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Full text of "Germania"

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HANDBOL'ND 
AT  THE 


UNIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


G  R  R  M  A  N I A. 


V I ERTELJAHRSSCHRIFT 


DEUTSCHE  ALTKKTHUMSKUNDE. 


HERAUSGEGEBEN 


FRANZ    PFEIFFER. 


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SIEBENTER  JA  H  RG  AN  G 


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WIEN. 


VERLAG  VON  CARL  GEROLD'S  SOHN. 


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3 


INHALT. 


Seite 

Der  Dichter  der  Erlösung.  Von  Karl  Bartsch 1 

Raparius.  Von  Adolf  Wolf 43 

Wolframs  Parzival  und  seine  Beurtheiler.  Von  San-Marte 55 

Über  Nicolaus  von  Jeroschin.  Von  Fedor  Bech 74 

Der  goldene  Baum  in  mittelhochdeutschen  Gedichten.  Von  I.  V.  Zingerle        .    .  101 

Heinrich  von  Rucke.  Von  Franz  Pfeiffer .    .  110 

Becherinschrift.  Von  I.  V.  Zingerle 112 

Zu  Hartmanns  Erek.  Von  Wilhelm  Müller 12!» 

Über  Christians    von   Troies    und  Hartmanns    von  Aue  Erec  und  Enide.    Von  Karl 

Bartsch 1-11 

Zum  Märchen  vom  Zaunkönig.  Von  Demselben 185 

Der  Rhein  und  andere  Flüsse  in  sprichwörtlichen  Redensarten.  Von  I.  V.  Zingerle  187 
Griechische  und  deutsche  Sagen.  Von  Karl  S  c  h  e  n  k  1 : 

1.  Das  Märchen  vom  Schlauraffenland 193 

2.  Die  Flunder 195 

3.  Frau  Holle — 

Zum  Nibelungenliede.  Von  Adolf  Holtzmann 196 

Mitteldeutsch.  Von  Franz  Pfeiffer 226 

Zu  den  Büchern  Mosis.   Von  Johann  La m bei 230 

Zu  den  deutschen  Appellativnamen.  Von  Reinhold  Köhler 235 

Zum  Raparius.  Von  Adolf  Mussafia 237 

Althochdeutsche  Glossen.  Von  Karl  Bartsch 239 

Was  Minne  sei.  Von  I.  V.  Zingerle 241 

Die  Partikel  A.  Von  Demselben 257 

Kleinere  Mittheilungen.  Von  Karl  Bartsch: 

1.  Ein  althochdeutsches  Bruchstück 267 

2.  Saute  Margareten  Marter 268 

3.  Zur  Gudrun 270 

4.  Zum  Jüngern  Titurel 271 

5.  Zum  Lohengrin 274 

6.  Zur  geistlichen  Dichtung 276 

Zu  Karajans  Sprachdenkmalen  des  XII.  Jahrhunderts.  Von  Karl  Bartsch  .    .    .    .  278 

Das  niederdeutsche  Hildebrandslied.  Von  Demselben 284 

Zu  Wolfram  von  Eschenbach.  Von  Fedor  Bech 291 

Zu  Eulenspiegel.  Von  Reinhold  Bech  stein 304 


Seite 
Zu  Wernhers  Marienleben.   Augsbiirger  Bruchstücke.    Herausgegeben  von  Benedikt 

Greiff '. 305 

Drei  Predigten  aus  dem  XIII.  Jalirbiuidert.  Von  Franz  Pfeiffer 330 

Adams  Erschaffung  aus  acht  Theilen.  Von  Reinhold  Köhler 350 

Über  Johannes  Rothe.  VII.  Von  Fedor  Bech 354 

Gold,  Milch  und  Blut.  Mythologisch.  Von  E.  L.  Eochholz: 

1.  Das  goldene  Zeitalter 385 

2.  Das  Milchmeer 392 

3.  Das  schreiende  Blut 413 

Zu  Hartmauns  Erek.  Von  Fedor  Bech 429 

Über  die  Herleitung  des  Namens  Baier.  Von  Conrad  Hofmann 470 

Die  Erde  als  jungfräuliche  Mutter  Adams.  Von  Reinhold  Köhler 476 

LITTERATUR. 

Recensionen: 
Carolus  Müllenhoff,  de  carmine  Wessofontano  etc.  dissertatio.    Von  Karl  Bartsch  113 
1.  Das  Rolandslied,    übersetzt  von  W.  Hertz.     2.  Roland,   traduit  par  P.  Jonain. 

Von  Adolf  Mussafia 117 

Neues  Hausbuch   für    christliche  Unterhaltung.    Herausgegeben    von   Dr.   L.  Lang. 

Von  I.  V.  Zingerle 128 

1.  The  story  of  Burnt  Njal.  By  G.  W.  Dasent.     2.  Islenzkar   bjodsögur  og  a;fintyri. 

Safnadhefir  Jon  Arnason.   Von  K.  Maurer 247 

Des  Sachsenspiegels  erster  Theil  oder  das  sächsische  Landrecht,  herausg.  von  C.  G. 

Homeyer.  Von  Heinrich  Siegel 252 

Die  deutschen  Gesellschaftslieder  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts,  gesammelt  von 

Hoffmann  von  Fallersleben.  Von  J.  M.  Wagner 253 

Alfons  Huber,  die  Waldstätte  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden  etc.  Von  I.  V.  Zingerle  254 
Frankfurter  Sagenbuch,  herausg.  von  Karl  Enslin.  Von  Demselben.    .    .    .    .    .     — 

Die  Sprichwörter  und  sprichwörtlichen  Redensarten  der  Deutschen,  von  Wilh.  Körte. 

Von  Demselben 255 

J.  I.  Schneider  ,    systematische  und  geschichtliche  Darstellung  der  deutschen  Vers- 
kunst etc.,  von  Karl  Bartsch 367 

Reisen  des  Joh.  Schiltberger    aus  München  in  Europa,    Asia  und  Afrika  von  1394 

bis  1427,  herausg.  von  K.  F.  Neiunann.  Von  Reinhold  Köhler 371 

J.  V.  Grohmann,  Apollo  Smintheus.  Von  I.  V.  Zingerle 380 

I.  E.  L.  Rochholz,  Naturmythen.     2.    AI.  Lütolf,    Sagen,  Bräuche,  Legenden  aus 

den  fünf  Orten.     3.    J.  J.  Vonbim ,    Beiträge  zur  deutschen  Mythologie.    Von 

Demselben 381 

Der  Minne  Regel  von  Eberhardus  Cersne  aus  Minden  ,  herausg.  von  F.  X.  Wöber. 

Von  Fedor  Bech 481 

Esopus  von  Burkhard  Waldis,  herausg.  von  Heinr.  Kurz.  Von  Felix  Lieb  recht.   497 


■••■■ 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG. 


VON 

KARL  BARTSCH. 


Wie  so  viele,  namentlich  geistliche  Dichter,  hat  der  Verfasser  der 
Erlösung  seinen  Namen  uns  verschwiegen,  auch  nicht  in  der  beliebten 
Weise  des  Akrostichons  einen  Fingerzeig  zur  Auffindung  desselben 
gegeben.  Vermag  ich  ihn  auch  nicht  zu  nennen,  so  kann  ich  ihn  doch 
als  einen  in  unserer  Litteraturgeschichte  schon  bekannten  nachweisen, 
indem  ich  ihm  ein  anderes  Werk  zuschreibe ,  das  ihn  in  den  Augen 
der  Litteratnrfreunde  vielleicht  höher  stellen  wird  als  die  Erlösung.  Es 
ist  dies  Werk  kein  anderes  als  das  Leben  der  heiligen  Elisabeth,  von 
welchem  Grafts  Diutiska  1,  343  —  489  einen  Auszug  gegeben  hat.  In 
der  Einleitung  zur  Erlösung  S.  XXII — XXIV  habe  ich  nachzuweisen 
gesucht,  daß  die  in  Haupts  Zeitschrift  5,  515 — 564  abgedruckte  „Marien 
Himmelfahrt"  den  Dichter  der  Erlösung  zum  Verfasser  hat,  dabei  aber 
schon  auf  einige  Verschiedenheiten  aufmerksam  gemacht,  die  eine  solche 
Annahme  nur  unter  gewissen  Umständen  gestatten  *).  Mag  es  bei 
„Marien  Himmelfahrt"  noch  immer  zweifelhaft  bleiben  oder  wenigstens 
ein  vollständiger  Beweis  nicht  geführt  werden  können  (ich  werde  im 
Verlauf  der  Untersuchung  weitere  Übereinstimmung  und  Verschieden- 
heit hervorheben),  so  ist  dies ,  glaube  ich ,  bei  dem  Leben  der  h.  Eli- 
sabeth vollständig  möglich.  Wir  müssen  zuerst  die  mundartlichen 
Eigenthümlichkeiten,  ferner  den  Versbau  und  die  Reimart,  sodann  ge- 
wisse charakteristische  Worte  und  endlich  ganze  Verse  und  Stellen  mit 
einander  vergleichen. 


*)  Das  von  mir  für  oberrheinisch  erklärte  Mute:    niu/e    (=  nihte,    Hs.  hude:    nude) 

ist,  wie  mir  Weigaud  mittheilt,  auch  hessisch  ,  widerspricht   also    nicht   der  Heimat  der 
Erlösung. 

GERMANIA  VU.  \ 


2  KARL  BARTSCH 

I.  Die  Sprache.  Daß  der  Dichter  der  heiligen  Elisabeth  Mittel- 
deutschland angehört,  bezweifelt  niemand:  schwieriger  scheint  es  die 
nähere  Heimat  zu  bestimmen.  Wackernagel  (Literaturgeschichte  S.  164) 
hält  ihn  für  einen  Thüringer:  soviel  wir  aber  von  nachweislich  thürin- 
gischen Dichtern  und  Dichtungen  kennen  ,  weichen  sie  von  der  Elisa- 
beth bedeutend  ab,  namentlich  fehlt  dieser  ein  untrügliches  Zeichen  des 
thüringischen  Dialektes,  die  Apocope  des  e  im  Infinitiv.  Mit  größerem 
Rechte  dürfen  wir  Hessen  als  Heimat  des  Gedichtes  ansprechen  :  darauf 
weist  Marburg,  das  in  der  Verehrung  der  Heiligen  und  auch  im  Ge- 
dichte eine  so  bedeutende  Rolle  spielt;  darauf  die  Mundart  der  noch 
jetzt  in  Hessen  (Darmstadt)  befindlichen  Handschrift  *);  darauf  endlich, 
wenn  auch  die  Beschaffenheit  der  Handschriften  nicht  in  Anschlag 
gebracht  wird,  die  Spracheigentümlichkeiten,  wie  sie  sich  hauptsächlich 
aus  den  Reimen  ergeben. 

Beide  Dichter  brauchen  a  für  o,  nach  niederdeutscher  Weise  (zur 
Erlös.  503);  in  der  Elisabeth  sal:  beval  S.  393:  dal  415. 

e  für  i  (zur  Erlös.  5732;,  vollenbr  engen:  ersprengen  Elis.  345.  ver- 
brennen: hinnen  (Hs.  virbirneri)  Mar.  Himm.  781. 

o  für  e  in  wollen  für  wellen  (zur  Erlös.  6499)  :  in  der  Erlösung 
kein  beweisender  Reim,  daher  ich  gegen  die  Hs.  überall  wellen  geschrie- 
ben habe.  Nun  bietet  die  Ergänzung  der  einen  Lücke  aus  der  Prager 
Handschrift  (Germania  3,471)  V.  55  ir  wolt:  ir  solt,  und  damit  stimmt 
genau  der  Gebrauch  der  Elis.  S.  430 ,  wo  solle:  icolle  reimt;  zugleich 
ein  Beweis,  daß  das  doppelte  l  in  ersterem  W'orte  bereits  dem  Dichter 
zukommt. 

o  für  u  (zur  Erlös.  516)  wird  in  der  Elis.  bewiesen  durch  Bit- 
terolt:  uiigedolt  349;  gedolde:  wolde  388.  Die  Nürnberger  Hs.  ist  in 
diesem  Gebrauche  des  o  für  u  freigebiger  als  der  Dichter,  den  weni- 
gen Reimen  nach  zu  urtheilen,  damit  war. 

o  für  ö  in  ztvolf,  mochte  (Conjunctiv)  und  ähnlichen  Worten  in 
beiden  Gedichten  durchgängig  (zur  Erlös.  516),  nach  allgemein  mittel- 
deutschem Gebrauche,  ohne  daß  ein  beweisender  Reim  vorläge. 


*)  Die  zweite  vollständige  Hs.  in  Donaueschingen  (Perg.  14  Jahrh.  Fol.),  deren 
Anfang  und  Schluß  Scheffel,  die  Handschriften  altdeutscher  Dichtungen  u.  s.  w.  S.  13  fg. 
mittheilt,  trägt  zwar  auch  mehr  mitteldeutsches  als  oberdeutsches  Gepräge,  sie  hat  aber 
nicht  /..  I!.  il  für  (  im  Anlaut  und  Inlaut  (nur  wirdekeide);  dagegen  schließt  sich  das 
Koblenzer  Bruchstück  (Mones  Anzeiger  6,  54—  58)  in  der  Schreibung  wie  in  den  Les- 
arten genau  an  die  Darmstädter  Hs.  an.  Die  beiden  Quartblätter,  aus  denen  das  Bruch- 
stück besteht,  sind  in  verkehrter  Folge  abgedruckt,  Vers  I  — =- ü7  muß  nach  V.98 — 193 
kommen. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  3 

u  für  m,  ebenso  allgemein:  weder  ö  noch  ü  kennen  die  Hand- 
schriften; in  der  Elis.  begegnet  ein  beweisender  Reim  bumen  (brennen): 
zürnen  447. 

Die  langen  Vocale  betreffend  ist  zunächst  der  Gebrauch  von  a, 
das  vor  doppeltem  Consonanten  zu  a  verkürzt  wird,  für  e  zu  erwähnen 
(zur  Erlös.  3890):  in  der  Elis.  gelart :  gehart  392;  verhärten',  larten  414, 
zwar  durch  keinen  Reim  bewiesen  (ebensowenig  in  der  Erlösung),  aber 
in  allen  Hss.  übereinstimmend,  auch  in  der  Prager,  harte:  larte  in  dem 
eine  Lücke  ergänzenden  Texte,  Germania  3,  471,  33.  Mehr  noch  be- 
weist das  sonst  nicht  vorkommende  läre  für  lere  {läre:  vdre  Erl.  6064: 
offenhäre  Elis.  392.  456)  die  Übereinstimmung  beider  Gedichte  in  diesem 
Gebrauche. 

ä  für  o  scheint,  wenn  alsd  und  sä  in  den  zur  Erlös.  5694  ange- 
führten Beispielen,  wozu  noch  aus  der  Prager  Hs.  (Germania  3,  472) 
alsd:  paschd  90:  da  131  kommt,  nicht  für  also  und  so  stehen,  nicht 
vorzukommen.  Daß  aber  letzteres  der  Fall  ist,  dafür  spricht  die  sehr 
häufige  Schreibung  sa  für  so  in  der  Darmstädter  Hs.  der  Elisabeth. 
Nun  begegnet  zwar  in  diesem  Gedichte  kein  Reim  m  oder  aha  auf  a, 
wohl  aber  steht  häufig  iesd  im  Reime  meist  als  Füllwort,  wie  in  den 
Stellen,  die  ich  zur  Erlös.  4346  gesammelt,  und  somit  könnte  in  allen 
Stellen  beider  Gedichte  der  Dichter  entweder  alsd  oder  iesd  geschrieoen 
haben  und  nur  die  Hss.  abweichen. 

e  für  d ;  in  der  Erlösung  fregen  für  fragen  (zu  4325) ,  aber  nicht 
im  Reime.  Elis. 435  nehet  {nahet):  gesmehet;  dagegen  Erlös. 4082  nähet : 
gdhet,  daher  wrohl  nahet:  gesmdhet  zu  schreiben. 

e  steht  für  a;  allgemein  in  allen  Hss.  der  Erlösung  und  der  Eli- 
sabeth,  ebenfalls  nach  allgemeinem  md.  Gebrauche,  aber  durch  keinen 
Reim  bewiesen  (zur  Erlös.  168),  wie  es  deren  sonst  in  den  meisten  md. 
Dichtungen  gibt  (vgl.  zu  Herbort  113;  Nicolaus  von  Jeroschin  S.  LVII 
u.  s.  w.);  aber  gerade  die  Übereinstimmung  des  Gebrauches  beider 
Gedichte  ist  ein  auffällendes  Merkmal  des  nahen  Zusammenhanges  und 
beweist  uns ,  daß  das  feinhörende  Ohr  zwischen  dem  e  =  mhd.  e  und 
e  =  mhd.  a?  wenigstens  mundartlich  einen  leisen  Unterschied  wahrnahm  *). 
Eine  Schwächung  des  03  in  e  begegnet  in  den  Mascul.  auf  a;re,  nach 
Abwerfung  des  kurzen  e  im  Auslaut:  Elis.  349  reimt  Walther:  schriber, 
Erlös.  1526  nach  der  besseren  Lesart  von  P  dm  huninc,  din  heiler  iedoch 


*)  Vgl.  Elis.  435,  wo  mazre:  siccere,  sere:  sere  als  verschiedene  Reimpaare  unmittelbar 
auf  einander  folgen. 

1* 


4  KARL  BAETSCn 

in  armüt   humit   er   (vgl.    heiler   Elis.  4401,   womit    die   Reime   Jupiter'. 
Alexander  Erlös.  6508,  alher:  November  Elis.  476  zu  vergleichen  sind. 

i  für  ie,  was  in  der  Erlösung  mehrere  Keime  beweisen  (zu  2020)? 
findet  sich  auch  häufig  in  der  Dannstädter  Hs.  der  Elisabeth  in  hi,  wi, 
di,  licht,  nit  (=  niet)  u.  s.  w.  neben  dem  gewöhnlichen  ie,  das  in  dem 
Koblenzer  Bruchstück  überwiegt  und  auch  in  beiden  Hss.  der  Er- 
lösung Kegel  ist.  Beweisende  Reime  aus  der  Elisabeth  für  %  ■==  ie 
zeigt  Grafts  Auszug  nicht,  aber  eine  bemerkenswerthe  Übereinstimmung 
haben  beide  Gedichte  darin,  daß  gienc ,  vienc,  hienc  nicht  auf  kurzes  i 
reimen  (zur  Erlös.  2020) ,  was  sonst  bei  mitteldeutschen  Dichtern  sehr 
gewöhnlich  ist  (vgl.  nachher  über  ü  =  uo):  in  den  Hss.  waltet  nur  der 
Unterschied,  daß  die  Nürnberger  hier  i  schreibt,  die  Prager  und  die 
Hss.  der  Elisabeth  ie.  Durch  Contraction  entsteht  i  in  gelin  für  geligen 
(:  kunegin)  Elis.  352,  analog  wie  heget  (=  begebet) :  gebet  463 ;  in  der 
Prager  Hs.  steht  eben  so  sen  für  segen ,  aber  nicht  im  Reime ,  Ger- 
mania 3,  472,  107.  Vergleichen  darf  man  auch  die  durch  ähnliche 
Contraction  entstandenen  i  (=  ie)  in  den  zur  Erlös.  2020  angeführten 
Stellen. 

6  für  ä  steht  in  beiden  Gedichten  in  iesö  für  iesä  (zur  Erlös.  5694), 
wenn  man  nicht  iesö  als  Verstärkung  von  so  betrachtet,  wie  aha  =  sä 
(s.  oben) :  wie  dem  auch  sei ,  immerhin  ist  auch  hier  die  Überein- 
stimmung im  Reimgebrauche  sehr  merkwürdig,  iesö:  frö  Erlös.  4727; 
:  Libanö  5694;  iesö:  frö  Elis.  356-  :  Brundosiö  405;  in  der  Elisabeth  die 
Form  iesö  auch  häufig  außer  Reime,  vgl.  S.  404.  411.  423.  441  (zwei- 
mal) und  in  dem  Kobl.  Brachst.  (Anz.  6,  55)  V.  49.  Einmal  steht  ie  dö: 
vrö  Elis.  440  und  ebenso  Erl.  5015  ie  do:  also,  vgl.  Anm.  zu  1609. 

6  für  den  Umlaut  ce ,  ebenfalls  in  allen  Hss.  beider  Gedichte  all- 
gemein, wie  bei  allen  mitteldeutschen  Dichtern,  wird  in  der  Erlösung 
(zu  275)  durch  Reime  gesichert;  ebenso  in  der  Elis.  zubröde:  snöde  447 
und  483  da  mide  er  icolde  schone  der  frouwen  houbet  frönen  mit  hoher 
cre  chrönen,  wenn  man  hier  chrönen  als  schw.  dat.  sing,  fasst  (doch  vgl. 
vorher  eine  chröne:  schone):  richtiger  ist  wohl  frönen  =  freenen  und 
chrönen  ■=  ehr w ii en.     Himm.  1205   eröne:  schöne  (schoene). 

ü  steht  für  iu  allgemein  in  den  Hss.  beider  Gedichte,  in  der  Er- 
lösung durch  einen  Reim  (zu  2330)  bewiesen ,  ergibt  sieh  auch  aus 
einem  nicht  ganz  unbedenklichen  Reime  der  Elisabeth :  fründe  (Jriunde) : 
enzunde  (Präter.  von  enzünden)  S.  403.  Nicht  unbedenklich  nenne  ich 
diesen  Reim,  weil  sonst  aus  keinem  anderen  beider  Gedichte  eine  Kür- 
zung f runde  sich  ergibt  (Anm.  zur  Erlös.  93) y  wohl  aber  frünt:  sinnt 
und  ähnliches  in  der  Erlösung,  nünde:  /runde  Elis.  455  reimt,  und  der 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  5 

Dichter  wohl  ebensowenig  frunt  als  ginc,  vinc,  hinc  und  stunt  (=  stuoyd) 
sprach. 

ü  für  uo  (zur  Erlös.  93)  beweisen  in  der  Elis.  (die  Darmst.  Hs. 
hat  u  und  ?/,  letzteres  aber  bezeichnet  keineswegs  die  Aussprache  uo) 
meist  dieselben  Reime,  sun:  tun  347,  zu:  du  382.467,  nü:  frü  409.  427. 
478.:  zu  412.  420.  432.  446.  456.  458.  Kobl.  Br.  82:  iezü  442.  446. 
466.  471.  486.  nü:  zu  Himmelf.  271.  317.  sun:  tun  oft  (Erlös.  S.  XXII). 
Das  schon  erwähnte  stünt  für  stuont  reimt  nicht  auf  kurzes  u,  wie  z.  B. 
bei  Herbort  (zur  Erlös.  93),  sondern  nur  auf  üi  tünt:  stünt  Elis.  426; 
dagegen  in  der  Himmelfahrt  an  vielen  Stellen  auf  u  (Erlös.  S.  XXII). 

Ebenso  steht  ü  für  den  Umlaut  von  uo  d.  h.  üe.  Letzteres  zeigen 
die  Hss.  gar  nicht;  für  die  Erlös,  beweisen  zwei  Reime  (zu  523),  für 
die  Elisab.  unsüze  (unsuoze):  filze  (füeze)  366  (=  Erlös.  4794);  rnüwe 
(müfje) ;  rüwe  (ruowe)  Kobl.  Br.  68.  Daß  auch  hier  vor  doppelter  Con- 
sonanz  keine  Kürzung  eintritt  zeigt  der  Reim  stünde  (=  stüende)  :  pründe 
(phrüende)  Elis.  392. 

ou  für  den  Umlaut  öu  (zur  Erlös.  5110)  in  schouwete:  erfromoete 
(derselbe  Reim  in  der  Erlösung)  Elis.  407.  414;  ervromvet:  geschouicet 
421;  sclwuwene:  frouwene.  473. 

Nicht  geringere  Übereinstimmung  zeigt  sich  in  Bezug  auf  die 
Consonanten.  So  der  Gebrauch  von  d  für  t  im  Inlaute,  im  hessischen 
Dialekte  sehr  gewöhnlich,  in  der  Erlösung  durch  zahlreiche  Reime  be- 
legt (zu  303)  und  ebenso  in  der  Elisabeth,  von  der  zwei  Handschriften 
sowohl  im  Anlaut  als  im  Inlaut  dies  d  durchgängig  setzen.  Stade: 
schade  352.  rede:  stede  386.  396.  418.  437.  449.  461.  fride:  mide  405. 
friden:  uberschriden  399.  hdde:  gnade  383  (die  anderen  Stellen  sieh  unter 
haben),  gnade:  räde  412.  420.  434.  436.  437.  443.  445.  dräde:  Cünräde 
395.  gnaden:  däden  427.  zide:  gesmide  355.  ziden:  liden  376.  416.  438. 
452.463.  geltden:  r iden  402.  döde:  genode  441.  464.  472.  güde:  müde  362. 
:  lüde  357.  lüden:  güden  460.  müder:  brüder  390.  438.  483.  güder:  brüder 
464.  Vageliveide:  gereide  349.  bekleidet:  beidct  381.  scheiden:  beiden  396. 
scheident:  beide nt  400.  leide:  heilikeide  408.  :  gereide  431.  :  jämerkeide  435. 
477.  :  geduldekeide  442.  eide:  gereide  478.  ougenweide:  geleide  410.  be- 
rieden :  schieden  402.  :  sieden  425.  schieden :  genieden  Kobl.  Br.  6G-  In 
der  Himmelfahrt  kein  beweisender  Reim ,  aber  die  offenbar  in  Hessen 
geschriebene  Handschrift,  die  noch  dem  13.  Jahrhundert  angehört, 
zeigt  dies  d  durchgäno-io-.  In  diesem  Umfange  kennen  den  Gebrauch 
nur  wenige  Dichter  (Heinrich  von  Veldeke  vielleicht  ausgenommen, 
dessen  Mundart  aber  in  anderen  Punkten  wesentlich  abweicht),  Herbort 
gar  nicht,  ebensowenig  Hermann  von  Fritslar. 


g  KARL  BARTSCH 

Den  Übergang  von  g  in  h  vor  t  im  Präter.  und  Particip  von  legen, 
verbunden  mit  einem  Rückumlaute  (Iahte,  geiaht),  haben  mitteldeutsche 
Dichter  selten  (das  mhd.  Wörterbuch  führt  nur  Stellen  aus  der  Himmel- 
fahrt und  der  Elisabeth  an):  außerdem  begegnet  er  im  Karlmeinet 
(über  Karlmeinet  S.  242  fg.i,  wo  noch  das  Präter.  und  Particip.  von 
segen  (sagen)  ebenso  gebildet  wird,  und  bei  Berthold  von  Holle  (vgl. 
S.  LYII) ,  also  nicht  mitteldeutschen  Dichtern.  Die  Stellen  der  Erlö- 
sung sind  zu  6443  gesammelt:  daß  an  allen  nur  das  Particip,  nicht 
das  Präteritum  vorkommt,  ist  zufällig:  in  der  Elisabeth  Iahte:  muhte 
346.  369.  geiaht:  gemäht  444.  476. 

Die  Ausstoßung  des  h  in  beiden  Gedichten  gleichmäßig,  zum 
größeren  Theil  in  denselben  Worten  (zur  Erlös.  455);  niet:  diet  Elis. 
384.385.  448.  :  schiel  389.401.  worte:  vorhte  354.  icorten:  vorhten 'Mo. 
395.  Berhte  (Hs.  Berthe) :  gerte  354.  In  der  Himmelfahrt  begegnet 
außer  twerhs:  du  gers  1663  kein  solcher  Reim,  wenn  man  nicht  die  Reime 
lieht:  niet  (zur  Erlös.  S.  XXIII)  so  auffasst. 

Die  Erweichung  der  Tenuis  k  vor  t  in  h,  in  der  Erlösung  geschiht 
{geschiel):  pfliht  2817.  :  niht  6458.  geschiht:  iht.  Elis. 435.  schihte:  verrihte 
355.  understriht:  niht  370.  naht:  hedaht  Erlös.  2888.  dahte:  mähte 
Elis.  444. 

n  im  Auslaute  für  m  scheint  dem  Dichter  nicht  zuzukommen: 
nur  einige  wenige  derartige  Reime  begegnen  in  der  Erlös,  sten:  Jeru- 
salem 1692,  in  der  Elis.  sun:  furstendüm  347.  353. 

p  steht  im  Anlaute  für  ph  (zur  Erlös.  447);  vgl.  peif  =  pheij 
Elis.  349;  prunde  =  phrüende  392;  plegen,  pliht  u.  s.  w.  Im  Auslaute 
hat  die  Elis.,  nicht  die  Erlösung,  einen  beweisenden  Reim,  daß  p  für 
f  steht,  scharp :  erstarp  373. 

r  wird  nach  niederdeutscher  Weise  umgestellt  (zur  Erlös  56); 
beweisend  ist  in  der  Elis.  burnen:  zürnen  447;  vgl.  außerdem  burne 
451.  465   (born  Erlös.  3873);  burnde  osterkerze  Erlös.  2548. 

ic  steht  im  Inlaute  für  j  (zur  Erlös.  5834),  was  durch  einen  Reim 
der  Elisabeth  bewiesen  wird,  müwe  (müeje)  :  rüwe  (ruoice)  Kobl  Br.68; 
wodurch  zugleich  das  in  der  Anmerkung  erhobene  Bedenken  über  die 
Form  von  ruoice  erledigt  wird. 

Eine  mundartliche  Eigenheit,  die  die  Erlösung  zeigt,  findet  sich 
in  den  bis  jetzt  gedruckten  Theilen  der  Elisabeth  nicht,  die  Abwerfung 
des  b  (p)  im  Auslaute  nach  m,  in  tum,  krum,  dum  (zur  Erlös.  5216): 
doch  selbst  wenn  die  noch  ungedruckten  Stücke  sie  nicht  darböten, 
winde  sie  für  die  Verschiedenheit  der  Mundart  und  der  Dichter  bei 
im   übrigen  so  überraschender  Einstimmung  nichts  beweisen. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  7 

In  Bezug  auf  Flexion  bemerke  ich  die  Pluralformen  starker  Neutra 
in  e,  icibe,  kinde  durch  Reime  in  der  Elis.  gesichert,  vgl.  400.  415. 
417.  419;  in  der  Erlösung  wenigstens  nicht  im  Reime  begegnend.  Das 
Pronomen  person.  der  dritten  Person  lautet  im  Plural  sie,  wie  beinahe 
allgemein  mitteldeutsch,  nicht  si  oder  st,  vgl.  sie:  hie  Erlös.  4100 .4111. 
5005.  5039.  5601.  5610;  3607  ist  nach  P  zu  ändern  daz  sie  den  konic 
suchten  hie  .  intrüwen  mir  gehiezen  sie  (N  reimt  hier :  mir) ;  in  der  Eli- 
sabeth hie:  sie  368.467;  knie:  sie  413.  Dazu  vgl.  aus  Marien  Himmel- 
fahrt sie:  wie  822.  1402.  1742.  -.knie  900.  :  hie  1224.  1485.  -nie  1710. 
Das  Pronomen  ir  erscheint  in  den.  Hss.  beider  Gedichte  durchgängig 
flectiert  und  ich  habe  unrecht  gethan  die  unflectierte  Form  in  der  Er- 
lösung durchzuführen.  An  vier  Stellen  (29.  2657-  3820.  3904)  ist  die 
flectierte  Form  aus  metrischen  Gründen  gesetzt  worden  (vgl.  S.  VII). 
Derselbe  Grund  gilt  auch  für  die  Elisabeth.  Der  Dichter  baut  näm- 
lich seine  Verse  in  regelmäßigem  Wechsel  von  Hebung  und  Senkung; 
ir  (unflectiert)  würde  an  manchen  Stellen  eine  fehlende  Senkung  hervor- 
rufen, vgl.  ir  brüdegamen  iren  frünt  374.  sie  ginc  an  iren  Juzen  bar  375. 
mit  ime  in  irme  herzen  379.  sie  gab  im  iren  mantel  dar  381.  daz  wib 
gein  irem  manne  391.  di  müter  schöne  an  iren  munt  397.  volget  irme 
herren  nach  401.  hevant  an  iren  milde  419.  bi  allen  iren  jären  423. 
die  ir  minne  und  iren  geist  441.  sie  leit  an  irme  herzen  461.  uf  gab  di 
selege  iren  geist  470.  von  allen  iren  sinnen  443  u.  s.  w. ;  und  so  sind 
auch  zahlreiche  Stellen  der  Erlösung  zu  bessern:  die  ivinde  hatten  iren 
doz  149.  swelhe  sele  in  iren  tagen  1288.  und  dich  erkennent  iren  got  1418. 
daz  die  lüte  in  iren  tagen  1427.  und  daz  geschehe  in  iren  tagen  2350.. 
in  allen  iren  jären  2400  (Vgl.  Elis.  433);  ebenso  noch  2549.2893.2923, 
3049.  3360.  4592.  4594.  4755.  5462.  5675.  Die  flectierte  Form  auch  in 
der  Himmelfahrt,  deren  Verse  nach  dem  gleichen  Gesetze  gebaut  sind, 
sinen  sun  in  iren  lip  113.  irre  (Hs.  ir)  sicester  sun  Jöhan  251.  394.  an 
ires  sunes  füze  1630. 

Beim  Verbum  ist  zu  erwähnen  die  1.  Pers.  Sing.  Präs.  in  n  (be- 
weisende Stellen  aus  der  Erlösung,  Anm.  zu  4465,  wozu  aus  der  durch 
P  ergänzten  Lücke  noch  kommen  ich  gebin:  lebin  Germaii.  3,  471,  67. 
ich  kussin:  zuschin  83):  vgl,  ich  sagen:  getragen  Elis.  360.  ich  leben:  geben 
361.  ich  liden:  ziden  452;  ich  enbiden  (das  andere  Reim  wort  nicht  an- 
gegeben) 462.  Ebenso  in  der  Himmelfahrt  (vgl.  Erlösung  S.  XXII). 
Einmal  in  der  Elisabeth  ich  gesteige:  Ludewige  393,  hier  könnte  der 
Dativ  des  Eigennamens  auch  Ludewigen  lauten.  Die  Himmelfahrt  hat 
übrigens  ich  sage:  dage  594.  ich  merke:  Sterke  551.  ich  bescheide:  leide 
1702.  Die  Doppelform  begegnet  auch  in  anderen  Gedichten.  Vgl.  über 
Karlmeinet  S.  245. 


8  KARL  BARTSCH 

Die  zweite  Person  Sing,  wirft  ihr  t  ab,  was  in  der  Erlösung 
durch  Keime  bewiesen  wird  (Anm.  zu  757);  die  Darmstädter  Hs.  der 
Elisabeth  hat  auch  s  statt  st,  aber  nirgend  im  Reime,  wenigstens  so 
weit  sie  gedruckt  ist.  Dagegen  stimmt  die  Himmelfahrt  mit  der  Er- 
lösung, du  gern',  twers  1663.  Die  3.  Person  Plur.  Präs.  wirft  ebenfalls 
ihr  t  ab  (zur  Erlös.  2382),  wofür  auch  in  der  Elisabeth  der  Reim  wer- 
den (=  werdent) :  erden  390  beweist.  Dagegen  spricht  der  Reim  hdnt: 
fulmänt  409.  432  für  die  Beibehaltung  des  t,  also  auch  hier  eine  Dop- 
pelform. Derselbe  Reim  ist  wahrscheinlich  auch  in  der  Erlösung  2643 
herzustellen,  indem  man  schreibt: 

und  ist  ez  der  sehste  mänt 
daz  sie  daz  kint  gezilet  hdnt. 
(Hs.  monat:  hat.) 

Im  Präteritum  schwacher  Verba  geht  die  2.  Person  Sing,  in  e  statt 
est  aus  (zur  Erlös.  2148);  ebenso  in  der  Himmelfahrt  (Erlös.  S.  XXH), 
aber  in  dieser  nicht  im  Reime;  die  Elisabeth  bietet  dafür  keine  Beweise. 

Die  Abwerfung  des  n  im  Infinitiv,  die  schon  bei  der  Erlösung 
nicht  sehr  wahrscheinlich  ist  (Anm.  zu  2768),  zeigt  die  Elisabeth  nicht; 
leider  gestattet  die  Prager  Hs.  für  alle  hierher  gehörenden  zweifelhaften 
Stellen  keine  Vergleichung.  Der  Infinitiv  wird  mit  einfachem  n,  weder 
mit  nn  noch  nach  niederdeutscher  Weise  mit  nd  flectiert :  den  Gebrauch 
des  flectierten  Infinitivs  mit  zu  liebt  der  Dichter  in  beiden  Gedichten: 
hup  an  zu  sagene:  zu  tragene  Erlös.  3878.  zu  gotelichem  lebene,  zu  gel- 
dene,  wider  gebene  (nach  P)  3892.  mit  heilielichem  lebene,  zu  läzene  und 
zu  gebene  3985.  an  vinc  .  .  zu  tragene  und  .  .  zu  sagene  4052.  wurden 
sie  versant  zu  predigen  und  zu  sagene  und  gotes  wort  zu  tragene  5504. 
zu  oristenlichem  lebene  zu  Idn  und  üf  zu  gebene  5517.  daz  düt  er  nü  mit 
gebene  (:  lebene)  5865.  Ebenso  in  der  Elisabeth  gleich  der  Anfang:  giide 
dventür  zu  sagene  ist.  gar  icol  zu  verdragene  344.  geistliche  zu  geneseney 
der  ftize  sich  zu  lesene  344.  in  zeme  wol  zu  lebene  (:  ebene)  347.  den  lan- 
gen wec  zu  sparne  den  sie  vor  in  zu  varne  hetten  358.  daz  er  gewalt  hede 
zu  sagene  .  .  zu  jagene  393.  gelobete  kusch  ummer  me  zu  lebene  (:  ebene)  393. 
hatte  üf  gesetzet  zu  varene,  daz  riche  zu  bewarene  395.  durch  got  ein  deil 
zu  gebene  (:  lebene)  437.  toas  geschicket  zu  gebene  (:  ebene)  437.  der  riet 
ir  zu  lebene  (:  ebene)  442.  rät  zu  gebene  (:  ebene)  443.  sie  beschloß  zu  we- 
sene  .  .  zu  cresene  444.  erbere  zu  schouicene  .  .  zu  frouwene  47.">.  daz  ist 
niet  wol  zu  sagene,  mit  Worten  üz  zu  tragene  Kobl.  Br.  40.  Vgl.  Ilimmelf. 
16  dem  nicht  zu  dune  unmngelich  ist;  697  zu  irvullene  nnne  Zuversicht. 

Das  Präteritum  des  Verbums  haben  zeigt  in  beiden  Gedichten 
dieselbe    Manigfaltigkeit   der  Formen   (vgl.    zur   Erlös.  4537).      Neben 


DEE  DICHTER  DER  ERLOSUNG.  9 

hdte,  wofür  die  Darmstädter  Hs.  gewöhnlich  häde  schreibt,  welche  er- 
weichte Form  durch  zahlreiche  Reime  auch  der  Elisabeth  belegt  ist 
(häde:  gnade  383.  398. 414.  423.  429.  438.  440.  442.  446.  452.  453.  455. 467. 
469.  474.  476.  477.  478.  480.  481.  485.  488.  Kobl.  Br.  5.  39.  häden :  gnaden 
394.  441.  :  maladen  479.  489),  kommt  vor  hatte  (:  begatte  359.  447); 
ferner  hefte  (:  begette  444.  474.  heften:  begetten  419)  und  endlich  hete 
oder  hede,  wie  die  Hs.  schreibt,  als  Indicativ  und  Conjunctiv  gebraucht 
(hede:  gerede  363.  447.  :  gewede  378.  :stede  393.  :  rede  (rayte)  433). 
In  der  Himmelfahrt  die  Formen  hette  (:  bestette  797)  und  hete  oder  hede 
(:stete715.  1041.  :dede  852.  :bede857.  liefen:  propheten  1449.  :  stSten  1599). 
Wie  die  sprachlichen  Erscheinungen,  so  zeigt  auch 

II.  Der  Versbau  und  die  Reimart  große  Übereinstimmung. 
,ch  habe  schon  oben  (S.7)  das  Streben  des  Dichters  hervorgehoben,  seine 
Verse  durch  regelmäßigen  Wechsel  von  Hebuno;  und  Senkung  zu  glätten. 
Die  mangelhafte  Überlieferung  der  Erlösung  in  N  lässt  diese  Eigen- 
tümlichkeit, die  der  Dichter  von  seinem  Vorbilde  Gottfried  (vgl.  Ein- 
leitung S.  V.  XXIII)  entlehnte,  nicht  so  deutlich  erkennen  als  die  bes- 
sere der  Elisabeth:  doch  würden  auch  so  manche  Verse  glätter,  manche 
Senkung  ausgefüllt  worden  sein,  wenn  ich  bei  der  Herausgabe  schon 
den  Zusammenhang  zwischen  beiden  Gedichten  geahnt  hätte.  So  sind 
die  in  der  Anmerkung  zu  2419  gegebenen  Belege  von  ausgelassenen 
Senkungen  meist  zu  berichtigen:  2419  ist  wie  2609  zu  schreiben  daz 
selbe  kint  sol  werden  gröz.  461  steht  da  iht  ivere,  vielleicht  iht  dar  innen 
were.  3892  ist  schon  oben  in  zu  gotelichem  lebene  gebessert.  3253  1. 
hine  icert  zu  deme  grabe ,  und  so  ist  noch  manchmal  durch  ime  deine 
so  wie  durch  das  schon  besprochene  flectierte  ir  die  fehlende  Senkung 
auszufüllen.  Doch  selbst  in  der  mangelhaften  Überlieferung  von  N 
(das  Bruchstück  aus  P  ,  Germania  3,  471 — 472,  liest  sich  viel  glatter) 
erkennt  man  das  Bestreben  des  Dichters. 

Der  Auftakt  in  der  Elisabeth  ist  fast  durchgängig  einsilbig  ode. 
aus  zweisilbigem  in  eine  Silbe  verschleifbar :  dies  Gesetz  ist  nun  auch 
auf  die  Erlösung  anzuwenden,  und  alle  schwereren  zweisilbigen  (Anm. 
zu  5142)  und  noch  mehr  alle  dreisilbigen  (Anm.  zu  2112)  sind  zu  ent- 
fernen. In  dieser  Beziehung  hilft  die  Vergleichung  von  P  an  vielen 
Stellen.  Die  Himmelfahrt,  die  nur  in  einer  einzigen  Handschrift  über- 
liefert ist,  bedarf  häufiger  Nachbesserung. 

Die  klingend  reimenden  Verse  von  vier  Hebungen  mit  überzähliger 
Silbe  (bei  nicht  fehlendem  Auftakte  also  neunsilbige  Verse)  kommen 
in  der  Elisabeth  äußerst  selten,  vielleicht  gar  nicht  vor.  Auch  die  in 
der  Erlösung  (Anm.  zu  1968)  und  in  der  Himmelfahrt  vorkommenden 
Stellen  sind  wohl  meist  gegen  des  Dichters  Absicht. 


10  KARL  BARTSCH 

In  der  Reinheit  der  Keime  stimmen  beide  Gedichte  genau  überein. 
Sie  trennen  a  und  ä  nicht  nur  vor  Muten,  sondern  auch  vor  Liquiden, 
vor  n  und  r.  Die  wenigen  Ausnahmen  von  der  Regel ,  die  die  Er- 
lösung bietet,  habe  ich  in  der  Anmerkung  zu  80  besprochen.  Sie  wür- 
den wahrscheinlich,  wenn  P  vollständig  erhalten  wäre,  sich  meist  be- 
seitigen lassen,  wie  das  einzige  Beispiel  von  an:  an  (man:  alsdn  2934, 
lies  man,  der  an  Piläte  daz  irwan  =  P).  maz :  underläz  1091  wird  durch 
mdz  ausgeglichen,  brahte:  mähte  5776,  indem  man  ändert: 

die  den  zur  werlde  brahte 

der  himel  und  erde  erdähte. 
ical:  mal  5680  hat  Bech  zu  bessern  versucht.  In  der  Elisabeth  be- 
gegnet von  d:  a  kein  Beispiel,  denn  alle  jär:  gebar  S.  354  ist  unrich- 
tige Lesart  für  alle  gar.  Zu  bemerken  ist  offenbar,  das  immer  auf  d 
reimt  (vgl.  mhd.  Wörterbuch  2,  433a),  offenbar:  klär  Erlös.  287.  2988. 
5138.6246.  :jär  3718.  :  war  1458.  3195;  offenbar:  klär  Elis.  465.  482. 
: jdr  363,  476.  iivär  466.  487,  also  dieselben  Reimwörter;  auch  in  der 
Himmelf.  offenbar:  klar  1444.  Dagegen  wird  sunderbar  immer  mit  a 
gebunden,  sunderbar:  dar  Erlös.  3398.  :  schar  4072.  4384.  sunderbar:  gar 
Elis.  421.  :  dar  438.486.  :  gewar  456.  Von  e:  e  gewährt  die  Erlösung 
keinen  Beleg:  in  der  Elisabeth  reimt  begct  (=  begebet)  :  gebet  i6'3.  Him- 
melf. 131  reimt  her:  ker,  doch  kann  man  hier  her  schreiben  (sit  du  von 
dinem  vater  her  gegin  der  erden  dede  ker),  dagegen  ist  her:  mer  1059 
ein  sicheres  Beispiel  von  e:  e.  In  Bezug  auf  i:  i  habe  ich  die  Bindung 
von  lateinischen  Wörtern  auf  it  mit  it  (— iet)  bemerkt,  solche  Belege 
fehlen  natürlich  in  der  Elisabeth,  die  lateinische  Citate  nur  sehr  spärlich 
(z.  B.  344)  zu  enthalten  scheint.  Die  anderen  Reime  der  Art  in  der 
Erlösung  sind  wohl  zu  bessern:  6360  viel:  wil,  indem  man  ändert  da 
von  gewan  er  schände  vil  (:  wil),  3606  hier :  mir  ist  schon  oben  nach 
P  gebessert.  Der  Dativ  von  dri,  in  der  Erlösung  drin  (nicht  drin), 
kommt  in  der  Elisabeth  nicht  vor;  dagegen  in  (ein)  übereinstimmend 
mit  kurzem  i,  in:  sin  Elis.  417;  in:  gewin  Erlös.  5017.  Auch  in  der 
Himmelfahrt  in,  hin:  drin  1137;  dagegen  in:  kunegin  757,  wenn  hier 
Länge  des  zweiten  Wortes  anzunehmen.  Die  Feminina  in  in  haben 
langen  Vocal  in  beiden  Gedichten,  kunegin:  sin  Elis.  355.  356.  361. 
schefferin:  sin  456.  drosterin:  gesin  478.  Vgl.  kunegin:  schrin  Himmelf. 
511.  :  sin  1619.  Doch  scheint  daneben  in  letzterem  Gedichte  in  vor- 
zukommen, vgl.  zu  dein  schon  erwähnten  in:  kunegin  757  noch  hin 
kunegin  929.  in:  kunegin  1837.  Die  Adjectiva  in  lieh  werden  gewöhn- 
lich auf  kurzes,  selten  auf  langes  i  gereimt;  auch  hierin  stimmen  beide 
Dichtungen  (und  die  Himmelfahrt,  vgl.  Erlös.  S.  XXH) ;  mich  :  tugentlich 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  H 

Elis.  346.  sich:  mugelich  357.  :  minne dich  385.  '.glich  434;  dagegen  rieh: 
cristenlich  408.  o  und  6  werden  ebenso  streng  von  einander  gesondert 
wie  a  und  d ,  nur  bei  Eigennamen  schwankt  die  Erlösung.  Elis.  450 
in  zwei  einzeln  mitgetheilten  Zeilen  reimt  Ion:  von;  ich  bin  nicht  sicher 
ob  sie  durch  den  Reim  zusammengehören.  Das  allgemein  mitteldeutsche 
horte  gehört  auf  worte  wort  u.  ähnl.  reimend  findet  sich ,  bezeichnend 
srenno-,  in  keinem  von  beiden  Gedichten,  ebensowenig  in  der  Himmel- 
fahrt,  u  :  u  ist  scheinbar  in  den  beiden  Wörtern  räch :  briich  gebunden, 
Erlös.  1233.5714,  und  ebenso  an  folgenden  Stellen  der  Elisabeth: 

so  weset  (=  wesset  für  wehsei)  doch  ir  edel  ruch : 

sus.  hatte  ir  dugent  keinen  hruch  367; 

er  gab  ivunneclichen  ruch, 

der  süzekeide  keinen  hruch  474; 

daz  ander  greber  gebent  ruch 

daz  schaden  bringet  unde  brnch  478. 
Weder  ruch  noch  brüch  ist  zu  schreiben,  sondern  in  beiden  Wor- 
ten kurzer  Vocal,  bruch  ist  „Mangel,  Verlust"  ;  vgl.  noch  daz  hüs  wart 
edeles  rorhes  vol  Erlös.  Bruchstück  aus  P,  German.  3,  471,  38  und 
dienesthaft  dem  röche  (Ausg.  ro<-he)  sin  Erlös.  6496.  Somit  kein  Beispiel 
von  gebundenem  u  :  u.  Sonstige  Ungenauigkeiten  und  Ungleichheiten 
des  Reimes,  wie  sie  sehr  vereinzelt  in  der  Erlösung  vorkommen  (vgl. 
Anm.  zu  1526)  sind  wohl  fast  alle  zu  entfernen  und  unecht,  so  eben 
1526  heilant :  dan  (in  P  heiler:  er)  u.a.  Der  auffallende  Reim  got: 
vogt  (Anm.  zu  2358,  wo  noch  hinzuzufügen  ist  1805,  vgl.  Bech  in  der 
Germania  3,  332)  scheint  in  der  Elis.  nicht  vorzukommen:  P  schreibt 
wirklich  vot  (Lesarten  zu  1805) ,  und  so  war  auch  des  Dichters 
Aussprache. 

Der  Dichter  zeigt  eine  gewisse  Vorliebe  für  den  klingenden  Reim, 
wie  schon  Gottfried  und  seine  Nachfolger  (im  Gegensatz  zu  Wolfram, 
bei  dem  der  stumpfe  Reim  überwiegt).  Wie  den  klingenden ,  so  hat 
er  auch  den  Gebrauch  des  gleitenden  Reimes  (zur  Erlös.  5418,  wo 
durch  Versehen  „klingende  Reime"  steht;  hinzuzufügen  ist  noch  reinegte: 
vereinegte  aus  P,  German.  3,  471,  35),  von  Gottfried  entlehnt.  Die 
Elisabeth  hat  ihn  ziemlich  häufig,  ertegen:  vertegen  358.  gesc.heffe.de: 
effede  358.  schouwete  :  erfrouivete  407  und  öfter- (s.  ou  für  oii).  geduldegen: 
unschuldegen  421.  mediterende :  speculerende  422  (zweimal),  handelte: 
vimoandelte  422.  kfockete :  erschockete  428.  enzuckete :  druckete,  zeisete: 
reisete  450.  handelen:  wandelen  461.  contemplerende :  speculerende  465. 
jubilerene:  contemplerene  470.  schouioene  :  frouwene  473.  leckete  :  ersmeckete 
480.  486.     Vgl.  noch  Himmelfahrt  1239  engeles  :  stengeles. 


12  KARL  BARTSCH 

Den  rührenden  Reim  haben  beide  Gedichte  und  ziemlich  gleich- 
mäßig, ohne  daß  der  Dichter  besondere  Vorliebe  für  ihn  zeigte  (zur 
Erlösung  1456  f.,  vgl.  noch  vertust:  gelust  German.  3,  471,  45).  Wörter 
bei  vollem  Gleichklange,  aus  der  Erlösung  ein  Beleg  (was:  was  5177), 
und  aus  der  Elisabeth  bis  jetzt  auch  einer  (oder  dannoch  Ithte  me  .  si 
hüb  und  trüg  in  ummer  me  453,  wo  me  verschiedene  Bedeutung  hat). 
Composita  und  Ableitungen,  vernomen :  genomen  Elis.  352.  gewant :  um- 
meivant  376.  gelust:  verlust  370.  enphiengen:  ummeviengen  397.  mäht: 
vermaht  452.  lust:  gelust  459.369.  befienc:  enphienc  465.  In  der  Himmel- 
melfahrt  stunt:  besinnt  1044.  wunne:  gewunne  1635.  wunden:  verwunden 
474.  godeheit:  menscheit  537.  Die  Silbe  lieh:  lieh  wird  in  der  Elisabeth 
wie  in  der  Erlösung  fast  nur  gebunden,  wenn  in  dem  einen  Reimworte 
dem  /  ein  c  vorhergeht,  andechtecliche :  cristenliche  358.  erliche:  wirdecliche 
363.  otmüdecliche:  tugentliehe  376.  sicindecUche:  unv  er  sehenliche  403.  wun- 
derlich: erber meclich  418.  müterliche:  mildecliche  419.  mugeliche:  wirdecliche 
434.  sunecliche  :  dugentlichei36.  güdecliche:  schameliche  457.  eislich:  minnec- 
lich  473.  Scheinbar  ausgenommen  davon  ist  geliehen :  anlichen  385,  aber 
hier  ist  glichen  zu  schreiben,  und  dies  g  vor  l  kommt  dem  c  ganz  nahe; 
vgl.  gliche:  liehe  427.  Wirkliche  Ausnahme  bildet  nur  endelwhe:  tugent- 
liehe 381,  wo  aber  vielleicht  endecliche  zu  schreiben  ist.  Die  Himmelfahrt 
gewährt  lobelich:  gelich  1061.  Anders  ist  liehe  (Leiche):  andechtecliche 
Elis.  426.  liehe:  lobeliche  Himmelfahrt  603.  : gew erliche  785.  :fröliche  1199. 

Endlich  der  gebrochene  Reim :  derselbe  gehört  bei  allen  mhd. 
Dichtern  so  zu  den  Absonderlichkeiten  und  Seltenheiten ,  daß  auf 
Übereinstimmung  hierin  wohl  etwas  zu  geben  ist.  Die  Dichter,  die  ihn 
gebrauchen,  verzeichnet  W.  Grimm  zur  Geschichte  des  Reims  S.  68  *). 
Die  Erlösung  hat  ihn  an  drei  Stellen  (Anm.  zu  797),  die  Elisabeth  bis 
jetzt  an  zweien,  und  beidemal  sehr  ähnlich,  mandel-ris:  wandel  Erlös. 
797;  Swäben:  Buben -berc  Elis.  354  **) ;  anderseits  sonnen:  wonnen- 
clich  Erlös.  1354  (besser  sonne  (stark):  wonne-clich,  denn  der  Dichter 
scheint  die  Composition  ohne  n  zu  bilden) :  die  zweite  von  mir  über- 
sehene Stelle  der  Erlösung  ist  3782  : 


*)  Noch  in  dem  von  mir  (Erlösung  S.  190)  herausgegebenen  Marienleiche  des 
13.  Jahrhunderts  sorgen:  morgen- Sterne  V.    17.    18. 

**)  Ist  daher  auch  sonst  Bäbenberc  zu  schreiben?  Die  Nebenformen  mit  6  und  au 
{Segehart  von  Baubemberg  in  der  Heidelberger  Handschrift;  von  Eilharts  Tristan)  scheinen 
dafür  zu  sprechen,  <Iie  Contraction  in  Barn-  ist  nicht  dagegen.  Der  Keim  der  Elisabeth 
würde  .stärkere  Beweiskraft  haben,  wenn  nicht  auch  sonst  die  Quantität  verletzt  würde, 
wovon  gleich  nachher.     Gewöhnlich  schreibt  man   Bäbenberc. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  13 

wä  her  die  toisheit  queme 

die  also  gar  geneme- 

cliche  sich  erguzze; 
die   Ausgabe  geneme  gliche.     In    der    Elisabeth    bilde:  milde-clich    363. 
Vielleicht  auf  Grund  dieser   Reimeigenthiimlichkeit   setzt  Wackernagel 
(im  Lesebuche)    die    Elisabeth   unmittelbar   hinter   Konrad   von  Würz- 
burg, der  den  gebrochenen  Reim  am  meisten  anwendet. 

Die  Quantität  im  klingenden  Reime  verletzt  der  Dichter  der  Er- 
lösimg und  Elisabeth  in  doppelter  Weise  (zur  Erlös.  2739).  Einmal 
lässt  er  ein  wirklich  klingendes  Wort  (mit  langem  Vocal  der  vorletzten 
Silbe)  auf  ein  zweisilbiges  Wort  mit  kurzer  Penultima  reimen ;  stigen : 
ligen  Elis.  380  (derselbe  Reim  Erlös.  2896).  Ludewigen :  ligen  405.  406. 
lobesamen:  vernämen  357.  409.  :  quämen  406.  408.  426.  454.  470.  471. 
:  nämen  413.438.  :  amen  477;  und  die  Belege  von  lichame,  wofür  ich 
in  der  Anmerkung  die  Form  lichnäme  vorschlug,  welche  auch  bei  an- 
deren Dichtern  anzunehmen  ist*);  so  reimt  lichamen:  nämen  Elis.  408. 
: quämen  471;  dagegen  lichamen:  lobesamen  422.476.  lichame:  grüwesame 
473;  wodurch  jene  Annahme  wieder  zweifelhaft  erscheint  (ebenso  Erlös. 
4942  lobesame:  lichame).  lichame  reimt  auf  langes  a  auch  in  der  Him- 
melfahrt Itchamen:  nämen  223.  1153.  :  amen  1843.  Andere  Beispiele 
der  Art  begegnen  in  ihr  nicht,  denn  die  Besserung  Haupts  701  ist 
unrichtig  (becliben:  bliben,  die  Hs.  blben),  vielmehr  ist  zu  lesen  becliben : 
biben  „beben."  Die  andere  Verletzung  der  Quantität  in  beiden  Gedichten 
besteht  darin,  daß  zwei  solche  zweisilbige  Reimworte  mit  kurzer  Penul- 
tima klingend  angewendet  werden: 

des  wart  den  lüten  fride. 

da  wonte  wärheit  mide  387     ). 

alle  in  godes  namen, 

den  sie  doch  sunder  gamen  399. 

an  weisedüm  gedriben 

und  ungedrostet  bliben  410. 

gevangen  under  ivegen. 

so  müz  man  rädes  plegen  412; 


*)  So  beim  Stricker  (vgl.  Karl  S.  LXIII),  bei  seinem  Vorbilde  Konrad ;  Haupt  in 
den  Monatsberichten  der  Berliner  Akademie,  November  1856,  wo  aber  das  älteste  Beispiel 
dieser  unorganischen  Verlängerung,  die  auf  anderer  Deutung  des  unverständlich  gewor- 
denen dih-hamo  beruht,  Otfrid  1,  7,  4  mit  lidin  lichämen  druhtinan  diuren  übersehen  ist; 
ferner  im  Annoliede  689  lichnämin  :  lagin,  Fundgruben  1,  141,36  lichndmen:  ätem,  186, 33 
ichnämen :   enphdhen. 

**)  Dieselben  Reimworte,  ebenso  verwendet,  Erlösung  641.  4412. 


14  KARL  BARTSCH 

und  ebenso  noch  biten:  siten  419.  lobesamen:  Uchamen  422.  verdrihen: 
verschroben  4.'!4.  glider:  nider  445.  legen',  gedegen  445.  siden:  gesniden  448. 
/vi/»':  zustede  449.  lichame'.  grüwesarne  473.  lichamen:  lobesamen  476. 
Derselbe  Gebrauch  auch  in  der  Himmelfahrt: 

efer  s«-me  an  haften  habe. 

im  gienc  am  ersten  abe  25. 

5ws  quämen  (sie)  zusamen 

von  sunder  landen  namen  835 ; 
und  noch  undenoegen:  spgen  1070.  wesen:  gelesen  1343.  Immer  aber 
sind  es  zweisilbige  stumpfe  Reime ,  die  so  gebraucht  werden ,  niemals 
einsilbige,  wie  sie  z.  B.  Ottacker  hat.  Daneben  und  häufiger  die  Ver- 
wendung solcher  Worte  als  stumpfer  Keime  nach  alter  Weise.  Damit 
hängt  eine  andere  Eigenthümlichkeit  des  Versbaues  zusammen,  daß 
Worte  wie  rede,  geben  u.  s.  w.  auch  innerhalb  des  Verses  nicht  einsilbig 
gebraucht  werden.  Die  etwa  so  gebauten  Verse  der  Erlösung  sind  zu 
berichtigen. 

Syncope  im  Reime  zeigt  das  Präteritum  und  Particip.  von  machen 
(zur  Erlös.  5051),  vgl.  mähte:  Iahte  (legte)  Elis.  346.  369.  :  dahte  (deckte) 
444.  mechte:  lechte  (=  machte:  lachte)  440.  Die  Form  mechte  öfter, 
z.  B.  Elis.  428,  17  mechten.  Erlös.  898  mehfe,  nach  Bechs  richtiger 
Deutung,  du  mehte  2148.  geiaht  (gelegt):  gemäht  Elis.  444.476.  Vgl. 
noch  gebeit  (gebeitet) :  gereit  Elis.  380 ,  und  aus  der  Himmelf.  getouft: 
kouft  177,  wie  Erlösung  4546. 

So  zeigt  sich  auch  im  Versbau  und  Reimgebrauch  die  gleiche 
Ähnlichkeit  und  Übereinstimmung.     Sie  verräth  sodann  auch 

III.  Der  Wortbestand.  Wenn  wir  ihn  untersuchen,  werden  wir 
natürlich  auf  gewöhnliche  Worte,  die  überall  vorkommen,  uns  nicht 
einlassen,  sondern  hauptsächlich  mundartliche  und  seltenere  Ausdrücke 
ins  Auge  fassen.  Außer  den  im  Folgenden  als  übereinstimmend  nach- 
gewiesenen zeigt  jedes  Gedicht  eine  Reihe  ihm  allein  gehöriger ,  an 
denen  namentlich  die  Elisabeth,  die  ihrem  Stolle  nach  einen  viel  größe- 
ren Kreis  des  mittelalterlichen  Lebens,  also  auch  der  Sprache  umfasst, 
die  eine  Menge  Ausdrücke  aus  dem  täglichen  Leben  enthält,  zu  deren 
Anwendung  in  der  Erlösung  keine  Gelegenheit  war,  sehr  reich  ist. 
Auf  diese  aufmerksam  zu  machen  überlassen  wir  dem  künftigen 
Herausgeber  *). 


*)  Es  freut  mich  mittheilen  zu  können,  daß  das  Gedicht,  welches  nach  dem 
Urtheil  aller  Kenner  eine  Ausgabe  verdient,  von  Max  "Rieger  zur  Herausgabe  vor- 
bereitet wird. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  15 

ä  angehängt,  zur  Verstärkung  (zur  Erlös.  5026).  heia  hei  Elis.  458. 
flüchä  flach  470.  heia  hei  auch  in  der  Himmelfahrt   1264. 

äbentimbzzi  daz  ich  diz  dbentimlnz  du  mit  üch  Erlös.,  Germania 
3, 472,  98  (vgl.  noch  dsterimbiz  88).  so  man  daz  Cibentimmez  gaz  Elis.  351. 

alle  wege.  swer  die  armen  hete  in  pflege  und  trost  die  siechen  alle 
xoege  Erlös.  2567.  alle  zit  und  alle  wege  (:  plege)  Elis.  365.  sie  danhete 
gode  auch  alle  wege  (:  plege)  416.  nä  und  alle  wege  (:  plege)  432.  den  hielt 
sie  bi  ir  alle  wege  (:  plege)  453. 

an  beginne  (zur  Erlös.  1507).  Das  dort  vermuthete  Femininum 
wird  von  Bech  (Germania  3,  331)  bezweifelt  und  als  Genit.  Plural, 
erklärt,  der  indess  ebenso  ungewöhnlich  ist  als  das  bisher  unbelegte 
Femininum,  daz  anbeginne  in  der  Erlösung  fünfmal,  einmal  aneginne, 
und  in  dieser  Form  auch  Elis.  467  von  dem  aneginne  (:  minne).  Mehr- 
mals in  der  Himmelfahrt,  vgl.  28.  204.  771.  869. 

anderweit,  neben  dem  gewöhnlichen  anderweide,  das  Elis.  415 
(:  herzeleide)  und  452  (:  gereide)  im  Keim  erscheint,  ist  nur  mitteldeutsche 
Form  (vgl.  mhd.  Wörterbuch  3,  552a).  anderweit:  miltikeit  Erlös.  4098. 
anderweit:  dtmüdekeit  Elis.  400.  :  leit  463.  \geleit  476.  :  so  gereit  Kobl. 
Bruchs!  93. 

ang esiht:  vor  unser  angesiht  (:üfgeriht)  Erlös.  1413.  von  dlner 
ougen  angesiht  (:  gcsehiht)  1567.  slner  angesiht  (:  geschiht)  Elis.  385.  zu 
des  volkes  angesiht  (:  lieht)  Himmelf.  749.  vor  min  angesild  (:  nild)  654. 
von  des  düvels  angesiht  (:  niht)   665. 

aromatä:  baisam  unde  aromatd  Erlös  4939.  baisamen  unde  aro~ 
rnathä  Elis.  474. 

bach  als  Femininum,  allgemein  mitteldeutsch  (zur  Erlös.  11). 
wusch  ir  cleider  in  der  bach  (:  ungemach)  Elis.  421. 

l>[e]drübekeit,  welches  Kelle  (German.  3,  469)  unbedacht  anzwei- 
felte (Erlös.  1571),  steht  in  der  Elisabeth  ein  paarmal,  was  das  mhd. 
Wörterbuch  übersehen  hat.  des  uns  bedrühikeit  ist  komen  433.  waz  von 
mir  bedrübekeit  (:  leit)  miner  suster  ist  geschehen  436.  daz  sie  die  bedrü- 
bekeit  von  kuschekeide  wegen  leit  441. 

bedrübnisse  (wie  P  1571  statt  bedrübekeit  liest),  steht  noch  Erlös. 
982  in  betrübnis  und  in  pmen;  ferner  Elis.  366  in  bedrüpnisse  unde  in 
werren;  416  umme  ir  bedrübnisse  (-.gewisse);  und  ganz  gleichlautend  440. 
ir  bedrübnisse  unde  ir  smächeit  441. 

begaten  (zur  Erlös.  769),  sehr  häufig  in  der  Elis.,  das  Präteritum 
lautet  begatte  und  begette,  das  Particip  begat.  Die  Stellen  sind  gesam- 
melt im  mhd.  Wörterbuch  1,  489.  Beizufügen  sind  noch  419  und  ouch 
ir  früht  begetten  daz  sie  narunge  hetten,  und  475  den  sie  mit  süzer  volleist 
güdes  vil  begatte  (:  schatte). 


16  KARL  BARTSCH 

bi  mit  dem  Accus,  (zur  Erlös.  1862)  auch  in  der  Elis.  412,  6:  ir 
su-iger  bi  sie  sitzen  gienc. 

brück  „Mangel,"  sieh  oben  S.  11. 

br  üdegame,  Erlös.  3842,  im  Keime  (brüdegamen:  amen)  mit  der 
Form  in  a  auch  in  der  Elisabeth  374,  2  ir  brüdegamen  iren  frünt. 

dan  in  der  Verbindung  mit  üz  für  das  gewöhnliche  dar  üz:  dan 
üz  sie  eine  salbe  göz  P  in  der  German.  3,  471,  31.  dan  Hz  so  dede  he 
vliezin  3835  nach  P;  dan  dz  man  schone  fliezen  sack  4929,  ebenfalls 
nach  P,  N  hat  überall  dar  üz.  Ebenso  in  der  Elis.  dan  üz  enstünt  480, 
dan  üz  .  .  daz  corperlin  geschaffen  wart  481. 

dirre  und  der.  des  sehe  vor  sich  dirre  und  der  Erlös.  100.  des 
sinen  dirre  und  der  began  Elis.  348.  daz  sine  dirre  und  der  besach  363. 
achten  dirre  und  der  began  436.  toie  diz  und  daz  die  Stade  vant  472. 
Auch  in  der  Himmelf.  frouwe  sprach  dd  dirre  und  der  965. 

düfe,  mhd.  tiefe;  üzer  düfen  in  den  luft  Erlös.  1019.  der  düfe 
nie  man  vinden  kan  1042.  din  düfen  hänt  mich  umbgenornen  1572,  wodurch 
abyssus  ausgedrückt  ist.  Dasselbe  Wort  scheint  düfene  Elis.  420  durch 
gröze  düfene  hatte  man  gesezzet  ivegesteine,  »weil  der  Schmutz  zu  tief  war." 

ei,  eiä.  Diese  Interjectionen,  die  nicht  allzuhäufig  sind,  begegnen 
in  der  Erlös,  und  Elis.  so  oft,  daß  schon  dieser  Umstand  allein  merk- 
würdige Einstimmung  verräth;  vgl.  zur  Erlös.  1280.  N  schreibt  in 
der  Regel  eya,  was  ich,  wenn  nur  einsilbiger  Auftakt  erforderlich  war, 
in  ei  geändert  habe,  ei  ist  auch  in  der  Elis.  die  übliche  Form,  ei  herre 
526.  1280.  1869.  2258.  2710.  ei  wie  ez  nu  gevangen  lit  862.  ei  vater  hei- 
liger got  2438.  ei  helfent  alle  biien  got  3140.  ei  ist  die  rede  ieman  kunt 
3199.  ei  hänt,  sie  mich  betrogen,  ei  hänt  sie  mir  alsus  gelogen  3402.  3. 
ei  mohte  ieman  verswinden  3655.  ei  frouwe  müter  3824.  ei  seil:  sint  die 
armen  4094.  ei  frouwe  dohter  4172.  ei  vater  4464.  ei  edele  koniginne  5656. 
ei  frouwe  drösterinne  5780.  ei  cristenlicher  orden  5937.  und  eiä:  eiä  un- 
getrüicer  rät  333.  eiä  rät  untrüwelich,  eiä  menschlichez  kunne  340.  eiä 
Barmeher zikeit  853.  eiä  herre  drehtin  2203.  eiä  minniclicher  got  2478. 
und  in  der  Elisabeth:  ei  herre  344.  381.  386.  433.  436.  ei  seligen  lüde  364. 
ei  lät  uns  mezzen  364.  ei  welch  ein  selic  mahelschaft  369.  eifurste  riebe  379. 
ei  vil  lieber  Up  381.  ei  getrüwe  suster  min  382.  ei  wer  mochte  sich  ent- 
hoben 398.  ei  welch  ein  selic  messen  400.  ei  waz  ist  dirre  sache  402. 
ei  lieben  alle  saget  an,  ei  waz  bedunket  ie  den  man  402.  ei  wie  rüweliehe 
clage  403.  ei  ist  min  reiner  brüder  nü  gevangen  412.  ei  frouwe  min  413. 
ei  wie.  .  .  419.  ei  höret  420.  ei  wel  gedruwe  mahelschaft  423.  ei  wi  geneme 
dtmüdekeit  423.  ei  wel  inbrunstes  minne  423.  ei  wel  ein  lüter  andäht  433. 
ei  ivel  ein  selec  angest  423.    ei  wi   her  gewisse  was  427.    ei  wi   selec  427. 


DER  DICHTER  DEE  ERLÖSUNG.  17 

ei  bide  für  nun  ungemach  452.  ei  frouwe  458.  ei  schouwet  459.  ei  Heben 
461.  ei  reine  vrouice  462.463.  ei  minne  liebe  468.  ei  welch  ein  heilec  erde 
480.  ei  sPlecllchez  erden  cloz  48 1 .  und  ein :  eiä  wt  unlidelich  403.  eiä 
welch  ein  suzer  sanc  467;  immer  also  in  der  Anrede,  einen  Ausruf, 
eine  Aufforderung  einleitend.  Auch  in  der  Himmelfahrt  ziemlich  oft : 
ei  sdzer  got  vil  guter  130.  ei  herzesun  Ihesus  286.  ei  herzesun  vil  süze  304. 
ei  vater  unde  herre  min  525.  ei  selic  mensche,  du  so  niht  1696. 

ein,  in  der  Verbindung  mit  Präpositionen,  in  der  Bedeutimg 
„einander",  zur  Erlös.  5112,  wo  Stellen  mit  mit  ein,  zu  ein,  bi  ein  (vgl. 
noch  Germ.  3,  471,  64)  angeführt  sind;  hinzuzufügen  ist  ivider  ein  Erl. 
2579.  In  der  Elis.  begegnet  bi  ein  außer  Reime  476.  mit  ein  :  mit  ein 
sie  aber  giengen  306.  mit  ein  sie  sich  berieden  406.  mit  ein  algeliche  475. 
under  ein:  daz  sie  driben  wider  ein  (: schein)  351.  zwein  gemecheden  wider 
ein  (:  zwein)  369.  von  ein :  gescheiden  alle  also  von  ein  (:  bein)  428.  wider 
ein:  wolden  singen  wider  ein  in  hrieges  uns  429.  In  der  Himmelfahrt 
begegnet  under  ein  und  von  ein ;  vgl.  Erlösung  S.  XXIII. 

ensten  in  der  Erlös,  häufig:  wlssagen  entstünden  1157.  J\Ioyses 
her  nach  enstünt  1261.  die  lüle  danne  wol  enstenl  „verstehen"  1541. 
froude  an  dem  morgen  fr ü  entstat  5361.  do  nü  der  pßngestac  enstünt  5430. 
wie  er  engestlich  entste  der  Tag  6120.  Auch  in  der  Elis.  ein  leben  daz 
ir  sulde  ensttn  377.  dan  üz  enstünt  ein  also  wunnecllcher  smac  480. 

entlimen  „nachlassen,  aufhören,"  in  dieser  Zusammensetzimg  nur 
Erlös.  3457  (vgl.  die  Anm.)  nachgewiesen,  begegnet  auch  in  der  Elis.  450 
do  sie  der  rede  niht  entle.im  „nicht  von  der  Rede  abließ,"  ebenfalls  auf 
heim  reimend. 

entseben,  ein  allgemein  mitteldeutsches  Wort;  vgl.  zur  Erlös.  652. 
In  der  Elis.  entsüb  (:  erhüb)  351.  364.  369.  entsahen :  ent  haben  398.  -.haben 
470.  :  erhaben  Kobl.  Br.  184.  Eine  Compositum  besehen  nur  in  der  Elis. 
waz  süze  sie  besübe  (:  irhübe)    422. 

entsinnen,  ieclicher  sich  der  dinge  entsan  (:  maii)  Erlös.  2839. 
zuhant  sie  sich  der  dinge  entsan  (:gewan)  2965.  niet  baz  entsan  der  junge 
sich  Elis.  416.  wä  sich  di  vrouwe  nü  entsan  (:  geivan)  420.  der  sich  rehtes 
wol  entsan  (:  man)  442. 

entsitzen.  die  menscheit  iedoch  die  martelujige  entsaz  (:daz)  Erlös* 
2054.  der  rede  nu  die  frouwe  entsaz  (:naz)  Elis.  412.  got  sie  niht 
enfsäzen  (:vergäzen)  414. 

emestlich.  die  rede  ist  ernestlich  gevar  Erlös.  101,  wo  Bechs 
Conjectur  (Germ.  3,  328)  einlich  unstatthaft  ist.  an  formen  erneslich 
gevar  Elis.  392. 

GERMANIA  VII.  2 


18  KASL  BARTSCH 

erosen  „ausschöpfen,  leer  machen,"  vorzugsweise  mitteldeutsch 
und  nicht  häufig,  sus  wil  ich  alzumCde  den  helletal  erosen  (:  erlösen)  Erlös. 
1025.     sus  weren  gar  eröset  ir  hove  Elis.  391. 

ersten  (vgl.  ensten).  den  argen  pin  erstfit  Erlös.  1834.  jämer  üf 
erstiint  3976.  da  mit  ein  füric  flamme  erstet  6131.  wanne  die  liebe  zit 
erstet  Elis.  376.     üf  ersten  451. 

erveren*.  sich  erver en  „sich  fürchten."  du  sah  niht  erver en  dich 
Erlös.  2604-  ir  solt  ach  ?richt  erveren  (:  untren)  3078.  di  frouwe  erveren 
sich  began  Elis.  412. 

erzoug  en  im  Reime  auf  ougen  Erlös.  3802.  erzouget:  ouget  6293. 
Außerdem  noch  die  elemente  erzougent  wunder  18.  unser  herre  erzouget 
sich  6248;  vgl.  bezüget  1244.  gezouget  3108.  In  der  Elis.  began  irzougen 
sine  kunst  349.  sine  gnade  erzouget  364.  so  kan  er  dirre  dinge  vil  erzou- 
gen  sinen  kinden  379.  wel  inbrunstec  minne  da  sich  erzouget  inne  423. 
daz  got  erzouge  sin  gebot  435.  erzougent  daz  mit  gerüches  güde  487. 

florieren  „schmücken."  an  allez  florieren  (:  ge  zieren)  Erlös.  88. 
mit  gnade  florierte  .  .  sin  gebet  Elis.  484  (:  zierte),  nach  eren  florieret 
(:  gezieret)  488.     innerliche  zieren  und  üzene  ouch  ßorieren  383. 

garwe  „gänzlich"  auf  varwe  reimend  Erlös.  468S.  Elis.  378.  453. 

gater  „Genosse"  habe  ich  aus  zwei  Stellen  der  Erlös,  nachge- 
wiesen (zu  1202,  beidemal  auf  vater  reimend;.  In  der  Elis.  das  Com- 
positum tischgater  „Tischgenosse"  :  vater  383,  Hs.  dissegader. 

geinde,  contrahiert  aus  gegende,  durch  Erlös.  5128  (: gemeinde) 
belegt,  kommt  auch  in  der  Elis.  vor,  geinde:  bescheinde  401.  iweinde  431. 
Die  eine  Stelle  hat  schon  Bech,  German.  3,  336  angeführt. 

gekrüte,  Collectivum  von  krüt:  daz  edel  gekräde  plauzen  sal 
Erlös.  1954.  gut  geerüde  (:  lüde)  Elis.  420. 

geligen,  von  der  Gebärenden  gebraucht;  vgl.  zur  Erlös.  2728, 
und  dazu  noch  biz  sie  des  kindes  nü  gelac  2713.  iz  sol  di  kunegln  noch 
hhit  in  dirre  naht  gelin  Elis.  352. 

gelit,  im  Plural  gelider,  im  Reime  (:  nider)  Erlös.  2686,  und  ebenso 
(:  nider)  Eils.  445. 

g emechede  „Ehegatte."  daz  ganze  trüwe  blibe  zwein  gemechten 
immer  me  Erlös.  185.  daz  ez  mohte  unschmlieh  vor  sim  gemechte  wanderen 
331,  und  Elis.  369  daz  in  so  grozer  liebe  craft  zwein  gernecheden  under 
ein  was  gefiget. 

gern  ende  „fröhlich."  der  herre  was  gern  ende  (:  hende)  Erlös.  3505. 
P  liest  genende,  welches  auch  Elis.  471  begegnet,  des  qualmen  wol  ge- 
nende (:  ende)  geistliche  lüde  sä  gereit,  und  484.  daz  sie  der  fursten  hende 
so  her  also  genende  üf  üzer  erden  hüben.    Offenbar  sind  alle  drei  Stellen 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  19 

gleich  zu  sehreiben,  wahrscheinlich  jenes  gonende,    das  ohnedies  sonst 
nicht  belegt  ist,  ganz  zu  streichen. 

geraten,  mit  dem  Infinitiv  verbunden  (zur  Erlös.  3098,  vgl. 
Gramm.  4,  96).  In  der  Elis.  ebenfalls  mehrmals :  biz  sie  gerieden  sweimen 
356.  seht  die  geriet  man  düden  357.  des  sie  gerieden  holden  358.  des  ge- 
rieden zürnen  447.  daz  volc  geriet  zu  dringen  475.  Ein  anderer  Gebrauch 
von  geraten  ist  ir  drostes  sider  me  geriet  (-.schiet)  Elis.  410,  der  ebenso 
Himmelf.  398  begegnet  wie  Jesus  inartel  da  geriet  (:  schiet)  und  1212 
ich  wene  ie  sterben  baz  geriet  (:  vir  schiet). 

g  e sc h i h t.  von  waz  geschiht  daz  were  Erlös  3028.  er  flöch  vil 
balde,  in  der  geschiht  (:  wiht)  begap  er  unsern  heilant  4045.  Judas  riwet 
vü  stre  dise  geschiht  ( :  wiht)  4543.  in  der  geschulte  (:  gerillte)  5932. 
Ebenso  als  Femin.  in  der  Elisabeth,  er  was  in  aller  der  geschiht  (:  ange- 
siht)  so  lustecUcher  minne  385.  von  geschulte  386.  sie  vergaz  durch  keine 
geschiht  (:  niht)  421.  Ein  Neutrum  daz  geschulte  hatte  ich  zur  Erlös. 
3427  vermuthet,  was  Bech  (German.  3,  336)  bezweifelte.  Seine  Ver- 
gleichung  mit  dem  mnd.  geschule  (geschah)  gestattet  noch  kein  Präter. 
geschihte  für  geschach  anzunehmen.  Zu  lesen  ist  wohl  nach  P  doch 
umme  die  geschulte.  Eine  Stelle  der  Elis.  422,  die  leider  nicht  voll- 
ständig mitgetheilt  ist,  könnte  das  von  mir  vermuthete  daz  geschulte 
vielleicht  bestätigen:  dort  bittet  Ysendrut  Elisabeth  ihr  zu  offenbaren: 
ir  weinen  unde  ir  lachen, 
daz  wunderlich  geschulte, 
die  gnade  der  gesihte; 
allein  hier  ist  wohl  zu  verbinden:  daz  ivunderlich  geschulte  die  gnade 
„das  Weinen  und  Lachen,  welches  wunderbar  fügte  (geschicte,  vgl.  oben 
S.  6)  die  Gnade."  Die  erste  Stelle  der  Erlös.  (4085)  hat  auffallende 
Ähnlichkeit  mit  der  bei  gesiht  anzuführenden  Stelle  aus  der  Elisabeth : 
der  dumme  flöch  in  der  gesiht ;  an  beiden  Stellen  ist  wohl  geschiht  zu  lesen. 

gesiht:  nach  Bechs  wahrscheinlicher  Vermuthung  (German. 3,  331) 
muß  Erl.  1456  statt  geschult  (:  geschiht)  gelesen  werden  die  gesiht  „vi- 
sionein," und  ebenso  2182:  der  sach  in  der  gesiht  (Ausgabe  geschiht) 
der  naht;  dagegen  ist  1566  von  geschiht  (:angesiht)  mit  P  zu  lesen  statt 
von  gesiht.  die  gesiht  (Femin.)  auch  Elis.  386  in  der  gesiht  (:niht).  die 
gnade  der  gesihte  (:  geschulte)  422. 

g e sinnen,  swes  man  zu  dir  gesinnet  (:  minnet)  Erlös.  1109.  wie 
dicke  er  des  an  sie  gesan  Elis.  453.     toes  er  an  got  gesinnet  (:  minnet)  481. 

gevar.  die  rede  ist  ernestlich  gevar  Erlös.  101.  die  sint  nü  en- 
g estlich   gevar   338.     wie  die  rede  was  gevar  3213.     daz  aht  daz  ist  also 

2* 


20  KAHL  BARTSCH 

gevar  6210.  alle  idcch  also  gevar  6281.  die  vierde  gäbe  ist  sd  gevar  6390. 
blümen  allerlei  gevar  424.  Dazu  vgl.  aus  der  Elis.  wie  dise  rede  si  gevar 
346.  wiz  brun  rot  gel  gevar  360.  an  formen  ernesUch  gevar  392.  wie  di 
Sache  was  gevar  411.  ordene  aller  leie  gevar  472.  wi  sin  andächt  was 
gevar  475.  wi  gevar  ir  suche  xoas  478.  wi  ir  süchede  was  gevar  479- 
489-  Auch  Ilimmelf.  1164  ir  lip  was  ouch  so  lieht  gevar. 

gir.  er  sprach  mit  früntltcher  gir  (;  mir)  Erlös.  2248.  2414.  fronwe 
dich  mit  hoher  gir  (:  dir)  4394.  mit  innieücher  gir  (:  dir)  5154.  ich  rief 
mit  innielicher  gir  (:  mir)  5638.  Noch  häufiger  in  der  Elisabeth,  in  vil 
lieplichcr  gir  (:  mir)  360.  sie  sprach  in  fruntUcher  gir  (:ir)  413.  daz  du 
erf alles  mine  gir  (:  dir)  429.  in  süzer  gir  (:  mir)  429-  (:  ir)  458.  467- 
(:mir)  468.469.  in  minnecücher  gir  (:ir)  485.  Vgl.  noch  Himmelf.  196 
bit  vientliche¥  begir  (:  dir). 

goume.  sie  nämen  sin  ouch  goumen  Erl.  4354  (:  boumen,  vgl.  die 
Anm.)  daz  sie  wol  goume  neme  4952.  mit  innerlicher  goume  (:  droume) 
Elis.  451.     des  ir  goume  hat  genomen  352.     des  ir  goume  genomen  häi '452. 

herre:  so,  nicht  herre,  sprach  der  Dichter,  wie  alle  mitteldeutschen. 
Die  Keime  der  Erlösung  sind  zu  3202  verzeichnet,  vgl.  dazu  aus  der 
Elis.  herre:  verre  358.  382.  403.  414.  herren  :  werren  345.366.395.406. 
Auch  Himmelf.  383  merre :  herre ,  was  freilich  auch  merre :  herre  sein 
könnte;  doch  vgl.  Strickers  Karl  S.  LXXXV.  Vgl.  auch  sterre. 

herte  lautet  das  Adject.  in  der  Elisabeth  (:  geverte  392.  :  zerte  473), 
dagegen  hart  (:wart)  Erlös.  5530;  und  ebenso  Himmelf.  1085  do  aber 
er  geicare  wart  daz  im  nan  kraft  doch  was  zu  hart  (Hs.  strac,  Haupt 
starc).     Doch  haben  auch  andere  Dichter  die  Doppelform. 

hochprophete.  der  ouch  ein  hochprophete  was  Erlös.  1516.  der 
ein  hochprophete  was  1637.  Nicht  in  der  Elisabeth,  wo  zur  Anwendung 
des  Wortes  keine  Gelegenheit  war,  wohl  aber  in  der  Himmelfahrt  95 
er  was  ein  hochprophete  (:  liefe). 

iegenote,  in  der  Erlös,  nur  einmal,  der  ich  zu  dirre  friste  doch 
ignote  (P  igenod)  swigen  wil  1716.  Dazu  vgl.  sie  was  andeelaic  igendt 
(:ddt)  Elis.  440.  iz  wart  ouch  igenode  (:dode)  betwungen  der  vil  güder 
464  und  die  oben  S.  5  angeführten  Stellen  von  genode. 

iezü,  in  beiden  Gedichten  sehr  häufig:  Erlös.  3339.3499.3568.3595. 
4144.  4257  u.  s.  w. ;  Elis.  442  (:  nü).  446.  466.  471  u.  s.  w.,  überall  auf  nü 
reimend  und  manchmal  wohl  nur  Füllwort  (zur  Erlös.  4346),  wovon  nachher. 

ing esigel.  aller  wazzer  ingesigel  (:  rigel)  Erlös.  1574.  gezeichent 
mit  insigele  (:  rigele)  Elis.  480. 

itewiz,  sonst  immer  ifewiz  (mhd.  Wörterbuch  3,  784n).  Durch 
den   Reim  itewiz'.  vergiz  Erlös.  747  ist  bei  der  sonstigen  Reimgeuauigkeit 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  21 

die  Kürze  bewiesen;  dafür  scheint  auch  eine  Stelle  der  Elisabeth  zu 
sprechen,  wo  des  idewizzes  schände  ^435)  steht :  die  Hs.  setzt,  wenn  ich 
recht  beobachtet  habe,  zz  nur  nach  kurzem  Vocale. 

ja:  über  den  häufigen  Gebrauch  dieser  Partikel  am  Anfange  von 
Sätzen  oder  zur  Wiederaufnahme  und  Verstärkung  eines  schon  vorher 
genannten  Begriffes  habe  ich  zur  Erlös.  5691  gehandelt;  zu  den  dort 
angeführten  (18)  Stellen  kommen  noch  zwei  aus  P:  hie  sprach  unse 
herre  zu  „ja,  sivigin  üiver  kindir  nü"  Germ.  3 ,  471 ,  18.  daz  Symon 
unsin  herren  sach,  ja  Symon  phariseus  23.  Ein  paarmal  begegnet 
dieser  ungewöhnliche  Gebrauch  auch  in  der  Elisabeth,  einmal  am  An- 
fang eines  Absatzes  (wie  Erlös.  1760)  Ja  der  furste  lobesam  408.  ja 
daz  reine  godes  her  411.  Wohl  auch  476  ir  zarte  sele  iezü,  ja  (Hs.  In) 
der  selecliche  geist.  Sonst  hat  die  Hs.  sehr  häufig  sa  (=  so),  was  einige- 
mal auch  für  ja  genommen  werden  kann.  In  der  Himmelf.  1718  ja 
quemes  du  ir  als  nähe  bt 

jdmerkeit,  ein  nicht  sehr  häufiges  Wort,  an  fünf  Stellen  der 
Erlösung  (zu  1672)  nachgewiesen,  wozu  noch  kommen  oioe  der  grozen 
jdmerkeit  348.  in  hunger  unde  in  jdmerkeit  6318.  Nicht  minder  häufig 
in  der  Elis.  vor  rehter  jdmerkeit  (:  ungeseit)  398.  vor  herzen  jdmerkeide 
(:  leide)  410.  mit  grozer  jdmerkeide  (:  leide)  435.  alhr  dirre  jdmerkeit 
(:  arebeif)  466.  von  dirre  jdmerkeide  (:  leide)  477  (vgl.  Erlös.  885).  Auch 
in  der  Himmelf.  396  durch  siner  mumen  jdmerkeit  (:  leit). 

jubilieren,  in  frouden  jubilierende  (:  bosunierende)  Erlös.  5418. 
in  eirne  jubilerene  (:  contemplerene)  Elis.  470. 

kindelbette,  ein  nicht  häufiges  Wort,  in  der  Erlös,  (zu  2728) 
viermal  vorkommend,  begegnet  auch  einmal  in  der  Elis.  ir  kindebettes 
innekeit  375. 

kleiderltn.  ir  kleiderltn  sie  ndmen  Erlös.  4351.  cleiderlin  und 
aide  todt  Elis.  390.     Sonst  nicht  belegt. 

korper  in  der  Erlösung  für  lip  gebraucht  (an  vier  Stellen,  vgl. 
Einleitung  S.  IH)  ,  im  mhd.  Wörterbuche  nur  durch  ein  paar  Stellen 
aus  Mar.  Himm.  belegt  (vgl.  Erlös.  S.  XXIH) ,  begegnet  oft  in  der 
Elisabeth:  den  corper  sie  beiounden  411.  er  warf  den  corper  her  und  dar 
463.  daz  man  den  heren  unbestat  corper  ober  erden  liez  473.  der  corper 
also  lobesam  474.  den  corper  alsd  heren  475.  den  corper  lobesamen  476, 
und  das  Deminutiv  cor  perlin  Elis.  481.  Immer  ist  es  der  entseelte  Leib : 
wollte  man  an  den  Stellen  der  Erlös,  und,  Elis.  lip  dafür  setzen  ,  so 
würde  dem  Verse  jedesmal  eine  Senkung  fehlen. 

krot,  eines  der  merkwürdigsten  Worte,  das  fast  nur  aus  der  Elis. 
belegt  war  (mhd.  Wrtb.  1,888),  begegnet  zweimal  in  der  Erlös,  (zu  834)- 


22  KAKL  BARTSCH 

Ifii,  verkürzt  ans  leie,  in  der  Elis.  472  durch  den  Reim  pre- 
monstrei:  manger  lei  bewiesen,  ist  auch  für  die  Erlös,  anzunehmen.  193 
habe  ich  geschrieben  an  einer  leije,  du  het  got,  besser  an  einer  lei,  da 
hete  got,  wodurch  der  fehlerhafte  Versschluß  (zu  21 15)  vermieden  wird. 
lei  steht  auch  Erlös.  424,  leie  oder  leije  dagegen  erfordert  der  Vers 
Erlös.  129  manger  leije  könne;  ebenso  joch  mit  keiner  leie  rede  Elis.  418. 
mit  ander  leie  dache  448.     mit  ander  leie  dackete  449. 

lezzen,  nach  Bechs  richtiger  Vermuthuug  Erlös.  1463  für  Uzet 
zu  schreiben;  vgl.  Elis.  381  lazzet  in  derselben  Bedeutung. 

lobebere.  der  lobebere  (:  wäre)  Cristus  Erlös.  1844.  des  bat  der 
lobebere  (:  viere)  2245  und  öfter,  der  lobebere  (:  were)  Elis.  442.  der 
lobebere  (:  schirmere)    Gregorius  der  ndnde  455  und  öfter. 

lobelich,  in  beiden  Gedichten  ungemein  häufig.  Erlös.  1173. 
1341.  1633. 1984.  2116.  2192.  2258.  5757.  5763.  Elis.  430.  475.  484  u.  s.  w. 
Auch  in  der  Ilimmelf.  1456.  1466. 

lo besam,  nicht  minder  oft  als  das  vorige  (vgl.  Haupt  zum  Engel- 
hard 1145).  Erlös.  165.  1582.  1620.  2792.  3503.  3554.  3855.  3926.  3947. 
4340. 4606.  5022.  5066.  5095.  5162.  5510  u.  s.  w.  Elis.  375.  377.  380.  382. 
386.  389.  395.  396.  399.  408. 415.  430.  438.  439.  455.  459.  474.  489.  Andere 
Stellen  sieh  oben  S.  13. 

mal,  namentlich  in  der  Verbindung  zu  male ,  zeim  male  Erlös.  284. 
alzumdle  (:  tribunäle)  470.  (:  quäle)  1024.  zumal  1786.  in  des  todes  male 
(:  quäle)  2816.  zu  dem  male  4720.  sä  zumal  (:  tribunäl)  6256.  Aus  der 
Elis.  habe  ich  angemerkt  alle  iesä  zu  male  (:  zindäle)  360.  iesä  zu  male 
(-.  sträle)  367.  zu  disem  male  (:  zindäle)  377.  M  disem  male  (:  quäle)  381. 
iesö  zu  male  (:  quäle)  403.  so  zu  mal  (ispitäl)  476.  Vgl.  noch  alzumdle 
(-.quäle)  Himmelf.  1275. 

mal ä,t,  in  der  Elis.  durch  den  Reim  (: rät  461),  im  Plur. mäläden 
(:  häden  479- 489)  gesichert;  in  der  Erlösung  (zu  2072)  begegnet  maletzer 
(P  maledich)  und  5546  maletziger:  beides  ist  wohl  nach  den  sicheren 
Stellen  der  Elis.  zu  ändern. 

meine,  starkes  Femin.,  in  der  Elis.  nach  cristenlicher  meine  (:  ge- 
steine)  426.  in  du<jentllcher  meine  (:  reine)  439,  begegnet  zwar  nicht  in 
der  Erlösung,  wohl  aber  in  der  Himmelfahrt,  ir  aller  drler  meine 
(:  alleine)  723.  ir  samenunge  meine  (:  reine)  921.  sunde  und  vulsche  meine 
(:  unreine)   1755. 

mer ,  im  Reime  neben  me  (:e  Elis.  346.347  und  öfter)  und  mere, 
in  der  Erlösung  (zu  263)  und  Elis.  mir :  hPr  361.449.486.:  ser  472, 
also  auf  dieselben  Worte  reimend.  Auch  in-  der  Ilimmelf.  alle  drei 
Formen  im  Reime,  mir  steht    1675   (:ser)  und   1060  (:  her). 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  23 

rnugelich  Erlös.  235 :  des  dunket  uns  wol  mogenlich  3249.  mich 
hat  unmugelich  584  (und  Anm.).  und  duckte  sie  wol  rnugelich  Elis.  357. 
nach  unser  mugentlichen  kraft  361  (doch  wobl  Ableitung  von  mugent). 
alse  iz  was  icol  rnugelich  481.  Vgl.  noch  Himmelf.  16  dem  niht  zu  dune 
unmugelich  ist. 

ordenlich,  roas  gemachet  ordenlich  Erlös.  117.  des  ordenlichen 
sanges  5224.  gesaget  ordenlichen  5508.  ordenlich  geschriben  stdt  5753. 
nach  ordenUchen  sachen  6402.  mit  ordenlichen  fügen  Elis.  471.  vemounden 
ordenliche  482  und  öfter. 

persone,  in  der  Erlösung,  wo  es  der  Stoff  mit  sich  brachte  (es 
wird  hauptsächlich  von  der  Dreifaltigkeit  gebraucht)  natürlich  häufiger 
als  in  der  Elisabeth,  persdnen  underscheiden  dri  Erlös.  46.  der  persönen 
underscheit  1198.  der  persdnen  underbint  1204.  von  des  suns  persone 
(:  schone)  1226,  in  Cristus  doch  persone  (:  schöne)  2143.  dri  an  drin  per- 
sonell 5562.  dri  persone  sint  ein  got  5580.  In  eigenthümlicher  Bedeutung 
Elis.  469  nu  frägeten  di  persone  (die  Umstehendem  die  frouwen  lobebere. 

prisant  „Geschenk":  diese  Form  des  Wortes  in  beiden  Gedichten 
nicht  selten,  prisant  icirt  im  gegeben  Erlös.  1368.  zu  prisande  1920. 
mit  prisande  suchten  2356.  mit  gäbe  iind  mit  prisande  (:  lande)  3216. 
mit  prisande  enpßengen  3347.  höhen  prisant  (:  heilant)  3361.  In  der  Elis. 
den  aller  icehesten  prisant  (:  behaut)  359.  lochen  prisant  (:  getoant)  360. 
sie  danketen    ir  prisande  (:  lande)  361.     zu  hohem  prisande  (:  lande)  430. 

quit  „er  spricht:"  nur  diese  Form  des  Verbums  in  beiden  Dich- 
tungen, wie  überhaupt  im  13.  Jahrhundert  üblich,  quit:  zit  Erlös.  1657. 
ez  quit  „es  bedeutet"  5207.  der  koninc  Davit  in  deme  salter  also  quit 
Elis.  344. 

reine  gen.  er  teil  sie  dem  golde  glich  reinegen  Erlös.  1663.  aller 
lOte  misset ät  reineget  er  1929.  der  die  iverelt  reinegen  sal  3929.  van 
he  sie  reinegte  (:  vireinegte)  German.  3, 471,  35.  sie  reinegete  die  maladen 
Elis.  489. 

samit.  Die  Form  samät,  die  einmal  (Erlös. 5708,  P  samit)  in  der 
Erlösung  vorkommt,  wird  durch  die  Reime  der  Elis.  widerlegt;  vgl. 
samit:   k  ursit  360.     samide:  kurside  379.  :  side  373. 

schinlic h.  die  frouwe  sach  schinlich  in  ir  droume  Elis.  45 1 ;  dasselbe 
Wort  ist  wohl  unscheinlich  Erlös.  330,  wo  demnach  unschiidich  zu  lesen  ist. 

schrien:  das  Präter.  Plural,  in  der  Elis.  schrüwen  (:nüwen  409. 
:ruwen  475)  durch  den  Reim  gesichert:  auch  in  der  Erlös.  5005.5039, 
aber  nicht  im  Reime;  die  Ausgabe  schreibt  unrichtig  schruioen. 

sehen  „aussehen."  wie  ein  mensche  üf  erden  sihet,  also  soltu  sehen 
Erlös.  1320.  di  frouwe  rüweliche  sach  Elis.  301. 


24  KAKL  BAßTSCB 

sint  „nachher":  dies  in  der  Elis.  die  gewöhnliche  Form,  sint: 
kint  346.  347. 396.  :wmi423;  einmal«*«:  ztt  416,  und  außer  Keime  444. 
Letztere  Form  in  der  Erlösung  durch  den  Reim  belegt,  sit:  ztt  2468. 
5949.  Daneben  sider:  nider  5523.  Außerdem  in  beiden  Gedichten 
mehrmals,  nicht  im  Reime,  wo  aber  der  Versbau  die  zweisilbige  Forin 
erheischt:  geioonheit  die  doch  sider  nie  Erlös.  3465.  der  sider  wart  zu 
Bäben-berc  undrüweMche  erslagen  Elis.  354.  di  sider  nam  zu  wibe  374. 
sider  rne  alleine  bleib  446.  sint  kommt  in  der  Erlösung  nicht  vor,  wenn 
man  nicht  3715  worden  sint  (:  kint)  zoorden  =  ivurden  und  sint  als  Adv. 
nimmt,  was  wohl  angeht.  Die  Abwechslung  der  Form  begegnet  auch 
bei  anderen  Dichtern. 

Spiegelglas,  in  der  höfischen  Dichtung  nicht  selten  als  Vergleich 
gebraucht:  des  vater  Spiegelglas  (:  icas) ,  der  sun  Erlös.  1036.  same  ein 
iCder  Spiegelglas  (-.was)  Elis.  480.     Auch  Himmelf.  1529  min  Spiegelglas! 

spor  „Fußspur."  sin  wege  bereiten  unde  sine  spor  (:  vor)  Erlös. 
2803.  hie  trete  ich  aber  üf  daz  spor ,  da  wir  die  rede  liezen  vor  3158. 
sie  dräten  an  daz  selbe  spor  ,  daz  in  drat  der  heilant  vor  3982.  sioanne 
ir  komet  an  daz  spor  (-.vor)  4301.  daz  sie  dräten  an  daz  spor,  daz  in 
vor  ir  heilant  drat  5534.  des  koment  sie  mit  der  spur(:vur,  1.  spor:  vor) 
der  heilicllchen  lere  6051.  so  dretent  nach  hin  an  daz  spor  (:vor)  des 
himelischen  trones  6553.  Aus  der  Elisabeth :  sie  santen  üf  ein  selic  spor 
lobeliche  boden  vor  428.  den  werren  deute  fursten  riche  üf  ein  dugentlichez 
spor  vemulzen  sime  herren  vor  435.  er  sagte  ir  mit  drüwen  vor  der  hei- 
legen  leben  und  ir  spor  442. 

sterre:  diese  niederdeutsche  Form  in  beiden  Dichtungen  durch 
den  Reim  belegt;  vgl.  zur  Erlösung  3202.  In  der  Elisabeth  werren'. 
sterren  352.  sterre :  verre  392.  leidesterren :  herren  408.  leidesterre :  herre 
410.     Auch  in  der  Himmelfahrt  sterre:  verre  573. 

sil  che  de  „Krankheit."  suhte  sint  (1.  süchede  ist,  wie  P  hat)  im 
worden  kunt  Erlös.  2071.  den  lobelichen  man  .  .  viel  ein  süchede  an 
Elis.  406.  den  man  viel  aber  groze  süchede  an  407.  xoie  ir  süchede  was 
gevar  479.  489 ;  dagegen  478  wie  gevar  ir  suche  was.  ir  süchede  420.  in 
grozer  süchede  453. 

s  und  er:  über  den  Gebrauch  sieh  zur  Erlös.  1813,  wo  aber  sunder- 
ewic  zu  streichen  ist.  Vgl.  aus  der  Elisabeth  si  inheite  sunder  ungemach 
und  innerlichen  smerzen  379.  zu  sunder  gnade  443.  daz  sie  sunder  gnade 
enphienge  445.  sie  hatte  ir  sunder  ouch  begert  446.  ir  dage  sunder  sie 
verdreib  446.  von  sunder  gnade  des  bäbestes  455.  daz  sunder  ie  der 
mensche  dei  475.  von  sunder  mahelschefte  482:  Ähnlich  der  Gebrauch 
in  der  Himmelfahrt:  Erlösuno-  S.  XXIII. 


DEE  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  25 

tasten  „berühren."  Erlös.  6489.  6490.  6501.  Nicht  in  der  Elisabeth, 
doch  in  der  Himmelf.  1168  mustert  sie  do  tasten  und  tastende  also  Meiden. 

touc  mit  ze  und  dem  flectierten  Infinitiv,  nicht  in  der  Erlösung, 
wohl  aber  in  der  Elis.  und  Himmelf.  ivand  in  niht  wol  indohte  den  lan- 
gen wec  zu  sparne  Elis.  358.  daz  douc  ach  niht  zu  inberne  Himmelf.  1390. 

überlast,  mit  der  sunden  überlast  (: gast)  Erlös.  1180.  mit  driezes 
uberleste  (:geste,  die  Hs.  überlaste:  geiste)  Elis.  381. 

uberlüt,  als  Füllwort  im  Reime,  uberlüt:  gotes  trat  Erlös.  1328. 
3848.  unverholen  uberlüt  (:  Gerdrüt)  Elis.  352.  daz  wizzet,  lieben,  uber- 
lüt (:  drüt)  380. 

üf  erstende  =■  ur  st  ende,  Erlös.  5193;    sin  üferstant  Himmelf.  401. 

u f legen  „anordnen,"  in  der  Erlös,  häufig  (Anm.  zu  6443,  wo 
noch  hinzuzufügen  ist  dise  wort  het  üf  geleit  554,  Ausg.  üz  geleit).  Auch 
in  der  Elis.  mehrmals  ir  üf  gelegeten  wallevart  411.  waz  der  godeliche 
rät  zu  gnaden  üf  geleget  hat  412.  in  des  wart  ir  üf  geiaht  (:  gemäht)  444. 
Elizabeth  hatte  armen  lüden  üf  geiaht  (:  gemäht)   476. 

ummeganc,  seltenes  Wort,  der  himele  ummeganc  Erlös.  115. 
von  der  wazzer  anevanc  biz  an  der  loerlde  ummeganc  1534,  ad  fines 
terrae  Vulg.     der  firmamentes  ummeganc  Elis.  350. 

ummehleit ,  ebenfalls  sehr  selten,  sie  machten  ir  ein  ummehleit 
Erlös.  5713  manicvalt  ivas  ir  ummehleit  gestalt  5760.  di  frouwe  nam 
ir  ummehleit  Elis.  583.     Auch  575  ummecleit  und  einen  roc. 

underbint,  von  der  Dreieinigkeit  gebraucht  (zur  Erlös.  1204). 
In  anderem  Sinne  die  mime  geiste  ein  underbint  (:  sint)  behagent  Elis.  391. 
da  sich  mit  underbinde  di  vater  und  di  hinde  scheident  400. 

underhomen,  in  der  Bedeutung  „erschrecken"  (=  erhomen)  sehr 
selten:  zweimal  in  der  Erlösung  (zu  3297),  einmal  in  der  Elis.  der  junge 
farste  is  underquam  mit  schrecken,  gerade  wie  Erlös.  1443  ich  bin  von 
schrechen  underhomen. 

underläz:  an  underläz  Erlös.  1092.1118.  Elis.  466. 

underscheit:  zur  Erlösung  6575,  wo  noch  beizufügen  sind  an 
underscheii  Erlös.  600.  1134.  In  der  Elis.  mit  güdem  underscheide  (:  beide) 
362.  an  underscheit  (ismächeit)  417.  :  stedeheit  457.  mit  vorgenanten 
underscheit  393.     Auch  in  der  Himmelf.  an  underscheide:  beide  1498. 

venje,  im  Reim  auf  menje,  allerdings  auch  bei  anderen  Dichtern 
häufig  genug,  aber  nicht  mehr  seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts: 
daher  auch  diese  Übereinstimmung  hervorgehoben  werden  muß.  vielen 
an  ir  starke  venje  (imenje)  Erlös.  1129.  die  herliche  menje  viel  nider  an 
ir  venje  3350.  die  herlichen  menige  lägen  an  ir  venige  5534.  des  bat  sie 
dar  und  aber  dar  mit  andäht  an  ir  venje  (:  menje)  Elis.  362.  seht  aber  viel 
sie  venje  (:  menje)  364. 


2(5  KARL  BABTSCB 

vergebene  „vergebens:"  diese  gewöhnliche  mhd.  Form  im  Reime 
auf  lebene  steht  Erlös.  5276,  auf  ebene  Elis.  464.  Daneben  in  beiden 
Gedichten  die  seltene  Form  vergebenes  (ileberies)  Erlös.  6583  (vgl.  die 
Anm.)  Elis.  440;  die  andere  Reimzeile  fast  wörtlich  wie  Erlös.  6584: 
der  (iwieüches  lebenes  =  des  ewiclichen  lebenes.  vergebene  (:  lebene)  auch 
in  der  Ilimmelf.  1659,  nicht  vergebenes. 

v er rihten:  über  die  verschiedenen  Bedeutungen  dieses  Wortes 
in  der  Erlösung  s.  Anm.  zu  3281.  Dazu  vgl.  aus  der  Elis.  die  boden 
man  verrihte  (:  schiläe)  Elis.  355 ,  wofür  388  gleichbedeutend  steht  daz 
man  di  boden  rihte  358.  man  rillte  sie  360;  ähnlich  ist  Erlös.  5700.  wart 
der  für  sie  riche  verrihtet  408.     toaz  got  mit  uns  verrihten  teil  412. 

verschriben:  er  wolte  sich  verschroben  (:  büben)  der  wereltlichen  ere 
Erlös.  3857.  ir  güdes  gar  verschriben  (:  verdriben)  Elis.  434.  Sie  wollte 
der  schulde  sich  verschriben  (:  bliben)  450.  toi  di  frouice  sich  verschreib 
wereltlicher  sache  455. 

vlec  oder  vi  ecke:  dxn  vlecke  hat  (oder  vlec  enhät)  an  dir  niht 
twäl  Erlös.  5681,  nach  Bechs  Vorschlag,  ir  leben  reine  sunder  vlec  (:  quec) 
Elis.  466. 

v letze,  kein  frouwe  sol  in  dritten  zu  bette  noch  zu  fletzen  (\  setzen) 
Erlös.  1977  und  Anm.  als  einer  frouwen  rehte  quam  die  eime  fursten  wol 
gezam  zu  ßezze  und  auch  zu  bette  Elis.  347.  di  leiven  als  sie  giengen,  daz 
flezze  da  beviengen  360. 

voll  eist,  ein  Lieblingsausdruck  des  Dichters,  der  heilic  geist, 
der  so  süze  volleist  kan  geben  Erlös.  372.  im  gap  der  heilic  geist  wizzen 
unde  volleist  1227.  als  er  häte  volleist  von  dem  vater  aller  meist  1644. 
im  gap  der  heilic  geist  kuntschaft  unde  volleist  2276.  so  gib  mir  din  volleist 
(nveist)  2483.  gar  ivirdicliche  volleist  komt  dir  der  heilige  geist  2631.  nach 
gotelicher  volleist  (:  geist)  3517.  hie  zu  der  heilige  geist  gab  ivirdiclichen 
volleist  3961.  nu  quam  werde  volleist  (: geist)  4907. 5395.  5453. 5487.  daz 
in  gibt  der  heilic  geist  zu  leben  allen  volleist  5963.  hat  der  heilic  geist  uns 
gar  süze  volleist  gelän  6362.  Aus  der  Elisabeth :  ob  ich  die  volleist  hMe  345. 
diz  was  ein  here  volleist  (:  geist)  355.  wände  ir  gab  der  heilig  geist  zu  ivizzene 
gnde  volleist  376.  in  dugentlicher  volleist  beval  er  gode  sinen  geist  409. 
der  heilige  geist  der  mit  süzer  volleist  innerliche  dreisten  kan  414.  wand  ir 
gebrach  der  volleist  (:  meist)  an  gtide  447.  di  siechen  doch  aller  meist,  den 
sie  mit  suzer  volleist  gddes  vil  begatte  473.  von  godelwher  volleist  (:  geist) 
476.  der  heilige  geist  mit  stner  süzen  volleist  477.  Immer  als  Femininum, 
und  darnach  auch  in  der  Erlösung  durchzufahren.  Vgl.  noch  Ilimmelf. 
209  saute  den  vil  heiligen  geist  bit  einer  dCiben  zu  volleist.  490  den  sant 
er  in  zu  volleist  (:  geist,  IIs.  uolleiste:  geiste). 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  27 

wallevart,  sehr  seltenes  Wort,  an  der  herren  wallevart  (Ausg. 
walfart)  Erlös.  3601.  do  hup  sich  ein  wallevart  3737.  ir  üf gelegeten  walle- 
vart  Elis.  411. 

wec.  under  wegen:  ouch  ist  niht  wider  wegen  bliben  Erlös.  1596. 
und  ist  doch  under  wegen  bliben  gar  vil  3149.  diz  ist  niht  under  wegen 
bliben  5480  (und  Anmerk.).  nu  müz  sie  leider  bliben  von  mir  duren  under 
wegen  Elis.  345.  gevangen  under  wegen  412.  Vgl.  auch  Ilimmelf.  1069 
heg  eine  „begegne"  under  wegen.  —  von  wegen-,  fast  ausschließlich  mittel- 
deutsch, von  des  heiligen  geistes  ivegen  (:  pflegen)  Erlös.  5632.  von  uwer 
wegen  Elis.  435.  von  küschekeide  ivegen  441.  von  des  dodes  wegen  (iplegen) 
456.  Vgl.  Himmelf.  582  von  sinen  wegen. 

weinen  mit  dem  Accus,  (zur  Erlös.  4541);  ebenso  in  der  Elis. 
di  musten  alle  weinen  des  fursten  clegelichen  dot  413.  uwer  keine  inweine 
mich,  iegelich  weine  ok  selbe  sich  469. 

weiz:  das  Präter.  lautet  in  beiden  Gedichten  nur  wiste,  nicht 
weste,  wisse,  wesse;  zur  Erlös.  4421.  Vgl.  wisten:  fristen  Elis.  345.  — 
weiz  got,  got  weiz:  letzteres  Erlös.  6201  (\sweiz);  ersteres  Erlös.  3622 
nach  P;  häufig  in  der  Elis.  er  vielt  in  weiz  got  unde  fluch  381.  daz  weiz 
got  nü  alleine  404.  sie  vüren  weiz  got  vaste  405.  di  musten  weiz  got  alle 
weinen  413.  so  wil  ich  weiz  got  allen  dac  ir  zu  bezzerunge  stein  436.  er 
wolte  ir  weiz  got  abe  legen  445.  da  wolde  er  aber  weiz  got  nü  geben  446. 
den  sie  weiz  got  also  frisch  schickete  451.  da  solde  iz  weiz  got  inne  sin  480. 

werbe  „Mal."  daz  selbe  drl  werp  dd  geschach  Erlös.  4499.  dri 
werp  verloukent  er  sin  hie  4525.     ander  werbe  Elis.  452. 

wert  „wärts,"  nicht  wart,  was  mitteldeutsch  sehr  gewöhnlich  ist. 
wider  wert  (:  gert)  Erlös.  1676.  zu  lande  wert  (ipfert)  3387.  zu  hove 
wert  (:  begert)  3434.  dar  wert  4447.  gein  dem  berge  wert  (:  sweri)  4481. 
hine  wert  5253.  hin  wider  wert  (:  gert)  5660.  gein  der  höhe  wert  (:  begert) 
6014.  zu  Jerusalem  wert  (:  begert)  German.  3,  472,  91*  —  gein  lande  wert 
(:  pert)  Elis.  360.     gein  hüse  wert  (:  begert)  438. 

widerkere.  daz  sie  widerkere  (:  lere)  balde  und  endeliche  tun  Erlös. 
6053.  ir  widerkere  genomen  hän  Elis.  401.  nu  det  er  widerkere  (:  ere)  409. 
sie  däden  widerkere  (:  mere)  409. 

widervanc:  sonst  nicht  vorkommend,  der  planeten  widervanc 
Erlös.  116  =Elis.  351. 

wirdikeit,  in  beiden  Gedichten  ungemein  häufig,  ebenso  in  der 
Himmelfahrt. 

Ich  habe  zur  Erlös.  4346  die  Ausdrücke  zusammengestellt,  mit 
denen  der  Dichter  den  Vers  und  Keim  füllt:  die  meisten  dieser  Füll- 
wörter  begegnen    auch   in   der    Elisabeth,     sunder    gamen    Erlös.  4346- 


28  KARL  BARTSCH 

in  dem  seihen  gamen  2473.  sunder  spotes  gamen  (:  namen)  Elis.  388. 
sunder  gamen  (:  namen)  399.  sunder  wän,  in  der  Erlösung  wenigstens 
sieben  Stellen;  sunder  allen  wän  (: getan)  Elis.  353.  (:  hän)  459.  sunder 
wän  (: getan)  Elis.  420.  (:  hän)  381.  zustunt  zustünde  zustunden:  zur 
Erlös.  3091.  iesä  zustünde  (:  munde)  Elis.  406.  zustat  Erlös.  5402.  so 
zustat  (:bat)  Elis.  415.  zustede  Erlös.  3381.  3733.  4497.  5273.  5697. 
sä  zustede  (:rede)  Elis.  386.  iesä  zustede  (:rede)  449.  zuhant  Erlös. 
4673.5229.4383.  sä  zuhant  (:  genant)  Elis.  405.  iesd  zuhant  (:  gewant)  404. 
:  want  413.  iesä  Erlös.  1578  etc.  Elis.  355.  365.  382.  438.  483.  in  den  ziden 
Erlös.  3818.  (:  Tiden)  Elis.  376.416.438.  sunderbar  Erlös.  4072  u.  s.  w. 
Elis.  421.  438.  456.  486.  wolgereit  Erlös.  1451.  3524.  ir  get  uz  morne,  sit 
gereit  (vielleicht  sä  gereit  zu  lesen)  Erlös.  1695.  sus  gereit  1554.  gereite  502. 
886.  3365.  5647.  gereit  Elis.  464.  so  gereit  356.  478.  iesd  gereit  423.  483. 
sä  gereit  484.  486.  Kobl.  Br.  98.  gereide  426.  sä  gereide  428.  iesä  gereide 
431.443.479.  Kobl.  Br.  177.  iesä  gereit  418.  alles  an  gereide,  ein  ganzer 
Vers  434,  wie  Erlös.  4013.  wol  gereide  JZlis.  423.  frist Erlös.  4845.  sunder 
fristen  Elis.  391.  mal,  vgl.  oben  S.  22,  namentlich  zumäle  z.  B.  Elis.  360. 
In  der  Elisabeth  noch  iesd  gendde  441.  Auch  iezü  und  nü  werden  häufig 
so  verwendet,  vgl.  die  oben  S.  5  angeführten  Reime,  iesä  besunder  Elis. 
379,  und  manches  andere. 

IV.  Es  bleibt  nur  noch  übrig,  einzelne  Stellen  der  Elisabeth  mit 
der  Erlösung  zu  vergleichen,  um  daraus  die  vollständigste  Gewissheit  zu 
gewinnen,  daß  beide  Gedichte  nur  von  einem  Verfasser  herrühren  können. 
Denn  wenngleich  hin  und  wieder  ein  Nachahmer  seinem  Vorbilde  ein- 
zelne  Stellen,  Bilder  und  Ausdrücke  entlehnt  (wie  namentlich  die 
Nachahmer  Wolframs  lieben,  dessen  scharf  hervortretende  Manier  ihn 
besonders  dazu  geeignet  machte),  so  ist  es  doch  nirgend  in  gleichem 
Umfange  der  Fall  und  erstreckt  sich  nicht  auf  so  wenig  eigenthüm- 
liche  und  auffallende  Stellen^  wie  wir  sie  zum  Theil  unter  den  folgen- 
den finden  werden. 

Elisabeth.  Erlösung. 

345.  des  helfet  alle  biden  got.  3140.  ei  helfent  alle  bitengot. 

6568.  nu  helft  mir  alle  biten  got. 

346.  daz  ir  mit  filze  nemet  ivar,  101.  die  rede  ist  ernestüch  gevar.  . . 
wie  dise  rede  si  gevar,  nu  hört  und  nemet  der  rede  war. 

346-  icaz  sulde  langer  rede  nie?  2475.  waz  solte  langer  rede  mef 

448.  waz  solde  nd  der  rede  me?  2843.  waz  solte  nu  da'  rede  me? 

486.  waz  sulde  uns  lange  rede  mer?       5328.  waz-sol  langer  rede  me?  4149. 

4509. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG. 


2!) 


Ähnlich  Himmelf.  81  ivaz  sal  ich  da  von  sagen  me?  Vgl.  auch  die 
anderen  zur  Erlös.  5328  beigebrachten  Stellen ,  in  denen  der  Dichter 
sich  ans  Kurzfassen  erinnert. 


347.  zußezze  und  ouch  zu  Lette. 

348.  Ungere  unde  Unzen 
Sassen  unde  Prüzen. 

351.  der  plantten  widervanc. 


1978.  zu  bette  noch  zu  fletzen. 
6066.  heiden  unde  Prüzen, 
Kriechen  unde  Rdzen. 
1 16.  der  planeten  widervanc, 


auch    die    vorhergehende    Zeile    des  ßrmamentes    ummeganc  =   115  der 
himele  umheganc. 


351.  nu  teas  ez  iezü  homen  dar. 


353.  vor  hine  edse  lange. 


355.  und  anders  ir  gesellen  vil, 

der  ich  nü  gedagen  wil. 
487.  noch  ist  der  zeichen  harte  vil, 

von  den  ich dochniht sprechen  wil. 

355.  e  ich  der  zide  me  verzer. 
ir  was  ein  lobelichez  her. 
359.  smaragden,  jachande. 


3764.  nu  was  ez  aber  also  homen. 
4144.  nu  was  ez  iezü  also  homen. 
3660.  5042.  vor  hin  harte  lange. 
2929.  vor  hin  etwa  lange. 
1329.  vor  hin  lange. 
2386.  noch  ist  der  sache  harte  vil 

der  ich  doch  nü  geswigen  wil. 
6159.  noch  ist  der  propheten  vil 

der  ich  nü  geswigen  wil.. 
4910.  des  ich  nü  geswigen  teil  (:  zil). 
3160.  e  ich  der  ztt  sd  vil  verzer, 

wie  daz  lo  bell  che  her.  .  .  . 
415.  smaragden,  jachande. 


360.  früntliche  in  zu  di  irouive  sprach    2248.  er  sprach  mit  früntltcher  gir: 


in  vil  liejdicher  gir: 
gedrüwen  f runde,  loset  mir. 

361.  sie  muste  jdmer  rüren  (ivüren). 
420.  di  kummer  ivolde  rüren  ('.gefüren) 

362.  des  bat  sie  dar  und  aber  dar. 
486.  geßozzen  dar  und  aber  dar. 
366.  von  Christus : 

sin  hende  und  sine  füze 
durchslagen  gar  unsüze. 

373.  mit  nageln  bitter  unde  scharp. 

366.  von  Elisabeth: 

wände  ein  bitterlichez  swert 
was  durch  ir  zarten  sele  wert 
mit  gewalt  gedrungen. 

369.  beide  heilic,  beide  gut. 

375.  daz  sie  dein  nach  geivonheit 


frünt  Symeon,  nu  lose  mir. 
2414.  er  sprach  mit  früntltcher  gir: 

frünt  Zacharid ,   luse  mir. 
1626.  die  solhe  froude  rürte  (:  vürte). 

4471.  des  bat  er  aber  und  aber  dar. 

5232.  geslagen  dar  und  aber  dar. 

4794.  ebenfalls  von  Christus: 
sie  slügen  im  unsüze 
durch  hende  und  durch  füze 
dri  quecke  negel  unde  scharf. 

4827.  von  Maria: 

daz  durch  ir  sele  muste  gen 
iedoch  ein.  bitterlichez  swert. 
vgl.  auch  Erlös.  3497.98. 

1806.  tuschen  heilic  unde  gut. 

3469.  einnsun  swelche  froiveden  hette 
(vgl.  3465), 


30 


KARL  JiAItTSCII 


sohle  nach  den  vierzic  dagen 

ir  Mndelin  zu  kirchen  dragen. 
376.  wände  ir  gab  der  heilte  geist 

zu  roizene  güde  volleist. 
379.  alse  ich  hän  vernomen. 
403.  ilende  als  ein  rise  düt, 

der  zu  lonfe  sinen  müt 

ebene  hat  gesezzet. 
433.  der  iesch  die  ritter  alle  dar. 
448.  alse  ich  üch  sagete  e. 
4.">4.  als  üch  ist  gesaget  e. 
455.  als  ouch  hi  vor  geschriben  stet. 
477.  hl  nähe  vor  geschriben  stet. 
455.  als  üch  gesaget  ist. 
469.  ein  gar  wunneclicher  sanc 

in  ir  helen  süze  erldanc. 
469.  üicer  keine  inweine  mich, 

ig  euch  weine  oh  selbe  sich. 


die  solte  in  nach  den  vierzic  dagen 
dem  priester  in  den  tempel  dragen. 

1227.  sam  im  gap  der  heilec  geist 

zu  wizene  unde  (güde  ?)  volleist  *). 

6235.  als  ich  vil  rehte  hän  vernomen. 

1347.  einem  risen  glich  gemüt, 

der  wunderlichen  Sprunge  düt, 
der  sinen  icec  wil  gäben. 

4285.  sine  junger  iesch  er  dar, 

3518.  als  ich  üch  sagte  e. 

3713.  als  üch  ist  gesaget  me. 

1230.  er  sprach,  als  hie  geschriben  stet. 


4369.  als  üch  gesaget  ist. 

5726.  von  in  ein  süze  stimme  erklanc. 

sie  sungen  disen  wundersanc. 
4782.  er  sprach  »niht  enw einet  mich, 
ieclichz  macwol  weinen  sich," 
sagt  in  der  Erlösung  Jesus  zu  den  ihn   begleitenden   Frauen :   und  auf 
diese  Stelle  bezieht  sich  Elisabeth. 

4043.  flüc  von  mir,  unreine 

creätüre  und  arger  wiht. 


470.  flücliä  flach, 


du  arger  wiht. 
386.  der  dumme  fldch  in  der  gesiht. 
472.  ordene  aller  lei  gevar. 

474.  verneinet  ouch  icaz  ich  üch  sage. 

475.  daz  volc  geriet  zä  dringen. 
478.  alse  ich  üch  bescheiden  na. 

Vol.  Himmelf.  1702  als   ich    dich    wol   bescheide;    993  des  künde  ich  üch 
wol  bescheiden. 


er  fluch  vilbaldein  dergesehiht**). 
424.  blürnen  aller  lei  gevar. 
5385.  nu  merket  reht  waz  ich  üch  sage. 
4061.  daz  volc  geriet  zu  dringen. 
6427.  als  ich  üch  bescheiden  sal. 


478.  alse  ich  hän  gelesen. 

479.  da  wart  vil  blinden  sehende. 
481.  die  blinden  wurden  sehende. 
481.  ob  er  ir  drüweliche  gert: 

alsus  wirt  ie  der  man  geteert 
lo es  er  an  gof  gesinnet, 
ob  er  daz  beste  minnet. 


1996.  als  ich  hän  gelesen. 

4212.  die  blinden  machte  er  sehende. 

4242.  die  machet  er  gesehende. 

1107.  keinem  man  der  ir  begert, 

wan  daz  man  schiere  wirt  gewert 
stoes  man  zu  dir  gesinnet, 
der  dich  von  herzen  minnet. 


*)  zu.  wisene  P:  dann  aber  ist,  wnde  in  NT  nicht  üchtig. 
**)  Vgl.  oben  8. 19. 


DER  DICHTER  DER  ERLOSUNG. 


31 


482.  als  iz  ivol  prüfet  ieder  man, 

der  wärheit  ivol  geprüfen  han. 

482.  di  here  heiserlich  geioalt, 
hdchgeweltic,  manicvalt, 
hat  sich  ir  geseiget, 
zu  sehene  an  geneiget. 

Vgl.  noch  hdchgeweltic  Erlös.  6252, 

und  wegen  neigen  Erlös.  967.  2103. 

487.  von  den  üch  e  gesaget  ist. 

488.  vil  blinden  wurden  sehende, 
di  himelwunne  spehende 
cristenliches  glouben. 

sie  gab  iesö  den  douben 
daz  sie  hörten  über  al 
stimme  und  ander  leie  schal. 
sie  det  den  stummen  üf  ir  munt, 


13.  daz  briifet  wol  ein  wiser  mau, 
der  wunder  wol  gebrufen  kan. 

2683.  sus  hat  die  gotelich  gewalt, 
hdchgeweltic,  manicvalt, 
geneiget  sich  her  nider 
in  fleisch  und  ouch  in  glider. 

3790.  die  höhe  gotelich  geioalt, 
hdchgeweltic,  manicvalt. 

1156.  als  uch  hie  vor  gesaget  ist. 

5548.  sie  machten  blinde  sehende, 
an  Jhesum  Cristum  jehende, 
sie  gäben  ouch  den  touben 
gehörde  und  rehten  glouben. 


4986. 


den  stummen  det  er  uf  den  munt, 
er  macht  der  siechen  vil  gesunt. 

und     Himmelfahrt    in 
Haupt- 


vil  siechen  machte  sie  gesunt. 

Ubereinstimmuno:    zwischen    der    Erlösung: 
ganzen  Versen   habe   ich    Erlösung   S.  XXIII   hervorgehoben, 
sächlich  sind  es  zwei  Stellen: 

H  i  m  m  e  1  f  a  h  r  t.  Erlösung. 

343.  Johan,  der  da  stet,  si  dm  sun :      4538.  sich,  müter  mm,  daz  ist  din  sun, 

er  sol  dir  sunelichen  tan.  der  sol  dir  trüwelichen  tan. 

460.  ein  berc  heizet   Olivet,  4452.  an  den  berc  zu   Olivet, 

da  vil  oleboume  stet.  da  vil  der  oleboume  stet. 

Außerdem  habe  ich  ano-eführt  die  Stelle  über  Johannes  Jimo;- 
fräulichkeit  (Himmelf.  435 — 37.  Erlös.  3810);  dazu  ist  die  ähnliche  aus 
Elisabeth  (365)  über  Johannes  den  Evangelisten  zu  vergleichen.  Ferner 
vergleiche  man  die  Anrede ,  die  Jesus  an  Maria  richtet  (Himmelf. 
1526 — 32),  mit  der  gleichen  in  der  Erlösung  5678  ff.  Und  noch  eine 
Stelle: 
1209.  daz  ir  singen  und  ir  schal       4378.  der  lobesanc  al  umbe  erschal, 

in  die  stat  her  nider  hol.  hoch  er  in  die  ivolken  hol; 

vgl.  Elis.  469  daz  man  den  minneclichen  schal  hört  in  der  zellen  über  al. 
Auch  zwischen  der  Himmelf.  und  Elis.  lassen  sich  noch  einige  überein- 
stimmende Stellen  nachweisen;  außer  den  schon  erwähnten  vgl. 

Himmelfahrt.  Elisabeth. 

1183.  und  also  sdze  was  der  smac,       480.  ein  also  wunneclicher  smac, 
daz  nieman  daz  volenden  mac  daz  nieman  vollesagen  mac. 


32  KARL  BARTSCH 

1520.  sd  lieliter  schin,  so  süzer  smac,     470.  der  engele  wunnecliche schar,.  . . 

da  nieman  von  gesprechen  mac.  di  dirre  zarten  scle 

223.  und  wie  die  engele  nämen  engegen  alle  qudmen 

im  reinen  Itchamen  und  ouch  di  lobe«awen 

und  fürten  in  vil  schone  fürten  wunnecliche 

gegen  dem  hohen  tröne,  hin  üf  zu  himelriche 

da  got  in  siner  majestät  für  godes  ougen  schone, 

die  süze  magt  gekrönet  hat.  die  ewecliche  cröne.  .zu  dragene. 

Unter  den  übereinstimmenden  Versen  der  Elisabeth  und  Erlösung 
habe  ich  mehrere  erwähnt,  die  als  subjective  Bemerkungen  des  Dichters 
an  seine  Zuhörer  gerichtet  sind,  Anrede  an  dieselben,  Beziehung  auf 
die  Quelle,  auf  die  Behandlung  des  Stoffes.  Solche  Ausdrücke  kehren 
zwar  ähnlich  bei  anderen  Dichtern  auch  wieder  (vgl.  über  Karlmeinet 
S.  366);  aber  sie  werden  hier  bei  so  vielfacher  Einstimmung  als  Zeichen 
näherer  Verwandtschaft  gelten  dürfen.  Die  Erlösung  betreffend  vgl. 
die  Anm.  zu  4398.  5328.  6568.  Beide  Dichter  reden  ihre  Zuhörer  an 
mit  „ihr  Lieben"  (Erlös.  6469.  6593),  wie  Jesus  selbst  thut  (ouch  wiz- 
zent,  lieben,  sunderbar  Erlös.  4072,  in  der  Bergpredigt) ;  woraus  ich  mit 
Recht  (Erlösung  S.  HL)  auf  geistlichen  Stand  des  Dichters  geschlossen. 
daz  wizzet,  liehen,  uberlüt  Elis.  380.  ei,  lieben  alle,  saget  an  402.  des 
pnlbet,  lieben,  so  gereit  418;  vgl.  das  ähnliche  ei  stiegen  lüde,  nemet  icar 
364.  Beide  wenden  sich  überhaupt  häufig  an  die  Hörer:  ei  höret  was 
di  nü  began  Elis.  420.  verneinet  ivaz  nu  me  geschach  425.  vernemet 
wunderliche  dinc  462.  nu,  hört  ein  lutzel  me  hie  von  464.  verneinet  ouch 
waz  ich  ach  sage  474.  oder  als  üch  ist  geseit  346.  alse  üch  wilent  ist 
behaut  354.  als  ich  der  rede  ouch  (üch?)  e  verjach  425  (vgl-  jedoch  488). 
als  üch  di  stat  ist  e  genant  425.  als  üch  ist  gesaget  e  454.  von  den  üch 
e  gesaget  ist  487.  ich  sage  üch  ander  mere  451.  ich  sage  üch  ander  rede 
me  474.  als  ir  dicke  höret  lesen  457.  als  ich  üch  bescheiden  478.  Ebenso 
begegnet  bei  beiden  das  Streben  sich  kurz  zu  fassen  (zur  Erlös.  5328) : 
waz  sulde  langer  rede  me?  Elis.  346  (vgl.  S.  28  f.).  der  rede  wil  ich  nü 
gedagen  354.  daz  ich  des  ende  mache  387.  der  rede  ich  me  geswige  393  ; 
und  besonders  488  doch  wil  ich  üf  ein  stlec  heil  kurliche  (kurzliche?) 
raren  hie  ein  de'd  und  in  gemeinde  setzen,  daz  uns  iht  möge  letzen  kein 
alzu  lange  wtle,  des  ich  de  baz  nu  ile.     Vgl.  auch  Himmelf.  428-  495. 

Die  Beziehungen  auf  Quellen  sind  meist  dieselben,  namentlich 
die  Bibel,  die  bei  der  Erlösung  ja  die  Grundlage  bildet.  Die  Elisabeth 
bezieht  sich  auf  das  Evangelium  (in  deme  ewangeliö,  da  er  gesprochen 
hat  also,  alse  ir  dicke  höret  lesen  457),  auf  die. $  (sam  in  der  e  geschriben 
stet  357,     Beziehung   auf  Bileam),    auf   die    Schrift    (wi   in   der   schrift 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  33 

geschriben  stet  457),  auf  Davids  Psalter  (hie  von  der  konic  Davit  in  deme 
salter    also   quit    „cum  sancto  sancius  eris,  cum  (fehlt  Darmst.  Hs.)  per- 
verso  perverteris   (D.  eruerteris)"  344);    sie    erwähnt    den    Heidenrichter 
Balaam  (d.  h.  Bileam,  Elis.  353,  vgl.  Elis.  1302.  3009);  den  Evangelisten 
Johannes  (365)  und  Absalon  (glich  kern  Absolöne,    den   sin  frechez  här 
gevienc,    daz   er  an  eime  aste  hienc  und  also  begab  sin  leben  459).     All- 
gemeinere Beziehungen  (vgl.  zur  Erlös.  4398)   sind:    als  ich  iz  las  385. 
als  ich  hdn  gelesen  478.    ouch  saget   man   uns  ofenbdr  363.    als  ich  hdn 
vernomen  379.    alse  man  uns  jach  476.     Den  Stoff   der  Elisabeth  nahm 
der  Dichter  hauptsächlich   wohl    aus    mündlicher  Überlieferung,    da   er 
der  Zeit  der  Heiligen  noch  ziemlich  nahe  stand  (ouch  saget  man  uns  303), 
doch  benutzte  er  daneben  schriftliche    Aufzeichnungen    (als  ich   iz    las, 
mit  Bezug  auf  den  Landgrafen  Ludwig,  385;    als  ich  hdn  gelesen,  von 
einem  Wunder,  das  nach  dem  Tode  der  Heiligen  geschah,  478).     Der 
Dichter  zeigt  sich  als  gelehrten  Mann  (vgl.  Erlösung  S.  H)  durch  Ein- 
flechtung  lateinischer  Bibelstellen  (344)  und  durch  Gebrauch  von  Wor- 
ten, die  direct  aus  dem  Lateinischen  entnommen  sind  (meditieren,  spe- 
culieren,  contemplieren,  jubilieren,  vgl.  S.  422.  465.  466.  470 ;  auch  Jcorper 
gehört  hierher,  s.  oben  S.  21).     Hierher  ist  auch  zu   ziehen  die  in  der 
Erlösung  öfter  vorkommende,    dem    Lateinischen    nachgebildete  Wort- 
stellung,  Anm.  zu   5327    (vgl.  noch    zu  1901.  5949;   Einleitung  S.  H). 
Solche  Belege  gewährt  auch  die  Elisabeth :  meist  geht  die  steife  Wort- 
stellung aus  dem  Bestreben   hervor,  die  Verse  möglichst  glatt  machen 
zu  wollen,     daz  ir  langen  arebeit  sie  hatten  wol  behalden  358  (vgl.  Erlös. 
2301).  di  vrouwe  na  Sophie  zu  hirchen  wolte  heren  300.  die  bischove  aber 
ndmen  den  fronen  Wchamen  drostliche  unser s  herren  408.    daz  vrouwe  nü 
Sophie,  di  edele  und  die  vrie,  sulte  sich  vereinen  411.  al  da  zu  hove  weren 
des  fursten  eteswanne  besunder  dienestmanne  414.  daz  sie  di  wider  plachete, 
mit  ander  leie  dachete  düchen  wi  sie  hmde  449-  daz  man  den  heren  (Hs. 
herren)  unbestat  corper  ober  erden  liez  473. 

Die  Vertrautheit  des  Dichters  mit  der  weltlichen  höfischen  Poesie 
geht  aus  der  Erlösung  (89  ff.)  hervor:  wie  er  die  Stoffe  derselben 
kennt  und  nennt,  so  auch  in  der  Elisabeth  die  hauptsächlichsten  welt- 
lichen Dichter,  S.  349 : 

her   Wolferam  von  Eschebach, 

der  tugenthafte  Schriber, 

her  Reimdr  und  her   Walther 

von  der   Vogelweide. 

da  bi  was  ouch  gereide 

zu  sänge  meister  Bitterolt 

GERMANIA  VII.  3 


34  KARL  BARTSCH 

und  in  gefüger  ungedolt 
Heinrich  von   Oflerdingen. 

Daß  er  Gottfried  nachahmt,  habe  ich  im  Verlaufe  der  Unter- 
suchung mehrmals  bemerkt  und  Erlösung  S.  V —  VI  durch  Belege 
gezeigt:  dasselbe  an  der  Himmelfahrt  (Erlösung  S.  XXIII).  Auch  in 
der  Elisabeth  spielt  der  Dichter  nach  Gottfrieds  Art  mit  den  Worten, 
indem  er  sie  tändelnd  wiederholt  und  umkehrt: 

mit  einvalter  tc7sheit, 
mit  wlser  einvaltekeit. 

Über  die  Trennung  des  Adjectivums  von  seinem  Substantivum 
durch  den  Reim  habe  ich  zur  Erlös.  624  gehandelt:  auch  hiervon  bietet 
die  Elisabeth  Belege,  daz  eine  ist,  druweliche  zw  ein  \  brüdem  hellen 
wol  in  ein  391.  di  stiege  und  di  reine  volgete  aber  eine  |  dagevart  ir 
herren  nach  402.  der  lobebere  |  Gregorius  der  nünde  455.  dem  also  lobe- 
samen  \  furslen  ummer.  amen  477.  Auch  die  Himmelfahrt  kennt  diese 
Trennung:  der  vil  ungehure  |  hellewolf  190;  vgl.  Erlös.  624  der  gar  un- 
gehure \  vient;  und  ähnlich  unde  sagen  furbaz  wie  \  lange  die  magt 
Prbcre  496. 

Bei  aller  Übereinstimmung,  die  sich  zwischen  Marien  Himmelfahrt 
einerseits,  zwischen  der  Erlösung  und  Elisabeth  anderseits  zeigt, 
werden  wir  doch  eine  merkliche  Verschiedenheit  des  erstgenannten 
Gedichtes  in  der  ganzen  Art  und  Weise,  im  Ausdruck,  im  Wort- 
vorrath,  selbst  im  Versbau  nicht  verkennen.  Daher  es  noch  immer 
zweifelhaft  bleiben  muß,  ob  die  Himmelfahrt  von  dem  Dichter  der 
beiden  anderen  Dichtungen  herrührt,  da  zwischen  diesen  eine  ungleich 
größere  Ähnlichkeit  waltet.  Somit  trage  ich  Bedenken,  die  vor  der 
Vergleichung  der  Elisabeth  ausgesprochene  Behauptung  (Erlös.  S.  XXIV), 
„der  Dichter  der  Erlösung  habe  auch  Marien  Himmelfahrt,  aber  in 
einer  späteren  Zeit,  gedichtet,"  zu  wiederholen.  Vielmehr  glaube  ich, 
daß  der  Dichter  der  Himmelfahrt  sich  am  Dichter  der  Erlösung  und 
Elisabeth  gebildet  und  aus  ihm  (so  wie  aus  Gottfried)  manches  entlehnt 
hat :  immerhin  kann  dann  die  von  mir  hervorgehobene  Beziehung  (Him- 
melf. 398  —  403,  Erlös.  S.  XXIII)  die  Erlösung  meinen.  Die  Heimat 
der  Himmelfahrt  wird  wohl  auch  Hessen  sein,  worauf  die  jetzige  Heimat 
der  einzigen  Handschrift  (Gießen),  mehr  noch  die,  Sprache  derselben 
und  mehr  als  beides  die  Sprache  des  Gedichtes  selbst  führen:  Ober- 
rheinisches (wie  ich  S.  XXII  wegen  hüde:  nüde  vermuthete)  ist  nach 
der  S.  1  gegebenen  Berichtigung  nicht  darinnen.  Da  nun  die  Hand- 
schrift der  Himmelfahrt  noch  dem  13.  Jahrhundert  angehört  (also  wohl 
gleichzeitig  mit  dem  Dichter  fällt),  so  muß  der  Dichter  der  Erlösung 


DER  DICHTER  DER  ERLOSUNG.  35 

und  Elisabeth  wenigstens  bald  nach  der  Mitte  des  genannten  Jahr- 
hunderts fallen,  und  die  früher  von  mir  gegebene  Zeitbestimmung  (Er- 
lösung S.  VII)  wird  sich  auch  jetzt  nicht  wesentlich  ändern.  Welches 
von  beiden  Gedichten  das  frühere  ist,  lässt  sich  nicht  bestimmt  sagen. 
Die  oben  angeführte  übereinstimmende  Stelle  (Elis.  459.  Erlös.  4782.83) 
macht  nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  Erlösung  älter  ist  und  daß  hier, 
bei  Anführung  einer  biblischen  Stelle,  der  Dichter  in  der  Elisabeth 
auf  sein  früheres  biblisches  Gedicht  Bezug  nahm.  Zu  dieser  Annahme 
stimmt  die  größere  Gewandtheit,  die  der  Dichter  in  der  Elisabeth  ver- 
räth.  Nehmen  wir  an,  er  habe  von  1250 — 1275  gedichtet,  so  ist  auch 
denkbar,  daß  er  mit  Konrad  von  Würzburg  gleichzeitig  ist  und  von 
diesem,  der  1287  starb,  manches  schon  entlehnen  konnte.  Die  Zeit- 
bestimmung „um  1300"  (Gödekes  Grundriss  S.  73)  macht  die  Elisabeth 
entschieden  zu  jung. 

Für  die  hessische  Heimat  des  Dichters ,  auf  die  alle  Umstände 
hinweisen,  lässt  sich  noch  ein  äußerer  Grund  geltend  machen.  Es  wurde 
nämlich  die  Erlösung  zu  einem  leider  nur  bruchstückweise  bekannten 
„ Schauspiel  von  der  Geburt  Christi"  benutzt,  welches  Jo.  Conr.  Die- 
terich, Professor  in  Marburg,  in  seinem  Specim.  antiquitatum  biblicarum 
(Marpurgi  Cattarum  1642.  4°.)  p.  122  erwähnt.  Gödeke  verweist  auf 
eine  mir  nicht  zugängliche  Schrift  von  Fr.  v.  Stade:  Specimen  lectt. 
antiquarum  francicarum,  Stade  1708.  4°.  p.  34,  wo  aber  auch  nicht  mehr 
mitsretheilt  scheint,  als  was  v.  d.Haofen  im  neuen  Jahrbuch  der  berlinischen 

O  7  O 

Gesellschaft  7,  349 — 350  aus  Dieterich  wiederholt.  Das  erwähnte  Schau- 
spiel, in  welchem  Augustinus  den  Virgil  auffordert  zu  verkünden,  was 
er  von  Christo  wisse,  schreibt  die  Erlösung  wörtlich  aus:  die  Verse 
des  Bruchstückes  1  —  6  entsprechen  Erlös.  1894  —  99;  Brachst.  11  —58 
sind  Erlös.  1902  —  73,  jedoch  mit  mancherlei  Auslassungen,  es  fehlen 
Erlös.  1966  — 67,  1918  —  23,  1926—27,  1934-45,  1958-59;  die  Verse 
1946  —  51  sind  versetzt  und  folgen  nach  1957.  Die  dem  Schauspiele 
zu  Grunde  liegende  Hs.  der  Erlösung  kann  weder  die  Prager,  noch 
die  Nürnberger  sein,  noch  viel  weniger  die  Trierer,  sie  war  eine  sehr 
vorzügliche,  sorgfältiger  als  alle  vorhandenen,  und  gehörte  ohne  Zweifel 
noch  dem  13.  Jahrhundert  an,  denn  das  Weihnachtsspiel  selbst  fällt 
spätestens  in  den  Anfing  des  vierzehnten.  Auch  sie  weist  uns  auf 
Hessen,  speciell  auf  Marburg,  und  ich  bin  nicht  abgeneigt,  in  ihr  die 
Originalhandschrift  zu  erblicken  und  nach  allen  Anzeichen  den  Dichter 
der  Erlösung  und  Elisabeth  für  einen  Marburger  zu  erklären.  Für  die 
Zeitbestimmung  der  Erlösung  gewinnen  wir  durch  diese  Benutzung 
einen   neuen    Anhaltspunkt,    der    meine   frühere    Annahme    (Mitte   des 

3* 


36  KARL  BARTSCH 

13.  Jahrhunderts)  wahrscheinlich  macht.  Für  den  Text  der  Erlösung 
ist  das  Bruchstück  nicht  unergiebig,  meist  hilft  es  die  Lesarten  der 
besseren  Prager  Handschrift  bestätigen;  vgl.  1903.  1912.  1947.  1952. 
1957.  1965.  An  anderen  Stellen  aber  stimmt  es  mit  der  Nürnberger 
gegen  die  Prager,  vgl.  1917;  und  an  mehreren  gewährt  es  gegen  NP 
das  richtige,  so  1924.25: 

frides  volle  xcirdic  dan. 
der  herre  wirt  ein  wiser  man, 
welche  Zeilen  in  N  umgestellt,  in  P  verderbt  sind.  —  1930  gar  nach 
gotücheme  side ,  NP  nach  gar.  —  1950.51:  die  von  mir  vermuthete 
Umstellung  der  Reimworte  in  N  (womit,  wenn  man  Keiles  Angabe 
trauen  darf,  auch  P  stimmen  würde)  bestätigt  das  Bruchstück. —  1951 
sie  für  sich,  wie  NP  lesen.  Die  Übereinstimmung  mit  N  einerseits, 
mit  P  anderseits  macht  es  wahrscheinlich,  daß  das  Bruchstück  die 
Originalhandschrift  darstellt,  aus  der  N  und  P,  unabhängig  von  einan- 
der, wenn  auch  nicht  unmittelbar  flössen. 

Aber  nicht  nur  für  den  Text  der  Erlösung,  sondern  mehr  noch 
für  die  Geschichte  des  deutschen  Schauspieles  hat  das  Bruchstück 
Wichtigkeit,  indem  es  einen  bis  jetzt  einzigen  Beleg  gibt,  daß  man 
ein  geistliches  Gedicht  in  Reimpaaren  zu  einem  geistlichen  Schauspiel 
umgestaltete.  Wie  einfach  die  Umgestaltung  geschah,  können  wir  aus 
dieser  Probe  schon  sehen :  es  hat  der  Bearbeiter  den  Text  der  Erlösung, 
so  weit  er  nicht  erzählend  war  (und  zum  Theil  ist  sogar  die  Erzählung 
oder  der  redende  Dichter  benutzt,  wie  1894  ff.),  wörtlich  aufgenommen, 
allerdings  einige  Stellen  weggelassen,  eigenes  aber,  mit  Ausnahme  von 
7 — 10,  die  die  Aufforderung  des  vom  Bearbeiter  eingeführten  Augustin 
an  Virgil  enthalten,  gar  nicht  dazugethan.  Daß  auch  die  vorhergehende 
Weissagung  der  Sibylla  (Erlös.  1760  — 1837)  von  dem  Verfasser  des 
Schauspiels  benutzt  wurde,  sehen  wir  aus  Dieterichs  Erwähnung :  eodem 
modo  idem  autor  Sibyllas  tanquam  prophetissas  de  Christo  servatore 
mundi  introducit  venusto  carmine  (Hagen  7,  350) ,  und  ebenso  wahr- 
scheinlich auch  die  übrigen  Propheten  (Erlös.  1164  ff.).  Von  ähnlicher 
Anlage  ist  das  bei  Mone,  altdeutsche  Schauspiele  S.  145— 164,  ge- 
druckte Fronleichnamsspiel :  nur  mochte  sich  in  dem  bruchstückartig 
erhaltenen  die  Geburt  Christi,  vielleicht  auch  die  Leidensgeschichte, 
anschließen.  Das  von  mir  im  Auszuge  mitgetheilte  Schauspiel  (German. 
3,  267  —  297)  beginnt  sogar  mit  der  Geschichte  des  alten  Testaments, 
behandelt  die  messianischen  Weissagungen  (German.  3,  270)  und  geht 
dann  noch  durch  das  ganze  neue  Testament  bis  zur  Auferstehung 
Christi. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  37 

Die  handschriftlichen  Hilfsmittel  für  die  Erlösung  lassen  sich 
noch  weiter  vermehren.  Ich  bedauere  bei  meiner  Ausgabe  vor  allen 
nicht  die  Prager  Handschrift,  die  leider  auch  nur  Bruchstück  ist,  ge- 
kannt zu  haben.  Ihre  Lesarten  hat  Kelle  in  der  Germania,  3,465 — 480 
mitgetheilt  und  bei  dieser  Gelegenheit  die  Vermuthung  ausgesprochen, 
„aller  Wahrscheinlichkeit  nach"  sei  die  Nürnberger  Handschrift  eine 
Copie  der  Prager;  ja  er  hält  es  sogar  für  nicht  unmöglich,  daß  letztere 
die  Stammhandschrift  sei ,  das  Gedicht  also  vor  dem  Anfange  des 
14.  Jahrhunderts  nicht  verfasst  sein  könne.  Daß  weder  die  eine  noch 
die  andere  Vermuthung  gegründet  ist,  zeigen  zahlreiche  Stellen,  an 
denen  P  entweder  Fehler  oder  Lücken  hat,  die  N  vermeidet.  So  fehlt 
1238  in  P  das  nothwendige  was;  1456  reimt  P  geschiM:  geschrift,  mit 
einer  in  der  Erlösung  wie  in  der  Elisabeth  unerhörten  Freiheit;  das 
richtige  ist  das  von  Bech  vermuthete  gesiht.  1504  für  JliV,,  das  das 
lateinische  gurgites  verdeutscht,  liest  P  Mut;  N  hat  das  richtige,  was, 
wenn  P  Vorlage  oder  gar  Originalhs.  wäre,  nicht  sein  könnte,  nament- 
lich wenn  man  den  Schreiber  von  N  für  so  gedankenlos  hält  wie  Kelle 
thut.  1592  die  er  erhante  sine  frunt,  quos  cognovit  amicos  suos  (auch 
diese  Stelle  gehört  zu  denen,  wo  der  Dichter  lateinische  Ausdrucks- 
weise nachbildet,  vgl.  oben  S.  33)  ;  in  N  richtig,  P  hat  sante  für  erhante, 
was  sinnlos  ist.  1661  und  glich  swer  silber  füret;  P  liest  unsinnig  ubir 
für  siver,  aber  durch  Verlesen  leicht  erklärbar.  1678.  79  fehlen  in  P, 
während  sie  doch  den  Schluß  der  Bibelstelle  bilden,  also  nicht  fehlen 
dürfeii.  1783  der  (der  Hölle)  porten  sol  er  v eilen:  in  P  propheten  für 
porten;  im  lateinischen  Texte  inquirens  tetri  portas  infringere  averni. 
1799  ein  grülich  büsnnenschal :  P  hat  trulich,  offenbarer  Schreibfehler 
1811  entstellt  P  das  richtige  vleisch,  wofür  N  Übe  hat,  in  vluch;  lat. 
carni.  1926 — 27  fehlen  in  P,  nicht  in  N:  sie  übersetzen  ecl.  4,  22; 
ebenso  fehlen  1938.  39,  die  ecl.  4,  23  ausdrücken.  Doch  genug  der  Be- 
lege. Kelle  wird  hoffentlich  die  unbedachtsam  ausgesprochene  Behaup- 
tung fallen  lassen. 

Auf  eine  vierte  Handschrift  der  Erlösung  habe  ich  schon  oben 
(S.  35)  hingedeutet :  sie  befindet  sich  in  der  Stadtbibliothek  zu  Trier 
und  ist  von  Hoffmann  in  den  altdeutschen  Blättern  1,  325  erwähnt 
(Pap.  15.  Jahrhundert).  Die  Erlösung  führt  hier  die  Überschrift  Hye 
hebet  an  eyn  histonjge  tvye  got  die  icerlt  machet.  Die  wenigen  Stellen, 
die  daraus  von  Hoffmann  mitgetheilt  sind,  V.  59  —  65,  81  —  104,  lassen 
nicht  erkennen,  ob  die  Handschrift  das  Gedicht  vollständig  enthält  (es 
nimmt  in  derselben  31  Blätter  ein):  sie  zeigen  aber,  daß  eine  Ver- 
gleichung  für  den  Text  sehr  wenig  ergiebig  sein  würde.  Nicht  nur  sind 


38  KARL  BARTSCH 

die  Verse  schauderhaft  entstellt,  die  metrische  Form  zerstört,  sondern 
auch  häufig  ein  oder  mehrere  Zeilen  ausgelassen.  Höchstens  könnte  es 
von  Interesse  sein,  die  auch  durch  P  nicht  ausgefüllte  Lücke  (ein  Blatt 
in  N)  nach  2565  zu  ergänzen  ,  wenn  man  auch  wird  darauf  verzichten 
müssen,  sie  nach  der  Trierer  IIs.  einigermaßen  lesbar  zu  geben. 

Ich  lasse  zum  Schlüsse  Verbesserungen  zur  Erlösung  folgen,  mit 
Benutzung  der  ■wohldurchdachten  „sprachlichen  Erläuterungen"  etc.  von 
F.  Bech  (Germania  33  328 —  337)  und  der  Lesarten  von  P  (Germ.  3, 
471 — 480).  Die  nun  gewonnene  Erkenntniss  des  Versbaues  leitet  an 
vielen  Stellen  zunächst  auf  Erkenntniss  von  Fehlern  und  hilft  meist 
auch  bessern.  Die  in  den  Anmerkungen  schon  gemachten  Vorschläge, 
so  wie  die  in  vorliegender  Untersuchung  gebesserten  Stellen  über- 
gehe ich. 

19  phundes  Bech.  56  gevruht  Bech  :  über  die  Kürzung  (=  gevruhtet) 
vgl.  Anm.  zu  5051.  58  daz  üz  eim  eie  wirt  ein  hun.  80  wil  düten. 
87  vieren  nach  der  Trier  IIs.  90  iedoch  oder  doch  den  stnen.  101  die 
rede  ist  ernestlich  gevar.  106  werelt,  vgl.  Anm.  zu  1435;  und  ebenso  ist 
zu  schreiben  119.  1163.  1378.  1485.  1777.  1800.  1902. 1964.  1967  u.  s.  w. 
108  gotellchen  und  so  immer  gotelich  für  gotlich,  vgl.  113.  155.  174.739. 
1398.1399.1724.1961  etc.;  ebenso  boteschaft  für  botschaß  2434  u.  s.  w. 
goteheit  für  gotheit  700.  731.  779.  811.  836.  1038.  1403.1589.  131  ime, 
und  ebenso  für  im  2052.  2158.  2458.  2867.  4216.  4450.  4846.  6009. 
148  unde.  150  hine,  und  so  noch  273.  2869.  6552.  154  gute  war.  165  gar 
lobesam.  216  ewicUchez.  256  schemeüche.  282  da  wohl  zu  streichen. 
291  zegelich.  331  wunder:  ander;  der  Reim  war  gleitend,  demnach 
wanderen :  anderen,  und  die  zweite  Zeile  ist  fehlerhaft.  Wenn  man  klin- 
genden Vers  mit  überzähliger  Silbe  gestattet,  so  wäre  erlaubt  sus  schule 
iclichz  ab  dem  anderen.  393  der  tron  der  was  gemachet  ivol.  429  samen 
schin  Bech.  436  seclun  Bech.  459.460  finster  (==  fensler)  :  dinster  Bech. 
463  vinsternisse ,  ebenso  1300.2295.  507  um  den  zweisilbigen  Auftakt 
zu  entfernen,  etwa  die  herren  se  alle  gliche.  521  Barmeherziheit ,  und 
so  auch  537.  549.  553.  585.659.  715.  853.873.  1030. 1057. 1067. 1404.  2809; 
und  barmeherzic  529.4113.  556  gedenke  ouch,  vgl.  588.  638.  567  icorie 
als  Norm  Plur.  wie  wtbe ,  kinde  in  der  Elis.,  vgl.  oben  S.  7.  618  und 
da  die  rede  verneme.  651  sollent ,  und  ebenso  1257.  1319.  2418.  3065. 
695  harte  für  gar.  705  alle.  766  barmelic/te ,  vgl.  S61.  809  der  da 
kunftic  was.  881  nimmer  mer.  892  ein  die  ist  zu  streichen.  916  laste. 
926  wider  zu  streichen.  958  geboren,  und  ebenso  1222.  1741.  1845.  1899. 
1989.2012.  2039.  2241 .  2244.  2262  u.  s.  w.  1055,  56  wie  der  mensche  sterben 
must   und  so  gar  verderben.     1073  wan.     1093  sie  sungen   algeliche    sus, 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  39 

vgl.  1131.  1105  vogt:  verzogt  Becli.  1143  etwanne.  1157 — 62  der 
sechsfache  Reim  ist  zu  verwerfen;  zwei  Zeilen  (1159.  1161)  ganz  zu 
streichen  und  1160.1162  reimen  zu  predegen  und  zu  sagene  und  gotes 
wort  zu  tragene.  1200  irkante  P.  1206  sus  drUich  ime  got  erschein  P. 
1214  sohlen  P.  1234  inkeinen  P.  1243  heimelicher  P.  1248  genomen 
wirt  der  Juden  e.  1250  ein  leider  P.  1254  des  da  beident  P.  1271  dienest. 
1277  Pharaons.  1278  seht;  gote:  geböte  klingend.  1290  joch  virhort  als 
iz  gezimt  P.  1291  irit  P.  1295  des  behaut  P.  1301  beguamP.  1326  ztte, 
1329  hatte  ouch  vor  hin  lange  P.  1355  —  58  der  Besserungsversuch 
Bechs,  plüme  für  lüme,  ist,  da  P  wollen  für  wölken  bietet,  nicht  statt- 
haft: P  liest  für  1355.56  wunnecliche  dirre  herre  kumit,  also  sanfte  er 
sich  niht  sümit ,  was  nicht  richtig  sein  kann ,  da  diese  Verse  mit  vier 
Hebungen  und  überzähliger  Silbe  gelesen  werden  müssten;  auch  schließt 
sich  dann  1357  nicht  an,  wo  wenigstens  ein  sam  vor  regen  stehen 
müsste.  Ich  bleibe  daher  bei  lüme  von  N:  nu  schouwet  wie  gar  wonnec- 
lich  der  herre  kume,  als  sanfte  joch  als  lume  regen  in  wollen  slüfet  und 
druf  (N  drauf  =  mhd.  trouf  druf  —  truf  im  Passional)  üf  erden  träfet. 
1361  vur  dem  mCinen  P.  1368  im  ouch  P.  1344  gar]  vil  P.  1384  ge- 
segent  P.  1406  vorte  (=vorhte)  P.  1415  vor  in  in  dirre  P.  1417  kunnent  P. 
1421  dhi  zeichin  und  diu  tv.  P.  1431  icie  got  sich  wolde  geben  P ;  geben: 
leben  klingend.  1432  menschliche  P.  1440  die  tilge  mit  P.  1451  der 
heilege  kumit  P.  1456  gesiht  Bech.  1458  doch  tilge  mit  P.  1463  und 
sal  niht  lange  sumen  sich  P,  oder  lezzit  mit  Bech.  1466  gegebin  P. 
1482  ander]  alre  P;  omnes  gentes  Vulg.  1488  fi".  gein  dem  solt  ir  sin 
gereit,  cren  unde  wirdikeit  der  tempel  sol  ervullet  sin.  1498  in  Judeen 
laut  P.  1499  die  minste  (minima)  P,  ebenso  daher  auch  3289.  1502  vil 
rehte  hart  P.  1526  heiler  :  kumit  er)  P.  1540  inne  P.  1564  dine  flut  P. 
1574  mich  P,  wie  schon  Bech  vermuthete.  1578  was  also  P.  1579  abir 
do  P.  1582  in  denen  t.  P.  1607  sollen.  1629  sicä.  1630  man]  U  P. 
1641  gotheit  wol  gezam  P.  1678  enslage  Bech.  1689  der  ivtssage  ouch 
geschriben  hat  P.  1694  invortet  ach  (ach  fehlt  P)  niht,  sit  gemeit  P. 
1698  ubir  üch  gesehen  P.  1719.  20  biz  ich  daz  wevel  und  daz  warf  unz 
aldd  hin  hart  getragen  P.  1721  alhie  nü  P.  1730  hat  P.  1751  wer  in 
daz  niht  P.  1752  tilge  ouch.  1755  hat  unsir  got  verzigen  P.  1758  wort  P. 
1759  wundir  vort  P.  1765  heimelichen  P.  1772  ein  kuninc  P,  rex  im 
Latein.  1782  dann  tilge  mit  P.  1790  besser  erhöhet  xoerdent  alle  tal. 
1801    er    kündet    uns   den  jämertage:    uns   aus    P,    wo    aber    den    fehlt. 

1805  böse  und  reht  den  hoen  vot  (=vogt)  P,  von  Bech  schon  gebessert. 

1806  zusehen  heilic  Bech,  tuscher  heilich  P.  1813  sunder  ewic  Bech:  P 
bestätigt.  1822  erwegen]  ergeren  P:  das  echte  wird  sein  ergenen,  dehiscens. 


40  KARL  BARTSCH 

1832  Übende  P.  Die  zehn  Verse  in  P  nach  1837  sind  ohne  Zweifel 
echt:  sie  beziehen  sich  auf  das  im  lateinischen  Texte  liegende  Akro- 
stichon, das  aber  in  der  von  mir  nach  einer  Nürnberger  Hs.  gegebenen 
Gestalt  vielfach  zerstört  ist.  1839  hau  wir  noch  hie  vor  P.  1852  die 
flamme  P.  1852  die  rihte  vierzic  P.  1854  schächbanden  P,  von  Bech 
schon  gebessert.  1903  ist  für  sol  P  und  B  (das  Bruchstück  des  Schau- 
spiels). 1911  daz  B.  1936  Helen  aber  vert  P.  1944  er]  leint  P.  1947  kouf- 
schatz  P  und  B;  von  Bech  gebessert.  1951  sich]  sie  B.  1952  dot  P 
und  B.  1954  er  tilge  mit  den  Hss.  1957  kein  tilge  mit  P  und  B. 
1965  erbibet  P  und  B.  1968.69  begin:  sin.  1973  herre  für  her,  wie 
auch  die  Hs.  (B  here)  lesen.  2004  üf  ime  P;  vgl.  super  eum  Vulg. 
2024  etwa  er  sol  onch  g.  2031  Bechs  Vermuthungen  sind  unhaltbar; 
slagen,  was  ich  vermuthete,  bestätigt  P:  die  sioert  zu  sensen  alle  slagen. 
Vomeres  wäre  genau  plügisen,  nicht  sensen,  und  so  ist  wohl  das  echte 
die  sreert  zu  plügisen  slagen.  2033  sol  an  den  Anfang  der  nächsten 
Zeile  mit  P.  2045  die  wäre  minne  P.  2058  clagelit  P.  2064  wir  hän 
gesehen  in  zu  vrist;  zu  fehlt  in  N;  P  liest  in  gesehen.  2087  den  tilge 
mit  P.  2110  aldä  zustunt  P.  2113  sprichit  P.  2114  daz  ich  teil  wecken  P '. 
2122  gereht  ist  unser  herre  tcolP.  2125  wanhaft:  N  wdrhaft,  P  wonaft. 
2126  gar  getrüweliche  dan  P.  2147  demonstrasti  P.  2157  vestieliche. 
2181  der  (P  de)  sprach  P.  2182  gesiht  Bech.  2189  mite,  ebenso  2477. 
2216.17  ivaz  mac  ouch  sin  die  dore ,  beslozzen  vast  da  vore:  klingend. 
2222  daz  reine  P.  2284  zite.  2289  einzelingez.  2325  daz  wir  die  niht 
gar  schone  enphän.  2329  durch  daz  wart  die  frist  getan.  2361  sit  unser 
herre  doch  niht  e.  2363  danne.  2380  sehen.  2381  den  zu  streichen. 
2396  der  selbe  man  der  häte.  2397  einen.  2455  ungelouben.  2483  dines. 
2497  die  Bech.  2499  dine  gnade  oder  dm  genäde.  2522  blüwet  (=  blüejet) ; 
ebenso  2559  blüwest.  2524  gnade,  oder  ein  zu  streichen;  ebenso  2590. 
2526  me  wohl  zu  streichen.  2593  gebenediet.  2597  ane.  2598  gesprach, 
2601  komit  oder  komt  mir.  2613  üfe.  2632  komit.  2637  wncZ<?  sw  i?i7  mehtic 
kraft.  2652  geschehe.  2691  schrifte,  und  ebenso  2915.3030.3535.  3817. 
3943.  5119.  6018.  2704  swra.  2711  herre  zu  tilgen.  2751.  52  nein  ez  sol  in 
keine  tvis  genennet  werden  Z.  2768  besser  reden  geriet  er  schiere.  2773  und 
hat  ez  fri  gemäht:  2774  heil  hat  er  uns  üf,  nobis  Vulg.  2778  besser 
durch  der  höchpropheten  munt.  2796  gefrit  von  edler  vorhte  gar.  2803  sine 
spor.  2808  ir  zu  streichen.  2832  besser  und  da  geschehen  solde.  2843  waz 
sohle  nü  der  rede  me.  2866  daz  ez  ouch  an.  2902  Bech  will  kint  für 
kindelin:  glatter  wird  der  Vers  durch  frowe  oder  maget.  2912  sine. 
2914  als  der  herre.  2927  häte  oder  hine.  2930  vor  geseit.  2962  (Zeme: 
Bech  will  dem  kindelin.    2974  der  selben  zit.   2999  dehein.   3004  cfcrc  smen. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  41 

3005  weder  zu  streichen,  oder  noch  dafür.  3036  doch  zu  streichen. 
3038  hat  geprediget.  3096  ditze.  3121  nam  do  .wunder.  3178  dare. 
3180  vorgesihticl/chen.  3187  ir  komen  Bech.  3227  niht  verbrächen  Bcch. 
3237  kundiclich  Bech:  doch  liest  auch  P  wie  N.  3243  herre  P.  3247  solde  P. 
3248  ubir  alle  kuninge  rieh  P.  3259  habit  ir.  3262  die  rede  erkant  P. 
3263  oriant  P.  3264  wnd  zu  streichen.  3280  wirt  P.  3281  verrihtet. 
3292  fro^ef.  3300  hau  erslagen.  3303  besser  konige  rieh,  vgl.  3248. 
3309  tmd  zu  streichen;  ebenso  3391.  3317  beger.  3330  diz  zeichen 
eines  kuniges  ist.  3340  dem  selben  hase,  oder  deme  hüse.  3355  derne. 
3376  Aem  P.  3378  furesihtikeit  oder  furgesihiikeit.  3394  machte  he  P. 
3407  es  P.  so//;'.  3412  «Zudem  /an«  P.  3428  die  im  P.  3477  noch 
zum  vorigen  Satze.  3479  sin  leben  P.  3482  vogelen  P.  3490  kindes  P, 
wie  Bech  vermuthete.  3520  herre  got  (gegen  NP)  nn  les  (P  fes  z'r)  dw 
?m'c/*.  3527  in  zu  streichen.  3541  <7<?s  P.  3570  daz  P.  3595  iesä  Bech. 
3598  und  min  (1.  nitne)  man  P.  3599  mäze?i,  was  Bech  vermuthete, 
liest  auch  P:  doch  halte  ich  an  mästen  fest.  3603  hüten  P.  3608  her 
wider  P.  3609  sie  heten  iht.  3612  sie  betrugen  mich  P.  3622  vorderlicli] 
iveiz  got  P.  3627  hie  wa  hat  P  für  höre  in  N:  es  muß  ein  Ausruf 
sein;  entstellt  aus  eiä?  3628  setzen  hie  gein  uns.  3650  Sarracen  P. 
3651  det  itf  alsolih  leit  ersten  P.  3663  Rdmä  P.  3670  getrostit  P. 
3677  s^6'/«V  (==  siecher)  vor  seZie  P.  3697  gesendet  P.  3701  a7«  tilge 
mit  P.  3717  e  P.  3718  die  schrift  uns  offenbar.  3723  kindelin.  3734  m<2  P. 
3745  in  iciderstrtt  P.  3775  gesuchet.  3799  sz'c/i  Awp  £w  Cdna  in  Galile  P. 
3800  was  tilge.  3801  sme.  3807  einen.  3811  schrifte  hänt.  3819  s£ö 
mohtis  niet  P.  3835  vliezen  P.  3846  d«z  P.  3847  /i«2  wwszV  7*we  a7« 
getan  P.  3851  7«e7Z  cm  im.  3854  heilikeite.  3858  teer  eltlichen.  3868  e?e- 
keinen.  3872  m  dem  waWe  P.  3873  burnen.  3874  eine.  3880  a/  m5m> 
«7  P.  3886  ötmndekeit  P.  3898  dem  zu  tilgen  mit  P.  3900  alle  halten, 
vgl.  P.  3901  Diz  (Dise  P).  3904  besprachin  P.  3906  das  uns  sint 
komen  mere  P.  3913  machis  P.  3914  dow/e  P.  3919  kumit  P.  3920  vor  P. 
3925  smc  P.  3926  der  herre  P.  3933  in  alle  wls  P.  3942  reht  als  P. 
3945  d/e  rede  nider  P.  3958  a/j  dem  ich  min  (P  m^r)  bevallin  hdn  P. 
3969  ?ra?i  er  begienc  den  ungevüc  P.  3988.  89  sie  lerten  oach  die  jüngeren 
vasten  dursten  hungeren  P.  3994  iedoch]  also  P.  4011  dine.  4016  von 
des  brotes  (P  in  des  b.).  4017  xoan  ouch.  4036  eftne  P.  4037  ane  P. 
4063  smac  P.  4079  /«£  ?M'ß  sunde  üch  rüwen  P.  4135  gebenedtet;  ebenso 
4407.  4137  herre  hat  P.  4153  ei  frünt  P.  4166  unz  tilge  mit  P. 
4169  lov-hte  hin  P,  wie  Bech  schon  besserte.  4175  kuninc  her  P.  4181  sine. 
4193  sine.  4194  s?f  de/j  hiden  hin  von  gote  P.  4202  gesehen  P.  4206  die 
Vermuthung  Bechs,  halzen  für  hinken,  bestätigt  Elis.  479.  488.     4207  und 


42  KAEL  BAETSCB 

zu  streichen.  4254.55  gezien:  von  hinnen  vlien.  4273  ein  gerüfe  und 
Bech.  4319  igelicher.  4337  zm  </£ne.  4357  samjre  P.  Die  zwei  Verse 
in  P  nach  4363  sind  sicher  echt;  geriten:  Uten  klingend.  4395  komii. 
4402  kindir  P.  4443  zeinander  P.  4454  t/W  hin  P.  4470  a«  mir  irge  P. 
4479  a#e  rfar.  4483  ^?/e  P.  4508  rae  ach  unde  ice  P.  4527  ouch  hegan  P. 
4543  vom  P.  4545  besser  daz  er  got  verkonfte  .  sin  här  er  üz  geroufte. 
4557  er  nam  die  pfenninge  alle  sä,  vgl.  P.  4572  iedoch  tilge  mit  P. 
4573  wol  die  schrift  P.  4576  also  P.  4579  alle  gar.  4598  bovel  (P popil). 
4603  so  verspiet  P.  4608  do  tilge  mit  P.  4612  von  P.  4616  von  tilge 
mit  P.  4624  ubels  tilge  mit  P.  4625  so  wer  er  niet  gevangen  P. 
4632  er  nam  in  in  den  sal  hin  dan,  vgl.  P.  4639  sag  an  zweimal,  P. 
4647  gewelde  lutzil  P.  4648  wer  sie  dir  P.  4654  hin  vure  P.  4658  noch 
dtleine.  4663  einen  vf  den  östirdac  P.  4667  nein  luz  B.  P.  4689  vil  P. 
4690  unkennelich.  4691  willechch  P.  4708  ein  kuninckleit  P.  4711  dornen  P. 
4713  dar  vf  geknuttelieret  P.  4727  also  P.  4735  gewant  P,  vgl.  4918. 
4746  dekeine.  4758  gewalt  in  ir  gewer  P.  4770  muste  heben  (:  dreben)  P ; 
vgl.  meine  Bemerkung  unterm  Texte.  4772  zogtin  P.  4778  sine. 
4784  äo//»7.  4796  wraefo  scAar/  P.  4798  schdehman  P.  4819  jdmernot  P. 
4836  ««e  P.  4853  &«.  4892  dtf<ta  P.  4894  5&s  P.  4902  dine. 
4921  aWar  P.  4935  daz  irwan  (:man)  P.  4947.  48  gehören  zusammen: 
Bech.  4976  ewidlcher.  4981.  5000  bekomen  P.  5004  stürmen  P.  5051  von 
dm  sefon  P.  5067  min«.  5142.  43  von  den  seien  ubir  al  hup  sich  ein 
wunnecllcher  schal  P.  5168  in  alre  wls  det  alsus  P.  5241  bereidit  P. 
5253  deme.  5261  sie  do  gän.  5265  sie  üf  höher  baz:  P  vffohir.  5300  ndheV. 
5306  Jtsum,  herre,  von  N.  P.  5307  mm  dros£  mwi  Zeom  P.  5308  sin 
worden  iht  gewar.  5316  bevluz  P.  5318  geben  edlet  mustu  sin  P.  5327  waz 
du  häs  P.  5338  mlne  P.  5397  a/fe  gwte.  5423  gäbe  er.  5489  den 
ininen  geist.  5496  sm  bistum  ml  ein  ander  hat.  5518  alle  wereltere; 
oder  aZ  der  werelt  vre.  5526  cristenheite.  5564  cZr?e.  5588  ane  gende. 
5590  t'or  tüar  der  swn.  5618  encelet.  5639  antworte  niht  engap  er  mir. 
5650  z're?i  /rw«£  den  zooltes  haben.  5680  sunder  mal  Bech.  5681  kein 
vlec  enhdt  an  dir  niht  twäl:  twäl  nach  Bechs  Vorschlag;  verkürzt  wie 
schäl  (Anm.  zu  5451).  5719  zinemln.  5731  rouches  gertelin  Bech,  der 
aber  riiehes  schreibt.  5739  ist  für  in  ?  5774  koniginne.  5775  etwa  von 
der  ist  alhie  gesagt.  5786  vollekomen.  5810  werden  iht.  5825  vPhet. 
5839  unde  wirf.  5846  er  machet  ouch  daz  tempel.  5916  slehet.  5960  der 
vierde  halber.  5974  niht  zu  valle.  5978  weret.  5992  vierdehalp.  5997  c/a/m 
aoer  #&.  6000  sprichet.  6001  möz  icA  fr/n,  vgl.  6003.  6006  sollet. 
6040  r/arw.  6044  daz  er  sus  zubr.  Vit.  6094  envert.  6144. 6167  <?«- 
schihet.      6177    nie  manne.     6183    ^r/w/t    zu    streichen.      6234    drlzehende. 


DER  DICHTER  DER  ERLÖSUNG.  43 

6244  solich.  6245  liüwe.  6249  einem — glich.  6259  dort  gefur et.  6267  irürec- 
lichen.  6290  über  alle  menschen  diet.  6316  solle?i.  6319  schätze  liehen. 
(J322  unkihchere.  6340  ouc/*  fo'/^  hie.  6375  oi^c/t  zu  tilgen.  6397  so 
den  der  mensche.  6407  gnant  zu  tilgen;  wohl  auch  uch.  6428  da.2  ersig 
daz  ist.  6457  cZ«  sa^  du  rehte.  6498  sie/«  verrilde.  6489  m'Aä  enmulen. 
6493.  6519  wn<i  zu  streichen.  6496  dienesthaft  dem  röche.  6531  zornic- 
Uche.     6533  gonget.     6534  füwer.     6541   /<i'e  vor. 


EAPAKIUS. 


Diese  Aufschrift  fährt  das  lateinische  Gedicht,  nach  welchem  in 
den  Griinm'schen  Kinder-  und  Hausmärchen  das  Märchen  Nro.  146 
„die  Rübe"  mitgetheilt  ist,  in  der  in  Straßburg  vorhandenen  Papier- 
handschrift (Mss.  Johann.  C.  102).  Nach  der  Anmerkung  zu  diesem 
Märchen  (Band  3  der  Griinm'schen  KM.  3.  Aufl.  S.  229  ff.)  stammt  die 
Handschrift,  in  welcher  dieses  Gedicht  vorkommt,  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert. Die  Grimm  erwähnen  a.  a.  O. ,  daß  ebendasselbe  Gedicht 
in  Wien  in  einer  gleichzeitigen  Handschrift  enthalten  sei,  wie  ihnen 
aus  der  Recension  bei  Denis  bekannt  wurde.  Eine  genauere  Besich- 
tigung dieser  im  Besitz  der  k.  k.  Hofbibliothek  befindlichen  Hand- 
schritt  machte  es  unzweifelhaft,  daß  diese  spätestens  im  14.  Jahrhundert 
niedergeschrieben  worden  sei ,  wodurch  die  Bemerkung  der  Brüder 
Grimm,  daß  das  Gedicht  bereits  im  14.  Jahrb.  verfasst  worden  sein 
möge,  bestätigt  wurde.  Zugleich  ergab  die  Vergleichung  des  a.  a.  O. 
abgedruckten  Bruchstückes  mit  der  entsprechenden  Stelle  der  Wiener 
Handschrift  (Vers  323  —  369),  daß  die  Abweichungen  der  beiden  Ver- 
sionen bedeutend  genug  sind,  um  einen  vollständigen  Abdruck  dieses 
Gedichtes  gerechtfertigt  erscheinen  zu  lassen. 

Die  Handschrift  Nro.  1365  (Recens  3356,  Denis  II.  2.  p.  1271, 
cod.  DLXII) ,  aus  92  auf  Pergament  geschriebenen  Blättern  in  8°.  be- 
stehend, befand  sich  früher  im  Besitze  des  Benedictiner-Klosters  Monsee 
in  Ober-Osterreich,  von  welchem  sie  in  die  k.  k.  Hofbibliothek  gelangte. 
Sie  enthält  nebst  einigen  Abhandlungen  theologischen  und  medicinischen 
Inhalts  Ovidius,  de  remedio  amoris  und  Galfredus  de  Vinisauf,  Nova 
Poetria.  Auf  den  Blättern  78v.  col.  a  bis  80v.  col.  b  befindet  sich  das 
hier  mitgetheilte  Gedicht.  Es  trägt  keine  Überschrift  und  umfasst  430 
Zeilen  in  elegischem  Versmaße,  während  es  in  der  Straßburger  Hand- 
schrift nur  392    Zeilen   zählt.     Durch  ein  Versehen  des  Dichters  wird 


44  ADOLF  WOLF 

zweimal  die  Aufeinanderfolge  der  Distichen  gestört,  da  in  den  Versen 
71.72  zwei  Hexameter,  379.380  zwei  Pentameter  auf  einander  folgen, 
f.  78v.  col.  a.     Fama  fuisse  duos  testatur  frivola  fratres, 
Qu os  uni  mater  edidit  una  viro. 
Militie  tytulus  hos  insignaverat  ambos, 
Ex  quibus  unus  erat  dives  et  alter  inops. 
5  Militis  officium  habebat  cum  nomine  dives, 
Alter  egestatis  triste  ferebat  honus. 
Ne  tarnen  omnino  possit  mendicus  haberi 

Proh  dolor  insolitum  discere  cepit  opus; 
Mollius  ergo  solum  rastro,  modo  scindit  arastro, 
10       Nunc  radicosa  manu  rnra  ligone  serit, 

Et  patulis  subtilem  sulcis  commendat  avenam. 

Utpote  cui  parva  copia  farris  erat, 
Seminat  et  semen,  cujus  fit  rapula  fructus, 
De  quo  fructificat  immoderata  seges. 
15  Rapula  crevit  ei  reliquis  enormior  una, 
Quae  dici  pleno  nomine  rapa  potest, 
Tarn  dilatata  foliis  tarn  corpore  grandis, 

Ut  nemo  penitus  viderit  ante  parem. 
Ipsius  umbra  viris  duodenis  sufficiebat, 
20       Ne  sub  ea  solis  ureret  estus  eos. 

Tarn  fuit  enormis,  ut  carrum  sola  repleret, 

Vixque  boves  traherent  quatuor  illud  honus. 
Ast  pauper  viso  tarn  grandi  pondere  fructu 
Obstupet  et  secum  dicere  cepit  ita: 
25   „O  deus  omnipotens !  celi  terreque  creator, 

A  quo  conditus  est  primus  et  omnis  homo, 
Qui  celum  sole  luna  stellisque  venustas 

Et  qui  multiplici  germine  pingis  humum, 
Quique  facis  variis  habitabile  piscibus  equor, 
30       Arbitrio  parent  cuncta  creata  tuo. 

Absque  tuo  nutu  folium  non  projicit  arbor, 

Nee  sine  te  fructus  gignit  ager  vel  humus, 
Nee  sine  te  crevit  ha?c  rapula  prodigiosa, 

Quae  normam  vincit  transgrediturque  modum. 
35  Deprecor,  ut  fructus  hie  sit  mihi  causa  salutis, 
Sit  paupertatis  finis  opumque  dator. 
Si  nichil  in  terra  jubet  esse  deus  sine  causa, 
Hunc  fruetum  frustra  non  gencravit  humus. 


KATARIUS.  45 

Actenus,  heu  domine,  sub  paupertate  fatisco, 
40       Quae  me  confundit  degenereraque  facit. 
Magne  deus  novi,   quoniam  de  compede  tali 

Me  potes  eximere,  si  tarnen  ipse  voles." 
Ergo  sub  tali  portento,  quid  sit  agendum 
Gonsulit  uxorem,  protinus  uxor  ad  haec: 
col.  b.     45  „Vilis  erit  precii,  si  rapula  veneat  ista, 

Proderit  immo  minus  ventre  vorata  tuo. 
Expedit,  ut  regi  rarissima  rapula  detur, 

Nam  debent  regi  munera  rara  dari. 
Forsän  es  a  rege  magno  ditandus  honore, 
50       Quem  dare  pro  parvis  munera  magna  decet." 
„Hoc  placet,  hoc  plane  faciam,"  vir  ait  mulieri, 

„Utile  consilium  propositumque  tuuni." 
Mox  igitur  carrum  componit  et  ordinat  aptum 
Applicat  et  carro  quatuor  ipse  boves. 
55  Pondere  sub  tanto  stridet  et  gemit  axis  et  ipse 
It  celer,  ut  regi  munera  rara  ferat. 
Mensibus  (sie)  ergo  tribus  sie  incedens  vir  honestns, 

Ecce  die  quarto  regia  castra  petit. 
Se  presentari  regi  petit,  impetrat,  intrat, 
60       Utpote  qui  munus  grande  daturus  erat. 

Hoc  etenim  regum  sibi  curia  sanxit,  ut  omnis, 

Qui  nichil  adtulerat,  stet  foris  ante  fores. 
Nee  tarnen  interdum  negat  illi  sanetio  legum, 
Qui  cum  muneribus  limina  regis  adit. 
65  Ergo  ubi  iste  suam  regis  vectatur  in  aulam, 
Qui  coram  rege  stans  reverenter  ait: 
„Accipe  mi  domine  quoddam  mirabile  munus, 

Quod  soli  regi  censeo  jure  dari." 
Protinus  inspecto  fruetu  tarn  ridiculoso : 
70        »Pape!  quid  hoc  monstrum,  rex  ait,  esse  potest, 
Unde  tibi,  bone  vir,  hasc  rapula  prodigiosa? 
Multa  quidem  mira,  scio,  me  vidisse  frequenter  *), 

Sed  nunquam  vidit  tale  quid  nllus  homo. 
Non  est  fortassis  hasc  rapula  filia  terre, 
75       E  celo  potius  hanc  cecidisse  reor. 


*)  Hier  folgen  durch  ein  Versehen  des  Dichters  zwei  Hexameter  aufeinander,  so 
muß  man  wenigstens  annehmen ,  da  im  Texte  durchaus  keine  Lücke  zu  sein  scheint, 
und  ein  ähnlicher  Verstoß  noch  einmal  (s.  Vers  379.  380)  vorkommt. 


46  ADOLF  WOLF 

Hase  erit,  ut  video,  tibi  fons  et  origo  salutis 

Judiciumque  reor  ominis  esse  boni. 
Die,  age  simpliciter,  tibi  qui  consangiiinei  sunt, 
Quaeve  tibi  patria,  quod  genitale  solum?" 
80  Hiisque  peroratis  a  rege  sibi  intulit  ille: 
„Natus  in  imperii  sum  ditione  tui, 
Estque  parentela  mihi  nobilis  et  geuerosa. 

Miles  erat  genitor,  miles  et  ipse  fni. 
Testis  adest  miles  gemine  mihi  nobilitatis, 
85       Quem  mihi  germanum  f'ecit  uterque  parens, 
Qui  quamvis  opibus  multis  fastuque  tumescit 

Sed  tarnen  haud  fratrem  se  negat  esse  meum. 
Ilunc  tua  majestas  primos  habet  inter  amicos 
f.  79'.  col.a.  Vix  est  in  regno  ditior  ullus  eo. 

90  Et  mea  continua  sie  nie  confundit  egestas, 
Ut  coram  notis  sit  mihi  nullus  honor, 
Et  mihi  cottidie  tantis  cruciatibus  angor, 

Ut  sit  non  parva  vivere  pena  mihi. 
Quanta  putas,  domine,  quod  sit  mihi  gloria  fratris, 
95       Cum  nie  substernat  indiga  vita  meis. 

Quem  natura  parem  mihi  fecerat,  ecce  superbat, 

Ast  nie  pauperies  rusticitasque  premit. 
Proh  dolor!  experior,  quam  sit  sententia  vera: 
Dives  ubique  placet,  pauper  ubique  jacet. 
100  Ecce  meus  frater  regi  placet  et  placet  urbi, 

Heu  mihi!  nie  miserum  despicit  esse  solnm. 
Cum  nie  desei'erent  et  opes  et  copia  rerum 

Deposui  gladium  milicieque  joeuni, 
Et  modo  pro  gladio  manus  utitur  ista  ligone, 
105       Ut  fodiam  propria  rura  labore  meo. 

Ilostes,  qui  quondam  eunetos  terere  solebam, 

Nunc  stimulis  pungo  posteriora  boum. 
Qui  quondam  studui  traetare  negotia  belli, 
Nunc  pauper  propria  semino  rura  manu. 
110  Ruricole  more  miseram  sie  transigo  vitam, 
Inde  mihi  victus,  vestis  et  inde  mihi. 
Inde  mihi  domine,  quam  cernis,  rapula  praesens, 

Quälern  non  vidit  sive  videbit  homo. 
Et  quiä  magna  decent  magnos  pro  munere  magno, 
115       Ilnec  volui,  prineeps  maxime,  ferre  tibi." 


RAPABIUS.  47 

Ilico  privatas  aperiri  rex  jubet  arcas, 

Quas  impregnarat  grandis  acervus  opum. 
Rex  igitur  variis  hominem  tunc  rebus  honustum 
Gazaruin  magno  pondere  farcit  eum. 
120  Gazis  addit  equos,  nee  equis  redimicula  desunt, 
Addit  et  armentum  lanigerumque  pecus. 
Singula,  quid  memorem,  bona,  quanta  viro  dederit  rex, 

Dicere  sufficiat  multa  dedisse  viro, 
Qui,  Varia  reru.m  variarum  merce  refertus, 
125       Disponit  proprios  dives  adire  lares; 
Ergo  valefaciens  regi  gratesque  repetens 

Omnibus  evectis  ad  sua  vertit  iter. 
Ecce  revertenti  conjunx  oecurrit  eique 
Oscula  continuans  dulcia  dixit  ave. 
130  „Dissere,  dixit,  iter,  si  quod  profeceris  ipse, 
Aut  quod  contulerit  hrec  mora  longa  tibi. 
Die,  age,  quid  sis  mercedis  adeptus."  at  ille 
col.  b.  Gloria  demonstrat,  quae  bona  nactus  erat. 

„Arrisit  en,  ait,  mihi  jam  fortuna  seeunda, 
135       Contulit  et  regis  hrec  mihi  larga  manus. 
Ecce,  vide  bona,  quanta  meto  de  semine  vili, 

Hrec  bona,   quanta  dedit  rapula  magna  mihi. 
O  mulier,  grandis  tibi  copiam  suppetit  omnis, 
Amodo  nequaquam  pauper  eris  vel  inops. 
140  Prosperitas  aderit  ingensque  opulentia  nobis 
Paupertatis  enim  non  patiemur  honus. 
Nunc  igitur  nostros  dissolvent  gaudia  luctus, 
Gaudia  succedunt,  nam  labor  omnis  abest." 
Tunc  accersiri  jubet  affines  et  amicos, 
145       Omnibus  eventus  pandat  ut  ipse  suos. 
Ecce  propinquorum  grandis  collecta  gregata, 

Iliisque  ministratur  copia  multa  dapum. 
Cumque  videret  eos  joeundos  et  temulentos 
Successus  proprios  dicere  cepit  ita: 
150  „Auscultate,  precor,  noti  mea  verba  notate 
Fortunam  vobis  insinuabo  meam. 
Nostis  enim  euneti,  me  quanta  domarit  egestas, 

Sed  salvatus  ab  hac  sum  bonitate  dei. 
Accidit,  ut  rara  mihi  rapula  cresceret  orto, 
155       Haec  eadem  crevit  grandis  et  absque  mora, 


48 


ADOLF  WOLF 


Haue  ego  donavi  pro  magno  mimere  regi, 

Pro  qua  divitias  lias  declit  ille  mihi." 
Ilajc  dicente  viro  simul  afiuit  inter  amicos 
Miles,  quem  fratrem  diximus  esse  viri. 
160  Ilic  quoque  pestifero  cepit  tabescere  zelo, 
Cum  vidit  fratris  crescere  lucra  sui. 
Germanique  sui  subitum  miratus  honorem 

Ejus  respectu  se  putat  esse  nichil. 
Hoc  equidem  proprie  sibi  vendicat  invidus  omnis, 
165       Ut  putat  alterius  lucra  nocere  sibi. 

Invide  die,  quare  fratris  torqueris  honore, 

Letari  potius  expedit  inde  tibi. 
Hujus  fortuna  non  est  tibi  causa  ruine 

Lucraque  fraterna  non  tibi  dampna  struent. 
170  Hiis  super  invidie  morbo  breviter  memoratis 
Ipsius  historie  nunc  repetamus  iter. 
Convivis  igitur  dapibus  vinoque  refertis 

Et  satur  et  letus  in  sua  quisque  redit. 
Tunc  hominis  frater  etiam  sua  septa  revisit 
175       Invidie  secum  dira  venena  ferens. 

Sic  aurum  siciens,  multo  licet  obrutus  auro, 
f.  79v.  col.  a.         Tantalus  hiis  mediis  querit  aquas  in  aquis, 
Tunc  ut  opes  opibus  venetur  et  augeat  ecce 
Rete  novum  texens  calliditate  ait: 
180  „Si  meus  hie  frater,  quem  tanta  premebat  egestas, 
Tantas  pro  vili  merce  reeepit  opes, 
Muneribus  regem  placabo  satis  pra?ciosis, 

Quas  rex  restituet  centuplicata  mihi." 
Protinus  argento  proprio  se  privat  et  auro, 
185       Scilicet  ut  regem  muneret  ipse  suum. 

Gemmarum  tollit  praiciosa  monilia,  quarum 

Fasce  laborabant  scrinia  clausa  diu. 

Complicat  et  vestes  operoso  scemate  textos, 

De  quibus  ornari  regia  membra  decet. 

190  Omnibus  hiis  adjungit  equos  falcris  coopertos, 

Quorum  cingebant  fulva  metalla  jubas. 

Talibus  et  paribus  miles  speciebus  honustus 

Pergit  et  evehitur  regis  ad  usque  fores. 
Cumque  salutasset,  quo  deeuit  ordine  regem, 
195       Sinürnla  demonstrans  munera  miles  ait: 


RAPARIITS.  49 

„Accipe  mi  dominc  tibi,  quae  miles  tuus  offert, 

Quae  ne  despicias,  rex  reverende,  precor. 
Parva  quidem  sunt  hrec  minimeque  decentia  regem, 
Cum  dives  fuero  tunc  potiora  dabo." 
200  Cominus  bis  visis   „grates,  rex  inquit,  habeto. 
Gerte  placent,  fateor,  munera  data  mihi. 
Cardine  sub  celi  non  creditur  esse  superstes, 

Qui  dederit  regi  tot  prreciosa  suo." 
Rex  quoque,  quid  tanto  posset  conferre  datori, 
205       Reginam  fertur  consuluisse  suam. 
Ast  ea  regalis  pollens  ratio  ne  sophye 

Ha^c  responsa  viro  reddidit  ipsa-  suo : 
„Inclite  rex,  opibus  nimiis  est  ille  refertus 
Et  dono  penitus  nescit  egere  tuo. 
210  Argentumque  tuum  penitus  fastidit  et  aurum, 
Si  gemmas  dederis  grandinis  instar  erunt. 
Si  vestes  dederis,  si  bellica  dona  quiritum 

Omnia  despiciet  nil  reputabit  ea. 
Ne  tarnen  omnia  regia  munera  despiciat  vir 
215       Restat,  ut  enormis  rapula  detur  ei. 

Hanc  non  despiciet,  qui  cetera  despicit,  immo 

Supplebit  rari  muneris  illa  vicem." 
Dixerat  hrec  mulier,  cui  rex  respondit  et  infert: 
„Utile  consilium  propositumque  tuum." 
220  Nee  mora,  profertur  ea  rapula  rege  jubente, 
col.  b.        Ipsaque  fit  munus  imperiale  viro. 

„En  ego,  rex  inquit,  te  munero  mnnere  raro, 
Quod  mihi  nee  cuiquam  rarius  esse  potest. 
Hanc  etenim  nuper  quidam  dederat  mihi  pauper, 
225       Cui  bona  multa  dedit  dapsilis  ista  manus." 
Accepit  ille  miser  non  aeeeptabile  munus 
Nempe,  quod  accepit,  rapula  vilis  erat. 
Sic  decet  offerens  ut  supplantetur  avarus, 
Quem  farcire  nequit  grandis  acervus  opum. 
230  Mundus  enim  totus  homini  si  detur  avaro 
Se  tarnen  infelix  credit  habere  nichil. 
Sic  homo  pra3fatus,  inopem  quem  copia  fecit, 

Privatur  propriis,  dum  peregrina  sitit. 
Dum  lucra  venatur  stultus  sua  perdit  et  ecce, 
235       Qui  dederat  magna,  vile  reeepit  holus. 

GERMANIA  VII.  4 


50  ADOLF  WOLF 

Sic  liomo  delirus  propria  deluditur  arte, 

Dum  vult  ditari  perdit  et  id  quod  habet. 
Au  11011  delirat  homo  mittens  in  mare  fönten i  ? 

Fonti  tollit  aquas,  ut  innre  ditet  aquis. 
240  Haud   secus  hie  rniles,  nt  regem  munere  ditet, 

Sic  meruit  propriis  se  spoliare  bonis. 
Jamque  domnm  remeat  et  amaram  convocat  iram 

Et  gratis  regi  tanta  dedisse  dolet. 
[nfrendens  igitur  tanto  sie  paurmurat  ore: 
245       „Ecce  mei  fratris  hoc  fero  dampno  dolo. 

Hie  exultatur,  ego  prob  pndor!  deprimor,  ergo 

Non  irnpune  feret  per  caput  istud,  ait." 
Convocat  ergo  suos,  quos  noverat  esse  fideles, 

Plusque  leoni  furens  dicere  cepit  ita: 
250   „Nostis  enim,  quanta  fuerit  mihi  gloria  pridem, 

Tarn  mihi  quam  vobis  hrec  generalis  erat. 
Nnnc  lecatoris  cujusdam  calliditate 

In  prreeeps  eadem  gloria  tota  ruit, 
Quam  sublimabar  est  omnis  adempta  facultas. 
255       Hen  paupertatis  nunc  grave  porto  jugum, 

Heu  cecidi  miser,  tarnen  est  vestrum  meminisse, 

In  casu  penitus  vos  cecidisse  meo. 
Nunc  si  sunt  ulla  pietatis  viscera  vobis, 

Et  si  quis  vobis  est  pietatis  honor, 
260  Semper  vos  vindieta  meum  jaculetur  in  hostem, 

Et  quod  commeruit  retribuatis  ei." 
„Qui  tuus  est,  ajunt,  et  nostris  est  inimicus 

Et  quodeumque  jubes  hoc  faciemus  ei." 
Haec  cum  dixissent  animatur  voce  suorum, 
f.80r.  col.a.  265  Et  quasi  mentis  inops  talia  rursus  ait: 

Haud  proeul  est  vallis  nemerosis  consita  lignis, 

Qure  nullis  unquam  frugibus  apta  fuit. 
Haue  precor  assumptis  intrate  viriliter  armis, 

Sed  causam  penitus  nemo  sciat  nisi  vos. 
270  Donec  ego  veniam  nolitc  recedere  qiiDque, 

( )cius  assumpto  vos  sequar  hoste  meo." 
Frater  adit  fratrem  fellitus  feile  carentem 

Et  verbis  false  dulcibus  usus  ait: 
„O  germane!  mihi  pra3ter  te  nemo  superstes, 
275       Quem  mihi  fraterno  federe  jungat  amor. 


EArARIUS.  •  51 

Nos  sumus  una  caro,  nee  nos  natura  bipartit, 

Nos  olim  mater  edidit  una  viro. 
Porsan  inest  anima  personis  una  cluabus, 
Quas  iudividuus  jungit  et  uuit  amor. 
280  Est  mihi  secretum,  (juocl  nolo  prodere  euiquam, 
Et  tarnen  id  fratrem  nolo  latere  nieuiu. 
Est  prope  condensa  vallis  nee  ab  urbe  remota, 

Frondibus  arboreis  obsita,  fruge  earens. 
Haec  est  tarn  multa  thesauri  mole  referta, 
285       Ut  tibi  proficiat  sufficiatque  mihi. 

Hunc  ego  fraterno  tecum  partibor  amore, 
Immo  deum  testor,  pars  tua  major  erit. 
Nunc  age,  rumpe  moras,  absit  dilatio,  surge, 
Pergamus  nostram  nemine  teste  viam." 
290   Bus  homo  blandiciis  irretitus  simulatis 

Fratris  enim  verbis  nescit  inesse  dolos. 
Annuit  ergo  suo  fratri  simul  ac  monitori 
Surgit,  abitque,  earens  suspicione  mali. 
It  frater  cum  fratre  suo,  loca  nota  subintrat, 
295       In  quibus  armati  delituere  viri. 

Exiliunt  hü  inore  eanum,  justumque  nefande 

Tractantes  et  mortiricare  parant. 
Ut  proprii  rapuere  canes  Acteona  qnondam, 
Civibus  haucl  aliter  prseda  fit  ille  suis. 
300  Jam  vincire  Student  hominem  conamine  toto, 
Contendunt  praedam  jam  jugulare  suam; 
Sed  fortuna  suutn  juvat  et  tutatur  alumpnum. 

Sepit  et  horrendum  criminis  hujus  iter. 
Accidit  in  terram  quemdam  properare  scolarem, 
305       Qui  per  eam  vallem  solus  iturus  erat. 

Venit  equo  residens  sua  cantica  voce  resultans 

More  viatorum  sie  breviabat  iter. 
Cum  levat  hie  vocem  simul  echo  reeiproce  vocem 
Keddit  et  auditur  longius  iste  sonus. 
310  Ast  ubi  vox  eadem  lictorum  perculit  aures 
De  sola  fit  eis  proditione  timor. 
Et  quia  non  lieuit  opus  hoc  implere  scelestum 

In  solam  pavidi  spem  posuere  fugam. 
Ne  tarnen  hie  fugiat  in  saccuin  mittitur  atque 
315       Vivus  in  arborea  froude  ligatur  homo. 

4* 


52  ADOLF  WOLF 

Jlic  pendet,  fugiunt  lictores,  insuper  ipse 

Criminis  incentor  non  manet,  immo  f'ugit. 
Ecce  Scolaris  ibi  cupiens  pausare  sub  umbra 
Arboris,  in  cujus  fronde  pependit  hoino. 
320  Et  quia  rimosum  latus  ipse  saccus  habebat, 
Per  rimas  juvenem  pendulus  ille  videt. 
Mox  ubi  rasuram  capitis  ecce  scolarem 

Comperit  et  clamans :   „quisquis  es,  inquit,  ave!" 
Ast  ubi  devenit  vox  ista  Scolaris  ad  aures 
325       Invasit  nimius  terror  et  horror  eum. 

Tuuc  surgens  stupidus  loca  proxima  girat  ocellis. 

Cujus  ab  ore  sonet  vox  ea  nosse  volens. 
Cumque  diu  staret  stupidus  nullumque  videret 
Estimat  illudi  demonis  arte  sibi. 
330  Occius  ergo  loco  discedas,  cogitat  ille, 

Stare  tiraor  prohibet  sed  vetat  ire  pudor. 
Stat  licet  invitus  vincente  pudore  tirnorem, 

Seque  salutanti  personat  ille  loqui: 
„Quisquis  es  aut  ubi  sis,  a  quo  vox  ista  resultat, 
335       Vellem,  si  possem,  scire  libenter  ego." 
Ex  sacco  loquitur  iterato  pendulus  ille: 

„Nil  timeas  juvenis,  sit  procul  iste  timor. 

Erige  triste  caput,  si  vis  spectare  loquentem. 

Possideo  letus  aera,  sperno  solum. 

340  In  sacco  sedeo,  sedet  hie  sapientia  mecum, 

Hie  pendens  didici  tempore  multa  brevi. 

Pape !  scolas  querunt  longe  lateque  scolares ; 

Hie  tarnen  veras  noveris  esse  scolas. 
Utque  scias,  Saccus  quid  contulerit  mihi  praesens, 
345       De  multis  saltim  suggero  pauca  tibi. 
Hie  artes  multas  doeuit  me  phylosofia, 
Ut  sit  nota  mihi  machina  tota  poli. 
Hie  ego  stellarum  didici  cognoscere  signa, 
Quatenus  ex  ipsis  qua)  futura  sciam. 
350  Hie  me  naturas  fateor  ferarum  diclicisse, 
Hie  mihi  natura  panditur  omnis  avis. 
Addo,  quod  herbarum  didici  discernere  vires, 
f.  80v.  col.a.  Ut  bene  conjiciam,  qua3  bona,  quae  mala  sit. 

Hie  arbustarum  didici  vires  lapidumque 
355       Et  didici,  quid  sit  utilitatis  in  hiis, 


RAPAEIUS.  53 

Et  didici  tumidi  maris  indagare  profundum; 

Hoc  totum  Saccus  contulit  ille  michi. 
Audisti,  qualis  sacci  natura  sit  hujus, 

Qui  possessori  dat  bona  tanta  suo. 
360  Hie  certe  Saccus  pnecioso  dignior  ostro, 

Regali  melior  utiliorque  scola. 
Experior  certe  deliros  esse  scolares, 

Qui  multas  quaerunt  circumeuntque  scolas. 
Quidam  parysius  aut  oppida  cetera  gyrant, 
365       Expendunt  multa  proficiuntque  parum. 

Hie  ego  momentum  transegi  sie  sine  sumptu, 

Et  didici  quidquid  scire  novisse  fuit. 
Hie  tibi,  si  detur  saltini  brevis  Lora  studendi, 

Disces,  quid  locus  hie  utilitatis  habet." 
370  Hiis  nugis  simplex  juvenis  male  traditus  orat, 

Quatenus  in  saeco  possit  habere  locum. 
Pendulus   „absit,  ait,  nee  enim  sie  deeipies  ine, 

In  saecum,  socie,  non  ita  venit  homo." 
Et  contra  juvenis  vocem  prorurnpit  in  istam: 
375       „Sacci,  ni  fallor,  istius  hospes  ero. 

Jam  novi,  quanta  Saccus  virtute  redundet, 

In  cujus  pausat  phylosofia  sinu. 
Jam  satis  es  sciolus,  adeo  jam  doctus  es,  ut  te 

In  mundo  nullus  doctior  esse  queat. 
380       Quisquis  es  in  saeco,  sit  mihi  pausa  brevis  *). 
Si  te  forte  precum  non  flectunt  verba  mearum, 

Muneris,  ut  spero,  te  bene  flectit  amor. 
Et  ni  sponte  ATelis  flecti  mercedis  amore, 

Pendere  curabo  quiequid  habere  voles." 
385  Tunc  ut  invitus  e  saeco  prodiit  ille 

Pendulus,  ac  iterum  verba  rependit  ei: 
„Niteris  in  vanum,  non  est  mihi  tybia  tanti, 

Ut  pretio  Saccus  veneat  iste  tuo. 
Utque  scolas  istas  me  velle  relinquere  speres 
390       Absit,  deeiperis,  spes  tua  tota  perit. 

Mallem  mori,  socie,  quam  perdere  delicias  has, 

Si  mihi  sim  nequam,  cui  bonus  esse  queo. 

*)  Corrigiert  steht  hier:    „sit  mihi  pausa"  anstatt  „mihi    sit  hora."     Fehlerhafter- 
weise stehen  hier  zwei  Pentameter  nach  einander,  s.  o.  V.  71.  72. 


54  AI  »ULF  WOLF,  RAPARIUS. 

Non  tibi  delicias  sacci  me  venderc  speres, 
Absit,  in  hunc  sacoum  non  ita  venu  homo. 
395  Non  mihi  continget  istmn  venumdare  saccum. 
In  cujus  pausat  phylosofia  sinn, 
col.b.  Et  quia  discendi  niulto  flammescis  amore, 
Cedo  tibi  gratis  ad  breve  tempus  ego. 
Cumque  satis  fueris  potitus  tonte  sophie, 
400       Delicias  sacci  tnnc  mihi  redde  mei. 

Ocius  ascende  ramum,  restemque  rescinde, 

Ut  voto  compos  efficiare  tuo." 
IIoc  miser  audito  pendenti  laetus  obedit, 
Ut  sacci  possit  ntilitate  frni. 
405  Exit  hie,  ast  alter  festinat,  ut  ingrediatur, 
Seque  trahi  sursuni  postulat,  ille  negat. 
„Differ,  ait,  modicum,  socie,  sie  non  habet  ordo, 

In  saccum,  socie,  non  ita  venit  homo. 
Deponasque  caput  ad  humum,  talosque  supinans, 
410       Hsec  est  lex  sacci,  sie  erit  intus,  ait." 

Base  dicens  miserum  libravit  in  ethera  smsum, 

Ac  in  riodoso  stipite  vinxit  eum. 
Staus  igitur  cepit  sie  insultare  Scolari 
Et  derisoris  voce  locutus  ait: 
415  „Ecce,  quod  optasti,  quod  qusesisti,  quod  amasti, 
Nunc  compos  voti  factus  es  ipse  tui. 
Jana  puto  cepisti  doctissimus  esse  sophista, 

Ut  toto  similis  non  sit  in  orbe  tibi. 
( )  te  felieem  niinis  egregiumque  magistrum ! 
420       Quem  fovet  in  gremio  phylosofya  suo. 
Experiar  certe,  quantum  modo  delicieris, 
Quem  talis  sacci  claustra  beata  tenent. 
Phylosofare  modo  propone,  quod  hie  didicisti, 
Quaritumcumque  potes,  phylosophare  modo. 
425   ütere  sorte  tua,  (piam  toto  corde  petisti, 
Quamque  deus  tribuit  utere  sorte  tua. 
Nunc  superem,  ut  pace  tua  mea  teeta  revisam, 

Jam  non  in  saccum  curo  venire  nieniii." 
lliis  dictis  ascendit  equum  peadentis,  abit 
430       Et  clamans  inquit:   „magne  sophista  vale!" 
WIEN.  ADOLF  WOLF 


55 


WOLFRAMS  PARZIVAL 
UND    SEINE    BEURTHEILER. 


VON 

SAN -M  ARTE. 


So  einstimmig  auch  die  Litterarhistoriker  in  dem  Ausspruch  zu 
sein  pflegen,  daß  der  Parzival  des  Wolfram  von  Eschenbach  ein  höchst 
tiefsinniges,  seinem  innersten  Kern  nach  tief  religiöses  Gedicht  sei,  so 
begnügen  sie  sich  doch  entweder  meist  mit  solchem  allgemeinen  Urtheil, 
das  dem  Leser  überlässt,  es  sich  selber  nach  seiner  Ansicht  zu  be- 
gründen, oder  wenn  sie  schärfer  auf  eine  Analyse  des  religiösen  Inhalts 
eingehen ,  so  wandeln  sie  im  besten  Fall  in  einem  Helldunkel ,  in 
welchem  weder  die  Personen  feste  Gestalt,  noch  der  Gedanke  klaren 
Inhalt  gewinnen.  Ein  Hauptgrund  dieser  wenig  erbaulichen  Erscheinung 
bei  der  Beurtheilung  des  großen  Gedichtes  unseres  deutschen  Meisters 
scheint  mir  hauptsächlich  darin  zu  liegen,  daß  sie  dieses  Gedicht  und 
die  darin  vorgetragene  Sage  vom  heiligen  Gral  und  der  Geschichte  der 
Erlösung  des  Parzival  und  Amfortas  nicht  als  ein  in  sich  fest  abge- 
schlossenes Ganze  unabhängig  von  allem  früheren  oder  späteren  Bei- 
werk, welches  die  altfranzösische  und  nachwolframsche  Litteratur  lieferte, 
sondern  in  Zusammenhang  mit  diesem  ihrer  Kritik  unterwarfen ,  und 
so  mussten  sie  freilich  bei  diesem  Versuch,  das  Unvereinbare  zu  verei- 
nigen, scheitern;  wodurch  sie  jedoch  nicht  berechtigt  wurden,  in  dem 
Missmuth  über  das  verfehlte  Resultat  das  Ganze  als  unklar,  verworren, 
hypermystisch  und  unverständlich  zu  verwerfen.  —  Sie  mögen  Recht 
haben  in  Beziehung  auf  die  französischen  Überlieferungen  der  Gral- 
nnd  Parzivalsage  —  ich  fühle  mich  nicht  berufen,  für  diese  eine  Lanze 
zu  brechen,  und  überlasse  das  gern  den  Franzosen  selbst  — ,  aber 
entschiedenes  Unrecht  begehen  sie,  wenn  sie  in  gleicher  Weise  auch 
über  Wolfram  den  Stab  brechen  und  ihm  beilegen ,  wovon  er  nichts 
wusste,  ja  nach  seinem  eigenen  Zeugniss  nichts  wissen  wollte,  und 
was  er  daher  für  seinen  Zweck  und  seine  Auffassung  des  Gegenstandes 
als  unbrauchbar  verwarf  oder  unberührt  bei  Seite  liegen  ließ.  Mau 
lichte  ihn  lediglich  nach  seiner  That ,  nach  seinem  Gedicht,  und 
man  wird  gerechter  sein. 

Es  thut  dem  Herzen  wehe ,  wenn  wir  einem  alten  Lehrer  und 
Freunde  aus  der  Jugendzeit  nach  langen  Jahren  wieder  begegnen,  und 
ihn    dann   im    späteren    Alter   gänzlich  verändert   finden,    und    ihn    das 


5(5  SAN -MAßTE 

verwerfen  hören,  was  er  uns  früher  mit  Begeisterung  gelehrt  und  ge- 
priesen  hat.  Einen  ähnlichen  in  der  That  schmerzlichen  Eindruck  machte 
mir  das  wegwerfende  Unheil,  welches  Rosenkranz  (die  Poesie  und 
ihre  Geschichte.  Königsberg.  Bornträger,  1855.  S.  487  —  489)  über 
Wolframs  Parzival  fällt,  und  es  kann  mich  nicht  versöhnen,  wenn  er 
ihn  auch  S.  512  „ein  noch  so  hoch  stehendes  Kunstepos"  nennt,  da  ich 
Jen  Gedankengehalt  von  der  vollendeten  künstlerischen  Form  nicht  zu 
trennen  vermag.  Der  Name  des  geehrten  Verfassers  und  jenes  sein 
Werk  sind  zu  bedeutend,  als  daß  ein  solches  Verdammungsurtheil  nicht 
schwer  in  die  Wagschale  fallen  und  leicht  das  zahlreiche  Geschlecht 
unserer  jetzigen  schnellfertigen  Litteraturgeschichtenschreiber  verführen 
sollte,  es  ohne  weiteres  Besinnen  nachzuschreiben  und  weiter  zu  ver- 
breiten :  wie  ja  schon  gerade  in  diesem  Litteraturgebiet  gewisse  Sätze 
zu  stereotypen  Floskeln  geworden  sind,  die  blind  wiederholt  werden. 
Wenn  ich  daher  zur  Abwehr  desselben  nach  langem  Zögern  dem  gleich- 
wohl dankbar  verehrten  Lehrer  mit  aufgebundenem  Helm  entgegentrete, 
so  habe  ich  wenigstens  schon  den  Trost  und  Vortheil  für  mich,  den 
Literarhistoriker  Rosenkranz  v.  J.  1830  als  deckenden  Schild  zur  Seite 
zu  haben,   und  mit  diesem  vereint  denselben  v.  J.  1855  zu  bekämpfen. 

Es  scheint  nöthig,  den  Verf.  erst  selbst  sprechen  zu  lassen,  wobei 
nur  die  einzelnen  Sätze  zur  besseren  Sonder  ung  mit  Zahlen  bezeichnet  sind. 

S.  483  und  487  wird  die  Richtung  der  bretonischen  Sage  häre- 
tisch genannt,  und  der  Verf.  fährt  fort: 

(1.)  „Der  Gral  ist  allerdings  eine  christliche  Reliquie.  Er  wird 
von  Hütern  verehrt,  die  Christen  sind  und  sich  Templeisen  (templois, 
templiers)  nennen.  Aber  er  ist  eine  Reliquie  eigenthümlicher  Art.  Die 
Ableitung  des  Wortes  Gral  kann  uns  weiter  keinen  Aufschluß  über 
die  wunderbare  Function  des  Grales  geben,  nach  welcher  er  nämlich 
seine  Verehrer  kleidete  und  nährte,  sie  durch  sein  Anschauen  am  Leben 
erhielt  und  durch  leuchtende  Inschriften,  die  auf  seinem  Rande  erschie- 
nen, den  Seinigen  Befehle  gab ,  ähnlich  wie  der  jüdische  Hohepriester 
auf  seinem  Brustschilde  aus  den  Buchstaben  desselben  göttliche  Ver- 
kündigungen las.     Er  war  also  ganz  souverän." 

(2.)  „Von  einer  Unterordnung  der  Templeisen,  die  selber  Priester 
waren,  unter  den  Klerus  und  unter  den  Papst  ist  nirgends  eine  Spur. 
Der  Gral  verlieh  jedoch  nicht  nur  irdisches  Wohlsein,  sondern  sicherte 
auch  die  künftige  Seligkeit.  Seine  Verehrer  waren  also  in  dieser  Be- 
ziehung völlig  unabhängig  von  der  Kirche.  Der  Gral  rekrutierte  sich 
durch  seine  Orakel  und  verkündete  die  Namen  der  Personen,  die  er 
sich  zu  seinem  Dienste  gewählt  hatte." 


WOLFRAMS  PAKZIVAL.  57 

(3.)  „Der  Dienst  selber  bestand  in  einem  Kultus  sehr  einfacher 
Art ,  wenn  auch  nicht  ohne  prachtvolle  Dekoration. .  Allein  von  einer 
Darbringimg  des  Messopfers ,  diesem  Centrum  der  römischen  Kirche, 
ist  ebenfalls  keine  Spur.  Selbst  am  Charfreitage  schwebt  eine  weiße 
Taube  vom  Himmel  nur  dazu  herab,  eine  Oblate  in  das  Gefäß  zu 
legen,  welche  die  Wunderkräfte  der  Ernährung  und  Erhaltung  besitzt." 

(4.)  „Die  männlichen  Templeisen  müssen  den  Wald  durchstreifen, 
der  um  Munsalwäsehe  herum  liegt,  Unberufene  abzuhalten,  oder  sie 
müssen  die  Missionen  ausführen ,  welche  ihnen  der  Gral  auflegt.  Im 
Allgemeinen  ist  dieses  Alles  ziemlich  geistlos." 

(5.)  „Manche  Andeutungen  scheinen  aber  auf  eine  häretische 
Doctrin  vorn  Ursprung  des  Bösen  zu  führen,  die  einen  gnostischen 
Charakter  verräth,  z.  B.  die  Geschichte  Lucifers,  aus  dessen  Krone  der 
Erzengel  Michael  im  Kampfe  mit  ihm  den  Stein  herausgeschlagen  haben 
soll,  aus  welchem  wunderbarer  Weise  die  Schüssel  verfertigt  wurde, 
die  dem  Erlöser  zu  seinem  letzten  Mahle  diente;  so  daß  also  der  Gral 
auch  die  vor  weltliche  Genesis  des  Bösen,  das  aber  von  der  Liebe  des 
menschgewordenen  Gottes  überwunden  ist,  repräsentiert." 

(6.)  „Nun  war  der  Gedanke,  einen  priesterlich  ritterlichen  Cha- 
rakter aus  dem  naiven  Naturmenschen  Parzival  zu  schaffen ,  und  ihm 
den  Ritter  Gawan  als  einen  Virtuosen  der  chevaleresken  Lebenskunst 
gegenüberzustellen,  in  der  That  ebenso  poetisch,  als  den  Gral  mit  der 
Tafelrunde  zu  kontrastiren.  Allein  auch  hier  dürfen  wir  nicht  vergessen, 
daß  Parzival  zum  Königthum  im  Gral  ohne  alle  kirchliche  Vermittlung 
gelangt." 

(7.)  „Er  hat  bei  seiner  ersten  Anwesenheit  auf  Munsalwäsehe  nach 
der  Bedeutung  der  Wunder  zu  fragen  vergessen,  die  seinem  Auge 
vorüberzogen;  in  der  That  recht  unbegreiflich,  um  nicht  zu  sagen 
stumpfsinnig." 

(8.)  „Hinterher  irrt  er  dann  vier  Jahre  auf  gut  Glück  umher,  sei- 
nem Pferde  den  Weg  überlassend ,  den  es  ihn  führen  will ,  weil  er  an 
Gottes  Vorsehung  zweifelt.  Als  er  endlich  durch  Trevrecents  Belehrung 
bekehrt  wird,  sucht  er  den  Gral,  thut  aber  eigentlich  nichts  wahrhaft 
Gutes,  Schönes  und  Großes,  solches  Glück  zu  verdienen,  das  ihm 
dann  plötzlich  zu  Theil  wird,  und  seine  Geschichte  vollends  zu  einem 
geistigen  Stillstande  bringt." 

(9.)  „Daher  kommt  es,  daß  die  weltliche  Seite,  die  in  Gawans 
Abenteuern  in  Chastel  Marveille  kulminiert,  eigentlich  viel  menschlicher 
und  lebendiger  ist,  als  die  geistliche,  die  von  dem  Fetischismus  der 
unpersönlichen  Reliquie  bedrückt  wird." 


58  SAN -M AKTE 

(10.)  „Das  priesterliche  Ritterthmn  hätte  im  Kampf  sich  die 
Märtyrerkrone  verdienen  müssen,  allein  die  verworrene  Mystik  der 
Sage  hat  es  nicht  zu  dieser  Consequenz  des  Urgedankens  kommen 
lassen." 

(11.)  „Die  Composition  ist  nun  ein  recht  weitschichtiges  Durch- 
einander der  seltsamsten  Dinge  und  Begebenheiten  geworden,  worin 
die  Phantasie  stets  neuen  Stoff  zur  Verwunderung  findet"  (S.  489). 

Anders  lautete  das  Urtheil  in  desselben  Autors  „Geschichte  der 
deutschen  Poesie  im  Mittelalter"  (Halle,  Anton  und  Gelbcke,  1830), 
und  zwar  S. 269:  „Obwohl  Wolfram  seinen  Stoff  vorgefunden,  so  ist 
dennoch  seine  Kraft  unermesslich  gewesen.  An  Gelehrsamkeit,  Bildlich- 
keit und  Gefühl  steht  er  Niemandem  nach,  an  Wahl  des  Ausdrucks? 
an  Gefälligkeit  des  Metrums ,  an  Wohlklang  und  Bestimmtheit  kaum 
Gottfried  von  Straßburg;  an  Religiosität  und  Größe  der  Gesinnung 
übertrifft  er  Alle.  In  keinem  Dichter  hat  sich  das  Positive  des  deut- 
schen Mittelalters  so  wie  in  ihm  konzentriert  und  einen  solchen  Umfang 
im  Verein  mit  solcher  Tiefe  gewonnen."  S.  270:  „In  Wolfram  strebte 
das  Romantische  und  Scholastische  zur  gegenseitigen  Durchdringung, 
gerade  wie  in  jener  Zeit  selbst  diese  Tendenzen  mit  einander  als  das 
Abbild  des  Kampfes  zwischen  Reich  und  Kirche  in  ihrer  Analyse  be- 
griffen waren.  .  .  .  Nach  seiner  Anschauuno-  ist  der  Mensch  frei  über 
der  Natur,  der  Genosse  Gottes.  Gott  aber  ist  das  sich  ewig  offen- 
barende Räthsel,  was  der  menschliche  Geist  zu  betrachten  und  worüber 
zu  sinnen  er  nicht  müde  wird,  weil  seine  Lösung  sein  eigener  Begriff 
ist."  S.  271 :  „Wie  sehr  auch  Wolfram  in  die  Formen  des  Religions- 
kultus seiner  Zeit  versenkt  sei,  nirgends  geht  ihm  das  Bewusstsein  aus, 
dal,'«  der  Mensch  wie  bei  seiner  Sünde  so  bei  ihrer  Sühne  als  er  selbst 
gegenwärtig  sein  müsse.  In  Parzivals  Geschichte  entwickelt  er  vor- 
trefflich,  wie  der  Geist  seine  vergangenen  Thaten  vernichten  könne..  .  . 
Die  Reue  ist  nach  ihm  der  einzige  Weg,  seine  Entzweiung  mit  Gott 
aufzuheben;  um  in  diesem  Schmerz  des  Bösen  nicht  zu  vergehen  und 
in  beständiger  Buße  zu  bleiben  ist  nichts  anderes  übrig,  als  die  eine 
wahre  Liebe  zu  lieben,  die  Liebe  Gottes."  S.  278:  „Der  Gral  ist  die 
Offenbarung  des  göttlichen  Wesens."  S.  282:  „Das  feierliche  Mahl 
aller  Graldiener  ist  ein  Kultus,  es  ist  kein  gemeines  Mahl,  sondern 
fast  eine  Agape."  S.  299:  „War  Parzival  zuvor  mit  Gott  durch  ein 
keckes  Trotzen  auf  seinen  guten  Willen  und  auf  sein  Verdienst  ent- 
zweiet und  hat  er  ihn  mit  demselben  Maße  wie  sich  gemessen,  so  ent- 
stand nun  durch  den  Begriff  seiner  Liebe  und  Menschwerdung  die 
entgegengesetzte    Entzweiung    in    ihm,     daß    er    nämlich    sich    selbst 


WOLFKIMS  PAEZIVAL.  59 

zürnte  und  hasste,  und  durch  Buße  und  Demuth  Gott  mit  sich  zu 
versöhnen  suchte.  Statt  das  Böse  in  sich  zu  sehen,  hatte  er  es  in 
Gott  gesetzt  und  gemeint,  daß  dieser  ihn  hassen  könne.  Nim  er  aber 
seiner  wesentlichen  Einheit  mit  ihm  sich  bewusst  geworden,  strebte  er 
auch,  sich  zur  Wirklichkeit  dieser  Versöhnung  zu  erheben."  S.  300: 
„Völlige  Befriedigung  beendigt  das  Gedicht.  .  .  .  Die  Frage,  was  Gott 
sei,  der  Zweifel  über  sein  Wesen  und  die  Lösung  desselben  gibt  dem 
Gedicht  seine  innerste  unendliche  Bedeutung." 

Es  können  nicht  wohl  zwei  Auffassungen  desselben  Gedichtes 
sich  schroffer  gegenüberstehen  und  die  Beurtheilung  von  entgegenge- 
setzteren Gesichtspunkten  ausgehen  als  diese  desselben  Schriftstellers; 
wir  glauben  den  Unterschied  zwischen  beiden  kurz  und  scharf  dahin 
bezeichnen  zu  können:  die  erstere  stützt  sich  auf  das  Dogma  der 
Hierarchie,  die  letztere  auf  das  reine  Evangelium,  wie  die  h. 
Schrift  es  bietet;  und  beides,  Hierarchie  und  Evangelium,  waren  die 
gewaltigen  Hebel,  welche  den  von  den  Lehrstühlen  zu  Paris  und  von 
den  Kanzeln  selbst  hochgestellter  Priester  bis  in  die  unteren  Schichten 
des  Volkes  gedrungenen  tiefen  religiösen  Zwiespalt  in  Bewegung  setzten, 
waren  die  Fahnen ,  um  welche  die  religiösen  Parteien  zu  Ende  des 
zwölften  Jahrhunderts  sich  schaarten ,  und  waren  die  Zielpunkte,  nach 
denen  sie  rangen,  bis  die  siegende  Kirche  ihre  Gegner  mit  Feuer  und 
Schwert  zu  vertilgen  begann.  Die  Kämpfe  der  Hohenstaufen  gegen 
Rom  geben  Zeugniss  ,  wie  mächtig  auch  Deutschland  diese  Bewegung 
ergriff;  Fürsten,  Ritter  und  Dichter  nahmen  sie  mit  vollem  Bewusst- 
sein  in  sich  auf;  Guiots  Bilde  und  andere  ähnliche  Schriften,  die  pro- 
venzalischen  Dichter,  die  zahlreichen  Ketzersecten  des  südlichen  Frank- 
reichs und  nördlichen  Italiens  und  Spaniens  bezeugen  dasselbe  für  jene 
Länder.  Bildete  sich  doch  allmählich  unter  den  Waldensern  eine  unter 
dem  Einflüsse  der  provenzalischen  Poesie  erwachsende  Litteratur,  welche 
meist  geistlichen  Inhalts,  aber  in  poetischer  Form  die  eigenthümlichen 
Grundsätze  der  Secte  unter  dem  Volke  gangbarer  und  flüssiger  machte. 
Wir  erinnern  an  das  berühmte,  etwa  1180  geschriebene  Lehrgedicht 
„La  nobla  Leyczon"  welches  waldensische  Ideen  durch  die  h.  Geschichte 
hinführt,  und  an  andere  Poesien,  wie  „La  Barca,"  nLo  novel  sermon," 
nLo  novel  confori,"  „L,o  Payre  eternol,"  „Lo  despreeza  del  mont"  (con- 
temtio  mundi)  und  „L'avangeli  de  li  quatre  semenez,"  was  das  Gleichniss 
Matth.  13,  5  von  viererlei  Samen  behandelt.  Sie  alle  enthalten  insbe- 
sondere starke  antipapistische  Elemente  und  gehören  zu  den  Erzeug- 
nissen des  Antihierarchismus,  die  den  Kampf  gegen  Rom  von  dem  mehr 
kirchlichen  Gebiete  auf  den  Boden  des  Volksthums  verpflanzten.    Wie 


(50  SAN-MARTE 

zürnt  nicht  Bernhard  von  Clairvaux  über  Abälard:  er  habe  es  dahin 
gebracht,  daß  in  Paris  schon  von  den  Gassenbuben  auf  den  Straßen 
über  die  Lehren  der  Trinität  disputiert  werde!  Es  war  ein  Sturm,  wel- 
cher die  ganze  abendländische  Christenheit  in  allen  Schichten  der  Be- 
völkerung durchtobte ,  ein  Gährungsprocess ,  der ,  damals  mit  Gewalt 
niedergeschlagen ,  dreihundert  Jahre  später  in  der  Reformation  sich 
wiederholte  und  zum  Durchbruch  kam.  Wenn  daher  Reichel  (Studien 
zu  Wolframs  Parzival.  Wien,  Gerold,  1858,  S.  6)  mir  bei  meiner  Deu- 
tung des  Gralorakels  und  Parzivals  unterlassener  Frage  (Parz.  Über- 
setz. 2,  509)  den  Vorwurf  macht,  daß  ich  weit  mehr  theologische 
Elemente  zu  Hilfe  genommen  habe,  als  aus  dem  Gedicht  zu  recht- 
fertigen ist,  so  meine  ich  dagegen,  daß  gar  nicht  genug  Theologie 
des  zwölften  Jahrhunderts  zum  Verständniss  unseres  Gedichtes  zu  Hilfe 
genommen  werden  kann,  und  mein  Versuch  *) ,  von  dieser  Seite  das- 
selbe zu  durchdringen,  ist  nur  erst  ein  erster  Anfang  dazu.  Denn  was 
wir  jetzt  nach  Jahrhunderten  mühsam  und  dennoch  nur  lückenhaft  zur 
Erklärung  der  äußeren  geschichtlichen  Erscheinungen  jener  religiösen 
Kämpfe  hervorsuchen  müssen,  das  umgab  die  damalige  lebende  Well 
wie  eine  feurige  Atmosphäre,  in  welcher  sie  athmete  und  die  sie  in 
allen  Poren  des  Lebens  durchdrang.  Die  Elemente  des  religiösen  Zwie- 
spaltes, die  jetzt  kaum  der  Fachgelehrte  zu  durchschauen  und  methodisch 
zu  ordnen  weiß ,  waren  damals  in  Kopf  und  Mund  der  Massen  und 
trieben  sie  zu  Thaten;  —  und  liefern  in  fast  jeder  anderen  Beziehung 
die  Dichtungen  jener  Zeit  ein  treues  Spiegelbild  damaliger  Erscheinun- 
gen in  Thun  und  Denken,  so  muß  dies  auch  von  einem  Werke  gelten, 
das  vorzugsweise  eine  religiöse  Tendenz  hat,  die  schon  in  dessen  ersten 
zwei  Zeilen  sich  ausspricht.  —  Überhaupt  wäre  es  zu  wünschen ,  daß 
auch  die  jetzigen  Kirchenhistoriker  in. Schriften  und  akademischen  Vor- 
trägen bei  dem  stets  wachsenden  Studium  der  älteren  deutschen  wie 
französischen  Litteratur  auf  die  in  diesem  Gebiete  angestellten  For- 
schungen und  wieder  aufgefundenen  Schätze  mehr  Rücksicht  nähmen. 
Sie  würden  dann  noch  vieles  finden ,  was  der  Reformation  oft  schon 
sehr  früh  präformierend  vorangieng.  und  würden  deutlicher  erkennen,  wie 
die  dogmatischen  Sätze  sich  in  Glauben  und  Gesinnung  des  Volkes 
praktisch  gestalteten  und  bei  ihm  ihren  besonderen  Ausdruck  fanden. 
Denn  ein  Anderes  ist  es,  wie  die  Doctrin  den  Glaubenssatz  formuliert, 


*)  S.  die  schon  in  diesen  Blättern  besprochenen  „Parzivalstudien,"  Heft  II :  „Über 
das  Religiöse  in  den  Werken  Wolframs  von  Eschenbacfi  und  die  Bedeutung  des  h. 
Grals  in  dessen  Parzival."     Halle,  Waisenhaus,   ISb'l. 


WOLFRAMS  FARZIVAL.  61 

und  ein  Anderes,  wie  der  Laie  ihn  aufnimmt  und  wiedergibt.  —  Auf 
welcher  Seite  aber  Wolfram  steht,  ob  er  Weif  oder  Ghibelline,  römisch- 
hierarchisch oder  apostolisch-evangelisch  ist,  das  entscheidet  über  den 
Standpunkt ,  von  welchem  aus  sein  Gedicht  beurtheilt  und  begriffen 
werden  muß.  Und  mag  man  daher  auch  etwa  den  Dichter  als  Ketzer 
verdammen,  so  darf  man  doch  von  seinem  Gedicht  nicht  fordern, 
daß  es  lehre,  was  er  verwirft,  sondern  um  es  zu  würdigen  muß  man 
eingehen  in  seine  religiöse  Richtung,  die  er  völlig  klar  und  unverholen 
zu  Tao-e  leo;t. 

Auf  Grund  jener  historischen  Weltlage  und  religiösen  Geistes- 
strömung am  Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  kann  die  Absicht  unseres 
Dichters  nicht  wohl  mehr  zweifelhaft  sein:  daß  er  in  dem  Templeisen- 
thum  eine  christliche  Genossenschaft,  ein  Reich  der  Gläubigen  und 
Auserwählten  des  Herrn  ohne  römische  Hierarchie,  ohne  Papst  und 
bevorrechtete  Priesterschaft,  ohne  Bann,  Interdict  und  Ketzergerichte 
schildern  wollte,  worin  vielmehr  Gott  selbst  durch  die  Offenbarung  des 
Grals  im  Geist  des  reinen  Evangeliums  Herrscher  und  Richter  seiner 
Gemeinde  ist,  und  daß  er  das  christliche  Priesterthum  in  das  nach 
wahrer  Gotteserkenntniss  ringende  Individuum,  nicht  in  einen  exclusiven 
Stand  legte,  so  hoch  er  diesen  auch  achtet;  und  daß  er  von  dem  da- 
mals noch  makellos  blühenden  Tempelherrenorden  die  dichterische  Hülle 
zu  der  idealen  Gestaltung  dieser  Genossenschaft  entlieh  (Studien  1.  c. 
S.  220  flg.).  Diese  Idee ,  nach  römischer  Ansicht  offenbar  ketzerisch, 
führte  es  mit  sich,  daß  das  allein  selig  machende  Gralreich  ebenso  zum 
römisch-orthodoxen  Christentimm ,  wie  es  durch  die  bestehende  sicht- 
bare Kirche  repräsentiert  ward,  wie  zum  Heidenthum  in  Gegensatz  trat; 
aber  es  ist  ein  schöner  Zug  des  Dichters,  daß  er  sich  weder  zur  offe- 
nen Polemik  gegen  die  herrschende  Kirche,  noch  zum  Fanatismus  gegen 
das  Heidenthum  hinreißen  lässt.  Wie  also  darf  man  sich  wundern, 
wenn  in  dem  Gedichte  „von  einer  Unterordnung  der  Templeisen  unter 
Klerus  und  Papst  keine  Spur  zu  finden  ist"  (Nr.  2  oben),  daß  Parzival 
„ohne  alle  kirchliche  Vermittlung  zum  GralkÖnigthum  gelangt"  (Nr.  6), 
und  daß  er  „sich  nicht  die  Märtyrerkrone  im  Kampfe  verdiente,  wie 
es  consequent  der  Urgedanke  der  Dichtung  erfordert  hätte"  (Nr.  10)? 
—  Dieser  Urgedanke  aber  gründet  sich  nicht  im  Didatus  Gregorii  VIT, 
noch  im  Ausspruche  Innocens's  III:  „Papa  veri  dei  vicem  gerit  in 
terra,"  sondern  im  Evangelio  unmittelbar  und  im  Spruch  des  Apostels 
1  Petr.  2,  9,  10:  „Ihr  aber  seid  das  auserwählte  Geschlecht,  das  könig- 
liche Priesterthum,  das  heilige  Volk,  das  Volk  des  Eigenthums,  daß 
ihr  verkündigen  sollt  die  Tugenden  Dess,    Der   euch    berufen    hat   von 


62  SAN-MARTE 

der  Finsterniss  zu  seinem  wunderbaren  Licht!"  welchen  Spruch  die 
Strophen  44  und  45  in  Wolframs  Titurel  -  Fragmente  last  wörtlich 
wiedergeben.  —  Darum  ist  es  auch  unzulässig,  den  h.  Gral  als  „eine 
christliche  Reliquie"  (Nr.  1)  zu  bezeichnen,  ihn  zum  „Repräsentanten 
der  vorweltlichen  Genesis  des  Bösen"  (Nr.  5)  zu  machen,  und  „die 
geistliche  Seite  der  Dichtung  vom  Fetischismus  der  unpersönlichen 
Reliquie  bedrückt"  zu  sehen  (Nr.  9).  Hierzu  konnte  nur  das  Herein- 
ziehen von  Zeugnissen  über  Lucifers  Fall  und  den  h.  Gral  verführen, 
die  sämmtlich  jünger  sind  als  Wolframs  Dichtung,  oder  —  wenn  sie 
älter  sind  —  die  er  nicht  hereinzieht,  die  also  für  die  Kritik  unseres 
Gedichtes  als  nicht  vorhanden  müssen  behandelt  werden.  Wolfram 
hat  keine  spezielle  Beziehung  auf  jene  Abendmahlschüssel  von  Cäsarea, 
weiß  nichts  von  Joseph  von  Arimathia  und  nichts  davon,  daß  der 
Stein  des  Grals  erst  in  der  Krone  Lucifers  gesessen,  sondern  nach 
ihm  ist  er  der  lapis  herilis,  der  Stein  des  Herrn,  der  uranfänglich  bei 
Gott  war.  Das  Gedicht  stellt  ihn  nicht  als  eine  Reliquie,  vollends  als 
die  eines  gefallenen  Engels,  sondern  als  ein  Symbol  dar,  in  welchem 
der  dreieinige  Gott  der  Christenheit  gegenwärtig  und  wirksam  ist; 
und  als  ein  christliches,  seligmachendes  Ileiligthum,  nicht  als  ein  Fetisch, 
ward  der  Gral  den  Menschen  gegeben,  gleichwie  Gott  den  Heiland  zur 
Erlösung  der  Menschheit  zur  Erde  gesandt  hat  (Stud.  1.  c.  S.  228—234); 
oder  wie  J.  L.  Hoflmann  (Nürnberger  Album  des  litter.  Vereins,  1852, 
S.  65  flg.)  in  seiner  warmen  Analyse  des  Parzival  es  ausdrückt:  „Der 
christliche  Glaube  mit  seinen  Segnungen  waltet  als  Seele  im  Stein 
des  Grales,  welche  dunkel  und  doch  klar  angedeutete  Idee  in  den 
folgenden  Jahrhunderten  eine  stete  Anziehungskraft  weckte."  —  Ja  es 
ist  die  Frage,  ob  nicht  die  erst  i.  J.  1264  bestätigte,  von  der  h.  Juliana, 
Priorin  zu  Korneliberg  bei  Lüttich,  einer  Deutschen,  gestiftete  Feier 
des  Allerheiligsten  in  dem  Frohnleichnamsfeste  wesentlich  auf  Wolf- 
rams Idee  von  dem  seligmachenden  Gralgelasse  beruht  oder  ob  sie 
wenigstens  nicht  Einfluß  darauf  geübt  hat?  —  Es  ist  sonach  Gott 
selbst,  der  aus  dem  Grale  in  der  Schrift  an  seinem  Rande  spricht, 
und  daß  der  Allmächtige  „ganz  souverän  ist"  (Nr.  1)  darf  wohl  unser 
Befremden  nicht  erregen.  Diese  vom  Dichter  anerkannte  Souveränität 
spricht  sich  auch  darin  aus ,  daß  er  der  Lehre  von  der  successio  apo- 
stolica  in  seinem  Gedicht  keinen  Raum  gibt  (Stud.  1.  c.  S.  239).  In 
der  Auffassung  Wolframs  ist  daher  im  Entferntesten  nichts  von  Gnosis 
oder  von  einer  häretischen  Doctrin  vom  Ursprung  des  Bösen  zu  finden, 
sondern  er  folgt  der  h.  Schrift  und  diese  stützt  sein  Dogma,  wie  es 
aus    Reden   und    Thaten    seiner  Figuren    erhellt,    mit   den    treffendsten 


WOLFRAMS  PARZIVAL.  63 

Worten,  wenn  wir  jene  nach  seinem  Sinn  in  die  theologische  Schul- 
sprache übertragen.  ---  Während  der  Verf.  1830  die  Gralfeier  fast  für 
eine  Agape  erklärte,  vermisst  er  1855  „jede  Spur  von  der  Darbringung 
eines  Messopfers,  diesem  Centrum  der  römischen  Kirche"  (Nr.  3)  — 
und,  setzen  wir  hinzu,  auch  der  akatholischen  Christenheit.  Die  Um- 
stände aber,  unter  denen  zweimal  die  Gralfeier  uns  vorgeführt  wird, 
die  dabei  vorhergehende  Reue  und  Beichte  der  anwesenden  Templeisen, 
das  Vortragen  des  Marterinstrumentes ,  der  blutenden  Lanze ,  in  Ver- 
bindung mit  der  oben  angegebenen  symbolischen  Bedeutung  des  Grales, 
lassen  darüber  keinen  Zweifel ,  daß  in  dieser  ernsten  Erinnerungsfeier, 
an  welche  sich  zugleich,  und  zwar  an  die  erste  die  Hoffnung  auf  Er- 
lösung und  an  die  zweite  die  wirkliche  Erlösung  des  kranken  Königs 
aus  namenlosem  Leide  knüpft,  wirklich  nach  der  ganzen  dichterischen 
Allegorie  das  Sakrament  des  h.  Abendmahls  nach  dem  Gralkultus  dar- 
gestellt wird,  so  wie  daß  die  alle  Samstags  Nacht  Sigunen  vom  Gral 
in  ihre  Klause  gespendete  Speise  eben  auch  das  geweihte  Brot  des 
Lebens  ist ,  das  die  Hand  des  Herrn  der  reuigen  Büßerin  zu  ihrem 
Seelenheil  sendet  (1.  c.  S.  246  flg."1.  Demnach  erhalten  aber  auch  Par- 
zivals  Unterlassung  der  Frage  bei  der  ersten  Feier,  die  Rosenkranz 
„unbegreiflich,  um  nicht  zu  sagen  stumpfsinnig"  (N.  7)  findet,  und  der 
ihn  desshalb  treffende  Fluch  der  Graldiener  ihre  wohlbegründete  tiefere 
Bedeutung,  indem  hier  der  auch  von  Wolfram  adoptierte  Glaubenssatz 
in  Geltung  tritt,  daß  dem  Unbußfertigen  der  Genuß  des  h.  Abendmahls 
nichts  nützt,  wie  geschrieben  steht:  „Welcher  unwürdig  isset  und  trinket, 
der  isset  und  trinket  ihm  selber  das  Gericht  damit,  daß  er  nicht  unter- 
scheidet den  Leib  des  Herrn'1  (1  Corr.  11,  29^.  Bußfertig  aber  wurde 
Parzival  erst  später  nach  der  Belehrung  in  Trevrecents  Klause.  Mag 
auch  der  Unbußfertigkeit  ein  Stumpfsinn,  mehr  Herzensverhärtung  gegen 
Gott  und  seine  ewige  Liebe,  zum  Grunde  liegen,  so  versteht  der  Verf. 
seinen  Ausdruck  doch  offenbar  nur  im  allgemeinen ,  nicht  in  diesem 
geistlichen  Sinne. 

Milder  als  Rosenkranz  drückt  Reichel  (1.  c.  S.  12  u.  13)  den  Fehl 
Parzivals  aus:  „Die  Beachtung  der  ihn  gelehrten  Etiquette  sei  dem 
Wirth  gegenüber  in  Herzlosigkeit  ausgeartet,"  und  „der  natürliche 
Edelmuth  eines  einfältigen  Herzens  war  ihm  abhanden  gekommen:  die 
Zucht  allein  muß  sich  aber  als  unzulänglich  erweisen,  wo  der  Mensch 
als  solcher  in  Frage  kommt."  Übersetzen  wir  jedoch  diesen  letzten 
unklaren  und  matt  ausgedrückten  Satz  in  die  eherne  Sprache  der  Schrift 
und  er  wird  sich  treffender  dem  christlichen  Dogma  anschließen.  Par- 
zival konnte,  wie  er  mit  sicherem  Verstände  überlegt,  in  seinem  Schweigen 


64  SAN-MARTE 

kein  Unrecht  finden,  da  er  ja  die  guten  Lehren  der  Mutter  und  des  greisen 
Gurnemanz  treu  und  streng  befolgt,  und  er  hielt  sich  desshalb  dadurch 
in  seinein  Verhalten  für  vollkommen  gerecht.  Aber  dieses  ihm  gegebene 
Gesetz,  analog  dem  des  alten  Bundes,  gab  ihm  zwar  gewisse  Formeln 
und  Formen  des  Kultus  nebst  einigen  Klugheitsregeln,  aber  es  enthielt 
nichts  von  dem  Evangelium  der  Liebe  des  neuen  Bundes;  darum  rich- 
tet der  Held  in  seiner  tum]  heit  und  bis  zu  seiner  Bekehrung  auch  nur 
durch  dessen  Befolgung  nichts  als  Unheil  an;  und  diese  ihm  noch 
unverständliche  Folge  seines  Thuns  treibt  ihn  immer  schärfer  zum 
Trotz  auf  seine  Gerechtigkeit ,  der  gerade  so  treuen ,  gewissenhaften 
und  thatkräftigen  Charakteren  vorzugsweise  eigen  ist.  Parzivaln  traf 
der  Fluch,  weil  er  sich  für  gerecht  hielt.  „Verflucht  ist  jedermann, 
der  am  Holze  hängt"  (Gal.  3,  13;  vgl.  1  Joh.  1,  17),  und  Parzival 
hieng  am  Holze  des  Gesetzes.  So  lautet  Reicheis  weltlich  ausgedrückter 
Satz  in  der  geistlichen  Sprache.  —  Wolfram  konnte  freilich  nicht  in 
dieser  Sprache  der  h.  Schrift  reden,  ohne  sein  Epos  in  ein  dogmatisches 
Lehrgedicht  umzuwandeln  und  den  ganzen  Zauber  seiner  lebensvollen 
Schöpfung  und  die  tiefdurchgehende  Allegorie  derselben  zu  zerstören. 
Ans  den  heftigen  Vorwürfen  der  beiden  Gralangehörigen  Sigune  und 
Trevrecent  und  des  Templeisen  am  Thore ,  so  wie  Kundriens,  aber  ist 
abzunehmen,  daß  dem  Dichter  wohl  dieser  religiöse  Gedanke  vor- 
schwebte; denn  bei  den  übrigen  formell  sonst  leidlich  guten  Christen 
an  Artus  Hofe,  die  eben  auch  am  Holze  des  Gesetzes  hiengen,  wird 
nur  Bedauern  mit  ihm,  nicht  Vorwurf  laut.  Sie  begreifen  so  wenig 
wie  Parzival  selbst  damals,  wesshalb  jener  Fluch  ihn  mit  Recht  trifft. 
Die  dichterische  Motivierung  und  Darstellung  des  Benehmens  Parzivals 
durch  die  Unterwerfung  unter  das  Gebot  der  zuht  umhüllt  daher  nur 
die  theologische  Wahrheit,  hebt  sie  aber  nicht  auf,  und  der  ganze 
fernere  Verlauf  der  Begebenheiten  und  Parzivals  allmäliche  Seelen- 
reinigung und  Erhebung  zum  Gott  des  neuen  Bundes  bestätigt,  wie 
eben  jenes  starre  und  „unzulängliche"  Gesetz  der  Mutter  und  des  Gurne- 
manz in  Folge  von  dessen  werkheiliger  Befolgung  ihm  „zum  Zucht- 
meister auf  Christum"  (Gal.  3,  23 — 25)  geworden. 

