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Full text of "Die Sklavenkarawane. Erzählung aus dem Sudan"

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The University of Michigan 


ISNOH UEUNIN) IPeN] XN 


Karl May's 
Geſammelte Werke 


IIe 


Karl⸗May⸗Verlag 
Radebeul bei Dresden 


Die 
Sklavenkarawane 


Erzählung aus dem Sudan 


von 


Karl May 


83. bis 94. Tauſend 
— Volksausgabe — 


ieee 


Karl⸗May⸗Verlag 
Radebeul bei Dresden 


. 0 

50 

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Ei Inhalt 

= > 8 ö | Seite 

en lerſtes Kapitel. Der „Vater der vier Augenn”nwNPeme . 1 
Zweites Kapitel. Eine Dſchelabettttt&AaAaAaA&LÆLÆ 27 | 
Drittes Kapitel. An der „Quelle des Löwen‘ . WWW u.. 40 
Viertes Kapitel. Abu el Mit hh 76 
Fünftes Kapitel. Gerichtsbarkeit am Nil 114 
Sechſtes Kapitel. Schwarze Plännnnnne 140 
Siebentes Kapitel. Der Sklaverei entronnen . 194 
Achtes Kapitel. Ein neuer Gefährdttttn en 233 

.Neuntes Kapitel. Erzählung des Elefantenjägers . .. 268 

Zehntes Kapitel. In Sklavenfeſſeilll x. 293 
Elftes Kapitel. Verbündetemmeed 333 
Zwölftes Kapitel. Die Verfolgung des Sklavenhändlers .. 382 
Dreizehntes Kapitel. Kanonendo nnen 414 
Vierzehntes Kapitel. An der Nilpferd⸗Maijec h .. 456 
Fünfzehntes Kapitel. Gefährliche Abenteuer . .. 502 
Sechzehntes Kapitel. Der Entſcheidung entgegen... 559 
Siebzehntes Kapitel. Die Schlucht der Suren .. 584 
Achtzehntes Kapitel. Vergeltunnass 606 


Das Recht der Überſetzung 
in fremde Sprachen bleibt vorbehalten 


r. 


Oruck der Spa me trſchen 3 u ch druderei in Le N pölg 


Erſtes Kapitel. 
Der „vater der vier Augen“. 


hei es ſala“ — rief der fromme Schech el dſche⸗ 
mali, der Anführer der Karawane — „auf zum Gebet! 
El Asr iſt da, die Zeit der Kniebeuge, drei Stunden nach 
Mittag!“ 

Die Männer kamen herbei, warfen ſich auf den ſon⸗ 
nendurchglühten Boden nieder, ließen den Sand durch 
die Hände gleiten und rieben ſich damit an Stelle des 
fehlenden, zur vorgeſchriebenen Waſchung nötigen Waſ⸗ 
ſers ſanft gegen die Wangen. Dabei ſprachen ſie laut die 
Worte der Fathha; der erſten Sure des Korans: „Im 
Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis dem 
Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrſchet am 
Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen und zu dir 
wollen wir flehen, auf daß du uns führeſt den rechten 
Weg, den Weg derer, die ſich deiner Gnade freuen, und 
nicht den Weg derer, über die du zürneſt, un nicht den 
der Irrenden!“ 

Die Betenden knieten ſämtlich in bee Kibbla, das 
heißt mit dem Geſicht nach der Gegend von Mekka gerichtet. 
Sie fuhren unter fortgeſetzten Verbeugungen fort, ſich 
mit dem Sande zu waſchen, bis der Schech ſich erhob und 


ihnen damit das Zeichen gab, daß die e 
May, Die Aa venlaramane. 


0 


Handlung zu Ende ſei. Das Geſetz geſtattet dem Reiſen⸗ 
den, in der waſſerarmen Wüſte die bei den täglichen Ge⸗ 
beten ſtattzuhabende Reinigung mit Hilfe des Sandes 
bildlich vorzunehmen, und dieſe Milde verſtößt keines⸗ 
wegs gegen die Anſchauung des Wüſtenbewohners. Er 
nennt die Wüſte Bahr bala moije lakin miljan nukat 
er raml — das Meer ohne Waſſer, aber voller Sande 
tropfen, und vergleicht alſo den Sand der endlos ſchei⸗ 
nenden Einöde mit den Waſſern des ebenſo unendlich 
fich darſtellenden Meeres. 

Freilich war es nicht die große Sahara, auch nicht 
die mit ihren welligen Sandhügeln einer bewegten See 
gleichende Hammada, wo ſich die kleine Karawane be= 
fand, aber ein Stück Wüſte. war es doch, das rundum 
vor dem Auge lag, ſo weit dieſes nur zu blicken ver⸗ 
mochte. Sand, Sand und nichts als Sand! Kein Baum, 
kein Strauch, nicht einmal ein Grashalm war zu ſehen. 
Dazu ſtrahlte die Sonne wahrhaftig glühend vom Him⸗ 
mel hernieder, und es gab nirgends Schatten als hinter 
der zerklüfteten, zackigen Felſengruppe, die ſich aus der 
Sandebene erhob und den Ruinen einer alten Zwing⸗ 
burg glich. & 

In dieſem Schatten hatte die Karawane feit einer 
Stunde vor Mittag bis jetzt gelagert, um den Kamelen 
während der heißeſten Tagesſtunden Ruhe zu gönnen. 
Nun war die Zeit des Asr vorüber, und man wollte auf⸗ 
brechen. Der Moslem und ganz beſonders der Bewohner 
der Wüſte tritt ſeine Reiſen überhaupt faſt ſtets zur 
Stunde des Asr an. Nur die Not kann ihn veranlaſſen, 
davon eine Ausnahme zu machen, und wenn dann die 
Wanderung nicht den gehofften günſtigen Verlauf nimmt, 
ſo ſchiebt er ſicher die Schuld auf den Umſtand, daß er 
nicht zur glückberheißenden Stunde aufgebrochen ſei. 


2 
— . 


-22 - u 


Die Karawane war nicht groß. Sie beſtand aus 
nur ſechs Perſonen mit ebenſo vielen Reit⸗ und fünf 
Laſtkamelen. Fünf von den Männern waren Homr⸗ 
Araber, die als übertrieben ſtrenggläubige Muſelmanen 
bekannt ſind. Daß dieſer Ruf ein wohlverdienter ſei, 
zeigte ſich jetzt nach dem Gebet; denn, als die fünf ſich er⸗ 
hoben hatten und ſich zu ihren Tieren begaben, murmelte 
der Schech den andern leiſe zu: „Allah jenahrl el 
kelb, el nusrani — Gott verderbe den Hund, den 
Chriſten!“ 

Dabei warf er einen verborgenen, böſen Blick auf 
den ſechſten Mann, der hart am Felſen ſaß und damit 
beſchäftigt war, einen kleinen Vogel auszubalgen. 

Dieſer Mann hatte nicht die ſcharfgeſchnittenen Ge⸗ 
ſichtszüge und die Glutaugen der Araber, auch nicht ihre 
ſchmächtige Geſtalt. Als er ſah, daß ſie aufbrechen woll⸗ 
ten, und ſich nun erhob, zeigte ſich ſeine Figur ſo hoch, 
ſtark und breitſchulterig wie die eines preußiſchen 
Gardeküraſſiers. Sein Haar war blond, ebenſo der dichte 
Vollbart, der ſein Geſicht umſchloß. Seine Augen waren 
von blauer Farbe und ſeine Geſichtszüge von einer im 
Morgenland ungewöhnlichen Weichheit. 

Er war genau ſo wie ſeine arabiſchen Geſellſchafter 
gekleidet; das heißt, er trug einen hellen Burnus mit 
über den Kopf gezogener Kapuze. Doch, als er ſein 
Kamel jetzt beſtieg und ſich dabei der Burnus vorn öff⸗ 
nete, war zu ſehen, daß er hohe Waſſerſtiefel anhatte, 
eine gewiß ſeltene Erſcheinung hier in dieſer Gegend. 
Aus ſeinem Gürtel blickten die Griffe zweier Revolver 
und eines Meſſers, und an dem Sattel hingen zwei Ge⸗ 
wehre, ein leichteres zur Tötung von Vögeln und ein 
ſchwereres zur Erlegung größerer Tiere, beide aber Hin⸗ 
terlader. Vor den Augen trug er eine Schutzbrille. 


— 


= de 


„Reiten wir jetzt weiter?“ fragte er den Schech el 
dſchemali in der Mundart von Kahira (Kairo). 

„Ja, wenn es dem Abu “ arba ijun gefällig iſt,“ ant⸗ 
wortete der Araber. 

Seine Worte waren höflich: aber er bemühte ſich 
vergeblich, ſeinem Geſicht dabei einen freundlichen Aus⸗ 
druck zu geben. Abu 'T arba ijun bedeutet „Vater der 
vier Augen“. Der Araber liebt es, andern und zumal 
Fremden, deren Namen er nicht ausſprechen und ſich 
nicht gut merken kann, eine Bezeichnung zu geben, wel⸗ 
che ſich auf irgend einen ihm auffälligen Umſtand oder 
auf eine in die Augen ſpringende Eigenſchaft beziehen, 
die der Betreffende beſitzt. Hier war es die Brille, wel⸗ 
cher der Reiſende den ſonderbaren Namen verdankte. 

Dieſe Namen beginnen gewöhnlich mit Abu oder 
Ben und Ibn, mit Omm oder Bent, das heißt mit Vater 
oder Sohn, Mutter oder Tochter. So gibt es Namen 
wie Vater des Säbels — ein tapferer Mann, Sohn des 
Verſtandes — ein kluger Jüngling, Mutter des Kus⸗ 
kuſſu — eine Frau, welche dieſe Speiſe gut zuzubereiten 
verſteht, Tochter des Geſpräches — ein klatſchhaftes 
Mädchen. Auch in andern, nicht orientaliſchen Ländern 
hat man eine ähnliche Gewohnheit, ſo zum Beiſpiel in 
den Vereinigten Staaten bezüglich des Wortes Old. Old 
Firehand, Old Shatterhand, Old Coon ſind dort be⸗ 

kannte Namen berühmter Präriejäger. 
N „Wann werden wir den Bahr el Abiad') erreichen?“ 
erkundigte ſich der Fremde. 

„Morgen, noch vor dem Einbruch des Abends.“ 

„Und Faſchodah?“ 

„Zu derſelben Zeit, denn wenn Allah will, ſo wer⸗ 


) Denen GHeunterm bei N. 


den wir gerade an der Stelle, wo dieſe Stadt liegt, auf 
den Fluß ſtoßen.“ 

„Das iſt gut! Ich kenne dieſe Gegend nicht genau. 
Hoffentlich wißt ihr beſſer Beſcheid als ich und werdet 
euch nicht verirren!“ 

„Die Beni⸗Homr verirren ſich nie. Sie kennen das 
ganze Land zwiſchen der Dſcheſirah!), Sennar und dem 
Lande Wadai. Der Vater Der vier Augen‘ braucht keine 
Sorge zu haben.“ 

Er ſprach dieſe Worte in einem ſehr ſelbſtbewußten 
Ton aus und warf aber dabei einen heimlichen, höhni⸗ 
ſchen Blick auf ſeine Gefährten, der dem Fremden, wenn 
er ihn geſehen hätte, wohl verdächtig vorgekommen wäre. 
Dieſer Blick ſagte mit größter Deutlichkeit, daß der Rei⸗ 
ſende weder den Nil noch Faſchodah erreichen ſolle. 

„Und wo übernachten wir heute?“ fragte der 
Fremde weiter. 

„Am Bir Aslan), den wir eine Stunde nach dem 
Moghreb?) erreichen werden.“ 

„Dieſer Name hat keinen beruhigenden Klang. 
Wird der Brunnen durch Löwen unſicher gemacht?“ 

„Jetzt nicht mehr. Aber vor vielen Jahren hatte ſich 
der Herr mit dem dicken Kopfe“) ſamt feiner Frau und 
ſeinen Kindern da niedergelaſſen. Es fielen ihm viele 
Menſchen und Tiere zum Opfer, und alle Krieger und 
Jäger, welche auszogen, um ihn zu töten, kamen mit 
zerriſſenen Gliedern zurück oder wurden gar von ihm ge⸗ 
freſſen. Allah verdamme ſeine Seele und die Seelen aller 
ſeiner Vorfahren und Nachkommen! Da kam ein frem⸗ 
der Mann aus Frankhiſtan, der wickelte ein Gift in ein 
Stück Fleiſch und brachte es in die Nähe des Brunnens. 


5) Inſel. — ) Brunnen des Löwen. — ) Viertes e beim Unter⸗ 
gang der Sonne. — ) Arxabiſche Bezeichnung des Löwen 


a 


Am andern Tage lag der Freſſer tot am Waſſer. Sein 
Weib war darüber ſo erſchrocken, daß ſie mit ihren Kin⸗ 
dern davonzog, wohin, das erfuhr man nicht, doch Allah 
weiß es. Möge ſie mit ihren Söhnen und Töchtern im 
Elend erſtickt ſein! Seit jener Zeit hat es nie wieder 
einen Löwen an dieſem Brunnen gegeben, aber den 
Namen hat er behalten.“ 

Der arabiſche Bewohner der Wüſte ſpricht in einem 
ſo ſchlechten Ton nur dann von einem Löwen, wenn die⸗ 
ſer nicht mehr lebt und ihm alſo keinen Schaden mehr 
bereiten kann. Einem lebenden Löwen gegenüber aber 
hütet er ſich, ſolche beleidigende Ausdrücke oder gar Ver⸗ 
wünſchungen zu gebrauchen. Er vermeidet es ſogar, das 
Wort Saba, Löwe, zu gebrauchen, und wenn er ſich deſ⸗ 
ſen je bedient, ſo ſpricht er es nur flüſternd aus, damit 
das Raubtier es nicht hören könne. Er meint, der Löwe 
höre das Wort ſtundenweit und komme herbei, ſobald es 
ausgeſprochen wird. 

Wie die Negervölker des Sudan, ſo ſind auch viele 
Araber der Anſicht, daß im Löwen die Seele irgend 
eines verſtorbenen Schechs ſtecke. Darum dulden ſie ſeine 
Räubereien lange Zeit, bis er zu große Opfer von ihnen 
fordert. Dann ziehen ſie in Maſſe aus, um ihn zu ver⸗ 
nichten, wobei ſie den Kampf durch hochtrabende Reden, 
die ſie ihm halten, einleiten. 

Während der kühne europäiſche Jäger ſich nicht 
ſcheut, dem Löwen allein gegenüber zu treten, während 
er das fürchterliche Raubtier ſogar am liebſten des 
Nachts an der Tränke aufſucht, um es mit der ſicheren 
Kugel zu erlegen, hält der Araber das nicht nur für eine 
außerordentliche Kühnheit, ſondern geradezu für Wahn⸗ 
ſinn. Hat der Löwe die Herden eines arabiſchen Duar!) 


1 geltdorſ. 


5 


ſo gelichtet, daß den Leuten endlich doch die Geduld ver⸗ 
geht, ſo machen ſich alle wehrfähigen Leute auf, ihn zu 
erlegen. Das geſchieht natürlich am hellen Tag. Man 
rüſtet ſich mit allen möglichen Waffen, ſogar mit Stei⸗ 
nen, betet die heilige Fathha und rückt dem Löwen vor 
ſein Lager, das ſich gewöhnlich zwiſchen Felſen ln 
die von dornigem Geſtrüpp umgeben find. 

Nun beginnt einer, der ſich durch beſondere Sprach⸗ 
gewandtheit auszeichnet, dem Tier in höflichen Aus⸗ 
drücken mitzuteilen, daß man wünſcht, es möge die 
Gegend verlaſſen und die Rinder, Kamele und Schafe 
eines andern Dorfes verſpeiſen. Das iſt natürlich ohne 
Erfolg. Es wird ihm der Beſchluß der Dorfälteſten nun 
in dringenderer, ernſterer Weiſe zu Gehör gebracht — 
ebenſo umſonſt. Darauf erklärt der Sprecher, daß man 
jetzt gezwungen ſei, gewaltſame Maßregeln zu ergreifen, 
und man beginnt, ſo lange mit Steinen nach dem 
Dickicht zu werfen, bis der aus ſeinem Tagesſchlummer 
aufgeſcheuchte Löwe erſcheint, indem er ſtolz und maje⸗ 
ſtätiſch hinter den Felſen und aus dem Geſtrüpp hervor⸗ 
tritt. In dieſem Augenblick ſchwirren alle Pfeile, ſauſen 
alle Wurfſpeere und krachen alle Flinten. Dabei ertönt 
ein fürchterliches Schreien und Heulen. 

Keiner hat ſich Zeit genommen, richtig zu zielen. 
Die meiſten Geſchoſſe gehen an dem Tier vorüber; nur 
einige treffen, indem ſie ihn leicht verwunden. Da ſprü⸗ 
hen ſeine Augen Feuer — ein Sprung, und er hat einen 
der Jäger unter ſich liegen. Wieder krachen die Schüſſe. 
Der Löwe, jetzt ſchwerer verwundet, holt ſich noch ein 
zweites, ein drittes Opfer, bis er von den Geſchoſſen, 
von denen meiſt keins wirklich tödlich traf, ganz durch⸗ 
löchert tot zuſammenbricht. 

Nun aber iſt es aus mit der Unterwürfigkeit, womit 


er vorher angeredet wurde, denn er iſt tot und kann 
keine Beleidigung mehr rächen. Man wirft ſich auf ihn; 
man tritt ihn mit Füßen und ſchlägt ihn mit Fäuſten; 
man ſpeit ihn an und beſudelt ſein Andenken, ſeine Vor⸗ 
fahren und Verwandten mit Schimpfworten, von denen 
die arabiſche Sprache einen faſt unerſchöpflichen Schatz 
befigt. | 

Der Fremde lächelte ein wenig über den Bericht 
des Schechs. Es war ein Lächeln, das bekundete, daß er 
ſich gewiß nicht von dem „Herrn mit dem dicken Kopfe“ 
und ſeiner Familie hätte „auffreſſen“ laſſen. 

Dieſe kurze Unterhaltung hatte ſtattgefunden, wäh⸗ 
rend man aufbrach. Dies geſchieht nicht ſo leicht, wie der 
Europäer denken mag. Hat man Pferde als Reittiere, 
nun, ſo ſteigt man einfach in den Sattel und reitet da⸗ 
von. Bei den Kamelen aber iſt es anders, beſonders bei 
den Laſtkamelen. Dieſe ſind keineswegs die geduldigen 
Tiere, als die ſie in zahlreichen Büchern beſchrieben wer⸗ 
den. Sie ſind vielmehr faul, bösartig und heimtückiſch, 
ganz abgeſehen von ihrer natürlichen Häßlichkeit und dem 
unangenehmen Geruch, den ſie verbreiten. Dieſer letztere 
iſt fo widerlich, daß Pferde ſich weigern, eine Nacht 
neben Kamelen zuzubringen. Das „Schiff der Wüſte“ 
iſt ein biſſiges Vieh; es ſchlägt vorn und hinten aus, hat 
keine Anhänglichkeit und beſitzt eine Unverträglichkeit, 
die nur von ſeiner Rachſucht noch übertroffen wird. Es 
gibt Tiere, denen ſich dein Europäer nahen darf, ohne in 
Gefahr zu geraten, gebiſſen oder unter die Füße getreten 
zu werden. 

Wahr iſt's freilich, daß das Kamel ſehr genügſam 
und ausdauernd iſt, aber die außerordentlichen Leiſtun⸗ 
gen, von denen man in dieſer Beziehung gefabelt hat, 
beruhen auf Uebertreibung. Kein Kamel vermag län⸗ 


ger als drei Tage zu dürften. So lange hält der Waſſer⸗ 
vorrat ſeines Magens aus, nicht länger. Wird es nach 
dieſer Zeit nicht getränkt, ſo legt es ſich nieder und iſt 
ſelbſt durch die grauſamſte Behandlung nicht wieder auf 
die Beine zu bringen. Es bleibt liegen, um zu ver⸗ 
ſchmachten. 

Ebenſo iſt es eine Unwahrheit, daß der Beduine, 
wenn ihm das Waſſer ausgeht, ſein Leben rettet, indem 
er fein Kamel erſticht, um das in deſſen Magen befind- 
liche Waſſer zu trinken. Der Magen eines geſchlachteten 
Kamels enthält kein Waſſer, ſondern eine blutwarme, 
dicke, mit Futterreſten vermiſchte und ſchlimmer als ein 
Düngerhaufen nach allen möglichen Ammoniumſalzen 
riechende, dem Inhalt unſerer Senkgruben ähnliche 
Jauche. Selbſt ein Menſch, der vor Durſt im Ver⸗ 
ſchmachten liegt, wird keinen Schluck dieſes entſetzlichen 
Zeuges trinken können. 

Die ſchlechten Eigenſchaften des Kamels zeigen ſich 
während der Reiſe beſonders nach der Ruhezeit, wenn 
es wieder beladen werden ſoll. Da wehrt es ſich nach 
Leibeskräften mit dem Maul und den Beinen; da ſtöhnt 
und röchelt, da ächzt und brüllt es aus Leibeskräften. 
Dazu kommt dann das Zanken, Schreien und Fluchen 
der Männer, die an ihm und der Ladung herumzerren. 
Es gibt das ſtets eine Szene, daß man davonlaufen 
möchte. 

Von etwas edlerem Charakter ſind die Reitkamele, 
Hedſchin genannt. Es gibt da Tiere, die mit Recht ſehr 
teuer bezahlt werden. Man hat für ein graues Biſcha⸗ 
rihnhedſchin zehntauſend Mark bezahlen ſehen. 

Der Sattel des Laſtkamels iſt ein dachförmiges Ge⸗ 
ſtell mit erhöhten Giebeln, die den vordern und hin⸗ 
tern Sattelknopf bilden. Er wird Hauiah genannt. Das 


= 0 


gegen heißt der Sattel des ſchlanken, hohen Hedſchin 
Machlufah. Er iſt ſo eingerichtet, daß der Reiter in eine 
bequeme Vertiefung zu ſitzen kommt, ſo daß er die beiden 
Beine vor dem vordern Sattelknopf auf dem Hals des 
Kamels kreuzt. Wenn der Reiter aufſteigt, muß das 
Kamel am Boden liegen. Kaum hat er mit der Hand den 
Sattel berührt, ſo ſchnellt das Kamel erſt hinten und 

dann vorn empor, ſo daß der Mann erſt nach vorn und 
dann wieder nach hinten geworfen wird. Er muß ſich 
mit aller Sorgfalt im Gleichgewicht halten, um nicht ab⸗ 
geſchleudert zu werden. N 

Iſt das Kamel dann einmal im Gang, ſo hat aller⸗ 
dings ſelbſt das Laſttier einen ſo ſteten und ausgiebigen 
Schritt, daß man mit ihm leicht verhältnismäßig große 
Strecken zurücklegt. 

Die Beni⸗Homr hatten genug zu tun, den Kamelen 
die Laſten wieder aufzuſchnallen. Während das geſchah, 
war der Fremde auf ſein Hedſchin geſtiegen und langſam 
vorausgeritten. Er kannte zwar die Gegend nicht, wußte 
aber die Richtung, wohin er ſich zu wenden hatte. 

„Dieſer Hund hat ſich nicht bewegt, während wir 
beteten,“ ſtieß der Schech grimmig hervor. „Er hat weder 
die Hände gefaltet noch die Lippen bewegt. Möge er im 
tiefſten Loch der Dichehennat) braten!“ 

„Warum haſt du ihn nicht längſt dahin geſchickt!“ 
brummte einer ſeiner Leute. 

„Wenn du das nicht begreifſt, ſo hat Allah dir kein 
Gehirn gegeben; haſt du denn nicht die Waffen dieſes 
Chriſten geſehen? Haſt du nicht bemerkt, daß er mit 
jeder kleinen Piſtole, deren er zwei hat, ſechsmal ſchießen 
kann, ohne zu laden? Und in ſeinen Flinten hat er 


n Obe. 


11 


dier Schüſſe. Das macht zuſammen ſechzehn; wir aber 
ſind nur fünf Perſonen.“ 

„So müſſen wir ihn töten, während er ſchläft.“ 

„Nein, ich bin ein Krieger, aber kein Feigling. Ich 
töte keinen Schlafenden. Aber gegen ſechzehn Kugeln 
können wir nichts machen, und darum habe ich Abu el 
Mot!) geſagt, daß wir heute den Bir Aslan erreichen 
werden. Dort mag er tun, was ihm gefällt, und wir 
werden mit ihm teilen.“ 

„Wenn es etwas gibt, was des Teilens wert iſt! 
Was hat dieſer Chriſt denn bei ſich? Häute von Tieren 
und Vögeln, die er ausſtopfen will, Flaſchen voller 
Schlangen, Molche und Skorpionen, mit denen Allah 
ihn braten möge! Ferner Blumen, Blätter und Gräſer, 
die er zwiſchen Papier zerquetſcht. Ich glaube, er be⸗ 
kommt zuweilen den Beſuch des Schetan?), den er mit 
dieſen Dingen füttern will.“ 

„Und ich glaube, daß du wirklich den Verſtand ver⸗ 
loren haſt. Oder haſt du noch nie welchen gehabt! Warſt 
du denn taub, als dieſer Ungläubige uns erklärte, was 
er mit dieſen Sachen machen will?“ 

„Ich kann das alles nicht gebrauchen, und alſo habe 
ich nicht acht gegeben, als er davon ſprach.“ 

„Aber was eine Medreſſe) iſt, das weißt du?“ 

„Ja, ich habe davon gehört.“ 

„Nun, an ſo einer Medreſſe iſt er Lehrer. Er unter⸗ 
richtet von allen Pflanzen und Tieren der Erde und iſt 
zu und. gekommen, um unſre Gewächſe und Tiere mit 
heim zu nehmen und ſeinen Schülern zu zeigen. Auch 
will er große Kiſten und Körbe voll davon ſeinem Sul⸗ 
tan ſchenken, der beſondere Häuſer“ hat, worin derglei⸗ 
chen Dinge aufbewahrt werden.“ 


3) Vater des Todes — )) Teufel. 9) Untverfität. — ) Muſeoen. 


— 12 — 


„Was aber kann das uns nützen?“ 
„Sehr viel! Weit mehr, als du denkſt. Einem Sul⸗ 
tan darf man doch nur koſtbare Geſchenke machen; alſo 


müſſen die Tiere und Pflanzen, die dieſer Giaur!) bei 


uns geholt hat, in ſeinem Lande ſehr hohen Wert be⸗ 
ſitzen. Siehſt du das nicht ein?“ ö 

„Ja, Allah und du, ihr beide erleuchtet mich,“ fpot- 
tete der Mann. N 

„Ich habe darum daran 80 ſie ihm abzuneh⸗ 
men und dann nach Chartum zu verkaufen. Man könnte 
dort einen guten Preis erzielen. Und haſt du ferner 
nicht beobachtet, was er noch weiter bei ſich hat?“ 

„Ja, eine ganze Ladung von Stoffen und Zeugen, 
Glasperlen und andern Gegenſtänden, mit denen man 
bei den Negern viel Elfenbein und viele Sklaven ein⸗ 
tauſchen könnte.“ 

„Und weiter!“ 

„Weiter weiß ich nichts.“ N 

„Weil deine Augen verdunkelt ſind. Sind ſeine 
Waffen, ſeine Ringe, ſeine Uhr nichts wert? Und dann 
hat er ein Ledertäſchchen unter ſeiner Weſte. Ich ſah, 
als er es einmal öffnete, große Papiere darin mit frem⸗ 
der Schrift und einem Stempel. Ich habe einmal in 
Chartum bei einem reichen Kaufmann ſo ein Papier ge⸗ 
ſehen und da erfuhr ich, daß man ſehr, ſehr viel Geld be⸗ 
kommt, wenn man dieſes Papier demjenigen gibt, deſſen 
Namen darauf geſchrieben ſteht. Dieſe Papiere werde 
ich bei der Teilung beanſpruchen, dazu feine Waffen, 
ſeine Uhr und alles, was er bei ſich trägt, auch die 
Kamellaſt mit den Zeugen und Tauſchſachen. Wir wer⸗ 
den dadurch reich werden. Das andre alles, die Kamele 


) Ungldubigex. 


— 16 — 


mit der Sammlung der Tiere und Pflanzen aber wird 
Abu el Mot bekommen.“ 

„Wird er damit einverſtanden ſein?“ 

„Ja, er iſt bereits darauf eingegangen und hat mir 
ſein Wort gegeben.“ | 

„Und wird er gewiß kommen? Heute iſt der letzte 
Tag. Der Giaur hat uns gemietet, ihn auf unſern Ka⸗ 
melen nach Faſchodah zu bringen. Kommen wir morgen 
dort an, fo iſt es aus mit unſerm Plan, denn er wird 
ohne uns weiter reiſen.“ 

„Er wird nicht dort ankommen,“ ſagte der Schech 
mit düſterer Betonung. „Ich bin überzeugt, daß Abu el 
Mot uns auf dem Fuße folgt. Heute in der Nacht, kurz 
vor dem Morgengrauen, ſoll der Ueberfall geſchehen. 
Zwei Stunden nach Mitternacht ſoll ich ſechshundert 
Schritte weit gerade weſtwärts von dem Brunnen gehen 
und den Alten dort finden.“ 

„Davon haſt du uns noch nichts geſagt. Wenn ihr 
euch in dieſer Weiſe beſprochen habt, ſo kommt er ſicher⸗ 
lich, und die Beute wird unſer. Wir ſind Beni Arab, 
wohnen in der Wüſte und leben von ihr. Alles, was auf 
ihr lebt, iſt unſer Eigentum, alſo auch dieſer räudige 
Giaur, der ſich nicht einmal mit verneigt, wenn wir zu 
Allah beten.“ 

Damit hatte er die allgemeine Anſicht der Wüſten⸗ 
bewohner ausgeſprochen, die den Raub für ein ſo ritter⸗ 
liches Gewerbe halten, daß ſie ſich deſſen ſogar e 
rühmen. 

Während dieſes Geſprächs hatten ſie ihre Tiere in 
Bewegung geſetzt, um dem Fremden nachzufolgen. Als 
ſie ihn erreichten, ahnte er nicht, daß ſein Tod eine von 
ihnen feſt beſchloſſene Sache ſei. Er hatte ſeine Auf⸗ 
merkſamkeit nicht auf ſte, ſondern auf einen ganz andern 


— 14 — 


Gegenſtand gerichtet. Plötzlich rief er ſeinem Kamel ein 
lautes „Khe khe!“ zu, das Zeichen zum Anhalten und 
Niederknien. Es gehorchte; er ſtieg aus dem Sattel und 
griff nach ſeinem Gewehr. 

„Allah!“ rief der Schech. „Gibt es einen Feind?“ 
Dabei blickte er ſich ängſtlich nach allen Seiten um. 

„Nein,“ antwortete der Reiſende, indem er in die 
Luft deutete, „es gilt nur einem dieſer Vögel.“ 

Die Araber folgten mit ihren Augen ſeinem Fin⸗ 
gerzeig. „Das tft ein Hedi mit feiner Frau,“ ſagte der 
Schech. „Gibt es ihn nicht auch in Eurem Land?“ 

„Ja, aber von einer andern Art. Er wird bei uns 
Weihe, Corvus, genannt. Ich will auch einen Hedj 
haben.“ 

„Du willſt ihn ſchießen?“ 

„Ja.“ 

„Das iſt unmöglich, das bringt ei Menſch fertig, 
mit dem beſten Gewehr nicht!“ 

„Wollen ſehen!“ lächelte der rde 

Die beiden Weihen waren der Karawane nach Art 
der Raubvögel gefolgt, immer gerade über ihr ſchwe⸗ 
bend. Sie ſenkten ſich jetzt, als die Reiter-hielten, lang⸗ 
ſam weiter nieder, indem ſte hintereinander einen regel⸗ 
mäßigen Kreis beſchrieben. Der Fremde ſetzte die Brille 
zurecht, ſtellte ſich mit dem Rücken gegen die Sonne, um 
nicht geblendet zu werden, zielte einige Sekunden lang, 
mit der Mündung des Hinterladers dem Flug der 
Vögel folgend, und drückte ab. 

Das voranfliegende Männchen zuckte, legte die Flü⸗ 
gel zuſammen, ſpannte ſie wieder auf, aber nur für 
wenige Augenblicke, dann konnte er ſich nicht mehr in der 
Luft erhalten; er ſtürzte zur Erde nieder. Der Fremde 
eilte der Stelle zu, wo der Vogel lag, hob ihn auf und 


— 15 — 


betrachtete ihn. Die Araber kamen herbei, nahmen ihm 
den Hedj aus der Hand und unterſuchten dieſen. 

„Allah akbar — Gott iſt groß!“ rief der Schech er⸗ 
ſtaunt, „du hatteſt eine Kugel geladen?“ 

„Ja, eine kleine Kugel, keinen Schrot.“ 

„Und ihn doch getroffen!“ 

„Wie du ſiehſt! Das Geſchoß iſt ihm in die Bruſt 
gedrungen, mitten in das Leben, was freilich nur Zufall 
iſt; aber auf den Leib hatte ich doch gezielt. Es freut 
mich, daß der Schuß ſo gut gelungen iſt, denn ſo iſt der 
Balg ganz unverletzt.“ 

„Einen Hedj zu ſchießen, mit einer Kugel, aus ſol⸗ 
cher Höhe! Und ihn auch an dieſer Stelle zu treffen! 
Effendi, du biſt ein ausgezeichneter Schütze; bei uns ver⸗ 
ſtehen die Lehrer an den Medreſſen nicht zu ſchießen. Wo 
haſt du das gelernt?“ 

„Auf der Jagd.“ 

„So haſt du ſchon früher ſolche Vögel gejagt?“ 

„Vögel, Bären, wilde Pferde, wilde Büffel und 
viele andre Tiere.“ 

„Gibt es die in deinem Vaterland?“ 

„Nur die erſteren. Die letzteren ſchoß ich in einem 
andern Weltteil, welcher Amerika heißt.“ 

„Von dieſem Land habe ich noch nichts gehört. Sol⸗ 
len wir den Hedj in das Gepäck ſtecken?“ 

„Ja. Ich werde ihn heute abend am Lagerfeuer 
abbalgen, wenn es überhaupt ein Feuer geben wird.“ 

„Es gibt eins, denn an dem Bir Aslan wachſen 
viele und dichte Sträucher.“ 

„So hebt ihn bis dahin auf! Es iſt das Männchen, 
welches wertvoller als das Weibchen iſt.“ 

„Ja, es iſt das Männchen; auch ich kenne es. Seine 
Witwe iſt dabon geflogen und wird um ihn trauern und 


N 


= >10; 


klagen, bis ein andrer Hedj fie tröſtet. Allah ſorgt für 
alle Geſchöpfe, ſelbſt für den kleinſten Vogel, am aller⸗ 
beſten aber für die Dijur ed djiane!, die er jährlich in 
ſein Paradies aufnimmt, wenn ſie von uns gehen.“ 

Dieſer Glaube iſt in Aegypten viel verbreitet. Der 
gewöhnliche Mann weiß nicht, daß die Schwalben, die 
er eigentlich „Snunut“ nennt, ihre wirkliche Heimat in 
Europa haben und nur während unſrer Winterszeit nach 
Süden gehen. Da ſie im Frühling verſchwinden, ohne 
daß er erfährt, wohin, ſo erklärt er ſich, wohl meiſt auch 
infolge ihres traulichen, menſchenfreundlichen Weſens, 
dieſe Erſcheinung in der Weiſe, daß er annimmt, ſie flie⸗ 
gen nach dem Paradies, um bei Allah zu niſten und ihm 
die Gebete der Gläubigen vorzuzwitſchern. 

Nachdem der unterbrochene Ritt fortgeſetzt worden 
war, {ah man nach einiger Zeit einzelne kahle Berge, 
die ſich im Süden und Norden der eingeſchlagenen Rich⸗ 
tung erhoben. Dies gab dem Fremden Veranlaſſung, 
auch nach rückwärts zu blicken. Sein Auge blieb an 
einigen winzig kleinen Punkten hangen, die dort ſchein⸗ 
bar unbeweglich in der Luft ſchwebten. Er zog ſein 
Fernrohr, aus der Satteltaſche und beobachtete ſie 
einige Zeit. Dann ſchob er das Rohr wieder in die 
Taſche zurück und fragte: „Iſt der Weg, den wir reiten, 
ein vielbeſuchter Handelsweg?“ 

„Nein,“ antwortete der Schech. „Wenn wir den 
Karawanenweg hätten einſchlagen wollen, ſo hätten wir 
einen Bogen reiten müſſen, auf dem uns an“ Tage ver⸗ 
loren gegangen wären.“ 

„Hier iſt alſo keine Karawane zu erwarten?“ 

„Nein, weil es in der trockenen Jahreszeit auf dem 


2) „Mögel des Paradiefe. m Gäwalden. 


— 17 — 


Pfad, den wir ritten, kein Waſſer gibt. Das unſrige iſt 
bereits zur Neige gegangen. Die Schläuche ſind leer.“ 

„Aber am Bir Aslan werden wir ſicher welches 
finden?“ 

„Ganz gewiß, Effendi.“ 

„Hm! Sonderbar!“ 

Er machte dabei ein ſo bedenkliches Geſicht, daß der 
Schech ihn fragte: „Woran denkſt du, Herr? Gibt es 
etwas, was dir nicht gefällt?“ 

„Ja. Du behaupteſt, daß wir uns auf keinem 
Karawanenweg befinden, und doch reiten hinter uns 
Leute.“ 

„Hinter uns? Unmöglich! Dann müßten wir ſie 
ja ſehen!“ 

„Das iſt nicht notwendig.“ 

„Wie kannſt du es dann für ſo gewiß behaupten?“ 

„Weil ich zwar nicht fie, aber doch ihre Spur ſehe.“ 

„Effendi, du ſcherzeſt!“ meinte der Schech in über⸗ 
legenem Ton. 

„O nein. Es iſt im Gegenteil mein vollſtändiger 
Ernſt.“ 

„Wie iſt es einem Menſchen möglich, die Darb und 
Eihar!) von Perſonen zu ſehen, welche hinter ihm 
reiten!“ 

„Du denkſt nur an die Spuren, die durch die Füße 
der Menſchen und die Hufe der Tiere dem Sand einge⸗ 
drückt werden. Aber es gibt auch Spuren, die ſich in der 
Luft befinden.“ 

„In der Luft? Allah akbar — Gott iſt groß; er 
kann alles, denn ihm iſt alles möglich. Aber daß er uns 
erlaubt hat, Spuren in der Luft zurückzulaſſen, davon 
habe ich noch nichts gehört.“ Er muſterte den Fremden 


„ P Spuren, Fährten. 
May, Die Eflavenlaramane, 2 


mit einem Blick, als ob er ihn nicht für ganz 1 
nungsfähig halte. 

„Und doch jſt es fo. Die Spuren find da. Man muß 
nur Augen für fie haben. Denk an den Hedj, den ich ge⸗ 
ſchoſſen habe!“ 

„Was hat er mit den Darb und Ethar zu tunꝰ⸗ 

„Sehr viel, denn er ſelbſt konnte unter Umſtänden 
die Ethar von uns ſein. Haſt du ihn ſchon bemerkt, bevor 
ich ihn ſchoß?“ 

„Ja. Das Pärchen folgte uns ſeit dem Morgen. 
Und als wir am Stein ruhten, ſchwebte es immer über 
uns. Der Hedj hält ſich, wenn er kein andres Futter fin⸗ 
det, zu den Kamelen, um dann alles, was die Reiter 
während der Ruhe beim Eſſen fallen laſſen, aufzuzehren. 
Auch lauert er auf die Vögel, auf die Madenhacker, die 
den Karawanen folgen, um den Tieren das Ungeziefer 
abzuleſen.“ 

„Alſo du gibſt zu, daß an der Stelle, worüber der 
Hedj ſchwebt, ſich eine Karawane befindet?“ 

„Ja.“ 

„Nun, da hinter uns fliegt ein zweites Paar, zu 
welchem ſich jetzt unſer verwitwetes Weibchen geſellt hat. 
Siehſt du ſie?“ 

Der Schech blickte rückwärts. Seinen ſcharfen, wohl⸗ 
geübten Augen konnten die Vögel nicht entgehen. „Ja, 
ich ſehe ſie,“ antwortete er. 

„Dort muß eine Karawane ſein?“ 

„Wahrſcheinlich.“ 

„Und doch befinden wir uns auf keinem Weg. Das 
haſt du ſelbſt geſagt. Die hinter uns reitenden Leute fol⸗ 
gen unſren Spuren.“ 

„Sie werden den Weg nicht kennen und ſich alſo an 
unfre Fährten halten.“ ä 


— 19 — 


„Eine Karawane hat ſtets einen Schech el dſchemali 
und auch noch andre Männer bei ſich, die den Weg ges 
nau kennen.“ 

„Aber der beſte Khabir!) kann ſich einmal verirren!“ 

„In der großen Sahara, ja, aber nicht hier in dieſer 
Gegend, ſüdlich von Dar Fur, wo von einer wirklichen 
Wüſte ſtreng genommen gar nicht die Rede ſein kann. 
Der Schech der Karawane, die hinter uns kommt, kennt 
die Gegend ebenſo gut wie du; er muß ſie kennen. Wenn 
er trotzdem vom Karawanenweg abgewichen iſt, um uns 
zu folgen, ſo hat er es auf uns abgeſehen.“ 

„Auf uns abgefehen!. Effendi, welch ein Gedanke! 
Du denkſt doch nicht etwa, daß dieſe Leute zu einer ...“ 
Er ſprach das Wort nicht aus. Er hatte Mühe, ſeine 
Verlegenheit zu verbergen. 

„Daß ſie zu einer Gum?) gehören, wollteſt du wohl 
ſagen?“ fuhr der Fremde fort. „Ja, das iſt meine 
Meinung.“ 

„Allah kerihm — Gott iſt gnädig! Welch ein Ge⸗ 
danke, Effendi! Hier in dieſer Gegend gibt es keine Gum. 
Die iſt nur im Norden von Dar Fur zu ſuchen.“ 

„Pah! Ich traue dieſen Leuten nicht! Warum fol⸗ 
gen ſie uns?“ | 

„Sie folgen uns, aber verfolgen wollen fie uns 
nicht. Können ſie nicht denſelben Zweck haben wie wir?“ 

„Den Weg abzukürzen? Das iſt freilich möglich.“ 

„Das iſt nicht nur möglich, ſondern es wird wirk⸗ 
lich ſein. Mein Herz iſt fern davon, Befürchtungen zu 
hegen. Ich kenne dieſe Gegend und weiß, daß man hier 
ſo ſicher iſt wie im Schoß des en den Allah 
ſegnen wolle.“ 

Der Fremde warf ihm einen forſchenden Blick zu, 


9 Fahrer. En 9 Raubkarawane. 


der dem Schech nicht gefallen wollte, denn er fragte: 
„Warum blickſt du mich an?“ 

„Ich ſah dir in die Augen, um in deiner Seele zu 
leſen.“ 

„Und was findeſt du darin? Doch die Wahrheit?“ 

„Nein.“ 

„Allah! Was denn? Etwa die Age 

„Ja. 4 

Da griff der Schech nach dem Meſſer, das in ſeinem 
Gürtel ſteckte, und rief: „Weißt du, daß du ſoeben eine 
Beleidigung ausgeſprochen haſt? So etwas darf ein bra⸗ 
ver und tapferer Ben Arab nicht dulden!“ 

Das Geſicht des Fremden hatte plötzlich einen ganz 
andern Ausdruck bekommen. Es ſchien, als ob die Züge 
ſchärfer, geſpannter geworden ſeien. Es glitt ein ſtolzes 
Lächeln über ſein männlich ſchönes Geſicht, und er ſagte 
in faſt wegwerfendem Ton: „Laß das Meſſer ſtecken! 
Du kennſt mich nicht. Ich vertrage es nicht, wenn ein 
andrer mit der Hand am Meſſer von Beleidigung ſpricht. 
Läßt du die Klinge ſehen, ſo erſchieße ich euch binnen 
einer Minute!“ N 

Der Schech nahm die Hand vom Gürtel. Er war 
ebenſo zornig wie verlegen und antwortete: „Soll ich es 
mir gefallen laſſen, daß du mich der Lüge zeihſt?“ 

„Ja, denn ich habe wahr geſprochen. Erſt machte 
mich die uns folgende Karawane beſorgt, jetzt aber traue 
ich auch dir nicht mehr.“ 

„Warum?“ 

„Weil du die Gum, wenn es eine iſt, gegen mich 
verteidigſt und dir Mühe gibſt, mich in Sicherheit zu 
lullen.“ 


„Allah yah fedak — Gott ſchütze dich, Effendi, denn 


=. = 


deine Gedanken gehen irr. Was gehen mich die Leute an, 
welche hinter uns kommen!“ 

„Sehr viel, wie es ſcheint, ſonſt hätteſt du es nicht 
unternommen, das Mißtrauen, das ich gegen fie hege, 
durch eine Unwahrheit zu zerſtreuen. Behaupteteſt du 
nicht, dieſe Gegend ſei ſo ſicher wie der N des Pro⸗ 

pheten?“ 
| „Ja, und fo iſt es auch.“ 

„Das ſagſt du, weil du weißt, daß ich ein Fremder 
bin. Du biſt der Ueberzeugung, daß ich die Verhältniſſe 
des Landes nicht kenne. Ja, ſeine Reitpfade ſind mir 
unbekannt, obwohl ich ſie mit Hilfe meiner Karten wahr⸗ 
ſcheinlich ohne deine Hilfe auch finden würde, aber das 
übrige kenne ich jedenfalls beſſer als du. In meiner 
Heimat gibt es Bücher und Bilder über alle Länder und 
Völker der Welt. Durch dieſe lernt man die Völker ge⸗ 
nau kennen. So weiß ich auch ganz gewiß, daß man hier 
keineswegs ſo ſicher iſt wie im Schoß des Propheten. 
Hier iſt viel, viel Blut gefloſſen. Hier, wo wir uns be⸗ 
finden, haben Nuehr⸗, Schilluk⸗ und Denkavölker mit⸗ 
einander geſtritten. Hier ſind die Dſchuhr und Luoh, die 
Tuitſch, die Bahr, Eliab und Kietfch, die Abgalang, die 
Agehr, Abugo und Dongiol aufeinander getroffen, um 
ſich zu ermorden, zu zerfleiſchen und auch gar wohl — 
aufzufreſſen.“ 

Der Schech war ganz ſtarr vor Erſtaunen. „Effen⸗ 
di,“ rief er von ſeinem Kamel herüber, „das weißt du, 
dieſe Völker kennſt du, fie alle!“ 

„Ja, genauer jedenfalls als du! Und ich weiß auch 
noch mehr. Ich weiß, daß gerade da, wo wir jetzt reiten, 
zu nächtlicher Zeit ſich die entſetzliche Ghaſuahn vorüber⸗ 
ſchleppt, um dem Paſcha zu entgehen, der in Faſchodah 

) Eklavenraubzug. 


— 22 — 


ein Auge auf die Sklavenjäger hat. Da iſt mancher 
arme Schwarze ermattet niedergeſunken und durch einen 
Hieb, eine Kugel für immer ſtumm gemacht worden. 
Unten am Mokren el Bohur werden die Aermſten aus 
den Schiffen geladen und quer über das Land geſchafft, 
um oberhalb Faſchodahs wieder eingeladen und vor 
Chartum verkauft zu werden. Da hat mancher feinen 
letzten Seufzer ausgehaucht; mancher hat hier den Todes⸗ 
ſchrei in die finſtre Nacht hinausſchallen laſſen. Und das 

nennſt du eine Gegend, die man mit dem Schoß des 
Propheten vergleichen kann? Iſt es möglich, eine grö⸗ 
ßere Lüge auszuſprechen?“ 

Der Schech blickte finſter vor ſich nieder. Er fühlte 
ſich geſchlagen und durfte es doch nicht eingeſtehen. 
Darum antwortete er nach einigen Augenblicken: „An 
die Ghaſuah dachte ich nicht, Effendi. Ich dachte nur an 
dich und daran, daß du hier ſicher biſt. Du befindeſt dich 
in unſerm Schutz, und ich möchte den ſehen, der es 
wagen wollte, ein Haar auf deinem Haupte zu krümmen!“ 

„Ereifere dich nicht! Ich ſehe klar und weiß genau, 
was ich zu denken habe. Sprich nicht von Schutz! Ich 
habe euch gemietet, damit ihr meine Sachen auf euren 
Kamelen nach Faſchodah bringen möchtet; auf euern 
Schutz aber habe ich nicht gerechnet. Ihr ſelbſt bedürft 
vielleicht des Schutzes mehr als ich.“ 

„Wir?“ 

„Ja. Haſt du vielleicht die Schillukneger gezählt, 
welche die Leute deines Stammes hier raubten und als 
Sklaven nach Dar Fur brachten? Beſteht etwa nicht des⸗ 
halb ein unerſättlicher Haß, ja eine Blutrache zwiſchen 
euch und ihnen? Befinden wir uns jetzt nicht auf dem 

Gebiet der Schilluk, die, wenn ſie euch ſähen, ſofort über 
euch herfallen würden? Warum habt ihr den Karawa⸗ 


— 28 — 


nenweg verlaſſen und mich durch einſame Gegenden ge⸗ 
bracht? Um den Weg abzukürzen, wie du vorhin ſagteſt? 
Nein, ſondern um nicht auf die Schilluk zu treffen. Viel⸗ 
leicht gibt es auch noch einen andern Grund.“ 

„Welchen?“ fragte der Schech, der ſich durchſchaut 
ſah, ziemlich kleinlaut. 

„Den, mich hier umzubringen.“ 

„Allah, Wallah, Tallah! Welche Gedanken werden 
in deiner Seele laut!“ 


„Du ſelber biſt ſchuld daran. Denke an die Kara⸗ 
wane, welche uns folgt! Es iſt vielleicht die Gum, die 
mich überfallen ſoll. Es gelüſtet euch nach meiner Habe, 
die ihr nicht erhalten könnt, ſo lange ich lebe. Auf eurem 
Gebiet könnt ihr mich nicht töten, der Verantwortung 
wegen, die euch ſicherlich nicht erſpart bleiben würde. 
Darum führt ihr mich durch unwegſame Gegenden nach 
dem einſamen Bir Aslan, wo die Tat geſchehen ſoll, 
ohne daß ein Zeuge die Mörder verraten kann. Findet 
man dann meine Leiche, ſo geſchah der Mord auf dem 
Gebiet der Schilluk und wird dieſen zur Laſt gelegt. Auf 
dieſe Weiſe habt ihr dann zwei Vorteile zugleich erreicht, 
nämlich meine Habe und die Rache an den Schilluk.“ 

Er hatte das ſo gleichmütig, ja ſogar freundlich ge⸗ 
ſagt, als ob es ſich um etwas ganz Alltägliches und An⸗ 
genehmes handle. Seine Worte machten einen unge⸗ 
heuren Eindruck auf die Araber. Nach ihren Waffen zu 
greifen, wagten ſie nicht. Was waren ihre langen Feuer⸗ 
ſteinflinten gegen ſeine Waffen! In dieſer Beziehung 
war er, der einzelne, ihnen überlegen. Aber ſie mußten 
doch etwas tun, um ſich den Anſchein zu geben, als ob 
ſie ſich durch ſeine Anklage ganz unſchuldig beleidigt fühl⸗ 
ten. Darum hielten ſie ihre Kamele an und erklärten, 


3 


daß ſie keinen Schritt weiterreiten, ſondern die Laſten 
abladen und heimkehren würden. 

Der Fremde lachte laut auf. „Das werdet ihr nicht 
tun,“ meinte er. „Wie wollt ihr ohne Waſſer zurück⸗ 
kehren? Ihr müßt unbedingt nach dem Brunnen des 
Löwen. Uebrigens habe ich euch mit Abſicht nicht vorher 
bezahlt. Ihr ſollt erſt in Faſchodah euer Geld erhalten, 
und wenn ihr mich nicht bis dorthin bringt, ſo bekommt 
ihr keinen einzigen Piaſter. Was meinen Verdacht be⸗ 
trifft, ſo habe ich ihn ehrlich ausgeſprochen, um euch zu 
beweiſen, daß ich euch nicht fürchte. Ich habe es mit 
weit ſchlimmeren Geſellen zu tun gehabt, als ihr ſeid, 
und es iſt euch gar nichts als der kleine Fehler vorzu⸗ 
werfen, daß ihr mich nicht kennt. Iſt meine Vermutung 
falſch, ſo bitte ich euch um Verzeihung. Aus Erkennt⸗ 
lichkeit werde ich in Faſchodah ein Rind ſchlachten laſſen 
und es unter euch allein verteilen. Und zu der Bezah⸗ 
lung, die wir für eure Dienſte feſtgeſetzt haben, werde 
ich ein Backſchiſch fügen, das ihr zum Schmuck eurer 
Frauen und Töchter verwenden könnt.“ 

Sie wußten ja genau, daß er den kommenden Mor⸗ 
gen nicht erleben werde. Um ihn jedoch ſicher zu machen, 
erklärten ſie, ihn weiterbegleiten zu wollen, wenn er 
ſeinen Verdacht fallen laſſe und ſein Verſprechen zu hal⸗ 
ten beabſichtige. Er war damit einverſtanden, bewies 
aber ſchon im nächſten Augenblick, daß ſein Mißtrauen 
noch fortbeſtehe, denn er ritt von jetzt an als letzter in 
der Reihe, während er ſich bisher mit dem Schech ſtets 
an der Spitze befunden hatte. 

Sie taten, als ob ſie das nicht beachteten, aber einige 
Zeit, nachdem der Zug ſich wieder in Bewegung geſetzt 
hatte, ſtellte ſich der Schech ſo, als ob er dem jetzt an 
ſeiner Seite reitenden Homr die Gegend erklärte; er 


zu, SE 


deutete mit dem erhobenen Arm bald nach vorn, bald 
nach rechts oder links, ſagte aber dabei in verbiſſenem 
Ton: „Dieſer Hund iſt weit klüger, als wir glaubten. 
Er kennt dieſes ganze Land, alle ſeine Bewohner und 
auch alle Ereigniſſe, die hier geſchehen ſind.“ 

„Und hat alles, was wir beabſichtigen, ganz genau 
erraten,“ fügte der andre hinzu. „Möge der Schetan ihn 
beim Schopf nehmen!“ 

„Am liebſten möchte ich das tun!“ 

„Wer verwehrt es dir? Kann nicht einer von uns 
zurückbleiben und ihm von hinten eine Kugel ins Herz 
jagen?“ 

„Verſuche esl Das beſte wäre es. Wir brauchten 
nicht bis früh zu warten und hätten die Beute nicht mit 
Abu el Mot zu teilen. Seine Leiche ließen wir liegen, 
ritten nach dem Brunnen, füllten unſre Schläuche und 
kehrten während der Nacht zurück. Morgen wären wir. 
ſchon weit von hier, und kein Menſch wüßte, weſſen 
Kugel den Hund getroffen hat.“ 

„Soll ich ihn erſchießen?“ 

„Ich wollte nicht, daß er von uns getötet werde; 
nun er uns aber das Geſicht in ſolcher Weiſe ſchamrot 
gemacht hat, mag er von deiner Kugel ſterben.“ 

„Was erhalte ich dafür?“ 

„Die goldene Kette an ſeiner Uhr.“ 

„Natürlich außer dem Beuteanteil, der überhaupt 
auf mich kommt?“ 

„Natürlich.“ 

„So mag es geſchehen. Ich drücke das Gewehr ſo 
nahe hinter ihm ab, daß ihm die Kugel zur Bruſt her⸗ 
auskommt.“ | 

Er hielt fein Kamel an und ſtieg ab; dann ſchnallte 
er an dem Sattelgurt herum, als ob dieſer ſich gelockert 


— U u 


habe. Die andern ritten an ihm vorüber. Der Fremde 
aber hielt bei ihm an und ſagte in freundlich mahnen⸗ 
dem Ton: „Du mußt dir merken, daß man das ſtets vor 
dem Aufbruch tut. Durch das Abſteigen verminderſt du 
unſere Eile. Folge uns alſo, wenn du fertig biſt, ſchnell 
nach. Dein Tüfenk) iſt faſt unter das Kamel geraten; 
es könnte leicht zerbrochen werden, und ich will es lieber 
einſtweilen an mich nehmen.“ 
| Er langte von feinem hohen Sitz mit dem Metrek) 
herab, ſteckte ihn unter den Riemen der am Sattelknopf 
hängenden Flinte und hob ſie zu ſich herauf. Dann ritt 
er lächelnd weiter. | 
Der Araber machte ein unbeſchreiblich enttäufchtes 
Geſicht. Die Flinte war fort und eine Piſtole hatte er 
nicht. Ein Ueberfall mit dem Meſſer vom hohen Kamel⸗ 
ſattel aus war aber ganz unmöglich. „Ob er es ahnt, 
dieſer Sohn und Enkel des Teufels!“ knirſchte er. „Die⸗ 
ſer Verfuch iſt mißglückt; aber bald wird es Nacht. Dann 
ſieht er es nicht, wenn man auf ihn zielt, und ich kann 
ihn doch noch erſchießen, ehe wir den Brunnen erreichen.“ 
Er folgte, nachdem er wieder aufgeſtiegen war, den 
Vorangerittenen. Als er an dem Fremden vorüberkam, 
reichte ihm dieſer die Flinte mit den Worten zurück: 
„Der Feuerſtein iſt ja zerbrochen und ausgefallen. Du 
kannſt alſo heute nicht ſchießen. Morgen aber werde ich 
dir einen neuen geben. Ich habe welche im Gepäck.“ 


) Flinte. — ) Stock zum Leiten des Ramels. 


Zweites Kapitel. 
Eine Dſchelaba. 


Es war klar, daß der Fremde den Stein heraus⸗ 
geſchraubt hatte. Der Schech erkannte abermals, daß er 
durchſchaut ſei, und brannte nun förmlich darauf, dem 
Giaur die tödliche Kugel geben zu laſſen oder auch ſelbſt 
zu geben. Dieſer aber ritt mit dem gleichmütigſten Ge⸗ 
ſicht hinterdrein, doch hatte er das eine Gewehr, das vorher 
am Sattelknopf hing, ſchußbereit in der Hand und be⸗ 
obachtete jede Bewegung ſeiner Begleiter mit ſcharfem 
Auge. 

Die Zeit verging, und das Land wurde hügelig. 
Eine wenn auch unbedeutende Höhenkette zog ſich hier 
von Norden nach Süden und brachte einige Abwechſlung 
in das Landſchaftsbild. Als ſie durchquert war, kamen 
die Reiter wieder in die Ebene, wo ſpärliches Gras ge⸗ 
ſtanden hatte, das aber von der Sonne vollſtändig ver⸗ 
ſengt war. Mehr und mehr neigte ſich dieſe dem Hori⸗ 
zont zu. Als ſie ihn erreichte, hielt der Schech ſein Tier 
an und rief im Ton eines Muezzin: „Hai es ſala — auf 
zum Gebet! Die Sonne taucht in das Meer des Sandes, 
und die Zeit des Moghreb iſt gekommen!“ 

Sie ſtiegen alle ab und beteten in der bereits be⸗ 
ſchriebenen Weiſe. Fünfmal täglich hat der Moslem 
ſeine Andacht zu verrichten und ſich dabei zu waſchen, 


3 


mag er ſich zu Hauſe oder ſonſtwo befinden. Dieſe Ge⸗ 
bete ſind: el Fagr früh beim Aufgang der Sonne, el 
Deghri um die Mittagszeit, el Asr drei Stunden ſpäter, 
die Aufbruchszeit aller ſtrenggläubigen Reiſenden, el 
Moghreb beim Sonnenuntergang und endlich el Aſchia 
eine Stunde ſpäter. 

Es verſteht ſich, daß dieſe Zeiten nicht ſtets und 
überall ſtreng eingehalten werden, und je weiter die 
abendländiſche Kultur im Oſten vorſchreitet, deſto 
ſchwerer wird es dem Muſelman, dieſen Vorſchriften 
Folge zu leiſten. 

Als die Fathha geſprochen worden war, ſtiegen alle 
wieder auf, und der Ritt wurde fortgeſetzt. Der Fremde 
war im Sattel geblieben. Es war ihm nicht zuzumuten, 
an ihrem Gebet teilzunehmen oder auch nur nach euro⸗ 
päiſcher Sitte durch Entblößung des Hauptes ein Zeichen 
der Ehrfurcht zu geben. Er hätte ſich damit entehrt, da 
der Mohammedaner es für eine Schande hält, den Kopf 
unbedeckt ſehen zu laſſen. Nur allein der Mezaijin ) hat 
das Vorrecht, den Anblick frommer, kahl geſchorener 
Schädel, auf denen nur die mittelſte Locke ſtehen bleiben 
darf, zu genießen. Dieſe Locke iſt für den Muſelman ſehr 
notwendig, weil ihn, wenn er auf dem Pfade ſtrauchelt, 
der nach dem Tod in das Paradies führt und der nur ſo 
breit iſt wie die Schärfe eines Raſiermeſſers, der Engel 
Gabriel bei dieſem Haarſchopf faßt, um ihn feſtzuhal⸗ 
ten und nicht in die Hölle hinabſtürzen zu laſſen. 

Wenn die Sonne in ſüdlichen Gegenden hinter dem 
Horizont verſchwunden iſt, ſo tritt die Nacht ſehr ſchnell 
herein. Eine Dämmerung wie bei uns iſt dort unbe⸗ 
kannt. Darum trieb Abu l arba ijun, der Vater der 
vier Augen, die Araber jetzt zu größerer Eile an. Noch 


7 Barbier. 


— 129 — 


waren fie nicht weit gekommen, fo ſahen ſie einen kleinen 
Reiterzug von Norden her ſich in ſpitzem Winkel auf ihre 
Richtung zu bewegen. Es war eine Dſchelaba, eine Han⸗ 
delskarawane, und zwar eine der anſpruchloſeſten, ja 
ärmlichſten Art. 

Die acht Männer, aus denen ſie beſtand, ſaßen 
nicht etwa auf ſtolzen Roſſen, auf hohen, langbeinigen 
Hedſchins oder wenigſtens auf gewöhnlichen, billigen 
Laſtkamelen, o nein, ſondern ſie hingen in den verſchie⸗ 
denſten und keineswegs erhabenen Stellungen auf jener 
Art von Tieren, deren Abbild früher faulen Schuljungen 
als abſchreckende Auszeichnung auf Holz gemalt um den 
Hals gehängt wurde — auf Eſeln. 

Der Zug glich alſo keiner jener großen, aus mehreren 
hundert Kamelen beſtehenden Handelskarawanen, welche 
die Mittelmeerſtaaten mit den großen Oaſen der Sahara 
verbinden; es war vielmehr eine echt ſudaneſiſche Dſche⸗ 
laba, deren Anblick meiſt geeignet iſt, Mitleid zu er⸗ 
wecken. Dieſe Handelszüge entſtehen folgendermaßen: 
Der Sudaneſe iſt kein Freund der Arbeit und Anſtren⸗ 
gung. Hat er ſich als Matroſe, als Diener oder in 
irgend einer andern leichten und vorübergehenden Stel⸗ 
lung einige Mariathereſiataler verdient, ſo wird er Han⸗ 
delsherr, welcher ſchöne Beruf ihm am meiſten zuſagt. 
Dazu iſt vor allem andern der Ankauf eines Eſels not⸗ 
wendig, der nur einen Teil des Kapitals verſchlingt. 
Dann müſſen zwei Gurab, lederne Säcke, angeſchafft 
werden, welche die Handelsartikel aufzunehmen haben 
und auf der Reiſe zu beiden Seiten des Eſels am Sattel 
hängen. Und drittens werden die im Lande gangbarſten 
Waren, durch die der Handelsherr Millionär werden 
will, eingekauft. Dieſe beſtehen in Khol, der bekannten 
Augenſchwärze, in kleinen Stücken Rindstalg, mit denen 


— BO in 


ſich die Stutzer des Sudans die Adonisgeſtalt einſchmie⸗ 
ren, um ein glänzendes Ausſehen zu erhalten, in ebenſo 
kleinen Salzwürfeln, die in Gegenden, wo es kein Salz 
gibt, eine ſehr geſuchte und gut bezahlte Ware bilden, in 
einigen Stecknadeln, dem höchſten Schatz der Negerin⸗ 
nen, in wohlriechenden Sächelchen, bei deren Duft wir 
uns aber die Naſe zuhalten würden, in andern ähnlichen 
Kleinigkeiten und vor allen Dingen in einigen Ellen 
Baumwollenzeug, da dies im Süden als Münze gilt. Je 
weniger man zu bezahlen hat, deſto kleiner iſt das Stück⸗ 
chen, das von dieſer Münze abgeſchnitten wird. 

Zum Schutz dieſes Kauf⸗ und Spezereiladens ebenſo 
wie zum Schutz ſeines hoffnungsvollen Beſitzers wird 
nun irgend eine fürchterliche Waffe angekauft, ein 
Schleppfäbel ohne Schneide, eine alte, entſetzlich weite 
Luntenpiſtole, welche in der Rumpelkammer des Tröd⸗ 
lers von Mäuſen bewohnt wurde, die vergnügt zum 
Zündloch herausſchauten, oder gar ein flintenähnliches 
Mordinſtrument, das neben unzähligen andern guten 
Eigenſchaften auch diejenige hat, nicht loszugehen, ſelbſt 
wenn man es ganz mit Pulver füllt und in einen 
glühenden Ofen ſteckt. Uebrigens nimmt an dieſem Er⸗ 
folg das Pulver ebenſo großen Anteil wie die Mord⸗ 
maſchine ſelbſt. Dieſe Waffen werden von ihrem Be⸗ 
ſitzer natürlich für unbeſchreiblich wertvoll gehalten, aber 
nie im Ernſt gebraucht. Er iſt ein Anhänger der Ab⸗ 
ſchreckungstheorie und wünſcht, daß der etwaige Feind 
beim Anblick dieſer lebensgefährlichen Gegenſtände die 
Flucht ergreife; geſchieht dies nicht, nun, ſo reißt er ein⸗ 
fach ſelber aus, was in neunundneunzig unter hundert 
Fällen mit allem Eifer geſchieht. 

Nun iſt die Ausrüſtung beendet und der Dſchelabi, 
der Händler fertig. Er könnte beginnen; aber ſich allein 


— 81 — 


in die weite, ſchlimme Welt zu wagen, das fällt ihm gar 
nicht ein. Er ſucht nach gleichgeſtimmten Herzen und 
gleichgeſinnten Seelen, die er auch unſchwer findet. Bald 
ſind ſechs, acht, zehn ſolcher zukünftigen Kommerzienräte 
beiſammen. Jeder hat einen Eſel, aber was für einen! 
Viel haben die Tiere nicht koſten ſollen, und darum ſind 
ſie alle mehr oder weniger ſchadhaft. Dem einen fehlt 
ein Ohr, dem andern der Schwanz, den dritten haben 
die Ratten angefreſſen, und der vierte wurde blind ge⸗ 
boren. Dieſe äußerlichen Mängel werden aber durch 
innerliche, durch Seelen⸗ und Charaktereigenſchaften 
reichlich aufgewogen, die den Beſitzer zur Verzweiflung 
bringen können. Trotzdem iſt er ſtolz auf ſein Reittier 
und belegt es mit den eee Namen und 
Stockhieben. 

Um die Reiſe antreten zu können, werden die be⸗ 
rühmteſten Fuqara!) aufgeſucht und um wundertätige 
Amulette angegangen. Die Welt iſt ſchlecht, und es 
hauſen böſe Geiſter überall in Menge; da muß man an 
Bruſt und Armen mit Amuletten behangen ſein, um 
allen Gefahren ruhig entgegenſehen und im geeigneten 
Augenblick mutig den Rücken kehren zu können. 

Nun werden die beiden Gurab dem Eſel aufgeladen. 
Der Dſchelabi nimmt einen tüchtigen Knüppel in die 
Hand, um damit dem Langohr zuweilen einen beher⸗ 
zigenswerten Wink geben zu können, und ſteigt auch mit 
auf. Das Schwert wird mittels eines Kamelſtricks um⸗ 
geſchnallt oder die Piſtolenhaubitze beigeſteckt, und dann 
ſetzt ſich der großartige Zug in Bewegung, von ſämt⸗ 
lichen Freunden und Anverwandten bis vor den Ort 
hinausbegleitet. n 

Tränen fließen, Herzen zerrinnen. „Be ism lillahi 


j Plural von Faqir (Fakir), heilige Derwiſche. 


FE 


— in Allahs Namen!“ erklingen die ſchluchzenden 
Segenswünſche. Der Zug kommt zehn⸗ und hundertmal 
ins Stocken, denn hier bockt ein Eſel und wirft Ladung 
und Reiter ab; ein andrer wälzt ſich im tiefen Kot, um 
ſich von der Laſt zu befreien, und ein dritter ſtemmt ſich 
mit allen Vieren ein, ſchreit wie am Spieß und iſt 
weder durch Liebkoſungen noch durch Schläge von der 
Stelle zu bringen, bis ſich zehn Anverwandte vorn an⸗ 
ſpannen, um ihn am Maul zu ziehen, und zehn Freunde 
hinten am Schwanz ſchieben und ſchwitzend nachhelfen. 
So gelangt die Dſchelaba endlich glücklich ins Freie und 
bockt, ſtolpert, rennt, ſchreit, heult und flucht ihrem 
Glück entgegen. 

Sie trennt ſich von Zeit zu Zeit, um ſich an gewiſſen 
Orten wieder zuſammenzufinden. Glänzende Geſchäfte 
werden gemacht, gewaltige Abenteuer erlebt; manche 
gehen auch zugrunde, während andre ihr kleines Anlage⸗ 
kapital durch Schlauheit und Ausdauer ſchnell verviel⸗ 
fältigen und wirklich zu reichen Männern werden. 

Mancher Dſchelabi wagt ſich in den tiefſten Sudan 
hinein und kommt erſt nach Jahren als ein gemachter 
Mann zurück. Mancher andre iſt früher vielleicht ein 
angeſehener Beamter geweſen und hat zum Eſel greifen 
müſſen, um im Sumpfland am Fieber oder anderswo 
am Hunger zugrunde zu gehen. Niemand erfährt, wo 
ſeine Gebeine und diejenigen ſeines Eſels bleichen. Viel⸗ 
leicht hat er den letzteren vorher noch aufgezehrt. 

Eine ſolche Dſchelaba war es, die der Karawane 
jetzt begegnete. Sie kam den Arabern höchſt ungelegen, 
und der Schech murmelte einen Fluch zwiſchen die Lip⸗ 
pen. Dem Fremden aber waren dieſe Leute ſehr will⸗ 
kommen. Er ritt auf ſie zu, rief ihnen einen freund⸗ 
lichen Gruß entgegen und fragte: „Wohin geht euer 


— 33 — 


Weg? Die Sonne iſt geſunken. Wollt ihr nicht bald 
Lager machen?“ A 

Die Leute waren nur ſehr notdürftig gekleidet. Die 
meiſten trugen nichts als nur die Lendenſchürze; aber 
alle waren guten Muts und ſchienen vorteilhafte Ge⸗ 
ſchäfte gemacht zu haben. Sie gehörten nicht einer und 
derſelben Raſſe an. Es gab mehrere Schwarze unter, 
ihnen. Voran ritt ein kleiner, dünner und, ſo viel man 
bei dem ſcheidenden Tageslicht ſehen konnte, blatternar⸗ 
biger Burſche, deſſen Schnurrbart aus nur einigen 
Haaren beſtand. Er hatte Hoſen an, war ſonſt unbe⸗ 
kleidet und trug ein rieſiges Schießgewehr am Riemen 
auf dem Rücken. Eine Kopfbedeckung ſchien für ihn über⸗ 
flüſſig zu ſein; ſein Haar hing ihm dick und voll vom 
Haupt bis auf den Rücken herab, faſt ganz in der Weiſe, 
wie die in Deutſchland als Blechwarenhändler und 
Drahtbinder umherziehenden Slowaken das ihrige zu 
tragen pflegen. Er war es, der die Antwort übernahm: 
„Wir kommen vom Dar Takala herab und wollen mor⸗ 
gen nach Faſchodah. Heute bleiben wir am Bir Aslan.“ 

„das wollen wir auch. So können wir uns alſo 
Geſellſchaft leiſten.“ 

„Herr, wie könnten wir armen Dſchelabi es wagen, 
den Hauch deines Atems zu trinken? Wir machen uns 
ein Lager fern von euch. Erlaube uns nur ein wenig 
Waſſer für uns und unſre Tiere!“ 

„Alle Menſchen ſind vor Allah gleich. Ihr ſollt bei 
uns ſchlafen. Ich wünſche es.“ | 

Das fagte er in beſtimmtem Ton. Dennoch fragte 
der Dſchelabi: „Du ſcherzeſt, Herr, nicht wahr?“ 

„Nein. Es iſt mein Ernſt. Ihr ſeid mir willkommen.“ 

„Und deinen Leuten auch?“ 

„Warum dieſen nicht?“ | 

May, Die Sklavenkarawans. 3 


— 34 — 


„Ihr ſeid Beni Arab. Darf ich erfahren, von wel⸗ 
chem Stamm?“ 

„Von dem der Homr.“ 

„Allah kerihm — Gott iſt gnädig, aber die Homr 
ſind es nicht. Erlaube, daß wir fern von euch bleiben!“ 

„Warum?“ | 

„Weil wir euch nicht trauen dürfen.“ 

Er hielt den Fremden auch für einen Homr, ja für 
deren Anführer. Um ſo mutiger war es von ihm, daß er 
ſo aufrichtig ſprach. Der Europäer antwortete: „Hältſt 
du uns für Diebe?“ 

„Die Homr ſind Feinde der Schilluk, in deren Ge⸗ 
biet wir uns hier befinden,“ meinte der Dſchelabi aus⸗ 
weichend. „Wie leicht kann es zu einem Kampf kommen, 
und da ziehen wir es vor, fern zu bleiben.“ 

„Dein Herz ſcheint keinen großen Mut zu beſitzen. 
Wie iſt dein Name?“ 

Der Kleine richtete ſich im Sattel höher auf und 
antwortete: „Ob ich furchtſam bin, das geht dich gar 
nichts an. Wenn du meinen Namen wiſſen willſt, ſo 
ſteige ab und hole dir ihn!“ Er ſprang von ſeinem Eſel, 
warf das Gewehr weg und zog das Meſſer. Die Homr 
waren weiter geritten. Die Dſchelaba hielt noch am 
Platz. Hinter dem bisherigen Sprecher befand ſich ein 
ebenſo kleiner Burſche, der befürchten mochte, daß die 
Szene ſich zum Schlimmen wenden könne. Er wollte 
dem vorbeugen, indem er ſagte: „Verzeihe, Herr, dieſer 
Mann hat ſtets einen großen Mund und iſt doch nur ein 
kleiner Menſch, der nichts verſteht. Er wird von uns 
Ibn el dſchidri') oder wohl auch Abu el hadaſcht ſcharin“ 
genannt.“ 


9 Sohn der Blattern. — ) Vater der elf Haare. 


— 35 — 


„Warum dieſer letztere Name?“ erkundigte ſich der 
Fremde. 

„Weil ſein Schnurrbart nur aus elf Haaren beſteht, 
rechts ſechs und links fünf. Und doch iſt er außerordent⸗ 
lich ſtolz auf ihn, ſo daß er ihn gerade ſo ſorgfältig pflegt 
wie eine Nuehr⸗Negerin ihr Durrhafeld.“ 

Er bemühte ſich, dem drohenden Streit eine heitere 
Bahn zu brechen, kam aber bei ſeinem Kollegen ſchlecht 
an, denn dieſer rief ihm zornig zu: „Schweig, du Vater 
des Unverſtands! Mein Schnurrbart iſt hundertmal 
mehr wert als dein ganzer Kopf. Du ſelbſt haſt den 
großen Mund. Du rühmſt dich deines Stammbaums, 
aber niemand glaubt an ihn!“ 

Das war eine Beleidigung, die den andern nun 
auch in Harniſch brachte. Er antwortete: „Was weißt 
du von meinem Stammbaum! Wie lautet mein Name, 
und wie klingt der deine?“ Und ſich zu dem Fremden 
wendend, fuhr er fort: „Herr, erlaube mir, dir zu ſagen, 
wer ich bin! Ich heiße nämlich Hadſchi Ali ben Hadſchi 
Ishak al Fareſi Ibn Hadſchi Otaiba Abu ul Aſcher ben 
Hadſch Marwan Omar el Gandeſi Hafid Jacub Abd 
Allah el Sandſchaki.“ 

Je länger der Name eines Arabers iſt, deſto ehren⸗ 
voller iſt es für ihn. Von berühmten Vätern abzuſtam⸗ 
men, geht ihm über alles. Darum reiht er ihre Namen 
bis ins dritte und vierte Glied aufwärts aneinander und 
bringt ſo eine Rieſenſchlange fertig, worüber der Euro⸗ 
päer heimlich lächelt. 

Dieſer Hadſchi Ali blickte den Fremden erwartungs⸗ 
voll an, was er zu dem berühmten Namen ſagen werde. 

„Alſo Hadſchi Ali heißt du?“ fragte der „Vater der 
vier Augen‘, „Dein Vater war Hadſchi Ishak al Fareſi?“ 

„Ja. Haſt du von ihm gehört?“ 


„Nein. Dein Großvater hieß alſo Hadſchi Otaiba 
Abu el Aſcher?“ 

„So iſt es. Iſt dieſer dir bekannt?“ 

„Auch nicht. Und dein Urgroßvater war Hadſchi 
Marwan Omar el Gandeſi?“ 
| „So iſt es. Von ihm haft du doch en ver⸗ 

nommen?“ 

„Leider nicht! Und endlich war dieſer letztere der 
Urenkel und Nachkomme von Jacub Abd' Allah el Sand⸗ 
ſchaki, alfo des Fahnenträgers?“ 

„Ja, er trug den Sandſchakt) des Propheten in den 
Kampf. u 

„Diefen Namen habe ich allerdings geleſen. Jacub 
Abd' Allah ſoll ein mutiger Streiter geweſen ſein.“ 

„Ein Held war er, von dem noch heute die Lieder 
erzählen!“ ſtimmte Ali ſtolz bei. 

„Aber dein Ahne iſt er nicht!“ fiel der erſte Dſche⸗ 
labi ein. „Du haſt ihn dir unrechtmäßigerweiſe ange⸗ 
eignet!“ 

„Bringe mir nicht immer dieſen Vorwurf! Ich muß 
doch beſſer als du wiſſen, von wem ich ſtamme!“ 

„Und mit eben ſolchem Unrecht nennſt du dich 
Hadſchi Ali. Wer da ſagt, daß er ein Hadſchi ſei, der 
muß doch Mekka zur Zeit der Pilgerfahrt beſucht haben. 
Du aber warſt nie dort!“ 

„Etwa du?“ 

„Nein. Ich rühme mich deſſen nicht, denn ich mache 
keine Lügen.“ 

„Du könnteſt dich auch gar nicht rühmen, denn du 
biſt ein Chriſt, und Chriſten iſt der Zutritt in Mekka bei 
Todesſtrafe verboten!” 


) Die Fahne. 


— 37 — 


„Wie? Du biſt ein Chriſt?“ fragte der Fremde den 
erſten Dſchelabi. 

„Ja, Herr,“ antwortete dieſer. „Ich mache kein 
Hehl daraus, denn es iſt eine Sünde, ſeinen Glauben zu 
verleugnen. Ich bin allerdings Chriſt und werde es blei⸗ 
ben bis an mein Ende.“ 

Bis jetzt hatte der „Vater der vier Augen“ dem 
Zwiſt der beiden mit ſtillem Behagen zugehört. Sie 
ſchienen ſich in den Haaren zu liegen und doch die beſten 
Freunde zu ſein. Jetzt aber wurde er plötzlich ernſt, und 
es lag eine tiefe Betonung auf ſeinen Worten, als er 
ſagte: „Daran tuſt du ganz recht. Kein Chriſt ſoll ſeinen 
Glauben jemals verleugnen. Das wäre eine Sünde 
wider den heiligen Geiſt, von der das Kitab el mukka⸗ 
das) ſagt, daß fie nie vergeben werden könne.“ 

„Sünde wider den heiligen Geiſt?“ fragte der 
Dſchelabi erſtaunt. „Davon haft du gehört?“ 

„Jawohl.“ 

„Und die heilige Schrift kennſt du alſo auch?“ 

„Ein wenig.“ 

„Und als Moslem rätſt du mir, feſt an meinem 
Glauben zu halten!“ 

„Ich bin kein Moslem, ſondern auch ein Chriſt.“ 

„Auch ein Chriſt! Wohl ein koptiſcher?“ 

„Nein. Ich bin auch kein Homr, überhaupt kein 
Araber, ſondern ein Europäer.“ 

„Mein Gott, iſt's möglich! Ich auch, ich auch!“ 

„Aus welchem Land?“ 

„Aus Ungarn. Ich bin Magyar. Und —“ 

„Davon ſpäter! Meine Begleiter ſind mir weit 
voran und ich habe alle Veranlaſſung, ihnen nicht zu 
trauen. Ich muß ihnen ſchnell nach. Nun du gehört 


) „Das heilige Buch“, die Bibel. 


— 3 — 


haſt, daß ich auch ein Europäer bin, wirft du wohl bes 
reit ſein, bei mir zu lagern?“ 

„Von ganzem Herzen gern! Welch eine Freude, 
welch eine Wonne für mich, dich hier getroffen zu haben! 
Nun können wir von der Heimat ſprechen. Laßt uns 
ſchnell reiten, damit wir die Homr einholen und den 
Brunnen bald erreichen!“ 

Es ging vorwärts, ſo ſchnell die Eſel laufen konn⸗ 
ten, und ſie liefen ſehr gut. Dieſe Tiere ſind in ſüdlichen 
Gegenden ganz andre Geſchöpfe als bei uns. Ein ägyp⸗ 
tiſcher Eſel trägt den ſtärkſten Mann und galoppiert mit 
ihm lange Zeit, als ob er gar keine Laſt zu tragen habe. 
Nach einer Viertelſtunde waren die Araber erreicht. Sie 
ſagten zu den Dſchelabi kein Wort, nicht einmal eine 
Silbe der Begrüßung. Da dieſe acht Männer jetzt zu⸗ 
gegen waren, war es zu ihrem Leidweſen unmöglich, 
den Fremden niederzuſchießen, wie man vorher gewillt 
geweſen war. 

Still ging es weiter. Der kleine Ungar machte kei⸗ 
nen Verſuch, ſich mit dem „Vater der vier Augen“ zu 
unterhalten. Es wäre das nicht gut gegangen, da der 
eine auf dem hohen Hedſchin und der andre auf dem 
kleinen Eſel ſaß. 

Die Sterne des Aequators waren aufgegangen, und 
ihr ſtarkes Licht leuchtete faſt ſo hell wie der Mond, der 
jetzt nicht zu ſehen war, da er im Zeichen der Verdunk⸗ 
lung ſtand. 

Nach einiger Zeit ſah man eine Bodenerhebung 
liegen, welche ſchroff aus der Erde ſtieg. Der Sternen⸗ 
ſchimmer verlieh ihr ein geſpenſtiges Ausſehen. „Dort 
iſt der Bir Aslan,“ ſagte der Ungar. „In fünf Minuten 
werden wir dort ſein.“ 

„Schweig, Dſchelabi!“ fuhr der Schech ihn an. 


„Wann du dort fein wirſt, das kommt allein auf uns an. 
Noch haben wir dich nicht eingeladen, uns zu begleiten!“ 

„Deſſen bedarf es gar nicht. Wir gehen ohne Ein⸗ 
ladung hin.“ | 

„Wenn wir es euch erlauben!“ 

„Ihr habt gar nichts zu erlauben. Der Brunnen iſt 
für alle da, und übrigens befindet ihr euch in Feindes 
Land.“ 

„Allah iharkilik — Gott verbrenne dich!” murmelte 
der Homr, ſagte aber weiter nichts. 

Der Dſchelabi ſchien von Haus aus kein furcht⸗ 
ſames Kerlchen zu ſein, und ſeit er wußte, daß der erſt 
für einen mohammedaniſchen Schech gehaltene Fremde 
ein europäiſcher Chriſt ſei, fühlte er ſich noch weniger 
geneigt, ſich von den Arabern bevormunden zu laſſen. 


Drittes Kapitel. 
An der „Quelle des Löwen“. 


Die Karawane langte bei dem Felſen an, an deſſen 
Fuß ſich der Bir befand. Dieſer war kein laufendes 
Waſſer; er beſtand in einem kleinen, von dichtem Mimo⸗ 
ſengebüſch umgebenen Weiher, den eine nicht ſichtbare 
Waſſerader ſpeiſte. Man ſtieg ab. Während einige die 
von ihren Laſten befreiten Tiere tränkten, ſammelten die 
andern dürres Geäſt, um ein Feuer zu machen. Als es 
brannte, ſetzten ſich die Homr fo um dasſelbe, daß für 
die Dſchelabi kein Platz blieb. Der Ungar verlor kein 
Wort darüber. Er trug Holz nach der andern Seite des 
Waſſers, brannte dort ein Feuer an und rief dem „Vater 
der vier Augen“ zu: „Nun magſt du dich entſcheiden, bei 
wem du ſitzen willſt, bei ihnen oder bei uns.“ 

„Bei euch,“ antwortete er. „Nehmt dort die Sattel⸗ 
taſche, die meinen Mundvorrat enthält! Ihr ſeid meine 
Gäſte. Wir können alles aufeſſen, da wir morgen nach 
Faſchodah kommen.“ 

„Da irrt er ſich,“ flüſterte der Schech den Seinen 
zu. „Er verachtet uns und zieht dieſe Erdferkel vor. Wir 
wollen ſo tun, als ob wir es nicht beachteten. Aber beim 
Anbruch des Tages wird er in der Dſchehenna heulen. 
Mag er jetzt noch einmal, zum letztenmal im Leben, 
eſſen!“ Er ſuchte gleichfalls ſeine Vorräte vor, dürres 


3 


Fleiſch und trockenen Durrhakuchen, wozu das Waſſer 
des Bir mit den Händen geſchöpft wurde. 

Jndeſſen unterſuchte der Fremde die Umgebung des 
Brunnens. Der kleine Berg ſtand vollſtändig vereinzelt 
in der Ebene. Er war mit Gras bewachſen, eine Folge 
der Verdunſtung des Brunnenwaſſers. Auf feiner nörd⸗ 
lichen und weſtlichen Seite gab es kein Strauchwerk; 
aber am öſtlichen und ſüdlichen Fluß, wo der Brunnen 
lag, kletterten die Mimoſen ein Stück am ausgewitter⸗ 
ten Felſen empor und liefen auch eine ganze Strecke in 
die Ebene hinein. Menſchliche Weſen waren nicht zu 
ſehen; die Gegend ſchien vollſtändig ſicher zu ſein, auch 
in Beziehung auf wilde Tiere, falls nicht der Geiſt des 
hier vergifteten „Herrn mit dem dicken Kopfe“ in 
nächtlicher Stunde ſein Weſen trieb. 

Als der Fremde nach der Quelle zurückkehrte, hatten 
die Kamele und Efel ſich ſatt getrunken und fraßen von 
den jungen Zweigen der Mimoſen. Er ließ ſein ganzes 
Gepäck in die Nähe des zweiten Feuers tragen und dort 
am Felſen niederlegen, ſo daß er es im Auge haben 
konnte. 

Der Ungar hatte die Taſche geöffnet und deren In⸗ 
halt vor ſich ausgebreitet. Dieſer beſtand aus Durrha⸗ 
brot, Datteln und mehreren Perlhühnern, die der „Vater 
der vier Augen“ geſtern früh jenſeits der Sandſtrecke ge⸗ 
ſchoſſen hatte. Die Dſchelabi rupften die Hühner, nah⸗ 
men ſie aus und zerlegten das Fleiſch in kleine viereckige 
Stücke, die an zugeſpitzte Aeſte geſpießt und über dem 
Feuer gebraten wurden. In dieſer Form und Weiſe zu⸗ 
bereitet, wird das Fleiſch Kebab genannt. 

Während dies geſchah, fragte der Ungar, und zwar 
immer noch in arabiſcher Sprache, wie bisher: „Darf ich 
nun erfahren, Herr, aus welchem Land du biſt?“ 

* 


— 42 — 


„Sage mir vorher erſt, aus welcher Gegend Un⸗ 
garns du ſtammſt?“ | 

„Ich bin ein Magyar aus Nagy⸗Mihaly bei 
Ungvar.“ 

„Von dort? Dann aber biſt du wohl kein Magyar, 
ſondern ein Slowak.“ 

„Ja; aber da ich in Ungarn geboren bin, bin ich 
doch auch Magyar. Du kennſt meine eee 
Warſt du dort?“ 

„Gewiß.“ 


„Sprichſt du ungariſch? Ich bin auch des Slowe⸗ | 


niſchen mächtig.“ 

„Mir iſt beides fremd, alſo können wir uns leider 
nicht in deiner Mutterſprache unterhalten. Aber wie biſt 
du nach Afrika, nach Aegypten und gar nach dem Sudan 
gekommen?“ 

„Durch meinen Herrn.“ 

„Wer war das?“ | 

„Matthias Wagner, auch ein Ungar aus dem Eifen- 
ſtädter Komitat.“ 


„Den kenne ich, wenn auch nicht perſönlich. Er hat 
ſehr viel erlebt. Er ging nach Aegypten, Arabien und 


Abeſſinien, war Begleiter des Herzogs von Gotha, be⸗ 
reiſte ſpäter den ganzen Oſtſudan und iſt vor ungefähr 
einem Jahr geſtorben, ich glaube in Chartum. Nicht?“ 

„Ja, Herr, ſo iſt es. Du kennſt alle ſeine Erlebniſſe. 
Ich war zuletzt mit ihm nach Kordofan, um Straußen⸗ 
federn zu handeln. Nach unſrer Rückkehr mußten wir 
uns trennen. Er ſtarb, und über mich brach ein Unfall 
nach dem andern herein, ſo daß ich endlich gezwungen 
war, das Leben eines armen Dſchelabi zu führen.“ 

„Halt du da Glück gehabt?“ 

„Was nennſt du Glück? Ich begann vor ſechs Mo⸗ 


— 43 — 


naten mit fünf Mariathereſientalern, und was ich jetzt 
beſitze, iſt vielleicht dreißig wert. Großvezier wird man 
nicht dabei.“ 

„Dazu hat Allah dir ja auch den Verſtand gar nicht 
gegeben,“ fiel der zweite Dſchelabi jetzt ein. 

„Schweig, Abu Dihk!)!“ fuhr der Ungar ihn an. 
„Mich hat Allah für ſo einen hohen Poſten eigentlich 
ausgerüſtet. Du aber könnteſt nicht einmal Hamal?) 
werden, trotz deines falſchen Stammbaums!“ 

„Er iſt echt und nicht gefälſcht. In mir fließt das 
Blut vom Fahnenträger des Propheten. Hör meinen 
Namen an! Soll ich ihn dir nennen?“ 

„Um Allahs willen, nein! Du trompeteſt ihn ſo un⸗ 
aufhörlich aus, daß ihn bereits im ganzen Sudan jeder 
Vogel pfeifen kann.“ 

„Das darf ich wohl, da er ein hochberühmter iſt. 
Höre ihn an, und höre auch, was meine Ahnen taten! 
Wie aber heißt du? Ich habe es vergeſſen.“ 

„Uszkar.“ 

„Wie lautet das auf Arabiſch?“ 

„Kelb').“ ö 

„Welch ein Name! Wie kann ein Menſch ſich nach 
einem ſo verachteten Tier nennen! Wie hieß dein Vater?“ 

„Auch Uszkar oder Kelb.“ 

„Dein Großvater?“ 

„Ebenſo.“ 

„Und deine andern Ahnen?“ 

„Auch nicht anders.“ 

N „Allah, welch ein Stammbaum iſt das! Kelb ben 
Kelb Ibn Kelb Hafid Kelb, Kelb und nichts als Kelb! 
Es iſt ein Wunder, daß du nicht bellſt, ſondern ſprichſt. 


) „Dau des Gelächters.“ — N) Laſtträger. — ) Hund. 


u HR. 
Mein Name aber lautet Hadſchi Ali ben Hadſchi Ishar 
el Farefi Ibn Otaiba Abu — — —“ 

„Still, ſtill, ſtill!“ rief der Ungar, indem er mit 
beiden Armen den ewig langen Namen abwehrte. „Ich 
mag ihn nicht mehr hören. Wenn ich ihn einatme, wird 
er ſich als Bandwurm in meine Eingeweide legen und 
mich von innen heraus aufzehren. Was kann dein 
Name gegen meine Erfahrungen und Kenntniſſe bedeu⸗ 
ten! Ihn haſt du ohne alles Verdienſt von deinen Vor⸗ 
fahren; ſie aber habe ich mir ſelbſt angeeignet. Wiſſe, 
daß ich ſogar die Sprache aller Weisheit, das Latein, 
verſtehe! Ich habe es von meinem Herrn gelernt.“ 

„Und wiſſe,“ ſchrie der andre, der ſich ernſtlich zu 
ereifern begann, „daß ich alle Länder und Völker der 
Erde, alle Städte und Dörfer des Weltalls kenne und 
beim Namen nenne.“ 

„Das iſt Geographie, deine Leidenſchaft. Wo aber 
willſt du ſie gelernt haben?“ 

„Bei meinem Oheim, der erſt in Stambul wohnte 
und dann in das Land der Nemtſche“) nach Lipſik' ging, 
wo er an einer Straßenecke viele Jahre lang mit Aſal 
J abiad') handelte. Dort wurde er wohlhabend und 
kehrte heim, mich zu belehren. Als ich ausſtudiert hatte, 
ging ich nach Aegypten als Asker“) und bin fo nach und 
nach bis in den Sudan gekommen.“ 

„O du Vater des Gelächters,“ lachte der Slowak, 
„willft du dir darauf etwas einbilden, daß dein Oheim 
Honig verkaufte? Hat er in Leipzig auch Latein ſtudiert?“ 

„Alles, alles, was es geben kann! Und ich hab's 
dann von ihm. Allah allein kennt die Millionen Länder 
und Dörfer, die ſich in meinem Kopf befinden. Du aber 
weißt gar nichts. Du biſt der Sohn der Blattern und 


) Deutſchen. — ) Leipzig. — ) Weizer Honig. — ) Soldat. 


Be 


der Vater der elf Haare. Du haft meinen Namen gehört. 
Wie kannſt du mich den Vater des Gelächters nennen?“ 
Sie waren beide zornig geworden und griffen ſich 
bei ihren gegenſeitigen körperlichen Schwächen an. Die 
Spitznamen, die man ihnen gegeben hatte, waren ſehr 
bezeichnend. Das Geſicht des Slowaken war geradezu 
abſchreckend pockennarbig, und es mußte faſt als ein 
Wunder erſcheinen, daß die zerſtörende Krankheit ihm 
die wenigen Haarkeime übrig gelaſſen hatte. Freilich 
zählte ſein Schnurrbart mehr als elf Haare, aber über 
dreißig waren es gewiß nicht. Und dieſe zerſtreut und 
unregelmäßig über die Oberlippe verteilten Männlich⸗ 
keitsbeweiſe hatte er ſo lieb, daß ſeine Hände während 
jedes freien Augenblicks bemüht waren, ſie zu ſammeln 
und ihnen die Form eines echt ungariſchen Schnurr⸗ 
wichſes zu geben. 
Was den „Vater des Gelächters“ betraf, ſo litt er 
Dan einer Krankheit, die fein Geſicht in faſt regelmäßigen 
Pauſen, beſonders aber bei Seelenerregungen und wenn 
er ſprach, zur ſchrecklichen Fratze verunſtaltete, nämlich 
am Geſichtskrampf. Dieſe Verzerrungen brachten nie 
einen ernſten, ſondern ſtets nur einen ſolchen Ausdruck 
des Geſichts hervor, daß man meinte, Ali wolle ſich über 
irgend etwas totlachen. Es iſt ganz gewiß höchſt ver⸗ 
werflich, ſich über körperliche Gebrechen eines andern 
luſtig zu machen, aber die Geſichter des Mannes, „der 
Millionen Länder und Dörfer in ſeinem Kopfe hatte“, 
wirkten ſo unwiderſtehlich, daß der ärgſte Schwer⸗ 
mütige, der rückſichtsvollſte Menſch geradezu gezwungen 
war, mitzulachen. Uebrigens verletzte ihn das keines⸗ 
wegs; er ſchien ſich im Gegenteil ganz glücklich zu fühlen, 
ſtets luſtige Geſichter um ſich zu ſehen. 
„Und wenn du alle Völker und Inſeln der Erde im 


— 46 — 


Kopf haſt, ſo kennſt du doch gewiß nicht ein einziges 
Wort Latein!“ behauptete der Slowak. „Herr, verſtehſt 
vielleicht auch du lateiniſch?“ — „Ja, ein wenig,“ nickte 
der „Vater der vier Augen“ lächelnd. — „Wo haſt du es 
denn gelernt?“ — „Auch in Leipzig.“ — „Aber doch 
nicht an der Ecke bei dem Honigkaſten?“ — „Nein, ſon⸗ 
dern von meinen Profeſſoren.“ — „Profeſſoren? Haſt 
du etwa ſtudiert?“ — „Ja.“ — „Was?“ — „Medizin.“ 
— „So biſt du Doktor.“ — „Allerdings. Auch war ich 
drei Jahre lang Lehrer an einer deutſchen Medreſſe.“ 

Da ſprang der Kleine auf und rief: „So biſt du ein 
Deutſcher?“ 

„Ja. Wenn du deutſch verſtehſt, können wir uns 
dieſer Sprache bedienen.“ 

„Natürlich verſtehe ich es, und zwar ganz ausge⸗ 
zeichnet! Allah! Ein Ra⸗is et tibb')! Wo habe ich da 
meine Augen gehabt!“ Und mit wichtigem und ſtrahlen⸗ 
dem Geſicht fuhr er in deutſcher Sprache fort: „Vatterr 
meiniges hatt Muſika geweſt. Macht dilideldum, dili⸗ 
deldei.“ 

„Auf welchem Inſtrument?“ fragte der Arzt, der 
ſich nur ſchwer des Lachens erwehren konnte. 

„Hatte blaſte Klarniett: Viviviva viviviva!“ Er 
hielt die beiden Hände vor den Mund und ahmte die 
Klänge der Klarinette täuſchend nach. 

„Da haben Sie wohl auch ein Inſtrument blaſen 
gelernt?“ 

„Nein. Mund meiniger hatt nicht paßte dazu.“ 

„Und wie iſt Ihr eigentlicher Name?“ 

„Hab ich heißte Uszkar Iſtvan.“ 

„Alfo zu deutſch Stephan Pudel, wenn ich mich 
nicht irre, da ich zufälligerweiſe das Wort Pudel kenne. 


1) Doktor ber Nebiyin. 


wei SAP wi 


Ein anrüchiger Name hier in einem mohammedaniſchen 
Land, wo das Wort Hund als größte Beſchimpfung gilt. 
Sie hätten dieſes Uszkar Ihren Gefährten nicht über⸗ 
ſetzen ſollen.“ 

„Serr richtig! Aber wie heißten Sie, Pane Dok⸗ 
torrr?“ 

„Ich heiße Emil Schwarz und bin hier, um die 
Fauna und Flora des Landes zu ſtudieren und in mög⸗ 
lichſt vielen Präparaten mit nach Hauſe zu nehmen.“ 

„Fauna und Florrra! O, das ſeinte gut Latein! 
Auch ich verſtehnte Latein. Latein meiniges ich hatt 
lernte bei Pane Wagner. Fauna heißte Pflanz, und 
Flora heißte Vieh.“ 

„Oder umgekehrt,“ lachte Schwarz. 

