr. 46 13 „Des Herrn Auge füttert das Pferd
wohl." — Eine hierher gehörige Geschichte erzählt auch Plin. H. N. 18, 8
in Betreff des C. Furius Cresinus und schließt mit den Worten : Et ideo ma-
jores fertilissimum in agro oculum domini esse dixerunt."
IV, 1. Vom Wolff, Fuchsz vnd Esel. — Die von Kurz angeführte Fabel
des Straparola 13, 1 „unloup, im regnard etc." findet sich bloß in der fran-
zösischen Übersetzung des Larivey; im italienischen Original steht dafür ein
anderes Stück: ^Maestro Gasparino medico con la sua virlu sanava i pazziu,
LITTER ATUR. 507
entnommen aus Morlini Nr. 7 6*): „De Medico qui cnrabat meide captos." Der
neueste Herausgeber der genannten Übersetzung bemerkt dazu nach Loiseleur
Deslongchamps und Lancereau, daß Lafontaine 7, 1 „Les animaux malades de la
pesteu so wie die entsprechende eben genannte Fabel des Larivey aus dem Orient
stammen. S.Benfey Pantschat. 2, 80: Der Löwe, seine Minister und das Kameel;*
vgl. ebendas. 1, 2 31 f. Ob aber Larivey seine Fabel zunächst dem Bebel, und
Lafontaine die seine dem Philelphus entliehen , wie letzteres Deslongchamps
glaubt, bleibt dahingestellt, da ja auch noch andere frühere Bearbeitungen dieser
Fabel vorhanden waren; s. Robert, Fables inedites etc. 2, 6 7.
IV, 2. Vom Fuchsz und dem Hanen. — Pantschat. 1, 310; s. zu Waldis
IV, 88: „Vom Fuchsz und dem Eichhorn."
IV, 3. Von einem hungerigen Wolffe. — S. auch Du Meril, Poesies ined.
p. 156 Nr. 4. — Zu dem Schlüsse: „Cacadajmon segrotabat — Monachus fieri
volebat" etc. gehört das deutsche Sprichwort : „Wenn der Teufel krank wird,
will er ein Mönch werden," Simrock Nr. 10207; sowie das englische: „When
the devil was sick, the devil a monk would be — When the devil was" well,
the devil a monk was he. — In Betreff des italien. Sprichwortes: „II lupo
cangia il pelo ma non il vizio" hatte Ref. in Eberts Jahrbuch 3, 161 bemerkt,
daß sich daraus auf ein schon frühes Bekanntsein der Fabel vom Wolf als Schüler
in Italien schließen lasse; doch dachte er damals nicht an das griech. Sprich-
wort gleichen Inhalts: „o Xvxos ttjv XQiya^ ov vrjv yva^irjv äXlatzst."
IV, 8. Vom Wolff vnd Fuchsz. — S. auch Pantschat. 1, 182. — V. 7 7
heißt es bei Waldis: „Da ich genest bin, kumstu wider: — So geht die Welt
jetzt auff vnd nieder." Dies erinnert an ein italienisches: „II mondo e fatto
a scale — L' uno scende e 1' altro sale."
IV, 6 6. Vom Studenten vnd einem Müller. — S. auch Dunlop-Liebrecht
S. 48 6 Anm. 2 7 7a; füge hinzu Hora? Belgiens 11, 288 ff. Nr. 188, eine Va-
riante des Schwankes bei D'Ouville.
IV, 6 7. Von einem verurtheilten Knecht. — In Betreff der Rechtssitte,
daß ein zum Tode Verurtheilter durch eine Jungfer von seiner Strafe befreit
werden konnte, wenn sie ihn heiratete, s. Hora? Belg. Bd. II, S. XL VIII f.
2. Ausg.
IV, 71. Von einem Kaufman vnd seinem Weibe. — Auch bei Du Meril
1. c. p. 418 f. „De viro et uxore moecha."
IV, 7 2. Von zweien Fechtern. — Einer gleichen List, um den Gegner
zu besiegen , bediente sich auch der griechische Kaiser Heraklius in seinem
Zweikampfe mit dem Sohne des Chosroes, wobei nämlich ausbedungen war, daß
kein anderer Krieger der beiden einander gegenüber stehenden Heere den zwei
Kämpfern irgend hilfreich sei. Nachdem letztere lange mit einander gefochten,
beklagte Heraklius sich plötzlich über den Bruch des Übereinkommens und als
hierauf sein Gegner sich umwandte , wurde er von jenem hinterlistig getödtet.