Bei  einer  Glaubensrichtung,  die  Papst  und  Hierarchie  verschmäht, 
die  vielmehr  immer  nur  auf  Gott  und  sein  heiliges  Wort  unmittelbar 
als  den  einzigen  Glaubenscpiell  zurückgeht,  kann  daher  auch  die  Erlö- 
sung Parzivals  von  dem  Fluche  nicht  anders  als  nur  durch  ihn  selbst, 
als  sein  eigener  Priester,  durch  fortgesetzte  Reue  und  Butte  bewirkt 
werden,  »ohne  daß  es  dazu  einer  kirchlichen  Vermittlung  bedurfte"  (Nr.  6). 
Wir  finden  denselben  Glaubenssatz  im  Gedicht  dadurch  ausgesprochen, 


WOLFRAMS  PARZIVAL.  65 

da ß  auch  TVevrecents  Einsiedlerleben  und  die  Gebete  der  Templeisen 
um  Genesung  ebensowenig  als  die  seltensten  Wundarzneien  dem  An- 
fortas  Heilung  gewähren.  Auch  hören  wir  nicht,  daß  Kyot  und  Man- 
pfilot,  die  im  Schmerz  über  Schoysianens  Tod  dem  Schwert  entsagen 
und  Einsiedler  werden  (P.  186,  26.  T.  20— 23),  darüber  besonders  be- 
lobt werden.  Es  war  das  dem  Dichter  zwar  eine  zu  seiner  Zeit  ge- 
wöhnliche Erscheinung,  für  die  er  jedoch  keine  Sympathie  hat,  wenn- 
gleich er  der  in  Ascetik  verharrenden  Siffune  wegen  ihrer  über  das 
Grab  hinausreichenden  Treue  das  höchste  Lob  spendet;  aber  sie  that 
auch,  wie  der  Apostel  spricht:  „Das  ist  eine  rechte  Wittwe,  die  einsam 
ist,  die  ihre  Hoffnung  auf  Gott  stellt,  und  bleibet  im  Gebet  und  Flehen 
Tag  und  Nacht"  (1  Tim.  5,  5),  worauf  der  Dichter  ausdrücklich  hin- 
deutet: Sigüne  doschesse  Borte  selten  messe.  Ir  lehn  was  doch  ein  venje 
gar  (P.  435,  23.  436).  Von  dem  Manne  verlangt  der  Dichter  mehr  als 
dumpfe  Ascetik;  wie  die  Kampfbegier  ohne  sittlichen  Zweck,  so  ver- 
wirft er  auch  die  thatenlose  Beschaulichkeit  und  preiset  den  Mann, 
der  sich  niht  versitzet  noch  verget  Und  sich  anders  xcol  verstet  (P.  2,  15); 
und  ich  vindiciere  mit  Reichel  1.  c.  S.  25  und  mit  Bezug  auf  P.  827,  19 
vollständig  dem  Dichter  „den  hohen  Gedanken,  daß  er  die  sittlichen 
Schätze  des  christlichen  Glaubens  im  Leben  verwerthet  wissen  will." 

„Die  Consequenz  des  Urgedankens  des  Epos,  zu  dem  es  die 
verworrene  Mystik  der  Sage  nicht  hat  kommen  lassen"  (Nr.  10),  konnte 
demnach  nicht  füglich  darin  bestehen,  daß  der  Held  im  Kampf  für 
den  Gral  die  Märtyrerkrone  errang,  denn  der  Gral  ist  eben  keine 
aggressiv-hierarchische  Macht,  und  der  Widersacher  Gottes,  der  Hoch- 
muth,  wird  nicht  in  eine  dem  Gläubigen  gegenüberstehende  Person, 
sondern  in  die  eigene  Brust  des  Kämpfenden  und  Kingenden  verlegt. 
Die  Art,  wie  Parzival  diesen  Feind  und  die  der  Menschheit  eingeborne 
Sündhaftigkeit  zu  überwinden  hatte,  konnte  daher  auch  ihren  Ausgang 
nicht  in  einem  Tod  durch  Feindes  Hand,  sondern  nur  in  dem  Sieg 
über  das  Böse  in  ihm  selbst  finden.  Aber  selbst  die  wirklich  verwor- 
rene Mystik  der  Sage ,  wie  sie  bei  Chrestiens  de  Troyes  und  seinen 
Fortsetzern ,  und  noch  weiter  im  Prosaroman  von  Parzival  und  dem 
h.  Gral  sich  ausbreitet,  und  der  sogar  die  so  tiefsinnig  gedachte  Unfind- 
barkeit  der  Gralsburg  dergestalt  abhanden  kömmt,  daß  ein  wahres 
Treibjagen  darnach  entsteht  und  auch  wirklich  viele  Unberufene,  frei- 
lich ohne  Resultat,  dahin  gelangen,  auch  diese  Mystik  lässt  zum  großen 
Verdruß  unseres  Verfassers  von  1855  sogar  Parzival  als  Gralkönig  selig 
versterben  ohne  Märtyrerthum.  Unser  Gedicht  ist  keine  tragische  Hei- 
ligenlegende, und  es  darf  daher  nicht  an  dasselbe  eine  Forderung  gestellt 

GERMANIA  VII.  5 


66  SAU -MÄHTE 

werden,  die  seiner  ganzen  Idee  widerspricht.  Das  „wahrhaft  Gute, 
Schöne  und  Große,  um  das  Heil  zu  verdienen,"  was  der  Verf.  nicht 
erkennt  (Nr.  8),  besteht  eben  in  dem  Ringen,  den  begangenen  Fehl 
durch  innere  Läuterung  gut  zu  machen  (daß  den  Helden  weder  das 
Abenteuer  der  Zauberburg,  noch  Orgelusens  Reize  von  seiner  Bahn 
ablockten,  sind  Thaten  hohes  Preises  werth) ,  und  die  Hoffnung  auf 
Gottes  Erbarmen  und  die  sacramentale  Liebe  zu  seinem  Weibe  sind 
die  Engel,  die  ihn  auf  seiner  Bußfahrt  unterstützen.  — ■  Unverständlich 
ist  mir,  wie  durch  die  Erhebung  zum  Gral,  also  durch  den  Schluß 
und  das  Ziel  des  Gedichts,  die  Geschichte  „zum  geistigen  Stillstand" 
(Nr.  S)  gebracht  wird,  da  selbst  nach  diesem  Schluß  noch  der  Dichter 
die  Aussicht  in  das  ferne  Reich  des  Priesters  Johannes  eröffnet,  und 
die  Wirkung  des  neuen  Gralkönigs  bis  zum  fernen  Indien  und  dessen 
Zukunft  zeigt.  —  Ohnehin  wäre  mit  einem  Märtyrertode  die  Erlösungs- 
frage nicht  einmal  beantwortet,  sondern  ins  Jenseits  geschoben.  Richtig 
charakterisiert  daher  Vilmar  (Litt.  Gesch.  2.  Ausg.  S.  ]  63)  das  Gedicht 
als  ein  Epos  „nicht  der  Thaten  der  Völker  u.  s.  w.,  sondern  der  Thaten 
tles  Geistes  und  der  Begebenheiten  der  Seele,  des  Leides  und  der 
Freude  des  inneren  Menschen,  ein  Epos  der  höchsten  Ideen  von  gött- 
lichen und  menschlichen  Dingen:  wie  Welt  und  Geist  gegen  einander 
streiten  und  Ilochmuth  und  Demuth  mit  einander  ringen;  und  es  scheut 
sich  nicht,  in  ruhigem  Bewusstsein  seiner  Wahrheit,  im  vollen  Bewusst- 
sein  der  siegenden  ewigen  christlichen  Wahrheit  das  letzte  Wort  aus- 
zusprechen, was  Gocthe's  Faust  (Thl.  I)  nicht  wagt."  Auch  nach  ihm 
enthält  das  Mysterium  des  Grals  „den  Inbegriff  des  geistlichen  christ- 
lichen Lebens"  (S.  165);  aber  wir  vermissen  ungern  eine  nähere  Offen- 
legung des  religiösen,  ja  wir  dürfen  sagen  biblischen  Fadens ,  den  der 
Dichter  unausgesetzt  festhält  und  der  sich  mit  den  schlagendsten  Beleg- 
stellen nachweisen  lässt. 

Gervinus  (Gesch.  der  deutsch.  Nat.  Litter.  1.  Ausg.  S.  365)  be- 
zeichnet zwar  auch  „die  Reinigung  der  Seele  als  den  Mittelpunkt  im 
Parzival;"  aber  Äußerungen  wie  z.  B.  „die  unbegreifliche  Sehnsucht, 
die  den  Helden  aus  der  wirklichen  Welt  auf  etwas  außer  dieser  und 
über  dieser  Gelegenes  hinweist  (S.  362),  indem  vom  Dichter  das  Irdi- 
sche nicht  mehr  genügend  gefunden,  sondern  ein  höherer  Bezug  auf 
ein  Unendliches  gesucht  wird"  (S.358);  ferner  das  ..ganz  Überraschende, 
wie  schön  und  entsprechend  das  Fatum  im  Parzival  eingeführt  ist,  das 
der  Held  in  sich  selbst  trägt"  (S.  362),  und  endlich  die  Fragen:  „Wel- 
ches war  das  Heil,  das  hier  verheißen,  das- Glück,  das  hier  erlangt 
war?  Wohin  endlich  führte  dieses  mühselige  Ringen  den  feurigen  Dulder? 


WOLFEAMS  PARZIVAL.  67 

Was  gab  ihm  sein  neues  Leben  zur  Entschädigung  für  die  Opfer,  die 
er  brachte?  Fragen  nach  der  inneren  Seligkeit  des  Lebens,  welche  jene 
Zeit  nicht  beantworten  konnte  und  die  erst  Dante  in  seinem  „Paradiese" 
dichterisch  zu  lösen  verstand"  (S.  365)  —  alle  diese  Äußerungen  zeigen, 
daß  dem  geistvollen  Schriftsteller  dennoch  ebenso  der  evangelische 
Leitfaden,  der  uns  durch  das  geheinmissvolle  Dunkel  des  Gedichtes 
führt, .entschlüpft,  als  auch  überhaupt  die  poetische  Struktur  des  ganzen 
Gedichtes  in  seinen  drei  Hauptkreisen,  die  es  umfasst,  entgangen  scheint. 
—  Rosenkranz  von  1S55,  wie  er  die  Geschichten  vom  Gral  und  das 
Treiben  der  Templeisen  „im  Allgemeinen  ziemlich  geistlos"  (Nr.  4) 
findet,  erkennt  in  der  ganzen  Composition  „nur  ein  recht  weitschwei- 
figes Durcheinander  der  seltsamsten  Dinge  und  Begebenheiten,  worin 
die  Phantasie  stets  neuen  Stoff  zur  Verwunderung  findet"  (Nr.  11), 
obwohl  er  1830  (I.e.  S.  269)  dem  Dichter  doch  noch  „eine  unermess- 
lictie  Kraft"  zuschrieb.  Gervinus  (S.  353)  findet  zwar  jenes  träumerische 
Handeln  ohne  Princip,  das  dünkelhafte  Wesen  ohne  Grund,  jene  tapfe- 
ren Thaten  ohne  Zweck,  das  Gewirr  der  Abenteuer  ohne  Ende,  alles, 
was  in  den  bretonischen  Romanen  so  stehend  ist,  auch  im  Parzival: 
aber  (S.  356)  er  setzt  doch  nach  Tiefe  des  Planes  und  Größe  der  Ideen 
den  Parzival  über  Gottfrieds  Tristan,  und  findet  das  scheinbar  Zufäl- 
lige in  den  äußeren  Begebenheiten  mit  dem  Notwendigen  in  des  Hei- 
den  innerer  Entwickelung  ganz  vortrefflich  in  Beziehung  und  Ver- 
knüpfung gesetzt  (S.  362).  Es  genügt  uns  aber  nicht  von  ästhetischer 
Seite  die  auch  von  Vilmar,  Reich el,  Göschel  (die  Sage  v.  Parz.  u.  dem 
h.  Gral.  Berlin,  W.Schulze,  1855)  u.  s.  w.  hervorgehobene  Bemerkung: 
die  vielen  Abenteuer  Gawans  sollen  im  Gegensatz  der  übersinnlichen 
Welt  des  Grals  nur  die  Herrlichkeit  der  irdischen  Welt  schildern: 
Gawans  weltliche  Ritterlichkeit,  er,  »der  Virtuose  chevaleresker  Lebens- 
kunst" (Nr.  6),  soll  dem  geistlichen  Ritterthum  Parzivals  zur  Folie  dienen: 
die  Arthurfeste  und  die  Zauberburg  Klinschors  bilden  interessante 
(Kontraste  zu  dem  heiligen  Leben  auf  der  Gralsburg,  u.  dgl.  in.  — 
Alles  das  ist  zwar  richtig  und  trifft  die  Wahrheit,  aber  nur  zum  Theil 
und  erschöpft  sie  bei  Weitem  nicht.  —  Mochte  es  als  gewagt  gelten, 
aus  dem  Gedicht  eine  Glaubensrichtung  des  Dichters  herauszulesen, 
die  weit  über  seine  Zeit  hinauszugehen  scheint,  die  gleichwohl  aber 
in  keiner  kleinen  Fraction  seiner  Mitwelt  herrschend  war,  und  zwar 
dergestalt  herrschend,  daß  selbst  die  Kirche  davon  erschüttert  und  sie 
zu  den  gewaltsamsten  Mitteln  zu  ihrer  Unterdrückung  getrieben  ward, 

-  können  wir  aber  Schritt  für   Schritt  in  einem  Theile  desselben  und 
nach  einer   Richtung    hin ,    und   zwar    im   dargelegten   Verhältniss   des 

5*     - 


(58  SAN -M  ARTE 

Menschen  zu  Gott  (Gral,    Amfortas,    Parzival),   die  Erzählungen    des 

Gedichtes  folgerecht  in  die  positiven  Sätze  der  Glaubenslehre  über- 
tragen: so  darf  —  ist  dieses  gelungen  —  die  Untersuchung  nicht  auf 
halbem  Wege  stehen  bleiben ,  sondern  sie  darf  hoffen ,  daß  bei  einem 
so  tiefsinnigen  Dichter  und  Denker  wie  Wolfram  auch  das  Gleiche  auf 
die  übrigen  Theile  Anwendung  findet,  also  auch  auf  das  Verhältniss 
des  Menschen  zum  Bösen  außer  uns  und  das  Verhältniss  des  Menschen 
zur  Welt;  und  dann  werden  wir  nicht  mit  Hoffmann  (S.  89)  sagen 
dürfen:  „die  Verbindung  Arthurs  mit  dem  Gral  sei  eine  bloß  äußer- 
liche, nur  durch  Parzivals  Figur  vermittelte,  und  Klinschors  Geschichte 
gehöre  gar  nicht  zur  Sache"  (S.  93).  —  Ohne  einen  strengen  ,  inneren 
geistigen  Zusammenhang:  des  Grals  mit  Arthurs  Weltreich  und  den 
Anfechtungen  des  Unglaubens  und  Bösen  wäre  die  Durchführung  der 
herrschenden  Idee  in  Parzivals  Geschichte  nur  einseitig  und  unvoll- 
ständig, während  das  Gedicht  durch  diesen  Zusammenhang  dagegen  ein 
wirklich  weltumfassendes  wird.  Der  Strom  der  Welt,  in  welchem  die 
Tafelrunde  schwimmt,  und  die  Zauberburg ,  wo  die  düsteren  feindseli- 
gen Mächte  Qual  und  Verderben  gegen  alles  Geschaffene,  was  Freude 
und  Tugend  athmet,  brüten,  sind  vielmehr  Gegensätze  jenes  Gottes- 
reichs des  Grals,  die  mehr  als  nur  eine  poetische  Dekoration  bedeuten 
und  mehr  als  ästhetischen  Reiz  bezwecken.  —  Die  weitere  Ausführung 
dieser  beiden  letzteren  Punkte  wird  der  für  das  Verständniss  unseres 
Dichters  sich  interessierende  Leser  im  dritten  Heft  meiner  Parzival- 
Studien,  das  unter  der  Presse  ist,  finden;  doch  möge  mir  gestattet 
sein ,  bei  dieser  Gelegenheit  wenigstens  einige  vorläufige  Andeutungen 
zu  geben. 

Kirchenlehre  und  Volksglaube,  gestützt  auf  die  h.  Schrift,  erkann- 
ten ein  Reich  des  Satans  und  seiner  Engel  und  Dämonen,  deren  Wal- 
ten auch  über  die  Erdgebornen  gieng,  als  Feinde  Gottes  und  aller  derer, 
die  fromm  und  treu  ihm  anhiengen,  an,  und  auch  Wolfram  lässt  ein 
solches  demgemäß  in  seiner  Dichtung  bestehen.  Äußerlich  zwar,  wie 
jedes  andere  irdische  Königreich  anzusehen,  hat  es  seinen  Sitz  im  fer- 
nen Orient,  dem  Lande  der  Zauber,  Ungeheuer  und  unermesslicher 
Schätze,  dem  Wohnplatz  der  missgeschaffenen  Sprösslinge  adamitischer 
Weibesgier,  wo  das  Heiclenthum  in  unbeschränkter  Macht  und  Blüthe 
stand;  und  von  hier  gehen  alle  Anfechtungen  gegen  das  Gral-  wie 
gegen  Arthurs  Weltreich  aus.  Allein  so  wenig  wie  in  der  Geschielitc 
Parzivals  ihm  der  Erlöser,  Engel  und  Heilige  (abweichend  von  den 
Prosaromanen  von  Percival  und  de  St.  Gröal)  persönlich  entgegen- 
treten,   ihn    lehren   und   führen,    so  wenig  begegnet  uns  auch  hier  der 


WOLFRAMS  PARZIVAL.  b'9 

leibhafte  Satan  mit  Hörn,  Schweif,  Pferdefaß  und  Krallen,  wie  Dante's 
Vorgänger  schon  ihn  ausführlich  malten,  sondern  seine  Repräsentanten 
und  Organe  reihen  sieh  künstlerisch  und   menschlich    in    sein  romanti- 
sches Epus  als  durchaus  natürliche    Figuren    ein,    worüber    wir   indess 
ihren  infernalischen  Charakter  nicht  vergessen  dürfen.     Sekundille,  die 
Heidenkönigin,  verlockt  den  Gralkönig  Amfortas  zu  verbotener  Minne, 
d.  h.  zum  Abfall  von  Gott;  zwrar  ermannt  er  sich  insoweit,  sie  im  Stich 
zu  lassen,  aber  er  fällt  bald  wieder  in  die  Schlingen  der  Orgeluse,  in 
deren  Dienst  er  die  giftige  Wunde ,  und  zwar  von  einem  Heiden  em- 
pfängt, der  den  Gral  bekämpfen  will,  in  welchem  wir  daher  nur  einen 
Abgesandten    der  Finsterniss    zu   erkennen    vermögen;    und   so    macht 
Gott,  wie  ja  fast  immer,   den  Bösen  zum  Werkzeug  seiner  strafenden 
Gerechtigkeit  gegen  Amfortas.  Auch  Klinschor  stand  mit  Sekundillen, 
der  er  die  Spiegelsäule  und  andere  Schätze  stiehlt,  in  Beziehuno-;  sein 
verbrecherischer  Umgang   mit  der  Königin  Iblis ,    die   nicht    ohne  Be- 
deutung den  Namen  des  muhamedanischen  Satans  führt,    und   die  mit 
satanischer   Bosheit   selbst   sein    Verbrechen   verräth ,    treibt    ihn    nach 
seiner  schmachvollen  Bestrafung  zur  Schwarzkunst  und  macht  ihn  zum 
eifrigsten    Jünger    des    Schwarzen.     Klinschor    am   wenigsten   ist,    wie 
Rührmund  (v.  d.  Hagen,  Germania,  Jahrb.  der  Berl.  Gesellsch.  IX,  14) 
meint:  „eine  Karrikatur  Abälards  und  ein  Vorläufer  des  Faust,  nur  mit 
mehr  wälschem  als  deutschem  Charakter."  —  An  ihn  reihen  sich  jene 
Unseligen,  Irot,  GraniofJanz,  Orgeluse,    und  schließen  Pacte  mit  ihm 
zu  ihrem  Schutz  gegen  ihn,  und  diese  ziehen  auch  Arthurs  Verwandte, 
Gawan  und  seine  Schwester,  in  ihre  feindseligen  Conflicte,  wie  Klin- 
schor   selbst   dem    Arthur    Weib   und    Mutter    entführte    und    auf    der 
Zauberburg  einsperrte.  So  schlingt  sich  kunstvoll  das  dichterische  Ge- 
webe der  Erzählung  um  alle  Repräsentanten  der  oben  von  uns  bezeich- 
neten drei  Reiche,    ohne    daß  jedoch   der    Dichter    deren    symbolische 
Bedeutung  und  ihr  ethisches  Verhältniss  zu    einander    aus    dem    Sinne 
verliert.     Wir   erkennen    dabei,    daß  Arthur    und  seine  Tafelrunde  ein 
Christenthum  haben  und  üben,    wie   es    eben  in  den  höfischen  Kreisen 
zu  des  Dichters  Zeit  herkömmlich  war.     Sie  hören  regelmäßig  Messe 
beobachten  getreu  die  gebotenen  Kultusformen,    die   fahrenden   Herren 
und  Ritter  führen  Kapläne  und  kirchliche  Ornamente  sogar  auf  Reisen 
mit  sich,  beten  auch  wohl  in  der  Noth,    wie  Gawan  auf  dem  Zauber- 
bette, oder  herkömmlich  in  der  Kirche  wie  Ginevra;  aber  nicht  Einer 
lässt  sich  die  Äußerung  einer  tieferen  Gotteserkenntniss  oder  die  mehr 
als  übliche  Formel  wäre,  entschlüpfen;  und  auf  gleich  äußerlicher  Stufe 
hält   sich    auch   ihre  höfische  Moral.     Gewiss   ist   es   nicht  andächticre 


7(1  SAN-MAKTE 

Verehrung  dos  li.  Stuhls ,  sondern  scharfe,  beißende  Ironie,  wenn  der 
Dichter  d^n  Baruch,  den  heidnischen  Papst,  mit  dem  h.  Vater  in  Rom 
vergleicht,  der  auch  Ablaß  ertheilt  und  bei  dem  man  heidnische  Orden 
sieht  --  wobei  indess  zugleich  die  Lehre  der  Kirche  hineinspielt,  daß 
die  Dämonen  die  heiligen  Gebräuche  der  christlichen  Kirche  im  heidni- 
schen Gottesdienste  nachahmen.  —  Dieser  sichtbaren  äußerlichen  Kir- 
chengemeinschaft mit  ihrer  todten  Werkheiligkeit  steht  die  Genossen- 
schaft des  Gral-Evangeliums  gegenüber,  und  Avie  nach  Wolframs  An- 
sicht die  Kirche  jener  ersteren  Gesellschaft  zwar  nicht  geeignet  ist, 
zur  Gralseligkeit  zu  führen,  so  hält  er  sie  doch  für  genügend  stark, 
mit  ihren  Heilsmittel  dem  „Teufel  außer  uns"  zu  begeernen,  den  Herze- 
loide  und  Gurnemanz  dem  Parzival  bezeichnen,  und  der  in  der  That 
von  Kirche,  Volksglauben  und  zahllosen  Legenden  so  materiell  und 
äußerlich,  um  nicht  zu  sagen  massiv,  aufgefasst  ward,  daß  der  be- 
drängte Mensch  sich  seiner  auch  mit  jenen  äußerlichen  Mitteln,  welche 
diese  Kirche  bot,  mit  gewissen  Gebetsformeln,  Schlagen  des  Kreuzes, 
Segenssprüchen  u.  s.  w.  erwehren  konnte.  Darum  konnte  es  auch  dem 
weltlichen,  jedoch  im  Geist  dieser  Kirche  genügend  frommen  lütter 
Grawan  gelingen,  im  Bund  mit  seiner  zuht,  männlichen  Rechtschaffen- 
heit und  seinem  Heldenmuth,  den  Zauber  von  Schastel-Marveille  zu 
überwinden  und  dieses  dämonische  Zauberland  der  gewöhnlichen  Chri- 
stenwelt zurückzugeben;  aber  zur  Gralseligkeit  gelangte  er  desshalb 
noch  nicht.  —  Nach  Wolframs  Meinung  aber  ist  ein  solcher  Versucher 
für  den  wahren  Jünger  des  Grals  gar  nicht  vorhanden,  jedenfalls  gegen 
ihn  machtlos;  denn  wie  der  Erlöser  auf  der  Höhe  des  Berges  zum 
Satan  sprach:  „Hebe  dich  weg  von  mir,  denn  es  steht  geschrieben,  du 
sollst  anliefen  Gott  deinen  Herrn  und  ihm  dienen"  (Matth.  4,  10),  so 
weist  Parzival  Orgelusens  Verlockung  mit  voller  innerer  Festigkeit 
zurück:  .lehn  toil  iicer  minne  niht,  Der  grdl  mir  anders  Jcumber  gihtl 
Sus  sprach  der  lieh  mit  zorne"  (P.  619,  11),  und  lässt  die  Bestürzte  in 
tiefster  Beschämung  stehen. 

Gawan  aber  hat  eine  doppelte  Mission  und  geht  darauf  unbe- 
wusst,  wie  Parzival  auf  die  seinige,  ein.  Einmal  folgt  er  der  vom  Gral 
ausgehenden,  von  Kundrien  am  Plimizol  ausgesprochenen  Aufforderung 
zur  Befreiung  der  gefangenen  Frauen,  und,  daraus  folgend,  zur  Zer- 
störung von  Klinschors  Zaubern,  somit  zur  Überwindung  dieser  vor- 
geschobenen Colonie  des  Reiches  der  Finsterniss.  Jedoch  gibt  der 
Dichter  ihm  noch  eine  zweite  Mission,  die  innig  mit  seiner  klaren 
Anschauung  dessen,  was  im  damaligen  Ritterleben  verwerflich  war  und 
den   Keim  künftiges  Verderbens  wirklich  in  sich  trug,  zusammenhängt. 


WOLFRAMS  PARZIVAL.  71 

Er  geißelt  die  ungezügelte  Kampflust  ohne  sittlichen  Zweck,  er  tadelt 
scharf  die  lächerlichen  Grillen  eines  hochgespreizten  Stolzes  und  ver- 
kehrten ritterlichen  Ehrgeizes,  und  noch  schärfer  in  sehr  zahlreichen 
Aussprächen  die  zu  seiner  Zeit  schon  großen  Ausschweifungen  des 
ritterlichen  Minnedienstes  und  die  Vergötterung  der  Minne,  die  im 
Tristan  ihren  weltlichen ,  im  Mariendienst  ihren  geistlichen  Ausdruck 
fand  —  was  alles  nicht  allzulange  nach  ihm  in  Ubermuth  des  Adels, 
Raubwesen  und  gröbster  Unsittlichkeit  neben  abergläubischer  Bigotterie 
seinen  verderblichen  Ausgang  nahm,  wie  es  bei  einer  Erziehung  nicht 
wohl  anders  möglich  war,  welcher  die  strenge  sittlich-religiöse  Grund- 
lage fehlte.  Dieser  sinnlichen,  überkünstelten  Minne  stellt  er  das  Ideal 
wahrer  christlicher  Gattenliebe,  die  „wahre  Liebe"  Parzivals  und  Kon- 
dwiramurs  gegenüber.  —  Die  ungemessene  Leidenschaft  Orgelusens  zu 
Lidegast,  die  in  blutgierigen  Rachedurst  gegen  dessen  Mörder  Gramo- 
flanz  umschlägt,  die  sie  zum  Bündniss  mit  Klinschor  und  sogar  dazu 
treibt,  daß  sie  sich  selbst  dem  zum  Preise  aussetzt,  der  ihr  zum  Rache- 
werkzeug  dienen  würde,  —  ferner  der  überstolze  Hoehmuth  des  Gramo- 
flanz  und  sein  wilder  Hass  gegen  Gawan  zeigen  die  tiefste  sittliche 
Verirrung,  die  sich  fast  zur  Geisteszerrüttung  steigert.  Auch  der  Fähr- 
mann Plippalinot,  Orgelusens  kriechender  Diener,  krankt  an  sittlicher 
Fäulniss.  Sie  alle  sind  in  den  Banden  des  Bösen.  Gawan  erhält  den 
Beruf  zugetheilt,  den  er  nicht  ohne  Straucheln  und  mehrmals  in  naher 
Gefahr  zu  fallen  erfüllt,  das  edle  Rittertimm  über  die  unreine  Minne 
und  den  unwürdigen  Dienst  derselben  zu  erheben ,  zugleich  aber  auch 
jene  Gefallenen  und  Verirrten  aus  den  dämonischen  Banden  ihrer  wil- 
den Leidenschaften  zu  reißen.  Und  wie  trefflich  dieß  gelingt,  sehen 
wir  an  dem  Wege  der  Demüthigung,  Reue  und  Buße,  den,  ähnlich 
wie  Parzival  in  seiner  Richtung,  auch  Orgeluse  und  Grainoflanz  gehen 
müssen ,  bis  sie  aus  ihrem  sittlichen  Verfall  sich  wieder  erheben ;  und 
gleichwie  der  Graljünger  durch  den  Glauben,  werden  diese  verirrten 
Weltkinder  durch  Edelsinn  und  wahre  Herzensliebe  zu  Preis,  Ehre 
und  zeitlichem  Glück  zurückgeführt  und  den  Mächten  der  Finsterniss 
entrungen.  Das  ist  meines  Erachtens  die  ethische  und  theologische 
Bedeutung  von  Gawans  Abenteuern,  die  nur  zu  leicht  durch  den 
bunten,  in  allen  Farben  spielenden  Glanz  der  Dichtung  verhüllt  wird, 
aber  unverkennbar  darin  enthalten  ist. 

Auch  Feirefiß,  mutterhalb  Heide  und  Parzivals  Halbbruder,  wird 
von  Sekundillen  selbst  als  dessen  dritte  Geliebte  umstrickt;  in  ihrem 
Dienst  zieht  er  in  das  christliche  Abendland,  und  sein  Zusammentreffen 
mit  Parzival  ist  der  letzte  Versuch  der  finsteren  Mächte,  einen  Todesstoß 


72  SAN-MABTE 

irecen  das  Gralreich  zu  führen.  —  Es  würde  nicht  wohl  begreiflich 
sein,  wesshalb  der  Dichter  gerade  diesen  Kampf  so  feierlich  ankündigt, 
ihn  mit  den  leidenschaftlichsten  Gefühlen  der  Angst  und  Freude  be- 
gleitet, und  ihn  zum  Wendepunkt  für  Parzivals  Schicksal  macht, 
wenn  ihm  nicht  ein  besonderer,  großer  religiöser  Gedanke  und  mehr 
als  eine  bloße  sentimentale  Rührung,  daß  Geschwister  hier  kämpfen. 
in  der  Seele  gelegen  hätte.  Daher  sagt  Lachmanns  Ausspruch  (Parz. 
S.  XXV):  „Parzival  habe  im  unverschuldeten  Kampf  mit  Freund  (Ga- 
wan)  und  Bruder  das  Härteste  erfahren,"  viel  zu  wenig;  denn  wie 
groß  wäre  der  Triumph  der  Hölle  gewesen,  wenn  dieser  neue  und 
letzte  Abgesandte  des  Bösen  den  von  Gott  auserwählten  künftigen 
Gralkönig  überwunden  hätte?  Wie  groß  aber  auch  dann,  wenn  Feirefiß 
von  Bruderhand  fiel  und  Parzival  aufs  Neue  Blutschuld  der  Ver- 
wandtentödtung  auf  sich  geladen,  und  so  wiederum  Gottes  Huld  und 
die  Gralgemeinschaft  verloren  hatte?  Darum  ruft  der  Dichter:  gcli'i<-L-f 
scheidez  äne  tot  (P  738,  10).  Hier  wie  nirgend  anderswo  im  Gedieht 
wird  der  Gottesheld  durchweg  der  Getaufte  und  Feirefiß  der  Heide 
genannt;  jener  ruft  zu  seinem  Beistand  den  Gral  und  seine  sacramental 
geliebte  Kundwiramurs,  dieser  seine  Heidengötter  und  unheilig  ge- 
minnte  Sekundille  an;  jener  betet  zu  Gott,  dieser  vertraut  der  Zauber- 
kraft seiner  Edelsteine.  Gott  selbst  entscheidet  den  Kampf,  indem  er 
Parzivals  Schwert  zerbrechen  lässt  —  Andeutungen  genug,  daß  nach 
dem  Sinne  des  Dichters  hier  mehr  als  ein  Sieg  um  Ritterpreis,  Leib 
und  Leben ,  daß  vielmehr  der  Sieg  des  Lichtes  über  die  Finsterniss 
und  die  Erringung  des  seligen  Heiles  für  Parzival  auf  dem  Spiele  steht- 
Ohne  diesen  Hintergedanken  konnte  dieser  Kampf  nicht  zum  Gipfel- 
punkt des  ganzen  Gedichtes  erhoben  werden.  Und  unmittelbar  darauf 
folgt  auch  Kundriens  Heilsbotschaft.  —  Diese  Lösung  des  Kampfes, 
der  Sieg  über  die  Macht,  „die  stets  das  Böse  will  und  stets  das  Gute 
schafft,"  führt  Parzivaln  zur  Herrlichkeit  und  Feirefiß  durch  die  Liebe 
zur  Taufe,  und  entreißt  somit  letzteren  den  Gewalten,  denen  er  bisher 
verfallen  war;  und  er  selbst  ist  es,  der  das  Christenthnm ,  wie  der 
Gral  es  lehrt,  im  fernen  Reich  Sekundillens  verbreitet.  Alle  jene 
schwarzen  feindseligen  Mächte  sinken  in  Ohnmacht  und  Nacht  zurück, 
und  so  vollendet  im  Gedicht  sich  zugleich  neben  des  Amfortas  Er- 
lösung und  Parzivals  Heiligung  die  Erhebung  der  Gralkirche  zur  Ec- 
clesia  triumphans.  Mochte  der  überlieferte  Sagenstoff  auch  noch  so 
verstreut  und  durcheinander  gewürfelt  vorliegen,  unser  Dichter  verstand 
es,  aus  seinem  Material  nicht  bloß  —  ich  wiederhole  es  —  in  der  Ge- 
schichte seines  Haupthelden    die   Bekehrung   des    Christen    zum    reinen 


WOLFEÄMS  PAEZIVAL.  73 

Evangelium  und  in  der  Gemeinde  des  Grals  das  Ideal  einer  evangeli- 
schen Kirchengemeinschaft  nach  dem  Typus  des  besten  geistlichen 
Ritterordens  seiner  Zeit  darzustellen,  sondern- damit  auch  die  Feier  des 
Sieges  der  Offenbarung  des  neuen  Bundes  über  das  Dämonenreich  des 
allgemeinen  Kirchenglaubens,  und  endlich  die  sittliche  Erhebung  des 
Ritterthums  über  seine  unsittlichen  Gebrechen  zu  verbinden ,  und  Se- 
kundille ,  Klinschor ,  Gawan ,  Orgeluse  und  Feirefiß  sind  ebensowohl 
nothwendige  Träger  des  hohen  dichterischen  Gedankens,  wie  Parzival, 
Amfortas,  Trevrecent  und  die  Templeisen. 

Wie  hoch  aber  der  Dichter  das  Gralreich  über  jenes  Weltreich 
Arthurs  und  der  Tafelrunde  stellt,  spricht  er  klar  und  gewaltig  in  den 
beiden  großen  Scenen  von  Kundriens  Erscheinen  aus.  Parzival  schien 
am  Plimizoel  das  höchste  irdische  Glück  erreicht  zu  haben:  ein  schönes 
treues  Weib,  ritterliche  Triumphe  der  glänzendsten  Art,  allgemeine 
Bewunderung  der  höchsten  Tapferkeit,  die  höchste  Ritterehre  durch 
Aufnahme  in  die  Tafelrunde:  und  er  schien  dieses  Glückes  so  würdig 
zu  sein.  Doch  der  Gralsbotin  Wort  schleudert  ihn  in  den  Abgrund  der 
Schmach,  schilt  die  Tafelrunde  entehrt  durch  solchen  Genossen,  und 
zerschellt  auf  einmal  all  den  Glanz  und  die  Ehre  Arthurs  als  eine 
werthlose  Scherbe,  und  alles,  was  er  aufgeboten,  zerfließt  als  eitel  Blend- 
werk vor  der  höheren  Aufgabe,  die  dem  Gott  und  nicht  die  Welt  suchen- 
den  Menschen  gestellt  ist.  Kundrie  spricht  es  aus:  wie  der  Herrlichste 
vor  den  Menschen  doch  der  Verworfenste  vor  Gott  sein  kann:  wie  er 
von  jenen  gefeiert,  von  diesem  gezüchtigt  wird.  —  Und  wiederum  auf 
Joflanze,wo  abermals  Parzival  nach  den  ruhmvollsten  Kämpfen  die  höchste 
Ehre  errungen,  er  wiederum  durch  Wiederaufnahme  in  die  Tafelrunde 
mit  erhöhtem  Glanz  verklärt  wird,  wo  Artus  und  all  die  Seinigen  sich  in 
ihrem  höchsten  Ruhm  und  Glück  wiegen,  da  erscheint  wieder  Kundrie 
mit  der  Verkündigung:  daß  Parzivals  endlicher  Lohn  nicht  hier,  sondern 
beim  Gral  verliehen  werde.  —  Gewiß  erkennt  Wolfram  die  sittliche  Kraft 
des  weltlichen  Menschen,  die  hohe  Würde  des  echten  Ritters  als  ein 
Nothwendiges,  Heilsames  und  Berechtigtes  in  der  bestehenden  Welt  an, 
aber  er  erkennt  es  auch  ebenso  in  seiner  Unzulänglichkeit  zur  höchsten 
Aufgabe  der  Menschheit,  und  es  wiederholt  sich  auch  Artus  und  seinem 
Reich  gegenüber  der  Grundgedanke:  „Gott,  dem  ewigen  König,  dem 
Unvergänglichen  und  Unsichtbaren  und  allein  Weisen  sei  Ehre  und  Preis 
in  Ewigkeit"  (1  Tim.  1,  17),  den  Spruch  des  Heilandes  bekennend: 
„Ich  bin  das  Licht  der  Welt;  wer  mir  nachfolgt,  der  wird  nicht  wandeln 
in  Finsterniss,  sondern  wird  das  Licht  des  Lebens  haben"   (Job.  8,  12). 


74  FEDOK  BECH 

DBEE  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN. 

VON 

FEDOR  BECH. 


Die  Herausgabe  des  vollständigen  Textes  der  preußischen  Chronik 
des  Nicolaus  von  Jeroschin,  welche  wir  Strehlke  :::)  verdanken,  wird 
Kennern  und  Freunden  der  preußischen  Geschichte  eine  um  so  will- 
kommenere Gabe  sein,  je  bedeutender  die  Stellung  ist,  welche  dieses 
Werk  neben  der  lateinischen  Chronik  des  Peter  von  Dusburg  in  der 
Überlieferung  der  vaterländischen  Geschichte  einnimmt.  Aber  die  Ge- 
schichtsforschung ist  es  nicht  allein,  um  derentwillen  wir  diesen  Bei- 
trag willkommen  heißen.  Nicht  geringer,  wenn  nicht  um  vieles  be- 
deutender ist  das  Interesse,  welches  in  der  jüngsten  Zeit  die  deutsche 
Sprachforschung  dieser  reichen  Fundgrube  mitteldeutscher  Sprachformen 
zugewandt  hat.  Wieder  angeregt  war  dasselbe  bekanntlich  in  neuer 
Zeit  durch  das  epochemachende  Werk  Pfeiffers,  nachdem  über  hundert 
Jahre  verflossen  waren,  seitdem  J.  L.  Frisch  in  seinen  „Miscellaneis 
Berolinensibus"  und  in  seinem  „deutsch-lateinischen"  Wörterbuche  vom 
Jahre  1741  durch  Mittheilung  einer  Zahl  von  seltenen  Ausdrücken  die 
Aufmerksamkeit  der  Sprachforscher  zuerst  darauf  gelenkt  hatte.  In  den 
Auszügen,  welche  Pfeiffer  aus  dieser  Chronik  gab,  und  in  dem  mit 
seltener  Sorgfalt  und  Genauigkeit  ausgearbeiteten  Glossar,  welches  der- 
selbe beifügte,  war  bereits  eine  erschöpfende  Darstellung  des  Sprach- 
stoffes gegeben.  Zugleich  aber  erwarb  sich  Pf.  in  der  lehrreichen  Ein- 
leitung zu  dieser  Schrift  dadurch  ein  bleibendes  Verdienst,  daß  er  das 
besondere  Sprachgebiet  des  Mitteldeutschen  in  klaren  und  festen  Um- 
rissen zeichnete  und  gegen  alle  Einwendungen  auf  überzeugende  Weise 
sicher  stellte,  nachdem  er  bereits  früher  im  ersten  Theil  der  deutsehen 
Mystiker  das  mitteldeutsche  Lautsystem  nachgewiesen  und  W.Grimm 
dasselbe  weiter  in  Athis  und  Prophilias  verfolgt  hatte. 

Eine  neue  Wichtigkeit,  welche  Nicolaus  mit  Heinrich  Hessler, 
dein  Verfasser  einer  paraphrasierten  Apokalypse,  theilt,  besteht  in  der 
Mittheilung  der  Regeln,  welche  für  ihn  hinsichtlieh  der  Metrik  und  des 
Reimes  bei  Abfassung  seines  Buches  maßgebend  waren.  Die  ausführ- 
liche Besprechung,  welche  nächst  Pfeiffer  besonders  Bartsch  im  ersten 

*)  L>i  foröntke  von  Prüzinlant  des  Nicolaus  von  Jeroschin.  Herausgegeben  von 
Ei'nst  Strelülce.  Separatabdruck  aus  dem  ersten  Bande  der  Scriptores  Rerum  Prussicarum, 
herausgegeben  von  Th.  Hirsch,  M.  Toppen  und  E.  Strehtke.  Leipzig,  Verlag  von  S. 
Hirzel.   1861. 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEEOSCHIN.  75 

Bande  dieser  Zeitschrift  S.  192  folg.  diesem  Gegenstande  widmete,  hat 
nicht  wenig  dazu  beigetragen,  auch  nach  dieser  Seite  hin  das  Interesse 
für  Nicolaus  zu  steigein. 

Die  neue  Ausgabe  der  ganzen  Chronik,  welche  Strehlke  besorgt 
hat,  stützt  sich  zum  größten  Theil  auf  die  eben  genannten  Vorarbeiten. 
Der  Herausgeber  bekennt  selbst,  daß  er  „bei  Bearbeitung  des  Textes 
in  vielen  Dingen  an  Pf.  einen  trefflichen  Führer  gehabt  habe,"  daß  er 
namentlich  „bei  der  Erklärung  seltener  und  fremdartiger  Wörter  in 
den  bezüglichen  Noten  ihm  häufig  folgen  konnte." 

Die  hier  folgende  Beurtheilung  wird  nun  eines  Theils  zu  zeigen 
suchen,  in  wie  weit  Strehlke  im  Stande  gewesen  ist,  vermittelst  dieser 
Vorarbeiten  und  der  neugewonnenen  handschriftlichen  Überlieferung 
einen  befriedigenden  Text  zu  beschaffen;  anderen  Theils  und  zwar  zuerst 
soll  hier  von  Neuem  versucht  werden ,  mit  Bezug  auf  den  nun  voll- 
ständig vorliegenden  Text  die  in  mehrfacher  Hinsicht  schwierigen  Vers- 
regeln  Jeroschins  und  Hesslers  zu  deuten  und  auf  die  Verse  des  Dich- 
ters anzuwenden;  denn  für  Jeroschins  Texteskritik  ist  die  genaue  und 
sichere  Kenntniss  seiner  metrischen  Kegeln  unerlässlich.  Um  aus  den 
verschiedenen  Handschriften  einen  dem  Original  möglichst  nahe  kommen- 
den Text  zu  gewinnen,  muß  der  Herausg.  vor  Allem  diesem  Punkte 
seine  Aufmerksamkeit  zuwenden  und  ein  bestimmtes  zuverläßiges  Re- 
sultat zu  gewinnen  streben.  Mit  anderen  Worten:  um  zu  bestimmen. 
ob  in  den  vorhandenen  Textesüberlieferungen  die  Verse  in  des  Dichters 
Sinn  und  Weise  gemessen  und  gereimt,  oder  durch  Abschreiber  und 
Correctoren  verderbt  und  entstellt  sind,  muß  zuvor  festgestellt  sein, 
nach  welchen  Regeln  der  Dichter  seine  Verse  gemessen  und  gereimt 
haben  wollte.  Diese  Regeln  sind  nun  von  Pfeiffer  und  von  Bartsch 
selbst  in  den  wesentlichsten  Punkten  verschieden  aufgefasst  worden. 
Die  Schwierigkeit,  sie  für  uns  fassbar  zu  machen,  hat  aber  hauptsäch- 
lich darin  ihren  Grund,  daß  es  der  Zeit  des  Mittelalters  überhaupt  an 
einer  festen  allgemein  angenommenen  Terminologie  in  Bezug  auf  diese 
Dinge  zu  fehlen  scheint  und  daß  es  daher  sehr  schwer  hält,  sich  mit 
dem  Sinn  der  von  diesem  oder  jenem  Dichter  gelegentlich  gebrauchten 
Kunstausdrücke  vollkommen  vertraut  zu  machen. 

Vergleicht  man  nun  die  von  Nicolaus  gegebenen  Vorschriften  mit 
der  Art  und  Weise  selbst,  wie  er  seine  Verse  gemessen  und  gebaut  hat, 
so  lassen  sich  besonders  folgende  für  uns  wichtige  Gesetze  wahrnehmen: 

1.  Kein  Vers  darf  unter  sechs  noch  über  neun  Silben  enthalten. 

2.  Die  mit  einander  reimenden  Verszeilen   müssen    in   Bezug  auf  die 
Zahl  ihrer  Hebungen  und  Senkungen  einander  gleich  sein. 


7(j  PEDOE  BECH 

Ausnahmen:  a)  Eine  Senkung  mehr  bildet  scheinbar  der  Auf- 
taut der  einen  oder  der  anderen  Zeile,  dieser  wird  indess  nicht 
mitgezählt. 

b)  Ausfall  einer  Senkung  in  der  einen  oder  der  anderen  Zeile  des 
Verspaares  ist  bloß  gestattet  innerhalb  längerer,  zumal  zusam- 
mengesetzter Wörter,  welche  neben  dem  Hochton  unmittelbar 
noch  einen  Tiefton  haben,  mithin  keine  Senkung  zwischen  sich 
zulassen. 

3.  Die  reimenden  Endsilben  des  Verspaares  müssen  gleiche  Laute 
und  möglichst  gleiche  Betonung  haben;  die  Quantität  der  Vocale 
wird  dabei  nicht  weiter  berücksichtigt. 

4.  Metrum  und  Rhythmus  dürfen  nicht  mit  dem  geläufigen  Ausdruck 
des  Gedankens,  dem  Genius  der  Sprache,  in  Widerspruch  stehen. 

Diese  liegein  werden  von  Nicolaus  durch  das  ganze  umfangreiche 
Werk  seiner  Chronik  so  streng  gehandhabt,  daß  die  verhältnissmäßig 
seltenen  Fälle,  in  welchen  gegen  sie  gefehlt  scheint,  durchaus  nicht  in 
Anschlag  gebracht  werden  können,  die  meisten  eher  auf  Rechnung 
schlechter  Überlieferung  kommen.  Beispiele  werden  dieß  im  Laufe  der 
Auseinandersetzung  darthun.  Zuvor  aber  bedarf  diese  der  bisherigen 
Erklärung  zum  Theil  widersprechende  Auffassung  der  metrischen  Re- 
geln, welche  Nicolaus  v.  235 — 301  aufgestellt  hat,  einer  näheren  Be- 
gründung, und  zwar  soll  dieß  geschehen  unter  Vergleichung  der  ganz 
ähnlichen  Gesetze ,  welche  Hessler  in  seiner  Paraphrase  gegeben  hat. 
Vgl.  Bartsch  1.  1. 

Was  nun  1)  das  Zählen  nach  Silben  betrifft,  von  Nicolaus  deut- 
lich ausgesprochen  v.  247  —  255    und  294  —  296  *),    so  darf  man,  wie 


*)  Sus  ist  i'i'-h  offenbare  \  wurden  der  matärjen  sttm.  \  Ouch  ich  diss  getichtes  rhu  \ 
üf  dt  zal  der  silben  züne,  sagt  Nicolaus  v.  293  folg.,  nachdem  er  den  Inhalt  seiner 
Chronik  und  die  in  derselben  befolgte  Anordnung  angegeben  hat.  Was  aber  der  mat$rjen 
sinn  bedeute,  ist  Pfeiffer  so  wenig  als  Wackernagel  im  Stande  gewesen  bestimmt  zu 
sagen;  mich,  hat  sieh  in  deutscher  Zunge  stim  bis  jetzt  nirgends  finden  lassen.  Ich 
schlage  daher  vor,  mit  einer  ganz  leichten  Änderung  zu  lesen  der  matirjen  stam:  ram. 
Beide  Ausdrücke,  stam  wie  ram,  von  Dichtern  zuweilen  zur  Ausfüllung  ihrer  Eeime  ge- 
braucht, geben  hier  einen  ganz  erträglichen  Sinn.  Über  stam  und  seine  Bedeutungen 
sieh  Grimm  zu  Ruoland  12!),  1  und  Köpke  zum  Pass.  S.  771 '' :  und  über  ram  =  Kahmen 
zum  Sticken,  Nähen,  Wiirken  ,  ein  Gestell  um  die  Zeuge  darin  auszuspannen,  dann  all- 
gemein Einfassung,  Begrenzung,  Umfang,  Maß,  vgl.  Frisch  2,  S±c  und  mhd.  Wörtb.  2, 
551.  Der  Sinn  ist  dann:  auch  ich  das  Maß,  den  Umfang  meiner  Verse,  auf  die  Zahl 
der  Silben  beschränke.  Das  Missverstehen  von  ram  oder  die  leichte  Verwechslung  mit 
rtm  war  vielleicht  die  Veranlassung  zur  Änderung.  Aberes  ist  auch  möglich,  daß  der 
Dichter  stim,    nur  nicht  stim,    im  Sinne   hatte,   wenngleich   dieß   ungewöhnlich  verkürzte 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  77 

Bartsch  S.  198  —  199  richtig  bemerkt,  dabei  nicht  vergessen,  daß  „das 
Gesetz  der  Hebungen  trotzdem  noch  fortbesteht."  Auch  ist  damit  noch 
nicht  ausgeschlossen,  daß  eine  Senkung,  d.  h.  in  diesem  Falle  in  bei- 
den Zeilen  des  Verspaares  zugleich,  je  zuweilen  ausfallen  darf.  Bei 
Hessler,  wie  man  aus  den  Bruchstücken  bei  Roth  ersieht,  ist  dieß  sehr 
häufig  der  Fall ;  weniger  häufig,  wenn  auch  nicht  so  selten  als  Bartsch 
meint ,  bei  Nicolaus.  So  baut  letzterer  Verse  von  sieben  Silben  ,  aus 
vier  Hebungen  und  drei  Senkungen  bestehend  und  gemessen  wie  acht- 
silbige  stumpfe,  in  folgender  Weise:  2894  cliz  ist  dt  slenkre  da  mit  \ 
kein  Goliam  trat  Davit,  8530  der  dritte  meistir  vorioar  \  und  träc  daz 
amt  achte  jär  (wenn  nicht  amecht  zu  lesen  ist?),  1520  der  bischof  hiz 
Cristian  \  und  was  ein  geistlichir  man  u.  s.  w.  Ferner  Verse  von  sechs 
Silben,  wie  siebensilbige  stumpfe  zu  vier  Hebungen  gemessen,  sind 
z.  B.  1460  als  süi  andäJd  in  banl  \  in  daz  heilige  lant,  und  so  1464 — 65, 
4017  —  18  wol  inmittin  gesät  \  eine  vorneme  stat.  Zu  fünfsilbigen  Versen 
hat  sich  Nicolaus  wohl  nirgends  verirrt,  er  verpönt  sie  ausdrücklich 
v.  249.  Was  sich  davon  in  vorliegendem  Texte  findet,  beruht  sicher 
nur  auf  Unachtsamkeit  seiner  Abschreiber  und  hätte  von  Strehlke  S.  116 
nicht  sollen  in  Schutz  genommen  werden.  So  v.  743  als  vortilgere,  wo 
mit  K  zu  lesen  ist  vortiligere;  v.  8960  und  Uz  ob  al  daz  velt  |  slain  üf 
vil  gezelt,  vielleicht  unde  L  o.  a.  d.  velt  \  slagin  üf  vile  gezelt  oder  vil 
manic  gezelt;  über  den  ungeheuerlichen  Vers  8780  sieh  weiter  unten.— 
Von  den  Versen,  welche  alle  Senkungen  ausdrücken,  ist  noch  zu  mer- 
ken, daß  die  sechssilbigen  stets  klingend  gereimt  sind,  z.  B.  23158 — 59 
und  dt  dit  geleide  \  alliz  ir  getreide;  daher  ist  die  Stelle  v.  11813 — 16 
entweder  fehlerhaft  überliefert,  so  daß  der  erste  und  dritte  Vers  je 
eine  Silbe  eingebüßt  haben,  oder  das  Ganze  ist  strophisch  zu  fassen. 
Sehr  selten  bedient  sich  Nicolaus  des  neunsilbigen  Verses,  z.  B.  6317 
und  vir  und  zwenzic  toepenere  \  mit  den  sich  machte  der  geivere,  so  wie 
13981,  20992,  21060,  23250,  24066,  26290,  27655,  1792,  2090  u.  s.  w. 
Zelmsilbige  Zeilen,  wie  Strehlke  S.  116  glaubt,  kommen  nirgends  vor; 
der  einzige  eben  berührte  Fall  v.  8781  beruht  auf  Verderbniss  des 
Textes,  dessen  Heilung  später  gezeigt  werden  wird. 

2)  Nicht  genug  aber,  daß  die  einzelne  Zeile  als  solche  durch  die 
Silbenzahl  begrenzt  ist,  auch  das  Verspaar  als  solches  ist  durch  die 
Zahl  bedingt,    indem    der  Anlage   nach    die    beiden  reimenden  Hälften 


Wort  im  Reim  auf  r/m  nicht  recht  passend  scheint.  Indessen  bei  einem  Dichter  wie 
Nicolaus  darf  dieß  nicht  auffallen,  wenn  man  erwägt,  daß  er  vhit :  sinl,  rinde:  geslnde, 
vtrde:  wirde,  inzirt:  wirt  u.  dgl.  als  Reime  sich  erlaubt;  vgl.  Pfeiffer  S.  L1X. 


78  FEI  »OK  BECH 

durch  gleiche  Mengen  der  Silben  sich  gegenseitig  decken  müssen,  die 
naöhschlagende  Zeile  das  Maß  der  vorschlagenden  nicht  überschreiten 
darf.  Das  eine  folgt  nothwendig  aus  dem  anderen.  Auch  die  frühere 
höfische  Poesie  hat  seit  H.  v.  Veldeken  ihr  Streben  darauf'  gerichtet, 
dem  epischen  Verspaare  mehr  Einheit  und  Geschlossenheit  zu  gehen 
durch  gleichmäßigeren  Rhythmus  seiner  Zeilen;  nur  begnügte  sie  sich 
bekanntlich  mit  dem  Zählen  der  Hebungen  und  gewährte  so  einen 
größeren  Spielraum  für  „die  mannigfaltigen  Formen  des  Gedankens 
und  der  Empfindung"  *).  Beschränkt  ward  diese  Freiheit  der  Bewe- 
gung aber  bereits  nach  festen  bewussten  Regeln  durch  Konrad  von 
\\  ürzburg,  den  deutschen  Nonnus,  wie  ihn  Lachmann  mit  Hecht  ge- 
nannt hat.  Er  ist  der  erste,  der  mit  durchgreifender  Consequenz  mit- 
telst eines  gleichmäßigeren  Tonfalls  seine  Verse  zu  glätten,  so  wie  die 
zu  einem  Paar  verbundenen  Zeilen  einander  gleich  und  parallel  zu 
machen  sucht.  Seine  Verspaare  haben,  abgesehen  von  der  den  Auftact 
bildenden  ersten  Senkung,  bereits  ein  numerisch  bestimmtes  Maß,  ge- 
rade so  wie  bei  Hessler  und  Nicolaus;  ja  auch  rücksichtlich  der  Aus- 
nahmefälle, unter  denen  das  Fehlen  einer  Senkung  in  einer  der  zwei 
Vershälften  gestattet  ist,  hat  er  mit  unserem  Dichter  die  größte  Ähn- 
lichkeit, vergl.  darüber  Haupts  Zeitschr.  2,  372  folg.  und  zum  Engel- 
hard 3G6;  daher  darf  man  vermuthen,  daß  Hessler  unter  den  „alten 
Meistern,"  auf  deren  Vorbild  er  sich  beim  Bau  seiner  Verse  beruft, 
v.  1385  u.  1389,  vorzugsweise  den  Konrad  von  W.  im  Auge  gehabt 
habe,  dessen  goldene  Schmiede  ihm  jedenfalls  bekannt  war. 

Die  Art  nun,  wie  Hessler  und  Nie.  sich  über  dieses  ihren  poeti- 
schen Formen  überall  zu  Grunde  liegende  Gesetz  äußern,  ist  verschie- 
den gedeutet  worden.  Noch  Bartsch  schwankt,  indem  er  S.  199  1.  1. 
darüber  sagt  mit  Bezug  auf  die  Worte  dt  lenge  lielt  der  silben  sali 
„Natürlich  kann  Nicolaus  nicht  meinen,  daß  je  zwei  mit  einander  rei- 
mende Verszeilen  auch  gleiche  Silbenzahl  haben  müssen,  sondern  es 
ist  allgemein  zu  verstehen:  es  dürfen  neben  allzulangen  nicht  allzukurze 
Verse  in  einem  Gedichte  vorkommen,  außerhalb  der  vom  Dichter  ge- 
steckten Grenzen.  Indess  wird  man  bei  Nie.  auch  die  specielle  Be- 
ziehung auf  ein  einzelnes  Reimpaar  gelten  lassen,  denn  meist  verbindet 
er  bis  auf  den  willkürlich  fehlenden  Auftact  Verse  von  gleicher  Länge." 
Wenn  aber  die  in  dem  letzten  Satze  ausgesprochene  Beobachtung  richtig 

*)  Der  seine  Verse  nach  der  Zahl  der  Silben  wägende  Hessler  kann  dagegen  als 
Beispiel  angeführt  werden  für  die  Eintönigkeit  und  Steifheit,  bis  zu  welcher  sich  spätere 
Dichter  verirrten.    So  stehen  ■/..  B.  zwölf  siebensilbige  Verse  unmittelbar  hinter  einander 

in  den  Saarbrücker  Bruchstücken  bei  Ivuth  Dichtungen.  S.  7. 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCH1N.  79 

ist,  woran  Niemand  zweifeln  kann,  der  des  Nicolaus  Verse  gelesen  hat, 
so  muß  auch  die  Forderung;  der  darüber  a;e<2;ebenen  Rea;el  eine  ent- 
sprechende  sein;  es  ist  nicht  gut  denkbar,  daß  Nie.  später  bei  der 
Ausführung  selber  das  Gegentheil  sollte  gethan  haben  von  dem,  was 
er  vorher  als  Norm  aufstellt.  Um  indessen  vollständig  ins  Reine  zu 
kommen,  muß  man  sich  erst  klar  zu  machen  suchen,  was  der  Dichter 
unter  rlm  verstanden  hat;  aber  gerade  hier  scheint  man  sich  viel  zu 
sehr  an  die  moderne  Bedeutung  des  Wortes  gehalten  zu  haben,  indem 
man  es  vorzugsweise,  ja  von  mancher  Seite  ausschließlich,  wie  unser 
„Reim"  im  jetzigen  Kunst  verstände  =  homoeoteleufon  gefasst  hat.  Das 
Mittelalter  scheint  es  jedoch  nicht  immer  in  diesem  enteren  Sinne  a-e- 
braucht  zu  haben ,  sondern,  wie  heut  zu  Tage  noch  in  manchen  Dia- 
lecten  unseres  Volkes,  in  dem  weiteren  Sinne  von  Verszeile  (Verspaar), 
also  ganz  gleichbedeutend  mit  den  im  Lateinischen  hin  und  wieder  auf- 
tretenden rliytlimi  teutonici,  germanici,  vulgares  =  deutsche  Verse.  Darauf 
deuten  die  Prädicate  und  der  Zusammenhang,  in  welchem  es  sich  da 
und  dort  bei  den  Alten  findet.  So  lässt  Wolframs  r%me  brechen  und 
r.  samenen  (Parz.  337,  26)  nach  der  Auslegung,  welche  J.  Grimm  den 
Worten  gibt,  kaum  etwas  anderes  als  gereimte  Verse  unter  rlme  ver- 
muthen.  Ferner  wenn  Rud.  von  Ems  dem  H.  v.  Veldeken  nachrühmt, 
daß  er  rehter  rlme  aller  erste  began  (v.  d.  Hag.  Ms.  4,  S.  866) ,  so  ist 
vielleicht  mit  allzu  einseitiger  Hervorhebung  dieß  auf  die  Silben  des 
Endreimes  bezogen  worden.  Das  Neue  der  durch  Heinrich  auf  deut- 
schen Boden  verpflanzten  Kunst  bestand  aber  darin  nicht  allein;  mit 
Recht  wird  schon  anderen  Dichtern  kurz  vor  ihm  die  Handhabung  voll- 
kommener reiner  Reime  zugeschrieben,  wie  dem  Verf.  des  Pilatus.  Ein 
nicht  geringeres  Verdienst  erwarb  er  sich  durch  das  rhythmische  Eben- 
maß seiner  Verse,  indem  er  nicht  mehr  wie  vor  ihm  geschah  und  im 
Volksgesange  so  wie  in  den  Dichtungen  der  Geistlichen  zuweilen  nach 
ihm  noch  zu  geschehen  pflegte,  Verse  von  ungleich  vielen  Hebungen 
oder  sonst  von  unverhältnissmäßiger  Länge  auf  einander  reimte;  und 
hierin  hatte  er  jedenfalls  die  Bahn  gebrochen.  Wenn  der  Umdichter 
Heinrichs  des  Glichesäres  von  sich  sagt  sumellcher  rlme  sprach  er  me 
dan  e  dran  weere  gesprochen,  so  kann  ebenfalls  über  die  Bedeutung  von 
rlme  kein  Zweifel  sein.  Thomasin  v.  Zircl.  56  ob  mir  lichte  geschiht  \ 
etlichen  rim  ze  überheben  \  daz  er  nien  werde  reht  gegeben  wird  zwar  von 
Lachmann  z.  Iwein  S.  484  und  nach  ihm  von  Rückert  zu  d.  St.  auf 
die  Verwendung  des  Reimwortes  gedeutet,  doch  läßt  sich  ebenso  gut 
auch  der  Gebrauch  allzulanger  oder  ungleicher  Verse  darunter  denken; 
ein  Fehler,  dessen  sich  Thomasin  in  der  That  hin  und  wieder  schuldig 


30  FEDOK  BECH 

gemacht  zu  haben  scheint;  vergl.  z.B.  Rückert  zu  v.  1249.  Im  Renner 
17782  lieisst  es  ein  rim  mi  drin  worten  stet  |  ofte,  so  einer  färbaz  get  \ 
über  siben  oder  achte  wort;  18698  zweinzic  rime  zivlie  ich  da  herin  |  die 
eint  kern  Vrtdanks  und  nicht  min,  und  so  19519.  Andere  Stellen  weiter 
unten  in  der  Anmerkung.  In  diesen  beispielsweise  herangezogenen 
Fällen  hat  rime  seiner  Bedeutung  nach  noch  viel  Ähnlichkeit  mit  dem 
althochd.  Worta  rim  bei  Graff  2,  506  =  series  numerus;  vergl.  auch 
daselbst  garimjan,  numerare.  \\  ie  nun  aber  die  oben  aufgeführten  Bei- 
spiele, ebenso  lassen  die  bei  Nicolaus  und  die  bei  Hessler  (höchstens 
mit  Ausnahme  von  v.  1411  u.  1412)  meines  Erachtens  keine  andere 
Auffassung  zu.  Bartsch  hat  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht.  Es 
gehört  dahin  Jerosch.  299  xmd  min  rim  werden  gebuit  \  an  dem  ende  ü 
glichen  luit  und  besonders  v.  234 — 241  ouch  des  tichteres  zunge  \  an  der 
maierjen  strdze  \  sol  dt  rechte  mdze  \  behalten  an  den  rlmen,  \  glich  zu 
glichem  Urnen,  \  an  lenge  sinne  Ute.  Diese  Worte  haben  nur  dann  Sinn, 
wenn  man  unter  rime  die  Verszeilen  versteht.  Ich  verstehe  daher  die 
Stelle  so:  Was  die  Länge  der  mit  einander  reimenden  Zeilen  (lenge), 
ihren  Gedankenausdruck  (sin)  und  ihren  Endreim  (lüt)  betrifft,  so  soll 
man  hier  stets  das  rechte  Maß  inne  halten  und  nur  Gleiches  zu  Glei- 
chem fügen.  Die  drei  zuerst  genannten  Punkte  werden  dann  in  den 
folgenden  Versen,  wie  Bartsch  1.  1.  und  Strehlke  S.  9  richtig  bemer- 
ken, einzeln  weiter  ausgeführt. 

Mit  dem  glich  zu  glichem  Umen  ist  wohl  die  Ebenmäßigkeit,  der 
Parallelismus  der  gereimten  Zeilen  bezeichnet,  namentlich  in  Rücksicht 
auf  den  Reim  und  die  Zahl  der  Hebungen  und  Senkungen.  Dasselbe 
Gesetz  drückt  Hessler  folgender  Maßen  aus  : 

wand  ich  hän  die  rime  geioegen 

mit  ebenglichen  vüzen  — 
oder 

wand  ich  sie  gar  durchmezzen 

und,  eben  gliche  hän  geioegen  — 
d.  h.  ich  habe  die  Zeilen  des  Reimpaares  so  gegeneinander  abgemessen, 
abirewoiren,  daß  sie  in  Bezim-  auf  die  Menge  der  Füße  einander  cor- 
respondieren.  Dass  die  Deutung  von  Bartsch ,  welcher  hierbei  an  die 
„gleiche  Quantität  der  Reimsilben"  denkt,  nicht  richtig  ist,  erweist  der 
Zusammenhang  mit  den  folgenden  Versen,  in  welchen  näher  vom  Zäh- 
len der  Silben,  den  längeren  und  kürzeren  Reimzeilen  die  Rede  ist;  da 
ist  offenbar  rim  lengen  und  lanc  rim  nur  vom  Vers,  nicht  vom  Endreim 
zu  verstehen.     Über  lenge  vergl.  die  Erklärungen    von  Bartsch  S.   199 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  81 

und  Strehlke  *).  Don  Ausdruck  Urnen  hat  Nicolaus  von  älteren  Dich- 
tern entlehnt,  die  sich  dessen  in  ähnlichem  Zusammenhange  bedienten ; 
so  Trist.  119,  35  vom  Blikker:  wie  er  diu  mezzer  tvirfet  \  mit  behen- 
declichen  rimen ,  |  wie  kan  er  rvme  Urnen  \  als  ob  sie  da  gewahsen  sin : 
Wigal.  297 ,  9  und  begunde  si  wider  Urnen  \  mit  ganzen  niuwen  rimen  ; 
Albr.  v.  Halberstadt  ed.  Bartsch  S.  2,  29  ob  ir  vundet  in  den  rimen  \ 
die  sich  zeinander  Urnen  \  valsrh  oder  unrecht;  Konrad  Trojan.  276  ich 
büeze  im  siner  brücke  schravz,  |  den  kan  ich  iool  geltmen  \  zeinander  hie 
mit  rimen,  \  daz  er  nicht  fürbaz  spaltet;  Eraclius  ed.  Maßm.  S.  4.  mit 
rime  die  ich  zusamne  Urne;  Rudolf  v.  Ems  bei  v.  d.  Hagen  Ms.  4,  866 
rimen:  Urnen;  Martina  292,  5  ich  hän  getichtet  ze  rlme  \  mit  kranker 
hmste  Urne.  Verwandt  sind  auch  die  ab  und  zu  gebrauchten  Ausdrücke 
nme  slihten,  r.  rihten,  worüber  zu  vergleichen  ist.  J.  Grimm  zu  Reinh. 
S.  114  u.  Maßm.  zu  Otte  S.  620.  Ob  auch  der  Ausdruck  binden  mit 
Bezug  auf  den  vorliegenden  Fall  zu  verstehen  sei,  ist  fraglich.  Hesler 
sagt  1381  folg.  rlm  zu  rlme  vinden  |  und  die  nicht  rechte  binden  \  und, 
die  nicht  wegen  gliche  \  daz  stet  unhoveliche;  und  Nicolaus  26663  ouch 
hänt  dl  rlme  recht  gebint  (:  leint) ;  vergl.  auch  die  vorhin  in  der  Anm. 
citierten  Stellen  aus  Suchenwirt  und  Kellers  Erz.  Mir  scheinen  die 
Ausdrücke  binden,  gebint,  bunt  vorzugsweise  das  Binden  der  Reimsilben 
zu  bezeichnen,  was  Nicolaus  so  ausdrückt:  min  rlm  werden  gebut  an 
dem  ende  üf  glichen  lüt. 

Mit  Rücksicht  auf  das  eben  Gesagte  kann  man  nun,  wenn  von 
rvme  brechen  oder  r.  zubrechen  oder  r.  zusniden  die  Rede  ist  (vergl. 
Hesler  1340,  1360  und  II.  v.  Krolewitz  3979),  dieß  darauf  beziehen, 
daß  entweder  die  Ebenmäßigkeit  der  zu  einem  Paar  verbundenen  Verse 
oder  daß  der  Gleichklang  der  Endsilben  gestört  ist.  Zusätze  oder  Weg- 
lassungen können  solches  im  ersten,  falsche  Laute  im  zweiten  Falle 
bewirken.  Spuren  von  Unebenheit  rücksichtlich  des  ersten  Falles  finden 
sich  auch  in  den  Texten  der  besseren  Dichter  nicht  selten;  sie  haben 
hier  nach  gewöhnlicher  Annahme  theils  in  dem  mangelnden  Kunstsinn 


*)  Dichterstellen ,  in  welchen  des  Zählens  der  Verssilben  gedacht  ist ,  sind  noch 
folgende:  Rumelant  in  MS.  3,  5(J  (6)  Vil  lieber  Manier,  du  hast  die  müseken  an  de» 
haut,  die  silleben  an  dem  Dinger  gemezzen;  Suchenwirt  S.  GS  der  ich  ze  lichten  hän  ge 
dacht,  |  wie  vor  der  meister  zvmge  vlacht  |  matSrg  zuo  reim  mit  sluz  im  punt,  \  der  süben 
tal,  der  leunsten  grünt  \  ir  her-:  iras  cmkerheftig ;  Erzähl,  ans  altd.  Handschr.  ed.  Keller 
(!43,  20  —  24  die  wort  meisterlich  gemezzen  \  wurden  fr:  wises  herzen  grünt.  |  Jeder  rim 
üf  stnem  1<>'dI  |  an  siben  Worten  was  gerecht,  |  ir  wort  ivärhaft  unde  siecht.  Ähnlich 
drückt  sich  Hugo  von  Trimberg  im  Renner  17782  aus,  welche  Stelle  oben  bereits  mit- 
getheilt  wurde.  Beachtung  verdient  iiberdieß  noch  die  Bedeutung,  welche  hier  wort  hat 
=  Silbe;  auch  Hesler  scheint  es  v,   1479  so  gebraucht  zu  haben. 

GERMANIA.  VII.  ß 


82  FEDOE  BEC1I 

theils  in  der  nachlässigen  Überlieferung  ihren  Grund,  vgl.  Grimm  zu 
Graf  Rudolf  S.  12;  zu  Athis  u.  Proph.  8.  25;  Haupt  zn  Servatius 
S.  76';  Lachmann  zu  Lanzel.  1069;  Sommer  zu  Flore  121;  Rückert  zu 
Thomasin  124!). 

Als  nicht  gebrochen,  d.  h.  dem  Gesetz  der  Ebenmäßigkeit  nicht 
widersprechend  sind  bei  unserem  Dichter  und  bei  Hesler  so  wie  bei 
anderen  solche  Verszeilen  anzusehen,  in  denen  mitten  in  einem  Worte 
eine  Senkung  fehlt.  Eines  Theils  gehören  hierher  Namen  von  Personen, 
Ortern  u.  dgl.,  z.  B.  bei  Nicolaus 

7953  den  man  nänte  Bre  —  mer 
linde  mit  im  wepe  — -  ner. 
8554  daz  man   nante  Crön  —   switz. 
brüdir  Henrich  hätte  ditz. 
12264  da  der  Bärtin  höubit —  man, 

den  man  nante  Di  —  wän. 
13239  von  Tirberc  brüdir  Con  —  rät. 
der  alte  mit  stritlicher  tat. 
1986  därzü  gäbin  ratis  1er, 

von  Mässow  bischof  Günt  —  her. 
943  di  si  gewünnen  creftic  —  lieh, 
dö  köufte  brüdir  Hen  —  rieh. 
11794  daz  ein  brüdir  schikte  sich 

zu  spänne  der  hiz  Hein  —  rieh, 
andern  Theils  gehören  hierher  nomina  appellativa,  adjeetiva  u.  dgl.,  z.  B. 
5949  man  in  leite  härm  —  schär 

kein  der  cristin  —  lichin  schär. 
1 1373  und  so  bittre  härm  —  schär 

di  brüdre  und  di  cristin  —  schär. 
11629  und  zubüiten  di  vil  gär. 

darnach  so  mänic  härm  —  schar. 
6391  dö  Swäntopolc  da  vörge —  s&t 

nicht  schuf  mit   der  välsch  —  eit.  (vergl.  7585  > 
7585  den  äldin  vride  ändir  —  weit. 

idöeh  sin  aide  bös  —  heit.  (vergl.   11638  . 


ÜBER  NICOLAUS  VON  .IEKOSCHIN.  83 

19788  und  mit  stetir  är  —  beit 

wi  er  di  gotis  cristen  heit. 
11423  ein  stürmin  an  di  berc —  vrit, 

da  daz  hiis  vorbüwit  mit. 
7223  von  dem  Colmin  üz  der  stat 

quamen  an  di  wäl  —  stat  (vergl.   12817). 
8751  widir  sinen  schepf — er 

er  vleiz  sich  mit  ällir  ger. 
1 0459  daz  man  in  nante  wät  —  mal 

in  dem  lande  übiräl. 
6811  des  geloubin  echt  —  er, 

und  wi  di  cristinheit  gewer. 
8963  in  riunlichir  hoch  —  värt 

ouch  er  dö  zu  rate  wärt. 
14839  und  irslügin  in  dem  lüdir 

zwen  und  einen  halb  —    brüdir. 
5943  gotis  also  vrücht  —  sam 

gewTurfe  sines  trespis  sam. 
8039  üf  dem  sande  des  —  wrär, 

daz  si  wedir  her  noch  dar. 
9461   di  er  zu  Glatbach  weste  sin, 

barvüz  unde  wül  —  lin. 
10717  heldin  namen  in  der  stünt, 

der  so  manic  tu — sunt  (vergl.  3190,  10527.) 

An  allen  diesen  Stellen  lässt  auch  Konrad  v.  W.  die  Senkung  aus. 
Vielleicht  gehören  auch  noch  folgende  Fälle,  in  denen  ein  Asyndeton  be- 
absichtigt ist,  hierher:  4186  er  loufit  hin,  er  loufit  her,  \  itzuntvol,  itznnt 
{er;  und   12672  gingin  zu  mit  sturmis  drö :  \  dise  holz,  gene  strö. 

Es  wäre  auffallend,  wenn  die  hier  genannten  Ausnahmefälle  als 
selbstverständlich  vorausgesetzt  und  nicht  ausdrücklich  erwähnt  wären 
da  wo  beide,  Nicolaus  wie  Hesler,  so  bestimmt  das  Zählen  ihrer  Vers- 
silben betonen.  Daher  wage  ich,  gegen  die  Auffassung  von  Bartsch, 
folgende  Stellen  hierauf  zu  beziehen:  Jerosch.  294  ouch  ich  diss  getichti* 
rhu  |    üf  dl  zal  der  silben  züne  \   —   —  bucilen  ich  zwü  kurze    \    üf  eine 

6* 


84  FEDOB  BECH 

lange  stürze,  und  Hesler  1466  folg.  sioelch  meister  scharf  gesüne  \  Sinnes 
habe,  der  spreche  nü,  \  sit  her  daz  ich  inirechte  tu,  \  daz  her  mich  des 
begrüze,  \  weder  ich  zu  vil  der  vüze  \  setze  dar  oder  zu  deine.  |  doch 
dinge  ich  ouch  üz  diz  eine  \  daz  ich  dicke  zwene  kurze  milz  \  dar  setzen 
vor  einen  langen  vüz.  An  beiden  Stellen  ist  das  Zählen  als  Princip  hin- 
gestellt und  sind  die  Ausnahmefälle  angegeben ,  in  welchen  dasselbe 
scheinbar  verletzt  ist.  Bei  Nicolaus  kann  zwü  kurze  üf  (K.  vor)  eine 
lange  stürzen  schwerlich  so  viel  sein  als:  „auf  eine  lange  Silbe  zwei 
kurze  folgen  lassen."  Vielmehr,  hält  man  an  der  Grundbedeutung  von 
stürzen  fest  =  obtegere,  so  ergibt  sich  hier  folgender  Sinn :  an  die  Stelle 
einer  langen  Silbe  zwei  kurze  setzen  oder  an  der  Versstelle,  wo  in  der 
einen  Zeile  des  Reimpaares  eine  lange  Silbe  ist,  in  der  andern  zwei 
kurze  anbringen.  Das  stürzen  könnte  man  also  darauf  beziehen,  daß 
die  zu  einem  Verspaar  vereinigten  Zeilen  einander  decken.  Wie  diese 
nämlich  im  Ganzen  einander  decken,  d.  h.  hier  eine  auf  die  andere 
„gestürzt"  sind,  so  werden  im  Besonderen  wieder  die  sich  entspre- 
chenden Silben  in  beiden  als  einander  deckend,  als  auf  einander  gestürzt 
gedacht.  Ganz  diesem  entsprechend  sagt  wohl  Kessler  zwene  kurze  setzen 
vor  einen  langen  vüz.  Er  gebraucht  nämlich  vüz  gleichbedeutend  mit 
silhe  oder  vielmehr  Tacttheil  im  Metrum.  Und  zwar  würde  ein  langer 
vüz  eine  solche  Silbe  sein,  welche  die  Währung  von  Hebung  und  Sen- 
kung zugleich  hätte,  ein  „kurzer  Fuß"  dagegen  eine  Silbe,  die  nach 
unserer  Art  zu  reden  entweder  nur  eine  Hebung  oder  nur  eine  Senkung 
ausfüllte.  Ist  diese  metrische  Bestimmung  richtig,  dann  hat  man  jeden- 
falls ihren  Ursprung  in  der  Musik  zu  suchen.  Dort  würde  der  lange 
vüz  der  einen  ganzen  Tact,  der  kurze  vüz  der  einen  halben  Tact  gel- 
tenden Note  gleich  kommen. 

Der  Auftact  besteht  bei  Nie.  ebenso  wie  bei  Konrad  von  W.  nur 
aus  einer  Senkung.  Da,  wo  der  Text  bei  Strehlke  jetzt  zwei  Senkungen 
bietet,  sind  dieselben  der  Art,  daß  sie  sich  bequem  verschleifen  lassen, 
wie  dieses  in  S  (=  Stuttg.  Hclschr.)  hin  und  wieder,  in  K  (=  Königs!) . 
Hdschr.)  meistentheils  auch  graphisch  ausgedrückt  ist.  Z.  B.  8813 
sinmüstin,  9119  dimvindist,  16380  si  entorstin,  K  syntorsiin;  26115  dd 
inhät,  K  donhat ;  vergl.  4228,  28085  u.  s.  w.  Daß  dieser  Auftact  nicht 
mitgezählt  wurde,  sobald  er  nur  einer  der  beiden  Zeilen  des  Keimpaares 
beigegeben  war ,  sagt  zwar  weder  Nie.  noch  Hesler ;  indessen  ergiebt 
sich  dieß  aus  der  Vergleichung  ihrer  Verse  von  selbst.  Ohnehin  war 
es  nicht  ihre  Absicht,  ein  vollständiges  Regulativ  zu  geben,  sondern 
ihnen  lag  bloß  daran,  gegen  die  Verunstaltungen  des  Textes  durch  die 
Hände    roher   Abschreiber   oder    unverständiger    Verbesserer    sich    von 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCIIIN  85 

vornherein  zu  verwahren  und  dem  Leser  zu  zeigen  ,  daß  sie  es  besser 
verstanden  hatten,  vergl.  Nicol.  26663-66  u.  Hesler  1349  folg. 

3)  Die  Norm ,  welcher  Nie.  in  Bezug  auf  die  Reimsilben  folgt, 
findet  sich  in  folgenden  Worten  ausgedrückt:  243—45  vil  wort  man 
gliche  schribit,  |  der  lüt  unglich  sich  tribit,  \  sulch  rimen  sul  man  müden; 
und  299 — 300  und  nun  rim  werdin  gebuit  \  an  dem  ende  üf  gltchin  hat. 
Da  Nicolaus  beim  Binden  der  Endsilben  des  Verses  keine  Rücksicht 
darauf  nimmt,  daß  die  auf  einander  reimenden  Vocale  auch  der  Quan- 
tität nach  einander  gleich  sind  (sieh  die  Zusammenstellungen  bei 
Pfeiffer  S.  XLIV  folg.),  so  muß  er  unstreitig  unter  den  worten  der  lüt 
unglich  sich  tribit  etc.,  vorausgesetzt,  daß  er  darunter  die  Reimsilben 
begriff,  etwas  anders  gemeint  haben  als  solche  Silben,  die  dem  Buch- 
staben oder  der  Schreibung  nach  gleich,  der  Quantität  nach  verschieden 
sind.  Es  bleibt  da  nichts  weiter  übrig,  als  mit  Bartsch  an  die  durch 
Accentuation  bedingte  Aussprache  zu  denken;  man  soll,  so  will  es 
mich  bedünken,  betonte  Silben  nicht  mit  unbetonten  (noch  unbetonte 
unter  einander)  reimen.  Es  war  dieß  in  den  Volksliedern,  in  den  Rei- 
mereien Ungebildeter  hin  und  wieder  der  Fall.  Reich  an  Beispielen 
sind  auch  die  Gedichte  älterer  Zeit;  denn  die  stark  betonten  Schluß- 
silben hatten  für  die  Zeit  Jeroschins  nur  noch  die  Geltung  von  schwach 
betonten,  stummen  Silben;  so  in  den  Büchern  Mosis  in  Hoffmann's 
Fundgruben,  in  König  Ruother,  im  Ruolandsliede  u.  clgl. ;  z.  B.  vater :  mär 
:  her,  genomen  :  sen,  gotes  :  des  :  tu  es,  wellet :  het,  schalen  :  unsdlegen,  nennen 
:  hinden ,  venie :  himele.  Diese  Art  zu  binden  mußte  dem  Ohre  eines 
Dichters  aus  der  Zeit  des  Nicolaus  durchaus  zuwider  sein.  Bei  Hesler 
ist,  obwohl  er,  wie  Bartsch  bemerkt,  in  klingenden  Reimen  die  Quan- 
tität der  Vocale  strenger  zu  wahren  weiß,  dieser  Fall  nicht  vorgesehen. 
Er  verwahrt  sich  in  seinen  Vorschriften  allein  gegen  das  Binden  ver- 
schiedener Vocale  oder,  wie  er  1400  folg.  sagt,  daz  kein  büchstap  be- 
gegene  \  der  vamfer  an  dem  ivorte(?)  \  daz  einer  an  dem  borte,  \  der 
ander  an  dem  ende  stc.  |  deme  ä  begegne  rächt  daz  e  |  deme  e  daz  i,  deme 
6  daz  ü.*)     Er  sagt,   daß    er   dieß   um    der  lihten   willen  erwähne,  die 


*)  Die  Ausdrücke  ivorte:  borte  sind  dem  Sinne  nicht  recht  förderlich  und  scheinen 
verdorben.  Ca  liest  orte  statt  borte.  Sehr  nahe  liegend  und  dem  Zusammenhange  weit 
entsprechender  scheint  folgende  Änderung:  daz  kein  büchstap  begebene  \  der  vumfer  an 
dem  borte,  \  daz  einer  an  dem  orte,  |  der  ander  an  dem  ende  ste.  Daß  an  dem  borte, 
(1.  h.  dem  Ausgange  des  Verspaares,  sich  nicht  ungleiche  Vocale  in  den  Reimsilben  be- 
gegnen, will  offenbar  der  Dichter  sagen,  nicht  aber  an  dem  icorte,  welches  nur  gezwun- 
gen auf  die  Endsilben  bezogen  werden  könnte.  Der  bort  des  Reimpaares  umfasst  ort 
und  ende,  d.  h.  die  Ausgänge  der  beiden   Reimzeilen.     Eine  ähnliche  Vertauschung  von 


gß  1ED0R  BECH 

buch  ui'i  wollen  machen  und  die  nicht  rechte  binden  u.  8.  w.  v.  1378  folg. 
Unter  diesen  lihten  sind  offenbar  Dichter  niederen  Ranges  gemeint,  die 
viiii  der  höheren  feineren  Kunst  wenig  verstanden.  Nicht  ganz  richtig 
ist  die  Vorstellung,  welche  Bartsch  hier  bringt  ,  indem  er  an  solche 
denkt,  „die  es  mit  der  Kunst  des  Keimens  leicht  nehmen  (die  lihten)."  *) 
15ei  Nicolaus  ist  nun  aber  noch  eine  andere  Erklärung  möglich.  Denn 
daß  unter  vil  icort  der  lüt  unglich  sich  tribit  dem  Zusammenhange  nach 
nur  Reimsilben  verstanden  werden,  ist  nicht  nothwendig.  Man  könnte 
sieh  die  Sache  auch  so  denken:  es  finden  sich  oft  Verspaare,  die 
äußerlich,  der  Menge  ihrer  Silben  nach  aus  gleich  großen  Zeilen  be- 
stehen (die  man  gliche  schribit),  aber  ihnen  mangelt  die  gleichmäßige 
stetige  Abwechselung  von  Hebung  und  Senkung  (==  ir  lüt  unglich 
sich  trtbit). 

4)  Das  vierte  Gesetz  endlich  finde  ich  bei  Nicolaus  in  folgenden 
Worten  ausgedrückt:  246  den  sin  (sal  man)  nicht  vorsntden;  vorher: 
des  tichteres  zunge  sal  di  rechte  mäze  behalten  —  an  sin;  und  v.  299 
min  rim  werden  gebuit  an  dem  ende  üf  glichen  hat,  nicht  velschendc  der 
rede  sin.  Da  dieses  Verbot  den  sin  zu  vorsniden  oder  der  rede  sin  zu 
rehchen  unmittelbar  an  jenes  über  den  Endreim  sich  anschließt,  so  vi  ird 
wahrscheinlich  ein  Fehler  gemeint  sein,  in  den  der  Dichter  beim  Suchen 
nach  Reimsilben  leicht  verfallen  konnte.  Trennung  des  Adjectivs  oder 
der  Präposition  vom  Nomen ,  Spalten  losegefügter  längerer  Composita 
kann  nicht  gerade  gemeint  sein,  weil  der  Fall  bei  Jeroschin  selbst  sowie 
bei  Ilesler  und  anderen  so  häufig  ist,  daß  man  ihn  zu  den  erlaubten 
und  unanstößigen  rechnen  muß.  Vergl.  Nicol.  905  dem  spitäle  der  vrlen  \ 
maget  S.  Marien,  ferner  2179,  4690,  6378,  8260,  8279,  9986,  20412. 
21230  u.  s.  w.  undHesler  1410;  bei  Roth  1.  1.  2  (53):  3,  61;  9,  255; 
13,  20;  13,  29;  15,  86;  15,  91;  17,  149;  vergl.  ferner  Hahn  zu  Otte 
680,  Lachm.  z.  Nib.  470,  Haupt  z.  Erec  S.  XIV,  Fromm,  z.  Herb. 
45,  Wackern.  Altfr.  L.  S.  219.  Am  passendsten  scheint  mir  daher  unter 


u  und  &  findet  sich  in  den  Saarbrücker  Brachst,  der  Offenbarung  bei  Roth  Dicht,  v.  94 
Walache  statt  Bedache,  12S  westäm  statt  bestän,  208  webart  für  bewart,  über  den  Ge- 
brauch des  Wortes  bort  vergl.  außer  dein  mhd.  Wörterb.  noch  das  Progr.  des  Zeitzer 
Stiftsgymnas.  1859  S.  10  und  Martina  2,  Hl  üf  der  erde  bort:  ort;  S9,  62;  über  al  der 
werlte  bort  96,  55;  100,  28;  anevanc  noch  ende»  bort  111,  49.  Gold.  Schm.  :'>55. 

*)  Unter  den  lihten  verstand  man  die  Leute  geringeren  Standes  im  Gegensatze 
zu  den  besten;  vergl.  darüber  so  wie  über  lihtez  hunne  mhd.  Wörterb  1,997.  Ein  lihter 
man  wird  bei  Thomasin  1987  entgegengesetzt  einem  herren  und  bei  Senkenberg  Viss. 
div.  S.  '!!'■)  und  27-1  einem  edeln,  erbaren  man.  Die  lihten  sind  elaher  hier  im  Gegen- 
satze zu  den  meisteren  v.  1375  als  die  geringeren  Dichter  zu  fassen,  welche  vermöge  ihrer 
Bildung  einen  niedrigeren  Bang  einnehmen. 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  87 

den  von  Bartsch  8.  201  und  202  vorgeschlagenen  Erklärungen  die, 
„daß  es  um  des  Reimes  willen  erlaubt  sei,  den  Sinn,  den  gebotenen 
Fortgang  der  Rede  zu  unterbrechen."  Und  mit  Bezug  hierauf  wage 
ich  zu  erklären  die  Stelle  bei  llesler   1410  folg. 

da  von  müz  man  mit  gelegenen 

ir orten  die  rime  suchen, 

den  sin  also  berücken 

daz  wir  nicht  valsches  sprechen. 

doch  müz  manz  (?)  unlen  brechen, 
1415  des  endarf  sich  aber  nieman  schämen. 

iz  machet  dürft  der  lüte  namen, 

die  nieman  han  bekennen 

anders,  die  müz  man  nennen 

also  sie  genamet  sin, 
1420  und  müz  rime  zien  darin 

die  sich  den  namen  glichen. 

xoir  setzen  wol:  der  riehen, 

der  edelen  und  der  vrien 

namen  sante  Marien. 
1425  daz  vrien,  stund  iz  anderswar, 

daz  were  valsch  und  ist  ganz  dar, 

wand  sich  rimet  da  der  name. 

den  landen,  steinen  ist  alsame, 

den  steten^  bürgen,  bergen, 
1430  die  nieman  han  vorbergen, 

noch  wort,  die  mit  uns  wanderen, 

die  nieman  han  voranderen, 

die  müze  wir  wol  setzen 

an  gevellichen  vletzen 

mit  hübe  die  buch  machen. 
Hier  ist  erstlich  wohl  zu  beachten,  daß  der  Verf.  nicht  mehr  aus- 
schließlich vom  Reime  als  solchen  redet,  so  wie  daß  das  brechen  erläutert 
isi  durch  den  sin  also  berüchen  daz  wir  nicht  valsches  sprechen;  hierauf 
bezog  sich  wahrscheinlich  auch  der  Ausdruck  den  sin  zubrechen  in  v. 
1340,  1452,  1459,  was  Nicol.  nennt  den  sin  vorsniden.  Im  weiteren 
Verlauf  zeigt  nun  Hesler  an  einem  Beispiel  (1422 — 24),  wie  gleichwohl 
der  Dichter  bei  Namen,  die  ihrer  Natur  nach  fest  und  unwandelbar 
seien,  oft  in  Verlegenheit  gerathe  und,  um  das  betreffende  Reim  wort 
anzubringen,  genöthigt  sei  zu  brechen.  Denn  daß  an  dem  gegebenen 
Beispiel   ein   ungewöhnlicher    der    strengeren    Regel   nicht   vollkommen 


88  FEDOB  BECH 

gemäßer  Fall  vor  Augen  gestellt  werden  soll,  das  zeigen  diu  darauf 
Folgenden  Worte:  daz  vrten,  st  find  e:  anderswar,  duz  were  valsch,  und 
ist  ganz  dar,  wand  sich  rtmet  da  der  narne,  sowie  weiter  unten  1433: 
die  müze  wir  wol  setzen  an  gevellichen  vletzen  ete.  An  dem  Keime  vrten : 
Marien  an  sich,  so  sagt  der  Dichter  selbst,  ist  nichts  anstößiges  (ist 
ganz  dar);  gleichwohl  muß  die  Stellung,  welche  das  Wort  vrten  hier 
im  Satze  einnimmt,  eine  auffallende  ungewöhnliche  sein,  weil  sonst  der 
Dichter  nicht  dazu  bemerkt  hätte:  daz  vrten,  stund  ez  andersioar  etc. 
Es  muß,  kurz  gesagt,  einer  der  seltenen  Fälle  sein,  in  denen  man  aus 
Noth  „den  Sinn  dem  Reime  unterzuordnen"  erlaubt.  Nun  ist  allerdings 
auf  den  ersten  Blick  in  der  Wortstellung  des  angeführten  Beispiels  eine 
ungewöhnliche  Verschränkung  wahrnehmbar.  Denn  die  übliche  Rede- 
weise würde  streng  genommen  das  Wort  namen  als  das  Regens  vor 
oder  nach  dem  Genitiv,  nicht  in  die  Mitte  der  denselben  ausdrückenden 
Wörter  stellen.  Aber  kann  das  der  Dichter  gemeint  haben?  wäre  dann 
noch  ein  Wort  nöthig  gewesen  um  vrten  in  seiner  Stellung  zu  verthei- 
dis;en?  war  dann  nicht  vielmehr  die  Stellung  von  namen  zu  betonen 
und  in  Schutz  zu  nehmen?  Ich  glaube  daher,  daß  irgend  ein  Lese- 
fehler hier  versteckt  liegt,  und  zwar  suche  ich  ihn  in  dem  Worte  namen. 
Die  Schwieiigkeit  dünkt  mich  nämlich  gehoben,  wenn  man  schreibt : 

—  —   —  —  der  riehen, 

der  edelen  und  der  vrten 

manne  Sante  Marien. 
Das  Ungewöhnliche  liegt  alsdann  in  der  Stellung  der  Worte  vrten 
manne  statt  manne  vrten  d.  h.  der  vom  Manne  unberührten.  Diese 
Umstellung,  so  meint  wohl  der  Dichter,  ließ  sich  hier  wegen  des 
Namens  Maria  entschuldigen,  es  musste  vrten  um  des  Reimes  willen  an 
das  Ende  des  ersten  Verses,  manne  in  den  Anfang  des  folgenden  ge- 
rückt werden.  Daß  manne  leicht  in  namen  verderbt  werden  konnte, 
bedarf  keines  Beweises.  Und  was  die  manne  frte  anbelangt,  so  ist 
darüber  zu  vergleichen  z.  B.  Ulrich  v.  d.  Türlin  Willen.  54a :  herre, 
ich  wil  |  von  iu  toizen  wie  deine  si  \  ein  mag  et  ein  muoter  manne  frt; 
Diemer  230,  10  da  toart  siu  sicanger  ane  man;  Walther  v.  d.  V.  4,  23 
lindes  muoter  —  —  an  aller  manne  mitewist :  Gold.  Schm.  445  du  ge- 
birre ein  kindelin  gar  sunder  mannes  läge,  vergl.  460  sunder  niannes 
orden ;  Erlös,  ed.  Bartsch  2221  die  den  herreu  Crist  gewan  und  den 
gewan  an  allen  man  und  ebendas.  S.  198,  83  reiuiu  mag  et  mannes  ane, 
und  S.  201,  186  ein  lohter  im  vater  gebar,  —  er  ir  Uni,  si  mannes  bar. 
lTm,  falls  die  versuchte  Erklärung  richtig  ist,  sich  ein  deutliches  Bild 
davon  zu  machen,  wie  die  Dichter    das  sin  vorsniden  möglicher  Weise 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  89 

verstanden  haben  könnten,  will  ich  noch  ein  paar  Stellen  anführen,  in 
denen  eng  zusammengehörige  Worte  nicht  bloß  auf  2  Verse  vertheilt, 
sondern  überdies  noch  durch  ein  anderes  dazwischen  geschobenes  dem 
Keime  zu  Liebe  auseinander  gerissen  sind.  So  Nicolaus  selbst  v.  331 
in  dem  lobesamen  |  unsirs  lierrin  narnen  und  3203  dl  brüdere  des  sin 
gewon  j  des  datschin  ordinis  (codd.  hüsis)  genant ;  Herbort  464  da  stunden 
drizic  inne  (:zinne)  \  türme  hoch  unde  w2t;  3372  Theophilus  ein  hunic 
gemeit  |  hette  zehene  dar  geleit  \  schif  mit  spisen;  16159  da  tvären  drizic 
inne  \  rittere  verborgen  und  verhobt*). 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  von  Strehlke  hauptsächlich  nach 
S  und  K  gegebenen  Texte,  so  müssen  wir  vor  allem  bedauern,  daß 
das  auch  ohne  des  Nicolaus  ausdrückliche  Angabe  leicht  erkennbare 
Princip  der  Silbenzählung  so  wenig  in  Betracht  gezogen  worden  ist. 
In  streitigen  Fällen,  in  denen  es  sich  um  diese  oder  jene  Schreibung 
eines  Wortes,  sei  es  um  eine  verlängerte  oder  um  eine  verkürzte  Form 
desselben  handelte,  würde  eine  klare  Einsicht  in  das  metrische  Gesetz 
einen  sicheren  Wegweiser  abgegeben  haben  bei  der  Wahl  der  Lesart. 
Statt  dessen  scheint  sich  Strehlke  mehr  von  einem  dunkeln  Gefühl 
haben  leiten  lassen,  das,  wie  sich  nachweisen  lässt,  in  sehr  vielen  Fällen 
nicht  zu  entscheiden  vermochte,  was  es  in  den  Text  und  was  es  unter 
denselben  zu  setzen  hatte.  Beispiele  hiervon  gibt  es  fast  auf  jeder 
Seite  mehrere;  statt  sie  alle  aufzuspeichern,  sollen  hier  nur  einige  stehen, 
an  denen  man  das  eben  ausgesprochene  Urtheil  prüfen  mag.  So  ist  un- 
endlich oft  ohne  alle  Beachtung  des  Metrum  und  statt  unde  in  den 
Text  gesetzt,  selbst  da,  wo  K  oder  S  die  richtige  Lesart  hatte,  z.  B. 
856  di  eine  werde  stat  da  haut  \  und  sullin  sin  gemant ,  wo  K  richtig 
unde  bietet;  ebenso  falsch  und  gegen  die  bessere  Lesart  in  K  860, 
3032,  3061,  3539,  5103,  6223,  7290,  7533,  7414,  8018,  8048  u.  s.  w.  und 
gegen  die  bessere  in  S  8665  u.  s.  w. ;  ferner  mußte  gegen  K  sowohl  wie 
gegen  S  und  in  unde  geändert  werden  v.  3335,  3365,  3541,  3615, 
3778,  3857,  4242,  4477,  4579,  4691,  4798,  4965,  5012,  5017,  5356, 
5435,  5473,  5531,  5624  (lies  unde  mit  im),  5725,  6573,  6676,  6789  u.  s.  w.; 
umgekehrt  verlangt  das  Versmaß  und  statt  unde  3596,  3648,  4328,  4785, 
5688,    5859,    6135,   6177,    7881    u.   s.   w.,    wo   es   zum   Theil    schon 


*)  Noch  Opitz  in  seinem  Buch  „von  der  deutscheu  Poeterey"  S.  Gl  (Wittenberg' 
1641)  sagt:  „Die  ävKOZQoeprj  oder  Verkehrung  der  Worte  stehet  bei  uns  sehr  garstig, 
als :  Den  Sieg  die  Venus  kriegt,  für :  Die  Venus  kriegt  den  Sieg.  Item :  Sich  selig  dieser 
schätzen  mag,  für:  Dieser  mag  sich  selig  schätzen.  Und  so  ofte  dergleichen  gefunden 
wird,  ist  es  eine  gewisse  Anzeigung,  daß  die  Worte  in  den  Vers  gezwungen  und  ge- 
drungen seien." 


90  FEDOB  BECH 

darum  falsch  ist,  weil  Nicolaus  nie  zweisilbigen  Auftact  duldet.  Wie 
hier  so  lässt  sich  noch  bei  einer  Menge  anderer  Wörter  and  nicht 
selten  mit  Übereinstimmung  einer  der  genannten  Handschriften  dadurch 
der  Vers  glätten,  daß  man  je  nach  Bedürfhiss  desselben  entweder  die 
vollere  oder  die  kürzere  Form  setzt;  und  dies  kann  oft  um  so  bedenk- 
licher geschehen,  da  anderwärts  beide  durch  die  Handschriften  bezeugt 
weiden.  Dahin  gehört  z.  B.  202  unglwh  lies  ungllche  mit  K;  1075 
nutzstin  1.  nutzistin;  2169  vortihjtin  lies  vortilgitin ;  2410  u.  4734  vrevelich 
lies  vorevelich;  2510  Jiouptmannen  1.  houbitmannen;  2521  nemt  1.  nemit; 
2874  spricht  für  sprichit  wie  2826,  2631;  dagegen  2844  sprichit  für 
spricht ;  2925  #nuc  für  genüc;  957  herzog  Frid/rich  mit  K  für  herzöge 
Friderich;  3342  lies  grüwesam  für  grüsam;  4622  lies  belibin  für  blibin; 
5561,  jagit  oder  jaite  iür  jait;  6087  päbistis  für  pdbstis;  6445  u.  6554 
tüwirin  für  tnwrin-,  6519  bewarit  für  beicarf;  6601,  6883  /t«7^  mit  K 
für  heilige;  7028  tüvilis  mit  K  für  tüvils;  7892  vorholinlich  für  ror- 
holnlich  vergl.  8093;  8536  menliche  für  tnenlich;  9370  hurzeicae  mit  K 
für  kurzwile;  11053  mitelidunge  für  mitUdunge;  11736  und  öfter  war« 
mit  K  für  wären;'  23806  szV/t  ÄöJ  mit  K  für  sw/t  erhüh ,  welches  dem 
Gesetz  über  den  Auftact  widerspricht,  sowie  auch  10705  dro  für  aVfo 
(richtig  11316);  12462  zweigir  mit  K  für  zw»;  13940 — 41  herinde  und 
zesamene  mit  K;  14413  inwoner  für  imvonere;  14833  geschreie  mit  K 
für  geschrei;  15817  gegrifin  mit  K  für  grtfin;  16613  getorstin  mit  K  für 
torstin;  5478  geicorcld  für  worclit  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Ferner  12566  ist  un- 
nöthiger  Weise  ztf  irvtrne  gesetzt ,  wo  besser  nach  K  zw  werne  oder 
nach  S  zw  »/(»•««  zu  setzen  war,  vergl.  Pfeiffer  S.  252;  —  27204  ist 
Avohl  (/er  anderin  dikein  genas  zu  lesen  für  cZer  andern  dilceinre,  und  die 
Vermuthung  „niktinre"  unterm  Texte  ist  müßig,  denn  diheiner,  dikein  = 
null us  braucht  Nicolaus  auch  sonst,  z.  B.  3800,  und  ist  dies  gerade 
bei  Mitteldeutschen  nicht  unhäufig  für  dehein. 

In  den  genannten  Beispielen  scheint  bald  übertriebene  Scheu  vor 
der  Überlieferung,  bald  Rathlosigkeit  in  Bezug  auf  die  Wahl  der  Lesart 
den  llerausg.  geleitet  zu  haben.  Nicht  selten  hat  das  Metrum  hier 
allein  zu  entscheiden.  So  ist  namentlich  von  demselben  abhängig  der 
Gebrauch  der  Formen  viant  viande  viende  vinde,  vergl.  Pfeiffer  S.  264: 
viende  statt  vinde  steht  im  Text  z.  B.  3285,  3962,  6730,  7194, 
7470,  7496,  16316  u.  s.  w.,  richtig  dagegen  vinde  7310  u.  s.  w. ;  da- 
gegen ist  vintliche  falsch  3210,  5997,5393,  16579.  Dasselbe  Schwanken 
begegnet  in  Bezug  auf  die  Formen  brüder  brüdr,  brüdere  brüdre,  brü- 
derin brüdern  brudrin,  sowie  leitrin  leitirn  (— scalis),  anderin  andrin, 
eristenin  cristnin  cristin:  auch  hier  hätte   das    Versmaß    öfter   zu  Rathe 


ÜBEE  &ICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  91 

gezogen  werden  können,    wiewohl    es    auch    Fälle   gibt,   in   denen   nur 
schwer  zu  entscheiden  ist,  wie  der  Dichter  sprach. 

Nächst  diesen  sind  noch  viele  Fälle  vorhanden,  in  denen  durch 
Zusätze  vom  Zusammenhang  geforderter  Wörter  oder  durch  Weg- 
lassimg oder  durch  leichte  Umstellung  die  dem  Autor  angemessene 
Lesart  sich  erreichen  lüsst.  So  14680  da  sunder  ander  not,  S  sunder  ane 
not,  lies  da  si  ane  ander  not,  denn  es  fehlt  das  Subject,  und  überdies 
muß  der  Vers  siebensilbig  sein;  —  10487 — 90  zu  meistere,  und  xoant  er 
ebin  |  xoeste  dl  gelegenheide  |  dirre  lande  beide,  wo  man  leicht  ändern 
kann  in  zu  meistre,  w.  e.  xoeste  ebin  \  dt  gelegenheide  |  etc.  oder  in 
ebin  \  xoeste  dirre  beide  \  lande  gelegenheide;  —  3479  durch  hungir,  un- 
gemachj  \  armüt,  snodekeit  man  sach  \  si  in  demüt  ummevdn,  wo  entweder 
got  oder  in  nach  durch  einzuschalten  war ;  —  4497  loan  er  ane  xoandils 
iure  \  buregreve  von  Meideburc  \  toas  in  der  zit  irhant,  wo  S  und  K 
richtig  lesen  was  er  d.  i.  loas  er  (ß)  in  d.  z.  L,  vergl.  7593,  wo  derselbe 
Fall;  —  5899  no<*h  ane  michil  blüt  \  daz  vil  manic  cristen  gut,  vielleicht 
und  nicht  ane  in.  bl. ;  —  6062  daz  tet  dem  päbste  ande,  \  davon  er  ouch 
so  hin  sande  \  zu  Pruzin  ouch  vil  drdte,  hier  ist  mit  K  das  erste  ouch 
zu  tilgen;  499  di  ich  genant  habe  nü,  reimt  auf  einen  achtsilbigen  Vers, 
daher  vielleicht  genamit; —  6415  daz  der  tac  den  bejac  |  in  so  seliclichen 
ivac,  vielleicht  daz  der  tac  dt  d.  b.  =  daß  gerade  der  Tag;  —  6735 
mit  schandin  und  mit  unheile  \  widir  zu  jeme  teile,  das  zweite  <mit  ist 
nach  K  zu  streichen;  —  7471  sus  sprengtin  st  di  vinde  an  \  vor  dem  Chi  min 
der  stat,  lies  an  der  stat  =  illico;  —  16692  si  vültin  und  irvnschin,  daz  \ 
di  burc  ivas  gemannit  baz  ,  lies  vestin  mit  K  für  burc,  ebenso  ist  zu 
bessern  7793,  vergl.  über  dies  Wort  Pfeiffer  S.  264,  sowie  dessen  Ur- 
barbuch 96,  11  und  199,  20; —  8778  des  hond  er  trigin  wol  \  vf  der  cri- 
stinheit  unheil,  \  sin  her  in  zioei  teil  \  er  schichte  dcsivär  harte  listiclich,  j 
mit  der  einen  schar  er  sich,  über  diese  monströsen  Verse,  in  denen  ein  fünf- 
silbiger  mit  einem  zelmsilbigen  gebunden  ist,  verwundert  sich  Strehlke 
selbst  S.  116  Anm.  und  glaubt  sogar  einen  dreisilbigen  Auftact  (er 
schichte)  annehmen  zu  dürfen.  Das  ist  rein  unmöglich.  Die  Heilung  ist 
leicht:  man  rücke  die  Worte  er  schichte,  welche  der  Schreiber  eine 
Zeile  zu  tief  gesetzt  hat,  wieder  an  ihre  erste  Stelle,  er  schichte  sin  her 
in  zwei  teil  \  deswär  harte  etc.;  —  9175  ist  durch  den  Artikel  der  dem 
Verse  eine  Silbe  zu  viel  gegeben  wie  9737,  21498,  vergl.  12903;  116 
und  117  verlangt  das  Metrum  Tilgung  einer  Silbe,  daher  vielleicht  her 
Diteri-h  statt  brüdir  &.,  und  rneistir  statt  homeisiir  wie  213;  —  3204 
des  dütschtn  husis  genant;  —  16415  menschlichis  heilis  ein  echter  \  und 
les  geloubin  ein  anvehtSr ,    man  tilge    entweder  mit  K    ein   vor  anvehter 


92  FEDOR  BECII 

oder  schreibe  gloubin;  —  17165  und  gewidirtin  den  schadin  \  damit  s7 
sus  warn  vorladin ,  besser  in  K  damit  si  wdrin  sus  vorladin ;  287!)  so 
werdin  si  dem  vrdze  \  sich  begebin  mit  unmdze,  das  Metrum  verlangt 
gebin,  und  so  steht  in  K;  —  20390  ist  allein  richtig  die  Lesart  von 
K  vridis  heu  der  cristinheit ;  6547  brüdre  und  gewapinte  man,  besser  in  K 
wäpinman  wie  19202;  1327  dö  der  vorgangin  zwelfhundirt  warn,  hier 
passte  die  Form  vorgdn  in  den  Vers,  welche  K  hat,  vergl.  die  ver- 
kürzten Participien  im  Reim  15136  und  27566;  —  2398  üf  daz  vor- 
bescheidne zil  |  von  dem  hemerere;  \  da  zu  nam  ere  |  der  sinen  wol  fumf- 
tüsint  man,  an  einen  fünfsilbigen  Vers  ist  nicht  zu  denken,  vielmehr  fehlt 
eine  Silbe ,  daher  vielleicht  da  zu  der  sinen  ere  \  nam  wol  fumft.  m.  oder 
da  zu  nam  wol  ere  \  der  sinen  f.  m.,  vergleiche  über  ere  =  er  9850. 

Als  Beispiele,  in  denen  die  Herstellung  des  Textes  missglückt  ist, 
ja  zuweilen  gerade  zu  fehlerhafte  Formen  gewählt  oder  stehen  geblieben 
sind,  führe  ich  noch  folgende  Stellen  an:  v.  18871  ist  mine  geivizzen, 
als  femininuin,  fest  zu  halten  nach  der  Lesart  beider  Handschriften, 
nicht  min,  vergl.  inhd.  "Worterb.  3,  791;  —  18261  ist  statt  des  durch 
die  Handschr.  gesicherten  vorsunne  sich  mit  Unrecht  in  den  Text  ge- 
setzt vorsinne  sich,  vergl.  über  den  conj.  praet.  Graff  6,  228;  —  993 
zuletzt  trat  er  des  tudis  spor,  des  niman  mac  sin  vorhabin,  so  offenbar 
dem  Sinne  gemäß  in  K,  während  Strehlke  irhabin  aus  S  aufgenommen 
hat;  —  15451  ist  willentlichen  aus  S  beibehalten  statt  des  üblichen 
willeclichen,  welches  hier  K  hat  und  8552  von  allen  Handschr.  bezeugt 
ist;  3694  über  di  Wizlin  samen  so  zu  bessern  statt  Wizil  intsamen, 
denn  Wizile,  Wizil  ist  stets  nur  sw.  f.  bei  Nicolaus,  z.  B.  3697,  3741;  — 
4689  und  10363  ist  nach  K  und  S  die  schwache  Form  Marien  wieder- 
herzustellen; —  4228  si  reitin  ouch  nicht  wochin,  wo  K  sicher  die  echte 
Schreibung  bewahrt  hat  sin  reitin  d.  i.  si  enreitin;  —  19942  da  her  Ka- 
simir gesach,  wo  S  do  der,  K  do  er  liest,  hat  wohl  K  das  echte, 
vergl.  diese  Zeitschr.  5,  498;  auch  der  Lohet  in  v.  27057  ist  verdächtig, 
vielleicht  ist  das  Comma  nach  der  und  nicht  vor  der  zu  setzen;  — 
2636  durch  der  rechte  dulde  pin,  wo  K  durch  dar  bietet,  ist  zu  schreiben 
durch  daz  r.; —  1824  ist  aus  S  da  an  gewählt,  ein  Fehler  des  Copisten 
für  dar  an,  wie  in  K  steht;  —  2154  mit  sus  getane  liste  hraft,  fälsch 
für  getdnir,  welches  K  gewährt;  —  9147  irgiz  als  Imperativ,  besser 
und  dem  Dialecte  gemäßig  in  K  irguz;  —  7080  ist  der  Fehler  vor- 
diste  beibehalten  statt  vorderste  d.  i.  vorderste ;  9931  des  herrin  zart,  aber 
in  K  findet  man  des  siegin  zart,  welches  offenbar  verdorben  ist  aus 
des  degin  zart,  vergl.  mhd.  Wörterb.  1,  309;  —  16261  ist  ohne  Noth 
das  bei  Nie.  sonst  nicht  gebräuchliche  züzim  gesetzt  gegen  die  bessere 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  93 

Überlieferung  in  K  und  S;  —  27074  wi  lestirlichen  man  do  tet  \  Lohet 
der  valsche  vurste,  hier  ist  von  Strehlke  man  im  Texte  weggelassen, 
unterm  Texte  wdn  dafür  vermuthet ;  höchst  wahrscheinlich  muß  es  mein 
heißen,  über  welches  sieh  Pfeiffer  S.  194; —  4781  ist  bi  eime  vliz  gegen 
das  Metrum  gesetzt,  richtiger  K  bi  ein  vliz ,  vergleiche  die  Beispiele 
von  bi  mit  Accusat.  bei  Pfeiffer  S.  131;  3869  ist  helfamme  =  obstetrix 
nach  S,  wo  es  noch  dazu  über  einer  Rasur  steht,  dem  Texte  einver- 
leibt, die  echte  Lesart  aber  in  K  hefamme  verschmäht  worden.  Ich 
entsinne  mich  nicht  das  erstere  irgendwo  schon  gelesen  zu  haben  außer 
in  Philipps  Marienl.  2005  nach  der  Heidelb.  Handschr.,  wohl  aber  lie- 
veamme  hefamme  hebamme,  sieh  mhd.  Wörterb.  u.  Fundgr.  2,  196,  3, 
Grieshab.  Predd.  2,  3  und  111.  - —  Schließlich  noch  einige  Beispiele 
von  der  ungleichmäßigen  und  unsicheren  Behandlung,  welche  gewissen 
Wortformen  zu  Theil  geworden  ist.  So  scheint  Strehlke  an  den  meisten 
Stellen  die  Trennung  von  do  und  da  durchführen  zu  wollen,  obwohl 
zuweilen  die  Reime  dagegen  sprechen,  auch  sonst  nicht  selten  nach 
niederdeutscher  Weise  0  für  a  auftritt,  vergl.  Pfeiffer  S.  LX.  Sehr  auf- 
fallend ist  namentlich  das  Schwanken  bei  den  Formen  iman,  niman  (im 
Reim  6017)  und  imant  nimant  (im  Reim  19208);  bald  setzt  der  Herausg. 
nach  K  die  ersteren  in  den  Text,  wo  S  imant  nimant  hat,  wie  z.  B. 
17960,  21278,  bald  und  dies  ist  am  öftesten  der  Fall  imant  nimant 
nach  S  mit  Zurücksetzung  von  K  z.  B.  15597,  16786,  11455.  Ebenso 
geht  es  ihm  mit  den  Formen  her  und  er,  secht  (in  K  gewöhnlich  setli) 
und  sct,  obldtd  und  abldtä  18971  u.  21405,  Heinrich  und  Henrich,  sowie 
mit  den  mit  ent-  (int-)  zusammengesetzten  Verben,  bei  denen  meist 
die  Form  int  -  gewählt ,  zuweilen  aber  in  -  belassen  ist.  Der  Dialect 
des  Nie.  ist  allerdings  der  Art,  daß  er  in  diesen  und  ähnlichen  Fällen 
nach  Bedürfniss  bald  zu  dieser  bald  zu  jener  Form  greifen  darf,  wie 
dies  aus  den  Reimsilben  sich  verweisen  lässt ;  gleichwohl  kann  ein 
Verfahren,  welches  ohne  Rücksicht  und  ohne  Noth  in  der  Wahl  schwankt 
oder  eine  Regel  nur  halb  durchführt,  unmöglich  ein  kritisches  genannt 
werden. 

Auch  unter  den  Erklärungen,  welche  Strehlke  unterm  Texte  hin 
und  wieder  beigefügt  hat ,  sind  einige  zu  berichtigen.  So  ist  bern, 
sw.  v.,  in  v.  14764  im  vaste  um  di  backen  bern  mit  den  vuisten  falsch 
erklärt  durch  „streben,"  sieh  vielmehr  mhd.  Wörterb.  1,  143 — 144;  — 
17561  ist  libberen  weder  „liberare"  noch  „librare  schütteln,"  sondern 
wie  Wackernagel  und  Pfeiffer  S.  302  nachträglich  vermerkt  haben: 
gerinnen,  coagulari;  vergl.  noch  Fundgr.  1,  323,  4.  Roth  Denkm.  81; 
das  Wort  gehört  zu  lebere  —  Leber ;  im   mhd.   Wörterb.   1,   970   steht 


94  FEDOE  BECH 

es  :m  anrechter  Stelle:  211)14  in  den  grundeldsen  Inf,  hier  ist  luf  un- 
richtig gedeutet  durch  „Luft,"  das  Richtige  zeigt  Pfeiffer  S.  191;  - 
L5136  '"'  wdrin  da  burger  begän  noch  westin  waz  me  grtfin  an  d.  h. 
min  waren  die  Bürger  betroffen  erschrocken,  in  Verlegenheit,  nicht 
aber  wie  Strehlke  sagt  „zu  Ende,  fertig,  es  war  aus  mit  ihnen;"  du 
das  mhd.  Wörtern,  diese  Bedeutung  nicht  kennt,  so  setze  ich  zur  Ver- 
gleichung  noch  her  Pass.  H.  18,  60  Joseph  was  dö  begangin  wä  er  sich 
mochte  nider  län;  Pass.  K.  463,  48  dö  tcas  st  begangen  ob  si  geloubete 
oder  nicht;  Altd.  Blätter  2,  43,  87  der  jongfrouioen  vater  was  sere  be- 
gangen; —  22907  der  vogit  sinen  rnäc  sach  dar  nidir  stgin  tot,  wo  slgin  als 
„niederdeutsch"  bezeichnet  wird,  obwohl  das  Wort  sich  auch  sehr  häufig 
im  Oberdeutschen  findet;  —  25170  daz  wir  kumen  zu  der  genist,  der 
er  im  himil  ist  gewist  d.  i.  versichert  ist,  nicht  aber  rgeic?st  d.  i. 
zugewiesen." 

Für  das  Verhältniss  und  den  Werth  der  hier  am  meisten  in  Be- 
tracht kommenden  Handschriften  lässt  sich  schon  aus  den  bisherigen 
Anführungen  ermessen ,  daß  die  Stuttgarter  auf  eine  einseitige  nicht 
zu  rechtfertigende  Weise  vom  Herausg.  bevorzugt  worden  ist.  Die  Scheu 
vor  den  glatteren,  den  Vers  meist  bessernden  Lesarten  der  Königs- 
bergerin,  so  wie  vor  den  in  derselben  befindlichen  Correcturen ,  wie 
begründet  und  lobenswerth  sie  manchen  andern  Handschriften  gegen- 
über auch  sein  mag,  war  sicherlich  hier  nicht  am  rechten  Orte.  Und 
zwar  darum  nicht,  weil  gerade  *n  der  aus  dem  Zählen  der  Silben  ent- 
stehenden Glätte  und  Eintönigkeit  die  charakteristische  Eigenthüm- 
lichkeit  der  Verse  des  Nicolaus  beruht.  Was  die  metrische  Regel  an- 
belangt, so  steht  K  unfehlbar  dem  Originale  um  vieles  näher  als  S. 
Aber  auch  in  Bezug  auf  die  Schreibart  und  namentlich  in  Bezug  auf 
ihre  verhältnissmäßig  zahlreicheren  niederdeutschen  Formen  hätte  K 
an  nicht  wenigen  Stellen  eine  genauere  und  günstigere  Berücksichtigung 
finden  sollen. 

Noch  sind  bei  Nicolaus  einige  seltene  Ausdrücke  übrig ,  die  den 
Erklärer  zu  einer  eingehenden  Besprechung  herausfordern.  Unter  ihnen 
wähle  ich  folgende: 

abetrossen,  sw.  v.,  in  v.  24457  dl  kost,  dl  si  da  hatten  abge- 
trost (nicht  „abgetrost"),  =  abladen,  vergl.  mhd.  Wörterb.  3,  115a  und 
trosserieme  im  Ordensbuch  ed.  Schönhuth  S.  71  ;  trossieren  bei  Cl. 
Hätzler.  S.  306  (22). 

beklipfen ,  sw.  v.,  in  v.  21850  sundir  ouch  dämitte  d?  laut  von 
dem  intritte  des  rzcJiis  zu  Egipten  dt  heiden  gar  beklipten  geivinninde  bürge 
nnde   stete.     Hat    nicht    beklipten   das    „violenter   absüdernnt"    des   latein. 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEKOSCHIN.  95 

Originals  ausdrücken  sollen?  dann  ließe  sieb  etwa  das  ahd.  kluipa 
kluppe=  foreipula  bei  Graft  4,  549  und  mhd.  Wörterb.  1,  846  (anders 
Renner.  21703)  sowie  das  angels.  clyppan,  amplecti  vielleicbt  vergleicben. 
Oder  ist  das  Wort  verderbt  aus  bekripten=  bekripften?  dies  käme  der 
Bedeutung  von  violeuter  abstulerunt  wobl  am  nächsten,  vergl.  auch 
krippen  bei  Scbmell.  2.  392.  Vergleicbungs  halber  hier  noch  zwei 
Stellen  aus  dem  j.  Titurel,  dessen  Verf.  folgenden  Reim  auf  Egipten 
hat :  3948  vierstund  fünf  kunige  \  fuert  der  uz  Egipten  \  mit  grozer  kraft 
der  menige  \  und  vor  allem  strit  die  unverkripten ;  und  4057  also  die  von 
Egipten  \  hievor  bi  alten  ziten  \  in  gedrange  die  verkripten  \  dolten  für  die 

gerner  strlten.  Über  die  Bedeutung  von  diesem  verkrippen  weiß 
auch  das  mhd.  Wörterb.  keine  Auskunft. 

bekroten,  sw.  v.  =  belästigen  beschweren  behindern  oecupare, 
in  v.  8348  {betreuen  in  K.),  welches  Pfeiffer  ehemals  nicht  weiter  nach- 
weisen konnte  und  Strehlke  darum  neuerdings  für  ein  aVa|  Asyofisvov 
erklärte,  ist  jetzt  durch  andere  Beispiele  belegt  von  Pfeiffer  in  den 
Beiträgen  zur  K.  d.  köln.  Mundart  90b,  vergl.  auch  mhd.  Wörterb. 
1.  888;  ferner  Purgoldt's  Rechtsbuch  ed.  Ortloff.  S.  42  daz  man  des 
danne  unbekrodet  blibe;  S.  60  daz  s7  nimant  sal  bekroden  ader  vorletzen  1 
S.  87  daz  ome  ntmant  in  deme  rechtin  xoidir  sinen  willen  bekroden  sal; 
S.  94  in  der  sträze  sal  nimant  graben  noch  die  bekrodin  daz  ez  erre  zu 
wandern.  An  die  niederdeutschen  Formen  kruden  hekruden  schließt 
sich  an  das  Wort  bekrudde  (nach  K,  bekurde  nach  S)  =  Belästigung 
in  v.  22650 ,  für  welches  Pfeiffer  behudde  vermuthete ,  sowie  crude  st. 
f.  =  molestia  Qual  in  v.  25147.  Endlich  gehört  auch  hierher  krotelich 
Lrodelich,  adj.  =  molestus  bei  Ortloff  1.  1.  S.  355.  Für  beiretten,  welches 
oben  die  Königsb.  Handschr.  bei  Nicol.  bietet  statt  bekrooten,  ist  viel- 
leicht bekretten  zu  lesen,  vergl.  kretten  bei  Frisch  1,  547c. 

dumpf,  dumpfe?  v.  11768  zu  jugist  im  der  dumpfe  (:  strumpfe) 
besinnt  mit  absulcliir  not,  daz  er  vil  darnidir  tot.  Ich  vergleiche  Sündenf. 
ed.  Schöneman.  2394  dat  kindelln  lach  bi  my  jo  up  deme  bedde,  lichte 
dat  ik  it  sulven  dumpet  hedde,  wo  dumpen  soviel  ist  als  ersticken;  im 
j.  Titurel  6095  ist  iumphen  wohl  in  timpfen  zu  ändern,  bei  Meister 
Altswert  27,  12  ez  begunde  flammen  dumpfen  \  sunder  allez  argez  rüm- 
pfen-, nicht  recht  klar  bei  Albrecht  v.  Haberst.  ed.  Bartsch  S.  206,  49 
der  kneht  damphen  began,  sold  er  die  melde  läze  etc.  Ist  Pfeiffer's  Er- 
klärung =  „Dampf  des  aus  dem  kopflosen  Körper  entströmenden  Blutes" 
richtig ,  dann  möchte  ich  nicht  im  in  in  ändern ,  dagegen  bestän  für 
intransitiv  =  stehen  bleiben,  halten  wie  23941,  so  daß  der  Sinn  wäre: 
„zuletzt  blieb  ihm  der  Blutdampf,  der  Lebensodem  stille  stehen;  „ dumpfe 


96  PEDOE  BECK 

wäre  dann  soviel  wie  toum  dovm,  z.  B.  Pass.  K.  265,  13  des  llbes  tonm 
entging  im  =  aniinam  exhalavit,  und  so  auch  337,  4;  Heinrich  v.  d. 
Türlin  in  der  Krone  12167  nn  was  er  von  dem  foume  des  bluotes  er- 
runnen,  vcrgl.  mhd.  Wörterb.  3,  60.  Bedeutet  dagegen  dumpfe  =  suffo- 
eatio,  dann  wäre  im  in  in  zu  ändern,  um  einen  passenden  Sinn  zu 
erhalten. 

entspen,  sw.  v.  in  v.  7332  kästü  genen  kriecht  gesen,  den  läz 
dir  mit  nicht  entspen.  Ich  erkläre:  den  laß  dir  nicht  durch  Spähen  ab- 
wendig machen. 

ergrensen,  sw.  v.  im  Reime  auf:  Mensen,  bei  Pfeiffer  S.  149, 
ist  schwerlich  etwas  anderes  als  das  bei  Nie.  sonst  noch  vorkommende 
ergremezen;  auch  ist  die  Bedeutung  =  in  Wuth  versetzen  dem  Zu- 
sammenhange weit  bequemer.  Vergl.  Köpke  z.  Pass.  718. 

geh  ehe  geheve,  adj.,  vergl.  Pfeiffer  156  und  Ben.  Wörterb.  1, 
602b.  Ich  füge  hinzu  Pass.  K.  321,  78  sin  hüs  was  so  gehebe  (:  gast  gebe) 
daz  bl  im  mancher  nacktes  bleib;  557,  68  nu  uns  so  gar  g.  (:gebe)  an 
dem  kerzen  Leönhart ;  642 ,  22  die  edele  die  gekebe  (:  gebe) ;  687 ,  89  die 
edele  dirn,  die  schone  und  die  fjekebe  {'gebe);  Michelsen,  Mainz.  Hof  z. 
Erfurt  S.  38  die  redekasten  und  leufte  umb  die  mälstein  sal  er  alle  zeit 
gehebe  u.  ganz  bekalten,  vergl.  Frisch  1,  389°  =  „non  perfluus,  nullam 
rimam  habens."  Vergl.  auch  ungekebe  bei  Pfeiff.  S.  245  und  in  dessen 
Marienlegg.  S.  153  (22),  wo  ungekebe  wohl  beizubehalten  ist,  Pass. 
K.  14,  12. 

gemeinen,  sw.  v.  transitiv  gebraucht  in  v.  27578  daz  ick  dick 
müz  gemeinen  \  unde  dem  unreinen;  vielleicht  zu  bessern  in  mit  dem 
wir  einen,  vergl.  David  v.  Augsb.  in  Haupt' s  Zeitschr.  9,  31  du  uns 
toider  teilhaft  machest  dtner  gotkeit,  die  du  mit  dem  vater  käst  eweeliche 
gemeinet.  In  den  Alten  Ges.  von  Nordh.  ed.  Förstern,  ist  gemeinen  c. 
acc.  soviel  wie  mit  einem  gemeinschaftliche  Sache  machen,  z.  B.  S.  28, 
91;  41,  183;  42,  191;  56,  52;  71,  133.  Vergl.  mhd.  Wörterb.  2,  102a. 

grant,  adj.,  v.  22962  daz  ungewittere  uf  si  doz  %  grandir  und  t 
grandir;  von  Pfeiffer  S.  167  ist  grandir  als  Comparativ  vom  partic. 
gerant  gefasst  mit  Berufung  auf  Grimm  zu  Athis  S.  67;  Frisch  leitet 
es  von  grandis  heftig  ab.  Ich  möchte  letzteres  nicht  so  ganz  verwerfen. 
Denn  es  findet  sich  z.  B.  grandewerre  im  j.  Titurel  4052,  4  ob  sie  da 
sanfte  lebten  oder  lebten  sie  mit  grandewerren ;  und  4193,  4  uz  Talmnilt 
die  geste,  von  den  sack  man  kie  nock  grande  werren;  Ms.  3,  281  (9) 
mökte  ick  einen  grantwerren  betrahten;  dasselbe  ist  wohl  ein  grozer  toerre 
bei  Suchenwirt  S.  109  vergl.  Schmellcr  4,  136;  ferner  grande  =  groß 
j.  Tit.  6048,   1   da  In.  in  einem  lande  zvekset  der  pfeffer  zanger  kleine  und 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  97 

und  ouch  grande;  und  grande  als  Substantiv  =  grandewerre  im  Eisen- 
acher  Rechtsbuch  cd.  Ortloff  S.  747  ivere  ez  daz amchtlüthe  daz 

gemeine  volg  dorch  grozis  grandis  willen  adir  umme  unzucht  stüretin  mit 
der  liant. 

grünt  als  st.  f.  ist  niederdeutsch,  z.  B.  in  Sündenf.  ed.  Schönem. 
1991  ik  höde  dir  nedden  in  der  grünt.  Von  md.  Autoren  führe  ich  noch 
an  J.  Rothe  Chron.  S.  620  in  einer  langen  grünt;  Eisenacher  Recht 
ed.  Ortloff  S.  731;  Kulm.  Recht  ed.  Leman  S.  196. 

hohem  hoern  hörn  =  mhd.  hcehern,  im  mhd.  Wörterb.  nur 
durch  ein  Beispiel  bezeugt,  steht  bei  Nicol.  27661  gotis  dinst  er  sere 
werte,  horte  unde  zirte,  vergl.  15828  si  gehotin  und  gemertin;  bei  Lanzel. 
1297  die  ir  leben  gehcehert  hänt  vil  sere;  Habsb.  Urbarb.  ed.  Pfeiffer 
55,  6  die  sint  gehcehert  unde  gemeret  so  rerre;  157,  7;  243,  31;  dahin 
gehört  auch  Pass.  K.  192,  11  Gordiänus  sin  vater  hiz,  \  gehört  an  deine 
rate,  \  der  Romere  Senate ,  geioaldec  u.  wise ,  von  mir  falsch  gedeutet  in 
den  Programmen  des  Zeitzer  Gynm.  von  1859  S.  25  u.  von  1861  S.  8. 
Bei  Hesler  in  Roth's  Dicht.  S.  1  (5)  so  iverdent  irhört  der  guten  hörn  — 
Psalm  74,  1 1 :  et  exaltabuntur  cornua  justi. 

hur  gen,  sw.  v.  nach  S  von  Pfeiffer  S.  176  angesetzt,  sonst  un- 
gebräuchlich ,  hat  jetzt  bei  Strehlke  10245  wohl  mit  Recht  dem  auch 
sonst  im  md.  vorkommenden  schurgen  Platz  gemacht,  welches  in  K 
steht,  vergl.  Pfeiffer  S.  217;  Förstern.  Alte  Ges.  v.  Nordh.  S.  188  unde 
ivolde  disse  ding  üf  ander  lüthe  schörge;  auch  Herbort,  Troj.  4599  ist 
wohl  nicht  mit  Fromm,  schocketen,  sondern  schorgeten  zu  lesen;  Renner 
22225  die  Misncere  die  wort  wol  schurgent  (iwurgent);  Walther  v.  Rheinau 
168,  12  und  172,  40  sume  stiezen,  sume  sluogen,  sume  schür gten  un- 
gevuogen. 

inhant,  adv.,  =  „zuweilen,  hie  und  da,"  Pfeiffer  S.  143,  bei 
Strehlke  285,  3676,  24974,  19644;  es  bleibt  noch  zu  untersuchen,  ob 
das  Wort  aus  in-hant  oder  ie-ein-hant  (alsdann  inhant)  entstanden  ist. 
Im  mhd.  Wörterb.  ist  nichts  darüber.  Beim  Verf.  des  Lebens  des  h. 
Ludwig  35,  23  io  ein  haut  =  saepius,  vergl.  Rückert  dazu  S.  121; 
bei  Stolle  I75b  sie  renten  yenihant  üf  der  Burgunder  her;  182b  sie 
zwackten  den  herzogen  ynehant  uf  das  heir;  204b  als  er  vormals  zu  Yne- 
hant  (?)  hatte  gethan ;  456b  also  daz  feie  lüthe  jonehant  mheisten  (==  ein- 
heizten) ;  274  dö  regentes  ynehant.  In  der  Livländ.  Reimchronik  steht 
nur  enhant ,  z.  B.  209  ez  gienc  in  wol  enhant  und  ähnlich  452  ,  2084, 
2382,  6959,  6967,  7489. 

leren,  sw.  v.  =  discere,  3070  di  Judin  —  bi  in  (sc.  den  heiden) 
strttin  lerten  und  d?  lere  kertin  vurbaz  ouch  an  irekint;  und  so  Schönhuth, 

GERMANIA  VII.  7 


98  FKDOR  BECH 

Ordensb.  S.  42  si  sulen  ez  leren  von  den  pvisteren  heimelichen;  II.  Rafold 
in  Ges.  Abent.  ed.  v.  d.  Hagen  1,  445,  4  er  engeierte  nie  buochstap', 
Köpke  z.  Pass.  S.  747;  Dyocletian.  306  u.  476  leret :  begeret ;  lert:<i<- 
rnört  Lassb.  Ls.  3,  60  (141);  si  lerten :  bewerten  E.  v.  Kirchb.  751;  vergl. 
in  dieser  Zeitschr.  5,  241. 

missetirn,  sw.  v.,  in  V.  18450  dl  dtt  sich  hatte  missettrt  und  zu 
dem  lesten  vornoighi.  Mir  liegt  das  lateinische  miscitare  zu  fern,  welches 
Wackernagel  vorgeschlagen  hat.  Es  kann  das  Wort  recht  wohl  von 
dem  niederdeutschen  tire  ür  dire  =  indoles  abgeleitet  werden,  so  daß  es 
im  Sinne  von  degenerare,  sich  verwerfen  missrathen  zu  fassen  ist.  Vergl. 
mhd.  Wörterb.  3,  35.  Von  einem  niederdeutschen  t  für  z  findet  sich 
sonst  im  Anlaute  der  Silben  bei  Nicolaus  kein  Beispiel.  Dem  mhd. 
Wörterb.  3 ,  877 ,  welches  missezieren  in  unserer  Stelle  vermuthet, 
scheint  die  Stelle  Konrads  v.  W.  in  MS.  2,  324a  entgangen  zu  sein: 
schänden  gran  und  ir  zan  missezierent  riehen  man. 

pur  in  V.  23714  daz  gab  den  heidin  sulchin  schrie,  daz  als  in  einis 
ougen  blic  wart  ein  gebrach,  der  luite  pur,  da  mit  ouch  nam  dt  dtt  den 
snur  gar  zustrouioit  an  di  vtucht  recht  als  eine  starentrucht ,  so  man  st 
vorschoiehit  tut.  Nu  jagit  nach,  6  helde  gut!  Die  Erklärer  haben  wohl 
nicht  das  Rechte  getroffen.  Der  Dichter  malt  hier  in  altepischer  Weise 
den  Schreck  der  Feinde,  die  sich  wie  ein  Wild  vom  Jäger  haben  über- 
raschen lassen  und  nun  einer  Schaar  Staare  gleich  schwirrend  davon 
fliehen.  Die  Worte  wart  ein  gebrach  der  luite  pur  bedeuten:  entstand 
ein  Geräusch  das  lautete,  klang  wie  purrr!  Pur,  bur  bedeutet  dasselbe 
was  bruheh  purhee  =  interjeetio  venantium  et  bestias  irritantium  bei 
Frisch  1,  45a  und  2,  75a.  Daher  das  Zeitwort  purren,  anpurren  =  irri- 
tare  ebendaselbst,  =  machen  daß  das  Wild  aufspringt  d.  i.  t/f  burt. 
Namentlich  gehört  hierher  burren  in  der  Jägersprache  bei  Hadamar 
v.  Laber  486  man  mag  ez  ouch  versnurren  \  an  allez  widerbringen.  \  Seine 
und  ze  snellez  burren  j  muoz  man  mit  fliegen  an  die  mäze  dingen,  \  diu 
henget  niht  ze  snelle  und  niht  ze  ira>ge;  vergl.  auch  Schmell.  1,  193. 
Der  Ausdruck  ist  eng  verwandt  mit  burn  bom  ahd.  burjan  —  erigere 
tollere  suscitare,  welches  sich  hin  und  wieder  auch  burren  geschrieben 
findet,  sich  Graff  3,  163  —  167  und  Erlösung  3564  u.  3703,  wo«/ harren 
intransitive  Bedeutung  hat  =  aufbrechen,  sich  reisefertig  machen,  ähn- 
lich anborn  in  den  Trierer  Interlinearversionen  ed.  Graff  S.  265:  von 
den  anboriden  an  mich  =  ab  insurgentibus  in  nie. 

r  au  den  in  V.  23382  in  mortlichim  rauden  (xPograuden)  scheint 
doch  nur  eine  zu  Gunsten  des  Reimes  vom  Dialekte  zugelassene  Vcr- 
unstaltung;  des  Wortes  räden  =  mhd.  raten  zu  sein.     So  findet  sich  in 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  99 

K  zu  V.  24760  vörsnaultenipraulten,  25083  vorwaidten:vorstaulten,  2577 4 
kault : enthault,  13590  clauive  :  Pobrauwe,  25352  darnaw:  Wenzeslaio.  Über 
die  Vertauschung  der  tenuis  t  mit  d  sieh  Pfeiffer  S.  LXV. 

visier  in  V.  21994  got  hat  in  sime  grimme  dlner  eren  ristir,  den 
kunic  ti.  den  prtstir ,  vorwürfen  gar  in  schände  —  ist  wohl  nicht  für 
„riester  lacinia  entstellender  Fleck"  mit  Pfeiffer  S.  211  zu  halten  noch 
mit  Strehlke  gleich  reistev  Lenker  Verwalter  zu  setzen,  sondern  viel- 
mehr riester  dentile  stiva  Sumerlat.  6,  15  und  32,  5.  ahd.  riostar,  vergl. 
Schindler  4,  145.  Derselbe  Reim  findet  sich  im  Renner  2773:  man 
wihet  leider  manchen  priester,  dem  vil  baz  zeme  daz  er  zwei  (?)  riester  an 
einem  pfluoge  solte  haben.  Der  seltene  Ausdruck  ist  wie  so  viele  andere 
bei  Nicolaus  nur  um  des  Reimes  willen  gewählt;  ursprünglich  bezeichnet 
er  entweder  den  Theil  des  Pfluges,  aufweichen  man  sich  beim  Pflügen 
stützt,  mit  welchem  man  lenkt,  die  Pflugsterz  (stiva),  oder  den,  an 
welchem  das  Schar  sitzt,  den  Scharbaum  (dentalia),  vergl.  H.  Voß  zu 
Virgils  Georg.  S.  96—100. 

strewen,  sw.  v.,  von  Pf.  S.  226  als  strewen  =  strcvjen  gefasst, 
in  V.  23686  man  inst  si  strewin  vor  sich  als  dt  lewin  —  ist  wohl  weiter 
nichts  als  des  mhd.  streben;  ebenso  steht  ewin  für  eben  in  V.  18144 
der  visch  geformit  ewin  \  tvas  nach  einie  lewin. 

trafen,  sw.  v.  in  V.  24160  (:sldßn)  ist  von  Pfeiffer  S.  234  sicher 
=  traben  droben  gedeutet,  vergl.  Ottocar  in  Kaiserchr.  ed.  Massm.  2, 
S.  618  (240)  dem  grauen  :si  begunden  heim  draven;  S.  633  der  kunic  — 
—  dem  maregräven  manegen  boten  hiez  draven  und  besonders  Lassb.  Ls. 

1,  459  (88)  traft:  kraft,  464  (45),  475  (16)  draft ,   502  (50),  626  (42); 

2,  303  (355)  der  hunt   traft   des   ersten    an  in    der   Weidmannssprache; 

3,  64  (273)  319  (89)  gedraft:  botschaft;  im  Ring  des  Heinrich  Witten- 
weiler  l7b,  11  er  traf t  sich  =  trabt  sichSh,  38  und  9b,  30  =  eilt,  begiebt 
sich  fort.  In  unserer  Stelle  erinnert  der  Ausdruck  cid  quam  der  tüvel 
traßn  und  beiz  in  in  den  ze  an  eine  ähnliche  Stelle  in  den  Priameln, 
welche  in  dem  Berichte  der  deutschen  Gesellschaft  zu  Leipzig  vom 
Jahre  1837  S.  18  Leyser  mitgetheilt  hat:  all  hellische  feint  züdraben 
und,  fürbaz  gewalt  über  die  sele  haben,  wobei  der  Heransg.  das  Traben 
des    Wolfes  als  Ausdruck  der  Jäger  erwähnt. 

usele,  bei  Strehlke  14304,  sieh  bei  Pfeiffer  S.  309;  zu  den 
Stellen  im  mhd.  "Worterb.  füge  hinzu  j.  Tit.  5809,  4,  Lohengr.  17 
(164),  Ges.  Abent.   1,  215  (150). 

vorlazzen,  sw.  v.  im  Sinne  von  säumig  betreiben,  versäumen, 
steht  bei  Strehlke  16580  diz  alz  vorlazte  Bertolt  und  wüc  geringe  doch 
di  scholt;    so  Rothe  im  Rittersp.  3650  waz   man   in    andirn   dingen  vor- 


100  FEDOE  BECH 

soumit  adir  vorlazzit  (:vorfazzit)  und  3654;  Förstern.  Neue  Mitth.  1,  2, 
86  welch  rat  disse  ding  vorlazzete  adir  vorseumete  durch  lip  adir  leit; 
Ernst  von  Kirchb.  804  her  virlazzete  sich;  und  =  laz  machen  Ettm.  zu 
Frauenlob  S.  298  (44,  3);  j.  Titurel  3793,  4;  Lassb.  Ls.  1,  588(125); 
Ges.  Abent.  2,  443  (1004).  Im  mhd.  Wörterb.  finde  ich  dies  Wort  nicht. 

stuwen  (?),  sw.  v.  von  Pfeifler  S.  229  angesetzt  und  erklärt  durch 
„unterstützen  helfen?"  findet  sich  bei  Strehlke  17024  ouch  betrat  Mertin 
in  dem  bade  \  zen  man,  den  er  gerade  \  da  stuite  äne  iren  danc,  \  da  von 
in  ubile  getane ,  |  want  i  nach  des  slagis  swanc  |  gewan  daz  blüt  so  groben 
ganc  |  daz  daz  lebin  in  intslanc.  Für  stuite  liest  K  stuyete.  Ich  ver- 
muthe,  daß  es  derselbe  Ausdruck  ist,  den  Frisch  2,  350b  aus  dem 
Nürnberger  Vokabularius  von  1482  aufführt:  stuchen  lassen  ventausen 
ventosare  und  stuche  lastkopf  (lies  lazkopf)  vintauste  ventosa  sowie  studier 
ein  schrepfer  scarificator.  Nun  erst  erhält  unsere  Stelle  Licht.  Der 
wackere  Kempe  Martin  überrascht  seine  Gegner  im  Bade  und  schrepft 
sie  da  so  tüchtig  mit  seinen  Schwertschlägen,  daß  sie  von  diesem 
Aderlaß  sich  todt  bluten. 

vorebel,  vorebele,  vorebelich,  sieh  Pfeiffer  S.  268;  dieselben 
Wortbildungen  erscheinen  auch  in  den  Alten  Ges.  v.  Nordh.  ed.  För- 
stern. So  der  vorebel  S.  51,  12;  55,  45;  56,  49;  vorebeliche  S.  52,  13; 
53,  26;  vorebelen,  sw.  v.,  53,  25;  55,  44;  vorebyl  Kulm.  Recht  ed. 
Leman  S.  355. 

vorsetzen,  sw.  v.,  in  V.  9063  lihir  menlich  stritin  wen  daz  wir 
uns  vorsetzin  und  läzin  also  letzin,  daz  uns  M  zu  vorhtin  stät.  Hier  ist 
wohl  nicht  an  „wider  setzen"  zu  denken,  eine  Bedeutung  die  vorsetzin 
nicht  gut  ausdrücken  kann,  sondern  vielmehr  an  =  verpfänden;  es  ist 
nämlich  vorher  von  einem  gedinge  die  Rede,  wonach  die  Brüder  den 
Preußen  sollten  Geiseln  stellen,  sich  gevangen  geben. 

vorwickunge,  als  Überschrift  bei  Str.  S.  128  u.  148  =  divinatio 
vaticinatio  pramosticatio ,  sieh  mhd.  Wörterb.  3,  618.  Über  wichen 
wichen  vergl.  noch  Renner  10254  der  vierde  reiet  unde  springet,  der  fumfle 
tdchet  unde  wichet,  der  sehste  vil  böser  worte  sprühet ;  Ernst  v.  Kirchb. 
668  si  wicketen  alle  daz  vorwdr,  daz  ez  swer  arbeit  diite  =  augurati  sunt, 
divinaverunt;  u.  ebendaselbst  daz  wichen  nicht  betrog  =  divinatio  Ver- 
muthung;  752  der  apgot  künde  wicken  (:  schicken)  igllchem  nach  sinem 
willen  =  zaubern,  wahrsagen;  Sachsensp.  ed.  Homeyer  1,  S.  117  u.  398 
svelk  leersten  man  mit  wickene  umme  gaet;  E.  v.  Repgow  Zeitb.  S.  122 
he  wickede  (nicht  wtckede)  eme  dat  he  keisere  solde  werden  =  „praxlixit;" 
Pfeiffers  Beitr.  z.  K.  d.  Köln.  Mundart  S.   131\ 


ÜBER  NICOLAUS  VON  JEROSCHIN.  101 

regen,  sw.  v.  im  Sinne  von  anregen,  anzeigen  bei  Strehlke  17666 
(Pfeiffer  S.  209)  vor  dem  dö  brüdir  Conrad  regele  und  in  klage  legete 
daz  unrecht.  Hierher  gehört  auch  eine  S.  65  in  dieser  Zeitschrift  be- 
sprochene Stelle  aus  Joh.  Rothe:  frunthuld  geregen  etc.  d.  i.  indicare, 
zur  Anzeige  bringen;  die  von  mir  daselbst  gewagte  Vermuthung  gebe 
ich  auf.  Almlich  ist  der  Ausdruck  tumpheit,  triwe  regen  =  indicare 
ostendere  bei  Wolfram  im  Parz.  783,  12;  im  Willeh.  125,  22. 

ZEITZ,  im  October  1361. 


DER  GOLDENE  BAUM 

IN  MITTELHOCHDEUTSCHEN  GEDICHTEN. 


Im  Wolfdietrich  wird  eine  goldene,  wunderbar  gefertigte  Linde 
erwähnt,  auf  der  künstliche  Vöglein  singen.  Die  betreffende  Stelle  lautet 
in  Hagen's  Handschrift : 

Sy  nam  in  bei  der  hende  und  weist  in  in  ein  sal  567 

der  was  von  merbelstaine  und  leuchtet  über  al, 
dar  in  stund  ein  linde,  dy  was  guldin  gar, 
als  sy  der  haiden  fraissam  het  gemachet  dar. 

Zwen  und  sibenzig  este  nam  er  an  der  linden  war,  568 

dy  vogel  dy  dar  auf  saßen  dy  waren  guldin  gar, 
sy  waren  gemacht  mit  listen  und  waren  innen  hol: 
wenn  sy  der  wint  durchwsete,  ir  stimmen  sungen  wol. 

(Hagen's  Heldenbuch  1,  233.) 

Ausführlicher  gibt  die  Beschreibung  dieser  Linde  das  alte  Heldenbuch 
(Bl.  129  von  Goedeke's  M.  A.  488.)  und  die  überarbeitete  Piaristen- 
HS.,  aus  welcher  die  betreffende  Stelle  mir  durch  Pfeiffer's  Güte  mit- 
getheilt  worden.    Letztere  lautet : 

Bl.  235.  Da  stund  ain  grüne  linden  dort  bi  dem  palast  rieh, 
dar  uff  da  sassen  vogel,  di  sungen  minniglich, 
mit  rotem  gold  gegoßen  und  auch  von  ecleln  gestain 
mit  bernlin  durch  floriret,  daz  minniglichen  schain. 

Wol  durch  den  stam  uffgingen  zwelf  roren  rot  goldein, 
die  o;aben  süße  stimme  vil  manchem  vogelin. 
dar  an  zwen  plasbelg  waren  gemacht  mit  ganzem  flis 
rjar  maisterlich  beschlagen  mit  klarem  silber  wis. 


J02  L  v-  ZINGERLE 

Wann  man  di  plasbelg  rurte,  claz  gab  in  ouch  süßen  don 
uff  durch  di  guidein  roren  di  vogel  sungen  schon, 
di  stimm  kam  in  di  vogel  hin  durch  di  roren  hol, 
daz  iglichs  gab  sin  done  und  sungen  alle  vvol. 

Ain  tafel  rieh  von  golde  under  der  linden  stund 
mit  rotem  gold  beschlagen,  daz  lobt  des  forsten  mund, 
mit  wißem  helfenbaine  gar  wol  durchgraben  was. 
dar  ob  wol  tusent  ritter  mit  gutem  räume  sas. 

Und  wan  der  kunig  riche  da  hin  zu  tische  ging 
mit  sinem  Hofgesinde  und  an  zu  essen  fing, 
er  lis  di  sinen  ruren  di  beige  sa  zu  haut, 
so  sungen  schon  zu  tische  di  vogel  alle  sant. 

Man  blis  dort  bi  der  linden  die  plasbelg  über  al, 
sich  hub  von  vogelstimmen  ain  wunniglicher  schal, 
si  sungen  süße  done  wol  an  der  selben  stunt. 
Wolfdieterich  der  spise  nie  nam  in  sinen  munt. 

Man  möchte  diesen  goldenen  Baum  mit  den  singenden  Vöglein 
für  ein  Spiel  der  Phantasie  halten,  wenn  wir  nicht  ein  historisches 
Zeugniss  für  ein  solches  Kunstwerk  aus  dem  Mittelalter  hätten.  Der 
Bischof  Luitprant  von  Kremona  berichtet  über  einen  ähnlichen  Baum, 
den  er  im  J.  968  in  Constantinopel  gesehen  hat ,.  in  seinem  Werke 
Antapodosis  Hb.  VI.  c.  5  Folgendes:  „Aerea  sed  deaurata  qusedam 
arbor  ante  imperatoris  sedile  stabat,  cujus  ramos  itidem  aerese  diversi 
generis  deauratreque  aves  replebant,  qua?  seeundum  species  suas  diver- 
sarum  avium  voces  emittebant.  Imperatoris  vero  solium  hujusmodi  erat 
arte  compositum,  ut  in  momento  humile,  excclsius  modo,  quam  mox 
videretur  sublime;  quod  immensse  magnitudinis ,  incertum  utrum  asrei 
an  lignei,  verum  auro  tecti  leones  quasi  custodiebant,  qui  cauda  terram 
percutientes ,  aperto  ore,  linguisque  mobilibus  rugitum  emittebant.  In 
hac  igitur  duorum  eunuchorum  humeris  ineumbens ,  ante  imperatoris 
praesentiam  snra  deduetus.  Cumque  in  adventu  meo  mugitum  leones 
emitterent,  aves  seeundum  species  suas  perstreperent,  nullo  smn  terrore, 
nulla  admiratione  commotus,  quoniam  quidem  ex  his  omnibus  eos,  qui 
bene  noverant,  fueram  percontatus"  (Pertz  Script.  III,  338,  vgl.  Gibbon, 
röm.  Weltreich,  deutsch  v.  Sporschil,  3.  Aufl.  X,  420).  Wir  haben 
hier  denselben  Baum,  von  dem  im  Wolfdietrich  die  Rede  geht,  und 
es  ist  möglich,  daß  der  Dichter  das  Wunderwerk  nach  eigener  An- 
schauung beschrieben  habe,  wie  Luitprant  es  gethan.  Gesandtschaften 
nach  Konstantinopel  gehörten  ja  damals  nicht  zu  den  Seltenheiten,  und 


DER  GOLDENE  BAUM.  103 

daß  fahrende  Dichter  oft  zu  solchen  Fahrten  benützt  wurden,  ist  be- 
kannt. Die  eitlen  Griechen,  die  durch  äußeren  Prunk  die  innere  Fäulniss 
des  Staates  verbergen  wollten,  ließen  gewiss  keine  Gelegenheit  vorüber- 
gehen ,  durch  ihre  Schätze  und  Kunstwerke  das  Staunen  und  die  Be- 
wunderung der  fremden  Botschafter  rege  zu  machen.  Wie  sehr  dies 
mit  dem  goldenen  Baume  gelang,  geht  daraus  hervor,  daß  er  als  ein 
Wunderwerk  der  Kunst  auch  in  andern  Gedichten  ausführlich  be- 
schrieben wurde.  Albrecht  von  Scharffenberg  schmückt  mit  einem 
solchen  Baume  den  Graltempel: 

Ein  boum  üz  rotem  golde  leuber  zwi  und  esten  372 

besetzet  als  man  wolde,  vogel  wol  über  al  der  aller  besten, 
die  man  an  süezer  stimme  lobet  ze  prise. 
üz  balgen  gie  dar  in  ein  wint,  daz  iegelich  vogel  sanc  in  siner  wise. 

Einer  hoch,  der  ander  nidere,  ie  nach  der  slüzzel  leite,  373 

der  den  ze  wege  widere  was  in  den  boum  gewiset  mit  arbeite, 
swelicherleie  vogel  er  wolde  stungen, 
der  meister  wol  erkande  den  slüzzel  ie  dar  nach  die  vogel  sungen. 

Vier  engel  üf  den  esten  uzen  an  dem  ende  374 

die  stuonden  an  gebresten,  von  golde  ein  hörn  iegelich  in  einer  hende 
het,  und  bliesen  die  mit  grozem  schalle 

und  wincten  mit  der  andern  haut  in  der  wise:  nü  wol  üf  ir  tuten  alle!  — 

(Titurel  ed.  Hahn.) 

In  der  Folge  beschreibt  er  eine  goldene,  klingende  Rebe : 

Uf  der  müre  vil  gezirde  die  kcer  dar  im  der  viengen  378 

mit  fremder  künste  wirde  spinnel  starc  dar  über  bogen  giengen. 
dar  lif  von  golde  boume  hoch  gegrüenet, 
mit  vogelinen  übersezzen,  die  wären  alles  krieges  gar  versüenet. 

Wan  sie  wol  bringen  mohten,  da  wart  da  vil  erfunden  .'IT1.» 

mit  reben  gar  durchflohten  über  al  die  bogen  in  zwo  sich  oben  wunden, 
die  über  sich  nach  buge  an  ein  ander  giengen 
und  über  die  gestüele  beidenthalben  wol  klefters  lenge  sie  hiengen. 

Die  reben  starch  von  golde  wären  übergrüenet,  380 

als  ez  der  meister  wolde  und  ouch  dar  umbe,  dazs  diu  ougen  küenet. 
und  gab  ouch  schat  vor  manigen  sunderglaste, 
durch  daz  in  allen  kceren  die  müre  mit  smaragde  wären  gemenget  vaste. 

Diu  leuber  wären  dicke,  wenn  sich  ein  luft  erborte,  381 

daz  man  sie  sunder  schricke  in  einer  süezen  wise  klingen  horte, 
reht  als  ob  sich  tüsent  valken  swungen 
in  einer  schar  geliche  und  schellen  groz  von  golde  an  in  erklungen. 


]04  I.  V.  ZINGERLE 

Die  reb  al  über  flucket  waren  mit  schow  der  engel,  382 

als  ob  sie  wseren  gezucket  üz  paradis  und  swenne  der  reben  klengel 
der  klanc  begunde  wegende  füeren, 
die  engel  sust  gebarten  sam  sie  sich  lebelichen  künden  rüeren  *). 

Auch  im  großen  Rosengarten    wird    zweimal   die    goldene    Linde, 
auf  welcher  goldene  Vögelein  singen,  erwähnt.    Die  erste  Stelle  lautet : 
In  deme  rösengarten  git  diu  linde  lichten  schin, 
dar  üf  gewirkt  mit  listen  driu  tüsent  vogelin 
195  gesmit  uz  rotem  gokle  hol  unde  wünneclich  : 

swan  sie  der  wint  erwsewet,  ir  stimme  ist  vröudenrich. 
so  man  den  balg  diuhet,  durch  die  roeren  get  der  wint 
oben  in  der  linde,  da  die  vögele  sint, 

so  singent  sie  gein  ein  ander,  einer  kleine  der  ander  gröz. 
200  ez  wart  nie  man  so  trüreg,  daz  in  der  kurzewile  verdroz. 
Die  andere  ist: 
Do  sprach  der  margräve,  der  degen  unverzeit: 
„sold  ich  mit  möhte  gehoeren  üffe  der  linden  breit 
singen  wünnenclichen  diu  güldin  fc-gelin." 
990  Do  sprach  diu  küneginne  „daz  sal  geschehen  sin." 

den  balg  hiez  sie  cliuhen,  durch  die  roeren  gieng  der  wint 
oben  in  die  linden,  da  die  schoenen  vogel  sint. 
sie  sungen  gein  einander,  einer  klein  der  ander  groz. 
ez  wart  nieman  so  trürec    daz  in  der  kurzewile  verdroz. 
Im  Orendel  kommen  die  singenden  Vögel  und  die  Linde  bei  der 
Beschreibung  des  automatischen  Helms  vor.     Es  heißt : 
Dar  zu  fürt  er  einen  heim 
der  vil  stolze  degen  snel 
mit  nüntzehen  ecken, 
1240  den  fürt  der  selbe  recke, 
der  was  so  wol  umfangen 
mit  vier  gülden  Stangen, 
waren  meisterliche  buchstaben 
schon  und  hofelich  ergraben. 
1245  dar  uf  swebte  also  schon 
ein  güldine  krön. 

dar  in  was  oreo-ozzen  ein  linden  dolde 
von  schönem  reinen  golde. 
an  der  linden  was  manig  bletlin, 
1250  dar  an  swebte  ein  güldin  veglin. 
*)  füeren.    Hahn. 


DER  GOLDENE  BAUM.  105 

da  was  mit  zouber  gewinkt  dar  in 

ein  blasbalk  mit  sehs  rören  güldin. 

Wan  der  rise  den  blasbalk  twank, 

do  horte  man  der  vogel  sank 
1255  reht  als  ob  si  lebten 

und  in  den  lüften  swebten. 

In  der  linden  was  gewürkt  ein  rat, 

also  uns  dis  buch  noch  sagt, 

mit  tusent  güldinen  schellen  vin. 
1260  Was  mochte  kluger  do  gesin! 

Wan  der  wint  von  dem  blasbalk  wat 

und  das  rat  umbe  trat 

und  die  schellen  klangen 

und  die  vogel  sungen. 
1265  wer  do  gewesen  aller  sehen  spil, 

so  kund  es  dem  nit  glichen  zil. 

Under  der  linden  ouch  gestrecket  lac 

ein  loüwe  und  ein  trac, 

ein  ber  und  ein  eberswin, 
1270  was  möhte  kluger  do  gesin! 

dar  an  stunt  der  wilde  man, 

für  wor  ich  uch  das  sagen  kan, 

von  golde,  reht  als  er  lebte 

und  gegen  den  lüften  strebte. 

(Orendel  ed.  Hagen  S.  36.) 

Die  singenden  Voglern  sind  in  diesem  Gedichte  auch  ein  anderes 
Mal  erwähnt: 

man  brohte  dem  degen  küne 
990  ein  sper,  was  ungefüge, 

halber  was  er  hürnin, 

daz  ander  helfenbeinin ; 

daz  ander  isen  unde  stahel, 

als  wir  das  buch  hören  sagen. 
995  er  was  gewürkt  mit  sinne, 

die  vögel  sungen  drinne, 

die  nachtigal  und  die  zise 

die  sungen  wol  nach  prise. 

ob  im  da  swebte 
1000  von  gold  ein  valke  sam  er  lebte.    (Hagen  S.  29.) 


106  J-  V-  ZINGERLK 

Die    wundersamen    Vöglein ,    die    in    andern    Gedichten    erwähnt 
werden,    schreiben    sich    vermuthlich    von    ähnlichen    Nachrichten    aus 
Byzanz  her.     Ich  verweise  nur  auf  die  Stellen  : 
er  fuort  ein  sper  wiz  und  rein, 
das  was  luter  von  helfenbein, 
dar  inne  in  vil  süßer  nise 
ein  nachtegal  so  lute  sang, 
wan  ers  fuorte  an  der  hende, 
das  in  dem  walde  süße  erklang 
und  in  der  steines  wende : 
ir  stimme  die  gap  süeßen  don, 

wan  siu  mit  großen  listen  wras  in  daz  sper  verwirket  schon. 

Diet.  und  s.  Gesellen  Str.  f>. 
Nuon  füeret  er  den  selben  ast 
gein  iuch  meister  Hiltebrande, 
er  git  von  golde  liebten  glast, 
sin  kraft  daz  sper  erkande: 
oben  üff  dem  spere  singet 

von  zouberlisten  ein  nahtegal,  daz  in  dem   walde  lüt  erklinget 

ibd.  Str.  33. 
In  Laurins  Helm  sangen  künstliche  Vöglein : 
do  sungen  inne  vogelin, 
nahtigal,  lerchen,  zise 
lieplich  in  süezer  *)  wise 
geliche,  so  si  lebeten 
490  und  inme  walde  swebeten. 
daz  was  mit  listen  erdäht, 
und  von  zouber  so  volbraht. 
Aber  nicht  nur  die  singenden   Waldvöglein,    auch  die  brüllenden 
Löwen  des  byzantinischen    Kaiserpallastes   klingen    in    den   mittelalterl. 
Dichtungen  nach.     So  in  der  Krone: 

Ein  wäfen  vuort  der  recke 
äne  valsch  von  lasüre, 
und  ein  lewen,  sam  in  natüre 
I0."i45  clar  uf  geweiht  het  von  golde, 
mit  gebseren,  sam  er  woldc 
die  werlt  gar  verslinden, 
und  von  den  widerwinden 


*)  stiller,     Etmüller, 


DER  GOLDENE  RAUM.  107 

gap  er  von  listen  einen  doz, 
10550  des  stimme  was  ze  mäzen  gröz, 
sam  er  lebte  und  schriwe  da, 
und  hete  lange  scharpfe  klä, 
ze  mäzen  verre  üz  gezogen, 
und  het  sich  üf  diu  bein  gesmogen, 
10^55  rebt  sam  er  stüende  ze  Sprunge, 
und  vuor  ime  diu  zunge 
enwäge  in  der  chewen; 
ez  bäte  den  selben  lewen 
ein  buckel  von  gokle  bedaht  etc. 
Auch  in  Fleiers  Garel  kommt  ein  ähnlicher  Löwe  vor: 
Enmitten  im  fürt  stet  ein  lewe, 
der  gint  wit  mit  siner  kewe, 
dem  steket  ze  aller  stunde 
ein  banier  in  dem  munde 
und  ist  üz  ere  gegozzen  dar 
mit  list,  des  sult  ir  nemen  war 
swen  des  gelüste  und  des  gezimt, 
daz  er  die  banier  genimt 
dem  lewen  üz  dem  munde, 
so  kumt  im  an  der  stunde 
üz  dem  halse  ein  solich  döz, 
daz  ist  so  michel  und  so  gröz,  (Bl.   1096), 
daz  manz  beeret  vaste  breit. 
Von  einem  Bilde  dieser  Art  erzählt  auch    Stricker  in  Daniel  von 
Blumenthal:  „Beim  Eingang  in  das  Land  ist  ein  Thier,  aus  Gold  ge- 
gossen, es  hat  im  Munde  ein  Panier,  durch  das  Thier  fließt  ein  Wasser: 
zieht  man  das  Panier  heraus,  so  erhebt  das  Thier  ein  solches  Geschrei, 
daß  alles  zur    Erde   fällt    und   ruft   so    den    König   und    seine   Mannen 
herbei."   (Stricker's  Karl  ed.  Bartsch  v.  XII.)  Derselbe  Dichter  berichtet 
auch  von  einem  Drachen,  der  durch  Wind  in  Bewegung  gebracht  wurde  : 
Man  sach  von  golde  dar  an  stän 
einen  tracken,  der  was  wol  getan, 
der  was  innen  hol. 
als  er  des  windes  wart  vol, 
so  gebarte  er  alse  er  lebte 
und  gein  den  liuten  strebte.  (Karl  9641  ff.) 
Schon  Lamprccht  beschreibt  uns  ein  Bildwerk,  das  durch  Blase- 
bälge bewegt  und  tönend  wurde : 


108  !•  v-  ZINGERLE 

5850  mitten  in  ir  palas, 

ein  scone  tier  geworht  was, 

daz  was  alliz  golt  rot, 

alse  siz  selbe  gebot. 

daz  tier  was  vil  herlich 
5855  eineme  hirze  gelten. 

an  sim  honbit  vorne 

hat  iz  dusint  hörne. 

üf  allir  hörne  gelich 

stunt  ein  fugil  herlich 
5860  üf  dem  tiere  saz  ein  man 

scone  unde  wol  getan, 

der  fürte  zwene  hunde 

unde  ein  hörn  ze  sinem  munde. 

nidene  an  dem  gewelbe 
5865  lägen  viere  und  zwenzich  bläsebeige. 

z'  aller  beige  gelich 

gingen  zwelif  man  creftich. 

so  si  di  beige  drangen, 

di  fugele  scone  sungen, 
5870  an  deme  tiere  vorn; 

so  blies  ouh  der  man  sin  hörn, 

so  galpeden  ouh  die  hunde. 

ouh  lütte  an  der  stunde 

daz  herliche  tier 

mit  der  stimmen  als  ein  pantier  etc. 

Dies  Bild  führt  auch  den  goldenen  Hirsch  in  der  Oswaldlegende, 
der  von  den  zwölf  Goldschmieden  gefertigt  wurde  (Ettmüller  2278. 
ff',  u.  2297.  ff.).  König  Aaron  bemerkte  über  dies  Wunderthier: 

du  vil  stolzer  wahtasre, 
zwar  daz  habe  üf  al  min  ere, 
daz  getiht  gät  von  den  goltsmiden  her; 
2335  wan  die  sint  aller  künste  vol, 

und  habent  den  hirz  inne  gemachet  hol, 
daz  er  loufet  vor  dem  winde. 

Durch  Luft  und  Wasser  wurden  somit  diese  Thierbilder,  die  aus 
Griechenland  her  bekannt  waren,  in  Bewegung  gesetzt.  Ihnen  konnte 
zunächst  das  Lob  gelten :  sie  waren,  als  ob  sie  lebten ,  das  wir  so  oft 
schönen,  lebhaften   Bildern    von    mittelhochdeutschen    Dichtern    ertheilt 


DER  GOLDENE  BAUM.  109 

finden.     Gewöhnlich  ist  der   Reim    „lebte"    oder    „leben"  mit   „swebte" 
oder  „sweben",  „strebte"  oder  „streben"  gebunden.     Z.  B. 

Die  vogel  manegen  slahte 
swebten  dar  inne, 
geweben  mit  solhem  sinne, 
rehte  sam  si  lebten 

und  üf  zen  lüften  swebten.  Erec  7645. 
so  stuont  er  als  er  lebete, 
vogeliche  er  swebete.  Lanz.  4785. 
daz  stuont  dran  als  ez  lebte, 
so  ez  iezuo  hie  swebte, 
so  rukt  ez  aber  fürbaz.    Lanz.  5827. 
Von  golde  dar  üf  gemeistert  was 
ein  tracke,  als  er  lebete 
und  obe  dem  helme  swebete.    Wigal.  1906. 
ein  adelar  dar  obe  swebt  (e) 
von  golde  reht,  alsam  er  lebt  (e).  Ecke  Str.  95. 
der  stuont  alsam  er  lebete 
und  ob  dem  helme  swebete.  Meleranz  10085. 
ein  ar  alsam  er  lebte 
und  ob  dem  helme  swebte.  Garel  27b. 
reht  alsam  er  lebte 

und  ob  dem  helme  swebte.  Garel  24°. 
dar  inne  ain  pantel  swebt 
planch,  als  ob  ez  lebt.   Ottaker  c.  62. 
si  stuonden  als  si  lebeten 
und  an  dem  vanen  swebeten.   Laur.  411. 
schone  sus  er  lebete 
und  nach  gewilde  strebete.   Laur.  497. 
schone  sus  si  lebeten 
und  in  den  lüften  swebeten.   Laur.   1870. 
Ähnliche  auf  meisterhafte  Bildwerke   bezügliche  Stellen  sind:   als 
ez  leben  solde  Wigalois  36,  10;  als  er  leben  solde  Wigal.  169,  27. 

üz  dez  gehürne  swarz  geborn 

was  in  den  wizen  schilt  geleit 

ein  grife  mit  behendekeit, 

der  stuont  reht  als  er  lebte.    Konrads  Troj.  9570.  — 

und  was  ein  löuwe  küene 

von  bläwer  siden  drin  geweben. 

der  stuont,  als  ob  er  künde  leben 


FRANZ  PFEIFFER 

und  was  gekrcenet  schöne,  ebd.  30042. 
und  swebte  drinne  ein  blanker  swan, 
der  lühte  silberwiz  her  dan, 
als  ob  er  lebende  waere.  ebd.  30865. 
In  einem  velde  läsürblä, 
daz  ouch  von  sielen  was  geweben, 
stuonden  als  si  solten  leben 
vogelin  an  maneger  etat.   Engelhart  2545. 
als  er  leben  solde, 

stuont  üf  dem  kröpf  ein  guldin  ar.    Meleranz  1310. 
Den  mich  lerne  an  der  hauben  wunder  äne  tzal, 
dar  umb  die  gülden  porten,  baide,  brait  und  smal, 
hirszen  unde  binden,  serm  sy  lebentig  sein.  Hugdietr.  Str.  24. 
dar  zu  hoflich  würken  dy  schoenen  vogelein 

mit  golde  und  mit  seiden,  sam  es  lebentig  möcht  gesein.  ebend.  Str.  57. 
Hirszen  unde  binden  stuonden  auch  daran 
von  dem  roten  golde,  sam  sie  daz  leben  hau.  ebd.  64. 
rehte  enmitten  üf  dem  köpfe, 
der  lim  mit  vogelen  was  bezogen, 
reht  als  si  wseren  geflogen 
üz  dem  Spehtsharte.   Helmbrecht  35. 
INNSBRUCK,  10.  Sept.  1861.  I.  V.  ZINGERLE. 


HEINRICH  VON  RUCKE. 


Heimat  und  Geschlecht  dieses  Liederdichters  sind  noch  uner- 
mittelt.  Die  Herausgeber  des  Minnesangs  Frühling  S.  270  beobachten 
darüber  tiefes  Schweigen,  wohl  aus  dem  guten  Grunde,  weil  sie  dem, 
was  Laßberg  Liedersaal  2,  41  und  ihm  nach  v.  d.  Hagen  MS.  4,  158 
vorbrachten,  nicht  beizupflichten  vermochten.  Laßberg  war  nämlich 
der  Meinung,  Heinrich  gehöre  dem  edeln  Geschlechte  der  Ruggen  an, 
die  sich  nach  der  zwischen  dem  Kloster  Fischingen  und  ßichelsee  im 
Thnrgau  gelegenen,  von  den  Appenzellem  im  J.  1405  gebrochenen 
Burg  Tanneck  „die  Ruggen  von  Tanneck"  nannten.  Allein  abgesehen 
von  verschiedenen  andern  Bedenken,  die  sich  dieser  Ansicht  entgegen 
stellen,  reicht  ihre  Unrichtigkeit  darzuthun  schon  der  Umstand  hin, 
daß  der  Beiname,  den  die  von  Tanneck  führen,  ein  offenbarer,  häufig 
vorkommender  Personenname  (Förstemann  1,  7J2.  713),  das  Rucke  oder 


HEINRICH  VON  RUCKE.  XU 

Rugge  dagegen,  nach  welchem  der  Dichter  sich  nennt,  ebenso  deutlich 
ein  Ortsname  ist.  Beide  Namen  haben  daher  nichts  miteinander  gemein, 
und  sie  zu  vermischen  hätte  schon  die  Verschiedenheit  der  Wappen 
verhindern  sollen.  Diese  beschreibt  Laßberg  a.  a.  O. ;  Abbildungen 
von  beiden  gibt  auch  Konrad  von  Grünenberg  in  seinem  Wappenbuche 
von  1483.  Das  hier  von  „Hern  Hainrich  von  Ruche"  gegebene  stimmt 
genau  mit  dem  in  der  Weingartner  Liederhandschrift  S.  53  befind- 
lichen überein. 

Nicht  nur  die  Stammburg,  sogar  die  Person  des  Dichters,  wie 
ich  glaube ,  kann  aufs  bestimmteste  urkundlich  nachgewiesen  werden. 
Durch  eine  zwischen  1 175 — 1178  ausgestellte  Urkunde  übergiebt  Abt 
Eberhard  von  Blaubeuern  dem  Kloster  Salem  Güterstücke  in  Hohen- 
buch  und  Grötzingen  (bei  Ehingen)  „per  manum  advocati  nostri  domni 
Gebizonis  de  Rugge"  und  unter  den  Zeugen  erscheint  neben  dem  noch- 
mals genannten  Gebizo  ganz  zuletzt  „Heinricus  miles  de  Rugge"  (wir- 
temb,  Urkundenbuch  2,  178).  Bei  der  Übereinstimmung  des  Vor-  und 
Zunamens  dürfen  wir  Zeuge  und  Dichter  für  identisch  halten;  um  so 
mehr  als  auch  die  Zeit  hiefür  kein  Hinderniss  bildet.  Der  Leich  Heinrichs 
ist  unter  dem  unmittelbaren  Eindruck  der  Trauerbotschaft  vom  Tode 
Kaiser  Friedrichs  I.  im  Spätjahr  1191  geschrieben  (MSF.  97.  270),  also 
etwa  13 — 15  Jahre  nach  obiger  Urkunde.  Seine  Lieder,  deren  Ver- 
fasserschaft allerdings  keineswegs  überall  sicher  ist,  hat  aber  Heinrich 
früher  als  den  Leich  gedichtet.  Das  beweisen  die  von  mir  schon  Germ. 
3,  506  hervorgehobenen  ungenauen  Reime  in  jenen,  und  der  Mangel 
solcher  Reime  in  diesem.  Der  Leich  setzt  die  durch  Heinrich  vom  Vel- 
deken  neu  aufgekommene  Reim-  und  Verskunst  voraus ,  während  die 
Lieder  vermöge  ihres  noch  unausgebildeten  Reimes  vor  1184  fallen 
müssen. 

Die  unmittelbare  Anregung  zum  Gesänge  könnte  Heinrich  leicht 
durch  den  Vorgang  Meinlohs  von  Sevelingen  empfangen  haben.  Söf- 
lingen,  unweit  von  Ulm,  liegt  an  der  Straße,  die  nach  dem  nur  ein 
paar  Stunden  entlegenen  Blaubeuern  führt,  und  dicht  bei  diesem  Städt- 
chen, auf  dem  rechten  Aachufer,  stand  auf  einem  hohen  Bergrücken, 
der  noch  jetzt  der  Ruckenberg  heißt,  die  alte,  erst  im  Jahre  1571  ab- 
gebrochene Burg  Rucke.  Meinloh  und  Heinrich  waren  also  die  nächsten 
Nachbarn  und  standen  einander  auch  der  Zeit  nach  nicht  so  fern,  daß 
sie  sich  nicht  ganz  gut  persönlich  gekannt  haben  könnten. 

Zwischen  den  von  Rucke  und  den  Grafen,  später  Pfalzgrafen,  von 
Tübingen,  bestand  schon  in  frühester  historisch  nachweisbarer  Zeit  ein 
verwandtschaftliches  Verhältniss.  Von  den  ersten  Grafen  von  Tübingen, 


112  L  V.  ZIXGERLE,  BECIIERINSCHRIFT. 

den  drei  Brüdern  Hugo,  Anshelm  und  Siboto ,  die  um  1085  das 
Kloster  Blaubeuern  stifteten,  nannte  sich  der  letztere  „comes  de  Rugka." 
Wie  die  Verbindung  dieser  beiden  Linien  zusammenhängt,  liegt  noch 
im  Dunkeln.  Nach  Stalin  (Wirtemb.  Gesch.  2,  427)  scheint  „das 
Schloß  Ruck  durch  Erbschaft  oder  Heirat  an  die  Grafen  von  Tü- 
bingen gekommen  zu  sein  und  diente  zum  Wohnsitz  wahrscheinlich 
nachgeborner  Brüder."  Nach  dem  frühen  Erlöschen  von  Siboto's  Stamm, 
im  12.  und  13.  Jahrhd.,  war  die  alte  Burg  bloß  ein  Sitz  Tübingischer 
Vögte  (Stalin  a.  a.  O.  S.  429).  Als  solchen  haben  wir  den  vorge- 
nannten Gebizo  zu  betrachten,  und  Heinrich,  der  Sänger,  war  wohl 
sein  Bruder. 

Die  alte  Namenform  der  Burg  lautet  Rugka,  Ruccha,  die  dem 
Dichter  gleichzeitige  Riike,  Rucke  (s.  Wirtemb.  Urkundenbuch  2,  210. 
272:  Urk.  von  1181  und  1191),  und  diese  letztere  Schreibung  ist  auch 
für  uns  die  richtige,  dem  mhd.  und  nhd.  Lautsystem  allein  angemessene. 
Rngge  dagegen,  wie  in  der  Pariser  Hs.,  in  der  oben  angeführten,  nur 
in  späterer  Abschrift  erhaltenen  Urkunde  und  anderwärts  steht  (die 
Weingartner  Liederhandschrift  dagegen  liest  Ruche,  die  alte  Heidel- 
berger Rucche),  ist  alamannische  Schreibung  der  2.  Hälfte  des  13.  und 
des  14.  Jahrhundertes  und  ist  so  wenig  der  Zeit  des  Dichters  gemäß 
als   V eidegge  für  einen  niederrheinischen  Dichter  des  12.  Jahrhunderts. 

WIEN,  März  1862. 

FRANZ  PFEIFFER. 


BECHERINSCHRIFT. 


Des  Pleiers  Verse 

mannes  langer  mangel 

daz  ist  des  herzen  angel 
Meleranz  v.  689  stehen  mit  kleiner  Änderung  auf  dem  Becher  der  Mar- 
garetha  Maultasch  in  der  Ambraser  Sammlung.    Sie  lauten  hier: 

langer  liebes  mangel 

ist  meines  herzen   angel. 


Steub,  drei  Sommer  in  Tirol  S.  304. 


I.  V.  ZINGERLE. 


LITTEßATUR. 


De  carmine  Wessofontano  et  de  versu  ac  stropharum  usu  apud  Germanos 
antiquissimo  dissertatio  quam  pro  loco  in  ordine  philosopborum  Berolinen- 
sium  rite  obtinendo  scripsit  Carolus  Müllen  hoff.  Berolini,  W.  Hertz. 
1861.    4. 

Die  Abhandlung  sucbt  darzutbun ,  daß  in  dem  Wessobrunner  Gebet  drei 
verscbiedenen  Dichtungen  und  Zeiten  angebörige  Bruchstücke  erhalten  sind.  Be- 
kanntlieh hat  W.  Wackernagel  den  letzten  Theil  (von  den  Worten  enti  cot 
heilac  an)  für  Prosa  erklärt,  wählend  andere  schon  vor  Müllenhoff  die  poetische 
Form  auch  hier  nachzuweisen  suchten.  Die  Schwierigkeiten ,  die  etwa  in  me- 
trischer Beziehung  entstehen  möchten,  will  M.  schon  von  vornherein  dadurch 
unschädlich  machen,  daß  er  annimmt,  es  habe  der  Dichter  dieses  Schlusses, 
den  M.  bei  dem  großen  Buchstaben  in  Z.  12  des  Originals  Cot  almahtico  be- 
ginnen lässt,  keine  Verse  zu  machen  verstanden.  Wackernagel  wies,  um  seine 
Behauptung,  daß  wir  in  dem  Schluß  eine  prosaische  Beichtformel  vor  uns  haben, 
zu  stützen,  auf  ganz  ähnliche  Formeln  hin,  die  M.  mit  einigen  weiteren  Belegen 
vermehrt  wiederholt.  Weil  nun  der  Rhythmus  der  Worte  sieb  zuweilen  wie 
Verse  lesen  lässt,  weil  man  einige  richtig  gebaute  Verse  darin  erkennen  kann, 
zunächst  die  zwei 

in   dinö   ganädä  rehta   galaupa, 

enti   cötan  willeon,  wistöm   enti   spähida, 

so  muß  gleich  noch  ein  neuer  Dichter  (also  zu  den  drei  im  Wessobrunner  Gebet 
vertretenen  noch  ein  vierter!)  erfunden  werden,  der  die  stehende  Beichtformel 
in  richtige  Verse  brachte,  aus  welchen  der  Schreiber  zwei  in  sein  Schlußgedicht 
aufnahm.  Welche  geschraubte  und  gezierte  Annahme!  Wenn  der  Schreiber  im 
Stande  war   einen    Vers  zu  machen   wie  den  folgenden 

enti  du  mannun  so  manac  cot  forgäpi, 

der  metrisch  ebenso  untadelich  ist  wie  die  beiden  andern,  warum  könnten  nicht 
auch  jene  von  ihm  herrühren?  Warum  die  lächerliche  Annahme  eines  neuen  bis 
auf  jene  zwei  Zeilen  verlorenen  Gedichtes  ?  Doch  betrachten  wir  die  ganze  me- 
trische  Eintbeilung   dieses   Schlusses   näher: 

Cot  almahtico,  du  bimil  enti   erda  gaworahtös, 

enti  du  mannun  so  manac  cot  forgäpi, 

forgip   mir 

in   dinö   ganädä  rehta  galaupa 

enti   cötan   willeon,  wistöm   enti   spähida 

enti   craft 
tiuflun  za  widerstantanne  enti  arc  za  piwisanne 

enti  dinan   willeon  za  gawurchanne. 

GERMANIA  VII.  8 


114  L1TTERATUR. 

Aus  dieser  Darstellung  wird  der  Grund  der  Müllenhofi'schen  Annahme  er- 
sichtlich: den  Kritiker  störten  die  nicht  in  den  Vers  passenden  Worte  forgip 
mir  einer-  und  enti  craft  andererseits.  "Weil  aber  das  zwischen  diesen  Worten 
liegende  sich  in  Verse  bringen  ließ ,  weil  Laehmann  die  Worte  in  dinö  ganadä 
rehta  yaluupa  als  eine  richtig  gebaute  Laugzeile  bezeichnet  hatte,  so  mußte  es 
aus  einer  anderen  Dichtung  hier  eingeschaltet  sein.  Wie  scharfsinnig!  Schade 
nur,  daß  die  letzte  Zeile  des  Wessobrunner  Gebetes  ebenso  in  einer  Gebetformel 
wiederkehrt ,  in  der  von  M.  aus  Flaccius  Vorrede  zum  Otfrid  entlehnten  thinan 
willen  zi  giwircanne;  warum  könnte  denn  diese  Zeile  nicht  ebenso  von  dem 
Dichter  der  beiden  anderen  gemacht  und  hier  aufgenommen  sein  ?  —  Mit 
gleichem  Rechte  ließe  sich  die  von  Wackernagel  mitgetheilte  Formel  in  Verse 
zerlegen,   und  man   brauchte  nicht  einmal  so   willkürlich  vier    Worte  auszustoßen : 

Truhtin   god,   thü   mir  hilp, 

[indi]   forgip   mir   gawitzi, 

indi   gödan   galaupun, 

(indi)   tbina  minna 
5   indi  rehtan   willon, 

heili  indi  gasunti 

indi  tbina  guodun  huldi, 
wo  wir  zugleich  Alliteration  (Z.  1.  2  yod  —  for9~ip)  und  Reim  (Z.  G.  7)  ga- 
sunti :  laihli)  hätten.  Und  so  getraute  ich  mir  aus  althochdeutscher  Prosa  ein 
gut  Theil  Verse  herauszubringen,  und  es  wäre  nichts  leichter  als  auf  diese  Art  die 
deutsche  Litteratur  um  eine  bedeutende  Anzahl  von  bruchstückartigen  und  ganzen 
Gedichten  zu  vermehren.  Lässt  man  sich  nun  gar  herbei,  daneben  solche  Verse 
zuzugeben,  wie  du  Tiimil  enti  er  da  yaworahtbs,  mit  sechs  Hebungen,  ferner  tiuflun 
■ii  widarstdntänne ,  mit  fünf  Hebungen  (warum  auch  nicht  hier  sechs  tiuflun  zu 
widarstdntdnne,  um  so  mehr  als  die  darauf  reimende  Zeile  enti  dre  zäpiwisännt 
ebenfalls  sechs  Hebungen  bat?),  so  entsteht  eine  Willkür,  die  aus  jedem  Prosa- 
stücke beliebig  Verse  machen  kann.  Verse  von  vier,  fünf  und  sechs  Hebungen 
auf  einem  so  kleinen  Räume  von  wenig  Zeilen  annehmen,  dazu  noch,  um  ein 
paar  richtige  Verse  zu  erhalten ,  vier  Worte  aus  dem  Rahmen  der  übrigen 
streichen,  und  zu  diesem  Zwecke  eigens  einen  neuen  Dichter  erfinden  müssen  — 
das  ist  eine  kritische  Leistung,  um  welche  selbst  ein  Anfänger  den  Hrn.  Müllenhoff 
schwerlich   beneiden   dürfte! 

Im  zweiten  Theile  des  Gedichtes,  der  bei  M.  von  du  dar  niwiht  bis  cot 
keilac  reicht,  erblickt  der  Verfasser  ein  Bruchstück  eines  in  christlicher  Zeit 
verfassten  Gedichtes  von  der  Weltschöpfung.  Die  Verse  fügen  sich  leicht  dem 
metrischen  Gesetz,  nur  sind  nach  dem  Vorgange  der  Brüder  Grimm  die  Worte 
dar   wärun  auh   ausgeworfen  werden. 

Dö   dar   niwiht   ni   was  enteö   ni   wentaö, 

enti   dö   was   der   eino  almahtico   cot, 

mannö  miltisto  enti   manake   mit   inan 

cootlihhe  geistä  enti  cot  heilac  .   .   . 

Hier  möchten  wir  nur  fragen,  wie  Herr  Müllenhoff  die  siebente  Ilalbzeilc  ge- 
lesen wünscht?  Das  natürlichste  wäre  enti  manake  mit  inan;  aber  ist  anzu- 
nehmen, daß  bei  dem  Alter  des  Gefliehtes  die  beiden  Silben  von  inan  als  stumpfer 
Versausgang   verwendet  sein   sollten?   Die  Bedenken,   die   einer  solchen  Annahme 


LITTERATUR.  115 

entgegenstehen,  scheinen  für  den  Verfasser  gar  nicht  vorhanden  gewesen  zu  sein, 
denn  er  verliert  kein  Wort  über  den  Bau  dieses  Verses.  Im  Übrigen  bietet 
der  zweite  Theil  keine  Schwierigkeiten ;  eine  poetische  Reminiscenz  des  Schreibers 
des  Ganzen  ist  er  in  jedem  Falle,  ob  freilich  aus  einem  in  der  Weise  wie  M. 
will  begrenzten  Gedichte ,  ist  noch  immer  sehr  zweifelhaft.  Um  so  mehr  haben 
wir  bei  dem  ersten  Theile,  der  bis  mareö  seo  reicht,  nichts  gegen  die  mythische 
Deutung,  denn  diese  stand  schon  vor  M.'s  Abhandlung  ziemlich  fest,  wohl  aber 
gegen  die  Handhabung  der  Kritik  zu  bemerken.  Der  kritischen  Besprechung 
hat  der  Verf.  eine  Untersuchung  der  Frage  nach  der  Beschaffenheit  der  ältesten 
deutschen  Verse  vorausgeschickt.  Wenn  wir  gleich  Wackernagels  Ansicht,  es 
sei  der  Vers  von  vier  Hebungen  erst  durch  die  geistliche  Poesie  des  9.  Jahi-- 
hunderts  nach  dem  Vorgange  der  lateinischen  Hymnen  eingeführt  worden, 
nicht  zu  theilen  vermögen ,  so  scheint  uns  doch  auch  die  Beweisführung  der 
Gegner  an  vielen  Mängeln  zu  leiden.  Die  überwiegende  Anzahl  der  in  altd. 
alliterierenden  Denkmälern  erhaltenen  Verse  fügt  sich  allerdings  dem  Gesetze, 
welches  wir  an  Otfrid's  Versbau  am  genauesten  kennen  lernen;  aber  bedenklich 
ist  es  schon,  daß  im  Hildbrandsliede  so  viele  Verse  (l4)  von  Lachmann  ge- 
bessert werden  mußten,  um  metrisch  richtig  zu  sein,  daß  man  sich  mit  der  An- 
nahme behelfen  mußte ,  es  sei  das  Hildebrandslied  von  zweien  der  Metrik  ganz 
unkundigen  Schreibern  überliefert  (welche  Annahme  M.  natürlich  auch  auf  das 
Wessobrunner  Gebet  und  auf  Muspilli  anwendet),  daß  man  endlich  einer  bei 
Otfrid  in  seinem  umfangreichen  Werke  nur  einmal  vorkommende  Freiheit  *),  in- 
dem eine  tieftonige  lange  Silbe  ohne  darauf  folgende  Senkung  als  Hebung  gilt, 
im  Hildebrandsliede  unter  130  Halbzeilen  23mal,  im  Muspilli  unter  2  08  Versen 
2  4mal  begegnet,  wobei  noch  gar  nicht  die  von  gewaltsamer  Kritik  (Hr.  M. 
schreibt  jetzt  z.  B.  im  Muspilli  statt  kerno  lüoi,  hdrto  ivlsc,  mäno  vallit  —  Jcerno 
k/tuoc.  harto  piutisS,  mäno  Jcifallii)  geänderten  Zeilen  in  Rechnung  kommen.  Da 
nun  dem  Verf.  die  Seltenheit  der  aus  Otfrid  und  der  geistlichen  Dichtung  des 
9.  Jahrhunderts  entlehnten  Beispiele  nicht  entgeht,  so  sucht  er  nach  einer  Ana- 
logie und  findet  sie  —  in  Hartmann,  dessen  Erec  ungleich  mehr  kürzere  Verse 
zulasse  als  der  spätere  Iwein.  Ehe  man  das  als  Analogon  aufführt,  wäre  doch 
zu  bedenken,  daß  uns  der  Erec  in  einer  einzigen  sehr  jungen  Handschrift  er- 
halten ist,  daß  bessere  Überlieferung  wahrscheinlich  manchen  Vers  ganz  anders 
gestalten  würde.  Wir  können  diese  Untersuchung  im  Einzelnen  hier  nicht  weiter 
verfolgen ;  sie  gehört  einer  Geschichte  der  deutschen  Metrik  an ,  mit  welcher 
Referent  seit  Jahren  beschäftigt  ist.  Nur  das  Gesammturtheil  sei  hier  kurz  zu- 
sammengefasst :  es  ist  wahrscheinlich,  daß  der  alliterierende  epische  Vers  der  Ger- 
manen, die  Scandinavier  und  Angelsachsen  eingeschlossen,  ursprünglich  allerdings 
aus  acht  Hebungen,  aus  zwei  Halbzeilen  zu  je  vier,  bestand ;  aber  eben  so  sicher 
ist,  daß  aus  den  uns  erhaltenen  alliterierenden  Denkmälern  die  Gesetze,  die  in 
der  späteren  Poesie  der  Geistlichen  vorliegen,  nicht  ohne  greße  Willkür  der 
Kritik  gefolgert  werden  können. 


*)  Zudem  darf  man  Von  den  Otfrid'schen  Versen  zwei  abziehen,    «Tic  man  ebenso 
gut  betonen   kann 

flSug  er  stinnun  Holt. 
bi  tltes  sterren  fort. 

8* 


1 1  ß  LITTERATUK. 

Die  strophische  Anlage  der  alliterierenden  Dichtung  in  Deutschland  verneint 
der  Verfasser  mit  Recht,  gegen  W.  Müller;  sie  stößt  auf  so  viele  Hindernissein 
der  Ausführung  und  dem  Nachweise,  daß  eben  kein  Beweis  daraus  sich  ergiebt. 
Wahrend  nun  M.  die  einfachere  Strophenbildung  der  althochdeutschen  alliterierenden 
Poesie  nicht  einräumt,  sucht  er  die  jüngere  kunstvollere  Bildung  der  altnor- 
dischen Poesie,  Ijvrfahätlr  genannt,  gerade  an  dem  ältesten  Theile  des  Wesso- 
brunner  Gebetes,  das  ein  Bruchstück  einer  heidnischen  Cosmogenie  enthalten  soll, 
nachzuweisen :  zum  Glück  hat  er  der  so  zuversichtlich  ausgesprochenen  Behaup- 
tung gleich  ein  ni  fallor  hinzugefügt;  es  wird  wohl  keinen  Besonnenen  und  Un- 
befangenen geben,  den  die  Beweisführung  und  Textkritik  des  Verf.  überzeugt 
hat.  Denn  wenn  es  an  sich  schon  bedenklich  ist,  aus  einigen  Zeilen  ein  in 
Deutschland  sonst  nirgend  nachweisbares  Metrum  zu  folgern,  so  ist  es  noch  un- 
wahrscheinlicher, daß  dies  Metrum,  das  offenbar  einer  späteren  Kunstcpoche  an- 
gehört und  auch  in  der  nordischen,  noch  mehr  in  der  ags.  Poesie,  einen  nur 
beschränkten  Gebrauch  hat,  in  einer  so  uralten  Dichtung,  als  welche  Hr.  M.  dies 
Bruchstück  betrachtet,  angewendet  sein  soll.  Die  Bedenken  wachsen,  wenn  man 
sieht,  daß  die  erste  Hälfte  dieser  im  Ijorlahättr  geschriebenen  althochdeutschen 
Strophe  nur  durch  Tilgung  einer  Halbzeile  gewonnen  wird,  und  ebenso  die  zweite  nur 
dadurch,  daß  zwei  Halbzeilen,  indem  zwei  Worte  gestrichen,  bezüglich  versetzt  worden, 
in  dine  vereinigt  werden.  Die  Halbzeile  noh  paum  noh  pereg  ni  was  wird  im  Grunde, 
nur  deswegen  ausgeworfen,  weil  sie  mit  vier  Hebungen  sich  nicht  gut  lesen  lässt, 
denn  mit  Recht  bemerkt  der  Verf.,  es  sei  kein  Grund  vorhanden,  das  eine  noh 
vor  dem  andern  zu  betonen  (noh  paum  noh  pereg  oder  noh  paum  noh  pereg) ;  aber 
dieselbe  Betonung  müßten  wir  annehmen  in  noh  sunna  ni  seein,  wenn  sich  Hr.  M. 
hier  nicht  anders  geholfen  hätte,  indem  er  frischweg  schrieb  noh  sunna  ni  liuhta. 
Daß  die  ausgeworfene  Halbzeile  für  den  Sinn  nothwendig  sei,  wird  man  nicht 
behaupten  wollen;  aber  daß  es  verba  inepta  seien,  ebensowenig,  und  man  muß 
so  wenig  Achtung  vor  der  Überlieferung  haben  wie  Hr.  M.,  um  aus  diesem 
Grunde  sie  zu  verwerfen.  Die  Ergänzung  suigli  sterro  in  der  folgenden  Zeile, 
um  eine  Alliteration  auf  sunna  zu  gewinnen,  da  sterro  allein,  was  Grimm  und 
Wackernagel  ergänzen  wollten ,  nach  dem  Gesetze  der  Alliteration  nicht  mit 
sunna  alliterieren  kann,  hätte  manches  für  sich,  wiewohl  das  Wort  nicht  durch 
hochdeutsche  Belege  gesichert  ist,  wenn  nicht  aus  diesem  Grunde  nohheinig  der 
Hs.  in  nohhein  geändert  werden  müßte ,  um  einen  richtig  gebauten  Vers  zu 
erhalten;  denn  wenn  Hr.  M.  als  Begründung  hinzufügt  cum  Saxones  sine  dubio 
dixerint  ni  suigli  sterro  nigen  ,  so  ist  das  geradezu  lächerlich;  folgt  daraus,  daß 
der  hochdeutsche  Dichter  nohhein  statt  des  ebenso  richtigen  nohheinig  gesagt  haben 
müsse?  Die  Form  stern  aber,  durch  die  sich  Müllenhoff  helfen  möchte,  wenn 
man  nohheinig  belässt,  ist  nicht  belegt;  der  vorkommmende  Plural  sternä  beweist 
nur,  daß  der  Singular  slerno  in  einigen  Formen  auch  stark  flectiert  wurde,  denn 
ebensowenig  darf  man  aus  dem  mhd.  Plural  Sterne  einen  Singular  stern  folgern, 
dieser  findet  sich  vielmehr  nur  bei  mhd.  Dichtern,  die  auch  in  anderen  Wörtern 
das  e  am  Schlüsse  abwerfen,  wie  der  pseudo -gottfridische  Lobgesang,  aus  dem 
W.  Wackernagel  im  Wörterbuch  zwei  Stellen  anführt.  Dadurch  wird  auch  die 
Wahrscheinlichkeit   der  Müllenhoff'schen  Ergänzung   erschüttert. 

Über  die  folgenden  Halbzeilen  geht  Hr.  M.  sehr  leicht    hinweg,   wiewohl 
er  nicht  weniger  als  drei  Änderungen  darin  anbringt ;   statt  des  überlieferten 


LITTERATUR.  117 

noh  sunna  ni  seein 
noh  mäno  ni  liuhta 
noh  der  märeo  seo, 


schreibt  er  nämlich: 


noh  sunna  ni   liuhta 

noh  mäno  noch  der  märeo  seu. 
Die  Gründe  sind  ersichtlich ;  im  ersten  Vers  stoßen  die  drei  Hebungen ,  da 
nuh  zu  betonen  kein  Grund  ist,  also  muß  ni  seein  getilgt  werden,  außerdem  weil 
es  ein  Missklang  sei,  im  zweiten  Halbverse  zwei  Worte  mit  s  anfangen  zu  lassen 
(die  aber  gar  nicht  alliterieren;  solche  Belege  ließen  sich  in  Menge  sammeln)  und 
an  die  Stelle  der  ausgeworfenen  kommt  ni  liuhta.  Ebenso  anstößig  war  in  m«- 
trischer  Beziehung  der  dritte  Vers;  daher  mußte  der  zweite  und  dritte  in  einen 
zusammengezogen  werden.  Und  auf  diese  Weise,  durch  ein  solches  Verfahren  soll 
das  Vorhandensein  des  Ijudahättr  in  der  ahd.  Poesie  gesichert  sein !  Wer  eine 
Spur  von  kritischem  Gewissen  hat,  muß  gegen  eine  solche  gewissenlose  Behand- 
lung unserer  ältesten  Denkmäler  entschieden  Widerspruch  erheben.  Auf  diese 
Weise  ließe  sich  aus  allem  alles  machen.  Wenn  die  kritische  Schule  Lachmann» 
nichts  besseres  und  gründlicheres  zu  leisten  vermag ,  dann  hat  sie  ihr  geistiges 
Unvermögen   genügend    bewiesen. 

2  4.   Februar   186  2.  KARL  BARTSCH. 


1.  Das  Rolandslied.  Das  älteste  französische  Epos,  übersetzt  von  Dr.  Wilhelm 
Hertz.    Stuttgart,   Cotta,    1861.    8.   XIV  u.    163    S. 

2.  Roland,  poeme  heroique  de  Theroulde,  trouvere  du  XI.  siecle,  traduit  en 
vers  francais  par  P.  Junain,  sur  le  texte  et  la  version  en  prose  de  Fr. 
Genin.    Paris,   Chamerot,    1861.    12. 

1.  Es  darf  als  ein  nützliches  und  dankbares  Unternehmen  bezeichnet  werden, 
die  bedeutendsten  Denkmäler  der  altfranzösischen  Litteratur  dem  deutschen  Volke 
durch  Übersetzungen  zugänglich  zu  machen.  Es  wird  dadurch  einmal  den  zahl- 
reichen Pflegern  deutscher  Litteratur  ein  wesentlicher  Dienst  geleistet,  denn  es 
wird  wohl  Jeder  unter  ihnen  Werke  zu  kennen  wünschen ,  welche  mit  dem 
Gegenstande  ihrer  Studien  in  so  naher  Beziehung  stehen ,  nicht  Jeder  hat  aber 
Muße  genug,  um  die  zu  einer  nicht  aufhaltenden  Leetüre  erforderliche  Ver- 
trautheit mit  der  Sprache  zu  erlangen.  Mit  gleicher  Freude  dann  wird  jeder 
Gebildete  Arbeiten  begrüßen,  welche  ihm  in  den  vorzüglicheren  Erzeugnissen 
einer  beinahe  unbekannten  Litteratur  eine  neue  Quelle  des  Kunstgenusses  eröffnen. 
Bisher  ist  aber,  meines  Wissens,  in  dieser  Richtung  nur  sehr  wenig  geschehen, 
und  gerade  jene  Werke,  welche  Übersetzer  gefunden  haben  (z.  B.  le  roman  de 
Ruu  durch  Franz  Frhr.  Gaudy,  Glogau  18  35  und  le  vornan  de  la  rose  durch 
II.  Fährmann,  Berlin  183  9),  wenn  auch  in  anderer  Beziehung  wichtig,  zeichneu 
sich  eben  nicht  durch  künstlerischen  Werth  aus.  Am  ersprießlichsten  wirkte  noch 
der  unermüdliche  Adalbertv.  Keller,  welcher  durch  Prosaübersetzungen  und  Auszüge 
zur  Kunde  altfranzösischer  Litteratur  in  Deutschland  wesentlich  beitrug.  Man  muß 
daher  Hrn.  Hertz  zu  wahrem  Danke  verpflichtet  sein,  daß  er  an  das  schöne  Unter- 
nehmen, poetische  Übersetzungen  zu  liefern,  Hand  gelegt  hat,  und  ihn  beglückwünschen, 
daß  ihm  schon  der  erste  Versuch  so  vortrefflich  gelungen  ist.  Die  Wahl  der 
Dichtung,   mit   welcher  der  Anfang  zumachen  war,  konnte  kaum  zweifelhaft  sein : 


[lg  LITTERATÜE. 

das  scliünc  Volksepos,  welches  noch  in  der  uns  geretteten  Gestalt  so  viel  von 
der  edlen  Einfachheit  und  der  großartigen  Auffassung  der  Volkslieder  bewahrt, 
denen  er  seine  Entstehung  verdankt,  die  Chanson  de  Roland,  bot  sich  von  selbst 
dar.  Daß  schon  eine  Prosaübersetzung,  die  von  Keller,  vorhanden,  war  vielleicht 
II.  Hertz,  der  ihrer  nicht  erwähnt,  unbekannt:  dieser  Umstand  konnte  in  jedem 
Falle  eher  anregend  als  zurückhaltend  wirken.  Die  Übertragung  nun ,  mit  der 
uns  Hertz  beschenkt,  zeugt  eben  so  sehr  von  echt  dichterischer  Begabung  als 
von  liebevoller  Hingebung  an  seinen  Gegenstand.  H.  H.  ist  mit  allen  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Sprache  seines  Originals  wohl  vertraut,  und  weiß  sie  mit 
Meisterschaft  in  seiner  eigenen  wiederzugeben.  Er  übersetzt  treu,  Vers  für 
Vers*)  und  dennoch  so,  daß  er  nirgends  einen  Zwang,  ein  Ringen  mit  den 
gewiss  bedeutenden  Schwierigkeiten  verräth.  Daß  er  den  Sinn  an  mehr  wie  einer 
Stelle  besser  trifft  als  sein  Vorgänger,  ist  ein  Vorzug,  welchen  man  zunächst  den 
weit  reicheren  Hilfsmitteln,  die  ihm  zu  Gebote  standen,  zuzumessen  hat,  so  daß 
die  Hervorhebung  dieses  Vorzuges  durchaus  nicht  zu  einem  ungerechten  Ver- 
gleiche auffordern  will.  Vollkommen  zu  billigen  ist  es,  daß  der  H.  Übersetzer 
der  Versuchung  widerstand,  die  Assonanz  beizubehalten:  nur  zu  oft  sieht  man 
sonst  gediegene  Arbeiten  an  ähnlichen  ganz  äußerlichen  und  selbstgeschaffenen 
Hindernissen   scheitern. 

Ich  glaube  auf  keine  bessere  Weise  dem  H.  Übersetzer  das  Interesse 
bezeugen  zu  können,  welches  mir  seine  schöne  Arbeit  einflößte,  als  dadurch,  daß 
ich    auf   dieselbe    etwas  "näher   eingehe*'"). 


*)  Mit  einer  einzigen  Ausnahme,  Tir.  123,  5 — b':  cL'un  gist  sur  l'altre,  en  enverse 
adenz': '  Sie  liegen  da  der  Eine  iiber'm  Anderen,  der  auf  dem  Angesicht,  der  auf  dem  Kücken'. 

**)  Bei  den  folgenden  Bemerkungen  mußte  ich  natürlich  eine  nähere  Bekanntschaft 
mit  unserem  Gedichte  voraussetzen:  ich  erlaube  mir  hier  jedoch  eine  kurze  bibliogra- 
phische  Skizze  über  dasselbe  mitzutheilen.  Ich  beschränke  mich  auf  jene  Schriften,  welche 
die  Schicksale  des  Textes  unmittelbar  betreffen,  und  übergehe  daher  jene,  welche  (wi< 
Wolfs  Leistungen  etc.',  Fauriel's  Vorträge  u.  s.  w.)  sich  mehr  mit  der  litterarhistorischen 
Bedeutung  unseres  Epos  beschäftigen. 

Die  Handschriften  hat  Wilhelm  Grimm  in  der  Vorrede  zum  Ruolandes  Liet 
S.  XXX VII— XXXVIII  aufgezählt:  A  Oxford;  B  Paris  7227,  5;  C  früher  Versailles,  dann 
Garnier,  endlich  Bourdillon,  wovon  eine  neuere  Abschrift  auf  der  k.  Bibl.  zu  Paris  2Ö42 '  ; 
])  Lyon:  E  Cambridge:  dazu  kommt  aus  den  Venedigern  die  Handschr.  Gall.  Nr.  4, 
welche  ich  mit  P  bezeichne. 

18.  Jahrh.     Die    neue   (Benedictiner-)  Ausgabe   von   Du    Cange   führt   häutig    den 
Roman  de  Roncevaux  (nach  B)  an;   dorn  Rivet,    Hist.  litt.  7,    LXXIII   erinnert    an    eine 
andere    nunmehr    verschollene    Handschrift;    Tyrwhitt    zu    Chaucer's    Canterbury    tales 
v.   13741   spricht  schon  von  A. 
L817.    Mnsset.    Louis  de,    in    den  Memoires   de   la   societe   des   antiquaires    de    France 

1,   145 — 171,  zeigt  C  an  und  theilt  daraus  einige  Verse  mit. 
„       Conybeare,  J.  F.,    im   Gentleman's   magazine    S.    103,  verspricht   Nachrichten 

über  das   Lied  nach  englischen  Handschriften,  also  A  und  E. 
1832.    Paris,  Paulin,  in  der  Vorrede  zu  Berte  aus  grans  pies.  Paris.  8.  S.  XL1I,  kün- 

digl    eine  Ausgabe  von  Bourdillon  an. 
„       Monin,  Henri.   Dissertation  sur  le  roman  de  la  bataille  de  Roncevaux.  Paris.  8. 

Nach  15  und  C.    Darüber 
„       Raynouard,  F.  J.  M.,  im  Journal  des  Savans  S.  385  -398,  und 
„       Michel,  Francisque,  in  einer  eigenen  Abhandlung/ Examen  critique  de  ladisser- 
tion  de  Mr.   11.  M.  sur  lc  r.  d.  R.  Paris.  8°.'  Er*  weist  darin  auf  A  an. 
1834.    La  Rue,  Gervais  de.    In  den  essais  historiques  sur   les  bardes,   les  Jongleurs  et 

les  trouveres.  Paris,  4".    2,  57 — (J-3  gibt  Proben  aus  A. 


LITTER  ATUE.  H<) 

Bei  ähnlichen  Übertragungen  ist  selbstverständlich  die  Wahl  des  Textes, 
welchem  man  zu  folgen  hat,  von  großer  "Wichtigkeit.  Auch  hierin  war  H.  Hertz 
recht  glücklich.  Er  kündigt  uns  nämlich  an,  daß  er  neben  den  gedruckten 
Recensionen  von  A  noch  eine  bis  jetzt  ungedruckte  benützt  habe,  welche 
Prof.  Conrad  Hofmann  in  München  auf  Grundlage  neuer  Handschriftenverglei- 
chung und  mit  Benützung  der  bisher  nur  zu  wenig  berücksichtigten  Venediger 
Handschrift  veranstaltet  hat.  Diese  Nachricht  wird  sicherlich  Jeden ,  der  sich 
mit  unserem  Gedichte  beschäftigt,  mit  wahrer  Freude  erfüllen  ,  denn  von  einem 
so  tüchtigen  Grammatiker  und  so  bewährten  Kritiker,  wie  Ilofmann  es  ist, 
darf  man  endlich  eine  Ausgabe  unseres  Liedes  erwarten ,  welche  dasselbe 
seiner  echten  Gestalt  möglichst  nahe  bringt.  Die  Verbesserungen  nun,  welche 
die  Form  der  einzelnen  Wörter,  das  Versmaß,  die  Assonanz  u.  s.  w.  be- 
treffen, können  natürlich  an  einer  Übersetzung  im  Allgemeinen  nicht  ersehen 
werden;  überall  aber,  wo  die  Recension ,  welche  uns  H.  Hertz  bietet,  von 
den  bisher  bekannten  im  Inhalte  selbst  abweicht,  können  wir  mit  ziemlicher 
Bestimmtheit  annehmen,  daß  dies  auf  die  Grundlage  der  Arbeit  Hofmann's 
geschehen  sei.  Es  lohnt  sich  der  Mühe  über  diese  Abweichungen  einiges  mit- 
zutheilen.  Manche  Verse  wurden  ausgelassen;  eine  größere  Anzahl,  darunter 
eine  ganze  Tirade,  hinzugefügt;  einzelne  Verse  und  Tiraden  wurden  versetzt.   Schon 


1S35.    Duval,  Amaury.    Hist.  litt.  18,  719  ff.,  eine  sehr  dürftige  Notiz  über  A. 

1S37.    I.  Ausgabe.     La  Chanson  de  Roland   ou   de   Roncevaux    publiee    par  Francisque 

Michel!"  Paris.  8°.  Mit  Proben  aus  BCDE.  Das  Titelblatt  trägt  das  Datum   1837; 

Schon  im  Anfange  1836  findet    sich    darüber    im   Journ.  des  Sav.    eine  Recension 

von  Raynouard. 

1839.  Deutsche  Prosaübersetzung  nach    dieser  Ausgabe  in  'Altfranzösischen    Sagen     ge- 
sammelt von  H.  A.  Keller.   Tübingen.  8.     Bd.   1. 

1840.  Bourdillon,  Jean-Louis.  Le  poeme  de  Roncevaux,  traduit  du  roraan  en  franeois. 
Dijon,   12°.    Nach  seiner  Ausgabe,  erschienen 

1841.  Roncisvals  mis  en  ramiere  par  J.  L.  Bourdillon.  Paris,  12.  Eclectisch.  Er  benutzt 
auch  F,  über  welche  Handschrift  schon  manche  Kunde  gedrungen  war.  Aber  erst  in 

1844.    Keller,  Adelbert  von,  Romvart,  Mannheim  und  Paris.  8°.  S.   12 — 23,  findet  sich 

daraus  ein  größerer  Abschnitt 
L845.    Delecluze,  Etienne  Jean.   Übersetzung  von  A  nach  der  Ausg.  Mc.'s.  in    Roland 

et  la  chevalerie'.  Paris.  8°.   Bd.  2.  Darüber  Magnin  in  der  Revue  des  deux  mondes, 

juillet  1846. 
„       Paris,  Paulin.  Hist.  litt.  22,  727  ff.  ein  Aufsatz  über  das  Epos  mit  einigen  guten 

Vorschlägen   zur   Emendation    von  A.     Der  Band  trägt  die  Jahreszahl  1852;    der 

Aufsatz  wurde  aber  geschrieben  vor 
L850.    II.  Ausgabe.   La  chanson  de  Roland,  poeme  de  Theroulde  .  .  .  aecompagne  d'une 

traduetion  par  Franeois  Gen  in.   Paris.  8.  Nach  A.  Enthält  Bruchstücke  aus  C  F. 

Darüber  Vitet,  R.  d.  d.  m.,  juin   1852;  Magnin,  J.  des  sav.  1852  septembre  — 1853 

mars.  Innerhalb  der  letzteren  Zeit  fällt  ein  Aufsatz  von  Paulin  Paris  in  der  Bibl.  de  L'ec. 

des  chartes  III.    Serie,    II.  Bd.  Mit  dieser  Ausgabe,    welche    eine    heftige  Polemik 

hervorrief,  mag  im  Zusammenhang  stehen 
1852.    Guessard,  Franeois.  Lettre  sur  les  variantes  de  la  Chanson  de  Roland.  Paris.  8". 
„       Andere  Prosaübersetzung   von  Genin    in   der   Revue   de  Paris,    auch    im    Separat 

abdrucke.  Paris.  8".     Inzwischen  war  erschienen 
1851.    III.  Ausgabe.    La  Chanson  de  Roland,  berichtigt  und  mit  einem  Glossar  versehen 

von  Dr.  Theodor  Müller.    Göttingen.  8.  Nach  A.    Die  erste  allein  erschienene  Ab- 
teilung enthält   den   Text   und  kritische   Bemerkungen.     Mir  ist  über  diese  Aus 

gäbe  keine  Recension  begegnet. 


[20  LITTERAT  l'K. 

im  Anfange  findet  man  eine  Versetzung  der  Tiraden  zwischen  XX  und  XXIV  *), 
denen  2  0 — 2  5  **)  entsprechen.  Sie  scheint  zwar  nicht  durchaus  nothwendig, 
sie  bringt  aber  doch  die  Erzählung  in  einen  natürlicheren,  geregelteren  Gang. 
Vollkommen  zu  billigen  ist  die  Versetzung  von  CXII — CXIII  nach  CXXIV, 
wodurch  einerseits  die  Worte  Marsilies  veit  de  sa  gent  li  martirie',  welche  beim 
ersten  Eintreffen  des  Königs  wohl  unpassend  sind,  andererseits  das  Lob,  welches 
in  der  Tir.  CXXVI  Roland  dem  Erzbischofe  spendet,  verständlich  werden.  Auch 
die  Theilung  von  CXXIII  in  zwei  Tiraden,  zwischen  welche  CXXIV  eintritt, 
ist  zu  genehmigen,  um  das  Darauffolgen  zweier  Tiraden  mit  gleicher  Assonanz 
zu  vermeiden***,).  Sehr  schwer  zu  rechtfertigen  scheint  mir  die  Einschiebung  der 
A  ganz  unbekannten  Tirade  111.  Man  findet  deren  Inhalt,  wenn  auch  nicht 
den  Wortlaut,  in  D  (Mich.  S.  LXIII)  und  bei  Bourdillon;  in  der  Gestalt,  wie 
sie  uns  die  Übersetzung  vorführt,  wird  sie  wahrscheinlich  in  F  enthalten  sein. 
Allerdings  mag  hier  eine  Verwirrung  statt  gefunden  haben :  die  neu  hinzuge- 
kommene Tirade  aber  macht,  meiner  Ansicht  nach ,  das  Übel  nur  noch  größer. 
Machen   wir  uns   die   Stelle   gegenwärtig. 

Bis  108  siegen  immer  die  Franken.  —  109  V.  1  —  6.  Franken  und 
Heiden  kämpfen  gut.  Mancher  Franke  stirbt.  V.  9 — 16.  Karl  ist  sinnlos  und 
weint.  —  Schon  der  erste  Theil  könnte  verdächtigt  werden,  indem  bis  jetzt  die 
Franken  immerfort  als  siegreich,  die  Heiden  als  geschlagen  erscheinen;  indessen 
zeigt  der  Vergleich  mit  110  und  112,  daß  hier  noch  nachträglich  erzählt  wird, 
daß  wenn  auch  die  Heiden  eine  gänzliche  Niederlage  erlitten,  sie  es  dennoch  an 
Tapferkeit  nicht  ermangeln    ließen   und   daher    die   Franken    manchen   Verlust   zu 


*)  Zur  leichteren  Orientierung  werde  ich  die  Tiraden  bei  Michel  mit  römischen, 
die  bei  Hertz  dagegen  mit  arabischen  Chiffern  bezeichnen. 

**)  Um  eine  mehr,  weil  XX  getheilt  wurde.  V.  1—6  entspricht  20;  V.  7— 22=2:3. 
Eben  so  wurde  XXV  ganz  richtig  in  26,  27  aufgelöst,  denn  wenn  auch  die  Assonanz 
immer  in  E  ist,  so  ist  sie  doch  in  den  ersten  sechs  Versen  weiblich,  in  den  übrigen  aber 
männlich.  Nur  scheint  es  mir  nicht  zu  billigen,  daß  schon  der  6.  Vers  zu  27  gezogen 
wurde;  denn  einerseits  müßte  dann  im  zweiten  Hemistiche  'vos  en  orrez  noveles'  das 
Wort  orrez  an  das  Ende  des  Verses  kommen,  was  eine  Silbe  zu  viel  geben  würde,  an- 
dererseits bliebe  die  gewiss  sehr  harte  Wiederholung  des  Zwischensatzes  'dist  Guenes' 
in  zwei  unmittelbar  auf  einander  folgenden  Versen.  Rechnet  man  dagegen  den  6.  Vers 
noch  immer  zur  26.  Tirade,  so  bedarf  es  keiner  Veränderung,  und  die  zwei  Reden 
Gucnelons  gehören  zwei  verschiedenen  Tiraden. 

***)  Ist  es  ein  festes  Gesetz ,  daß  zwei  Tiraden  mit  gleicher  Assonanz  nicht  auf 
einander  folgen  dürfen?  Oder  mit  anderen  Worten  soll,  so  lange  die  Verse  miteinander 
assonieren,  keine  neue  Tirade  angenommen  werden?  Hertz,  oder  richtiger  Hofmann,  scheint 
sich  dieser  Ansicht  in  so  weit  zuzuneigen,  als  der  Sinn  nicht  nothwendig  eine  Pause 
erfordert.  Man  findet  wenigstens  CvH—  CVIII  =  10f),  CXCVni— CXCIX  =  202,  CCXI 
— CCXH  =  214,  CCXXIX— CCXXX  =  232,  wo  überall  bei  gleicher  Assonanz  die  Er- 
zählung ohne  Unterbrechung  fortschreitet.  Indessen  wäre  noch  bei  den  anderen  Fällen, 
wo  zwei  gleich  assonierende  Tiraden  auf  einander  folgen,  zu  erwägen,  ob  wirklich  überall 
der  Sinn  eine  solche  Spaltung  erfördert.  So  bei  VIII—  IX,  XXXIX— XL,  LXXV  ■  LXXYI, 
(I.YIII-CLIX,  CLX]  CLXII,  CXCV-CXCVI,  CCXXTV  -  CCXXV ,  CCXLVI— 
CCXLVTI,  ja  (VXXX1I  —  CCXXXIII—  CCXXXIV,  welche  letztere  alle  die  männliche 
O-Assonanz  haben,  und  besonders  was  CCXXXII—  III  betrifft,  innig  zusammengehören. 
Vgl.  Magnin  im  Journ.  des  Sav.  1852  S.  774.  Noch  möge  bemerkt  werden,  daß,  wie 
Genin,  auch  Hertz  den  letzten  Vers  von  CXC  (=194)  zur  folgenden  Tirade  zieht.  Wie 
der  Vers  li  dui  niessage  descendent  al  perrun  ohne  eine  bedeutende  Veränderung  zur 
weibl.   [-Assonanz  stimmen  könne,  sehe  ich  nicht  recht  ein. 


LITTEKATUE.  121 

beweinen  haben.  Der  zweite  Theil  aber  ist  entschieden  am  unrechten  Platze. 
Es  ist   daher  nur   zu   billigen,   wenn   H.   denselben   einklammerte. 

110.  V.  1 — 8.  Lob  der  Franken,  alle  schlagen  gemeinsam  und  die 
Heiden  sterben  tausendweis  .  V.  9- — -11.  Mehrere  Franken  sind  gestorben. 
V.  12  —  26.  Stürme,  Hagel,  Erdbeben  verkündigen  den  Tod  Rolands. —  V.  1  —  8 
verbinden  sich  ganz  gut  mit  der  vorhergehenden  Tirade  (natürlich  von  der  zweiten 
Hälfte  abgesehen);  V.  9 — 11  erwähnen  der  Verluste  der  Franken*);  was  von 
V.  1 2  an  folgt,  ist  an  dieser  Stelle  durchaus  unpassend.  Wir  wohnten  bisher 
nur  dem  Siege  der  Christen  bei;  wie  sollte  nun  plötzlich  die  Rede  vom  Tode 
Roland's  sein,  jenes  Kriegers,  welcher  erst  nachdem  alle  seine  Gefährten  über- 
wältigt sind  uuterliegt?  Es  ist  daher  zu  wundern,  daß,  während  in  der  vorigen 
Tirade  der  zweite  Theil,  welcher  im  Nothfalle  doch  vertheidigt  werden  könnte, 
von  H.  H.  mit  richtigem  Gefühle  als  an  diese  Stelle  nicht  gehörig  bezeichnet 
wurde,   hier  jede   Andeutung   eines   Zweifels   fehlt. 

111  ist  eingeschoben.  V.  1 — 28.  Margariz  holt  Marsilie.  V.  29  —  39. 
Die  Franken  rufen  die  Pairs  an  (ohne  -daß  jedoch  von  der  wirklichen  Ankunft 
des  Heidenkönigs  etwas  gemeldet  wird),  aber  Turpin  und  Roland  sprechen 
ihnen   Muth   zu. 

112.  Lob  der  Franken.  Sie  sind  eben  beschäftigt  ihre  Leichen  aufzusuchen, 
als  Marsilies  kommt.  Nimmt  man  die  Einschiebung  von  111  als  echt  an,  so  ist 
allerdings  diese  Tirade  ganz  unpassend,  weshalb  sie  auch  H.  einklammern  mußte; 
verwirft  man  aber  diese  Einschiebung,  so  schließt  sich  112  ganz  genau  an  den 
ersten  Theil  von  109  und  110  an.  Es  ist  derselbe  Gedanke,  welcher,  wie  so 
oft,  dreimal  wiederkehrt.  Uns  Margaris  vorzuführen,  wie  er  zu  Marsilie  geht 
und  ihn  zum  Kampfe  auffordert,  ist  ganz  in  der  Manier  der  späteren  Erweite- 
rungen; der  Recension  von  A  liegt  weit  näher  die  Sache  so  darzustellen,  daß 
während  die  Franken  eben  beschäftigt  sind,  ihre  Leichen  aufzusuchen,  da  steigt 
Marsilies  auf  mit  seinem  Heere .  Dieser  einzige  Vers  sagt  Alles.  Wenn  er 
kommt,  so  wird  er  wohl  Kunde  von  der  Niederlage  der  Seinigen  bekommen 
haben.  Man  erwäge  auch  Dieses.  Der  zweite  Theil  von  111  enthält  Tröstungen 
des  Turpin,  die  fast  mit  gleichen  Worten  in  der  Tir.  114  wieder  vorkommen; 
und  zwar  nicht  in  der  Weise  der  gewöhnlichen  auf  einander  unmittelbar  fol- 
genden Wiederholungen,  sondern  in  einiger  Entfernung  und  in  anderem  Zu- 
sammenhange, was  uns  deutlich  zeigt,  daß  wir  hier  nur  zwei  ganz  verschiedene 
Redactionen  vor  uns  haben,  welche  man  zusammen  gehen  lassen  will.  Wenn  mau 
also  überhaupt  etwas  an  dem  Texte  rühren  will,  so  sollten,  meiner  Ansicht  nach, 
die  Tiraden  iu  nachstehender  Ordnung  folgen:  109,  1 — 8.  110,  1  — 11  (vielleicht 
auch  nur  1 — 8).  112.  Dem  zweiten  Theile  von  109  und  110  wären  dann  ge- 
eignetere Stellen  zuzuweisen;  letzterer  z.  B.  könnte  sich  an  174  (CLXXl) 
füglich   anschließen. 

Mit  den  anderen  hinzufügten  Versen  wird  man  sich  im  Allgemeinen  viel 
leichter  einverstanden  erklären.  So  z.  B.  16,  13:  Schicket  ihm  als  Boten  einen 
der  Barone  ,  ein  Vers,  ohne  welchen  die  gleich  darauffolgende  Frage  des  Kaisers 
geradezu   unverständlich   ist.   In  F   (Romv.  17,    12)   lautet   der   Vers:    De  li  uostri 


*)  Freilich  heißt  es  hier:  verloren  geht  der  Franken  bestes  Rüstzeug',  was  mit 
der  früheren  Aussage,  daß  'Alle1  noch  kämpfen  und  alle  zwölf  Paü-s  noch  rüstig  und 
kampflustig  sind,  iu  einem  ziemlich  grellen  Widerspruche  steht. 


122  LITTERATUR. 

baron  uos  li  manda  u'.  Vgl.  auch  Hist.  litt.  22,  754.  Tir.  13G,  8;  157,  3 
sind  die  zwei  Verse  von  A,  welche  von  Mic.  aus  Unachtsamkeit  weggelassen, 
und  später  von  Genin  aufgenommen  wurden.  Daß  besonders  der  erste  von  un- 
gemeiner Wichtigkeit  ist,  ist  hinlänglich  bekannt.  2  9,  3;  5  8,  4  (F  que  jusque 
l'os  la  carne  l'a  trencie);  71,  5  —  6;  120,  9;  124,  6;  125,  10;  127,  24; 
13  5,  18;  22  9,  10  (schon  bei  Gen.);  248,  8  (id.)  sind  weitere  Zusätze,  welche 
entweder  unerlässlich  nothwendig  oder  wenigstens  zum  leichteren  Verständnisse 
höchst   willkommen   sind. 

Weggelassene  Verse.  —  In  der  Tir.  13  6b  ist  zwischen  5 — 6  ein  Vers 
abgefallen,  welcher  allerdings  nicht  durchaus  nothwendig  ist,  den  man  aber  viel- 
leicht ungerne  vermissen  wird.  Zwischen  der  Angabe  die  Franken  steigen  ab 
und  sie  sprengen  drein  ,  scheint  die,  daß  sie  es  destrers  muntent  nicht  geradezu 
überflußig.  Weit  mehr  wird  man  bedauern  den  Abgang  eines  Verses  zwischen 
2  und  3  von  Tir.  154.  Es  ist  die  Rede  von  den  letzten  Kämpen  des  christ- 
lichen Heeres,  Roland,  Walter,  Turpin;  jedem  widmet  das  Gedicht  einen  Vers 
des  Lobes  und  der  Eine  will  nicht  von  dem  Anderen  lassen  .  In  der  Über- 
tragung wird  aber  nur  der  zwei  ersteren  gedacht,  der  Erzbischof  geht  leer  aus. 
Ich  kann  daher  an  eine  vorsätzliche  Auslassung  hier  nicht  glauben  ,  und  ver- 
muthe  eher  ein  kleines  Versehen.  Tir.  27  9  zwischen  8- — 9  ist  der  Vers  puis  si 
li  servet  par  amur  e  par  feid  uuübersetzt  geblieben.  Etwa  weil  er  in  der  fol- 
genden Tirade  wieder  vorkommt  f  Aber  gerade  dieser  Umstand  sollte  ihn 
schützen,  denn  vielleicht  an  keiner  anderen  Stelle  des  Gedichtes  findet  sich  eine 
früher  berathene  Rede  so  genau  wiedergegeben,  wie  eben  hier.  Und  diesen  echt 
volksma'ßigen  Zug  sollte  man  doch  nicht  verwischen  *).  Warum  ist  Tir.  284 
neben  Sporen,  Halsberg,  Schwert,  Schild  und  Lanze  der  Helm  vergessen  worden 
Lur  helmes  clers  unt  fermez  en  lur  chefs  ?  —  Tir.  29  3  zwischen  9  — 10  fehlt 
der  Vers  Guenes  est  turnet  a  perdiciun  grant  .  Er  scheint  mir  wegen  des  si 
nerf  von  Vers  10  nothwendig.  Auch  Gen.  ließ  ihn  weg,  aber  ohne  irgend 
eine  Bemerkung.  Wenn  dann  Tir.  9  3  zwischen  21 — 22,  2  03  zw.  8  —  9,  262 
zw.  2 — 3  (schon  bei  Gen.),  274  zw.  10 — 11  je  ein  Vers  und  endlich  die  drei  ersten 
Verse  von  29  5  (schon  bei  G.)  ausgelassen  wurden,  so  kann  dies  weder  aus- 
drücklich genehmigt  noch  missbilligt  werden.  Es  sind  eben  Verse  die  man  leicht 
vermisst,  welche  aber  auch  nicht  so  störend  sind,  daß  ihre  Entfernung  geboten 
wäre.  Vollkommen  zu  billigen  scheint  mir  hingegen,  daß  der  vorletzte  Vers  von 
CLXI  (i63)  und  der  fünfte  von   CCLXXXVII   (2  8  9)  gestrichen   wurde. 

An  den  bisher  besprochenen  Stellen  muß  natürlich  Hertz  zunächst  der 
Rcdaction  Hofmanns  gefolgt  sein;  im  Übrigen  aber  mag  er  sich,  nach  der 
Vorrede  zu  urtheilen,  an  die  gedruckten  Texte  gehalten  haben,  und  nur  an 
zweifelhaften  Stellen  die  neue  Recension  zu  Rathe  gezogen  haben.  Der  IL 
Übersetzer  scheint  bloß  zwei  Ausgaben  gekannt  zu  haben,  die  von  Michel  und 
Genin.  Ich  gestehe,  daß  es  mich  eben  so  überraschte  als  befremdete,  die  von 
Theodor  Müller  gänzlich  übergangen  zu  sehen.  Es  ist  ein  kleines  Büchlein, 
nicht  zu  vergleichen  mit  den  stattlichen  Bänden  der  zwei  französischen  Heraus- 
geber,   aber   ein   schönes   Beispiel  jenes   Fleißes    und  jener  Bescheidenheit,    welche 


')  Findet  sich  doch  bei  II.,  eben  so  wie  bei  Gen,,-  in  dieser  zweiten  Tirade  der 
Vers  Todt  ist  Roland,  wir  sehen  ihn  nimmermehr',  welcher  hei  A  fehltund  nichts  anders 
ist  als  eine  wörtliche  Wiederholung  des  9.  Verses  von  279. 


LITTERATUK.  ]  23 

deutsche  Gelehrte  so  sehr  auszeichnet.  Müller  hatte  nur  sehr  spärliche  Behelfe, 
und  dennoch  gelang  es  ihm  auf  wenigen  Seiten  eine  Menge  von  scharfsinnigen 
Bemerkungen  zusammenzubringen,  und  Verbesserungen  vorzuschlagen,  welche  zum 
Tlieile  durch  den  von  Gen.  gesammelten  kritischen  Apparat  bestätigt  wurden, 
zum  Theile  aber,  wie  gerade  unsere  Übersetzung  zeigt,  noch  nicht  genügende 
Berücksichtigung  gefunden  haben.  Es  ist  nur  zu  bedauern,  daß  Müller  mit  allzu 
ängstlicher  Gewissenhaftigkeit  selbst  die  überzeugendsten  Verbesserungen  nicht 
in  den  Text  aufzunehmen  wagte  und  dadurch  die  praktische  Brauchbarkeit  seines 
Buches,  besondere  bei  Vorlesungen,  bedeutend  schmälerte.  Mit  den  französischen 
Herausgebern  kann  sich  H.  Herz  natürlich  nicht  zufrieden  erklären.  Michel  war 
wohl  der  erste,  welcher  den  Schatz  hob  und  daher  einiger  Nachsicht  bedürftig, 
it  verfuhr  aber  nicht  selten  mit  ziemlicher  Flüchtigkeit;  Genin  gab  sich  viel 
Mühe,  ließ  A  einer  neuen  Durchsicht  unterziehen,  sammelte  Varianten,  benützte 
jedoch  das  gewonnene  Material  auf  seine  nur  zu  bekannte  Weise,  und  erlaubte  sich 
häufig  genug  Veränderungen,  welche  durchaus  unberechtigt  sind*).  Wenn  aber 
II.  Hertz  klagt ,  daß  die  vorhandenen  Ausgaben  von  Unwörtern  und  falschen 
Lesungen  strotzen,  so  ist  sein  Vorwurf,  besonders  Gen.  gegenüber,  ein  solcher? 
welcher  durch  Vergleichung  des  Textes  des  letzteren  mit  vorliegender  Über- 
setzung als  nicht  genügend  gerechtfertigt  erscheint.  Bei  weitem  die  meisten  Ab- 
weichungen, welche  Hertz  in  Vergleich  zu  Michel  bietet,  sind  schon  bei  Gen. 
zu  treffen,  und  die  Anzahl  der  Fälle,  wo  er  weder  der  einen  noch  der  anderen 
französischen  Ausgabe  folgt,  weil  beide  Unsinniges  enthalten,  ist  sehr  gering. 
So  wenig  also  auch  die  von  Mich,  und  Gen.  besorgten  Texte  als  kritisch  ver- 
lässlich anzusehen  sind,  so  ist  dennoch  der  Vorwurf  vom  Standpunkte  einer 
Übersetzung  aus  als  ein  zu  harter  zu  bezeichnen.  Die  Arbeit  des  H.  Hertz  ist  an 
und  für  sich  so  verdienstlich,  daß  sie  sehr  leicht  auf  ähnliche  Vergleiche  Ver- 
zicht  leisten   kann. 

Mit  Vergnügen  sah  ich  in  der  Tir.  38,  13  die  Übersetzung  Keller's  be- 
stätigt. Die  Originalstelle  lautet:  n'en  est  dreiz  que  plus  muet  .  Das  letzte  Wort 
stört  die  I-Assonanz  und  gibt  keinen  Sinn.  Müll,  bemerkt  nichts;  Gen.  entgeht 
der  Schwierigkeit  dadurch,  daß  er  den  Vers  streicht.  Und  doch  braucht  man 
nur  die  drei  Striche,  welche  das  m  bilden  sollen,  als  ui  aufzufassen,  um  das 
richtige  Wort  tauet  zu  erhalten.  Schon  bei  Keller  liest  man :  daß  er  nicht  mehr 
zu  leben  verdient'.  Und  ebenso  H.:  nicht  länger  soll  er  leben  .  Nicht  weniger 
befriedigend  ist  die  Veränderung  von  gerun  (28  0,  7)  in  f/ernun,  welche  aus  der 
Übertragung    keinen   Bart'   zu   schließen   ist. 

7  7,  2  bis  zur  Meeresküste  gibt  das  wohl  einzig  richtige  entresques  ä 
la  marine  von  F  wieder.  A  entresqu'  Ascaz  marine;  C  a  Samarie  ;  Gdn.  vermuthete 
ä  Scamarine,   was   er   mit  Piratenstadt   erklärte. 

80,  1.  Statt  pin  ist  pui  richtig  gelesen  worden.  Schon  Michel  bemerkte, 
daß   die   Handschrift   beide  Lesungen  gestatte,    und  Müller  hatte  sich   durch  den 


*)  Es  mögen  nur  ein  Paar  Beispiele  für  die  Art  seines  Verfahrens  genügen.  III, 
yijil  hat  A  ejo  n'ai  nient  de  mal'  in  der  E-Assonanz.  Gen.  setzt  ohne  Weiteres  rpour 
obtenir  une  rime'  aus  C  'ne  suis  point  empire'.     Hütte    er   nach  Die/,    faltrom.   Sp'rdkm. 

<ü  OC\      <.!„      ..,„1       .     •      ..i' 1 __       _       ••        1_  *     1  1  ,  T       ■  «■  •,!-,.  ,-.-      • 


,.  rcp;.-_. 
das  Ende  des  Verses,  um  das  Richtige  zu  treffen. 


J24  LITTEEATUR. 

Vergleich  der  Stelle  bei  Bourdillon  und  Konrad  bestimmt  gefunden,  pui  den 
Vorzug  zu  geben.  Es  passt  auch  gewiss  weit  besser,  wenn  Oliver,  der  besonnene 
würdige  Held,  um  die  Bewegungen  der  Feinde  zu  erspähen ,  einen  Hügel  be- 
steigt, als  wenn  er  auf  eine  hohe  Fichte  hinaufklettert.  Man  kann  aber  im 
Verse  selbst  eine  Bestätigung  dieser  Lesart  finden.  Er  lautet  bei  Mc.  Oliver  est 
desur  un  pin  haut  muntez  .  Nach  der  Bemerkung  Genin's  sind  die  zwei  letzten 
Worter  erst  nachträglich  und  von  anderer  Hand  hinzugefügt  worden.  Um  dem 
Verse,  der  eine  Silbe  zu  viel  hat,  aufzuhelfen,  setzte  nun  Gen.  statt  desur  bloß 
sur.  Einfacher  wäre  es  gewesen  den  1.  Vers  der  folgenden  Tirade  zum  Vorbilde 
zu  nehmen  und  haut,  eines  der  später  hinzugeschriebenen  Wörter,  zu  streichen. 
In  jedem  Falle  aber  bleibt  am  Ende  des  Verses  muntez,  welches  Wort  in  der 
U-Assonanz  nicht  passt.  Müller,  welchem  freilich  der  Umstand  unbekannt  war, 
daß  der  Vers  später  corrigiert  ward,  meinte,  man  dürfe  keine  Veränderung  vor- 
nehmen. Wir  können  aber  mit  einiger  Zuversicht  sagen ,  daß  in  der  ursprüng- 
lichen Lesart  von  A  Olivier  est  desur  un  pin  nur  das  Wort  montez  nach  est 
einzuschalten  und  pui  zu  lesen  ist.  Daraus  bekommt  man  den  ganz  richtigen 
Wers  c01iver  est  montez  desor  un  pui  ,  welcher  vollkommen  in  die  männliche 
U-Assonanz  passt. 

Der  Eber  (vers)  von  Tir.  58  ist  bei  H.  ein  Bär.  F  hat  in  der  That  un 
ors  . .  .  in  does  caenes'.  Und  der  Vergleich  mit  186  bestätigt  diese  Lesart.  Nicht 
so  überzeugend  dagegen  ist  Löwen  statt  urs  in  der  Tirade  185.  Konrad  (245, 
19)  hat  beides  Mewen  und  beren .  Bourd.  bloß  urs.  Die  Lesart  von  A  spricht 
schon  deshalb  mehr  an,  weil  später  ein  einzelner  Löwe ,  der  König  der  Thiere, 
vorkommt,  um   mit  dem   Kaiser  zu  kämpfen. 

115,  3  qui  pas  ne  fut  produme  der  floh  vor  keinem  Menschen.  Ob 
letzteres  richtiger?  Freilich  ist  jetzt  die  Reihe  zu  siegen  an  den  Heiden,  so 
daß  das  Lob  ihrer  Tapferkeit,  welches  ihnen  überhaupt  nie  vorenthalten  wird, 
am  allerwenigsten  hier  unangemessen  erscheinen  darf;  indessen  wäre  doch  zu 
erwägen,  daß  Climorin  in  Verbindung  mit  Geneion,  dem  Verräther,  gebracht 
wird,   daß    es   von   ihm   heißt    er   wollte   schänden   unserer   Väter   Land . 

40,  4.  Die  Stelle  ist  verderbt.  Guaz  vos  en  dreit  par  cez  pels  sabelines  . 
Müller  macht  verschiedene  Besserungsvorschläge,  Gen.  liest  Guaz  vos  en  dei  , 
und  beide  fassen  die  Stelle  so  auf,  daß  Marsilies  dem  Geneion  einen  Pelz  als 
Ersatz  für  die  ihm  angethane  Schmach  bietet.  Keller  übersetzt:  Hüllt  Euch  alsbald 
in  diesen  Zobelpelz'.  Auch  Bourd.  Ces  peax  de  martre  vos  doins  par  amendie  . 
Bei  IL  liest  man:  'Empfangt  ein  Pfand  für  Eure  Zobelpelze.  Es  scheint  hier 
Bezug  genommen  zu  werden  auf  den  (3  6,  12)  von  Geneion  abgeworfenen  Zobel- 
mantel. Worin  besteht  aber  das  Pfand?*)  Wie  gesagt,  die  Stelle  ist  dunkel, 
und  der  II.  Übersetzer  hätte  hier  gut  getban ,  in  den  Anmerkungen  den  Vers 
im   Originale   nach   der   ihm   vorliegenden   Recension   mitzutheilen. 

Auch  an  folgender  Stelle  (9  5,  23)  mag  die  von  der  gewöhnlichen  Auffassung 
abweichende  Übersetzung  auf  verschiedener  Lesung  beruhen.  Nuveles  vos  di,  mort 
vos  estoet  suffrir  .  Allerdings  ist  im  ersten  Ilemistich,  wie  man  es  bisher  aus- 
legte  ( wisset  es,  das  sage  ich  euch,   u.   s.   w.  )   weder  Sinn  noch   Ausdruck  recht 


*)  Delecluze,  welchem  die  große  Freiheit  seiner  Übersetzung  es  möglich  machte, 
sich  nach  Bedürfniss  seinen  Text  einzurichten,  hat :  "Vous  avez  gäte  ä  ce  moment  des  peaux 
zibelines . . .  avant  demain . .  .  la  reparation  de  cette  perte  sera  belle'. 


LITTERATUE.  125 

befriedigend.  Was  soll  aber  bedeuten  Und  einen  neuen  Tod  sollt  ihr  erleiden  ? 
Es  wäre  wohl  zu  hart,  den  Ausdruck  neuen  Tod  auf  die  früheren  Niederlagen 
der  Heiden  zu  beziehen. 

Die  gewiss  verdorbene  Stelle  CLXXII,  5  —  6  Deus!  meie  culpe  vers  les 
tues  vertuz  De  mes  pecchez  etc.  ,  welche  MI.  nach  B  in  m.  c.  rend  as  t.  v. 
bessern  wollte,  wird  nach  F:  Deus  miserere  per  la  toa  vertu  durch  Erbarm' 
dich,   Herr,   um   deiner  Tugend   willen    übersetzt. 

2  15,  5  statt  Biterne  findet  man  Gironde  .  Der  G.Vers  tient  sun  espiet, 
si'n  fait  brandir  la  banste  ,  dessen  letztes  Wort,  eben  so  wenig  wie  Biterne 
im  vorhergehenden,  in  die  U-Assonanz  passt,  wird  wie  folgend  übersetzt:  nimmt 
in  die  Hand  die  Lanze  von  Blandone .  Die  Abweichung  ist  ziemlich  stark, 
stärker  als  der  kleine  Verstoß   es   erfordern  würde. 

Überhaupt  findet  man  hie  und  da  die  Lesarten  von  A  durch  andere  ver- 
drängt, ohne  daß  die  Notwendigkeit  einer  solchen  Veränderung  recht  einleuchtete. 
So  gleich  im  Anfange,  Tir.  5.  Marsilies  verspricht  seinen  Baronen  Silber,  Gold, 
Länder.  Sie  erwidern  darauf  nach  A  De  90  avum  nus  asez  .  Der  Ausdruck  ist 
gerade  nicht  höflich;  soll  man  aber  deshalb  der  Variante  von  F:  Ben  dis  nostre 
avoge    den  Vorzug  geben?   C   bietet:     bien  s'en   doit   hom   pener. 

Nicht  selten  finden  sich  Abweichungen  in  den  Zahlen,  welche  in  den  ein- 
zelnen Handschriften  schon  durch  die  Bezeichnung  mit  Ziffern  großen  Schwan- 
kungen unterworfen  sind.  Im  Allgemeinen  scheinen  mir  die  Veränderungen, 
welche  H.  vornahm,  zum  Vortheile  des  Textes  zu  gereichen.  So  wird  T.  5  4 
statt  cent  richtiger  sieben  gesetzt;  der  Calif  flieht  nicht  mit  400  tausend  Mann 
(T.  55),  was  Karl  wahrscheinlich  auch  nicht  hätte  glauben  wollen,  sondern  bloß 
mit  dreitausend  *).  Gen.  hat  300  tausend.  Tir.  2  22  hat  A  im  ersten  Hemistich 
xi  milie  ;  diese  kleine  und  ungerade  Zahl  geht  wohl  nicht  an;  Bartsch  bemerkte 
richtig  (Karl  Meinet,  S.  120),  daß  xl  zu  lesen  ist.  Hertz  hat  r dreißig  .  Da  milie 
mit  dem  Accente  auf  dem  ersten  i,  also  zweisilbig  auszusprechen  ist,  so  fordert 
das  Versmaß  quarante',  wenn  man  anders  nicht  mit  Gen.  das  Wort  ben  am  An- 
fange des  Verses  hinzufügen  will.  —  Tir.  XIV,  10.  A  liest  De  ses  paiens 
veiat  quinze  .  Mich,  setzte  um  den  Vers  zu  vervollständigen  milies  nach  quinze. 
Da  der  Vers  noch  immer  um  eine  Silbe  zu  kurz  ist,  schrieb  Gen.  enveiat.  Daran 
hatte  er  wohl  recht,  da  ein  Verbum  veier  für  enveier  nicht  vorkommt;  hätte  er 
aber  Orelli's  treffliche  Bemerkung  (Altfr.  Gr.  S.  7  9)  berücksichtigt,  so  würde 
er  das  milie  entschieden  abgelehnt  haben.  Handelt  es  sich  doch  hier  nicht  von 
einer  Armee,  sondern  von  einer  Botschaft.  Auch  Konr.  (40,  2)  bloß  vunfzehen 
graven .  F  und  Bourd.  weichen  ab.  Zur  Herstellung  des  Verses  schlägt  Mül. 
vor,  das  zweite  Hemistich  'vos  enveiat  quinze  zu  lesen,  wo  also  enveiat  vier- 
silbig wäre.  Ich  würde  vorziehen,  vor  vos  noch  ein  Wort,  welches  dem  'einst 
von  H.  entspräche,  zu  setzen.  « 

Auch  in  Bezug  auf  Eigennamen  findet  man  einige  Unterschiede.  Von  den 
weniger  wichtigen  absehend,  will  ich  die  treffliche  Emendation  erwähnen ,  durch 
welche  in  der  Tir.  6  4  an  die  Stelle  der  unbekannten  oder,  besser  gesagt,  ver- 
stümmelten Namen  Joces ,  Jastors,   Guifier  die    richtigen   Otes,    Sansun,    Engelier 


*)  Im  Hemistich  e  :vi  iij.  c.  armez'  fehlt  aber  eine  Silbe.  Besser  ist  es  also  aus 
A  mir  'milie'  zu  streichen,  iiij  aber  beizubehalten:  'vi  iiij.  c.  armez1  gibt  das  richtige 
Versmaß. 


]2(j  I.ITTKhWTl'W. 

hergestellt  werden.  Ebenso  wünscbenswerth  wäre  es  aber  gewesen,  daß  man  der 
überzeugenden  Bemerkung  Ml.'«  zu  Tir.  9  6  Rechnung  getragen  und  statt  En- 
gelier  den  allein  richtigen  Namen  Gerina  gesetzt  hätte.  Dann  würde  unter  den 
Pairs,  von  denen  jeder  seinen  Heiden  erschlägt,  nicht  Gerins  vermisst  werden, 
Engelier  würde  nicht  zweimal  vorkommen  und  es  hieße  nicht  von  ihm,  daß 
Gerer  sein  Gefährte  war.  Aucb  Walter  geht,  wie  Ml.  ebenfalls  bemerkt,  in 
der  T.  101  nicht  an,  denn  er  ist  schon  früher  von  Roland  in's  Gebirg  geschickt 
worden.  D  hat  Hues  (häufig  mit  Otes  verwechselt);  Bourd.  Öles ;  Konr.  Haue. 
Zu  erwägen  wären  noch  die  Zweifel  Ml. 's  über  den  Namen  Marganices  (Anru. 
zu  V.  191  1)  und  der  Vorschlag  (zu  3017  ff.)  Naimes  und  Jozerans  nicht  als  Mit- 
anführer der  ersten  Schaar  anzusehen.  Eine  andere  Stelle  endlich,  wo  eine 
offenbare  Unrichtigkeit  vermieden  worden  wäre,  wenn  man  die  Ausgabe  Ml. 's 
gebührend  berücksichtigt  hätte,  ist  folgende.  In  der  Tir.  193  beauftragt  Ba- 
ligant seine  Boten,  dem  Könige  Marsilie  den  Handschuh  und  eine  Unze  reinen 
Goldes  cest  uncel  d'or  mer  zu  überbringen.  Und  wenige  Verse  darauf  wiederholt 
er,  sie  sollen  den  Handschuh  und  den  Stab  tragen.  Als  sie  sich  des  Auftrages 
entledigen,  übergeben  sie  Stab  und  Handschuh ,  welche  zwei  Gegenstände  auch 
bei  Gelegenheit  der  Botschaft  Carl's  an  Marsilie  vorgekommen  waren.  Vgl.  Tir. 
17,  19,  21.  Man  bemerke  endlich,  daß  das  angeführte  Hemistich  um  eine 
Silbe  zu  kurz  ist.  Liest  man  dagegen  mit  Ml.  'cest  bastuncel  ,  so  ist  alles  in 
der   Ordnung. 