„Umgekehrt auch richtig, beides richtig! Ich bin 
viel geweſte in Sudan. Ich hatt ſehnte das ganze 
Florrra und Fauna. Wenn Sie brauchte ein Dienerrr, 
ich ſehr gern wernte Dienerrr Ihriges.“ 

„Wirklich?“ 

„Ja, Pane Doktorrr. Ich nicht willnte mehr han⸗ 
deln im Sudan, und ich nicht mehr magte ſein ein 
Dſchelabi. Sie mich könnte brauchte ſehr gut. Ich Sie 
wollte unterrrſtützte mit Latein meiniges und machte 
kleb an die Etiketten an Präparaten Ihrige.“ 

„Dieſes Anerbieten iſt mir nicht unwillkommen, 
und ich werde — — —“ 

Er hielt inne. In der Ferne war ein Ton erklun⸗ 
gen, der ſofort die Aufmerkſamkeit aller in Anſpruch 
nahm. 

„Was war das?“ fragte Schwarz, ſich in arabiſcher 
Sprache an die Dſchelabi wendend. „Doch unmöglich 
Donner! Jetzt im Seft) gibt es doch wohl keine Gewitter.“ 


Y Heiße Jahreszeit. 


— 48 — 


„Nein, Donner war es nicht,“ antwortete der Slo⸗ 
wak, auch in arabiſcher Sprache, die er nicht ſo ſchlimm 
radebrechte wie die deutſche. „Es war Aslan, der Herr 
der Herden.“ 

„Der Löwe? Alſo gibt es hier doch welche!“ 

„Es ſcheint ſo, und der Herr mit dem dicken Kopfe 
wird hierher kommen, denn er hat unſre Feuer geſehen.“ 

„So zeitig? Ich habe geglaubt, daß er erſt um oder 
gar nach Mitternacht ſein Lager verlaſſe.“ 

„Wenn er Hunger hat, geht er früher aus.“ 

Dieſe Fragen und Antworten waren mit lauter, 
vernehmlicher Stimme gegeben worden. Da kam der 
Schech vom andern Feuer herbeigeeilt und ſagte mit 
leiſer Stimme und in ängſtlichem Ton: „Um Allahs 
willen, ſprecht nicht ſo laut, ſonſt hört er es und kommt 
herbei. Dann ſind wir alle verloren. Horcht!“ 

Es erſcholl derſelbe Laut wieder. Er klang dem Rol⸗ 
len eines ſchweren Wagens, der über eine hölzerne 
Brücke fährt, ſehr ähnlich. Die Kamele zitterten und die 
Eſel drängten ſich zuſammen. 

„Das alſo, das iſt der Löwe!“ ſagte Schwarz, mehr 
zu ſich als zu den andern. „Endlich, endlich höre ich ſeine 
Stimme in der Freiheit!“ 

„O, das iſt ſeine volle und richtige Stimme noch 
nicht,“ meinte der Slowak. „Er verſucht ſie erſt. Er hat 
Hunger und iſt mißmutig; er knurrt einſtweilen.“ 

„Haſt du ihn auch ſchon gehört?“ Er bediente ſich, 
dem arabiſchen Sprachgebrauch angemeſſen, wieder 
des Du. 

„Gehört und auch geſehen, und zwar ſehr oft.“ 

„Ohne von ihm angefallen zu werden?“ 

„Er hat mir nie etwas getan. Es gibt viele feige 
und wenig wirklich ſtolze und kühne Löwen. Die feigen 


* 


u. 40 


kommen heimlich geſchlichen und führen den Raub fo 
leiſe aus, daß man erſt am Morgen den Tod oder das 
Fehlen ſeines Opfers bemerkt. Ein kühner Löwe aber 
tritt gleich laut aus ſeinem Lager. Er ſagt es aufrichtig, 
daß er Hunger hat und jetzt auf Raub ausgehen will. 
Er nähert ſich dem Ort, dem er ſeinen Beſuch zugedacht 
hat, nur langſam und brüllt dabei von Zeit zu Zeit, 
damit man ſich genau berechnen könne, wann er er⸗ 
ſcheinen wird. Einen Löwen, der das tut, hält keine 
Gefahr ab, den Ueberfall auszuführen.“ 

„Wir haben es höchſtwahrſcheinlich mit ſo einem 
zu tun!“ | 

„Ja. Wenn er wieder brüllt, werden wir hören, 
ob er zu uns oder nach einem andern Ort will.“ 

Zum drittenmal erklang die Stimme des Raubtiers, 
halb knurrend und halb heulend. Man hörte deutlich, 
daß fie aus größerer Nähe kam. Die Homr⸗Araber waren 
jetzt alle an das zweite Feuer gekommen. Sie fürchteten 
ſich. 

„Er kommt zu uns, er kommt wirklich,“ flüſterte 
der Schech mit vor Angſt heiſerer Stimme. 

„Du haſt dich alſo geirrt,“ anwortete Schwarz, „als 
du behaupteteſt, es ſei kein Löwe hier an dieſer Quelle 
zu erwarten.“ | 

„Konnte ich willen, daß fich einer eingefunden hat? 
Er hauſt wohl erſt ſeit wenigen Tagen hier. Wären wir 
nicht in der Dunkelheit gekommen, ſo hätten wir ſicher 
die Spuren ſeiner Tatzen geſehen. Der Bir iſt ſeine 
Tränke, denn es gibt von hier bis zum Fluß kein andres 
Waſſer.“ 

„So lagert er auf der offenen Ebene?“ 

„O nein, Herr. Dreiviertel Stunden von hier gibt 
es ein Felsgewirr, das er ſich jedenfalls zur Wohnung 

Ray, Die Sklavenkarawans. 4 


350 


auserſehen hat, denn ſeine Stimme erklang genau aus 
jener Gegend. Ich habe ſchon viele Löwen beobachtet 
und weiß, in welcher Weiſe ſie ſich nahen. Dieſer kommt 
ſehr langſam herbei, denn das Feuer macht ihn bedenk⸗ 
lich; aber in einer halben Stunde wird er in der Nähe 
ſein und unſer Lager umkreiſen.“ 

„Um den Raub auch wirklich auszuführen?“ 

„Ganz gewiß, Effendi. Er hat es uns laut geſagt 
und wird ſein Wort halten. Beladen wir alſo ſchnell 
unſre Tiere, um Nen böfen Ort augenblicklich zu ver⸗ 
laſſen!“ 

„Fliehen ſollen wir? Vierzehn Männer? Vor die⸗ 
ſer Katze?“ 

„Effendi, es iſt keine Katze!“ 

„Es iſt eine, wenn auch eine ſehr große. Wer flie⸗ 
hen will, der mag es tun! Aber die Kamele bleiben hier, 
denn ich habe ſie gemietet.“ 

„Er wird mir eins zerreißen!“ 

„So bezahle ich es dir!“ 

„Er kann auch gar mich ſelbſt zerreißen!“ 

„In dieſem Falle kommſt du noch heute in Allahs 
Paradies; alſo freue dich darauf!“ 

„Ich gehe. Ich will noch leben!“ 

„So mache dich von dannen; aber indem du dich 
von den Feuern entfernſt, die auch der Löwe ſcheut, bes 
gibſt du dich in eine noch viel größere Gefahr. In der 
Dunkelheit draußen vermagſt du das Tier nicht zu er⸗ 
kennen, und es fällt über dich her, ohne daß du es ge⸗ 
ahnt haſt.“ 

„Allah, Allah! Alſo ſollen wir hier bleiben und 
xuhig warten, wen von uns er ſich holen werde?“ 

„Nein, denn ich werde ihn töten.“ 

„Du? Niemand wird dir beiſtehen.“ 


=; 1 


„Das fordere ich gar nicht.“ 

„Alſo du allein willſt dich ihm entgegenſtellen? 
Effendi, biſt du toll?“ 

„Nein. Ich habe Tiere erlegt, die ebenſo gefährlich 
wie der Löwe ſind, Mit ihm habe ich zwar noch nie 
geſprochen, aber er wird mit ſich reden laſſen. Dabei 
werde ich dafür ſorgen, daß er euch nichts tun kann.“ 

Jetzt erhob der Löwe ſeine Stimme wieder. Es 
war kein Grollen oder Knurren mehr, ſondern ein wenn 
auch nur kurzer, aber doch fürchterlicher Ton, der auf 
die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die 
Kopfhaut emporziehen wolle. 

„Er iſt wieder näher!“ jammerte der Schech. „Er 
hat ſchon die Hälfte ſeines Weges zurückgelegt. In einer 
Viertelſtunde iſt er da. Meine Kamele, meine ſchönen 
Kamele!“ 

„Du ſelbſt Kamel! Treffen wir ſchnell die nötigen 
Anſtalten! Wir müſſen ihn zwingen, ſich nach der Stelle 
zu wenden, wo ich ihn erwarten werde. Durch das 
Waſſer kommt er micht, alſo muß er entweder von rechts 
oder von links zu uns, weil wir uns mit den Tieren 
zwiſchen der Quelle und dem Felſen befinden. Macht 
hier das Feuer breiter und facht es höher an, ſo wird er 
es vermeiden, hier herein zu brechen! Bindet die Tiere 
feſt an die Zweige, damit ſie nicht fliehen können. Und 
dann könnt ihr euch meinetwegen hinter das Gepäck 
verſtecken.“ 

„Und du, was wirſt du tun, Herr?“ fragte der 
Slowak. ö 

„Ich gehe auf die andre Seite, löſche dort das 
Feuer aus, fo daß er nicht abgeſchreckt wird, und warte, 
bis er kommt.“ 

„Du wirklich ganz allein?“ 


— 52 — 


„Ja, ich bedarf wahrſcheinlich der Unterſtützung 
andrer nicht.“ Er gab dieſe Befehle und Antworten mit 
der Ruhe und Kaltblütigkeit eines deutſchen Unter⸗ 
offiziers, der im Feld ſeine Leute unterweiſt. | 

Die Araber und auch die Dichefabi hatten ſich ſehr 
beeilt, das Feuer zu vergrößern und die Tiere anzubin⸗ 
den. Nun drängten ſie ſich alle mit Ausnahme des Un⸗ 
garn und Alis zwiſchen den Gepäckſtücken und der Fels⸗ 
wand zuſammen. Die beiden Genannten aber waren bei 
Schwarz geblieben; ſie halfen ihm das andre Feuer aus⸗ 
köſchen. Eben, als ſie damit fertig waren, ließ ſich der 
Löwe wieder hören, aber dieſes. Mal in ganz andrer 
Weiſe als bisher. 

Ja, das war ein wirkliches Gebrüll, erſt dumpf 
rollend wie ein unter den Füßen hingehendes Erdbeben, 
dann anſchwellend bis zum mächtigen, in der ſtillen 
Nacht wohl meilenweit hörbaren Bruſtton, der in einen 
durch Mark und Bein ſchneidenden, wahrhaft ſataniſchen 
Kehllaut überging, um in einem langgezogenen und nach 
und nach erſterbenden Donner, unter dem die Erde zu 
erzittern ſchien, wie in weiter Ferne zu verhallen. 

Das war der wirkliche Macht⸗ und Kampfesruf des 
Königs der Tiere geweſen, und Schwarz erkannte nun, 
warum die Araber ihm vielfach den Namen Abu Rad, 
Vater des Donners, geben. | 

„Er iſt nur noch höchſtens tauſend Schritte ent» 
fernt,“ hörte man den Schech ſagen. „Allah il Allah we 
Muhammed raſſuhl Allah! Betet leiſe die heilige Fathha 
und dann laut die Sure der ‚Zerreißung', welche die 
vierundachtzigſte des Korans iſt! Das Verderben wird 
nur noch fünf oder ſechs Minuten lang das Lager um⸗ 
ſchleichen und dann über uns hereinbrechen.“ 

Die Kamele zitterten und ſtöhnten vor Angſt. Sie 


ER 


lagen eng nebeneinander auf der Erde, die Hälfe lang 
und feſt an den Boden geſchmiegt. Die Eſel ſchlugen um 
ſich und verſuchten, ſich loszureißen. 

Schwarz hatte ſeinen größeren Hinterlader zur 
Hand genommen, der Ungar ſeine Rieſenbüchſe und 
Ali einen langen, ſtarken, eiſenbeſchlagenen Spieß, der 
ſeine einzige Waffe bildete. „Zieht euch jetzt zurück!“ 
flüſterte der erſtere den beiden andern zu. 

8 „Herr, du allein vermagſt es nicht,“ antwortete der 
Slowak. 

„Sorge dich nicht um mich! Zu deiner Beruhigung 
will ich dir ſagen, daß ich auf den Jagdgefilden Nord⸗ 
amerikas noch größere Gefahren glücklich überſtanden 
habe.“ 

„Das mag ſein; aber ich habe dich liebgewonnen 
und werde dich nicht verlaſſen.“ | 

„Du wirft mir mit deinem Feuerprügel nur Scha⸗ 
den machen!“ 

„O“ nein, Herr. Es iſt mein Katil elfil), deſſen 
Kugel dem Löwen durch den ganzen Körper gehen wird. 
Sag, was du willſt, ich bleibe bei dir!“ 

Sein Ton war ein ſo entſchloſſener, daß Schwarz 
einſah, der treue, mutige, kleine Kerl laſſe ſich gewiß 
nicht abweiſen. Der Augenblick der Entſcheidung nahte, 
es durfte keine Sekunde durch zweckloſe Reden vergeudet 
werden. Darum ſagte der Doktor: „Nun gut, ſo halte 
dich an meiner Seite, aber ſchieß ja nicht eher, als bis 
ich ſelbſt zwei Kugeln abgegeben habe.“ 

Er unterſuchte ſein Gewehr noch einmal, trat um 
vielleicht zehn Schritte vor und legte ſich da lang auf 
den Boden nieder, den linken Ellbogen auf die Erde ge⸗ 


) „Elefantenmörder“. 


88 


ſtemmt, um im Vorderarm einen feſten Stützpunkt für 
den Lauf zu haben. 

Als der Slowak ſich in gleiche Stellung neben ihm 
niedergelaſſen hatte, hörten ſie hinter ſich ein leiſes Ge⸗ 
räuſch. Sie ſahen ſich um und erblickten Ali, den „Vater 
des Gelächters“, der hart hinter ihnen auf einem Knie 
ruhte, in beiden Händen die Lanze, mit der Spitze nach 
vorn gerichtet, das andre Ende feſt in den Boden ge⸗ 
ſtoßen, ſo daß ſie ſelbſt durch einen ſtarken Anprall nicht 
aus ihrer die an der Erde Liegenden beſchützenden Lage 
gebracht werden konnte. 

„Was willſt denn du?“ fragte Schwarz unwirſch. 

„Wenn ihr ihn nicht ſofort tötet, wird er durch die 
Luft nach euch ſpringen!“ antwortete der Gefragte. 
„Dann ſchnellt euch von hier fort, und ich fange ihn mit 
der Lanze auf, daß er ſich ſpießt.“ 

Schwarz wollte antworten, wurde jedoch durch ein 
abermaliges Brüllen des Raubtiers daran verhindert. 
Es klang jetzt faſt noch ſchrecklicher als vorher, und ganz 
nahe. Der Löwe war gewiß nicht mehr als hundert 
Schritte von ihnen entfernt. 

Da mußte ſelbſt den Kühnſten ein Grauen über⸗ 
laufen, doch die Nähe der Entſcheidung macht das Auge 
und den Arm des Mutigen ſicher und läßt ſein Herz 
noch ruhiger als vorher ſchlagen. „Zitterſt du?“ fragte 
der Ungar. — „Nein,“ antwortete Schwarz. — „Ich 
auch nicht. Er kann kommen!“ | 

Die drei hatten hinter ſich das Lager. Dort brach 
der Löwe höchſtwahrſcheinlich nicht ein, da das Feuer 
ihn zurückſchreckte. Zu ihrer Linken lag der Weiher 
und zur Rechten ſtieg der Fels empor. Zwiſchen dieſen 
beiden lag ein vielleicht zwei Meter breiter Raum, in 
deſſen Mitte ſie ſich befanden. Bewährte ſich ihre Vor⸗ 


ausſetzung, daß das Raubtier von diefer Seite kommen 
werde, ſo konnte es ihnen nicht entgehen; es mußte an 
ihnen vorüber oder über ſie hinweg. 

Schwarz hatte ſeine Schutzbrille abgenommen und 
hielt die vor ihm liegende Strecke ſcharf im Auge. Da 
— ſie zuckten wirklich zuſammen — ertönte das Brüllen 
jenſeits des Waſſers, hart an deſſen Rand, nicht zwan⸗ 
zig Schritte von ihnen entfernt. 

„Jetzt aufgepaßt!“ flüſterte der Slowak. 

Die Gefahr verdoppelte die Schärfe ihrer Augen. 
Das Gehör war ihnen nichts mehr nütze, denn infolge 
des letzten Gebrülls fing der Schech jetzt an, mit lauter 
Stimme die vorhin von ihm bezeichnete Sure zu beten: 
„Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Wenn der 
Himmel zerreißt, pflichtgezwungen und ſeinem Herrn 
gehorchend, wenn die Erde ſich ausdehnt und heraus⸗ 
wirft, was in ihr iſt, dann, o Menſch, wirſt du dich be⸗ 
mühen, zu deinem Herrn zu gelangen — — — 

Während er in jammerndem Ton fortfuhr, hätte 
Schwarz ihn am liebſten niederſchlagen mögen. Seine 
laute Stimme machte die leiſen Schritte des Löwen un⸗ 
hörbar und konnte infolgedeſſen ſehr leicht die Urſache 
des Verderbens der drei mutigen Männer ſein. 

Nun mußten die Augen doppelt angeſtrengt werden. 
Aber nicht ſie waren es, welche den mächtigen Feind zu⸗ 
erſt bemerkten, ſondern der Geruch überzeugte die pein⸗ 
lich Wartenden, daß der Augenblick der Entſcheidung ge⸗ 
kommen ſei. Jene ſcharfe, durchdringende Ausdünſtung, 
die den Raubtieren eigen iſt und in jeder Menagerie be⸗ 
obachtet werden kann, erfüllte plötzlich die Luft, und da 
— — da trat er um das dichte Geſtrüpp, nicht ſchkei⸗ 
chend nach Tiger⸗ oder Pantherart, ſondern ſtolz aufge⸗ 
richtet, langſamen und ſichern Schrittes wie ein Herr⸗ 


— 56 — 


ſcher, der ſich in feinen Reich weiß und es verſchnäht, 
das, was er durch offenen Befehl erlangen kann und 
muß, durch niedrige Heimlichkeit zu erreichen. 

Seine weitgeöffneten Augen durchforſchten den 
RNand des dichten Buſchwerks nach einem Durchweg zu 
der geſuchten Beute. Da fiel ſein Blick auf die drei be⸗ 
wegungsloſen Geſtalten. Er zuckte und warf ſich ſchnell 
auf die Erde nieder, um den Feinden nicht die leicht ver⸗ 
letzliche Bruſt zu bieten. Dann muſterte er ſie mit 
einem großen, mächtigen Blick. 

Schwarz empfand ein Gefühl, als ob man ihm mit 
einem Eiszapfen über das Rückgrat ſtreiche, doch gelang 
es ſeiner Willenskraft, es zu überwinden. Er hatte die 
Berichte berühmter Löwenjäger geleſen, und er kannte 
daher das Benehmen des Tieres in einer Lage wie die 
gegenwärtige. / i 

Tut der Löwe den Sprung nicht ſofort, nachdem er 
den Feind erblickt hat, ſo legt er ſich nieder, die hintern 
Pranken eingezogen und die vordern nach vorn geſtreckt. 
„Er ſchließt die Augen faſt ganz und betrachtet den Feind 
durch einen dünnen Spalt der Lider. Hat er ſeinen Ent⸗ 
ſchluß gefaßt, ſo hebt er den Hinterkörper ein wenig 
empor, um dadurch die Schnellkraft ſeiner Schenkelmus⸗ 
keln zu erhöhen, ſeine Augen öffnen ſich langſam, und in 
dem Augenblick, wo die Lider ganz emporgezogen ſind, 
und die ſich wie ein Feuerrad bewegende Pupille voll zu 
ſehen iſt, tut er den verderblichen Sprung. 

Der Schütze muß auf eins der geöffneten Augen 
zielen und kurz vor dem Beginn des Sprunges ab» 
drücken. Der Löwe tut, durch das Auge in das Gehirn 
getroffen, ſeinen letzten Satz und erhält dabei den zwei⸗ 
ten Schuß, noch während er in der Luft ſchwebt, in das 
Herz. In demſelben Augenblick muß ſich der Jäger weit 


u 


zur Seite werfen, um nicht von den Tatzen des ver⸗ 
endenden Tieres noch ergriffen und verwundet zu werden. 

Ganz entgegengeſetzt dieſer längſt feſtgeſtellten Be⸗ 
obachtung hielt dieſes Tier die Augen geöffnet und 
ſandte einen fo langen, langen Blick herüber, als könne 
es ſich ganz und gar nicht erklären, was für Geſchöpfe 
es vor ſich habe. 

Das wollte Schwarz benutzen. Er richtete den Lauf 
ſeines Gewehres nach dem Kopf des Löwen, um ihm 
einen Schuß in das Licht!) zu geben. Aber da ſchloß das 
Tier die Augen und knurrte grimmig, als ob es die Ab⸗ 
ſicht des Schützen ganz genau kenne. 

Es dauerte eine lange Zeit, bevor es die Lider wie⸗ 
der öffnete, aber nur ganz wenig. Dennoch glühte es 
zwiſchen ihnen in einem Schein hervor, der demjenigen 
einer hellgrünen Papierlaterne glich. 

Die Sterne leuchteten ſo hell hernieder, daß man 
den Löwen ganz deutlich ſah. Er lag hart auf dem 
Boden, den Kopf auf die beiden Vorderpranken geſenkt 
und den langen Schwanz gerade ausgeſtreckt. Schwarz 
ſah ein, daß er mit dem Schuß nun noch warten müſſe, 
bis das Raubtier die Augen weiter öffnete und den Hin⸗ 
terleib erhob, um ſich zum Sprung anzuſchicken. Dieſer 
Meinung ſchien der „Vater der elf Haare“ aber nicht zu 
ſein, denn er raunte ihm zu: „Jetzt iſt die richtige Zeit. 
Schieß nun!“ 

„Nein; noch warten!“ antwortete Schwarz. 

„So ſchieße ich, denn dann iſt es zu ſpät.“ 

„Um Gottes willen noch nicht, weil —“ 

Er konnte nicht weiter reden; ſeine Warnung kam 
zu ſpät, denn zugleich mit ſeinen Worten hatte der Slo⸗ 
wak den Lauf ſeines „Elefantenmörders“ auf den Kopf 


1 Auge. 


— 88 


des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht 
gut gehalten worden. Wer weiß, wann der jetzige Be⸗ 
ſitzer den letzten Schuß daraus abgegeben hatte. Darum 
bewegten ſich die Teile des Schloſſes nur ſchwer. Der 
„Sohn der Blattern“ mußte alle Kraft ſeines Zeigefin⸗ 
gers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der 
Lauf aus der Lage. Der Schuß krachte, und der Kolben 
der hochbejahrten Donnerbüchſe ſchlug dem Kleinen mit 
ſolcher Gewalt gegen den Kopf, daß der Getroffene das 
Gewehr fallen ließ und in feiner ſlowakiſchen Mutter⸗ 
ſprache ausrief: „Jakowa bezotschiwortj! Idi do 
tscherta — welche Unverſchämtheit! Geh zum Henker!” 

Mit der einen Hand den Kopf haltend, ſtieß er mit 
der andern den Elefantentöter weit von ſich fort. Der 
Schlag ſchmerzte ihn ſo, daß er nur an die „Unver⸗ 
ſchämtheit“ des Gewehrs, nicht aber an den Löwen 
dachte. | 

Dieſer war, als der Schuß krachte, aufgefprungen. 
Seine Augen weit öffnend, ſtieß er ein markerſchüttern⸗ 
des Brüllen aus und ſetzte zum Sprung an. Schwarz 
hatte glücklicherweiſe ſeine Geiſtesgegenwart nicht ver⸗ 
loren. Er drückte auf das linke Auge des Löwen ab und 
rief zu gleicher Zeit dem Ungarn zu: „Wirf dich zur 
Seite! Schnell, ſchnell!“ 

Der Genannte folgte dieſem Gebot, indem er ſich 
augenblicklich bis an die Wand des Felſens ſchnellte. Ob 
die Kugel in das Auge gedrungen ſei, konnte Schwarz 
nicht ſehen, denn kaum hatte ſein Schuß gekracht, ſo be⸗ 
fand der Löwe ſich ſchon mitten im Sprung in der Luft. 
Schwarz zielte kaltblütig nach der Gegend des Herzens, 
drückte ab und warf ſich ſofort mit ſolcher Gewalt nach 
links, daß er mit dem halben Körper zwiſchen die dichten 
Büſche hineinflog. | 


Die ungeheure und ſchier unglaubliche Sprung 
kraft des Löwen trug ihn von der Stelle, an der er ge 
legen hatte, genau bis dahin, wo die beiden Schützen ſich 
ſoeben noch befunden hatten. Wären ſie noch da geweſen, 
ſo hätte er ſicherlich beide erfaßt. Jetzt kniete nur noch 
Abu Dihk, der „Vater des Gelächters“, dort. So klein 
die Geſtalt dieſes wackern Händlers, ſo groß war ſeine 
Unerſchockenheit. Auch er hatte keinen Blick von dem 
Löwen gewendet, er ſah ihn ſpringen; er ſah ferner, daß 
das Tier zwei Schritte vorwärts, da wo die Schützen 
gelegen hatten, die Erde berühren werde. Schnell rutſchte 
er nach vorn, ſtemmte ſeinen Spieß von neuem ein, rich⸗ 
tete deſſen Spitze auf den Leib des Löwen und ließ in 
dem Augenblick, als ſie ſich einbohrte, die Lanze los und 
wälzte ſich behend nach links, wo Schwarz lag oder viel⸗ 
mehr gelegen hatte, denn dieſer war ſofort wieder auf⸗ 
geſprungen und hatte das lange Meſſer gezogen, das in 
ſeinem Gürtel ſteckte, um ſein Leben Auge in Auge mit 
dem Raubtier zu verteidigen, falls dieſes nicht zu Tode 
getroffen ſei. | 

Dieſe Vorſicht erwies ſich glücklicherweiſe als über⸗ 
flüſſig. Man hörte das ſcharfe Geräuſch der zerbrechen⸗ 
den Lanze; der Löwe ſchlug auf den Boden nieder, erhob 
ſich ſofort wieder — ein ſichtbares Zittern ging durch 
ſeine mächtigen Glieder — man ſah ihn wanken — er 
wendete ſich nach links, wo Schwarz und Abu Dihk ſich 
befanden, holte zum abermaligen Sprung aus, kam aber 
nicht von der Stelle. Ein kurzes, klagendes und ſchnell 
erſterbendes Gebrüll ausſtoßend, brach er zuſammen, 
legte ſich zur Seite und dann auf den Rücken, zog die 
zuckenden Pranken an den Leib, ſtreckte ſie wieder aus 
und — blieb bewegungslos liegen. 

Das war natürlich alles viel, viel ſchneller ge⸗ 


— 360: — 


ſchehen, als es erzählt werden kann, doch in ſolchen Fäl⸗ 
len werden die Augenblicke zu Sekunden und die Sekun⸗ 
den zu Minuten, und der Geiſt.des Menſchen arbeitet ſo 
raſch, daß zehn Entſchlüſſe ſich in der Zeit folgen, die 
ſonſt ein einziger Gedanke erfordert. 

Die drei mutigen Männer hatten keine Zeit, ſich zu 
überzeugen, ob der Löwe tot ſei. Obgleich ihre Aufmerk⸗ 
ſamkeit zunächſt auf ihn gerichtet geweſen war, hatten ſie 
doch ein zweites Brüllen, das gleich nach dem Krachen 
der Gewehre von fern erſchollen war, nicht überhören 
können. Der Slowak war aufgeſprungen, Abu Dihk 
ebenfalls. Sie lauſchten, ſie vernahmen die Stimme 
eines zweiten Löwen. Dieſe erklang aber nicht in ein⸗ 
zelnen Abſtänden wie diejenige des erſten, ſondern ſie 
ertönte ununterbrochen fort, nicht ſo mächtig, nicht mit 
ſo donnerndem Schall, ſondern in dumpf keuchender 
Wut; es war ein biſſiges, nach Blut lechzendes Stöhnen, 
aus dem von Zeit zu Zeit ein knirſchender Gaumenlaut 
hervorbrach wie eine verderblich züngelnde Flamme aus 
verborgener Glut. Man hörte dieſer Stimme deutlich 
an, daß das Tier ſich in raſchen Sätzen näherte. 

Da dort, wo die drei ſtanden, das Feuer ausgelöſcht 
worden war, ſo befanden ſie ſich im dunklen Schatten 
des Felſens und konnten von den Arabern und Dſche⸗ 
labis nicht geſehen werden und die letzteren wußten alſo 
nicht, welchen Verlauf der Angriff des Löwen genom⸗ 
men hatte. 

„Allah il Allah!“ hörte man die Stimme des 
Schechs. „Aſſad Bei, der Herdenwürger, hat alle drei 
ermordet und liegt nun bei ihren Leichen, um ſie auf⸗ 
zufreſſen. Er hatte ſeine Frau bei ſich, welche die 
Schüſſe hörte und nun herbeigeſtürzt kommt, um ihm zu 
helfen. Sie wird ſich auf uns werfen und uns zerreißen. 


— 61 — 


Eure Leiber ſind verloren, aber rettet eure Seelen, in⸗ 
dem ihr mit mir die Sure Jeſin betet und dann auch die 
Sure der Gläubigen, welche die dreiundzwanzigſte des 
Korans iſt!“ 

„Schweig!“ rief Schwarz ihm zu. „Wir leben, und 
der Löwe iſt tot. Durch dein Geſchrei machſt du ſeine 
Sultana auf dich aufmerkſam, und ſie wird dich faſſen!“ 

„Allah kerihm — Gott iſt gnädig!“ antwortete der 
Feigling. „Ich bin ſtill! Aber ſchießt ſie tot, die Sul⸗ 
tana; ſchießt auch ſie tot, damit ſie mit ihrem Mann da⸗ 
hin fahre, wo die Hölle am ſchrecklichſten iſt!“ 

Obgleich Schwarz dem Schech geantwortet hatte, 
war er bemüht, jeden Augenblick auszunützen. Er zog 
zwei Patronen hervor, um ſeinen Hinterlader wieder 
ſchußfertig zu machen. 

„Es iſt wirklich die Löwin, welche kommt,“ ſagte 
der Slowak. „Ich muß auch wieder laden. Wo habe ich 
nur —“ Er ſuchte in ſeinen Hoſentaſchen nach der Mu⸗ 
nition. 

„Unſinn!“ entgegnete der Deutſche. „Ehe du fertig 
biſt, iſt die Löwin da. Bringt euch in Sicherheit! Abu 
Dihk iſt auch wehrlos, da ſein Spieß zerbrochen iſt. 
Macht euch fort!“ 

„Aber meine Kugel wiegt ein ganzes Viertelpfund, 
während die deinige —” . 

„Fort, fort!“ unterbrach ihn Schwarz. „Sonſt bift 
du verloren!“ 

Er war mit dem Laden fertig und kniete wieder an 
derſelben Stelle nieder, wo er ſich vorher befunden hatte. 
Er ſah ſich nicht nach den beiden um und bemerkte alſo 
nicht, daß ſich nur der „Vater des Gelächters“ zurück⸗ 
zog. Uszkar Iſtvan, zu deutſch Stephan Pudel, aber 
blieb. Er drängte ſich zwei Schritte weit in das Geſtrüpp 


RE 


hinein und lud dort fein Gewehr, was freilich nicht in 
einigen Augenblicken abgemacht werden konnte. Die 
Munition hatte er endlich im Gürtel gefunden, wohin 
ſie vorhin, als er ſich zum Kampf rüſtete, von ihm ge⸗ 
ſteckt worden war. 

Die Stimme der Löwin ertönte jetzt ganz nahe. Das 
ergrimmte Tier blieb auf der Fährte des Löwen, wen⸗ 
dete ſich alſo erſt nach der Seite, wo das Feuer brannte 
und kam dann nach der andern herüber. Dadurch 
gewann der Slowak Zeit, mit ſeiner Donnerbüchſe fer⸗ 
tig zu werden. 

Man hörte jeden Satz den die Löwin machte, nicht 
etwa aus dem Geräuſch, das ihre Pranken auf der Erde 
hervorbrachten, ſondern aus den einzelnen Anſätzen 
ihrer Stimme. Sie bog um das Geſtrüpp; jetzt erſchien 
ſie an deſſen Ecke. Gewiß wäre ſie in ihrer blinden Wut 
weiter⸗ und an Schwarz vorübergeſprungen, wenn die⸗ 
ſer nicht, um ſie auf ſich aufmerkſam zu machen, ſich hoch 
aufgerichtet hätte. Sie ſah ihn, flog, da ſie nicht ſofort 
anzuhalten vermochte, zur Seite gegen den Felſen und 
duckte ſich dort nieder, um den Sprung abzumeſſen. 

Er kniete augenblicklich wieder nieder und richtete 
den Lauf auf ſie. Am Felſen war es dunkler; ihre Ge⸗ 
ſtalt war ſelbſt in den Umriſſen nur ſchwer zu erkennen. 
Die Löwin war vom Zorn aufgeregt, alſo mußte 
Schwarz annehmen, daß ihr Sprung nicht in der vorhin 
bei dem Löwen beſchriebenen Weiſe, ſondern viel ſchnel⸗ 
ler, haſtiger erfolgen werde. Es ſtand nicht zu erwarten, 
daß ſie die Augen langſam öffnen werde. 

Dieſe Vorausſetzung war ſehr richtig, denn kaum 
hatte ſie ſich niedergeduckt, ſo glühten ihre Augen wie 
grüngelb ſchillernde Kugeln auf. Es war ein einziger 
Moment; im nächſten ſprang ſie gewiß. Schwarz mußte 


— 66 — 


abdrücken, ohne mit der nötigen Genauigkeit zielen zu 
können. Sein Schuß blitzte auf — zu gleicher Zeit flog 
die Löwin unter wütendem Gebrüll durch die Luft auf 
ihn zu. Sein zweiter Schuß krachte; dann ließ er das 
Gewehr fallen und warf ſich — nicht wie vorhin zur 
Seite, ſondern ganz richtig berechnend, vorwärts, ſo daß 
er mit eng an den Leib gezogenen Armen und Beinen 
ſich zweimal überkugelte und wohl faſt zwei Meter von 
ſeinem Platz entfernt zu liegen kam. Dort ſprang er 
augenblicklich wieder auf, riß das Meſſer heraus und 
wendete ſich nach dem Tier um. 

Hätte er nicht die Arme und Beine an ſich gezogen, 
ſondern in mehr erhobener Stellung ſeinen Platz ver⸗ 
laſſen, ſo wäre er von der Löwin erfaßt worden. So 
aber befand er ſich jetzt unbeſchädigt hinter ihr. Sie 
mußte das wiſſen; ſie mußte ſich jetzt nach ihm umwen⸗ 
den — ſo dachte er; aber ſie tat es nicht. Ihr Auge war 
auf den vor ihr liegenden Löwen gefallen, ein kurzer 
Sprung, ſie ſtand vor ihm, ſtieß ihn mit der Schnauze 
an, einmal, zweimal, drei⸗, viermal; dann hob ſie den 
Kopf und ſtieß ein Geheul aus, ein langgezogenes, 
wahrhaft haarſträubendes, das — — — durch einen 
Schuß unterbrochen wurde: der „Vater der elf Haare“ 
war behend aus dem Geſtrüpp getreten und hatte, die 
Mündung ſeines Elefantenmörders ganz nahe an ihren 
Kopf haltend, ihr die „ein ganzes Viertelpfund“ wie⸗ 
gende Kugel gegeben. ö 

Wie von einem kräftigen Stoße getroffen, flog die 
Löwin zur Seite, fiel zur Erde, raffte ſich wieder auf 
und wendete den Kopf gegen den neuen Feind. Dieſer 
hatte ſein ſchweres Gewehr ſchnell umgekehrt und ar⸗ 
beitete, es beim Laufe haltend, nun mit dem eiſenbe⸗ 
ſchlagenen Kolben auf den Schädel des Tieres los, in⸗ 


— 64 — 


dem er dabei ſchrie: „Allah rhinalek, Allah iharkilik, ia 
afrid el afrid! Ehſch khalak, ia kelb, ia kelbe, ia omm el 
kilab — Gott verfluche dich, Gott verbrenne dich, du 
Teufel aller Teufel! Wie befindeſt du dich, du Hund, du 
Hündin, du Mutter der Hunde?“ 

Seine Verwegenheit wäre ihm wohl ſchlecht bekom⸗ 
men, wenn ihm die Kugel nicht vorgearbeitet hätte. Das 
Tier war auf den Tod getroffen; es hatte keine Kruft 
mehr zur Gegenwehr und brach unter ſeinen Schlägen 
zuſammen. „Da liegt ſie!“ rief er triumphierend aus. 
„Hier zu meinen Füßen liegt ſie. Ich habe ſie erſchlagen 
wie eine Katze. Sie hat nicht den Mut gehabt, mir ihre 
Zähne und Krallen zu zeigen. Komm her und ſchau 
ſie an!“ | 

Er beugte ſich zu ihr nieder, um fie anzufaſſen, doch 
Schwarz zog ihn zurück und ſagte: „Sei vorſichtig! So 
ein Tier hat ein zähes Leben, und noch wiſſen wir nicht, 
ob ſie wirklich tot iſt. Wir wollen ſicher gehen.“ 

Er lud ſein Gewehr und gab dem Löwen und der 
Löwin noch je eine Kugel vor die Stirn. Die letztere 
zuckte noch einmal zuſammen; ſie war alſo doch noch 
nicht ganz tot geweſen. 

Die beiden hatten laut geſprochen, waren alſo von 
den andern gehört worden. Jetzt fragte Abu Dihk, indem 
er ſich langſam näherte: „Habt ihr geſiegt? Darf man 
kommen?“ 

„Ja,“ antwortete der Slowak, „wir haben geſiegt. 
Ihr könnt kommen, unſre Heldentat zu preiſen, denn der 
Würger der Herden iſt hinübergegangen in das Land des 
Todes und ſeine Frau mit ihm. Sie ſind durchbohrt wor⸗ 
den von den Kugeln und niedergeſchlagen von dem Kol⸗ 
ben meines glorreichen Katil elfil, dem niemand wider⸗ 
ſtehen kann.“ 


— 65 — 


Abu Dihk kam herbei und ergriff erſt den Löwen, 
dann die Löwin bei den Pranken, um ſie hin und her zu 
zerren und ſich von ihrem Tode zu überzeugen. 

„Sieh, wie ſie es ſich gefallen laſſen!“ ſagte der 
kleine Stephan ſtolz, indem er ſich ſeine „elf“ Barthaare 
ſtrich. „Nachdem wir mit dieſen Löwen durch unſre 
Kugeln geſprochen haben, kannſt du mit ihnen wie mit 
jungen Katzen ſpielen.“ 

„Hadſchi Ali hat auch mitgeſprochen,“ erinnerte ihn 
Schwarz. „Der Tapfere hat bei uns gekniet und den 
Löwen mit dem Spieß empfangen. Wir werden bald er⸗ 
fahren, wer von uns dreien ihm und ihr den Tod ge⸗ 
bracht hat; demjenigen, der ein Tier erlegt, gehört das 
Fell. Jetzt holt einen Brand herbei, damit wir das 
Feuer wieder anbrennen.“ 

Obgleich die Araber und Dſchelabi jedes Wort hör⸗ 
ten, getrauten ſie ſich doch noch nicht herbei. Als die bei⸗ 
den Kleinen zu ihnen kamen, um Brände zu holen, kro⸗ 
chen die Zaghaften hinter den Gepäckſtücken hervor, und 
der Schech fragte: „Ihr lebt? Ihr ſeid nicht von dem 
Herrn mit dem dicken Kopfe verſchlungen worden und 
auch nicht von ſeiner Frau?“ 

„Das fragſt du noch!“ antwortete Stephan. „Ich 
laſſe mich weder von einem Herrn noch von einer Frau 
verſchlingen. Merke dir das! Und ſelbſt wenn der leib⸗ 
hafte Schetan?) käme, um mich zu freſſen, fo fragt es ſich 
ſehr, wer in dem Magen verſchwände, er in den meini⸗ 
gen oder ich in dem ſeinigen. Kommt und ſeht euch das 
glorreiche Werk an, das wir vollbracht haben, ohne daß 
der Herdenwürger und feine Goze el afjad”) es gewagt 
haben, uns ein Haar zu krümmen!“ 

Sie folgten dieſer Aufforderung, aber nicht allzu 


) Teufel. — ) Gattin des Wwen. 
May, Die HAavenkaratdaus. 5 


— 66 — 


eilig. Als ſie ſich ſo weit genähert hatten, daß ſie die 
Körper der erlegten Raubtiere liegen ſahen, blieben ſie 
ſtehen. Erſt als das Feuer wieder brannte und ſie ſahen, 
daß die Tiere von den drei glücklichen Jägern hin und 
her gewendet wurden, gingen ſie ganz heran. 

Nun endlich, da ſie vollſtändig überzeugt ſein muß⸗ 
ten, daß nicht die geringſte Gefahr mehr vorhanden ſei, 
wich ihre Furcht. Sie bildeten einen Kreis um die bei⸗ 
den Tiere und der Schech erhob, die andern zum Schwei⸗ 
gen auffordernd, ſeine Arme. 

„Allah il Allah we Muhammed raſſuhl Allah!“ 
ſagte er in würdevollem Ton. „Er hat Himmel und 
Erde geſchaffen, die Pflanzen und die Tiere und zuletzt 
den Menſchen. Und als alles geſchaffen war, ſchuf er 
noch den Moslem, damit er Herr über alles Erſchaffene 
ſei. Ihm ſind ſelbſt die gewaltigſten Tiere untertan, und 
wenn ſie ihm nicht gehorchen, ſo tötet er ſie mit ſtarker 
Hand. Dieſer Mörder der Pferde, Kamele, Rinder und 
Schafe, der hier vor uns liegt, hatte Hunger. Anſtatt 
ſich mit dem Fleiſch eines unreinen Halluff!) oder 
Wawi') zu begnügen, hatte er die Verwegenheit, uns, 
die Lieblinge des Propheten, der das Paradies regiert, 
freſſen zu wollen. Er hatte ſein Weib mitgebracht und 
beide lechzten nach unſerm Blut. Sie freuten ſich auf 
unſer Fleiſch und auf den Wohlgeſchmack unſrer Kno⸗ 
chen. Sie wollten uns verzehren ohne Chall und Zet), 
ohne Zibd und Bahahr)), ganz fo, wie der Racham)) eine 
gefallene Dibb°) verſchlingt. Aber Allah war in unſrer 
Nähe. Wir beteten die heilige Fathha und die Sure 
Jeſin, deren Worte den Gläubigen in der Gefahr be⸗ 
ſchützen. Da kam der Mut der Helden und die Kraft des 


) Dilbſchwein. — ) Schakal. — 9 Eſſig und Del. — ) Butter und 
Cel. — 9) Hasgeler, — ) Hyäne. 


— 67 — 


Sieges über uns. Wir griffen zu den Waffen und ſand⸗ 
ten den menſchenfreſſenden Teufel und ſeine Teufelin in 
die Hölle, wo ſie nun am ewigen Feuer braten und kein 
Menſch fie eſſen mag. Wir triumphieren, und unſre Kin⸗ 
deskinder nebſt deren Enkeln und Urenkeln werden uns 
preiſen. In allen Städten und Dörfern wird man von 
uns erzählen, und die Muſikadſchi werden dazu die Pau⸗ 
ken ſchlagen und auf allen Saiten ſpielen. Wir aber 
wollen jetzt unſern Sieg genießen und den Erſchlagenen 
die Felle abziehen. Vorher jedoch müſſen wir ihnen zei⸗ 
gen, wie ſehr wir ſie verachten, und daß ſie Schmutz und 
Würmer ſind gegen uns, die ſtarken Helden, welche nie⸗ 
mals Furcht gekannt haben!“ 

Er trat erſt zum Löwen und dann zur Löwin, um 
beide anzuſpucken. Kaum hatte er dieſes Zeichen ge⸗ 
geben, ſo folgten die Homr und Dſchelabi ſeinem Bei⸗ 
ſpiel. Die Tiere wurden mit Fäuſten geſchlagen, mit den 
Füßen getreten und mit allen möglichen Schimpfworten 
bedacht. 

Dies dauerte wohl eine Viertelſtunde lang, wobei 
die Leute ſich wie verrückt gebärdeten. Dann zog der 
Schech ſein Meſſer und ſagte: „Jetzt haben ſie gefühlt 
und auch gehört, wie verächtlich ſie uns ſind. Nun wol⸗ 
len wir ihnen die Kleider nehmen, um uns damit zu 
ſchmücken. Dem Sieger gehört das Fell des Beſiegten. 
Wenn wir dann heimkehren zu den Zelten der Homr, 
werden die Männer uns beneiden und die Frauen uns 
mit Lobgeſängen empfangen.“ 

Die andern Araber zogen auch ihre Meſſer. 

„Halt!“ gebot Schwarz. „Wir werden dieſen Tieren 
die Felle allerdings nicht laſſen; aber wer ſoll ſie be⸗ 
kommen?“ 

„Die Sieger!” antwortete der Schech. 


— 686 — 


„Und wer iſt das?“ 

„Wir alle ſind es.“ 

„Ah, ſo! So ſollen die Felle in vierzehn Stücke zer⸗ 
ſchnitten werden?“ 

„Nein, denn was wären ſie dann wert? Aber du 
weißt, daß ich der Schech bin! Der Schech hat die Felle 
zu bekommen.“ 

„Und vorhin ſagteſt du, daß ſie dem Sieger gehören?“ 

„Ja. Wenn aber mehrere Sieger vorhanden ſind, 
ſo bekommt es der vornehmſte. Der bin ich und die 
Felle dürfen ja nicht zerſchnitten werden.“ 

„Sonderbar! Du biſt alſo auch ein Sieger?“ 

„Natürlich! Oder war ich etwa nicht auch zugegen?“ 

„Und ſogar der vornehmſte der Sieger biſt du? Da 
irrſt du außerordentlich, du weißt doch, was ich bin?“ 

„Ja, ein Effendi.“ Er ſagte das in ziemlich weg⸗ 
werfendem Ton. 

„Der Effendi gibt es ſehr verſchiedene,“ erklärte 
Schwarz. „Es ſtehen Hunderte von Effendis unter mir, 
deren niedrigſter weit mehr iſt und weit mehr weiß, als 
du weißt und biſt. Der vornehmſte der Sieger bin alſo 
ich! Und übrigens haſt du nicht das geringſte Recht, dich 
Sieger zu nennen. Von deinem Mut und deinen Taten 
wird niemand ſingen und erzählen. Du ſchimpfteſt dieſe 
Tiere, aber als du noch ihre Stimme hörteſt, wollteſt du 
fliehen.“ 

„Effendi, willſt du mich beleidigen?“ 

„Nein; ich will dich nur vor Ueberhebung warnen. 
Es ſind nur drei, denen dieſe Löwen gehören, die drei, 
welche gekämpft haben, nämlich ich, Hadſchi Ali und Ibn 
el dſchidri. Kein andrer hat etwas mit den Siegeszeichen 
zu ſchaffen.“ 

„Das dürfen wir andern nicht zugeben. Magſt du 


ein Effendi aller Effendis fein, du biſt doch nur ein 
Siaur, der kein Recht unter uns beſitzt. Wir find Mos⸗ 
lemin und nehmen die Felle. Und weigerſt du dich, 
ff — — —“ Er hielt inne. 

„So — — — nun, was wird dann?“ 

„So werden wir dich zwingen!“ antwortete der 
Schech drohend, indem er eine Bewegung mit der Hand 
machte, in der er das Meſſer noch hielt. 

Da trat Schwarz nahe an ihn heran, legte ihm die 
Hand auf die Achſel und ſagte: „Ihr habt euch vor dem 
Löwen verſteckt, und wir haben ihn beſiegt. Meinſt du 
wirklich, daß wir uns vor euch fürchten, die Angſt vor 
dem hatten, den wir erlegten? Wenn ihr nicht augen⸗ 
blicklich die Meſſer einſteckt, ſo ſchieße ich euch ſofort 
nieder!“ 

Er zog einen Revolver hervor, und in demſelben 
Augenblick verſchwanden alle Meſſer. 

„Und noch etwas will ich dir ſagen,“ fuhr er fort; 
„du hältſt deine Religion für die richtige und ich die 
meinige. Jeder hat das Recht und ſogar die Pflicht, dies 
zu tun; darum verſuche ich es nicht, deine Meinung zu 
bekämpfen, am allerwenigſten aber werde ich dich ihret⸗ 
wegen ſchmähen. Dasſelbe kann und muß ich auch von 
dir verlangen. Nennſt du mich noch einmal einen Giaur, 
ſo beantworte ich dieſe Beleidigung damit, daß ich dir 
meine Kamelpeitſche über das Geſicht ziehe und du die 
Narbe dann zeitlebens zu deiner Schande zu tragen haſt! 
Verlaſſe dich darauf; ich halte mein Wort!“ 

Einem Beduinen Schläge anzubieten, iſt die denk⸗ 
bar größte Beleidigung. Der Schech fuhr zurück; ſeine 
Leute murrten. „Effendi,“ rief er, „weißt du, was du 
fait?“ 

„Ja, ich weiß es, und was ich fage, das tue ich auch. 


— 70 — 


Du nannteft mich Giaur, und ich drohte dir dafür mit 
der Peitſche. Wir ſind alſo wett. Sorge nun dafür, daß 
die Rechnung nicht wieder von neuem beginnt, und 
wage es nicht, dieſe Löwen, an denen du keinen Anteil 
haſt, wieder anzurühren! Wir werden ſie hinüber zu 
unſern Feuern ſchaffen; ihr mögt hier bei dem eurigen 
bleiben, wie es vorher geweſen iſt, ehe euch die Angſt 
davon verſcheuchte.“ 

| Mußte ſchon die hohe, breite Figur des Deutſchen 
den ſchmächtigen Arabern Achtung einflößen, ſo gab ſein 
Auftreten ihnen überdies zu erkennen, daß er ihnen nicht 
nur körperlich überlegen ſei. Keiner von ihnen wagte, 
noch ein Wort zu ſagen. Sie zogen ſich zurück, bis der 
Platz am Feuer frei war; dann ſetzten ſie ſich hier nie⸗ 
der. Was ſie dort leiſe ſprachen, hörten die andern nicht; 
aber die Blicke, die ſie nach dem zweiten Lagerplatz war⸗ 
fen, ließen Böſes vermuten. 

Die acht Dſchelabi, die ſich zu Schwarz hielten, 
mußten alle ihre Kräfte anſtrengen, die beiden Löwen 
die kurze Strecke hinüberzuſchleifen. Dort wurden den 
Tieren die Häute abgezogen. Während dieſer Arbeit und 
dann, als die Wunden genau unterſucht wurden, ſtellte 
es ſich heraus, welche tödlich geweſen war. 

Die erſte Kugel des Deutſchen war dem Löwen 
durch das Auge in das Gehirn gedrungen; die zweite 
hatte ihren Lauf nahe am Herzen vorüber genommen. 
Dieſe letztere hätte den fpätern Tod des Tieres zur Folge 
gehabt, während die erſte ſchnell und abſolut tödlich ge⸗ 
weſen ſein mußte. Das Fell gehörte alſo Schwarz. 

Nun kam aber der Umſtand, daß der Löwe ſich die 
Lanze ſo tief in den Leib geſtoßen hatte, daß ſeine Spitze 
am Rückgrat ſteckte. Der Schaft war einige Zoll unter 
der Haut abgebrochen. Auch dieſe Wunde hätte den Tod 


— 71 — 


herbeiführen müſſen. Schwarz hatte das Vorrecht auf die 
Beute, weil ſeine Kugeln eher als die Lanze in den Leib 
des Löwen gedrungen waren, aber der brave „Vater des 
Gelächters“ war gewiß auch einer Belohnung wert. 

Was die Löwin betrifft, ſo war ihr die erſte Kugel 
in das Gebiß gegangen, durch die Zunge und ſeitwärts 
oberhalb des erſten Halswirbels durch das Hinterhaupt⸗ 
bein gedrungen. Dieſe Wunde war tödlich, wenn auch 
nicht ſofort. Die zweite Kugel hatte die Lunge durch 
bohrt und ſich an einem der letzten Bruſtwirbel platt 
geſchlagen. Nach dieſen beiden Schüſſen hätte das Tier 
nicht mehr fünf Minuten zu leben vermocht. Die „vier⸗ 
telpfündige“ Kugel des „Vaters der elf Haare“ war 
durch das Gehirn gegangen und hatte die fünf Minuten 
bis auf eine abgekürzt. Auch dieſes Fell gehörte eigent⸗ 
lich dem Deutſchen. 

Hadſchi Ali und Stephan Pudel gaben das zu, aber 
mit ſichtbarem Bedauern. Sie hätten gar zu gern auch 
Teil an den Fellen genommen. Darum ſagte Schwarz: 
„Jedes der Tiere hat drei Wunden, zwei von mir und 
eine von euch. Nehmen wir alſo an, daß zwei Drittel 
von jedem Felle mir gehören, ſo würde das eine ſchlimme 
Teilung ergeben. Ich will deshalb meine Anſprüche er⸗ 
mäßigen und mir die Hälfte nehmen: Der Löwe iſt für 
mich und die Löwin für euch. So bekommt jeder von 
euch ein halbes Fell, alſo mehr, als er eigentlich zu for⸗ 
dern hat, und die Teilung iſt bequem, wenn ihr die Haut 
quer oder lang in zwei Teile ſchneidet. Seid ihr zu⸗ 
frieden?“ 

„Sehr gern,“ antwortete der Slowak. „Ich nehme 
den Kopf und Hadſchi Ali erhält den Schwanz.“ 

„Den mag ich nicht,“ erklärte dieſer. „Warum willſt 
du den Kopf?“ 


— 72 — 


„Weil ich in den Kopf geſchoſſen habe.“ 

„Allah! Habe ich den Löwen etwa in den Schwanz 
geſtochen? Wir ſchneiden das Fell lang durch, ſo be⸗ 
kommt jeder einen halben Kopf und einen halben 
Schwanz.“ 

Das wollte Stephan nicht zugeben. Sie ſtritten ſich 
hin und her, bis Schwarz fragte: „Was wollt ihr denn 
mit den Fellen machen?“ 

„Ich kleide mich in meine Hälfte,“ erklärte der 
„Vater des Gelächters“. 
| „Ich in die meinige Sun: antwortete der Sohn 

der Blattern. 

„So dürft ihr nicht nach 865 Länge teilen, weil die 
Hälften dann unbequem zu tragen wären. Schneidet 
quer, und dann mag das Los entſcheiden, wer die vor 
dere und wer die hintere Löwin erhält.“ 

Dieſer Vorſchlag wurde angenommen, und das Fell 
ſofort zerſchnitten. Das Los zeigte ſich dem Slowaken 
günſtig; er erhielt die Kopfhälfte. „Das iſt gut,“ lachte 
er fröhlich. „Ich habe, was ich wollte. Du biſt nun 
nicht mehr bloß der Vater des Gelächters', ſondern wir 
werden dich von nun an auch ‚Abu ed daneb, Vater des 
Schwanzes', nennen!“ 

Hadſchi Ali wollte ein bitterböſes Geſicht machen, 
was die Folge hatte, daß er wie toll zu lachen ſchien. Er 
breitete ſeine hintere Hälfte aus und zog das Meſſer, um 
die Fleiſchteile abzuſchaben und die Innenſeite mit Aſche 
einzureiben. Dabei antwortete er: „Und dich können 
wir Abu el buz, Vater des Maules heißen, denn du haft 
das Maul erhalten, obgleich das deinige bereits ſo groß 
iſt, daß du es gar nicht zu ſchließen vermagſt und es nur 
immer offen haſt, um andre zu beleidigen. Hätteſt du ſo 
viele Völker, Länder und Dörfer im Kopf wie ich, ſo be⸗ 


— 73 — 


ſäßeſt du mehr Bildung und könnteſt Abu l latif, Vater 
der Höflichkeit“ genannt werden, was du aber niemals 
erreichen wirſt.“ 

„Du weißt, daß ich weder deine Völker noch deine 
Dörfer haben mag, weil ich gern einen hellen Kopf 
beſitze.“ 

„Iſt's in dem meinigen etwa finſter?“ 

„Ja, weil es in deinen Ländern und Dörfern keine 
Straßenlaternen gibt. Meine Wiſſenſchaft dagegen iſt 
das reinſte Licht. Schon mein Latein allein könnte dich 
zum gelehrten Mann machen, ohne die andern Wiſſen⸗ 
ſchaften, mit denen Allah mich erleuchtet hat. Aber zu 
einem ſolchen Glanz bringſt du es im ganzen Leben 
nicht.“ 

„Ich kenne alle Dörfer der Welt, aber nicht ein 
einziges, das Latein heißt.“ 

„O Allah! Latein fol ein Dorf fein! Weißt du 
denn nicht, daß das eine Sprache iſt, die jenſeits des 
Meeres — — —' 

„Verſtehen Sie denn wirklich ſo gut Latein?“ fiel 
Schwarz, um den ausbrechenden Zwiſt zurückzuhalten, 
in deutſcher Sprache ein. 

„Serr ausgezeichnet,“ antwortete der Slowak 
ſchnell in derſelben Sprache. „Ich hab es gelernt von 
Herrr Wagner. Und Sie haben es gehörte ſchon von 
mirr. Ich hab geſagte doch Fauna und Flora!“ 

„Aber verkehrt!“ 

„Das iſt geſchehnte aus einerr kleinen Verſehenheit. 
Ich hab' verſtehnte ſogarrr die ganze Zoologie und Bo⸗ 
tanik.“ 

„Nun, was iſt Zoologie?“ 

„Zoologie iſt alles, was ſeinte in Herbarium.“ 

„Und Botanik?“ | 


— 74 — 


„Botanik ſeinte alles vom Geſchöpf menſchliches und 
Affen, tierlichen, bis herrrab zurrr Raupe, inſektliche.“ 

„Abermals umgekehrt! Zoologie iſt Tier⸗, und Bo⸗ 
tanik iſt Pflanzenkunde.“ 

„Iſt abermals nur aus einerrr kleinen Verwechs⸗ 
telung von Wiſſenſchaft meiniger. Jedermann hat ge⸗ 
wüßten, daß Latein ungariſches iſt das vortreffenſtliche 
von derrr ganze Welt. Ich hab ſtudiumtierte der 
Horrraz und der Virgill.“ 

„Was zum Beiſpiel?“ 

„Kaiſerrr Max öſterreichiſcher an der Martins 
wand von Virgill.“ | 

„Dieſes Gedicht ift, glaube ich, nicht von dem 
Römer Virgil, ſondern von Anaſtaſius Grün.“ 

„So hab ich aberrrmals mich nur verſehnte aus 
Wiſſenſchaft meiniger, gründlicher. Ich hab lernen die 
Aſtronomie und Mathematigkeit und viel noch mehr.“ 

„Wie? Auch die Aſtronomie? Was verſteht man 
darunter?“ | 

„Das Einmaleins und Quadrat viereckiges.“ 

„Und unter Mathematik?“ 

„Die milchige Straße am Himmel und der Komet, 
um den Mond laufte.“ 

„Wieder verwechſelt. Die Mathematik handelt 
unter anderm auch vom Viereck und die Aſtronomie von 
der Milchſtraße.“ 

„So hab' ich nur vertauſchte Milch himmliſche, mit 
Einmaleins, auswendiges.“ | 

„Sie ſcheinen immer zu vertauſchen und zu ver⸗ 
wechſeln?“ 

„Das kann verzeihen wernte. Profeſſor, zerſtreuen⸗ 
der, hat auch genommte Beſen anſtatt Regenſchirm. 
Warum ſoll Gedächtnis meiniges ſich mehr angeſtrengte 


5 
als Aufmerkſamte ſeinige? Kenntniſſe, die ich habe, ſind 
fo viel und groß, daß Verwechstelung, zufällige, einmal 
vorkommen kann.“ 

„Ja, dieſe Kenntniſſe ſind um ſo erſtaunlicher, als 
ich annehmen möchte, daß Sie keine höhere Schule be⸗ 
ſucht haben.“ 

„Nein. Ich war nie der in Schule Geweſente. Ich 
hütete Schafe und Schweine, Vaterige, und hatte nicht 
Zeit gefinte, in Schule zu gehente. Aber ich hatte ge⸗ 
ſchenkte bekommen eine Tafel, ſchieferige, und einen 
Stift, ſchieferigen, und zuweilen kam der Sohn, nach⸗ 
bariger, um mir zu zeigen, wie wird geleſen und ge⸗ 
ſchreibt. Dann hab' ich geborgt von allen Leuten Kalen⸗ 
der, unbrauchbare, und habe ſtudiumtierte fleißig wei⸗ 
ter. Später bin ich wanderte aus liebe Heimat meiniger 
und habe beſuchte Leihbibliothek überall, wohin ich 
kommte. Auch habe ich ſuchte Bekanntſchaftlichkeit von 
Männern geſcheite, um nach und nach zu bekommen 
Kenntniſſe diejenigente, die verleihen Bildung und alle 
Gelehrſamtekeitigen.“ 

„Hm. Sehr ſchön von Ihnen! Aber wollen Sie ſich 
jetzt Ihr halbes Löwenfell nicht auch ſo präparieren, wie 
der Vater des Gelächters' es mit dem ſeinigen tut? Es 
iſt das notwendig, wenn es nicht verderben ſoll.“ 

„Ja, ich werde Fell auch ſchabte ab von Fleiſch und 
reibte ein mit Aſche. Fell Ihriges iſt auch ſchon in 
Arbeit.“ 

Dieſe letzteren Worte bezogen ſich auf die Dſchelabi, 
die aus Dankbarkeit dafür, daß Schwarz ſie von dem 
Löwen errettet hatte, die Löwenhaut in der angegebenen 
Weiſe bearbeiteten, um ſie für die eigentliche, ſpätere 
Präparation vorzubereiten. 


Viertes Kapitel, 
Abu el Mot. 


. Während diefer Arbeit erzählten ſich die Dſchelabi 
allerlei haarſträubende Geſchichten, in denen natürlich 
der Löwe die Hauptrolle ſpielte. Schwarz hörte eifrig 
zu. Dieſe Geſchichten waren, obgleich die Erzähler ſelbſt 
an fie glaubten, nur Märchen, aber der Volkscharakter 
ſprach ſich anſchaulich darin aus. Dies hielt ihn jedoch 
nicht ab, ſeine Aufmerkſamkeit zu gleicher Zeit auch auf 
die Homr⸗Araber zu richten, die ſich auch ſehr eifrig, doch 
mit leiſer Stimme unterhielten. 

Er wußte, daß jeder Beduine ein geborener Räuber 
iſt, ferner daß er durch ſein kräftiges Auftreten gegen den 
Schech ſich die Feindſchaft dieſer Leute zugezogen hatte, 
und konnte endlich den Gedanken an die Hedj nicht los 
werden, die er hinter ſich hatte fliegen ſehen. Selbſt der 
Schech hatte zugeben müſſen, daß dieſe Vögel ein ſichres 
Zeichen von der Anweſenheit einer Karawane ſeien. Wo 
befand ſich nun dieſe? Sie hätte ſchon längſt hier an der 
Quelle eingetroffen ſein müſſen. Warum kam ſie nicht 
heran, ſondern hielt fern davon Raſt? Etwa weil die 
zu ihr gehörigen Leute die „Quelle des Löwen“ nicht 
kannten? Dies war nicht anzunehmen. Und ſelbſt wenn 
es der Fall geweſen wäre, ſo hätten die Kamele ſich ge⸗ 
weigert, ſich niederzulegen. Dieſe Ticre riechen das 


— 77 — 


Waſſer oder vielmehr die Feuchtigkeit, die eine einſame 
Quelle in der Luft verbreitet, aus ſtundenweiter Ent⸗ 
fernung. Sie ſind dann nicht anzuhalten und eilen im 
Galopp, welche Gangart ihnen ſonſt ſtreng verboten iſt, 
auf den Brunnen zu. Es war anzunehmen, daß die 
Männer, aus denen die Karawane beſtand, ihre Tiere 
mit Anwendung von Gewalt zurückgehalten hatten. Und 
warum? Doch nur, weil ſie nichts Gutes beabſichtigten. 
Der Schluß, daß dieſe Karawane eine Gum ſei, lag ſehr 
nahe. 

Man unterſcheidet närnlich mehrere Arten von Ka⸗ 
rawanen. Das Wort laatet eigentlich Karwahn oder 
Kerwahn und bedeutet einen Wanderzug im allgemei⸗ 
nen. Eine Pilgerkarawane im beſondern, alſo ein Zug 
von Leuten, die entweder in Mekka, Medina oder Jeru⸗ 
alem anbeten wollen, heißt Hadſch. Eine Handelskara⸗ 
wane wird Kaffila, in gewiſſen Gegenden auch Dſche⸗ 
laba genannt, daher Dſchelab, der Händler. Eine Kara⸗ 
wane aber, deren Teilnehmer auf Raub ausgehen, heißt 
Gum. Raubzüge ſind nichts Seltenes, und es kommt 
auch vor, daß eine Kaffila oder auch gar eine Hadſch ſich 
gelegentlich in eine Gum verwandelt, um nach voll⸗ 
endetem Raub wieder ein friedlicher Handels⸗ oder Pil⸗ 
gerzug zu werden. 

Eine ganz beſondere Art der Gum iſt die Ghaſuah, 
in der Mehrzahl Ghaſauaht lautend, die den beſonderen 
Zweck des Menſchenraubes hat. Sie kommt nicht in der 
eigentlichen Wüſte vor, ſondern in ihren ſüdlichen Grenz⸗ 
ländern, deren Bevölkerung aus Negern beſteht, welche 
man raubt, um fie als Sklaven zu verkaufen. Werden 
dieſe Raubzüge zu Waſſer unternommen, ſo heißen ſie 
Bahara, d. i. Flußreiſen. Dieſe letzteren kommen beſon⸗ 
ders am oberen Nil vor, deſſen beide Hauptarme ſich 


— 786 — 


in ſo viele Nebenarme verzweigen, daß beſonders wäh⸗ 
rend des Charif) und einige Zeit darnach die Gegend 
nur mittels Schiffs bereiſt werden kann. N 

Alſo Schwarz hielt die Karawane, die er in der 
Nähe vermuten mußte, für eine Gum. Es war alſo alle 
Veranlaſſung zur Vorſicht und Wachſamkeit vorhanden, 
zumal er Grund hatte, anzunehmen, daß die Homr⸗ 
Araber ſich mit den Räubern im Einverſtändnis befan⸗ 
den. Es war zunächſt nichts zu tun, als die Araber zu 
beobachten und die Dſchelabi von der auch ihnen drohen⸗ 
den Gefahr zu benachrichtigen. Er tat dies, indem er 
während einer Pauſe, die in der Unterhaltung der Leute 
eingetreten war, den „Vater der elf Haare“ fragte: „Ihr 
ſeid durch das Land der Baggara gekommen. Waren 
dieſe Leute friedlich geſinnt?“ 

„Ja,“ antwortete der Slowak. „Es gibt keinen 
Stamm, der uns Dſchelabi feindlich behandelt. Man 
braucht uns ja überall, da wir allein es ſind, die den 
Leuten bringen, was ſie brauchen. Darum ſind wir 
überall willkommen und werden von jedem als Freunde 
behandelt.“ 

„Und doch habe ich gehört, daß auch Dſchelabi an⸗ 
gefallen und ausgeraubt worden ſind.“ ö 

„Das iſt eine ſehr ſeltene Ausnahme und geſchieht 
nur von ſolchen Stämmen, mit denen man nicht ver⸗ 
kehrt. Wir ſind auch ſtets ſo vorſichtig, uns überall ge⸗ 
nau zu erkundigen, ob vielleicht eine Gum ſich unter⸗ 
wegs befindet oder gar geſehen worden iſt.“ 

„Nun, habt ihr vielleicht in letzter Zeit ſo etwas er⸗ 


fahren?“ 


„Nein. Die Baggara ſind augenblicklich alle daheim, 


Y) Jährliche Regenzeit. 


— 79 — 


und mit den Schilluk, in deren Land wir uns jetzt be⸗ 
finden, leben wir in Freundſchaft.“ 

„Kommt ihr auch zu den Homr⸗Arabern?“ 

„Nein. Ihre Dörfer liegen uns zu weit entfernt.“ 

„So würdet ihr euch unter Umſtänden vor ihnen 
wohl nicht ganz ſicher fühlen?“ 

„Wir würden ihnen, wenn es ſich tun ließe, aus 
dem Weg gehen. Heute, da wir ihnen und dir begeg⸗ 
neten, war dies nicht gut möglich. Sie ſind allerdings 
nicht freundlich mit uns geweſen, aber wir haben nichts 
von ihnen zu befürchten, denn wir ſtehen doch wohl unter 
deinem Schutz?“ 

„Gewiß. Aber wird dieſer Schutz im gegebenen 
Falle ſich bewähren?“ 

„Jedenfalls, da ſie dich begleiten und alſo deine 
Freunde ſind. Der Araber iſt ſtets der Freund der 
Freunde ſeines Freundes.“ 

„Haſt du denn nicht geſehen und gehört, daß ſie ſich 
nicht ſehr freundlich zu mir benahmen?“ 

„Ich habe das bemerkt, aber das tut ja nichts. Sie 
haben dir ihr Wort gegeben, dich ſicher nach Faſchodah 
zu bringen, und müſſen es halten.“ 

„Und dennoch traue ich ihnen nicht! Sie haben mir 
das Verſprechen gegeben, mich und meine Sachen auf 
ihren Kamelen zu transportieren. Ich dagegen ver⸗ 
ſprach ihnen, ſie in Faſchodah dafür zu bezahlen. Das 
iſt alles.“ 

„Wie? So iſt nicht ausdrücklich 1 wor⸗ 
den, daß ſie dich unter Umſtänden ſogar mit ihrem 
Leben zu beſchützen haben?“ Du haſt nicht die Formel 
Dalikah ia Schech“) mit ihnen gewechſelt?“ 

„Nein. Ich wollte es, aber fie behaupteten, daz 


) Ich bin der Beſchütte, Hern l“ 


— 80 — 


dies bei ihnen nicht gebräuchlich und übrigens auch gar 
nicht nötig ſei.“ 

„Dann darfſt du ihnen allerdings nicht trauen, und 
auch wir ſind nicht ſicher. Die Formel hätte ſie gezwun⸗ 
gen, nicht nur ehrlich gegen dich zu ſein, ſondern dich 
auch nötigenfalls gegen alle Feinde zu verteidigen. So 
aber haben ſie keine Verpflichtung gegen dich, und nach 
ihren Regeln und Begriffen können ſie dich ausrauben 
und töten, ohne die geringſte Schuld auf ſich zu laden. 
Daß ſie dir die Formel verweigert haben, iſt faſt ein 
ſicheres Zeichen, daß ſie Böſes beabſichtigen. Daß ſie es 
noch nicht ausgeführt haben, darf dich nicht ſicher machen, 
ſondern muß dich vielmehr für heute zur doppelten Vor⸗ 
ſicht auffordern. Heute iſt der letzte Abend. Morgen 
würdeſt du Faſchodah erreichen, wo ſie dir nichts mehr 
anhaben können. Vielleicht iſt meine Befürchtung ohne 
Grund; aber ich rate dir, anzunehmen, daß dir heute 
eine große Gefahr droht, dir und alſo auch uns. Ich 
werde nicht ſchlafen und ſofort meinen Elefantenmörder 
wieder laden, was ich unterließ, da ich nicht wußte, daß 
unſre Sicherheit bedroht iſt.“ 

Er griff auch wirklich nach dem gewaltigen Katil 
elfil und nach dem Pulverhorn. Der „Vater des Ge⸗ 
lächters“ zeigte, daß er ganz der Anſicht ſeines Kollegen 
ſei, denn er ſagte: „Meine Harbit) iſt leider am Bauch 
des Löwen zerbrochen, aber ich werde mich mit den 
Armen und Händen wehren. Dieſe Väter und Söhne 
des Raubes ſollen weder mein Leben, noch meinen Eſel, 
noch meine Waren bekommen. Ich erwürge ſie einzeln, 
einen nach dem andern. Ich kenne die Homr. Sie haben 
die Worte des Koran auf den Lippen. Sie verſäumen 
weder das Abrik') noch die vorgeſchriebenen Salawaht), 


) Lanze. — 9) Daſchung. — ) Gebete, 


— 81 — 


aber ſie ſind Diebe, und der Verrat iſt bei ihnen Ge⸗ 
brauch. Wenn man von einer Gum hört, ſo hat ſie häu⸗ 
fig aus lauter Arab el Homr beſtanden. Allah ver⸗ 
ſchließe ihnen den Himmel mit hundert Riegeln!“ 

„So iſt es jedenfalls auch eine Gum der Homr, die 
ſich hier in der Nähe befindet,“ bemerkte Schwarz. 

„Was? Wie?“ fragte der Slowak. „Eine Gum iſt 
uns nahe?“ 

„Gewiß weiß ich es nicht, aber ich vermute es.“ 

Er teilte ihnen die Beobachtung mit, die er gemacht 
hatte, und die Vermutung, die er infolgedeſſen hegte. 
Seine Worte brachten eine Aufregung hervor, die er 
nur durch den Hinweis auf die in der Nähe ſitzenden 
Araber dämpfen konnte. Dieſe durften nicht ahnen, in 
welchem Verdacht man ſie hatte. Darum beherrſchten 
ſich die Dſchelabi und zeigten beim Fortlauf des natür⸗ 
lich leiſe geführten Geſpräches eine möglichſt ruhige Hal⸗ 
tung. 

„Wenn das ſo iſt, Herr, ſo bin ich freilich ganz dei⸗ 
ner Meinung, daß die Leute, denen die Vögel folgten, zu 
einer Gum gehören,“ ſagte der Ungar. „Wir müſſen 
uns auf einen Ueberfall gefaßt machen. Wäre es nicht 
am beſten, deine Homr ſofort niederzuſchießen?“ 

„Nein. Noch haben wir keinen Beweis. Und ſelbſt 
wenn wir ihn hätten, würde ich dagegen ſein. Ich kann 
mich zur Tötung eines Menſchen nur dann entſchließen, 
wenn dies unumgänglich nötig iſt.“ 

„So wollen wir uns augenblicklich aufmachen und 
dieſen gefährlichen Ort verlaſſen.“ 

„Auch dazu kann ich nicht raten. Hier wiſſen wir 
genau, was unſer wartet. Dieſe Felſen gewähren uns 
gute Deckung, ebenſo die Büſche. Reiten wir aber fort, 
ſo iſt es ſicher, daß die Gum uns folgt und draußen auf 

Ray, Die Stlavenkarawans. 6 


der freien Ebene überfällt. Wir wiſſen nicht, wie ſtark 
ſie iſt. Wir ſind neun Mann. Selbſt wenn ſie nicht zahl⸗ 
reicher wären und wir den Angriff ſiegreich abſchlügen, 
würden wir den Sieg mit Toten oder wenigſtens Ver⸗ 
wundeten bezahlen. Auf alle Fälle ſteht zu erwarten, 
daß die Homr mit der Gum gemeinſame Sache machen, 
was die Angelegenheit verſchlimmert. Hier haben wir 
ſie vor uns und können ſie im Auge behalten. Ich rate 
alſo, hier zu bleiben.“ 

„Aber wir wiſſen ja nicht, wenn uns die Kerls 
überfallen werden, und können doch nicht immer mit 
angelegtem Gewehr hier ſitzen!“ 

„Das iſt auch nicht nötig, wenn wir unſre Vorbe⸗ 
reitungen treffen. Zunächſt müſſen wir das Feuer aus⸗ 
gehen laſſen. Es blendet uns. Wer an einem Feuer ſitzt, 
kann nur ſchwer ſehen, was jenſeits davon in der Dun⸗ 
kelheit vorgeht. Wenn es hier finſter iſt, können auch die 
Homr nicht erkennen, was wir tun. Laſſen wir ſie glau⸗ 
ben, daß wir uns jetzt zur Ruhe legen! Iſt dann die 
Flamme erloſchen, ſo verlaſſen wir die Feuerſtätte und 
lagern uns an der Felswand. Dann ſtecken wir hinter 
den Kamelen und Gepäckſtücken und ſind außerdem von 
dem Gebüſch gedeckt. Inzwiſchen werde ich zu erfahren 
ſuchen, wo ſich die Gum befindet.“ 

„Wie willſt du das erfahren?“ 

„Indem ich nach ihr ſuche. Sie iſt, wie wir, von 
Weſten gekommen und wird alſo in dieſer Richtung zu 
finden ſein.“ 

„Aber du begibſt dich dabei in eine ſehr große 
Gefahr! Man wird dich ſehen und ermorden.“ 

„Man wird mich nicht ſehen. Ich gehe nicht auf- 
recht, ſondern ſchleiche mich am Boden hin.“ 


— 883 — 


„Man wird dich dennoch bemerken, da die helle 
Farbe deines Half!) dich verraten muß.“ 

„Ich lege ihn vorher ab. Die Farbe der Bantaluhn 

Hund Kutrahn?), die ich darunter trage, iſt dunkler, gleich 

derjenigen des Erdbodens, von dem ich dann nicht leicht 

zu unterſcheiden bin.“ 

„Man wird dich dennoch erkennen. Die Sterne 
ſcheinen hell, und welcher Menſch kann wie eine Schlange 
an der Erde hinkriechen?“ 

„Viele können es, und auch ich habe es lernen müſ⸗ 
fen. Als ich drüben in Jeni dünja') war, befand ich 
mich lange Zeit bei berühmten Jägern, mit denen ich 
allezeit auf der Hut vor wilden Indianern ſein mußte. 
Von ihnen habe ich gelernt, mich fo an einen andern an- 
zuſchleichen, daß er es gar nicht bemerkt. Dieſen Leuten 
habe ich es auch zu verdanken, daß wir heute den Löwen 
und ſeine Frau beſiegten. Ich bin überzeugt, daß ich die 
Homr finden und ſogar auch belauſchen werde, ohne von 
ihnen geſehen und gehört zu werden.“ 

„Aber ihre Tiere werden deine Nähe riechen und 
dich verraten. Deshalb will ich dir ein Mittel geben, das 
die Kamele abhalten wird, unruhig zu werden. Sie 
riechen es gern. Ich habe es unter den Spezereien, mit 
denen ich handle. Du mußt, ſobald du in ihre Nähe 
kommſt, einige Tropfen davon auf deine Kleidung fließen 
laſſen. Es iſt Milh ennuſchahdir'), die mit Gir und 
Wioojed) zubereitet wird.“ 

Er ging zu feinem Eſel, neben dem das ihm ge— 
hörige Gepäck lag, und brachte ein kleines Fläſchchen, 
das den Salmiakgeiſt enthielt. Schwarz ſteckte es zu ſich. 

Die Dſchelabi hatten ſich vor dem Löwen verlrochen. 


) Burnus, Mantel. — ) Hofe und Jacke. — 9 Amerika. — ) Salmiak 
— 9 Rall und Waſſer. 


— 84 — 


Ihn fürchteten ſie, weil ſie ſo abergläubiſche Vorſtel⸗ 
lungen von ihm hegten. Die Gum aber hatten ſie nur 
vorübergehend erſchreckt. Zwar hatten ſie fliehen wollen; 
aber nun ſie einſahen, daß es geraten ſei, zu bleiben, 
waren ſie zur Gegenwehr entſchloſſen. Sie hatten es mit 
Menſchen, aber nicht mit einem gewaltigen Raubtier zu 
tun, in dem ihrer Meinung nach der Geiſt eines mäch⸗ 
tigen Verſtorbenen ſteckte. 

Sie legten ſich nieder und breiteten ihre Decken 
über ſich aus, um die Meinung zu erwecken, daß ſie nun 
ſchlafen würden. In kurzer Zeit ging das Feuer aus, 
und dieſe Abteilung des Lagers war nun in nächtliches 
Dunkel gehüllt, während die Homr auf der andern Seite 
ihr Feuer ſorgfältig weiter unterhielten, ſo daß man 
ſehen konnte, was ſie taten. 

Jetzt ſchlüpfte Schwarz aus feinem Hafk und ent⸗ 
fernte ſich leiſe, von den Homr ungeſehen. Seine beiden 
Gewehre, die ihm nur hinderlich ſein konnten, ließ er 
zurück. 

Die Homr befanden ſich auf der Südſeite. Er 
ſchlich ſich auf der nördlichen, wo, wie bereits erwähnt, 
kein Buſchwerk ſtand, um den Felſen. Dort blieb er zu⸗ 
nächſt ſtehen, um zu lauſchen. 

Der „Vater der vier Augen“ konnte, ſo ſehr er ſeine 
Augen und Ohren anſtrengte, ein menſchliches Weſen 
weder ſehen noch hören. Darum ging er langſam weiter, 
ſich gerade weſtlich haltend. N 

Der Boden war fein ſandig; die Schritte des Deuts 
ſchen verurſachten kein Geräuſch. Langſam und vorſich⸗ 
tig vorwärts ſchreitend, ging er weiter und weiter, doch 
ohne etwas zu bemerken. Schon waren vielleicht zehn 
Minuten vergangen, und er nahm an, daß er eine falſche 
Richtung eingeſchlagen habe, obgleich er genau auf der 


— 85 — 
Fährte ging, die er mit ſeinen Begleitern gemacht hatte 
und auf der die Gum zu ſuchen war. 

Da drang ein leiſes Klirren an ſein Ohr, wie wenn 
zwei Waffen ſich berührt hätten. Der Ton kam ganz ge⸗ 
nau aus der Richtung, die er eingeſchlagen hatte. Er 
verdoppelte ſeine Vorſicht und verlangſamte ſeine 
Schritte. — Schon nach kurzer Zeit tauchte es in unbe⸗ 
ſtimmten Umriſſen wie graue Schatten vor ihm auf. 
Sie ſaßen aufder Erde und bewegten ſich nicht. Zu glei⸗ 
cher Zeit wehte ihm die bekannte Ausdünſtung von Ka⸗ 
melen entgegen. Er hatte die Gum vor ſich, deren ſämt⸗ 
liche Mitglieder in die landesüblichen grauen Halks ge 
hüllt waren. Nun legte er ſich nieder und kroch auf 
Händen und Füßen weiter. | 

Da die Leute ihre Aufmerkſamkeit jedenfalls auf 
die Gegend gerichtet hatten, woher er kam, ſo ſchlug er 
einen Bogen nach rechts, um ſich von Norden her anzu⸗ 
ſchleichen. Seine Geſtalt war trotz des hellen Sternen⸗ 
ſchimmers nicht von dem Boden zu unterſcheiden. Da 
feine hellere Geſichtsfarbe vielleicht zur Verräterin mer» 
den konnte, ſo zog er ſein dunkelrotes Taſchentuch hervor 
und band es ſich vor den untern Teil des Geſichtes, ſo 
daß er nur die Augen frei behielt. Den Fes, den er unter 
der Kapuze getragen hatte, zog er über die Stirn herein. 

Als er näher kam, ſah er die Kamele liegen, nicht 
eng beiſammen, ſondern einzeln. Nun konnte er die 
Perſonen zählen. Es waren ihrer zwölf. Sie ſaßen in 
einem kleinen Kreis, vor dem zwei Kamele lagen. Die⸗ 
fer Umſtand war ihm ſehr willkommen, da er es ihm 
vielleicht ermöglichte, ſich fo weit hinanzuſchleichen, daß 
er hören konnte, was geſprochen wurde. 

Er ſchob ſich ſehr, ſehr langſam vorwärts, faſt Zoll 
um Zoll. Die Luft war leiſe bewegt; ſie kam ihm ent⸗ 


gegen. Das war die Urſache, daß die Tiere ihn noch 
nicht bemerkten. Nun war es an der Zeit, das Mittel 
des Slowaken zu verſuchen. Er öffnete das Fläſchchen 
und beſprengte ſich mit dem Salmiakgeiſt. 

Es iſt bekannt, daß die Ausdünſtung des Kamels 
eine ammoniumartige iſt und daß aus dem Miſt und 
Urin dieſes Tieres Salmiak gewonnen wird. Darum 
hielt Schwarz es für nicht ganz unmöglich, daß die Ka⸗ 
mele eine Art von Vorliebe für den Geruch dieſer Arznei 
beſitzen. Er konnte ſich auch wirklich ſofort überzeugen, 
daß dies der Fall fei. Denn kaum hatte er das Fläſch⸗ 
chen wieder eingeſteckt, ſo wendeten beide Kamele die 
Köpfe nach ihm und öffneten die weit geſchnittenen 
Nüſtern, doch ohne ein Zeichen von Unruhe zu geben. 
Sie ſchienen den Geruch mit Behagen einzuziehen. 

Dadurch beruhigt, kroch er näher. Schon war er ſo 
weit, daß die hohen Rücken der Tiere es den Arabern 
nicht mehr ermöglichten, ihn zu ſehen. Er ſchob ſich an 
das eine Kamel heran, ſchmiegte ſich eng an dieſes und 
begann, es mit der Hand zu krauen, wobei es einen 
leiſen, behaglich grunzenden Laut hören ließ. N 

Die Gruppe der Männer war nicht mehr als drei 
Schritte von dem Tier entfernt. Sie ſprachen zwar nicht 
laut, aber doch ſo vernehmlich, daß er die meiſten ihrer 
Worte verſtehen und das übrige ſich hinzudenken konnte. 

Unter ihnen fiel ihm eine beſonders lange und 
außerordentlich hagere Geſtalt auf, welche die andern 
weit überragte. Der aufrecht ſitzende Oberkörper dieſes 
Mannes war faſt vier Fuß hoch. Die Länge dieſes Men⸗ 
ſchen mußte, wenn er ſtand, weit über zwei Meter be⸗ 
tragen, eine große Seltenheit bei den Arabern. Er ſaß 
etwas zur Seite, als ob er dadurch einen Vorrang zum 
Ausdruck bringen wolle. Seine Stimme klang hohl, und 


— 17 — 


tm Grabeston, als er jetzt ſagte: „Nein, wir brauchen 
uns nicht erſt zu überzeugen. Wir haben die. Spur ge⸗ 
ſehen. Es ſind lauter Eſel geweſen, acht an der Zahl. 
Und wer reift auf Eſeln? Nur Dſchelabi können es fein. 
Dieſe Krämer ſind gewöhnlich feig. Wir haben ſie nicht 
zu fürchten. Wollten wir einen von uns hinſenden, um 
nachzuſehen, ob ſie ſich mit an dem Brunnen befinden, 
ſo könnte er durch irgend einen Zufall bemerkt werden, 
und wir wären verraten. Dieſe Dſchelabi find ſicher 
dort, was uns nur lieb ſein kann, da wir zu der übrigen 
Beute auch noch ihre Ware und Tiere bekommen.“ 

„Sollen wir die Krämer ebenfalls töten?“ fragte 
einer. „Das könnte mir beinahe leid tun. Dieſe Leute 
ſind nützliche Menſchen und Anhänger des Propheten, 
während der Fremde ein Giaur iſt, deſſen Seele der 
Teufel freſſen möge!“ 

„Hat die Sonne dir das Gehirn verſengt, daß du 
von Mitleid redeſt? Sollen wir die Unvorſichtigkeit be 
gehen, acht Zeugen leben zu laſſen? Der Fremde ſteht 
im Schutz feines Unfult), der, wenn er feinen Tod er 
führe, ſo lange nach Rache ſchreien würde, bis man uns 
ergriffen und getötet hätte.“ 

„Aber wir würden den Dſchelabi doch nicht ſagen, 
wer wir find!” 

„Auch hier reicht dein Verſtand nicht aus. Wie nun, 
wenn ſich einer unter ihnen befindet, der einen von uns 
kennt?“ | 

„Dieſen einen könnten wir ſtumm machen.“ 

„So müſſen wir ſie eben alle umbringen, denn mich 
würden ſie ſelbſt in dem Fall erkennen, daß ſie mich noch 
nie geſehen haben. Allah iſt, als er meiner Seele den 
Körper gab, verſchwenderiſcher als ſonſt geweſen, wofür 


) Ronful, 


ich ihm nicht dankbar bin, denn es iſt meift ſehr ver⸗ 
drießlich, eine Geſtalt zu beſitzen, die jedem auffallen 
muß. Man weiß, daß ich ein Sklavenjäger bin. Das iſt 
ſchon genug, ſeit die Franken, über welche die Verdamm⸗ 
nis kommen möge, in Chartum es durchgeſetzt haben, 
daß der Sklavenhandel verboten wurde. Nun ſitzt ſelbſt 
bier in Faſchodah ein Mudir!), der kein Sklavenſchiff 
paſſieren läßt, ſo daß wir ſtets ausladen und den langen 
und beſchwerlichen Landweg einſchlagen müſſen. Dieſer 
Mutdir hat fein Auge ganz beſonders auf mich gerichtet. 
Falle ich ihm in die Hände und es befindet ſich nur ein 
einziger Sklave bei mir, ſo bin ich verloren. Soll er nun 
auch noch erfahren, daß ich, wenn Allah mir die Ge⸗ 
legenheit ſendet, meine Leute in eine Gum verwandle, 
ſo iſt das Ende meines Lebens nahe, was der Prophet 
verhindern möge, denn ich habe Luſt, den Preis von noch 
Tauſenden von Negern mit euch zu teilen. Dieſe acht 
Dſchelabi würden, ſobald ſie mich ſähen, augenblicklich 
wiſſen, daß ich Abu el Mot!) bin, und es morgen dem 
Mudir verraten. Nein, die Dſchelabi müſſen ſterben! 
Wenn du Mitleid mit ihnen haſt, ſo kannſt du heim⸗ 
kehren und Durrah?) eſſen. Ich brauche keinen Mann, 
deſſen Herz von Wolle iſt anſtatt von Eiſen.“ 

Dabei zog er ſein Meſſer und ſpielte in ſo bedeu⸗ 
tungsvoller Weiſe damit, daß der andre einſah, er werde 
nicht weit kommen, wenn es ihm einfallen ſollte, dieſer 
Aufforderung Folge zu leiſten. Darum antwortete er 
begütigend: „Haft du mich jemals weinen ſehen, wenn 
mein Meſſer oder meine Kugel einen Menſchen getrof⸗— 
fen hatte? Warum ſoll ich jetzt auf einmal ein Weib ge⸗ 
worden ſein, da mir einmal ein milder Gedanke kommt? 


5 Difriftävorkeher. — 9) Vater des Tobe.“ — ) Negerhirſe. 


— 89 — 


Ich werde der erſte von uns ſein, der ſein Meſſer in das 
Herz eines dieſer Dſchelabi ſenkt.“ 

„Das hoff ich auch, damit du die Zweifel zerſtreuſt, 
zu denen du mir ſoeben Veranlaſſung gegeben haſt! Ein 
Sklavenjäger muß ermorden können, ohne mit der Wim⸗ 
per zu zucken. Kann er das nicht, ſo taugt er nicht für 
dieſes Geſchäft. Morgen früh werden die Geier auf den 
Gerippen von neun Menſchen ſitzen und ſich ſo dick an⸗ 
gefreſſen haben, daß ſie nicht davonfliegen können. Wir 
aber werden unſre Beute nach Kaka bringen und uns 
daran erfreuen.“ | 

„Nach Kaka? So müſſen wir nach Nordoſt gegen 
den Nil, alſo zurück. Warum nicht nach Faſchodah?“ 

„Das liegt zwar näher und iſt auch ein beſſerer 
Handelsplatz; auch kann ich mich getroſt dort ſehen laſſen, 
wenn ich keine Sklaven bei mir habe; aber ich würde 
dort keinen Käufer für die Sachen finden, die wir die⸗ 
ſem Giaur abnehmen werden. In Kaka aber habe ich 
meinen Agenten, der die Sammlung gern nach Chartum 
bringen wird, um ſie für mich zu verwerten.“ 

„Wird man dort nicht Verdacht faſſen?“ 

„Nein, denn der Agent wird ſo klug ſein, den Leu⸗ 
ten ein Märchen zu erzählen, das ſie glauben müſſen. 
Dort gibt es Perſonen, die den Wert einer ſolchen 
Sammlung kennen und einen guten Preis zahlen wer⸗ 
den. Wir werden übrigens bald einen zweiten, ähnlichen 
Fang machen. Der letzte Bote, der mir aus der Seribah!) 
Omm et Timſah)) gefandt wurde, teilte mir mit, daß 
dort zwei Weiße, ein junger und ein alter, eingetroffen 
ſind, welche ebenfalls Gewächſe ſuchen, um ſie zwiſchen 
Papierblätter zu legen, und Käfer, Schlangen und aller⸗ 
lei Gewürm fangen, das ſie in Flaſchen ſtecken. Beide 


7 Seſeſtigte Nieberlafiung der Sklavenjdger. — ) „Mutter des grokodlls. 


— 90 — 


haben ſchwarze Diener bei ſich, viele Waffen und Tauſch⸗ 
artikel und große, ſchwere Ballen Zeug, das, wie ihr 
wißt, dort die Stelle des Geldes vertritt. Dieſe Euro⸗ 
päer drängen ſich mit großer Frechheit in unſer Sklaven⸗ 
gebiet. Wir dürfen das nicht dulden und werden ſie alſo, 
ſobald wir hinkommen, in die Hölle ſenden, ihre Sachen 
aber behalten. Dieſe Menſchen glauben an Iſa Ben 
Marryam)), der gelehrt hat, daß es keine Sklaven geben 
dürfe, da auch die Schwarzen Allahs Kinder ſeien. Wenn 
wir ſie nicht töten, wird dieſe Lehre überhand nehmen 
und unſern Handel zunichte machen. Darum werden 
dieſe beiden Weißen ſterben wie der Giaur, der jetzt 
dort am Brunnen lagert.“ 

„Meinſt du nicht, daß er ſich verteidigen wird?“ 

„Nein, denn wir werden ihm keine Zeit dazu laſſen. 
Unſer Ueberfall wird ſo plötzlich geſchehen, daß er gar 
keine Zeit finden wird, ſich ſeiner Waffen zu bedienen. 
Wenn der Schech uns nachher aufſucht, wie verabredet 
worden iſt, ſo werden wir von ihm erfahren, wo der 
Giaur liegt und wo die Dichelabi ſchlafen. Wir ſchlei⸗ 
chen uns heran und werden ſie wohl gar im Schlaf töten, 
ſo daß ſie zur Hölle fahren, ohne vorher zu erwachen. 
Vielleicht ſind die Gewehre noch gar nicht wieder ge⸗ 
laden, die ſie vorhin abgeſchoſſen haben, um die Löwen 
abzuſchrecken.“ 

„Allah ' Allah! In welcher Gefahr haben auch 
wir uns da befunden! Wie leicht konnte der Verderber 
der Herden auch zu uns kommen!“ ö 

„Nein. Er hat ſeine Wohnung im Oſten des Brun⸗ 
nens und iſt wieder dorthin zurück. Schliche er ſich in 
unſrer Nähe herum, ſo würden die Kamele ihn durch 
ihre Angſt verraten. Vorher waren ſie unruhig; aber 


y Jeſus, Sohn Martens, 


— 91 — 


ſeit die Schüſſe gefallen ſind, haben ſie keine Furcht mehr 
gezeigt. Der Vater des dicken Kopfes‘ iſt alſo fort. Laßt 
uns nun nicht mehr ſprechen, ſondern lieber aufpaſſen! 
Der Schech könnte eher kommen, als wir ihn erwarten, 
und wir müſſen dafür ſorgen, daß er uns nicht verfehlt.“ 

Aus dieſen Worten war zu ſchließen, daß die Unter⸗ 
haltung nun zu Ende ſei. Darum hielt Schwarz es für 
geraten, ſich zurückzuziehen. Er kroch ſo leiſe und vor⸗ 
ſichtig davon, wie er gekommen war. In der Eutfer⸗ 
nung, wo er nicht mehr geſehen werden konnte, erhob 
er ſich aus der kriechenden Stellung, da er nun getroſt 
wieder aufrecht gehen konnte. Erſt als er den Felſen 
erreichte, mußte er wieder vorſichtig verfahren, weil die 
Homr nicht wiſſen durften, daß er fortgeweſen war. 

Es gelang ihm, ſeinen Platz von ihnen unbemerkt 
zu erreichen. Die Dſchelabi hatten Sorge um ihn gehabt, 
da ſeine Abweſenheit eine ziemlich lange geweſen war. 
Er erzählte ihnen, was er gehört hatte, und fragte fie, ob 
ihnen dieſer Abu el Mot vielleicht bekannt ſei. Sie alle 
kannten dieſen furchtbaren Mann, ohne ihn aber jemals 
geſehen zu haben. 

„Die Hauptſache iſt,“ ſchloß der Deutſche feinen Be 
richt, „daß der Feind uns nun nicht mehr überraſchen 
kann. Wir wiſſen, wo er ſich befindet.“ 

„Aber nicht, wann er kommen wird,“ warf der 
„Vater der elf Haare“ ein. 

„O doch. Der Schech will die Gum aufſuchen. Er 
hat alſo mit Abu el Mot den Ueberfall ſchon längſt ge⸗ 
plant. Es iſt da drüben hell, und wir können alſo leicht 
ſehen, wenn er ſich entfernt. Er wird den Räubern 
ſagen, wo und wie wir lagern, und dann werden fie 
kommen.“ 

„Wir ſchießen ſie nieder?“ 


— 92 — 


„Nein. Sie find zwölf Perſonen und wir nur neun; 
aber da wir nun fie überraſchen und nicht fie uns, fo 
find wir ihnen überlegen. Wir bleiben natürlich nicht 
hier liegen, ſondern erwarten ſie am Beginn der Büſche, 
zwiſchen denen wir uns verſtecken können. Sind ſie an 
uns heran, ſo ſpringen wir auf. Jeder nimmt ſeinen 
Mann und ſchlägt ihn nieder. Ein tüchtiger Hieb auf 
den Kopf genügt dazu; aber die Kerls müſſen ſo getrof⸗ 
fen ſein, daß ſie gleich zuſammenbrechen. Mit den übri⸗ 
gen drei werden wir dann ſchnell fertig. Fliehen ſie, ſo 
laſſen wir ſie laufen; wehren ſie ſich, nun, ſo können wir 
ihr Leben freilich nicht ſchonen. Die erſteren aber wer⸗ 
den hoffentlich nicht tot ſein. Wir nehmen ſie gefangen 
und liefern ſie in Faſchodah an den Mudir ab.“ 

„Und was geſchieht mit den Homr?“ 

„Das wird ſich ganz nach ihrem Verhalten richten. 
Ich vermute, daß ſie ſich nicht direkt am Angriff betei⸗ 
ligen werden; ſie dürften das vielmehr der Gum über⸗ 
laſſen, die übrigens, wie ich aus der Mundart der Leute 
vermute, auch aus Homr beſteht. Meine bisherigen Be⸗ 
gleiter werden beabſichtigen, ſo lange dort an ihrem 
Feuer zu bleiben, bis wir getötet worden ſind. Sie 
kommen alſo bei dem Kampf zunächſt nicht in Betracht. 
Die Hauptſache iſt, daß jeder von uns ſeinen Mann rich⸗ 
tig trifft.“ 

„Daran ſoll es bei mir nicht fehlen. Ich kehre mei⸗ 
nen Elefantenmörder um und bearbeite den Kerl ſo, wie 
ich vorhin die Frau des Löwen erſchlagen habe.“ 

„Und ich,“ ſagte Hadſchi Ali, „habe hier den halben 
Schaft meines zerbrochenen Spießes. Das gibt eine 
Keule, mit der ich zuſchlagen kann. Allah ſei jenem 
enädig, der fie auf den Kopf bekommt!“ | 

In ähnlicher Weiſe äußerten ſich auch die andern. 