So erzählt Aimoin de Gestis Francor. 1. IV, c. 21 (Bouquet 3, 12 8). Diese
Sage ist indeß viel älter, denn das athenische Fest der Apaturien sollte seinen
Namen von dem Betrüge (aTCatrj) erhalten haben, den der König der Athener
*) S. Dunlop-Liebrecht S. 497. In der neuesten Ausgabe des franz. Straparola,
Paris 1857, vol. I p. LI ist angeführt Morlini Nr. 77. Dies kommt daher, daß in der
Jannet'schen Ausgabe des Morlini (Paris 1855) die Bezifferung der Novellen bis Nr. 81
fortläuft, während die frühern Ausgaben nur bis Nr. 80 gehen, dagegen zwei Novellen
mit Nr. 72 bezeichnet haben. Vgl. Dunlop S. 498 erste Anm.
508 Ll'L TERATUR.
Xanthus gegen den der Böotier, Melanthius, übte und welcher dem des Heraklius
genau entspricht. S. Hesychius, Harpocration, Suidas s. v. AnuxovQiu. Auch
in der Kalevala wendet Leniminkäinen eine ähnliche List an, um den Pobjola-
Wirth zn vermögen, daß er hinter sich sehe, worauf er ihm den Kopf abschlägt,
welcher Zug sich in andern finnischen und russischen Märchen wiederholt.
S. Schiefner in den Melanges russes 2, 621; vgl. 4, L99.
IV, 7 5. Vom Königreich der Affen. — Neckam „De verace et fallace" ;
s. oben Anm. 2; vgl. auch Waldis IV, 7, eine Fabel, der fast ganz derselbe
Gedanke zu Grunde liegt.
IV, 9 9. Vom Bawren, Lindwurm. Pferd, Hund vnd Fuchsz. — Vgl. zu
Waldis I, 7. Zu Benfey Pantschat. 1, 118 bemerke ich, daß auch in dem von
Garcin de Tassy aus dem Hindustani übersetzten philosophisch-religiösen Ronian
„La doctrine de l'amour ou Taj-Ulmuluk et Bakawali." Paris 1858 p. 17 f.
ein Märchen vorkommt: „Histoire du Brahmane et du lion", worin erzählt wird,
wie ein Bramane einst in einem Walde einen in einem Käfig gebunden lie-
genden Löwen aus Mitleid befreit , der ihn dann zerreißen will. Schiedsrichter
finden wir hier nur zwei, einen Baum und einen Schakal. In dieser Fassung
ist der Löwe bemerkenswerth , der die Stelle der sonst auftretenden Schlange
(Krokodil) einnimmt; um so mehr, als in einem' yascogni^r-h, en , denselben Stoff
behandelnden Märchen gerade auch wieder ein in einem Walde gebunden ge-
fundener Löwe das undankbare Thier repräsentirt ; s. Contes populaires de la
Gascogne par Cenac Moncaut. Paris 1861, p. 213 ff.: „Le lion pendu", wel-
ches Märchen so anfängt: „On raconte qu'un voyageur, passant un jour dans
une foret, apercut un lion pendu par la patte ä la plus haute branche d'un
arbre." Der Reisende befreit den Löwen aus seiner bösen Lage. Schiedsrichter
sind dann eine Hündin, eine Stute und ein Fuchs. Über die Zurückführung in
den vorigen Zustand, namentlich des Teufels in ein Glas s. auch des Ref. Be-
merkungen in Eberts Jahrbuch 3, 147, so wie in den Gott. Gel. Anz. 1861,
Stück 11, S. 430 f.; füge hinzu die spanische Sage von dem Soldaten Briones,
s. Eberts Jahrb. a. a. O. S. 225 ff. und das deutsche Sprichwort: „Er will
Gott und den Teufel in ein Glas bannen." Simrock Nr. 10181. — Der in den
orientalischen Versionen der vorliegenden Fabel erscheinende Baum , der sich
über die ihm von den Menschen zu Theil werdende harte Behandlung und Un-
dankbarkeit beklagt, erinnert übrigens sehr lebendig an Ovids Nux, die den
gleichen Stoff behandelt.
Hiermit schließen wir und bemerken nur noch, daß der Druck des Textes
sehr correct ausgefallen ist, in den Anmerkungen jedoch sich mehrere Druck-
fehler eingeschlichen haben, die aber der Leser meist leicht zu bessern vermag ;
dagegen müssen wir darauf aufmerksam machen, daß die Anmerkung zu II, 96,
15 ff. (Hesiod und Schiller), so wie zu III, 9 7, 4 9 (Schreckenberger) zu der
resp. folgenden Fabel (II, 97 und HI, 98), die zu IV, 51, 30. 74 (Stüber —
Mattheier) zu der vorhergehenden (IV, 50) gehört.
Die äußere Ausstattung des Buches ist vortrefflich.
LÜTTICH. FELIX LIEBRECHT.
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PF
3003
64
Jg. 7
Germania
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