Zur  Übersetzung  selbst  nur  noch  ein  Paar  unbedeutender  Bemerkungen. 
26,  1  Den  Handschuh  hielt  frz.  li  tent  .  Der  Ausdruck  reichen  schiene  mir 
besser  in  den  Zusammenhang  zu  passen.  —  92,  5.  Die  Worte  die  hier  geblieben 
u.  s.  w.  beziehen  sich  auf  die  Hinterhut;  auch  Keller  übersetzt:  'die,  so  hier  sind  : 
mir  scheint  aber,  die  Originalstelle  eil  ki  Va  sunt  auf  die  Armee  Karl's  zu 
deuten.  —  Ist  die  Veränderung  von  vermeils  in  grün  (7  9,  6)  absichtlich V 
Bei  einer  so  genauen  Arbeit  wie  die  vorliegende,  kann  man  selbst  bei  der  ge- 
ringsten Kleinigkeit  nicht  an  Willkühr  oder  Unachtsamkeit  glauben.  Vergönnte 
man  etwa  nicht  den  Heiden  die  Farben  blau  weiß  roth,  welche  später  die  Franken 
zu  Felde  trugen,  und  die  nach  der  vielleicht  nur  witzigen  Bemerkung  Genin's 
noch  immer  in  der  französischen  Tricolore  erscheinen?  —  13  2,  10  'Zum  Unheil 
zeigt  ihr  Eure  Tapferkeit  .  Möge  man proecce  oder  parecee  lesen,  so  bezieht  sich 
in  jedem  Falle  das  Verbum  auf  die  frühere  Weigerung  Roland's  das  Hörn  zu 
blasen:  mar  la  veismes  ;  das  Präsens  halte  ich  daher  für  nicht  sehr  passend. — 
240,  2  die  zwölf  Könige.  Ein  kleines  Versehen,  es  sind  deren  nur  zwei.  Vgl. 
T.  233  und  234.  —  256,  8  Des  francs  barons  i  ad  mult  grant  damage  der 
Frankenritter .  Ich  hätte  lieber  das  Wort  francs  als  Adjectivum  aufgefasst,  denn 
hier  wird  die  Tapferkeit  der  Heiden  nicht  weniger  gerühmt  als  die  der  Franken. 
Vgl.  in  der  vorletzten  Tiraxie  cune  caitive  franche'  von  Bramimunde.  —  Was 
bedeutet  racaler  radialer  in  den  zwei  Stellen  CXXXVI  (l  38),  4  und  CCXXX, 
5  (232,  ll)?  H.  folgte  der  Übersetzung  von  Gen.  und  dem  Glossare  von  Henschel, 
nach  welchen  dieses  Wort  antworten,  widerhallen  bedeutet.  Ich  kann  aber  nicht 
verstehen,  was  z.  B.  an  der  zweiten  Stelle  mit  hellem  Hörn  giebt  Antwort 
er  den  Freunden  'D'un  graisle  cler  racatet  ses  cumpaignz  bedeuten  soll.  Nicht 
deutlicher  wird  die  Stelle,  wenn  man  mit  Kell,  'ses -cumpaignz  als  Subject  auf- 
fasst:  mit  einem  helltönenden  Ilorne  antwortet  sein  Geselle.  Ich  schließe  mich 
daher    der    Ansicht    Gachet's    in    seinem    Glossar    zum    Chevalier    au    eygne    etc. 


LITTERATUR.  127 

(Bruxelles,    185  0)   an,   welcher    das   Wort   mit  ital.   accattare  raccattare  aus   ad- 
capi&re  in   Verbindung   bringt   und   ihm   die   Bedeutung   'versammeln    beilegt. 

Und  hiemit  will  ich  von  dem  anziehenden  Buche  Abschied  nehmen,  indem 
ich  dasselbe  noch  einmal  der  Aufmerksamkeit  jedes  Freundes  der  Litteratur  recht 
warm  anempfehle  und  zugleich  dem  innigen  Wunsche  Ausdruck  leihe,  daß  die 
in   Aussieht  gestellte   Recension   Ilofinann's   uns   recht   bald   erfreuen   möge. 

2.  Zu  den  drei  französischen  Prosaübersetzungen  des  llolaudsliedes  tritt 
nun  endlich  eine  vierte  poetische  hinzu.  Man  durfte  sich  in  der  That  wundern, 
daß  die  Franzosen ,  wenn  auch  zu  Übertragungen  in  Prosa  sehr  geneigt,  doch 
bisher  keinen  Versuch  gemacht  hatten,  ein  so  wichtiges  Denkmal  ihrer  National- 
litteratur  auch  in  poetischer  Form  allgemeiner  zugänglich  zu  machen.  Jetzt  scheint 
dies  aber  gar  von  zwei  Seiten  auf  einmal  geschehen  zu  sein;  wenigstens  sagt 
J.  Michelet  in  einer  Zuschrift  an  den  Übersetzer:  'Je  lis  dans  l'Opinion  natio- 
nale du  12  (aoüt  186  0)  que  vous  avez  un  coneurrent,  M.  Assolant,  qui  vient 
de  donner  la  mort  de  Roland  .  Wenn  damit  wirklich  eine  Übersetzung  unseres 
Epos  gemeint  ist,  so  kann  man  sich  der  Hoffnung  hingeben,  daß  sie  ihren  Zweck 
vielleicht  mehr  erreicht  habe,  als  die  Arbeit,  welche  wir  hier  besprechen.  Denn 
was  H.  Jönain  uns  bietet,  kann  man  mit  dem  besten  Willen  nicht  für  das  gelten 
lassen,  was  es  sein  will.  Er  bringt  wohl  lobende  Zeugnisse  bei,  und  von  Männern 
von  gutem  Geschmacke,  wie  von  Jules  Michelet  und  dem  liebenswürdigen  neu- 
provenzalischen  Dichter  Fr.  Mistral ;  sie  werden  aber  gewiss  nicht  vermögen, 
Jene  zu  überzeugen,  welche  von  einer  Übersetzung  eine  treue  Darstellung  des 
Originals  erwarten.  H.  Jönain  sagt  in  seiner  Vorrede,  S.  XIII:  J'ose  traduire 
le  Roland  presque  vers  pour  vers.  Mais  voiei  que  j'ose  plus  encore:  l'abreger . 
Das  erste  Wagestück  findet  sich  aber  in  seinem  Buche  nur  sehr  selten  :  in  einem 
um  so  ausgedehnteren  Maßstabe  führte  er  das  zweite  aus.  Man  hat  schon  lange 
bemerkt,  daß  mit  dem  Tode  Roland's  das  Interesse  um  ein  Beträchtliches  sinkt, 
daß  die  langwierigen  Kämpfe  zwischen  Karl  und  den  Heiden  manchmal  als  eine 
ermüdende  Wiederholung  erscheinen.  Es  mag  hier  allerdings  eine  Erweiterung 
der  Sage  stattgefunden  haben  ;  sie  muß  aber  wohl  in  eine  Zeit  verlegt  werden, 
wo  die  Tbaten  Karls  und  Rolands  noch  in  einzelnen  Volksliedern  gesungen 
wurden,  in  eine  Zeit  also,  welche  vor  jener  liegt,  wo  aus  den  einzelnen,  älteren 
und  jüngeren  Liedern  das  Volksepos  von  Roland  entstand,  von  welchem  uns  in 
A,  wenigstens  dem  Grundstocke  der  Sage  nach,  wahrscheinlich  die  älteste  Fassung 
bewahrt  ist.  Denn  in  dem  Epos  selbst  stehen  diese  Zusätze  in  einem  zu  innigen 
organischen  Zusammenhange  mit  dem  Ganzen ,  und  sie  dürfen  daher  durchaus 
nicht  verworfen  werden.  H.  Jönain  aber  war  anderer  Meinung ,  und  demnach 
behielt  er  vom  4.  und  5.  Gesänge  Genin's  nur  einige  Bruchstücke:  den  Tod 
Alda's,  das  Urtheil  über  Geneion  mit  dem  Zweikampfe  zwischen  Thierry  und 
Pinabel  und  die  Taufe  der  Bramimunde.  Nicht  weniger  willkürlich  verfährt 
er  mit  dem,  was  er  der  Mittheilung  werth  findet.  Schlachtbeschreibungen  werden 
bedeutend  abgekürzt,  Wiederholungen  fast  immer  gestrichen:  als  Ersatz  lässt  er 
hie  und  da  seiner  Phantasie  freien  Lauf.  Das  Gedicht  sagt  z.  B.  von  den  Kriegern, 
welche  ihrer  Heimat  bedenken,  mit  wirksamer  Einfachheit  les  remenbret.  .  .  des 
pulceles   e   des   gentils   oixurs ,     H.   Jon.   macht  daraus : 

La  tendre  vierge  en  penser  des  absents 
La  noble  L5pouse   aux  pnrs  embrassements ! 
und   gibt   dann   aus   Eigenem   hinzu : 

Que  les  hauberts  cachent  de  battements ! 


128  LITTEEATUE. 

Man  hat  bemerkt,  daß  im  ganzen  Epos  nur  ein  Gleichniss  vorkommt.  Dies 
könnte  als  ein  Nachtheil  angesehen  werden ,  und  H.  Jon.  hilft  dem  bei  Gele- 
genheit ab.      So   stürmen   bei   ihm   die   feindlichen   Heere   an    einander 

comme   trombes   formees 
D'ire,  de  foudre  et  de  destruetion. 

Wenn  nichts  dergleichen  sich  im  Texte  findet,  so  soll  dies  nur  unsere  Dank- 
barkeit für  den  schönen  Zusatz  vermehren.  Auch  mit  dem  richtigen  Verständ- 
nisse des  Originals  steht  es  nicht  immer  gut.  Da  aber  H.  Jon.  erklärt,  Genin 
gänzlich  gefolgt  zu  sein,  so  trifft  eigentlich  der  Vorwurf  nur  diesen.  Unter  die 
sonderbarsten  Missgriffe  gehört  aber  jedenfalls  die  Auffassung  von  V.  685  der  Uli. 
Tirade,  nach  welcher  der  Khalif  aus  lauter  Ungeduld,  Christ  zu  werden,  das 
Lager  Marsilie's  verlassen   hätte. 

Ich  will  aber  die  Leser  und  mich  selbst  nicht  länger  aufhalten.  Man  mag 
das  Büchlein  gerne  lesen,  man  wird  vielleicht  selbst  von  demselben  entzückt'  (ravi 
sagt  Mistral)  sein :  man  wird  aber  immerhin  behaupten  können,  daß  die  Fran- 
zosen auch  durch  diese  neue  Übersetzung  nicht  in  den  Stand  gesetzt  worden  sind, 
ihr  erstes  und  größtes  Nationalepos   in  seiner  echten  Gestalt  zu  genießen. 

WIEN.  ADOLF  MUSSAFIA. 

Neues  Hausbuch  für  christliche  Unterhaltung.  Herausgegeben  von  Dr. 
Ludwig  Lang.  VIII.  Band.  Augsburg  1861.  Schmid'sche  Verlagsbuch- 
handlung.   482  S.     8. 

Es  verdient  dieser  Band  bei  Freunden  deutscher  Sagenkunde  und  Mytho- 
logie Beachtung,  weil  er  werthvolle  Beiträge  aus  Hannover  und  Westphalen  ent- 
hält. Bernhard  Müller  theilt  nicht  weniger  als  5  3  Sagen  und  Gebräuche  aus  den 
genannten  Ländern  mit,  darunter  manches  Neue  oder  doch  in  neuer  Fassung.  So 
z.B.  Spinnengewebe  sind  Freier.  „Mach  mir  die  Freier  nicht  weg",  sagt  im  Münster- 
lande das  Mädchen,  wenn  es  sieht,  daß  jemand  ein  Spinnengewebe  wegputzen  will 
(S.  2  2  8).  In  Sögel  sagt  man  zu  den  Kindern,  die  auf  fremdem  Acker  Ähren 
sammeln:  „Nimm  dich  in  Acht,  daß  dich  der  Komoer  nicht  kriegt."  Den  Komoer 
denkt  man  sich  als  den  Beschützer  der  Kornfelder,  ebd.  Im  Monde  sitzt  ein  Mann, 
der  näht  ein  Hemd.  Jedes  Jahr  macht  er  einen  Stich,  und  wenn  das  Hemd  fertig, 
dann  vergeht  die  Welt,  ebd.  Ein  Weißbrod  heißt  Stuten.  Wer  die  letzte  Kruste 
vom  Stuten  bekommt,  muß  weinen.  Die  erste  Schnitte  heißt  aber  das  Lachköstken 
(S.  2  30).  Wir  haben  hier  zweifelsohne  die  Erinnerung  an  ein  altes  Gebildebrod,  das 
eine  Stute  darstellte.  In  den  Anmerkungen  ist  mit  lobenswertber  Sorgfalt  auf  die 
einschlägige  Litteratur  hingewiesen.  Auch  aus  Tirol  enthält  dieser  Band  mehrere 
Beiträge  zur  Sagenkunde  (23  5),  darunter  einen  längeren  Bericht  über  Wetter- 
glocken und  ein  interessantes  Märchen    „der  weiße  Reiter"   (S.  2  3  8). 

I.  V.  ZINGEKLE. 


ZU  HARTMANN'S  EREK. 

VON 

WILHELM  MÜLLER. 


Die  folgenden  Bemerkungen  zum  Erek  mögen  sich  an  die  von 
dem  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  (4,  192  fg.)  mitgetheilten  Verbesse- 
rungen anschließen.  Wenn  sie  auch  nicht  alle  das  Richtige  treffen,  so 
werden  sie  doch  die  Erkenntniss  begründen,  daß  der  Text  der  Aus- 
gabe von  Haupt  auch  nach  dem,  was  Andere  bis  jetzt  dafür  gethan 
haben,  noch  manche  Stellen  enthält,  welche  der  Berichtigung  bedürfen. 
Wenigstens  scheinen  mir  noch  mehrere  verdorben  zu  sein,  die  ich  in 
dem  Folgenden  nicht  berühre.  Bei  einer  neuen  Auso;abe,  die  allerdings 
wünschenswerth  ist ,  wird  es  angemessen  sein ,  die  Abweichungen  der 
Handschrift ,  auch  wo  sie  nur  die  Schreibweise  betreffen ,  in  einem 
größeren  Umfange  mitzutheilen ,  als  es  in  der  vorliegenden  geschehen 
ist.    Die  Kritik  kann  dadurch  unter  Umständen  sehr  gefördert  werden. 

42.     sine  fraget  nihtwan  durch  guot. 
Die  Handschrift  hat   mein  fraget  nur.     Da   sie   mehrfach    Worte   aus- 
lässt,  so  wird  zu  lesen  sein :  min  fromoe  fraget  wan  durch  guot. 

111.  Lies  under  ougen.  Die  Hs.  schiebt  seinen  ein,  undern  die 
Ausgabe. 

131.  L.  mit  iwem  hulden  statt  in.  Vgl.  Hartm.  L.  22,  4  ich  var 
mit  iuwern  hulden. 

149.     L.  do  oder  nü  statt  ouch. 
166.     er  tete  als  der  dem  leit  geschiht. 
Die  Hs.  der  dem  da.     Besser  ist  es  wohl  der  zu  streichen. 
199  fg.     sioes  friundinne  den  strit 
behielt  ze  siner  hochzit, 
daz  st  diu  schosnste  ivcere, 
diu  nam  den  spanvosre. 
Die  Hs.  neme  statt  nam.   Darnach  wird  behielte  und  nceme  zu  lesen  sein. 
324.     der  roc  was  grüener  varwe, 
gunzieret  begarwe, 
abehcere  über  dl. 

GEKMANIA  VII.  q 


130  WILHELM  MULLER 

Da  die  Hs.  giezieret  hat,  so  ist  gezerret  (zerrissen)  offenbar  richtiger 
als  <nntzieret.  Vgl.  Iw.  4928:  ir  hemde  toas  ein  sactuoch,  gezerret,  swarz 
wide  grnz.  Diese  Verbesserung,  die  bereits  im  nihd.  Wß.  3,  877 
mitgetheilt  ist,  rührt  von  einem  meiner  Zuhörer  her. 

377.  L.  kulter  von  (statt  und)  zenddle;  vgl.  En.  49,  18.  Parz.  549,  29. 
485  fg.  er  was  gewäfent  und  ich  bluz, 
des  iz  dd  benamen  gendz. 
Das  ist  dem  Sinne  nach  richtig;  aber  die  Hs.  hat  ich  doch,  was  von 
Lachmann  in  iz  dl)  geändert  ist ,  obgleich  die  Ausgabe  sonst  immer 
ez  schreibt,  ich  kann  auch  richtig  sein,  wo  dann  des  ich  dd  benamen 
lützel  gnoz  oder  ähnlich  zu  schreiben  wäre.  Vgl.  Iw.  700:  sin  ros  was 
starc,  er  selbe  groz;  des  ich  vil  lützel  gendz.  In  dem  ersten  Verse  ist 
wohl  ez  (daz  getioerc)  statt  er  zu  setzen. 

527.     wan  sin  herze  wart  ermant 
mit  dirre  rede  sä  zehant. 
Hier  vermisst  man  das  Object,  daher  vielleicht  leides  wart  ermant. 
625.     Die  handschriftliche  Leseart  dd  hiez  si  (se)  kann  bleiben. 
642.     er  hete  harte  missejehen, 
sioer  ein  wip  erkande 
niwan  bi  dem  geioande. 
Es  wird  missesehen  zu  lesen  sein,  wie  das  folgende   man  sol  einem  vnbe 
kiesen  In  dem  Übe  zeigt. 

651.     und  xoair  si  nacket  sam  min  hant. 
Doch  wohl   sam  ein  hant  wie  Er.  5400    und    sonst    mehr.     Die  Hand- 
schrift wird  sam  mein  hant  haben.     Daß  Erek  hier  spricht,   verschlägt 
nichts;   vgl.  MS.  1,  69a.     Vielleicht   ist  auch  selbst    nacket   in  bloz   zu 
ändern;  vgl.  hendebloz. 

724  fg.  ich  hän  mich  also  verre 
an  der  rede  uz  getan. 
Die  Hs.  hat  na  der  rede  uz  getan,  was  bleiben    kann;   wenigstens  wird 
sich  üz  tuon  gewöhnlich  mit  dem   Genitiv  verbunden.  Vgl.  Er.  8663. 
781   fg.     dd  von  in  geliche 
vil  gar  lobeliehe 
xo ol  diu  fünfte  just  ergie, 
daz  ir  deioeder  vertivälte  nie. 
Die    Handschrift    hat   verwalte,   und    das    ist   unbedenklich    in    vervälte 
(fehlte)  zu  bessern,  namentlich  da  w  und  v  in  derselben,  wie  in  andern 
Handschriften,    mehrfach  verwechselt  werden,    und   dem  Schreiber  die 
Tiunierausdrücke,  wie  andere  Stellen  zeigen,  nicht  geläufig  waren,   ge- 
välte   findet   sich   Gregor.    1446.     Auch   ist  wohl   V.    781    das   so   der 


ZU  HAllTMAKN'S  EREK.  131 

Handschrift  beizubehalten  oder  in   sus   zu   ändern   und   V.  786  hinter 
zerbrachen  ein  Punkt  zu  setzen. 

832.  Dieser  Vers  wird  von  Benecke  in  der  Zeit  sehr,  für  d. 
Alterth.  3,  266  geschrieben:  zesamne  liezens  sider  gdn.  Doch  hat  sider 
kaum  eine  Beziehung.  Es  geht  auch:  zesamne  liezen  si  dar  gdn.  Die 
Hs.  hat  Hessen  si  dir. 

877.     L.  ir  dewederre  statt  ir  ieheederre. 

933.  L.  von  sime  (statt  vorne)  geiioerge.  Die  Hs.  von  seine.  Vgl. 
995.  1030. 

939.  Daß  gegen  diesen  Vers,  so  wie  er  in  der  Handschrift  steht 
(uf  den  heim  er  verbaut),  nichts  zu  erinnern  ist,  hat  bereits  Benecke  im 
mhcl.  WB.  1,  136b.  bemerkt. 

1023  fg.     ezn  miiez  min  frowe  diu  künecßn 
xoider  ir  lasier  geret  sin. 
Die  Handschrift  hat  irs  lasters,  und  das  führt  darauf,  daß  xoider  falsch 
ist  und   ein  Verbuni  mit  dem  Genitiv   da  stand.     Ich  lese   deshalb    ir 
lasier  s   er  geizet  sin.    Vgl.   in   dem   Folgenden  besonders   V.    1028:   des 
sult  ir  ze  buoze  stän. 

1037.  Hier  steht  besser  nach  gerochen  ein  Punkt  und  V.  1043 
hinter  geslagen  ein   Comma. 

1114.     L.  ir  statt  in.    Die  Handschrift  im. 
1124.  sus  und  so  ist  schwerlich  richtig;  sus  allein  genügt. 
1247.     er  gwallte  mir  mit  siner  hant. 
Die    Handschrift   hat   geweitigt    mich.     Ich    stimme   Pfeiffer   (Germ.    4, 
199)   darin    bei,    daß    Lachmann's   Versuch    diese    Stelle    zu  bessern, 
verunglückt  ist;  doch  liegt  das  von  ihm  vorgeschlagene  er  betivanc  mich 
von  der  Handschrift  zu  weit  ab.     Ich  lese  er  gevalte  (fällte)  mich.   Vgl. 
V.  5566,  wo  gewalte  vom  Herausgeber  richtig  in  gevalte  gebessert  ist. 
1268.     Hinter  diesem  Verse  scheint  etwas  zu  fehlen. 
1287.     L.  von  rehte  statt  mit  rehte. 
1330.     L.  rehte  statt  reht. 

1335.  Benecke  (vgl.  mhd.  WB.  3,  878b.)  zieht  es  vor  der  Hs. 
mehr  zu  folgen  und  liest:  daz  (oder  des)  begunde  im  Erec  verzien. 

1358.     ich  mache  in  riclier,  daz  ist  war. 
Das  Wort  richer  fehlt  in  der  Hs.    Besser  ist:  ich  mache  in  rzclie.*) 
1440.     Hinter  diesem  Verse  ist  wohl  eine  Lücke  anzunehmen. 
1463.     L.  erivegte  statt  errahte-,  vgl.  Parz.  437,  28. 


*)  Die  einfachste  Änderung  wäre  riche,  mache  reich,  statt  mache.  Pfeiffer. 

9* 


132  WILHELM  MÜLLER 

1784.     ze  zu  streichen. 
1857.     daz  was  der  rninne  ungeicin. 
So  Lachmann;   die  Hs.  da — gewin.    Hiernach  wohl:  da  was  der  Minne 
gewin:  da  siegte  die  Minne,  was  sich  recht  gut  an  das  Folgende  anschließt. 
2104  fg.     ouch  vant  man  an  dem  guote 
niht  vil  sinr  ebenrlchen. 
Kein  besonderes  Lob  für  einen  König  der  Zwerge.   Ich  lese  niht  stnen 
ebenrlclien. 

2130.  Hier  wird  doch  wohl  äze  für  fräze  gelesen  werden  müssen; 
vgl.  mhd.  WB.  1,  760b. 

2134  fg.     da  von  ich  iu  kürzen  wil 

ze  sagenne  von  der  Wirtschaft. 
kurzen   ze   sagenne   ist   schwerlich    sonst  nachzuweisen.     Die    Hs.    wird 
ze  sagen  haben ,    setzt   aber  ze  vor   dem  Infinitiv   mehrfach  falsch.     Ich 
lese:  da  von  ich  iu  kurze  wil  gesagen  von  der  Wirtschaft.    Vgl.  6200. 

2227.  Es  wird  der  bei  Hartmann  (Er.  5679.  Iw.  1 182)  sich  wieder- 
holende Vers  ze  Britanje  in  daz  lant  herzustellen  sein.  Irlant  die  Hs., 
ir  lant  die  Ausgabe. 

2258.     deste  greezeren  vliz 
gäben  sine  reete 
wie  erz  da  wol  geteete. 
Obgleich  das  verstanden   werden  kann,   seine  Überlegung    war   um  so 
sorgfältiger,  wie  u.  s.   w.,  so  ist  es  mir  doch  höchst  unwahrscheinlich, 
daß  man  im  Mittelhochdeutschen  sagte  die  raitegehent  vliz,  wie.  Ich  schlage 
daher  vor:  deste  greezeren  vliz  gab  er  an  sine  rcete.  Statt  der  Präposition 
an  könnte  auch  eine  andere  stehen.    Vgl.  Hartm.  Büchl.  2,  79 ;  uf  daz 
selbe  wunschleben  so  het  ich  minen   vliz   gegeben  in  miner  frouwen  geweilt. 
2283.     Nicht  State  statt  mäht?  Vgl.  Benecke  zu  Iw.  2197. 
2483  fg.     im  was  des  äbents  geschehen 
des  groezllchen  wart  gejehen. 
Die  Handschrift   hat:    der  ward  groslichen    geyehen   im   icas    des   abends 
gescheiten.     Darnach  lese  ich:    des   wart   grazliche  im  gesehen,    swaz  des 
äbendes   was  geschehen.     Vielleicht   ist  auch  statt   grcezliche  ein  anderes 
Wort  zu  setzen. 

2520  fg.     daz  tet  der  icortwlse 

dem  künege  Artuse  bekant. 
Die  Handschrift  hat  zehant,  von  Lachmann  in  bekant  geändert;  außerdem 
fehlt   der   vor  worhclse.     Ich  schlage  vor:    daz   kunte   der  wortwise   dem 
künege   Artus  zehant.    Hartmann   sagt    im  Iwein  mehrere   Male  einem 
kunt  tuon,  nicht  aber  bekant  tuon. 


ZU  HAETMANN'S  EREK.  133 

2889.     den  zu  tilgen. 

2898.     und  zu  tilgen. 

2908.     zuo  swederre  siner  siten 

er  sinhalp  sach,  so  fröuter  sich. 
Die  Handschrift  hat  er  sich  doch  sach,   und    das   von  dem  Herausgeber 
gesetzte  sinhalp  ist  mindestens  überflüssig,  er  do  sach  reicht  aus. 

3308.     daz  er  den  andern  rite. 
Fs  ist  zuo  rite  zu  lesen;  vgl.  3315. 

3408  fg.     und  möht  man  dehein  ere 
an  wibe  Uben  hegän 
ez  solde  niht  so  ringe  stän. 
In  dem  letzten  Verse   verlangt   der   Sinn   iuch  niht   so  ringe  stän.    Ful- 
das   von    Lachmann    gesetzte   au    ivlbe    üben    hat    die    Handschrift    an 
weiben.    Dieses  kann  entweder  bleiben,  oder  es  genügt,  wenn  der  Vers 
eine  Verlängerung  nöthig  hat,  iht  an  wlben  begän. 

3550.     L.  die  hende. 

3595.     ein  vor  knabe  mag  bleiben;  vgl.  mhd.   WB.  1,  419b. 

3597.     Weshalb  das  handschriftliche  daz  in  des  geändert  ist,  ist 
nicht  zu  ersehen. 

3807.     ez  zu  tilgen. 

3955.     doch    ist    zu    streichen    und    für    deheinen    wohl    sinen    zu 
schreiben.     Vgl.  Iw.  4146. 

4009.     nu  vernemt  ivaz  irs  erholt. 
So    Lachmann;    aber    das    handschriftliche    waz  ir    tuon   solt   ist   nicht 
zu  ändern,  wie  schon  Benecke  (mhd.  WB.  1,  7031'.)  bemerkt  hat. 

4033.     von  dem  släfe  er  uf  erschrac. 
Die  Handschrift:  wider  auf.     Es  sind  beide  Worte  zu  streichen;    vgl. 
Gregor.  3533. 

4037.     stille  schrei  er:  wdfen! 
Daß  stille  nicht  richtig  sein  kann,  ist  schon  Zeitschr.  für  d.  A.  3,  269 
bemerkt.     Nach  Iw.   3511  und  Gregor.  162  schlage   ich  vor:    „wäfen," 
schre  er,  „wäfen!"  oder  lüte  schre  er. 

4138.     L.  nü  horte  si  si  zuo  varn.     In  der   Handschrift  fehlt  das 
zweite  si;  die  Ausgabe  setzt  si  in. 

4221.     Vor  sioerten  wird  den  einzuschalten  sein. 

4259.     L.  da  statt  do. 

4393.     Für  das  unrichtige  die  schilte  ist  die  schefte  zu  lesen. 
4535  fg.     min  gebart  ich  iu  nennen  sol. 
ich  warne  ez  vil  wol 
von  geburt  wesen  mac. 


134  WILHELM  MÜLLER 

In  der  Anmerkung  wird  vorgeschlagen,  cz  zu  streichen.  Eher  ist  das 
doppelte  gehurt  unrichtig  und  für  das  erste  gesläkte  zu  setzen.  Vgl.  4522. 
45(50.  ein  andr  getrüwent  eine  starke  Kürzung.  L.  ein  ander  trüwent. 
4912.  wand  er  in  starc  unde  guot  sach. 
Was  soll  das  heißen:  er  freute  sich,  weil  er  ihn  gut  sah?  L.  wand  er  in 
gesunden  sach. 

4945.     her  ist  zu  streichen;  vgl.  4893. 

4948.     Das  hdschr.  wurde  braucht  nicht  in  wart  geändert  zu  werden. 
4956.     Der  Sinn   erfordert:   ob   ir  im   dienstes    willic  Sit.    im  fehlt 
in  der  Handschrift. 

5052.     da,  von  Lachmann  in  daz  geändert,  ist  richtig. 
5172  fg.     ii  ich  die  hant  umb  leerte 
oder  zuo  gesläege  die  brä 
so  fuor  si  hin  und  schein  doch  da. 
st  lebete  ir  vil  werde. 
im  lüfte  als  üf  der  erde 
mohte  si  ze  ruoioe  sioeben, 
üf  dem   wage  und  drunder  leben. 
Die  Stelle   gibt   zu    mehreren   Bedenken    Anlaß.     Was   heißt  zu- 
nächst: die  Fee  war  in  kürzerer  Zeit  als  einem  Augenblicke    weg  und 
wurde   doch   da   erblickt?     Sie   konnte   an   zwei    Orten   zugleich    sein? 
Das  will  der  Dichter  schwerlich  sagen,  sondern  vielmehr,  daß  sie  sich 
in  unglaublich  kurzer  Zeit  von  einem  Orte  zum  andern  begeben  konnte. 
Dieser  Sinn  ergiebt  sich,  wenn  man    das  sä  der   Handschrift,    welches 
von  dem  Herausgeber  in  da  geändert  ist,  beibehält  und  dort  statt  doch 
schreibt  (so  fuor  si  hin  und  schein  dort  sä).     Will    man    aber  da  lesen, 
so  muß  doch    gestrichen   werden.     Was   heißt    ferner:   die   Fee   konnte 
sowohl  in  der  Luft  als  auf  der  Erde  schweben?  auf  der  Erde  schwimmen 
oder  fliegen?  Eher  ist  V.  5175  mit  dem  folgenden  enger  zu  verbinden, 
dagegen  mit  5177  ein  neuer  Satz  zu  beginnen  und  deshalb  slioas  statt 
was  st  zu  lesen.     Hiernach  lauten  die  Verse:    si   lebete   ir   vil  werde  im 
lüfte  als  üf  der  erde,  sie  mohte  ze  ruoioe  sweben  üf  dem  wage  und  drunder 
leben  d.  h.  sie  lebte  in  der  Luft  ebenso  behaglich  wie  auf  der  Erde,  sie 
konnte  auf  dem  Wasser  schwimmen  und  unter  dem  Wasser  leben.  — 
Dabei  ist  mir  freilich  der  Ausdruck  ze  ruoioe  noch  verdächtig,  weil  (las 
kaum  etwas  anderes  heißen  kann,  als  um  auszuruhen.  Passend  wäre  mit 
gemache.*)  Wollte  man  die  Interpunktion  des  Herausgebers  und  was  si 


:)  Am  nächsten  liegt  doch  wohl  geruowec,  vgl.  Myst.  II,  233,  22.  207,  6.  Megen- 
bere  S.  V,\'j.  Pfeiffer. 


ZU  HARTMANN'S  EREK.  135 

behalten,  so  bleibt  nichts  übrig  als  sioeben   und  leben   zu   vertauschen; 
also:  mohte   st  mit  gemache  leben,  üf  dem  wäge  und  drunder  sioeben. 
5183  fg.     unde  so  st  des  began, 
so  machte  st  den  man 
ze  vögele  ode  ze  tiere. 
Den    ersten    Vers    lese    ich :    und  so  st    des    gern    began  wenn    sie    es 
wollte.     Vgl.  5241 :  so  kreftecliche  liste  die  st  wider  Kriste   uopte  so  des 
gerte  ir  muot. 

5196.     die  wären  alle  undr  ir  haut. 
Es  wird  in  ir  liant  zu    lesen  sein;    vgl.    Iw.  3990.   mhd.  WB.   1,  629il. 
5204  fg.     der  tiuvel  was  ir  geselle. 
der  sante  ir  ze  stiure 
ouch  üz  dem  fiure, 
swie  vil  si  des  wolde. 
Das  Wort  ouch   passt  nicht  in   den  dritten  Vers ,    weshalb  Lachmann 
üf  dafür  vorschlug,    wohl    aber  in  den  zweiten.     Statt ßure  darf  helle- 
ßure  gesetzt  werden;  vgl.  Parz.  482,  8.  Ich  lese  also:  der  sante  ir  ouch 
ze  stiure  uz  dem  helle/ture,  sivie  vil  st  des  wolde. 

5229.     Der   Vers  verlangt    wohl :    danne   icwre    Fämurgän.     waire 
fehlt  in  der  Handschrift. 

5254.     ze  ist  zu  streichen;  vgl.  5129. 
5280.     L.  si  in  statt  st? 

5308.     mit  sorge  ergap  si  in  gotes  phlege.   Vgl.  Germ.  4,  218.  Ich 
möchte  lesen:  so  ergap  st  in  in  gotes  phlege. 

5371.     L.  üz  der  not.    der  fehlt  in  der  Hs.     Vgl.  Iw.  3864:  half 
dem  lewen  üz  der  not. 

5531.     er  weer  zem  ersten  erslagen. 
zu  dem  ersten   die  Hs.     Die    Annahme,  daß    bei  zem   ersten  das  Wort 
slage  zu  ergänzen  sei,  bedarf  noch  weiterer  Bestätigung ;  in  Gr.  4,  263 
werden  nur  ähnliche  neuhochdeutsche  Ausdrücke  angeführt.    Ist  schiere 
oder  schiereste  zu  lesen? 

5551.     L.  ern  släegez.  er  schlüge  es  die  Hs.,  er  sluogez  die  Ausgabe. 
5572.     daz  er  niene  künde  gesagen. 
nyemand  die  Hs.  Darnach  zu  lesen:  daz  ez  nieman  künde  gesagen. 
5811   fg.     also  daz  ez  im  wol  gezimt 

ob  mim  dtn  gwalt  danne  nimt, 

daz  selbe  reht  vinde  ich  mir. 

In  dem  ersten   Verse   hat    die   Handschr.  nit,    und   dieses    ist    eher   zu 

streichen  als  mit  Lachmann  in  im  zu  verwandeln.  In  dem  dritten  kann 

vinde  ich  mir  nicht   richtig    sein,    da  Enite   kein   Recht   zu  finden   hat, 


136  WILHELM  MULLER 

sondern  sich  Gottes  Richterspruche   unterwirft.     Es   ist  zu   lesen:   daz 
selbe  reht  vint  mir,  als  Anrede  an  Gott. 

5841.     L.  do   si  ir  deheinez    komen  sack,    si  ruo/te  etc.     Die  Aus- 
gabe mit  der  Handschrift  der  si  deheinez. 

5882  lese  ich:     hete  ich  umbe  den  versolt 
daz  im  geviele  mm  Up, 
dem  wolde  ich  sin  ein  stectez  wip. 
Die  Ausgabe  mit  der  Hs.   ich  hete,  mit  einem  Punkte  hinter  Up. 
5886.     von  diner  Ure  Jcumt  daz  ich 
also  verkere  den  site 
daz  ich  ivlp  mannes  bite. 
Das   Wort   lere   ist   unverständlich.     Welche   Lehre   hat   der    Tod    der 
Enite  gegeben?    Der  Zusammenhang  erfordert  minne:    meine   Liebe  zu 
dir  bewirkt  es,  daß  u.  s.  w. 

6027.     boum  zu  streichen. 

6132.     L.  geschihte  statt  geschulten. 

6228.  wand  ez  mag  iu  niht  vervän. 
Das  Wort  vervän  verbindet  Hartmann  in  der  Bedeutung,  in  welcher 
es  hier  steht,  im  Iwein  und  im  armen  Heinrich  mit  dem  Accusativ, 
und  dieser  wird  auch  hier  herzustellen  sein.  Wenigstens  sind  für  den 
Dativ  noch  sicherere  Belege  zu  suchen  als  diese  Stelle  und  die  im 
mhd.  WB.  3,  209a  aus  Laßberg  s  Liedersaal  angeführte. 

6230.  für  schaden,  der  oucJi  veige  ist. 
So  Lachmann  statt  des  handschriftlichen  der  euch  ivenig  frumb  ist. 
Daß  seine  Änderung  unverständlich  und  verfehlt  ist,  hat  Pfeiffer  Germ. 
4,  221  gezeigt.  Doch  fragt  sich,  ob  nicht,  mit  Hindeutung  auf  den  fol- 
genden Antrag,  zu  lesen  ist :  für  schaden  der  ouch  (oder  doch)  frum  ist ; 
vgl.  Iw.  S.  140.  Diesen  Vorschlag  unterstützt  der  Umstand,  daß  V.  6266 
der  Graf  sagt:  sehet,  nu  wirtiuwol srlun,  daz  iu  iwers  mannes  tot  frumt*\ 

6253.     Das  handschriftliche  da  dicke  kann  bleiben. 
6566.     des  teart  vil  ungefüege 

ir  geschrei  wider  dem  site. 
ir  /.läge  und  geschray   die  Hs.     L.  des  wart  vil  ungefüege    ir  klage    und 
schre  (sie  schrie)  wider  dem  site. 

6611.     L.  ern  weste  wie.    er  weste  niht   die  Ausgabe   mit  der  Hs. 

6627.     L.  wände  swem.  unde  sivem  Lachmann,  von  wem  die  Handschr. 


*)  Ich  halte  an  meiner  Emendation  fest  und  führe  zu  ihrer  noch  besseren  Be" 
gründung  au:  daz  ich  den  kumber  da/nkes  hä/n  gebunden  zuo  dem  beine  (für  unbe- 
deutend halte:  mhd,  WU.  1,  1U0'J.),  für  den  ich  lides  niht  enkan:  Hartmann's  Büchlein 
1,  1733.  Pfeiffer. 


ZU  HARTMANN'S  EEEK.  137 

6644.     L.  under  (statt  andern)  henken;  vgl.  Ivv.   1287.   1376. 

6686.     L.  unde  ir  freude.    ir  nicht  in  der  Hs. 

7284.     L.  sis  statt  siz. 

7398.  Das  handschriftliche  nach  äventiure  ist  von  dem  Heraus- 
geber in  üf  äventiure  geändert.  Doch  sagt  Hartmann  gewöhnlich  nach 
äventiure  riten.  Kommt  überhaupt  üf  äventiure  rtten  im  dreizehnten 
Jahrhundert  vor?   Im  mhd.  WB.  findet  sich  unter  äventiure  kein  Beispiel. 

7510.  weterwiser  verwirft  Pfeiffer  (4,225)  mit  Recht;  es  ist  werc- 
iviser  zu  lesen.     Vgl.  7467. 

7995.     Wohl  zu  lesen:  unz  ich  die  rede  baz  iveiz. 
8363  fg.     nu  habent  si  wol  gezzen 

und  sint  dar  nach  gesezzen 
und  retten  aller  hande. 

Daß  das  Präteritum  retten  nicht  recht  passen  will ,  scheint  der 
Herausgeber  selbst  gefühlt  zu  haben ;  aber  der  davon  abhängige  Genitiv 
edler  hande  verstoßt  auch  gegen  die  Grammatik.  Das  Richtige:  mit 
rede  aller  hande  lag  hier  nahe  genug. 

8399.     an  ist  auch  hier  zu  streichen,  wie  3003. 
8405  fg.     ze  jungest  er  in  an  sach : 
belangen  er  zuo  im  sprach. 

Das  Wort  belangen,  welches  meines  Wissens  außerdem  nur  noch 
in  der  heiligen  Elisabeth  und  Kindheit  Jesu  86,  76  vorkommt,  wird 
der  Schwabe  Hartmann  schwerlich  gebraucht  haben.  Der  Bedeutung 
nach  ist  es  „in,  nach  einiger  Zeit,  endlich,  kaum,  zögernd",  wie  W. 
Grimm  in  der  Zeitschr.  für  d.  Alterth.  3,  272  erklärt,  also  mit  ze 
jungest  in  dein  ersten  Verse  synonym  und  steht  deshalb  hier  unpassend. 
Wenigstens  wird  Niemand  den  Ausdruck :  „zuletzt  sah  er  ihn  an, 
endlich  sprach  er  zu  ihm",  sehr  geschickt  finden.  Ich  schlage  vor :  lange 
er  in  an  sach:  ze  jungest  er  zuo  im  sprach. 

8431.     die  berge  er  müele  kleine, 
ze  mulen  die  Hs.     Darnach  eher :  zermüeler  *). 

8438.     Das  handschr.  doch  zu  streichen,  nicht  in  ouch  zu  ändern. 

8449.     L.  sunderprls  statt  sundern  pris. 

8480.     L.  st  suochten  düäventiure  nach  der  Hs. 


*)  Nicht  müele,  zermüde,  sondern  mute  oder  zermüle,  zermalme,  vergl.  mhd.  WB. 
2,  28a.  In  einem  alten  Arzneibit  che  des  13.  Jahrb.,  das  ich  nächstens  herausgeben  werde, 
kommt  das  Verbum  müln,  klein  stoßen,  häufig  vor.  Z.  B.  nim  senef  und  mute  den  in 
einem  morscere  4b.  nim  solsequium  und  abrotanum  unde  salvei  unde  mlil  diu  driu  ze- 
samen  5b.  der  sol  nemen  diu  Meter  agrimonie  unde  mül  si  flizehlichen  u.  s.  w.        Pfeiffer. 


138  WILHELM  MULLER 

8493.     L.  erge  statt  ge.     Vgl.  8885. 

8534  fg.     da  ich  under  ttlsent  phunden 
wäge  einen  phenninc. 
Sinn  und  Zusammenhang  verlangt  wider  tusent  phunden:  ich  wage  einen 
Pfenning  gegen  tausend  Pfund. 

8601.     Statt  volbringen  hat  die  Hs.  verbringen,  also  wohl  für  bringe». 

8623.     L.  zen  toren  statt  ze  t. 

8712.     dar  gieng  ein  engez  phat. 
da  die  Hs.,  und  das  ist  richtig.    Parz.  226,  6  haben  alle  Handschriften : 
da  gent  unkunde  icege. 

8718.     die  vor  boume  zu  streichen. 

8780.     L.  iueh  riwen  statt  iu  riwen.  Ich  finde  diesen  Druckfehler 
nirgend  berichtigt. 

8938  fg.     an  hete  si  geleit 

einen  mantel  langen 
(da  het  si  sich  in  gevangen), 
daz  doch  ein  richer  sainit  was. 
Eine    starke    Änderung   Lachmanns,    die    aber    nicht    allein    unriöthig, 
sondern  auch  unzulänglich  ist,  weil  die  Worte  daz  doch  (welcher  Mantel 
doch?)    sich   eben   so   schlecht  an  das  vorhergehende  anschließen,  wie 
bei  der  Leseart  der  Handschrift.     Diese   hat:   einen  mantel  harmlin  da 
liet  si  sich  gefangen   in,   und   das    ist  ganz   richtig.     Nur  ist  härmtn  zu 
schreiben  und  in  dem  folgenden  Verse   dach  für  doch  zu  setzen.     Man 
lese  also:  einen  mantel  härmin,  da  hete  si  sich  gevangen  in:  daz  (oder  des) 
dach  ein  rieher  samit  was.     Der  Überzug   über   den   Hermelin   war  ein 
kostbarer  Sammt.  dach  in  dieser  Bedeutung  ist  bekannt  genug  and  steht 
auch  Er.  8236.     hermelin  auch  im  Engelh.  3102    in  hermin  zu  bessern. 

8966.     wan  sin  zuht  wart  vil  grdz. 
Kein  besonderes  Lob  für  den  König  Erek.   L.  was  statt  wart. 
8977.  78.     Die  Umstellung  des  Wortes  hie  ist  unnöthig. 
9084.     L.  genendeclichen  muthig  statt  ungencvdecUclien. 
9091.     L.  gerieten  trafen  statt  gereichten?   vgl.  Iw.  7087. 

9114  fg.     daz  die  eschinen  schefte 

kleine  unz  an  die  hant  zerkluben 
und  zwispilte  ilf  stiiben. 
Daß   das  von   Lachmann   gesetzte   zwispilte  unrichtig   ist,    hat   Pfeiffer 
(4,  228)  gezeigt.     Es  ist  zu  lesen:    und   daz  (die?)    spclteren   üf  stubcu 
mit  Anschluß  an  die  Hs.  und  nach  Lanz.  5294.   daz  den  degenen  milte 
die  starken  schefte  zerkluben  und  die  spelteren  üf  stuben. 


ZU  HAKTMANN'S  EREK.  139 

9164.     L.  daz  ez  statt  daz. 

9171  fg.     diu  da  gegenwürtic  saz, 
diu  gehalf  vir  manne  baz, 
ob  im  dehein  zwivel  geschach, 
sivenn  er  si  danne  wider  an  sach, 
ir  schcene  gap  im  niwe  kraft, 
so  daz  er  etc. 
Die  Handschrift  liest  den  zweiten  Vers:  da  geschvff '  ir  manne  baz, 
allerdings    unrichtig,    aber   Lachinann's   Vermuthung   hebt   den   Fehler 
nicht.     Der  Dichter  lässt  sich  fragen,  wie  Erek    und  sein  Gegner  den 
Kampf  so  lange  aushalten  konnten  (wie  erwerte  inz  der  lip?),  und  ant- 
wortet   darauf,    daß    das   ihre    Gattinnen    bewirkt   hätten.     Mabonagrin 
gewann  neue  Kraft  durch  den   Anblick    seiner   Geliebten ,   die  da  saß  ; 
Erek  wurde  durch  den  Gedanken  an  seine  Enite  bei  dem  Kampfe  ge- 
stärkt. Fasst  man  diesen  unzweifelhaften  Sinn  der  Stelle  in's  Auge,  so 
ergibt  sich  bald,  daß  es  durchaus   gegen  den   Gedanken    des   Dichters 
ist,    wenn    man   mit   Lachmann    diu   gehalf  ir  manne    baz    setzt,    weil 
Mabonagrin's  Geliebte  diesem  nicht  mehr  half,  als  Enite  dem  Erek,  der 
noch  nicht  im  Nachtheil  ist;  daß  dagegen  der  Fehler  nur  in  baz  steckt, 
wofür  daz  zu  schreiben  ist.    Man  lese  also:    diu  da  gegenwürtic  saz  da 
geschuof  ir  manne  daz  :  ob  im  dehein  zwivel  geschach,    sicenn   er  st  danne 
an  sach,  ir  schcene  gap  im  nitce  kraft.  —  ivider  vor  an  sach  ist  zu  streichen, 
weil  es  den  Vers  überladet  und  den  Sinn  stört. 

9219.     er  zu  streichen,  nicht  in  her  zu  ändern. 

9354.  55.     L.  daz  statt  des  und  allez  statt  al.    allein  die  11s. 

9397.     Nicht  an  daz  gras? 

9431   fg.     ouch  zceme  dirre  frowen  baz, 
diu  disiu  jär  hinne  saz, 
under  andern  iviben. 
wie  ir  mugt  beltben 
ein  also  wcctlicher  man, 
swie  mich  des  niht  verwundern  kein, 
ivan  bl  den  Hüten  ist  so  guot. 
Der  mhd.  Sprachgebrauch   verlangt   bei    zemeu   in    einem    solchen 
Falle  die  persönliche  Construction.     Es   ist   also    zu   lesen:    ouch  zceme 
disiu  frouwe  baz  under  andern  iciben;    vgl.    Er.  3740.    5892.     Büchl.   1, 
1469.     Hat   die   Handschrift   wirklich    dirre?     Das    Folgende    hat   der 
Herausgeber  dadurch,    daß   er  das  handschriftliche    wie  in  sivie  ändert, 
noch  unverständlicher  gemacht,    als   es  vorher    war.     Wackernagel  hat 
(Zeitschr.  für  d.  A.  3,  273)  durch  seine  Verbesserung  wie  mich  des  ver- 


140  WILHELM  MÜLLER,  ZU  EARTMANN'S  EEEK 

wundem  kan\    den   richtigen  Sinn   hergestellt;   nur  muß  wohl  wundern 
geschrieben  werden. 

9482  fg.     do  icolde  mir  min  ceheim 
des  niJit  langer  beiten, 
ichn  müeste  swert  leiten. 
verbessert  von  Lachmann,    ich  nam  das  schwert  zu  den  selben  zelten  die 
IIs.  Ich  lese  mit  genauerem  Anschlüsse  an  dieselbe :  do  wolde  min  ceheim 
mir  des  niht  langer  biten,  ichn  nceme  swert  zuo  den  ztten. 

9548.  49.     L.  hie  ist  statt  hie  wcer.     In  dem   folgenden  Verse  ist 
si  sprach  zu  streichen. 

9555  fg.     daz  ir  hie  inne  mit  mir  stt, 
wir  zwei,  unz  an  die  zit. 
wir  zwei  stört  und  ist  wahrscheinlich  zur  Verlängerung  der  Hartmann'- 
schen  Verse  von  dem  Schreiber  eingeschoben.    Es    wird  zu  lesen  sein: 
daz  ir  hie  inne  stt  mit  mir  unz  an  die  zit,  oder:  daz  ir  hie  inne  mit  mir 
stt  unz  an  die  selben  zit. 

9588.     und  zu  streichen. 

9592  fg.     wan  mit  mir  zoas  im  (dem  Hofe)  benomen 
elliu  sin  wünne  gar 
und  swaz  er  schcener  freuden  bar. 
und  was  es  die  Hs.  Darnach  muß  es  heißen:  und  was  er  schcener  freuden 
bar.    Vgl.  Er.  2988 :  sin  hof  wart  aller  freuden  bar. 
9617  fg.     daz  ist  da  nü  gehangen, 
unz  michs  mac  belangen, 
ungebläseti  manegen  tac 
daz  ich  diss  heimuotes  phlac. 
Wahrscheinlich  daz  michs  —  unz  ich. 
9672.     wis  gefreut  unde  gepriset. 
gefreut  ist  in  geret  zu  ändern;  vgl.  Er.  9945. 

9699.     L.  dort  sitzen  unde  weinenl    unde  fehlt  in  der  Hs. 
9723.     von  einer  stat  ze  Hute  erborn. 
Ist  ze  Hute  erborn  mittelhochdeutsch?     Ich  vermuthe,   daß   unter   Hute 
der  Name  der  Stadt  sich  verbirgt. 

9808  fg.     so  fluhen  si  daz  von  leide 
daz  si  dar  ninder  Immen 
da  st  freude  vernämen. 
Es  ist  entweder  daz  in  dem  ersten  Verse  zu  streichen,  oder  iender  für 
ninder  zu  lesen. 

GÖTTINGEN,  im  November  1861. 


141 


ÜBER  CHRISTIAN'S  VON  TROIES  UND 
HARTMANN'S  VON  AUE  EREC  UND  ENIDE. 


VON 

KARL  BARTSCH. 


Ob  Hartmann's  Erec  unmittelbar  nach  dem  französischen  Gedichte 
Christian's  gearbeitet  sei,  darüber  sind  die  Ansichten  noch  getheilt: 
zusammengestellt  hat  sie  Holland,  Chrestien  von  Troies  S.  32  fg.  Jetzt, 
wo  der  altfranzösische  Text  gedruckt  vorliegt  (Zeitschrift  für  deutsches 
Alterthum  10,  373 — 550) ,  wird  es  endlich  einmal  Zeit  sein  das  Ver- 
hältniss  beider  Gedichte  näher  zu  beleuchten,  wozu  der  Herausgeber  des 
deutschen  Erec  weder  Muße  noch  Lust  zu  haben  scheint.  Der  Eingang 
von  Hartmann's  Erzählung,  der  uns  vielleicht  auch  die  Quelle  genannt 
hätte,  ist  leider  verloren  und  erst  von  V.  127  des  französischen  Textes 
ist  die  Vergleichung  möglich.  Der  Inhalt  bis  dahin  ist  folgender:  Um 
Ostern  hält  König  Artus  Hof  zu  Karadigant  und  beschließt  den  weißen 
Hirsch  zu  jagen.  In  seinem  Gefolge  befindet  sich  auch  ein  Ritter, 
Namens  Erec,  der  an  der  Tafelrunde  großes  Lob  genießt.  Er  bietet 
der  Königin  Genievre,  die  hinten  nachfolgt,  seine  Begleitung  an,  die 
sie  dankend  annimmt.  Hiermit  beginnt  das  deutsche  Gedicht,  dessen 
ersten  Vers  M  ir  und  hl  ir  wiben  (worauf  vielleicht  reimte  beliben)  der 
Herausgeber  mit  Unrecht  weggelassen,  wie  er  selbst  S.  V  zugesteht. 
Gleich  der  Anfang  zeigt  eine  geringe  Verschiedenheit:  bei  Christian 
ist  die  Königin  nur  von  einer  Jungfrau  (127),  bei  Hartmann  von 
mehreren  (22)  begleitet.     Die  erste  übereinstimmende  Stelle  ist: 

138  mais  mout  i   orent  pou  este,  4  nu  riten  si  unlange  trist 

neben  ein  ander  beide, 
e   daz   si   über  die   beide 
quant  il   virent   un    cbevalier  verre   in   allen   gäben 

venir  arme  sor  son   destrier...  zuo   riten  säben 

143  delez  li   chevauchoit  a  destre  einen  ritter  selbe  dritten. 

une  pucele  de  grant  estre,  vor  ein  getwerc,   da  enmitten 

et   devant  lor   sor   un  roncin  eine  juncfrowen  gemeit 

venoit  uns   nains   tot  le   cbemin.  schcene   unde   wol   gekleit. 

Die  Königin  wünscht  zu  wissen,  wer  der  Ritter  und  die  Jungfrau 
sei  (Erec  erbietet  sich  zu  fragen,  sie  bittet  ihn  bei  ihr  zu  bleiben: 
Hartmann)  und  sendet  die  Jungfrau  [eine  ihrer  Jungfrauen  H.  22]  zu 
ihm.  Die  Jungfrau  geht  [ihre  Anrede  an  den  Zwerg  nur  bei  H.].  Der 
Zwerg  gebietet  ihr  umzukehren;  aber 


142  KAEL  BARTSCH 

169   la  damoisele  avant  s'est  traite,  47  diu  magt  enlie  niht  umbe  daz 

passer   vuet  outre,   a   force   faite.  sine   wolde   riten   fürbaz. 

Der  Zwerg  schlägt  sie  mit  der  Geisel,  die  er  trägt  über  [Haupt 
und  II.]  die  Hand  [die  sie  zum  Schutze  vor  das  Gesicht  hält,  Chr.], 
Sie  kehrt  weinend  zu  ihrer  Herrin  zurück.  Die  Königin  sagt:  was  bei 
Hartmann  Erec  denkt: 

189    ba,   Erec,  beax  amis ,  fait  ele,  65   Erec  dö  abten    began, 

192    mout  est  li  Chevaliers  vilains,  der  ritter  waer  kein  frum  man 

quant  il  sosfri  que  tel  faiture  daz  er  ez  vor  im  vertruoc 

feri  si  bele   creature  .  daz  sin  getwerc    die  maget  sluoc. 

Sie  bittet  Erec  zu  dem  Ritter  zu  reiten  [bei  Hartmann  erbietet 
sich  Erec  selbst  dazu] :  er  thut  es.  Der  Zwerg  gebietet  auch  ihm  um- 
zukehren [bei  H.  stellt  Erec  den  Zwerg  zur  Rede  und  wird  dann  auf- 
gefordert seiner  Wege  zu  gehen]  und  schlägt  ihn.  Erec  kehrt,  weil 
waffenlos  (H.  102,  vgl.  Chr.  233)  [beschämt  H.  105]  zur  Königin  zurück, 
der  er  sein  Leid  klagt: 

229  si  ma  le  nains  cuvers  blecie  118  daz  micb  ein   sus  wenic  man 

que  tot  m'a  le  vis   depecie,  so  lästerlichen  bat  geslagen 

ne  l'osai  ferir  ne  tocber.  und  ich  im   daz  muoz  vertragen, 

des  scbam  ich  mich  so  sere. 
Hartmann  fasst  die  seinen  Helden  beschimpfende  Situation  so  auf, 
daß  sie  ihn  nicht  in  dem  Maße  entehrt  wie  bei  Christian ;  bei  diesem 
gesteht  Erec  ganz  treuherzig,  er  habe  sich  vor  dem  Ritter  gefürchtet, 
weil  er  seine  Waffen  nicht  bei  sich  gehabt  *),  bei  Hartmann  schmerzt 
ihn  am  meisten  die  Schande,  vor  den  Augen  der  Königin  geschlagen 
worden  zu  sein,  sein  Leben  dünkt  ihn  nun  nichts  mehr  werth.  In 
beiden  Gedichten  aber  steht  sein  Entschluß  fest  die  Schande  zu  rächen. 
Indem  er  die  Königin  [die  ihm  von  der  Reise  abräth,  H.  146]  Gott  be- 
fiehlt, reitet  er  dem  Ritter  nach. 

Der  französische  Dichter  (269—335)  lässt  hier  die  Fortsetzung 
der  Jagd  folgen:  Artus  will,  als  Erleger  des  weißen  Hirsches,  sein 
Recht,  eine  Jungfrau  küssen  zu  dürfen,  nehmen ;  die  Königin  bittet  ihn 
es  bis  zur  Rückkehr  Erec's  aufzuschieben. 

Erec  folgt  den  Spuren  des  Ritters  [bis  zum  Abend,  H.  172]  und 
sieht  ihn  endlich  in  ein  Schloß  eintreten  (den  Namen  desselben  Tulmein, 
so  wie  den  des  Besitzers,  herzöge  Imäin,  hat  nur  Hartmann  174.  175, 
worüber  später),  wo  er  wohl  empfangen  wird.  Der  deutsche  Dichter 
erzählt  hier  nun  gleich   die  Veranlassung,   weswegen  der  Ritter  kam: 


*)  Doch  bemerke  ich,  daß  die  Verse  228  -238  in  der  Hs.  bei  San-Marte  (Arthur- 
Sage  S.  302)  fehlen :  dort  beginnt  die  Rede :  dame,  fait  il,  jou  vengerai   (=  Bekker  239). 


ÜBER  CHRISTIAN'S  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  143 

das  Sperberfest,  das  beim  französischen  Dichter  später  (551  ff.)  erwähnt 
wird.  Bei  Christian  folgt  Erec  dem  Ritter  in  das  chastel,  um  sich  zu 
überzeugen,  daß  er  in  demselben  bleibt,  dann  heißt  es  367  un  petit  est 
avant  alez,  et  vit  gesir  sor  uns  degrez  un  vavassor  auques  dejorz  =  H.  273 
do  sack  er  sitzen  da  einen  man,  der  was  gra,  sin  här  von  alter  sneiviz; 
das  stimmt  allerdings ,  aber  vorher  hat  Hartmann  erzählt ,  was  bei 
Christian  fehlt,  daß  Erec  in  der  von  Gästen  überfüllten*)  Stadt  (market 
222**)  keine  Herberge  findet  und  endlich  ein  altes  Gemäuer  erblickte, 
das  er  für  unbewohnt  hält  und  wo  er  unterzukommen  glaubt.  Vielleicht 
hat  Hartmann  Christian's  degrez  368  missverstanden.  In  der  Schilderung 
des  Alten  ist  der  deutsche  Dichter  ausführlicher;  beide  sagen,  er  sei 
arm  gekleidet,  doch  von  edlem  Benehmen  gewesen  (Chr.  370 — 72, 
Hartm.  286—288). 

Erec  geht  auf  den  alten  Mann  zu  [seine  Furcht  auch  hier  ver- 
trieben zu  werden  nur  bei  H.],  der  ihn  willkommen  heißt.  Der  Alte 
ruft  Frau  und  Tochter  (bei  H.  nur  letztere)  herbei.  In  der  Schilderung 
der  Jungfrau  müssen  wir  einige  gemeinsame  Züge  hervorheben,  die  für 
das  Verhältniss  beider  Dichter  bedeutend  sind: 
396   ...  sa   fille,   qui   fu   vestue  326   dar  under  was   ir  hemde   sal 

d'une  chemise,  par  panz  lee,  und  ouch  zebrochcn   eteswä. 

delie   blanche   et  ridee.  so   schein   diu   lieh   da 

404  mais  desoz  estoit  beax  li   cors.  durch  wiz  alsam   ein   swan. 

406  que  tote  i   avoit  mis  s'entente  338  ich  warne  got  sinen    vliz 

an   si  häte   geleit 

nature   qui  faite  l'avoit.  von   schoene   und   von   saelekeit. 

421    plus   ot   que  n'est  la  flor   de  lis  335   ir  lip   schein   durch   ir  salwe   wät 

cler  et  blanc  le  front  et  le  vis.  alsam  diu  lilje  da  si  stät 

under  swarzen  dornen  wiz. 
Der  französische  Dichter  ist  in  der  Schilderung  ihrer  Reize  aus- 
führlicher: ihm  eigentümlich  ist  der  Vergleich  mit  der  blonden  Iseut 
(418),  welche  Art  von  Vergleichen  er  liebt;  s.  unten  zu  2256  ff".  Das 
Erröthen  der  Jungfrau  beim  Anblicke  des  Fremden  hat  Chr.  allein. 
Der  Vater  gebietet  ihr  das  Pferd  zu  nehmen,  was  bei  Hartmann  etwas 
früher  gesagt  ist  (Chr.  444—448,  Hartm.  315—320).  Erec's  Einwand, 
es  zieme  der  Jungfrau  nicht,  und  des  Alten  Entgegnung  hat  nur  Hartmann. 
Die  Behandlung  des  Pferdes  ausführlich  bei  Christian  (453  —  462), 
während  Hartmann  sinniger  das  Glück  des  Helden  hervorhebt,  einen 
so  süßen  Schildknecht  zu  haben,  der  Gott  selbst  genügt   hätte:   anee- 


*)  Vgl.  Chr.  556  por  ce  sont  li  Jwstel  si  plaxn, 

**)  Dasselbe  kann  auch  Christian's  cJiastel  339,  303  heißen,  daher  auch  345  von 
rues  (vgl,  Hartm.  247)  die  Rede  ist. 


144  KARL  BAETSCH 

deutet  ist  ähnliches  bei  Chr.  456.  Die  Bewirthung  bei  Christian  in 
der  gewöhnlichen  Weise  der  Roinandichter,  aber  hier  unpassend,  weil 
erdenWirth  selbst  vorher  arm  nennt,  glänzend  beschrieben  (473 — 494); 
der  deutsche  Dichter  schildert  sachgemäß :  sie  hatten  keine  guten 
Teppiche  noch  bettewät  mit  Sammet  bezogen  u.  s.  w.,  auch  kein  reiches 
Essen,  der  gute  Wille  musste  es  ersetzen  (365 — 394).  Hartmann  erzählt 
uns,  wie  der  Ritter  arm  geworden,  und  wie  er  auch  jetzt,  wo  er  nicht 
einmal  einen  Knecht  halten  konnte  (412:  Christian  gibt  ihm  einen  480), 
mit  Zucht  die  Armuth  verhüllte.  Christian  legt  dies  dem  Ritter  selbst 
in  den  Mund,  der  auf  Erec's  unzarte  Frage,  warum  seine  Tochter  so 
ärmlich  gekleidet  sei ,  erwidert ,  er  habe  alles  im  Kriege  verloren,  und 
dann  ebenso  unpassend  seiner  Tochter  Schönheit  rühmt:  'sie  könnte 
von  ihrem  Onkel,  dem  Grafen  (vgl.  Hartm.  434)  Kleider  genug  be- 
kommen.' Daß  die  Anordnung  des  französischen  Gedichtes  auch  Hartm. 
in  seiner  Quelle  hatte,  geht  aus  469-^471  hervor,  wo  Erec  den  Wirth 
nach  seinen  Verhältnissen  fragt.  Erec  erkundigt  sich  nach  dem  Grunde 
des  Festes: 
543   donc  li  demande  qu'il  li  die  446  den   wirt  er  fragen  began 

dont  estoit  tex  chevalerie  waz  der  schal  von  den  liuten 

möhte  bcdiuten 
qui  ou  chastel  estoit  venue.  den   er  in   dem  markte  het  gesebn. 

550   et  li  vavasors  li  a  dit.  do   begunde  im  der  wirt  jehn. 

Hier  folgt  nun,  was  bei  Hartmann  früher  erzählt  war,  die  Ver- 
anlassung des  Festes;  die  Umstellung  ist  Absicht  des  deutschen  Dichters, 
nicht  hatte  seine  Quelle  seine  Ordnung,  denn  die  Übereinstimmung  mit 
Christian  zeigt  sich  auch  hier. 

559  car  devant  trestote  la  gent  187  het  er  hoch  an   eine   stat 

iert  sor  une  perche  d'argent  einen  sparwa?re  üf  gesät 

uns  espreviers  molt  bien  assis.  üf  eine  stange  silberin. 

567  s'il   i  a  Chevalier  tant  os  199  swes  friundinne  den   strit 

que  vuille  le  pris   et  le  los  behielt  ze  siner  höchzit, 

de  la  plus  bele  desranier,  daz  si  diu  schcenste  waere, 

s'amie  fera  l'esprevier  diu   nam  den  sparwaare. 

devant  touz  ä  la  perche    prendre. 

Hier  erkundigt  sich  nun  Erec  nach  dem  Ritter  mit  dem  Zwerge 
(Christ.  575—580,  Hartm.  455—459) ;  der  Alte  gibt  ihm  bei  Christian 
ausführlichen  Bescheid,  während  Hartmann  das  früher  erzählte  nur  kurz 
wiederholt  und  schon  hier  den  Namen  des  Ritters  nennt;  mit  jener 
früheren  Erzählung  stimmt  Christian. 
585  c'est  eil  qui  aura  l'esprevier  203  den  het  der  ritter  genomen 

sanz  contredit  de  Chevalier. 
589  par  deus  anz  l'a  il  ja  eu,  zwir,  ouch  was  er  komen 


ÜBER  CHRISTIAN'S  UND  IIARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  14,", 

c'onques   chalongiez   ne   li   fu.  215  [in   gctorstc   da   nieman   bestän] 

mais  se  il  encor  un  an  l'a,  daz  ern   zem  dritten   meme  : 

a  toz  jors  mais   deservi  l'a;  und   ob  ez  also  kajme, 

james  n'iert  anz  que  il  ne  l'ait  so  het  er  in  immer  mere 

quite   sanz   noise   et   sanz   plait.  äne   strit  mit  voller  ere. 

Weiter  berichtet  nun  Erec  seinem  Wirthe,  welches  Leid  ihm  der 
Zwerg  zugefügt :  bei  Christian  sagt  er  nur  cest  chevalier  ne  aing  je  pas 
596,  wozu  Hartmann' s  Bemerkung  und  lud  in  doch  sin  tingemach  461 
stimmt.  Er  bittet  den  Alten  um  Rath  (Chr.  601,  II.  494)  und  um 
Waffen.  Bei  Hartmann  theilt  er  gleich  seine  Absicht  mit,  Eniden  als 
seine  arme,  auf  das  Fest  zu  bringen  und  sie,  wenn  er  siege,  zum  Weibe 
zu  nehmen.  [Der  Alte  will  es  nicht  glauben  und  hält  es  für  Spott,  aber 
Erec  weiß  ihn  zu  beschwichtigen,  Ilartm.]  Der  Alte  bietet  ihm  seine 
Waffen  leihweise  (Chr.  608,  616,  vgl.  H.  599  daz  ichz  im  tihen  sohle) 
an.  Jetzt  bittet  Erec  um  Erlaubniss  mit  Eniden  gehen  zu  dürfen,  ver- 
spricht sie  zum  Weibe  zu  nehmen  und  nennt  Namen  und  Abstammung 
(Chr.  645,  IL  519).  Bei  Christian  freut  sich  der  Vater  dieser  Mit- 
theilung höchlich  und  verlobt  ihm  die  staunende  Jungfrau  (663 — 684); 
während  bei  Hartmann  der  erwähnte  Zweifel  auftaucht,  von  Verlobung 
nichts  gesagt  wird.  Am  andern  Morgen  reiten  Erec  und  Enide  (bei 
Hartmann  680  gehen  sie*)  nach  dem  Festplatze.  Vorher  erzählt  Chr., 
wie  ihn  die  Jungfrau  waffnet,  ferner  die  staunenden  Ausrufe  des  Volkes 
in  den  Straßen,  durch  die  sie  reiten;  Hartmann  dagegen  den  Empfang 
beim  Herzog  Imain,  der  Eniden  besser  kleiden  will,  was  Erec  nicht 
zugibt,  die  Glückwünsche  des  Herzogs  für  seinen  Kampf,  von  Messe 
und  Imbiß  vor  dem  Beginn;  auch  bei  Christian  bat  Erec  Messe  ge- 
hört, aber  in  dem  Münster,  der  Ausdruck  selbst  stimmt  genau: 
694   au   monstier   vont  orer  andui,  661    mit   dirre   rede   si   kamen 

et   firent   de   saint  espen'te  da   si   messe   vernamen 

messer   canter  a  un   bermite.  von   dem   beilegen   geiste. 

Auch  der  Ritter  mit  dem  Zwerge  führt  seine  Dame  zu  dem 
Sperber**).  [Grosses  Gedränge  des  gemeinen  Volkes,  das  der  Graf 
mit  einem  Stocke  abwehrt.  Der  Ritter  lässt  seine  amie  nach  dem  Vogel 
greifen:  Erec  tritt  hinzu  und  verhindert  es:  Christ.].  Erec  spricht 
zu  Enide: 
821   'bele    fait   il,    avant   venez,  685   frouwe,    Iceset  diu    baut 

l'oisel  h   la  perebe   prenez  :  und   nemt  den  sparwaer  üf  die  hant. 


*)  Allerdings  beißt  es  auch  bei  Christian  73G  Erec  n'i  voust  -plus  delaier,  anz 
s'en  va.  Dclez  li  ä  coste  cn  mainne  la  fille  son  oste,  genau  wie  bei  Hartm.  G82  erfuorte 
si.  an  shier  sUen;  aber  daß  beide  reiten,  gebt  aus  Chr.  714.  734  hervor. 

**)  Dies  sagt  zwar  TT.  nicht  ausdrücklich,  aber  es  ergibt  sich  aus  684.  0'.Qf>— GDO. 
GERMANIA  VII.  IQ 


140  KARL  BARTSCH 

Car  bien   est   droiz   que   vos   l'aiez.  wan   daz   ist   war  äne   strit, 

827   que   vos   ne   s'aparoille   nule.  liie   ist  niemen  schoener  danne  ir  sit. 

Hierauf  weist  bei  H.  der  lütter  Emden  zurück,  wie  bei  Chr. 
vorher  Erec  die  Geliebte  des  andern ,  bei  Chr.  wendet  er  sich  gleich 
an  Erec.  Der  sich  entspinnende  Wortwechsel ,  der  bei  Chr.  insofern 
naturgemäßer  ist,  als  die  Erbitterten  nur  in  kurzen  Sätzen  sprechen, 
endet  damit,  daß  sie  sich  zum  Kampfe  anschicken.  In  der  Schilderung 
desselben  stimmt  der  Verlauf,  nicht  die  Einzelheiten,  was  aber  nichts 
beweist,  da  hierin  jeder  Dichter  selbständig  verfahren  darf:  einzelne 
Züge  zeigen  indess  auch  hier  Übereinstimmung: 
860  par  assembler  les  chevax  poignent.  <65  zesamne  liezens  strichen. 
804   les   lances   eslicent   et   froissent.  779   die   schefte   flugen   in   von  der  hant 

zerbrochen   über   des   Schildes  rant. 
Bei   Hartmann  tröstet  Erec  im   Kampfe   die   weinende   Enide  *), 
bei  Christian  stürzen  beide   Kämpfer    vom   Rosse,    im   deutschen    Ge- 
dichte nur  Erec's  Gegner,    während    nachher   Erec   auf's   Knie    stürzt, 
sich  aber  bald  wieder  aufrafft.     Dann  heißt  es: 

881    li   chaples   dure   longuement.  880   der  nach  so  wart  dazspil  gegeben!**) 

tant  se   fierent  menuement  mit  manegem   fiurinen   slage... 

que   tuit   se   laissent   et  recroient.         884   so   sere   däz   die   zwene   man 

muoden    begunden. 
Iders  macht   den   Vorschlag ,    eine   Weile   auszusetzen ,    weil    ihre 
Schläge  schwach  und  nicht  mehr  männlich  seien  (Chr.  889 — 902  =  H. 
896 — 908).     Erec  ist  damit  einverstanden : 

900   Erec   respont    bien  avez   dit .  909   dö   was   Erec  der  rede   frö. 

lors   se   reposent   un   petit.  ze   ruowe   säzen   si   dö. 

Der  Kampf  beginnt  von  Neuem:  Erec  denkt  (was  bei  Chr.  während 
der  Ruhezeit  geschieht)  an  die  ihm  zugefügte  Schmach  und  blickt  zu- 
gleich auf  Enide:  durch  diesen  Anblick  gewinnt  er  neue  Kraft.  Auch 
in  diesem  Gedanken  stimmen  beide  Dichter  genau,  Chr.  911 — 918, 
II.  929-933  und 

905   Erec  regarde  934   und   als   er   dar   zuo   ane   sach 

vers   s'amie  die   seheenen   froun   Eniten, 

qui   por   li   si   durement   prie.  daz   half  im   vaste   striten. 

tot  maintenant   qu'il   l'a  vo"ue,  wan   da  von   gewan   er   dö 

li   est   molt  grant  force   creue.  siner  krefte   rehte    zwo  ***) 


i  Vgl.  Chr.  884  adonc  les  puceles  ploroient.  chaseuns  voit  la  soe  plorer. 

**)  Das  Bild  vom  Spiel  ist,  dem  deutschen  Dichter  eigenthümlich. 

;,::,::i:)  In  der  folgenden  Zeile  ist  die  handschriftliche- Überlieferung  nicht  anzutasten, 
was  auch  Pfeiffer  thut:  üf  iln>  /n/m  er  verbaut  ist  Spieleransdruck,  wie  das  folgende 
Bild  (941—  !>47);  vgl.  auch  871. 


ÜBER  CHRISTIAN/S  UND  HAK"  I '.M ANN'S  EREC  UND  ENIDE.  147 

Der  Kampf,  nach  beendigter  Pause  von  Chr.  noch  weitläufig  be- 
schrieben (926  —  978) ,  während  H.  mit  einem  Bilde  sich  begnügt 
(939 — 949),  endet  mit  der  Besiegung  Iders.  Es  heißt  wörtlich  über- 
einstimmend: 

979  Erec   per   le   hiaume   le   sacbe;  950   als   erm   den   heim   abe   brach, 

ä  force   dou   chief  li   esrache 
et   la  ventaille   li   deslace.  dö  lösterm   ouch   daz   hüetelin. 

Vgl.  auch  985  —  89  mit  Hartm.  952-956.  Der  Besiegte  behauptet 
Erec  keine  Beleidigung  zugefügt  zu  haben  (Chr.  1000,  H.  960)  und 
fragt,  als  Erec  mit  fja'  antwortet,  ganz  gleich: 

1003    ha  sire   qoi?    dites   le   donques,         985   er   sprach    wie   meinet   ir   daz? 

ich   gediente   nie   iwern   haz, 

ne  vos  vi,  moi  soveigne,   onques.  -wand   ich   iuch   nie   mere   gesach. 

Und  als  ihn  Erec  aufgeklärt,  sagt  er  bei  Hartmann,  was  ihm 
Christian  schon  vorher  in  den  Mund  gelegt  (Chr.  1005  — 6,  II.  1000 — 1). 
Erec  verlangt  als  Buße  bei  Hartmann  die  Hand  des  Zwerges ,  dessen 
Namen  Maledicur  (1076)  wir  bei  dieser  Gelegenheit  erfahren:  allein  er 
begnügt  sich  damit  ihn  durchprügeln  zu  lassen.  Davon  nichts  bei 
Christian,  der  auch  den  Namen  nicht  hat.  Der  Auftrag,  den  Erec  dem 
Ritter  gibt,  ist  in  beiden  Gedichten  derselbe  (vgl.  Chr.  1023 — 33  mit 
Hartm.  1079 — 1090).  Bei  Christian  nennt  sich  nun  der  Besiegte  und 
bittet  auch  Erec  um  seinen  Namen;  bei  Hartmann  thut  er  dies  frei- 
willig, den  Namen  des  Gegners  kennt  er  schon  (464).  Idiers  reitet 
weg.  Hier  holt  Hartmann  nach,  was  Christian  früher  erzählt  hat,  den 
Schluß  der  Hirschjagd  (1098 — 1148).  Die  Übereinstimmung  mit  dem 
französischen  Gedichte  zeigt  aber,  daß  dies  eine  absichtliche  Umstellung 
des  deutschen  Dichters  ist.  Vgl.  namentlich  folgende  Stellen : 
Chr.  276-278  =  Hartmann   1098—1100. 

281-283  =  1112-13. 

282  =  1104—5. 

327—333  =  1115—1148. 

Dann  geht  die  Reihenfolge  der  Erzählung  wieder  übereinstimmend 
weiter.  Der  Ritter  mit  seinen  Begleitern  kommt  nach  Kardigan  (Ca- 
radigani).  Dort  waren  gerade  Gäwein  (Walwän  II.  1151,  Gauwains 
Chr.  1084)  und  Key  (Kex  li  seneschaux  Chr.  1085,  der  trulisceze  Kenn 
H.  1152)  vor  das  Schloß  zusammengegangen  {es  loges  de  la  sale  fors 
Chr.  1083,  für  daz  kastei  II.  1156)  und  sehen  die  herankommenden. 
Sie  melden  es  der  Königin  (bei  Chr.  thut  es  Key  allein);  diese  steht 
auf  (Chr.  1122,  II.  1162)  und  tritt  an  ein  Fenster  (es  fenestres  en  est 
venue    1136  =  an   ein   venster    si   kam    1164).     Sie   erkennt    den    Ritter 

10* 


148 


KARL  BARTSCH 


alsbald  und  merkt  an  seinem  blutigen  Harnisch  und  zerstückelten 
Schilde,  daß  er  gekämpft  hat  (Chr.  1141.  1144-46=  Hartm.  1179-84). 
Bei  Christian  nimmt  Gawein  diese  Vermuthung  der  Königin  auf  und 
fügt  eine  weitere,  von  der  Königin  1141  —  4.3  angedeutete  hinzu;  bei 
Bartmann  spricht  die  Königin  selbst  sie  aus: 

1157   Erec   l'envoie   a  nos   ici  1189  od   er   hat   den   ritter   gesant 

en   prison,    en   vostre  merci ;  sigelosen    in   ditz   lant 

ou   il   s'en  vient  trop   folement  1187  und   ist   durch   ruom    her  komen, 


vanter  ici   par   hardement 
qu'il   a  Erec  veineu   ou  mort. 
ne   cuit  qu  autres   noveles    pnrt  . 
fait   la   roine    je   le   cuit'. 
bien   poet  estre    ce  dient  tuit. 
a   tant 

Ydiers  entre  en  la  porte 
qui   les   noveles   lor  aporte. 
Ydiers  vient  au  perron 

real; 

la  descendi  de  son  cheval. 
1175   quart  descendu  furent  tuit  troi, 
si   le   moinnent  devant  le   roi. 

lä  ou  Ydiers  vil  la  roine, 


jusque  devant    les  piez  1  ancline. 
1181    et   dist    dame , 

en   vostre  prison. 
m  envoie   ci   uns   gentis   hon. 

Sein  Bericht    ist   im  Französischen    kürzer,   aber  namentlich 
Schlüsse  wörtlich  mit  Hartmann  stimmend: 


daz   er   den   sige  hat  genomen. 

1  186  er  hat  Erecken   erslagen. 

1192  des   gedinge   ich   sere  . 

nu  jähens   alle   der   künegin, 
der  eintwederz   mühte  sin. 
dö  diu  rede  was  getan, 
Yders   üf  Kardigan 
gegenwürtic  üf  den   hof  reit 
zuo   einem  steine  der  was  breit. 

1201  der  was  gemachet  üf  dem  hüs 
daz  der  künic  Artus 
da  erbeizte  unde  ouch  üf  saz. 

1206  bi  dem   steine   erbeizte   er  sä. 
als   man   in   diu   ros   enphie, 
mit  dem  getwerge  er  dö  gie 
und   mit   siner  friundin 
mit  zühten   für  die   künegin. 
diu   bot  im   herlichen   gruoz. 
nu   viel   er  ir  an   den   fuoz. 
er  sprach  'frowe  riche, 
nu   enphähet   gnaedecliche 
in   iwer   gewalt  einen   man. 


1 2ö2  ir   dürft  umb   in   niht   sorgen : 
er  kumt  iu   selbe   morgen 
und   bringet  mit   im   eine  maget 
daz  iu  nieman   ensaget 
daz  er  keine  scheener  habe  gesehen. 


I  1 93  savez   vous   quant   Erec  venra  ? 
dame,   demain   si   amenra 
une  pucele  ensemble  o   lui 

c'onqucs   si   bele   ne   conui  . 

Die  Nachricht  erfreut  alle.  Hartmann  fügt  ein  kurzes  Lob  Erec's 
hei,  wovon  nichts  bei  Christian.  Bei  diesem  riith  Artus  der  Königin, 
was  sie  bei  Hartmann  von  selbst  thut: 

I  199  cortoisement   li   dist    amis, 

puis   qu'en   ma  merci   ci   es  mes, 


plus   en  iert  ta  merci  legiere. 
1220    cest   Chevalier  quite   clamez 
de   sa  person,   par  tel   covant 


1277   zuo  dem  ritter  sprach  diu  künegin 
iwer   buoze   diu   sol   ringer   sin 
danne   ir   doch   gearnet   hat. 


ÜBEll  CimiSTIAN'S  UND  HAETMANN'S  EKEC  UND  UN1DE.  149 

que   il   soit   des   or   en   avant  ich   wil   daz   ir  Lie   bestät 

de   ma   mesnie   et   de   ma  cort .  und   unser  ingesinde   sit'. 

1230  eil   gaires   proier   ne   s'eu   fist.  daz   muos   oueh   wesen   äne  strit. 

Beide  Dichter  kehren  nun  zu  Erec  zurück,  den  Christian  (12  40) 
mit  Tristan  vergleicht:  in  dem  Lobe,  das  ihm  das  Volk  spendet, 
stimmen  mehrere  Zeilen  genau,  Chr.  1244—49,  II.  1303—11.  Die  Be- 
merkung über  die  Schämigkeit  der  Frauen  (II.  1319 — 32)  kommt  dem 
deutschen  Dichter  allein  zu.  Des  Grafen  Einladung ,  bei  ihm  zu 
wohnen,  lehnt  Erec  ab : 
1259  Erec   respont  'ne   vos   ennuit,  1339  sus   antworte   er  im   du 

'herre,   wie  tret  ich  danne  so, 
ne   lairai   pas   mon   oste   en  nuit,  solt  ich   ininen   wirt  län 

qui   mout  m'a  grant  bonor  portee,  der  mir   vil  guotes   bat   getan  ? 

quant    il   m'a   sa   fille    donee.  1348  er   gap   mir   sine   tohter. 

Aber  die  weitere  Motivierung  bei  Hartmann,  der  Wirth  möchte 
denken,  Erec  thue  es  seiner  Armuth  wegen,  fehlt  beim  französischen 
Dichter,  der  ja,  in  Widerspruch  mit  der  ärmlichen  Erscheinung  von 
Vater  und  Tochter,  jenen  nicht  arm  erscheinen  lässt.  Da  Erec  ablehnt, 
so  beschließt  der  Graf  die  Nacht  bei  seinem  Schwager  zuzubringen 
(Chr.  1277 — 82.  Hartm.  1363  —  68).  Sie  kehren  heim,  die  Jungfrau  den 
Sperber  auf  der  Hand  (paist  sor  son  poiny  cest  esprevier  1298  =  wart  st 
äf  ir  haut  truoc  den  gewunnen  nparware  1376): 
1300   mout   avoit   le  jor  1379  sus   bäte   diu   magt 

conqueste  saeleclicbe   bejagt 

bonor   et  joie   et   seignorie.  von   lobe   micbel   ere: 

en   son   corage   estoit   molt   lie  doch   freute  si   sich   mere 

de   1  oisel   et   de    son    seignor.  von    schulden   ir   lieben    man. 

In  der  Beschreibung  des  Pferdes,  das  der  Graf  Erec  schenkt,  ist 
Hartmann  ausführlicher,  doch  stimmt  bezeichnendes: 
13<8  onques  meillors  n'ot  rois  ne  cuens.       1422  in   der  werlde   kein   man 

sebeener  phert   nie   gewan. 
1384  et   se   ne   vi   onques   plus   quoi.  1432   ez   was   senfte   und    frö. 

1391  ainz   va   plus   aise   et  plus   soef  1437  ez   gienc   vil   dräte   über   velt 

que   s'il   estoit   en   une   nef.  schone,   sam   ein   schef,    enzelt. 

Abschied  und  Abreise  sind  auf  gleiche  Weise  geschildert:  Erec 
lehnt  die  Begleitung  ab  (Chi-.  1441—44,  II.  1480—82).  Die  Trennung 
von  den  Eltern  schildern  beide  Dichter,  Hartmann  gemüthvoller ,  bei 
aller  Übereinstimmung  (Chr.  1450—52,  II.  1463 — 65);  Christian  schließt 
noch  einige  moralische  Betrachtungen  an  (1453  ff.). —  Erec  und  Enide 
unterwegs  (Chr.  1469-1506,  H.  1483  —  1496):  Christian  ist  ausführ- 
licher, weil  er  Emdens  Gestalt  beschreibt;  im  übrigen  stimmen  beide. 
Auch  ihre  Ankunft  an  Artus  Hofe :  nur  daß  bei  Härtmann  Artus  und 


150  KARL  BARTSCH 

seine  Ritter  ihnen  entgegen  reiten,  bei  Christian  nur  vom  Fenster  sie 
kommen  sehen  und  dann   auf  den  Hof  eilen.     Die   Namen   der  Ritter 

sind  genau  dieselben:  statt  Estors  Chr.  1518  liest  die  Hs.  Tors,  und 
so  schrieb  wohl  Hartmann,  der  et  lors  vor  sieh  hatte  (was  bei  Chr. 
17 IG  wirklich  steht).  Perceväus  und  ein  herre  genant  alsus,  der  künec 
Yels  von  Guides  ist  aus  1515.  16  et  si  vint  mes  sire  li  rois,  Kex  et  Ter- 
cevaux  li  Gcdois  hervorgegangen ,  indem  Hartmann  las  et  si  vint  uns 
sire,  li  rois  Kecs.  Die  Königin  nimmt  Emden  nach  der  Begrüßung  in 
Empfang  und  führt  sie  in  ihre  Kemenate,  wo  sie  andere  Kleider  be- 
kommt. Die  Rede  Erec's  vorher  (Chr.  1544—71)  lässt  Hartmann  aus. 
Die  Besehreibung  der  Kleider  (Chr.  1580—1660,  H.  1538—77)  ist  bei 
dem  französischen  Dichter  viel  länger,  was  Wunder  nehmen  muß,  da 
Hartmann  als  Anfänger  Schilderung  äußeren  Schmuckes  liebt.  Nur 
einzelnes  stimmt  genauer:  Enide  bekommt  einen  Mantel  (Chr.  1580, 
H.  1566),  mit  Hermelin  gefüttert  (Chr.  15S6,  H.  1567);  eine  Borte 
in's  Haar  (Chr.  1645,  II.  1572)  und  ein  schapel  (H.  1575,  un  cercle 
ovre"  a  flors  Chr.  1649).  Die  Einführung  von  Frau  Armuth  und  Frau 
Reichheit  ist  Hartmann  eigen  (1578-1609).  Die  Königin  nimmt  Enide 
bei  der  Hand  und  führt  sie  vor  die  Tafelrunde  (Chr.  1662  —  70,  H. 
1610—14). 

Nun  folgt  das  Verzeichniss  der  Ritter  an  der  Tafelrunde  (Chr. 
1679  —  1738,  H.  1628—1692),  wozu  als  drittes  das  in  der  Krone  2291 
— 2346  kommt.  Auch  in  dieser  Aufzählung  stimmt  das  meiste  in  der 
Reihenfolge  und  den  Namen  zu  Christian:  Chr.  1680—98,  IL  1628—46, 
wobei  nur  Folgendes  zu  bemerken  ist.  Groliold  Chr.  1683  hat  H.  des 
Reimes  wegen  in  Groharz  geändert;  li  laiz  IJardiz  Chr.  1685  durch 
Missverständniss  in  Layshardiz  verwandelt;  Melianz  dou  Liz  Chr.  1686 
(vermuthlich  Melianz  von  der  Lilie  und  identisch  mit  Meleranz  von 
Frankreich;  Krone  596  steht  Milianz  li  ros)  in  Meljanz  (besser  vielleicht 
Melianz,  denn  auch  bei  Christian  ist  der  Name  dreisilbig)  von  Uz  ;  Esliz 
Chr.  1693  in  Esus ,  vielleicht  nur  von  IL  verlesen;  H.  1649  Ywain 
jll  li  roi  UriMn,  Chr.  1694  et  Yvains  li  filz  Uriein,  ohne  den  Beisatz 
'König':  vielleicht  las  IL  et  Y.  filz  roi  U.;  Yvain  Vavoutre  Chr.  1696 
von  IL  missverstanden  und  als  Name  gedeutet  Iwain von Lafultere  1644; 
Yritin  ,h'  Caraliat  Chr.  1697  mit  leicht  erklärlicher  Verlesung  des 
ersten  Namens  in  Onam  von  Galiot  1645;  auch  der  folgende  Name  ist 
verderbt;  der  Chevalier  Licor  1699  ist  ganz  übergangen  und  aus  dem 
vallez  au  cercle  d'or  Chr.  1700  der  mit  dem  guldinen  bogen  II.  1648 
gemacht.  Im  folgenden  sind  von  Hartmann  hinzugefügt  Gärel  (vom  blü- 
henden Thale)    1649,   Titurel  1650  und  die  meisten  Namen  von  1665  -  92. 


UBE1J  CHRISTIANS  UND  HAETMANN'S  EEEC  UND  ENIDE.  15 \ 

So  weit  sich  Übereinstimmung  verfolgen  lässt,    ist  zu  bemerken:    statt 
Bliholtleherin,  wie  Haupt  1650  sehreibt,    las    Hartmann    wohl    Büoble- 
herins,  worauf  im   der   Hs.    deutet.     Die    bei    Chr.    1703— 6    folgenden 
fehlen  bei  Hartmann;  es  folgt  Karados  brie-braz  rmit  dem  kurzen  Arme' 
Chr.    1707,    woraus   H.    Garedeas    von   Brebas    1651    macht;    Gues   von 
Strauz  H.  1652  ist  le  cuens  d'Estraus   Chr.  1713,  wie  auch  vorher  aus 
d'Estrangot  Chr.   1698  ein  von  Strangot  1646  geworden;  Baulas  H.  1652 
muß    wohl    Saulas   gelesen    werden    und    scheint    aus    uns    chevaliers  de 
grant  solaz  Chr.   1707  entstellt,    indem    letzteres  Wort   als    Eigenname 
gefasstist;  II.   1658  Lis  von  quinte  carotis  aus  Chr.  1711   livallezd'Es- 
cume  carroua;  vermuthlich  las  die  französische  Hs.  d'escuine,  denn  auch 
Krone    2313    steht   von    Quine.     Ither   von    Gaheviez   H.    1657    ist    eine 
eigenmächtige  Änderung  des  Herausgebers;  die  Hs.  liest  liier  Gaheries, 
letzterer  Name  lautet  bei  Chr.   1713   Galeries,  mithin  ist  r  richtig,  auch 
die   Krone   hat    Galeres.     Glangodoans    H.    1658    ist    aus    zwei    Namen 
Grains   Gornevelns  Chr.   1715  entstanden  und  wohl  wieder  in  zwei  auf- 
zulösen:   Gran  Godoans.   Gareies  ist  Guerrees  bei  Chr.;  II.    1660  Estorz 
fil  Ares,  bei  Chr.   1716  et   Torz  li  filz    le  roi    Ares;    die  Hs.    hat  fifares, 
wie  sie  1640  las  filar eis,  woraus  der  Herausgeber  fil  li  roi  gemacht  hat ; 
auch  hier  ist  fil  li  roi  Ares  zu  schreiben.    Christians   Tavas,  <jui  onques 
d'armes  ne  fu  las  1717.   18  ist  bei  H.  ausgelassen;  für  Loliolz  Chr.  1720 
steht  Lohnt  II .   1663;    1664    scheint  Praverdüs  aus  li  desreez  1721  ent- 
stellt; Blerios  1665  vielleicht  aus  Bedoiers  1723.  Im  folgenden  ist  keine 
Übereinstimmung  mehr  zu  bemerken:    nur    Galerantins    li    Galois    1726 
ist    Galagaundris    und    Guides    1661    und    Breons    1735    stimmt    zu    H. 
1667  Brien. 

Wenn  Heinrich  von  dem  Türlin  (Krone  2348  ff.)  behauptet,  er  habe 
die  von  Hartmann  im  Erec  übergangenen  Namen  aufgeführt,  so  ist  das 
nicht,  wie  Haupt  (Zeitschr.  3,267)  meint, 'ungenaue  Erinnerung',  sondern 
die  Vergleichung,  die  Haupt  schon  damals  hätte  anstellen  können, 
da  die  betreffende  Stelle  gedruckt  war,  ergibt,  daß  Hartmann  manche 
Namen  nicht  nennt,  die  sich  in  der  Krone  finden,  die  aber  Christian 
hat,  zum  Theil  jedoch  auch  dieser  nicht.  Ferner  ergibt  die  Verglei- 
chung, daß  Heinrich  nicht  bloß  Hartmann's  Text  vor  sich  hatte,  sondern 
einen  französischen  Erec  oder  ein  anderes  französisches  Gedicht.  Statt 
E.sliz  Chr.  ]  693  liest  Heinrich  Elies,  wofür  Sommer  (Flore  S.  XXXIV) 
mit  Unrecht  Clies  vorschlägt;  den  Zusatz  Heinrichs  von  Landuz  hat 
weder  Christian  noch  Hartmann.  Von  Love  Urien  2300  ist  aus  zwei 
Zeilen  entstanden:  von  Lore  aus  (Yvain)  de  Lceuel  1695  und  Urien  aus 
(Yvains  li  filz)    Uriein    1694;    ein   Iwain   fehlt   demnach,    ebenso    Yvain 


[52  KABL  BARTSCH 

Vavoutre,  den  Hartmann  hat.  Lohencis  von  Ouein  2302  ist  entweder 
aus  Yvain  Vavoutre  oder  Ycain  d'Loenel  hervorgegangen,  her  Brantri- 
vlers  2303  fehlt  hei  Ohr.,  wenn  nicht  in  Braavains  1725  derselhe  Name 
steckt,  nicht  hei  Hartmann  1677.  BUos  von  Bliriers  2304  ist  Bleoble- 
heris  1702.  Die  heiden  folgenden  2305.  6  hat  weder  Christian  noch 
Hartmann.  / eures  von  Rämide  2307,  entstellt  aus  li  f eures  d' armes 
1705,  fehlt  hei  Hartmann:  der  Zusatz  der  gerner  streit  dan  er  het  vride 
zeigt  deutlich  Benutzung  von  Christian' s  Erec:  qui  mieuz  amoit  guerre 
que  pas  1706.  Chr.  1708.  9  uns  Chevaliers  de  grant  solaz  et  Caverrons 
de  Rebedic  bei  Heinr.  2310.  11  Cauterous  von  Solaz,  nach  dem  ein  recke 
Rebedinch:  solaz  demnach  ebenso  wie  von  Hartm.  missverstanden.  2315 
Galeres  von  Destrauz,  Chr.  1713  Galeriez  le  cuens  oVEstraus,  von  Hein- 
rich richtiger  als  von  Hartmann  gefasst;  missverstanden  ist  1714  Galez 
11  chamsf  Kr.  2316  Gäles  Lithanz.  Statt  Grains  Gorneveins  et  Guerrees 
1715  hat  Kr.  2318.  9  vier  Namen:  dar  nach  Gram  und  Gotegrin  und 
Gradoans  und  Caroes,  Gotagrin  ist  aus  Chr.  1431  heraufgeholt.  Kr. 
2320  Silares  aus  filz  (le  roi)  Ares  Chr.  1716  entstellt;  Kr.  2321  be- 
deutend entstellt  aus  Chr.  1717;  ebenso  Nebedons  2323  aus  Bedoiers 
172.*!;  Labigädes  2324,  aus  Labigodes  1729,  fehlt  bei  Hartmann;  Brainons 
2324  aus  Braauains  1725;  Quadoqueneis  2325  aus  li  cuens  Cadorcaniois 
1730;  Chr.  1726  bei  Heinr.  2326  nicht  so  entstellt  wie  bei  Hartm. 
1661.  Gronosis  2327  auch  hei  Chr.  1728  ebenso  Nelotons  2327,  entstellt 
aus  ne  Letrons  1731;  beide  fehlen  Hartmann.  Die  bei  Heinrich  fol- 
genden Namen  2328 — 44  sind  einer  späteren  Stelle  des  Erec  entnommen 
(Chr.  1923  ff.)  und  weiden  noch  besprochen  werden. 

Beim  Anblick  so  vieler  Ritter  schämt  sich  die  Jungfrau: 
1739  quaut   la   bele   pucele   estrangc  1707  also   si   dö   zuo   in 

von   erste   gie   zer  tür   in 

vit   toz   les   chuvaliers   en   ränge,  und   si   sitzen   gesach, 

1743  verpoi^ne    in    ot,    ne  fu  merveille.  schäme   tet   ir   ungeniach. 

la   face   en    devint   vermeille.  diu   rosen   varwe   ir   entweich. 

niais  la  honte   se   li   avint  1 730  dö   ir   varwe   wandel    nara, 

que   plus    vermeille   en    devint.  von   grözer   schäme  daz  gescliaeli. 

Das  dazwischen  liegende  Gleichniss  von  der  Sonne,  die  eine 
\\  olke  verhüllt,  gehört  Hartmann  allein,  ebenso  das  Staunen  der  Ritter 
über  Emdens  Schönheit.  Dann  aber  stimmen  beide  Dichter  wieder 
wi'h) lieh  : 

1747  quant   li   rois    la   vit  vergoignier,  1743  der   künec  gegen    ir   gic: 

1749  par    la   main    duueement   l'a   prisc  bi   der   haut   er   si    vie, 

die    frowen    Eniten, 
(et)    delcz    lui    a    destre    assise.  und    saztes    au    sin    siten 


ÜBER  CHRISTIANE  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  153 

de  la  senestre  part  s'asist  unde  anderhalp  sin 

la  roine.  die  tugonthaften   künegin. 

Bei  Christian  räth  man  dem  Könige,  das  Recht  des  Kusses  nicht 
länger  aufzuschieben,  bei  Hartmann  bedarf  es  dieser  Aufforderung  nicht. 
Folgende  Stelle  legt  Chr.  der  Königin  in  den  Mund,  die  Hartmann  in 
gleichen  Worten  erzählend  ausdrückt: 
1761  ja  ne   dira   nus   qui   ne   mente  1762  nü   wart   niht   wider   da   gestriten, 

que  ceste  ne  soit  la  plus  gente  sine  wasre  diu  schamste  da 

des  puceles  qui  ceanz  sont 

et   de   celes   de  tot  le   mont.  und  über  die  werlt  ouch  anderswä. 

Dann  hat  Hartmann  einen  Vergleich  von  Mond  und  Sternen,  der 
bei  deutschen  Dichtern  oft  begegnet,  Christian  nichts  entsprechendes. 
Bei  diesem  hält  Artus  eine  lange  Anrede  an  die  Ritter  und  wünscht 
auch  ihre  Meinung  über  die  Schönste  zu  hören.  Das  deutet  Hartmann 
nur  kurz  an  (1783 — 90),  ebenfalls  mit  Beziehung  auf  die  Gewohnheit 
von  Artus  Vater  Utpanclragon,  den  Chr.  Pendragon  nennt.  Dann  heißt 
es  in  wörtlicher  Übereinstimmung : 

1835  Erec   comme   cortois   et   frans,  1805  do   gedäht   der  tugentriche 

Erec   vil   ritterliche 
de  son   oste  fu   en   espans.  an   sines   swehers  annuot 

1840  qu'il  li   envoia  maintenant  unde  santim  schoenez  guot 

cinq   soniiers   sejornez   et  gras  1811  zwene   soumaere, 
chargiez   de   robes   et   de   dras.  der   bürde   was   vil   swajre, 

1844  mil  mars  d'or  et  d'argent  en  plates.  si  truogen   silber   unde   golt. 

Daß  diese  Geschenke  von  Artus  herrühren,  sagt  nur  Hartmann. 
Die  Boten  sollen  den  Alten  (Chr.  erwähnt  hier  auch  Enidens  Mutter) 
in  Erec's  Land  d'Oulre  Gates  1862  (3815  steht d'Estregales,  womit  H.  1818 
Destregdh  stimmt)  führten,  wo  er  zwei  Schlösser  (Chr.  1869-  70,  vgl.  1325 
29- H.  1827)  beherrschen  soll.  Erec  dünkt  die  Zeit  bis  zur  Hochzeit  lang: 
das  sagen  beide  Dichter  (Chr.  1906.  H.  1846);  aber  H.  führt  den  Ge- 
danken aus  und  malt  auch  Enidens  Empfindungen  (1846 — 85).  Bei 
Chr.  bittet  Erec  den  König  um  Erlaubniss,  an  seinem  Hofe  Hochzeit 
halten  zu  dürfen:  bei  H.  besteht  Artus,  was  passender  scheint  und 
wohl  deshalb  von  H.  geändert  ist,  darauf,  daß  Erec  bei  ihm  die  Ver- 
mählung feiere;  die  Worte  stimmen  bei  beiden ;  Chr.  1908 — 16,  Hartm. 
1888—95,  1899—1900). 

WTieder  folgt  ein  Verzeichniss  von  Namen,  das  Heinrich  (Krone 
2328  ff.)  fälschlich  für  eine  Aufzählung  der  Tafelrunder  hält,  worauf 
sich  vielleicht  sein  Tadel  Hartmann's  bezieht.  Die  Einleitung  dazu 
zei«[t  wieder  wörtliche  Übereinstimmung;: 


].-,4  KAKL  BAETSCH 

1920  je   vos   dirai,    or   entendez,  1901  im   nenne    ich   iu   die   grävun   gar 

qui   furent   li   conte   et  li   roi.  unde   oueh   der   fürsten   schar 

molt   [i]    vienent    ä  riche   conroi.  diu   zuo   den   Höchziten   kam. 

Hartmann  steht  hier  Christian  viel  näher  als  bei  dem  vorher  be- 
sprochenen Verzeichniss.  Abweichungen  sind  folgende:  Graf Brandains 
hat  bei  Chr.  1923  hundert  liosse,  bei  II.  1406  fünfhundert  Gesellen; 
ein  Zusatz  H.  wohl  nur  des  Keimes  wegen  ist  1916.  Bemerkenswert!! 
ist  außer  der  Übereinstimmung  der  Namen  die  in  der  Schilderung  des 
'gläsernen  Werdes'  hervortretende : 
1934  vint   Maheloas   unz   hauz   her,  1918  und   der  herre   Maeloas. 

li   sires   de   l'isle   de   voirre.  von   dem   glesinen   werde   genant: 

sus   stuont  ez  umbe  sin   lant 
en   cele   isle  n'ot  Ten   tonoirre  daz   dar  über  benamen  nie 

ne   n'i   chiet  foudre   ne    tempeste,  dehein   ungewiter   ergie: 

ouch   was   da  grözer  geinaeh, 
ne   boz   ne   serpenz   ni   areste  wan  man  da  nie  kein  wurm  gesach: 

n'i   fait   trop   chaut   ne  n'i  yverne.  da   wart  nie   kalt   noch   heiz. 

Heinrich  (Kr.  2328 — 36)  weicht  stärker  ab,  er  lässt  außerdem  die 
näheren  Beziehungen  auf  die  Länder  weg.  Aus  Loecestre  1923  macht 
er  Linis  2328,  aus  mens  de  Clivelon  einen  Elis  de  Clinton,  den  Sommer 
für  identisch  mit  Clies  hält;  Chr.  1927  lässt  er  aus;  Godegrains  1931 
stand  bei  ihm  früher  2318;  1929  und  1934.  35  sind  ihm  zu  einer 
Person  geworden,  2331;  Graislemiers  1940  in  Gaurn erans  (ohne  Beisatz) 
geändert;  Guilemers  in  Guinganiers;  aus  ile  d'Avalon  ist  ein  Manns- 
name Davalon  li  fiers  gemacht;  Guergesins  li  ditx  de  Hautbois  in  Gwir- 
nesis  li  isnel  2336  entstellt,  woraus  man  sieht,  daß  Heinrich  willkürlich 
französische  Beinamen  hinzufügt,  wie  einige  Zeilen  vorher  2334  li  fiers. 

Hartmann  unterscheidet  alte  und  junge  Könige,  jede  Partei  ist 
gleich  gekleidet.  Davon  sagt  Christian  nichts,  wenn  er  auch  bei  ein- 
zelnen Anzug  und  Tracht  schildert.  Die  Namen  der  fünf  ersten  (der 
jungen)  Könige  stimmen  mit  Hartmann :  die  Königssöhne  Coi  und 
Cadrez  Chr.  1960  lauten  bei  Hartmann  1974.  75  Com  und  Goafdroet; 
letzterer  Name,  wiewohl  Cadrez  sehr  unähnlich,  ist  doch  suis  filz  Cadret 
entstellt.  Beide  Dichter  sagen : 
1971   ne   n'i   ot   nul,   quelxque  i   tust,  1964  ieglicher   fuorte   üf  der   haut 

qui  faueon  ou  tercuel  n'eust.  vier  muzersparwsere. 

Die  Schilderung  der  alten  Könige  bei  H.  ausführlich  (1978 — 2072); 
nichts  davon  bei   Chr.,   der   aber    doch    in    den   Namen    und    einzelnen 
charakteristischen  Zügen  stimmt. 
J975  Quarrons   li   viauz   rois  2073  daz   was   der  künec  Jcrnis 

d'Ariel  von   Ried,    biderbe   unde   wis. 


ÜBER  CHRISTIASPS  UND  BARTMANN'S  EKEC  UND  ENIDE.  155 


n'i  amena  nui  jovcncel, 

ans  ot  coinpaignons  tex  trois  cenz 

dont  li   moins  Jones 

ot   sept  vinz   anz. 
les   chief  orent 

chenuz  et  blans, 
car  vescu  avoient  lonc  tans. 
les   barbes   ont  jusqu'as   centures. 


der  brähte   mit  im  dar 

eine   lobeliche    schar, 

driu   hundert   gesellen. 

der   alter  beeret  zellen. 
2083  der   aller  jungest,   daz  ist  war, 

der   het  vierzic   unde  hundert  jär. 
2079  in   was   daz   houbet   gar 

und   der   bart  snevar, 

nider  gewahsen   also   tief, 

daz   er  in   üf  die   gürtel   swief. 


Auch  in  der  Schilderung  der  beiden  Vettern  (H.  sagt  'Brüder') 
Beim  (Btlei)  und  Briens  (Brian*)  stimmen  die  Texte  überein  (Chr. 
1983  ff.  Hartm.  2085  ff.). 

Die  Vermählung  zeigt  einen,  wenn  nicht  bedeutenden,  doch  charak- 
teristischen Zug  der  Verschiedenheit.  Christian  bemerkt,  man  habe 
erst  am  Tage  der  Hochzeit  Emdens  Namen  erfahren  (2015 — 20):  dies 
ließ  Hartmann  als  deutscher  Sitte  widerstrebend  weg.  Der  Erzbischof 
von  Canterbury  (Chr.  2022,  H.  2124)  segnet  sie  ein.  Die  Schilderung  des 
Festes  ist  frei  behandelt,  doch  Übereinstimmung  der  Anlage  nicht  zu 
verkennen:  man  tanzt  (Chr.  2037,  H.  2141),  verschiedene  Arten  von  In- 
strumenten werden  genannt  (Chr.  2034,  H.  2151),  die  Spielleute  zeigen 
ihre  Kunst  (Chr.  2026  ff.  II.  2157  ff.),  sie  werden  mit  Kleidern  und  Rossen 
beschenkt  (Chr.  2103—8,  II.  2182),  die  Hochzeit  währt  14  Tage  (Chr. 
2109,  H.  2192).  Christian  allein  schildert  die  Freuden  der  Brautnacht 
(2071—98).  Artus  verlängert,  Erec  zu  Liebe  (Chr.  2113,  H.  2215), 
das  Fest  um  vierzehn  Tage  (Chr.  2114.  15,  IL  2213.  14).  Es  ist 
ein  Turnier  verabredet;  auch  hier  verräth  sich  die  Übereinstimmung 
deutlich  genug: 
2117  tuit   ensamble   communement 

empristrent   un   tornoiement. 

mes   sire   Gauvains   s'avanca, 

qui   d'une  part   le   fianca 

entre   Euroc   et   Danebroe. 

et   Meliz    et  Meliadoc 

1  ont  fiancie   d'autre   partie. 

Das  Missverständniss  Hartmanns  in  Bezug  auf  Euroc  und  Dane- 
broe ist  leicht  erklärlich,  wenn  man  erwägt,  daß  Hartmann  den  Gebrauch 
von  enire  vor  zwei  Namen  in  der  Bedeutung  zu  gleicher  Zeit,  zu- 
sammen' keimen  mochte.  Im  Folgenden  heisst  es  wieder,  genau  stimmend: 
2125  li   tornoiz   assemble   et   ajoste  2235  der  turnei   wart   gesprochen 

un   mois   apres   la   penteeoste  über   dri   wochen 

von   dem    nächsten   mäntage.  .  . 

desoz   Danebroe  en   la   plaigne.  2240  zwischen   Tanebroc  und  Prürin. 


2228  des   antwurt   Gäwein    zehant, 

die   solden   ouch   si   vinden   da. 
einen   turnei   nam    er  sä 
wider   dise   vier   gesellen, 
der   namen   beeret   zellen. 
Entreferich   und   Tenebroc, 
Meliz   und   Meljadoc. 


156 


KAHL  BARTSCH 


Prurin  hat  Haupt  nach  Parz.  134,  12  geschrieben:  die  handschrift- 
liche Überlieferung  weist  zunächst  auf  Euerln  oder  Eurln,  was  Chri- 
stian's  Euroc  2121  näher  steht:  die  Endung  ist  geändert,  wie  1683 
Grohoht  in  Groharz  des  Reimes  wegen,  wiewohl  auch  denkbar,  daß 
bei  Chr.  2121  Eurin  gestanden  oder  wenigstens  Hartmann  so  gelesen. 
Auch  Prurin  könnte  in  der  französ.  Hs.,  die  IL  vorgelegen,  schon  ge- 
standen haben:  in  jedem  Falle  aber  ist  sicher,  daß  Prurin  oder  Ev er 4n 
an  dieser  Stelle  aus  Chr.  2121  entnommen  ist,  indem  H.  einmal  den 
Namen  richtig  fasste ,  das  anderemal  ihn  und  Tanebroc  als  Personen- 
namen betrachtete.  Evenn  stimmt  auch  trefflich  zu  Entre-ferich  IL  2233. 
Eine  andere  Quelle  als  Christian  folgt  aus  dem  Namen  keineswegs. 
Auch  die  folgende  Beschreibung  des  Turniers,  namentlich  Erec's  Aus- 
rüstung, die  bei  Chr.  ungleich  kürzer  ist  (2128—2260),  bei  Hartmann 
V.  2247 — 2824  umfasst,  kann  recht  wohl  Erweiterung  des  deutschen 
Dichters  sein;  denn  soviel  Spielraum  hatte,  bei  aller  Gebundenheit 
an  den  Stoff,  auch  der  mittelalterliche  höfische  Dichter,  der  in  diesem 
Falle  sich  nicht  einmal  vom  Thatsächlichen  entfernte,  da  ja  auch  Chr. 
das  Turnier  beschreibt.  Auch  zeigen  einzelne  Seilen,  daß  IL  wirklich 
Chr.  Gedicht  vor  sich  hatte. 


2205  Erec  ne  voloit  pas   entendre 

ä  chevax  ne  chevalier  prendre, 
mais  en  joster  et   en  bien  faire. 

2161  Erec 

touz  sous  s'en  va  au  chief  dou  ranc 
per  joster,   se  il  trauve  a  cui. 
de  l'autre   part   encontre   lui 
muet   li   orgoilleus   de  la  Lande. 

2169  le   fiert   Erec   de   grant  vertu 
qu'ä  la  terre   l'a  abatu. 

2219  bien  le   fist  nies  sire   Gauvains. 


Gifflez  li   filz  Due  (et  Yvains) 
et  Sagremors  li   desreez 
ceus  de  lä  ont  si  conreez. 

2230  toz   estoit  retenuz   et  pris 
cpuant  Erec 

cort   a   la  rescouse. 

2172  et   Rinduranz   li   vint   avant. 

2179  Erec   tant  com   hante   li   dure, 
le   trebuche   ä   la   terre   dure. 

2213  que   jusqu'as   portes  les  embatent. 

2214  de   inon  seignor  Gauvain  vuil  dire, 


2429  ir  rosse   er   niene   ruocbte 
wan   daz   er  fürbaz   suochte 
ritterschaft   mere. 

2571  Erec  der  herre 

kam   hin  für  so   verre 
daz   er  justierens   state   gewan. 
engegen  reit  ein  frumer  man, 
der  höchvertige   Landö. 

2581   Erecke   dö  so   wol  geschacb 

daz   er  in   von   dem   rosse  stach. 

2665  her   Gäwein   der   edel   man, 

der  doch   nie   lasters    teil   gewan, 
unde   aller  tugende   wielt, 
iil   Don    Gilules   bi   im   hielt 
und   Segremors.     Dise  dri 
enthielten   vaste   wider   si. 

2675  doch   müestens   sin   gevangen 

2680  wan    daz   Erec   fil    de   roi    Lac 
schöne   in   geriten   kam. 

2692  widr   in  justierte   Boydurant. 
den  edeln   riter   entsazte  er 
ouch   mit  sinem  sper. 

2701  und   täten   se   änc   widerstrit 
vaste   unz   an   ir   bämit. 

2719  Gäwein   tet  ez    des  tages   da 


ÜBER  CHRISTIAN'S  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE. 


157 


2181 


qui   mout  le   fait   et   bien   et   bei. 
en   1  estor  abati 

Gulncel 
et  prist   Gaudin  de  la  Montaigne. 

le  roi  de  la  Roge   cite- 


en   son   encontre  a  encontre. 
2194  ceingles   ne   reinnes   ne   peitrax 
ne   poent   le   roi   retenir: 
k   la    terre   l'estuet  venir. 
ensinc  vola  jus   del   destrier : 
ne  guerpit  sele  ne  estrier, 
et  nes  les  rainnes  de  son  frain 
en  porta  totes   en  sa  main. 


2250 


2256 


guot   als   ouch   anderswä. 
2781  zwene  ritter  vienger  da  zehant: 

der   ein   Ginsei*)   was   genant, 

der  ander   Gaudin  de  Montein. 
2769  dö   sprach   ein   ritter  zehant, 

der  was  Royderodes  genant, 

daz   er  justieren    wolde. 
27  <  5  gegen   im   er  ze  velde  reit, 
2796  daz   im   daz  fürbüege   brach. 

darmgürtel    und    surzengel    brast. 
2801  er  viel   dö   im   misselanc 

vome  ros  wol   drier  schefte  lano. 

2799  im   beleip  ein  swachez  phant, 

der  zoum  zerbrochen  in  der  hant. 

2810  Erec  der  tugenthafte  man 

wart  ze  vollem  lobe  gesagt: 
den  pris  het  er  da  bejagt 
und   den   so   volleclichen 
daz   mann   begunde   geliehen 
an   wistuom   SalomOne, 
an   schoene    Absolöne, 
an   sterke   Samsönes   gröz. 
sin  milte  dühte  si  so  gnöz, 
diu   gemäzte   in   niemen   ander 
wan   dem   muten   Alexander. 

Entscheidend  für  das  Verhältniss  beider  Dichter  ist  namentlich 
letztere  Stelle.  Die  Vergleichung  von  Salonion  u.  s.  w.  **)  ist  kein  that- 
sächlicher  Zug  des  Gedichtes,  sie  ist  in  demselben  Geschmacke,  den 
gerade  Christian  auch  sonst  sehr  häufig  zeigt,  Personen  seines  Gedichtes 
mit  anderen  bekannten  Helden  und  Heldinnen  zu  vergleichen;  man  sehe 
418.  1240.  2066.  4910.  5730.  5843.  6296.  6625.  6629.  Unter  den  tur- 
nierenden Rittern  ist  kein  Name,  den  nicht  auch  Chr.  hätte.  Am 
Schlüsse  seiner  Schilderung  beschreibt  uns  H.  die  Freude  und  das  Leid, 
das  Enide  bei  dem  Rufe  der  Waffenthaten  Erec's  empfindet  (2825 — 50), 
ein  Zug,  der  Chr.  fehlt. 

Nach  dem  Turnier  nimmt  Erec  mit  seinem  Weibe  Abschied,  um 
in  sein  Land  heimzukehren  (Chr.  2261 — 64,  H.  2858—64);  sechzig 
Ritter  begleiten  ihn  (Chr.  2286.  87,  H.  2871.  72).  Der  Empfang  in 
seiner  Heimat  ist  bei  Chr.  mehr  ausgeschmückt,  namentlich  fehlen  bei 
H.  die  Geschenke,  die  die  Unterthanen  ihm  entgegenbringen. 


que   tuit   li   chevalier   disoient 
qu'il   avoit   le   tornoi   vaineu. 

il   sembloit 

Asalon   de  face 
et  de   sa   langue   Salomon. 
de  fierte"  resembloit  lyon, 
et  de   doner  et  de  despandre 
fu  pareilz 

le  roi  Alexandre. 


f)  Haupt  Ginsps,  aber  der  Reim  (:heT)  ergibt,  daß  Ginsei  die  echte  Lesart  ist. 
')   Vielleicht  lesen  andere  Hss.  bei  Chr.  2258  de  force  resemSloit  Samson. 


158  KABL  BAETSCH 

Erec's  Verliegen  schildert  Hartmano  anschaulicher,  doch  treffen 
beide  Dichter  ziemlich  überein.  Namentlich  verdient  eine  Stelle  her- 
vorgehoben zu  werden. 

2940  mais   onques   perce   ne   donoit  2957  swier   deheinen   turnei   suochte, 

de  riens   moins  a  ses   Chevaliers  daz   er   doch   beruochte 

armes   et  rabes   et   destriers.  sin  gesellen    algeliehe 

nul  leu   avoit  tornoiement  daz  si  vil  vollecliche 

nes   i   envoiast  vichement  von    in   selben   mohten   varn. 

por   tornoier   et  por  joster,  er  hiez   si   also  wol   bewarn 

que  qu'il  li  deussent   coster.  als  ob  er  selbe  mit  in  rite. 

Als  Enide  von  dem  Tadel  der  Leute  über  Erec  hört,  ist  sie  be- 
trübt; auch  hier  stimmen  beide  Dichter  genau  (Chr.  2451  —  60,  IL 
2998—3011).     Besonders 

2461  Tant  li   fu  la  chose  celee  3012  Nu  kam  ez   also  nach   ir  site 

qu'il   avint   une   matinee  daz   er   umb   einen   mitten   tac 

lä   ou   il  jurent  en   lor  lit.  an   ir  arme   gelac. 

Der  in  die  Kemenate  dringende  Sonnenschein  ist  Hartmann's 
Zusatz.  Bei  Chr.  schläft  Erec,  bei  H.  wähnt  Enide  nur  er  schlafe.  Sie 
klagt  über  sein  Verliegen,  ausführlicher  im  französischen  Gedichte.  Auf 
Erec's  Drängen  lässt  H.  sie  die  Befürchtung  hegen,  er  möchte  schlim- 
meres von  ihr  denken,  wenn  sie  schweige.  Im  Folgenden  ist  Chr.  weit- 
läufiger: Enide  wiederholt  noch  einmal  die  Beschuldigungen,  die  man 
von  Erec  sagt  (2528 — 63),  während  H.  nur  ganz  kurz  referiert  (3046 — 48). 
Hier  hat  der  deutsche  Dichter  mit  Takt  die  Redseligkeit  seines  Vor- 
bildes gemieden,  auch  in  dem  was  zunächst  geschieht,  den  Zurüstungen 
zur  Reise  und  der  Abreise:  hier  entsprechen  Chr.  Verse  2566 — 2748 
den  Hartmann'schen  3052—91;  dieser  Unterschied  wird  hauptsächlich 
dadurch  bewirkt,  daß  Chr.  eine  lange  Klage  Enidens  einschiebt  (2577 
— 98),  daß  Erec's  Wafihung  viel  ausführlicher  beschrieben  ist  (2612 — 40), 
daß  Erec's  Vater  eingeführt  wird,  der  den  Sohn  zurückzuhalten  sucht 
(2671  —  2727)  und  endlich,  daß  eine  wirkliche  Abschiedsscene  erfolgt 
(2728  —  48),  während  bei  H.  Erec  mit  dem  Vorwande  auszureiten  sich 
entfernt  und  in  der  Küche  sagen  lässt,  man  möge  das  Essen  bis  zur 
Rückkehr  bereit  halten. 

Erec's  Abenteuer  mit  dem  Raubritter  und  dessen  zwei  Genossen: 
bei  Hartmann  (3115)  sind  es  drei  Räuber.     Chr.  berichtet    uns    zuerst 
die  Gespräche  der  drei  Männer,  die  II.  etwas  später  folgen  lässt,  aber 
in  den  Ausdrücken  mit  Chr.  stimmend: 
2786  seignor,   savez,   que  je  vos  chanl?       3189  Nu   sprach   ein   roubasre 

fait   il   a  ces   deux  compaignons.  ich  sage   iu   liebiu   ma?re... 

se   orendroit  ne   gaaignons,  3199  hie   endet  unser  armuot. 

mauvais   serons   et  recreant.  .  . 


ÜBER  CHRISTIAN'S  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  ]59 

ci  vient  une   dauie  molt  bcle.  3195  er  frieret  eine  frouwen. 
ne  sai  s'ele   est  dame  oupucele; 

mais   molt   est  richement  vestue.  3198  ir  kleider   sint  herlich. 

2804  je   Tai   veu   premierement  3192  der  häte   si   von   erste   ersehen. 

et   porce   est   droiz   que  je   aille  3206  daz   mir  erloube .  .  .  iwer   munt 
faire   la   premiere   bataille'.  die   ersten  just   hie   zestunt. 

eil   li   outroient  et  il   point.  3214  do   gewerten   se   in   der   ere. 
desoz  l'escu  se  clot  et  Joint.  den   schilt  er  dö  ze  halse   nam. 

Bei  Chr.  bedingt  er  sich  das  Ross  der  Frau  aus,  bei  H.  sagt  er 
nur,  er  wolle  die  "Wahl  am  Raube  haben,  ohne  sich  näher  zu  ent- 
scheiden. Emdens  Selbstgespräch  ist  bei  Hartmann  länger  (3148 — 78, 
Chr.  2817 — 27)  und  in  den  Gedanken  abweichend,  aber  dann  heißt  es 
wieder  übereinstimmend : 
2828  vers   li   s'en   torne    isnelepas  3179  her   urnbe   si  zuo   im   sach 

et   dit,  vorhtlichen   unde   sprach 

sire,  que  pensez  vos?  sich  üf,   lieber  herre.  .  . 

ci   vienent  poignant  apres   nos  3184  dinen  schaden  mag  ich  nihtverdagen. 

troi  chevalier  qui  molt  nos  cbacent.  dir   sint  ritter  nähe   bi 

paor  ai   que   mal   ne   nos   facent.  die   dir   schadent,  mugen   si. 

Christian  lässt  auf  diese  Warnung  hier  wie  bei  den  folgenden 
Abenteuern  gleich  Erec's  Strafrede  folgen,  Hartmann,  was  passender 
ist,  nach  vollbrachtem  Kampfe,  wo  Erec  auch  bei  Chr.  nochmals  die 
Drohung  widerholt.  Bei  H.  redet  er  mehr,  worauf  sie  erwidert  und 
er  nochmals  spricht:  H.  2337—63  ist  bei  Chr.  2833—37.  Die  fol- 
genden Zeilen  Chr.  finden  sich  bei  H.  so  ausgedrückt: 
2838  ceste   fois   iert   pardonee:  3266  ich   wil   diz   ungerochen   län. 

mais   s  autre   foiz   vos   avenoit,  ob   ez   iu   immer  mere   gesehiht, 

ja  pardone   ne   vos   seroit.  ich   vertrage   ez   iu  niht; 

und  auf  Erec's  Tadel  erwidert  Enide  bei  Chr.  wie  bei  H. : 
2906  cele   respont    non   ferai   gie  3257  si   sprach    herre.  .  . 

james   sire,   s'il   ne  vos   plait.  3264  ez   gesehiht  mir   nimmer  mere. 

Bei  beiden  Dichtern  muß  Enide  die  Rosse  pflegen.  Den  Kampf 
selber  schildert  Chr.  eingehender  (2841—97),  H.  nur  kurz  (3215—33), 
aber  im  Ganzen  mit  denselben  Zügen.  —  Erec  und  Enide  reiten  une 
liue  2909,  bei  H.  dri  nule  3292 ,  als  ihnen  abermals  fünf  Räuber  (H. 
3297,  vgl.  Chr.  2911.  15)  begegnen:  was  Hartmann  von  ihrer  Gemein- 
schaft mit  den  früheren  sagt,  hat  Christian  nicht.  Eniden's  Selbst- 
gespräch ist  bei  Hartmann  ein  wenig  länger  (3352 — 76),  aber  in  den 
Gedanken  zusammentreffend.  Erec's  Antwort  auf  ihre  Warnung:  fole:t 
bei  Chr.  wieder  gleich,  bei  IL  nach  dem  Kampfe,  worauf  Enide  entschul- 
digend erwidert  (H.  3399—3438,  Chr.  2983—96).  Der  Kampf  bei 
Chr.    sehr   ausführlich   beschrieben    (2997—3052),    beschränkt    sich    bei 


160 


KARL  BARTSCH 


II.  auf  wenige  Zeilen  (3385—98).  Enide  muß  die  fünf  neugewonnenen 
Rosse  führen  (Chr.  3062  ff.,  H.  3439  ff.):  ihre  Führung  schildert  II. 
näher  (3442—70)  und  meint  sinnig,  die  wilden  Rosse  hätten  sich  ihr 
gefügig  gezeigt.  Chr.  hat  dafür  eine  Schilderung  der  Nacht,  in  der 
Enide  bei  dem  unter  einem  Baume  schlafenden  Ritter  Wache  hält  und 
über  das  ausgesprochene  Wort  klagt  (3070—3104). 

Es  begegnet  ihnen  ein  Knappe,  von  dem  es  übereinstimmend  heißt: 


3108  endroit  midi   uns   escuiers 

lor  vint  devant   en  un  valet. 
avec  lui  erent  dui  vallet 
qui  portoient  gastoax  et  vin 
et  gras  fromages   de   Gayn. 

3115  li  escuiers  fu   de  gran   vide. 
quant  il   vit  Erec 

et   Enide, 
bien   apercoit  que  il   avoient 

la  nuit  en   la  forest  geu. 


3489  nii   bekam   in   üf  dem   wege 

ein  knabe,  der  bet  in  siner  pblege 
gesoten   schultern   unde  bröt. 
3495  ein  kendel  fuorter  an   der  hant 

mit  wine. 
3498  du  dirre  knabe  zuo  reit, 

ze  vlize  begunder  scbouwen 
die  bekumberten   frouwen. 
3508  der  knabe   an   im   du   wol    sach 
daz  er  grözen   ungemach 
die   naht  het   erbten. 
Bei  H.  fordert  der  Knappe  sie  auf  in  dem  Schlosse  seines  Herrn 
einzukehren,    bei    Chr.  bietet   er  ihnen   nur  Speise  und  Trank  an,  was 
er  nachher  auch  bei  H.  thut : 


3128  sire,  je   crois   et  pans 

qu  a.  nuit  avez  molt  travaillie. 
3133  se   vos   plait  un   po   a  mengier, 
3136  li  gastel  sont  de  bei   froment, 
bon   vin   ai   et  fromages   gras. 


3531  mich   dunket  daz  ir  habt  gestriten 
und   gröze   arbeit   erbten, 
und  twinge  iuch  dehein  hungers  not, 
ich   fiier  hie  schultern   unde  bröt 
unde   vil   guoten   win. 


Unbedeutend  sind  die  Abweichungen,  z.  B.  daß  bei  H.  der  Knappe 
Wasser  in  seinem  Hute  holt,  damit  sie  sich  vor  dem  Essen  die  Hände 
waschen.     Dagegen  stimmt  wieder  wörtlich: 


3157  puis   a   devant   aus   estendue 
la  toaille   sor   l'erbe   drue. 
le  gastel  et  le  vin  lor  b;iille. 

3165  quant  maingie   orent  et  beu, 
Erec   cortois  et   sages   fu. 
amis     l.iit    il, 

en  guerredon 
vos   fais   d  un   de  mes  chevax  don. 
prenez 

celui 

qui   mieuz   vos   siet. 
3173  et  eil   respont  que   il  fera 

volentiers   quanque   lui   plera. 
puis   vint  es   chevax,   ses  deslie. 
le   vair  en   prent,   si    1  en   mercie. 


3551  die   twehel   leite    er   üf   daz   gras: 
dar   üf  die    spise   diu    da    was, 
fleisch   bröt  unde   wio. 

3555  als  si  du  gnuoc  äzen 
und   wider   üf  gesäzen, 
Erec  sprach   zuo  dem  knehte 
knabe,  ir  sult  von  rehte 
etelichen   Ion   enphän. 

3564  gesell,   nü   tuot   des   ich   iuch  bite 
unde   nemet   hie   die   wal 
under  der  rosse  zal, 
einz   daz   in   daz  liebste  si  . 

3574  der   knabe   daz  vil   gerne    tete; 

3579  als  er  du  ein  ros  genam, 
des  in  aller  beste  gezam, 
du  gnadet   er   im   verre. 


ÜBER  CHRISTIANE  UND  HARTMANNS  EREC  UND  ENIDE. 


161 


Mehr  weicht  das  Folgende  ab:  der  Knappe  bittet  bei  H.  Erec, 
Eniden  der  Rosseleitung  zu  entheben,  was  Erec  verweigert.  Der  Knappe 
führt  sie  in  das  Schloß  seines  Herrn,  der  ihn  fragt,  von  wem  er  das 
Ross  bekommen.  Der  Graf  ladet  Erec  und  Enide  ein  zu  bleiben:  Erec 
lehnt  es  ab  und  begibt  sich  in  ein  Wirthshaus.  Bei  Christian  lässt 
sich  Erec  durch  den  Knappen  sogleich  in  ein  Wirthshaus  führen,  der 
Knappe  kehrt  zu  seinem  Herrn  zurück,  der  an  ihn  dieselbe  Frage 
richtet  wie  bei  H.  (Chr.  3202,  H.  3609).  Bei  H.  reut  den  Grafen, 
der  sich  in  die  schöne  Frau  verliebt,  daß  er  sie  nicht  zurückgehalten, 
und  er  geht  in  Erec's  Herberge.  Auch  bei  Chr.  thut  er  letzteres,  be- 
gleitet von  drei  Rittern  (3252),  bei  H.  von  vieren  (3721).  Von  hier  an 
stimmen  beide  Gedichte  wieder  genau,  so  daß  kein  Zweifel  über  die 
Quelle  sein  kann. 


32  f  8  sire,   fait  il,  je   vos   demant 

congie,   mais   ne   vos   ennuit   or, 
par  cortoisie   et   par   doucor 
vuil   lez   cele   dame   seoir. 

3288  Erec   ne   fn   mie  jalous. 

3290  sire,    fait  il,   pas   ne   nie   poise. 

3296  et   li   euens   s'est   assis  selonc. 

3300  liay,    fait   li    euens,   molt  nie  poise 
quant  vos   alez   a  tel   vilance : 

grant  ennui   en    ai   et    pesance. 
3306  il   vostrc   beaute   eovenroit 

granz   honors   et  grant   seignorie! 
33 1 4  bien   sai   et   voi   que   vostre   sire 

ne  vos    aimme 

ne   no   vos  prise. 
3303  mais  se  croire  nie  voliez, 

honor   et  preu   i   auriez, 

et  molt  granz  biens  vos  en  venroit. 
3310  vos  seriez  m'amie   chiere 

et  dame  de  tote  rna  terre. 


3745  der   gräve    bat    in    fürbaz 
<laz   erz   lieze  äne  haz 

ob    er    ZUO    ir    s:vze .  .  . 

des    antwurt   im    Erec  dö  ■ 
gemocht  irs,  herre,  icb  bin  es  frö 
3751  er   sprach   als    er   zun    ir   ge-az: 
3756   mir  erbarmde   nie   so   serc 

weder    man    noch    wip 

als   iwer   wsetlicher   lip. 
3762  vil    na  ez    mineni    herzen    kam. 
3767  nu   zaemet    ir   wajrliche 

ze    frowen    an    dem    liehe. 

wer   gap    iueh    armen    solhem  man 

der   enmac   noch    enkan 

iueh   geren   ze   rehte? 
3777  und   hast   mich   iwer   got   gewert, 

ir  w;eret   bezzer   eren   wert. 

weit  ir,  noch  geschult  iu  allez  guot. 
3792  daz   ich   iueh   gerne   machen  sol 

ze   frowen   riisem   lande. 


Namentlich  entscheidend  ist  in  Enidens  Antwort  eine  Stelle: 

3320  mieuz  ameroie  ie,  fusse  ä  nestre  3816  wan  ich  wolde  erweln  e 

ou  en  un  feu  d'espine  arse,  daz  ich  lebende  hie  zehant 

si  que  la  cendre  fust  esparse,  ze  pulver  wurde  verbrant 

que  j'eusse  de  riens  fause .  .  .  und  man  den  zessete 

3328  je  non  feroie  en   nule  guise.  e  ichz  iemer  getaute. 

Auf  seine  Drohung  (Chr.  3329—43,  H.  3825-36)  nimmt  sie  zur 
List  Zuflucht:  die  erfundene  Erzählung,  daß  Erec  sie  ihren  Eltern  ge- 

GERMANIA  VII.  1 1 


J62  KARL  BARTSCH 

raubt,  hat  nur  Hartmann  *).  Daß  sie  ihrem  Gatten  das  Sehwert  stehlen 

wolle,  sagt  Christian   nicht.     Bei   beiden   Dichtern    muß    der    Graf  ihr 

schwören. 

3393  li   cuens   respont  liez  et  joianz  3896  lachende  antwurt  er  ir  dö 

ir  muget  iuch  mit  ruhte  erwern : 
tenez,  ma  foi  je  vos  fianz.  wand  ich  wil  iu  stsete  swern.' 

3399  lors  en  a  cele  la  foi  prise.  3900  diu  frowe  gap   im  den   eit. 

Nachts  schlafen  Erec  und  Enide  in  einem  Zimmer,  aber  gesondert 
(Chr.  3424—27,  H.  3948—53).  Emdens  Selbstgespräche  treffen  in  den 
Gedanken  überein.  Enide  weckt  Erec  und  theilt  ihm  die  Gefahr  mit, 
bei  Chr.  indem  sie  nochmals  berichtet  (3453 — 69),  bei  H.  besser  bloß 
beiläufig  berührt  (3995).  Erec  schenkt  beim  Abschiede  dem  Wirthe  die 
sieben  Rosse,  und  dieser 
3498  si   l'en   encline  jusqu'as   piez.  4015  der  wirt   neig   im   an   den   fuoz. 

Daß  er  den  Scheidenden  sant  Gertrüden  minne  bringt,  ist  ein 
deutscher  Zug  (4018—20).  Die  Ankunft  des  Grafen,  der  sich  ver- 
schlafen hat,  mit  neunzehn  (Chr.  hundert  3507)  Rittern,  seine  Ent- 
täuschung, sein  Gespräch  mit  dem  Wirth  und  die  Verfolgung  berichtet 
Chr.  sehr  gedrängt  (3506—20),  H.  ist  ausführlicher  (4027-  4112).  Erec's 
Verweis  folgt  bei  Chr.  gleich  nach  der  Abreise  (3501 — 5),  bei  H.  pas- 
sender unterwegs  (4119 — 37),  wodurch  ein  schicklicher  Übergang  zum 
folgenden  gebildet  ist.  Denn  auch  jetzt  hört  und  sieht  Enide  früher 
als  Erec  die  Gefahr,  was  H.,  der  die  Unwahrscheinlichkeit  fühlte,  zu 
einem  Erklärungsversuche  veranlasst,  den  Chr.  nicht  hat  (4149 — 64). 
Dem  Kampfe  geht  bei  H.  ein  Wechselgespräch  zwischen  Erec  und 
dem  Grafen  voraus.  Erec  sticht  den  Gegner  vom  Rosse  (Chr.  3600, 
H.  4214):  daß  er  ihm  einen  Arm  abhaut,  sagt  nur  PI.,  so  wie  daß  er 
noch  sechs  Ritter  tödtet,  die  andern  fliehen.  Bei  Chr.  tödtet  er  erst 
den  Seneschall  und  wirft  den  Grafen  ab:  die  andern  wollen  ihn  ver- 
folgen, aber  der  Graf,  der  sich  eines  besseren  besonnen,  hält  sie  in 
einer  langen  Anrede  davon  ab  (3555 — 3646). 

Den  Zwergkönig  Guivrez  schildern  uns  beide  Dichter  ganz  gleich: 

3663  de   lui  4279  von  des  selben  manheit 
vos   sai   verite   dire,  ist  uns  wunder  geseit. 

qu'il  estoit  de  cors  molt  petiz,  er  was  ein  vil  kurzer  man. 

mais   de  grant  euer  estoit  4288  dar  under  er  ein  herze  truoc 
hardiz.  vollecliche  manhaft. 


*)  Doch  deutet  auch  Chr.  an  (3379—81),  daß  sie  ihres  Gatten  überdrüssig  sei 
(vgl.  H.  386*2) :  die  rohe  Äußerung  (Chr.  3382  je  vos  voudroie  ja  sentir  en  im  lit  certes 
nu  h  nv)  hat  Hartni.  als  seinem  feineren  Gefühle  widerstrebend  weggelassen. 


ÜBER  CHRISTIANE  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  163 

Bei  dieser  Gelegenheit  knüpft  Hartmann  eine  Bemerkung  über 
Kühnheit  und  Zagheit  an  und  fügt  hinzu: 

wir   müezen   siner  geschiht   (des   Zwerges) 
ein   michel   teil   verdagen. 
man   möhte   vil   da   von   gesagen, 
wan   daz   der  rede   da  wa?r  ze   vil : 
da   von   ich   iu   si   kürzen   wil   (4298 — 4302), 
und    schildert   dann   nach    wenigen    Zeilen    gleich    die    Begegnung   des 
Zwerges  mit  Erec  und  Enide,    deren   Warnung   nur   durch    eine    Zeile 
(4319)  angedeutet  ist.  Stattdessen  hat  Christian  die  Verse  3665  —  3753, 
worin  erzählt  wird,  daß  Guivrez  die  Ankommenden  von  der  Höhe  eines 
Thurmes  erblickt,  sich  waffnen  lässt  und  ihnen  entgegen  reitet.    Enide 
hört  ihn  kommen  und  überlegt  was  sie  thun  solle:  sie  entschließt  sich 
auch  diese  Gefahr  ihm  mitzutheilen  und  wird  von  ihm,  aber  ganz  kurz 
und  nicht  hart  (3749.  50),  verwarnt.     Haupt  vermuthet    (zu  4318  und 
Zeitschr.  3,  269)  eine  Lücke:  denkbar  wäre  indess  nach  der  erwähnten 
Äußerung  Hartmanns,  daß  er  absichtlich  ausgelassen,  um  nicht  durch 
Wiederholung  zu  ermüden.     Allerdings  steht  jene  Äußerung   zunächst 
in  Verbindung    mit  dem  Zwerge,   und    sie    trifft    ihn  auch,    indem  die 
Waffnung  (Chi-.  3665-98)  weggeblieben  ist:   aber  auch  das,  was  sich 
ihr  zunächst  anschloß,  die  Warnung  Enidens. 

Nach  der  Begegnung  beginnt  bei  H.  ein  Gesprach  zwischen  Erec 
und  Guivrez,  das  Chr.  nicht  hat  (II.  5323  76),  bei  diesem  erfolgt  so- 
gleich der  Kampf,  der  an  vielen  Stellen  wieder  große  Ähnlichkeit  zeigt: 
3754  4377  als    Erec   dö  gesacli 

contre   le   chevalier   s'esmuet  daz   im   ze   vehten    not    gescbacb, 

qui   de    de   bataille   le   semont.  sin   ros   er   wider   kerte, 

assemble   sont  ou   pie  dou  mont,  als   in   sin   eilen   lerte. 

lä   s'entreflerent  et   desfient.  zesamne   riten   zwene   man  .  .  . 

es   fers   des   lances   s'escremient  4387  diu   sper   si   üf  stachen 

ambedeus   de  totes  lor   forces.  daz   si   gar   zerbrachen. 

3766  et   li   destrier  sont  aterre  :  diu  just  wart  so   krefteclich 

car  molt  ierent   ambedui   fort.  daz   diu   ros   hinder  sich 

an   die   hähsen   gesäzen. 
3761  ne  lor  valurent  deux    escorces  do  muosten  si  lazen 

li   escuz  qui   es   cols   lor  pendent.  die   schilte   von   den   handen*). 

3770  isnelement  sont  redrecie.  4395  si   erbeizten   beide  geliche 

vil   unmüezecliche 
3774  des  fuerres  traient  les   espees.  unde  erfuorten  diu  swert. 

si  s'entrevienent  par  grant  ire.  ir  ietwederre   wart  gewert 

3777  que  de  rien   nes'entresparnierent.  volleclichen  an  der  stat. 

3811   si   l'a   si   roidement  feru  4412  unde   sluog   im   von   der  hant 

*)  Demnach  ist  schilte  doch  richtig,  Zeitschr.  3,  269. 

11* 


Iß4  KARL  BARTSCH 

sor  la  penne  de  son  escu.  den   schilt  unz  an  den   riemen. 

3806  s'espee  li  a  embatue  4434  üf  den   heim  er  in   sluoc 

en   l'iaume  jusqu'au   chapeler,  daz   der   wenige   man 

dar   durch   eine   wunden   gwan 

si  que  tot  le   fait  chanceler.  unde  daz  er  vor  im  lac. 

3800   des  tierce  jusqu'apres  de  nonne         4459   nu  het  gewert  dirre  strit 

dure  la  bataille  tant  fiere.  unz  an  die  nöne  zit  (vgl.  4405). 

3844  Erec  respont    plus  i  estuet:  4467   er  sprach    ichn  muote   mere 

que  tant  n'en  iroiz  vos  pas  quites.  von  iu   deheiner  ere, 

wan   daz  ir  mir  äne  schämen 

vostre  estre  et  vostre  non  nie  dites*)  rehte  nennet  iwern  namen. 

'sire,  fait  il,   vos  dites  bien.  4473   er  sprach    herre,  daz   si  getan. 

je   sui  de   ceste   terre  rois,  ich  wil  iuch   wizzen  län, 

mi   home   lige   sont   Irois:  ich   bin  künec   über  Irlant, 

n'i   a   nul   ne   soit   mes   rentiz.  Guivreiz   le   pitiz   genant  . 

j'ai  ä  non   Guivrez   li  petiz.  4480  Erec  eine  binden  brach 

3108   chascuns .  .  .  de  sa  chemise  ab   einem  wäpenrocke  sä. 

trencha  bandes  longues  et  lees.        4487   einander  si  verbunden 

s'ont  lor  plaies   entrebandees.  ir   ietweder   die   wunden. 

Gerade  die  Übereinstimmung  in  Kampfschilderungen ,  wo  jeder 
Dichter,  auch  im  Mittelalter,  die  meiste  Freiheit  hat,  zeigt,  daß  Chr. 
Gedicht  unserem  H.  vorlag.  Auch  der  Schmerz  Emdens,  den  Christian 
nur  berichtet  (3791—98),  während  H.  sie  sprechen  und  Erec  antworten 
lässt  (4420—30),  ist  ein  übereinstimmender  Zug,  der  auf  nähere  Ver- 
wandtschaft als  die  durch  den  Stoß'  bedingte  weist, 

In  dem  was  II.  nun  erzählt,  bis  zur  Lücke  der  Hs.  (4628), 
weichen  die  Darstellungen  von  einander  ab.  Zwar  in  beiden  Gedichten 
fordert  Guivrez  den  Helden  auf  bei  ihm  Rast  zu  halten  (Chr.  3883  ff'., 
II.  4561  ff'.);  aber  bei  Chr.  lehnt  Erec  die  Einladung  ab,  bei  H.  nimmt 
er  sie  an  (4569 — 4628).  Nach  der  Lücke  beginnt  H.  in  einer  Charakter- 
schilderung Kais  (4629  —  63),  die  Chr.  nicht  hat.  Die  Übereinstimmung 
mit  diesem  zeigt  sich  aber  gleich  wo  thatsächliches  berichtet  wird.  Auf 
Kai's  Aufforderung,  mit  ihm  an  Artus  Hof  zu  kommen,  erwidert  Erec : 
3993   Erec   respont .  .  .  4667   er   sprach    herre, 

3996   encor  m'estuet  aler  molt  loing.  ich  han   ze  varne  verre. 

4674  ir  sult  mich  ze  dirre  wile 

laissiez  m'aler,   que   trop   demor.  mine  sträze  läzen  varn. 

3999   Kei  respont  4677  dö  sprach  der  valsche  Käin 

grant  folie  dites,  herre,  lät  die  rede  sin. 

quant  dou  venir  vos  escondites.  ir  sult  niht  also  scheiden. 

Bei  Hartmann's  Darstellung  muß  man  voraussetzen,  was  Chr. 
ausdrücklich  sagt,  daß  Kai  Erec's  Pferde  in  die  Zügel  gegriffen,  daher 


*)  Die  folgende  Zeile  et  je  vos  redirai  li  mien   drückt  H.  nicht  aus. 


UflEK  CHEISTIAN'S  UND  HARTMANNS  EREC  UND  ENIDE.  165 

ziehet  zuo  iu  die  hant  4705,  traiez  vos  lä  4019.  Kai  folgt  der  Auffor- 
derung (Chr.  4023.  H.  4711)  uud  kehlt  um.  Kai's  Niederlage  stimmt 
genau  (Chr.  4028—44  =  H.  4719—42).  Bei  H.  fragt  nun  Erec  den 
Besiegten  nach  seinem  Namen:  Kai  will  dessen  erlassen  sein,  allein 
Erec  droht  ihm  das  Ross  nicht  wiederzugeben,  worauf  Kai  sich  nennt 
und  erzählt,  er  habe  es  von  Gawein  entliehen,  was  er  bei  Chr.  gleich 
bei  der  ersten  Bitte  hinzusetzt.  Dieses  Zwischengespräch  fehlt  im 
französischen  Gedichte.  Auch  daß  Kai  nun  seinen  Sieger  nach  dem 
Namen  fragt,  Erec  es  ablehnt,  fehlt  bei  Christian:  hier  kehrt  Kai  gleich 
mit  dem  Rosse  zu  Artus  zurück  und  berichtet  alles  (4057 — 60,  H. 
4832  —  44).  Bei  H.  spricht  Kai  die  Vermuthung  aus,  es  sei  Erec  ge- 
wesen: bei  Chr.  fordert  Artus,  ohne  diese  Vermuthung,  Gawein  auf 
dem  Ritter  zu  folgen  und  ihn  an  den  Hof  zu  bringen,  was  Gawein  in 
Begleitung  zweier  Knappen  thut.  Auch  bei  H.  erhält  Gawein,  aber 
naturgemäßer  mit  Kai,  diesen  Auftrag.  Bei  H.  nennt  nun  Gawein  den 
Erec  gleich  beim  Namen,  bei  Chr.  richtet  er,  ohne  ihn  zu  nennen, 
Artus  Botschaft  aus: 

4077   sire,   fait  il,   en   ceste   voie  4942   nu   bat   uns   da   ze   stunde 

li   rois   Artus   ä   vos   m'envoie.  äne   not   so   verre 

le   roine   et  li   rois   vos   man  de  diu   künegin   und   min  herre 

saluz,   et  prie   et   commande  daz   wir   iu   ilten   her  nach .  .  . 

qu  avec  aus  vos  veingniez  deduire.  und   iuch   im  brachten   ze   hüs. 

Erec  dankt  mit  gleicher  Wendung  (H.  4958-82,  Chr.  4084—93). 
Gawein's  List  ist  ebenfalls  dieselbe.  Als  Erec  sich  überlistet  sieht, 
gibt  er  bei  Chr.  (4137)  erst  jetzt  sich  zu  erkennen:  bei  H.  zürnt  er 
ernstlich,  wird  aber  beschwichtigt.  Sein  Empfang  bei  Hofe  stimmt, 
nur  schildert  H.  eingehender  namentlich  Ginover's  Benehmen  gegen 
Enide.  Bei  H.  lässt  die  Königin,  bei  Chr.  der  König  das  Pflaster  der 
Fee  Morgana  bringen,  dessen  Wirkung  der  deutsche  Dichter  ausführ- 
licher beschreibt.  Außerdem  hat  H.  hier  einen  Excurs  über  Fdmurgnn 
(5158  —  5241):  vermuthlich  schob  hier  H.  anderwärts  hergenommene 
Kenntniss  ein,  nicht  aber  hatte  sein  Vorbild  schon  diese  Abschweifung, 
die  sich  ganz  gut  herauslösen  lässt.  Erec  wird  gebeten,  vierzehn  Tage 
zu  bleiben  (Chr.  4215):  das  sagt  H.  nicht,  aber  auch  bei  ihm  wie  hei 
Chr.  lässt  sich  der  Held  bewegen,  eine  Nacht  zu  verweilen.  Das  Zürnen 
des  Königs  über  die  Weigerung,  die  Bewirthung  und  die  Betten 
schildert  H.  nicht  (Chr.  4225—58,  vgl.  H.  5255—58).  Auch  der  Ab- 
reise fehlen  bei  H.  manche  Einzelheiten  (Chr.  4259—85,  H.  5269—82). 
Der  Anfang  des  nächsten  Abenteuers  zeigt  wieder  genaue  Über- 
einstimmung (Chr.  4288—94,  H.  5292—99).  Nachdem  sie  das  kla- 
gende Weib  gefunden,  heißt  es  weiter: 


166 


KAKL  BARTSCH 


43U 


Erec  la  voit,   molt  s'en  merveille 
et  prie   li 

qu'ele   li  die 
porqoi  si  forment  brait  et  crie. 
la  pucele  plore  et  sospire, 
en  plorant  li  respont    beau  sire, 
n'est  merveille  se  je  fais  duel. 


5334  als  er  dö  die  armen 

in  solher  ungehabe  sach, 
vil  nach   weinende  sprach 
der  tugenthafte    man 
frowe,   durch  got  saget  an 
waz  ist  daz  ir  weinet?  .  .  . 
ir  herzen  suft  daz  wort  zerbrach 
daz  si  vil  küme  gesprach 
'  weinens  get  mir  michel  not. 


Erec's  Gespräch  mit  der  Jungfrau,  zum  Theil  Stichomythie  bei 
H.,  stimmt,  wiewohl  Chr.  diese  hier  wohl  angebrachte  Kunst  nicht  hat, 
in  einzelnen  Ausdrücken  genau : 


4322   que  mon  ami  en  moinnent  pris 
dui  jeant  felon  et  cruel, 
qui  sont  ses  enemi    mortel. 

4350    quel  part  s'en  vont?    sire,  parci. 
vez  ci  la  voie  et  les  escloz. 

4336    damaisele,  g'irai  apres 
fait  Erec .  .  . 

4340  ou  avec  lui   pris  esterai 

ou  jel  vos  rendrai  tot  delivre. 

4354  la  pucele 

ä   dieu   le  commande, 
et  prie  deu  molt  doucement. 


5353  herre,  da  habent  mir  in  benomen 
zwene  risen,   die   fuorten   in 
des  gevertes  vor  mir  bin. 

5363    nü   wiset   mich  nach  in', 
herre,  hie  riten  si  hin. 

5367  Erec  sprach  frowe,  gehabt  iuch  wol, 
wände  ich  benamen  sol 
bi  im  beliben  tot 
oder  ich  hilfe  im   üz   not . 
nu  bevalh   in  diu  guote 
mit  worten  und  mit  muote 
in  unsers   herren  gewalt. 
ir  gebet  wart  vil  manecvalt. 

Nicht  minder  verräth  die  Schilderung  der  Riesen  und  ihres  Ge- 
fangenen, daß  H.  keinem  anderen  als  Chr.  folgt.  Auch  hier  hebe  ich 
die  bezeichnendsten  Stellen  aus : 


4359  Erec  s'en   va  tote  la  trace. 

ä  esperons   les  jeanz   chace. 

tant  les  a  chaciez  et  seuz 

que  il  les  a  aconseuz. 
4368  li  jeanz   n'avoient   espiez, 

escuz  n'espees   esmolues ; 

fors  que  tant  seulement  macues 

et  corgies  andui  tenoient. 
4364   et  vit  le  chevalier  en   cors 

deschau  et  nu   sor  un  roncin, 
les  mains 

liees 

et  les  piez. 


5377   Nu   was   er  komen   üf  ir  slä 
und  ilte  in  vil  sere   nä 

unz   er   se  begunde   sehen   an. 

nu  beten  die  zwene  grözen  man 

weder  schilt   noch    sper. 
5385   waz   ir   wäfen   wa^re  ? 

zwene  kolben   swajre. 
5393   ouch  fuorten   die   unguoten 

zwo  guiselruoten. 
5399   er  reit   äne   gewant 

unde  blöz  sam  ein   hant. 

geleit   warn   im   die   hende 

ze  rücke   mit  gebende 

und  die  füeze  unden 

zesamene  gebunden. 

vil  manegen  geiselslac  er  leit 

da    er  vor  in   hin   reit. 


ÜBER  CHRISTIAN'S  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE. 


167 


4372  de  quoi  le  Chevalier  batoient 

qui  ja  li  avoient  dou  dos 
la  char  rompue  jusqu'as   os. 

4366   con   s'il  fust   pris   ä  larrecin. 

4376  li  corroit  co.treval  li  sans, 
si  que  li  roncins  estoit  toz 
en  sanc  jusqu'au  ventre  desoz. 


si  sluogn  in  an  erbarmen 
so  sere   daz   dem  armen 
diu   hat   ab   hin   hie 
von   dem  houbet  an   diu  knie. 

5413  und  wrere  er  begangen, 
an  diebes  stat  gevangen, 
solher   zuht   waer  ze  vil. 

5420  daz  bluot  regens   wis  flöz 

des  rosses   siten  hin   ze  tal: 
ez   was  bluotic  über  al. 


Ebenso  groß  ist  im  folgenden  (H.  5428 — 55)  die  Übereinstimmung 
mit  Christian  (4379 — 400).  Nur  ist  bei  H.  Erec's  Benehmen  sanfter, 
er  sucht  auf  dem  Wege  der  Güte  mit  den  Riesen  zu  verhandeln :  bei 
Chr.  tritt  er  gleich  entschiedener  auf.  Sein  Kampf  mit  dem  Riesen 
folgt  im  ersten  Theile  (5500 — 34)  Schritt  für  Schritt  der  Beschreibung 
Christians  (4421 — 36).  Nachdem  Erec  beide  Riesen  erschlagen,  erzählt 
H.,  daß  den  misshandelten  Ritter  inzwischen  sein  Ross  fortgeführt,  Erec 
aber  nach  den  Blutspuren  ihn  aufgefunden  und  zu  seiner  arme  geschickt, 
worauf  ihm  beide  gedankt,  der  Ritter  seinen  Namen  genannt  und  von 
ihm  an  Artus  Hof  gesendet  worden.  Bei  Chr.  bringt  Erec  den  Ritter, 
der  nicht  vom  Ross  entführt  wird,  erst  zur  Geliebten,  nachdem  der- 
selbe sich  genannt  und  den  Auftrag  erhalten,  nach  Kardigan  zu  gehen. 
Als  die  Frau  den  Geliebten  wiedersieht,  weiß  Chr.  (4534.  35)  nur  zu 
sagen,  sie  habe  sich  gefreut,  weil  sie  ihn  nicht  mehr  zu  sehen  hoffte: 
psychologisch  richtiger  sagt  H.  (5599  —  5626):  sie  hatte  Liebe  und  Leid, 
und  knüpft  daran  ein  Gleichniss» 

Erec  kehrt  zu  Eniden  zurück;  auch  im  Folgenden  ist  Christian 
Vorbild: 


4558 

Erec   toute  voie   ne   fine 

de   chevauchier   ä  grant   esploit 
lii  oü  Enide 

l'atendoit. 
4564  que  toz  ses  cors  en  sanc  baignoit, 


et   li   cuers   faillant   li   aloit. 

a   un    tertre   qu'il   avaloit 
chei   toz   a  un   fais   aval 
jusques  sor  le  col   dou  cheval. 
si  con  il  relever  cuida, 


5709   ouch   schiet  vil   balde 

wider  üz   dem   walde 

der   tugentriche   Erec 

unde   suocbte    den   wec 

da  er  frowen   Eniten 

sin   e  hiez  biten. 
5719   des  bluotes  was   er  gar  ersigen, 

die  siege  heten  in  erwigen 

daz   im   diu   varwe   gar   erbleich 

und  im  diu  kraft  so  nach  entweich 

daz  er  mit  grözer  arbeit 

hin   widere  gereit. 
5329  als  sich  der  halptöte  man 

zuo   neigen   began, 

als   er   erbeizen   wolde, 

wand   er  ruowen   solde, 


fgg  KARL  BARTSCB 

do  was  er  su  betoubet 
Ia   sele   et  les   estriers   vuida,  daz  im   daz  houbet 

vor  den  füezen  nider   kam. 
et  chiet   pasmez  einen  solhen  val  er   nam 

com   s'il  fust  mort.  daz   er  lac  für  tot. 

lors   commenca  un   duel   si  fort  nü  huop  sich   ein  bitter  not 

und  alles  leides  galle 
quant  cheoir  le  vit.  von  disem  valle 

Enide  in  froun  Eniten  muote. 

molt  li  poise   quant  ele  vit.  von  jämer  huop  diu  guote 

4577   en   haut  l'escrie...  ein  klage  vil  barmecliche. 

si  tort  ses  poinz.  5755  dar  nach  sluoc  si  sich  zen  brüsten 

4580  ses   crins   commence  a  detirier  5759   daz  här  si  vaste  üz    brach, 

et  sa  tendre  face  dessire.  an   ir  libe  si  sich  räch 

nach  wipiiehem  site; 

woran  H.  wieder  eine  allgemeine  Bemerkung  knüpft  (5763  —  72) ,  die 
bei  Chr.  fehlt.  Eniden's  Klage  behandelt  H.  frei,  doch  mit  überein- 
stimmenden Zügen:  Chr.  ist  kürzer.  Sie  ruft  den  Tod  (Chr.  4584, 
H.  5885)  und  wundert  sich,  daß  er  zaudert  (Chr.  4620,  H.  5894);  sie 
klagt  sich  der  Schuld  an,  weil  sie  das  Wort  gesprochen  (Chr.  4588 — 93, 
IL  5940—53);  sie  will,  weil  der  Tod  sie  verschmäht  (Chr.  4622,  H. 
6045),  sich  ihr  Recht  wider  seinen  Willen  nehmen  (Chr.  4626,  H.  6050) ; 
sie  zieht  das  Schwert  aus  der  Scheide  (Chr.  4634,  H.  6063)  und  be- 
trachtet es  (Chr.  4635,  H.  6084);  aber  nur  bei  H.  redet  sie  es  an. 

Es  folgt  das  Abenteuer  mit  dem  Grafen  Oringles  von  Limors, 
wie  ihn  auch  Chr.  4913  übereinstimmend  mit  H.  6121.  22  nennt,  nicht 
li  cuens  orquitteus,  wie  Ginguene  angibt.  Seine  Dazwischenkunft  er- 
zählen beide  Dichter  auf  gleiche  Weise.  In  seinem  Gespräche  mit 
Enide  hebe  ich  als  beweisend  namentlich  hervor: 
4650   si   li   commence  h   enquerre...  6171 

s'ele   estoit  sa   ferne   ou   s'amie.  was   er  iwer  aruis  ode  iwer  man? 

Tun   et   l'autre,   fait   ele,   sire  .  beide,   berre'. 

Seine  Trostrede,  die  bei  H.  passender,  erst  nachdem  er  sich  mit 
seinen  Gesellen  berathen,  folgt,  ist  zwar  im  Deutschen  ausgeführter, 
hat  aber  denselben  Gedankengang  (Chr.  4657 — 72,  IL  6215—80)  und 
ebenso  Eniden's  Antwort  (Chr.  4674—78,  H.  6285—300).  In  der  An- 
rede an  seine  Kitter,  die  bei  Chr.  der  Graf  erst  im  Schlosse  ange- 
gekommen  hält,  zeigt  sich  zum  Theil  wörtliche  Entlehnung: 
4714   en   dementres   li   cuens   conseille        6185 

a   ses  barons  priveenient.  er   sprach   zr   den   gesellen   sin 

ein  -dinc  ist   wol   sebio, 
+  Tbs   vos  povez  bien  apereevöir,  daz   muget  ir  wol   schouwen, 

lt   <:e   nu'ele   est   bele   et   sage,  an   dirre   irouwen : 


ÜBER  CHRISTIANE  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE. 


169 


qu'ele  est  de  molt  gcntil  lignage. 

sa  beautez  mostre  et  sa  franchise. 
4716  seignor,  fait  il,  isnelement 

vuil   ceste  dame  rccevoir. 
4722  qu'en  li  seroit   bien  l'onör  mise 

ou  d'un  roiaume  ou  d'un  empire. 


swä  si  der  ritter   habe  genomen 
oder  swie  si  her  si  komen, 
si  ist  benamen  ein  edel  wip: 
daz  zeigt  ir  minnecllcher  lip. 
6196  nu  rastet  vaste  min   sin 

daz  ich  si  ze   wibe  neme. 
mich  dunket  daz  si  wol  gezeme 
ze  frowen  über  min  Iant. 
ich  habe  kurze  an  ir  erkant, 
je   ne    serai  ja  de  li  pire.  si  ist  mir  gnuoc  wol  geborn. 

Die  eilige  Hochzeitsfeier  der  widerstrebenden  Enide  (vgl.  Chr. 
4734—36,  H.  6347 — 49)  stimmt  in  allen  Hauptzügen.  Hartmann  er- 
zählt, daß  der  Graf  Eniden  zum  Essen  holen  lässt  und  endlich  selbst 
kommt  (6357 — 79):  dies  weicht  von  Chr.  ab,  der  hier  ganz  kurz  ist 
(4739 — 42).  Daß  jedoch  auch  hier  Chr.  Werk,  wenn  auch  vielleicht 
in  einer  vollständigeren  Hs.  (in  dem  gedruckten  Texte  stimmen  die 
beiden  Zeilen  4743.  44  nicht  zum  Zusammenhange)  vorlag,  lehrt  die 
dann  folgende  Übereinstimmung  in  den  Trostreden  des  Grafen.  Er  lässt 
sie  auf  einen  Faltstuhl  (faudestuel  4749,  valtstuol  6429)  sitzen,  mit  dem 
gleichen  Zusätze  (estre  son  vuel  4750,  sunder  deine  6426'.  Bei  H.  ist 
des  Grafen  Rede  rhetorisch  kunstvoller,  aber  in  den  Gedanken  auf 
Chr.  beruhend. 


4765   povre  esties,   or   estes  riebe. 

n  est  pas  fortune  euvers  vos  chiche, 
que  tel  honor  vos   a   donee 
c'or  seroiz   comtesse  clamee. 


6470   e   wärt   ir  arm,   nü   sit  ir  rieh. 
6479   6  fuorent  ir  wiselös 

unz  iwer  srelde  mich  erkös. 

e   wärt  ir   aller    gnaden   bar, 

nü   habt  ir  die   ere  gar. 
6477   e  muost  ir  üz   der   ahte  sin, 

nü  ein   mehtic  gra?vin. 


Er  schließt  mit  der  gleichen    Aufforderung  und   Enide  antwortet 
auf  gleiche  Weise: 


4777  mangiez  que  je  vos   en  semon  . 
sire,  fait  ele,  je  n'ai   son. 
certes  ja   tant   con  je  vivrai 
ne   maingerai   ne   ne  beurai 
se  je  ne  voi  maingier  aineois 
mon   seignor   qui  gist  sor  ce  dois 


6505   nu   ezzent   durch  den  willen  min  . 
do   sprach   diu   edel   künegin 
herre,   ir  habt  mir  gnuoc  gesaget. 

6511    bi  dem   eide  geloubet  daz, 

in  minen  munt  kumt  nimmer  maz, 
min   töter   man   enezze  e; 


worauf  sie  der  Graf  schlägt  (Chr.  4790,  H.  6520),  seine  Barone  ihn 
tadeln  (Chr.  4792.  94,  II.  6528  ff.)  und  er  dasselbe  erwidert  (Chr. 
4801—3,  H.  6545—48).  Auf  Eniden's  Widerrede  (Chr.  4805,  H.  6574) 
schlägt  er  sie  nochmals  (Chr.  4806,  H.  6577)  und  mit  großer  Über- 
einstimmung wird  Erec's  Erwachen  geschildert. 


170  KARL  BARTSCH 

4817  entre  ces  diz  et  ces  tencons  6586  dö  si  so  lüte  begunde  klagen, 

revint  Erec  Erec  fil  de  roi  Lac 

de  paumoisons  6593  er  lag  in  einem  twalme 

und  erschrihte  von  dem  galme 
ausi  eon  li  hons  qui  s'esveille.  als  der  da  wirt  erwecket. 

6597  er  fuor  üf  von  der  bare 
von  fremdem  gebäre 
s'il  ß'esbahi,   ne  fu  merveille,  und  begunde  mit  den  ougen  sehen, 

des   genz   qu'il  vit  environ  lui.  in  wundert  waz  im  waare  geschehen 

mais  grant  duel  ot  et  grant  ennui,  und   weste   niht  wier   dar  kam. 

quant  la  voz  sa  ferne  entendi.  anderstunt  er  si  vernam. 

dou  dois  k  terre  descendi.  6614  üf  sprang  er  mit  grimme 

4828  cele  part  cort  oü  il  la  voit.  und  rüschte  vaste  under  si. 

Bei  Chr.  ergreift  Erec  sein  eigenes  Schwert  (4825),  bei  H.  eins 
von  den  an  der  Wand  hängenden  (6616 — 18).  Die  Flucht  schildern 
beide  Dichter  übereinstimmend  (Chr.  4833—49,  H.  6623-64);  aber 
H.  anschaulicher,  mit  mehr  individuellen  Zügen,  er  fügt  auch  eine 
Entschuldigung  hinzu,  warum  in  diesem  Falle  die  Flucht  keine  Schande 
gewesen  (6665 — 86).  Überall  tritt  uns  sein  liebevolles,  an  den  han- 
delnden Personen  wie  an  Bekannten  theilnehmendes  Gemüth  entgegen, 
während  der  französische  Dichter  trockenes  Sinnes  nur  den  ihm  vor- 
liegenden Stoff  wiedergibt  und  höchstens  eine  Sentenz,  ein  Sprichwort 
einschaltet.  Die  Art  und  Weise,  wie  Erec  wieder  zu  seinem  Pferde 
kommt,  ist  in  beiden  Gedichten  dieselbe,  nur  mit  dem  Unterschiede, 
daß  die  Begegnung  mit  dem  Garzun  (Chr.  4861,  H.  6714)  im  fran- 
zösischen Gedichte  noch  innerhalb  des  Burgthors  geschieht  (vgl.  Chr. 
4874,  H.  6707).  Die  Versöhnung  Erec's  mit  Eniden  stimmt  überein. 
Bei  Hartmann  bringt  ein  aus  Limors  entronnener  Knappe  dem  König 
Guivrez  Nachricht  von  dem  Geschehenen  (6812)  ff.),  bei  Christian 
allgemein  la  novelc  (d.  i.  das  Märe),  der  an  Schnelligkeit  nichts  gleicht 
(4903 — 6).  Bei  beiden  Dichtern  ahnt  Guivrez,  daß  es  sich  um  Erec 
handle  und  will  ihm  zu  Hilfe  eilen:  bei  Chr.  nimmt  er  tausend  (4924), 
bei  H.  dreißig  Ritter  mit  (6854).  Bei  der  Begegnung  lässt  Erec  Eniden 
absteigen  und  zur  Seite  gehen: 
4938   descendre   fait   de   son   cheval  6886   nu   erbeizent  zuo   der   sträze, 

Enide   delez   une   haie.  unz   ir   gesehet  wiez   erge  . 

n'est  pas  merveille    s'il  s'esmaie.  ich  warne   der  frowen   e 

lützel  leider  ie  geschach. 
4952   que  por  paor  ne  remenra  6880   nune   wil  ich  äne  wer 

also  zagelichen 

que  ä  l'encontre  ne  lor  aille.  üz  dem   wege  niht  entwichen. 

et  s'il  i  a  nul   qui  m'assaille,  vil  ringe  ist  min  kraft. 


ÜBER  CHRISTIANS  UND  HAKTMANüTS  EREC  UND  ENIDE.  171 

de  joster  ne  li  faudrai  pas,  doch  gibe  ich  in  ritterschaft 

se   sui  je  molt  doillant  et  las.  ze  etslicher  inäze; 

und  ganz  ebenso  stimmt  was  über  den  Mond  gesagt  ist: 
4965  qu'en  I'ombre  d'une  nue  brune         6893  der  mäne  bot  in  schoene  naht, 

s'estoit  esconsee  la  lune.  der  dö  der  wölken  was  bedaht. 

Nach  dem  Kampfe  übernachten  alle  auf  einer  Wiese  (parmi  ces  chans 
Chr.  5077,  an  einem  wiseflecken  H.  7035).  Der  Vergleich  Erec's  mit 
einem  Schiffbrüchigen  ist  Hartmann's  Znsatz  (7060  —  77).  Die  Schil- 
derung des  Nachtlagers  weicht  insofern  ab,  als  H.  sie  unter  Bäumen, 
auf  einem  Lager  von  Laub  ruhen  lässt:  bei  Chr.  hat  der  König  sein 
Zelt  mit  (5087  if.)  und  die  Bewirthung  lässt  nichts  zu  wünschen  übrig 
(5166  —  23),  während  bei  H.  vom  Essen  gar  nicht  die  Rede  ist.  Doch 
heißt  es  von  den  Betten  auch  bei  Chr.  fist  un  lit  faire  haut  et  lonc: 
qiiassez  troverent  herb  et  jonc  5103.  4. 

Die  Schilderung  von  Guivrez  Schlosse,  bei  Chr.  Penurzs  (5141), 
bei  H.  Penefrec  (7187)  genannt  (welcher  Unterschied  sich  graphisch 
leicht  erklärt),  ist  im  deutschen  Gedichte  sehr  umständlich  (7117 — 7200), 
bei  Chr.  gar  keine  Beschreibung.  Auch  dies  kann  selbständiger  Zusatz 
Hartmann's  sein  und  braucht  nicht  auf  andere  Quelle  zu  weisen.  Beide 
Dichter  schildern  dann  ziemlich  übereinstimmend  Erec's  Heilung  durch 
des  Königs  Schwestern  (Chr.  5145,  H.  7211);  doch  setzt  H.  hinzu, 
das  Pflaster  sei  von  demselben  ein  Theil  gewesen,  das  Fämurgän  be- 
reitet (7224—29).  Den  Abschied  malt  Chr.  weiter  aus  (5214—69),  wo 
H.  nur  wenige  Zeilen  hat  (7766—71.  87—89),  der  dagegen  mehr  als 
500  Verse  auf  die  Beschreibung  von  Eniden's  Pferde  verwendet.  Daß 
auch  hier  Christian's  Schilderung  (5270  — 5312)  die  Grundlage  ist,  zeigt 
die  Vergleich ung  deutlich : 
5274  ne  valoit  pas  moins  que  li  suens       7266  si  het  ir  phärt  verlorn.  .  . 

qui  estoit  remes  a  Limors.  üf  Liinors. 

5308  or  ot  bien  Enide  la  perte  7271    daz  si  ez  nü  verlorn  hat, 

des   sol   doch   wol   werden   rat; 

dou  vair  palefroi  restoree.  si  wirt  es  wol  ergetzet. 

7289  also  was  ez  gezieret: 
5278   partie  estoit  par  tel   devise,  rehte  geparrieret, 

que  tote  ot  blanche   une  joe,  schilthalp  begarwe 

mit   volblankur   varwe. 

et   l'autre   noire   comme   choe.  7305   alse   swarz   was   disiu   hie. 

entre    deus  73 10  zwischen   den  varwen  beiden 

avoit   une   ligne,  was   ein   strich   über   geleit 

wol  eines  halben  vingers  breit. 

plus  vert  der  strich  grüene  was 

que  n'est  lüelle  de  vigne,  unde  rehte  sam  ein  gras, 

qui  departoit  le  blanc  dou  noir.         7307  ez  was   doch  swarz   unde  wiz. 


172 


KARL  BARTSCH 


5303  uns  Grez  taillierrcs  qui  la  fist, 

au  taillier 

plus  de  set  anz  mist. 

5291  li  ar9on  estoient  d'ivoire. 

5302  toute  ä  fin  or  apareillie. 

5301    sutil  fu  l'uevre  et  bien  taillie. 

5292  si  fu  entailliee  l'estoire 

coment    Eneas 

mut  de  Troie, 
et  com  h  Cartage  ä  grant  joie 

le  recut 
Dido  en  son  lit 
coment  Eneas 

la  decut; 

coment  ele  por  lui  s'ocist; 


coment  Eneas  puis  conquist 
Laurente  et  tote  Lombardie, 

et  Lavine 

qui  fu    s'amie. 

5289   la  sele  fu  d'autre  maniere, 

coverte  d'une  porpre  chiere. 


dirre  misseliche  vliz 

was   schone  underscheiden. 

7469  ein  meister  hiez  Umbriz  *) 
der  doch  allen  sinen  vliz 
dar  leite  für   war 
wol   vierdehalp  jär. 

7527   er  (der  satel)  was  von  helfenbeine 
und  von   edelem  gesteine 
joch  von   dem  besten  golde. 

7535  su  hete  des   meisters  sin 
geprüevet  diz  gereite. 

7544  an  disem  gereite  was  ergraben 
daz  lange   liet  von   Troyä. 

7552   wie  der  herre  Eneas, 
der   vil   listige   man, 
über  se  fuor  von  dan 
und  wier  ze  Kartägö  kam, 
und   wie  in  in  ir  gnade  nam 
diu  riche  frowe  Diclo 
unde  wie  er  si  dö 
vil  ungeselleclichen  liez 
und  leiste  ir  niht  des  er  gehiez. 

7563  so  was  einhalp  ergraben 
ir  vil  starkez  missehaben. 

7567  bescbeidenliche  stuont  hie 
swaz  er  dinges  begie 
daz  sagebasre  wesen  mac 
von   der  zit  unz  an  den  tac 
daz  er  Laurente  betwanc. 

7574  jenhalp  stuont  daran 

wie  er  frowen  Laviniam 
ze   elichem   wibe  nam. 

7581   da  mite  der  satel  was  bedaht, 

daz  was  ein  phelle    wol   geslaht. 


Hartmann  fügt  freilich  noch  eine  Menge  anderer  Dinge  seiner 
Beschreibung  hinzu,  die  aber  nicht  nothwendig  aus  einem  französischen 
Erec  stammen ,  sondern  von  ihm  hinzugedichtet  sind ,  weil  er  Freude 
am  Schildern  fand. 

Bei  Hartmann  reiten  sie  fünf  Meilen  (7818),  bei  Christian  trente 
liues  galesches  (5323)  und  sehen  eine  Burg  vor  sich  (Chr.  5325,  H. 
7819),  von  der  der  deutsche  Dichter  eine  weitläufige  Beschreibung  gibt 
(7833—92),  während  sie  Chr.  in  wenigen  Zeilen  abfertigt  (5326—29), 
die  aber  auch  bei  Hartmann  sich  wiederfinden: 


*)  Auch  dieser  Name  erklärt  sich,  wie  so  viele,  durch  Missverständniss  oder  falsche 
Lesart  aus  ima  grez. 


ÜBER  CHRISTIAN'«  UND  HARTMANN'S   EREC  UND  ENIDE.  173 

5326  tout  clos  entor  de  mur   novel  7845  ein  burcmüre  hoch  unt  die. 

et  par  desoz  ä  la  roonde  7873  drunder 

corroit  une   eue   molt  parfonde,  t-in   wazzer  hin   flöz, 

lee  et  bruiant  cornme  tempeste.  des  val  gap  michelen  döz; 

und  ebenso  sind  die  bei  Chr.  folgenden  Verse  genau  wiedergegeben 
(Chr.  5330—36,  H.  7893—96).  Die  Auskunft  über  das  Schloß  stimmt 
so  wohl  im  allgemeinen  wie  in  den  meisten  Einzelheiten  :  der  Name 
(Brandiganz  5343,  Brandigän  7958),  der  des  Besitzers  (Chr.  5358,  H. 
8604.  67)  und  des  Abenteuers  (joie  de  la  cort  5419,  joie  de  la  curt 
des  ho/es  freude  8001.  5).  Im  Schlosse  ist  Tanz  und  Spiel  (Chr.  5458, 
Hartm.  8062) ;  die  Bewohner  klagen  beim  Anblick  der  Gäste,  bei  Chr. 
(5462)  um  Erec,  bei  H.  (8081)  um  Eniden.  Ein  Zusatz  Hartm.  ist, 
daß  Erec  sich  nicht  um  Vorzeichen  und  Angang  bekümmert  habe 
(8122 — 39).  Der  Empfang  ist  fast  wörtlich  übereinstimmend: 
5501    li   rois  Eurains  enmi  la  rue  8174  der  wirt  gegen  im  gie 

vint   encontre,  verre  für  daz  bürgetor, 

si  les  salue.  da   saldierte  er  in    vor. 

Eine  nicht  unwesentliche  Abweichung  sind  die  bei  H.  vorkom- 
menden achtzig  Frauen  (8220—8357),  von  denen  Christian  gar  nichts 
sagt.  Bei  diesem  folgt  vielmehr  bald  nach  dem  Empfange  das  Essen 
(5532  ff.),  das  H.  dann  auch  erwähnt  (8358  ff.)-  Das  folgende  stimmt: 
in  dem  Gespräche  zwischen  Wirth  und  Gast  nennt  H.  die  Namen 
einiger  in  dem  Garten  erschlagener  Ritter:  Venegus  8501,  Opinäus  8504, 
Libaut  von  Winden  8505.  Sie  sind  aus  Missverständniss  hervorgegangen, 
Chr.  5730-31  führt  Thiebäuz  li  esclavons ,  Opiniax  und  Ferragus  als 
Beispiele  furchtloser  Helden  an  In  der  Schilderung  der  Vorgänge 
vor  dem  Kampfe  treffen  beide  Dichter  zusammen.  Die  Wehklage  der 
Bürgerschaft  bei  Christian  ausführlicher  (5656—73)  als  bei  Hartmann 
(8688—91).  Auch  die  Beschreibung  des  Baumgartens  harmoniert  im 
wesentlichen : 

5691  8698   so   was   also   erziuget 

ou   vergier  der  selbe   boumgarte. 

n'avoit  environ  8702  ich   sage  iu  daz  dar  umbe 

ne  mur  müre  noch   grabe  gie, 

ne   paliz   se   l'air   non  :  noch   in   dehein   zun   umbe  vie. 

8750   man   sach   ein  wölken  drumbe  gän 
mais   de  l'air  est  de  totes  parz         8747  ich  weiz  wol  daz  unmanec  man 
par  nigromance   clos   li  jarz,  den   list  ze   disen   ziten   kan 

da  mite   ditz   w;is   getan, 
si   que   riens  8708  und   künde   doch   dehein   man 

entrer  n'i  pooit.  dar  iu   gen  noch  geriten. 

5699  i   avoit  8716  der  vant  da  swes  in  gezam, 

von  wünneclicher  ahte 


174 


KARL  BARTSCH 


llors   et  fruit  maur. 

et  li  fruiz  avoit  tel  aur 
que  leanz   se  laissoit  maingier, 
au  portier  en  fesoit  daingier : 
car  que  point  porter  en  vousist, 
jamais  ä  l'uis  ne  revenist.  .  . 
tant  qu'en  son  leu  le  fruit  mesist. 
5707  ne  soz  ciel  n'a  oisel  chantant 

qui  plaise  ä  home  tant  ne  quant 
par  lui  desduire  et  resjoir 
que  1  en   ne   i  poist   oir 
plusor  de   chascune  nature. 


die  boume  nianeger  slahte, 
die  einhalp  obez  baren. 

8738   des  obzes  moht  man  ezzen 

swie  vil  od  swaz  man  wolde: 
er  muoste  unde  solde 
daz  ander  da  beliben  län. 
ez   was   dar  umbe  also  getan, 
ez   mohte   nieman   üz   getragen. 

8731    und   der  vögele  widerstrit, 
den   si  uopten  ze  aller  zit, 
und   solcb   diu   ougenweide, 
swer  mit  herzeleide 
waere  bevangen, 
ksem  er  dar  in  gegangen, 


er  müeste   ir   da  vergezzen. 

Bei  Christian  tritt  alles  Volk  mit  in  den  Garten  ein  (5718),  hei 
Hartmann  nur  Erec,  Ivrein,  Enide  und  Guivrez  (8753  ff.).  Nach  dieser 
geringfügigen  Abweichung  treffen  beide  Dichter  wieder  genau  zusammen: 


5726 


5732 


veoit 


une   merveilie 


ill. 


car  devant  aus, 

sor  pelz  aguz, 
avoit  hiaumes   luisanz   et  clers; 
et  s'avoit  desa  les  cerclers 
teste  (Vorne   desor  chascun. 
mais  au  chief  des  pex  avoit  un 
oü  il  n' avoit   neant  encor, 
fors   que  tant  seulement  un   cor. 
il  ne  set  que  ce  senefie 
ne  de  neant  ne  se  detrie; 
ainz   demande 


7764   im   kämen   si   vil   schiere 

daz   si   da   begunden   sehen 

des  si  von  schulden  muosten  jchen 

ez   wa?re  ein  seltsame  dinc. 

hie   was   gestalt   ein   witev   rinc 

von   eichinen   stecken. 

daz   wundert   Erecken. 

ir  ieglicher  was   sus  bedaht, 

<>in  mannes  houbt  dar  üf  gestallt, 

wan   einer  der  was   Ia?re. 

w;'i    von  daz  waere? 

da   hiong   ein   groz   hörn    an. 


Erec  do  fragen   began 

wiez   hier   umbe   wa?re   getan  ; 


que    ce  puet  estre. 

worauf  ihm  derselbe   Bescheid   gegeben   wird ;   ganz    wörtlich    entlehnt 

ist  z.  B. : 

5760   que   li   pex  vostre  teste  atent.  8789  der  stecke  der  noch  tare  stät 

der  ist  der  iwer  gebiten   hat: 
da  sol   iwer   houbet  fiffe   stan. 

Bei  diesem  Anblick  und  Bescheide  beginnt  Enide  zu  wehklagen 
(Chr.  5781);  bei  H.  wird  sie,  wieder  psychologisch  richtiger,  ohn- 
mächtig. Der  Trost,  den  ihr  Erec  gibt,  zeigt  wiederum  wörtliche. 
Entlehnung  aus  Christian: 


ÜBER  CHRISTIAN'«  UND  HARTMANNS  EREC  UND  ENIDE. 


175 


5785  et  eil  qui  bien  conut  son   euer 
li  a  dit    bele  douce  suer, 
gentix  dame  loix  et  sage, 
bien  conois  tot  vostre  corage. 
paour  avez  grant,  bien  le  voi  : 
si  ne  savez  encor  por  qoi. 
mais  porneant  vos  esmaiez, 


jusqu'   k  tant   que   veu   aiez 
que   mes   eseuz   iert  depeciez 
et  je  dedens  le   cors  plaiez, 
et  vos  verroiz  covent  de   sanc 
les  mailies  de  mon  haubert  blanc, 
et  mon   bieume   frait  et  quasse 
et  moi   de  mes  membres  lasse\ 
5802   lors   porroiz   faire   vostre   duel ; 

que   trop   tost   commancie"    l'avez. 


8837  Erec  vil  manlicben  spraeb 
frowe,  lät  den  ungemach, 
min   süeze   Enite. 


ir  weinet   ze   unzite. 
waz  get  iu  solher  klage  not? 
weder   bin   ich   siech   oder  tot  ? 
ja   sten   ich   bt  iu   wol  gesunt. 
ir  möhtent  beitn  unz  an  die  stunt 
daz   ir  mich   saehent   bluotvar 
oder  minen   schilt   zerhowen  gar 


douce   dame,   encor   ne  savez 
que   ce  sera,   ne  je   ne   sai. 
de   neant  estes   en   esmai. 
mais   sachiez   bien  certainnement : 
s'en   moi   n'avoit  de   hardement 
que  tant  con  vostre  amors  nie  baille, 
ne   doteroie  ja  sanz   faille 
cors  a  cors   null   rien   vivant. 


oder   minen   heim   verschroten 
und   mich  dar  under  toten, 
dannoch   hast  ir  guote  zlt. 
nu  heizet   ez  doch   ein   strit 
der  under   uns   sol   geschehen, 
wem  noch  des  siges  werde  gejehen, 
des  haben   wir  dehein  gwisheit. 
8861    so  dürft  ir  niht   so  sere   klagen : 
wan   ich   wil  iu   zeware   sagen, 
het  ich   aller  manheit 
niender  eines  häres   breit 
wan   der  die   ich   von   iu   hän, 
mir   möhte   nimmer   missegan. 

Ich  denke,  auch  diese  Übereinstimmung,  wie  so  viele,  kann  nicht 
zweifelhaft  lassen,  daß  Christian's  Erec  und  kein  anderer  Hartmann 
vorgelegen. 

Von  dem  Pavillon ,  den  Erec  in  dem  Garten  erblickt  und  unter 
dem  eine  Frau  auf  einem  Bette  sitzt  (H.  8900—24),  spricht  Chr.  nicht: 
dieser  erwähnt  nur  ein  lit  d'argent  5832  (vgl.  H.  8953 — 55)  covert  cCun 
drap  borde  ä  or.  Er  beschreibt  auch  nicht  die  Kleider  der  Frau,  wie 
H.  (8925 — 52)  thut,  aber  beide  Dichter  rühmen  ihre  Schönheit  (Chr. 
5836 — 45,  H.  8926  —  35,  der  nur  Eniden  ausnimmt).  Auch  im  folgenden 
ist  Chr.  kürzer:  bei  ihm  findet  sich  keine  Beschreibung  des  heran- 
kommenden Ritters,  wie  sie  II.  (9010—22)  hat.  Das  Wechselgespräch 
zwischen  beiden  Männern,  bei  H.  zum  Theil  stichomythisch  (9028 — 47) 
und  mit  Einfügung  einer  Fabel  (9049 — 57),  ist  bei  Chr.  kürzer  und 
weniger  kunstreich,  bewegt  sich  aber  in  denselben  Gedanken  und 
schließt  mit  der  Ausforderung.  Die  Schilderung  des  Kampfes  nimmt 
bei  H.  viel  mehr  Raum  ein  (9069—9399)  als  bei  Chr.  (5890—5998). 
Doch  zeigt  sich  auch  hier  Entlehnung: 


17(->  KARL  BARTSCH 

5891   que  puis  n'i  ot  reinnes  tenues.         9082  diu  ros  si  nänien  mit  den  sporn, 
n'orent  mie  lances  menues.  9086  die  eschinen  schefte 

wurden   dö  geneiget 
und  in  diu  vart  erzeiget 
5896   sor  les  eseuz   par  tex  esforz  zuo   den   nageln   an   der  hant. 

s'entiefierent  des  fers    trancbanz,  in   mezzen  wart  du  wol    bewant, 

que  par  mi  les  escuz  luisanz  wan  si  gereichten  beide  .  .  . 

passe  de  chascune  une  toise.  durch  beide  schilte  unz  an  die  hant. 

mais  li  uns  l'autre  en  pan  n'adoise.  die  starken  schefte  ganz  beliben, 

ne  lance  brisiee  n'i  ot.  swie  sere  se  wurden  dar  getriben. 

chascuns  au  plus  tost  que  il  pot  wider  zugen  si  diu  sper, 

a  sa  lance  retraite  h  lui.  in   manlicher  ger, 

si  s'entrevienent  ambedui  und   riten  von  einander  dan, 

die  zwene  gelich  gemuoten  man, 
et  revienent  äjoste  droite  u.  s.  w.  durch  justieren  mere  u.  s.   w. 

Hartmann  lässt  sich  bei  dieser  Schilderung  durch  seine  Leser 
interpellieren  (9167),  was  natürlich  sein  eigener  Gedanke  ist  und  nicht 
auf  seinem  Vorbilde  beruht.  Er  und  seine  Nachfolger  lieben  diese  Art 
die  Erzählung  zu  unterbrechen.  Der  weitere  Verlauf  des  Kampfes  zeigt 
nicht  so  genaue  Übereinstimmung,  namentlich  von  91  ">5  an  weicht  H. 
stärker  ab  und  folgt  eigener  Erfindung.  Erst  am  Schlüsse,  wo  der 
Sieger  des  Besiegten  Namen  wissen  will,  und  auf  ihm  knieet,  treffen 
sie  zusammen :  vorher  berühren  sich  nur  einzelne  Stellen  (Chr.  5947.  48, 
H.  9276.  77;  Chr.  5952,  II.  9302'.  Bei  Chr.  nennt  Erec  dem  Be- 
siegten freiwillig  seinen  Namen  und  Mabonagrains  erst  im  Laufe  des 
Gespräches  (6083),  bei  II.  Erec  erst  nach  Aufforderung  des  Gegners 
und  lachend,  weil  es  wider  die  Sitte  ist  (9365  ff.).  Die  Mittheilungen, 
die  Mabonagrfn  über  sein  Verhältniss  zu  seiner  Frau  macht  (9461 — 79), 
finden  sich  bei  Chr.  später  (6221 — 41)  der  Frau  in  den  Mund  gelegt 
und  ein  wenig  abweichend.  Übereinstimmend  in  Bezug  auf  Inhalt  und 
Reihenfolge  erzählen  beide  Dichter  den  Grund,  warum  Mabonagrin  im 
Garten  gelebt,  II.  ausführlicher,  aber  mit  vielen  wörtlichen  Anklängen, 
namentlich  9562—73,  vgl.  Chr.  6044—46,  6059—61.  —  Das  Zusammen- 
treffen der  beiden  Frauen,  ihr  Gespräch  und  ihre  Erkennung  durch 
dasselbe  geschieht  auf  gleiche  Weise,  doch  hat  H.  hier  nicht  größere 
Stellen  wörtlich  nachgeahmt.  Der  König  des  Landes  hält  ein  Fest, 
das  nach  Chr.  (6344)  drei  Tage,  nach  H.  (9771)  vier  Wochen  dauert, 
an  dessen  Schlüsse  Erec  zu  Artus  abreist  (6346  ff.).  Bei  H.  fällt  da- 
zwischen die  Bestattung  der  Häupter  der  Erschlagenen  und  Erec's 
Fürsorge  für  deren  Frauen,  die  er  zu  Artus  mitbringt  (9745 — 51  und 
9781 — 9856),  was  bei  Chr.,  der  die  Frauen  gär  nicht  erwähnt,  natürlich 
auch  fehlt. 


ÜBER  CHRISTIANE  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  \ft 

Bei  der  Abreise  erwähnt  Hartmann,  der  Wirth  von  Brandigän 
habe  ein  schönes  kastilisches  Ross  bestiegen,  die  seinigen  ros  von  Ravine 
(9866),  wozu  schon  Haupt  bemerkt  hat,  es  scheine  hier  ein  Missver- 
ständniss  des  französischen  ravine  vorzuliegen.  Ein  solches  ist  aus  dem 
Bekker'schen  Texte  nicht  zu  folgern*);  wohl  aber  können  andere  Hss. 
des  Erec  (sie  verzeichnet  Holland,  Crestien  S.  15)  hier  ausführlicher 
sein  und  eine  derartige  Stelle  haben.  Dies  ist  um  so  wahrscheinlicher, 
als  gleich  darauf,  in  den  nächsten  Zeilen,  H.  mit  Chr.  stimmt: 
6348   grant   gent   ot  ä   lui   convoier.  9868   und   condwierten   die   geste. 

Den  Empfang  bei  Artus  schildert  Chr.  ausführlich  (6368 — 6458), 
Hartm.  dagegen  ganz  allgemein,  erwähnt  aber  auch  hier  wieder  die 
trauernden  Frauen  (9902—5.  9916—61).  Übereinstimmung  lässt  sich 
nicht  nachweisen,  wie  überhaupt  gegen  den  Schluß  hin  H.  selbständiger 
verfährt.  Zusammen  treffen  beide  Dichter  wieder  bei  der  Botschaft  des 
Todes  von  Erec's  Vater: 
6460  li  rois   les  retint  avec  lui,  9962  Erec  der  Eren  holde 

ses  tint  molt  chier  et  honora.  unde   Guivreiz   le  pitiz 

Erec  ä  cort  tant  demora,  die  wurden  do  en   allen  vliz 

Guivrez  et  Enide,    entrax  trois,  geeret  unde  enthalten  .  .  . 

9968  unz  daz  Erecke  ein  masre   kam 

que  morz  fu   ses  peres  li  rois.  daz  sin   vater  wsere  tot. 

Christian  erzählt  von  Boten,  die  nach  Tintajeul  kommen,  es  Erec 
zu  melden  (6466 — 75),  Hartmann  sagt  nur  ein  rncere  kam;  der  um- 
gekehrte Fall  Chr.  4903—6,  H.  6813  ff.  Erec  lässt  Messen  für  seines 
Vaters  Seele  singen  und  beschenkt  die  Armen  (6459)  :  letzteres  sagt 
auch  H.  (9980),  nicht  das  andere.  Dagegen  schildert  der  deutsche 
Dichter  ausführlich  Erec's  Empfang  in  seiner  Heimat.  Christian  erzählt 
nicht  einmal,  daß  Erec  heimgekehrt,  sondern  bei  ihm  bittet  Erec  den 
König  Artus  ihn  zu  krönen :  worauf  dieser  einen  Hof  nach  Nantes  ent- 
bietet, wohin  auch  Erec  die  seinigen  kommen  heißt  (6516).  Eniden's 
Eltern  werden  gleichfalls  dazu  eingeladen  (vgl.  H.  10117)  und  dem 
Könige  und  der  Königin  vorgestellt  (6523  ff.).  Auch  bei  II.  gebietet 
Erec  eine  töchzit  (10055),  aber  in  seinem  Lande,  und  empfängt  die 
Krone  (10062),  aber  nicht  von  Artus,  der  gar  nicht  mehr  erwähnt  wird. 
Den  Schluß  des  französischen  Gedichtes  bildet  die  Beschreibung  des 
Festes  in  Nantes :  auffallend  bricht  es  plötzlich  darin  ab  mit  den  Worten 

(6891-94): 

ne  porquant,  si  je  ne  les  vi, 
bien  en  seusse  raison  rendre; 
mais   il   m'estuet  aillors   entendre; 

*)  216ß  heißt  es  et  sist  sor  un  cheval  (Virlande,    qui  l'en  pprtoit  de  grcmt  ravine. 
GERMANIA  VII.  12 


178  KARL  BARTSCH 

worunter  vom  Schreiber  explicit  cV Ertc  et  dCEnide.  Es  ist  kaum  zu 
glauben,  daß  dies  der  wirkliche  Schluß  von  Christian's  Gedichte  sein 
sollte.  Die  Pariser  IIs.  (Cange  27),  bei  Holland  S.  25,  schließt  be- 
friedigender, indem  sie  wenigstens  die  Beschreibung  des  Festes  zu 
Ende  führt;  aber  auch  sie  bricht  mit  einem  huimais  pores  o'ir  avant  ab, 
was  auf  einen  unvollständigen  Text  deutet,  gerade  wie  der  Schluß  des 
Bekker'schen  Textes  auch.  Eine  andere  Hs. ,  auf  der  San  -  Marte's 
Auszug  (Arthursage  S.  299  —  320)  beruht,  berichtet  in  der  That  von 
Erec's  Heimkehr  in  sein  Land.  Der  Umfang  des  Gedichtes  wird  nach 
den  IIss.  verschieden  angegeben :  während  der  von  Bekker  heraus- 
gegebene Text  6894  Verse  zählt,  soll  eine  andere  Hs.  (Mr.  Cange  73, 
Holland  S.  23)  nur  6545  haben.  Wie  in  dieser,  wenn  die  Angabe 
richtig,  offenbar  Weglassungen  stattfinden,  so  konnte  die  von  H.  be- 
nutzte Hs.  einen  vollständigeren  Text  orehabt  haben. 

Es  scheint  daher  eine  Vergleichung  der  übrigen  Hss.  des  fran- 
zösischen Erec  sehr  wünschenswerth,  hauptsächlich  um  denjenigen  Text 
zu  ermitteln,  der  dem  von  Hartmann  benützten  am  nächsten  steht. 
Die  Übereinstimmung  zwischen  Hartmann  und  Christian  würde  sich, 
namentlich  im  Ausdruck,  wahrscheinlich  noch  mehren,  keinesfalls  min- 
dern. Auch  für  die  Kritik  Christian's  wäre  es  von  hoher  Wichtigkeit, 
eine  bestimmtere  Anschauung  von  dem  französischen  Texte  zu  gewinnen, 
da  wir  auf  diese  Weise  eine  Hs.  kennen  lernen  würden,  die  an  Alter 
alle  bisher  bekannten  überträfe  und  der  Abfassungszeit  des  Gedichtes 
sehr  nahe  stände.  Möge  der  von  Bekker  herausgegebene  Text  relativ 
der  beste  sein,  worüber  mir  kein  Urtheil  zusteht,  so  folgt  daraus  nicht, 
daß  nicht  relativ  schlechtere  Hss.  an  einzelnen  Stellen  und  ganzen 
Partien  das  echte  enthalten  können.  Daß  die  altfranzösischen  Dich- 
tungen wegen  der  leichteren  Versification  und  des  leichteren  Reimes 
von  den  sie  vortragenden  Jongleurs  vielfach  verändert  und  interpoliert 
wurden ,  lehrt  die  Vergleichung  der  Hss.  bei  andern  Gedichten  und 
zeigen  mehrere  Zeugnisse ;  in  der  Einleitung  seines  Erec    sagt  Christ. : 

d'Erec,  le  fil  Lac,   est  li  contes, 

que  devant  rois  et  devant  contes 

depecier  et  corrompre   suelent 

eil  que  de  conter  vivre  vuelent  (19  —  2  2), 

oder,  was  andere  Hss.  bieten,   eil  que  contrerimoier    vuelent  'die  Reime 
fälschen';  vgl.  Holland  S.  24. 

Um  zu  zeigen,   daß   auch  der  Bekker'sche  Text  nicht  bloß  'für 
wenige  Verse  noch  Einsicht  der  übrigen   Händschriften  zu   wünschen 
übrig  lässt,  lasse  ich  eine  Reihe  Berichtigungen    folgen.     4  lies  por  ce, 


ÜBER  CHRISTIANE  UND  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  J7<) 

wie  Gange  73,  Paris.  6987  (Holland  S.  22.  23)  lesen.  -  111  e«  la 
roine  Ven  va  merdant,  ein  Vers  von  zehn  Silben,  auf  den  reimen  soll 
beax  amis ,  vostre  compaignie !  Offenbar  ist  zu  lesen  et  la  roine  Ven 
mercie.  155 — 157  ist  verderbt:  cel  chevalier  alez  kann  man  nicht  sagen, 
in  iVainors  scheint  ein  Verbund  zu  stecken,  von  dem  chevalier  abhängt : 
ich  glaube  demander  ce  fait  la  roine,  'cel  chevalier  qui  lä  chemine  alez. 
164  qui  de  folie  fit  toz  plains;  dem  Sinne  und  dem  Charakter  des 
Zwerges  angemessener  ist  die  Lesart,  die  San-Marte's  Text  (Arthur- 
sage S.  301)  bietet:  qui  de  felonie  fut piain;  vgl.  208.  212.  —  187.  188 
lies  hleciee:  corrociee;  ebenso  ist  blecUe  191  zu  lesen,  weil  sonst  der  Vers 
zu  kurz  ist;  denn  blecie  ist  zweisilbig  (vgl.  229).  —  292  lies  ceste.  — 
409.  410  lässt  B.  reimen  rnervoillie:  feie";  vielmehr  ist  zu  schreiben 
niervoilliee:  fSe,  aber  auch  so  fehlt  dem  zweiten  Verse  eine  Silbe,  feiee 
aber  wäre  Adjectiv,  prov.  fadada.  —  562  lies  mnes  statt  meues,  denn 
346  reimt  mues:rues.  —  591.  592  reimt  Va:Va;  wenn  auch  solche 
Reime  bei  Christian  nicht  unerhört  sind  (vergl.  W.  Grimm,  zur  Ge- 
schichte des  Reimes  S.  176),  so  liegt  es  doch  nahe,  hier  durch  leichte 
Änderung  ihn  zu  entfernen,  indem  man  schreibt  ä  toz  jors  deservi  taura. 
■ —  623  fehlt  eine  Silbe:  lies  li  hiaumes  est  et  bons  et  beax,  vgl.  1409 
car  mout  le  vit  et  bei  et  gent.  —  679.  680  auffallend  reimt  IU  (keta) 
statt  liee  oder  lie  auf  outroU;  die  Form  lie  reimt  auf  seignorie  1302. 
Ein  ähnlicher  Reim  begegnet  1231  outroie :  mesnie,  was  auch  zu  ändern 
ist,  wenn  man  liest:  la  remenance  lor  outrie  (:  mesnie).  So  ist  auch  hier 
wohl  lie :  outrie  (Präsens)  das  echte.  -  -  683.  eine  Silbe  zu  viel ,  denn 
meisme  ist  dreisilbig,  wie  703  und  öfter;  vielleicht  aber  ist  vor  honorie 
zu  elidieren.  —    729  lies  de  Vernois  ä  parier  ne  fait.  746  vielleicht 

zu  lesen  li  uns  dit  ä  Vautre  en  Vorritte,  wie  4096  steht.  —  827  reimt 
nuleihme;  das  könnte  als  ungenauer  Reim  gelten:  wahrscheinlich  aber 
ist  lune  statt  mde,  wie  prov.  lunh  statt  nulh.  --  914  agrigneroit;  besser 
agreigneroit  oder  agraigneroit,  und  darnach  ist  zu  bessern  engignerai  240 
in  engreignerai  oder  engraignerai ;  vgl.  2005  und  San-Marte  (Arthursage 
S.  302).  —  1005  lies  mesfait ;  übrigens  fehlt  eine  Silbe,  daher  zu 
schreiben  et  se  de  rien  mesfait  vos  ai. —  1018  lies  tele  und  de  bot  (:plot), 
vgl.  852. —  1109  corroca  für  corroga  und  1131  d'illucques  für  d'illueques 
sind  wohl  nur  Druckfehler;  ebenso  1293  puit  für  puis.  —  1179  fehlt 
eine  Silbe:  lies  saluee  Va  tot  premiers.  --  1395  nach  prent  ein  Komma, 
höchstens  ein  Kolon.  —  1591  et  vor  bloies  überfüllt  den  Vers  und 
muß  daher  gestrichen  werden.  —  1615.  16  lies  bailliSes :  aparoilliSes. 
—  1673.  4.  lies  diesme :  quinziesme.  —  1677  gehört  noch  zum  vorher- 
gehenden Satze:    nach  reonde   ist    der   Punkt   zu    setzen.    —    1823   lies 

12* 


180  KARL  BAETSCH 

baisiee,  weil  sonst  der  Vers  zu  kurz  ist.  —  1869.  70  lies  Mont-  Revel 
Vun  opeloit  Van  (:  Rodelan) ,  vgl.  1325.  29  und  Hartm.  1827.  —  1871 
lies  ses  chasteleins ;  die  ganze  Rede  ist  indirect.  —  1881  lies  en  es  lejor. — 
1893  muß  der  Plural  stehen;  daher  ist  zu  lesen  quü  les  tendroient  aussi 
chiers.  —  1905.  9  lies  que  statt  qui.  —  1922  ist  um  eine  Silbe  zu  lang: 
entweder  molt  oder  i  ist  zu  streichen.  —  1942  lies  frere  oder  frers.  — 
1978  lies  jone.  —  1981.  82  lies  centures :  Arlures.  —  1986  fu  ist  zu 
streichen,  denn  Briens  ist  zweisilbig,  vgl.  1988.  —  2067  um  eine  Silbe 
zu  kurz:  wohl  ne  Brangiene  en  son  leu  mise.  —  2079  lies  vuidiee.  — 
2373.  74  lies  seingniee :  enseingnUe.  —  2456  lies  changiee.  —  2581  lies 
forsenage.  —  2642  lies  se  pernent  tiiit  ä  mervoillier.  —  2665.  66  lies 
aperoilliee :  merveilliee.  —  2677  lies  chascuns  se  paroffre  et  presente ,  vgl. 
832.  3261.  —  2767.  68  lies  essaucUe :  abassiee.  —  2828  isnelepas  lies 
en  es  le  pas.  —  2846  lies  esloingniees.  —  2965  assez  niocie,  wahrschein- 
lich lassez  mocie  'gesetzt  er  tödte  mich.'  —  3071.  2  reimt  vindrent: 
pristrent;  offenbar  ist  an  zweiter  Stelle  die  auch  vorkommende  Form 
prindrent  zu  schreiben.  —  3373  nach  prendre  ist  natürlich  ein  Komma 
zu  setzen.  —  3409  ist  metrisch  richtig,  wenn  man  Hiatus  annimmt: 
besser  indeß  qxüil  ßanciee  li  avoit.  —  3427.  28  lies  couchiee :  corrociee.  — 
3434.  35  ist  zu  interpungieren  bien  sei  que  sHl  Va  enbaillie,  de  son  seignor 
ne  puet  faiüir.  —  3491  lies  merite  (Druckfehler).  —  3548  vermuthlich 
desprisiez  (:  prisiez)  für  despisiez  zu  lesen.  —  3672  zu  kurz ;  denn  hiamne 
ist  zweisilbig:  daher  zu  lesen  brun  et  luisant.  —  3718.  9  lies  qui  la 
menace  molt  et  cJwse  et  comande  quele  se  taise:  Bekker  Ca  menace  und 
commandS;  aber  aus  chose  sieht  man,  daß  auch  die  andern  Verba  Prä- 
sentia sind.  —  3712  um  eine  Silbe  zu  kurz;  wohl  paroler  statt  parier. 

—  3815  lies  brisiee.  —  3881  desor  moi:  lies  desormais.  —  3972  lies 
vuilj  Bekker  uiil.  —  4106—8  ist  directe  Rede:  der  Übergang  aus  in- 
directer  in  directe  ist  im  Altfranz,  ebensohäufig  wie  im  Deutschen.  — 
4127  lies  ont  (Druckfehler);  ebenso  4207.  —  4194  nach  place  keine 
Interpunction;  ebenso  4240  nach  aprerfer.  —  4412  ne  ist  schwerlich 
richtig,  vermuthlich  plus.  —  4629  fehlt  eine  Silbe,  vielleicht  ne  riens 
ne  nie  vaudroit  complainte.  —   4640  der  Punkt  nach  aleure  ist  zu  tilgen. 

—  4664  US  ist  nicht  richtig,  vielmehr  lie  zu  betonen  (vgl.  zu  679). — 
4674  finez  soll  auf  deduiez  reimen ;  das  ist  ganz  gegen  den  Gebrauch 
französischer  Dichter;  man  lese  fuiez,  und  vermuthlich  wird  auch  die 
IIs.  so  lesen.  —  4687.  88  besser  reimt  no  viicovi  oder  non  viiconvi, 
wie  le  va:leva  4432,  lo  gie:logie  5081  und  oft.  —  4713  um  eine  Silbe 
zu  kurz,  ohne  daß  es  bezeichnet  wäre;  lies  quele  merveille.  —  4754  lies 
rienragevis.  —  4829  vielleicht  zu  ergänzen  et  fiert  parmi  le  vis  le  conte. — 


ÜBER  CHEISTIAN'S  UNI)  HARTMANN'S  EREC  UND  ENIDE.  181 

5039  nach  avoit  fehlt  wohl  eine  Negation  oder  ja.  —  5069  en  saint 
leu  würde  heißen  fan  heiligem  Orte',  genieint  ist  aber  en  min  hu 
'gesund  gelegen,  vgl.  5146.  —  5116  nach  li  ist  keine  Interpimction 
zu  setzen.  —  5292  lies  entaillUe.  —  5301.  2  lies  taillUe :  aporcillUe. — 
5391  tercuel  ist  zwei-,  nicht  dreisilbig,  vgl.  1972,  daher  zu  schreiben 
maint  tercuel  et  rnaint  espervier.  -  5347  wohl  jusquä  Liege.  —  5534 
pss  scheint  nicht  sowohl  Druckfehler  als  aus  unrichtiger  Auflösung  von 
pls  =  plus  hervorgegangen. —  5629.  30  lies  irUe  :  empirUe. —  5641  lies 
empiriees.  —  5750  die  Worte  bien  Vavons  conneu  sind  als  Parenthese  zu 
fassen.  —  5984  fehlt  eine  Silbe,  etwa  que  je  Voie,  aber  auch  Voie  ist 
nicht  richtig,  denn  das  Object  folgt,  daher  zu  schreiben  que  je  oie  la 
verite.  —  6070.  lies  naeroit  (Druckfehler?)  von  ncer  cnier.  —  6066  lies 
foimentis  oder  foimenti.  —  6070  lies  avoie  statt  auoi*.  —  6121  um  eine 
Silbe  zu  lang:  entweder  fair  oder  ne  chanter.  —  6177  lies  corociee: 
dreciee.  —  6235.  36  falsch  interpun giert ;  lies  ä  moi  plot  et  lui  cCautre 
pari.  <moi  demora  et  lui  fu  tart.  —  6241  lies  estions.  —  6265.  66  l. 
deseonsoilliSe  :  aporoilliee. —  6319.  20  besser  als  ein  Satz  aufzufassen. — 
6466  nach  inessage  ist  ein  Komma  zu  setzen.  —  6551  statt  coste  ist 
coste  (:  oste)  zu  lesen,  wie  poverte  (— poverte)  :  overte  4763.  —  6678 
lies  tailliee.  —  6697  das  zweite  grant  ist  zu  streichen.  —  6745  lies 
cTor.  —  6769  vielleicht  Larges  als  Eigenname?  und  demgemäß  6780 
Larges  U  rois.  —  6784  es  ist  nicht  nothwendig  eine  Lücke  anzunehmen; 
man  schreibe  corroit  für  corrent. 


Die  vergleichende  Darlegung  beider  Gedichte  hat  ergeben,  daß 
Hartmann  nicht  nur  im  Thatsächlichen,  im  Verlaufe  der  Erzählung,  fast 
überall  zu  Christian  stimmt,  sondern  auch  in  dem  was  dem  französischen 
Dichter  als  Eigenes  gehört,  in  Gesprächen,  Beschreibungen,  Vergleichen 
u.  s.  w.  hat  der  deutsche  zahlreiche  Stellen  wörtlich  (so  viel  ihm  die 
Gebundenheit  des  Verses  und  Reimes  es  erlaubte)  wiedergegeben  (vgl. 
auch  W.  Grimm's  Athis  und  Prophilias  S.  372).  Die  meisten  Ab- 
weichungen sind  der  Art,  daß  sie  sich  als  absichtliche  Änderungen 
Hartmann's  kund  geben ,  der  in  soweit  seinen  Stoff  beherrschte ,  als 
er  das  unpassende  mancher  Situation  in  seinem  Vorbilde  durch  leichte 
Motive  zu  mildern  suchte  oder  Andeutungen  in  seinem  Originale  zu 
neuen  Situationen  erweiterte.  Hartmann's  sinnige  und  maßvolle  Natur 
findet,  bei  aller  Abhängigkeit  im  Stoffe,  wie  sie  die  Gewohnheit  und 
Überlieferung  mittelalterlichen  Dichtern  auferlegte,  doch  noch  immer 
reichlich  Gelegenheit  sich  geltend  zu  machen.  Er  fühlt  das  Unschick- 
liche, wenn  bei  Chr.  Eniden's  Vater  seiner  Tochter  Schönheit  rühmt, 
die  reiche  Kleider  senuo;   bekommen   könnte    und   keinem    Fürsten    zur 


182 


KARL  BARI  S<  B 


Schande  gereichen  würde;  und  lässt  diese  Prahlereien  weg  (oben  S.  143). 
Aus  gleichem  Grunde  ändert  er  die  Beschreibung  und  die  Bewirthung 
im  Hause  von  Eniden's  Eltern,  die  bei  Christian  im  Widerspruch  zu 
ihrer  Armuth  steht,  naturgemäß  ab  (S.  144).  Er  lässt  den  Vater  Enidens, 
dem  Erec  den  Antrag  macht  seine  Tochter  zu  heiraten  ,  misstrauisch 
sein  und  an  dem  Ernste  des  Antrages  zweifeln  (S.  145).  Das  Misstrauen 
des  Armen  kann  der  feiner  fühlende  Erec  Hartmanns  nachempfinden 
und  scheut  sich  es  zu  wecken  und  so  den  Armen  zu  verletzen  (8.  149)- 
Bei  Hartmann  besteht  Artus  darauf,  daß  Erec  an  seinem  Hofe  die 
Vermählung  feiere,  während  bei  Christian  Erec  den  König  darum  bittet 
(S.  153).  Der  Tadel  Erec's  über  Eniden's  unerlaubtes  Sprechen  geschieht 
bei  Hartmann  immer  erst  nach  überstandener  Gefahr  (S.  159  fi'.).  Die 
schamlose  Äußerung,  die  Christian,  wenn  auch  eine  als  Verstellung, 
Eniden  dem  Grafen  gegenüber  thun  lässt,  hat  Hartmann  nicht  in  sein 
Gedicht  herübergenommen  (S.  162,  Anm.).  Das  Nachtlager  im  Walde, 
mit  dem  Könige  Guivrez,  wird  von  Hartmann  der  Sache  und  den  Um- 
ständen gemäß  geschildert,  daß  sie  unter  Bäumen  auf  Laub  geschlafen, 
vom  Essen  ist  nicht  die  Rede,  während  Christian  von  mitgebrachten 
Zelten  und  Speisekisten  spricht  (S.  171). 

Hartmann  fügt  psychologische  Bemerkungen  ein,  die  seinem  Vor- 
bilde fehlen  und  die  uns  den  Charakter  des  deutschen  Dichters  von 
der  liebenswürdigsten  Seite  zeigen:  so  über  die  Schämigkeit  der  Frauen 
(S.  149).  Er  bemerkt,  daß  die  wilden  Rosse  sich  Eniden's  Leitung 
willig  gezeigt  (S.  160).  Er  fügt  eine  Charakterschilderung  Kai's  ein 
(S.  165)  und  setzt  entschuldigend  hinzu,  daß  die  Flucht  vor  dem  vom 
Tode  erstandenen  Erec  keine  Schande  gewesen  (S.  170).  Unwahrschein- 
lichkeiten  der  Erzählung  sucht  Hartmann  so  gut  er  kann  zu  erklären, 
so  den  Umstand,  daß  Enide  immer  früher  die  Gefahr  herankommen 
hört  als  Erec,  durch  seine  Rüstung  (S.  162).  Als  unwahrscheinlich  er- 
laubt er  sich  Zahlen  zu  ändern,  so,  wenn  Guivrez  bei  Christian  tausend 
Begleiter  mit  sich  nimmt  (mit  denen  dann  Erec  in  Kampf  geräth), 
macht  Hartmann  nur  dreißig  daraus  (S.  171);  umgekehrt  erhöht  er  die 
Dauer  des  Festes  auf  Brandigan,  die  Christian  auf  drei  Tage  angibt, 
auf  vier  Wochen  (S.   177). 

Andeutungen  des  Originals  werden  von  Hartmann  zu  neuen  Zügen 
und  Situationen  erweitert,  so  in  der  Schilderung  von  Erec's  Eintritt 
und  Ankunft  bei  Eniden's  Vater  (S.  143),  und  die  erfundene  Erzählung 
Enidens,  daß  sie  von  ihrem  Gatten  geraubt  worden  (S.  162). 

In  den  Beschreibungen  und  Schilderungen  von  Äußerlichkeiten 
ist  Hartmann  theils   kürzer,   theils    länger.     Kürzer  z.  B.    in   der   Be- 


ÜBER  CHRISTIANS  UND  HARTMANN'S  EREC  l'ND  ENIDE.  183 

Schreibung  der  Kleider,  die  Enide  von  der  Königin  bekommt  (S.  150), 
und  einmal  mit  ausdrücklicher  Bemerkung  (S.  163).  Meist  aber  ist  er 
länger,  so  in  der  Schilderung  der  fünf  alten  Könige,  die  zum  Turnier 
kommen  (S.  154),  in  Erec's  Ausrüstung  zum  Turnier  (S.  156)  und  über- 
haupt in  der  ganzen  Turnierschilderung,  die  aber  doch  auf  Christian 
beruht  (S.  156 — 157).  Ferner  in  dem  Excurs  über  Fämurgän  (S.  165),  die 
Hartmann  auch  später  nochmals  hereinzieht  (S.  171),  in  der  Schilderung 
der  Burg  (S.  171),  in  der  Beschreibung  von  Emdens  Pferde  (S.  171  ff.), 
des  Zeltes  im  Garten  (S.  170)  und  dos  Kitters,  mit  dem  Erec  daselbst 
kämpft  (ebd.). 

Bis  hierher  können  wir  uns  die  Abweichungen  erklären  und  den 
Gründen,  aus  denen  sie  Hartmann  sich  erlaubt,  meistentheils  nach- 
gehen. Wir  können  jedoch  nicht  verschweigen,  daß  sich  manche  that- 
sächliche  Unterschiede  von  größerer  Bedeutung  finden,  die  nicht  so 
schlechthin  als  Willkür  des  deutschen  Bearbeiters  gelten  dürfen,  sondern 
bei  denen  die  Frage  nach  einer  andern  Quelle  berechtigt  erscheint. 
Betrachten  wir  zuerst  die  Namen,  so  scheinen  bald  im  Beginn  des  Ge- 
dichtes einige  zu  solcher  Vermuthung  Anlaß  zu  geben.  Hartmann  nennt 
das  Schloß  Tulmein,  auf  welchem  der  Herzog  Imdtn,  der  Veranstalter 
des  Sperberfestes,  wohnt  (S.  143);  allein  beide  Namen  sind  durch  Miss- 
verständniss  zu  erklären,  vielleicht  eines  und  desselben  Wortes.  Chri- 
stian sagt  1347: 

et  sa  cosine  estoit  germaine 

et  niece  le  conte  domaine; 
daraus  oder  aus  einer  ähnlich  lautenden  Stelle  machte  Hartmann  einen 
Mann,  Namens  Imain  (d' 'Omain- e)*),  und  aus  einer  andern  Stelle,  6200 

niece,  fait  ele,  sui  le  conte 

qui   tient  Lalut  en    son  domainne, 
ist  daz  hüs   Tulmein  hervorgegangen.     Ahnliche  Missverständnisse   sind 
in  der  deutschen  Litteratur  nicht  selten:  ich  will  hier  nur  ah  Herborts 
meisler  Donjon  erinnern,  der  aus  Benoits  li  mestre   dovjons  'der  Haupt- 
thurm'  entstand  (vgl.  Frommann  in  dieser  Zeitschrift  2,  77). 

In  Hartmann's  Erec  selbst  begegnen  wir  noch  anderen  Missver- 
Ständnissen  dieser  Art,  so  die  ros  von  Ravine  (S.  177),  die  allerdings 
aus  keiner  Stelle  des  Bekker'schen  Textes  erklärlich  sind ,  und  die 
Ritter  Venegus,  Oj/ina.v  und  Libauz  (S.  173).  Dahin  gehören  auch  die 
Namen   Tanebroc  und  Prürin  (Euroc),  von  denen  ich  schon  oben  (S.  156) 


*)  Ein  ähnliches  Missvefständniss  scheint  sich  ein  neuerer  zu  Schulden  kommen 
zu  lassen,  wenn  er  von  einem  pauvre  preudhomme  vassal  du  baron  deyCeans  spricht 
(San-Marte,  Arthursage  S.  303). 


184  B  A15L  BARTSCH 

gesprochen  habe.  Endlich  der  Name  des  Zwerges  Maledicur  (S.  147), 
den  Wolfram  (Parz.  401,  14),  ohne  Zweifel  aus  Hartmann's  Erec,  J/a- 
liclisier  nennt.  In  der  Endung  scheint  letztere  Form  den  richtigen 
Vocal  zu  haben:  Wolfram  reimt  den  Namen  auf  condeicier.  Auch 
dieser  Name  ist  aus  Missverständniss  einer  Stelle  Christians  zu  er- 
klären. Nachdem  Yders,  von  Erec  besiegt,  sich  an  Artus  Hof  und  zur 
Königin  begeben,  sagt  diese  zu  ihm  (1200): 

puis  qu'en  ma  merci  ci  es  niis, 
plus  en  iert  la  merci  legiere, 
ne  n'ai  talant  que  mal  te  quiere. 

Las  etwa  Hartmann  in  der  letzten  Zeile  ne  demande  que  mal  li 
quiere;  so  konnte  er  bei  dem  geringen  Verständniss  des  Französischen, 
das  er  besaß,  sie  verstehen  cich  verlange  nur  Malliquier,  und  aus  dieser 
Form  konnte  leicht  Maldisier  und  ähnliches  werden.  Allerdings  wird 
bei  Hartmann  der  Name  schon  früher  genannt,  gleich  nachdem  Erec 
seinen  Gegner  besiegt  hat  (1076),  aber  derselbe  Fall,  das  Heraufnehmen 
eines  bei  Christian  erst  später  genannten  Namens,  begegnet  bei  Enidens 
Eltern,  die  Chr.  erst  am  Schlüsse  (6846.  48)  *) ,  Hartmann  gleich  am 
Anfang  (427.  429),  und  bei  Eniden  selbst,  deren  Namen  Christian  zum 
ersten  Male  bei  der  Vermählung  nennt  (S.  154). 

Wenn  daher  aus  diesen  Namen  nur  ein  stellenweis  abweichender 
Text,  nicht  aber  Benutzung  eines  andern  Gedichtes  gefolgert  werden 
kann,  so  müssen  einige  andere  Züge  geltend  gemacht  werden,  bei  denen 
solche  Erklärungsweise  nicht  genügt.  Zwar  die  Nennung  anderer  Ritter 
der  Tafelrunde  bei  Hartmann  lässt  sich  so  erklären ,  daß  er  andere 
frauzösiche  Dichtungen  über  Artus  gekannt  und  aus  diesen  weitere 
Namen  hier  eingetragen  (S.  150  ff.).  Dagegen  rechne  ich  hierher  die 
Bewirthung  durch  den  Knappen  im  Walde  und  was  ihr  zunächst  folgt 
(S.  160  ff.),  die  Einladung  des  Zwerges  König  Guivrez  (S.  164J,  die 
Einführung  der  achtzig  Frauen  auf  Brandigan  (S.  173.  177)  und  endlich 
der  Schluß  der  Gedichte,  der  indess  insofern  übereinstimmt  als  beide 
Dichter  eine  Festschilderung  geben,  Christian  eine  lange,  Hartmann 
eine  gedrängte,  und  auf  den  ich  insofern  weniger  Gewicht  legen  möchte, 
als  das  Abbrechen  des  Bekker'schen  Textes  zu  deutlich  hervortritt  und 
andere  Hss.  das  Gedicht  um  einen  Schritt  weiter  zu  führen  scheinen 
(S.  178). 

Ehe  wir  daher,  gegenüber  der  unverkennbaren  Übereinstimmung 
zwischen  Christian  und  Hartmann  im  Großen  und  Kleinen,  in  der  An- 


*)  Was  Pfeiffer  (Germania  4,  196)  entgangen  ist. 


ÜBER  CHRISTIAN'S  UND  HARTMANNS  EEEC  UND  ENIDE.  JS5 

läge  des  Ganzen  wie  in  der  Ausführung  des  Einzelnen,  uns  der  Ansicht 
anschliessen,  es  habe  dem  deutschen  Bearbeiter  ein  anderer  Erec  vor- 
gelegen als  das  Gedicht  Christians ,  scheint  es  unerlässlich,  die  fran- 
zösischen Handschriften  sowohl  in  einzelnen  Lesarten  als  im  Ganzen 
zu  vergleichen.  Sie  werden  das  Resultat,  zu  welchem  unsere  zerglie- 
dernde Vergleichung  gelangt  ist,  nicht  umstoßen,  vielmehr  dazu  bei- 
tragen, einen  dem  Hartmann'schen  im  Einzelnen  noch  näher  stehenden 
Text  zu  ermitteln. 

Eine  in's  Einzelne  gehende  Vergleichung  der  deutschen  höfischen 
Dichtungen  mit  ihren  französischen  Originalen  scheint  für  die  richtige 
Würdigung  beider  Litteraturen  von  großer  Wichtigkeit.  Wir  lernen 
dadurch  in  die  Gedankenwerkstätte  unserer  Dichter  blicken;  wir  sehen 
(und  das  wird  auch  vorstehende  Untersuchung  hoffentlich  erreicht  haben) 
die  engen  Grenzen,  innerhalb  deren  sich  die  dichterische  Kraft  gegen- 
über der  'Quelle'  bewegte,  und  lernen  eben  deswegen,  soviel  wir  auf 
der  einen  Seite  von  der  Selbständigkeit  abziehen  müssen,  auf  der 
andern  Seite  unsere  Dichter  doppelt  lieb  gewinnen,  die,  mit  solchem 
Zwange  umgeben,  es  doch  verstanden,  die  mehr  oder  weniger  trockenen 
Vorbilder  fmit  warmem  Leben'  zu  erfüllen  und  ihnen,  wie  W.  Grimm 
(Athis  S.  372)  es  schön  ausspricht,  fdie  deutsche  Seele  einzuhauchen'« 

ROSTOCK,  im  November  1861. 


ZUM  MÄRCHEN  VOM  ZAUNKÖNIG. 

(Germania,  t>,  80— 10b'.) 


Die  zweite  der  von  Pfeiffer  besprochenen  Bearbeitungen  dieser 
Fabel  (6,  87 — 89)  ist  nach  einer  vollständigeren  Handschrift  als  die 
Stuttgarter  ist,  in  Fichard's  Frankfurtischem  Archiv  für  ältere  deutsche 
Litteratur  und  Geschichte  3,  316—323  abgedruckt.  Die  den  Eingang- 
bildende  Anrede  des  Königs,  die  in  der  Stuttgarter  Handschrift  fehlt, 
lautet  hier: 

Ich  byten  uch  herren  alle  gar 

Das  ir  rnyner  eren  nement  war 

Und  das  myn  lant  in  fryden  sy 

Das  ich  von  laster  leben  fry  (/£i/i&&€*n 

Und  radent  mir  wy  das  ich 

Möge  bewaren  min  konigrich 

Und  wisent  recht  und  eben 

Wie  ich  solle  in  eren  leben. 


|S(;  KARL  BARTSCH 

Dem  Rathe  des  Geiers,  der  in  der  Stnttg.  Hs.  den  Anfang  bildet, 
gehen  noch  zwei  Absätze  von  je  sechs  (im  zweiten  fehlt  jedoch  eine 
Reimzeile)  Versen  vorher.  Die  Namen  der  Vögel  sind  hier  und  in 
allen  folgenden  Absätzen  nicht  hinzugefügt.  Im  Ganzen  sind  es  dreißig 
Absätze,  also  29  Rathgeber;  ein  regelmäßiger  Wechsel  zwischen  guten 
und  bösen  Rathgebern  findet  nicht  statt. 

Von  der  dritten  Bearbeitung,  die  ich  in  der  Einleitung  zur  Er- 
lösung S.  XLIII — XLV  nach  einer  Nürnberger  Handschrift  habe  ab- 
drucken lassen,  und  von  der  Pfeiffer  (S.  89)  noch  eine  S.  Florianer 
Handschrift  anführt,  gibt  es  oder  gab  es  noch  eine  dritte,  eine  Papier- 
handschrift vom  Jahre  1475  (8  Bl.  fol.)  auf  der  königl.  Bibliothek  zu 
Berlin,  aus  der  Bibliothek  des  Christoph  von  Wolkenstein  (1594) 
stammend.  Hier  hat  das  Gedicht  23  gute  und  23  böse  Rathgeber.  Der 
Anfang  lautet : 

Das  Chünigl. 
Ir  herren  gebt  mir  ewren  rat 
Wye  wir  des  landes  er  behaltn. 

Adlar. 
Her  du  solt  in  milde  gebn 
So  macht  du  wol  in  ern  lebn. 

Stockar. 
Her  du  vrizz  allain  dein  speys 
So  dunckest  du  mich  weys. 
Vgl.  Serapeum  12,  339,  wo   zugleich   bemerkt  wird,    daß   die  Hand- 
schrift nicht  mehr  vorhanden  sei.   Sie  enthielt  außerdem  poemata  moralia 
nun  figaris,  wohl  auch  deutsche  didaktische  Gedichte. 

Ein  niederdeutsches  Gedicht  desselben  Inhaltes  ist  abgedruckt  in 
Brun's  Gedichten  in  altplattdeutscher  Sprache  S.  135—140,  aus  einer 
Helmstädter  (jetzt  Wolfenbüttler)  Handschrift.  Als  König  ist  hier  nicht 
der  Zaunkönig  bezeichnet,  aber  die  Übereinstimmung  mit  dem  nieder- 
ländischen Gedichte,  welches  Maßmann  in  der  Germania  6,  232  mit- 
getheilt  hat  und  von  dem  es  gleichwohl  verschieden  ist  (es  stimmt 
z.  B.  wörtlich  der  Rath  des  Aaren,  vgl.  auch  Germania  6,  95;  ferner 
der  Rath  der  Unke  S.  137: 

wen  di  arme  lüde  clagen, 
den  scaltu  richten  unvorsagen, 
mit  German.  6,  83: 

und  wenn  die  armen  uch   clagen, 

daz  süllent  ir  enden  und  nit  vertragen; 


ZUM  MÄRCHEN  VOM  ZAUNKÖNIG.  187 

im  Sinne  stimmt  was  der  Kibitz  S.  138  räth  mit  dem  Käthe  der  Eule 
Grerman.  6,  85;  wörtlich  wieder  die  Rede  des  Wiedehopfs  S.  138  mit 
den  zwei  ersten  Zeilen  desselben  Vogels  German.  6,  86,  103),  zeigt 
deutlich,  daß  nur  der  Zaunkönig  gemeint  sein  kann. 

Ein  anders  niederdeutsches  Gedicht  befindet  sich  in  einer  Stock- 
holmer Handschrift,  die  im  Serapeum  10,  38  erwähnt  wird.  Das 
Gedicht  beginnt : 

Hir  begynders  de  vögele  spräche 
Velle  nuts  mag  me  dar  ave  markens. 

Nach  diesen  Zeilen,  die  eine  Art  Überschrift  zu  bilden  scheinen, 
lässt  sich  nicht  beurtheilen,  ob  es  eine  der  schon  bekannten  Bearbei- 
tungen ist. 

Noch  bemerke  ich,  daß  das  zweite  niederländische  Gedicht,  welches 
Maßmann  (Germania,  6,  232)  erwähnt,  bereits  in  Serrure's  vaterländ. 
Museum  1,  319 — 321  gedruckt  ist,  vgl.  Hofimann's  Übersicht  (2.  Aus- 
gabe) Nr.  501,  S.  43;  es  enthält  52  Reimzeilen. 

KARL  BARTSCH. 


DER  RHEIN  UND  ANDERE  FLÜSSE  IN  SPRICH- 
WÖRTLICHEN REDENSARTEN. 

Bei  den  mittelhochdeutschen  Dichtern  begegnen  uns  oft  Flüsse, 
voran  der  Rhein  ,  in  sprichwörtlicher  Weise.  Zuvörderst  war  es  eine 
beliebte  Sitte  Gränzen  nach  Flüssen  zu  bezeichnen.  Namentlich  mußten 
der  Rhein  und  die  Rhone  (Roten),  der  Po  (Pfät)  und  die  Elbe  dazu 
dienen.  Sie  galten  ja  als  natürliche  Marken  des  deutschen  Reiches.  Schon 
in  der  Kaiser-Chronik  werden  uns  Rhein  und  Rhone  als  Gränzen  genannt : 
Von  dem  Rine  unz  an  den  Roten 
so  vlugen  boten  ubir  boten, 

Diemer  467,  31.  Maßm.  15283. 
Ebenso  im  Nibelungenliede: 

vonme  Roten  zuo  dem  Rine  üf  bi  Elbe  unz  an  daz  mer 
so  ist  ir  deheiner  also  gewaltic  niht.     1268,  2. 
Walther  und  Neidhart  nennen  die  Elbe  neben  dem  Rheine 
von  der  Elbe  unz  an  den  Rin 
und  her  wider  unz  an  Ungerlant.     Walth.  56,  38. 
daz  ez  lüte  erhillet  von  der  Elbe  unz  an  den  Rin. 

Neidh.  ed.  Haupt  73,  23. 


188  I-  V.  ZINGEELE 

Hieher  gehören  noch  die  Stellen: 

Swaz  meister  in  den  landen  ist 
bi  Rine  und  bi  der  Elbe, 
die  künden  ein  gewelbe 
von  künsterichen  Sachen 
so  starkez  niht  gemachen, 
als  einez  an  dem  turne  lac. 

Konrad's  Trojan.  17482. 
Öfters  kommt  das  Meer  im  Gegensatze  zum  Rhein  vor.    Z.  B. : 
von  dem  mere  unz  an  den  Rin.     MSF.  3,  8. 
von  dem  mer  biz  an  den  Rin. 

Enenkel.  Maßm.  Kehr.  III,  188,  103. 
daz  msere  witen  wart  erkant 

von  dem  mer  unz  an  den  Rin.     Enenk.  Ebd.  III,  430,  6. 
Neben  Po  steht  Rhein  bei  Hildebold  v.  Schwangau: 

von  dem  Pfade  unz  üf  den  Rin.    MSH.  1,  282. 

Ein  andermal  sind  Maas  und  Rhein  zusammengestellt: 
enzwischen  Mase  unt  dem  Rine. 

Herzog  von  Brabant  MSH.  1,   17a. 
Als  Grenze  begegnet  uns  auch  der  Rhein  im  Verse: 

sam  im  dien  daz  lant  von  Ungern  an  den  Rin. 

MSH.  3,  289». 
Rhein,  Elbe  und  Po  nennt  Neidhart  nebeneinander : 
Von  hinne  unz  an  den  Rin, 
von  der  Elbe  unz  an  den  Pfät, 

diu  lant  diu  sint  mir  elliu  kunt.     ed.  Haupt  93,   15. 
Die  Elbe  kommt  außerdem  als  Gränze  vor: 

zwischen  der  Elbe  und  dem  mer.     Biterolf  13329. 
Die  Rhone  wird  noch  genannt  in  folgenden  Stellen: 

von  Grikuläne  unz  an  den  Roten.     Wolfr.  Wilh.  86,  21. 
diu  scheenest  und  diu  beste  frouwe 
zwischen  Roten  und  der  Souwe. 

Veldeke.  MSF.  56,  10.   MSH.  1,  35a. 
Walther  stellt  einmal  die  Seine  und  Muhr,  den  Po  und  die  Tra- 
venna  zusammen: 

Ich  hän  gemerket  von  der  Seine  unz  an  die  Muore, 
von  dem  Pfade  unz  an  die  Traben  erkenne  ich  al  ir  fuore.     31,  13. 


DER  RHEIN  UND  ANDERE  FLÜSSE.  189 

Um  das  Unwahrscheinliche  und  Unmögliche  zu  bezeichnen  (als 
loci  ix  to£  ädvvarov)  gebrauchen  griechische  und  römische  Dichter 
nicht  ungerne  von  Flüssen  entlehnte  Bilder,  z.  B. 

ava  Tiora^icöv  isqcov  %cöqov<jl  nayul     Euripid.  Medeia  409. 
In  caput  alta  suum  labentur  ab  aequore  retro 

flumina.     Ovid.  Trist,     I.  8,  1. 
„Cum  Paris  Oenone  poterit  spirare  relicta, 
ad  fontem  Xanthi  versa  recurret  aqua," 
Xanthe,  retro  propera,  versaeque  recurrite  lymphae ! 

sustinet  Oenonen  deseruisse  Paris.     Ovid  Heroid.    V,  29. 
Vergilius  singt: 

Ante  pererratis  amborum  finibus  exsul 

aut  Ararim  Parthus  bibet,  aut  Germania  Tigrim. 

Ecl.  I,  62. 
In  ähnlicher  Weise    drücken   unsere  mhd.  Dichter  das   Unmög- 
liche aus;  z.  B. 

si  möhten  e  den  Rin 
gekeren  in  den  Pfat, 
e  ich  mich  iemer  sin 
getroste.     Hausen.     MSF.  49,  8. 
Er  kerte  den  Rin  e  in  den  Pfat, 
e  ich  sie  lieze,  diu  mich  hat 
betwungen.     Guotenburc.  MSF.  75,  6. 
er  schiede  e  Musel  und  den  Rin, 
e  er  von  ir  daz  herze  min 

gar  enbünde.     Guotenburc.  MSF.  71,  39.  MSH.  1,  115b. 
Du  kumpst  leicht  ee  von  Pern, 
knabe,  ee  daz  du  erwürbde, 
daz  ich  dir  holt  würde 
oder  holt  möcht  gesein; 
ee  muestu  den  Reyn 
bringen  über  den  hcesten  berg 

ein  aller  slacht  hantwerk.     Kellers  altd.  Erz.  p.  128,   15. 
Um  das  Unmögliche  zu  bezeichnen,    gebrauchen  griechische  und 
römische  Schriftsteller  die  Phrase,   ehe  sollte  die  Welle  Feuer  werden 
oder  mit  dem  Feuer  sich  verbinden,  z.  B.  fi-üööov  ecptj  7ti>Q  vdart  ^u%~ 
ftrjöSTat,  rj  ixsCvrjv  xaxayßr\GB%ai.     Dio  C.  1.  LV  c.  13: 
Terra  feret  Stellas,  coeliun  findetur  aratro, 

unda  dabit  flammas  et  dabit  ignis  aquas. 
Omnia  naturae  praspostera  legibus  ibunt,     Ovid  Trist,   I,  8,  3. 


]90  I.  V.  ZINGKRLK 

—  ante  cum  flammis  aqua?, 

cum  morte  vita,  cum  mari  ventus  fidem 
foedusque  jungent.     Seneca  Thyestes  V.  480. 

—  ignibus  junges  aquas 

et  amica  ratibus  ante  promittet  vada 
incerta  Syrtis.     Seneca  Hippolitus  V.  568. 
Prius  undis  flamma,  ut  ait  poeta  nescio  quis,  prius  denique  omnia, 
quam  aut  cum  Antoniis  respublica,  aut  cum  repubJica  Antonii  redeant 
in  gratiam.     Cicero  phil.  13,  21. 

Diesen  Bildern  entspricht  die  deutsche  Redensart:   Eher  soll  der 
Rhein  oder  ein  anderes  Gewässer  brennen;  z.  B. : 
ich  waen  noch  lihter  den  Phät 
allen  verbrande, 
daz  sin  ninder  dehein  schrät 
flüzze  in  dem  lande, 
e  daz  ich  din  getsete  rät. 

Hartmann  v.  Aue.  Büchlein  I,  1775. 

sä  wart  enprant 

von  mir  der  Rin  mit  allen. 

Krist.  v.  Luppin.  MSH.  2,  206. 
iedoch  verbriinne  e  der  Rin. 

Frauenzucht  594.  (Gesammtab.  1,  57.) 
nu  giht  din  zorn,  ich  habe  den  Rin  enbrennet. 

Wartburgkrieg  ed.  Simrock  Str.  89,  10. 
weder  hän  ich  iu  den  win  vergozzen, 
oder  den  speht  erschozzen? 
oder  hän  ich  iu  den  Rin  verbrant? 
ir  habt  mich  unreht  erkant. 

Alte  Mutter  237  (Gesammtab.  1,  95.) 

e  muest  verbrinnen 
der  Rein,  ob  es  mögt  gesein, 
e  ich  dem  lieben  herren  myn 
leystet  solch  untrewen. 

Keller's  altd.  Erz.  295,  24. 

ein  steinwant  slof  in  ein  twerk, 
da  von  verpraten  wart  der  Rein. 

Suchenwirt  XLV,  52. 
ez  brinnent  elliu  wazzer,  e  diu  liebe  minhalp  verderbe. 

Wolfram  Titurel  77,  4. 


DER  RHEIN  UND  ANDERE  FLUSSE.  191 

Weniger  kräftig   ist   die   Phrase:   eher   soll   der   Rhein   oder   das 
Meer  trocken  werden;  z.  B.: 

—  ich  wände  ez  mohten  sanfter  meres  flüete 
trocken  werden  danne  er  scholt  ersterben. 

j.  Titurel  (ed.  Hahn)  3583,  2. 
Er  sprach:  vraw,  des  mag  nicht  gesein, 
ez  müest  e  trucken  sein  der  Rein. 

Enenkel  Weltchronik  (H.  Gesammtab.  2,  523. 
Maßmann  K.  chron.  III,  457,  278). 
Von  einem,  der  eine  thörichte  oder  vergebliche  Arbeit  unternahm, 
sagte  man :   er  will  den  Rhein  verschwellen ,    er  trägt   Wasser   in  den 
Rhein;  z.  B.: 

Swer  den  Rin  mit  leime  wil  verswellen, 
der  hat  min,  swie  tumbe  ich  si,  ze  helfe  niht. 

Marner.  MSH.  2,  238b. 
Daran  erinnert  das  noch  gebräuchliche  Sprichwort: 
Man  kann  den  Rhein  wohl  schwellen, 
aber  nicht  stellen.     Simrock  N.  8445.    Körte  6348. 
Vintler    sagt    von    einem ,    der   an    nicht   Bedürftige    seine   Gabe 
wegwirft ,  er  sei 

gleich  als  der  da  wasser  trueg  in  den  Rein. 

Tngendbl.  Innsb.  HS.  p.  57. 
Noch  heutzutage  ist  das  Sprichwort:    „das  hieße  Wasser    in  den 
Rhein  tragen",  weit  verbreitet.    Vergl.  Simrock  Sprichw.  Nr.  11240. 
Man  vergleiche  damit  auch : 

sun,  hochgeburt  ist  an  dem  man 
und  an  dem  wibe  gar  verlorn, 
da  wir  niht  tilgende  kiesen  an, 
als  in  den  Rin  geworfen  körn.     Winsbecke  Str.  28. 
Um  einen  Trägen  zu  bezeichnen  sagt  Albr.  von  Scharfenberg : 
Wer  sich  bi  dem  Rine  erdürsten  lieze 

man  zalt  in  ze  den  lazzen,  die  da  lebent  in  selben  ze  widerdrieze. 

j.   Titur    3344,  3. 
und  im  Fastnachtspiele:  das  Korgericht,  heißt  es: 
Ainer,  der  über  Rein  ist  gefaren, 
den  übel  durst  und  wasser  will  sparen, 
ist  der  niht  ain  rechter  gauch?     Fastnachtspiele  322,  8. 
Das  Sprichwort:     „Bis  dahin  läuft  noch  viel    Wasser   den  Rhein 
hinunter,  Simrock   11239,  begegnet  uns  schon  im  Wartburgkrieg: 


192  KARL  SCHENKL 

für  Megenze  gut 

die  wile  des  klaren  Rines  harte  vil. 

ed.  Simrock  Str.  24,   15. 
Vom  spurlosen  Verschwinden  sagt  der  Dichter  der  Tochter  Syon : 
alle  sunden  in  minem  lohen 
sint  also  schiere  verblohen 
als  ein  cleinez  glensterlin 

verlischet  mitten  in  dem  Bin.     Diutisca  3,  17, 
Um  süßes  Minnespiel  zu  bezeichnen  sagt  ein  Dichter: 
Si  giengen  mit  ein  ander  dö 
ze  bette  da  ze  stunden, 
eins  spiles  si  da  begunden, 
also  man  jensit  Rines  tuot. 

Ritter  unterm  Zuber  140  (Gesammtab.  2,  301). 
Der  Vollständigkeit  halber  füge  ich  noch  zwei  Stellen  an,  in  denen 
der  Rhein  vorkommt.     Wolfram  sagt: 

der  den  Rin  und  den  Roten 
vierzehen  naht  verswalte, 
und  den  tarn  der  von  schalte, 
dine  gaebn  so  grözer  güsse  niht 
also  man  Terramere  giht.   Willehalm  404,  22. 
Von  verkehrten  Benennungen  sagt  Sibot: 
ich  heize  sine  kazze  müs, 
und  nante  sinen  wint  Rin. 

Frauenzucht  498  (Gesammtab.  1,  54). 
Von  einer  fruchtlosen  Arbeit   galt   schon  frühe   der  Spruch:   das 
ist  ein  Schlag  in's  Wasser;  z.  B. : 

die  mir  sint  enpfallen  gar  als  in  daz  mer  ein  slac.  Walther  124,  16. 
est  als  ein  slag  in  einen  bach,  so  niht  vervät,  swaz  man  mir  git. 

Singenberg  23.  MSH.  1,  296a. 
ez  ist  in  einen  bach  ein  slac.     Winsbecke  Str.  35. 
daz  ist  als  ein  wazzerslac.    Teichner.  Denkschr.  der  k.  Akad.  VI,  98. 
Wie  man  auch  spricht  zu  aller  frist, 
wenn  jemands  (müh)  vergeblich  ist, 
es  ist  nichts  denn  ein  wasser  schlagen.     Eyering  I,   19. 
ich  wil  noch  hiute  in  isen  houwen  sam  in  einen  wac. 

Neidhart  ed.  Haupt  168,  24. 
2f>.  März   1862.  I.  V.  ZINGERLE. 


KAEL  SCHENKL,  GRIECHISCHE  UND  DEUTSCHE  SAGEN.     193 

GRIECHISCHE  UND  DEUTSCHE  SAGEN. 


I.   DAS  MÄRCI1EN  VOM  SCHLAURAFFENLAND. 

Bekanntlich   findet    sich    bei    den   Völkern    des    griechischen    und 
germanischen  Stammes  dieselbe  Sage    von   einer    seligen    Urzeit.     Wie 
dort    die    Götter    zuerst    das    goldene    Menschenalter    erstehen    lassen, 
welches  man  später  in  die  Zeit,  wo  Kronos   im   Olympos   gebot,   ver- 
setzte und  dessen    Andenken    in   dem   Feste    der  Kgovia   fortlebte ,   so 
kennt  die  Edda  ein  Goldalter  der  Götter,  wo  sie  in  ruhigem    Genüsse 
frei  von  Habgier  und  Unrecht   lebten.     Die    [icdkxqcov  vrJGot,    oder    das 
^HkvGiov  Tiedcov,  welche  auf  dieselbe  Sage  zurückgehen,  erkennen  wir 
in  der  Valhöll  wieder,  und  wenn  Hesiodos  "Egy.  174—5  singt: 
Mrjxez    eizsiT    ScpsiXov  iyco  ni\iTixoi<5i  [istetvai, 
avögccöw,  aXt  r[  tcqoG&s  fravslv  r]  stcsitu  yevEö&cu, 
so  erinnert  dies  an  jenen  Kreislauf,  wornach  mitten  in  dem  allgemeinen 
Verderbnisse  wieder  ein  neues  Paradies  den  Fluthen  entsteigt  und  die 
glücklichen  Zeiten  wiederkehren   (Welcker   gr.  Götterlehre  1,    727   ff., 
Grimm  Myth.  783  ff,  Simrock  Myth.  1,  173  ff). 