— 93 — 


Sie waren damit einverſtanden, daß die Feinde nicht 
getötet werden ſollten, denn ſie dachten an die Genug⸗ 
tuung, die ihnen würde, wenn fie morgen mit ihren Ge⸗ 
fangenen in Faſchodah einziehen. Wer von ihnen keine 
zum Zuſchlagen paſſende Waffe beſaß, der ſuchte ſich 
unter den Gepäckſtücken einen geeigneten Gegenſtand aus. 

Die Homr waren überzeugt, daß der Deutſche und 
die Dſchelabi ſchliefen. Dieſe hatten nur leiſe geſprochen, 
und wäre je ein Wort etwas lauter geweſen, ſo hätte es 
doch nicht gehört werden können, da die Kamele und 
Eſel ſich noch immer nicht ganz beruhigt hatten. Be⸗ 
ſonders die letzteren ſtanden keinen Augenblick ruhig, 
weil die Kadaver der beiden Raubtiere ſich in ihrer 
Nähe befanden. Die Kamele ſchnaubten ängſtlich, muß⸗ 
ten aber ruhig liegen, da ihnen die Füße gefeſſelt waren. 

In Erwartung des Kommenden verging allen die 
Zeit ſehr langſam. Endlich erhob ſich drüben der Schech. 
„Jetzt geht er!“ flüſterte Ali. 

„Nein,“ antwortete der Ungar ebenſo leiſe. „Er 
kommt erſt hierher, um nachzuſehen, ob wir wirklich 
ſchlafen. Er wird ſo tun, als ob er ſich um die Kamele 
bekümmern wolle. Regen wir uns nicht!“ 

Der Schech kam wirklich langſam herbei. Er trat zu 
den Kamelen, als ob er nach ihnen habe ſehen wollen, 
und blieb da eine kleine Weile ſtehen. Er lauſchte nach 
den Dſchelabi herüber. Als keiner von ihnen ſich be⸗ 
wegte, fagte er, zu ihnen gewendet: „Die Dſchimahl!) 
fürchten ſich noch immer. Wollen wir nicht die Leichen 
des Löwen und ſeiner Sultana fortſchaffen?“ 

Er fragte das natürlich nur, um zu erfahren, ob die 
Dſchelabi feſt ſchliefen. Als er keine Antwort bekam, 
trat er leiſe näher und bückte ſich zu ihnen nieder. Um 


| 1) Kamele. 


— 94 — 


ganz ſicher zu ſein, berührte er den Arm des Deutſchen. 
Als auch darauf nichts erfolgte, war er ſeiner Sache 
ſicher und ſchlich weiter, um den Felſen wie vorhin 
Schwarz. N 

Dieſer richtete ſich nach einiger Zeit auf und kroch 
ihm nach. Er ſah ihn in weſtlicher Richtung davon⸗ 
ſchreiten und dann im Dunkel der Nacht verſchwinden. 
Zu den Dſchelabi zurückgekehrt, forderte er dieſe auf: 
„Jetzt iſt es Zeit. Kommt mit fort, aber leiſe, damit die 
Homr es nicht hören!“ 

Er führte ſie bis dahin, wo das Dickicht zu Ende 
war und ſich in einzelne Büſche auflöſte. Es war vor⸗ 
auszuſehen, daß die Angreifenden da vorüberkommen 
würden. Jeder ſteckte ſich hinter einen Buſch. 

Sie warteten wohl eine halbe Stunde und noch län⸗ 
ger. Dann hörten ſie leiſe Schritte, und zugleich erkann⸗ 
ten fie die Geſtalten, die, eine hinter der andern, lang» 
ſam herbeikamen. Als ſie ſich ſo weit genähert hatten, 
daß man die einzelnen Perſonen unterſcheiden konnte, 
ſah Schwarz den Schech als Führer an der Spitze. Die 
lange, ſchmale Geſtalt Abu el Mots ſchwankte, ſich her⸗ 
über⸗ und hinüberwiegend, am Ende des kleinen Zuges. 
Sie blieben an der Felswand ſtehen. Wäre es hier ſo 
hell geweſen wie draußen außer dem Bereich des Schat⸗ 
tens, den der Fels warf, ſo hätten ſie die unmittelbar 
neben ihnen hinter den Büſchen kauernden Dſchelabi 
ſehen müſſen, denn die Sträucher waren nicht dicht und 
breit genug, einen Mann vollſtändig zu verbergen. 

Schwarz befand ſich dem verlaſſenen Lagerplatz am 
nächſten. Die Feinde waren nicht bis zu ihm herange⸗ 
kommen. Der Ungar, der am entgegengeſetzten Ende 
kauerte, hatte ſie gerade vor ſich. Er hörte, daß der 
Schech ſagte: „So! Bis hierher habe ich euch geführt. 


— 95 — 


Gleich um die Ecke rechts liegen fie im tiefen Schlaf; fie 
werden ſterben, ohne zu erwachen. Ich gehe jetzt zu 
meinen Männern, um ihnen zu ſagen, daß der Augen 
blick gekommen iſt.“ Er entfernte ſich, indem er einige 
Schritte zurückging, und verſchwand an der Weſtſeite des 
Felſens, an deſſen Oſtſeite die Lagerſtelle ſich befand. 

„Nun vorwärts!“ gebot die Grabesſtimme Abu el 
Mots. „Allah möge euern Meſſern ſichern Stoß ver⸗ 
leihen!“ | 

Schwarz wollte natürlich warten, bis fie ihn er» 
reicht hatten; aber der kleine Slowak fühlte ſich von ſol⸗ 
cher Kampfesluſt ergriffen, daß er den vorteilhafteſten 
Augenblick nicht erwartete. 

„Rauwidſchu — ſchnell, drauf!“ rief er aus, indem 
er aufſprang. Sein Gewehr umkehrend, holte er aus und 
führte nach dem Nächſtſtehenden einen ſo gewaltigen 
Kolbenhieb, daß der Getroffene ſofort zuſammenbrach 
und aber auch er ſelbſt niederſtürzte. 

Die andern brachen hervor. Schwarz als der Ent⸗ 
fernteſte hatte wohl acht oder neun Schritte zurückzu⸗ 
legen, um an die Feinde zu kommen. Er hatte es auf 
Abu el Mot abgeſehen gehabt, welche Abſicht aber nun 
nicht auszuführen war. 

Die Männer der Gum waren ſo erſchrocken, daß ſie 
ſich für den erſten Augenblick nicht von der Stelle beweg⸗ 
ten. Sie wären verloren geweſen, wenn der übereifrige 
Ungar nur noch drei oder vier Minuten gewartet hätte. 
So aber fanden ſie Zeit, ſich einigermaßen zu faſſen, doch 
nicht hinreichend genug, ihre Waffen zu gebrauchen. 
Einige von ihnen empfingen die ihnen zugedachten Hiebe; 
andern gelang es, dieſe von ſich abzuwehren. 

Schwarz hatte die angegebene Entfernung ſprin⸗ 
gend zurückgelegt. Er ſchlug einen Araber mit dem Ge⸗ 


— 96 — 


wehrkolben nieder und im nächſten Augenblick einen 
zweiten. Zornige Flüche erſchallten. „Wer ſind dieſe 
Teufel?“ ſchrie Abu el Mot. „Drauf auf fie!” 

„Rettet euch!“ brüllte ein andrer. „Wir ſind vom 
Schech verraten!“ 

Er drängte zurück. Eben wollte Schwarz den drit⸗ 
ten niederſchlagen, um dann an den Anführer zu kom⸗ 
men. Zu gleicher Zeit holte der „Vater des Gelächters“ 
gegen einen andern aus, der an Schwarz vorüberfloh. 
Er drang hinter dieſem drein, glaubte, ihn mit dem Hieb 
noch zu erreichen, erhielt aber dabei von einem weiteren 
Flüchtling einen Stoß und — — ſchlug dem Deutſchen 
mit ſeinem halben Lanzenſchaft ſo gegen das Ohr und 
die Schläfe, daß Schwarz zur Seite taumelte und faſt 
ohne Beſinnung niederfiel. 

„Allah!“ ſchrie der erſchrockene Kleine. „Habe ich 
dich ermordet, Effendi?“ 

„Beinahe!“ antwortete der Gefragte, indem er ſich 
langſam und nur ſchwer erhob. „Laßt ſie fliehen! Wir 
dürfen wegen den Homr nicht von hier fort!“ 

Es funkelte ihm vor den Augen, doch ſah er die 
Leute der Gum fliehen. Er legte an und ſandte ihnen 
zwei Kugeln nach. Da konnte er nicht mehr widerſtehen. 
Es brauſte ihm wie eine Brandung um die Ohren. Er 
lehnte ſich an den Felſen und ſchloß die Augen. 

Kein Dſchelabi folgte den Fliehenden. Aber der 
Ungar rief, als er die Schüſſe des Deutſchen hörte: „So 
iſt's recht! Gebt ihnen eure Kugeln! Und dieſer hier 
wird noch mein!“ Einer der Flüchtlinge war in ſeiner 
Nähe geſtolpert, wodurch er ihn einholte; er erhob ſeinen 
Katil elfil und ſchlug zu; der Mann ſtürzte bewußtlos 
nieder. Triumphierend zerrte er ihn hinter ſich her, 
während er zu den anderen zurückkehrte. 


1 


Die Dſchelabi ſtanden bei Schwarz, laut klagend 
über ihn. 

„Was iſt geſchehen?“ fragte der Slowak. 

„Ich habe den Effendi erſchlagen!“ jammerte der 
„Vater des Gelächters“, indem er aus Verzweiflung das 
luſtigſte Geſicht der Welt machte. 

„Biſt du toll?“ 

„Nein, ich wurde geſtoßen.“ 

„Dummkopf! Du Haft vor lauter Völkern und Dör. 
fern, die unter deinem Schädel ſtecken, nicht geſehen, wo⸗ 
hin du ſchlugſt! Effendi, Effendi, biſt du tot?“ 

„Nein,“ antwortete Schwarz, indem er die ihn über- 
kommene Ohnmacht mit Anſtrengung von ſich abſchüt⸗ 
telte und ſein Gewehr, das ihm entfallen war, aufhob. 

„Allah fei Dank! Dieſer „Vater der hintern Löwen⸗ 
hälfte‘ iſt mit oe geichlagen geweſen und wir 
müſſen — — —“ 

„Still!“ gebot ihm der Deutſche. „Wir haben mehr 
zu tun. Ich ſehe fünf Teilnehmer der Gum hier liegen. 
Das iſt weniger, als ich dachte. Bindet ‚le Wahrſchein⸗ 
lich ſind ſie nur betäubt.“ 

Er trat zur Felſenecke, von der aus er das Feuer 
ſehen konnte. Dort ſtanden die Homr, die nicht wußten, 
was ſie denken ſollten. Er nahm an, daß ſie dort bleiben 
würden, bis ſie von irgend einer Seite Aufklärung er⸗ 
hielten. Darum fuhr er fort: „Bleibt hier! Vielleicht 
kann ich ein Kamel oder mehrere erbeuten.“ 

Er rannte fort, in der Richtung, wohin die Räuber 
geflohen waren. Auch ihre Kamele waren gefeſſelt ge 
weſen, und da dieſe Tiere nicht ſchnell zum Aufſtehen zu 
bringen ſind, ſo mußten die Flüchtigen dort jedenfalls 
länger verweilen, als ihnen lieb war. 

May, Die Sklavenkarawane. 7 


Sein zweites Gewehr hatte er über dem Rüden 
hängen; das erſte lud er im Laufen. Hatte er vorhin, 
als er vorſichtig ſein mußte, über eine Viertelſtunde ge⸗ 
braucht, um an die Gum zu kommen, ſo ging es jetzt 
ſchneller. In weniger als zwei Minuten war er der 
Stelle nahe. Er ſah die Gruppe der Männer, die ſich um 
die Kamele bemühten. Da blieb er ſtehen und ſchoß ein⸗, 
zweimal auf ſie. Jeder von ihnen hatte vor allen Din⸗ 
gen ſein eigenes Tier von den Feſſeln befreit. Das ſollte 
gerade auch mit den fünf übrigen Kamelen geſchehen, 
als die beiden Schüſſe krachten, von denen einer der 
Araber verwundet wurde. 

„Jort!“ ſchrie Abu el Mot, der ſich unter den Ent⸗ 
kommenen befand. „Laßt die Beſtien liegen, denn die 
Schejatin ſind hinter uns her!“ 

Und als Schwarz nun auch die beiden Schüſſe ſeines 
andern Gewehrs abgab, war kein Halten mehr. Die um 
fünf Menſchen und Tiere verringerte Gum floh davon, 
in die Nacht hinein. | 

Schwarz näherte ſich vorſichtig den Tieren, weil 
ſich leicht ein Feind dahinter verſteckt haben konnte. Er 
überzeugte ſich jedoch bald, daß dies nicht der Fall war. 
Die fünf Sättel lagen daneben, ebenſo mehrere Kirban 
und Dattelſäcke. Da nicht anzunehmen war, daß die 
Flüchtlinge zurückkehren würden, ſo ließ der Deutſche die 
Tiere ſamt dieſen Gegenſtänden liegen und eilte dem 
Felſen wieder zu. Die Folgen des Hiebes, den er kurz 
zuvor erhalten hatte, waren überwunden und ſein Kopf 
wieder leicht und frei wie vorher. 

Die Dſchelabi ſtanden bei den fünf Gefeſſelten, die 
ſich noch nicht regten. 

„Sind noch Stricke, Riemen oder Schnüre vorhan⸗ 
den?“ fragte Schwarz. 


— 99 — 


„Genug, Herr,“ antwortete der Slowak. „Ein 
Dſchelab hat deren ſtets in ſeinen Taſchen.“ 

„So binden wir jetzt auch die Homr.“ 

„Wenn ſie es ſich gefallen laſſen!“ 

„Verſuchen wir es!“ 

Er ging wieder an die Ecke. Die Homr ſtanden noch 
immer wartend am Feuer. Sie hatten die Schüſſe und 
das Geſchrei gehört und ſagten ſich, daß der Ueberfall 
nicht in der gewünſchten und auch erwarteten Weiſe 
verlaufen ſei; aber wie die Angelegenheit ſtand, das 
vermochten ſie ſich nicht zu ſagen. Die Klugheit riet 
ihnen, ſich entfernt zu halten und das Kommende abzu⸗ 
warten. | 

Sie konnten nicht bis zur zweiten Lagerſtätte, wo 
das Feuer nicht mehr brannte, ſehen, doch war alle ihre 
„Aufmerkſamkeit nach dieſer Gegend gerichtet. Da ſahen 
ſie den verhaßten Deutſchen von dort herkommen. Er 
hatte ſeine Gewehre zurückgelaſſen. Seine Abſicht war, 
ſich zunächſt des Schechs zu bemächtigen. 

„Habt ihr das Schießen gehört!“ fragte er in haſti⸗ 
ger Weiſe. 

„Ja,“ antwortete der Schech. „Wer iſt es geweſen, 
und was hat es gegeben?“ 

„Weiß ich es? Ich erwachte von dem Lärm und 
ſah, daß die Dſchelabi nicht mehr da waren. Ich ſuchte 
nach ihnen und hörte Schüſſe im Oſten von hier. Ihr 
ſeid wach geweſen und müßt alſo beſſer als ich wiſſen, 
was ſich ereignet hat.“ 

„Nichts wiſſen wir, gar nichts, Effendi! Wir glaub⸗ 
ten, die Schüſſe kämen aus euren Gewehren und es ſei 
abermals ein Löwe erſchienen.“ 

„Dann müßte er die Dſchelabi mit Haut und 
Haar verſchlungen haben, da ſie vom Lagerplatz ver⸗ 


— 100 — 


ſchwunden ſind. Nein, es muß etwas andres gegeben 
haben. Willſt du nicht einmal mit mir nachſehen?“ 

„Ja, ſogleich, ich komme mit.“ Er brannte vor 
Neugier und ging darum ſo bereitwillig auf den Vor⸗ 
ſchlag des Gelehrten ein. 

Die beiden entfernten ſich nach der erſtgenannten 
Felſenecke hin. Als fie um dieſelbe bogen, erblickte der 
Schech die Dſchelabi, und es entfuhr ihm die unvorſich⸗ 
tige Frage: „Da ſind ſie ja! Wo aber iſt die Gum?“ 

„Die Gum?“ antwortete Schwarz. „Du gibſt alſo 
zu, von ihr zu wiſſen! Für ſo aufrichtig habe ich dich 
nicht gehalten.“ | 

„Die Gum — Effendi — die Gum iſt — iſt — tft 
— — ich habe — — —7 ſtotterte er. 

„Schon gut! Bindet ihn!“ 

Indem er dieſen Befehl gab, faßte er r ihn mit bei⸗ 
den Händen am Hals und drückte ihm die Kehle ſo zu⸗ 
ſammen, daß der Homr keinen Laut ausſtoßen konnte. 
Es wurden ihm ſofort Riemen um die Hände und Füße 
gebunden, worauf man ihn auf die Erde legte. 

Jetzt rief Schwarz den erwartungsvoll am Feuer 
ſtehenden Homr zu: „Suef el Abalik ſoll ſchnell hierher 
zum Schech kommen!“ 

Er kannte die Namen ſämtlicher Homr und war 
überzeugt, daß der Genannte dem Ruf folgen werde. Da⸗ 
mit derſelbe nicht durch den Schech gewarnt werden 
könne, kniete der kleine Slowak bei dem letzteren nieder, 
ſetzte ihm die Spitze ſeines Meſſers auf die Bruſt und 
drohte: „Gib einen Laut von dir, ſo erſteche ich dich!“ 

Der Bedrohte wagte kaum zu atmen, und zwar 
nicht infolge dieſer Drohung allein, ſondern weit mehr 
noch vor Schreck über die Behandlung, die ihm ſo uner⸗ 
wartet widerfahren war. 


— 101 — 


Suef kam. Mit ihm wurde kein überflüffiges Wort 
gewechſelt, ſondern Schwarz nahm ihn gleich, als er um 
die Ecke bog, bei der Gurgel. Er wurde zu Boden ge⸗ 
worfen und gebunden. Ebenſo erging es einem dritten, 
den Schwarz noch herbeirief. 

Nun befanden ſich nur noch zwei Homr am Feuer, 
deren ſchnelle Ueberwältigung nicht ſchwierig war. Zwei 
Dſchelabi blieben bei den Gefangenen. Mit den übrigen 
ſechs ging Schwarz nach dem Feuer, wo je drei von 
ihnen, ohne ein Wort zu ſagen, einen Homr ergriffen. 
Dieſe waren ſo überraſcht, daß ſie faſt gar nicht an 
Gegenwehr dachten. Einige zornige Fragen ihrerſeits 
und einige kräftige Hiebe, die ſie vor die Köpfe erhielten, 
dann ſchlangen ſich die Feſſeln auch um ihre Arme und 
Beine. 

Man ließ ſie am Feuer liegen und ſchaffte dann die 
übrigen Homr nebſt den fünf Gumleuten herbei. Dieſe 
letzteren lebten, doch taten ſie, als ob ſie noch betäubt 
ſeien; aber man ſah, daß ſie zuweilen die Augen ein 
wenig öffneten, um die Männer zu betrachten, denen ſie 
in die Hände gefallen waren. 

Während Schwarz das Lager in der Obhut der 
übrigen hinterließ, begab er ſich nun mit vier Krämern 
nach dem Lagerplatz der Gum, um die Kamele und die 
dabei liegenden Gegenſtände herbeizuholen. Als dies ge- 
ſchehen war, wurde einer der Dſchelabi als Wache aus— 
geſtellt, um Abu el Mot jede Möglichkeit zu nehmen, ſie 
zu überraſchen. 

Als ſo alles Nötige geſchehen war, ſetzten ſich die 
Sieger um die Beſiegten, und nun glaubte der Schech, 
die Zeit ſei gekommen, endlich ein Wort der Aufklärung 
zu verlangen. „Allah iſt unerforſchlich; ihn darf kein 
Menſch fragen,“ ſagte er. „Von euch aber möchte ich 


— 102 — 


erfahren, weshalb ihr mich und meine Leute überfallen 
und gebunden habt!” 

„Das weißt du ebenſo genau wie wir,“ antwortete 
Schwarz. 

„Nichts weiß ich, gar nichts!“ 


„Lüge nicht! Ich kenne dich und deine finſteren 


Ränke! Warum kamſt du an unſer Lager und haſt 
meinen Arm ergriffen, um dich zu überzeugen, ob ich 
ſchlief? Wozu haſt du dann die Gum aufgeſucht und 
deren Männer hierher geführt?“ 

„Allah akbar — Gott iſt groß!“ war alles, was der 
Schech darauf antwortete. Er wußte nun, daß man ihn 
überführen könne. Dennoch verſuchte er, ſich aufs Leug⸗ 
nen zu verlegen, indem er in künſtlichem Zorn ausrief: 
„Wer hat mich verleumdet? Wir ſind deine Beſchützer 
geweſen und müſſen Dank erwarten. Anſtatt deſſen 
ſchlägſt du uns in Banden und redeſt uns Uebles nach. 
Wir ſind freie Beni Arab. Wer hat euch Gewalt über 
uns gegeben? Und wer hat dich zum Richter über uns 
geſetzt? Ich fordere, daß du uns unverweilt die Freiheit 
wiedergibſt!“ 


„Das kann ich nicht, eben weil nicht ich dein Richter 


bin. Dein Schickſal ſteht nicht in unſern Händen, ſon⸗ 
dern in der Hand des Mudir von Faſchodah, dem wir 
dich morgen oder vielmehr heute übergeben werden.“ 

„Allah kerihm — Gott iſt gnädig!“ rief der Schech 
erſchrocken. „Der Mudir iſt aber unſer Feind.“ 

„Er wird alle Veranlaſſung dazu haben, da er der 
Feind jedes Ungerechten iſt. Seiner Hand wirſt du nicht 
entgehen, ſelbſt wenn du eure heilige Fathha und eure 
Sure Jeſin beteſt.“ 

„Bedenkt, daß ihr der Rache des ganzen Stammes 
Homr verfallt!“ 


— 


— 103 — 


„Ich verachte den Stamm, deſſen Schech ſich feig 
verkriecht, wenn der Löwe brüllt, während arme Dſche⸗ 
labi den Mut haben, den „Herrn des Donners' zu töten.“ 

„So fürchte wenigſtens Abu el Mot, den Ge⸗ 
waltigen!“ 

„Wie ſoll ich ihn fürchten, der vor mir davonge⸗ 
laufen iſt! Er hat vor lauter Angſt ſogar vergeſſen, 
ſeine Kamele mitzunehmen.“ | 

Der Schech gab fich noch weitere Mühe, Schwarz zu 
bewegen, die Gefangenen freizugeben, doch vergeblich. 
Er wendete ſich endlich mit einem grimmigen Fluch ab. 
Keiner der andern hatte ein Wort geſprochen. Sie ſahen 
die feſte Entſchloſſenheit des Deutſchen und fügten ſich 
mit verhaltener Wut in ihre Lage. Jedenfalls hegten ſie 
die Hoffnung, daß Abu el Mot kommen werde, ſie zu 
befreien. 

Dieſe Erwartung ſchien berechtigt zu ſein, denn die 
ausgeſtellte Wache kam nach einiger Zeit herbei, um zu 
melden, daß fie eine Hyäne geſehen habe, die aber viel⸗ 
leicht ein Menſch geweſen ſei. Schwarz machte ſich ſo⸗ 
gleich auf, dem Mann mit dem „Vater der elf Haare“ zu 
folgen. Er führte ſie an die betreffende ee wo aber 
nichts mehr zu ſehen war. 

Schwarz entſchloß ſich, mit dem Ungarn den Felſen 
in weitem Kreiſe zu umgehen. Während ſie das taten, 
erblickten ſie, als ſie eine Strecke gegangen waren, wirk⸗ 
lich eine tierartige Geſtalt, die ſich zwiſchen ihnen und 
dem Felſen befand. Sie hatte ihre Aufmerkſamkeit wahr⸗ 
ſcheinlich ganz auf den letzteren gerichtet und ſah die 
beiden nicht, die hinter ihr ſtanden. 

„Soll ich dieſe neugierige Dibbt) erſchießen?“ fragte 
Stephan, indem er das Gewehr erhob. 


) Syäne. 


u 08 


„Nein, denn es ſcheint auch mir, daß es ein Menſch 
iſt, der auf Händen und Füßen geht, um einen etwaigen 
Wächter zu täuſchen. Kriechen wir auf die Geſtalt zu! 
Sie bewegt ſich langſam nach der Ruine hin. Vielleicht 
blickt ſie ſich nicht um, bis wir nahe genug ſind, ſie zu 
ergreifen. Wäre es eine Hyäne, ſo würde ſie uns ſchon 
gewittert haben.“ 

Sie legten ſich auf die Erde, und da ſie ſich ſchneller 
als die geheimnisvolle Geſtalt bewegten, ſo kamen ſie 
ihr raſch näher. Es war ein Menſch, jedenfalls zu der 
Gum gehörig, der den lichten Halt abgelegt hatte. Er 
ahnte keine Gefahr hinter ſich und achtete nur auf den 
Felſen, den er zu gewinnen trachtete. 

Die beiden kamen ihm bis auf zehn oder zwölf 
Schritte nahe. Da erhob ſich der Ungar, ſprang auf ihn 
zu und warf ſich mit ſolcher Gewalt auf ihn, daß er über 
ihn hinwegſtürzte und im Feſthalten einen ganz regel⸗ 
rechten Purzelbaum ſchlug, Der Mann riß ſich los, 
ſprang auf, um zu entfliehen, lief aber dem Deutſchen 
in die Hände, der ihn packte und ihm die Ellbogen rück⸗ 
wärts auf den Rücken zog. 

„Eine Schnur zum Binden!“ rief Schwarz dem 
Kleinen zu. 

„Ich habe keine mehr,“ antwortete dieſer, indem er 
aufſtand. 

„So zieh mir das Mendil) aus der Taſche!“ 

Dies geſchah. Der Mann verſuchte zwar, ſich zu 
wehren, aber das hatte bei der Rieſenſtärke des Deut⸗ 
ſchen keinen Erfolg. Er wurde an den Armen gebunden; 
die Beine ließ man ihm frei, da er nach dem Lager zu 
gehen hatte. 

„Wer ſendet dich?“ fragte ihn Schwarz. Als er 


Y) Taſchentuch. 


— 105 — 


keine Antwort erhielt, ſetzte er ihm den Revolver an das 
Ohr und drohte: „Rede, oder ich ſchieße!“ — „Abu el 
Mot,“ ſtieß nun der Mann widerwillig hervor. — „Du 
ſollteſt unſer Lager auskundſchaften?“ — „Ja.“ — „Wo 
befindet ſich der Reſt der Gum? Sage die Wahrheit, 
ſonſt iſt es doch um dich geſchehen! Ich werde mich 
überzeugen.“ — „Südwärts von hier.“ — „Wie weit?“ 
— „Zehn Flintenſchüſſe.“ — „Gut, vorwärts!“ 

Man kann ſich die Wut der Homr denken, als ſie 
den neuen Gefangenen erblickten. Ihre Hoffnung auf 
Rettung mußte immer mehr ſchwinden. Der Mann 
wurde gleichfalls an den Füßen gebunden und zu den 
andern gelegt. 

Schwarz gab einen Schuß ab, den Abu el Mot ge⸗ 
wiß hören mußte. Dieſer ſollte denken, daß die Kugel 
ſeinem Späher gegolten habe. Dann brach er mit Hadſchi 
Ali und dem Ungarn, die er für die Mutigſten hielt, auf, 
um nach der Gum zu ſuchen. Der „Vater des Geläcdh- 
ters“ lieh ſich dazu das Gewehr eines ſeiner Genoſſen. 

Als ſie, ſtracks nach Süden gehend, die angegebene 
Entfernung zurückgelegt und noch nichts geſehen hatten, 
ſchlugen ſie einen rechten Winkel, und bald zeigte es ſich, 
daß ſie das Richtige getroffen hatten, denn während ſie 
ohne Burnus gingen und alſo nur ſchwer geſehen werden 
konnten, ſahen fie bald die Haiks der Araber ſchimmern. 

Sie näherten ſich ihnen ſo viel wie möglich und 
ſchoſſen dann ihre Gewehre ab, weniger um ſie zu tref— 
fen, als vielmehr, um ſie in die Flucht zu jagen, was 
ihnen auch vollſtändig gelang. 

„So! Die kommen nun nicht wieder!“ lachte der 
Slowak. 

„Und ſenden auch gewiß keinen Späher wieder 
aus!“ ſtimmte Hadſchi Ali jubelnd bei. „Allah iſt uns 


— 16 — 


gnädig geweſen, und wir haben über einen gefährlichen 
Feind geſiegt.“ 

„Du aber nicht, denn du hätteſt faſt unſern beſten 
Freund erſchlagen,“ antwortete der Ungar. „Auf dich 
werden keine Heldenlieder gedichtet.“ 

„Etwa auf dich, du Vater des größten Löwen⸗ 
mauls? Kennſt du von all meinen Völkern und Dör⸗ 
fern nur ein einziges beim Namen?“ 

„Ich mag dieſe Namen gar nicht wiſſen, da ſie die 
Augen ſo ſehr trüben, daß man dieſen Effendi für einen 
Räuber hält. Du haſt noch niemals einen ſo großen Be⸗ 
weis deiner Klugheit gegeben wie vorhin, da du ihn faſt 
erſchlugſt.“ 

„Haltet Frieden!“ gebot der vor ihnen herſchrei⸗ 
tende Deutſche. „Auch du, Ibn el Dſchidri, haft eine 
große Dummheit begangen.“ 

„Ich?“ fragte der Slowak verwundert. 

„Ja. Ich wollte Abu el Mot ergreifen; aber da⸗ 
durch, daß du nicht auf meinen Befehl warteteſt, ſondern 
zu zeitig losbrachſt, haſt du es unmöglich gemacht. Du 
hätteſt die Leute noch einige Schritte weitergehen laſſen 
ſollen.“ N 

„Mein Mut war zu groß, Effendi. Er ließ ſich 
nicht mehr zügeln!“ 

„Nur derjenige Mut iſt lobenswert, der ſich mit 
Klugheit und Ueberlegung paart. Der Fehler Hadſchi 
Alis hat nur mich getroffen, der deinige aber wird weit 
mehr Menſchen ſchädigen. Viele Reiſende und Hunderte 
von Sklaven werden deine Uebereilung zu büßen haben. 
Hätte ich dieſen Abu el Mot in meine Hände gebracht, 
ſo ſtand mit Gewißheit zu erwarten, daß der Mudir von 
Jaſchodah ihn für immer unſchädlich machen werde.“ 

„Das iſt freilich wahr, Effendi,“ geſtand der Kleine. 


1907 


„Meine Seele iſt von Wehmut erfüllt und mein Herz 
von Reue über meine Ungeduld. Doch hoffe ich, daß du 
ſie mir verzeihen werdeſt!“ 

„Das werde ich. Dafür erwarte ich aber, daß du 
nicht andern dann Vorwürfe machſt, wenn du ſelber 
welche verdienſt.“ 

„O, dieſe Vorwürfe haben nicht viel zu bedeuten. 
Hadſchi Ali iſt mein beſter Freund. Wir lieben uns 
innig; aber dieſe Liebe iſt gerade dann am größten, 
wenn wir uns zanken und einander ärgern. Nicht wahr, 
du guter Vater des Gelächters?“ . 

„Ja,“ beſtätigte Ali in vollſtem Ernſt, wobei er 
jedoch eine höchſt lächerliche Grimaſſe zog. „Allah hat 
unſre Herzen verbunden, ſo daß ſie wie ein einziges 
ſchlagen. Aber unſre Kenntniſſe ſind zu verſchiedener 
Natur. Es gelingt uns nie, ſie zu vereinigen. Bitten wir 
den Propheten, daß er es bald verbeſſere!“ 

Als die drei den Lagerplatz erreichten, ſtellte 
Schwarz noch eine zweite Wache aus, obgleich er über⸗ 
zeugt war, daß Abu el Mot ſeinen Verſuch nicht wieder⸗ 
holen werde. Die beiden Wachen hatten keine Opfer zu 
bringen, weil nach der großen Aufregung, die der An⸗ 
griff erſt der Löwen und dann der Gum hervorgerufen 
hatte, vom Schlaf gar keine Rede ſein konnte. Uebrigens 
war der Morgen nicht mehr fern, und man nahm ſich 
vor, ihn unter Geſprächen und Erzählungen zu erwar⸗ 
ten. Da die Gefangenen nicht zu hören brauchten, was 
von ihnen geſprochen wurde, ſo ſchaffte man ſie zur 
Seite, wo ſie lautlos lagen wie bisher. 

Der „Vater der vordern Löwenhälfte“ gab dem Ge⸗ 
lehrten ſtets neue Beweiſe von der Größe ſeiner Kennt⸗ 
niſſe; als dieſer z. B. gelegentlich bemerkte, der Hieb Abu 
Dihks hätte ihm leicht das Schulterblatt brechen können, 


— 18 — 


tröſtete ihn der Ungar in deutſcher Sprache: „So ein 
Bruch, armiger oder beiniger, ſeinte gar nicht ſchlimm. 
Er wernte geheilt in Zeit, ſehr kurze. Auch ich hab' ſchon 
einmal heilte einen ſolchente.“ 

„So? Wer war der Patient?“ fragte Schwarz. 

„Das ſeinte freilich kein Geſchöpf, menſchliches, ſon⸗ 
dern nur ein Kranker, voglicher, geweſente. Herrrr 
Wagner hatt geſchießte ein Abu miaht), hatt gelahmte 
Flügel, und Schrot gingte auch in Bein, linkiges, ſo daß 
Bein war vorzwei. Hab' ich genommte Storch, verwun⸗ 
deten, gebundelnte feſt mit Schnur, damit er ſich nicht 
können bewegente, und ihm dann machte Schiene an 
Bein, mitleidiges. Dann hatt Storch immer ſtehente 
auf Bein andres, bis ſeinte geheilt Bein, trauriges. 
Herrrr Wagner hatte mich lobente dafür ſehr und mich 
genannt einen Dramaturg, großartigen.“ 

„Wohl Chirurg?“ 

„Nein, Dramaturg.“ 

„Dann befinde ich mich im Irrtum. Was iſt ein 
Dramaturg?“ 

„Das Wort iſt aus Sprach, lateiniger, in der ich 
ſeinte Meiſter, unbeſtreitlichbarer, und heißt ſoviel wie 
ein Arzt, ſtudiumtierter, der kann wieder machte zuſam⸗ 
men alle Brüche, knochige.“ 

„So! Und was iſt ein Chirurg?“ 

„Unter Chirurg verſtehente man Leute, künſtlerige, 
die hatten geſpielt und geſungte Prezioſa dir, dir folgen 
wir‘ oder auch Leiſe, leiſe, frommte Weiſe, ſchwingte auf 
zum Sterntekreiſe'. Wird geblaſte Muſik dazu und ge» 
geigte Violin.“ 

„Und das tun wirklich die Chirurgen?“ 

„Ja. Ich ſelbſt hatt es geſehen im Theater, Ol⸗ 


I) Rieſenſtorch, Mycteria' ephipplorhyncha. 


— 109 — 


mütziges, auf Wanderſchaft, meiniger. Es ſeinte ge⸗ 
weſen die Opern Prezioſa, das Mädchen, zigeuneriges, 
und Freiſchütz oder Samiel, teufliſcher.“ 

„Dann habe ich abermals eine Verwechſlung feſtzu⸗ 
ſtellen. Chirurg iſt der Arzt dann, wenn er äußere 
Schäden, alſo auch Beinbrüche, durch äußere Mittel heilt. 
Ein Dramaturg aber iſt ein Gelehrter, deſſen Arbeiten 
ſich zwar auf das Theater beziehen, der aber niemals 
ſelbſt auftritt, wenigſtens nicht in ſeiner Eigenſchaft als 
Dramaturg; er iſt Schauſpiellehrer. Sie verwechſeln die 
Bühne mit dem Krankenbett.“ ö 

„Das ſeinte doch kein Umtauſch, irriger! Warum 
ſoll Bett, krankes, nicht auch vorkommte einmal auf 
Bühne, theateriger? Warum ſoll ſtets ich es ſein geweſte, 
der hatt gemacht Verwechstelung? Ich hab' tragte in 
Kopf ſehr viel Bildung, kenntniſſerigel“ 

„Ja, wie der Vater des Gelächters' ſeine Länder, 
Völker, Städte und Dörfer!“ 

„O nein! Dummheiten, ſeinige, ſind nicht zu ver⸗ 
gleichte mit Kenntnis meiniger.“ 

„Hm, wollen nicht darüber ſtreiten! Sind Sie in 
Faſchodah bekannt?“ 

„Sehrrer, außerordlichente ſehrrer! Ich bin ge 
weſente dort ſchon oft.“ 

„Haben Sie den Mudir geſehen, dem ich mich bor- 
ſtellen muß und dem wir die Gefangenen übergeben 
wollen?“ 

„Ich hab' begegente ihm auf Straße, öffentlicher. 
Sein Name ſeinte Ali Effendi, wird aber ſehr oft auch 
Abu hamſah miah!) genennte.“ 

„Das habe ich gehört. Er ſoll ſehr ſtreng fein, be 
ſonders gegen den Sklavenhandel. Sein Urteil lautet 


1) „Vater der Fünfhundert.“ 


— 110 — 


ſobald er einen Schuldigen erwiſcht, faſt ſtets auf fünf⸗ 
hundert Hiebe, weshalb er gern der Vater der Fünfhun⸗ 
dert‘ genannt wird.“ 

„Ja. Wenn morgen wir übergebten ihm die Gum 
und die Homr, ſo erhaltente gewiß jeder von ihnen die 
Fünfhundert, gepfeffertige und geſalztigente.“ 

„Kann denn ein Menſch ſo viele Streiche auf die 
Fußſohlen aushalten?“ 

„Das kann ich nicht gewüßte, weil ich noch nicht 
hatt bekommte fünfhundert. Aber wenn ſie werden ge⸗ 
gebt auf Rücken, entblößigten, ſo muß ſich gewiß ſterben 
Verbrecher, erwiſchter. Aber horch! Was ſeinte das? 
Hat es nicht raſchelte in Buſch?“ 

Schwarz hatte es auch gehört. Er forderte die Dſche⸗ 
labi, welche auch laut miteinander ſprachen, auf, zu 
horchen. Bei der nun eingetretenen Stille vernahm man 
ein ziemlich ſtarkes Schnaufen und Schnobern, wie wenn 
ein Tier ſich auf der Fährte nicht zurecht finden kann. 

„Allah beſchütze uns!“ ſchrie der Schech. „Das iſt 
wieder ein Löwe! Er wird uns freſſen, da wir nicht 
fliehen können, weil wir gebunden ſind.“ 

„Schweig!“ rief ihm der „Vater der elf Haare“ zu. 
„Es iſt höchſtens ein junger Löwe. Ein alter wäre längſt 
ſchon zwiſchen uns. Dieſes junge Tier aber hat eine un⸗ 
geübte Naſe und wird, ſobald es uns erblickt, es gar 
nicht wagen, zu uns zu kommen.“ 

„Ein Junges?“ fragte Schwarz. „Das möchte ich 
fangen!“ 

„Wenn du es haben willſt, ſo wollen wir verſuchen, 
es in unſre Hände zu bekommen. Aber wir müſſen den⸗ 
noch vorſichtig ſein, denn wir wiſſen nicht, wie alt es 

itt. Vielleicht iſt es nur eine Hyane, die den Geruch des 
fiiſchen Löwenfleiſches wittert.“ 


— 111 — 


„Ich werde nachſehen.“ Er nahm ſein Gewehr und 
verließ das Feuer. Noch aber hatte er deſſen Lichtkreis 
nicht überſchritten, ſo kam das Tier um die Ecke des Ge⸗ 
büſches. Es hatte ungefähr die Größe eines tüchtigen 
Pudelhundes, war alſo ſchon imſtande, ſich nachdrücklich 
zu wehren. Es floh nicht etwa, als es den Deutſchen er⸗ 
blickte, ſondern es legte ſich glatt auf die Erde nieder und 
fauchte ihn wütend an, ohne aber zu wagen, auf ihn 
einzuſpringen. „Da iſt das Tier!“ rief Schwarz. „Decken 
her, ſchnell mehrere Decken her!“ ö 

Hadſchi Ali und der Slowak, die beiden einzigen, die 
ſich nicht fürchteten, folgten dieſem Ruf möglichſt ſchnell. 
Das Tier war ſchon zu groß zur feigen Flucht, wagte 
aber doch den Angriff nicht. Alſo blieb es liegen, indem 
es die glühenden Augen auf Schwarz gerichtet hielt. Die⸗ 
ſem wäre es leicht geweſen, es durch eine Kugel zu töten, 
aber er wollte es lebendig haben. Er langte hinter ſich, 
um die beiden Decken in Empfang zu nehmen, welche 
die Genannten brachten. Sie beſtanden aus ſtarkem, 
kamelhaarenem Stoff, der, doppelt genommen, den Kral⸗ 
len und Zähnen des Tieres für kurze Zeit widerſtehen 
konnte. Schwarz legte, die Augen unausgeſetzt auf den 
Löwen gerichtet, die Decken aneinander, ſpannte ſie aus 
und warf ſie auf den jungen „Herrn mit dem dicken Kopfe.“ 

Dieſer hatte keine Bewegung der Abwehr gemacht. 
Die plötzliche Verhüllung ſchien ihn zu erſchrecken, denn 
er zögerte, ſich zu befreien. Dadurch gewann Schwarz 
Zeit, ſich auf ihn zu werfen und ihn mit dem Gewicht 
ſeines Körpers niederzuhalten. 

Leicht wurde ihm das freilich nicht. Der Löwe ent⸗ 
wickelte eine Muskelſtärke, die ſeiner Jugend kaum zu⸗ 
getraut werden konnte. Es gelang ihm wiederholt, ſich 
halb aufzurichten, doch Schwarz drückte ihn wieder nie⸗ 


— 112 — 


der, eifrig bemüht, dem Kopfe und den Tatzen auszu⸗ 
weichen. „Stricke her, Stricke!“ rief er den beiden Ge⸗ 
noſſen zu. | 

Man hatte viele Schnüre und Riemen bedurft, die 
Gefangenen zu feſſeln; glücklicherweiſe aber iſt jede Ka⸗ 
rawane ſtets reichlich mit Stricken und dergleichen ver- 
ſehen. Das Verlangte wurde raſch herbeigebracht, und 
es gelang den vereinten und natürlich ſehr vorſichtigen 
Bemühungen der drei Männer, das ſich aus allen Kräf⸗ 
ten ſträubende Tier vollſtändig einzuwickeln und ſo feſt 
mit den Stricken zu umwinden, daß es ſich nicht mehr 
regen konnte. 

„Hamdulillah — Preis ſei Gott!“ rief Hadſchi Ali. 
„Wir haben den Würger der Herden nebſt ſeiner Frau 
erſchoſſen und nun auch ſeinen Sohn beſiegt. Da liegt er 
in ſchmachvoller Ohnmacht; er kann nur knurren, aber 
nicht ſich retten. Aaib aaleihu — Schande über ihn!“ 

Das gefangene Tier wurde am Feuer niedergelegt, 
wo es am beſten bewacht werden konnte. Es lag wie tot 
und gab keinen Laut von ſich. 

„Der Löwe ſeinte Eigentum Ihriges,“ ſagte der 
Slowak zu Schwarz. „Zwar hatten wir geholfte, aber 
Sie ſeinte es, der ihn vorrrher gefangte hatt. Was wer⸗ 
den Sie mit ihm machte?“ 

„Ich will meine Sammlungen von Faſchodah aus 
nach Chartum ſenden, wo ich einen Freund habe, der ſie 
nach der Heimat befördert. Ihm werde ich auch den 
Löwen ſchicken. Vielleicht gelingt es, ihn lebendig nach 
Deutſchland zu bringen.“ 

„Dort wird er wohl kommte in eine Menagerie, 
botaniſche?“ 

„Nein, ſondern in eine Menagerie, zoologiſche,“ 
lachte Schwarz. „Da Ihr Name Stephan Pudel ein 


— 113 — 


zoologiſcher iſt, ſollten Sie ſich einer ſolchen Verwechs⸗ 
lung doch nicht ſchuldig machen!“ 

„Gibt es nicht auch Pudel, botaniſche?“ 

„Ja, aber die werden nur von Ihnen geſchoſſen, 
wie es ſcheint. Sie haben ſogar ſchon aſtronomiſche 
Pudel geſchoſſen, wie ich mich entſinne. Sehen Sie gegen 
Himmel! Ihre Straße, milchigte, beginnt zu erbleichen 
und die Sterne des Schlangenträgers verſchwinden am 
Horizont. Da wir im Monat März ſtehen, iſt dies ein 
Zeichen, daß der Morgen ſich naht. Wir können bald 
das Feuer ausgehen laſſen und uns zum Aufbruch rüſten.“ 

„Das hab' ich auch gewüßte, denn ich hatt' alle 
Sternte kennte gelernt. Wie aber wernte wirrrr die Ge— 
fangte transportierte?“ 

„Sehr einfach. Wir binden ſie auf die Kamele, 
deren wir genug haben, da wir fünf erbeuteten.“ 

„Aber von gefangte Gum ſind ſechs Männer. Da 
fehlt ein Kamel, reitendes!“ 

„So mag der Schech laufen. Er hat es reichlich ver⸗ 
dient, daß er ſich anſtrengen muß.“ 

Nach einiger Zeit trat die in jenen Gegenden fehr 
kurze Dämmerung ein; raſch wurde es Tag. 


May, Die Sklavenkarawane 8 


Sünftes Kapitel, 


Gerichtsbarkeit am Lil. 


Während die Dſchelabi el Fagr, das Morgengebet, 
in der vorgeſchriebenen Weiſe abhielten und den Zug 
rüſteten, brach Schwarz dem Löwen und der Löwin die 
Zähne aus, um dieſe als Siegeszeichen mitzunehmen. 
Dann machte man ſich auf den Weg. Die Araber ſaßen 
gebunden auf den Kamelen, nur der Schech mußte gehen, 
was ihn mit ohnmächtiger Wut erfüllte. 

Die Gegend war durchweg eben. Je mehr man ſich 
dem Fluß näherte, deſto feuchter wurde die Luft und 
deſto dichter hatte ſich infolgedeſſen die Erde mit Gras 
überzogen. Man näherte ſich den Anſiedlungen der 
Schillukneger, denen man gern ausgewichen wäre, eines» 
teils weil ſie als Diebe und Räuber verſchrien ſind, und 
andernteils wegen der Gefangenen, da ſie mit den Homr 
in Blutrache leben. Es ſtand zu befürchten, daß ſie ſich 
ihrer mit Gewalt bemächtigen würden, um ſie umzu⸗ 
bringen. Leider war eine Begegnung mit ihnen nicht 
ganz zu umgehen, da ſie das linke Ufer des Bahr el 
Abiad von deſſen Nebenfluß Keilak bis hinab nach Mak⸗ 
hadat el Kelb bewohnen, und zwar in ſo dicht aneinander 
liegenden Dörfern, daß deren Reihe faſt gar keine Unter⸗ 
brechung erleidet. 

Glücklicherweiſe kannten die Dſchelabi die Gegend 
genau, und der „Vater der elf Haare“ verſicherte, daß er 


— 115 — 


die Karawane, wenn man ihm folge, zwar nicht unan⸗ 
gefochten, aber doch unbeſchädigt nach Faſchodah bringen 
werde. Seiner Weiſung zufolge wurde ein Umweg ges 
macht, um einige dicht bevölkerte Dörfer zu vermeiden. 
Zur Mittagszeit gönnte man den Tieren und Menſchen 
einige Ruhe. Die erſteren mußten ſpäter ſehr ange⸗ 
ſtrengt werden, weil man, um den Schilluk keine Zeit zu 
Feindſeligkeiten zu laſſen, ihr Gebiet in ſchnellſter Gang⸗ 
art zu durchqueren hatte. Erſt nach dem Asr wurde wie⸗ 
der aufgebrochen. 

Schon nach nicht ganz einer Stunde ſah man hinter 
Durrhafeldern, die jetzt während der heißen Jahreszeit 
unbebaut lagen, die Tokuls!) eines Dorfes liegen. 

„Wir ſind glücklich bis hierher gekommen und noch 
keinem Schilluk begegnet,“ ſagte der Ungar in ſtolzem 
Ton. „Bin ich nicht ein vortrefflicher Führer geweſen? 
Das Dorf, das hier vor uns liegt, iſt das einzige, durch 
das wir müſſen; dann ſind wir bald in Faſchodah. 
Geben wir den Tieren die Peitſchen! Sie müſſen ſo 
ſchnell wie möglich laufen, damit uns niemand anhalten 
kann. Wer ſich uns in den Weg ſtellt, wird nieder⸗ 
geritten.“ 

Die Kamele und Eſel gingen einzeln hintereinan⸗ 
der. Der Slowak ritt voran. Er ließ ſeinen Eſel im 
Schritt gehen; aber als er dem Dorfe nahe kam und 
deſſen erſte Bewohner erblickte, ſchlug er ſo auf ſein 
Tierchen ein, daß es im Galopp davonflog. Die andern 
folgten. Der Schech war mit einem Strick lang an den 
Sattel desjenigen Kamels gebunden, welches Schwarz 
ritt. Er mußte nicht laufen, ſondern förmlich rennen, 

Zum nicht umgeriſſen und fortgeſchleift zu werden, eine 
entſetzliche Schande für ihn, den Schech eines Stammes, 

) Strohhütten. 


— 16 — 


defien Angehörige es für eine Schmach halten, ſich 
außerhalb ihrer Dörfer anders als nur im Sattel zu 
zeigen. 

Die Tokuls lagen ziemlich weit auseinander. Sie 


* 


waren meiſt von runder Bauart und aus Holz und 


Stroh errichtet; Nilſchlamm bildete das Bindemittel. 
Die Dächer beſtanden aus Schilf und Stroh und waren 
mit den Skeletten von Giraffen und Buckelochſen verziert. 

Von einer Gaſſe oder gar Straße war keine Rede. 
Zwiſchen den Hütten lagen die Durrhafelder, jetzt dürr 
und hart; ſie bildeten den Weg, den der kleine Führer 
einſchlug, indem er im Galopp von einer Hütte immer 
um die andre bog. Er ſchien oft hier geweſen zu ſein 
und die Tokuls ſo genau zu kennen, als ob er hier ge⸗ 
boren ſei. | 

Die erſten Schilluks, an denen man vorbeikam, 
ſahen mit Staunen die Karawane ſo ſchnell an ſich vor⸗ 
überfliegen. Es waren ſchlanke, dunkelſchwarze Leute 
mit ſchmalen, gar nicht negerartigen Lippen. Sie tru⸗ 
gen keine Spur von Kleidung. Die einzige Toilette, die 
an ihnen zu bemerken war, erſtreckte ſich auf die ſonder⸗ 
bare Anordnung ihres Haares. 

Die Schilluk beſchneiden nämlich ihr Haar nie. Sie 
»ſlaſſen es lang wachſen und flechten es rund um den 
Kopf ſo geſchickt ineinander, daß es die Geſtalt eines 
Kranzes oder einer Hutkrempe erhält. Andre flechten 
es von hinten aufwärts bis nach vorn an die Stirn zu 
einem aufrecht ſtehenden Kamm, der mit der Raupe des 
früheren bayriſchen Reiterhelms große Aehnlichkeit hat. 
Viele machen fi aus weißen Federn rings um den 
Kopf eine Zierde wie einen Heiligenſchein. 5 

Einer ſaß tabakrauchend vor ſeiner Hütte. Aber 
was war das für eine Pfeife, deren er ſich bediente! 


— 117 — 


Der Kopf war fo groß wie ein Kürbis und das kurze 
Rohr ſo dick wie das Handgelenk eines Mannes. Da es 
keine Spitze hatte, ſo mußte der Schwarze den Mund ſo 
weit aufſperren, daß ihm die Augen aus den Höhlen 
traten. Allein dies erhöht nach der Anſicht der Schilluk 
den Genuß außerordentlich. Der Tabak wird bei ihnen 
gedörrt, zu Mehl zerrieben, in einen Teig geknetet und 
in Brotform aufbewahrt, um dann, mit beliebigen 
Pflanzenblättern vermiſcht, aus ſolchen Rieſenpfeifen 
geraucht zu werden. 

Dieſe Leute hatten die Karawane mit ſchweigendem 
Staunen wahrgenommen; aber dann, als ſie vorüber 
war, erhoben ſie ein weitſchallendes Geſchrei. Schwarz 
verſtand die Schillukſprache nicht, er wußte alſo nicht, 
was ſie ſchrien; da aber das Wort Homr mit beſonderem 
Nachdruck gebrüllt wurde, ſo konnte er ſich denken, daß 
man die Araber als Feinde erkannt hatte. | 

Aus den nahe liegenden Tokuls kamen die Männer, 
Frauen und Kinder gerannt. Das Geſchrei wurde auch 
von ihnen angeſtimmt und drang ſchneller weiter, als 
die Kamele und Eſel laufen konnten. Die Folge war, 
daß der Alarm vor ihnen hereilte. Im Nu befand ſich 
das ganze Dorf in Aufregung, und wohin die fliegende 
Karawane kam, ſah ſie drohende Schwarze vor ſich, die 
aber vor den dahinraſenden Tieren zur Seite ſpringen 
mußten. 

Glücklicherweiſe ſind Bogen und Pfeil den Schilluk 
unbekannt; ſie führen nur Lanze und Keule; einige 
haben wenige alte Feuerwaffen. Daher kam es, daß ſie 
- ihre Waffen zwar drohend ſchwangen, aber ne in Ans 
wendung brachten. 

Bald lag das Dorf hinter den Reitern, und der 
Slowak zügelte ſeinen Eſel. „Das iſt uns geglückt!“ 


— 118 — 


rief er aus. „Sie haben uns nicht anhalten können, und 

da vorn ſeht ihr Faſchodah.“ | | 
| Schwarz ſah in kurzer Entfernung von fich den Ort 
liegen, der aus armſeligen Hütten beſtand, über denen 
ſich die von Mauern umgebenen Regierungsgebäude er⸗ 
hoben. Der Schech war vollſtändig außer Atem. Er 
ſchnappte nach Luft und ſein Geſicht war dunkelrot an⸗ 
geſchwollen. Dennoch mußte er mit weiter, wenn auch 
nun langſameren Schrittes. Zufälligerweiſe befand 
zwiſchen der Stadt und dem Dorfe ſich niemand unter⸗ 
wegs, ſo daß man wenigſtens für jetzt keine Beläſtigung 
zu erwarten hatte. 

„Wo wirſt du mit den andern Dſchelabi wohnen?“ 
fragte Schwarz den Ungarn. — „Jeder von uns hat 
einen Bekannten im Ort, der ihn gern aufnehmen wird,“ 
antwortete der Gefragte. „Aber bei wem wirſt du ab⸗ 
ſteigen?“ — „Natürlich beim Mudir.“ — „So haſt du 
ein Teskireh!) bei dir?“ — „Sogar einen Hattifcherif”) 
des Vizekönigs und noch andre Empfehlungen.“ — „So 
wirſt du freundlich aufgenommen werden und dich um 
nichts zu ſorgen haben. Soll ich dich gleich zum Palaſt 
des Mudir führen?“ — „Ja, denn ich werde die Audienz 
nicht nur für mich, ſondern auch für euch erbitten. Wir 
wollen ihm die Gefangenen ſofort übergeben, und da 
wird er eure Ausſage hören wollen.“ — „Allah ſegne 
ihre Rücken und Fußſohlen! Die fünfhundert ſind ihnen 
gewiß.“ 

Faſchodah iſt keine Stadt zu nennen, ſondern ein 
elender, wenn auch ſehr alter Ort. Es ſteht an der Stelle 
der früheren Schillukreſidenz Denab, die als Danupſis, 
Hauptſtadt der nubiſchen Aethiopen, bereits von Pli⸗ 
nius erwähnt wird. Der Ort nimmt ſich wegen der 


) Paß. — ) Strenge Empfehlung. 


— 119 — 


Regierungsgebäude von außen nicht übel aus, doch ver⸗ 
ſchwindet dieſer Eindruck beim Betreten ſofort. 

Das Haus des Mudir und die Kaſerne ſind von 
Mauern umgeben und aus Ziegeln gebaut. Auf den 
Mauern ſtehen einige Kanonen, und des Nachts 
patrouillieren die Wachtpoſten, eine gegen die ſtets rebel⸗ 
liſchen Schilluk gerichtete, gar nicht überflüſſige Maßregel. 

Um dieſe Gebäude ſtehen mehrere Häuſer und zahl⸗ 
reiche Tokul, welche meiſt von Soldaten, die mit ihren 
Familien in der Kaſerne keinen Platz haben, bewohnt 
werden. Faſchodah hat nämlich eine ungefähr tauſend 
Köpfe zählende Beſatzung. Dieſe beſteht aus einer An⸗ 
zahl von Arnauten und im übrigen aus lauter Geha⸗ 
diah!), die ein höchſt liederliches Leben führen, aber den⸗ 
noch leichter zu disziplinieren ſind als die Dongolaner, 
Berberiner, Scheiqieh und Aegypter, aus denen die 

ſonſtige ſudaneſiſche Soldateska beſteht. 

f Außer den angegebenen Gebäuden ſieht man nur 
liederlich gebaute Hütten, halbverfallene Baracken, Erd⸗ 
löcher, übelriechende Lachen und ganze Berge von Un⸗ 
rat, welche die Luft verpeſten. Rechnet man dazu, daß 
der eine Flußarm während der Regenzeit verſumpft und 
daß der Uferdamm aus Pflöcken beſteht, zwiſchen denen 
man Erde, Gras und Miſt angehäuft hat, ſo läßt es ſich 
ſehr leicht erklären, warum das Klima des Ortes ein 
höchſt ungeſundes iſt, und warum die nach hier ver⸗ 
bannten Verbrecher zwar nicht zum Tod verurteilt, aber 
ihm doch geweiht ſind. Faſchodah iſt nämlich Verban⸗ 
nungsort. 

In der näheren Umgegend gibt es einige wenige 
Gartenanlagen, in denen man Rettiche, Zwiebeln, Knob⸗ 


) Negerfußtruppen. 


— 120 — 


lauch, Melonen, Gurken, Kürbiſſe und das hier ge⸗ 
bräuchliche Grünzeug baut. 

Es wohnen auch Schillukneger im Ort. Als dieſe 
die Karawane zu Geſicht bekamen, erhoben ſie ein eben⸗ 
ſolches Geſchrei wie die ihnen ſtammesverwandten 
Dorfbewohner. Sie wagten unter den Kanonen der 
„Feſtung“ und den Augen des Mudir zwar keine Feind- 
ſeligkeiten, aber ſie liefen drohend und ſchimpfend hinter 
dem Zuge her. Ihr Gebrüll machte, daß ſich ihnen andre 
und wieder andre anſchloſſen, ſo daß die Begleitung der 
Reiter, als dieſe am Tore der Befeſtigung anlangten, 
aus mehreren Hundert lärmenden Menſchen beſtand. 


Eine unter dem Tore ſtehende Wache fragte nach dem 
Begehr der Ankömmlinge. Schwarz antwortete, daß er 
ſich im Beſitz eines Hattiſcherif befinde und den Mudir 
ſprechen wolle. Der Poſten ſchloß das Tor, um ſich zu 
entfernen und Meldung zu machen. 


Es dauerte eine ganze Weile, bis er mit einem On⸗ 
baſchin) zurückkehrte, welcher dieſelbe Frage ausſprach 
und dann davonging, um einen Buluk Emini?) zu holen, 
der ganz dasſelbe wiſſen wollte und nach empfangener 
Antwort einen Tſchauſch' ſuchte, welcher die Frage wie⸗ 
derholte und dann nach einem Baſch Tſchauſch)) eilte, 
der ſich nach ganz demſelben Gegenſtand erkundigte, 
worauf er auch hinter dem Tore verſchwand, um die 
wichtige Angelegenheit einem Mülaſim“) mitzuteilen. 
Dieſer eilte zu ſeinem Jüsbaſchie), welcher, nachdem er 
Schwarz gefragt hatte, was er wolle, einen Kol Agaffi”) 
ſchickte. Dieſer endlich ließ die Wartenden in den Hof. 
Darüber war faſt eine Stunde vergangen, während mel» 


1) Korporal. — ) Quartiermeiſter. — ) Sergeant. — ) Feldwebel. — 
) Beutnant. — ) Hauptmann. — 7) Adjutant. 


— 121 — 


cher die ſchreiende Menge ſich verdreifacht und das Ge⸗ 
brüll ſich verzehnfacht hatte. 

Nun ſtiegen die Reiter ab. Waren ſie aber der Mei⸗ 
nung geweſen, daß ſie nun zum Mudir geführt würden, 
ſo hatten ſie ſich geirrt. Der Adjutant holte vielmehr 
einen Alai Emini !), dieſer einen Bimbaſchi', der wieder 
einen Kamaikam) und dieſer dann einen Mir Alai*) 
herbei, welch letzterer endlich die richtige Perſon zu ſein 
ſchien, denn er forderte dem Deutſchen ſeine Papiere ab 
und entfernte ſich damit. Nach ungefähr zehn Minuten 
kehrte er zurück. Diesmal war er bemüht, die größte 
Höflichkeit zu zeigen. Er lud Schwarz mit einer tiefen 
Verbeugung ein, ihm zu folgen und führte ihn nach dem 
Hauſe des Mudir. 

Der Mudir kam ſeinem Gaſt an der Tür entgegen, 
kreuzte die Hände über die Bruſt, und begrüßte ihn mit 
einem ausführlichen „Salam aleik“, welches Schwarz 
mit „W'aleik iſſalam“ erwiderte. Für den letzteren war 
der Gruß des Mudir eine Ehrenerweiſung, da der 
ſtrenge Moslem einem Chriſten gegenüber meiſt nur das 
erſte Wort des Grußes, Salam, gebraͤucht. 

Der Statthalter führte ihn, was eine noch viel grö⸗ 
ßere Auszeichnung war, ſelbſt nach dem Selamlif), wo 
er ihn bat, auf einem Diwan gegenüber von ihm Platz 
zu nehmen. Geſprochen wurde noch nicht, ſondern der 
Beamte klatſchte in die Hände, worauf einige junge 
Neger erſchienen. Der erſte trug ein Senieh, ein ſechs 
Zoll hohes Tiſchchen mit polierter Kupferplatte, welches 
er zwiſchen die beiden Herren ſtellte. Der zweite gab die 
Fenagine) herum, ſchüttete geſtoßenen Kaffee hinein und 
goß kochendes Waſſer darauf. Als die Herren den Kaffee 


y Major. — ) Bataillonschef. — 9) Oberſtleutnant. — ) Ober. — 
) Empfangszimmer. — ) Plural von Fingan, kleine, eiförmige Taſſen. 


— 122 — 


getrunken hatten, brachte der dritte Pfeifen, welche be⸗ 
reits geſtopft waren, und der vierte reichte glühende 
Kohlen dar, die Pfeifen anzuſtecken. Dann zogen ſich die 
Schwarzen ſchweigend zurück. 

Der Mudir rauchte aus einem gewöhnlichen Tſchi⸗ 
buk; Schwarz aber hatte einen ſehr koſtbaren erhalten. 
Das Rohr war von echtem Roſenholz mit Golddraht 
umwunden und mit Perlen und Brillanten ausgelegt. 
Die Spitze beſtand aus einem großen, herrlichen Stück 
rauchigen Bernſteins, welchen die Orientalen dem durch⸗ 
ſichtigen vorziehen. 

Je höher der Gaſt geehrt wird, deſto toſtbarer die 
Pfeife, die man ihm präſentiert. Von dieſem Stand» 
punkt aus betrachtet, konnte der Deutſche mit der ihm 
gezollten Hochachtung zufrieden ſein. 

Nun erſt, da die Pfeifen brannten, war der Augen⸗ 
blick des Sprechens gekommen. Der Mudir nahm die 
Ausweiſe des Deutſchen, die neben ihm auf dem Diwan 
lagen, gab ſie ihm zurück und ſagte: „Du ſtehſt unter 
dem Schutz des Khedive, deſſen Willen uns erleuchtet. 
Ich habe deinen Namen geleſen und weiß nun, daß du 
derjenige biſt, den ich erwartet habe.“ 

„Du wußteſt, daß ich kommen würde?“ fragte 
Schwarz. | 

„Ja. Mumtas Paſcha, der Gouverneur, mein Vor⸗ 
geſetzter, den Allah ſegnen wolle, hat es mir geſchrieben. 
Er hat dich in Chartum kennen gelernt und liebgewon⸗ 
nen. Du biſt mir von ihm ſehr empfohlen worden, und 
ich harre deiner Wünſche, um ſie dir zu erfüllen, ſoviel 
es mir möglich iſt. Auch wartet bereits ein Bote auf 
dich, der dir einen Brief zu überbringen hat.“ 

„Von wem?“ 


— 1233 — 


„Von deinem Bruder, der im Lande der Niam⸗ 
niam verweilt und dich dort erwartet.“ i 

„So iſt er ſchon dort?“ rief Schwarz ſchnell und 
erfreut. „Er iſt von Sanſibar nach Weſten vorgedrun⸗ 
gen, während ich von Kairo aus nach dem Süden ging. 
Bei den Niam⸗niam wollten wir uns treffen. Er ver⸗ 
ſprach mir, als wir uns trennten, mir ſofort, wenn er 
ſich am Ziel befinde, Nachricht nach Faſchodah zu ſenden. 
Und ich kam heute meiſt aus dem Grunde hierher, nach⸗ 
zufragen, ob ein Bote von ihm angekommen ſei.“ 

„Er iſt da und hat einen langen, langen Brief für 
dich. Er iſt ein ſehr junger, aber auch ſehr kluger 
Menſch. Allah hat ihn mit einem ſchärferen Verſtand 
ausgeſtattet, als Tauſende von Männern in hohem Alter 
beſitzen. Er wohnt ſeit mehreren Tagen bei mir, um 
dich zu erwarten. Du kommſt nicht direkt von Chartum?“ 

„Nein. Ich ging von dort aus nach Kordofan und 
Darfur, um die Menſchen, Tiere und Pflanzen dieſer 
Lande kennen zu lernen. Ich habe eine Sammlung an⸗ 
gelegt, die mehrere Kamellaſten beträgt, und will ſie von 
hier nach Chartum ſenden.“ 

„Uebergib ſie mir; ich werde ſie ſicher dorthin brin⸗ 
gen laſſen. Aber du und dein Bruder, ihr müßt ſehr 
kühne Leute ſein. Haſt du nicht gewußt, daß dein Leben 
in Kordofan, und ganz beſonders in Darfur, in ſteter 
Gefahr ſchwebte?“ 

„Ich wußte es; aber die Liebe zur Wiſſenſchaft war 
größer als die Furcht.“ 

„So hat Allah ſeine Hand über dich gehalten. Ihr 
Chriſten ſeid furchtloſe, aber unbegreifliche Leute. Ein 
Moslem dankt Allah für ſein Daſein und bringt es nicht 
wegen einiger Gewächſe oder Käfer in Gefahr. Du 
ſcheinſt böſen Leuten gar nicht begegnet zu ſein?“ 


— 14 — 


„O doch, aber ich weiß, wie man ſolche Menſchen zu 
behandeln hat. Der letzten und wohl größten Gefahr 
entging ich geſtern abend, als ich ermordet werden ſollte.“ 

„Geſtern abend?“ fuhr der Mudir auf. „Von wem? 
Wer hat es gewagt, dir nur ein Haar krümmen zu wol⸗ 
len? Zu dieſer Zeit haſt du dich doch ſchon im Bereich 
meiner Macht befunden!“ 

„Es war am Brunnen des Löwen.“ 

„Dieſer Ort gehört zu meiner Mudiriéh. Wer iſt's, 
über den du dich zu beklagen haſt? Nenne ihn mir, und 
ich werde ihn finden, wohin er ſich auch verkrochen hat!“ 

„Es ſind die Arab el Homr, die ich gemietet hatte, 
mich nach hier zu begleiten.“ 

„Die Homr ſtehen nicht unter mir. Ich kann ſie 
nur dann beſtrafen, wenn ſie ſich innerhalb meiner 
Grenzen befinden.“ 

„Sie ſind hier, unten im Hof, gefeſſelt. Ich habe 
ſie als Gefangene mitgebracht, um ſie dir zu übergeben.“ 

„Wie? Du haſt ſie mit? Erzähle, erzähle!“ 

Er war ganz in Feuer geraten. Er war Beherr⸗ 
ſcher einer Gegend, wo es eines kräftigen Armes und 
einer ungewöhnlichen Willenskraft bedurfte, den Ehr⸗ 
lichen gegen den Unehrlichen in Schutz zu nehmen. Bei 
des beſaß er in hohem Grad. 

Schwarz erzählte das geſtrige Erlebnis, auch den 
Kampf mit den Löwen. Der Mudir hörte ihm mit ge⸗ 
ſpannter Aufmerkſamkeit zu und ſprang, als der Bericht 
zu Ende war, von ſeinem Sitz auf. Die Pfeife, die ihm 
längſt ausgegangen war, von ſich werfend, rief er aus: 
„Zwei Löwen haſt du getötet und ihr Junges gefangen 
genommen! Du biſt ein Held, ein wirklicher Held! Und 
doch haben dieſe Hunde es gewagt, ſich an dir vergreifen 
zu wollen! Sie werden zu mir und Allah um Gnade 


— 125 — 


ſchreien, aber weder er noch ich werden ſich ihrer erbar⸗ 
men. Und dieſen Abu el Mot haſt du genannt? Kennſt 
du ihn?“ 

„Nein, doch habe ich gehört, daß er ein berüchtigter 
Sklavenjäger iſt.“ 

„Das iſt er, der ſchlimmſte von allen. Wehe ihm, 
wenn er in meine Hände fällt! Warum hat dieſer Vater 
des Gelächters dich verhindert, ihn zu ergreifen! Nun 
muß ich für lange Zeit darauf verzichten, ihn zu er⸗ 
wiſchen; denn er wird nach der fernen Seribah Omm et 
Timſah gehen und erſt nach vielen Monaten zurück⸗ 
kehren.“ 

„Weißt du, wo dieſe Seribah liegt?“ 

„Ja, denn ſie iſt durch ihre Schandtaten berühmt 
geworden. Sie liegt weit von hier im Süden, im Lande 
der Niam⸗niam.“ 

„Was?“ horchte Schwarz lan auf. „Wo mein 
Bruder ſich befindet?“ 

„Ob er ſich gerade in dieſem Teil des großen und 
weiten Landes befindet, weiß ich nicht. Sie liegt im Ge⸗ 
biete des Makrakaſtamms.“ 

„Dieſer Stamm iſt mir unbekannt.“ 

„Der Bote, den dein Bruder geſandt hat, gehört 
zu ihm.“ 

„Dann befindet ſich mein Bruder dort. Es wird ſich 
auf ihn doch nicht etwa die Drohung beziehen, die ich 
aus dem Munde des Abu el Mot hörte? Er hat er⸗ 
fahren, daß ſich zwei Europäer dort befinden, welche 
auch Pflanzen und Tiere ſammeln, und will ſie er⸗ 
morden!“ 

„Hat dein Bruder einen Begleiter mit?“ 

„Nein. Soviel ich weiß, tft er allein.“ 

„So kann er nicht gemeint fein. Du darfſt alte 


— 126 — 


ruhig ſein. Wir ſprechen darüber, und der Bote wird 
dir ſichere Nachricht geben. Jetzt aber wollen wir Gericht 
halten über dieſe Homr. Ich werde erſt die Dſchelabi 
und dann ſie vernehmen.“ 

Er klatſchte in die Hände, und als darauf ein 
ſchwarzer Diener erſchien, gab er ihm einige Befehle. 
Schon nach kurzer Zeit erſchienen mehrere Offiziere, die 
als Beiſitzer des Gerichts ſtill zu beiden Seiten des Mu⸗ 
dirs Platz nahmen. Dann wurden die Dſchelabi herein» 
geführt. Sie mußten kurz erzählen, was geſchehen war, 
und traten dann zur Seite. Ihre Ausſage ſtimmte 
natürlich mit derjenigen des Deutſchen genau überein. 

Die Homr waren unter militäriſcher Bedeckung im 
Hofe zurückgeblieben. Nachdem man ihnen dort die Fuß⸗ 
feſſeln abgenommen hatte, brachte man ſie jetzt herbei. 
Hinter ihnen ſtellten ſich mehrere Kawaſſen auf, die mit 
Kurbatſchen (Peitſchen) verſehen waren. Das ſah dro⸗ 
hend aus und vermehrte die ſchwüle Beklemmung, die 
über der Verſammlung lag. 

Die Homr hatten unterlaſſen, den Mudir zu grü⸗ 
ßen, und zwar nicht etwa aus Befangenheit. Der freie 
Araber dünkt ſich vornehmer und beſſer als der ange— 
ſeſſene; noch ſtolzer blickt er auf den Aegypter herab, den 
er den Sklaven des Paſcha nennt. Der Schech nahm 
jedenfalls an, daß er im gleichen Rang mit dem Mudir 
ſtehe. Vielleicht hielt er es für angemeſſen, durch Trotz 
einzuſchüchtern. Er wartete gar nicht ab, bis er ange⸗ 
redet wurde, ſondern er rief dem Beamten zornig zu: 
„Wir ſind hinterliſtigerweiſe überfallen und gebunden 
worden; da wir in der Minderzahl waren, haben wir es 
uns gefallen laſſen müſſen. Nun aber befinden wir uns 
an einem Ort, wo wir Gerechtigkeit erwarten können. 
Wir ſind freie Arab el Homr und niemand hat uns 


— 127 — 


etwas zu befehlen. Warum nimmt man uns die Stricke 
nicht von den Händen? Ich werde dem Khedive melden 
laſſen, wie die Beni arab von ſeinen Dienern behandelt 
werden!“ 

Er erzielte einen ganz andern Erfolg, als er erwar⸗ 
tet hatte. Die Brauen des Mudir zogen ſich zuſammen. 
Er antwortete in jenem ruhigen, aber ſchneidenden Ton, 
der gefährlicher iſt als zorniges Wüten: „Hund, was 
ſagſt du? Frei nennſt du dich? Mich willſt du beim 
Paſcha anzeigen? Wenn du es nicht weißt, daß du ein 
ſchmutziger Wurm gegen mich biſt, fo will ich es dir be⸗ 
weiſen. Ihr ſeid hier eingetreten, ohne eure Köpfe auch 
nur einen einzigen Zoll vor mir zu beugen. Es gibt 
keinen Offizier oder Effendi, der mir den Gruß verſagt, 
und ihr ſtinkenden Hyänen, die ihr als Verbrecher zu 
mir gebracht werdet, wagt es, dies zu tun? Ich werde 
euch zeigen, wie tief ihr euch zu verbeugen habt. Werft 
ſie nieder und gebt jedem zwanzig Hiebe; der Schech aber 
ſoll als Lohn ſeiner Frechheit vierzig bekommen!“ 

Einer der Kawaſſen holte ſofort eine hölzerne Vor⸗ 
richtung herein, welche einer Bank glich, die nur an der 
einen Seite zwei Beine, an der andern aber keine hat. 
Sie wurde auf den Boden gelegt, und zwar ſo, daß die 
beiden Beine emporſtanden. Dann ergriffen die Kawaſ⸗ 
fen einen der Homr, zogen ihn nieder, legten ihn mit 
dem Rücken auf die Bank und ſchnallten ihn da feſt. 
Seine nach aufwärts gerichteten Beine wurden an die 
Beine der Bank gebunden, ſo daß ſeine Fußſohlen nach 
oben blickten. Die pantoffelähnlichen Schuhe hatte man 
ihm natürlich ausgezogen. Dann ergriff ein Kawaß 
einen fingerſtarken Stock und gab ihm auf jede Fußſohle 
zehn kräftige Hiebe. . 

Der Homr hatte ſich wehren wollen, doch ganz ver⸗ 


— 128 — 


geblich. Er biß die Zähne zuſammen, um nicht zu 
ſchreien; aber als nach den erſten Schlägen die Fuß⸗ 
ſohlen aufſprangen, erhob er ein fürchterliches Jam⸗ 
mern. Als er losgeſchnallt war, konnte er nicht auf den 
Füßen ſtehen; er blieb wimmernd am Boden ſitzen. 

Ganz ebenſo erging es ſeinen Kameraden. Dann 
ergriff der Mudir wieder das Wort: „Dieſe Hundeſöhne 
ſollen ſich nicht ungeſtraft gegen mich erheben und mir 
gar drohen, mich beim Paſcha zu verklagen! Jetzt mag 
der Schech mir ſagen, ob er den fremden Effendi kennt, 
der hier an meiner Seite ſitzt!“ 

Auch dieſer, der Schech, der die doppelte Anzahl 
Hiebe erhalten hatte, konnte ſeinen Schmerz nicht ſtill 
überwinden. Er ſtöhnte noch lauter als die andern. Als 
er jetzt zögerte, die verlangte Antwort zu geben, drohte 
der Mudir: „Wenn du nicht ſprechen willſt, werde ich dir 
den Mund öffnen. Für eine jede Antwort, die mir einer 
von euch verweigert, laſſe ich ihm zwanzig Hiebe geben. 
Nun ſagt, ob du den Effendi kennſt!“ 

„Ja, ich kenne ihn,“ ſtieß der Schech hervor, wohl 
wiſſend, daß der Mudir ſeine Drohung wahr machen 
werde. 

„Du gibſt zu, daß ihr ihn überfallen und töten 
wolltet?“ f 

„Nein. Wer das behauptet, der iſt ein Lügner.“ 

„Ich ſelbſt behaupte es, und alſo haſt du mich einen 
Lügner genannt, wofür ich deine Strafe ſchärfen werde. 
Kennſt du einen Sklavenjäger, welcher Abu el Mot heißt?“ 

„Nein.“ 

„Dieſer Effendi hat, als du am Feuer ſaßeſt, ſich 
an die Gum geſchlichen und das Geſpräch dieſer Leute 
belauſcht. Dann ſah er dich zu Abu el Mot gehen und 


— 129 — 


ſpäter brachteſt du die Gum geführt. Das haben auch 
dieſe ehrlichen Dſchelabi geſehen. Willſt du noch leugnen?“ 

„Ich war es nicht, ſie haben mich verkannt.“ 

„Du biſt ein ſehr verſtockter Sünder. Weißt du 
nicht, daß man mich Abu hamſah miah, den Vater der 
Fünfhundert, nennt? Da du leugneſt, was eine große 
Beleidigung für mich iſt, weil du mich damit für einen 
leichtgläubigen Menſchen erklärſt, dem Allah den Ver⸗ 
ſtand verſagt hat, ſo werde ich für dich ein Abu ſittah 
miah, ein Vater der Sechshundert ſein. Schafft ihn hin⸗ 
aus in den Hof und gebt ihm die ſechshundert auf den 
Rücken!“ 

„Das wage nicht!“ ſchrie der Schech auf. „Sechs⸗ 
hundert kann kein Menſch aushalten. Du würdeſt mich 
töten. Denke an die Blutrache! Die Krieger meines 
Stammes würden die Schmach mit deinem Leben 
ſühnen!“ 

„So mögen ſie vorher erfahren, daß ich auch Abu 
ſabah miah, der Vater der Siebenhundert fein kann. 
Gebt ihm alſo ſiebenhundert, und für jedes Wort, das 
er noch ſpricht, ſoll er einhundert mehr bekommen!“ 

Der Schech blickte verzweifelt und voll Todesangſt 
um ſich, wurde aber raſch von den Kawaſſen fortge⸗ 
ſchafft, und bald hörte man ſein Geſchrei erſchallen. 

„Hört ihr ihn?“ rief der Mudir den Homr zu. 
„Wenn er es überlebt, ſo mag er zum Paſcha gehen und 
mich verklagen! Ich werde dafür ſorgen, daß im Bereich 
meiner Macht ein jeder ungefährdet feinen Weg ver— 
folgen kann. Menſchen, wie ihr ſeid, achte ich den Raub⸗ 
tieren gleich, welche ausgerottet werden müſſen. Wer 
mich belügt oder mir gar droht, dem wird die Peitſche 
zeigen, daß ich ſogar ein Abu alfah, ein Vater der Tau⸗ 
ſend ſein kann. Alſo ſage du mir, ob ihr dieſen N 


May, Die Sklavenkarawane. 


— 130 — 


habt töten wollen?“ Er zeigte auf denjenigen Homr, der 
ihm am nächſten kauerte. 

„Ja,“ geſtand der eingeſchüchterte Mann. 

„Und du?“ fragte er einen zweiten. 

„Ja,“ antwortete auch dieſer. 

Ebenſo geſtanden die andern ihr Verbrechen ein. 
Sie erkannten, daß ſie durchs Leugnen ihre Lage nur 
verſchlimmern würden, konnten aber trotz aller Mühe 
den Grimm, der ſie beherrſchte, nicht ganz verbergen. 

„Da ihr es geſteht, möchte ich euch ein gnädiger 
Richter fein,” ſagte der Mudir freundlich. „Ihr ſollt 
deshalb nur ſoviel bekommen, als der Name beſagt, den 
man mir gegeben hat. Fünfhundert werden genügen, 
euch zu belehren, daß es gegen das Geſetz des Propheten 
und die Satzung ſeiner heiligen Nachfolger iſt, einen 
Mann zu ermorden, der ſich vertrauensvoll in euren 
Schutz gegeben hatte. Das Gericht iſt beendet. Ich habe 
nach Recht und Gerechtigkeit geſprochen. Allah iſt mit 
allen Gläubigen, welche ſeine Geſetze befolgen; die 
Miſſetäter aber wird er mit feinem Zorn vernichten!“ 

Er erhob ſich von ſeinem Sitze, zum Zeichen, daß die 
Gerichtsverhandlung zu Ende ſei, und die Offiziere 
taten dasſelbe. Sie entfernten ſich, indem ſie mit tiefen 
Verbeugungen Abſchied nahmen, und dann erlaubte der 
Mudir den Dſchelabi, die jammernden Homr in den 
Hof zu ſchaffen und dort Zeugen der Strafvollitredung 
zu ſein. Als dann Schwarz ſich wieder allein mit ihm 
befand, fragte der Beamte: „Dir iſt Gerechtigkeit gewor⸗ 
den. Wäre das in deinem Lande ebenſo ſchnell ge⸗ 
ſchehen?“ — „Das Urteil wäre allerdings ſpäter gefällt 
worden, da man den Fall eingehender unterſucht hätte.“ 
— ‚Was follte das nützen? Man hätte ſich doch jeden⸗ 
falls überzeugt, daß die Homr ſchuldig find?” — „Aller 


— 181 


dings.“ — „Nun, ſoweit bin ich viel ſchneller gekommen. 
Welche Strafe hätte ſie nach euern Geſetzen getroffen?“ 
— „Eine vieljährige Gefangenſchaft.“ — „Auch da bin 
ich kürzer. Die Schuldigen erhalten ihre Hiebe und kön⸗ 
nen dann gehen.“ — „Für Raubmörder iſt dieſe Strafe 
außerordentlich milde, nämlich wenn ſie die Schläge 
aushalten.“ | 

Ueber das Geſicht des Mudir ging ein vielſagends 
Lächeln, als er antwortete: „Ob mein Urteil zu hart 
oder zu milde iſt, das iſt Allahs Sache. Er hat dem 
Verbrecher Glieder gegeben, die es entweder aushalten 
oder nicht. Auch bei euch kommt es auf die Geſundheit 
und Stärke an, ob der Verbrecher die lange Gefangen⸗ 
ſchaft überwindet oder nicht. Mache dir keine Sorge um 
die Homr! Ihr Leben iſt im Buche verzeichnet; ich kann 
es ihnen weder nehmen noch erhalten. Erlaube mir, 
dich zu dem Boten deines Bruders und dann in die Ge⸗ 
mächer zu führen, die für dich beſtimmt worden ſind.“ 

Das war dem Deutſchen lieb, denn der Aufenthalt 
in dem Selamlik war jetzt kein angenehmer, weil man 
dort das Brüllen der gepeitſchten Araber allzu deutlich 
vernahm. 

Nachdem ſie mehrere Zimmer durchſchritten hatten, 
welche nichts als die Wandpolſter und einen Teppich 
enthielten, kamen ſie in einen kleinen Hinterhof, wo ein 
Kiosk ſtand, an deſſen hölzernen Wänden ſich blühende 
und duftende Schlinggewächſe emporrankten. 

„In dieſem Luſthauſe ſollſt du wohnen,“ ſagte der 
Mudir. „Und da iſt der Knabe, der dir den Brief zu 
überbringen hat. Er ſoll dich zu deinem Bruder führen 
und wird dich auch ſchon hier bedienen. Er kann dein 
Dolmetſcher ſein, denn er ſpricht die Sprache der Niam⸗ 
niam und iſt auch des Arabiſchen mächtig.“ 


— 132 — 


Neben der Tür des Gartenhauſes war eine Schilf⸗ 
decke ausgebreitet, von der ſich die Geſtalt des Knaben 
erhob, um ſich gleich wieder vor den beiden demütig zur 
Erde zu werfen. Der junge Neger war gewiß nicht über 
ſechzehn Jahre alt und faſt unbekleidet. Die Farbe ſeiner 
Haut war ein erdiges Rotbraun, wohl ein Ergebnis des 
Bodens, den ſein Volk bewohnt. 

Es iſt nämlich eigentümlich, daß, wie man bemerkt 
hat, die Färbung jener Negerſtämme von der Farbe des 
von ihnen bewohnten Bodens abhängig iſt. Die Be⸗ 
wohner der ſchwarzerdigen Tiefebenen, die Schilluk, 
Nuehr und Denka, zeichnen ſich durch ein tiefes Schwarz 
der Hautfarbe aus, während die Bongo, Niam⸗Niam. 
und Monbuttu, die ein rotes, eiſenhaltiges Land bewoh⸗ 
nen, eine rötliche Färbung beſitzen. 

Der Mudir befahl dem Neger, aufzuſtehen. Er tat 
dies und nun ſah man, daß er von gedrungener, unter⸗ 
ſetzter und kräftiger Geſtalt war. Die Muskeln ſeiner 
Beine waren kräftiger entwickelt, als man es ſonſt bei 
Negern zu beobachten pflegt. Seine Geſichtszüge näher⸗ 
ten ſich dem kaukaſiſchen Typus. Der Mund war zwar 
aufgeworfen, aber klein, die Naſe gerade und ſchmal. 
Die Augen waren groß und mandelförmig geſchnitten; 
ſie ſtanden ſehr weit voneinander ab und gaben dem 
vollen, runden Geſicht einen ſchwer zu beſchreibenden 
Ausdruck kriegeriſcher Entſchloſſenheit und vertrauen⸗ 
erweckender Offenheit. N 

Die Waffen des Knaben lagen neben ihm. Sie be⸗ 
ſtanden aus einem Bogen nebſt einem mit Pfeilen ge» 
füllten Köcher, einem Meſſer mit ſichelartiger Klinge 
und einem Trumbaſch oder Wurfeiſen, das als Waffe 
ſehr gefürchtet iſt. Dieſes Eiſen gleicht dem auſtraliſchen 
Bumerang, iſt mehrſchenklig gebogen und mit ſcharfen 


— 133 — 


Zähnen und Spitzen verſehen. Die Cateja, die in der 
Aeneide genannt und als eine Wurfkeule von zerſchmet⸗ 
ternder Wirkung beſchrieben wird, iſt jedenfalls auch 
eine ähnliche Waffe geweſen. — Außerdem trug der 
Knabe eine Art Schutzwaffe an ſich, und zwar an den 
Armen. Dieſe ſteckten nämlich von der Hand an bis zum 
Ellbogen in einer Menge von Metallringen, die eng 
aneinander lagen und eine ſchützende Manſchette bildeten. 
Eine ſolche Armbekleidung wird Danga-Bor genannt 
und iſt beſonders bei den Bongonegern gebräuchlich. 
Ganz eigenartig, und gar nicht unſchön, war das 
Haar des Knaben geordnet. Dasſelbe war zwar wollig, 
aber ziemlich lang. In lauter dünne Zöpfchen und dieſe 
wieder untereinander verflochten, bildete es auf dem 
Kopf eine runde Krone, in der ein bunt ſchillernder 
Federbuſch ſteckte. Rund um die Stirn, ganz an die 
Grenze des Haarwuchſes befeſtigt, trug er einen eigen⸗ 


artigen Schmuck, der aus den an eine Schnur gereihten 


Reißzähnen von Hunden beſtand. 

Der offene, freundlich ehrerbietige Blick, mit dem er 
den Deutſchen muſterte, machte auf dieſen einen ſehr 
guten Eindruck. „Wie heißeſt du?“ fragte ihn Schwarz. 

„Ich bin der Sohn des Bjiä!),“ antwortete der 
Neger in arabiſcher Sprache, in der er gefragt worden 
war. „Die Sandeh?) heißen mich Nubah; der weiße 
Mann aber, der mich hierher ſendet, hat mich Ben 
Wafa?) genannt.“ 

„Das iſt ein ſchöner Name, der Vertrauen erweckt. 
Wie heißt dieſer weiße Mann?“ 

„Er nennt ſich Schwa⸗za.“ 

„Du willſt Schwarz ſagen?“ 


55 König ber Niam⸗niam. — ) So nennen ſich die Niam⸗niam ſelbſt. — 
) „Sohn der Treue“. 


E 


— 134 — 


„Ja,“ nickte der Knabe, „aber ich kann dieſen 
Namen nicht fo. ausfprechen; darum fage ich Schwa⸗za.“ 

„Ich heiße ebenſo und bin ſein Bruder.“ 

„So biſt du der Effendi, zu dem er mich ſendet. 
Das freut mich ſehr, denn du gefällſt mir. Dein Auge 
iſt gerade fo mild und freundlich wie das ſeinige, nicht: 
ſo grauſam wie dasjenige der Araber, die zu uns kom⸗ 
men, um Reqiq!) zu machen. Darum werde ich dich ge⸗ 
rade ſo lieb haben wie ihn und dir ebenſo treu dienen.“ 
Es war ihm anzuſehen, daß dieſer Herzenserguß aufrich⸗ 
tig war, denn ſein aufgewecktes Geſicht glänzte vor Freude. 

„Nicht wahr, du ſollſt mich zu ihm bringen?“ 

fragte Schwarz. 

„Ja, Effendi.“ 

„Aber das iſt ſchwer. Unſer Weg führt durch 
Gegenden, die den Sandeh und alſo auch dir feindlich 
geſinnt ſind.“ 

Da ergriff der Knabe ſchnell des Deutſchen Hand, 
küßte ſie und rief: „Effendi, du ſchimpfeſt uns nicht 
Niam⸗niam), ſondern nennſt uns bei unſerm richtigen 
Namen! Ich bin ein Königsprinz und brauche keinem 
Menſchen zu dienen. Für dich aber werde ich alles tun, 
was du verlangſt. Nur deinem Bruder zuliebe bin ich 
ſein Bote geworden, denn ein andrer wäre nicht klug ge⸗ 
nug geweſen, bis hierher zu gelangen; die Denka und 
Nuehr hätten ihn getötet oder zum Sklaven gemacht.“ 

„Hatteſt du das denn nicht auch für dich zu be 
fürchten?“ 

„Nein, denn mich fängt keiner. Ich bin ein Krieger 
und habe unſre Männer ſchon oft in den Kampf geführt.“ 

Er ſagte das mit einem ruhigen Stolz, der fern von 


) Sklaven. — ) Iſt der Denkaſprache entnommen und bedeutet „Ake 
freffer“, auch „Nen ſchenfreſſer“. 


2 


— 15 — 


Ueberhebung war. Der kleine, jugendliche Held mußte 
allerdings ein ganz tüchtiges Kerlchen ſein, da er eine ſo 
weite Reiſe ganz allein durch feindliches Land unter⸗ 
nommen und auch glücklich beendigt hatte. 

„Wäre es nicht beſſer geweſen, wenn du noch einige 
Krieger mitgenommen hätteſt?“ fragte Schwarz. 

„Nein, denn mehrere werden leichter bemerkt, als 
nur einer.“ 

„Biſt du gelaufen?“ 

„Nein. Ich habe mir eine kleine Flukah!) mit 
einem Segel gebaut. Mit ihr bin ich den Bahr er Rohl 
und dann den Bahr ed Dſchebel herabgefahren. Es gab 
überall Waſſer zum Trinken. Hatte ich Hunger, ſo fing 
ich mir Fiſche, und kam ein feindliches Schiff, ſo ver⸗ 
ſteckte ich meine Flukah in das Gebüſch des Ufers oder 
hinter das hohe Schilf.“ 

„Aber kannteſt du denn den Weg?“ 

„Ja, denn ich bin bereits zweimal in Chartum ge 
weſen und habe dort die Sprache der Araber gelernt.“ 

„Biſt du nicht einmal bei einer Seribah ausge⸗ 
ſtiegen?“ 

„Wie könnte ich das, Effendi! Das darf man nicht 
wagen. In den Seriben wohnen doch nur Sklaven⸗ 
jäger. Ich kenne ſie alle, aber ich bin ſtets des Nachts 
und ſehr ſchnell an ihnen vorübergefahren.“ 

„Kennſt du auch eine, welche Omm et Timſah ge⸗ 
nannt wird?“ 

„Ja. Sie iſt die gefährlichſte für uns, da ſie an der 
Grenze unſres Landes liegt und dem grauſamſten Mann 
gehört, den es geben kann.“ 

„Ah, du kennſt die Seribah Abu el Mots! Haſt du 
jemals auch ihn ſelbſt geſehen?“ 

H Rah, Boot. 


— 136 — 


„Ja. Er hat das Angeſicht und die Geſtalt eines 
Geſtorbenen, und der Tod folgt jedem ſeiner Schritte. 
Seine Seribah iſt ein Schreckensplatz. Die Leichen zu 
Tode gepeitſchter Sklaven, die frei umherliegen, der 
Sammelplatz aller Arten Raubvögel und aasfreſſender 
Raubtiere ſind ihre Merkmale.“ 

„Und wo war mein Bruder, als du ihn verließeſt?“ 

„Bei meinem Vater.“ 

„Er befindet ſich alſo in der Nähe der Seribah des 
Sklavenjägers?“ 

„Ja, Effendi. Die Entfernung beträgt nur drei 
Tagereiſen.“ | 

„Und ift mein Bruder der einzige Fremde, der jetzt 
bei euch weilt?“ 

„Nein. Es iſt noch ein andrer Weißer bei ihm.“ 

„Ah! dann find es dieſe beiden, von denen Abu el 
Mot geſprochen hat. Was iſt und wie heißt dieſer andre?“ 

„Er iſt ein Baija et tijur !). Er hat die Beine des Stor⸗ 
ches, und ſeine Naſe iſt lang und beweglich wie der Schna⸗ 
bel des Storches. Darum wird er Abu laklak) genannt. 
Seinen eigentlichen Namen kann ich nicht ausſprechen.“ 

„Wir müſſen ſchleunigſt abreiſen, denn ihm und 
meinem Bruder droht die größte Gefahr. Abu el Mot 
will ſie töten.“ 

„Ich weiß allerdings,“ fiel der Mudir ein, „daß er 
keinen fremden Weißen im Bereich ſeines Jagdgebiets 
duldet, und ſo glaube ich, daß er ſeine Drohung wahr 
machen wird, ſobald er auf ſeiner Seribah eingetroffen 
iſt. Die Gefahr, in der ſich dein Bruder befindet, iſt ſehr 
groß, denn der König der Sandeh vermag ihn nicht 
gegen die Hinterliſt und die überlegenen Waffen der 
Sklavenjäger zu ſchützen.“ 

1) Bogelhändler. — ) Vater des Store. 


— 137 — 


„O, die Sandeh find tapfer!” warf der Neger in 
ſtolzem Ton ein. 

„Ich will das nicht beſtreiten,“ antwortete der 
Mudir im Tone gnädiger Ueberlegenheit; „aber wie 
viele von euch ſind dennoch von den Sklavenjägern ge⸗ 
tötet oder geraubt worden! All euer Mut vermag nichts 
gegen die wilde Gier dieſer Menſchen, und was wollt ihr 
mit euren Pfeilen gegen die Schießgewehre ſolcher Räu⸗ 
ber anfangen?“ 

„Aus wieviel Menſchen beſteht gewöhnlich ein ſol⸗ 
cher Raubzug?“ fragte Schwarz. 

„Oft aus mehreren Hundert,“ belehrte ihn der 
Mudir. „Es kommt vor, daß ſich die Beſatzungen von 
zwei und noch mehr Seriben vereinigen. Dann ſind ſo 
viele Jäger beiſammen, daß ſelbſt das bevölkertſte Neger⸗ 
dorf nicht an Widerſtand denken darf. Die Seribah 
Omm et Timſah iſt die größte, von der ich weiß, und 
Abu el Mot hat Leute genug, ſeine Abſicht auszuführen.“ 

„Dann darf ich mich hier keine Stunde länger als 
nötig verweilen. Ich muß ſuchen, ihm zuvorzukommen, 
um den Bruder rechtzeitig zu warnen.“ 

„Das iſt mir nicht lieb, denn ich hätte dich gern 
lange Zeit bei mir gehabt. Und ich will dich nicht unbe⸗ 
ſchützt der Gefahr entgegengehen laſſen. Mein Sinnen 
geht darauf, Abu el Mot in meine Hände zu bringen; 
dies kann durch deine Hilfe geſchehen, darum werde ich dir 
fünfzig Soldaten mitgeben, die ich mit allem, was ſie brau⸗ 
chen, ſorgfältig ausrüſte. Biſt du damit einverſtanden?“ 

Der Deutſche gab natürlich eine bejahende Ant⸗ 
wort; der Vorſchlag mußte ihm ja hochwillkommen ſein. 
Der Neger hatte indes die Pfeile aus ſeinem Köcher ge⸗ 
nommen; auf deſſen Grunde ſteckte der Brief, den er 
Schwarz überreichte. Dann führte der Mudir ſeinen 


— 138 — 


Gaſt in das Innere des Häuschens, das aus zwei kleinen, 
aber ſehr hübſch ausgeſtatteten Gemächern beſtand. 

„Hier wohnen nur ſolche Gäſte, die mir willkom⸗ 
men ſind,“ ſagte er, „der Niam⸗niam wird dich bedienen. 
Er wartet draußen deiner Befehle, und ich werde meinen 
Leuten die Weiſung erteilen, dieſelben augenblicklich und 
ſo eifrig zu erfüllen, als ob ſie aus meinem eigenen 
Munde kämen. Die Dſchelabi, die mit dir kamen, werden 
auch meine Gäſte ſein, denn ſie waren deine Begleiter.“ 

„Und was geſchieht mit den Homr⸗Arabern?“ 

Der Mudir machte eine ſtrenge, abwehrende Hand⸗ 
bewegung und ſagte: „Was mit ihnen geſchehen ſoll, das 
iſt bereits geſchehen, und du wirſt nicht weiter danach 
fragen. Ich will Ordnung haben in dem mir anver⸗ 
trauten Lande; wer dieſe bricht, den richte ich ſchnell und 
ſtreng. Allah mag ihren Seelen gnädig ſein; bei mir 
aber gibt es keine Gnade, ſondern nur Gerechtigkeit.“ 

Er ging. Schwarz ließ ſich auf ein Polſter nieder, 
um den Brief ſeines Bruders zu leſen. Dieſer ſchrieb 
ihm, daß er von Sanſibar glücklich nach dem Viktoria⸗ 
Nyanza, dann nach dem Albert⸗Nyanza vorgedrungen, 
und von da nach den Quellen des Gazellenfluſſes ge⸗ 
langt ſei und nun den Bruder bei den Makrakanegern, 
die zu den Niam⸗niam gehören, erwarte. In Sanſibar 
hatte er einen deutſchen Naturforſcher, einen ausgezeich⸗ 
neten Ornithologen, getroffen, der ſich ihm angeſchloſſen 
hatte. Dieſer Mann war ein Bayer von Geburt und 
trotz verſchiedener Eigenheiten ein tüchtiger Reiſegeſell⸗ 
ſchafter und mutiger Begleiter. Beide hatten es unter⸗ 
wegs zu einer bedeutenden wiſſenſchaftlichen Ausbeute 
gebracht und hielten nun Raſt, um ihre Sammlungen 
zu ordnen und Schwarz zu erwarten. Den „Sohn der 
Treue“ ſchickten ſie ihm als zuverläſſigen Führer entgegen. 