Es  ist  nun  kein  Zweifel,  daß  jene  Sage  von  der  goldenen  Zeit 
zu  den  beliebtesten  ygacödeig  pvftoL  gehörte  und  mit  gläubig-frommem 
Sinne  erzählt  wurde.  So  finden  wir  sie,  freilich  mit  scherzhafter  An- 
wendung, bei  Lukianos  Saturn,  c.  7,  wo  Kronos  selbst  berichtet,  wie 
unter  seiner  Herrschaft  aGitoga  xal  avrjgora  itdvrcc  icpvsto  <xt;rofs 
(rotg  äv&griitoig),  ov  6xa%v£g ,  «AA'  sroipog  agxog  xal  xgea  ioxsva- 
6{isvcc,  xal  6  oivog  eggst,  Ttora^irjöov  xal  itv\yal  piXirog  xal  ydXaxrog. 
Viel  später  aber  ist  offenbar  diejenige  Form  entstanden,  in  welcher 
durch  die  Aufnahme  gemeiner  Züge  der  gläubige  Ernst  des  Märchens 
verwischt  und  diesem  eine  scherzhafte,  ironische  Färbung  gegeben 
wurde.  Auch  in  dieser  Gestalt  muß  dasselbe  in  Griechenland  allbekannt 
gewesen  sein.  Die  alte  Komödie,  welche  aus  dem  Borne  der  Volks- 
sagen mit  Vorliebe  schöpfte,  wie  dies  z.  B.  die  häufige  Benützung  der 
Spukmärchen  beweist,  hat  auch  diese  Fabel  in  sehr  verschiedener 
Weise  verwendet  und  mit  allen  möglichen  Zügen  ausgestattet.  Athenaios 
zählt  im  sechsten  Buche,  p.  267,  e  —  270,  a,  acht  Stücke  von  sieben 
Dichtern  der  alten  Komödie*)  auf,  in  denen  dieses  Märchens  gedacht 


*)  Vgl.  Meineke  Fragm.  Com.  Graec.  H,  1,  p.  108,  237,  299,  316,  360,  H,  2, 
p.  753,  850,  1158.  Freilich  zweifelte  man  schon  im  Alterthume,  ob  die  IJ^qocxl  dem 
Pherekrates  oder  einem  anderen  Verfasser  augehörten,  vgl.  I,  p.  70. 

GERMANIA  VII.  13 


194  KARL  SCHENK L 

wird,  an  ihrer  Spitze  die  IIXovtol  des  genialen  Kratinos.  Die  Be- 
schreibung, welche  sie  von  dem  Leben  zu  den  Zeiten  des  Kronos 
geben,  stimmt  in  allen  Einzelnheitcn  mit  den  Schilderungen  des  Schlau- 
rafi'enlandes  in  unseren  Märchen  und  Liedern  überein.  Die  Menschen 
sind  jeder  Arbeit  überhoben,  da  die  Geräthe  belebt  sind  und  selbst  den 
Dienst  verrichten;  man  lagert  sich  auf  weichen  Polstern  an  Strömen, 
die  statt  des  Wassers  Wein  oder  leckere  Brühen  führen.  Und  damit 
man  sich  ja  nicht  beim  Essen  plagen  dürfe,  so  kommen  Kuchen  oder 
gebratene  Vögel  in  den  Mund  geflogen.  Die  Fische  schwimmen  an 
den  Herd,  um  sich  dort  selbst  zu  braten.  Auf  den  Waldbäumen 
wachsen  Ktfehen  -und  Backwerk  aller  Art,  gebratene  Drosseln  und 
Würste.  Statt  des  Schnee's  fällt  Weizen,  statt  des  Regens  ein  Brei, 
den  man  mit  dem  Munde  auffangen  kann.  Diese  Doppelform  des 
Märchens  finden  wir  nun  auch  in  der  neueren  Zeit.  Bald  erscheint 
die  Sage  in  gläubigem  Kinderernste,  wie  im  Märchen:  „Hansel  und 
Gretel"  (Grimm  Nr.  15,  vgl.  3,  239),  wo  uns  das  Zuckerhäuschen  mit 
seinem  Kuchendache  begegnet,  bald  finden  wir  dieselbe  scherzhaft  be- 
handelt, welche  Art  bei  weitem  häufiger  vorkommt.  Man  vergleiche 
die  Beispiele  bei  Grimm  3,  239  ff.,  Haupt's  Zeitschrift  2,  564  ff., 
Gödeke  Grundriß  zur  Gesch.  der  deutsch.  Dichtung  1 ,  232 ,  n.  28 
u.  29,  S.  282,  n.  46. 

Da  aber  in  dieser  Form  das  Schlauraffenland  zu  dem  Lande  der 
Unmöglichkeit  wird,  so  ist  es  begreiflich,  daß  man  mit  jenem  Namen 
auch  bloße  Lügenmärchen  bezeichnete.  Und  dahin  gehört  das 
Märchen  vom  Schlauraffenland,  das  sich  unter  Nr.  158  in  der  Grimm'- 
schen  Sammlung  findet.  Da  dasselbe,  wie  Grimm  3,  239  bemerkt, 
auf  ein  altdeutsches  Gedicht  des  dreizehnten  Jahrlmndertes  zurückgeht, 
so  muß  diese  Umgestaltung  ziemlich  alt  sein,  und  es  ist  somit  an  eine 
Entlehnung  aus  dem  Griechischen  in  keinerlei  Weise  zu  denken.  Wie 
sehr  übrigens  diese  Lügenmärchen  beliebt  waren ,  das  zeigt  die  große 
Zahl  von  Bearbeitungen,  die  sie  zu  verschiedenen  Zeiten  gefunden  haben 
(vergl.  Grimm  3,  239  ff.).  Auch  den  Griechen  waren  dieselben  nicht 
unbekannt.  Die  beiden  Schriften  des  Lukianos  'sJArjd-rjg  ißrogia  und 
(pilotyevdijg  enthalten  eine  ziemliche  Anzahl,  die  zum  Theile  aus  dem 
Volksmunde  geschöpft  zu  sein  scheinen,  und  es  ist  bezeichnend  genug, 
daß  wir  in  der  ersteren  Schrift  c.  5  ff.  mitten  unter  den  abenteuer- 
lichsten Lügenmären  auch  eine  weitläufige  Schilderung  der  Inseln  der 
Seligen  ganz  in  der  Manier  des  Schlauraffenlandes  finden 


«RIECHISCHE  UND  DEUTSCHE  SAGEN.  195 

II.  DIE  FLUNDER. 

A.  Kuhn  in  seinen  „Sagen,  Gebräuchen  und  Märchen  aus  West- 
phalen,"  zweiter  Band,  n.  245,  S.  81  erzählt  folgende  Sage:  „Die 
Flunder  hat  ihren  flachen  Bauch  davon  bekommen,  weil  sie  zur  Strafe 
für  ihren  Hochmuth  von  Gott  auseinander  gerissen  wurde."  Eine  ähn- 
liche Sage  scheint  bei  den  Griechen  bestanden  zu  haben,  wo  dieser 
Fisch  (tyijxxcc)  als  rj[iixoiiog  oder  xex^irj^ievr]  bezeichnet  wird.  Daher 
heißt  es  Aristoph.  Lys.  115  —  6: 

iya  de  y    dv  xdv  aüJtSQsl  iprjxrav  doxa 
dovvcci  dv  efiavxfjg  7tccQxcc[iovGa  &ij[iL6v.,   ^ 

und  Piaton  Symp.  p.  191,  d  lässt  den  Aristophanes,  um  sein  Märchen 
von  der  Bildung  der  Menschengestalt  zu  versinnlichen ,  das  Beispiel 
der  iprJTTa  anführen.  Liegt  hier  nun  wirklich  eine  ähnliche  Sage,  wie 
die  oben  erwähnte ,  zu  Grunde ,  dann  bekömmt  dieses  Beispiel  eine 
sehr  tiefe  Bedeutung. 

III.  FRAU  HOLLE. 

Eben  daselbst  n.  3,  S.  4  lesen  wir  Folgendes:  „Während  die 
Wöchnerin  schläft,  kommt  die  Holle,  nimmt  das  Kind,  macht  die 
Windeln  los,  reinigt  es,  trocknet  die  Tücher  und  legt  das  Kind  wieder 
hinein.  Eine  Wöchnerin  erwachte  und  sah ,  wie  die  Holle  mit  dem 
Kinde  beim  Feuer  saß  und  die  Tücher  trocknete.  Sie  schrie,  da  warf 
die  Holle  das  Kind  in's  Feuer  und  verschwand."  Damit  stimmt  nun 
die  eleusinische  Demetersage  in  den  meisten  Punkten  überein,  und 
zwar  besonders  in  der  Form,  wie  sie  Apollodoros  I,  5  erzählt:  ^Ovxog 
de  xfj  xov  KeXeov  yvvatxl  Mexuvelou  rcaidiov,  xovxo  exoeyev  q  /lv\- 
{itjxrjQ  TiaQalaßovöa'  ßovlo^ievn]  de  avxo  u&dvaxov  itoirjöcci,  rag  vvxxccg 
etg  tcvq  xuxexi&ei  xö  ßgeyog  xa\  izeQMjQSi  xdg  ftvrjxdg  ödoxccg  avxov. 
xatf  r^ieQav  de  necoadö^cog  av^avo^ievov  xov  zJrjfioqxövxog  (xovxo  yctQ 
rjv  ovo{iu  xä  TtatdC)  ijtex^Q7j6ev  rj  IlQcd-tfreu,  xal  xaxakaßovda  elg  itvo 
iyxexQV[i[i£vov  dveßörjöe.  didneo  xo  (iev  ßoeepog  vno  xov  nvobg  uvv\- 
Ara-O^  ,  7)  &eä  de  ccvxrjv  e^ecprjve.  Es  kann  dies  um  so  weniger  auf- 
lallen, da  Holle  und  Demeter,  wie  aus  Grimm's  Myth.  S.  248  erhellt, 
in  manigfacher  Weise  zu  einander  in  Beziehung  stehen. 

INNSBRUCK.  KARL  SCHENKL. 


13 


196  ADOLF  HOLTZMANN 

ZUM  NIBELUNGENLIEDE. 

VON 

ADOLF  HOLTZMANN*). 


Lachmanns  Ausgabe  der  Noth  gibt  bekanntlich  den  Text  der 
Handschrift  A  getreu  wieder.  Zwar  ein  diplomatisch  genauer  Abdruck 
ist  sie  nicht,  aber  die  stillschweigend  gemachten  Verbesserungen  be- 
schränken sich  darauf  wegzulassen,  „was  Schreibfehler ,  was  Willkür 
des  Schreibers,  was  allzu  barbarisch  in  der  Schreibung  oder  zu  ge- 
meine Form  war."  Dagegen  sind  verderbte  und  überflüssige  Worte 
nicht  verbessert  und  getilgt,  sondern  durch  die  Schrift  kenntlich  ge- 
macht und  die  nöthige  Besserung  ist  am  untern  Rand  oder  am  Ende 
des  Bandes  zu  finden.  Zwar  ist,  wie  ich  anderwärts  gezeigt  habe, 
die  stillschweigende  Änderung  nicht  ganz  in  den  gesteckten  Grenzen 
geblieben  ;  aber  im  Allgemeinen  (mit  einigen  wenig  erheblichen  Aus- 
nahmen) ist  es  doch  wahr,  daß  man  bei  Lachmann  den  Text  von  A,  also 
nach  Lachmann' s  Ansicht  die  älteste  Überlieferung  sammt  ihren  Fehlern 
vor  sich  hat.  Nun  aber  ist  ohne  ein  einleitendes  Wort  ein  sogenannter 
vierter  Abdruck  des  Textes  der  ältesten  Überlieferung  erschienen  **), 
in  welchem  die  Vorrede  und  die  Noten  weggelassen  und  die  von 
Lachmann  vorgeschlagenen  Verbesserungen  in  den  Text  selbst  aufge- 
nommen sind.  Es  ist  daher  nöthig,  die  Leser  aufmerksam  zu  macheu, 
daß  sie  in  diesem  Abdruck  nicht  die  älteste  Überlieferung  und  auch 
nicht  die  jüngste,  sondern  in  manchen  Stellen  einen  gar  nicht  über- 
lieferten, sondern  von  Lachmann  gemachten  Text  vor  sich  haben.  So 
lange  diese  „Verbesserungen"  nicht  in  den  Text  selbst  aufgenommen 
waren,  konnte  man  sie  nach  Gefallen  unberücksichtigt  lassen;  jetzt  aber, 
da  sie  in  einem  wohlfeilen  Abdruck  als  älteste  Überlieferung  feil  ge- 
boten werden,  müssen  sie  genauer  betrachtet  werden;  und  ich  habe 
um  so  mehr  Veranlassung,  sie  zu  prüfen,  als  die  bekannten  Nachtrcter 

*)  Die  Heidelberger  Jahrbücher  der  Litteratiir  genießen  so  geringe  Verbreitung, 
daß  die  nachstellende  Recension  Holtzmann's,  die  dort  1859  S.  483— 508  abgedruckt  ist, 
wohl  den  meisten  Lesern  der  Germania  noch  unbekannt  sein  wird.  Aus  diesem  Grunde 
lind  weil  sie  mir  die  Beachtung  der  Fachgenossen  und  der  Freunde  des  Liedes  in  hohem 
Grade  zu  verdienen  scheint,  theile  ich  sie  hier  mit.  Nackter  und  greller  tritt  der  Mangel 
an  jedweder  Pietät  vor  der  Überlieferung,  die  Urtheilslosigkeit  und  Impotenz  der  Schule 
wohl  nirgends  zu  Tage  als  in  diesem  vierten  Abdruck,  dem  Holtzmann  in  scharfer  aber 
verdienter   Weise  sein  Recht  widerfahren  lässt.  .  Pfeiffer. 

**)  Der  Nibelunge  Noth  und  die  Klage,  nach  der  ältesten  Überlieferung  heraus- 
gegeben von  Karl  Lachmann.     Vierter  Abdruck  des  Textes.  Berlin,  Reimer,  1859.  S°. 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  197 

in  ihrer  versuchten  Widerlegung  meiner  Ansichten  als  von  einer  un- 
bestreitbaren  Wahrheit  von  dem  Satz  ausgehen,  daß  in  diesen  Ver- 
besserungen der  ursprüngliche  Text  der  Lieder  und  ihrer  Fortsetzungen 
hergestellt  ist. 

Ich  werde  also  der  Reihe  nach  die  auf  dem  letzten  Blatt  der 
Ausgabe  enthaltenen  Verbesserungen  (mit  Ausnahme  derjenigen,  die 
nicht  von  Lachmann  herrühren,  sondern  aus  den  andern  Handschriften 
genommen  und  mit  einem  Stern  bezeichnet  sind)  einer  Prüfung  unter- 
werfen. Die  eingeklammerten  Zahlen  sind  Lachmanns,  die  nicht  ein- 
geklammerten meine  Zählung  der  Strophen. 

[22]  4  hat  die  Handschrift  hey  waz  er  sneller  degne  ze  den  Bur- 
gonden  vant;  und  [127],  4  den  gast  man  sit  vil  gerne  ze  den  Bvrgunden 
sack.  Lachmann  bemerkt :  „der  ersten  Hebung  und  Senkung  des  letzten 
Halbverses,  wenn  er  nach  der  Art  älterer  Lieder  vier  Füße  haben  soll, 
genügen  nicht  zwei  Kürzen  mit  zwei  unbetonten  e:  hier  [22]  und 
[127]  ist  daher  zuo  den  zu  schreiben".  So  wird  also  im  vierten  Ab- 
druck wirklich  geschrieben.  Es  ist  gewiss  richtig,  daß  ze  den  nicht 
reichte,  den  Vers  zu  füllen,  wenn  er  vier  Hebungen  haben  sollte ;  wenn 
es  aber  Lachmann  beliebt  hätte,  seinem  Volksdichter  N.  1  Schlußverse 
von  drei  Hebungen  zu  gestatten,  so  hatte  nicht  nur  hier  zen  oder  ze 
den  ausgereicht,  sondern  es  wäre  auch  [55], 4  die  Betonung  die  her- 
lichen meit  vermieden  worden.  Da  nun  aber  beschlossen  war,  vier  He- 
bungen zu  verlangen ,  warum  nicht  aus  den  andern  Handschriften  das 
Wörtchen  sit  und  da  aufnehmen,  da  doch  an  vielen  andern  Stellen 
solche  einsilbige  Wörter,  die  in  A  ausgefallen  sind,  stillschweigend 
ergänzt  werden  ?  Allein  dann  hätte  man  nicht  diese  Stelle  gebrauchen 
können,  um  zu  zeigen,  daß  der  gemeine  Text  durch  Besserung  aus  A 
entstanden  sei.  Es  wird  also  zuo  den  für  das  Ursprüngliche  erklärt; 
weil  der  Schreiber  von  A  dafür  ze  den  schrieb,  war  der  gemeine  Text 
veranlasst,  sit  zu  ergänzen.  Es  ist  noch  zu  bemerken,  daß  bei  A  die 
zwei  Silben  ze  den  nicht  dafür  angeführt  werden  können,  daß  nicht 
zen  gelesen  werden  dürfe:  A  hat  öfters  ze  den  für  zen,  z.  B.  1616,4 
da  ze  den  Burgonden ;  so  gut  wie  hier  da  vor  ze  den  steht,  könnte  auch 
sit  ze  den  in  [22]  und  da  ze  den  in  [127]  stehen.  [886],  4  wird  da  zen 
herber  gen  vant  ergänzt. 

Daß  nun  die  Sache  nicht  den  Verlauf  hatte,  den  Lachmann 
glaublich  fand,  geht  sehr  einfach  daraus  hervor,  daß  die  Verbesserung 
zuo  den  unmöglich  ist,  weil  zuo  den  an  diesen  beiden  Stellen  ein  grober 
Sprachfehler  wäre.  Auf  die  Frage  wo?  wird  nie  geantwortet  zuo  den 
Burgonden  ,  zuo  den  ffiunen,  und  es  kann   nie   so   geantwortet  werden. 


198  ADOLF  HOLTZMANN 

zuo,  ursprünglich  ein  Adverbium,  beginnt  nicht  vor  Ende  des  zehnten 
Jahrhunderts  die  Präposition  ze  zu  verdrängen ;  aber  nur  auf  die  Frage 
wohin?  oder  wozu?;  später,  aber  schwerlieh  vor  der  Mitte  des  drei- 
zehnten Jahrhundertes ,  auch  auf  die  Frage  wo  ?  In  den  Nibelungen 
antwortet  zuo  nie  auf  die  Frage  wo:  stets  ze,  da  ze,  hie  ze,  oder  in. 
Einige  Beispiele  des  Gebrauches  von  zuo  mögen  hier  stehen.  Frage 
wohin?  28,4  rtten.  27,3  laden.  84,2  sin  ongen  er  wenken  zuo  den 
gesten  lie.  120,4  gän.  220,4  fuorten  zuo  den  Burgonden.  262,4  komen 
zuo  der  Burgonden  lant.  269,  3  bringen.  399, 3  si  schouicent  her  nider  zuo 
zuns.    435,  1    er   trat   zuo  dem  känige.  525, 4    varn   zuo   den   Burgonden. 

586.3  gälten,  u.  s.  w.  Ferner  bei  Sf  rechen  häufig,  157,1  er  sprach 
zuo  dem  satele.  2251,3  si  wolden  dun  striten  zuo  den  gesten.  1033,2  si 
zucten  zuo  den  handen  diu  wäfen.  Ferner  1268,  2  vonnie  Roten  zuo 
dem  Rme. 

Es  ist  ferner  zuo  bei  Zeitbestimmungen  erlaubt.  45,2  zuo  der 
selben  stunt:  sieh  Wörterbuch  zur  Klage. 

Ferner  steht  es  auf  Frage  wozu?  wofür?  170,4  er  gewan  zuo  der 
reise  tusint  degene.  344,4  sich  bereiten  zuo  der  verte.  358,4  zuo  der  reise 
haben  zierlich  gewant.  535,3  dd  kom  in  zuo  zir  reise  ein  rehter  wazzer- 
wint.  1292,2  der  ivart  in  zuo  der  verte  vil  manigez  nu  bereit.  2153,4 
Sit  icir  zuo  dem  lebene  haben  kleinen  loän.  2250,4  diu  friuntschaft  zuo 
ziu  muoz  gescheiden  sin.     Sieh  Klage  2110  zuo  wem  sol  ich  trost  haben. 

Ferner  drückt  es  aus:  noch  dazu,  drüber  hinaus.  349,3  zuo  uns 
ziuein  noch  zwene.  984,4  den  kodier  zuo  dem  swerte.  1979,4  daz  si  diu 
morgengäbe  zuo  Nuodunges  briute.    2152,3  des  scaden   zuo  den  schänden. 

Aber  niemals  antwortet  zuo  auf  die  Frage  wo?  Einige  Stellen 
verdienen  hervorgehoben  zu  werden.    159,4: 

daz  si  mich  suochen  reellen  mit  herverten  hie, 

daz  getäten  uns  noch  degene  her  zuo  disen  landen  nie. 

Stünde  hier  nicht  her  dabei,  so  könnte  man  zweifelhaft  sein;  ge- 
täten nimmt  suochen  auf:  bis  hieher  in  diese  unsere  Länder  hat  noch 
Niemand  uns  zu  belästigen  gewagt.  A  nach  seiner  gewöhnlichen  groben 
Auffassung  setzt  hie  ze  lande.  594,2  ir  sult  zuo  disen  landen  groze  loille- 
komen  sin:  nach  neudeutschem  Sprachgebrauch  würde  hier  wo?  gefragt; 
aber  es  heißt  oft  icillekomen  her;  sieh  das  Wörterbuch  zum  Lied; 
willekomen  wird  also  wie  komen  mit  der   Fraj^e   wohin?   construiert.  — 

824.4  daz  elliu  disiu  riche  zuo  sinen  henden  solden  stän:  auch  hier  ist 
nicht  wo?  gefragt,  obgleich  die  späteren  Abschreiber  von  a  und  D  so 
fragten  und  in  für  zuo  setzten;  es  heißt  nicht  in  seinen  Händen, 
sondern  zu  seinen  Händen,  ihm  zu  Dienst  bereit.   C  hat  also  nirgends 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  199 

zuo  auf  die  Frage  wo:  dagegen  in  A  und  DI  steht  es  wirklich  925 
[860], 4  zuo  einie  halten  brunnen  verlos  er  sit  den  lip.  Aber  CB,  also 
die  alten  Handschriften ,  haben  richtig  zeinem.  Es  beweist  die  Stelle 
nur,  daß  A  schon  ziemlich  jung  ist,  und  schwerlich  noch  in  die  Mitte 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  gehört.  Lübben  führt  außerdem  noch 
an  [1370]  2  iure  tagen  zwelfen  si  körnen  an  den  Min,  ze  Wormez  zuo  dem 
lande.  Aber  das  heißt  nicht  Worms,  das  im  Lande  Hegt,  sondern  sie 
kamen  zu  dem  Land,  oder  vielmehr  zuo  der  veste,  wie  C  liest  1458. 
Nach  Lübbens  Auffassung  wäre  auch  447,  3  si  ritent  ze  Wormez  zuo 
dem  Eine:  sie  ritten  nach  Worms  am  Rein:  aber  wo  nicht  wohin?  ge- 
fragt wird,  steht  nie  ze  Wormez  zuo  dem  Rine;  vergl.  6,  1  ze  Wormez 
Li  dem  Rine  si  iconten.  So  erledigt  sich  auch  die  andere  von  Lübben 
angeführte  Stelle  536  [495],  3  unz  in  ir  hüs  ze  Wormez  zuo  der  bürge. 
Man  vergleiche  1388,2  si  riten  ze  Wiene  zuo  der  stat ;  aber  1390,1  si 
ne  mohten  niht  beliben  ze   Wiene  in  der  stat. 

Wie  sicher  zuo  immer  nicht  auf  den  Ort  des  Verweilens,  sondern 
auf  das  Ziel  der  Bewegung  bezogen  wurde,  zeigen  Stellen  wie 

1101,2  ich  schaffe  iu  guot  geleite  und  heiz   iuch  icol  bewarn 
zuo  Sigemundes  lande; 

1055,4  'die  heizet  näher  gen   sprach  si  'zuo  der  Iure. 

Ein  Missverständniss  war  nicht  zu  besorgen,  so  wenig  als  im 
armen  Heinrich  der  ist  zuo  der  helle  geborn.  Wenn  Benecke  ein  Beispiel 
aus  Iwein  anführt,  so  ist  das  nicht  genau,  zuo  ir  angesihte  heißt:  so 
daß  sie  es  sehen  kann  oder  muß. 

Es  ist  also  die  Besserung  Lachmann's  ein  grammatischer  Fehler, 
dessen  sich  der  Liederdichter  N«  1  nicht  schuldig  gemacht  haben  kann. 

[118,3]  Nach  swerten  rief  do  sere  von  Mezen   Ortwin'. 

er  mohte  Hagnen  swestersun  von  Tronje  vil  icol  sin : 
daz  der  so  lange  dagfe,  daz  icas  dem  Jcünege  leit. 

Dazu  Lachmann:  „dem  känege."  Wie  albern!  indem  alle  die  Seinen 
in  Zorn  und  Bewegung  sind  ,  thut  es  dem  zaghaften  König  weh ,  daß 
der  junge  Ortwin  nicht  spricht.  Der  Zusammenhang  fordert  dem  käenen 
oder  dem  degene,  nämlich  Ortwin,  der  zürnt,  daß  sein  Oheim  Hagen 
so  lange  schweigt:  aber  Gernot  hält  beide  vom  Streit  zurück". 

Wenn  hier  gesagt  ist,  daß  Günther  betrübt  darüber  war,  daß 
Ortwin  so  lange  schwieg,  so  ist  das  allerdings  mehr  als  albern;  denn 
Ortwin  hat  ja  nicht  geschwiegen.  Aber  ich  sehe  nicht  ein,  warum  der 
in  3  nicht  auf  Hagen  bezogen  werden  darf,  wenn  känige  steht.  Es  war 
dem  König  leid,  daß  Hagen  so  lange  schwieg.  Und  das  ist  dann  doch 
nicht  so  gar  albern.    Hagen  hatte  [102]  den  Rath  gegeben,   man  solle 


200  ADOLF  HOLTZMANN 

beim  Empfang  Siegfried's  sich  so  benehmen ,  daß  man  dessen  Zorn 
nicht  errege.  Als  nun  Ortwin  Siegfried  zum  Kampf  herausforderte,  so 
konnte  Günther  sehr  wohl  erwarten ,  Hagen  werde  den  heißblütigen 
Neffen  zurecht  weisen ;  und  weil  dies  nicht  geschah ,  that  es  Gernot. 
Ich  glaube,  daß  diese  Auffassung  die  natürliche  ist,  und  daß  also  eine 
so  gewaltsame  Besserung  nicht  gerechtfertigt  ist. 

[214]  1.  Do  het  der  herre  Liudeger  üf  eime  scJiilte  erkant 
gemäht  eine  kröne. 
Lachmann  ufme.  Dieß  ist  eine  wirkliche  Besserung;  der  bestimmte 
Artikel  wird  verlangt.  Man  sehe  ähnliche  Fälle  im  Wörterbuch  zum 
Lied  unter  der.  Nur  ist  besser  ufern  zu  schreiben.  Nach  kurzem  Vocal 
verschwindet  von  eme  (aus  deme)  das  erste  e:  anme,  inme;  aber  nach 
langem  daz  zweite:  uzem,  ufern. 

[234]  2  Sindolt  unde  Hunolt,  die  Gernotes  man, 

und  Rümolt  der  küene,  die  hänt  so  vil  getan — . 

Zu  dieser  und  der  vorhergehenden  Strophe  bemerkt  Lachmann : 
„Fünf  Burgunden  und  ihre  Schaaren;  die  von  Tronje,  Sindolt,  Hunolt, 
Gernots  Mann,  endlich  unerwartet  auch  Rumolt,  statt  dessen  der  Ver- 
fasser, wenn  er  nicht  so  gedankenlos  war  wie  die  Abschreiber ,  Ver- 
besserer und  Ausleger,  den  Fahnenträger  Volker  hätte  nennen  müssen.-' 

In  der  Erzählung  des  Krieges  wird  Rumolt  nirgends,  aber  Volker 
einigemal  genannt.  Es  ist  daher  auffallend,  daß  der  Bote  von  Rumolt 
spricht  und  Volker  nicht  erwähnt.  Es  liegt  nahe,  Volker  für  Rumolt 
zu  setzen.  Dennoch  wage  ich  nicht,  die  Besserung  in  den  Text  auf- 
zunehmen. Denn  es  ist  doch  schwerlich  die  Meinung  des  Dichters 
gewesen,  daß  der  Küchenmeister  zu  Haus  geblieben  sei.  Da  man  von 
ihm  erwartete,  daß  er  die  Könige  auf  dem  Zug  zu  den  Hunnen  begleiten 
sollte,  so  scheint  es  sich  von  selbst  zu  verstehen,  daß  er  auf  dem  Zug 
gegen  die  Sachsen  nicht  gefehlt  hat.  Ihn  besonders  hervorzuheben, 
dazu  war  er  vielleicht  dem  Dichter  nicht  wichtig  genug.  Aber  als 
Grimhilde  sich  erkundigte ,  wie  es  ihren  Verwandten  und  Bekannten 
im  Kriege  gegangen  sei,  musste  der  Bote  auch  ein  Wort  von  Rumolt 
sagen,  der,  eben  weil  er  ein  Hofamt  hatte,  der  Königstochter  bekannt 
sein  musste,  während  Volker  ihr  vielleicht  nicht  näher  gekommen  war. 

Undeutlich  aber  ist  mir,  wie  Lachmann  „Gernots  Mann ''  versteht. 
die  Gernotes  man  sind  Sindolt  und  Hunolt. 

[264] 3  durch  des  küneges  liebe.  Lachmann:  „hieß  es  etwa  ur- 
sprünglich Günthers?  die  beiden  Brüder  werden  266  auch  namentlich 
genannt".  Der  alte  Text  hat  der  kimige.  Es  wird  durch  die  Änderung, 
zu  der  keine  Veranlassung  vorhanden  ist,   durchaus   nichts    gewonnen, 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  201 

wenn  nicht  etwa,  daß  sie  zeigen  soll,  wie  der  Text  C  am  weitesten 
vom  Ursprünglichen  entfernt  ist.  Der  Dichter  schrieb  Günthers ,  der 
Abschreiber  setzte  dafür  des  küneges,  und  daraus  machte  ein  späterer  Ab- 
schreiber der  kimige.  Das  ist  freilich  deutlich ,  und  es  muß  daher 
Günthers  gebessert  werden. 

[274]  3  und  irtohter  wolgetän.  Dazu  Lachmann :  „in diesem  Lied 
ist  nirgend  zweisilbiger  Auftakt,  am  wenigsten  in  der  zweiten  Vers- 
hälfte. Ich  vermuthe  und  ir  tohter  sän.  Dies  Wort,  nicht  überall  in 
dieser  Form  üblich,  ward  im  Reim  verändert."  Da  also  gegen  die 
Überlieferung  nichts  einzuwenden  ist,  als  daß  sie  mit  den  metrischen 
Liebhabereien  des  Volksdichters  Nr.  3  nicht  verträglich  ist,  so  behalten 
wir  sie  bei. 

[290]  4.  mit  minneclichen  tugenden.  Dazu  Lachmann:  „von  der 
Minne  finden  wir  in  der  292sten  Strophe  noch  genug:  hier  hieß  es 
wohl  ursprünglich  mit  mag  etlichen  tugenden.'1  Lachmann  wollte  [291] 
für  unecht  erklären.  Nun  aber  beginnt  [292]  in  A  mit  den  Worten 
er  neig  ir  minnerächen,  und  im  zweiten  Vers  steht  noch  einmal  minne. 
Daher  mußte  [290]  gebessert  werden.  Man  behalte  [291]  bei  und  lese 
[292]  nicht  in  der  lüderlichen  Fassung  von  A,  so  ist  nichts  zu  ändern. 

[325]  2.  Den  alten  Text  von  C  B  ir  geliche  enheine  man  wesse 
ninder  me  hat  der  Schreiber  von  A  geändert  ir  geliche  xvas  deheiniu  me. 
Lachmann  gibt  nun  als  das  ursprüngliche  ninder  ir  geliche  was  deheiniu 
me,  und  dann  ist  deutlich,  daß  A  dem  ursprünglichen  am  nächsten 
steht  und  in  BC  verbessert  wurde. 

[327]  4.  darumbe  helde  vil  muosen  sit  Verliesen  den  lip.  Lachmann 
bessert  des  für  dar  umbe.  C  B  dar  umbe  muosen  helede  sit  Verliesen  den 
lip.  Der  Schreiber  von  A  hat  den  Vers  verdorben.  Lachmann  bessert 
nur,  um  nicht  sagen  zu  müssen,  daß  A  aus  B  geflossen  ist. 

[347]  4  bi  den  frouwen.  Lachmann  bi  der  frouwen.  Ebenso  hat 
Lachmann  schon  [136]  3  geändert  daz  was  der  frouwen  leit.  Dort  hatte 
eine  Handschrift  B  wirklich  der;  und  wenn  V.  4  gelesen  wird  von  ir 
minne,  wie  in  NA,  so  ist  die  Änderung  nothwendig;  lautet  aber  4  wie 
in  C,  so  kann  sehr  wohl  den  frouioen  bleiben ,  mit  Rückbeziehung  auf 
Strophe  131  u.  132.  Hier  dagegen  hat  keine  Handschrift  der;  und  da 
Grimhilde  ohne  Zweifel  nicht  allein  war,  so  ist  die  Änderung  unnöthig. 
Übrigens  wird  wirklich  den  für  der  geschrieben.  Man  sehe  das  auf- 
fallende Beispiel  668,  1,  wo  beide  Handschriften  lesen  er  stal  sich  von 
den  frouwen. 

[378]  2.  B.  liest:  ist  iu  daz  iht  künde  umb  disiu  magedin.  Dafür 
schreibt  A:   ist  iu   iht  daz  künde  ob   disiu   magedin.     So  gewiss  ob  ein 


202  ADOLF  HOLTZMANN 

Fehler  ist,  so  gewiss  ist  auch  die  davon  abhängige  Umstellung  von 
daz  iht  ein  Fehler.  Lachmann  bessert  ob  stillschweigend;  aber  iht  duz 
will  er  halten,  indem  er  sagt:  für  daz  hätten  die  Verbesserer  baz  setzen 
sollen."  Also  Günther  soll  sagen:  ich  kenne  diese  Frauen  gar  nicht, 
kennst  du  sie  vielleicht  besser? 

406, 4  [383]  8.  des  wart  Sit  geiiuret  des  künec  Günther  es  lip.  Die 
Frauen  hatten  gesehen,  daß  Siegfried  dem  König  diente;  darum  wurde 
-später  dem  König  von  den  Frauen  um  so  mehr  Ehre  erwiesen.  Dafür 
setzt  die  Noth  gedankenlos:  des  dulde  sieh  getiuret.  Lachmann  bessert 
si  für  sich.  Das  genügt  nicht.  Denn  es  soll  nicht  gesagt  werden,  daß  die 
zusehenden  Frauen  meinten,  es  geschehe  dem  Könige  eine  große  Ehre, 
sondern  daß  sie  selbst  Günther  für  einen  sehr  mächtigen  König  hielten, 
weil  ihm  ein  Held  wie  Siegfried  diente. 

[393]  3.  Will  man  die  Lesart  von  A  beibehalten ,  so  ist  die 
Besserung  die  ich  für  die  nöthig,  aber  nicht  ausreichend.  Denn  die  ich 
dort  sihe  füllt  den  Vers  nicht ,  obgleich  A  solche  schlechte  Verse 
nicht  scheut. 

[398] 3  sit  luillekomen  her  Sifrit  her  in  ditze  lant.  Lachmann  be- 
hauptet, daß  in  den  echten  Strophen  Brunhild  und  Siegfried  einander 
duzen.  Da  nun  diese  Strophe  für  echt  gelten  soll,  so  muß  die  Anrede 
stt  verbessert  werden.  Doch  soll  nicht  die  zweite,  sondern  die  dritte 
Person  stehen:  si  ivillekomen,  aber  st  müsste  nach  willekomm  stehen. 
Lachmann  verweist  auf  [344]  1  %%  willekomen  nun  bruoder;  aber  so  steht 
nirgends  als  bei  Lachmann.  Es  heißt  'willekomen  si  min  bruoder,  und 
nur  A  liest  mit  doppeltem  Fehler  si  loillekomen  bruoder.  Ferner  weist 
Lachmann  auf  [1107]  1  si  uns  ivillekomen  min  valer;  aber  alle  außer  A 
haben  Nu  si.  Doch  ist  das  gleichgültig.  Die  Änderung  si  ist  jedenfalls 
eine  ganz  ungerechtfertigte,  gewaltsame. 

Aber  freilich  ist  sie  noch  sanft  gegen  die  folgende  [401]  1  er  ist 
ge heizen  Günther.  Dafür  Er  sprach:  hie  ist  Günther.  Die  zwei  vor- 
hergehenden Strophen  sollen  gestrichen  werden;  die  eine,  weil  Siegfried 
Ihr  sagt,  die  andere,  weil  er  nicht  sanft  genug  spricht.  Nun  war  aber 
doch  der  Übergang  von  Strophe  [398]  zu  [401]  selbst  für  den  Lach- 
niann'schen  Volksdichter  Nr.  4,  der  doch  sonst  in  solchen  Stücken 
Großes  leistet ,  etwas  zu  schroff;  also  wird  gebessert.  Wenn  solche 
Besserungen  erlaubt  sind,  so  weiß  ich  nicht,  was  noch  unerlaubt  ist. 

[402]  4.  B.  ist  aber  daz  ich  gewinne.  A  gewinne  aber  ich.  Wenn 
erwiesen  wäre,  daß  B  aus  A  abgeleitet  ist,  so  wäre  Lachinann's  Besse- 
rung gewinne  aber  ich  ir  einez  zu  billigen;   da   aber  im    Gegentheil  er- 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  203 

wiesen  ist,  daß  A  den  gemeinen  Text  zur  Grundlage  hat,  so  ist  auch 
hier  A  nur  lüderliche  Abschrift. 

[436]  der  helt  in  icerfene  pflac  CB ;  zu  lesen  ist  wahrscheinlich 
werfen  gepflac.  A  der  helt  des  wurfes  pflac.  Lachmann  bessert  der  helde, 
das  stehen  soll  für  der  helende.  Es  ist  dieß  eine  der  schönsten  Con- 
jecturen  Lachmann's ;  aber  sie  könnte  nur  aufgenommen  werden,  wenn 
die  Abhängigkeit  des  gemeinen  Textes  von  A  erwiesen  wäre,  der  helt 
ist  ganz  unverfänglich,  da  gerade  vorher  Siegfried  genannt  ist. 

[448]  4  (helfe)    von   üz  erioelten   rechen   die  iu   noch   nie    wurden 
behant. 

Ich  gestehe  nicht  einzusehen,  warum  die  Lesart  von  A,  die  durch 
B  a  bestätigt  wird ,  geändert  werden  muß ,  denn  der  Grund ,  der  zu 
[494]  angegeben  wird,  genügt  nicht.  Wenn  es  aber  geschehen  soll, 
so  weiß  ich  wiederum  nicht,  was  der  Besserung  Lachmann's  diu  in 
noch  ie  amrde  behant  zur  Empfehlung  gereicht. 

[476]  1.  An  einem  morgen  fr uo.  Die  Zeitbestimmung  sei  zu  un- 
genau, „vielleicht  an  jenem."  Es  ist  vorher  von  keinem  Morgen  die 
Rede,  aber  allerdings  ist  der  unbestimmte  Artikel  nicht  passend.  Ich 
denke  es  ist  anme  zu  lesen  ,  und  der  Fehler  an  eime  erklärt  sich  wie 
oben  üf  eime.  In  der  Nacht  war  Siegfried  angekommen  495,  1  ;  er 
weckt  die  schlafenden  Nibelunge  499.  501.  514;  sie  versammeln  sich 
bei  Kerzenschein  515;  und  nun  schließt  sich  ganz  natürlich  an  520,  1 
vil  fmio  anme  morgen  huoben  si  sich  dan. 

[477]  4  sie  fäerent  segel  wize  die  sint  noch  wlzer  danne  sne.  „Ent- 
weder ist  riche  zu  lesen  oder  das  Epitheton  muß  ganz  gestrichen 
werden,  si  fäerent  segele."  Der  letzte  Vorschlag  ist  im  vierten  Abdruck 
angenommen,  rtche  haben  CaBI.  sie  fäerent  segele  ist  für  den  Vers 
ungenügend.  Übrigens  wird  nichts  destoweniger  segele  mit  B  zu  schreiben 
sein,  da  segel  Masc.  ist,  ich  habe  fälschlich  nach  Wackern.  und  nach 
der  Form  segel  das  Neutrum  angesetzt. 

[564]  2  do  spranc  von  einer  stiegen  Ghelher  ze  tal.  Lachmann 
sprach.  Diese  Änderung  ist  für  den  gemeinen  Text  fast  nöthig,  aber 
nicht  für  den  Text  von  G. 

[569]  3.  B  daz  si  in  niht  versprechen  xoolde  aldä  zehant 
A.  daz  si  in  versprach  aldä  niht  ze  hant. 
Lachmann  daz  si  in  versprechen  icolde  aldä  niht  ze  hant.  Wiederum  eine 
Besserung,  um  eine  Nachlässigkeit  des  Schreibers  von  A  zu  beschönigen. 

[581]  4.  ÜB  dd  sach  man  vil  [der]  degene  [da7t]  mit  Stfride  gän. 
Die  eingeklammerten  Worte  hat  A  ausgelassen ;  um  das  nicht  zugeben 
zu  müssen,  wird  gebessert  mit  Stfride  dannen  gän. 


204  ADOLF  HOLTZMANN 

[583]  3  C  der  vil  mcere  degen 

was  vil  dicke  sanfter  bl  andern  fr ouwen  gelegen. 
B.  der  zierliche  degen 

er  heete  dicke  samfter  bl  andern  tollen  gelegen. 
A.  zierlicher  degen 

er  hete  dike  samfter  bl  anderen  tolben  gelegen. 
Lachm.  zierlicher  degen 
der  hat  t  — . 
C  sagt  einfach:  Günther  sei  oft  mit  größerem   Vergnügen   bei  andern 
Weibern  gelegen.  B  will  vielleicht  dasselbe  sagen :  heete,  hete  kann  In- 
dicativ  sein;  vielleicht  aber  wollte  er  haßte  als  Oonjunctiv  und  dicke  als 
Verstärkung  von  samfter  verstehen;    also    der  zierliche   Held    wäre  mit 
viel   größerem   Vergnügen   bei  andern   Weibern    gelegen.     A  aber  hat 
zierlicher  statt  der  zierliche  geschrieben ,    ohne    recht  zu  wissen ,  was  er 
wollte:    sein   Text  ist  durch  gedankenloses    Abschreiben   unsinnig  ge- 
worden, und  was  Lachmann  daran  flickt,  hilft  nichts;    ich    wenigstens 
gestehe,  Lachmann's  Besserung  nicht  zu  verstehen. 

[643]  4.  B.  er  sprach:  ja  mag  uns   Günther 

ze  werlde  niemen  gegeben. 

A.  nimmer  hin  gegeben. 

Lachmann.  nimmer  niemen  hin  gegeben. 

Dazu  gehört  [677]  4  B,  daz  in  endarf  ze  der  werlde  niemen  holder  gesin 

A.  daz  in  darf  zer  werlde  niemer  holder  sin 

L.  niemer  niemen  holder  sin. 

Die  Verbindung   der  Negationen  niemer  und  niemen  kommt  im   Lied 
nirgends  vor. 

[677]  1 .  1)6  sprach  der  künic  Günther :  ir  recken  sult  von  mir  sagen. 
so  BAD.  I  lässt  recken  weg,  um  dem  Vers  zu  helfen.  Der  Fehler 
ist  aber  das  eingeschobene  von  mir.  In  C  ir  recken  ir  sult  sagen. 
Lachmann  bessert  der  künic  sprach:  ir  recken  sult  von  mir  sagen  (oder 
gesagen,  wie  in  A  stand). 

[704]  4.  ich  füere  tüsent  degene.  so  A;  alle  andern  hundert,  „nach 
746,  1  waren  es  zweihundert:  vermuthlich  ist  also  hier  zwei  hundert  zu 
lesen.  Aus  tvehunt  ward  tüsunt.  In  einem  andern  Liede  962,  1.  969,2 
sind  es  hundert:  danach  ist  746,  1  in  C  und  unsere  Stelle  schon  in 
den  gewöhnlichen  Texten  verändert".  Ich  hoffte,  der  ungenannte  ße- 
sorger  des  vierten  Abdruckes  werde  doch  an  dieser  Stelle  einige  Selb- 
ständigkeit bewahren ;  aber  nein :  er  hat  richtig  zwei  hunt  drucken  lassen. 
Diese  Besserung  und  die  Begründung  derselben  zeigt  deutlich,  daß 
Lachmann  auf  die  unbedingte   Receptivität   der  ihn  umgebenden  gebo- 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  205 

renen  und  erzogenen  Nachtreter  mit  Sicherheit  rechnen  konnte.  Alle 
Handschriften  haben  hundert  statt  tüsent  A,  und  daß  hundert  die  rich- 
tige Zahl  ist,  zeigt  sich  an  anderen  Stellen.  Der  alte  Text  bleibt  sich 
darin  gleich;  der  gemeine  Text  hat  einmal  810,1  zw  elf  hundert  statt 
einlif  hundert ,  wonach  Siegmund  zweihundert  Mann  haben  mußte, 
während  es  doch  1040,2  in  allen  Texten  richtig  heißt  einlifhundert. 
Statt  nun  zuzugeben ,  daß  jenes  zweihundert  ein  begreiflicher  Fehler 
für  einlif  hundert  ist,  wird  vielmehr  in  diesem  Wechsel  der  Beweis  ge- 
funden, daß  das  Gedicht  aus  Volksliedern  entstanden  ist.  Der  eine 
Volksdichter  glaubte,  Siegmund  habe  zweihundert  Mann  gehabt,  der 
andere  hatte  nur  von  einhundert  gehört.  Und  es  folgt  nun  weiter, 
daß  im  Text  von  C  durch  spätere  Besserung  die  eine  Zahl  durch- 
geführt ist.  Nun  aber  findet  sich  in  A  eine  weitere  Stelle,  wonach 
Siegmund  nicht  hundert  und  nicht  zweihundert,  sondern  tausend  Leute 
hatte.  Es  ist  das  natürlichste  zu  behaupten,  das  sei  die  Ansicht  eines 
dritten  Volksdichters  gewesen.  A  ist  der  echteste  Text,  weil  in  ihm 
noch  drei  verschiedene  Lieder  zu  erkennen  sind;  in  B  haben  wir  die 
erste  Überarbeitung ,  durch  welche  die  eine ,  ganz  abweichende  Zahl 
entfernt  wurde ;  aber  da  B  noch  nicht  bemerkt  hatte,  daß  zweihundert 
mehr  ist  als  einhundert,  so  mußte  C  noch  einmal  glätten.  So  wäre 
die  Sache  am  einfachsten  zu  erklären.  Allein  Lachmann  fand  kein 
Mittel,  die  Stellen  [704]  und  [746]  zwei  verschiedenen  Liedern 
anzuweisen.  In  demselben  Lied  mußte  aber  doch  dieselbe  Zahl  bei- 
behalten werden,  also  muß  an  unserer  Stelle  zweihundert  herausgebracht 
werden.  Das  geschieht  nun  mit  überraschender  Leichtigkeit,  tüsent  ist 
verschrieben  für  twehunt  und  dieß  steht  für  twei  hunt.  Es  ist  aber 
hunt  (centum)  ein  Wort,  das  zwar  noch  bei  Notker,  aber  später  nie 
mehr  gehört  wird.  Es  wäre  doch  vor  allem  nachzuweisen,  daß  ein 
Dichter  um  1190,  denn  früher  darf  er  ja  nicht  gedichtet  haben,  zwei 
hunt  sagen  komite.  Es  ist  vermuthlich,  um  diesem  fühlbaren  Mangel 
abzuhelfen ,  daß  Lachmann  [1537]  die  fehlerhafte  Lesart  von  DA  wol 
sihenhundert  ze  helfe  dar  statt  tool  sibenhundert  oder  mer  durch  Änderung 
von  hundert  in  hunt  verbessert.  Dieß  ist  das  einzige  hunt,  das  aus 
der  ganzen  deutschen  Litteratur  dem  gewünschten  zweihunt  zur  Hilfe 
beigezogen  werden  kann.  Aber  ferner  soll  der  Übergang  von  zweihunt 
zu  tüsent  durch  tvehunt  vermittelt  sein:  also  die  Noth  oder  wenigstens 
das  Volkslied  N.  N.  lag  dem  Schreiber  von  A  in  einer  nicht  etwa 
thüringischen,  sondern  völlig  niederdeutschen  Urschrift  vor.  Das  ist 
jedenfalls  ein  der  Rede  werther  Aufschluß,  den  wir  hier  gelegentlich 
erhalten. 


206  ADOLF  IIOLTZMANN 

[710]  774.     Der  alte  Text: 

den  boten  zogete  sere  wider  ff  den  wegen. 

do  kom  wol  ze  lande  Gere  der  denen. 

er  wart  vil  wol  enpfangen. 
Der  gemeine  Text: 

Den  boten  zogete  sere  ze  lande  vf  den  wegen. 

do  kom  zen  Burgundern,  Gere  der  degen. 

er  icart  vil  wol  enpfangen. 
A    Die  boten  zogten  sere  ze  lande  vf  den  wegen. 

do  kom  von  Burgonden  lant  Gere  der  degen, 

er  wart  vil  icol  enj  fangen. 
Man  sieht  hier  deutlich  die  stufenweise  Verschlechterung.  Der 
gemeine  Text  nimmt  ze  lande  vor,  und  muß  nun  wol  ze  lande  durch 
zen  Burgunden  ersetzen.  Dies  hatte  der  Schreiber  von  A  vor  sich, 
und  er  machte  gedankenlos  von  Burgonden  lant  daraus  nach  [695]  und 
[688].  Zugleich  entsteht  dadurch  ein  sehr  fühlbarer  Gegensatz  zwischen 
Gere  mid  den  Boten.  Lachmann  hatte  nun  die  Aufgabe,  das  lüder- 
liche  Machwerk  des  Schreibers  von  A  durch  eine  Conjectur  zu  retten 
und  daraus  durch  allmäliche  Besserung  den  ganz  untadelhaften  Text 
von  C  entstehen  zu  lassen.  Den  unpassenden  Gegensatz  entfernt  er  durch 
eine  kühne  Interpunction.  do  Gere  kom,  er  wart.  Aber  es  steht  eben 
nicht  do  Gere  kom,  sondern  do  kom  Gere.  Also  die  zweite  Zeile  soll 
Vordersatz  sein.  Das  ist  im  höchsten  Grad  gezwungen,  wenn  man 
auch  nicht  gerade  behaupten  kann,  daß  eine  solche  unrichtige  Wort- 
folge für  alle  Fälle  unmöglich  sei.  Im  Lied  ist  mir  kein  einziger  Fall 
dieser  unnatürlichen  Verrenkung  bekannt,  kom  muß  verstanden  werden : 
er  kam  nach  Haus,  ze  lande  ist  zu  ergänzen  aus  1.  Ferner  darf  von 
nicht  ein  Fehler  von  A  sein  für  zen,  obgleich  dergleichen  Versehen  oft. 
zugegeben  und  stillschweigend  verbessert  werden,  sondern  es  muß  ge- 
lesen werden  von  Norwcegelant.  Wenn  nur  diese  Bezeichnung  des  Landes 
der  Nibelunge  sonst  irgendwo  zu  finden  wäre ,  ja  wenn  sie  nur  nicht 
unmöglich  wäre!  Das  Land  wird  nach  einem  Volk  oder  nach  einem 
König  genannt.  Burgondenlant ,  Etzelen  lant',  aber  Norwage  lant?  was 
soll  das  heißen?  Lachmann  scheint  die  Schwierigkeit  gefühlt  zu  haben, 
denn  er  sagt  entschuldigend:  „wenn  des  Dichters  Sprache  die  Form 
Nonocege  nicht  gemäß  war ,  so  mußte  er  lant  um  des  Verses  willen 
hinzusetzen".  In  solche  Schwierigkeiten  aller  Art  muß  man  sich  ver- 
wickeln, so  gewagte  unmögliche  Hypothesen  muß  man  aufstellen,  wenn 
man  die  einfache  Wahrheit,  daß  A  aus  B  abgeleitet  ist,  nicht  gelten 
lassen  will. 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  207 

[722]  3.  dar  si  heten  freuden  wän.  des  Metrums  wegen  het  für  heten. 

[741]  4.  kamen  wird  gebessert  in  erheizten.  Ich  gestehe,  die  Noth- 
wendigkeit  der  Besserung  nicht  einzusehen,  und  ich  wundere  mich  über 
die  ganze  lange  Erörterung  Lachmanns,  daß,  weil  die  Sättel  der  Frauen 
erwähnt  seien,  auch  gesagt  sein  müsse,  wie  sie  von  den  Sätteln  her- 
untergehoben worden  seien,  und  daß  man  die  Gäste  nicht  habe  hinein- 
führen können ,  wenn  sie  nicht  vorher  von  den  Pferden  abgestiegen 
wären.  Man  mag  körnen  oder  erbeizten  lesen ,  so  bleibt  dem  Leser 
immer  einiges  zu  ergänzen,  was  der  Dichter  nicht  zu  sagen  für  nöthig 
hielt,  weil  es  sich  von  selbst  verstand.  Mit  oder  ohne  die  Besserung 
ist  das  Sätzchen,  womit  die  Strophe  schließt,  ohne  rechte  Beziehung. 
In  C  dagegen  schließt  es  sich  sehr  natürlich  an  die  folgende  Strophe  an. 

[754]  1  vertribens  für  vertriben  si  hätte  nicht  als  Conjectur  auf- 
geführt werden  sollen:  es  werden  viel  stärkere  Änderungen  als  bloße 
Besserungen  der  Orthographie  bezeichnet,  z.  B.  [295]  4  ez  gediente  soll 
ezn  diente  geschrieben  werden ,  und  so  wird  nun  auch  in  dem  neuen 
Abdruck  wirklich  geschrieben. 

[775]  4.  Brünhilde  soll  gesetzt  werden  gegen  alle  Handschriften 
für  Kriemliilde.  Von  dieser  Besserung  wusste  Lachmann  selbst  noch 
nichts,  als  er  die  Anmerkungen  herausgab.  Er  bemerkt  zu  der  un- 
mittelbar folgenden  Strophe:  diese  mit  der  vorhergehenden  verknüpfte 
Strophe  stört  den  Zusammenhang.  Kriemliilde  Mägde  putzen  sich, 
Brünhild  macht  sich  auf  den  Weg,  auch  Kriemhild  kleidet  sich  an. 
Erst  als  Brünhild  schon  vor  dem  Münster  steht ,  kommt  [788]  4 
Kriemhild  mit  ihrem  Gesinde.  Wie  kann  es  nun  schon  hier  heißen 
„sie  kamen  zu  dem  Münster"?  und  dann  wird  erst  nachgeholt  „Sieg- 
fried's  Mann  warteten  ihrer  vor  dem  Hause". 

Also  es  war  noch  Kriemhild,  die  sich  ankleidet.  Warum  soll  nun 
geändert  werden?  Einen  Grund  finde  ich  nirgends  angedeutet;  aber 
ohne  Zweifel  hat  Lachmann  gefunden,  daß  auch  nach  Tilgung  der  den 
Zusammenhang  störenden  Strophe  der  übrige  Text  doch  noch  nicht 
recht  zusammenhangend  ist.  Dieß  wird  schwerlich  Jemand  läugnen, 
der  den  Text  bei  Lachmann  liest ;  aber  auch  die  Besserung  hilft  nichts. 
[775]  3  Brünhilde  begibt  sich  auf  den  Weg.  [775]  4  Brünhilde  kleidet 
sich  auch,  [777],  1  die  Leute  wundern  sich ,  daß  die  Königinnen  nicht 
mit  einander  kommen.  Ich  weiß  nicht,  wie  Lachmann  schließlich  sich 
das  zurecht  legte;  aber  ich  finde,  daß  auch  der  Text  von  C  den 
Schwierigkeiten  nicht  abhilft,  und  glaube,  daß  allerdings  eine  Heilung 
nöthig  ist,  und  daß  Lachmann  das  richtige  Heilmittel  vorgeschlagen 
hat,  nur  muß   es   nicht  bei   dem  gänzlich    unheilbaren   Text  von   A, 


208  ADOLF  HOLTZMANN 

Sondern  bei  dem  weniger  leidenden  Text  von  C  angewendet  werden. 
Ich  möchte  840,2  lesen  ze  wünsche  was  gekleidet  der  schienen  Prün- 
hilde  lip.  So  glaube  ich  ist  genügend  geholfen.  840,3  die  Frauen 
kleiden  sich  aufs  prächtigste.  840, 2  Prünhilde  mit  ihrem  Gefolge 
erscheint  zuerst.  840,  4  bis  841,  2  die  Pracht  der  Prünhilde  und  ihres 
Gefolges  wird  geschildert.  842  die  Leute  wundern  sich,  daß  Prünhilde 
ohne  Grimhilde  kommt.  843,1  —  3.  Prünhilde  mit  ihrem  Gefolge  nimmt 
Platz  vor  dem  Münster.  843, 4  nun  erscheint  auch  Grimhilde  mit  ihrem 
Gefolge.  844  die  Pracht  ihres  Gefolges  wird  geschildert.  Auf  diese 
Weise  ist  alles  deutlich  und  befriedigend.  Nur  841,4,  daß  Prünhilde 
von  den  Leuten  Siegfried's  erwartet  wurde,  könnte  auffallen,  und  man 
könnte  eine  weitere  Änderung  versuchen.  Aber  genau  betrachtet,  ist 
nichts  zu  ändern.  Die  Leute  Siegfrieds  wussten  noch  nichts  von  dem 
Hader  der  Königinnen;  sie  erwarteten  also  vor  dem  Hause  zur  Zeit 
des  Kirchganges  wie  gewöhnlich  beide  Königinnen;  und  es  schließt 
sich  ganz  gut  die  Verwunderung  der  Leute  an,  sie  nicht  mit  einander 
kommen  zu  sehen.  Vielleicht  hat  eben  diese  Nennung  Siegfrieds  den 
Fehler  in  840,  4  veranlasst. 

Man  vergleiche  noch  in  840  [775]  den  Text  von  C  u.  BA.  Der 
gemeine  Text  hat  in  2  da  wart  vil  wol  gezieret,  und  in  4  do  wart  ouch 
wol  gezieret.  Dies  ist  nicht  nur  eine  widerliche  Wiederholung,  sondern 
durch  das  hinzukommende  ouch  wird  für  BA  die  Besserung  Prünhilde 
unmöglich  gemacht;  denn  dieß  ouch  verlangt,  daß  in  4  eine  andere 
o-enannt  ist  als  in  3.  Das  könnte  vielleicht  den  Anhängern  von  A  die 
Au^en  öffnen.  Die  Besserung  Lachmann's  ist  allerdings  nothwendig; 
sie  ist  aber  für  den  Text  A  u.  N  unmöglich,  aber  sie  ist  möglich  für 
den  Text  C.     Wird  also  nicht  der  Text  C  der  ältere  sein? 

[785],  1.  Der  gemeine  Text  hat  der  Grimhilde  eine  ihrer  un- 
würdige und  mit  dem  folgenden  nicht  vermittelte  Erwiderung  auf 
PrünhUden's  Drohung  in  den  Mund  gelegt  und  dadurch  den  Vers  ver- 
dorben; Lachmann  sucht  zu  helfen,  indem  er  übermuot  in  muot  ändert. 
Allein  muot  genügt  hier  nicht,  es  muß  ein  Wort  sein,  das  deutlich 
einen  Vorwurf  enthält.     Der  Text  von  C  ist  untadelhaft. 

[806]  4  zuo  einer  spräche  statt  zuo  smer  vrouwen.  In  diesem  Theile 
des  Gedichtes  wie  an  manchen  andern  Stellen  ist  es  nach  meiner  An- 
sicht, die  ich  in  den  Untersuchungen  ausgeführt  und  begründet  habe, 
unverkennbar,  daß  ein  altes  Gedicht  nach  dem  Geschmack  der  Zeit 
überarbeitet,  theils  abgekürzt,  theils  aber  auch  erweitert  worden  ist. 
Das  Ringen  in  der  Brautkammer  ist  nachweislich  ein  späterer  Zusatz, 
ebenso    der  Verrath   des   Geheimnisses   der   verwundbaren   Stelle.     Es 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  209 

versteht  sich  ,  daß  solche  Zusätze   eine  Menge  anderer  Veränderungen 
und  Ausführungen  zur  Folge  hatten.  So  ist  in  den  Abschnitten  zwischen 
dem  Zank  bis  zur  Ermordung  Altes    und  Neues    gemischt   und  es  ist 
an  diesen,  wie  an  manchen  andern  Stellen   ein  vergebliches   Bemühen, 
die  inneren  Widersprüche,  die  Spuren  mehrfacher  Überarbeitung  läugnen 
oder  durch  Besserung  entfernen  zu  wollen ;  denn  das  alte  Gedicht  her- 
zustellen kann  unsere  Aufgabe  nicht  sein.  Die  Strophe  878  [814]  wird 
von  Lachmann  für  unecht  erklärt.     Wirklich   ist   sie  unverträglich  mit 
dem  Vorhergehenden  und  stört  zugleich  den  Zusammenhang  sowohl  in 
N  als   in  C.     Der  Zank  hat  vor   dem  Münster    Statt   gefunden   853. 
Wenn  es  nun  in  878  heißt:    vor  dem  münster  cd  zuo  dem  sah  dan,    so 
ist  dies  eine  deutliche  Rückbeziehung  auf  853,  und  es  muß   also  alles 
vorhergehende,  also  sogar  die  Verschwörung   gegen  Siegfried's  Leben 
öffentlich  und  in  Gegenwart  der  Grimhilde  vor  dem  Münster  vorare- 
fallen  sein.     Soll  man  also  die  Strophe  streichen?    Aber  sie  findet  sich 
in  allen  Handschriften  und  es  ist  kaum  denkbar,  daß  Jemand  das  Be- 
dürfniss  fühlte,  sie  hinzu  zu  dichten.     Viel  eher  ist  glaublich,  daß  die 
Strophe  aus  Versen  des  alten  Gedichtes  gebildet  ist,  in  welchen  erzählt 
war,  daß  Grimhilde,  nachdem  sie  die  Königin  gedemüthigt  hatte,  von 
Siegfried's  Leuten  begleitet  mit  Stolz  vom  Münster  zum  Schloß  heim- 
gekehrt sei,  während  Günthers  Leute  betrübt  stehen  blieben.  Die  Deniü- 
thigung,  die  Grimhilde  selbst  noch  vor  dem  Münster  erhielt,    und  der 
Reinigungseid   Siegfrieds   sind  in   dieser   Strophe    nicht  vorausgesetzt; 
es  sind  dies  spätere  Zusätze,   deren  Dichter  gewiss   nicht  die  Absicht 
hatte,  die  Strophe  beizubehalten. 

Ebenso  verhält  es  sich  nun  mit  871  u.  872.  Wenn  Brünhilde  vor 
dem  Münster  in  der  W^eise,  wie  wir  es  jetzt  lesen,  beleidigt  wurde, 
wenn  Günther  dazu  kam  und  Siegfried  vor  dem  ganzen  Gefolge  des 
Königs  seine  Unschuld  beschwor,  so  ist  es  unbegreiflich,  wie  Hagen 
von  der  Sache  nichts  wissen  konnte  und  die  weinende  Brünhilde  fragt, 
was  ihr  denn  widerfahren  sei.  Es  hilft  aber  nicht,  wenn  man  die 
Strophe  streicht  und  in  871  zuo  einer  spräche  liest.  Denn  nicht  nur 
ist  es  kaum  glaublich,  daß  auf  zuo  der  spräche  sogleich  folgte  zuo  der 
rede,  sondern  die  Strophe  872  wird  auch  in  881,  3  vorausgesetzt.  Viel- 
mehr sind  auch  diese  Strophen  aus  der  älteren  Fassung  des  Gedichtes, 
vertragen  sich  aber  schlecht  mit  den  jüngeren  Veränderungen  und  Er- 
weiterungen der  Erzählung. 

Was  sollen  aber  die  Leser  des  vierten  Abdruckes  denken,  wenn 
sie  [806]  lesen :  do  hom  von  Tronege  Hagne  zuo  einer  spräche  gegän,  und 
gleich  darauf:  er  vrägte  waz  ir  wcere.  Wenn  man  so  kühne  Änderungen 

GERMANIA  VII.  24 


210  ADOLF  HOLTZMANN 

aufnimmt,  so  muß  man  noch  weiter  gehen  ,    und   auch   die   für  unecht 
erklärten  Strophen  herzhaft  streichen. 

[827]  4  u.  [828]  1.  do  sprach  der  degen  küene:  daz  sol  Sifrides  haut 
nach  allen  iuren  eren  mit  fitze  understän. 
Es  soll  gelesen  werden:  daz  weret  Sifrides  haut. 

nach  allen  iuren  <?ren  mit  filze  icliz  understän. 
Grund  der  Änderung  ist  kein  anderer,  als  daß  die  Verbindung  der 
Strophen  nicht  geduldet  werden  soll.  Sonst  ist  Verbindung  der  Strophen 
Zeichen  der  Unechtheit,  hier  aber  soll  nicht  getilgt,  sondern  gebessert 
werden.  Es  ist  so  ziemlich  sicher,  daß  man  mit  eben  so  gelinden 
Mitteln  alle  andern  verbundenen  Strophen  trennen  könnte.  Lachmann 
findet  selbst,  daß  ich  stän  im  Reim  anstößig  sei;  aber  nicht  nur  stän, 
sondern  auch  ichz  und  der  ganze  Satz  ist  anstößig.  Warum  dem 
Volksdichter  N.  7  lieber  so  anstößige  Dinge  zutrauen,  als  ihm  die 
Verbindung  der  Strophen  gestatten,  die  doch  dem  Volksdichter  N.  20 
erlaubt  ist? 

[828]  2  ich  tuon  noch  den  degenen  als  ich  in  e  hän  getan  A.  D  ebenso 
ohne  in.  Die  andern  als  ich  hän  e  getan.  „Der  Vers  würde  glätter, 
wenn  man  getan  tilgte.  [854]  3  so  wil  ich  jagen  riten,  als  ich  dicke  hän. 
Der  Casus  wäre  wiederholt  wie  [783],  2  icen  hästu  hie  verkebsetf  daz 
hän  ich  dich."  Im  neuen  Abdruck  ist  getan  getilgt.  Ich  glaube  nicht, 
daß  das  erlaubt  ist.  Das  Beispiel  [783]  ist  anderer  Art,  da  hästu  vor- 
ausgeht. In  Ca  lautet  die  Antwort  aber  daz  tuon  ich  dich.  In  [854] 
steht  A,  wie  es  scheint,  allen  andern  gegenüber,  die  hän  getan  lesen, 
bei  der  Entstellung  der  Strophe  in  der  Noth  kam  der  Schluß  des 
vierten  Verses  als  ich  vil  dicke  hän  getan  in  die  dritte,  wo  sie  eine 
Hebung  zu  viel  hatte,  weshalb  einige  vil  tilgten,  A  aber  getan  wegließ. 
Eine  Parallelstelle  ist  also  noch  zu  suchen ;  denn  die  von  Haupt  MSF. 
80,15  gemachte  ist  natürlich  ohne  Gewicht. 

[841]  2  ich  beoilhe  dir  uf  triuioe  man  den  lieben  min. 
zu  lesen :  ich  bevilhe  üf  triuioe  dir  den  wine  min. 

In  den  Anmerkungen  wurde  noch  kein  Bedürfniss  der  Besserung 
empfunden;  in  der  Ausgabe  1841  sollte  wohl  dem  Übelstand  abge- 
holfen werden,  daß  auf  man  den  lieben  in  Vers  3  folgt  den  lieben  man, 
und  zugleich  der  zweisilbige  Auftakt  entfernt.  Vielmehr  wollten  die 
Abschreiber  den  Ausdruck  wine  entfernen,  wofür  D  vriedel,  I  herren, 
A  man  setzte.  Man  sieht,  wie  überall,  daß  aus  C  durch  stufenweise 
Verschlechterung  A  entstanden  ist.  Das  gesteht  Lachmann  gewisser- 
maßen  zu,  indem  er  mne  aus  CB  aufnimmt. 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  211 

[857]  1  weit  ir  nilit  n  e  m  e  n  einen  ?  niican  für  nemen.  Auch  diese 
Änderung  war  in  den  Anmerkungen  noch  nicht  vorgeschlagen;  sie  ist 
aber  sehr  glücklich.  Ich  möchte  sie  auch  in  Ca  aufnehmen  und  lesen 
Bedurft  ir  niwan  eines  oder  Bedürfet  ir  wan  eines.  [871]  gtns  ist  wieder 
bloß  orthographische  Hilfe.  [885]  4:  für  daz  statt  daz;  auf  diese  Art 
wird  der  sinnlose  Text  von  A  nothdürftig  gebessert;  es  ist  deutlich, 
daß  A  aus  BD  entstanden  ist.  Lachmann  sagt,  die  Verbesserungen, 
d.  h.  die  Lesarten  CBDI,  hätten  wenig  Wahrscheinlichkeit.  Was  ist 
daran  auszusetzen  ?  offenbar  nur  das  eine ,  daß  sie  zeigen ,  daß  CN 
nicht  aus  A,  sondern  A  aus  N  geflossen  ist. 

[939]  4  ouch  muoste  sän  ersterben',  so  bessert  Lachmann  die  Lesart 
von  A  sam  muost  ersterben  onch.  Aber  auch  mit  der  Besserung  ist  es 
ein  flacher,  nichtssagender  Ausdruck,  der  an  die  Stelle  von  du  muhte 
reden  nilit  nitre  getreten  ist. 

[1032]  2.  3.    C  ez  geschürt  von  kurzewile  leider  nimmer  mer 

deheinen  hüniges  mögen,  danne  uns  ist  geschehen. 
N  setzt  hinfür  oder  fürbaz  statt  leider,  wodurch  der  schöne  und  not- 
wendige Gegensatz  von  kurzewile  und  leider  vernichtet  ist;  es  musste 
nun  in  3  danne  in  daz  geändert  werden  und  dabei  wurde  3  a  geändert 
hünege  noch  sinen  mägen ;  dazu  Lachmann  „die  Unregelmäßigkeit  des 
Verses  ist  ohne  Zweck  und  leicht  zu  vermeiden.  Der  Dichter  sprach 
hünege  und  (oder  ati)  sinen  mägen."  an  wurde  schließlich  vorgezogen; 
und  der  Gedanke  ist  also :  an  einem  Freudenfest  geschieht  künftig  einem 
König  nie  mehr  an  seinen  Verwandten,  was  uns  an  Siegfried  geschehen 
ist.  Damit  vergleiche  man  C,  und  man  wird  sich  nicht  lauge  bedenken, 
welchen  Text  man  für  den  echten  halten  soll. 

[1042]  4  si  was  zer  hirchen  gerne  unt  tet  vil  willecliche  daz. 
Schon  früh  suchte  man  die  Tautologie  zu  entfernen;  güetlichen  BI,  mit 
gruzer  andaht  tet  si  daz  D.  Lachm. :  „dem  Sinn  fordert  vil  inneclichen, 
d.  i.  andächtig,  oder  wenigstens  billichen.u  Schließlich  ist  billichen  auf- 
genommen. Man  hätte  viel  zu  thun,  wenn  man  alles  tautologische,  alle 
Wiederholungen  durch  Conjectur  entfernen  wollte;  hier  wäre  besser 
durch  dicke  für  gerne  geholfen. —  1136  (1063)4  C  ja  ne  hete  is  Hagene 
äne  schulde  nilit  gegert.  Den  Schatz  zu  begehren  hatte  Hagen  guten 
Grund,  weil  der  Schatz  unerschöpflich  war.  Daraus  macht  B  ja  ne 
hete  es  äne  schulde  nilit  gar  Hagene  gegert.  Es  wurde  aus  Versehen  äne 
schulde  in  den  vorderen  Halbvers  genommen  und  nun  musste  zur  Aus- 
füllung etwas  zugesetzt  werden,  gar  vor  nilit,  und  es  kann  verstanden 
werden  nicht  ganz  ohne  Grund,  obgleich  die  Stellung  der  Worte 
eine    gezwungene   ist.     A   versetzt   Hagene  gar  nilit   gegert,    was    nun 

14* 


212  ADOLF  HOLTZMANN 

vollends  sinnlos  ist ,  aber  nach  des  Schreibers  Meinung  heißen  soll, 
Hagen  sei  so  unschuldig  gewesen,  daß  er  nach  diesem  Schatz  gar  kein 
Verlangen  gehabt  habe.  Um  nun  nicht  zuzugeben ,  daß  A  aus  B  und 
dieses  aus  dem  untadelhaften  C  durch  stufenweise  Verschlechterung 
entstanden  ist,  bessert  Lachmann  in  A  dar  für  gar  und  liest  also  ja 
ne  liet  es  äne  schulde  Ilagne  dar  niht  gegert.  Der  Sinn  ist  also:  Hagen 
hatte  Grund,  den  Schatz  dahin  (nach  Worms)  zu  begehren.  Der  Sinn 
ist  derselbe  wie  in  C,  aber  ist  die  Wortstellung  nicht  eine  äußerst  ge- 
zwungene, fast  unmögliche? 

[1107]  3.  C  von  rnanigem  recken  guot.  N  setzt  riiter  für  das  alt- 
modische rechen,  und  A  will  verschönern  und  setzt  edelen  für  rnanigem. 
Lachmann  setzt  als  echten  Text  von  rittern  edel  guot,  aus  dem  dann 
durch  A  der  Weg  zum  gemeinen  Text  gebahnt  ist,  aus  welchem  C 
durch  eine  Vorliebe  für  veraltete  Ausdrücke  entstand.  Jedoch  macht 
Lachmann  die  merkwürdige  Bemerkung:  „Vielleicht  von  rittern  edelguot, 
wie  598,2  im  Frauendienst  nu  zogt  uz,  ritter  edelguot;  richtig  ist  es 
auch  bloß  rittern  zu  bessern:  und  am  Ende  ist  es  vielleicht  am  wahr- 
scheinlichsten, daß  edelen  ein  Schreibfehler  statt  manegern  ist."  Es  ist 
gut,  daß  Lachmann  es  selbst  sagt,  denn  wenn  ich  es  sagen  wollte, 
daß  edelen  an  dieser  Stelle  ein  Fehler  für  manegern,  und  also  A  aus  N 
abzuleiten  sei,  so  sollte  man  das  Wuthgeschrei  der  Herren  Nachtreter 
vernehmen,  die  ihre  beliebten  Kraftausdrücke  von  Blödsinn  und  Bosheit 
nicht  sparen  würden. 

1208  [1124]  1  des  hüniges  ncehsten  mäge  homen  da  man  si  sach,  die 
nächsten  Verwandten  des  Königs  kamen  dahin,  wo  man  die  Boten  sah. 
So  hat  auch  I  gelesen,  aber  homen  als  Infinitiv  verstanden,  und  daher 
geändert  man  gen  in  homen  sach.  BA  lesen  die  gierigen  da  man  sach. 
Daraus  bessert  Lachmann  dringen  dar  man  sach.  Aber  solche  unnatür- 
liche Wortstellungen  wie  hier  man  kommen  im  Lied  nicht  vor. 

1211  [1127]  1  er  bräht  in  zuo  dem  sedele  da  er  selbe  saz.  Man 
muß  nachlesen,  wie  ganz  natürlich  sich  dieser  Vers  in  C  an  die  vor- 
hergehende Strophe  anknüpft,  während  im  gemeinen  Text  nicht  deutlich 
ist,  ob  Günther  oder  Gernot  als  Subject  gemeint  ist.  Der  Accusativ 
aber  ist  deutlich  der  in  allen  Texten  vorher  genannte  Rüdeger.  Es  ist 
an  sich  an  dieser  Zeile  durchaus  nichts  zu  tadeln  und  zu  bessern ;  aber 
wenn  man  Strophe  [1126]  für  unecht  erklärt,  weil  sie  verworren  sei, 
was  in  C  durchaus  nicht  der  Fall  ist,  und  wenn  man  dem  gemeinen 
Text  und  A  folgt,  so  ist  durchaus  nicht  zu  ersehen,  wer  denn  zum 
Sitze  geführt  wird,  und  die  Änderung  ist  nöthig.  Lachmann  sagt  daher: 
„ursprünglich  hieß  es  ohne  Zweifel  er  brähte  Rüedegeren  da  er  selbe  saz. 


ZUM   NIBELUNGENLIEDE.  213 

Wenn  solche  Änderungen  erlaubt  sind,   so  kann   man  aus  jedem  Text 
machen  was  man  will. 

[1 146]  1  und  [1152]  1.  An  beiden  Stellen  ist  der  zweite  Halbvers 
zu  lang.  Meine  Ansicht  ist,  daß  man  solche  Schwierigkeiten  mit  Vor- 
sicht behandeln  muß ;  es  können  gebliebene  Reste  eines  älteren  Verses 
von  vier  Hebungen  sein.  Will  man  den  gemeinen  Text  ändern,  so  sind 
Lachmann's  Besserungen  ganz  passend.  Auch  in  C  sind  beide  Stellen 
nicht  ganz  ohne  Anstoß.  In  der  ersten  ich  behäete  wol  immer  daz  kann 
man  wol  immer  streichen  ;  in  der  zweiten  ähnlich  wie  Lachmann  schreiben 
mir  han,  sprach  aber  Ilagene,  niemen  ividersagen.  Aber  ich  würde  mich 
besinnen,  durch  solche  Änderungen  den  gewöhnlichen  Gang  des  Verses 
herzustellen. 

1232  [1148],  4.  CB.  swar  an  ir  wol  gelunge  daz  solt  ir  ungevehet 
län.  Ich  berichtige  hier  zuerst  einen  leidigen  Fehler  meiner  Ausgabe, 
wo  sult  ir  statt  solt  ir  gedruckt  ist.  Nur  D  und  A  suchen  ungevehet  zu 
vermeiden:  D  gelieben,  A  beliben.  In  den  Anmerkungen  steht  nur:  „Wacker- 
nagel vermutet  daz  solt  ir  iu  geliehen  län."  In  der  Ausgabe  wird  geändert 
daz  soldet  ir  iu  lieben  län.  Das  ist  eine  sinnige  und  leichte  Än- 
derung; aber  man  wird  nichts  destoweniger  die  Lesart  CB  vorziehen. 
[1154]  2  statt  Gernot  soll  Gere  gelesen  werden,  „ich  glaube,  es 
hieß  ursprünglich  Gere  nnde  Giselher:  denn  Gernot  ist  mir  in  diesem 
Liede  überhaupt  verdächtig,  und  Gere  übernimmt  1155  die  Bestellung." 
Die  Noth  soll  aus  Liedern  zusammengesetzt  sein.  Die  Volksdichter 
dürfen  nicht  alle  die  drei  burgundischen  Brüder  kennen,  damit  sie  sich 
deutlich  von  einander  unterscheiden.  Z.  B.  der  Volksdichter  Nro.  11 
kennt  Günther  und  Giselher,  aber  von  Gernot  weiß  er  nichts;  es  ist 
also  deutlich  ein  anderer  als  der  Dichter  Nro.  1 ,  der  Günther  und 
Gernot  kennt,  aber  nichts  von  Giselher  weiß ;  und  wieder  deutlich  ein 
anderer  ist  Nr.  2,  bei  dem  Günther  keine  Brüder  hat,  und  N.  3, 
der  die  drei  Brüder  nennt.  Wenn  es  im  zweiten  Lied  heißt  [116]  ob 
ir  unt  iwer  Iruoder  (brüeder)  hetet  niht  die  teer,  so  ist  nach  der  An- 
merkung nur  an  den  einen  Gernot  zu  denken;  und  im  zweiten  Lied 
wird  Gernot  „erst  [179]  eingeschwärzt.' 

Auch  die  Fortsetzer  hatten  in  dieser  Beziehung:  noch  verschiedene 
Ansichten,  wie  die  angeführte  Strophe  [116]  eine  unechte  ist,  und  wie 
der  Fortsetzer  in  [199]  nicht  mehr  als  sieben  Burgunden  kennt,  die  er 
alle  zu  nennen  beflissen  ist.  In  dem  Lied  11  ist  ebenfalls  Gernot 
öfters  eingeschwärzt ;  aber  eben  daran  erkennt  man  die  unechten 
Strophen:  und  in  unserer  Stelle  hieß  es  ursprünglich,  als  Hagen  die 
Vermählung  hintertreiben  wollte,  hätten  Günther,   Giselher   und   Gere 


214  ADOLF  HOLTZMAXX 

beschlossen,  sie  wollten  Grimhilcle  nicht  hindern.  "Wie  kommt  Gere 
in  den  Rath  der  Könige?  Was  hat  Gere  über  Grimhilde  zu  verfügen? 
Es  steht  zwar  Gernot  im  Text,  aber  diesen  darf  der  Dichter  nicht 
kennen,  weil  er  sonst  nicht  deutlich  ein  anderer  wäre,  als  der  Dichter  des 
ersten  Liedes.  Also  muß  hier  Gere  mit  den  Königen  über  Grimhildens 
Schicksal  Beschluß  fassen.  —  Es  gehört  wirklich  Überwindung  dazu, 
dieses  kindische  Spiel,  womit  Lachmann  seine  Nachtreter  an  der  Nase 
herumführte,  jetzt  noch  bloß  zu  legen ;  aber  man  muß  es  thnn ,  denn 
die  Herren  Nachtreter  verlangen  immer  noch ,  daß  man  ihnen ,  und 
ihnen  ausschließlich,  Glauben  schenke. 

1257  [1 173],  4.  0.  wan  ich  vlos  ein  den  besten  den  ie  vrouioe  mer  gewan. 
Ebenso  die  Noth,  wo  nur  wan  ich  vlos  geändert  ist  in  ja  verlos  ich. 
Daraus  macht  nun  A  mit  der  gewöhnlichen  Liederlichkeit  ja  verlos  ich 
einen  den  vrouwe  ie  gewan.  Lachmann  schlägt  in  den  Anmerkungen  vor : 
„vielleicht  ja  verlos  ich  mer  an  eime  denne  vrouwe  ie  gewan.u  In  der 
Ausgabe  wird  gebessert  ja  verlds  ich  eine  mere  denne  vrouwe  ie  gewan. 
Es  kann  nicht  im  mindesten  zweifelhaft  sein,  daß  der  tiefpoetische 
Schmerzensruf  in  C  (wo  natürlich  ein  Accusativ  für  eineti)  nicht  aus 
dem  sinnlosen  Text  von  A  hervorgegangen  sein  kann,  und  ebenso 
wenig,  daß  die  Lachmann  sehe  Besserung  nicht  das  ursprüngliche  ist; 
sie  kann  eigentlich  nichts  anders  sagen,  als :  „ich  Grimhilde  allein  habe 
mehr  Männer  verloren,  als  je  eine  Frau  hatte."  So  wollte  es  freilich 
Lachmann  nicht  verstanden  haben. 

[1222]  1  C.  Do  sprach  diu  frouwe  Kriemhilt.  Daraus  B  da  sprach 
diu  klagende  vromee,  und  A  ändert  noch  einmal  hünigin  für  vrouwe.  Man 
sieht,  wie  eines  aus  dem  andern  entstand.  Die  Königin  hier  eine  kla- 
gende zu  nennen,  war  nicht  passend,  aber  ein  Abschreiber  konnte  es 
sehr  leicht  in  die  Feder  bekommen.  Lachmann  will  wieder  von  A  aus- 
gehen und  liest  daher  durch  Besserung  diu  riche  hünigin. 

1319  [1233],  3.  Aus  dem  untadelhaften  Text  von  C  ist  durch  die 
Gedankenlosigkeit  eines  Abschreibers  geworden : 

vil  minneclichen  scheiden  sach  man  an  der  stunt 
von  Rüedegeres  friunden  des  maregrdven  man. 
Lachmann    bessert    von   Kviemhilde  friunden.     Aber   das   genügt    nicht, 
denn  die  Burgunden  sind  es,  die  Abschied  genommen  haben  und  nun 
scheiden. 

[1236]  2  die  berge  wurden  leere  in  BA.  Dafür  ist  natürlich  her- 
berge  zu  lesen  mit  C  und  Lachmann's  Besserung  ist  also  keine  Con- 
jeetur;  nur  die  Weglassung  des  Artikels  ist  eine  Neuerung,  die  mit 
Berufung    auf    [318],  1    vorgeschlagen    wird.     Ich    habe    ebenfalls    den 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  215 

Artikel  in  Klammern  gesetzt.  Indessen  ist  er  doch  an  dieser  Stelle 
nicht  leicht  zu  entbehren,  und  es  fragt  sich,  ob  der  Dichter  sich  nicht 
erlauben  dürfte,  herberge  zweisilbig  herbere  zu  sprechen.     Kl.  3917. 

[1303]  4.     C.  ich  ween  man  alle  zite  bi  frouwen  Kriemhilde  vant 
den  herren  Dietrichen. 
B  liest  dem  statt  frouwen,  und  A  dem  hünige.     (Es  ist  in  meiner  Aus- 
gabe das  Verhältniss  von  B  zu  A  falsch  angegeben.) 

Der  Schreiber  von  B  wollte  wahrscheinlich  schreiben  bi  dem  kü- 
niae  vant:  er  sah  aber,  daß  es  Kriemhilde  heiße  und  vergaß  das  schon 
geschriebene  dem  zu  streichen.  Daraus  machte  dann  A  bi  dem  hünige 
Kriemhilde,  ohne  aber  den  folgenden  Accus,  zu  ändern.  Es  ist  auf- 
fallend, daß  hier  Lachmann  den  Text  von  B  zum  Ausgangspunkt  nimmt, 
nicht  den  von  A.  bi  dem  soll  verbessert  werden:  in  eben  oder  bi  neben. 
Der  erste  Vorschlag  erhielt  den  Vorzug.  Warum  nicht  lieber  beneben, 
das  in  Klage  und  Lied  vorkommt,  während  in  eben  allein  stünde? 
Aber  es  ist  überhaupt  keine  Conjectur  nöthig,  sondern  C  herzustellen. 

1396  [1309]!.  C  ouch  gab  ir  nie  deheiner  zuo  sin  selbes  hochgezit 
etc.  Es  ist  eine  der  Stellen,  in  denen  am  deutlichsten  zu  sehen  ist, 
wie  die  Noth  durch  Nachlässigkeit  eines  Schreibers  entstanden  ist.  In 
C  ist  gesagt,  die  Recken  der  Grimhilde  hätten  bei  ihren  eigenen  Festen 
nicht  so  verschwenderisch  ihre  Kleider  verschenkt,  als  sie  es  hier  bei 
dem  Fest  der  Grimhilde  thaten.  In  N  ist  dieser  Gedanke  verwischt. 
Und  A  verschlechtert  noch  einmal  und  liest  ouch  gap  hünec  nie  deheiner. 
Der  Schreiber  meinte  wohl:  nie  hat  ein  König  bei  einem  Fest  so  viel 
Kleider  verschenkt,  als  bei  diesem  Feste  zu  Ehren  der  Grimhilden  ver- 
schenkt wurden.  Dann  ist  aber  sin  selbes  hochgezit  unnöthig  hervorgehoben. 
Lachmann  hält  A  fest,  bessert  aber  ouch  gap  känic  nie  einer,  und  beruft 
sich  auf  [1939]  4  wan  ich  gast  nie  einen.  Dies  ist  fehlerhafte  Lesart 
von  A:  und  die  Besserung  känic  nie  einer  ist  sehr  gewagt,  so  lange 
nicht  bessere  Parallelstellen  gefunden  sind.  Jedenfalls  ist  N  und  A 
nur  aus  C  verdorben. 

[1357]  2  niemen  scheint  aus  Versehen  nicht  mit  dem  Punkt  be- 
zeichnet, denn  es  haben  alle  Handschriften  außer  A  niemen. 

[1362]  2  von  lande  ze  lande  wird  gebessert  von  lant  ze  lande.  Die 
jedenfalls  unerhebliche  Besserung  soll  möglich  machen  mit  drei  He- 
bungen zu  lesen  von  lant  ze  lande',  aber  ich  gestehe  nicht  zu  wissen, 
wie  Lachmann  Vers  1  zuo  dem  Rine  sande  gelesen  wissen  wollte;  soll 
zuo  dem  Auftakt  sein  ?  warum  nicht  ze  dem  ? 

[1375]  2.  den  wart  ez  gesant  wird  gebessert  den  wart  ez  zehant. 
Die   Boten   schickten   ihre   Reisekleider    (natürlich   aus   der    Herberge) 


216  ADOLF  HOLTZMANN 

denen ,  die  sie  haben  wollten.  Eine  Änderung  ist  unnöthig.  Ob  In 
loart  daz  geweint  leicht  verstanden  werden  konnte  für  „sie  erhielten," 
möchte  ich  bezweifeln. 

[1405]  4.  Ich  warne  nlht  daz  Ilagene  iueh  noch  vergiselt  hat.  Die 
Verschiedenheit  der  Texte  ist  hier  sehr  groß,  a  liest  unt  wizzet  daz  lu 
Ilagene  daz  weegist  noch  geraten  h<V.  Dieser  Text  ist  vollkommen  ge- 
nügend und  das  folgende  schließt  sich  vortrefflich  an;  aber  der  ge- 
meine Text  ist  sehr  schwer  zu  verstehen.  Lachmann  verbessert  lernen 
für  Ilagene,  und  erklärt  „ihr  habt  hier  vollen  Reichtimm  und  Gewalt: 
denn  ich  glaube  nicht,  daß  euch  bis  jetzt  Jemand  verpfändet  hat,  daß 
ihr  auf  Befehl  zu  Kriemhild  fahren  und  euch  lösen  müsset."  Lachmann 
nennt  das  einen  einfachen  und  natürlichen  Gedanken:  mir  scheint  der 
Gedanke  ein  sehr  künstlicher  und  verworrener,  und  ich  sehe  fast  nicht, 
wie  man  ihn  in  den  Worten  finden  kann.  Ist  vergisele  soviel  als  ver- 
pfänden? Im  Wörterbuch  wird  erklärt:  ich  glaube  nicht,  daß  Hagen 
euch  der  Gefahr  aussetzt,  der  gisel  eures  Feindes  zu  werden,  wie  die- 
jenigen thun,  die  euch  rathen  in  Etzelen  Land  zu  reiten.  Diese  vom 
Wörterbuch  für  die  natürlichste  gehaltene  Erklärung  sucht  also  den 
Gedanken  zu  finden,  der  in  a  wirklich  ausgesprochen  ist.  Mir  scheint 
es,  daß  in  dem  Exemplar,  aus  dem  N  geflossen  ist,  ebendasselbe  stand 
was  in  a,  aber  unleserlich,  vielleicht  lückenhaft  geschrieben.  Aus  wccglst 
scheint  vergiselt  geworden  zu  sein,  und  schwerlich  hätte  der  Schreiber 
selbst  sagen  können,  was  er  sich  bei  seiner  Ergänzung  dachte. 

[1420]  4  trelt  uns  lernen  argen  muot  daz  wlrt  uns  deste  baz  beJcant. 
Der  gemeine  Text  liest  willen  für  muot,  wodurch  der  Vers  vernichtet 
ist,  und  AI  erkant.  Lachmann  sagt:  „der  Sinn  scheint  zu  erfordern 
erwant  oder  bewant."  Es  scheint  mir,  daß  die  Besserung  unnöthig  ist. 
Hagen  gibt  den  Burgunden  den  Rath,  bald  nach  den  Boten  abzureisen, 
damit  die  überraschten  Hunnen  um  so  leichter  ihre  wahre  Gesinnung 
zu  erkennen  geben.  Ändert  man  bewant,  so  ist  in  der  folgenden  Strophe 
dasselbe  gesagt  und  es  könnte  nicht  mit  ouch  angeknüpft  werden. 

1526  [1433].    C.  urloup  genomen  litten  von  wibe  unt  von  man 
die  boten  Krlemhilde.  mit  freuden  sl  dö  dan 
fuoren  unz  In  Siuäben. 
Dieser  ganz  untadelhafte  Text  ist  in  N  in  Verwirrung  geratuen. 

B.   Urloup  genomen  litten  die  boten  nu  von  dan 
von  toiben  und  von  mannen,  vrcelich  si  dö  dan 
fuoren  In  ze  Swdben. 
A.   Urloup  genomen  litten  die  boten  nu  von  dan 

von  mannen  und  von  wiben.  vrcelich  als  ich  iu  sagen  kau 
sl  fuoren  unz  In  Sioäben. 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  217 

Es  ist  deutlich,  wie  B  aus  0  und  A  aus  B  entstand.   Lachmann  gibt 
als  ursprünglichen  Text : 

urloup  genomen  fielen  von  wiben  und  von  man 
die  boten  vrceltche,  als  ich  iu  sagen  kan, 
fuoren  unz  in  Siväben. 
Sollte  das  wirklich  Jemand  besser  gefallen,  als  der  Text  von  C?  Aus 
diesem  muß  doch  die  Besserung  in  1  genommen  werden,  warum  nicht 
lieber  alles?  Die  erbärmliche  Ausfüllung  als  ich  iu  sagen  kan,  die  in  A 
gesetzt  ist,  um  den  gleichen  Reim  in  B  zu  vermeiden,  ist  ebensowenig 
verführerisch  als  der  fröhliche  Abschied  und  die  constructio  uito  kolvov. 

(1436)  4.  a.  daz  si  si  sehen  solJen  des  wart  vil  vrcelich  ir  lip. 
GotJinde  und  Rüdeger  freuen  sich,  daß  sie  die  Burgunden  auf  ihrer 
Reise  zu  den  Hunnen  sehen  sollen.  Es  ist  nichts  zu  ändern.  N  liest 
sohle  für  sohlen.  Der  Sinn  bleibt  der  gleiche,  aber  es  ist  weniger 
passend ,  daß  nur  von  Gotlinde  gesprochen  wird.  A  lässt  durch  ein 
Versehen ,  das  an  hundert  andern  Stellen  stillschweigend  aus  N  be- 
richtigt wird,  si  aus.  Hier  nun  darf  nicht  si  ergänzt  werden,  weil  dies 
nur  auf  die  Burgunden  gehen  könnte,  da  Strophe  [1435]  der  Zahlen- 
grille wegen  gestrichen  werden  muß.  Es  wird  also  gebessert  daz  si 
seren  solde.  In  V.  2  hat  a  ganz  gut  si  (die  Boten)  sagetenz  (daß  die 
Burgunden  kamen)  Riledegere.  Der  gemeine  Text  schlecht  man  seitez, 
daß  die  Boten  gekommen  wären.  Nun  wird  daz  si  seren  solde  heißen 
sollen,  daß  sie  die  Boten  ehren  durfte,  darüber  war  sie  erfreut.  Aber 
von  der  Ankunft  der  Burgunden  erfährt  sie  nichts.  Es  ist  unnöthig, 
ein  Wort  hinzufügen. 

[1461]  4  daz  herzen  nieman  samfie  tuot.  Der  gemeine  Text  herze 
ebenfalls  als  Dativ,  nieman  ist  gewiss  falsch.  Lachmann  „ich  denke 
numer  oder  niener.''  Beides  kann  stehen:  ich  habe  vorgezogen  niene, 
vielmehr  nienen  zu  schreiben ,  weil  ich  meine  bemerkt  zu  haben ,  daß 
zuweilen  niemen  für  nienen  gesetzt  ist.  1816,4  daz  Jean  ich  niemen  ge- 
sagen ;  besser  scheint  nienen,  ebenso  737, 4  ez  emeart  nie  antphanc  richer 
zer  iverlde  niemen  behant.  Dasselbe  scheint  der  Fall  zu  sein  mit  iemen. 
772, 4  die  besten  die  man  vant  oder  iemen  vinden  künde  über  allez  Si- 
frides  lant.  852,  1  sivaz  man  gote  gediente  oder  iemen  da  gesanc.  1031,  3 
daz  ir  daz  saget  iemen,  daz  er  si  erslagen.  146,  2  habt  ir  iemen  vriunde. 
An  diesen  Stellen  ist  iemen  nicht  recht  befriedigend;  wenn  ein  dem 
nienen  entsprechendes  ienen  nachgewiesen  werden  könnte,  wäre  es  un- 
bedenklich zu  setzen,    nienen  und  ienen  wie  niener  und  iener. 

[1475]  4.  A  hat  gavant  statt  wät  geschrieben.  Die  Folge  ist,  daß 
der  Reim  ergat  nicht  passt,  daher  wird  iwer  hovereise  ergdnt  geschrieben. 


218  ADOLF  HOLTZMANN 

Wiederum  darf  aber  A  nicht  aus  B  verdorben  sein,  sondern  B  ans  A 
verbessert.  Daher  wird  gelesen:  wie  iu  si  zen  Hinnen  iioer  hovereise 
gewant.  Der  gemeine  Text  habe  die  vier  gleichen  Reime  vermeiden 
wollen.  Beiläufig  mache  ich  auch  aufmerksam,  daß  in  dieser  Strophe  A 
nicht  Recht  hat,  wenn  sie  das  Meerweip  du  sagen  lässt,  denn  nur  die 
andere  „ehrlichere"  darf  dutzen  nach  Lachmann. 

[1493],  2  lieht  unde  schäme  was  er  von  golde  rot.  A  schreibt  ge- 
dankenlos was  er  vol  goldes  rot.  Lachmann  vertheidigt  A  mit  der 
Besserung  was  er  und  goldes  rot.  golde*  rot  kommt  vor  von  Sattelzeug 
und  Zaum;  aber  der  Ring  ist  nicht  goldes  rot,  sondern  von  golde  rot, 
von  rothem  Golde.  Es  zeigt  dieses  Beispiel,  wie  hartnäckig  Lachmann, 
wo  er  es  für  möglich  hält,  A  zu  halten  sucht,  während  er  doch  in 
einer  Menge  ganz  ähnlicher  Fälle  stillschweigend  einen  Schreibfehler 
zugibt. 

1593  [1497]  3  a   nu  nemt  hin  minnekliche  nun  eilendes  solt. 
B  nu  nemt  hin  vriuntliche  Mute  minen  solt. 
A  ebenso  mit  Weglassung  von  Mute. 
Man  sieht,  wie  immer,    die  stufenweise   Verschlechterung.     Lachmann 
hält  an  A  fest  und  bessert  nu  nemet  vriuntliche  hin  minen  solt. 
[1501]  1.     Do  ivolde  er  baz  erzürnen  den  übermüeten  gast. 
Lachmann:    „warum  Hagen  hier  der  übermüete  genannt  wird,  ist  nicht 
einzusehen,  den  ungemuoten  wäre  passend."    Diese  Conjectur  erhält  eine 
glänzende  Bestätigung  durch  a.  Damit  ist  aber  zugleich  erwiesen,  daß 
Ca  nicht  aus  N,   sondern  umkehrt  NA  aus  Ca  abgeleitet   ist.    Hätte 
Lachmann  gewusst,    daß  der  Text  Ca  wirklich   den  ungemuoten  bietet, 
so  hätte  er  sich  vielleicht   angestrengt,   um   eine  andere  Conjectur  zu 
machen. 

[1501]  4  B.  da  von  der  Elsen  verge  grozen  schaden  da  gewan.  da 
fehlt  aA.  A  hat  aber  den  grozen.  Um  nicht  A  aus  B  abzuleiten, 
bessert  Lachmann  dö  den  grdzen  schaden  gewan.  Aber  der  Artikel  steht 
in  A  fehlerhaft. 

[1502]  4  B.  den  stolzen  Burgonden.  A  (wie  auch  a)  lässt  stolzen 
aus.  Lachmann  ao  den :  er  gibt  zu,  daß  den  edeln  oder  den  stolzen  oder 
den  edeln  ebensogut  wäre ;  aber  do  den  erhält  den  Vorzug,  weil  auf 
diese  Weise  der  Weg  vom  Urtext  zu  A  und  von  A  zu  B  hand- 
greiflich wird. 

[1549]  4.  Ca  dö  wart  im  vollen  bekant.  Für  vollen  schreiben  NA 
völlig  sinnlos  striten.  Hätte  hier  Lachmann  den  Text  von  C  nicht 
gekannt,  so  würde  er  wie  oben  1501  das  richtige  gesetzt  haben.  Da 
aber  N  nicht  aus  C  geflossen  sein  darf,    so  sagt  er  „striten,  v  allen  C, 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  219 

vielmehr  strüchen."  Es  scheint,  daß  er  den  Vers  nicht  auf  Hagen  be- 
zieht, von  dem  ja  gesagt  ist,  daß  er  hinters  Ross  saß,  was  doch  kein 
Sträuchen,  sondern  ein  Fallen  ist.  Mir  ist  nicht  zweifelhaft,  daß  Hagen 
gemeint  ist ;  im  kann  nur  auf  Ilagene,  bezogen  werden :  der  Dichter  will 
erklären,  wie  es  möglich  war,  daß  Hagen  so  leicht  vom  Pferd  gestoßen 
werden  konnte:  daz  färb  liege  brach;  sonst  wäre  Hagen  von  Gelpfrats 
Stoß  nicht  abgesetzt  worden.  Aber  das  Unmögliche  zugegeben,  daß 
Gelpfrat  gemeint  ist,  kann  von  einem  auf  dem  Pferde  Sitzenden  der 
Ausdruck  strüchen  gebraucht  werden?  strüchen,  kann  nur,  wer  auf  seinen 
Füßen  steht.  So  ist  es  auch  im  Lied  an  allen  Stellen  nur  von  Fuß- 
kämpfern gebraucht,  nie  von  Reitenden,  und  wenn  1940,4  von  dem 
reitenden  Volker  gesagt  wird,  daß  er  nicht  absichtlich,  sondern  von 
einem  strüche  den  Hunnen  erstochen  habe,  so  ist  der  strüch  vom  Pferd 
zu  verstehen,  nicht  von  dem  darauf  sitzenden  Helden. 

[1553]  1.  CB.  Do  begund  er  rüefen  Danewarten  an. 

A.  Do  begunde  er  ruofen  Danewarten  vil  vaste  an. 
Dies  will  Lachmann  nicht  gelten  lassen,  weil  vaste  nicht  in  der  letzten 
Senkung  stehen  darf.     Er  bessert   do    begunde   er   Dancioarten   vil  vaste 
ruofen  an.     Vergleicht  man  D ,    so   scheint   D   und   A   hervorgegangen 
aus  do  begunde  er  vaste  Danewarten  ruofen  an. 

[1556]  4  den  tvas  allen  ze  gäch.  So  alle.  Lachmann  ändert  so  gdch 
für  ze  gäch.  Ich  weiß  nicht,  wie  er  den  Vers  verstand,  und  kann  nur 
angeben,  wie  ich  ihn  auflasse.  Von  einem,  der  in  sein  Verderben  rennt, 
sagt  man  im  ist  ze  gdch.  434,  2.  1638,  2.  1641,  2.  Hier  nun  wird  gesagt: 
die  Baiern  flohen,  Hagens  Leute  verfolgten  die  Feinde,  die  es  niht  en- 
gelten  wänden,  den  was  allen  ze  gäch.  Diejenigen  der  Feinde:  die  meinten, 
sie  würden  ungestraft  davon  kommen,  denen  war  ze  gäch  gewesen,  sie 
hatten  sich  bei  dem  Angriff  auf  die  Burgunden  übereilt.  Auf  diese 
Weise  wird  angedeutet,  daß  die  Verfolger  noch  viele  der  Fliehenden 
erlegten  oder  verwundeten.  Lachmann  interpungiert  anders :  do  jagten 
die  van  Tronje  im  vienden  nach,  dies  niht  enkelten  wänden:  den  ivas  allen 
so  gäch.  Man  sieht,  daß  gesagt  werden  soll,  die  Verfolgten  hatten  die 
größte  Eile,  nämlich  um  zu  entfliehen.  Aber  nicht  nur  ist  das  ein  sehr 
matter  Gedanke,  sondern  es  bleibt  auch  dies  niht  enkelten  wänden 
ziemlich  überflüssig. 

[1 567]  4  si  wurden  ivol  enphangen  da  ze  Pazzowe  sint.  Statt  Paz- 
zowe  wird  gebessert  Bechlären.  Dieß  ist  wieder  eine  der  gewaltsamen 
Veränderungen,  mit  welchen  Lachmann  den  Text  für  seine  Lieder- 
theorie zustutzt.  Passau  und  Pilgrim  dürfen  in  den  Liedern  nicht  ge- 
nannt sein,   weil  sonst,  wie  S.  163  gesagt  wird,    die  Abschnitte  von 


220  ADOLF  HOLTZMANN 

28  Langzeilen  nicht  herauskommen.  Aber  die  Strophe  [1567],  in  welcher 
ebenfalls  Pazzowe  genannt  ist,  will  Lachmann  doch  nicht  entbehren: 
er  hilft  also  auf  andere  Weise,  indem  er  Bechlären  für  Pazzowe  setzt. 
Es  ist  hier  nicht  meine  Sache,  die  Lieder,  die  Lachmann  zurecht  macht, 
vom  poetischen  Standpunkt  zu  würdigen  (Liebhabern  empfehle  ich  be- 
sonders das  14.)  aber  ich  frage,  was  die  Leser  dieses  vierten  Abdruckes 
sich  denken  sollen,  wenn  sie  die  von  Lachmann  gebesserte  Zeile  si 
tourden  wol  enphangen  da  ze  Bechlären  sinf  lesen,  und  es  folgt  dann  der 
Empfang  in  Passau?  Hätte  der  Herausgeber  nicht  wenigstens  andeuten 
sollen,  daß  Bechlären  nichts  als  eine  Besserung  Lachmanns  und  daß 
alle  Handschriften  Pazzowe  haben? 

[1579]  2.    der  sizzet  bi  der  sträze   unt  ist  der  beste  wirt 
der  ie  kom  ze  hüse. 

Wirth  und  Haus  gehören  zusammen;  wer  ein  Haus  hat,  ist  ein 
Wirth  nach  altem  Sprachgebrauch,  und  wer  ein  Wirth  ist,  hat  ein 
Haus.  Es  haben  auch  alle  Handschriften  ze  hüse.  Nur  A  schreibt  mit 
gewöhnlicher  Liederlichkeit  sträze,  das  dem  Schreiber  noch  aus  der 
Zeile  vorher  in  der  Feder  war.  Es  ist  nun  fast  unglaublich,  daß 
Lachmann  nicht  zugibt ,  daß  die  anderen  Handschriften  Recht  haben. 
Weil  in  der  vorhergehenden  Strophe  ze  hüse  kamen  in  anderem  Sinne 
stehe,  so  müsse  hier  für  ze  sträze  eine  andere  Besserung  gesucht  werden. 
Die  ist  denn  auch  gefunden.  Es  wird  gebessert  ze  gesajze.  Ich  muß 
abwarten,  ob  man  irgendwo  den  Wirth,  der  ze  geseeze  kommt,  nachweist. 

[1604].  Es  ist  in  C  nichts  zu  ändern.  Die  junge  Markgräfin  küsste 
die  drei  Könige,  also  (oder  also.ni)  tet  ir  muoter;  wie  ihre  Mutter  ge- 
than  hatte.  Der  gemeine  Text  verdirbt  den  Vers  durch  den  Zusatz 
alle  vor  dri.  Dem  Vers  wird  aufgeholfen,  wenn  junge  gestrichen  wird ; 
und  dann  allerdings  muß  man  mit  Lachmann  tohter  statt  muoter  setzen. 

[1638]  4  des  gät  mir  armen  wibe  not.  A  mir  armer  mit  Aus- 
lassung von  wibe.  Lachmann  bessert  mir  armer  muoter.  an  mir  armen 
ivibe  ist  nichts  auszusetzen ;  weil  aber  A  nicht  aus  N  abgeleitet  werden 
darf,  macht  Lachmann  einen  andern  Vorschlag,  des  gät  mir  armer  not 
sei  keine  natürliche  Betonung ;  aber  warum  nicht  dSs  gät  mir  ärmer  not  ? 
Daß  Nudung  der  Sohn  der  Götlinde  sei,  ist  nirgends  deutlich  gesagt. 

1779.   [1678]  C.  ' Het  ich  gewist  diu  mcere\  sprach  dö  Hagene, 
'daz  iu  gäbe  bringen  sohlen  degene, 
ich  wwre  wol  so  rtche,  het  ich  mihs  baz  verdäht, 
daz  ich  iu  mine  gäbe  her  zen  Hiunen  hete  bräht. 

So  mit  geringen  Abweichungen  alle  außer  DA.  Diese  lesen  in  1 
waz  sint  disiu  mojre?  und  3  und  4     ich  ivesse  iueh  wol  so  riehen  als  ich 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  221 

mich  kan  verstau  (D,  ob  ich  mich  baz  kan  verstau  A),  daz  ich  in  ininer 
gäbe  her  ze  lande  niht  gefäeret  hän.  Es  ist  wohl  nicht  zweifelhaft,  daß 
diese  Lesart  durch  ein  Missverständniss  entstanden  ist.  Lachmann  ob 
ich  nach  baz  versan,  und  her  ze  lande  niht  gewan. 

[1709]  3  ich  iceiz  in  sd  übermüeten   daz  er  mir  lougent  niht. 
Ca.  in  wol  so  kämen.     Lachmann  gemuoten. 

[1737]  4  (ja  vorhten  si  den  tot)  von  dem  videlcere.  (1738)  beginnt 
du  sprach  der  videlcere.  Lachmann :  der  videlcere  ist  wohl  nur  aus  der 
folgenden  Zeile  in  diese  gerathen;  passender  scheint  „von  den  zw  ein 
degenen.u  In  Ca  beginnt  (1738)  dö  sprach  der  küene  Volker.  Es  ist 
kein  Grund  zu  ändern. 

[1904]  2  A.  e  schade  geschcehe  mer.  Für  schade  wird  schaden  ge- 
bessert, was  kaum  eine  Conjectur,  sondern  nur  Berichtigung  eines 
Schreibfehlers  ist.  Auch  lesen  alle  andern  Handschriften  wirklich 
schaden;  es  wird  also  nur  der  Punkt  vergessen  sein. 

[1907]  2  A.  sin  icäfen  herlichen  durch  die  helme  ranc.  So  A  durch 
Schreibfehler  für  erklanc.  Lachmann  will  wieder  A  retten  und  setzt  dranc. 

[1908]  2.  Gtselheren  soll  in  Volkeren  gebessert  werden.  Solche 
Verwechslungen  der  Namen  finden  allerdings  Statt.  Aber  da  gerade 
vorher  [1903]  und  [1904]  Volker  bereits  hervorgehoben  ist,  so  ist  die 
Besserung  nicht  wahrscheinlich. 

In  derselben  Strophe  V.  3.  Ca.  doch  sach  man  Gtselheren  ze 

vorderst  stdn 
bi  den  vianden;  er  was  ein  helt  guot. 
N.  doch  sach  man  vor  in  allen  Gtselheren  stdn 
gein  den  vienden:  er  was  ein  helt  guot. 
A  ebenso:    aber    statt    er    was    wird    geschrieben    ez    ist.     Weil    diese 
offenbar  falsche  Lesart  nicht   wie   ein   Verderbniss   der  gemeinen   aus- 
sehe, solle  gelesen  werden  zerste'n  helt  guot.    zerste  ist  nicht  gleich  ze 
vorderst;   ferner  wäre  es  tautologisch  nach  vor  in  allen)   endlich  ersten 
für  erste  den  wäre  kaum  erlaubt. 

[1913]  1.  daz  tuon  ich  sicherltchen.  „schierlichen  wäre  passender." 
Nach  Lachmann  kommt  dieses  Adverbium  zweimal  in  der  Noth  vors 
[714]  4  si  kumet  scierlichen;  an  dieser  Stelle  haben  alle  sicherlichen,  A. 
sicer liehen.  [1531]  4  wir  werden  schierliche  bestän;  die  Handschriften 
haben  sicherlich,  D  scherlich,  A  scherliche;  Lachmann  also  ohne  Hand- 
schrift. Ich  bezweifle ,  ob  das  Wort ,  das  Lachmann  an  zwei  Stellen 
durch  stillschweigende  Berichtigung  eines  Schreibfehlers  in  den  Text 
bringt,  ein  wirkliches  Wort  ist.  Die  Adverbia  auf  liehe  können  zwar 
von    Adjectiven ,    aber   nicht    von    Adverbien    gebildet    werden ;    von 


222  ADOLF  HOLTZMANN 

kilme,  stire  kann  es  keine  Ableitung  kümeltche ,  serliche  geben :  nun 
gibt  es  kein  Adjectiv  seiner,  sondern  nur  ein  Adverbium  scioro.  Das 
von  Lachmann  mit  Vorliebe  gepflegte  Wort  S'ierliclie  hätte  also  sehr 
nöthig  in  der  wirklichen  Litteratur  nachgewiesen  zu  werden.  Ahd. 
ist  es  nicht  vorhanden,  mhd.  ist  es  mir  ebenfalls  unbekannt,  und  ich 
halte  es  für  eine  den  Gesetzen  der  Wortbildung  widerstrebende  Er- 
findung Lachmanns. 

[1918]  1  der  voit  von  Rine:  so  die  Noth  aus  Gedankenlosigkeit 
für  voget  von  Berne  Ca.  Lachmann  hatte  in  den  Anmerkungen  nicht 
übel  Lust  zu  schreiben  von  Eo?ne;  wenn  dieß  das  rechte  wäre,  so 
könnte  man  nicht  zweifeln,  daß  Ca  durch  Besserung  aus  N  hervor- 
gegangen ist.  Aber  Lachmann  hat  die  Vermuthung  selbst  zurück- 
genommen  und  in  der  Ausgabe  anerkannt,  daß  Ca  das  echte  biete, 
das  in  N  verdorben  ist. 

[2031]  2  loelt  ir  diz  starke  hazzen  ze  einer  suone  legen.  A  ditze 
starke  mit  Auslassung  von  hazzen.  Statt  nun  zuzugeben ,  daß  hazzen 
eines  der  vielen  Wörter  ist,  die  der  Schreiber  von  A  aus  Nachlässigkeit 
nicht  geschrieben  hat,  und  die  sonst  stillschweigend  ergänzt  werden, 
soll  hier  vielmehr  starke  für  ein  selteneres  Substantivum  stehen,  weil 
A  auch  [2007]  2  stareken  für  kradem  schreibt.  Das  seltenere  Substan- 
tivum, das  1836  noch  nicht  gefunden  wurde,  war  1841  strafen',  und  so 
wird  also  im  vierten  Abdruck  gelesen: 

weit  ir  ditze  strafen  ze  einer  suone  legen. 
Es  ist  wohl  nicht  nöthig  ernstlich  zu  widerlegen,  daß  Günther  ge- 
beten haben  soll,  ihm  die  Strafe  zu  erlassen;  es  wird  auch  Niemand 
glauben ,  daß  aus  ditze  strafen  zuerst  durch  einen  Schreibfehler  diize 
starke,  und  dann  durch  Besserung  diz  starke  hazzen  geworden  sei.  Wäre 
es  nicht  klüger  gewesen,  wie  im  vorhergehenden  Fall,  die  Vermuthung 
zurückzunehmen  und  diese  Stelle  als  Schreibfehler  aus  N  zu  berichtigen? 

2171  [2051]  4.  Ca  für  trinken  unt  für  spise  kan  niht  anders  nu 
gesin.  Dafür  B  ez  enmac  an  disen  ziten  nu  niht  bezer  gesin.  A  ebenso, 
nur  et  nach  mac,  und  nu  getilgt.  Lachm.  ez  en  mac  et  niht  bezzer  an 
disen  ziten  gesin. 

[2054]  4.  C.  sit  vil  manic  scheene  ivip.  B  setzt  ivcetlich  für  scheene. 
B  lässt  manic  aus  und  schreibt  vil  wcetlichez  wip.  Man  sieht  wieder 
deutlich,  wie  C  zu  B,  B  zu  A  wurde.  Lachmann  bessert  sit  manic 
waitlichez  wip  und  macht  dann  durch  den  Schreibfehler  vil  für  manic 
A  zum  Ausgangspunkt. 

2269  [2148].     Ca.  Daz  edel  ingesinde  was  komen  gar  dar  in. 
Volker  unde  Hagene  die  spungen  balde  hin. 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  223 

N  setzt  was  nu;  und  A  allein  schreibt  holde  da  hin.  An  Ca  ist  nichts 
auszusetzen.  Wie  ein  nu  zugesetzt  werden  konnte,  ist  sehr  begreiflich. 
In  A  kommt  ein  neuer  Fehler  hinzu.  Lachmann  aber  sagt:  „offenbar 
ist  zu  lesen  was  nu  komen  gar  —  sprangen  holde  dar.  Der  Schreiber 
von  A  hatte  da  hin  aus  dar  gemacht"  u.  s.  w.  Es  soll  aber  nicht 
gesagt  werden ,  das  Gefolge  Rüdegers  sei  gekommen ,  sondern  es  sei 
in  den  Saal  eingedrungen;  dar  in  kann  nicht  entbehrt   werden. 

2314  [2192]  4.  loirn  künden  überwinden  niht  diu  grcezlichen  leit,  so 
C  und  N;  nur  IA  zoirn  künden  niht  überwinden  diu  vil  grcezlichen  leit. 
Um  A  zu  halten,  soll  verwinden  gelesen  werden.  Das  Wort  ist  dem 
Lied  fremd;  aber  überwinden  kommt  öfters  in  gleicher  Bedeutung  vor. 

[2203]  2325,  3  mit  sinen  tiefen  wunden  Ca,  mit  starken  verh- 
w  unden  DI,  starch  verch  w.  B,  starch  w.  A.  Lachmann  mit  starken  wunden. 
Es  ist  nicht  nöthig,  an  Ca  zu  ändern ;  da  der  Held  todt  ist,  so  braucht 
nicht  gesagt  zu  werden,  daß  es  verchwunden  sind. 

Wenn  die  Noth  mit  starken  verchwunden  liest,  so  ist  es  nur  die 
gewöhnliche  Nachlässigkeit  des  Schreibers  von  A,  daß  er  verch  auslässt. 
Auffallend  ist  nur,  daß  A  und  B  in  dem  Schreibfehler  starch  zusammen- 
treffen. Es  kann  aber  in  B  die  Abkürzung  für  en  verbleicht  sein,  und 
A  konnte  beim  rch  von  starch  meinen  beim  rch  in  verch  zu  stehen.  Die 
Besserung  Lachmanns  genügt  auch  nicht  für  den  Vers ;  denn  mit 
starken  icunden  füllt  den  vordem  Halbvers  nicht.  Es  kann  nicht  ge- 
lesen werden  mit  starken  wunden.  Solche  Ungeheuer  von  Versen  hielt 
Lachmann  für  erlaubt  und  für  schön  und  alterthümlich ,  weil  er  sonst 
hätte  zugeben  müssen,  daß  A  die  Verse  entsetzlich  verdirbt.  Daß  mit 
einen  Versfuß  (Hebung  und  Senkung)  bilde,  hielt  er  in  der  Anmerkung 
46  und  581  noch  für  sehr  ungewiss,  obgleich  er  in  der  Cäsur  die 
„mehrsilbigen"  Wörter  mittim  und  mittir  gestattete  (sieh  zu  118.  333,4 
so  mäht  du  mit  ir  und  401,3  durch  dich  mit  im).  Später  wird  es  auch 
an  andern  Stellen  gestattet.  Es  ist  in  der  That  nicht  einzusehen,  warum 
es  nicht  ebenso  gut  dazu  fähig  ist,  als  an  i?i,  an  Sinem  morgen  vrüo 
(sieh  zu  476),  oder  in  in  GünthSres  Idnt  (46).  Es  werden  solche 
schauderhafte  Schreibereien  von  A  von  Lachmann  zu  mustergültigen 
Versen  erhoben,  durch  solcher  Verse  würdige  Theorien,  wie  z.  B.  daß 
mittim  ein  mehrsilbiges  Wort  sei. 

[2209],  1.  u.  2.  er  ist  so  grimme  gemuot  —  sprach  Volker  der 
degen  guot.  guot  wird  getilgt  und  im  ersten  Vers  gelesen  er  ist  so 
grimme  erwegen.  Die  Besserung  ist  geschickt;  aber  sie  ist  unsicher, 
so  lange  grimme  erwegen  oder  ganz  ähnliches  nicht  anderwärts  nach- 
gewiesen   wird.     Die    von    Lachmann    beigebrachten    Stellen    genügen 


224  ADOLF  HOLTZMANN 

nicht.  Mir  scheint  in  anderer  Weise  geholfen  werden  zu  müssen.  In 
2  liest  (J  der  helt  guot  und  Lachmann  scheint  zu  betonen  sprach  Volker 
dir  hell  guot:  „fehlerhaft,  sagt  er,  mit  dem  eigentlich  zweisilbigen  helt 
in  der  letzten  Senkung."  Die  Regel,  daß  ursprünglich  zweisilbige 
Wörter  nicht  in  der  letzten  Senkung  stehen  dürfen,  ist  eine  ganz  will- 
kürliche Erfindung,  von  der  die  Dichter  selbst  keine  Ahnung  hatten. 
Man  sehe  nur,  wie  Lachmann  es  mit  unde  macht.  Da  das  Wort  zwei- 
silbig ist,  so  darf  die  einsilbige  Form  nicht  in  der  letzten  Senkung 
stehen.  Nun  steht  sie  aber  gar  häufig  in  der  letzten  Senkung.  Da 
wird  nun  der  Vers  zuerst  gedrückt,  um  für  unde  Platz  zu  gewinnen; 
dann  werden  Ausnahmen  gemacht,  wo  die  einsilbige  Form  erlaubt  sei. 
Und  endlich  wird  die  einsilbige  Form  überall  gestattet,  wenn  man  nur 
nicht  und,  sondern  unt  schreibt.  Ist  das  nicht  ein  kindisches  Spiel? 
Ich  nehme  auf  solche  Regeln  natürlich  keine  Rücksicht.  Ich  setze 
überall  ohne  Bedenken  unt  oder  und,  und  ebenso  helt  und  ähnliche 
Wörter  (in  der  Klage  sogar  einmal  solt  für  solde)  in  die  letzte  Senkung. 
Hier  aber  kann  es  nicht  wohl  geschehen,  weil  dir  helt  güot  kaum 
möglich  ist.  Der  Artikel  kann  nicht  höher  betont  sein  als  das  Sub- 
stantivum.  Ich  glaube,  daß  Volker  eine  Glosse  ist.  Da  er  vorher  ge- 
nannt ist,  so  ist  hier  sein  Name  überflüssig.  Man  lese  sprach  der  Mit 
güot.  Im  ersten  Vers  aber  ist  vollkommen  sprachrichtig  zu  lesen  er  ist 
so  grim  gemuot.  grim  ist  Adjectiv,  nicht  Adverbium.  Bei  gemuot  steht 
ebenso  das  Adjectiv  127, 4  er  wart  ein  lützel  senfter  (N  Adv.  sanfter) 
gemuot:  und  2257,  1  herte  gemuot.  gemuot  ist  eines  der  seltenen  Wörter 
wie  geherz,  gehont,  gesit.  Wie  diese  ursprünglich  construiert  wurden, 
ist  noch  dunkel.  Im  Lied  haben  wir  1590,1  er  ivas  müelich  gesit;  da 
ist  müelich  schwerlich  als  Adverbium  zu  fassen,  sondern:  er  war  un- 
erträglich von  Sitten.  Ebenso  heißt  er  grim  gemuot :  er  ist  grimmig  von 
Muth.  Das  Adjectivum  ist  so  richtig  als  in  blint  geborn;  aber  die  Ana- 
logie hat  überwogen  und  so  heißt  es  gewöhnlicher,  obgleich  eigentlich 
unrichtig,  mit  Adverbium  hohe  gemuot,  grimme  gemuot  u.  s.  w. 
2421  [2299]3.  4. 
Ca.    do  was  mit  sime  leide  ir  sorge  ein  teil  benomen. 

si  sprach  (känig   Günther,  sit  mir  gröze  willekomen. 
BD.  dö  was  mit  sime  leide  ir  sorgen  vil  erward. 

si  sprach  'willekomen,   Günther  üzer  Burgonden  lant. 
I.   si  sprach  frcelichen  \oillecomen,  Günther, 

ein  künic  von  Burgunden,  ich  gesach  dich  nie  so  gerne  mtr. 
K.   si  sprach  'willekom,   Günther  von  Burgunden  lant. 

ich  hän  iuch  hie  zen  Hiunen  vil  gerne  bekant. 


ZUM  NIBELUNGENLIEDE.  225 

A.   si  sprach  'willekomen,  Günther,  ein  helt  uz  Burgonde  lant! 
nu  löne  iu  got,  Kriemhilt,  ob  mich  ixoer  triwe  des  ermant. 
Lachm.   ebenso ,   mit  Tilgung  von  ich  sprach   und   mit   Besserung  ein 
helt  uz  erhant. 

Es  wird  kaum  eine  Stelle  geben,  wo  die  Handschriften  so  sehr 
von  einander  abweichen.  CBD  sind  im  wesentlichen  gleich.  KIA 
lassen  3  aus  und  fällen  die  Strophe  in  verschiedener  Weise;  am  eigen- 
tümlichsten A,  das  eine  Antwort  Günthers  bringt,  die  aber  mit  der 
folgenden  Strophe  nicht  wohl  in  Einklang  gebracht  werden  kann. 
Lachmann's  Änderungen  sollen   dem  Vers  aufhelfen. 

Wir  sind  zu  Ende  gekommen.  Einige  der  Besserungen  Lach- 
manns sind  ein  wirklicher  Gewinn ;  die  meisten  haben  nur  den  Zweck, 
begreiflich  zu  machen,  daß  A  die  Urschrift  ist,  aus  der  alle  andern 
geflossen  sind,  und  den  Text  so  zu  gestalten,  daß  die  Liedertheorie 
ihn  brauchen  kann.  Dabei  erlaubt  sich  Lachmann  die  willkürlichsten 
und  gewaltsamsten  Änderungen.  Zu  merken  ist  jedoch,  daß  Lachmann 
selbst  diese  Vorschläge  nicht  in  den  Text  aufgenommen  hat;  er  gibt 
nicht  selten  zu  verstehen,  daß  sie  ihm  nichts  weiteres  sind  als  sehr  un- 
sichere Vermuthungen.  Erst  der  ungenannte  Nachtreter,  der  diesen 
neuen  Abdruck  besorgte,  wagte  es,  alle  diese  Conjectnren  aufzunehmen, 
und  somit  nicht  mehr  einen  überlieferten,  sondern  großentheils  will- 
kürlich ersonnenen  und  für  gewisse  Zwecke  in  gewaltsamer  Weise 
zurecht  gemachten  Text  drucken  zu  lassen.  Lachmann  hätte  dazu  seine 
Erlaubniss  schwerlich  gegeben;  und  gewiss  hätte  er  nicht  gebilligt, 
daß  auf  dem  Titel  dieses  Abdruckes  steht  „herausgegeben  von  Karl 
Lachmann",  statt  daß  es  heißen  sollte:  „nach  der  Ausgabe  Lachmanns 
mit  sklavisch  treuer  Ausführung  aller  vom  Herausgeber  gemachten  Ver- 
änderungsvorschläge  für  den  Druck  besorgt  von  **." 

Für  diesen  Herrn,  dessen  Namen  Jeder  kennt,  ist  dieser  vierte 
Abdruck  ein  Denkmal  vollkommener  Armseligkeit.  Der  Erfolg  der  Aus- 
gabe wird  ermessen  lassen,  in  welchem  Grade  die  blinde,  völlig  gedanken- 
und  willenlose  Nachtreterei  in  unseren  Schulen  und  gelehrten  Kreisen 
noch  herrschend  ist. 


GERMANIA  VII.  15 


226  FRANZ  PFEIFFER 

MITTELDEUTSCH. 


Trotz  den  von  gewichtigster  Seite  gegen  diesen  Ausdruck  erho- 
benen Einwänden  und  Bedenken  ist  derselbe  dennoch  zu  immer  allge- 
meinerer  Geltung  gekommen  und  wird  gegenwärtig  von  der  weit 
überwiegenden  Anzahl  der  deutschen  Philologen  als  Gesammtname  für 
die  Mundarten  des  mittleren  Deutschlands ,  also  des  Fränkischen, 
Hessischen ,  Thüringischen ,  Obersächsischen ,  Schlesischen  und  Ost- 
preußischen, ebenso  anstandslos  gebraucht,  als  der  Name  Hochdeutsch 
für  die  Mundarten  der  oberdeutschen  Lande,  des  Alamannischen, 
Schwäbischen,  Bairisch  -  Osterreichischen.  Eine  Benennung,  die  so 
rasch  und  allgemein  sich  Bahn  bricht  und  unter  Gelehrten  der  ver- 
schiedensten Richtung  sich  einbürgert,  muß  doch  wohl  auf  besserem 
Grunde  beruhen  als  etwa  einer  bloßen  Grille,  um  nicht  zu  sagen  einem 
Irrthum.  In  der  That  haben  fortgesetzte  eingehende  Forschungen  den 
wirklichen  Bestand  einer  Sprache,  die  vom  oberdeutschen  und  nieder- 
deutschen Lautsystem  gleich  weit  entfernt  zwischen  diesen  beiden 
gleichsam  in  der  Mitte  steht  und  sie  vermittelt,  in  immer  helleres  Licht 
gestellt  und  die  dagegen  erhobenen  Zweifel  mehr  und  mehr  zerstreut. 
Steht  aber  einmal  die  Thatsache  fest,  so  ist  jede  Benennung,  sofern 
sie  nur  das  Wesen  der  Sache  richtig  bezeichnet  und  dem  Missverständniss 
und  der  Verwirrung  wehrt,  gut  und  berechtigt.  Gegen  diese  Forde- 
rungen verstößt  der  Name  „mitteldeutsch"  nicht,  und  die  gehegte  Be- 
fürchtung einer  schädlichen  Verwechslung  mit  dem  schon  länger  ge- 
bräuchlichen Ausdruck  „mittelhochdeutsch"  hat  sich  bis  jetzt  als  eine 
grundlose  erwiesen.  Wo  es  sich  um  feinere  Unterscheidungen  handelt, 
wird  man  die  Einzeldialekte  stets  bei  ihrem  besondern  Namen  nennen, 
und  nachdem  wir  die  Mundarten,  die  wir  als  mittelhochdeutsch  zu  be- 
zeichnen gewöhnt  sind,  immer  schärfer  und  bestimmter  sondern  lernen, 
werden  wir  uns  wohl  auch  hüten,  die  verschiedenen  Dialekte  der  mittel- 
deutschen Sprache  unterschiedslos  zu  vermischen.  Dasselbe  gilt  von 
den  Mundarten  des  niederdeutschen  Sprachgebietes.  Das  Niederrhei- 
nische, Westfälische,  Ostfriesische,  Niedersächsische  zeigt  in  derselben 
Zeit,  bei  aller  Übereinstimmung  im  Großen  und  Ganzen,  doch  viel- 
fache Besonderheiten,  die  die  wissenschaftliehe  Forschung  streng  be- 
obachten und  auseinander  halten  wird.  Gleichwohl  hat  man  kein  Be- 
denken getragen,  die  genannten  Mundarten  unter  dem  Gesammtnamen 
„niederdeutsch"  zusammen  zu  fassen.  Was  dem  Einen  recht  ist  dem 
Andern  billig.  Die  Berechtijnmo;  der  Mundarten  des  mittleren  Deutsch- 


MITTELDEUTSCH.  227 

land  zu  einein  gemeinsamen  Namen  steht  daher  außer  Frage;  sie 
kann  überdies  durch  ein  altes  Zeugniss  aufs  bündigste  dargethan  werden. 
Diesen  Nachweis  zu  liefern  ist  der  Zweck  nachstehender  Zeilen. 

Auf  der  Leipziger  Universitätsbibliothek  befindet  sich  unter  Nr.  34 
eine  Pergamenthandschrift,  deren  Inhalt  eine  deutsche  Übersetzung  der 
vier  Evangelien  vom  Jahre  1343  bildet.  Von  dieser  Übersetzung,  als 
einer  der  ältesten  die  es  gibt,  gab  die  erste  spärliche  Kunde  Joach. 
Feller  in  seinem  Catalog  (Lips.  1686.  p.  68.  69),  und  seitdem  war  bei 
den  Litterarhistorikern  öfter  davon  die  Rede.  Genaueren  Einblick  in 
die  Beschaffenheit  des  Werkes  gewährte  jedoch  erst  die  sorgfältige 
Beschreibung,  die  Prof.  Dr.  Theodor  Möbius  in  dem  „Verzeichniss  der 
Herren  Prediger  an  der  Universitätskirche  zu  Leipzig  1849- — 50"  (wieder 
abgedruckt  in  Naumann's  Serapeum  1850.  Nr.  3.  4)  von  der  Hand- 
schrift lieferte.  Leider  war  mir  dieselbe,  als  ich  Ende  1853  die  Ein- 
leitung zum  Jeroschin  schrieb,  entgangen.  Später,  von  Zarncke  darauf 
aufmerksam  gemacht ,  theilte  mir  Möbius  freundlich  einige  weitere 
Notizen  aus  der  Hs.  mit  und  im  vergangenen  Herbst  hatte  ich  sie  in 
Leipzig  selbst  in  Händen.  Die  Hs.  umfasst  234  Blätter  in  Quart  und 
ist  mit  großen  ,  deutlichen  Zügen  geschrieben.  Der  Inhalt  theilt  sich 
in  eine  Reihe  Vorstücke  (Bl.  1 — 52b),  die  Übersetzung  der  vier  Evan- 
gelien (Bl.  53-224),  Beigaben  und  Schlußrede  Bl.  224—234).  Ohne 
mich  auf  die  einzelnen  Theile  des  Werkes  hier  einzulassen,  theile  ich 
daraus  nur  so  viel  mit,  als  mir  zu  meinem  Beweise  dienlich  scheint: 
Anfang  und  Ende. 

Den  Beginn  macht  eine  Übersetzung  des  bekannten  Briefes  des 
Lentulus  „Diz  ist  von  unsis  herren  gestellnisse  vnd  sinen  gelegen  (roth. 
Bl.  lab).  Man  liset  in  den  ierlichen  bucheren  der  Romere,  daz  unsir  herre 
Jesus  Christus,  der  genant  ist  von  den  heiclen  ein  prophete  der  warheit, 
was  einer  edelin  lenge ,  mittelmezic  vnd  schowelich  (spectabüis)  vnd 
hatte  ein  erber  antlitze ,  daz  di  vorchtinden  (so  :  intuentes)  mochten  üb 
habin  vnd  vorchten,  vnd  hatte  har  einer  welischen  nuss  varwe,  er  wanne 
rife  (nucis  avellance  prcematurce),  siecht  (planos)  vil  na  biz  zu  den  oren, 
von  den  oren  gerinnelit  (circinnos),  crusp,  wachsgelir  varwe  vnd  etwaz 
glitzende  vnd  von  den  ahselin  floyrende  (ventilantes) ,  vnd  hatte  eine 
scheitele  mitene  des  houbites  nach  den  sitten  der  nazarei;  eine  siechte 
vnd  eine  wunnecliche  stirne  sunder  runzelin  vnd  flec  vnd  di  zarte  rote. 
Vnd  nasen  vnd  mundes  inwas  zu  male  kein  strafunge  (reprehensio),  vnd 
hatte  einen  volligen  (copiosam)  bart  glicher  varwe  der  hare,  nicht  lanc, 
sunder  an  den  kinne  was  her  ein  wenic  gezweigespeldit  (bifurctam). 
Vnd  hatte  ein  einvaldic    vnd    ein  vollinbracht   angesichte ,   mit  grawen 

15*  " 


228  FRANZ  PFEIFFER 

ougin,  di  waren  maniger  hande  var  vnd  clar  vnd  her  was  an  der  be- 
strafunge  irverlich  (in  increpatione  terribilis),  an  der  vermanunge  senfte 
vnd  minneclich,  vnd  was  wunneclich  mit  behaldener  genellikeit  (hilaris 
servata  gravitate).  Etwanne  weinete  her,  aber  ni  gelachite  her.  An  der 
lenge  des  lichamis  was  her  wol  vollic  vnd  gerichte  (propagatus  et  rectus) 
vnd  arme  vnd  hende  waren  wol  gemazet,  an  der  gesiehte  was  her 
lustlich,  an  dem  gekose  tapfir  vnd  selzin  (in  colloquio  gravis,  rarus)  vnd 
senftmutic,  also  daz  billiche  was  noch  ysaian  gesprochin.  Her  ist  wol 
gebildet  an  der  formen  vor  den  svnen  der  menschin,  wan  her  ist  der 
kunic  der  eren,  in  den  di  engele  begeren  zu  schowine,  des  schonede 
svnne  vnd  mane  sich  wunderen,  der  heilant  der  werlde,  meister  des 
lebines.     Ime  si  ere  vnd  glorie  in  di  werlde  der  werlde.    Amen." 

Unmittelbar  darauf  folgt: 

lb  „  Von  dises  buches  lobe  vnd  werdikait.  Diz  ist  der  schätz  der 
heiligen  cristenheit  alse  gantz  vnd  heizet  zu  latine  plenarius**),  aber  zu 
düte  ein  irfullere.  Ditz  buch  hat  sancte  Iheronimus  zu  samen  gelegit 
nach  pfeffelicher  kunst  vnd  nach  meisterlicher  kunst,  alse  di  vorrede 
sprichet.  Ditz  buch  hat  di  heilige  cristenheit  zu  ir  genumen  vnd  zu 
ir  geordent  nach  dem  einualdigen  texte,  also  alse  di  heiligen  ewangelia 
einer  iclichen  heiligen  zit  vnd  ouch  eime  iclichen  heiligen  zu  geeigent 
sint.  Ditz  buch  hat  in  sich  beslozzin  alliz  daz,  dz  got  an  siht  in  siner 
ewigen  vorsichtikeit  nach  wirkender  tat.  Diz  buch  hat  ouch  in  sich 
beslozzin  alliz  daz,  dz  da  gesehen  ist  vnd  nü  geschit  vnd  noch  gesehen 
sal.  ditz  ist  alliz  beslozzin  in  dem  ewigen  nü  den  heiligen  in  dem 
lichte  der  glorien.  Diz  buch  oder  sin  glich  ist  der  tureste  schätz,  den 
daz  ertriche  treit  vnd  der  himel  bedackit  hat  von  liplichen  dingen, 
vnd  ist  daz  erste,  gantze  buch,  daz  uz  dem  latine  in  dutsche  zunge 
bracht  ist. 

Der  himelische  vatir  vnsis  liben  heren  Jhesu  Christi  der  si  ge- 
lobit  vnd  benediget  nu  vnd  ewielichen.  amen." 


Der  Schluß  des  Evangelium  Johannis  lautet  wie  folgt: 

Bl.  224a: 

nHie  endet  daz  buch  sente  Johannis  des  ewangelisten.  Got  si  gelobit 
(roth).  Uz  der  byblien  ist  dise  ubirtragunge  in  daz  mittelste  dutsch  mit 
einualdigen  slechtin    Worten   uz   gedruckit    zu    glicheit   des   einualdigen 


*)  „Missale  plenarium,  nude  interdum  plenarius  vel  plenariwm,  liber  ecclesiasticus, 
in  quo  Evangelia  et  Epistolae  pleniter  continentur" :  Ducange. 


MITTELDEUTSCH.  229 

textes  mit  hülfe  des  heiligen  geistes,  der  ouch  mit  einualdigen  worten 
angewiset  hat  di  ewangelisten  volginde  Jacob  deme  geminneten ,  der 
von  zcamen  siner  mutir  tyrenspise  (?)  bereite  vnd  irarnete  von  dem 
vatere  intfahin  genugtikeit  der  benediunge,  vnd  niht  alse  sumeliche 
orekützelere  phlegen,  di  mit  floyrenden  gespitzetin  sinnen  von  des  vatirs 
lande  des  textis  gen  imvec  in  ein  verre  kunicriche  eines  vromden  sinnes, 
di  daz  fyne  golt  mit  glisendem  kuntirfelle  (so  =  kuntirfeite)  obircziren 
wollen,  vnde  den  wollerychenden  baisamen  mit  fenchilwazzere  rüchtec*) 
machin.  Dise  iagen  wilt  mit  dem  gehazzetin  Esan  vnd  irwerbin  neuwe 
zeitlichen  segin,  vnd  ubir  dise  clagit  sente  Paulus  in  sinen  epistolen, 
daz  si  verliehen  mit  dem  meisten  schaden  letzin  di  warheit,  vnd  nennit 
si  gelyt  Sathane  vnde  Sathanam  ir  houpt.     AMEN." 

Hierauf  folgt  Bl.  224b— 233b  eine  synoptische  Erzählung  der 
Leidensgeschichte  nach  den  vier  Evangelisten.  Die  Handschrift  schließt 
234a  mit  folgender  roth  geschriebenen  Schlußschrift: 

„Dise  dutunge  des  latines  in  daz  dutsche  ist  gemachit  Mathie  von 
Beheim  dem  clusenere  zu  Halle  nach  vnsirs  herren  geburt  tusent  iar 
vnd  drie  hundert  vnd  in  dem  dri  vnd  virzegistem  iare  an  sente  Jacobis 
abinde  des  apostolen.   Amen."     (24.  Juli  1343). 

Der  Verfasser  nennt  sein  Werk  „Übertragung  in  das  mittelste 
Deutsch."  Man  war  sich  also  schon  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhd. 
bewusst,  daß  es  einen  Dialekt  gebe,  der  zwischen  oberdeutschem  und 
niederdeutschem  in  der  Mitte  steht,  und  nannte  ihn  damals  schon  mit 
dem  von  mir  eingeführten  Namen.  Eine  glänzendere  Rechtfertigung 
kann  ich  mir  nicht  wünschen.  Daß  die  Sprache  in  dieser  Evangelien- 
Übersetzung  alle  wesentlichen  Merkmale  des  Mitteldeutschen  an  sich 
trägt,  zeigt  dem  Kundigen  Ein  Blick  auf  die  oben  mitgetheilten  Stellen 
oder  auf  das  durch  J.  Kehrein  (zur  Geschichte  der  deutschen  Bibel- 
übersetzung vor  Luther.  Stuttgart  1851)  S.  82 — 85  abgedruckte  fünfte 
Capitel  aus  Matthäus.  Wir  finden  hier  a  für  o:  seil,  sah;  e  für  ce:  ge- 
lezen,  jerlichen,  Homere,  mitelmezic ,  erber,  irverlich,  clusenere;  i  für  e  in 
den  Partikeln  in-,  int-,  ir-  und  den  Endungen  en;  %  für  ie:  dt,  ni,  Üb, 
Üben  (=zliep,  lieben),  tclich,  licht,  ziren,  wolrichenden,  virzegestem;  o  für  e 
in  wollen  (=tvellen),  vorterben  (=  verderben:  Kehrein),  für  ü  in  vorsichiikeit, 
verzornit  (Kehrein),  für  ö in  vromden ;  6  für  ce  in  rote,  di  bösen  (Kehrein); 
u  für  o:  genuinen;  für  tu:  dütsch,  dutunge,  türeste,  husche  (Kehrein),  für 
u.  s.  w. ;  für  ü:  ubir,  kunicrich ,  irfullere;    für  oberdeutsch  e  oder  i  in 

*)  Hs.  rächtet.  —  ruchtec  machen,  in  guten  Geruch  bringen,  wohlriechend  machen, 
vgl.  famare:  Diefenbach's  Gloss.  224"  und  misruchtich  maken,  diffamare :  Theut.  214. 
Der  Sinn  ist:  die  etwas  Edles  durch  etwas  Geringes  verbessern  wollen. 


230  JOHANN  LAMBEL 

dem  Worte  hülfe;  für  uo:  zu,  buch,  mütir,  senftmCdic.  Das  einige  Mal 
über  dem  u  erscheinende  o  (nii,  zu,  düte,  genugtiheit,  orehutzelere)  soll 
nicht  den  Diphthongen,  sondern  die  vocalische  Natur  des  u  bezeichnen, 
vgl.  meine  Bemerkung  Germania  6,  357.  358.  Kennzeichen  des  Mittel- 
deutschen sind  ferner  dl  für  diu,  drie  für  driu,  uch  für  iu,  er,  prius 
(=  e) ,  gesehen,  gesohlt,  imant,  nimant,  umme  (=umbe),  unsis,  Uwes 
(Kehrein) ,  her  für  er,  die  schwachen  Feminina :  an  der  formen ,  der 
glörien,  die  erweiterten  Formen:  wazzere,  vatere  u.  s.  w.,  das  Zusammen- 
fallen des  3.  PI.  Prres.  Indic.  mit  dem  Conj.  phlegen,  gen,  jagen,  ir- 
werbin  u.  s.  w. 

Alle  diese  Lauterscheinungen  und  Wortformen  sind  genau  die- 
selben, wie  sie  von  mir  im  ersten  Bande  der  Mystiker  S.  570  ff.  und 
im  Jeroschin,  von  Wilh.  Grimm  zum  Athis  und  Prophilias  und  von 
Bartsch,  Bech  und  Andern  anderwärts  sind  nachgewiesen  worden  und 
wie  sie  in  jedem  auf  dem  mitteldeutschen  Sprachgebiet  entstandenen 
Denkmal  unfehlbar  zu  Tage  treten.  Die  Existenz  des  Mitteldeutschen 
als  einer  besonderen  Hauptmundart  ist  eine  feststehende  Thatsache  und 
auch  die  Benennung  dürfte  nunmehr  gegen  alle  Anfechtung  sicher- 
gestellt sein. 

Zum  Schlüsse  will  ich  einen  Fehler  berichtigen,  dessen  sich  un- 
begreiflicher Weise  Alle  schuldig  gemacht  haben ,  die  seit  Feller  über 
diese  Bearbeitung  berichtet  haben :  Hopf ,  Möbius  ,  Kehrein  ,  Heppe 
(Zeitschrift  9,  265.  266).  Alle  nennen  die  Übersetzung  ein  Werk  des 
Matthias  von  Beheim,  während  doch  die  Worte:  „dise  dutunge  des 
latines  ist  gemachit  Mathie  von  Beheim  dem  clusenere  zu  Halle"  deut- 
lich nur  besagen,  daß  die  Übersetzung  dem,  d.h.  für  den  Matthias  von 
Beheim  gemacht  wurde,  in  seinem  Auftrag  also,  auf  seine  Kosten.  Aber 
in  Halle  oder  in  der  Nähe  dieser  Stadt  war  der  ungenannte  Übersetzer 
gleichwohl  zu  Hause:  Halle  liegt  noch  auf  mitteldeutschem  Sprach- 
gebiet, unfern  der  Grenze  zwischen  der  mitteldeutschen  und  nieder- 
deutschen Mundart,  die  etwas  unterhalb  des  Einflusses  der  Saale  in  die 
Elbe    von  Südwest  nach  Nordost  läuft  (sieh  Bernhardi's  Sprachkarte). 

WIEN,  Meli  1862.  FRANZ  PFEIFFER. 

ZU  DEN  BÜCHERN  MOSIS. 


Auf  zwei  Pergamentblättern  im  Museum  Francisco- Carolinum  zu 
Linz  befindet  sich  ein  Bruchstück  des  Gedichtes,  das  Diemer  aus  der 
Vorauer  Handschrift  in  seinen  'Deutschen  Gedichten  des  11.  und  12.  Jahr- 
hunderts' S.  1  —  90  mitgetheilt  hat.     Unser  Bruchstück   reicht   von  57, 


ZU  DEN  BÜCHERN  MOSIS.  231 

23 — 66,  8.  Die  Handschrift,  aus  der  uns  diese  beiden  Blätter  erhalten 
sind ,  war  von  einem  gewandten  Schreiber  sicher  noch  im  13.  Jahrh. 
geschrieben;  das  beweist  außer  anderm  ganz  besonders  jene  eigenthüm- 
liche,  Germania,  3,  344  besprochene  Form  des  Z.  Das  Format  ist 
kl.  Fol.,  die  Verse  sind  nicht  abgetheilt,  sondern  nur  durch  Punkte 
geschieden,  die  Initialen  sind  roth,  jede  Seite  enthält  32  Zeilen.  Von 
den  beiden  erhaltenen  Blättern  ist  das  zweite  am  linken  Rande  be- 
schnitten ,  so  daß  für  Seite  a  der  Anfang ,  für  b  das  Ende  der  Zeilen 
fehlt.  Allem  Anscheine  nach  dienten  die  beiden  Blätter  als  Buchdeckel ; 
ich  konnte  aber  nichts  näheres  darüber  ermitteln,  denn  ich  fand  sie 
schon  abgelöst  unter  andern  Pergamenten  und  Papieren  des  Museums 
und  meine  Nachfrage  blieb  erfolglos. 

Zu  Danke  bin  ich  besonders  den  beiden  für  das  Museum  zu  Linz 
eifrig  thätigen  Herren  J.  Stülz  und  Weishäupl  verpflichtet,  auf  deren 
Bemühung  hin  mir  die  Blätter  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt 
wurden.  Ich  gebe  im  Folgenden  eine  getreue  Copie  des  Textes,  wobei 
es  mir  nicht  überflüßig  scheint  auf  die  Vorauerhandschrift,  die  übrigens 
auch  wenn  unsere  Handschrift  ganz  erhalten  wäre,  doch  im  ganzen 
den  Vorzug  behalten  müßte,  Rücksicht  zu  nehmen,  natürlich  nur  dort, 
wo  wirklich  die  beiden  Hss.  auseinandergehen,  abgesehen  von  ortho- 
graphischen oder  sonstigen  allzu  unerheblichen  Verschiedenheiten. 
Bl.  1.  a. 

da  beten   si   vf  gesetzet,      zwei   bilde   wol  gesnitzet.   vil  rot  guldin.   glich 
cbervbyn   et   seraphin.   da   waren   inne.   vier  ringe,   zwo   stasge   stacten 
dar  inne.   da  mit   sis   tragen   solden.   so   si   v...   wolden.     Si   bebielten 
dar  inne.   daz   beilictüm   mit   sinne,   die   gerten   aaron.   die   taveln 
Moyses.   uii  manna   daz   himel   brot.   uii   einen   einber   d5,   was   golt  rot.  5 

daz   waren   diu   vier  heilictüm.   von   diu  biez   diu  arche  ppiciatorium. 
Vvie   gerne   ich   iu   sagte,   daz   bediute   daz   ez   habte.   nach   der   heilig- 
en  lere,   des  helfe   uns   unser   herre.      Daz   daz   dacb  rot   was.   die  he- 
iligen  zwelf  boten   bezeichent   daz.   die   die   christenh . . .   da.,   en.   swa 
so   si   mähten,   si   twanc   d*  regen   uii  ds  sne.   si  dulten  ach  uii  .ve.   untz         10 
die   vil   guten,   also   aenten   i   ir   blute.   Och   bezeichent  ez   zware.   die 
da  furhtent   unsern   herren.   uii   si   in   allen   gaben,   von   schaiiii  rote  ge- 
vahent.   den   mugen   wir   niht  versagen,   die   wellet  stat   daran  haben. 
An   dem   zwilhen   tüche.   da   svlt  ir  an   suchen,   die   patriarchen   uii 
die   wissagen.   alse   wir   vsnomen   haben,   die   in   eime   cite   waren.  15 

uii   ein   and  z   sahen,   si   sagten   gnügiv   dinc.   daz  bezeichent   den   zwilh- 
inc.    an   dem   geiz   hare.   merken   wir   die   suntasre.   vil  wachse   iz  ist 

3.  varn.  Die  drei  letzten  Buchstaben  fehlen,  da  das  Pergament  durchlöchert  ist.  und 
ist  kaum  ihre  untere  Hälfte  noch  erkennbar.  8.  9.  heiligen  fehlt  V.  Christenheit  (labten. 
Loch  im  Pergament.  10.  ach  uii  we]  also  manec  ser  F.,  die  Änderung  liegt  ivohl  in  un- 
serem Bruchslücke,  das  de».  Beim  reiner  zu  machen  suchte  Die  erste  Hälfte  des  10  in  we" 
ist  durch  ein  Loch  ausgefallen.     14.    An]   In  V.    16.  gnvgiu]    tougeniu  V.     17.  Diemer's 


232  JOHANN  LAMBEL 

un  stiebet,   als  in  diu  riwe  brichet.  daz  wizzet  6cb  zware.   der  be- 
libet  6cb  dare.  coecus   der  was  rot.   wände  er  was  zware  getunchot. 

2  0      der  bezeichent  zware.   die  beren  marteraere.   die  ze  minnen  bab- 
ten.  die  wile  si   lebten,   ze  gote   uil  zer  ebristenbeit.   si  dulten  ser 

uii ilige  her.  vil  schone  an   der  wint  were. 

Ein  pfellol  ds   hiez   bissvs.  daz   sint  die  confessoribus.  varwe  habt   ir 
wizze.    der  was   geworht   mit   flizze.   vil   wol   si  die   livte  lerent.   ze 

2  5      gote  sis   cherent.   si  re.  .ent  ir  schvlde.  ufi  gewinnent  uns  gotes  hvl- 
de.   nu   wizzet  wol   zware.   mit  wnnen   sint   si   dare.      Der   pvrper 
varwe  phellol  d    ist  gut.   der  bezeichent  di  diemüt.  got  uns  d*von  sa- 
gte,  do   er  mit  uns  hie  wonete.   swer  hie  diemütelichen  lebte,   daz 
er  die  hobis.   en   stat  bebabte.   ez  ist  umbe  die  diemüt  so   getan,   si  sol 

30      den  gantzen  Ion   han.      Diu  tugent  diu  ist  edele.   si  gwinnent  den 
Ion   der  magede.   nu   wizzet  wol   zware.   mit  den   bihtaeren.   ir  en 
wirt   ds   Ion   niht  versaget,   die  die  marteraere  habent.   vil   wol 

Bl.  1.  b. 

lichent  si  gote.   er  wil  in   Ionen  sam   den   boten,  wan  si  ist  ein  tugent 
hie  nidene.  vil  here  da  ze  himele.     Der  iochant  der  ist  ein  seh ...  er 
stein,   wie  schone  er..d.   m.  gecelte  schein,  an   dem  tuncheln  tage,  so 
ist  d    stein  ascher  vare.   so  der  bimel  ist  heiter,  so  ist  ds  stein  lvter.  er 
5      bezeichent  die  liute.  die  noch  sint  in  dem  strite.      Saphirvs  der 
edele.   der  bezeichent  die  magede.  er  ist  himellichen  var.  ir  gemüte 
ziuhet  si  dar.  zem  wnneclieben  lande,  da  gent  si  nach  dem  lambe. 
gotes  müter  ist  ein  magt.   diu  hat   die  andern  dar  geladet,   ein  ni- 
wez  g..anc  s.  singent.   die   Christen   si   minnent.   des   sänget   niht  vs- 

10      stat.   sw.   r  vssüchet  hat   die   hitat.      Ein   stein   heizet  topazius.   daz 
ist  der  contemplativvs.  der  ist  vil  tiure.   er  ist  gevar  nach   dem  fiu- 
re.   sin   schin   ist  von   golde.   er   bezeichent  die   gotes   holden,   daz   svlt 
ir  wol   glöben.   die   da  sehent  mit   den   innern    ougen.      Ich   wil 
iu   sagen   masre.   von   dem   innern   altajre.   der   da  beslozzen   stünt.   der 

15      bezeichent  daz  herze  un  den  müt.  ob  wir  mit  der  gotes   minnen. 
unser  gebet   dar  uf  bringen,      ettewenne   weine   wir   Och.   daz   bezei- 
chent daz   wiroch.    die   zwene   die   da   stünden,   un   si   des   fivres   hüten, 
die   bezeichent  under   stunde,   daz   alte   Urkunde,   uii  bezeichent   die 
niwen  e.   diu  ensol  nimms   zergen.   in  unserm  globen.   daz  heitert 

20      uns   die  innern  ougen.      Ich  wil  iu  sagen  maere.   von   dem  uzzern 

altsere.  da  man  daz  vihe  zu  treip.   daz  ist  der  sunden  gwizzenheit.  der 


Vermuthung,  es  sei  'geizeneme  hare'  zu  lesen,  scheint  mir  bei  der  Übereinstimmung  beider 
Hss.  unnöthig.  da  vor  merken  V.  ist  ez  V.  18.  ovb  vor  in  V.  brichet]  begrifet  V,  auch 
hier  scheint  der  Reim  für  unsere  Hs.  Veranlassung  zur  Änderung  gewesen  zu  sein,  och] 
wol  V.  19.  zware]  in  di  uarewe  V.  20.  ze  fehlt  V.  minne  V.  22.  abgeschoben,  leit  und 
daz  heil  sind  noch  äußerst  schwach  erkennbar.  23.  Obwohl  unser  Bruchstück  hiez  bietet, 
was  Diemer  in  den  Anmerkungen  als  Vermuthung  aussprach,  halte  ich  doch  heizet  für 
die  hier  einzig  richtige  Lesart,  confessores  V.  25.  reinent]  vgl.  zu  22.  28.  hie  fehlt  V. 
29.  holdsten]   s.    zu  22.    30.  den  nach  gwinnent  fehlt  V.     32.  die  die]  den  die   V. 

Bl.l.b.  2.  nidere  V.  schöner  s.  zu  1  a,  3.  3.  an  dem]  s.  zu  1  a,  3.  9.  gesanc  si]  s. 
zu  la,  9.  niht]  nine  V.  10.  swer]  s.  zu  1  a,  9.  11.  contemplacius  F.  16.  gebe  V.  18.  under 
stunde  —  bezeichent  fehlt  V .,  der  Schreiber  verirrte  von  dem  Worte  bezeichent  vor  under 
auf  das  vor  die,  icodurch  die  paar  Worte  ausfielen.     20.  mere    F.     21.   den  svnden  V. 


ZU  DEN  BÜCHERN  MOSIS.  233 

ohse  den  der  man  slüc.  ds   bezechent  die  ubsmüt.   die  wir  von  uns 

svln  tun.  durh  den  himelischen  Ion.   diu  getelosen  pockelin.  unchiu- 

sche   mach  iz   wol   sin.   daz   ist   diu   wirste   meintat.   gesah   in  got  d* 

si  goph*t  hat.   ds  mach  wol  mit  eren.  ze   dem  innsn  altaer  keren.  25 

Der  harte  stozente  ram.   daz  ist  der  zornige  man.  swaz  ime 

ze.  .  .  .wirt  getan,  des  enlat  er  niht  svs  hine  gan.  mit 

vollen  er  giltet.   ettewenne  er  schiltet.   daz  svln  wir  von 

uns  cheren.  dvrh  willen  unsers  vil  lieben  herren.   der  unz  daz 

bilde  hat  vor  getan,  daz  wir  die  räche  lazen  stan.      Nu  bezei-  30 

chent  diu  höhe,  drie  namen  here.  den  vater  uii  den  svn.  unde 

den  spiritum  sanctum.   diu   wite  ufi  diu  lenge.  bezeichent  die 

Bl.  2.  a. 

diu.  .  .  .er.  .rget.   die  wile  diu  werlt  stet.     Vvirn   svln 

vergezzen.  daz  der  alter  was  beslozzen.  so  wir  got  minnen. 

wir  in  twingen.   wellen   wirz   dvrh   rüm   sagen,   so   müzen   wir 

ur  den  Ion   haben.      Si  chomen  in  eine   wste.   ze  lvtzelme 

chomen   wrme  under   die   menige.   sine   mähten   sich   ir   nih  5 

sw.  n  gebeiz  ds   slange.   des  leben  was  unlange.     Moyses 

wise   man.   einen   slangen   er  frviTi  began.   uzer  chopher  un 

z  bezeichent  dich  christ  herre.   den  hiez  er  in  allen  gahen. 

r  menige  uf  hahen.   swer  den  frü  ane  sach.   dehein  schade 

geschach.      Sine  waren  da  niht  lange,  si  hüben  sich  danne. 

n  in   ein  lant.   da  beten   si   michel   getwanch.   drie  kvnige 

die  vart   si   in   werten.   Moyses   mit  in   vaht.   got  im   den 

do  gie  ds  vil  küne.  uf  einen  berc  hohen,  aaron  uü  vr  die  gü- 

die  arme  si  im  stünden,  so  sis  uf  habten.   die  israhele  gesi- 

er  die  arme  nids  lie.   den  sinen  harte  misse  gie.     Diu  me-  15 

igte,   als   ez   got  wolte.   do   sanden   die  hsren.    vierzec   un  zwe- 

em   guten   lande,   daz   si   daz   erfunden,   wie   daz   lant   waere. 

ds   weher  baere.   si   baten   die   gesinden.   mit  listen   erfind- 

diu   niwen   maere.   in   dem   lande  waeren.      Die   selben  spe- 

everte  was   vil  maere.   si   chomen   ze   iericho.   dannen   schieden  20 

b  div  gute,  die  recken  si  behüte,  mit  allen  ir  sinnen. 

daz   ir  da  niemen   wart  innen. 

ie  heiden   wrden   inne.   d*   niwen   chömelinge.   si   suchten   si 

Unser  Bruchstück  bestätigt  die  Vermuthung  Jac.  Grimms  in  d.  Anm.  22.  der  vor  man 
fehlt  V.  27.  Loch  im  Perg.  28.  zwischen  er  und  schiltet  ist  in  der  Handschrift  ein 
leerer  Raum,  ohne  daß  im  Text  etwas  ausgefallen  wäre. 

Bl.  2.  a.  1.  rainne  F.  nimmer  zerget]  abgeschoben,  diu]  diseu  F.  2.  des  niht  F.  3.  daz 
siiüe  F.  4.  den  lop  für  F.  5.  tröste,  do  F.  ir  niht  fehlt  F.  6.  irwerien  F.  swen] 
Loch  im  Perg.,  das  noch  dazu  an  dieser  Stelle  etwas  abgeschabt  ist.  7.  was  ein  F.  uzer] 
uzze  F.  8.  uzer  ere.  F.  daz]  abgeschoben .  dich  christ  herre]  crist  den  herren  F.  allen] 
aller  F.  Das  richtige,  das  unser  Bruchstück  bietet,  hat  schon  Diemer  in  d.  Anm.  her- 
gestellt. 9.  under  der  V.,  hahen]  hahen  F.  von  Diemer  hergestellt.  10.  ime  F.  Nach  dem 
Baume  zu  schließen,  stand  in  unserer  Handschrift  wohl  noch  ein  Wort.  11.  si  chomen 
F.  drie]  di  V.  12.  si  irten  F.  13.  sick  gab  V.  üfen  ein  V.  14.  guten  under  F. 
15.  gesigeten  als  F.  16.  menige  gesigete  F.  17.  zwene  zu  deme  F.  waere]  päre  F. 
18.  unde  wilch  daz  F.  baere]  wäre  V ,  in  unserer  Handschrift  haben  die  beiden  Worte 
die  richtige  Stelle  vertauscht.  19.  befinden,  wilch  F.  20.  spehare.  der  geuerte  daz  F. 
vil  vor  maere  fehlt  V.  21.  si  fro.  raap  F.  behüten  F.  behüte  ist  schon  in  d.  Anm.  her- 
gestellt.    22.  Hier  bietet   F.   keine   Ergänzung.     23.    Es  fehlt   nur   der   rothe  Initial  Die. 


234  JOHANN  LAMBEL,  ZU  DEN  BÜCHERN  MOSIS. 

allenthalben,   diu  hvs  in  den  walben.  raab   was  ein  heidenin. 

25       och   vil  guten   sin.   si   bare   si   mit  sinnen,   vf   ir  dillen.   mit 

e  belegte,   die  herren   si   entsagte.     Vil  schiere   si  sich  hüb- 

m  lande  si  füren,   raab  bat  si  mit  flize.  ich   warne  si  irz 

ob   si   mit  gewalte   dar   wider  körnen,   daz   sis   in   ir  gnade. 

en.     Do  gap  si  in  ein  zeichen,   si   bat  si   daz  sich  marcten. 

30      an  ir  wende,  haben  einen  roten  pentel.   durh  diu  venster 

ivre.   si   bat  vil   tiure.   daz   si   ir   des   gedachten,   wie   si   si   dan- 

hten.      Daz   gelobten  die  herren.  vil  schiere  si  dannen  füren. 

Bl.  2.  b. 

si  ilten  vil  harte,  in   einen  wingarten.   da  vvnden   si  einen  tr 

uii  tiuren.   si  trügen   in    danne.    gebunten   an   einer   stange.   si  w.  .  . 

ze   minnen.   under  daz   her  bringen,    daz   si   dar   an   stehen,   wi 

Weher  in   dem   lande   wsere.      Do   si   den   trvben   brahten.    u 

5      harte  vahten.   si   sagten   in   diu  msere.    diu  wids   got   waren,   si  sa.  .  . 

lande,   die   starken   wigande.   die   bvrge   wseren   werhaft.    des   liv.  .  .  . 

si   die   craft.   die   tvrne   sint  mit   chrefte.   gemuret   in   die   lvf 

ein   beslozzen.   mit  plie   begozzen.   ez   si   iu  leit   oder  liep.   sine   e  .  . 

in   daz  lant   niht.      Do   wart   michel   brachten,     und    den   z 

10      hten.   von   chinden   uii   von   wiben.    vil   michel    we   schrien,   v 

ren   ir  schulde,    da  verlvrn   si   gotes   hulde.    si    begunden   sich  vV .  . 

wolden  Moysen   steinen,  der  hat  uns  braht  in   die  not.   in  der.  .  .  . 

uns   die   friunt  tot.      Do   waren   in   den   geslashten   zwene 

knajhte.    die   waren   also   werhaft.    der   tugende   heten   si   die   c 

15      was   caleph    un   iosue.   si   ilten   drate   dar   gen.   si   sagten   in   do 

daz   iz   gelogen   wasre.   weit   ir   got  minnen.    mit   einvaltige 

sone   dorfet   ir  deheinen   zwifel   han.   iu   wirt   daz   la 

JWLoyses  der  gute  man.   gie  zu  ds  wölken  su da  fleg 

von  himele.   umbe   die   schuldigen   menige.    des   antwrte 

20      stimme,   von   dem   hohen   himele.    si   habent  erwecket  minen 

hulde  habent  si  vslorn.   heiz   si   her  für   mich   gen.   ir   ensol   dehei.. 

sten.      In   der  selben   stunte.   Moyses   dem   liute   daz   kunte.   ir 

oder  alt.   ir   sit  blöde   oder  balt.   Iwer   deheiner   s abe   sten.  .  . 


si  fehlt  V.  24.  V.  bietet  leeine  Ergänzung  25.  si  habete  doch  V.  vil  fehlt  V.  ufen  V. 
26.  flahse  si  si  V.  in  segete  V.  insegete,  intsegete  (verläugnete  sie)  ist  richtige  Lesart. 
Diemer's  Vermuthung  ni  segete  =neseite  wird  dadurch  überflüssig.  27.  hüben,  uz  deme  V. 
28.  gehizen  V.  sis]  si  V.  in  fehlt  V.  29.  gefingen  V.  Unser  Bruchstück  hat  sicher  das 
richtige;  es  heißt,  wenn  sie  wieder  mit  Gewalt  kämen,  wollten  sie  ihr  gnädig  sein,  sie 
in  ihre  Gnade  aufnehmen.  Die  Emendat.  gelinge  wird  damit  imnöthig.  30  si  wolde  V. 
31.  an  der  V    wie]  daz    V. 

/.>'/.  2.  1).  1.  traben  edele.  V.  Unser  Bruchstück  bestätigt  Diemers  Vermuthung 
einen  trüben.  2.  si  wolden  in  V.  3  wi  feizt  daz  V.  4.  wider  got  si  V.  5.  sahen  in 
deme  V.  6.  Hutes  habeten  V.  7.  lüfte  mit  regelen  V.  8.  lant  euh  V.  9.  in  fehlt  V. 
zwelef  geslahten  V.  10  vil  fehlt  V.  vil groz  wart  V.-  11.  vereinen,  si  V.  12.  unsich  V. 
wüste  sint  V.  13.  zwelefe  tuerliche  V.  Hier  hat  offenbar  unsere  Handschrift  das  rich- 
tige; denn,  nicht  zwölfe  werden  in  der  Folge  genannt,  sondern  nur  die  zwei:  Caleph  u. 
Josua.  14.  craft.  daz  was  V.  13.  duz  ze  wäre.  16.  einvaltigen  dingen.  V.  17.  lant 
understan  V.  18.  sule  stan]  abgeschoben,  flegete  er  got  V.  19.  ime  den  V.  20.  zorn. 
mine  V.  21.  neheiner  da  besten  V.  22.  An  der  V.  selben  fehlt  V.  daz  den  liuten  V. 
sit  iunc    V.     23.    *"|   des  verwischt,    abe  gen    V.    ir  sult   V.     24.  für  got   V.     zornigem. 


REINHOLD  KÜHLER,  ZU  DEN  DEUTSCHEN  APPELLATIVNAMEN.      235 

alle  her  für  gen.      Do  sprach  got  der  gute  mit.  .  .nigem  n 

mich  habent  erbliget.  ze  dein   zorne  gereitzet.    die  müzen  liden 2  5 

in   dirre   wste  ligent   si  tot.   uii  iriu   chint  uii.  .  .  .  wip.   min 

ist  michel   cit.    uii   elliu   diu  houbet.    die  in   die   luge   habent 

Do  sprach  unser  herre.  ze  dem  Hute  mere.  ez  si  iu  leit  od* 

chomet  in   daz   lant   niht.    ich   wil  ez   mit  minnen.   tei 

kinden.   caleph   uä  iosue.   die  suln   in   daz   lant  gen.   die  hab 3  0 

vollen,   uii   niezen   ez   swie   so   si   wellen,    daz   si   durh   minen 

übel  ilten  stillen,  des  habent    si  immer  ere.   under  allen  isr 

WIEN,  11.  Mai  1862.  JOHANN  LAMBEL. 


ZU  DEN  DEUTSCHEN  APPELLATIVNAMEN 


Wackernagel  hat  in  seiner  Abhandlung  über  die  deutschen  Appel- 
lativnamen auch  die  geographischen  Eigennamen  berücksichtigt.  fEs 
werden'  —  sagt  er  Germania  5,  310  —  'auch  Landes-  ,  Volks-  und 
Ortsnamen,  die  wirklich  bestehen  ,  wortspielsweise  umgedeutet  und  zu 
Appellativen  erweitert,  es  werden  andere  den  wirklich  bestehenden 
charakteristisch  nacherfunden'.  Der  reichen  Beispielsammlung,  die 
Wackernagel  gegeben  hat,  mögen  sich  noch  die  folgenden  Beispiele 
anschließen. 

Altenhausen.  Sie  ist  von  Altenhausen,  H.  Sachs  Werke,  Nürnberg 
1578,  IV,  3,  72b. 

Altheim.  So  sie  gen  Altheim  werden  schieben,  Fastnachtspiele 
245,  31. 

Beiieimoeil.  Komm  ich  nit  hinüber,  so  bleib  ich  im  Dörflin  Beit- 
einweil  unterwegen.     Fischart,  Geschichtklitterung,  cp.  XXXIX. 

Bubenhausen.  Leichtmann  von  Bubenhausen.  Erasmus  Alberus 
Ehbüchlin  C,  iijb. 

Darmstadt.  Da  fieng  sie  der  Happetit  von  Darmstadt  und  Eß- 
lingen  an  zu  reiten,  satzten  sich  der  wegen  ordenlich  zu  tisch.  Fischart, 
Geschichtkl.  cp.  XXVI. 

Eichenstett.  Man  soll  ihm  den  Vogt  von  Eichenstett  mit  seiner 
ungebrenten  Eschen  übers  Leder  schicken.  Spangenberg's  Lustgarten 
453  bei  Grimm  WB.   1,  581. 


s.  zu  23  mute.  di.  25.  erbliget]  gewezzelt  V.  gereitzet]  irgeizzet  V.  Joe.  Grimm  ver- 
muthet  In  d.  Anm.  gewezzet:irheizzet.  Ich  glaube,  man  wird  zum  Theil  an  unsere  Hand- 
schrift sich  anschließend  lesen  dürfen  gewezzet :  gereizet,  michel  not  V.  2b'.  iriu  s.  zu  23. 
miner  räche  V.  27.  geloubet  V.  28.  Hb.  irne  V.  29.  teilen  everen  V.  30.  habent  ez 
mit.  31.  willen  V.  32.  daz  uupilde  tillen.  V.  Unserem  Schreiber  war  wohl  tillen  un- 
verständlich, darum  änderte  er.  isrl'en.    V. 


236     REINIIOLD  KÜHLER,  ZU  DEN  DEUTSCHEN  Ar^ELLATP7NAMEN. 

Eßlingen,  s.  Darmstadt. 

Fingencalde.  Da  klatscht,  da  kämmert  sich  das  alte  Trödel  weib . . . 
Wie  oft  sich  Frau  und  Mann  bei  dem  Begräbnis  raufen 
Und  Fritz  und  Florida  nach  Fingervvalde  laufen. 
Günther,  der  entlarvte  Crispinus   von   Schweidnitz ,   in  den  Gedichten, 
Breslau  und  Leipzig  1751,  S.  501. 

Höhnstadt.  Seid  ihr  von  Höhnstadt?  Complimentierbüchlein  von 
1654,  im  Weimarischen  Jahrbuch  1,  326. 

Koldingen.  Im  Eulenspiegel,  Cap.  16,  fragen  nackte  Buben  zu 
Peine  den  Eulenspiegel,  wo  er  her  käme?  'Er  sprach,  ich  kum  von 
Koldingen,  er  sach  wol,  daß  sie  nit  vil  an  hetten.  Sie  sprachen:  Hör 
hierher,  wa  kamstu  von  Koldingen,  was  enbüt  uns  dann  der  winter? 
Ulenspiegel  sprach:  der  wil  euch  nüt  enbieten,  er  wil  euch  selber  an- 
sprechen, und  reit  hin.  Koldingen  ist  ein  Dorf  bei  Peine;  das  Wort- 
spiel zwischen  diesem  Namen  und  kold,  kalt,  ist  nicht  zu  verkennen; 
s.  Lappenberg  zu  der  Stelle. 

Laufenburg.  Er  hat  nach  Laufenburg  appelliert,  Eiselein,  Sprich- 
wörter S.  411. 

Nagelstadt,  Nageleck,  s.  u.    Wargelstadt. 

Mibeleck,  s.    Wargelstadt. 

Steiermark.  Ein  wegen  seiner  Einfälle  bekannter  Lumpensammler 
aus  der  Gegend  von  Buttstädt  im  Großherzogthum  Sachsen  -  Weimar 
begegnete  einst  dem  Herzog  Ernst  August  (1728 — 1748).  Nun  waren 
gerade  damals  gewisse  Steuern  in  empfindlicher  Weise  erhöht  worden, 
und  als  daher  der  Herzog  den  Lumpensammler  fragte,  was  es  in  seiner 
Gegend  neues  gebe,  antwortete  er:  Durchlaucht,  die  Leute  in  Buttstädt 
sagen,  die  Welt  hätte  sich  gedreht  und  sie  seien  nach  Steiermark  ge- 
kommen. (Mündliche  Tradition.) 

Taubach.  Er  ist  aus  Taubach  d.  h.  ist  taub.  Diese  Redensart 
hört  man  zuweilen  in  Weimar  und  Umgegend;  Taubach  ist  ein  fünf 
Viertelstunden  von  Weimar  entferntes  Dorf. 

Wargelstadt.      Ein    schwäbisches    Räthsel    vom    Floh    bei    Meier 
(Deutsche  Kinderreime  aus  Schwaben  S.  83)  heißt: 
In  einem  engen  Gässchen 
begegnete  ich  einem  schwarzen  Pfäfichen. 
Da  nahm  ich  es  nach  Wargelstadt, 
von  Wargel Stadt  nach  Nagelstadt 
und  da  ward  er  gerädert. 

Ähnlich  ist  ein  schweizerisches  Räthsel  bei  Rochholz.  Aleman- 
nisches Kinderlied  S.  223: 


ADOLF  MUSSAFIA,  ZUM  RAPARIUS. 

Es  chömmet  zwe  Manne, 
sie  führet  eine  g'fange, 
von  Ribelegg  üf  Nagelegg 
von  Nagelegg  nfs  G'richte. 
Endlich    verweise    ich    noch    auf   das    7.    Capitel   von    Fischart's 
Geschichtklitterung,  wo  eine  ganze  Reihe  theils  wirklicher,  theils  fin- 
gierter   Ortsnamen ,    die    alle    Bezug    auf  Essen    und   Trinken    haben, 
vorkommen. 

WEIMAR,  September  1860.  REINHOLD  KÖHLER. 


ZUM  RAPAEIUS. 


Als  mein  geschätzter  Freund  H.  Adolf  Wolf  im  ersten  Hefte  des 
vorliegenden  Jahrganges  dieser  Zeitschrift  den f  Raparius'  nach  der  Wiener 
Handschrift  1365  abdrucken  ließ ,  übersah  er ,  daß  dies  durch  F.  J. 
Mone  in  dessen  'Anzeiger  (Jahrg.  1839  S.  571 — 581)  schon  geschehen 
war.  Dieses  kleine  Versehen  ist  um  so  leichter  zu  entschuldigen,  wenn 
man  bedenkt,  daß  W.  Grimm  in  den  sonst  so  ausführlichen  Nachweisen 
zu  den  'Hausmärchen  (Göttingen  1856)  der  stattgefundenen  Veröffent- 
lichung mit  keiner  Silbe  erwähnt.  Da  nun  einmal  zwei  Abdrücke  einer 
und  derselben  Handschrift  vorliegen  und  diese  an  manchen  Stellen  von 
einander  abweichen  ,  so  hielt  ich  es  für  nützlich ,  diese  Abweichungen 
an  der  Handschrift  selbst  zu  prüfen.  Das  Ergebniss  dieses  Vergleiches 
theile  ich  in  folgenden  Zeilen  mit.  Mit  W  bezeichne  ich  den  Abdruck 
von  Wolf,  mit  M  den  von  Mone,  mit  H  die  Handschrift  selbst.  Ortho- 
graphische Unterschiede  bleiben  unberücksichtigt;  es  genüge  für  diese 
zu  bemerken,  daß  Mone  die  Schreibweise  berichtigt  (also  onus  praesens 
titulus  etc.)*),  während  Wolf  die  der  Hs.  diplomatisch  getreu  wieder- 
gibt (Jwnus  presens  tytulus).  Emendationen  nahm  in  der  Regel  auch 
Mone  nicht  auf;  und  nur  am  Fuße  der  Seite  räumte  er  einigen  Con- 
jecturen  Platz  ein. 

Vers  11  W  subtilem  (stößt  gegen  das  Metrum),  MH  sterilem  — 
80  W  sibi  intulit ,  MH  subintulit  —  96  W  superbat,  M  superbit,  H 
superbK —  126  W  repetens,  MH  rependens —  127  WH  vertu,  M  tendit 
—  130  W  Her,  MH  item  —  132  W  die  age  quid  (dem  Verse  fehlt 
das  richtige  Maaß),  MH  die  age  die,  quid  —  138  W  grandis  copiatn 
suppetit,  MH  gr.  copia  sup.  —  143  WH  succedunt,  M  sueeedant,  was 


*)  Dazu  V.  354:  arbustarvm  st.  arbustorum  und  V.  368  saltem  st.  saltlm. 


2;-}g  ADOLF  MUSSAFIA,  ZUM  EAPAEIUS. 

vielleicht  als  eine  Emendation  anzusehen  ist,  da  der  Imperativ  in  den 
Zusammenhang  etwas  besser  passt  als  der  übrigens  ganz  zulässige 
Indicativ  —  179  W  calliditate  ait  (2.  Heimstich  eines  Pentameters),  MH 
calliditatis  ait  —  186  W  monilia,  quarum,  M  mon.,  quorum,  Hqfy  — 
188  W  vestes  teitos,  MH  v.  textas  —  204  W  posset,  M  possit.  Die 
Hs.  hat  posseif ,  aber  unter  dem  e  steht  der  Tilgungspunkt  und  oben 
darauf  von  derselben  Hand  i  —  210  W  penitus,  MH pariter —  245  W 
hoc  fero  dampno  dolo  (2.  Hemist.  eines  Pent.)  M  hwcfero  dampna. 
Die  Hs.  hat  K  dampno ;  Mone  hat  also  in  Bezug  auf  das  zweite  Wort 
eine  schon  durch  das  Metrum  gebotene  Emendation  vorgenommen  — 
W  plusque  leoni,  MH  pl.  leotie  —  249  W  quam  sublimabar,  M 
qua  subl.  Damit  stimmt  die  Hs.,  welche  qf  bietet;  auch  lässt  der 
Sinn  nur  qua  zu  —  257  W  penitus,  M  H  pariter  —  266  W  nemerosis,  M 
nemorosis ,  H  nem'osis  —  271  W  sequar,  M  sequor  und  erst  als  Con- 
jectur  sequar.  Die  Hs.  hat  seqi^  was  nach  der  eben  jetzt  bemerkten 
Abkürzungsweise  derselben  (q  =  qua)  sequar  bedeutet  —  292  W  monitori, 
M  monitorum,  H  monitor.  Der  Sinn  lässt  nur  die  Lesart  von  W  zu  — 
297  W  tractantes  et  (1  Hemist.  eines  Pentam.),  MH  tr.  efiam  —  320 
W  ipse,  MH  idem  —  322  W  capitis  ecce,  MH  capitis  viltit  ecce  — 
324  W  H  ista,  M  illa  —  349  W  quo?  futura  sciam  (2.  Hern,  eines 
Pentam.),  M  H  quieque  fat.  —  350  W  fateor  ferarum  didicisse,  M  mit 
richtigem  Maaße  didicisse  ferarum.  Der  Schreiber  hatte  fateor  zweimal 
geschrieben ;  da  ihm  nun  für  das  letzte  Wort  kein  Platz  in  derselben 
Zeile  übrig  blieb,  so  benützte  er  einen  in  der  vorhergehenden  Zeile  frei- 
gebliebenen Raum;  das  Anführungs  -  Zeichen  findet  sich  richtig  nach 
didicisse  —  361  W  hie  Saccus. .  .  regali  melior. .  .  scola,  MH  stola  — 
378  W  es  sciolus,  M  est  sc;  die  Hs.  hat  e.  Dem  Sinne  nach  ist  die 
zweite  Person  allein  zulässig,  wie  denn  auch  Mone  als  Conjectur  es 
vorschlägt.  —  380  Die  Angabe  von  Wolf,  es  sei  in  diesem  Distichon 
nur  der  Pentameter  vorhanden,  ist  ungenau.  Die  Hs.  bietet,  wie  bei 
M  richtig  abgedruckt,  die  zwei  Verse  Quisquis  es  in  saeco  quosso  mise- 
rere  miselli,  Quatenus  in  saeco  sit  mihi  pausa  brevis.  Man  sieht,  daß 
das  Auge  von  einem  saeco  auf  das  andere  geschweift  ist  *)  —   397  W 


*)  V.  71  dagegen  bietet  die  Hs.  wirklich  nur  den  Hexameter  ohne  den  dazu  ge- 
hörigen Pentameter.  Ich  möchte  dennoch  darin  eher  die  Nachlässigkeit  des  Schreibers 
als  mit  Wolf  die  des  Dichters  erblicken.  Freilich  fühlt  man  keine  Lücke ;  indessen  wird 
der  Pentameter  nur  den  Gedanken,  der  im  Hexameter  ausgedrückt  ist,  wiederholt  haben. 
Vergl.  in  der  Salmansweiler  Hs.  V.  61 — 2.  Die  rogo  die,  unde  fruetus  provenent  iste, 
Unde  tibi  species  prodigiosa  nimis? 


KARL  BARTSCH,  ALTHOCHDEUTSCHE  GLOSSEN.  239 

fiammescis,  MH  flammascis,  400  WH  redde  mei,  M  red.  mihi*)  — 
427  W  superat,  MH  superest. 

Zu  den  von  Mone  vorgeschlagenen  Conjecturen  sei  es  mir  erlaubt 
noch  zu  fragen,  ob  nicht  etwa  V.  63  interdum  in  introitum  und  V.  367 
novisse  in  necesse  zu  bessern  sei. 

WIEN.  ADOLF  MUSSAFIA. 


ALTHOCHDEUTSCHE  GLOSSEX 


In  einem  Buche,  worin  man  sie  nicht  suchen  sollte ,  dem  ' Spici- 
legium  Solesmense  complectens  sanctorum  patrum  scriptorumque  eccle- 
siasticorum  anecdota  hactenus  opera  curante  Domno  J.  B.  Pitra.  Parisiis 
1852.'  1,  259—261.  503.  504  finden  sich  eine  Reihe  ahd.  Glossen.  Die 
ersten,  zum  Juvencus  gehörig,  aus  einer  Handschrift  des  Junius,  jetzt 
in  der  Bodleianischen  Bibliothek,  sind  in  Nyerups  symbol.  ad  lit.  teuton 
179 — 180  abgedruckt,  von  Graff  mit  Ja  bezeichnet. 

Hist.  evang.    1,  24.  nectunt  heftant. 

26.  rependit  farkeltant '). 
31.  flammivoma  laucspiantaz. 

37.  altithronus  höh  sidillo. 
16.  adcumulant  huftbnt. 

21.  vertigo  poli  suuintilod  himiles  2). 

38.  tueri  uuarten. 
vicibus  hertom. 

39.  digesto  kizaltemu3). 

1,  41.  parilis  kalihem  (fehlt  Nyerup). 
43.  soboles  chind. 

vergentibus  sliffentem4). 
45.  adytum  zuakanc5). 
73.  supremi  spanontigemu. 
70.  repertor  findo. 
81.  dispendia  farloranissa. 
84.  delata  kaoparot. 
139.  repedat  unidricat. 


*)  Moue  schlägt  mei  erst  als  Conjectur  vor,  die  Hs.  bietet  aber,  wie  gesagt,  eben 
dieses  Wort  auf  unzweifelhafte  Weise  dar. 

')  Graff  4,  188  farkelta».  2)  Graff  6,  884  himeles.  3)  Graff  57,651  kizaltemo, 
degesto.     *)  Graff  6,  807  sliftenten.     5)  Graff  4,    102  nicht  aufgeführt. 


240  KARL  BARTSCH,  ALTHOCHDEUTSCHE  GLOSSEN. 

2,  266.  solers  akaleizaz. 

357.  avidi  keroe. 

358.  seta  purst. 

613.  distractum  farloranero. 
4,  267.  hirsutum  hirtum  ruhaz. 
17.  pignoribus  fantum. 
72.  arduum  stechal. 
81.  ales  focal. 
201.  tffidarum  facolono. 
220.  rutum 6)  uunfruataz. 7) 
2,  622.  duelli  uuichaftemu. 
661.  bnstum  grap. 
685.  dicolor  unkifaruer.  8) 
729.  cominus  rumor. 
771.  obex  unkifuari. 
801.  culmis  ritta. 
816.  agellus  acharli. 
818.  vivor  gruani. 

in  veste  lugubri  in  kare  kiuuate.  9) 
4,  24.  mussanti  runentemu. 
47.  connubiis  kimahhidom. 

Glossae  theotiscae  Bertinianae. 

Spicil.  Solesm.  1,  503.  504.  Sie  stimmen  überein  mit  den  in  Graff1  s 
Diutiska  1,  279  ans  einer  Reichenauer  Handschrift  mitgetlieilten  Glossen, 
inanis  gloria,  id  agelp  lü)  inobedientia,  hunorsami  13). 

invidia  abant  * ').  iactantia  rhuom  14). 

ira  abulgi.  hypocrisis,  liba  ' 5). 

tristitia,  unfreuuida.  contentiones,  bag. 

avaritia,  scatz  girida.  pertinacia,  kreg. 

ventris  ingluvies,  kelagi  ridai12).        discordia,  unguezut Iß). 
luxuria,  firin  lust. 

Glossae  Remigianae. 

Aus  einer  ehemals  dem  Hincmar  gehörigen  Handschrift  zu  Rheims 
(Nr.    513  —  510.    fol.   Bl.   196)    des    neunten   Jahrhunderts:   inspiciunt 


8)  Hei  bratum.  ')  für  unfruataz  (so  Nyer.)  ')  fehlt  bei  Graff  (Ny  er.  unkifaruuer). 
•)  Graff  1,  743  harekiuuate.  '")  Graff  ital  gelp.  ")  Graff  abunst.  '*)  für  kela  girida; 
Graff  heia  girida.  '")  für  unhorsami.  '*)  Graff  hrnom;  diese  und  die  folgenden  Glossen 
sind  von  einer  Hand  des  17.  Jahrh.  am  tintern  Bande  der  Seite  nachgetragen.  li)  Graff 
iha.     ")  Graff  ungezunft. 


I.  V.  ZINGERLE,  WAS  MINNE  SEI.  241 

quaestiones  de  diversis  sermonibus  super  canones  interpretantibus.  Ich 
theile  sie  wegen  ihres  sachlichen  Interesses  mit.  Sie  finden  sich  im 
Spicil.  Solesm.  1,  504  abgedruckt. 

Pragmaticum,  causa. 

Conniventes,  consentientes. 

Obtitii,  tituli. 

Rusticas  parrochias,  id  est,  agrestes  parrochias. 

Cardinales  diaconi,  id  est,  ubique  in  domo  sanctorum  ad  episco- 
patum  consecrati. 

Seditiosus,  id  est,  qui  rixos  Tel  dissensiones  vel  injurias  [exercet], 
nee  non  qui  dicitur  in  rustica  parabola.  lT) 

Auspicium,  id  est,  qui  videt  avem  contra  eum  volentem  et  di- 
vinat  propter  eam. 

Horrescens,  dispiciens,  seu  in  rustica  proverbia:  egiro  (lies  egisö). 

Philacteria,  ist  est,  decem  verba  legis  vel  scriptura  vana,  quod 
ligat  homo  aut  super  caballum  aut  super  caput  suum. 

Formata  littera,  id  est,  sigillata  ab  episcopo. 

Temelici,  joculatores. 

Plebejos  psalmos,  id  est,  rusticos  psalmos  vel  cantus  sine  auetoritate. 

KAEL  BARTSCH. 


WAS  MINNE  SEI. 


Zu  der  schönen  Stelle  in  Wolframs  Titurel  Str.  64: 

Minne,   ist   daz   ein   er?   mäht   du   minn   mir   diuten? 
ist   daz   ein   sie?   kumet   mir   minn,   wie   sol   ich   minne  getriuten? 
muoz  ich  si  behalten  bi  den  tocken? 

od  fliuget   minne   ungerne  üf  hant   durh   die   wilde?   ich   kan  minn 

wol  locken. 

bieten  ein  Gegenstück  folgende  naive  Verse  im  Gedichte:   Der  Müller 

mit  dem  Kinde  (Keller's  altd.  Erzählungen  S.  465,  33.) 

Wer  hat  minne  noch  gelert?  oder  wechset  sie  an  dem  gevilde  ? 

ich  gehört  nie  mer  sie  nennen.  ist  sie  swarz,   weiß   oder  gra, 

wie  solt  ichs  dann   erkennen?  grüen,  gel,  rot  oder  bla?   — 

Wachsens  uf  bäumen  oder  in  garten  daz  sage  mir,   so  nim  ich  ir  war, 

oder  wo  sal  ich  ir  warten?  biz  daz  ich   eigenlich  ervar, 

ist  sie  zame  oder  wilde  waz  minne  sei  vnd  waz  sie  sol. 

I.  V.  ZINGERLE. 


7)  Das  deutsche   Wort  ist  nicht  beigefügt. 


GERMAXIA  VII.  16 


LITTERATTJR. 


1.  The  Story  of  Burnt  Njal,  or  lifo  in  Iceland  at  the  end  of  the  teuth  Cen- 
tury. Froni  the  Icelandic  of  the  Njals  Saga.  By  George  Webbe  Dasent. 
D.  C.  L.  With  an  introduction,  maps  and  plans.  Edinburgh,  Edmonston  and 
Douglas.    1861.    2   Voll.    8. 

Durch  eine  Reihe  von  Arbeiten  auf  dem  Felde  der  altnordischen  Litte- 
ratur  hat  sich  Hr.  Dasent  bereits  vorlängst  bekannt  gemacht.  Eine  englische 
Übersetzung  der  Snorra-Edda  liegt  von  seiner  Hand  vor  (Stockholm,  1842), 
und  ebenso  eine  Übersetzung  der  großen  isländischen  Grammatik  von  Rask 
(London,  1843);  ihnen  folgte  eine  Ausgabe  verschiedener  Bearbeitungen  der 
Theophilus- Legende,  darunter  auch  solcher  in  isländischer  und  altschwedischer 
Sprache  (LondoD,  1845);  dann,  in  den  Oxford  Essays  für  185  8,  eine  cultur- 
historische  Abhandlung,  welche  den  Titel  führt:  The  Norsemen  in  Iceland.  Sein 
neuestes  Werk,  welches  hier  besprochen  werden  soll,  hat  derselbe  bereits  seit 
dem  Jahre  1843  in  der  Arbeit,  und  sich  somit  vollauf  Zeit  genommen  zu  reiflich 
überlegter  Vollendung;  Grund  genug,  um  solche  Arbeit  auch  außerhalb  der 
Grenzen  Englands  der  Beachtung  zu  empfehlen. 

Der  Natur  der  Sache  nach  füllt  die  Übersetzung  der  Njäla  selbst  den  bei 
Weitem  größten  Theil  des   Werkes;   S.    1 — 25  6  des   ersten  und   S.    1  —  349    des 
zweiten   Bandes   werden   von    ihr    in   Beschlag    genommen.      Gerade    über    sie   ist 
indessen  vom   deutschen   Standpunkte   aus   am   Wenigsten   zu  sprechen    nöthig,   da 
der  deutsche  Leser,   wenn   ihm   der  Originaltext   Schwierigkeiten   bietet,    eher   bei 
der   lateinischen   Übersetzung,   welche   im  Jahre    180  9    erschien,   als  bei    der    eng- 
lischen  sich   Raths    erholen    wird.      So    mag    demnach    hier    die    Bemerkung    ge- 
nügen ,    daß     die    Übersetzung    im    Ganzen    getreu,    und    soweit    sich    dies    von 
einem   Fremden  beurtheilen   lässt,   auch   fließend    und   gut  lesbar   zu   sein   scheint, 
was   natürlich   nicht   ausschließt,   daß   im   Einzelnen   an   derselben    mancherlei   aus- 
zusetzen bleibt ;   hiefür   ein   paar  Belege.      Verfehlt  scheint   bereits   der   Titel   des 
Werkes.    Freilich   wohl   wird   der  in   seinem   Hause   verbrannte  Njäll   Brennu-Njdll 
genannt;  allein  ebenso  heißt  Flosi,  der  Anführer  der  Mordbrenner,  Brennu-Flosi, 
seine   Leute  werden   als    brennumenn    bezeichnet ,   ja   sogar   Kari,   der   Schwieger- 
sohn Njals,  welcher  aus  dem  brennenden  Hause  zu  entkommen  das  Glück  hatte, 
trägt   hin  und   wieder   den  Namen   Brennu-Käri.      In   allen    diesen   Fällen    ist    die 
Namensbildung  dieselbe,  und  man  darf  darum  nicht  wie  der  Übersetzer  thut  im  einen 
Falle  Burnt-Njäl,   im  anderen  Burning-Flosi  u.  s.  f.  übersetzen  ;  im  einen  wie  im  an- 
deren Falle  ist  vielmehr   der  Beiname   gleichmäßig  von  der  bloßen  Theilnahme  der 
Person   an   der  Njälsbrenna  hergenommen,   ohne   daß   dabei  berücksichtigt  würde, 
daß   diese   Theilnahme   hier   eine   active ,    dort    aber    eine    passive    war.      Zu   weit 
getrieben   scheint    ferner    das   Bestreben    des    Übersetzers,    bei    der    Übertragung 
isländischer   Worte   die   Verwandtschaft  der  Wortstämme  zu  berücksichtigen.   Nicht 
selten,    und     jedenfalls    weit    öfter    als    Hr.    Dasent    selbst    zugesteht     (Preface, 
S.  XV — XVI,   not.),   lässt  er  sich  dadurch  verleiten,  .dem  altenglischen   Sprach- 
schatze  Worte   abzuborgen,   welche   heutzutage   kaum   noch   allgemein   verständlich 
sein   möchten;  in  anderen  Fällen  gebraucht    er  gar,  was  noch  bedenklicher  sein 


LITTERATUR.  243 

möchte,  für  isländische  Worte  stammverwandte  englische,  welche  doch  eine  völlig 
andere  Bedeutung  gewonnen  haben  als  jene.  So  ist  z.  B.  freilich  richtig,  daß 
das  englische  „town"  mit  dem  isländischen  „tun"  eines  Stammes  ist;  aber  im 
Isländischen  bezeichnet  das  Wort  den  unmittelbar  beim  Hofe  liegenden  einge- 
zäunten Grasgarten,  während  schon  das  angelsächsische  „tun"  regelmäßig  die 
Niederlassung  selbst,  also  Hof,  Dorf  oder  Stadt  bedeutet,  und  nur  ausnahms- 
weise etwa  noch  die  Zusammensetzung  „gasrstün"  die  isländische  Bedeutung 
festhält.  Das  englische  „town"  vollends  kann  gar  nicht  mehr  anders  denn  als 
„Stadt"  verstanden  werden.  Die  Übertragung  von  tun  durch  town  (z.  B.  1, 
127 — 8)  muß  hiernach  unwillkürlich  auf  den  kundigen  Leser  einen  unangenehm 
schillernden,  auf  den  unkundigen  aber  einen  falsche  Vorstellungen  erweckenden 
Eindruck  machen.  Nicht  zu  rechtfertigen  ist  ferner  des  Verf.'s  Art,  die  Eigen- 
namen zu  behandeln.  Darüber  zwar  mag  man  verschiedener  Ansicht  sein,  ob 
es  räthlicher  sei  die  isländischen  Casuszeichen  beizubehalten  oder  nicht;  soviel 
aber  sollte  denn  doch  unzweifelhaft  fest  stehen,  daß  man  nicht  willkürlich  starke 
Formen  in  schwache,  und  umgekehrt,  umsetzen,  und  daß  man  nicht  andere  als 
die  Nominativformen  in  der  Übersetzung  gebrauchen  dürfe.  Hr.  Dasent  aber 
nennt  Gunnars  Frau  unbedenklich  Hallgerda,  während  ihr  Name  doch  Hallgerdur, 
oder  mit  Weglassung  des  Casuszeichens  Hallgerct  lauten  müsste  ;  er  schreibt 
Thordisa  für  bordis,  Gudruna  für  Gudrun,  Asvora  (nicht  Asvara)  für  Asvör, 
Thorkell  Geiti's  son  für  Geitisson ,  Thingvalla  für  pfngvellir,  u.  dgl.  m.  Hin- 
sichtlich der  Ortsnamen  scheint  mir  auch  Dasent's  Gewohnheit  nicht  richtig, 
solche  ihrer  Wortbedeutung  nach  in's  Englische  zu  übertragen ,  statt  sie  als 
Namen  unverändert  zu  lassen.  Bei  solchem  Verfahren  hört  der  Name  geradezu 
auf  Name  zu  sein.  Vergeblich  wird  der  isländischer  Topographie  und  Geschichte 
kundige  Leser  mit  den  umgeformten  Ortsbezeichnungen  sich  zurecht  zu  setzen 
versuchen,  zumal  da  die  Ungleichförmigkeit,  mit  welcher  bei  deren  Umformung 
verfahren  wird,  und  die  schon  erwähnte  Benützung  veralteter  Worte  noch  weitere 
Schwierigkeiten  herein  bringt;  es  thut  geradezu  weh,  statt  der  liebgewonnenen 
Klänge  Hlidarendi,  Bergporshvoll,  Raudaskridur,  Arnarbadisös  Lithend,  Berg- 
thorsknoll,  Redslip,  Arnbasls  Oyce  (warum  nicht  wenigstens  Eagleseyriesoyce  ?) 
lesen  zu  müssen. 

Der  Verf.  hat  seiner  Übersetzung  kurze  Anmerkungen  beigefügt,  in  welchen 
er  zumal  dunkle  dichterische  Ausdrücke  in  den  eingestreuten  Versen  zu  er- 
klären, oder  über  Örtlichkeiten  und  Personalien  die  nöthig  scheinenden  Behelfe 
beizubringen  sucht.  Was  er  giebt,  ist  dankenswerth ;  nur  hat  er  leider  manche 
sehr  erhebliche  Schwierigkeiten  völlig  unberücksichtigt  gelassen.  Hiefür  zwei 
Beispiele.  Wir  erfahren  aus  c.  9.  der  Njäla,  daß  porvaldur  Ösvifrsson  „ä  Mect- 
alfellsströnd  undir  Felli"  wohnte,  und  zugleich  die  Bjarneyjar  im  Breidifjördur 
besaß;  in  c.  11 — 13  wird  sodann  erzählt,  wie  der  Mann  daselbst  getödtet  wird, 
und  seine  Genossen  auf  einem  geliehenen  Schiffe  nach  Reykjanes  an's  Land  über- 
setzen. Nehmen  wir  nun  die  Medalfellsströnd,  wie  wir  doch  müssen,  mit  dem- 
jenigen Bezirke  identisch  ,  welcher  heutzutage  den  Namen  der  Fellsströnd  trägt 
(vgl.  z.  B.  Eyrbyggjasaga,  c.  9,  S.  20,  und  c.  14,  S.  40),  somit  auch  den 
Hof  und  ir  Felli  identisch  mit  dem  jetzigen  Hofe  Stadarfell  ,  so  erscheint  einer- 
seits kaum  möglich,  daß  unter  den  Bjarneyjar  diejenigen  Inseln  verstanden  sein 
sollten,  welche,  weit  draußen  im  Breidifjördur  liegend,  heutzutage  noch  diesen 
Namen  tragen,    ist  vielmehr  weit  eher    an   andere,    im  Hvammsfjördur  gelegene 

16* 


244  LITTEKATUK. 

Inseln  zu  denken,  welche  früher  diesen  Namen  führten ;  aber  freilich  führt  von 
letzteren  dann  die  Fahrt  nicht  nach  Reykjanes  hinüber.  Ferner  in  c.  12  6  (125) 
wird  der  Zug  der  Flosi  mit  seinen  Genossen  von  Svinafell  nach  Bergporshvoll 
geschildert.  Am  Sonntag  in  aller  Frühe  hören  die  Leute  in  Svinafell  ihre  Messe, 
und  essen  dann  noch,  ehe  sie  zu  Pferd  steigen.  Langsam  wird  geritten,  und 
wenn  Einer  sich  aufzuhalten  hat  aus  der  zahlreichen  Schaar,  sollen  Alle  seiner 
warten.  Nur  zwei  Pferde  hat  der  Reiter  und  dennoch  sollen  die  Leute  bereits 
Montag  Nachmittags  am  prihyrni'ngur  eingetroffen  sein.  Den  Reiter  möchte  ich 
sehen,  der  selbst  allein,  auf  stets  neu  unterlegten  Pferden  und  in  raschestem 
Ritte  die  ungeheuere  Strecke  unwegsamsten  Landes  in  kaum  anderthalb  Tagen 
zurücklegen  könnte!  Und  wie  soll  man  überdies,  von  der  Zeit  ganz  abgesehen, 
reiten,  um  von  Kirkjabser  aus  an  den  Fiskivötn  vorbei  nach  dem  Godaland  zu 
gelangen?  Der  Verfasser  hat  diese  Schwierigkeiten  völlig  unberührt  gelassen, 
und  doch  sind  sie  nicht  so  bedeutungslos  als  sie  vielleicht  scheinen  möchten ; 
derartige  Verstöße  gegen  die  topographische  Möglichkeit  zeigen,  daß  die  Sage 
unmöglich  in  der  Gegend  entstanden  und  aufgezeichnet  worden  sein  kann,  von 
■welcher  sie  handelt,  denn  kein  Landeskundiger  hätte  jemals  solche  Irrthürner 
sich   zu   Schulden   kommen   lassen   können. 

Auf  Schwierigkeiten  mehr  sachlicher  Art,  wie  die  Sage  solche  in  Hüüe 
und  Fülle  darbietet,  gehen  die  Anmerkungen  des  Verf.'s  nicht  ein;  diesem  Mangel 
wird  indessen  gutentheils  abgeholfen  durch  die  sorgfältig  gearbeiteten  Excurse, 
welche  derselbe  dem  Anfange  und  dem  Ende  seines  Werkes  beigefügt  hat.  Eine 
sehr  ausführliche  Einleitung  (S.  I — CIC)  nämlich  handelt  von  der  physischen 
Beschaffenheit  der  Insel,  ihren  keltischen  Papar  und  den  späteren  norwegischen 
Einwanderern,  von  der  Religion  und  dem  Aberglauben,  dann  den  socialen  Ver- 
hältnissen dieser  letzteren.  Die  Landnamezeit  wird  sodann  lebendig  geschildert, 
und  die  Bedeutung  des  Gebens  und  Nehmens  von  Land  erörtert;  die  Gewalt 
der  goctar  wird  besprochen,  und  die  allmäliche  Entstehung  und  Ordnung  des 
isländischen  Staates  und  seiner  Verfassung  verfolgt.  Von  den  wichtigeren  Land- 
namemännern im  Südwesten  der  Insel  wird  noch  etwas  eingehender  gehandelt 
und  die  Zeitrechnung  der  Sage  festgestellt.  Weiterhin  wird  dann  noch  das  täg- 
liche Leben  zur  Zeit  Njäls  mit  lebendigen  Farben  ausgemalt,  und  dabei  zumal 
die  Einrichtung  der  Baulichkeiten  eingehend  erörtert;  endlich  wird  auch  von 
dem  öffentlichen  Leben  und  dem  alping  als  seinem  Mittelpunkte,  dann  von  den 
vielfältigen  Reisen  der  Isländer  ein  gutes  Bild  gegeben.  Ein  Anhang  zum  zweiten 
Bande  (S.  351 — 416)  bandelt  dann  noch  von  den  Vi'kingsfahrten,  von  der  Kö- 
nigin Gunnhildur  von  Norwegen,  endlich  von  dem  Geldwesen  im  10.  Jahrb. 
Alle  diese  Excurse  bringen  zwar,  den  letzten  ausgenommen,  wenig  durchgreifend 
Neues;  allein  sie  stützen  sich  durch  die  Bank  auf  die  besseren  Speciniarbeiten, 
welche  über  die  einzelnen  Materien  bereits  vorhanden  waren,  und  geben,  mit 
ungewöhnlicher  Wärme  und  Liebe  für  den  Gegenstand  geschrieben ,  ein  klares, 
ansprechendes  Bild  altisländischer  Zustände,  ohne  den  nicht  fachmäßigen  Leser 
irgendwie  durch  übel  zur  Schau  getragene  Gelehrsamkeit  zu  stören.  In  einzelnen 
Punkten  berichtigt  Hr.  Dasent  dabei  auch  wohl  seine  Vorgänger,  während  er  in 
anderen  deren  Irrthümer  theilt,  in  wieder  anderen  auch  wohl  auf  eigene  Faust 
etwas  gewagte  Ansichten  aufstellt.  Als  Beispiel  nach  der  ersteren  Seite  hin  mag 
eine  gegen  den  Unterzeichneten  selbst  gerichtete  Bemerkung  dienen.  Während  der 
Verf.   im  Übrigen,   und  zumal  auch  in  einer  Reihe  bestrittener  Fragen  zu  meiner 


LITTERATUR.  245 

Freude  den  Ergebnissen  sich  anschließt ,  welche  ich  vor  einem  Jahrzehnd  in 
einer  kleinen  Schrift  über  die  Entstehung  des  isländischen  Staates  und  seiner 
Verfassung  ausgesprochen  hatte,  erklärt  er  sich  (l,  LVI  und  CLXX)  gegen 
die  von  mir  aufgestellte  Vermuthung,  daß  vor  der  Begründung  einer  Ge- 
sammtverfassung  bereits  ein  der  Function  des  späteren  lögsögumactur  ähnliches 
Amt  in  einzelnen  Bezirken  vorgekommen  sei.  Mit  Recht.  Die  beiden  Sagen,  auf 
welchen  allein  jene  Vermuthung  beruhte,  die  Svarfdada  nämlich  und  die  Isfirch'nga 
saga,  sind  in  der  Gestalt,  in  welcher  sie  uns  vorliegen,  allzu  verdächtige  Quellen, 
als  daß  auf  sie,  und  sie  allein,  ein  derartiger  Schluß  gebaut  werden  dürfte  ;  es 
mag  sein ,  daß  der  spätere  Überarbeiter  beider  Sagen  den  aus  der  Verfassung 
seiner  Zeit  ihm  bekannten  lögmadur  in  die  Vorzeit  hineingetragen  hat.  Sehr 
gesunde  Kritik  übt  der  Verf.  auch  gegenüber  einer  um  das  Jahr  1700  geschriebenen 
Aufzeichnung  über  die  Lage  der  Dingbuden  am  alping,  welche  unter  dem  Namen 
der  „alpingis  Catastasis"  bekannt  ist;  auch  ich  theile  die  Überzeugung,  daß  die- 
selbe uns  keine  ächte  und  alte  Überlieferung,  sondern  nur  einen  späteren,  nicht 
eben  glücklichen  Versuch  giebt,  die  in  der  Sage  selbst  erwähnten  Localitäten 
zurecht  zu  legen  (vgl.  1,  CXXXV — IX).  Minder  möchte  dagegen  die  Art  zu 
billigen  sein,  wie  der  Verf.  (1,  CX — XI)  den  Ackerbau  und  Waldreichthum  der 
Vorzeit  den  schlimmeren  Zuständen  der  Gegenwart  gegenüberstellt.  Weit  genug 
verbreitet  ist  freilich  die  Meinung,  daß  vordem  das  Wachsthum  auf  der  Insel 
weit  besser  gewesen  sei  als  jetzt;  richtig  scheint  sie  mir  indessen  dennoch  nicht. 
Schon  in  der  Lebensbeschreibung  des  Bischofs  Gudmundur,  welche  der  Abt 
Arngrimur  um  135  0  schrieb,  heißt  es  von  Island:  skögr  er  par  engi  utan  björk, 
ok  pol  ltils  vaxtar ;  körn  vex  l  fäm  stöctum  sunnaulands,  ok  eigi  nema  bygg" 
(Biskupa  sögur ,  2,  5),  und  auch  die  ältere  Sagenlitteratur  giebt  kein  we- 
sentlich anderes  Bild  von  der  Fruchtbarkeit  der  Insel.  Aus  dem  Namen  Grenivik  (im 
Eyjafjörctur)  hat  man  wohl  schließen  wollen,  daß  dort  früher  Nadelholz  gewachsen 
sei;  aber  aus  der  Landndma,  c.  23,  S.  130  —  1  und  Gi'sla  snga  Sürssonar  S.  14.0 
sehen  wir,  daß  der  ganz  ähnliche  Name  Grenitresnes  oder  Nesgranatre  von 
Treibholz  hergenommen  war.  Einer  ähnlich  falschen  Deutung  anderer  Local- 
namen  scheint  der  Bericht  der  Svarfdasla,  c.  12,  S.  141 — 2  von  Eichen  auf 
Island  und  von  einem  Schiffe  seine  Entstehung  zu  verdanken ,  welches  aus  ein- 
heimischem Holze  im  Svarfactardalur  gebaut  worden  sei ;  jedenfalls  ist  diese  Sage 
viel  zu  unverlässig ,  als  daß  auf  ihre  Angaben  irgend  Gewicht  gelegt  werden 
könnte.  So  wird  wohl  außer  Birken,  einigen  kleinen  Weidenarten  und  wenigen 
Vogelbeerbäumen  früher  wie  jetzt  von  Waldwuchs  auf  der  Insel  nichts  zu  finden 
gewesen  sein.  Es  ist  ferner  allerdings  in  einzelnen  Fällen  von  Bauholz  die 
Rede,  das  aus  eigenem  Walde  gewonnen  wurde  (z.  B.  Laxdasla,  c.  24,  S.  96; 
Eyrbyggja,  c.  35,  S.  178;  Vigaghima,  c.  19,  S.  368;  Grägäs,  §.  122,  S.  232 
und  öfters),  in  anderen  und  weitaus  häufigeren,  von  der  Benützung  einhei- 
mischen Holzes  zum  Kohlenbrennen;  allein  Beides  ist  eben  nur  nach  islän- 
dischem Maßstabe  zu  verstehen,  wie  denn  z.  B.  die  Graugans  ausdrücklich  von 
einem  Brennen  von  Kohlen  „til  ledengi'ngar,"  d.  h.  zum  Dengeln  der  Sensen, 
spricht  (§.  122,  S.  232;  §.  220,  S.  137),  und  in  so  begränztem  Umfange  wirft 
auch  noch  heutigen  Tages  der  isländische  Wald  dieselben  Nutzungen  ab.  Davon 
aber,  daß  isländisches  Holz  zum  Bau  von  Seeschiffen  genügend  befunden  worden 
wäre,  weiß  ich  nur  ein  einziges  Beispiel  aus  einer  verlässigen  Quelle  anzuführen 
(Landndma,   I,   c.    14.   S.    4  7).     Richtig    ist  zwar,    daß    vielfach    der    vorhandene 


246  LITTERATUK. 

Wald  durch  schlechte  Wirthschaft  verwüstet  wird ;  richtig  aber  auch,  daß  er  bei 
besserem  Betriebe  ebenso  oft  sich  wieder  erholt.  Hiefür  ein  Beispiel.  Den  viel- 
berühmten Wald  im  Fnjdskadalur  bezeichnet  Eggert  Olaffsson,  der  die  Gegend 
im  Jahre  1752  bereiste,  noch  als  den  besten  im  Lande,  obwohl  er  bemerkt, 
daß  derselbe  innerhalb  der  letzten  hundert  Jahre  sehr  verloren  habe  (Reise  igjennem 
Island,  S.  679 — 80,  und  733  —  4).  Im  Jahre  1777  kam  Olaus  Olavius  eben 
dahin;  er  sah  nur  noch  ein  Schattenbild  des  früheren  Waldes  und  erfuhr,  daß 
dieser  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  verkommen  sei  (Öconomisk  Reise,  S.  361 — 2). 
Eben  diesen  Zustand  fand  Mohr  im  Jahre  1781  vor  (Forsägtil  en  Islandsk  Na- 
turhistorie, S.  3  7  5),  und  noch  im  Jahre  1814  sah  Ebenezer  Henderson  nicht 
einen  einzigen  Baum  in  dem  früheren  Walde  (Island,  übers,  v.  Franceson,  I, 
S.  IG  7).  Dagegen  sahen  Thienemann  und  Günther,  welche  im  Jahre  1821  des 
Weges  zogen,  schon  wieder  einen  ziemlich  dichten  Birkenwald  im  Thale,  freilich 
nur  von  höchstens  6  Fuß  Höhe  (Reise  im  Norden  Europa's,  S.  14  8).  Als  ich 
vor  vier  Jahren  das  Thal  kreuzte,  zeigte  der  Wald  bereits  wieder  ein  ganz 
stattliches  Aussehen,  und  wenn  Preyer  und  Zirkel,  die  im  Jahre  186  0  den- 
selben durchschritten,  ihm  eine  Breite  von  3/4  Stunden,  eine  Höhe  von  15  —  20 
Fuß  und  seinen  Stämmen  am  Boden  einen  Durchmesser  von  bis  zu  V  Fuß 
beilegen  (Reise  nach  Island,  S  17  8),  so  kann  ich  diese  Angaben  nur  vollständig 
bestätigen.  Ahnlich  wie  bezüglich  der  Waldungen  steht  die  Sache  wohl  auch 
bezüglich  des  Ackerbaues.  Allerdings  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß 
dieser  vordem  in  nicht  ganz  geringem  Umfange  betrieben  wurde;  aber  wir  wissen 
auch,  daß  es  als  etwas  ganz  Ungewöhnliches  galt,  wenn  ein  einzelner  günstig 
gelegener  Acker  regelmäßig  seine  Frucht  trug  (Vi'gaglüma,  c.  7,  S.  340;  Sturl- 
ünga,  I,  c.  13,  S.  9  3),  und  daß  andererseits  auch  heutzutage  noch  der  Kornbau 
auf  der  Insel  möglich,  wiewohl  in  ökonomischer  Beziehung  schwerlich  vorteil- 
haft und  lohnend  ist.  Nach  beiden  Seiten  hin  mag  auf  die  treffliche  Abhandlung 
über  den  Ackerbau  auf  Island  verwiesen  werden ,  welche  Baldvin  Einarsson  in 
seinen  Armann  ä  alpingi,  Bd.  II,  S.  6  6  — 12  6  eingerückt  hat.  —  Unrichtig 
scheint  auch,  wenn  der  Verf.  (l  ,  CLI,  dann  CLXXI — II,  not.)  den  islän- 
dischen kvidur  nicht  der  englischen  Jury  verglichen  wissen  will,  viemehr  den 
dornur  des  isländischen  Rechts  mit  letzterer  parallelisiert.  Bei  solcher  Auffassung 
würde  es  schwer  halten,  ein  Analogon  für  das  Gericht  nachzuweisen,  welches 
denn  doch  keinesfalls  entbehrt  werden  könnte,  und  in  der  That  widerspricht 
ihr  die  eigene  Angabe  des  Verf. 's,  daß  der  kvictur  mit  der  alten  jury  de  vi- 
cineto  übereinkomme. 

Doch  genug  solcher  einzelner  Ausstellungen  gegenüber  einem  Werke,  das 
als  Gesammtleistung  durchaus  tüchtig  und  erfreulich  genannt  werden  muß.  Als 
sehr  anerkennenswerthe  Beigaben  derselben  sind  noch  hervorzuheben  :  eine 
kurze  Übersicht  über  die  Chronologie  der  Sage  (1,  CCI — IV);  ein  mit  unge- 
wöhnlicher Sorgfalt  durch  einen  der  Verieger,  Hrn.  Douglas,  ausgearbeitetes 
Register  (2,  417  —  9  8);  Grundplan,  Länge-  und  Querdurchschnitt,  dann  Pro- 
spect  einer  altisländischen  Halle ,  nach  der  Zeichnung  eines  tüchtigen  islän- 
dischen Künstlers,  Sigurctur  Gudmundsson ;  eine  Generalkarte  von  Island,  eine 
ausführlichere  Karte  des  Südwestens  der  Insel,  so  wie  eine  Übersichtskarte  des 
Nordwestens  von  Europa,  welche  die  Verbreitung  der  Nordleute  im  10.  Jahrb. 
erkennen  lässt;  endlich  zwei  Pläne  der  Gegend  von  pingvellir,  welche  Capitän 
Forbes  dem  Verf.   geliefert  hat.      Leider   sind    gerade    diese    Pläne,    welche   zum 


LITTEEATUE.  247 

Verständnisse  der  Njäla  nicht  nur,  sondern  auch  so  mancher  anderer  Quellen- 
schriften gar  viel  beitragen  könnten,  nichts  weniger  als  genau  aufgenommen,  wie 
dies  Jeder  bezeugen  wird,  der  die  Dingstätte  aus  eigener  Anschauung  kennt. 
Die  äußere  Ausstattung  des  Werkes  endlich  ist  eine  glänzende;  nur  ist  zu  be- 
dauern, daß  eine  Fülle  von  Druckfehlern  den  ruhigen    Genuß    des    Lesers  stört. 

2.  Isleiizkar  jjjöttsögur  Og  sefintyri.  Safnadhefir  Jon  Ärnason.  Fyrsta 
bindi.  Leipzig,  actforlagi  J.  C.  Hinrichs's  bökaverzlunar,  1862.  8°. 
Als  ich  vor  zwei  Jahren  meine  „isländische  Volkssagen  der  Gegenwart" 
herausgab  (vgl.  Bd.  V.  S.  378  —  80  dieser  Zeitschrift),  konnte  ich  das  baldige 
Erscheinen  einer  umfassenden  Sagensammlung  in  isländischer  Sprache  als  nahe 
bevorstehend  in  Aussicht  stellen.  So  mag  mir  gestattet  werden  von  der  begon- 
nenen Veröffentlichung  dieses  Unternehmens,  dessen  erster  Band  soeben  die  Presse 
verlässt,  nunmehr  die  erste  Anzeige  zu  machen. 

Es  enthält  aber  der  XXXIV  und  666  SS.  starke  Band  die  vier  ersten 
Capitel  der  Sammlung ,  die  mythologischen  Sagen  nämlich ,  die  Spuksagen ,  die 
Zaubersagen  und  die  Natursagen.  Jedes  Capitel  ist  wieder  in  eine  Reihe  klei- 
nerer Abschnitte  zertheilt,  an  deren  Spitze  einleitende  Bemerkungen  des  Heraus- 
gebers zu  stehen  pflegen ;  dann  folgen,  mit  Rücksicht  auf  ihren  Inhalt  geordnet, 
die  einzelnen  Sagen,  deren  der  Herausgeber  habhaft  werden  konnte,  und  zwar 
fast  ausnahmslos  mit  den  Worten  des  Gewährsmannes ,  der  solche  geliefert  hat. 
Es  hat  diese  Einrichtung  ihre  guten  wie  ihre  schlimmen  Seiten.  Die  Gleich- 
förmigkeit der  Darstellung,  sogar  der  Orthographie,  wird  durch  dieselbe  verletzt, 
manche  Wiederholung  veranlasst  ,  auch  hin  und  wieder  die  Aufnahme  eines 
Stückes  verschuldet,  daß  nach  Form  und  Inhalt  für  die  Sammlung  nicht  recht 
geeignet  ist  (sieh  z.  B.  die  mehrfachen  Variationen  der  Erzählung  „Raudhöfdi," 
S.  83 — 89,  oder  „Hallgerdur  ä  Blafelli,"  S.  157  — 159;  dann  als  Muster  einer 
schlechten  Erzählung  den  „pättur  af  Grimi  Skeljüngsbana,"  S.  247 — 25  6).  Da- 
gegen wird  aber  auch  die  Originalität  der  einzelnen  Sagen  auf  keinem  andern 
Wege  so  vollständig  gewahrt  wie  auf  diesem ;  die  Sammlnng  gewinnt  an  Manig- 
ialtigkeit  gerade  durch  die  Verschiedenheit  der  Diction  und  an  Localfarbe, 
welche  jede  einheitliche  Redaction  nothwendig  beeinträchtigen  müsste,  endlich, 
was  im  gegebenen  Falle  nicht  gering  anzuschlagen  ist,  gewährt  die  zumeist  un- 
veränderte Aufnahme  der  einzelnen  Beiträge  die  Möglichkeit,  auf  den  Bildungs- 
grad der  einzelnen  Beisteuernden  einen  Schluß  zu  ziehen.  Trotz  alledem,  was 
in  älteren  wie  in  neueren  Reisebeschreibungen  Gegentheiliges  gesagt  worden, 
ist  man  auswärts  noch  immer  geneigt  die  Isländer  als  ein  verkrüppeltes  Polar- 
volk zu  betrachten,  den  Lappländern  etwa  oder  Grönländern  vergleichbar;  mit 
ungläubigem  Lächeln  pflegt  man  es  aufzunehmen ,  wenn  ein  heimkehrender  Be- 
sucher der  Insel  versichert,  daß  der  Durchschnittsgrad  der  Bildung  ihrer  Be- 
wohner ein  höherer  sei  als  der  des  gemeinen  Mannes  in  Deutschland,  von  Frank- 
reich oder  England  gar  nicht  zu  reden.  Hier  ist  nun  ein  Mittel  geboten  ,  von 
der  Richtigkeit  solcher  Behauptung  sich  wenigstens  annähernd  zu  überzeugen. 
Ein  großer  Theil  der  mitgetheilten  Sagen  ist  von  isländischen  Bauern  aufge- 
zeichnet, und  gerade  solche  Stücke  gehören  zu  den  besterzählten ,  welche  die 
Sammlung  überhaupt  enthält;  ich  wüsste  z.  B.  nicht,  wie  eine  Spuksage  vor- 
trefflicher erzählt  werden  könnte ,  als  dieß  ein  mir  persönlich  bekannter  Bauer, 
porvardur  Ölafsson,   bezüglich  der    Stücke    „Sigurdur  og  draugurinn,"   und   „pe- 


248  LITTER  ATUR. 

ni'nga  hälftunnan"  (S.  265 — 8)  gethan  hat.  Wie  viele  unserer  deutschen  Bauern 
würden  wohl  im  Stande  sein  eine  einheimische  Gespenstergeschichte  in  so  leben- 
diger Darstellung  und  so  klassischer  Sprache  niederzuschreiben  ? 

Bei  Weitem  die  meisten,  aber  doch  keineswegs  alle  mitgetheilten  Sagen 
sind  aus  der  mündlichen  Überlieferung  des  heutigen  Tages  geschöpft;  einige  sind 
älteren  Handschriften  entnommen,  und  zumal  eine  Reihe  sehr  interessanter  Stücke 
aus  der  Arnaniagnreanischen  Bibliothek  gezogen.  Aber  auch  Abschnitte  dieser 
letzteren  Art  sind  nur  dann  aufgenommen  worden,  wenn  sie  den  Charakter  volks- 
mäßiger Tradition  tragen,  wie  z.  B.  die  Erzählungen  über  Sajmundur  frödi 
(S.  485 — 90),  Äsmundur  flagdagaefa  (S.  171 — 9)  u.  dgl.  m.  Materiell  freilich 
haben  sich  nicht  alle  Theile  des  isländischen  Volksglaubens  von  fremden  ,  ge- 
lehrten Einflüssen  gleich  rein  zu  erhalten  vermocht ;  die  Zaubersagen  zumal,  und 
dann  wieder  die  Natursagen,  zeigen  neben  vielem  unzweifelhaft  Einheimischen 
auch  manches  aus  der  Fremde  Eingeführte.  Von  den  Thiersagen  scheinen  mir  die 
von  „Skoffi'n  og  skuggabaldur"  (S.  612  — 13),  unter  den  Pflanzensagen  die  von 
der  Diebswurzel  (S.  645)  auf  fremden  Ursprung  hinzuweisen;  unter  den  Steinen 
vollends,  welchen  übernatürliche  Kräfte  beigelegt  werden  ,  deuten  manche  schon 
durch  ihre  Namen  in  die  Ferne,  wie  z.  B.  der  „Hirundosteinn"  oder  der  „Cal- 
cedonius"  (S.  655).  Unter  den  Zaubermitteln  sind  die  „Hjälparhringar  Karla- 
magnüsar"  (S.  44  6),  der  „Sator  arepo"  (S.  4  4  8)  und  so  manche  halbbiblische 
oder  lateinische  Beschwörungsformeln  (z.  B.  S.  45  7,  45  9  u.  dgl.  m.)  offenbar 
fremden  Ursprunges.  Es  handelt  sich  eben  hier  wie  in  dem  verwandten  medi- 
cinischen  Aberglauben  um  den  Versuch ,  einheimische  Überlieferungen  durch 
fremde  Geheimmittel  zu  vervollständigen.  Schon  die  Jons  biskupssaga  lässt 
den  Sajmundur  frödi  im  Auslande  die  Zauberkunst  lernen,  und  die  neuere  Sage 
setzt  die  hohe  Schule  der  schwarzen  Kunst  zu  uns  nach  Deutschland  (S.  4  91); 
ganz  ebenso  finden  sich  aber  auch  in  handschriftlichen  Sammlungen  von  Haus- 
mitteln und  naturgeschichtlichen  Notizen,  wie  solche  heutigen  Tages  noch  auf 
Island  umlaufen ,  gar  nicht  selten  Verweisungen  auf  auswärtige ,  zumal  auch 
deutsche  Ärzte  und  Adepten,  und  es  scheint,  daß  die  früheren  Handelsverbin- 
dungen mit  der  Hansa  in  dieser  Beziehung  ganz  ebensogut  ihre  Spuren  auf  der 
Insel  hinterlassen  haben,  als  in  so  manchen  Geräthen  mit  älteren  deutschen  In- 
schriften, welche  sich  daselbst  noch  finden.  Ich  besitze  eine  im  Jahre  1822 
von  dem  bekannten  Purkeyjar-Ölafur  (vgl.  über  ihn  S.  2  ,  Anm.  4)  angelegte 
Sammlung  vermischter  Notizen,  in  welcher  sich  unter  Andern  eine  „Chyromantia, 
—  til  samans  skrifad  af  D.  Rudolpho  Galetio  til  Marborg,"  eine  „  Physiognomia 
Ars,  —  samansskrifad  af  Doctor  ok  pienara  (Kiennara?)  Dr.  Rudolpho  Golenit, 
M.  til  Marburg,  ok  prentad  anno  1621,"  eine  Instruction  über  den  Urin  und 
Stuhlgang  „skrifad  og  saman  dreigid  af  Doctor  Laurentio  Friscio,  ütlagt  af  Henrik 
Smid,"  ein  Stück,  „um  nockra  nätturnsteina,  ür  bök  Alberti  Magni"  befinden. 
Eine  andere  in  meiner  Hand  befindliche  Aufzeichnung  über  das  Aderlassen  nennt 
sich  „samanskrifad  af  Doctor  Märtino  Ruland"  und  nimmt,  wie  auch  ein  von 
Schleissner  (Island  undersögt  fra  et  lasgevidenskabeligt  Synspunkt,  S.  17  4)  bereits 
angeführtes  ähnliches  Werkchen,  auf  einen  astrologischen  Kalender  von  Marcus 
Freund  Bezug.  Eine  dritte,  ebenfalls  mir  gehörige  Handschrift  hat  ein  Stück 
„um  Planeturnar,  ur  peirri  pysku  planetubokinni ,"  wieder  jene  „Physiogno- 
tica  Ars,  —  samanskrifad  af  Doct.  Rodolfo  Galenid  Mynor  (junior??)  til  Mar- 
borgar,   og  prentad  ä  pvi  Are    1661,"    eine  Chiromantie    „I  Latinu  fyrst  saman- 


LITTERATUE.  249 

skrifutt  af  vellasrduin  Doctor  og  Kenara  Rudolpho  Holeniion  til  Marborgar,  og  var 
prentuit  og  utgefen  d  pvi  are  epter  Christi  Fieiting  1621,"  u.  dgl.  m.  Auf  den 
inedicinischen,  naturwissenschaftliehen  und  zauberischen  Aberglauben  dürfte  sich 
aber  auch  der  fremde  Einfluß  beschränken;  die  Sagen  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes  zeigen  dagegen  zwar  oft  genug  die  schlagendsten  Züge  stammlicher  Ver- 
wandtschaft mit  unseren  deutschen  Traditionen,  aber  soviel  ich  ersehen  kann 
keine   mechanische   Einwirkung   derselben. 

Für  die  Fülle  und  den  dichterischen  Gehalt  der  isländischen  Sagen  legt 
die  Sammlung  schon  in  ihrem  ersten  Bande  ein  glänzendes  Zeugniss  ab  ,  und 
Niemand  wird  fortan ,  wie  Schleissner  dies  noch  vor  dreizehn  Jahren  gethan 
(a.  a.  O.  S.  164 — ö),  in  der  einen  oder  anderen  Beziehung  dieselben  den 
dänischen,  schwedischen  oder  norwegischen  Überlieferungen  nachsetzen  wollen. 
Eben  dieser  Reichthum  schließt  natürlich  jeden  Versuch  aus,  auf  das  Einzelne 
des  Werkes  hier  einzugehen ;  doch  mögen  ein  paar  vereinzelte  Bemerkungen,  wie 
sie  sich  eben  darbieten  wollen  ,  hier  noch  verstattet  sein.  —  Sehr  reich  ver- 
treten erscheinen  vor  Allem  die  Elbensagen,  und  ihre  Haltung  ist  der  aller  an- 
deren germanischen  Sagengebiete  gegenüber  eine  sehr  eigenthümliche  und  wie 
mir  scheinen  will  ursprüngliche.  Auf  Island  wird  nicht  wie  anderwärts  zwischen 
Eiben,  Zwergen,  Nixen,  Kobolden,  Schrättelein,  Moosweiblein  und  wie  alle  die 
Geister  heißen  mögen  geschieden;  alle  diese  verschiedenen  Gruppen  liegen  vielmehr 
hier  noch  ungesondert  als  eine  einzige  Masse  beisammen,  innerhalb  deren  höchstens 
zwischen  guten  und  bösen  Eiben  hin  und  wieder  unterschieden  wird,  und  von 
welcher  höchstens  etwa  das  Meerniännlein  sich  abzweigt,  zu  den  übrigen,  mehr 
der  Thierwelt  angehörigen  Wassergeistern  einen  Übergang  bildend.  Die  Elbe 
stehen  dabei  als  ein  geschlossenes  Volk  neben  dem  Menschenvolke,  ganz  wie 
bereits  in  den  ältesten  Quellen  Alfheimar  neben  Mannheimar  stehen ;  sie  haben 
ihren  König  und  ihren  Bischof  wie  die  Menschenleute  (z.  B.  S.  53.  89  —  93), 
ihre  Psalmen  und  ihre  gottesdienstlichen  Gebräuche  (z.  B.  S.  29;  31 — 34; 
93 — 100),  ihre  Bibel  (S.  99)  u.  s.  w.,  was  natürlich  nicht  ausschließt,  daß  sie 
anderemale  wieder  an  dem  Gottesdienste  der  Menschen  sich  ungesehen  bethei- 
ligen (z.  B.  S.  7  4,  7  6,  10  4),  den  sie  nur  nicht  bis  zu  seinem  Schlüsse  ver- 
tragen können,  oder  daß  von  ihnen  gesagt  werden  kann,  es  gelte  ihnen  die 
Bibel  als  Uuterhaltungslectüre,  während  sie  unsere  romantischen  Sagen  als  eine 
Art  von  Bibel  läsen  (S.  XVI).  Einzelne  Elbensagen  zeigen  auch  wohl  einen 
Übergang  zu  den  Mährchen;  die  Stücke  „Una  alfkona,"  „Ulfhildur  alfkona," 
„Hildur  älfadrottnmg,"  „Snotra4*  (S.  105  — 116)  mögen  als  Belege  dafür  dienen. 
Beachtenswerth  erscheint  auch,  daß  schon  sehr  frühzeitig  Elbensagen  metrisch 
bearbeitet  sich  finden,  wie  z.  B.  Kötludraumur,  Ljüfli'ugsljöct,  und  daß  die  Versart, 
welche  vorzugsweise  zu  solchem  Behufe  verwendet  zu  werden  pflegte,  geradezu 
den  Namen  „ljüfli'ngslag"  erhielt  (S.  VIII — IX;  vgl.  auch  was  Guttbrandur  Vig- 
füsson  in  den  Ny  felagsrit  1861,  S.  120  hierüber  beibringt).  Einzelne  Über- 
reste solcher  Versificationen  theilt  unsere  Sammlung  mit,  wie  z.  B.  das  prächtig 
humoristische  Fragment:  „Skönäla-Bjarni  i  selinu  svaf"  (S.  12  9);  häufigerfinden 
sich  nur  einzelne  Verse  in  die  Erzählung  eingestreut,  von  denen  zweifelhaft 
bleiben  muß,  ob  sie  überhaupt  einem  umfassenderen  Gedichte  jemals  angehörten 
(z.  B.  „Deildu  tvser  um  daudan  kalf,"  S.  116),  oder  die  auch  wohl  mit  der 
Sage  selbst  in  gar  keiner  näheren  Berührung  stehen  (z.  B.  „Drottnfng  gipti 
döttur  sina,"    S.    52).    - —   An   die  Elbensagen  reihen  sich   neben  den  wenig  zahl- 


250  LITTERATUB. 

reichen  Sagen  von  Wassergeistern  nur  noch  die  Riesensagen ;  von  Göttersagen 
war  trotz  sorgfältigsten  und  ausgiebigsten  Nachforschens  keine  Spur  mehr  zu 
finden.  Die  Riesen  werden  ihrerseits  ganz  in  der  derben,  altertümlichen  "Weise 
geschildert,  wie  sie  unter  den  deutschen  Sagen  zumal  die  Tirolischen  zeigen. 
Wild  genug  sind  sie,  und  zumal  Menschenfresser;  aber  auch  empfänglich  für 
jede  Freundlichkeit,  und  wäre  es  nur  ein  höflicher  Gruß  (S.  15  7),  und  von 
ihrer  berühmten  Treue  wird  hier  ein  gar  schönes  Beispiel  gegeben.  Die  Leute 
in  der  ))i'ngeyjarsysla  waren  einmal  in  der  Zeitrechnung  irre  geworden  und 
wussten  nicht  mehr  bestimmt,  wann  Weihnachten  auftreffe;  sie  sandten  darum 
einen  Boten  quer  durch's  Land  nach  Skälholt,  um  beim  Bischöfe  anzufragen. 
Der  begegnet  unterwegs  einer  Riesin  ,  wird  von  ihr  um  sein  Geschäft  befragt 
und  giebt  ihr  darüber  Bescheid;  da  spricht  das  troll:  „hätte  der  Christ,  der 
Maria  Sohn,  so  viel  für  uns  Riesen  gethan,  wie  ihr  sagt,  daß  er  für  euch  Menschen 
gethan  habe,  wir  hätten  seines  Geburtstages  nicht  vergessen!1'  Vermöge  ihrer 
gutmüthigen  Arglosigkeit  sind  sie  leicht  zu  bethören;  öfters  kehrt  zumal  der 
Zug  wieder,  daß  Menschenleute ,  die  von  ihnen  gefangen  gehalten  werden ,  sich 
dadurch  befreien,  daß  sie  das  troll  auf  irgend  eine  mühselige  Expedition  aus- 
schicken,  z.  B.  um  zwölfjährigen  Haifisch  zu  holen,  oder  neues  Bockfleisch 
(S.  187  —  8,  190 — 2).  Auch  die  Riesen  suchen  nämlich,  wie  die  Elbe,  Menschen 
zu  sich  zu  locken,  und  die  von  ihnen  geholten  nehmen  dann  nach  und  nach, 
wenn  es  ihnen  nicht  gelingt  rasch  zu  entkommen,  selbst  riesische  Natur  an;  sie 
vergessen  ihren  Christenglauben  und  werden  auch  äußerlich  den  Riesen  ähnlich; 
ein  weißes  Kreuz  an  der  Stirne,  eine  Folge  der  empfangenen  Taufe,  ist  das 
einzige  Zeichen,  an  welchem  man  den  ehmaligen  Menschen  erkennen  kann 
(z.  B.  S.  19  3,  517).  Sehr  hübsche  Localsagen  über  versteinerte  Riesen  und 
Riesinnen  werden  mitgetheilt;  darunter  eine  recht  drollige,  welche  an  die  aus 
der  Landnäma  bekannte  purictur  sundafyllir  anknüpft  (S.  211 — 12).  Die  leben- 
digere Gestaltung  der  Riesensage  dürfte  darin  sich  aussprechen,  daß  weit  öfter 
als  in  unseren  deutschen  Sagen  individuell  gezeichnete  und  durch  Eigennamen 
hervorgehobene  Riesen  und  Riesinnen  auftreten;  eine  specielle  Erscheinung  unter 
diesen  bildet  die  Gryla  mit  ihrem  Manne  Leppa-Lüdi  und  ihren  Kindern,  den 
Jölasveinar,  über  welche  manches  Schöne  beigebracht  wird  (S.  218 — 21;  vergl. 
S.  12  9J.  Auch  von  den  Riesensagen  gilt  übrigens,  was  oben  von  den  Elben- 
sagen und  ihrer  frühzeitigen  Versification  zu  sagen  war;  der  von  Guctbrandur 
Vigfflsson  neuerdings  (l860)  nach  der  Flateyjarbdk  edierte  Völsa  battur  ist  einem 
alteren  Gedichte  entnommen ,  und  der  Äsmundar  bättur  flagctagasfu  in  gegen- 
wärtiger Sammlung  (S.  171 — 17  9)  nicht  minder:  der  Grylukvredi  vollends  giebt 
es  in  Hülle  und  Fülle.  —  Auf  den  alterthümlichen  Charakter  der  isländischen 
Spuksagen,  das  Fehlen  nämlich  jedes  specifisch  religiösen  und  kirchlichen  Ele- 
mentes in  denselben ,  habe  ich  schon  bei  anderer  Gelegenheit  aufmerksam  ge- 
macht; ein  anderer  Punkt  mag  hier  betont  werden.  Wie  die  Elbe  und  Riesen, 
so  können  auch  die  Gespenster  den  Tag  nicht  vertragen ;  ihr  Leben  hängt  daran, 
daß  sie  vor  Tagesanbruch  wieder  in  ihre  Grube  kommen,  und  darum  opfern  sie 
Alles,  um  nicht  vom  Sonnenlicht  überrascht  zu  werden  (S.  2  6  4).  Man  sieht, 
auch  die  draugar  leben  noch  und  können  noch  sterben,  nur  ist  ihr  Leben  ein 
anderes  als  das  der  Menschenleute,  und  so  haben  •  sie  auch  andere  Lebens- 
gewohnheiten; ein  Gespenst  z.  B.  isst  zwar,  aber  ohne  dabei  eines  Messers  sich 
zu  bedienen,   vielmehr  nach  Art    der  Unholde    die  Speise    zerreißend    (S.   2  7  6). 


LITTER  ATUR.  251 

Regelmäßig  sprechen  die  Gespenster  in  Versen  ,  und  eine  Reihe  recht  schauer- 
licher ist  den  einzelnen  Erzählungen  eingestreut;  humoristische  Züge  sind  sel- 
tener, und  mehr  in  halbwegs  verdächtigen  Gespenstersagen  zu  finden,  deren  ein 
paar  sehr  drollige  mitgetheilt  werden  (S.  3  09  u.  folg.).  Sehr  charakteristisch 
für  den  isländischen  Volksglauben  sind  die  zahlreichen  Sagen  von  Erweckten, 
u.  z.  Th.  hiemit  zusammenhängend,  von  Folgegeistern ;  über  beide  Klassen  von 
Gespenstern  wird  reichstes  Material  beigebracht,  und  von  einzelnen  Folgegeistern 
geradezu  eine  vollständige  Lebensgeschichte  zusammengestellt.  —  Unter  den 
Zaubersagen  hebe  ich  zumal  den  zweiten  Abschnitt,  der  von  den  Zaubermitteln, 
und  den  dritten  hervor,  der  von  einzelnen  berühmten  Zauberern  handelt.  Man- 
cherlei wunderliche  Zauberformeln  werden  mitgetheilt,  deren  einige  auf  Sa?mundur 
fröcti  zurückgeführt  werden  (S.  458 — 9);  auch  des  Runenzaubers  wird  eingehend 
gedacht,  und  durch  wohlgelungene  Holzschnitte  sind  die  dabei  gebrauchten  Zeichen 
mehrfach  erläutert  (z.  B.  S.  445 — 6;  464),  wie  denn  auch  vorher  schon  (S.  235) 
zwei  isländische  Runensteine  in  getreuester  Nachbildung  mitgetheilt  worden  waren. 
Die  Erzählungen  von  einzelnen  Zauberkünstlern ,  die  gutentheils  sehr  humori- 
stische Färbung  zeigen,  enthalten  begreiflich  viel  auch  in  anderen  Beziehungen 
Interessantes;  ich  weise  beispielsweise  nur  auf  die  Sage  hin,  daß  Scemunduv 
fröcti  die  ihm  vielfach  zugeschriebenen  SöIIarijo'd  erst  drei  Tage  nach  seinem  Tode 
gedichtet  habe!  (S.  4  9  0).  Beachtenswerth  ist  auch,  daß  solche  Erzählungen 
sich  noch  an  Männer  knüpfen,  die  vor  nicht  allzu  langer  Zeit  noch  gelebt  haben, 
an  sira  Saemundur  Holm  z.  B.,  der  erst  im  Jahre  1821  starb  (S.  60  1  —  2,  vgl. 
S.  104);  daß  vorzugsweise  Pfarrherren  im  Rufe  der  Zauberkunst  stehen,  erklärt 
sich  von  selbst;  doch  knüpfen  sich  ähnliche  Sagen  auch  an  den  berühmten 
Juristen  Päll  Vidah'n  (S.  5  8l)  und  an  einfache  Bauern.  —  Die  Natursagen 
endlich  sind  selbstverständlich  zumeist  sehr  kurz  und  stehen  gutentheils  auf  der 
Grenze  des  Gebietes  der  Sage;  unter  ihnen  mögen  noch  besonders  die  auf  die 
See   bezüglichen   Stücke   (S.    6  60 — l)   hervorgehoben   werden. 

Eine  sehr  werthvolle  Beigabe  zu  der  Sammlung  ist  die  Vorrede,  welche 
Gudbrandur  Vigfüsson,  der  Herausgeber  der  Biskupasögur  und  einer  Reihe  an- 
derer älterer  Sagen,  dieser  vorgesetzt  hat.  Der  Leser  erhält  in  derselben  nicht 
nur  getreuen  Bericht  über  das,  was  in  neuerer  Zeit  für  die  Veröffentlichung 
isländischer  Volkssagen  gethan  und  erstrebt  worden  ist,  sowie  insbesondere  über 
die  Entstehungsgeschichte  der  vorliegenden  Sammlung,  sondern  auch  über  die 
Geschichte  der  Sage  selbst  und  der  Beschäftigung  mit  ihr  wird  einlässlich 
gehandelt,  und  über  eine  Reihe  älterer  Aufzeichnungen,  die  mehr  oder  minder 
in  dieses  Gebiet  einschlagen,  auf  Grund  handschriftlichen  Materiales  umfassender 
Aufschluß  ertheilt.  Zumal  was  über  Jon  Ijertti,  Björn  ä  Skardsä,  Ölafur  gamli 
gesagt  wird,  erscheint  in  hohem  Grade  dankenswerth ;  aber  auch  über  Ami 
Magnüsson,  dann  Jon  Olafsson  von  Grunnavi'k  und  deren  Beziehungen  zu  der 
Sagenwelt  ist  viel  Interessantes   hier  zu  lesen. 

So  mag  denn  das ,  unserem  Altmeister  Jacob  Grimm  gewidmete  Werk 
meines  isländischen  Freunc'es  Jon  Arnason  dem  deutschen  Publikum  bestens 
empfohlen  sein;  die  Verlagshandlung  hat  auch  ihrerseits,  wie  hier  schließlich 
noch  dankend  anzuerkennen  ist,  Alles  gethan,  um  dasselbe  solcher  Empfehlung 
werth  zu  machen. 

MÜNCHEN.  KONRAD  MAURER. 


202  LITTERATUR. 

Des  Sachsenspiegels  erster  Theil,  oder  das  sächsische  Landrecht.  Nach 
der  Berliner  Handschrift  v.  J.  1369  herausg.  von  Dr.  C.  G.  Homeyer, 
ordentl.  Professor  der  Rechte  an  der  Friedrich -Wilhelms- Universität  zu 
Berlin.  Dritte  umgearbeitete  Ausgabe.  Berlin,  Fried.  Dümmler's  Verlags- 
buchhandlung   1861.    8.    XVI,    524    S. 

Die  erste  Ausgabe  des  Sachsenspiegels  von  Homeyer  erschien  im  Jahre 
182  7.  Nur  wenige  Jahre  waren  verflossen,  als  bereits  eine  zweite  Ausgabe 
nbthig  geworden;  sie  erschien  1835  in  einer  schon  sehr  vervollkommneten  Gestalt. 
Nach  einem  längeren  Zeitraum  brachte  uns  endlich  das  verflossene  Jahr  eine 
dritte  Ausgabe,  und  diese  hat  die  fortwährend  dem  Rechtsbuche  zugewandte 
Thätigkeit,  der  Scharfsinn  und  Fleiß  des  Herausgebers  zu  einem  Werke  ge- 
schaffen, dem  gegenüber  jede  Kritik  verstummt,  dessen  vollen  Werth  man  sich 
nur  zum  Bewusstsein  zu  bringen  hat.  Was  Homeyer  in  den  vorhergehenden 
Ausgaben  bereits  geleistet  hat,  ist  bekannt,  es  genügt  daher,  wenn  das  neu 
Hinzugekommene,  und  Neues  ist  hinzugekommen  von  der  Einleitung  an  bis  zum 
Register,   verzeichnet  wird. 

Noch  in  der  zweiten  Ausgabe  war  die  Einleitung  bloß  dazu  bestimmt, 
Aufschluß  über  die  Edition  selbst  und  ihren  Plan  zu  geben;  jetzt  hat  sie  einen 
weiteren  Bestandtheil  erhalten,  eine  unübertreffliche  Darstellung  der  Geschichte 
des  Rechtsbuches.  Darin  wird  vor  Allem  der  Verfasser  festgestellt,  die  Zeit, 
die  Gegend  und  die  Sprache  bestimmt,  in  der  das  Buch  geschrieben  wurde,  und 
endlich  letzteres  selbst  nach  allen  Seiten  hin  charakterisiert.  Sodann  veran- 
schaulicht eine  Ausführung,  welche  den  wesentlichen  Inhalt  einer  im  Jahre  1859 
erschienenen  akademischen  Abhandlung  über  die  Genealogie  der  Handschriften 
des  Sachsenspiegels  wiedergibt,  auf  Grundlage  von  186  Texten  die  allmähliche 
Gestaltung  des  Rechtsbuches.  Weiterhin  werden  die  Vor-  und  Schlußreden  be- 
sprochen, sowie  die  Übersetzungen,  welche  von  dem  Spiegel  gemacht  wurden. 
Und  um  ganz  den  Einfluß  des  Rechtsbuches  zu  vergegenwärtigen,  werden  auch 
sämmtliche  Rechtsdenkmäler  verzeichnet,  welche  für  andere  Zeiten,  Gegenden, 
Stände,  besondere  Zwecke  berechnet,  mit  ihm  dadurch  verwandt  sind,  daß  sie 
sich  auf  dasselbe  gründen  oder  doch  einzelne  Sätze  aus  ihm  entlehnten.  Mit 
einer  Aufzählung  der  sämmtlichen  Ausgaben  des  Sachsenspiegels  im  Druck,  nebst 
Feststellung  dessen,  was  durch  sie  geleistet  worden,  schließt  dieser  neue  lehr- 
reiche Theil  der  Einleitung.  Bei  der  Wiedergabe  des  Textes  erkannte  Homeyer 
als  seine  Aufgabe,  das  Rechtsdenkmal  auf  seinen  verschiedenen  Wegen  und 
W  endungen,  in  seiner  Verzweigung  und  Verschlingung,  selbst  in  manchen  seiner 
Auswüchse  zu  verfolgen,  sodann  es  auch  in  dieser  seiner  Vielfarbigkeit  darzu- 
stellen .  Ein  tiefes  Durchdenken  hat  diese  große  Aufgabe  in  der  glücklichsten 
Weise  gelöst.  Es  bedurfte  nicht  des  schwerfälligen  Nebeneinanderstellens  mehrerer 
Texte,  es  genügte  der  vollständige  Abdruck  eines  Textes,  unter  Anwendung 
verschiedener  Schrift  und  Beifügung  von  Noten,  Randbemerkungen  und  Tabellen. 
Waren  nun  aber  zu  der  Ausgabe  von  1835  2  6  Handschriften  und  Drucke  benutzt 
worden,  so  sind  für  die  vorliegende  nicht  weniger  als  109  Texte,  und  zwar  zur 
Hälfte  vollständig,  verglichen  worden.  Auch  das,  was  der  Herausgeber  für  das 
Verständniss  des  Textes  in  engem  Räume  geleistet  hat,  ist  ansehnlich  bereichert 
worden.  Die  Zahl  der  jedem  Artikel  vorangestellten  Autoren  der  Neuzeit  und 
Parallelstellen  aus  anderen  Rechtsquellen,  sowie  der  den  meisten  Artikeln  nach- 
folgenden  Glossenauszüge   ist  stark  vermehrt  worden.    Außerdem  wurden  nunmehr 


LITTERATUK.  253 

Erläuterungen  aus  den  Bildern  beigefügt.  Das  Register  endlich  über  Wörter 
und  Sachen,  dessen  Werth  philologische  Aufklärungen  und  Nachweise  erhöhen, 
wurde  bedeutend  erweitert,  während  ein  zweites  über  Orte,  Länder,  Personen 
und  Stämme  neu  hinzukam.  So  bereichert  in  allen  ihren  Theilen  tritt  die  Ausgabe 
des  ersten  sächsischen  Rechtsbucbes,  die  zugleich  die  schwierigste  war,  ebenbürtig 
neben  die  Ausgaben  der  übrigen  Rechtsbücher  des  Sachsenlande's.  Sie  werden 
gebraucht  werden ,  so  lange  das  deutsche  Recht  der  Vergangenheit  eine  Pilege 
findet,  und  mit  ihnen  wird  der  Name  Homeyers  stets  dankbar  genannt  werden. 
WIEN.  H.  SIEGEL. 