— 139 — 


Eben war der Deutſche mit der Durchſicht des 
Briefes fertig, als der Slowak bei ihm eintrat. „Bitte 
Verzeihung, daß ich Sie könnte geſtörten!“ ſagte er. „Ich 
hatt gewillt bringen einen Wunſch, unſrigen.“ 

„So iſt dieſer Wunſch nicht allein der Ihrige, ſon⸗ 
dern auch derjenige eines andern?“ 

„Ja, „Vater des Gelächters' hat Bitte meinige auch 
als Bitte, ſeinige.“ 

„Nun, was wünſchen Sie denn?“ 

„Mudir hatt ſprechte ſelbſt mit uns und uns ſagte, 
daß wir alle ſeinte Gäſte, ſeinige, und wohnte in Haus, 
hieſiges. Hatt uns auch ſagte, daß Sie willte abreiſen in 
Zeit ſehr baldiger, mit Soldaten, vieligen. Ich und 
Hadſchi Ali, Freund meiniger, wollen nicht gebleibte zu⸗ 
rück, ſondern gehen mit Ihnen zu den Niam⸗niam, um 
zu machente dort Geſchäfte, vorteilhaftes. Wollen kaufte 
hier Sachen und verkaufte dort wieder mit Nutzen, groß⸗ 
artigen. Darum ich kommte ſchnell hierher, um willte 
fragen, ob Sie wernte haben die Güte, zu nehmen mit 
mich und Hadſchi Ali, freundſchaftlichen.“ 

„Warum nicht? Ihr Vorſchlag iſt mir recht ange⸗ 
nehm. Sie und der Vater des Gelächters' find brauch- 
bare Leute, und je mehr ſolcher Männer ich mitnehmen 
kann, deſto beſſer iſt es für mich.“ 

„Alſo Sie gebten Erlaubnis, Ihrige? Das ſeinte 
ſehr ſchön. Das machte mir Freude, unendliche. Ich 
hatt gelernte Sprache, negerliche, und werd ſeinte 
Ihnen nützlich mit Kenntniſſen, meinigen. Wir werden 
machte Forſchungen, wiſſenſchaftliche, und uns erwerbte 
Namen, unfrige, ſehr berühmte. Ich willte gleich lauf 
zu Hadſchi Ali, wartenden, um ihm zu ſagente, daß Sie 
haben erfüllte Wunſch, unfrigen!“ 


| Sechſtes Kapitel. 
Schwarze Pläne. 


Da, wo der Bahr el Ghazal, der Gazellenfluß, 
in das Gebiet der Bongoneger tritt, ſind an ſeinem rech⸗ 
ten Ufer nur einzelne Dalebpalmen zu ſehen, deren 
dunkelgrüne Blattwedel ſich im leiſen Luftzug träu⸗ 
meriſch bewegten. Am linken Ufer ſtieg ein dichter 
Mimoſenwald bis an das Waſſer herab. Die da an den 
Aeſten und Zweigen hängenden dürren Gräſer zeigten 
an, wie hoch zur Regenzeit das Waſſer zu ſteigen pflegte. 
Auf dem Waſſer lagen große Inſeln, die aus An⸗ 
häufungen friſcher und abgeſtorbener Grashalme beſtan⸗ 
den, und dazwiſchen gab es lange und breite Streifen 
von Omm Sufah)), die den jetzt ſchmalen Strom noch 
mehr einengten. 

Im hohen Rohr, und von ihm faſt ganz verborgen, 
lag ein Noger, eine jener Segelbarken, wie fie am oberen 
Nil gebräuchlich ſind. Der in der Mitte des Fahrzeugs 
angebrachte Hauptmaſt war niedergelegt, ebenſo der 
kleinere am Vorderteil des Schiffes. Wer von der An⸗ 
weſenheit dieſes Noqer nichts wußte, konnte leicht in 
kurzer Entfernung davon vorüberfahren, ohne ihn zu 
bemerken. Es war klar, daß die ſo vorſichtig verſteckte 
Barke außer Gebrauch lag, und dennoch gah es Per⸗ 
ſonen, die ſich emſig darauf beſchäftigten. 


1) Wildes Zuckerrohr, Sach arum, Ischasemum, 


— 141 — 


Fünf oder ſechs Sklavinnen knieten nebeneinander, 
um Durrha auf der Murhaqa zu reiben. Dieſe Murhaqo 
iſt ein Reibſtein, der den in Pfahlbauten gefundenen 
Mahlſteinen faſt genau gleicht. Die angefeuchtete Dur⸗ 
rah wird in ſeine Vertiefung geſchüttet und mit dem 
Ibn el Murhaqa)), einem kleineren Stein, mühſam zer⸗ 
quetſcht und zu Mehl zerrieben. Dieſe dürftige Weiſe des 
Mahlens, bei der den Sklavinnen der Schweiß von den 
Geſichtern in den teigigen Brei tropft, iſt ſehr anſtren⸗ 
gend und zeitraubend. Hat ſo ein armes Weſen ſich von 
früh bis abends abgemüht, ſo iſt das Ergebnis kaum der 
tägliche Bedarf von zehn bis fünfzehn Mann. 

Dieſer durch das naſſe Mahlen erzeugte dicke Brei 
iſt die Grundlage des ſudaneſiſchen Speiſezettels. Auf 
der Doka) gebacken, gibt er die Kisrah, rotbraune, 
ſaubere Fladen, das gewöhnliche Brot des Landes, mit 
Waſſer gekocht aber die Luqmah, eine Art Pudding, der 
keinem Europäer einen Ruf des Entzückens entlocken 
kann. Die Kisrah wird als Proviant auf monatelangen 
Reiſen mitgenommen. Läßt man ſie mit Waſſer gären, 
ſo bekommt man die Meriſſah, ein ſäuerliches, überall 
gebrauchtes Getränk. 

Unter dem Verdeck des Hinterteils waren zwei 
Schwarze beſchäftigt, Stricke aus Palmblattfaſern zu 
drehen. Dabei ſprachen ſie leiſe miteinander. Die Blicke, 
die ſie dabei auf die Sklavinnen warfen, bewieſen, daß 
ſie von dieſen ja nicht gehört ſein wollten. 

Dieſe Schwarzen trugen die Guluf, drei wulſtige 
Narben auf jeder Wange, ein ſicheres Zeichen, daß ſie 
geraubt worden waren. Iſt nämlich eine Sklavenjagd 
glücklich ausgefallen, ſo empfangen die jüngeren männ⸗ 
lichen Gefangenen dieſe ſechs Schnitte als ewiges und 


iy Sohn der Murhaqa. — ) Runde Eiſen⸗ oder Stein platte. 


En... 


— 142 — 


unverwiſchbares Zeichen der Knechtſchaft. Man reibt 
die Wunden mit Pfeffer, Salz und Aſche ein, um den 
Heilungsprozeß zu verzögern, und die Narben möglichſt 
aufſchwellen zu laſſen. 

Bekleidet waren die beiden nur mit dem Lenden⸗ 
ſchurz. Das Haar hatten ſie mit Anwendung eines ver⸗ 
trocknenden Klebſtoffes ſteif und zylindriſch empor⸗ 
friſiert, ſo daß es das Ausſehen eines zerknillten Cha⸗ 
peau⸗claque ohne Krempe beſaß. Sie unterhielten ſich 
in der Mundart der Belandaneger, worin alle Worte, 
die etwas Geiſtiges, Ueberſinnliches bezeichnen, dem 
Arabiſchen entnommen ſind, wie es überhaupt bei allen 
ſudaneſiſchen Sprachen mehr oder weniger der Fall iſt. 
Dabei wendeten ſie die erſte Perſon der Einzahl des 
Zeitwortes nicht an, ſondern ſetzten an Stelle des „Ich“ 
ihren Namen. 

„Lobo iſt traurig, ſehr traurig!“ flüſterte der eine. 
„Und Lobo darf doch nicht ſehen laſſen, daß er traurig iſt.“ 

„Tolo iſt auch traurig, mehr traurig noch als du,“ 
anwortete der andre ebenſo leiſe. „Als Lobo und Tolo 
geraubt wurden, hat Abu el Mot Lobos ganze Familie 
getötet, aber Tolos Vater und Mutter entkamen; ſie 
leben noch, und armer Tolo kann nicht zu ihnen. Darum 
iſt er doppelt traurig.“ 

„Warum ſoll Lobo nur halb traurig ſein?“ fragte 
der erſtere. „Wurden ſeine Eltern und Geſchwiſter er⸗ 
mordet, ſo iſt er unglücklicher als du. Und — —,“ er 
ſprach ſo leiſe, daß ſein Leidensgefährte es kaum ver⸗ 
ſtehen konnte, „was hat ein Belanda zu tun, wenn der 
weiße Mann ihm die Seinen tötet?“ 

Tolo blickte beſorgt nach den Sklavinnen, ob dieſe 
vielleicht horchten, und antwortete dann, indem er die 
Augen rollte: „Rache nehmen! Er muß Abu el Mot töten.“ 


— 13 — 


„Ja, er muß, aber er darf nicht davon ſprechen!“ 

„Seinem Freunde Tolo aber kann er es ſagen; 
dieſer wird ihn nicht verraten, ſondern ihm helfen mit 
dem Meſſer oder mit dem Pfeil, der in den Saft der 
Dingil!) getaucht und vergiftet iſt.“ 

„Aber dann wird man uns zu Tod peitſchen.“ 

„Nein; wir fliehen.“ 

„Weißt du nicht, wie ſchwer das iſt? Die Weißen 
werden uns mit Hunden verfolgen, die uns ſicher finden.“ 

„So macht Tolo ſich ſelbſt tot. Peitſchen läßt er ſich 
nicht, und leben mag er auch nicht, wenn er nicht bei 
Vater und Mutter ſein kann. Der Weiße denkt nicht, 
daß der ſchwarze Mann ein Herz hat; aber er hat ein 
beſſeres als der Araber; er liebt Vater und Mutter ſehr, 
und will bei ihnen ſein oder ſterben. Weißt du, wo wir 
leben werden, wenn wir hier bleiben? Wir ſind Eigen⸗ 
tum des Weißen, und er kann uns beim kleinſten Zorn 
töten. Und wenn er eine Ghaſuah“ unternimmt, fo 
müſſen wir mit, und für ihn gegen unſre Brüder 
kämpfen. Tolo will aber ſeine ſchwarzen Brüder nicht 
fangen und zu Sklaven machen!“ 

„Meinſt du denn, daß es eine Ghaſuah geben wird?“ 

„Ja. Warum reiben die Weiber dort nun ſchon ſeit 
vielen Tagen Durrah? Merkſt du nicht, daß Kisrah ge⸗ 
backen werden ſoll? Solche Mengen von Kisrah aber 
macht der Araber nur dann, wenn er ſie als Vorrat bei 
einer Ghaſuah braucht.“ 

Lobo ſchlug die Hände zuſammen, machte ein er⸗ 
ſtauntes Geſicht und ſagte: „Wie klug du biſt! Daran 
hat Lobo nicht gedacht. Er glaubte, der Zug würde erſt 
dann unternommen, wenn Abu el Mot aus dem Lande 
der Homr zurückgekehrt iſt.“ 


) Euphoriba venenifica. — ) Zug, um Sklaven zu rauben. 


— 14 


„Abd el Mot) kann auch ziehen, wenn er will. Er 
iſt der zweite Häuptling der Seribah und Abu el Mot 
der erſte. Iſt der erſte nicht da, ſo befiehlt der zweite. 
Warum haben die Leute ihre Gewehre putzen und ihre 
Meſſer ſchleifen müſſen, geſtern und vorgeſtern ſchon? 
Niemand weiß vorher, was geſchehen ſoll, aber wir wer⸗ 
den bald etwas erfahren.“ 

„Weiß du, wohin es gehen ſoll?“ 

„Wie kann Tolo es wiſſen? Nicht einmal die wei⸗ 
ßen Soldaten, die ſich in der Seribah befinden, erfahren 
es vorher. Abd el Mot allein weiß es, und — —“ 

Er hielt inne, bückte ſich auf ſeine Axbeit nieder 
und drehte an den Seilfaſern mit einer Haſt, als ob er 
ſich bei dieſer Beſchäftigung nicht Zeit zu einem einzigen 
Wort gegeben habe. Sein Genoſſe folgte ſeinem Bei⸗ 
ſpiel. Beide hatten geſehen, daß ein Mann in einem 
Kahn an den Noger gelegt, und deſſen Deck beſtiegen hatte. 

Dieſer Mann war ein Weißer. Ein dichter, dunkler 
Bart umrahmte ſein Geſicht, das vom Sonnenbrand das 
Ausſehen gegerbten Leders erhalten hatte; ſeine Züge 
waren hart, ſeine Augen blickten finſter. Er trug einen 
enganliegenden weißen Burnus, um welchen ein Schal 
gewunden war, aus dem die Griffe eines Meſſers und 
zweier Piſtolen blickten. Die nackten Füße ſteckten in 
grünen Pantoffeln, und der Schädel war in ein grünes 
Turbantuch gehüllt, ein Zeichen, daß der Mann ſeine 
Abkunft von dem Propheten Mohammed herleitete. In 
der Hand hielt er die lange, dicke Nilpeitſche. 

„Abd el Mot!“ flüſterte Lobo ſeinem Gefährten zu. 

„Still, ſchweig!“ antwortete dieſer ängſtlich. 

Der Weiße war alſo der zweite Befehlshaber der 
Seribah. Er nannte ſich „Diener des Todes“, während 


5) Diener des Todes. 


— 145 — 


der erſte „Vater des Todes“ hieß. Er blieb für einen 
Augenblick bei den Sklavinnen ſtehen. Dieſe arbeiteten 
mit doppeltem Eifer als vorher; doch ſchien ihr Fleiß 
ſeinen Beifall nicht zu finden, denn er ſchrie ſie mit 
harter Stimme an: „Allah zerſchmettere euch! Wollt ihr 
ihm die Zeit abſtehlen, ihr Faulenzerinnen! Heute ſoll 
gebacken werden, denn morgen brechen wir auf, und 
noch iſt das Mehl nicht fertig!“ 

Er ſchlug mit der Peitſche ohne Wahl auf ſie ein, 
daß die Getroffenen vor Schmerz heulten, aber ohne zu 
wagen, ihre Arbeit dabei auch nur für einen Augenblick 
einzuſtellen. Dann kam er zu den beiden Belandanegern. 
Er ſah ihnen eine Weile zu, hob dann ein Seil auf, um 
die Arbeit zu prüfen, warf es wieder hin, und verſetzte 
jedem einige Hiebe, von denen die Haut an den getrof⸗ 
fenen Stellen ſofort aufſprang. Die Schwarzen biſſen 
die Zähne zuſammen, daß es laut knirſchte, gaben aber 
keinen Laut von ſich, und arbeiteten ohne Unterbrechung 
weiter. 

„Es tat wohl nicht weh genug?“ lachte er grauſam. 
„Das nächſtemal werdet ihr ſchon heulen müſſen, ihr 
Tagediebe. Werft euch nieder, wenn ich mit euch rede!“ 

Dieſer Befehl war von einigen weiteren Hieben be⸗ 
gleitet. Die Neger ſanken zu Boden, was ſie vorher nicht 
gewagt hatten, um nicht mit der Arbeit innezuhalten. 
Er betrachtete ſie mit gefühlloſem Blick, verſetzte jedem 
einen Fußtritt und fuhr fort: „Ihr ſeid Belandas. Iſt 
euch euer Land bekannt?“ 

„Ja, Herr,“ antwortete Tolo ohne aufzublicken. 

„Kennt ihr die Helle!) Ombula?“ 

„Tolo iſt oft dort geweſen.“ 

„Was hatteſt du dort zu tun?“ 


) Dorf. 
May, Die Sklavenkarawane. 10 


— 146 — 


„die Schweſter der Mutter wohnt mit ihrem Mann 
und ihren Kindern dort.“ 

„So haſt du alſo Verwandte in Ombula! Wie viele 
Familien gibt es da?“ 

„Sehr viele, Herr, viel mehr als in andern Dör- 
fern,“ antwortete der Neger, dem es wie den meiſten 
ſeinesgleichen unmöglich war, weiter als höchſtens bis 
zwanzig zu zählen. 

„Iſt der Ort gut befeſtigt?“ fuhr der Araber fort. 

„Es iſt ein doppelter Stachelzaun rundum,“ ant⸗ 
wortete der Gefragte. 

„Iſt die Umgebung offen, oder gibt es Wald?“ 

„Der Subakh!) ſteht in Büſchen, aus denen Lu⸗ 
bahn?) ragen.“ N 

„Beſitzen die Einwohner viele Rinder?“ 

„Nein, Herr, ſie ſind arm.“ 

Die Rinder ſind dem Sklavenjäger nämlich noch 
lieber als die Gefangenen. Dieſe Tiere haben für den 
Neger einen ſo hohen Wert, daß er bei einem Ueberfall 
vor allen Dingen ſie zu retten ſucht und dabei unter Um⸗ 
ſtänden ſeine Kinder opfert. Der Belanda hatte eine 
verneinende Antwort gegeben, um den Araber von dem 
Ueberfall des befreundeten Dorfes abzubringen. Abd el 
Mot durchſchaute ihn. Er zog ihm die Peitſche zwei-, 
dreimal über den Rücken und donnerte ihn an: „Hund, 
lüge nicht, ſonſt peitſche ich dich tot! Sage die Wahrheit, 
oder ich ſchlage dir das Fleiſch in Striemen von den 
Knochen. Gibt es viele Rinder dort?“ 

„Ja,“ geſtand jetzt Tolo aus Angſt. 

„Und haben die Leute gute Waffen?“ 

„Pfeile, Spieße und Meſſer.“ 

„Keiner hat eine Flinte?“ 


n Combretum. — ) Besswellla papyrifera, 


— 147 — 


„Keiner, Herr.“ 

Abd el Mot forſchte weiter und drohte: „Wenn ich 
ein einziges Gewehr finde, oder auch nur ſehe, peitſche 
ich dir die ſchwarze Seele aus dem dunklen Leib. Kennſt 
du alle Wege dort?“ 

„Ja.“ 

„Und Lobo auch?“ 

„Auch er.“ 

, Wenn wir des Morgens von hier wegmarſchieren, 
wann kommen wir hin?“ 

„Am Abend des dritten Tages, Herr.“ 

„Gut, ich habe beſchloſſen, Ombula zu überfallen, 
um Abu el Mot Sklaven und Rinder geben zu können, 
wenn er kommt, damit er ſieht, daß wir tätig geweſen 
ſind. Ihr beide ſollet unſre Führer ſein, und ich kann 
euch nur raten, daß ihr eure Sache gut macht. Bin ich 
mit euch zufrieden, ſo verkaufe ich euch an einen guten 
Herrn, der euch nicht prügelt, ſelbſt wenn ihr faul ſeid. 
Sonſt aber grabe ich euch in einen Bau der Arday ein, 
damit ſie euch bei lebendigem Leibe freſſen. Merkt euch 
das, ihr beiden ſchwarzhäutigen Schlingel, und nun 
frage ich: wollt ihr mir treu und gehorſam ſein?“ 

„Ja, Herr!“ 

„Das verſprecht ihr jetzt; aber ich traue keinem 
ſchwarzen Hunde. Ihr bleibt bis zum Aufbruch hier auf 
dem Schiff, und werdet es nicht verlaſſen. Ich ſtelle euch 
einen Wächter her, der den Befehl hat, euch zu erſchießen, 
ſobald ihr euch dem Rande des Schiffes nähert. Und 
während des Marſches gebe ich euch Gewichte an die 
Füße, damit ihr die Luſt zur Flucht verliert. Jetzt ar⸗ 
beitet weiter und ſchwatzt nicht dabei, ſonſt laſſe ich euch 

den Mund zunähen, daß ihr verſchmachten müßt. Ihr 

» Lermiten, 


— 148 — 


wißt, daß das keine leere Drohung iſt. Ich habe das 
ſchon oft getan.“ 

Er gab jedem noch einen Hieb, dann ging er und 
ſtieg in ſein Boot. Sie ſahen es im hohen Schilfe ver⸗ 
ſchwinden, beſorgten aber, daß er ſie von dort aus be⸗ 
obachten werde. Darum arbeiteten ſie ſchweigend wei⸗ 
ter, bis ſie ihn am Ufer erſcheinen, und einen ſchmalen, 
durch den Mimoſenwald führenden Weg einſchlagen 
ſahen. 

Erſt jetzt wagte es Tolo, ſeinem Gefährten leiſe zu⸗ 
zuflüſtern: „Du ſiehſt, daß Tolo recht hatte, der Zug be⸗ 
ginnt ſchon morgen.“ 

Lobo griff mit der Hand nach ſeinem ſchmerzenden 
Rücken, knirſchte mit den Zähnen, rollte die Augen, als 
ob er ſie herausdrehen wolle, und antwortete: „In unſer 
Land nach Ombula. Allah, Allah! Unſre Freunde ſollen 
Sklaven werden!“ | 

„Und wir müſſen die Weißen führen! Werden wir 
es tun?“ 

Lobo zögerte mit der Antwort. Er ſchien überhaupt 
geiſtig weniger begabt zu ſein als ſein Unglücksgenoſſe. 

„Warum ſagſt du nichts?“ fragte dieſer. „Sollen 
wir die Araber führen und unſre ſchwarzen Brüder mit 
töten und gefangen nehmen?“ 

„Nein,“ antwortete Lobo in beſtimmtem Ton. Er 
war nun zu einem Entſchluß gekommen. „Wir fliehen. 
Dann aber können wir Abu el Mot nicht töten, was wir 
doch tun wollten. Er iſt noch nicht wieder da.“ 

„So töten wir Abd el Mot an ſeiner Stelle. Das 
iſt faſt ebenſogut. Wenn wir ihm das Leben nehmen, ſo 
muß der Zug morgen unterbleiben, und wir retten die 
Leute von Ombula.“ 

„Werden ſie es uns auch danken? Und wie töten 


7 


— 149 — 


wir ihn? Am Tag iſt es ganz unmöglich, und des Nachts 
ſchläft er mitten unter den Wächtern. Man wird uns 
ergreifen. Iſt es da nicht beſſer, wenn wir uns nicht in 
eine ſo große Gefahr begeben?“ 

Tolo erkannte gar wohl die Wahrheit dieſer Worte. 
Er dachte nach. Jetzt erſcholl von jenſeits des Waldes 
ein ſchrecklicher Lärm herüber. Menſchliche Stimmen 
ſangen, jauchzten und brüllten. Dazu ertönten die ganz 
unbeſchreiblichen Klänge der im Sudan gebräuchlichen 
Inſtrumente. 

Das ſchien den nachdenkenden Neger ſchnell zu 
einem Ergebnis zu bringen. Er ſagte: „Hörſt du den 
Jubel? Jetzt hat Abd el Mot geſagt, daß die Ghaſuah 
morgen beginnen ſoll. Nun entfalten ſie die Fahne und 
fragen den Zauberer.“ 

„Er wird dem Zug günſtig ſein, und ſie gehorchen 
ihm, denn er iſt ein frommer Fakir. Auch wir ſollten 
ihm eigentlich gehorchen, obwohl wir nicht zu Allah 
beten wie unſre Peiniger.“ | 

„Nein. Tolo gehorcht nicht dem Fakir, ſondern dem 
großen Schech, der über den Sternen wohnt und niemals 
ſtirbt, der alles ſieht und jede Tat belohnt oder beſtraft.“ 

„Du haſt Lobo davon erzählt, aber Lobo kann ihn 
nicht ſehen.“ 

„Er iſt überall, wie die Luft, die man auch nicht 
erblickt.“ | 

„Vielleicht hat dich der Fremde belogen, der dir von 
ihm erzählte!“ 

„Nein. Dieſer fremde Weiße war ein Khaſſis!), ein 
guter Mann, der keine Lügen ſagte. Er erzählte von dem 
großen allmächtigen Schech, der den Himmel und die 
Erde gemacht hat, und auch die Menſchen. Er befahl 


5 Biffionar, 


==: 186 


ihnen, gut und fromm zu fein, aber fie gehorchten ihm 
nicht. Da ſandte er ſeinen Sohn vom Himmel herab, 
der ihnen Gnade brachte und dafür von ihnen getötet 
wurde. Er lehrte, daß die Menſchen einander lieben, 
und ſich nur Gutes erweiſen ſollen. Dieſe Lehre brachte 
der Khaſſis zu uns. Wir gewannen ihn lieb und glaub⸗ 
ten ſeinen Worten. Da aber kamen die Sklavenjäger 
und töteten ihn. Tolo weiß noch alle ſeine Worte und 
wird darnach handeln. Die Liebe gebietet ihm, ſeine 
Eltern aufzuſuchen und die Helle Ombula zu retten. 
Das wird er tun, ſelbſt wenn es ſein Leben koſten ſollte. 
Der Sohn des Schechs im Himmel iſt auch ohne Mur 
ren geſtorben. Und wer da ſtirbt, indem er Gutes tut, 
und die Geſetze des großen Schechs erfüllt, der iſt nicht 
tot, ſondern er ſteigt auf zum Himmel, zum Sohn des 
Schechs, um bei ihm zu leben und niemals zu ſterben.“ 

Der Neger hatte das mit wahrer Inbrunſt geſpro⸗ 
chen, im Ton vollſter Ueberzeugung. Der andre ſchüt⸗ 
telte den Kopf und ſagte: „Lobo verſteht das nicht; aber 
du haſt ihm noch niemals eine Lüge geſagt, und ſo will 
er es glauben, und ganz dasſelbe tun, was du tuſt. Hätte 
er den Khaſſis geſehen und gehört, ſo würde er wohl 
ganz ſo überzeugt ſein, wie du es biſt. Alſo wir fliehen 
und retten Ombula!“ 

„Ja, und Abd el Mot töten wir zur Strafe für ſeine 
Taten, und daß er morgen die Ghaſuah nicht beginnen 
kann.“ 

„Aber iſt es nicht der Wille des großen Schechs, von 
dem du ſprichſt, daß man den Menſchen nur Gutes er⸗ 
weiſen ſoll? Und du willſt den Araber ermorden!“ 

„Das iſt nichts Böſes,“ entgegnete der Neger in 
einem Ton, der allerdings zu beſagen ſchien, daß er noch 
nicht ganz bibelfeſt ſei. 


1 


— 151 — 


„Lobo glaubt es dir. Aber ſelbſt wenn es uns ge⸗ 
lingt, ihm das Leben zu nehmen, wie kommen wir fort? 
Einen Kahn können wir nicht bekommen, ſo müſſen wir 
alſo gehen, und dann werden die Hunde uns ſchnell ein⸗ 
geholt haben!“ ö 

„Du darfſt nicht ſo zaghaft ſein,“ entgegnete der 
andre, „denn der große Schech im Himmel wird uns be⸗ 
ſchützen. Man wird hier erſt am Morgen den Tod Abd 
el Mots und unſre Flucht bemerken. Dann ſind wir 
ſchon ſo weit entfernt, daß uns niemand einholen kann. 
Wir nehmen uns hier ſo viel Kisrah wie möglich, damit 
wir unterwegs nicht zu hungern brauchen.“ 

„Hat dein großer Schech das Stehlen nicht auch 
verboten?“ 

„Ja. Alſo werden wir es nicht tun. Aber wir fin⸗ 
den überall Wurzeln, Früchte und Waſſer, um den 
Hunger und auch den Durſt ſtillen zu können.“ 

Lobo ſchien doch ein Bedenken zu haben. Er blickte 
nachdenkend vor ſich nieder und ſagte dann: „Aber wie 
können wir vom Schiffe fort, wenn Abd el Mot une 
einen Wächter ſendet?“ 

„Wir warten, bis er ſchläft.“ 

„Er wird nicht ſchlafen, ſondern den Befehl erhal- 
ten haben, kein Auge von uns zu laſſen.“ 

„Nun, ſo töten wir auch ihn.“ 

„Das iſt doch nichts Gutes, ſondern etwas Böſes' 
Du haſt mir einmal erzählt, daß es der Wille des 
Schechs im Himmel ſei, auch den Feinden Gutes zu tun: 
du aber willſt ihnen nur Böſes zufügen.“ 

„Daran ſind ſie ſelbſt ſchuld,“ ſagte Tolo und half 
ſich über das Bedenken mit Kopfſchütteln hinweg. 

„Schweig jetzt und arbeite, der Wächter kommt!“ 
s Der Kahn nahte wieder. In ihm ſaß ein andrer 


— 152 — 


Weißer, der an Bord geſtiegen kam. Er ſchien ſehr zor⸗ 
nig darüber zu ſein, daß er auf das Schiff befohlen wor⸗ 
den und nun von der Feſtlichkeit ausgeſchloſſen war, die 
einer jeden Ghaſuah vorherzugehen pflegt. Er warf den 
Sklaven drohende Worte zu und ſetzte ſich in ihre Nähe, 
die Peitſche in der Hand. Sie arbeiteten mit angeſtreng⸗ 
tem Fleiß weiter. Miteinander zu ſprechen durften ſie 
nicht wagen; deſto fleißiger aber dachten ſie an ihr Vor⸗ 
haben. Tolo war feſt entſchloſſen, Abd el Mot und den 
Wächter zu ermorden. Das, was er von den Lehren des 
Miſſionars behalten hatte, kam nicht in Widerſpruch mit 
ſeinen heidniſchen Anſchauungen. Er wußte beides ganz 
gut in Einklang zu bringen. Lobo war weniger ſpitzfin⸗ 
dig als er. Wie die meiſten langſam denkenden und 
ſchwer begreifenden Menſchen konnte er nicht leicht eine 
neue Anſicht faſſen, die ſeiner bisherigen entgegengeſetzt 
war. Hatte er den Gedanken aber einmal gefaßt, ſo hielt 
er ihn feſt und bewegte ihn fleißig im Herzen, ſoviel dies 
ſeinem Verſtändnis möglich war. Es wollte ihm nicht 
recht begreiflich erſcheinen, daß man zwei Menſchen er⸗ 
morden und dabei doch den Willen des guten „Schechs 
im Himmel“ befolgen könne. 

Der am linken Ufer des Fluſſes liegende Mimoſen⸗ 
wald war ſehr lang, aber nur ſchmal. Vom Waſſer führ⸗ 
ten einige ſchmale Wege quer durch ihn hindurch. Folgte 
man einem dieſer Pfade, ſo hatte man ſchon nach fünf 
Minuten den Wald im Rücken und eine weite, freie 
Strecke vor ſich liegen. 

Im Süden nennt man jeden Weg, der neben einem 
Fluß hinläuft, Darb tachtani, den untern Weg. Ein 
Pfad aber, der von der Seite her, alſo ſenkrecht auf den 
Lauf des Waſſers führt, heißt eine Miſchrah. Gewöhn⸗ 
lich ſteigt die Miſchrah vom hohen Ufer herab. Die 


— 158 — 


Wohnungen der Menſchen müſſen wegen der jährlichen 
Nilüberſchwemmungen hoch liegen, und ſo kommt es, 
daß ſich an einer Miſchrah gewöhnlich Niederlaſſungen 
befinden. Beſonders gern legt man die Seriben an ſol⸗ 
chen Stellen an, an denen ein Pfad hinab zum tiefen 
Ufer führt. Dies war auch hier mit der Seribah Omm 
et Timſah der Fall. 

Hatte man, vom Fluß aufwärts ſteigend, den Wald 
hinter ſich, ſo ſtand man vor einer hohen ſtacheligen 
Umzäunung, hinter der die Tokuls der Sklavenjäger⸗ 
niederlaſſung lagen. Dieſer Zaun war ſtark genug, um 
gegen Menſchen und wilde Tiere Schutz zu bieten. Jede 
Seribah iſt mit einer ſolchen Dornmauer umgeben, die 
zwar europäiſchen Waffen nicht widerſtehen könnte, gegen 
Pfeile und Lanzen aber vollſtändige Sicherheit gewährt. 
-Die Ein⸗ und Ausgänge haben keine Türen nach unſerm 
Begriff, ſondern einige ſtachelige Büſche genügen zum 
Verſchluß. Dieſe Stellen werden übrigens des Nachts 
mit Wachtpoſten beſetzt, für die gewöhnlich hohe Warten 
auf Pfählen errichtet ſind. 

Die Seribah Omm et Timſah hatte einen bedeuten⸗ 
den Umfang. Sie enthielt über 200 Tokuls, deren Unter⸗ 
bau aus aufgeworfener Erde beſtand, während die 
Wände und Dächer aus Schilf hergeſtellt waren. Sie 
alle hatten eine runde Geſtalt und jede einzelne war für 
ſich mit einer beſonderen Dornenhecke umgeben. Dies 
alles bildete eine Art Dorf, das innerhalb der kreisför⸗ 
migen Hauptumzäunung lag. 

Auch die Hütten hatten keine verſchließbaren Türen. 
Diebſtahl kommt unter den Bewohnern einer Seribah 
nicht vor; dieſe haben ſich nur vor den irrigen Eigen⸗ 
tumsbegriffen der Eingeborenen zu hüten. 

Die Wege, die zwiſchen den Tokuls hinführten, 


waren ziemlich reinlich gehalten; deſto ſchlimmer aber 
ſah es vor der äußeren Umzäunung aus. Da gab es Ab⸗ 
fälle und Unrat in Menge; ſogar die verweſenden Lei⸗ 
chen natürlich geſtorbener oder zu Tod gepeitſchter 
Sklaven lagen hier, einen Geruch verbreitend, den die 
Naſe eines Europäers nicht hätte ertragen können. Dies 
war ein Sammelplatz aller Arten von Raubvögeln. Auch 
die Hunde der Sklavenjäger befanden ſich da und des 
Nachts ſtellten ſich wohl Hyänen und andre wilde 
Tiere ein. 

Unweit der Seribah befand ſich die Murrah, der 
umfriedigte nächtliche Pferch des Viehſtandes, deſſen 
Angehörige tagsüber im Freien weiden. Der Dünger 
dieſer Tiere wird ſorgfältig geſammelt und in der Sonne 
getrocknet, um abends in die Murrah geſchafft und an⸗ 
gebrannt zu werden. Der dichte Rauch, der ſich dann - 
entwickelt, gewährt den Tieren und Menſchen Schutz 
gegen die ſchreckliche Plage der Baudah, der Stechfliegen 
des Sudans. Die Menſchen graben ſich bis an den Kopf 
in die ellenhoch liegende Düngaſche ein, wodurch, ganz 
abgeſehen von dem Geruch, die ſchwarze Haut der Neger 
ſich mit einem abſcheulichen grauen Ueberzug umhüllt, 
der das Auge des Europäers beleidigt, nach der Mei⸗ 
nung der Eingeborenen aber ſo ſchön wie geſund iſt. 

In der Mitte der Seribah ſtanden zwei Tokuls, die 
ſich durch beſondere Größe auszeichneten. Sie waren die 
Wohnungen der beiden Anführer, Abu el Mots und Abd 
el Mots. 

Da eine Hütte nicht bloß für eine einzelne Perſon 
beſtimmt iſt, ſo war bei der großen Zahl der Tokuls an⸗ 
zunehmen, daß die Geſellſchaft gewiß aus wenigſtens 
500 Perſonen beſtand. Rinder und Schafe weideten in 
Menge umher. Auch Pferde und Kamele gab es, doch 


— 155 — 


nur bei gegenwärtiger Jahreszeit. Während und kurz 
nach der Regenzeit pflegen ſie zugrunde zu gehen. 

Der eigentliche Beſitzer einer Seribah iſt nur höchſt 
ſelten auf ihr anweſend. Dieſe Herren bleiben daheim, 
in Chartum, oder wo ſie ſonſt ihren feſten Wohnſitz 
haben. Es fällt ihnen meiſt gar nicht ein, ſich perſönlich 
an der Sklavenjagd zu beteiligen; ſie ſenden vielmehr 
ihre Stellvertreter, welche Wokala genannt werden und 
ſehr ausgedehnte Vollmachten beſitzen. 

Unter dieſen Wokala ſtehen die Reifihn, Kapitäne 
und Nautia, Matroſen. Dieſe Leute werden gebraucht, 
weil die Jagden meiſt kurz nach der Regenzeit zu Waſſer 
unternommen werden. Auch Sajadin und Aſaker wer⸗ 
den engagiert. Die erſteren ſind Jäger und verpflichtet, 
die andern mit friſchem Fleiſch zu verſorgen. Die letz⸗ 
teren ſind Soldaten, die ſich aus allerlei weißem und 
farbigem Geſindel zuſammenſetzen, gewiſſenloſe Men⸗ 
ſchen, welche mit den göttlichen und weltlichen Geſetzen 
vollſtändig zerfallen ſind und ſich ſonſt nirgends ſehen 
laſſen dürfen, ohne daß ein ſtrafender Arm ſich nach 
ihnen ausſtreckt. 

Die Wokala erhalten eine beträchtliche Beſoldung 
und oft auch noch einen beſondern Anteil am Gewinn. 
Die übrige Mannſchaft erhält einen Lohn bis zu zehn 
Mariathereſiatalern pro Monat und die Koſt. Alles 
andre muß der Mann von dem Sold bezahlen und be 
kommt es zu den höchſten Preiſen angerechnet. Daher 
bleibt ihm gewöhnlich nichts oder wenig übrig. Iſt der 
Fang gut, ſo kommt es vor, daß die Leute ihren Sold in 
Sklaven ausbezahlt erhalten. Der Schwarze iſt dann 
dem Soldaten mit Leib und Leben angehörig, und dieſer 
kann mit ihm machen, was ihm beliebt, ihn ſchlagen, 
verſtümmeln oder gar töten. 


— 156 — 


Jie zwanzig oder fünfundzwanzig Soldaten ſtehen 
unter einem Unteroffizier, Buluk genannt. Die Rech⸗ 
nungen hat ein Buluk Emini unter ſich, welcher leſen, 
ſchreiben und rechnen können muß und alſo gewöhnlich 
ein niederer Geiſtlicher, ein Fakir iſt; er vertritt zu⸗ 
gleich die Stelle des Zauberers, beſtimmt die glücklichen 
und unglücklichen Tage und heilt alle möglichen Schäden 
des Leibes und der Seele mit Amuletten, die er ver⸗ 
fertigt und gegen guten Preis verkauft. Die Feind⸗ 
ſchaft eines ſolchen Mannes kann dem einzelnen er ges 
fährlich werden. 

Wird eine Ghaſuah unternommen, fo zwingt man 
den Schech des Gebiets, worin die Seribah liegt, feine 
Neger als Träger und Spione zu ſtellen. Dafür wird er 
nach dem Raubzug mit Kühen entſchädigt, was ihm 
natürlich lieber iſt, als wenn er mit Sklaven bezahlt 
wird. Der Tag des Aufbruchs wird von dem Fakir be⸗ 
ſtimmt, der von jedem einzelnen Tag des Jahres zu 
fagen weiß, ob er ein glücklicher oder unglücklicher ft. 

Sobald der Kommandant die Ghaſuah verkündet 
hat, wird die Barafhat) aufgeſteckt; fie beſteht aus einem 
großen, viereckigen roten Zeug, = dem das moham⸗ 
medaniſche Glaubensbekenntnis oder die erſte Sure des 
Korans eingeſtickt iſt. Wenn dieſe Fahne weht, weiß 
jedermann, daß ein Raubzug beſchloſſen worden iſt, und 
die Beteiligten geben ſich der tollſten Freude hin. 

Abd el Mot hatte ſeine Abſicht erſt den beiden Belan⸗ 
danegern mitgeteilt, nachdem er ſelbſwerſtändlich vorher 
von dem Fakir erfahren hatte, daß der morgige Tag ein 
glücklicher ſei. Dann, zur Seribah zurückgekehrt, hatte er 
die Fahne aufſtecken laſſen. Der Jubel der erſten, welche 


) Heilige Fahne. 


— 157 — 


dieſes willkommene Zeichen erblickten, rief alle andern 
Bewohner der Tokuls aus den Hütten hervor. Die 
Muſikinſtrumente wurden geholt; man ſcharte ſich zu⸗ 
ſammen und ſchleppte alle vorhandene Meriſſah herbei, 
um die glückliche Stimmung durch einen berauſchenden 
Trunk zu erhöhen. 

Der Fakir erſchien, hielt eine anfeuernde Rede und 
bot Amulette aus, die im bevorſtehenden Kampfe vor 
Verwundung und Tod ſchützen ſollten. Dann begann die 
Muſik zu ſpielen, aber was für eine! 

Da war zu ſehen und zu hören die Rababah, eine 
ſehr dürftige Guitarre mit drei Saiten, die röhrenför⸗ 
mige Bulonk von ausgehöhltem Kamaholz, die Nogarah, 
eine Kriegspauke, aus einem hohlen Baumſtumpf ver⸗ 
fertigt, die Darabukkah, eine kleinere Handpauke, ferner 
ſurrende Flöten, hölzerne Rieſenhörner, deren ſchreck⸗ 
liche Töne dem Rindergebrüll gleichen, ſteinerne Klap⸗ 
pern, geſchüttelte Flaſchenkürbiſſe, in denen Steine raſ⸗ 
ſelten, Antilopenhörner, deren Töne dem Jammern 
eines frierenden Hundes gleichen, kleine und große Pfei⸗ 
fen, mit denen man alle möglichen Tierſtimmen, beſon⸗ 
ders die Stimmen der Vögel nachmachte. Wer kein In⸗ 
ſtrument hatte, brüllte und heulte nach Belieben. Viele 
wußten ganz ſonderbare Geräuſche zu erzeugen. Der 
eine ſchlug mit einem Stock auf dürres Reiſig, der andre 
kniff einem Hund in den Schwanz, daß das Tier ganz 
zum Erbarmen muſizierte; der dritte ſchwang an einer 
Schnur eine Blechplatte im Kreiſe, um das Pfeifen des 
Sturmes nachzuahmen. Kurz, es war ein entſetzliches 
Konzert, das nur auf kurze Zeit unterbrochen wurde, 
als der Fakir die Helden aufforderte, das Sklavenjäger⸗ 
lied zu ſingen. Die Kerls ſtellten ſich in zwei Reihen ein⸗ 
ander gegenüber auf und ſangen: 


— 158. — 


„U marran baſahli! 
U marran alei dſchebal; 
U marran antah el woara, 
El es ſoda kubar. 
U marran beſahli! 
U marran ketir hami, 
U marran fi woar kan ro dami; 
U marran katach barrut, 
Jentelik e reqiq ſchi dali!“ 
Das heißt zu deutſch: „Und trinken iſt meine Luſt! Und 
dann hinaus in die Berge, und hinaus in den Wald, wo 
der Löwe hauſt. Und trinken iſt meine Luſt! Und kommt 
die Verwegenheit über mich, da fließt wohl Blut in der 
Wildnis; und dann wird Pulver verpafft und ich ng 
Sklaven mit nach Haufe!” 

Doch, welche Stimmen waren das, die dieſes Lied 
ſangen! Der eine brüllte wie ein Löwe und der andre 
wie ein Ochſenfroſch. Ein dritter ſchrillte im höchſten 
Fiſtelton und ein vierter ſchleppte, wie eine Baßgeige 
brummend, hinterdrein. Eine Melodie gab es nicht, 
jeder ſang ſo hoch oder tief, wie es ſeinem Kehlkopf an⸗ 
gemeſſen war. Nur die einzelnen Worte klangen zu⸗ 
ſammen, da der Fakir mit hoch erhobenen Armen den 
Takt ſchlug, wobei er ſich allerdings wie ein Irrſinniger 
gebärdete. 

Als das Lied zu Ende war, wurde wieder getrunken 
und Muſik gemacht. Dann wurde ein Tanz eingeleitet, 
den drehenden Derwiſchen nachgeäfft. So ging es unter 
ſteter Abwechslung von Muſik, Geſang und Tanz bis in 
die ſpäte Nacht, da es keinen Tropfen Meriſſah mehr gab. 

Der Lärm ſchallte über den Wald hinweg bis zum 
Fluß und dem Schiff. Dort ſaßen die beiden Belanda⸗ 
neger und vor ihnen der Wächter, die Peitſche ſtetig in 


— 159 — 


der Hand. Die Sklavinnen waren nach den Seribah ges 
holt worden, um zu backen. 

Zuweilen erhob ſich der Aufſeher, um einige Minu⸗ 
ten hin und her zu gehen. Dabei brummte er grimmig 
in den Bart darüber, daß er weder mitſingen noch mit⸗ 
trinken durfte. 

Kurz nach Mitternacht kam Abd el Mot noch ein⸗ 
mal an Bord, um ſich zu überzeugen, ob der Poſten ſeine 
Schuldigkeit tue. Dann, als er ſich entfernt hatte, wurde 
es drüben in der Seribah ſtill. Die berauſchten Sklaven⸗ 
jäger ſuchten und fanden den Schlaf. Als der Wächter 
wieder einmal ſeinen Spaziergang unternahm, flüſterte 
Lobo ſeinem Kameraden zu: „Dieſer Weiße iſt zornig; 
er hat die Peitſche ſtets in der Hand, ſchlägt uns aber 
nicht. Lobo möchte ihn darum nicht gern töten.“ 

„Dann können wir nicht entkommen!“ 

„Wollen wir ihm nicht die Kehle zuhalten, daß er 
nicht ſchreien kann? Dabei binden wir ihn und ſtecken 
ihm den Mund zu.“ 

„Das hat auch Tolo lieber, als ihn zu töten: aber 
ein einziger Schrei kann uns verderben.“ 

„Lobos Fäuſte find ſtark. Er wird den Mann fo 
faſſen, daß er gar nicht rufen kann.“ 

„Und während du ihn feſthältſt, wird Tolo ihn bin⸗ 
den. So können wir es machen. Stricke ſind genug da.“ 

„Wann beginnen wir?“ 

„Nach einer Weile; dann werden alle Weißen ein⸗ 
geſchlafen ſein.“ | 

„Aber der Kahn iſt nicht da. Er wird des Abends 
in die Seribah geſchafft.“ 

„So ſchwimmen wir.“ 

„Hat Tolo vergeſſen, daß ſich viele Krokodile im 


=. 60: 7 


Waſſer befinden? Darum wird die Seribah ja Omm et 
Timſah genannt.” 

„Tolo läßt ſich lieber von den Krokodilen freſſen, 
als daß er die Weißen nach Ombula führt.“ 

„Lobo auch. Der gute Schech im Himmel wird uns 
beſchirmen, da wir ſoeben dem Wächter das Leben ge⸗ 
ſchenkt haben.“ 

„So glaubſt du jetzt an dieſen großen Schech?“ 

„Lobo hat während des ganzen Abends darüber 
nachgedacht. Wenn der Khaſſis kein Lügner war, ſo iſt 
es wahr, was er geſagt hat, denn er iſt klüger geweſen, 
als wir es ſind. Und für den ſchwarzen Mann iſt es 
ſehr gut, einen ſolchen Schech im Himmel zu haben, denn 
alle weißen Schechs auf der Erde ſind ſeine Feinde. 
Lobo glaubt alſo an ihn und wird ihn jetzt bitten, unſere 
Flucht gelingen zu laſſen.“ Der Neger faltete die Hände 
und blickte zum Himmel auf. Seine Lippen bewegten 
ſich, aber die Bitte war nur für Gott hörbar. 

Der Wächter hatte ſich wieder niedergeſetzt. Dann 
dauerte es längere Zeit, bis er abermals aufſtand, um 
hin und her zu gehen. Da fragte Lobo: „Warten wir 
noch länger?“ 

„Nein. Tolo hält ſchon die Stricke in der Hand. 
Wenn er uns wieder nahe iſt und ſich umdreht, ſo ſprin⸗ 
gen wir auf und du ergreifſt ihn von hinten.“ 

So geſchah es. Der Wächter kam auf ſie zu und 
machte wieder kehrt. Im Nun ſtanden die Neger hinter 
ihm, und Lobo legte ihm die beiden Hände um den Hals, 
den er feſt zuſammdrückte. Der Mann ſtand, wohl nicht 
nur infolge dieſes Druckes, ſondern mehr noch aus 
Schreck, völlig bewegungslos; er gab keinen Laut von 
ſich. Er wehrte ſich auch nicht, als Tolo ihm die Stricke 
feſt um die Arme, Beine und den Leib wickelte. Lobo 


— 161 — 


zog ihm feinen Fes vom Kopfe, zerriß dieſen und machte 
aus den Stücken einen Knebel, den er ihm in den Mund 
ſchob. 

Der Mann war vollſtändig überwältigt und wurde 
in den Raum hinabgeſchafft. Lobo nahm ihm das Meſſer 
und Tolo die Peitſche ab; dann kehrten ſie auf das Deck 
zurück. 

Sie ließen ſich ſo leiſe wie möglich, um ja nicht 
etwa durch ein Geräuſch die Krokodile herbeizulocken, 
in das Waſſer und ſtrebten dem Ufer zu, was gar nicht 
leicht war, da ſie ſich durch die dichte Omm Sufah zu 
arbeiten hatten. Doch gelangten ſie wohlbehalten an 
das Land. Das Naßwerden ſchadete ihrer mehr als ein⸗ 
fachen Kleidung nicht das mindeſte. 

„Der gnädige Schech im Himmel hat uns vor den 
Krokodilen beſchützt; er wird uns auch weiter helfen,“ 
ſagte Lobo, indem er das Waſſer von ſich abſchüttelte. 
„Denkſt du nicht, daß es beſſer wäre, wenn wir Abd el 
Mot leben ließen und unſre Wanderung ſogleich an⸗ 
träten?“ — „Nein. Er muß ſterben!“ — „Seit du 
heute von dem himmliſchen Schech und ſeinem Sohne 
geſprochen haſt, kommt es Lobo nicht gut vor, den Araber 
zu töten.“ — „Wenn wir ihm das Leben laſſen, ereilt er 
uns unterwegs. Töten wir ihn aber, ſo wird, wenn man 
ihn findet, alle der Schreck ſo ergreifen, daß ſie ver⸗ 
ſäumen, uns zu verfolgen.“ — „Lobo tut alles, was du 
willſt. Wie aber kommen wir in die Seribah? Die 
Wächter machen Lärm.“ — „Haft du denn nicht das 
Meſſer, mit deſſen Hilfe wir uns ein Loch machen kön⸗ 
nen?“ — „Aber die Hunde werden uns verraten!“ — 
„Kein; fie riechen, daß wir in die Seribah gehören, und 
ich kenne ſie faſt alle nach ihren Namen. Komm!“ | 

Sie ſchlichen ſich vorwärts bis zum mer une 


May, Die Sklavenkarawane. 


— 182 — 


des Valdes. Tott gelt es, eot-&: g E ki, RR da 
Nacht war jo fternen dell. a8 mrı ken Meier auf 
zwanzig Schritre erker-en E-. Sie legen auf 
die Erde und krochen derfenigen Sele der U zinnung 
zu, von wo aus fte die fürzefte Strecke sad dem Totul 
Abd el Mots harten. 

Glücklicherweiſe errei ten ge diele Ste. obne von 
einem Hunde bemerkt worden zu jein. Dort begann 
Lobo, mit dem Mifier ein Loch in den dichten, ſtacheligen 
Zaun zu ſchneiden. Das war nicht leicht und ging 
außerordentlich langſam. Obgleich er der Stärkere war, 
mußte Tolo ihn einigemal ablöjen, bis die Oeffnung jo 
groß wurde, daß ein ſchlanker Menſch durchſchlüpfen 
konnte. 

Im Innern der Seribah angelangt, mußten ſie 
nun doppelt vorſichtig ſein. Sie blieben eine kleine Weile 
lauſchend liegen; ſie vernahmen kein verdächtiges Ge⸗ 
räuſch. Ein Rind ſchnaubte draußen im Pferche, und 
aus der Ferne tönte das dumpfe Ommu⸗ommu einer 
Hyäne herüber. In der Seribah aber herrſchte tiefe 
Stille. 

„Wir können es wagen,“ ſagte Tolo. „Gib mir das 
Meſſer!“ — „Warum dir?“ — „Weil ich den Stoß 
führen will.“ — „Nicht du, ſondern Lobo wird es tun, 
denn er iſt der Stärkere von uns beiden.“ — „Aber es 
iſt dir ja nicht lieb, daß er getötet werden ſoll!“ — „Du 
haſt geſagt, daß er dennoch ſterben muß, und da iſt es 
gleich, von weſſen Hand es geſchieht. Sollte der Schech 
im Himmel darüber zürnen, fo wird er Lobo eher ver⸗ 
zeihen als dir, denn Lobo glaubt erſt ſeit heute an ihn, 
du aber ſchon ſeit längerer Zeit. Bleib alſo hier und 
warte, bis ich wiederkomme!“ — „Du millit allein 
gehen? Das duldet Tolo nicht. Er wird dich bis zum 


Tokul begleiten, um bereit zu fein, wenn dir etwas 
Böſes widerfährt.“ — „So komm, denn du haſt recht!“ 

Sie kannten den Weg genau. Die meiſten Schläfer 
befanden ſich in ihren Hütten; mehrere lagen vor dieſen, 
doch ſo feſt im Meriſſahrauſch, daß ſie nicht aufwachten. 

Als ſie an den Tokul Abd el Mots kamen, lagen 
wohl acht bis zehn Soldaten um denſelben. Der Unter⸗ 
anführer traute den Negerſoldaten nicht und pflegte ſeine 
Hütte des Nachts mit weißen Söldnern zu umgeben. 
Aber auch dieſe lagen in tiefem Schlaf. 

„Bleib hier liegen!“ flüſterte Lobo. „Es iſt nicht 
ſchwer, zwiſchen ihnen hindurchzukommen. Der Araber 
befindet ſich ganz allein in der Hütte. Auch er wird ge⸗ 
trunken haben. Ein Stoß, und dann iſt Lobo wieder 
bei dir.“ 

Die Zuverſicht, womit er dies ſagte, klang etwas 
haſtig. Die Tat wurde ihm wohl ſchwerer, als er es 
merken laſſen wollte. Das Meſſer in der Hand, kroch er 
ſchlangengleich zwiſchen zwei Schläfern hindurch. Schon 
hatte er den Eingang erreicht und ſtreckte die Hand aus, 
um das leichte Schilfgeflecht, das die Tür bildete, bei⸗ 
ſeite zu ſchieben; da ließ ſich hinter ihm ein lautes Knur⸗ 
ren hören. Er zog die Hand zurück; aber der uner⸗ 
wartete Feind brach, anſtatt ſich zu beruhigen, in ein 
wütendes Gebell aus und kam, das Geflecht umreißend, 
aus der Hütte geſtürzt. Es war einer jener großen 
Schillukhunde, welche die Sklavenjäger gern kaufen, um 
ſie gegen die Neger abzurichten. Er warf ſich auf Lobo. 
Dieſer war, obgleich dem Alter nach noch kaum ein 
Mann, doch ein ſehr kräftiger Menſch. Er wich dem 
Hunde mit einer behenden Bewegung aus, faßte ihn mit 
der Linken beim Genick, riß ihn empor und ſtieß ihm 
mit der Rechten mit außerordentlicher Schnelligkeit das 


Meſſer einigemal in die Bruft. Der Hund brach unter 
lautem Geheul zuſammen. 

Von allen Seiten, allüberall antworteten die an⸗ 
dern Hunde; die Menſchen erwachten, und die vor dem 
Tokul liegenden weißen Schläfer waren aufgeſprungen. 
Sie wollten ſich auf Lobo werfen, dem es nun unmög⸗ 
lich war, ſein blutiges Vorhaben auszuführen. Wohl 
zwanzig Arme ſtreckten ſich nach ihm aus; er war um⸗ 
ringt und ſchlug und ſtieß um ſich, um ſich Luft zu 
machen. Dies wäre ihm wohl kaum gelungen, wenn ihm 
nicht Tolo geholfen hätte. Dieſer ſprang herbei und ſchlug 
mit ſeiner Nilpferdpeitſche, die bekanntlich eine furcht⸗ 
bare Waffe iſt und ſogar Schädelknochen zerſchmettern 
kann, in der Weiſe auf die Bedränger ſeines Gefährten ein, 
daß ſie, die ſo etwas nicht erwartet hatten, Raum gaben. 
Dies benutzend, flogen die beiden Neger in weiten Sätzen 
davon, um das Loch und durch dieſes das Freie zu ge⸗ 
winnen. 

Einer der Schläfer, die Lobo hatten ergreifen wol⸗ 
len, war ein Unteroffizier, ein Mann, der zu befehlen ge⸗ 
wohnt war und mehr Umſicht beſaß als die andern. Er 
ſchrie mit lauter Stimme in den Lärm hinein: „Wer 
waren die beiden? Hat jemand ihre Geſichter geſehen?“ 

„Lobo und Tolo, die zwei Belanda waren es,“ ant⸗ 
wortete eine Stimme. 

„So find fie vom Noger entflohen und haben ſich, 
ehe der Eingang geſchloſſen wurde, in die Seribah ge⸗ 
ſchlichen, um Abd el Mot zu ermorden. Sie ſind noch in 
der Umzäunung. Eilt an die Tore und beſetzt ſie, damit 
die Mörder nicht hinaus können! Aber ruft alle Hunde 
herbei, die uns die Flüchtigen aufſpüren werben!“ 

Infolge dieſes Befehls rannte alles nach den Ein⸗ 
gängen. Abd el Mot war natürlich erwacht. Er kam aus 


— 165 — 


dem Zelt, um ſich nach dem Grund der großen Auf 
regung zu erkundigen. Er ſtimmte der Anordnung des 
Unteroffiziers bei und ſo kam es, daß die ganze Bevöl⸗ 
kerung der Seribah ſich an den Eingängen verſammelte 
und die beiden Neger das Loch ungehindert erreichen 
konnten. Lobo wollte ſchnell hindurch und hinaus in 
das Freie kriechen; aber der ſchlaue Tolo hielt ihn zurück 
und ſagte: „Halt, warte! Hörſt du nicht, daß man den 
Hunden ruft und pfeift? Gehen wir jetzt hinaus, ſo 
treffen wir auf dieſe Tiere, die uns zwar vielleicht nichts 
tun, aber uns ſicher verraten werden. Wir müſſen war⸗ 
ten, bis alle herein ſind.“ 

Lobo ſah die Wahrheit dieſer Worto ein und blieb 
ſtehen. Die beiden hörten mehrere Hunde an dem Loch 
vorüber und nach dem nächſten Tore rennen. Dort er⸗ 
klang der Befehl Abd el Mots: „Bindet fie an Leinen, 
damit ſie uns führen können! Und bringt ſie an meine 
Hütte, auf die Spur der Neger!“ 

„Jetzt iſt es Zeit!“ flüſterte Tolo. „Schnell hinaus 
und fort!“ 

„Die Hunde werden das Loch finden,“ antwortete 
Lobo, „und die Verfolger auf unſre Fährte bringen. 
Könnten wir reiten, ſo würden unſre Füße den Boden 
nicht berühren und die Hunde verlören unſre Spur.“ — 
„Reiten iſt unmöglich.“ — „Wieſo? Draußen in der 
Murrah ſtehen Pferde und auch Kamele.“ — „Aber die 
Wächter ſind bei ihnen; dieſe Leute haben den Lärm 
vernommen und werden ſehr aufmerkſam ſein.“ — 
„Ueberfallen wir fie!” — „Nein. Es ſind ihrer zu viele 
für uns und wir haben nur ein Meſſer. Und ſelbſt wenn 
es uns gelänge, ſie zu überwältigen, würde dabei ſo viel 
Zeit vergehen, daß die Hunde bei uns wären, ehe wir 
die Pferde hätten. Wir müſſen laufen.“ 


3 —— 


— 166 — 


Sie krochen hinaus und rannten davon, an der 
Murrah vorüber und in der Richtung, wo ihre Heimat 
lag, in die Nacht hinein. 

Als ſie glaubten, daß das Loch ſchnell entdeckt wer⸗ 
den würde, hatten ſie ſich geirrt. Es waren über zwanzig 
Hunde vorhanden, die nach dem Tokul Abd el Mots ge⸗ 
führt wurden. Dort gab es eine Menge von Spuren, 
und jetzt wurden dazu ſo viel neue gemacht, daß es für 
die Tiere ganz unmöglich geweſen wäre, die richtige zu 
entdecken. Aber die Hunde verſtanden überhaupt gar 
nicht, um was es ſich handelte. Man richtete ihre Naſen 
zwar auf die Erde, aber man konnte ihnen nicht begreif⸗ 
lich machen, welche Aufgabe man ihnen ſtelle. Sie ſuch⸗ 
ten im Kreiſe umher und wollten in den verſchiedenſten 
Richtungen davon. ö 

„So geht es nicht,“ ſagte Abd el Mot. „Sie wiſſen 
nicht, wen ſie ſuchen ſollen. Wir müſſen es ihnen zeigen.“ 

„Das können wir nicht,“ ſagte ein alter Tſchauſch'), 
welcher Befehlshaber über Hundert war. „Etwas zu 
zeigen, was man ſelbſt weder ſieht noch weiß, iſt un⸗ 
möglich.“ | 

„Dein Bart ift weiß, aber deine Gedanken find dun⸗ 
kel,“ antwortete der Oberbefehlshaber „Die Neger ſind 
vom Schiffe entflohen; dort iſt der richtige Ort, den 
Hunden zu zeigen, was wir wollen. Ich werde ſelbſt 
gehen und nehme nur den meinigen mit; er iſt der beſte 
von allen. Schafft das Boot an das Waſſer, doch nicht 
auf dem Pfad, den die Neger wahrſcheinlich gekommen 
ſind! Ihr würdet ſonſt mit euren Füßen die Fährte ver⸗ 
derben. Ich werde euch führen.“ 

Er nahm ſeinen Hund an der Leine und ſchritt dem 
Haupteingang zu, wo das Boot lag. Sechs Männer nah⸗ 


1) Feldwebel. 


— 167 — 


men es auf ihre Schultern und folgten ihm. Er wählte 
einen ſchmalen Pfad, welcher oberhalb desjenigen, der 
geradewegs nach dem Schiff führte, durch den Wald an 
das Waſſer ging. Als ſie das Ufer erreicht hatten, wurde 
das Boot ins Waſſer geſetzt und Abd el Mot ſtieg mit 
dem Hunde und zwei Männern, welche rudern ſollten, 
ein. Die andern konnten zurückgehen. 

Beim Noger angekommen, ſtieg der Sklavenjäger 
an Bord und ließ ſich den Hund heraufheben; die 
Ruderer durften das Schiff nicht betreten, um die 
Fährte nicht zu verwiſchen. 

Der gut dreſſierte Hund blieb bei ſeinem Herrn 
ſtehen, der das Verdeck überſchaute, was ihm der helle 
Sternenſchimmer erlaubte. Es war kein Menſch zu ſehen. 
Abd el Mot rief den Namen des Wächters, empfing aber 
keine Antwort. Er rief die beiden Neger, doch mit dem⸗ 
ſelben Mißerfolg. Der Hund bewegte die Ohren, richtete 
den Kopf zu ſeinem Herrn empor und ſtieß die Luft leiſe 
pfeifend durch die Naſe. 

„Du weißt etwas. Du haſt etwas gehört? Führe 
mich!“ forderte Abd el Mot das Tier auf, indem er die 
Leine lockerte. 

Das Tier zog ihn an dieſer unter das Verdeck bis 
hin zu der Stelle, wo der Wächter lag. Der Araber 
beugte ſich nieder, um ihn zu betaſten, zog ihm den 
Knebel aus dem Munde, ohne ihm aber die Stricke zu 
löſen, und fragte mit vor Zorn bebender Stimme: „Wer 
hat dich überwältigt und hierher gebracht?“ 

„Die Neger. Amahn, amahn!)!” 

„Wo ſind ſie?“ 

„Jedenfalls entflohen. Ich kann nicht u Sie 


) Gnade, Gnade! 
7 


— 18 — 


überfielen mich von hinten und ohne daß ich es ahnen 
konnte. Du wirſt es mir verzeihen!“ 

Er kannte die Strenge ſeines Vorgeſetzten; ſeine 
Stimme zitterte vor Angſt. Abd el Mot antwortete nicht 
und fragte auch nicht weiter. Er nahm den gefeſſelten 
Mann auf die Schulter und trug ihn hinauf auf das Deck. 

„Um Allahs und des Propheten willen, verzeihe 
mir!“ ſchrie der Wächter, der aus dem Verhalten des 
Anführers ſchloß, was dieſer beabſichtigte. 

„Allah und der Prophet mögen dir gnädig ſein; ich 
habe nichts dagegen,“ antwortete dieſer; „aber mich 
darfſt du nicht um Verzeihung bitten. Wer meinen Be⸗ 
fehlen nicht gehorcht und ſeinen Dienſt vernachläſſigt, 
den kann ich nicht brauchen. Haſt du die Sklaven über 
Bord gelaſſen, ſo ſollſt du zur Strafe denſelben Weg 
nehmen!“ 
| Der Mann wand ſich vergebens in den Armen des 
Arabers, um ſich los zu machen, und flehte mit vor 
Todesangſt kreiſchender Stimme: „Sei gnädig, Herr, 
denn auch du wirſt einſt von Gott Gnade verlangen!“ 

„Schweig, Hund, und fahre zur Hölle!“ 

Er warf ihn über Bord und blieb dann mit vorge⸗ 
beugtem Körper ſtehen, um zu ſehen, wie der Mann im 
Waſſer verſchwand. Nach wenigen Augenblicken tauchte 
dieſer für kurze Zeit wieder auf und brüllte, indem er 
das in den Mund gedrungene Waſſer von ſich ſprudelte: 
„Allah jilanak kullu abadli — Gott verdamme dich in 
alle Ewigkeit!“ 

„Ma' aſſalahme ia kelb — gehab dich wohl, du 
Hund!” lachte der Araber ihm höhniſch nach. | 

Er ſah zwei Furchen, die fich blitzſchnell der Stelle 
näherten, wo der Unglückliche wieder am Verſinken 
war; fie wurden von zwei Krokodilen gezogen, die durch 


— 169 — 


das Geräuſch des in das Waſſer fallenden Körpers auf⸗ 
merkſam geworden waren. Sie ſchnappten zu gleicher 
Zeit nach ihm — ein entſetzlicher Schrei und die gierigen 
Ungeheuer verſchwanden mit ſeinem zerriſſenen Körper 
in der Tiefe. 

Das noch größere Ungeheuer droben auf dem Deck 
aber murmelte befriedigt: „Wer meinen Befehl nicht be⸗ 
folgt, muß ſterben. Jetzt zu der Spur!“ 

Er führte den Hund nach der Stelle, wo die Neger 
gearbeitet hatten, und drückte ihm da den Kopf nieder, 
indem er ihm gebot: „Dauwir, fattiſch — ſuch, ſuch!“ 

Der Hund fuhr mit der Naſe am Boden hin, ſog, 
ſich erhebend, die Luft ein und ſtieß ein kurzes, ſcharfes 
Bellen aus. | 

„Du haſt es? So komm!“ 

Er ging mit ihm nach dem Schiffsrand, hob ihn in 
den Kahn, ſtieg ſelbſt nach und gebot den beiden Warten⸗ 
den, nun nach dem Hauptweg, den ſie vorhin vermieden 
hatten, zu rudern. | 

Die zwei Untergebenen waren Zeuge des Todes 
ihres Kameraden geweſen, doch fühlten ſie nicht das ge⸗ 
ringſte Mitleid mit ihm. Derartige Beſtrafungen eines 
Soldaten waren für ſie ganz gewöhnliche Ereigniſſe. 

Als ſie am Ufer ausgeſtiegen waren, nahm Abd el 
Mot den Hund feſt an die Leine und ließ ihn ſuchen. 
Das Tier ſtieß ſchon nach einigen Augenblicken jenen 
Laut aus, der ſagen ſoll, daß es ſich auf der Fährte be⸗ 
findet, und drängte mit allen Kräften vorwärts. 

„Jetzt haben wir den Anfang,“ ſagte der Araber. 
„Der Hund iſt vortrefflich und wird die Spur nicht ver⸗ 
lieren. Das Ende wird der Tod der beiden Burſchen ſein.“ 

Der Hund zog ſo ſtark an der Leine, daß ſein Herr 
alle Kraft aufwenden mußte, ſie ſich nicht aus der Hand 


— 170 — 


reißen zu laſſen. Faſt im Trab ging es das ſteile Ufer 
hinauf, durch den ſchmalen Wald und dann genau nach 
der Stelle, wo ſich das Loch in der Umzäunung befand. 
Erſt wollte der Hund hindurchkriechen; aber er beſann 
ſich, wendete ſich wieder zurück und ſtieg dann, laut bel⸗ 
lend und ſich kaum halten laſſend, an der Leine empor, 
um nach der freien Ebene, wohin die Neger geflohen 
waren, durchzubrechen. 

In der Seribah hatte man indeſſen alle Feuer wie⸗ 
der angeſchürt, und der Lichtſchein fiel auf das Loch, ſo 
daß es deutlich zu erkennen war. 

„Hier haben ſie ſich hindurchgearbeitet,“ ſagte Abd 
el Mot. „Und hier ſind ſie auch wieder heraus. Wäh⸗ 
rend wir ſuchten, haben ſie Vorſprung gewonnen; aber 
es ſoll ihnen nichts helfen.“ 

Er ſchritt nach dem Haupteingang, wobei er Mühe 
hatte, den Widerſtand des Hundes, der den Flüchtigen 
nach wollte, zu bemeiſtern. Dort ſtanden ſämtliche Be⸗ 
wohner der Seribah. Er teilte ihnen das Ergebnis 
ſeiner Nachforſchung mit und gebot dann den Unter⸗ 
offizieren, vorzutreten, um ſeine Befehle zu empfangen. 
„Herr,“ ſagte der bereits erwähnte alte Feldwebel, „dein 
Wille muß der unſrige ſein und wir dürfen es nicht 
wagen, dir etwas vorzuſchreiben; aber ich meine, daß 
fofort fo viele Männer, als Pferde da find, mit dem 
Hunde aufbrechen müſſen, um die Neger ſchnell einzu⸗ 
holen. Beeilen wir uns weniger, ſo entkommen ſie viel⸗ 
leicht nach Ombula und benachrichtigen die Leute dort 
von unſrem beabſichtigten Ueberfall.“ 

„Deinem Alter will ich es verzeihen, daß du mir 
Vorſchläge zu machen wagſt,“ antwortete Abd el Mot in 
ſcharfem Ton; „ein andermal aber warteſt du, bis ich 
dich frage! Das mit den Reitern habe ich ſchon be⸗ 


— 171 — 


ſchloſſen, ehe du daran denken konnteſt. Aber meinſt du 
vielleicht, daß ich ihnen befehlen werde, nach hier zurück⸗ 
zukehren, wenn ſie die Neger ergriffen haben? Dann 
müßten ſie von neuem mit uns aufbrechen, und den 
Pferden, die uns koſtbar ſind, dürfen wir eine ſolche An⸗ 
ſtrengung nicht auferlegen. Die Ghaſuah iſt beſchloſſen; 
ob ſie gleich jetzt beginnt oder erſt am Morgen, das kann 
euch gleichgültig ſein. Ich will beim Fang der Neger 
ſelbſt zugegen ſein. Ebenſo notwendig aber iſt meine 
Anweſenheit beim Aufbruch des Zuges von hier. Alſo 
rüſtet euch! In einer Stunde muß jeder zum Abmarſch 
fertig ſein. Du aber wirſt zur Strafe dafür, daß du mir 
Geſetze vorſchreiben wollteſt, nicht an dem Zug teilneh⸗ 
men, ſondern als Befehlshaber der fünfzig Mann, die ich 
zum Schutz der Seribah ausloſen werde, hier zurück⸗ 
bleiben.“ 

Für einen Sklavenjäger und gar einen Feldwebel 
derſelben, konnte es gar keine größere Strafe geben. 
Natürlich muß, wenn eine Ghafuah unternommen wird, 
eine Abteilung zum Schutz der Seribah zurückbleiben. 
Dieſe Leute erhalten zwar ihre Löhnung, doch iſt ihnen 
die Gelegenheit entzogen, ſich beim Ueberfall des be⸗ 
treffenden Negerdorfs zu bereichern. Aus dieſem Grunde 
will keiner zurückbleiben, und es iſt alſo der Gebrauch, 
das Los entſcheiden zu laſſen, und zwar nicht nur in Be⸗ 
ziehung auf die gewöhnlichen Soldaten, ſondern auch 
hinſichtlich der Führer. Hier nun ſollte der Feldwebel 
verzichten, ohne durch das Los dazu beſtimmt worden 
zu ſein. Das hielt er für eine Ungerechtigkeit; in⸗ 
folge ſeines höheren Alters, ſeiner großen Erfahrung 
und ſeines Ranges hatte er ſich für befugt gehalten, eine 
Meinung auszuſprechen, die nicht einmal mit derjenigen 
ſeines Vorgeſetzten in Widerſpruch geſtanden hatte. 


— 172 — 


Darum ſagte er, doch in ganz ruhigem Tone: „Herr, ich 
ſage dir, und Allah iſt mein Zeuge, daß ich dich nicht 
beleidigen wollte. Ich bin mir keiner Schuld bewußt 
und habe dieſe Strafe nicht verdient. Du kannſt meine 
Wangen nicht dadurch mit Schamröte überziehen, daß 
du mich vor den Hundert, die mir untergeordnet ſind, 
erniedrigſt!“ 

„Schweig!“ donnerte ihn Abd el Mot an. „Sind 
dir etwa die Geſetze, nach denen in jeder Seribah ge⸗ 
handelt wird, nicht bekannt? Ich kann dich töten, ſo⸗ 
bald du mir widerſprichſt!“ 

„Das wirſt du nicht tun, denn du weißt recht gut, 
daß ich der Erfahrenſte und Kühnſte deiner Leute bin. 
Durch meinen Tod würdeſt du dich um den brauchbar⸗ 
ſten Mann der Seribah bringen, was ein Schaden für 
euch alle wäre. Und was Abu el Mot, der Herr und erſte 
Befehlshaber, dazu ſagen würde, das weißt du nicht.“ 

Er hatte das zwar in beſcheidenem Ton, doch mit 
gewiſſem Selbſtbewußtſein geſprochen. Abd el Mot gab 
innerlich die Wahrheit des Geſagten zu, doch hielt er es 
nicht für rätlich, ſolche Worte zu dulden. Darum ant⸗ 
wortete er: „Zu töten brauche ich dich zwar nicht; aber 
ich kann dich beſtrafen, ohne daß du uns deine Dienſte 
entziehen darfſt. Du biſt von dieſem Augenblick an nicht. 
mehr Tſchauſch, ſondern gewöhnlicher Soldat und bleibſt 
als Gefangener auf der Seribah zurück. Nun kann das 
Los darüber entſcheiden, welcher Unteroffizier hier wäh⸗ 
rend unſrer Abweſenheit das Kommando erhält.“ | 

Das Urteil brachte den alten Feldwebel um die bis⸗ 
her bewahrte Ruhe. „Was?“ rief er zornig aus. „Ich 
ſoll gemeiner Aſaker werden und ſogar gefangen ſein? 
Das wird Allah wohl verhüten! Noch gibt es hier Leute, 
die es mit mir halten und mich nicht verlaſſen werden!“ 


— 178 — 


Er ſah ſtolz und auffordernd im Kreiſe herum. Ein 
leiſes Murmeln, das ſich vernehmen ließ, ſchien ſeinen 
Worten recht zu geben. Da zog Abd el Mot ſeine beiden 
Piſtolen hervor, ſpannte die Hähne und drohte: „Die 
Kugel dem, der mir zu widerſtreben wagt! Bedenkt, 
wenn ein Tſchauſch fällt, ſo rücken andre nach ihm auf. 
Wollt ihr euch dieſe Ausſicht entgehen laſſen? Soll ich 
diejenigen, die ihm helfen wollen, auch in Ketten legen? 
Nehmt ihm den Säbel und die Piſtole ab, und bindet ihn!“ 

„Mich entwaffnen und binden?“ ſchrie der 
Tſchauſch. „Lieber will ich ſterben. Schieß alſo zu, wenn 
du — “ 

Er hielt inne. Er hatte den Säbel aus der Scheide 
gezogen und ihn drohend gezückt; aber es ſchien ihm 
plötzlich ein andrer Gedanke gekommen zu ſein. Er 
ſenkte die Klinge, ſtrich ſich mit der linken Hand langſam 
über das bärtige Geſicht, vielleicht um deſſen Ausdruck 
nicht ſehen zu laſſen, und fuhr in ergebenem Ton fort: 
„Verzeihe, Herr! Du haſt recht, denn du biſt der Vor⸗ 
geſetzte, und ich habe zu gehorchen. Mache mich immer⸗ 
hin zum gewöhnlichen Soldaten! Ich werde mich doch 
bald ſo auszeichnen, daß ich wieder aufwärts rücke. Allah 
iſt groß und weiß am beſten, was geſchehen ſoll.“ 

Dieſe letzten Worte enthielten eine verſteckte Dro⸗ 
hung, was aber Abd el Mot nicht bemerkte. Er nahm 
dem Tſchauſch ſelbſt die Waffen ab und ſagte: „Danke es 
deinem Alter und meiner Gnade, daß ich mit deiner Er⸗ 
gebung einverſtanden bin! Du haſt den Säbel gegen 
mich gezogen und biſt alſo des Todes ſchuldig. Dennoch 
will ich dir verzeihen. Ich ſchenke dir das Leben; im 
übrigen bleibt es bei dem Urteil, das ich ausgeſprochen 
habe. Führt ihn in das Gefängnis und ſtellt einen 
Wächter hin, damit er nicht entfliehen kann!“ 


— 174 — 


Dieſer Befehl war an zwei Unteroffiziere gerichtet, 
die ſofort gehorchten. Sie nahmen den Tſchauſch zwiſchen 
ſich, um ihn abzuführen, und er ging ohne Widerſtreben 
mit ihnen. Die Hoffnung auf Beförderung hatte ihre 
Wirkung auf die Leute nicht verfehlt. 

Nun begaben ſich alle nach dem Tokul des Befehls- 
habers, wo unter Anrufung des Propheten und aller 
heiligen Kalifen die Loſe gezogen wurden. Die fünfzig 
Mann und der Unteroffizier, die davon getroffen wur⸗ 
den, ergaben ſich ſchweigend, aber innerlich zornig in ihr 
Schickſal; die übrigen rüſteten ſich zum Aufbruch, nach⸗ 
dem der Fakir erklärt hatte: „Ein jeder gläubige Mos⸗ 
lem tritt jede Reiſe zur Zeit des heiligen Asr an. Nach⸗ 
dem es aber Allah gefallen hat, uns zu erlauben, ſchon 
am Morgen aufzubrechen, iſt es keine Sünde gegen ihn, 
[don nach einer Stunde auszuziehen, da die Mitter- 
nacht vorüber und es dann auch ſchon Morgen iſt. Sein 
Name ſei gelobt!“ 

Es waren an dem beabſichtigten Raubzug weit über 
vierhundert Perſonen beteiligt, die in zwei Abteilungen 
zerfallen ſollten. Die erſte beſtand aus denjenigen Leuten, 
welche mit den vorhandenen Pferden beritten gemacht 
werden konnten. Ihr ſollte die Aufgabe zufallen, vor⸗ 
anzueilen und die beiden Neger zu fangen, um dann auf 
die zweite Abteilung zu warten, die teils auf Reitochſen, 
denen das Klima nichts anhaben kann, teils zu Fuß 
nachfolgen ſollte. Den erſten Trupp befehligte Abd el 
Mot ſelbſt. Die Leitung des zweiten ſollte derjenige 
Unteroffizier führen, der in die Stelle des abgeſetzten 
Feldwebels aufgerückt war. 

Nach einer Stunde hielten die beiden Abteilungen 
vor der Seribah, vor ihnen der Fahnenträger mit der 
heiligen Barakha in der Hand. So unmenſchlich der 


— 175 — 


Zweck einer Ghaſuah tft, ſo wird doch niemals eine 
ſolche unternommen, ohne daß man vorher um den 
Schutz und Segen Gottes bittet, ganz ähnlich wie man 
früher in manchen Küſtenorten mit lauten Gebeten um 
einen „geſegneten Strand“ bat. Der Fakir, der das Amt 
des Geiſtlichen und zugleich des Rechnungsführers ver⸗ 
waltete, ſtellte ſich neben dem Fahnenträger vor der 
Front auf, erhob die beiden Arme und rief mit lauter 
Stimme: „Hauehn aaleina ia rabb, ſalam aaleina be 
barakkak — hilf r uns, o Herr, begnadige uns mit deinem 
Segen!” 

Dieſe Worte wurden von der ganzen Schar einſtim⸗ 
mig wiederholt. Der Fakir fuhr fort: „Hafitsina ia mo⸗ 
barek ia daaim — ſegne uns, o Geſegneter, o Uniterb- 
licher!“ 

Auch dies wurde von allen Anweſenden nachgeſpro⸗ 
chen. Der erſte Ausruf war an Gott und der zweite an 
den Propheten Mohammed gerichtet. Dann folgten die 
vor dem Gebet jeder Sure vorgeſchriebenen Worte: „Be 
issm lillahi er rahmaan er rahiim — im Namen des 
allbarmherzigen Gottes!“ 

Hierauf wurde die erſte Sure des Korans, die 
heilige Fathha gebetet, worauf die hundertſechsunddrei⸗ 
ßigſte Sure folgte, die von Mohammed den Namen 
„Herz des Korans“ erhielt und ſeitdem von jedem Mos⸗ 
lem ſo genannt wird. Man betet ſie im Angeſicht jeder 
Gefahr, und man lieſt ſie den Sterbenden, wenn ſie in 
den letzten Zügen liegen, vor. Sie iſt ziemlich lang; ihr 
Schluß lautet: „Der Ungläubige beſtreitet die Auf⸗ 
erſtehung; er ſtellt Bilder an Gottes Stelle und vergißt, 
daß er einen Schöpfer hat. Er ſpricht: Wer ſoll den 
Gebeinen wieder Leben geben, wenn ſie dünner Staub 
geworden find?‘ Wir aber antworten: ‚Der wird fie wie⸗ 


— 176 — 


der beleben, der ſie auch zum erſtenmal in das Daſein 
gerufen. Sollte der, welcher Himmel und Erde ge⸗ 
ſchaffen, nicht die Kraft beſitzen, Tote wieder lebendig zu 
machen? Sicherlich, denn es iſt ja der allweiſe Schöpfer. 
Sein Befehl iſt, ſo er etwas will, daß er ſpricht Es 
werde!‘ und es iſt. Darum Lob und Preis ihm, in deſſen 
Hand die Herrſchaft aller Dinge iſt. Zu ihm kehret ihr 
einſt zurück!“ b 

Es dauerte ſehr lange, ehe dieſe Sure vorgeſprochen 
und nachgebetet worden war. Als die letzten Worte ver⸗ 
klungen waren, hatte ſich der Oſten gelichtet und die 
erſten Strahlen der Sonne zuckten empor. Nun durfte 
man nicht eher fort, als bis auch el Fagr, das für die 
Zeit des Sonnenaufganges vorgeſchriebene Morgen- 
gebet, geſprochen worden war. Dann erhoben ſich die 
Knienden, um abzuziehen. | 

Zuerſt beſtieg Abd el Mot mit den Seinigen die 
Pferde. Er ritt voran mit ſeinem Hunde, der mit langer 
Leine an den Sattelriemen gebunden war und die Spur 
mit Eifer wieder aufgenommen hatte. Die Reiter 
flogen wie im Sturmwind gegen Süden. 

Die zweite Abteilung folgte langſam, voran der 
Fahnenträger mit der jetzt in ein Tuch gewickelten Ba⸗ 
rakha. Sie nahmen mit Gewehrſalven Abſchied, die von 
der zurückbleibenden Beſatzung erwidert wurden. Dieſe 
Salven ſind ſtets ſcharf, wie man auch Trupps, denen 
man unterwegs begegnet, nur mit ſcharfen Schüſſen be⸗ 
grüßt, eine Munitionsverſchwendung, von welcher man. 
nicht laſſen mag, weil die Sitte es erfordert. 

Die Beſatzung blieb vor der Einfriedung, bis die 
Fortziehenden nicht mehr zu ſehen waren. Sie befand 
ſich in einer keineswegs freundlichen Stimmung. Es 
entging ihr der zu erhoffende Raub, und ſie hatte dafür 


— 177 — 


nicht einmal das Bewußtſein, der Mühen des Marſches 
und der Gefahren des Kampfes enthoben zu ſein. Arbeit 
gab es nun in der Seribah mehr als genug. Was vor⸗ 
her Fünfhundert getan hatten, das mußte nun von nur 
Fünfzig geſchehen, und auch Gefahr war jederzeit vor⸗ 
handen, da Seriben, deren größter Beſatzungsteil ſich 
auf einem Sklavenzug abweſend befindet, von den an⸗ 
wohnenden Völkern oft überfallen werden. Es gab alſo 
mehr als doppelte Arbeit und Wachſamkeit. 

Daher war es gar kein Wunder, daß hie und da ein 
unwilliges Wort laut wurde, unwillig über die Unge⸗ 
rechtigkeit des Loſes und unwillig auch über die allzu 
große Strenge des Befehlshabers. Dieſer war nur Stell⸗ 
vertreter des eigentlichen Herrn, Abu el Mots, in deſſen 
Abweſenheit er ſich ſtets ſo gebärdete, als ob er größere 
Macht beſitze, als eigentlich der Fall war. Darum war 
er nicht bloß gefürchtet, ſondern, was viel ſchlimmer iſt, 
auch unbeliebt und von den meiſten gehaßt. Der alte 
Feldwebel hingegen verſtand es beſſer, diejenigen, deren 
Rang er früher auch eingenommen hatte, richtig zu be⸗ 
handeln. Er war ſtreng, doch nicht grauſam; er hielt auf 
ſeine Würde, doch ohne ſich zu überheben. Darum war 
er beliebt, und darum hatten vorhin, als er gefangen ge⸗ 
nommen werden ſollte, viele leiſe zu murren gewagt. 

Der mit zurückgebliebene Unteroffizier bemerkte gar 
wohl die Stimmung ſeiner Leute; er hörte auch ihre 
halblauten Worte, ſagte aber nichts dagegen. Er ſelbſt 
war außerordentlich ärgerlich. Er hatte ſich von ſeiten 
des Feldwebels ſtets einer freundlichen Behandlung zu 
erfreuen gehabt; darum fühlte er Teilnahme mit ihm. 
Er war bei der Demütigung des Alten ruhig geblieben, 
weil er gehofft hatte, in ſeine Stelle aufzurücken. Dies 


aber war nicht geſchehen. Abd el Mot hatte ihm einen 
May, Die Sklavenkarawane. 12 


— 18 — 


andern vorgezogen, obgleich er meinte, größeres Anrecht 
zu beſitzen. Kein Wunder, daß er ſich nun doppelt un⸗ 
zufrieden fühlte und mit den Anſichten ſeiner Unter⸗ 
gebenen übereinſtimmte, aber ohne es ſie merken laſſen 
zu dürfen. 

Er mußte ſchweigen, nahm ſich aber vor, ſeinem 
Unmut gegen Abd el Mot dadurch Luft zu machen, daß 
er den Feldwebel ſo gut wie möglich behandelte und ihm 
ſeine Gefangenſchaft nach Umſtänden erleichterte. Er 
ließ Kisrah backen und am Fluſſe Fiſche fangen, welche 
gebraten wurden. Jeder erhielt von dieſen Gerichten 
ſeinen Teil. Dann begab er ſich mit einer tüchtigen Por⸗ 
tion nach dem Tokul, der als Gefängnis diente. 

Dieſer beſtand nicht etwa aus ſtarken Steinmauern, 
um das Entweichen zu verhindern; o nein, man hatte 
ſich die Sache viel leichter gemacht, indem ein doppelt 
mannstiefes Loch gegraben worden war, in das man die 
Miſſetäter hinabließ. Darüber befand ſich ein Schilf⸗ 
dach, aber nicht etwa zur Erleichterung für die Gefan⸗ 
genen, damit ſie nicht von den glühenden Sonnenſtrah⸗ 
len der hochſtehenden Sonne getroffen werden ſollten, 
ſondern aus Rückſicht auf die Schildwache, welche die 
Eingekerkerten zu beaufſichtigen hatte. Da dieſes Loch 
niemals gereinigt worden war, ſo war der Aufenthalt 
darin ſcheußlich und menſchenunwürdig. 

Gegenwärtig befand ſich der Feldwebel allein in 
der Tiefe. Der Wächter ging, als er den Unteroffizier 
kommen ſah, ehrerbietig zur Seite. 

„Hier bringe ich dir ein Eſſen,“ rief der letztere hin⸗ 
ab. „Kisrah und gebratene Fiſche, was ſonſt kein Ge⸗ 
fangener bekommt. Später laſſe ich Meriſſah machen; 
da ſollſt du auch einen Topf voll bekommen.“ 

Der Feldwebel ſtand dis an die Knie in halbver⸗ 


— 179 — 


weſtem Unrat. „Allah vergelte es dir,“ antwortete er, 
„ich habe aber keinen Hunger.“ 

„So hebe es dir auf!” 

Ww Wohin ſoll ich es tun? Iſt das ein Ort, Speiſe 
aufzubewahren?“ 

„Zu dieſem Zweck iſt die Grube freilich nicht be⸗ 
ſtimmt. Soll ich dir das Gericht in eine Decke wickeln?“ 

„Ja, und — ich kenne dich. Allah hat dir ein gutes 
und dankbares Herz gegeben. Habe ich dich jemals 
ſtreng behandelt? Kannſt du mir vorwerfen, daß ich dich 
jemals beleidigt oder übervorteilt habe?“ 

„Das haſt du nie.“ 

„So verdiene dir den Segen des Propheten, indem 
du mir eine Gnade erweiſeſt! Ziehe mich hinauf und 
erlaube mir, oben bei dir zu eſſen. Dann kannſt du mich 
wieder herunterlaſſen.“ 

„Das darf ich nicht.“ 

„Wer kann es dir verbieten? Du Si doch jetzt der 
Herr der Seribah. Oder glaubſt du, nicht tun zu dürfen, 
was dir beliebt?“ 

Der Buluk fühlte ſich bei feiner Ehre angegriffen; 
darum antwortete er: „Ich bin der Befehlshaber. Was 
ich will, das muß geſchehen. Aber es iſt zu gefährlich. 
Wie leicht kannſt du mir entfliehen!“ 

„Entfliehen? Das iſt doch ganz unmöglich. Ich 
habe keine Waffen; du kannſt mich ſofort niederſchießen. 
Und deine fünfzig Männer werden wohl hinreichend 
ſein, mich an der Flucht zu hindern.“ 

„Das iſt wahr,“ meinte der Buluk nachdenklich. 

„Auch darfſt du nicht vergeſſen, daß ich nicht für 
immer hier ſtecke. Abu el Mot weiß meine Dienſte zu 
ſchätzen, und wenn er zurückkehrt, werde ich ſehr raſch 
wieder Feldwebel fein.“ 


— 180 — 


„Das denke ich auch,“ gab der Unteroffizier auf⸗ 
richtig zu. 

„Dann kann ich es dir vergelten, wenn du mir die Ge⸗ 
fangenſchaft jetzt ein wenig erleichterſt.“ 

„Gut, ich werde es wagen. Aber meine Pflicht muß 
ich tun, und du darfſt es mir nicht übel nehmen, wenn 
ich der Schildwache befehle, ſich bereit zu halten, dich ſo⸗ 
fort niederzuſchießen, falls du dich mehr als zwei 
Schritte von dem Rande der Grube entfernſt.“ 

„Tue es! es iſt deine Pflicht, und du tuſt . wohl 
daran, ſie zu erfüllen.“ 

Während der Buluk zu dem Poſten trat, um ihm 
den betreffenden Befehl zu erteilen, ſtrich ſich unten der 
Tſchauſch befriedigt über den Bart und murmelte: „Das 
war nur die Probe, und er hat ſie beſtanden. Allah wird 
ihn erleuchten, auch auf meine ferneren Vorſchläge ein⸗ 
zugehen. Ich werde in dieſes Loch nicht wieder zurück⸗ 
kehren, und dieſer Abd el Mot, den Allah vernichten 
möge, wird keinen Feldwebel wieder zum gemeinen Sol⸗ 
daten erniedrigen!“ 

Jetzt erſchien der Buluk wieder oben in Gemein⸗ 
ſchaft des Poſtens. Sie ließen ein Seil herab, woran 
der Tſchauſch emporkletterte. Oben angekommen, ſetzte 
er ſich nieder und machte ſich ſogleich über ſein Eſſen 
her. Die Schildwache zog ſich außer Hörweite zurück, 
hielt aber das Gewehr ſchußbereit. Der Unteroffizier 
ſetzte ſich vor dem Gefangenen nieder, ſah ihm mit Ver⸗ 
gnügen zu, wie es ihm ſchmeckte, und ſagte: „So lange 
ich hier den Befehl habe, ſollſt du ebenſoviel und eben⸗ 
ſogut eſſen, wie bisher. Ich hoffe, du wirſt es mir danken!“ 

„Das werde ich gewiß. Ich weiß, daß ich es kann, 
denn ich werde ſpäter ſelbſt Herr einer großen Seribah 
ſein und ſehr einträgliche Sklavenzüge unternehmen.“ 


— 181 — 


„Du?“ fragte der Buluk erſtaunt. 

„Ja, ich!“ nickte der andre. 

„Haſt du das Geld dazu?“ 

„Geld? Braucht man da Geld?“ 

| „Viel, ſehr viel Geld, großes Vermögen, fo, wie 
Abu el Mot es hat. 

„Hm! Meinſt du, daß er dieſes Vermögen ſtets be⸗ 
ſeſſen hat?“ 

„Ich weiß es nicht.“ 

„Aber ich weiß es. Ich diene ihm über noch einmal 
ſo lang als du und kenne ſeine ganze Vergangenheit.“ 

„So biſt du der einzige. Niemand weiß genau, wo⸗ 
her er ſtammt und was er war.“ 

„Ein Homr⸗Araber iſt er, und ſehr arm war er. 
Er befand ſich als gewöhnlicher Soldat bei einem Skla⸗ 
benjäger und brachte es da, gerade fo wie ich, bis zum 
Tſchauſch.“ 

Das war die Unwahrheit, aber es lag in dem Plane 
des Alten, den Buluk durch dieſe erfundene Erzählung 
zu gewinnen. 

„Arm war er?“ meinte dieſer. „Und auch nur erſt 
Buluk und Tſchauſch, ſo wie du und ich? Aber wie 
brachte er es dann zu dieſer großen Seribah?“ 

„Auf eine ebenſo einfache wie leichte Weiſe. Sein 
Herr hatte ihn einmal ſehr beleidigt und dafür ſchwor er 
ihm Rache. Als dann ſpäter der Herr eine Ghaſuah 
unternahm, traf es ſich, daß er Abu el Mot als Befehls- 
haber der Seribah zurückließ.“ 

„Wie ich es jetzt bin!“ 

„Ja. Aber du wirſt nicht die Klugheit beſitzen, 
welche Abu el Mot und ſein Buluk damals entwickelt 
haben.“ 

„Er hatte auch einen Buluk bei ſich?“ 


— 19 — 


„Freilich. Du kennſt ihn ja!“ 

„Ich? Ich weiß von nichts.“ 

„Ach ſo! Ich vergaß, daß du die Geſchichte gar 
nicht kennſt. Sein damaliger Buluk iſt noch jetzt bei 
ihm, und zwar als zweiter Befehlshaber.“ 

„Etwa Abd el Mot?“ 

„Ja. Beide haben damals den Streich geſpielt, der 
ſie reich gemacht hat.“ 

„Was taten ſie?“ 

„Etwas, worauf eigentlich jeder Unteroffizier kom⸗ 
men kann, der zurückgelaſſen wird und auf die Beute 
verzichten muß. Sie warteten, bis der Herr fort war, 
plünderten die Seribah aus, brannten ſie nieder und 
zogen mit dem vorhandenen Vieh und allem, was mit⸗ 
genommen werden konnte, nach Süden, hierher, wo ſie 
dieſe Seribah gründeten und das Geſchäft für ihre eigene 
Rechnung begannen.“ 

„Allah ' Allah. Mein Verſtand iſt weg!“ rief der 
Buluk aus, indem er den Mund aufriß und die Augen 
faſt ebenſoweit. N 

„Das iſt ſehr bedauerlich für dich,“ bemerkte der 
Tſchauſch. „Wenn dein Verſtand entflohen iſt, ſo wirſt 
du niemals reich werden.“ 

„Ich — reich?“ 

„Allah iſt allmächtig; ihm iſt alles möglich, und 
wen er mit ſeiner Gnade beglücken will der braucht nur 
zuzugreifen.“ 

„Soll ich etwa zugreifen?“ | 

„Natürlich! Es wird ſich dir nie wieder eine ſolche 
Gelegenheit bieten, ſchnell reich zu werden.“ 

Der Buluf erfüllte als Unteroffizier feine Pflichten 
zur Zufriedenheit; aber beſonders glänzende Geiſtes⸗ 
gaben beſaß er keineswegs. Er ſaß vor dem Tſchauſch, 


9 


— 18 — 


als ob er gelähmt fet, ihn groß und faſt verſtändnislos 
anſtarrend. „Allah akbar!“ ſtieß er langſam hervor. 
„Habe ich recht gehört? Ich ſoll es machen, wie dieſe 
beiden?“ 

„Nicht du allein, ſondern ich und du.“ 

„Das — iſt doch — gar nicht auszudenken!“ 

„So gieb dir Mühe, es zu begreifen! Aber verſäume 
nicht die gute Zeit. Abu el Mot kann jeden Augenblick 
zurückkehren. Dann iſt es zu ſpät, und die Gelegenheit 
wird niemals wieder vorhanden ſein.“ 

„Sprichſt du denn wirklich im Ernſt?“ 

„Ich ſchwöre dir bei en und dem Propheten, daß 
ich nicht ſcherze.“ 

„Und du meinſt, daß es wirklich auszuführen iſt?“ 

„Ja, denn Abu el Mot und fein Bulut haben es 
auch fertig gebracht. Denke doch an alles, was ſich hier 
befindet, an die Waffen und die viele Munition, an die 
Kleider und Gerätſchaften, an die Handelsgegenſtände 
und Vorräte, die wir, wenn wir etwas davon kaufen, 
von unſrem armen Sold zehnfach teurer bezahlen müf- 
ſen! Denke ferner an die Rinder, die wir bewachen 
müſſen! Ueberlege dir, welch einen Wert das alles hat! 
Weißt du, wie viel Elfenbein wir bei den Negern für 
eine einzige Kuh eintauſchen können?“ 

„O, das weiß ich ſchon. In Chartum würden wir 
dreißig und noch mehr Kühe dafür bekommen.“ 

„Wir haben über dreihundert Rinder hier. Mach⸗ 
ten wir es ſo, wie Abu und Abd el Mot es damals ge⸗ 
macht haben, ſo wären wir mit einem Schlag reiche 
Männer. Denke nach! Man darf in ſolchen Fällen ja 
keine Zeit verlieren!“ 

Der Buluk hielt ſich den Kopf mit beiden Händen, 
griff ſich an die Naſe, an die Bruſt und die Knie, um zu 


— 184 — 


verſuchen, ob er wirklich lebe und wache, und rief dann 
aus: „Allah begnadige mich mit feiner Erleuchtung! 
Meine Seele findet ſich nur ſchwer in eine ſo ungeheure 
Sache. Ich muß ſie unterſtützen.“ 

„Womit?“ 

„Ich will mir Tabak für meine Pfeife holen!“ 

„Auch ich habe einen Tſchibuk hier am Halſe hän⸗ 
gen, aber keinen Tabak.“ 

„Ich bringe auch für dich welchen mit.“ 

Er ſtand auf und eilte fort. Schon war er weit 
entfernt, da erinnerte er ſich an ſeine Pflicht. Er blieb 
ſtehen, drehte ſich um und rief zurück: „Du entfliehſt doch 
nicht? Du haſt es mir verſprochen!“ . 

„Ich bleibe!“ antwortete der Tſchauſch. 

„Bedenke wohl, daß dich die Kugel des Wächters 
treffen würde, denn du biſt mein Gefangener!“ 

„Ich halte mein Wort! Aber ſage keinem, was du 
von mir gehört haſt!“ 

„Nein; auch würde es mir wohl niemand glauben!“ 

Er ging weiter. Der Tſchauſch rührte ſich nicht von 
ſeiner Stelle. Er hatte die Kisrah und die Fiſche ver⸗ 
zehrt. Jetzt ſtrich er ſich mit beiden Händen den grauen 
Bart und murmelte vergnügte, leiſe Worte vor ſich hin. 

Bald kehrte der Buluk wieder. Er hatte ſeinen 
Tabaksbeutel in der Hand, dem man es anſah, daß er 
nicht viel enthielt. Der Tabak iſt in den Seriben ein 
teurer Artikel. Dennoch reichte er ihn, als er ſich nieder⸗ 
geſetzt und ſeine Pfeife geſtopft hatte, auch dem Tſchauſch 
hin. Dieſer griff hinein, ließ den zu Mehl zerſtoßenen 
und mit weniger wertvollen Pflanzenblättern vermiſch⸗ 
ten Tabak durch die Finger gleiten, machte ein pfiffig 
bedauerndes Geſicht, begann auch ſeinen Tſchibuk zu 
ſtopfen und fragte: „Wem gehört dieſer Tabak?“ 


— 15 — 


„Mir,“ antwortete der Buluk verwundert. 

„Woher haſt du ihn?“ 

„Hier gekauft natürlich!“ 

„So haſt du vorhin allerdings ganz richtig ge⸗ 
ſprochen: dein Verſtand iſt weg!“ 

„Wieſo?“ fragte der Buluk, indem er mit dem 
Stahl Feuer ſchlug. 

„Haſt du keinen andern und beſſern Tabak?“ 

„Nein!“ 

„O Allah! Hat dir denn Abd el Mot ‚nicht die ganze 
Seribah übergeben?“ 

„Ja.“ 

„Auch die Tokuls mit den Vorräten?“ 

„Ja. Ich ſoll ſie wohl verwahren. Es hängen 
Schlöſſer vor den Türen.“ Während nämlich kein 
Wohnraum verſchloſſen iſt, ſind diejenigen Tokuls, die 
als Magazine benutzt werden, mit hölzernen Türen und 
Vorlegeſchlöſſern verſehen. 

„Aber die Schlüſſel haſt du doch?“ fragte der 
Tſchauſch. 

„Ja, ſie ſind mir übergeben worden.“ 

„So kannſt du hinein, wo die Fäſſer mit dem köſt⸗ 
lichen Tabak ſtehen, den nur Abu el Mot und Abd el 
Mot rauchen, und dennoch begnügſt du dich mit dieſem 
letzten, ſchlechten Reſt?“ 

Der Buluk öffnete wieder den Mund, ſtarrte den 
andern eine ganze Weile an und fragte dann: „Du 
meinſt —“ 

„Ja, ich meine!“ 

„Allah, wallah, tallah! Es wäre freilich ſchön, 
wenn ich meinen Beutel füllen könnte, ohne ihn ſpäter 
bezahlen zu müſſenl“ 

„Nur Zabat? Alles, alles kannſt du nehmen, ohne 


— 186 — 


es zu bezahlen. Du vernichteſt dieſe Seribah Omm et 
Timſah und legſt eine andre an.“ 

„Wo?“ 

„Im Süden, wo die Waren teurer und die Sklaven 
billiger ſind.“ 

„Das wäre bei den Niam⸗niam?“ 

„Ja. Dort ind geradezu glänzende Geſchäfte zu 
machen.“ 

Der Buluk rieb ſich an den Armen, an den Beinen, 
an allen Teilen ſeines Körpers. Es war ihm höchſt un⸗ 
behaglich zu Mute, und doch fühlte er ſich dabei ſo wohl 
wie noch nie in ſeinem ganzen Leben. Er wäre gar zu 
gern reich geworden, aber nach längerem Nachdenken ge⸗ 
ſtand er aufrichtig: „Ja, wenn ich deinem Vorſchlag 
folgte, ſo könnte ich ſehr leicht eine Seribah gründen; 
aber — ich bin nicht klug genug dazu.“ 

„Du haſt ja mich! Ich will doch Teilnehmer wer⸗ 
den! Uebrigens lernt ſich ſo etwas ganz von ſelbſt.“ 

„Meinſt du?“ 

„Gewiß, du biſt ja ſchon jetzt Führer einer ganzen 
Seribah!” 

Da ſchlug ſich der Buluk an die Bruſt und rief: 
„Ja, das bin ich! Bei Allah, das bin ich! Alſo du 
meinſt —?“ 

„Ja, ich bin überzeugt, daß wir beide in kürzeſter Zeit 
die reichſten und berühmteſten Sklavenjäger ſein würden.“ 

„Berühmt, das möchte ich werden,“ nickte der Buluk. 

„So folge mir! Ich habe dir den Weg dazu gezeigt. 
Und wenn du noch nicht wiſſen ſollteſt, welche Vorteile 
dir erwachſen, falls du auf meinen Vorſchlag eingehſt, 
ſo will ich ſie dir deutlich machen und erklären. Komm!“ 

„Wohin?“ fragte der Buluk, als der Feldwebel 
würdevoll aufſtand. 


— 187 — 


„Zu den Vorräten. Ich will fie dir zeigen und ihren 
Wert berechnen.“ 

„Ja, komm!“ ſtimmte der Buluk eifrig bei. „Ich 
habe die Schlüſſel in der Taſche und möchte wiſſen, wie 
reich wir ſein würden.“ 

Er ergriff den Tſchauſch am Arm und führte ihn 
fort. Der Poſten wagte natürlich nicht zu ſchießen, weil 
der jetzige Oberſte ſelbſt ſeinen Gefangenen fortführte. 

Die fünfzig Soldaten waren zerſtreut, teils in der 
Seribah ſelbſt, teils draußen bei den Herden beſchäftigt. 
Einige von den erſteren ſahen zu ihrem nicht geringen 

Erſtaunen den Buluk mit dem Feldwebel, den ſie im 
Gefängnis wähnten, gehen, doch ſagten ſie nichts. Es 
war ihnen ganz recht, daß der derzeitige Gebieter nicht 
ſo ſtreng verfuhr, als er eigentlich ſollte. Erſt als dieſer 
ſich mit ſeinem Begleiter beim erſten Vorratstokul be⸗ 
fand und deſſen Tür ſchon geöffnet hatte, fiel ihm ein, 
was er laut der ihm erteilten Weiſung zu tun hatte. 

„W' Allah!“ fuhr er zornig auf. „Ich laſſe den 
Hund peitſchen!“ | 

„Wen?“ fragte der Tſchauſch. 

„Den Gefängnispoſten.“ 

„Warum?“ 

„Weil er dich nicht erſchoſſen hat! Ich habe es ihm 
doch befohlen!“ 

„Aber du ſelbſt haſt mich ja weggeführt. Er ſah 
alſo, daß du mir erlaubteſt, mich zu entfernen, und ſo 
wäre es ein Ungehorſam gegen dich geweſen, wenn er 
geſchoſſen hätte, nicht nur Ungehorſam, ſondern Auf⸗ 
lehnung und Aufruhr! Du biſt ja der Befehlshaber!“ 

„Der bin ich allerdings, und ich will keinem raten, 
gegen mich aufzurühren! Beim Scheitan !), ich würde 

1) Teufel. f 


— 188 — 


den Hund totpeitſchen laſſen, wenn er auf dich geſchoſſen 
hätte. Jetzt komm herein und zeige mir die Sachen, 
deren Wert du beſſer kennſt als ich!“ 

Sie blieben ziemlich lange in dem Tokul; aus die⸗ 
ſem gingen ſie auch in die übrigen Vorratshäuſer. So 
oft der Buluk aus einem derſelben trat, ſah man ſein 
Geſicht glückſeliger ſtrahlen. Als er den letzten ver⸗ 
ſchloſſen hatte, legte er dem Feldwebel die Hand auf die 
Achſel und ſagte: „Jetzt ſchwöre mir bei deinem Bart, 
daß du von dem Gelingen deines Planes vollſtändig 
überzeugt biſt!“ Der Anblick der reichen Vorräte hatte 
ihn für den Tſchauſch vollſtändig gewonnen. 5 
a „Ich ſchwöre es!“ antwortete dieſer, indem er die 

Hand erhob. „Und wenn du ſpäter eine Million Abu 
Nogtah!) beſitzeſt, fo wirft du mir es Dank wiſſen, dir 
dieſen Rat gegeben zu haben.“ 

„Aber wir allein können es doch nicht unter⸗ 
nehmen?“ 

„Wir beide? Nein. Wir müſſen unſre Soldaten 
dazu haben. Dafür laß nur mich ſorgen! Ich werde mit 
ihnen ſprechen.“ | 

„Dann aber werden fie die Beute mit uns teilen 
wollen.“ 

„Darauf gehen wir nicht ein. Es würde jeder gleich⸗ 
viel erhalten, und ſo hätten wir die Mittel nicht, eine 
neue Seribah anzulegen. Ich verſpreche einem jeden 
den doppelten Sold, wenn ſie uns dienen wollen, und 
ihnen allen die Beute, welche Abd el Mot zurückbringen 
wird. Auf dieſe Weiſe bleibt uns alles, was ſich hier in 
Omm et Timſah befindet.“ 

„Die Beute, welche Abd el Mot bringtꝰ Wie kannſt 
du ihnen dieſe verſprechen? Du haft fie ja nicht!“ 


) Nariathereſtentaler. 


— 19 — 


„Aber ich werde ſie haben, denn ich nehme ſie 
ihm ab.“ | 

„Allah kerihm — Gott iſt gnädig! Er wird dir doch 
den Verſtand nicht verwirrt haben!“ 

„Nein, das hat er nicht. Mein Plan geht weiter, 
als du meinſt. Ich werde Abd el Mot entgegenziehen 
und ihn während ſeiner Rückkehr überfallen. Er hat mir 
meinen Rang genommen und mich in das Gefängnis 
werfen laſſen; das muß er büßen.“ 

„Aber es ſind fünfhundert Krieger bei ihm!“ 

„Ich verheiße auch ihnen doppelten Sold, und 
außerdem dürfen ſie in Gemeinſchaft mit unſern fünfzig 
Mann die Beute, die ſie in Ombula gemacht haben wer⸗ 
den, unter ſich teilen. Da werden ſie zu mir übergehen. 
Wer das nicht tut, der wird getötet, oder er mag laufen, 
wohin er will.“ 

„Biſt du toll? Wenn ſie nun alle Abd el Mot treu 
bleiben wollen, ſo ſind wir verloren. Sie ſind uns zehn⸗ 
fach überlegen.“ 

„Das ſchadet nichts. Ich weiß ſchon, in welcher 
Weiſe ich ohne alle Gefahr an ſie kommen werde. Die 
Hauptſache iſt, daß wir nicht ſäumen. Abu el Mot will 
viele Nuehrs anwerben und mitbringen. Trifft er mit 
dieſen hier ein, während wir noch da ſind, ſo iſt es aus 
mit unſrem ſchönen Plan.“ 

„Dieſer wird überhaupt nicht ausgeführt werden,“ 
meinte der Buluk. 

„Warum?“ 

„Weil er zu gefährlich iſt. Du willſt weiter gehen, 
als ich dachte.“ 

„So ziehſt du dich zurück?“ 

„Ja. Ich wäre ſehr gern reich geworden; aber ich ſehe 
ein, daß unſer Leben verloren iſt. Ich mache nicht mit.“ 


— 190 — 


„So werde ich meinen Plan ſelber ausführen!“ 

„Das iſt ja ganz unmöglich, da du mein Gefan⸗ 
gener an 

„Ja, der bin ich freilich. Aber ich werde mit deinen 
Leuten ſprechen und bin überzeugt, daß ſie mir ſofort zu⸗ 
ſtimmen werden. Dann aber wirſt du mein Gefangener 
ſein, falls du dich feindlich gegen uns verhältſt.“ 

„Allah, Allah!“ rief der Buluk erſchrocken. „Du haſt 
mir ja verſprochen, nicht zu entfliehen!“ 

„Ich halte auch mein Wort. Ich habe nicht die 
mindeſte Luſt zur Flucht. Ich will vielmehr von hier 
fortziehen als Sieger, als Beſitzer alles Eigentums, aller 
Herden und auch aller Sklaven, die ſich hier befinden 
und natürlich mitgenommen werden.“ 

„Du biſt ein ſchrecklich entſchloſſener Menſch!“ 

„Ja, entſchloſſen bin ich, und ich wünſchte ſehr, daß 
auch du es wäreſt. Jetzt iſt es noch Zeit für dich. Sage 
ja dazu, ſo wirſt du Mitbeſitzer. Sagſt du aber nein, 
ſo wirſt du ausgeſtoßen oder darfſt höchſtens als ge⸗ 
wöhnlicher Aſaker mit uns gehen. Ich möchte nicht gern 
hart gegen dich verfahren, muß es aber tun, wenn du 
mich dazu zwingſt. Alſo entſcheide dich ſchnell! “ 

Der Bulut blickte einige Zeit zur Erde nieder. Dann 
antwortete er in entſchloſſenem Ton: „Nun wohl, ich 
bin mit dir einverſtanden. Ich ſehe ein, daß ich es bei 
dir und auf deine Weiſe weiter bringen kann als bei 
Abu el Mot, bei dem ich höchſtens das bleiben werde, 
was ich jetzt bin, ein armer Buluk. Wir werden Skla⸗ 
ven machen, Tauſende von Sklaven, und wenn wir reich 
genug ſind, gehen wir nach Kahira, kaufen uns Paläſte 
und führen ein Leben wie die Gläubigen im Paradies.“ 

„Gut, fo gib mir die Schlüſſel!“ 

„Muß das ſein?“ 


— 11 — 


„Ja, denn ich bin jetzt der Herr von Omm et Tim⸗ 
ſah und du biſt mein Unterbefehlshaber.“ 

Er bekam die Schlüſſel zu den Magazinen und ging 
dann mit dem Buluk, dem das Herz außerordentlich 
klopfte, nach der Stelle, wo die weithin ſchallende Trom⸗ 
mel an einem Pfahl hing. Auf deren Schall mußten 
alle zu der Niederlaſſung Gehörigen, ſogar die draußen 
bei den Herden befindlichen Wächter, auf dem Ver⸗ 
ſammlungsplatz in der Mitte der Seribah erſcheinen. 

Er rührte ſelbſt die Trommel, und binnen wenigen 
Minuten fanden ſich alle zurückgebliebenen Sklavenjäger 
hier ein. Sie wunderten ſich nicht wenig, als ſie den ge⸗ 
fangenen Tſchauſch neben dem Buluk ſtehen ſahen. Aber 
ihre Verwunderung ging noch auf ganz andre Gefühle 
über, als er zu ſprechen begann. 

Er ſtand unbewaffnet vor ihnen, ohne alle Furcht 
und Sorge, daß ſein kühnes Unternehmen mißlingen 
könne. Er kannte ſeine Leute. Sie gehörten, wie ja auch 
er ſelbſt, dem Abſchaum der Menſchheit an; ſie beſaßen 
weder Gefühl noch Gewiſſen oder Religion, denn was 
ſie von der letzteren hatten, das beſtand nur in der Be⸗ 
folgung äußerer Formen, deren Bedeutung ſie kaum 
kannten. Ein abenteuerliches Leben hinter ſich und auch 
vor ſich, waren ſie an alle Gefahren gewöhnt und ſchreck⸗ 
ten vor nichts zurück, was ihnen irgend einen Vorteil 
bringen konnte. Sie waren alſo ganz die Leute, me die 
der Plan des alten Feldwebels paßte. 

Er ſchilderte ihnen ihr jetziges, ausſichtsloſes Leben, 
entwickelte ihnen ſeinen Plan, ſoweit er dies für nötig 
hielt, nannte ihnen die Vorteile, die dieſer brin⸗ 
gen mußte, verſprach ihnen, ſolange ſie in ſeinem Dienſt 
bleiben würden, einen doppelt höheren Sold als den⸗ 
jenigen, den ſie jetzt erhielten, und ſagte ihnen endlich, 


— 192 — 


daß Abd el Mot die ganze Beute abgenommen werden 
ſollte, um verteilt zu werden. Als er ſie dann fragte, ob 
ſie bereit ſeien, ihm zu dienen, ſagten ſie dies jubelnd 
zu. Kein einziger ſchloß ſich aus; kein einziger ſchien 
auch nur das allergeringſte Bedenken zu hegen. Nur 
verlangten ſie Meriſſah, um dieſen glücklichen Tag feiern 
und ſich berauſchen zu können. 

Ohne ihnen zunächſt eine Antwort zu geben, nahm 
er ſie in Eid. Da kein Fakir oder andrer Geiſtlicher zu⸗ 
gegen war, holte er aus Abu el Mots Tokul einen für 
ſolche Zwecke vorhandenen Koran, auf den jeder einzelne 
die rechte Hand zu legen hatte. Ein ſolcher Schwur war 
ihnen als Moslemin ſo heilig wie einer, der ihnen von 
einem Imam abgenommen worden wäre. Dann erſt, 
als ſie nun feſt zu ihm gehörten, verſagte er ihnen die 
Erfüllung ihres Wunſches nach dem betäubenden Ge⸗ 
tränk. Er ſtellte ihnen vor, daß kein Augenblick zu ver⸗ 
lieren ſei, da Abu el Mot noch heute mit den angewor⸗ 
benen Nuehr eintreffen könne. Er überzeugte ſie von 
der Notwendigkeit, ſofort an das Werk zu gehen, und 
verhieß ihnen aber für dann, wenn ſie ſich in genügender 
Entfernung befänden, nicht nur einen, ſondern mehrere 
Freudentage. 

Sie mußten einſehen, daß er recht hatte, und er⸗ 
gaben ſich in das Unvermeidliche. Um ſie für dieſe Ent⸗ 
ſagung zu belohnen, verteilte er eine ſolche Quantität 
Tabak unter ſie, daß ſie auf Wochen hinaus mit dem 
geliebten Genußmittel verſehen waren. 

Nun wurden die Waren und alles, was mitgenom⸗ 
men werden konnte, vor die Umzäunung geſchafft und 
die Rinder herbeigeholt, um ſie zu beladen. Das war 
eine lange und ſchwere Arbeit, die erſt gegen Mittag be⸗ 
wältigt war. Dann befeſtigte man die Sklaven und 


— 198 — 


Sklavinnen, von denen gegen dreißig da waren, mtt ge⸗ 
bundenen Händen an ein langes Seil, und der Zug war 
zum Aufbruch bereit. 

Jetzt wurde Feuer an die Tokuls gelegt. Der Noger, 
den Abu el Mot zu ſeinen Sklavenjagden per Waſſer zu 
gebrauchen pflegte, wurde auch in Brand geſteckt. Die 
glühende Sonne hatte das Material ſo vollſtändig aus⸗ 
gedörrt, daß ſich das Feuer mit raſender Schnelligkeit 
verbreitete, und bald auch den großen, äußeren Dornen⸗ 
zaun ergriff. Es war vorauszuſehen, daß die Seribah 
nach Verlauf einer Stunde in einen glühenden Aſchen⸗ 
haufen verwandelt ſein werde. Die große Glut trieb 
Menſchen und Tiere fort. Der Zug bewegte ſich in der⸗ 
ſelben ſüdlichen Richtung, wohin heute früh die Ghaſuah 
gezogen war. — — 


May, Die Snlaventaruwane. 13 


Siebentes Kapitel. - 


Der Sklaverei entronnen. 


Die erſte Abteilung der Ghaſuah, die Reiter, 
waren ſo ſchnell wie möglich der Fährte der beiden ent⸗ 
flohenen Neger gefolgt. Der Fluß machte hier eine ſtarke 
Biegung nach links, alſo nach Oſten; die Spur führte in 
faſt ſchnurgerader Linie in eine weite, baumloſe und 
flache Steppe hinein, deren kurzes Gras, von der Sonne 
verbrannt, wie vom Winde zerſtreutes Heu am Boden lag. 

Die Stapfen der Neger waren auf der harten Erde 
nicht zu erkennen; aber der Hund war ſeiner Sache ge⸗ 
wiß, und geriet nicht für einen einzigen Augenblick in 
Unſicherheit. 

Stunde um Stunde verrann. Die Strecken, die 
man zurücklegte, wurden immer bedeutender, und noch 
immer war von den Flüchtigen nichts zu ſehen. Sie 
mußten, wenn auch nicht im Galopp, doch immer im 
ſcharfen Trab gelaufen ſein, eine ganz außerordentliche 
Leiſtung, wenn man bedachte, daß ſie einen Zeitvor⸗ 
ſprung von nur zwei Stunden gehabt hatten. 

Freilich waren die Pferde der Sklavenjäger bei 
weitem keine Radſchi pak). Im Sudan verkommt die 
beſte Pferderaſſe ſehr ſchnell, teils infolge der Feuchtig⸗ 
keit zur Regenzeit, mehr noch aber durch die unver⸗ 
nünftige Behandlung ſeitens der dortigen Völker und 


9 Vollblut. 


— 198 — 


der außerordentlichen Stechfliegenplage. Berüchtigt ſind 
die Baudah- und Surrehtafliegen. 

Zur heißen Jahreszeit trocknet der Boden ſo aus, 
daß die Pferde kein Futter finden. Da ziehen ſich die 
Fliegen an die Flüſſe zurück. Dann aber, wenn ſich der 
Pflanzenwuchs wieder zu regen beginnt, entwickelt ſich 
die Inſektenwelt, und beſonders die Familie der Dip⸗ 
teren, zu einer geradezu entſetzlichen Landplage. Unge⸗ 
heure Schwärme ſtechender Mücken und Fliegen erfüllen 
die Luft und peinigen Menſchen und Tiere auf das fürch⸗ 
terlichſte. Die Pupiparen!) bedecken dann die Pferde, 
Rinder, Kamele und andre Tiere in ſo ungeheurer 
Menge, daß die Haut gar nicht zu ſehen iſt. Die Sur⸗ 
retha?) wird den Tieren geradezu lebensgefährlich; das⸗ 
ſelbe ſagt man auch von der berüchtigten Tſetſe“). Doch 
darf man ja nicht denken, daß ſchon der Stich oder Biß 
eines oder einiger dieſer Inſekten den Tod herbeiführt; 
dieſe weitverbreitete Anſchauung iſt grundfalſch. 

Geradezu undurchſichtige Mengen von Tabaniden, 
Culicinen, Sippobosciden, Musciden und wie ſie alle 
heißen, hüllen die armen Tiere förmlich ein, ſo daß der 
ganze Körper derſelben eine einzige große Wunde wird. 

Das unaufhörliche Ausſchlagen, Stampfen und Sich⸗ 
bäumen ermüdet das befallene Tier, raubt ihm jede 
Ruhe und benimmt ihm auch die Luſt zum Freſſen. Eine 
ſolche Tage, Wochen und Monate währende Marter 
muß es krank machen, und ſchließlich umbringen. Der 
geringſte Hautriß oder Satteldruck wird da zur jauchigen, 
von Maden wimmelnden Wunde, die den Untergang des 
Tieres nach ſich zieht. Die Pferde, Rinder und Kamele 
beſitzenden Stämme ziehen um dieſe Zeit, um e Tiere 
zu retten, nach dem Norden. 


9 Laus fliegen. — ) Pangonla.— ) Glossina morsitans, 


— 196 — 


Aus dieſem Grunde und noch andern Urſachen 
wird man im Sudan ſelten gute Pferde zu ſehen be⸗ 
kommen. Auch diejenigen, auf denen die Truppe Abd el 
Mots ritt, waren von der letzten Regenzeit und der 
jetzigen Dürre ſo mitgenommen, daß große Anſprüche an 
ſie nicht gemacht werden konnten. Man mußte ſie öfters 
langſam gehen laſſen; ſie trieften von Schweiß und hat⸗ 
ten kurzem Atem. Dieſem Umſtand allein hatten die 
beiden Neger es zu verdanken, daß ſie nicht ſo ſchnell 
eingeholt wurden. 

Gegen Mittag rückte der öſtliche Horizont näher. 
Ein ſchwarzer Strich, der ſich dort zeigte, ließ auf Wald 
ſchließen. Der Bahr Djur⸗Arm des weißen Nils kehrte 
von ſeinem Bogen zurück. Die Gräſer waren hier weni⸗ 
ger dürr, und endlich traten einzelne Suffarahbäume:) 
vor die Augen. Dieſe Akazienart hat eigentümliche An⸗ 
ſchwellungen an der Baſis der Stacheln, aus denen ſich 
die ſudaneſiſchen Jungens Pfeifen zum Spielen machen. 
Suffar heißt im ſudaneſiſchen Dialekte „pfeifen“; daher 
der Name dieſes Baumes. 

Der Hund lief, mit der Naſe ſtets tief am Boden, 
ohne irre zu werden, zwiſchen den Bäumen hin, die im⸗ 
mer enger zuſammentraten und endlich einen ziemlich 
dichten Wald bildeten, ſo daß die Pferde nun langſamer 
gehen mußten. 

Hie und da gab es eine trübe Waſſerlache, in deren 
Nähe der Boden feucht war. An ſolchen Stellen konnte 
man die Fußſpuren der beiden Neger deutlich ſehen. Ein 
Indianer oder Präriejäger hätte aus dieſen Eindrücken 
leicht beſtimmen können, vor welcher Zeit die Flüch⸗ 
tigen hier geweſen ſeien. Dazu aber reichte der Scharf⸗ 
ſinn der Sklavenjäger nicht aus. 


) Acacia flstulosa. 


— 197 — 


€ 


Leider befanden die Verfolgten ſich nicht weit vor 
den Verfolgern. Sie waren bis zum Tod ermüdet. Als 
ſie den Wald geſehen hatten, war ihnen der Gedanke ge⸗ 
kommen, daß ſie nun gerettet ſeien. Sich umſchauend, 
hatten fie da aber am nördlichen Horizont den Reiter- 
trupp bemerkt, was ſie zu einer letzten großen Anſtren⸗ 
gung ſpornte. 

Sie rannten in den Wald hinein, um ſich dort zu 
verſtecken. Freilich mußten ſie ſich ſagen, daß dies ver⸗ 
gebens ſei, da Abu el Mot jedenfalls einen oder mehrere 
Hunde bei ſich hatte. Sie ſuchten das Ufer des Fluſſes 
auf. Lieber wollten fie ertrinken, als ſich ergreifen laſ⸗ 
ſen. Da aber ſahen ſie die ekelhaften Köpfe von Kroko⸗ 
dilen aus dem Schlamm ragen. Nein, doch lieber gefan⸗ 
gen und erſchlagen, als von dieſen Scheuſalen zerriſſen 
und verſchlungen! Sie huſchten, ſo ſchnell es ihre Kräfte 
erlaubten, weiter. 

Da begann Tolo, der zwar ſcharfſinniger und 
klüger, aber körperlich ſchwächer als Lobo war, zu wan⸗ 
ken. „Tolo kann nicht weiter!“ klagte er keuchend. 

„Lobo wird dich halten,“ antwortete ſein Gefährte. 
Er legte den Aren um ihn und zog ihn mühſam weiter. 

„Rette dich allein!“ bat Tolo. „Sie mögen Tolo 
finden, und du wirſt entkommen.“ 

„Nein. Du mußt lieber gerettet werden als Lobo. 
Du biſt klüger und wirſt dich leichter nach Ombula fin⸗ 
den, um unſer Volk zu warnen.“ 

So ging es eine kleine Strecke weiter, bis Tolo 
ſtehen blieb. „Der gute Schech im Himmel will es nicht 
haben, daß wir leben ſollen,“ ſagte er. „Er will uns 
zu ſich rufen. Tolo kann nicht mehr gehen; er muß ae 
liegen bleiben.” 

„So wird Lobo dich tragen.” 


— 198 — 


Der ſelbſt furchtbar ermattete Neger nahm den 
Freund auf ſeine Arme und trug ihn fort; aber kaum 
war er zwanzig Schritte gegangen, ſo konnte er ſelbſt 
nicht mehr. Er legte den Kameraden ſanft auf die Erde 
nieder, blickte troſtlos umher und klagte: „Das Leben iſt 
zu Ende. Biſt du wirklich überzeugt, daß es da oben bei 
den Sternen einen guten Schech gibt, der uns lieb hat 
und bei ſich aufnehmen wird?“ 

„Ja, das iſt wahr,“ antwortete Tolo. „Man muß 
es glauben.“ 

„Und wenn man geſtorben iſt, lebt man bei ihm?“ 

„Bei ihm und ſeinem Sohn, um niemals wieder au 
ſterben.“ 

„So iſt er beſſer, viel beſſer als der Allah der 
Araber, die nur Sklaven machen wollen und uns töten 
werden!“ 

„Sei ruhig! Er wird es ſehen, wenn wir ſterben, 
und herabſteigen, um uns hinauf zu ſich zu holen.“ 

„Lobo würde wohl gern ſterben, denn er hat keine 
Verwandten mehr, bei denen er ſein kann; aber der Tod 
iſt gar ſo ſchlimm: hier die Krokodile, und dort Abd el 
Mot, der Araber. Wer iſt böſer, ſie oder er?“ 

„Es iſt eins ſo ſchlimm wie das andre, das Kro⸗ 
kodil wie der Araber, denn beide glauben nicht an den 
großen Schech und ſeinen Sohn, der für alle Menſchen 
geſtorben iſt, um ſie zu erretten.“ 

„Wenn Lobo dich dadurch erretten könnte, würde er 
ſich nicht weigern, ſofort zu ſterben!“ 

„Du kannſt mich nicht retten; wir ſind verloren. 
Ich weiß noch den Anfang des Gebetes, das man [pre 
chen muß, bevor man ſtirbt. Tolo wird ihn dir ſagen, 
und du mußt ihn nachſprechen, dann kommen wir beide 


— 19 — 


zu dem großen Schech. Sage alſo: ‚Sa abana iledſi fi 
ssemavati jaba haddeſo smoka!)!“ 

Er hatte die Hände gefaltet und blickte zu dem Ge⸗ 
noſſen auf. Dieſer legte ſeine Hände auch zuſammen und 
ſprach die Worte nach, doch nur in halber Andacht, wenn 
auch mit vollem Glauben an deren Wirkung. Dabei 
ſchweiften ſeine Augen ſuchend umher, und als er „had⸗ 
deſo smoka“ ſagte, leuchteten feine treuen Augen auf, 


als ob er etwas Geſuchtes gefunden habe. Er fuhr gleich 


fort: „Wenn der Sohn des großen Schechs geſtorben iſt, 
um die Menſchen zu retten, ſollen wir es wohl auch 
tun?“ 

„Ja, wenn wir es können.“ 

„Und wenn Lobo ſich für dich opfern könnte, was 
würdeſt du tun?“ 

„Tolo würde ſich nicht von dir retten laſſen, fon» 
dern lieber ſelbſt ſterben.“ 

„Aber wenn nur einer von uns beiden gerettet wer⸗ 
den könnte, ſo müßteſt doch du es ſein, der leben bleibt!“ 

„Nein, ſondern du!“ 

„Vielleicht können wir beide entkommen. Siehſt du 
dieſen Subakh und den Lubahn, welche hier nebenein⸗ 
ander ſtehen? Ihre Aeſte ſind eng miteinander ver⸗ 
miſcht, und das Laub iſt noch ſo dicht, daß man zwei 
Menſchen, die da oben ſind, gar nicht ſehen kann. Wir 
wollen uns hinauf verſtecken!“ 

Der Subakh (Combretum Hartmanni) iſt ein 
mittelgroßer, ſchöner Baum mit dichten Zweigen und 
ſaftig grünen, in lange Zipfel ausgezogenen Blättern. 
Der Lubahn wächſt noch höher; er iſt die Boswellia 
papyrifera, woraus der afrikaniſche Weihrauch gewon⸗ 
nen wird. | 

5) „Vater unfer, der du biſt in dem Himmel, geheiligt werbe dein Name.“ 


— 200 — 


Beide eng nebeneinander ſtehenden Bäume bildeten 
eine einzige große und dichte Krone, daß ſich zwei Men⸗ 
ſchen, zumal Schwarze, allerdings gut darin verbergen 
konnten. 

„Tolo iſt zu ſchwach, um hinauf zu e ant⸗ 
wortete der andre. 

„Lobo wird dich heben; dann kannſt du den unter⸗ 
ſten Alt faſſen. Verſuche es einmal!“ 

Er nahm ſeine letzten Kräfte zuſckmmen und hob 
den Freund empor. Tolo, der nicht ahnte, daß Lobo den 
Gedanken gefaßt hatte, ſich für ihn zu opfern, ergriff den 
Aſt und kam glücklich auf ihn zu ſitzen. 

„Noch höher!“ ſagte Lobo. „Man ſieht dich noch. 
Noch drei, noch vier Aeſte höher. Dort aber ſetzeſt du dich 
nieder und umfängſt den Stamm, um dich feſt zu 
halten!“ 

Tolo kroch weiter hinauf, machte es ſich bequem, 
ſagte dann: „Nun komm auch du herauf!” 

„Gleich, aber horch!“ 

Man hörte menſchliche Stimmen und dann auch 
das Heulen eines Hundes. Es war ein blutgieriges 
Geheul. 

„Sie kommen, ſie ſind da! Schnen herauf zu mir!“ 
warnte Tolo voller Angſt. 

„Nun iſt's zu ſpät,“ antwortete Lobo. „Sie wür⸗ 
den mich ſehen. Ich muß mir ein andres Verſteck ſuchen.“ 

„Dann raſch, aber raſch!“ 

Doch Lobo blieb ſtehen und ſagte mit unterdrückter 
Stimme: „Lobo hat gehört, daß ein ſolcher Hund, wenn 
er Blut gekoſtet hat, ſofort den Geruch verliert. Dieſer 
Hund ſoll Blut bekommen, damit er dich nicht riecht. 
Sei aber ſtill!“ 

Ehe Tolo antworten und Einſpruch erheben konnte, 


— 201 — 


huſchte der wackere Neger fort, um nicht an dem Baume 
geſehen zu werden, auf dem Tolo ſaß. Das Geheul des 
Hundes ließ ſich in großer Nähe hören. Pferde ſchnauf⸗ 
ten, und Menſchen riefen einander zu. 

Lobo entfernte ſich noch weiter von den beiden Bůu⸗ 
men, und ftellte ſich fo auf, daß er von dem Hunde, for 
bald dieſer herbeikam, ſofort erblickt werden mußte. 

Der Wald geſtattete nicht, daß zwei Reiter ſich 
nebeneinander bewegen konnten. Die Sklavenjäger 
waren nicht abgeſtiegen, um ihre Pferde nicht zurück⸗ 
laſſen zu müſſen. Sie ritten einzeln, voran Abd el Mot 
mit dem Hund. Sobald dieſer erſchien, ſetzte Lobo ſich in 
fliehende Bewegung, damit man nicht erraten ſolle, daß 
er hier geſtanden habe und ſein Genoſſe ſich noch in der 
Nähe befinden könne. Der Araber erblickte ihn. 

„Scheitan!“ ſchrie er auf. „Da läuft einer, und 
weiter vorn der andre, glaube ich. Schnell nach, ſchnell 
nach!“ 

Er trieb ſein Pferd an, gab aber glücklicherweiſe den 
Hund noch nicht frei. Die andern ſtürmten hinter ihm 
her, ſo ſchnell der Boden es erlaubte. Der Hund zerrte 
mit wildem Ungeſtüm an der Leine und ſtieß dabei ein 
unheimliches Geheul aus. Die Araber brüllten um die 
Wette. Lobo ſchrie, um ihre Aufmerkſamkeit auf ſich zu 
lenken, aus Leibeskräften. Tolo auf dem Baum ſtand 
eine ſchreckliche Angſt um den Freund aus. Er ſchrie mit; 
doch zum Glücke wurde ſeine vor Ermattung ſchwache 
Stimme in dem allgemeinen Wirrwarr gar nicht ge⸗ 
hört. Die wilde Jagd ging an den beiden Bäumen vor⸗ 
über, flußaufwärts weiter. 

„Laß doch den Hund los!“ brüllte einer der Reiter. 

Abd el Mot hörte die Worte, zog das Meſſer und 
ſchnitt die Schnur durch. Der Hund ſchoß mit doppelter 


Schnelligkeit dem Neger nach, deſſen Abſicht war, ſich 
zerreißen zu laſſen, um der Beſtie den Geruch zu neh⸗ 
men, wie er geſagt hatte. Doch jetzt kam ihm der Ge⸗ 
danke, ob es denn nicht möglich ſei, das Tier zu töten. 
Er hatte doch heut ſchon einen Hund erſtochen, warum 
nicht auch dieſen? Hatten die Verfolger nur dieſen 
einen mit, ſo war Rettung wohl noch möglich. 

Es gab keinen Augenblick zu verlieren. Er blieb 
ſtehen und lehnte ſich an den Stamm eines Baumes, 
keuchend vor Aufregung, Müdigkeit und Atemloſigkeit. 
Er ſah den Hund in großen Sätzen daherſchnellen, die 
mit Blut unterlaufenen Augen ſtier auf ſein Opfer ge⸗ 
richtet und aus dem Maule geifernd, und zog ſein Meſſer 
aus dem Lendenſchurz. 

„Herab von den Pferden, wir haben ihn feſt!“ rief 
Abd el Mot, indem er ſein Tier zügelte und aus dem 
Sattel ſprang. Die andern folgten ſeinem Beiſpiel. 

Jetzt war der Hund dem Neger nahe, noch drei, 
zwei Sätze, nur noch einen! Das blutgierige Tier warf 
ſich mit aller Gewalt auf den Neger, und rannte — — 
da dieſer blitzſchnell nach links vom Baum wegtrat, mit 
dem Kopfe gegen deſſen Stamm und prallte nieder. Ehe 
es ſich wieder aufraffen konnte, kniete Lobo auf ihm und 
ſtieß ihm das Meſſer zwei⸗, dreimal ins Herz, wurde 
aber am linken Arm von den Zähnen gepackt. 

Er riß ſich von dem verendenden Tiere los, gar 
nicht darauf achtend, daß ein Stück Fleiſch im Rachen 
zurückblieb, und flog davon. Die Araber zeterten vor 
Wut und rannten ihm nach; von ihren Gewehren mach⸗ 
ten ſie noch keinen Gebrauch, weil ſie verſuchen wollten, 
den Flüchtling lebendig zu fangen. 

Lobo war matt bis auf den Tod, und ſie beſaßen 
noch ihre vollen Kräfte. Sie kamen ihm immer näher. 


— 208 — 


Er ſah ſich nach ihnen um und bemerkte dies. Doch lie⸗ 
ber zu den Krokodilen, als ihnen in die Hände fallen und 
zu Tode gepeitſcht werden! Er lenkte alſo nach links ab, 
dem Ufer des Fluſſes zu. 

Dieſer machte hier eine Krümmung, an deren in⸗ 
neren Seite die unmenſchliche Hetze vor ſich ging. Lobo 
erreichte das Waſſer, und warf ſich, einen Angſtſchrei 
ausſtoßend, hinein. Es ſpritzte hoch über ihn auf. 

Wenige Augenblicke darauf langten ſeine Verfolger 
an dieſer Stelle an. Sie blieben halten, die Augen auf 
das Waſſer gerichtet. „Er iſt hineingeſprungen, um 
uns zu entgehen!“ rief einer enttäuſcht. 

„Uns entgeht er, ja,“ antwortete Abd el Mot; „aber 
die Temafih?) werden ihn verſchlingen. Paßt nur auf!” 

Vom Ufer weg gab es eine vielleicht acht oder neun 
Ellen breite freie Strecke. Dann folgte die Spitze eines 
langgeſtreckten Omm Sufah⸗ und Schilffeldes, worauf 
wieder freies Waſſer kam, das von einer mitten auf dem 
Fluß an einer Schlammbank feſtgefahrenen Grasinſel 
begrenzt wurde. | 

Jetzt tauchte ganz in der Nähe der erwähnten Omm 
Sufah⸗Hecke der Kopf des Negers auf. Er ſah ſich nach 
ſeinen Verfolgern um. 

„Schießt, ſchießt!“ rief Abd el Mot, worauf ſein 
Nachbar das Gewehr an die Wange zog und e los⸗ 
drückte. 

Aber er war zu hitzig geweſen und hatte ſchlecht ge⸗ 
zielt. Die Kugel ſchlug neben Lobo in das Waſſer. Die⸗ 
ſer hatte die Spitze erreicht, und umſchwamm ſie mit 
einigen raſchen Stößen. Dort hielt er an, als ob er über 
irgend etwas, worauf ſein Auge fiel, erſchrecke. Dann 
ſtieß er einen lauten, durchdringenden Schrei aus, den 


y Plural von Timſah = Krokodil. 


— 204 — 


man ebenſowohl dem Jubel, als auch der Todesangſt zu⸗ 
ſchreiben konnte, und verſchwand hinter dem Schilffeld. 

„Was ſchrie er?“ fragte einer der Araber. 

„Er hat ein Krokodil geſehen,“ antwortete Abd el Mot. 

„Es klang, als ob er vor Freude geſchrien hätte.“ 

„O nein, hier im Waſſer gibt es nichts, worüber er 
ſich freuen könnte. Da ſeht, dort kommt es geſchoſſen. 
Seht ihr den Waſſerſtreif?“ 

Er deutete mit der ausgeſtreckten Hand nach der 
Grasinſel, von der aus ſich eine Furche ſchnell über die 
freie Strecke nach dem Schilffelde bewegte. Die Spitze 
dieſer Furche bildete die Schnauze eines rieſigen Reptils. 

„Ein Krokodil!“ riefen mehrere zugleich. „Allah 
ſendet ihn zur Hölle!“ ſchrie einer der Sklavenjäger. „Et 
Timſah wird ihn holen und verſpeiſen!“ N 

Jetzt verſchwand das Krokodil hinter dem Rohr, 
und im nächſten Augenblicke hörte man einen wilden 
Schrei, dieſes Mal ohne allen Zweifel den Schrei eines 
Menſchen, der den Tod vor ſich ſieht. 

„Es hat ihn; er iſt dahin!“ rief Abd el Mot. „Ihm 
iſt noch wohl geſchehen, denn ich hätte ihn in einen Ter⸗ 
mitenhaufen eingegraben, daß ihm das Fleiſch bei leben⸗ 
digem Leib bis auf die Knochen abgefreſſen worden 
wäre. Aber was ihm nicht geſchah, das ſoll Tolo ge⸗ 
ſchehen, der ſich noch da im Walde befindet. Dieſe bei⸗ 
den Schejatin‘) haben mir die zwei beiten Hunde ge⸗ 
tötet. Dafür wird nun Tolo eines doppelten Todes 
ſterben!“ 

„Befindet er ſich wirklich noch da?“ fragte einer. 

„Ja. Ich habe auch ihn geſehen. Er war dem 
Lobo noch voraus. Zwei von euch mögen die Pferde aus 
dem Walde führen, um uns draußen zu erwarten.“ 


) Plural von Scheitan oder Schetan = Teufel. 


— 205 — 


Dies geſchah. Dann begann die Suche von neuem. 

Die beiden Negerjäger, die ſich außerhalb des Wal⸗ 
des bei den Pferden befanden, mußten wohl über eine 
Stunde warten, bis die andern zu ihnen kamen, aber 
— — ohne den Neger. 

„dieſer Neger ift wie verſchwunden,“ knirſchte Abd 
el Mot. „Wir haben bis jetzt nicht die geringſte Spur 
von ihm entdeckt.“ 

„Du haſt ihn doch vorher geſehen!“ wurde ihm 
geſagt. 

„Ganz deutlich! Aber welches Menſchenauge kann 
die Fährte eines nackten Fußes im Moos erkennen! Die⸗ 
ſer Wald iſt übrigens groß und zieht ſich ſtundenweit am 
Waſſer hin. Wer ſoll da ſuchen und finden!“ 

„So iſt uns der ſchwarze Hund ſogar lebend entgan⸗ 
gen, während der andre wenigſtens von et Timſah ge⸗ 
freſſen wurde.“ | 

„Nein. Entkommen iſt er nicht. Von hier aus zieht 
ſich der Fluß faſt gerade nach Sonnenaufgang, während 
Ombula gegen Süd und Weſt liegt, wo wieder eine ſehr 
große freie Ebene iſt. Ueber dieſe muß der Schwarze 
gehen. Wenn wir ihn haben wollen, brauchen wir nur 
hinauszureiten, um ihn dort zu erwarten.“ 

„Er wird des Nachts kommen, wenn wir ihn nicht 
ſehen können!“ 

„So breiten wir uns aus, und bilden eine Kette. 
Dann muß er ſicher auf einen von uns ſtoßen. Alſo vor⸗ 
wärts jetzt!“ 

Sie beſtiegen ihre Pferde wieder und ritten gegen 
Süden davon. Der Umſtand, daß er irrtümlicherweiſe 
überzeugt war, Tolo geſehen zu haben, hatte dieſem viel⸗ 
leicht das Leben gerettet. Man hatte nur nach vorwärts, 
nicht aber nach rückwärts geſucht, wo die beiden erwähn⸗ 


— 206 — 
ten Bäume ſtanden. Hätte man die letztere Richtung 
eingeſchlagen, fo wäre der von Anſtrengung und Auf⸗ 
regung halbtote Neger wahrſcheinlich entdeckt worden. — 
Aber wo befand er ſich? Noch auf dem Baum? Und 
war der todesmutige Lobo wirklich von dem Krokodil 
erfaßt und verzehrt worden? 

Das hätte man am beſten auf dem Flachboot er⸗ 
fahren können, das um die Mittagszeit vom Negerdorf 
Mehana den Fluß herabgerudert kam. Es war nicht 
groß und auch nicht allzu klein; es hätte wohl dreißig 
Perſonen faſſen können, trug aber heute nur dreiund⸗ 
zwanzig. Davon waren zwanzig Neger, je zehn an jeder 
Seite, die Ruder führten. Am Steuer ſaß ein vielleicht 
ſechzehn Jahre alter Jüngling von hellerer Hautfarbe, 
die entweder auf arabiſche Abſtammung oder gemiſchtes 
Blut ſchließen ließ. Die übrigen beiden waren Weiße, 
die am Schnabel des Bootes ſaßen. 

Die Neger waren alle nur mit dem gebräuchlichen 
Lendenſchurz bekleidet; ſie hatten die wolligen Haare in 
kurzen, dünnen, wohl eingeölten Flechten rings um den 
Kopf hängen. Der Knabe am Ruder hatte ſchlichtes, 
dunkles Haar. Seine Kleidung beſtand aus einem gro⸗ 
ßen, hellen Tuch, das er wie eine Toga um 1 geſchlun⸗ 
gen hatte. 

Der eine der beiden Weißen trug einen Halk mit 
Kapuze und hohe Stiefel, alſo ganz genau den Anzug, 
den Doktor Schwarz getragen hatte. Er beſaß auch deſſen 
hohe, breite Geſtalt, und beider Züge hatten eine große 
Aehnlichkeit miteinander. Kurz, dieſer Mann war Dok⸗ 
tor Joſef Schwarz, der ſeinem Bruder den „Sohn der 
Treue“ entgegengeſchickt hatte, und ihm nun ſelbſt ent⸗ 
gegenfuhr, weil ihm ſein Ausbleiben zu lange währte. 

Der andre trug graue Zeugſchuhe, graue Strümpfe, 


— 207 — 


eine graue, ſehr weite und ſehr kurze Hoſe, eine graue 
Weſte, eine graue Jacke und einen grauen Turban. Grau 
war auch der Schal, den er ſich um die Hüfte geſchlungen 
hatte. An ihm ſchien alles grau zu fein, ſelbſt die 
Augen, die Geſichtsfarbe, das lange, bis auf die Bruſt 
herabhängende Halstuch und das dichte Haupthaar, das 
unter dem Turban hervor bis zum Rücken niederfiel. 
Das Sonderbarſte an ihm aber war ſeine Naſe, eine 
Naſe, wie man ſie höchſtens einmal im Leben zu ſehen 
bekommt. 

Dieſe Naſe war unbedingt ein ſogenannter „Riecher“. 
Sie war entſetzlich lang, entſetzlich gerade und entſetzlich 
ſchmal und lief in eine förmlich lebensgefährliche ſcharfe 
Spitze aus. Sie glich dem Schnabel eines Storches, nur 
daß dieſer nicht von grauer Farbe iſt. Wer in Faſchodah 
Gelegenheit gehabt hatte, den „Sohn der Treue“ von 
Abu el Laklak, dem „Vater des Storches“ ſprechen zu 
hören, der mußte hier unbedingt auf den Gedanken kom⸗ 
men, dieſen Mann vor ſich zu haben. Die beiden Weißen 
muſterten mit Kennerblicken die Oberfläche des hier ſehr 
breiten Fluſſes. Nichts entging ihren Augen, und be⸗ 
ſonders war der Graue ſtets begeiſtert, wenn irgend ein 
Vogel ſich aus dem Schilf erhob oder von einem Ufer 
nach dem andern kreuzte. Dabei ließen ſie die Unter⸗ 
haltung keinen Augenblick ruhen. Sie bedienten ſich der 
deutſchen Sprache, Schwarz des reinen Hochdeutſch, der 
Graue aber einer ſehr kräftigen und dabei doch zu⸗ 
traulichen Mundart, die irgendwo zwiſchen dem 
Thüringerwald, Böhmerwald, Innsbruck, dem Algäu 
und der württembergiſchen Grenze zu Hauſe ſein 
mußte. 

„Da gebe ich dir vollſtändig recht, lieber Doktor,“ 
ſagte Schwarz. „Wir haben daheim noch eine ganz fal⸗ 


— 208 — 
ſche Vorſtellung von dieſen Sudanvölkern. Um ſie ken⸗ 
nen zu lernen, muß man zu ihnen kommen.“ 

„So g'fallen ſ' dir guat, he?“ fragte der Graue. 

„Gar nicht übel.“ | | 

„Auch wann ſ' Menſchen freſſen?“ 

„Auch dann, wenn ſie nur mich nicht freſſen. Sie 
haben gar keine Vorſtellung von der Abſcheulichkeit die⸗ 
ſes Genuſſes; ſie muß ihnen erſt beigebracht werden. 
Nach geſchlagener Schlacht verzehren ſie die getöteten 

Feinde und behaupten dabei, es ſei ſehr gleichgültig, ob 
man dieſe in den Magen, oder in die Erde begräbt.“ 

„Na mein G'ſchmack war’ das ſchon nit. J will 
doch lieber in der Erden lieg'n, mit aner hübſchen Kapel⸗ 
len drauf, als im Mag'n eines ſolchen Kannibalen!“ 

„Ich auch, lieber Doktor. Du mußt aber wohl 
unterſcheiden zwiſchen — —“ 

„Halt!“ unterbrach ihn der Graue, indem er ſeine 
Naſe wie ganz aus eigener, völlig ſelbſtändiger Willens⸗ 
äußerung auf und nieder ſenkte. „Wannſt mi nochmals 
Doktor nennſt, ſo bekommſt halt ſogleich eine Waatſchen, 
daß d' denkſt, deine paar Knöcherln halten Kaffeeviſit! 
Du biſt auch Doktor, aber nenn' i dich ſo? Wozu dieſe 
Sacherln zwiſchen Leutln, die Brüderſchaft trunken 
haben, wenn auch bloß mit dera Meriſſah, die mir 
g'ſtohlen werden kann, nämlich aber nur dann, wenn i 
einen guten Spatenbräu dagegen hab'. Du weißt doch, 
wie i heiß'?“ 

„Allerdings,“ lächelte Schwarz. 

„Na alſo! In dera g'lehrten Welt bin i als Herr 
Doktor Ignatius Pfotenhauer bekannt. Daheim, wo i 
z' Haus bin, nennen ſ' mi nur den Vogel⸗Nazi, weil i 
nun einmal eine ganz b'ſondere Liebhaberei hab' für 
alles, was da fleugt, aber nit kreucht. Hier z' Land 


— 209 — 


heißen ſ' mi gar Abu el Laklak, den Vater des Storches, 
wegen meiner Naſ'n, die mir aber ebenſowenig feil iſt, 
wie dir die deinige. Nachhero, weil i dich einfach Sepp 
nenn', ſo kannſt mir auch die Lieb' und Güt' erweiſen, 
mi Nazi zu heißen. Haſt's verſtanden?“ 

„Sehr wohl! Hoffentlich verſpreche ich mich nicht 
wieder.“ 

„Das möcht' i mir halt ausg'beten haben! Weißt, 
i bin einmal ein b'ſonderer Kerl, und ſo — — halt, 
ſiehſt'n flieg'n?“ 

„Wen? Wo?“ 

Der Graue war eifrig aufgeſprungen und rief er⸗ 
regt, indem er mit der Hand nach aufwärts deutete: 
„Dort — hier — da kommt er g'flogen! Kennſt ihn 
ſchon?“ 

„Ja. Es iſt ein Perlvogel, Trachyphonus mar- 
garitatus.“ 

„Richtig! Haſt's ſchon g'wußt. Weg iſt er!“ ſtimmte 
der Graue bei, indem er ſich wieder niederſetzte. „Aber 
weißt auch, wie die Eing'bornen ihn nennen!“ 

„Noch nicht.“ 

„Da haſt wieder aan' Beweis, daß ſie gar gute und 
auch g'ſpaßige Beobachter ſind; ſie benennen ihn und ſie 
nach der Stimme, wann ſ' ſchreien. Er ſchreit nämlich: 
beſcherrrretu, beſcherrrretu! Weißt, was das in dera hie 
ſigen Sprachen bedeutet?“ 

„Ja, haſt dein Kleid zerriſſen, haſt dein Kleid zer⸗ 
riſſen!“ 

„Richtig! Das Weibchen ſieht nämlich dunkel aus 
und hat weiße Flecken drauf, was grad ſo ausſchaut, als 
ob ſie Löcher in ihrem G'wanderl hätt'. Sie aber ant⸗ 
wortet ihm hernach: bak⸗ſi⸗ki, bak⸗ſi⸗ki! Was heißt das?“ 

„Näh's zuſammen, näh's zuſammen!“ 

May, Die Stklaventarawane. 14 


— 210 — 


„Auch das iſt richtig. Wann der Volksmund mit 
ſolcher Gemütstiefe von denen Vögeln ſpricht, ſo möcht' 
man dieſe Leutlu nur ſchwer für Menſchenfreſſer halten.“ 

„Man bezeichnet die Niam⸗niam als ſolche. Aber 
ich habe nichts davon bemerken können.“ 

„Weil ſ' halt wiſſen, daß wir ſolchen Schmaus ver⸗ 
abſcheuen, drum laſſen ſ' gar nix merken davon. Den⸗ 
noch ſind wir vollſtändig ſicher bei ihnen. Sie tun uns 
alles Mögliche z'lieb'. Das muß man anerkennen. Sie 
jagen Tag und Nacht, um mir Vögel zu bringen. J hab' 
ſonſt in Jahreszeit nit ſo viel g'ſammelt, wie jetzt in 
aan' einzigen Monat.“ 

„Das wird wieder ein umfangreiches, gelehrtes 
Werk geben, nicht?“ | 

„Ja, i werd' ſchon was zuſammenſchreiben. Es hat 
noch keinen geben, der ſich um die hieſige Vogelwelt 
groß kümmert hat. Dieſe Lück' möcht' i ausfüllen.“ 

„Du biſt der geeignete Mann dazu. Woher kommt 
denn eigentlich deine große Vorliebe für die Vogelwelt? 
Hat ſie einen beſonderen Grund?“ 

„Daß i nit wüßt! Und woher's kommen iſt? Hm! 
An meiner Wiegen hat man mir's freilich nit g'ſungen, 
daß i mi mal ſo auf die Ornithologie verintereſſieren 
würd', und fünfzehn Jahre ſpäter auch noch nit. J ſel⸗ 
ber hab' auch nit dran gedacht und eninner' mi noch 
heute mit Schreck an das erſte ornithologiſche . 
das i damals erlebte.“ 

„Was war das?“ 

„Das war — nun, dir kann i's ja erzählen; ſonſt 
aber red' i nimmer gern davon — das war, da i als 
Gymnaſiaſt in der dritten Klaſſ' g'ſeſſen bin. Der Pro⸗ 
feſſor für die Naturgeſchicht' hat mi nit gern g'habt, weil 


— 211 — 


i ihn in meiner Dummheiten immer nach Dingen g'fragt 
hab', die kein Menſch beantworten kann.“ 

„Das kommt in dieſem Alter häufig vor, iſt aber 
meiſt ein Beweis von regem Wiſſensdrang.“ 

„Wiſſensdrang? Der Profeſſor hat's halt immer 
Voreiligkeit und Neugierd' g'nannt, und nur auf eine 
G'legenheiten geſonnen, es mir heimzugeben. Das war 
zum Sommerexamen. J hab' a neues Vorhemd an⸗ 
g'legt, und den neuen blauſeidenen Schlips drumrum, 
und nachhero g' meint, daß i mit dieſem Staat das 
Examen ſchon b'ſtehen muß. Es iſt auch ganz leidlich 
gangen, bis hin zu dera Naturg'ſchicht'n. Die Fragen 
wurden reihum g'richtet; als i dran komm', erheb' i mi, 
und was wird mi da der Profeſſor frag'n, he?“ 

„Nun, was denn?“ 

„Warum die Vögel Federn haben?“ 

„Ja, da hat er dir's freilich heimzahlen wollen. 
Was haſt du ihm denn geantwortet?“ 

„Was i g'antwort' hab'? Nun, zunächſt hab' i mir 
denkt, daß er — — halt, dort ſitzt er! Siehſt du ihn?“ 

Er war wieder aufgeſprungen und deutete erregt 
nach dem Ufer, wobei ſeine Naſe ſich zur Seite bog, als 
ob ſie ſich ganz ausnehmend für dieſe Gegend intereſſiere. 

„Wer? Wo?“ fragte Schwarz. 

„Dort oben auf dem Sunutbaum!), ganz auf der 
Spitze.“ 

„Ach fo, ein Flußadler, Haliaetus vocifer, ein 
prachtvolles Tier!“ 

„Das iſt er. Die Eingeborenen nennen ihn Abu 
Lundſch. Er frißt faſt ausſchließlich Fiſche, und weißt, 
wie die Leut' hier ſein Geſchrei verdolmetſchen?“ 

„Nein.“ | 

N Acacia niletiea. 


— 212 — 


„Seft), Charif?), jakull hut, hut. Wie heißt das auf 
deutſch?“ 

„Im Sef und Charif verzehre ich Fiſche.“ 

„Richtig! Auch hier haſt wieder aan Zeichen von 
liebevoller Beobachtung der Natur. Die Neger ſind gar 
nit ſo albern und verſtändnislos, wie man ſie beſchreibt. 
Wenn i an deiner Stell' wär', ſo tät i a Buch zu ihrer 
Ehrenrettung verfaſſen.“ 

„Das wird vielleicht geſchehen, wenn ich die Zeit 
dazu finde.“ 

Jetzt wurde die Aufmerkſamkeit der beiden auf den 
Steurer gelenkt, der ein kurzes Kommandowort aus⸗ 
ſprach, worauf die Schwarzen ihre Ruder einzogen. 

„Wollen wir landen?“ fragte ihn Schwarz, natür⸗ 
lich in arabiſcher Sprache. 

„Nein, Effendi,“ antwortete er. „Hier landet man 
nie ſofort, ſondern man legt den Kahn erſt für einige 
Zeit in das Schilf, um zu erſpähen, ob ſich keine Feinde 
am Lande befinden.“ 

„Und das willſt du tun? Warum fahren wir nicht 
weiter?“ 

„Weil wir ſonſt zu weit an die Seribah Omm et 
Timſah kommen, wo Abu el Mot wohnt. Sieht er uns, 
ſo macht er uns zu Sklaven.“ 

„Das ſollte er verſuchen!“ 

„Er würde es nicht nur verſuchen, ſondern wirklich 
tun. Ihr beide ſeid kühne und kluge Männer, und wir 
verſtehen auch unſre Waffen zu gebrauchen; aber er hat 
über fünfhundert Sklavenjäger bei ſich, die wir nicht 
überwinden können. Wir würden dreißig oder vierzig, 
vielleicht auch noch mehr töten, von den übrigen aber er⸗ 
drückt werden.“ 


) Heiße Jahreszeit. — ) Regenzeit. 


— 218 — 


Das klang ſo ruhig, klar und überlegt. Der Jüng⸗ 
ling war gewiß ſeinen Jahren vorausgeſchritten. 

„So meinſt du, daß wir nur des Nachts vorüber⸗ 
fahren können?“ fragte Schwarz. 

„Ja.“ 

„Aber das können wir doch auch am Tage tun. Wir 
rudern ſchnell und nehmen das Segel dazu.“ 

„Niemand kann wiſſen, wie der Wind in einer 
Stunde weht. Kommt er uns entgegen, ſo würde das 
Segel uns nur hindern, und auf die Ruder darf man 
ſich nicht verlaſſen. Abu el Mot hat ein Schiff im Fluß 
liegen, das er zwar geheim hält, aber ich weiß es doch. 
Er kann von ſeinem Ufer aus den Fluß aufwärts weit 
überblicken. Er würde uns alſo ſehr zeitig bemerken, 
und braucht dann nur das Schiff nach der Mitte des 
Fluſſes zu ſteuern und die Trommel ſchlagen zu laſſen, 
um uns ſicher zu bekommen. Nein, wir müſſen hier an⸗ 
legen und die Nacht abwarten, dann können wir die 
gefährliche Stelle paſſieren.“ 

„Er kann uns auch dann zufällig bemerken.“ 

„Wenn wir Schilf und Zweige quer über das Boot 
legen, wird man es für eine losgeriſſene ſchwimmende 
Grasinſel halten. Erlaubſt du alſo, daß ich gegen das 
Ufer ſteure?“ 

„Ja, tue es!“ 

Das Boot trieb mit dem Strome dem linken Ufer 
zu, fuhr an der bereits genannten, auf der Schlamm⸗ 
bank lagernden Grasinſel vorüber, und gewann ſodann 
den Rand des ſpitzen Feldes von Omm Sufah und 
Schilf, das auch ſchon erwähnt wurde. Dort ließ man 
den eiſernen, ſcharfen Bongoanker nieder, der ſofort im 
Grunde feſtgriff und das Boot zum Stehen brachte. 

Vom linken Ufer, in deſſen Nähe es lag, konnte 


— 214 — 


man es unmöglich ſehen, weil das ſehr hohe und dichte 
Rohr dazwiſchen ſtand. Das rechte Ufer war zwar weit 
entfernt, aber ein ſehr ſcharfes Auge hätte es. doch viel⸗ 
leicht zu erkennen vermocht; darum ſchnitten die Neger 
ſo viel Schilf und Rohr ab, um es vollſtändig in eine 
kleine künſtliche Inſel verwandeln zu können, der man 
es nicht anſah, daß ſie eigentlich aus einem vor Anker 
liegenden Kahn beſtand. 

Geſprochen wurde nur leiſe; dabei ſtrengte man 
das Gehör an, um ſich kein Geräuſch am Ufer entgehen 
zu laſſen. Man hatte die Maskierung des Bootes noch 
nicht beendet, da drangen unverſtändliche Laute herbei, 
die einer menſchlichen Stimme anzugehören ſchienen. 
Die Inſaſſen des Bootes lauſchten mit angeſtrengteſter 
Aufmerkſamkeit. 

Der junge Dumandſchi) erhob ſich von feinem Sitz, 
um beſſer hören zu können. „Es find zwei Neger, die 
dort am Ufer ſprechen, nicht weit abwärts von uns,“ 
ſagte er leiſe. 

„Woher weißt du das?“ fragte Schwarz. 

„Ich verſtand nur wenige Worte, welche der 
Sprache der Belanda angehören, die nur von Schwarzen 
geſprochen wird.“ 

„Was ſprachen ſie?“ 

„Das weiß ich nicht. Die Worte gehörten mehreren 
Sätzen an. Rettung — ſterben — Sklavenjäger, das 
habe ich gehört.“ 

„Ach! Vielleicht ſind es verfolgte Sklaven.“ 

„Dann find fie gewiß Abu el Mot entſprungen.“ 

„So müſſen wir ſie retten. Wir nehmen ſie in 
unſer Boot auf.“ 

„Das müſſen wir uns vorher überlegen, Effendi. 


I) Steuermann 


— 215 — 


Ich bin bereit, jeden verfolgten Menſchen zu retten, vor⸗ 
her aber muß ich überzeugt ſein, daß ich mich damit nicht 
ſelbſt dem gewiſſen Tod in die Arme werfe. Gefahr kann 
ja dabei ſein, vor ihr ſchrecke ich nicht zurück; aber einem 
ſichern und vorausſichtlichen Tod weihe ich mich nicht, 
denn dann wäre ja auch der, den ich retten will, mit 
verloren.“ 

„Du ſprichſt wie ein gelehrter und erfahrener 
Mann.“ ö 

„Spotte nur, aber gib mir recht! Horch!“ 

Man hörte jetzt wütendes Hundegebell und rufende 
Menſchenſtimmen. 

„Scheitan! Da läuft einer und weiter vorn der 
andre, wenn ich mich nicht irre. Schnell nach, ſchnell 
nach!“ klang es deutlich herüber. Das war der Ausruf 
Abd el Mots, als er Lobo erblickte. Dann folgte wüten⸗ 
des Hundegebell und durcheinander brüllende Männer⸗ 
ſtimmen. 

„Laß doch den Hund los!“ rief jemand. 

„Zwei Sklaven ſind es, die verfolgt werden!“ ſagte 
Schwarz. „Wir müſſen ſie retten!“ 

Er griff nach ſeiner Büchſe. Auch der Graue nahm 
ſein Gewehr und ſtimmte bei: „Schießen wir die Ha⸗ 
lunken nieder!“ 

„Still, ſtill,“ bat der Steuermann. „Es ſcheinen der 
Verfolger gar viele zu ſein. Wollen wir uns ihnen zei⸗ 
gen, ohne die Neger retten zu können? Das würde un⸗ 
klug ſein. Und ehe wir den Kahn vom Anker losbringen 
und das Ufer erreichen, kommen wir zu ſpät, weil die 
Jagd ſchon vorüber iſt. Horch! Ein Schrei. Da ſtarb 
einer. Er ſprang in das Waſſer. Lebt er noch, ſo holen 
ihn die Krokodile!“ 

Er trat auf die Steuerbant; die andern ſtellten ſich 


— 216 — 


auf die Ruderbänke, um über das maskierende Schilf 
hinwegſehen zu können. In dieſem Augenblick kam Lobo 
um die Spitze des Schilffeldes geſchwommen. Der 
Steuermann ſchob das Rohr mit den beiden Armen 
auseinander, um von ihm geſehen zu werden und winkte 
ihm. Lobo ſtutzte. Das war der Augenblick, wo ſeine 
Verfolger ſagten, er müſſe etwas geſehen haben. Der 
Schuß eines der Sklavenjäger fiel. 

„Schnell, ſchnell — die Krokodile!“ rief der Steuer⸗ 
mann dem Neger zu. 

Dieſer ſah einen Menſchen ſcheinbar oberhalb des 
Waſſers ſtehen. Seine Kräfte verdoppelten ſich, und er 
ſchnellte ſich mit einigen ſtarken Stößen herbei. Schon 
ergriff er mit den Händen den Rand des Bootes und 
mehrere Arme ſtreckten ſich aus, ihn hereinzuziehen; da 
warnte halblaut einer der Ruderer, der zufällig einen 
Blick hinaus auf den freien Strom und nach der Gras⸗ 
inſel geworfen hatte: „Et Timſah, et Timſah, amal, 
amal — das Krokodil, das Krokodil, macht, macht!“ 

„Von welcher Seite?“ fragte der Steuermann 
ſchnell. 

„Links,“ antwortete der Ruderer. 

„Schnell alle auf dieſe Seite nach links, ſonſt wirft 
es das Boot um!“ 

Lobo wurde förmlich emporgeriſſen; aber ſchon war 
das Tier da — ein gewaltiger Stoß gegen die linke 
Bootswand — hätten die Inſaſſen rechts geſtanden, jo 
wäre das Fahrzeug umgeworfen worden; fo aber wider⸗ 
ſtand das Gewicht dem Stoß des gierigen Tieres — 
Lobos Unterſchenkel geriet doch noch zwiſchen deſſen 
Zähne, aber noch ehe es den Rachen vollſtändig ſchließen 
konnte, wurde er ihnen entriſſen. Der Neger ſtieß einen 
lauten Schmerzensſchrei aus, den ſeine Verfolger für 


— 217 — 


ſeinen Todesſchrei hielten, und flog herein in das Boot, 
doppelt blutend, nämlich am Arm, wo ihn der Hund ge⸗ 
packt hatte, und am Bein, woran ein ganzes Stück der 
Wade fehlte. Er ſchloß die Augen. Es war über ſeine 
Kräfte gegangen, und eine Ohnmacht nahm ihn in ihre 
mitleidigen Arme. 

„Iſt er tot?“ fragte Schwarz. 

„Nein,“ antwortete der Graue, der ſich neben den 
Neger niedergekniet hatte, um ihn zu unterſuchen. „Ein 
Biß in den Arm, ein Stück Fleiſch aus dem Bein und 
Bewußtloſigkeit, das iſt alles.“ N 

„Still,“ ſprach der Steuerer. „Man ſpricht am Ufer.“ 

Sie horchten und vernahmen die Worte, die dort ge⸗ 
ſprochen wurden. Sie hörten ſogar die Schritte der ſich 
dann Entfernenden. 

„Einer iſt gerettet, Gott ſei Dank!“ ſagte Schwarz. 
„Aber der andre wird in ihre Hände fallen. Wie können 
wir das verhüten?“ 

„Wir brauchen es nicht zu verhüten,“ antwortete 
der junge, kluge und umſichtige Steuermann. „Sie wer⸗ 
den ihn nicht fangen.“ 

„Wie kannſt du das behaupten?“ 

„Weil ich ihre Worte gehört habe. Sie haben zwei 
Hunde verloren. Dieſer Neger hat ganz ſicher einen ge⸗ 
tötet, denn er hält ſelbſt jetzt noch das Meſſer feſt in der 
Hand. Gäbe es noch ein Tier bei den Verfolgern, ſo 
wäre ihm der Hund gewiß ins Waſſer nachgeſprungen, 
um ihn feſtzuhalten. Gekämpft hat er mit ſo einem 
Negerfänger, das zeigt hier die Wunde an ſeinem Arm. 
Aus dem allem ſchließe ich mit Sicherheit, daß es dort am 
Ufer keinen Hund mehr gibt. Wie wollen ſie da den 
andern Flüchtling finden, da der Wald viele Stunden 
lang iſt und ſie ſeine Fährte nicht riechen können!“ 


7 


= 


„Du ſcheinſt recht zu haben.“ 

„Ich glaube nicht, daß ich mich täuſche. Warten wir 
hier alſo in unſrer Sicherheit ganz ruhig ab, was noch 
geſchieht; dann werden wir wiſſen, was wir zu tun 
haben.“ 

Die beiden Deutſchen mußten dieſen Sudaneſen 
aufrichtig bewundern. Er machte trotz ſeiner Jugend 
den Eindruck eines gereiften Denkvermögens, faſt hätte 
man ſagen können, den Eindruck von Ueberlegenheit. 
Dabei waren ſeine Bewegungen und ſein Gebaren ſo 
ruhig und ſicher, wie ſeine Art, ſich auszudrücken. 

Der Graue hielt dem beſinnungsloſen Neger ein 
Riechfläſchchen an die Naſe. Das wirkte. Lobo begann 
ſich zu bewegen. „Tolo — halte den — — Stamm feſt,“ 
flüſterte er, doch ohne die Augen zu öffnen. 

Selbſt jetzt, noch in halber Ohnmacht, war er nur 
auf die Rettung ſeines Freundes bedacht! Pfotenhauer 
ließ das flüchtige Salz noch einmal wirken; da öffnete 
der Neger die Lider. Sein noch verſchleierter Blick fiel in 
das männlich ſchöne, wohlwollend ernſte Geſicht des Dr. 
Schwarz. Er ſchloß die Augen wieder und ſagte lächelnd: 
„Tolo — du lebſt — und ich bei — — bei dem guten 
Schech über — — über den Sternen!“ 

„Er meint jedenfalls Gott,“ ſagte Schwarz. „Ob 
er ein Chriſt iſt?“ 

„Chriſt oder Heide; er iſt Menſch, und es ſoll ihm 
geholfen werden,“ antwortete der Graue. Er hob den 
Bugſitz empor, unter dem ſich ein Kaſten mit Arzneien 
und Verbandzeug befand, und begann die beiden Wun⸗ 
den kunſtgerecht zu verbinden, wobei ihm Schwarz mit 
gleicher Geſchicklichkeit half. 

In den oberen Nilgegenden werden ſelbſt leichte 
Wunden, wenn ſie eine Vernachläſſigung finden, oft 


— 219 — 


lebensgefährlich. Das erhöht die Sterblichkeit dieſer 
unter der Kriegs⸗ und Mordluſt ihrer Nachbarn leiden⸗ 
den Völker bedeutend. 

Die Krokodilszähne hatten Fleiſchfetzen zurückge⸗ 
laſſen, die mit dem Meſſer entfernt werden wußten. Das 
konnte nur unter Schmerzen geſchehen, infolge deren 
Lobo erwachte. Er ſah ſich im Kreiſe um. | 

„Weiße Männer und Sandeh!“ ſagte er, die Niam- 
niam an ihrer eigenartigen Haartracht erkennend. „Das 
find keine Sklavenjäger!“ 

„Nein, wir ſind keine,“ beruhigte ihn Schwarz. „Du 
biſt unter Freunden.“ 

„So — ſo iſt Lobo nicht — geſtorben?“ 

„Du lebſt. Da draußen liegt das Ufer, von dem aus 
du in das Waſſer geſprungen biſt.“ 

„Das iſt ein — — ein Boot! Ja, ihr habt Lobo 
hereingezogen. Lobo beſinnt ſich jetzt. Ihr ſeid gute 
Leute. Aber wo iſt Tolo?“ 

„Er wird auch gerettet ſein, denn ſie haben ihn 
ſicher nicht gefunden.“ 

„Dann gleich, ſchnell zu den Bäumen gehen, wo er 
ſich befindet!“ 

Er wollte aufſpringen, aber die ſchmerzenden Wun⸗ 
den hinderten ihn daran; ſie waren noch nicht einmal 
vollſtändig verbunden. Das Schickſal ſeines Gefährten 
bereitete ihm ſolche Sorge, daß er kaum beruhigt werden 
konnte; doch ſah er ein, daß man nur ſein Beſtes wolle 
und er ſich fügen müſſe. Während ſein Verband voll⸗ 
ends ausgeführt wurde, wobei er männlich die Schmer⸗ 
zen verbiß, mußte er erzählen, was geſchehen war. Rüh⸗ 
rend war es dabei, ihn von dem guten Schech über den 
Sternen, von deſſen Sohn, der für die Menſchen geſtor⸗ 
ben ſei, und auch von ſich ſelbſt, daß er ſich für ſeinen 


— 220 — 


Freund dem Tod geweiht hätte, erzählen zu hören. Als 
er geendet hatte, ſagte Schwarz: „Alſo Abu el Mot iſt 
nicht auf ſeiner Seribah, aber nach ihr unterwegs? Das 
macht mich für meinen Bruder bange. Und Abd el Mot 
iſt auch ſchon aufgebrochen? Da ſteht die Seribah faſt 
berwaiſt da!“ 

„Man läßt ſtets fünfzig Mann daſelbſt zurück,“ be⸗ 
merkte Lobo. 

„Die können uns nicht ſchrecken. Wir haben nun 
nicht nötig, den Abend zu erwarten und können noch am 
Tage weiterfahren.“ 

„So will Lobo heraus aus eurem Boot. Er muß 
bei Tolo fein!” 

„Du? Du kannſt nicht heraus. Du vermagſt ja 
nicht einmal zu ſtehen, viel weniger zu gehen. Du mußt 
dich Außerft ruhig verhalten, wenn die Wunden ſich nicht 
entzünden und lebensgefährlich werden ſollen. Darum 
werden wir dich bei uns behalten und erſt dann ent⸗ 
laſſen, wenn du vollſtändig geheilt ſein wirſt.“ 

„Das tft, unmöglich! Lobo muß bei Tolo 3a Wo 
iſt dieſer?“ 

„Beruhige dich! Er iſt gerettet. Du ſagſt, daß der 
Subakh⸗ und Lubahnbaum da rechts am Ufer ſtehen. 
Dorthin ſind eure Verfolger nicht zurückgekehrt. Wir 
werden nach ihm ſuchen.“ 

„Er muß gefunden werden, denn er ſoll noch Om« 
bula eilen, um die Leute dort zu warnen, da Lobo nicht 
mehr gehen kann!“ 

„Ich werde das Ufer betreten, um zu ſehen, ob die 
Sklavenjäger noch da ſind,“ erklärte der Steuermann. 

„Wir gehen alle; wir rudern das Boot die kurze 
Strecke hin,“ antwortete der „Vater des Storches“. 

„Das wäre unvorſichtig. Das Boot darf erſt dann 


— 21 — 


landen, wenn wir willen, daß die Araber fort find. Ich 
begebe mich allein hinüber.“ 

„So müßteſt du ſchwimmen und würdeſt von den 
Krokodilen erfaßt werden.“ 

„Nein. Ich mache mir aus Schilf und Rohr ſchnell 
ein Kelek), auf dem ich hinüberfahre. Das greift kein 
Krokodil an, wenn es nicht allzu klein iſt. Iſt es ſo groß, 
daß ich vollſtändig darauf Platz finde und kein Teil 
meines Körpers über den Rand weg in das Waſſer ragt, 
ſo wird keins dieſer Tiere ſich um mich bekümmern.“ 

Er trieb mittels des Steuers das Boot etwas tiefer 
in das Schilfdickicht hinein und begann dann, Rohr für 
das Floß zu ſchneiden. Die Ruderer halfen ihm. 

„Aber wenn ſie noch da ſind, kannſt du leicht ge⸗ 
ſehen werden, und dann biſt du verloren, denn ent⸗ 
weder töten ſie dich, oder ſie machen dich zum Sklaven 
und führen dich fort,“ warnte Schwarz. 

„Sie werden keines von beiden tun,“ antwortete 
der mutige Knabe. „Ich verſtehe es, ſie zu beobachten, 
ohne daß ſie mich bemerken.“ 

Die Neger entwickelten eine große Fertigkeit im 
ſchnellen Flechten einer hinlänglich großen und dicken 
Matte, worunter ſtarke Schilfbündel befeſtigt wurden, 
die mehr als nur einen Menſchen getragen hätten. Der 
junge Steuermann beſtieg dieſes Floß; er nahm ein 
Ruder mit, um es lenken zu können. 

Er vermied es, aufwärts nach der Spitze des Schilf⸗ 
feldes zu rudern. Dort war Lobo in das Waſſer geſprun⸗ 
gen, und es ſtand zu erwarten, daß die Sklavenjäger, 
falls ſie noch anweſend waren, ihre Aufmerkſamkeit auf 
dieſe Stelle gerichtet hielten. Er gebrauchte vielmehr das 
Ruder einſtweilen nur als Steuer. Auf dem Floß 


Y ol. 


— 


knieend, ließ er es geräuſchlos abwärts gleiten, bis er eine 
Stelle erreichte, welche frei vom Schilf war und ihm 
erlaubte, das Floß an das Ufer zu treiben. 

Die Zurückbleibenden waren nicht ohne Sorge um 
ihn. Sie hätten ſein Wagnis lieber ſelbſt unternommen, 
mußten ſich aber ſagen, daß es für ihn nicht ſo groß ſei, 
wie es für ſie geweſen wäre. Im Fall eines Angriffs 
konnte er ſich viel mehr auf ihre Hilfe, als ſie ſich auf 
diejenige ihrer afrikaniſchen Begleiter verlaſſen. Schwarz 
ſagte in deutſcher Sprache zu dem Grauen: „Ein 
wackerer, kleiner Kerl! Beim geringſten Zeichen, daß 
ihm ein Unfall droht, heben wir den Anker und eilen 
ihm zur Hilfe!“ 

„Das verſteht ſich ganz von ſelbſt,“ ſtimmte der Ge⸗ 
noſſe bei. „Der Junge iſt mir ebenſo lieb g'worden wie 
dir. Er hat ſo was Gediegenes, ſo was Vornehmes an 
ſich. Möcht' wiſſen, was für ein Landsmann er iſt. Ein 
Niam⸗niam g'wiß nit. Dazu paſſen ſeine G'ſichtszüg' 
und auch die Hautfarben nit.“ 

„Auch ich werde nicht klug. Einmal möchte ich ihn 
für einen Mulatten, das andre Mal für einen Somali 
halten. Wenn ich ihn nach ſeiner Abkunft gefragt habe, 
wußte er mir ſtets auszuweichen.“ 

„Mir auch. Nit mal die Niam⸗niam, bei denen er 
doch wie ein Stammesgenoſſe lebt, wiſſen zu ſagen, wo 
ſeine Heimat liegt. Er ſcheint ſich alſo auch ihnen gegen⸗ 
über in das G'heimnis g'hüllt zu haben. Aber daß ſie 
ihn Abd es Sirr') nennen, das läßt vermuten, daß fie 
ſeine Abkunft für eine arabiſche halten.“ 

„Dann wäre er alſo Mulatte, denn ein reiner 
Araber iſt er nicht. Mir ſcheint, er hat Schreckliches er⸗ 
lebt. Er lacht nie; höchſtens ſieht man einmal ein kurzes, 
eon des Gebetuniſſes. 


— 223 — 


leiſes Lächeln auf ſeinen Lippen. Haſt du ihn jemals 
ſpielen und tollen ſehen wie andre ſeinesgleichen bei den 
Niam⸗niam?“ 

„Nie.“ 

„Ich auch nicht. Der finſtere Ernſt, 175 er ſtets 
zeigt, läßt vermuten, daß er die Erinnerung eines tragi⸗ 
ſchen Ereigniſſes, unter dem ſeine junge Seele ſchwer 
gelitten haben muß, in ſich bewahrt. Den wenigen reli⸗ 
giöſen Uebungen nach, die man bei ihm beobachtet, iſt er 
Mohammedaner. Haſt du ihn einmal beten hören?“ 

„Im Gebet geſehen hab' i ihn bereits, g'hört aber 
noch nit. Er betet nit zu den vorg'ſchriebenen Zeiten, 
ſondern nur dann, wann er meint, nit g'ſehen und be⸗ 
obachtet zu werden.“ 

„Ich habe ihn zweimal belauſcht. Er betete die 
Fathha; hinter den beiden Worten Weltenherr und All⸗ 
erbarmer fügte er die gar nicht in dieſe Sure gehörenden 
Ausdrücke Mir itafamı) und Sabit el meglis⸗) hinzu. 
Das deutet darauf, daß er ſich mit einer Rache trägt.“ 

„Das hab' auch i ſchon 'dacht. Wann er glaubt, 
allein zu ſein, ſo brütet er finſter vor ſich hin und ballt 
und dreht dabei die Fäuſt', als ob er einen da hätt', den 
er erwürgen wollt'. Dabei verdreht er die Augen und 
knirſcht mit den Zähnen, daß man ſchier meinen möcht', 
er — — — halt' ſchau mal! Da kommen ' g'flogen! 
Kennſt ſie auch bereits?“ 

Er war aufgeſprungen und deutete erregt auf eine 
Vogelſchar, welche quer über den Fluß geflogen kam. 
Indem er mit den Augen ihrem Fluge folgte, bewegte 
ſich auch ſeine lange Naſe von der rechten nach der linken 
Wange, als ob ſie für ſich ebenſo dieſe genaue N 
tung machen wolle. 

1) Herr der Rache. ) Oberſter des Gericht. 


— 224 — 


„Ja, ich kenne ſie,“ antwortete Schwarz. „Es find 
Bienenfreſſer, Merops caeruleo cephalus. Herrliche 
Vögel! Siehſt du ihr prachtvolles Gefieder in der Sonne 
wie lauter Smaragde und Rubine funkeln?“ 

„Großartig! Weißt auch ihren hieſigen Namen?“ 

„Ja. Man nennt ſie Dſchurull, weil ihre Stimme 
gerade wie dieſe zwei Silben klingt.“ 

„Haſt recht; biſt kein übler Vogelkenner. Jetzt ſind 
' weg, in die Bäum' hinein.“ Er ſetzte ſich wieder nie⸗ 
der, wobei ſeine Naſe ſich in ihre ordnungsmäßige Lage 
zurückbegab, und fuhr fort: „In Europa gibt's nur a 
einzige Art des Bienenfreſſers, Merops apiaster, mit 
weißer Stirn, blauem Augenſtreif, blaugelbem Kinn, 
meerblauer Bruſt und grünblauen Handſchwingen. J 
tu mi gerade für dieſe Vögerl außerordentlich ver⸗ 
intereſſieren, weil ſo a Merops der erſte Vogel war, den 
i zeichnet und dann wieder auf den Rücken g'malt er⸗ 
halten hab'.“ 

„So? Von wem?“ | 

„Vom Profeſſorn der Naturg'ſchichten. J hatt’ mir 
von ihm a Buch ausg'borgt, in dem ein Bienenfreſſer in 
Holzſchnitt abg' bildet war. Es hat mi verdroſſen, daß er 
ſo ſchwarz ausg'ſchaut hat; darum nahm i ſchnell den 
Malkaſten her und hab' das Bild fo bunt ang'ſtrichen, 
daß dabei die Farben faſt ausgang'n find. Nachher hat 
der Profeſſor das entdeckt und mi mit in ſeine Stub' 
g'nommen, wo er mir mit dem Lineal den Merops ſo 
nachhaltig auf den Rücken gemalt hat, daß mir darüber 
das G'ſicht und G'hör vergangen iſt. Dieſes Konterfei 
konnt' i zwar nit ſehen, weil's eben auf dem Rücken 
war, aber ſo grün und blau wie der Merops iſt's ſicher 
g'weſen, und g'fühlt hab' i's noch wochenlang. Dieſer 
Profeſſor hat überhaupt einen g'heimen Blitz auf mi 


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g'habt, weil i ihn immer nach Dingen g’fragt hab', die 
er nit beantworten konnt'. Dafür hat er mi dann im 
Examen tüchtig ausg' diſcht. Hab' i's dir vielleicht ſchon 
verzählt?“ ö 

„Nein,“ antwortete Schwarz ſehr ernſt. 

„Nun, i ſprech gar nie davon, dir aber kann i's ſchon 
mal ſagen. Das war, als i in der dritten Klaſſ' g'ſeſſen 
bin. Weil's Examen geben hat, hab' i ein reines Bow 
hemderl umg'bunden und dazu den neuen, ſchönen 
Schlips um den Hals, denn i hab' denkt, daß es mir, ſo 
trefflich herausg' putzt, gar nit fehlen kann. Aber es iſt 
halt anders kommen. Nämlich als i an die Reihe kam 
und deshalb aufg'ſtanden bin, um die Frag' in ſchuldiger 
Ehrfurcht entgegenzunehmen, was hat der Profeſſorn da 
g’jagt?“ | 

„Nun, was?“ 

„Warum die Vögel Federn haben, hat er mi g'fragt.“ 

„Das war freilich eine heikle Sache. Was haſt du 
geantwortet?“ 

„Was i für eine Antworten geben hab'? Nun, zu⸗ 
nächſt hab' i die Augen zug' drückt und g'wartet, ob mir 
vielleichten ein Einfall kommen will, und ſodann, als 
keiner kommen iſt, hab' i — — —“ 

„Abd es Sirr!“ rief in dieſem Augenblick einer der 
Ruderer, den Grauen unterbrechend, indem er mit der 
Hand flußaufwärts deutete. 

Der Steuerer kehrte zurück. Er hatte ſein Floß am 
Ufer aufwärts geſchafft und kam nun auf ihm um die 
Spitze des Schilffeldes und auf das Boot zugetrieben. 
Als er es erreicht und ſich hineingeſchwungen hatte, mel⸗ 
dete er: „Der Wald iſt leer; ich habe keinen Feind ge⸗ 
ſehen.“ 

„Auch Tolo nicht?“ fragte Lobo beſorgt. 


May, Die Sklavenkarawane. 


— 226 — 


„Nein; aber wir werden nun nach ihm ſuchen und 
ihn gewiß finden. Ich ging bis vor die Bäume hinaus 
und ſah Reiter, die ſich über die Ehalat) entfernten.“ 

„In welcher Richtung?“ fragte Schwarz. 

„Zwiſchen Süd und Weſt.“ 

„So ſind ſie fort. Hoffentlich befindet ſich Tolo nicht 
als Gefangener bei ihnen. Wir wollen ſofort an das 
Ufer und nach ihm forſchen.“ 

Der Anker wurde aufgewunden und das Boot an 
das Land gerudert. Lobo konnte nicht den Führer 
machen, da ihn ſeine Wunde am Gehen verhinderte. Er 
blieb alſo bei den beiden Schwarzen, die zur Bewachung 
des Fahrzeuges zurückgelaſſen wurden, beſchrieb aber den 
Ort, wo der Subakh⸗ und der Lubahnbaum ſtand, fo ge⸗ 
nau, daß die Suchenden nicht fehlgehen konnten. 

Schwarz hatte ſein Fernrohr mitgenommen. Er 
führte ſeine Begleiter zunächſt bis an den Rand des 
Waldes, um ſich zu überzeugen, daß der Steuermann 
richtig beobachtet habe. Er kam noch zeitig genug, um 
die abziehende Sklavenjägerſchar durch die Gläſer zu er⸗ 
kennen. Dann wurden die beiden Bäume aufgeſucht. 

Es war im Wald kein Laut zu hören; nur vom jen⸗ 
feitigen Ufer klang das „Nuk⸗nuk, kur⸗nuk“ eines 
Pfauenkranichs herüber. Doch als ſie die erwähnten 
Bäume erreichten, hörten ſie ein leiſes, leiſes Wimmern 
in der Luft. Es kam aus den dichten Zweigen, deren Be⸗ 
laubung die Geſtalt des ee nicht zu erkennen 
erlaubte. 

„Tolo, biſt du da oben?“ fragte Schwarz. 

Es erfolgte keine Antwort, doch wurde das Wim⸗ 
mern lauter. Da die Wiederholung der Frage denſelben 


) Steppe, Gelände, welches Brlin erzeugt. 


— 227 — 


Erfolg hatte, ſchwang Schwarz ſich auf den unterſten Aſt 
und kletterte dann weiter hinauf. Er ſah den Schwarzen 
über ſich ſitzen, die Arme krampfhaft um den Stamm ge⸗ 
ſchlungen. 

„Wir ſuchen dich; komm herab!“ rief er ihm zu. 

Der arme Menſch ſchrie wie in höchſter Todesgefahr 
auf und antwortete: „Tolo tot machen, immer Tolo tot 
machen, aber nur Lobo leben laſſen. Lobo iſt gut, hat 
Tolo retten wollen!“ 

„Ihr ſeid beide gerettet. Komm herab; es geſchieht 
dir nichts. Wir ſind deine Freunde.“ 

„Das iſt nicht wahr. Du biſt weiß; du biſt ein 
Araber, ein Sklavenjäger; du gehörſt zu Abd el Mot!“ 

„Nein, ich bin ſogar ſein Feind. Ich meine es gut 
mit dir; ich will dich retten. Komm mit mir herab!” 

„Tolo kann nicht klettern; Tolo viel zu ſchwach.“ 

„So werden wir dir helfen.“ 

Der Schwarze war durch die Anſtrengung der 
Flucht und die darauffolgende große Angſt um ſeinen 
Freund ſo ermattet, daß er ſich wirklich kaum mehr feſt⸗ 
zuhalten vermochte. Schwarz rief zwei Niam⸗niam zu 
ſich herauf und dann gelang es der vereinten Kraft der 
drei Männer, den armen Menſchen vom Baume auf die 
Erde zu ſchaffen. 

Er ſah noch immer nicht ein, daß er gerettet ſei. Er 
wollte es trotz aller Verſicherung nicht glauben und wim⸗ 
merte unaufhörlich fort. Er konnte kaum gehen und 
mußte unterſtützt werden, als man jetzt zu dem Boot zu. 
rückkehrte. Am Ufer angekommen, ſah er Lobo auf der 
Ruderbank liegen. Einen lauten Schrei der Freude aus⸗ 
ſtoßend, brach er bewußtlos zuſammen. Er mußte in den 
Kahn getragen werden. a 

Lobo war außer ſich vor Entzücken, als er ſah, daz 


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ſein Freund gerettet ſei. Zugleich aber verurſachte ihm 
deſſen Bewußtloſigkeit große Sorge. Die beiden Deut⸗ 
ſchen beruhigten ihn durch die Verſicherung, daß Tolo 
bald wieder erwachen werde. 

Dies geſchah allerdings in ſehr kurzer Zeit; der 

Schwarze erwachte, aber die Beſinnung war ihm nicht 
zurückgekehrt. Er wand ſich hin und her, ſtöhnte und 
wimmerte, und bat unausgeſetzt um Gnade für ſeinen 
Freund Lobo. Die Gefangenſchaft, die Anſtrengung der 
Flucht und die Aufregung während der Verfolgung hat⸗ 
ten ihn ſo angegriffen, daß ſeine Kräfte nun zu Ende 
waren. Der Arzneikaſten mußte wieder geöffnet werden, 
der Neger erhielt ein beruhigendes Mittel, worauf er in 
Schlaf verfiel. Er wurde neben Lobo gebettet, der die 
Ruderbank verlaſſen mußte und in der Mitte des Bootes 
einen Lagerplatz erhielt. 
Jiewetzt wurde eine Beratung gehalten. Lobo drang 
darauf, daß ein Bote zu den Bewohnern des Dorfes 
Ombula geſendet werde, um dieſe vor den Sklaven⸗ 
jägern zu warnen. Er ſelbſt konnte nicht gehen, Tolo 
ebenſowenig. Von den Niam⸗niam wollte ſich keiner da⸗ 
zu verſtehen, den gefährlichen Auftrag zu übernehmen; 
ſie kannten den Weg nach Ombula nicht und hatten 
überhaupt keine Luſt, die Gefahr auf ſich zu nehmen, 
unterwegs in Gefangenſchaft und Sklaverei zu geraten. 
So blieben nur die beiden Deutſchen übrig. Abd es Sirr, 
der „Sohn des Geheimniſſes“, hörte den Verhandlungen 
ſchweigend zu. 

„Was iſt da zu tun?“ fragte Schwarz in deutſcher 
Sprache. „Die Sorge für unſre eigene Sicherheit ver⸗ 
bietet, uns mit dieſer Angelegenheit zu befaſſen; aber die 
Menſchen⸗ und Chriſtenpflicht gebietet das Gegenteil. 
Sollen wir ein ganzes großes Dorf, das wir retten kön⸗ 


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nen, der Vernichtung anheimfallen laſſen? Was ſagſt 
du dazu, Doktor?“ 

Die Naſe des Grauen ſtieg mit ihrer Spitze in die 
Höhe, als ob ſie mit ihren beiden weiten Löchern den 
Sprecher zornig anblicken wolle; die Augenbrauen zogen 
ſich finſter zuſammen, und dann erklang es unwillig: 
„Weißt, wannſt mi in dera Wildnis nochmal Doktor 
ſchimpfſt, ſo hau i dir a Backpfeifen ins Fenſter, daß alle 
Scheiben entzwei gehen, du Malefizbub, du! J ſag' Sepp 
zu dir, folglich haſt du mi Naz zu nennen, und wann dir 
das nit g'fallt, ſo kannſt gehen, wohin d' willſt! Ver⸗ 
ſtanden?“ 

„Entſchuldige noch dieſes Mal; es ſoll nicht wieder 
geſchehen!“ lachte Schwarz. 

„Das will i mir ausg'beten haben. Man muß 
jedem ſeine Ehr' geben; aber unter Freunden bedarf es 
keiner Titel und Firlefanzereien. Oder willſt die Brü⸗ 
derſchaft, die wir g'macht haben, etwa wieder aufheben?“ 

„Das kann mir nicht einfallen!“ 

„Schön! Wärſt auch übel dabei wegkommen, denn i 
hätt' dich von nun an nicht wiederum Sie, ſondern bloß 
nur Er genannt. Und was nun dieſes Ombula betrifft, 
ſo werd' i mal nachſchauen, ob i's auf dera Karten find'. 
J weiß nur, daß es im Gebiet der Belandaneger liegt.“ 

Er zog eine alte, vielgebrauchte und abgegriffene 
Karte aus der Taſche, faltete ſie auseinander, breitete ſie 
auf ſeine Knie aus und begann ſie zu ſtudieren, wobei 
ſich ſeine Naſe ſo eifrig von einer Seite nach der andern 
bewegte, als ob ſie die Abſicht habe, den Ort noch eher zu 
entdecken, als deſſen Name von den Augen erblickt wurde. 