Die  deutschen  Gesellschaftslieder  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhundertes.  Aus 

gleichzeitigen   Quellen   gesammelt    von    Hoff  mann    von    Fallersleben. 

In   zwei   Theilen.   Leipzig,   Verlag   von  Wilhelm  Engelmann.    1860.    8.   XX, 

3  76    und    27  4    SS. 

Die  erste  Auflage  des  vorliegenden  Werkes  erschien  im  Jahre  1844. 
Hoffmann  gebrauchte  damals  zuerst  den  seither  so  geläufig  gewordenen  Ausdruck 
^Gesellschaftslieder"  für  jene  Gattung  der  lyrischen  Poesie,  die  den  Übergang 
von  der  Volksdichtung  des  XIV. — XVI.  Jahrhundertes  zur  eleganten  Kunst- 
lyrik der  schlesischen  Schule  vermittelte.  Die  fleißige  Sammlung,  die  nach  Zeit, 
Inhalt  und  Ausführung  als  eine  sehr  willkommene  Ergänzung  zu  Uhland's  großem 
Liederwerke  gelten  konnte,  ward  sehr  beifällig  aufgenommen,  auch  viel  benutzt 
und  ausgeschrieben.  Doch  während  sich  die  Andern  damit  begnügten,  war 
Hoffmann  selbst  unablässig  bemüht,  das  von  ihm  unserem  litterar -historischen 
Wissen  gewonnene  Gebiet  weiter  zu  erforschen  und  auszubeuten,  wozu  sich  ihm 
bei  seinen  steten  Reisen  vielfach  lohnende  Gelegenheit  bot.  Nun  liegt  als  das 
reiche  Ergebniss  eines  sechzehnjährigen  unermüdeten  Fleißes  die  erwähnte  Samm- 
lung in  neuer  erweiterter  Auflage  vor  uns.  Fast  möchte  man  bei  ihrem  Anblick 
mit  Friedr.   Spee  ausrufen : 

„Wer  will  die  Stücklein   zählen  all, 

So   die   dann   figurieren? 

Concerten,   Fugen,   Madrigal, 

Auf  hundertfalt  Manieren."  (Trutznachtigall   S.    119.) 

Der  Inhalt  der  ersten  Auflage  ist  darin  auf  mehr  als  das  Doppelte  an- 
gewachsen, —  von  198  auf  401  Nummern.  Trotzdem  ist  die  Auswahl  der 
Stücke  so  umsichtig  und  streng,  als  von  dem  Geschmacke  des  Herausgebers  nur 
immer  zu  erwarten  stand.  Was  die  sprachliche  Seite  der  Arbeit,  die  Behandlung 
der  Texte  betrifft,  so  war  schon  die  erste  Ausgabe  ein  Beleg  dafür,  daß  Hoffmann 
in  diesem  Puncte  den  richtigen  Takt  besitzt.  Bei  Entfernung  aller  Verwilderung 
und  Willkürlichkeit  in  der  Schreibung  blieb  doch  geschont,  was  als  Eigenthüm- 
lichkeit  der  Zeit  oder  Mundart  Beachtung  verdiente.  Für  das  Verständniss 
seltener  Wörter  ist  durch  Anmerkungen  unter  dem  Texte  gesorgt.  In  der  Vor- 
rede giebt  Hoffmann  einen  kurzen,  aber  frisch  und  anziehend  gehaltenen  Überblick 
über  die  Geschichte  seines  Gegenstandes  und  verspricht  zum  Schlüsse,  was  auch 
den  Forschern  der  Musik  hochwillkommen  sein  wird :  ein  vollständiges  Ver- 
zeichniss  aller  von  ihm  eingesehenen  und  benützten  Liedersammlungen.  —  So 
sei  denn  die  fleißige,  Ludwig  Unland  gewidmete  Sammlung  auf's  neue  der  Auf- 
merksamkeit  Aller,  die  sich  für  die  Vergangenheit  unserer  Dichtung  interessieren, 
bestens  empfohlen ! 

WIEN.  JOS.  MAR.  WAGNER. 


254  LTTTERATUB. 

Die  Waldstätte  Uri,  Schwyz,  Uuterwalden  bis  zur  festen  Begründung  ihrer 
Eidgenossenschaft,  mit  einem  Anhange  über  die  geschichtliche  Bedeutung 
des  Wilhelm  Teil,  von  Dr.  Alfons  II über,  Privat-Dozenten  an  der  Uni- 
versität zu  Innsbruck.  Innsbruck,  Verlag  der  Wagner'-scken  Buchhand- 
lung   1861.   VIII   und    128    S.    8. 

Wir  müssen  auf  diese  treffliche  Schrift  deshalb  verweisen,  weil  sie  die 
bekannte  Teilsage  einer  gründlichen  Erörterung  unterzieht  (S.  8  9  ff.).  Dr.  Huber 
weist  mit  genauer  Kenntniss  der  einschlägigen  Litteratur  aus  ihrer  Verwandt- 
schaft mit  Sagen  in  andern  Gegenden  nach,  daß  der  Tellschuß  auf  historische 
Wahrheit  keinen  Anspruch  haben  könne,  sondern  daß  ihr  vermuthlich  eine  all- 
gemein germanische  Sage  zu  Grunde  liege.  Die  Zahl  der  drei  Pfeile,  auf  die 
der  Verfasser  namentlich  hinweist,  ist  wohl  ohne  tiefere  mythische  Bedeutung. 
Sie  hängt  zunächst  mit  den  drei  Schüssen  zusammen,  die  in  Freischützensagen 
so  oft  vorkommen.  So  erzählt  Bader,  daß  ein  Jäger,  weil  er  die  drei  Frei- 
schüsse gethan,  alles,  was  er  wollte,  schießen  konnte.  Die  Freischüsse  that  er  so, 
daß  er  auf  ein  Tuch  kniete  und  das  erste  Mal  gegen  die  Sonne,  das  zweite  Mal 
gegen  den  Mond,  das  dritte  Mal  gegen  Gott  schoß,  wobei  vom  Himmel  drei 
Blutstropfen  auf  das  Tuch  fielen.  Bad.  Sagen  Nr.  3  9  3.  Ein  Jäger,  der  auf 
Hohenzollern  diente,  wäre  gern  ein  guter  Schütz  geworden;  deshalb  wollte  er 
drei  Pfeile  auf  ein  Kreuzbild  schießen;  denn  es  hieß:  wer  das  thue,  der  könne 
alles  treffen,  was  er  nur  erreichen  wolle.  Meier,  schwäb.  Sg.  Nr.  325.  Einen  Bauer 
von  Kleinheubach  lehrte  der  Teufel,  wie  man  alle  Tage  drei  sichere  und  gewisse 
Schüsse  thun  könne.  Er  gab  ihm  eine  Wurzel  und  forderte  ihn  auf,  sofort  mit 
ihm  drei  Schüsse  zu  thun.  Er  niusste  zuerst  nach  der  Sonne,  dann  gerade  in 
die  Höhe  nach  dem  lieben  Gott,  das  drittemal  nach  dem  steinernen  Bildstock 
am  Steiner  schießen.  Dafür  hatte  er  jeden  Tag  drei  gewisse  Schüsse ,  so  daß 
er  drei  Rehe,  Hasen,  Enten  oder  andere  Vögel  wegschießen  konnte.  Wolf,  hess. 
Sagen  Nr.  12  4.  Letztere  Sage  ist  Kleinheubacher  Hexenakten  entnommen.  — 
Eine  Sage  von  einem  erbosten  Amtmanne,  der  dreimal  gegen  Himmel  schoß, 
theilt  Temme  mit.  Pommer'sche  Sg.  Nr.  3  64.  —  In  all  diesen  Sagen  tritt  wohl 
die  Dreizahl  nur  deshalb  auf,  weil  sie  dem  deutscheu  Volke  als  die  heiligste 
und  geläufigste  galt.  Wie  oft  kommen  in  deutschen  Märchen  und  Sagen  drei 
Herren,  drei  Geister,  drei  Schwestern,  drei  Geldsäcke,  drei  Blutstropfen  vor. 
Auch  in  dem  Aberglauben  und  abergläubischen  Gebräuchen  spielt  sie  eine  vor- 
ragende Rolle:  z.  B.  um  vor  Brandunglück  sich  zu  schützen,  verschluckt  man 
am  Palmsonntage  drei  Palmkätzchen.  Vernaleken  Alpensagen  S.  343.  Um  vor 
dem  Besuche  der  Hexen  sich  zusichern,  zündet  man  drei  Kerzen  an.  Ebendort. 
—  Unter  drei  Brücken  muß  man  sich  das  Gesicht  waschen,  um  die  Ereignisse 
des  folgenden  Jahres  in  der  Christnacht  zu  sehen.  Tir.  Sitten  Nr.  876.  Zu  drei 
Brunnen  muß  man  in  der  Christnacht  gehen,  um  den  künftigen  Bräutigam  zu 
sehen.  Ebendort  Nr.  906.  Vergl.  Tir.  Sitten  S.  16,  24,  91,  138.  —  Die 
Grundzahl  drei  kehrt  dann  in  den  beliebten  Trilogien  Deutschlands  und  Scan- 
dinaviens   so  häufig  wieder.    Vergl.  Simrock's   Myth.  Nr.    19  0.  ZESTGERLE. 


Frankfurter  Sagenbuch.  Sagen  und  sagenhafte  Geschichten  aus  Frankfurt 
am  Main.  Herausgegeben  von  Karl  Enslin.  Neue  Ausgabe.  Frankfurt 
a.   M.    Verlag   von    II.   L.   Brönner    1861.    291    S.     8. 

Da   im   Munde   des   Frankfurter   Volkes   nur  noch  wenig  Sagenanklänge  fort- 
leben,  füllte   der  Herausgeber  sein  Buch  mit  Stadtgeschichten,  Anekdoten  u.  ähnl. 


LITTERATUR.  255 

Selbst  der  neue  Paris  von  Göthe  muß  herhalten,  um  die  Blätter  voll  zu  machen. 
Deshalb  sagt  Hr.  Enslin  mit  Recht  von  seinem  Buche,  es  sei  nicht  für  wissen- 
schaftliche Zwecke ,  nicbt  von  einem  Wissenden  für  Wissende  geschrieben  und 
es  verlange  nicht,  in  die  Bibliotbekcn  der  Gelehrten  aufgenommen  zu  werden. 
Von  der  schwülstigen  Darstellung  vieler  Nummern  geben  die  drei  Leyern  (S.  16  7) 
eine  entsprechende  Vorstellung,  wo  unter  andern  Apollo  mit  den  drei  Erzengeln 
erscheint  (S.  17  4).  Wir  bewundern  die  Geduld  des  deutschen  Lesepublikums,  das 
sich  noch  solche  Ungereimtheiten  unter  dem  Titel  eines   Sagenbucbes   bieten   lässt. 

ZINGERLE. 

Die  Sprichwörter  und  sprichwörtlichen  Redensarten  der  Deutschen.  Nebst 
den     sprichwörtlichen     Redensarten     der    deutschen     Zechbrüder    und    aller 
Praktik   Großmutter.    Gesammelt  und   mit  vielen   schönen  Versen,   Sprüchen 
und   Historien   in   ein   Buch  verfasst   von  Wilh.   Körte.   Zweite   verbesserte 
Auflage.    Leipzig,   F.   W.   Brockhaus    1861.    XXXII   u.    57  9    S.    8. 
Neben   Simrock's   Werke  :    Die    deutschen    Sprichwörter     (Frankfurt    a.   M. 
1846)   ist   die   vorliegende   Sammlung   entschieden   die  reichhaltigste.   Sie  hat  aber 
vor  jener  eine  wissenschaftliche   Einleitung,   worin   über   den   Begriff,   den  Namen, 
die   Geschichte   und   Litteratur  des   Sprichwortes    gehandelt  wird,   und    schätzens- 
werthe   Aufschlüsse   über  einzelne   Sprichwörter    voraus.      Der    Herausgeber    weist 
bei   Vielen   verwandte   Gnomen   und   Redensarten   anderer  Völker   nach,   oder   gibt 
uns  Bericht  über  die   Genesis    und  das  Altei    derselben.      Durch    solche  Anmer- 
kungen  wird   oft  erst  der  Sinn   vollständig    aufgehellt,    oder  der   Spruch   gewinnt 
durch   das  nachgewiesene   hohe  Alter   noch   höhere  Würde  und  Bedeutung.    Sehr 
wünschenswerth    wäre    es    gewesen,   daß   Hr.   Körte    dabei    mehr    die    mittelhoch- 
deutsche   Litteratur    berücksichtigt    hätte;     denn    viele    dieser    Sprüche    kommen 
schon   im    12.   und    13.   Jahrhundert   als  allgemein  bekannte,   altherkömmliche  vor. 
Ich   verweise   beispielshalber  nur   auf  folgende: 
Zu    1166    halte   man: 

swer  daz  hör  und  den  mist 
rüeret,   daz   ervület  ist, 
der  vindet  niuwan   stanc.      Krone    148  6. 
Zu    1513:     Swenne  dem  esel  ist  ze  wol, 

so   get   er  tanzen   üf  daz   is.      Frauenlist   282. 
Zu    1530:     der   nahtegallen   und   der  krä.  sanc 

die  gebent  ungelichen  klanc.      Krone    6  303. 
Zu    1>823    vergl. : 

an  im  erfulte   diz  mort 
daz   alt  gesprochene   wort, 
daz   da  sprichet,   daz   vil   schcene   si, 
da  lüze   dicke   schade  bi ; 
ez   ensi   ouch  allez   golt    niht, 

daz   man   doch   glizen   siht.      Stricker's  Karl    2  50  0. 
Zu    30  64:     swaz   man   mit  unreht   gewinnet, 
daz   ez   schiere   zerinnet, 
sprechent  joch   diu   kleinen   kint, 
diu  noch   gar  swaches   sinnes   sint.      Krone    20  253. 
—   —   ez   ist   nicht   guot 


256  LITTERATUR. 

mit  Herren  kirsen  ezzen. 
si   hänt   sich   dos   vermezzen, 
wer  mit  in   kirsen  ezzen  wil, 
dem  werfent  si  der  kirsen  stil 
in  diu  ougen.      Boner   8,   3  2    ff. 
Zu    3441:     wer   mit  herren   essen   wil 

kirsen,   dem  werden  gern  die   stil 
geworfen  in  die  äugen 

offenlich  vnd  taugen.      Keller's   altd.  Erzähl.   511,    15. 
i        Zu   3584    u.    3586: 

unrehter   höchmuot 

dem  manne  lihte  schaden  tuot.     Erec    122  9. 
Zu   5173:     man  sol  den  mantel  keren, 

als  ie  die  winde  sint  gewant.      Tristan    2  6  2,   32. 
Zu   5599:     man  sol  narren  mit  ktlben  lüsen. 

Ritter  mit  den  Nüssen    196. 
Zu   637  7:     ein  alt  Sprichwort  giht : 

alt  schult  lit  und  rostet  niht.      Krone    1883  6. 
Zu   6910:     selbe  taste,  selbe  habe.      Rudolf  von  Fenis.  MSF.   85,    2  2. 
nu  sol  ichz   ouch  von  schulden   tragen, 
wan  ich  ie  horte  sagen : 
selbe  taete,  selbe  habe.      Krone   6810. 
selb   tet,  selb  hab,   der  schade  si  din.      Boner   2  4,    40. 
Diese  Beispiele  mögen  genügen.      Wie   viele  ließen  sich    im  Freidank,  im 
deutschen   Cato ,   bei  Boner  und    andern    nachweisen!   —    Wie    reich    sind    noch 
die  Schriftsteller  des    16.  Jahrhundertes    an    alten    körnigen    Sprichwörtern!   — 
Luther ,    Fischart    und    Nas    haben    einen    wahren    Schatz     derselben    in    ihren 
Schriften    niedergelegt.     (Über    Sprichwörter    beim    letzten    s.    Schopfs    Johannes 
Nas  p.    20.)  Durch  solche  Nachweise  hätte  Körte's  reiche  Lese  gewiss   an  Werth 
noch  gewonnen.  Dagegen  hätten  manche  Sprüche  griechischer  Schriftsteller  außer 
den   Anmerkungen   wegbleiben  können.      Denn    selbst    Euripides    sinnreiche    Sen- 
tenzen gehören   doch  nicht  als  solche  in  eine  Sammlung  deutscher  Sprichwörter. 
—   Die  Redensarten   der   deutschen  Zechbrüder  und  der  alte  Wetterkalender  sind 
willkommene   Beigaben.  I.  V.  ZINGERLE. 


VERBESSERUNGEN. 


Jahrg.  VII,  S.  115,  Z.  6.  lies:  nicht         Z.  22.  ein  paarmal  vorkommenden 
S.  116,  7.  Cosmogonie         S.  117,  7.  stören         S.  205,  Z.  13  v.  u.  humt  kommt  noch  bei 
Ottokar  vor,  z.  B.  die  da  ze  helf  und  ze  wer  sant  dem  kilnic  Ruodolf  der  Salzpurger pischolf 
der  icas  icol  dreu  hunt.  von  in  wart  geiuunt  vil  manger  polänischer  gast.  Cap.  159,  51  ff. 

Pfeiffer. 


—  '-~jft-i  i 


DTE  PARTIKEL  A. 


Grimm  bemerkt  darüber:  „der  mhd.  Sprache  eigenthümlich  ist 
eine  Partikel  d,  die  sich  an  andere  laut  ausgerufene  Wörter  hängt  und 
sie  dadurch  sinnlich  zu  Interjectionen  stempelt.  Da  zuweilen  8  ge- 
schrieben wird  und  dieses  d  als  Vocativsuffix  erscheint  (s.  289  Anm.), 
könnte  man  sie  für  identisch  mit  der  unter  a  verhandelten  Partikel  halten, 
oder  für  ein  abgekürztes  ah  ?  vielleicht  entsprang  sie  aber  auch  aus  io  (s.  2 1 9). 
Bald  lautet  sie  aus,  bald  steht  sie,  wenn  sich  das  Hauptwort  wiederholt, 
in  der  Mitte;  im  Ganzen  gleicht  sie  dem  ebenfalls  angehängten  oder 
in  die  Mitte  tretenden  ags.  la  !  unverkennbar."  (Gramm.  3,  290).  Ist 
diese  Partikel  auch  nur  ein  unbedeutendes  Sandkorn  im  mhd.  Sprach- 
schatze, so  ist  sie  dennoch  unserer  Aufmerksamkeit  nicht  unwerth. 
Schon  das  plötzliche  unerwartete  Auftauchen  derselben  erst  im  Mittel- 
hochdeutschen erregt  unsere  Aufmerksamkeit.  Zudem  macht  diese 
volltönende  Silbe  in  Verbindung  mit  wiederholten  Imperativen  eine 
nicht  verkennbare  Wirkung.  Sie  gibt  der  Befehlsform  eine  eigenthüm- 
liche  Kraft,  einen  stärkeren  Nachdruck,  als  bei  unsern  Imperativen 
möglich  ist.     Wie  viel  nachdrucksvoller  ist  das  Walthersche: 

bekerä  dich,  bekere  9,  12, 
als  das  neuhochdeutsche : 

Bekehre  dich,  bekehre. 

Es  darf  uns  deshalb  nicht  wundern,  wenn  das  ä  so  oft  wieder- 
kehrt, wenn  manche  Wiederholungen  der  Imperative,  Substantive  und 
Partikel  beinahe  sprichwörtlich  geworden  sind.  Ich  verweise  nur  auf: 
xcichä ,  wiche;  hlingä,  klinc;  stichä ,  stich;  dringä,  drine;  Letzteren  Bei- 
spielen gibt  das  gedehnte  ä  einen  Wohlklang,  der  sich  im  Neuhoch- 
deutschen nicht  wiedergeben  lässt.  Noch  malerischer  erscheint  es 
manchmal,  wenn  ä  zweimal  gebraucht  wird  z.  B. 

trinkä,  herre,  trinkä,  trinc.     Helmbrecht  986. 
Es  mögen    diese   Eigenschaften    der   bisher  wenig    beachteten   Partikel 
mich  entschuldigen,  wenn  ich  ihr  eine  eingehendere  Betrachtung  widme. 

GERMANIA  VII.  ]7 


258  I.  V.  ZINGERLE 

Ich    gehe   zunächst    von    dem    Gebrauche    derselben  aus ,    dem  ich  am 
Schlüsse  die  sich  ergebenden  Resultate  folgen  lasse,     a  wird  suffigiert 
Partikeln,  Substantiven  und  Imperativen  schwacher  und  starker  Verba. 
I.  Wenn  sie  nur  einmal  stehen: 

1.   Bei   Partikeln. 

neinä,  herre  Sivrit,  ja  vürht  ich  dinen  val.     Nibel.  932,   1. 

neinä,  herre  Bioedel,  ich  bin  dir  immer  holt.      „      1954,   1. 

neinä,  herre  Bloedel,  sprach  do  Dancwart.         „      1976,   1. 

neinä,  herre  Dietrich,  vil  edel  ritter  guot.  „      2038,   1. 

neinä,  Hinnen  recken,  des  ir  da  habet  muot.     „     2156,   1. 

neinä,  küniginne.   Johansdorf.    MSF.  93,  24. 

neinä,  trüt  geselle.     Lanzelet  950. 

neinä,  trat  geselle  min.     „      5212. 

neinä,  helt,  daz  verbir.      „      7904. 

neinä,  werder  degen  balt.     Parz.  213,  3. 

neinä,  herre  guoter.  „       476,   14. 

neinä,  herre,  sist  so  guot.     Walther  14,  18. 

neinä,  frowe,  daz  sis  iht  enge!    „  41,  8. 

neinä,  daz  wser  alze  sere.  „         73,  28. 

,neinä,  herre!'  sprach  er  do.     Wigal.  50,  24. 

er  sprach:  neinä,  vrouwe  min.  Mai  33,  23. 

neinä,  saelic  vrouwe  guot.  „     66,  9. 

neinä,  lieber  osheim  min.  „     112,  39. 

neinä,  lieber  sun  vil  guoter.     Helmbrecht  1098. 

neinä,  herre,  lät  mich  betagen  „  1733. 

neinä,  roter  munt,  so  lache  mir  durch  dine  güete.     Neifen  8,  3. 

si  sprach:  „neinä,  Hartmuot.     Gudrun   1294,   1. 

neinä  künik  riche.     Rabenschlacht  419,   1. 

neinä,  lieber  ceheim  min          „  943,   1. 

neinä,  vil  lieber  bruoder.     Rosengarten  551. 

neinä,  vil  werder  Egge.     R.  Ecke   137,  3. 

neinä,  herre  Dieterich.     Rother  1985. 

neinä,  herre  Asprian.  „        4632. 

neinä,  mäge  und  man.  „        4809. 

neinä,  herre,  sprächen  sie.     K.  Pass.  513,  4. 

neinä,  tugentricher  helt.     Trojanerkrieg  4272. 

neinä,  süezer  friunt,  nü  sage.     Engelhart  5930, 

neinä,  helfet  vro  beliben.     MSH.  II,  73". 

neinä,  min  zertel,  lä  dich  noch  erbarmen.     MSH.  H,  23*. 


DIE  PARTIKEL  A.  2f>!> 

neinä,  tuoz,  e  mich  der  zit  betrage.     MSH.  I,  163*. 

neinä  blibet,  frowen  min.     Meleranz  4810. 

neinä,  degen  üz  erkorn.  „  5158. 

neinä,  ir  habt  noch  einen.     Sibots  Frauenzucht  553. 

neinä,  liebe  tohter.  „  „  565. 

neinä,  trat  geselle.    Teufelsacht   138. 

neinä    lihe  im  etswaz  an.     Nackter  König  160. 

„neinä!"  sprach  diu  alte  müs.     Boner  43,  62. 

neinä,  trut  geselle  min.  „       59,  49. 

nainä,  helt  und  kunig  herleich.    Kellers  altd.  Erz.  6,   14. 

nainä,  ziere  helt  guot.    Ottokar  206*). 

—       —     —    nainä 
man  sol  in  län  genesen.    „        235a**). 
„iarä!"   sprach  Wolfhart.     Biterolf  11106. 
iariä,  wä  is  Constantin.     Rother  2856. 
iariä! —  sprach  Constantin.   „         3045. 

„jariä"  sprach  Hagene,   „waz  haben  wir  getan."     Nib.  446,  3. 
diu  sei  sprach:  iariä.     Tundalus  51,  30. 
jariä  der  klagelichen  zit.     Warnung  3013. 
eiä,  herre  got  der  guote.     Iwein  1610. 
eyä,  Gyburc.     Wolfr.  Willeh.  14,  28. 
eiä,  arme,  wie  ich  nu  virstözin  bin.     Rother  1466. 
eiä,  türlicher  degin.  „        2811. 

eiä,  buole,  blib  durch  mine  bete.     Georg  747. 
eiä,  bruoder,  tuo  mir  daz  bekant.  „     1285. 
eiä,  süezer  got!  „     2029. 

eiä  wol  im.  Lobo-esaner. 
eiä  got  herre.     Renner  6193. 

eiä  zartez  kindelin.     Grieshabers  Predigten  II,  4. 
ei  ja,  vrouwe  sant  Gedrüt!     Rittertreue  252. 
eijä,  süeze  wol  getane.     Frauenlist  360. 
eijä,  du  rehter  tore.     Marien-Bräutigam  54. 
der  schuoler  sprach:  eijä,  durch  got.     Maria  u.  Schüler  288. 
eya,  wie  rechte  wol  mir  ist.     K.  Passional,  180,   17. 
eya,  du  ungetruwer  man.  „  180,  56. 

eya,  sag  an  sunder  spot.  „  186,   17. 

eya,  liebe,  nu  sage.  „  194,  88. 


*)  So  lese  ich  statt  naida> 
**)  nainda. 


17 


260  J-  v-  ZINGERLE 

eya,  als  ir  mir  schribet.  K.  Passional,  199,  17. 
eya,  sprach  Gregorius.  „  203,  79. 

eya,  liebe,  seht  ir  icht.  „  222,  53. 

eya,  wa  ist  gewest  din  sin.  „  226,  56. 

eya,  herre,  tut  so  wol.  „  296,  6. 

Cristoforus  sprach:  eya  nein      „  348,  58. 

eya,  kint,  eya  kint.  „  349,  77. 

eya,  lieber  vater  min.  „  379,  85. 

eya,  dürftige,  nu  swic.  „  382,  56. 

eya,  lieber  bruder  min.  „  399,  75. 

eya,  wie  daz  die  muter  sneit.    „  416,  86. 

eya,  so  la  dich  gezemen,  „  417,  16. 

eya,  wie  unmazen  vro,  „  420,  8. 

eya,  saget  mir  vurbaz,  „  420,  91. 

eya,  wer  mac  dir  gesagen  „  461,  81. 

„eya,  liebe",  sprach  si  do,  „  463,  51. 

eya,  torechter  man,  „  463,  85. 

heya,  ritter,  wis  et  fro.  Helmbrecht  1026. 
heia!  ez  was  äne  mäze  staete.    Rabenschlacht  627,  5. 
heiä!  der  edle  vogt  von  Berne  „  920,  5. 

heiä!  nü  bite,  recke  masre,  „  945,  5. 

heiä!  er  begunde  vaste  gähen  „  661,  5. 

heiä,  waz  der  kaffere  was.  Rother  246. 
heiä,  gewalt  unt  wistnom.  Anegenge  28,  38. 
nü  heiä,  Tanhüsaere.  MSH.  II,  87 a,  88a,  89\ 
heiä,  sumerwunne.  II  87\ 

a  heya!  wie  sein  stolzer  leib.  Suchenwirt  XV,  26. 
nurä,  edele  riterschaft.  Wälsch.  Gast  11360. 

2.  Bei  Substantiven. 

Wäfenä,  wie  hat  mich  Minne  geläzen.  Hüsen  MSF.  52,  37. 

ziehent,  herze,  wäfenä.  MSH.  H,  91b,  92\ 

wäfenä  der  leide.  I,  l7lb. 

der  ungetriwe  wafeno  rüefet.  Parz.  675,  18. 

lüte  schrei  er:  wafino.  K.  Passional  422,   18. 

gnädä,  lieben  herren  min.  Heidin  ed.  Bartsch  163. 

gnädä,  lieber  wirt  „  557. 

süsä,  wie  wunnekliche  der  üz  Oesteriche  vert.  MSH.  IL  233b. 


DIE  PARTIKEL  Ä.  261 

3.    Bei    Verben. 

a)   sehwache: 
hcerä,  Walther,  wiez  mir  stät.  Walther  119,   11. 
„horä"   sprach  dirre,   „horä"   sprach  der.  Tristan  94,  37. 
dö  sprach  der  bischof:  „horä  hie.  Maria  u.  Schüler  264. 
hora  wunder!  sprachen  si.  H.  Passional  188,  40. 
diu  hörn  bediutent,  hoerä  waz.  Frauenlob  171,   13. 
„hoerä"   sprach  die  junge  MSH.  I,   1516. 
nu  hoerä,  du  vil  siecher  man.  MSH.  III,  239b. 
hora  wunder,  sprach  er  do.  K.  Passional  302,  49.  537,  9. 
losä  wie  die  vögele  alle  doenent.  Neidhart  27,  3. 
losä  durch  des  tiuvels  tot.  Ritter  unterm  Zuber.  368. 
nu  kerä,  helt  mrere.  Rabenschlacht  939,  1. 
nu  kerä,  degen  msere.    Ecke  Str.  74,  3.  Str.  93,  3. 
nu  kerä,  helt,  her  ane  mich.         „  Str.  78,   1. 

nu  kerä,  degen  here.  „  Str.  96,  3. 

kerä  dich  umbe  unde  sprich.  Irregang  1155. 
sie  riefen  alle:  kerä  dan.  Barlaam  308,  37. 
hurtä:  lät  die  tjoste  tuon.  Parz.  597,  25. 
hurtä,  wie  da  gehurtet  wart.  W.  Willehalm  54,  9. 
hurtä,  wiez  da  wart  getan.  „  77,  22.  Parz.  673,   10. 

hurtä,  wie  die  getouften 

borgeten  und  verkouften.  373,  21. 

hurtä,   waz  in  nu  strites  kumt.  „  37i',   11. 

hurtä,  wie  der  markis.  „  420,   15. 

hurtä,  wie  daz  versuochet  wart.        „  430,  23. 

hurtä,  waz  mit  sporn  wart  gezwicket,  j.  Tit.  3252,  2. 
hurtä,  welch  gedrenge!  j.  Titurel  2181. 
hurtä  zuo!  Gerhart  3642. 
hurtä,  ir  degen  masre*  Helbling  XIII,   182. 
nu  merkä,  wiser  meister.  Wartburgkrieg  ed.  Simrock  67,   13. 
nu  wachä,  kint.  „  57,  3. 

lonä,  küneginne!  ich  bin  der  lones  gert.  Neidhart  58,  33.  ■ 
nu  sagä  mir,  Hiltebrant.  Dietrich  und  Gesellen  Str.  598,  2. 
sagä  mir,  herze,  dinen  müt.  Bartsch  Heidin  623. 
sagä,  waz  wiltu  mich  mane?  Bartsch  alt.  Weib.  List  104. 
sagä,  waz  solde  mir  din  here  „  204. 

sagä  ane,  waz  seint  deineu  lait.  Keller  altd.  Erz.  143,  36. 
wartä,  wie  diu  heide  stät.  Hartmanns  Lieder  23,  8.  MSH.  I,  330b. 
wartä,  waz  dar  inne  si.  Frauenlist.  604. 


262  l  v    ZINGEKLE 

„wartä"  sprach  der  Reusse.  Ortnit  Str.  408,  1. 

wartä,  trüt  geselle  min.  Boner  52,  25. 

er  sprach :  warta,  sun  mein.  Keller,  altd.  Erz.  498,  26. 

warta,  traut  geselle.  „  „  499,  18. 

er  sprach:  warta  hynder  dich.   „  „  „      499,  32. 

wartä  zuo  den  noeten.  Ottokar  22a. 

liep,  trostä  mich.  Bartsch  Brechenleit  213. 

noch  trcestä  du  mich,  soelik  wip.  Frauenlist  406. 

gedenkä,  tohter,  daz  ich  dich  truok.  Frauenzucht  586, 

nu  ruorä  du  den  hozel  bozel  vaste.  MSH.  II,  116a. 

nu  werä  dich,  vil  werder  vürste  Amur.  H.  MS.  II,  313\ 

do  stuont  sin  sin,  sin  wort,  sin  rät 

üf  anders  niht  wan:   „leschä,  herre!"  MSH.  II,  233\ 

„sucba"   sprach  do  vurbaz    K.  Passional  229,  36. 

susä  süsly.  Wolkenstein  XXX,  3,  34. 

hin  get  der  maie,  seusa  mostl     „     LVIII.  5,   1. 

nur:  mordä!  scheuz,  stich  und  slach.  Suchenwirt  X,   190. 

6)  starke: 
nu  rata,  degen  küene.  Nibel.  315,  4. 
rata,  lieber  Hafenruoz.  MSH.  III,  2406. 
nu  stritä  durch  eren  solt.  Dietr.  Gesellen  Str.  548,   11. 
hilfä,  lieber  bruoder.  Nibel.   1653,  2. 
hilfä,  künio  here.  Gudrun  686,  2. 

mit  lauter  stimme:  hilffa,  ja.  Keller  altd.  Erz.  529,   14. 
und  haltä  du,  getriuwer  degen.  Trojan.  Krieg  30304. 
„swigä!"   sprach  her  Dieterich.  Alphart  32,  4. 
sweyga  vnd  habe  gemach.  Keller  altd.  Erz.  53,  24. 
läzä  hiute  schinen  den  tugentlichen  muot.  Nibel.  2038,  2. 
nu  läzä  mich  doch  hceren.  Ortnit  133,  1. 
läzä  klingen!  waz  do  swerte  erklanc.  Willeh.  413,   1. 
läzä  näher  rücken!  „  440,  20. 

läzä  mich  dich,  liebez  lieb,  erbarmen.  MSH.  H,  21 b. 
läzä  wichen.  MSH.  I,   142a. 

„sichä!"  sprach  der  geselle.  Marienlegenden  25,  78. 
wichä,  herre,  lä  wichen,  j.  Titurel  1969,  2. 
wirrä,  wie  geworren  wart  da  an  allen  siten     „     4087,   1. 
nu  swerä,  lieger.  MSH.  II,  250". 

n.  Oft  kommt  ä  bei  Wiederholung  des  Wortes  vor.  Gewöhnlich 
ist  es  dann  nur  dem  ersten  Worte  angehängt. 


DIE  PARTIKEL  Ä.  263 

I.  Bei  Partikeln. 
Neinä,  tohter,  neine.  Neidhart  4,  1). 
si  sprach:  „neina,  vater,  nein."  Mai  23,  29. 
neinä,  liebiu  mnoter,  nein.  „       67,  33. 

do  sprach  diu  vürstin:  neinä,  nein.  Lohengrin   1061. 
si  schrei  lüte:   rneinä,  herre,  nein!"  Frauenzucht  584. 
neinä  nein!  da  wurd  ich  liht  ze  here.  MSH.  III,  260. 

Ottokar  fügt  einmal  beiden  nein  die  Partikel  d  bei: 
nainä,  herr,  nainä!  755b. 
„järä  ja!"   sprach  Hagene.  Nibel.  488,  3. 
„järä  ja!"  sprach  dö  Wolfhart.  Bitterolf  7875. 
järä  ja ! 

wie  die  megde  den  selben  lobent.  MSH.  II,  113b. 
sie  schryen  alle:  jorä  jo!  Keller  altd.  Erz.  456,  27. 
owe  und  heia  hei.  Ulrichs  Trist.  585,  38. 
owe  unde  heia  hei.  Parz.  103,  19.   160,  3.  403,  16.  496,  22. 
der  künec  rief  lüte:  heiä  hei.  Parz.  525,  24. 
unt  ruofet 

ez  lüte:  heia  hei.  MSH.  I,  142°. 
schrient  alle:  heia  hei!  MSH.  I,  147b. 
heiä  nu  hei.  MSH.  H,  85b,  89a. 

heiä  hei!  sist  ze  lange  gewesen  üz  miner  huote.  MSH.  II,  91b. 
heiä  hei,  daz  waere  aller  dienste  ein  Überguide.         „  II,  92\ 

heiä  hei,  brachte  ich  die,  wie  lieb  ich  danne  waere.  Ebendas. 
heiä  hei!  unt  waer  ich  da  der  gere.  MSH.  III,  260*. 
nu  singe  ich  aber  hei, 
heiä  nu  hei.  MSH.   H,  87\ 

man  dorft  niht  ruofen:   „herä  her!"   Wigalois  278,  28. 
der  sol  komen :  herä  her.  Lichtenstein  69,  20. 
da  ruoft  vil  maneger:  herä  her.     „       287,  11. 
nu  herä  her!  MSH.  H,  364". 
hie  kumt  der   anker,  fiä  fi.   Parz.  80,  5. 
da  schrei  man  immer  fiä  fi.  Georg   154. 
wohrä  woch,  waz  sol  daz  sin?  Parz.  584,  25. 
so  trinkt  der  sibende,  worä  noch.  Haslau  496. 

2.  Bei  Substantiven. 

nu  tuo  her  sperä  sper.  Lichtenstein  79,  24. 

wir  ruoften  beide :  sperä  sper.     „       462,  23. 

sperä  her!  sperä  her.  Ritter  m.  d.  Bocke.  Innsbr.  45.   1096. 

wäfenä,  herre,  wäfen.  Flore  6388. 


2(34  I.  V.  ZINGERLE 

du  wart  von  Schilden  stöz  vernomen, 
und  von  seheften  krachä  krach.  Lichtenstein   177,  29. 
man  hört  da  niht  wan  krachä  krach.     „  488,   31. 

der  erste  sprach:  „so  süsä,  süs!"  Zwei  Kaufmänner  327. 

3.    Bei   Verben. 
a)  schwache: 
bekerä  dich,  bekere.  Walther  9,   12. 
heyä,  nü  kerä,  helt,  nü  kere.  Rabenschlacht  937,  5. 
die  riefen  alle  kerä,  ker.  Parz.  181,  14. 
kerä,  helt,  kere.  Ulrichs  Tristan  545,  13. 
kerä,  ritt  er,  nu  kere.  Krone  3736. 
nü  krazzä  kraz.  Schrätel  258. 

ir  gelfer  lüt  ist :  „kroenä,  künic,  kroene!"  Frauenlobs  Frauenleich  8,  5. 
leschä,  lesen,  verschamtiu  weit.  MSH.  II,  22 lb. 
so  schrit  der  wahter  wartä,  wartä.  Renner  8920. 
wartä  zuo  dir,  wartä  dar.  „         8917. 

wartä,  herre,  wartä.  Ottokar  31 0\ 
wartä,  wartä!  waz  ist  daz?  Boner  20,  34. 
wartä,  wartä!  sehent  an.  „         52,  69. 

losä,  herre,  los  Ottokar  231". 
losä,  her,  nu  los.     „        309". 
lesä,  losä,  wie  die  vogel  singent.  MSH.  I,  25b. 
beita,  vater,  beite.  K.  Passional,  534,  71. 
hurtä,  hurtä,  Ungerlant.  Suchenwirt  I,  207. 

b)   starke: 
bliuwä,  herre,  bliu.  Ulrichs  Willehalm   146". 
nu  dar  näher  dringä,  drinc.  Parz.  220,  28. 
dringä,  ritter,  dringe.  Krone  810. 

und  sach  da  niht  dan  dringä,  drinc!  Frauen  Turnei  260. 
nu  hin  dar  näher!  dringä,  drinc!  Gerhart  3640. 
hin  zuo  vrunden  dringä,  drinc.  Haupt  Zt.  III,   13. 
von  frouwen  zoumen  klingä,  klinc.  Parz.  681,  29. 
da  bi  von  swerten  klingä,  klinc.  „       69,  14. 

man  hört  da  niht  dan  klingä,  klink.   Fr.  Turnei  259. 
wichä,  herre,  wiche.  Wigal.  80,   16.  Meleranz  8143.  Krone  822. 
a  wichä,  wich!  MSH.  II,  365". 
ävoi,  wichä,  herre,  wiche.  Meleranz  1033. 
si  ruoften  alle:  wichä,  wich.  Lichtenstein  172,  5. 
—  wichä,  wich 
ruoft  man  dö  beide  dort  unt  hie.      r  193,   J0. 


DIE  PARTIKEL  Ä.  265 

wichä  wich,  lä  wichen  !  Gerhart  3641. 

und  schre:  her  weichä,  weich.  Maget  Krone   1156. 

stichä  stich!  slahä  slach.  Helmbrecht  1029. 

was  anders  niht  wan  slahä  slach  und  stichä  stich.  Trojan.  Krieg  48251. 

wan  da  was  niht  wan  slahä,  slach.  Reiher  386. 

nn  slahä  slach!  nu  klingä  klinc.  Heinrichs  Tristan   1806. 

slahä  slach!  vähä      väch.  Ottokar  158a. 

nu  vähä,  herre,  väch.  Nibel.   1612,  2. 

si  schriren  alle:  vähä  väch.  H.  MS.  H,  114a. 

dö  schrei  niemant:  vächä  väch.  Suchenwirt  X,   189. 

hie  garzüne  ruofa  ruof.  Parz.  72,  2. 

die  toren  sprechent  „snia  sni."  AValther  76,  1. 

„haldä,  morder,  halt!"   er  rief.  K.  Passional  15,  30. 

läzä  läz  daz  tengeln.    Georg  1234. 

nü  bizä  biz!  nü  limmä  lim! 

nü  krazzä  kraz!  nü  krimmä  krim!  Schrätel  257. 

III.  Wird  das  Wort  dreimal  oder  öfters  wiederholt,    so  ist  ä  ge- 
wöhnlich zweimal  gebraucht,   z.  B.: 

1.  Bei  Partikeln. 

fiä  fiä  fie, 

fi  ir  vertäuen!  Parz.  284,   15. 

2.  Bei  Substantiven, 
sperä,  herre,  sperä  sper.  Parz.  79,  24. 
Derselbe  Vers  begegnet  bei  Ulrich  von  Lichtenstein.  74,  23. 

3.   Bei  Verben. 

a)   schwache: 
jagä,  ritter,  jagä  jac.  Helmbrecht  1028. 
werä,  werä,  herre,  wer.  Georg  5011. 
hm-tä,  hurtä,  hurte.  W.  Willehalm  404,  3. 

b)   starke: 
wetä,  herre,  wetä  wet.  Parz.  74,  26. 
trinkä,  herre,  trinkä  trinc!  Helmbrecht  986. 
wichä,  herre,  wichä  wich.  Lichtenstein  237,  28.  285,  20. 
wichä,  herre,  wichä  wich  ! 
wichet,  lät  jostierens  pflegen.        „  484,  6. 

Eine  Ausnahme    davon   macht   der  Dichter    des   h.  Georg ,    wenn 
er  das  ä  am  dritten  Platze  gebraucht,  z.  B.: 
kerä,  edeler  ritter,  kere, 
kerä  durch  din  wirdekeit.  5490. 


2(36  IJ    V-  Z1NGEKLE 

und   der    Dichter   des    Passionais,    der    einmal    das  ä   nur  dem  ersten 

Worte  anhängt: 

kerä,  swester,  kere, 

kere  von  der  sunden  noch.  H   Passional  369,  84. 

Ein  merkwürdiges  Beispiel   von  dem    noch  öftern  Gebrauche  der 
genannten  Partikel  gibt  Heinrich  von  Morungen,  wenn  er  singt: 
Du  sprichest  iemer  neinä  nein, 
neinä  neinä  neinä  nein      MSF.   137,  21. 
Durchgeht  man  die  hier  mitgetheilten  Beispiele,  so  ergibt  sich: 

1.  Daß  die  Partikel  ä  erst  gegen  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
angehängt  wird.  Die  ältesten  Beispiele  geben  Ulrich  von  Zazikhoven. 
H.  v.  Morungen ,  Konrad  Fleck.  Später  mehren  sich  dieselben.  Am 
häufigsten  gebraucht  es  Wolfram,  während  andere,  z.  B.  Gottfried  von 
Straßburg,  sich  desselben  ganz,  oder  größtentheils ,  z.  B.  Rudolf  v. 
Ems,  enthalten. 

2.  Am  öftesten  kommt  ä  vor,  wenn  das  Wort  nur  einmal  gesetzt 
wird;  namentlich  tritt  es  bei  den  Partikeln  nein,  ja,  ei,  hei  auf.  Selten 
wird  es  Substantiven  angehängt.  Es  scheint  sich  hier  auf  wäfen,  gnade, 
süs  zu  beschränken.  Es  tritt  ohne  Unterschied  der  Form  an  starke  und 
schwache  Verba  bei  der  2.  person.  sing,  des  Imperativs. 

3.  Wird  ein  Wort  wiederholt,  so  wird  ä  das  erste  Mal  gesetzt, 
z.  B.  neinä  nein,  järä  ja,  heia  hei,  fia  fi,  sperä  sper,  krachä  krach, 
süsä  süs,  kerä  kere,  losä  los.  —  Nur  bei  warten  wird  ä  beidemal  gesetzt 
wartä,  wartä.  —  Ausnahmsweise  finden  sich  losä  losä,  nainä  nainä, 
hurtä  huriä. 

4.  Seltener  finden  sich  dreimalige  Wiederholungen.  In  diesem 
Falle  ist  es  Kegel,  daß  ä  die  beiden  ersten  Male  gesetzt  wird,  z.  B, 
fia,  fia,  fie;  sperä,  sperä,  sper;  jagä,  jarjä,  jac ;  tritt kä,  trinkä,  trinc  etc. 

Eine  Ausnahme  von  der  Regel  bildet,  wenn  ä  das  erste  und  dritte 
Mal  gesetzt  wird,  wie  es  in  der  Georgslegende  vorkommt,  oder  wenn 
es  nur  das  erste  Mal  antritt,  wie  im  Passional. 

5.  Es  finden  sich  aber  auch  bei  Dichtern ,  die  das  ä  brauchen, 
Beispiele,  daß  sie  bei  Wiederholungen  es  nicht  anwenden,  z.  B. : 

schone,  herre,  schone, 

schone,  unser  armen  vurbaz  me.  K.  Passional  237,  76. 
höre  uf,  höre  uf,  vrowe  gut.  ..  330,  93. 

ja  ich,  herre,  ja,  ja.  „          360,  35. 

„nein,  nein,"   sprach  si  darzu.  „  416,  76. 

kere,  ritter,  kere.  j.  Tit.    1310,  2. 
nu  wein,  Sigün,  nu  weine.     „      1339,  1. 
slach.  slach  her,  slach.  Ottokar  235". 


DIE  PARTIKEL  A.  267 

6.  Tritt  das  ä  an  ein  mit  Vocal  auslautendes  Wort,  wird  der 
Hiatus  durch  ein  eingeschobenes  r  vermieden,  z.  B.  järä  ja,  nura. 

7.  Statt  des  ä  begegnet  uns  im  baierischen  Dialekte  ö,  z.  B. 
tcäfeno. 

Was  die  Herkunft  dieses  ä  betrifft,  so  ist  es  nach  meiner  Über- 
zeugung die  Interjektion  «,  die  manche  Dichter  selbständig  dem  Worte 
vorsetzen,  z.  B.  : 

ä  wie  sere  ers  da  ze  stede  entgalt.  Alexmiderlied  611. 

ä  wie  erhafte  sie  im  ze  gegene  quämen. 

ä  waz  Gapadotia  gebrach. 

ä  waz  ime  da  helede  tot  beleih. 

ä,  Tristan,  wsere  ich  alse  duo.  Tristan  94,  30. 

ä,  herre  got,  durch  din  gebot.        „ 

ä,  sprach  er  aber,  trüt  vater  min.  „ 

ä,  herre!  sprächens  under  in.  „ 

ä,  herre,  sprächens  alle  do.  „ 

ä,  neve,  daz  ich  dich  ie  gesach.    „ 
Grimm  bemerkt    (Gramm.  III,    291) 
mhd.  Periode  überdauert   zu  haben,  wenigstens  gebraucht  noch  Fischart 
im  Garg.  241b  horcha  sunl  247"  höra!  96a  lerma.u 

Ob  das  ä  noch  jetzt  fortlebe,  kann  ich  nicht  darthun.  Dagegen 
wird  das  dem  ä  entsprechende  Suffix  o  im  baierischen  Dialekte  noch 
gebraucht,  z.  B.  slillo,  hcerö,  muedero  (Schmellers  b.  Wörterbuch  I,  8). 
Daß  dies  Suffix  6  in  Tirol  noch  fortdauere ,  wird  J.  B.  Schöpf  in 
seinem  tirol.  Wörterbuche  nachweisen. 

INNSBRUCK,  15.  Juni  1862.  I.  V.  ZINGERLE. 


n 

705. 

» 

752. 

» 

779. 

94,  30. 

98,  2. 

101,  11. 

147,  22. 

155,  21. 

167,  6. 

„dieses 

Suffix 

scheint  die 

KLEINERE  MITTHEILUNGEN 


VON' 

KARL  BARTSCH. 


J.  EIN  ALTHOCHDEUTSCHES  BRUCHSTUCK. 

Der  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  1855,  Sp.  80, 
theilte  aus  einer  dem  germanischen  Museum  gehörigen  Handschrift 
(Nr.  1266),  die  Gregors  Moralia  über  Hiob  enthält  (Pg.  kl.  fol.  10.— 11 
Jahrh.),  folgende  althochdeutsche  Verse  mit,  die  schon  vorher  Mass- 
mann im  neuen  Jahrbuch  der  berlinischen  Gesellschaft  10,185  hatte 
abdrucken  lassen,  und  die  ich  hier  in  etwas  besserer  Schreibung  wie- 
derhole: 


268  KARL  BARTSCH 

ja  diu  sele  adelfrouwe 

diu  get  diu  for  der  ir  diuwe. 

der  licham  ist  der  sele  chamerwip, 

er  mac  ir  Verliesen  den  ewigen  lip. 
5  diu  sele  shol  ir  selber  raten, 

al  guot  der  diuwe  gebieten. 

siu  shol  irsterbin  dur  diu  chint, 

diu  des  lichamen  ubeliu  werc  sint. 

siu  shol  edeliu  chint  gewinnen, 
10  di  siu  mage  ze  dem  gotes  erbe  bringen. 

2  u  for  den.     5  ratent.     6  gebitent.     8  ubeluu  wec.     10  brigen. 

Daß  diese  Verse  schon  anderweitig  bekannt  waren,  scheint  noch 
nicht  bemerkt  wrorden  zu  sein.  Sie  gehören  dem  in  der  Vorauer  Hand- 
schrift Bl.  97a  — 98c  stehenden  Gedichte  an ,  dem  Diemer  den  Titel 
'Die  Schöpfung'  gegeben  hat.  Die  angeführten  Verse  stehen  bei  Die- 
mer 102,  1 — 10.  Der  Text  stimmt  mit  Ausnahme  der  beiden  ersten 
Zeilen,  die  bei  Diemer  lauten:  Gotis  bruth  duo  seil  adilurowi  .  uorchti 
du  der  iri  duwi,  sehr  genau. 

2  SANTE  MARGARETEN  MARTER. 
Das  unter  diesem  Namen  von  mir  in  der  Germania  4,  440  —  459 
herausgegebene  Gedicht ,  welches  ohne  Zweifel  dem  zwölften  Jahr- 
hundert angehört ,  und  von  welchem  Jos.  Maria  Wagner  eine  zweite 
Handschrift  in  Klosterneuburg  aufgefunden  hat  (vgl.  Germania  6, 
376 — 379),  die  an  einigen  Stellen  zur  Textverbesserung  beilragen  kann, 
im  wesentlichen  aber  denselben  stellenweis  überarbeiteten  Text  der 
Prager  Handschrift  bietet ,  hat  eine  unverkennbare  Übereinstimmung 
mit  'Margareten  Passie',  die  nach  zwei  kölnischen  Drucken  von  1513 
und  1514  O.  Schade  in  seinen  'geistlichen  Gedichten  des  XIV.  und 
XV.  Jahrhunderts  vom  Niederrhein'  S.  93 — 96  veröffentlicht  hat.  Der 
Eingang  des  Textes  der  Prager  Handschrift  fehlt  bei  Schade  wie  in 
der  Klosterneuburger  Abschrift;  dagegen  stimmt  gleich  der  Anfang 
der  eigentlichen  Erzählung: 

61    Ein    heideniseher   patriarch  Schade  1    It  war  ein  heidensch  patriarch1), 
der   war   edel   unde   starch,  der   was   wail   wise  und    stark, 

geheizen   Theodosiüs.  gebeizen   Theodosius. 

in    Antiochia    was   sin    hüs.  in   Amiochia   stunt    sin    huis. 

6  5    er   was   ein   vil   edel   man.  5    he   was   ein  vil   edel   man. 

eine   tohter   er   gewan,  ein   einige   dochter  he   gewan. 


')  So  auch  in  der  Klosterneuburger  Handschrift :  Ez  uaz  ein  heidnischer  patriarch. 


KLEINERE  MITTHEILUNGEN. 


269 


in   sirae   alder  wart   si   geboren, 
zo   godes   dienst  wart  si   erkoren. 
Margaretha   was   si   genant, 
1  0    in  manieher  bände  gnaden  wailbekant. 
ir  moeder   starf  ir  af  zo   vroe, 
ein  amme  si  vort  up  zoe. 


in   sinem   alter  geporn, 

zuo   dem   gotes   dienst   erchorn: 

Margarete   ist   si   genant. 
7  0    ir  narn   ist   witen   erchant. 

diu   muoter   starp   im   fruo : 

dem   cbinde   gie   arbeit  zuo. 

dö   g  p   man   daz   chint   danne 

von   der  purch   ze   einer   amme2). 
7  5   als   si   daz   alter  gewan, 

und   sieb   des   rebten   versan, 

dö  liebet  ir  diu   ebristenheit. 

der   heiden   geloube   was   ir  leit. 

des  ebristentuomes  si  sieb  underwant, 
80   da  man   si   ze   leste   ane  vant. 

swaz   man    si    dö   marteröte, 

des   vorbte   niht   sant   Margarete. 
So  schlagende  Übereinstimmung  begegnet  allerdings   im  Verlaufe 
des  Gedichtes  nicht  wieder,  wenigstens  nicht  an  einer  so  langen  Stelle: 
wohl  aber  lassen  sich  einzelne  Zeilen  und  kleinere  Stellen  mit  einander 
vergleichen. 


do   si   dat  alder  gewan, 

dat   si   sich   selver  besan, 
1 5    do   beliefde   ir   die   Christenheit, 

die   heidenschaft  sie   vermeit. 

des  rechten  gloven  si  sich  underwant, 

dair  man   sie   zo   leste   inne   vant. 

nieman   sie  dair  af  brengen  moiehte, 
2  0    in    wat    wisen    man    dat   besoiebte. 


109   Üb   si   im   mochte  gezemen, 

er   welle    si    ze   ehonen    nemen. 
121    gevrewe    mich,   herre   Jhesü   Crist, 

wan   du   vil   gena3dic   bist, 

sende   mir  dinen   geist 

zuo   einer   volleist. 
143    si    petet   an    der   Christen   got. 
189   si   versagte   im   gar   daz. 
203   er   hiez   si   nachet  üf  hän 

und   mit  gerten   wol   durchslän. 
267   daz   pluot  vaste  von   ir  ran. 
270    daz  .  .  in    selben    den   rihtasre 

der  frouwen   marter  verdröz. 
295   daz   chriuze   si   für  sich   tete: 

si   sprach   ze   gote   ir  gepete. 
299   vater   aller  weisen 

tröste    mich    in   allen   vreisen. 
369    dö  saeh  si  .  .  .  ein  vil  swarzen  tivel. 
381    min   bruoder   was   Ruffö   genant. 
420   wie   ist   geheizen   din   nam  ? 
522    daz    min    lip .  .  . 

dar  inne   werde   getoufet. 
653   Theodosius    der   wise    man 

und   ir   amme   prallten  dan 

die   vil   heilige   lieh. 


37   dat  he  sie  woldezeinem  wive  nemen, 

of  sie  im  van  adel  mochte  bezemen. 
45   genäde   mir,   here  Jhesu   Christ, 

want   du    der   wair   got   bist, 

und   sende   mir   zo   hüde 

dinen   engel   vil   güde. 
59   sie   anbedet  den   heiigen   Christ. 
79   vaste   si   im   versachte. 
83   doe   dede  he   sie  üp   hain 

und   mit   besemen   sere   slain. 
126  dat  bloit  ir  den  lif  lanks  af  ran. 

89   bit   dat  it   die   sleger  verdroiz. 
146   ein   cruiz   si   vur   sich   dede 

mit  manichen   gebede. 
144   soe   help   mir  armen  weisen 

van   desen   engestliehen   vreisen. 
136    ein    vil   hezlich    düvel. 
175    Rufus   was   he   genant. 
165   du   salt   mir   sagen    dinen   namen. 

304 

und   sie   dair   wurde   gedeuft. 
422    Theodosius   ein    vil    guit   man 
iren   licham   he   aldae   nam. 


3)  Die  Reimpaare  71    .  72  und  73  .   74    sind    in  beiden  Handschriften  vertauscht. 


270  KARL  BARTSCH 

Schade  hatte  nach  dem  niederrheinisehen  Texte  schon  eine  Grund- 
lage des  zwölften  Jahrhunderts  vermuthet  (S.  77),  der  aber  das  von 
mir  herausgegebene  Gedicht  schon  der  Mundart  nach  viel  näher  steht, 
als  die  von  dem  niederrheinischen  Dichter  mit  großer  Freiheit  unter- 
nommene Bearbeitung.  Dennoch  glaube  ich,  daß  einige  Stellen  durch 
den  niederrheinischen  Text  auf  ihre  ursprüngliche  Gestalt  zurück- 
geführt werden  können.  So : 

125   daz   ich   gestä  äne   schände  49   üp  dat  ich  minen  magedüm   bchalde 

vor   dem   heidenischen   välande.  und  dat  der  beide  min  niet  enwalde. 

ursprünglich  hieß  es  wohl: 

daz   ich   minen  magetuom  behalde 
vor   dem   beidenischen   välande. 
451    owe   welich   ein   wunder,  252   ich   ligen   nu   alhie   gebunden 

daz   ein   magt  besunder  von   einer   maget  junge, 

mac  uns  tieveln   an  gesigen. 
Ursprünglich : 

owe  welich   ein   wunder, 
daz   ein   maget  junge   u.   s.   w. 
Einige  Stellen,    die   ohne  Frage   in    dem   alten   Gedichte   ebenso 
lauteten,  hat  Schade's  Text  unentstellt  überliefert,  während  sie  in  dem 
andern    verloren    giengen ,    so  Seh.  55  ir  Herren  sie  ez   sageten,    als   siz 
vernomen  habeten,  vgl.  den  Text  der  Prager  Hs.   137  ff. 

3.  ZUR  GUDRUN. 

Die  von  Fr.  Gärtner  unternommene  Versrleichunp-  der  Gudrun- 
Handschrift  mit  Hagens  Drucke  (Germania  4,  106 — 108)  hat  zwar  Be- 
deutendes nicht  ergeben;  doch  hilft  sie  an  einigen  Stellen  den  Text 
verbessern. 

39,  3  (Vollmer),  wo  Hagens  Text  gewährte  vntz  das  dem  kunige 
reiche,  ergänzten  die  Herausgeber  die  erste  Halbzeile  auf  verschiedene 
Weise;  Vollmer:  si  riten  an  allen  enden,  Ettmüller:  und  schuof  in 
herberge,  \\  .  Grimm  (?):  in  den  kemenäten.  Vor  reiche  steht  in  der  Hs. 
aus,  also  wird  etwa  zu  lesen  sein: 

unze   daz   dem   künige      uz   vil   manigem   riche. 

63,  3  versmähm,  wie  die  Herausgeber  seit  Hagen  lesen,  steht  wirk- 
lich in  der  Handschrift  (verschmähen);  ebenso  wird  164,  3.  174, 1.  463,2. 
721,  4.  919,  1.  975,  3.  1074,  4.  1137,  2.  1434,  4.  1546,  2.  1577,  4. 
1684,  4  das  von  den  Herausgebern  gesetzte  durch  die  Handschrift 
bestätigt. 

615,  4.  do  sprach  er  Hartmuot,  wo  für  er  geschrieben  wurde  her, 
hat  die  Handschrift  der,  daher  wohl  zu  lesen  do  sprach  der  herre  Hart- 
muot,  oder  statt  herre  ein  zweisilbiges  Adjectivum. 


KLEINERE  MITTHEILUNGEN.  271 

629,  4.  Die  Hs.  hat  ivär,  nicht  war,  wofür  man  ivas  setzte;  daher 
ist  zu  bessern : 

<laz   er  hieze   Hartmuot      und   wasre   von   Ormanielande. 

648,  4.  Hagen  die  wissten  nu,  die  Hs.  die  nu  ivissten ,  woraus  sich 
das  richtige  die  enwisten  noch  natürlicher  ergeben  hätte. 

739,  1  wir  suln  von  Normandhi  brüeven  herverte ;  Hagen  und  die 
Ausgaben  lesen  in  Normandin. 

766  4.  diu  edele  und  diu  zarte  minie  den  küenen  Herwigen  sere. 
Hagen  bietet  guoten  statt  hüenen. 

877,  4.  die  Hetelen  vriunde  ivolten  sine  tohter  wider  gewinnen;  Ha- 
gen  hat  bringen  statt  gewinnen.  Reime  wie  misslingen  :  geunnnen  begegnen 
aber  in  der  Gudrun  öfter,  z.  B.  küneginne  :  bringen  225.  592.  1646. 
hüneginne  :  widerbringen  906.  gewinnen  :  gedinge  945. 

939,  3.  sundersprdchen,  wie  die  Hs.  bietet,  kann  als  Infinitiv  ste- 
hen bleiben;  die  Herausgeber  lesen  sunderspräclie. 

1051,  3.  die  man  von  allem  rehte  bt  vürsten  kindn  alzit  solle  suo- 
chen.  Hagen  hat  von  allen  r eilten. 

1178,  4.  mich  vil  armen  küniginnen  (:  hinnen) ,  Hagen  küniginne; 
und  so  sind  die  Reime  auch  an  andern  Stellen,  wenn  gleich  gegen  die 
Handschrift,  zu  glätten. 

1486,  4.  sivie  riche  ich  hie  vor  wa?re;  Hagen  hat  vor  hie,  wofür 
Vollmer  und  Ettmüller  vor  ie. 

1550,  4.  swaz  si  uns  ie  getäten,  wir  nemen  in  wol  tüsentstunt  mere; 
Hagen  und  die  Herausgeber  nämen. 

1591,  4.  Hs.  gegen,  Hagen  liest  gen;  lür  den  Vers  ist  beides 
gleichbedeutend. 

1594,  2.  sirie  ivol  man  doch  ir  aller  mit  handelunge  pflac ;  Hagen 
hat  da  für  doch,  und  so  auch  die  spätem  Ausgaben. 

4.  ZUM  JÜNGERN  TITUREL. 
Gewöhnlich  nimmt  man  jetzt  an ,  daß  der  Dichter  des  Jüngern 
Titurel  keine  weiteren  Quellen  als  Wolframs  Werke  benutzt  habe,  und 
daß  seine  r  Dichtung  lediglich  auf  die  zwei  Gedichte  Wolframs  und  die 
eigene  unklar  ausmalende  Erfindungskraft'  (Wackernagel ,  Litteratur- 
geschichte  S.  195)  sich  stütze.  Gleichwohl  möchte  es  genauerer  Unter- 
suchung vielleicht  noch  gelingen,  für  einzelne  Parthien  des  Gedichtes 
besondere  Quellen  nachzuweisen ,  wie  ich  es  augenblicklich  an  einer 
zu  thun  im  Stande  bin.  Die  Schilderung  nämlich  vom  Priester  Johann 
und  den  Wundern  seines  Landes  (6031  —  6160  Hahn)  beruht  auf 
ziemlich  genauer  Übertragung  des  bekannten  Briefes  vom  Priester  Jo- 
hann, der  bald  an  den  byzantinischen  ;Kaiser  Manuel  (f  1180),  bald  an 


272 


KARL  BARTSCH 


andere  Herrscher  gerichtet  erscheint.  Die  Übereinstimmung  beginnt  mit 
6032;    ich  stelle  die  ersten  Sätze  des  lateinischen  Originals,    von  dein 
mir  gerade  der  in  Jubinals  Rutebeuf  2,  444-454  gedruckte  Text  vor- 
liegt, dem  Gedichte  gegenüber. 
6032,    1.   Sin  gewalt  ez  wit   und   verre, 
benennet  wirdicliche; 
diu   zwei   teil   aller  terre 
und   darüber   zwei   und   sibenzic  riche 
was  ich  ein  im  gar  üf  ze  dienste  gebende. 

6033,  4.   wan   erst   ein   cristen  reine 
unde   tuot   ouch   niht   wan   daz   beste. 

6034,  7.   Dri  Indiä  die  witen 
im   dienent  gar   für  eigen: 
die   Cristes   widerstriten 
kan   er  ze   lobe   unde   zeren   neigen. 


Z.33. 

septuaginta  duo  reges  nobis 
tributarii    sunt. 
34.   devotus   sum   christianus. 

40.   in   tribus   Indiis   dominatur 

nostra  magnificentia. 
39.   in   voto   habemus  .  .  .  humiliare 

et  debellare  inimicos  crucis  Christi. 


Die  zunächst  folgenden  zwei  Strophen  zeigen  keine  direkte  Ent- 
lehnung aus  dem  Lateinischen,  wenn  nicht  die  lateinischen  Texte  und 
Handschriften,  wie  wahrscheinlich  ist,  von  einander  abweichen.  Eist 
6045  beginnt  wieder  die  Übereinstimmung  und  zwar  in  sehr  treuem 
Anschluß. 


6045.  der  berc  al  oben  schinet 
gedieh   dem   fiures   glaste. 

ein   hrunne   sich   ravinet 

da   neben   drabe,   der   diuzet  also  vaste. 

Ydön  wart  der  brunne  mit  schrift  genennet. 

sin   fluz   der   teilt  sich   witen 

die  virre:  in  mengem  lande  ist  er  bekennet. 

6046.  In   des   brunnen   grieze 
vint  man   edel  steine, 

vil   nütze   an    dem   genieze. 

ez  sint  saphir,   smaragd,  karfunkel  reine, 

topaz,    krisold,   sardin,   berille,   onichel, 

ämatist,    serent, 

ardel,  achät,  die  warn  an  kreften  michel. 

6047.  Ein   krut  affidiöse 
wehset   bi   dem   flümen : 

des   kr.ift   ist  tugende   ein   rose, 

sin  würz  kan  sich  an  tugenden  niht  ver- 

sümen. 
swer  die  würz  hat  in  der  hant ze tragene, 
der   mac   den   boesen   geisten 
swaz   er   wil   gebieten   im   ze   sagene. 

6048.  Da  bi  in   einem   lande 
wehst   der   pfeffer   zanger, 
kleine   und   ouch   grande, 

der  eine  der  ist  kurz,   der  ander  langer, 
gelich  alsam  ein  walt  von  ror  vil  dicke. 


60.   Inter  paganos  per  quendam 

terram 

transit   fluvius 

qui   vocatur  Idonus   fluvius   iste,   de  pa- 

radiso   progrediens,   expandit   sinus  suos 

per   universam   provinciam    illam    diver- 

sis   meatibus; 

et   ibidem   inveniuntur 

naturales   lapides, 

smaragdi,    carbuneuli,    saphiri, 
topazii,   crisoliti,   onichini,   berilli, 
an.etisti,   sardinei   et  plures 
alii   preciosi   lapides. 
Ibi   nascitur   herba 
que   vocatur   effidios, 

radicem   cujus   si   quis   super 

se   portaverit  aereum   spiritum 
effugat   et  cogit  eum   dicere 
quid   sit  vel  unde   sit  et  nomen   ejus. 
In    alia   quadam   provincia   nostra 
Universum   piper   nascitur.  .  . 

est   autem  terra   illa   nemorosa 
admodum   salicti   plena. 


KLEINERE  MITTHEILUNGEN.  273 

Die  Übereinstimmung  geht  so  fort  bis  zur  Strophe  6057,  dann  folgt 
eine  kleine  Unterbrechung  (6058—6060)  und  hierauf  wieder  6061 — 6082, 
im  Ganzen  sich  an  die  Reihenfolge  des  lateinischen  Textes  anschlie- 
ßend. Hierauf  eine  Reihe  von  Strophen  6083 — 6099),  in  denen  sich  keine 
Übereinstimmung  mit  dem  mir  vorliegenden  lateinischen  Texte  findet. 
Dagegen  sind  die  Strophen  6100—6132  in  genauem  Anschluß  gedichtet, 
so  gleich  die  erste: 

6100.  Die  werdekeit  des  landes  164.  Omnibus  divitiis  que  sunt  munde 
und  ouch  des  landes  herre,  superabundat  et  precellit  magnificentia 
den  vint  geliche  pfandes  nostra.  Inter  nos  nullus  mentitur  nee 
üf  erde  niht  der  minner  noch  der  merre.  potest  aliqnis  mentiri  ibi ,  et  si  quis 
swer  an  einer  lüge  hie  wirt  erfunden,  ibidem  scienter  mentiri  cepit.  .  .  quasi 
gemeiner  guoter  dinge  mortuus  inter  nos  reputatur  nee  ejus 
wirt   er   von   den   Hüten   sä  gebunden.  apud   nos   fit   mentio. 

6101.  Si  sint  getriwe,  gewaere,  Omnes  sequimur  veritatem  et  diligi- 
sunder   haz   und   niden.  mus   nos   invicem. 

meineide   und   ebrechsere  Adulter  non    est    inter    nos;    nullum 

müezen   disiu   lant  mit  stsete   miden.  vitium   apud   nos   regnat. 

geistliche   so  vert   der   künic  schöne, 

in   got   iedoch   verwäpent, 

mit  grözi  m   her  vert   er  ze  Babilone,  Singulis   annis   visitamus    corpus   Da- 

6102.  Ie  zuo  den  järziten  nielis  prophetse  cum  exercitu  magno 
Danielis  des   propheten,  in  Babiloni  deserta; 

den   lewen   hungergiten 

erkanten  daz  die  spise  an  im  niht  beten. 

mit  strft  an  wurmen  gröz  ist  ergesigende  et   omnes    sunt   armati   propter  tirios 

alle  jär  vor   Babilone  et  alios  serpentes   qui  vocantur  demetes. 

durch  Daniel,   wan  er  da  nähe  istligende. 

Nach  zwei  nicht  übereinstimmenden  Strophen  (6133.  34)  folgen 
wiederum  zwei  entlehnte  (6135.  36),  wogegen  die  beiden  nächsten 
(6137.  38)  keine  Übereinstimmung  verrathen.  6139,  6142  —  53,  6157 
schließen  sich  wieder  an  das  lateinische  Original  an. 

6157.    Zuo   drin   höchgeziten  307.   In   die   nativitatis   nostre 

priester  Jöhan   schone  et   quotiens   coronamur 

get   in   den    palas   witen :  intramus   palacium  illud. 
richlich    übr   alle  künige  treit  er  kröne. 

Wahrscheinlich  ist ,  wie  ich  schon  bemerkte ,  daß  auch  bei  den 
dazwischenliegenden  Strophen,  die  keine  Verwandtschaft  zeigen,  das  la- 
teinische Original  zu  Grunde  liegt,  da  auch  bei  diesem  verschiedene 
Textrecensionen  anzunehmen  sind.  Dasselbe  Verhältniss  ist  bekanntlieh 
auch  bei  den  Titurelhandschriften,  die  bald  mehr,  bald  weniger  Strophen 
haben.  Somit  dürfte  die  Vergleichung  lateinischer  Texte  unter  einan- 
der, so  wie  der  deutschen  Handschriften,  ein  ziemlich  sicheres  Krite- 

GERMANIA  VJI.  Jg 


274  KAHL  BARTSCH 

rium  an  die  Hand  geben,  um  den  Werth  der  Recensionen  zu  bestim- 
men und  das  wirkliche  Eigenthum  des  Dichters  von  etwaigen  spätein 
Hinzudichtungen  zu  sondern. 

5.  ZUM  LOBENGRItf. 

Die  handschriftlichen  Mittel  für  dieses  Gedicht  sind  bekanntlich 
sehr  mangelhaft;  mit  Ausnahme  eines  älteren  Fragmentes  und  der  aus 
dem  Wartburgkriege  entlehnten  Stücke  haben  sich  nur  Papierhand- 
schriften des  15.  Jahrhunderts  erhalten  ,  von  denen  zwei  (die  beiden 
Heidelberger)  Rückert  benützt  hat;  eine  dritte,  über  die  Pfeiffer  nähere 
Auskunft  zu  geben  versprochen  hat,  befindet  sich  in  der  Piaristen- 
bibliothek  zu  Wien  (Germania  3 ,  245).  Einen  Theil  des  Lohengrin 
(so  wie  den  Wartburgkrieg)  enthält  auch  die  Kolmarer  Handschrift 
687°:  Diß  ist  ein  teile  an  dem  Lorengel  dez  mit  einander  IHIC  lieder  sint 
im  swarezcn  tone.  Es  sind  41   Strophen;  die  erste  beginnt: 

Ein  edel  herczog  von  prafant; 
die  letzte : 

Der  swan  stieß  snabel  vnde  krag 

al  in  den  wag  nu  merckent  ob  ichs  rechte  sag.  (=  R.  66). 

Endlich  besitzt  eine  vollständige  Handschrift  des  Lohengrin  die 

Münchener  Bibliothek.  Es  ist  ein  Quartband  von  134  Blättern,    der  die 

Bezeichnung   cod.  germ.  4871    führt   und    im   Jahre    1461    geschrieben 

ist.  Der  Text  beginnt: 

Ein  vater  seinem  chinde  rief 

Vor  eines  sees  tamme  lag  es  vn  slief 

Nu  wacha  chind  ya  weckch  ich  dich  mit  trew 

Für  war  den  wakch  den  dringet  wint 

Vnd  chumbt  dy  nacht  vinster  wacha  liebes  chindt 
u.  s.  w. 
Die  Schlußstrophen  beginnen: 

(762)  Dis  abentewr  der  Antschow  fein. 

(763)  Nv  ist  der  abentewr  grünt. 

(764)  Het  er  gedacht  nicht  chunste  hört. 

(765)  Ist  ein  tragmundt  bey  seiner  arch. 

(766)  Dew  red  ist  an  end  gesagt. 

(767)  Seint  es  mein  sündig  munt  beschreit; 
die  letzte  Zeile  lautet: 

Des  helf  mir  parmhertzig  mueter  raine. 
Dann  nennt  sich  der  Schreiber  Johannes  Fritz  von  Passaw.    Auf 
den  Lohengrin  folgt,  von  anderer  Hand  geschrieben,  ein  Gedicht  von 
Oswald  von  Wolkenstein,  beginnend: 


KLEINERE  MITTHEILUNGEN.  275 

Mir     dringet         zwinget         fraw  dein  guet 
mein  gemuet 
und  schließend: 

Dein  aigenn  bleib  ich  immer 

auff  dy  gnade  dein    etc. 
Unter  den    gedruckten  Liedern   des  Wolken steiners   kann   ich   es 
nicht  finden.     Endlich  von  derselben  Hand,  wie  dies  Lied,  Peter  Su- 
chenwirts 'schöne  abenteur    (Primisser  Nr.  XXV)  beginnend: 

Ich  gie  nach  lusst  für  einen  wald 

Der  stund  so  wunigklich  gestalt 

Dabei  ein  michel  wasser  flosß 

Lautter  frisch  vnd  nitt  zw  gros. 
Schluß: 

Die  red  gepluemtter  kunst  zw  stewr 

Genanntt  dy  schön  Abentewr. 
Zu  bemerken  ist  die  Stelle,  wo  sich  der  Dichter  nennt,  V.  170; 
dieselbe  lautet  hier: 

Zeit  war  dass  man  äss 

sprach  ein  edle  fraw  guet 

die  was  Trwchsässin  wolgemuett 

vnd  dy  was  fraw  zucht  genennt 

die  het  mich  schir  erkennt 

vil  lieber  hanns  von  Treubach 

der  nie  von  frawen  übell  sprach 

rett  sy  zw  mir  zw  hannt 

sag  an  wer  hat  dich  her  gesannt. 
Auch  die  andere  Stelle,  wo  Suchenwirts  Name  vorkommt  (365) 
ist  so  verändert: 

Sag  an  vil  lieber  Treubechk 

An  adel  vesst  an  ernn  kechk. 
Noch  eine  Stelle  hebe  ich  aus ,    wo   die  Münchener  Handschrift 
ein  Reimpaar  mehr  hat;  für  315—316  heißt  es: 

Wirtt  er  an  der  flucht  wuntt 

Er  ist  zw  klagen  als  ein  hundt 

Wirt  er  dann  daselbs  geuanngen 

Es  ist  im  schäntlich  £nug  erffanngfem 

O  Ö  O  Ö 

Ob  diese  noch  unbenutzten  Handschriften  des  Lohensnrin  für  die 
Kritik  des  Textes  Wesentliches  ergeben,  bleibt  freilich  zweifelhaft;  im- 
merhin aber  ist  bei  dem  handschriftlichen  Zustande  des  Gedichtes  eine 
Vergleichung  wünschenswerth. 

18* 


276  KAEL  BARTSCH 

0.  ZUR  GEISTLICHEN  DICHTUNG. 

Ich  gebe  hier  einige  Ergänzungen  zu  den  als  Anhang  zur  'Erlö- 
sung' gedruckten  'geistlichen  Dichtungen  vom  12.  bis  15.  Jahrhundert'. 
Das  Marienlied  S.  192  —  193  findet  sich  auch  in  der  Kolmarer  Hs. 
unter  Suchensinns  Liedern,  mit  dessen  Strophenform  es  übereinstimmt; 
Bl.  798°  herkent  ich  alle  blurnen  blang ,  ebenfalls  drei  Strophen.  Das  in 
meiner  Sammlung  folgende  fDreifaltigkeitslied'  (S.  193-195),  das  ich 
nach  drei  Nürnberger  Texten  mittheilte,  war  bereits  in  Hagens  Minne- 
singern 3,  468ld  gedruckt,  aber  nicht  in  das  Strophenverzeichniss  auf- 
genommen, daher  es  mir  entgangen  ist.  Es  ist  entnommen  aus  der 
Wiener  Hs.  th.  457,  die  Hoffmann  nicht  mit  anführt.  Für  den  Text 
werden  einige  Verbesserungen  aus  der  Vergleichung  gewonnen;  so  5 
das  zweifache  begin,  29  an  gexprinc,  30  ist  sin  punt,  32  stigt  äne  tverc, 
39  noch  zit  noch  stat,  60  und  sage  uns  welch  sin  forme  s%  65  über  hör, 
73  sine  al  min  iht,  75  ö  sine. 

Von  dem  in  der  Einleitung  S.  XLII  erwähnten  Gedichte  ein  ge- 
sunde ler  gar  christenlich  führt  eine  Augsburger  Handschrift  an  Keller 
in  der  Nachlese  zu  den  Fastnachtspielen  S.  325.  Die  ebenfalls  S.  XLII 
angeführten  Sprüche,  die  an  Freidank  anklingen,  stimmen  mit  denen, 
die  Graft' in  der  Diutisca  1,  325  aus  einer  Straßburger  Handschrift  gibt: 

manger   klaget   sin   guot,  Graff:   Manger   wainot  daz   guot 

daz   er   unnutzlich   vertuot.  daz   er  vertuot. 

wir  clagten   pillich   unser   zit,  so   wain   ich   min   zit 

die   uns   nieman   wider   git.  die   mir  nieman   wider  git. 

ez   ist   worden   niuwe  es  ist  in    aller  weit  worden  niwe 

guot  rede   an   alle   triuwe.  guot  red   an   alle   triwe. 

Einen  andern  von  mir  angeführten  Spruch  :  siver  den  andern  über- 
mac,  der  schiubet  in  in  den  sac,  citiert  ganz  gleichlautend  (nur  stozet 
für  schiubet  und  einen  für  den)  das  mhd.  WB.  2,  lla  mit  Verweisung 
auf  Martina  289  ;  ich  kann  die  Stelle  nicht  finden. 

Mit  dem  von  mir  herausgegebenen  'Marien  Rosengarten'  (S.  284 
—  290)  ist  zu  vergleichen  fder  goldene  Rosenkranz  Mariens'  in  einer 
niederdeutschen  Handschrift  zu  Wien  (R.  840,  jetzt  3014,  Hoffmann 
S.  319);  es  sind  51  vierzeilige  Strophen,  mein  Text  enthält  deren  50; 
wahrscheinlich  enthält  die  Wiener  Hs.  dasselbe  Gedicht. 

Das  Gedicht  O  froioe  und  rnaget  minnielich,  von  dem  ich  in  der 
Anmerkung  zur  Erlösung  2520  eine  Stelle  mitgetheilt ,  und  dessen 
Handschriften  ich  S.  LIX  angeführt  habe,  findet  sich  außerdem  in 
einer  Wiener  Hs.  des  15.  Jahrhunderts  (Nr.  3009;  Hoffmann  S.  190); 
ferner  in  dem  von  Mone    (Schauspiele   1,    210—250)    herausgegebenen 


KLEINERE  MITTHEILUNGEN.  277 

' Spiegel'  (aus  einer  Papierhandschrift  des  15.  Jahrhunderts  zu  Constanz), 
von  welchem  das  von  Th.  Jacobi  (Haupts  Zeitschrift  3,  130 — 134)  ver- 
öffentlichte 'Bruchstück  eines  Marienliedes' ,  in  welchem  das  fragliche 
Gedicht  auch  vorkommt ,  nur  ein  Fragment  ist ,  das  eine  Lücke  der 
Constanzer  Handschrift  (nach  V.  1064)  theil weise  ergänzt  (durch 
V.  1  —  12).  Das  Gedicht  'O  frowe  etc.  bildet  V.  1141  ff.  des  Spiegels, 
so  daß  von  ihm  jetzt  schon  7  verschiedene  Aufzeichnungen   vorliegen. 

Deutsche  Texte  des  Ave  prcedara  (vgl.  Erlösung  S.  293—296  und 
S.  LX)  finden  sich  außer  den  von  mir  angeführten  noch  in  einer  zwei- 
ten Wiener  Hs  (2975,  j.  c.  244,  15.  Jahrh.  Papier)  Bl.  153a  —  154% 
Hoffmann  S.  172,  so  wie  in  einer  Klosterneuburger  (Nr.  533),  die  im 
Serapeum  11,  107  erwähnt  ist. 

'Die  heiligen  drei  Könige'  (S.  296—298  und  S.  LXII)  finden  sich 
in  der  Heidelberger  Handschrift  372 ,  und  sind  darnach  in  Hagens 
Minnesingern  3 ,  458"  gedruckt,  aber  nicht  in  das  Strophenverzeichniss 
aufgenommen,  daher  sowohl  mir  als  Pfeiffer  und  Hoffmann  dieser  Text 
entgangen  ist.  Derselbe  enthält  sieben  einleitende  Strophen;  dann  ent- 
sprechen folgende  des  Hagenschen  Textes  den  meinen  8  =  1,  9  =  2, 
mit  manigfacher  Abweichung  10  =  3,  12  =  4,  13  5,  14  =  8;  da- 
gegen fehlen  in  der  Heidelberger  Hs.  7  und  9  meines  Textes;  sie  hat 
nach  14  noch  22  Strophen,  im  Ganzen  36,  und  schließt  doch  mit  einem 
etccetera,  was  jedoch  nicht  nothwendig  auf  unvollständige  Überlieferung 
deutet.  Auch  in  der  Kolmarer  Hs.  Bl.  810a  steht  das  Gedicht  als  Graf 
Peters  von  Arberg  Tagweise  und  hat  26  Strophen ;  der  Anfang  wie  in 
der  Heidelberger.  Dagegen  wie  in  meinem  Texte  beginnt  es  in  zwei 
Wiener  Hss.  (Nr.  4696  und  2856) ,  beide  aus  dem  15.  Jahrhundert, 
Hoffmann  S.   169  .  249,  und  in  beiden  siebenstrophig. 

Der  'Deich'  des  15.  Jahrhunderts,  den  ich  S.  305 — 306  aus  einer 
sehr  schlechten  Nürnberger  Handschrift  herausgab  (vgl.  S.  LXIV), 
findet  sich  als  Tagweise  gedruckt  im  Liederbuch  der  Hätzlerin  S.  31, 
wo  aber  Y.  1  — 16  fehlen,  dafür  nur  vier  andere  Verse  stehen.  Dort  besteht 
das  Gedicht  aus  drei  Strophen,  die  mit  Ausnahme  der  zweiten,  vielfach 
entstellten,  15  Zeilen  haben.  Mit  gleichem  Anfang  Ich  wachter  so!  erwecken 
meiner  Wiener  Hs.  (Nr.  2856,  15.  Jahrb.),  Hoffmann  S.  248,  und  endlich 
in  der  Kolmarer  unter  dem  Namen  des  Grafen  Peter  von  Arberg,  Bl.  812" 
ebenfalls  dreistrophig.  Daraus  ergibt  sich,  daß  der  Nürnberger  Text  noch 
verderbter  ist  als  ich  verrnuthete,  und  daß  die  Bezeichnung  'Leich'  nicht 
mehr  zutrifft,  sondern  das  Ganze  ein  dreistrophiges  Lied  bildet. 

Von  der  einen  Bearbeitung  der  Visio  JliiUberti,  die  in  einer  Wie- 
ner Hs.    (Nr.  2880,  Hoffmann  S.   159)    erhalten  ist,    gibt  es  noch  eine 


278  KAKL  BARTSCH 

zweite  Hs.,  zu  München  (cod.  germ.  714,  Bl.  247b— 258'1) ,   in  welcher 
der  Anfang  lautet; 

Der   sei   clag. 
Eins  mals  in  einer  winter  zeyt 
Geschach  ein  jemerlicher  streyt 
Bey  nacht  als  ich  peschayden  wil 
Froßtes  vnd  reyffes  vil 
Beczwungen  heten  alle  lant 
Die  schrift  thut  mir  bekant 
Wie  das  ain  weiser  pfaff  sich 
Der  listig  was  und  künsten  reich 
Ains  nachtes  het  sich  geleyt.     u.  s.  w. 
ROSTOCK,  im  Juli  1862. 


ZU  KARAJANS   SPRACHDENKMALEN  DES 
ZWÖLFTEN  JAHRHUNDERTS. 


Der  klägliche  Zustand  der  Klagenfurter  Handschrift  hat  die  Ge- 
dichte, welche  Th.  G.  v.  Karajan  aus  derselben  veröffentlicht   hat,    in 
sehr  lückenhafter  Gestalt  auf  uns  gelangen  lassen.  Manche  Ergänzungen 
des  Fehlenden  hat  der  Herausgeber  versucht ;    eine  Reihe    anderer    so 
wie  stellenweise  Verbesserungen  gedenke  ich  hier  zu  geben. 
Der  fehlende  Reim  in  den  Versen  25,  22 : 
die  haut  bot  er  ir  .   .  . 
er  gereit  ze  vordirst  an  der  schare, 
ist  vom  Herausgeber  durch  zewäre  ergänzt  worden,    was  die  verschie- 
dene Quantität   nicht   gestattet.     Nahe  lag  das  richtige   bot  er  ir  dare. 
Ein  ähnlicher  Fehler  ist  25,  24  begangen: 
da  si  fuor  in  der  .   .   . 
si  lühte  ubir  alle  die  schare, 
wo  gebäre  ergänzt  ist;  das  richtige  ist  in  der  gevare,  vgl.  die  ganz  ähn- 
liche Stelle  37,  3:  daz  diu  brat  da  fuor  in  der  vare 
unde  si  louhfe  ubir  alle  die  schare. 
Ebenso  unrichtig  ist  51,   11.  12    als  Reim  angenommen  genäden; 
geladen. 

In  dem  Bruchstück  Vom  verlornen  Sohne'-  47,  6  ist  die  unleser- 
liche Reimzeile  zu  ergänzen  in  secuta  seculorum. 

49,  24  ist  natürlich  zu  schreiben  alle  meres  (K.  nieres)  gründe. 


ZU  KARAJANS  SPRACHDENKMALEN  DES  XII.  JAHRH.  279 

50,  17.    Die  Keimzelle   ist   zu    ergänzen:    so  bist  du  rehtir  rihtcer 
da[r  inne] :  grimme. 

51,  13.  14.  vermuthlich  zu  ergänzen: 

ir  schephcer  [und  herre 
wiset  si]  vil  verre; 
vgl.  52,  20. 
51,   17.  lies  weinen  unde  süflot    (:  not).  K.  liest  süfton,  vgl.  Graff 
6,  173. 

51,  22  scheint  der  Reim  entstellt;  es  ist  wohl  zu  lesen: 

dan  ist  Ion  andir, 
wan  mit  viurinen  banden  etc. 
Die  Hs.  hat:  andir  Ion. 

52,  11   ergänze  ich: 

so  get  des  unseren  sch[epha3res  zorn 
ubir]  die  viande  sin. 

52,  15.  wahrscheinlich 

daz  ne  mach  nimmir  z[erinnen. 
da  wonit]  got  inne. 

53,  3  reimt  state   (Hs.  stcete)   auf  gesatent  (Hs.  gesatten)',    menege 
dagegen  auf  sanges  und  angist;  dreifacher  Reim  öfter,  z.B.  47,  13.   14. 

53 ,  9.    Die  Reimzeile    ist  zu  vervollständigen    [vil  lieben  ges]eU.en 
(:  ervillen). 

53,  11.  12.  zu  ergänzen: 

so  wirt  da  michil  vroude 

[ubir  alle  die  mjenege. 
53,  13  lies: 

vil  wol  erchen[nelich. 

si]  sehent  got  tägelich. 
53,   15  etwa  daz  er  [da  sihet]  die  micheln  mandunge. 

53,  17.  nicht  suochen,  sondern  ruochen  wird  zu  lesen  sein. 

54,  14  ff.  sind  zu  ergänzen: 

daz  er  enphien[ch  dinen  slach.]     (vgl.  54,  4.) 

nu  sihe  ich  wol  daz  ich  enm[ach 

dir  niht]  entrinnen. 

nu  wil  ich  widir  sin[nen, 

dine]  hulde  wil  ich  gewinnen; 
wiederum  dreifacher  Reim  am  Schlüsse  eines  Absatzes;  Karaj an  schreibt 
suo[c/itu\  statt  sinnen. 

54,  20.  Die  unleserliche  Zeile  ergänze  ich : 

nu  so[ldich  daz  chundeii]  (:  gesundet). 


280 


KARL  BARTSCH 


54,  24  ergänze  ich:  nu  wil  ich  mich  [selben  mögen]  :  genuoge;  vgl. 
55,  4  und  wil  da,  mögen  den  rät;  59,  23  wil  ich  mögen  miniu  oren; 
Haupts  Zeitschrift  3,  523,  133  ttn  sunde  hegundi  rügin.  Auch  das  ver- 
stümmelte ruo  54,  25  ist  wohl  möge',  ebenso  57,  11  nu  wil  ich  mo\gen]; 
vgl.  auch  55,  12. 

55,  9  ff,  sind  zu  ergänzen: 

wände  niht  enfsümet  der  tojt; 
der  nähet  aller  tägelich. 
von  [diu  furhte  ich  m]ich. 
Nu  hilf  mir  got  der  [guote 
durch  willen]  diner  muoter. 
55,   14.    Das    Reim  wort   war   ohne   Frage   wi[ben]     (:  sundirstige) ; 
vgl.  60,  2. 

55,  16.  Das  auf  gestellet  reimende  Wort  war  da  er  manege  [vellet]; 
auf  nezze  55,  16  reimte  ge[sezzet.  vil]  dicke  tage  joch  naht. 

56,  4  ist  unrichtig  ergänzt;  lies: 

herre,  nu  [gehöre  mich ; 

wjande  ich  dinge  an  dich; 
K.  schreibt:  [ujiande. 

56,  13.   14  ist  zu  lesen: 

[durch]  die  villäte, 

die  dir  die  [Juden  täten, 

do  si]  dich  marteröten; 
wiederum  dreifacher  Reim  am  Schlüsse,  wie  53,  3.  54,  14.  Die  drei- 
fachen Reime  auch  in  dem  von  Haupt  mitgetheilten  Bruchstück  (Zeit- 
schrift 3,  518  ff.),  das  er  rdie  Bekehrung  des  h.  Paulus'  nennt,  regel- 
mäßig am  Schlüsse;  vgl.  Wackernagel,  Litteraturgeschichte  S.  131, 
Anm.  5.  Die  Übereinstimmung  des  Bruchstückes  Vom  verlornen  Sohne 
mit  dem  'Paulus'  ist  Karajan  entgangen;  vgl.  Wackernagel  a.  a.  O. 
S.  99,  Anm.  33,  S.  163,  Anm.  162;  aber  nicht  richtig  scheint,  wenn 
Wackernagel  bemerkt,  es  seien  in  dem  Gedichte  von  dem  verlornen 
Sohn  einzelne  Gebetstellen  aus  dem  Paulus  benützt,  und  wenn  er  an- 
drerseits vermuthet,  es  möchte  das  unter  dem  Namen  rS.  Paulus'  bei 
Karajan  S.  109 — 112  gedruckte  Stück  mit  dem  von  Haupt  veröffent- 
lichten zu  einem  und  demselben  Werke  gehören.  Vielmehr  ist  der  ver- 
lorne Sohn  und  Paulus  (richtiger  als  'Bußgebet'  von  Gödeke,  Grund- 
riß S.  16  bezeichnet)  ein  und  dasselbe  Gedicht,  denn  jenem  andern 
Paulus  fehlen  die  dreifachen  Reime. 

56,   17  ist  zu  ergänzen:  die  si  v[vider  der  dhu-n]  hulde  (:  sunde). 


ZU  KAKAJANS  SPRACHDENKMALEN  DES  XII.  JAHRII.  281 

57,  4  zu  ergänzen:  noch  [in  niht  entdten  (:  gewtete)  gejnäden  durch 
den  dmen  icillen. 

57,  6.  Das  Reimwort  auf  altäre  war  herre. 

57,  10  zu  ergänzen  [dö  dich  die  juden  vjiengen,  oder,  wenn  dazu 
der  Raum  zu  klein  ist,  [dö  si  dich  gev]iengen;  wiederum  dreifacher  Reim. 

57,  18.  Das  verstümmelte  Wort  lautete  [>nic1i\elen  :  bestrichen;  das 
folgende  Reimwort  vertriben  ist  nicht  richtig,  denn  es  reimt  als  dritter 
Reim  auf  minne,  inne. 

57,  20  sind  'zu  ergänzen: 

Ubirmuot  diu  ist  so  getan, 

diu  [vellet  mane]gen  man. 

diu  hat  ouch  mich  ervel[let 

unde  hat]  an  mir  gestellet 

huor  unde  [ubil  geljust 

unde  andir  manich  ächust, 

[zorn  u]nde  tob[eheit]   (K.  tob[esuht]) 

unde  luge  vil  breit. 

58,  2.  zu  ergänzen:  huoch  unde  [spot.  d]anne  erlöse  mich,  got. 

58,  13.  Das  Reimwort  war  [vorh]ten  :  worhten. 

59,  16  fl*.  sind  zu  ergänzen: 

[des  man  i]ch  dich  durch  die  [nagele, 
die]  dir  wurden  geslagene 
durch  [hende  jo]ch  durch  fuozze, 
daz  sich  mine  [sele  vrowen]  muozze. 

59,  21  ff.  sind  etwa  zu  ergänzen: 

der  cheisir  aller  chunege, 

der  [schephagre  d]er  himele  *), 

du  geruoche  mich   [hören. 

im  \v]il  ich  ruogen  miniu  oren. 

60,  6  reimte  auf  riet  wohl  da  was  den  [  .  .  . .  liep.]. 

60,  11 — 14  ergänze  ich: 

So  mich  ar[me  liute 

durch  dinen]  willen  bäten 

tranch[es  unde  mazzes, 

daz  verjnam  ich  lazze. 

si  hor[tenz  ungerne, 

si  schieden]  danne  mit  zorne. 


*)  vgl.  Ruolant  1,   1  Sdiephäre  allir  dinge,  chelser  allir  chuninge. 


282  KAKL  BARTSCH 

61,  14.  mac  ist  nicht  richtige  Lesung,  denn  die  Handschrift  hat 
am  Schlüsse  immer  ch  statt  c;  es  muß  ein  Reim  aufwar  sein,  die  dritte 
Reimzeile  ist  ganz  unleserlich  (61,   15). 

61,   16.  Das  Reimwort  auf  [ver\nam  war  man  (swaz  ich  sundiger  man). 

61,  17  lies:  si  rieten  mir  genofe,  daz  [ich  daz  getcste]. 

61,  26  reimte  auf  mine  (25)  :  durh  [die  .  .  .  pine,  die]  du  er  Ute 
durch  mich. 

62,  4—19  entspricht  dem  bei  Haupt  3,  520,  31-  57  abgedruckten; 
bei  K.  62,  4  mußte  daher  Rex  großen  Anfangsbuchstaben  haben,  denn 
vorher  geht  dreifacher  Reim :  not,  durch  diu  heil[igez  gebot],  und  Sabddt. 

Die  ersten  Zeilen  dieses  Abschnittes  weichen  von  dem  Rheinauer 
Bruchstück  ab  und  können  daher  mit  Hilfe  desselben  nicht  ergänzt 
werden. 

62,  8  hieß  es: 

der  drie  tage  be[graben  lach, 
durch  denjselben  namen  bitte  ich  [dich]. 
62,  12 — 13  weichen  ebenfalls   von   dem  Rh.  Br.  47 — 48    ab    und 
werden  zu  ergänzen  sein: 

[den  du  durch]  unsir  not, 
herre,  a[n  dem  crüce  truoge, 
dö  du  ze]  helle  vuore. 
62,   16  hieß,  abweichend  von  Rh.  54,  [e]  tninem  ende,  herre.    Die 
beiden  nächsten  Verse  bei  K.  fehlen  in  Rh.  ganz ,    es  reimte  u[on  . . . 
helle  und]  von  den  toizzen  allen. 

62,   17  ist  zu  ergänzen  daz  [tuo  durch  dme]  chraft. 
62,  19 — 65,  3  gieng  in  Rh.  dem  eben  erwähnten  Abschnitt  vorauf, 
denn  65,  4 — 19  bilden  den  Anfang  des  Rheinauer  Bruchstückes  1 — 30, 
und  was  bei  K.  folgt    (65,  20-67,  6)    schließt  sich   in  Rh.  unmittelbar 
an  den  besprochenen  Abschnitt  an  (V.  58     128). 
62,  19  ist  zu  ergänzen: 

Herre  got  [höre  mich, 
an  dine]  genäde  dinge  ich. 
Auf  chum  62,  21  reimte  wohl  und e  an  [mnte  Marjun{\  und  dann  weiter : 
[wände  du,  heijligir  geist, 
mich  solt  behuoten  [allir  meist 
vor]  allen  minen  sunten. 
60,  2  ergänze  ich: 

swie  michil  [min  schult  si,     - 
sost  din  ge]näde  da  bi 
michil  me[re. 


ZU  KARAJANS  SPRACHDENKMALEN  DES  XII.  JAHRH.  283 

63,  8  lies: 

unde  den  tievil  [bimde 

mit  diner  ge]waltigen  hende. 
63,  10.  Das  Reim  wort  auf  vor  war  daz  heilige  [tor]. 
63,   19  lies  [oder  durch]  deheiner  sunden  gelust  (:  dehnst). 
63,  20  lies  daz  läzze  ubir  minen  [lip  gäii\. 

63,  22—24  sind  zu  ergänzen: 

swaz  du  ge[biutest  ubir  m]ich, 
herre  Christ,  daz  lobe  ich, 
[ob  ich  von  minem  hjeile 
nine  werde  geschei[den]. 

64,  5  lies: 

[daz]  si  mit  himilischer  ch[raft 

mir  wese]  immir  wegehaft. 
64,  8.  9  lies  [vergip  mir  mine]  sunte  :  urstende. 
64,   1 1  ff.  ergänze  ich : 

[ich]  mane  dich  diner  w[orte, 

dö  du  sprseche  fnolo]  mortem 

peccat[oris  .  .  .  ich]  wil  zwäre, 

daz  er  [sich  bekere. 

swaz  ich]  sundigir  man 

wid[ir  dir  hän  getan], 

daz  riwet  mich  vil  [sere. 

nu  gip  daz  ich  mich]  bechere. 

Nu  vergip  [mir  mine  schulde 

und]  gip  mir  dine  hulde, 

lä  mich  [des  geniezzen, 

daz]  du  dich  selben  hiezze 

pastor[em  bonum, 

den]  guoten  hirte  vronen. 

64,  24.  nu  mohtest  du  [mich  becheren]  :  sere;  dann  reimte  Miede 
(65,   1)  offenbar  mit  schulde,  etwa  nu  riwent  mich  mine  schulde. 

65,  4  ff.  entspricht,  wie  schon  bemerkt,  dem  Rh.  Br.  1  ff.  Aus 
diesem  ergeben  sich  mehrfache  Besserungen  des  K.  Textes  :  65 ,  7  1. 
domine  statt  dune',  65,  8  hieß  das  Reimwort  [ow]?ne,  K.  []  iene;  die  fol- 
genden Zeilen  lauteten  abweichend  von  Rh.: 

daz  eine  was  Ana[nias, 
daz  ander  Asari]as; 
ja  sagent  uns  diu  [buoch  daz, 
daz  Misahel  der]  dritte  was. 


284  KARL  BARTSCH 

des  viu[res  chraft  tet  in  ni]nder  we, 
ez  mohte  si  [niht  enbrennen, 
din]  engel  was  mit  in  darinnen] ; 
aber  in  diesem  Texte  bleibt  eine  Reimzeile  (ive)  ohne  Reim;  im  Rh.  Br. 
reimt  hier  Misahel :  we.  —    Rh.  16.   17  fehlen  in  K.  Texte,    ebenso  20. 
21  (letztere  mit  Recht);  die  folgenden  Zeilen  weichen  ab  bei  K.  65,  15: 
nu  bitte  ich  inch  [chnaben  dri, 
daz  ir]  mir  helfnnde  sit. 
Der  dreifache  Reim  Rh.  28-30  ist  bei  K.  65,   19.  20   auch    vor- 
handen;   aber  indem  die  Reimzeile  Rh.  59  dazu    gezogen  ist,    welcher 
Abschnitt  sich  bei  K.  hier   gleich  anschließt.  Der  Anfang  ,    etwas   ab- 
weichend, ist  bei  K.  so  zu  ergänzen: 
[so  lose]  mine  sele, 
daz  si  nine  brinne  sere, 
[also  du  ouch  Danijelen 
behuotest  durch  min[ne 
vor  sinen  vianjden  grimmen. 
66,  6  fi.  weicht  wieder  von  Rh.  75  ff.  ab  und  ist  zu  ergänzen: 
daz  ouch  du  mir  sist  [vergebende 
alle  mine]  sunde, 
die  ich  in  al[len  stunden 
hän  gevru]met  mit  minem  libe  [  —  Rh.  76]. 
Die  Verse  Rh.  80.  81  fehlen  bei  K.  wohl  mit  Recht. 
66,  9,  etwas  abweichend  von  Rh.  82,  hieß  für  di[ch,  htrre,  allein  e]. 
66,  11  hieß: 

[sie  zigen  si  eines  huo]res  [Hs. .  .  res  eines) 
unde  sprächen  [daz  si  des  todes]  wert  waere; 
vgl.  Rh.  84.  85.  Das  Folgende  stimmt  ziemlich  genau;    Rh.  118—121 
fehlen  bei  K.,  vgl.  67,  3.  4. 

ROSTOCK,  im  Juli  1862.  KARL  BARTSCH. 


DAS  NIEDERDEUTSCHE  HILDEBRANDSLIED. 

Auf  den  niederdeutschen  Text  des  Hildebrandsliedes,  welches  in 
hochdeutscher  Fassung  im  Frankfurter  (Ambraser)  Liederbuch  Kr.  207 
und  in  gereinigtem  Texte,  nach  Benützung  anderer  Drucke,  bei  Unland 
Nr.  132  steht  (vgl.  S.  1013),  hat  schon  K.  Gödeke  im  Weimarischen 
Jahrbuch  4,  11  hingewiesen.  Die  niederdeutsche  Bearbeitung,  die  im 
Wesentlichen  nur  Umschreibung  aus  dem  hochdeutschen  Dialekte  ist, 


DAS  NIEDERDEUTSCHE  HILDEBRANDSLIED.  285 

bat  jedocb  mancbes  Eigenthümliche;  daher  ein  Abdruck  wohl  gerecht- 
fertigt erscheint.  Ich  habe  durch  die  Gefälligkeit  von  Wiechmann  in 
Kadow  eine  sorgfältige  Abschrift;  gebe  dieselbe  jedoch  in  orthogra- 
phischer Beziehung  nicht  genau  wieder,  sondern  in  etwas  vereinfachter 
Schreibung,  mit  Bezeichnung  der  Längen  und  mit  Interpunktion.  Von  der 
Beschaffenheit  der  Orthographie  kann  man  sich  aus  den  zwei  Strophen, 
die  Gödeke  hat  abdrucken  lassen,  und  aus  dem  nachfolgenden  Titel  ein 
Bild  machen :  Twe  schone  hi-  |  storien  Lede,  Dat  erste  j  Vati  dem  Olden 
II die-  |  brande,  Dat  ander,  \  van  der  eddelen  \  Lucretia.  ||  Do  se  vmme 
er  ehre  quam,  \  Do  hadde  se  also  grote  schäm.  |  Dat  se  sich  seihtest  dat 
leiten  nam.  j  Vnd  is  in  des  Speten  Thone.  Es  sind  4  Bl.  in  kl.  8°.,  o.  O. 
u.  J.,  32  Zeilen  auf  der  Seite,  die  Verszeilen  nicht  abgesetzt,  zwischen 
den  Strophen  keine  größeren  Räume  gelassen.  Das  Hildebrandslied  be- 
ginnt auf  der  Rückseite  des  Titels,  das  zweite  Lied,  dessen  Verfasser 
Ludwig  Binder  ist,  fängt  3a  an. 

Die  Reime  des  Hildebrandsliedes  sind  zum  guten  Theile  nur  As- 
sonanzen (22.  26.  50.  78.  86.  98.  138.  142),  unter  welchen  folgende 
auch  in  ihrer  Ungenauigkeit  die  hochdeutsche  Fassung  als  die  ursprüng- 
liche darthun :  schermeslage  :  habe  22 ,  Didericlc  :  lef  26,  wit  :  vnf  78, 
disch  :  unbillick  138;  vel  :  disch  142.  Ebenso  mehrere  der  genauen  Reime: 
slac  :  erschrac  74,  rät  :  hat  126.  sagen  :  erslagen  146.  Für  die  Zeit  und 
Mundart  bezeichnend  sind  noch  die  Reime  tit  :  ret  (zeit  :  raii)  130, 
schand  :  la?ü  82,  er  (ere) :  her  154.  Dagegen  sind  als  zum  Niederdeutschen 
neigend  zu  bemerken  der  Reim  dach  (tac)  :  sach  6,  was  niederdeutsch 
genauer  ist  als  hochdeutsch ;  weshalb  auch  Kaspar  v.  d.  Ron  ändert 
tag  :  enpflag.  Vielleicht  gemach  :  gesacht  (für  gesaget)  50,  wenn  man  in 
Anschlag  bringt,  daß  in  niederdeutschen  Denkmälern  die  Formen  ge- 
sacht und  gelacht  oft  vorkommen  (vgl.  über  Karlmeinet  S.  242);  die 
andern  Texte  reimen  hier  gemach  :  gesagt,  slän  (für  slahen)  :  gän  58  ist 
zwar  auch  ein  in  hochdeutschen  Gedichten  häufiger  Reim,  ist  aber  dem 
niederdeutschen  Texte  eigenthümlich ,  die  andern  setzen  man  :  gän. 
Endlich  roh  :  spot  (hochd.  rouch  :  spot) ,  wahrscheinlich  wegen  rdm 
Schmutz  geändert,  das  dem  niederdeutschen  Bearbeiter  nicht  geläufig 
war.  Seine  Änderung  ist  allerdings  nicht  gelungen,  zeigt  aber,  daß  er 
mehr  beabsichtigte  als  eine  bloße  Umschreibung,  daß  er  wirklich  um- 
dichten wollte. 

fIck  wil  to  lande  üt  riden 

sprack  sick  meister  Hillebrant, 

fde  mi  den  wech  dede  wisen 

to  Bern  wol  in  dat  lant« 


286  KARL  BARTSCH 

5     he  is  mi  unkunt  gewesen 
so  mengen  leven  dach; 
in  twe  unde  dörtich  jären 
frow  Güde  ick  nü  ensach. 

'Wultu  to  lande  üt  riden 
10     sprack  sick  hertoch  Amelung, 

'wat  bejegent  di  üp  der  heide? 

ein  sneller  degen  junck. 

wat  bejegent  di  üp  der  marke? 

din  sön  de  Hillebrant; 
15    ja  redestu  sulf  twolfte, 

van  em  wördestu  angerant.' 

'Scholde  he  mi  so  anrennen 
in  einem  avermöt, 

ick  dorchhowde  em  sinen  brünen  schilt, 
20     dat  dede  em  nummer  got; 
ick  tohowde  em  sin  brunne 
mit  einem  schermeslage, 
ja  dat  he  frow  Güden 
ein  jär  to  klagen  habe.' 

25    'Dat  schaltu  jö  nicht  done,' 

sprack  j unker  Diderick  ; 

'ick  hebbe  den  jungen  Hillebrant 

von  ganzem  herten  lef. 

du  schalt  en  mi  ser  gröten 
30     al  umme  den  willen  min, 

dat  he  di  late  riden, 

also  lef  ick  em  mach  sin. 

Do  he  den  rosengarden  üp  ret, 

wol  in  des  Berners  mark, 
35     dar  quam  he  in  grot  arbeit 

van  einem  helde  stark, 

van  einem  helde  jungen 

wart  he  an  gerant: 

'wat  deistu,  olde  grise, 
40     in  mines  vaders  lant? 

19    sin  brune.        20    gudt.         21     sin  brune  schilt.         22    scharmeslage. 
2  4   hat.        25   doen.        34   marke.        3  6   starcke.        3  7  junck. 


DAS  NIEDERDEUTSCHE  HILDEBRANDSLIED.  287 

Du  vorst  din  hämisch  lüter  und  klär, 
recht  als  ein  koninges  kint; 
du  wuld  mt,  junger  helde, 
mit  senden  ogen  maken  blint. 
45     du  scholdest  to  heinie  bliven 
und  hebben  ein  gut  geinack.' 
mit  einem  sn eilen  lüde 
de  olde  lachede  und  sprack: 

'Schold  ich  to  heime  bliven 
50     und  hebben  ein  gut  gemack, 

van  stride  und  van  vechten 

dar  is  mi  af  gesacht; 

van  striden  und  van  vechten 

üp  mine  henevart, 
55     dat  segg  ick  di,  vel  junger  helt, 

dar  af  gräwet  mi  min  bart.' 

rDen  bart  wil  ick  di  üt  ropen 
und  dar  to  sere  slän, 
so  dat  di  jo  dat  rode  swet 
60     aver  dine  wangen  schal  gän. 
din  harnasch  unde  brüne  schilt, 
dat  schaltu  läten  mi 
und  bliven  min  gevangen, 
wultu  behalden  dat  leven  din.' 

65    'Min  hämisch  unde  brüne  schilt 

heft  mi  vaken  ernert; 

ick  trüwe  Christ  van  hemelrik, 

it  wert  di  hir  erwert.' 

se  leten  van  den  worden, 
70     se  togen  twe  scharpe  swert; 

wat  de  twe  helde  begerden, 

dat  worden  se  gewert. 

De  junge  brächte  dem  olden  [man] 
so  einen  swären  slag, 
75     dat  sick  de  olde  Hillebrant 
van  herten  ser  erschrack. 

4S     held.         45    tbor.  5  2    gesecht.  6  4    leuent;    Gödeke    luent. 

6  7    hemmelrike. 


288 


KARL  BARTSCH 


he  spranc  liinder  sick  to  rugge 
wol  söven  faden  wit. 
'nun  segge  mi,  vel  junger  helt, 
80     den  slach  lert  di  ein  wif.' 

'Schold  ick  van  wiven  leren, 
dat  were  mi  ein  schand, 
ick  hebbe  vel  ridder  und  knechte 
in  mines  vaders  lant. 
85     ick  heb  vel  ridder  und  gräven 
in  mines  vaders  hof, 
und  wat  ick  nicht  geleret  heb, 
dat  1er  ick  överst  noch.' 

He  grep  en  in  dat  middel, 
90     dar  he  am  smalsten  was, 

he  swanc  en  under  sick  to  rugge 

al  in  dat  gröne  gras. 

rnu  segge  mi,  vel  junger, 

din  bichtvader  wil  ick  wesen: 
95     bistu  ein  junc  Wulfinger, 

van  mi  machstu  wol  genesen. 

De  sick  an  olde  ketel  rivet, 
de  entfengt  gerne  rök; 
so  hefstu  gedän,  vel  junger  helt, 
100     hir  jegen  dinen  spot. 

nu  sprick  noch  üp  din  sunde, 
din  bichtvader  wil  ick  sin : 
bistu  van  des  wulves  geslecbte, 
dat  schal  baten  dat  leven  din.' 

105    'Du  sechst  mi  vel  van  wulven, 

se  löpen  in  dem  holt; 

ick  bin  ein  edel  degen, 

geborn  üt  Greker  lant. 

min  moder  het  frouw  Güde, 
110     ein  waldige  hertogin, 

min  vader  is  de  olde  Hillebrant, 

ick  hebbe  en  nicht  gekant.' 

7  7    minder.         7  9    segg.         80    lerde.         82    wer   my   eine.         83    ridders. 
15   ridders.        9  4   wesen]   synn.        104   leuent. 


DAS  NIEDERDEUTSCHE  HILDEBRANDSLIED.  289 

fHet  din  moder  frow  Güde, 

ein  weidige  hertogin, 
115     so  bin  ick  de  olde  Hillebrant, 

de  leveste  vader  din.' 

he  dede  em  üp  sinen  gülden  heim 

und  kussede  en  üp  sinen  munt: 

fnu  mote  des  got  gelavet  sin, 
120     wi  sint  noch  beide  gesunt.' 

fOch  vader,  leveste  vader, 
de  wunden  de  ick  jü  heb  geslagen, 
de  wolde  ick  dremäl  lever 
in  minem  hovede  dragen.' 
125     fnu  swich,  min  leve  sone, 

der  wunden  wert  noch  wol  rat, 
sint  dat  uns  got  albeide 
to  höpe  gevöget  hat.' 

Dat  warde  van  der  nöne 
130     wente  to  der  vespertit, 

wente  dat  de  junge  Hillebrant 

to  Berne  al  in  ret. 

wat  vörde  he  üp  sinem  helme? 

van  golde  ein  krenzelin. 
135     wat  vorde  he  an  siner  siden? 

den  levesten  vader  sin. 

He  vorde  en  in  siner  moder  hüs 
und  settede  en  baven  an  den  disch; 
dat  düchte  siner  moder  frow  Güde 
140     gar  unbillick  [sin]. 

roch  sone  min  leveste  sone, 
is  dat  nicht  der  eren  to  vel, 
dat  du  mi  einen  vangen  man, 
settest  baven  an  den  disch?' 

145     fNu  swiget,  min  leveste  moder, 
ick  wil  jü  niemere  sagen, 
he  quam  to  mi  üp  der  heide 
und  hadde  mi  nä  erslagen. 


132   Beren.        146   hye  mer. 

OERMANIA  VII. 


19 


290  KAR],  BARTSCH 

nu  höret,  leveste  möder, 
150     min  gevangen  schal  he  nicht  sin: 

he  is  de  olde  Hillebrant 

de  leveste  vader  min. 

Och  moder,  leveste  moder  min, 

nn  bedet  em  tucht  und   er.' 
155     dö  höf  se  np  und  schenkde  in 

und  droch  em  sulvest  her. 

wat  hadde  he  in  sinem  munde? 

van  srolde  ein  vingerlin : 

dat  let  he  in  den  beker  sinken 
160     der  levesten  frouwen  sin. 

Anmerkungen.  8.  Güde  statt  des  richtigen  Ute,  das  die  hochdeutschen  Texte 
hahen;  doch  hat  auch  Kaspar  v.  d.  Eon  Gut.  ensach,  im  Frkft.  Liederb.  ersach,  Uhland 
gesach;  entune  hat  Uhland  25,  enpflag  Kaspar  v.  d.  R.  8.  Vgl.  deutsches  Wörterbuch 
3,  447.  —  14.  Hillebrand,  diese  Entstellung  aus  Alebrant  (bei  Uhland i  auch  im  Frank- 
furter Liederbuch  und  bei  Kaspar;  vgl.  noch  27.J13L  —  17.  besser  als  im  Hochdeutschen, 
wo  es  heißt  ja  rennet  er  mich  ane,  oder  rennet  er  mich  denn  an;  ein  kurzsilbiges  "\\  ort 
als  klingende  Cäsur  gebraucht  findet  sich  noch  5  gewesen,  107  degen,  121  vader,  125.  141 
sone.  —  19.  brüne  schilt,  ebenso  61.  65,  die  andern  Texte  haben  grünen  schilt';  ersteres 
ist  die  ältere  epische  Ausdrucksweise ,  vgl.  E.A.  35.  78.  Namentlich  wird  braun  von 
Schwertern,  aber  auch  von  Schilden  gebraucht.  —  21.  Die  Entstellung  brune  srltilt  für 
brünne  hat  in  etwas  anderer  Weise  das  Frkf.  Liederbuch,  wo  es  bende  heißt.  —  24.  die 
falschen  Eeime  slag  :  hat  hat  auch  das  1  rkf.  Liederbuch.  —  25.  Las  unorganisch  ange- 
hängte e  findet  sich  noch  in  helde  für  hei t 43. —  29.  Die  andern  Texte  bieten:  du  solt  im 
freuntlich  zusprechen,  Kaspar  und  sprich  zu  im  ein  freuntlich  wort',  vielleicht  ist  grüßen' 
das  echte,  nur  ist  mi  im  niederdeutschen  Texte  eingeschoben,  vielleicht  hieß  es  da  schal 
en  schone  groten.  33    üpret,    also  hochd.  auf  rait,  die   andern  Texte  haben  außraiä. 

—  36.37.  Die  audern  Texte  haben  die  jüngere  Form  helden,  ebenso  im  Xom.  plur.   71. 

—  39.  40  die  hochdeutschen  Texte :  nun  sag  an,  du  vil  alter,  was  suchst  in  meins  vaters 
land.  —  43.  44  lies  du,  machst  mich  jungen  helden  mit  sehenden  äugen  blint.  —  47. 
Die  andern  Texte:  ob  (auff)  ainer  haißen  glute;  lüde  mag  aus  glute  entstellt  sein;  aber 
der  niederdeutsche  Bearbeiter  verband  47  mit  48  uud  verstand:  'mit  einem  starken  Laute 
lachte  der  alte.'  —  57.  Den  ist  vielleicht  Druckfehler  für  Diu,  die  andern  haben  Dein. 
59.  swet,  Schweiß,  Blut' ;  auch  hier  die  ältere  Ausdrucksweise ,  wo  die  hochdeutschen 
Texte  blut  haben.  62.  64  läten  mi  für  iip  geven  ;  din  in  V.  64  ist  offenbar  hinzugefügt 
und  macht  den  Vers  länger  als  erlaubt  ist,  derselbe  Fall  96  im  Frkf.  Liederbuch.  — 
66.  68.  Der  Text  scheint  hier  richtiger  als  in  den  andern;  uhland  emern  :  erwern,  Frkf. 
Liederbuch  stimmt  66  mit  dem  niederdeutschen  Texte,  68  mit  Uhland.  —  101  — 104 
abweichend  von  den  übrigen,  aber  mit  dem  niederd.  Texte  stimmt  Kaspar  v.  d.  Eon: 
nun  sag  mir  her  dein  peichte ,  dein  priester  wil  ich  wesen  pistu  ein  Wulfing  rill  eichte, 
so  mochstu  wol  genesen;  allerdings  fehlen  bei  Kaspar  die  Verse  23—26.  Vielleicht  reimte 
102.  104  urspr.  wesen  :  leben.  —  108.  Die  andern  Texte  haben  auß  Kriechenlanden  stolz 
<  :  holz):  wenn  nicht  auch  die  erste  Zeile  des  niederdeutschen  Textes  im  Beim  stimmte, 
könnte  man  vermuthen   in  dem  lant  (•.  lant).  —    111.   112  entstellt:  lies  so  ist  Hiltebrant 


DAS  NIEDERDEUTSCHE  HILDEBRANDSLIED.  291 

drr  alte  der  liebste  voter  wein.    —     lo9.   140  seheinen   im  niederd.  Texte  dem  ursprüng- 
lichen näher  zu  stehen;  nur  muß  man  abtheilen: 
dat  dulde  stner  möder 
frov.   Güde  gar  unbillich\ 
die  andern  Texte :  er  bot  im  eßen   und  trinken,  das  daucht  die  muter  unbillich.    Die  Ent- 
stellung des  Reimes  tisch  :  sin  hat  auch  das  Frankfurter  Liederbuch. 

ROSTOCK,  Juli  1862.  KARL  BARTSCH. 


ZU  WOLFRAM  VON  ESCHENBACH 

VON 

FEDOR  BECH. 


Parz.  31,   1 — 3  unser  vanen  sint  erkant, 

daz  zwene  vinger  uz  der  haut 
biutet  gein  dem  eide]. 
Der  Singular  des  Zeitwortes  Mutet  nach  zwene  finger  ist  unerhört. 
Lachmann  hat  dazs  für  daz    vorgeschlagen.     Wahrscheinlicher    ist    mir 
diu  haut  für  der  haut. 

P.  80,  6  folg*  zegegen  kom  im  gehurtet  bt 
ein  fürste  üz  Anschouwe 
(diu  riwe  was  sin  frouwe) 
mit  üf  kerter  spitze: 
daz  lert  in  jetmers  witze\. 
In  Dgg  steht  mit  üf  gecherter  Schildes  spizze,  und   dies  hätte  unbedenk- 
lich   beibehalten    werden   können.      S/>izze   allein,    ohne  Beifügung   von 
Schildes    oder  swertes,   wäre    undeutlich.     Über  Umkehren    der  Waffen, 
als  Zeichen  der  Trauer,  vergl.  Parz.  91,   11  ich  sach  mtns  bruoder  wä- 
pen  tragen  |   mit  üf  kertem  orte;    92,   1 — 3  si  hänt  ir  schuldes  breite  nach 
jämers  geleite  zer  erden  gekeret;    98,    15    die   den   schilt   verkert  da  haut 
getragen;    Frommann    z.    Herbort     15548;    MSH.    4,    94    (162    folg.) 

tili  sivert  sach  ich  der  scheide  bar  |  bi  dem  spizze  vüeren  hin  | diu 

banner  wart  verhöret,  |  der  vleder  hie/.c  vor  im  zetal  (=  Lassb.  LS.  2,  325). 
P.   145,  4  folg.  sin  vater  was  gekleidet  paz 
ufern  tepch  vor  Kanvoleiz. 
der  geliez  nie  vorhilichen  sweiz. 
im  kom  ein  ritter  widerriten.] 
Rechten  Sinn  erhalten  diese  Zeilen  nur,    wenn    man  die  Interpunktion 
am  Ende  der  dritten  tilgt  und  liest:  der  nie  geliez  vorhtlichen  siceiz,  im 
kom  etc.  Diese  Ausdrucksweise  ist  bei  Wolfram  ziemlich  häufig.  Ahnlich 
heißt  es  von  Parzival  148,  28  dor  Parzivältn  worhte,  der  vreise  weide  vorhte 
und   181,  25  den  rehtiu  zageheit  ie  floch,  der  rebeizte  nider  unde  zoch  etc. 

19* 


292  FEDOlt  BECH 

P.  151,  24  folg.  ir  lange  zöpfe  cläre 

die  want  er  umbe  sine  hanl, 

er  spancte  se  Sine  türbant. 

ir  rücke  wart  kein  eit  gestabt: 

doch  wart  ein  stap  so  dran  gehabt  etc.] 
Der  Überlieferung  aller  Handschriften  zum  Trotz  hat  hier  Lachmann 
türbant  gesetzt.  Aber  was  kann  das  hier  heißen:  einen  spengen  eine  tür- 
bant?  Wie  spange  (spengelm)  dasjenige  bezeichnet,  welches  die  ihrer 
Spannung  nach  auseinander  strebendenTheile  mit  Gewalt  zusammenhält, 
so  spengen  sw.  v.  —  zusammenzwängen,  verschränken,  coercere,  coniinere, 
oder  mit  Spangen  versehen,  z.B.  j.  Tit.  368,  4;  2533,  2;  MS.  2,  228, 
7;  verspengen  im  j.  Tit.  377,  4;  überspenge  4412,  2;  entspengen  3649,  3; 
erspengen  Martina  265.  69;  dann  in  übertragenem  Sinne:  j.  Tit.  3647.  3; 
Pass.  K.  439,  73;  559,  19;  Wiggert,  Scherfl.  1,  50;  verspengen  Pass* 
K.  466,  40;  entspengen  342,  64;  sich  spengen  Pass.  K.  211,  15;  366,  11; 
Fundgr.  1,  322,  8;  sich  sp.  üf  Pass.  H.  345.  31;  Pass.  K.  559,  19; 
sich  sp.  von  243,  45;  517,  72;  675,  83;  sich  sp.  dawider  551,  30; 
583,  40;  sich  sp.  in  545,  43;  auch  spangen  findet  sich,  z.B.  Frauen- 
lob S.  116,  67,  11;  Martina  265,  69  und  erspangen  272,  38.  Hiernach 
könnten  die  Worte:  er  spancte  se  äne  türbant  etwa  bedeuten:  er  zwängte 
sie  so  sehr,  packte  sie  so  fest,  daß  ihr  alles  Sträuben  nichts  half; 
es  war  dieß  aber  ein  spengen  mit  bloßer  Hand,  wobei  er  sich  eines 
„Spängelbandes"  (türbant)  nicht  zu  bedienen  brauchte.  Weit  weniger 
gezwungen  ist  der  Sinn ,  welchen  die  überlieferte  Lesart  gewährt :  iur 
tiwer  iure  bunt  statt  türbant.  Keie  fasst  Kunnewaren  im  Zorn  bei  ihrem 
Haar,  indem  er  ihre  langen  Zöpfe  um  seine  Hand  windet,  und  versetzt 
mit  seinem  Stabe  ihrem  Rücken  Schläge.  Das  war ,  fügt  der  Dichter 
scherzend  hinzu,  kein  kostbares  Band  Q)orte  im  Erek  1572),  das  er 
ihr  in  das  Haar  wand ,  kein  Eid,  den  er  ihrem  Rücken  stabte.  Auch 
Simrock  und  San  Marte  halten  sich  nicht  streng  an  den  Lachmann- 
schen  Text  und  scheinen  mit  dem  türbant  nichts  anfangen  zu  können. 
Der  erstere  übersetzt:  er  spängte  sie  ohne  Spängelband^  der  andere:  und 
hefteile  sie  ohne  Band  und  Spange.  Über  staben  vgl.  Ges.  Abent.  2, 
118,  45:  die  andern  mit  den  gerten  \  in  slahen  zuo  der  herten  \  und  mit 
den  zwigen  staben. 

P.  155,   12  folg.  icibe  siufzen,  herzen  jdmers  kratz 

gap  Ithers  tot  von   Gaheviez, 

der  wiben  nazziu  ougen  liez]. 
wtbe  siufzen  ist  schwerlich  richtig,  wegen  der  iciben  in  der  dritten  Zeile. 
Für  wibe  steht  bibes  in  g;  vielleicht  hieß  es  riwe  oder  ivS  siufzen? 


ZU  WOLFRAM  VON  ESCHENBACH.  293 

P.  165,  26  folg.  der  wirt  in  mit  im  ezzen  hiez: 
der  gast  sich  da  gelabte, 
in  den  barn  er  sich  so  habte, 
daz  er  der  spise  swande  vil.] 
Es  ist  unwahrscheinlich,  daß  der  Dichter  den  jungen  P.,  wie  unhöfisch 
und  ungeschlacht  seine  Sitten  auch  noch  waren,  an  der  Tafel  des  Sitten- 
meisters Gurnemanz  aus  einem  barn  (=  Trog,  Krippe  für  Kühe, 
Pferde  u.  dgl.)  sollte  haben  essen  lassen.  Daß  barn  aber  für  „Schüssel" 
genommen  werden  könne,  wie  es  San  Marte  übersetzt,  ist  nicht  nach- 
weisbar; auch  mag  Simrock  so  etwas  gefühlt  haben,  denn  er  umgeht 
das  Wort,  indem  er  dafür  setzt:  in  don  Gaumen  schob  er  sohlte  Last, 
viel  Speise  ward  zu  nicht  gemacht.  Vielleicht  aber  ist  gar  nicht  barn, 
sondern  barn  gemeint;  bar  bare  ba>re  =  gebare  gebcere  gestus  habitus, 
wie  sich  bcerde  =--  gebärde  findet  115,  11  und  709,  29.  Über  das  Wort 
vgl.  mhd.  WB.  1,  145b  und  147b  und  dazu  Leben  Christi,  herausge- 
geben von  Pfeiffer  in  Haupt's  Zeitschr.  5,  29,  450:  si  geloubten  daz  er 
woer  |  ein  got  kunee  in  menschlicher  pcer  —  Lucifer  u.  Jesus  ed.  Massm. 
in  v.  d.  Hagens  Germ.  9,  179;  Clara  Hätzl.  S.  25a,  92:  du  weizst  mich 
von  des  tadeis  pdr;  v.  d.  Hagens  Germ.  10,  144:  an  also  getaner  bere — 
als  wi  drlzich  jdr  alt  weren,  und  1 73 :  daz  dat  tier  quam  an  solicher  bere 
also  em,e  ein  houet  gewundet  were;  Sündenfall  ed.  Schcenem.  1272:  leve 
sone,  ton  hebbe  gy  al  sodene  bere? 

P.  171,  6  folg.  im  ist  noch  wirs  dan  den  die  gent 
nach  porte  aldä  diu  venster  stent.] 
Für  porte,  welches  D  allein  hat,  lesen  die  andern  Handschriften  alle 
brote;  und  dies  ist  dem  Sinne  weit  angemessener:  ihm  d.  i.  dem  kum- 
berhaften  man  gehts  noch  schlimmer  als  denen,  welche  vor  den  Fenstern 
ihr  Brot  suchen,  den  Siechen  und  den  Bettlern.  San  Marte  sucht  durch 
Beimischunor  eines  fremden  Zusatzes  dem  Sinne  einigermaßen  aufzu- 
helfen:  er  duldet  schlimmere  Pein  als  die,  die  nach  der  Thüre  blind  hin- 
tappen, wo  nur  Fenster  sind.  Wäre  porte  richtig,  so  würde  man  den 
Artikel  kaum  entbehren  können.  Über  die  Redensart  nach  brote  gen 
vgl.  Iwein  3303 :  hie  gienc  ein  venster  durch  die  want,  da  durch  rahter  im 
die  haut  und  leit  im  üf  ein  bret  ein  bröt:  daz  buozt  im  die  hungers  not; 
Rechtsb.  des  Joh.  Purgoldt  ed.  Ortloff  S.  292  (92)  man  sul  in  mit 
nichte  läzen  not  liden  ader  nach  brode  gen;  Rothe's  Chron.  Cap.  437: 
ich  scheine  mich  noch  brote  zu  gen  und  ebenso  S.  355,  Z.  5;  vgl.  Wig- 
gert  Scherfl.  2,  9  aus  den  Sittensprücken  des  Facetus  (15)  illius  seinen 
nunquam  panem  male  quceret;  Herbort  v.  Fritzl.  162,  4  her  ginc  dö  umme 
brot  in  eines  betelers  wise;  214,   18  her  ginc  ummebrotvor  alle  sinen  vrundeu. 


294  FKDOR  BECK 

P.  172,  30  ich  wil  iu  mer  von  wibes  orden  sagen\.  Dieser  Vers  ist 
unnatürlich  überladen.  Vielleicht  hieß  es:  lät  iu  mer  oder  hcert  mer 
von  w.  etc. 

P.  193,  9  und  arger  schützen  harte  vi!].  Lachmann  vermutet  atger- 
8öhützen;  aber  auch  ärher schützen  =  solche  Schützen,  die  in  den  per- 
friden  und  ärkern  aufgestellt  wurden,  könnten  gemeint  sein,  vgl.  183, 
25  und  die  Varianten  dazu  und  351,  28 — 30  dar  zuo  der  zinnen  ieslich 
mit  armbruste  ein  schütze  pflac,  der  sich  schiezens  her  uz  bewac. 

P.  197,  24  folg.  wie  ein  phetero?re 

mit  würfen  an  in  seigte  (:  neigte), 
seigen,  sw.  v. ,  factitiv.  zu  sigen,  =  sigen  machen,  so  in  Haupts  Zeit- 
schrift 7 ,  325 ,  1 1  den  ast  hete  vil  vaste  der  wint  daruf  geseiget  und  in 
Frauenlobs  Sprüchen  363,  9 :  al  durch  die  wären  minne  er  got  sich  mensch- 
lich zuo  uns  seigte  (-.zeigte  -.neigte)  u.  in  d.  Elisab.  Diut.  1,  482:  diu 
here  keiserlich  gewalt,  hat  sich  ir  geseiget,  ze  seltene  an  geneiget.  Besonders 
bedeutet  es,  mit  Bezug  auf  Beschwerung  der  Wagschale,  des  Wage- 
balken  durch  Gewichte,  =  wägen,  z.  B.  Heinr.  v.  d.  Türlin  in  der 
Krone  6218:  solt  ich  sie  beide  seigen  (:  gezeigen),  disiu  wceg  s6  verrevür  \ 
daz  jeniu  vil  gar  verlür :  dann  =  abwägen,  abmessen  V.  23780:  daz  er 
(der  Zauberhandschuh)  daz  erzeigte  \  und  geliche  an  ir  seigte.  \  misset  <H 
u?ide  tugent;  daher  seigccre  =  Wagebalken,  Wage  in  Parz.  272,  16, 
bei  Späteren  =  horologium,  Diefenb.  147,  Stolle  Erf.  Chron.  159,  192, 195, 
203.  Dieselbe  Bedeutung  bewahrt  das  Wort  seigen  auch  in  Parz.  434, 
17:  sus  kan  sin  wäge  seigen.  sin  selbe*  pris  vf  steigen  und  du  andern  leren 
sigen  (:  wigen ,  duellis)  d  h.  so  weiß  seine  Wage  zu  wägen,  seinen 
Ruhm  treibt  sie  (steiget  si  üf)  in  die  Höhe,  den  anderer  lässt  sie  sinken. 
Weder  Simrock  noch  San  Marte  übersetzen  hier  genau,  indem  sie  es 
=  sich  neigen,  sich  senken  nehmen;  es  ist  vielmehr  hier  ganz  allge- 
mein gedacht  und  umfasst  beides :  das  iif steigen  und  das  sigen  leren. 
In  den  Interlinearvers,  der  Psalm.  S.  266  heißt  es:  äne  unrecht  lief  ich 
unde  seigete  —  rihtete  —  ich  =  sine  iniquitate  cueurri  et  direxi;  dahin 
gehört  auch  j.  Tit.  1570,  2:  an  clärheit  uz  geseiget  \  was  si  die  trugelist 
da  het  gescheiden  \  von  in  und  3393  ich  hän  die  üzerwelten  in  unser  schar 
geseiget,  nach  Lachm.  Auswahl  S.  274  soviel  als  ausencOhlt.  In  einer 
verwandten  Bedeutung  wird  es  von  Wurfgeschossen  gebraucht,  sei  es 
daß  sie  von  der  Hand  erst  zum  Schusse  gewiegt  oder  daß  sie  mittelst 
Schwungmaschinen  geschleudert  werden,  daher  =  schleudern,  werfen 
(vgl.  wegen  im  mhd.  WB.  3,  62'',  32  folg.  ;  "in  letzterem  Sinne  ist  es 
an  unserer  Stelle  zu  fassen:  als  wenn  eine  Steinschleuder  mit  ihren 
Würfen  auf  ihn  schleuderte,  schösse;  daher  das  adj.  anseige  im  Lanzel. 


ZU  WOLFRAM  VON  ESCHENBACH.  295 

1618:  sioie  im  anzeige  der  riche  ivirt  wcere,  vgl.  Graff  6,  131  «=  irruens, 
mfestus;  ferner  Gottfr.  Trist.  402,  23:  dem  (dein  Wurfe  mit  der  Stange) 
hcete  er  sine  unir.e  an  der  seige  und  an  dem  läze  rehte  in  der  merke  ge- 
geben etc.,  wo  seige  wohl  richtiger  mit  v.  d.  Hagen  WB.  z.  Trist. 
413  für  Schwenkung ,  Wucht.,  als  mit  Groote  S.  525  für  Neigring  ge- 
nommen wird.  Neben  diesen  Beispielen  finden  sich  andere ,  in  denen 
seigeh  wieder  in  die  intransitive  Bedeutung  von  sigen  übergegangen  ist 
so  in  Heinrich  v.  d.  gemeinen  Leb.  ed.  Diemer  13:  omnes  declinaverunt: 
daz  sprichet  si  liänt  sich  alle  geneiget ,  er  meinet  die  da  habent  geseiget 
von  got  ze  dem  ewigen  volle  und  Wigal.  282 ,  8 :  sin  manheit  in  niht 
ruowen  liez,  üf  den  herren  Gdwein  seiget  er  =  stürzte ,  schoß,  schwang 
er  sich;  und  seige,  st.  f.,  =  occasus  solis  bei  Frauenlob  Spr.  272,  7: 
diu  sänne,  ist  üf  der  seige;  auch  gehört  hierher  wohl  das  Adject.  seig 
und  das  Subst.  seigel  st.  m.  =  Sprosse,  Stufe,  Weist.  1,  13,  2:  diu 
linener  zu  dem  dritten  seigel  fliegen  mugint  und  Walth.  v.  Rheinau  19, 
13:  do  waren  die  frowen  ze  dem  tempel  alomonis  komen,  da  man  üf 
fünfzehn  seigel  gie.  Das  in  Myst.  2,  650,  25  vorkommende  erseigen  in 
den  Worten  we  mir  wie  ist  min  eilende  erseiget  halte  ich  mehr  für  eine 
Ableitung  von  sihen.  Vgl.  noch  Schmell.  3,  209 — 10. 
P.  317,  28  folg.  er  was  riuse  und  vengec  vach, 

sin  manlichez  eilen 

kund  den  pris  wol  gesteilen, 
gest eilen  und  stellen,  im  Sinne  von  nachstellen,  auflauern,  darnach  trach- 
ten, hat  sonst  nur  den  Dativ  oder  Präpositionen  wie  üf,  nach,  zuo  bei 
sich.  Im  eigentlichen  Sinne  gebrauchen  z.  B.  dieses  Wort  die  Eisenach. 
Rechtsbb.  ed.  Ortloff  S.  730 :  stellit  ein  man  wilde  adir  vogiln  in  sime 
zvingarten;  Pass.  K.  177,  62:  kund  ir  mir  ourh  zu  stellene  mit  gelubde 
Worten;  393,  69:  mit  geicalt  und  mit  vären  wolden  si  in  stellen  und  ir 
leben  vellen ;  564,  80:  nü  wart  ir  (der  juncvrowen)  me  gestalt  von  deine 
übeln  vürsten;  598,  34:  sus  wart  Martind  gestalt.  Beispiele  mit  nach  bei 
Griesh.  Predd.  2,  34:  der  lerer  nach  dem  zerganclichen  guote  ze  vaste 
stellet,  und  S.  62:  du  stellest  nach  weltlichen  eron  unde  nach  irdeschen 
fröuden;  Myst.  1.  312,  26;  Clara  Hätzl.  90,  142;  208,  204;  Frauenlob. 
Spr.  24.  11  und  Schmell.  3,  629;  mit  »/sieh  Boner  ed.  Ben.  S.  463; 
Trojan.  14716:  er  künde  in  einem  w aide  wit  ein  tier  vil  baz  gev eilen  denn 
üf  den  Ion  g  es  teilen  den  fr  oicen  minne  Mutet;  Schwanritter  361 ;  Walth.  v. 
Rheinau  46,  41:  er  was  ie  gestellende  üf  reht  als  ein  gewcerer  gotes  kneht ; 
mit  zuo  Herbort.  Troj.  15156:  du  sah  mit  dinen  gesellen  zu  irme  tode 
stellen;  Massm.  Denkm.  128  36:  der  lintworm  steh  dem  leioen  zuo  (:nuo); 
Haupt,  Zeitschr.  11,  494,55:  do  man  zuo  der  hochzit  stalte;  mit  enkegen 


296  FEDOK  BECH 

bei  Ebernand  2572 :  und  häte  dar  enkegen  gestalt  =  dagegen  maehiniert ; 
—  ganz  absolut  in  Eisenach.  Rechtsbb.  S.  750:  wer  ein  hert  machit 
unde  stellit  darftf  mit  eime  garne;  Rechsbb.  Purgoldts  4,  67:  also  verre 
daz  her  nim and  mit  dem  jagen,  beizen  adir  stellen  schaden  tu;  Martina 
63,  33 :  alsus  stellit  er  mit  mähte  wie  er  vil  menge  trahte  in  bereite  sun- 
derlich.  Eine  andere  Struktur  dieses  Zeitwortes  in  der  aus  der  Waid- 
mannssprache entnommenen  Bedeutung  ist  mir  nicht  bekannt  worden. 
Daher  ist  an  unserer  Stelle  wohl  der  Acc.  den  pris  zu  ändern  und  der 
Vers  mit  4  Hebungen  zu  lesen. 

P.  388,  1.  wer  da  nach  prise  wol  rite 

und  nach  der  wibe  löne  strite? 

ine  möht  ir  niht  erkennen^ 
Besser  scheint  vol  rite,    vgl.  Erek  8049:    daz  er  benamen  vol  rite,  und 
8053:  ezn  half  dehein  widerstriten,  er  wolde  vol  riten;  Gauriel  von  Mon- 
tavel  in  dieser  Zeitschr.  6 ,  402 ,  66  :    dö  wart  im  harte  leit   daz  er  mit 
in  niht  vol  reit. 

P.  424,  3  folg.  ich  bin  des  unervmret, 
heten  si  gesch&ret 
als  ein  valke  sin  gevidere: 
da  rede  ich  niht  widere.] 
Der  Dichter  redet  von  jungen  Mädchen  ,  welche  mit  Antikonien  — 
ganz  gegen  sonstige  höfische  Sitte  —  den  tapfern  Rittern  bei  Tische 
aufwarteten:  solche  Schenken,  meint  er,  hatten  nicht  zu  befürchten, 
daß  sich  die  Hosennestel  lösten  ;  es  waren  Jungfrauen  in  ihren  besten 
Jahren ;  ob  sie  wie  die  Falken  mit  ihrem  Gefieder  bereits  die  Maußer 
bestanden  hatten ,  darüber  will  ich  nicht  streiten.  In  gleichem  Sinne 
bedient  sich  des  Wortes  schären,  schceren  Ulrich  von  Türheim  in  seinem 
Rennewart,  sieh  die  Nabburger  Bruchst.  von  K.Roth  S.  123.  11:  daz 
horte  ich  etesioanne  \  in  mlnen  lieben  jären :  |  so  diu  maget  beginnet  schä- 
ren |  und  entwerfen  sich  diu  brüstel,  \  si)  bestdt  sie  ein  gelüstel.  Dort  wird 
schären  erklärt  mit  das  Haar  kräuseln  und  Simrock  übersetzt  unsere  Stelle : 
trugen  sie  gekraust  die  Locken.  Jedenfalls  beweist  die  Stelle  aus  dem 
Rennewart,  daß  das  Wort  von  dem  Beginn  der  Mannbarkeit  verstanden 
werden  darf,  üb  es  verwandt  ist  mit  dem  von  San  Marte  in  dieser 
Zeitschr.  2,  87  verglichenen  charer  =  tomber  cader e ,  wage  ich  nicht 
zu  entscheiden  Dem  Sinne  nach  scheint  es  dem  oft  ähnlich  gebrauchten 
reren  sich  zu  vergleichen,  z.  B.  P.  469,  11:  sus  rert  der  ferus  rnüze  sin; 
Willeh.  309 ,  27 :  so  diu  erde  ir  gevidere  reret  unde  si  der  meie  leret  ir 
muze  alsus  volrecken;  392,  25:  diu  cristenheit  sich  rerte,  diu  heidenschaft 
sich  merte  (nachgeahmt  im  Loherangr.  4384);  Frauenlobs  Lieder.  12,  2: 


ZU  WOLFKAM  VON  ESCHENBACH.  297 

diu  rninne  alsam  ein  vederspil  sich  müzet,  si  reret  leit  und  kleidet  an  sich 
rieh  gevidere  in  werndez  lief,  Üttocar  in  Massm.  Kaiserchron.  2,  S.  629 
v.  312:  st  er  der  krefte  gevider  rert  gein  des  tödes  muze ;  davon  müze- 
rere,  z.  B.  Parz.  170,  18:  verschämter  Itp ,  waz  touc  der  mer,  der  wont 
in  der  müze  rer;  j.  Tit.  494,  2:  die  da  phlegent  der  tugent  miizerere 
vgl.  497,  4:  ob  si  beübent  sunder  mfize  reric;  1191,  3:  ir  jungez  herze 
pß'ic  der  muze  rere;  vgl.  auch  Georg  4419  folg.,  dort  heißt  es  von 
Alexandrina,  welcher  durch  das  Wort  des  Marias  die  Brüste  wieder 
wachsen :  der  jungen  sä  zehant  die  brüste  entsprungen,  der  süezen  und,  der 
clären ,  als  vor  zwelif  jären  woeren  gewahsen  und  niht  nie  —  hie  stuont 
min  frowe  diu  keiserin  als  ein  müzersprinzelin  so  ez  im  vollen  kröpfe  stät 
etc.,  und  Helbling  1,  1075:  du  hast  rehte  verwollen  (?)  als  ein  müzer- 
sprinze;  Wolfr.  Lieder  9,  17:  ein  müzervalke,  ein  terze ,  dem  mac  brüst 
niht  baz  dan  dir  diu  dine  stän. 

P.  429,  27  folg.  dar  zuo  sehs  andriu  kindelin. 

dise  ahte  jnncherren  sin 

warn  gebürte  des  bewart, 

elliu  von  edeler  hohen  art. 

Sie  wären  im  durch  sippe  holt 

und,  dienden  im  vf  sinen  solt.~\ 
Durch  Lachmanns  Interpunktion    am  (Schluß    der  vierten  Zeile   ist  der 
Zusammenhang  dieser  Worte  gestört ;  daher  auch  bei  beiden  Übersetzern 
ungenau  übersetzt  ist.     Des  im  dritten  Verse  bezieht  sich  offenbar  auf 
den  später  folgenden   parataktisch    angefügten  Gedanken :    si  wären  im 
durch  sippe  holt  etc.     Daher  ist  nach  art  ein  Komma  zu  setzen.     Eine 
ganz   gleiche  Satzverbindung   findet   sich   582,    23:    die  edelen  mit  der 
hohen  art  wären  ir  zühte  des  bewart ,  wan  siz  mit  willen  täten,  ir  süezen 
munde  in  bäten  da  stenes  unz  er  gceze.     Si   wären  ir  gebürte   des   bewart 
bedeutet:    sie  waren  vermöge  ihres  angebornen  Triebes  darauf  bedacht, 
hatten  darin  einen  angebornen  Takt,  daß  sie  ihm  zugethan  waren  und 
um  seinen  Lohn  dienten.  Über  das  absolut  stehende  gebürte  sowie  zühte 
vgl.  Trist.  255,   18:  daz  er  gebürte  ein  herre  was. 
P.  436,  9.  man  mac  noch  dicke  schouwen 
froun  Lüneten  riteu  zuo 
etslichem  rate  gar  ze  fruo.] 
Den  Ausdruck  zuo  ri.ten  hilft  eine  Stelle  in  der  Guoten  Frau  ed.  Som- 
mer 225  erläutern:    lebte  er  (—  der  man)   mir  niht  daune,    so  xomre  ich 
ze  manne  al  ze  vrüeje  geriten ,  womit  zu  vergleichen    ist  ebendas.  2338: 
swelch  frouwe  ze  manne  gähet,    tuot  siz  äne  rät,    ob   ir   danne    missegät, 
sd  muoz  siz  eine  sitzen. 


298  FEDOB  BECH 

P.  454,   15.  mit  der  sternen  um  bereise  vart 
ist  gepüfel  aller  menschlich  art.] 
Wie  hier  gepüfel,  so  steht  in  der  Erlös,  ed.  Bartsch  4598:  daz  gebofel 
ii ml  die    knehte;    gleichwohl    hat    das    nur   in  D  befindliche  Wort  hier 
durchaus  keinen  passenden  Sinn,  bessern  ohne  Zweifel  die  Lesart  der 
andern   Handschriften  gepruovet,  vgl.   nihd.  Wß.   1,  230. 

P.  463,   15.  do  Lucifer  fuor  die  hellevart, 

mit  schär  ein  metische  nach  im  wart.} 
Was  das  circumflektierte  schär  hier  bedeuten  soll,  ist  nicht  einzusehen ; 
auch  wüsste  ich  nicht,  was  gegen  die  Interpunktion  nach  schar,  wie 
sie  Dg  hat,  einzuwenden  wäre.  Unbedenklich  ist  San  Martes  Über- 
setzung: als  Lucifer  zur  Hölle  gefahren  mit  seiner  Schar.  Vgl.  Lanz. 
1405:  si  besfuonden  in  mit  schäm  (:  gevarn)  und  6238  (:  varn) ;  MS.  2, 
S.  82  (21):  üf  den  avper  da  man  die  jungen  mit  schäm  siht  zuo  sigen; 
Dietmar  in  MS.  2,  S.  174  (4):  der  karge  vert  ze  helle  und  meret  dem 
tiuvel  sine  schar  (:  gar).  Der  Name  Lucifer  scheint  übrigens,  wenn  wir 
ihn  nach  heutiger  Weise  auf  der  ersten  Silbe  betonen,  nicht  recht  be- 
quem für  den  Vers,  weshalb  wohl  Lachmann  fuor  hellewart  vermuthete. 
Ist's  denn  aber  ausgemacht,  daß  der  des  Lateinischen  unkundige  Wolf- 
ram ihn  auch  so  aussprach?  Wenn  man  Rudolf  von  Ems  vergleicht 
im  G.  Gerhard  4337 :  und  von  Lucifers  hochvart  \  der  zehende  hör  ver- 
vellet  wart,  so  könnte  man  versucht  sein,  den  Hauptton  auf  die  Mittel- 
silbe zu  legen:  alsdann  wäre  in  unserer  Stelle  ein  zweisilbiger  Auftakt 
anzunehmen. 

P.  464,  28  folg.  got  seihe  anilütze  hat  genomen 
nach  der  ersten  meide  f ruht: 
daz  xcas  sin  er  hohen  art  ein  znht.] 
Simrock  übersetzt  gegen  den  Sinn  der  Worte:    so  erwies   er  hohe  Mü- 
digkeit, und  ebenso  das  mhd.  WB.  3,  938 :    das  war  die  Barmherzigkeit 
seiner    menschlichen  Natur;     in  San    Martes    Übersetzung    erkennt   man 
den  Wortlaut  des  Textes  nicht  wieder.  Zuht  bedeutet  hier  höchst  wahr- 
scheinlich foetus   soboles   proles ,    vgl.     Graff   5,     615—616    und    mhd. 
WB.  3,  937",  47  folg.  Erlös.  189;  Heinzelin  in  der  Minne  Lehre  164; 
Ebcrnand.  735  folg.:  wie  von  dem  gotes  knehte  bequeme  ein  geslehte,  daz 
von  des  edeln  Stammes  zuht  bequeme  ein  also  süzefruht  etc.  und  in  Laßb. 
LS.  2,  713,  95  heißt  es  von  einer  stalten  frowen:  gert  si  diu  saftic  ivur- 
zes  zuht,  uz  der  diu  süeze  baisam  vruht  erbluomet  und  ersprungen  si. 

P.  481,  23.  so  nähn  hinzuo  ir  süezer  smac  - 
dennoch  niht  sin  verrochen  mac] 
Diese  Wortstellung  ist  sehr  auffallend;  vielleicht  hieß  es: 


ZU  WOLFRAM  VON  ESCHENBACH.  299 

so  nahm  hinzuo  verrochen  mac 

dennoch  niht  shi  ir  süezer  smac. 
P.  486,   18.  und  do  sd  maneger  frouwen  varwe  glänz] ,   entweder  ist 
varice  zu  tilgen  oder  manecvar  frowen  glänz  zu  schreiben. 

P.  506,  12.  er  begreif  der  linden  einen  ast, 

er  sleiz  einen  louft  drube  als  ein  ror. 
Simrock :  da  riß  er  von  dem  Lindenast  ein  Zweiglein  nieder  wie  ein  Bohr, 
und  im  mhd.  WB.   1,   1047a  wird  louft   an  dieser  Stelle    für  Schößling 
eines   Baumes,  Zweig  erklärt.  Das  ist  nicht  richtig.  Louft  bedeutet  hier 
=  Bast,  Schale,  Bastrohr,  welches  in  die  Wunde  gesteckt  werden  soll, 
um    das    im  Leibe    angesammelte  Blut   herauszuleiten.     Vgl.    Sumerlat. 
16,  28:   suber,  corte.r,  louft  vel  maser ,    und  Admonter  Vocabularius  in 
Haupts  Zeitschr.  3,  379b:    suber,  rincla,   loft;    Schmeller  3,  445:    lauf, 
die  Schale,   Hülse;  vgl.   auch   das  mhd.  flintenlauft. 
P.  508,  5.  der  bürge  man  noch  Mute  giht, 
daz  gein  ir  sturm.es  horte  niht.] 
In  G  steht  horte  Sturmes,  in  d  hurte.    Ich  vermuthe:    daz  si  (dazs)  gein 
ir  sturmes  hurte  (oder  vorhfe)  niht.     Derselbe  Gedanke  findet  sich  564, 
30  :  für  allen  stürm  niht  ein  her  go?b  si  ze  drizec  jären,  op  man  si  icolte 
vdren,    und    Lanzel.  312:    si   vorhten    keinen  fremden  gast  noch  deheines 
hüneges  her,  und  4822:  daz  gezelt  stuont  unervorht  vor  aller  slahte  wetere; 
5035:  si  (diu  burc)  ervorhte  aller  manne  list  so  groz  niht  als  umb  ein  här. 

P.  515,  25.  iwer  unversichert  hant  mac  greifen  wol  an  sma'her  pfant.] 
Unvers.  haut  übersetzt  Simrock  mit  ungeschworne  Hand,  San  Marte  un- 
berufene Hand;  beide  wohl  nicht  genau.  Gawan  hat  zuvor  Orgelusen 
versprochen  mit  seiner  Hand  um  ihre  Minne  zu  dienen  v.  21 ;  noch 
hatte  aber  diese  Hand  keine  Bürgschaft,  keinen  Beweis  dafür  gegeben, 
daß  sie  das  Versprochene  leisten,  die  entgegenstehenden  Schwierig- 
keiten überwinden  werde;  von  seiner  noch  unversuchten  unerprobten 
Hand  will  Orgiluse  nicht  angefasst  sein.  Über  die  Bedeutung  von  ver- 
sichern vgl.  Willen.  189,  3  und  428,  8;  ähnlich  braucht  er  sichern  Hart- 
mann im  Erek  6783  :  nü  häte  er  ir  lip  ersichert  gänzlichen  icol  als  man 
d<r:  golt  sol  Untern  in  der  esse.  In  dem  Dienst,  den  Gawan  der  Frau 
durch  Aufheben  auf's  Pferd  leisten  wollte,  würde  er  ein  Pfand,  eine 
Bürgschaft  für  den  zu  hoffenden  Lohn  erblickt  haben;  davon  will  sie 
für  jetzt  nichts  wissen. 

P.  551,  25.  solch  varwe  tuot  die  wärheit  hnnt, 
die  man  sloufet  in  den  munt.] 
Von  der  blassen  bleichen  Gesichtsfarbe  ist  die  Rede,    welche  das  mit 
Weinessig  bereitete  Gericht  entstehen  lässt:  die  Gesichtsblässe  verräth 


300  FEÜOR  BECJB 

den,  der  die  Wahrheit  verschlucken,  verbergen  will.  Vgl.  Fundgr.  2, 
45,  21,  wo  es  von  Laban  heißt:  erbes  unde  scatzes  unde  aller  slahie 
nutzes  litte  er  ai  (Rachel  und  Lea)  bestozen ,  liefe  si  verchoufet ,  gar  in 
den  munt  gesloufet.  Wie  dort  so  ist  wohl  auch  hier  in  den  munt  sloufen 
als  ein  sprichwörtlicher  Ausdruck  anzusehen,  etwa  =  verbergen,  ver- 
heimlichen, vorenthalten.  Simrock:  solche  Farbe  thut  mit  Wahrheit  kund, 
was  gegessen  hat  der  Mund  —  damit  scheint  mir  der  Wortlaut  des 
Textes  nicht  zu  stimmen. 

P.  598,  30  folg.  ir  sit  ouch  llht  ze  sere  wunt 
üf  strites  gedense. 
daz  täte  iu  we  zer  gense.] 
Daß  Orgiluse  den  schwer  verwundeten  Gawan  mit  diesen  Worten  ver- 
höhnen und  reizen  will,  ist  klar.  Aber  was  soll  daz  toste  iu  we  zer  gense 
heißen?  Simrock  sagt:  Blut  lassen  macht  Euch  schwächen;  San  Marte 
umgeht  vorsichtig  den  ganzen  Vers;  im  mhd.  WB.  wird  zer  gense 
erklärt:  neben  dem  säubern  Titel,  den  ich  Euch  gegeben  (515,  13)  habe. 
Vielleicht  ergiebt  sich  aus  der  Vergleichung  folgender  Stellen  das 
Richtige.  Bei  M.  und  Mooyer  Altd.  Dicht.  S.  45,  104  antwortet  eine 
Frau  einem  Ritter,  der  um  ihre  Liebe  zu  dienen  ihr  verheißt:  wo  JcSrne 
du  her,  daz  dich  di  gense  niht  enbizzm?  Meister  Stolle  in  MS.  v.  d.  Hag. 
3,  S.  1 0a :  so  we  dir,  arme  ritterschaft  —  —  —  ,  sd  du  gedienes  an  daz 
zu,  des  wcere  zit,  daz  man  dir  h  l/en  solte,  so  häs'ü  gense  ertrettet  vi/, 
und  zihen  dich  du  sis  ein  man,  der  nieman  volgen  wolte:  also  qeheizen 
sumelirhe  herren  vür  daz  geben:  d.  h.  o  ihr  bedauernswerthcn  Ritter, 
wenn  ihr  mit  Euerm  Dienen  an  das  Ziel  Eurer  Wünsche  gekommen 
zu  sein  meint,  so  daß  es  an  der  Zeit  wäre  Euch  zu  helfen,  da  beißt  es, 
ihr  hättet  doch  weiter  nichts  gethan  als  Gänse  todt  getreten,  man  wirft 
Euch  vor,  ihr  hättet  niemand  recht  folgen  wollen  u.  s.  w.  Ähnlich  an 
unserer  Stelle:  ihr  seid  wahrscheinlich  zu  sehr  verwundet,  als  daß  ihr 
euch  auf  neuen  Kampf  einlassen  könntet,  es  würde  euch  weh  thun, 
wenn  ihr's  auch  nur  mit  Gänsen  aufnehmen  solltet.  Der  Singular  und 
der  bestimmte  Artikel  in  zer  gense  kann  nicht  auffallen,  vgl.  Erek  2042 
folg.  Über  gedense  :  gense  vgl.  noch  Kellers  Erz.  506,  25:  ich  hän  mit 
enteu  und  mit  gensen  gehabt  manig  groz  gedense\n\ ;  im  Ring  von  II.  v. 
Wittenweiler  53c,  35 :  die  risen  Hoffend  her  mit  ihrem  gedens  recht  sam 
die  wolf  in  ander  gens;  Clara  Hätzl.  S.  70,  70. 
P.  672,  29.  swaz  ir  des  habt  genozzen, 

daz  zeiget  unverdrozzen. 

Ir  möht  zeinr  witwen  wol  tuon.] 
Simrock:    ivas  dabei  sich  zugetragen,  wnlt  davon  uns  Kunde  sagen.     Per 
Witwe   Schaden  ziemt  Euch  nicht.  Der  Gedanke  ist  schwerlich  in  Gawans 


ZU  WOLFRAM  VON  EBCHENJ5ACH.  3()1 

Antwort  beabsichtigt ;  auch  ist  das  Wort  sivaz  dieser  Übersetzung  ent- 
gegen. Gawan  bittet  vielmehr  Artus,  daß  er  den  Schaden,  der  ihm  im 
Kampfe  mit  den  Leuten  der  Herzogin  von  Logroys  zu  Theil  geworden, 
sich  aus  dem  Sinne  schlagen  möge,  da  sie  eine  Witwe  sei,  der  wohl 
zu  thun  die  Ritterpflicht  erheische,  vgl.  673,  25  folg.  Daher  ist  wohl 
mit  Streichung  der  stärkeren  Interpunktion  nach  unverdrozzen  so  zu 
übersetzen:  was  euch  auch  dabei  begegnet  sein  mag,  gebt  das  unver- 
drossen zu  erkennen,  daß  ihr  bereit  seid,  einer  Witwe  wohl  zu  thun. 
Der  letzte  Satz  ist,  wie  so  oft  bei  Wolfram,  parataktisch  gebaut. 
P.  675,  13  folg.  got  mit  den  liuten  wunder  tuot. 

wer  gap   Gawan  die  frouwen  luot  ? 

sus  sprach  Keye  in  sime  schimpf. 

daz  was  gein  friunde  ein  sivach  gelimpf.] 
Simrock :  Gott  mit  den  Leuten  Wunder  ihut :  wer  gab  Gawanen  Frau  und 
Gut?  sprach  Herr  Kei  in  seinem  Eifer;  dem  Freund  missgünstig  war  sein 
Geifer.  So  zahm  und  so  wenig  beißend  kann  der  auf  Gawan  im  höch- 
sten Grade  erbitterte  Keie  unmöglich  hier  gespottet  haben.  Schwerlich 
wüicb'  nach  einer  solchen  Äußerung  der  Dichter  zu  einer  so  einge- 
henden Betrachtung  über  Keies  neidischen  Charakter  übergegangen  sein. 
Der  Scherz  war  gewiss  derberer  Art.  Ich  finde,  daß  besonders  die  Worte 
frouwen  luot  darauf  berechnet  waren.  Das  sonst  selten  auftretende  luot 
scheint  mir  um  so  mehr  absichtlich  gewählt,  als  es  in  der  höfischen 
Umgangssprache  schwerlich  anders  als  von  gemeinen  unedeln  Wesen 
gebraucht  wurde,  so  der  heiden  luot,  des  tiuvels  luot,  vgl.  mhd.  WB. 
1,  1053,  und  j.  Tit.  2692,  1:  sam  da  ein  luot  von  hunden  bestet  einen 
eber  küene  (im  mhd.  WB.  1,  1057b,  44  s.  v.  lüt  aufgeführt);  frei  von 
aller  unedlem  Nebenbedeutung  und  ganz  allgemein  =  Schaar,  Rotte 
erscheint  dies  Wort  erst  in  der  spätem  Zeit,  so  bei  Nie.  v.  Jeroschin, 
vgl.  Pfeiffer  S.   192  h.  1. 

P.  570,   17.  im  dürft  mit  enUitzen  niht]  vielleicht  ist  mir  statt  mit 
zu  schreiben;  gleiche  Verwechselung  findet  701,  4  statt. 
P.  757,  1.  dar  wider  ein  wäpenroc  erschein, 
rüch  gebildet,  snevar.] 
Buch  gebildet  gibt  Simrock  durch  rauh  gebildet,  San  Marte  durch   lang- 
haarig wieder.     Mir    scheint   gebildet    hier   etwas    anderes  zu  bedeuten, 
wie  ich  aus  folgenden  Stellen  schließe:  Renner  22713:  brisschuohe  hosen 
gebildet  hemde  wären  im   biz  an  sin  ende  fremde,  und  22719:    ouch  ica>n 
ich  daz  froun  Even  gewant  lützel  bilde  hete  und  valten,  12538:  snuore  an 
rocken,    an  kitein  bilde  maclxent  meide  und  knappen  wilde ;    Parz.  71,    17 
heißt  es  von  einem  tväfenroc,  dessen  Zeug  gleichfalls  im  Orient  gefer- 


302  FEDOR  BECH 

tigt  ist:  mit  golde  er  gebildet  was ;  Lanzel.  4812  von  einem  %tvrmt:  manie 
bilde  drane  was  mit  starken  listen  gemacht;  Ulrich  von  Lichtenst.  248, 
18:  sin  roc  von  einem  phelle  ivas,  da  was  von  golde  vf  manec  tier  gema- 
chet, daz  vil  liehte  schein;  in  den  Nibel.  347  ed.  Lachm.  matraze  ruhe 
—  geworht  mit  guoten  bilden,  mit  golde  wol  erhaben.  Jedenfalls  ist  hier- 
nach gebildet  soviel  als  mit  bilden,  Figuren  versehen:  bilde  als  Bezeich- 
nung in  der  Weberei  für  figurce  intexice  verzeichnet  auch  Frisch  1,  96b 
und  Mone  8,  256:  gebildet  duoch  ciclas.  An  unserer  Stelle  wird 
überdies  für  rüch,  welches  zu  gebildet  nicht  mehr  recht  passen  will, 
ein  anderes  Wort  zu  suchen  sein:  die  Handschriften  schwanken  zwi- 
schen räch  rieh  höh  ouch  durch:  etwa  rieh  oder  weehe?  Da  das  Wort 
zu  Anfange  der  Zeile  steht ,  ist  möglicher  Weise  vom  Rubrikator  ein 
falscher  Buchstabe,  gewählt  worden. 

P.  789,  14.  nü  hete  diu  teile  des  erbiten.]  Hier  ist  wile  persönlich 
gedacht,  wie  Wilewalde,  Wilscelde,  daher  wohl  besser  diu  Wile.  Vgl. 
Pass.  K.  653,  89:  swaz  mir  diu  Wile  hat  beschert,  daz  ist  mir  worden 
unerwert;  Georg  5983  und  5990. 

P.  789,  2.  graezer  wunder  selten  ie  geschach, 
stt  ir  ab  got  erzürnet  hat 
daz  sin  endelosiu  trinität 
iwerx  willen  werhaft  toorden  ist.] 
Den  zweiten  Vers  übersetzt  Simrock :   da   Gott  erzürnet  hat  eure   Thal : 
San  Marte:   ob  Ihr  gleich  mit   Gottes  Zorn  beladen  Euch;    beide  treffen 
aber  wohl  kaum  das  Richtige.     Vielmehr:     größer  Wunder    ist    selten 
noch  geschehen,  seit  ihr  von  Gott  mit  Eurem  Zorn  es  ertrotzt  habt,  daß 
u.  s.  .,  vgl.  Berthold  271,3.  ed.  Pfeifler:  so  wil  eteliche  niht  genüegen  daz  er 
in  git,    und  wollen  alle  got  grdz  dinc  erbiten    oder    abe  ergrinen  oder  abe 
erzörnen  nnd  sprechest:    owe    herre,    wie    hästü   mich   so   gar   unscelic   er- 
schaffen,   daz  du  dem  so  vil  gibest  unde    mir  so  wenic.     Ebenso  zu  ver- 
stehen ist  Parz.  463,   1 :   im  megt  im  ab  erzürnen  niht  —  ihr  mögt  ihm 
nichts  abertrotzen  mit  Eurem  Zorn,    wo    ebenfalls    die  Übersetzer  den 
Sinn  nicht  richtig  wieder  gegeben  haben;    vgl.  mhd.  WB.  3,  908b,  33. 

P.  825,  9 — 10  höfsch,  mit  zühten  wis  ein  man, 
mit  triwen  milte  an  dderstoz, 
was  sin  lip  missewende  bloz.\ 
Zu  dem  Ausdruck  äderstdz   habe  ich   kein  einigermaßen  analoges  Bei- 
spiel finden  können;  es  ließe  sich  allenfalls  darunter  das  Hervorstehen 
der  Adern  oder  sonstige  durch  die  Blutcanäle  verursachte  Missbildungen 
an  der  Oberfläche  des  Körpers,  vielleicht  auch  die  vom  Aderlaß  zurück- 
gebliebenen Narben  verstehen,  vgl.  Gregor  2749:  ich  kiuse  an  den  sehen- 


ZU  WOLFKAM  VON  ESCHENBACH.  ;{().'} 

kein  deheinen  val  noch  stüz;  alsdann  aber  müsste  an  äderstdz  auf  die 
folgenden  Worte  bezogen  und  das  Komma  nach  milte  gesetzt  werden: 
auch  nicht  ein  unrechtes  Aderchen  (wie  man  unterm  Volke  noch  sagt) 
hatte  er  an  sich,  er  war  durchaus  fehlerlos.  Was  Simrock  sich  gedacht 
hat,  wenn  er  übersetzt  freigebig  ohne  Aderschlag  oder  San  Marte,  wenn 
er  sagt  freigebig  ohne  Aderlaß  ,  vermag  ich  nicht  zu  errathen  ,  gewiss 
aber  etwas  anderes  als  was  Hartmann  unter  milte  äue  riuwe  im  Erek 
2734  meint.  Indessen  das  fragliche  Wort  ist  durch  unzureichende 
Zeugen  gestützt;  die  bessern  Handschr.  lesen  understoz  D,  unde  stoz  g, 
understoz  d:  diesen  nach  möchte  an  vnderstoz,  welches  an  sich  unver- 
werflich ist,  die  echte  Lesart  sein.  Vgl.  Servatius  2705  daz  der  geste 
deheiner  drunder  list  oder  untriuive  stieze)  Gotfr.  Trist.  365,  12  ]\!elot — ■ 
halte  mit  valsrhltcher  klage  und  mit  vil  arger  ähust  wol  understözen  sine 
brüst;  mit '.  fröuden  understoze  (igroze)  im  j.  Tit.  4840,  2  ;  außerdem  findet 
sich  understoz  häufig  bei  Mystikern,  meist  wrenig  verschieden  von  under- 
scheit,  z.B.  Haupt,  Zeitschr.  8,  249,  Z.  27;  Myst.  ed.  Pfeiffer  2,  175, 
5 — 6;  327,59;  660,19;  677,  14.  Gleichbedeutend  mit  understoz  braucht 
der  Dichter  im  Willen.  5,  12  underswanz  und  underreit. 
Willen.  2,  4.  ouch  louft  in  diner  hende 
der  siben  sterne  gälten, 
daz  sin  himel  wider  ruhen.] 
Was  widervähen  (so  als  ein  Wort  zu  schreiben)  in  diesem  Zusam- 
menhange bedeute,  lehren  folgende  Stellen:  j.  Tit.  2751,  2:  der  stern 
ist  vier  und  drie,  die  daz  firn tarnen  tum  widervähen  (: jähen);  Willen.  216, 
17:  got  den  luft  wol  widerveehet;  Elisabet  in  Gratis  Diut.  1,  384:  da  mite 
lüde  giengen ,  die  weizgot  iciderviengen  der  heiligen  gesezze ;  Hätzlerin 
S.  159a,  596:  Frou  Minn  ist  worden  bekant ,  daz  man  irn  orden  tue 
swachen:  daz  wolt  si  widerfachen.  In  allen  diesen  Beispielen  ist's  = 
obniti  adversari  oder  enthaldeu  ,  wie  Wolfram  im  Parz.  782,  15  sagt 
die  —  siben  sterne  —  sint  des  fimuimentes  zoum,  die  enthalden  sme  snel- 
heif,  und  ähnlich  im  Willen.  216,  9:  got  daz  firm,  an  liez  unt  die  siben 
plätteten  hiez  gern  des  himels  snelheit  kriegen.  Im  mhd.  WB.  finde  ich 
diese  Bedeutung  nicht  vermerkt.  Zu  widervanc  =  Geeenbewescunc;  der 
Planeten  vgl.  außer  der  dort  citierten  Stelle  noch  Erlös,  ed.  Bartsch  116. 
Willen.  58,   15  folg.  ir  gunerten      arrazin, 

ob  bediu  hunt  unde  swin 

iueh  iriiegen  und  da  zuo  diu  wip 

sus  manegen  werlichen  Up, 

für  war  rnölit  ich  wol  sprechen  doch 

daz  iwer  ze  vil  wae.r  da.nnochS\ 


304  1«'K INHOLD  BECHSTEIN,  ZU  EULENSPIEGEL. 

Die  Worte  sind  mir  unklar.  Vielleicht  stund  als  iezuo  oder  ahe.  nuo 
an  der  Stelle  von  und  da  zuo  in  der  dritten  Zeile.  Dann  wäre  der  Sinn: 
ihr  verwünschten  Sarazenen !  wenn  ihr  auch  lauter  Hunde  und  Schweine 
wäret  in  der  Weise  als  ihr  nun  streitbare  Männer  seid,  so  müsste  ich 
selbst  dann  noch  bekennen,  daß  euer  zu  viel  wären !  Wilhelm  lässt  im 
Gefühl  tiefster  Betrübniss  diese  Äußerung  fallen,  als  er  sich  der  Sei- 
nigen gänzlich  beraubt  und  das  Gefilde  von  Alischanz  mit  einer  un- 
absehbaren Menge  von  Heiden  bedeckt  sieht. 

Willeh.  316,  5.  wol  gelieret  wart  daz  velt.]     Natürlicher   ist  geher- 
berget, wie  Itz  lesen  und  wie  319,  21   steht:  so  beherberget  was  daz  velt. 


ZU  EULENSPIEGEL. 


Im  Weimarischen  Jahrbuche  (V,  479)  macht  Reinhold  Köhler 
sämmtliche  Historien  vom  Eulenspiegel  namhaft,  welche  von  Hans  Sachs 
bearbeitet  wurden.  In  dem  sechsten  Buche  der  von  H.  Sachs  eigen- 
händig geschriebenen  Sprüche  und  Comödien  (Deutsches  Museum, 
neue  Folge,  1.  Bd.  S.  151  ff.)  befinden  sich  zwei  Schwanke  über  Eulen- 
spiegel ,  welche  in  die  Gesammtausgabe  nicht  aufgenommen  sind.  In 
dem  einen,  Eulenspiegel  auf  dem  Seil  (Nr.  87  des  Registers),  ist  die 
3.  und  4.  Historie  benutzt  (Lappenberg,  S.  5 — 7),  doch  hat  beim 
Dichter  die  Erzählung  dadurch  eine  drastischere  Wirkung,  daß  Eulen- 
spiegel die  Schuhe  der  geprellten  Zuschauer  nicht  auf  die  Erde,  son- 
dern in  das  Wasser  wirft.  Der  zweite  Schwank,  Eulenspiegel  mit  dein 
Schalksnarren  im  Lande  zu  Polen  (Nr.  88  des  Registers),  ist  die 
23.  Historie  (Lappenb.  S.  31).  Hier  findet  sich  in  der  Darstellung 
größere  Übereinstimmung ,  welche  sich  selbst  auf  einzelne  Worte 
erstreckt. 

LEIPZIG.  REINHOLD  BECHSTEIN. 


BENEDIKT  GREIFF:  ZU   WEKNHER'S  MARIENLEBEN 

ZU  WERNHER'S  MARIENLEBEN. 

Aü(  rSBURGER  BRUCHSTÜCKE. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

BENEDIKT  GREIFF. 


Ein  günstiger  Znf'all  setzt  mich  in  den  Stand,  die  Zahl  der  bisher 
bekannten  Fragmente  vom  Marienleben  des  Priesters  Wernher  durch 
Mittheiluno-  der  folgenden  zu  vermehren. 

Die  vollständige  Handschrift,  von  der  diese  Fragmente  herstam- 
men, muß  ehemals  der  Bibliothek  eines  Klosters  oder  eines  Stiftes  des 
Kreises  Schwaben  und  Neuburg  angehört  haben,  denn  anders  lässt  sich 
ihr  Vorhandensein  auf  der  königlichen  Kreis-  und  Stadtbibliothek  in 
Augsburg  nicht  erklären.  Noch  bestimmter  geht  dies  aus  dem  Inhalte 
der  Federproben  hervor,  welche  ein  Klostergeistlicher  theils  am  Rande, 
theils  mitten  im  Texte  dieser  Fragmente  angebracht  hat*),  und  die  es 
außer  Zweifel  stellen ,  daß  diese  schöne ,  in  jeder  Beziehung  höchst 
beachtenswerthe  und  vielleicht  älteste  Handschrift  dieses  Marienlebens 
schon  im  15.  Jahrhundert  dadurch  ihren  Untergang  fand,  daß  sie  aus 
Unkenntniss  und  Geringschätzung  der  unbarmherzigen  Hand  des  Buch- 
binders überliefert  wurde,  der  sie  für  seine  Zwecke  zerschnitt,  oder 
wenn  es  gut  gieng,  ihre  losen  Blätter  zu  Buchdecken  verwendete. 

Diesem  letzteren  Umstände  verdanken  wir  die  Erhaltung  von  noch 
vier  Pergamentblättern  dieser  Handschrift ,  die  ich ,  jedoch  bereits  von 
den  Buchdecken  abgelöst,  unlängst  auf  der  hiesigen  Bibliothek,  wo  sie 
wohl  mehr  denn  40  Jahre  verborgen  lagen ,  wieder  aufzufinden  so 
glücklich  war.  Ich  sage  so  glücklich  war;  denn  selbst  der  fragmenta- 
rische Fund  des  ursprünglichen  Textes  eines  so  alten  mhd.  Gedichtes 
—  und  als  solchen  kündigt  sich  der  Text  dieser  Augsburger  Fragmente 
beim  ersten  Blicke  an  —  ist  gewiss  ein  glücklicher  zu  nennen.  Jeden- 


*)  Z.  B. :  „In  honore  beatissime  marie  Virginis  iubilemns  dno.  Venite  cxultemus 
dno  iubilemns  deo  salvatori  nostro"  etc. 

„Nativitas  tua  dei  genetrix  Yirgo  gaudium  annunciavit  vniverso  mundo ,  ex  te  enira 
ortus  est  sol  iusticie,  xpe  domine,  qui  solvens  maledictionem,  dedit  benedictionem." 

„Gaudent  in  celis  anime  sctorum  qui  xpi  vestigia  sunt  secuta  et  quia  per  eius 
amore  sanguinem  suuni  fuderunt  ideo  cum  xpo  gaudent  omnes  sancti,  amicti  stolis  albis 
secuntur  agnum"  etc. 

Alles  ohne  Interpunction  und  mit  den  dem  15.  Jhd.  eigenen  Abbreviaturen  ge- 
schrieben. 

GERMANIA  VII.  20 


;>,,,(}  BENEDIKT  GREIFF 

falls  ist  daraus  ein  wissenschaftlicher  Gewinn  zu  erwarten,  und  darum 
eine  Veröffentlichung  derselben  im  Interesse  der  Wissenschaft  geboten. 

Kein  Zeitpunkt  könnte  hiefür  günstiger  sein,  als  der  gegenwärtige, 
wo  die  im  Deutschordens-Archive  zu  Wien  durch  B.  Dudik  unlängst 
entdeckte  zweite  vollständige  Handschrift  dieses  nach  des  Dichters 
eigener  Angabe  im  Jahre  1172  abgefassten  Marienlebens  *),  so  wie  die 
von  K.  Bartsch  und  Mone  aufgefundenen  Fragmente  desselben  von 
neuem  die  Aufmerksamkeit  der  deutschen  Philologen  und  Literarhisto- 
riker auf  dieses  früher  vielfach  besprochene  Gedicht  gelenkt  haben. 

Anregung  hiezu  gab  vor  allen  Bartsch  in  seiner  gründlichen  Recen- 
sion  über  die  von  Julius  Feifalik  herausgegebene  Wiener  Handschrift**). 
Bereits  sind  durch  ihn  die  Untersuchungen  so  weit  geführt,  daß  es 
sich  nunmehr  um  eine  feste  und  sichere  Bestimmung  des  gegenseitigen 
Verhältnisses  der  verschiedenen  Textesrecensionen  und  um  eine  darauf 
gegründete  Herstellung  eines  möglichst  ursprünglichen  Textes  handelt. 

Überzeugt,  daß  gerade  der  Text  der  hiesigen  Fragmente  um  sei- 
ner ausgesprochenen  Originalität  willen  zur  Lösung  dieser  Fragen  we- 
sentlich beizutragen  vermöge,  sei  er  hiemit  um  der  gegenseitigen  Ver- 
gleichung  willen  in  diplomatisch  getreuem  Abdruck  der  Öffentlichkeit 
übergeben. 

Die  nachfolgenden  Bemerkungen  beabsichtigen,  einiges  zur  rich- 
tigen Würdigung  dieser  Fragmente  beizutragen. 

Betrachten  wir  zu  diesem  Zwecke  zunächst  die  Handschrift 
selbst. 

Sie  weicht  hinsichtlich  des  Formates  von  den  bisher  bekannten 
Handschriften  und  Fragmenten  darin  ab,  daß  sie  Groß-  oder  Hoch- 
Quart  ist. 

Der  Schreiber  derselben,  ein  Meister  in  der  Kalligraphie,  hat  auf 
ihre  Ausstattung  eine  besondere  Sorgfalt  und  Liebe  verwendet.  Eine 
solch  reine,  zierliche  und  zugleich  correcte  Handschrift  kann  nur  aus 
einem  Kloster  hervorgegangen  sein,  mit  dem  eine  Klosterschule  ver- 
bunden war,  in  der  man  nach  vorausgegangener  langjähriger  Übung  es 
zu  solcher  Fertigkeit  in  der  Kalligraphie  brachte  und  solche  Kalligra- 
phen zu  bilden  verstand. 

Sieht  man  sich  aber  am  Ende  des  12.  und  im  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts in  den  Klöstern  des  Kreises  Schwaben  und  Neuburg  um,  so 


*)  Sie  erschien  unter  dem  Titel:  Des  Priesters  Wernher  driu  liet  von  der  maget. 
Nach  einer  Wienerhandschrift  mit  den  Lesarten  der  übrigen  herausgegeben  von  Julius 
Feifalik.  Wien  1800. 

**)  Sieh  Germania  6,   117  ff. 


ZU  WEENHER'S  MARIENLEBEN.  ;^)7 

sind  es  höchstens  zwei,  die  dieses  Lob  beanspruchen  können,  das  Be- 
nediktiner Stift  Sanct  Ulrich  und  Afra  in  Augsburg  und  das  Kloster 
Ottobenren. 

Von  dem  erstem  wissen  wir  bestimmt,  daß  diese  Kunst  sogleich 
mit  der  Gründung  im  Jahre  1012  in  dasselbe  durch  Mönche  aus  Te- 
gernsee  und  Sanct  Gallen,  die  darin  für  die  ersten  Meister  galten,  ein- 
zog und  fortan  eifrigst  gepflegt  wurde.  Nicht  so  zuverläßig  möchte  das  von 
dem  Kloster  Ottobeuren  nachzuweisen  sein ,  dessen  Handschriften  bei 
der  Säcularisation  leider  sehr  zerstreut  wurden,  so  daß  die  hiesige 
Bibliothek  nur  zwei  ältere  lat.  Codices  aus  demselben  besitzt*),  wäh- 
rend weitaus  die  größte  Anzahl  des  hiesigen  Handschriftenschatzes  **) 
aus  dem  Kloster  Sanct  Ulrich  und  Afra  stammt.  Es  dürfte  demnach 
nicht  allzu  gewagt  erscheinen,  wenn  wir  aus  diesen  und  später  noch 
beizubringenden  Gründen  den  Schreiber  der  Handschrift  in  diesem 
Kloster  suchen. 

Diese  Quarthandschrift  bestund  aus  Lagen  von  8  Blättern  von 
dickem,  sammetartigem,  rauchig  gelblichem  Pergament.  Die  erhaltenen 
Fragmente  gehörten  dem  ersten  Quaterne  an  und  bildeten  darin  die 
Blätter  2,  4,  5  und  7.  —  Blatt  7b  hat  bei  der  Ablösung  Schaden  gelitten, 
weshalb  der  Text  nur  theilweise  zu  entziffern  war.  Der  Gesammttext 
dieser  4  Blätter  umfasst  581  Verszeilen  ***),  welche  aber  nicht  abgesetzt, 
sondern  fortlaufend  wie  Prosa  geschrieben  sind ,  jedoch  so  ,  daß  die 
einzelnen  Verszeilen  durch  Punkte  bezeichnet  werden. 

Wegen  des  auf  allen  Seiten  freigelassenen  breiten  Randes  enthält 
jede  Seite  nicht  mehr  als  27  Zeilen.  Die  größern  Abschnitte  des  Ge- 
dichtes beginnen  abwechselnd  mit  rothen,  blauen  und  grünen,  zwei, 
bisweilen  drei  Zeilen  hohen  Anfangsbuchstaben,  während  die  Anfangs- 
buchstaben der  kleinern  nur  abwärts  roth  durchstrichen  sind. 


*)  Und  selbst  von  diesen  ist    nicht    bestimmt   nachzuweisen ,    ob   sie  unmittelbar 
ans  dem  Ottobeurer  Kloster  in  die  hiesige  Bibliothek  gekommen  seien. 

**)  Derselbe  findet  sich  verzeichnet  in:  G.  C.  Mezgers  Geschichte  der  vereinigten 
königl.  Kreis-  und  Stadtbibliothek  in  Augsburg.  Augsburg  1842.  S.  53 — 128. 

***)  Nach  der  Berliner  Handschrift,  herausgegeben  von  Hoffmann  im  2.  Bande  seiner 
Fundgrube,  vertheilen  sie  sich  in  folgender  Weise: 

I.  Seite  148,  37  bis  Seite  150,  21, 
II.  Seite  152,   14  bis  Seite  155  und 
III.  Seite  158,  1  bis  Seite  159,  27. 
Nach  der  "Wiener  Handschrift,  herausgegeben  von  Jul.  Feifalik,  bilden  sie : 
I.  130  —  240 
II.  3fi4  —  622  und 
III.  775  —  909. 

20* 


:^,)g  BENEDIKT  GREIFF 

Der  Schreiber  kannte  keine  Abbreviaturen  *),  keine  Interpunctions- 
noch  Theilungszeichen.  Accente  zur  Bezeichnung  langer  Silben  kommen 
höchst  selten  vor  ,  und  wo  sie  gesetzt  sind  ,  scheinen  sie  von  einer 
spätem  Hand  herzurühren. 

Er  kannte  ferner  keine  Schluß-.1?,  sondern  an-  wie  aus-  und  in- 
lautend nur  langes  /,  und  keine  Punkte  über  dem  i. 

v  und  u  wechseln,  doch  ist  v  vorherrschend. 

Selten  schreibt  er  statt  des  gewöhnlichen  r  das  sogenannte  fran- 
zösische i,  und  das  nur  nach  dem  Vocale  o,  also:  ot. 

Wie  die  eben  angegebenen  Merkmale,  so  deuten  namentlich  auch 
der  runde  Ductus  der  mit  einem  scharfen  abschneidenden  Querstrich 
versehenen  Buchstaben  (gothische  Minuskel),  so  wie  der  Charakter  der 
farbigen  großen  Anfangsbuchstaben  eher  auf  einen  Schreiber  des  12. 
als  des   13.  Jahrhunderts. 

Während  schon  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  in  Folge  der 
höfischen  Epik  nach  Veldeke's,  Hartmann's  etc.  etc.  Vorgang  ein 
großes  Gewicht  auf  die  Technik  des  metrischen  Baues,  auf  kunstvolle 
und  genau  gemessene  Verse  und  reine  Reime  gelegt  wird,  finden  sich 
dao-eo-en  im  Texte  unserer  Fragmente  Schluß-  und  andere  Verse  mit 
5,  6  und  mehr  Hebungen ,  so  wie  eine  überwiegend  große  Anzahl  as- 
sonierender  Reime,  welche  im  13.  Jahrhundert  strenge  verpönt  waren**). 
Würde  demnach  die  hiesige  Handschrift  dem  13.  Jahrhundert  ange- 
hören ,  so  ist  wohl  mit  Gewissheit  anzunehmen ,  daß  entweder  vom 
Schreiber  oder  von  einer  andern  kundigen  Hand  diesen  groben  Ver- 
stößen gegen  die  höfische  Epik  durch  Auflösung  der  Assonanzen  und 
Umwandlung  in  regelrechte  Verse  würde  abgeholfen  worden  sein,  wie 
das  beim  Wiener  Codex  nur  zu  sichtlich  der  Fall  ist. 

Einen  weitern  Beweis  für  das  höhere  Alter  und  die  Ursprüng- 
lichkeit  des  Textes  der  hiesigen  Fragmente  finde  ich,  im  Gegensatze 
zu  Feifalik,  in  den  von  ihm  sogenannten  Erweiterungen  des  Tex- 
tes unserer  Fragmente  gegenüber  der  Einfachheit  und  Kürze,  um  derer 
willen  er  dem  Wiener  Codex  die  erste  Stelle  einzuräumen  sich  verleiten 
ließ  und  aus  diesem  Grunde  in  demselben,  den  übrigen  gegenüber, 
die  ursprünglichste  und  ächteste  Fassung  erkennen  zu  müssen  glaubte. 


*)  Ausgenommen  vn  und  dz,  und  daß  u  nach  w  fehlt,  wie  :  weher,  icnder. 

**)  Z.  B. :  8  u.  9.  rede  :  wege.  26.  blome  :  röwe.  28.  michel  :  sicher.  30.  svn  :  wi- 
stnm.  36.  sele  :  here.  44.  anger  :  stangen.  88.  getruben  :  genügen.  90.  lere  :  sele.  106.  Jacobe 
:  hohe.  145.  übe  :  frasüme.  233.  gäbe  :  beneme  (für  gäbe  wohl  gäbe  zu  lesen)  etc. 
Auf   ±20  Verse   54  Assonanzen;  demnach   auf  8   Verse  je  ein  assnnierender  Reim. 


ZU  WEKNHER'S  MAKIENLEBEN.  309 

Diese  Erweiterungen  sind  nicht  etwa  Zusätze  einer  spätem  Zeit,  son- 
dern ursprünglich  und  vollberechtigt,  denn  sie  enthalten  historische 
Hinweisungen  auf  kirchliche  Zustände  des   12.  Jahrhunderts. 

Recht  deutlich  zeigt  sich  dieses,  wenn  wir  46 — 48  und  72 — 84 
betrachten.  In  beiden  Stellen  eifert  der  Dichter  gegen  den  irretuom, 
d.  h.  gegen  ketzerische  Lehren.  Er  bezeichnet  dieselben  allgemein  als 
manichäische  Irrthümer.  In  der  That  aber  meint  er  damit  die  vom  hl. 
Bernhard  von  Clairvaux  im  Jahre  1140  ausgegangene  Opposition  gegen 
das  Dogma,  von  der  Conceptio  Immaculata  Deijarae,  die  auch  zu  seiner 
Zeit  noch  viele  Anhänger  zählte.  Als  ein  orthodoxer  Priester  tritt  er 
darum  als  Polemiker  für  die  Kirche  in  die  Schranken  und  will  durch 
seine  Dichtung  dem  Dogma  zu  Geltung  und  Ansehen  verhelfen. 

Nur  von  diesem  Gesichtspunkte  aus,  meine  ich,  erhält  die  Stelle 

ih  weiz  dez  tiwiles  strit 

diche  winthalsen  glt, 

bozes  nit  becchen 

aitergez  hecchen 

der  vnwirdischen  diet 

daz  sie  schelten  div  liet, 

div  in  wislicher  ahte 

vergelten  niemen  mähte 

mit  grozim  göte  widerwegen. 

ih  waene  sie  den  floch  vvr  den  segen 

von  gote  enphahent 

die  sih  daran  vergahent  (=  55 — 67) 
ihre  richtige  Erklärung,  Sinn  und  Bedeutung.  Nur  auf  diese  Weise 
kann  man  sich  die  Polemik  des  Dichters  erklären  und  sie  berechtigt 
und  zeitgemäß  finden.  Um  diesen  Zweck  zu  erreichen,  wendet  er  sich 
zunächst  an  den  geistlichen  Stund  in  den  Klöstern  und  widmet  diesem 
seine  Dichtung  —  Mönchen  und  Nonnen    — 

dz  si  ez  alle  mvzen  lesen, 

die  gotes  kint  wellen  wesen; 

vn  och  mvzen  scöwen 

phaffen  vn  frowen.  (=  10 — 13) 
Fragt  man  sich  nun.  was  den  Abschreiber  oder,  besser  gesagt, 
den  Überarbeiter  der  Wiener  Handschrift  bewogen  habe ,  diese  polemi- 
sierenden Stellen  auszulassen ,  so  wird  die  Antwort  einfach  nur  dahin 
lauten  können ,  er  fand  diese  Polemik  zu  seiner  Zeit ,  wo  das  Dogma 
wieder  zu  Geltung  gelangt  war,  nicht  mehr  zeitgemäß  und  am  Platze. 
Zu   Anerkennung    gelangte     es    aber    erst    um    die   zweite    Hälfte    des 


310  BENEDIKT  GEEIFF 

13.  Jahrhunderts,  wesshalb  Pfeiffer  und  Bartsch  auch  schon  aus  diesem 
G  runde  in  vollem  Rechte  wären,  wenn  sie  der  Überarbeitung  des  Ma- 
rienliedes, wie  sie  in  der  Wiener  Handschrift  vorliegt,  ihre  Stelle  erst 
in  der  zweiten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  anweisen. 

Daß  der  Benediktiner  Orden  bereits  im  12.  Jahrhundert 
einen  besondern  Eifer  und  Thätigkeit  für  Aufrechthaltung  dieses  an- 
gefochtenen Dogmas  entwickelt  habe,  ist  eine  bekannte  Thatsache. 

In  den  Klöstern  dieses  Ordens,  wo  man  vor  allem  bemüht  gewesen 
sein  wird,  sich  möglichst  bald  Abschriften  des  Wernherschen  Marien- 
lebens zum  Vorlesen  zu  verschaffen,  wird  man  auch  die  ältesten  Hand- 
schriften dieses  Gedichtes  zu  suchen  haben.  Aber  kaum  dürfte  das 
irgendwo  früher  der  Fall  gewesen  sein,  als  in  dem  Stifte  St.  Ulrich 
und  Afra,  dessen  Äbte  mit  den  Augsburger  Bischöfen ,  gerade  zu  der 
Zeit,  wo  Wernher  sein  Marienlied  dichtete,  wetteiferten,  den  der  Ver- 
ehrung der  hl.  Jungfrau  geweihten  Festen  durch  eine  erhabenere  Feier 
und  glanzvollere  Begehung  derselben  eine  höhere  Würde  und  kirchli- 
ches Ansehen  zu  verschaffen.  Zum  Belege  für  diese  Behauptung  ver- 
weise ich  auf  die  unten  angeführten  Stellen ,  welche  ich  dem :  ,Cata- 
logus  Abbatum  Monasterii  S.  S.  Udalrici  et  Afrae  Augustensis'  des 
Fr.  Wilhelm  Wittwer  (Ende  des  15.  Jahrhunderts)  entnommen  habe. 
Sie  finden  sich  im  1.  Hefte  des  3.  Bandes  des  , Archivs  für  die  Ge- 
schichte des  Bisthums  Augsburg  vom  Domcapitular  Anton  Steichele'  *). 
Und  diese  Wahrnehmungen  sind  es  vorzugsweise,  die  mich  bestimmten, 
diese  Handschrift  gerade  einem  Schreiber  dieses  Klosters  zuzuweisen 
und  zugleich  darin  einen  weiteren  Beweis  für  das  höhere  Alter  und 
die  Ursprünglichkeit  derselben  zu  finden. 

Ich  habe  oben  unter  den  Vorzügen  der  hiesigen  Fragmente  na- 
mentlich die  Correctheit  derselben  hervorgehoben.  Wenn  ihnen 
hierin  keine  der  übrigen  Handschriften  und  Fragmente  gleichkommt, 
so  sind  sie  doch  auch  nicht  ganz  frei  von  Schreibfehlern,  z.  B.  34.  not- 
dufte. 224  clayelige.  244  maisterscehfte.  245  gemdichate.  259  sehnt  für 
seid,  315  gesvrdert  für  gesundert,  317  wolle  für  volle.  320  u.  322  be- 
gnüge,  während   anderwärts   begunde   etc.  etc.     Es   sind   ihrer  aber  im 


*)  So  klagt  Abt  Udalscalcus  f  1148:  'Serpunt  exsangues  haeresis  vel  scismatis 
angues,  Exacuunt  dentes  perversum  dogma  tenentes.'  Und  von  Abt  Udalrich  de  Castro 
Biberbach  f  1176  heißt  es:  'Hie  diein  annunciationis  b.  Marias  Virginis  in  sumniis  cele- 
brari  jussit.'  Und  Abt  Hainricus  f  1 183 :  'Conceptionem'  sive  festum  Sancte  Dei  gene- 
tricis  Marie  consilio  et  hortatu  fratrum  et  auetoritate  et  preeepto  Domini  Conradi ,  Ar- 
chiepiscopi  Moguntini,  et  voluntate  Udalscalci,  Episcopi  Augustensis,  celebrem  apud  noe 
et  nustro  monasterio  in  summte  celebrari  jussit.'  a.  a.  O.  Seite  10H.  131.  144. 


ZU  WERNHER'S  MARIENLEBEN.  311 

Ganzen  so  wenige  und  so  unbedeutende,  daß  ich  füglich  darüberhätte 
hinweggehen  können,  wenn  nicht  der  gewichtige  Umstand  damit  ver- 
bunden und  zu  erwähnen  wäre,  daß  mehrere  derselben  von  einer  gleich- 
zeitigen und  wie  es  scheint  andern  Hand  theils  durch  überschriebene 
Buchstaben  verbessert,  theils  durch  unterschriebene  Punkte  angedeutet 
worden  sind.  Offenbar  liegt  diesen  Verbesserungen  das  löbliche  Be- 
streben zu  Grunde,  eine  möglichst  getreue  Copie  von  dem  originalen 
Texte  der  Vorlage  zu  erhalten.  Wie  nun,  wenn  die  Vorlage  das  Ori- 
ginal des  Dichters  gewesen  wäre?  Der  Fleiß  und  die  Liebe,  die  der 
Schreiber  auf  die  schöne  Ausstattung  der  Handschrift  verwendete,  die 
Gewissenhaftigkeit  und  Treue,  wTomit  er  sie  copierte,  so  wie  die  bes- 
sernde Hand  lassen  eine  derartige  Vermuthung  zu. 

Um  so  auffallender  ist  es  daher,  daß  die  von  K.  Bartsch  auf- 
gefundenen Fragmente,  die,  wie  die  Vergleichung  zeigt,  zweifellos  auf 
die  Benützung  einer  und  derselben  Quelle  wie  die  hiesigen  zurück- 
weisen, so  sehr  an  Incorrectheit  leiden*). 

Es  zeigt  sich  indess  bei  näherer  Prüfung  bald,  daß  diese  Mängel 
ihren  Grund  nur  in  der  Handwerksmäßigkeit  und  Gedankenlosigkeit 
des  Abschreibers  haben.  Man  vergleiche  beispielsweise  nur  folgende 
Stellen : 

Augsburger  Fragmente:  Bartsch's   Fragmente: 

183.   von   siner   wnneclichen   chouen :  von   siner   wunneclichen    cronen. 

199.   vn  ain  scahte  der  gar  vers windet:       und   ein   schade   der   gar   verwindet. 
208.   harte   chelte   sie   ir  lip  :  harte   hilt   sie   den   lip. 

324.  ir  sin   vor   en   wedele:  ir   sin   fuor  als   ein   wedele. 

325.  sam   von   dem   winde   daz   löp:  tut  vor   deme   winde   daz   Ioup. 

561.  din   tohter   ist   her   un  wich:  di  tochter  ist   herlich. 

562.  ir   ne   wart   nie   niemen   gulich:  ir   wart   nie   kein   vrowe   glich. 

Der  Text  des  Docen sehen  Fragmentes  (B)  hat  bisher  für 
den  ältesten  und  ursprünglichsten  gegolten.  Bartsch  hat  ihm  deswegen, 
wo  er  sich  in  der  Germania  a.  a.  O.  über  das  Verhältniss  der  ver- 
schiedenen Textesrecensionen  ausspricht,  die  erste  Stelle  neben  seinen 
Fragmenten  (C)  angewiesen  **),  und  Hoffmann  will  (Fundgruben  2.  Bd.) 
in  ihm  so^ar  das  Orio-inal  des  Dichters  erkennen.  Nun  stimmen  aber 
sprachlich  wie  orthographisch  die  hiesigen  Fragmente  mit  dem  Docen- 
schen  Texte  vielfach  zusammen. 

*)  Ich  konnte  diese  Vergleichung  nur  nach  dem  Nachtrage  anstellen,  in  welchem 
Feifalik  S.  189  ff.  die  Lesarten  dieser  Fragmente  mittheilt.  Es  kommen  dabei  401 — obM 
und  813 — 887  in  Betracht. 

**)  Sieh  Germania  6",  117. 


312  BENEDIKT  GKEIFF 

Ich  mache  nur  auf  den  Gebrauch  der  3.  Pers.  Plur.  Prses.  Indic. 

auf  ent  aufmerksam,    wie:  habetit,  werent;    auf  stvnt  für    stutit;     ferner 

auf  den  Gebrauch  von :  nehein,  seltsceite,   und  auf  die  Stelle  58.  59 : 

niemen  mohte  ir  sin 

errechen  noh  irgrunden 

verglichen  mit  14.   15  der  Augsburger  Fragmente. 

Bezeichnen  wir  demnach  die  Augsburger  Bruchstücke  mit  E ,  so 

wird   es    nach    dem    bisher    Gesagten    wohl    nicht    beanstandet   werden 

können,  wenn  wir  ihnen  ihre  Stelle  neben  B  und  C  anweisen  und  das 

Yerhältniss  also  bestimmen: 

B      C      E 

/        ~\ 
A  D. 

d.  h.: 

B  Docens  Fragment;  C  Mones  und  Bartschens  Fragmente;  E  die 
Augsburger  Fragmente ;  D  die  Berliner  Handschrift  und  A  die  Wiener 
Handschrift. 

B,  C  und  E  der  ursprüngliche  Text,  D  und  A  spätere  Überarbei- 
tungen desselben.  A  noch  später  als  D. 

D  wahrscheinlich  aus  derselben  Quelle  wie  C  und  E  entsprungen, 
aber  mitunter  freier  verfahrend  und  den  älteren  Text  und  seine  volleren 
Formen  mehr  der  höfischen  Sprache  des  13.  Jahrhunderts  angepasst, 
was  in  A  in  noch  ausgedehnterem  Maße  der  Fall  ist. 

Daß  den  hiesigen  Fragmenten  eine  solche  Stellung  gebühre,  wird 
sich  noch  deutlicher  herausstellen ,  wenn  wir  noch  Einiges  über  die 
Schreibweise  und  andere  Eigenthümlichkeiten  derselben 
bemerken. 

Ehe  wir  aber  näher  darauf  eingehen,  wird  nöthig  sein,  einen  Blick 
auf  die  Zeitumstände  zu  werfen,  unter  denen  \\  ernher  sein  Marienleben 
dichtete. 

Wir  dürfen  nämlich  nicht  vergessen,  daß  zu  seiner  Zeit  der  ge- 
waltige Umbildungsprocess,  der  bereits  seit  Mitte  des  11.  Jahrhunderts 
auf  dein  Gebiete  der  deutschen  Sprache  vor  sich  gieng,  und  dessen 
Wesen  man  als  ein  Bestreben  und  eine  Neigung  bezeichnen  kann,  die 
alten  volltönenden  Flexionsendungen  und  Formen  abzuschwächen  und 
abzuschleifen  und  dadurch  die  geschmeidiger  und  biegsamer  gewordene 
Sprache  aus  den  Fesseln  des  sie  bisher  beherrschenden  Dialektes  zu 
befreien,  zwar  große  Fortschritte  gemacht '  hatte ,  aber  doch  noch 
nicht  zum  völligen  Abschluß  gekommen  war.  Die  Zähigkeit,  womit 
das  Volk  am  Alten  und  Hergebrachten  festhält  und  sich  seinen  Dialekt 


ZU  WERNHER'S  MÄKIENLEBEN.  313 

zu  bewahren  sucht,  setzt  der  Entwicklung  einer  neuen  Sprachbildung 
so  gewaltige  Hindernisse  entgegen,  daß  wir  uns  ihren  Verlauf  nur  als 
einen  langsamen  und  stufenweisen  werden  zu  denken  haben. 

Ein  Dichter  nun,  der  einer  solchen  Übergangsperiode  angehört 
und  dadurch  so  zu  sagen  in  eine  Art  Doppelstellung  geräth  ,  wird, 
zumal ,  wenn  er  wie  Wernher  ein  Volksdichter  ist  *)  ,  in  die  Lage 
kommen  ,  der  alten  und  der  neuen  Zeit  Rechnung  zu  tragen.  Denn 
wenn  es  auf  der  einen  Seite  keinem  Zweifel  unterliegt ,  daß  Wernher 
der  höfischen  Sprache,  so  weit  sie  sich  damals  ausgebildet  hatte,  voll- 
kommen mächtig  war,  und  durch  Versbau  und  Reim  beweist ,  daß  er 
mit  den  Gesetzen  der  neuen  Sprachbildung  gut  vertraut  war ,  so  sah 
er  sich  doch,  wenn  er  die  Bildungsstufe  des  Volkes  betrachtete,  für 
das  er  dichtete,  und  wahrnahm,  wie  ferne  es  noch  der  neuen  Sprach- 
bildung  stand,  in  der  Anwendung  des  neuen  Gesetzes  vielfach  beengt 
und  wie  die  Prediger  seiner  Zeit  genöthigt ,  nach  altern  volltönenden 
Formen  und  alterthümlichen  Wörtern  zu  greifen  und  dem  Leser  zu  lieb 
dem  Dialekte  zu  huldigen.  Im  Allgemeinen  nun  folgt  der  Dichter  der 
mhd.  Schreibung,  weicht  jedoch  in  vielen  Punkten  von  derselben  ott 
wesentlich  ab. 

1.  Zunächst  machen  wir  die  Bemerkung,  daß  bei  ihm,  wie  in 
dem  Speculum  ecclesiae  und  in  andern  Predigten  aus  der  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts,  der  Umlaut  noch  nicht  durchgedrungen  ist;  z.  B. 
75.  chose  :  hose,  128.  choren  :  hören.  233  gäbe  :  beneine.  343.  icurde:  bürde. 
345.  brüsten  :  lusten.  Und  außerhalb  des  Reims:  82.  durrin.  228.  mvze 
für  mueze  (Grimm  1,  962).  260.  zäheren.  21  h.  frolichen.  319.  anflühte. 
337.  gemute  etc.  etc. 

2.  Noch  waltet  bei  ihm  an-  wie  auslautend  vielfach  das  ahd.  i 
für  tonloses  e  vor.  14.  irgrunden.  16.  irchos.  34.  irseein.  40.  tiewil. 
81.  gesagin.  91.  gehelfin.  97.  tievelis  (Gen.).  170.  gezellin  (Inf.).  192.  wesin. 
293.  natir.  296.  mütir  etc.  etc.  und  im  Reime:  219.  verderbit  :  irsterbit. 
255.  irderret  :  besperret.  293.  slichet  :  irgriffit.  Tonloses  e  ist,  wo  es  ge- 
braucht ist,  durchaus  geschrieben. 

3.  Zeugniss  von  dem  Festhalten  an  alten  Formen  und  Flexions- 
endungen geben  auch  die  öfters  gebrauchte  3.  Pers.  Plur.  Prses.  Indic. 
auf  ent ,  wie  :  66.  enphahent  :  vergahent.  288  mainent  :  swairnent.  299. 
fliezzent  :  geniezzent;  und  besonders  auffallend:  ir  mugent,  was  schwä- 
bisch-alamannischen  Ursprung  verräth. 


*)  Vgl.  v.  2505  ff.  und  2555  ff.  der  Wiener  Handschrift. 


314  BENEDIKT  GREIFF 

4.  Dahin  kann  man  auch  die  vollen  Praeterita  rechnen ,  wie : 
213.  gesegendte  :  dorrote.  205.  gelaidegdt  :  tot.  und  121.  wunderote,  so  wie 
die  alterthümlichen  Dative:  14.  vppigeme  und  170.  vnserme  und  den 
Acc.  Plur.  iungide. 

5.  Wie  die  eben  besprochenen  Flexionsendungen  aufgrci,  so  deutet 
noch  mehr  die  constante  Schreibweise  der  anlautend  mhd.  Muta  h 
durch  cli  auf  alamannischen  Ursprung.  2.  chos&n.  15.  chinde.  38.  chetene. 
45.  chorder.  57.  dicke.  93  und  340.  ckundeck,  chundende.  121.  stärclie. 
357.  chunne.  126.  aneblicke  :  dicke  etc.  etc.  Doch  11.  &m£  21.  Tdndelin 
und  vor  Liquida  c/atV*.  32.  cra//!.  288.  m'ggft.  304.  Es  ist  dieses  ch  nicht 
die  gutturale  Spirans  ch ,  sondern ,  wie  R.  v.  Raumer  bewiesen  hat, 
gutturale  Muta  -f-  gutturaler  Spirans  ==  khh,  der  rauhe  Guttural  ala- 
mannischer  Kehlen.  (Vergleiche  R.  v.  Raumer's  Aspiration  und  Laut- 
verschiebung S.  34  sqq.  und  besonders  §.  51.) 

6.  Auslautend  nach  Vocalen  ist  k  die  gutturale  Spirans ,  das 
uhd.  ck;  z.  B.  ICO.  224.  sprak,  aber  277.  sprack.  Ebenso  dih  und  dick  68. 
149.  genuch  :  trvk.  263.  genihte  :  geblickte.  In  der  Regel  nur:  mik,  dik,  sik, 
und  381.  doli,  und  283.  durk.  (Vgl.  Grimm  1,  189  und  116.) 

7.  Zu  den  Eigenthümlichkeiten  der  Schreibweise  gehört  es  auch, 
daß  anlautend  für  mhd.  //  und  sek  stets  ph  und  sc  gesetzt  ist. 
z.B.:  13.  phajfen.  37.  pkalnze.  66.  seepkare.  109.  enphahent.  437,  opkernde 
etc.  12.  scöwen.  34.  irseein.  71.  scraib  :  vertraib.  96.  kuidenscefte.  173. 
scriben  etc.  etc.  Aber  auch  —  doch  ganz  selten  —  sek,  z.  B.  1.  vrsekin 
und  61.  schelten  (Verbum);  aber  177.  scelten  (Substantiv). 

8.  Als  alterthümlich  darf  gleichfalls  die  consequente  Durchfüh- 
rung des  Gesetzes  der  Negationspartikel  ne  bezeichnet  werden,  wor- 
über ich  auf  Wackernagels  Abhandlung  in  HoffmamTs  Fundgruben 
verweise. 

Was  die  Vocalisation  betrifft ,  so  muß  vor  allem  als  abwei- 
chend bezeichnet  werden : 

9.  Die  Schreibung  ai  für  mhd.  ei;  z.  B. :  32.  claine '.  alter saine 
54.  vollauf e  :  gaiste.  70.  vertraib  :  scraib.  136.  ein  :  bescain.  181.  laide  : 
scaide.  245.  genedickaite  :  kailichaite.  315.  gescaiden  :  wainen  etc.  etc. 
Nur  einmal :  355.  keilig  und  stets  ein,  ntkein. 

Die  Frage  nach  des  Dichters  Heimat  ist  eine  schwierige  und, 
wie  mich  dünkt,  zur  Zeit  noch  nicht  gelöst. 

Da  dürfte  es  denn  erlaubt  sein,  schließlich  noch  darauf  aufmerk- 
sam zu  machen,  daß  in  einer  Augsburger  Urkunde  vom  Jahre  11S0 
iinlcr  den  Zeugen  ein:  Wernkerus  Presbyter  majori»  ecclesice  Augustensis 
aufgeführt  ist.     Diese  Urkunde,  mitgetheilt  im  23.  Bande    der   Mona- 


zu  wernhp:r'S  marienleben.  315 

menta  boica.  S.  1  und  2  handelt  von  der  Beilegung  eines  Streites 
zwischen  dem  Kloster  St.  Ulrich  und  St.  Georgen  in  Augsburg  durch 
den  Bischof  Hartwik. 

Unter  der  ecclesia  major ,  an  welcher  dieser  Wernher  Presbyter 
war,  ist  die  Domkirche  zu  Unser  lieben  Frau  zu  verstehen.  Somit  ge- 
hörte Wernher  dem  Domcapitel  Augsburg  an.  Um  die  Zeit  der  Aus- 
fertigung dieser  Urkunde  war  Manegoldus  Senior  der  Gemeinde  zu 
St.  Ulrich,  was  nichts  anderes  heißt,  als  er  versah,  ehe  er  1182  Abt 
dieses  Stiftes  wurde  ,  die  mit  dem  Stifte  verbundene  selbständige 
Pfarrei  St  Ulrich.  (Sieh  P.  Braun,  Geschichte  der  Kirche  und  des 
Stiftes  St.  Ulrich  etc.  und  Monum.  boica  22,  S.  178.) 

AUGSBURG,  1.  August  1862. 


130     von  dem  ewigen  vrschine  la 

er  chunde  wol  chosen 

von  der  lilien  un  von  der  rosen 

diu  der  dorn  nine  hat 

nu  wolt  och.  ih  den  ir  rat  5 

135     vn  ir  helfe  svchen 

ob  sie  dez  wolte  rochen 

dz  ih  mit  dötischer  rede 

daz  bvch  Drahte  her  ze  wege 

dz  si  ez  alle  mvsen  lesen  10 

140     die  gotes  kint  wellen  wesen 

vn  och  mvzen  scowen 

phaffen  vn  frowen 

smechen  vn  irgrunden 

von  dem  fronen  chinde  15 

daz  im  die  mvter  irchos 

div  ir  magetom  nie  verlos 
145     vil  nimer  mah  Verliesen 

wir  mvgen  och  wol  ch'esin 

wie  vil  gnadich  sie  si  20 

der  daz  kindelin  sizzit  bi 

dz  lewe  un  lamb  ist 
150     ob  allen  dingen  zeoberist 


3l(i  BENEDIKT  GKEIFF 

beidiv  lip  ofl  tot 

hüte  un  lebendigez  brot  25 

tav  im  blöme 

gelt  un  röwe 

wenich  vn  michel 

von  all  in  sunden  sicher 

baidiv  vater  vn  sun  30 

ainvalt  vn  wistom 
155     gros  vn  claine 

dz  ist  er  altersaine 

der  vns  ze  not  dufte  ir  seein 

er  nam  hie  fleisch  vn  bein  35 

sin  sne  wizziu  sele 
160     vure  in  die  phalnzen  here. 

div  chetene  ist  zerbrochen 
165     gotes  hande  errochen 

da  vns  der  tiewil  mit  bant  40 

dez  loben  wir  den  hailant. 

sin  gezelt  stunt  in  der  sunnen 

besigelt  ist  der  brunne 

vngebrachet  ist  ir  anger 

ir  chorder  hat  ir  tötet  den  slangen.  45 

Den  nit  wil  ih  verdingen 

unze  ih  vvr  bringe 

disiv  seltsaniv  wort 
170     swas  mathss  scraib  dort 

den  eberaischen  livten  50 

dz  wil  ih  hie  zedute 

sagin  vn  scriben 

mannen  un  wiben 
175     mit  der  volaiste 

des  hailigen  gaistes.  55 

ih  weiz  dez  tiwiles  strit 

diche  winthalsen  git 

bozes  nit  becchen 

aitergez  hecchen 

der  vnwirdischen  diet  60 

daz  sie  schelten  div  liet 

34.    notdufte  =  nötdurfte. 


ZU   WEENHER'S  MARIENLEHEN.  .S|7 

div  in  wislicher  ahte 

vergelten  niemen  mähte 

mit  grozim  gote  wider  wegen. 

ih  wsene  sie  den  flöch  vvr  den  segen  65 

von  gote  enphahent 

die  sih  daran  vergab  ent 

swer  dich  bespreche 

Math's  mvz  ez  rechen 

der  zem  eristen  scraib  70 

]80     vn  den  irretöm  vertraib 

den  Amachei  iunger  sazte 

do  er  die  znngen  wazte 

in  vppigeme  chose  lb 

doch  ne  wolte  die  rede  hose  75 

div  cristenhait  nit  enphahen 

do  sie  die  löge  sahen. 

Der  innger  heiz  lencio 

vnd  was  verworfen  also 

daz  sin  rede  wart  betragen  80 

vn  si  niemen  getar  gesagin 

wan  si  mit  dvrrin  zwigen  stat 

vn  sie  der  wrze  nine  hat. 

Math's  rewaglsste 

der  nam  im  lange  friste  85 

vnze  er  ez  wil  rehte  gar  irfvr 

das  weder  mos  noch  mur 
185     siniv  wort  nemach  getroben 

des  lat  och  ivch  genügen 

vn  sce  Jeronimi  lere  90 

die  mugen  iv  wol  gehelfin  an  der  sele. 
|oj     Bi  den  alten  ziten 

got  enwas  niht  chudech  witen 

not*  in  iudea 

fremde  was  er  anderswa  95 

]Q5     do  was  der  haidenscefte  vil 

die  des  tievelis  spil 

an  den  abgoten  begingen 
des  och  sie  schaden  gevingen 

7  5    nie,   mit  dem  Ttlgungspunkte  unter  dem  i.        8  6    wil  =  vil.        9  3    chudech 
chundech. 


;5JS  BENEDIKT  GREIFE 

anme  libe  vn  an  der  sele  100 

200     do  be  hilt  die  gotes  lere 

div  israhelitesce  diet 

als  in  inoyses  geriet 

un  ir  vater  abrah'a 

dem  waren  si  gehorsam  l<>5 

205     Ysaac  vn  Jacobe 

der  in  des  himeles  höhe 

eine  lateren  gasah 

da  in  sin  scephare  gesprah 

facie  ad  facie  1 1 0 

210     wie  mähte  ez  ime  baz,  ergen 

do  er  den  engel  gewie 

den  er  des  morgenes  niht  verlie 

vnz  er  in  gesegenote 

div  huf  ime  dorrote  1 1  5 

215     da  in  der  engel  druhte 

hin  naher  ir  sie  röchte 

zeinem  vrchunde 

hainlichen  do  begunde 

der  hailige  pat'arche  120 

220     des  wunderote  do  starche 

alles  sin  geslahte 

als  er  vil  wol  mähte 

sie  wrdes  des  gefröwet 

daz,  er  waz  bescöwet  125 

225     von  gotes  anebliche 

sie  söchen  venie  diche 

gen  den  himelschen  choren 

hie  mvgent  ir  wnder  hören. 

Vz  dem  selben  chunne  L30 

230     waz  ein  kint  ir  Sprüngen 

ein  man  geborn  in  dise  werlt 

got  selbe  hete  ime   erweit 

sinen  gedanch  vn  sinen  sin 

gehaizen  waz  er  ioachim  135 

235     vn  was  der  besten  ein 

den  div  sunne  ie  bescain 

112   gewie  =  gevie.       124   wrdes  =  wrden. 


ZU  WERNHER'S  MARIENLEBEN.  .'519 

sin  ainvalte  was  so  groz 

daz  sin  sit  wil  wol  gonoz  (*'o) 

vor  gotte  un  vor  der  lüten  !40 

ioachim  chut 

IL 

wonehaite 

div  schaf  dar  für  geriten  2a 

365     lamp  un  div  roten  linder 

ioachim  stunt  dar  under 

same  div  ainvalte  tübe  145 

siner  frasüme 

die  wolte  er  da  ir  vollen 
370     stiften  gotes  willen 

er  hete  ophers  genvch 

daz  iine  sin  hiwesch  dar  trvh  150 

daz  wolte  er  da  verbrennen 

den  roch  ze  himele  senden 
375     fvr  div  gotes  ögen 

groz  waz  sin  gelobe 

da  was  ie.nit. als  och  nv.  155 

ein  scriba  spranc  dar  zv 

ruben  der  ewarte 
380     den  herren  rafster  starche 

vn  stöte  in  also  sere 

er  sprah  dv  ne  scolte  niht  mere  160 

zv  vnserme  opher  gan 

wir  haben  uns  alle  wole  enstan 
385     hat  dih  got  so  verfluchet 

dz  er  niht  en  röchet 

en  heines  wchers  von  dir  165 

der  diner  fravel  ist  so  vil 

dv  müst  dih  svndern  hinnen 
390     wir  ne  wellin  niht  gewinnen 

susgetane  gesellen 

wir  ne  mögen  och  dih  zv  den  besten  niht  gezellin.  1 70 

Von  solichem  itevize 

mit  sinen  banden  wizen 
395     swaich    er  also  tögen 

die  zähere  von  den  ögen 


;>,2ii  BENEDIKT  GREIFP 

ez  duhte  in  michel  scande  175 

doch  ne  waz  ime  nie  so  and*' 

daz  er  dz  selbe  scelten 
400     mit  öbele  wolte  gelten 

er  ne  wolte  och  nit  mere 

wider  in  sin  hüs  cheren  180 

vü  wolte  sih  vor  laide 

von  sinem  wibe  schaiden 
405     von  siner  wunneclicher  chonen 

in  ainer  wüste  wolter  wonen 

in  ainer  wüste  verre  185 

dar  hiez  och  ime  der  herre 

al  sin  chorter  triben 
410     im  wolte  da  beliben 

des  vihes  wchers  wolter  leben 

zehenden  almüsen  geben  190 

michel  baz  danne  e 

vil  weste  wesin  an  siner  e. 
415     an  nihte  sich  vorsumen 

clagen  vn  chineren 

in  der  einode  195 

menneclicher  brode 

dz  div  werlt  niht  anders  ist 

wan  stuppe  im  mist 

vü  ain  scahte  der  gar  verswindet 

so  sih  div  sele  enbindet  200 

von  menneschlcher  zarge 

so  zerget  och  selliu  fröde  mir  arge. 

Alse  frowe  anna  dz  vernam 
420     daz  ioachirn  der  ir  man 

so  sere  waz  gelaidegot  205 

do  wäre  ir  über  der  tot. 

dz  vil  wnnecliche  wip  21' 

harte  chelte  sie  ir  lip 
425     dz  er  ir  hete  eintwichen 

dez  waz  ir  clage  michel  210 

vn  so  verre  waz  gevaren 

sine  trvwete  niht  bewaren 

192    weste  =  veste.      199    scahte  =  sehate. 


ZU  WERNHER'S  MARIENLEBEN.  321 

ir  hiwisch  da  haiine 
430     dar  vinbe  waz  ir  laide 

dz  si  vf  der  erde  215 

witewe  scolte  werden 

bi  lebendigem  manne 

si  mvze  irbleichen  danne 

ir  scone  wart  verderbit 

elliv  ir  frode  wart  irsterbit.  220 

Die  hende  höp  sie  hohe 

gegen  der  phalnze  frone 
435     gegen  dem  himelriche 

si  sprah  wil  clageliche 

owi  gewaltiger  got  225 

mine  vil  inneclichen  not 

rvche  dv  bedenken 
440     ione  mach  ih  niht  gewenken 

ih  ~      müze  liden  swaz  du  wil 

ia  h    n  ih  angeste  vil  230 

wa  mäht  ih  reste  vinden 

do  dv  mir  an  den  kindin 
445     neheine  frode  gäbe 

dz  dv  mir  do  beneme 

minen  karelen  also  guten  235 

mit  solihem  ungemüte 

swaz  dv  wil  dz  muz  irgen 
450     die  totin  hiezestu  uf  sten 

die  armen  machestv  riche 

in  selben  vngeliehe  240 

die  riehen  lastu  wallen 

dez  muzen  sie  dir  alle 
455     grozzer  maister  scehfte  gehen 
swaz  diu  öge  gerochet  sehen 
da  ist  genedicha'te  mere  245 

denne  grizes  an  dem  mere, 

diner  gute  manichvalte 

mere  denne  indemewalde 

immer  zwiger  muge  sin. 

ewigez  vrschin  250 

241   wallen  =  vallen. 

GERMANIA  VII.  21 


322 


BENEDIKT  GREIFE 

gezalt  hastv  dine  Sternen 
460     sie  mvgen  dir  dienen  gerne 

die  div  wil  beröchen 

nv  ledege  mih  von  dinem  flvche 

der  mih  hat  irderret  255 

min  warabe  ist  besperret 
465     die  scolt  div  (so)  herre  entslizen 

dz  ih  diner  hailichaite  gcnize. 

Anna  schvt  ir  venie 

mit  zäheren  also  manigen  260 

dz  si  got  erhörte 
470     ir  angest  zerstörte 

do  si  nider  genihte 

vn  wider  vf  geblichte 

in  ainem  böngartin  265 

si  begüde  vmbe  warten 
475     vü  sach  an  ainem  aste 

die  sperchen  scrigen  vaste 

sie  gaheten  zv  ainem  neste 

da  si  ir  kindelin  vesten  270 

vn  brahten  in  die  spise 
480     vs  einem  clainem  rise 

vf  ainem  lorböme 

div  frowe  nam  dez  göme  3a 

wie  frolichen  si  fingen  275 

durh  dz  si  iungidc  zvgen. 
485     Si  sprach  owie  herre 

nahen  nn  verren 

ist  din  gnade  getailet 

din  trost  vz  gebraitet  280 

für  allir  slahte  chunter 
490     dv  stiftest  michel  wnder 

durh  dz  dv  ime  allem  oblist. 

diner  geschefede  dv  gist 

miseliche  wnne.  285 

von  regene  ioch  von  snnnen 
495     machestu  die  erde  berehaft. 

den  nogelin  gistu  die  craft 

259    schvt,  so  ■=  suocht.      2J0  vesten  =  westen.      291    viklen  =  wilden. 


ZU  WERNHER'S  MARIENLEBEN.  323 

dz  sie  ir  kint  mainent 

swi  sie  in  dem  lüfte  swaiment  290 

dv  gebivtist  den  vilden  tieren 
500     dz  sie  kint  ziehfn. 

div  natir  da  suchet 

sva  sie  ir  kint  irgriffit 

si  gat  ime  willeclichen  bi  295 

vn  zeiget  dz  sie  sin  mvtir  si. 

von  dir  die  vise  namen 

weher  im  samen 
505     die  fische  in  dem  wazzaere  fliezzent 

diner  gvte  sie  geniezzent  300 

allez  dz  der  ie  wart 

dz  hat  din  segen  wol  bewart 

dz  er  sich  ientenivwet 
510     swaz  criset  (so)  oder  fiivget 

uf  der  erde  vn  in  dem  wage  305 

nv  sage  ih  dir  gnade 

dz  dv  mih  altersaine 

so  verre  hast  geschaieden 
515     von  allen  Sachen 

die  dv  hast  geschaffen  310 

von  allen  den  dingen 

die  uf  dem  urspringe 

mit  clinem  gewalte  sint  bechomin 
520     dar  us  hast  du  genomen 

gesurdert  ioch  geschaiden  315 

dz  mvz  ih  iemer  clagen  vQ  wainen. 

He  dz  sie  die  rede  volle  sprach 

ein  engel  sie  sah 
525     vor  ir  antlvhte  sten 

div  vorhte  begimge  si  ane  gen  320 

si  wider  sazz  ez  harte 

do  sie  begimge  (so)  warten 

an  sine  scone  vedere 
530     ir  sin  vor  en  wedele 

sam  von  dem  uuinde  dz  16p  325 

der  engel  niht  vf  scöp 

sine  potesclaft  (so)  frone 

die  frowen  grvzeter  scone 

21* 


324  BENEDIKT  GREIFE 

535     mit  senftent  (so)  worten 

dvne  scolt  dir  niht  fvrhtin  330 

sprah  der  engel  liehte 

dir  (so)  alliv  dinbc  von  nihte 

chunde  wol  machin 
540     der  wil  selbe  wachen 

vbir  din  raines  gebete  335 

als  er  kvnech  ie  tet 

vber  alle  die  ir  gemvte 

cherent  an  sine  gvte 
545     do  din  charele  ioachim 

als  ih  der  chvndende  bin  340 

von  dir  ze  iungeste  schiet  3b 

div  gotes  gnade  ivch  beriet 

dz  dv  swangere  wrde. 
550     cliaiserlicher  bürde 

dv  treist  in  dinen  brüsten  345 

dez  dich  wol  mach  lvsten 

eine"tohter  here 

io  ne  wart  niemer  mere 
555     ir  geliche  geboren 

sie  ist  ze  kuneginne  irchorn  350 

vber  allez  hymelschez  here 

sie  scol  den  gotes  sunt  (so)  gebern. 

den  heiligen  crist 
560     der  aller  der  werlte  vater  ist. 

Din  tohter  ist  her  vn  wich  355 

ir  ne  wart  nie  niemen  gelich 

vnder  wiblichem  chnnne 

sie  wirt  ein  michel  wnne 
565     aller  dirre  weilte 

so  got  bvwet  in  ir  gezelte.  360 

Alse  div  botescaft  wart  ergeben 

sine  mähte  in  mere  niht  gesehen 

wan  er  ze  kvrzen  stunden 
570     vor  ir  waz  verswnden 

vn  fvr  ze  sinem  maister  365 

zv  andern  gaisten 

die  ime  himelriche  sint 

gehaizen     engelseiv  kint 


ZU  WERNHERS  MARIENLEBEN.  325 

Do  begunde  frowe  anna 

got  loben  starcbe  danne  370 

ir  schephare  sagete  sie  gnade 

dz  er  sie  irloste 

mit  svsgetanem  tröste 
575     von  allen  ietewizen 

dez  löpte  (so)  sie  in  mit  fliscze  375 

sie  wart  vil  inneclicben  fro 

ir  venie  svbte  sie  abir  do 

dar  nah  ginch  sie  rasten 
580     io  bete  sie  dz  vasten 

ein  tail  geswendet  380 

doh  bete  sie  ir  arbait  wol  gewendet. 

In  ir  bette  sie  gelach 

eine  ganze  naht  vn  einen  tach 
585     dz  sie  en  häz  (so)  noch  en  tranch 

sie  hete  rainen  gedanch  385 

io  waz  ir  an  der  seibin  zit 

alse  ein  man  oder  ein  wtp 

mit  swaregem  trome 
590     sliefe  vnder  einem  böme 

dem  wäre  cbomen  de  schvme  (so)  390 

dz  er  entranne  chvme 

vor  sinen  uiariden 

vn  er  dar  nah  irchande 
595     swenne  er  irwachete 

[dz  alle  sine  nöte  395 

waren  verswnden 

alse  was  sie  an  den  stunden 

bechomen  von  ir  laide 
600     wnne  vn  waide 

vn  vil  stetigen  segen  400 

hete  ir  der  engil  gegeben 

ir  wibe  einer  rofte  sie 

div  chom  ir  alze  seime 
605     do  röfte  sie  der  magede 

div  was  vil  vngesagede  405 

sie  mvse  ir  harne  (so)  ofte 

mere  danne  ir  tohte 

vber  lanch  gie  sie  dar 


326  BENEDIKT  GREIFF 

do  sprah  div  tohter  ysachar 

anna  div  raine  410 

610     nu  sage  mir  waz  daz  maine 

wannen  chvmet  dir  der  gaist 

so  du  min  angest  wol  waist 

dz  dv  so  harte  tragest 

dz  dv  mih  nine  fragest  415 

615     weder  ich  lebe  oder  tot  si 

dv  werist  mir  bellichen  (so)  bi 

ob  ih  den  lip  wolte  laben 

dz  ih  dir  daz  mähte  gesagen. 

Div  maget  begunde  murmeln  420 

620     vngezogenlichen  zvrnen 

si  sprah  waz  mähte  ih  dir 
aine  getün 
622     dvne  424 


III. 

774 tragen  4ft 

775     vn  warf  ez  vf  ainen  stain 

er  brande  flaisch  vn  bain 

dz  sich  der  roch  uf  boch 

der  engel  alda  mtte  flöch 

vaste  gen  den  löften  430 

780     mit  zaeheren  vn  mit  zvhten 

gestunt  der  herre  eine 

sin  herze  was  luter  vn  raine. 

Sin  gebet  dz  waz  so  nuzze 

vf  sin  antluzze  435 

785     vil  er  nider  uf  daz  graz 

da  er  opherende  was 

er  lach  bi  dem  gezile 

von  der  sehsten  wile 

vnze  an  die  vespzit  440 

790     so  div  sunne  schaten  git. 

Do  chomen  sine  hyrten 

hin  zv  ir  herren  vn  zv  ir  wirete 

42  9   mtte  =  mite. 


ZU  WERNHER'K;-M  ARIENLEBEN.  327 

ilten  sie  gahen 

do  sie  in  sahen  445 

795     nider  ligen  in  der  mvlten 

sie  wanden  dz  er  wolte 

sich  selben  Verliesen 

vor  laide  den  tot  kiesen 

si  ilten  in  vf  rihten  450 

800     er  sagete  och  ze  ir  gesichte 

wie  ez  ime  wäre  ergangen 

do  wrden  sie  bevangen 

mit  ziteren  iöch  mit  vorhten 

anders  si  nine  worhten  455 

805     wan  dz  si  lobeten  alle  got 

der  vzzer  angest  \n  vzzer  not 

div  rivwigen  herze  enbinden  (so) 

swa  er  den  geloben  vindet 

an  den  gvten  vn  an  den  rehten.  460 

810     alle  sine  knehte 

die  rieten  dem  hailigen  man 

dz  er  wrde  gehorsam 

dem  engel  vn  sinen  Worten. 

sie  sprahen  sie  vorhten  465 

anders  harte  er  wrde  gerefset  sere 

an  dem  libe  vn  an  der  sele. 

Als  er  des  nahtes  enslief 

der  engil  ime  aver  zv  rief 
815     wes  sumest  dih  ioachim  470 

an  der  stunt  ih  böte  bin 

dz  dv  heim  invzest  varen 

dv  ne  wellist  ez  bewaren 

dv  müst  ez  engeltin 

dz  anna  so  selten  475 

nah  dir  vnweinende  wirt 
820     dv  waist  wol  dz  siv  dir  gebirt 

aine  tohter  gvte 

die  ist  in  gotes  hvte 

von  ewen  vnze  ewen  480 

wie  sol  ih  dih  diner  fröme  so  flehen. 
825     IN  dem  andern  morgen 

do  verliez  er  die  sorgen 


328  BENEDIKT  GREIFF 

er  hvp  sih  vf  gereite 

er  ne  wolte  niht  baiten  485 

er  sagete  siuen  livten 
830     des  engeis  rede  zedöte 

die  rieten  algeraaine 

dz  sie  füren  seime 

alse  dz  fihe  mähte  gen  490 

sie  sprauchen  (so)  wolt  er  da  bisten 
835     dz  müse  er  ane  sie  tvn 

ez  wäre  ein  michil  wistüm 

daz  er  also  taete 

als  ime  gechundet  bete  495 

der  gewaltige  böte. 

sie  röften  vaste  hin  ze  gote 

vf  sine  bamiunge 

mit  waeinenden  znngen. 

sie  fnren  enalverte  500 

840     dz  mos  ioch  die  herte 

baidiv  berch  vn  tal  ■ 

dz  fihe  cherten  sie  vber  al. 

sie  waren  in  der  ode 

fvnf  manode  505 

845     gewesin  ioch  gebvwen 

mit  scolicher  (so)  missetriwen  4b 

dz  er  botescaft  enheine 

ni  enbot  wider  heime 

ze  sinem  sconen  wibe  510 

850     dz  hete  sie  ze  nide 

do  sie  an  ir  gebete  stunt 

so  dicche  gvtiv  kint  tvnt, 

mit  zäheren  begozzen 

der  engel  unbedrozzen  515 

855     chom  ir  aber  ze  gesvne 

bi  des  bongarten  zune 
da  si  lak  an  ir  chnie 
der  engil  gegen  ir  gie 

ir  lait  er  ir  gebvzte  520 

860     do  er  sie  gegrvezte 

er  sprach  dz  sie  gienge 
ir  karelin  wol  enphinge 


ZU  WEKNHEK'S  MARIENLEBEN.  329 

zv  ainer  porte  div  hiez  aurea 

der  wirt  begegenote  ir  da  525 

865     ane  zwivel  an  dem  tage 

do  waz  ir  trwren  vn  ir  clage 

in  den  wint  verswnden 

ir  herze  was  gefriget  vn  enbvnden. 

Sie  gahet  engegen  dem  burgetor  530 

870     dez  wirtes  baite  sie  da  vor 

mit  des  engils  gelaite 

sie  wolte  ir  langes  baiten 

mit  zähere  vndermisgen 

sie  stalte  ir  hiwische   ....  535 


dz  rnaue  flöch  do  witen. 

sie  stvnt  vf  aine  hohe 

dz  sie  verre  sähe   .    .    . 

vn   .    .    .    .   mähte  scowen  540 

diu  vil  edeliv  fröwe 

div  vil  do  nider  dicche 

vf  bliche 

875     waz  er  fvrte  da  here 

dar  zv  was  ir  vil  ger  545 

da  waren 

div  begunden  alle  fragen 

wenne  der  frowen 

880 böte  chome 

der  ir  hete  dz  vz  genomen  550 

dz  ir  karele  scowen  chomen. 

do  sie  do  wrden  innen 

dz  von  der  gotes  stimme 
885 was  erschellet 

anna  wart  gezellet  555 

zv  dem  allerbesten  wibe 

libe 

bi  den  ziten 

890     ir  warten  vn  ir  biten 

....   sie  ane  rieffen  560 

elliv  siniv  wnder 

ioachim  lie  dar  under 

die  sie  da  vernamen 


330  FRANZ  PFEIFFER 

lop  sie  ime  gaben 

mit  zäheren  sie  sich  begvzzent  565 

div  von  den  herzen  flvzzent 
895     schiere  sie  do  sahen 

vber  velt  gahen 

ioachim  vn  sine  schare 

div  fröwe dare  570 

vmbe  den  hals  sie  in  gewie 
900     an  siner  hende  sie  g'e 

sie  halste  in  vnde  chvste 

sie  dvhte  (so)  in  an  div  (so)  brüste 

vn  enphiench  in  inneclichen  wol  575 

sie  waren  baidiv  sament  vol 

des  trost 

905     elliv  div  menigi 

div  trat  im  engegene 

vn  hiez  in  willechomen  sin  580 

do  det  got  vil  gvt  schin. 

571    gewic  =  gevie. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT. 


Die  nachfolgenden  Predigten  habe  ich  einer  Pergamenthandschrift 
in  Octav  entnommen ,  die  mir  Herr  Domdecan  Dr.  Karl  Greith  in 
S.  Gallen  vor  zehn  Jahren  freundlichst  zur  Benützung  mitgetheilt  hat. 
Sie  stammt  aus  der  noch  im  12.  Jahrhunderte  gestifteten,  vor  einigen 
Jahren  aufgehobenen  Benedictiner  Frauenabtei  Hermetschwil  im  Canton 
Argau.  Die  von  verschiedenen  Händen  herrührende,  zum  Theil  zierliche 
Schrift  deutet  auf  die  erste  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts.  Leider  ist  die 
Handschrift  nicht  mehr  vollständig  :  nicht  nur  der  Anfang  und  das  Ende 
fehlen,  auch  in  der  Mitte  sind  da  und  dort  Blätter  ausgerissen,  so  daß 
sie  deren  nur  noch  127  zählt. 

Diese  Predigten  bieten  in  der  Sprache,  in  der  Darstellung  und 
im  Satzbau  manches  Eigenthümliche ,  was  sie  eben  so  von  Berthold, 
David  und  den  Grieshaber'schen  Predigten  als  von  den  Mystikern  des 
J4.  Jahrhunderts  unterscheidet.  Mit  Gewissheit  glaube  ich  sie  noch  ins 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XUI.  JAHRHUNDERT.  331 

13.  Jahrhundert  setzen  zu  dürfen.  Die  zweimal,  Bl.  13a  und  16b,  vor- 
kommende Anrede  an  die  brüeder  lässt  vermuthen ,  daß  sie  in  einem 
Kloster  gehalten  sind.  Die  zum  Theil  alterthümliche  alamannische  Or- 
thographie (vgl.  auch  milwan  Bl.  92%  bürdinun  38b,  minnut  36"',  gesel- 
ligot  90a,  gedünrot  60")  habe  ich  sorgfältig  beibehalten  *) :  die  wenigen 
Änderungen,  die  ich  anzubringen  für  nöthig  erachtete,  sind  alle  unter 
dem  Texte  angegeben. 

Außer  diesen  drei  Predigten  und  einigen  kleineren,  wenig  bedeu- 
tenden Stücken  enthält  die  Hs.  noch  auf  Bl.  20 — 70  eine,  vielleicht 
von  demselben  Verfasser  herrührende  Abhandlung,  deren  Inhalt  zum 
Theil  dem  Hohenliede  entnommen  ist;  ferner  Bl.  71  ff.  den  Tractat 
über  die  sechs  Namen  des  Frohnleichnams  von  dem  Mönch  von  Hails- 
bronn ,  dessen  gereimte  Emgangs-  und  Schlußrede  ich  in  den  altd. 
Blättern  2,  350—54  aus  einer  Münchner  Handschrift  habe  abdrucken 
lassen.  Beide  letztere  fehlen  übrigens  nicht  nur  hier,  sondern  auch  in 
allen  den  andern  zahlreichen  Hss.,  die  ich  von  diesem  Tractate  kenne. 

Da  ich  zu  einer  Abschrift  der  ganzen  Hs.  damals  keine  Zeit 
finden  konnte,  aber  doch  dasjenige,  was  sie  in  Bezug  auf  die  Sprache 
Bemerkenswerthes  bietet,  gerne  vor  möglichen  Wechselfällen  sicher 
stellen  wollte,  so  habe  ich  sie  ganz  durchgelesen  und  die  Wörter  und 
Sprachformen,  die  mir  neu  oder  selten  oder  doch  eigenthümlich  schie- 
nen, aufgezeichnet  und  sie  in  ein  kleines  Glossar  zusammengestellt. 
Da  mir  zu  dessen  Mittheilung  hier  nicht  der  rechte  Ort  scheint,  lege 
ich  es  zurück,  bereit,  es  nebst  andern  derartigen  Beiträgen  seiner  Zeit 
dem  im  Aussicht  stehenden  Supplementband  zum  mhd.  Wörterbuch  zu 

Gute  kommen  zu  lassen. 

FRANZ  PFEIFFER. 


....  (BL  la)  wir  jerliches  in  unser  gedenknüsse  nemen  di  klegde 
der  marter  unsers  herren,  also  daz  wir  der  marter  Cristi  alle  järe  ge- 
dehten  an  disem  tage.  Und  wan  wir  hiute  nü  sien  worden  ein  kleinez 
volke  oder  weisen  sien  worden  äne  vater,  und  dar  umbe  so  liset  man 
nü  'herre,  gedenke,  waz  uns  nü  geschehen  si,'  unde  dar  nach  so  volget 
'wir  sien  worden  ein  kleinez  völkelin  äne  vater.'  Und  dar  umbe  so  lesen 


*)  Dahin  gehören,  außer  den  Femininis  berhafti,  güeti,  groszi,  den  Diminutiv- 
ormen  brünneli,  gemechitli,  türtertiubli ,  loibeli,  namentlich  die  Flexionen  kerzun,  spei- 
chelun,  minnot,  hätun,  bezeichnut,  räflut,  ferner  die  unorganischen  e  in  volke,  riefe,  Jwubte, 
gote,  arnpte  la,  holze  1",  bluote  2b,  nakte,  leide  3a  u.  s.  w. 


332  FRANZ  PFEIFFER 

wir  die  klage  in  Jeremias.  Von  disem  vater  ist  geschriben  in  eccle- 
siaste  14°  capitele  fdaz  gerihte  des  vaters.'  Her  über  sprichet  diu  glöse 
'welhes  vaters?'  Daz  ist  unsers  vaters,  unsers  herren  gottis.  Daz  hce- 
rcnt,  ir  lieben  süne. 

Jesus  der  riefe  mit  grözer  stimmen  und  neigte  sin  houbte  und 
gab  üf  sinen  geist.  Bi  der  marter  unsers  herren  Jesu  Cristi  sint  ze 
merkenne  fünf  sache.  Diu  erste  ist:  war  umbe  daz  gotte  aller  meist  wolte 
den  tot  liden  an  dem  holze  denne  dekeines  andern  tödes.  Zuo  dem  an- 
dern male :  war  umbe  daz  Cristus  an  deme  kriuze  mit  einer  lüterrn 
stimme  schrei  oder  rief.  Zuo  dem  dritten  male:  war  umbe  daz  er  mit 
geneigtem  houbte  üf  gap  sinen  geist.  Zuo  dem  vierden  male,  daz  er 
mer  wunderlicher  zeichen  tete  an  dem  tode.  Zuo  dem  fünften  male, 
daz  daz  heilige  ampte  der  messen  geordent  ist.  Aber  war  umbe  daz 
Cristus  an  dem  kriuze  sterben  wolte,  daz  sint  drie  sache.  Diu  erste 
sache  ist,  wan  der  tiuvel  den  menschen  überwunden  hat  mit  dem  holze, 
und  dar  umbe  so  was  ez  pillich  unde  reht,  daz  der  tiuvel  ouch  (lb)  über- 
wunden würde  mit  dem  holze,  und  da  von  so  wolte  Cristus  daz  holze 
nemen  dar  an  ze  sterben,  umbe  daz  er  den  schaden  des  holzes  loeste 
unde  vertribe.  Diu  ander  sache  was:  wan  daz  paradise  wart  beslozzen 
mit  dem  holze,  so  was  ouch  reht,  daz  ez  üf  geslozzen  würde  mit  dem 
holze,  und  da  von  ist  uns  üf  getan  diu  türe  des  himelriches.  Diu  dritte 
sache  ist,  daz  sich  Cristus  wolte  zeigen  daz  er  sterben  wolte  für  alle 
die  werlt,  wan  daz  kriuze  was  von  vier  stüken.  Daz  niderste  teil  des 
kriuzes  bezeichnot  die  da  warn  in  der  helle;  daz  teil  zuo  der  linken 
hant  des  kriuzes  bezeichent  die  sündere;  und  daz  teil  zuo  der  rehten 
hant  daz  bezeichent  die  gerehten  menschen;  aber  daz  oberste  teil  be- 
zeichent die  engele,  umbe  daz,  daz  die  zale  der  engele  die  menschen 
widerbrehten.  Und  umbe  daz  so  wolte  Cristus  mer  an  dem  kriuze 
sterben  denne  dekeines  andern  tödes.  Zuo  dem  andern  male,  war  umbe 
daz  Cristus  an  dem  kriuze  mit  lüterre  stimme  schrei,  und  her  zuo  mac 
man  antwürten  in  drier  hande  wis.  Diu  erste  sache  ist ,  daz  er  sinen 
grozen  smerzen  zeigte ,  wan  sin  smerze  der  was  gröz ,  wan  er  von 
Unschulden  was.  Hie  von  sprichet  sant  Peter 'Cristus  der  ist  einest  tot, 
der  gerehte  für  die  ungerehten.'  Und  noch  grcezer  was  er,  wan  er  ge- 
schach  von  sinen  friunden,  und  er  was  da  von  noch  groezer,  wan  er 
in  leit  für  die,  die  im  sin  lützel  dankten.  Nu  sprichet  sant  Peter  'der 
gerehte  der  starp  für  die  (2")  ungerehten.'  Daz  er  sprichet  fder  gerehte, 
dar  an  ist  ze  merken,  daz  er  unschuldic  was.  "Aber  da  er  sprichet  fiir 
die  ungerehten',  ist  ze  merken,  daz  er  starp  für  unser  bösheit,  durch 
der  willen  er  liden  wolte,    umbe   daz  er  uns  opferte    got    sinem  vater. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  333 

Nu  sprichet  sant  Bernhart,  daz  unser  herre  Jesus  Cristus,  der  da  kam 
ane  sünde  in  dis  weilt ,  der  enfüere  niht  ane  siege  üzer  dirre  werlt. 
Aber  du  ,  mensche ,  du  bist  in  sünden  komen  in  dis  weit  unde  du 
wilt  ane  siege  varn  wider  üzer  dirre  weit?  alse  ob  er  spreche,  des 
enmac  aber  niht  sin.  Von  den  andern  sprichet  Cristus  selber  rder  hat 
mich  verraten,  den  ich  da  minte.'  Sant  Bernhart  sprichet  rwer  sint  die 
siege,  die  enmitten  in  dine  haut  geslagen  sint,  du  guoter  Jesus?  und 
er  antwertet  rdiz  sint  die  siege,  die  mir  die  geslagen  hant,  die  mich 
da  minten,  daz  ist,  die  mich  da  geminnet  solten  hän  ane  siege.'  Von 
den  dritten  sprichet  David  'die  da  mit  übel  guot  vergeltent,  die  hant 
mir  min  leben  benomen.'  Sant  Bernhart  sprichet  rdu  aller  liebster  jun- 
gelinc,  waz  hast  du  getan,  daz  du  also  vil  geliten  hast?  sicherlich,  ich 
was  sache  dines  lidens.'  Und  diz  enverstuonden  noch  enmarkten  noch 
verstent  die  undankbaren  niht.  Aber  umbe  daz,  daz  wir  sinen  smerzen 
merken  unde  versten,  so  rüefet  er  zuo  uns  durch  den  propheten  unde 
sprichet  fö  ir  alle,  die  an  deine  wege  da  für  gänt,  sehent,  ob  ie  smerze 
was  so  groz  so  min  smerze?'  Mit  dem  daz  er  schriet '6'  git  er  ze  ver- 
stenne  die  grözheit  sines  smerzen  (2b)  unde  suochet  da  mit  alle,  die 
an  sine  marter  gedenken  wellen,  unde  swaz  er  bittet,  des  begeret  er 
daz  ez  geschehe. 