„Steht nicht da,“ ſagte Ignatius Pfotenhauer nach 
einer Weile, indem er die Karte wieder zuſammenlegte 
und in die Taſche ſteckte. „Die Belanda wohnen zwiſchen 


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den Bongo und den Niam⸗Niam, alſo ſüdweſtlich von 
hier, wohl gegen die Pambiſaberge hin; aber wo das 
Dorf Ombula ſteht, davon find' i auf dera Karten nix 
und in meinem Kopf noch viel weniger.“ 

„Pambiſa!“ rief Lobo, der zwar kein Wort der deut⸗ 
ſchen Rede verſtanden, aber dieſen Namen herausgehört 
hatte. „Dort iſt Ombula.“ | 

„Alſo dort?“ antwortete Schwarz. „Wie weit von 
hier?“ 

„Drei Tagereiſen von der Seribah Omm et Timſah.“ 

„Das ſind zwei und eine halbe von hier aus. Eine 
Warnung unſrerſeits würde zu ſpät kommen. Die Skla⸗ 
venjäger haben Reittiere, wir aber nicht. Wollte einer 
von uns dieſen Weg machen, ſo müßte er gehen, und ſie 
würden alſo vor ihm dort ſein.“ 

„Nein,“ ſagte der Steuerer, indem er ſich zum 
erſtenmal in dieſer Angelegenheit hören ließ. „Man 
kann doch noch eher hinkommen, als die Araber.“ 

„In welcher Weiſe?“ | 

„Auf einem ſchnellen Reitkamel. Das Volk der 
Dſchur beſitzt in dieſer Jahreszeit Kamele. Ich kenne ein 
Dſchurdorf, das weſtlich von der Seribah Omm et Tim⸗ 
ſah liegt. Wenn wir es aufſuchen, können wir ein Kamel, 
oder auch mehrere kaufen oder geliehen bekommen.“ 

„Liegt dieſes Dorf weit von der Seribah?“ 

„Nein. Die Bewohner ſind von Abu el Mot be⸗ 
zwungen worden; ſie müſſen ihm dienen, er bezahlt ſie 
dafür; aber wenn ſie können, ohne daß es verraten wird, 
ſind ſie ſehr gern bereit, ihn in Schaden zu bringen.“ 

„Würden ſie wohl dazu zu bringen ſein, aus ihrer 
Mitte einen Boten nach Ombula zu ſenden?“ 

„Nein, denn ſie befinden ſich mit den Bewohnern 
des Belandalandes in Feindſchaft. Sie würden ſich von 


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dir bezahlen laſſen, und den Boten auch wirklich vor 
deinen Augen abſenden; aber er würde gewiß ſehr bald 
umkehren. Wir ſind gezwungen, einen von uns zu ſen⸗ 
den. Ich hätte mich dazu bereit erklärt, aber ich muß im 
Boot bleiben, da keiner von euch den Fluß kennt, und 
alſo ſteuern könnte.“ 

„So kommen nur wir beide in die engere Wahl,“ 
ſagte Schwarz zu dem Grauen. „Meinſt du, daß wir 
uns mit dieſer Angelegenheit befaſſen?“ 

„Natürlich! Erſtens iſt es unſre Pflicht, den Be⸗ 
drohten zu helfen, und zweitens wird es mir eine wahre 
Wonne ſein, dieſem Abd el Mot a Naſ' zu drehen, die 
faſt noch größer iſt, als die meinige. J werd' alſo 
ſchauen, daß i ein Kamel bekomme, und dann nach Om⸗ 
bula reiten.“ 

„Das kann ich nicht zugeben. Ich habe dieſelbe Ver⸗ 
pflichtung, wie du. Die Sache iſt außerordentlich gefähr⸗ 
lich, und ſo mache ich den Vorſchlag, daß wir loſen.“ 

„Hab' nix dagegen. Gefahr gibt's hier überall. Ob 
i mit dem Boot deinem Bruder entgegenfahr', oder ob i 
nach Ombula reit', das iſt ſchnuppe; denn hier wie dort 
kann's einem ans Leben gehen.“ 

„So nehmen wir zwei Stücke Schilf, ein langes und 
ein kurzes, und dann —“ 

„Nein!“ fiel ihm Pfotenhauer in die Rede. „Wir 
ſelbſt wollen das Los nit machen. Die Vögel mögen zwi⸗ 
ſchen uns entſcheiden. Paß auf, wann wieder einer über 
den Fluß kommt! Fliegt er von drüben herüber, ſo gilt's 
für dich; fliegt er aber von hier hinüber, ſo werd' i die 
Botſchaft übernehmen. Soll's ſo gelten?“ 

„Ja, ich bin einverſtanden Zugleich wollen wir 
die unterbrochene Fahrt wieder aufnehmen, damit wir 
ſobald als möglich das Dorf der Dſchur erreichen.“ 


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Die Niamsniam erhielten den Befehl, zu den 
Rudern zu greifen. Auch wurden ſie aufgefordert, auf 
die Vögel aufzupaſſen. Der „Sohn des Geheimniſſes“ er⸗ 
klärte: „Da nur fünfzig Männer in der Seribah zurück⸗ 
zubleiben pflegen, ſo brauchen wir uns nicht zu fürchten. 
Wir können uns ſehen laſſen und ganz offen vorüber⸗ 
rudern. Dann legen wir am linken Ufer unterhalb der 
Seribah an, verbergen das Boot im Schilf, und ich führe 
euch zu dem Dorf, deſſen Schech ich kenne.“ 

Er ſteuerte das Boot nach der offenen Mitte des 
Stromes, und dann flog es, von den Rudern getrieben, 
wie ein Pfeil den Fluß hinab. 

Die Arznei hatte gewirkt. Tolo lag im tiefen Schlaf, 
und auch Lobo ſchloß die Augen und ſchlief ein. Er 
wußte, daß jemand ſeine Landsleute warnen werde, und 
fühlte ſich nun von der Sorge frei, die ” fo ſchwer 
bedrückt hatte. 


Achtes Kapitel. 
Ein neuer Gefährte. 


Die beiden Deutſchen ſaßen ſtill am Bug des 
Fahrzeuges. Die bevorſtehende Trennung ſollte nur eine 
kurze ſein, konnte aber auch eine lebenslängliche werden. 
Der „Vater des Storches“ arbeitete innerlich; das war 
ſeinem Geſicht abzunehmen, das ſich von Minute zu 
Minute in andre Falten legte. Dieſe Naſe war unaus⸗ 
geſetzt tätig. Bald blickte ſie nach rechts und bald nach 
links, bald hob und bald ſenkte ſie ſich. Er half mit der 
Hand nach, ſchob ſie herüber und hinüber, räuſperte ſich, 
ſchluckte und knurrte leiſe vor ſich hin und ſagte endlich: 
„Wann's einem ſo zu Herzen geht, dann mag der Teuxel 
Schlittſchuh fahren! Wir müſſen bald aus' nander, und 
keiner weiß, ob er ſeinen guaten Kameraden jemals wie⸗ 
derſchaut. Aber was ſoll man machen? J würd' mi für 
den Schuldigen halten, wenn dieſe Schwarzen umbracht 
oder in die Sklaverei g'ſchleppt würden, ohne daß wir 
den Verſuch g'macht hätten, ſie zu warnen.“ 

„Mir ergeht es ebenſo. Uebrigens darf man ſich die 
Sache nicht ſo gefährlich vorſtellen. Es reitet einer von 
uns nach Süden, und gibt ſich Mühe, unterwegs nicht 

in feindliche Berührung zu kommen. Das iſt doch nicht 
allzu ſchwer.“ | 

„Nein. Doch wenn die Mühe vergebens ift, und er 


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kommt doch mit Feinden zuſammen, ſo iſt er allein und 
wird ausg'löſcht, ohne daß der andre ihm helfen kann. J 
wollt', das Los tat’ mi derwiſch'n. Lieber will i der⸗ 
jenige ſein, den's trifft — — — halt, ſchauſt ſie? Da 
kommen's g'flogen!“ 

Er war aufgeſprungen und deutete nach dem jen⸗ 
ſeitigen Ufer, von dem eine ganze Schar ſchreiender und 
kreiſchender Vögel herübergeflogen kam. Seine aus⸗ 
geſtreckte Hand folgte der Richtung ihres Fluges, und 
ſeine Naſe, die ſich erhoben hatte, tat ihrerſeits ganz das⸗ 
ſelbe. „Kennſt ſie?“ fragte er. 

„Ja. Es find Sporenkiebitze, Hoplopterus spi- 
nosus.“ 

„Richtig! Es iſt ſelten, daß ſie um dieſe Zeit ſo hoch 
in die Luft gehen. Jedenfalls ſind's da drüben von einem 
Nilpferd aufg'ſcheucht worden. Sie heißen hierzulande 
Sikſak, weil ſie grad ſo ſchreien. Jetzt ſind's herüber und 
im Schilf verſchwunden, wo ſie im Moraſt nach 
Schnecken ſuchen.“ 

Da er die Vögel nicht mehr ſah, ſetzte er fi) wieder 
nieder und fuhr fort: „J will hoffen, daß wir im Dorf 
der Dſchur wirklich a ſchnelles Kamel bekommen. Der 
von uns, den's trifft, hat ſich für ſechs Tag' mit Mund⸗ 
vorrat zu verſehen. Der andre aber hat zu warten und 
auf deinen Bruder aufzupaſſen. Aber wo ſoll er das 
tun? In der Nähe von der Seribah Omm et Timſah 
kann er es nicht tun.“ 

„Nein, das kannſt du nicht, weil die Beſatzung der 
Seribah dich nicht ſehen darf,“ antwortete Schwarz, in⸗ 
dem er leiſe lächelte. „Du wirſt vielmehr weiter hinab 
bis nach der Seribah Madunga fahren, deren Bewohner 
unſer Steuermann kennt. Er ſagte, daß wir dort gut 
aufgenommen würden. An dieſer Seribah muß mein 


— 235 — 


Bruder vorüberkommen; du kannſt ihn gar nicht fehlen, 

falls er eher kommt, als ich von Ombula zurückkehre.“ 
„Du?“ fragte der Graue erſtaunt. „Du willſt nach 

Ombula? Nit i ſoll hin? Wer hat denn das g'ſagt?“ 

„Du ſelbſt haſt es ſo angeordnet.“ 

„I? Iſt mir im ganzen Leben gar nit eing' fallen!“ 

„Oho! Wer hat denn beſtimmt, daß der Flug der 
Vögel entſcheiden ſoll? Nun hat er doch entſchieden!“ 

„Davon weiß ich nix. Willſt mir wohl was weis⸗ 
machen? Denkſt wohl, das i jo a Firlfax bin, der — —“ 
Er hielt inne, machte den Mund weit auf und ſtarrte 
den Gefährten eine ganze Weile ſprachlos an. Die Spitze 
ſeiner Naſe hob ſich auch empor, als ob ſie ebenſo betrof⸗ 
fen ſei wie ihr Herr. Dann platzte er los: „Meiner Seel’, 
daran hab' i ja gar nit mehr g'dacht! Die Sporenkiebitz' 
ſind doch übers Waſſer g'flogen!“ 

„Na, alſo! Und in welcher Richtung?“ 

„Von drüben herüber.“ 

„Alſo bin ich es, auf den das Los gefallen iſt. Das 
gibſt du doch zu?“ 

„J muß wohl. Aber dieſes nixnutzige G'ſindel hätt’ 
auch was Beſſers tun können, als da herüber zu kom⸗ 
men. Wär' mir die Flint' zur Hand g'weſt, ſo hätt' i ſie 
alle mit' nander derſchoſſen! Wollen wir nit lieber noch⸗ 
mal loſen?“ 

„Nein. Ich bin für den Ritt beſtimmt und werde 
ihn alſo ausführen.“ 

„So mag ſich von heute an kein Kiebitz mehr vor 
mir ſehen laſſen, ſonſt knall' i ihm eins auf den Frack, 
daß ihm der Atem vergeht! Wer hätt' denken können, 
daß das Los dich treffen tät, trotzdem i's ſo ſchlau an⸗ 
g'fangen hab'.“ 

„Wieſo?“ 


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„J hab' g'ſagt, wann der Vogel von hier hinüber⸗ 
fliegt, fo fol i g'meint fein. J hab' mir natürlich 
g'dacht, daß wir auf unſrer Seiten hier mit dem Boot 
die Vögel aufſtören werden.“ 

„Dann haſt du dich freilich verrechnet, denn ein 
aufgeſtörter Vogel wird nicht über unſer Boot hinweg 
nach dem fernen rechten Ufer fliegen, ſondern vielmehr 
das nahe, linke aufſuchen.“ 

„Dann darf's nix gelten, weil meine Dummheit 
ſchuld iſt, daß dich's troffen hat.“ 

„Nein, lieber Freund, es gilt. Gib dir keine Mühe! 
Sie würde unbedingt vergeblich ſein.“ 

„Wirklich? So lang mal her und gib mir aane 
Ohrfeigen, aber a tüchtige! J hab's verdient. Wann dir 
was Böſes g'ſchieht, ſo werd' i nie im Leben wieder 
Ruhe finden!“ 


Er ſenkte den Kopf und zog deſſen graue Bedeckung 


ſo tief in die Stirn, daß man von ſeinem Geſicht nur die 
Naſe ſah. Aus der fortwährenden Bewegung, in der ſich 
dieſe befand, war zu ſchließen, daß er ſich mit allerhand 
reuevollen Gedanken beſchäftigte, denen er aber keinen 
Ausdruck gab. Er blieb von jetzt an in beharrliches 
Schweigen verſenkt und erhob ſelbſt dann den Kopf 
nicht, wenn eine Schar von Vögeln über ihn dahin⸗ 
rauſchte. Das war das ſicherſte Zeichen, daß er unge- 
wöhnlich tief in ſich verſunken ſei. 

Der Strom floß raſch, und die muskulöſen Arme 
der Neger ſetzten die Ruder ſo kräftig in Bewegung, daß 
es ſchien, als ob die Ufer an dem Boote vorüber förm⸗ 
lich aufwärts flögen. Dabei veränderte ſich die Szenerie 
nicht im mindeſten. Drüben, zur rechten Hand, ſah man 
nur Schilf und wildes Zuckerrohr, während am linken 
Ufer der Wald ununterbrochen folgte. 


— 237 — 


So verging die Zeit. Die Sonne hatte ihren Höhe⸗ 
punkt längſt hinter ſich und warf bereits die Schatten 
der Bäume über die Flut. Da lenkte der Steurer das 
Boot mehr dem rechten Ufer zu. Schwarz bemerkte das 
und fragte ihn nach der Urſache. 

„Die Seribah Omm et Timſah iſt nahe,“ antwor⸗ 
tete der Jüngling. „Wenn wir unbemerkt vorüberkom⸗ 
men wollen, müſſen wir uns möglichſt nahe an das jen⸗ 
ſeitige Ufer halten.“ 

Jetzt erhob der Graue den Kopf zum erſtenmal wie⸗ 
der, um ſich die gefährliche Gegend zu betrachten. Da 
ſchien ſeine Naſe ſofort einen Grund zu ganz beſonderer 
Tätigkeit zu finden. Sie bewegte ſich nach allen mög⸗ 
lichen Richtungen und ane die Luft mit hörbarem 
Geräuſch ein. 

„Was gibt's? Riechſt du etwas? fragte Schwarz. 

„Ja. Du nicht?“ antwortete Pfotenhauer. 

„Nein. Ich bemerke nicht das Geringſte, was mir 
auffallen könnte. Auch die Neger arbeiten nur mit den 
Armen und nicht mit den Naſen. Die deinige wird ſich 
alſo wohl im Irrtum befinden.“ 

„Was? Wie meinſt? Meine Naſen ſoll ſich täu⸗ 
ſchen? Du, da kennſt ſie ſchlecht! Auf die kann i mi 
verlaſſen.“ 

„Nun, was riechſt du denn?“ 

„Es riecht nach Brand.“ 

„Schwerlich! Ich merke nichts.“ 

„Ja, du! Was willſt auch merken mit deinem 
Naſerl, was man kaum mit dem Fernrohr derkennen 
kann!“ a 
„Vielleicht hat dort am Ufer irgendwer ein Feuer 
angemacht, um ſich einen Vogel, einen Fiſch oder ſonſt 
etwas zu braten?“ 


— 238 — 


„Nein, das iſt kein Braten; das riecht verſengt, ver⸗ 
brannt, nach Holz und Lehm und Stein, wie wann ein 
Haus ang'ſteckt worden iſt. Ich wett' auf meinen Kopf, 
daß da drüben links aan Gebäud' verbrannt iſt.“ 

Auch Schwarz ſpürte jetzt den Geruch; die Niam⸗ 
niam wurden gleichfalls aufmerkſam. Der Steuerer er⸗ 
hob ſich von ſeinem Platz, wendete das Geſicht dem lin⸗ 
ken Ufer zu, ſog die Luft laut ein und ſagte dann: „Es 
brennt auf der Seribah Omm et Timſah. Anderswo 
kann es nicht ſein. Es iſt ein großer Brand, denn der 
Rauch ſteigt ſo hoch auf, daß er dort über den Bäumen 
liegt.“ f 

Er deutete mit der Hand nach der betreffenden 
Stelle, wo man den Rauch dick über die Wipfel ſteigen 
ſah. Die Schwarzen zogen die Ruder ein, ſo daß das 
Boot nur mit dem Strom trieb, und ſahen den „Sohn 
des Geheimniſſes“ an, erwartend, was er tun oder be⸗ 
fehlen werde. Er prüfte mit ſcharfen Sinnen die Gegend, 
die Luft, den Geruch und meinte dann: „Die ganze Seri⸗ 
bah brennt. Das iſt nur dann möglich, wenn man ſie 
mit Abſicht angezündet hat. Bricht in einem einzelnen 
Tokul Feuer aus, ſo liegt der Fluß nahe genug, es ſchnell 
zu löſchen. Die Weißen haben ſie vielleicht ganz ver⸗ 
laſſen, um weiter im Süden eine neue anzulegen. Wir 
müſſen Lobo fragen.“ 

Der Neger wurde geweckt. Als er erfuhr, was man 
von ihm wiſſen wollte, war er ſehr erſtaunt. Er er⸗ 
klärte, nichts davon zu wiſſen, daß man die Abſicht ge⸗ 
habt habe, die Seribah ganz zu verlaſſen und gar nieder⸗ 
zubrennen. Aus Vorſicht ließ der Steuermann das Boot 
an ein Schilfdickicht treiben und dort feſtlegen. Es wurde 
da Rohr geſchnitten, um das Fahrzeug ſo zu maskieren, 
daß man es vom Ufer aus für eine kleine ſchwimmende 


— 239 — 


Inſel halten mußte. Dann wurde die Fahrt fortgeſetzt, 
aber ſo, daß das Boot nur mit dem Strom trieb und von 
dem Steuer in der Richtung erhalten wurde. 

Je weiter man kam, deſto ſchärfer wurde der bran⸗ 
dige Geruch. Die Leute ſaßen ſtill auf ihren Bänken und 
beobachteten das linke Ufer, indem ſie durch das Schilf 
blickten, das rund um das Boot gebunden war. Als man 
dem Herd des Feuers nahe gekommen war, deutete der 
„Sohn des Geheimniſſes“ hinüber und ſagte: „Dort hin⸗ 
ter den Bäumen liegt die Seribah! Seht ihr den dicken 
Qualm, der da aufſteigt? Das iſt nicht von einer ein⸗ 
zigen Hütte, ſondern die ganze Niederlaſſung hat in 
Flammen geſtanden. Ihre Reſte, die aus Erde beſtehen, 
qualmen noch. Und auf dem Fluß hat es auch gebrannt. 
Seht ihr die Stelle in der Nähe des Ufers, wo das Schilf 
ſchwarz ausſieht und der Rauch noch aufſteigt?“ 

„Der Fluß kann doch nicht brennen,“ entgegnete 
der Graue. 

„Der Fluß nicht, aber das Schiff, der Noger, der da 
verborgen lag. Auch er iſt angeſteckt worden. Das kön⸗ 
nen nur Feinde getan haben. Sollten die Dſchur die 
ſchwach bemannte Seribah überfallen haben? Wir müſ⸗ 
ſen unbedingt erfahren, was ſich ereignet hat.“ 

„Aber geradewegs fahren wir nicht hinüber,“ 
warnte Schwarz. 

„Nein. Wir treiben ſo weit abwärts, bis wir nicht 
mehr bemerkt werden, und legen dann im dichten 
Rohr an.“ 

Es war wirklich der Geſtank von verbranntem 
Mauerwerk, der hier auf dem Fluß lag. Voller Erwar⸗ 
tung harrte man des Augenblicks, wo man das Ufer er⸗ 
reichen würde. 

Dies geſchah nach kurzer Zeit. Abd es Sirr lenkte 


— 240 — 


das Boot nun nach rechts, dem Lande entgegen. Dort, 
wo er es erreichte, ſtand die Omm Sufah wie ein Mais- 
feld ſo dick und hoch im Waſſer und bis an das Ufer her⸗ 
an. Das Boot wurde, ohne daß man den Anker fallen 
ließ, mit Hilfe eines ſtarken Palmſeils an den Stamm 
eines Baumes gebunden. Die Schwarzen durften es 
nicht verlaſſen, und der Steuermann ſagte ihnen, was 
ſie tun ſollten, falls ſie von Fremden oder gar Feinden 
entdeckt würden. In dieſem Fall ſollten ſie ſofort vom 
Ufer ſtoßen, die Mitte des Stromes gewinnen und ſich 
da abwärts treiben laſſen, bis er ihnen vom Ufer aus, 
wo er dem Lauf des Bootes folgen wolle, ein Zeichen 
zum Landen gebe. 

Dann ſtieg er mit den beiden Deutſchen aus, ſich 
nur mit dem Spieße und der Wurfkeule bewaffnend. 
Die Weißen nahmen ihre geladenen Gewehre, Schwarz 
auch ſein Fernrohr mit. Sie ſtiegen zwiſchen den nicht 
dicht ſtehenden Bäumen am Ufer empor und ſchritten 
vorſichtig durch den ſchmalen Wald bis an deſſen Rand. 
Bis hierher hatten ſie nichts Verdächtiges bemerkt. 

Nun ſahen ſie die Ebene vor ſich liegen, die ihnen 
einen weiten Ausblick erlaubte. Sie befanden ſich im 
Norden der Seribah, die als ein großer qualmender 
Trümmerhaufen vor ihnen lag, und zwar ſo nahe, daß 
ſie in fünf Minuten zu erreichen war. Ein lebendes 
Weſen war nicht zu ſehen; ſelbſt die Vögel waren von 
den Flammen und dem Geruch des Brandes verſcheucht 
worden. 

Die drei Perſonen ſchritten näher, ſich immer unter 
den Bäumen haltend und von Stamm zu Stamm vor⸗ 
ſichtig auslugend, ob nicht etwa ein feindliches Weſen vor 
ihnen verborgen ſei. Die Umzäunung war vollſtändig 
niedergebrannt. Bald konnte man das Innere der Seri⸗ 


— 241 — 


bah überblicken. Da, wo eine Hütte geſtanden hatte, lag 
jetzt ein rauchender Erdhaufen, und zwiſchen dieſen 
Haufen bewegten ſich, wie erſt jetzt zu erkennen war, 
dunkle Geſtalten. 

„Es ſind Menſchen da!“ ſagte der Steuermann. 
„Wer ſind ſie? Wüßte ich nur, ob ſich Weiße bei ihnen 
befinden.“ 

„Das werde ich gleich erfahren,“ antwortete 
Schwarz, indem er ſein Fernrohr auszog. Als er mit 
deſſen Hilfe den Platz genau betrachtet hatte, fuhr er 
fort: „Ich ſehe nur Schwarze; auch ſind Wer nicht viele; 
ich zähle kaum zwanzig.“ 

„Sind dieſe Leute bewaffnet?“ 

„Sie haben Stangen, mit denen ſie in den Trüm⸗ 
mern herumſtöbern.“ 

„Sie werden für ſich holen wollen, was zu retten 
iſt. Wie ſind ſie gekleidet?“ 

„Keiner trägt mehr als nur den Schurz um die Len⸗ 
den. Das Haar liegt wie ein Kranz um den Kopf.“ 

„Dann ſind es Dſchur, alſo Freunde von mir. Ich 
werde mich an ſie ſchleichen. Irre ich mich und werde ich 
überfallen, fo werde ich laut den Namen Abu Laklak 
rufen. Dann kommt ihr, mir zu helfen. Eure Gewehre 
ſind mehr als genug, ſie alle zurückzutreiben.“ 

Er legte ſich auf die Erde nieder und kroch vorwärts, 
in den langen Aſchenſtreifen hinein, der die frühere Um⸗ 
zäunung bezeichnete. Dann ſahen ſie ihn hinter einem 
Trümmerhaufen verſchwinden. Sie hielten ihre Gewehre 
bereit, um ihm, falls er rufen werde, ſofort zur Hilfe zu 
eilen. Minuten vergingen. Dann ſah Schwarz durch 
das Fernrohr, daß die Leute alle ſich an einer Stelle ver⸗ 
ſammelten. Zu dem Haufen, der ſich dort bildete, traten 


zwei Männer, die er bisher noch nicht geſehen hatte. 
May, Die Sklavenkarawane. 16 


— 242 — 


Beide trugen graue Haile. Der eine war ein . 
der andre ſchien kein Neger zu ſein. 

Nach einiger Zeit löſte ſich der erſtere mit einem 
Begleiter von der Gruppe und kam mit ihm ſchnellen 
Schrittes auf die Gegend zu, wo die Deutſchen ſtanden. 

„Sie kommen zu uns,“ erklärte Schwarz ſeinem 
Gefährten. 

„Doch nit in feindlicher Abſicht?“ fragte dieſer. 

„Nein. Den einen halte ich für den Anführer der 
Schwarzen; der andre iſt unſer Steuermann.“ 

„So haben wir nix zu befürchten. J bin neugie 
rig, mit welcher Art von Menſchen wir es zu tun haben 
werden. Wenn's Leute vom Stamme der Dſchur find, 
ſo werd' i's loben.“ 

Die beiden waren jetzt ſo nahe gekommen, daß man 
ihre Geſichter deutlich ſehen konnte. Der „Sohn des Ge⸗ 
heimniſſes“ lächelte ſehr befriedigt. Der andre war ein 
dicker Neger, deſſen wohlgenährtes Geſicht vor Freund⸗ 
lichkeit glänzte. Er hob ſchon von weitem die Hände 
empor, legte ſie zuſammen und bewegte ſie grüßend auf 
und nieder. Dann blieb er gar ſtehen, verbeugte ſich bis 
zur Erde nieder und rief: „Salam, ſalam aleik! Ich 
heiße euch willkommen! Allah gibt mir große Gnade, 
indem er euch zu mir ſendet. Ich und mein Haus, mein 
ganzer Stamm mit allen ſeinen Kriegern ſteht zu eurer 
Verfügung.“ 

„Das iſt freilich nicht ernſtlich zu nehmen,“ meinte 
der Graue leiſe. „Dieſer Kerl weiß von Allah gewiß 
ebenſowenig wie ſein Kamel von der Sternkunde.“ 

Laut aber erwiderte er den Gruß mit großer Herz⸗ 
lichkeit, und Schwarz ſtimmte ein. Der Dicke kam darauf 
näher, verbeugte ſich abermals und fuhr fort: „Ich bin 
der Schech des Stammes der ODſchur, der hier in der 


— 243 — 


Nähe wohnt. Wir erblickten heute ein großes Feuer in 
der Gegend der Seribah und eilten herbei, den Weißen 
zu helfen. Als wir kamen, waren ſie fort, und nun ret⸗ 
ten wir, was gerettet werden kann.“ 

„Wo ſind ſie hin?“ fragte Schwarz. 

„Allah weiß es, ich nicht.“ Der Mann war ein 
Heide, glaubte aber, in den beiden Mohammedaner vor 
ſich zu ſehen; darum bediente er ſich des Wortes Allah. 

„Kennſt du die Bewohner der Seribah?“ erkundigte 
ſich Schwarz. — „Ich kenne ſie alle.“ — „Wann warſt 
du zum letztenmal hier?“ — „Geſtern iſt es ein Tag ge⸗ 
weſen. Abd el Mot ließ mich kommen, um mit mir wegen 
der Reittiere zu verhandeln, die ich ihm zu dem Zuge 
liefern mußte.“ — „Wohin ging der Zug?“ — „In das 
Land der Belanda. Mehr weiß ich nicht. Den Ort ſagt 
er nie, ſo wenig wie Abu el Mot.“ — „Wo befindet ſich 
der letztere?“ — „Im Lande der Homr, doch kehrt er 
bald zurück.“ — „Biſt du ein Freund von ihm?“ 

Der Schech zog den Mund von einem Ohr bis zum 
andern, was wohl ein diplomatiſches Lächeln ſein ſollte, 
griff ſich verlegen nach dem rund um feinen Kopf liegen⸗ 
den Haarwulſt, der die Geſtalt eines aufgeblaſenen 
Luftkiſſens beſaß, und antwortete: „Herr, ein armer 
Mann muß der Freund aller großen Herren ſein, wenn 
er nicht aufgefreſſen werden will. Auch dir diene ich 
gern, denn ich weiß, daß du mich gut bezahlen wirſt.“ — 
„Ob ich dich überhaupt bezahle, kommt nur auf deine 
Aufrichtigkeit an. Weißt du, wann Abd el Mot die Seri⸗ 
bah verlaſſen hat?“ — „Am frühen Morgen; ich mußte 
ihm meine Tiere bereits am Nachmittag vorher brin⸗ 
gen.“ — „Hat er eine Beſatzung zurückgelaſſen?“ — „Ja. 
Er tut das ſtets und ſagte auch diesmal, daß er es tun 
werde.“ — „Wo ſind dieſe Leute?“ — „Fort. Wohin, 


— 244 — 


das weiß ich nicht,“ wiederholte er. — „Wer hat die 
Seribah angebrannt?“ — „Die Beſatzung tft es ge⸗ 
weſen. Sie wird ſich empört haben, denn ſie iſt fort und 
hat alle Rinder und Schafe mit fortgenommen.“ — 
„Ah! Iſt es ſo! Dann iſt alſo Abu el Mot ein armer 
Mann, wenn er zurückkehrt!“ — „Er wird bald wieder 
reich ſein, Herr. Als er ging, ſagte er, daß er viele 
Krieger der Nuehr anwerben und mitbringen wolle, 
denn er werde bei den Niam⸗niam Sklaven fangen. 
Wenn er kommt und ſieht, daß die fünfzig Männer die 
Seribah ausgeraubt haben, ſo wird er ihnen nachjagen, 
um ſie zu töten und ihnen alles wieder abzunehmen.“ 
— „Hat vielleicht Abd el Mot den Brand anbefohlen?“ 
— „Nein, gewiß nicht, denn er iſt dem Beſitzer der Seri⸗ 
bah treu.“ — „So treu wie du!“ 

Er ſah bei dieſen Worten dem Negerhäuptling ſcharf 
in das fette Geſicht. Dieſer verbeugte ſich, lachte ver⸗ 
legen und antwortete: „Herr, ich bin einem jeden treu, 
der mich gut bezahlt.“ — „Womit läſſeſt du dich bezah⸗ 
len? Mit Zeug oder mit Rindern?“ — „Mit beidem, 
aber der Abu Noktahr) ift mir noch lieber.“ — „So iſt es 
möglich, daß du einen oder mehrere von mir bekommſt. 
Biſt du mit den Belanda in Feindſchaft?“ — „Ja, Herr; 
die Blutrache iſt zwiſchen ihnen und uns.“ — „Aber du 
kennſt den Weg nach ihren Dörfern?“ — „Jeder Dſchur 
kennt dieſe Wege.“ — „Ich will nach Ombula. Haft du 
vielleicht einen Mann, der mich dorthin führen kann?“ 
— „Jeder Dſchur kann dich führen. Wenn du drei Abu 
Noktah bezahlſt, will ich dir einen guten Führer geben.“ 
— „Nun gut! Er ſoll mich hin⸗ und auch wieder zurück⸗ 
bringen. Ich zahle ihm freiwillig vier Abu Noktah, aber 
er bekommt ſie erſt dann, wenn wir zurückgekehrt ſind.“ 

j Nariathereflentaler. PR 


U A a 


— 245 — 


Da ſchlug der Schwarze die Hände zuſammen und 
rief aus: „Allah ſchütze dich, Herr! Was haſt du für Ge⸗ 
danken! Du mußt ſie ſofort bezahlen!“ — „Nein, das 
tue ich nicht.“ — „Da werde ich ſie ja nie erhalten!“ — 
„Warum?“ —, Weil du nie wiederkommen wirſt. Die 
Belanda werden dich ermorden und den Führer auch. 
Darum wird dieſer nur ſo weit mitgehen, als er ſeines 
Lebens ſicher iſt.“ — „Ah, das iſt ſehr aufrichtig von dir! 
Ich werde alfo gar keinen Führer nehmen, und du wirft. 
keinen Abu Noktah bekommen.“ 

Der Neger ſah ein, daß er keineswegs ſchlau ge⸗ 
weſen ſei. Um das Geld für ſich zu retten, ſagte er: 
„Kein Dſchur wird anders als mit Heeresmacht zu den 
Belanda gehen; aber der Führer wird dich bis zur 
Grenze ihres Landes geleiten. Dort muß er umkehren. 
Daß es dann für ihn zu gefährlich iſt, wird dir auch der 
Sejad ifjal ſagen, wenn du ihn fragen willſt.“ 

Sejad heißt Jäger; ifjal ift der Plural von Fil = 
Elefant, ein Sejad ifjal iſt alſo ein Elefantenjäger. 
Einen ſolchen unter den Dſchur zu wiſſen, war für 
Schwarz höchſt unerwartet, darum fragte er: „Womit 
tötet dieſer Jäger die Elefanten?“ — „Mit ſeinem Ge⸗ 
wehr.“ — „Gibt es denn in deinem Stamm dieſe Art 
von Flinten?“ — „Bei meinem Stamm? Nein. Er ge. 
hört ja gar nicht zu uns.“ — „Zu welchem Stamm 
denn?“ — „Das weiß ich nicht. Er iſt gar kein Neger, 
ſondern ein Weißer. Wir kannten ihn nicht, ſondern nur 
ſeinen Namen. Er iſt ein ſehr berühmter Mann, von 
dem alle Menſchen erzählen. Er kam heute zum erſten⸗ 
mal zu uns, gerade als wir das Feuer bemerkten. Da 
ging er mit hierher, um ſich die Seribah anzuſehen.“ — 
„Wohin will er von hier aus?“ — „Das weiß ich nicht. 
Wir hatten noch keine Zeit, davon zu ſprechen.“ — „Auch 


— 246 — 


wir wollen die Seribah ſehen. Zeigt ſie uns!“ 
— „Kommt mit, und ſeid meine Gäſte. Feuer iſt da und 
Fiſche haben wir auch gefangen; ſo gibt es alſo ein 
Mahl, das wir euch vorſetzen können.“ 

Er machte den Führer, und ſie folgten ihm. Es gab 
nicht viel zu ſehen. Aſche und verbranntes Mauerwerk, 
das nur aus Nilſchlamm beſtanden hatte. Was in den 
Hütten zurückgelaſſen und nun gerettet worden war, 
hatte man auf einen Haufen zuſammengetragen, nicht 
etwa, um es Abu el Mot ſpäter auszuhändigen, ſondern 
um es ſelbſt zu behalten. 

Schwarz ſchickte den Steuermann zu dem Boot zu⸗ 
rück, um die Ruderer zu benachrichtigen, daß nichts zu 
befürchten ſei, und dann auf ſeine Ankunft zu warten. 
Die Dſchurneger ſtanden jetzt beiſammen. Bei ihnen be⸗ 
fand ſich ein Mann, dem es anzuſehen war, daß er nicht 
zu ihnen gehörte. Seine Haut war zwar von der Sonne 
verbrannt, aber doch viel heller als die ihrige, und ſeine 
Geſichtszüge zeigten ebenſoviel arabiſchen wie Neger⸗ 
typus. Seine Geſtalt war nicht hoch, aber ſehr breit und 
ungemein kräftig gebaut. Gekleidet war er in einen lich⸗ 
ten Halt, deſſen Kapuze feinen Kopf bis zur Stirn bes 
deckte. An den Füßen trug er Baſtſandalen, und in der 
Hand hielt er ein doppelläufiges Gewehr von demſelben 
ſtarken Kaliber wie die einläufige Elefantenbüchſe des 
Slowaken, welcher Vater der elf Haare genannt worden 
war. Ein langer, grauer Bart hing ihm faſt bis auf den 
Gürtel herab. Sein Geſicht war tief eingefallen. Es 
machte den Eindruck inneren Leidens und äußerlicher 
Anſtrengungen und Entbehrungen; doch war der Blick 
ſeines dunklen Auges lebhaft und von ungewöhnlicher 
Schärfe. 

„Das tft der Sejad iffal,“ ſagte der Häuptling, in⸗ 


— 247 — 


dem er auf ihn deutete. „Er wird mir bezeugen, daß es 
gefährlich fit, zu den Belanda zu gehen.“ 

„Ihr wollt zu den Belanda? fragte der Graubart, 
indem er die Deutſchen mit einem langen Blick muſterte. 
„Nur ich allein will hin,“ antwortete Schwarz. 

„Dann biſt du ein kühner Mann. Darf ich er⸗ 
fahren, welchem Stamm du angehörſt?“ 

„Keinem. Ich bin ein Nemſawi), welches Volk du 
wohl nicht kennen wirft.” 

„Ich kenne es, denn ich habe bei einem Nemſawi 
gewohnt, der mich aus großer Gefahr errettet und mir 
dann von ſeiner Heimat erzählt hat. Dein Vaterland 
zerfällt in mehrere Länder, deren jedes einen großen, 
mächtigen Sultan hat; aber der oberſte Schah, der über 
fie alle herrſcht, wird Uilelem auwalani“ genannt. Iſt 
es fo?” 

„Ja,“ ſtimmte Schwarz bei. N 

„Sein oberſter Weſir heißt Bifemar?), und fein be⸗ 
rühmteſter Dſchanaral') iſt Moltikab) geheißen?“ 

„So iſt es.“ 

„Du ſiehſt, daß ich dein Land und dein Volk kenne. 
Ihr habt große Kriege gehabt und alle Schlachten ge⸗ 
wonnen, ſogar den Sultan von Feranſa“ gefangen ge⸗ 
nommen. Ich liebe die Völker, welche tapfer ſind, und 
ich liebe ganz beſonders euch, weil ich einem der Eurigen 
das Leben zu verdanken habe.“ 

„Darf ich erfahren, welcher Mann das iſt?“ 

„Du darfſt es. Ich trage ſeinen Namen ſtets auf 
der Zunge, um ihn zu preiſen und ihm dankbar zu ſein. 
Er nennt ſich Emin Paſcha und beherrſcht das Land 
Wadelai. Kennſt du ihn villeicht?“ 


1) Deutſcher. — 9 Wilhelm der erſts. — 9) Bismarck. — 9 General. — 
) Moltke. — 9) Frankreich. 


— 248 — 


„Ja; er iſt ein hochberühmter Mann, der alles tut, 
um den Wohlſtand ſeiner Untertanen zu begründen und 
zu heben. Beſonders duldet er keinen Sklavenhandel, 
den er in ſeiner Provinz aufgehoben hat.“ 

„Das iſt recht von ihm, und darum bin ich doppelt 
ſein Freund, obwohl er kein Anhänger des Propheten iſt.“ 

„Wie? Ich halte dich für einen Araber, und ſo 
wundert es mich, daß du ein Gegner des N 
biſt.“ 

„Ich ſtamme aus Dar Runga und beſaß früher 
viele Sklaven, die mich bedienten, aber ich hatte einen 
Feind, der mir aus Rache meinen Sohn, mein einziges 
Kind raubte und in die Sklaverei führte. Da gab ich 
ſämtlichen Sklaven die Freiheit, vertraute meine Zelte 
und Herden meinem Bruder an und reiſte fort, um den 
Geraubten zu ſuchen.“ 

„Und du haſt ihn noch nicht gefunden?“ 

„Nein. Viele Jahre ſind vergangen, und ich ſah 
weder meinen Sohn noch meine Heimat wieder. Ich 
wandere umher wie der Jahudi el Abadi!, von dem die 
Chriſten erzählen, daß er in Ewigkeit wandern muß, 
weil er Iſa Ben Marryam?) die Ruhe verſagt hat. Auch 
den Feind, der mir meinen Sohn raubte, habe ich nicht 
wieder geſehen; nicht die geringſte Spur fand ich von 
den beiden. Nun kann ich nichts andres tun, als von 
Land zu Land, von Stamm zu Stamm ziehen, um es 
dem Zufall zu überlaſſen, mir Kunde von dem Ver⸗ 
lorenen zu geben. Jetzt komme ich von dem Idris und 
will zu den Belanda und Babukur.“ 

„Du ſagſt aber doch, daß es ſehr gefährlich ſei, die 
erſteren aufzuſuchen!“ 

„Von hier aus, ja, weil ſie mit den hieſigen Negern 

1) Ewige Jude. — ) Jeſus, Mariens Sohn. 


— 249 — 


in Feindſchaft leben. Ich werde ihnen aber nicht ſagen, 
daß ich von hier, von den Dſchur, komme. Was willſt 
du denn bei ihnen?“ 

Schwarz antwortete ihm ſo leiſe, daß die Neger es 
nicht zu hören vermochten: „Ich will ſie vor Abd el Mot 
warnen, der ausgezogen iſt, das große Dorf Ombula zu 
überfallen.“ 

„, Wiſſen diefe Dſchur hier von dieſer deiner Ab⸗ 
ſicht?“ fragte der Elefantenjäger ebenſo leiſe. 

„Der Häuptling kann es erraten; geſagt aber habe 
ich es ihm noch nicht.“ 

„Sprich nicht davon, denn die Dſchur ſind Freunde 
des Abu el Mot! Du mußt gewärtig ſein, daß ſie dir 
heimliche oder gar gefährliche Hinderniſſe in den Weg 
legen. Kommt lieber zur Seite, damit wir ungehört 
darüber reden können!“ 

Er führte die beiden fo weit von den Schwarzen 
fort, daß ſie von dieſen nicht beobachtet werden konnten, 
und fragte, indem er ſich mit den Händen auf ſein Ge⸗ 
wehr ſtützte, und die Deutſchen forſchend anblickte: 
„Warum wollt ihr den Belanda dieſen Gefallen tun? 
Kann es euch nicht gleichgültig ſein, ob ſie Sklaven wer⸗ 
den oder nicht? Seid ihr vielleicht befreundet mit ihnen?“ 

„Nein,“ antwortete Schwarz. „Wir waren niemals 
dort und kennen fie nicht. Aber nicht nur unſre Religion, 
ſondern auch unſer Herz gebietet uns, ſie zu warnen.“ 

„Dann ſeid ihr nicht diejenigen Chriſten, die in 
andre Länder gehen, um deren Völker zu unterjochen, 
ſondern wie Emin Paſcha, der gekommen iſt, ſeine Leute 
glücklich zu machen. Aus welchem Grund aber ſeid ihr 
überhaupt in dieſe Gegend gekommen?“ 

„Um die Menſchen, Tiere und Pflanzen, die es hier 
gibt, kennen zu lernen.“ 


— 250 — 


Der Araber ſchüttelte den Kopf und antwortete: 
„Das kann euch doch gar keinen Nutzen bringen!“ 

Schwarz wußte ſehr wohl, daß es fremde Völker 
gibt, deren Angehörige es trotz einer gewiſſen Bildung 
nicht begreifen können, daß ein Menſch ſich den Gefahren 
ferner Länder ausſetzen kann, nur um des Wiſſens wil⸗ 
len. Dennoch antwortete er: „Du haſt doch von den ver⸗ 
ſchiedenen Ulum !) gehört, mit denen ſich die Gelehrten 
beſchäftigen?“ 

„Ja, ich kannte einen, der alle Nächte durch ein 
Rohr die Sterne anſchaute. Was hatte er davon?“ 

„Er berechnete den Lauf der Sterne und beſtimmte 
daraus die Zeiten, Jahre, Monde, Tage und Stunden.“ 

„Das war ein guter Zweck. Aber ich habe geſehen, 
daß Emin Paſcha Steine und Pflanzen ſammeln ließ. 
Wozu könnte das dienen?“ 

„Um die Heilkräfte dieſer Pflanzen zu unterſuchen 
und dann mit deren Hilfe die Kranken geſund zu machen. 
Die Steine wollte er kennen lernen, um zu erfahren, 
ob es wertvolle unter ihnen gibt oder gar Erze, Gold 
und Silber.“ 

„Wenn du es ſo erklärſt, ſo erkenne ich freilich, daß 
die Wiſſenſchaft ihre guten Zwecke hat. Gehört ihr auch 
zu den Gelehrten?“ 

„Ja. Wir wollen bei den Niam⸗niam eine Station, 
einen Ort errichten, von wo aus wir das Land unter⸗ 
ſuchen, um diejenigen Tiere, Pflanzen und Steine zu 
entdecken, deren Verkauf den Bewohnern Nutzen bringen 
kann. Wenn ſie mit Hilfe eines ſolchen Handels das ver⸗ 
dienen, was fie brauchen, fo werden fie von dem verderb⸗ 
lichen Sklavenhandel laſſen.“ 


Y) Plural von Ilm = Wiſſenſchaft 


— 251 — 


„Dieſe eure Abſicht billige ich, denn ſie iſt ſehr gut. 
Ihr ſeid als die wahren Freunde der hieſigen Völker ge⸗ 
kommen.“ 

„Allerdings. Und weil dies der Fall iſt, wollen wir 
die Belanda vor ihren Feinden, den Sklavenjägern war⸗ 
nen. Könnteſt du es nicht übernehmen, ihnen die Bot⸗ 
ſchaft zu überbringen?“ 

„Nein. Ich würde verloren ſein, da ſie dann wüß⸗ 
ten, daß ich hier bei den Dſchur geweſen bin.“ 

„Dann bin ich ja ebenſo verloren.“ 

„Nein, denn du biſt nicht ein Araber, ſondern ein 
Fremder. Ich werde nach dem Volk behandelt, bei dem 
ich mich zuletzt aufgehalten habe. Darum muß ich aus 
Klugheit die Leute, die ich aufſuche, ſtets in der Weiſe 
täuſchen, daß ich behaupte, von einem befreundeten 
Stamm zu kommen. Bei euch iſt das nicht nötig. Ihr 
als Fremde ſeid den Geſetzen der Blutrache nur dann 
verfallen, wenn ihr ſelbſt, alſo in eigener Perſon, das 
Blut eines hieſigen Mannes vergießet. Woher wißt ihr 
denn ſo genau, daß Abd el Mot nach Ombula will?“ 

Schwarz erzählte ihm das heutige Abenteuer und 
gab ihm auch über ſich und Pfotenhauer ſo weit Aus⸗ 
kunft, daß der Araber am Schluß der Auseinander- 
ſetzung ſagte: „Bei Allah, ihr ſeid gerechte, menſchen⸗ 
freundliche und mutige Leute! Ich werde gern mit dir 
nach Ombula reiten, wo ich vielleicht eine Spur meines 
Sohnes oder ſeines Entführers finde. Nur mußt du dort 
verſchweigen, daß du mich hier bei den Dſchur getroffen 
haſt, da ich ſonſt, weil ich deren Gaſt geweſen bin, bei 
den Belanda als Feind aufgenommen würde. Erfahren 
ſie es nicht, ſo vermag ich dich vor Feindſchaft zu ſchützen, 
denn mein Name iſt ihnen gar wohl bekannt. Alle Vöb⸗ 
ker von hier bis hinunter zu den Leuten am Ufer des 


— 252 — 


Tanganyikaſees haben Ehrfurcht vor dem Mann, der 
überall nur Sejad ifjal genannt wird. Ohne mich wür⸗ 
deſt du nie aus dem Gebiet der Belanda zurückkehren, 
denn du würdeſt ganz gewiß in die Hände der Sklaven⸗ 
jäger fallen.“ 

Das klang ſo ſelbſtgefällig, daß Schwarz es für ge⸗ 
raten hielt, zu entgegnen: „So ſchlimm wäre es wohl 
nicht geworden. Ich habe mit Menſchen zu tun gehabt, 
die wenigſtens ebenſo gefährlich waren, wie dieſe Jäger 
es ſind, und wenn ich auch die Gegend nicht kenne, ſo 
wäre das doch nicht das erſte Mal, daß ich mich durch 
ein feindliches Gebiet zu ſchlagen hätte.“ 

„Ja, ich weiß es, ich weiß es,“ nickte der Araber, 8 
indem ein überlegenes, aber wohlwollendes Lächeln um 
ſeine bärtigen Lippen ſpielte; „die Gelehrten wiſſen 
alles und können alles, und alſo iſt es wohl möglich, daß 
Allah dir geholfen hätte, den dir hier drohenden Gefah⸗ 
ren zu entgehen; aber ich denke, daß ich dir immerhin 
von einigem Nutzen ſein werde. Du biſt ein Deutſcher; 
ich wünſche, dein Freund zu ſein, und hoffe, daß du mich 
nicht zurückweiſen werdeſt.“ 

„Dich zurückweiſen? Das kann mir gar nicht ein⸗ 
fallen! Ich gebe dir vielmehr hiermit die Hand, dich 
willkommen zu heißen, und ſage dir aufrichtig, daß ich 
mich ſehr darüber freue, dich getroffen zu haben.“ 

Der Sejad ifjal ſchlug in die dargebotene Hand ein 
und ſagte in wohlwollendem Ton: „Ich erkläre, daß ich 
mit dir gehen und dich beſchützen werde. Du ſcheinſt ein 
mutiger Mann zu ſein; aber die Gelehrten verſtehen es 
nicht, gegen den Löwen und Panther, den Elefanten, 
das Nashorn und Flußpferd zu kämpfen. Ich jedoch 
lebe von der Jagd dieſer Tiere und kann dich von ihnen 
befreien. Mit deiner kleinen, dünnen Flinte könnteſt du 


— 258 — 


nicht eins dieſer Tiere erlegen. Da ſieh einmal mein Ge⸗ 
wehr an!“ 

Er hielt ihm die alte, ſchwere Waffe vor die Augen. 
Jetzt war es Schwarz, der mit einem leiſe ironiſchen 
Lächeln antwortete: „Ja, es iſt noch einmal ſo dick wie 
das meinige; aber Allah gibt zuweilen auch dem Schwa⸗ 
chen Stärke. Doch freut es mich, überzeugt ſein zu dür⸗ 
fen, daß ich mich auf deinen Schutz verlaſſen kann. Es 
iſt feſt beſchloſſen, daß wir zuſammenreiſen; wann aber 
biſt du zum Aufbruch bereit?“ 

„Sobald ich mich bei den Dſchur hier mit einem 
neuen Reittier verſehen habe. Mein Ochſe, der mich hier⸗ 
herbrachte, iſt abgetrieben, und da unſre Reiſe ſchnell vor 
ſich gehen muß, ſo werde ich ein Kamel oder ein Pferd 
kaufen.“ 5 
„Das muß ich auch tun. Biſt du mit Geld verſehen?“ 

„Nein. Geld habe ich nie. Ich bezahle alles mit 
Elefantenzähnen und Nashornelfenbein. Ich kam mit 
zwei Tieren. Das eine trug mich, das andre die Zähne, 
die ich erbeutet hatte. Das reicht mehr als hin, zwei 
Pferde oder Kamele und auch Mundvorrat für uns ein⸗ 
zutauſchen. Ich werde den Handel machen, und du 
kannſt mich dann mit Geld bezahlen, damit ich auch ein⸗ 
mal ein Silberſtück in die Hand bekomme.“ 

„Schön! Aber du wirſt es erlauben, daß ich mir 
mein Tier ſelbſt auswähle!“ 
| „Nein, das darf ich nicht erlauben. Wir dürfen 
keine Unklugheit begehen. Dieſen Dſchur iſt nicht zu 
trauen. Sie halten es mit Abu el Mot, der in jedem 
Augenblick zurückkehren kann. Wenn ſie ihm ſagen, daß 
du nach Ombula willſt, wird er dich töten. Es 
iſt ein Fehler von dir, daß du nach dieſem Ort 
gefragt haſt. Du mußt ihn dadurch wieder gut 


— 254 — 


machen, daß du dir den Anſchein gibſt, als ob du 
dieſe Abſicht aufgegeben hätteſt. Wie du ſiehſt, beladen 
ſich die Dſchur ſoeben mit den Gegenſtänden, die ſie dem 
Feuer entriſſen haben. Sie werden damit in ihr Dorf 
zurückkehren, und ich begleite ſie. Sobald ich dann den 
Handel abgeſchloſſen habe, komme ich wieder, um dich 
abzuholen.“ ö 

„So ſoll ich hier auf dich warten?“ 

„Ja; aber du mußt dich verbergen, damit Abu el 
Mot, wenn er je ſchon jetzt ankommen ſollte, dich nicht 
finden kann. Du ſagſt jetzt dem Schech der Dſchur, daß 
du nicht nach Ombula wolleſt, da dieſer Weg für dich zu 
gefährlich ſei. Ihr kehrt in euer Boot zurück und fahrt 
mit ihm ab. Sobald man euch von hier aus nicht mehr 
ſehen kann, legſt du wieder am Ufer an, um auszuſtei⸗ 
gen und heimlich hierher zurückzukehren. Siehſt du dort 
links den hohen Hegelift) über die andern Bäume ragen? 
An feinem Stamm magſt du auf mich warten, während 
dein Boot nach der Seribah Madunga weiterfährt, wo 
du mit deinen Gefährten wieder zuſammentreffen wirſt.“ 

Schwarz erklärte ſich einverſtanden, fügte aber hin⸗ 
zu: „Ich darf mich doch auf dich verlaſſen? Denke dir 
meine Lage, wenn mein Boot fort wäre und du nicht 
kämeſt!“ 

„Habe keine Sorge! Ich ſchwöre dir bei Allah und 
dem Propheten, bei meinem Bart und bei allen meinen 
Vätern, daß ich jetzt alles, was du brauchſt, für dich be» 
ſorgen und dann zu dir zurückkehren werde!“ 

Dieſen heiligen Schwur bricht ein Mohammedaner 
nie; er gibt vielmehr ſein Leben daran, ihn zu halten. 
Darum fühlte Schwarz ſich vollſtändig beruhigt. Gut 
war es übrigens, daß die Verabredung zu Ende war, 


) Balanttes aegyptiaca. 


— 255 — 


denn jetzt kam der Schech herbei, dem es aufgefallen war, 
daß die drei Männer ſo abſeits heimlich miteinander 
verhandelten. Auf ſeinem Geſicht lag das deutlichſte 
Mißtrauen, als er fragte: „Darf ich hören, was hier ge⸗ 
ſprochen wird? Wir gehen jetzt nach unſrem Dorf. Wenn 
der fremde Herr wirklich zu den Belanda will, ſo werde 
ich ihm einen Führer auswählen, der ihn bis an die 
Grenze bringt.“ 

N „Das hat ſich erledigt,“ antwortete der Elefanten⸗ 
jäger. „Dieſe Männer haben eingeſehen, daß es gefähr⸗ 
lich iſt, jetzt ihren Vorſatz auszuführen. Sie werden alſo 
aufbrechen, um ihre Reiſe fortzuſetzen.“ 

„Aber es wurde mir doch Geld verſprochen!“ meinte 
der dicke Schwarze enttäuſcht. 

„Für den Führer, ja; aber da ſie ihn nun nicht 
brauchen, haſt du nichts zu verlangen.“ 

„Wohin wollen ſie von hier aus?“ 

„Den Fluß abwärts, bis ſie ein Schiff erreichen, 
mit dem ſie nach Chartum fahren können.“ 

„So erfordert es die Höflichkeit, daß ich ſie bis an 
ihr Boot begleite, um ihnen dort Heil für die Reiſe zu 
wünſchen.“ 

Sein Mißtrauen war nicht geſchwunden. Er wollte 
ſich von der Abfahrt der Weißen überzeugen. Der Jäger 
verabſchiedete ſich ſogleich von ihnen, wobei er durch 
einen heimlichen Wink zu verſtehen gab, daß er ſicher 
Wort halten werde. Der Schwarze aber ging mit ihnen 
bis zur Stelle, wo ihr Fahrzeug angebunden lag. Er be⸗ 
trachtete deſſen Inſaſſen genau und ſagte dann: „Ich 
muß auf das Geld verzichten; aber ihr werdet nicht ab⸗ 
reiſen, ohne mir ein Geſchenk gegeben zu haben. Ich bin 
der Schech des Dorfes und habe von jedem Fremden, 
der unſer Gebiet betritt, den Tribut zu fordern.“ 


— 256 — 


„Wir haben nur die Seribah, nicht aber dein Dorf 
betreten,“ antwortete Schwarz. „Dennoch will ich dir 
eine freiwillige Gabe nicht verweigern, damit du Ge⸗ 
legenheit findeſt, in Freundlichkeit an uns zu denken. 
Hier nimm!“ 

Er hatte, wie jeder Europäer, der die dortigen Län⸗ 
der bereiſt, einen Vorrat von Handels⸗ und Tauſch⸗ 
artikeln bei ſich und entnahm ihm mehrere Perlen⸗ 
ſchnüre, die er dem Neger reichte. Aber in neuerer Zeit 
ſind ſo viele Glasperlen durch die Händler nach dem 
Bahr el Dſchur gebracht worden, daß dieſe Ware ihren 
früheren Wert dort faſt ganz verloren hat. Der Häupt⸗ 
ling hielt die Schnüre einige Augenblicke in der Hand, 
warf ſie dann in das Boot zurück und rief zornig: „So 
ein Geſchenk wagt ihr mir anzubieten? Ich brauche 
keine Perlen. Hängt ſie euch ſelbſt um die Hälſe, wenn 
ihr ſolche Weiber ſeid! Allah ſende euch ſchlechten 
Wind auf eurer Fahrt und tauſend Krokodile, die euch 
freſſen!“ 

Dann rannte er, ſo ſchnell es ihm ſeine Beleibtheit 
geſtattete, von dannen. Die Ruderer lachten ihm nach; 
die Weißen aber nahmen die Sache ernſter. Als das 
Boot vom Ufer geſtoßen war und der Mitte des Stro⸗ 
mes zuſtrebte, ſagte Schwarz: „Dieſer Menſch hatte ſich 
wohl den Empfang einiger Thereſientaler eingebildet. 
Nun mag ich mich nur vor ihm und ſeinen Leuten in 
acht nehmen!” 

„Ja, vorſichtig wirſt du ſein müſſen,“ antwortete 
der Graue. „Nun darfſt dich vor ihnen nit derblicken 
laſſen. Sie ſchaffen jetzt die Sachen von der Seribah fort, 
kehren aber gewiß nochmals zurück, um vollends aufzu⸗ 
räumen. Wann ſie dich dabei entdecken, ſo will i zwar 
nit ſagen, daß d' verloren biſt, doch halt' i's für beſſer, 


daß i bei dir bleib’, bis der Araber kommen iſt und ihr 
glücklich abgereiſt ſeid. Was denkſt du dazu?“ 

„Ich gebe dir nicht unrecht. Damit auch du dich 
dann nicht allein befindeſt, nehmen wir noch einen 
Ruderer mit. Uebrigens wollte ich es den Negern nicht 
raten, mich zu überfallen und ſich meinen Kugeln aus⸗ 
zuſetzen!“ 

Das Boot hatte jetzt die Strömung erreicht und 
trieb mit ihr ſo ſchnell abwärts, daß man das Ufer bald 
wieder aufſuchen konnte. Dort wurde das Fahrzeug im 
Schilf verborgen, und Schwarz verſah ſich mit den 
Gegenſtänden, die ihm notwendig erſchienen. Dann 
brach er auf, begleitet von dem Grauen und einem be⸗ 
waffneten Schwarzen. Der Steuermann erhielt den Be⸗ 
fehl, die Rückkehr der letzteren zwei hier zu erwarten und 
dabei den Fluß im Auge zu behalten. 

Auch hier beſaß der Wald nur eine ſehr geringe 
Breite, ſo daß die drei Männer ſchon nach wenigen 
Schritten ſeinen Rand und die offene Ebene erreichten. 
Dort gingen ſie nun ſüdwärts der Seribah wieder zu. 

Nach Verlauf einer Viertelſtunde ſahen ſie deren 
Trümmer, aus denen ſich noch immer ein leichter Rauch 
erhob. Sie mußten, um unbemerkt zu bleiben, ihren 
Weg nun zwiſchen den Bäumen fortſetzen und erreich⸗ 
ten glücklich den Hegelikbaum, unter deſſen Dach ſie ſich 
niederließen, um die Ankunft des Elefantenjägers zu er⸗ 
warten. Seine baldige Rückkehr mußte ihnen um ſo er⸗ 
wünſchter ſein, als der Tag ſchon weit vorgeſchritten 
war und die Sonne ſich dem weſtlichen Horizont ſchnell 
zuneigte. 

„Wie g'fallt dir der Elefantenjäger“ fragte der 
Graue. „J möcht' ihn für ehrlich halten, hätt' aber doch 
beinahe g’lacht, als er feine alte Haubitz'n 5 ua 

Rey, Die Sllavenlaramene, 


— 258 — 


G'wehr verglich und dabei verſprach, dich damit zu be⸗ 
ſchützen. Wann's auf den Treffer kommt, wirſt halt du 
es ſein, der ihn in Schutz zu nehmen hat.“ 

„Möglich. Er iſt mir wirklich höchſt willkommen, 
und ich ſchenke ihm alles Vertrauen. Sein Schickſal er⸗ 
regt mein Beileid. Ein Vater, der lange Jahre hindurch 
nach ſeinem geraubten Sohn ſucht!“ 

„Ja, man zählt dieſe Leut' zu den Halbwilden; aber 
ſie haben ebenſogut wie wir Herz und G'müt. Der 
Mann tut mir wirklich leid, und — — halt, ſchauſt fie? 
Da kommen ſie! Es iſt a Manderl und a Weiberl. 
Kennſt ſie auch ſchon?“ 

Er deutete auf zwei regenpfeiferartige Vögel, die 
unter den Bäumen dahergelaufen kamen und, als ſie die 
Männer erblickten, vorſichtig ſtehen blieben. Ihr Rücken 
war ſchwarz, ihr Bauch ſandfarben, Schwanz und Flügel 
aber ſchwarz, weiß und grau gezeichnet. 

„Ja, ich kenne ſie,“ antwortete Schwarz. „Kroko⸗ 
dilswächter, Pluvianus aegypticus. Dieſer Vogel wird 
ſchon von Herodot erwähnt. Die Eingeborenen nennen 
ihn Ter⸗, Habobd⸗ und Ghafir⸗ et TZimfaht)“. 

„Richtig! Biſt gar kein übler Vogelkenner und 
kannſt mir helfen, wann i ſpäter mein Buch ſchreib'. 
Schau', da gehen ſ' wieder fort! Haft auch ſchon zu- 
g'ſchaut, wann ſo a Vogel ſich dem Krokodil in den 
offenen Rachen ſetzt, um das darin befindliche G'würm 
zu freſſen? Die rieſige Eidechſ' ſperrt dabei das Maul 
ſperrangelweit auf, und es fällt ihr gar nit ein, das 
kleine Viecherl zu ſtören oder gar zu verſchlingen; ſie 
weiß vielmehr recht gut, daß dasſelbige ſein Wohl⸗ 
täter iſt.“ 

„Es iſt ja eine alte Erfahrung von uns Naturfor⸗ 

) Vogel. Großmutter und Wächter des Krokobilz. 


— 259 — 


ſchern, daß die Tierwelt vielfach eine Klugheit beweiſt, 
die von der Maſſe unterſchätzt wird.“ 

„Das iſt ſehr richtig. Es gibt Vögel, welche große 
Verſammlung und Unterredungen abhalten. J hab' 
kürzlich g'ſehen, daß wohl an die dreißig Pfauenkraniche 
im Kreiſe ſtanden, und aaner in der Mitt' von ihnen, 
der in einem fort g'ſchrien hat. Die haben Reichstag 
- oder Schulprüfung g'habt, denn einzelne riefen, wann 
der in der Mitt' mal's Maul g'halten hat, ihr Kurnuk⸗ 
nuknuknuk dazwiſchen, als ob fie auf feine Frag' die Ant⸗ 
wort zu geben hätten. Vielleicht ſind dieſe Antworten 
klüger ausg'fallen als manche, die man in unſern Schu⸗ 
len zu hören bekommt.“ 

„Hoffentlich denkſt du dabei nicht an dich ſelbſt,“ 
antwortete Schwarz, indem ein leiſes Lächeln um ſeine 
Lippen ſpielte. 

„Warum nit? Denkſt etwa, daß i ſtets hab' rich⸗ 
tig antworten können? Freilich ſind die Fragen oft ſo 
g'ſtellt geweſen, daß man ganz verblüfft dag'ſtanden hat. 
Da denk' i gleich an damals, als i in der dritten Klaſſ 
g'ſeſſen bin. Weißt das vielleicht ſchon?“ 

„Daß du auch dieſe Klaſſe beſucht haſt, kann ich mir 
doch denken!“ 

„Das mein' i nit, ſondern i ziel' auf die Frag', die 
i damals bekommen hab'. J glaub's nit, daß i's dir ſchon 
verzählt hab'. Es fol!’ nämlich Prüfung fein, und i hab' 
da ſaubres Vorhemd umgebunden und die neue, bunte 
Krawatt' um den Hals. Als i dann in den Spiegel ſchau, 
hab' i dacht, daß es um mi gar nit fehlgehen kann. Aber 
es iſt doch anders kommen.“ 

„Wie denn?“ fragte Schwarz, als der Erzähler eine 
Pauſe machte. 

„Das wirſt gar nit vermuten können. Der Natur⸗ 


. — 260 — u 


g'ſchichtsprofeſſor hat's nämlich auf mi g'ſpitzt gehabt, 
weil i ihm immer mit Fragen kommen bin, die ka ver⸗ 
nünftiger Menſch beantworten kann. Dafür hat er mi 
im Examen auszahlen wollen. Als die Reih' an mi 
kommen iſt, bin i voller Ehrerbietung aufg'ſtanden und 
hab g'meint, daß man ſich wohl über meine Kenntniſſen 
wundern werd'. Aber was ſagſt dazu, wannſt derfährſt, 
daß der Profeſſorn mi g’fragt hat, warum die Vögel 
Federn haben?“ 

„Das war freilich bitter!“ 

„Ja, er hat mi tüchtig reinleg'n wollen.“ 

„Jederfalls iſt es dir gelungen, dich brav herauszu⸗ 

beißen. Was haſt du denn für eine Antwort gegeben?“ 

„Zunächſt hab' i gar nix g'ſagt, ſondern nur das 
Maul aufg' macht, um meine ſieben Gedanken in Ord⸗ 
nung zu bringen, und dann, als die Frag' zweimal wie⸗ 
derholt worden iſt, hab' i — —“ 

„Dir bahlak')!“ raunte in dieſem Augenblick der 
Schwarze den beiden Weißen zu, indem er mit der rech⸗ 
ten Hand nach der Stelle deutete, wo der Weg vom Fluß 
nach der Seribah aus dem Walde trat. 

Der Erzähler verſtummte ſofort, denn er erblickte 
zwei wohlbewaffnete Männer, die dort ſtanden und ſtar⸗ 
ren Blickes den Schutt⸗ und Trümmerhaufen betrach⸗ 
teten. Sie ſchienen vom Schreck gelähmt zu ſein; dann 
aber rannten ſie unter lauten Ausrufen und lebhaften 
Gebärden auf die Brandſtätte zu. 

„Zwei Weiße!“ ſagte der „Vater des Storches“, in⸗ 
dem er ihnen mit den Augen folgte, wobei ſeine Naſe 
ſich zur Seite bog wie der Kopf eines Vogels, der von 
einem Aſt herab eine verdächtige Erſcheinung betrachtet. 
„Wo kommen ſ' her, und wer mögen ſ' fein?“ 


) Nimm dich im acht! 


„Europäer find fie nicht,“ antwortete Schwarz. 
„Ich halte ſie für Leute, die zur Seribah gehören. Ich 
vermute das aus dem Entſetzen, das ſie bei dem Anblick 
der Trümmerhaufen verrieten.“ 

„Kannſt recht haben! Sollten ſ' zur Schar des Abu 
el Mot gehören? Sollten ſ' etwa voraus ſein, um ſeine 
Ankunft zu melden?“ 

„Das iſt möglich, ſogar wahrſcheinlich. Ich werde 
ſie beobachten.“ 

Er zog ſein Fernrohr aus und richtete es auf die 
beiden ſo unerwartet Erſchienenen. Sie rannten eine 
Zeitlang auf der Brandſtätte umher; dann folgten ſie 
eine kurze Strecke weit den Spuren der abgezogenen 
Sklavenjäger, und endlich liefen fie in höchſter Eile weſt⸗ 
wärts davon. „Sie gehen nach dem Dorfe der Dſchur, 
um ſich nach dem Vorgefallenen zu erkundigen,“ ſagte 
Schwarz, indem er das Rohr wieder zuſammenſchob. 
„Das gibt uns Zeit, nachzuſehen, woher ſie gekommen 
ſind. Ich vermute, daß ihr Boot unten am Fluß liegt. 
Komm mit!” 

Als die beiden an das Waſſer kamen, erblickten ſie 
einen kleinen, ſchmalen, zweiruderigen Kahn, der mit 
einem Baſtſtrick an eine in das Waſſer ragende Baum⸗ 
wurzel befeſtigt war. Die Stelle, wo er lag, war vom 
Schilfe frei. Die Ruder lagen auf dem Boden, ſonſt 
war er leer. 

„Es iſt fo, wie wir dachten,“ ſagte Schwarz. 

„Dieſe Kerls ſind vorausgeſandte Boten Abu el 
Mots. Es ſteht zu erwarten, daß ſie ſchleunigſt zurück⸗ 
kehren, um ihm zu melden, was geſchehen iſt, und ihn 
zur Eile anzuſpornen.“ 

„Das müſſen wir zu verhüten ſuchen. Meinſt nicht, 
daß wir ihnen das Boot zerbrechen?“ 


„Nein, denn fie würden daraus erfehen, daß Leute 
hier waren, die ihnen feindlich geſinnt ſind. Wir binden 
den Kahn los und laſſen ihn abwärts trriben. Dann 
können ſie denken, daß ſie ihn nicht feſt angebunden 
hatten.“ Er machte den Strick los und gab dem leichten 
Fahrzeug einen kräftigen Stoß, daß es weit hinaus in 
das Waſſer ſchoß. Dort wurde es von der Strömung er⸗ 
faßt, einigemal rundum und dann ſchnell weitergetrieben. 

Die beiden ſchlichen wieder zu dem Baum, wo der 
Niam⸗niam zurückgeblieben war. Sie warteten mit 
Sehnſucht auf die Rückkehr des Arabers, doch vergeblich. 
Es verging noch eine Stunde; die Sonne berührte den 
weſtlichen Horizont, und noch immer war der Sejad 
ifjal nicht zu ſehen. An feiner Stelle kamen die beiden 
Sklavenjäger ſchnellen Laufes zurück. Sie beachteten die 
Brandſtätte gar nicht und verſchwanden im Wald, auf 
dem Wege, den ſie gekommen waren. 

„Sie wollen wieder fort,“ ſagte Schwarz. „Wenn 
ſie ſehen, daß der Kahn weg iſt, werden ſie ihn wohl 
ſuchen. Damit ſie uns nicht etwa ſehen, müſſen wir uns 
verſtecken, bis ſie fort ſind.“ 

Es gab kein Unterholz, in das man ſich hätte ver⸗ 
bergen können. Darum ſtiegen die drei auf Bäume, deren 
Wipfel dicht genug war, den beabſichtigten Zweck zu er⸗ 
füllen. 

Vom Ufer her ertönten die Stimmen der enttäuſch⸗ 
ten Männer. Sie ſchienen, wie Schwarz vorausgeſehen 
hatte, überzeugt zu ſein, daß ſie den Strick nicht gehörig 
befeſtigt gehabt hatten, denn fie zeigten keinen Verdacht 
und kehrten ebenſo eilig, wie ſie gekommen waren, nach 
dem Dorfe zurück. Die drei aber ſtiegen wieder von den 
Bäumen herab. 

Die kurze Dämmerung ging vorüber, und der 


— 266 — 


Abend brach herein; noch immer ließ der Araber auf ſich 
warten. Die beiden Deutſchen wurden um ſo beſorgter, 
je mehr die Zeit verſtrich. Stunde um Stunde verging; 
es wurde Mitternacht. Da endlich hörte man draußen 
auf der Ebene das Geräuſch von nahenden Schritten. 

„Das iſt er!“ atmete Schwarz tief auf. „Es ſind 
die Schritte von Pferden oder Kamelen. Ich wüßte nicht, 
wer außer ihm mit ſolchen Tieren hierher kommen 
ſollte.“ 

Er hatte recht, denn vom Rande des Waldes her 
erſchien der Ruf: „Ja ishab elbet — he, Leute!“ 

Schwarz erkannte die Stimme des Erwarteten, den⸗ 
noch fragte er: „Min haida — wer iſt da?“ 

„El Sejad ifjal. Ta’ a lihene — der Elefantenjäger. 
Komm hierher!“ 

Die beiden Weißen folgten mit dem Schwarzen die⸗ 
ſem Ruf, doch vorſichtig. Ihr Mißtrauen war über⸗ 
flüſſig, denn als ſie die letzten Bäume erreichten, ſahen 
ſie zwei an der Erde liegende Kamele, bei denen der 
Elefantenjäger ſtand. Die Sterne leuchteten hell genug, 
um ſehen zu laſſen, daß er allein war. 

„Ich habe gedacht, daß du nicht allein ſein würdeſt,“ 
ſagte er, als er die Begleiter Schwarzens erblickte. „Ihr 
habt mit Schmerzen auf mich gewartet, wie ich mir den⸗ 
ken kann; aber es war mir nicht möglich, eher zu 
kommen.“ 

„Warum nicht?“ fragte der Graue. 

„Der Schech war mißtrauiſch dadurch, daß ich mit 
euch abſeits geſprochen hatte, und euer karges Geſchenk 
hatte feinen Zorn erregt. Er wollte mir keine Tiere ver⸗ 
kaufen. Dann kamen die Boten des Abu el Mot, die 

unſern Handel unterbrachen.“ 
„Es waren alſo wirklich Boten von ihm?“ 


„Ja. Sie follten verkünden, daß er in zwei Tagen 
ankommen werde. Als ſie hörten, was geſchehen war, 
beſchloſſen ſie, zu ihm zurückzukehren, um ihn zur Ver⸗ 
folgung der Verräter und Brandſtifter aufzufordern. 
Aber ſie konnten dieſen Vorſatz nicht ausführen, weil ſie 
ihr Fahrzeug nicht ſorgſam angebunden hatten. Der 
Fluß hat es mit ſich fortgeriſſen.“ 

„Nein, ſondern wir haben das Boot losgebunden 
und dem Strom übergeben, weil wir vermuteten, wer 
die beiden ſeien und was ſie tun würden.“ 

„Das war klug von euch. Es iſt kein Fahrzeug vor⸗ 
handen, das ſie benutzen könnten, und die Dſchur be⸗ 
ſitzen nicht die erforderlichen Werkzeuge, ſchnell ein Boot 
zu bauen. Darum wird Abu el Mot unbenachrichtigt 
bleiben.“ 

„Wo befindet er ſich?“ 

„Heute iſt er zwei Tagereiſen abwärts von hier. Er 
kommt auf dem Waſſerweg. Er hat in Diakin zwei Fahr⸗ 
zeuge gemietet, einen Sandal und einen Noger, auf 
denen er über dreihundert gut bewaffnete Nuehrs nach 
der Seribah bringt. Die mitgenommenen Nahrungs- 
mittel ſind ihm ausgegangen; darum ſandte er die Boten 
auf dem leichten Kahn voraus, um Fleiſch und Mehl 
von der Seribah zu beordern. Von hier aus kann er 
aber nichts erhalten, und in der Seribah Madunga, dem 
einzigen Ort, wo er noch vorüber kommt, darf er ſich 
nicht ſehen laſſen, weil er mit deren Beſitzer in 
Feindſchaft lebt. Er iſt alſo auf das Fiſchen und Jagen 
angewieſen, was ſeine Ankunft ſehr verzögern wird. 
Wenn ihr mit eurem Boot nach Madunga wollt, ſo rate 
ich, euch vor ihm in acht zu nehmen. Ihr müßt, ſobald 
ihr ſeine Schiffe erblickt, anlegen und euch am ne ver⸗ 
bergen, bis ſie vorüber ſind.“ 


„Wir werden gleich jetzt aufbrechen und die ganze 
Nacht fahren. Da wir die Strömung für uns haben, 
werden wir eher in Madunga ſein als er. Du beginnſt 
doch auch gleich den Ritt mit meinem Gefährten?“ 

„Nein, nicht jetzt, ſondern erſt, wenn ser Morgen 
graut.“ 

„Warum erſt dann?“ fragte Schwarz. 

„Aus zwei ſehr triftigen Gründen. Ihr ſeid Chri⸗ 
ſten und wißt alſo wohl nicht, daß der Moslem jede 
Reiſe um die Zeit des Asr, drei Stunden nach Mittag 
anzutreten hat. Iſt das nicht möglich, ſo darf er aus⸗ 
nahmsweiſe zum Fagr aufbrechen, früh wenn der Strahl 
der Sonne erſcheint. Keineswegs aber iſt es ihm ge⸗ 
ſtattet nach el Aſchia, dem Nachtgebet, eine Reiſe zu be⸗ 
ginnen. Von dieſer Regel darf er nur in der höchſten 
Not abweichen. Ich erlaube dir, nach den Satzungen 
deines Glaubens zu leben, aber du mußt mir auch ge⸗ 
ſtatten, die Gebote des meinigen zu befolgen. Und ſelbſt 
wenn ich gleich jetzt mit dir reiten wollte, wozu könnte 
das nützen? Wir müſſen der Fährte der Sklavenjäger 
folgen, die des Nachts ja doch nicht zu erkennen iſt.“ 

„Aber wenn wir warten, bis es hell geworden iſt, 
ſo werden die Dſchur wieder hierher kommen und mich 
ſehen.“ 

„Sie kommen nicht. Sie ſitzen noch jetzt beiſammen 
und trinken berauſchende Meriſſah, worauf ſie dann ge⸗ 
wiß bis in den Tag hinein ſchlafen werden. Der Schech 
war ſchon vorher betrunken, und das war ein Glück für 
dich und mich, denn nur der Rauſch machte ihn willig, 
mir dieſe zwei Kamele abzutreten. Das eine iſt mitſamt 
dem Sattel dein Eigentum, du haſt mir dafür fünf Abu 
Noktah zu zahlen. Dieſer Preis iſt ſo gering, weil die 
Kamele hier doch in der baldigen Regenzeit zugrunde 


gehen werden; aber dafür fordere ich, daß deine Abu 
Noktah keine Fehler haben.“ 

Der Mariathereſiataler wird nämlich im Sudan 
nur dann angenommen, wenn die Prägung deutlich iſt; 
außerdem müſſen ſich die ſieben Punkte des Diadems, 
von denen der Taler ſeinen Namen hat), ferner auch die 
Agraffe und die Buchſtaben SF. ſcharf zeigen. Fehlt 


eines dieſer Merkmale, ſo wird der Taler entweder gar 


nicht angenommen, oder um mehrere Piaſter billiger be⸗ 
rechnet. 

Fünf Taler für ein geſatteltes Kamel war gar kein 
Preis. Schwarz hatte Geld zu ſich geſteckt, als er das 
Boot verließ, und bezahlte die Summe ſofort. Da es zu 
dunkel war, als daß die Prägung geſehen werden konnte, 
fo verſprach er, ein etwa minderwertiges Stück am Mor⸗ 
gen ohne Widerrede auszuwechſeln. 


Er konnte nichts gegen die religiöſen Anſchauungen 
des Arabers tun, und ſah ſich alſo gezwungen, die vier 
Stunden bis zum Morgengrauen hier zu bleiben. An⸗ 
ders war es mit Pfotenhauer. Da dieſer noch vor Abu 
el Mot die Gegend der Seribah Madunga erreichen 
wollte, ſo durfte er keine Zeit verlieren; er mußte nach 
dem Boote zurückkehren, und ſich alſo jetzt von Schwarz 
verabſchieden. 

„Geb's Gott, daß wir uns bald und glücklich wie⸗ 
derſehen!“ ſagte er, als er dem Gefährten die Hand 
reichte. „Nun i dich fortlaſſen muß, denk' doch, daß die 
Belanda es gar nicht wert ſind, daß d' dein Leben für 
ſie wagſt. Sie gehn uns eigentlich gar nix an. Aber, 
wannſt denkſt, daß dein G'wiſſen es gebietet, ſie zu war⸗ 
nen, fo reit' in Gottes Namen zu. Oder willſt mir's der 


1) Abu Noktah = Vater des Punktes. 


\ 


— 267 — 


lauben, es an deiner Stell' zu tun? Jetzt iſt's noch 
Zeit dazu!“ 

„Nein, lieber Doktor, es a mir gar nicht ein⸗ 
fallen, ich — —“ 

„Willſt gleich ſchweigen, Bi Malifizbub' du!“ fiel 
ihm der Graue zornig in die Rede. „Nennſt mi ſchon 
wieder Doktor! Und zwar gerade beim Abſchiednehmen, 
wo du dir alle Mühe geben ſollſt, mi nit zu verzürnen!“ 

„Es war nicht fo gemeint; ich habe mich verſpro⸗ 
chen; es fuhr mir ſo ſchnell heraus!“ 

„So nagel es drinnen feſt an, daß es nit heraus 
kann! Wannſt mi nit kurzweg Ignaz oder Naz, oder noch 
kürzer, Vogelnazi heißen willſt, ſo brauchſt gar nimmer 
wiederzukommen! Hab' i etwa darum mit dir Brüder⸗ 
ſchaft g'macht, daß d' mir immer den Titel an den Kopf 
wirfſt, und mi als hoffärtigen Kerl behandelſt! Wann 
dies auch ſpäter ſo fortgehen ſoll, ſo bleib lieber bei den 
Belanda, und laß di von ihnen als Friſeur und Kom⸗ 
plimentenfex anſtellen! Jetzt weißt, woran du biſt! Leb' 
alſo wohl; laß dir nix Böſes widerfahren, und denk' recht 
oft an deinen Nazi, der die Augenblick' zählen wird, bis 
er dich wieder bei ſich hat!“ 

Er eilte davon, gefolgt von den Schwarzen. 
Schwarz blickte ihm in tiefer Rührung nach, bis er im 
Dunkel der Nacht verſchwunden war. Der alte, feelen» 
gute Kauz war ihm ja BRENNT lieb und wert ges 
worden, 


Neuntes Kapitel. 
Die Erzählung des Elefantenjägers. 


Als Pfotenhauer den Blicken ſeines Freundes 
Schwarz entſchwunden war, ſetzte dieſer ſich nieder, und 
der Sejad ifjal nahm an ſeiner Seite Platz. Ueber ihr 
Vorhaben gab es nicht viel zu ſprechen: ihr Plan beſtand 
einfach darin, den Sklavenjägern zu folgen; ſobald ſie 
dieſen nahe genug gekommen waren, wollten ſie zur 
Seite weichen und einen Bogen reiten, um vor ihnen 
Ombula zu erreichen. 

Dann ſaßen ſie ſtill bei einander. Wovon hätten ſie 
ſprechen ſollen? Jeder hätte gern über die Verhältniſſe 
des andern etwas Näheres erfahren, aber beide hielten 
es für unhöflich, danach zu fragen. 

So verging ihnen die Zeit in ſtillem Sinnen und 
zeitweiligem Einnicken, bis die lautſchallende Stimme 
eines Kranichs den nahenden Morgen verkündete. Einige 
Reiher flogen über die Bäume; ein Sporenkiebitz 
kreiſchte ſein „Sik⸗ſak“; das niedrige Volk der Enten und 
Klaffſchnäbel wurde dadurch aus dem Schlafe geweckt, 
und fiel in allen möglichen Tönen ein. Die Sterne des 
Oſtens wichen dem dort aufſteigenden Glanz und der 
Elefantenjäger kniete auf ſeine ausgebreitete Decke, um 
ſein Morgengebet, el Fagr, zu ſprechen. 

Auch Schwarz faltete die Hände. Wer könnte in 


— 269 — 


dem Augenblick, wo eine ſolche Natur rundum erwacht, 
nicht deſſen gedenken, der ſie geſchaffen hat! 

Nach dem Gebet ſtieg der Araber, ohne ein Wort 
zu ſagen, in den Sattel; Schwarz folgte dieſem Beiſpiel. 
Die Kamele ſprangen auf und trugen ihre Reiter ſüd⸗ 
wärts, auf der Fährte der Sklavenjäger hin. Der Ritt 
hatte begonnen, wer mochte ſagen, wie er enden werde! 

Die Morgendämmerung hatte kaum zehn Minuten 
gewährt, dann brach der lichte Tag herein. Man konnte 
weithin die Ebene überblicken. In der Gegend, nach der 
hin das Dorf der Dſchur lag, war kein Menſch zu ſehen; 
der Aufbruch der beiden Männer erfolgte alſo unbemerkt. 

Schwarz ſah jetzt, daß ſein Gefährte ſich mit Nah⸗ 
rungsmitteln ziemlich reichlich verſehen hatte. Am Sat⸗ 
telknopf hingen einige geſchlachtete Hühner und zwei 
Lederſäcke, die wohl mit Mehl gefüllt waren. An ein 
Hungerleiden brauchte alſo für jetzt nicht gedacht zu 
werden. 5 

Weniger beruhigend wirkte die Beobachtung der 
beiden Kamele. Sie waren außerordentlich mager und 
trugen tiefe Geſchwürsnarben in der Haut. Waren ſie 
den Krankheiten und Plagen der letzten Regenzeit nicht 
zum Opfer gefallen, ſo mußte das in der nächſten Zeit 
ſicher geſchehen. Der dicke Schech hatte wohl ſeine beiden 
ſchlechteſten und ſchwächſten Tiere verkauft. Sie waren 
zü keinem ſchnellen Schritt zu bewegen, weder durch Zus 
reden noch durch Schläge. Ein guter Fußgänger hätte 
recht gut mit ihnen Schritt halten können. 

So kam es, daß ſie erſt gegen Mittag die Gegend 
erreichten, wo geſtern Lobo und Tolo gerettet worden 
waren. Man ſah die Fährte deutlich; ſie bog von hier 
nach Südweſt ab, während ſich der Nil mit dem Walde 
in einem weiten Bogen oſtwärts wendete. 


— 270 — 


Die beiden Reiter ließen, ehe ſie ſich von dem Fluſſe 
wendeten, ihre Tiere tüchtig trinken, auch hieben ſie mit 
den Meſſern einen Vorrat von grünen Zweigen ab, die 
den Kamelen am Abend als Futter gegeben werden ſoll⸗ 
ten. Dann ging es wieder der Fährte nach, und zwar in 
der Ueberzeugung, daß man heute weder Schatten noch 
Waſſer mehr finden werde. 

Die Hitze des Mittags wurde ſo drückend, daß die 
Kamele noch langſamer als vorher gingen. Das erregte 
in Schwarz die ernſteſten Beſorgniſſe. Er hatte bisher 
geſchwiegen, um ſeinen Gefährten nicht zu beleidigen; 
nun aber ſagte er: „Hatten die Dſchur keine beſſeren 
Kamele? Oder hätteſt du nicht lieber Pferde kaufen ſol⸗ 
len?“ — „Pferde gab es nicht mehr; Abd el Mot hat ſie 
alle gemietet,“ antwortete der Araber. „Und von den 
Kamelen mußte ich diejenigen nehmen, die ich bekam.“ 
— „Aber Reitochſen gab es noch?“ — „Auch nicht: Abd 
el Mot hat ſie mit. Allah weiß, was geſchehen ſoll!“ — 
„Und ich weiß, was geſchehen wird. Wir werden näm⸗ 
lich Ombula zu ſpät erreichen. Wir kommen nicht ſchnel⸗ 
ler vorwärts als die Fußtruppen Abd el Mots, und 
dieſe haben einen vollen Tagesvorſprung voraus! Es 
ſcheint, daß unſre Tiere eher zuſammenbrechen, als 
raſcher gehen werden. Sie ſind weder durch Worte noch 
durch Schläge anzutreiben.“ — „So weiß ich noch ein 
anderes Mittel. Wir haben die Zweige der Suffarah 
abgeſchnitten, die uns helfen ſollen.“ 

Er zog fein Meſſer hervor und ſchnitt aus der An- 
ſchwellung eines dieſer Zweige eine kleine Pfeife. Als 
ſie fertig war und er dieſem Inſtrument einen Ton ent⸗ 
lockte, ſpitzten die Kamele die Ohren. Er pfiff weiter, 
und da ſetzten ſich die Tiere freiwillig in einen aus⸗ 
giebigen Trott, den man ihnen vorher unmöglich hatte 


— 271 — 


zutrauen können. „Siehſt du!“ lachte der Araber. „Ich 
werde dir ſo eine Suffarah anfertigen; dann können 
wir einander ablöſen, um bei Atem zu bleiben.“ 

„Tue es,“ ſtimmte Schwarz in heiterer Laune bei. 
„Hoffentlich gelingt es uns, die Hedſchahn) bis Ombula 
zu pfeifen. An mir ſoll es nicht fehlen.“ 

Er erhielt ſeine Suffarah, und dann blies bald der 
eine, bald der andre, als ob ſie es bezahlt bekämen. So⸗ 
bald die Pfeifen ſchwiegen, fielen die Kamele in den ent⸗ 
ſetzlichen langſamen Gang, welcher Zuſtände erweckt, die 
denen der Seekrankheit höchſt ähnlich ſind. Ließen ſich 
aber die ſchrillen Inſtrumente hören, ſo verwandelte ſich 
der Schaukelſchritt ſofort wieder in ſchnellen Trott. 

So pfiffen ſich die beiden Reiter während des Nach⸗ 
mittags über eine weite, dürre und pflanzenloſe Ebene, 
bis ſie am Abend einen kleinen, faſt ganz ausgetrockneten 
Sumpf erreichten, der ſich zur Regenzeit wahrſcheinlich 
in einen ganz anſehnlichen See verwandelte. Da gab es 
trockenes Schilf zum Feuer genug, aber kein tieriſches 
Leben, außer den halbverhungerten Krokodilen, die den 
Schlamm bevölkerten, und, in Ermangelung einer an⸗ 
dern Nahrung, jedenfalls gezwungen waren, während 
der heißen Jahreszeit von ihresgleichen zu leben. 

Der Elefantenjäger war am Mittag und Nachmit⸗ 
tag abgeſtiegen, um das vorgeſchriebene Gebet zu ver⸗ 
richten. Jetzt war el Mogreb nahe, das Gebet bei Son⸗ 
nenuntergang; darum hielt er am Sumpf an und er⸗ 
klärte, daß er hier bleiben werde. Schwarz fügte ſich in 
das Unvermeidliche. Er war übrigens mit dem heutigen 
Ergebniſſe nicht ganz unzufrieden. Die Pfeifen hatten 
ſo gewirkt, daß man den Sklavenjägern ein gut Teil 
näher gekommen war. Der Deutſche hatte an den Spuren 

y) Reittamele 


— 272 — 


geſehen, daß ſie ihr Nachtlager eine nicht unbedeutende 
Strecke rückwärts gehabt hatten. 

Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ein Feuer an⸗ 
gebrannt, teils um ein Huhn zu braten, teils zur Ab⸗ 
wehr wilder Tiere. Die Kamele durften wegen der Kro⸗ 
kodile nicht allzu nahe an den Sumpf. Sie wurden ge⸗ 
feſſelt und bekamen die mitgenommenen Zweige vor⸗ 
gelegt. Waſſer gab es nicht. Da das Feuer während der 
ganzen Nacht hell brennen mußte, ſo konnten die beiden 
Männer nicht zu gleicher Zeit ſchlafen; ſie waren ge⸗ 
zwungen, einander zum Wachen abzulöſen. 

Darum, und weil der Ritt ermüdet hatte, wurde 
nur das Notwendigſte geſprochen. Als das Huhn, das 
dem Deutſchen gar nicht mundete, weil es ſchon in Fäul⸗ 
nis übergegangen war, verzehrt war, konnte erſterer 
ſchlafen, während der Araber die erſte Wache übernahm. 

Nach Mitternacht wurde Schwarz durch einen 
Schuß aufgeweckt. Er ſprang ſofort auf und griff nach 
ſeinem Gewehr. 

„Ma fi ſchi, bess timſah — es iſt nichts, nur ein 
Krokodil,“ ſagte der Araber, welcher ruhig am Feuer 
ſaß, die rauchende Flinte in der Hand. Er deutete ſeit⸗ 
wärts, wo ein rieſiges Krokodil ſich in Todeszuckungen 
wand. Der Hunger hatte es aus dem Sumpf nach dem 
Feuer getrieben, wo ihm die Kugel des Elefantenjägers 
in das Auge gedrungen war. 

„Das iſt höchſt einladend!“ antwortete Schwarz. 
„Wollen wir uns nicht etwas mehr entfernen?“ — „Ich 
halte es nicht für nötig. Der Schuß hat die Beſtien ſo 
erſchreckt, daß ſich keine mehr heranwagen wird. Lege 
dich getroſt nieder. Du haſt noch eine halbe Stunde zu 
ſchlafen, um dann bis zum Morgen zu wachen.“ — 
„Unter ſolchen Umſtänden beginne ich lieber gleich die 


— 273 — 


Wache. Ich will lieber einige Krokodile erſchießen, als 
mich von ihnen freſſen laſſen.“ — „Wie du willſt. Du 
haſt geſehen, daß du unter meinem Schutz ſicher biſt. Ich 
hoffe, daß ich es unter dem deinigen auch ſein werde.“ 

Er lud den abgeſchoſſenen Lauf wieder und wickelte 
ſich dann in ſeine Decke. Dieſer Mann war jedenfalls 
kaltblütiger und brauchbarer, als Schwarz bisher ge⸗ 
glaubt hatte. Der letztere warf einen Haufen Schilf in 
die Flamme und übernahm ſein Wächteramt. 

Die Nacht war für ihn einſam wie noch ſelten eine. 
Von fernher tönten undeutliche Stimmen von Tieren, 
die ſich nicht herbeiwagten, weil ſie die Anweſenheit der 
gefräßigen Krokodile kannten, und außerdem vom Feuer 
zurückgeſcheucht wurden. Hyänen und Schakale ſind un⸗ 
gefährlich. Löwen oder Panther waren nicht zu erivar- 
ten, da ſich ſelbſt für fie kein genießbares Waffer hier 
befand. Er hatte alſo ſeine Aufmerkſamkeit nur gegen 
den Sumpf zu richten, um, falls abermals ein Saurier 
ſich lüſtern nähere, ihm eine Kugel zu geben. Doch er⸗ 
folgte auch von dieſer Seite kein weiterer Angriff. 

Die Nacht verging, und kurz vor dem Morgen- 
grauen weckte Schwarz ſeinen Gefährten, damit dieſer 
die ihm vorgeſchriebene Morgenandacht nicht verſäume. 
Vorher hatte er den Kamelen als Futter Schilf vorge⸗ 
worfen. 

Die unverzehrten Hühner waren mittlerweile voll⸗ 
ſtändig ungenießbar geworden; in jenen Gegenden hält 
Fleiſch ſich nur ſtundenlang. Der Araber hatte ſie mit⸗ 
genommen, weil man ſie ihm umſonſt gegeben hatte; es 
gibt dort Stämme, welche Hühner in Menge haben, aber 
deren Fleiſch nicht genießen. Er warf ſie in den Sumpf, 
wo ſich augenblicklich ein wahrhaft ſcheußlicher Kampf um 
das Aas erhob. Die Krokodile verletzten einander dabei 

May, Die Sklavenkarawane. | 18 


ſelbſt. Schwarz fah, daß dem einen ein Bein heraus⸗ 
geriſſen, dem andern der Schwanz, und einem dritten ein 
Stück des Rachens abgebiſſen wurde. 

Nun entfeſſelte man die Kamele, um den Ritt von 
neuem zu beginnen. Er war heute nicht ſo beſchwerlich, 
die Gegend nicht ſo troſtlos wie geſtern. Der Fluß kehrte 
von ſeiner großen Krümmung zurück, und die Fährte, 
der man zu folgen hatte, ſuchte ſeine Nähe wieder auf. 
Da gab es Waſſer zum Trinken, Grün für die Tiere und 
— Enten für die Menſchen. Schwarz erlegte auf einen 
Schuß zwei derſelben. 

Die Kamele waren, durch die Pfeifen aufgemun⸗ 
tert, heute noch fleißiger geweſen, als geſtern. Man er⸗ 
reichte ſchon kurz nach Mittag die Stelle, wo die Skla⸗ 
venjäger in voriger Nacht Halt gemacht hatten. Das ver⸗ 
anlaßte die beiden Reiter, ihren ſchwachen Tieren eine 
Ruheſtunde zu gönnen. Sie ſtiegen ab, machten ein 
Feuer und brieten eine Ente. Auch während dieſes Auf⸗ 
enthalts wurde nur wenig geſprochen. Der Elefanten⸗ 
jäger ſchien ein höchſt ſchweigſamer Mann zu ſein, und 
Schwarz hatte keinen Grund, ihn zur Beredſamkeit zu 
bringen. ö 

Am Nachmittag wurde der bisher ebene Boden 
wellenförmig, und ſpäter ſah man zur rechten Hand 
Höhen liegen, die nach dem bisherigen Maßſtab ganz be⸗ 
deutend erſchienen. Von dorther lief ein Chor) herab, 
dem die Fährte aufwärts folgte. Einige Stellen dieſes 
in der Regenzeit einen Fluß bildenden Bettes waren 
feucht; in andern ſtand ſogar noch Waſſer. Da gab es 
pflanzliches und tieriſches Leben in Menge. Aber zu 
deſſen Beobachtung war keine Zeit vorhanden, da die 
Sklavenjäger bis ſpäteſtens morgen mittag überholt wer⸗ 

2) Wegenbeit 


— 275 — 


den mußten. Deshalb wurde die Suffarah heute noch 
anhaltender als geſtern benutzt, und die Wirkung war, 
daß die Kamele faſt über ihre Kräfte liefen. 

Der weitere Weg führte zwiſchen den erwähnten 
Höhen hindurch und ſenkte ſich dann wieder abwärts 
nach dem Fluß, welcher abermals einen Bogen gemacht 
hatte, der durch die Fährte abgeſchnitten worden war. 
Doch blieb die Fährte nicht am Fluß, ſondern lief am 
Rande einer Maijeh hin, um deren äußerſte Spitze ſie 
bog. An dieſer Stelle mußten die beiden Reiter halten, 
weil der Abend hereinzubrechen drohte. 

N Der Nil bildet weit in das Land gehende Buchten, 

ähnlich den Bayous des Miſſiſſippi, die zur Regenzeit 
mit Waſſer gefüllt ſind. Kehrt der Nil dann zu ſeiner 
urſprünglichen Breite zurück, ſo bleibt das Waſſer in die⸗ 
ſen Buchten ſtehen, wo es einen lebhaften Pflanzen⸗ 
wuchs erweckt, um dann ſpäter mehr oder weniger aus⸗ 
zutrocknen. Viele dieſer Vertiefungen ſind ſo erheblich 
eingeſchnitten, daß ſie ſelbſt in den heißeſten Monaten 
Waſſer halten. Sie werden Maijeh genannt, und an 
einer davon hielten die beiden Reiter. 

Mehrere hundert Schritte vom Rand derſelben ent⸗ 
fernt ſtand eine rieſige Homrah!), deren Stamm gewiß 
über fünfzig Fuß Umfang hatte. Dabei war ſie kaum 
zwanzig Ellen hoch, und ihre jetzt kahlen Aeſte und 
Zweige ſenkten ſich mit den Spitzen faſt wieder bis zur 
Erde nieder, ſo daß der Wipfel eine hohle Halbkugel bil⸗ 
dete, in deren Mitte ſich der ungeheure Stamm befand. 
Dorthin leiteten die beiden ihre Tiere, um da die Nacht 
zuzubringen. Hier konnten ſie ſich durch das Feuer leich⸗ 
ter vor den Nachtmücken ſchützen, deren Plage am Waſ⸗ 
ſer viel ärger geweſen wäre. 


1) Basbab, Aſfenbrethaum. 


— 276 — | “u 


Während Schwarz eine Sporngans ſchoß und zum 
Mahle herrichtete, holte der Araber ſchweigend Brenn⸗ 
material herbei, das in großer Menge vorhanden war. 
Dann verrichtete er ſein Gebet, worauf er vier Feuer 
anbrannte, zwiſchen denen ſich die Reiter und Kamele 
lagerten. Dies letztere war notwendig wegen der hier 
vorhandenen Mücken, und weil man aus der Nähe der 
von Tauſenden von Vögeln belebten Maijeh auf das 
Vorhandenſein größerer Raubtiere ſchließen konnte. 

Die Kamele waren an der Maijeh getränkt wor⸗ 
den und hatten dann ihr Futter erhalten. Als die Gans 
gar war, ſchritten auch die Reiter zum leckeren Mahl. 
Der Schein der Feuer drang zwiſchen den Zweigen der 
Homrah hinaus ins Freie, doch reichten die Blicke der 
beiden Männer nicht ſo weit, da ſie von vier Flammen 
geblendet wurden. 

Während ſie ſchweigend aßen, hörten ſie vor ſich ein 
Knacken der Aeſte und darauf ein tiefes, unruhiges 
Schnaufen. Sie blickten auf und griffen nach ihren Ge⸗ 
wehren. 