Nu  volget  darnach:  ceiä  nü  merkent  unde  schouwent!'  War  umbe 
sprichet  er:  rnü  merkent'?  Daz  heizet  er  gedenken  mit  bekentnisse  des 
herzen  umbe  daz,  daz  siu  ein  mitliden  mit  im  haben.  Nü  sprichet  er 
nü  sehent',  daz  ist  als  vil,  als  sehent  mit  begirde  iuwers  heizen,  daz 
ir  iuch  demüetigent;  wan  sehent,  diz  lide  ich  umbe  daz,  daz  ir  iht 
wegent  oder  ahtent  iuwer  liden  groz,  wan  ich  hau  noch  groezer  geliten: 
sehent ,  daz  sehent  ir  wol  umbe  daz,  swaz  ir  lident ,  daz  ir  ez  dester 
gedulticlicher  lident ,  und  daz  ir  ouch  wizzent ,  mit  waz  arbeiten  ich 
iuch  zuo  mir  gebunden  hän.  Ez  sprichet  sant  Beinhart  feiä,  wie  mit 
eime  starken  umbevange  du  mich  umbevangen  hast ,  du  guoter  Jesu, 
an  dem  kriuze,  dö  daz  wazzer  üzer  diner  siten  flöz ,  mit  dem  du  uns 
änderst  geborn  hast.'  Daz  bluote,  da  er  uns  mit  erloste,  daz  flöz  von 
sinem  herzen,  und  diu  sele,  damit  er  uns  behaltet,  diu  fuor  von  sinem  Übe. 

Nü  volget  dar  nach:  rob  dekeiu  smerze  glich  si  minem  smerzen? 
Ja,  0I1  dekeiu  smerze  noch  unverwunnen  si?  Wau  von  dem  junger,  zuo 
dem  ich  zuoversiht  hate,  bin  ich  verraten,  und  von  dem  andern,  den 
ich  hate  gesast  zuo  einem  fürsten  des  Volkes,  der  hat  mins  verloukent, 
und  die  andern  jungem  liezen  mich,  und  von  den  Juden,  den  ich  vil 
guoter  werk  tet,  von  den  wart  ich  gebunden  unde  wart  von  in  gegeben 
in  den  tot.     und    wider  alle  orrlenunge  der  gerehtikeit    (3a)    so  sint  si 


334  FßANZ  PFEIFFER 

gegen  mir  gegangen  unverwunnen  unde  zugen  mich  doch  zuo  dem 
tode  und  zuo  der  begrabunge  unde  zuo  dem  tot  gäben  sie  mich.  Bar- 
rabas  der  Schacher  bittet  umbe  daz  leben,  aber  ich,  der  allen  menschen 
leben  gibe ,  suoche  den  tot  und  einen  also  schemlichen  tot ;  wan  ich 
wart  verkouft  umbe  drizic  pfennige  reht  alse  umbe  ein  swin,  unde 
wart  dar  zuo  getriben,  daz  ich  muost  tragen  den  galgen  mines  kriuzes, 
unde  wart  gestellet  nakte  vor  allem  volkc,  unde  groezer  pine  leide  ich 
denne  ie  dekein  verworhter  mensche  verdiente.'  Sant  Bernhart  sprichet 
fdaz  houpt,  daz  die  engelschen  geiste  erfürhtent,  daz  ist  mit  vil  dornen 
durchslagen,  und  diu  ougen ,  diu  liehter  sint  denne  diu  sunne,  diu 
wurden  verdunkert  mit  dem  töde,  unde  diu  oren,  diu  daz  engeis  ge- 
sange  hoerent:  heilic,  heilic,  heilic,  diu  horten  daz  rüefen  der  sündere, 
daz  ist,  do  die  Juden  schrouwen:  kriuzig,  kriuzig  in,  und  daz  antlütze, 
daz  vil  schönre  was  denne  aller  menschen  antlütze,  daz  wart  gehals- 
lekt  unde  wart  mit  speichelun  verunreint,  unde  der,  der  die  apostolen 
lerte  unde  die  wärheit  redde,  der  wart  getrenkot  mit  gallen  und  ezzich, 
unde  die  hende,  die  da  gemachet  häten  himel  und  erden,  und  die  füeze, 
der  fuozschemel  was  diu  erde  (wan  si  sint  heilic) ,  die  wurden  mit 
nagelen  durchslagen.  Und  wan  lützel  menschen  an  sin  rüefen  geden- 
kent,  dar  umbe  so  klagt  unser  herre  Cristus  durch  den  propheten  Da- 
viden unde  sprichet  fich  hän  gearbeitet  mit  rüefenne.'  (3b)  Bernhardus 
spricht  rowe ,  guoter  Jesu ,  du  klagest  billich  diu  heisri ,  wan  von  der 
zit  diner  geburt  biz  an  die  zit ,  daz  du  an  dem  kriuze  verschiet ,  so 
engehortost  du  nie  üf,  du  arbeitost  alle  zit  rüefende.' 

Zuo  dem  dritten  male:  daz  er  mit  geneigtem  houpteüfgap  sinen 
geist.  Cristus  der  neigte  sin  houpt  durch  sechs  hant  sache.  Diu  erste 
ist,  daz  er  were  der  selbe  in  dem  himele  mit  der  demüetikeit.  wan 
alse  sant  Lucas  schribet  rswer  sich  hoehet  der  wirt  genidert.'  Zuo  dem 
andern  male,  daz  er  der  brüt  gnuoc  tet,  daz  ist  der  getriuwen  sele*); 
wan  also  ist  geschriben  in  der  minne  buoch  fer  hat  mich  geküsset 
mit  dem  küsse  sines  mundes'.  Sehent,  diz  ist  ein  zeichen  der  versüen- 
unge.  Zuo  dem  dritten  male,  daz  er  daz  tittel  oder  die  schrift,  diu  da 
über  sin  houpt  gesetzet  was,  daz  er  die  vermitte,  daz  ist,  daz  geschriben 
was  fdirre  ist  der  Juden  künic'  Zuo  dem  vierden  male,  so  swä  im  ge- 
breste  an  der  stimme  dö  er  riefe  'koment,  ir  gesegenohtcn  mines  va- 
ters',  daz  er  in  doch  winkte  mit  dem  houpte.  Zuo  dem  fünften  male, 
daz  er  winkte,  daz  denne  der  geist  zuo  der  vorhelle  füere  umbe  die 
gevangnen.  Zuo  dem  sechsten  male,  daz  er  sinen  vater  bete  um  die, 
die  in  kriuzigten,  wan  er  sprach  'vater,  si  enwizzen,  waz  si  tuont'. 
*)  se. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  335 

Zuo  dem  vierden  male:  war  unibe  an  sinem  ende  vil  zeichen  ge- 
schähen, daz  geschach  dar  umbe,  daz  bi  der  ertbideme  ze  versten  (4n) 
were  unde  bezeichent  were  diu  vorhte  des  herzen,  alse  der  prophet 
sprichet  fder  anvank  der  wisheit  daz  ist  diu  vorhte'.  Unde  daz  diu  sunne 
verdnnkert  wart,  bediutet  unde  bezeichent  versmächeit  dirre  werlt.  Diu 
erde  wart  beweget,  diu  sunne  wart  verdunkert,  die  stein  zerrizzen  oder 
zerspielten  unde  diu  grebere  wurden  üf  getan  unde  der  umbehanc  in 
dem  tempel  zerreize  in  zwein  stüken  unde  die  heiligen  erschinen.  Uf 
daz  erste  sprichet  sant  Johannes  'swer  die  weit  minnöt,  der  enhät  die 
minne  niht  in  im'.  Diu  zerrizunge  oder  zerspaltunge  der  steine  be- 
zeichent die  riuwe  des  herzen,  wan  also  sprichet  David  cdaz  opfer 
gottis  ist  ein  geist  der  riuwe'.  Aber  daz  diu  grebere  sich  üf  teten, 
daz  bezeichent  die  verjehunge  des  mundes,  alse  sant  Jacob  sprichet 
iuwer  einre  dem  andern  sol  verjehen  sine  sünde.'  Aber  daz  die  hei- 
ligen erstuonden  bezeichent  die  verläzunge  der  sünden.  Waz  ist  Israhel? 
Daz  ist  als  vil,  als  daz  du  bist  in  einem  vrömden  lande.  Ez  sprichet 
Barne,  daz  diu  erschinunge  der  heiligen  bezeichne  den  inganc  des  himel- 
riches,  wan  rehte  alse  der  adelar  lokt  sinen  kindern  ze  vliegenne,  rehte 
also  tuot  Cristus. 

Zuo  dem  fünften  male:  daz  er  begienc  daz  opfer  sines  lichamen 
hiute.  Hinte  werdent  die  altere  bereubet  unde  hiute  rävelt  man  unde 
man  lintet  hiute  niht  unde  hiute  löschet  man  die  kerzen  biz  an  ein.  (4b) 
Der  alter  der  bezeichent  Cristum,  aber  diu  altertüecher  diu  bezeichent 
die  jungern;  aber  diu  weschnnge  des  alters  mit  wine  und  mit  dem 
wazzer  bezeichnut  die  herten  gevenenüsse  Cristi,  wan  da  wart  der  alter 
(daz  ist  Cristus)  beroubet  von  allem  sinem  gezierde,  daz  ist  von  allen 
sinen  kleidern.  Daz  geschach  ouch ,  daz  er  von  allem  sinem  gezierde, 
daz  ist  von  allen  sinen  jungern  verlän  wart;  daz  geschach  do  si  alle 
von  im  fluhen.  Und  dar  nach  wart  er  mit  wine  geweschen,  daz  was, 
do  Cristus  von  den  dieneren  der  fürsten  der  Juden  hertielich  gevangen 
wart  unde  gebunden  wart.  Aber  daz  man  räflut,  daz  bezeichent,  daz 
er  durch  die  langen  naht  verspottet  wart,  dö  si  in  sluogen  unde  sprä- 
chen zuo  im  'wissage  uns,  wer  hat  dich  geslagen,  wer  ist  er?'  Aber 
daz  man  niht  enliutet,  daz  bezeichent,  daz  ir  gar  lützel  wären,  die  da 
Cristi  verjähen,  wan  si  sprächen  'wir  hätun  hoft'enunge,  daz  Cristus 
solte  erloeset  haben  daz  volle  von  Israhel.'  Aber  daz  man  die  kerzen 
erlöschet  des  tages,  daz  bezeichent,  daz  der  gloube  zemäle  tot  was  in 
sinen  jungern,  und  diu  minne,  die  siu  zuo  Cristum  hätun  an  dem 
äbende,  do  er  in  sinem  lichamen  gap,  wan  da  brunnen  si  alle  rehte 
alse  die  kerzun  in  der  minne  Cristi,  wan  si  globten  im  alle,   wie  daz 


336  FRANZ  PFEIFFER 

si  mit  im  wolten  sterben.  Aber  do  erlaschen  si  alle,  do  siu  niht  glouben 
wolten ,  daz  Oristus  nach  dem  töde  solte  erstän ,  sunder  nuowen  ein 
(5a)  kerze  diu  bleip.  Daz  bediutet  die  kerze,  die  man  des  nahtes  ver- 
birget :  diu  bezeichent  unser  vrouwen,  wan  in  ir  bleip  die  drie  tage  der 
gloube  alzemäle  der  heiliger  kristenheit  alleine,  unde  rehte  alse  man 
von  der  kerzen,  die  man  verborgen  hat,  enzündet  alle  die  andern  ker- 
zen,  und  also  wurden  die  jungern  unde  die  andern  menschen  dar  nach 
an  dem  glouben  von  unser  vrowen  enzündet,  und  dar  uinbe  so  singet 
diu  heilig  kristenheit  daz  ampte  von  ir  unde  vastet  des  samstages, 
wan  si  den  glouben  der  kristenheit  alleine  behielte,  mit  welhem  glouben 
wir  nü  behalten  müezen  werden.  Des  helf  uns  got.  Amen. 

II. 

fD6  diu  volheit  der  zit  komen  was,  do  sante  got  sinen  sun  unde 
wart  geborn  von  einem  wibe  unde  wart  gemachet  daz  er  gehorsam  were 
der  e  umbe  daz  ,  daz  er  die ,  die  da  under  der  e  weren  *) ,  erloste. 
An  disen  Worten  des  apostels  sülen  wir  merken  alrmeist  vier  stüke. 
Daz  erste :  die  zit ,  daz  andere :  die  persönen ,  daz  dritte :  die  wise, 
daz  vierde:  die  Sache.  Von  der  zit  sprichet  der  apostel  des  ersten  fdo 
diu  volheit  der  zit  kam',  daz  ist:  so  diu  zit  volbräht  wart.  Unde  von 
der  persönen  sprichet  er  dar  nach  cdö  sante  got  sinen  sun',  unde  dar 
nach  sprichet  er  von  dem  dritten  'der  was  geborn  von  einem  wibe 
unde  gemachet  under  der  e,'  unde  von  der  sache  sprichet  er  cumbe  daz, 
daz  er  die,  die  under  der  e  weren,  erloste.' 

Waz  ist  daz  zuo  (51')  versten,  daz  er  da  sprichet  'diu  volheit  der 
zit?'  Daz  ist  alse  vil  ze  versten  alse  diu  zit**)  der  gnaden,  unde  diu 
zit  väht  an  von  der  zuokunft  unsers  herren,  wan  diu  zit  ist  ein  zit  der 
erbarmede  und  der  gnedikeit;  wan  diu  ediu***)  ist  durch  Moysen  ge- 
geben, aber  diu  gnade  unde  diu  wärheit  diu  ist  gemachet  durch  Kri- 
stum,  daz  ist:  Kristus  hat  uns  mit  im  bräht  in  diso  werlt  gnade  und 
wärheit.  Er  hat  uns  des  ersten  die  gnade  bräht,  daz  ist:  er  hat  uns  bräht 
apläz  aller  siinden.  Er  hat  uns  ouch  bräht  die  wärheit,  daz  ist:  er  hat  uns 
allez  daz  bräht  unde  gegeben,  daz  er  unsieglopt  häte,  daz  gab  er  uns.  Und 
also  ist  uns  durch  JesumKristum  unser  sünde  vergen  f),  und  ouch  ist  uns 
durch  Jesum  ervollet  und  waz  uns  von  got  glopt  ff)  ist.  Aber  war  umbe 
daz  diu  sache  also  lange  üf  geschoben  wurde  oder  üf  gezogen,  daz  der 
arzät  Jesus  niht  enkam,  daz  er  den  siechen  (daz  ist  den  sünder)  niht 
gesunt  machte  lange  vor,    unde  wä  von  daz  er  niht  vor  tot  was  oder 


*)  were.         **)  zit  fehlt.         ***)  dv.         f)  d.  i.  =  vergeben.         ff)  globpt. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XDJ.  JAHRHUNDERT.  337 

starbe  umbe  daz  volke  ,  daz  alle  die  menschen  iht  verdorben  weren, 
alse  si  alle  verdürben  *)  e  daz  Kristus  starp,  daz  ist  uns  niht  bevolhen 
ze  bedenken  noch  zuo  betrahten,  sunder  wir  sülen  ez  bevelhen  der 
ewiger  wisheit.  Daz  lert  uns  sant  Paulus,  da  er  sprichet  'owe  du  hohiu 
richeit  der  wisheit  unde  der  kunst  gottes ,  wie  gar  umbegriflich  sint 
diniu  **)  urteile  unde  wie  (6a)  wenig  sint  zerspüren  unde  zervinden  dine 
wege,  oder  wer  hat  erkant  den  sin  oder  den  gedank  des  herren  oder 
wer  was  sin  ratgebe?'  Nu  hat  doch  diu  himelsche  höcheit  des  rätes 
geordent,  daz  dar  umbe  der  himelsche  arzat  üf  zoch,  daz  er  niht  vor 
oder  e  kam ,  daz  er  den  menschen  ***)  vor  erlöst  häte  oder  gesunt  ge- 
machet häte.  Wan  wer  er  sneller  komen,  so  möhte  der  sieche  gewent 
hän,  daz  er  niht  von  der  kraft  der  arznien  gesunt  wer  worden,  sunder 
von  der  mäht  der  nätüren,  oder  da  von,  daz  in  des  gedüht  hete,  daz 
diu  siecheit  alse  klein  wer  gesin ,  daz  er  da  von  dester  e  gesunt  were 
worden,  und  also  so  hete  er  des  arzäts  deste  minre  geahtet.  Nu  häte 
sich  der  sünder  sere  gröz  geahtet  an  sinen  kreften  unde  gerüemet, 
daz  er  sprach  rdes  gebristet  niht  hie,  der  da  groz  werke  würken  sol 
oder  etwaz  tuon  sol,  sunder  des  gebristet  hie,  der  da  gebieten  sol, 
daz  man  etwaz  tüewe,'  f )  reht  als  obe  der  sünder  spreche  'ich  were  be- 
reite ze  tuonne,  weste  ich  nuon  waz  ich  tuon  solte,  wan  ich  vermöhte 
ez  gar  wol.'  Und  fürbaz  sprichet  er,  der  sünder:  cwaz  uns  got  heizet 
tuon,  daz  tuon  wir  allez  unde  heern  ez  gerne.'  Und  dar  umbe  swelher 
sieche  niht  mistrouwunge  hete  zuo  sinerff)  kraft,  und  ouch  swelher 
sieche  niht  erkante  sine  groze  siecheit  noch  krankeit ,  der  riefe  niht 
noch  enhiesche  der  helfe  des  arzätes. 

Nu  zoch  unde  schob  üf  got  unser  behalter ,  daz  er  niht  her  ab 
von  himel  kom,  biz  daz  der  sünder  nach  im  riefe  unde  schriuwe  emp- 
ziclich  und  ernstlich  (6b)  unde  spreche  fküm,  herre,  und  ensüme  dich 
niht.'  In  der  ersten  e  dö  brähte^  got  daz  vermügen,  daz  ist:  er  gap 
im  craft  unde  mäht  zuo  allen  guoten  werken.  Aber  in  der  andern  e 
gab  er  im  bekentnüsse,  daz  ist:  er  gab  im  zuo  erkennen  die  wärheit. 
In  der  dritten  e  gab  er  im  ein  wollen,  daz  ist :  er  gab  im  guoten  willen 
zuo  allen  gnoten  werken.  Nu  brähte  er  im  des  ersten  (daz  ist  in  der 
ersten  e)  die  mäht  unde  kraft  in  der  nätüre,  daz  ist:  er  hat  dem  men- 
schen von  nätüre  gegeben,  daz  er  hat  craft  unde  mäht  zuo  allen  guoten 
dingen.  Zuo  dem  andern  male  (daz  ist  in  der  andern  e)  hat  er  im  ge- 
geben kunst  mit  der  schrift,  daz  ist :  er  hat  dem  menschen  die  heiligen 
schrift  gegeben,  da  mit  er  gelert  wirt  alle  wisheit  und  alle  kunst  zuo 


*)  verdvr         **)  din  din.         ***)  mensche.       -f)  =  tüeje.         ff)  sinen. 
<;ehmania  vu.  22 


338  FRANZ  PFEIFFER 

allen  guoten  werken.  Zuo  dem  dritten  male  (daz  ist  in  der  dritten  e) 
hat  er  im  gegeben  den  willen  mit  siner  gnaden,  daz  ist:  er  hat  dem 
menschen  sine  götliehe  *)  gnade  gegeben,  von  der  der  mensche  guoten 
willen  empfangen  hat  zuo  allen  guoten  werken.  Und  also  so  hat  got 
dem  menschen  des  ersten  gegeben  die  natürlichen  e,  daz  ist,  daz  er 
im  gegeben  hat  von  naturen  kraft  unde  mäht,  wider  ze  stän  dem  tiuvel 
und  allen  bcesen  dingen,  wan  anders  so  möhte  sich  der  mensche  en- 
schuldigen  **)  unde  sprechen  fherre ,  ich  bin  gevallen ,  wan  ich  enhäte 
niht  mäht  noch  kraft  ze  stenne ,  ich  was  ze  kranke.'  Unde  da  von  so 
hat  got  dem  menschen  abgenomen,  daz  er  sich  niht  entschuldigen  mag, 
wan  der  mensche  mag  bestän  in  allen  guoten  werken  von  rehter  craft 
der  naturen  (7a),  aber  er  wolte  niht  bestän,  wan  der  mensche  enviele 
niht  von  krankeit ,  sunder  von  bcesem  willen.  Und  ouch  hat  er  dem 
menschen  gegeben  die  e  der  schläft,  daz  der  mensche  mit  der  schläft 
überwunne  den  tiuvel  und  alle  bcese  anvehtunge,  daz  sich  der  mensche 
iht  enschuldigen  möhte  unde  sprechen  rdar  umbe  bin  ich  gevallen, 
wan  ich  bekante  niht  wole,  wie  daz  ich  bestanden  were,  ich  weste  niht, 
wie  ich  solte  sin  bestanden.'  Nu  nimt  diu  schrift  dem  menschen  abe 
die  enschuldigunge,  wan  von  der  lernunge  der  heiligen  schrift  ist  der 
mensche  gelert  unde  hat  erkant,  wie  daz  er  sich  wol  vor  allem  übele 
gehüeten  möhte;  aber  er  wolte  sich  niht  enhüeten,  und  umbe  daz  so 
was  zimlich  unde  behoerlich,  daz  nach  iewederre  e,  dö  diu  zit  gevellig 
was  (daz  ist :  dö  ez  gote  zit  tohte ,  daz  gesehach  ,  do  diu  naht  der 
sünde  den  mittern  wege  gegangen,  daz  ist:  dö  diu  naht  der  sünden 
in  ir  hoestez  komen  was),  dö  kam  des  almehtigen  gottis  rede,  daz  ist: 
daz  worte  gotis  kam  unde  wart  vleische  und  brähte  die  e  der  gnaden, 
umbe  daz,  so  swaz  der  mensche  vermöhte  von  naturen  unde  swaz  er 
bekante  von  der  schritt,  daz  er  daz  erfulte  unde  volbrehte  mit  der 
gnaden.  Unt  dar  umbe,  dö  diu  zit  kam,  daz  ist:  dö  diu  zit  volbraht 
wart,  dö  sante  got  sinen  sun.  Got  der  saute  sinen  sun:  da  er  was,  da 
hin  sante  er  in,  aber  er  sante  in  nach  der  menscheit,  da  hin  da  er  was 
nach  der  gotheit,  wan  er  was  in  der  (7h)  weit  und  diu  werlt  wart 
durch  in  gemachet  unde  diu  werlt  erkante  sin  niht.  Er  kam  under 
die  sinen  unde  die  sinen  erkanten  sin  niht  noch  enpfiengen 
sin  niht. 

Aber  sit  daz  nü  ist,  daz  drie  sint  die  da  geziuge  gebent  in  dem 
himele  (daz  ist  der  vater  unt  daz  ewige  wort  unt  der  heilige  geist), 
und  war  umbe  kam  dö  der  vater  selber  niht  oder  war  umbe  sante  der 

*)  götlichiv.        **)  enschuldige 


DEEI  PEEDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  339 

heilige  geist  niht  den  sun  *)  ?  war  umbe  wart  der  sim  gesant  ?  Her  über 
so  mügen  wir  wol  merken,  daz  sant  Paulus  sprichet  f6  du  hocheit  der 
richeit,  der  wisheit  unde  der  kunst  gotis ,  wie  gar  unbegrifenlich  sint  **) 
diniu  urteile,  unde  wie  unervindelich  sint  dine  wege,  oder  wer  hat  er- 
kaut den  ***)  sin  oder  den  gedank  des  herren  oder  wer  was  sin  ratgebe?' 
Doch  so  hat  diu  himelsche  hocheit  geahtet  oder  gefüeget,  daz  got,  der 
da  geschaffen  hat  die  werlt  in  siner  wisheit  (wan  also  sprichet  Salomon 
in  der  wisheit  buoche  'herre,    du  hast  in  diner  wisheit  gemachet  elliu 
ding' ,  umbe  daz  so  hat  got  die  werlt  gemachet  in  siner  wisheit) ,  daz 
er  in  der  selber  wisheit  die  werlt  wider  brehte.     Unt  diz   meinet  daz 
ewangeJi ,  daz  da  seit  von  der  vrouwen ,  diu  da  enzunte  eine  lanterren, 
umbe  daz,  daz  si  funde  den  zehenden  pfenninge,  den  si  da  verlorn  häte. 
Nu  wart  der  sun  in  der  gotheit  dar  umbe  gesant  in  menschliche 
natüre  unde  geborn  in  menschlicher  nätüren,  daz  der,  der  da  den  na- 
men  der  (8ft)  sünlicheit  behielte  in  der  gotheit ,   daz  ist ,  daz  der ,   der 
da  sun  was  in  der  gotheit,  daz  ouch  der  selbe  sun  wurde  des  menschen 
in  der  menscheit.    Nu  ist  noch  ein  verborgneriu  sache  und  ein  behen- 
deriu,  daz  der  sun  gesant  wart:  daz  ist  diu  sache,  die  uns  der  prophete 
Jonas  bewiset,  da  er  sprichet  fund  ist  daz  cliz  gewäswitter  entsprungen 
ist  durch  minen  willen,  so  werfent  mich  üz  in  daz  mer'.    Doch  ist  ez 
anders  umbe  disen  propheten  zuo  versten,  und  anders  umbe  gotis  sun. 
Und  ouch  wie  daz  ez  anders  und  anders    bediutet   werde ,    von    (den) 
einen  meistern  sust,    von  den  andern  also,    doch    so  mag   ez  wol  zuo 
verstau  sin,  daz  daz  erste  gewäswiter  entsprang  in  dem  fiurinen  himele 
unt  daz  ander  gewäswitter  entsprang  in  dem  paradise,    unt   daz    erste 
gewäswitter  entsprang   under   den  engelen    unde    daz    ander   entsprang 
under  den  menschen.  Nu  was  daz  erste  gewäswitter,  daz  da  under  den 
engelen  entsprang,    daz    was    diu   erhebunge   der    hochvart,    wan  von 
hochvart  so  wolte  Lucifer  üf  gegangen  sin  zuo  der  glicheit  gotis,  daz 
ist :    er  wolte  got  glich  sin  worden  von  hochvart.    Des  begerte  er  von 
hochvart  f),  daz  er  got  glich  würde,  wan   also  stät  von  im  geschriben 
'ich  wil  üf  gän  in  den  himel  und  wil   minen   stuole   setzen  in   aquilön 
unde  wil  glich  werden  dem  alreff)  obersten.'  Aber  dö  er  wolte  üf  gän, 
do  viel  er  wider  nider,    wan   also    so    stät  geschriben   'wenne  viele  du 
nider,  Lucifer,  du  wert  doch  gar  früege  üf  gegangen    (8b). 

Daz  ander  gewäswitter  was  der  brunst  der  gitikeit,  mit  der  daz 
der  mensche  begerte  der  gütlicher  kunst.  Wan  daz  geschach,  do  der 
slange  in  dem  paradise  gehieze  Adam  und  Even  unde  sprach  cund  ez- 


*)  sun.        **)  so  sint.        ***)  dez.        f)  hochvar.        ff)  airre. 

22* 


340  FRANZ  PFEIFFER 

zent  ir  disses  obzes,  so  werdent  ir  wizzende  als  die  göttere  übel  unde 
guot.'  Aber  dö  siu  begerten  vrömeder  dinge,  do  verluren  *)  siu  daz  ir 
eigen  was.  Wan  ez  geschult  wol,  daz  einre  stellet  üf  des  andern  guot, 
daz  er  da  mit  daz  sin  verliurt.  Unt  daz  bewiset  daz  ewangeli,  da  ez 
sprichet  rein  mensche  der  gienge  üf  von  Jerusalem  und  gienge  zuo 
Jericho  und  ez  komen  rouber  über  in  und  beroubten  in  unde  verwunten 
in.'  Dise  **)  zwo  Untugenden ,  da  von  da  vor  gesprochen  ist  (daz  ist 
diu  höchfart  unde  diu  gitikeit),  die  sint  ein  wurzel  und  ein  Ursprung 
aller  Untugenden,  wan  ez  stät  geschriben  von  der  hochvart  'ein  anvange 
aller  sünden,  daz  ist  diu  höchfart';  aber  von  der  gitikeit  sprichet  sant 
Paulus  fein  wurzel  alles  Übels  daz  ist  diu  gitikeit.' 

Nu  wizzent,  daz  man  in  der  heiliger  und  in  der  unteillicher  und 
ungescheidener  driveltikeit  dem  vater  zuoleit  oder  zuogit  die  einikeit 
in  der  driveltikeit,  umbe  daz,  wan  er  ein  beginne  und  ein  anvange  ist 
in  der  driveltikeit.  Und  die  glicheit  leit  man  zuo  oder  man  eigent  si 
dem  sune  in  der  driveltikeit,  durch  daz,  wan  er  ein  mittel  ist  in  der 
driveltikeit.  Unde  dem  heiligen  geiste  dem  eigent  man  zuo,  daz  er  si 
ein  (9:1)  zesamenbindunge  oder  ein  bant,  umbe  daz,  wan  er  sich  ge- 
meinet ietwederre  persönen  in  der  driveltikeit  oder  gesellet,  daz  ist: 
daz  er  den  vater  unde  den  sun  in  der  driveltikeit  zesamen  knüpfet 
in  der  minnen ,  die  der  heilig  geist  selber  ist  in  der  driveltikeit.  Und 
umbe  daz  ***)  so  sprichet  man,  daz  daz  erste  gewäswiter,  daz  da  entsprang 
ander  den  engein  (wan  ez  entsprungen  was  durch  die  glicheit,  daz  ist: 
daz  er  got  glich  wolt  werden) ,  daz  daz  selbe  gewäswitter  entspränge 
durch  des  sunes  willen  in  der  gotheit;  wan  von  dem  sprichet  sant 
Paulus,  daz  er  dekeinen  roup  getan  hat,  umbe  daz  er  geahtet  hat,  daz 
er  got  glich  si.  Man  git  ouch  dem  vater  den  gewalt  in  der  driveltikeit 
unde  dem  sun  git  man  die  wisheit  nnde  dorn  heiligen  geist  git  man 
die  minne  in  der  driveltikeit. 

Aber  daz  ander  gewäswiter,  daz  da  entsprank  under  den  menschen, 
daz  selbe  gewäswitter  ensprank  durch  des  sunes  willen  gottis,  wan 
also  sprichet  sant  Paulus  'der  sun  in  der  driveltikeit  ist  gottis  craft 
unde  gotis  wisheit.'  Nu  merkent.  Swer  nrsach  git  des  schaden,  von 
dem  sprichet  man,  daz  er  den  schaden  getan  habe,  und  umbe  daz  f), 
so  ist  der  gewärig  Jonas  (daz  ist  unser  herre  Jesus  Cristus)  der  ist 
sünderlich  gesanI  in  diz  ff)  groze  mer  und  in  diz  breite  mer,  daz  ist 
in  dise  werlt,  in  der  er  verslanden  wart  von  dem  vische ,  daz  ist:  er 
wart  begraben  in  dem  grap.  Wan  also  stät  geschriben,  rehte  alse  Jonas 


*)  verlören.    **)  diz.    ***)  daz  fehlt.        f )  daz  fehlt.        ff)  dis. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  34 1 

der  prophete  was  dri  tage  unde  dri  nebte  in  dem  buche  des  (9b)  vi- 
scbes,  also  so  sol  des  menschen  sun  sin  in  dem  herzen  des  ertricbes. 
Nu  stät  anderswä  geschriben  fich  kam  in  die  hocheit  des  meres  unde 
die  gewäswittere  die  versankten  mich.'  Umbe  daz  so  kam  der  sun 
gottis  in  dise  weit,  daz  er  widerbrehte  alle  die  in  dem  himele  und 
in  der  erden  sint,  daz  ist:  daz  er  widerbrehte  den  val  des  engeis  unde 
den  val  des  menschen. 

Nu  ist  gottis  sun  gemachet  under  der  e  der  schrift,  umbe  daz, 
so  daz  er  erlöste  die  da  wern  under  der  e  der  schulde ,  unde  wider- 
machte die  e  der  nätüren  mit  der  e  der  gnaden.  Aber  war  umbe  daz 
got  niht  ensprach?  Er  hat  widergemachet  oder  er  hat  gebotten  oder  er 
hat  geschaffen  als  wol,  alse  daz  er  sprach.  Er  sprach  und  siu  sint  ge- 
worden, und  er  gebot  und  siu  sint  geschaffen.  Und  war  umbe  daz  er 
so  grozen  smerzen  und  so  gröz  pin  unde  so  grozen  itwize  geruochte 
ze  liden  durch  unser  sunden  wille,  war  umbe  er  diz  allez  getan  habe, 
daz  bevelhen  wir  der  ewiger  wisheit  gottis  ,  als  sant  Paulus  sprichet 
fö  hocheit  der  richeit  gottis'  etc.  Doch  so  hat  diu  hocheit  des  himel- 
schen  rätes  gefüeget ,  daz  er  mit  sinem  töde  hat  erlöst  daz  menschliche 
gesiebte ,  umbe  daz  er  sine  vigende  enzunde  mit  der  minnen  und  daz 
er  die  höchfertigen  brehti  unde  widerleite  zuo  der  demüetikeit.  Waz  *) 
wolt  iuch  mer  enzünden  zuo  der  götlichen  minnen,  wan  daz  got  sinen 
eigenen  sun  niht  vertragen  (10a)  wolte,  er  gebe  in  in  den  tot?  Wan  er 
sprichet  in  dem  ewangeliö  'nieman  hat  grcezer  minne,  wan  der  sin  sele 
git  für  sinen  friunt.'  Waz  möhte  iuch  nü  mer  zuo  der  demüetikeit  rüe- 
fen  oder  laden,  denne  daz  der,  der  da  was  in  der  forme  gottis  und  de- 
keinen  roup  getan  hat,  daz  er  sich  geahtet  hat,  daz  er  got  glich  si, 
daz  sich  der  genidert  hat  und  an  sich  genomen  hat  glichnüsse  unde 
forme  eines  knehtes  unde  wart  gehörsam  biz  in  den  tot  des  criuzes? 
Nü  waz  möhte  heimlicher  unde  verborgener  sache  sin  dirre  erlcesunge, 
denne  von  der,  daz  der  prophete  David  sprichet  in  dem  salter  fdiu  er- 
bermede  und  diu  wärheit  begegenöten  ein  ander.'  Und  ouch  sprichet  er 
'diu  gerehtikeit  unde  der  vride  hänt  in  umbevangen.'  Wie  daz  doch  diz 
anders  verstanden  werde  von  etlichen  unde  von  etlichen  andern  ouch 
anders  verstanden  werde  und  bediutet  werde,  doch  mac  n.an  ez  wol 
versten  ,  waz  zwiischen  der  barmherzikeit  und  zwüschen  der  wärheit 
müelichez  oder  pinlichez  geredd  wart.  Doch  ist  ze  verstän,  daz  diu 
wärheit  zuo  ir  rief  zuo  einer  helfe  und  zuo  einem  rate  die  gerehtikeit 
und  diu  barmherzikeit  diu  gewan  zuo  einer  rätgeberinnen  unde  zuo  einer 


342  FRANZ  PFEIFFER 

verwinnerinnen  den  vriden.  Aber  die  zwo  tugent  die  hoercnt  wol  zuo 
der  gütlichen  wishcit,  undc  siu  hat  erwelt  diu  gütliche  vriheit,  umbe 
daz  er  mit  disem  vriden  stilti  den  krieg  unde  daz  urliuge  (lü1').  Sit 
daz  der  herre  von  vriheit  des  willen  siner  obersten  gäete  gemachet  hat 
den  menschen  zuo  sinem  bilde  unde  zuo  stnem  glichnüsse ,  so  wer  ez 
umbehoerlich  und  unzimlich,  daz  ein  solich  edel  creatüre  unde  wirdigiu 
alzemale  verderben  solte.  Aber  und  wer  si  verdorben,  so  wer  Tottis 
meinunge  gehindert  unde  verdruket;  wan  dar  umbe  so  hat  er  den 
menschen  gemachet,  daz  er  in  bekante,  und  so  er  in  bekante,  daz  er 
in  denne  minnöte,  und  er  in  denne,  so  er  in  geminte,  alle  zit  in  siner 
minne  behüebe,  und  daz  er  also  behalten  würde  unde  selig  würde  in 
der  selikeit.  Wan  war  umbe  hete  got  den  menschen  gemachet,  und  hete 
er  in  erkant,  daz  er  alzemale  verlorn  solte  sin  ?  daz  enmöhte  von  de- 
keime  guoten  willen  geschehen,  sunder  ez  müeste  geschehen  von  einer 
freislicher  ungenedikeit;  und  dar  umbe  so  wer  ez  ein  groz  unmiltikeit 
und  ungenedikeit,  und  vergeze  got,  daz  er  sich  niht  erbarmte  über  den 
menschen,  und  er  ouch  sin  erbarmherzikeit  behüebe  in  sinem  zorn  vor 
dem  menschen. 

Aber  doch  so  ist  war  und  ist  ze  merken  nach  dem  daz  diu  schrift 
geziuget,  sit  daz  got  dekein  ding  enhazzet  die  er  geschaffen  hat,  umbe 
daz  so  gevellet  im  wole,  daz  er  sich  erbarme  über  den  menschen,  und 
also  so  wil  er,  daz  nieman  verderbe.  Aber  diu  wärheit  der  gerehtikeit 
von  rehtem  rate  antwertet  si  in  diser  wis  und  sprichet  also :  sit  daz  got, 
der  unschuldig  ist  in  allen  dingen  unde  von  dekeinen  dingen  ze  schul- 
digen ist,  daz  der  von  gerillte  oder  urteile  siner  (lla)  gerehtikeit  durch 
die  sünde  der  menschen  beslozzen  käte  daz  paradise  und  häte  gesetzet 
für  die  türe  des  paradises  den  Cherubin  und  ein  fiurinz  swerte,  so  daz 
der  engele  betwunge  den  tiufele  und  daz  fiurin  swert  den  menschen 
betwunge,  und  also  so  wer  ez  umbillich  und  unbehoerlich,  daz  er  daz 
paradis  wider  üf  entslüzze  den  boesen  menschen ,  unde  wer  ouch 
unpillich,  daz  er  gebe  die  heilikeit  den  hunden,  oder  daz  er  würfe  die 
margariten  für  diu  swin.  Wan  got  disses  niht  entuot,  so  ist  daz  war, 
daz  got  vergütet  die  gäbe  den  höchvertigen.  Daz  ist  zuo  versten,  daz 
got  dekein  boesiu  werc  ungerochen  lat,  wan  er  tnot  einem  ieklichen 
nach  sinen  werken,  wan  als  diu  schrift  beziuget  unde  sprichet  rsiu 
hänt  alle  mit  einander  geneiget  zuo  der  bösheit  unde  sint  alle  üpig 
und  itel  Avorden.'  Wan  alle  menschen  die  sint  unrein,  wan  siu  sint  alle 
enpfangen  von  einem  unreinen  sämen  und  hänt  sich  angenomen  ze 
sünden.  Noch  fürbaz  so  sprichet  diu  barmherzikeit  noch  mer:  wie  doch 
daz  si,    daz  der  mensche  sere  unde  vil  gesündiget  habe,   doch  so  hat 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  343 

er  dar  nach  volkomniu  riuwe  gehept,  und  dar  umbe,  swaz   der  sünder 
verlorn  hat  von  der  sünde  wegen,    daz  bringet  er  allez  wider  mit  der 
riuwe  unde  mit  der  buoze.  Wan  also  sprichet  unser  herre  in  dem  ewan- 
geliö  'swelher  zit  daz  der  sünder  vergibt  siner  sünden ,    so  werdent  si 
im  ]iuterlicben  vergen.'     Aber  her  (llb)  wider  so  sprichet  diu  wärhcit 
und  antwertet  mit  solichen    Worten    unde    sprichet   also:    swie  daz  ist, 
daz  diu  riuwe  die  sünde  vertilget ,    aber   doch    so   gibet   si  niht  wider 
die  unschult  und  die  ersten  lüterkeit ,    wan  alle  zit  so  blibet  doch  diu 
neigunge  unde  diu  füerunge  der  sünden,    wan    diu    senungc   unde  diu 
klage  der  nätüre  oder  der  jämer  der  nätüren   ist   ein  morder  des  vlei- 
sches.    Und  umbe  daz,  swie  daz  doch  diu  riuwe  miige  abe  n einen  die 
pine  der  hellen,  doch  so  mag  si  niht  wider  geben  daz  lieht  der  güen- 
lichi.     Wan  also    sprichet   diu    schrift  'alle   menschen  habent  gesundet 
und    alle  bedürfent    si    der   gnade   gottis.'     Aber    daz    dekein    unreinre 
mensche    geantwertet    würde    dem    götlichen    antlütze ,    und  disiu  ding 
einander  begegnuteu,     so  hat  diu  götlich  wisheit  wislich  und  fürsihtic- 
lichcn  bedäht  die  gedenke  des  vriden,    unde  sach,  daz  diu  gerehtikeit 
geseret  würde    unde    geleidigöt    würde ,    niuvven    ez    würde   denne  der 
mensche  umbe  ein  ieglich  sünde  gepinigöt.     Aber  diu  erbermede  oder 
diu  barmherzikeit  verdürbe  zemale  unde  were  ze  nihtiu  guot,  unde  were 
daz  der  mensehe  umbe   ein    ieglich    sünde   volkomenlich  gepinigt  soltc 
werden.     Aber  sit  daz  got  gereht   ist    und    ouch    barmherzig    vil   mer, 
wan  er  selber  ist  diu  gerehtikeit  unde  diu  barmherzikeit ,    so  enmöhte 
er  niht  würken  äne  die  barmherzikeit  noch  enmöhte  niht  getuon  wider 
die  gerehtikeit;    wan  diu  barmherzikeit   unde   diu  gerehtikeit    sint  alle 
die  wege  gottis.  Unde  da  von  sprichet  der  prophete  'diu  barmherzikeit 
(  L2a)  und  daz  gerillte  habent  dir  gesungen.'     Und    also   so   hat   er  ein 
wis  fluiden  ,    mich    der   wise   er    gnuog  getan   hat  einem  ieklichen  von 
disen  zweien,  daz  ist:  der  gerehtikeit  unde  der  barmherzikeit.    Er  hat 
sin  gerillt  dar  über  getan  und  sin  urteil  dar  über  gegeben,   daz  er  an 
sich  neme  arbeit  unde  liden  für  alle  menschen,  und  daz  er  allen  men- 
schen durch  sin  selbes  willen  gebe  die  himelschen  güelichi.  Und  umbe 
daz  so  habent  sich  umbevangen  under  einander  unde  gehalsen  diu  ge- 
rehtikeit und  der  vride  und  sint  über  ein  komen. 

III. 

Ir  sülent  wizzen,  daz  man  hiutebegät  die  erschinunge  unsers  herren 
und  niht  begat  man  alleine  ein  erschinunge,  sunder  man  begät  drivelticlich 
erschinunge,  alse  wir  ez  verstanden  unde  vernomen  haben  von  unseren  vete- 
ren:  hiute  ist  erschinen  unser  deiner  künig  Jesus  Christus.  Dolützel  tege 


344  FRANZ  PPEIPFEB 

vergangen  wären,  ja  nuowen  zwelfe  lege  nach  siner  geburt,  dö  erschein  er 
den früegen opfern  der  heidene,  dazist  dendrien  künigen,  die  da  warn  ein 
f'rüegez  opfer,  wansi  wären  die  ersten,  die  sich  zuo  Christo  unde  zuo  dem 
glouben  kerten  under  allen  heidenen.  Den  erschein  er  hiute  mit  erliuh- 
tunge  des  Sternes,  der  ob  in  hiute  erschein.  Zuo  dem  andern  male  so 
erschein  er  dö  er  drizig  jär  gelebt  häte  nach  dem  fleische  (der  doch 
daz  selbe  ist  nach  der  gotheit  daz  got  ist,  wan  siniu  jär  und  sin  alter 
enhät  dekein  ende)  under  den  scharen  des  Volkes,  do  er  (12'')  heimli- 
chen gieng  zuo  dem  Jordäne  und  getoufet  wolt  werden.  Aber  er  wart 
gekündet  von  dem  vater,  der  im  geziucnüsse  gäbe,  dö  er  sprach  rdiz 
ist  min  sun,  in  dem  ich  mir  wol  gevalle.'  Und  zuo  dem  dritten  male 
so  ist  er  hiute  erschinen  do  er  mit  sinen  jungern  geladen  wart  zuo  der 
brütlöft,  do  da  wines  gebrast,  do  er  diu  zeichen  tet  siner  wunderlicher 
grözer  almehtikeit ,  daz  er  wazzer  ze  wine  verwandelöt.  Aber  diz  er- 
vroute  si,  wan  ez  in  der  jugent  unsers  behalters  geschehen  ist.  Die 
selben  erschinunge  solen  wir  mit  grözein  vlize  unde  mit  grozem  ernste 
ansehen ,  wan  si  ist  diu  alre  lüstlichöst  unde  man  erkennet  daz  wol, 
daz  si  hiute  aller  sünderlichöst  ze  begände  ist. 

Nu  merkent,  daz  hiute  (alse  wir  vernomen  haben  in  der  lectien 
des  ewangelis),  daz  die  künige  hiute  komen  sint  'von  Oriente,  daz  ist 
von  dem  teile  der  werlt  da  *)  diu  sunne  üfgät,  zuo  Jerusalem.  Ja  pil- 
lich so  koment  si  von  orient,  die  da  der  sunnen  der  gerehtikeit  ge- 
kündet habent  einen  niuwen  üfganc,  unde  die  da  mit  einem  niuwen 
mere  alle  die  werlt  ervrouwet  habent  unde  mit  einem  vrcelichen  mere, 
unde  die  alle  die  werlt  erliuhtet  habent ,  sunder  nuowen  alleine  die 
judischen  diet.  Wan  siu  daz  lieht  haztön,  so  wurden  si  von  der  clärheit 
des  niuwen  schines  verdunkert,  und  ieriu  dunkelen  ougen  von  der  clär- 
heit des  schines  der  ewiger  sunnen  wurden  si  noch  mer  verdunkelt 
unde  verblendet.  Aber  die  künige,  die  da  komen  von  orient,  waz  die 
gesprochen  haben,  daz  sülen  wir  nü  beeren. 

cWä  ist  der  da  ein  künig  geborn  ist  der  Juden?'  Owe  weih  ein 
starker  gloube!  (13a)  wan  si  enzwffelten  fürbaz  niht  mer,  wan  si  en- 
suochten  noch  envrägtön  niht,  ob  er  geborn  were,  sunder  siu  retton 
von  einer  ganzer  getrouwunge  unde  vrägtön  äne  allen  zwifel ,  wä  er 
were  der  da  geborn  were  künig  der  Juden.  Aber  dö  der  künig  Herödes 
gehörte  in  nennen  einen  künig,  dö  erschrac  er  und  ervorhte,  daz  er  in 
an  sinem  künkrich  hindern  solte.  Aber  doch  so  enist  ez  dekein  wunder, 
daz  der  künig  Herödes  betrüebet  wart ,    sunder    daz   ist    ze   wundern, 

*)  do. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  345 

daz  diu  stat  ze  Jerusalem,  diu  da  genennet  was  und  ist  ein  stat  gottis 
und  ein  stat  des  vriden,  daz  diu  mit  Herode  betrüebet  was.  Wen  ver- 
wundert disses  niht? 

Nu  nement  war,  lieben  brüeder,  wie  schedlich  daz  grözer  gewalt 
ist  unde  boeser  gewalt,  wie  daz  daz  boese  houpt  leret  unde  wiset  die 
bösheit  alle  die,  die  im  undertenic  sint!  Owe  weih  ein  unreiniu  unde 
jemerliehiu  stat  diu  ist,  in  der  daz  der  künig  Herödes  richsenut!  wan 
ane  zwifel  si  wirt  teilhaftig  aller  der  bösheit,  die  da  Herodes  begat, 
unde  si  wirt  beweget  von  betrüebde  von  dem  üfgange  des  hiutigen 
schines,  des  hiutigen  liehtes,  daz  hiute  niuwes  erschinen  ist.  Aber  ich 
getriuwe  daz  wol ,  daz  hiute  nieman  under  uns  hie  ist,  in  dem  daz 
Herodes  richsene.  wie  doch  daz  geschehe,  daz  er  zuo  etlichem  koemc, 
doch  daz  in  got  bekeret.  Wan  wizzent,  daz  hiute  ein  bösheit  ist  Herödis 
und  ouch  ist  ez  ein  bösheit  von  Babilön,  daz  ein  mensche  wil  erleschen 
die  geistlichen  geburt  in  der  sele  (13b)  und  der  diu  kleinen  kint  von 
Jerusalem  zertruket,  daz  sint  diu  guoten  werc  und  die  guoten  gedenke, 
der  die  vertribet.  Wan  swaz  daz  ist,  daz  da  gehoert  zuo  der  selikeit, 
oder  swaz  geistlicher  gebürt  entspringent  in  der  sele,  swer  den  wider- 
stät  oder  swer  den  widerstritet  oder  vihtet,  sicherlich  der  pinigt  sich 
unde  müeget  sich  dar  zuo,  wie  daz  er  mit  den  von  Egipten  verderbe 
unde  toete  diu  kleinen  kindere  des  sämen  von  Jerusalem,  daz  sint  elliu 
tugentlichiu  werc  des  menschen;  ja  er  ehtet  den  behalter  mit  Herode. 

Nu  sülen  wir  nach  volgen  der  historien,  die  man  hiute  angevangen 
hat,  daz  ist:  wir  sülen  fürbaz  von  der  materiell  hiute  reden.  Ich  wil 
daz  glouben,  swer  diz  von  im  wizze  oder  an  im  erkenne,  er  vlize  sich, 
daz  er  sich  fürbaz  davor  behüete  unde  strafe  an  im  selben  daz  herö- 
dianische  gemüete,  daz  er  iht  teilhaftig  werde  des  tödes  oder  eins  soli- 
chen  tödes ,  alse  Herodes  genomen  hat.  Und  also  die  künige ,  die  da 
suoehten  den  künig  der  Juden,  und  ouch  Herodes,  der  da  die  schriber 
und  die  meister  der  schrift  vragte  von  der  stat,  da  unser  herre  geborn 
wart,  und  die  selben  alle,  nach  dem  alse  der  prophete  gesprochen  hat, 
so  hänt  sie  alle  gekündet  den  namen  der  stat,  da  unser  herre  geborn 
wart.  Do  aber  die  künige  fuoren  von  Jerusalem  und  die  Juden  verliezen, 
sehent,  dö  erschein  aber  der  sterne  unde  gie  vor  in,  den  si  da  gesehen 
hattön  in  Orient,  unde  gie  vor  in  enweg  an  die  stat,  da  Christus  ge- 
born wart.  Hie  mite  git  man  oflenlich  zuo  verstan,  daz  (14a)  man  mit 
dem  menschlichen  rate  verliuset  gerne  dieleitunge  und  die  wisunge  gottis, 
daz  ist:  swer  vil  die  menschen  vräget,  den  wiset  noch  enfüeret  got 
niht  gern;  und  ouch,  swer  sich  keret  oder  erbiutet  zuo  der  irdischen 
lernunge,  der  verliuret  gerne  diu  himelschen  zeichen.   Und  da  von  ge- 


346  FRANZ  PFEIFFER 

schach  daz,  daz  als  balde,  so  daz  die  künige  Herödem  geliezen,  zehant 
so  wurden  siu  gevrouwet  mit  einer  grözen  vroude.    Nu   merkent.    Der 

steine  der  gie  vor  in  unde  gieng  biz  daz  siu  körnen  dar  daz  kint  ge- 
boren was.  DA,  stuont  der  sterne ,  unde  siu  giengen  in  daz  hüs  und 
fanden  daz  kint  mit  siner  muoter  Marien,  und  siu  vielen  nider  für  daz 
kint  und  betöten  ez  an.  Eyä,  ir  lieben  vrömeden  künige,  wä  von  hätönt 
ir  disses,  daz  in  disiu  gnade  geschach?  noch  wir  enhaben  niht  funden 
solichen  glouben  in  Israhel.  Enwiderstät  in  niht  der  stal  oder  diu 
wonunge  des  stalles?  oder  ist  in  niht  wider  diu  arme  wiege  der  krip- 
pen,  noch  enwas  iu  niht  wider  der  armen  muoter  gegenwürtikeit,  noch 
enschemtent  iuch  niht  von  dem  sügenden  kindelin  ?  Nu  merkent  fürbaz, 
alse  der  ewangeliste  sprichet:  siu  täten  üf  ir  schetze  oder  in  hörde  und 
brähten  im  gäbe :  daz  was  golt  und  wirrouch  und  mirren.  Wan  und 
were  daz,  daz  siu  alleine  golt  bräht  beten,  so  möhte  man  wenen,  daz 
siu  geraten  heten  der  armen  muoter,  daz  si  vil  guotes  behüebe  oder 
vil  guotes  behielti ,  da  mit  si  iren  deinen  sun  ziehen  möhte.  Nu  hänt 
aber  siu  (14b)  mit  ein  ander  golt  und  mirren  und  wiröch  bräht.  Sunder 
zwivel  hie  mit  offenbärent  siu  und  bewisent  ein  sünderlich  geslehte 
eines  opfers,  oder  siu  gäben  hie  mit  zuo  versten  sünderlich  opfer.  Daz 
golt  daz  fürtriffet  oder  ist  daz  edelst  under  allen  richtuomen,  und  ist 
da  bi  ze  merken:  swenne  wir  genziclichen  zemäle  verläzen  die  rich- 
tüeme  und  daz  guot  dirre  weit,  daz  wir  uns  selber  denne  geopfert 
haben  von  siner  gnaden  andehticlichen  dem  schepfer  unserm  herren. 
Wan  ez  ist  nötdurft,  swenne  daz  wir  volkomenlichen  versmäht  haben 
diu  irdenischen  ding,  daz  wir  denne  mit  einer  blüegender  ernstlicher 
begirde  diu  himelschen  ding  snochen.  Wan  also  so  opfern  wir  den 
gesmak  des  wiröches.  Bi  dem  ist  uns  zuo  versten ,  alse  man  liset  in 
sant  Johannis  buoch  der  tougni,  diu  gebete  oder  daz  gebete  der  hei- 
ligen. Und  da  von  so  sprichet  der  prophete  in  dem  saltere  rherre,  min 
gebet  daz  werde  gerihtet  für  din  antlütze ,  alse  der  rouch  des  wirou- 
ches.'  Und  also  liset  man  an  einer  andern  stat  in  der  schritt ,  daz  daz 
gebet  des  gerehten  durchdringet  die  himele;  aber  niht  aller  menschen 
gebet,  sunder  nuowen  daz  gebet  des  gerehten.  Wan  swer  der  ist  der 
siniu  ören  keret  von  den  gebotten  gottis  daz  er  siu  iht  hoerc,  des  gebete 
ist  sere  ze  scheltenne.  Und  dar  umbe,  wilt  du  gereht  werden  und  wilt 
daz  du  diniu  ören  niht  enkerest  von  den  gebotten  gottis  ,  üf  daz  er 
niht  enkere  siniu  ören  (15a)  von  dinem  gebette,  und  her  zuo  so  ist 
notdürftig,  daz  du  niht  alleine  die  gegenwertige  zit  versmähest,  sunder 
ouch  daz  du  kestigest  und  pinigest  din  vleisch  oder  dinen  lip  und 
machest  in  undertenig  dem  gütlichen  dienste.  Wan  der,  der  da  gespro- 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT.  347 

eben  hat  an  einer  stat  in  dem  ewangeli  'nuowen  swer  niht  widerseit 
oder  sich  verzihet  alles  des ,  daz  er  besezzen  hat  oder  swaz  er  hat, 
der  enniag  min  junger  niht  gesin.'  Und  ouch  sprichet  er  an  einer  an- 
dern stat  fwilt  du  volkomen  werden,  so  verkouf  allez  daz  du  habest 
und  gib  ez  armen  liuten  und  küm  und  volge  mir  nach.'  Und  des  gliches 
sprichet  er  an  einer  andern  stat  fswer  mir  nach  welle  volgen,  der  ver- 
loukene  sin  selbes  und  hebe  üf  sin  criuze  und  volge  mir.'  Und  diz  hat 
bediutet  sant  Paulus  unde  sprichet  'alle  die,  die  da  sint  unsers  herren 
Jesu  Christi,  die  haut  gecriuziget  ir  vleisch  und  iren  lip,  der  da  mit 
Untugenden  und  mit  boesen  begirden  besezzen  was.' 

Und  dar  umbe  so  sol  unser  gebette  haben  zwene  flügele  oder 
zwo  vetichen.  Diu  ein  ist  versmahunge  dirre  werlt,  diu  ander  ist  kcsti- 
gunge  des  vleisches.  Und  daz  were  äne  zwivel,  daz  ein  solichez  gebette 
durchdrunge  den  himele  unde  gerihtet  würde  alse  der  rouch  des  wir- 
rouches  für  daz  antlütze  gotis.  Aber  diz  gebette  oder  diz  opfer  daz 
wirt  got  dankneme.  In  welhem  opfer?  in  deine,  da  mit  dem  golde  und 
mit  dem  wirrouch  ouch  ist  diu  mirre.  Wan  wie  daz  ist,  daz  diu  mirre 
bitter  ist,  so  ist  (15b)  si  für  fiuli  guot  unde  si  behaltet  den  lichamen 
frisch  von  fiuli,  den  lichamen,  der  da  tot  ist  von  der  sünde  wegen, 
also  daz  er  niht  gefliezen  mac  fürbaz  in  groezern  gebresten  noch  sünde, 
also  daz  er  niht  fürbaz  gefülen  müge. 

Disiu  rede  alle  ist  dar  umbe  nuowen  gesprochen  kürzlichen  durch 
des  willen ,  daz  man  nach  volge  der  opferunge  der  drier  künige.  Zuo 
dem  andern  male  ist  ez  dar  umbe  gesprochen,  wan  wir  diz  opfer  oder 
dis  höchzit  heizen  ein  erschinunge  umbe  daz,  wan  dar  inne  erschinen 
ist,  daz  ist:  daz  da,  hiut  an  disem  tage  erschinen  ist,  daz  ist  wirdig 
und  ist  ouch  zimlich,  daz  wir  daz  suochen.  Nu  ist  ze  merken  nach 
sant  Paulus  Worten ,  daz  hiute  erschinen  ist  diu  gnedikeit  oder  diu 
miltikeit  und  diu  menscheit  unsers  behalters,  unsers  gottis.  Sehent, 
wir  hän  hiute  gehört  in  dem  ewangeli,  daz  die  künige,  do  si  in  körnen 
gegangen  in  daz  hüs,  do  funden  siu  daz  kint  mit  Marien  siner  muoter. 
Waz  ist  nü  anders  ze  merken  an  des  kleinen  kindes  lichamen,  daz  diu 
magt  Marie  sin  muoter  zöch  und  sougte  in  irme  schözen  *)  oder  an  irme 
herzen?  Niht  anders  nuowen  die  wärheit,  daz  erschinnen  was  daz  ge- 
wärig  fleische,  daz  daz  ewig  worte  an  sich  genomen  hate.  Nü  waz  ist 
da  bi  ze  merken,  daz  daz  kleine  kindelin  mit  siner  muoter  funden  wart? 
Nuowen  daz  der  gewärig  mensche  des  gewarigen  menschen  sun  er- 
schein (16a). 

Nü  merke  die  andern  erschinunge  und  ahte,  ob  niht  eigenlichen 
an  dirre  erschinunge  beweret  unde  beziuget  si  **)  von  der  stimmen  des 

*)  schoschen.         **)  si  fehlt. 


348  FRANZ  PFEIFFER 

vaters,  daz  dirre  mensche  ist  gottis  sun ,  wan  die  himele  die  wurden 
ob  im  üf  getan  und  der  heilig  geist  in  einein  liplichen  gestaltniisse 
einer  tuben  kom  er  von  dem  himel  nider  unde  saz  üf  in ,  unde  diu 
stimme  des  vaters  diu  wart  gebeert  in  dem  lüfte  unde  sprach  'dirre 
ist  min  geminnoter  sun,  in  dem  daz  ich  mir  selber  wol  gevallen  hän.' 
Und  des  gliches  so  ist  wol  ze  merken  und  zuo  verstenne,  daz  der  selbe 
mensche  an  den  selben  Worten,  diu  der  vater  sprach,  und  ouch  an  der 
erschinunge  der  tüben,  von  not  daz  muoz  sin,  äne  allen  zwivele,  daz 
er  si  der  gewärig  got;  wan  nieman  der  zwivelot  hir  an,  daz  der  men- 
schen süne  niht  ensien  menschen,  und  ouch  der  vihe  *)  kindere  en- 
zwivelet  man  ouch  niht  nuowen  si  sien  irs  geslehtes,  von  dem  daz  sin 
geborn  werdent:  des  enzwivelt  nieman.  Doch  so  sülent  ir  wizzen,  umbe 
daz,  daz  nieman  dekeiner  irresal  oder  irrunge,  dekeines  ungelouben 
blibe  oder  habe,  so  sint  die  drierhant  erschinunge  hiute  erschinen. 
Wan  bi  der  ersten  erschinunge  so  ist  ze  merken,  daz  er  ist  ein  gewärig 
mensche,  und  ist  beweret  und  erliuhtet,  daz  er  ist  ein  sun  der  men- 
schen. Unde  mit  der  andern  erschinunge  ist  uns  ze  versten  gegeben, 
daz  er  ist  der  herre,  der  gewärig  gottis  sun.  Und  an  der  dritten  er- 
schinunge ist  ze  (16b)  merken,  daz  er  ist  der  gewär  got  und  ein  sche- 
pfer  aller  nätüren  und  ein  herre.  Wan  von  sinem  gewalt  unde  von  siner 
herschaft  so  verwandelönt  sich  alle  nätüren,  und  dar  umbe,  vil  lieben, 
so  sülen  wir  Cristum  minnen  rehte  als  einen  gewärigen  menschen  und 
ouch  alse  unsern  bruoder.  und  ouch  so  sülen  wir  in  erun  *)  alse  gotis 
sun  unde  sülen  in  an  betten  alse  got.  Wir  sülen  sicherlichen  an  in  glou- 
ben.  Ja  wizzent ,  min  brüedere ,  wir  sülen  im  sicherlichen  glouben, 
wan  ime  gebristet  dekeiner  mäht,  er  habe  wol  mäht,  daz  er  uns  wol 
behalten  müge  unde  selic  machen  müge,  wan  er  ist  der  gewär  got  und 
der  gewäric  sun  gotis.  Und  ouch  so  gebristet  im  dekeines  guoten  willen, 
er  welle  daz  wir  selic  sien ,  wan  er  ist  von  unserre  nätüre  geworden 
ein  gewär  mensche  und  ein  sun  der  menschen.  Und  wie  mohte  er  uns 
werden  unhoerlich,  nuowen  er  müeste  unser  gebet  hoeren,  wan  er  durch 
unsern  willen  worden  ist  uns  glich  lidende,  wan  er  was  lidelich  unde 
leit  alse  ouch  wir. 

Nu  merkent.  Und  ist  daz  ir  begerent  etwaz  ze  hoeren  von  disen 
erschinungen  zuo  einer  lere ,  so  daz  ir  da  von  etwaz  geleret  wellent 
werden  zuo  iuwerre  bezzerunge,  so  daz  ir  da  von  gebezzerot  mügent 
werden ,  so  sülent  ir  des  ersten  merken ,  daz  Cristus  des  alre  ersten 
erschein  ein  kint  mit  siner  muoter.   Und  hie  bi  sin  wir  gelert,  daz  wir 


*=)  vehe.        **)  in  fehlt. 


DREI  PREDIGTEN  AUS  DEM  XIH.  JAHRHUNDERT.  349 

vor  allen  dingen  (17a)  einvaltige  *)  unde  demüetig  sülen  sin.  Sant  Ma- 
theus  schribet  ouch  in  dem  ewangelio  von  dirre  höchzit  also ,  und  hie 
bi  sülen  wir  merken,  daz  wir  ouch  opfer  sülen  bringen  dem  gebornen 
künige,  wan  er  ist  ein  iteler  oder  ein  üppiger  bitter,  der  niht  mit  an- 
däht  hiute  disem  kindelin  opferet.  Wan  also  schribet  Moyses  in  dem 
buoche  Exodi  'vor  minem  antlütze  sol  nieman  itel  noch  lere  erschinen.' 
Nu  sülen  wir  des  ersten  ze  opfer  bringen  golt.  Daz  ist  also  ze  verstau, 
daz  wir  uns  mit  vlize  üeben  sülen  und  uns  erheben  sülen  über  uns 
selben  in  die  gütlichen  wisheit,  unde  sülen  da  schouwen,  wie  guot  daz 
got  in  im  selber  si,  und  wie  wirdic  und  wie  löblich  er  mit  dem  men- 
schen si.  Wan  also  sprichet  Salomon  in  der  wisheit  buoch  'diu  wisheit 
ist  verre  bezzer  denne  alle  kostlicher  richtuom  oder  richeit,  und  dekein 
dinc,  wie  begerlich  oder  wie  lustlich  ez  si,  daz  enmac  sich  niht  glichen 
der  wisheit.'  Und  noch  **)  sprichet  Salomon  in  der  wisheit  buoch  vi!,  c. 
'ich  hän  si  gesast  oder  geahtet  für  elliu  rieh  und  für  alle  stüele ,'  daz 
ist  für  allen  gewalt ,  unde  hat  ***)  ouch  gesprochen ,  daz  dekein  lich- 
tuom ir  glichen  müge. 

Zuo  dem  andern  male  so  sülen  wir  opfern  wirrouch,  daz  ist  unser 
andehtigez  gebet,  des  wir  uns  flizen  sülen.  Wan  also  sprichet  David 
'herre,  rihtc  unser  gebet  für  din  angesiht.'  Nu  merkent.  Daz  wirrouch 
(I7h)  smeket  wol  unde  riuehet  wol  unde  brinnet  in  dem  fiuwer.  Also 
sol  ouch  unser  gebet  widersmeken  oder  widerriechen  mit  emzigunge, 
so  daz  wir  ez  enizicllchen  tuon  sülen.  Wan  also  sprichet  sant  Lucas 
in  dem  ewangelio  'man  muoz  alle  zit  betun  unde  niemer  sol  man  abe- 
län'.  Daz  gebet  sol  riechen  mit  demüetikeit,  wan  also  ist  geschriben 
in  ecclesiaste  xxxv.  c.  'daz  demüetige  gebet  daz  durchdringet  die 
gewolken  und  den  himel.'  Und  daz  gebet  sol  ouch  brinnen  von  andäht, 
wan  also  sprichet  sant  Paulus  zuo  den  Chorinten  xini.  c.  'ich  psalliere, 
daz  ist :  ich  fröuwe  mich  geistlichen  mit  dem  geiste,  und  ouch  psalliere 
ich   mit  dem  gemüete.' 

Und  zuo  dem  dritten  male  so  sülen  wir  opfern  die  mirren,  daz 
ist:  wir  sülen  bettun  mit  riuwe  und  mit  bitterkeit  des  herzen  unde 
mit  arbeit  des  libes.  Diu  mirre  ist  bitters  gesmakes  und  diz  meinet 
bitterkeit  der  buoze  oder  der  riuwe.  Wan  also  der  mage  von  überiger 
oder  unmeziger  spise  den  süezen  smak  verliuset  nnde  wirt  widerbräht 
von  dem  bittein  trank  des  arzätes,  also  wirt  des  menschen  herze,  daz 
da  erfület  ist  von  liebi  der  sünde,  daz  enmac  von  dekeinen  dingen  so 
wol  widerbräht  werden  so  von  bitterkeil   (  18")  des  herzen  und  alremeist 

*)  einvoltige.         **)  ouch.         ***)  hau. 


350  EEINIIOLD  KÖHLER 

daz  man  dem  herzen  dike  die  bitterkeit  ze  drinken  gebe.  Wir  sülen 
drinken  win  mit  mirren,  daz  ist  mit  betrahtunge  nnsers  herren  marter. 
Von  dem  so  sprichet  David  'du  hast  uns  getrenket  mit  dem  wine  der 
riuwe.'  Wan  also  vil  so  ist  diu  riuwe  seliger  unde  bezzer  dem  menschen, 
also  vil  so  ez  bitterre  ist  von  gedenkunge  der  sünden  oder  betrahtunge. 
Nu  fürbaz.  Diu  mirre  widerstat  der  fiuli ,  wan  swar  zuo  man  si  leit 
daz  enfület  niht  gerne.  Und  da  bi  ist  ze  merken  üebunge  des  libes. 
Von  dem  so  sprichet  Salomön  in  der  minne  buoch  rmin  liep  ist  ein 
mirrenbüschelin  oder  min  geminter.'  Und  fürbaz  sprichet  er  fmin  ge- 
minter  mir  und  ich  im.'  Und  hie  von  sprichet  sant  Bernhart;  er  spri- 
chet niut  ein  bürdi,  sunder  er  sprichet:  ein  bürdelin  ist  min  geminter, 
daz'  ist,  daz  er  mit  minnen  oder  von  minnen,  die  si  zuo  im  hat,  lihticlich 
si  füeret  unde  lihticlich  treit,  waz  er  ir  arbeit  erzeiget  unde  smerzen. 


ADAMS  ERSCHAFFUNG  AUS  ACHT  THEILEN. 


Jacob  Grimm  hat  in  der  zweiten  Ausgabe  der  deutschen  Mytho- 
logie S.  531  ff.  und  in  den  Nachträgen  dazu  S.  1218  fünf  der  Zeit 
und  dem  Ort  nach  einander  fern  liegende  Überlieferungen  von  der  Er- 
schaffung Adams  aus  acht  Theilen  beigebracht.  Seitdem  aber  sind  noch 
mehrere  Aufzeichnungen  hinzugekommen ,  auf  welche  aufmerksam  zu 
machen  um  so  weniger  überflüssig  ist,  als  sie  zum  Theil  in  minder 
allgemein  bekannten  Werken  sich  zerstreut  finden. 

In  dem  angelsächsischen  Dialog  zwischen  Saturn  und  Salomon 
(Thorpe's  Analecta  S.  95)  lesen  wir:  „Saga  me  bret  andworc  ne  Adam 
wods  of-ge-worht  se  arusta  man?  Ic  ne  secge  of  viu  punda  ge-wihte. 
Saga  me  hwaet  hatton  nage?  Ic  ne  secge  ba?t  abroste  wses  földan  pund, 
of  ctam  bim  wass  flesc  ge-worht;  oder  wses  fyres  pund,  ])anon  him  wses 
na2t  blöd  read  and  hat;  bridde  wses  windes  pund,  nanon  him  wses  seo 
asdung  ge-scald;  feortle  w»s  wolcnes  pund,  nanon  him  waes  Ins  mödes 
unstadel  fsestnes  ge-scald;  fifte  wa?s  gyfe  pund,  nanon  him  wass  ge- 
scald  se  fat  and  gedang;  syxste  waes  blostnena  pund,  nanon  him  wass 
cagena  myssenlicnys  ge-scald;  scofode  was  deawes  pund,  nanon  him 
becom  swat ;  cah  to  the  wass  sealtes  pund,  ])anon  him  waaron  pa  teares 
sealte."  Also  aus  Erde  das  Fleisch,  aus  Feuer  das  rothe  und  heiße 
Blut,  aus  Wind  der  Athem,  aus  Wolken  des  Sinnes  Unbe- 
ständigkeit, aus  (?)  Fett  und  Sehnen,  aus  Blumen  die  Augen, 
aus  Thau  der  Schweiß,  aus  Salz  die  Thränen.  Dieß  stimmt,  ab- 
gesehen von  der  Aufeinanderfolge,  genau  mit  dem  Rituale  ecclesise  clunel- 


ADAMS  ERSGH^FFUNG  AUS  ACHT  THEILEN.  351 

mensis  bei  Grimm  S.  531  bis  auf  einen  Bestandtheil.  Dort  haben  wir: 
„pondus  gratiae,  inde  est  sensns  hominis;"  oder  nach  der  angelsächsi- 
schen Interlinearversion:  „pund  gife,  of  pon  is  poht  monnes;  hier: 
gyfe  pund  panom  him  wres  ge-scald  se  fat  and  gedang." 

In  einer  englischen  Räthselsammlung  des  15.  Jahrhunderts  rQue- 
stions  bitwene  the  Maister  of  Oxinford  and  Ins  Scoler'  (Reliquia)  an- 
tiquae  1 ,  230)  wird  gefragt :  „  Whereof  was  Adam  made  ?"  und  geant- 
wortet: „Of  vmthingis  :  the  first  of  erilw,  the  second  of  fire,  the  iud  of 
toynde,  the  nn,h  of  cloivdys ,  the  vth  of  aire  where  thorough  he  speketh 
and  thinketh,  the  vi,h  of  dewe  whereby  hi  sweteth ,  the  vnth  of  flowres 
wherof  Adam  hath  Ins  ien,  the  vm  is  salte  wherof  Adam  hath  salt  teres." 
Hier  haben  wir  wieder  genaue  Übereinstimmung  der  Bestandtheile  mit 
den  beiden  angelsächsischen  Überlieferungen  bis  auf  einen  Bestandtheil, 
der  in  allen  dreien  ein  anderer  ist,  und  hier  zwar:  die  Luft,  wodurch 
der  Mensch  athmet  und  spricht*). 

Aus  einer  provenzalischen  Sammlung  von  Räthselfragen  hat  Karl 
Bartsch  in  der  Germania  4,  314  unter  andern  das  folgende  mitgetheilt: 
„De  cantas  causas  fo  fags  Adam  ?  De  vn  **) :  de  limo  e  de  l'ayga  de  la 
mar  e  del  solelh  e  de  las  nivols  del  cel  e  del  ven  e  de  peyras  e  del 
santz  esperitz :  del  limo  della  terra  fo  facha  la  sia  carn,  el  sanc  de  Vayga 
de  la  mar,  eis  huells  de  solelh,  car  enaysi  coma  lo  solelh  es  lums  de  la 
terra,  enayssi  so  los  huells  del  cors,  e  de  la  nivol  fo  facha  la  cogitatio, 
e  del  venl  [-.••],  e  de  las  peyras  son  los  osses,  e  del  santz  esperitz 
Varma.  enayssi  co  fo  fagz  del  limo  de  la  terra ,  dec  esser  plus  lis  e 
de  l'ayga  motz  savis  e  del  solelh  motz  nobles  e  las  nivols  motz  cars 
e  del  ven  motz  laugiers  e  de  las  peyras  motz  durs  e  dels  santz  esperite, 
per  que  dec  esser  motz  bos  e  motz  hobediens  a  nostre  senhor  dieus 
et  als  cieus  mandamens." 

Diese  provenzalische  Überlieferung  stimmt  genau  ,  auch  in  der 
Reihenfolge  der  Bestandtheile,  mit  der  französischen  bei  Grimm  S.  1218 
aus  Paulin  Paris  les  manuscrits  fran^ais  de  la  bibliotheque  du  roi  4, 
207,  nur  ist  sie  unvollständig.  Denn  zunächst  fehlt  die  Angabe  dessen, 
was  aus  dem  Winde  entstanden  ist,  nämlich  der  Athcm,  und  dann  die 
Angabe  des  achten  Bestandtheils  und  dessen,  was  daraus  erschaffen. 

Aus  einer  Handschrift  des  Brittischen  Museum  (Cod.  Clarend. 
vol.  XV.  fol.  7  p.  1)  ist  in  dem  neuerdings  erschienenen  Werke  'Three 

*)  Die  Stelle  aus  Saturn  und  Salomon  und  aus  den  Questions  hat  Thomas  Wright 
in  den  Anmerkungen  zu:  The  vision  and  creed  of  Piers  Ploughman.  Second  edition. 
London  1856,  2,  532  beigebracht. 

**)  Gedruckt  in  der  Germania  ist  XII. 


352  REINHOLD  KÖHLER 

irish  glossaries.  With  a  preface  |and  index  by  W.  S.  London  1862, 
S.  XL  fl1.  die  folpende  irische  Aufzeichnung  bekannt  gemacht  worden : 

„Is  fisigh  cidh  diandernadh  adham  .i.  do  vii[i]  rannaib:  in  ced 
rann  do  talmain  :  indara  rann  do  mui :  in  tres  rand  do  ghrein :  in  ce- 
thramha  rann  do  nellaib:  in  cuigid  rann  do  gaith:  in  se[isedb]  rann  do 
clochaibh :  in  sechtmadh  rann  don  spirad  naomh :  [in  tochmadh  rann  do 
soillsi  in  domuin].  Rand  na  talman,  as  1  sin  in  colann  in  duine:  rann  na 
mara,  is  i  sin  fuil  in  duine:    rann  na  greine  a  qhne  7  a  dreach:    [rann 

dönellaib ];  rann  nagaoithe  anal  an  duine:  rann  na  doch  a  chnamha: 

rann  in  spirada  naoim  in  anmain  [leg.  a  anam] :  an  rann  dorighne[dh] 
do  soillsi  in  domuin  as  i  sin  a  chräiqheacht  [leg.  chräibhdheacht].  Madhi 
in  talmaidhecht  bhus  fortail  isin  duine  bud  lease.  Madhi  in  inuir  budh 
enaidh.  Madhi  an  grian  bud  alainn  beödha.  Madhiat  na  neoil  bud  otrom 
druth.  Madhi  in  gaoth  bud  laidir  fri  gach.  Madhiat  na  clocha  bud  cruaidh 
do  traoth  a[dh]  7  bu  gadaiqhe  7  bu  sanntach.  Madhi  in  spirad  naomh 
bud  beodha  deqhgneach  7  bud  lan  da  rath  in  scribtuir  dhiadha.  Madhi 
in  tsoillsi  bü  duine  sogradhach  sotoqhtha." 

D.  h.  nach  der  Übersetzung  des  Herausgebers  ins  Englische:  „It  is 
worth  knowing  what  Adam  was  made  of,  i.  e.  of  eight  part:  the  first 
part,  of  earth;  the  second  part,  of  sea;  the  tliird  part,  ofsun;  the  fourth 
part,  of  clonds;  the  fifth  part,  of  wind;  the  sixth  part,',  of  stones;  the 
seventh  part,  of  the  Hohj  Ghost,  [the  eight  part,  of  the  light  oftheivorld] 
The  part  of  the  cartli ,  this  is  the  man's  body ;  the  part  of  the  sea ,  this 
is  the  man's  blood;  the  part  of  the  sun,  Ins  face  and  Ms  countenance; 
the  part  of  the  clouds.  . . .];  the  part  of  the  wind,  the  man's  breath;  the 
part  of  the  stones,  his  bones;  the  part  of  the  Holy  Ghost,  his  soul;  the  part 
that  was  made  of  the  dight  of  the  world,  this  is  his  piety.  If  it  be  the 
carthiness  that  is  prevalent  in  the  man,  he  will  be  slothful.  If  it  be  the 
sea,  he  will  be  changeful  (?).  If  it  sun,  he  will  be  beautiful,  lively.  If  it 
be  the  clouds,  he  will  be  light,  forlish.  If  it  be  the  wind,  he  will  be 
strong  to  every  one.  If  it  be  the  stones,  he  will  be  hard  to  subdue  and 
be  a  thief  and  be  covetous.  If  it  be  the  Holy  Ghost,  he  will  be  lively, 
of  a  good  countenance,  and  be  füll  of  the  grace  of  the  divine  scripturc. 
If*  it  be  the  light,  he  will  be  a  loveable,  sensible  man." 

Auch  diese  irische  Aufzeichnung  stimmt  genau  mit  der  französischen, 
und  auch  der  achte Beständtheil,  dort  „la  clarte  du  monde",  hierdasLicht 
der  Welt,  fehlt  nicht.  Daß  es  im  Französischen  heißt:  „la  clarte  du  monde 
signifie  Criste  et  sa  creance",  und  im  irischen :  der  Theil  des  Lichts  der 
Welt  ist  die  Frömmigkeit  des  Menschen,  kömmt  auf  eins  hinaus.  Ebenso 
wenn  im  Französischen  aus  dem  heiligen  Geist  das  Leben,  im  Irisehen 
und  Prövenzalischen  die  Seele  herrührt. 


ADAMS  ERSCHAFFUNG  AUS  ACHT  THEILEN.  353 

Die  französische,  provenzalische  und  irische  Überlieferung  fließen 
offenbar  aus  einer  und  derselben  Quelle ,  ohne  Zweifel  aus  einer  lateini- 
schen. Läge  sie  vor,  dann  würden  sich  auch  die  scheinbaren  Abwei- 
chungen in  der  Angabe  der  Eigenschaften  beim  Vorwiegen  irgend  eines 
der  acht  Theile  wohl  nur  als  verschiedene  Übersetzungen  herausstellen. 

Die  französische  Überlieferung  gibt  —  was  Grimm  nicht  mitgetheilt 
hat  —  als  ihre  Quelle  die  Offenbarung  des  Methodius*)  an,  allein  man 
sucht  vergeblich  diese  Erzählung  von  Adams  Schöpfung  darin. 

Mit  der  Stelle  aus  Gottfried  von  Viterbo  bei  Grimm  S.  532  stimmt 
genau  eine  Stelle  eines  nicht  näher  bezeichneten  Gedichtes  einer  Grazer 
Handschrift ,  welche  Diemer  in  den  Anmerkungen  zu  seinen  deutschen 
Gedichten  S.  78  hat  abdrucken  lassen.  Der  Dichter  muß  aus  Gottfried 
selbst,  oder  aus  derselben  Quelle  wie  dieser,  geschöpft  haben. 

Endlich  gehört  noch  hierher  eine  Stelle  aus  einem  Tractate  des 
Bruders  David  von  Augsburg  (Zeitschrift  9,  29).  Dort  wird  vom  Men- 
schen gesagt:  „aller  dinge  nätüre  und  glichnisse  ist  in  ime:  der  erden  an 
dem  vleische ,  der  steine  an  dem  gebeine ,  des  luftes  an  dem  geiste ,  der 
winde  an  den  blausten,  des  fiures  an  der  werme,  des  wazzers  an  dem  bluote, 
der  liehte  an  den  ougen  ,  der  bäche  an  den  ädern ,  des  himels  an  der 
hirneschalen."  —  Man  bemerke,  daß  hier  die  Adern  von  den  Bächen 
herrühren.  Sonst  kommen  die  Adern  nur  noch  in  dem  Gedicht  der  Vor- 
auer  Handschrift  bei  Grimm  S.  532,  bei  Diemer  S.  320,  vor,  wo  sie 
aber  aus  den  Kräutern  (würzen)  hergeleitet  werden. 

Schließlich  erwähne  ich  noch,  daß  der  englische  Herausgeber  jener 
irischen  Aufzeichnung,  die  er  als  besonders  interessant  wegen  ihrer 
Übereinstimmung  mit  den  von  Grimm  angeführten  Überlieferungen  be- 
zeichnet, dazu  noch  bemerkt:  „Ich  confess  that  to  ine  it  appears  to  have 
quite  a  Talmudic  appearance.  A  some  what  similar  passage,  however, 
oecurs  in  Yäjnavalkya,"  s.  Dharmacastram ,  ecl.  Stenzler ,  76,  77,  78, 
See,  too,  Spiegel's  Die  traditionelle  Literatur  der  Parsen,  S.  116. 

Die  Stelle  aus  Yajnavalkya's  Gesetzbuche  lautet  nach  Stenzlers 
Übersetzung:  'Von  dem  Äther  bekommt  er  (der  Mensch  im  Mutterleibe 
im  dritten  Monat)  Leichtigkeit,  Feinheit,  Laut,  Gehör,  Kraft  u.  s.w.; 
von  dem  Winde  Gefühl,  Bewegung,  Entfaltung  der  Glieder  und  Härte. 
Von  der  Galle  das  Sehen,  Verdauen,  Hitze,  Aussehen,  Glanz;  vom 
Wasser  den   Geschmack ,    Kälte ,    Geschmeidigkeit ,    Feuchtigkeit   und 

*)  Nicht  des  Methodius  Patarensis,    des  Bisehofs  von  Tyrus,    im  3.  Jahrhundert, 

sondern   wahrscheinlich    eines  Patriarchen    von  Constantinopel   dieses  Namens    aus  dem 
13.  Jahrhundert. 

GERMANIA  VIT,  23 


354  FEDOR  BECTT 

Sanftheit.  Von  der  Erde  Duft  und  Geruch ,  Schwere  und  Form.  Alles 
dies  bekommt  der  neugeborne  Geist  im  dritten  Monat ,  dann  bewegt 
er  sich.' 

Nach  der  citierten  Stelle  aus  Spiegel's  Werke  heißt  es  im  Bund- 
chesch  bei  der  Auferstehung:  Zu  jener  Zeit  entstehen  (wieder)  aus  der 
göttlichen  Erde  die  Knochen,  aus  dem  Wasser  das  Blut,  aus  den  Bäumen 
die  Haare,  aus  dem  Feuer  die  Lebenskraft,  wie  sie  das  bei  der  ursprüng- 
lichen Schöpfung  angenommen  haben.  Vgl.  Grimm  S.  536. 

WEIMAR,  Juli  1862.  REINHOLD  KÜHLER. 


ÜBER  JOHANNES  ROTHE 

VON 

FEDOR  BECH. 

VII. 

In  dem  sechsten  Bande  dieser  Zeitschr.  S.  51 — 67  *)  wurde  der 
Versuch  gemacht,  das  von  Vilmar  herausgegebene  Gedicht  „Von  der 
stete  ampten"  u.  s.  w.  Johannes  Rothen  zuzueignen  und  auf  S.  61  zu- 
gleich vermuthet,  daß  der  eigentliche  Titel  des  fraglichen  Werkes 
„Des  rätis  czucht"  gelautet  habe.  Diese  Vermuthung  gründete  sich  auf 
eine  in  den  Eisenacher  Rathsfasten  dem  Namen  Reinhardus  Pinckernail 
beigefügte  Bemerkung:  hie  Reinhardus  auetor  est  ritmorum  Germanico- 
rum  qui  inscribuntur  des  rathes  zucht ,  ut  pal[et]  ex  litteris  initialib\us] 
majusculis.  Es  kam  dabei  hauptsächlich  darauf  an ,  den  Namen  Rein- 
hardus in  den  litteris  majusculis  (den  houbitbuochsiaben)  wiederzufinden. 
Die  aus  der  Fuld.  Handschr.  dort  mitgetheilten  Hexameter  zeigten  vom 
Akrostichon  wie  es  schien  noch  die  Silbe  Rein .  .  . . ,  alles  übrige  war, 
so  wurde  weiter  vermuthet,  in  Folge  des  Ausfalls  mehrerer  Verse  ver- 
loren gegangen.  Jetzt  liegt  mir  eine  durch  die  Güte  eines  Freundes 
besorgte  Abschrift  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  ge- 
fertigten Berliner  Handschrift  (hinter  Philipps  Marienleben,  vgl.  v.  d. 
Hagens  und  Büschings  Grundriß  S.  420 — 421)  vor,  welche  schon 
darum  mitgetheilt  zu  werden  verdient,  weil  sie  nicht  nur  die  Vermu- 
thung jener  Lücke  in  der  Fuld.  Handschr.  bestätigt,  sondern  auch  das 


*)  In  der  citierten  Abhandlung  muß  es  S.  G2  Z.  14  ff.  der  Deutlichkeit  wegen 
heißen  :  „bei  ihm  stehen  die  beiden  gereimten  Vershälften  ,  wie  jedenfalls  schon  in  der 
Fuldaer  Handschr.,  noch  unter  einander  statt"  u.  s.  w.  Ferner  auf  S.  54  Z.  20  sind  die 
Worte:  „hiernach  ist"  u.  s.  w.  bis  „nichts  Anstößiges  hat,"  zu  streichen,  desgl.  auch  S.  63 
Z.  13 — 15  von  „dagegen"  bis  „nachgewiesen  winde."  S.  65  Z.  f>  von  unten  lies  senfticUch 
faße  statt  senffticlich. 


ÜBER  JOHANNES  ROTIIE.  VII.  355 

Akrostichon  des  Namen  Reinhard  vollständig  bewahrt  hat.  Der  Um- 
fang des  hier  erhaltenen  Gedichtes  ist  ohnehin  weit  größer  als  Vilmar 
auf  S.  1  ff.  vermuthungsweise  angegeben  hat ;  es  enthält  hier  im  Ganzen 
577  Verse,  während  es  nach  Vilmars  Annahme  nur  244  (245)  betragen 
würde.  In  ihm  finden  sich  wieder  die  Verse  109-310,  360 — 373, 
376 — 385,  502 — 527  und  noch  einzelne  versprengte;  andererseits  er- 
scheinen hier  mehrere  längere  Abschnitte,  welche  in  der  Fuld.  Handschr. 
fehlen,  so  zwischen  V.  282  und  283  einer  von  58,  nach  V.  310  einer 
von  126,  nach  527  einer  von  96  Zeilen.  Die  bei  Vilmar  von  334 — 359 
reichenden  Verse  bilden  in  der  Berl.  Handschr.  zum  Theil  und  mit 
neuen  vermischt  den  Schluß.  Der  Abschnitt,  welcher  von  der  forstin 
rätgeben  handelt  und  den  letzten  Theil  in  der  Fnld.  Handschr.  abgiebt, 
fehlt  dagegen  hier  gänzlich.  Die  vor  V.  109,  sowie  die  zwischen  385 
und  502  vermissten  Stücke  sind,  wie  in  dem  Litterar.  Grundr.  bereits 
vermerkt  worden  ist,  durch  Ausschneiden  von  erst  4  und  dann  2  Blät- 
tern verloren  gegangen. 

Schon  aus  diesen  Angaben  erhellt ,  daß  beide  Redactionen  von 
einander  durchaus  unabhängig  sind.  Die  um  fast  ein  halbes  Jahrhun- 
dert jüngere  Berliner  bietet  trotz  ihrer  jüngeren  Sprachformen,  trotz 
ihres  in  Folge  von  Missverständniss  und  Willkür  im  Allgemeinen 
schlechter  gestalteten  Textes,  doch  im  Einzelnen  hin  und  wieder  bes- 
sere Lesarten  dar.  Im  Folgenden  werden  daher  außer  den  neuen  Ab- 
schnitten, welche  die  Berl.  Hs.  mehr  enthält,  auch  die  Abweichungen 
derselben  vom  gemeinsamen  Texte  angegeben  werden.  Sonst  wurde 
nach  den  in  dieser  Zeitschr.  6,  40  angegebenen  leitenden  Grundsätzen 
hierbei  verfahren. 

Die  Berliner  Hs,  (—  B)  beginnt  mit  V.  109  bei  Vilmar  (=  A): 
109  B.  den.  112  hy  weck.  113  besser  ist  dir  eyn  äuge  indazlx.  lli  dan 
mit  beyden  äugen.  116  in  fremde  lant.  117  dan  du  kettest.  118  und  er- 
würbest damit  eyn  böse  e.  119  g.g.  ist  eß  gar  ivol  eß  auch  st.  120  wan  eyn  h. 
121  da  werden  sie  von.  122  die  kamer  hie  mit  ich  m.  123  sohl  (so  immer!). 
sin  fehlt,  getraw.  124  buwe.  125  und  sohl  nicht  s.  sy  g.  126  diez  bekomet 
vnd  stet.  127  so  In  den  schaden  m.  128  bezzern  vnd  g.  Darauf  Überschrift : 
von  den  schopphen.  129  dye  k.  der  menschen  vnd  den  m.  130  by  den 
wort  vnd  diez  leunt.  131  geruht  :  nicht.  132  die  warheyt.  133  rechtes. 
134  vnd  auch  daz  recht  nß  sagen.  135  wyß  man.  136  i.  d.  buche]  etwaß. 
137  d.  g.  mannes.  139  spricht  .  gericht  :  p flicht.  140  alle  zyt  in  w.  phl. 
141  gesecz  g.  daz  ist.  142  sinen.  143  kundigen,  gebot.  144  gesecz  .  derat. 
145  auch  (so  immer!),  den  stunden.  146  den  munden.  147  wer  auch  wol 
durch  miß  (iveiß?)  kan  spehen.     148  die  boß wicht  .  gegehen.    149  vnd  die 

23* 


356  FEDOR  BECH 

spüret  als  eyn  getreioer  hunt.  150  iren  lumunt.  151  vnd  erkennet  der  lute 
vnder  scheyt.  152  a.  t.  vnd  an  boßheyt.  153  vnd  meldet  waz  do  ist  vn- 
togtlich.  154  icol.  155  die  den  edeln  g.  enpheet.  156  vnd  auch  den  stanch. 
157  nach  den  also  spricht  hie  von.  158  i.  d.  w.  buch  Salomon.  159  ich 
habe  in  allem  mynt  lein.  161  also  der  ivirre  den  vsericeckt.  162  des  ge- 
ruches  nymandes  vor  silct  (?).  163  Überschrift:  von  den  wechtern.  (D)  y 
em  die  sin  den  w.  gut.  164  die  di  stete  haben  in  hutte.  165  gen.  166  neme. 
167  die  in  den  st.  169  tagh.  170  enmag]  magh.  171  an  der  stat  da  haben 
sie  macht.  175 — 176  aber  die  xoechter  vff  den  mtiren  \  die  soln  horchen 
vnd  Schuten  (schüren'?)  \  vor  den  finden  die  f runde  \  vnd  al  (?)  wachtene 
xcol  vor  (?)  künde.  177  das  der  rynt  sie  icht  der  sleyche.  178  vnd  daz 
volgk  vortilge  glich.  179  d.  s.  st.  geschriben  also.  181  flyssyclichen.  182 
ir  wist  .  xoan  u  wir  .  Sachen.  183,  184  kome  vnd  uch  heymelich  slaltu 
vorderbe  alle  glich.  185  Überschrift:  von  den  wepnern.  —  Dy  armen 
daz  sin  die  wepnere.  186  stete  auch  z.  187  dicz  mag  .  mercken.  188  arme, 
starcken.  189  auch  fehlt  in  B.  190  also  eyn  iglicher  daz  wol  acht.  191 
a.  tr.  an  heben  an  r.  193  es  geschriben  stet.  195  sein.  196  synem  armen. 
197  Überschrift:  von  den  schützen.  —  [d]y  arme  daz  sein  auch.  198  die 
zu  der  were  dich  musßen.  199  vnd  alle  ander  W.  200  muß  han. 
201  Überschrift  :  von  den  liauptmann.  —  [d]as  vorhercz  vne  die  brüst. 
2()2  die  mag  man  wol  dxden  alsust.  203  es  mag  .  heubtm.  204  sache  fehlt. 
nympt.  205  dy  an  treffen  d.  g.  206  beyde  in  den  st.  207  voyt .  ampm. 
208  xoepner.  209  zu  den  krigen.  210  S.  underthan  wohl  gestercken.  211 
aller  stete  lute.  212  also  daz  herz  den  steten  chute.  213  deß  im  ampman 
geburt.  214  sey.  215  Überschrift:  von  den  kauffluten.  —  sich]  sie.  216 
fehlt  mit.  217  also.  219  stetichlich.  220  also  .  kaufflute.  221  bringen.  222 
dorff  ader  nichten  hat.  225  wann,  edemet  rne.  226  geschit  .  allen  gliden. 
227  wan  man  der  nicht  füret  zu.  228  noch  ir  so  müssen  sie  u.  g.  229 
wonetin\  ivaren.  231  müssen  dar  vmb.  232  vnd  also  die  äuge  edempten 
menschen.  233  Überschrift :  von  den  bruwern  vnd  schencken.  —  die  bloßen. 
234  »in.  235  der  trenckerie  toolden.  236  taberne.  237,  238  die  muß  man 
in  den  steten  hau  \  uff  daz  trincken  daz  finde  eyn  iglich  man.  239  Über- 
schrift :  von  den  fleischman  fischer  vnd  becken.  —  ich]  ich  uch  240  den 
magen.  241 — 244  mit  den  fischern  vnd  becken  \  die  den  magen  denen  vnd 
smecken  \  hacken  (?)  kricheti  (?)  vnd  garbretere  [cfr.  Ortloff,  Distinct.  5, 22 
knochenhouwer  kouche  und  dy  garbretere,  und  Anzeiger  f.  K.  d.  D.  Vorz.  3, 
303 ,  wo  zu  dem  fleifiiverg  gerechnet  werden  ieger  weydelute  fieißhower 
schinder  koche  garbreter.\  dieser  haben  die  stet  nuz  vnd  ere.  245  Über- 
schrift: von  den  treger  vnd  schrotere.  246  die  dich  die  last  muß  drucke. 
247  bezeigen  uns  die  tr.  248  vnd  der  legi  1  >'<iß  pfl.  Darauf  noch  vier  Verse, 
welche  in  A  fehlen : 


ÜBER  JOHANNES  KOTHE.  VH.  357 

Die  da  tragen  lieben  vnd  schroten  in 

Beyde  wasser  her  mede  vnd  win 

Vnd  auch  ander  were  (sie!)  last 

Die  da  kauffet  vnd  vorkauffet  der  gast. 
249  </.  h.  ingeiceide  ader  lip.  350  sein.  252  stetlicli]  stete,  bleyben.  253 
zummem.  254  nehm.  255  desselben.  256  also  .  neryt]  daz  da  neret.  257 
Überschrift:  von  den  botenlavffern.  —  bey  den  beynen .  vorsten.  258  die 
kriecht  259  gezeiten.  260  sey.  261  Überschrift:  von  den  schelchen.  262 
ampt,  263  ettelichen.  264  Do  werden  schal&k.  265  vnd  fehlt,  der  ere  haben. 
266  was  solde  ich  von  den  sonderlich  sagen.  267  wan  ich  gliche.  268  dy 
da  sten  den  vnfr.  269 — 272  Ein  böses  glichet  sich  eym  boßen  |  Dach  so 
sal  man  sie  nich  abelosen  |  Man  Jean  des  alles  weningk  enpem  \  alles  der 
guten  glide  xoil  ich  gewern.  273  also  mvß  man  die.  274  hie  mit  muget. 
275  ganz.  276  Eins  menschlich  glichenis.  277  dar  vmb  daz  es  alles  an 
eyme  l.  278  sey.  279.  280  umgestellt:  da  es  zu  gesaezt  ist  |  vnd  den 
andern  dinen  z.  a.  fr. 

Nach  V.  280  sind  in  B  folgende  Verse  eingeschaltet ,  welche 
in  A  fehlen: 

281     Hat  der  licham  sine  glede 

in  möge  in  macht,  so  blibit  ein  frede; 

werden  di  abir  abegehowen, 

so  muez  man  gebrechin  schowen. 
285     Adir  io  erdin  si  kräng  adir  suchtig, 

so  werdin  si  zuhaut  nicht  tüchtig. 

Wel  ein  gledemdz  daz  tu, 

daz  dem  andirn  geborit  zu, 

in  glichir  wise  daz  den  stet 
290     also  der  üf  dem  houbit  get, 

dem  vorkerit  sich  mage  lebir  mit  lungin. 

Merkit  daz,  ir  aldin  und  ir  jungin ! 

Welch  stat  er  rechtin  amchtlüde  enperit, 

der  werdit  unsaldin  gnüg  bescherit. 
295      Welch  hantiverg  krankit  mit  ungehorsam, 

daz  lidit  vele  dicke  schäm. 

281  seyn  glide.  2  8  2  eyn  fride.  283  die  aber  glide  abegehawen  scha- 
wen.  2  85  aber  .  krank.  2  87  wil  .  glidemaz  .  thu.  28  8  geburet.  289  Über- 
schrift: Ein  gemein  rede  von  der  gemeyn.  - —  den]?  etwa  dem  oder  danne. 
29  0  heubt.  291  verkeret .  mach  .  mit]  vnd.  29  3  ir  .  amptluten.  294  wird 
vnselden.      29  5    hantwerg  krancket.      29  6    vi!.      29  7    lute. 


358  FEDOR  BECH 

Wo  haz  ritt  di  lüte  maclät  suchtig, 

da  werdin  si  selbir  vortuchtig. 

Wan  hende  arme  fuz  und  beine 
300     mit  dem  Jioubt  und  herzin    nicht  sin  eine, 

wer  en  danne  krefte  wolde  gebin, 

daz  enkan  ich  nicht  gewizzin  ebin. 

Wan  di  gemeinde  der  stete  mit  aldin 

nicht  woldin  di  eintrechtikeit  behaldin, 
305     so  werdin  si  selbir  kräng  und  eigin. 

Dit  wel  Aristotiles  bezeigin, 

do  her  spricht  daz  di  gesamet  kraft 

habe  groz  Sterke  und  meistirschaft, 

und  wan  si  nicht  bi  einandir  ist, 
310     so  ist  si  füle  als  ein  mist. 

Der  ibisir  man  konig  Salomon 

der  spricht  ouch  etswaz  darvon, 

man  sulle  mit  fiize  daz  herze  beivar, 

wan  in  eine  si  daz  lebin  gar. 
315     Daz  herze  der  stete  daz  ist  der  rat, 

wan  der  nicht  gute  bewarunge  hat 

und  nicht  xcerdit  gehalden  in  Jude, 

so  komit  en  seidin  icht  zu  gute. 

Wd  belrübit  wer  dit  daz  herze, 

320     und  so  daz  hoibit  pingit  der  smerze, 

do  ist  nirgen  kein  gesuntheit 

in  den  ganzen  Ucham  geleit. 

Daz  ist  ivo  zweischellig  werdit  der  rät, 

und  der  amchtman  gehören  hat, 
325     do  ist  von  dem  annin  biz  an  den  riehen 

nirgen  kein  /rede  sicherlichen 

noch  schedunge  narunge  noch  schuez 

noch  keinerlei  ere  noch  nuez. 

Dicke  ist  abir  gesehen,  di  czweitracht 
330     in  den  stetin  habin  gemacht, 

2  98  vertuchtig.  300  heubt.  301  yn  dan.  3  02  nit.  304  eintrechtig- 
keit.  305  krank.  306  diez  .  wil.  307  do  her.  308  meinsterschaft.  3  09  bey. 
311  wyß  man  konigk.  312  auch  .  etwaz.  313  solle.  314  in  im  sie.  317  wirt. 
318  in.  319  wert.  320  heubt.  3  23  zweyscheldig  .  wirt.  3  24  amptman . 
gehören]  vielleicht  gehorne.  3  25  do  ist]  daz  .  von  de  .  reichen.  3  26  fride. 
327    scheüdunge  (?)•      3  29    ab  geschein .  die  zweyetracht.      3  30   habn. 


ÜBER  JOHANNES  ROTHE.  VII.  359 

daz  si  wenig  gütis  irw orbin 
und  selbir  lestirlichin  vortorbin, 
Wd  sich  ein  samenunge  lezit  teile, 
daz  komit  en  allin  zu  unheile, 
335     ez  si  in  stetin  adir  vf  dem  felde. 
Gesamint  kraft  ich  nicht  enschelde, 
roan  welchir  man  dri  sterke  hat, 
der  tut  vor  sechse  dicke  ein  tat: 
also  tut  tuchtigir  getrüioir  rät. 

Von  dem  rate. 

r     Rätisman  bes  stete,  tu  gerne  des  fruinin  bete,  1 

Füre  recht  gerichte,  sprich  wibin  obil  mit  nichte, 
Erbuit  got  ere,  bes  setig,  czorne  nicht  sere, 
Geistliche  lüte  bewerdige,  nicht  fingerdüte. 

e     Ere  habe  vor  gote,  wer  eider  ist  ime  rate,  5 

An  gene  an  siczin,  nach  ordenunge  nach  wiczin, 
Czuvordirst  sere  rätsmeister  und  kemerere, 
Wanne  di  besorgin  di  stad  beide  abunt  und  morgin. 

i     In  diner  gewalde  saltü  dich  suzeclichen  halde, 

Abe  dir  entrinne  daz  glucke  daz  man  dich  minne.  10 

Bescherit  dir  got  ere,  homütige  dich  nicht  zu  sere 
Uzen  an  deme  libe,  din  herze  läz  nedir  blibe. 

n     Nicht  lüte  kose,  wäre  worte  gütlichin  lose, 
Wanne  du  salt  rede,  bes  setig  diner  gelede, 
Vortrag  den  aldin,  czu  wtsheit  saltü  dich  haldin,  15 

Her  buivit  üf  ise,  wer  sich  dunkit  zu  wise. 

h     Hüte  dich  vor  speie,  bes  nuchtirn,  kose  nicht  vele, 
Saltü  icht  sagin,  sich  by  (?)  dich  vor  missehagin, 

331  erworben.  333  samanunge  lesset  .  teile]  tribe.  33  4  kumpt  in  .  vnheil. 
335  sey  .  stete  .  de.  336  gesampt  .  nit  .  enscbelde]  scheide.  337  welch'  .  dry 
sterck.    338   sechs   dick.      339    getrawer. 

Überschrift  in  B:  von  den  ratesmannen.  1  A  rätzm.  B  atesman.  A  bis, 
B  biß.  B  gern  dem  fremden  sein  b.  2  B  Eine  rechte  .  vbel  wyben  mit  nicht. 
3  B  bute.  A  bis,  B  biß.  B  zürne  nit.  4  B  geistelich.  A  B  bewirdige.  5  B  ere 
fru  vnd  spat  .  in  de  rat.  6  fehlt  in  B.  A  gen  .  wicze.  7  A  czu  vorderste. 
B  die  ratmeinster  kamerer.  8  B  wan  sie  .  abent ;  fehlt  beide.  9  B  demutig 
halde.  10  B  ab  .  gluck.  11  -ß  gebet.  A  dy  ere  so  mutige.  B  so  vber  hebe 
dich  des  nit.  12  B  Doch  schon  geberde  Machet  dich  amptlute  werde.  13  kose] 
A  .  .  .  se.  B  war  wert.  A  gutlich.  14  B  wan  .  so  bist  set  .  bede.  15  von  hier 
ab  in  A  eine  Lücke.      17    B  spil  .  biß  .  vil.      18   sich  by]  ?  schuwe?   schütze? 


360  FEDOR  BECH 

Ouch  rüme  dich  seidin,  vorgib  nimande  mit  eoheldin. 

a     Arme  und  riche  dt  saltil  läzin  bi  gliche,  20 

Ldz  alliz  vechtin,  volge  snelle,  gestant  deme  rechtin, 
Waz  du  salt  scheide  mit  orteil  wyche  mit  dem  eide. 
Schone  nicht  der  f runde,  liep  leit  zeige  glich  eine  sunde. 

r     Rät  gerne  zu  /rede,  dich  bedenke  tvau  du  salt  rede. 

Gestüte  nicht  geverde,  rede  kort,  ldz  ende  werde.  25 

Obir  winde  met  gute,  straf  heimeclich  in  süzem  mute. 
Nicht  scheine  dielt  frage,  höre  gar  uz  waz  man  dir  sage. 

d     Din  elichez  lebin,  diu  cleit  halt  czemelichin  ebin. 
Mit  fromedin  xvibin  in  liden  nicht  vermiden  (?) 
Meziglichen  zere,  bes  hobisch,  gut,  nicht  iure  sicere.  30 

Süze  schemp/e  gerne,  daz  man  in  schempfe  lerne. 
Du  ensalt  nicht  riden  dne  satel  czu  keinin  gezidin, 
Nicht  ouch  gebräche  der  hosin  von  linen  tüche, 
Nicht  uf  den  gassen  noch  cleidem  noch  uf  vassen  (?) 
Noch  fegen  di  reine,  des  nachtis  nicht  gen  alleine.  35 

■   Der  werke  dich  scheme,  di  dir  nicht  mögen  gezeme. 
In  glichem  zile  di  münz  ldz  stempfen  vile. 
Mit  stigen  mit  fallin  vorget  der  kouflilte  schallin. 
Gebot  nuwe  nicht  mache,  ez  si  dan  redeliche  sache, 
Di  dich  bewege,  der  di  zoarheil  muge  sege  (?).  40 

Nicht  thuge  geböte,  di  nicht  bestendig  sin  gote. 
Gehe  nicht  zu  retin,  du  werdist  dan  dar  zu  gebetin. 
Nummer  dich  gewere,  wan  du  icht  nuezis  salt  swere. 
Schone  wol  der  armin,  der  unschult  ldz  dich  erbarmin. 
Wiche  üz  den  retin,  wan  dich  di  sache  an  tretin.  45 

Du  ensalt  nicht  Mibe  biz  daz  man  dich  darvon  tribe. 
Keine  czweitracht  mache,  fromder  sunde  bis  nicht  ein  sache. 
Daz  din  ertrachten  icht  schade,  daz  saltü  achten. 
Den  manger  wise  grisen  ldz  dich  gerne  unterwisen. 
Nimandis  lare  vorsmehe,  darnach  recht  gebäre.  50 

19  auch  .  nymand.  20  dy  .  by.  21  alles  .  valge  .  dem.  2  2  urteil. 
23  schon  .an.  2  5  vberwynde  mit.  2  9  fremden  .  in  liden  (=  und  lidigen?). 
30  biß  .  hubisch  .  thure.  51  schumpfe,  beide  Male.  3  2  rytn  .  gezeitn.  34  viel- 
leicht Meß  es  ledirin  noch  vorwazzin?  oder  noch  kleibin  noch  üfvazzen?  3  6  Sche- 
men :  gezemen.  3  7  daz  stemet  .  vil  (auch  zele  :  vele  iväre  dem  Dialecte  gerecht). 
38  kaufflute.  39  sey.  4  1  thugen.  42  rechten.  43  nymer.  45  rethen  .  sach. 
4  6    bliben  .  triben.      4  7    fremder  .  biß.      4  9    mhgn   wisen. 


ÜBER  JOHANNES  ROTH  IL  VII.  361 

Waz  gancz  sal  bliben,  daz  sal  man  gancz  läze  sehnten. 

Di  schrift  bewart  an  straffen  mä  daz  gart  (?) 

Ere  dt  gesiechte,  so  troezin  dir  nicht  dine  knechte. 

Mit  gote  mit  eren  saltü  gut  alles  weren  (?) 

Bis  here  des  gutes,  wedirstdz  gewalt  starkes  mütes.  55 

Din  sin  dine  trachte  dines  werk  es  endes  suln  achte. 

Pßige  guter  dinge,  noch  gemeinem  nuez  alles  ringe. 

Nym  (?)  nicht  zu  sere,  noch  schimpfe  lüten  an  dt  ere. 

Meziclichen  rume  (?),  daz  strafft  und  gebit  syite  (?). 

[  Gib  din  macht  und  laß  dich  richten  (?)] 

Waz  man  wel  suchte,  daz  zweie  du  vordir  mit  rächte*  60 

Bede  nicht  unnueze,  mit  redin  unrecht  nicht  schueze. 

Sich  wi  du  lebist,  daz  du  icht  ergerunge  gebist. 

Merkemm  (?)  bedüten  gloube  nicht  allen  litten. 

Fluch  ouch  lipnisse,  ringe  nicht  sere  nach  genisse  (?). 

Vortrag,  laz  dir  sagin,  daz  dir  dang  süner  tragin.  65 

Di  wärheid  daz  findet,  daz  si  gröz  ding  obirwindet. 

Rätisman  bes  wise,  laz  zucht  dich  sere  prise. 

Sal  man  dir  schriben  ersam,  so  mustü  ez  bliben. 

Clüg  vorbedechtig  wärhaftig  getrüwe  eintrechtig 

Bescheiden  frome,  dese  sullin  alle  an  dich  kome.  70 

Din  rät  si  nuczlich  fredesam  tröstlich  und  schuczlich. 

Waz  du  salt  rechin,  daz  saltü  selbir  nicht  brechin. 

Des  nummer  vorherige,  waz  gemeinen  nuez  nicht  eubrenge. 

Wer  gut  xoolde  ende,  daz  saltü  nicht  xuedirivende, 

Noch  nummer  geirre  der  stat  und  ouch  nicht  errpirreQ)  75 

Ouch  bes  dö  seiden  bi,  waz  nicht  redelich  und  gut  si. 

Laz  dir  gefalle  doch  waz  die  andern  tun  alle. 
Die  bei  Vilraar  auf  V.  311   bis  359  folgenden  Verse  fehlen  in  B. 
Für  die  von  V.  360  an  folgenden  Verse  merke  ich  aus  B  folgende 
Varianten  an:    362  er  statt  he.     363  xoazn  eyn  ratesman.    364  auch  der 
stat.  366  her.  369  nicht.  371   sanffte  antwert,  373  sin  ampt.  374,  175  feh- 
len in  B.  377  der  l.  kundige  mit  wachen.  379  mute.  383  wan  er.  385  ve- 

5  2  etwa  bewarit  :  da  sparit?  5  3  gesuchte  .  dein.  5  5  biß  herre  .  wider- 
stoß .  starken.  5  6  din  synne  dyne  trachten  .  deines  .  aebten.  5  9  gibet.  Viel- 
leicht erinne  :  sinne?  6  0  wil  .  zwey  .  vor  dir.  6  4  der  Reim  verdächtig,  vgl.  bei 
Vilmar  v.  5  6  0.      6  5    zuner.      6  6    vberw.      6  7    rateßman  .  biß   wyß.    6  8  schreiben. 

6  9    getrau.      7  0    diß   sollen.      7  1    sey  .  fridsam.      7  3    nymer   vorhengen  .  brengen. 

7  4   widerw.      7  5    auch.    Etwa  gevere  :  enbere?    oder  geerre  :  enwerre?      7  6    auch 
biß   da  .  sey. 


362  FEDPR  BECH 

sten  .  sein.  386 — 501  fehlen,  nur  die  Worte:  der  lute  sach  wol  machen 
finden  sich  statt  dessen.  502  fehlt  und  in.  503  forchte.  504  sollicher. 
505  also  .  gegenw.  507  gericht  gern.  508  wan.  509  sin  wol  derfaren.  511 
saltu  sache]  die  sach.  512  rechte.  513  also.  514,  515  fehlen.  516  nyman 
vor  sagen.  517  die  .  rechte  wil  clagen.  519  die  hende  laze  dich.  520  biß 
vnbeczwungen  \  nich  vorkauff  din  zungen.  522  auch  sinne  gerne.  523  ny- 
mant.  524  an  allen  st.  525  für  d.  a.  saltu  vechten.  526  haben  sie  gebr. 
527  daz  daz  gancz  nicht  w.  g.  Hierauf  folgt  in  B: 

Von   dem    schribere. 
1  Der  schriber  sin  sal  gar  fiizig  vorstehin  die  anzal, 

Frorne  gelobit,  mit  togunde  schone  begäbit  (=  Vilm.  530,  531). 

Geschede  richtig  in  allen  dingen  vorsichtig  (=  Vilm.  532 — 33). 

Hobisch  und  gedigen  geduldig  und  sere  vorsioigen, 
5  In  mancher  banden  gewerben  wol  verstanden  (=  Vilm.  536 — 37). 

Und  ouch  erfaren  fiizig  waz  man  sal  bewaren  (=  Vilm.  538 — 539). 

Gehorche  den  aldin,  sin  truwe  reine  behaldin, 

Nicht  gäbe  nemen  di  smen  eren  nicht  zemen  (=  Vilm  558—59). 

Zu  allen  geziden  di  unwärheit  sere  miden  (=  Vilm.  570  —  71). 
10  In  ernsten  dingen  sich  ernsthaftig  läzen  finden. 

Doch  schumpfelich  mede  zu  geziden  sin  mit  rede, 

Gütlichen  den  luten  erin  nucz  dicke  bedüten, 

Ouch  wilde  nicht  wesin,  di  büchir  dicke  obirlesin, 

Recht  schriben  und  zcol,  sin  guter  samwiczen  (?)  vol, 
15  Di  brife  smucken,  sich  huden  vor  bösen  tucken, 

Wol  kunne  gerechin,  vil  dicke  erfülle  die  gebrechin 

Mit  schriben  wo  her  kan,  vormanunge  tun  dem  amchtman, 

Zu  dem  sich  zihen,  bos  geselschaft  sere  flihen, 

Di  vbirmäze  an  cleidern  anslahin,  an  quäze 
20   Und  an  inbuice,  eme  selbir  nicht  getrüwe, 

Ab  wol  ein  ander  man  eme  gloubit  adir  gutes  gan. 

Werdit  ein  gedrenge,  dö  sal  her  sich  nicht  in  menge. 

Von   der   gemeine  formunden. 
In  allen  stunden  sullen  sin  der  gemeine  formunden 
Senftmüdig  fredesam  wizhaftig  dem  rate  nicht  gram 

B  von  den  scribere.  1  B  flissigk  .  vorstand  am  zal.  2  A  frutue.  B  schon. 
3  A  geschide.  B  fürsichtig.  4  hübsch.  5  B  handen.  A  geworben.  6  B  waz 
sal  man.  7  hehalde.  8  seinen.  A  die  da  mochten  brengen  daz  Schemen. 
9  geziten.  11  mete  .  gezvten.  12  iren  .  dich.  13  auch  .  wesen  .  vberlesen. 
14  schreiben.  15  brieffe.  16  können  gerechten  .  dick  er  fülle  (erfolle?)  17  er. 
thun  den.  18  dö.  19  vbcr  masse.  2  0  ym  selber  .  getrauwe.  21  ym  glaubt. 
22   wirt .  nit  yn.    23    sollen.    2  4  senfftmutigk  fridsam  wyshafftigk  .  rat. 


ÜBER  JOHANNES  EOTHE.  VII.  363 

25   Und  von  den  aldin,  so  werdit  di  eintracht  gehaldin. 
Sie  ensullen  nicht  alle  üz  eime  hantwerge  gefalle. 
Noch  sin  gemöge  adir  gut  nach  gewinnunge  woge, 
Noch  czornige  lüte  adir  di  nimant  künde  bedüte, 
Di  togin  nicht  hir  in,  di  de  drunken  tag  und  nacht  sin, 

30  Mutwillige  torin  und  di  di  er  lantrecht  hän  vorlorin 
Adir  lichte  di  ere,  lutter,  riffian  adir  logenere, 
Ouch  uneliche  kint  adir  di  vorsüchit  der  werg  sint, 
Wan  man  di  dicke  muz  mit  in  (?)  brife  schicke. 

Nicht  vel  gefräge  noch  vor  dem  rotismeistere  sage  (=  Vilm.  568). 

35  Hinderwert  nicht  rede,  ez  entrage  sich  danne  zefrede  (=  Vilni.  582 — 83). 
Soldin  ouch  di  seibin  man  noch  vel  sunderliches  zu  sprechen  han, 
Dunkit  si  icht  imglich,  daz  sidlen  si  furbrenge  gütlich 
Dem  rät  alleine  und  vorneme  ici  man  daz  meine, 
Üf  daz  daz  icht  czweitracht  üf  argin  wän  werde  gemacht. 

40    Wer  ez  dan  nicht  ivol  getan,  so  sullin  si  bitten  den  amchtman, 
Daz  her  daz  abe  tu  und  kere  daz  beste  dar  zu. 
Di  seibin  formundin  sint  allirmeist  darumme  fundin, 
Dazicht  ein  czxveitracht  in  den  steten  werde  gemacht. 
Des  sin  si  mittelere  der  lüte,  des  folkis  sünere. 

Von   den   borgern   in   den  steten. 
45    Von  borgen  komen  di  borger,  hän  ich  vornomen. 

Was  müren  umme  sich  hat,  daz  heizt  ein  borg  adir  ein  stat. 

Wer  vater  brüder  vorsiezet (=  Vilm.  329). 

Wer  geistlich  lebin  wedir  ere  hat  üf  gegebin  (=  Vilm.  334 — 35). 
Die  in  B  hierauf  folgenden  Verse  sind  ans  dem  bei  A  von  598 
bis  653  reichenden  Stück  entnommen.  Ihre  Reihenfolge  mit  den  Va- 
rianten ist  die :  598 ,  599  B  wer  hern  wer  steten  wer  landen  czu  fuge 
schänden.  600,  601  vorladen.  608,  609  gebot.  612,  613  des  .  sein,  614,  615 
w.  g.  adir  ere.  622,  623  heymlich  rede  nicht  swiget.  624,  625  die  lande 
ader  lute.  626,  627  der  offenbare  .  rat  spricht.  630,  631  ofenbar  siez. 
632,  633  genomen .  sie.  638,  639  wer  ivirt  g.  ader  ist  vn  erlichen.  640,. 
641  Zu  fehle  zu  gehet  ader  zuget  \  und  schentlichen  vor  fremden  flüget. 
652,  653  Diß  und  ir  glichen  \  So  uz  dem  rat  wychen.   An  diese  Zeilen 

25  wirt  die.      26    Sin  si  sollen,  hantwergk  gefallen.     27   wagen.     28   ader 
die   die.konde.       2  9     die  da.       30    mutwilige  thoren.        die    die    ire  .   furloren 

31  ader  .  die  .  lugenere.  3  2  versuchet  .  wereke.  33  briff.  3  4  gefragen  .  rotes 
meinstern  .  sagen.  35  reden  .  friden.  3  7  sollen  .  furbringen.  4  0  sollen  sie 
amptman.  4  2  dar  umb.  44  sie  .  falcks.  Überschrift:  von  burgern  i.  d.  st 
45    von  burgern . burger.      46   umb.burgk.     47    wes.  B  besiezet.     48   AB  wider. 


364  FEDOB  BECH 

reiht  sich  zum  Schlüsse  ein  Stück,  das  zum  Theil  wieder  in  dem  Ab- 
druck bei  Vilmar  V.  338  bis  352  sich  findet: 
1   Und  siezen  mit  nichte  an  den  rät  noch  an  daz  gerichte  (=  Vilm.  338—39). 

Von   dem   rate   zu   bliben. 
Rat  blibet  in  frede,  hat  her  gesunde  gelede  (=  Vilm.  342). 
Rät  blibit  in  frede,  ican  wisheit  folget  dar  mede, 
Rät  blibet  in  frede,  so  züchte  walden  der  rede  (=  Vilm.  342 — 43). 

Von  gehorsam  in  dem  rät. 
5  Rät  blibit  in  Salden,  so  gehorsam  werdit  gehalden  (=  Vilm.  346 — 47 i. 
Rät  blibit  in  Salden,  wan  heruz  get  von  den  alden  (=  Vilm.  348 — 49). 
Rät  blibit  in  salden,  so  geschiente  werden  gehalden  =  Vilm.  350 — 51). 
Rät  blibit  in  erin,  wanne  er  nicht  meider  beswerin  (=  Vilm.  352  —  53). 
Di  ere  dl  salde  muz  got  den  fromen  behalde. 
Amen. 

1  B  noch  körnen  mit  nichte.  A  ime  r.  noch  an  gerichte.  2  B  blibet 
und  so  immer.  A  B  fride  und  so  immer.  B  gelide.  3  B  damit.  4  B  züchten  wolde. 
5  A  seiden  und  so  im  Folgenden.  B  wirt.  6  get]  B  er  komet.  8  B  wan  in  . 
melde  der.      9   B  die  .  behalden. 

ANMERKUNGEN. 

28  2  in  möge  in  macht]  oder  in  m.  und  machll  Über  möge  =  mhd.  muge  sieh 
mhd.  WB.  2,  10";  Martina  116,  6  in  so  menger  miige  (lüge) ;  Walther  von  Rheinau 
6,  2  3  mit  allem  filze  und  muge  (:zuge);  28,  4  7  de?-  die  na  Iure  und  der  geist  geben 
m.  und  volleist.  Leben  d.  h.  Ludwig  6  8,  20  des  bin  ich  bereit  nach  aller  miner  möge. 
Förstern.  A.  Ges.  v.  Nordh.  S.  175  noch  siner  macht  und  möge.  u.  187  si  gäben 
den  reihen  ganeze  möge  und  macht;   Limburger  Chron.  ed.  Rössel.   S.  60  u.  72  u.  98. 

300  nicht  sin  eine]  über  sin  =  mhd.  sint,  vgl.  Ritt.  Sp.  4105  sin  :  hirin; 
Ortloff  2,   S.  144   sin:  pin. 

310  der  wisir  man~\.  Über  die  von  Rothe  gepflegte  Eigenheit  des  Dialectes, 
nach  dem  bestimmten  Artikel  die  starke  Flexion  des  Adjectivs  eintreten  zu  lassen, 
sieh  diese  Zeitschr.  5,   2  2  9. 

315  daz  herze  der  stete  u.  s.  w.]  vgl.  Das  Rechtsb.  Purgoldts  9,  114  wander 
stat  herze  ist  der  rät,  und  ez  zemet  nicht  anders,  do  muz  gancz  gloube  trawe  und  warheit 
der  stat  inne  seyn.  Ditz  spricht  Aristotües. 

3  23  zweischellig]  =  „dissonans  discrepans,"  sieh  v.  Liliencron  Gloss.  zu 
Rothe's  Chron.  7  34   und  Haltaus  lex.   2187,    1610,    1611. 

33  7 — 339    der  dreifache  Reim,   schon  von  altern  Dichtern  hin  und  wieder 
am  Ende  längerer  oder  kürzerer  Abschnitte  gebraucht,  lässt  vermuthen,  daß  in  diesen 
von  B  allein  bewahrten  Zeilen  der  echte  Schluß  dieses  Abschnittes  überliefert  ist. 
Zu   dem   Abschnitte    Von   dem   rate: 

5  ere  habe  vor  gote  wer  etc.]  Über  die  Bevorzugung  des  Ältesten  im  Rathe 
vgl.  Purgoldt  10,    21. 

8   besorgin:  beide  abunt  und  morgin]   ebenso  im  Ritt.  Sp.  387  6. 


ÜBER  JOHANNES  ROTHE.  VII.  365 

9  in  diner  gewalte  etc.]  Dasselbe  sagt  mit  etwas  andern  Worten  Purgoldt  9,5  3 
nach  mittage  sal  man  keynen  rät  halden  etc.  Vgl.  die  gleiche  Vorschrift  für  Richter 
und  Schepfen   im  Sachsensp.   8,    69,    2   und  Schwabensp.  ed.  Wackern.   S.  121. 

2  1  gestaut  deine  rechten].  Unter  den  3  6  Stücken,  welche  bei  Purgoldt  9,  24 
zu  einer  lare  dtn  rätismannen  aufgestellt  werden,  lautet  das  fünfte:  gestand  deine 
gerechten  menschen. 

3  1  süze  schempfe  gerne  etc.]  Die  1  1 .  Lehre  für  Rathsmänner  bei  Purgoldt  9,  24 
heißt :  schympfe  gerne,  wohe  deyn  schympf  gene/ne  ist,  und  schympfe  auch  nymandt  an 
dy  ere  und  das  im  schedelich  sey;   ebenso   9,    3  8   daselbst. 

3  3 — 3  5   nicht  auch  gebrüche  der  hosen  etc.]   Zur  sachlichen  Erläuterung  der 

Stelle   führe  ich   an   Purgoldt   9,    40:   einem  radtsmanne  geboreth  auch  icol 

das  er  sich  auch  mit  seynen  cleydern  der  Stadt  und  deme  rathe  czu  eren  erbarlichen 
holde  und  czyhe.  Des  haben  etzliche  stete  ir  gebolh  darüber  gethan,  das  keyn  radts- 
man  zeuryssene  oder  gelappte  cleyder  a>i  tragen  sol  oder  thorenfedern  uf  dy  hülhe 
stecken  nach  seyner  fraiven  cleyder  pelcze  mentel  oder  korsen  uff  der  Strasse  tragen 
oder  in  leynen  hosen  oder  barschenkel  gehen  etc.,  und  ebendas.  9,  41:  in  den  heusern 
fif  den  gössen  oder  uf  dem  velde  sal  sich  auch  ein  iglicher  ratsman  bewaren  vor 
unezemelicher  erbeyt  vor  den  lewthen  zu  tlain ,  an  kleyben  ,  kleyptreten ,  steyne  oder 
dreck  tragen  oder  den  mist  außfegen,  keren  und  tragen  und  alle  erbeyt  dy  den 
tveyben  geboret  zeu  üben  etc. 

5  7  nach  gemeinem  nuez]  cfr.  Ritt.  Sp.  3009  u.  3354,  Elisabeth  157  (8  9b) 
si  begonde  edles   dar  nach  zu  ringen. 

6  8  Sal  man  dir  schriben  ersanij  d.i.  soll  man  dir  den  Titel  irsam  geben; 
so  Ritt.  Sp.  7  05  den  riltern  unde  knechtin  schrlbet  man  den  gestrengin,  vgl.  7  03; 
Ortloff  2,   S,    215    (30)   einem  trowlös   und  rechtlös  schriben. 

7  0  dese  sullin  edle  an  dich  komej  de.se  =  diese  Eigenschaften;  ebenso 
sagte   Rothe   im   Ritt.   Sp.    20  3  6    dese  gehorin  alle  dem   libe  zu, 

Von   dem   schribere: 

1  gar  fltzig  vorsten  di  anzalj.  Über  Bedeutung  und  Gebrauch  von  anzal 
bei   Rothe   sieh   in   dieser   Zeitschr.    6,    5  9. 

2.  frome  gelobet  :  begäbet].  Derselbe  Reim  in  der  Elisab.  179  (l00b)  her 
worde  sunderlich  begäbet  :  di  ritterschaft  wart  sere  gelobet,  und  191  (10611)  got  si 
des  gelobet,   der  uns   richlich   hat   begäbet. 

4  hobisch  und  gedigen\  vgl.  Vilm.  108  wärhaftig  gclrüwc  und  versteigen  \  an 
schalkheid  und  wol  gedigen;  Ortloff  2,  S.  174  wo  der  rät  ist  unvorswigen  |  und  di 
amptldt  ungedigen;  Windberger  Interlin.  der  Psalm.  S.  143  (3  2)  in  Hute  gedignem 
(„gravi")  lobe  ich  dich;  Zeitbuch  des  Eike  von  Repkow  119  Galba,  en  gedegen 
man,  rvart  de  sestc  keiser  =  „Galba,  prudens  homo,  sextus  factus  est  imperator"  ; 
mhd.    Wb.    1,    3  3  0\ 

13  auch  wilde  nicht  teesen]    vgl.  Elisab.  144  (8  3")  des  himelslouft  ivas  cm  wilde. 

14  samwiezere]  samwieze  st.  f.  =  conscientia,  vgl.  Leyser  Predd.  15  7  und 
somwizzekeid  bei  Rotbe   in   dieser   Zeitschr,    6,    6  0. 

16  icol  kunne  gerechen]  vgl.  Ritt.  Sp.  2655  di  kvnst  fromil  ouch  vele,  daz 
man  wol  katm  gerechen. 

19  quazc\.  Dasselbe  Wort  im  Ritt.  Sp.  3319.  3439,  Elisab.  2060  A; 
quäzer  st.  m.  bei  Ortloff  2,  S.  265;  vgl.  Rückert  /.  Leben  d.  h.  Ludw.  80,  22; 
Renner   5  4  20   quäzen  :  slräzen, 


366  FEDOR  BECIT 

2  7  gemoge]  ge?näc,  plur.  gemäge,  adj.  und  subst.  =  verwandt,  der  Ver- 
wandte, gesippe,  vgl.  mhd.  WB.  2,  128(?);  Ortloff  2,  S.  45  (86)  daz  si  gemäge 
adir  gej "altern  gewest  weren ;  Renner  7  504  wan  manige  verrer  sint  gemäge  denn 
Sträzburc  Ackers  unde  Präge;  j.  Tit.  255  0  dem  kunic  Isenharte  toas  Rassalic 
gemäge ;  5  4  2  2  er  was  mir  iool  gemäge ;  4080  die  ungemägen  die  gesippen  under- 
dringen ;  gemägen  sw.  v.  319  7:  gefriunt  und  ouch  gemäget  (  :  gefräget)  wart  ich 
nie  so  gerne.  Das  im  mhd.  WB.  I.  1.  aus  Ziemann  ohne  Beleg  aufgenommene 
mägelich  adj.  =  verwandtschaftlich  findet  sich  in  einer  Düringer  Urkunde  von 
1395  in  der  Zeitschr.  „des  Vereins  für  thüring.  Gesch.  und  Altertb."  4,  S.  316: 
erberlich  gehalden  mit  rechter  mogentlicher  pflege. 

28  di  nimant  künde  bedüte]  wie  hier  bedüten  =  zur  Besinnung  oder  Ver- 
nunft bringen,  beruhigen,  besänftigen,  so  im  Ritt.  Sp.  3  580  daz  si  stehin  iool 
zu  bedütin. 

29  hir  in  :  sin].  Derselbe  Reim  im  Ritt.  Sp.  4105 — 4107.  In  Betreff  der 
Form   togin   vgl.   Ritt.   Sp.    3  47  2   si  login  nicht  an  di  spitzin   und   Purgoldt    10,    7. 


Nachträglich  will  ich  noch  in  Betreff  der  deutschen  Hexameter 
bemerken ,  daß  Rothe  zu  seiner  Zeit  nicht  der  einzige  war ,  der  sich 
dieser  Versart  bediente.  In  dem  vor  Kurzem  von  F.  X.  Wöber  heraus- 
gegebenen Gedicht  von  der  Minne  Regel,  dessen  Abfassung  in  die  Zeit 
Rothe's  fällt ,  finden  sich  ähnlich  gebaute  Verse ,  ja  so  ähnlich  in  Stil 
und  Ton,  daß  man  sie  für  eine  Nachahmung  Rothe's  halten  könnte. 
So  2853  ff.: 

Nicht  girich,  logencr,  kein  flüchir,  kein  offenbarer. 

Lieb  andrer  lüte  wyd  wischaft  nicht  abetrüte. 

Ouch  ives  bereite  zu  allen  frouwen  gebeite. 

Nach  hobischen  dingen  mit  seten  saltü,  geringen- 

Übe  nicht  der  minne  spil  vordir  dan  liebichin  wil. 
und  2047—48: 

Bistu  eilende,  vurarmet,  ich  abewende 

Mich  von  dir  snelle,  sus  hastü  gröz  ungcvelle. 
und  4811: 

Wolt  ir  in  vinden,  gezeuwet  uch  balde  zu  Minden. 
Schließlich  benutze  ich  noch  die  Gelegenheit,  die  Aufmerksamkeit 
der  Leser  auf  ein  bisher  noch  wenig  gekanntes  größeres  Werk  Rothe's 
hinzulenken.  In  Adelungs  Magazin  nämlich  B.  II,  St.  4,  S.  108  ff. 
hat  Kinderling  Mittheilung  gemacht  über  ein  didaktisches  Gedicht 
„Von  der  Keuschheit".  Die  Handschrift,  welche  dasselbe  enthält,  befand 
sich  damals  im  Besitze  des  Prof.  Gebhardi  in  Lüneburg  und  war  durch 
Vcrmittelung  des  Prof.  Conr.  Arnold  Schmidt  in  Braunschweig  an 
Kinderling  auf  kurze  Zeit  überlassen  worden.  Am  Schlüsse  sagt  der 
Schreiber  derselben,  Johannes  Rutink  van  Segen: 


ÜBER  JOHANNES  ROTIIE.  VII.  367 

Ydoch  sol  man  danchen  nicht 

das  ich  es  selber  habe  gedieht 

und  mir  die  ere  zu  sagen 

sunder  ein  prister,  der  by  sinen  äagen 

grosse  bucher  had  gemacht 

uss  dem  latin  in  dutscli  ertracht, 

derglichen  ich  nach  ny  gesach, 

und  had  gewönnet  zu    Ysennach. 

sin  name  toas  herre  Johannes  Mode, 

sine  seh  bevele  ich  gode. 
Diese  Schrift  ist  nach  den  dort  gegebenen  Auszügen  zu  schließen 
durch  ihre  mehrfachen  Anspielungen  und  durch  ihre  lebensvollen  Schil- 
derungen schon  in  kultur-historischer  Hinsicht  von  nicht  geringer 
Bedeutung.  Doch  —  wo  ist  die  Handschrift  verblieben  ?  Wer  kann 
darüber  Auskunft  geben? 
ZEITZ,  im  August  1862. 


LITTEBATUR. 


Systematische  und  geschichtliche  Darstellung  der  deutschen  Verskunst 
von  ihrem  Ursprung  an  bis  auf  die  neuere  Zeit.  Eine  gekrönte  Preis- 
schrift in  erweiterter  Gestalt.  Von  Dr.  Job.  Imm.  Schneider,  Professor 
am  offen tl.  evang.  Gymnasium  zu  Bistritz  in  Siebenbürgen.  Tübingen, 
J.  J.  Heckenhauer.    1861.   8.  XVI,    3  20   Seiten. 

Das  Bedürfniss  einer  zusammenhängenden  Darstellung  der  älteren  deutschen 
Metrik  werden  alle,  die  sich  mit  deutscher  Philologie  beschäftigen,  längst  em- 
pfunden haben.  Zwar  sind  in  neuerer  Zeit  mehrfache  Übersichten  der  mhd.  Me- 
trik gegeben  worden ,  aber  keine  Geschichte.  Daher  ist  ein  wenn  auch  unvoll- 
kommener Versuch,  diesen  Gegenstand  selbständig  zu  behandeln,  als  dankens- 
werth  zu  bezeichnen.  Das  vorliegende  Buch  ist  aus  einer  Preisfrage  hervor- 
gegangen, welche  die  philosophische  Facultät  der  Universität  Tübingen  im  Jahre 
1852  stellte  und  die  ursprünglich  nur  bis  zur  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  sich 
erstreckte.  Der  Verfasser ,  dessen  Arbeit  für  preiswürdig  erkannt  wurde ,  hat 
seitdem  sich  mit  dem  Gegenstande  noch  eingehender  beschäftigt  und  seine  Gren- 
zen erweitert,  so  daß  in  gegenwärtiger  Gestalt  das  Buch  die  Gescbichte  deutscher 
Verskunst  bis  auf  Opitz  führt,  mit  dem  in  der  Tbat  die  neuere  Zeit  der  deut- 
schen Metrik  durch  die  plötzlich  veränderten  Principien  beginnt.  Die  Mängel, 
an  denen  das  Buch  leidet,  sind  dem  Verfasser  selbst  nicht  entgangen;  nament- 
lich wird  der  Kenner  die  selbständige  Forschung  vermissen,  die  noch  viele  Lü- 
cken auszufüllen  haben  wird,  ehe  ein  einigermaßen  vollständiges  Gesammtbild 
entsteht.  Der  Verf.  hat  sich  im  Wesentlichen  darauf  beschränkt,  das  in  vielen 
Büchern    zerstreute  Material,  das  seine  Vorgänger  gesammelt  haben,  übersichtlich 


368 


LITTERATUR. 


zu  ordnen ,  wobei  die  Selbständigkeit  seiner  eigenen  Ansichten  jedoch  anzu- 
erkennen ist.  Je  nachdem  also  seine  Vorarbeiten  mehr  oder  weniger  vollstän- 
diges Material  darboten,  ist  auch  seine  Arbeit  bald  mehr  bald  weniger  erschö- 
pfend und  befriedigend.  Doch  wir  wollen  darüber  nicht  rechten  ;  ein  erster  Ver- 
such dieser  Art  kann  nicht  auf  einmal  leisten  ,  was  erst  durch  eine  gewaltige 
Menge  von  Einzeluntersuchungen  erreicht  werden  kann.  Mehr  Tadel  verdient  es, 
daß  nicht  einmal  überall  das  vorhandene  Material  benützt  und  verarbeitet  worden 
ist,   wie   wir   das   bei   einzelnen   Gelegenheiten   zeigen   werden. 

Der  erste  allgemeine  Theil  (S.  1  —  3  7)  behandelt  die  Grundbegriffe  und 
Grundsätze  der  germanischen  Metrik .  Hier  kommt  natürlich  zuerst  das  Ver- 
hältniss  und  die  Verschiedenheit  der  antiken  und  deutschen  Metrik  zur  Sprache, 
welche  von  den  bisherigen  wohl  Rieger  am  besten  und  treffendsten  charakteri- 
siert hat.  Die  Anwendung  des  Quantitätsgesetzes  glaubt  der  Verf.  auch  für  die 
ältesten  Zeiten  germanischer  Poesie  dem  Accente  unterordnen  zu  müssen,  indem 
wohl  niemals  die  Quantität,  wenn  auch  keineswegs  ohne  Einfluß  auf  die  deutsche 
Metrik,  die  Bedeutung  in  ihr  gehabt  habe  wie  bei  den  Griechen  und  in  der 
Kunstpoesie  der  Römer,  denn  die  römische  Volkspoesie  war  nach  allem,  was  wir 
von  ihr  wissen,  in  erster  Reihe  auch  vom  Accent  beherrscht.  Dieser  Auffassung 
des  Verhältnisses  zwischen  Quantität  und  Wortbetonung  müssen  wir  uns  voll- 
kommen anschließen.  —  Es  wird  sodann  das  Verhältniss  von  Hebungen  und 
Senkungen  erörtert;  hier  ist  es  eine  Unrichtigkeit,  wenn  der  Verf.  S.  17  (vgl. 
S.  5  5)  unter  Malfüllung,  wie  er  nach  dem  nordischen  mälfylling  schreibt,  die 
Umkleidung  der  Hebungen  mit  schwachen  oder  unbetonten  Silben  (Senkungen)' 
versteht,  da  nach  nordischer  Terminologie  darunter  vielmehr  die  dem  alliterie- 
renden Worte,  namentlich  dem  Hauptstabe  vorausgehenden  unbedeutenden  Silben 
begriffen  werden.  In  Bezug  auf  die  Bedeutung  des  Wortes  rim  (ahd.  hrim)  ver- 
wirft der  Verf.  den  Zusammenhang  mit  rhythmus  gänzlich  (S.  21),  ohne  jedoch 
eine  andere  Ableitung  oder  Erklärung  vorzuschlagen.  Mit  Recht  stimmt  er  denen 
bei,  die  den  Reim  nicht  als  etwas  von  außenher  in  die  deutsche  oder  romanische 
Poesie  eingeführtes  (etwa  von  den  Arabern) ,  sondern  als  ein  jeder  Poesie  ur- 
sprünglich innewohnendes  Element  betrachten,  das  in  der  volksthümlichen  Dich- 
tung jedes  Volkes  zu  Tage  tritt.  —  Der  zweite  besondere  Theil  betrachtet 
zunächst  'die  Alliterationsperiode'  (S.  38 — 60).  Was  den  metrischen  Bau  der 
alliterierenden  Verse  betrifft ,  so  theilt  der  Verf.  Lachmanns  Ansicht ,  daß  die 
epische  alliterierende  Langzeile  aus  acht  Hebungen,  aus  zwei  Halbzeilen  von  je 
vier  Hebungen  bestanden  habe  (S.  4  6),  eine  Ansicht,  die  bekanntlich  unter  an- 
dern an  Wackernagel  einen  Gegner  gefunden  hat.  Wir  haben  bei  Gelegenheit 
einer  andern  Schrift  über  diesen  Gegenstand  gesprochen.  Auch  scheint  er  sich 
zu  der  Annahme  von  Strophen  (S.  48)  hinzuneigen,  die  namentlich  W.  Müller 
für  die  ahd.  Alliterationspoesie  nachzuweisen  versuchte.  Aber  ein  auffallender 
Mißgriff  ist  es ,  wenn ,  um  die  überschlagende  Alliteration  zu  erläutern ,  S.  5 1 
folgender   Vers   aus   dem   Heliand   angeführt   wird : 

jac  so  hardo  farholen  himilrikies  fader, 

wo  also  hardo-himilrikies ,  und  anderseits  furholcn-fader  alliterieren  soll!  —  Den 
Grundsatz  der  Einsilbigkeit  der  Senkungen  in  der  hochdeutschen  Poesie  hält  der 
Verf.  S.  5  7  ff.  mit  Recht  fest.  Am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  sucht  er  zu  zeigen, 
daß  auch  im  Heliand  viele  nach  ahd.  Regel  richtig  gebaute  Verse  sich  finden,  die 
allerdings  bedeutend   in   der  Minderzahl    seien;     aber  die  Beiego    sind    zum  Thtil 


LITTERATUE.  369 

unglücklich  gewählt,  denn  ich  wüsste  nicht,  wie  man  die  Verse  helaga  gtst,  adal 
ordfriano,  alomahtig,  endi  seggian  ford  ohne  Zwang  mit  vier  Hebungen  lesen  wollte; 
der  letztgenannte  ist  allerdings  metrisch  gerade  so  gebaut  wie  Heribräntes  siinu  im 
Hiltebrantsliede,  welchem  Verse  auch  Lachmann  vier  Hebungen  zuerkennt.  —  Im 
folgenden  Capitel  wird  die  althochdeutsche  Periode  des  Endreims'  (S.  61  — 106) 
behandelt.  Hier  ruht  die  Darstellung  im  Wesentlichen  auf  Lachmanns  Abhandlung 
über  althochdeutsche  Betonung  und  Verskunst.'  Außerdem  wird  darin  das  Fort- 
leben der  Alliteration  in  der  spätem  Dichtung  und  im  Sprichwort  durch  einige 
Beispiele  erläutert,  wobei  auch  Belege  aus  der  griechischen  und  römischen  Poesie 
nicht  fehlen ;  ferner  das  Wesen  der  Sequenzen ,  die  Entstehung  der  Leiche ,  die 
lateinische  Hofdichtung  unter  denOttonen  nach  ihrer  formellen,  der  deutschen  Poesie 
entlehnten  Seite  (nach  J.  Grimms  Bemerkungen  in  den  lat.  Gedichten  des  XI.  Jahr- 
hunderts) und  endlich  die  Reimprosa  besprochen.  Als  ältestes  Denkmal  derselben 
nennt  der  Verf.  die  Beschreibung  des  Himmels  und  der  Hölle  (Haupts  Zeit- 
schrift 3,  44  3  ff.),  die  aber  der  Reime  mit  wenigen  Ausnahmen  ganz  entbehrt 
und  vielmehr,  wie  Haupt  dargethan ,  eine  in  regelrechten  otfridischen  Versen 
gebaute  reimlose  Dichtung  ist;  von  diesem  Herstellungsversuche  scheint  der  Ver- 
fasser nicht  gewusst  zu  haben.  Den  größten  Raum  nimmt  naturgemäß  die  Dar- 
stellung der  mittelhochdeutschen  Zeit'  (S.  107  —  214)  in  Anspruch.  Das  vor- 
handene Material  war  hier  reichhaltig  genug,  namentlich  in  den  Anmerkungen 
zum  Iwein ,  so  wie  in  den  Übersichten  von  Rieger  und  Zarncke  lag  es  zur  Be- 
nützung bereit.  Wir  können  hier  auf  das  Einzelne  der  Materien  nicht  eingehen, 
sondern  müssen  uns  beschränken,  einige  Unrichtigkeiten  und  Mängel  anzudeuten. 
Wenn  z.  B.  von  der  Betonung  kretischer  Wörter  (-o-)  die  Rede  ist  (S.  13  2) 
und  als  Belege  dafür  jüngelmc,  sübertn,  rceseleht  angeführt  werden,  so  ist  das 
richtig;  nicht  aber  darf  diese  Betonung  für  die  ganze  mhd.  Zeit  als  richtig 
gelten  bei  Wörtern  wie  handelten ,  entwäfende ,  pflngesten ,  vielmehr  ist  hier  die 
ursprüngliche  Betonung  pfingesten  u.  s.  w.  in  der  Epik  eben  sowohl  richtig  und  an- 
wendbar, oder  es  herrscht  eine  schwebende  Betonung,  was  bei  jungelvnc  u.  s.  w. 
nicht  mehr  denkbar  ist.  —  Als  ein  Unterschied  zwischen  der  epischen  und  lyri- 
schen Dichtung  wird  S.  133  angegeben,  daß  in  letzterer  zweisilbige  Senkungen 
erlaubt  gewesen  seien ,  und  als  Beleg  die  daetylischen  und  anapästischen  Verse 
angeführt.  Hier  waltet  aber  nicht  das  Gesetz  von  Hebungen  und  Senkungen, 
sondern  das  der  Silbenzählung;  mithin  dürfen  die  mhd.  Dactylen  der  Lyriker 
nicht  als  Beweis  erlaubter  zweisilbiger  Senkungen  gelten.  Von  anapästischen 
Versen  kann  gar  nicht  die  Rede  sein ;  was  man  etwa  dafür  halten  mag ,  ist 
daetylisch  aufzufassen.  Unglücklich  gewählt  ist  das  Beispiel  Heinrichs  vom  Veldeken: 

die  bluomen  entspring  ent  an  der  heide, 

die  vögele  singent  in  dem  wähle ; 
denn  einmal  sind  diese  beiden  Verse  die  einzigen  des  betreffenden  Liedes,  die 
daetylisch  scheinen  könnten  ,  das  übrige  durchaus  in  gewöhnlichem  Versbau ; 
sodaun  aber  ist  der  zweite  Vers  gar  nicht  (denn  vögele  ist  zweisilbig),  der  erste 
nur  durch  die  fehlerhafte  Lesart  ehtspringent  für  springent  an  einer  Stelle  dae- 
tylisch. Wenn  endlich  von  den  daetylischen  Verseu  nichts  weiter  gesagt  wird, 
als  daß  sie  seit  Heinrich  vom  Veldeken  und  Heinrich  von  Morungen  immer  häu- 
figer werden ,  so  ist  dies  entschieden  unrichtig ,  denn  bereits  im  Anfange  des 
13.  Jahrhunderts  sind  die  Dactylen  (abgesehen  von  den  ganz  verschiedenen  spä- 
tem leoniuiseheu  Hexametern)  selten  und  begegnen  nur  vereinzelt  bei  Dichtern 
GERMANIA  vir.  24 


370  LITTERATUR. 

wie  Ulrich  v.  Liechtenstein  ;  der  eigentliche  Zeitpunkt  ist  die  2.  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts  (etwa  1175 — 1200).  —  Bei  der  Behandlung  der  Nibelungen- 
strophe (S.  158  — 163)  ist  dem  Verfasser  Simrocks  Schriftchen  über  diesen 
Gegenstand  entgangen.  Er  würde  darin  eine  von  kräftigern  Gründen  unterstützte 
Beweisführung  für  die  Annahme,  daß  die  erste  Hälfte  des  Nibelungenverses  vier, 
nicht  bloß  drei  Hebungen  hat,  gefunden  haben.  Wenn  man  aber  wie  der  Verf. 
diese  Ansicht  theilt,  so  muß  man  auch  der  Gudrunstrophe,  die  aus  der  Nibelungen- 
strophe hervorgegangen,  in  der  ersten  Hälfte  ihres  Verses  vier,  nicht  drei  Hebungen 
zuerkennen,  und  demnach  der  letzten  Strophenzeile  neun,  nicht  acht  Hebungen 
geben  (S.  16  4),  nämlich  der  ersten  vier,  der  zweiten  fünf,  denn  die  klingenden 
Endreime,  die  ganz  verschieden  von  den  scheinbar  klingenden  der  Nibelungen 
sind ,  gelten  nach  dem  Vorgange  der  Lyrik  allerdings  nur  für  eine  Hebung, 
nicht  aber  die  weiblichen  Cäsuren.  Der  Zusammenhang  der  Gudrun-  und  Titurel- 
strophe  hätte  S.  165  hervorgehoben  werden  müssen.  S.  177  wird  eine  Strophe 
von  Heinrich  von  Morungen  als  Beleg  für  Verse  von  sechs  Hebungen  angeführt ; 
es  sind  aber  vierfüßige  Dactylen : 

Leitliche   blicke  und  grözliche  riuive 

liänt  mir  daz  herze  und  den  lip  nach  verlorn. 
In  der  Strophe  Hadloubs   S.  188   sind  die  Inreime  nicht  erkannt,   wie  überhaupt 
von  Inreimen  gar  nicht  gehandelt  wird;   es   ist  zu  schreiben: 

Herbst  wil  aber  sin   lob  niuwen, 

er  wil  brinwen  manig&n  rat] 

wan  daz  stät  den  sinen  iren  ivol] 
und  eben  so  natürlich  der  Schluß  des  Abgesanges.  —  Die  Betrachtung  der 
mhd.  Leiche  (S.  204 — 214)  ist  durchaus  ungenügend  und  gewährt  einen  klaren 
Einblick  weder  in  das  Wesen  dieser  Dichtungsart,  noch  in  die  Veränderungen, 
die  sie  im  Laufe  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  erfahren.  Wenn  bei  dieser 
Gelegenheit  die  Reigen  und  Tänze  (S.  212)  besprochen  werden,  so  muß  bemerkt 
werden,  daß,  so  weit  es  Tanzleiche  sind,  sie  sich  in  der  Form  von  den  übrigen 
Leichen  wenig  oder  gar  nicht  unterscheiden;  tragen  sie  aber  Liedform,  wie  die 
Lieder  Neidharts,  so  mussten  sie  an  anderer  Stelle  besprochen  und  Liliencrons  Ab- 
handlung (Haupts  Zeitschr.  Bd.  6)  zu  Grunde  gelegt  werden,  die  wir  nirgend 
erwähnt  finden.  Eine  Sonderung  der  Dichtungsgattungen,  eine  Darstellung  ihrer 
formellen  Verschiedenheiten  sucht  man  überhaupt  vergeblich.  Zwar  werden  die 
Tagelieder  S.  116  erwähnt,  aber  nicht  genügend  erörtert;  die  zahlreichen  Gat- 
tungsnamen, die  uns  eine  unter  Reinmars  des  Fiedlers  Namen  überlieferte  Strophe 
aufzählt,  werden  nicht  einmal  genannt.  Verhältnissmäßig  das  meiste  Eigene  hat 
der  Verf.  zu  dem  dritten  Abschnitt  gethan ,  der  die  Übergangszeit  aus  dem 
Mhd.  ins  Nhd.'  (S.  214 — 3  2  0)  behandelt.  In  der  That  ist  dieser  Abschnitt 
grammatisch  wie  metrisch  ein  noch  wenig  angebautes  Gebiet;  noch  fehlt  es  fast 
ganz  an  Einzeluntersuchungen  wie  die  trefflichen  Kobersteins  über  P.  Suchen- 
wirt. S.  226  spricht  der  Verf.  von  der  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts 
mehr  und  mehr  verbreiteten  Silbenzählung;  unter  den  Belegen  werden  aber  die 
beiden  wichtigsten  Zeugnisse,  von  H.  Hesler  und  Nicolaus  von  Jeroschin  ,  beide 
aus  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts,  vermisst.  —  Die  Untersuchungen  über  die 
Einführung  antiker  Versmaße  sind  über  Wackernagels  Geschichte  des  deutschen 
Hexameters  (l  8  3 1)  nicht  hinausgegangen,  wiewohl  seitdem  viel  schätzbares  und 
zum  Theil   älteres  Material  aufgefunden  worden.      Ich    erinnere    an  den  ältesten 


LITTERATUE.  371 

deutschen  Hexameter,  der  sich  im  Rudlieb  findet;  ferner  an  die  dem  11./12. 
Jahrhunderte  angehörigen  Langverse  des  Gedichtes  über  das  Himmelreich  (Zeit- 
schrift 8,  145),  welches  S.  194  in  anderer  Beziehung  erwähnt  wird.  Wenn  der 
Verf.  mit  Wackernagel  einen  für  einen  Hexameter  erklärten  Vers  aus  Wolframs 
Titurel  mit  Recht  gegen  solche  Erklärung  vcrtheidigt  (S.  2  3  2),  so  mußte  er 
ihn  auch  richtig   accentuieren : 

hat  dich  min  muemel  hetwiingen  owol  dich  der  lieplichen  melde. 

Die  Betonung  der  spondaisch  gebildeten  Wörter,  die  sonst  am  Schlüsse  des 
Verses  zwei  Hebungen  ausmachten,  auf  der  vorletzten  Silbe  allein,  ihre  Ver- 
wendung zum  klingenden  Reime,  die  S.  247  erwähnt  wird  ,  findet  sich  nicht 
erst  im  16.  Jahrhundert,  sondern  schon  im  13.,  z.  B.  bei  Konrad  von  Würz- 
burg und  seinen  Zeitgenossen.  Die  für  ungenau  gehaltenen  und  als  solche  an- 
geführten Reime  auf  S.  249  sind  zum  Theil  nur  durch  falsche  Schreibung  un- 
genau, wie:  troni  :  hän  (1.  hoii),  fürsten  :  teursten  (1.  türsten),  gut  :  muot  (1.  guot  : 
muot),  besunder  :  ivonder  (1.  minder)  u.  s.  w.;  denn  wenn  man  auf  die  Schreibung 
achten  will,  so  könnte  man  auch  in  der  besten  mhd.  Zeit  viele  Ungenauigkeiten 
herausbringen.  —  S.  27  6  werden  die  aus  der  alten  epischen  Strophe  hervor- 
gegangenen Modifikationen  späterer  Zeit  erwähnt:  aber  sie  hätten  zum  Theil 
in  den  zweiten  Abschnitt  gehört,  wie  die  Strophenform  von  Walther  und  Hilde- 
gunde,  die  bei  Gelegenheit  der  Gudrunstrophe  bespi'ochen  werden  musste.  Das- 
selbe gilt  von  der  Rabenscblacht.  Daß  der  kleinere  Rosengarten  oder  Luarin 
viel  jünger  sei  als  der  große,  wie  S.  27  6,  Aum.  1  behauptet  wird,  ist  ent- 
schieden unrichtig;  zudem  kann  man  bei  diesem  Gedichte  nicht  so  allgemein 
reden,  sondern  muß  die  verschiedenen  Bearbeitungen  trennen.  Die  Strophenform 
des  Wartburgkrieges  und  des  Lohengrin  (S.  2  3  9)  hätte  gleichfalls  schon  dem 
2.  Abschnitt  angehört.  Unbegreiflicherweise  hat  sich  unter  die  Formen  des  Volks- 
liedes, beiläufig  gesagt  ein  sehr  ausgiebiger  Stoff,  der  in  vorliegendem  Buche 
nur  in  schwachen  Umrissen  behandelt  ist,  ein  in  der  Form  nichts  weniger  als 
volksthümliches  geistliches  Lied  von  Zach.  Richter  (S.  30  9)  eingeschlichen,  das 
eine  Nachbildung  der  sapphiseben  Strophe  enthält  ,  also  an  einem  ganz  andern 
Orte  (vgl.  S.  2  3  7)  hätte  erwähnt  werden  müssen.  —  Die  mitgetheilten  mhd. 
Textstellen  sind  voll  von  Fehlern,  die  nur  zum  kleinern  Theile  in  dem  Druck- 
fehlerverzeichniss  berichtigt  sind.  —  Doch  wir  wollen  nicht  mit  Tadel,  sondern 
mit  dem  schon  im  Eingange  ausgespiochenen  Danke  schließen,  daß  es  der  Verf. 
unternommen  hat,  das  weitverzweigte  Gebiet  einmal  einer  eingehenden  Behand- 
lung zu  unterwerfen,  und  möchten  ihn  ermuntern,  auf  diesem  Wege  weiter  zu 
gehen  und  namentlich  auch  durch  Einzeluntersuchungen  neuen  Stoff  herbei- 
schaffen zu  helfen.  KARL  BARTSCH. 


Reisen  des  Johannes  Schiltberger  aus  München  in  Europa,  Asia  und 
Afrika  von  1394  bis  1427.  Zum  ersten  Mal  nach  der  gleichzeitigen 
Heidelberger  Handschrift  herausgegeben  und  erläutert  von  Karl  Friedrich 
Neumann.  Mit  Zusätzen  von  Fallmerayer  und  Plammer-Purgstall.  Mün- 
chen 1859.  Auf  Kosten   des  Herausgebers.    8. 

Die  Reisen  Schiltbergers  waren  im  15.  und  16.  Jahrhundert  ein  Lieb- 
lingsbuch der  Lesewelt  und  sind  deshalb  in  jener  Zeit  mehrmals  gedruckt  worden. 
Aus  einer  seitdem  verschollenen  Handschrift  gab  sie   im  Jahr  1814  A.  J.  Penzel 

24* 


372  LITTERATUR. 

in  willkürlich  modernisierter  und  deshalb  unbrauchbarer  Gestalt  heraus.  Der 
rühmlichst  bekannte  Orientalist  Neumann  hatte  schon  seit  längerer  Zeit  eine 
Ausgabe  Schiltbergers  beabsichtigt  und  endlich  einen  Text  hergestellt,  der,  wie 
er  selbst  S.  14  sagtj  „eine  Art  kritischer  Arbeit  war,  hervorgegangen  aus  Ver- 
gleichung  der  Incunabeln  und  anderer  Drucke,  und  mit  einer  Anzahl  Varianten 
versehen."  Von  Franz  Pfeiffer  schon  vor  Jahren  auf  eine  Heidelberger  Hand- 
schrift aufmerksam  gemacht ,  begab  er  sich  nach  Heidelberg  (  vor  wenigen  Wo- 
chen,' sagt  er),  um  jenen  Text  und  die  Handschrift  zu  vergleichen,  und  fand 
bald,  daß  es  das  beste  sei ,  seine  Recension  aufzugeben  und  sich  bloß  an  die 
Handschrift,  die  höchst  wahrscheinlich  eine  gleichzeitige  Copie  der  .Eigenschrift 
Schiltbergers  ist,  zu  halten,  sie  also  einfach  abzudrucken.  Schiltbergers  Reise- 
buch,' sagt  er  S.  15,  wird  demnach  von  uns  nicht  bloß  zum  erstenmale  erläu- 
tert, sondern  zum  erstenmale,  wie  der  gefangene  Reitersmann  wahrscheinlich  es 
schrieb,  dem  Druck  übergeben.  Die  früheren  Ausgaben  sind  willkürliche,  mit 
allerlei  Zusätzen  und  nach  der  Sprechweise  der  Zeiten  vorgenommene  Um- 
schreibungen. 

Wir  haben  also  in  der  neuen  Ausgabe  einen  Abdruck  der  Handschrift. 
Selbst  die  verschiedene  Sehreibung,  sagt  der  Hg.  S.  14,  einzelner  Namen  und 
Wörter  habe  ich  beibehalten;  nur  offenbare  Fehler,  wie  gleich  im  Eingange 
44  für  94,  könig  für  herzog  von  Buryund  und  einiges  andere  wurden  entfernt. 
Auch  in  den  Überschriften  einzelner  Abschnitte  ward  mehreres  nach  meinem 
Texte  abgeändert  und  das  Ganze  dann  in  der  jetzt  gebräuchlichen  Weise  inter- 
punktiert.' 

Wir  müßten  dem  Hg.  gewiss  recht  dankbar  sein,  wenn  er  uns  einen  cor- 
recten  Abdruck  einer  sorgfältigen  Abschrift  der  richtig  gelesenen  Handschrift 
gegeben  hätte ;  aber  leider  haben  wir  einen  solchen  nicht  erhalten.  Erstlich 
stört  uns  eine  Unzahl  gemeiner  Druckfehler,  die  doch  kaum  dadurch  entschul- 
digt werden  können,  daß  das  Werk  auf  Kosten  des  Herausgebers,  was  immerhin 
höchst  anerkennenswerth,  gedruckt  ist.  Sodann  begegnen  wir  einer  Menge  offen- 
barer Fehler,  die  vielleicht  auch  zuweilen  nur  Druckfehler  sind,  aber  wohl  öfter 
Lesefehler  des  Herausgebers  oder  auch  Fehler  der  Handschrift  selbst,  die  ver- 
bessert werden  mußten.  Konnte  das  bei  diesen  letztern  nicht  sicher  geschehen, 
dann  war  es  doch  gewiss  Pflicht  des  Herausgebers  ,  auf  das  Bedenkliche  und 
Schadhafte  hinzuweisen,  vielleicht  auch  zuweilen  aus  seinem  Apparate  mitzuthei- 
len,  wie  solche  Stellen  in  den  alten  Drucken  lauten.  Das  Schweigen  des  Hg., 
der  mit  Ausnahme  von  zwei  oder  drei  Stellen  den  handschriftlichen  Text  überall 
für  richtig  zu  halten  scheint,  verbunden  mit  der  argen  Incorrectheit  des  Druckes 
gibt  dem  Leser  ein  eigenes  Gefühl  der  Unsicherheit.  Man  fragt  sich  nur  zu 
häutig ,  ob  man  die  ächte  Lesart  der  Handschrift  vor  sich  habe  oder  ob  sie 
falsch  abgeschrieben  oder  abgedruckt  sei.  Ich  lasse  nun  eine  lange  Reihe  von 
Verbesserungen  folgen  und  bemerke  dabei ,  daß  ich  bei  weitem  nicht  alle  ge- 
wöhnlichen Druckfehler,  besonders  die  Verwechslungen  von  mt  n,  u,  sowie  von 
/,  Z,  i,  r  bemerkt  habe.  An  einigen  Stellen  habe  ich  zwei  mir  zugängliche  ältere 
Drucke  zu  Rathe  gezogen,  einen  Frankfurter  vom  J.  155  3  durch  Hermann 
Gülfferich  und  einen  Nürnberger  ohne  Jahrszahl  durch  Johann  vom  Berg  und 
Ulrich   Neuber. 

S.  51,  2  v.  u.  lies  dem  ysnin  tor  statt  ysuin,  —  S.  52,  10  1.  mit  zicai- 
hundert  mannen   statt   manne.   —  S.    52,   22   1.  zweintziij  pauer  statt  zwenilzig.  — 


LITTERATUE.  373 

S.  53,  14  1.  und  da  der  kunig  erhört,  daß  der  herzog  die  vind  an  hefte  geritten 
statt  und  da  kunig  ....  hetten  geritten.  ■ —  S.  53,  19  1.  pfert  statt  pfurt.  — 
S.  5  7,  14  1.  den  schielet  er  künig  Soldon  ..  zu  einer  erung  statt  den  schickt  der 
kilnig.  —  S.  6  0,  7  1.  war  sach  daß.,  statt  wärsach  daß.  Derlei  ungehörige 
Zusammenziehungen   oder  auch   Trennungen   im   Drucke   sind   häufig.    —     S.    6  0, 

2  2  1.  ir  secht  statt  ir  fecht.  —  S.  61,  1  1.  da  das  beschach  statt  da  da  beschach. 
—  S.  7  3,  5  1.  Tatarien  statt  Tararien.  —  S.  7  6,  2  1.  in  dem  land  zoch  man 
nur  vich  statt  ner  vich.  —  S.  7  6,  4  1.  gelitten  hette  statt  hetten.  —  S.  77,  15 
1.  vf  ein  schöne  eben  statt  schönen.  —  S.  80,  3  1.  und  besetzt  die  stat  mit  sechs- 
tusent  mannen.  Im  Druck  fehlt  mit.  —  S.  8  7,  2  v.  u.  1.  ir  priester  sint  bar- 
fiißerordens  und  künden  nit  laiin  statt  beyerfüßer  ordens  und  künden  mit  latin. 
künden  ist  s.  v.  a  künnen,  können,  Schmeller  2,  307.  —  S.  94,  7  1.  es  gehö- 
rent  statt  gehört.  —  S.    9  4,    11   1.  aber  hie  zu  land  statt  die. 

S.  101,  2  1.  ein  haiß  und  ungesundes  land  statt  ein  haist.  —  S.  104,  2 
1.  in  dem  deinen  India  statt  cleien.  —  S.  111,  14  1.  fiertail  oder  fiertel  statt 
fiertal.  —  S.  113,  6  v.  u.  1.  die  heiden  haben  in  in  großen  eren  statt  großen 
herren.  —  S.  115,  4  v.  u.  1.  macht  statt  nacht.  ■ —  S.  116,  14  v.  u.  1.  Oliveti 
statt  Oliveli.  —  S.  1 20,  10  v.  u.  1.  kam  statt  tarn,  —  S.  121,  15  1.  und  das 
bein  schätzent  die  heiden  einen  frysengech  [orientalisches  Maß]  statt  schützet.  — 
S.  i  2 3,  9  1.  do  verstund  er,  das  das  der  mensch  war  statt  er  das,  das.  —  S.  12  7, 
12  1.  mit  guldin  und  mit  sametin  tüchern  statt  sainetin.  vgl.  152  samattin  röckin, 
157  sameten  tüchern.  — ■  S.  12  7.  13  v.  u.  1.  und  spricht  gen  dem  volk:  rufent 
got  an  statt  gen  den  volk,  rufent.  —  S.  12  8,  2  1.  undertänig  statt  xmderiünig. — 
S.  128,  3  I.  sprechent  statt  sprachent.  —  S.  12  9,  5  v.  u.  1.  da  verbot  Machmet 
allen  den,  die  an  in  gelouben,  den  win  bi  schwärem  ban,  es  toärent  geistlich,  welt- 
lich, keiser  .  .  .  Schergen  und  allen  den,  die  in  sinem  glouben  sin,  das  sie  keinen 
win  mer  trinkent  statt  allen  den,  die  in  dem  ivin  gelouben  schwären  bän.  Es  rcä- 
rent.  .  .allen  den  die  in  minem  glouben  sind.  Die  beiden  Drucke  haben:  da  verpol 
M.  allen  denen,  die  in  irem  glauben  waren,  es  teeren  geistlich  .  .  .  und  allen  denen, 
die  in  seinem  glauben  sein.  —  S.  131,  17  1.  Es  ist  ein  got  und  Machmet  sin 
liepster  bot  statt  hepster  bot.  Ebenso  13  2,  4  v.  u.  der  liepst  fründ  und  13  4,  4 
gots  liepster  bot  statt  hepst,  hepster.  —  S.  1 3  2,  12  1.  demütig  statt  demüntig.  — 
S.  13  2,  19  1.  daß  die  heiden  geloubent  statt  daß  d.  h.  den  geloubent. —  S.  134, 
1  1.  silnd  statt  sind. —  S.  13  4,  9  v.  u.  1.  verhengt  statt  verhenge.  —  S.  134,  4 
v.  u.  1.  die  heiden  nemen,  an  dem  tag  er  geboren  si  da  sin  tusent  kirchen  under- 
gangen  statt  nemen  an,  dem  tag.  .  .  .  Nemen  für  unser  annehmen  hat  Schiltberger 
auch    10  7,    15  :   sie  nement,   er  si  heilig. 

S.  136,  8  I.  Constantinopel  heißent  die  kirchen  Istimboli  statt  heist.  — 
S.  13  8,  10  1.  underwilen  statt  anderwilen. —  S.  13  9,  16  1.  das  sin  der  bischof 
innen  ivürd  statt  sin  in  der.  —  S.  14  0,  9  1.  all  statt  ull.  —  S.  14  2,  5  1.  demü- 
tiglich  statt  denmütiglich.  —  S.  142  ,  letzte  Zeile,  1.  grosse  statt  grosse.  — 
S.  143,  10  v.  u.  1.  prütgam  statt  prütgold.  —  S.  143,  letzte  Zeile,  1.  und 
statten.  —  S.  144,  3  1«  und  statt  hin.  Ist  haiste  (hieß)  richtig?  —  S.  145, 
10  1.  von  statt  oon.  —  S.  145,  11  1.  wann  ich  zu  der  meß  gangen  statt  wann 
die.  —  S.  145,  12,  1.  zu  cristen  gelouben  statt  cristem.  —  S.  145,  13  I.  ha- 
bent  statt  habet.  —  S.  14  5,  7  v.  u.  1.  da  schlug  er  umb,  ward  zu  einem  heiden 
und.,  statt  umb  weid  zu...    Auch  die  beiden  Drucke  haben  ward.   —  S.    147, 

3  1.  das  gros  wunderzaichen ,    das  er   Constantino  gethan  hett    statt    wunderzaichen 


374  LITTEBATUB. 

C.  getlian  hett.  —  S.  147,  4  1.  von  der  sundersichtig  statt  von  den  sunder  sichtig. 
—  S.  147,  10  1.  der  geaalt,  den  du  mir  statt  den  gewalt,  dem  du  dich.  . — 
S.    14  7,    6   v.   u.   und  er  meint  im  statt  in. 

S.  149,  3  1.  Also  gieng  der  künig  allein  aß  statt  Allein  gieng  .  .  .  Auch 
die  beiden  Drucke  haben  Also.  —  S.  150,    9  1.  wandeln  statt  vandeln.  —  S.  15  0, 

1  v.  u.  1.   hinz  an  die  vier  den  sipp  statt  huitz.  Vgl.   Schindler  bair.  Wörterb.    2, 

2  2  0.  —  S.  151,  1  sie  machent  vil  geuariiezi  unser s  geloubes.  Was  ist  geuartiezi? 
In  den  beiden  Drucken  fehlt  der  Satz.  —  S.  151,  4  v.  u.  1.  sie  haltent  ir  e 
nit  als  tvir  statt  ir  nit. —  S.  15  2,  15  v.u.  und  och  wenn  ein  armer  stirbt  on  licht 
oder  on  gottes  lichnam,  so  geioint  man  im  den  kirchhof  von  den  seinen  emoalt.  Die 
letzten  Worte  sind  wohl  fehlerhaft.  Die  Drucke  haben  nur:  von  dem  seinen,  — 
S.  154,  4  1.  kein  andern  wiroch  denn  toiß  zuiroch,  der  in  Arabien  und  in  Indien 
tcechst  statt  das  und  Indea.  —  S.  154,  13  Und  wann  ein  priester  oder  ein  bi- 
schoff  unrecht  tut,  so  straf ent  sie  in  dorumb  und  sprechent,  ein  priester,  der  das 
gottes  iccrt  tut  und  des  nit  verstand  und  verniement,  der  siindet.  Das  letzte  ist 
offenbar  verdorben.  Die  beiden  Drucke  haben  besser :  ein  priester,  der  da  gottes 
wort  leret  und  das  nicht  verstehet,  der  sündiget.  —  S.  15  5,  13  1.  niderlegen  statt 
inderlegen.  —  S.  15  9,  5  1.  uns  statt  und.  —  S.  1G0,  9  1.  vol  statt  icol.  — 
S.  160,  1  v.  u.  1.  Meichsen  (Meißen)  statt  Neichsen.  —  S.  160,  11  sie  hat 
drühundert  und  sechzig  turn  und  under  den  sint  hundert  ganz  messi.  Die  beiden 
Drucke  haben  ganz  messing.  Wahrscheinlich  ist  messin,  d.  i.  messingen,  zu  lesen, 
vgl.  mhd.  Wb.  2,  159  und  Alsatia,  neue  Folge,  1858  —  61,  S.  309  ff.,  ein 
messin  kessel,  ein  messin  becken  u.  dgl.  —  S.  161.  In  den  letzten  Perioden 
ist,  wenn  die  Handschrift  richtig  ist,  Schiltberger  mehrfach  aus  der  Construction 
gefallen  und  so  ist  eine  Confusion  entstanden,  die  durch  des  Herausgebers 
schlechte  Interpunction  noch  vermehrt  worden  ist.  Die  beiden  Drucke  haben 
zum   Theil   nicht   unglücklich   geändert. 

So  wie  der  Herausgeber  nichts  für  Verbesserung  des  Textes  gethan  hat, 
so  hat  er  auch  so  gut  wie  nichts  für  die  sprachliche  Erläuterung  desselben 
gethan.  Etwa  ein  halbes  Dutzend  Wörter  hat  er  in  den  Anmerkungen  erklärt, 
aber  durchaus  nicht  immer  richtig,  obwohl  er  sich  nicht  die  schwersten  ausge- 
sucht hat.  Es  wird  vielleicht  manchem  Leser  erwünscht  sein ,  wenn  ich  hier  in 
alphabetischer  Ordnung  aus  Schiltbergers  Wortvorrath  einiges  Bemerkenswerthe- 
res  folgen  lasse. 

abhin,  hinab,  7  7.  Schindler  1,  9.  2,  19  9.  Grimm  Wb.  —  ablcschen,  aus- 
löschen, 58.  —  ächten,  verfolgen,  130,  145.  Schindler  1,  22.  —  ächter,  Ver- 
folger, ein  groß  ächter  der  cristenheit  10  0,  ein  groß  durchächter  der  cristenheit 
121.  —  achtende,  octavus,  bis  an  den  achtenden  tag  152,  s.  Grimms  Wb.  — 
als,  als  groß  55  als  zornig,  daß...  62,  als  stät  62,  als  vil,  daß..  63,  als  groß, 
daß...  7  4,  vgl.  Grimms  Wb.  1,  257,  als  gut...,  als  er...  71,  als  er  war,  also 
wolt  er.  .  .  64,  als  rein,  als  ein  cristen  125,  vgl.  Grimms  Wb.  1,  251.  —  angesicht, 
zu  angesicht  dem  volke  in  der  stat  6  7.  —  anheber,  Gründer,  ein  anheber  der 
vesten  stat  ze  Babilonie  10  9,  vgl.  Grimms  Wb.  ankommen  einen,  antreffen  13  0, 
s.  Grimm.  —  anriten,  den  find  anriten  53.  —  antlüt,  Antlitz,  88,  138,  s.  mhd. 
Wb.  und  Grimm.  —  antworten,  dem  empfalch  er  die  wag  und  das  handwerk, 
so  daß  der  darob  war,  daß  ein  ietlicher  sin  handwerk  getruwlich  antworten  (?) 
solle    124.  —  armusen,  Almosen,   82. 


LITTERATUR.  375 

begreblnus,  Begräbniss  126,  s.  Grimm  u.  Begrebtnis.  —  begrifen,  ergreifen, 
149,  s.  mhd.  Wb.  1,  571.  —  behoben  den  strit  54,  vgl.  Iwein  167.  —  beküm- 
mern (sieb  mit  —  einem),  Umgang  haben  82.  —  bereit,  bereite  elefanten,  d.  i. 
ausgerüstete,  73,  77,  s.  Scbmeller  3,  15  5.  —  sich  besamen  91,  sich  besam- 
meln, 88,  Grimm  u.  besammen.  —  bestüten,  befestigen,  146.  —  bestehen,  mie- 
then,  pachten,  6  5,  s.  Grimms  Wb.  1,167  2.  —  bet,  Gebet,  89,  124,  125,  12  6, 
s.  Grimm.  ■ —  bettrüse,  bettlägerig,  115,  s.  Grimm  u.  betrise.  —  sich  bichten, 
beichten,  12  5.  —  birg,  der  birg  6  6,  daselbst  aber  auch  der  berg.  Sehr  häufig 
das  birg  oder  bürg  oder  pirg,  z.  B.  66,  68,  69,  73,  121,  daneben  das  gebirg  66, 
ein  pirgesch  land  87,  ein  gepirges  land  105,  vgl.  mhd.  Wb.  1,  105.  Schmeller 
1,  19  6.  —  blumen.  Sie  haben  kein  gemäl  noch  kein  bild  in  den  tempeln,  nur 
ir  geschrift,  gewächs,  rosen  und  phnnen  haben  sie  darinn  125  Diese  Verbindung 
fRosen  und  Blumen'  statt  rRosen  und  andere  Blumen'  kommt  zuweilen  im  Mittel- 
hochdeutschen vor.  Gottfried  von  Neifen  11,  35:  nu  stet  diu  liebe  beide  bar 
der  wunnecliehen  bluomen  und  der  liebten  rosen  rot;  21,  7:  beide  bluomen  unde 
rosen  rot.  Düring  VIT,  1  (in  von  der  Hagens  MS.):  von  bluomen  unde  rosen 
rot.  Hadlaub  XX,  2:  bluomen  und  rosen  rot.  Gesammtabent.  LXXXIX,  49  und 
18  6.  rosen  und  bluomen.  vgl.  Ehenheim  I,  1:  viol,  rosen,  liljen,  bluomen.  Had- 
laub XXVI,  1:  viol,  rosen,  bluomen,  kle.  Tannhäuser  VII,  2:  bluomen  rot, 
darzuo  viol  unde  kle.  Konrad  von  Würzburg  X,  1  und  XI,  2  nennt  das  Gefilde 
gerceset  und  gebluemet.'  Für  das  Neuhochdeutsche  vgl.  Hans  Sachs  I  (155  8, 
117'1:  blümlein  und  rosen,  III  (l  589),  1,  15d  der  röslein  und  der  blumen, 
III,  2,  13  6a  rosen,  feiel  und  blumen,  I,  4a  rosen,  lilien  und  blumen,  I,  3  99a 
würzen,   liljen   und   blumen;   vgl.   auch   III,    2,    2  0  3°   all  feindselig  Vögel  und  raben. 

—  bomlut  (?)  121,  wohl  Druckfehler.  —  bomöl,  Baumöl,  112.  —  bomivol,  Baum- 
wolle, 100.  —  bot,  Gebot,  128,  134,  s.  Grimm.  —  prech,  sie  sprechent  zwi- 
schen irs  geloubens  und  des  unsern  si  nur  ein  bar  zwischen,  aber  zwischent  der 
kriechen  gelouben  und  irs  gelouben  si  ein  groß  prech  151.  Hier  haben  wir  ohne 
Zweifel  das  von  Grimm  Wb.  2,  34  2  besprochene  Wort  die  breche.  Wir  würden 
heutzutage  ähnlich  sagen:  zwischen  beiden  Glauben  ist  eine  große  Kluft,  d.  i. 
Unterschied.  Die  beiden  Drucke  haben:  sei  großer  felh.  —  brein  9  0,  prein  104, 
prin  95,  Hirse,  s.  Frisch  1,  13  2.  Schmeller  1,  25  6.  —  büchsen  zum  Schießen  60, 
wohl  einer  der  ältesten  Belege  des  Wortes  in  dieser  Bedeutung,  s.  mhd.  Wb.  1, 
27  7    und  Schmeller    1,    14  7. 

dirthalb,  das  sind  land  hie  dirthalb  der  Tonow  92;  s.  Schmeller  2,  17  5, 
welcher  derhalb  und  hiederhalb,  diesseits,  anführt;  dirhalb  bei  Keller  Erzählun- 
gen  487,    10. 

empfor  (?) ,  empor,  15  5.  —  engegenen,  entgegen  kommen,  begegnen, 
s.  Grimm  u.  entgegnen.  —  enhalb ,  jenseits ,  116,  s.  Schmeller  2 ,  175  und 
Grimm.   —   sich   ergehen,   vor  sich   gehen,   geschehen,    7  3,    82,    s.   Schmeller  2,   6. 

—  erhaben  (?),  aufhalten,  zurückhalten  7  8.  —  erhaben  brot,  gesäuertes  Brot, 
138;  unerhaben  prot,  149,  s.  Schmeller  2,  136.  —  erriten,  reitend  einholen,  62, 
s.  Grimm.  Vor  Swabacher  tore  wurden  sie  erritten ,  Germania  4,  3  64.  — 
erung,  Verehrung,  Ehrengeschenk,  57,  vgl.  Schmeller  1,  96.  H.  Sachs  III,  3, 
29d  wolt  ir  der  frau  ein  erung  tun,  das  stet  bei  euch.  Grimm  führt  im  Wb. 
nur  eine   Stelle  aus  Logau  an.  —   erwinden,  ablassen,  aufhören,    6  9,   s.  Schmeller 

1,    9  6    u.   Grimm. 


376 


LITTERATUR. 


vanknvs  84,  108,  vänkmts  65,  66,  vanknust  86,  Gefangenschaft,  s.  Grimm 
u.  Fangnis.  Vanknust  kommt  auch  sonst,  z.  B.  in  Hugo  von  Langensteins  Mar- 
tina 61,  106;  285,  34,  vor.  —  vart,  ein  vart,  einmal,  95,  s.  Schmeller  1,  566, 
u.  Grimm  unter  Fahrt  no.  10.  —  fechten ,  sie  taten  an  demselben  tag  zwei 
vechten  58,  sie  taten  zwei  fechten  73,  die  strit  und  die  vechten  9  2.  Es  fragt 
sich  ob  wir  hier  den  Singular  des  im  Mhd.  gewöhnlichen  Substantivs  die  viihle 
haben.  Aber  Schiltberger  scheint  dieß  Substantiv  nicht  zu  kennen,  sondern  braucht 
immer  den  Infinitiv,  z.  B.  ein  vechten  geschach  7  5,  bi  einem  vechten  13  0,  ein 
vechten  tun  7  0.  Darnach  könnten  die  vechten  auch  der  Pluralis  des  Infinitiv  sein, 
vgl.  altd.  Bl.  2,  395:  vil  siufzen  wollen  töten  mich;  Leysers  Predigten  3  6,  28: 
in  den  anbeginnen ;  3  6,  10:  diu  trinken.  Vielleicht  auch  Walther  von  der  Vo- 
gelweide 7  8,  6:  bewar  uns  an  dem  ende...  vor  helleheizen  wallen.  —  ver- 
fallen, erfüllen,  anfüllen,  141.  —  verkeren,  bekehren,  124,  130,  131;  aber  auch 
oft  bekeren,  z.B.  124.  —  vermeinen,  zudenken;  er  hett  einen  sun,  dem  ver- 
meint er  das  künigrich  85,  s.  Schmeller  2,  586;  mhd.  Wb.  2,  111.  —  ver- 
bracht (?)  zwen  und  sübenzig  turen  al  verpracht  mit  marbelsteinen  109. —  ver- 
richten er  wölt  sich  mit  dem  schwert  mit  im  verrichten  7  7,  also  wurden  sie 
mit  einander  verriebt  7  8 ,  und  wer  gegen  dem  andern  ein  haß  oder  vintschaft 
hat,  der  muß  vor  der  kirchen  ston,  man  lat  in  nit  hinnen,  biß  er  verriebt  wirt 
150.  —  sich  verschlagen,  da  verschlug  er  sich  in  einen  berg  6  6.  —  verschriben, 
der  im  verschriben  und  botschaft  geton  hat,  er  solt  komen  88,  vgl.  Schmeller 
3?  505.  —  versitzen,  der  zins  den  er  im  wol  fünf  jar  verseßen  und  vorgehalten 
hett  81,  s.  Schmid  schwäb.  Wb.  4  9  6,  Schmeller  3,  301.  —  versteinigen,  stei- 
nigen, 115.  —  vertragen,  eines  dinges  vertragen  (d.  i.  überhoben,  womit  ver- 
schont) werden  161,  vgl.  Schmeller  1,  485.  —  viensler,  Fenster,  120.  — finden 
mit  Genitiv:  und  wenn  der  prütgom  der  prut  nit  junkfrow  vindt,  so  lat  ers  sin 
muter  wißen  143,  vgl.  Grimm  u.  finden  6a.  — finstern,  da  es  nun  zu  der  nacht 
vinsterte  68,  s.  Grimm.  — fliegen,  eines  fiiegens  dahin  fliegen  110.  Über  derlei 
Verbindungen  vgl.  meine  Anmerkung  zu  H.  Sachs  Dialogen  12,  20.  —  flug, 
Flügel,  110,  s.  mhd.  Wb.  3,  3  44.  —  volk,  sin  vater  und  sin  muter  ist  ein 
armes  volk  gewesen    122,  der  herr  reit  mit  einem  kleinen   volk  für  die  stat  64. 

—  vor,   einem  vor  sin,   obsiegen,   bezwingen,   z.  B.  wir  mugen  uch  nit  vor  gesin  6  0. 

—  vor  an  hin,  für  an  hin,  voran,  voraus,  53,  68,  77,  78,  89,  127,  131.  — 
freßen,  es  ist  ze  merken,  daß  sich  der  Tamerlin  drierlei  sach  fraß  ,  daß  er  krank 
ward  81,  do  fraß  er  sich,  daß  er  das  wip  hett  töten  laßen  8  2.  Neumann  sagt 
r freßen,  fretten,  wie  das  engl,  fret,  plagen,  Verdruss  haben.'  —  friimmen,  voraus 
bestellen;  sie  habent  kein  mess,  man  früm  sie  dann  13  9.  Der  Frankfurter  Druck 
hat  die  schwäbische  Form  'pfrem,'  der  Nürnberger    frem.'    S.   Schmeller  1,   612. 

—  fürder,  vorwärts,  weiter,  dahin,  fort;  wir  furent  fürder  159,  so  ist  der  apfel 
füder  [sie!]  137,  wo  die  beiden  Drucke  dannen'  haben.  —  fißgengel,  Fuß- 
gänger,   5  3,    6  8,   s.   mhd.  Wb.    1,   4  7  7. 

geäßer ,  Futter;    man  muß   under  ir  geäßer   [für  Tauben]   zucker  tun    110. 

—  gebärt,  Bart;  ir  gebärt  nit  abschniden  12  8.  —  die  gevärd,  Hinterlist  (von 
raren),  one  alle  gevärd  82,  s.  mhd.  Wb.  3,  371,  Schmeller  1,  551,  Schade 
Satiren  und  Pasquille  aus  der  Reformatinnszeit  im  Index.  —  das  gevert,  Art 
und  Weise,  Sitte,  Benehmen  (von  varen) ,  die  hetten  vor  och  mit  den  Türken 
gevochten  und  westen  ir  gevert  baß  dann  die  andern  53,  und  wan  man  in  in 
der  herberg  hört,  so  bereit  man  im  ein  pferd    daß    ers  bereit  vind;    so  reit  er 


LITTERATUR. 


377 


zu  der  andern  herberg,  da  vindt  er  och  eins  bereit...  und  dis  gefert  hat  künig 
Soldan  uf  allen  Straßen  110,  s.  mhd.  Wb.  3,  2  55,  Schmid  181,  Schmeller  1. 
566.  —  der  gemach,  das  Gemach,  110,  s.  Schmeller  2,  542.  —  gereit,  leicht, 
schnell;  daß  es  die  priester,  die  bi  dem  tempel  saßen,  gereit  hörten  82,  s. Wa- 
ckernagels Glossar.  —  geschäft,  also  zugen  sie  heim  on  geschäft,  d.  i.  unver- 
richteter  Sache  7  9.  —  geschöpft,  Geschöpf,  123,  128,  s.  Schmeller  3,  3  7  9.  — 
getiill,  Befestigung  durch  Pallisaden,  141,  s.  mhd.  Wb.  3,  128,  Schmeller  1 
492.  —  gewarach  (?)  gras  und  gewarach  107.  Neumann  erklärt  es  für  Gesträuch, 
ohne  Begründung.  Die  beiden  Drucke  haben  nur  Gras.  —  gütlich,  götlichen 
gewin  132,  13  9.  Gütlich  ist  nicht  etwa  göttlich,  divinus,  sondern  gütlich,  con- 
veniens,   passend,  schicklich,   Schmeller   2,   80. 

hantwerk,  er  hieß  büchsen  bringen  und  hantwerk  machen  60,  vgl.  Frisch 
1,  411,  Schmid  23,  Schmeller  4,  141,  Grimm  u.  Antwerk.  Die  Handwerke 
können  hier,  wie  Schmeller  an  andern  Stellen  vermuthet,  die  Laffetten  der 
Büchsen  bedeuten.  Gewöhnlich  aber  bedeutet  Antwerk  oder  Hantwerk  ein  Ge- 
schütz. An  unserer  Stelle  müssten  dann  Büchsen  und  Handwerke  verschiedene 
Geschütze  «ein.  —  lierfaren,  erfahren,  51.  —  hergehen,  ergeben,  5  2.  —  her- 
schlagen, 5  3,  54.  —  himel,  wenn  ein  jüngling  stirbt,  so  legt  man  in  in  ein  par 
und  macht  ein  himel  über  in  89.  —  himelkint,  wir  sin,  ob  got  wil,  himelkint 
vor  got  55. —  hinder,  einem  hinder  das  künigrich  helfen,  einem  zum  k.  verhelfen 
71.  —  hingeber,  koufer  und  hingeber  13  2.  —  Minen,  honen,  heulen  winseln, 
82,  s.  Schmeller   2,   202.    —    hut,   den  hut  abtun    128,   den  hut  abnemen   142. 

—  hören,  aufhören,   5  6,  s.   Schmeller   2,   233. 

imber,  ingwer,  119.  —  in,  eine  kirche  gestift  in  unser  frowen  ere  113. 
gepawet  in  vierzig  martrer  ere    113,  in  Annen  eren    115,   vgl,  Schmeller  1,   92. 

—  italig,  ein  ytaliger  vels    119.     Die   beiden  Drucke  haben  'eiteler.'     Italig  ist 
das  mhd.  itelich,  mhd.   Wb.    1,   7  58.     Schmeller    1,    129   führt  italige  Heller  an. 

kirsenpfad,  Taufhemd,  140,  von  der  krisam,  chrisma,  Schmeller  2,  395, 
und  die  pheit,  mhd.  Wb.  2,  487,  Schmeller  1,  325.  —  kluben,  klauben,  64, 
102,  159,  s.  Schmeller  2,  34  9. —  kocken,  breite,  rundliche  Schiffe,  im  Gegensatz 
der  langen,  schmalen  Schiffe  (Galeeren),  s.  Frisch  1,  531;  mhd.  Wb.  1,  85  7, 
Ausland  1859,  S.  188.  kocken  und  galeien  (galeen)  92,  106,  141  ,  wir 
sahen  einen  kocken  158,  uf  der  kocken  159.  (Das  grammatische  Geschlecht 
schwankt  also  bei  Schiltberger) ;  der  wind  schlug  die  kocken  hinder  sich  15  9. 
Neumann  erklärt  158  mit  Unrecht  kocke  für  ein  kleines  Schiff.  —  koldigen  (?), 
ich  bin  zwirot  zu  Jerusalem  gewesen,  mit  einem  koldigen,  der  hieß  Joseph  114. 
Auch  die  beiden  Drucke  haben  dieß  mir  räthselhafte  Wort.  —  kränz,  wie  sich 
sin  jüngstes  wib  mit  einem  siner  landesherren  bekümert  und  ir  kränz  zerbrochen 
hett   82. 

letvthus,  129,  Lithaus,  Haus,  wo  Lit  geschenkt  wird,  Schenke  überhaupt, 
s.   mhd.   Wb.    1,    7  3  9,   Frisch    1,    609,   Schmeller    2,    521. 

mar,  mürbe,  105,  vgl.  Schmeller  2,  608.  Schmid  374.  —  merspinne, 
Schnecken  und  merspinnen  159,  vgl.  Germania  5,  242  u.  Konrad  von  Megen- 
berg,  ed.  Pfeiffer,  246,  16.  —  mittag,  hinnach  mittentag  7  3,  ze  mittemtag  1 24, 
nach  mittentag    151,   s.   mhd.   Wb.    2,    196. 

nachen  161,  nahent  147,  nachent  141,  nahe.  —  nache,  Nähe,  mhd.  nähe, 
nsehe,  mhd.  Wb.  2,  2  9  3,  als  Tämerlin  von  der  stat  zoch,  da  zoch  küng  Soldan 
heruß  von   siner  hoptstat,   und  meinet  dem  Tämerlin   ein  nachen  an   ze  gewinnen 


378  LITTEKATUR. 

7  5.  Die  beiden  Drucke  haben:  ein  Nehe  an  zu  gewinnen.  —  sich  niederschla- 
gen, sich  niederlassen,  54,  65,  68,  122,  156.  —  nienen,  nirgends  148,  8.  mhd. 
Wh.  1,  745.  Schmeller  2,  668.  —  nüchter,  nüchtern,  1 05,  s.  Schindler  2,  6  7  5, 
mhd.  Wb.  2,  423.  —  nütz,  nichts,  z.  B.  73,  74,  76,  79,  96,  100,  113,  145, 
159,  nüntz  64,  76,  79,  90,  91,  114,  159,  nuntz  64,  78,  140,  nichtz 
56,  s.  Schmid  404,  Schmeller  2,  6  74.  —  nun,  öfters  in  der  Bedeutung  von 
nur  ;  nun  ein  schlechter  landsherr  85,  sie  puwen  nun  prin  9  5,  sie  singen  nun 
kyrieleyson  und  nit  kristeleyson  142,  nun  ein  man  und  kein  wip  15  0,  nun  mit 
win  und  nit  mit  wasser  15  0,  sie  eßent  nun  öl  151,  ir  heiige  tage  haltens  nun 
ein  sampstag  151,  si  firent  nun  ein  tag  151,  man  hört  es  nu  susen  121,  vgl. 
Schmeller    2,    6  9  8,   Schmid   410. 

recht,  es  soll  auch  kein  fro  in  die  kirchen  gon ,  die  ir  recht  hab  150  (d.h. 
qua?  sit  menstrua) ,  vgl.  Fastnachtsp.  3  2  2,  2  0  und  hab  ein  schwaches  krankes 
weib,  die  hat  ir  recht  die  wuchen  siben  tag.  —  regnieren,  regieren,  9  0. —  reis, 
Heerzug,  Feldzug,  80,  105,  s.  Schmeller  3,  125.  reisspieß  67,  85,  s.  Schmeller 
3,  126. —  renner,  Bote,  Läufer,  53,  s.  Frisch  2,  110,  Schmid  431.  Bei  Schmeller 
3,  100  fehlt  diese  Bedeutung.  —  ross ,  an  rössern  und  anderm  viech  81,  vgl. 
Hugo  von  Langenstein  Martina  101,  54:  etliche  sie  bunden  wilden  rossirn  an 
sweifen,  vgl.   auch  u.  scheff. 

mmpl,  Sand,  99,  s.  Schmeller  3,  249.  —  schaffen,  befehlen,  gebieten, 
mit  nachfolgendem  daß,  z.  B.  55,  58,  59,  60,  62,  122,  vgl.  Schmeller 
3,  330.  —  schaffen,  stellen,  73:  der  \A  eyasit  hett  drißig  tusent  man 
von  den  wißen  Tataren,  die  schuf  er  vornen  an  den  strit.  —  scheff,  Schiff, 
s.  Schmeller  3,  3  35,  uf  die  scheffer  5  4  (vgl.  oben  ross).  schiblich,  rund, 
114,  115.  —  schibumb,  ringsum,  114.  —  schibicise,  rund,  140,  s.  Schmel- 
ler 3,  309.  —  schlaf  wip,  Beischläferin,  129,  s.  Schmeller  3,  434.  schlagen, 
zwei  land  betten  sich  an  den  Joseph  geschlagen  84;  da  schlug  sich  der 
Weyasit  für  die  stat  59,  da  schlug  er  sich  ze  veld  77,  Tämerlin  schlug 
sich  für  die  stat  7  8. —  stabel,  Stäbchen,  148.  —  sunder,  besonders,  zumal,  128, 
139,  153,  s.  Schmeller  3,  26  7.  —  sunder  süchtige,  Aussatz,  wann  er  in  von  den 
j lies :  dei]  sundersichtig  rein  gemacht  hett  147,  so  würd  er  gesund  von  siner 
sundersüchtige    14  7,   vgl.   Schmeller   3,    195    und    26  8. 

tilijüchs,  täglich,  15  5.  —  tegenkint ,  Knabe,  12  4,  s.  Schmeller  1,  359  u. 
mhd.  Wb.  1,  818,  wo  mau  noch  aus  Gesammtabenteuer  XLVIII,  5  3  degen- 
kindelin   beifüge. 

überilen,  übereilen,  überholen ;  da  reit  er  über  sie  und  überilt  sie  ,  daß  sie 
nit  zu  wer  mochtent  komen  6  6.  —  überlegen,  belegen,  bedecken;  zu  dem  ostertag 
überlegt  künig  Soldan  Abrahams  tempel  mit  einem  samat  tuch  128,  vgl.  mhd. 
Wb.  1,  993.  —  u/heben,  wie  der  Bayasit  ein  ganz  land  ufhub  5  6 ,  er  zog  hin 
gen  Ungern  und  hub  ein  ganz  land  uf  und  fürt  mit  im  uß  dem  selben  lande 
sechzehen  tusent  man  mit  wiben  und  mit  kinden  mit  allem  irm  gut  5  7.  — 
umberen,  umackern,  umpflügen,  76,  s.  Schmeller  1,  97,  Schmid  17  0.  — 
umbfallen  (?),  sie  liefen  zu  dem  turen  und  umbvielen  (?)  in,  daz  er  nit  davon  mocht. 
Da  sprang  er  durch  ein  vienster  12  0.  —  umbiegen,  besetzen,  einschließen;  sie 
umbiegten  die  eben  60,  er  umbleit  die  stat  70,  das  birg  73.  —  umbsäs ,  um- 
sässig,  152,  s.  Schmeller  3,  287.  —  underwinden,  "Weyasit  erzürnet  und  sprach 
dristunt  daß  sich  einer  des  Karamans  underwund.  Und  erst  zum  dritten  mal  kam 
einer  und   underwand   sich   sin  und   fürt  in   hinder  sich  und  köpft  in    5  9.  —  der 


LITTERATUR.  379 

ungesund,  die  Ungesundheit,  99,  s.  Schindler  3,  267,  —  unz,  Unze;  ein  schlich 
sol  nun  unz  haben  und  ein  unz  ist  das  erst  gelid  an  dem  dornen  103.  —  an- 
ziiber ,  Ungeziefer,  103,  s.  Sehmelier  4,  228.  —  urfar,  Platz  zur  Anfahrt, 
Landeplatz,  136,  s.  mhd.  Wb.  3,  25  0,  Schmeller  1,  54  7.  —  vßhoren,  (die 
Sophienkirche  in  Constantinopel  ist  gebaut)  mit  ußgeborten  marmelstein  und  ist 
och  darmit  gepflastert  160,  —  ußgenomen ,  ruch  an  irem  lip,  ußgenomen  an 
den  henden  8  8,  ußgenomen  die  Armeni  13  6,  uCsgenomen  einer  15  6,  es  gehö- 
rent  zu  der  stat  drü  hundert  schloß,  on  (?)  ußgenomen  die  hoptstett  94,  vgl. 
Grimms  Wb.  —  vßgerichten,  ißrichten,  aburtheilen,  richten.  Gregorius  bat  Sil- 
vestrum  den  bapst,  daß  er  im  gewalt  gab,  daß  er  sin  priesterschaft  ußgerichten 
möcht  und  sin  volk  148;  der  künig  gab  im  gewalt  über  das  land,  das  richtet 
er  uß    12  3,  vgl.   Grimms  Wb.  u.  ausrichten. 

wagensun,  Pflugschar,  86,  s.  Frisch  2,  415,429,  Schmeller  3,  258.  4,41. 
—  ivärts,  gen  oeeident  wertz  der  sunnen  113,  gein  dem  tal  Josaphat  wertz  1 15, 
gein  dem  mer  wertz,  gein  dem  land  wertz  141.  —  ivatsecke,  Mantelsäcke,  89,  s. 
Schmeller  4,  194.  —  tvite,  Weite,  weiter  Raum,  vgl.  Schmeller  4,  199,  uf  einer 
schönen  wit  114,  13  7,  uf  eine  schöne  wit  116.  Daneben  aber  5  8,  71:  uf  ein 
weit.  Wite,  Weite,  und  weide,  Waide  (vgl.  S.  65)  scheinen  mit  einander  ver- 
mengt. — -  der  widerteil,  Gegner,  7  1,  s,  mhd.  Wb.  3,  2  2,  —  zoolke,  ein  schwar- 
zer wölk  122,  123,  einen  schwarzen  wölken  123,  ein  wölke,  der  was  schwarz 
122,  das  schwarze  wölken  123.  Schiltberger  hat  also  innerhalb  weniger  Seiten 
viermal  der  Wolke  (Wolken)  und  einmal  das  Wolken.  Letzteres  stimmt  zu  dem 
mhd.  daz  wölk.'  Als  Mascul.  führt  Frisch  2,  45  6  Wolke  aus  Kaisersberg  und 
Golius  an.  —  der  worten,  daß...,  in  der  Meinung,  in  der  Absicht,  daß..., 
55,  132,  s.  Schmeller  4,  165,  Schmid  538.  —  wundern,  und  sie  hotten  in  in 
großen  eren  und  wunderten  dorumb,  daß  er  ein  cristen  priester  was  gewesen  120. 

zehren,  zähem,  weinen,  54,  59,  s.  Schmeller  4,  2  3  9.  —  zit,  den  ziten, 
zu  den  Zeiten,  64,  den  ziten,  als..  101,  104,  den  selben  ziten  65,  der  ziten, 
als...  6  3.  —  zer  tragen,  wenn  zwei  eelüt  mit  einander  zertragent  und  daß  eins 
das  ander  nit  wil,  so  scheid  man  sie  zu  bett  und  zu  tisch  151;  vgl.  sich  zer- 
tragen,  in  Zwist  geraten,  Feind  werden,  mhd.  Wb.  3,  7  5,  Schmeller  1,  485, 
Frisch  2,  3  80  und  Zarncke  zu  Brand  7,  2  3.  —  zu,  es  sol  zu  keiner  sprach 
mess  gehapt  werden  dann  in  kriechischer  sprach  13  9.  — -  zugehör,  das  ganz 
künigrich  mit  sinem  zugehör  85.  —  zugehör  de,  pferd  mit  allen  zugehörden  1  09, 
mit  vich  und  mit  iren  zugehörden  104,  vgl.  Frisch  1,  467.  Gehört  hierher  134: 
wan  wir  got  fürchten  und  tun  alweg  unserm  gelouben  zugehörd  recht  und  red- 
lich? —  zuhören,  die  stat  mit  allem  zuhören  [bei  Neumann  verdruckt:  zuhören] 
6  7.  Die  beiden  Drucke  haben  zugebörungen.'  —  züllen,  Schiff,  Nachen,  15  8, 
s.  Schmeller  4,  2  5  3.  —  zwei.  Man  beachte:  mit  zwein  hundert  tusent  mannen 
6  9,  zwein  monat  6  9,  mit  zwein  und  drißig  mannen  7  0,  den  tartarischen  herren 
und  zwein  landesherren  70.  —  zwirent,  80,  94  101,  zwirel  103,  zivirot  114, 
zweimal,  s.  Schmeller  4,  307.  —  zwischen,  oft  auch  Zwüschen,  zweschen  116, 
sehr  häufig  zioischent  und  zwüschent ,  mit  Dativ  und  Genitiv,  z.  B.  93,  151, 
s.  Schmeller  4,  310;  enzwischen  113,  wie  im  mhd.,  daneben  ezwischen,  etzwischen 
110,  151.  —  zioistern,  Cisterne,  119.  Ebenso  in  Rothes  düringischer  Chronik 
509,   vgl.   Germania   5,    247. 

Bemerkungen  über  lautliche  Eigenthümliehkeiten  der  Sprache  Schiltbergers 
oder    wenigstens    der  Heidelberger  Handschrift  seiner  Reise  unterdrücke  ich  be- 


380  LITTERATUR. 

sonders  aus  jenem  Gefühle    der  Unsicherheit    in  Bezug    auf   genaue  Wiedergabe 
der  Handschrift. 

WEIMAR,  August  1S62.  REINIIOLD  KÜHLER. 


Apollo  Smintheus  und  die  Bedeutung  der  Mäuse  in  der  Mythologie  der  Indo- 
germanen,  von  Dr.  Joseph  Virgil  Grohmann.  Prag  1862,  Calve'scher 
Verlag.   86  S.   8. 

Bekanntlich  führt  Apollo  öfters  eine  Maus  als  Attribut  und  wurde  deß- 
halb  Smintheus  genannt.  Er  sandte  Mäuse  als  weisende  und  als  strafende  Thiere. 
Aus  den  Sagen  und  Mythen  des  griechischen  Alterthums  geht  unzweifelhaft  her- 
vor, daß  es  zwischen  Apollo  und  den  Mäusen  tiefe  und  uralte  Bezüge  gegeben 
habe ,  für  welche  den  spätem  Griechen  selbst  schon  das  Verständniss  verloren 
gegangen  war.  Wie  dem  genannten  Gotte  der  Griechen ,  war  die  Maus  auch 
dem  Rudra  der  Inder  geweiht.  Von  diesen  beiden  Anhaltspunkten  ausgehend, 
kommt  Hr.  Grohmann  mit  Beziehung  vieler  germanischer  und  slavischer  Volks- 
sagen und  Aberglauben  auf  scharfsinnige  Weise  zu  folgenden  Resultaten.  „Die 
Mäuse  sind  Gewitterwesen,  ihr  Zahn  ist  der  Blitzzahn.  Wenn  sie  denselben  fallen 
lassen,  so  wird  die  Seele  des  Menschen  geboren,  die  nun  als  Maus  im  Körper 
wohnt,  um  nach  dem  Tode  des  Menschen  wiederum  als  Maus  zurückzukehren 
in  die  Schaar  jener  Sturmgeister,  von  denen  sie  ausgegangen  ist.  Die  Seele  des 
Frommen  und  Gottesfürchtigen  vereinigt  sich  mit  der  Schaar  der  lichten  seligen 
Geister,  den  Genossen  und  Gehilfen  der  Götter,  den  weißen  Mäusen ;  die  Seele 
des  Gottlosen  aber  mit  den  götterfeindlichen  Dämonen ,  den  Schwarzeiben  und 
Trollen,  den  Panis  und  Rackschasen ,  den  schwarzen  Mäusen.  Als  Führer  der 
Sturmgeister,  der  Maruts,  sind  die  Sturmgötter  Rudra  und  Wuotan,  nebst  seiner 
Gemahlin  Freya,  so  wie  Apollo  auch  die  Führer  der  weißen  Mäuse;  als  blitz- 
führende Gewittergottheiten  waren  sie  nach  theriomorphischer  Anschauung  ur- 
sprünglich selbst  wohl  Mäuse.  So  erklärt  sich  insbesondere  der  Name  Smintheus 
und  die  Verehrung  der  weißen  Mäuse  im  Tempel  zu  Hamaxitus.  Der  Donner- 
gott aber,  der  Feind  der  finstern  Dämonen,  war  auch  der  entschiedenste  Gegner 
der  dunklen  Mäuse,  die  insbesondere  zur  Winterszeit  die  Oberhand  gewannen. 
Mit  seinem  Donner  schreckt  er  sie  bei  Beginn  des  Frühlings  aus  dem  Hause. 
Als  Vertilger  der  Mäuse  erscheinen  neben  Donar  ausdrücklich  noch  die  Acvinen, 
die  ja  auch ,  indem  sie  die  Morgensonne  am  Himmel  entzünden ,  die  Dämonen 
der  Nacht,  welche  beim  Anblick  des  Tages  zu  Stein  werden,  verscheuchen.  Alle 
diese  Vorstellungen  galten  ursprünglich  nur  für  die  himmlischen  Mäuse.  Sie 
wurden  aber  auf  die  irdischen  Mäuse  übertragen ,  nachdem  sich  die  Götter  und 
Dämonen  zu  voller  Menschlichkeit  entwickelt  hatten,  die  traditionelle  Redeweise 
aber  hinter  dieser  Entwicklung  zurückgeblieben  war.  Nun  entstand  nach  einem 
ganz  gewöhnlichen  Vorgange  (Mannhardt,  Götterwelt  S.  3l)  entweder  der  Glaube, 
daß  jene  Wesen  die  Macht  hätten,  sich  in  Mäuse  zu  verwandeln  oder  zeitweilig 
in  diese  Gestalt  verzaubert  würden,  oder  man  erzählte  sich  nun  von  den  irdischen 
Mäusen ,  was  früher  von  den  himmlischen  gegolten  hatte.  Apollo  und  Freya 
geboten  nun  auch  den  Feldmäusen  und  sandten  diese  zur  Strafe  auf  die  Äcker 
der  Gottesverächter,  und  Donar  vertrieb  nicht  mehr  die  himmlischen  Mäuse, 
sondern  die  irdischen ,  die  nun  seine  Abzeichen  eben  so  scheuten  ,  wie  früher 
die  dämonischen   Mäuse."    (S.  7  5  u.  7  6.) 


LITTER  A.TUR.  381 

Mit  so  großem  Scharfsinne  und  reicher  Belesenheit  die  Untersuchung  auch 
geführt  ist,  können  wir  den  gewonnenen  Resultaten  gleichwohl  nicht  beistimmen. 
Nach  unserer  Überzeugung  stehen  die  Mäuse  mit  Apollo  —  als  Lichtgott  in 
Beziehung.  Apollo  als  solcher  ist  auch  Frühlingsgott.  Thaut  die  Erde  vor  den 
Strahlen  des  Sonnengottes  auf,  so  schlüpfen  die  Feldmäuse  aus  ihren  Löchern; 
sie  galten  desshalb  als  Boten  des  Frühlings  und  waren  dem  Lichtgotte  heilig. 
Als  Verkündigern  der  annahenden  schönen  Jahreszeit  wurde  ihnen  prophetische 
Gabe  zugetraut,  und  dies  war  ein  neuer  Grund,  sie  mit  Apollo  in  Beziehung 
zu  setzen.  Wie  dem  genannten  Gotte  waren  sie  auch  der  Saatgöttin  geheiligt, 
denn  vergoldete  Ähren  und  vergoldete  Mäuse  wurden  der  phönicischen  Ceres 
als  Sühnopfer  dargebracht  (Welcker,  griech.  Götterlehre  1,  484).  Wie  aber  die 
Mäuse  dem  Apollo  und  der  Ceres  geweiht  galten ,  weil  sie  den  Beginn  des 
Frühlings  und  das  Aufkeimen  der  Saat  anzeigten;  ebenso  glaubte  man,  daß  sie 
als  rächende  Boten  von  diesen  Gottheiten  gesandt  werden.  Im  germanischen 
Volksglauben  ward  die  Maus  wohl  nicht  dem  Wuotan  oder  Donar,  sondern  dem 
Freyr  (Frö)  heilig.  Er  war  Sonnen-  und  Frühlingsgott  und  Spender  der  Frucht- 
barkeit und  diesen  Eigenschaften  entsprach  das  Attribut  der  Maus.  Die  Aber- 
glauben (S.  17),  die  sich  an  die  Maus  knüpfen,  sind  desshalb  auf  Freyr  nach 
meiner  Meinung  zu  deuten ,  dem  ja  auch  der  Eber  (vgl.  S.  5)  geheiligt  war, 
und  dem  ich  das  Farnkraut  (vgl.  S.  18)  als  heilige  Pflanze  in  meiner  Abhand- 
lung St.  Johannissegen  und  Gertrudenminne  zuweisen  mußte.  Haben  wir  keine 
schlagenden  Mythen,  welche  die  Maus  dem  Freyr  zutheilen,  so  sind  desto  be- 
merkenswerther  die  Legenden  und  Glauben,  welche  die  Maus  mit  der  hl.  Ger- 
trud in  innigste  Beziehung  setzen.  Gertrud  ist  aber,  wie  ich  in  meiner  genannten 
Schrift  nachzuweisen  bestrebt  war,  an  die  Stelle  von  Freys  Gattin,  der  leuch- 
tenden Gerdr,  getreten  ;  sie  ist  Saatgöttin  und  repräsentiert  die  wiederaufthauende 
Erde.  Gertrud  hat  eine  Maus  am  Spinnrocken,  weil  an  ihrem  Feste  (17.  März) 
die  Mäuse  aufs  Feld  laufen.  An  demselben  Tage  soll  man  aber  den  Feld-  und 
Gartenbau  beginnen,  weil  sie  die  erste  Gärtnerin  war.  Wenn  Seelen  als  Mäuse 
erscheinen,  so  gelten  die  Mäuse  als  elbische  Wesen.  Sie  können  als  solche  um- 
somehr  mit  Freyr  in  Verbindung  stehen ,  da  dieser  Gott  den  Elfen  vorstand 
und  über  Alfheim  herrschte.  —  Diese  Bemerkungen  mögen  genügen.  Ich  hoffe 
die  Bedeutung  der  Mäuse  in  der  deutschen  Mythologie  und  ihr  Verhältniss  zu 
Freyr  und  Gerdr   in   dieser  Zeitschrift  nächstens  eingehender  behandeln  zu  können. 

Obwohl  ich  mit  dem  Ergebniss  nicht  einverstanden  bin,  verdient  dennoch 
die  vorliegende  Schrift  wegen  des  reichen  Materials  und  der  selbständigen  um- 
sichtigen Forschung  mit  Freuden  begrüßt  und  empfohlen  zu  werden. 

I.  V.  ZINGERLE. 


1.  Naturmythen.  Neue  Schweizersagen,  gesammelt  und  erläutert  von  Ernst  Lud- 

wig Rochholz.  Leipzig  bei  Teubner   18G2.  XIV  und   288   S.    8. 

2.  Sagen,   Bräuche,  Legenden  aus  den  fünf  Orten  Lucern,   Uri,   Schwiz,  Unter- 

waiden und  Zug.    I.   Sagen.    Von  Alois  Lütolf.     Lucern    bei  Schiffmann 
186  2.  Erste  Lieferung   80   S.   8. 

3.  Beiträge  zur  deutschen  Mythologie.     Gesammelt    in    Churrhätien    von  Dr. 

J.  J.  Vonbun.  Chur  bei  L.  Hitz.   1862.    137   S.   8. 

Vorgenannte  drei  Werke   zeigen,    mit  welchem  Eifer  in  der  Schweiz  an 
die  Sammlung  von  Sagen  und  Volksbräuchen  gegangen  wird.    Während  vor  we- 


382  LITTER  ATT  TR. 

nigen  Jahren  noch  eine  wissenschaftliche  Lese  von  Schweizersagen  ganz  fehlte, 
reiht  sich  jetzt  Sammelwerk  an  Sammelwerk,  nachdem  Rocbholz  den  glücklichen 
Wurf  gethan  und  in  seinen  Aargauer  Sagen  gezeigt  hat ,  wie  man  Sagen  sam- 
meln ,  darstellen  und  ihren  Gehalt  wissenschaftlich  verwerthen  solle.  Sein  vor- 
treffliches Werk,  dem  die  verdiente  Anerkennung  nirgends  versagt  wurde,  mußte 
zur  Nacheiferung  anregen  und  selbst  Verächter  alter  Volkstraditionen  bekehren. 

1.  Von  dem  unermüdlichen  Sammler,  der  mit  scharfem  Blicke  die  Ent- 
stehung und  Entwicklung  vieler  Sagen  durchforscht  und  aufgedeckt  hat,  liegt  ein 
neues  Werk  vor,  das  sich  von  den  schon  vorhandenen  Schriften  über  deutsche  Sagen- 
forschung und  Götterlehre  unterscheidet.  Er  zeigt  darin  die  schweizerische  Sagen- 
bildung als  bedingt  durch  den  geologischen  Bau  des  Gebirges  und  den  Gang  seiner 
Gewässer.  In  der  trefflichen  Einleitung  zeigt  er,  wie  den  Sagen  vom  Türst  und  der 
wilden  Jagd  des  Tösjägers  mächtige  Naturerscheinungen  in  den  Alpen  zu  Grunde 
liegen.  Die  Sammlung  selbst  zerfällt  in  zwei  Abtheilungen,  deren  erste  die  Ab- 
schnitte: die  Wetterherren,  der  Kornweg,  der  wilde  Jäger  in  Jura,  Sturmthiere, 
die  Zwerge  in  Jura,  waschende  Jungfrauen  enthält.  Die  zweite  behandelt  die  Hort- 
sagen, das  Irrlicht,  Schlange  und  Drache,  die  Wolken,  den  Mond  und  die  Hasen- 
frauen. Zu  der  Abhandlung  über  die  Wetterherren  S.  1  — 16  glaube  ich  bemerken 
zu  müssen,  daß  in  Tirol  Johann  und  Paul,  und  Oswald  als  die  größten  Wetterherren, 
St.  Margaretha  als  Wetterfrau  verehrt  und  gefürchtet  werden.  Sind  in  der  benach- 
barten Schweiz  diese  Traditionen  ganz  verschollen?  —  Sehr  zahlreich  sind  die 
Sagen  vom  wilden  Jäger  in  Jura.  Schon  die  erste  „der  Türst  auf  Eroburg"  in- 
teressirt  durch  den  Namen,  der  an  den  Gott  Fru  erinnert.  Sagen  von  kegelnden 
Riesen  und  Geistern,  von  Schweinreitern  u.  a.  folgen.  Hat  sich  in  den  auch 
anderswo  nicht  selten  auftretenden  Sagen  von  Schweinerittern  ein  Anklang  an 
den  auf  dem  goldborstigen  Eber  reitenden  Freyr  erhalten?  —  Nicht  weniger 
reichhaltig  sind  die  Abschnitte  von  den  Sturmthieren  und  den  Zwergen  in  Jura. 
All  die  Züge,  die  anderswo  von  Erdmännlein  und  Wichtein  erzählt  werden, 
kommen  hier  wieder  vor.  Dasselbe  gilt  von  den  Hortsagen  (S.  15  3),  die  auch 
das  Capitel  von  Schätzen  durch  ihre  Allseitigkeit  beinahe  erschöpfen.  Viele  neue 
Züge  enthalten  die  Abschnitte:  Sehlange  und  Drache,  der  Mond  und  die  Hasen- 
frauen. Wir  haben  hier  selbständige  Abhandlungen,  die  durch  den  Reichthum 
des  Stoffes,  scharfsinnige  Forschung,  neue  Resultate  und  schöne  Form  in  hohem 
Grade  anziehen.  Daß  Hr.  Rochholz  in  diesen,  wie  in  den  Anmerkungen  zu  den 
Sagen  die  ganze  einschlägige  Literatur  berücksichtigt,  braucht  nicht  erst  bemerkt 
zu  werden.  Ein  sehr  zweckmäßig  angelegtes  Sachregister  schließt  das  ausgezeich- 
nete Buch  ab,  das  gewiß  alle  Freunde  deutscher  Sagenforschung  mit  ungetheilter 
Freude  begrüßen. 

2.  Hr.  Lütolf  verdient  unsern  Dank,  da  er  es  unternommen  hat,  den  Sa- 
genhort der  Urcantone  zu  heben.  Daß  er  die  Sache  nicht  leicht  nahm  und  erst 
nach  «rundlichen  Vorstudien  die  Hand  ans  mühevolle  Werk  legte,  beweisen  die 
den  einzelnen  Sagen  beigegebenen  Anmerkungen,  welche  eine  lobenswerthe  Kennt- 
niss  der  Sagensammlungen  und  der  deutschen  Mythologie  bekunden.  Das  vor- 
liegende Heft  enthält  Sagen  von  Gewittermächten,  von  dem  wüthenden  Heere, 
von  Zwergen  und  Riesen ,  von  schatzhütenden  Geistern  und  der  guten  Frau. 
An  der  Spitze  des  Ganzen  steht  die  mit  großer  Ausführlichkeit  behandelte  Pi- 
latussage. Der  Pilatusberg,  an  dem  sich  eine  Menge  von  Sagen  und  Mythen 
abgelagert  hat,   war  zweifelsohne  eine  heidnische   Cultusstätte.  Dies  beweist  hin- 


EJTTERATUR,  383 

länglich  das  uralte  strenge  Verbot  wider  den  Besuch  des  genannten  Sees.  An 
dem  Pilatusberg  haften  auch  die  Sagen  vom  Domini.  Dieser,  wegen  seiner  Ver- 
brechen verwünscht  und  versteinert,  muß  einen  unermeßlichen  Goldschatz  so 
lange  hüten,  bis  ihn  Jemand  zur  Herausgabe  des  Hortes  zwingen  kann.  Interes- 
santer ist  folgende  Sage  (S.  17):  Der  Domini,  wohnhaft  im  Chirbel ,  war  dort 
ein  zauberverrufener  Mann.  Da  es  endlich  mit  ihm  zu  Ende  gieng,  jagte  der 
Türst  bei  seinem  Hause  vorbei  und  man  hörte  rufen :  Domini  chumm,  'sist  zit, 
Domini  chumm,  'sist  zit."  Sogleich  gab  er  den  Geist  auf.  —  Er  ward  somit 
vom  wilden  Jäger  abberufen  und  in  sein  Gefolge  aufgenommen.  Diese  Sage  bat 
ein  sehr  altes  Gepräge.  Da  der  Pilatusberg  das  Lieblingsrevier  des  wilden  Jägers 
(S.  28),  dieser  aber  Wuotan  ist,  so  gewinnt  dadurch  Rochholz  und  Runge's 
Ansicht,  daß  Pilatus  hier  von  pileatus,  der  Behütete,  abzuleiten  sei,  neuen  Halt. 
—  Unter  den  übrigen  Sagen  verdient  namentlich  die  von  Frau  Zälti  (S.  7  2) 
unsere  Aufmerksamkeit.  Denn  unter  diesem  Namen  lebt  noch  in  der  Urschweiz 
die  von  mittelhochdeutschen  Dichtern  so  oft  genannte  „vrou  Saelde"  fort.  An 
sie  hat  sich  aber  vieles  angelehnt  ,  was  anderswo  von  der  Frau  Berchta  und 
Hulda  erzählt  wird.  Nirgends  kann  aber  Frau  Zälti,  diese  Glücksgöttin,  ihre  alte 
Güte  und  Freundlichkeit  verleugnen.  Die  Anmerkungen  sind  mit  großer  Umsicht 
und  Kenntniss  geschrieben.  Zu  weit  geht  aber  Herr  Lütolf,  wenn  er  hinter  dem 
in  Volksliedern  so  oft  vorkommenden  Namen  Anneli  die  Göttin  Nanna  vermu- 
then   möchte. 

3.  Geben  Rochholz  und  Lütolf  meist  die  Sagen  einfach  erzählt  nach  dem 
Inhalt  geordnet,  und  fügen  ihnen  erklärende  Anmerkungen  bei ,  so  verfolgt  der 
uns  schon  früher  rühmlich  bekannte  Verfasser  eine  andere  Weise.  Er  liefert 
eine  kleine  Mythologie  Churrhätiens  und  berichtet  in  fortlaufender  Rede  über 
Götter  und  Halbgötter,  elbische  Wesen,  über  Zauber,  Thiere,  Bäume  und  Kräuter. 
Grimms  Mythologie  und  Mannhardts  Götterwelt  bilden  gleichsam  den  Zettel, 
die  Sagen  aus  Graubünden  und  Vorarlberg  den  Eintrag  dieses  Gewebes.  Wir 
ziehen  die  von  den  andern  befolgte  einfachere  Weise  vor.  Sind  die  Sagen  ein- 
mal gesammelt  und  klar  geordnet,  dann  kann  sich  einer  das  Vergnügen  machen, 
eine  Mythologie  des  betreffenden  Stammes  oder  Gaues  zu  bilden,  wie  dies  Hr. 
Quitzmann  gethan  hat.  —  Vonbuns  Büchlein  enthält  neben  den  Belegen  für 
lang  bekannte  Volkstraditionen  auch  manches  Neue.  Das  Ganze  ist  mit  feinem 
Sinne,  großer  Wärme  und  vielem  Geschmacke  geschrieben.  Wir  wünschten  nur, 
daß  er  in  seinen  Verweisen  auf  die  einschlägigen  Sammelwerke  der  benachbarten 
Länder:  Tirol,  Baiern  und  Würtemberg  mehr  Rücksicht  genommen  hätte.  Da- 
durch hätte  das  Buch  viel  gewonnen ,  und  manche  Parthie  wäre  dadurch  viel 
mehr  aufgehellt  worden.  Sehr  werthvoll  sind  die  Mittheilungen  über  das  mit 
Musik  umziehende,  Kühe  schlachtende  Nachtvolk  (S.  2).  Irrig  ist  es  aber,  wenn 
das  S.  1 2  erwähnte  Todtenvolk  oder  die  Nachtschaar  geradezu  mit  dem  Nacht- 
volk verwandt  bezeichnet  wird.  Der  aus  mehreren  Thalschaften  Churrhätiens 
beigebrachte  Volksglaube  hat  mit  dem  Nachtvolke  nichts  zu  thun ,  er  ist  das 
zweite  Gesicht,  das  namentlich  in  Westphalen ,  doch  auch  in  Tirol  vorkommt. 
Freilich  sind  auf  dasselbe  in  Churrhätien  Züge  von  dem  Nachtvolke  und  dem 
wiithenden  Heere  übertragen.  Der  S.  2  0  mitgetheilte  Reim  kommt  auch  iu  Tirol 
vor.  Wir  können  aber  trotz  alles  Bemühens  in   den  Versen : 

Gott  alls  grota  lot 

Zwüschat  alla  stega  und  wega 


384  LITTERATUR. 

nicht  herausfühlen,  daß  sie  wie  ein  alter  Hymnus  klingen.  Zu  weit  geht  Vonbun, 
wenn  er  in  allen  weißen  Frauen  (S.  25  u.  26)  Holda-Berchta  sucht.  Dankes- 
werth  und  trefflich  ist  das  über  die  Nornen  (S.  33 — 3  8)  Mitgetheilte.  In  dem 
Abschnitte  elbische  Wesen  bespricht  er  den  Schräthlig,  das  Doggi,  die  Fänken, 
Dialen  und  Bütze.  Bei  den  Fänken  hätten  jedoch  jene  Sagen,  die  uns  dieselben 
als  gefrässige  Riesen  darstellen,  ausgeschieden  werden  sollen.  —  Interessant  ist 
die  Mittheilung  über  die  geographische  Verbreitung  der  "VVildfanggen  (S.  6  3); 
die  Thäler,  die  in  näherer  oder  weiterer  Entfernung  vom  Wurzelstocke  des  Sel- 
vretta  auslaufen,  sind  die  eigentlichen  Heimatsitze  der  Fänken.  Unter  den  Dialen- 
sagen  zeichnet  sich  die  von  Selbst  gethan  (S.  6  7)  aus.  Der  Abschnitt  „Zauber" 
behandelt  Hexen  und  Hexenakten.  Da  werden  uns  viele  Namen  der  Hexenteufel 
und  die  Tanzplätze  (S.  91  und  101)  aufgezählt.  Außerdem  bietet  dieser  Abschnitt 
wenig  neues.  Das  Verfahren  bei  Hexenprozessen,  das  angebliche  Treiben  dieser 
Unglücklichen  war  ja  überall  dasselbe.  Der  werthvollste  Theil  des  ganzen  Büch- 
leins ist  die  Abhandlung  über  Thiere,  Bäume  und  Sträucher  (S.  104).  Sie  gibt 
viele  neue  Züge  und  hellt  manches  Dunkel  auf.  Ich  verweise  nur  auf  den 
Scbwarzspecht ,  der  mit  der  hl.  Gertrud  in  Verbindung  steht.  Letzteres  rührt 
daher,  daß  dieser  Vogel  als  Frühlingskünder  angesehen  wird ,  wie  die  genannte 
Heilige  als  Frühlingsbringerin  gilt  (S.  110).  Die  S.  118  vom  drachenbändigenden 
Zwerge  mitgetheilte  Sage  kommt  auch  in  Ulten  vor.  Zusammenstellungen  des 
Python  mit  dem  Lintwurm  (S.  119)  und  der  Io  mit  dem  Kuhbauch  (S.  121) 
sind  zu  gesucht  und  nutzlos.  Beachtenswerth  ist  die  heilige  ,  dem  hl.  Georg 
geweihte  Tanne  (S.  124).  Die  Sage  vom  Rennthiermoos  (S.  13  5)  ist  auch  in 
Tirol  weit  verbreitet,  wie  ich  in  meinen  Volkssitten  und  Sagen  aus  Tirol  längst 
nachgewiesen  habe.  Die  Mittheilungen  über  St.  Johannsnacht  und  St.  Johanns- 
tag (S.  13  3)  verdienen  unsern  Dank  und  erwecken  den  Wunsch,  der  Verfasser 
möchte  über  die  Sitten  und  Bräuche  Vorarlbergs  und  Churräthiens  bald  meh- 
reres  veröffentlichen. 

J.  V.  ZmGERLE. 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT. 


MYTHOLOGISCH 

VON 

E.  L.  ROCHHOLZ. 


I.  DAS  GOLDENE  ZEITALTER, 

Das  Blut,  das  alle  Körpertheile  durchdringt,  gehört  mit  zum  In- 
begriff der  Lebenskraft  und  wird  entweder  als  die  Seele  selbst  oder 
als  deren  Stellvertreter  gefaßt.  „Die  Seele  des  Fleisches  ist  im  Blute. 
Das  Blut  ist  die  Seele  selbst."  3.  Mos.  17,  11.  —  5.  Mos.  12,  23. 
War  es  nun  der  geistige  Versuch  eines  jeden  Zeitalters,  die  bunte 
Reihenfolge  der  selbstbewussten  Wesen  geordnet  zu  überblicken ,  die- 
selben nach  dem  ihnen  zukommenden  Maße  von  Geist  und  Lebenskraft 
zu  überzählen,  und  bedarf  man  dazu  eines  allgemeinen  Gradmessers, 
so  konnte  man  wohl  meinen,  am  Blute  zuerst  einen  solchen  Maßstab 
gefunden  zu  haben.  Das  Alterthum  hat  im  Allgemeinen  die  zu  höchst 
stehenden  Wesen  als  die  Feinblütigen  und  Blutreichen  angesehen,  als 
Dickblütige  oder  ganz  Blutlose  aber  diejenigen,  welche  auf  der  unter- 
sten Stufe  geistiger  Geltung  und  physischer  Kraft  standen.  Vollstän- 
diger Blutmangel  galt  als  vollständiges  Aufhören  von  Leben,  als  voll- 
ständige Abwesenheit  von  Geist.  Insgesammt  bedürfen  die  alles  er- 
schaffenden und  erhaltenden  Götter  ihres  eigenen  Geblütes,  hierin  allein 
schon  liegt  der  Grund  alles  blutigen  Opfers:  denn  je  blutreicher  ihr 
göttlicher  Körper  durch  den  Genuß  eines  gediegenen  Opfermahles 
gemacht  werden  kann ,  um  so  ewiger  wird  ihre  Gottheit  und  um  so 
herrlicher  vermögen  sie  fortzufahren ,  eine,  immer  in  den  Tod  zurück 
sinkende  Menschheit  zu  entsühnen,  zu  erlösen,  zu  verjüngen.  Die  natür- 
lichste Folge  dieser  Voraussetzung  muß  sein,  daß  solcherlei  Götter 
auch  verwundbar  sind  und  ihr  eigenes  Blut  vergießen,  dieses  aber  muß, 
damit  es  sich  vom  menschlichen  unterscheide,  bald  Gold,  bald  Milch, 
bald  M.Ich  und  Blut  zugleich  sein. 

Den  Götterhimmel  mit  all  seinen  Gestirnen,  den  Leib  der  Götter 
selbst,  nicht  minder  auch  den  ihrer  Lieblingswesen,  ihrer  Gefolgs-  oder 

GERMANIA  VII.  25 


386  E-  L-  ROCHHOLZ 

Wappenthiere  durchrinnt  ein  Geblüt ,    das  pures  Gold  ist.     Dies  wird 
hier  sofort  zum  Erweis  gebracht. 

Den  ganzen  Himmelsraum   durchrinnt    ein    goldenes  Liebes-  und 
Glückseligkeitsblut.  Die  Sonne  streut  im  Aufgange  Gold  aus  und  geht 
im  Westen  wieder  zu  Golde.    Morgenstund   hat  Gold  im  Mund.    Wo 
der  Regenbogen  seinen  Schenkel   auf  die  Erde  setzt,    glaubt  man  die 
goldenen  Atelspfenninge  und  Regenbogenschüsselein  zu  finden.  Als  das 
gutherzige  Mädchen    ihr   Stück  Brod ,    ihr   Häubchen   und   Kleid    der 
Reihe  nach  an  die  bettelnden  Kinder  hingegeben  hat  und  zuletzt  auch 
noch  das  Hemdchen  ,    daß  es  Nachts  nackt  im  Walde  dasteht ,   fallen 
darüber    alle   Sterne    gerührt   vom   Himmel  in   den    Wald  herein   und 
lassen  sich  als  Sternthaler  auflesen.  KM.  Nr.  153  .  Als  das  Marienkind 
im  Märchen  ein  wenig  an  den  Glanz  der  Dreieinigkeit  rührt,  wird  ihm 
davon  der  Finger  golden.  Das  Graumännchen  erlaubt  dem  Knaben  nicht, 
das  siebente  Zimmer,  das  verschlossen  gehaltene  im  Hause,  zu  betreten, 
nicht  im  Garten  bis  an  den  Brunnen  zu  gehen.  Als  der  Knabe  hierauf 
den  Finger  wenigstens  durchs  Schlüsselloch  jener  siebenten  Thüre  steckt, 
als  er  dennoch    in   den  Brunnen   hineinlangt,    wird   der  Finger  drüber 
golden,  denn  dort  hat  er  in  den  Himmel,  und  da  in  dessen  Milchmeer 
(von  welchem  noch  hernach)  hinein  gegriffen,  und  auf  den  ersten  Trunk 
aus  diesem  wäre  das  Kind   ganz  golden  geworden.     Letzteres   erweist 
sich  im  Märchen  von  den  Goldkindern  Nr.  85.     Als  da  der  Goldfisch 
gefangen  und  verzehrt  ist,  bekommt  des  Fischers  Ross  zwei  Goldfüllen, 
des  Fischers  Frau  zwei  Goldsöhne,  und  dazu  wachsen  noch  zwei  gol- 
dene Lilien  auf.  Da  nun  der  eine  Sohn  auszieht  zu  freien,  muß  er  sich 
und  sein  Ross  erst  in  ein  Bärenfell  verhüllen,  als  ob  er  nur  ein  armer 
grober  Bettler  wäre.     Sobald  er   aber   einmal   im  Königsschlosse  über 
Nacht  behalten  wird   und   seine  Bärenfelle  vor  dem  Bette   abgeworfen 
liegen,  erblickt  man  staunend  in  diesem  Schläfer  einen  herrlichen  gol- 
denen Mann.  Der  König  schlägt  nach  dem  armen  Mädchen  Allerleirauh, 
das  bei  ihm  im  Schlosse  Magd  geworden  ist,  einmal  mit  der  Peitsche, 
da  bekommt  ihr  Rauhmantel  einen  Riß,  ein  prächtiges  Goldkleid  schim- 
mert drunter  hervor,    neugierig   reißt  der  König  den  Riß  größer    und 
sie  ist  entdeckt  als  die  schönste  Königstochter  der  Welt  (KM.  3,  116). 
Solcherlei  kleine  Züge  zeigen  uns  also  die  Göttergestalt  ganz  golden; 
sie  würden  aber    nur   liebliche   deutsche  Zufälligkeiten  heißen  können, 
wenn  sie  nicht  durch  alle  Welt  giengen  und  bei  allen  Völkern  wieder- 
kehrten. 

In   den    tatarischen  Heldensagen ,    die  Castren   aus    dem    Munde 
der  altaischen  Völker  gesammelt  hat  (Ethnologische  Forschungen,  Pe- 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  387 

tersburg  1837),  kehrt  unser  Hans  mein  Igel  und  Allerleirauh  wieder. 
Alten- Arga,  d.  h.  Goldmädchen,  entflieht  den  Liebeswerbungen  des 
Alten- Aira,  d.  h.  Goldknoten.  Mittelst  eines  umgeworfenen  Federhemdes 
schwingt  sie  sich  durch  die  Lüfte,  wird  aber  von  ihm  erreicht  und  von 
seiner  Peitsche  getroffen ;  dadurch  platzt  das  Federgewand  mit  Adler- 
schwingen ihr  auf  dem  Rücken  entzwei  und  sie  stürzt  als  nacktes 
Goldmädchen  auf  die  Steppe  herunter,  pag.  187.  Ebendaselbst  entflieht 
Alten-Bürtjük,  d.  h.  das  Goldblatt,  vor  der  gewaltthätigen  Bewerbung 
des  Alten-Taktai ;  sie  verwünscht  sich  erst  in  die  zottige  Gestalt  einer 
Fischotter  und  entfliegt  dann  in  einem  Kleide  mit  Adlerschwingen. 
Jeder  Leser  vermag  hiebei  an  das  „wunderlich  gewant"  der  Donau- 
weiber im  Nibelungenliede  und  an  das  Schwanenhemd  der  Walküren 
zu  denken ,  durch  welches  man  sich  in  Vogelgestalt  verwünscht ,  um 
so  den  herrlichen  Goldleib  eines  himmlischen  Wunschmädchens  unter 
rauher  Vogelbefiederung  zu  verhüllen.  Bekanntlich  genügt  oft  schon 
die  bloße  Schürzung  eines  Knotens  zu  solcher  Vergestaltung,  aber  auch 
dann  blitzt  ein  Streifen  Goldes  noch  durch  diese  schmälste  Hülle.  Im 
KM.  Nr.  41  hat  das  in  ein  Rehkälbchen  verwandelte  Brüderchen  ein 
goldenes  Strumpfband  als  Halskette  um,  sowie  ja  auch  Kerynitis,  jenes 
Hind  der  Artemis,  ein  goldenes  Halsband  trägt  und  darüber  vom  ja- 
genden Herakles  bis  zu  den  Hyperboreern  verfolgt  werden  muß.  Mit 
einer  Goldkette  ist  die  hohe  Uferhecke  umspannt  und  muß  mit  dem 
Schwerte  zerhauen  werden,  daß  Blut  aus  ihr  hervorquillt;  dann  über- 
steigt man  sie  mit  dem  aus  den  fünf  Brunnen  heraufgeholten  goldenen 
Apfel  und  gewinnt  so  die  fünf  Prinzessinnen,  die  der  Drache  zum 
Drachenstein  entführt  hat.  Kuhn,  westfäl.  Sag.  2,  260.  Daß  diese 
Goldkette  hier  ganz  die  homerische  ist,  an  welcher  die  Himmelsgötter 
gegen  Zeus  wettziehen  ,  erweist  sich  aus  einem  Kindersprüchlein  bei 
Montanus,  Volksfeste  1,  88: 

Sagt  man  Regenbogen, 

So  sagt  der  Teufel,  ich  will's  mit  dir  wogen! 

Sagt  man  aber  Himmel  ring, 

So  sagt  Maria:  du  bist  mein  Kind! 
Wir  sollen  also  die  Himmelszeichen  nicht  gröblich  nach  ihrer  elemen- 
tarischen  Erscheinung ,    sondern    ehrfürchtig    nach    ihrer    himmlischen 
Wesenheit  benennen  und  schätzen. 

Beinahe  überflüssig  erscheint  der  Nachweis,  daß  der  Körper  aller 
den  Göttern  geheiligt  gewesenen  Thiere  von  Gold  durchronnen  war. 
Vergoldet  man  doch  heute  noch  den  zu  Ostern  und  Pfingsten  umher 
geführten  Festochsen  das  Gehörne,  und  ist  sogar  der  Bärendreck,  jener 

25* 


388 


E.  L.  ROCHHOLZ 


den  Kindern  wohlbekannte  stangenfönnig  gebackene  Lakriziensaft,  stets 
an  beiden  Enden  vergoldet;  denn  auch  Gold  ist's,  was  solche  Thiere 
von  sich  geben.  Aber  dasselbe  wandelt  sich  stets  zu  süßem  Blute,  zu 
honigvollem  Meth  ,  zu  labender  fetter  Milch ,  und  eben  auf  dieserlei 
Transsubstantierung  des  Thierblutes  soll  hier  als  auf  eine  noch  wenig 
beachtete  Anschauung  hingedeutet  werden.  Denn  wie  die  goldene  Sonne 
alles  ausreift  und  würzig  macht,  so  muß  auch  alle  ihr  geheiligte  Creatur 
Gut  und  Blut  bescherend  für  uns  werden. 

Ich  wähle  dazu  unser  geringstes  Käferchen  aus  und  zugleich  unser 
größtes  jagdbares  Thier,  den  Käfer  Siebenpunkt  und  den  Hirschen. 

Die    coccinella   septempunctata    wird   vom    Schweizerkinde   auf  die 
Finger  zum  Auffliegen  gesetzt  und  dabei  um  die  Lebensdauer  befragt : 
Wie  lange   soll   ich   leben?    Dasselbe  thut   mit  ihm    das    schwedische 
Mädchen ,    indem    sie    sagt :    er   zeichnet   mir   meine   Brauthandschuhe. 
Auf  Nukö    bei   den    Inselschweden    heißt    er  Gullhena ,    Goldhühnleiu 
(Rußwurm,  Eibofolke),  in  England  Ladycow,  in  Deutschland  Frauen- 
kühlein ,    Sonnenkalb ,    und  im  Aargau  wird  er  um  Milch  und  Milch- 
bröcklein angerufen,  wobei  ein  goldenes  Löffelchen  nicht  mangeln  soll 
(alemann.  Kinderlied  Nr.  184).     Dies  kleine  Thierchen    ist   also  aufge- 
fasst  als    eine  Milch    und  Butter,    oder    eine  Butter-    und  Zuckerbrod 
gebende  Kuh ,    durch   die  zugleich  Lebensdauer  und  Liebesglück  ent- 
schieden wird,    weil   sie  unserm  Herrgott  oder  U.  L.  Frau    im  Gold- 
himmel zugehört.  Viel  bedeutsamer  sind  dagegen  die  an  den  Hirschen 
geknüpften  Beziehungen,  und  es  kostet  Mühe,  sich  hier  in  Kürze  dar- 
über   zu    fassen.     In    der  Oswaldlegende   schmieden  12  Schmiede   den 
Goldhirschen,  kein  Krieger  oder  Jäger  vermag  ihn  einzufangen,  er  wird 
der  Braut  allein  zu  Theil;    wie    aber   dieser   große  Hirsch  gebaut  und 
durch  ihn  zugleich  die  Hand  der  Königstochter  erworben  wird,  bis  sie 
eines  schönen  Knäbleins  genest,  das  gleichfalls  den  Namen  Goldhirsch 
bekommt,  das  erzählen  J.  W.  Wolfs  deutsche  Hausmärchen,  pag.  73. 
Als  Graf  Botho  den  Hirschen   im  Harz   für  Kaiser  Barbarossa   einge- 
fangen, bekommt  er  dafür  die  ganze  Grafschaft  Stolberg- Wernigerode 
und  dazu  den  Hirschen  ins  Wappen  gesetzt;    seitdem  sind  dorten  die 
Wirthshäuser  zum  goldenen  Hirschen  geschildet.  Pröhle,  Harzsag.  2,  195. 
Das  würtembergische  Haus  führt  ein  Hirschgeweih  im  Wappen,   aber 
als  Sophia,  die  Tochter  des  Schwabenherzogs  Christoph,  starb,  soll  ein 
solches  Geweih  an  ihrer  Zimmerwand  geblutet  haben.  Birlinger,  schwäb. 
Sag.  Nr.  375.     Golden  ist  der  Hirsch,    weil  er  der  Leben  nährenden 
Sonne  angehört,  darum  knüpft  sich  Machtbesitz,  Eheglück  und  Kinder- 
segen an  ihn.  Auch  sein  Bluten  wird  sich  sogleich  erläutern.  Das  Ge- 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  389 

weih  des  nordischen  Sonnenhirschen  Solarhiötr  und  des  eddischen 
Himinhrjodhr  besteht,  wie  der  Name  zeigt,  aus  Sonnenstrahlen.  Darum 
steht  der  Hirsch  Eikthyrnir  oben  auf  Valhölls  Dache  und  während  er 
da  die  Gipfel  der  Esche  Yggdrasil  benagt,  entspringt  aus  seinem  Ge- 
weih solche  Honigfülle,  daß  aus  der  einen  Schaufel  12  Ströme  durch 
der  Äsen  Wohnsitz  rinnen,  aus  der  andern  13  solche  zu  den  Menschen 
und  bis  in  die  Unterwelt.  Wer  von  solcher  Methfülle  trinkt,  wird  hirsch- 
trunken, d.  ho  selig.  Der  meth-  oder  begeisterungstrunkene  Odhinn 
wird  dann  entweder  zum  waid werklustigen  Nachtjäger  Muet,  der  selbst- 
vergessen bis  ans  Weltende  jagt,  oder  er  nimmt  selber  Hirschgestalt 
an,  um  Jungfrauen  heimzusuchen,  Helden  zu  weisen  und  Begegnende 
zu  beglücken.  Nach  Aufzählung  aller  Trunkenheitsgrade  handelt  Ägyd. 
Albertinus  „De  conviviis  et  compotationibus"  (München  1601,  75)  vom 
Hirschtrunkensein :  „vnd  in  diese  hirschtrunkene  Zunft  gehören  alle 
diejenige,  welche  wann  sie  doli  vnd  voll  sein,  keine  ruhe  haben,  son- 
dern nur  hinausjagen,  pürschen  vnd  beißen,  vnd  nur  des  nachts  reisen 
wollen;  Gott  geb,  es  ergehe  ihnen  darüber  wie  es  wolle."  Hier  ver- 
werthet  sich  nun  erst  recht  jene  Jägersage  ,  welche  sich  in  Grimms 
Myth.  877  den  Meklenburger  Jahrbüchern  von  Lisch  nacherzählt  findet. 
„Blut  sollst  du  haben  und  ein  Hintertheil  vom  Hirschen  dazu,"  sagt 
Wuotan  zum  Meklenburger  Bauer,  der  ihm  jagen  geholfen  hat ;  „zieh 
den  Stiefel  aus  und  nun  wandere  mit  Blut  und  Fleisch  zu  Weib  und 
Kind!"  Der  Bauer  gieng  hinweg  mit  krummem  Rücken,  die  Last  ward 
ihm  schwerer  und  schwerer,  kaum  vermochte  er  sie  zu  tragen.  Endlich 
erreichte  er  seine  Hütte,  und  siehe  da,  der  Stiefel  war  voll  Gold  und 
jenes  Hinterstück  vom  Hirschen  ein  Lederbeutel  voll  Silber. 