„Allah akbar, dſchamus, dſchamus — Gott iſt groß, 
ein Büffel, ein Büffel!“ rief der Araber. Im Nu hatte 
er den Kolben an der Wange und drückte ab, beide Läufe 
ſchnell hintereinander, doch leider ohne den erwarteten 
Erfolg, da er in ſeiner Aufregung und von den Feuern 
geblendet, nicht genau gezielt hatte. ö 

Der afrikaniſche Büffel iſt noch viel ſtärker, wilder 
und unbändiger als der indianiſche. Er liebt die Sümpfe, 
ſchwimmt ausgezeichnet und bricht ſich durch das dichteſte 
Unterholz im ſchnellen Laufe Bahn. Erfahrene Jäger 
halten ſeine Jagd für noch gefährlicher als diejenige des 
Elefanten, Nilpferds und Nashorns. Selbſt auf den Tod 
verwundet, kämpft er fort. Beſonders gefährlich ſind die 


— 17 — 


einzelnen Umherſtreicher, die Wedel ihrer wahnſinnigen 
Wildheit von ihresgleichen nicht geduldet und aus den 
Herden ausgeſtoßen werden. Von ihnen ſagt der Suda⸗ 
neſe: „Wenn du eine Herde Büffel erblickſt, ſo flieht ſie 
vor dir; findeſt du mehrere Büffel, ſo brauchſt du ſie 
nicht zu fürchten; begegneſt du aber einem einzelnen, Io 
ſei Gott dir gnädigl“ 

Und ein ſolcher einzelner, ein ſolcher Umherſtreicher 
war es, der ſo plötzlich ſeinen dicken Kopf mit den mäch⸗ 
tigen Hörnern und niederhängenden Ohren durch die 
Zweige ſteckte. Die Feuer hatten, anſtatt ihn zu ver⸗ 
ſcheuchen, ihn vielmehr herbeigelockt. Sie erregten ſeinen 
Grimm. Er ſah die Männer und die Kamele und wollte 
ſich auf ſie ſtürzen, gerade als der Elefantenjäger ihm 
die beiden Kugeln entgegenſchickte. Sie trafen ihn zwar, 
aber nur leicht. Er ſtand einen Augenblick unbeweglich, 
wie erſtaunt, daß man es gewagt habe, an Gegenwehr 
zu denken, dann ſenkte er den Kopf, und warf ſich unter 
wütendem Gebrüll vorwärts. 

„Rette dich hinter den Baumſtamm!“ rief Schwarz 
dem Araber zu. 

Es bedurfte dieſer Aufforderung gar nicht, denn der 
Jäger war bereits hinter der Homrah verſchwunden. 
Der Deutſche aber blieb kaltblütig ſtehen, das Gewehr in 
der Hand. Schon ſenkte das Tier den Kopf, um ihn mit 
den Hörnern zu faſſen, da ſprang Schwarz blitzſchnell zur 
Seite, ſeine Schüſſe krachten — der Büffel ſtand wie 
vom Schlag getroffen, unbeweglich; ein Zittern ging 
durch ſeine mächtigen Glieder, ſeine rieſige Geſtalt, 
dann brach er auf demſelben Fleck zuſammen, wo die 
Kugeln des Deutſchen ihm Halt geboten hatten. 

Dieſer letztere war nicht von der Stelle gewichen. 
Um das zu wagen, mußte er ſeines Schuſſes außer⸗ 


— 278 — 


ordentlich ſicher geweſen ſein. Er griff in die Patronen⸗ 
taſche, lud von neuem, und fagte dabei ruhig zu dem 
Araber: „Du kannſt nun wiederkommen, denn er ift. 
tot.“ — „Tot?“ fragte der andre, indem er ſehr vorſich⸗ 
tig nur die Naſe ſehen ließ. „Das iſt nicht möglich!“ — 
„Ueberzeuge dich!“ — „So habe ich ihn alſo doch gut ge⸗ 
troffen!“ — „Du? Das glaube ich nicht! Wollen mal 
ſehen, welche Wirkung deine Kugeln gehabt haben.“ 

Er kniete vor das Ungetüm nieder, um deſſen Stirn 
zu unterſuchen. 

„Allah jiſallimak — Gott behüte dich!“ ſchrie der 
Araber entſetzt. „Willſt du dich ermorden? Wenn er noch 
nicht völlig tot iſt, biſt du verloren!“ 

„Habe keine Sorge! Ich weiß ſehr wohl, was ich 
tue. Schau her! Deine eine Kugel hat das Ohr durch⸗ 
löchert, und die andre iſt vom Hörnerwulſt abgeglitten. 
Du kannſt es ganz deutlich ſehen.“ | 

Der andre kam nur zagend herbei; er ſtreckte die 
Hand weit aus, um das Tier zu betaſten; er faßte es am 
Schwanz und dann am Bein, um ſich zu überzeugen, daß 
es wirklich nicht mehr gefährlich ſei; dann erſt näherte 
er ſich dem Kopf, um die Stellen zu betrachten, die er ge⸗ 
troffen hatte. 

„Allah, Allah!“ rief er aus. „Du haſt recht. Ich 
habe ihn nicht einmal verwundet, denn das Loch im Ohr 
hat gar nichts zu bedeuten. Wo aber haſt du ihn getrof⸗ 
fen? Er ſtand mitten im Lauf, wie von Allahs Fauſt 
erfaßt, und ſank dann zitternd zur Erde nieder, um ſich 
nicht mehr zu regen.“ 

„Ich habe ihm den letzten Halswirbel zerſchmettert, 
das hielt ihn feſt, und ihn dann ins Herz getroffen, das 
warf ihn nieder. Ich hatte keine andre Wahl, da er mit 
geſenktem Kopf auf mich zukam.“ 


„Du wollteſt ihn wirklich an diefen beiden Stellen 
treffen?“ fragte der Elefantenjäger erſtaunt. „Aber du 
haſt ja gar nicht gezielt!“ 

„Beſſer wie du. Man kann ſehr genau zielen, ohne 


das Gewehr an das Auge zu nehmen. Ich habe die 


Mündungen gerade an die Stellen gehalten, die ich tref⸗ 
fen wollte. Das muß freilich blitzſchnell geſchehen, wenn 
man ſich nicht von den Hörnern faſſen laſſen will. Und 
ſeines Gewehres muß man unbedingt ſicher ſein, ſonſt 
iſt man des Todes.“ 

Er ſetzte ſich nieder und ſchnitt ſich ein Stück von 
dem Braten ab. Der Sejad ifjal konnte fein Staunen 
nicht verbergen und ſtarrte bald ihn, bald das Gewehr 
an. Schließlich hielt er es für das beſte, dem Beiſpiel des 
Gefährten zu folgen; darum legte er erſt neues Holz in 
die Flammen und ſetzte ſich dann nieder, um ſeinerſeits 
auch der Gans die ihr gebührende Ehre zu erweiſen. Er 
konnte es aber nicht über das Herz bringen, ſchon nach 
einiger Zeit zu fragen: „Was tun wir nun mit dieſem 
Abu kuruhn!)? Wenn er hier liegen bleibt, wird er alle 
Raubtiere der Umgegend herbeilocken.“ 

„Jetzt noch nicht. Blut iſt faſt gar nicht gefloſſen, 
und da wir ihn nicht ausweiden, wird der Geruch wäh⸗ 
rend der Nacht nicht bedeutend ſein. Uebrigens wird 
kein Löwe ſich zwiſchen dieſe vier Feuer wagen. Das 
konnte nur ein ſo ſtörriſches Tier, wie dieſer Ochſe war, 
tun.“ 

„Aber die Kamele fürchten ſich vor ihm.“ 

„Sie ſind jetzt freilich noch ängſtlich, werden ſich aber 
bald beruhigen. Das Fleiſch dieſes alten Kerls iſt unge⸗ 
nießbar. Wir müſſen es für die Geier liegen laſſen. 
Unter gewöhnlichen Umſtänden würde ich das Skelett 


1) „Vater der Hörner“ = Büffel. 


des Kopfes mit den prächtigen Hörnern mitnehmen; das 
kann ich aber leider jetzt nicht.“ 

„Effendi, du biſt gerade ſo ein mutiger und zu⸗ 
gleich ruhiger Mann, wie Emin Paſcha. Ich bewundere 


und achte dich. Willſt du mir nicht deinen Namen ſagen, 


damit ich weiß, wie ich dich nennen ſoll?“ 

„Du würdeſt ihn nicht richtig ausſprechen können; 
darum will ich ihn dir in arabiſcher Ueberſetzung ſagen. 
Nenne mich Asmad!); das wird genügen. Nun darf ich 
wohl auch deinen Namen erfahren?“ 

„Als ich Dar Runga verließ, ſchwor ich bei Allah, 
meinen Namen abzulegen, bis ich die Spur meines 
Sohnes finden würde. Da dies noch nicht geſchehen iſt, 
darf ich ihn nicht über die Lippen bringen. Man nennt 
mich überall den Elefantenjäger. Willſt du das nicht 
auch tun, ſondern mir einen Namen geben, ſo nenne 
mich Bala Ibn); das iſt ein Wort, das auf mich paßt.“ 

„Ich werde mich dieſes Namens bedienen, wenn 
ich von oder mit dir ſpreche. Aber haſt du auch geſchwo⸗ 
ren, darüber zu ſchweigen, unter welchen Umſtänden du 
deinen Sohn verloren haſt?“ 

„Nein, Effendi. Wie könnte ich jemals hoffen, ihn 
wiederzufinden, wenn ich nicht davon ſprechen dürfte. 
Ich habe ſchon Hunderten mein Unglück erzählt, doch 
keiner hat vermocht, mir einen Fingerzeig zu geben. Ich 
glaube nun, daß mein Sohn geſtorben iſt, aber ich bleibe 
dennoch meinem Schwur getreu und werde nach ihm 
und ſeinem Entführer ſuchen, bis Allah mich aus dem 
Leben nimmt.“ 

Er legte die Hand über die Augen, wie um die tiefe 
Trauer, die in ſeinem Blick lag, zu verbergen, und fuhr 
dann fort: „Ich war der reichſte und angeſehenſte Mann 


) Schwarz. — )) Ohne Sohn. 


— 281 — 


meines Stammes, der Anführer unfrer Krieger und der 

Oberſte im Rat der Weifen; ich pries mich glücklicher als 
alle, die ich kannte, und ich war es auch, bis derjenige 
kam, der mein Unglück verſchuldete. Ich liebte mein 
Weib und mein einziges Kind, einen Sohn, dem wir den 
Namen Meſuf et Tmeni Sawabi⸗Ilidſchri) gaben. Da 
ſandte — — —“ 

„Wie hieß dieſer Knabe?“ unterbrach der Deutſche 
ihn. „Meſuf et Tmeni Sawabi«⸗JIlidſchr? Warum haſt 
du ihm dieſen Namen gegeben?“ 

„Weil er nur vier Zehen an jedem Fuß hatte. Ich 
weiß nicht, ob das bei euch auch vorkommt; bei uns iſt 
es ſelten. 9 

„Bei uns auch. Aber ich habe Perſonen gekannt, 
denen Finger oder Zehen von der Geburt an fehlten, und 
auch einen Mann, der ſechs Finger, alſo einen zu viel 
an jeder Hand hatte.“ 

„Die Finger meines Sohnes waren vollzählig, doch 
fehlte ihm eine kleine Zehe an jedem Fuß; dafür aber 
hatte Allah ihm eine um ſo reichere Seele gegeben, denn 
er war das klügſte Kind im ganzen Stamm. Als er noch 
nicht drei Jahre zählte, begab es ſich, daß ein Baija’l 
abid') in unſer Duar?) kam, um Sklaven zu verkaufen. 
Es waren Knaben und Mädchen, auch Frauen, lauter 
Neger, außer einem Knaben, welcher helle Haut, auch 
ſchlichtes Haar und keine Negerzüge beſaß. Der Händler 
errichtete einen Markt bei uns, um ſeine Waren zu ver⸗ 
kaufen, und aus der ganzen Gegend kamen die Beni el 
Arab herbei, mit ihm zu handeln. Der helle Knabe 
weinte ſtets, aber ſprechen konnte er nicht, denn man 
hatte ihm die Zunge herausgeſchnitten.“ 

„Entſetzlich! Wie alt war er?“ 

y Meſuf mit acht Zehen. — 9 Sklavenhändler. — 5) Beltborf 


— 282 — 


„Vielleicht vierzehn Jahre. Als der Händler eine 
Woche bei uns geweſen war, kam plötzlich ein Mann mit 
mehreren Begleitern aus Birket Fatma zu uns und 
klagte den Händler an, ihm ſeinen Sohn geſtohlen zu 
haben. Der Vater war der Spur des Schurken gefolgt 
und ſo zu uns gekommen. Der Händler leugnete; er 
ſchwor bei Allah, den Mann gar nicht zu kennen. Da er 
unſer Gaſt war, mußten wir ihn in Schutz nehmen; aber 
die Erzählung der Männer aus Birket Fatma klang ſo 
wahrhaftig, daß wir ſie glauben mußten. Es wurde eine 
Beratung abgehalten, wobei ich beſtimmte, daß der 
Knabe, welcher eingeſperrt gehalten wurde, dem Frem⸗ 
den vorgeführt werden ſolle. Dieſer letztere erhielt den 
ſtrengen Befehl, dabei ganz ruhig zu erſcheinen, und 
kein Wort zu ſagen. Der Knabe wurde gebracht. Als er 
den Fremden erblickte, ſtieß er Jubeltöne aus und ſprang 
auf ihn zu, ihn zu umarmen und zu küſſen. Auch die 
übrigen Männer aus Birket Fatma begrüßte er mit gro⸗ 
ßer Freude. War das nicht ein Beweis, daß er der Sohn 
des Fremden ſei?“ 

„Ganz gewiß!“ antwortete Schwarz. 

„Außerdem beſchworen die Leute die Wahrheit ihrer 
Ausſage. Der Händler hatte den Sohn eines gläubigen 
Moslem geſtohlen und zum Sklaven gemacht, welches 
Verbrechen mit dem Tod beſtraft wird. Sodann hatte er 
dem Knaben die Zunge geraubt, damit dieſer ihn nicht 
verraten könne; darauf mußte eine weitere Strafe er» 
folgen. Die große Verſammlung trat alſo wieder zuſam⸗ 
men, um ihm das Urteil zu ſprechen. Dieſes lautete auf 
den Tod für den Raub. Für das Herausſchneiden der 
Zunge ſollte er vorher die Peitſche erhalten. Und für 
den Verluſt ſeiner Sprache ſollte der verſtümmelte 

Knabe die Sklavenware des Verbrechers empfangen.“ 


— 283 — 


„Wurde dieſes Urteil vollſtreckt?“ 

„Nur ein kleiner Teil desſelben. Nach dem Geſetz 
mußte der Schuldige dem Vater des Knaben ausgeant⸗ 
wortet werden. Dies konnte erſt nach einer Woche ge⸗ 
ſchehen, denn er war unſer Gaſt, als der er für vierzehn 
Tage in unſerm Schutze ſtand. Darum ſperrten wir ihn 
ein, um ihn nach ſieben Tagen den Rächern auszuliefern; 
aber bis dahin ſollte er an jedem Tage durchgepeitſcht 
werden. Dies geſchah zweimal unter meiner eigenen 
Aufſicht. Am dritten Morgen war er entflohen, ohne 
eine Spur zurückzulaſſen. Unſre Krieger beſtiegen ſofort 
ihre Pferde, um ihn zu verfolgen, aber ſie kehrten alle 
zurück; ohne daß einer ihn geſehen hatte. Die Leute aus 
Birket Fatma kehrten mit dem Knaben und den Sklaven 
dorthin zurück, auf die Ausführung des Todesurteils 
hatten ſie verzichten müſſen.“ . 

„Und dieſes Ereignis ſteht im Zuſammenhang mit 
dem Verluſt deines Sohnes?“ 

„Ja. Nach wenigen Wochen brachte mir ein Bote 
aus Salamat einen Brief, der mit Ebrid Ben Lafſa, dem 
Namen des Sklavenhändlers, unterzeichnet war. Dieſer 
Hund ſchrieb, er ſei unſchuldig verurteilt worden, und er 
werde ſich an mir rächen, daß ich bis an mein Ende an 
den geraubten Knaben aus Birket Fatma denken ſolle. 
Einen Monat ſpäter war ich mit meinen Kriegern vom 
benachbarten Stamme zu einer großen Fantafia') ein⸗ 
geladen. Kaum befanden wir uns dort, ſo kam uns ein 
Bote mit der Nachricht nach, daß mein Sohn verſchwun⸗ 
den ſei. Er war in der Nacht geraubt worden, und am 
Morgen hing an der Zeltſtange ein Brief, worin Ebrid 
Ben Lafſa mir mitteilte, daß er ſich meinen Knaben an 


9 Kriegerische Feſtlichtett. 


— 284 — 


Stelle des andern geholt habe, und daß ich das Kind im 
Leben nicht mehr erblicken ſolle.“ 

„Das iſt ja teufliſch; das iſt geradezu hölliſch!“ rief 
der Deutſche aus. | 

„O, er ſchrieb außerdem, daß er meinen Sohn für 
die zweimaligen Schläge täglich peitſchen, und ihm 
außerdem auch die Zunge nehmen werde. Ich war wie 
ein Wahnſinniger. Alle meine und auch die benachbar⸗ 
ten Krieger ſtreiften weit umher, um dieſen Teufel zu 
ergreifen — vergeblich! Als wir nach Wochen zurück⸗ 
kehrten, lag mein Weib im Fieber, und da ich ihr den 
Sohn nicht brachte, ſtarb ſie nach wenigen Tagen. Nach⸗ 
dem ich ſie begraben hatte, tat ich den Schwur, den du 
kennſt. Ich gab meinen Sklaven die Freiheit, vertraute 
alle meine Habe meinem Bruder an und wanderte fort, 
um meinen Sohn zu ſuchen. Kein Negerfürſt, der unter 
dem Khedive ſteht, darf einen weißen Sklaven kaufen; 
ich mußte alſo im Norden und Weſten ſuchen. Darum 
wanderte ich nordwärts durch Wadai, durch die Wüſte 
nach Borgu, wieder zurück nach Kanem und Bornu, nach 
Bagirmi und Adamaua. Ich frug und forſchte an allen 
Orten, doch ſtets umſonſt. Wenn ich einmal glaubte, die 
Spur entdeckt zu haben, grinſte mir die Enttäuſchung 
bald entgegen. Dann ging ich nach Oſten, wo ich ganz 
Kordofan und Dar Fur durchſuchte; aber auch das war 
vergebens. Die Jahre ſchwanden; mein Herz lag im 
Blute, und mein Haar wurde grau. Der einzige Erfolg, 
der ſich mir zeigte, war die nunmehrige Einſicht, daß ich 
dreizehn Jahre lang in falſcher Richtung geforſcht hatte. 
Ich wandte mich nun doch dem Süden zu, von Habeſch 
aus bis zu den Galla und den größten Seen, dann zu 
den Völkern, die im Weſten davon wohnen. Zwei Jahre 
ſind ſeitdem vergangen. Ich lebte von der Jagd. Von 


— 285 — 


den Leiden, die ich überſtand, und den Gefahren brauche 
ich dir nicht zu erzählen. Seit mehreren Monaten durch 
forſche ich die Gegenden der vielen Waſſer, aus denen 
ſich der Bahr el Abiad bildet. Ich bin da als Sejad ifjal 
bekannt geworden, aber meinen Sohn werde ich auch 
hier nicht finden; ich habe darauf verzichtet, denn er wird 
ſeinen Leiden längſt erlegen ſein. Doch bitte ich Allah 
täglich um das eine, mich mit Ebrid Ben Lafſa, falls er 
noch lebt, zuſammenzuführen. Sollte ich dieſem hundert⸗ 
fachen Teufel begegnen, ſo ſiebenmal ſiebenmal wehe 
ihm! Die Hölle wird keine der Qualen haben, die er 
von meiner Hand erdulden ſoll!“ | 

Dieſe letzten Worte hatte der unglückliche Vater in 
einer Weiſe durch die Zähne geknirſcht, daß es ſeinen 
Nachbar ſchauderte; dann ſenkte er den Kopf und legte 
ſein Geſicht in die Hände. Er fuhr faſt erſchrocken aus 
ſeinen düſtern Gedanken auf, als Schwarz nach einiger 
Zeit in mildem Tone ſagte: „Allah iſt allmächtig und 
allbarmherzig. Vielleicht haſt du einſt deine Sklaven hart 
behandelt, und da hat er dir zeigen wollen, welch ein 
unbeſchreibliches und unendliches Herzeleid das Wort 
Sklaverei umfaßt.“ 

Der Araber ſtöhnte auf; dann ſeufzte er ſchwer: 
„Ich war ein jähzorniger Gebieter. Mancher Schwarze 
iſt unter meiner Peitſche geſtorben; einigen habe ich die 
Hände abhauen, einem auch die Zunge nehmen laſſen, 
weil er mich mit ihr beleidigte. Nach dem Verſchwinden 
meines Sohnes kam die Reue über mich, und deshalb 
gab ich ſie alle frei.“ 

„So hat meine Vermutung mich nicht getäuſcht. 
Alle Menſchen, die weißen und die ſchwarzen, ſind Got⸗ 
tes Kinder. Allah hielt Gericht über dich; nun er aber 
deine Reue geſehen und deine Leiden gezählt hat, wird er 


— 286 — 


Gnade walten laſſen. Ich bin überzeugt, daß du deinen 
Sohn wiederſehen wirſt, vielleicht ſchon bald.“ 

„Nie, nie!“ 

„Sprich nicht ſo! Warum willſt du an Gottes 
Gnade verzweifeln? Bietet dein Glaube dir keine Ver⸗ 
ſöhnung zwiſchen der göttlichen Liebe und dem reuigen 
Sünder? Du glaubſt nicht an den großen Erlöſer aller 
Menſchen, der am Kreuz auch für dich geſtorben iſt, ſo 
ſei wenigſtens überzeugt, daß Allah alle deine Klagen, 
auch die jetzigen, vernommen hat, und daß ſeine Hilfe 
ſich vielleicht ſchon unterwegs zu dir befindet!“ 

„Das iſt undenkbar,“ antwortete Bala Ibn. 
„Wollte er mir helfen, ſo hätte er es ſchon längſt getan.“ 

„Er allein weiß es, warum er es noch nicht tat. 
Vielleicht haſt du deine frühere Härte noch niemals ſo 
erkannt wie heute.“ 

Es fiel dem Araber ſichtlich ſchwer, hierauf eine 
Antwort zu geben. Er ſah eine Weile ſchweigend vor ſich 
nieder und geſtand dann: „Niemand wagte es, mich 
darauf aufmerkſam zu machen, und ich ſelbſt war nicht 
ganz aufrichtig gegen mich. Du biſt der erſte, der mir in 
deutlichen Worten ſagt, daß ich mich an meinen Sklaven 
verſündigt habe, und gerade, daß du es biſt, der Fremde, 
der Chriſt, der keine meiner früheren Grauſamkeiten 
kennt, und den ich eigentlich als einen Giaur verachten 
ſollte, das zeigt mir die Vergangenheit in ihrer ganzen 
blutigen Beleuchtung. Ich kann nie wieder gut machen, 
was ich tat; ich verdiene es nicht, meinen Sohn wieder⸗ 
zufinden. Und doch würde ich mich im höchſten Himmel 
Allahs fühlen, wenn es mir vergönnt wäre, ihn noch 
einmal zu ſehen, ſelbſt wenn — — wenn ihm die Zunge 
fehlte, ſo daß er nicht einmal den Vaternamen lallen 
könntel“ | 


— 287 — 


Er hatte mit tief ergreifender Innigkeit, mit einer 
wahren Inbrunſt geſprochen. Der Deutſche legte ihm 
leuchtenden Auges und freudeglänzenden Angeſichts die 
Hand auf die Achſel und ſagte: „So iſt es recht; ſo will 
Allah es hören, und nun darfſt du die Ueberzeugung 
hegen, daß er den Wunſch deines Herzens erfüllen wird. 
Vielleicht wird dir die Erhörung gerade dadurch zu teil, 
daß du dich mir ſo aufrichtig geoffenbart haſt.“ 

„Durch dich? Welch ein Wunder wäre das! Die 
Männer meines Stammes und befreundeter Stämme 
haben vergebens mit mir nach dem Verlorenen geſucht. 
Dann habe ich fünfzehn Jahre lang faſt dieſen ganzen 
Erdteil ohne Ergebnis durchforſcht; tauſend Einheimi⸗ 
ſchen habe ich die Geſchichte meiner Leiden erzählt, 
worauf ſie ihre Mühe mit der meinigen vereinten und 
trotzdem iſt mir auch nicht der kleinſte Hoffnungsſchim⸗ 
mer geworden. Da habe ich dich, den Abendländer, ge⸗ 
troffen, der unſre Länder, unſre Völker und unſre Ver⸗ 
hältniſſe gar nicht kennt und ſich erſt ſo kurze Zeit hier 
befindet. Ich ſpreche zu dir von meinen Wünſchen, weil 
du dich zufällig nach meinem Namen erkundigt haſt, und 
dennoch ſollteſt gerade du der Auserwählte ſein, durch 
den mir Erhörung beſchieden iſt?“ 

„Wie nun, wenn ich deinen Sohn geſehen hätte, 
wenn ich ihm begegnet wäre? Kommt dir das ſo un⸗ 
denkbar vor?“ 

Bala Ibn warf einen langen, forſchenden Blick in 
das vor Genugtuung ſtrahlende Geſicht des Deutſchen; 
ſeine düſtern Züge gewannen mehr und mehr Licht; 
ſeine Augen wurden größer und größer, und ſeine 
Stimme zitterte, als er ſagte: „Allah gibt den Tod; er 
ſendet auch das Leben. Dein Geſicht ſagt mir, daß du 
deine Worte nicht ohne Grund geſprochen haſt. Vielleicht 


— 288 — 


glaubſt du, mir eine frohe Nachricht geben zu können; 
ich bin überzeugt, daß du dich irrſt, daß es wieder eine 
jener Täuſchungen iſt, deren ich hunderte überwunden 
habe; aber rede, ſprich! Kennſt du eine Perſon, die mein 
Sohn ſein könnte?“ 

„Ja.“ 

„Wie alt iſt er?“ 

„Ungefähr achtzehn Jahre.“ 

„Wo befindet er ſich?“ 

„Er lebt bei den Niam⸗niam.“ 

„̃, Wie heißt er?“ 

„Er wird Abd es Sirr, Sohn des Geheimniſſes 
genannt; das iſt ein Beweis, daß er von unbekannter 
Herkunft iſt. Der Sohn des Fürſten der Niam⸗niam iſt 
ſein Buſenfreund. Ich habe einſt ein Geſpräch dieſer 
beiden belauſcht und dabei bemerkt, daß dieſer Sohn des 
Geheimniffes‘, wenn kein andrer es hört, ſich von ſeinem 
Freunde Meſuf nennen läßt.“ 

„Allah iſt groß! Aber das wird nur Zufall ſein.“ 

„Ich glaube nicht. Kommt der Name Meſuf ſo 
häufig vor?“ 

„Nein, er iſt ſelten. Aber die Hauptſache, die 
Hauptſache! Haſt du die Füße dieſes Jünglings geſehen?“ 

„Ja. Er hat nur vier Zehen an jedem Fuß; die 
beiden kleinen Zehen fehlen.“ 

„Gott iſt groß; Gott iſt barmherzig und gnädig!“ 
rief der Araber faſt überlaut. „Mein Herz gewinnt 
neues Leben, und ich habe ein Gefühl, als ob mein Haar 
in dieſem Augenblick wieder dunkel werden wolle. Ich 
möchte vor Wonne jauchzen, aber ich darf es nicht wagen, 
mich mit Zuverſicht an deine Worte zu hängen. Ich 
muß alle möglichen Bedenken aufbringen, die gegen 
deine Botſchaft gefunden werden können.“ 


— 289 — 


„Das ſollſt du auch. Du ſollſt ebenſo genau er⸗ 
wägen wie ich. Wenn du Bedenken aß ſo teile ſie 
mir mit!“ 

„Ich werde es tun. Du haſt mir geſagt, daß dieſer 
Jüngling der Freund des Sohnes des Fürſten ſei, daß 
er mit ihm geſprochen habe. Ich bin aber überzeugt, daß 
mein Sohn, falls er noch lebte, gar nicht ſprechen könnte.“ 

„Wohl weil der Sklavenhändler dir damals gedroht 
hat, ihm auch die Zunge herauszuſchneiden?“ 

„Ja.“ 

„Wahrſcheinlich hat er es in der Abſicht getan, dein 
Leid dadurch zu vergrößern. Die Klugheit aber riet ihm, 
die Drohung nicht auszuführen. Früher gab es ja wohl 
Verhältniſſe, die einen ſtummen Sklaven als brauchbar 
erſcheinen ließen; das iſt aber heute nicht mehr der Fall. 
Ein Diener muß ſprechen können, um imſtande zu ſein, 
alle Aufträge ſeines Herrn auszuführen. Einen Sklaven, 
welcher ſtumm, alſo nur in beſchränkter Weiſe brauchbar 
iſt, wird in der jetzigen Zeit nur ſelten jemand kaufen. 
Das wußte der Sklavenhändler. Folglich vermute ich, 
daß er deinen Sohn nicht verſtümmelt hat.“ 

„Dagegen iſt einzuwenden, daß er ihn aus Rach⸗ 
ſucht, nicht aber des Geldgewinnes wegen, geraubt hat. 
Er mußte ihn ſtumm machen, um nicht von ihm ver⸗ 
raten zu werden.“ 

„Ich wollte mich dieſer Meinung anſchließen, wenn 
der Knabe älter geweſen wäre. Und ſelbſt in dieſem 
Falle würde die Stummheit dem Händler keine ge⸗ 
nügende Sicherheit gewährt haben. Ein Stummer kann 
ſchreiben lernen und dann das, was er nicht mit dem 
Munde zu ſagen vermog, zu Papier bringen. Der 
Knabe war aber kaum drei Jahre alt. In dieſem Alter 


genügen Monate, die bisherigen Eindrücke aus der 
May, Die Sklavenkarawane. 19 


— 290 — 


Seele zu verdrängen. Der Sklavenhändler hat ſich ge⸗ 
wiß geſagt, daß der Knabe, wenn er in vollſtändig neue 
Verhältniſſe komme, bald alles Bisherige vergeſſen werde.“ 

„Effendi, deine Einwürfe beglücken mich, obgleich 
ich aus ihnen entnehmen muß, daß der betreffende Jüng⸗ 
ling ſich der erſten Zeit ſeiner Kindheit und alſo auch 
ſeiner Eltern nicht mehr erinnern kann.“ 

„Was das betrifft, ſo bin ich nicht imſtande, dir ge⸗ 
naue Auskunft zu geben. Der Sohn des Geheimniſſes 
ſpricht niemals von ſeiner Vergangenheit; aber ich weiß, 
daß er eine heimliche Rache im Herzen trägt, und ver⸗ 
mute, daß ſich dieſe auf den Mann bezieht, der ihn ge⸗ 
raubt hat.“ 

Der Araber ſaß längſt nicht mehr an der Erde. Er 
war aufgeſprungen, und auch Schwarz hatte ſich auf⸗ 
gerichtet. Der erſtere ſtand vor dem letzteren wie jemand, 
der ſein Glück, ſein Leben von jedem Wort, das er hört, 
abhängig weiß. „Eine Rache, eine Rache alſo hat er!“ 
ſagte er. „Vielleicht hat er alles, alles vergeſſen, nur das 
eine nicht, daß er geraubt worden iſt. Wie lange befindet 
er ſich bei den Niam⸗niam? Kam er ſchon als Knabe 
zu ihnen?“ 

„Nein, ſondern erſt vor zwei Jahren. Er kam ganz 
allein und blieb da, ohne jemals mitzuteilen, wer er ſei 
und woher er komme. Daher erhielt er den Namen 
Sohn des Geheimniſſes'.“ 

„Und was tut er bei dieſen Schwarzen? Womit er⸗ 
nährt er ſich?“ | 

„Der Sohn des Fücrſten war ihm im Wald begegnet 
und hatte ihn zu ſeinem Vater gebracht. Der fremde 
Knabe verſtand mit den Waffen umzugehen und zeigte 
ſich gleich in der erſten Zeit ſo mutig und anſtellig, daß 
der Fürſt ihn in ſeine Leibwache aufnahm. Er hat ſich 


— 291 — 


die Zuneigung aller, die ihn kennen, ſchnell erobert. Er 
kennt faſt alle Völker vom Bahr el Abiad bis zu den 
großen Seen; er ſpricht mehrere ihrer Sprachen und 
Dialekte — —“ 

„Auch arabiſch?“ fiel der Jäger ein. 

„Ja, auch arabiſch. Ferner iſt er in vielen Dingen 
geſchickt, die ſeinen jetzigen Genoſſen völlig unbekannt 
ſind, kurz, er weiß ſo viel und iſt ſo gewandt, daß ein 
jeder Niam⸗niam ihn beneiden würde, wenn er ihn nicht 
lieben müßte.“ 

„So iſt er alſo ein guter Menſch und ſteht über⸗ 
haupt nicht ſo tief wie ein gewöhnlicher Neger?“ fragte 
Bala Ibn, indem zum erſtenmal ein freudiges Lächeln 
über ſein ernſtes, hageres Geſicht glitt. 

„Ja, ſein Herz iſt gut und rein,“ antwortete 
Schwarz. „Er weiß, daß er den Schwarzen überlegen iſt; 
dieſes Bewußtſein ſpricht ſich in ſeinem Weſen, in ſeiner 
ganzen Erſcheinung aus, aber fein Stolz iſt ein der⸗ 
artiger, daß er nicht verletzen kann. So oft ich ihn be⸗ 
obachtete, iſt er mir vorgekommen wie ein junges, edles 
Roß, das ſich mit gewöhnlichen Pferden auf derſelben 
Weide befindet. Es graſt mit ihnen, es gehört zu ihnen, 
es verträgt ſich mit ihnen, und doch ſagt uns der erſte 
Blick, daß es einſt einen ſchönern Sattel und einen vor— 
nehmern Reiter tragen werde, als die andern.“ 

„Allah, o Allah!“ rief der Jäger, indem er die 
Hände faltete. „Wenn er mein Sohn wäre, wenn er 
mein Sohn wäre! Ich muß zu den Niam⸗niam, um ihn 
zu ſehen!“ 

„Du haſt ihn ſchon geſehen.“ 

„Ich? Wo?“ klang es erſtaunt. 

„Zwiſchen den Trümmern der Seribah Abn el 
Mots. Haſt du den jungen Mann nicht bemerkt, der bei 


— 292 — 


uns war, der allein zum Schech ging, um uns bei ihm 
anzumelden?“ 

„Ich habe ihn geſehen und großes Wohlgefallen an 
ihm gehabt. Der alſo, der iſt's, den du meinſt! O Mo⸗ 
hammed und alle ihr heiligen Kalifen! Der Jüngling 
iſt in meiner Nähe geweſen und ich habe nicht geahnt, 
daß er vielleicht derjenige iſt, den ich ſo lange Jahre hin⸗ 
durch mit Schmerzen ſuche! Wo befindet er ſich jetzt? 
Wo iſt er hin?“ 

„Nach der Seribah Madunga. Er iſt der Steuer⸗ 
mann meines Bootes.“ 

„Maſchallah! Ich weiß, daß deine Leute in der 
Seribah Madunga auf dich warten ſollen. Ich gehe jetzt 
mit dir nach Ombula und dann kehre ich zurück, um mit 
dieſem Sohn des Geheimniſſes zu ſprechen. Ja, Herr, 
du haſt recht gehabt, als du ſagteſt, man dürfe an der 
Gnade Allahs nicht verzweifeln. Ich bin plötzlich ein 
ganz andrer, ein ganz neuer Menſch geworden. Und das 
habe ich nächſt Allah dir zu verdanken. Sage mir, ob du 
mein Freund, mein Bruder ſein willſt?“ 

„Gern, herzlich gern! Hier haft du meine Hand 
darauf.“ 

„Da iſt auch die meinige. Weißt du, mit welchen 
Worten man einen Bund auf Leben und Tod ſchließt? 
Mit den Worten ‚es ſubhiel' es ſuhbi, el umr la umr‘t). 
Sage ſie mir nach!“ 

Schwarz wiederholte dieſe Formel; dann ſchlang 
der Araber die Arme um ihn, küßte ihn und rief: „Jetzt 
ſind wir eins, eine einzige Perſon. Du biſt ich, und ich 
bin du. Wehe dem Feind, der dich oder mich beleidigt!“ 
h greundſchalt gegen Freundſchaft, Leden gegen Leben. 


ZJehntes Kapitel. 
In Sklavenfeſſeln. 


Der Elefantenjäger konnte vor Aufregung und Ent⸗ 
zücken nicht ſchlafen und übernahm deshalb die ganze 
Nachtwache. 

Die Nacht verging ohne jedwede Störung von 
außen her. Der Deutſche wurde nicht geweckt; er er⸗ 
wachte von ſelbſt, als der Moslem bei Tagesanbruch 
laut ſeine Morgenandacht verrichtete. Die Feuer glimm⸗ 
ten noch, und in der heißen Aſche wurden aus dem mit⸗ 
gebrachten Mehl eine Anzahl der landesüblichen Fladen 
gebacken, die für den ganzen Tag ausreichten, zumal auch 
noch ein Stück der geſtern gebratenen Gans übrig war. 
Während der Araber dieſe Arbeit verrichtete, fütterte 
und tränkte Schwarz die Kamele. Dann wurde aufs 
gebrochen. 

Die beiden waren überzeugt, daß ſie die Sklaven⸗ 
jäger um die Mittagszeit einholen würden. Es ſollte 
aber anders kommen. Als ſie die Maijeh hinter ſich 
hatten, führte die Fährte, der ſie folgten, wieder in die 
Nähe des Fluſſes. Dort ſtand ein dichter Wald, welcher 
zahlreiche Büſche als Vorpoſten in eine grasreiche Ebene 
ſandte. Zwiſchen dieſen Sträuchern ſchlängelte ſich die 
Fährte hin. 

Hier auf dem verhältnismäßig leichten Boden ſah 
man deutlicher als bisher, aus wie viel Spuren ſie be⸗ 


— 294 — 


ſtand; ſte wurde bedeutend breiter. Die vielen Rinder, 
welche die Brandſtifter aus der Seribah mitgenommen 
hatten, waren hier, wo die Büſche ihnen Leckereien boten, 
ſchwer zuſammenzuhalten geweſen. 

Die beiden Männer ritten, ſich laut unterhaltend, 
nebeneinander. Sie hatten keine Veranlaſſung, in dieſer 
vermeintlichen Einſamkeit ihre Stimmen zu dämpfen. 
Eben hatten ſie eine Stelle paſſiert, wo die Büſche enger 
zuſammentraten, und wollten nun auf einen freieren 
Platz einlenken, als Schwarz, der für dieſe kurze Strecke 
vorangeritten war, ſein Kamel plötzlich mit einem jähen 
Ruck anhielt, es ſchnell umlenkte, um wieder hinter das 
Geſträuch zu kommen, und dabei haſtig, aber leiſe ſagte: 
„Alle Wetter! Einen Augenblick ſpäter, und wir wären 
entdeckt worden!“ 

„Von wem?“ fragte Bala Ibn. 

„Von Menſchen, welche ſich da draußen auf der 
Ebene befinden und ihre Herden weiden. Es ſind Weiße 
und Schwarze.“ 

„Wer könnte das ſein?“ 

„Werden es gleich ſehen. Schauen wir uns dieſe 
Leute einmal aus dem Verborgenen an!“ Er ließ ſein 
Kamel niederknien und ſtieg ab. Der Araber tat das 
ſelbe. Hinter dem Geſträuch verſteckt, blickten ſie hinaus 
auf die vor ihnen liegende Szene. 

Nach rechts hin, alſo nach Weſt, dehnte ſich eine 
weite, freie Ebene. Links, am Waldesrand, lagerten wohl 
gegen vierzig Menſchen von allen Farben und in den 
verſchiedenſten Gewändern. Nahe bei ſich hatten ſie ihre 
Gewehre zuſammengeſtellt. Gerade aus und nach rechts 
hin von den beiden heimlichen Beobachtern weideten 
zahlreiche Rinder nebſt einigen Pferden und Kamelen. 
Unter den erſten Bäumen des Waldes lagen Waren auf⸗ 


mx. = 


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— 296 — 


gehäuft. Vielleicht zehn Männer befanden ſich draußen 
vor den weidenden Tieren, um dieſe in Ordnung zu 
halten und ſie zu verhindern, nach der Ebene auszu⸗ 
brechen. Hätte Schwarz ſein Tier nur noch wenige 
Schritte machen laſſen, ſo wäre er von dieſen Leuten 
geſehen worden. 

„Weißt du, wer dieſe Leute ſind?“ fragte er en 
Kameraden. 

„Ja,“ nickte dieſer. „Die zurückgelaſſene Beſaßung 
der Seribah, welche die letztere verbrannt und geplün⸗ 
dert hat.“ 

„Das vermute ich auch. Aber ich kann nur nicht 
begreifen, wie dieſe Menſchen es wagen können, ſich hier 
feſtzuſetzen. Ich kann mir überhaupt nicht ſagen, aus 
welchem Grunde ſie dieſelbe Richtung wie Abd el Mot 
eingeſchlagen haben. Sie müſſen ihm doch in die Hände 
laufen.“ 

„Dder er ihnen!“ bemerkte der Araber, indem er die 
Geſte des Erſtechens machte. 

„Wie meinſt du das?“ 

„Ich habe bei den Dſchur gehört, daß Abd el Mot 
bei ſeinen Untergebenen keine Beliebtheit beſitzt, weil er 
grauſam und ungerecht iſt. Darum wird die Beſatzung 
von ihm abgefallen ſein. Aber außer dieſen fünfzig 
Männern wird es noch viele andre geben, die ebenſo 
denken wie ſie und ebenſo wünſchen, frei zu werden, 
wenn ſie dabei auch noch einen anderweiten Vorteil fin⸗ 
den. Auf dieſe Gleichgeſinnten wird der alte Feldwebel, 
der Anführer der Empörer, rechnen. Was ſoll er mit 
den entführten Gütern und mit den fünfzig Mann tun? 
Er kann ſie nur in dem Fall, daß er eine neue Seribah 
gründet, recht verwerten, und ich vermute, daß dies auch 
wirklich feine Abſicht iſt. Zum Sklavenjagen find fünf⸗ 


— 296 — 


zig Perſonen viel zu wenig; er muß ſich alſo nach mehr 
Leuten umſehen. Woher will er ſie nehmen, und wo 
kann er ſie leichter finden, als bei ſeinen bisherigen 
Kameraden?“ 

„Da magſt du freilich recht haben,“ ſtimmte 
Schwarz bei. 

„Nur auf dieſe Weiſe,“ fuhr der Jäger fort, „läßt 
es ſich erklären, daß er der Spur Abd el Mots gefolgt iſt. 
Er will auf die Rückkehr ſeiner Gefährten warten und 
dieſe veranlaſſen, zu ihm überzugehen. Die meiſten wer⸗ 
den dies tun, denn er wird ihnen natürlich einen viel 
höheren Sold bieten, als ſie bisher erhalten haben.“ 

„Und was wird mit Abd el Mot geſchehen?“ 

„Wahrſcheinlich wird man ihn ermorden und ſich 
dabei all ſeines Eigentums bemächtigen. Bei alledem 
habe ich natürlich angenommen, daß der Ueberfall von 
Ombula gelingt.“ 

„Es iſt ſchrecklich, welche Verhältniſſe der Sklaven⸗ 
handel im Gefolge hat. Der Menſch wird zum Unge⸗ 
heuer!“ 

„Das habe ich eingeſehen. Alſo ich bin überzeugt, 
daß dieſe Leute hier auf Abd el Mot warten, um ihn zu 
töten. Aber falls ihnen das gelingt, wird die Strafe auf 
dem Fuß folgen.“ 

„Inwiefern?“ 

„Denke an Abu el Mot, der nach zwei Tagen mit 
über dreihundert Nuehrs auf ſeiner Seribah ankommen 
wollte! Er wird dieſe in Trümmern finden und bei den 
Dſchur erfahren, was geſchehen iſt. Was wird er 
darauf tun?“ 

„Er wird den Empörern nachjagen.“ 

„Natürlich. Er findet ſie hier, wo wir ſie ſehen, 
und wird ſie alle niedermachen. So zerfleiſchen ſich die 


— 297 — 


Geier untereinander, wofür man Allah doch nur danken 
kann. Für uns aber iſt es nicht angenehm, daß dieſe 
Menſchen ſich hier gelagert haben. Wir dürfen uns von 
ihnen natürlich nicht ſehen laſſen und ſind alſo zu einem 
zeitraubenden Umweg gezwungen.“ 

„Das iſt leider wahr. Auf unſern Kamelen ſind 
wir weithin ſichtbar, zumal heute die Luft von einer 
außerordentlichen Reinheit iſt. Wir müſſen eine be⸗ 
deutende Strecke zurück, um dann draußen auf der freien 
Ebene einen weiten Bogen zu reiten. Bevor wir die 
Spur Abd el Mots wieder erreichen, werden drei oder 
vier Stunden vergangen ſein.“ 

„Weniger nicht. Laß uns raſch aufbrechen, damit 
wir ſo wenig wie möglich Zeit verlieren!“ 

Sie ſtiegen wieder auf und kehrten ſo weit, als ſie 
es für erforderlich hielten, zurück; dann ritten ſie nach 
Weſt, um hierauf nach Süden einzubiegen. Auf dieſe 
Weiſe gelangten ſie in die offene Ebene, von wo aus ſie 
den Wald, an welchem ſich das Lager des Feldwebels be⸗ 
fand, als einen dunklen, langen Strich liegen ſahen. 
Schwarz ſah durch ſein Fernrohr da hinüber und er⸗ 
kannte die weidenden Tiere und die dabei befindlichen 
Menſchen. Mit dem bloßen Auge hätte er ſie nicht er⸗ 
reichen können, alſo war es gewiß, daß auch er mit dem 
Araber von dorther nicht bemerkt wurde. 

Später mußten die beiden Reiter ihre Richtung än⸗ 
dern, indem ſie wieder oſtwärts hielten, um auf die ver⸗ 
laſſene Fährte zurückzukommen. Als ſie dieſe erreichten, 
waren von dem Augenblick an, wo ſie das Lager vor ſich 
geſehen hatten, vier und eine halbe Stunde vergangen; 
ſie befanden ſich nun aber höchſtens drei Viertelwegs⸗ 
ſtunden jenſeits dieſes Lagers und hatten alſo faſt vier 
volle Stunden verloren. Dieſer Verluſt war ſchwerlich 


— 298 — 


einzubringen. Sie trieben ihre Tiere möglichſt an; aber 
die Kamele waren gleich anfangs ſchwach geweſen, und 
die bisherige Anſtrengung hatte ſie nichts weniger als 
gekräftigt; ſie hörten kaum mehr auf die Töne der Suf⸗ 
farah, welche doch vorher einen ſo aneifernden Eindruck 
auf ſie gemacht hatten. 

Noch im Laufe des Vormittags brach die Fährte 
plötzlich von ihrer bisherigen Richtung ab und wendete 
ſich faſt gerade nach Weſt. Je weiter ſie ſich vom Fluß 
entfernte, deſto härter und öder wurde das Land, bis 
ſie endlich gar faſt eine Stunde lang durch Felsgeröll 
führte. Es war, als ob man hier einen ganzen Berg in 
fauſtgroße Stücke zerſchlagen und dieſe mit großer Gleich⸗ 
mäßigkeit über die weite Fläche verteilt habe. 

Dann traten unbeſtimmte Linien über den Horizont 
empor. Anſtatt des Gerölls gab es wieder Erde, die aber 
auch hart und trocken war. Später ſtieg der Boden all⸗ 
mählich an; leicht geſchweifte Berge, welche zur Regen⸗ 
zeit wohl mit Gras bewachſen waren, traten von rechts 
und links heran. Zwiſchen ihnen gab es gewundene 
Täler, durch die der Weg führte. Je weiter man kam, 
deſto beſtimmter wurden die vorher am Horizont bes 
merkten undeutlichen Linien. Der lang geſtreckte Raum, 
den ſie abwärts umfaßten, färbte ſich erſt grau, dann 
weißlich blau, bis er dunkler und dunkler wurde und da⸗ 
bei immer mehr an Höhe gewann. ö 

„Die Pambiſaberge,“ ſagte Bala Ibn, indem er 
mit der ausgeſtreckten Hand in die angegebene Rich⸗ 
tung deutete. 

„An deren Fuß Ombula liegen ſoll? Wie weit 
meinſt du, daß wir noch bis zu ihnen haben?“ 

„Vor Abend iſt es unmöglich zu erreichen.“ 

„So kommen wir zu ſpät!“ 


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„Das darffi du nicht denken. Kein Ellavenjäger 
überfällt ein Dorf am hellen Tag. Man wartet vielmehr 
am liebſten bis gegen Morgen. Es bleibt uns alſo Zeit, 
die Bedrohten zu warnen; wenigſtens hoffe ich das.“ 

„So wird Abd el Mot ein verborgenes Lager be⸗ 
zogen haben, wo er wartet, bis es Nacht geworden iſt.“ 

„Das glaube ich nicht. Die Ghaſuah verfährt ganz 
anders. Du mußt den Umſtand berückſichtigen, daß dieſe 
Gegend nur ſpärlich bevölkert iſt. Es gibt keine zahl⸗ 
reichen Städte und Dörfer wie in Aegypten und anders⸗ 
wo. Waſſer findet ſich außer im Nil und in deſſen Nähe 
nur ſelten, und doch kann ein Dorf nur da exiſtieren, wo 
Waſſer vorhanden iſt. Am Fluſſe wohnen die Neger 
ungern, weil ſie dort den Beſuchen der Sklavenhändler 
mehr ausgeſetzt ſind. Sie laſſen ſich alſo lieber an ein⸗ 
ſamen Regenbetten oder an fern vom Nil liegenden 
Maijehs nieder. So wird es auch mit Ombula ſein. 
Der Schech der Dſchur ſagte mir, daß es in einſamer 
Gegend, am Fuß der Berge in der Nähe eines großen 
Sumpfes liege, der zur Regenzeit einen mehrere Stun- 
den langen und ebenſo breiten See bilde. Eine ſolche 
Lage macht es nicht nötig, daß die Sklavenjäger ſich vor⸗ 
ſichtig verſtecken. Sie gehen vielmehr gerade auf ihr 
Ziel los.“ 

„Aber da werden ſie doch bemerkt!“ 

„Nein, denn ſo weit nähern ſie ſich am Tage nicht.“ 

„Wie aber, wenn ihnen Bewohner des Dorfes, das 
überfallen werden ſoll, begegnen?“ 

„Die läßt man nicht entkommen. Sie werden ſofort 
niedergemacht oder gefeſſelt; ſie können alſo nicht zurück⸗ 
kehren und die Ihrigen warnen. Die Sklavenjäger 
ziehen auch nie in einer großen Maſſe an. Iſt man dem 
betreffenden Orte auf eine halbe Tagereiſe nahe gekom⸗ 


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men, fo werden die geſchickteſten Leute als Späher vor⸗ 
angeſandt. Ihnen folgen andre, die ſich zerftreuen und 
eine Kette bilden, durch die kein Feind ſchlüpfen kann. 
So umringt man von weitem das betreffende Negerdorf, 
ohne daß die Bewohner es ahnen, und des Nachts wird 
der Ueberfall ausgeführt. Dieſer geſchieht meiſt ſo, daß 
die das Dorf umſchließende Dornenhecke an vielen Stel⸗ 
len angebrannt wird. Sie ſteht ſehr bald rundum in 
Flammen. Die Bewohner erwachen; ſie können nicht 
entkommen, weil ſie umringt ſind. Wer von ihnen ſich 
zur Wehr ſetzt, wird niedergeſchoſſen. Ueberhaupt wer⸗ 
den gewöhnlich alle Männer getötet, weil ſie ſich ſelten 
in ihr Schickſal fügen und alſo den Transport er⸗ 
ſchweren. Auch die älteren Frauen werden erſchlagen, 
weil niemand ſie kauft. Die Knaben, Mädchen und jun⸗ 
gen Frauen bilden die erwünſchte Beute. Auch die Her⸗ 
den ſind hochwillkommen. Es kommt vor, daß man ſchon 
auf dem Rückweg nach der Seribah die erbeuteten Leute 
verkauft oder gegen Elfenbein vertauſcht. Geht der Zug 
durch das Gebiet eines Stammes, der das Fleiſch der 
Menſchen demjenigen der Tiere vorzieht, ſo ſchlachten die 
Sklavenjäger die fetteſten der erbeuteten Neger und ver⸗ 
handeln ſie an die Menſchenfreſſer.“ 

„Herrgott! Iſt fo etwas denn möglich?“ 

„Möglich? Herr, es iſt wirklich und kommt ſehr 
häufig vor. An den Zuflüſſen des Bahr el Abiad und 
weiter nach Süd und Weſt gibt es genug Völkerſchaften, 
denen Menſchenfleiſch der größte Leckerbiſſen iſt. Ich 
kenne einen Häuptling, welcher verſicherte, daß nichts 
beſſer ſchmecke als die innere Fläche einer gebratenen 
Menſchenhand. Er führte mit den benachbarten Völkern 
Krieg, nur um Gefangene zu machen, die geſchlachtet 
wurden; auch ſeine eigenen Toten und Schwerverwun⸗ 


— 801 — 


deten wurden verzehrt. Die Hände wurden ſtets ihm 
abgeliefert; die übrigen Körperteile überließ er ſeinen 
Untergebenen. Ich ſprach mit einem Sklavenjäger, der 
behauptete, daß in Afrika die Menſchenjagd täglich 
wenigſtens ſechstauſend Opfer fordere, was für jedes 
Jahr weit über zwei Millionen ergibt. Dieſer Mann 
kannte das Geſchäft und hat mit dieſer Schätzung ſicher 
nicht zu hoch gegriffen. Ebrid Ben Lafſa, jener Halunke, 
der meinen Sohn raubte, erzählte uns, daß er nur am 
Bahr Kuta jage; er hatte alſo nur ein kleines Gebiet, 
und doch behauptete er, jährlich über tauſend Sklaven 
zu fangen; dazu kommen gewiß ebenſoviele andre, die 
dabei getötet werden.“ 

„Woher war dieſer Menſch eigentlich?“ 

„Aus Bagirmi.“ 

„Haſt du dort nach ihm geſucht?“ 

„Natürlich. Ich bin ſofort hin und dann ſpäter 
noch viele Male dort geweſen; aber er hat ſich nie wieder 
in dieſer ſeiner Heimat ſehen laſſen.“ 

„Würdeſt du ihn erkennen, wenn du ihm begeg⸗ 
neteſt, nach ſo vielen Jahren?“ 

„Ja. Er hat ein Geſicht, das man nie vergeſſen 
kann und deſſen Ausdruck das Alter nicht zu verändern 
vermag. Doch ſchau einmal den dunklen Strich da vor 
uns. Ob das Bäume ſind? In dieſem Fall gibt es dort 
einen ‚Chor‘, der von den Bergen kommt und ſtellen⸗ 
weiſe noch Waſſer enthält. Das liefert einen Trunk für 
uns und die Tiere, die vor Schwäche kaum weiter 
können.“ 

Seine Vorausſetzung hatte ihn nicht betrogen. 
Quer über die Richtung, der ſie folgten, zog ſich ein 
tiefes, breites Flußbett, von den Waſſern geriſſen, die 
zur Regenzeit von den Pambiſabergen herab dem Nil 


— 302 — 


zuſtrömten. Solche im Sommer trockene Flüſſe werden, 
wie bereits erwähnt, Chor, in der Mehrzahl Cheran, 
genannt. 

Als die beiden Reiter deſſen Ufer erreichten, befan⸗ 
den ſie ſich zwiſchen hohen Kafalahbäumen“), von deren 
Stämmen und Aeſten loſe Epidermisfetzen hingen, wel⸗ 
cher Umſtand ihnen die botaniſche Bezeichnung papyri- 
fera verliehen hat. Die dünneren Zweige trugen eine 
Menge kunſtvoller Neſter, die von zahlreichen Orange— 
webervögeln bevölkert waren. Auf der Sohle des brei⸗ 
ten Flußbettes ſtand ein faſt undurchdringliches Dickicht 
von Ambag?), welcher Strauch in der heißen Jahreszeit 
bis auf die Wurzel abzuſterben, und während oder nach 
der Ueberſchwemmung ſich zu erneuern pflegt. Dieſe 
Büſche ſtanden noch, weil es hier zurückgebliebenes Waſ⸗ 
ſer gab. Man erſah aus der deutlichen Fährte, daß die 
Sklavenjäger am diesſeitigen Ufer hinab, an dieſem 
Waſſer vorüber und jenſeits wieder hinaufgegangen 
waren, ohne anzuhalten und ihre Tiere zu tränken. 

„Ich begreife nicht, warum ſie das nicht taten,“ 
ſagte Bala Ibn. „Unſre Kamele ſind jedenfalls müder 
als die ihrigen, und wir müſſen ihnen hier eine kurze 
Raſt gönnen.“ Die beiden ſtiegen ab und leiteten ihre 
Tiere die Steilung hinunter bis an das Waſſer. Dort 
ſetzten ſie ſich an einem Buſch nieder, der von dichten 
Ciſſuswinden durchſchlungen war. Während ſie ihre 
Tiere trinken und dann an den Sträuchern knuſpern 
ließen, ſprachen ſie über die Abſicht ihres gegenwärtigen 
Rittes miteinander, und zwar nicht in leiſem Ton. Sie 
glaubten ſich vollſtändig allein, befanden ſich dabei aber 
leider im Irrtum. 

Auf der Höhe des andern Ufers ſtand ein Schedr es 


) Boswellla papyrifera. — ) Herminiera, 


— 303 — 


fimmt), an deſſen Stamm zwei Männer geſeſſen hatten. 
Die Euphorbie war von ihnen angebohrt worden, und 
der Saft tropfte in ein untergeſtelltes Trinkgefäß. Beide 
waren Neger, nur mit dem Schurz bekleidet; aber ihre 
Bewaffnung, welche aus Meſſer und Flinte beſtand, be⸗ 
zeichnete fie als Aſaker ), die zu Abd el Mot gehörten. 

Schwarz und der Araber ahnten, als ſie ſich dem 
Regenbett näherten, nicht, daß ſie ſich ganz in der Nähe 
der Sklavenjäger befanden. Sie hatten nicht ſehen kön⸗ 
nen, daß es jenſeits des Chors eine Maijeh gab, deren 
Waſſer der Entſtehung eines kleinen Waldes günſtig ge⸗ 
weſen war. Dort hatte Abd el Mot fein Lager aufge⸗ 
ſchlagen. Er hatte nicht die Abſicht, das Dorf in der von 
dem Elefantenjäger beſchriebenen Weiſe zu überfallen. 
Er ſandte weder Kundſchafter noch Poſten aus, ſondern 
er wollte mit allen ſeinen Leuten hier bis gegen Abend 
verſteckt bleiben, um dann im Schutz der Nacht den Reſt 
des Marſches zu unternehmen. 

Beim Durchqueren des Regenbettes hatte einer der 
Aſaker die Euphorbie geſehen und war dann mit einem 
ſeiner Kameraden zurückgekehrt, um ſich in den Beſitz 
des Saftes zu ſetzen, womit man Meſſer, Lanzen und 
Pfeile zu vergiften pflegt. Während dieſe beiden Männer 
mit dieſer Arbeit beſchäftigt waren, erblickten ſie zu 
ihrem Erſtaunen die zwei Reiter, die ſich auf ihren 
müden Kamelen langſam dem Chor näherten. 

„Zwei Weiße!“ ſagte der eine. „Wer ſind ſie, und 
was können ſie hier nur wollen?“ 

„Zu uns gehören ſie nicht,“ antwortete der andre. 
„Bleib ruhig hinter dem Stamm ſitzen, damit ſie uns 
nicht ſehen! Wohin können ſie anders wollen als nach 
Ombula? Abd el Mot darf ſie nicht vorüber laſſen.“ 


) Giftige Euphorbia. — ) Soldaten. 


— 304 — 


Hinter dem Giftbaum verſteckt, ſahen fie, daß die 
beiden Fremden das Flußbett nicht ſofort durchquerten, 
ſondern ſich unten am Waſſer niederſetzten. 

„Das iſt gut,“ flüſterte der erſte. „Sie ſitzen hinter 
dem Ambag, durch deſſen Zweige ſie nicht ſehen können. 
Wir werden erfahren, wer ſie ſind, und was ſie in dieſer 
Gegend wollen. Bleib hier, und mach kein Geräuſch! 
Ich ſchleiche mich hinab an den Buſch, um zu hören, was 
ſie ſprechen.“ 

Der Schwarze huſchte ſchlangengleich am Ufer hin⸗ 
ab und erreichte den Ambag, ohne von Schwarz und 
deſſen Gefährten bemerkt worden zu ſein. Dort nieder⸗ 
gekauert, lauſchte er ihren Worten; dann kam er zu 
ſeinem Kameraden zurückgekrochen und ſagte: „Wer und 
woher ſie ſind, das habe ich nicht erfahren; ſie ſprachen 
nicht davon. Aber was ſie wollen, das weiß ich. Sie 
wiſſen, daß wir nach Ombula gehen, um Sklaven zu 
machen, und wollen vor uns hin, die Belanda zu war⸗ 
nen. Komm ſchnell fort! Wir müſſen das Abd el Mot 
berichten.“ | 

Sie eilten fort, der Maijeh zu, und meldeten Abd 
el Mot, was ſie geſehen hatten. Er ſaß unter einer hohen 
Zalhat), feine Unteroffiziere neben ſich. Weiterhin ſtan⸗ 
den, ſaßen oder lagen die andern Leute bei ihren ange⸗ 
bundenen Tieren. Als er die unerwartete Meldung 
hörte, ſprang er auf und rief: „Zwei weiße Reiter, 
welche arabiſch ſprechen? Sie wollen uns verraten? Sie 
müſſen unſer ſein! Kann man ſie ſehen, ohne von ihnen 
bemerkt zu werden?“ 

„Ja, Herr. Wenn du willſt, ſo werde ich dich füh⸗ 
ren,“ antwortete derjenige, der die beiden belauſcht hatte. 

„Du wirſt mir die Stelle zeigen. Wenn wir ſie auf 


1) Acacia gummifera, 


— 305 — 


das hohe Ufer laſſen, finden ſie vielleicht Zeit, uns zu 
entfliehen, oder ſie verteidigen ſich und töten einige von 
uns. Darum werden wir ſie lieber überfallen, wenn der 
Platz, wo ſie ſich befinden, es erlaubt. Nehmt Stricke 
mit!“ 

Er wählte ein Dutzend ſeiner gewandteſten Leute 
aus und begab ſich mit ihnen nach dem Chor. Von deſſen 
Rand vorſichtig hinablugend, muſterte er die Stelle. Die 
Perſonen konnte er nicht ſehen, da ſie hinter dem Am⸗ 
bag ſaßen. 

„Es iſt nicht ſchwer, fie zu beſchleichen,“ entſchied er. 
„Macht euch leiſe hinter ſie, und fallt über ſie her, ſo daß 
ſie keine Zeit zur Gegenwehr finden! Gelingt es, ſo 
ſchenke ich euch den Betrag eines kräftigen Sklaven. 
Mißrät es aber, ſo wird derjenige, der daran ſchuld iſt, 
erſchoſſen. Vorwärts!“ 

Er ſah zu, wie die Aſaker einzeln hinabglitten und 
fh dann hinter dem Buſch ſammelten. Als der letzte 
von ihnen dort angelangt war, brachen ſie hervor und 
fielen über die beiden auf das äußerſte überraſchten 
Männer her. Es gab ein kurzes Ringen und Durchein⸗ 
ander von ſchreienden Stimmen — der Ueberfall war 
gelungen. Abd el Mot kehrte nach der Majjeh zurück 
und ſetzte ſich wieder unter der Talha nieder. Seine 
Leute verſammelten ſich um ihn. 

„Die Hunde haben uns verraten wollen,“ ſagte er. 
„Sie müſſen ſterben, und zwar augenblicklich, wer ſie 
auch ſein mögen!“ 

Nach wenigen Minuten brachten die Aſaker die 
Gefangenen geführt; ſie hatten ihnen die Ellbogen auf 
den Rücken geſchnürt. Zwei Soldaten leiteten die Ka⸗ 
mele hinterher. N 


Schwarz befand ſich in einem ä traum⸗ 
May, Die Sklavenkarawane. 


— 506 — 


haften Zuſtande, der Elefantenjäger ebenſo. Das Un⸗ 
glück war ſo plötzlich und unerwartet über ſie gekommen, 
daß es Ihnen faſt unmöglich war, ihre Gefangenſchaft 
für Wirklichkeit zu halten. Aus den triumphierenden 
Worten, welche die Aſaker einander zuriefen, erſahen ſie, 
daß Abd el Mot hier ſei, und daß ſie zu ihm geführt wer⸗ 
den ſollten. „Wir wiſſen nichts,“ raunte der Araber dem 
Deutſchen zu. „Laß nur mich ſprechen!“ 

Er verzweifelte nicht. Er hatte in noch größeren 
Gefahren immer Rettung gefunden und hielt die gegen⸗ 
wärtige keineswegs für groß. Was hätten die Sklaven⸗ 
jäger für Gründe haben können, zwei ihnen unbekannte 
Weiße zu ermorden. Daß ſein und ſeines Gefährten Ge⸗ 
ſpräch belauſcht worden war, daran dachte er nicht. 
Uebrigens ſollte es noch ganz anders kommen. 

Vom Chor bis zu der Maijeh war es gar nicht weit. 
Die Gefangenen wurden von den Soldaten in roheſter 
Weiſe vorwärts geſtoßen und geſchoben. Beide waren 
geſpannt auf die Perſon des Anführers. Jetzt ſtanden 
ſie vor ihm. Die Menſchenjäger drängten ſich rundum 
heran, um zu hören, was geſprochen werde. 

„Herr,“ begann der Elefantenzäger in ſtolzem Ton, 
„wie kommt es, daß deine Leute — —“ 

Er hielt mitten in dem angefangenen Satz inne. 
Sein Mund blieb offen, und ſeine Augen vergrößerten 
ſich. Seine Geſtalt und ſeine Glieder ſchienen die Fähig⸗ 
keit jedweder Bewegung verloren zu haben. Er ſtand 
da, ein Bild ſtarren Entſetzens. 

Abd el Mot war, als der Gefangene zu ſprechen be⸗ 
gann, auch vor Schreck aufgeſprungen; aber ſein Schreck 
ſchien ein freudiger zu ſein, denn ſeine Augen leuchteten 
auf; ſeine Wangen röteten ſich, und ſein Geſicht nahm 
den Ausdruck des Entzückens an. 


— 307 — 


„Der Emir!“ rief er, nein, ſondern er ſchrie es 
förmlich überlaut. „Barak el Kaſin), der Emir von 
Kenadem!“ 

„Ebrid Ben Lafſa, der Sklavenhändler!“ ſtieß der 
Araber hervor. 

„Ja, der bin ich!“ jubelte Abd el Mot. „Ich bin 
Ebrid Ben Lafſa. Erkennſt du mich, du Hundeſohn?“ 

„E — — brid — — Ben — — Laf — — fa!” wie⸗ 
derholte der Elefantenjäger, indem er den Namen kaum 
hervorbrachte, jo daß die einzelnen Silben nur ausein- 
andergeriſſen über ſeine Lippen kamen. „O Allah! Er 
iſt es; er iſt es!“ 

„Ja, ich bin es; ich bin es! Schau mich an! Schau 
mir ins Geſicht, wenn du es nicht glaubſt! Ich bin der, 
den du zum Tod verurteilteſt, dem du die Sklaven weg⸗ 
nehmen ließeſt! Ich bin der, den du zweimal peitſchen 
ließeſt, der unter deiner Peitſche hätte ſterben müſſen, 
wenn es ihm nicht gelungen wäre, zu entfliehen! Ich 
bin der, welcher ſeit fünfzehn Jahren ſeine Heimat mei⸗ 
den mußte, weil du mich dort verklagt haſt, ſo daß ich 
hingerichtet worden wäre, wenn man mich dort geſehen 
und ergriffen hätte! Ich bin der, welcher ſich dieſe lan⸗ 
gen Jahre hindurch geſehnt hat, dir einmal zu begegnen 
und dich in den Staub zu treten. Jetzt führt Allah dich 
in meine Hände. Ihm fei Preis und Dankl“ | 

„Wo — wo — — iſt mein Sohn?“ fragte der 
Araber, ohne auf die Drohung zu achten, die in Abd el 
Mots Worten lag. 

Das Geſicht des letzteren verzog ſich zur teufliſch⸗ 
höhniſchen Fratze, als er antwortete: „Dein Sohn? Ah, 
du willſt wiſſen, wo er iſt? Du ſollſt es erfahren: er iſt 
tief unten im Süden bei den Menſchenfreſſernl“ 


) Barat der Strenge. 


— 3808 — 


„So lebt er alſo noch! Allah iſt barmherzig. Ihm 
gebührt Preis in Ewigkeit!“ 

„Halt ein mit deinem Preiſe! Es wäre beſſer für 
dieſen achtzehnjährigen Hund, wenn er tot wäre, denn 
er iſt der niedrigſte, armſeligſte Sklave eines ſchwarzen 
Häuptlings, dem ich ihn unter der Bedingung geſchenkt 
habe, daß er ihn täglich prügeln und immerwährend 
hungern laſſen ſoll. Ich habe ihn kürzlich geſehen. Sein 
Leib iſt voller Geſchwüre; ſeine Augen ſind erblindet; er 
ſtirbt in großen Qualen langſam hin und kann es doch 
niemandem klagen, weil ich ihm damals die Zunge her⸗ 
ausgeriſſen habe; merke wohl auf: nicht herausgeſchnit⸗ 
ten, ſondern herausgeriſſen!“ 

Er ſtieß dieſe Rede haſtig hervor; er konnte gar 
nicht ſchnell genug ſprechen, um ſeinen Feind möglichſt 
raſch niederzuſchmettern. Dieſer wollte antworten, 
brachte aber vor Entſetzen kein Wort hervor. Nur ein 
ſchneidender, unverſtändlicher Laut rang ſich über ſeine 
Lippen. 

„Freu' dich alſo darüber, daß er noch lebt!“ höhnte 
Abd el Mot. „Sein Tod wird ein fürchterlicher ſein, 
trotzdem er ihn von unſagbaren Leiden erlöſt. Und doch 
wird dieſer ſein Tod eine Wonne ſein gegen denjenigen, 
den du nun ſterben wirſt! Du biſt in meiner Gewalt, 
und es ſoll keine Qual der Erde geben, die ich dir nicht 
zu koſten gebe.“ 

„Allah 1 Allah!“ hauchte der Emir, indem er in 
die Knie niederſank. 

„Knieſt du vor mir nieder, um mich um Gnade an⸗ 
zuflehen? Knie nur, und jammere nur! Aber eher wird 
der Schetan!) eine Seele aus der Hölle entkommen 
laſſen, ehe ich auf dein Zetern höre!“ 

h Teufel 


— 309 — 


N: 

Als Vater konnte der Araber Schwäche fühlen; 
als Mann aber war er ſtolz und ſtark. Er ſprang 
ſchnell auf, richtete ſich hoch empor und antwortete, in⸗ 
dem ſeine Augen blitzten: „Was ſagſt du? Ich ſoll jam⸗ 
mern und zetern vor dir? Dich um Erbarmen anflehen? 
Hund, wie kannſt du wagen, dies zu ſagen! Ich bin 
Barak el Kaſi, der Emir von Kenadem, und habe nur 
vor Allah gekniet. Du aber biſt Ebrid Ben Lafſa, ein 
elender Kadaver, den nicht einmal der Racham!) freſſen 
mag. Nie ſollſt du ſehen, daß ich ein Glied vor dir beuge!“ 

Hund genannt zu werden, iſt für den Mohamme⸗ 
daner eine der größten Beleidigungen. Es war ein gro⸗ 
Bes Wagnis von dem Araber, ſich dieſes Wortes gegen 
Abd el Mot zu bedienen, und die Umſtehenden waren 
überzeugt, daß der letztere darüber in Wut ausbrechen 
werde. Dies geſchah aber nicht. Zwar ballte er die bei⸗ 
den Fäuſte und erhob den Fuß, als ob er ſich auf ſeinen 
Gegner ſtürzen wollte, aber er ſetzte den Fuß wieder 
nieder und antwortete ſpottend: „Das hatteſt du dir gut 
ausgedacht; aber ich durchſchaue deine Abſicht, und ſie 
wird dir nicht gelingen. Du willſt den Qualen, die dir 
bevorſtehen, entgehen, indem du mich reizeſt, dich im 
Zorn auf der Stelle zu töten. Aber ſage, was du willſt, 
es wird mich nicht ergrimmen. Töten werde ich dich, ja; 
monatelang aber ſollſt du ſterben. Schimpfeſt du mich 
noch einmal, ſo laſſe ich dir die Zunge ausreißen; das 
merke dir!“ 

„Reiß ſie heraus!“ gab der Araber ihm zurück. „Du 
biſt ein Hund, den alle andern Hunde fliehen, weil er 
räudig iſt!“ 

Auch bei dieſer geſteigerten Beleidigung blieb Abd 
el Mot ruhig. Er ſagte: „Ja, ſie ſoll dir ausgeriſſen wer⸗ 

1) Aasgeter. 


— 310 — 


den, doch nicht jetzt, nicht heute, ſondern erſt dann, wenn 
wir Zeit dazu haben. Einen Verwundeten kann ich jetzt 
nicht brauchen. Später wirſt du täglich bis auf die Kno⸗ 
chen gepeitſcht werden; aber ich muß damit noch warten, 
weil du ſtark ſein mußt, um mit uns marſchieren zu 
können. Aber vergeſſen ſind deine Worte nicht. Jetzt 
frage ich, woher du kommſt, und wohin du willſt?“ 

„Frage, ſoviel dir beliebt; von mir erhälſt du keine 
Antwort!“ Er wendete ſich ab. 

„Du wirſt noch antworten lernen,“ lachte Abd el 
Mot. „Holt eine Schebah für ihn herbei!” 

Unter Schebah verſteht man einen ſchweren Aſt, 
deſſen eines Ende eine Gabel bildet. In dieſe Gabel 
wird der Hals der Sklaven während des Transports ge⸗ 
ſteckt und durch ein Querholz feſtgehalten. Der Aſt geht 
nach vorn; an ihn werden die Hände des Gefangenen, 
mit denen dieſer ihn tragen muß, gebunden. Dadurch 
behält der Gefeſſelte den freien Gebrauch der Füße und 
iſt dennoch am Entrinnen verhindert. Eine ſolche Sche⸗ 
bah wurde dem Emir angelegt. Dann wendete ſich Abd 
el Mot mit finſterer Miene an Schwarz: „Jetzt ſage nun 
du, wer du biſt! Aber lüge nicht, ſonſt erhältſt du die 
Peitſche!“ 

Hätte der in dieſer Weiſe Angeredete die Gefühle, 
die er jetzt empfand, beſchreiben ſollen, er wäre nicht 
fähig dazu geweſen, er hätte keine Worte zu finden ver⸗ 
mocht. Haß, Ekel, Abſcheu, Zorn — die Summe aller 
dieſer Begriffe deckte ſich nicht mit dem, was ihn jetzt 
erfüllte. Er wußte, daß man auch ihn an eine Schebah 
feſſeln werde; aber wußte ebenſo, daß man gezwungen 
war, ihn gerade ſo wie den Emir einſtweilen zu ſchonen. 
Darum ſah er Abd el Mot von oben herab an und ſagte: 
„Welches Recht haſt du zu dieſer Frage?“ 


— 811 — 


Der Sklavenjäger war ſehr erſtaunt über dieſe 
Worte; das ſah man ihm deutlich an. Er mußte ſich erſt 
beſinnen, wie er ſich verhalten ſolle; dann lachte er 
höhniſch auf: „Allah tut Wunder! Sollteſt du etwa der 
Sultan von Stambul oder wenigſtens der Khedive !) von 
Kahira⸗) fein? Deine Worte laſſen fo etwas vermuten. 
Ich frage, weil du mein Gefangener biſt.“ 

„Mit welchem Recht haſt du mich überfallen und 
binden laſſen?“ 

„Es hat mir ſo beliebt. Jetzt weißt du es. Du ſiehſt 
uns hier auf einer Ghafuah, bei der man keine Spione 
duldet. Ihr habt die Belanda vor uns warnen wollen.“ 

„Wer hat dir das gejagt?” 

„Ihr ſelbſt. Meine Leute haben es gehört, als ſie 
unten im Chor ſtanden, um euch zu belauſchen. Von 
wem habt ihr denn erfahren, daß wir nach Ombula 
wollen?“ 

„Das wirſt du vielleicht ſpäter merken. Ich habe 
dir keine Auskunft zu erteilen.“ 

„Nicht?“ rief Abd el Mot zornig. „Dann iſt deine 
Zunge überflüſſig; ich werde fie dir alſo auch heraus⸗ 
nehmen laſſen!“ 

„Pah! Das wirſt du nicht wagen; es wäre zu 
deinem Verderben. Ich bin kein Araber, ſondern ein 
Europäer. Meine Regierung wird dich zur Rechenſchaft 

zu ziehen wiſſen.“ 

Da ſchlug Abd el Mot ein lautes Gelächter auf und 
rief: „Ich ſehe, du biſt ein Narr! Meinſt du denn wirk⸗ 
lich, daß ich deine Drohungen fürchte? Du biſt ein 
Franke, folglich ein Chriſt?“ 

„Ja.“ 
„Allah verderbe dich! Ein Chriſt, ein Giaur! Und 


) Vizekönig. — ) Kairo. 


— 812 — 


du wagſt es, mir zu drohen! Hier gilt kein Geſetz, ſon⸗ 
dern nur mein Wille. Wenn ich dich töte, wie will deine 
Regierung es erfahren? Und wenn ſie es erfährt, wie 
will ſie mich faſſen und beſtrafen? Nicht einmal die 
Macht des Großherrn oder des Vizekönigs reicht bis 
hierher, viel weniger die Gewalt des ungläubigen Scha⸗ 
kals, den du meinſt, wenn du von deiner Regierung 
redeſt. Wir haben dich bei dem Emir gefunden. Du biſt 
ſein Freund und Gefährte und wirſt alſo ganz dasſelbe 
Schickſal wie er erleiden. Wie lautet dein Name?“ 

„Ich nenne ihn nicht, denn er r iſt zu gut und zu 
ehrlich für deine Ohren!“ 

„Menſch,“ brauſte Abd el Mot auf, „du wagſt zu 
viel! Der Emir kann mich beleidigen, ohne daß ich ihn 
ſofort töte, denn ich habe mich an ihm zu rächen und 
will mir das für ſpäter aufſparen. Dich aber kann ich 
ſofort töten, ohne mir dadurch ein ſpäteres Vergnügen 
zu rauben. Wenn du mich noch ein einziges Mal be⸗ 
leidigſt, ſo biſt du verloren!“ 

„Das mag ſein; du kannſt mich ermorden, denn ich 
bin gefeſſelt und vermag mich nicht zu wehren. Uebri⸗ 
gens denke ja nicht, daß du mir ungeſtraft das Leben 
nehmen kannſt! Ich befinde mich nicht allein in dieſer 
Gegend. Meine Freunde find in der Nähe!” 

Dieſer Trumpf wirkte. Abd el Mot machte eine 
weniger zuverſichtliche Miene, als er fragte: „Wer ſind 
dieſe Leute?“ 

„Auch das geht dich nichts an. Iſt geſtehe dir über⸗ 
haupt kein Recht zu, mich zu verhören und auszufragen. 
Ich will mich aber herbeilaſſen, dir freiwillig zu ſagen, 
daß ſie wiſſen, wo ich mich befinde und wohin ich will. 
Kehre ich nicht zurück, ſo nehmen ſie an, daß du mich 
ermordet haſt.“ 


— 83 — 


„Du kannſt unterwegs verunglückt ſein, ohne mich 
getroffen zu haben. Niemand wird mir etwas beweiſen 
können!“ 

„Täuſche dich nicht! Man wird jeden einzelnen 
deiner Leute ſtreng verhören. Und wie wollteſt du 
meinen Tod bei Abu el Mot verantworten? Kehre ich 
binnen vier Tagen nicht zurück, ſo wird man ihn gefan⸗ 
gen nehmen!“ 

„Kennt er dich?“ 

„Nein. Aber er wird, ſelbſt wenn du mich töteſt, 
mich und die Meinen kennen lernen!“ 

Das feſte, ſichere Auftreten des Deutſchen blieb 
nicht ohne Eindruck. Er ſah es wohl und beeilte ſich, 
dieſen Erfolg zum Vorteil ſeines ſo ſchwer bedrohten Ge⸗ 
fährten auszunützen. Darum fuhr er fort: „Ich ver⸗ 
lange, losgebunden zu werden, und fordere meine Waf⸗ 
fen und alles zurück, was deine Leute mir abgenommen 
haben! Uebrigens iſt der Emir von Kenadem mein 
Freund, und was ihr ihm tut, rechne ich ſo, als ob es 
mir geſchehen ſei. Er wird ebenſo gerächt werden, wie 
man mich rächen würde!“ 

Er mußte ſofort erkennen, daß er zu weit gegangen 
war, denn Abd el Mot fuhr zornig auf: „Mann, nimm 
dich in acht! Wenn einer hier zu fordern und zu ge⸗ 
bieten hat, ſo bin ich es allein! Iſt alles, was dem 
Emir geſchieht, für dich ſo gut, als ob wir es an dir 
getan hätten, nun ſo betrachte ich alles, was er getan hat, 
auch ſo, als ob es von dir begangen worden ſei. Du 
wirſt alſo ganz dasſelbe Schickſal haben wie er, und ich 
will abwarten, ob es wirklich ſo mächtige Leute gibt, die 
ihn und dich an mir rächen können. Bringt auch für die⸗ 
ſen Chriſtenhund eine Schebaß, und bindet ſie dann beide 
aneinander!“ 


— 314 — 


Es wurde eine zweite Schebah gebracht und deren 
Gabel Schwarz um den Hals befeſtigt. Die Enden der 
beiden Stangen band man dann vorn an den Spitzen 
zuſammen. Als dies geſchehen war, höhnte Abd el Mot: 
„So, jetzt ſeid ihr als Freunde vereint! Da ihr darauf 
verzichten müßt, die Belanda vor uns zu warnen, werde 
ich euch als Erſatz dafür eine andre Freude bereiten. Ihr 
ſollt nämlich dabei ſein, wenn wir das Dorf überfallen. 
Ich werde euch einen Platz anweiſen, wo ihr alles genau 
beobachten könnt. Für jetzt aber wird man euch an 
einen Baum binden, damit euch nicht etwa der Gedanke 
kommt, mitſamt der Schebah luſtwandeln zu gehen!“ 

Schwarz und Barak el Kaſi wurden zu einem Baum 
geführt und dort angebunden. In dieſer Lage war aller⸗ 
dings an Flucht nicht zu denken. Man ſtelle ſich zwei 
Menſchen vor, die an einen Baumſtamm gefeſſelt ſind, 
und dazu zwei ſchwere, hölzerne Deichſeln, zwiſchen 
deren hintern, geſpaltenen Teilen ihre Hälſe ſtecken; dieſe 
Deichſeln ſind vorn in ſpitzem Winkel zuſammengebun⸗ 
den, und außerdem hat man den Männern die Hände 
daran gefeſſelt, ſo daß jeder von ihnen die Laſt ſeiner 
Deichſel halten und tragen muß. Die einzige Erleich⸗ 
terung gewährte ihnen der Umſtand, daß man ſich jetzt 
nicht mehr um ſie zu bekümmern ſchien. 

„Welch ein Unterſchied!“ knirſchte der Emir. „Wie 
ganz anders hatte ich mir den Augenblick gedacht, wo ich 
den Räuber meines Kindes ſehen würde! Statt daß er 
den Tod von meiner Hand empfängt, wird er mich lang⸗ 
ſam und grauſam zu Tode martern!“ 

„Ob er es wagt!“ warf der Deutſche ein, weniger 
weil er Hoffnung hegte, ſondern um den Gefährten zu 
tröſten. 

„Er wird es wagen; darauf kannſt du dich verlaſſen. 


— 315 — 


Allah hat es gewollt; ich ergebe mich darein. Aber es 
betrübt meine Seele, daß ich dich mit in das Verderben 
gezogen habe.“ | 

„Sprich nicht fo! Auch ich trage die Schuld. Wir 
ſind fo unbegreiflich unvorſichtig geweſen, daß ich mich 
über das, was geſchehen iſt, gar nicht wundern kann. 
Wir hätten, bevor wir lagerten, die Umgegend abſuchen 
ſollen. Und ſodann hatten wir uns ungeſchickter Weiſe 
gerade ſo geſetzt, daß wir der Richtung, woher allein 
eine Gefahr kommen konnte, den Rücken zukehrten.“ 

„Bei Allah, ich würde gern alle Qualen erdulden, 
welche dieſer Menſch ſich nur erſinnen kann, wenn mein 
Sohn nicht ebenſo wie ich zu leiden hätte!“ 

„Du glaubſt alſo, was Abd el Mot dir von ihm 
ſagte?“ 

„Du etwa nicht?“ 

„Nein. Er hat die Unwahrheit geſagt, um dich zu 
quälen, um dich doppelt unglücklich zu machen.“ 

„Meinſt du? Es wäre ihm wohl zuzutrauen.“ 

„Glaube mir, es iſt ſo, wie ich ſage! Ich bin über⸗ 
zeugt, daß der Sohn des Geheimniſſes' dein Meſuf iſt. 
Ich hoffe ſogar, dir beweiſen zu können, daß Abd el Mot 
gelogen hat.“ 

„Wie willſt du das anfangen?“ 

„Warte nur, bis er wieder mit uns ſpricht! Und 
derliere nur die Hoffnung auf Befreiung nicht! An eine 
Flucht iſt unter den jetzigen Umſtänden freilich nicht zu 
denken; aber Abd el Mot will dich ja mit Genuß mar⸗ 
tern, was doch nur daheim in der Seribah geſchehen 
könnte. Bis dahin muß er beſtrebt ſein, uns die zum 
Marſch nötigen Kräfte zu erhalten. Heute wird Ombula 
überfallen; morgen gibt es einen Feſt⸗ und Jubeltag, 
und übermorgen hat man noch vollauf mit der Vorbe⸗ 


— 36 — 


reitung zum Rückzug zu tun, der jedenfalls länger 
dauert, als der Ritt hierher. Sieben oder gar acht Tage 
find alſo von heute an nötig, um die Seribah zu er⸗ 
reichen. So lange Zeit hätten wir Friſt. Aber nun be⸗ 
denke, was auf der Seribah geſchehen iſt! Wir werden 
uns natürlich hüten, Abd el Mot auch nur ein Wort 
davon zu ſagen.“ 

„Meinſt du, daß uns daraus ein Vorteil erwachſen 
kann?“ 

„Ganz natürlich! Wenn die Abſicht gelingt, die wir 
dem alten Feldwebel unterlegen, ſo iſt es um Abd el 
Mot geſchehen und wir ſind frei.“ 

„Allah kerihm — Gott iſt gnädig! Du träufelſt Bal⸗ 
ſam in mein Herz.“ 

Jetzt begannen die Sklavenjäger den Pferden, Ka⸗ 
melen und Ochſen die Reit⸗ und Packſättel aufzulegen. 
Man rüſtete zum Aufbruch, denn es waren nicht zwei 
volle Stunden mehr bis zum Eintritt des Abends. Abd 
el Mot kam zu den beiden und fragte: „Ich darf euch 
wohl höflich um Verzeihung bitten, daß ich euch nicht er⸗ 
lauben kann, zu reiten? Dafür aber ſoll euch die große 
Auszeichnung widerfahren, daß ihr an mein eigenes 
Pferd gehangen werdet. Du, Emir, kannſt dich dabei 
deines Sohnes erinnern, den ich damals in ganz der⸗ 
ſelben Weiſe fortgeſchleppt habe.“ 

„Das wiſſen wir,“ antwortete Schwarz in ruhigem 
Ton. 

„Du, Giaur? Was willſt du wiſſen?“ 

„Was du mit dem Knaben Meſuf vorgenommen 
haſt.“ | 
Abd el Mot warf einen langen, forſchenden Blick 
auf den Deutſchen und ſagte dann höhniſch: „Du 
träumſt! Wo warſt du denn zu jener Zeit?“ 


— 817 — 


„Daheim in meinem Vaterlande. Doch Allah iſt 
allmächtig und allweiſe und leitet die Menſchen durch 
tauſend Wunder. Ich kenne den Knaben, den du 
raubteſt.“ | 

„Unmöglich!“ rief der Sklavenjäger, indem er 
einen Schritt zurücktrat. 

„Ich ſage die Wahrheit; ich lüge nicht wie du. Du 
haſt deinen Zweck nicht erreicht, ſondern das Gegenteil. 
Indem du den Emir kränken wollteſt, daft du ihm das 
größte Entzücken bereitet.“ 

„Ich verſtehe dich nicht.“ 

„So will ich deutlicher ſprechen. Ich kenne den 
Emir erſt ſeit drei Tagen, nicht aber ſeine früheren 
Schickſale. Da ſprachſt du vorhin mit ihm von ſeinem 
Sohn; das erweckte meine Aufmerkſamkeit; nachdem wir 
hier angebunden worden waren, fragte ich ihn, und er 
erzählte mir alles. Allah hat es gewollt, daß ich ſeinen 
Schmerz in Freude verwandeln konnte, denn ich kenne 
ſeinen Sohn.“ 

Abd el Mot vermochte nicht, ſich zu beherrſchen; er 
machte eine Bewegung der Ueberraſchung und rief aus: 
„Wo iſt er? Wo befindet er ſich?“ 

„Nicht dort, wo du ſagteſt, ſondern bei meinen 
Freunden und Gefährten. Er iſt nicht blind und krank; 
er kann auch ſprechen, denn du haſt ihm die Zunge nicht, 
herausgeriſſen! Er iſt ein prächtiger Jüngling gewor⸗ 
den, und ſein Vater wird ihn mit Wonne an das Herz 
drücken.“ 

„Das wird er bleiben laſſen!“ brauſte Abd el Mot 
auf. „Noch ſeid ihr meine Gefangenen, und ich werde 
dafür ſorgen, daß Vater und Sohn ſich erſt jenſeits dieſes 
Lebens zu ſehen bekommen. Wer konnte ahnen, daß das 
Weib des Fürſten mit dem Knaben fliehen werde!“ 


— 518 — 


Schwarz Hatte ihn dahin, wohin er ihn hatte haben 
wollen. Der Zorn entreißt dem Menſchen manches un⸗ 
bedachte Wort; darum war der Deutſche beſtrebt, den 
Aerger des Sklavenjägers zu erhöhen, indem er ſagte: 
„Du hatteſt es nicht klug genug angefangen. Daß du den 
Knaben nicht weiter fortſchaffteſt, läßt mich vermuten, 
daß Allah dir ein ſehr kleines Gehirn gegeben hat.“ 

„Schweige, Schakal! Liegt der Mukambaſee nicht 
weit genug von Dar Runga? Muß man nicht mehrere 
Monate reiſen, um von da bis zu dem Volk der Matwa 
zu gelangen?“ 

„Das beſtreite ich nicht. Aber der Erfolg ſagt dir, 
daß du ibn noch weiter nach dem Süden hätteſt bringen 
ſollen. Es war eine Dummheit, ihn an den Fürſten der 
Matwa zu verkaufen.“ 

„Schimpfe nicht, ſonſt ſollſt du vor mir zittern! Der 
Fürſt zahlte den Preis von zehn ſchwarzen Sklaven für 
ihn; er wollte ihn mäſten, um einmal das Fleiſch eines 
Weißen koſten zu können. War ich ſchuld, daß ſein Weib 
ihn nicht liebte, weil er ſie geraubt hatte, daß ſie ihm 
entfloh und den Knaben mitnahm, den ſie liebgewon⸗ 
nen hatte?“ 

„Jedenfalls ſind dadurch deine boshaften Pläne 
durchkreuzt worden. Ich kenne und liebe den Knaben, 
der zum Jüngling herangewachſen iſt, und nun ich ganz 
zufällig ſeinen Vater gefunden habe, werden beide bald 
vereinigt ſein.“ 

„In die tiefſte Hölle werden ſie miteinander fahren, 
und du mit ihnen, Giaur!“ ſchrie Abd el Mot, indem er 
ſein Meſſer zog und gegen Schwarz zückte. 

Dieſer blickte ihm groß und ruhig in die Augen und 
ſagte: „Stoß zu, wenn du es wagſt! Dieſer Stoß aber 
würde auch dein Leben mit vernichten, denn indem du 


— 819 — 


mich töteſt, ermordeſt du den einzigen, der dich retten 
kann!“ 

Es war ein ganz außerordentliches Staunen, womit 
der Knabenräuber fragte: „Retten? Du mich, du? Vor 
wem und vor was denn?“ 

„Vor der Rache Meſufs, des von dir entführten 
Knaben; er folgt deiner Fährte und ich bin ſein Freund! 
Er hat mächtige Beſchützer bei ſich, die ſich ſeiner ange⸗ 
nommen haben, weil er der Sohn eines Emirs iſt. 
Kehrſt du zurück, ſo biſt du des Todes, und dein Ende 
wird ein doppelt ſchreckliches ſein, wenn man erfährt, 
daß ich von deiner Hand gefallen bin.“ 

Der Deutſche ſagte das in einer ſo überzeugenden 
Weiſe, daß Abd el Mot eine ganze Weile in ſchweigender 
Beſtürzung daſtand. Dann ziſchte er: „Klug biſt du, 
ſo klug und liſtig, daß man nicht weiß, ob du die Lüge 
oder die Wahrheit ſagſt.“ Er blickte finſter vor ſich nie⸗ 
der. Hierauf hob er langſam den Kopf, muſterte Schwarz 
mit einem durchbohrenden Blick und fragte: „Wenn es 
ſo iſt, wie du ſagſt, wie wollteſt du mich retten können? 
Wo will ich hin, wenn dieſer Zug beendet iſt? Ich muß 
zurück zu Abu el Mot, zur Seribah, denn dort habe ich 
mein Vermögen. Wollte ich auf deine Worte hin von 
hier entfliehen, ſo wäre ich zum Bettler geworden.“ 

Schwarz jubelte innerlich auf; er glaubte ſchon ge⸗ 
wonnen zu haben und antwortete: „Nun man einmal 
entdeckt hat, daß du der Entführer biſt, nun man weiß, 
daß Abd el Mot der damalige Ebrid Ben Lafſa iſt, kannſt 
du allerdings nicht mehr entkommen. Es ſind fünfzehn 
Jahre des Jammers, des Unglücks an dir zu rächen; 
bedenke das! Sage ich aber den Meinen, daß wir uns 
in deiner Gewalt befanden und du uns dennoch ver⸗ 
ſchonteſt, ſo wird man auch gegen dich mild ſein.“ 


„Dieſer da aber nicht!“ 

Er deutete auf den Emir, der bisher kein Wort ge⸗ 
ſagt hatte und richtete nun an ihn die Frage: „Was wür⸗ 
deſt du tun, wenn ich dir jetzt die Freiheit ſchenkte? 
Würdeſt du dich dann an mir rächen?“ 

Dieſe Frage wog ſchwer. Die Antwort darauf 
konnte über das Schickſal der beiden Gefangenen ent⸗ 
ſcheiden. Wenn der Emir ſeinem Feinde Verzeihung 
verhieß, ſo war es möglich, daß dieſer ſie beide freigab. 

„Allah weiß es!“ murmelte der Emir zweideutig. 

„Das iſt weder ein Ja, noch ein Nein,“ entgegnete 
Abd el Mot. „Ich frage dich im Namen des Propheten 
und der Kalifen und fordere dich auf, die Wahrheit zu 
ſagen! Würdeſt du mir verzeihen oder dich dennoch 
rächen?“ 

„Allah weiß es!“ wiederholte der Gefragte. 

„Iſt das die einzige Antwort, die du für mich haſt?“ 

„Ja.“ 

„So habe ich nichts mehr zu fragen. Allah ent⸗ 
ſcheide zwiſchen dir und mir!“ Er wendete ſich ab und 
ging fort. 

Da holte der Emir tief, tief Atem. Er mußte ſich 
bezwingen, nicht laut aufzujubeln: „Freund, Bruder, 
du hatteſt recht! Mein Sohn iſt nicht tot und auch nicht 
verſtümmelt!“ 

„Ich wußte es,“ nickte Schwarz, ſelbſt bis ins tiefſte 
Herz erfreut. „Und wie ſchön hat er uns alles geſagt, 
ohne zu ahnen, daß wir gar nichts wußten!“ 

„Ich ſage dir, daß ich an ſeiner Stelle mir auch 
alles hätte entlocken laſſen. Du biſt wirklich liſtiger als 
Talab'), der heimlich Schleichende. Aber ſage, lebt die 


) Fuchs. 


— 321 — 


Frau wirklich noch, die mit meinem Sohn von ihrem 
Mann floh?“ N 

„Das weiß ich nicht. Ich habe von ihr ja gar nichts 
gewußt! Aber warum beantworteteſt du ſeine letzte 
Frage nicht? Ein Ja hätte uns vielleicht die Freiheit 
ſofort wiedergegeben! So kannſt und wirſt du nicht ver⸗ 
geben?“ N ö 

„Nie! Es wäre eine Sünde gegen das Geſetz der 
Wüſte, ja gegen das Geſetz des Propheten. Und jelbit 
wenn ich dieſe beiden Vorſchriften übertreten wollte, ſo 
würde mich mein Schwur daran verhindern. Ich habe. 
Rache geſchworen, und ich werde mich rächen. Was 
täteſt du an meiner Stelle?“ 

„Ich würde verzeihen. Unſer Kitab el mukaddas) 
befiehlt uns, die Rache Gott zu überlaſſen.“ 

„Auch wenn ihr geſchworen habt?“ 

„Kein frommer Chriſt tut einen ſolchen grauſigen 
Schwur, denn Iſa Ben Marryam hat uns befohlen: 
Liebet eure Feinde, ſegnet die, welche euch fluchen; tut 
wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen!“ 

„Eure Lehre iſt ſchön; ſie iſt gut für euch, falls ihr 
eure Feinde wirklich zu lieben vermögt; aber ſie paßt 
nicht für dieſe Länder, nicht für die Wüſte, nicht für uns. 
Auge um Auge, Blut um Blut, Leben um Leben, das 
iſt unſer Geſetz; wir müſſen ihm gehorchen, und du darfſt 
mir nicht zürnen, wenn ich es erfülle. Werde ich ſchuld 
an deinem Tod, ſo mag Allah es mir vergeben, der ja 
auch der Gott der Chriſten iſt.“ 

„Nun, was das betrifft, ſo brauchſt du dir jetzt noch 
keine Vorwürfe zu machen. Ich weiß, daß meine Worte 
und Vorſtellungen bei Abd el Mot haften geblieben find; 
ſie werden ſicher, wenn auch langſam, wirken. Ich habe 

n Bibel. 

May, Die Eklaventarawane. 21 


— 822 — 
ihn in Zwieſpalt mit ſich ſelbſt verſetzt, und wir müſſen 
nun das Ergebnis in Ruhe erwarten.“ 

Er hatte die Worte kaum geſagt, ſo zeigte ſich ſchon 
die erſte der Wirkungen. Abd el Mot kam wieder herbei 
und fragte: „In einigen Minuten brechen wir auf. Habt 
ihr Hunger oder Durſt?“ 

„Nein,“ antwortete Schwarz. 

„Unterwegs erhaltet ihr nichts. Ihr ſeid alſo ſelbſt 
ſchuld, wenn euch während des Marſches hungert oder 
dürſtet.“ 

Er band ſie los und führte ſie zu den Laſttieren. 
Dort ſchlang er ſelbſt einen Strick um die Spitze der bei⸗ 
den Halsgabeln und band ihn an den Sattel eines Laſt⸗ 
ochſen. Schwarz warf feinem Gefährten einen befriedig⸗ 
ten Blick zu: ohne die Mahnungen des Deutſchen hätte 
der Sklavenjäger ihnen wohl nicht Speiſe und Trank 
angeboten und ſie auch jetzt nicht an den Ochſen gebun⸗ 
den, nachdem er vorher gejagt hatte, daß er ſie an fein 
eigenes Pferd feſſeln werde. 