Dies  ist  jener  in  zahlreichen  Sagen  abgeschilderte  Hirsch,  der  mit 
brennenden  Lichtern  auf  dem  Geweih  Nachts  die  Prinzessinnen  des 
Weges  leitet  und  Ursache  wird,  daß  diese  die  erste  Kirche,  das  älteste 
Stift  in  der  noch  heidnischen  Landschaft  erbauen.  Aargau.  Sag.  1,  246. 
In  ihm  fließt  Gold,  Feuer,  Blut  und  Honigseim  als  in  einer  Quelle, 
weil  ja  sein  Himmel  dies  Alles  zusammen  hat.  So  ist  bald  der  glanz- 
voll leuchtende  Blick  im  Heldenauge,  bald  die  Flamme,  die  sich  auf 
dem  Haupte  schlafender  Jünglinge  zeigt,  bald  der  goldene  „ritschrothe 
Stern"  auf  der  Stirne  Neugeborner  (KM.  Nr.  9  und  96;  Zeichen  hoher 
Abkunft;  „es  giebt  aber  auch  Geschlechter,  wo  bei  jedem  Mitglied, 
wenn  es  heftig  von  Zorn  oder  Scham  bewegt  wird,  ein  scharf  gezeich- 
neter rother  Blutstreif  auf  der  Stirne  sich  zeigt,  und  so  erzählt  es  von 
Pappenheim  Schiller  in  der  Gesch.  des  30jähr.  Krieges"  (KM.  3,  175). 
Somit  wäre  bereits  gezeigt,  daß  Göttern,  Heroen,  Gestirnen  und  Götter- 


390 


E.  L.  ROCHIIOLZ 


thieren  ein  gleiches  Mischungsverhältniss  des  Blutes  eigen  ist,  daß  sie 
goldblütig  und  dadurch  einander  blutsverwandt  sind.  Es  ist  nur  noch 
die  heilige  Pflanze  zum  Ende  dieses  ersten  Abschnittes  zu  besprechen 
übrig.  Auch  der  Saft  der  Pflanze  besteht  der  Reihe  nach  aus  Gold, 
aus  Blut  oder  aus  Milch,  denn  das  Leben  der  Seele  kehrt  in  die  Pflan- 
zenwelt zurück  oder  entspringt  neu  aus  derselben.  Die  Zauberwurz 
Alraun  besitzt  goldausbrütende  Kraft,  verliert  diese  aber,  wenn  man 
aufhört,  die  Pflanze  in  Wein  (Blut)  zu  baden  und  mit  Milchbrei  zu 
füttern.  Nicht  anders  als  nur  mittelst  eines  Goldstückes  soll  das  Jo- 
hannisblut  (hieracmm  pilosella)  in  der  Nacht  der  Sommersonnenwende 
mit  der  Wurzel    aus   dem  Boden   gegraben  werden.     Freyja's   goldene 

{Thronen  finden  sich  in  der  orchis  mascula  wieder,  die  wir  Frauenthräne, 
Marienthräne  nennen ,  gleichwie  aus  den  Thränen  der  Sonnentöchter 
das,  was  vorher  nur  Harz  der  Bäume  gewesen  ist,  zu  goldenem  Bern- 
stein wurde.  Myth.  1234.  Die  Rebe  thränt  oder  blutet  nach  dem  Be- 
schneiden, es  giebt  ein  Reben-  und  Traubenblut,  aber  zugleich  auch 
eine  Liebfrauenmilch  ,  jenen  zunächst  Worms  wachsenden  Edelwein. 
Dagegen  stellt  sich  ferner  auch  die  Pflanzen  milch  dar  in  der  Wolfs- 
milch (euphorbium) ,  in  der  Butterblume  (caltha  pallustr.  und  leontod.  ta- 
)  raxac.)  ,  welche  in  Angermanland  trimjölksgräs  heißt ,  weil  ihr  Futter 
'.die  Kühe  täglich  dreimelkig  macht;  in  der  Mistel  und  in  der  Donner- 
'  würz  (sedum  tectorum).  Der  weiße  Saft  dieses  Donnerkrautes  stillt 
Wundenblut ,  und  so  hängt  auch  von  einem  milchigen  Mistelzweig, 
der  aber  bei  Virgil  aurum  frondem ,  ramus  aureus  genannt  wird,  das 
Leben  des  Jugendgottes  Baldr  ab.  Am  deutlichsten  fasst  sich  Pflanze 
und  Baum  als  Mittel  der  Wiederauferstehung,  und  hier  beginnt  die 
roth-  oder  die  weißblühende  Blume  ihre  Farbensymbolik.  Wenn  Klein- 
christel im  schwedischen  Volksliede  ihren  Bräutigam  eingesargt  vor 
sich  liegen  sieht,  ruft  sie  jammernd  über  dieses  unabänderliche  Loos: 
„Wer  nun  bricht  mir  das  Laub  von  dem  Lilienbaum!"  Wenn  aber 
Joringel  im  Suchen  nach  der  verlornen  Jorinde  die  blutrothe  Blume 
findet,  in  deren  Mitte  ein  Thautropfen  von  Perlengröße  steht ,  so  wird 
alles,  was  er  damit  berührt,  von  Zauber  frei  und  unter  den  hundert 
damit  erlösten  Nachtigallen  ist  auch  seine  Jorinde;  denn  ahd.  bluot 
bezeichnet  sowohl  Blüthe  als  auch  Blut ,  und  der  Begriff  beider  ist 
Art  und  Geschlecht.  Die  im  eben  erwähnten  Märchen  gemeinte  Pflanze 
ist  lythrum  salicaria,  aargauisch  Blutströpfli.  Drei  Lilien,  oder  die  Stu- 
dentenblume, dieNarcisse  und  Rose  sprossen  aus  dem  Grabe  der  Eltern 
und  ihres  Kindes,  ebenso  die  Blutbuche  aus  demjenigen  schuldlos 
Gemordeter,  oder  es  fliegen  aus  dem  Gezweige  Nachtigall  und  Taube 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  391 

zusammen  auf,  die  Seelen  des  hier  bestatteten  Paars.  In  der  portugie- 
sischen Romanze  vom  Grafen  Nillo  heißt  es: 

Aus  dem  Grab  des  Grafen  Nillo 

Hob  sich  ein  Cypressenbaum, 

Ein  Orangenbaum  erhob  sich 

Aus  der  Königstochter  Grab. 

Beide  wuchsen,  und  mit  Kosen 

Küssten  sich  die  Wipfel  sanft. 

Haut  mir  ab  die  beiden  Stämme! 

Rief  der  König;  es  geschah. 

Edles  Blut  entfloß  dem  einen, 

Königsblut  dem  andern  Stamm, 

Und  geboren  aus  dem  Blute 

Ward  ein  kosend  Taubenpaar. 
So  weit  reicht  das  unserm  Zwecke  dienende  Material  und  nun 
ist  noch  der  Schluß  daraus  zu  ziehen.  Der  seinen  Tag  auf  der  Weide 
und  seine  Nacht  unter  freiem  Himmel  zubringende  Nomade  sucht  die 
Götter  nicht  hinter  Geheg  und  Mauer,  sondern  über  sich  in  dem  un- 
begrenzten Himmel.  Hier  sind  sie  ihm  nothwendig  die  Leuchtenden 
und  Erlauchten,  und  so  sind  sie  wirklich  genannt  in  allen  arischen  - 
Sprachen.  Aus  der  Wortwurzel  div,  leuchten,  entspringt  sanskrit  devas 
(ursprünglicher  daivas),  latein.  divus  oder  deus ,  und  ist  auch  für  das, 
Deutsche  erhalten  in  dem  nord.  Plural  tivar.  In  einem  leuchtenden 
Himmel  konnten  nur'goldstrahlende  Götter  sein.  Diese  Naturanschauung 
aus  der  Urzeit  der  Menschheit  erscheint  uns  aber  bei  weitem  erha- 
bener, als  sie  in  Wirklichkeit  selbst  sein  wollte;  auch  von  ihr  muß 
unser  Sprichwort  gelten:  Es  ist  nicht  Alles  Gold  was  glänzt.  Denn 
die  Götter  mußten  ja  schon  längst  als  goldener  Sternenhimmel  geglänzt 
haben,  noch  ehe  das  Metall  des  Goldes  bekannt,  in  irgend  ein  Werth- 
verhältniss  gebracht  oder  zum  Tauschmittel  gemacht  war.  Erst  die  selbst 
heruntergebrachten  Spät-  und  Halbgottheiten,  die  kleinen  Zwerge,  bieten 
dem  noch  kunstlosen  Menschengeschlechte  das  Metall  geschmiedet  an; 
erst  mit  Heidr ,  dem  ersten  Zauberweibe ,  ist  das  Böse  in  die  Welt 
gekommen,  denn  sie  ist  mit  dem  Geldwort  begabt,  durch  das  erst 
der  Unterschied  von  Böse  und  Gut  geworden  ist;  erst  dem  sinkenden 
Römerreiche  wird  der  Goldhunger  zur  geheiligten  Mode.  Aber  der 
Hunger  nach  Milch  und  Brei  war  schon  der  unserer  herdenweidenden 
Patriarchen,  wie  er  noch  der  kindlich  aufrichtigste  ist;  er  findet  Gnade 
vor  Gott  und  den  Menschen,  ohne  daß  er  mit  Gold  zu  zahlen  braucht. 
Das  Gold  des  ältesten  Götterhimmels  war  nicht  Metall  ,    sonst   würde 


392  E-  L-  ROCHHOLZ 

es  im  Vorausgehenden  nicht  schon  allenthalben  auf  Milch  und  Blut 
des  Himmels  geführt  haben,  sondern  es  war  goldrahmige  Milch,  gold- 
gelb gebuttert  vom  goldhaarigen  weißhäutigen  Arier  im  goldenen  Vließe 
der  Lämmer.  Darüber  soll  sich  der  zweite  Abschnitt  ausweisen. 


II.  DA 

Die  homerischen  Fürsten  werden  Rinder-  und  Schafhirten  genannt 
und  die  in  ihren  Diensten  stehenden  Schweinehirten  göttliche,  denn 
das  Baarvermögen  nomadenhafter  Völker  liegt  in  ihren  Herden  ;  statt 
der  Scheidemünze  dient  ihnen  Milch  und  Käse.  Es  führt  lat.  pecus  zu 
pecunia,  im  altnord.  Runenalphabet  bezeichnet  die  Rune  feu  erst  Vieh, 
dann  Geld.  Bei  den  Lappen  gilt  geronnene  und  zerstückte  Milch  (Ziger) 
als  eine  Art  Münze.  Grimm  G.  D.  S.  1016.  Das  Käsekönigreich  zu  Dürk- 
heim  in  der  baierischen  Pfalz  hat  bis  zur  Zeit  der  französischen  Revo- 
lution bestanden;  jener  Bürgerssohn,  der  dabei  alljährlich  zum  Käse- 
könig gewählt  wurde,  hatte  mit  seiner  berittenen  Mannschaft  auf  allen 
mit  Dürkheim  almendgenössischen  Dörfern  und  Höfen  den  Zins  in 
Käsen  einzusammeln,  und  kehrte  mit  einem  gekrönten  Käse  heim,  hier 
empfangen  von  Kranzjungfrauen  und  dem  armirten  Bürgerausschuß. 
Schöppner,  baier.  Sagb.  325.  Der  Käsegötze  ist  in  Schlesien  der  Name 
eines  Festbrodes  (Weinhold,  Dialectforschung  111),  denn  wie  die  Hirten- 
gottheit den  Käse  beschert,  so  wird  er  ihr  auch  geopfert.  Brod  und 
Käse  wirft  man  den  Feen  zum  Opfer  in  den  See  von  Brecknock  in 
Südwales.  Rodenberg,  ein  Herbst  in  Wales  1857,  173.  Der  Schotte 
nennt  die  Quelle  auf  der  Spitze  des  Minch-muir  in  Peeblesshire  die 
Käsequelle,  Cheesewell,  weil  man  Käse  in  sie  zum  Opfer  hinein  warf. 
Liebrecht,  im  Gervas.  Tilbur.  101.  —  Ein  St.  Galler  Nonnengebet  zeigt, 
daß  man  die  Last  der  begangenen  Sünde  an  dem  Gewichte  eines  Kir- 
chencrucifixes  gegen  Käse  und  Brod  aufwog  (Wackernagel  in  Haupts 
Ztschr.  7,  134)  und  daß  also  Käse  ein  kirchliches  Entsühnungsmittel 
war,  gleichwie  der  Friese  und  Angelsachse  das  Gottesurtheil  des  cor- 
snced,  das  Judicium  casibrotiae,  damit  vollzog,  daß  er  einen  priesterlich 
verwünschten  Bissen  Käsundbrod  zum  Erweise  der  Unschuld  zu  ver- 
schlucken wagte,  ohne  Nachtheil  dadurch  zu  nehmen.  Hier  vertrat  also 
Käse  den  Reinigungseid,  wie  später  die  geweihte  Hostie;  Gottes  An- 
wesenheit wird  in  beiden  Substanzen  vorausgesetzt  und  soll  den  von 
ihnen  meineidig  Genießenden  auf  der  Stelle  den  Tod  geben.  Die  klein- 
sten Diener  der  Gottheit,  die  Zwerge,  sind  in  Tirol  allenthalben  die 
käsenden  Kasermand'ln  und  Almstrudler,  sie  verschenken  in  der  Schweiz 
goldene  Käse  (Aargauer  Sag.  1,  pag.  327)  oder  unerschöpflich  sich  er- 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  393 

neuende  Gemskäslein ,  wie  solcherlei  der  Zwergenkönig  auf  Zwei- 
lütschinen  genügsamen  Menschen  giebt.  Wyß ,  Idyllen  1,  312.  Daß 
Quark  (-käse)  und  Twarg  im  deutschen  Norden  bis  Lievland  beides 
Zwerg  und  Käse  bedeutet  (vgl.  mhd.  querx  und  twerc)  hat  Förstemann 
gezeigt  in  Kuhns  Ztschr.  f.  Spracht".  1 ,  426.  Somit  käsen  die  soge- 
nannten Unterirdischen;  aber  nicht  minder  die  Überirdischen.  Denn 
Sternschnuppen  und  Irrlichter  werfen ,  wenn  man  sie  böslich  reizt ,  mit 
faulen  Käsen.  Wolf,  hess.  Sag.  Nr.  219.  Dies  kann  gar  nichts  auffal- 
lendes mehr  an  sich  haben,  wenn  sogar  der  Mann  im  Mond,  der  sonst 
nur  ein  wegen  Sonntagsentweihung  in  den  Nachthimmel  versetzter  frie- 
render Holzdieb  ist ,  zugleich  beim  Schwaben ,  Graubündner  und 
Schleswig-Holsteiner  —  also  auf  einem  sehr  weiten  Umkreise,  —  als  ein 
käsender  Senne  gilt,  der  den  Melkeimer  auf  dem  Rücken  trägt.  Im 
Oldenburger  Hirtengebete  gelten  sodann  die  beiden  Mondspitzen  nicht 
etwa  sinnbildlich  als  Hörner  der  Kuh,  sondern  als  die  beiden  Hinter- 
zitzen am  Melkeuter,  und  demnach  gestaltet  sich  zuletzt  in  der  däni- 
schen Sage  der  Mond  zu  einem  aus  der  Molke  der  Milchstraße  zu- 
sammengeronnenen Käse ,  wie  er  denn  auf  den  friesischen  Inseln ,  im 
Hennebergischen  und  im  Glarnerlande  geradezu  auch  Käslaib  genannt 
wird.  Die  Nachweise  über  diese  bedeutsamen  Einzelheiten  sind  bereits 
gegeben  in  den  Naturmythen  pag.  251.  Einem  Bildungsmenschen, 
der  erst  von  heute  ist,  mag  eine  derartige  Ausdrucksweise  erschreckend 
trivial  scheinen;  indess  er  beruhige  sich  und  schlage,  wenn  ihm  die 
Himmelswiesen  voll  Lämmerherden  aus  dem  A.  Testament  nicht  mehr  er- 
innerlich sind,  nur  in  seinem  Lieblingsautor  Schiller  jenes  Räthselgedicht 
nach  von  den  Sternen  als  Lämmern  und  dem  Mond  als  ihrem  Schäfer, 
und  er  findet  eben  dasselbe  Sennengleichniss  darin: 

Ein  Hirt  ist  ihnen  zugegeben 

Mit  schön^eboffnem  Silberhorn. 
Der  Nomade,  der  allen  Reichthum  in  der  Herde,  allen  Wohl- 
genuß in  Milch  und  Käse,  alle  Freiheit  und  Glückseligkeit  auf  Wunn 
und  Waid  sucht,  wird  seine  reichen,  genießenden  und  freien  Götter 
in  derselben  Lage  denken  müssen  und  sie  über  sich  im  Sternenraume 
herdenweidend  wieder  finden.  Die  keltische  Göttin  Ceridwen  erscheint 
als  Mond  sowohl,  als  auch  in  der  Gestalt  von  Stute  und  Kuh.  Mone, 
Gesch.  des  Heidenth.  537.  Wie  man  ersieht,  befindet  man  sich  bei 
diesen  Benennungen  mitten  in  einem  großen  altepischen  Gleichniss- 
körper, dessen  verschiedene  Glieder  das  eine  Bild  von  Gold  und  Milch, 
von  Gold  und  Käse,  von  Milch  und  Blut  immer  weiter  fortbewegen, 
neugestalten,    hinüberspielend  in  die  nächstverwandten  Realitäten,   um 


394  E.  L    ROCIIHOLZ 

diese  alle  als  die  naturgemäßen  Theile  einer  landwirtschaftlichen  Er- 
fahrung zuletzt  unter  der  höhern  Einheit  des  religiösen  Gedankens 
zusammen  zu  fassen.  Der  Naturforscher  und  der  Naturmensch  stimmen 
beide  überein  in  der  Einsicht,  daß  der  Mensch  seinen  Gewinn  an  Milch 
und  Butter,  an  Käse  und  Fleisch  ohne  den  Einfluß  der  Gestirne  nicht 
machen  kann.  Nur  erwartet  dabei  der  Senne  gewöhnlich  alles  von 
einem  einzigen  Gestirn,  z.  B.  vom  Monde  je  nach  dessen  Phasen ;  die 
ganze  Reihe  von  Vermittlungen,  alle  secundären  Ursachen  erklärt  er 
sich  als  die  Wirkungen  jenes  geheimnissvollen  Nachtgestirns.  Wir  da- 
gegen verschieben  die  Ursache  ins  Ganze,  ins  sogenannte  Kosmische, 
um  dieses  alsdann  als  nicht  minder  unbegreiflich  gleichfalls  auf  sich 
beruhen  lassen  zu  müssen.  Einer  solchen  mechanischen  Nebulartheorie 
mit  ihrem  Schlepp  von  physikalischen  und  chemischen  Einzelprozessen 
setzt  das  volksthümliche  Denken  einen  Himmel  mit  Göttern,  Geschöpfen 
und  Producten  entgegen,  die  unter  sich  selbst  wahlverwandt  und  dem 
Menschen  dadurch  ganz  begreiflich  scheinen,  daß  er  selbst  sammt  sei- 
nen Geschöpfen  und  Producten  ihr  urältestes  körperliches  und  sittliches 
Abbild  ist.  Aus  sich  selbst  also  construiert  er  sich  den  Himmel  und 
dessen  Götter. 

Im  goldenen  Zeitalter  sind  die  Götter  gegossene,  das  Blut  in 
ihren  Adern  ergießt  sich  golden;  in  der  Periode  des  Nomadenlebens, 
das  der  Kürze  wegen  die  Milchzeit  heißen  mag,  sind  sie  gegorene  und 
geronnene ,  das  Blut  in  ihren  Adern  fließt  milchig.  Wie  der  runde 
Formkäse  in  den  deutschen  Gemeinden  Piemonts  der  Guß  heißt, 
Fonta,  Fontina ,  so  sind  ihre  Gliedmaßen  aus  Molken  gegossen.  Das 
Blut  in  den  Adern  der  homerischen  Götter  ist  „Ichor,  der  unsterblich 
machende  weiße  Saft."  Das  griechische  Wort  erinnert  mich  an  latein 
acor,  Milchsäure,  so  wie  an  mundartl.  achens,  womit  man  zu  Gressoney 
(eine  der  deutsch-piemontesischen  Gemeinden)  die  gelabte  Wellmilch 
im  Käsekessel  bezeichnet.  Als  Aphrodite  durch  Diomedens  Lanze  ins 
Handgelenk  verwundet  wird  (II.  V.),  fließt  der  unsterbliche  Blutsaft 
Ichor,  wie  er  den  Wunden  der  Götter  entfließt,  die  nicht  Brod  essen, 
nicht  Wein  trinken  und  daher  nicht  Blut  gleich  den  Menschen  haben. 
Als  Diomedes  den  Ares  gleichfalls  verwundet  hat ,  fließt  auch  die 
Wunde  dieses  dorten  doch  ins  Riesige  gezeichneten  Gottes  nur  von 
klarer  Milch: 

Wie  vom  kräftigen  Lab  die  Milch  in  der  Butte  gerinnet, 
Flüssig  zuvor,  schnell  aber  verdickt  sie  sich,  während  man  umrührt. 

Das  homerische  Gleichnis» ,  dem  wir  sogleich  bei  den  Germanen 
wieder  begegnen  werden,  drückt  mythologisch  diejenige  Wahrheit  aus, 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  395 

die  naturwissenschaftlich  längst  feststeht,  daß  nämlich  Milch  und  Blut 
eins  sei,  insoferne  der  im  animalischen  Körper  aus  dem  Speisebrei  sich 
bereitende  Milchsaft,  Chylus,  durch  die  für  ihn  hesonders  bestimmten 
Gefdsse  in  das  Blut  übergeht  und  dasselbe  fortwährend  neu  erzeugt. 
„Hast  du  mich  nicht  wie  Milch  gemolken  und  wie  Käse  lassen  ge- 
rinnen!" betet  Hiob  10,  10  in  erhabener  Unterwürfigkeit  zum  Herrn, 
indem  er  die  Bildung  des  menschlichen  Fötus  dem  Processe  der  Coa- 
gulation  in  der  Milch  gleichstellt.  Aber  in  ganz  physiologischem  Sinne 
berichtet  das  nordische  Alterthum  denselben  Vorgang.  Nicht  bloß  ist's 
ein  alter  Märchenzug  ,  daß  der  Vater  Riese  sein  Kind  selbst  säugt. 
In  der  Floamannasaga  wird  erzählt,  daß  Thorgil,  um  sein  zartes  Kind 
zu  ernähren,  dessen  Mutter  ermordet  worden  war,  sich  in  die  Brust- 
warzen schneiden  ließ.  Zuerst  kam  Blut,  dann  Molken,  endlich  Milch, 
womit  das  Kind  gesäugt  wurde.  Jac.  Grimm,  der  hievon  in  den  KM. 
3,  159  handelt,  verweist  daselbst  zugleich  auf  A.  v.  Humboldt,  Rela- 
tion historique  3,  cap.  4,  wo  eines  andern  Falles  gedacht  ist,  daß  ein 
Mann  mit  seiner  eigenen  Milch  so  sein  Kind  gesäugt  habe.  Milch  und 
Blut,  die  eigentlichen  Ursubstanzen  und  Urflüssigkeiten  zur  Ernährung 
des  Lebens,  können  also  dem  Alles  ernährenden  Himmel,  den  einfluß- 
reichen Gestirnen  und  den  allmächtigen  Göttern  am  wenigsten  mangeln. 
Voraus  muß  die  Göttermutter  eine  kinderstillende  sein.  Li  der  Milch- 
straße erblickte  das  Alterthum  eine  verschüttete  junonische  Milch,  und 
im  Berner  Oberland  wird  sie  Romweg  genannt ;  letzteres  nicht  deshalb 
nur,  weil  sie  angeblich  bis  nach  Rom  führt  (wo  nach  dem  bekannten 
Nornenspruch  die  drei  Mareien  im  goldigen  Haus  wohnen  ,  d.  h.  im 
Himmel),  sondern  weil  sie  aus  dem  Milchrahm  besteht,  der  mundartlich 
röm,  ßos  lactis  heißt,  wie  auch  rüme  der  Milchansatz  in  der  Breipfanne 
genannt  ist.  Während  droben  die  hl.  Maria  ihr  Kind  zu  stillen  be- 
schäftigt ist ,  fällt  dann  ein  Tropfen  aus  ihren  Brüsten  auf  die  Erde 
herab;  wo  derselbe  hinfällt,  erwächst  für  die  Winzer  edelster  Wein, 
die  Liebfrauenmilch  zu  Worms;  oder  es  sprießt  auf  den  Alpen  die 
Fülle  der  märchenhaften  Milchkräuter  empor ,  jene  Muttern  und  Ritz 
(meum  mutellina  und  luzula  spadizea),  von  deren  Ursprung  Alfons  Flugi 
in  den  Volkssagen  aus  Graubünden  Übereinstimmendes  erzählte.  Ein 
Silberfläschlein  mit  Marienmilch  war  einst  aufbewahrt  in  der  Michaels- 
kirche zu  Lüneburg,  wurde  aber  nebst  der  berühmten  goldenen  Tafel 
dorten  im  Jahre  1698  durch  den  Räuber  Nikol  List  gestohlen.  Anti- 
quarius  des  Eibstroms  1741,  705.  Im  Nebenschiff  der  Rupertuskirche 
bei  Bingen,  von  der  hl.  Hildegard  448  gegründet,  war  auf  einem  Wand- 
gemälde ein  hier  i.  J.  1361  geschehenes  Mirakel  zu  sehen:  Milch  und 


396  E-  L-  ROCHHOLZ 

Blut  floß  aus  einem  Marienbilde,  in  das  ein  Soldat,  um  einen  Edelstein 
heraus  zn  bohren ,  mit  dem  Dolch  gestoßen  hatte.  Rheinischer  Anti- 
quarius  1744,  580.  Solcherlei  Kirchenwunder  hoffen  wir  in  dem  dritten 
Abschnitt  dieser  Arbeit  zu  ihrer  Verwerthung  zu  bringen. 

Wie  vorhin  vom  Oldenburger  Monde  als  den  Zitzen  einer  Kuh 
geredet  worden ,  so  heißt  auch  die  Milchstraße  im  Gröningerlande 
kaitpät.  Kuhn,  nordd.  Sag.  S.  457.  Über  diese  Sinnbildlichkeit  ist  bereits 
in  den  Naturmythen  S.  52  sehr  ausführlich  gehandelt,  und  die  noch 
lebende  Sage  erweist  dorten ,  daß  die  vom  Gewitter  halbverdeckte 
Milchstrasse  oder  ein  nur  unvollständig  erscheinender  Regenbogen  die 
halbe  Kuh  genannt  wird.  So  spricht  man  zu  Purtein  und  Filisur  in 
Bünden  von  einem  hundertäugigen  Kuhbauch,  der  während  eines  nächt- 
lichen Ilochgewitters  von  der  Alpe  zu  Thal  gerollt  kam  und  diesem 
den  Namen  gab  Val  della  stermentusa  notte,  Thal  der  Schreckensnacht. 
Vonbun,  Beitr.  z.  Myth.  1862,  121.  In  diesem  Bilde  hat  man  die  in 
eine  Kuh  verwandelte  Jo  wieder,  zugleich  mit  dem  allsehenden  Wächter 
Argus,  dem  tausendäugigen  Sternenhimmel.  Bevor  die  goldlockigen, 
blondbärtigen,  blitzäugigen  und  gliederblanken  Germanengötter  ihren 
Meth  und  Wein  in  Walhall  zu  trinken  hatten,  spendete  ihnen  die  Ziege 
Heidrun  den  täglichen  Milchtrank  der  Unsterblichkeit.  Sie  selbst  also, 
nicht  bloß  ihre  Götterfrauen,  mußten  von  Anblick  milchweiß  sein, 
schön  wie  Milch  und  Blut.  Nicht  bloß  die  Wasserjungfern  mit  ihrem 
verblendenden  Körperreiz ,  sogar  der  rauhhaarige  Sohn  des  Wasser- 
manns hat  daher  diese  zarte  Milch  in  den  Adern.  Oft  genug  hat  uns 
nun  die  Sage  diesen  Satz  vorgesagt ,  immer  noch  hatten  wir  ihn  ge- 
dankenlos angehört.  Rauh  an  Gesicht  und  Händen,  rußig  als  ein  Schmied, 
sitzt  der  Sohn  des  Nix  auf  dem  kleinen  See  Darmssen  bei  Bramsche 
und  schmiedet  den  Bauern  gute  Pflugeisen.  Als  er  sich  vom  Vater  in 
den  Darmssen  zurückgerufen  hört,  darüber  aber  durch  die  Bauern 
wiederum  verzögert  worden  ist,  sagt  er  ihnen  zum  Abschiede:  „Ich 
fürchte,  die  Zeit  ist  schon  abgelaufen,  die  mir  mein  Vater  gesetzt  hat, 
Ihr  werdet  nun  selbst  sehen,  welches  mein  Schicksal  ist.  Komm  ich 
zu  spät,  so  erscheint  Blut  auf  dem  Wasser,  im  guten  Falle  aber  Milch, 
so  daß  dasselbe  davon  ganz  weiß  wird.  Als  nun  die  Wellen  sich  über 
ihm  schlössen,  da  wurde  der  See  roth  von  seinem  Blut."  Kuhn, 
westfäl.  Sag.  1,  pag.  50.  Grimm,  der  Myth.  464  darüber  eine  beson- 
dere Aufzeichnung  hat,  verweist  auf  Mone's  Anzeiger  3,  93,  wo  eine 
Localsage  dieses  Zeichen  der  aufsteigenden  Milch  oder  des  Blutes  auch 
den  weißgeschleierten  Nonnen,  Wasserjungfern,  beilegt.  Unselige  Geister 
wie  Moosweibchen    und  Zwerge    entbehren    dieser   Himmelsmilch    und 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  397 

bringen  ihre  Neugebornen  den  Bäuerinnen  zu,  um  sie  von  solchen 
Ammen  stillen  zu  lassen;  andere  Hausgeister  sind  schon  befriedigt, 
wenn  man  ihnen  nur  ein  wenig  Milch  aufstellt,  und  wär's  im  Katzen- 
schüsselchen  ,  so  daß  sie  daher  Katzenveit ,  Hinzelmann ,  Katermann, 
Napfhans  heißen ;  zum  Entgelt  striegeln  und  füttern  sie  dann  das 
Milchvieh  im  Stalle,  fegen  die  Milchpfannen  in  der  Küche,  stoßen 
aber  auch  schlampigen  Melkmägden  den  Milchkübel  um  u.  s.  w.  Myth. 
478.  Alle  diese  Hausgeister  sind  koboldartig  klein,  hässlich,  runzlich. 
Und  trotzdem,  daß  ihre  Kinder  erst  zu  dieser  Stunde  geboren  werden 
und  noch  blutjung  sind,  erscheinen  auch  diese  schon  steinalt.  Denn 
alle  sind  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  blutarm,  sie  haben  blut- 
wenig Blut.  Sie  sind  deshalb  theils  äußerst  blutgierig,  wie  der  grau- 
same Nix,  theils  milchlüstern  und  diebisch,  wie  die  greisenhaften  Zwerge. 
Das  Gegentheil  ihres  Zustandes  ist  die  Götterjugend,  deren  höchstes 
Schönheitsprädicat  schön  wie  Milch  und  Blut  heißt,  ein  Ausdruck, 
welcher  Körperfrische ,  Jugendfülle ,  Zierlichkeit  des  Gliederbaues  und 
reizende  Hautfärbung  zugleich  in  sich  schließt.  Bei  diesem  Worte 
angelangt,  wird  es  unverwehrt  sein,  einen  ganzen  Satz  hieher  zu  neh- 
men aus  Jac.  Grimms  Einleitung  zu  Liebrechts  Übersetzung  von  Ba- 
sile's  Pentamerone,  da  dieses  Buch  wenig  Lesern  zur  Hand  sein  wird 
und  wir  das  vom  Meister  Gesagte  für  unsern  Zweck  hier  nicht  besser 
auszudrücken  wüßten.  Dort  1,  XXII  heißt  es: 

„Zweier  Märchen  Eingänge  im  Pentamerone  (4,  9  und  5,  9)  sind 
darauf  angelegt,  daß  ein  Jäger  im  Wald  eines  Raben  Blut  auf  schnee- 
weißen Marmor  triefen  sieht,  oder  beim  Gastmahl  aus  einem  Fingerhut 
Blutstropfen  auf  gelabte  Milch  niederfallen;  beidemale  versenkt  dieser 
Anblick  in  Sinnen  und  Trachten,  und  der  Wunsch  entspringt,  eine 
geliebte  Frau  zu  besitzen  von  der  reinen  Schönheit  solcher  Farben. 
Dieselben  Wünsche  steigen  auf  in  dem  Märchen  vom  Machandelbom 
und  von  Snewitchen.  Die  Mutter  schält  einen  Apfel  und  schneidet  sich 
in  den  Finger  und  das  Blut  fällt  in  den  Schnee,  oder  die  Königin  näht 
und  sticht  sich  in  den  Finger,  aus  welchem  Tropfen  in  den  Schnee 
fallen;  da  sehnt  sie  sich  ein  Kind  zu  bekommen,  so  weiß  wie  Schnee, 
so  roth  wie  Blut.  Schon  in  der  alten  Dichtung  von  Parzival,  bei  Wol- 
fram sowohl  als  mit  epischer  Abweichung  bei  Chrestien,  wird  der  Held 
zu  tiefen  sinnenden  Gedanken  an  die  Schönheit  seiner  fernen  Gemahlin 
gebracht,  als  der  Falke  auf  einen  Vogel  stößt,  dessen  Blutstropfen  in 
den  Schnee  fallen.  Ich  habe  dargethan ,  daß  auch  irländischen  Sagen 
die  nämliche  Verknüpfung  der  Gedanken  zum  Grunde  liegt  und  will 
hier  noch  eine  Stelle  aus  Schmidts  Geschichte   der  Ostmongolen   (Pe- 


398  E-  L-  kochholz 

tersburg  1829,  139)  anführen.  Elbek  Nigüles-suktschi  Chaghan  erlegte 
an  einem  Wintertag  durch  Pfeilschuß  einen  Hasen,  und  als  er  des 
Hasen  Blut  auf  dem  Schnee  erblickte,  rief  er  aus:  „Gäbe  es  doch  ein 
Weib  mit  einem  Gesichte  so  weiß  wie  dieser  Schnee ,  und  mit  Backen 
so  roth  wie  dieses  Blut!"  —  Sicher  lassen  sich  aus  andern  gleich  fernen 
Gegenden  diese  Beispiele  vermehren ;  aber  nicht  aus  der  Mongolei  oder 
Irland  nach  Italien  und  Deutschland  brauchten  diese  Geheimnisse  der 
Gedanken  eingeführt  zu  werden ;  sie  sind  unmittelbar  der  menschlichen 
Brust  entquollen  und  der  epische  Ausdruck  für  die  den  Dichtern  aller 
Völker  geläufige  Vergleichung  der  Schönheit  mit  Milch  und  Blut.  Wie 
gelegen  kommt  ein  solches  Zeugniss  denen ,  die  sich  Rechenschaft 
geben  wollen  von  der  unbegreiflichen  und  doch  natürlichen  Ausbreitung 
der  einfachen  Märchenpoesie." 

Nur  aus  dem  frühesten,  überall  gleichen  Nomadenleben  der  Völker 
können  diese  Gleichnisse  abstammen.  Der  Gete  trank  Pferdeblut  mit 
Stutenmilch  gemischt,  der  Altpreuße  zusammen  Milch  und  Blut  der 
Spannthiere  (Grimm,  GDS.  721)  und  der  dem  Alplerleben  immer  zu- 
gewendete Oberdeutsche  füllt  seine  großen  Blutwürste  noch  nicht 
anders,  als  indem  er  in  das  zu  kochende  Blut  zugleich  Milch  mit 
hinein  rührt.  Er  trinkt  seine  Kost,  während  wir  sie  bloß  essen,  sogar 
unser  Tabakraucher  ist  ihm  ein  Tabaktrinker ,  das  Milch-  und  Ziger- 
essen  heißt  ihm  Sürflete  (sorbere),  sein  Brei  sufmuosli,  Suffi  heißt  ihm 
die  zum  zweitenmale  erwellte  Milch,  Schotten  und  Ziger  zusammen 
sind  ihm  die  Kasesvffen.  Argovia  1861,  40.  Uns  dürstet  nach  Gold, 
den  Römer  hungert  darnach  :  auri  sacra  fam.es.  Unser  Dichter  ist  ein 
Schöpfer  (skop,  von  skapjan,  haurire),  ein  trockner  und  wässeriger  Poet 
ist  uns  der  allerschlechteste ,  weswegen  der  Rathsherr  Harsdörffer  für 
solche  eine  Poetik  verfasste,  die  der  Nürnberger  Trichter  heißt. 
Wein ,  Weib  und  Gesang  heißen  seit  Luther  die  drei  Grundsäulen 
unserer  Lebensweisheit.  Bienen  kommen  so  weit  als  Bären ,  sagt  das 
nordische  Sprichwort,  weil  der  Methtrinker  ebenso  viel  vermögend 
ist  als  der  Fleischesser.    Und  bei  Eichendorff  steht  gleich  bedeutsam: 

Das  Essen  bringt  nicht  weiter, 

Das  Trinken  ist  gescheiter, 

Das  schmeckt  schon  nach  Idee. 
Im  Olymp  sind  Hebe  und  Ganymed  die  Mundschenken,  in  Wal- 
hall stellen  hundert  Wunschmädchen  das  Methhorn  auf,  Mundköche 
werden  nicht  besonders  erwähnt.  Zwar  genießen  die  Olympier  Ambrosia 
und  die  derberen  Äsen  Fleisch,  allein  Odhinn  bedarf  ausdrücklich  kei- 
ner Speise,  und  was  ihm  davon  an  der  Tafel  vorgesetzt  wird,  das  wirft 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  399 

er   seinen  zwei  dienstbaren  Wölfen   vor,    dem  Geri   und  Freki ,    dem 
Giermaul  und  dem  Schnappauf.  Auch  von  jenem  Fleischmahle  bei  Tan- 
talus,    wo  den  Göttern   eine  Kinderleiche   zur  Speise    vorgesetzt  wird, 
sagt  Pin  dar  1   Olymp.  Vers  82  mit  Indignation : 
Aber  ich  mag  wütenden  Hungers 
Keinen  der  Seligen  zeihen. 
Als  Gangleri  in  seiner  Katechese  über  die  himmlischen  Dinge  den 
Altgott  Har   befragt,    ob    in    Walhall  Wasser   getrunken   werde,    ant- 
wortet dieser ,    das   sei    eine    wunderliche  Meinung ,    daß  Allvater   die 
Könige ,  die  Jarle  und  Edeln  zu  sich  laden  werde  ,  um  ihnen  Wasser 
vorzusetzen ;  da  würde  gar  Mancher  dafür  halten,  er  habe  den  Wasser- 
trunk  mit  Wunden  und  Schlachtentod  zu  theuer  erkauft.     Vgl.  Wein- 
hold, Altnord.  Leben.     In   den  Lateingedichten    des  X.  u.  XI.  Jahrh. 
ed.  Grimm-Schmeller ,  wird  dem  Mainzer  Bischof  Heriger  ebenso  von 
der    christlichen  Himmelswirthschaft   vorerzählt ,    der   Zuhörende    aber 
macht  gerade  dagegen  seinen  Einwurf,  daß  Petrus  der  Meister  koch 
des  Himmels  sein  solle,  und  bei  dieser  gleichen  Anschauung  verbleibt 
dann  auch  die  folgende  Zeit.     Lieber  dachte  der  Gläubige   sich  selbst 
als  ein  Gefäß ,    in  das  die  Gottheit  ihre  Weine  umfüllt.     So  in  Hoff- 
manns Kirchenl.  pag.  101: 

Jesus,  du  bist  der  Ciperwein, 
und  ich  dein  irdisch  Häfelein. 
Es  sind  dies  freilich  immer  noch  heidnische ,    aber   deshalb  noch 
keine  bloß    trunksüchtigen  Vorstellungen,    wenn    es   in    einem    andern 
geistlichen  Liede  heißt,  bei  Uhland  Volksl.  pag.  881: 

als  in  dem  himelriche  da  schenkt  man  Ciperwin, 
da  sond  die  edlen  seien  von  minne  trunken  sin. 
die  mägde  da  ze  tische  gand,  die  engel  singent  schon, 
der  hailig  geist  ist  schenker,  Maria  kellerin. 
Erst  später,    wenn  die  nationalen  Vorstellungen  erblassen,   rückt 
das  Pöbelhafte  vor    und   das  bäuerische  Prassen  geht  auf  den  Himmel 
über.  So  z.  B.  in  Simrocks  Volksl.  Nr.  339,  340 : 
Margareth  backt  Küchlein  gnug, 
Paulus  schenkt  den  Wein  im  Krug. 
Lorenz  hinter  der  Kirchenthür 
Thut  sich  auch  bewegen, 
Tritt  mit  seinem  Rost  herfür, 
Thut  Leberwurst  drauf  legen. 
Wie  wenig  solche  gröbliche  Nahrung  ausreichen  könnte  zur  be- 
gehrten Seligkeit,    zeigt   das   schwed.  Volkslied  von  Stolzgretchen  (in 


400  E-  L-  ROCHHOLZ 

Ilofimanns  schles.  Volksl.  erwähnt  pag.  5),  wo  auf  einen  einzigen  ersten 
Trunk  das  selige  Vergessen  alles  Erdenjammers  erfolgt:  da  holt  der 
Bergkönig,  der  das  Erdenweib  geheiratet  und  Kinder  mit  ihr  gezeugt 
hat,  sie  von  ihrem  Besuche  bei  der  irdischen  Mutter  wieder  in  seine 
Behausung  zurück  zu  ihren  eignen  Kindern: 

Einen  goldnen  Stuhl  brachte  das  Eine  heraus : 

Da,  traurige  Mutter,  ruhe  dich  aus ! 

Das  Eine  bracht'  ein  gefülltes  Hörn, 

Hinein  warf  das  Zweite  ein  vergoldetes  Korn; 

Den  ersten  Trunk  aus  dem  Hörn  sie  that, 

Und  Himmel  und  Erde  sie  ganz  vergaß. 
Jetzt   erst  kann    das  Märchen  zu  Wort  kommen,    um  der  Reihe 
nach  zu  erzählen,  wie  jener  Nektar  und  Göttertrank  entspringt.  Eines 
aus  der  Schweiz  mag  beginnen. 

Die  großen  Leute,  die  ehedem  das  Simmenthai  bewohnten,  haben 
einen  Schlag  von  Rindern  besessen ,  der  für  alle  Ställe  zu  groß  war, 
und  man  ließ  daher  das  Vieh  stets  im  Freien.  Jede  Kuh  gab  des  Tags 
drei  Eimer  Milch,  daher  molk  man  sie,  anstatt  in  Gebsen,  in  einen 
Weier.  Die  Treppe,  die  zu  ihm  hinab  führte,  war  aus  Käslaiben  gebaut, 
den  Anken  füllte  man  in  hohle  Eichbäume.  Mit  Anken  polierte  man 
Hauswand  und  Scheunenthor,  mit  der  Milch  wusch  man  Geschirr  und 
Stubenboden.  In  einem  Eichbaum  fuhr  man  auf  dem  Weier,  um  die 
Nidel  abzurahmen  und  warf  sie  mit  Schaufeln  statt  mit  der  Gone  ans 
Ufer.  Bei  einem  großen  Sturmwinde  trat  dieser  Milchweier  einmal  aus 
und  ersäufte  die  großen  Leute  mit  einander.  (Mündlich  aus  dem  Kander- 
thale  im  Bern.  Oberland). 

Anderwärts  lautet  das  Ende  so:  Jeden  Abend  mußte  der  Senn- 
bube in  einem  Weidling  auf  dem  Milchweiher  herumfahren  und  die 
Nidel  abschöpfen.  Als  er  dabei  unachtsam  gegen  einen  Felsen  anfuhr, 
der  ein  von  selbst  entstandener  Ankenballen  war,  giengen  Schiff  und 
Sennbube  unter.  Doch  beim  Ausbuttern  fand  man  nachher  seine  Leiche 
wieder.  Man  begrub  ihn  in  einer  von  den  Bienen  erbauten  Wachshöhle, 
und  jede  Honigwabe  darin  war  größer  als  die  Stadtthore  zu  Freiburg 
oder  zu  Brugg.  —  Hievon  berichtet  die  Sage  im  Berner  Oberlande, 
im  Freiburger  Ormund ,  im  Urnerlande,  im  Brugger  Aarthale.  Man 
vgl.  Bridel,  Conservateur  Suisse  4,  267  und  Dalp,  Ritterburgen  der 
Schweiz, Bd.  1.—  Plutarch,  Pyth.  or.  29,  erwähnt  ein  Milchland  Böotiens, 
zo  raluZiov,  wo  einst  Apoll  erschien  und  wo  Milch  aus  den  Schafen 
sprang  gleich  dem  Wasser  aus  den  Quellen.  Welcker,  griech.  Götter- 
lehre 1,  485.     In  Haupt-Schmalers  wend.  Volkslied  2,  pag.  174  wird 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  401 

Gleiches  von  dem  Teich  hinter  der  Scheune  erzählt.  Treibt  man  da  das 
Ross  zur  Tränke  und  bindet  ihm  etwas  Lab  an  den  Schwanz,    so  hat 
man  soviel  Molken  und  Quarkkäse  fertig,  daß  der  Bauernhof  und  das 
Dorf  sieben  Jahre  lang  satt  bekommt.  Es  ist  bisher  bereits  zu  merken, 
daß    der  Älpler    seinen  Milchsegen    der   Kuh    zuschreibt,    der    Grieche 
dem  Schaf,    der  Slave  der  Stute;    es  folgt   noch  der  Skandinavier  mit 
seinem  Schmalvieh.  Er  nennt  die  Götterziege  Heidhrün,  aus  deren  Euter 
täglich  ein  Gefäß  voll  Meth  fließt,  das  für  alle  Göttergenossen  in  Val- 
höll  genügt.    Sehr  merkwürdiger  Weise  hat  sich  die  Sage  hierüber  im 
bairischen   Wald    lebend   vorgefunden     und    steht    nun   in    Schöppners 
baier.  Sagenb.  Nr.  88:    Vor   uralter   Zeit   weidete   eine  Gais    auf  dem 
Hohenbogen  im  baierischen  Walde,    welche    so    ungeheuer   groß    war, 
daß  ihr  Rücken  die  Wipfel    der  höchsten  Bäume    überragte.     Tag   für 
Tag  weidete  sie  zwei  Morgen  Landes  ab.  Einmal  lag  sie  schlafend  am 
Rande  des  Hohlweges,  ihr  strotzendes  Euter  hieng  über  ihn  herab.  Ein 
Holz  wagen,  der  aus  dem  Bergwald  kam,  riß  im  Vorbeifahren  eine  Zitze 
wes;.     Sooleich    ero-oß    sich    daraus    ein  Wolkenbruch   von   Milch    und 
schwemmte  sieben  Dörfer  am  Fuß  des  Berges  mit  fort.    „Das  war    — 
fügt  die  Erzählung  noch  besonders  hinzu  —  das  erste  und  letzte  Mal, 
daß   Milch    stromweis    geflossen    ist    im    gelobten    Lande   Baierwald." 
Dieser  Nachsatz  scheint  uns  äußerst  gewichtig,  er  spricht  sich  in  ganz 
gleichem  Sinne  und  für  einen  ähnlichen  Zweck  bereits  bei  Beda  de  ra- 
tione  temporum  aus,  wenn  dieser  Autor  erklären  will,  warum  die  Angel- 
sachsen ehemals  den  Monat  Mai  Thrimüci  genannt  hatten,  d.  i.  die  Zeit, 
da  die  Kühe  dreiinelkig  werden :   Thrimüci  dicebatur,  quod  tribus  viribus 
in  eo  per   diem    'pecora    mulgebantur.      Talis    enim    erat   quondam   überlas 
Britanniae  vel  Germaniae !  Dies  sind  förmliche  Orakel,  voll  schlagenden 
Aufschlusses  über  jenes  früheste  Zeitalter,  da  aller  Gelclwerth  und  alle 
Menschenaussicht  allein  noch  in  den  Milchthieren  lag   und  die  Milch- 
nahrung noch  Alles  zusammen  befasste,  Meth  und  Honig,  Ael  und  Wein, 
Fleisch  und  Brod.     Sogar   die   älteste  Eintheilung  des  Jahres  gewinnt 
hieraus  ihre  Erklärung.    Denn  was  drückt  unser  Wonnemonat  anderes 
aus  als  die  Zeit   der   wieder  offen  werdenden  Wunn  und  Weide,    mit 
welcher  ja  immer  wie  im  ags.  Monat  Thrimüci ,    Milch  und  Honig  aus 
den  dreimelkig  werdenden  Kühen  fließt.  Grimm,  GDS.  111  fügt  diesem 
schon  von  ihm    berührten  Verhältnisse  noch   den  neuen  Umstand   bei, 
daß  das  altindische  Jahr    zwei  Frühlingsmonate    zählte,    die   in   ihrem 
Namen  gleichfalls  unsere  Mythe    gänzlich   unterstützen;    der  eine  hieß 
mädhu,   Meth,    der  andere   madhava,    Honigsüß.     Sodann   gedenkt   er 
pag.  657  jener  Ströme  in  Altsachsen  und  England,  die  den  Namen  des 

GERMANIA  VII.  26 


402  E.  L.  ROCIITTOLZ 

Metlis  tragen:  In  der  Wesergegend  Medofulli  (poeulum  mulsi),  in  der 
Landschaft  Kent  die  in  die  Themse  mündende  Medway,  deren  zweite 
\\  mthälftc  ags.  vcege,  altn.  veig,  poeulum  ist,  wozu  ags.  ealovccge  (Ael- 
becher)  aus  Beowulf  stimmt.  Wie  Griechen  und  Kömern  das  Gewässer 
aus  dem  Hörn  des  Flußgottes  strömt,  folgert  Grimm,  so  mag  auch 
unser  Alterthum  Bäche  und  Flüsse  aus  dem  umgestürzten  Methkrug 
eines  mythischen  Wesens  geleitet  haben,  woher  dann  der  Quelle  Name. 
Ich  glaube,  dieses  hier  vermuthete  Göttergefäß  sogleich  aufzeigen  zu 
können,  und  will  hier  nur  beifügen,  daß  übereinstimmend  mit  jenem 
altn.  veig  poeulum,  die  Milchschüssel  für  den  Milchkeller  altbaier.  Wei- 
herling,  Schweiz.  Weiggelin  (Stalder  2,  443)  genannt  wird,  wie  auch 
der  aus  Rahm  und  Brodteig  gemachte  Kuchen  Rahmwaßjen.  Der  rein 
sinnliche  Begriff  dieses  Wortes  heißt  schütten  und  schütteln,  woher  ja 
die  Schotte  selbst  ableitet,  die  Nachmolke,  der  Milchrest  im  Alpkessel, 
nachdem  Käse  sowohl  als   Ziger  bereits  daraus  gewonnen  sind. 

Doch  die  Vorzeit  will  sowohl  jenes  gigantische  Milchgefäß,  wie 
auch  die  Bereitungsweise  des  dafür  bestimmten  Milchtrankes  näher 
bezeichnen  und  wir  hören  nun  ihren  neuen  Erzählungen  zu. 

Die  im  Volksmärchen  stets  genannten  drei  Wunderdinge  sind 
ein  paar  Schuhe ,  ein  Stab  und  drittens  die  Schale  oder  der  Wunsch- 
säckel ;  letzteres  hat  sich  immer  von  Frischem  mit  Nahrung  oder  mit 
Gold  anzufüllen.  Durch  das  neu  auflebende  Sanskritstiidium  ist  nun 
auch  eine  Einsicht  in  das  hohe  Alter  dieses  einzelnen  Märchenzuges 
gewährt.  Der  Dichter  Soma  Deva  aus  Kaschmir  hat  zu  Anfang  un- 
seres XIII.  Jahrhunderts  eine  indische  Märchensammlung  begonnen  (übers, 
von  IL  Brockhaus)  zur  Erheiterung  der  Großmutter  des  Königs  von 
Kaschmir,  des  Ilarsha  Deva.  Darinnen  wird  unter  anderem  erzählt, 
wie  durch  diese  drei  Wunderdinge  die  Gründung  der  hl.  Stadt  Pali- 
bothra  veranlasst  wird,  welche  im  Sanskrit  Pätaliputraha  heißt,  Wohn- 
sitz des  Reichthums.  Als  nämlich  der  vertriebene  König  Putraka  in  der 
Fremde  umher  irrt ,  betrifft  er  zwei  Brüder ,  die  sich  um  ihr  Erbe 
streiten,  über  Schale,  Stab  und  Pantoffeln.  Wer  diese  Pantoffeln  anlegt, 
sagen  sie,  der  hat  die  Kraft  zu  fliegen;  was  mit  diesem  Stabe  gezeichnet 
wird,  das  entsteht  sogleich,  und  was  in  diese  Schale  hineingewünscht 
wird  an  Speisen  ,  die  sind  auf  der  Stelle  drinnen.  Der  schlaue  Putraka 
veranlasst  die  Streitenden,  einen  Wettlauf  um  den  ungetheilten  Besitz 
der  drei  Dinge  anzustellen,  und  während  sie  liefen,  zog  er  die  Pan- 
toffeln an  und  flog  mit  Stab  und  Schale  zu  den  Wolken  empor.  Erst, 
bei  der  schönen  Stadt  Akarshika  ließ  er  sich  wieder  herab.  Hier  wohnte 
die  Königstochter  Patali,  bewacht  vor  jedem  Freier  in  einem  fest  ver- 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  403 

wahrten  Schlosse.  Pntraka  flog  bei  Nacht  in  die  Fenster  ihres  Schlaf- 
gemaches,  erweckte  sie  mit  einem  Kusse,  vermählte  sich  mit  ihr,  nahm 
sie  in  den  Arm  und  flog  durch  die  Lüfte  mit  ihr  davon.  Aber  am  Ufer 
des  Ganges  ermattete  die  Geliebte;  also  ließ  er  sich  mit  ihr  herab  zum 
Flusse  und  erquickte  sie  durch  Speisen ,  die  auf  sein  Geheiß  sich  in 
der  Schale  zeigten.  Dnnn  zeichnete  er  ihr  zu  Gefallen  mit  seinem  Stabe 
eine  Stadt  in  den  Sand  und  schuf  sich  dazu  ein  mächtiges  Heer.  Dort 
wurde  er  König  und  beherrschte  die  Erde  bis  zum  Meere  hin.  So  war 
die  Stadt  mit  ihren  Bewohnern  durch  Zauber  geschaffen  und  wurde  nach 
den  beiden  Namen  der  Gatten  Pätaliputraka  genannt.  Vgl.  Jolowicz, 
Polyglotte  der  Orient.  Poesie,  S.  234. 

Unser  Anhaltspunkt  liegt  hier  nur  in  der  wunderbaren  Schale. 
Wo  der  Fürst  mit  ihr  aus  dem  Flusse  schöpft,  schöpft  er  die  Hülle 
und  Fülle  erquickender  Speise,  und  nicht  bloß  die  hl.  Stadt  Palibothra 
wächst  sogleich  zauberhaft  am  Gangesufer  empor,  sondern  der  Zauber 
der  Frauenschönheit  selbst,  die  allen  andern  Freiern  versagte  Königin 
Patali,  rastet  an  diesem  Strome  zum  erstenmal  in  erwiedernder  Liebe 
und  wird  mit  dem  Gatten  Herrscherin  bis  zum  Meere.  Es  ist  die 
schaumgeborne  Göttin  der  Schönheit  selbst;  aber  ehe  sie  ins  Leben 
getreten  ist,  geht  ihr  hier  wie  in  den  sogleich  folgenden  Berichten  ein 
alter  Rangstreit  oder  Erbfolgekrieg  voraus.  Einen  solchen  haben  im 
indischen  Epos  Ramayana  zwei  Götterreihen  gegen  einander  erhoben, 
und  als  sie  sich  aussöhnen ,  beschließen  sie  gemeinsam  sich  den  Un- 
sterblichkeitstrank Amrita  zu  bereiten.  Sie  buttern  nun  das  Milchmeer 
um.  Ihr  Butterstempfel  ist  der  Berg  Mandara  mit  allen  seinen  Wäldern 
und  Waldbewohnern.  Ihn  umschlingt  diensam  der  Schlangenkönig  Qesha 
als  Strick,  Devas  und  Asuras  packen  das  verstrickte  Riesenthier  an 
Haupt  und  Schwanz  und  drehen  gegenseitig  ziehend  damit  den  Berg 
wie  einen  Quirl  im  Milchmeer  herum.  Alle  Löwen  und  Elephanten 
des  Waldberges,  all  seine  Bäume  und  Heilkräuter  stürzen  mit  in  den 
Ocean,  werden  zermalmt  und  zerbuttert;  vom  beständigen  Drehen  er- 
glüht zuletzt  der  Mandara  selbst  und  schüttet  alles  Erz  seines  Innern 
geschmolzen  ins  Milchmeer  aus.  Dies  wird  goldene  Butter,  und  schon 
wollen  die  Riesen  diese  für  sich  allein  gewinnen,  zum  Nachtheil  der 
Äthergötter.  Allein  aus  ihr  steigt  nun  in  buttergelbem  Gewände,  Alles 
bezaubernd  und  Alle  bändigend,  die  Segensgöttin  Sri  hervor,  und  die 
weiße  Schale,  die  sie  trug,  war  angefüllt  mit  Amrita.  Eine  Version  fügt 
hier  bei,  Gott  Wischnu  habe  die  Gestalt  dieses  reizenden  Weibes  an- 
genommen, dadurch  die  Riesen  überlistet,  des  Gefässes  mit  der  Amrita 
sich  bemächtigt  und  dann  in  seiner  wirklichen  Gestalt  die  Gegner  mit 

26  * 


404 


E.  L.  ROCHHOLZ 


der  Waffe  des  Blitzes  zerschmettert.  Dies  scheint  nur  eine  Selbst- 
entlehnung  aus  dem  schon  anfänglich  erwähnten  Götterkriege,  um  die 
am  Ende  der  Erzählung  nutzlos  werdenden  Kiesen  dadurch  ganz  be- 
seitigen zu  können.  Aber  wir  werden  dem  gleichen  Ungeschicke  einer 
eben  hierin  falsch  abschließenden  Erzählung  in  der  Qvasirsage  wieder 
begegnen.  Dies  ist  deutlich:  aus  dem  Ende  des  Götterkrieges  erst  ent- 
springt die  unbeschränkte  Dauer  der  Götterwonne.  Aber  die  Milch  der 
Unsterblichkeit  wird  auf  einem  zweifachen  TA  ege  gewonnen.  Entweder 
wird  sie  aus  dem  Blute  des  in  diesem  Kampfe  fallenden  Schlachtopfers 
zubereitet,  oder,  was  viel  ursprünglicher  ist,  aus  dem  Honigflusse,  aus 
dem  Milchmeere  steigt  die  schaumgeborne  Schönheitsgöttin  empor,  auf 
einer  Muschel  stehend  als  der  Trinkschale.  In  Griechenland  ist  es  die 
eine  Aphrodite,  zubenannt  von  Aphros ,  Schaum;  in  Indien  sind  es 
53  Millionen  Apsarasen,  von  Ap  zubenannt,  dem  Wasser.  Beide  Male 
ist  es  ein  Jungbrunnen.  Aus  der  Edda  ist  ein  ähnlicher  Vorgang  zwar 
bekannt  genug,  er  muß  aber  der  daran  zu  knüpfenden  Beziehungen 
halber  hier  mit  in  die  Erzählung  aufgenommen  werden. 

Die  beiden  Götterreihen  der  Äsen  und  Vanen  haben  sich  nach 
langem  Unfrieden  wieder  geeinigt  und  bringen  nun  den  Friedensschluß 
unter  einer  eigenthümlichen  Ceremonie  zu  Stande.  Sie  treten  von  beiden 
Seiten  zu  demselben  Trinkgefässe  und  spucken  ihren  Speichel  hinein. 
Um  dieses  Einigkeitszeichen  nicht  mehr  untergehen  zu  lassen,  nahmen 
es  die  Äsen  und  schufen  den  Mann  Qvasir  daraus,  d.  h.  den  gegährten 
Gischt  und  Geist.  Ihm  war  die  höchste  Weisheit  eigen,  in  seinem 
Blute  gohr  der  Strom  der  Begeisterung.  Mit  dieser  einfachen  Erzählung 
begnügt  sich  die  jüngere  Edda  noch  nicht,  denn  Qvasirs  Meth-  und 
Milchblut  muß  ihr  zu  wirklich  trinkbarem  Blute  werden.  Sie  berichtet 
daher  ferner:  Als  Qvasir  weisheitlehrend  die  WTelt  durchzog,  kam  er 
auch  zu  den  Zwergen,  diese  erschlugen  ihn  und  gaben  vor,  er  sei  in 
der  Fülle  seiner  Weisheit  erstickt.  Sein  Blut  aber  vermengten  sie  mit 
Honig,  gewannen  daraus  einen  kostbaren  Meth  und  fassten  ihn  in  ein 
dreifaches  Geschirr.  Durch  neue  Gewaltthätigkeiten  kam  dieses  alsdann 
erst  an  den  Kiesen  Suttungr  (Suptunger  ist  der  Supper,  Trinker,  Suffi- 
trinker)  und  an  dessen  Tochter  Gunnlöd,  und  als  es  hier  Odhinn  ge- 
raubt hatte,  kam  es  schließlich  wieder  an  die  Äsen.  Seitdem  begeistert 
dieser  Trank  den  Odhinn  selbst  zur  Dichtung,  er  heißt  Odhrörir,  der 
gcmüthsaufre^ende  Trank,  und  ebenso  ist  davon  die  Skaldenkunst 
Qvasirs  Blut  geheißen,  denn  wer  von  diesem  Trank  kostet,  wird  ein 
Dichter  oder  Weiser.  Auch  in  der  griechischen  Sage  wird  Dionysos 
von    den  Titanen  zerrissen    und  sein  Blut  in  jenem  Becher  gesammelt, 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  405 

in  welchem  der  Gott  zuvor  die  erste  Weinspende  gemischt  hatte. 
Dem  Hellenen  wird  aus  dem  Blute,  dein  Germanen  aber  aus  der  Milch 
der  berauschende  Lebenstrank  ausgegoren.  Wir  wissen  durch  Castren, 
wie  die  Tataren  aus  Kuhmilch  das  Airan,  aus  Stutenmilch  das  Kumys 
sich  bereiten:  aber  A.  Humboldt  und  Klaproth  waren  auf  ihrer  Reise 
in  russisch  Asien  Augenzeuge,  wie  man  im  Zelte  eines  tatarischen 
Häuptlings  ihnen  zu  Ehren  den  „Quas"  in  derselben  Weise  zubereitete, 
wie  der  eddische  Trank  Qvasir  entstand.  Die  ins  Zelt  Eintretenden 
wurden  eingeladen,  in  einen  am  Eingang  stehenden,  mit  Milch  gefüllten 
Eisennapf  zu  spucken,  um  alsbald  darauf  mit  dieser  dadurch  in  raschere 
Gährung  versetzten  Milch  bewirthet  zu  werden. 

Aufs  anmuthigste  hat  das  finnische  Epos  Kalewala  im  zwanzigsten 
Gesänge  diesen  Vorgang  der  Gährung  poetisch  verkörpert,  um  die 
Erfindung  der  Bierbereitung  daran  zu  knüpfen: 

„Wann  wohl  kommen  wir  zusammen, 

Kommt  das  Eine  zu  dem  Andern?" 

Summt  vom  Baum  herab  der  Hopfen, 

Spricht  vom  Felde  her  die  Gerste. 
Die  beiden  Jungfrauen  Osmotar  und  liapo  sieden  endlich  Gerste 
und  Hopfen  zusammen,  aber  immer  noch  bleibt  die  Gährung  aus.  Ein 
Eichhorn  brachte  ihnen  Tannenzapfen  dazu,  dennoch  hob  sich  der  Sud 
nicht;  der  Goldmarder  brachte  Schaum  aus  dem  Rachen  kämpfender 
Bären,  gleich  vergeblich ;  bis  zuletzt  ein  Bienchen  Honigseim  von  jener 
Wiese  herbei  o-etrao;en  bringt,  in  deren  Gras  ein  Mädchen  schlummernd 
liegt.  Da  stieg  das  Bier  im  Fasse  und  floß  über  alle  Ränder.  Es  war 
braven  Männern  gut  zu  trinken,  brachte  die  Weiber  schnell  zum  Lachen 
und  die  Thoren  bald  zu  Streichen.  —  Besser  lässt  sich  die  epische 
Formel,  Schön  wie  Milch  und  Blut,  nicht  verdeutlichen :  ein  im  Grase 
schlummernd  liegendes  Mädchen,  von  einem  naschenden  Honigbienlein 
umflogen. 

Höchst  unterrichtend  durch  ihre  Vollständigkeit  lautet  die  keltische 
Sage  vom  Tranke,  der  allen  Wissensdurst  stillt;  sie  nmfasst  nämlich 
gleich  den  eleusinischen  Mysterien  Beides  zugleich,  des  Dionysos  Wein 
und  des  Triptolemus  Brod.  Mone,  Gesch.  des  Heidenth.  2,  519  erzählt 
sie  ausführlichst,  hier  genügen  schon  die  Hauptpunkte.  Mutter  Cerid- 
vven  hat  sich  einen  Kessel  gebaut,  ihn  mit  Heilkräutern  gefüllt,  ihn 
Jahr  und  Tag  lang  sieden  lassen  und  den  fremden  Knaben  Gwion 
zur  Aufsicht  daran  gestellt.  Als  dieser  drei  Tropfen  daraus  nippt,  ist 
ihm  alle  Zukunft  enthüllt.  Zürnend  jagd  dem  Fliehenden  die  Mutter 
nach,  ihn  durch  alle  Elemente  und  Wandlungen  verfolgend.  Als  er  sich 


406 


E.  L.  ROCHHOLZ 


zuletzt  in  ein  Weizenkorn  verwandelt,  piekt  sie  es  auf,  wird  davon 
schwanger,  wird  nach  neun  Monaten  eines  Knaben  entbunden,  den  sie 
auf  ihres  Mannes  Anstiften  in  einem  Boote  auf  dem  Meere  aussetzt. 
Als  die  Fischer  dorten  am  ersten  Mai  ihre  Reuße  nach  dem  gewohnten 
Maienfisch  von  hundert  Pfund  Werth  durchsuchen ,  finden  sie  statt 
dessen  das  Kind  und  nennen  es  seiner  Schönheit  wegen  Taliesin, 
Strahlenstirne.  Sogleich  dichtet  der  aufgefundene  Knabe  ein  Lied,  worin 
es  heißt:  „Ich  bin  der  erste  Barde,  geistbegabt  durch  den  Kessel  der 
Ceridwen.  Wasser  hat  die  Eigenschaft,  daß  es  Segen  bringt;  es  ist 
unbekannt,  ob  mein  Leib  Fleisch  ist  oder  Fisch.  Daß  doch  die  Mensehen 
kämen,  alles  Wissen  bei  mir  zu  suchen,  denn  ich  kenne  Alles,  was 
gewesen  ist  und  was  sein  wird!"  u.  s.  w.  Man  fühlt  sich  an  die  Fau- 
stische Hexenküche  erinnert;  der  Kessel  siedet  über  dem  Feuer,  Me- 
phistopheles  verlangt  einen  Becher  voll  für  seinen  Freund,  und  die  Hexe 
überreicht  den  Feuertrank  unter  dem  berühmten  Spruch: 

Die  hohe  Kraft,  die  Wissenschaft, 

Der  ganzen  Welt  verborgen! 

Und  wer  nicht  denkt,  dem  wird  sie  geschenkt, 

Der  hat  sie  ohne  Sorgen. 
Dieselbe  Hexe  kehrt  wieder  in  der  keltischen  Sage  vom  Volks- 
helden Brau  le  Beni ,  sie  hinterlässt  diesem  zum  Danke  für  die  in 
Cambrien  bei  ihm  genossene  Gastfreundschaft  ein  Becken ,  mit  dem 
eine  tödtliche  Wunde  geheilt  und  das  Leben  wieder  gegeben  wird. 
Bran  le  Beni  hatte  eine  Fehde  mit  dem  irischen  Fürsten  Martolouch ; 
nach  Beendigung  derselben  lud  er  ihn  zu  einem  Friedensmahle  ein, 
bei  welchem  die  Speisen  in  dem  zaubermächtigen  Becken  aufgetragen 
wurden  und  sich  immer  von  neuem  ergänzten.  Er  schenkte  es  zum 
Pfände  des  Friedens  dem  versöhnten  Fürsten ;  doch  als  die  Fehde 
abermals  losbrach,  erwies  sich  dieses  Becken  als  der  mächtigste  Bun- 
desgenosse des  Feindes  und  erweckte  diesem  jeden  Krieger  wieder, 
der  eben  gefallen  war.  Eine  andere  britische  Sage  erzählt  vom  Hörne 
des  Bran  Galed,  worin  man  jeden  Trank  fand,  den  man  sich  wünschte. 
Diese  zwei  Sagenzüge  führt  Lang  an,  Sage  vom  hl.  Gral,  nach  dem 
Werke  von  Heinrich:  Le  Favcival  de  Wolfram  cC Esehenbach.  Paris  1855, 
pag.  50. 

In  den  Naturreligionen  gilt  Kessel,  Becken  und  Becher  als  Sinn- 
bild des  Anfangs  der  Welt  aus  dein  Wasser.  Drei  Tropfen  aus  Cerid- 
wens  Kessel  enthüllen  alle  Zukunft;  eine  Tränke  aus  dem  Flusse  am 
ersten  Mai  macht  die  Milchthiere  dreimelkig ,  sowie  am  ersten  Mai 
statt   des    beerehrten   Fisches    der    Gott  Taliesin   selbst   in   der   Reusse 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  407 

gefunden  wird.  Der  Becher  des  Perserheros  Dsjemsid  ist  selbst  nach 
diesem  Fürsten  ans  dem  goldenen  Zeitalter  benannt.  Er  fand  ihn,  als 
er  den  Tigris  überbrückte  und  den  Grund  legte  zur  Stadt  Persepolis. 
Das  Gefäß  vermochte  den  Äther  in  sich  nieder  zu  ziehen  und  unauf- 
hörlich Wein  zu  spenden.  Der  Orientale  weissagte  aus  dem  Becher. 
Einen  solchen  besaß  auch  Joseph  in  Egypten  und  lässt  ihn  zur  List 
in  Benjamins  Kornsack  verstecken.  Als  der  Haushälter  ihn  hier  ent- 
deckt, spricht  er:  „Ist  es  nicht  das,  da  mein  Herr  aus  trinket  und 
damit  er  weissaget?"  Gen.  44,  5.  Der  Satz  „in  vino  veritas"  Wein  ist 
ein  Weissager ,  will  also  mehr  sein  als  ein  bloßes  Erfahrungswort. 
Allem  Volke  sodann  diente  einmal  des  Jahres  im  Salomonischen  Tempel 
das  große  eherne  Meer  zum  Geschirr.  Dasselbe  fasste  200  Bath  ,  die 
der  Theologe  Bunting  {de  monetis  etc.  sacr.  scriptnrae  1616,  21)  zu  fünft- 
halbbundert  Ohm  Weines  berechnet  hat,  das  Ohm  zu  40  Braunschwei- 
ger Stübichen.  Von  einem  gleichen  Riesengefässe  berichten  Hymiskvidha 
und  Gylfaginning. 

Wenn  die  Äsen  im  Frühlinge  vereinigt  ihr  Gastgelage  halten, 
trinken  sie  Meth  aus  einem  meilenweiten  Braukessel,  der  des  Meer- 
riesen Gymir  Eigenthum  gewesen  war.  Fünfzig  Männer  können  daran 
sitzen  und  trinken,  ohne  daß  einer  den  andern  sieht.  Oder  sie  versam- 
meln sich  beim  Meergotte  Oegir  auf  dem  Meeresgrunde  in  einer  gold- 
erhellten Halle.  Da  wird  das  Becken  des  Meeres  selbst  zum  Kessel, 
in  welchem  er  ihnen  das  Gastbier  braut.  Statt  des  einen  Bechers,  den 
der  König  von  Thule  ins  Meer  wirft  oder  den  der  Taucher  aus  der 
Charybde  heraufholt,  ist  hier  noch  die  Charybde  selbst  das  unergründ- 
liche Trinkgeschirr  für  Götter  und  Gestirne  ,  und  unser  Göthe  giebt 
den  besten  Grund  dafür  an : 

Labt  sich  die  liebe  Sonne  nicht, 

Der  Mond  sich  nicht  im  Meer, 

Kehrt  wellenathmend  ihr  Gesicht 

Nicht  doppelt  schöner  her? 
Muß  das  Geschirr  beides  bieten,  Speise  und  Trank,  so  wandelt 
sich  seine  Form  zugleich  in  Napf  und  Kelch,  in  Schüssel  und  Becher. 
Dies  ist  bekanntlich  der  Gral,  das  in  unserer  Ritterdichtung  so  hoch 
gepriesene  Zaubergefäß ,  von  dessen  Beschaffenheit  und  Wirkung  nun 
noch  der  Schluß  dieses  Abschnittes  handeln  soll. 

Eine  Reichenauer  Handschrift  aus  dem  XI.  Jahrhundert,  abgedruckt 
in  Mones  badischer  Quellensammlung  1,  67,  erzählt  cap.  9  ,  wie  Azan 
aus  Corsica  an  Kaiser  Karl  eine  Schüssel  überbringt,  in  welcher  des 
Heilands  Blut  war:  ampula,  de  salvatoris  sanguine  plena.  Diese  Schüssel 


408 


E.  L.  KOCH  HOLZ 


galt  als  ein  28pfündiger  Smaragd,  wurde  ans  Kloster  Reichenau  ver- 
gabt und  dorten  auf  600,000  Dukaten  geschätzt.  Insula  fortunala 
Reichenau ,  oder  zehente  Jubiläumspredigt  1724,  v.  H.  Meyer  S.  J. 
pag.  19.  Der  Reisende  Andrea  überzeugte  sich  jedoch  i.  J.  1763 
(Briefe  aus  der  Schweiz.  Zweite  Ausgabe,  pag.  65),  daß  dieser  angeb- 
liche Smaragd  ein  grüner  Glasfluß  sei,  wenn  auch  wegen  Größe,  Härte 
und  seines  Feuerglanzes  willen  ein  sehen swerth er.  Das  hl.  Blut,  das 
darin  gewesen,  wird  heut  zu  Tage,  wie  Schnars  berichtet  (der  Bodensee 
2,  168),  daselbst  in  einem  goldenen  Kreuze  und  unter  mehrfachen 
Schlössern  versperrt  im  Altar  aufbewahrt.  Ein  zweites  sehr  ähnliches 
Gefäß  befindet  sich  in  Genua,  il  sacro  catwo  genannt.  Nach  der  Er- 
zählung des  Genueser  Chronisten  Jacobus  a  Voragine  haben  die  Ge- 
nuesen bei  der  Eroberung  von  Cäsarea  1101  zum  Lohne  ihrer  Tapfer- 
keit ein  großes  Gefäß  aus  der  Beute  zugetheilt  erhalten  und  es  daheim 
der  Kapelle  Johannes  des  Täufers  geweiht.  Diese  hl.  Schüssel  sollte 
durch  die  Königin  von  Saba  an  Salomon  geschenkweise  überbracht 
worden  sein;  sie  soll  ferner  die  Schüssel  sein,  aus  welcher  der  Heiland 
das  Osterlamm  gegessen,  oder  die  Schale,  in  welcher  Joseph  von  Ari- 
mathia  das  Blut  des  Gekreuzigten  aufgefangen.  Sie  hatte  gleichfalls 
für  einen  einzigen  ungemeinen  Smaragd  gegolten,  bis  i.  J.  1806  Napo- 
leon bei  Wegnahme  Genuas  den  catino  mit  nach  Paris  entführte ,  wo- 
selbst dieser  Schatz  sich  gleichfalls  als  ein  bloßer  Glasfluß  erwies. 
Noch  giebt  es  eine  andere  kirchliche  Schüssel,  die  santissima  scodella 
im  hl.  Hause  zu  Loretto,  in  welcher  Maria  den  Brei  für  das  Jesuskind 
angemacht  haben  soll.  Correggios  bekanntes  Madonnenbild,  in  welchem 
die  Rast  unter  den  Palmen  dargestellt  ist,  wird  nach  diesem  Gefässe 
de  la  scodella  zubenannt.  Die  Breischüssel  führt  auf  den  Mushafen 
hinüber;  das  Wappen  der  Mundschenken  war  im  deutschen  Mittelalter 
bekanntlich  ein  umgestürzt  und  geschnäbelt  abgebildeter  Hafen.  Und 
so  muß  hier  noch  darauf  hingewiesen  werden,  daß  gerade  unser  be- 
rühmter Graldichter  Wolfram  selbst  einen  rothen  Hafen  als  Schild- 
und  Helmzeichen  im  Wappen  führte.  IL  Holland ,  Gesch.  der  altd. 
Dichtkunst  in  Baiern,  pag.  114. 

Nicht  den  Gral  haben  wir  zu  schildern,  sondern  die  an  ihn  ge- 
knüpften Vorstellungen;  dabei  wird  sich  zeigen,  daß  diese  von  einer 
ursprünglich  würdevollen  Anschauung  rasch  ins  Widrige  und  Grausen- 
hafte herabgesunken  sind. 

Die  durch  Grieshaber  herausgegebenen  deutschen  Predigten  des 
XIII.  Jahrhunderts,  2,  i23  beschreiben  das  Brod,  womit  die  Israeliten 
vierzig  Jahre  lang  in  der  Wüste  gespeist  wurden,  als  ein  in  alle  Speise 


GOLD,  MILCH   UND   BLUT.  40!) 

und  Trank  sich  wandelndes  Gralsbrot:  Wart  daz  himelbrot  was  in  in  dem 
munde  reht  als  säez  als  ain  Jionech.  an  swaz  spise  si  denne  gedähton, 
daz  daz  brdt  reht  denne  smah/e  als  ob  si  die  selbon  sjnse  heten  in  icrent 
munde,  ämerdt  si  vische  alder  viaisches,  so  dulde  si  reht  si  heten  visehe 
un<!<'  vlaisch  in  dem  munde.  Dieselbe  Anschauung  vom  Gral  und  von 
seiner  Errnebit»;keit  ist  bei  Wolfram  ausgedrückt : 

swä  nach  jener  bot  die  hant, 

daz  er  al  bereite  vant 

spise  warm,  spise  kalt, 

>ji/se  niwe  unt  dar  zuo  alt, 

da:  zam  unt  daz  wilde. 

wan  der  gräl  was  der  sohlen  /ruht, 

dir  werlde  süeze  ein  sölh  genullt: 

er  tvac  vil  nach  gellche, 

als  man  saget  von  himelriche. 
Dazu  ist  es  die  reinste  Magd  und  jungfräulich  Schönste,  die 
Freudeverbreiterin  Repanse  de  schoge ,  welche  den  Gral  zur  Gastfeier 
aufträgt;  gleichwie  die  schaumgeborne  Schönheitsgöttin  jene  Milch  der 
Unsterblichkeit  kredenzt,  die  das  Haar  nicht  mehr  ergrauen  lässt,  leiblich 
verjüngt  und  zugleich  den  Wissensdurst  stillt.  Alle  am  Gralstische 
Versammelten  sind  herz-  und  blutsverbrüderte  Commensalen,  die  gimäzun 
einer  massenle,  welche  bei  Gott  selbst  tischfähig  geworden  sind.  Denn 
das  älteste  Wort  unserer  Sprache  für  essbares  Fleisch ,  sagt  Grimm 
GDS.  1009  —  heißt  bei  Ulfila  mims,  ahd.  viias,  geht  durch  die  alt- 
slavischen  Sprachen  und  drückt  wie  das  latein.  mensa  den  Fleischtisch 
aus,  welcher  ursprünglich  der  Opfertisch  gewesen  sein  wird.  Eben  an 
diesem  pflegte,  der  dankbare  Mensch  mit  seinen  Göttern  zu  theilen  und 
wird  daher  von  diesen  gleichfalls  zur  Tafel  gezogen.  Dies  verheißt  Virgil, 
Eclog.  IV.,  dem  Knäblein  Pollio :  deus  hunc  niensa,  dea  dignita  cubili  est. 
Der  Tisch  mit  den  Schaubroden  im  jüdischen  Tempel  sollte  sämmtliche 
Stämme  des  Volkes  als  eben  so  viele  Brode  Gott  beständig  vor  An- 
gesicht legen.  Wer  erinnert  sich  nicht  des  Sonnentisches  der  Athiopen, 
der  sich  jede  Nacht  mit  Fleisch  frisch  deckte,  des  Herodoteischen  He- 
liotrapezon.  Die  Tischstadt  Trapezus  hatte  ihren  Namen  eben  davon 
bekommen,  daß  hier  die  Götter  ihren  mit  den  Menschen  bis  dahin 
getheilten  Gasttisch  für  immer  umstießen,  empört  üher  den  frevlerischen 
Arkaderkönig  Lykaon,  der  ihnen  sein  geschlachtetes  Kind  zum  Mahle 
vorgesetzt  hatte.  Zwei  solcher  hl.  Tische  reichen  in  unser  Mittelalter 
herein.  Als  der  Westgothenkönig  Roderich  in  der  Schlacht  bei  Xerez 
711   Thron  und  Leiten  an  die  arabischen  Sieirer  verloren  hatte,  fanden 


4|0  E.  L.  ROCHHOLZ 

sich  unter  den  Beutestücken  zwei  kostbare  Tische.  Der  eine  war  das 
Missorium,  massiv  golden,  fünfhundert  Pfand  schwer,  der  römische 
Feldherr  Aetius  soll  ihn  nach  der  catalaunischen  Schlacht  dem  Gothen- 
könig  Thorismund  zum  Geschenke  gemacht  haben;  der  andere  Tisch 
war  noch  höher  gepriesen,  seine  Goldfüsse  waren  wie  die  Tage  des 
Jahres  365,  drei  Perlenreihen  fassten  ihn  ein,  man  schätzte  ihn  auf 
fünfhunderttausend  Goldstücke.  Je  vier  Gralritter  essen  bei  Wolfram 
zusammen  an  einem  Tische,  je  zwei  Templer  hatten  der  Ordensregel 
gemäß  aus  einer  Schüssel  zu  essen.  Dieselbe  Satzung  wiederholt  sich 
noch  unter  Ludwig  dem  Baier.  Dessen  Vater,  Herzog  Ludwig  der 
Strenge,  hatte  durch  Albrecht  von  Scharffenberg  Wolframs  Titurel- 
fragmente  fertig  dichten  lassen ;  der  ritterlich  nachschlagende  Sohn  kam 
als  Kaiser  auf  den  Gedanken,  in  dem  oberbaierischen  Ettal  eine  Grals- 
burg zu  erbauen  und  sie  nach  der  Art  von  Munsalväsche  mit  Templeisen 
zu  besetzen.  Der  so  gegründete  Orden  bestand  aus  14  Priestern  und 
13  Rittern.  Letztere  alle  hatten  ihre  Frauen,  Knappen  und  Mägde  im 
Stifte  bei  sich ,  zusammen  ist  ihnen  das  gemeinsame  Liebesmahl  der 
Tafelrunde  vorgeschrieben.  Es  heißt  darüber  wörtlich:  Ez  sullen  beide, 
ritter  und  frawen,  alle  bei  einander  ezzen,  zioen  ritter  und  zwo  frawen 
mit  einander.  H.  Holland,  Kaiser  Ludwig  und  sein  Stift  Ettal.  1860,  13. 
Also  genau  so  lautend,  wie  jene  Rittersatzung,  die  in  Grimms  GDS. 
aus  dem  spanischen  Romancero  angeführt  ist:  que  a  unamesa  comen  yan. 
Eine  Reihe  von  Verurnständungen  brachte  es  mit  sich,  daß  diese 
Vorstellungen  vom  Gral  nicht  lancce  rein  und  unsjekränkt  verbleiben 
konnten.  Vielleicht  daß  schon  der  Name  selbst  die  Sache  untergrub. 
Noch  jetzt  zwar  braucht  man  in  Südfrankreich  die  Wörter  grazal, 
grazau  —  grial,  grau  für  mancherlei  Gefässe,  aber  dennoch  machte  die 
missverstehende  Wortdeutung  auch  aus  franz.  greal  ein  san  greal  und 
dann  aus  diesem  ein  sang  real,  aus  dem  Becher  ein  Königsblut.  Anlaß 
hiezu  gab  eine  durch  dieses  Wort  und  dessen  Mythe  zurückreichende 
Erinnerung  und  dunkle  Grübelei;  litthauisch  kranjas  sanguis,  ist  welsch 
crau,  cruor;  sanskrit  kravja  caro;  alles  zusammen  drückt  blutiges  frisches 
Fleisch,  Blut  selbst  aus.  GDS.  1010.  Wird  aber  der  Gral  einmal  im 
Tafelkelch  zum  trinkbaren  Blut  gemacht ,  so  wird  er  auch  zur  Erb- 
schüssel, worauf  das  frische  Schlachtopfer  liegt,  und  das  heilige  Ritter- 
bündniss,  zu  Gottes  Ehren  geschlossen,  scheint  dann  ein  frevelhaftes 
Bluttrinken  verschworener  Catilinarier  zu  werden,  oder  gar  ein  Kani- 
balen-Essen  von  heimlichen  Menschenschlächtern.  Dieser  grässliche  Ver- 
dacht brachte  dem  ganzen  Orden  der  Templer  Verderben  und  Tod. 
Der  Gral  selbst  erscheint  im  Mabinogion  als  eine  Schüssel,  in  der  ein 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  41  1 

Mutiges  Menschenhaupt  liegt;  nach  dem  franz.  Parcival  des  Menessier 
legt  der  Gralkönig  am  Johannistage  sein  Gelübde  ab.  und  einer  der 
Wolframischen  Gralkönige  ist  der  Priesterkönig  Johannes.  So  wird  die 
Johannislegende  in  die  Gralmythe  verschlungen.  St.  Johannis  Minne, 
kirchlieh  getrunken ,  trifft  schon  im  Kräuteraberglauben  zusammen  mit 
dem  St.  Johannisblut,  das  zur  Zeit  der  Sommerwende  an  den  Wurzeln 
des  Sonnewendgürtels  gegraben  wird,  zuletzt  fällt  der  Gral  selbst 
zusammen  mit  jener  Schüssel,  auf  welcher  Johannes  des  Täufers  Haupt 
vor  Ilerodcs  getragen  wird.  Aus  der  Repanse  de  schoye  wird  dann 
eine  liebebrünstige  Herodias,  aus  dem  Täuferhaupte  endlich  ein  Talisman 
mit  magischen  Kräften,  den  man  in  Gestalt  eines  Menschenhauptes 
abbildete  und  nach  romanischer  Sprachweise  Mafomet  und  Baphamet 
nannte.  Wilcke's  inzwischen  neu  erschienenes  Werk  „Die  Tempelherren" 
zeigt ,  wie  dieser  Orden  einem  deistischen  System  huldigte ,  dessen 
Ceremonien  der  Verehrung  Johannes  des  Täufers  galten.  Der  Provin- 
zialmeister  Tanet  sagte  in  dem  Prozesse  gegen  die  Templer  aus  ,  auf 
dem  Pilgerschlosse  bei  Accon  sei  ein  solches  zweiköpfiges  Haupt  bei 
Ordensfeierlichkeiten  auf  den  Altar  gesetzt  und  unter  Kniebeugen  mit 
der  Formel  angebetet  worden:  Gesegnet  sei  der  Heiland  meiner  Seele! 
Das  schauderhafte  Ende  der  Templer  ist  bekannt,  sie  bezahlten  ihre 
mystische  Blutsbrüderschaft  mit  ihrem  eigenen  Blute. 

So  wären  wir  über  die  beiden  Themen  unserer  Arbeit,  Gold  und 
Milch,  zum  letzten,  dem  Blute  gekommen.  Ehe  wir  damit  beginnen, 
fassen  wir  das  vom  Gral  Gesagte  in  einer  Überschau  zusammen,  um 
dem  bisher  Vorgetragenen  seine  Endgiltigkeit  zu  geben. 

Die  Kirche  des  Mittelalters  hieng  bewusst  und  unbewusst  dem 
Blutcultus  an;  ihr  gehören  die  mannigfachen  Legenden  und  Mirakel  an 
vom  Blute  des  Gekreuzigten,  wie  dieses  aufbewahrt  und  später  in  das 
Abendland  gebracht  worden  sei.  Sepp ,  Leben  Jesu  ,  hat  im  fünften 
Bande  ein  reiches  Material  hierüber  angesammelt ,  woraus  nur  etliche 
Angaben  über  die  berühmtesten  Blutpartikeln  hier  folgen.  Ein  Theil 
des  Kreuzigungsblutes  kam  in  die  Marcuskirche  nach  Venedig ,  ein 
anderer  1048  nach  Mantua.  Von  diesem  kamen  zwei  Theile  nach  Rom 
in  die  Kirche  des  hl.  Kreuzes  und  zu  St.  Johann  von  Lateran ;  ein 
dritter  Theil  gelangte  an  Kaiser  Heinrich  Hl. ,  gieng  an  den  Grafen 
Balduin  von  Flandern  über  und  dann  an  dessen  Tochter  Judith  ,  der 
nachmaligen  Gattin  des  Baiernherzogs  Weif  IV.  Judith  theilte  diese 
Blutpartikel  wieder  in  zwei.  Die  eine  kam  an  bairisch  Kapel  in  Unter- 
ammergau, ist  aber  da  schon  ums  Jahr  1680  verschollen;  das  Original- 
gefäß dafür  hat  man  dagegen  vor  kurzem    dorten    wieder  aufgefunden, 


412  E.  L.  ROCHHOLZ 

einen  Speisekelch  mit  abnehmbarem  Deckel,  auf  beiden  Seiten  gothiscb 
gethürmt  und  mit  Figuren  verziert ,  die  mit  jenen  Personen  überein- 
stimmen sollen,  welche  bei  Auffindung  des  hl.  Blutes  in  Mantua  1048 
beschäftigt  waren.  Schöppner ,  bair.  Sagenb.  Nr.  1191.  Die  andere 
Partikel  gab  Judith  an  das  schwäbische  Kloster  Weingarten,  wo 
es  jetzt  noch  alljährlich  am  blutigen  Freitag,  unmittelbar  nach 
Christi  Himmelfahrt,  unter  großem  Gepränge  gefeiert  wird.  Zwei  wei- 
tere  gleiche  Blutreliquien  werden  in  Marseille  und  zu  Brügge  in  Flan- 
dern verwahrt;  beide  werden  an  jedem  Freitag  wieder  flüssig;  eine 
ähnliche  Reliquie  ist  auch  in  der  Cistercienser  Abtei  Stams  in  Tirol. 
Dieser  Eindrücke  vermochte  die  Kitterpoesie  sich  nicht  zu  erwehren, 
um  so  weniger,  als  sie  ja  nur  eine  Tochter  der  ihr  vorausgegangenen 
Mönchspoesie  war;  und  wo  sie  den  Versuch  machte,  sich  kirchlich  zu 
emaneipieren,  wie  in  dem  Nibelungen-Sagenkreise,  verfiel  sie  ins  Recken- 
hafte, Heidnische.  So  kommt  denn  der  Blutcultus  auch  in  den  Gral- 
Sagenkreis.  Bei  aller  Überfülle  des  irdischen  Segens  und  in  stetem 
Anschauen  der  Paradieseswonne  lebend,  ist  der  Gralkönig  Anfortas 
doch  unrettbar  siech  ;  ja  als  sein  vorbestimmter  Erretter  Parzival  in 
der  Burg  ankommt  und  mit  an  der  silberstrotzenden  Tafel  sitzt,  wird 
unter  allgemeinem  Wehklagen  der  Templeisen  eine  bluttriefende  Lanze 
im  Gastsaale  zur  Schau  umher  getragen.  Dies  sind  die  beiden  Seiten 
unseres  Themas  selbst,  großartig  zurückgespiegelt  im  Epos.  Der  Un- 
sterblichkeitstrank wird  von  der  Schönheitsgöttin  kredenzt  als  Milch 
oder  Meth,  oder  goldener  Wein;  aber  ein  Frevel  der  Dämonen  oder 
Menschen  tritt  dazwischen  und  verwandelt  die  reine  Milch  in  den 
Greuel  frischvergossqnen  Menschenblutes,  in  „schreiendes  Blut."  Bei 
aller  Herrlichkeit  der  Wolframischen  Beschreibung  wird  dann  gerade  der 
Gral  selbst  etwas  Dauerloses.  Er  wird  plötzlich  in  einer  Nacht  aus 
der  abendländischen  Gralburg  wieder  nach  Indien  zurück  versetzt,  als 
in  seine  erste  Heimat,  und  nachdem  hier  die  Gralkönige  der  Reihe 
nach  gestorben  sind ,  speist  auch  der  Gral  die  Seinigen  nicht  mehr, 
da  er  nun  wieder  in  dem  Lande  ist,  „das  selbst  von  Milch  und  Honig 
fließt."  Diese  Schluß  Versicherung  des  Gedichtes  war  aber  der  Aus- 
gangspunkt unseres  Aufsatzes.  Wie  hat  nun  die  deutsche  Göttin  dieses 
Paradieses  geheißen ,  da  wir  bei  Wolfram  nur  eine  romanische  nennen 
hören?  Es  ist  die  durch  das  eine  Merseburgerlied  festgesetzte  Volla, 
Freyjas  Schwester,  Göttin  des  Überflusses  und  der  Fruchtfülle,  die 
domina  Abundia  und  dame  Ilabonde  der  Romanesen.  Ihr  Cultus  niusste 
mit  dem  Naturleben  innigst  verknüpft  gewesen  sein;  dies  erweist  Grimm 
(GDS.  85 — 109)  aus  dem  ihr  nachbenannten  Erntemonat,  welcher 
der  Folmänet,  Fulmänt  und  Fülmont  geheißen  hat. 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  41.3 

III.  DAS  SCHREIENDE  BLUT. 

Menschenblut  zum  Zwecke  der  Genesung  von  Krankheiten  zu 
trinken,  ist  ein  Brauch,  der  von  der  ältesten  Zeit  an  fortgedauert  hat 
bis  auf  diesen  jetzigen  Augenblick.  Plinius  erzählt  hierüber  zweifaches 
II.  N.  26,  5  und  28,  2.  Es  ließen  sich  nämlich  die  ägyptischen  Könige 
zur  Heilung  von  der  Elephantiasis  Bäder  aus  Menschenblut  bereiten; 
und  ferner  war  es  eine  von  ihm  selbst  noch  mitangesehene  Üblichkeit 
zu  Rom,  daß  Fallsüchtige  das  Blut  tranken,  das  die  Fechter  dorten 
im  Circus  vergossen.  Sie  schlürfen  es,  sagt  er,  warm  und  rauchend 
aus  dem  Menschen  selber  ein  und  halten  es  für  ein  kräftiges  Heil- 
mittel. Beide  Arten  der  Anwendung,  das  Baden  und  Trinken  des  Blutes, 
sind  heute  noch  keineswegs  verschollen.  Der  Ncgerkönig  von  Dahomey 
hat  erst  in  diesen  Jahren  und  trotz  der  Einsprache  englischer  Handels- 
consuln  Massenabschlachtungen  Kriegsgefangener  vorgenommen  und  mit 
Menschenblut  einen  dafür  bestimmten  Teich  ausgefüllt.  AUg.  Augsb.  Ztg 
20.  Oct.  1 862.  Das  Morgenland  hat  Sagen  von  Königen,  die  jeden  Tag  einen 
Menschen  aus  ihrem  Volke  für  ihr  Leben  brauchen ,  und  Grimm  (Arm. 
Heinrich,  S.  2 19)  bezieht  darauf  die  vielfach  gewendete  Thierfabel  von  der 
Heilung  des  Löwenkönigs  durch  die  noch  frisch  und  blutig  umgeschlagene 
Wolfshaut ;  denn  eben  dies  erinnert  an  ein  ganz  ähnliches  Mittel  der 
heutigen  Volksarzneikunst ,  wornach  Gequetschte  in  eine  abgezogene 
Kalbshaut  gewickelt ,  oder  verletzte  Glieder  in  einen  frischen  Kalbs- 
magen  gesteckt  werden.  Während  nach  dem  Aberglauben  durch  das 
Katainenienblut  alles  damit  in  Berührung  Gebrachte  zu  Grunde  gerichtet 
wird:  der  Weinstock  geht  ein,  die  Feldfrucht  stirbt  ab,  alle  gährenden 
Stoffe  wie  Milch  und  Wein  stehen  um ,  die  Bienen  verlassen  ihren 
Stock,  der  Glanz  der  Spiegel  erlischt,  das  Schermesser  wird  stumpf 
(Schindler,  der  Aberglaube  165) :  so  wird  durch  Jungfern-  und  Kinder- 
blut das  schwerste  Übel  geheilt.  Die  Berliner  medicin.  Zeitschrift  von 
1862  hebt  hervor,  daß  die  sich  häufenden  Schändungsfälle,  mit  denen 
unsere  Schwurgerichtsverhandlungen  so  oft  beschäftigt  werden,  aus  dem 
Wahne  entspringen ,  als  könne  das  Übel  der  männlichen  Gonorrhöe 
durch  den  Beischlaf  mit  einem  noch  unmannbaren  Mädchen  geheilt 
werden.  Der  nach  dem  Aussatze  zubenannte  llüefengüggis  oder  Grind- 
teufel hat  schon  eilf  Jungfrauen  abgeschlachtet,  um  in  ihrem  Blute  sich 
heil  zu  baden.  Vgl.  Aargauer  Sag.  1,  Nr.  14,  wo  weitere  hier  ein- 
schlägige Züge  aus  Geschichte  und  Sage  mit  verzeichnet  sind.  Der 
Glaube  an  die  Wirkungen  des  Menschenbluttrinkens  sitzt  überhaupt 
noch   durchaus  fest.     An  der  Aare    lautet  hierüber    die  Meinung    also: 


414 


E.   L.   HOCH HOLZ 


Wenn  ein  Fallsüchtiger  vom  warmen  Blute  eines  eben  Hingerichteten 
trinkt  und  gleich  darauf  sich  in  Schweiß  lauft,  so  stirbt  er  entweder 
plötzlich,  oder  ist  mit  einem  male  geheilt.  Der  im  verwichenen  Jahre 
hingerichtete  Mörder  Bellenot  aus  dem  bernischen  Jura  gestand  im 
Verhör ,  er  habe  die  von  ihm  erschlagene  Frau ,  die  wegen  Verkaufs 
selbstgesammelter  Heilkräuter  das  Docterfraueli  hieß,  umgebracht,  um 
ihr  Blut  zu  trinken  und  sich  dadurch  von  dem  Weh  zu  befreien,  mit 
dem  er  behaftet  gewesen  sein  soll.  Aargauer  Ztg.  19.  Mai  1861.  Derselbe 
Glaube  wiederholte  sich  bei  der  zu  Trogen  in  Appenzell  Außer-Rhoden 
im  Juni  dieses  Jahres  stattgehabten  Execution  eines  Metzgers.  Ein 
Weib  in  einem  außerrhodischen  Armenhause  litt  an  Epilepsie  und  er- 
hielt von  dem  zuständigen  Vorstände  der  Anstalt  die  Erlaubniss  ,  am 
Tage  der  Hinrichtung  nach  Trogen  zu  gehen  und  das  grausige  Heil- 
mittel zu  versuchen.  Drei  Schluck  müssen  unter  Anrufung  der  drei 
höchsten  Namen  warm  hinabgetrunken  werden.  Bereits  stand  sie  am 
Schaffot,  als  ein  neuer  Anfall  ihres  Übels  losbrach  und  die  Ausführung 
des  Plans  verhinderte.  Dies  berichtet  die  Appenzeller  Zeitung  selbst. 
Aargauer  Nachrichten  vom  26.  Juli  1862.  Diese  drei  Schluck  in  den 
drei  höchsten  Namen  scheinen  gerade  das  besonders  Bedeutsame  zu 
sein;  es  sind  die  aus  Wolframs  Parzival  (282,  21)  schon  in  dem  vo- 
rigen Abschnitte  berührten  ein  bluotes  zäher  rot  im  Schnee,  bei  denen 
der  Ritter  so  tief  der  Geliebten  Kondwiramur  gedenken  muß.  Drei 
solche  Tropfen  fallen  aus  dem  Himmel  herab,  wenn  der  Treflschütze 
sein  Gewehr  gegen  das  Gestirn  abschießt.  Dreie  fallen  jenem  Knaben 
ins  Gesicht,  der  zur  Waldtanne  nach  dem  droben  herabschreienden 
Wetterkinde  emporschaut,  Aargauer  Sag.  1,  Nr.  75.  Von  drei  Bluts- 
tropfen hängt  des  Menschen  Leben  ab,  drei  zeigen  den  Tod  des  Tau- 
chers an  (Kulm,  westfäl.  Sag.  1,  Nr.  380),  aus  den  drei  ersten  des 
Neubegrabenen  sprossen  Grabblumen  auf.  Die  verbreitetste  Kinderangst 
besteht  in  dem  Glauben,  mit  dem  einen  Tröpfchen  Blut  aus  dem  Finger, 
in  den  man  sich  geschnitten,  könnte  auch  die  Seele  herausfahren.  Auch 
soll  man,  heißt  es,  nicht  kopfüber  im  Bette  liegen,  sonst  fällt  dem 
Schläfer  ein  Blutstropfen  aus  der  Nase  und  von  diesem  heißt  es  aber- 
mals: „d'Seel  ist  em  üße."  Wenn  einer  am  Schlagfluß  stirbt,  so  er- 
klärt dies  der  gemeine  Mann  sich  also:  es  sei  ein  Blutstropfen  aus 
dem  Gehirn  urplötzlich  zu  dem  Herzen  gefallen  und  habe  dasselbe 
erstickt.  Dieser  Blutsturz,  der  durch  einen  einzigen  Blutstropfen  ent- 
steht ,  und  dessen  Folge  die  Apoplexie  sein  soll ,  nannten  die  Ärzte 
das  Gutt  (Joh.  Wittich,  Consil.  npoplceticum.  Leipz.  1602,  pag.  10), 
wogegen  die   Paralysis,  der  lähmende  Schlag,  der  Tropf  hieß,  beides 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  415 

gedeutet  aus  gutta  sanguinis,  der  fallende  Blutstropfen.  „Halber  gutt- 
schlag  ist  paralysis,  so  man  auf  den  schlag  lam  wirt  an  eim  glid." 
Büchlj  von  einfältig  Mittlen.  Msc.  aus  aargauisch  Brugg.  Anno  1643 
kam  ein  Gutschlag  über  Pfarrherr  Breitinger  und  1645  sprach  er, 
von  einem  schweren  Gutschlag  getroffen,  die  letzten  Worte.  Hanhart, 
Schweiz.  Gesch.  4,  352.  Alle  eben  angeführten  Namensformen  der 
Krankheit  zusammen  finden  sich  bei  Geiler,  Evangelibuch  Bl.  159*. 
„Da  bracht  man  einen  dar,  rff  eim  bet,  den  liet  der  schlack  geschlagen, 
oder  der  tropfft  oder  das  parli  oder  wie  du  es  nennen  teilt,  du  merkst 
vol  icas  ich  mein,  sie  sagen,  das  der  brest  im  hirn  sei,  vnd  die  ederli, 
die  cuo  dem  hirn  gond,  wenn  sie  gantz  verstopffet  sein  von  wuost,  so  werd 
sunt  veltins  siechtag  dariiß,  so  sprechen  ir,  es  hangen  drei  tropjfcn  am  hirn. 
Die  hinfallende  Krankheit  wird  noch  der  Valentin  geheißen,  und  daß 
dieselbe  aus  den  eben  erwähnten  drei  Gehirnblutstropfen  entstehe, 
wird  auch  von  den  Aargauer  Besegnungen  wiederholt,  die  ich  in  Wolfs 
Zeitschr.  f.  Myth.  Bd.  4  mitgetheilt  habe: 

Es  stehen  drei  Rosen  auf  Gottes  Stirn  (pag.  125). 
Ihr  Menschen,  seht  mich  an  einen  Augenblick, 
Bis  ich  euch  drei  Blutstropfen  verwirkt  (pag.  136). 
Nach  aargauischer  Volkstradition  fällt  einem  Bäckerknecht  in  der 
Fremde    beim  Teigkneten   ein  Blutstropfen    ins  Mehl ,    und   er    erfährt 
nachher,  um  dieselbe  Stunde  sei  damals  daheim  sein  Vater  verschieden. 
Darüber  prediget  Abraham  a  Sta.  Clara,    in  der  Lobrede   auf  den  hl. 
Franz  Xaver.  Salzb.   1684,    13:     „So  Jemand   ein  Geschwistrigen    hat 
über  hundert  Meyl  und  derselbe  etwas  leydet,    empfindet  auch  dieser, 
so  hundert  Meyl  von  ihm  entlegen  ,    in  seinem  Geblüt  eine  sehmertz- 
liche  Veränderung,  daß  ihme,  wie  oft  pflegt  zu  geschehen,  gelbe  Fleck 
in  den  Händen  auffahren  oder  die  Nasen  schwaißet;    so  sagt  Ihr,  das 
bruderliche  Geblüt  sagt  und  schlagt  zusammen." 

Diese  auf  die  Schneefläche  oder  ins  Backmehl  fallenden ,  unver- 
gänglich wiederkehrenden  drei  Blutstropfen  gehören  dem  Himmels- 
gestirn an,  aus  dessen  Gold,  Blut  oder  Milch  die  Reihe  der  Crcaturen 
fortwährend  nachgeschafien  wird;  denn  die  schöpferische  Gottheit  wohnt 
in  den  Gestirnen,  und  alle  Welt  ist  der  Leib  Gottes".  Auf  diesen  Grund 
beruhen  jene  sonderbar  lautenden  Märchen  vom  Schneekind,  vom  Son- 
nenkind, denen,  so  alt  und  weitverbreitet  sie  sind,  noch  wenig  Sinn 
abgesehen  worden  ist.  Zwei  Beispiele  dieser  Art  genügen  hier,  das 
eine  unserer  Gegenwart,  das  andere  dem  XIII.  Jahrhundert  angehörend. 
In  Pröhle's  Harzsagen  1,  188  spricht  ein  Wilddieb,  dem  sein  kleiner 
Junge  unrettbar  krank  lag,    in   väterlicher  Verzweiflung:    „Stirbt   mir 


416  E.  L.  ROCIIIIOLZ 

das  Kind,  so  schieß  ich  den  lieben  Gott  todt!"  Als  das  Kind  darauf 
wirklich  starb,  legte  der  Mann  seine  Büchse  an  und  schoß  in  die  helle 
Sonne.  Kurze  Zeit  nachher  begab  es  sich,  daß  seine  Frau  einen  kleinen 
Jungen  gebar,  und  alle  Nachbarn,  die  das  verstorbene  Kind  gesehen 
hatten,  erkannten  in  diesem  Kinde  das  erste  wieder.  Dasselbe  lebt  noch; 
es  konnte  schon  nach  den  ersten  Wochen  sprechen  und  erzählte  oft 
von  seiner  Himinelsreise.  Der  Vater  ist  hernach  1853  durch  Unvor- 
sichtigkeit eines  Jägers  In  der  Sieber  erschossen  worden.  Der  jugend- 
liche Menschenkörper  mit  Fleisch  und  Blut  wird  hier  aus  den  Gestirnen 
ausgeboren;  nur  stirbt  darüber  der  Vater  dieses  Sonnenkindes,  weil 
er  diese  Geburt  zwangsweise  mittelst  eines  gegen  das  Gestirn  gelich- 
teten Treffschusses  veranlasste ,  während  die  Mutter  folgerichtig  ent- 
weder durch  das  aus  der  Sonne  fallende  Blut  oder  durch  den  bloßen 
Sonnenstrahl  schwanger  geworden  ist.  Das  Masre  des  snewes  siin, 
nun  in  v.  d.  Hagens  Gesammtabenteuer  Nr.  47,  ist  eine  noch  allent- 
halben lebendige  Volksanekdote ,  wornach  ein  Kaufmann ,  nach  vier- 
jähriger Abwesenheit  heimkehrend,  sein  Weib  mit  einem  zweijährigen 
Knäblein  vorfindet.  Auf  seine  Frage  nach  dem  Vater,  berichtet  die  Frau, 
wie  sie  voll  sehnsüchtigen  Verlangens  nach  dem  Gemahl  inzwischen 
durch  bloße  Schneeflocken  gesegneten  Leibes  geworden.  Platen ,  im 
romant.  Ödipus  lässt  das  Weib  sagen: 

Ich  lag  am  Fenster  ,    als  es  eben  schneite, 
Da  flogen,  Schatz,  mir  in  den  Mund  die  Flocken, 
Wodurch  ich  augenblicks  gewann  an  Breite, 
Bis  dieses  Kind  zuletzt  zur  Welt  ich  brachte 
Und  meines  lieben  Ehgemahls  gedachte. 
Das    Märchen    gedenkt    nicht     weiter    der    befruchtenden     Kraft    des 
Schnees    und    sucht    daher   die  Begebenheit    mit    einein    Scherz   abzu- 
schließen,   als  ob  es  hier   gälte,    die   bloße  Weiberlist   zu   überbieten. 
Denn  der  Vater   nimmt    das    größer    gewordene  Söhnlein    mit   auf  die 
Kaufmannschaft,   kann  es  in  der  Fremde  um  300  Mark  verkaufen  und 
berichtet  heimgekehrt  der  Frau,  ihr  Flockensohn  sei  ihm  beim  Über- 
schreiten des  Gebirges  im  heißen  Sonnenstrahl  zerschmolzen.  Demnach 
wird  also  hier  das  Schneekind    wieder    ebenso    von  der  Sonne  zurück 
genommen,  wie  dieselbe  jenem  Schützen  ein  Ersatzkind  statt  des  ver- 
storbenen gewährt  hat ;  denn  die  Sonne  droht  kleine  Kinder  zu  fressen, 
der  Mond  verschluckt  sie,  die  er  über  lässt,  macht  er  mönig.  Darüber 
handelt  diese  Zeitschrift  5,  78.    Daß  das  Tag-  und  Nachtgestirn  wirk- 
lich in  diesen  Ideenzusammenhang  gehört,  lässt  sich  aus  nachfolgender 
Besegnung  erweisen,  welche  aus  dem  Munde  einer  Dienstmagd  zu  Aarau 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  417 

aufgezeichnet  wurde.     Die   Formel   wird    gegen    die   Kindsgichter  an- 
gewendet : 

Gott  der  Herr  ist  mein  Hort, 

Der  sandte  vom  Himmel  drei  gewahre  Wort. 

Das  Erste  ist  die  heilige  Sonne, 

Das  Zweite  ist  der  heilige  Mond, 

Das  Dritte  ist  das  heilige  Brod, 

Mit  diesen  schlag  ich  die  wilden  Gichter  all  zu  todt. 
Im  Namen  Gottes  d.  V.  S.  u.  hl.  Gst.  Unser  Vater. 
Dieses  soll  mit  Glauben  gebetet  werden. 
Sonne  und  Mond,  und  zum  Dritten  das  Produkt  beider,  das  Brod, 
erseheinen  hier  als  die  Allvermögenden.  Sie  lassen  sich  durch  Bitte 
oder  Zwang  das  dem  Menschen  unentbehrlich  Scheinende  abgewinnen 
und  gewähren  es  häufig  in  Gestalt  von  Blut,  Milch  und  Brod.  Eine 
Art  der  sie  zwingenden  Nöthigung  ist  der  sog.  Freischuß  und  Treff- 
schuß. Im  Nachfolgenden  ist  es  nicht  darum  zu  thun,  den  Sagenkreis 
von  den  Treffschützen  zu  beschreiben  oder  zu  erschöpfen,  über  welchen 
schon  Wolf  Beitr.  2,  16  reichlich  gesammelt  hat,  sondern  aus  solcherlei 
Sagen  das  von  uns  hier  gesuchte  Resultat  unleugbar  herzustellen.  Wir 
lassen  dabei  die  Erzählungen  aus  dem  früheren  Alterthum  vorausgehen. 
Der  Schuß  gegen  Himmel  soll  die  Gerechtigkeit  der  Götter  an- 
mahnen ,  in  schwierigen  Fällen  den  Entscheid  zu  geben.  Da  König 
Dareios  erfuhr ,  die  Athener  seien  es ,  welche  ihm  seine  Stadt  Sardis 
eingenommen  und  verbrannt  hätten,  legte  er  einen  Pfeil  auf  und  indem 
er  damit  in  die  Wolken  schoß  ,  sprach  er:  „O  Zeus,  verleihe  mir  Rache 
an  den  Athenern!"  Herodot  5,  105.  Derselbe  Autor  berichtet  4,  94 
von  Thrakern ,  sie  schössen  gegen  Donner  und  Blitz  in  den  Himmel, 
den  Göttern  drohend,  und  daß  eben  dasselbe  die  afrikanischen  Zauberer 
von  Mapongo  heute  noch  thun ,  um  dadurch  Regen  zu  machen ,  be- 
richtet neuerlich  Bastian,  afrikan.  Reisen  1859.  1,  204.  Der  Regen  wird 
also  mittelst  eines  gegen  den  Himmel  gerichteten  Pfeilschusses  eiiciert 
und  erfolgt  je  nach  Absicht  des  Schützen  bald  als  erschreckender  Blut- 
regen, bald  als  Erquickungsstrom. 

Als  König  Bei  seinen  Thurm  fertig  gebaut  hat,  erprobt  er  dessen 
Himmelshöhe,  indem  er  auf  der  Zinne  stehend  einen  Pfeil  in  die  Sonne 
schießt.  Mit  blutiger  Spitze  kommt  hernach  der  Pfeil  zur  Erde,  eine 
Warnung  für  den  erfrechten  Stolz  dessen,  der  sich  schon  den  Göttern 
zunächst  glaubt.  Anders  ist  das  Motiv  in  der  Heraklessage.  Als  He- 
rakles seine  Fahrt  zu  Geryon  macht  und  sich  von  den  Strahlen  des 
Helios  schonungslos  gequält  fühlt ,  schießt  er  seinen  Pfeil  gegen  den 
GERMANIA  vir.  27 


418  E.  L.  EOCHHOLZ 

Lenker  des  Sonnenwagens.  Und  nicht  missfällt  dieser  Muth  dem  Son- 
nengott, er  besänftigt  des  Helden  Zorn  durch  einen  goldenen  Becher. 
Dorten  quillt  Blut,  hier  aber  rinnt  Gold  in  Form  eines  durststillenden 
Gefässes  aus  dem  durchschossenen  Himmel.  Es  fehlt  uns  zum  Wein 
nur  noch  das  Brod;  dies  wird  uns  aber  von  der  christianisierten  Sage 
hundertfältig  mitgenannt.  Der  Treffschütze  in  Müllenhoffs  schlesw.  holst. 
Sagen,  pag.  366,  lädt  sein  Gewehr  vorerst  mit  einer  vom  Kirchenaltar 
entwendeten  Oblate,  dann  stellt  er  sich  im  Walde  auf  ein  ausgebrei- 
tetes weißes  Tüchlein  und  schießt  gegen  die  Sonne.  Sogleich  bricht 
ein  Unwetter  los  und  die  Stelle  seiner  Fußstapfen  wird  mit  frischem 
Blut  gezeichnet.  Es  geht  also  auf  den  Schuß  ein  Blutthau  oder  Blut- 
regen nieder.  Und  da  auch  der  Mond  zu  den  Zeiten ,  da  Krieg  oder 
Pestilenz  droht,  voraus  blutroth  sich  färbt,  so  wird  er  selbst  nach  der 
Schleswiger  Sage  (Müllenhoff  362)  der  Wohnort  des  brudermörderischen 
Kain,  und  nach  Hildesheimer  Glauben  (Schambach-Müller,  niedersächs. 
Sag.  344)  gilt  die  Figur  des  Mannes  im  Mond  als  ein  im  Anschlag 
liegender  Schütze.  Derselbe  gleicht  also  gänzlich  dem  badischen  Frei- 
jäger in  Mones  Anzeig.  1838,  223,  der  ebenfalls  auf  ein  untergebrei- 
tetes Tuch  kniend  einmal  gegen  die  Sonne,  zum  andern  gegen  den  Mond, 
das  drittemal  gegen  den  lieben  Gott  selbst  schießt;  da  fallen  vom 
Himmel  die  drei  Blutstropfen  auf  sein  Tuch. 

Schon  lässt  sich  aus  der  Litteratur  einer  in  unserer  eigenen  Land- 
schaft spielenden  Legende  weit  zurück  nachweisen,  daß  das  Bluten  der 
Gestirne  eine  der  deutschen  Sage  frei  zustehende  Vorstellung  gewesen 
ist.  Die  Wallfahrt  zum  hl.  Blut  in  der  Kirche  des  luzernischen  Städt- 
leins Willisau  hat  seit  1553  kirchlichen  Bestand  und  ist  seit  1554  be- 
schrieben: Ein  erschreckliche  vnd  Wahrhafftige  Geschieht  von  dreyen 
Spilern  in  der  Stadt  Willisow  etc.  Nürnberg  bei  H.  Halmesing.  (Vgl. 
Gödeke,  Grundriß  1,  294.)  Der  Inhalt  ist  kurz  dieser.  Auf  dem  öffent- 
lichen Willisauer  Spielplatze  an  dem  Wiggerflüßchen  hatte  Ulrich 
Schröter  an  zwei  Gesellen  all  sein  Geld  verspielt  und  darüber  erzürnt 
schleuderte  er  seinen  Dolch  mit  der  Spitze  gegen  Himmel  unter  der 
Drohung,  er  wolle  dem  Herrgott  in  seine  linke  Seite  werfen.  Der  Dolch 
blieb  aus,  fünf  Blutstropfen  (nach  der  Zahl  der  fünf  Wunden  Christi) 
fielen  auf  die  Scheibe  des  Spieltisches  herab.  Sie  wurden  noch  frisch 
aus  der  Tafel  "gestochen,  und  sind  bis  heute  dorten  in  der  Kirche  zur 
Verehrung  ausgesetzt.  Schröter  selbst  wird  unmittelbar  nach  seinem 
Frevel  von  einem  Wirbelwind  in  die  Lüfte  entrafft  und  geht  verloren, 
seine  Mitgesellen  werden  mit  Aussatz  und  Wahnsinn  geschlagen.  Ein 
Geschick,  das  auch  bei   Homer  dem  gegen  die  Göttin  die  Lanze  wer- 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  419 

fenden  Diomedes  geweissagt  ist:  „Der  Thor!  nicht  hat  er  bedacht, 
daß  nicht  lange  besteht,  wer  selige  Götter  befehdet."  Abgemalt  zu 
sehen  ist  Schröters  Geschichte  als  das  eimmdfünfzigste  Bild  auf  der 
Kapellenbrücke  zu  Luzern.  Aber  die  Legende  selbst  datiert  aus  früherer 
als  aus  der  vorhin  genannten  Zeit,  da  schon  i.  J.  1499  Geiler  von  Kai- 
sersberg zu  Straßburg  über  sie  gepredigt  hat:  „sicut  ille,  qui  quum 
in  ludo  amisisset,  gladium  versus  coelum  iecit  et  cruentatus  decidebat." 
Noch  früher  aber  erwähnt  ihrer  des  Thomas  Cantipratensis  Bonum  univer- 
sale de  apibus,  pag.  450,  und  viel  alterthümlicher  greift  da  der  verlie- 
rende Würfelspieler  zu  Bogen  und  Pfeil ,  worauf  letzterer  mit  Blut 
gefärbt  aus  dem  Himmel  zurückfällt.  Ganz  richtig  verknüpft  Wolf, 
Beitr.  2,  16,  mit  diesen  Schüssen  die  Absicht  des  Schützen,  Wuotan 
den  Sturmgott  zu  treffen  und  durch  den  Schuß  zu  zwingen ,  weil 
dieser  der  Schirmherr  des  Glückspiels  ist  und  als  wilder  Jäger  zu- 
gleich Weidmannsheil  verleiht.  Allein  noch  allgemeiner  verräth  sich 
dabei  ein  starrköpfischer  Zauber-  und  Rachebraueh  des  Heiden  und 
des  heidnisch  denkenden  Christen,  wenn  beide  ihren  Willen  rücksichts- 
los und  sollte  es  auch  ihr  und  der  ganzen  Welt  Schaden  sein,  durch- 
zusetzen gedenken.  Es  finden  sich  in  der  katholischen  Bevölkerung 
unseres  Nachbarcantons  Solothurn  noch  Spuren  solcher  Zauberversuche. 
In  einer  Bauernfamilie  des  Dorfes  D.  hat  sich  die  Zauberkunst  vom 
Vater  auf  den  Sohn  bis  heute  fortvererbt.  Der  jetzt  Älteste  dieses 
Geschlechtes  hat  Nachfolgendes  hierüber  berichtet ,  obwohl  nach  län- 
gerer Weigerung  und  erst  nachdem  die  Weinflasche  zugleich  ihre 
Wirkung  srethan  hatte.  Um  ein  schweres  Hauskreuz  noch  rechtzeitig 
abzuwenden,  oder  auch  um  das  Blut  bei  einer  lebensgefährlichen  Ver- 
wundung zu  stillen,  nimmt  man  einen  Halm  vom  eigenen  Strohdach 
in  den  Mund,  tritt  mit  gezogenem  Messer  vor  ein  geweihtes  Herrgotts- 
bild und  spricht:  „Gott  Vater,  Sohn  und  hl.  Geist  sollen  mich  ver- 
dammen! Jetzt,  Teufel,  nimm  das  Unglück  hin!"  Hiemit  stößt  man 
die  Messerklinge  in  das^Bild. 

Es  liegt  dieser  so  entmenscht  lautenden  Fluchformel  der  uralte 
Glaube  zu  Grunde,  die  hl.  Dreifaltigkeit  werde  mit  dem  Teufel  in  den 
Wettkampf  eintreten  um  eine  sich  selbst  verloren  gebende  Seele,  es 
müsse  das  tiefste  Unglück  eines  hilflosen  Menschen  die  Gottheit  selbst 
zum  Eingreifen  nöthigen ;  und  ferner  spricht  sich  dabei  der  ebenfalls 
begreifliche  Aberglauben  aus,  der  an  Gottes  Blut  verübte  Frevel  müsse 
das  strömende  Blut  eines  Schwerverwundeten  augenblicklich  erstarren, 
also  gerinnen  lassen.  Um  die  weiter  drohenden  Folgen  kümmert  sich 
der  allzeit  kurzsichtige  Frevler  nicht,   und  so  ist  es  gar  nicht  zu  ver- 

27* 


420  E.  L    ROCHHOLZ 

wundern,  daß  ganz  derselbe  Vorgang,  aber  mit  einem  ungeheuerlichen 
Ergebniss,  bereits  im  ahd.  Muspilli  erzählt  ist.  Elias  und  der  Höllen- 
wolf' streiten  hier  einen  Wettkampf  um  den  Besitz  der  auferstandenen 
Seelen.  Elias,  unter  dem  des  Donnergottes  Gestalt  verborgen  ist,  kommt 
dazu  aus  den  Gestirnen  herab,  fona  himilzungalon ;  der  Riese  Altfeind, 
der  Höllenwolf,  der  Urböse  kommt  aus  dem  Abgrunde,  fona  pehhe. 
Der  Sternen-Elias  wird  verwundet,  und  wir  müssen  uns  hinzudenken, 
dies  sei  durch  einen  gegen  ihn  empor  geschleuderten  Speer  oder  Pfeil 
geschehen.  Sobald  der  Altriese  diesen  Schuß  gethan  hat ,  bricht  jener 
Blut-  und  Glutregen  los,  der  Alles  und  somit  ihn  selbst  verschlingt. 
Denn  sobald  des  Elias  Blut  auf  die  Erde  träuft ,  beginnt  der  Himmel 
in  Lohe  zu  kochen,  fällt  der  Mond  herunter,  steht  die  weite  Welt  mit 
Gebirg,  Strom  und  Meer  in  Flammen,  und  nicht  eher  endigt  diese 
Vernichtungsscene,  als  bis  ein  doppeltes  Göttergeschlecht  hier  zusammen 
eingreift,  ein  heidnisches  und  ein  christliches:  denn  von  der  einen  Seite 
her  stößt  der  Wächter  an  der  Regenbogenbrücke  ins  Giallarhorn,  und 
von  der  andern  Seite  wird  das  errettende  Fronkreuz  herbeigetragen, 
woran  der  heilige  Christ  erhangen  ward. 

Von  blutschwitzenden  Tempelstatuen,  worin  man  ein  Vorzeichen 
großer  Gefahren  sah  ,  reden  bekanntlich  die  Römer ,  aber  sie  wussten 
eben  so  wenig  einen  tieferen  Sinn  daran  zu  knüpfen,  als  wir  an  unsere 
ähnlichen  Mirakelbilder.  Vielleicht  daß  dies  uns  besser  gelingt,  wenn  wir 
noch  etliche  Legenden  solcher  Art  hier  kurz  zusammenfassen.  Ein 
Hussite  spaltet  mit  dem  Schwert  dem  hölzernen  Marienbilde  das  Haupt, 
seitdem  besteht  zu  Neukirchen  die  Wallfahrt  zum  hl.  Blut.  Schöppner, 
bair.  Sagb.  Nr.  536.  Oder  ein  Jude  sticht  mit  einer  Nadel  in  die  ihm 
verkaufte  consecrierte  Hostie,  sie  blutet  und  in  zahllosen  Kirchen  wird 
seither  ein  solcher  Blutstropfen  hergezeigt.  In  den  schweizer.  Media- 
tionsunruhen schwitzt  die  Holzfigur  eines  Feldkreuzes  Blut  schon  auf 
die  lügnerische  Kundschaft  hin ,  mit  deren  Ausbreitung  man  die  poli- 
tischen Gegner  unterstützen  will.  Aargauer  Sag.  2,  Nr.  354.  Zu  Lands- 
hut und  in  Markt  Geisenfeld  in  öberbaiern  gab  es  kirchlich  oder  giebt 
es  wohl  noch  zwei  wächserne  Heilandsfiguren  blutschwitzend.  Der  Zweifel 
behauptete  von  ihnen,  sie  seien  hohl  und  mit  rothgefärbtem  Wasser 
angefüllt,  dies  werde  durch  miteingeschlossene  Goldfischchen  in  Bewe- 
gung gehalten  und  tropfenweise  durch  die  künstlichen  Poren  des  Wachses 
herausgetrieben.  Wir  wissen  bereits,  daß  die  mit  solchem  hl.  Blute 
veranstalteten  Feldprozessionen,  namentlich  der  Blutumritt  in  schwäbisch 
Weingarten,  Gelände  und  Gewässer  mit  Fruchtbarkeit  zu  segnen  haben, 
daher  trifft  das  aus  dem  geschändeten   Bilde  rinnende  Blut    so  oftmals 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  421 

zusammen  mit  der  heiligen  und  profanen  Speise  ,  mit  Broden  und  Fi- 
schen, schließlich  sogar  mit  baarem  Gelde.  Über  Letzteres  ein  Beispiel. 
Im  Solothurner  Dorfe  Zuchwil  hängt  im  Wirthshause  zum  Schnepfen 
ein  Christusbild,  in  das  ein  Spieler  in  Wuth  über  seinen  Spielverlust 
das  Messer  geschleudert  hat.  Alsbald  nach  diesem  Frevel  entstand  hier 
eine  W  allfahrt.  Allein  die  Gantonsregierung  bestrafte  zugleich  den 
Schnepfenwirth ,  weil  er  etwa  nicht  zu  rechter  Zeit  abgewehrt  haben 
mochte,  um  eine  so  hohe  Summe,  daß  er  sie  nicht  erlegen  konnte; 
er  mußte  daher  alljährlich  den  Zins  davon  bezahlen.  So  gieng  dies  auf 
seine  Nachkommen  über,  bis  sich  diese  seit  dem  Jahre  1854  durch 
Abzahlung  des  Kapitals  endlich  von  dieser  Last  befreiten.  Nicht  so 
aber  würde  der  Ahnherr  dieselbe  Servitut  abgekauft  haben,  wTenn  er 
es  auch  vermocht  hätte.  Vormals  hatte  nämlich  das  Bild  zu  einer  all- 
jährlich wiederkehrenden  Procession  verholfen  gehabt,  durch  deren  Er- 
trag dem  Wirthe  jene  Strafsumme  stets  mehr  als  gedeckt  wurde.  Als 
alter  seit  dem  Jahre  1798  mit  den  Neufranken  auch  neue  Ideen  ins 
Land  einrückten,  blieben  hier  die  Wallfahrer  aus;  man  fühlte  an  dem 
Hausmirakel  nichts  mehr  als  die  Last  einer  jährlich  wiederkehrenden 
Geldbuße  und  befreite  sich  gleichzeitig  von  ihr  und  von  dem  Hauswunder. 
Schweiz.  Illustr.  Kalender,  St.  Gallen  1854,  112.  Wie  behilft  sich  nun 
der  moderne  Verstand,  wenn  ihm  solche  bis  auf  unsern  Tag  reichende 
und  noch  unter  unserer  eigenen  Justiz  gerechtfertigte  Blutwunder  be- 
gegnen? Er  sucht  eine  Moral  dahinter,  die  für  Alles  passt  und  kein 
Kopfbrechen  kostet.  Gott  will,  heißt  es,  dem  Schänder  seines  Abbildes 
mindestens  es  augenfällig  machen ,  wie  begründet  die  Verehrung  sei, 
die  diesem  Abbilde  erwiesen  wird;  oder  ein  mehr  nach  der  Urtheils- 
weise  des  Protestantismus  Verfahrender  leugnet  zwar  das  eben  erzählte 
Wunder  des  Gänzlichen,  unterlegt  ihm  aber  doch  den  Sinn  des  allge- 
meinen Sittengesetzes,  und  gerade  so  findet  es  sich  ausgesprochen  in 
Rückerts  gesainm.  Gedichten  3,   115: 

Jäger  gut ! 

Bewahr  dein  Rohr  vor  Ubermuth. 

Schieß  nach  keinem  Heiligenbild, 

Obgleich  aus  ihm  kein  Blut  nicht  quillt. 

Ziel  nach  keinem  Himmelsstern, 

Obgleich  er  steht  dem  Schuß  zu  fern. 

Wenn  auch  dein  Rohr  nicht  sündigen  kann, 

Sündhaft  ist  der  Gedanke  dran. 
Obgleich  sich  derlei  ganz  artig  liest,    so   ist   doch    eine  solche 
Deutung    viel   zu  allgemein,    und    die   ihr   zu  Grund  liegende  sittliche 


422  E-  L-  ROCHHOLZ 

Empfindung  besitzt  nie  jenes  schöpferische  Vermögen,  aus  welchem  die 
erwähnten  Volkssagen  selbst  entsprungen  sind.  Der  wassergesättigte 
Gips,  gewöhnlich  Mondmilch  genannt,  heißt  beim  Älpler  Bergziger; 
nicht  bloß  daß  man  diese  milchig  aussehende  Erde  früherhin  häufig  aß 
und  gleich  der  Milchspeise  des  Zigers  zubenannte,  der  Entlebucher 
Senne  glaubt  bestimmt,  daß  die  Mond  milch  und  die  übrige  Milch  seiner 
Herde  dem  günstigen  Einflüsse  des  Mondes  zuzuschreiben  sei.  Natur- 
mythen, pag.  252.  Zu  derselben  Anschauung  führt  der  Volksglaube 
mit  seinem  Hundert  von  Erbsätzen.  Man  darf,  heißt  es,  mit  dem  Finger 
nicht  in  den  Himmel  deuten,  sonst  greift  man  einem  Engel  ins  Auge; 
im  Felde  soll  man  den  Heurechen  nicht  mit  der  Zahnreihe  geo-en  Himmel 
legen,  bei  Tische  das  Messer  nichc  nach  oben  gekehrt,  denn  alles  dies 
sticht  in  den  Himmel.  Die  Räuber  legen  beim  Essen  die  Spitze  des 
Messers  umgekehrt  gegen  sich  ;  der  Jäger  aber  von  sich ,  wie  sich's 
gehört.  „Ich  leg's  wie  ein  Jäger,"  spricht  er,  „ihr  aber  legt's  wie  Spitz- 
buben \"  Grimm  KM.  3,  Nr.  105.  Als  man  zu  Anfang  des  Jahrhunderts 
bei  uns  die  Blitzableiter  einführte ,  weigerte  sich  das  Aargauer  Land- 
volk  sehr  dagegen  und  behauptete,  damit  wollten  die  französischen 
Heiden  und  ihre  neuen  Anhänger  dein  lieben  Gott  nur  die  Augen  aus- 
stechen.  Folgerichtig  kehren  sich  diese  Sätze  auch  um  und  lehren,  wie 
nützlich  es  sei,  in  der  Gabe  schon  den  Geber  zu  ehren ,  wTie  man  mit 
der  beobachteten  Schonung  des  Himmlischen  auch  zugleich  des  Irdi- 
schen schone. 

Man  soll  die  Milch  nie  mit  einem  schneidenden  oder  stechenden 
Instrument  umrühren,  sonst  empfinden  die  Milchkühe  Schmerzen  am 
Euter,  ergeben  rothe  Milch.  Man  soll  die  Milchsuppe  nur  einbrocken, 
nicht  aber  einschneiden ,  sonst  wird  man  zugleich  mit  der  Brodschnitte 
auch  der  Stallkuh  „den  Nutzen"  die  Milchergiebigkeit  abschneiden. 
Beim  ersten  Schnitt,  den  der  Mann,  welcher  zugleich  steinreich  und 
steinhart  ist,  zur  theuern  Zeit  ins  Brod  thut,  fließt  Blut  aus  dem  Laib. 
Müllenhoff,  schlesw.  holst.  Sag.  pag.  145.  Grimm,  deutsche  Sag.  Nr.  240. 
Märchen  2,  pag.  552.  Wolf,  niederläud.  Sag.  Nr.  153.  362.  363.  Selbst 
wenn  man  das  Vorbrod,  sagt  der  bairische  Bauer,  ehe  es  recht  gar 
gebacken  ist,  übergierig  aus  dem  Ofen  nimmt,  so  blutet's  beim  An- 
schnitt. Schöppner,  bair.  Sagenb.  Nr.  882. 

Aus  dieser  Zusammengehörigkeit  der  ersten  unentbehrlichsten 
Lebensmittel  unter  einander  und  mit  den  primitivsten  Lebenskräften 
folgerte  man  eine  gleiche  Abkunftsgesehichte  derselben  aus  dem  Himmel 
und  gab  ihnen  zusammen  einen  ähnlichen  Grad  der  Heiligung.  Aus 
der  greifbarsten  Realität  entsteht  dann    ein  Symbol    des  Glaubens  und 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  423 

des  Rechtes  für  die  Sippschaft  und  den  ganzen  Stamm.  Hier  werden 
wir  auf  die  Milch-  und  Blutsbruderschaft  geführt.  Einen  Bund ,  sagt 
Herodot  4,  70,  machen  die  Skythen  auf  folgende  Art,  sie  mögen  ihn 
machen  mit  wem  sie  wollen.  Sie  gießen  Wein  in  einen  großen  irdenen 
Krug,  vermischen  ihn  mit  dem  Blute  derer,  die  da  den  Bund  schließen, 
indem  sie  sich  mit  einem  Messer  stechen  oder  mit  einem  Dolch  ein 
wenig  die  Haut  aufritzen.  Sodann  tauchen  sie  in  den  Krug  ein  Schwert, 
Pfeile,  eine  Streitaxt  und  einen  Wurfspieß.  Und  wenn  sie  dieses  ge- 
than,  halten  sie  ein  langes  Gebet,  sodann  trinken  die  den  Bund  Schlie- 
ßenden davon  und  auch  die  Angesehensten  aus  ihrem  Gefolge.  Eine 
ähnliche  Verbrüderungssitte  der  Tataren  nebst  den  einschlägigen  Bräu- 
chen der  Geten  ist  nachzulesen  in  Grimm's  GDS.  136.  Das  Blut- 
trinken bei  den  Germanen  muß  lange  in  Schwang  gewesen  sein,  ohne 
daß  diese  rauhe  Sitte  durch  eine  besonders  erdachte  Zuthat  gleichsam 
gemildert  und  zahmer  gemacht  worden  wäre.  Schon  sind  die  Nibelungen 
durch  Feuer  und  Schwert  überwältigt ,  allein  zum  Tod  verschworen 
bleibend,  schöpfen  sie  Alle  neue  Kraft ,  indem  sie  an  die  Leichen  der 
Gefallenen  niederknien  und  aus  deren  Wundenblut  den  Durst  stillen : 
da  von  gewan  vil  krefte  ir  etliches  lip.  2054.  Das  Volkslied ,  welches 
Afzelius,  schwed.  Sag.  3,  207,  mittheilt,  sucht  denselben  rohen  Brauch 
poetisch  zu  verschleiern.  Der  junge  Ingemar  und  seine  Geliebte  Malfred 
flüchten  in  die  Marienkirche  bei  Näsum  in  Bleckingen ,  und  gerathen 
hier  in  dieselbe  Nibelungennot,  denn  ihr  Verfolger  Lawmandsson  lässt 
die  Kirche  anzünden. 

Das  sprach  der  junge  Ingemar  am  Altare  bei  der  Glut: 
Wir  schlachten  unsre  Rosse  und  kühlen  uns  in  ihrem  Blut! 
Ausdrücklich  aber  findet  sich  das  Bluttrinken  des  Skandinaviers 
abgeschafft.  Nachdem  der  Held  Örvarodd  die  räuberischen  Wikinger 
vertilgt  hatte,  fuhr  er  nach  Svealand,  um  hier  den  muthvollen  Hjalmar 
vom  Hofe  Königs  Ingwe  zu  bekämpfen.  Nach  mehrtägigem  Fechten 
schlössen  beide  Frieden  und  stellten  zusammen  diese  Wikingsgesetze 
fest:  Niemals  rohes  Fleisch  zu  essen  oder  Blut  zu  trinken,  niemals 
Bauern  und  Kaufleute  zu  plündern ,  niemals  Weiber  zu  bewältigen. 
Diese  dreifache  Satzung  beschwuren  sie  in  folgender  Weise  nach  dem 
alten  Herkommen  der  Milchbruderschaft.  Sie  schnitten  einen  breiten 
Rasenstreifen  los,  befestigten  die  Enden  in  die  Erde,  erhoben  ihn  in 
der  Mitte  auf  zwei  Speeren,  traten  beide  darunter,  schnitten  sich  eine 
Wunde  und  ließen  das  Blut  im  Sande  ihrer  Fußspur  zusammenfließen. 
Darauf  knieten  sie  und  schwuren,  wie  Brüder  ihr  Schicksal  zu  theilen 
und   des    Andern   Tod   zu   rächen.     Wedderkop,  Bild    aus  d.  Nord.  2, 


424  E-  L-  ROCHHOLZ 

39  ff.  In  solcher  Fußspur  erschaut  alsdann  der  Milchbruder,  wie  es 
dem  Abwesenden  ergeht,  je  nachdem  sie  sich  mit  Erde,  Wasser  oder 
Blut  füllt.  Grimm,  GDS.  137.  Das  hier  abgeschaffte  Bluttrinken 
tauchte  dann  in  halbskythischer  Weise  wieder  auf  den  Universitäten 
auf.  Zu  Helmstädt  und  Leipzig  tranken  einst  die  Hasen  (sogen.  Craß- 
fiichse)  Bruderschaft,  indem  sie  ans  dem  aufgeritzten  Arm  etwas  Blut 
in  den  Becher  rinnen  ließen  und  diesen  kniend  leerten.  Ein  Überrest 
hievon  ist  auch  Folgendes:  Wollen  zwei  Freunde  einst  in  die  Ferne 
hin  sich  Nachricht  von  einander  geben,  so  lassen  sie  in  gegenseitig 
gemachte  Wunden  Blut  von  einander  träufen  und  diese  verheilen;  so 
oft  der  Eine  dann  in  die  Narbe  sticht,  fühlt  es  der  Andere,  und  die 
Zahl  der  Stiche  ergiebt  ihm  die  Bedeutung.  Schindler,  der  Aberglaube 
1858,  165.  Noch  ist  eine  nun  gleichfalls  wieder  veraltete  Burschensitte 
zu  erwähnen;  man  schrieb  sich  mit  eigenem  Blute  gegenseitig  Stamm- 
buchblätter; in  den  eigenen  Reisestock  schnitt  man  des  Leibbursehen 
Namen  ein  und  röthete  diese  Zeichen  mit  eigenem  Blute,  oder  statt 
dessen  röthete  man  später  den  in  die  Ziegenhainer  geschnittenen  Namen 
mit  Zinnober  aus.  Noch  soll  man  das  Blatt  besitzen,  auf  dem  mit  sei- 
nem eigenen  Blute  der  große  Baiernehui fürst  Maximilian  sich  der 
hl.  Jungfrau  verschrieben  habe:  „in  mancipium  tuum  nie  tibi  dedico 
consecroque,  virgo  Maria,  hoc  teste  cruore  atque  chirographo  Maximi- 
lianus,  peccatorum  coryphaeus."  Ich  kenne  jedoch  die  Quelle  dafür  nicht 
und  kann  auch  die  Angabe  nicht  verbürgen,  als  habe  dem  spanischen 
Philipp  III.  wegen  einer  bedauernden  Äußerung,  die  diesem  Monarehen 
über  zwei  von  der  Inquisition  zum  Tode  verurtheilte  Franziskaner  ent- 
fiel, sein  Beichtvater  ein  bißchen  seines  ketzerischen  Blutes  abzapfen 
und  gleichfalls  verbrennen  lassen. 

Zu  Fürth  in  der  baierischen  Oberpfalz  ist  der  Drachenstich 
ein  alljährlich  wiederkehrendes,  mit  mehrfachen  Masken  im  Freien  auf- 
geführtes Volksschauspiel ,  bei  dem  die  Georgenlegende  den  Verlauf 
der  Handlung  ausmacht.  Aus  Reifen  u.  Leinwand  wird  ein  Drachen- 
leib zusammengewölbt,  in  dessen  Innern  der  Todtengräber  des  Orts 
dirigiert.  Der  gegen  den  Drachen  dreimal  ansprengende  Ritter  stößt  ihm 
zuerst  den  Speer  in  den  Rachen,  haut  den  sich  Krümmenden  dann  mit 
dem  Schwerte,  und  hat  beim  dritten  Anritt  ein  Pistol  gegen  ihn  ab- 
zufeuern. Was  jetzt  des  Knalleffects  wegen  bis  zuletzt  verspart  ist, 
mußte  ehedem  die  erste  Angriffsweise  und  ein  Pfeilschuß  gewesen  sein. 
Wenn  der  Speerstoß  des  Reiters  die  in  der  Gaumenhöhlung  verborgene 
Blase  nicht  rechtzeitig  trifft,  so  zieht  irgend  ein  Metzgermeister  sein 
langes   Messer    und    durchsticht    dem    Drachen    das    rindblasene  Herz, 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  425 

so  daß  zur  Freude  des  Volkes  das  Blut  heraus  springt.  Begierig  tauchen 
die  Bäuerinnen  ihr  Tüchlein  darein,  theilen  dies  in  Stücke  und  stecken 
es  fetzenweise  in  die  Felder  zum  Gedeihen  der  diesjährigen  Flachssaat. 
Auch  als  sympathisches  Mittel  dient  dies  Drachenblut  „und  ist  eben 
so  gesucht,  wie  das  Blut  der  armen  Sünder  bei  Hinrich- 
tungen." Dieses  Volksfest  soll  zu  Fürth  seit  den  Pestzeiten  bestehen; 
wahrscheinlich  war  es  die  Metzgerzunft  dorten  gewesen ,  die  dem  ge- 
miedenen Orte  als  Todtengräber  zu  Hilfe  kamen  ,  wie  ja  auch  bei  der 
Münchner  Pest  die  Metzger  und  Scheffler  sich  zuerst  wieder  auf  die 
verödeten  Straßen  heraus  wagten ,  den  daselbst  hausenden  Drachen 
erlegten  und  zum  Gedächtnisse  daran  jetzt  noch  dorten  das  Brunnen- 
springen und  den  Schefflertanz  abhalten.  Vgl.  Holland,  Gesch.  d.  altd. 
Dichtkunst  in  Bayern,  S.  "636.  Somit  ergiebt  das  an  beiden  Orten  ver- 
gossene Drachenblut  hier  frisches  Ochsenfleisch  und  neu  «;ebunclenen 
Wein,  dorten  Flachswuchs  und  Körperstärke.  Zuletzt  darf  dabei  auch 
das  Brod  nicht  mangeln.  Dies  bringt  jener  von  St.  Clemens,  dem  ersten 
Heidenbekehrer  Lothringens,  zu  Metz  erlegte  Drache  herbei,  den  man 
daselbst  den  Graoulli  nennt.  Wenn  alljährlich  dieses  riesige  Drachen- 
bild durch  die  Straßen  geführt  wurde,  so  hatte  jeder  Bäcker  der  Stadt 
die  Verpflichtung,  dem  am  Hause  vorbei  ziehenden  Thiere  die  lange 
Stachelzunge  gänzlich  mit  Weißbroden  zu  bestecken.  Alles  zusammen 
wurde  den  Stadtarmen  ausgetheilt.  Hievon  handelt  Hockers  Schrift: 
Die  Mosel,  und  zugleich  ein  brieflicher  Bericht  von  A.  Stöber  in  Mül- 
hausen,  an  den  ich  die  Bitte  richte,  hiefür  meinen  besten,  freilich  schon 
verspäteten  Dank  hier  entgegen  zu  nehmen. 

Wenn  nunmehr  noch  der  Rechtssage  vom  schreienden  Blute  und 
den  Satzungen  der  Blutrache  Grund  und  Zusammenhang  mit  dem 
Bisherigen  zugewiesen  sein  wird,  so  hat  damit  die  vorliegende  Arbeit 
ihr  Ende  erreicht. 

Die  Kirche  nennt  solche  Sünden  himmelschreiende  ,  welche  dem 
uns  eingebornen  Rechtsgefühle  widersprechen,  das,  wie  der  Blutumlauf 
in  den  Adern,  in  jedem  Menschenherzen  sich  von  selbst  bewegt.  Man 
zählt  solcher  Sünden  viere:  Arme  unterdrücken,  Waisengut  erpressen, 
den  Nachbar  sittlich  zu  Grunde  richten  ,  dessen  Blut  vorsätzlich  ver- 
gießen. In  der  letztgenannten  Sünde  sind  eigentlich  die  drei  ersten 
miteingeschlossen.  Unschuldig  vergossenes  Blut  hat  eine  Stimme ,  es 
redet,  Abels  Blut  schreit  gegen  Himmel,  aus  Blutstropfen  rufen  in  Märchen 
und  Sage  Menschenstimmen.  So  wird  denn  das  Denk-  und  Sprach- 
vermögen der  Seele  überhaupt  gänzlich  auf  das  Blut  übertragen.  Odys- 
seus  giebt  den  Schatten  im  Hades  Blut  zu  trinken,  damit  diese  Eidola 


426  E-  L-  ROCHHOLZ 

wieder  beseelt,  erinnerungs-  und  redefähig  werden.  Bevor  sie  den 
Bluttrunk  genossen  haben,  vermögen  sie  nur  schwirrend  sich  kund  zu 
geben,  wie  es  ein  stehender  Zug  aller  Gespenstergeschichten  ist,  daß 
das  Gespenst  auf  unsere  erste  Anfrage  nicht  zu  reden  vermag,  son- 
dern bloß  mit  stummen  Seufzern  verschwindet.  Alle  schon  entthronten 
Götter,  alle  schon  verstorbenen  Menschen  leiden  an  diesem  Blutmangel; 
zum  Ersatz  muß  ihnen  daher  das  blutige  Opfer  eines  Thieres  oder 
Menschen  gebracht  werden.  Allem  Glauben  an  Vampyrismus,  mit  dem 
schon  die  Hellenen  sich  trugen  und  jetzt  noch  besonders  die  Südslaven, 
liegt  die  Empfindung  zu  Grunde,  der  Verstorbene,  des  Blutes  entbeh- 
rend, verlasse  sein  Grab ,  um  dem  Lebenden  Blut  aus  dem  Leibe  zu 
saugen.  Hexen  sind  alt  und  blutleer,  darum  trifft  auch  sie  der  Vorwurf, 
daß  sie  Kinder  schlachten.  Wenn  der  Hellene  den  chthonischen  Gott- 
heiten keine  blutigen  Choen  mehr  opfert,  sondern  nur  noch  Trankopfer 
von  Wasser  und  Wein,  so  sind  sie  eben  dadurch  antiquierte  Götter, 
die  Herrschaft  ist  ihnen  entzogen  und  nun  ihren  Regierungsnachfolgern, 
den  Olympiern,  gesichert.  Dasselbe  Schlachtopfer,  das  dann  noch  den 
anerkannten  Unterirdischen  verbleibt,  verbleibt  auch  noch  dem  Teufel: 
Schwarzer  Hund,  Bock,  Stier  und  Schwein  werden  der  Hekate,  den 
Eumeniden  u.  s.  w.  geschlachtet.  Der  Teufel,  nicht  minder  ein  ge- 
stürzter Engel,  leidet  an  einem  ähnlichen  Blutmangel,  und  geizig  besteht 
er  auf  dem  einen  Tröpfchen  Blut  des  Menschen,  der  sich  zu  ihm  in 
ein  Schutzverhältniss  begeben  will.  Göthes  Mephisto  sagt  ja: 

Blut  ist  ein  ganz  besondrer  Saft, 

Du  unterzeichnest  dich  mit  einem  Tröpfchen  Blute. 
Hat  der  Todte  kein  Blut,  liegt  aber  im  Blut  die  Seele,  so  ist  es 
die  Pflicht  des  Überlebenden ,  ihm  diesen  Mangel  zu  vergüten ,  und 
zumal  wenn  er  unschuldig  den  Tod  erlitten  hat,  ihm  sein  Bluträcher 
zu  werden.  Von  der  germanischen  Blutrache  sind  ausgenommen  und 
befreit  Geschwister  gegen  Geschwister,  denn  so  verlangt  es  das  Natur- 
gesetz der  Blutstreue,  welches  als  erstes  vor  jedem  andern  gilt.  Erst 
wenn  einmal  Geschwister  die  Sippschaft  brechen  und  Brüder  sich  be- 
kriegen, erst  dann  wird  bei  so  unerhörtem  Frevel ,  wie  die  Edda  aus- 
drücklich sagt,  der  Untergang  der  Welt  heran  nahen.  Denn  nicht  der 
Tod  war  das  Härteste  und  Schrecklichste  für  den  an  Wunden  gewöhn- 
ten Deutschen,  sondern  das  Aufgeben  der  Sippe.  Bekannt  ist,  wie  jene 
Stelle  vom  Abhauen  des  Fußes  und  Ausreißen  des  uns  ärgernden 
Auges  (Matth.  5,  27)  im  altsächs.  Heliand  dahin  übersetzt  ist,  man 
solle  lieber  von  seinem  Freunde  und  Stammgenossen  lassen,  als  mit 
ihm  vereint  in  Sünde  willigen.  Obenan  steht  im  Gesetze  die  Erfülluno: 


GOLD,  MILCH  UND  BLUT.  427 

der  Sippschaftspflichten,  aber  deren  erste  Folge  ist  dann  das  Gebot 
der  Blutrache.  Das  Rachegelübde ,  das  der  Bataver  Civilis  gegen  die 
Römer  schwört,  das  die  Chatten  bei  Tacitus  ablegen  (Germ.  30)  und 
die  6000  Sachsen  (bei  Paul.  Diaconus)  gegen  die  Schwaben,  lässt  nicht 
den  geringen  Aufschub  zu,  erst  noch  die  Hände  zu  waschen,  die  Nägel 
zu  schneiden,  die  langen  Haare  zu  kämmen  und  in  Locken  zu  schürzen, 
ein  Kleid  zu  wechseln,  bevor  der  Feind  und  Todtschläger  darnieder 
liegt.  Hilde  erweckt  jede  Nacht  die  erschlagenen  Hedninge  auf  der 
Walstatt  durch  Zaubergesänge,  damit  sie  die  unentschieden  gebliebene 
Schlacht  von  neuem  ausfechten;  denn  Blut  fordert  immer  wieder  Blut. 
Und  dieser  Kampf,  sagt  Skaldaskaparmal  ,  soll  fortwähren  bis  zur 
Götterdämmerung,  d.  h.  bis  zum  jüngsten  Tage  soll  die  Blutrache  den 
Odhinnsdiener  nicht  ruhen  lassen. 

Längst  ist  dieses  furchtbare  Gesetz  untergegangen,  gleichwohl 
bricht  es  noch  allenthalben  in  der  Empfindung  und  Erinnerung  durch. 
Die  Spuren  rechtswidrig  vergossenen  Blutes  lassen  sich  von  keiner 
Mauer  abwaschen,  z.  B.  das  Wallensteins  in  Eger;  sie  schlagen  unter 
jeder  Tünche  frisch  hervor.  Von  Conradins  Tode  zu  Neapel  gieng  die 
Sage,  ein  Adler  sei  vom  Himmel  herabgeschossen,  habe  seine  Fittiche 
durch  das  Blut  des  Enthaupteten  gezogen  und  sich  damit  wieder  in 
die  Lüfte  geschwungen,  Blutrache  drohend;  auch  die  Wände  der  Ca- 
pelle,  welche  über  jene  Hinrichtungsstätte  erbaut  wurde,  seien  beständig 
feucht  geblieben.  H.  Holland,  Bayerns  altd.  Dichtkunst,  540. 

Todschlag  konnte  zwar  später  mit  Geld  abgekauft  werden,  so  daß 
nur  der  mit  Blut  bezahlen  mußte,  der  keinen  blutigen  Heller  mehr  hatte, 
also  nicht  mit  Gut  bezahlen  konnte.  Aber  man  weigerte  sich  dieses 
Ersatzmittels;  ich  will,  sagte  der  Vater,  dem  der  Sohn  erschlagen  war, 
meines  Sohnes  Seele  nicht  im  Geldbeutel  tragen.  Und  so  hatte  die  am 
Mörder  vollzogene  Todesstrafe  darin  ihren  rechtlichen  Begriff,  daß  für 
das  vergossene  Blut  des  Ermordeten  dasjenige  des  Mörders  zum  Ersatz 
dienen  sollte.  Blut  an  die  Pfosten  des  Wohnhauses  gestrichen,  bezeich- 
nete beim  Hebräer  schon  eine  neuerdings  zum  Leben  bestimmte  Stätte; 
an  ihr  gieng  der  Engel,  der  die  Erstgeburt  schlägt,  unschädlich  vor- 
über. Auch  befiehlt  Moses  sowohl  für  den  Todschläger,  der  eine  Seele 
unversehens  und  unwissentlich  schlägt,  als  auch  für  den  Bluträcher 
selbst,  Freistätten  zu  errichten,  dahin  er  fliehen  möge  und  nach  Vollzug 
der  Rache  nicht  noch  durch  die  Sippschaft  seines  Gegners  sterben  müsse. 
Die  deutsche  Satzung  verfügt  Ähnliches.  Dem  durch  das  Gesetz  Hin- 
gerichteten kommt  kein  Bluträcher  mehr  zu,  Niemand  aus  seiner  Sipp- 
schaft darf  seinen  Tod  „afern. a  Damit  ist  der  Familie  des  Erschlagenen 


428  E.  L.  KOCHHOLZ,  GOLD,  MILCH  UND  BLUT. 

und  des   für   den  begangenen  Todschlag  Hingerichteten  die  Ausübung 
der  Blutrache  entzogen,  und  wie  es  im  Alten  Testamente  heißt:   „Mein 
ist  die  Hache,    spricht    der  Herr,"    so    ist    hier  Alles   dem   im  Namen 
Gottes  waltenden  Gerichte    übergeben.     Dieses    wurde    nun    selber    die 
Verkörperung  des  um  Rache  schreienden  Blutes ;    die  Richter   mußten 
nämlich  einen  flüchtig  gewordenen  Mörder    an    drei  Gerichtsstätten  zu 
dreien  malen  verschreien,    oder  man  veranstaltete,    wenn    der  gemuth- 
maßte  Mörder  sich  stellte,  jedoch  die  That  leugnete,  das  Bahrgericht. 
Dieses    stützte   sich   auf  die  Voraussetzung,  daß  beim  Erscheinen  des 
Mörders   vor    der  Leiche   des  Ermordeten    diese    von    neuem    aus  den 
Wunden   Blut    ausschwitzen    oder    aus    dem    Munde    schäumen    sollte. 
Man  erwartete,   wenn  der  Mörder  den  verlangten  Reinigungseid  mein- 
eidig ablege,    so  werde    das   in  der  Leiche  stockende  Blut  unter  Mit- 
wirkung der  Gottheit  sich  empören  und  neu  aufwallen.  Das  Blut  kreucht, 
wo  es  nicht  hingehen  kann ,    sagt  ein  niederdeutsches  Sprichwort.     Es 
konnten  Gährungsausbrüche   des    sich  zersetzenden  Blutes  wirklich  er- 
folgen, die  man  für  ein  Ausbrechen  frischen  Blutes  hielt,  wie  denn  aus 
dem  Munde  Erstickter  unter  wiederholtem  Schäumen  Klumpen  schwarzen 
Blutes  hervorgestoßen  werden.    Aber  auch  auf  künstliche  Mittel  verfiel 
man.     Der  Beklagte    mußte    die  Wunden    mit   einem  wollenen  Meißel, 
mit  einem  Pfropfen  aus  Schafwolle  und  ähnlichen  Reizmitteln  auf  Befehl 
auffrischen,  um  sehen  zu  lassen,  ob  nicht  mindestens  Blutwasser  fließe. 
Oder  mit  nackten  Füssen,  vom  Henker  am  Stricke  gehalten,  mußte  er 
über  die  am  Boden  liegende  Leiche  hinüber  schreiten.     Hier    steigerte 
sich  die  Angst  und  erpresste  unfreiwillig  das  Geständniss.    „Denn  wo 
du  für  gericht  solt  komen  und  die  weit    sampt  deinem  eigen  gewissen 
dich  überweisen  kan  deines  unreinen  lebens,  so  wird  dir  bald  das  blut 
unter  äugen  schießen."  Luther  6,  61  in  Grimms  Wb.  2,  171.   War  das 
Bahrgericht    unmöglich    gemacht    durch   Verwesung    der   Leiche    oder 
durch  Zerstückung  und  Verschleuderung,  so  behalf  man  sich  mit  einem 
Wahrzeichen  von  ihr;  ein  einzelner  Knochen  wurde  zu  Gericht  gebracht, 
die  Mordklage    angehoben    und    der  Reinigungseid   unter   den  gleichen 
Vorbereitungen  auf  das  bloße  Knöchlein  abgelegt.     Auch  dieses  sollte 
den  Meineidigen  auf  der  Stelle  mit  Blut  überspritzen. 

Hier  muß  ich  für  diesmal  der  Arbeit  eine  Schranke  setzen.  Die 
Rechtssag' n  selbst  vom  Bahrrecht  und  vom  klingenden  Knochen 
wünsche  ich  unter  dein  Titel  „Der  Ersatzknochen"  in  diesen 
Blättern  später  mitzutheilen. 


429 


ZU  HARTMANNS  EREK 

VON 

FEDOR  BECH. 


Durch  die  eindringliche  und  überzeugende  Kritik,  welche  in  diesen 
Blättern  gewagt  hat,  den  von  Lachmann  und  Haupt  aufgestellten  Text 
des  Erek  nach  verschiedenen  Seiten  hin  zu  beleuchten ,  ist  der  freien 
philologischen  Forschung  unlängst  ein  Feld  zurückerobert  worden,  das 
lange  Zeit  hindurch  nur  wenigen  zugänglich  ,  vielen  sogar  unantastbar 
scheinen  mochte.  Wie  viel  es  hier  noch  zu  arbeiten  giebt,  was  noch 
weggeräumt,  was  noch  aufgebaut  werden  muß,  ehe  das  genannte  Ge- 
dicht in  sprachlicher  Beziehung  auf  gleiches  Niveau  mit  den  übrigen 
Werken  Hartmanns  von  Aue  gebracht  ist,  davon  liefern  auch  die  kürz- 
lich von  W.  Müller  gegebenen  Beiträge  einen  sprechenden  Beweis. 
Mit  Anschluß  an  dieselben  hat  der  Unterzeichnete  gleichfalls  versucht, 
einen  Theil  seiner  Wahrnehmungen  und  Vermuthungen  auf  diesem  neu 
erschlossenen  Gebiete  der  Öffentlichkeit  zu  übergeben.  Der  Text  jener 
einzigen  und  noch  dazu  aus  einer  so  späten  Zeit  stammenden  Hand- 
schrift des  Erek  hat  auch  nach  der  Läuterung  und  Sichtung,  die  er 
in  jüngster  Zeit  von  bessernden  Händen  erfahren  hat,  immer  noch 
ziemlich  viel  Stellen  aufzuweisen ,  in  welchen  man  Sprachformen  einer 
weit  spätem  Periode  vermuthen  darf.  Beispielsweise  sei  hier  auf  die 
Bezeichnung  der  Negation  hingewiesen.  An  nicht  wenigen  Stellen  ge- 
nügte  dem  Schreiber  und  seiner  Zeit  (16.  Jahrh.J  das  bloße  nicht;  das 
mhd.  ne  (en-,  -n)  ist  ihm  schon  nicht  mehr  verständlich,  daher  äußerst 
oft  entbehrlich  geworden.  Ganz  dasselbe  geschieht  seitens  der  Jüngern 
Handschriften  aus  der  nämlichen  oder  nächst  vorhergehenden  Zeit  im 
Iwein  und  im  Gregor,  und  zwar  in  nicht  wenigen  Fällen,  in  denen  die 
vollgiltigern  Zeugen  der  altern,  Hartmann  näherstehenden  Ausdrucks- 
weise einstimmig  widersprechen.  Nicht  minder  verdächtig  ist  der  Ge- 
brauch solcher  Superlativformen ,  die  erst  in  der  späteren  Zeit  des 
Mittelalters  allgemeiner  zu  werden  beginnen ,  wie  z.  B.  schcenste  liebste 
tiurste  jüngste,  für  welche  die  bessern  Handschriften  in  den  andern 
Gedichten  Hartmanns  nur  schceneste  liebiste  tiurisie  jängeste  aufweisen. 
Auf  diese  beiden  beispielsweise  hervorgehobenen  Punkte  ist  im  Laufe 
der  hier  folgenden  Untersuchung  erst  jezuweilen  Rücksicht  genommen. 
Eine  umfassendere  Besprechung  dieser  und  ähnlicher  Fragen  mag  einer 
spätem  Zeit  vorbehalten  bleiben. 


430  FEDOR  BECK 

21.     Si  bat  in  deir  da  bi  ir  tioelte. 
ein  juncfrowen  at  ur:  weite]. 
Die    Handschrift    ist   ohne  Noth    verändert.     Warum    nicht     si   bat  in 
da  bt  ir  tweln.  Ein  rnaget  (froicen)  begunde  si  uz  weht?  oder  ein  juncfrowen 
begund  si  wein  ?  Maget  erscheint  auch  v.  47,  ist  überdieß  im  Iwein  von 
den  Schreibern  öfter  mit  juncfrowe  vertauscht. 

34.  Diu  ist  hünigin  über  daz  lernt].  Bezeichnender  wäre  diust  kü- 
nigin  über  diz  lernt;  vgl.  3785  ich  bin  diss  landes  herre. 

46.     Sme  weste  war  nach  si  rite].  Für  Hartmanns  Zeit  genügt  war 
vollkommen,  nach  scheint  Zusatz  des  Schreibers;  vgl.  3516,  5289,  9588. 
51 — 53.     Daz  getwerc  werete  ir  den  wec 

(daz  sach  diu  künegin  unde  Erec) 
daz  ez  st  mit  der  geisel  sluoc]. 
Vielleicht   ist   die  Parenthese   zu  tilgen    und   zu   schreiben :    eh  gesach 
diu  u.  s.  w. 

56 — 57.     ze  siner  missewende 

daz  st  mal  davon  geivan]. 
Das    siner    kann    eine    misverstandene    Abkürzung    sein   für    sogetemer, 
vgl.  7754  und  7948,  oder  es  ist  seiher  dafür  zu  schreiben. 

66.  der  ritter  weer  kein  frum  jnan]  Cod.  nit  ein  statt  kein;  daher 
wohl  angemessener  enweer  kein  (dehein) ;  auch  V.  125  ist  ich  wayß  nit 
vom  Schreiber  gesetzt  für  ichn  weiz. 

87 — 90.     ir  stt  niht  wise  Hute 
daz  ir  so  vil  Mute 
gefräget  von  mime  herren  : 
ez  mac  iu  wol  gewerren]. 
Ich  vermuthe :    im  sit  niht  u.  s.  w.    und    dann  ,    da   ich   für  einen  Ge- 
nitiv nunes  herren  nach  f lägen  (wie  im  Biterolf  10696,  Walther  98,  27) 
aus  Hartmann  keinen  passenden  Beleg  aufweisen  kann, 
daz  ir  gefräget  hiute 
so  vil  von  mime  herren. 
97 — 98.     mit  der  geisel  ez  in  sluoc, 

als  ez  der  maget  hete  getan]. 
Sollte  nicht  der  Zeit  und  dem  Gebrauch  Hartmanns  entsprechender 
die  maget  stehen?  tuon  tritt  bekanntlich  gern,  zumal  in  so  eng  an- 
geschlossenen Nebensätzen ,  die  wie  hier  mit  als  eingeleitet  werden, 
in  die  Stelle  und  in  die  Construction  des  vorhergehenden  Vollwortes, 
vgl.  990,  Iw.  1379,  8096  und  Ben.  Wort.  z.  Iw!  S.  444.  Die  von  Haupt 
angeführten  Beispiele  treffen  insofern  nicht  zu,  als  in  V.  294  der  Dativ 
durch  die  passive  Form  des  Zeitwortes  bedingt  ist,  in  V.  1012  aber 
der  Satz  selbständig  dasteht. 


ZU  HARTMANNS  EREK.  431 

347.     man  sol  dem  loirte  hin 

sinen  willen,  daz  ist  guot  getan']. 
Glatter  lauten  die  Verse:    man  sol  nnen  willen  län  \   dem  wirte,    daz  ist 
guot  getan.     Über  die  Sache  vgl.  Ulrich  von  Z.  6333   ich  warn  ez  noch 
ein  site  si  daz  man  den  wirten  nach  giht    und  Parz.  458,  22  iuiver  zuht 
iu  des  niht  giht,  daz  ir  stritet  wider  deheinen  wirf. 

369  folg.  erinnert  an  eine  ähnliche  Art  zu  schildern  im  Gregor 
3209—3231.  Nur  scheint  hier  nicht  Alles  in  Ordnung.  So  fällt  beson- 
ders auf  V.  372:  dem  daz  golt  was  unerlogen;  ich  verrnuthe  :  den  da  gezalt 
was  unerlogen ,  daz  etc. 

446 — 448.     den  toirt  er  fragen  hegan 

waz  der  schal  von  den  Hüten 
mähte  bediuten]. 
Auch  hier    scheinen    die  Worte   verrückt   zu    sein.     Ursprünglich   war 
wohl  die  Stellung  die :  waz  der  schal  bediuten  |  mähte  von  den  Hüten. 

502.  mit  mim  orse  hin  ich  ivol  geriten].  Sollte  sich  mim  nicht 
streichen  lassen?  Vorher  steht  ohne  Artikel  —  V.  498  —  umh  isen- 
gewant,  und  diesem  ist  dem  Gedankengange  nach  absichtlich  mit  orse 
gegen  libergestellt. 

533.  iuwer  rede  ist  vil  verläzenlicJi].  Über  verläzenlich  =  ausge- 
lassen, frech,  zuchtlos,  gesetzlos,  für  welches  Lachmann  vrevellich  ver- 
muthete,  vgl.  Specul.  eccl.  54:  die  haiden  die  verldzliche  lebeten  äne  e; 
Fundgr.  1,  93,  10  :  die  verläzenliche  tage  die  sint  vervarn,  die  gehalten- 
liche  tage  sint  uns  komen;  Walth.  v.  Rheinau  28,  57:  Maria  pflag  keiner 
Ungezogenheit  mit  keiner  lachenlicher  getät  diu  verläzenlichen  stdt;  Anz. 
für  Kunde  d.  D.  Vorz.  3,  175:  verlezenlichen  (d.i.  nachlässig,  salopp, 
unzüchtig)  gebunden  lacke  machen  und  ander  verlezenliche  dinc;  Joh.  Rothe 
in  des  rätis  zucht  971:  biwilen  ouch  ein  guoter  muot  also  vorläzlichen  tuot; 
Keller  Erz.  608,  33  :  wo  ein  iciplich  ivip  ist  alle  stunt  in  schäme  und  in 
bescheidenheit  und  nicht  virlastlich  (?)  sich  dreyt;  Rulman  Mersvvin  S.  30: 
sich  an,  wi  si  gönt  so  gar  unpfeftiche  und  so  gar  färlezenliche  mit  iren 
cleidern. 

566.     da  bit  ich  mir  so  helfen  got]  ja  statt  da?  vgl.  übrigens  über 
diese  Ausdrucksweise  1.  Büchlein  1423  folg- 
704 — 706.     sine  icelle  diemüete  jehen, 
ez  muoz  under  uns  beiden 
diu  ritter schaft  scheiden\. 
Die  erste  Zeile  rührt  von  Lachmann  her.  Was  sie  ausdrücken  soll,  ist 
auf  den  ersten  Blick  nicht  recht  klar.  Dem  Zusammenhange  nach  könnte 
sie  bedeuten :  im  Falle  daß  oder  wo  sie  {iuiver  friundinne  ?)  sich  nicht 


432  FEDOR  BECK 

für  besiegt  erklärt,  nicht  zurücktritt.  Aber  diemüete  jehen  in  dieser  Be- 
deutuno: scheint  im  nihd.  unerhört.  Viel  natürlicher  ist  das,  worauf  die 
Hs.  selbst  leitet:  sein  wellen  die  leute jehen;  dies  lässt  sich  so  herstellen : 
esne  ivellen  iu  die  Hute  jehen ,  d.  i.  es  wäre  denn  daß  euch  die  Leute 
den  Preis  zugestehen  wollten. 

734  folg.     siniu  sper  warn  gevärwet  wol: 

er  was  gezimieret: 

sin  ros  was  gezieret 

mit  richer  covertiure]. 
In  diesen  und  den  folgenden  Versen  vermisst  man  unter  den  Waffen, 
die  bei  Yclers  genannt  werden,  den  Schild  umsomehr,  als  derselbe 
gleich  unten  V.  746 ,  wo  die  "Waffen  des  Gegenkempen  beschrieben 
werden,  nicht  vergessen  ist.  Sollten  die  darauf  bezüglichen  Verse  aus- 
gefallen sein  ?  oder  ist  statt  er  was  gezimieret  zu  lesen :  sin  schilt  ge- 
zimieret ? 

866  folg.     si  bede  sputen  ein  spil 

daz  lihte  den  man  berouhet, 

der  fünfzehn  üf  daz  ho  übet. 

ouch  ivurdens  eteswenne  gegeben 

beidiu  da  für  und  ouch  da  eneben]. 
Wir   haben    hier    die  Schilderung   eines  nitspils  unter  dem  Bilde  eines 
topelspils.     Verschiedene    dem    Spieler    eigentümliche   Kunstausdrücke 
(zabelwort,    zabehcörtelin)    sind    auf   das    Kampfspiel     hier     übertragen. 
(Außer  andern  Stellen  vergleiche  hierüber  besonders  Eraclius  4791  folg.) 
Dadurch    erhebt    sich  die  Darstellung    über  das  gewöhnliche  Maß  und 
wird  nicht  wenig  schwierig  zumal  für  die,  denen  die  Anschauung  fehlt 
von    der  Art    und    den  Regeln    des   gedachten   ßretspiels.     Schon    der 
Schreiber  ist  offenbar  dadurch  irre  geworden;  mindestens  scheinen  die 
von  Pfeiffer  gegen  den  dritten    der  oben   angeführten  Verse   erhobenen 
Bedenken  vollkommen  gerechtfertigt,  sowie  für  mich  dessen  Vermuthung, 
daß  in  fünfzehn   die    erste  Silbe    aus   wurf  verderbt  sei ,    sicher    steht. 
Aber  auch  das  Wort  betoubet  steht  ziemlich  unsicher  wegen  des  man- 
gelnden Objectes  (vgl.  dagegen   1580,  2052).  Ich  vermuthe  daher: 
daz  lihte  den  man  betoubet, 
des  (sc.  des  spils)  ivürfe  gent  üf  daz  lioubet. 
Vgl.  Parz.  573,   1:    nü  was  im  sin  houbet  mit  würfen  so  betoubet;    Erek 

770:  er  sluoc  im den  schilt  an  daz  houbet,  da  von  wart  er  betoubet; 

5733:  du  icas  er  so  betoubet,  |  daz  im  daz  'houbet  |  vor  den  filezen 
nider  kam;  9122:  daz  den  kampfgenozen  wurden  ir  houbet  vil  s&re 
betoubet. 


ZU  HARTMANNS  EREK.  433 

877  folg.     ir  ietwederre  loolt  ez  läzen, 
wan  dem  ivcere  verwdzen 
beidiu  sin  vre  und  ouch  daz  leben]. 
Der  Zusammenhang  verlangt :  ir  deweder  emooltez  läzen,  wand  im  wcere 
verwdzen  u.  s.  w.  Keiner  der  Kämpfenden  wollte  vom  Kampfe  ablassen, 
weil  Ehre  und  Leben  auf  dem  Spiele  stand.  Daß  jeder  von  ihnen  ge- 
wünscht hätte  vom  Kampfe  erlöst  zu  sein,  wäre  ganz  gegen  Helden  Art, 
ja  widerspräche  durchaus  dem  Charakter  Ereks,  den  der  Dichter  sagen 
lässt  V.  8526  folg. :  got  hat  wol  ze  mir  getan,  daz  er  mich  hat  gewiset  her, 
da  ich  nach  mmes  herzen  ger  vinde  gar  ein  wunschspü,  da  ich  lätzel  wider 
vil  mit  einem  würfe  wagen  mac,   und  ebenso  V.  4398 — 4402. 

883  folg.     Die   kampflustigen    Helden    setzen   ihr   Spiel    so   lange 
fort  bis  in  der  geböte  zeran 

so  sere  daz  die  zwene  man 
muoden  begunden. 
si  mohten  noch  enkunden 
ir  swert  mit  kreften  niht  gewegen 
noch  die  arme  also  geregen 
als  si  taten  unze  dar]. 
Die  Änderungen  Haupts  scheinen  mir  überflüssig.     Die  drittletzte  und 
die  vorletzte  Zeile  lauten  in  der  Handschrift:  ir  mit  kreften  niht  gelegen 
noch  die  arme  also  erwegen.     Der   Leser    muß    sich   erinnern,    daß    der 
Dichter   kurz    vorher    sagte :    der  geböte  in  zeran ,    d.  h.  sie   hatten  wie 
Spieler  fast  nichts  mehr  einzusetzen,  beinahe  alle  ihre  Kraft  verspielt,  — 
sowie  daß  einige  Verse  früher  es  hieß:    da  wart  vil  manec  gebot  geleit 
und  dem  ein  widergelt  geseit.    Demnach  sind  die  Worte:  si  mohten  noch 
enkunden  \  ir  mit  kreften  niht  gelegen  als  ein  Spielerausdruck  zu  fassen : 
sie  konnten  mit  (von)  ihren  Kräften  kein  Gebot  mehr  thun;  das  ir  auf 
das  vorhergehende  geböte  zu  beziehen,    kann  unmöglich  schwer  halten. 
Vgl.  übrigens  Willen.  427,  26:    diu  gebot  an  solchem  topelspü  kund  er 
wol  strichen  unde  legen. 

922  folg.     daz  witzige  unde  tumbe, 
die  stuonden  dar  umbe, 
mit  nihte  erkiesen  künden]. 
In  der  Hs.   findet   sich    die   erstunden ;    daher   wohl    angemessener    mit 
folgender  Wortfolge:  die  der  (dar)  stuonden  umbe.  Vgl.  Iwein  7390:  allez 
daz  der  ist',  Lanzel.  3352:  da  zoum  in  der  der  frum  si;  Trist.  175,  38: 
und  anders  niemen  der  der  ist;  mlid.  Wb.  ],  304b,   14  folg. 
941  —  942.     doch  jener  die  besten  würfe  zcarf 
der  kein  zabelcere  bedarf]. 

GERMANIA  VII.  28 


434  FEDOR  BECH 

Nach  Hartmanns  Sprachgebrauch  würde  man  in  einem  dem  Superlativ 
zur  Verstärkung  beigegebenen  Satze  wie  hier  ein  ie  oder  eine  dem 
ähnliche  Umschreibung  vor  kein  (dehein)  oder  vor  bedarf  ungern  ver- 
missen. Solche  Sätze  sind  z.  B.  1307,  2010,  2158,  2480,  3138,  3621, 
3976  u.  s.  w.  In  der  Hs.  ist  dieses  ie  vom  Schreiber  einige  Male  über- 
sehen. So  noch  1626:  daz  man  in  noch  zalt  ze  einem  dem  tiursten  man  \  derie 
stat  da  gewan ;  lies :  zeinem  dem  tiuresten  man  \  der  ie  stat  da  geivan ;  ferner 
1740  folg.:  da  ivas  dehein  man, 

ern  begunde  ir  für  die  schcensten  jehen 

die  er  ha'te  gesehen, 
welche  Verse  wohl  (Wackernagel:  zer  statt  für  die)  so  lauteten: 

da  enwas  dehein  man 

ern  begunde  ir  zer  schcenesten  jehen 

die  er  ie  luvte  gesehen. 
Vgl.  1306.  Derselbe  Fehler  scheint  im  Gregor  1335  —  36  zu  stecken: 
ir  habt  daz  süezeste  leben  |  daz  got  de)1  werlde  hat  gegeben,  lies:  ie  hat 
gegeben;  ferner  2.  Büchlein  59:  von  dun  süezisten  lone  j  den  diu  werlt 
geleisten  mar.,  lies:  ie  diu  werlt;  und  V.  68  ebendaselbst:  für  daz  aller- 
beste ritters  leben  \  daz  got  der  werlte  hat  gegeben,  füge  ie  nach  werlte  hinzu. 
Man  vergleiche  noch  die  Bemerkung  Lachmanns  zu  Iw.  1316;  auch 
Iw.  4066  muß  es  wohl  mit  Bb.  heißen:  den  ich  dö  lebende  weste. 

962.  da  mäht  mich  wol  b?  leben  läit)  in  der  Hs.  stund  beleiben  statt 
blieben;  dieß  lässt  aber  eher  In  libe  vermuthen.  Vgl.  6584:  wt  mir  vil 
armen  wibe,  weere  min  geselle  bi  libe. 

1047  folg.     da  tet  im  sin  unzuht  so  wol 
daz  man  ims  Ionen  sol]. 
Der   Sinn  dieser  Worte  fällt  auf.  Vielleicht  ist  zu  lesen : 
da  t03te  im  iuwer  zuht  so  wol, 
daz  man  ius  gelonen  sol, 
d.  h.  da  wäre  ihm  eine  Lection,  eine  Züchtigung  von  Euch  so  gesund, 
daß  u.  s.  w.     In  der  Hs.  belonen ;    über  zuht  in  dieser  Bedeutung  vgl. 
noch  5415  und  5472. 

1051 — 52.  ich  wil  von  disem  Kunde  ein  phant, 
duz  ist  niht  wan  sin  hant]. 
Die  Hs. :  ich  teils  disem  liun.de  geben  ein  phant;  dies  macht  wahrscheinlich, 
daß  der  Schreiber  geebiu  phant  oder  ein  geebez  phant  vor  sich  hatte. 
Auch  scheint  ich  wil  nicht  zu  passen,  da  Gawein  vorher  sagt:  ich  icil 
mich  uz  der  ahte  lau,  ez  soltz  der  mag  et  niht  haben  getan.  Entbehrlich  ist 
disem  hunde.  Demnach  schlage  ich  vor: 

joch  (oder  ouch)   wil  si  ein  gwhez  phant 


ZU  HAKTMANNS  EREK.  435 

oder  joch  wil  si  von  im  gcebiu  phant, 

daz  ist  niht  wan  sin  hant. 
1064  folg.     er  hiez  ez  zwcne  knehte 

uf  einen  tisch  recken 

unde  wol  durchstrecken 

mit  guoten  spizholzen  zw  ein]. 
Natürlicher  scheint  mir :  uf  einen  tisch  strecken  \  unde  wol  durchrecken. 
Über  den  seltenen  Ausdruck  recken,  durchrecken,  zerrecken  =  foltern 
(Schindler  3,  40),  prügeln,  durchwalken,  vgl.  Ges.  Abent.  1,  147,  450: 
man  hiez  in  vor  dem  tische  \  die  knehte  nider  strecken,  \  mit  knütieln  durch- 
recken (Wien.  Hs.  mit  sieben  uf  in  lekken)  =  Kolocz.  257.  455;  Ruother 

4289:    er  hiez  di  spilman mit  den  zugew eichen*)  stoben  vaste  recken 

unde  slän;  v.  d.  Hagen  MS.  3,  187a,  4:  si  sach  im  da  den  balc  zerrecken 
(;  ecken).  Über  strecken  sieh  kulm.  Recht  ed.  Leman  S.  155:  ist  daz  her 
siege  vordinct  hat,  der  richter  der  sal  in  heizen  vor  sich  strecken  und  sol  im 
heizen  slän  alse  vil  siege  u.  s.  w. 

1083.  in  ir  gwalt  sult  ir  iuch  ergeben].  Besser  wird  der  Vers,  wenn 
man  geben  für  ergeben  setzt;  vgl.  Iwein  6792:  der  muosc  sich  in  iedoch 
gar  in  ir  genade  geben,  wo  einige  Varianten  gleichfalls  ergeben  haben. 

1 179.  da  vert  er  sam  er  rite].  Vielleicht  ja  vert  er  u.  s.  w.  Ebenso 
3590 :  ja  (cod.  da)  ist  ez  doch  niht  getan  gar  äne  sache.  Über  diese  Ver- 
wechselung sieh  die  Varianten  zu  Gregor.  2362  und  2400.  Auch  Erek 
9604  hieß  es  wohl :  ja  hat  statt  ez  hat. 

1335  folg.     do  bat  in  der  herzöge  Imain 

daz  er  die  naht  geruohte  sin 

mit  im  durch  alle  minne 

mit  siner  friundinne]. 
Gewiss  angemessener  bi  im  für  mit  im;  nachher  heißts  mit  Bezug  hierauf: 
sxt  ir  bi  mir  niht  wellet  sin,  so  sullen  ivir  bi  iu  besten. 
1422  folg.     und  wizzet  tool  daz  vordes  nie 

in  der  werlde  kein  man 

schamer  phert  nie  geivan]. 
Das  doppelt  gesetzte  nie  ist  sehr  auffällig;  an  der  zweiten  Stelle  scheint 
es  Zusatz  des  Schreibers  ,    um    die  Silbenzahl    des   Verses   zu    mehren. 
Stund  etwa  hier  und  V.  3572  pherit?  vgl.  mhd.  Wb.  2,  482  und  Iwein 
3600.  Derselbe  Fehler  ist  Erek  3463 :  daz  ir  nie  dehein  groz  ungemach  \ 
von  den  rossen  niene  geschach,  wo  das  erste  nie  zu  tilgen  ist.  In  V.  1999 


*)  Über  dieß  Wort  sieh  mhd.  Wb.  3,  617a;    füge    hinzu  Keller,    Erzähl.  452,  5: 
da  quam  ein  scharpfe  nunne  herte  und  bracht  ein  zugewaiche  gerte. 

28* 


4.,,,(;  PEDOB  BECH 

ist  nie  man  für  nie  kein  man  zu  lesen ,    wie  4953  nieman  für  nie  nieman 
mit  Wackernagel. 

1504.  ortch  luden  si  ez  vernomen).  Deutlichkeit  und  Zusammenhang 
verlangen  si  ez  e  oder  siz  e  statt  se  ez,  vgl.  1754. 

1548  folg.     der  (sc.  roc)  was  ein  grüener  sarmt, 
mit  spannebreiter  liste, 
da  si  sich  in  briste, 
mit  gespunnem  golde 
beidenthalp  so  man  sohle 
von  ieiwederre  hende 
an  der  siten  ende]. 
Die  drei  letzten  Verse   scheinen,    wie   das  unter  dem  Texte  vermerkte 
Fragezeichen  andeutet,    dein  Herausgeber  nicht  recht  klar  gewesen  zu 
sein.  Aus  der  Vergleichung  verwandter  Stellen  hat  sich  mir  Folgendes 
ergeben:    Der    Rock  Enitens    bestand    aus    einem    grünen    Sammt    mit 
spannebreitem  Saume;  in  diesen  Rock  schnürte  die  Königin  Eniten  ein 
(lies  si  sin  statt  si  sich  in  im  dritten  Verse)    mittelst   goldener   Schnür- 
faden ;    das  Schnüren  fand  auf  beiden  Seiten  statt,  stieg  also  von  dem 
Unterende  der  Ärmel  in  die  Höhe  und  lief  an  den  Seiten  des  Gewandes 
rechts  und  links  wieder  herab  bis  zum  Ende  des  Saumes;  daher  Erek 
8238  folg. :    dehein  ermel  noch  ir  site  ivas  in  niht  gebriset  (lies :  enwas  in 
gebriset).     Über  gespunnen  golt   vgl.    Athis    u.    Proph.  S.  92,    lb'0  und 
S.  94,  44  und  Wigamur  4467,  Loherangr.  2462;    an  unserer  Stelle  ist 
damit  wohl  der  brisvadem  gemeint.  Vgl.  Haupt  z.  Konr.  v.  Haslau  93. 

1568.  da:  geville  härmin}.  Für  geville,  welches  außer  im  Erek 
(sieh  V.  1957  und  1987)  nur  noch  bei  spätem  Schriftstellern  auftritt 
(mhd.  Wb.  3,  294b),  hat  Ulrich  von  Z.,  der  seinem  Wortschatze  nach 
große  Übereinstimmung  mit  Hartmann  im  Erek  zeigt,  nur  inville,  sieh 
Hahn  zu  Lanz.  5740  ,  8865.  Dieselbe  Form  steht  im  Ruother  1853, 
sowie,  was  im  mhd.  Wb.  übersehen  ist,  in  den  Sumerlaten  33,  75:  amphi- 
bulus  inville  vel  manstmga.  Hiernach  wäre  es  nicht  unmöglich,  daß  die 
jetzt  im  Erek  erscheinende  Form  vom  Schreiber  herrührte. 

1870.  zuo  der  rnäze  und  dannoeh  me\.  Deutlicher:  ze  der  rriäze  = 
in  diesem,  solchem  Maße,  denn  diese  Auffassung  verlangt  der  Sinn 
der  Stelle;  ebenso  würde  man  V.  1925  ändern  können ;  vgl.  auch  2293: 
zuo  der  mdze  so  si  sohle,  vielleicht:  ze  der  mdze  als  si  sohle? 

1 883.     von  dem  da  im  leit  geschiht].  Etwa :  wand  im  dehein  leügeschiht  f 
1974.     genant  toas  einer  Coin 

und  der  ander  Goqfilrtrt]. 
Der  Vors  gewinnt,  wenn  man   das  entbehrliche  und  streicht. 


ZU  HARTMANNS  EEEK.  437 

2030  folg.     ir  iegllcliem  üf  der  hant 
ein  schamer  habech  setz, 
sehs  müzer  (?)  oder  baz\. 
Sechs  Maußerfalken  auf  einmal  und  noch  einen  Habicht  auf  der  Hand?? 

das  scheint  des  Guten  zu  viel.  Uberdieß  kann  müzer,  das  selbst  ent- 
weder einen  valken  oder  habech  oder  sparwecre  bezeichnet,  vgl.  die  lehr- 
reiche Bemerkung  Beneckes  zu  Iwein  284 ,  so  allein  nicht  dem  habech 
beigeordnet  werden.  Einen  ähnlichen  Fall  in  V.  1965  hat  Pfeifler  be- 
reits glücklich  beseitigt*).  Daß  noch  sehs  müzer  neben  dem  einen  Ha- 
bicht gemeint  worden  seien,  wird  auch  im  Folgenden  durch  V.  2038 
und  2061  nicht  gerade  wahrscheinlich,  wo  nur  eines  Habichtes  gedacht 
ist,  mit  dem  sich  jeder  für  die  beize  versehen  hat.  Mit  Hilfe  der  Hs., 
welche  maufie  statt  des  von  Haupt  in  den  Text  gesetzten  müzer  hat, 
vermuthe  ich:  sehs  müze  alt  oder  baz ,  oder  von  sehs  müzen  oder  baz, 
d.  h.  der  Habicht  hatte  sechsmal  oder  öfter  die  Maußer  bestanden, 
war  also  sechs  oder  mehr  Jahre  alt.  Vgl.  Lanzel.  7175:  siu  fuort  ein 
sperweere  von  maneger  müze  wol  getan;  Loherangr.  3404:  der  (pilgrin- 
valke)  het  dicke  veder  in  müze  gereret,  wo  diese  Art  Falken  ausgezeichnet 
werden  vor  den  roten  valken  3394;  müze  steht  geradezu  für  jär  in  Mo- 
rolf.  II,  46  (v.  d.  Hagen  S.  44):  ein  alt  Itengst  von  zivenzig  müzen 
( :  strüzen)  ;  Heinrich  v.  d.  Türlin  in  der  Krone  638 :  onch  mohte  man 
da  schouwen  —  vederspil,  daz  vil  maneger  müze  teas. 

2035  folg.     si  funden  guote  beize  do, 

beide  buche  unde  16 

lagen  antvogele  vol.] 
In  der  Hs.  da  :  la  für  do  :  Id.     Diese   Stelle   erinnert   an   eine    ähnliche 
in  den  altdeutschen  Beispielen  bei  Haupt,  Zeitschr.  7,  342,  35:   da  er 
ze  den  ziten  in  einer  lä  antvogel  weste  ligen,    wo  jedenfalls   wie   hier  lo 
zu  schreiben  ist. 


*)  Eiu  anderer  Fall  ist  noch  in  Gottfr.  Trist,  ed.  von  Groote  2205:  ouch  was  da 
schone  vederspil ,  valken  pilgerine  vil,  smirline  unde  sperivere,  habeche  und  rrmsere  und 
ouch  in  roten  vederen;  hiernach  wird  noch  im  mhd.  Wb.  2,  2Slb,  18  citiert:  sperwarc, 
habeche  und  müzcere.  Bei  v.  d.  Hagen  steht  hebeche ,  muzeere,  bei  Massmann  (57,  ti) 
häbeche,  muzaire ,  ohne  daß  letzterer  über  das  fehlende  tonde  in  seinen  Varianten  etwas 
vermerkt  hätte.  Sicher  ist  auch  hier  hebeche  muzeere  als  ein  Begriff  zu  nehmen,  wie  im 
Biterolf  6975,  und  als  Gegensatz  zu  fassen  zu  dem  Folgenden;  und  onch  in  röten  ve- 
deren. Denn  das  röthliche  Gefieder  am  Falken  war  wohl  ein  Zeichen,  daß  er  noch  keine 
Maußer  bestanden  hatte  oder  überhaupt  noch  zu  jung  und  ungeübt  war,  z.  B.  Loher- 
angr. 3394:  zwen  röte  valken  mit  im  vlugen,  die  dannoch  ze  solhem  vluge  niht  entugen, 
vgl.  auch  MSF.  20,    10. 


438  FEDOR  BECH 

2050.     wart  da  was  gevangen 
sioaz  in  was  gestoubet.] 
Für  in  vermuthet  Lachmann  ir ,    und  dieses,    auf  die   zuvorgenannten 
wilden  Vögel  bezogen,  scheint  das  richtige.  Vgl.  übrigens  Biterolf  6985: 
der  hnnt  (daher  auch  der  stöuber  genannt,  Haupt  z.  Neidh.  XXIII,  17, 
Sachsensp.  I,  S.  376)  stoubte  ofte  kranechen  vil;    Loherangr.  3397:    ein 
valkencer  si  brdhie  wider   mit  vögeln   die  er  sloubel ;    Walth.  v.   Rheinau 
101,  55  und  57  t   Jesus  machte  einen  schal  mit  beden  den  henden  sin  und 
stoupte  die  vogellin;  ähnlich  erstouben  bei  Diemer  177,  8. 
2057 — 59.     dö  si  nach  der  beize  riten 
unde  friuntlichen  striten, 
under  in  was  ein  bescheiden  haz\. 
Für  under  in  steht  in  der  Hs.  sunder.  Daraus  wird  mir  wahrscheinlich, 
daß  der  Dichter  sagte:  sunder  unbescheiden  haz;    vgl.  7008:    dem  unbe- 
scheiden hazze  zvart  ein  ende  gegeben. 

2060.  ieglicher  wolde  daz  da  baz).  Aber  in  der  Hs.  findet  sich 
ir  yeglicher,  welches  mir  mit  Unrecht  verworfen  scheint.  Will  man 
hier  zweisilbigen  Auftact  nicht  gelten  lassen,  so  ließe  sich  doch  eher 
noch  ir  ieglich  schreiben,  wie  Haupt  V.  3230  gethan  hat:  ir  ieglich  het 
ein  isenhuot  (cod.  jr  ye  glich  er) ;  eine  ähnliche  Besserung  erfordert  V.  1 964, 
vgl.  V.  2507.  Über  ir  ieglich  sieh  auch  Pass.  K.  258,  4;  293,  49. 
2098  folg.     so  saget  man  uns  danne, 

daz  kein  twerc  wosre  noch  si 
kurzer  danne  Bilei~\. 
In  der  Hs.  gezwerg  für  twerc.  Pfeiffer  hält  getwerc  und  verwirft  dagegen 
wcere  noch.  Ich  glaube,  wenn  nach  Überflüssigem  zu  suchen  ist,  so  hat 
man  am  ehesten  getwerc  zu  entfernen.  Es  hieß  wohl :  daz  nieman  oder 
daz  dehein  man  woere  noch  ensi  u.  s.  w. ;  auch  vom  Riesen  hieß  es  einige 
Zeilen  vorher:  daz  Brians  langer  wa?re  dann  ieman  bi  sinen  ziten. 

2167.  der  tet  man  eines  niht  rät].  Beneckes  Vorschlag:  niht  eines 
statt  eines  niht  zu  lesen  (Haupt,  Zeitschr.  3,  267),  halte  ich  für  ver- 
werflich. Vgl.  Erek  7793:  eines  häres  sanfter  niht;  Kinth.  Jesu  70,29: 
der  worte  si  einez  niht  vergaz  =  nicht  ein  einziges;  91,  46:  der  ist  einer 
niht  beliben  —  auch  nicht  einer;  Fundgr.  1,  103,  1  :  do  antwurte  er  ir 
ein  wort  niht  =  auch  nicht  ein  Wort;  in  dieser  Zeitschr.  3,  362,  Z.  16: 
unde  läzent  einen  stein  ob  dem  andern  niht;  Urstende  ed.  Hahn  76:  unt 
umbe  einen  kleinen  stein  unganzes  niht  daran  schein  =  auch  nicht  ein 
Steinchen  zeigte  sich  daran  versehrt;  Lanzel.  1761:  dest  ein  wort  niht 
gelogen;  Berthold  284,  18:  den  zwein  sult  ir  aller  gnaden  eine  niht 
tuon    (vgl.  Kinth.  Jesu  78,  31);    Leben  Christi  in  Haupts  Zeitschr.  5, 


ZU  HARTMANNS  EREK.  439 

25,  307 :  der  einen  zäher  nie  moht  gehän  =  niemals  auch  nur  eine  Thräne ; 
Heinrich  v.  cl.  Türlin  in  der  Krone  9992 :  der  ritter  was  einer  niht ; 
Heinzelein  v.  K. ,  von  dein  Ritter  und  Pfaffen  366:  ein  stunde  ich  niht 
da  wider  strebe  =  ne  horam  guidem;  Mai  u.  Beafl.  104,  21:  den  ein  rieme 
gebristet  niht ;  der  g.  Gern.  4005 :  daz  ein  man  da  niht  genas  =  auch 
nicht  ein  Mann;  Stricker,  im  Karl  5766:  der  liezens  einen  niht  genesen; 
Gute  Frau  1019:  unz  er  500  ritter  gewan,  den  eines  ringes  niht  enbrast- 
Pass.  K.  293,  37:  daz  einer  M  im  niht  enbleip  =  auch  nicht  ein  ein- 
ziger; Martina  200,  15:  von  der  muten  gotes  süeze  ein  häres  lok  in  niht 
engät;  Hans  v.  Bühel  im  Dyoclet.  800:  der  jung  elinc  ein  wort  niht  sprach] 
Lassberg  LS.  1,  617,  102:  ein  wort  sprach  si  nie;  Joh.  Rothe  Chron. 
c.  49 :  unde  erslüg  inie  alle  sin  volg ,  daz  einer  niht  davon  quam ;  Altd. 
Bl.  1,  120:  ich  wil  üch  von  alle  mime  gCUe  ein  vierling  niht  geben;  Parz. 
2,  21:  sin  triwe  hat  so  kurzen  zagel,  daz  si  den  dritten  biz  niht  galt; 
Closen.  95:  der  dirte  mensche  niht;  Joh.  Rothe  im  Rittersp.  2155:  üf  den 
derten  si  daz  niht  erben;  Renner  20174:  daz  ez  der  fünfte  niht  hat  für 
guot;  J.  Tit.  4180,  3:  des  wart  an  in  der  zehende  niht  gerochen  (vgl. 
4178,2);  4381,  3:  er  mohtez  zehendest  teil  niht  hän  erzeiget;  Sündenfall 
ed.  Schöneinann  2104:  dat  de  hunderste  begripen  nicht  enmach  des  %oun~ 
ders geliknisse;  Berthold  280,  2:  da  enhäst  cht  aller  wären  riuwe  einige  niht; 
545,  2 :  dil  hast  der  wären  minne  einigen  trophen  niht ;  Pass.  K.  434,  9 : 
Augustinus  ein  einec  tvort  nie  zu  gesprach ;  678,  31:  daz  icir  ein  einec 
wort  niht  mugen  noch  enturren  vort  gesprechen.  Hiernach  sind  die  wenigen 
Beispiele  bei  Hartmann  zu  bemessen.  So  im  Iwein  978  :  daz  im  von 
wirte  selch  gemach  eines  uahfes  nie  geschach;  1075:  na  was  diu  buresträze 
zwein  mannen  niht  ze  mäze ;  1186 — 87  hieß  es  vielleicht:  daz  mir  da 
dehein  man  ein  wort  nie  ztto  gesprach  (nach  Lachmann:  nie  dehein  m.  e. 
wort  zuo  gesprach) ;  615  nach  B:  derne  wären  zwene  inender  gelich; 
besonders  verdächtig  in  Hinblick  auf  die  dargelegte  Regel  ist  Iw.  2572: 
sin  (sc.  Keif)  hete  niht  einen  tac  \  geruochet  der  künec  Artus  |  ze  truhseezen 
in  sime  hiis,  wo  die  bessern  Handschriften  anders  niht  einen  tac,  also 
einen  überladenen  Vers  haben,  ich  vermuthe  daher: 

sin  hete  a?iders  einen  tac 

geruochet  niht  der  künec  Artus 
=  Artus  hätte  sonst,  d.  h.  wenn  Keii  nicht  ein  so  tiwer  helt  gewesen 
wäre,  ihn  auch  nicht  auf  einen  Tag  zu  seinem  Truchsessen  genommen. 
Etwas  ganz  anders  würde  niht  einen  tac  oder  niht  eines  tages  bedeuten, 
z.  B.  Leben  Christi  1.  1.  355:  diu  riioe  wil  niht  eines  tages  gern,  si  muoz 
die  wil  man  lebet  wem ,  d.  h.  nicht  etwa  nur  ,  nicht  bloß  einen  Tag, 
sondern  u.  s.  w. 


440  FEDOR  BECH 

2195  folg.     als  diu  brätlouft  nam  ende, 

nü  schiet  mit  richer  liende  u.  s.  w.|. 
Der  erste  dieser  Verse  darf  seiner  Wortstellung   und    seiner  Betonung 
nach  schwerlich  Hartmann   zugemuthet   werden.     Vielleicht  ist  als   zu 
streichen;    ähnlich  ist  dann  9857:    diu  hdchztt  häte  ende.  \  na  schiet  der 
eilende  u.  s.  w. 

2200  folg.  die  (sc.  spilman)  sprachen  alle  —  wol  von  den  hoch- 
ziten:  |  Erecke  und  Ernten  \  wunsclden  se  aller  scvlekeit].  Wol  sprechen 
verlangt  in  dieser  Verbindung  wohl  den  Dativ,  so  daß  von  vor  höch- 
sten gestrichen  werden  muß.  Der  Dichter  wollte  sagen:  Sonst  (V.  2170 
folg.)  pflegen  die  varenden  und  die  spitman  auf  die  hohen  Feste,  denen 
sie  beigewohnt  haben,  aus  Neid  zu  schelten  und  zu  fluchen  (des  hat  er 
nit  und  fluochet  der  höchzlt) ,  wenn  sie  sehen,  daß  der  eine  mehr,  der 
andere  weniger  davon  getragen  hat;  hier,  bei  Enitens  und  Ereckes 
Hochzeit,  war  es  anders:  alle  wurden  so  überaus  reichlich  bedacht, 
daß  sie  nicht  anders  konnten,  als  wol  sprechen  den  hochziten.  Vgl.  2402 : 
man  sprceche  im  anders  niht  so  wol;  2832:  daz  was  daz  man  im  wol 
sprach;  ferner  2843,  2984,  5937;  das  Gegentheil  lautete:  si  sprächen  alle 
xcc  der  stunt. 

2266  folg.     swaz  aber  im  des  (sc.  guotes)  gebrast 

(ich  meine  daz  er  was  da  gast, 

sin  laut  was  im  verre) 

Artus  der  herre 

gap  im  swaz  er  vorsprach J. 
So  Lachmann.  In  der  Hs.:  er  maynet  daß  er  ivas  da  ein  gast.  Ich  meine, 
wenn  man  den  Geschmack  des  Schreibers  nur  etwas  kennt ,  so  lässt 
sich  das  Richtige  hieraus  schnell  errathen :  icand  er  was  da  ein  gast. 
Man  erinnere  sich  nur,  wie  oft  in  der  Hs.  ivcenen  mit  meinen  vertauscht 
ist ;  auch  hier  wird  der  Schreiber  wände  statt  wände  gelesen  und  darum 
in  seiner  Weise  verändert  haben. 

2289-  der  ein  hurtlich  gnuoc  was].  In  der  Hs.  der  einem.  Hurtlich 
ist  in  der  Bedeutung  gut  für  stoßendes  Losrennen ,  sonst  nicht  weiter 
belegt  im  med.  Wb.  Vielleicht  hieß  es:  der  ein  chuntlich  g.  w\,  wozu 
die  folgenden  Zeilen  noch  besser  passen:  uzen  ein  liehtez  Spiegelglas, 
vil  verre  glaste  des  schin.  Auch  V.  2339  steht:  wäpenroc  und  covertiure 
al  ein,  beidiu  genuoc  kuntUch. 

2329.  iserhosen  von  Glenh].  Da  die  Hs.  issercossen  gewährt,  ist 
es  fraglich,  ob  Haupt  das  Richtige  in  den  Text  gesetzt  hat;  man  könnte 
vielleicht  noch  eher  an  tsercolzen,  romanisch  calezon  chausson  denken, 
vgl.Parz.802,  19;  683,  17;  Willen.  296, 3;  Diut.2,304:  caliga  hose  t.  kouce. 


ZU  HAKTMANNÖ  EREK.  441 

2371.  nü  warn  die  besten  da  ze  icege  geherberget  nach  ir  pflege']. 
nicht  die  gesteh  auch  V.  1388  hatte  der  Schreiber  die  pesten  geschrieben 
statt  die  geste. 

2380  folg.  Von  Erek,  der  sich  vor  den  zum  Turnier  gekommenen 
Gästen  still  zurückgezogen  hat  und  alles  Aufsehen  vermeiden  will, 
heißt  es:  er  lebte  als  ein  tvol  karger  man 

ungiudecliclien 

und  icolt  sich  niht  geliehen 

einem  guoten  knehte, 

und  von  allem  rehte. 

giudens  urloup  mohter  hau 

derz  dicke  für  in  hete  getan: 

ern  dühte  sich  so  volkomen  u.  s.  w.]. 
Die  letzte  Zeile  gebe  ich  nach  der  Verbesserung  Pfeiffers.  Die  voraus- 
gehenden Zeilen  aber  enthalten ,  offen  gesagt ,  des  Unsinnigen  zu  viel, 
als  daß  man  sich  bei  ihnen  beruhigen  könnte.  Zuerst  der  Zusatz  und 
von  allem  rehte:  das  kann  doch  nur  heißen:  und  mit  vollstem  Hechte. 
Aber  was  soll  hier  der  Gedanke:  Erek  lebte  ganz  geräuschlos  und 
wrollte  sich  nicht  gleichen  einem  guoten  knehte  und  das  mit  vollstem 
Rechte?  Eben  so  widersinnig  wäre  der  folgende  Gedanke:  ein  Recht 
zu  geräuschvollerem  Auftreten  möchte  der  wohl  haben  ,  der  oft  mehr 
als  Erek  (so  versteht  und  übersetzt  es  Lachmann!)  getan  hätte.  Das 
Widersinnige  scheint  mir  einestheils  durch  Lachmanns  falsche  Deutung, 
anderntheils  durch  Haupts  ihr  folgende  Interpunction  hervorgebracht 
zu  sein.  Man  w7ird  wohl  so  lesen  müssen: 

ern  ivolte  sich  geliehen 

einem  guoten  knehte 

und  der  von  allem  rehte 

giudens  urloup  mohte  hän. 

derz  dicke  für  in  hete  getan , 

ern  dühte  u.  s.  w.]. 
d.  h.  er  wollte  sich  nicht  gleichstellen  einem  bewährten  knehte,  dem  es 
doch  mit  vollstem  Rechte  zugestanden  hätte,  Aufsehen  zu  machen; 
er,  der  oft  mehr  als  ein  solcher  kneht  —  so  und  nicht  anders  ist/ür  in 
nach  dem  Zusammenhange  zu  deuten  —  gethan  hatte  (sieh  V.  2627), 
er  hielt  sich  nicht  für  so  vollkommen  noch  für  so  berühmt,  daß  ihm 
solch  Gebahren  gestattet  wäre. 

2432  folg.  do  geviel  im  diu  ere, 
diu  in  an  lobe  zierte, 
daz  er  schufte  und  justierte]. 


442  FEDOR  BECII 

Für  schufte   schreibt   die  Hs.  fnnjft:    daher   vielleicht   näher   liegt,    an 
fünf  stunt  justierte  zu  denken.     Vorher  heißt  es :  Erek  habe  die  ersten 
zwei  ihm  entgegenkommenden  lütter  niedergestochen    und,    ohne  sich 
um  ihre  Rosse  weiter  zu  kümmern,  nach  ritterschaß  mcre  gesucht.  Da, 
so  heißt  es  dann  weiter,  ward  ihm  die  Auszeichnung  zu  Theil,  daß  er 
fünfmal  mit  Glück  tjostierte.     Die  Fünfzahl    kann   hier  nicht  auffallen, 
erscheint  auch  sonst  als  runde  Zahl  gebraucht,  so  V.  783,  2505,  3400, 
2785,  3341,  3296.    —    Die  auf  2435  folgende  Zeile  scheint  mir  auch 
nach  dem  Verbesserungsversuche  Pfeiffers  noch  nicht  annehmbar.    Ich 
schlage  vor,  mit  noch  näherem  Anschluß  an  die  Hs. : 
also  daz  nie  ritter  baz 
zuo  genande:  im  fuogte  daz 
also  gröze  iverdekeit  u.  s.  w. 
Vgl.  Veld.  Eneit  171,  34:  die  wol  torren  genenden  ze  manischen  dingen, 
und  über  den  Gebrauch  von  genenden  die  Anm.  Haupts  zu  Büchl.  II, 
214,  sowie  die  Varianten  zu  Erek  2502  und  2556. 
2439   folg.     dise  just  het  er  genomen 

?,  man  ze  velde  ivcere  homen\. 
Die  Hs.  ee  yemand  statt  e  man.     Daher  ändere    ich:    e    iemen   wcer  ze 
velde  komen. 

2465  folg.     swer  im  gewartet  solde  hän, 

der  dorfte  dougn  niht  ruoioen  (an : 
man  sach  in  dort  und  nü  hie]. 
Der  zweite  Vers  ist  ungebührlich  überladen,  der  dritte  stilistisch  auf- 
fällig. Vielleicht : 

dem  dorfte  di  ougen  ruoioen  län: 
man  sach  in  dort,  man  sach  in  hie. 
Vgl.  in  Bezug  auf  die  letzte  Zeile  Erek  2220 :    ir  wart  nü  minner ,   ir 
ivart  me;  Gregor  1066:  er  was  schäme,  er  loas  starc;   Lieder  5,  3:  daz 
ist  min  site  und  ist  min  rät;  wahrscheinlich  auch  V.  3102:  sioaz  si  ver- 
nceme  od  sioaz  si  gesmhe,  und  nach  Beneckes  Vermuthung  V.  6634 :  hie 
floch  der  hof,    dort  flach  der  hof;    Bliker  ed.  Pfeiffer  186:    ich  wcene  ja, 
ich  warne  nein;  G.  Frau  1449:  er  ivas  frd  und  si  was  fro. 
2490  folg.     und  ergap  sich  im  dem  noch  nie 
voller  gnaden  zeran]. 
Entweder  hat  man  gap  für  ergap    zu    schreiben   oder,    was    mir   wahr- 
scheinlicher, im  zu  streichen.  Das  Metrum  bedarf  hier  einer  Nachhilfe. 
Vgl.  7486:    ivan  als  mir  da  bejach  von  dem  ich  die  rede  hdn;     V.  7792 
folg.  sollte  wohl  lauten:    daz  ze  deh einen   ziten    eines    hdres   sanfter   niht 
enlebet  der  üf  dem  ebenwäge   sicebet ,    wo   die   Hs.   nach   daz   noch   jener 
zufügt;  vgl.  auch  die   Varianten  zu  Iw.   1612. 


ZU  IIARTMANNS  EREK,  443 

2567  folg.     icäpenroc  und  kröne 

machte  in  dz  schone 

iinde  so  daz  da  zehant 

kein  ritter  was  so  verre  erkant]. 
Für  machte  in  üz  vermuthete  Haupt  nam  in  uz.  Nach  dem  mlid.  Wb. 
2,  16b,  31  hielt  Benecke  die  Bedeutung  zeichnete  ihn  aus  nicht  für  un- 
möglich. Ich  verweise  noch  auf  j.  Tit.  1959,  2:  manec  edel  fürste,  den 
sin  amie  uz  machet  liehter  danne  blüende  heide  grüene;  Berthold  94:  alle 
die  sich  dar  uf  zierent  und  üz  machent  daz  sie  die  Hute  verreizent  ze 
suntlichen  dingen. 

2579  folg.     daz  man  in  nande 

zem  besten  inme  lande. 
Die   Hs.   bietet  jn  dem  besten  in  seinem  lande.     Demnach    könnten    die 
Verse  auch  so  gelautet  haben: 

daz  man  in  sineni  lande 

in  den  besten  nande. 
2634.  ein  soldiers  nam  daz].  Soldiers  ist  wohl  Schreibfehler  für 
soldiere  oder  soldeniere  =  soldarius  Förstern.  A.  R.  24,  64;  Gregor 
1704,  Veld.  311,  40:  soldiere  :  schiere;  Parz.  64,  20:  soldier  :  Her;  Ludw. 
Kreuzf.  6430,  Ebernand  663 :  soldeniere  :  ziere ;  J.  Rothe  Ritt.  Sp.  2237: 
soldener  :  mer;  Mein.  Naturl.  12:  soldener;  mnrh.  soldegier  :ßer  in  Haupts 
Zeitschr.  3,  12,  200. 

2642.  ivand  er  die  sinen  sach].  Dem  Sprachgebrauche  des  Schrei- 
bers und  seiner  Zeit  ist  freilich  nur  die  sinen  gerecht ;  Hartmann  aber 
sagte  mit  den  meisten  seiner  Zeit-  und  Volksgenossen  wohl  nur  die 
si7ie,  vgl.  Anm,  z.  Iw.  5322;  ferner  Erek  2690:  als  diz  die  sine  heten 
ersehen;  Iwein  3737;  Lanzel.  132:  swer  die  sine  verkos;  Parz.  64,  3: 
die  sine  :  schine;  787,  1  :  die  sine  :  pine  (nach  der  Lesart  aller  Hs.); 
Willen.  10,  10:  Sarrazine  :  die  sine;  50,  13:  vierzehen  der  sine  :  pine; 
G.  Frau  749  u.  1161  ;  Exodus  in  Fundgr.  96,  15  :  die  dine  :  die  sine. 

2664.  niioan  ritter  drie].  In  der  Hs.  nun  drie,  daher  vielleicht 
niwan  die  (oder  dise)  drie,  vgl.  8763 :  niwan  dise  viere. 

2748   folg.     an  Erecken  fil  de  roi  Lac 
so  bejaget   da  niemen  mere: 
wand  er  bejagt  da  ere.] 
Die  Hs.  hat  im  2.   Verse:    so  b.  er  da,    im  3.  Verse:    wann   er  bejaget 
da  gut  und   ere.    Der  Schreiber  mag  den  dritten  Vers  für  zu  kurz  be- 
funden  und   darum   wann   er   bejagt   da    aus    der  vorhergehenden   Zeile 
zugefügt  haben;  für  Hartmann  genügte  wohl: 


444 


FEDOR  BECK 


so  bejaget  da  niemen  mere 
guot  unde  ere. 
Vgl.  die  Bemerkung  zu  2855. 

2789  folg.  er  woldes  niht  me  sihnen 
satel  heizen  rümen]. 
Die  zweite  Zeile  lautet  in  der  Hs. :  pat  auf  ze  r.  Lachmanns  Änderung 
liegt  zu  weit  ab  von  der  Überlieferung.  Besser  wohl :  er  bat  im  ez 
rümen,  oder  ern  beute  im  ez  rümen.  In  der  nachgeahmten  Stelle  des 
Lanzel.  5281  heißt  es:  wart  si,  wolten  ez  niht  rümen,  si  bäten  in  üz  (?  ez) 
rümen;  vgl.  noch  Erek  2978,  5002;  Herbort  10313.  Auch  Erek  754 
hat  die  Hs.  eine  ähnliche  Verderbniss  des  Textes. 

2798  folg.     darmgürtel  und  surzengel  brast ,  sam  ez  weere  ein  fülez 
hast].  Das  Neutrum  bast  ist  sehr  verdächtig  und  scheint  vom  Schreiber 
herzurühren.  Die  ältere  Zeit  kennt  bast  nur  als  st.  m.     So  noch  Hugo 
v.  Langenst.  Mart.   165,  40:  des  willen  im  niht  gebrast ,  daz  si  als  einen 
fülen  bast  in  und  den  heiser  aide.     Nur    bei    Süßkind    von  Trimberg  in 
MS.  v.  d.  H.  2,  259b  (4,  3)  finde  ich  :  guot  was  ie  daz  bast[e],  daz  man 
den  sac  da  mit  verbünde,  wenn  die  Stelle  nicht  auch  verderbt  ist. 
2855  folg.     (si)  enphienc  den  ir  mit  fr  enden  dd. 
ouch  tete  also 
diu  frowe  Ernte]. 
So  lauten  diese  Zeilen  nach  der  Hs.  Haupt  ändert  da  :  also  sä,  welches 
von  Seiten  des  Sinnes   wie   des  Metrums  bei  Hartmann  unnöthig  war. 
Gleich  kurze  Verse  hat  er  öfter,  z.  B.  4539:  Erec  heize  ich;    4694:  daz 
ichfrum  bin  (nach  der  Hs.);  4850:  dö  sprach  Keiin;  5115:  ouch  wart  Er ec, 
wo  Haupt  er  zufügt;  6716:  dar  üf  saz  er. 
2934  folg.     als  er  nie  wurde  der  man, 
also  vertreip  er  den  tac]. 
Auffallend    ist    der    man   als    Prädikat.    Vielleicht:    ein  der  man?    Vgl. 
mhd.  Wb.  1,  419%  30,  und  Lanzel.  2492:  so  bin  ich  ein  der  man. 
2985  folg.     daz  verkerte  sich  ze  handen 
icider  die  die  in  erkanden.] 
Statt   des   handschriftlichen  ze  handen   hat  Haupt    ze  schänden   gesetzt ; 
dann  fällt   aber  auf  die  Wiederholung  desselben  Reimwortes  und  Ge- 
dankens drei  Zeilen  weiter:  sin  hof-stuont  gar  nach  schänden.  Richtiger 
scheint  mir  daher: 

daz  verkerte  sich  zehant 
wider  die  den  er  ivas  erkant. 
3093  folg.     wird  von  Erek  erzählt: 

und  gebot  sinem  icibe  —  —  — 


ZU  II ARTMANNS  EREK.  445 

daz  si  muose  für  riten, 

und  gebot  ir  daz  zestunt 

daz  in  sprechenne  ir  munt 

zuo  der  reise  iht  uf  kevme, 

swaz  si  vernceme 

oder  iender  geseehe]. 
Das  zweimal  hinter  einander  gesetzte  gehot   bei   so   kurzem  Zwi- 
schenraum ist  verdächtig,    ebenso  in  vor  sprechenne  in  diesem  Zusam- 
menhange; iender  fehlt  überdieß  in  der  Hs.  Ich  vermuthe  daher: 

und  verbot  ir  da  zestunt 

daz  ze  sprechenne  ir  munt 

in  der  reise  iht  uf  kenne, 

swaz  si  vernceme 

oder  sioaz  si  geseehe. 
Vgl.  3962  folg.:  wand  er  verbot  ir  daz  ir  munt  ze  sprechen  iht  üf  kerne 
swaz  si  vernceme.  Wahrscheinlich  hat  der  Schreiber  aus  Fahrlässigkeit 
ze  und  in  vertauscht.  Über  in  der  reise  sieh  Lanzel.  6851 :  die  in  der 
reise  waren,  und  Pass.  K.  453,  69,  obwohl  sonst  häufiger  ist:  zuo  der 
verte,  wie  Erek  3125  und  ze  dirre  reise  3275;  für  in  der  reise  könnte 
auch  der  Acc  die  reise  stehen  wie  Parz.   189,  26. 

3155.  nü  kein  ich  des  wagsten  niht  ersehen].  Dieser  Vers  ist  über- 
laden. Ich  lese  daher:  ichn  Jean  des  wosgsten  niht  ersehen.  Vgl.  Iwem 
4871 :  sol  ich  daz  wwgest  ersehen. 

31S5  folg.     dir  sint  ritter  nähen  bi, 

die  dir  schadeut  mugen  si. 
Die   an   sich    recht    hübsche  Verbesserung   Lachmanns    liegt   für   mich 
immer  noch  dem  Wortlaute  der  Hs.  zu  fern ,  welche  sein  statt  bi  und 
im  2.  Verse  schade  mugen  sein  hat.  Näher  zu  liegen  scheint  mir: 

dir  sint  ritter  nahen  schin, 

die  dir  schade  mugen  sin. 
Über  schade  wesen  sieh  Hartm.  Büchl.  1,  836:  der  rife  und  der  wint, 
die  den  bluomen  schade  sint,  und  222,  sowie  die  Beispiele  bei  Sommer 
zu  Flore  846,  Zarncke  z.  Narrensch.  26,  2.  Schade  iceere  mit  C  ist 
wohl  auch  in  Strickers  Frauenehre  772  zu  schreiben;  Rüdiger  der 
Hunthover  in  Kolocz.  183,  998:  ez  ist  uns  schade  unt  schände;  Konr. 
Trojan.  34,  198:  Priemt  der  ivas  den  kriechen  scheeler  dann  iemen  anders 
bi  der  zit. 

3196  folg.  ir  nmget  wol  schouiven, 
an  ir  guote  sint  si  rzch, 
ir  kleider  sint  herlich. 


446  FEDOR  BECH 

Richtiger  scheint  mir,  das  Comma  nicht  nach  schouwen,  sondern  nach 
guote  zu  setzen  und  dann  fortzufahren:  si  sint  rieh.  Aber  auch  guote 
ist  sehr  verdächtig,  denn  das  guot  war  mit  den  Augen  nicht  zu  sehen, 
ward  nur  vom  Räuber  vermuthet,  wie  derselbe  V.  3200  sagt:  mich 
dunht  sl  fäerent  michel  guot.  Die  handschriftliche  Lesart  guete  leitet 
entweder  auf  gvvte,  d.  i.  geweete,  oder  auf  gvete,  d.  i.  geverte;  das  eine 
wie  das  andere  ist  jedenfalls  dem  Zusammenhange  angemessener  als  guote. 
3204  folg.     ir  sult  mir  die  real  län 

an  disem  roube 

und  daz  mir  erloube 

von  iu  iuioer  beider  munt 

die  ersten  just  hie  zestunt. 
Statt  von  iu  erwartet  man    vor  iu,    d.  i.    ehe  ihr   es  thut.    Unter  munt 
verstehe  ich  hier  palma  potestas  auetoritas,  wie  in  den  Beispielen,  welche 
das  mhd.  Wb.  236b,  17,  anführt:  äne  eines  frohstes  urloub  und  äne  sinen 
munt ;  daz  man  den  geswomen  des  keisers  munt  gebe  zu  reden. 
3261  folg.     ich  tet  ez  durch  nune  triuwe. 

weit  ir  ml,  daz  ez  mich  riuioe, 

so  vergebet  mirz  durch  iuwer  ere]. 
Der  Sinn  fordert:  enwelt  ir  niht  daz  ez  mich  riuwe:  =  wenn  ihr  nicht 
wollt,  daß  ich  künftighin  meine  Treue  gegen  euch  verläugne,  so  ver- 
gebet mir  diesmal  um  euretwillen.  Ähnlich  sagt  Enite  V.  3413:  ir  sult 
mich  des  geniezen  län,  daz  ichz  durch  triwe  hau  getan,  und  V.  4133  folg. 
3238  folg.    ja  verbot  ich  iu  an  den  lip 

daz  ir  niht  soldet  sprechen]. 
Zu  Hartmanns  Zeit  war  es  noch  sprachwidrig,  daz  niht,  daz  nie,  daz 
nieman,  daz  niender  zu  sagen  in  solchen  abhängigen  Sätzen,  die  eine 
Absicht  oder  einen  Zweck  ausdrückten  und  das  Zeitwort  im  Conjunctiv 
hatten.  So  namentlich  in  den  Sätzen,  die  von  Zeitwörtern  des  Sorgens, 
des  Bewahrens ,  des  Verhütens ,  des  Verbietens  (des  Zweifeins  ?)  ab- 
hängig waren,  vgl.  Gramm.  3,  737.  Demnach  muß  es  anstatt  niht  oben 
heißen  iht,  wie  es  3963  und  3099  richtig  steht.  Derselbe  Fehler  findet 
sich  V.  4218:  die  vielen  über  ir  herren,  daz  im  niht  möhte  gewerren, 
lies  iht  statt  niht.  Ferner  V.  8089  folg.:  daz  du  in  luvtest  bewart  vor 
dirre  leidigen  vart,  daz  er  niht  dar  waire  komen,  wo  höchst  wahrschein- 
lich auch  iht  für  niht  zu  schreiben  ist.  In  V.  8109  folg.  heißt  es:  diz 
geschach  niht  mit  schalle:  ez  wart  mit  murmel  getan,  daz  er  sichs  niht 
solde  entsidn:  lies  iht  statt  niht  im  letzten  Satze.  In  V.  9808  folg.:  so 
fluhen  si  daz  vor  leide  \  daz  st  dar  ninder  kämen  j  da  sifreude  vernämen: 
hier  hat  die  JIs.  darnider  statt  dar  ninder,  wofür  Müller  vermuthet  dar 


ZU  HARTMANNS  EREK.  447 

iender,  vorausgesetzt,  daß  daz  in  der  ersten  Zeile  stehen  bliebe.  Allein 
iender  ist  hier  darum  nicht  möglich,  weil  nach  der  Regel  dann  der  Con- 
junctiv  stehen  müßte,  also:  daz  st  dar  iender  qucemen  da  sifreude  ver- 
nahmen (wie  3099) ;  niender  wird  hier  das  Richtige  sein.  Ein  ganz  ähn- 
licher Fall  ist  V.  5021  folg.: 

und  leit  sich  rehte  urnbe  den  wec, 

daz  der  ritter  Erec 

niender  kosme  da  bi, 

ern  rite  rehte  für  si]. 
In  der  Hs.  komm  für  kceme.  Entweder  muß  man  niender  hom  schreiben, 
oder   falls   man    den  Conjunctiv   gelten   lassen    will,    niender   in   iender 
lindern.  V.  8400  folg.  steht  im  Text: 

ivier  daz  mähte  erioenden 

und  wie  er  im  den  rat  erkür 

daz  er  den  lip  niht  verlür: 
auch  hier  stand  wahrscheinlich  ehemals  iht  statt  niht;  ebenso  wird  es 
im  Gregor  303  heißen  müssen :  daz  ouch  unser  kindelin  mit  uns  iht  ver- 
lorn si  (vorher  heißts:  und  rinden  uns  etlichen  rät),  wo  Lachmann  niht 
geschrieben  hat,  in  D  aber  ich  statt  niht  steht.  Auch  im  Iwein  finden 
sich  noch  einige  Stellen,  in  denen  Lachmann  das  niht  gegen  die  Regel 
hat  stehen  lassen.  So  V.  2731  folg. :  ez  ist  guot  -  -  daz  maus  ime 
gnade  sage,  daz  er  dar  ane  niht  verzage.,  wo  iht  durch  BDE  empfohlen 
ist;  V.  4238  folg.:  ditz  sol  allez  ergän  daz  si  niht  wizzen  wer  ich  s7, 
wo  mit  E  wohl  iht  für  niht  zu  schreiben  ist,  so  daß  dann  der  Con- 
junctiv, den  Lachmann  dort  angezweifelt  hat,  nichts  Sprachwidriges 
mehr  bietet.'  —  Iw.  4490  ist  gegen  Hartmanns  Weise  wie  gegen  die 
bessern  Handschriften  in  den  Text  gesetzt:  got  welle  daz  ichz  niht 
gelebe',  statt  dessen  müsste  es  heißen:  got  welle  daz  ichz  iht  gelebe; 
aber  ich  glaube,  an  der  Lesart  der  bessern  Handschriften  war  nichts 
zu  ändern:  got  enwelle  niht,  daz  ichz  gelebe;  — ■  V.  7687  folg.:  so  sult 
ir  iuwer  reht  bewarn,  daz  ir  mir  niht  geivalt  tuot:  hier  hätte  iht  beibe- 
halten werden  können  nach  BDa,  falls  man  tuot  für  den  Conjunctiv 
halten  dürfte;  —  von  allen  Handschriften    und    zwar   wider   die  Regel 

gestützt,  finde  ich  niht  in  Iw.  1081  folg.:  da  muose  man sich 

vil  teol  bewarn  vor  der  selben  slegetnr,  daz  man  den  lip  da  niht  verlür.  — 
Als  beweisende  Stellen  für  obige  Regel,  wonach  iht  für  niht  steht,  führe 
ich  noch  an:  Erek  225,  419,  827,  476,  2271,  4645,  4950,  5836,  8351 
— 8354;  daß  die  spätem  Handschriften  den  Unterschied  zwischen  beiden 
Wörtern  oft  verkannten,  davon  zeugen  auch  die  Varianten  zu  Gregor 
304  und  431,  zu  Iw.  3859  und  8117  u.  s.  w. 


44S  PEDOR  BECH 

3269  folg.     dochn  kurnt  iuz  niht  ze  heile: 
ich  rieh  mich  an  einx  teile]. 
Für  rieh  findet  man  in  der  Hs.  reche;   daher  vielleicht:   ichn  rechez  an 
einem  teile. 

3408  folg.     und  macht  man  dehein  ere 
an  wlbe  Üben  begän, 
ez  solde  niht  so  ringe  stän, 
ich  noeme  iu  zehant  den  lip]. 
So  nach  Lachmann.     Die  Hs.  hat  im  2.  Verse  bloß:  an  weyben  begdn; 
Müller  will :  iht  an  io.  b. ;    ich  vermuthe :  an  iu  wiben  b.    Die  folgenden 
Verse  würde  ich  so  ändern: 

ezn  solde  niht  so  ringe  stän, 
ichn  nceme  iu  hie  zehant  den  üp. 
3427.     ir  blibt  niht  räche  gar  fri\.     Die  Form    blibt    ist   Hartmann 
schwerlich  gerecht.     Hier   scheint   die  Umstellung   geboten:    ir  belibet 
räche  niht  gar  fri;  vgl.  8619:  was  sin  herze  niht  gar  fri. 

3462  folg.     diu  gotes  hovescheit  —  da  wider  strebte, 
daz  ir  nie  dehein  groz  ungemach 
von  den  rossen  niene  geschach]. 
Der  2.  Vers  scheint  von  späteren  Händen    um    eine   oder  zwei  Silben 
vermehrt  zu  sein;  nie  oder  das  folgende  niene  ist  überflüssig;  auch  das 
in  der  Senkung  stehende  groz  sieht  aus  wie  ein  Flickwort. 

3514.  er  sprach:  herr,  iccerz  iu  niht  leit].  Aus  dem,  was  die  Hs. 
gewährt:  herre  und  wer  es,  schließe  ich  auf:  er  sprach',  enivcerez  iu  niht 
leit.  Die  Anrede  herre  konnte  hier  wegbleiben,  da,  wie  vorher  erwähnt 
ist,  die  Begrüßung  bereits  stattgefunden  hatte.  Auch  V.  3734  steht: 
herre,  waere  ez  iu  niht  leit ,  wo  wahrscheinlich  auch  enwoßre  zu  lesen  ist. 
Wie  in  dieser  Redensart  die  spätem  Handschriften  das  ne  gerne  tilgen, 
zeigen  die  Varianten  zu  Iw.  6304:  er  sprach:  eniocere  ez  iu  niht  leit,  so 
het  ich  gerne  vräge;  dort  hat  A  allein  das  ne  bewahrt,  Ea  schreiben 
dafür  un,  die  übrigen  lassen  es  ganz  weg. 

3551.  die  twehel  leite  er  üf  daz  gra$~\.  Wahrscheinlich  ist  die  tweheln 
zu  lesen  wie  in  V.  3666:  an  der  tweheln  ort.  Die  starke  Form  in  V.  3494: 
in  eine  dwehel  wize,  rührt  von  Haupt  her,  denn  dort  bietet  die  Hs. :  in 
eines  diebes  icise.  Die  ältere  Zeit  gewährt ,  so  weit  mir  bekannt ,  kein 
sicheres  Beispiel  starker  Flexion ;  erst  Helbling  7,  490,  und  noch  später 
Hans  von  Bühel  flectieren  stark,  Dyoclet.  7319:  so  ivirt  nun  muoler  mir 
die  zwehel  lialten  dar,  und  7775 :  do  kouft  er  sinem  gesellen  umme  ein  hant- 
wehd.  Das  Wort  ist  übrigens  auch  wieder  herzustellen  in  Haupts  Ztschr. 


ZU  HARTMANNS  EREK.  449 

8,   152  (259):  s?  ne  vorderent  dwahelen  niht  unde  mantele ,  wo  die  Hs.  ou 
uaelen  dafür  hat  (vgl.  V.  267 :  ncen  :  bcen  =  nähen  :  bähen). 

3600.  icider  umbe  riten  begunde  er  dfi\.  Modem  klingt  umbe  und 
ist  wohl  Zusatz  des  Schreibers.  Hartmann  und  seiner  Zeit  war  wider 
riten  ausreichend  für  das  Rons  umwenden ,  zurück  reiten ,  wieder  davon 
reiten,  vgl.  358,  Iwein  379,  3778,  5044  u.  s.  w.  Denselben  Fehler  ver- 
muthe  ich  in  V.  9007:  und  begunde  gälten  |  wider  umbe  zuo  dem  fremden 
man,  wo  umbe  gleichfalls  zn  streichen  ist. 

3641   folg.     urloubes  begunden  st  da  gern 
unz  er  st  muoste  gewern\. 
Zu  gewern  vermisst  man  das  Object,  daher  ist  wrohl  sts  statt  st  zu  schreiben. 

3669.  daz  er  die  frouwen  erliez].  In  der  Hs.  verliez,  und  dies 
brauchte  nicht  geändert  zu  werden ;  verläzen  im  Sinne  von  —  loslassen, 
gehen  lassen,  steht  öfter  im  Iwein ;  erläzen  aber  erfordert  bei  Hartmann 
noch  einen  Genitiv  wie  V.  3700. 

3732  folg.  {daz  st)  an  dem  tische  säzen 
und  niht  mit  einander  äzen\. 
ensament  für  mit  einander  würde  den  Vers  mehr  glätten;  ensament  mit 
bey  einander  vertauscht  von  spätem  Correctoren  zeigen  die  Varianten 
zu  Iwein  6296  u.  7031;  vgl.  auch  zu  Erek  4495.  In  Erek  3233  giebt 
zuo  einander  geleit  keinen  rechten  Sinn  ;  es  scheint  dort  der  Schreiber 
seine  Vorlage  misverstanden  zu  haben,  in  der  es  wohl  hieß:  zuo  dem 
sätnen  geleit,  vgl  Iwein  7086;  Konr.  Troj.  32773;  Parz.  60,  19;  j.  Tit. 
1351,  4.  Heinr.  v.  d.  Türlin.  4601. 

3812.     ze  xoibe  und  ze  knehte 

und  ze  frowen,  swie  er  mich  wil  hän, 
des  bin  ich  im  alles  undertän]. 
In  der  Hs.   fehlt   swie;    durch    Hinzufügung    desselben    wird    der  Vers 
überladen;  überdieß  können  die  Worte:  und  ze  froiuen  zum  Besten  des 
Sinnes  entbehrt  werden.  Sonach  bringe  ich  in  Vorschlag: 

ze  sicederm  er  mich  xoil  hän ; 
Daß  siceder  in  Jüngern  Handschriften  oft  verwischt  wurde,  weil  es  früh 
außer  Gebrauch  gekommen  war,  bedarf  keiner  Erinnerung. 

3912.  ez  enkuinbert  iueh  niht  svre].  niht  ist  Haupts  Zuthat.  Besser 
noch,  glaube  ich,  würde  hier  borsere  statt  niht  svre  gepasst  haben ;  dann 
hieße  es :  es  wird  euch  nicht  allzuviel  Mühe  machen ,  euch  nicht  zu 
schwer  werden.  Der  ironische  Sinn,  welcher  in  borsere  liegt,  wäre  hier 
durchaus  angemessen.  In  ähnlichem  Zusammenhange  heißt  es  V.  8568 
nach  Beneckes  Verbesserung:    ezn  priset  in  borsere,  wirt  im  des  siges  an 

GERMANTA  VII.  29 


450  FEDOR  BECH 

mirgejehen,    d.  h.  es  bringt  ihm   nicht  oben  viel,  herzlich  wenig  Ehre, 
wenn  er  mich  besiegt. 

3939  folg.     mit  schaenen  wibes  listen 

begunde  si  do  fristen 

ir  ere  und  ir  mannes  lip. 

frowe  Enite  was  ein  getriwez  wip. 

sus  überrette  si  den  man, 

daz  er  seiltet  mit  urloube  dan 

ftf  sollte  ungewisheit, 

als  ich  iu  da  hän  geseit\. 
Da  die  vierte  Zeile  an  Überladung  leidet,  hat  W.  Grimm  vorgeschla- 
gen, si  in  der  2.,  teas  in  der  4.,  sowie  den  Punkt  in  der  3.  Zeile  zu 
streichen.  Aber  auch  so  bleiben  die  Verse  etwas  matt.  Annehmlicher, 
wenn  auch  gewaltsamer,  ist  Lachmanns  Vermnthung:  si  was  ein  getriuwez 
wip.  Ich  glaube,  wenn  ein  Wort  zum  Frommen  des  Metrums  wie  des 
Sinnes  entfernt  werden  muß,  so  ist  es  getriuwez.  Mit  besonderem  Nach- 
drucke sagte  der  Dichter:  frowe  Enite  was  ein  wip.  Enite  hatte,  wie  es 
im  Charakter  der  Frauen  liegt,  dem  Manne,  dem  Stärkeren  gegenüber, 
sich  der  Waffen  bedient,  auf  die  das  schwächere  Geschlecht  in  der  Noth 
angewiesen  ist  und  auf  die  es  sich,  wenn  es  gilt,  so  meisterhaft  ver- 
steht, nämlich  der  List.  Enite  war  ein  Weib,  will  Hartmann  sagen, 
wie  konnte  sie  anders  handeln?  In  Hartmanns  Gedichten  kehrt  diese 
Auffassung  des  weiblichen  Charakters,  ja  dieselbe  prägnante  fast  sprich- 
wörtliche Ausdrucksweise  verschiedentlich  wieder.  So  Iwein  3128  folg., 
4072,  5629,  7674  folg.,  7860;  ebenso  spricht  und  urtheilt  Wolfram, 
z.  B.  Parz.  450,  5  folg.:  icip  sint  et  immer  wip'.  werliches  mannes  lip 
hänt  si  schier  betwungen:  in  ist  dicke  alsus  gelungen;  und  518,  25:  diu  wip 
täten  et  als  wip;  vgl.  auch  die  Sprüche  im  Freidank  104,  23 — 27.  — 
Weiter  scheinen  mir  auch  die  6.  und  die  7.  Zeile  der  Verbesserung 
bedürftig.  Die  erstgenannte  lautet  in  der  Hs.:  daß  er  mit  Urlaub  schiede 
von  dann.  Der  Schreiber  scheint  sonach  schiede  aus  der  folgenden  Zeile 
heraufgerückt  zu  haben.  In  dieser  letzteren  ist  wieder  ungewisheit  ver- 
dächtig, das  dem  Schreiber  wohl  räthlicher  scheinen  mochte,  weil  er 
die  Ironie  nicht  begriff,  welche  hier  gerade  mit  gewisheit  vom  Dichter 
beabsichtigt  war.  Demgemäß  würde  ich  schreiben: 

daz  er  mit  urlouhe  dan 

schiede  fif  sollte  gewisheit, 

als  ich  iu  da  hän  geseit. 
Nämlich   V.  3897  folg.  hat  Enite  aus  List,  um  sich  seines  stürmischen 
zudringlichen   Antrages  zu  erwehren,    dem  Grafen   gegen   das   eidliche 


ZU  HARTMANNS  EREK.  451 

Gelübde  der  Treue  den  Handschlag  gegeben:  ouch  ga/>  .v  im  da  ze  siat, 
ze  leistenne  des  er  gebot,  ein  ungewissez  phant,  ir  triuwe  an  sine  hant.  Auf 
diese  Stelle  ist  vom  Dichter  hier  verwiesen;  solhe  gewisheil  als  ich  iu  da 
hau  geseit  ist  also  eine  bloße  Umschreibung,  ein  milderer,  mehr  spötti- 
scher Ausdruck  für  das  oben  berührte.  Ungewisse  phant,  ungewisheit. 
4015  folg.     der  wirt  neig  im  an  den  fuoz. 

als  ein  man  gewinnen  muoz, 

so  wirt  er  herzenliche  fro]. 
Natürlicher  scheint  mir,  was  die  Hs.  an  die  Hand  giebt,    welche  was 
für  wir}  hat:  dies  giebt  einen  ganz  guten  Sinn,  sobald  man  vor  gewinnen 
noch   der  hinzusetzt. 

4027  folg.     e  daz  sich  Erec 

üf  machte  vf  den  wec\ 
Pfeiffer  hat  mit  Recht  das  erste  üf  im  2.  Vers  beanständet.  Darf  nicht 
für  statt  vf  gelesen  werden?    vgl.  5005:  daz  er  sich   balde  \    für  mache 
üf  den  wec. 

4143.     wan  st  zerbrach  ez  da  zehant].   Das  ez  fehlt  in  der  IIs.     Es 
könnte  daher  mit  verbindender  Wortfolge   so  gelautet  haben  : 

wan  si  ez  brach  da  zehant. 
4150  folg.     von  wiu  kam  daz  diu  frowe  baz 

beidiu  gelahrte  unde  sach  ?] 
Anstatt  i'on  wiu  bietet  hier  die  Hs.  von  wanne,  so  wie  im  V.  4186: 
von  wann  statt  von  wiu.  Sollte  von  wanne  oder  wannen  für  Hartmann 
so  unbedingt  zu  verwerfen  sein  ?  Sonst  findet  sich  bei  ihm  von  wanne 
noch  im  Gregor.  1052  (C.  wavon),  1055  (C.  wanne))),  2399  (E.  F.  von 
wannen),  von  wannen  1689  und  Erek  9335;  5154:  von  wannen  diz 
phlaster  nuerme,  wo  Haupt  von  gestrichen  hat;  4354:  wann  wurde  iu 
Lasters  btioz,  bestüendet  ir  mich  darnach,  wo  wen  für  wann  in  den  Text 
gesetzt  ist;  hier  ließe  sich  wohl  wannen  halten.  Vgl.  außer  den  Citaten 
im  mhd.  Wb.  3,  504  noch  Lanzel.  1619  :  wer  er  watr  und  wannen  (:  mannen)  ; 
G.  Frau  1517:  ich  gedachte  icannen  ez  kam  und  wie  ez  einen  urhapgewan; 
G.  Abent.  2,  7,  71:  wannan  kam  iu  daz  heselin;  H.  v.  d.  Türl.  28839: 
wanne  diu  rede  waire  geschehen;  28983:  iclin  weiz  xoanne  ez  uuere  gescheiten; 
Herbort.  Troj.  3747:  des  icunderte  sie  gemeine  wan  abe  daz  werre ,  daz  er 
u.  s.  w. ;  Myst.  2,12:  wannan  von  weistu  daz.  In  Gregor.  1462  B. : 
swannan,  A.  von  swanne;  Gr.  Gerhart  6420:  von  swannen;  G.Frau  1977: 
swannen  si  käme  in  daz  laut. 

4184  folg.     da  mac  man  wol  kiesen  an 

daz  ir  si  (sc.  Ernten)  ir  vater  habt  genomen. 

von  wiu  wer  ez  anders  komen?] 

29::: 


452 


FEDOR  BECH. 


Im  letzton  Verse   scheint   ohne   Noth    geändert.     In  der  Hs.  steht  von 
wann  were  sy ;  daher  war  zu  schreiben:  von  wannen  wcer  n  anders  komen. 
An  eurem  Benehmen,  sagt  der  fremde  Kitter  zn  Erek,  sieht  man,  daß 
ihr  das  Weib  ihrem  Vater  geraubt  habt;  woher  wäre  sie  sonst  in  eure 
Gewalt  gekommen?  oder  wie  wäre  sie  sonst  hieher  gelangt?  ihre  An- 
gehörigen würden  sie  nicht  einem  Manne  wie  ihr  seid  gegeben  haben. 
4586.     darnach  reit   er  Erec\.     Die   Hs.    kennt   er  =   her   nicht; 
Lachmann  hat  hier,    wie   er   es  im  Iwein  gethan    (vgl.  Anm.  z.  1062, 
2962,    4865),    dem  Dichter   eine    seiner  Mundart   völlig  fremde   Form 
aufffedrunsren.    In  Erek  5115  ist  es  Zuthat  Haupts,  wo  für  Hartmann 
der  kurze  Vers  genügt,  ouch  wart  Erec)  desgl.  ist  in  V.  4722  entweder 
er  zu  streichen  oder  ir  zu  schreiben.  Vgl.  diese  Zeitschr.  5,  498. 
4588  folg.     niht  langer  daz  vermiten 
sine  juncherren, 
st  liefen  gegen  ir  herren\ 
Lies  sine  liefen.    So  Barlaam  5,  9:    vil  käme  ich  daz  vermide  ich  müeze 
eziu  zediute  sagen,  wo  B  liest  ine  müeze;   Iwein  1100:    daz  slegetor  niht 
enmeit,  ezn  schriete  tsen  unde  bein;    MS.   1,  50b:    und  ich  des  niht  mtden 
tvolde,  ichn  höhte  ir  lop. 

4697  folg.  im  gesehet  mmen  herren,  \  ivand  ez  in  niht  rnac  werren]. 
Das  in  der  Hs.  stehende  gewerren  ist  ohne  Noth  verworfen. 

4796.  do  lech  er  mirz  an  dirre  stat].  Was  soll  hier  an  dirre  stat? 
Bessern  Sinn  gewährt  an  der  stat  —  auf  der  Stelle,  sogleich.  Vgl.  Iwein 
7169,  Erek  5032,  6801. 

4829  folg.     durch  got  sagt  mir  wer  ir  stt? 
er  sprach:  niht  ze  dirve  zit\. 
Da  die  Hs.    im  niht    statt  niht  hat,    so    könnte    der  Vers    ursprünglich 
gelautet  haben:  er  sprach:  nein  ich  ze  dirre  zlt. 
4942  folg.     nü  bat  uns  da  ze  stunde 
äne  not  so  verre 
diu  Jcänegin  und  mm  herre 
daz  wir  u.  s.  w.]. 
Der  Ausdruck  äne  not  giebt  hier  keinen  passenden  Sinn.  Uberdieß  hat 
die  Hs.  hat  statt  bat;  daher  scheint  in  ane  not  ein  Particip  zu  stecken. 
Ich  glaube,  es  hieß  ursprünglich : 

nil  hat  uns  da  ze  stunde 
ermanet  (oder  gemanet)  also  verre  u.  s.  w. 
Vgl.  4871,    wo  der  König  zu  Gawein  sagt:    na  uns  gern ant\   und  4880 
erwiedert  Gawein  dem  Könige:  herre,  errnant  miclis  niht  so  verre! 


ZU  HARTMANNS  EREK.  453 

2945.  daz  wir  iu  Uten  her  ?iaeh\.  Müller  will  her  gestrichen  haben. 
Untadelich  wäre  hin  nach.  Auch  V.  3180  steht:  her  umbe  si  zuo  im  sach, 
während  es  in  derselben  Verbindung  V.  3377  heißt:  vil  dräte  sl  hin 
umbe  sach, 

4959  folg.     mich  hat  der  künec  verschuldet  ivol 

daz  ich  im  immer  ivesen  sol 

mxnes  maotes  undertän]. 
Ich  vernmthe:         noch  hat  der  künec  verschuldet  wol 

umb  mich,  daz  ich  im  immer  sol 

mins  muötes  icesen  undertän]. 
Zuvor  hat,  Gawein  Ereken  im  Auftrage  des  Artus  dringend  ersucht, 
an  des  Königs  Hof  zu  kommen,  wenn  er  noch  seiner  Huld  und  Liebe 
eingedenk  sei.  Mit  Bezug  darauf  antwortet  hier  Erek :  was  seine  Er- 
gebenheit und  Treue  betreffe,  so  sei  diese  heute  noch  wie  ehemals, 
und  walte  bei  ihm  kein  Zweifel  ob,    daß  der  König   wohlbegründeten 

Anspruch  darauf  habe    (noch wol) ;    was    aber   den    andern  Punkt 

anbelange  (V.  4966 :  diss  muoz  ich  entwern),  daß  er  jetzt  an  seinem  Hofe 
erscheinen  solle,  dazu  könne  er  sich  jetzt  nicht  verstehen. 

5025  folg.  Gawein  sucht  Ereken  mit  List  im  Gespräche  auf- 
zuhalten, und  daz  er  im  die  stunde 

mit  kurzem  wege  abe  genam, 
unz  daz  der  künec  für  kam]. 
Unverständlich  ist  hier  der  Ausdruck  mit  kurzem  wege;  man  erwartete 
mit  kürzenne  (vgl.  V.  8189  :  nü  kürzte  in  die  stünde  der  icivt  so  er  beste 
künde  und  Gottfr.  Trist.  205,  10)  oder  mit  kurzer  wile.  Außerdem 
würde,  wenn  man  dem  Dichter  hier  einen  ungenauen  Keim  zutrauen 
dürfte,  abe  gewan  weit  besser  als  abe  genam  gepasst  haben:  vgl.  über 
cehein  und  ruon  im  Keim  Haupts  Einl.  z.  Erek  S.  X^  . 

5058.  da  hän  ich  nü  niht  zuo\.  Lachmann  denkt  au  niht  muoteszuo; 
ich  glaube  es  kann  heißen:  da  ne  kan  ich  nü  niht  zuo,  d.  i.  darauf  ver- 
stehe ich  mich  jetzt  nicht,  vgl.  Gregor.  1365:  dune  kamt  ze  ritterschaft 
niht  und  die  Beispiele  bei  Sommer  zu  Flore  6634  und  bei  Zarncke 
z.  Narrensch.  55,  8. 

5141  folg.     heißt  es  von  einem  wimderthätigen  Heilpflaster : 

allen  arc  ez  vertreip, 

sioaz  ez  guotes  vant  daz  bleij>]. 
Da  die  Hs.  alles  args  bietet,    so  glaube  ich    wird   mit  besserm  Rechte 
allez  arge  geschrieben,  vgl.  Trist.  248,  36:    iuch  dunket  ie  daz  arge  guot, 
daz  guote  dunket  iuch  ze  arc     Für  daz  bleip  würde  außerdem  beleip  zu 
lesen  sein. 


454  b'EDOR  BECH 

r>  ü  12.  diu  erde  deheine  würzen  truoe].  Alterthümlicher  wäre  de  keine 
würz  entruoc. 

5268.  da  enstuont  doch  kein  bete  zuo].  Für  doch  würde  et  noch  besser 
sich  eignen ,  welches  hier  dieselbe  Bedeutung  haben  und  in  demselben 
Zusammenhange  stehen  würde  wie  in  den  von  Ben.  Wb.  z.  Iwein  124 
aufgeführten  Beispielen. 

5328  folg.     daz  doch  niemen  wcere  \  also  vestes  herzen,   \   het  er  ir 

smerzen  |   zuo  den  ztten  gesehen   | sie  müeste  im  erbarmeri\.  Cor- 

recter  und  alterthümlicher  würde  sein:  sine  müeste,  wie  V.  1591. 

5411  folg.  Von  den  beiden  Riesen,  welche  einen  Ritter  aufs  Pferd, 
gebunden  haben  und  ihn  auf  alle  Weise  martern,  heißt  es : 

sl  brachen  vaste  ritters  reht 

und  handelten  den  guoten  kneht, 

und  wcere  er  begangen 

an  diebes  stat  gevangen, 

solher  zuht  wcer  ze  vil]. 
In  dieser  Fassung  bleibt  die  zweite  und  die  dritte  Zeile  unverständlich 
und  darum  verdächtig.  Ich  vermuthe  daher:  sus  handelnde  den  g.  kn. 
Die  Riesen  verletzten  ritterliche  Sitte ,  indem  sie  den  Ritter  so  behan- 
delten; selbst  wenn  er  bei  einem  Diebstahl  ertappt  und  gefangen  worden 
wäre ,  wäre  solch  eine  Strafe  noch  zu  arg  gewesen.  Man  könnte  dem 
Zusammenhange  aber  auch  dadurch  nachhelfen,  daß  man  in  der  3.  Zeile 
schriebe :  sam  er  wcere  u.  s.  w. 

5511   folg.     der  stielt  ergie  mit  solher  kraft, 

daz  im  u-ol  ellenlanc  der  schaft 

üz  gienc  vor  den  ougen, 

wie  kleine  ers  wolde  lougen 

ern  sige  zuo  der  erde  tdt, 

als  der  höcesche  gebot]. 
Der  Speerstich  war  dem  Riesen  engegen  in  sin  houbet  gefahren  nach 
V.  5509,  weshalb  es  kaum  richtig  sein  kann,  wenn  es  weiter  heißt  von 
dem  Schaft,  der  in  seinem  Haupte  sitzen  blieb :  der  schaft  üz  gienc  vor 
<ln,  ougen.  Wahrseheinlich  hieß  es  üz  hienc.  —  Im  Folgenden  bringt 
die  11s.  trawen  statt  des  von  Lachmann  vermutheten  lougen.  Möglich, 
daß  der  Schreiber  kleine  misverstand  und  darum  änderte;  es  könnte 
aber  auch  der  Fall  gewesen  sein,  daß  er  ougen  sw.  v.  vorfand  und  sol- 
ches als  rührenden  Reim  verwarf.  Für  ern  sige  hat  die  Hs.  e?*stach  in, 
welches  sehr  leicht  aus  er  seic  hin  verlesen  sein  kann.  Die  letzten  drei 
Verse   winden  hiernach  also  lauten: 


ZU    IIAKTMANNS   EREK.  455 

swie  kleine  ers  wolde  lougen, 

er  seic  hin  zuo  der  erde  tot-, 

als  der  u.  s.  w. ; 
d.  h.  wie  sorgfältig  er  es  auch  zu  verbergen  suchte,   wie  .sein-  er  sich  auch 
dagegen  sträubte,  es  half  ihm  nichts,  er  sank  toclt  zur  Erde   nieder. 

5517  folg,     als  sin  geselle 

daz  grdze  gevelle 
gesach  von  dem  micheln  man\. 
Hier  fallt  auf  von  dem  micheln  man,  wofür  man  in  Hinblick  auf  sin 
geselle  eher  einen  pronominellen  Ausdruck  erwartet  hätte.  Bessern  Sinn 
gibt  von  drin  wenigen  man  und  dies  auf  Erek  bezogen :  der  große  Sturz, 
der  von  dem  kleinen  Manne  bewirkt  worden  war.  Vgl.  7114:  der  vil 
wenige  man. 

5535  folg.     Von    dem    auf  Erekes    Schild   losschlagenden   lviesen 
heißt  es:  daz  herte  bret  er  weichte, 

daz  ez  sich  wol  en  drizic  kloup 

linde   hohe   üf  stoiip. 

aus  der  crafft  weere 

der  kolbe  was  so  swecre  u.  s.  w.J. 
Gegen  endrizic  hat  sich  bereits  Pfeiffer  erklärt  und  gewiss  mit  gutem 
Grunde.  Nur  zweifle  ich ,  ob  en ,  ze  sprizen  gerade  hier  das  echte  ge- 
wesen ist;  den  Schriftzügen  der  Hs.  kömmt  wohl  noch  näher  en,  ze 
drunzen  (trunzen) ,  vgl.  Konrad  im  Trojan.  6040:  vil  schefte  er  üf  den 
tieren  stach  ze  stucken  und  ze  trunzen.  Den  3.  und  4.  Vers  lese  ich  so: 
unde  hohe  üf  stoup  \  swaz  dran  gehajt  waere. 

5545  folg.     c  em  ze  slage  vollereit, 
Brechen  het  sin  snelheit 
an  in  und  wider  dan  getragen]. 
So  lauten  die  Verse  nach  der  Hs.;  nur  in  der  3.  Zeile  ist  dan  von  mir 
gesetzt  für  das  den  Vers  störende  von  im.  Für  Lachmanns  gewaltsame 
Änderung  vermag  ich  keinen  hinreichenden  Grund  zu  finden. 

5582  folg.     daz  er  ze  deheinen  stunden 

den  boumen  mohte  entwichen: 
er  muoste  sich  dran  strichen]. 
Wahrscheinlicher:  ern  müese  u.  s.  w. ,  vgl.  Gregor.  3302  —4:  das  im  nilit 

was  entwich)  u,   eine  het  s/u  alten  hunst  unz  her  behalten. 

5668  folg.    ja  wirt  es  nieman  erlän, 

swer  so   mauheit   Heben    wil 

in  bringe  geschiht  üf  daz  zil  u.  s.  w.] 


455  I  EDOB   BECH 

Für  ja  ist  wohl  jäne,  für  in  bringe  sicher  in  enbringe  zu  schreiben,  vgl. 
die  Beispiele  bei  Benecke  Wb.  z.  Iw.  S.  119. 

5590  folg.     und  bralile  den  eilenden  man 

wider  ze  sinem  wibe 

mit  ganzem  Übe 

und  doch  anders  ungesunden, 

als  er  in  liete  funden, 

mit  geisein  zersingen]. 
Für  ungesunden,  welches  Haupt  gesetzt  hat,  bietet  die  Hs.  gesunden. 
Der  beabsichtigte  Sinn  scheint  mir  der  zu  sein :  Erek  brachte  den  un- 
glücklichen Ritter  wieder  zu  seinem  Weibe,  der,  obwohl  von  Geisel- 
hieben stark  mitgenommen ,  doch  noch  am  Leben  war.  Demgemäß 
würde  ich  so  ändern: 

und  brälite  den  eilenden  in  an 

wider  zu  sinem  icibe 

mit  ganzem e  Übe 

und  ouch  anders  gesunden, 

als  er  in  hete  funden, 

niwan  mit  geisein  zerslagen\- 
Ähnlich   lässt  Hartmann   den  verwundeten  Erek   sprechen   in  V.  6994 
folg.:  mir  enioirret  nihf,   \   ich  bin  anders  icol  gesunt,   \    wart  da  ich  von  tu 
xoart  icunt. 

5616.     als  der  ein  glas  -wol  schüebe? 

5759  folg.     daz  hdr  si  vaste  uz  brach 
an  ir  Übe  si  sich  räch 
nach  iciplichem  site~\. 
Ebenso  Konrad  von  Fussesbrunnen    in   der  Kinth.  92 ,  36  folg. :    an  ir 
selber  si  sich  räch  \  als  ein  tobunde  wvp  si  brach  \  daz  hdr  uz  der  swarte. 

4467  folg.     er  sprach:  ichn  muote  mere 

von  iu  deheiner  ere 

wan  daz  ir  mir  äne  schämen 

rehte  nennet  iwern  namen : 

ichn  muote  ze  dirre  zit, 

wan  daz  ich  icizze  teer  ir  sit\. 
Die  zwei  letzten  Verse  scheinen  sehr  verdächtig,  weil  sie  unnöthig  und 
ungeschickt  das  wiederholen,  was  in  den  vorhergehenden  gesagt  ist. 
Am  unangenehmsten  berührt  die  Wiederholung  von  ichn  muote,  bei  dem 
das  Fehlen  des  Genitivs  auffällt.  Ich  schlage  daher  vor,  beide  Verse 
als  unächte  zu  streichen. 


ZI     HARTMANNS  EREK.  457 

4641   folg.     also  daz  er  wol  valsches  wen 

li'iti ■/•  sam  ein  Spiegelglas]. 
In  der  Hs.  vol  statt  a-ol.  Vom  Genitiv  nach  lüter  kenne  ich  kein  Beispiel, 
wohl  aber  heißts  im  Wigal.  29,  4:  wan  si  vor  allem  valsche  was  lüter  als 
ein  Spiegelglas,  und  bei  H.  von  Morungen  in  MSFr.  122,  14:  doch  ist  vil 
lüter  vor  valsche  ir  der  lip.  Demnach  wird  auch  hier  das  Richtigere  sein: 
vor  valsche  statt  vol  valsches. 

5988  folg.     du  für  geheeret  kein  list, 

man  m'üeze  im  smen  willen  län~\. 
Dem  Dichter  war  wohl  angemessener:  dafür  enheeret  dehein  list,  man  en- 
müeze  im  sinen  willen  län. 

5832  folg.     wä  nu  hungerigiu  tier, 

bede  icolf  nnde  her, 

lewe,  iuwer  einez  käme  her 

und  ezze  uns  beide]. 
Daß  diese  Stelle  verderbt  sei,  hat  Pfeiffer  gezeigt.    Nur  halte  ich  bede 
nicht  für  fehlerhaft,  sondern  glaube,    daß  die  3.  Zeile  folgendermaßen 
lautete :  welle  iwer  ein,  ez  kume  her. 

6058  folg.     ich  icils  ouch  langer  niht  enbern 

ez  werde  danne  volbrdht]. 
Für  ez  hat  man  ezn  zu  schreiben,    vgl.  die  Beispiele  im  mhd.  Wb.  1, 
156%  30  folg. 

6086  folg.     verßuochet  si  diu  stunde 

daz  man  dich  smiden  ie  began]. 
Verfluochet  hat  Haupt  gesetzt  für  das  handschriftliche  aice  verflucht.  Man 
kann  streiten,  welches  von  den  beiden  Wörtern  dem  Auer  mehr  ge- 
recht sei.  In  V.  2995  sagt  er:  n  sprächen  alle •:  irP.  der  stunt  daz  uns  min 
frowe  wart  ie  Jcunt!  und  diese  Worte  werden  ein  Fluch  genannt  V.  2992, 
wie  es  auch  mit  Bezug  auf  unsere  Stelle  heißt  in  V.  6073:  sibegun.de 
dem  swerte  da  ze  stunde  ßuöchen.  Dem  Schreiber  mochte  das  Wort  w§, 
owe  als  interjeetio  exsecrantis  nicht  mehr  geläufig  sein,  vielleicht  war  ihm 
auch  der  Vers  zu  kurz ,  das  eine  oder  das  andere  bewog  ihn  wohl, 
verfluochet  si  zuzufügen  und  dadurch  dem  Vers  mehr  Silben  zu  geben. 
Ich  lese  daher:  oice  der  stunde,  daz  mau  u.  s.  w.  Auch  öuS  elirre  geschiht 
in  V.  6694  wird  als  ein  Fluch  gefasst  werden  müssen. 
6091  folg-    ja  heete  er  anderswo,  noch  hie 

angestlichiu  dinc  bestanden  nie 

wan  daz  erz  tete  üf  dineh  tröst\. 
Unwahrscheinlich  ist  was  Haupt  gesetzt  hat:    angestlichiu  dinc  für  das 
handschriftliche  dhain  angestlich  ding.     Hartmann  wird  wohl  gesprochen 


458  FEDOH   BECH 

haben:  jäne  lioete  er  anderswä  noch  hie  I  dehein  egeslich  (oder  eislich)  dinc 
bestanden  nie  u.  s.  w.  Vgl.  Iw.  408:  vehtenunde  ringen  mit  eislichen  dingen 
(egeslichen  in  b). 

6242  folg.  sd  i'inras  iwer  man  |  so  starc  noch  so  wcetlich  \  noch  so 
ahtebcere,  \  ir  mügt  iwer  swcere  \  wo/  werden  ergetzet].  Lies  im  müget. 

6113.     als  er  sich  wolde  ervellen  dran].  Hier  ist  ohne  Noth  das  von 

der  Hs.  gewahrte  ervallen  verworfen.     Vgl.  die  Beispiele  im  mhd.  Wb.  3, 

219%  30  folg.,  ferner  Kaiserchr.  3343;  Specul.  ed.  Kelle  4,  Z.  12:  iriueh 

ervalletj  ir  iueh  ertrenket ;  Kenner  22884:  eins  abendes gie  der  munich  snelle 

und  erviel  sich  über  dot  kruoc. 

6514   folg.     nutze  moh'e  der  gräve  me 

im  selben  meister  gesin, 

er  tete  sin  vntugent  schin\ 
So  nach  Laehmann  zu  Iwein  4067.  Der  Schreiber,  der  das  ne  (en—,  —n) 
als  ein  ihm  bedeutungslos  gewordenes  Wort  an  den  meisten  Stellen  un- 
beachtet gelassen  hat,  wird  auch  hier  in  seiner  Vorlage  ern  tete  gehabt 
haben. 

6569  folg.     si  stuont  von  im  vil  verre 

und  sprach :    geloubet,  herre, 

ich  ahte  uf  hoer  siege  ntiii\. 
Haupt  wollte  dem  ersten  Verse  durch  Zufügung  des  von  (welches  in  der 
Hs.  fehlt)  aufhelfen ;  aber  auch  so  scheint  er  mir  noch  verdorben.  Denn  — 
sie  stand  sehr  fern  von  ihm:  das  zu  sagen  wäre  doch  hier  mehr  als  müßig. 
Der  Dichter  wollte  vielmehr  erwähnen ,  wie  Enite  durch  die  gleich  fol- 
gende Rede  ihren  Peiniger  zu  noch  weiterer Mishandlung  zu  reizen  suchte; 
denn  (6579  folg.)  slnen  sluc  si  niht  doch,  vil  s&re  si  sich  drunder  zoch,  daz 
si  ir  mPr  enphienge.  Daher  vermuthe  ich:  si  schunte  in  vil  verre.  Der  hand- 
schriftlichen Lesart  würde  das  gleichbedeutende  stunde  noch  näherstehen; 
doch  schunden  ist  bei  Hartmann  durch  Reime  gesichert  im  Gregor.  108, 
231,  3804. 

6650  folg.  Als  der  todtgeglaubte  Erek  mitten  unter  die  Hochzeit- 
gäste tritt,  erfasst  alle  ein  panischer  Schrecken :  einige  fliehen  zur  Thiir 
hinaus,  andere  verkriechen  sich  unter  den  Bänken.  Dann  fährt  der  Dichter 
fort:  eines  dinges  vil  geschiht,  des  enwundert  mich  niht,  swer  sinem  libe 
vorlde  treit,  daz  er  durch  sine  gewarheit  dicke  ßiuhet  grozen  schal  uf  die 
burc  uz  dem  tal  (d.  h.  von  unten  hinauf,  das  Gegentheil  von  zetal  =  von 
der  Burg  hinab  wie  V.  7881): 

also  fluhen  dise  uz  dem  hus 

und  sluffen  ze  loche  sam  dm  müs. 


ZU  BAETMANNS  EREK.  459 

in   wart  da:  wÜe  bürgetor 

beidiu  dar  inne  und  oach  da  vor 

ze  wmec  und  ze  enge, 

so  daz  st  mit  gedrenge 

vielen  über  müre 

glich  einem  schüre 

wan  si  diu  grimme  vorhte  treip\. 
Zuerst  fällt  in  diesen  Zeilen  der  Ausdruck  grozen  schal  auf.  Davor  pflegt 
man  noch  nicht  die  Flucht  zu  nehmen  und  auf  die  hochgelegene  Burg  sich 
zu  retten.  Ich  denke,  es  stand  hier  das  Wort  gruozsal,  welches  impetus 
feindlicher  Angriff,  feindliche  Belästigung  recht  eigentlich  bedeutet,  sieh 
diese  Zeitschr.  4,  496,  Z.  7.  Eine  andere  auffällige  Stelle  bieten  die  zwei 
Zeilen,  welche  das  Gleichniss  von  den  furchtsamen  Mäusen  enthalten. 
Als  schlecht  gebaute  Verse,  wenigstens  in  der  Verfassung,  in  der  sie  der 
Text  bringt,  hat  sie  zuerst  Pfeiffer  erkannt.  Ich  glaube  ,  der  Zusammen- 
hang gewinnt  dadurch ,  daß  wir  sie  ganz  streichen.  Denn  man  vergegen- 
wärtige sich  nur  die  Gedankenverbindung  hier:  Das  pflegt  oft  zu  gesche- 
hen und  wundert  mich  nicht  weiter ,  daß  der  ,  welcher  für  sein  Leben 
fürchtet,  um  seiner  eigenen  Sicherheit  willen  vor  feindlicher  Begegnung 
aus  dem  unsichern  Thal  hinauf  auf  die  sichere  Burg  flieht  ;  ihnen ,  d.  h. 
diesen  Leuten  hier  wurde  dagegen  der  Aufenthalt  in  der  Burg  so  verleidet, 
daß  ihnen  selbst  der  Ausweg  durchs  Thor  zu  enge  ward,  daß  sie  in  Haufen 
gleich  über  die  Mauer  weg  sprangen,  plötzlich  und  schnell  wie  ein  Hagel- 
wetter :  so  grimmig  war  die  Furcht,  die  sie  jagte.  Sonst  und  gewöhnlich, 
wollte  also  mit  andern  Worten  der  Dichter  sagen ,  treibt  die  Furcht  die 
Leute  auf  die  Burg  hinauf:  hier  war  es  umgekehrt ,  hier  trieb  die  Furcht 
die  Leute  aus  ihr  hinab.  Zwischen  diesen  beiden  Gedanken  mitten  inne 
stehen  die  zwei  fraglichen  Verse;  sie  sind  mehr  als  zusammenhangslos, 
sie  widersprechen  sogar  dem  Zusammenhange.  Denn  wie  vereinigt  sich  denn 
die  Vergleichung :  also  flulien  dise  üz dem  hüsu.s.w.  mit  den  vorhergehen- 
den Worten,  worauf  sie  sich  offenbar  beziehen  muß:  er  fliuhet  üf  die  burc 
üz  dem  tat?  Dies  genügt,  um  diese  beiden  Verse  als  Machwerk  späterer 
Hand  erkennen  zu  lassen. 

6759  folg.     und  als  si  körnen  in  den  ivalt 

üz  der  sorgen  geivalt 

wider  üf  ir  künden  wec\. 
Man  erwartete  in  dem  walte,    denn  nach  Zeile  6757  befindet  sich  Erek 
bereits  in  dem  erwähnten  Walde.  Es  scheint  als  ob  hier  der  Schreiber 
ein  altes  seltenes  Wort  durch  ein  geläufigeres  ersetzte:  dem  Sinne  durch- 
aus gemäß  wäre  hier  after  walde  :  gewalde  ,    wie  in  Veld.  Eneit  24,   1 4 : 


4(ji)  FEDOK   BECH 

dn  die  helide  balde  gefüren  öfter  walde.  Im  Erek  6730  u.  9848  findet  sich 
noch  afler  wege.  Glatter  würden  dann  die  Verse  so  lauten:  und  als  si 
öfter  walde  |  körnen  tiz  sorgen  gewalde  wider  ff  u.  s.  w.  Ebenso  hieß  es 
wohl  in  V.  8.367 :  der  künec  von  dem  lande  \  fragte  se  ob  iht  mcere  \  after 
wege  rotere  statt  üf  ir  wege. 

6804  folg.    ja  muot  mich  niht  ze  verre 

d  eh  ein  ander  ungemacH\. 
Lies:  jane  muote  mich  so  verre. 

6832  folg.     nft  gieng  er  für  den  künec  stän 

und  begunde  im  sagen 

wie  der  gräve   Oringles  weere  erslagen~\. 
Die  zwei  letzten  Verse  sind  schlecht  gebaut.  Sehr  nahe  liegt: 

und  begunde  im  mcere  sagen 

wie  der  gräve  weere  erslagen, 
oder  vielleicht  noch  besser: 

und  begunde  im  sagen  maere 

wie  der  gräve  erslagen  wmre. 
Vgl.  Iwein  5683 :  ouch  ivas  in  geseit  \  von  dem  risen  mcere  \  wie  er  erslagen 
weere.  Wie  in  V.  6514  zu  der  gräve  der  Name  Oringles  weggelassen  ist, 
so  durfte  er  auch  hier  fehlen. 

6847  folg.     6  we  möht  ich  im  frum  gestn, 

daz  wurde  ouch  nünem  friunde  schin\. 
Für  frum ,  welches  Haupt  nach  Lachmanns  Vorschrift  in  den  Text 
gesetzt  hat,  bietet  die  Hs.  vor.  Ist  der  Ausdruck  einem  vor  wesen  so 
gar  verwerflich  für  Hartmann?  Wir  finden  ihn  doch  z.  B.  im  Lanzel. 
4446:  im  was  niht  vor  wan  der  tot;  Roth.  Predd.  21,  4:  unser  herre 
bevalch  ouch  Marien  im  hin  widere,  daz  er  ir  phlcege  und  ir  vor  weere 
an  siner  muoter  stete;  ebenso  im  1.  Büchl.  457:  daz  st  (sc.  diu  schale) 
dem  kernen  fride  ber  die  teile  si  da  Uzen  wer  und  daz  st  im  vor  si,  d.  h. 
ihn  schütze,  wo  Lachmann  ebenfalls  vor  in  frum  geändert  hat;  Mai  u. 
Beafl.  26,  4 :  ich  mac  dir  doch  niht  vor  gesin,  so  antwortet  die  Tochter 
dem  Vater,  der  kurz  zuvor  gesagt  hatte  (25,  39) :  dii  wilt  dich  mit  den 
listen  vor  mir  alsus  vristen;  Ottocar  bei  Massm.  Kaiserchr.  Theil  2, 
S.  628,  239 :  ob  ir  unz  an  den  fünften  tag  dem  tode  vor  weset  =  gegen 
den  Tod  Stand  haltet,  ihm  widersteht;  Zeitbuch  des  Eike  von  Repgow 
S.  578:    lange  woeren  se  des  vore,  se  volgeden  ime  iedoch  =   at  Uli,  licet 

dubii,  seeuniur  tarnen;   Leyser  Predd.   123,  35:    aller  sin  muot 

was  daran,  wie  er  sin  volc  gewisen  und  geleren  mochte,  er  was  ime  vor 
mit  xoorten  und  mit  werken ;  Joh.  Rothe  Chron.  S.  553,  Z.  1:  he  was 
lant  unde  lüden  vor  mit  grözer  wisheide  und  was  ir  gar  behulfig  mit  sime 


ZU  HARTMANNS  EREK.  461 

räde,  und  S.  13:    got  machte  zwei  grpze  licht ,  daz  graste  daz  iz  vor  were 
deme  tage,  d.  i.  praiesset  diei,  wie  bei  Diemer  6,  15:  wir  sulen  tuon  einen 
man  uns  selben  geliehen,    der  sin  alles  vor  «?,    swaz  so    hie  geschaffen  si. 
—  Die  zweite  der  oben  angeführten  Zeilen  bringt  einen  äußerst  matten 
Gedanken  zu  dem,  was  die  erste  aussagt.     In  dieser  Fassung  stammt 
sie  wohl  nicht  von  Hartmann.  Ich  wasre  daher  folgende  Anderim«;: 
oioe  rnöht  ich  im  vor  gesin, 
daz  iht  würre  dem  friunde  min, 
vgl.    6991 — 94    und    7027.     In    der    Hs.    steht:    doch   meinem  freunde, 
fehlt  schilt. 

6976  folg.     ich  fürhte  er  iu  erslagen  si, 

ich  schine  ie  mitten  üf  der  vart  u.  s.  w. 
Lies  ichn  schine.    Der  Sinn  ist:    ich  fürchte,  euer  Mann  wird  euch  er- 
schlagen,   wenn  ich  mit  meinen  Rittern  nicht  zn  erkennen  gebe,    daß 
wir  ihm  zu  helfen  bereit  sind. 

6866  folg.     daz  si  niht  mohten  bewarn 

si  müestn  ein  ander  icidervarn]. 
Lies  sine  müestn  oder  sine  müesn.  Vgl.  Iwein  913  und  die  Anm.  Lach- 
manns    dazu ,    welcher   seiner  Metrik  zu  Liebe    dort   die  beglaubigtere 
Überlieferung  glaifbte  verwerfen  zu  müssen. 

6938  folg.     daz  moht  diu  frowe  niht  vertragen. 

da  si  dort  stuont  verborgen 

in  grözen  sorgen, 

si  entweite  keine  wtle, 

si  spranc  üz  dem.  zile]. 
Wahrscheinlich  ist  so  zu  ändern : 

daz  enmohte  si  niht  vertragen 

diu  dort  stuont  verborgen 

in  grozen  u.  s.  w. 
6945.     si  sprach:    nein,  ritter  guoi].    Hier,  wo  Enite  durch  Bitten 
den  Ritter  abwehren  will,  wäre  neind  der  üblichere  Ausdruck. 
7080  folg.     do  giengeu  die  knehte 

spehen  sä  mit  rehte 

welch,  stat  in  da  töhte 

da  man  in  betten  möhte]. 
Was  soll  hier  der  Ausdruck  mit  rehte?  Unfehlbar  muß  es  hier  heißen 
samint  rehte,  wie  im  V.  3084:  ritter  unde  knehte  wolden  sament  rehte  mit 
ir  herren  riten. 

7154  folg.     enthalten   die  Schilderungen   eines  Jagdschlosses   des 
Grafen  Guivreiz,  bei  dem  Erek  eingekehrt  ist,    sowie  der  da  üblichen 


462  FEDOR  BECH 

Jagd.  Mit  Verbesserung  der  hier  arg  verderbten  Hs.  hat  der  Heraus- 
geber sich  nicht  befasst;  nur  Benecke  hat  einen  Versuch  zur  Herstel- 
lung des  Textes  gemacht.  Bei  Haupt  lautet  der  Text  so : 

ouch  lief,  der  wirt  die  Kunde 

die  des  mannes  willen  taten 

ditz  jagehäs  tvas  Lernten. 

I  ud  wenn  er  daraus  nach  maneges  sile 

daz  er  rande  da  mite, 

8wä  er  bi  den   zinnen  saz, 

SO  sahen z  jene  mht    vi/  baz 

die  da  mite  randen. 
In    diesen  Unsinn    lässt    sich  einigermaßen  Sinn    hineinbringen  .    wenn 
man  folgender  Weise  ändert  : 

ouch,  het  der  wirt  der  Kunde, 

die  des  mannes  willen  taten, 

diz  jageKus  wol  beraten: 

swenner  da  was  ndc/i  Jagens  site 

und  daz  maii  rande  da  mite, 

swä  er  bi  den  zinnen  saz, 

so  sahenz  jene  niht  ril  baz 

die  da  mite  randen. 
Ein  Genitiv  wie  der  Kunde,  abhängig  von  beraten,  findet  sich  auch 
V.  3020:  er  het  die  kemenäten  lieKtes  wol  beraten:  Grieshab.  Predd.  1, 
10S:  als  got  die  Juden  beriet  spise  und  gewandes,  also  mac  er  dich  be- 
raten diner  notdurft;  G.  Gerh.  5685:  des  .s?  got  an  im  beriet;  Titurel  9: 
got  hat  dicK  sun  beraten  fünf  werder  hin  de ;  Kinth.  Jesu  ed.  Hahn.  84. 
55  u.  s.  w.  Die  Verbesserungen  da  was  sowie  jagens  in  der  4.  Zeile 
kommen  den  Schriftziigen  der  Hs.  möglichst  nahe.  —  Die  kommenden 
Verse  lauten  nach  Haupt  so : 

wer  soll  im  ab  daz  enblanden 

swenn  er  mähte  mit,  den  frouwen 

ab  dem  hüse  schoriu-en 

loufen  die  Kunde\. 
Dem    Vorhergehenden    werden    sich    diese    Verse    besser   anschließen, 
wenn  man  schreibt: 

teer  solt  imz  da  enblanden, 

wand  er  mit  den  frouwen 

moJite  ab  dem  hüse  schouiven  u.  s.  w. 
d.  h.  wer  wollte  sichs  da  noch  viel  Mühe  kosten  lassen,    da   man  von 
diesem  Hause  aus  so  bequem  die  Hunde  rennen  sehen  konnte? 


ZU  HAETMANNS  EREK.  463 

7577  folg.     mal  wie  da  ze  laude  was 

gewattiger  herre  Eneas 

an  alle  missewende 

unz  an  sins  libes  ende]. 
Sehr  störend  für  die  Erzählung  ist  hier  die  wiederholte  Nennung  des  Namens 
Enras,  der  vorher  \  .  7552  bereits  zur  Geniige  bezeichnet  war,  und  wofür 
eine  pronominelle  Bezeichnung  allein  am  Orte  gewesen  wäre.  Ich  halte 
die  2.  Zeile  für  verderbt,  um  so  mehr,  als  die  erste  nach  der  Hs.  lautet: 
und  wie  er  da  u.  s.  w.  Die  Veranlassung  zu  diesem  Verderbniss  finde 
ich  in  dem  Misverstehen  des  Wortes  saz ,  welches  absichtlich  oder 
unabsichtlich  mit  was  vertauscht  wurde.  Dem  Zusammenhange  weit 
gerechter  wäre  :    und  wie  er  da  ze  lande  saz 

gewalticlicJie  verre  haz 

an  alle  missewende  etc. 
7823 — 24.     und  begunde  in  raste  beswveren 

daz  si  dar  hörnen  wasrenj. 
Glatter  und  dem  Auer  gemäßer  klingen  die  Verse,  wenn  man  das  hier 
verdächtige  besweeren  mit  swären  vertauscht: 

und  bequnde  im  vaste  swären 

daz  si  dar  komen  wären. 
Vgl.  Iwein  2251 :  daz  begunde  im  starke  swären  und  enweste  ivie  gebären. 
7725  folg.     an  iegliches  knöpfe*  stat 
was  ein  rubin   ilf  gesät 
in  läzürvarwe  kästen]. 
In    der   Hs.    saurvarwe   für    läzürvarwe.     Daraus    möchte    man  eher  auf 
saver  —  safer  —  sojf'er  —  saplürvaiive  schließen.  Vgl.  Walter  v.  Rheinau 
25,  45:  ir  äugen  kreiz  der  was  vil  gar  jacintin  und  saphirinvar ;    Konrad 
im  Trojan.   10462:  durchliuhtie  sam  ein  sauerglas  wirf  noeh  sin  wille  trüebe ; 
Ernst  von  Kirchb.  795:    saffirig   blä   von    Orient.     In  der  Beschreibung 
eines  Netzes,    in  welcher  er  oüenbar  unsern  Hartmann  nachahmt,   hat 
Ulrich  v.  Zatz.    guldme  kästen  reine,  darinne  edel  gesteine;    im  Museum 
v.  d.  Hagen  2,  S.  78,  303  heißts  vom  Diamant:  in  einem  stelin  käste  |  da 
stet  her  inne  vaste,  \  in  silber  und  ingolde  niht,  |  daz  ist  disem  steine  ein  wilit. 
7261  folg.     Der  Dichter  erzählt,  wie  Erek  nach  seiner  Genesung 
an  nichts  als  an  Täterschaft  denkt,  wie  behaglich  und  reizend  auch  die 
Umgebung  ist,  in  der  er  sich  für  den  Augenblick  befindet;  die  14  Tage 
dünken    ihn    ein  Jahr.     Dann  schließt    der  Dichter   diese    Schilderung 
mit  den  Worten  : 

em  wolde  ouch  da  niht  iwein  m$ 
vml  vn'ir  geriten,  möhter,  e. 


464  FEDOR  BECK 

Störend  ist  hier  oncli ,  welches  schon  darum  hier  nicht  stehen  kann, 
weil  Hartmann  nicht  einen  neuen  Gedanken  bringen  (denn  in  V.  7238 
hatte  er  bereits  erwähnt:  dd  hügt  er  wider  üf die  vart),  sondern  den  Haupt- 
gedanken vielmehr  kurz  zusammenfassen  und  noch  einmal  hervorheben 
will.  Zu  diesem  Behufe  bediente  er  sich  aber  besonders  gern  des 
Wörtchens  et,  welches  auch  hier  an  die  Stelle  von  ouch  treten  muß; 
sieh  außer  den  Beispielen  in  dem  Wb.  zum  Iwein  S.  123 — 124  noch 
Erek  8107  und  8153. 

7277  folg.     daz  doch  nie  dehein  man 
dehein  schoenerz  gewari], 
Sollte  nicht  das  erste  dehein  von  einem  Verbesserer  herrühren,  der  den 
kurzen  Vers  verlängern  wollte? 

7890.     daz   iceder  vordes  noch  sitj.     Das  vor   der  Hs.    statt  vordes 
war  unantastbar,  vgl.  die  Anm.  Lachmanns  zu  Iw.  4620  (1139  u.  1304). 
7894  folg      ze  sinem  gesellen  er  dd  sprach, 

ob  er  die  hure  erkande 

sus  anfivurte  im  der  herre: 
ich  erkennes,  wir  sin  verre]. 
In  der  Hs.  ich  erkannte  sy  für  ich  erkennes.     Wahrscheinlicher  ist  mir: 
ja  ich,  wir  sin  verre. 

8042  folg.     er  ivirt  doch  des  niht  erlän, 
ob  es  got  geruochet, 
ez  werde  au  im  versuochet]. 
Lies  ezn  werde,  sieh  W7b.  z.  Iw.  S.   119  und  Erek  8574. 

8159.     nüscJuntdüivizzestnihticol].  Lies :  nü  schinet  düne  wizzest  wol. 
8238  folg.     im  Palast  von  Join  de  la  curt  sitzen  und  trauern  viel 
Frauen,  Witwen  der  Kitter,    die  im  Kampfe    mit  Mabonagrin  gefallen 
waren;  sie  gehen  reich,  aber  schwarz  und  unfroßltche  gekleidet, 
dehein  ermel  noch  ir  site 
was  in  niht  gebriset. 
Sollte  sich  Hartmann  hier  wider  seine  Gewohnheit  ausgedrückt  haben? 
ich  meine,  er  sprach :    enioas  in  gebrtset  statt  was  in  niht  gebriset.     Der 
Schreiber  fügte  wohl  niht  hinzu,  weil  er  und  seine  Zeit  für  die  Nega- 
tion en  —  wenig  oder  keinen  Verstand  mehr  hatten.     Über    die  Sache 
selbst  vgl.  Elisab.  in  Diut.   1,  374:    ermel  äne   brise   als  Tracht    demü- 
thiger  Büßerinnen. 

8209.     Für  guot  unde  reine  erwartete  man  lüter  unde  reine. 
83(i<)  folg.     nü  wart  dd  niht  vergezzen, 
si  beten  alles  des  die  kraft 
daz  man  dd  heizet  Wirtschaft].  ' 


7X  HAUTMANNS  EREK.  465 

Wie  im  Iwein  364—366,  wo  dieselben  Verse  fast  wörtlich  wiederkeh- 
ren, wird  man  auch  hier  schreiben  müssen  nune  wart,  und  sine  heten 
statt  nu  wart  —  si  heten. 

8369  folg.  do  saiifen  im  die  geste  \  sivaz  ietwederre  weste  j  daz  doch 
sagebeere  geschacli\.  Richtiger  wohl:  daz  et  sagebares  geschach,  wie  im 
Iwein  3909:  daz  im  da  überiges  schein. 

8442  folg.     er  sprach:  von  »welchen  sacJien 

ich  niht  gef ragen  getar, 

die  sint  ouch  ze  griulich  gar]. 
Im  Munde  Ereks  lauten    diese  Worte    hier,    wo    sein  Wirth    auf  alle 
Fragen  ihm  auszuweichen  sucht,  weil  er  für  des  Gastes  theures  Leben 
besorgt  ist,  durchaus  dem  Zusammenhange  zuwider.  Ich  vermuthe : 

er  sprach:  von  siedelten  saehen 

ich  ie  (oder  iht)  ge/rägen  getar, 

die  ensint  ouch  niht  ze  griulich  gar. 

8470  folg.     darin  endorfte  ouch  niemen  sfreben 

dem  zihte  meere 

lip  und  ere  wcere\ 
Statt  endorfte  muß    es  wohl    heißen    entorste;    vgl.    über    diesen    Fehler 
zum  1.  Büchl.   19  und  441. 

8480  folg.     dies  niht  wolteu  haben  rät 
von  tumbes  herzen  sfiurc, 
s7  suochten  aventiure]. 
Lies  sine  suochten.  Vgl.  die  Beispiele  im  mhd.  Wb.  3,  57lb,  7  folg. 

8508  folg.     nu  die  den  lip  habent  verlor//, 

so  dürft  irs  niht  versuochen\. 
Für  das  von  Haupt  hier  eingeführte  na,  welches  in  relativer  Bedeutung 
nach  Lachmanns  Vermuthung  zum  Iw.  2528  bei  Hartmann  ungebräuch- 
lich ist,    bietet  die  Hs.  und;    und    dieses   ist  hier  durchaus  erträglieh, 
nur  muß  der  Satz  die  fragende  Wortfolge  erhalten : 

und  habent  si  den  lip  verlorn, 

sone  dürft  irs  u.  s.  w. 

8520  folg.     ich  weste  ivol,  der  selbe  wec 
gienge  in  der  werlt  eteswä, 
reJite  enweste  ich  aber  wä, 
ican  deich  in,  suochende  reit 
in  grozer  ungewislieit 

WIZ   daz    ich    in    nu  f /in den    hdn\. 
GERMANIA   \  II  30 


466  FEDOK  BECH 

Unverständlich  ist  derselbe  wec.  Es  fehlt  alle  Beziehung  dazu  im  Vor- 
hergehenden. Erek  meint  wohl,  wie  sich  aus  den  folgenden  Worten 
vciiniitlien  lässt ,  den  Weg  zu  dem  höchsten  Ruhme,  den  ein  Ritter 
erringen  kann,  den  Sieg  über  den  tapfersten  und  kühnsten  Mann,  den 
Kampf,  um  den  er  Gott  schon  lange  angefleht,  wofür  er  ihm  jetzt  dankt, 
daß  er  ihn  gefunden  habe.  Daher  wage  ich  zu  schreiben:  der  Saelden 
wec.  In  der  Hs.  ist  der  selbig  weg.  Vgl.  Parz.  8,  16:  not  wise  mich  der 
Scelden  wege;  Barlaam  286,  24:  üf  vrcelicher  scelden  vart  sin  dines  heiles 
scelden  wege  gebaut  in  ir  vil  werden  pflege',  Gregor.  1871:  ich  bin  ein 
ungelobet  man  und  verzagt  noch  nie  dar  an,  ich  gedenke  dar  an  alle  tage, 
wie  ich  die   sailde  bejage,  daz  ich  ze  vollem  lobe  ste. 

8557  folg.     daz  ich  hie  gar  ze  lohe  ste 

oder  daz  si  (=  diu  ere)  vol  zergS]. 
Sollten  nicht  gar  und  vol  umzustellen  sein:    vol  ze  lobe  ste  :  gar  zerge? 

8584  folg.  daz  selbe  dunket  mich  ein  sin. 
wand  unde  kumet  ir  dar  in, 
so  geriwet  ir  mich  serej. 
Haupt  in  der  Aura,  zu  dieser  Stelle  nimmt  Anstoß  an  wand  unde, 
Lachm.  verwirft  es  in  seiner  Anm.  z.  Iw.  155  geradezu  als  unrichtig. 
Doch  vgl.  Berthold  43,  10:  wan  und  weere  ez  alle  sine  tage  ein  cldsener 
gewesen  und  mügen  ez  die  tiuvel  an  dem  ende  von  dem  gelouben  bringen, 
so  füerent  sie  ez  u.  s.  w.  ebenso  544,  14;  Myst.  1,  402,  37:  wan  unde 
hiet  er  gelebet  an  der  selben  zit,  so  mähten  wir  der  bezeichenunge  niht 
haben  bekant;  2,  607,  26:  wan  unde  wtre  daz  dinc  niht,  daz  üzerlich  be- 
weget, sä  beschehe  daz  werc  niht;  2,  614,  10:  wan  und  ivere  kein  nemer, 
so  mähte  der  herre  niemer  ein  geber  werden.  Hiernach  scheint  sich  be- 
messen zu  lassen  die  Stelle  im  ersten  Büchl.  1464  folg. :  ivan  und  haste 
got  verlorn  \  einen  enget  von  slme  riche,  \  ja  mähte  si  im  sin  geliche,  J  und 
mit  ir  nach  grozen  eren  \  sin  here  wider  meren,  \  wan  si  zcem  tool  an  eins 
engeis  stat,  wo  vielleicht  so  für  ja  zu  lesen  und  wol  in  der  letzten  Zeile 
zu  streichen  ist;  2.  Büchl.  736:  wan  und  solt  mir  ie  da  vone  \  geschehen 
deheiner  slahte  guot,  \  daz  einiu  minen  willen  tuot,  \  des  muoz  ich  si  vil 
käme  erbiten;  vgl.  auch  noch  1.  Büchl.   1886  nach  der  Hs. 

8624  folg.     ez  wart  nie  herze  also  balt, 

im  gezeeme  rehtiu  vorhte  ivol]. 
llichtiger   und   dem  Sprachgebrauche  Hartmanns   gemäßer:    im  enzeeme 
(sieh   auch  Lachm.  Bemerkung  zu  Iw.  163);    ebenso  Erek  9792—94: 
ez  wart  nieman  so  freudenrich,  dem  doch  iht  erbarmen  sol ,  ich  wisse  daz 
benamen,  vol:  lies  ichn  wisse;  vgl.  Benecke  zu  Iw.  749. 


ZU  HARTMANNS  EKEK.  4(J7 

8716  folg-     der  vant  da  sives  in  gezam 

von  icünnecticher  ahte: 

die  boume  maneger  slahte, 

die  einhalp  obez  baren 

und  änderst!  wären 

mit  wünnecli^her  blüete]. 
Im  2.  Verse  muß  man  wohl,  wie  der  Zusammenhang  lehrt,  wunderlicher 
lesen  statt  wünneclicher ,  welches  einige  Verse  weiter  erst  an  rechter 
Stelle  steht.  Ebenso  gewinnt  die  Darstellung,  wenn  man  den  Artikel 
die  vor  boume  im  3.  Verse  tilgt.  Umgekehrt  scheint  lounderltch  für 
wunneclich  gesetzt  in  V.  6159  in  der  Anrede:  saget,  wunderllchez  wip, 
war  umbe  woltet  ir  den  lip  selbe  hau  ertastet  ?  Dazu  halte  man  den  näm- 
lichen Gedanken  in  V.  6215:  er  sprach:  wunneclichez  wip:  /rar  umbe 
quelent  ir  den  lip  so  grimme  dielten  sere? 

8722  folg.     ouch  freute  im  daz  gemüete 
der  vögele  süezer  doz: 
ouclt  stuont  da  düerde  niht  bloz 
gegen  einer  hat) de  breit]. 
Metrum  und    Sprache    scheinen    hier    unter    den  Händen    der  Schreiber 
stark  gelitten  zu  haben.  Ich  gebe  folgenden  Verbesserungsversuch : 

der  vogelline  süezer  doz  (oder  der  vögele  süezer  sanges  doz): 
ouch  enstuont  da  diu  erde  bloz 
tuender  einer  hande  breit. 
Auch  8144  steht  gegen  einem  häre  breit  (die  Hs.  hat  gegen  eines  häres 
preit),  wo  vielleicht  tuender  eines  häres  breit  das  ursprüngliche  ist,  wie 
es  in  V.  8864  steht.  Hartmann  sagte  gegen  einem  hdre  ohne  breit  im 
Iw.  2641,  dagegen  [mags]  häres  breit  im  A.  Heinr.   1101. 

8814  folg.     dirn  mag  et  niemen  des  geivegen, 

ez  si  ein  ende  umb  dinen  lip].  Lies  eznsi  ein  ende  u.s.  w. 

8854  folg.     ouch  ist  mir  daz  für  war  geseii, 

got  si  noch  als  gnot  als  er  ie  was]. 
Der  zweite  Vers  ist  überladen;    kräftiger   und    spruchgemäßer  wird  er 
lauten,  wenn  man  die  entbehrlichen  Flickworte  als  gnot  entfernt. 

8895  folg.     hie  reit  der  künec  Erec in  jenen  boumg arten  fort]. 

hie  ist  wider  den  Zusammenhang;  wahrscheinlich  ist  dafür  hin  zu  schrei- 
ben, wie  z.  B.  Iw.  7941 :  hin  reit  diu  guote   zu  Anfang  der  Periode  steht. 

8954  folg.     Von  einem  Ruhebette  heißt  es:  wol  erziuget  was  daz: 
|  die  stollen  gröz  silberin,    |    von  gvotem   geworhte   der  schtn].     Auffällig 

30  * 


468  FEDOR  BECH 

bleibt    das  Substantiv    der  schin ,    welches    keinen    rechten    Sinn    gibt; 
besser  wohl :  von  guotem  geworhte  schin  =  strahlend   glänzend. 

9074  folg.     der  ander  des  auch,  niht  vergaz, 
er  bereife  sich  als  am]. 
Lies  ern  berede,  wie  im  Iwein  365;  3656:  6547  nach  codd.  B1>E. 

9190  folg.     mir  luof.  ?:orn  daz  dirre  kleine  man 
a/so  lange  vor  mir  irert]. 
Den   Vors  bessert  es,  wenn    man  liest   mirst  zorn    statt   mir  fünf.    zorn. 
über  mir  ist  oder  xoirdet  zorn  sieh  die  Beispiele  im  mhd.  Wb.  3,  906b, 
38.    Mir  tuot  zorn    kenne    ich    nur    aus    Ruother   75S    und    Buch    der 
Rügen   1483. 

9304  folg.     von  swosre  er  niht  enkunde 

sich  erholn:  er  suochte  d'erde]. 
Wie  hier  die  erde  suocheu  =  cadere  heißt  es  ähnlich  im  Tristan  Hein- 
richs von  Freiberg  1755:  ros  und  man  mit  valle  suchten  den  sant;    hier 
scheint  jedoch  dem  Metrum  bequemer  er  seic  zer  erde.  Auch  5515  war 
er  seic  hin  misverstanden. 

9307  folg.     Krec  der  wundern  ee 
machete  in  so  swa>re 
als  et  in  wol  laste 
er  kniete  im  üf  die  brüste]. 
Einen  swoere  machen   soll    nach  Haupts  Bemerkung  soviel    sein   als  un- 
behülßich  machen.  Ich  möchte  den  Dativ  vorziehen:  machete  im  so  sweere, 
wie    man    sagte:    der  sweiz  machet  mir  warm.     Parz.   385,    22;    Heinr. 
v.  d.  Türl.  Crone  6019:    disem  machet  ez  (=  daz  gelücke)  ze  icarm,  da 
teider  jenem  al  ze  kalt)  Hätzler.  S.  216  (43);  eben  so  sagte  man  einem 
heiz,  naz,  kurz  tuon. 

9397.  st  säzen  zsamne  an  daz  gras].  Über  das  auffallende  zsamne 
sieh  Pfeiffer  in  dieser  Zeitschr.  4,  196.  Das  echte  war  vielleicht  hier 
samen  oder  sament,  wie  im  Lanzel.  6S24 :  do  erheizten  samen  an  daz 
<tms  die  viere  und  4859 :  sine  mugen  samen  niht  bestdn. 

9520  folg.  von  läute  über  hundert  jär  \  gewanete  ichs  nimmer  umb 
i  in  Jiär,  \  ir  willr  si  min  bestez  heil].  Für  ir  wille  s7  lies  ir  /rille  ens% 
oder  ir  wille  enwcer\  vgl.  Iwein  5480:  niemer  werde  min  rat,  ir  wille 
enweere  ie  min  gebot.  Oder  ist  auch  bestez  zu  verwerfen  ?  dann  könnte 
es  heißen:  ir  wille  enweere  ie  min  heil. 

9548  folg.  hie  [sc.  in  dem  boumgarten)  weer  daz  wesen  inne  guot], 
Vertheidigen  lässt  sich  auch  was  die  Hs.  hat:  aine  =  eine  (ahd.  eino, 
Graft'   1,  315)  statt  inne.    Denn  Mabonagrin  ist  von  Erek  aufgefordert 


ZU   IIAKTMANNS    EJREK.  4(i<| 

worden,  ihm  darüber  Aufschluß  zu  geben,  daß  er  sieh  von  aller  \\  eil 
in  diese  Einsamkeit  zurückgezogen  und  bloß  in  Gesellschaft  seiner 
Freundin  lebe,  vgl.'  V.  9413  folg.:  so  lange  ir  kinne  gewesen  s?t,  fragt 
Erek,  saget  wie  verlribet  ir  die  zit,  iu  enwcere  andre  Hute  bi?  Erek  wun- 
dert sich  um  so  mehr,    da  doch  jener  ein  so  wackerer  Kitter  sei   und 

—  V.  9437  —  wan  bi  den  Unten  ist  sd  guot.  Diesem  Gedankengange 
zufolge  kann  es  hier,  wo  Mabonagrin  die  Gründe  seiner  Zurückgezo- 
genheit darzulegen  hat,  recht  wohl  heißen: 

hie  weer  daz  wesen  eine  guot 

—  hier  wäre  das  Alleinsein  gut.  Der  Sprechende  kömmt  hier  auf  den- 
selben Gedanken  zurück,  mit  dem  er  V.  9443 — 48  seine  Rede  begonnen 
hatte.    Vielleicht  hieß  es  auch  in  V.  9555:  daz  ir  hie  eine  mit  mir  sit. 

9823  folg.     ivan  der  in   nach   leide   treestet   wol\.     Lies:     wan    der 
nach  leide  in  treestet  wol. 

9883  folg.     und  die  dar  umb  niht  westen\    Lies:  und  die  des  niht 
enwesten. 

9849  folg.     der  wirt  ir  willen  huote, 

sit  er  si  nach  ir  muote  , 

riwecMchen  hleite, 

daz  ers  ouch  dar  nach  bereite, 

so  daz  ir  varwe  beider 

phärde  unde  Meider 

glich  vnd  ivol  zesamene  schein]. 
In  der  überladenen  und  unklaren  vierten  Zeile  ist  jedenfalls  oVors  oder 
zorse  statt  daz  ers  zu  lesen.  Daß  weiter  unten  phärde  dafür  steht,  kann 
nicht  weiter  befremden,  da  im  Erek  auch  sonst,  wie  z.  B.  3566,  3572, 
3580  und  4580,  4583  beide  vertauscht  werden.  Vgl.  übrigens  V.  9877: 
daz  si  so  gel/che  warn  gekleit  und  zen  phärden  bereit. 

9863  folg.     nü  saz  der  wirt  von  Brandigän 
üf  ein  schiene  castehui 
unde  die  sine 
üf  ir  ros  von  Rairine]. 
Die  Hs.  hat  im  letzten  Verse:    JRafeine   für  Racine.     Ich  glaube,    daß 
man  hier  eher  an  eine  Misdeutung  der  Vorlage  seitens   des  Schreibers 
zu  denken  hat,  und  lese:    üf  ir  runzine;    wie  in  der  Krone  von  Heinr. 
v.  d.  Türlin  19605:    ob  er  mir  sin  runzin  welle  Wien  durch  iuwern  pin. 
ZEITZ,  im  Mai  1862.  FEDOE  BECH. 


470  CONRAD  HOFMANN 

ÜBER  DIE  HERLEITUNG  DES  N AMENS  BAIER. 


radaspona 

Allofia 


In  meiner  Mittheilung   des   „Metrologischen  und  Geographischen 

ans  dem  Wessobrunner  Codex"  (Germania  2,  88  ff'.)  hätte  ich  nicht 
vergessen  sollen  zu  bemerken,  daß  die  gromatisehen  Stück  des  Isidor 
aus  Columella  V.  1  genommen  sind,  der  selbst  wieder  aus  einer  jetzt 
verlornen  Stelle  des  Varro  geschöpft  haben  soll ;  dann  besonders ,  daß 
die  Stelle  über  die  Baiern  sieh  auch  in  einem  Emmeramer  Codex  des 
XI.  Jahrh.  (Em.  G.  LXXIII,  fol.  47,  r'J.)  nebst  den  Städtenamen  (ebenda 
S.  93)  findet.  Dieser  Emmeramer  Codex  enthält  die  von  Graft'  unter 
Em.  31  verzeichneten  Glossen.  Die  Stelle  lautet:  „Bauguueri  ex  proprie 
ethimologia  origo  uocabulorum  |  lingue  sumsserunt.  Baugo  enim  apud 
illos  Corona  dicitur  .  unde  banger  |  uir  coronatus  dicitur.  Ex  ideo  illa 
progenies    ex    proprie    lingue    ethimologia    |     coronati    uiri    uocantur. 

strazpurc  Spira 

Argentoracensis     .     Nimitensis     .     Wangionum    j     ciuitas    uuormacie. 

cholina  constantinispurc  ciuitas   noua       reginespurc 

Agrippina     .     Constantinopölis     .     Neapolis     .     Norica 
pazzouua  salzpurch  aeba. 

Betfagia     .     Aliucula     .     Granipalacium." 

Also  dieselbe  Überlieferung,  wie  in  der  Wessobrunner  IIs. ,  aber 
im  Einzelnen  correcter,  am  Anfange  ein  Name  weniger,  am  Ende  einer 
mehr,  dann  die  Variante  Aliucula  (oder  Aliuoula)  statt  Ualuicula, 
folglich  nicht  direct  aus  der  Wessobrunner  Hs.  abgeschrieben. 

Was  den  sonderbaren  Buchstab  in  uaFea  uuascum  (61)  betrifft, 
so  habe  ich  mich  später  (1859  im  Juni)  bei  Ansicht  des  Vocabularius 
S.  Galli  an  Ort  und  Stelle  überzeugt,  daß  es  nichts  anderes  als  ein  z 
sein  soll;  dort  steht  nämlich  das  Zeichen  an  einer  Stelle,  wo  nur  z 
gelesen  werden  kann,  im  allerersten  Worte  surculus  zui  (Fui). 

Bei  der  Aufzeichnung  über  Baucueri  (Wessobr.)  Bawfuueri  (Emmer.) 
war  schon  in  der  gemeinsamen  Quelle  die  Überschrift  Ori;/o  uocabu- 
lorum irriger  Weise  in  den  Text  gekommen;  es  hatte  also,  ist  anzu- 
nehmen, ein  bairischer  Mönch  aus  einem  Buche,  wo  noch  andere  solche 
uocabula  erklärt  wären,  den  für  ihn  interessantesten  Namen  mit  seiner 
Deutung  herausgeschrieben  und  da  er  der  erste  in  der  Reihe  war, 
zugleich  die  Capitelüberschrift  mit  hineingemischt,  wodurch  dann  der 
jetzige  Unsinn  entstanden  ist.  Aber  die  Verwirrung  geht  noch  weiter. 
Sie  steckt  in  der  Hauptsache ,  in  der  Erklärung  des  Wortes  selbst. 
Dci  Autor  hat  eine  schlechte,  d.  h.  eine  grammatisch  und  historisch 
unhalthare  Namendeutung  gegeben;   folgt  daraus,  daß  er  entweder  ein 


i  BEB  DIE  HERLEITUNG   DES  NAMENS   BAIER.  471 

einfältiger  oder  ein  unwissender  MenscB  gewesen  ist?  Gewiss  eben  so 
wenig,  als  daß  Bruder  Berthold  das  eine  oder  das  andere  war,  weil 
er  witewe  von  ivite  tcS  und  ketzer  von  katze  abgeleitet  hat.  Die  Ety- 
mologie als  Wissenschaft  ist  die  jüngste  ihrer  Schwestern,  das  Resultat 
der  germanischen  und  indischen  Studien  und  der  aus  ihnen  entstan- 
denen vergleichenden  Grammatik.  Die  gescheidtesten  Leute  haben  zu 
allen  Zeiten  die  lächerlichsten  Etymologien  gemacht  und  machen  sie 
noch  heute ,  wenn  sie  die  Regeln  der  Kunst  nicht  gelernt  haben  oder 
sich  augenblicklicher  Zwecke  wegen  darüber  hinwegsetzen.  Etwas  an- 
ders ist  es  im  vorliegenden  Falle:  da  wird  ein  Wort,  welches  kein  Baier 
brauchte,  durch  ein  anderes  erklärt ,  welches  gar  nicht  existiert.  Wir 
nannten  uns  nie  Baucueri  oder  Bauguueri  und  es  hat  nie  ein  schwa- 
ches Masculinum  baugo,  sondern  nur  ein  starkes  Masculinuin  laug, 
bonc,  pouc  etc.  und  ein  schwaches  Femininum  bouga  (wovon  franz. 
la  bague  durch  ags.  bedh  oder  friesisches  bäg  stammen  kann).  Letzteres 
hat  Graff  fürs  Ahd.  dreimal  belegt:  aus  einem  Wiener  Codex,  aus  den 
florentinischen  und  aus  den  Lindenbrogischen  Glossen,  pouga,  armilla, 
bougun,  bougin,  dextralia.  Diese  zwei  könnten  allerdings  auch  von  einem 
Masc.  bougo  kommen,  aber  das  mhd.  bonge  (Mhd.  Wb.  I.  178)  be- 
stätigt das  Femininum. 

Wenn  man  nun  dem  Verfasser  nicht  eine  fast  unglaubliche  Un- 
wissenheit zutrauen  will ,  so  wird  man  die  Stelle  als  corrupt  ansehen 
und  etwa  so  lesen  dürfen: 

Origo  uocabulorum. 

Baguuarii  ex  proprise  etymologia  linguae  nomen  sumpserunt; 
bauga  (oder  baug)  enim  apud  illos  corona  dicitur,  uuer  autem  vir. 
Hinc  Bauguuer  coronatus  vir  appellatur,  et  ideo  illa  progenies  ex  pro- 
prio lingual  etymologia  coronati  viri  vocantnr. 

Damit  wäre  die  Sache  auf  das  Maß  einer  gewöhnlichen,  irrthüin- 
lichen  Etymologie  zurückgeführt,  die  uns  um  so  weniger  Wunder  neh- 
men darf,  da  der  Verfasser,  wie  ich  annehmen  zu  dürfen  glaube,  gewiss 
kein  Baier  gewesen  ist,  erstens:  weil  er  sagt  apud  illos,  zweitens  weil 
er  den  lateinischen  Namen  der  Baiern  in  einer  Form  zu  Grunde  legt, 
die  ein  g  hat.  Nun  ist  von  Zeuss  nachgewiesen,  daß  diese  Formen 
mit  g  in  bairischen  Quellen  älterer  Zeit  nicht  vorkommen,  sie  finden 
sich  dagegen,  wie  man  aus  Förstemann  sehen  kann,  in  sehr  alten  und 
respectabeln  außerbairischen  Quellen.  Ein  irischer,  angelsächsischer 
oder  wenigstens  fränkischer  Religiöse  scheint  also  der  Urheber  zu  sein, 
und  wahrscheinlich  war  das  Werk,  in  dem  die  famose  Deutung  stund, 
ein  berühmtes  oder  wenigstens  ein  verbreitetes,    denn    ich    sehe   nicht, 


472  CONRAD  HOFMANN 

was  man  Fürsteinanns  Ansicht,  die  nicht  seltenen  späteren  Formen 
Bauguarii  etc.  möchten  unserem  Etymologen  nachgeschrieben  sein,  mit 
Grund  entgegensetzen  könnte.  Die  Entstehung  der  Formen  mit  g,  g», 
o  scheint  mir  im  romanischen  Organ  begründet,  welches  (wie  das  Kel- 
tische) w  durch  gu  oder  g  im  Anlaut,  durch  o  im  Inlaut  zu  vertreten 
pflegt.  Richtig  ist  wohl  nur  Bajuwarii  oder  Baiwarii.  Die  ganze  Frage 
i-t  indess  an  sich  von  geringer  und  für  die  wirkliche  Erklärung  des 
Wortes  von  gar  keiner  Bedeutung. 

Über  einen  Punkt  der  famosen  Etymologie  muß  ich  doch  noch 
einige  Worte  verlieren,  nämlich  über  viri  coronati.  Daß  der  Wort- 
erklärer hang  mit  Corona  übersetzt,  ist  entweder  eine  grobe  Unwissen- 
heit, denn  bang  heißt  nie  Corona ,  und  wenn  man  sagen  wollte ,  ein 
Ring  sei  ein  Reif,  eine  Krone  sei  auch  ein  Reif,  folglich  könne  man 
Krone  für  Ring  setzen,  so  wäre  das  gerade  so  geistreich,  als  das  Ver- 
fahren jenes  Arbeiters  ,  der  bei  Öffnung  eines  altfränkischen  Gräber- 
feldes einen  gefundenen  Schädel  in  den  ehernen  Reif  eines  Eirncr- 
beschläges  steckte  und  so  einen  mit  der  Krone  begrabenen  Frankenkönig 
improvisierte,  der  bekanntlich  lange  in  der  Archäologie  als  Spuk  um- 
gegangen ist,  bis  ihn  der  Abbe  Cochet  beschworen  hat;  oder  —  wenn 
laug  =  Corona  nicht  aus  Unwissenheit  floß  —  lag  Absicht  zu  Gründe. 
Wenn  man  einen  Kenner  des  Mittellateinischen  fragt,  was  viri  coronati 
heiße,  wird  er  antworten:  mönchisch  geschorne  Leute,  Mönche;  denn 
Corona  ist  der  terminus  technicus  für  den  Haarkranz ,  aus  dem  die 
Mönchstonsur  eigentlich  besteht.  Coronatus,  altfr.  coronez,  prov.  coro- 
natz  heißt  Mönch,  das  engl,  crown  (Schädel)  ist  dieses  mittell.  Corona. 
Wie,  wenn  der  Etymologe  der  Wessobr.  Hs.  am  Ende  gar  einen 
schlechten  Witz  hätte  machen  und  etwTa  die  Baiern  wegen  ihres  „ge- 
münchten"  Herzogs  Tassilo  verspotten  wollen?  Auf  ihn  wird  sich  ja 
wohl  auch  die  Sage  vom  Herzog  Adelger  oder  Theodo  beziehen ,  und 
der  Ausdruck  „  geschert u  als  Schimpfwort  hat  sich  unter  den  Baiern 
selbst  mit  merkwürdiger  Zähigkeit  erhalten.  Er  ist  ganz  allgemein  ver- 
ständlich, bezeichnet  zunächst  die  Bauern,  besonders  die  Rekruten, 
dann  Alles  ohne  Ausnahme.  Man  gebraucht  ihn  natürlich  nie  allein, 
sondern  immer  in  Verbindung  mit  einem  Epitheton  ornans.  Vor  -ein 
paar  Tagen  erst  hörte  ich  einen  ganz  kleinen  Jungen  eine  Katze 
„gscherts  L  .  .  . .  "  nennen. 

Daß  die  Geistlichen  dem  unglücklichen  Tassilo  und  seinen  An- 
hängern ganz  besonders  gram  waren,  ist  bekannt,  und  es  wäre  ja  mög- 
lich, daß  ein  Geistlicher  von  der  fränkischen  Partei  höhnend  das  ganze 
Volk  die  Geschornen  genannt  hätte ,  wie  später  in  der  Sage  wirklich 
alle  Baiern  ihrem  Herzog  zu  Lieb  sich  Haar  und  Rock  abschneiden  lassen. 


ÜBEE  DIE  HERLEITUNG   DES  NAMENS  BAIER,  473 

Meine  eigentliche  Absicht  ist,  die  geltende  Deutung  des  Wortes 
Baier  zu  untersuchen  und  meine  Zweifel  dagegen  vorzubringen.  Unter 
dieser  Deutung  verstehe  ich  natürlich  die,  welche  Zenss  in  seinen  beiden 
Werken:  „Die  Deutschen"  and  „Herkunft  der  Baiern"  entwickelt  hat. 
Ob  sie  in  Baiern  selbst  die  Mehrzahl  der  Stimmen  für  sich  hat, 
möchte  ich  fast  bezweifeln,  aber  außerhalb  Baiern  ist  sie  sicher  die 
herrschende.  Zeuss  ist  bekanntlich  der  Ansicht,  daß  die  Baiern  die  im 
Anfange  des  VI.  Jahrh.  aus  Böhmen  ausgewanderten  Markomannen  seien 
und  daß  die  zwei  Benennungen  des  Volkes ,  die  feierliche  lateinische, 
Bajurarii,  wie  die  populäre  deutsche,  Baigirä,  Peigird  u.  s.  w.  beide 
von  dem  alten,  beim  Geographus  Ravennas  aufbewahrten  Ländernamen 
Bajas  herzuleiten  seien,  welcher  selbst  nichts  anderes  als  die  germani- 
sierte Form  des  früheren  keltischen  Boji  sei  mit  Verwandlung  des  un- 
germanischen  oi  in  ai.  Mit  der  lateinischen  Form  habe  ich  es  hier 
nicht  zu  thun  und  wrüßte  nicht,  wie  die  Erklärung  von  Zeuss  ange- 
fochten werden  könnte.  Gegen  die  Erklärung  des  deutschen  Namens 
aber  sind  mir  Zweifel  aufgestiegen ,  die  ich  nicht  verschweigen  will, 
so  schön  und  zusammenhängend  auch  die  Zeuss'sche  Beweisführung  ist, 
und  so  schwer  es  mich  ankömmt,  gegen  meinen  speciellen  Landsmann, 
den  Stolz  des  Ostfrankenlandes,  mit  grammatischen  Scrupeln  aufzu- 
treten, denn  darauf  geht  alles,  wTas  ich  zu  sagen  habe,  hinaus. 

Der  Punkt,  um  den  sich  die  ganze  Zeuss'sche  Beweisführung 
dreht,  ist  nun  offenbar,  daß  Baigari  die  ursprüngliche  Form  des  deut- 
schen Namens,  und  daraus  Baigeri  durch  Umlaut,  endlich  Baigiri  durch 
Assimilation  entstanden  sei.  Dagegen  wäre  natürlich  nichts  einzuwenden, 
wenn  nur  Baigari  und  Baigeri  in  den  ältesten  Quellen  vorkämen.  Aber 
dies  ist  nicht  der  Fall ,  so  daß  schon  Graft'  in  seiner  Aufzählung  der 
Völkernamen  auf  ari  (Sprachsch.  2,  338)  den  Namen  ganz  allein  unter 
der  Form  Paigira  aufführt.  Die  entschieden  ältesten  Quellen,  in  denen 
das  Wort  vorkommt,  haben  ein  i.  Gloss:e  Cassel.  (auf  der  letzten  Seite): 
spähe  sint  peigira  (paioarii),  der  Wessobrunner  Codex  dreimal:  1.  Ar- 
noricus  (=  ager  noricus)  peigiro  lantj  2.  Istrie,  paigira;  3.  Istria  pei- 
girae.  Zeuss  führt  aus  Kozroh  an  peigiri  (3mal),  pegiri  (2mal) ,  pegirin 
(3mal) ,  peiri,  peirin  ;  ferner  aus  der  zweiten  Freisinger  Hs.  pegirin; 
dagegen  aus  Kozroh  nur  ein  peiariit  und  aus  Schannat  peiariii  und 
peiari.  Förstemann  (Personenn.  273)  gibt  ebenfalls  mehr  Formen  mit  i 
an,  darunter  zweimal  aus  dem  hochwichtigen  Verbrüderungsbuch  von 
S.  Peter  in  Salzburg  pagiri.  Daraus  geht  zur  Evidenz  hervor,  daß  in 
den  ältesten  und  in  den  auf  bajuwarischem  Boden  geschriebenen  Ur- 
kunden die  Form  mit  i  weitaus  die  andere  mit  a  überwiegt.  Paigiri  ist 
unzweifelhaft  die  älteste,  in  älterer  Zeit  die  häufigste  und  in  der  aller- 


474  CONRAD  HOFMANN 

ältesten  die  einzige  Form  des  Wortes.  Sie  erscheint  in  den  obigen 
Beispielen,  die  gewiss  Dicht  vollständig  sind,  15  Mal  und  wenn  man 
peiri,  peirin  dazu  rechnet,   17  Mal. 

Man  erwäge  nun  dagegen,  wie  oft  iri  für  ari  im  Ahd.  überhaupt 
vorkommt.  Ich  habe  die  sämmtliehen  Wörter  auf  an,  die  Grraff  2, 
335 — 338  verzeichnet ,  an  den  betreffenden  Stellen  im  Sprachschatz 
nachgeschlagen,  wobei  sich  die  Anzahl  noch  etwa  um  ein  Dutzend  ver- 
mehrt hat.  Dieser  Bildungen  auf  ari  sind  ungefähr  450  und  rechnet 
man,  daß  im  Durchschnitt  jede  nur  viermal  verzeichnet  ist,  so  kommen 
schon  1800  Formen  heraus.  Das  Resultat  ist  nun  folgendes:  1.  Unter 
diesen  1 800  Fällen  findet  sich  iri  für  ari  im  VIII.  Jahrhundert  niemals. 
2.  iri  für  ari  erscheint  im  IX.  Jahrhundert  und  nachher  in  folgenden 
Fällen:  1.  leitiri  Otfr.  IV.  16.  23  (Fris.  leittari) ,  farira  O.  IV.  16.  14 
(Fr.  farara).  In  beiden  Fällen  hat  O.  aus  metrischen  Gründen  i  gesetzt, 
denn  sonst  hätte  es  fdrärä,  leitäri  heißen  müssen  (nach  dem  von  Grimm 
2, 126  entwickelten  Gesetze)  und  dann  hätte  der  Vers  um  eine  lange  Silbe 
zu  viel  gehabt.  Der  Freisinger  Abschreiber  hat  diese  metrische  Fein- 
heit  nicht  gemerkt  und  daher  die  gewöhnlichen  Formen  gesetzt. 
2.  Tatian  132,  18  bigengiri  eultor  neben  bigangere  102,  2.  3.  duchiri 
(=  tuchari)  aus  Aid.  1.  (IX.  X.  Jahrb.).  k.-raiiri  Sg.  292  (IX.  Jahrh.). 
5.  stamfiri  Gc,  12  (IX.  Jahrh.).  6.  zeltir  F.  1.  7.  sito-uangiren  schis- 
matico  Notk.  ps.  22,  4.  Dazu  kommen  noch  folgende  Fremdwörter: 
chellire  (=  cellarium) ,  pressire  (=  pressarium),  piliri  (pilarius),  spichiri 
O.  I.  25.  16  (=  spicarium,  uaihiri  (vivarium).  Fälle  wirklicher  Assi- 
milation, wie  ligir-i,  giuuitir-i,  hindir-i  können  natürlich  gar  nicht  in 
Betracht  kommen. 

Aus  dieser  Übersicht  der  einzelnen  Fälle  (erheblich  vermehren 
werden  sie  sich  schwerlich  lassen)  geht  hervor,  daß  die  Form  iri  für 
ari  so  selten  ist,  daß  alle  Fälle  vom  IX.  Jahrhundert  an  zusammen 
genommen  (im  VIII.  kommt  sie,  wie  bemerkt,  gar  nicht  vor)  noch 
nicht  einmal  den  nachgewiesenen  Peigiri  an  Zahl  gleichkommen.  Es 
wäre  somit  eine  große  Willkürlichkeit  zu  behaupten,  Peigiri  stehe  für 
Paigari,  denn  wie  in  aller  Welt  sollte  es  möglich  sein,  daß  eine  un- 
regelmäßige Form,  die  unter  last  2000  Fällen  überhaupt  nur  7  Mal 
(resp.  12  Mal),  im  VIII.  Jahrh.  aber  nicht  ein  einziges  Mal  vorkommt, 
gerade  für  das  Wort  Peigari  und  zwar  schon  im  VIII.  Jahrh.  die  Regel 
wäre?  Ich  halte  demnach  für  bewiesen,  daß  Peigiri  nicht  aus  Peigari 
entstanden  ist,  sondern  daß  man  umgekehrt  erst  später  Peigari  statt 
Peigiri  gesagt  hat,  weil  es  germanischer  klang.;  denn  daß  das  Suffix 
iri  als  primäres  gar  nicht  germanisch  ist,  weiß  man  aus  der  Gram- 
matik, s.  2,  139  ff. 


EE  DIE  BEELEITUNG  DES  NAMENS  BAIER.  475 

Damit  fällt  die  germanische  Ableitung  des  Namens  Peigiri.  Wenn 
das  Suffix  iri  nicht  germanisch,  die  Ableitung  folglich  eine  undeutsche 
ist,  so  entsteht  die  Vermuthung,  daß  das  Wort  kein  germanisches  sei. 

Sehen  wir  uns  im  Keltischen  um,  welches  das  nächste  Anrecht 
hat,  zu  Käthe  gezogen  zu  werden,  so  erscheint  wirklich  ein  Suffix  ire, 
welches  solche  Nomina  agentis  bildet ,  wie  die  germanischen  auf  ari 
sind,  und  welches  auch  mit  unserem  ari  ursprünglich  identisch  ist,  indem 
es  sich  aus  aire,  airi,  ari  entwickelt  hat.  Zeuss  Gr.  Celt.  743 :  „Vin- 
dicanda  est  lingure  hibernica?  derivatio  — ari  ut  —ari,  utraque  sub- 
stantivorum  generis  maseulini.  Hujus  transgresste  in  — dir  exempla 
sequentur  mox  infra ;  illa  substantiva  e  substantivis  derivans  facta  est 
infectione  AIRE,  IRE;  echaire,  mulio,  notire,  notarius,  rectire,  pnepo- 
situs  gentis ,  tectire,  tecttaire,  techtire,  techtaire,  dispensator,  gubernator, 
scrinire,  arcarius,  tablaire,  tabellarius,  tdisechaire,  primas,/m'mVe,  parasitus. 

Der  Stamm  bag  nun,  aus  welchem  durch  Hinzutritt  des  Suffixes 
ire  (oder  iri)  baigire  entstanden  sein  könnte ,  lässt  sich  im  Keltischen 
hinlänglich  nachweisen.  bagh  im  Gälischen  heißt  Schlacht,  Zeuss  p.  20 
hat  ir-bdg,  ir-bdga  contentiones,  arabdgimse,  contendo,  glorior,  dann 
noch  bc'ujid  (erschlossen  aus  dem  Gen.  bdiguiV)  prreda,  wozu  er  p.  753 
die  aus  den  Latein.  Autoren  bekannten  Bagaudce  stellt  (manus  agrestium 
ac  latronum,  quos  Bagaudas  incola?  vocant,  Aur.  Vict.  de  Csess.  39). 
Streiten  wäre  also  die  Bedeutung  des  Stammes  (bdgul  prreda  =  das 
Erstrittene)  und  damit  wären  wir  zugleich  zu  der  Einsicht  gelangt, 
daß  wir  unser  Verbum  bdgau,  päcan,  streiten,  mit  den  Kelten  gemein- 
schaftlich besitzen.  Im  Keltischen  fragt  sich,  ob  bag  oder  lag  anzu- 
setzen ist  (Zeuss  hält  bag  für  wahrscheinlicher),  auch  bagan  kommt  im 
Altn.  mit  kurzem  a  (schw.  Verb,  baga  neben  bcegja)  vor.  Für  die  Ab- 
leitung des  Wortes  paigiri  ist  dies  jedoch  gleichgültig,  so  wie  es  ferner 
gleichgültig  ist,  ob  das  Suffix  ire  Infection  (Verwandlung  von  a  in  ai) 
bewirkt  oder  nicht  bewirkt.  Das  aus  den  besprochenen  Elementen  ge- 
bildete Wort  nämlich  würde  bag-ire  lauten ;  im  Falle  ire  Infection  be- 
wirkt, baig-ire  und  dieses  baig-ire  würde  im  Ahd.  ebenso  hie  und  da 
peikiri  lauten,  wie  von  päkan  streiten  päkari  neben  pägari  vorkommt. 
Ein  peikiri  aber  findet  sich  nie  und  ist  absolut  undenkbar,  g  in  peigiri 
ist  also  nicht  organisch ,  sondern  euphonisch ,  d.  h.  ein  etwas  stärker 
ausgesprochenes  j.  Da  nun  in  den  angeführten  Beispielen  die  Endung 
ire  nur  in  zwei  Fällen  Infection  Avirkt ,  in  fünf  Fällen  nicht  (scrinire 
fällt  weg,  weil  i  keiner  Infection  fähig  ist),  so  würde  sich  wahrschein- 
lich auch  nicht  einmal  baig-ire,  sondern  nur  bag-ire  ergeben  —  streng 
althd.  päkiri  oder  pekiri.     Mit   dieser  Deduction   scheine  ich  die  Mög- 


476     CONRAD  HOFMANN,  UJBEB  DIE  HERLEITUNG  DES  NAMENS  BAIEB. 

lichkeit  einer  Ableitung  von  bag  oder  bdg  ausgeschlossen  zu  haben  — 
in  Wirklichkeit  wollte  ich  bloß  grammatischen  Einwendungen  begegnen, 
die  mir  gemacht  werden  müßten  und  die  ich  mir  selbst  gemacht  habe. 
Der  Grund,  weshalb  peigiri  dennoch  von  bag-\-ire  kommen  kann,  ist 
ein  ganz  anderer  und  lierzt  in  einem  eigenthümlichen  keltischen  Laut- 
gesetz.  g  pflegt  nämlich  im  In-  und  Auslaut  sich  in  j,  y  zu  erweichen 
oder  ganz  abzufallen  (destitutio),  nicht  erst  in  späterer  Zeit,  sondern, 
wie  Zeuss  nachgewiesen  hat  ,  schon  in  einer  verhältnissmäßig  sehr 
frühen  Periode  *).  Die  Hauptstelle  findet  sich  Gramm,  celt.  166 — 7: 
„Exeussarum  rnediarum,  praesertim  g,  in  voeibus  et  nominibus  gallicis 
oecurrunt  jain  vetusta  exempla  apud  scriptores  terra;  continentis"  u.  s.  f. 
Demnach  ist  baj-ire,  mit  Erweichung,  oder  ba-ire  anzusetzen,  mit 
Hiatus,  zu  dessen  Vermeidung  ein  euphonisches  j  (=  g)  eingeschoben 
wurde.  Daß  bajire  gerade  so  lautet  wie  baijire,  wird  jeder  zugeben; 
auch  haben  uns  ja  die  Schreibungen  pagiri  und  pegiri  (=  pojiri,  pejiri) 
diese  Form  erhalten. 

Die  Möglichkeit,  daß  ein  deutscher  Stamm  einen  keltischen  Na- 
men trage,  wird  Niemand  bestreiten,  nachdem  nicht  mehr  bezweifelt 
wird,  daß  der  Germanenname  selbst  keltisch  ist.  Man  wird  diese  Mög- 
lichkeit um  so  weniger  bestreiten  dürfen  bei  einem  Stamme ,  der  sich 
ja  gerade  im  Kampfe  gegen  die  Kelten  zuerst  berühmt  gemacht  hat  — 
„praeeipua  Marcomannorum  gloria  viresque ,  atque  ipsa  etiam  sedes 
pulsis  olim  Boiis  virtute  parta."  Germ.  42. 

MÜNCHEN,  im  September  1862.  CONRAD  HOFMANN. 

DIE  ERDE  ALS  JUNGFRÄULICHE  MUTTER 

ADAMS. 


In  Wolframs  Parzival  464,   11  lehrt  Trevrizent: 
Diu  erde  Adämes  muoter  was: 
von  erden  fruht  Adam  genas. 
dannoch  was  diu  erde  ein  magt. 
noch  hän  ich  in  niht  gesagt 
wer  ir  den  magetuom  benam. 
Käins  vater  was   Adam: 


*)  Das  g  ist  schon  in  Boii  für  Bogii  ausgefallen.  Die  Bedeutung  von  Bögii  scheint 
zu  .-ein:  die  Schnellen,  s.  gr.  celt.  790.  In  adj.  cambricis:  buan  (celer)  truan  (infelix); 
e  nudo  tru,  hib.  vet.  trog;  ergo  et  buan  e  bbg'i  cf.  Trogus,  Bogius.  In  armoricis :  buTwrn 
(celer;  hod.  buan,  buhan)  s.  ferner  ib.  p.  58.  Alternativ  inter  j  ei  gi  colligenda  videtur 
e  nominibus  quibusdam  vetustis  u.  s.  f.  über  boji,  —  bogi  —  ßöyioi. 


DIE  ERDE  ALS  JUNGFRAULICHE  MUTTEE  ADAMS.  477 

der  sluoc  Abeln  umb  krankez  guot. 

do  i[f  die  reinen  erdenz  hluot 

viel,  ir  magetuom  was  vervarn  : 

den  nam  ir  Adämes  harn. 
Diese  Ansicht ,  daß  die  Erde  die  jungfräuliche  Mutter  Adams  — 
wie  Marin  die  jungfräuliche  Mutter  Christi,  des  Gegenhildes  Adams  — 
sei,  gehört  schon  alten  Kirchenlehrern  an.  Die  Erde  gilt  aber  als  Jung- 
frau theils  insofern  sie  noch  nicht  von  liegen  befruchtet  und  von  Menschen- 
hand bearbeitet  war.  theils  insofern  sie  noch  kein  Blut  getrunken,  keinen 
Leichnam  geborgen  hatte.  Ich  lasse  die  Stellen,  die  mir  darüber  bekannt 
geworden  sind  und  die  ich  nirgends  beisammen  gefunden  habe,  hier 
folgen.  Irenaeus  contra  omnes  ha?reticos  III,  31  (21,  10  ed.  Stieren)  sagt: 
Et  quemadmodum  protoplastus  ille  Adam  de  rudi  terra  et  de  adhuc  vir- 
gine  (nondum  enim  pluerat  Deus ,  et  lwrno  non  erat  operatus  terram)  habuit 
substantiam,  et  plasmatus  est  manu  Dei,  id  est  Verbo  Dei  (omnia  enim 
per  ipsum  facta  sunt)  et  sumsit  Dominus  limum  a  terra  et  plasmavit  ho- 
minem:  ita  recapitulans  in  se  Adam,  ipse  Verbum  existens  ex  Maria, 
quae  adhuc  erat  virgo,  recte  accipiebat  generationem  Ada?  recapitula- 
tionis.  Tertullianus  adversus  Judasos  13:  Utique  illa  terra  virgo,  non- 
dum pluviis  irrigata,  nee  imbribus  feeundata,  ex  qua  homo  tunc  primum 
plasmatus  est ,  ex  qua  nunc  Christus  per  carnem  ex  virgine  natus  est. 
Derselbe  de  carne  Christi  16 :  Virgo  erat  adhuc  terra ,  nondum  opere 
compressa,  nondxtm  sementi  subaeta;  ex  ea  hominem  factum  aeeipimus 
a  Deo  in  animam  vivam.  Igitur  si  primus  Adam  ita  traditur,  merito 
sequens,  vel  novissimus  Adam,  ut  apostolus  dixit,  proinde  de  terra, 
id  est  carne  nondum  generationi  resignata,  in  spiritum  vivificantem 
a  Deo  est  prolatus.  Firmicus  Maternus  de  errore  profanarum  religio- 
num  25:  lJe  virginis  terra:  limo  homo  factus  est,  nondum  enim,  ut  ait 
scriptura,  svpra  terram.  pluerat ..  .  Ex  virginis  terra?  limo  factus  Adam 
praßvaricatione  propria  promissam  perdidit  vitam :  per  virginem  Mariam 
ac  Spiritum  Sanctum  Christus  natus  et  immortalitatem  aeeepit  et  regnum. 
Joannes  Damascenus  de  fide  orthodoxa  IV,  24 :  rj[ielg  ds  cpaptv,  r<p  ix 
TtaQ&svov  GuQxa&ivxL  @ecj  koycp  Q-ccQQiftavtsg,  cog  r\  xccQ&avLa  ava&ev 
xal  i^aQiijg  evsyvxtviT)]  xfj  a)i)G8i  xeov  ccv&qcüticov,  ix  TtaQ%tvov  yag  yijg 
6  avd-gco7iog  itayiAaörovQy \ixai.  In  der  Apostelgeschichte  des  Pseudo- 
Abdias  VIII,  5  sagt  Bartholomäus  zu  dem  indischen  Könige  Polymius: 
Terra,  de  qua  factus  est  Adam,  virgo  fuit,  quia  nee  sanguine  humano 
polluta  fuerat  nee  ad,  sepulturam  alicvjus  mortui  a  quoque  erat  aperta.  Par 
ergo  erat,  ut  (diabolus)  qui  filium  virginis  vicerat,  a  iilio  virginis  vin- 
ceretur.     In  der  Legenda  aurea  cap.  2    (Grässo  S.  IT)  sagt  der  Apostel 


4<; 


U'.IMIOLl)  KOHLEB 


Andreas,  als  er  mit  dem  Proconsul  Aegeas  disputiert:  Quia  de  Im- 
maculata terra  factus  fuerat  praevaricator,  congruum  fuit,  ut  de  immacu- 
lata  nasceretur  virgine  reconciliator.  Der  heilige  Sylvester  sagt  in 
seiner  Disputation  mit  den  Juden  nach  Simon  Metaphrastes  vita  Syl- 
vestri  28  (bei  Surius  vol.  IV):  Homo  ex  terra  formatus  incorrupta ,  in- 
corrupta  enim  tunc  erat  terra,  ut  qua'  nondum  fuisset  maledicta  neque  polluta 
sanguine  fratris  aut  ccedibus  aliorum  animalium  neque  mortuoram  corporum, 
ut  postea  vocata  esset  selpuchrum,  aut  profanis  actionibus  inquinata  et  sce- 
leribus.  Jacobus  de  Voragine  laut  in  der  Legenda  aurea  cap.  12 
(Grässe  S.  75)  den  Sylvester  sagen:  Terra,  de  qua  Adam  formatus  est, 
incorrupta  erat  et  virgo,  quia  nee  se  ad  bibendum  humanuni  sanguinem 
aperuerat,  nee  maledictionem  spinarum  aeeeperat,  nee  hominis  mortui  sejml- 
turam  habebat,  nee  serpenti  data  fuerat  ad  edendum.  Dem  entspricht  Kon- 
rads von  Würzburg  Sylvester  3429  ff,  besonders  3475: 

(diu  erde)  was  ein  mag  et  dannoch, 

wan  kein  schrunde  noch  kein  loch 

dar  in  von  starkem  büwe  gie, 

und  was  dar  üz  kein  dorn  nie 

gewahsen  noch  gegangen: 

ouch  was  si  dem  slangen 

dannoch  zeim  ezzen  niht  gegeben, 

der  sit  ir  gnaden  muoste  leben, 

und  mit  ir  wart  gespiset  hie. 

ouch  was  dar  in  begraben  nie 

kein  toter  mensche  dannoch, 

da  von  si  was  ein  maget  noch, 

und  äne  wandelunge  stuont, 

als  alle  kiusche  megde  tuont. 
In  der  Kaiserchronik    (S.  293  Diemer,   v.  9585   Massmann)    sagt 
Sylvester : 

diu  erde  was  maget  raine, 

si  genam  toten  lichnamen  nienehainen, 

noch  enphie  nie  mennischen  pluot, 

unze  Kain  sinen  prüder  resluch. 

daz  pluot  daz  von  im  ran 

der  erde  iz  ir  magetuom  benam. 
Im  Passional  78,  95  sagt  der  Heilige: 

den  ersten  menschen  Adam 

Got  von  der  erden  nam 

in  lobelicher  werde. 


DIE  ERDE  ALS  JUNGFRÄULICHE  MUTTER  ADAMS.  479 

des  muter  was  die  erde. 

die  was  noch  husch  und  gut, 

vor  allem  vluche  behut 

der  ir  dar  nach  wart  gegeben, 

do  ir  sun  trat  beneben 

zu  der  sunden  unvriunen. 

noch  niht  was  in  die  erde  kmnen 

menschen  blut  mit  unvlat, 

des  ir  swelgender  grat 

dar  nach  vil  und  vil  slant. 

ir  was  dannoch  unbekant 

der  vluch  in  sulcher  wise, 

daz  si  were  ein  spise 

der  slangen  an  ir  lebene. 
Innocentius  der  dritte  sagt  in  seiner  berühmten  Schritt  de  eon- 
temptu  mundi  sive  de  miseria  humanse  conditionis  (I,  3):  Adam  fuit 
formatus  de  terra,  sed  virgine.  Dieß  hat  Hugo  von  Langenstein,  der  in 
seinem  Gedicht  von  der  heiligen  Martina  einen  Theil  jener  Schrift,  wie 
ich  in  dieser  Zeitschrift  noch  näher  besprechen  werde,  bearbeitet  bat, 
übersetzt  (119,  15): 

do  Adam  gemachit  wart, 

dannoch  ivas  vil  unverschart 

diu  erde,  ein  maget  reine 

von  süntlichem  meine 

und  dannoch  unversündet. 
Vgl.  auch  vorher  117,  69: 

(diu  erde)  ivas  dannoch  ein  maget, 

als  diu  schrift  saget, 

von  gote  unverfluochet, 

mit  buwe  niht  versuochet. 
Ich  schließe   hieran    noch    Stellen   anderer   deutscher  Dichtungen. 
In  der  Bearbeitung  der  Bücher  Mosis  bei   Diemer  S.   10  heißt  es: 

dennoch  hete  werden 

magetuom  deu  erde, 

unze  Abel  geboren  wart, 

von  sineme  brüder  er  reslagcn  wart. 
daz  blüt  daz  von  ime  vür, 
daz  benam  ire  den  magetüm. 
In    einer  Bearbeitung    der    Genesis    (Diutiska   3,    58,    Hoffmann 
Fundgruben  2,  26)  sagt  Gott  zu  Kain: 


480      REINHOLD  KÖHLER,  DIE  ERDE  ALS  JUNGFR.  MUTTER  ADAMS. 

diu  erde  ist  verfluchet, 

diu  e  was  rein  unt  maget, 

diu  von  dinen  hauten 

dines  prüdere  plut  hat  verslunten. 

Ebenso  sagt  Sylvester  bei  Konrad  v.  3462: 
got,  unser  lieber  trehtin, 
sprach,  als  mir  diu  wärheit  swert, 
diu  erde  magt  und  unverwert 
sloz  uf  ir  munt  und  trank  in  sieh 
dins  bruoder  blnot  vil  clegelich.' 

Vgl.  Genesis  4,  11:     Nunc   igitur    maledictus  eris  super  terram, 
quae   operuit  os  suum  et  suseepit  sangninem  fratris  tui    de  manu  tua. 
Im  Anegenge  20,  22  heißt  es  bei  Abels  Ermordimg: 

do  gemailte  daz  bluot 

die  maget  reinen  erde, 

daz  der  gotes  werde 

vor  sinem  bruoder  üz  goz. 

Endlich  lesen  wir  im  Freidank  7,  8  (der  neuesten  Ausgabe  von 
Grimm): 

Got  geschuof  Adamen 

an  menneschlichen  sämen, 

Eve  wart  sit  von  ime  genomen, 

diu  beidiu  sint  von  megden  komen. 

diu  erde  was  do  reine  gar, 

do  was  Adam  und  Eve  bar; 

die  verlurn  sit  ir  magetuom. 

Viele  Handschriften  haben  aber: 

diu  erde  was  do  maget  gar. 

Wenden  wir  uns  schließlich  noch  einmal  zu  Wolframs  Stelle, 
von  der  wir  ausgiengen,  so  bleibt  uns  noch  zu  bemerken ,  daß  er,  so- 
viel man  aus  Rochats  leider  zu  wenig  ausführlicher  Vergleichung  in 
der  Germania  3,  107  schließen  kann,  diese  Anschauung  nicht  aus 
Chrestiens  von  Troyes  geschöpft  zu  haben  scheint. 

WEIMAR,  Juli   1862.  REINHOLD  KÖHLER. 


481 

LITTEEATÜE, 


Der  Minne  Regel  von  Eberhardus  Cersne  (?)  aus  Minden.  1404.  ^Mit  einem 
Anhange  von  Liedern  herausgegeben  von  Franz  Xaver  Wöber,  in  mu- 
sikalischer Hinsicht  unter  Mitwirkung  von  A.  W.  Ambros.  Wien  1861, 
bei  Wilh.    Braumüller.  (XXXI  und   265   und   8   SS.) 

Das  episch-didaktische  Gedicht  Eberhards  von  Minden  —  so  wollen  wir 
mit  Weglassung  seines  zweideutigen  Beinamen  den  Verf.  einstweilen  nennen  — 
verdiente  allerdings  herausgegeben  zu  werden  schon  um  seines  Gegenstandes 
Willen,  den  der  Dichter  ziemlich  geschickt  zu  einem  in  sich  zusammenhängenden 
Ganzen  verarbeitet  hat.  Nicht  minder  verdienten  wohl  auch  die  Lieder,  welche 
noch  zu  dem  Besten  gehören,  das  jene  Zeit  auf  dem  Felde  der  Lyrik  zu  leisten 
im  Stande  war.  eine  Bekanntmachung.  Der  bloße  Abdruck  aber  dieser  nur  in 
einer  einzigen  Handschrift  vorhandenen  Stücke  entspricht  dem  Bedüvfniss  doch 
zu  wenig,  da  die  Hs.  selbst  einer  so  späten  Zeit  —  „Mitte  des  15.  Jahrhun- 
derts" —  angehört  und  nicht  frei  ist  von  allerhand  Fehlern,  welche  namentlich 
für  solche,  die  nicht  gerade  Kenner  von  Fach  sind,  das  Verständniss  an  manchen 
Stellen  erschweren,  ja  die  Leetüre  geradezu  ungenießbar  machen.  Der  mnd. 
nicht  allen  Lesern  gleich  geläufige  und  genehme  Dialect,  in  welchem  das  Schrift- 
stück ursprünglich  abgefasst  ist,  erschwert  ohnehin  das  Lesen.  Es  ist  daher  zu 
beklagen,  daß  der  Herausgeber  so  wenig  gethan  hat,  die  mehrentheils  leicht 
erkennbaren  Verderbnisse  des  Textes  zu  beseitigen,  noch  beklagenswerther  aber, 
daß  er  es  überhaupt  gewagt  hat,  mit  Anmerkungen  und  Erklärungen  hervorzu- 
treten, welche  nur  zu  deutlich  verrathen  ,  daß  er  selbst  in  der  betreffenden 
Mundart  wenig  bewandert  und  in  den  Sinn  gerade  der  schwierigen  Stellen  nicht 
eingedrungen   ist. 

Ein  nahe  liegendes  Hilfsmittel,  welches  in  der  Auffassung  und  Würdigung 
dieser  oder  jener  Stelle  ihn  wesentlich  hätte  unterstützen  können,  hat  er  nicht 
zu  Rathe  gezogen,  ich  meine  die  Vergleichung  des  lateinischen  Originals,  des 
bekannten  Tractatus  de  arte  amandi  et  de  reprobatione  amoris  von  Andreas  Franco- 
gallorum  aulee  reglx  capellanus*).  Die  von  Dr.  Hartlieb  aus  München  auf  Ver- 
langen des  Herzogs  Albrecht  VI.  von  Oesterreich  verfasste  Übersetzung  dieses 
Tractates  ins  Deutsche  hat  zwar  ihrem  Inhalte  nach  in  der  Einleitung  des  Heraus- 
gebers eine  ausführliche  Berücksichtigung  gefunden  ,  ist  aber  doch  zu  diesem 
Zweck  von  äußerst  geringem  Nutzen  für  ihn  gewesen;  wo  er  sie  in  den  An- 
merkungen herangezogen  hat,  vermag  sie  das  Schwierige  und  Dunkle  kaum  auf- 
zuhellen und  zu  erläutern.  Ich  habe  zu  diesem  Behufe  die  Ausgabe  von  Deth- 
marus  Mulherus  benützt,  welche  den  Titel  führt :  Erotica  seil  Amatoria  Andrece 
capellani  regit,    vetustissimi  scriptoris,  ad  venerandum  smtm  amicurn  Gualterum  **) 


*)  Daß   die    wichtigsten  Abschnitte   daraus  bereits   bei  Arretin   S.  117    gedruckt 
sind,  scheint  dem  Herausgeber  entgangen  zu  sein. 

**)  Daß  dieser  Gualterus  auf  den  wandernden  Sänger  Walther  zu  beziehen  sei, 
von  dem  wir  noch  mehrere  lateinische  Gedichte  besitzen,  hat  J.  Grimm  in  Gedd.  des 
Mittelalters  auf  Kcenig  Friedrich  L,  S.  184  vermuthet.  Das  dort  S.  218  folg.  (=  Carm. 
Buran.  S.  155  folg.)  stehende  Gedicht:  De  Phyllide  et  Flora  hat  in  seiner  Schilderung 
des  parodisus  Amoris  von  Strophe  59  ab  manche  Ähnlichkeit  mit  der  Beschreibung  des 
worzegarten  der  Frau  Minne  bei  Eberhard  in  V.  367  folg. 

GERMANIA  VII.  3] 


482  LITTERATUR. 

scripta,  nunquam  ante  liozc  edita,  sed  s(epit*s  a  inultis  desiderata,  nunc  t andern  fide 
diversorum  M.  SS.  codicum  in  publicum  emissa  a  Delhmaro  Mulhero.  Dorpmundce, 
typis  Westhovianis ,  anno  Vna-Casü  et  Verl  <i  Man  Dte.  Der  erste  Theil  dieser 
Schrift,  welcher  von  der  Liebe  mehr  im  Allgemeinen  handelt,  ist  mit  Ausnahme 
der  auf  S.  7  7  —  78  befindlichen  tredecim  principalia  amoris  prcecepta  von  Eberhard 
unbenutzt  gelassen;  dasselbe  gilt  von  dem  letzten  Abschnitte,  welcher  de  repro- 
balione  amoris  überschrieben  ist  S.  234  —  27  1;  erst  da,  wo  die  einzelnen  quce- 
stiones  und  responsiones  beginnen,  von  S.  156  an,  hat  der  Dichter  des  vorge- 
fundenen Stoffes  sich  bemächtigt  und  ihn  in  der  freiesten  Weise ,  bald  ausführ- 
licher bald  kürzer,  seinem  Plane  gemäß  verarbeitet.  Von  einer  Benützung  des 
bei  Andreas  befindlichen  Materials  zeugen  sonach  bei  Eberhard  die  Verse  7  74 
bis  7  82  und  1019  bis  Ende;  alles  übrige  hat  der  Dichter  entweder  anders 
woher   entlehnt  oder   selbst   erfunden  *). 

Ein  zweites  Mittel,  welches  namentlich  zur  Berichtigung  des  vielfach  ent- 
stellten Textes  sich  leicht  hätte  verwerthen  lassen,  war  eine  genauere  Berück- 
sichtigung der  Metrik  und  zunächst  des  Reimes.  Aber  auch  darauf  hat  Herr 
Wöber  sich  soviel  wie  gar  nicht  eingelassen.  Sieht  man  von  den  hie  und  da 
eingestreuten  leoninischen  Hexametern  ab,  die  als  versus  memoriales  immer  nur 
eine  Regel,  eine  Vorschrift,  eine  spruchartige  Sentenz  hervorheben  sollen,  so  hat 
der  Dichter  die  vierzeilige  Strophenform,  wie  sie  auch  Johannes  Rothe  in  seinem 
Ritterspiegel  zeigt ,  überall  gewahrt.  Nur  sind  die  Strophen ,  wie  ebenfalls  bei 
Rothe ,  insofern  freier  und  beweglicher  gebaut ,  als  eine  jede  derselben  mit  der 
andern  verglichen  ihr  besonderes  Maß  hat,  keine,  wie  es  in  einem  lyrischen 
Stücke  nothwendig  wäre,  Silbe  für  Silbe  der  andern  gleich  zu  sein  braucht; 
anderntheils  haben  sie  ihren  strophischen  Charakter  auch  dadurch  eingebüßt, 
daß  sie  keinen  abgeschlossenen  Gedanken  darzustellen  brauchen  ,  daß  also  dem 
Sinne  nach  die  erste  Zeile  der  vorhergehenden,  die  letzte  der  folgenden  Zeilen- 
gruppe sich  anschließen  darf.  Wo  jedoch  eine  solche  Gruppe  eine  Zeile  mehr 
als  gewöhnlich  hat,  ist  meistens  nur  eine  Nachlässigkeit  des  Schreibers,  kaum 
ein  Versehen  des  Dichters  anzunehmen.  SjJäter  zugesetzt  scheinen  in  dieser 
Beziehung  folgende  Verse : 

V.  1638:  by  obir  linde  gründe,  welches  eine  nähere  Erklärung  des  folgenden 
Verses  abgeben  sollte;  vgl.  Andreas  S.  194:  rede  atque  provide  agh 'midier,  si  pro 
tali  desinat  esse  amore  sollicita,  quia  in  tali  tempestate  optatas  nunquam  inveniet  ancora 
ripas.  —  V.  3  6  7  3:  wil  sy  lob  ere  vazen.  —  V.  3  8  2  2  :  syt :  sus  auch  herwedirher, 
gebildet  nach  V.  3828,  um  dem  vorhergehenden  Satze  zu  einer  Copula  zu  ver- 
helfen. • — ■  V.  4631  :  an  eyner  guldin  ketken,  welcher,  wie  bereits  in  der  Anmerk. 
gesagt   ist,   drei   Zeilen   weiter  unten  wiederkehrt  und  dort  an  seiner  rechten  Stelle 


*)  Von  den  bei  Andreas  auftretenden  Namen  findet  sich  in  unserem  Texte  nichts 
wieder.  Die  Entscheidungen  über  die  verschiedenen  Liebeshändel,  welche  hier  der  Köni- 
gin der  Minne  in  den  Mund  gelegt  werden,  sind  bei  Andreas  verschiedenen  Personen 
beigelegt;  nach  einander  vertreten  nämlich  diese  Rolle  eine  comithsa  Campaniai,  comit. 
Flandrensis,  Regina  Almoriai.  Mengarda  Narbonensis ,  Domina  Narbonensis,  Dominai-um 
curia  in  Varsovia.  Der  von  Eberhard  nicht  genannte  Held,  welcher  den  henschin  nebst 
habich  (chirotliecam  und  acciiritrem)  von  des  Königs  Hofe  holen  soll,  ist  bei  Andreas  als 
ein  Brito  quidam  oder  quidam  Britania:  miles  bezeichnet  S.  220  folg.  Statt  des  obscuren 
Sydrus  erscheint  der  wahrscheinlichere  Name  Arturus.  Was  endlich  den  Namen  Truren- 
feld  betrifft ,  so  habe  ich  bei  Andreas  nichts  entdecken  '  können ,  was  an  denselben 
erinnerte. 


LITTEKATUJß.  483 

steht.    Nicht    gehört    hierher    der   V.   4 1 5    eingeflochtene    Hexameter  :    noch  dan 
quinternä  gyge  videle  lyra  rubeba. 

Ausgefallen  scheint  dagegen  ein  Vers  zwischen  Z.  62  6 — 6  27:  ir  mildikeit 
mit  tröste  \  daz  ich  ivas  di  irldste,  —  Zwischen  Z.  1832  — 1833:  dl  ist  geprübit 
Und  gemerkt,  \  an  dem  ist  ganz  di  lieb  bewerkt. —  Zwischen  2  24  3 — 44  fehlt  eine 
Zeile  mit  dem  entsprechenden  Reime  auf  ist;  ebenso  fehlt  nach  V.  2  7  82  ein 
Vers  nebst  Reim  auf  sere.  —  V.  295  7  —  5  8  sind  in  eins  zusammenzuziehen, 
davor  ist  wohl   eine   Zeile   ausgefallen. 

Wiederum  finden  sich  Störungen  durch  Umstellung  der  Verszeilen  ver- 
ursacht, so  in  Z.  1415 — 1416:  erloschen  hegen  etc.,  wo  die  zweite  vor  der  ersten 
stehen  sollte;  und  ebenso  Z.  3953  —  3954:  ich  ir  hij  nicht  nennen  etc.;  endlich 
in  Z.  29  91 — 29  92:  hän  der  puren  liebe  spil  u.  s.  w.  Der  Schreiber  nahm  hier  an 
der  parenthetischen  Satzstellung  Anstoß,  welche  allerdings  auffallend  genug,  aber 
bei  unserem  durch  die  lateinische  Satzfügung  verwöhnten  Dichter  nicht  selten  ist; 
man  vgl.  17  91  folg. :  siehslu  auch  din  liebichin  war,  so  hole  dich  vor  wenken,  sitzen 
an  der  frouwen  schar,  willü  nicht  liebe  krenken  (sieh  auch  Rothe  im  Ritt.  Sp.  549 
folg.)  =  Andreas  S.  181:  ab  Omnibus  decet  corporis  nutibus  abslinere.  Ahnliche 
Verschränkungen  noch  in  V.  2752  —  2755,  4379—4382,  2715,  3249,  3283, 
3380,  3609;  in  V.  2684  dagegen  scheint  man  frund  auctorilät  als  ein  Wort  lesen 
zu  müssen,   da  es  in  der  Vorlage  heißt:   irrefragabili  tibi  auetoritate  monstramus. 

Endlich  finden  sich  noch  Zeilen  durch  Weglassung  eines  Wortes  oder 
Buchstaben  am  Ende  derselben  verdorben,  wie  V.  3221  —  23:  grünlich  er  :  trugit 
dich,  wo  entweder  ser  nach  trugit  dich  ergänzt,  oder  er  gestrichen  und  grimmieh- 
lich  (wie  V.  4121)  statt  grynlich  gelesen  werden  kann.  —  Ferner  366  1  —  64: 
da  van  ir  zivier  heimlikeit  |  worde  kund  und  offenbar,  |  und  ir  lieb  in  hertzeleit  \  vur- 
wandelt  werden  und  gekart,  wo  der  zweite  Vers  wohl  lauten  muß:  mochte  kund 
und  offenbart ';  vgl.  Andreas  S.  214:  facile  possent  amoris  arcana  diffundi.- —  Schließ- 
lich eine  Stelle  aus  den  Liedern  12,  14,  wo  der  Herausg.  nicht  bemerkt  zu 
haben  scheint,  daß  der  Schreiber  am  Ende  ho  (  :  frö)  ausgelassen  hat.  Dagegen 
ist  sein  Versuch,  in  Lied.  5,  3  4  zu  bessern,  als  verunglückt  anzusehen;  das 
Fehlerhafte  des  Verses  liegt  hier  in  der  Häufung  der  Silben  ;  diese  Zeile  darf  die 
Länge  von  V.  7  oder  1  4  oder  2  7  nicht  übersteigen  ;  daher  man  eher  din  zarte  gut 
oder  din  gütlikeit  statt  din  zarte  gütlikeit  vermuthen  könnte.  Die  daselbst  folgen- 
den Verse ,  35 — 40,  müßten  eigentlich  das  entsprechende  Maß  von  V.  15  —  20 
haben;  villleicht  lauteten  sie  so:  fin  zarte  milde  j  iviz  rote  vilde  \  oych  (d.  i.  Auge) 
unde  herze  j  iviltü  mir  bilde,  \  so  iverden  wilde  |  pin  unde  smerze. 

Das  Zählen  der  Silben  ist  bei  Eberhard  als  stehendes  Princip  auch  in  der 
Minneregel  wahrnehmbar:  die  durch  Reim  mit  einander  gebundenen  Zeilen  müssen 
stets  gleiche  Silbenzahl  haben ,  ungezählt  bleibt  allein  der  Auftakt.  Wäre  der 
Herausg.  sich  dieses  Gesetzes  bewusst  gewesen ,  so  würde  es  ihm  hie  und  da  viel- 
leicht gelungen  sein  ,  das  Unechte  vom  Echten  zu  scheiden  und  den  von  späterer 
Hand  verunstalteten  Text  reinlicher  zu  gestalten.  So  fehlt  z.  B.  eine  Silbe  oder 
zwei  in  V.  7  15:  wer  feste  gäbe  git ;  —  in  V.  1511:  ein  man  in  liebe  was  un- 
dirtan  ist  eine  Silbe  zu  viel ,  was  daher  wohl  zu  streichen  und  in  den  Anfang 
des  folgenden  Verses  zu  setzen.  Überfüllte  Verse  stehen  noch  17  8,  182,  310, 
welche  sich  leicht  bessern  lassen.  Derselbe  Fall  in  V.  1971:  dyner  eidern  siege 
schelelewort,  wo  man   dinr  statt   dyner  zu  lesen   hat,   wie   es   z.   B.   in  dem  gleich- 

3i* 


484  LITTERATUR. 

langen   Verse    19  96    sich   wirklich   findet   oder   auch   dir  (wie   in   V.    2254);   eben 
so   steht   in   Lied.    19,    6    dyner  für   dir, 

Von  zweisilbigem  Auftakt  lässt  sich  nirgends  ein  beweisendes  Beispiel  auf- 
führen ;  wo  der  vorliegende  Text  dennoch  zwei  Silben  hat,  sind  diese  stets  der 
Art,  daß  sie  bequem  in  e^ne  verschliffen  oder  daß  —  wie  dieß  bei  unde  (und 
oder  ind'i)  namentlich  der  Fall  —  ohne  Weiteres  statt  der  längeren  die  kür- 
zeren Formen  gewählt  werden  können.  Z.  B.  319:  daz  gebüdit  (büdit?),  3  50 
und  35  4:  ir  gelich,  67  0:  si  bedütin,  95  2:  mir  genügit,  9  94:  so  enachtich, 
1039:  aber,  1203:  ez  envolge,  1579,  2608  u.  3289:  ich  neweiz,  2469:  si  ne- 
rüche,  25  65:  irer  (lies  ir  oder  er)  veyde,  27  23:  ubirein ,  2924:  irer  wordir, 
3140:   solde  si,    3228:   dun  darbst  u.  s.w. 

Außerdem  scheint  Eberhard,  wie  man  dies  bereits  bei  Conrad  v.  Würz- 
burg und  später  bei  Nicolaus  von  Jeroschin  und  Andern  beobachtet  hat ,  die 
Auslassung  einer  Senkung  innerhalb  eines  Wortes  zuweilen  zu  gestatten ,  wie 
z.B.  in  pdl-lds  V.  4534,  4559,  4049,  gi  -  gant  4316,  4508,  vi-ant  4519, 
guldin  4511,  unvorsichtich  (indiscretus  bei  Andr.)  206  5,  hofart  2106,  küscheid 
1536,  orlöb  2458,  horsam  2032,  woltät  3532,  zügang  4129,  armSt  3306  und 
2045  u.  2182  (für  welches  anderwärts  aber  aremöt  steht  z.  B.  3287  u.  1745, 
ebenso  arebet   3075). 

Aus  der  Behandlung  der  Metrik  geht  nun  hervor,  daß  der  Dichter  sich 
im  Ganzen  noch  an  die  im  14.  Jahrb.  geltenden  Normen  hält;  er  unterscheidet 
sich  darin  um  Vieles  von  Johannes  Rothe  aus  Kreuzburg,  in  dessen  Ritterspiegel 
z.  B.  die  Verse  sehr  verwildert  sind.  Wenn  dagegen  der  Herausg.  in  seiner 
Einleitung  S.  2  9  absprechend  bemerkt:  unmöglich  kann  eine  Dichtung,  die  in  Vers 
und  Reim  so  verwildert  ist,  wie  die  Minneregeln,  in  eine  so  frühe  Zeit  gesetzt  werden, 
so  darf  man  dies  um  so  eher  auf  sich  beruhen  lassen,  als  er  den  nähern  Nach- 
weis für  diese  Behauptung  schuldig  geblieben  ist;  daß  er  von  den  Reimen  des 
Dichters  aber  eine  falsche  Ansicht  hatte,  beweist  allein  schon  seine  Bemerkung 
zu  dem  Liede  4,  35,  wonach  er  es  sogar  für  möglich  hält,  daß  Eberhard  edir 
haßin  :  wassir  gereimt  habe.  Was  der  Dichter  selbst  (oder  ein  späterer  .Schreiber  ?) 
am  Schlüsse  seines  Werkes  von  V.  4813  ab  in  dieser  Beziehung  sagt,  kann  schon 
darum  nicht  in  Betracht  gezogen  werden,  weil  die  dort  gegebenen  Andeutungen 
zu  dunkel  und  unbestimmt  gehalten  sind;  und  wenn  dort  ferner  von  nicht  recht 
gemessenen  Versen  die  Rede  ist,  so  hat  man  dies  wohl  mehr  für  eine  Beschei- 
denheit des  Verfassers  anzusehen  als  für  einen  Beweis  dafür ,  daß  die  Verse 
wirklich  so  kunstlos  behandelt  seien ,  wie  der  Herausg.  sichs  gedacht  hat.  Daß 
der  Dichter  einer  altern  Zeit  angehört ,  als  es  nach  dem  vom  Schreiber  ihm 
angelegten  theilweise  modernisierten  Gewände  der  Sprache  zu  sein  scheint ,  be- 
weist übrigens  auch  seine  Bekanntschaft  mit  der  früheren  Literatur,  denn  darauf 
deuten  doch  die  Namen  Secundille  35  9,  Wolfram  von  E.  56  0,  Ilorand  5  6  3, 
Frouwenlob  5  6  3,  Nithard  von  dem  Ruwental  565,  der  Nebelungen  schätz ,  der 
Greken  golt  9  72,  der  hört  von  Babylon  9  75,  obir  mer  der  balsmen  gart  9  7  6, 
daz  laut  Ebron  9  7  7,  Krane  und  Acheloyde  S.  187,  Gral  S.  204,  und  endlich 
die  an  Neidhard   erinnernden  Namen  Humbolt  und  Metzelin  S.  210. 

Was  den  Reim  betrifft,  so  wird  man  aus  dem  Gebrauch  desselben  ersehen, 
daß  die  Mundart  des  Verf.  vorwiegend  niederdeutsch  war,  daß  der  jetzige  Text 
aber  einen  großen  Theil  seiner  mundartlichen  Formen  durch  die  Hände  der 
Ahschreiber  eingebüßt  hat.      Das    bunte    regellose  Durcheinanderlaufen    von  bald 


LITTERATUK.  4g5 

niederdeutschen ,  bald  gemeindeutschen  Wortformen  sticht  auffallend  ab  von  der 
Sprache  jenes  Fabeldichters  Gerhard  von  Minden,  eines  Landsmannes  von  un- 
serem Eberhard,  der  nur  um  weniges  älter  gewesen  zu  sein  scheint,  da,  als  er 
seine  Beispiele  dichtete,  düsent  und  dreihundert  jur  unde  seventich  verflossen  waren. 
Man  vergleiche  die  Mittheilungen  über  denselben  bei  \\  iggert  Scherfl.  2,  28  —  7  0. 
Weniger  auffallend  ist  der  Abstand  der  Sprache  gegen  Berthold  von  Holle, 
dessen  Eberhard  selbst  in  einem  Liede  gedenkt  *) ,  mehr  dagegen  wieder  in 
Vergleich  zu  den  Proben,  welche  in  Firmenichs  Germaniens  Völkerstimmen  von 
dem  heutigen  Dialecte  um  Minden  gegeben  sind.  Welche  Noth  einzelne  diabe- 
tische Formen  dem  Schreiber  machten,  wie  er  bemüht  war,  sie  durch  gemein- 
deutsche zu  ersetzen,  ersieht  man   aus  folgenden   Beispielen: 

So  nahm  er  Anstoß  an  dem  mnd.  6  für  mhd.  uo  in  gruz  (salutatio)  :  genuz 
(socius)  577,  956;  gruz  :  genuz  1316,  gruz  :  genoz  3125;  dagegen  reimt  in  den 
Liedern  5,  17  genote  :  amo  te;  grün  :  schon  58,  dagegen  grün  :  schon  342  ;  — 
tuon  :  Ion  (merces)  1165,  tun  :  thron  90  7;  unberührt  ist  dagegen  geblieben  fro  : 
thö  (fac)  2738,  rost  (quies)  :  tost  (facis)  Lied.  14,  19;  tzü  (ad)  :  jo  1355,  sonst 
so  :  jo  1858,  slöl  (sella)  :  hol  (amicus)  581  und  4689,  ungevoch  :  genoch  3225, 
hot  (custodia)  :  not  Lied.  11  ,  5,  bei  Gerhard  tö  '.fro,  vgl.  Bartsch  zu  Berth. 
Crane  Einleit.  S.  LIII.  Ferner  wird  das  mnd.  e  (=  mhd.  ie)  verdrängt  in  fied 
(fugit)  :  tzeed  (migrat)  7  40,  abetzeet  :  angesiet  2  3  04;  dagegen  wieder  gm  :  tzeen 
1608,  abetzeen  :  fleen  2590  u.  s.  w. ;  —  gebe  :  liebe  (amori)  1378,  1384,  1504; 
2451,  2459,  3076,  3569,  kne  (genua)  :  die  (ille)  4587,  sonst  knt :  ge  (eat)  6  27, 
vier  (quatuor)  :  ler  (vaeuus)  42  75;  irtzeygen  :  betregen  449  5;  tyeren  (bestiis)  :  re- 
geren 4  7  24;  dagegen  richtig  teer :  eer  (prius)  Lied.  15,  21  und  obirvel  (mhd. 
iiberviel)  :  snel  4140;  rvolgetzirde  (bene  decorata)  :  vil  wir  de  (mhd.  vil  werde)  2409; 
reyff  (clamari)  :  begreyff  (comprehendi)  205,  steyz  {==  mhd.  stiez)  :  beyz  :  geheyz  : 
enweyz  Lied.  7,  26;  dafür  bei  Gerhard  lep  (lief)  :  rep  (rief),  begrep  :  rep  3,117, 
deve  (für)  :  leve  (mhd.  liebe)  8,  37,  bei  (momordit)  :  het  (calidus)  50,  3,  bedregen 
wiegen  (muscam)  70,  17,  were  :  dere  (animali)  84,  6,  ben  :  vlen  (fugere)  84,26, 
vel  (cecidit)  :  snel  91,  85,  vgl.  auch  Bartsch  1.  1.  S.  LXI.  Nicht  minder  ist  das 
mnd.  e  (==  mhd.  ei)  in  folgenden  Formen  geändert :  seen  (vident)  :  meyn  (puto) 
1916,  ebireyn  :  besten  2748.  Von  Consonanten  ist  verdächtig  das  im  Auslaute 
statt  des  mnd.  j  (v)  gebrauchte  b  in  folgenden  Reimen :  dieb  :  schieb  (schief)  18  9, 
1356,  2286,  briebe  :  liebe  2648,  2663,  3900,  lieb  :  brieb  3607  und  3697; 
stip  (steif)  :  Itp  (vita)  39  72;  hob  (aula)  :  lob  86  0  und  40  20;  dahin  gehört  auch 
das  häufige  ab  =  oder;  Gerhard  sagt  dafür  def  27,  43,  dref  (mhd.  treip)  :  schef 
(schief)  63,  2,  hof-.grof  86,  9,  to  hove  :  low  86,  13,  Berthold  von  Holle  lif : 
wif,  lief,  blef,  dref,  hof,  lof ,  vgl.  Bartsch  1.  1.  S.  LX.  Gleich  verdächtig  und 
gewiss  vom  Abschreiber  eingeschwärzt  ist  z  (tz)  statt  des  mnd.  t  in  daz  :  saz 
(satur)  124  5,  gortil  :  schortzil  3  85  7  ;  zweifelhaft  ist  der  dunkele  Ausdruck  ertze 
in  dem  Reime  ertzen  :  hertzen  2683,  2702,  2740;  möglich  daß  hier  dieselbe 
Hand  tz  aus  t  änderte,  welche  oben  sat  in  saz  und  wahrscheinlich  auch  anevanc 
in  anevanz  umschrieb,  vgl.  V.  123  6  (anevanc  :  swqnc?)  und  166  5  (ganc  :  anevanc"?); 
sonst  findet  sich  der  Landessprache  gemäß  geschrieben  stert  (cauda)  :  phert  123  7, 
greit  (Sand;  gret?)  :  geleyt  7  2,  ingevalt:  gestalt,  öfter  hertlich  =  herzhaft  sieh  An m. 
z.    12   und   3542,   4080,   4624.      Andere  Beispiele    von   dem    schwankenden   Ge- 


*)  Lied.  1,  4:  sye  tivingt  mich  vie  dan  cranen  Achiloyde. 


486  LITTERATUK. 

brauch  einzelner  Formen  ließen  sich  außerhalb   des  Reimes  noch  in  Menge  auf- 
führen.  Es   mag   indessen   genügen,   hier   darauf  hingedeutet   zu   haben. 

Zur  nähern  Charakteristik  der  IIs.  und  um  zu  zeigen,  wieviel  der  Herausg. 
übersehen  und  theilweise  misverstandcn  hat,  hebe  ich  folgende  Stellen  hervor: 
V.  278  lies  gen  statt  des  ganz  vereinzelt  stehenden  gon.  —  V.  44  8  und  4  50 
müssen  wohl  sexte  und  fünfte  ihre  Stellen  vertauschen ;  der  Verbesserungsvor- 
schlag des  Herausg.  in  der  Anm.  dazu  ist  unwahrscheinlich.  —  V.  5  63  könnte 
statt  des  corrupten  chamera  vielleicht  Seneca  gelesen  werden,  dessen  Name  hier 
kaum  fehlen  durfte.  —  V.  5  78:  al  dyn  truten  toirt  gewant,  lies  irüren.  — 
V.  7  70  lies  disse  zile  für  dissez  tzile.  —  V.  781:  übe  nicht  der  mynne  spil, 
vor  dir  dan  liebichin  wil ,  lies  vordir  als  ein  Wort  und  tilge  das  Comma  nach 
spil ;  vgl.  Andr.  S.  7  8:  in  ainoris  exercendo  solatia  voluntatem  non  excedas  aman- 
tis.  —  V.  1120  folg.:  went  man  dy  sache  nydir  lid,  \  so  lyd  auch,  nydir  sundir 
feyl  |  daz,  da  van  tzu  suchende  phlid:  so  geben  die  Worte  keinen  Sinn.  Man 
ändere  man  in  wan  und  streiche  das  Comma  im  letzten  Verse ,  dann  stimmt 
damit  Andreas  S.  158:  causa  efficiente  remota  cito  eins  cessabit  effectus.  Über 
phlid  vgl.  1650.  —  V.  1161  lies  sieht  men  statt  sieht,  vgl.  Andr.  S.  159: 
nam  istud  in  ipsis  secularibus  videmus  edifieiis  evenire ,  quod  in  eis  dignior  pars 
fundamenla  dieuntur.  —  V.  1249  —  50:  unde  daz  dy  liebe  Mibe  frusl  \  gecrenkit 
unde  nicht  sere ;  um  Sinn  hineinzubringen,  schreibe  man  keine  statt  blibe ,  sowie 
gekrenke  statt  gekrenkit.  Das  Wort  frusle  findet  sich  noch  in  V.  2087  folg.: 
mit  sulchin  snoden  phanden  dy  frow  hat  rote  unde  frust  durch  sins  speles  froyde  dein, 
vgl.  Andr.  186:fidelis  amator  potius  debet  amoris  grarisshnas  eligere  peenas  quam 
vereeunda  coamantis  exaetione  potiri  vel  ipsius  spreto  rubore  gaudere ,  quia  non 
amator  sed  proditor  appellari  meretur  etc.  Unter  frust  verstehe  ich  Kälte  =  ge- 
vruste,  wie  der  Dichter  vilde  statt  gevilde  sagt,  vgl.  mhd:  Wb.  3,  414,  Clara 
Hätzl.  S.  88,  25;  2  49,  6  6.  —  V.  1575:  der  ist  nicht  sicher  liebe  wert,  lies 
sulchir  wie  in  V.  1634.  —  V.  15  85:  daz  ist  ein  lustlich  lieblich  zart  |  gab,  ebn 
allen  gaben,  hier  ist  Sinn  und  Versmaß  gestört,  lies  gäbe  ebir  (obir^  allen  gaben. 
—  V:  16  78  lies  nächläge  =  Nachfolgen,  Folge,  statt  nachtlage.  —  V.  1701: 
ydoch  sy  dusind  eyde  swern,  sy  meinens  al  vff  fromikeid,  das  gäbe  einen  falschen 
Sinn,  bessern  romikeid.  —  V.  17  10  lies  ir  ere  statt  in  ere.  —  V.  17  3  7:  so 
saltu  dir  beivisen,  lies  so  saltüt  ir  b.  —  V.  18  64:  daz  man  sy  nicht  vurstieze  (:vur- 
drieze)  vielleicht  vurscieze?  vgl.  Servatius  1204.  —  V.  1990:  gut  geferte,  behe- 
gelich  gang  etc.,  vielleicht  geperde  oder  gebere  statt  geferte ,  da  es  bei  Andreas 
S.  184  heißt:  multam  praeterea.  intentionem  praestat  amori  gestus  et  incessus  pla- 
cabilis  coamemti;  auch  V.  1875  ist  gestus  durch  geferte  wiedergegeben.  — 
V.  199  9  lies  gcrochle  gut  statt  gerechte  gut  und  vgl.  2052.  —  V.  2249  lies 
unrechtlich  für  vurechtlich.  —  V.  22  5  2  lies  und  in  iren  stat  (oder  und  an  i.  st.) 
für  undir  iren  st.  —  V.  23  3  0  lies  machlü  statt  mach.  —  V.  2501  lies  vursegen 
:=  versagen  für  vursigen.  V.  236  6:  entfengit  sy,  werden  sy  da  van,  lies  entfengt  si 
werden  sir  da  van  oder  entfengit  werden  si  da  van  =  entflammt,  aufgebracht  werden 
sie;  überdieß  gehört  ein  Comma  ans  Ende  der  vorhergehenden  Zeile.  V.  35  7  7 
folg. :  her  mag  frilich  da  Irinnen  |  dy  liehe  daz  nicht  icerlich  \  lang  ist  unde  vil  van 
hinnen,  lies  daz  liebe  da  nicht  w.  u.  s.  w.  vgl.  Andr.  S.  197:  nam  secura  polest 
cognoscere  veritate,  quod  amor  in  ea  nullatenus  perseverat,  quare  ergo  in  ea  suum  ponit 
effectum.  Also  iverlich  =  durabilis.  —  V.  2  6  40  lies  der  nuiven  lieb  statt  da  n.  I. — 
V.  2653    lies   züzeet   für   tzutzeer.   —   V.  27  11:   dy   ist  nicht   alleyn  geivant  lies   ah 


LITTERATUR.  487 

eyn  statt  alleyn.  —  V.  30  6  3  lies  gelebe  für  gelobe.  —  V.  3  060  lies  um  oder  vur 
statt  unde.  —  V:  322  9  lies  nü  meinich  für  nu  meyn,  vgl.  3427,  345  7.  — 
V.  3  2  53  lies  sach  in  treit  oder  sacke  treit  für  sack  treyt.  —  V.  333  2:  unde  gebem 
irer  minnenbunt,  lies  minnen  pant,  Unterpfand  der  Minne,  vgl.  vorpenden  3  06  8. — 
V.  3321  scheint  für  men  passender  nvv  =  aber,  doch,  vgl.  Andr.  S.  208:  si 
vero  postulaliones  eorum  videantur  aequales.  Über  mir  sieh  das  mhd.  Wb.  2,  144  , 
Das  sächs.  Lehnr.  ed.  Homeyer  47,  1  Anm.  und  S.  597.  —  V.  3361  lies  und 
zu  der  wedirliebe  statt  unde  tzu  der  liebe.  —  V.  3  3  86  lies  mocht  für  macht.  — 
V.  3  39  6  lies  worde  für  werde,  vgl.  3  38  7,  ingleichen  irworbe  im  folgenden  Verse 
für  iricerbe,  vgl.  3  660  worbe  :  stürbe.  —  3512  lies  wossin  gute  sete  an  statt 
wessen  u.  s.  w.,  vgl.  wox  =  mhd.  wuohs  in  V.  4298.  —  V.  3580:  dy  tut  dir 
Jceyn  gewinne,  streich  tut  und  setze  ein  Comma  am  Schluß  der  vorigen  Zeile.  — 
V.  37  91  lies  an  dem  ritter  scMge  recht  statt  sehe  gerecht,  vgl.  3  5  23.  —  V.  3819 
gibt  gemezelich  keinen  Sinn,  bessern  gemeinichlich,  vgl.  3S83.  —  V.  385  9  lies 
confect  statt  confert,  vgl.  Ges.  Abent.  3,  233  (V.  1372)  und  C  v.  Megenb. 
284,  13.  —  V.  3804  lies  macht  statt  mach.  —  V.  3881  verlangt  der  Zusam- 
menhang ein  Comma  nach  bescomoe  Jceyn;  sinnstörende  Interpunctionen  tilge  unter 
andern  auch  3815,  3825.  —  V.  3886  vielleicht  von  der  unreinikeid  statt  unde 
der  unreynikeyt'i  —  V.  3893  für  altzuvil  gäbe  hier  bessern  Sinn  alletzil  =  alle 
Zeit,  immer,  vgl.  Pass.  H.  340,  90  und  Pass.  K.  494,  85.  —  V.  3960  lies 
sicher  statt  siehe.  —  V.  39  7  2  für  auch  lies  mach.  —  V.  403  8  lies  di  frowen 
statt  den  frowen.  —  V.  4184  lies  dorch  für  doch.  —  V.  4  208:  den  hengst  hob 
er  tztin  siten  =  Andr.  224:  cogens  calcaribus  cquum;  das  Präterit.  von  howen 
lautete  auf  mnd.  heb,  vgl.  4234  und  44  9  3  (deb  :  heb?)  aber  auch  how  oder  hob 
wie  bei  Witzlaw  in  MS.  3,  7  9a  und  bei  "Gerhard  von  Minden  3  3,  3  9.  —  V.  42  74 
ryneren,  richtiger  wohl  rioeren  wie  in  Berth.Crane  18  78  und  1883.  —  V.  4281  —  82: 
eyn  wolgetzyret  pallas  j  michel,  hoch,  rund,  senenfalt',  die  zwei  letzten  Worte  sind 
offenbar  verschrieben,  man  lese  dafür  und  senewalt  =  mhd.  sinwel,  vgl.  seneicold 
im  Sachsensp.  ed.  Hom.  1,  63,  4,  sienewelde  bei  Gaupp  Das  alte  Magd.  u.  Hall. 
Recht  S.  345  (§.  7  0)  und  im  Kulm.  Recht  ed.  Leman  2,  7  4  nach  A.  einen  sene- 
welden  schilt.  —  V.  4313:  wy  ich  den  tormer  (?)  horte  slan ,  lies  tonre  für  tormer, 
vgl.  Andr.  S.  22  5  :  quod  quasi  tonitrua  videbantur  ex  propinquis  partibus  orta;  Kced. 
von  Salfeld  81,  2  9:  der  donre  hatte  si  geslagen. —  V.  44  23:  liestü  dich  du  nydir 
slan  |  eyner  der  tzu  füze  gat,  lies  einen  statt  eyner.  —  V.  44  2  9  lies  numme  er  gen 
für  nymmer  gen.  —  V.  442  9  lies  wille  für  will.  —  V.  44  9  4  ist  ich  an  sine 
phande  stach  unklar;  vielleicht  stund  gebende,  gebeinde,  oder  peinde  beinde  statt  phande  ; 
so  steht  gebeinde  in  Pass.  H.  70,  69;  Eike  von  Repg.  Zeitb.  323,  7;  351,  12; 
geheime  bei  Pfeiffer  Beitr.  z.  K.  der  Köln.  Mundart  98;  in  den  Minneregeln 
findet  sich  noch  gebirgete  42  7  2  und  gesteinte  4133.  —  V.  4555  lies  obirzalich 
als  ein  Wort.  —  V.  4  6  33  lies  da  sach  ich  für  do  sach.  —  V.  469  7  lies  der 
frowen  schar  statt  der  frouwe  seh.  —  Lied.  1,  11  muß  es  heißen:  vorwar  ich 
bitters  ni  enbeiz  (  :  enweiz)  statt  enweiz ,  obwohl  sonst  im  Nothfalle  dergleichen 
unerlaubte  Reime  mit  unterzulaufen  scheinen  wie  teert  :  wert  3  63  6  (?)  ,  vil  :  eil 
891,  hän  :  hän  2933  (?).  —  Lied.  15,  40:  ich  dyn  nicht  enber,  lies  ich  din  nicht 
enger.   —  Lied.  19,    17    lies   ich  geren  oder  ich  gere  statt   ich  gerne. 

Reich  an  Misverständnissen  und  verunglückten  Erklärungsversuchen  sind 
besonders  die  Anmerkungen  des  Verf.  Da  sie  den  Leser  leicht  irre  leiten  können, 
bedürfen   sie   ganz   besonders   einer  Widerlegung.    In   V.    4  3   ist   nowelich  =  asgre, 


488  LITTERATUR. 

kaum,  =  genouwe  genotce  genau,  sieh  Diutisc.  2,  212  districte  nouweleke ,  nicht 
aber  =  „ze  jungest,  zuletzt."  —  Are  misverstanden  in  V.  83:  Jaspis  war  (lies 
was)  der  ergeste  stein  mang  den  andern  ingevalt,  d.  h.  Jaspis  war  unter  den  dort 
befindlichen  Edelsteinen  der  geringste,  Wöber  dagegen :  hier  ist  es  so  viel  als  her- 
vorragend, am  meisten  in  die  Augen  fallend.  Ebenso  falsch  versteht  er  es  in  V.  37  4: 
balsamies  daz  worzelin  an  gutem  roch  herfizer  schein,  doch  tüchte  mirs  daz  ergeste 
sin,  auch  hier  ist  es  =  das  verhältnissmäßig  geringste,  am  wenigsten  edele. 
Ingevalt  endlich  ist  wohl  nicht,  wie  Wöber  meint  „(=  eingefaltet)  zusammen- 
gelegt (valte  =  die  Falte)" — ,  fondern  so  viel  als  eingelegt,  von  valten  velten 
=  mhd.  valzen  velzen;  letzteres  in  ähnlichem  Zusammenhange  in  den  Beispielen, 
welche  das  mhd.  Wb.  3,  234b  aufweist;  dasselbe  Wort  kehrt  wieder  V.  45  5.  — 
V.  103  kann  vast  nimmermehr  bedeuten  „der  Ort  worauf  etwas  ruht,  die  Grund- 
lage", sondern  vielmehr  =  Stand.  —  Tzymlurgit  soll  heißen  rmit  Burgzinnen 
versehen"  in  V.  114.  Vielleicht  nur  dialectisch  für  zimbergit,  gezimbert ,  vgl. 
ahd.  zimbarjan.  —  Herden  (:  geverden)  in  V.  14  7  falsch  gefasst  =  Wachsamkeit 
—  also  die  beständige  Furcht,  in  der  ein  Liebender  schwebt;  vielmehr  =  mhd. 
herten  ausharren,  standhaft  und  treu  bleiben,  mhd.  Wb.  6,  6  38;  herten  :  geverten 
in  Pfeiffers  Jerosch.  S.  17  4,  geverden  :  vulherden  bei  Gerhard  von  Minden  91,  5  2, 
Schcenemann  Sündenf.  S.  17  3a.  —  V.  189:  ich  hugke  ich  ge  crump  unde  schieb, 
hier  soll  hugke  so  viel  sein  als  ich  meine,  glaube;  dagegen  streitet  aber  der  Zu- 
sammenhang. Sicher  ist  das  von  Frisch  1,  45 9b  verzeichnete  hocken  gemeint  = 
sich  niederkauern  oder  gebückt,  unter  einer  Last  gehen,  das  im  md.  und  nd.  noch 
fortlebt;  ebendabin  gehört  die  Stelle  in  den  Liedern  13,  49.  —  V.  253  wird  cho 
als  Imperativ  von  quedan  genommen,  ebenso  V.  6  3  9.  Ich  weiß  nur,  daß  der  Im- 
perativ  im  ahd.  quid,  chid  lautete;  der  Herausgeber  hätte  seine  Auffassung  durch 
andere  Beispiele  begründen  sollen  ;  jedenfalls  hat  er  oder  der  Schreiber  verlesen 
für  tho.  —  V.  3  6 1 :  ir  roch  roch  camomillen  und  allir  blomen  honte  (:  obirschönie) 
d.  i.  ihr  Geruch  dem  Geruch  der  Chamille  und  aller  Blumen  spottete,  übertraf  ihn. 
Was  sagt  der  Erklärer?  „allir -honte,  allerhand"  —  man  traut  kaum  den  Augen!  — 
V.  4  35:  men  horte  sy  nicht  snaven  (loctaven)  heißt  es  von  den  harmonisch  klin- 
genden Vögeln,  man  hörte  sie  nicht  wanken  in  der  Stimme,  nicht  falsch  singen, 
=  snaben  sneben  vgl.  Grimm  z.  Reinh.  S.  2  8  8,  Fromm,  z.  Herbort  2  0,  Frauenlob 
Spr.  28,  16;  46,  15  ;  51  ,  18;  116,  19;  Rothes  Chr.  S.  726,  Ritt.  Sp.  1811 
und  2366.  Der  Herausgeber  denkt  fälschlich  an  „schnauben,  schnaufen."  Ebenso 
unrichtig  ist  es  zu  V.  877  mit  „schnappen,  haschen"  erklärt;  sieh  Gramm.  1,  463 
ed.  IL  —  V.  45  7:  darnach  ir  sechse  sungen  icol  |  gar  sfizlich  obir  den  faven  |  ut, 
re,  mi,  ffä,  lä,  sol  \  daz  wären  die  oetäven.  Bei  faven  denkt  der  Erkl.  an  ,.faba, 
Bohne  d.  h.  Notenkopf"  und  fasst  ober  den  faven  =  „nach  den  Noten."  Schwerlich 
richtig.  Sollte  sfizlich  obir  den  faven  nicht  soviel  sein  als  dulcius  favis  oder  dulcius 
quam  favi?  vgl.  die  ganz  gleiche  Ausdrucksweise  in  V.  50  4:  daz  wassir  obir  lutler- 
drang  hatte  einen  süzin  smag;  überdieß  sind  lateinische  Wörter  bei  unserem  Dichter 
äußerst  häufig  in  dieser  Weise  verwendet,  namentlich  im  Reim,  sieh  die  Anm.  zu 
229.  Der  dritte  der  oben  angeführten  Verse  ist  um  eine  Silbe  zu  kurz,  wahr- 
scheinlich ist  ein  und  oder  ind  ausgefallen.  —  Zu  V.  615  ist  die  Bedeutung  von 
spiln  viel  zu  flach  und  unbestimmt  gefasst  in  den  Worten:  min  gunst  in  liebe  zu 
dir  spilt  und  V.  99  7:  min  herze  diner  liebe  spilt  =  nfroh  werden,  sicherfreuen"; 
vielmehr  =  exsultare,  tremere ,  vor  Freuden  hüpfen  ,  freudig  und  lebendig  sich 
regen,   so  bei   Walther    120,    13:   unde  spilet  im  sin  herze  g ein  der  wunneclichen  zit, 


LITTERATUK.  489 

Servatius  2  736:  daz  herz  spüle,  2257:  der  g eist  spilte  in  den  liden,  Krolew.  30: 
min  herze  spilt,  Merswein  119:  min  herze  vert  spilende  vor  freuden,  Ernst  von 
Kirchb.  66  2:  so  lange  sin  herze  spilte  =  lebte,  Alex.  ed.  Massm.  5154:  zözin 
spilete  uns  der  Hb  =  hüpfte  ihnen  entgegen.  —  V.  66  7  :  ir  eere  ne  was  noch 
ni  gesengt,  hier  wird  gesengt  von  sengen  abgeleitet  und  mit  ahd.  bisengan  sowie 
mit  „schroten"  verglichen;  es  ist  aber  ohne  Zweifel  mnd.  Form  von  senken, 
vgl.  2  051:  nidersenkit  wirt  daz  gute  gebuchte  dm  und  3547:  di  begnnde  senken 
sin  qnäd  geruchte  und  16  40:  senken  sich  begunde  liebe.  —  In  den  Ausdrücken 
zacht  ist  alles  leides  büd  (:  gud)  683  und  7  2  9,  wer  aber  were  lasiirs  büt  (-.gut), 
des  werdit  her  ze  male  bfit  1836  kann  unmöglich  ein  Zweifel  sein  über  die  Be- 
deutung von  büt  (  =  mhd.  buoz);  Wöber  glaubt,  es  könne  hier  auch  but  = 
„das  stumpfe  Ende  eines  Dinges,  finis"  (?)  gemeint  sein.  —  V.  803:  halde  dich 
durch  keinen  bach  (:  gäch)  ein  minner  und  enrceme  nicht ;  gegen  den  Zusammen- 
bang wird  hier  buch  mit  „Streit,  Hader"  übersetzt,  richtiger  war  =  gloriato 
Prahlerei,  vgl.  Pfeiffer  in  dieser  Zeitschrift  1,  226  —  2  27;  6,  160  (10);  und 
Bartsch  über  Karlm.  26  6;  Hoffm.  Glossar.  Belg.  6.  —  V.  951:  wiltü  mir  nicht 
lieb  gehän  soll  nach  der  Anm.  bedeuten,  „Liebe  erwiedern";  der  Herausg.  täuscht 
sich  über  die  mnd.  Form  mir ,  vgl.  Bartsch  Anm.  zu  Berth.  v.  Holle  Darifant 
2  3  0.  —  V.  965:  ich  wende  mir  wol  dusintfald  \  gröz  Ud  ich  um  dir  swenke; 
vom  Herausg.  sivenke  als  Zeitwort  gefasst  und  van  statt  um  vermuthet.  Beides 
falsch!  um  dir  ist  mnd.  =  um  dich,  um  deinetwillen;  daher:  ich  erdulde  (lidich) 
um  dich  viel  Anfechtungen.  Mir  im  Sinne  von  mhd.  mich  ist  in  dieser  Dichtung 
so   häufig,   daß   man   sich   billig   über   die   Auffassung   des   Erkl.   verwundern   muß. 

—  V.  9  95  folg.:  du  bist  di  mir  den  sin  enisert ,  den  mir  nxmand  machen  ganz 
kan  dan  du  frmve  alleine;  hier  soll  entseren  soviel  sein  als  „heilen".  Nimmer- 
mehr! Ebenso  falsch  aufgefasst  ist  V.  2  601  folg.:  men  sal  im  nicht  gemachen 
sund  I  sin  wunden,  di  im  sint  entsert,  wo  noch  überdieß  falsch  interpungiert  war. 
An  beiden  Stellen  ists  vielmehr  =  verwunden.  Ahnliche  Bedeutung  hat  das 
Präfix  ent —  noch  in  entoffenen  3918  =  eröffnen,  entließen  =  Haft  gewinnen  7  5, 
entioiden  =  erweitern ,  aufthun  2183,  endlich  das  dem  Herausgeber  dunkel  ge- 
bliebene  entrouwen   in  V.  647,    1008,    2641    =   acquiescere,   perseverare,   durare. 

—  V.  1132  :  begynnlich  unde  naturlich,  hier  soll  beg.  sein  „vom  Anbeginn  her 
bestimmt";  vgl.  jedoch  Andr.  S.  158:  principale  et  naturale  etc.  —  Das  zu 
V.  1217  besprochene  Hauptwort  vüd  st.  m.  ist  sehr  unwahrscheinlich  mit  mhd. 
miete  verglichen,  sicherer  war  es  von  nnden  =  vitare  abzuleiten ,  also  =  Ver- 
meidung, Unterlassung,  Verachtung,  Verschmähung,  und  nur  so  gefasst  lässt  sich 
den  betreffenden  Stellen  ein  Sinn  abgewinnen,  z.  B.  :  nich  habe  frouwe  miner  mid 
=  laß  mir  keine  Zurückweisung  zu  Theil  werden  ,  verschmähe  mich  nicht,  und 
V.  1869:  des  salin  habin  keinen  und  =  das  sollst  du  nicht  unterlassen,  Andr. 
S.  182:  illud  non  est  ab  amantibus  omittendvm ;  V.  1881:  wenl  iz  alles  leid  gebit 
unde  nicht  dan  und  =  es  bat  nur  Leid  und  nichts  als  Verachtung  zur  Folge; 
V,  3194  :  her  hatte  sines  liebes  mid  =  vermied  sein  Liebchen,  bei  Andr.  S.  206  : 
a  prioris  domince  cessauit  solatiis.  —  V.  1265:  zum  polle  wart  unde  nicht  zur 
erden,  hier  wird  polle  mit  „Wipfel"  erklärt.  Sollte  nicht  an  polus,  pol  hier  ge- 
dacht sein  =  nach  dem  Pol,  dem  Himmel  zu,  aufwärts?  —  V.  17  07  folg.:  ein 
teil  auch  reiner  frouwen  zucht  |  mid  linden  süzin  wordin,  j  wan  si  hau  irs  willen 
frucht ,  |  ir  ere  dieblich  mordin.  Nach  der  Anm.  soll  hier  das  Prädicat  gert  aus- 
gefallen  sein   im   Anfange   des    2.   Verses.      Das     ist     metrisch     schon     unmöglich. 


490  LITTERATUR. 

Der  Dichter  ist  reich  an  Beispielen  ungewöhnlicher  verschränkter  Wortstellung. 
Vgl.  übrigens  Andr.  S.  194:  post  fructum  laboris  assumptum  tergiversatur  amanti. 
—  V.  1924:  tzornik  unde  er  (:  si-r)  ist  er  nicht  ganz  richtig  mit  „argwöhnisch, 
eifersüchtig"  wiedergegeben;  vielmehr  =  acerbus,  aufgebracht,  vgl.  3080,  3221, 
4439,  Schoenemann  1.  1.  S.  172;  sich  erren  =  sich  veruneinigen  bei  Stolle  Erf. 
Chron.  S.  2  5  und  81,  Diutisc.  2,  213:  exacerbare  vererren,  exacerbatio  verer- 
ringe, 2  20:  irritare  erren.  —  V.  2  000:  daz  tut  gar  grofflich  tobin  (:  lobin)  in 
bernendir  liebe  dinen  müt;  hier  wird  jedermann  toben  für  furere  insanire  nehmen, 
nimmermehr  aber  mit  Wöber  an  „tobben  toppen  zaphen  ziehen  anziehen  denken. 
Ferner  heißt  es  von  gr  off  lieh  „d.  i.  grovlik  von  grov,  bedeutet  eigentlich  schwanger. " 
In  md.  Dialecten  wie  im  Passional ,  bei  Ebernand  von  Erfurt,  in  der  Erlösung 
habe  ich  von  dieser  „eigentlichen"  Bedeutung  nichts  entdecken  können;  was 
der  Herausg.  erwähnt,  ist  wohl  eher  eine  abgeleitete  Bedeutung,  wie  sie  zu- 
weilen das  adj.  gröz  und  das  sw.  v.  grozen  hat;  gewöhnlich  ist  grobeliche  nur 
=  valde  affatim  vehementer.  —  V.  2  004:  noch  syt  vele  Sachen  mir  —  —  dt 
di  liebe  oychin  sir  =  Andr.  S.  184:  sed  et  alice  forte  sunt  causce  quibus  amor 
extenditur.  Dies  ist  gänzlich  misverstanden,  wenn  in  der  Amn.  oychen  so  erklärt 
wird:  „goth.  äug j an ,  ardugjan ,  also  etwa:  ans  Tageslicht  bringen,  fördern, 
meren  und  preiteH."  Vgl.  vielmehr  Diutisc.  2,  2  02:  augere  oken,  augmentum  okinge, 
und  Eike  von  Repgow  Zeitb.  107:  Augustus  dat  qmt  en  dkire  des  rikes  und 
S.  544  und  545;  oknisse  =  augmentatio  S.  567;  hiernach  ist  das  Wort  von 
augere  gebildet  ;  hierher  gehört  auch  wohl  das  aus  Frauenlob  im  mhd.  Wb.  2, 
4  5  la  vermerkte  ouchen.  —  V.  2  0  30  :  die  liebe  von  im  slichit  gar  heimelichen 
sundir  gil  (:icil);  ob  sundir  gil  mit  dem  Erkl.  für  „freudlos"  zu  nehmen  sei, 
ist  noch  zu  beweisen.  Bei  Meister  Altswert  8,  2  7  steht  dem  (geböte)  lebe  ich 
sunder  gille  (  :  wille).  —  V.  2183:  wan  —  sich  dan  nicht  entwidet  \  din  bulil 
unde  hülfe  tat  ist  misverstanden  in  der  Anm. ,  in  welcher  an  twiden  zwiden  op- 
temperare  gedacht  wird;  sich  twiden  gäbe  hier  an  sich  schon  keinen  Sinn,  wenn 
man  nicht  etwa  si  statt  sich  lesen  wollte.  Entwiden  ist  offenbar  hier  =  erwei- 
tern  öffnen   aufthun.   Vgl.  Andr.  S.  187:   si  alteri  coamantium  necessitates  maximas 

patienti  abundans  manus   alterius  non  suecurrat  etc.   —   V.    23  42:   din  lieb 

lieblich  zu  dir  spyret  (  :  getziret)  ,  hier  ist  spyren  spiren  wohl  =  lat.  spirare, 
nicht  aber  =  „spüren",  welches  spuren  lauten  würde  wie  in  Lied.  16,  26; 
bei  Andr.  S.  190  lautet  die  Stelle:  aut  ipsa  in  tuo  atnore  crescit  aut  de  alterius 
est  amore  sollicita.  Das  Wort  steht  noch  in  Lied.  3 ,  18:  von  windes  slur  dir 
feigen  hang  gar  hezlich  si  zuspiret  (:  geziret)  ^zerweht,  zerzaust.  —  V.  263  7: 
irlufftit  si  di  blicken  der  liebe,  hier  ist  irluftit  =  erleuchtet  genommen.  Sollte  es 
nicht  von  luft  abzuleiten  sein  =  erheben  öffnen?  man  vgl.  mhd.  Wb.  1,  1051% 
füge  hinzu  Albrecht  v.  Halberst.  ed.  Bartsch  XXIV,  216:  do  begunde  sie  zu 
lüfte  die  arme  unde  ersufte;  Martina  114,  108:  der  mensche  —  —  sich  stete 
guftet,  sin  herze  lüftet  gar  über  sin  geleze  und  118,  109:  der  mensche  —  — 
sich  su  hohe  lüfte  und  sich  mit  hofart  gifte;  119,  6  :  swie  er  sich  hie  güfte  und 
sin  herze  lüfte.  Im  mnd.  pflegt  wohl  mhd.  luft  in  luht  überzugehen,  nicht  aber 
umgekehrt;  schwerlich  ist  also  lüften  dem  mhd.  Muhten  analog.  Daher  wird  V.  112 
der  pinnakel  —  luftit  sam  ein  fakel  anders  erklärt  oder  lühtit  für  luftit  geschrieben 
werden  müssen.  In  V.  3513  ist  erluftit  =  sublimatus  educatus  zu  nehmen, 
worauf  auch  das  Original  deutet  Andr.  S.  213:  quem  de  impröbitatis  vitio  ad 
summum   curialitalis  ac  probitatis   eulmen  adduxit.  —    V.    2  6  93    folg.:   nicht  tragen 


LITTERATUR.  491 

obirein  di  rechte  pure  minne  und  di  genennet  ist  dt  mein.  Mit  „mhd.  mein,  nefa- 
riusa,  wie  Wöber  glaubt,  kann  das  hier  stehende  mein  nicht  verglichen  werden; 
richtiger  ists  =  mhd.  gemeine  vulgaris  vulgivagus,  wofür  im  Original  communis 
steht;  ebenso  zu  fassen  ists  in  V.  2974:  van  sulchin  meinen  frouwen  und  V.  2  9  9  9, 
endlich  meinichlich  =  vulgo  in  V.  3  883  ,  vgl.  das  Sachs.  Lehnrecht  ed.  Ho- 
nieyer  7  1  ,  Anm.  2.  Hier  gilt  das  vom  Herausg.  zu  V.  20  vermerkte.  — 
V.  293  9:  man  sal  si  iverffen  uff  der  kfd  |  unde  mit  in  halden  keine  duld.  Das 
in  der  Anm.  herangezogene  österreichische  Sprichwort:  „Ein'  auf  d'Haut  außi 
leg'n"  hat  in  dem  mnd.  Dialect  keine  Analogie;  hfit  ist  jedenfalls  =  huote  zu 
nehmen  und  für  uff  wohl  uz  (a/?)  zu  schreiben.  Einen  üz  der  hüte  werfen  wäre 
^  anßer  Acht  lassen ;  das  Gegentheil  ist  in  sine  huote  ziehen  Mai  und  Beafl. 
12  7,  12.  —  V.  3858  buxin  unde  vingerUn  werden  unter  den  Gegenständen 
aufgeführt,  mit  denen  Liebende  sich  gegenseitig  beschenken  sollen.  Der  Herausg. 
versteht  alles  Ernstes  „Beinkleider"  unter  buxin.  Eines  Bessern  kann  ihn  das 
mhd.  Wort.  1,  27  7a  belehren.  Im  Andr.  S.  219  werden  genannt:  ornata  capil- 
lorum  ligamina ,  auri  argentique  coronam,  pectoris  fibulam,  speculum  et  cingulum, 
marsupium  laterisque  cordulam  ,  lacamentum ,  vascula,  repositoria,  vexilla.  — 
V.  3418:  in  liebe  was  getappelt  fast  ein  minninglkh  juncfroiuelln.  Das  in  der 
Ann",  herangezogene  tobbeln  =  „ziehen"  oder  „ein  heimliches  Liebesverhältniss 
mit  einer  Person  haben"  trifft  dns  Richtige  so  wenig  als  die  Verweisung  auf 
„topp  =  Zopf".  Der  Herausgeber  hat  sich  auch  hier  mehr  an  den  Klang  des 
Wortes  als  an  Sinn  und  Zusammenhang  gehalten.  Man  lese  gecoppelt  für  getappelt, 
darauf  führt  auch  Andr.  S.  2 1 0  :  cum  idoneo  satis  copidaretur  amori  und  an  einer 
Stelle  :  quidam  cum  ignoranter  se  agnatce  copidasset  amori.  Über  koppeln  kuppeln 
sieh  mhd.  Wb.  1,  915b;  vgl.  Pass.  K.  407,  40,  Martina  57,  57;  267,  29.  — 
V.  4292:  ich  eyne  silberyn  kouchen  vand  |  gevult  mit  wassir  rysche,  |  do  u-as  in 
wassir  unde  gras  etc.  Der  Herausgeber  vermuthet  kache  kachel  Tongefäß  nach 
„Tilling".  Das  Richtige  ergiebt  sich  aus  Andr.  S.  225:  in  eodem  prato  jocunda 
concha  residebat  argenti  purissima,  in  qua  sufficienter  equi  potus  pabida  consistebant. 
Sonach  ist  konchen  zu  lesen  oder  kochen,  mhd.  Wb.  1,  857a.  —  V.  4522:  sus 
was  des  scryes  reuschen  (:  henschen).  Der  Art  Reime  sind  bei  Dichtern  unerhört. 
Sicher  ist  renschen,  welches  der  Herausg.  nicht  verstanden  hat;  vgl.  Frisch.  2, 
458":  ndat  wrintschen  der  Pferde,  hinnitus,  holl.  wrentschen,  hinnire"  ;  Graff. 
Spr.  1,  978 — 79,  Homeyer  zum  Sachsensp.  S.  400  ed.  I ;  in  Düringen  sagt  man 
noch  brensch  brenschen.  —  V.  4  6  25  :  daz  her  nicht  ein  kyt  nesach.  Was  kyt  sei, 
gesteht  der  Herausg.  nicht  zu  wissen.  Vgl.  darüber  Schmeller  2,  28  2 — 8  3  keid, 
genimen  und  Myst.  2,  532,  34  und  35;  noblen  kyth  =  Nadelöhre  bei  Rothe 
Elisab.  2055  B.  —  V.  48 1 9  bedeutet  chylindirt  und  gemessin  =  abgerundet 
und  abgemessen ;  des  Herausgebers  Vermuthung  gelindert  für  chylindirt  war  un- 
nöthig.  —  V.  4821:  daz  di  rhne  sundir  Urne  und  siohne  hellen  wol  gesezzen. 
In  der  Anm.  steht  „Um  d.  i.  gelimpf ".  Das  heißt  doch  dem  Leser  zu  viel  zu- 
muthen !  —  In  dem  dritten  Liede  S.  190  klugt  der  Dichter  die  houmes  blüt  an, 
die  ihm  im  Wege  sei,  ihm  seine  Lust  und  Wonne  geraubt  habe,  und  verflacht 
sie,  nachdem  er  ihr  wie  „Jonatas"  dem  Berge  „Jelboe"  allerhand  Böses  ange- 
wünscht hat,  tief  in  die  unterste  Hölle.  Was  für  einen  besondern  Vorfall  er 
dabei  im  Auge  gehabt,  in  wiefern  die  Baumblüthe  oder  ein  blühender  Zweig 
seinem  Liebesgetändel  im  Wege  gestanden,  ist  nicht  gesagt,  lässt  sich  nur  halb 
errathen   aus   den   Worten :   der  ulder   schar  I  derselben  grund  auch  neme  war.    Wer 


492  LITTERAT  UR. 

nicht  tud  kund  (d.  i.  nicht  meldet)  üf  stige  dar  den  himel  rund.  So  einfach  und 
lebendig  anschaulich  aber  auch  das  Ganze  ist,  gleichwohl  ist  es  dem  Erklärer 
ein  Rätbsel  geblieben  und  hat  ihn  zu  folgender  gezwungenen  Auffassung  ver- 
anlasst: „Das  Lied  bleibt  bei  dem  Bilde  vom  Baume,  und  nennt  das  falsche 
Liebchen:  falsches  Reis,  das  ist  Wassertrieb  (?),  der  das  Vorsichtsmittel,  das 
eine  treue  Hand  dem  Baume  gegen  die  Würmer  umwand,  herabdrückt.  Ein  sol- 
cher Wassertrieb  wird  aber  dann  zum  telgenhang  (?)  d.  i.  zu  einem  hängenden 
Zweige,  in  dem  der  Wind  hässlich  wüthet."  Man  lese  nur  das  Lied  selber  nach 
und  —  staune!  —  Im  vierten  Liede  V.  9  folg.  lässt  der  Dichter  die  ihren 
Liebhaber  verschmähende  stolze  Geliebte  sagen :  wer  ein  dingh  gebet  hg  und  tar, 
der  mag  vurivär  wol  heizin  tuschenhagen,  Ein  esel  ivol  in  rossis  schar  zucht  lernet 
zwar,  her  wil  doch  segke  tragen.  Die  Anspielung  und  die  Bedeutung  des  Wortes 
tuschenhagen  ist  nicht  recht  klar;  der  Herausg.  erklärt  es  zwar  für  „unstäter 
Mensch",  scheint  aber  auch  nur  obenhin  gerathen  zu  haben.  Ich  will  vor  der 
Hand  an  den  Namen  Hagen  erinnert  haben ,  den  der  Esel  führt  im  Ring  von 
Heinrich  Wittenweiler  4d,  28;  4d,  36;  8%  23;  9,  22.  —  Lied.  5,  20  ist 
et  amole  (:  genote)  wohl  nichts  weiter  als  das  lateinische  et  amo  te,  vielleicht  der 
Refrain  eines  damals  bekannten  Liedes.  Des  Herausgebers  Vermuthung  „het  ge- 
mole  :  dieses  gewähre,  gestehe  zu",  ist  mir  unbegreiflich.  —  In  Lied  13,  3  2  ist 
biltzgebüre  dem  Herausg.  unverständlich;  beltzgebüre  hat  der  j.  Tit.  4821  ed.  H. ; 
sonst  lautet  das  Scheltwort  vilzgebüre,  vgl.  mhd.  Wb.  1,  291;  M.  Altsw.  16  6, 
34;  Keller  Erz.  464,  35.  Über  biltz  =  peius  vgl.  Gerhard  von  Minden  2,  40J: 
des  ome  de  pils  sere  untgalt.  —  V.  1827:  behobich  sin  soll  heißen:  „viel  Auf- 
sehen machen  vgl.  behoi  oder  behei  bei  Tilling"  ;  (??)  eine  sonderbare  Art  zu 
deuten!  Vielmehr  hat  man  an  behüf  im  mhd.  Wb.  1  ,  6  45a  zu  denken.  Ernst 
v.  Kirchb.  si  machten  eine  grüben  den  toden  zu  iren  behüben,  Wiggert  Scherfl. 
1  ,  4  3  to  diner  behof;  davon  he  behovet  diner  =  bedarf  deiner,  ebendaselbst; 
Altd.  Bl.  1,  7  83,  8  nü  behove  wir  to  biddene;  und  besonders  Pfeiffer,  Beitrag 
zur  Kenntniss  der  köln.  Mundart  S.  90.  Demnach  ist  behobich  =  indigens,  inops; 
Andreas   S.    181    hat   dafür  necessitatem  habens. 

Von    seltenen    Ausdrücken,     die    einer    besondern    Aufmerksamkeit    werth, 
vom  Herausg.   aber  unversucht  geblieben  sind,  will  ich  folgende  herausheben : 

Abescheid,  st.  m.  =  Unterschied  103  7.  —  Abestich,  st.  m.  =  discessus, 
in  Lied  10,  10:  allir  sorge  ein  abestich.  Oder  ist  abestrich  mit  j.  Tit.  5  958,  2 
zu  lesen?  —  Armer  =  brachia  2619;  ebenso  speler  (ludi)  498  und  1198, 
thormer  (turres)  662,  teilir  (partes)  1104  u.  1246,  dromer  (somnia)  1939, 
wordir  (verba),  briebir  (epistolse)  3  653,  schildir  (clypei)  46  13.  — ■  Begallen,  sw.  v. 
1716  begallit  bi  dem  herzen  =  mit  Galle  im  Herzen. —  Beklxben,  st.  v.  3413: 
nicht  beklibit  edle  süm  =  Andr.  209  :  quia  non  semper  jaeta  produeunt  semina 
fruetum.  —  Beiannen,  sw.  v.  mit  Seilen,  Ketten  versehen,  fesseln,  in  dem  Lied. 
2,  11,  vgl.  Ettmüller  zu  Veldek.  189,  4.  —  Bisprochelin,  st.  n.  1231  =  pro- 
verbium,  vgl.  Andr.  S.  16  0.  —  Dro ,  st.  f.  1061:  ich  ste  in  sorgen  dro  (:  sd) 
und  106  9  :  er  ilet  üz  der  sorgen  dro  (so),  als  ob  der  Dichter  an  drühe 
gedacht  hätte,  wie  3324:  hilf  uns  armen  üz  der  drü  (  :  zu)  und  19  05: 
.sws  si  din  zwifel  üz  der  drü  (:zu)  und  3  3  24.  —  Dyadragant,  st.  m.  376; 
vgl.  Konrad  von  Megenb.  36  6,  21:  diadr.  daz  ist  ein  harz  oder  ein  zäher 
u.  s.  w.  —  Durchgizen  ,  st.  v.  in  den  unrichtig  interpungierten  Versen  118 
119:     eine     tor     van     innen     wol     durchgozzin    mit     hartem     stäle  ;     ebenso     bei 


LITTERATUR.  493 

Heinr.  v.  Krolew.  180:  der  palas  gar  mit  golde  durchgozen  was.  Sonst  findet 
sich  das  Wort  auch  bei  dem  Mystiker  Heinr.  v.  Egwint  S.  23  2,  Tochter  Syon 
551,  j.  Tit.  3755,  3,  Myst.  2,  311,  21.  Im  mhd.  Wb.  fehlt  es.  —  Durch- 
houwen,  st.  v.  93:  daz  doch  was  durchhoutoen  mit  loubem,  d.  i.  ausgelegt,  ver- 
ziert, wie  in  den  Mitteid.  Gedd.  ed.  Bartsch  86,  77:  daz  hüs  was  durchhouwen 
mit  steinen  gar,  geztrt  mit  golde.  Im  mhd.  Wb.  fehlt  diese  Bedeutung;  üblicher 
war  in  diesem  Sinne  durchslahen.  — Eigen,  verb.  def.  =  haben  besitzen,  V.  2611: 
her  eygit  wol  alsulche  last  (=  Andr.  197:  tafem  ergo  hominem  tali  dignum  mu- 
liere  repertum  tibi  placet  arnore  gaudere);  vgl.  Kindlinger  Gesch.  d.  Hierigkeit. 
517:  so  wo  dat  den  namen  eigliet  nd  alder  geivonheid  (Urkunde  von  140  4)  und 
mhd.  Wb.  1,  415.  —  Entslomen,  sw.  v.  =  entschlummern,  in  übertragenem 
Sinne  V.  3  5  83:  laz  dit  geschefte  entslomen  (:  fronen) ;  enslummen  (cod.  G.  ent- 
slommet)  bei  Koed.  v.  Salf.  12,  31;  stummen  in  Mar.  Legg.  ed.  Pfeiffer  18,  102. 
—  Vasevisen,  st.  n.  in  Lied.  19,  4:  läz  trat  lieb  diu  vasevisen  Q.  reisen) ;  vgl. 
visevase  bei  Schoenemann  Sündenf.  2  7  04  und  S.  17  8b.  —  Vorgrisen,  sw.  v.  in 
Lied.  19,  2:  sal  ich  vorgrisen  (:  reisen)  durch  dinen  obirstr engen  sin?  vielleicht 
von  grise  =  grau  alt;  dahin  könnte  auch  begrisen  gehören  in  V.  2379  1  war 
rechtiglich  geloube  da  begrisit ,  wenn  die  Stelle  richtig  überliefert,  ist.  —  Vor- 
schoben =  verworfen  verschmäht  verachtet  V.  218,  25  2,  1098,  eine  sonst  diesem 
Worte  (vorschieben)  ganz  ungewöhnliche  Bedeutung ;  gebräuchlicher  ist  in  diesem 
Sinne  vorschouwen  sw.  v.  —  Vischen,  sw.  v.  in  Lied.  15,  11  :  ich  meinde  mich 
gevisched  hdn,  di  sijt  mir  durch  daz  netze  gdn  =:  ich  glaubte  Fische  gefangen 
zu  haben,  die  sind  mir  durch  u.  s.  w.  Vgl.  die  Beispiele  von  der  Beziehung  auf 
ein  gedachtes  Subj.  in  dieser  Zeitschr.  6,  2  6  7.  —  Fotirs  =  nutrices?  inV.2222: 
geloube  mid  eintrechtikeyt  —  di  tzwe  der  minne  fotirs  sint ;  vgl.  voden  =  nutrire, 
Wiggert  1,  41.  —  Vursechen,  sw.  v.  mit  einem  seche  zerstören,  umhacken  ,  in 
Lied.  2,  32.  —  Gebote  sw.  m.  =  Bote,  Briefträger  365  5,  365  8.  —  Gedicht, 
st.  n.  im  Sinne  von  Erdichtung,  Löge,  V.  239  9:  ir  liebe  ist  ein  los  gedieht 
und  3  240;  ebenso  schon  Pass.  H.  61,  1.  —  Geleyden,  sw.  v.  vorzellen  unde  ge- 
leiden wil  ich  f rund  di  frage  din,  ich  wil  si  dir  bescheiden  und  1016:  noch  schö- 
ner sprochelin  —  wil  ich  dir  vorzellen  und  zuchtiglich  geleyden;  ähnlich  heißt  es 
wohl  in  der  Rechtssprache:  geziuge  leiten.  —  Geveit  in  V.  2212:  uz  dem  lobe 
der  werden  frouwen  sin  geveit  (:  vurseit)  von  fegen  =  purgare  ,  austreiben.  — 
Gevelle  =  casus,  in  V.  1086:  di  setzit  in  gevelle  =  ponit  casum,  setzt  den  Fall, 
nimmt  an.  —  Gezophet  in  V.  412  :  gezophet  mit  baldekin  sach  ich  einen  schonen 
sal,  wohl  =  mhd.  gezdfet,  geschmückt;  dieselbe  Form  bei  Frauenlob  Spr.  13  4, 
17  und  Anm.;  zofte  :  strofte  bei  Rothe  Elis.  2058,  vgl.  mhd.  Wb.  3,  834%  24 
und  9  47a,  3  9.  —  Goz  in  Lied.  17,  27:  si  var  dahin,  si  vindet  tzwdr  \  wol  eine 
güde  ander  goz.  Der  Herausgeber  denkt  an  eine  Gans  „goß".  Eher  gebort  es 
unter  goz,  wie  der  arme  goz  in  Diutisc.  2,  8  9  =  Clara  Hätzl.  S.  2  63,  3  6  4, 
worüber  sieh  mhd.  Wb.  1,  54  2\  5.  —  Grcselich,  adj.  in  V.  4119,  4141,  4323, 
4518,  4610  =  grauenhaft,  erschrecklich,  greselike  dunsternisse  bei  Schoenemann 
1.  1.  5  74;  =  mhd.  griusenlich ,  grüselich.  —  Grübe  =  mhd.  grüwe.  Grauen, 
in  V.  4119,  vgl.  Jerosch.  ed.  Pfeiffer  S.  16  8.  —  Hoch  im  Sinne  von  multum, 
valde,  magnopere,  V.  2013:  hoch  in  tzicifel  sltn,  345  6:  des  begerte  hoch  sin  sin, 
und  299  9,  509  9.  —  Höchbeschorn  von  Geistlichen  hohen  Standes  sonst  gesagt, 
wie  im  Erek  6  631  und  bei  Frauenlob  Spr.  3  7  9,  13  ;  hier  im  weitern  Sinne  = 
vornehm  in  V.    65  0.  —  Klabir,   dem  Herausg.  unverständlich  (sieh  die  Anm.)   in 


494  LITTERATUR. 

V.  4  2  95  folg.:  da  was  in  (  =  darin  war)  wazzir  unde  gras,  fotir  unde  habir, 
daz  vitn  gdtis  pherdichin  dz,  da  bi  wöx  gröne  clabir;  da  an  band  ich  m'm  pherd 
gering  u.  s.  w.  Wahrscheinlich  ist  es  der  nind.  Ausdruck  für  mhd.  kB  ahd.  chUo 
gen.  chlewes,  welches  nach  Grimm  Gr.  3,  3  72  „ags.  clafer,  pl.  clafra,  engl,  clever, 
schwed.  klöfuer,  dän.  klever"  laitet,  vgl.  Danneils  Wo.  der  altm.plattd. Mundart  104 
»kh'wr  Klee"  ;  Frisch.  1,  520c  „kleber,  trifolium".  Bei  Hofi'm.  Glossar.  Belg.  klever  = 
hedera. —  Corde,  sw.  f.  in  V.  3  855,  bei  Andr.  S.  2  1  9  =  lateris  cordula  ;  vgl.  darüber 
Bartsch  ü.  Karlm.  300.  Das  im  mhd.  Wb.  nicht  vermerkte  Wort  steht  noch  in 
der  Cröne  Heinrichs  v.  d.  Türl.  1737:  ein  korde  und  ein  angelsnuor ,  in  Wi- 
gands  Wetzlar.  Beitr.  2,  22  0:  corten  unde  seil.  —  Quast  =  mhd,  queste  koste 
käst,  in  dem  Sprichworte  V.  2  609:  da  nach  ein  man,  da  nach  sin  quast.  Statt 
auf  „Tilling"  hätte  der  Erkl.  besser  gethan  auf  Haupt  Zeitschr.  11,  5  0 — 5  2 
zu  verweisen.  —  Mogelich,  adv.  in  V.  3  283:  prhen  di  frowen  sal  men  mogelich 
=  Andr.  S.  207:  merito  midier  opulenta  laudatur.  —  Mute,  mote,  in  der  Re- 
densart: er  wart  mute  (mote)  geseligit  1054  und  1138,  —  Ndjär,  st.  n.  4744: 
daz  lode  lieb  had  tzwe  näjär  <'  sin  lieb  ein  ander  kese  =  Andr.  S.  23  0:  bien- 
nalis  viduitas  pro  amante  defuneto  superstiti  prasa'ibitur  ama?iti.  Das  Wort  ist 
ähnlich  zu  verstehen  wie  ndchtac  im  mhd.  Wb.  3,  6b,  Pass.  H.  2  2,  58,  Konrad 
Stolle  125  und  160  nöchtag  ■  Weist.  1,  11  ;  oder  ndchteidinc  WTeist.  1,  31. 
Demnach  näjär  =  das  darauf  folgende  J. ,  das  Wartejahr.  —  Narrenwagen, 
als  Schelte,  Lied.  9,  20:  tnbit  narrenwagen  fort \  wie  alter  hiuteicagenl  bei  v.  d. 
Hagen  MS.  1  ,  ,S.  151  (XI)  und  kleewagen  als  Bezeichnung  eines  schlechten 
Weibsbildes  bei  Rochholz  in  dieser  Zeitschr.  5  ,  9  3.  —  Obirspdn,  st.  m. 
V.  1  7  i  1  :  wan  di  valschen  minner  sin ,  duz  ir  wille  ist  gegdn ,  gar  balde  si  zu 
rugke  flen  und  houwen  löslich  obirspdn.  Ich  vermuthe,  daß  unter  houwen  l.  o.  die 
Bezeichnung  einer  Geberde  zu  verstehen  ist,  die  man  mit  beiden  Zeigefingern 
hinter  denen  zu  machen  pflegt,  welche  man  auf  irgend  eine  Weise  getäuscht 
oder  überlistet  hat.  In  Diiringen  nennt  man  dies  hie  und  da  noch  „Rübchen 
schaben".  Bei  Andreas  steht  dafür  S.  194:  post  fruetum  laboris  asswnptinn  tergi- 
versatur  amanti.  —  Obir  zil ,  obir  zel,  ein  adverbialer  Ausdruck,  =  über  Ziel 
und  Maß  hinaus,  übermaßig,  unzählich  viel,  z.  B.  5  70:  di  da  wären  obir  zil 
(:  wilj,  2  3  23:  ist  si  da  sin'r  zu  obir  zil  (:  spil)  =  ist  sie  allzu  verdrossen  dazu, 
sonst  auch  obir  zal.  —  Ort  =  Stück,  TheilV  in  V.  6  86:  triave  ist  der  ander 
ord,  den  di  minne  tragen  icil ;  ferner:  man  sal  nicht  ilen  um  den  ort  (=  nicht 
eilig  über  eine  Sache  hingehen ,  wenn  sie  auch  noch  so  unbedeutend  ist)  wer 
weiz  waz  da  schülit  Mnd;  anderwärts  scheints  verderbt  für  hört,  so  in  Lied  4,  16: 
min  hiestcr  ordl  und  Lied.  16,  1  :  zart  minnichlicher  ortl  —  Plelzen,  sw.  v.  in 
Lied.  18,  23:  si  pletzit  in  der  aschen,  de  mirs  nu  allez  tut;  vgl.  platzen  platschen 
bei  Frisch.  2,  63b.  —  Roste  st.  f.  =  pausa  quies  Diut.  2,  226  u.  228;  con- 
quiescere  rosten  2,  208;  erscheint  bei  Eberhard;  Lied.  4,  50  (:  ost),  u.  14,  18: 
rost  noch  rast  ich  enhdn  (:  trost).  —  Schalen  sw.  v.  in  V.  549  :  von  irer  cldrheid 
—  mir  schdteten  di  ougen  =  wurden  mir  trübe;  vgl.  Altd.  Wald.  3,  16  5,  47: 
die  Hellten  ougen  sint  schal  (:  val  =  fahl).  —  Schar,  adj.  =  steil,  schroff,  in 
V,  4128:  di  cebir  hoch  und  michel  schar  (:  gar  =  sonuit)  ;  man  vergleiche 
scharren  =  eminere  prominere  bei  Boner  51,  3  6  u.  5  2,  und  schor,  schorn  bei 
Frommann  zu  Herbort  17  93,  scharrantan  abruptissimas  bei  Graff  6,  538.  — 
Schrd  st.  f.  =  Hagel  Reif  Schnee,  in  Lied.  16,  2  5  folg.:  daz  ich  uf  rechter  sld 
dich  spore  sunder  schrd  und  alles  tzwifels  büt;    dies  erinnert  an  Neidhart   7  6,    24: 


LITTERATUE.  495 

vor  der  winderrcezen  schrä  (ßrä  :  brä)  vgl.  die  Anm.  zu  dieser  Stelle  u.  Wackern. 
in  Haupts  Zeitschr.  5,  2  3  6.  Hierher  gehört  ferner  eine  verdorbene  Stelle  in  der 
Cröne  16  020  :  ein  geschrei  kam  nach  dem  zagel  \  diu  Gäwein  vil  wazen(?j  zagel  \ 
erzeigte  nach  unde  bot,  |  ican  er  in  vil  gröze  not  |  davon  gar  balde  geviel:  |  von  na- 
türe  der  regen  wiel  j  und  brant  so  ungehiure  u.  s.  w. ,  ich  venuuthe  schrä,  geschrä 
(oder  gächschrä?)  statt  geschrei,  welches  hier  widersinnig  ist,  so  daß  es  unnöthig 
ist,  mit  dem  Herausg.  daz  für  diu  in  der  zweiten  Zeile  zu  schreiben ,  so  wie 
rcezen  statt  ivazen  (vgl.  oben  Neidharts  ivinderrceze  schrä).  —  Selbwalt  =  eigen- 
mächtig in  V.  1361.  —  Siehe  =  sihe,  sehe,  pupilla,  oculus?  Lied.  2,  22: 
di  stehen  di  da  scrankit  umme  gen  kann  auf  die  Augen  gehen ,  als  Wächter  ge- 
dacht in  dem  fest  verwahrten  unzugänglichen  Thurme ,  unter  dessen  Bilde  der 
Dichter  seine  Geliebte  beschreibt  (vgl.  Cantic.  4 ,  4  folg.)  —  Slür  in  Lied. 
3,  16:  van  wormes  bis  und  windes  slür  dir  telgen  hang  (so  zu  lesen  =^  deiner 
Aste  Hängen,  vom  Herausg.  misverstanden)  —  —  si  zuspiret;  das  dunkle  Wort 
erscheint  noch  als  Schelte  bei  Hugo  v.  Trimb.  Renn.  12194:  du  bist  sinne  und 
witze  ein  slaur,  wort  und  werke  ein  vilzgebaur;  bei  Boner  51,  2  0  wird  der  Esel 
angeredet  du  rechter  slür,  vgl.  dazu  Beneke  S.  45  9;  Lassb.  LS.  2,  62  7,  7: 
vor  andern  wiben  was  ein  slür  hie  vor  gar  ein  schöne  wib,  die  hatte  etc.  —  Stieben, 
st.  v.  in  V.  511:  eyn  paulün  van  sydenwand  —  stüb  sam  eines  robes  rant,  wohl 
=  flatterte,  bewegte  sich  wie  der  Saum  oder  Flügel  eines  Mantels,  vgl.  Lanzel. 
5  4  02:  die  wäfenrocke  Stuben  harte  unten  umbe  sie;  Reinhart.  ed.  Grimm  S.  308, 
4  7  8:  vor  zorne  stuben  sine  gran.  —  Struttze,  in  V.  1093:  men  wirft  si  hin  sam 
struttze  (:  unnutze)  f  in  der  Anm.  ist  viel  Ungehöriges  dazu  vermerkt;  mir  scheint 
es  =  stürz,  storz  zu  sein,  wie  vrohten  =  vorhten,  Andreas  sagt  hier  abweichend : 
tamquam  invida  reprobatur  a  eunetis.  —  Umfagen?  sw.  v.  in  Lied.  2,  30:  beide 
planten  unde  hagen  umfagen  =  umfegen ,  delere,  vgl.  fegen  und  fäwen  fewen 
fäen  bei  Pfeiffer  zu  Myst.  1,  376,  36,  vervaghen  in  Horae  Belg.  5,  107.  Natür- 
licher scheint  mir  jedoch  vmsagen  =  umsägen  umhauen,  wie  in  Pass.  H.  49,  5 
und  versegen  bei  Konr.  v.  Megenb.  154,  2  7.  —  Ummcf enger,  st.  m.  1047: 
unde  des  obirsten  teiles  man,  sam  natüren  ummej "enger ,  der  sal  ie  den  köre  hän 
=  Andr.  S.  157:  et  superioris  tamquam  naturce  amplexator  admittatur  elcctor.  — 
Undirtän  =  diversus,  nicht  von  einerlei  Art,  in  V.  89  9:  auch  ist  di  liebe  un- 
dirtän  u.  s.  w.  und  829:  di  lüte  di  sinf  undirtän,  vgl.  mhd.  Wb.  3,  145a,  5. 
Zu  dem  einzigen  dort  vermerkten  Beispiele  füge  hinzu  Pass.  H.  18,  35:  uü 
began  die  frouwe  schowen  —  zwo  schar  an  lüten  stän  mit  undertänen  Sachen,  die 
eine  sach  si  lachen,  die  andere  sere  weinen;  33  5,  5:  sus  was  die  wisheit  undertdn 
an  dissen  knappen  beiden  —  dirre  küne  unde  starc,  jener  ungetrü  unde  arc;  340,  51: 
Pass.  K.  690,  45.  - — ■  Ungelich  =  uneinig,  V.  3452.  —  Unwert,  adj.  =  un- 
willig, zornig,  in  V.  23  7  7  :=  Andr.  S.  190:  indignatus.  —  Uzmälen,  sw.  v.  in 
V.  388  7:  auch  di  wintzige  vinger  klein  ist  vor  den  andern  üzgemält,  d.  i.  mit  be- 
sonderm  Range  (jnäl)  vor  den  andern  versehen,  ebenso  in  Purgoldts  Rechtsb. 
ed.  Ortloff  9,  25:  daz  er  sich  vor  andre  leuthe  mit  seinem  vorrümeniss  üß malet  mit 
hoffertigen  worten.  Vgl.  daz  obirste  mal  hän  =  den  obersten  Platz,  Rang  ein- 
nehmen 3926;  mal  halden  =  locum  teuere  345  und  515  ;  obir  mal  treten  -=■  sich 
vergehen  25  2  2.  Hieraus  erklärt  sich  auch  das  bei  düringischen  Autoren  vor- 
kommende üzmeling  =  der  durch  Rang  oder  Ansehen  hervorragende ,  ausge- 
zeichnete, sieh  in  dieser  Zeitschr.  5,  246;  6,  56. — -  Willich  =  irgendwelcher, 
aliquis,  in  V.    2377,   2438,   2568,   =  welk  bei  Gerhard  v.  Minden  und  im  heu- 


496  LITTERATUR. 

tigen  Dialect  um  Minden.  —  Cednar,  st.  m.  =  Zitwer,  mhd.  zitwar,  mhd.  Wb. 
3,  917,  Konr.  v.  Megenb.  426,  2.  —  Cyncibee  und  mandeltys  in  380  =  gin- 
giber  und  mandelris.  —  Tzintzich  in  Lied.  14,  17:  van  herze  sam  ein  tzintzich  al 
kastti  durslungen.  Ist  twintich  =  20  gemeint?  oder  bedeutet  es  =  blandus,  zap- 
pelnd?  vgl.   zrfnzeln,   zenseln   zunzeln   bei   Schmell.   4,    2  7  6. 

Zum  Schluß  noch  wenige  Worte  über  Titel  und  Verfasser  des  Buches. 
Die  vollständige,  dem  Inhalte  durchaus  entsprechende  Bezeichnung  desselben  ist 
am  Schlüsse  vermerkt  V.  4  8  00  :  der  minnen  regel  unde  zal  nemet  hi  zin  ende,  also: 
Der  Minnen  regele  unde  sal.  Auffallend  ist  nun  aber  der  vom  Herausg.  in  der  Hs. 
gefundene  Beiname  des  Verfassers  ,  Cersne ,  während  man  bis  dahin  allgemein 
annahm,  daß  er  Cerlne  d.  i.  Keiner  gelautet  habe.  Der  betreffende  Vers  (4  810) 
heißt:  C.  E.  R.  f.  und  Ne  heyßit  auch  zyn  tzuname.  Daß  der  Herausg.  richtiger 
gelesen  habe  als  seine  Vorgänger,  braucht  gar  nicht  in  Zweifel  gezogen  zu 
werden,  wohl  aber  darf  man  nicht  ohne  Vorsicht  seine  auf  S.  3 1  Einl.  gethane 
Äußerung  entgegennehmen:  „dieser  fragliche  Buchstabe  (nämlich  f)  kann  nun 
unmöglich  ein  l  j-ein,  es  wäre  sonst  das  einzige  L  der  Handschrift ,  welches  mit 
offener  Schlinge  geschrieben  wäre;  das  aber  anzunehmen,  scheint  mir  bei  den  festen 
ausgeschriebenen  Zügen  der  ganzen  Handschrift  nicht  statthaft."  Ohne  die  Hs. 
mit  eigenen  Augen  gesehen  zu  haben,  bemerke  ich  dagegen,  daß  sie,  wie  aus 
den  oben  behandelten  verderbten  Stellen  deutlich  hervorgeht ,  den  graphischen 
Unterschied  des  o  und  e,  so  wie  des  t  und  c  öfter  nicht  recht  klar  auszudrücken 
scheint.  Und  was  das  f  betrifft  im  Unterschied  von  l,  so  hat  der  Herausg.  über- 
sehen,  daß   im    13.   Liede   V.    35    (S.    203)   geschrieben   steht: 

daz  mir  eyner  schege  heyf, 
de  mich  dießer  werde  mey 
gar  trostichlichen  sunder  feyl 
gegeben  had  so  menigerley   u.  s.  w. 

Hier  ist  doch  unfehlbar  heyl  für  heyf  su  lesen,  also  f  für  l  verlesen  oder  ver- 
schrieben;  verdächtig  ist  auch  lyd  in  Lied.  13,  9.  Eberhards  neuer  Beiname 
wird  dadurch  noch  unsicherer.  An  Cerlne,  einem  echt  niederdeutschen  und  als 
Name  wenigstens  nicht  auffälligen  Ausdrucke,  konnte  man  keinen  Anstoß  nehmen. 
Was  der  Herausg.  aber  über  Cersne  beibringt,  um  diesen  Namen  zu  deuten  und 
zu  empfehlen,  ist  der  Art,  daß  ihm  schwerlich  jemand  beipflichten  wird.  Um 
dem  Leser  einen  Gesammteindruck  von  der  Methode  des  Herausg.  an  einem 
einzigen  Beispiele  zu  geben,  setze  ich  seine  eigenen  Worte  her:  „Lese  ich  — 
Cersne,  so  wird  mir  der  Name  bald  verständlich.  Bringe  ich  ihn  mit  zers  (cauda) 
oder  kers,  kars  (candela)  in  Verbindung,  oder  fasse  ich  ihn,  was  mir  annehm- 
barer erscheint,  als  Compositum  auf,  d.  i.  zer-sne,  es  bieten  sich  mir  eine  Fülle 
analoger  Namenbildungen  ,  wie  Fürchteschnee ,  Hauschnee ,  Laschnee  und  viele 
andere,   die  mich   in  meiner  Annahme  bekräftigen." 

Zeitz,  im  September.  FEDOR  BECH. 


LHTERATÜR.  497 

Esopus  von  Burkhard  Waldis.  Herausgegeben  und  mit  Erläuterungen  versehen 
von  Heinrich  Kurz.  Leipzig  1S62.  B.  I  SS.  XLVIII  u.  422.  Bd.  II 
SS.  320  u.  2  30.  8°.  (Letztere  Abtheilung  des  zweiten  Bandes  enthält  die 
Lesarten,  Anmerkungen   und  das  Worterverzeiehniss.) 

Diese  neue  Ausgabe  des  trefflichen,  bis  jetzt  so  schwer  zugänglichen  Fabel- 
dichters bildet  den  Anfang  einer  neuen  „deutschen  Bibliothek",  welche  Kurz 
von  andern  Mitarbeitern  unterstützt  herauszugeben  beabsichtet  und  die  eine 
Sammlung  seltener  Schriften  der  altern  deutschen  Nationalliteratur  enthalten  soll. 
Der  dem  „Esopus"  vorgebundene  Prospect  besagt  hierüber  das  Nähere  und 
braucht  Ref.  also  hierauf  nicht  näher  einzugehen.  Er  hat  es  hier  nur  mit  der 
vorliegenden  Arbeit  zu  thun,  welche  von  der  Art  und  Weise,  wie  das  Unter- 
nehmen ausgeführt  werden  soll,  eine  Probe  bietet,  und  kann  dem  Herausgeber 
wie  dem  Verleger  nur  Glück  dazu  wünschen,  daß  dieselbe  so  vortrefflich  aus- 
gefallen, und  unter  dem  betreffenden  Publicum  eine  durchaus  günstige  Meinung 
auch  hinsichtlich  der  folgenden  Bände  erwecken  muß.  Sprechen  wir  zuvörderst 
von  dem,  was  der  Herausgeber  geleistet,  der  sich  durch  seine  bisherigen  Arbeiten 
auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Litteratur  und  deren  Geschichte  einen  so  guten 
NameT  erworben,  so  lässt  sich  dies  kurz  und  bündig  in  dem  Urtheil  zusammen- 
fassen ,  daß  er  das  im  Prospect  Verheißene  wirklich  ausgeführt  habe ;  denn  er 
hat  einen  diplomatisch  genauen  Text  gegeben,  ferner  demselben  kurze  aber  ge- 
nügende Erläuterungen  beigefügt  und  endlich  eine  erschöpfende,  obschon  gleich- 
falls gedrungene  Einleitung  über  den  Verfasser  und  seine  Schriften  vorausge- 
schickt. Er  hat  aber  noch  mehr  gethan  und  treffliche  Anmerkungen  über  die 
Geschichte  jeder  einzelnen  Fabel  geliefert ,  die  dem  Forscher  auf  dem  Gebiete 
der  erzählenden  Dichtung  sehr  willkommen  sein  werden  und  die  Ref.  weiter 
unten  noch  etwas  näher  besprechen  will.  Überdieß  hat  der  Herausgeber  die  unter 
dem  Text  befindlichen  Sach-  und  Worterklärungen  zur  Bequemlichkeit  des  Lesers 
dann  noch  einmal  in  ein  alphabetisches  sorgfältiges  Verzeichniss  zusammengestellt, 
welches  mehrfache  Dienste  leisten  wird.  Hinsichtlich  aller  dieser  Punkte  verweisen  wir 
auf  die  Einleitung  und  bemerken  nur,  daß  die  genannten  Erklärungen,  wie  be- 
reits erwähnt,  vollkommen  ihrem  Zwecke  entsprechen  und  zum  genauem  Ver- 
ständniss  auch  für  das  größere  Publicum,  für  welches  diese  Ausgaben  gleichfalls 
bestimmt  sind,  sich  als  ausreichend  erweisen  werden,  wenn  sich  auch  hin  und 
wieder  einzelnes  bei  einer  neuen  Auflage  möchte  berichtigen  oder  nachtragen 
lassen;   so   z.   B.  in  folgender  Stelle  Buch  II,  Fabel   45,  V.    39    ff.: 

„Hie  mag  man  sehen  wie  die  Frawen 

Ir  Männer  nieynen  mit  all  trawen" 
hat  meynen  nicht,  wie  Kurz  erklärt,  die  Bedeutung  „gesinnt  sind",  sondern  heißt 
so  viel  wie  lieben,  wie  gewöhnlich  im  Mhd.  und  auch  noch  einmal  bei  Waldis  ;  s.  das 
Worterverzeiehniss  s.  v.  zu  IV,  10  0.  151.  Freilich  ist  dies  Wort  an  obiger  Stelle  nur 
im  ironischen  Sinne  gebraucht,  wie  aus  den  unmittelbar  darauf  folgenden  Versen  hervor- 
geht, wo  es  heißt:     „Bey  dem  sie  zwantzig  Jar  gesessen, 

Könnens  in   einer  stundt  vergessen ; 

Doch  wissens  viel  davon  zu  waschen"    u.  s,  w. 
Ferner  heißt  es  B.  III,  F.  51,  V.  44.   45. 

„So  will  ich  dir  ein   Wachszlicht  geben, 

So  grosz  vnd  lang  die  schon  fahr  Mast.'" 

GEKMANIA  VII.  32 


498  LITTERATUR. 

Zu  fahr  Mast  bemerkt  der  Herausgeber  mit  einem  Fragezeichen  „Fockmast? 
vorderen  Mast?  Hauptmast?"  Allerdings  ist  der  Hauptmast  oder  große  Mast  ge- 
meint, doch  hieß  er  nicht  der  Fohrmast,  sondern  der  Schönfahrmast,  weshalb  das 
große  Segel  auch  jetzt  noch  das  Schönfahrsegel  genannt  wird. 

Der  Ausdruck  „Friederichen  anrufen'1  (I,  5  5,  V.  55)  scheint  nicht  auf  eine 
bestimmte  Persönlichkeit  (Friedrich  den  "Weisen,  wie  der  Herausg.  meint)  zu  gehen, 
sondern  nur  im  allgemeinen  Frieden  machen  wollen  zu  bedeuten  und  vielleicht  eine 
sprichwörtliche  Redensart  gewesen  zu  sein,  die  durch  die  Paronomasie  der  Worte 
Frieden  und  Friederich  entstanden  sein  mochte ;  wie  wir  etwa  jetzt  von  einem 
zänkischen  Menschen  sagen  würden:  »der  ist  auch  nicht  von  Friedrichsstadt,K 
Ahnliche  Wertspiele  sind  nicht  selten  und  so  heißt  es  auch  bei  Waldis  selbst  IV, 
3,  55  :  „IcJi  toolt  zu  St.  Frumholt  mich  geloben",  was  Kurz  richtig  erklärt  durch  : 
»Ich  will  fromm  werden."    Vgl.  oben  Bd.  V.   S.  2  95. 

Doch  dies  genüge  zu  zeigen,    wie    vielleicht    sich    da  und  dort  die  Wort- 
erklärungen abändern  ließen,  und  eben  so  könnten   die  sachlichen  Nachweise  an 
manchen  Stellen  vervollständigt  werden.  Wenn  z.  B.  I,   83,    20   ff.  gesagt  ist: 
„Es  bgibt  sich  zwischen  des  menschen   mundt 

Manch  fall  vnd  zwischen  dem  Becher  rundt, 
Dadurch  der  trunck  offt  wird  verstört, 
Wie  vns  ein  ander  Fabel  lert," 
so  ist    damit    das    bekannte    lat.   Sprichwort    „multa  cadunt  inter  calicem  supre- 
maque  labra"    gemeint,   welcher  Hexameter  aus  einem  griechischen  übertragen  ist. 
„TtokÄu  (i£Ta£,ir   TliXsi  xvÄLXog  xcel   %£ilsos  cmqov"  ;    s.  Corp.  Paroem.  Gr. 
ed.  Leutsch  im  Index. 

Mit  dem  Poeten  in  der  Stelle  II,   49,   45  ff..- 
„Der  fürwitz  vns  so  sehr  geheit, 

Verblendet  also  gar  die  leut, 
Das  vber  sein  ampt  ein  jeder  klagt, 
Wie  der  Poet  dauon  auch  sagt," 
ist  Horaz  gemeint,    s.  dessen   14.   Epistel  des  ersten  Buches,   welche  die  Unzu- 
friedenheit der  Menschen  mit  ihrem  Stande  zum   Gegenstand  hat. 

Wenn  ferner  bei  Waldis  IV,  81,  9.  10,  eine  junge  Frau  von  einem  alten 
Manne  sagt:  „Er  kan  dir  doch  nit  geben  muth, 

Wie  man  jensit  des   Wassers  thut," 
und    der    Herausg.    dazu    bemerkt:     „der   Sinn  ist  leicht    zu  ermitteln,"     so    hat 
derselbe  vollkommen  Recht ;    die  ibm   unerklärliche  Redensart  erklärt  sich  indeß 
durch  eine  ähnliche  des  Tanhuser   3,    15    (MSH.    2,    8  5n): 
„Von   amüre   seit    ich  ir; 
daz  vergalt  si  dulze  mir, 
si  jach,   si  lite  ez  gerne, 

daz  ich  ir  taste,  als  man  den  vrouwen  tuot  dort  in  Palerne"  (Palermo). 
Beide  Wendungen,  die  des  Waldis  sowohl  wie  die  des  Tanhuser,  sind  scherz- 
hafte Localisierungen  allgemein  üblichen  Thuns,  und  dem  Ref.  will  es  fast  be- 
dünken, als  habe  Waldis  seinen  Ausdruck  dem  des  altern  Dichters  nachgebildet; 
denn  daß  er  die  frühere  deutsche  Litteratur  kannte,  zeigt  sich  an  mehreren 
Stellen   des   Esopus    (vgl.   die  Bemerkungen   von  Kurz  Bd.  I,   S.   XXXVI),  und 


LITTEKATUR.  499 

man   muß   sich   nur   wundern,   daß   diese   nicht  zahlreicher  sind,    da  sich  von  einem 
Dichter  wie  Waldis  wohl  annehmen  lasst,   daß   er  mit  seinen  Vorgängern  in  grö- 
ßerm  Maße  vertraut  gewesen  sein  wird,    als  bisher  erhellt,    wäre  es    auch  nur, 
um  sich  in  der  Sprache  zu  vervollkommnen,  von  der  er  selbst  zu  gestehen  scheint, 
daß  sie  ihm   schwer  ankam  zu  schreiben    (vgl.   Gervinus   3,    49).      Es    hat    sich 
ihm  vielleicht  zufällig  nicht  die  Gelegenheit  geboten,   sie  häufiger,   als  es  gesche- 
hen, namentlich  anzuführen,  und  es  käme  daher  nur  darauf  an,   seinen  anderwei- 
tigen Reminiscenzen   und  Anspielungen   hinsichtlich   des  altern  deutschen  Schriften- 
thums  nachzugehen,   So  meint  Gervinus  (3,  50),   daß  Waldis  offenbar  den  Renner 
gekannt,   wenn  er  ihn  auch  nicht  nenne;    hat  Ref.  Recht  mit  seiner  Zurückfüh- 
rung  obiger  Stelle  auf  den  Tanhuser,    so  erweiterte    sich    der  betreffende  Kreis 
noch  mehr  und  vielleicht  gelingt  es,  diesen  im  Folgenden  noch  ferner  auszudehnen. 
In  der    6  2.  Fabel  des  II.  Buches  nämlich,   welche  überschrieben  ist    „Von 
einer  Witwen   eins  Mann   begirig"    sagt  diese  wackere  Frau    zu  einer  Freundin, 
welche    ihr    einen   Hämmling   zum   Ehemann  vorschlägt: 
„ .     .     .    .du  magst  an   Galgen  gähn 
Mit  solchem  vnfreundtlichen  Mann 
Wiewol  mich  nicht  das  ding  bewegt,  ! 

Welchs   man   zu  nacht  im   Betthe   pflegt, 
So  stehts   doch  an  eim  Manne  wol, 
Das  er  hab,  was  er  haben  soll. 
Vnd  ich  in  auch  derhalb  nit  nem, 

Doch  ob  sichs  bgeb  vnd  dazu  kern, 
Das   er   im   zorn   wider  mich   schnort 
Und   ich   mit   worten   gegen   mort, 
Das   er  denn  het  bey  jm  ein  Fründt, 
Der  vns   wider  versönen  kündt." 
Hier   nun   möchte  es   scheinen,    als    ob   Waldis    ein   Schwank    wie    Scheidung  und 
Sühne   (Wip  und  man  in   v.   d.   Ilagens   Gesammtab.   Nr.    3  4)    vorgeschwebt   habe, 
deßen   Schluß   wir  hier  folgen   lassen: 

„ie  sä  kusten  sie  sich, 
Do  nam  der  zorn  ein  ende  ; 
er  vie   sie  bi  der  hende 
Und  wiste  s'  an   ein  bette  hin. 
do   ergie   ein   suone  under   in, 
Diu   gröze   vröude   macht»3; 
sie  lachte,  und  er  lachte, 
Do  sie  schieden  von  dem  bette, 
sie  kusten  sich  ze  wette 
Und  sungen  ein  liet  ze  prise 
in   einer  vil  höhen   wise." 
Noch   deutlicher  jedoch   zeigt   sich   hei  Waldis   in   der   nach   der  angeführten 
Stelle   folgenden  Nutzanwendung   die  Anspielung   auf  eine  andere  ältere  Erzählung  ; 
er  sagt  nämlich  : 

„Der  Ehestandt  zwischen  Fraw  vnd  Man 

Mag  keines    wegs  im  fried  bestahn, 
Es   sey   denn   das  der   freuden   Nagel, 
An  welchem  hangt  das  vnder  Gagel, 

32* 


500  LITTERATUE. 

Sie  beiden  fest  zusammen   hafft : 

Sonst   geht   die   lieb   nicht   in  jr  k rafft   n.  s.  w. " 
Hiermit  nun  vergleiche  man   den  Schluß  von   „der  weisse  Rosendornu    (v.  d.  Hagen 
a.   a.    0.   Nr.  5  3),  wo   es  so  heißt: 

„Do  riet  ich  dem   schoenen   wi|>, 

daz   si   die   vut   zuo   dem   lip 

Vil   vaste   nagelen   hieze, 

und   des  niht  enlieze. 

Do   bat  mich   diu   statte, 

daz   ich   ir  daz   taste. 

Do   tet  ich,   des   si   mich   bat : 

hin   wider   an    die    alten    stat 

Sazt  ich   die   vut,   als   ich   wol   kunt, 

einen   nagel   sä  ze   stunt 

Ich   vil   vaste   dar   durch   treip : 

diu   vut  immer  mer  beleip. 

Also   rät   ich   eim   ietlichen   man, 

der  ie  liebez   wib   gewan, 

Daz  er  sinem  wibe 

nagle  die  vut  ze  dem  Übe, 

Daz   ir  diu   vut  iht  entrinne, 

oder  er  ist  versümt  siner  minne." 
Ref.  glaubt  nicht  zu  irren  ,  wenn  er  aus  diesen  Stellen  ,  deren  Zahl  bei  ein- 
gehendem! Nachforschen  sich  wohl  noch  vermehren  ließe,  auf  eine  bei  Waldis  an- 
zunehmende genauere  Kenntniss  unserer  altern  Litteratur  meint  schließen  zu 
dürfen,  obwohl,  was  die  Erzählungen  betrifft,  Waldis  nicht  gerade  die  uns  jetzt 
vorliegenden  Bearbeitungen,  sondern  andere  Formen  derselben  gekannt  haben  mag. 
Aber  auch  noch  weitere  Ausbeute  dürfte  eine  derartige  sorgfältige  Durch- 
forschung des  alten  Fabeldichters  gewähren  und  uns  seine  Bekanntschaft  mit 
volkstümlichen  Vorstellungen,  Redeweisen  u.  s.  w.  noch  deutlicher  erkennen 
lassen  als  bisher.  So  hat  z.  B.  schon  der  Herausgeber  auf  das  III,  8  7  geschil- 
derte Nobishaus  aufmerksam  gemacht.  Zu  seinen  Anführungen  füge  man  noch 
Gödeke  zu  Job.  llömoldt  (1855)  S.  7  5,  wo  viele  Beispiele  der  Ausdrücke  No- 
bishaus und  Nöbiskrug  gesammelt  sind.  Nobiskratten  sagt  man  zu  Toggenburg 
(Canton  St.  Gallen);  s.  Zeitschr.  für  deutsche  Mythol.  4,  2  Nr.  20.  Vgl.  auch 
des  Ref.  Bemerkungen  zu  seiner  Ausgabe  des  Gervas.  von  Tilbury  (Hannover 
185<>)  S.  Ifi8.  —  Wenn  ferner  Waldis  an  der  in  Rede  stehenden  Stelle  sagt, 
daß  die  Seelen  der  Landsknechte  in  der  Hölle  zu  Blättern  eines  dort  stehenden 
Baumes  werden,  so  beruht  dies  ohne  Zweifel  auf  einem  Volksglauben,  wie  denn 
auch  in  der  polnischen  Sage  von  dem  Räuber  Madej  von  einem  Apfelbaume  die 
Rede  ist,  dessen  Früchte  Seelen  sind.  Grimm,  d.  Myth.  7  88. 
Die   3  9.   Fabel  des  I.  Buches  beginnt  mit  den   Worten: 

„Vor  zeiten,  als  die  Beume  redten, 
Wie  auch  dasselb  die  Steine  theten." 
Auch   hier   liegt  gewiß  eine  volksthümliche  Anschauung  und   Redeweise  zu  Grunde, 
ähnlich  jener   andern    „als    noch    die    Thiere    sprachen,"     oder    wie   Fischart  sagt 
(Geschicht-Klitt.  ed.  Scheible  S.  420):     „In  illo  tempore,   da   die  Thiere   redten." 
Vgl.  Grimm  Reinh.  Fuchs  S.V;   denn  auch  Bäume  galten  ja  einst  für  belebt   und  man 


LTTTERATT'R.  501 

legte  ihnen  deshalb  auch  eine  Sprache  bei:    s.    Dunlop-Lvebrecht   Anmerk.    89S 
und   zu   Gervas.   S.  6  3. 

Auf  Waldis  II,   84: 

„Der   Teuffei  kam   mit  einer   Stangen, 
Dran   hat  viel   alter  Schuh   gehangen, 

Sprach:  „deinethalb  hab  mich  geflissen, 
Und  alle  diese  Schuh  zerrissen," 
hat  bereits  Grimm,  Rh.  Fuchs  S.  LX  bei  Gelegenheit  einer  ähnlichen  Stelle  im 
lat.  Isengrimus  hingewiesen  (s.  Kurz  zur  Stelle).  Wir  sehen  hier  eine  volks- 
thümliche  Weise  große  Entfernungen  zu  messen ,  nämlich  nach  zerschlissenen 
Schuhen ,  die  sich  auch  noch  in  andern  Sagen  und  Märchen  wiederfindet  und 
wobei  wie  hier  bei  Waldis  oft  auch  der  Teufel  im  Spiele  ist;  s.  z.  B.  Panzer, 
Beitr.  zur  deutsch.  Mythol.  2,  5  7  „der  Teuf  eisstein" .  Letztere  Sage  findet  sich 
auch  ähnlich  in  Belgien  wieder.  Der  Teufel  wollte  nämlich  das  Kloster  zerstören, 
welches  der  h.  Remacle  in  Stavelot  baute  und  schleppte  in  dieser  Absicht  einen 
Felsen  herbei ,  wurde  jedoch  durch  einen  Mönch  vermittelst  eines  Korbes  voll 
verschlissener  Schuhe  ganz  ebenso  betrogen ,  wie  durch  das  alte  Weib  in  der 
baierischen  Sage.  Der  Felsen,  den  er  dabei  unmuthig  fortwarf,  ist  zwischen  den 
Dörfern  Spineux  und  Wanne  auf  dem  Wege  von  Stavelot  nach  Vieil-Salm  noch 
zu  sehen  und  heißt  bis  auf  den  heutigen  Tag  Faix  du  diable.  S.  Pimpurniaux 
(Borgnet)  Guide  du  Voyageur  en  Ardenne  Ire  6d.  Brux.  1856,  I,  122  ff. 
Eine  ähnliche  Sage  wird  auch  auf  der  finnischen  Insel  Bunsala  erzählt,  und  hier 
vertritt,  wie  oft,  der  Riese  die  Stelle  des  Teufels,  s.  Morgenblatt  1841  S.  227. 
Oft  auch  sind  die  Schuhe  eisern,  so  in  der  Ragnar-Lodbrokssage ,  s.  Grimm 
a.  a.  0. ;  ferner  in  einem  italienischen  Märchen  ,  s.  des  Ref.  Übersetzung  von 
Basile's  Pentamerone  2,  184;  und  so  auch  in  einem  neugriech.  Volksliede,  s. 
Passow,  Popularia  Carmina  Grsec.  recent.  Leipz.  1860,  Nr.  505,  v.  78  (p.  384). 
—  Diese  wenigen  Beispiele  mögen  genügen,  um  ferneres  Nachsuchen  bei  Waldis 
zu   veranlassen. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  Kurz's  Anmerkungen,  welche  die  einzelnen  Stücke 
betreffen ,  so  finden  wir  darin  eine  sehr  schätzenswerthe  Arbeit ,  worin  er  sich 
bemüht  hat,  die  erste  nachweisbare  Quelle  und  anderweitige  Bearbeitungen  eines 
jeden  von  Waldis  im  Esopus  behandelten  Stoffes,  der  übrigens  nicht  bloß  aus 
Fabeln,  sondern  auch  aus  Schwänken  und  wie  es  scheint  zuweilen  auch  aus 
eigenen  Erlebnissen   besteht,   in   gedrungener   Weise   anzugeben. 

Wer  sich  mit  derartigen  Nachforschungen  beschäftigt,  wird  zu  beurtheilen  wissen, 
wie  mühsam  sie  sind  und  daher  dem  Herausgeber  für  das  von  ihm  Geleistete 
zu  großem  Danke  verpflichtet  sein,  sich  aber  auch  andererseits  nicht  darüber 
wundern ,  daß  mancherlei  Lücken  darin  geblieben  oder  sich  Ungenauigkeiten 
eingeschlichen.  Dies  sind  Mängel,  die  sich  auf  diesem  Gebiete,  wie  auf  manchem 
andern  fast  nicht  vermeiden  lassen  und  daher  Nachsicht  erwarten  dürfen.  Dazu 
kommt,  daß  der  Herausgeber,  wie  er  am  Schluß  seiner  Einleitung  anführt,  sich 
auf  diejenigen  Nachweisungen  beschränkt  hat,  die  er  selbst  in  Händen  hatte. 
Was  es  heißt,  hinlängliche  litterarische  Hilfsmittel  entbehren  zu  müssen,  weiß 
Ref.  aus  eigener  Erfahrung  nur  gar  zu  gut.  Gleichwohl  muß  im  allgemeinen 
bemerkt  werden ,  daß  der  Herausgeber  oft  größere  Kürze  hätte  anwenden  und 
sich  mit  bloßer  Verweisung  auf  die  Angaben  seiner  Vorgänger  auf  diesem  Felde 
begnügen  können,  ohne  sie,  wie  oft  geschehen,  zu  wiederholen.  Auch  Anfüh- 
rungen,  die  auf  nur  entfernt  ähnliehe  Stellen  und  Gedanken  bei   andern  Schrift- 


502  LITTERATUR. 

stellern  hinweisen,  erscheinen  meist  als  überflüssig,  zuweilen  als  unrichtig.  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  kann  man  z.  ß.  wohl  fragen,  was  zu  I,  4  3  die  Ver- 
weisung auf  Sadi  und  die  Edda  soll?  zu  I,  9  7  und  II,  9  3  die  auf  Menander? 
zu  IV,  7  7  (II)  die  auf  Fischart,  Etienne  und  Comines?  Besteht  wohl  zwischen 
II,  12  (II  „Pfaff  dümmer  als  Esel")  und  Cor.  149,  Phädrus  I,  18,  der  aus 
dem  Moyen  de  parvenir  angeführten  Stelle  ü.  s.  w.  irgend  ein  historischer  Zu- 
sammenhang, wie  der  Herausgeber  zu  glauben  scheint,  da  er  die  letztgenannten 
für  Bearbeitungen  des  der  Waldis'schen  Fabel  zu  Grunde  liegenden  Stoffes  hält? 
Gehören  wohl  zu  I,  9  4  die  Citate  von  der  verkauften  Bärenhaut  aus  Abstemius, 
Fischart,  Eyring  und  Hagedorn,  die  etwas  ganz  anderes  besagen  als  der  Inhalt 
jener  Fabel?  und  gehörten  sie  nicht  besser  zu  IV,  88,  V.  45  f.:  „Die  haut  soll 
man  zu  Marckt  nit  tragen  —  Man  hab  denn  erst  den  Beren  gschlagen"?  — 
Zu  I,  5  9  heißt  es:  „Findet  sich  auch  in  Westafrika;  s.  Liebrecht  in  (Eberts) 
Jahrb.  für  roman.  Litter.  3,  155."  Dies  ist  jedoch  nicht  richtig;  der  Ref.  hat 
an  jener  Stelle  von  nichts  anderm  als  von  dem  Herbeiholen  des  Feuers  durch 
Vögel  gesprochen  und  zwar  als  Nachtrag  zu  seiner  auch  von  Kurz  angeführten 
Bemerkung  in  der  Germania.  —  Auch  das  Citat  „Kuhn  Westphäl.  Sagen 
u.  s.  w."  gehört  nicht  zu  II,  15  und  war  von  Ref.  bei  Ebert  a.  a.  O.  3,  155 
(zu  Pantschat.  1,  3  7  9)  aus  ganz  anderm  Grunde  angeführt  worden.  —  Zu  1,  19 
streiche  das  Citat  „Aes.  Cor.  129",  das  nicht  hierher,  sondern  zu  III,  4  6  ge- 
hört und  auch  dort  angeführt  ist.  Anderes  übergeht  Ref.,  da  er  es  nicht  über- 
nimmt, alle  Angaben  des  Herausgebers  zu  verifizieren  oder  sie  zu  vervollständi- 
gen und  will  nur  noch  einige  Bemerkungen  hier  folgen  lassen,  die  sich  ihm 
ungesucht  bieten  und  vielleicht  nicht  ohne  Interesse  sind,  nachdem  er  zuvor 
erinnert,  daß  die  von  Kurz  in  den  Nachträgen  zu  den  Anmerkungen  S.  187 
erwähnte,  früher  in  den  Wiener  Jahrbüchern  erschienene  Abhandlung  von  Ferd. 
Wolf  über  den  Erzpriester  von  Hita  jetzt  auch,  vielfach  vervollständigt,  in  dessen 
„Studien  zur  Gesch.  der  spanischen  und  portug.  Nationnllitteratur,"  Berlin  1859, 
S.    98   ff.   zu   finden  ist. 

I,  6.  Von  dem  Wolff  vnd  Kranche.  —  Hier  war  auf  die  wichtige  indische 
Version  dieser  Fabel  hinzuweisen  bei  Grimm  Reinh.  Fuchs  S.  CCLXXXI  *). 
Diese  Fabel  findet  sich  auch  in  dem  Novus  Aesopus  des  Alexander  Neckam**); 
8.   EdeMestand  du  Meril,   Poesies   inedites  du  moyen   äge.  Paris    185  4. 

*)  Daß  rachasi  (räxasa,  rakshas)  einen  bösen  Geist  bedeutet  und  kein  Thier,  hat 
(Jrimm  D.  Myth.  521  Anm.  selbst  berichtigt,  ohne  erst  auf  Herrn  Wagener  zu  warten; 
s.  dessen  Essai  sur  les  rapports  qui  existent  entre  les  apologues  de  linde  et  les  apo- 
logues  de  la  Grece.  Brux.  1854  p.  117  (Mem.  couron.  de  l'Acad.) 

**)  Die  Fabelsammlung  dieses  vielgenannten  aber  wenig  gekannten  Schriftstellers 
verdient  immerhin  bei  den  einzelnen  Fabeln  angeführt  zu  werden,  um  so  mehr,  als 
l>n  Merils  Nachweise  zu  denselben  oft  sehr  interessante  Angaben  enthalten,  welche  die 
zu  Waldis  gegebenen  ergänzen;  deshalb  wollen  wir  der  Kürze  und  Übersichtlichkeit 
wegen  hier  die  in  beiden  Dichtern  zugleich  vorkommenden  Stoffe  zusammenstellen. 
Waldis     I,     2  =  Neckam  p.  184  Nr.  10  de  lupo  et  agno. 

180  Nr.     6  de  mure  et  rana. 
176  Nr.     1  de  lupo  et  grue. 
198  Nr.  27  de  corvo  et  vulpe. 
179  Nr.     5  de  cane  et  asino. 

210  Nr.  41  de  leone  et  mure. 

204  Nr.  35  de  monteprsegnanteetparturientemurem. 
203  Nr.  34  de  ranis  etleporibus. 

211  Nr.  42  de  capella  et  lupo. 
186  Nr.  12  de  pavone  et  gracalo  et  avibus. 


3  = 

» 

P. 

6  = 

1» 

P- 

11  = 

>> 

P' 

13  = 

JJ 

P« 

14  = 

»J 

P- 

21  = 

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23  — 

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P- 

24  = 

1» 

P- 

29  = 

J» 

P- 

LITTERATUR.  503 

T,  10.  Vom  Adler  vnd  der  Kran.  —  In  der  von  Du  Meril  I.  c.  p.  263  ff. 
2  6  9.  273  aus  dem  Novus  Avianus  mitgetheilten  fünffachen  Version  dieser  Fabel 
verspricht  die  Schildkröte  dem  Adler  eine  reiche  Belohnung,  welche  in  den  ersten 
beiden  näher  als  Edelstein  (gemma)  bezeichnet  und  womit  der  Schildkrötenstein 
(Chelonit)  gemeint  wird,  der  sich  nach  dem  Volksglauben  im  Magen  dieses  Thieres 
finden  soll.  Ahnlich  ist  der  englische  Glaube,  wonach  im  Kopfe  der  Kröte  sich  ein 
Stein  befindet,  der  gegen  viele  Krankheiten  wirksam  ist,  aber  er  muß,  so  lange 
sie  noch  lebt,  herausgenommen  werden.  S.  A.  Kuhn  in  v.  d.  Hagens  Germania  7, 
438,  Nr.  29.  Ein  gleicher  Aberglauben  findet  sich  auch  in  Frankreich;  der  Stein 
heißt  dort  crapaudine.  Vgl.  auch  Pantschat.  1,  214  und  dazu  des  Ref.  Bemerkun- 
gen in  Eberts  Jahrbuch  3,    149  f. 

I,  2  2.  Vom  alten  Jagdhunde.  —  Die  zwei  letzten  Verse  dieser  Fabel:  „Die 
Pferdt,  wenns  nicht  können  ziehen  bass  —  Nimpt  jn  den  Habern  vnd  schlechts 
ins  Grass"  scheinen  sich  auf  die  Sage  von  dem  blinden  Roß  zu  beziehen,  worüber 
s.  Dunlop  S.  5  41b  Nachtrag  zu  Anm.  220  (S.  4  8  0).  S.  auch  Hammer's  Rosenöl 
2,  5  7  ff.  Nr.  29.  Grässe  bei  Romberg,  Wissenschaften  im  19.  Jahrh.  I,  575  ff. 
führt  auch  noch  an  Langbeins  Ballade  „das  blinde  Roß"  und  Camerarius  Hoto 
Subsecivas  Cent.  I  c.  21  ,  p.  109,  der  sich  auf  die  Ricordi  des  Mailänders  Sabbas 
Castiglione  beruft.  Aus  letzterem  ital.  Werke  stammt  wahrscheinlich  die  Erzählung 
bei  Filippi,   die  ich  zu  Dunlop  1.  c.  erwähnt  habe. 

1,  2  4.  Vom  Zickel  vnd  Wolf.  —  Neckam  s.  oben  Anm.  2.  Über  eine  spa- 
nische  Version  dieser  Fabel  s.  Ferd.  Wolf  in  Eberts  Zeitschr.  3,   210,  Anm.  3. 

I,  3  6.  Von  einem  Hirsch.  —  Neckam  s.  oben  Anm.  2.  S.  auch  Weber, 
Indische  Studien  3,  3  5  5,  der  eine  ähnliche  Fabel  im  Mahabharata  nachweist,  näm- 
lich die  von  dem  Kameel,  welches  durch  seinen  von  Prajäpati  erbetenen  langen  Hals 
dem  Schakal  in  die  Zähne  geliefert  wird. 

I,  42.  Vom  Hirsch  vnd  dem  Ochssen.  —  Hinter  den  Nugne  Curialium  des 
Gualterus  Mapes  hat  deren  Herausgeber  Thomas  Wright  eine  latein.  Fabel  ange- 


„         p.  202  Nr.  32  de  equo  forti  et  asello. 
,,         p.  177  Nr.     2  de  vespertilione  et  avibus. 
,         p.  203  Nr.  33  de  cervo  et  cornibus  ejus. 
,         p.  189  Nr.  16  de  serpente  et  lima. 
,         p.  179  Nr.     4  de  ovibus  et  lupis. 
,         p.  206  Nr.  37  de  ventre  et  meinbris. 
,         p.  197  Nr.  26  de  equo  et  nomine. 
,         p.  188  Nr.  15  de  cane  et  ove. 
,         p.  208  Nr.  39  de  lupo  et  cane. 
,         p.  209  Nr.  40  de  philomena  et  pavone. 
,         p.   199  Nr.  29  de  formica  et  cicada. 
,         p.   193  Nr.  22  de  lupo  et  bubulco. 
,         p.  189  Nr.  17  de  latrone  et  vicinis, 
,         p.  205  Nr.  36  du  camelo  et  pulice. 
i         p.  201  Nr.  31  de  verace  et  fallace. 
Der  von  Du  Meril  in  dem   angeführten  Buche   gleichfalls    herausgegebene   Baldo, 
der  wahrscheinlich  dem  12.  Jahrb.  augehört,    enthält    zum    größten  Theil    eine  lat.  Be- 
arbeitung der  Fabeln  des  Calila  und  Dimna,  die  daher  von  Benfey  zum  Päntschatantra 
jedesmal  an  den  betreffenden  Stellen  angeführt  sind ;     von  den   übrigen    finden  sich  nur 
folgende  vier  auch  bei  Waldis;  nämlich: 

I,  27  —  Baldo  p.  255  Nr.  25  de  vulpe  et  ibide. 
„  32  =       „       p.  257  Nr.  27  de  mulo  et  lupo. 
„  45  =       „       p.  256  Nr.  26  de  cervo  et  equo. 
LI,   2  =       „       p.  258  Nr.  28  de  viro  et  tigride. 


Waldis   I, 

32  = 

ji 

77 

33  = 

77 

77 

34  = 

>i 

77 

36  = 

»j 

77 

37  = 

u 

77 

38  = 

„ 

77 

40  = 

7) 

77 

45  = 

77 
77 

77 
77 

48  = 
56  = 

»7 

„ 

66  = 

77 

77 

84  = 

77 

m.44  = 

77 

77 

61   =■ 

77 

77 

84  = 

7? 

P7.75  = 

5Q4  LITTERATUR. 

hängt  und  dazu  bemerkt:  »The  following  fragment  of  Walter  Mapes  is  found 
isolated  in  an  early  MS.  witbout  any  indication  from  whence  it  was  taken."  Der 
Inhalt  dieser  Fabel  des  Mapes  entspricht  der  vorliegenden  des  Waldis. 

I,  44.  Vom  Fuchss  vnd  dem  Wysel.  —  Vgl.  Du  Merils  Einleitung  p.  134 
Nr.  3  und  4,   wo  er  diese  Fabel  erwähnt  und  einige  interessante  Nachweise  giebt. 

I,  67.  Vom  alten  Wysel  vnd  den  Meusen.  —  Auch  bei  Glycas  und  Wartan 
s.  Robert  Fables  ined.   vol.  I  p.  LVIII  u.  CCXXIV  (zu  Lafont.  Nr.  6  0). 

I,  86.  Vom  Weibe  vnd  dem  Wolffe.  —  S.  auch  A.  Kuhn  Westphäl.  Sagen 
2,  225  Nr.  6  „Der  Teufel  und  der  Executor"  und  J.  W.  Wolf,  Hessische  Sagen 
S.  158  Nr.  256    „Der  Advokat  und  der  Teufel". 

I,  100.  Von  der  Eychen  vnd  dem  Rohr.  —  S.  auch  Robert  1.  c.  p.  CCXIX*) 
u.  CCXXIV  (zu  Lafont.  Nr.  22).  Ähnliches  auch  im  Mahabharata;  s.  Weber  Ind. 
Stud.  3,    355. 

II,  1.  Von  den  Ochssen  vnd  dem  Löwen.  —  Babrius  44.  Auch  bei  Themi- 
stius  ;  s.  Grimm  Reinh.  Fuchs  S.  CCLXXV,  der  darin  den  Grund  oder  Anfang 
des  Hitopadesa  erkennt;   s.  dagegen  Benfey,   Pantschat.  1,  9  3. 

II,  2.  Vom  Weydemann  vnd  dem  Tyger. —  Baldo  s.  oben  Anm.  2.  Cor.  2  7  9. 
Babr.  1. 

II,  11.   Vom  Waldtgotl  vnd  Menschen.   —   V.  7  ff.  heißt  es: 
„Sonderlich   in   Egypten   landt, 

Da  waren   Thierlin   vnbekandt, 
Rauh   vnd   vierfüssig   wie   ein   Geysz, 

Wie  man  das  auss  der  Schrift  wol  weisz." 
Der  Herausgeber  bemerkt  hiezu ,  daß  ihm  die  Stelle  der  Bibel,  die  von  solchen 
Geschöpfen  spreche,  unbekannt  sei;  gemeint  ist  jedoch  Jes.  13,  21,  wo  der  hebr. 
Text  sagnir  hat,  was  Luther  durch  Feldteufel ,  die  Vnlg.  durch  pilosi  übersetzt; 
vgl.  Grimm  D.Myth.  44  9.  Nur  hat  sich  Waldis  hier  geirrt,  indem  er  den  rauhen 
geißfüßigen  Wesen  statt  zwei  Füßen  deren  gleich  vier  beilegt.  —  Wegen  Egypten- 
landt  s.  des  Ref.  Gervas.  S.  6  ff.  Nr. XVIII  besonders  S.  8  :  „Nam  Alexandriam"  etc. 
und  dazu  die  Anm.  S.  7  6  in  Betreff  des  Centanren. 

II,  13.  Von  der  Mausz  vnd  dem  Ochssen.  —  Ähnlich  Neckam  Nr.  III  de 
culice  et  tauro  bei  Du  Meril  p.  17  8.   Vgl.  Pantschat.  1,    24  5  f. 

II,  21.  Vom  Fuchsz  vnd  der  Katzen.  —  Auch  in  Thom.  Wright,  Latin 
Stories  Nr.  6  2.  „Cette  fable  est  certainement  l'origine  premiere  d'une  des  aventures 
du  Roman  de  Renart:  V.  19  29  et  suivants:"  Edelest.  du  Meril,  Etudes  sur  quelques, 
points  d'archeol.  et  d'hist.  litter.   Paris  u.  Leipzig  1862  p.  464  Nr.  2. 

II,  2  7.   Von  der  Ewlen  vnd  andern  Vögeln.  —   S.  Benfey,  Pantschat  1,  24  9. 

II,  3  1.  Von  der  Spinnen  vnd  Podagra.  —  Auch  im  Speculum  exemplarum 
des  Johannes  de  Vitriaco ,  s.  Gödeke  in  Benfey's  Orient  und  Occident  1,  543 
Nr.  9.  —  Auf  die  Verwandtschaft  der  Boner'schen  Fabel  Nr.  4  8  „  Von  dem, 
ritten  **)  und  von  der  vlö"  mit  einer  Erzählung  des  Pantschatantra  vom  Floh 
(Feuermund)  und  der  Laus  (Leisegang)  ***)  hat  A.  Kuhn  hingewiesen ;  s.  v.  d. 
Hagens   German.  10,    283  f.   Vgl.   hierzu  Jac.  Grimm   oben    2,  3  7  8. 

II,  31.  Von  Vischen,  die  aus  der  Pfannen  sprungen.  —  Gelegentlich  des 
von  Kurz  in  den   Anm.   angeführten    wohlbekannten   Verses     „Incidis    in   Scyllam 


*)  Über   den   daselbst,    erwähnten   Beracliia   Hannakdan    s.  Grimm    Reinh.  Fuchs 
p.  CCLXXXII. 

**)  Nicht  ,.ri/trru,  wie  verdruckt  steht  in  Kurz's  Anm.  zu  dieser  Fabel. 
***)  ]'><-i  Benfey  Pantschat.  2.  71  f.  heißt  sie:  „die.Wanze  und  die  Laus":  vgl.  1,  22:'>. 


LITTERATUR.  505 

cupiens  vitare  (nicht  incidii  in  Sc.  qui  vult  eoitare)  Charybdin"  sei  bemerkt,  daß 
er  zuerst  in  des  Gautier  von  Chatillon  Alexandreis  V.  301  vorkommt,  und  dem 
griech.  VT)]V  XctQvßdlV  ixcpvycov  r\]  Uxvkht]  TtSQUTCeOov"  nachgebildet 
scheint.  —  Näher  entsprechen  jedoch  der  vorliegenden  Fabel  andere  griecb. 
Sprüchwörter,  wie  xdizvov  ys  cpevycov ,  sig  to  7tvg  7t£Qi£Jieöov  und  fu) 
zi(pgav  (psvyav  sig  m'&Qaxiccv  iteöflg.   S.  Leutsch  1.  c.  im  Index. 

III,  7.  Vom  Adler  vnd  Küniglin.  —  In  Waldis  Quelle  (Abstemius)  und 
im  Aes.  Camerarii  findet  sich  statt  des  Zaunkönigs  ein  Kaninchen;  wie  kam  er 
also  auf  erstem?  Zuvörderst  vielleicht  durch  den  Gleichklang  von  küniglein  und 
cuniculus,  wobei  er  dann  auch  noch  an  die  alte  Feindschaft  zwischen  Zaunkönig 
und  Adler  denken  mochte ,  welche  schon  Aristot.  histor.  anim.  9 ,  11  erwähnt 
{TQO%£kog  aetä  7toXe[llog).  S.  hierüber  Grimm  Kinderm.  33,  246  zu  Nr.  17  1 
„der  Zaunkönig",   und  füge  hinzu  6,    80  ff. 

III,  11.  Vom  reichen  Mann  vnd  seinen  Freunden.  —  Dunlop  (S.  2  9  2R 
zur  5.  Novelle  des  Granucci)  muß  sich  geirrt  und  auf  den  Tyrannen  Dionysius 
bezogen  haben,  was  Polyaen.  1,  4  0,  1  von  Alcibiades  erzählt,  wo  jedoch  von  kei- 
nem Sohn  des  letztern  die  Rede  ist.  Eine  ähnliche  Geschichte  findet  sich  auch  in 
der  Viga  Glumssaga  c.  13  ff.  (Island,  sog.  2,  35  5  ff).  Diese  berichtet  nämlich, 
daß  Glums  Verwalter  Ingolf  von  einem  Manne,  Namens  Kalb  (Kälfr)  aus  Hlädha, 
bei  gewisser  Veranlassung  beleidigt  und  geschlagen  wurde.  Einige  Zeit  darauf  nun 
rühmt  sich  Ingolf  der  zuverlässigen  Freundschaft  eines  andern  Mannes,  Namens 
Thorkel,  worauf  Glum  ihm  befiehlt,  sich  zu  diesem  zu  begeben  und  ihm  zu 
sagen,  er  (Ingolf)  habe  Kalb  in  Hlädha  todtgeschlagen ,  nachdem  ihn  Glum 
wirklich  vorher  ein  Kalb  in  einer  Scheuer  (hlädha)  hatte  schlachten  lassen. 
Thorkel  wies  Ingolf  alsobald  von  sich,  weil  er  es  für  gefährlich  hielt,  ihn  in 
sein  Haus  aufzunehmen.  Da  sich  nun  Tags  darauf  das  Gerücht  verbreitete,  der 
Mann,  welcher  Kalb  hieß ,  sei  wirklich  erschlagen  worden ,  so  versprach  Glum 
dem  Ingolf  seinen  Schutz  und  erklärte  sich  auch  in  der  That  vor  Gericht  selbst 
als  Kalbs  Mörder,  für  den  er  dann  das  gesetzmäßige  Wergeid  bezahlte.  — 
Bemerkenswerth  ist  auch  noch,  daß  hier  ebenso  wie  in  der  Novelle  des  Granucci 
ein  getödtetes  Kalb   zur  Prüfung  der  Freunde  dient. 

III,  2  2.  Von  den  Sperbern  vnd  Tauben.  —  Die  in  der  Anm.  angeführten 
Fabeln  des  Anon.  Nev.  und  Romulus  gehören  nicht  hierher,  sondern  zu  der  nur 
wenig  abweichenden  des  Phädrus  1,  31  „miluus  et  colwnbce  (nicht  columba)" ; 
s.  auch  Neckam  bei  Du  Meril  p.  196  Nr.  2  5  de  niso  et  columbis.  In  dieser  Fa- 
belreihe nämlich  unterwerfen  sich  die  Tauben  einem  Sperber  (accipiter,  milvus, 
maus),  um  größerer  Gefahr  zu  entgehen,  befinden  sich  jedoch  dabei  sehr  übel. 
In  der  vorliegenden  Fabel  des  Waldis  hingegen ,  so  wie  in  den  übrigen  dazu 
gehörigen,  stiften  die  Tauben  Frieden  zwischen  den  unter  einander  entzweiten 
Sperbern  (deshalb  auch  immer  accipitres  im  Plur.)  und  ernten  freilich  gleich- 
falls  schlechten   Lohn   für   ihre   Bemühung. 

III,  2  5.  Vom  alten  Mann  vnd  dem  Todt.  —  Über  die  Boten  des  Todes 
s.  auch  W.  Wackernagel,  Basel  im  XIV.  Jahrh.  S.  381;  sie  finden  sich  ferner 
erwähnt  in  Bromyards  Predigten  s.  Wright,  Latin  Stories  Nr.  33  und  p.  223. 
Vgl.  auch  Passow  Popul.  Carm.  Grajc.  recent.  Nr.  42  6 — 43  3  und  dazu  des  Ref. 
Anzeige  in  den   Gott.   Gel.  Anz.    1861,   St.    15,  S.  575  f. 

III,  2  6.  Vom  Geitzigen  vnd  seinem  Geldsack.  —  Die  aus  dem  Tuti-Nameh 
angeführte  Geschichte  von  den  vier  habsüchtigen  Reisegefährten  gehört  nicht 
hierher:    vgl.  Pantschatantra    1  ,     48  7.    —    Über  die    goldgrabenden  Ameisen  s. 


506  LITTERATUE. 

Lassen  Ind.    Altertimmskunde    1,     849   ff.,   und  Deutsche  Vierteljahrsschr.  1854 
zweites  Heft  S.    2  6  5   ff. 

III,  2  7.  Vom  Fuchsz  und  Steinbock.  —  Zu  Grimm  KM.  3,  392 
(II.  Ausg.;  3,  311  der  III.  Ausg.)  s.  des  Ref.  Nachträge  oben  2,  249.  — 
Der  Spruch  „quidquid  agis  etc."  findet  sich  bereits  im  Dialogus  creaturarum  so 
wie  in  den  Flores  Poet.  (Colon.  147  2)  1.  II  c.  20;  s.  Du  Mdril,  Poesies  ined. 
p.  161  n.  6.  Da  nun  beide  den  Aesop  als  ihre  Quelle  anführen,  so  erweist  sich 
des  Ref.  in  Eberts  Jahrbuch  3,  154  ausgesprochene  Muthmaßung  als  hinläng- 
lich  begründet. 

III,  44.  Vom  Fuchsz  vnd  dem  Jäger.  — -  Neckam;  s.  oben  Anmerk.  2. 
S.  auch  Reinhold  Köhler  in  der  Zeitschr.  f.   deutsche  Mythol.    3,    2  98   ff. 

III,  54.  Vom  alten  Mann,  der  den  Todt  fordert.  —  Pantschat.  1,  5  7  4,  Nr.  2. 

III,  7  2.  Von  einem  Holtzhawer.  —  Auch  eine  finnische  Sage  erzählt, 
„daß  einem  Hirtenknaben  das  Messer  ins  Wasser  fiel,  als  er  an  dem  Ufer  eines 
Flusses  mit  Schnitzen  beschäftigt  war.  Durch  seine  Thränen  über  das  ihm  zu- 
gestossene  Unglück  gerührt,  kam  Ahti  (ein  Wassergott)  ans  Ufer  geschwommen, 
tauchte  bis  auf  den  Boden  des  Flusses  und  holte  von  dort  ein  goldenes  Messer 
hervor.  Voll  ehrlicher  Unschuld  versicherte  der  Knabe,  daß  dieses  Messer  ihm 
nicht  angehörte  und  nun  senkte  sich  Ahti  zum  zweiten  Male  auf  den  Boden 
herab  und  holte  ein  silbernes  Messer  hervor.  Als  aber  der  Knabe  auch  dieses 
nicht  annehmen  wollte,  begab  sich  Ahti  noch  zum  dritten  Male  in  die  Tiefe 
hinab  und  holte  da  das  rechte  Messer  hervor ,  welches  der  Knabe  auch  mit 
Freuden  als  sein  Eigenthum  erkannte.  Um  die  Ehrlichkeit  des  armen  Hirten 
zu  belohnen,  schenkte  ihm  Ahti  alle  drei  Messer."  S.  Castrens  Vorlesungen  über 
die  finn.   Mythol.,   übertr.  von   A.   Schiefner.  Petersb.  1853,   S.  75. 

III,  9  2.  Wie  ein  Sewhirt  zum  Apte  wirdt.  —  Dieser  Schwank  ist  auch  in 
der  Gascogne  bekannt ;  s.  Contes  populaires  de  la  Gascogne  par  Cenac  Moncaut. 
Paris  1861  p.  50  ff.  „Le  meunier  et  le  marquis."  Die  Fragen  lauten:  1.  Wo  ist 
der  Mittelpunkt  der  Erde?  2.  Was  bin  ich  werth  ?  3.  Was  denke  ich  jetzt?  — ■ 
Der  einen  Erzpriester  (archipretre)  vertretende  Müller  antwortet,  1.  indem  er  sei- 
nen Stock  in  die  Erde  stößt  und  diesen  Fleck  für  den  gesuchten  Punkt  erklärt; 
2.  „achtundzwnnzig  Silberlinge  (deniers),"  weil  Christus  für  dreißig  verkauft 
worden;   und  3.   daß  er  für  den  Erzpriester  gehalten  werde.   —   Über  die  Räthsel- 

I  fragen  vgl.  auch  noch  W.  Wackernagel  in  Haupts  Zeitschr.  3,  2  5  ff.  und  Benfey's 
Aufsatz  „Die  kluge  Dirne.  Die  indischen  Märchen  von  den  klugen  Rätlisellösern  und 
ihre  Verbreitung  über  Asien  und  Europa"  im  Ausland  185  9  Nr.  2  0  —  25.  Hierher 
gehört  auch  ein  Märchen,  welches  A.  Schiefner  in  der  St.  Petersburger  Zeitung 
1849  Nr.  7  9  dem  Mongolischen  nacherzählt  und  dem  Ref.  freundlichst  mitge- 
theilt  hat.  Es  erinnert  zunächst  an  das  Märchen  vom  Hirtenbüblein  (Grimm  KM. 
Nr.   15  2),   mit   welchem   es   auch   theilweise   übereinstimmt. 

III,  94  (II).  Des  Herrn  Auge  das  beste  Pferdefutter.  —  Simrock,  Sprich- 
wörter Nr.  4611  —  46  16;  bes.  Nr.  46  13  „Des  Herrn  Auge  füttert  das  Pferd 
wohl."  —  Eine  hierher  gehörige  Geschichte  erzählt  auch  Plin.  H.  N.  18,  8 
in  Betreff  des  C.  Furius  Cresinus  und  schließt  mit  den  Worten :  Et  ideo  ma- 
jores  fertilissimum   in   agro   oculum   domini   esse   dixerunt." 

IV,  1.  Vom  Wolff,  Fuchsz  vnd  Esel.  —  Die  von  Kurz  angeführte  Fabel 
des  Straparola  13,  1  „unloup,  im  regnard  etc."  findet  sich  bloß  in  der  fran- 
zösischen Übersetzung  des  Larivey;  im  italienischen  Original  steht  dafür  ein 
anderes   Stück:    ^Maestro    Gasparino    medico    con    la    sua    virlu    sanava    i  pazziu, 


LITTER  ATUR.  507 

entnommen  aus  Morlini  Nr.  7  6*):  „De  Medico  qui  cnrabat  meide  captos."  Der 
neueste  Herausgeber  der  genannten  Übersetzung  bemerkt  dazu  nach  Loiseleur 
Deslongchamps  und  Lancereau,  daß  Lafontaine  7,  1  „Les  animaux  malades  de  la 
pesteu  so  wie  die  entsprechende  eben  genannte  Fabel  des  Larivey  aus  dem  Orient 
stammen.  S.Benfey  Pantschat.  2,  80:  Der  Löwe,  seine  Minister  und  das  Kameel;* 
vgl.  ebendas.  1,  2  31  f.  Ob  aber  Larivey  seine  Fabel  zunächst  dem  Bebel,  und 
Lafontaine  die  seine  dem  Philelphus  entliehen  ,  wie  letzteres  Deslongchamps 
glaubt,  bleibt  dahingestellt,  da  ja  auch  noch  andere  frühere  Bearbeitungen  dieser 
Fabel  vorhanden  waren;   s.  Robert,  Fables   inedites   etc.   2,   6  7. 

IV,  2.  Vom  Fuchsz  und  dem  Hanen.  —  Pantschat.  1,  310;  s.  zu  Waldis 
IV,   88:    „Vom  Fuchsz  und   dem  Eichhorn." 

IV,  3.  Von  einem  hungerigen  Wolffe.  —  S.  auch  Du  Meril,  Poesies  ined. 
p.  156  Nr.  4.  —  Zu  dem  Schlüsse:  „Cacadajmon  segrotabat  —  Monachus  fieri 
volebat"  etc.  gehört  das  deutsche  Sprichwort :  „Wenn  der  Teufel  krank  wird, 
will  er  ein  Mönch  werden,"  Simrock  Nr.  10207;  sowie  das  englische:  „When 
the  devil  was  sick,  the  devil  a  monk  would  be  —  When  the  devil  was"  well, 
the  devil  a  monk  was  he.  —  In  Betreff  des  italien.  Sprichwortes:  „II  lupo 
cangia  il  pelo  ma  non  il  vizio"  hatte  Ref.  in  Eberts  Jahrbuch  3,  161  bemerkt, 
daß  sich  daraus  auf  ein  schon  frühes  Bekanntsein  der  Fabel  vom  Wolf  als  Schüler 
in  Italien  schließen  lasse;  doch  dachte  er  damals  nicht  an  das  griech.  Sprich- 
wort gleichen  Inhalts:   „o  Xvxos  ttjv  XQiya^  ov  vrjv  yva^irjv  äXlatzst." 

IV,  8.  Vom  Wolff  vnd  Fuchsz.  —  S.  auch  Pantschat.  1,  182.  —  V.  7  7 
heißt  es  bei  Waldis:  „Da  ich  genest  bin,  kumstu  wider:  —  So  geht  die  Welt 
jetzt  auff  vnd  nieder."  Dies  erinnert  an  ein  italienisches:  „II  mondo  e  fatto 
a  scale   —   L'  uno    scende  e  1'  altro  sale." 

IV,  6  6.  Vom  Studenten  vnd  einem  Müller.  —  S.  auch  Dunlop-Liebrecht 
S.  48  6  Anm.  2  7  7a;  füge  hinzu  Hora?  Belgiens  11,  288  ff.  Nr.  188,  eine  Va- 
riante des   Schwankes  bei  D'Ouville. 

IV,  6  7.  Von  einem  verurtheilten  Knecht.  —  In  Betreff  der  Rechtssitte, 
daß  ein  zum  Tode  Verurtheilter  durch  eine  Jungfer  von  seiner  Strafe  befreit 
werden  konnte,  wenn  sie  ihn  heiratete,  s.  Hora?  Belg.  Bd.  II,  S.  XL VIII  f. 
2.  Ausg. 

IV,  71.  Von  einem  Kaufman  vnd  seinem  Weibe.  —  Auch  bei  Du  Meril 
1.   c.  p.   418  f.   „De  viro  et  uxore  moecha." 

IV,  7  2.  Von  zweien  Fechtern.  —  Einer  gleichen  List,  um  den  Gegner 
zu  besiegen ,  bediente  sich  auch  der  griechische  Kaiser  Heraklius  in  seinem 
Zweikampfe  mit  dem  Sohne  des  Chosroes,  wobei  nämlich  ausbedungen  war,  daß 
kein  anderer  Krieger  der  beiden  einander  gegenüber  stehenden  Heere  den  zwei 
Kämpfern  irgend  hilfreich  sei.  Nachdem  letztere  lange  mit  einander  gefochten, 
beklagte  Heraklius  sich  plötzlich  über  den  Bruch  des  Übereinkommens  und  als 
hierauf  sein  Gegner  sich  umwandte ,  wurde  er  von  jenem  hinterlistig  getödtet. 
So  erzählt  Aimoin  de  Gestis  Francor.  1.  IV,  c.  21  (Bouquet  3,  12  8).  Diese 
Sage  ist  indeß  viel  älter,  denn  das  athenische  Fest  der  Apaturien  sollte  seinen 
Namen  von  dem  Betrüge   (aTCatrj)   erhalten  haben,    den  der  König   der  Athener 


*)  S.  Dunlop-Liebrecht  S.  497.  In  der  neuesten  Ausgabe  des  franz.  Straparola, 
Paris  1857,  vol.  I  p.  LI  ist  angeführt  Morlini  Nr.  77.  Dies  kommt  daher,  daß  in  der 
Jannet'schen  Ausgabe  des  Morlini  (Paris  1855)  die  Bezifferung  der  Novellen  bis  Nr.  81 
fortläuft,  während  die  frühern  Ausgaben  nur  bis  Nr.  80  gehen,  dagegen  zwei  Novellen 
mit  Nr.  72  bezeichnet  haben.  Vgl.  Dunlop  S.  498    erste  Anm. 


508  Ll'L  TERATUR. 

Xanthus  gegen  den  der  Böotier,  Melanthius,  übte  und  welcher  dem  des  Heraklius 
genau  entspricht.  S.  Hesychius,  Harpocration,  Suidas  s.  v.  AnuxovQiu.  Auch 
in  der  Kalevala  wendet  Leniminkäinen  eine  ähnliche  List  an,  um  den  Pobjola- 
Wirth  zn  vermögen,  daß  er  hinter  sich  sehe,  worauf  er  ihm  den  Kopf  abschlägt, 
welcher  Zug  sich  in  andern  finnischen  und  russischen  Märchen  wiederholt. 
S.  Schiefner  in   den   Melanges   russes    2,    621;  vgl.    4,    L99. 

IV,  7  5.  Vom  Königreich  der  Affen.  —  Neckam  „De  verace  et  fallace"  ; 
s.  oben  Anm.  2;  vgl.  auch  Waldis  IV,  7,  eine  Fabel,  der  fast  ganz  derselbe 
Gedanke  zu  Grunde   liegt. 

IV,  9  9.  Vom  Bawren,  Lindwurm.  Pferd,  Hund  vnd  Fuchsz.  —  Vgl.  zu 
Waldis  I,  7.  Zu  Benfey  Pantschat.  1,  118  bemerke  ich,  daß  auch  in  dem  von 
Garcin  de  Tassy  aus  dem  Hindustani  übersetzten  philosophisch-religiösen  Ronian 
„La  doctrine  de  l'amour  ou  Taj-Ulmuluk  et  Bakawali."  Paris  1858  p.  17  f. 
ein  Märchen  vorkommt:  „Histoire  du  Brahmane  et  du  lion",  worin  erzählt  wird, 
wie  ein  Bramane  einst  in  einem  Walde  einen  in  einem  Käfig  gebunden  lie- 
genden Löwen  aus  Mitleid  befreit ,  der  ihn  dann  zerreißen  will.  Schiedsrichter 
finden  wir  hier  nur  zwei,  einen  Baum  und  einen  Schakal.  In  dieser  Fassung 
ist  der  Löwe  bemerkenswerth ,  der  die  Stelle  der  sonst  auftretenden  Schlange 
(Krokodil)  einnimmt;  um  so  mehr,  als  in  einem'  yascogni^r-h, en ,  denselben  Stoff 
behandelnden  Märchen  gerade  auch  wieder  ein  in  einem  Walde  gebunden  ge- 
fundener Löwe  das  undankbare  Thier  repräsentirt ;  s.  Contes  populaires  de  la 
Gascogne  par  Cenac  Moncaut.  Paris  1861,  p.  213  ff.:  „Le  lion  pendu",  wel- 
ches Märchen  so  anfängt:  „On  raconte  qu'un  voyageur,  passant  un  jour  dans 
une  foret,  apercut  un  lion  pendu  par  la  patte  ä  la  plus  haute  branche  d'un 
arbre."  Der  Reisende  befreit  den  Löwen  aus  seiner  bösen  Lage.  Schiedsrichter 
sind  dann  eine  Hündin,  eine  Stute  und  ein  Fuchs.  Über  die  Zurückführung  in 
den  vorigen  Zustand,  namentlich  des  Teufels  in  ein  Glas  s.  auch  des  Ref.  Be- 
merkungen in  Eberts  Jahrbuch  3,  147,  so  wie  in  den  Gott.  Gel.  Anz.  1861, 
Stück  11,  S.  430  f.;  füge  hinzu  die  spanische  Sage  von  dem  Soldaten  Briones, 
s.  Eberts  Jahrb.  a.  a.  O.  S.  225  ff.  und  das  deutsche  Sprichwort:  „Er  will 
Gott  und  den  Teufel  in  ein  Glas  bannen."  Simrock  Nr.  10181.  —  Der  in  den 
orientalischen  Versionen  der  vorliegenden  Fabel  erscheinende  Baum ,  der  sich 
über  die  ihm  von  den  Menschen  zu  Theil  werdende  harte  Behandlung  und  Un- 
dankbarkeit beklagt,  erinnert  übrigens  sehr  lebendig  an  Ovids  Nux,  die  den 
gleichen   Stoff  behandelt. 

Hiermit  schließen  wir  und  bemerken  nur  noch,  daß  der  Druck  des  Textes 
sehr  correct  ausgefallen  ist,  in  den  Anmerkungen  jedoch  sich  mehrere  Druck- 
fehler eingeschlichen  haben,  die  aber  der  Leser  meist  leicht  zu  bessern  vermag ; 
dagegen  müssen  wir  darauf  aufmerksam  machen,  daß  die  Anmerkung  zu  II,  96, 
15  ff.  (Hesiod  und  Schiller),  so  wie  zu  III,  9  7,  4  9  (Schreckenberger)  zu  der 
resp.  folgenden  Fabel  (II,  97  und  HI,  98),  die  zu  IV,  51,  30.  74  (Stüber — 
Mattheier)  zu   der  vorhergehenden  (IV,    50)  gehört. 

Die  äußere  Ausstattung  des  Buches   ist  vortrefflich. 

LÜTTICH.  FELIX  LIEBRECHT. 


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