Jetzt erteilte Abd el Mot ſeine Befehle, und zwar 
laut, daß die Gefangenen es hören konnten. Von jetzt an 
befolgte er die Art des Aufmarſches, von welcher der 
Emir geſprochen hatte. Zwanzig Späher mußten auf 
den ſchnellſten Pferden voranreiten; ihnen folgten hun⸗ 
dert andre, die nach ihrer Ankunft das Dorf in weitem 
Kreiſe zu umſtellen hatten. Darauf ſetzten ſich die übri⸗ 
gen in Bewegung, teils zu Fuß, teils auf Ochſen reitend. 

Dieſe Ochſen ſind nicht die langſamen ſtörrigen 
Tiere wie die unſrigen. Sie beſitzen ein klügeres Auge 
und einen viel ſchnelleren und dabei ſehr ſicheren Schritt. 
Sie ſind das Ergebnis hundertjähriger Zucht und dürfen 
auch keineswegs mit dem wilden Büffel verglichen 
werden. 


— 323 — 


Die Gefangenen mußten ziemlich raſch ausſchreiten, 
um mit ihrem Ochſen Schritt zu halten. Die Schebah, 
die jeder von ihnen trug, war von hartem, unzerbrech⸗ 
lichem Holz und wog wohl über dreißig Pfund. Dieſe 
Laſt war nicht übermäßig; aber die Gabel berührte bei 
jedem Schritt den nackten Hals und rieb ihn in der Folge 
wund. Später ſtellte ſich noch ein zweiter Uebelſtand ein. 
„Die vom Ellbogen aufwärts an die Schebah gefeſſelten 
Vorderarme waren dieſe Stellung oder Haltung nicht 
gewohnt und ſchliefen ein. Im übrigen war der Marſch 
mit keiner Beſchwerde verbunden. 

Abd el Mot hielt ſich ſtets in ihrer Nähe und ritt. 
meiſt hinter ihnen her, ſchien jedoch auf das, was ſie 
ſprachen, gar nicht zu achten. Uebrigens unterhielten ſie 
ſich wenig, und wenn ſie es taten, nur mit gedämpfter 
Stimme. Er hatte das Gewehr des Deutſchen über⸗ 
gehängt und deſſen Revolver in ſeinen Gürtel geſteckt. 
Mit dieſen Waffen liebäugelte er ſo fleißig, daß man 
merken konnte, wie ſtolz er auf ſie war. Das Fernrohr 
blickte aus der Satteltaſche hervor, und die Uhr, den 
Geldbeutel und das übrige Eigentum Schwarz' hatte er 
auch an ſich genommen. 

Man kam über ödes, langſam anſteigendes Land. 
Von fernher winkten kahle Berge. Als man ihren Fuß 
erreichte, ſtand die Sonne am Horizont, und es wurde 
angehalten und zum Mogreb abgeſtiegen. Dieſe gefühl⸗ 
loſen Barbaren beteten zu Gott, obgleich ſie im Begriff 
ſtanden, eine himmelſchreiende Tat auszuführen. Auch 
der Emir kniete trotz der ihn hindernden Sklavengabel 
nieder, um ſein Gebet zu verrichten, und Schwarz folgte 
ſeinem Beiſpiel, und zwar aus wirklichem Herzens⸗ 
bedürfnis. 

Dann, als die Sonne verſchwunden war, ging es 


ı 


— 324 — 


weiter. Es wurde finfter, und nun war es dem Deuts 
ſchen nicht mehr möglich, die Landſchaft zu ſehen, durch 
die ſie kamen. Er bemerkte nur, daß es ſtets bergauf 
ging, oft über ſteile Gelände, oft durch enge Täler. 
Einige Male kam man an Sümpfen vorüber, von denen 


ſich Myriaden Stechfliegen erhoben, um ſich auf Men⸗ 


ſchen und Tiere zu werfen und den Zug auf weite 
Strecken zu verfolgen. Dann fühlten die Gefangenen es 
ſchmerzlich, daß ſie mit ihren gefeſſelten Händen nicht 
imſtande waren, die Blutſauger von ſich abzuwehren. 

Je ſpäter, deſto heller wurde der Glanz der Sterne, 
der den Marſch weſentlich erleichterte. Zuweilen kehrte 
einer der Späher zurück, um eine leiſe Meldung zu 
machen. Endlich, vielleicht eine Stunde vor Mitternacht, 
gebot Abd el Mot Halt. 

Schwarz ſtrengte ſeine Augen an, vielleicht das 
Dorf zu ſehen, doch vergeblich. Boten kamen und gingen 
wieder; der Anführer beſprach ſich leiſe mit ihnen. Sämt⸗ 
liche Reit⸗ und Laſttiere wurden unter der Obhut einer 
Anzahl Wächter nach einem ſicheren Ort geſchafft; kleine 
Abteilungen der Aſaker marſchierten ab, geradeaus, nach 
rechts und nach links, und endlich hielt Abd el Mot nur 
noch mit zehn Männern bei den Gefangenen, die natür⸗ 
lich von ihrem Ochſen losgebunden worden waren. „In 
kurzer Zeit werdet ihr ſehen, wie man es machen muß, 
um Sklaven zu bekommen,“ ſagte er. „Denkt aber, wenn 
es losgeht, ja nicht, daß ihr dieſe Gelegenheit zur Flucht 
benützen könnt! Ihr würdet augenblicklich erſchoſſen 
werden!“ 

Dem Deutſchen war traurig zu Mute; er dachte 
nicht an ſich, ſondern an die armen, unſchuldigen und 
nichts ahnenden Schwarzen, die auf eine fo entſetzliche 
Weiſe aus ihrer Ruhe geſtört werden ſollten. 


Nach einiger Zeit faßten auf Befehl Abd el Mots 

zwei Mann Schwarz und zwei andre den Emir bei der 
Gabel und zogen ſie mit ſich fort. Die andern folgten 
leiſe, bis ſich eine hohe dunkle Maſſe vor ihnen erhob, 
die nach beiden Seiten mauerähnlich in der Finſternis 
verlief. Das waren die Dornhecken, von denen bekannt⸗ 
lich zwei, eine innere und eine ie äußere, das große Dorf 
Ombula umgaben. ' 
Schwarz hatte während des ganzen Marſches bis 
hierher nachgedacht, ob es nicht doch ein Mittel gebe, das 
Dorf zu retten; aber es war ihm keins eingefallen. Jetzt 
kam ihm ein Gedanke, aber ein Gedanke, deſſen Aus⸗ 
führung ihm unbedingt das Leben koſten mußte. Den⸗ 
noch war er entſchloſſen, ſein Leben für dasjenige vieler 
zu opfern. „Ich rette das Dorf doch noch,“ raunte er 
dem Emir zu. — „Wie denn?“ flüſterte dieſer. — „Ich 
werde mit aller Macht meiner Stimme ſchreien, daß 
man es durch ganz Ombula hört und alle Schläfer da⸗ 
von erwachen.“ — „Allah behüte dich! Du gibſt dein 
Leben hin, ohne einen einzigen zu retten. Das Dorf iſt 
eingeſchloſſen, und kein Menſch kann entkommen. Dein 
Rufen würde das Elend nur erhöhen, denn es iſt beſſer, 
im Schlaf, als im Wachen erſchlagen zu werden.“ 

Das waren triftige Gründe. In dieſem Augenblick 
kam einer der Unteroffiziere herbei, um dem Anführer 
zu melden: „Es kann beginnen. Alle ſtehen bereit. Die 
Wächter des Eingangs ſind ſtill umgebracht worden, und 
auch der Pferch der Tiere iſt umſtellt.“ 

„Brenn an, den andern zum Zeichen!“ gebot Abd 
el Mot dem Mann. 

Dieſer kauerte ſich nieder — ein leiſer Klang von 
Stahl und Stein — ein ſpringender Funke — eine glim⸗ 
mende Flintenlunte und dann ein kleines Flämmchen, 


— 826 — 


5 t 
das raſch anwuchs, ſich zerteilte und in zehn, zwan⸗ 
zig Zickzackſchlangen an der ausgedorrten Hecke empor⸗ 
lief. Wenige Sekunden ſpäter ſtand an dieſer Stelle die 
Einfriedung bereits mehrere Meter breit in Flammen, 
die ſo ſchnell weiterliefen, als ob der Zaun aus geöltem 
Papier beſtanden hätte. 

Zur Rechten und zur Linken, fern und nahe, zuckten 
gleiche Flammen auf. Nach Verlauf von zwei Minuten 
ſtand die Umzäunung des ganzen Dorfes in hellen, haus⸗ 
hoch emporſchlagenden und keine Lücke laſſenden Flam⸗ 
men. Von jenſeits erſchallten e Rufe, von 
Schüſſen beantwortet. 

„Die Wächter bei den Herden ſind erwacht; ſie wer⸗ 
den erſchoſſen,“ erklärte Abd el Mot mit teufliſcher 
Freude. „Jetzt geht es los. Ihr werdet die Dſcharah⸗ 
din!) gleich winſeln hören.“ 

Ein ſtarker Luftzug, von den Flammen aufgeweckt, 
begann zu wehen, und die Stimme des Feuers ging wie 
das Brauſen einer fernen Brandung durch die grell er⸗ 
leuchtete Nacht. Hierein miſchten ſich einzelne Schreie, 
welche den Lippen derer entſprangen, die durch die 
Schüſſe aus dem Schlaf geweckt wurden. Die Bewoh⸗ 
ner des Dorfes waren erwacht. Sie ſprangen aus ihren 
Tokuls und erkannten mit Entſetzen, daß die Umzäunung 
brannte. Noch war ihnen die ganze Größe ihres Un⸗ 
glücks verborgen. N 

Sie weckten die noch Schlafenden, um im Verein 
mit ihnen das Feuer von ihren Hütten abzuwehren. 
Aber die umherfliegenden Funken fielen auf die aus 
dürrem Schilf beſtehenden Dächer und ſteckten dieſe trotz 
aller Bemühungen der Bewohner in Brand. Bald ſtan⸗ 
den ſämtliche Tokuls in Flammen. Die Neger konnten 


y Plural von Dſchirdan = Ratte. 


— 827 — 


es in der Glut nicht aushalten. Aber wohin? Durch 
die brennende Umzäunung konnten ſie nicht ins Freie; 
Auswege gab es nur durch die Tore. Dieſe pflegten des 
Tages offen zu ſtehen und des Nachts mit Schilfmatten 
verhängt und durch Krieger bewacht zu werden. Die 
letzteren waren von den Sklavenjägern aber überraſcht 
und ermordet worden. Die Matten hatten ſich ſchnell in 
Aſche verwandelt, da ſie aus einem Material beſtanden, 
das vom Feuer in wenigen Augenblicken verzehrt wird. 
Darum waren die Tore die einzigen Punkte, wo man 
aus der alles verſengenden Glut hinaus ins Freie 
konnte. Dieſen Stellen eilten die Unglücklichen zu. 
Aber die Sklavenjäger hatten das vorberechnet und 
ſich in ausreichender Anzahl dort aufgeſtellt. Jeder er⸗ 
wachſene Belanda, der vor einem der Tore erſchien, wurde 
ſofort erſchoſſen; dasſelbe Schickſal erlitten die alten 
Frauen. Die jüngeren Perſonen riß oder ſchlug man 
nieder und band ſie mit Stricken, die zu dieſem Zweck in 
großem Vorrat auf den Laſttieren mitgebracht worden 
waren. | | 
Die Szene, die das gab, läßt ſich unmöglich beſchrei⸗ 
ben. Männer kamen geſprungen, mit Kindern auf den 
Armen, die ſie retten wollten. Sie ſtürzten, von den 
Kugeln getroffen, nieder, und dann riß man die Kinder 
aus ihren Armen. Hier kam eine alte Frau durch das 
Tor gerannt, laut aufjubelnd, daß ſie dem Feuer ent⸗ 
gangen war; in demſelben Augenblick wurde ſie mit 
dem Kolben niedergeſchmettert. Ein junges Weib flüch⸗ 
tete ſich, zwei Knaben nach ſich ziehend, durch das Tor. 
Die Kinder wurden ihr ſofort entriſſen; ſie ſelbſt warf 
man ſofort nieder, um ſie an Händen und Füßen zu bin⸗ 
den. Ein ſtämmiger Neger, der in weiten Sätzen zwiſchen 
den brennenden Tokuls nach dem Tore rannte, wurde 


— 828 — 


von der Kugel nicht tödlich getroffen. Er erhielt mit dem 
Flintenlauf einen Stoß vor den Magen, ſo daß er nie⸗ 
derſtürzte; dann ſchnitt man ihm die Achillesſehne durch, 
ſo daß der Aermſte nicht entſpringen konnte. 

Es geſchahen ähnliche und noch viel ſchlimmere 
Taten, ſo daß ſich die Feder ſträubt, ſie zu beſchreiben. 
Aus den einzelnen Schreien, die man anfangs gehört 
hatte, war ein allgemeines Geheul und Gebrüll gewor⸗ 
den. Die Neger hatten erkannt, daß ſie es nicht mit 
einem zufällig ausgebrochenen Feuer, ſondern mit einer 
Ghaſuah zu tun hatten, der ſie nicht entrinnen konnten. 
Die Männer wußten, daß ſie dem unerbittlichen Tod 
verfallen ſeien. Viele von ihnen rotteten ſich zuſammen, 
um kämpfend zu ſterben. Da ſie aber keine Zeit gefun⸗ 
den hatten, ihre Waffen dem Feuer zu entreißen, ſo 
waren ſie nur auf ihre Fäuſte angewieſen und wurden 
ſchnell niedergemetzelt. Andre hatten ein Meſſer gefun⸗ 
den und benützten dasſelbe, ſich ſelbſt den Tod zu geben, 
indem ſie ſich damit erſtachen. Einige ſprangen freiwil⸗ 
lig in die lodernden Flammen und riſſen ihre Frauen 
oder Kinder mit hinein, um ſie vor der Sklaverei zu 
retten. a 

Schwarz war es unmöglich, ſolche Szenen anzu⸗ 
ſehen. Er wendete ſich ab und fühlte ſich vor Jammer 
und Herzeleid über das Schickſal der armen Schwarzen 
unbeſchreiblich elend. Das Heulen der unglücklichen 
Neger, das Jauchzen der Sklavenjäger wollte ihm die 
Beſinnung rauben. Die letzteren kamen ihm im Schein 
der lodernden Flammen wie Teufel vor, die um die 
Seelen der Verdammten ihre hölliſchen Reigen tanzen. 

Als ſeit dem Aufzucken der erſten Flamme eine 
halbe Stunde vergangen war, ſah man das grauſige 
Werk vollendet. Es erſchien kein Neger mehr, um ſich 


— 2300 — 
aus den Flammen zu retten. Wer ſich nicht in den Hän⸗ 
den der Sklavenjäger befand, war von ihnen getötet 
worden oder im Feuer umgekommen. N 

Draußen vor dem brennenden Dorf befanden ſich 
die erbeuteten Herden, von einer Anzahl Aſaker bewacht. 
Die andern hüteten die Gefangenen. Dieſe befanden ſich 
in einem Zuſtand teils der größten Aufregung, teils der. 
tiefſten Niedergeſchlagenheit. Die meiſten ſaßen am 
Boden, ſtill weinend oder lautlos vor ſich hinſtarrend. 
Andre raſten zwiſchen dieſen umher, gebärdeten ſich wie 
wahnſinnig und brüllten vor Verzweiflung wie wilde 
Tiere. Sie wurden mit der Peitſche ſehr bald zur Ruhe 
gebracht. — 

Nun gebot Abd el Mot die Beute zu zählen. Die 
Unteroffiziere gingen umher, um die Gefangenen mit 
Kennerblicken zu muſtern. Die einzelnen „Arten“ wur⸗ 
den voneinander geſchieden und zu Gruppen vereinigt. 
Man hatte gegen vierhundert Knaben, ebenſoviel Mäd⸗ 
chen und faſt zweihundert jüngere Frauen erbeutet. 
Außerdem gab es noch viele kleine Kinder, die man ihren 
Müttern einſtweilen noch ließ. Im erſten Augenblick 
war es notwendig geweſen, den Gefangenen auch an die 
Füße Feſſeln zu legen; dann aber hatte man ſie davon 
befreit, um ihnen die notwendigſte Beweglichkeit zu ge⸗ 
ſtatten. Sie wurden wieder zuſammengetrieben und 
mußten ſich niederſetzen. Auf Flucht ſann keines dieſer 
unglücklichen Geſchöpfe, denn ſie waren ja rund von be⸗ 
waffneten Männern umſtellt, und jeder Fluchtverſuch 
hätte zum ſofortigen Tod geführt. 

An einen Schlaf war nicht zu denken, weder bei den 
Gefangenen, noch bei den Sklavenjägern. Dieſe letzteren 
hatten noch nie einen ſo reichlichen Fang gemacht. Bei⸗ 
nahe tauſend Sklaven, ohne das Vieh, das eine ebenſo 


— 330 — 


wertvolle Beute war! Das machte diefe Menſchen bei⸗ 
nahe wonnetrunken. Sie jubelten, lachten und ſcherzten 
und erzählten einander die Heldentaten, die ſie ausge⸗ 
führt hatten, indem ſie die fliehenden Männer erſchoſſen, 
erſtachen oder niederſchlugen. 

Abd el Mot war ſtolz auf das Gelingen ſeines 
Raubzugs; er befand ſich in der heiterſten Laune. Die 
Folge davon war, daß er in faſt freundlichem Ton zu 
dem Deutſchen ſagte: „Ihr werdet Hunger haben. Soll 
ich euch zu eſſen geben laſſen?“ | 

„Nein,“ antwortete Schwarz. „Wer könnte jetzt 
ans Eſſen oder Trinken denken!“ 

„Ganz wie du willſt! Freuſt du dich nicht, ſo viele 
Gefährten bekommen zu haben, Denen du dein Unglüd 
klagen kannſt?“ | 

„Spotte immerhin! Ich bin glücklicher als du. 
Wenn du einſt über es Sſireth, die Brücke des Todes, 
gehſt, werden die Seelen der heute Ermordeten dich in 
die grauſigſte Tiefe ziehen, und weder Allah noch dein 
Prophet wird ſich dein erbarmen. Mir graut vor dir!“ 

„Du biſt ſehr aufrichtig. Eigentlich ſollte ich dich 
dafür beſtrafen, aber mein Herz iſt heiter geſtimmt, und 
ſo will ich dir verzeihen. Ich will dir ſogar den Beweis 
einer Güte geben, zu der ich mich ſonſt nur ſchwer zu 
verſtehen pflege. Ihr werdet ermüdet ſein und der Ruhe 
bedürfen. Die Schebah verhindert euch, zu ſchlafen. Ich 
will ſie euch abnehmen laſſen und hoffe, daß ihr mir für 
dieſe Gnade danken werdet.“ 

Er gab einigen ſeiner Leute den betreffenden Be⸗ 
fehl. Dieſe nahmen den beiden die Gabeln vom Halſe, 
doch erſtreckte ſich die gewährte Erleichterung nicht ſo 
weit, wie Schwarz vermutet hatte. Er mußte ſich viel⸗ 
mehr mit dem Rücken auf die Schebah legen und wurde 


— 881 — 


mit ihr fo zuſammengebunden, daß er lang ausgeſtreckt 
am Boden lag und ſich nicht bewegen konnte. Dem Emir 
erging es ebenſo. Dann mußte ſich ein Soldat zwiſchen 
ſie ſetzen, um ſie während der Nacht zu bewachen. 

Dieſe Nacht war die ſchrecklichſte, die Schwarz 
jemals erlebt hatte. Er vermochte kein Auge zuzutun, 
und wenn er die Lider ja einmal ſchloß, ſo führte die 
aufgeregte Phantaſie die erlebten Szenen an ſeinem 
Inneren vorüber. Die wenigen Stunden bis zum Mor⸗ 
gen wurden ihm zur Ewigkeit, und er war unendlich 
froh, als der erſte Schimmer des Tages die Sterne er⸗ 
bleichen ließ. 

Aber wenn er der Anſicht geweſen war, daß der Tag 
ihn weniger Grauſamkeiten werde ſehen laſſen als die 
Nacht, ſo hatte er ſich geirrt. 

Zunächſt verrichteten die Sklavenjäger ihr Morgen⸗ 
gebet. Dann wurde die Fahne aufgeſteckt, und der Fakir 
las, neben ihr ſtehend, die Sure des Sieges vor. Hierauf 
wurden mehrere Rinder und viele Schafe geſchlachtet, 
um als Feſtſpeiſe verzehrt zu werden. Die Gefangenen 
mußten die Orte angeben, wo ihre Matmurah und Sie⸗ 
bah lagen. 

Unter Matmurah verſteht man große, tiefe Gruben, 
worin die Durrah aufbewahrt zu werden pflegt. Siebah 
ſind kleine, auf Steinen errichtete und gut zugedeckte 
zylindriſche Bauten, die dem gleichen Zweck dienen. 

Man ſchaffte ganze Haufen von Durrah herbei, 
welche die gefangenen Frauen mahlen mußten, um dann 
Kisrah daraus zu backen und Meriſſah zu bereiten. Für 
Abd el Mot, die Unteroffiziere und einige Soldaten, die 
ſich beſonders ausgezeichnet hatten, wurde Mararah ge 
braten. N 

Dieſe gilt im ganzen Sudan als großer Leckerbiſſen 


— 882 — 


und wird aus der Leber, den Gedärmen und der Galle 
des Schlachtviehs bereitet. Dieſe letztere Zutat läßt es 
ganz ſelbſwerſtändlich erſcheinen, daß die Mararah einem 
Europäer unmöglich munden kann. 

Während dieſe Vorbereitungen getroffen wurden, 
ereignete ſich etwas, was Schwarz wieder mit Schauder 
erfüllte. Die Gefangenen ſollten natürlich nach der 
Seribah Abu el Mots transportiert werden. Kleinere 
Kinder waren dabei hinderlich und unbequem. Darum 
gab Abd el Mot den Befehl, alle Kinder, die das Alter 
von vier Jahren noch nicht erreicht hatten, zu töten. Die 
Aufregung, die dieſes Gebot bei den unglücklichen Müt⸗ 
tern hervorbrachte, läßt ſich gar nicht beſchreiben. Sie 
wollten die Kinder nicht hergeben; ſie wehrten ſich wie 
die Löwinnen, doch vergeblich. Man bezwang ſie mit 
der Peitſche. Als dieſes unmenſchliche Morden getan 
war, wurde die übrige Menſchenbeute in der bekannten 
Weiſe aneinander gebunden, und dann erſt ordnete ſich 
die ganze Kolonne zum Abzug. Vorher kam aber Abd 
el Mot zu dem Emir und dem Deutſchen, die noch auf 
der Schebah an der Erde lagen, und ſagte: „So macht 
man es mit dem ſchwarzen Fleiſch, das man nicht ge⸗ 
brauchen kann. Hat euch das Schauſpiel gefallen?“ 

„Du biſt ein Satan!“ antwortete Schwarz in maß⸗ 
loſem Grimm. „Und ich ſchwöre dir: du wirſt dieſe Tat 
bereuen!“ f 

„Drohe und belle immerhin, du Hund!“ lachte der 
Sklavenjäger höhniſch. „Du wirſt die Freiheit nicht 
wieder verkoſten. Jetzt ſchone ich dich; ſind wir aber auf 
der Seribah angekommen, ſo werde ich euch meine Rache 
in einer Weiſe fühlen laſſen, daß euch die Verdammnis 
der Hölle dagegen als Seligkeit erſcheint!“ — — — 


Elftes Kapitel. 


Verbündete. 


ls der „Vater des Storches“ zu feinem Boot zu⸗ 
rückgekehrt war, hatte er nicht mit dem Aufbruch ge⸗ 
ſäumt. Die Sterne leuchteten hell genug, die Strom⸗ 
fahrt trotz der Nacht wagen zu laſſen. Das Boot wurde 
losgebunden und nach der Mitte des Fluſſes geſteuert, 
wo ſich die Niam⸗niam kräftig in die Ruder legten. Sie 
hatten, während ſie auf den Grauen warteten, gegeſſen 
und ſich ausgeruht, ſo daß das Boot unter dem Druck 
ihrer muskulöſen Arme mit der Schnelligkeit eines 
Fiſches abwärts ſchoß. 

Dieſe Leute waren an das ſüdliche Klima und die 
hieſigen Verhältniſſe gewöhnt, ſie konnten ſelbſt außer⸗ 
gewöhnliche Anſtrengungen vertragen. Anders iſt es 
mit dem Fremden, dem die Sorge für ſeine Geſundheit 
hier die möglichſte Schonung ſeiner Kräfte gebietet. 
Darum hüllte Pfotenhauer ſich in ſeine Decke und legte 
ſich im Vorderteil des Fahrzeuges nieder, um einige 
Stunden zu ſchlafen. 

Er kannte den eigentümlichen Reiz, den die nächt⸗ 
liche Szenerie des gewaltigen Stromes gewährt, genug, 
um ſich dieſen Genuß für heute einmal verſagen zu kön⸗ 
nen. Sein Schlaf war tief und lang, denn als er er⸗ 
wachte, ſtand die Sonne ſchon hoch über dem Walde von 
Dalebpalmen, der am rechten Ufer ſtand, in deſſen Nähe 


— 334 — 


der „Sohn des Geheimniſſes“ jetzt ſteuerte, und als er 
die Uhr zog, ſah er zu ſeinem Staunen, daß er bis mor⸗ 
gens zehn Uhr geſchlafen hatte. 

Die Niam⸗niam arbeiteten augenblicklich in der 
Weiſe, daß nur die Hälfte von ihnen ruderte, um von 
den andern, wenn dieſe ausgeruht hatten, abgelöſt zu 
werden. Uebrigens hatte das Waſſer hier einen ſo be⸗ 
deutenden Fall, daß es, um ſchnell zu fahren, keiner an⸗ 
ſtrengenden Nachhilfe mittels der Ruder bedurfte. 

Zum Eſſen brauchte man keine beſondere Pauſe; 
wer eſſen wollte, der aß, wenn er von der Arbeit abge⸗ 
löſt worden war. Getrunken wurde ſehr einfach aus dem 
Fluſſe, und ſo ſuchte man das Ufer während des ganzen 
Tages gar nicht auf, bis man am ſpäten Nachmittag 
durch einen Umſtand dazu gezwungen wurde, der den 
Inſaſſen des Bootes beinahe gefährlich geworden wäre. 

Man näherte ſich einer ſcharfen Krümmung des 
Fluſſes. Der vorſpringende Rand des rechten Ufers 
machte, daß man nicht ſah, was jenſeits dieſer Krüm⸗ 
mung lag und geſchah. Da ſtand der Steuermann von 
ſeinem Platz auf, hielt die Hand muſchelförmig an das 
Ohr, lauſchte einige Augenblicke nach vorn und ſagte 
dann: „Schu haida! Rina — was höre ich! Einen Ges 
ſang!“ — „Wo? Auf dem Fluſſe?“ fragte Pfotenhauer. 
— „Ja. Es kommen Menſchen. Wer mag das ſein? 
Doch nicht etwa Abu el Mot mit feinen Schiffen!“ — 
„Wir dürfen uns nicht ſehen laſſen. Alſo raſch an das 
Ufer!“ — „An welches?“ — „An das linke, denn dort 
iſt Schilf, wo wir uns verbergen können; hier am rech⸗ 
ten aber gibt es wenig davon.“ | 

Der „Sohn des Geheimniſſes“ gehorchte und ſteuerte 
nach links. Als das Boot ſo weit hinüber war, daß man 
um die Krümmung blicken konnte, nahm der Graue ſein 


— 335 — 


Fernrohr zur Hand. Kaum hatte er es angeſetzt, ſo rief 
er erſchrocken: „Schnell zurück, zurück nach rechts, ſonſt 
werden wir entdeckt! Ich ſehe zwei Schiffe, aber auch 
»Menſchen, die am Ufer laufen.“ 

Sofort riß der Steuermann das Ruder auf die 
andre Seite, und die Schwarzen legten ſich ſo mächtig in 
die Riemen, daß das Boot eine ſo ſcharfe Wendung 
machte, daß es faſt gekentert wäre. 

„Leute am Ufer?“ fragte der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“. „Lagen die Schiffe denn vor Anker?“ — „Nein, 
ſie fuhren. Ich habe die Segel geſehen.“ — „Dann haben 
fie das Liban) am Maſt, um ſchneller vorwärts zu Tome 
men. Wenn es zwei Schiffe ſind, ſo gehören ſie Abu el 
Mot. Ich war ſehr unvorſichtig, daß ich deinem Befehl, 
nach links zu ſteuern, gehorchte. Ich hörte die Leute ſin⸗ 
gen. Das tun ſie nur, wenn ſie am Liban ziehen oder 
mit den Mitarah?) arbeiten. Zum Glück hat hier rechts 
das Waſſer eine Gras und Omm Sufahinſel ange⸗ 
ſchwemmt, die uns verbergen wird.“ 

Er ſteuerte das Boot ſcharf mitten in dieſe Inſel 
hinein und ließ dann den Anker fallen. Das war, ſo weit 
man ſehen konnte, am rechten Ufer der einzige Ort, der 
Schutz gewähren konnte. Aber dieſe Inſel war ſo niedrig, 
daß die Männer ſich in das Boot legen mußten, um 
nicht geſehen zu werden. 

Der Deutſche mußte das ſcharfe Gehör des jungen 
Steuermanns bewundern, denn er ſelbſt hatte nichts 
von einem Geſang vernommen. Er hörte ſelbſt jetzt noch 
keinen Ton, obgleich der Jüngling behauptete, das Sin⸗ 
gen jetzt fogar deutlicher als vorher zu vernehmen. 

Bald jedoch drangen die Töne auch in Pfoten⸗ 
hauers Ohr. Es waren die zwei Silben heh — lih, heh 

) gugfeil. — 5) Gtoffinngen. | 


— 886 — 


— lih, welche immerfort wiederholt wurden. „Heh“ fiel 
auf den Grundton und „lih“ auf die kleine Terz; die 
Tonart war alſo Moll. Dann aber war eine längere 
Melodie, ein Lied zu hören, das mehrere Strophen hatte. 
Die Worte der erſten waren noch undeutlich; bei der 
zweiten aber hatten ſich die Schiffe ſchon ſo weit genähert, 
daß man den Geſang verſtehen konnte. Der Deutſche 
vernahm die vier Verſe: 

„Gerebd el beled, gered laoda, 

Tered ab ſchora a loba hamoda. 

Ja Rabb, ſber t'adil taraqu, 

De gib nau mah moktaf rafiqu.“ 

Man ſieht, daß dieſe Zeilen ſich reimen. gs 

Deutſche überſetzt, lauten ſie: 
„Immer näher der Heimat, 
Singen und freuen wir uns herzlich, 
O Gott, gib gute Fahrt, 
Wind und den Ruderern Kraft!“ 

Jetzt kam das erſte Schiff um die Krümmung. Es 
war ein Sandal und hatte volle Segel an den zwei 
Maſten. Vom Vordermaſt ging das Zugſeil nach dem 
jenſeitigen Ufer, an dem man etwa ein Dutzend Männer 
ſah, die ſich vorgeſpannt hatten. Hinten neben dem 
Steuermann ſtanden zwei Perſonen, welche ſehr in die 
Augen fielen, eine ſehr lange und ſehr dürre, in arabiſche 
Tracht gekleidete Geſtalt und neben ihr ein Mann, deſſen 
Kleidung aus drei Stücken beſtand. Das erſte war eine 
Art Badehoſe, die kaum bis an das Knie reichte, das 
zweite ein Pantherfell, das ihm hinten von den Schul⸗ 
tern niederhing, und das dritte eine ſehr hohe, zuckerhut⸗ 
förmige Kopfbedeckung, die ganz mit Kaurimuſcheln be⸗ 
deckt war und von deren Spitze bunte Glasperlen herab⸗ 
hingen; ſein Geſicht war nicht ganz negerſchwarz. 


— 85% 


„der Lange ift Abu el Mot,“ ſagte der „Sohn des 
Geheimniſſes“. f | 

„Iſt er es?“ antwortete der Graue. „Dieſen Kerl 
muß ich mir genau betrachten.“ Er legte ſein Fernrohr 
auf den Rand des Bootes und richtete es nach dem be⸗ 
rüchtigten Sklavenjäger. Dann fuhr er fort: „Er hat 
freilich ganz das Ausſehen des Todes. Dieſer Menſch iſt 
ein wahres Gerippe. Wer mag der andre ſein, der neben 
ihm ſteht?“ 

„Er iſt ein Beng⸗did:) der Nuehr, denn bei ihnen 
dürfen nur die Anführer ſolche Mützen tragen. Siehſt 
du die Schwarzen, die mit den Stoßſtangen arbeiten und 
dabei ſingen? Das ſind Nuehr. Ich erſehe das aus der 
Art und Weiſe, wie ſie ihr Haar tragen.“ 

„So kommt dieſer Abu el Mot viel eher, als ich 
dachte. Wie weit haben wir noch bis zur Seribah 
Madunga?“ ö 

„Wir werden ſie gerade mit Sonnenuntergang er⸗ 
reichen. Sie liegt am rechten Ufer des Stromes; darum 
hat Abu el Mot ſich an das linke gehalten. Wären wir 
nicht ſo ſchnell umgekehrt, ſo hätten dieſe Leute uns jetzt 
ſchon entdeckt. Weil ihnen die Lebensmittel fehlen, be⸗ 
eilen ſie ſich ſehr und verlaſſen ſich nicht bloß auf den 
Wind.“ 

Dieſer war dem Sandal günſtig, denn er kam aus 
Nord. Die Stoßſtangen vermehrten die Geſchwindigkeit 
des Fahrzeuges ſo, daß die Leute, die am Ufer am Seile 
zogen, Trab laufen mußten. 

Als der Sandal vorüber war, erſchien das zweite 
Schiff, ein etwas kleinerer Noger, der auch unter vollen 
Segeln ging und überdies vom Ufer aus am Seil ges 
zogen wurde. Sein Deck war von Nuehrs gefüllt. 

y „Großer Herr“, Häuptling. N 
May. Die Skiavenkarawane. 22 


— 338 — 


Das Lied war zu Ende; man hörte wieder das ein⸗ 
lache heh — lih, heh — lih, das deſto leiſer wurde, je 
weiter ſich die beiden Schiffe aufwärts entfernten. Doch 
erſt nach einer Viertelſtunde hatten ſie eine ſo genügende 
Strecke zurückgelegt, daß der „Sohn des Geheimniſſes“ 
ſagen konnte: „Jetzt kann man uns nicht mehr ſehen. Es 
war mir doch bange, als ſie vorüberkamen. Allah ſei 
Dank, daß wir nicht entdeckt worden find! Jett wollen 
wir fort!“ 

Der Anker wurde aufgenommen, und Dan nahm 
das Boot die unterbrochene Fahrt wieder auf. Die 
Ruderer ſtrengten ihre Kräfte doppelt an, um die ver⸗ 
ſäumte Zeit einzubringen. 

Als die Sonne hinter dem linken Ufer des Stromes 
und den dort ſtehenden Bäumen verſchwunden war, 
zeigte es ſich, daß der Steuermann ganz richtig geſchätzt 
hatte. Man ſah am rechten Ufer eine breite Miſchrah, 
unter welchem Wort man eine Landeſtelle für Schiffe, 
eine Tränkſtelle für die Herden und zugleich einen Weg 
verſteht, der vom hohen Ufer herab nach dem Fluß 
führt. „Das iſt die Seribah,“ ſagte der „Sohn des Ge⸗ 
heimniſſes . 

„Das?“ fragte der Graue, indem er den Platz be⸗ 
N „Man ſieht doch nichts von ihr!“ | 
„Weil fie nicht am Waſſer, fondern auf dem Tha⸗ 
harah!) liegt. Ich kenne den Herrn, dem ſie gehört, und 
weiß, daß er uns willkommen heißen wird.“ 

Er ſteuerte das Boot nach der Miſchrah und legte 
dort an. Man ließ den Anker fallen und befeſtigte das 
Fahrzeug außerdem an einen der Pfähle, die zu dieſem 
Zweck eingerammt waren. Ein zur Seribah gehöriger 
Kahn lag nicht am Ufer. Man pflegt die Boote inner⸗ 


) Hohes Ufer, L andrücken. 


— 332 — 


hald der Umzäunung aufzubewahren, damit ſie nicht 
weggeführt werden können. 

Pfotenhauer glaubte, daß ſeine Ankunft von der 
Niederlaſſung gar nicht bemerkt worden fei; aber er irrte 
ſich, denn kaum war er ausgeſtiegen, ſo ſcholl es hinter 
einem nahen Gebüſch hervor: „Halt, nicht weiter! Wer 
ſeid ihr?“ 

Er blickte nach der Stelle hin und ſah einige Flin⸗ 
tenläufe durch die Zweige auf ſich gerichtet. Seine Naſe 
ſchwang ſich ſofort nach der entgegengeſetzten Seite des 
Geſichtes, als wolle ſie es verhüten, von einer Kugel ge⸗ 
troffen zu werden. „Tut die Flinten weg!“ antwortete 
er. „Wir kommen nicht in feindlicher Abſicht.“ 

„Woher kommt ihr?“ lautete die weitere Frage, 
ohne daß ein Menſch ſich ſehen ließ. „Antwortet, oder 
ich muß ſchießenl“ 

Die Stimme des Sed ge Sprechers klang 
eigentümlich ſchnarrend, als ob er die Laute alle hinten 
am Gaumen bilde. Der „Sohn des Geheimniſſes“ hatte 
ſich noch im Boot zu ſchaffen gemacht. Jetzt ſtieg er als 
der Letzte aus und rief als Antwort nach dem Buſch hin: 
„Du kannſt es glauben, daß wir Freunde ſind. Ich er⸗ 
kenne dich an deiner Stimme, el Schadhar!). Komm 
nur hervor!“ 

„Dieſer junge Menſch tennt ı meinen Namen,“ er⸗ 
klang es wieder, „folglich habe ich nichts zu befürchten. 
Wir kommen.“ 

Das Geſträuch teilte iich, und es erſchien ein alter, 
graubärtiger Menſch, der eine lange Flinte in der Hand 
hielt. Ihm folgten drei andre. Sie waren Weiße, aber 
ganz ſo ſpärlich gekleidet, wie die Neger es gewöhnlich ſind. 

„Woher kennſt du mich denn?“ fragte er, indem er 

y Der Schnarcher. 


— BO - 


näher kam. „Sollteft du der Knabe fein, der damals fo 
gern Abd el Mot kennen lernen wollte?“ 

„Ja, der bin ich.“ 

„Allah! Biſt du wirklich der Junge, der beſſer 
ſchießen konnte als ich? Dann haſt du dich ſehr zu deinem 
Vorteil verändert. Als ich dich nicht wiederſah, glaubte 
ich, dir ſei bei Abd el Mot ein Unglück zugeſtoßen. Ich 
habe mich alſo geirrt, und das freut mich ſehr. = mir 
willkommen!“ 

Er reichte dem jungen Mann freundlich die Hand. 
Dieſer ſchüttelte ihm die ſeinige und fragte: „Iſt der 
Herr der Seribah daheim?“ 

„Nein. Er iſt hinüber nach Jau geritten, um Pul⸗ 
ver zu holen. Darum hat er mir ſelbſt die Bewachung 
der Miſchrah anvertraut. Du weißt, daß er ſich auf mich 
verlaſſen kann.“ | 

„Ja, du biſt der ältefte Askari dieſer Seribah. Sahſt 
du zwei Schiffe vorüberſegeln?“ 

„Wir ſahen ſie, haben ſie aber nicht angeſprochen.“ 

„Weißt du, wer ſich darauf befand?“ 

„Nein. Sie hielten ſich hart an das andre Ufer, und 
der Fluß iſt hier ſo breit, daß man wohl die Schiffe, 
nicht aber die Menſchen, die ſich darauf befinden, ſehen 
kann.“ 

„Es war Abu el Mot.“ 

„Dieſer? Der Schetan mag ihn freſſen! Wäre er 
näher vorübergekommen, ſo hätte ich ihm eine Kugel ge⸗ 
geben. Wer aber iſt denn dieſer fremde Mann, und was 
will er hier?“ Er deutete auf Pfotenhauer. 

„Er iſt ein väterlicher Freund von mir,“ antwortete 
der Steuermann, „und wünſcht einige Tage hier bleiben 
zu dürfen, um Bekannte zu erwarten, die ihn hier ab⸗ 
holen wollen.“ 


6411 


„Er wird willkommen ſein. Führe ihn hinauf in 
die Seribah zum Leutnant, der während der Abweſen⸗ 
heit des Herrn das Kommando führt! Das Boot könnt 
ihr hier laſſen. Ich werde es bewachen.“ 

Der „Sohn des Geheimniſſes“ wandte ſich wie 
einer, der den Weg genau kennt, der Miſchrah zu und 
forderte den Grauen auf, ihm zu folgen. Die Niam⸗ 
niam kamen ſchweigend hinterdrein. 

Es hatte früher hier Wald gegeben, der aber ſo ge⸗ 
lichtet worden war, daß er dieſen Namen nicht mehr 
verdiente. Das Ufer war ziemlich ſteil und ſehr hoch, 
doch verurſachte der Aufſtieg keine Beſchwerde, denn der 
Weg war von täglich nach dem Fluß zur Tränke geführ⸗ 
ten Herden breit ausgetreten. N | 

Als Pfotenhauer oben ankam, ſah er die Seribah 
vor ſich liegen. Sie war von größerem Umfang als die⸗ 
jenige Abu el Mots und beſaß etwas, was hier eine 
große Seltenheit genannt werden mußte, nämlich ein 
aus Stämmen und Brettern errichtetes Türmchen, um 
das eine ſchmale Galerie führte. Das war das Minaret 
der Seribah. 

Vor dem Tor, das durch die ſtarke Umzäunung führte, 
ſtand ein Wachtpoſten, der die Ankömmlinge eintreten 
ließ, ohne eine Frage auszuſprechen. Jetzt konnte man 
die zahlreichen Tokuls ſehen, aus denen dieſe Nieder⸗ 
laſſung beſtand. Zwiſchen den Hütten herrſchte ein reges, 
kriegeriſches Leben. Es ſah aus, als ob man ſich hier zu 
einem Kriegszug rüſte. 

Rechts und links von dem Minaret ſtand je ein 
größerer Tokul. „Rechts wohnt der Herr und links der 
Leutnant,“ erklärte Abd es Syrr dem Deutſchen. „Da 
der erſtere nicht anweſend iſt, müſſen wir uns dem letz⸗ 
teren melden.“ 


— 842 — 


Sie hatten den links liegenden Tokul noch nicht 
ganz erreicht, als deſſen Herr aus der Tür trat. Er ſah 
überraſcht auf, als er die Nahenden erblickte; kaum aber 


hatte er den Jüngling geſehen, ſo rief er aus: „Knabe, 


du biſt es! Du läſſeſt dich wieder einmal ſehen! Wir 
glaubten dich verloren. Sei willkommen, und ſage, wen 
du uns bringſt! Das ſind Niam⸗niam. Soll ich ſie au 
Sklaven machen?“ 

Er war vielleicht noch älter als der „Schnarcher“, 
der unten am Fluſſe Wache ſtand. Auch er ſchüttelte dem 
Jüngling die Hand; dieſer antwortete: „Sie ſind meine 
Brüder, denn ich wohne bei ihnen. Ich komme, um dir 
dieſen fremden Effendi zu empfehlen, der für einige 
Tage dein Gaſt ſein möchte.“ 

Er deutete auf den Deutſchen. Der Leutnant reichte 
auch dieſem die Hand und fagte: „Wer du auch biſt, ich 
heiße dich willkommen, da dich dieſer Knabe zu mir 
bringt. Er mag deine Niam⸗niam zu unſern Negern 
führen, bei denen ſie ſich wohlbefinden werden. Dir 
aber will ich den Tokul anweiſen, der für unſre Be 
ſucher beſtimmt iſt. Folge mir!“ 

Er brachte den Grauen nach einer Hütte, deren Be⸗ 
ſtimmung man ihr bereits von außen anmerkte, denn ſie 
war ſorgfältiger gebaut und ſah viel ſauberer aus als 
die andern Bauwerke, obwohl ſie aus dem gleichen 
Material beſtand. Das Innere entſprach dem Aeußeren. 
Der Boden war mit Fellen belegt, und auf der ſich rund⸗ 
um ziehenden Erhöhung, die als Sitz und Schlafſtätte 
diente, lagen weiche Decken. In der Mitte hing eine 
Lampe herab, und in der Wand waren ſogar einige Fen- 
ſteröffnungen angebracht. 

„Dieſes Haus iſt dein,“ ſagte der Leutnant. „Mache 
es dir bequem! Ich gehe, dir einen Diener zu ſenden, 


„r 


der den Befehl erhält, dir alles zu bringen, was du be⸗ 
darfſt. Wenn du ausgeruht haſt, werde ich dich beſuchen.“ 
Als der Leutnant den Tokul verlaſſen hatte, ertönte 
draußen der weithin hörbare Ton des Klangbretts, und 
dann erſcholl die Stimme des Ausrufers: „Eilt zum 
Gebet! El Mogreb iſt da, denn die Sonne will im 
Weſten verſchwinden. Es iſt nur ein Gott, und Moham⸗ 
med iſt ſein Prophet. Bezeuget, daß es nur dieſen einen 
gibt! Allah akbar, Allah hu akbar!“ | 
Der Deutſche trat an das Fenſter und erblickte den 
Ausrufer auf der Galerie des Türmchens. Unten lagen 
die Leute auf den Knien, um zu beten. Er konnte von 
ſeinem Fenſter aus in gerader Richtung bis nach dem 
Tor ſehen, durch das er gekommen war. Eben als der 
Ausrufer ſeinen Spruch begonnen hatte, waren dort 
mehrere Männer erſchienen, von denen anzunehmen 
war, daß ſie nicht zu der Seribah gehörten. Auch ſie 
waren auf die Knie geſunken. Nach dem Gebete erhoben 
ſie ſich wieder und ſchritten auf den Tokul des Leut⸗ 
nants zu. | 1 | 
Sie waren Soldaten, aber nicht etwa Aſaker einer 
Seribah, ſondern wirkliche Soldaten, denn fie trugen, 
nur einen ausgenommen, die Uniform des Vizekönigs. 
Der Voranſchreitende war Offizier. Er trug die Ab⸗ 
zeichen eines Kolarghaſi!). Neben ihm ging ein kleiner 
Kerl, der auch in eine Uniform gekleidet war, aber in 
was für eine! Er hatte nämlich eine blaue Hoſe an, 
deren Beine nur das Knie erreichten. Darüber trug er 
einen uralten, roten, engliſchen Militärfrack, auf deſſen 
Achſeln mächtige wollene, franzöſiſche Epauletten be⸗ 
feſtigt waren. Um den Kopf war eine Art Turban ge⸗ 
ſchlungen, von dem lange Federn herabhingen. Da der 


Y Hauptmann, 


Frack vorn weit auseinander ging, ſah man, daß dieſer 
Mann weder eine Weſte noch ein Hemd hatte. Um die 
Hüfte ging ein Ledergurt, worin zwei Piſtolen und ein 
Meſſer ſteckten; auch hingen mehrere Beutel daran, die 
wohl verſchiedene notwendige Kleinigkeiten enthielten. 
In der Hand trug er ein altes, ſchweres Gewehr, das 
von ungewöhnlich großem Kaliber war. 

Dieſer Mann trat mit dem Offizier bei dem Leut⸗ 
nant ein; die vier Soldaten, die mit ihnen gekommen 
waren, blieben vor der Türe ſtehen. Das war es, was 
der Graue bei dem ſchnell ſcheidenden Tageslichte hatte 
ſehen können; dann wurde es dunkel, und ein Neger kam 
herein, um die Lampe anzubrennen und gleich darauf 
dem Gaſt einen Krug voll Meriſſah und einige neu⸗ 
gebackene Fladenbrote zu bringen. | 

Kurze Zeit ſpäter kam der „Sohn des Geheimniſſes“ 
zu dem Deutſchen, um zu erfahren, ob es ihm in ſeiner 
Wohnung gefalle. 

„Ganz gut,“ antwortete dieſer. „Wo wohnſt denn 
du?“ — „In dem Tokul des ‚Schnarchers‘, der ſich ſehr 
darüber freuen wird, mich bei ſich zu finden, wenn er 
abgelöſt worden iſt.“ — „Ich war ganz erſtaunt, zu 
hören, daß ihr einander kennt. Du warſt ſchon hier?“ 
— „Ja, mehrere Monate.“ — „Wann?“ — „Vor vier 
Jahren.“ — „Was wollteſt du hier?“ — „Herr, das iſt 
ein Geheimnis.“ — „So? Ich hörte, daß es ſich dabei 
um Abd el Mot gehandelt hat. Du haſt alſo ihn und 
Abu el Mot ſchon früher gekannt?“ — „Ja, Effendi, 
doch iſt das eine Sache, von der ich nicht ſpreche.“ — 
„Gut! Haſt du die Fremden geſehen, die vorhin gekom⸗ 
men ſind?“ — „Ja. Ich war dabei, als der Leutnant 
mit ihnen ſprach. Der Offizier iſt mit einer Dahabish“) 

1) Größered xu. 


ſtromaufwärts bis in die Nähe der Seribah gekommen 
und hat angefragt, ob er unten an der Miſchrah Anker 
werfen darf.“ — „Haſt du nicht geforſcht, ob er vielleicht 
Reiſende auf feinem Schiff hat?“ — „Nein. Er ſprach 
mit dem Befehlshaber, nicht aber mit mir.“ — „Es iſt 
doch leicht möglich, daß ſich der Bruder meines Gefährten 
auf dieſer Dahabiéh befindet. Ich werde zu dem Haupt⸗ 
mann gehen, um ihn zu fragen.“ — „Er iſt nicht mehr 
hier, ſondern mit ſeinen Soldaten wieder fort, um das 
Schiff herbeizuholen. Aber ſein Begleiter, der das Kleid 
eines Babral!) trägt, iſt hier geblieben. Soll ich ihn zu 
dir ſenden?“ — „Ja, hole ihn!“ 

Der „Sohn des Geheimniſſes“ ging, und bald 
darauf trat der Rotbefrackte ein. Sein Geſicht war voller 
Pockennarben, und vielleicht war es eine Folge dieſer 
Krankheit, daß ſein Bart nur aus wenigen Haaren be⸗ 
ſtand, die er aber ſteif gummiert hatte, daß ſie wie Bor⸗ 
ſten nach den Seiten ſtanden. Er verbeugte ſich auf 
orientaliſche Weiſe und ſagte: „Ich höre, daß du ein 
Effendi biſt und mich ſprechen willſt. Was haſt du mir 
zu ſagen?“ — „Ich wollte gern wiſſen, woher die Daha⸗ 
bieh kommt, auf der du gefahren biſt.“ — „Sie kommt 
von Faſchodah herauf.“ — „Ah! Wer ſind die Paſſa⸗ 
giere?” — „Soldaten.“ — „Sind keine Ziviliſten da⸗ 
bei?“ — „Einige.“ — „Wer ſind dieſe Leute?“ — „Vor 
allen Dingen ich!“ — „Du biſt nicht Soldat?“ — „Nein. 
Ich trage die Uniform nur, weil es mir ſo beliebt, und 
weil meine Reiſe eine kriegeriſche iſt.“ — „Willſt du 
mir deinen Namen ſagen?“ — „Meinen eigentlichen 
Namen würdeſt du nicht ausſprechen können. Gewöhn⸗ 
lich werde ich Abu el Hadaſcht ſcharin, Vater der elf 
Haare genannt. Bei mir befindet ſich mein Kamerad 


1) Papagei. 


— 846 — | a 


Abu Dihk, der Vater des Gelächter’ und noch ein gro⸗ 
ßer Gelehrter und Effendi, deſſen Freund und Adjutant 
ich bin.“ — „Wie heißt er?“ — „Abu 'I arba ijun, 
Vater der vier Augen.“ — „Der vier Augen? So trägt 
er wohl eine Brille?“ — „Ja.“ — „Wo will er hin?“ 
— „Zu den Niam⸗niam, und vorher nach der Seribah, 
welche Abu el Mot gehört.“ 

Bisher hatte der Deutſche geſeſſen; jetzt ſprang er 
auf und rief: „Er ift, ein Fremder, ein Deutſcher, und 
heißt Schwarz?“ — „Das iſt er, und ſo heißt er, ja. 
Kennſt du ihn?“ — „Nein; aber ich kenne ſeinen Bru⸗ 
der, der ihm entgegengefahren iſt. Alſo er iſt hier; er 
wird mit der Dahabish kommen?“ — „So iſt es. Ich 
werde jetzt hinunter zur Miſchrah gehen, um ihn zu 
empfangen.“ — „Ich begleite dich. Ich muß dort ſein, 
wenn er ausſteigt. Ich muß ihn begrüßen!“ — „So 
komm! Deine Begleitung iſt mir nicht unangenehm.“ 

Er ſagte das im Ton eines Gönners, der ſich in 
guter Stimmung befindet. Pfotenhauer nahm das ruhig 
hin. Sie verließen den Tokul und auch die Seribah und 
ſchritten zum Strom hinab. Dort ſtand der „Schnarcher“ 
noch mit ſeinen Leuten. Das Boot, mit dem der Deut⸗ 
ſche gekommen war, lag am Ufer. Da es bequeme Sitze 
bot, ſetzten ſich die beiden hinein. 

„Alſo du biſt ſein Freund und Adjutant! Seit wann 
denn?“ fragte der Graue. 

„Seit Faſchodah. Wir lernten uns in der Wüſte 
kennen, wo wir zwei Löwen töteten und die Homr be⸗ 
ſiegten, die uns überfallen wollten. Er iſt ein außer⸗ 
ordentlich tapferer und gelehrter Mann.“ 

„Das weiß ich.“ 

„Und er tut nichts ohne michl“ fügte der Kleine 
wichtig hinzu. 


— 847 — 


„So! Dann ſeid ihr wohl recht vertraut mitein⸗ 
ander?“ 

„Außerordentlich! Wie zwei Brüder! Das verſteht 
ſich auch ganz von ſelbſt, da auch ich Gelehrter bin.“ 

„Du?“ 

„Ja, ich! Glaubſt du das!“ 

„Ich glaube es, da du mir bis jetzt das Gegenteil 
noch nicht bewieſen haſt.“ 

„Das wird auch nie bewieſen werden. Bei meinem 
Latein nehme ich es mit jedem auf.“ 

„Latein? Wie kommſt du auf dieſes Wort?“ 

„Wort? Ich ſpreche ja die ganze lateiniſche Sprache!” 

„Unmöglich! Wo hätteſt du das gelernt?“ 

„Bei dem berühmten Mathias Wagner, mit dem ich 
den ganzen Sudan bereiſt habe. Er war mein Lands⸗ 
mann.“ 

„Landsmann? Soviel ich weiß, war Wagner ein 
Ungar aus dem Eiſenſtädter Komitat!“ 

„Das ſtimmt. Auch ich bin ein Magyar, aus Nagy 

Mihaly bei Ungvar. Doktor Schwarz iſt ganz glücklich, 
in dieſer abgelegenen Welt mit mir deutſch ſprechen zu 
können.“ | 

„Was, du ſprichſt auch deutſch? Das freut mich un⸗ 
gemein, denn ich bin auch ein Deutſcher!“ 

Der „Vater der elf Haare fuhr freudig erſchrocken 
auf und rief, indem er ſich ſofort der deutſchen Sprache 
bediente: „Was? Wie? Ein Deutſches ſeinte Sie?“ 

„Ja, freilich!“ antwortete der Graue in derſelben 
Sprache. „Ich ſtamme aus Bayern.“ 

„O, das ſeinte ſchön, das ſeinte gut! Ich warrr ge⸗ 
weſte auch in Land, bayriſches.“ 

„So! Das g freut mi halt außerordentlich, wann's 
meine Heimat kennen.“ 


— 848 — 


„Ja, ich ſeinte gebliebte in München, wo ich hatt 

trunkte Bier, Sedlmeirifches; ich hatt dazu gegeßte Ret⸗ 
tich, ſchwarzigen, und Würſtel, ſenftige.“ 

i „Ja, a gutes Bier mit Rettich und auch Würſtel, 
das iſt bei uns zu haben; darauf verſteht man ſich in 
Bayern. Aber wann S' aan Ungar ſind, ſo heißen S' 
doch nicht von Haus aus Vater der elf Haare‘. Wie iſt 
denn Ihr Name?“ 

„Ich heiße Uzkar Iſtvan. Und wie ſeinte Namen 
Ihriger?“ 

„Pfotenhauer. Aber, erlauben Sie, was ſprechen 
Sie denn da für aan' Dialekt? So was hab' i noch nie 
9 hört.“ 

„Dialekt? Ich ſprechte kein Deutſch, dialektiges, 
ſondern ein Deutſch, reinheitlichtes.“ 

„So! Das möcht' i wohl bezweifeln. Wann Ihr 
Latein auch ſo ein reines iſt, ſo können S' Ihna für 
Geld hören laſſen.“ 

„Ja, das hätt' ich gekonnte. Ich ſein geweſte ſtets 
Pſycholog, erſtaunlicher, und Philolog, bedeutender!“ 

„Alle Wetter! Das alſo iſt Ihr Latein? Was iſt 
denn eigentlich Philologie?“ 

„Philologie ſeinte Wiſſenſchaft von Geiſt. inwen⸗ 
diges.“ 

„Ah! Und Piychologie?” 

„Das ſeinte Lehre von Sprachen.“ 

„Na, alter Freund, da ſind S' halt ſchön auf den 
Holzweg g'raten! Es iſt ja grad umgekehrt!“ 

„Dann warrr es geweſte Verwechſtelung, wiſſen⸗ 
ſchaftliche. Ich hatt auffangte ſo viel Wiſſenſchaft in 
Kopf, meinigen, daß, wenn wollte die eine heraus, ſie 
bleibte oft ſteckte, und ſtatt ihr kommte heraus Wiſſen⸗ 
ſchaft andre.“ | 


— 840 — 


Pfotenhauer lachte laut und herzlich auf. Der 
„Vater der elf Haare“ fühlte ſich dadurch beleidigt. Er 
fragte in ſcharfem Tone: „Sie habte gelacht! Sein damit 
gemeinte Perſon, meinige?“ 

„Ja, wer denn ſonſt? Natürlich meine ich Perſon, 
Ihrige!“ 

f „Das mußte ich verbitten mit Nachdruck, allergröß⸗ 
tem. Ich ſein geweſte ſtets Mann, ehrenwerter. Ich 
hatt nie gelaßte beleidigen Ehre, meinige, und wenn Sie 
nicht machte Abbitte, ſofortige, dann ich werd' geforderte 
Genugtuung, piſtolige oder ſäbelige!“ 

Der Graue lachte lauter und anhaltender als zuvor 
und antwortete: „Fordern wollen S' mi? Alſo ein 
Duell, ſäbeliges oder piſtoliges? Das laſſen S' lieber 
bleiben! J hab' gar nit Luſt, mit Pulver und Blei Ihre 
ſchöne Wiſſenſchaft und Ihr Latein zu verletzen. J bin 
Ornitholog und zieh alſo nur Vögel, aber nit Menſchen 
die Bälge ab!“ 

„Wenn Sie ſeinte Ornitholog,“ b der Un⸗ 
gar noch zorniger als vorher, „ſo warrr ich geweſte 
Gelehrter, noch viel größerer! Ich hatt' ſtudiumtierte 
Ornithologie und Orographie!“ 

„Auch! Wiſſen Sie denn, was dieſe beiden Worte 
bedeuten?“ 

„Ich hatt gewußte es beſſer als Sie! Wenn Sie 
nicht kennte Wiſſenſchaft, beidige, ſo will ich gegebte Auf⸗ 
klärung, augenblickliche! Ornithologie ſeinte Beſchrei⸗ 
bung von Berg, karpathentlicher oder rieſengebirglicher.“ 

„Und Orographie?“ 

„Das hatt zu bedeutente Naturgeſchichte, vogelige 
und gefiederte. | 

„Hören S' auf, hören S' auf,“ lachte Pfotenhauer. 
„Solch einen Miſchmaſch hab' i mein Lebtag nit derlebtl“ 


— 350 — * 


Da ſprang der Kleine aus dem Boot an das Ufer 
und rief im höchſten Grimm: „Sie ſeinte dumm im 
Kopf, Ihrigen! Sie könnte nicht ſprechen und nicht ver⸗ 
ſtehende Deutſch, reinigendes! Sie wollte ſein Gelehrter, 
wiſſenſchaftlicher? Laßte nicht Sie auslachte ſich! Lebte 
Sie alſo wohl für ewig und für immerdar! Adieu, 
dobrau noc, poraucim se, gute Nacht, ich empfehle 
mich, leletak ſa'ide. Allah jiſallimak!“ Er rannte davon. 

Der Graue ſah ein, daß dieſer Mann vielleicht ein 
Original war, den man als ſolches zu behandeln hatte. 
Schon wollte er ihm verſöhnlich nacheilen, da ſah er ab⸗ 
wärts von der Miſchrah ein Licht auf dem Waſſer er⸗ 
ſcheinen. Das mußte die Dahabiéh ſein, und darum 
blieb er im Boot ſitzen. 

Das Licht kam näher und näher; Pfotenhauer ſah, 

— aß es loderte. Es war ein Feuer, das auf dem Deck 
brannte und die Segel beleuchtete. Das Schiff kam, vom 
Wind getrieben, langſam aufwärtsgeglitten und ging an 
der Miſchrah vorüber; dann ließ es die Segel fallen und 
ſich vom Waſſer zurück an das Ufer treiben, wo es den 
Anker und die Taue auswarf, welch letztere von dem 
„Schnarcher“ und ſeinen Leuten aufgefangen und am 
Land befeſtigt wurden. Als die Landebrücke das Ufern 
berührte, kam der Graue herbei und rief in deuticher | 
Sprache: „Hallo! Iſt Doktor Schwarz an Bord?“ 

| „Ja,“ ertönte die Antwort. „Ein Deutfcher auf 
Seribah Madunga?' Das iſt mir eine e 
frohe Ueberraſchung!“ 

„G'wiß, Landsmann, a Deutſcher ſteht hier und 
heißt Sie willkommen. Wann S' mi umärmeln woll'n, 
ſo ſchaun S', daß S' herüberkraxeln. Aber nehmen S' 
ſich in acht, daß S' mi etwa nit vor lauter Freud’ zer⸗ 
drucken!“ 


— 381 — 


„Aus dem Bayerland, wie ic hörel Glatt bin ich 
drüben bei Ihnen!“ | 
Der Graue fah die hohe, breite Geſtalt über die 
Brücke kommen. Er breitete die Arme aus, ſchlang ſie 
um Schwarz und ſagte: „Willkommen alſo, herzlich will⸗ 
kommen! Mi kennen S' freilich nit, und i hab' eigentlich 
kein Recht, Sie ſo zärtlich zu empfangen; aber dieſe Um⸗ 
armung ſoll nit von mir, . von Ihrem Bruder 
ſein.“ 

„Von meinem Bruder? Von Joſef? Kennen Sie 
ihn?“ 

„Den Sepp? Ja, den werd' i doch kennen! J bin 
ſein Kamerad. Haben S' nicht ſeinen Boten in Faſcho⸗ 
dah troffen?“ 

„Ja, und ſeinen Brief erhalten.“ 

„Na, i bin der Pfotenhauer und Vogelfänger, von 
dem er wohl auch a Wort erwähnt haben wird. Oder 
hat er nix von mir mitg'ſchrieben?“ 

„Ja, freilich hat er es getan. Ich habe mich auf 
Sie gefreut. Aber was tun Sie hier, den ich oben bei 
den Niam⸗niam vermute, und wo iſt mein Bruder?“ 

„Es hat ihm keine Ruh g'laſſen, und ſo ſind wir 
fort, um Ihnen entgegenzufahren. Es konnt' Ihnen 
leicht a Unglück g'ſchehen. Darum wollt' er lieber ſchau'n, 
Ihnen eher zu begegnen, als ausg'macht worden war. 
J bin einſtweilen voran, und er wird nachfolgen.“ 

„Warum blieb er zurück? Wo befindet er ſich?“ 

„Davon nachher! Sagen S' mir vorerſt, ob S' dro⸗ 
ben in dera Seribah oder hier unten im Schiff übernach⸗ 
ten wollen. Man hat mir den ſchönſten Tokul über⸗ 
laſſen, wo drin Raum g'nug iſt für uns beide.“ 

„Ich danke Ihnen; aber ich ziehe doch vor, an Bord 
zu bleiben. Ich habe eine prächtige Kajüte, die mir kein 


— 352 


Tou En kann. Hoffentlich machen Sie mir die 
Freude, nicht nach der Seribah zurückzukehren, ſondern 
bei mir zu bleiben?“ 

„Wann's Ihnen recht iſt, ſo bleib' i da. Die Haupt⸗ 
fach’ iſt, daß wir beiſammen find.” 

Er führte ihn hinüber und auf das Hinterdeck, wo 
ein ſchwarzer Diener die Tür der Kajüte öffnete, um ſie 
eintreten zu laſſen. Die Kajüte beſtand aus mehreren 
faſt prächtig eingerichteten Räumen., Eine Bronzelampe 
hing von der Decke nieder und beleuchtete die ſchwellen⸗ 
den Polſter, den hohen Spiegel und die glänzenden Ge⸗ 
räte, die auf kleinen Tiſchen ſtanden oder an den Wän⸗ 
den hingen. 

„Was Teuxel fallt Ihnen ein!“ rief der Graue er⸗ 
ſtaunt. „Sie fahren a richtig's Damenſtüberl ſpazieren? 
Im Sudan, auf dem oberen Nil? Sind S' etwa Mil⸗ 
lionär g'worden?“ 

„Nein,“ lächelte Schwarz, indem er den Lands⸗ 
mann heimlich muſterte. „Dieſe Herrlichkeiten gehören 
nicht mir, ſondern dem Vizekönig von Aegypten. Dieſes 
Schiff iſt eine Regierungsdahabiéh.“ 

„Auch nit übel! Wie aber kommen S' zu dieſem 
Regierungsſchiff? Iſt etwa ein Paſcha von drei Roß⸗ 
ſchweifen an Bord, der Sie als Gaſt mitg'nommen hat?“ 

„Nein. Die Dahabié iſt mir zur Verfügung geſtellt 
worden. Augenblicklich bin ich deren Herr, dem die Be⸗ 
mannung zu gehorchen hat.“ 

Der Graue ſchüttelte den Kopf und ſagte, indem 
ſeine Naſe ſich nach rechts und nach links wendete, als 
ob ſie ſich dieſe Herrlichkeiten recht genau betrachten 
wolle: „Dann ſind's a wahrer Glückspilz! Uns Deut⸗ 
ſchen, und zumal uns Bücherfexen, wird es nit oft ſo 
wohl, wie es Ihnen da g'worden iſt.“ 


— 353 — 


„Sie haben freilich recht. Aber ſetzen Sie ſich nieder, 
und nehmen Sie fürlieb!“ Er hatte vorhin dem Schwar⸗ 
zen, welcher öffnete, einen Wink gegeben. Als er jetzt 
in die Hände klatſchte, trat dieſer Neger herein, zwei 
Tſchibuks zu bringen. Hinter ihm kam ein zweiter 
Schwarzer, der dem Grauen Kaffee in einem ſilbernen 
Findſchan) bot. Als beide weitere Befehle erhalten hat⸗ 
ten, entfernten ſie ſich. 

„Wiſſen's, mir iſt halt grad ſo, als ob i jetzt einen 
Abend aus Tauſend und eine Nacht' erlebte,“ meinte 
der Graue, indem er den köſtlichen Trank ſchlürfte und 
dann nach der Tabakspfeife griff. „Bei uns hat's immer 
nur Meriſſah und harte Fladen 'geben. Wann i diefen 
Kaffee ſchmeck', jo muß i vermuten, daß Sie auch in 
Beziehung auf die Speiſen nit übel g'ſtellt ſind.“ 

„Haben Sie ſchon zu Abend gegeſſen?“ 

„Na; bis jetzt noch nit.“ 

„So tun Sie es hernach mit mir, um ſich zu über 
zeugen, daß Sie ganz richtig vermutet haben.“ 

„So ſagen's nur, was für a Kunſtſtück Sie g'macht 
haben, um dieſe Dahabiéh geliehen zu bekommen! Was 
zahlen's denn pro Tag oder Woch' dafür?“ 

„Keinen einzigen Piaſter, keinen Pfennig.“ 

Der Graue machte ein ganz unbeſchreibliches Ges 
ſicht, und ſeine Naſenſpitze richtete ſich auf, als ob ſie 
Schwarz fragen wollte, ob er denn wirklich die Wahrheit 
geſagt habe. „Nix, gar nix zahlen Sie? Wer ſoll Ihnen 
denn das glauben? J etwa?“ 1 

„Ja, Sie! Ich erſuche Sie ganz ergebenſt darum,“ 
lachte Schwarz. 

„Dann iſt's eben a Kunſtſtück, a richtiges und wirk⸗ 
liches Kunſtſtück!“ 

Y Taſſe. n 

May, Die Sklavenkarawane. 23 


— 354 — 


„Dieſes Kunſtſtück beſtand ſehr einfach in einer 
glücklichen Kur. Ich befand mich bei Ali Effendi Abu 
Hamſah miah, dem Mudir von Faſchodah. Ich hatte 
ihm geſagt, daß ich ein wenig Arzt bin. Zufällig ver⸗ 
ſchluckte ein kleiner Sohn von ihm beim Spielen einen 
elfenbeinernen Würfel, der in der Speiſeröhre ſtecken 
blieb. Das Kind war dem Erſtickungstod nahe, als ich 
geholt wurde, und es gelang mir, den Gegenſtand zu 
entfernen. Die Freude und Dankbarkeit des Vaters war 
ſo groß, daß er mir jeden Wunſch, deſſen Gewährung 
nicht gerade zu den Unmöglichkeiten gehörte, erfüllt 
hätte. Dazu kam nun freilich noch der Umſtand, daß es 
ein eifriges Verlangen von ihm war, Abu el Mot in 
ſeine Hand zu bekommen.“ 

„Abu el Mot?“ fragte Pfotenhauer ganz erſtaunt, 
dieſen Namen hier zu hören. 

„Ja, ſo heißt der Mann, den Sie wohl nicht kennen, 
mit dem Sie ſich aber, falls Sie bei mir bleiben, in den 
nächſten Tagen zu beſchäftigen haben werden.“ 

„So! Kennen Sie ihn?“ 

„Leider! Er iſt der berüchtigtſte Sklavenjäger ( am 
obern Nil und macht zugleich, falls es ihm einträglich 
erſcheint, den Wüſtenräuber. Er hat mich kurz vor Fa⸗ 
ſchodah überfallen, um mich auszurauben und zu töten.“ 

„Aber g'lungen iſt's ihm doch nit?“ 

„Nein, wie Sie ſehen,“ lächelte Schwarz. „Ich habe 
vielmehr ſeine Helfershelfer gefangen genommen und 
nach Faſchodah transportiert, wo ihnen ihr Recht ge⸗ 
worden iſt; ihm aber gelang es, zu entkommen.“ 

„Das iſt jammerſchad' g'weſen. Hätten's ihn der⸗ 
wiſcht, ſo wär' ihm das Handwerk wohl für immer 
g'legt worden.“ 

„Ganz gewiß. Es wäre um feinen Kopf geſchehen 


— 355 — 


geweſen. Der Mudir brennt darauf, ihn zu fangen. Ich 
belauſchte den Sklavenjäger, als er bei den Seinen faß, 
und was glauben Sie wohl, was ich da hörte?“ 

„I glaub’ alles, was Sie g'hört haben.“ 

„Er hatte ſchon längſt einen Raubzug zu den Niam⸗ 
niam geplant und war durch einen Boten unterrichtet 
worden, daß jetzt zwei Weiße, zwei Naturforſcher bei die⸗ 
ſem Volk ſeien. Er ſchwur, dieſe beiden zu ermorden.“ 

„Teuxel! Da war wohl gar i und Ihr Bruder 
g'meint?“ 

„Ja. Ich zweifelte zwar zunächſt daran, weil ich 
‚glaubte, daß mein Bruder ſich allein dort befinde; aber 
als ich aus ſeinem Brief erſah, daß er in Ihnen einen 
Gefährten gefunden hatte, da wurde es mir zur Gewiß⸗ 
heit, daß Sie es waren, von denen man geſprochen hatte. 
Und da traf alſo alles ſo zuſammen, daß ich mich ſchließ⸗ 
lich in der Dahabiéh und mit hundertundfünfzig Solda⸗ 
ten nebſt einem Hauptmann unterwegs befand.“ 

„Alſo dieſen Abu el Mot wollen's fangen! Das iſt 
großartig, großartig!“ 

„Aber nicht ganz ohne Gefahr! Er iſt ein gewiſſen⸗ 
Iofer und verzweifelter Böſewicht. Leider war ich, wenn 
ich dieſe Dahabiéh benutzen wollte, gezwungen, einen 
vollen Tag länger, als ſonſt der Fall geweſen wäre, in 
Faſchodah zu bleiben. Dadurch erhielt Abu el Mot einen 
Vorſprung, der nur mit Anſtrengung eingebracht wer⸗ 
den konnte. Wir hatten günſtigen Wind. Wir mieteten 
Schilluks und dann Nuehrs, die Dahabiéh von ihnen 
ziehen zu laſſen, und doch war Abu el Mot, als wir Dia⸗ 
kin erreichten, ſchon ſeit faſt zwei Tagen fort. Ich erfuhr, 
daß er über dreihundert Nuehrs angeworben hatte, 
jedenfalls für den Raubzug zu den Niam⸗niam. In Dia⸗ 
kin hatte er einen Sandal und einen Noger gemietet. Es 


— 356 — 


galt nun, wer ſchneller ſegelte, ſeine Fahrzeuge oder 
unſre Dahabiéh.“ 

„Nun, wer war ſchneller?“ 

„Bis jetzt er, denn wir haben ihn noch nicht eingeholt.“ 

„Und wiſſen S' vielleicht, wie weit er Ihnen 
voran iſt?“ | 

„Nein. Kann ich zu Lande einer Fährte folgen, fo 
erfehe ich aus der Spur ſehr leicht, wie nahe ich den Ges 
ſuchten bin. Das Waſſer aber läßt keine ſolchen Zeichen 
zurück. Wir haben die möglichſte Geſchwindigkeit ent» 
wickelt. Wenn die Beſchaffenheit des Ufers es erlaubt, 
ſo arbeiten wir am Zugſeil; die Stoßſtangen ſind wäh⸗ 
rend des ganzen Tages in Tätigkeit, und da unſer Fahr⸗ 
zeug ein vortrefflicher Segler iſt, vermute ich allerdings, 
daß wir dem Sklavenjäger ziemlich nahe ſind.“ 

Der Graue nickte vor ſich hin. Ein unbeſtimmtes 
Lächeln ſpielte um ſeinen Mund, und ſeine Naſenſpitze 
drehte ſich herüber und hinüber, als ob ſie etwas ſagen 
möchte und doch nicht ſagen dürfe. Endlich fragte er: 
„Wo iſt denn der Bote, den wir Ihnen g'ſandt haben?“ 

„Hier an Bord. Dieſer Sohn der Treue' iſt zwar 
jung, aber ein außerordentlich brauchbarer Menſch. 
Ohne ihn wären wir noch weit zurück, denn er kennt den 
Nil und deſſen Fahrwaſſer ſo genau, wie ich meine 
Taſche kenne.“ 

„Weil er mit ſeinem Freunde Abd es Sirr ſehr oft 
Fahrten abwärts g'macht hat, deren Zweck man nit der⸗ 
fährt.“ | 
„Wer tft dieſer Abd es Sirr, dieſer ‚Sohn des Ge⸗ 
heimniſſes'?“ 

„Das werden S' ſchon noch hören. Sagen S' mir 
vorher, wer denn eigentlich der Heiduck iſt, der ſich Ihren 
Freund und Adjutant nennt?“ 


— 357 — 


„Meinen Freund und Adjutanten? Ich habe keinen 
Adjutanten. Wen meinen Sie?“ 

„Nun, den roten Puthahn, der ſich aufbläht, als ob 
er die Klugheit nur fo mit Schneeſchippen ausg'löffelt 
hätt'.“ . 

„Ah, der Ungar? Der Vater der elf Haare“? Ein 
ganz vortrefflicher Kerl!“ , 

„Wirklich?“ 

„Gewiß! Treu, aufopfernd, klug und mutig! Den⸗ 
ken Sie, er hat mit mir zwei Löwen erlegt!“ 

„Das hat er mir freilich ſchon g'ſagt, und i bin be⸗ 
gierig, zu derfahren, wie das g'ſchehn is. Aber auch klug 
ſoll er ſein? J hab' mi in ſeinen Quirlquatſch weder 
hinein⸗ noch wieder rausfinden können.“ 

„So hat er alſo auch mit Ihnen ſchon angebunden? 
Er iſt ein halbes Original und trägt ſich mit der 
Marotte herum, ein gelehrter Kerl zu ſein. Sie werden 
ihn ſchon noch kennen lernen. Ich habe noch einen 
andern da, einen Freund von ihm, der Hadſchi Ali heißt 
und Vater des Gelächters' genannt wird. Dieſer bes 
hauptet, alle Länder und Völker, alle Städte und Dörfer 
der Erde zu kennen. Solche Leute muß man mit Nach⸗ 
ſicht behandeln, dann ſind ſie die beſten Menſchen.“ 

„O weh! J hab' ihn ausg'lacht, und im Aerger 
darüber iſt er auf und davong'laufen. Jetzund tut mir's 
leid. J hab' mir vorg'nommen, es ihm abzubitten.“ 

„Das iſt nicht nötig. Wenn Sie ihn freundlich be 
handeln, wird er es wohl vergeſſen. Die Sache iſt mehr 
luſtig als ärgerlich. Ich laſſe ihn ſprechen, und will mir 
ja einmal die Geduld ausgehen, ſo deuke ich daran, daß 
ich auch meine ſchwache Seite beſitze und nicht immer 
klug und weiſe gehandelt habe.“ 

„J auch nit,“ ſtimmte der Graue bei. „J hätt's 


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wohl auch zuweilen g'ſcheiter machen können, beſonders 
damals!“ 

„Damals? Was meinen Sie?“ 

„Nun, als i in der dritten Klaſſ' g'ſeſſen bin.“ 

Schwarz glaubte, daß es ſich um etwas Beſonderes 
und Wichtiges handle, und fragte: „Was iſt Ihnen da 
geſchehen?“ | 

„A arger Streich. J ſprech' zwar nie davon, und 
niemand braucht's zu wiſſen, aber unter Freunden darf 
man ſchon offen ſein. Wiſſen S', der Profeſſor von der 
Naturgeſchicht hat n' Spitz auf mi g'habt, weil i ihn 
immer nach Dingen g'fragt hab', die ſelbſt a G'lehrter 
nit beantworten kann.“ 

„So, ſo!“ dehnte Schwarz, vollſtändig überzeugt, 
daß er etwas Hochintereſſantes erfahren werde. 

„Ja, fo iſt's g'weſen. Er hat nur auf die Gelegen⸗ 
heit g'wartet, mi dafür in die Tinte zu bringen. Nachher 
iſt's Examen kommen, und i hab' a neu's Vorhemderl 
umg'bunden und den bunten Schlips dazu, weil es mir 
dann mit dem Antworten gar nit fehlen kunnt'. Die 
Fragen ſind nach der Reih' an uns g'richtet worden, und 
als i dran war, bin i aufg'ſtanden und hab' wunder 
denkt, was er mi fragen werd'.“ 

„Nun, bitte, weiter!“ 

„Ja, weiter! Jetzt kommt das Loch, in das i g'ſtol⸗ 
pert bin. Was denken's wohl, was er mi g'fragt hat?“ 

„Das kann ich nicht erraten.“ 

„Nein, denn i ſelbſt hätt's nit derraten konnt. Er 
hat nämlich wiſſen wollen, warum die Vögel Federn 
haben.“ 

Der Graue hatte feine Geſchichte fo ernſt vorgetra⸗— 
gen, als ob es ſich um eine hochwichtige Angelegenheit 
handle. Darum fühlte ſich Schwarz jetzt bitter enttäuſcht. 


— 359 — 


Er wußte ſozuſagen nicht, ob er lachen oder weinen ſolle, 
hielt es aber doch für ſeine Schuldigkeit, ſich zu erkun⸗ 
digen: „Welche Antwort haben Sie ihm denn gegeben?“ 

„Zunächſt hab' i gar nix g'ſagt.“ 

„Das wäre mir an Ihrer Stelle ganz eben ſo paſſiert.“ 

„Nit wahr! Sie ſind halt ein verſtändnisvoller 
Mann. J hab' zwei große Augen g'macht und den Mund 
offen g'habt, damit mir eine richtige Antwort kommen 
ſoll, und nachhero bin i — —“ 

Er wurde unterbrochen, denn es klopfte an, und der 
„Vater der elf Haare“ trat herein. Er würdigte den 
Grauen keines Blicks und wendete ſich an Schwarz, ihm 
eine Meldung zu machen. Er hätte dies in arabiſcher 
Sprache tun können; aber da Pfotenhauer behauptet 
hatte, daß ſein Deutſch nichts tauge, bediente er ſich dieſes 
letzteren, um den ſchändlichen Beleidiger niederzuſchmet⸗ 
tern: „Ich meldete Beſuch, kommender! Es ſein Leut⸗ 
nant von Seribah, hieſiger.“ 

„Ach! Iſt er ſchon da?“ 

„Noch nicht mit Vollſtändigkeit. Er kommte her hin⸗ 
ter Rücken, meinigem.“ 

„Du warſt jetzt oben?“ 

„Ja. Ich ſeinte gegangte hinauf, weil unten hatt 
geſeßte Perſon, unhöfliche!“ Dabei warf er einen vers 
nichtenden Blick auf den Grauen. 

„Und da ſprach der Leutnant mit dir von mir?“ 

„Er willte haben gewißt, ob Sie wohnte auf Schiff, 
dieſiges, oder herbergte in Seribah. Er hatt Abſicht, 
freundliche, Sie einladende zu Mahl, abendliches. Er 
geſchickte mich hierher, um zu erzählte von ſeiner Gegen⸗ 
wart, baldiger.“ | 

„Gut! Wenn er kommt, fo öffneft du ihm die Tür.“ 

„Es ſoll geſchehente mit Vergnügen, allergrößtem!“ 


2 


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Er verbeugte ſich und wendete ſich zum Gehen, 
drehte ſich aber wieder um, trat zwei Schritte näher und 
fragte Schwarz: „Sie haben lernte kennte alle Fähigkei⸗ 
ten, meinige; ich bitt', mir zu gebte Zeugnis, wahrheit» 
liches über Latein, meiniges.“ 

„Für deinen Bedarf iſt es mehr als e 8 

„Ich ſagte Dankbarkeit, herzliche!“ 

Er warf dem Grauen von der Seite her einen 
triumphierenden Blick zu und fuhr fort: „Und noch eine 
Lobpreiſung über meine Sprache germaniſche. Wie 
drückte ich mich aus in dieſelbige? Mit Unkenntnis weh⸗ 
mutsvoller, oder mit Leichtigkeit, außerordentlicher?“ 
„Ich verſtehe dein Deutſch ſehr leicht und voll⸗ 
kommen.“ 

„Gut! Weiter willte ich nichts haben gehörte. Sie 
ſeint Retter, edler, von großer Ehre, meiniger! Perſon, 
feindſelige, iſt geſchlagte in Flucht, ſchimpflichte!“ 

Er machte eine energiſche Seitenſchwenkung und 
ſtolzierte ſo hart, daß er ihm beinahe auf die Füße trat, 
an dem Grauen vorüber und zur Tür hinaus. Kaum 
aber hatte er fie geſchloſſen, fo riß er fie wieder auf und 
rief herein: „Er kommte gegangte, Kommandeur von 
Seribah, leutnantlicher!“ 

Der grauhaarige Stellvertreter des Beſitzers der 
Seribah kam unter tiefen Verbeugungen herein. Er 
hatte von feinen Leuten gehört, daß das Schiff eine vize⸗ 
königliche Dahabieh ſei. Der Herr, den fie brachte, mußte 
alſo ein ſehr vornehmer Beamter ſein, dem er unbedingt 
ſeine Aufwartung zu machen hatte. 

Sein Beſuch hatte freilich einen noch andern Grund, 
wovon zu ſprechen er ſich aber ſehr wohl hütete. Der 
Sklavenhandel war ſtreng verboten worden, und doch 
war feine Seribah nur zu dem Zweck errichtet, Neger zu 


— 561 — 


* 


fangen und zu verkaufen. Das war dem Mudir von 
Faſchodah bekannt, und das mußte alſo auch der Effendi 
wiſſen, der jetzt auf der Regierungsdahabiéh angekom⸗ 
men war. Was nun hatte ſeine Ankunft für einen Zweck? 
Wollte er nach gefangenen Negern ſuchen? Glücklicher⸗ 
weiſe waren ſolche gerade jetzt nicht vorhanden. Die 
Klugheit erforderte indes, den Geſandten in entgegen 
kommender, ſchuldiger Untertänigkeit aufzuſuchen, ſeinen 
Befehlen entgegen zu ſehen und bei dieſer Gelegenheit 
liſtig nach ſeinen eigentlichen Abſichten zu forſchen. 
Schwarz war klug und erfahren genug, dies zu 
durchſchauen und dem angemeſſen zu handeln. Er ließ 
Kaffee und noch eine Pfeife kommen, lud den Alten ein, 
ſich zu ſetzen, richtete an ihn die landläufigen Höflich⸗ 
keitsfragen und vermied es, das Geſpräch auf die Seri⸗ 
bah und den Sklavenhandel zu bringen. Er ſagte, daß er 
bis morgen bleiben und dieſe Nacht auf dem Schiffe 
ſchlafen werde. Auch teilte er ihm mit, daß Pfotenhauer 
nicht beaͤbſichtigte, nach der Seribah zurückzukehren. 

Als der Leutnant ſich nach einer halben Stunde ver⸗ 
abſchiedete, war er ſo klug wie zuvor, ja er nahm eine 
gewiſſe Beſorgnis mit. Er hielt es für kein gutes Zei⸗ 
chen, daß Schwarz ſich jo außerordentlich zugeknöpft ver⸗ 
halten hatte, und ſchickte, oben angekommen, ſogleich 
einen reitenden Boten nach Jau, um den Herrn herbei⸗ 
zuholen. Er wußte, daß dieſer ſchon unterwegs war, da 
er morgen mittag hatte eintreffen wollen, beſſer aber 
war es jedenfalls, wenn die Ankunft noch eher erfolgte. 

„Der hatte Angſt,“ ſagte Schwarz, als der Alte fort 
war. „Vielleicht kann ich das zu meinem Vorteil aus⸗ 
beuten.“ 

„Angſt vor Ihnen?“ fragte der Graue. „Weshalb?“ 

„Weil er mich für einen Regierungsbeamten hält. 


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Nun habe ich meinen Soldaten erlaubt, an das Land zu 
gehen und die Seribah zu beſuchen. Sie werden dort er⸗ 
zählen, daß wir die Abſicht haben, Abu el Mot zu fan⸗ 
gen. Das wird feine Sorge vergrößern, denn der Ge 
danke liegt ihm nahe, daß ich die gleichen Abſichten auch 
gegen dieſe Seribah verfolge.“ 

„Wann S' das meinen, ſo täuſchen S' ſich vielleicht. 
J weiß genau, daß dieſe Leute Abu el Mot haſſen. Er 
darf ſich gar nit in ihre Nähe wagen.“ 

„Das ſollte mir außerordentlich lieb ſein. Vielleicht 
könnte ich ſie veranlaſſen, ſich mir anzuſchließen. Ich 
konnte nicht ahnen, daß Abu el Mot fo viele Nuehrs an⸗ 
werben werde. Mit meinen hundertfünfzig Mann 
brauche ich freilich dreihundert Nuehrs nicht zu fürchten, 
aber die Bemannung ſeiner Seribah ſoll fünfhundert 
Köpfe ſtark ſein. Das gibt in Summa achthundert, gegen 
die wir in offenem Kampf doch zu ſchwach ſein würden. 
Ich muß mich mehr auf meine Liſt, als auf unſre Ge⸗ 
wehre verlaſſen. Könnte ich mich hier verſtärken, ſo 
würde mir das hoch willkommen ſein.“ 

„Aber Sie haben's nun doch gar nit nötig, mit Abu 
el Mot anzubinden,“ meinte der Graue, der noch immer 
zögerte, mit ſeinen Mitteilungen vorzugehen. 

„Wieſo?“ 

„Weil S' dieſen Entſchluß nur aus dem Grund 
g'faßt haben, Ihren Bruder und mi zu retten, was nun 
nit mehr nötig iſt.“ 

„Selbſt wenn das wegfiele, wäre ich verpflichtet, 
das Wort zu halten, welches ich dem Mudir von Faſcho⸗ 
dah gegeben habe. Und noch ſehe ich meinen Bruder 
nicht. Sie haben mir ja noch nicht geſagt, wo er ſich be⸗ 
findet und warum er nicht mit Ihnen gekommen iſt. Ich 
ſtrecke meine Hand auf jeden Fall nach Abu el Mot aus, 


und wäre es nur, ihn dafür zu beitrafen, daß er mich 
überfallen hat. Den Ausgang freilich kann ich nicht vor⸗ 
herſehen, und ich mute Ihnen auch nicht zu, ſich mir an⸗ 
zuſchließen. Sie können ja hier bleiben und den Erfolg 
abwarten.“ 

„Sol Hier bleiben und warten, während Sie ſich in 
G'fahr begeben, da wär' i ja aan ſchöner Kerl! Das 
brauchen S' von mir nit zu denken. Nein, i geh' mit und 
hau' mit zu, daß die Funken fliegen, zumal i überzeugt 
bin, daß die Sach' gar nit ſo ſchwer iſt, wie Sie denken. 
J halt es vielmehr für ſehr leicht, den alten Abu zu 
fangen, denn ſeine Seribah ſteht jetzt leer, und die Be⸗ 
ſatzung, die zurückg'laſſen wurde, hat ſich empört, das ganze 
Dings verbrannt und ſich dann auf und davon g'macht.“ 

Schwarz ſah den Sprecher wortlos an. Das, was 
er vernahm, mußte er für unmöglich halten. 

„Ja,“ lachte der Graue, „da ſchauen S' mi an und 
machen den Mund ſperrangelweit auf wie damals i, als 
i ſagen ſollt', warum die Vögel Federn haben!“ 

„Weil Sie ſich jedenfalls irren!“ 

„J irr' mich nit, denn i bin geſtern abend ſelbſt mit 
Ihrem Bruder dort g'weſen und hab' die Trümmer 
rauchen ſehen.“ | 

„Was? Sie beide in der Höhle des Löwen, der es 
auf Sie abgeſehen hat?“ 

„Er war ja nit da. J bin ihm erſt heute unterwegs 
begegnet.“ 

„Sie haben ihn ſelbſt geſehen?“ 

„Ihn und ſeine beiden Schiffe. Er ſtand auf dem 
Sandal neben dem Steuer und der Häuptling der Nuehr 
neben ihm.“ 
| „So ſagen Sie ſchnell, wann war das, und wie 
weit von hier?“ 


„Eine Stund' haben wir noch nötig g'habt, um bier» 
her zu kommen, alſo ſchätz' i, wie Sie mit der Dahabieh 
ſegeln, gibt's vier Stunden, bis Sie die Stell' erreichen, 
wo wir ihm begegnet ſind.“ 

„So nahe alſo ſind wir an ihn gekommen! Wenn 
er des Nachts beilegt, wie wir es getan haben, ſo kann 
ich ihn bis morgen abend einholen.“ 

„Das iſt leicht möglich. Der Proviant iſt ihm aus- 
gangen, und er muß alſo jagen und fiſchen, wann feine 
Nuehrs nicht hungern ſollen; das verlangſamt die Fahrt.“ 

„Auch das wiſſen Sie, daß er keine Vorräte hat?“ 

„Ja. Der Elefantenjäger hat mir's g'ſagt.“ 
„Wer iſt das?“ 
„Das iſt — — na, i ſeh' es halt, daß i nun beraus 
muß mit dera Sprach'. J hab' bisher nix g'ſagt, um Sie 
vorher kennen zu lernen, ob S' wirklich der Mann ſind, 
als den Ihr Bruder Sie mir b'ſchrieben hat. Jetzund 
nun werd' i Ihnen alles verzählen, was g'ſchehen iſt.“ 

Man kann ſich denken, welche Teilnahme Schwarz 
dem Berichte des Grauen entgegenbrachte. Er ſprang, 
als dieſer zu Ende war, von feinem Sitz auf, ſchritt er⸗ 
regt in der Kajüte auf und ab und rief: „Wer konnte ſo 
etwas ahnen! Die Seribah eingeäſchert, Empörung 
unter den Leuten und mein Bruder nach Ombula! Das 
iſt zu verwegen von ihm. Er hätte es unterlaſſen ſollen!“ 

„Damit die armen Belanda hingemordet oder in die 
Sklaverei geſchleppt werden?“ N 

„Hm. Richtig! Ich an ſeiner Stelle hätte ebenſo 
gehandelt wie er. Aber, was das nächſte iſt: wo be⸗ 
finden ſich die beiden Belandaneger, dieſer Lobo und 
Tolo?“ | 

„Noch im Boote. Sie konnten nit hinauf in die 
Seribah g'ſchafft werden, da i erſt wiſſen wollt', ob's 


— 864 — 


— 365 — 


mir ſelbſt da oben b'hagt. J hab' dem Sohne des Ge⸗ 
heimniſſes' anbefohlen, nach ihnen zu ſchauen. Als i vor⸗ 
hin mit dem Vater der elf Haare‘ im Boote ſaß, ſchlief 
Tolo, der überhaupt in einem fort ſchläft, und Lobo 
wachte ſtill bei ihm.“ 

„Dort dürfen ſie nicht bleiben. 86 werde ſie nach 
der Dahabiéh holen laſſen.“ 

Er ging hinaus, um den betreffenden Befehl zu er⸗ 
teilen. Bei dieſer Gelegenheit ſah er den „Sohn des Ges 
heimniſſes“ und den „Sohn der Treue“. Der erſtere 
war von der Seribah herabgekommen, ſeinen Buſen⸗ 
freund zu begrüßen. Er nahm ſie beide mit in die Kajüte, 
um ſie an der nun notwendigen Beratung teilnehmen 
zu laſſen. 

Dieſe dauerte faſt bis Mitternacht, dann legte man 
ſich zur Ruhe. Die Schläfer wurden ſchon beim Sonnen⸗ 
aufgang durch das laute Morgengebet der Soldaten ge⸗ 
weckt. Schwarz und Pfotenhauer ſtanden auf. Sie 
hatten beſchloſſen, nach der Seribah zu gehen, um den 
Kommandanten zu bewegen, ihnen eine un feiner 
Leute mitzugeben. 

Der Ungar hatte während der ganzen Fahrt ſich 
Schwarz unentbehrlich zu machen geſucht. Er war eifer⸗ 
ſüchtig auf jeden andern und ſah es nur ungern, daß die 
ſchwarzen Diener mehr um den Herrn ſein mußten als 
er. Kaum ſchloß er aus dem durch die dünnen Kajüten⸗ 
wände dringenden Geräuſch, daß Schwarz wach ſei, ſo 
trat er nach vorherigem Anklopfen ein und meldete, ohne 
dem Grauen einen Blick zu gönnen, in deutſcher Sprache: 
„Es ſeinte wieder da Beſuch von Seribah, hieſiger. 
Willte ſprechte Herrn Doktor, geehrten.“ — „Wer iſt's?“ 
erkundigte ſich Schwarz. — „Haſab Murat, Herr von 
Seribah. Seinte kommen ſchon, als noch warrr geweſie 


* 


Nacht, finſtere.“ — „Und da hat er bis jetzt gewartet?“ 
— Ja. Er willte nicht gehen, ohne zu ſprechen gehabte 
mit Effendi, hochgeborenem.“ — „Laß ihn herein, und 
forge für Kaffee und Pfeifen!“ 

Haſab Murat war ein behäbiger Aegypter, der eher 
das Ausſehen eines biederen Teppichhändlers, als das⸗ 
jenige eines Sklavenjägers hatte. Er verbeugte ſich faſt 
bis zur Erde und wartete, bis man ihn anreden werde. 
Schwarz winkte ihm zu, ſich zu ſetzen, und beobachtete 
ein würdevolles Schweigen, bis der Kaffee und die Pfeifen 
gebracht worden waren. Erſt als man die Taſſen geleert 
und die Meerſchaumſpitzen im Munde hatte, begann er: 
„Ich vernehme, daß du der Gebieter von Madunga biſt. 
Du wünſcheſt, mich zu ſprechen. Ich höre deine Worte.“ 

Der Angeredete beſann ſich einige Augenblicke, wie 
er auf dieſe zurückhaltende Anſprache beginnen folle, und 
antwortete dann: „Ich kam während der Nacht von der 
Reiſe zurück und erfuhr deine Gegenwart. Ich ging ſo⸗ 
gleich an Bord der Dahabiéh, um dir meine Ehrfurcht 
zu erweiſen.“ — „Ich habe keinen Anſpruch darauf, 
denn du biſt älter als ich.“ — „Der Abgeſandte der 
Regierung iſt bejahrter als der älteſte Greis.“ — „Du 
irrſt. Ich bin nicht das, wofür du mich hälſt.“ 

Ueber das Geſicht des Aegypters glitt ein demütig⸗ 
pfiffiges Lächeln. Sein Auge ſchweifte mit einem be⸗ 
zeichnenden Blick umher, womit er deutlich genug ſagte: 
Mich machſt du nicht irre; ich weiß genau, woran ich 
bin! Und dann antwortete er: „Nur Allah darf den 
Mund des Menſchen öffnen; ich aber achte deine Ver⸗ 
ſchwiegenheit. Wie lange wirſt du hier an meiner Miſch⸗ 
rah bleiben?“ 

„Bis ich mit dir geſprochen habe. Du handelſt noch 
mit Sklaven?“ 


— 367 — 


„Effendi!“ fuhr der Mann erſchrocken auf. „Das 
Geſetz verbietet ſeit einiger Zeit dieſes Geſchäft, und ich 
bin ein gehorſamſter Untertan der Obrigkeit.“ 

„Kannſt du das beweiſen?“ 

„Jordere Beweiſe, und wenn es in meiner Macht 
liegt, ſo gebe ich ſie.“ 

„So ſage mir aufrichtig, ob Abu el Mot noch auf 
Ghaſuah zieht.“ 

„Er tut es; er fängt noch Sklaven. Allah ver⸗ 
damme ihn.“ 

„Du ſagſt die Wahrheit; ich weiß es. Eben jetzt wil 
er wieder eine Ghaſuah unternehmen, und ich bin gekom- 
men, ihn dabei abzufangen. Was ſagſt du dazu?“ 

Das Geſicht Haſab Murats glänzte vor Freude, als 
er die Beſtätigung deſſen vernahm, was ihm fein Leut⸗ 
nant gemeldet hatte. Abu el Mot war ſein bedeutendſter 
Konkurrent und zugleich ſein perſönlicher Feind; ihm 
gönnte er alles Böſe. Wurde dieſem Mann das Hand 
werk gelegt, ſo blühte es für die Seribah Madunga dop⸗ 
pelt auf. Darum antwortete er: „Möge ihm geſchehen, 
was er verdient hat! Ich bitte zu Allah, ſeine Sünden 
über ihn kommen zu laſſen.“ 

„Das iſt ein Beweis, daß du gelernt haſt, die Sünde 
des Menſchenhandels zu haſſen. Ich wünſche, die Nöhe 
deiner Seribah von dieſem Sklavemjäger zu befreien; 
aber ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird. Ich hörte 
zu ſpät, daß Abu el Mot neue Leute angeworben hat, 
und befürchte nun, daß meine Truppen nicht zahlreich 
genug ſind, dieſen Mann unſchädlich zu machen.“ 

Als Haſab Murat dieſe Worte hörte, fühlte er ſich 
entzückt. Er zögerte keinen Augenblick, die Antwort zu 
geben, welche Schwarz erwartet hatte: „Effendi, es iſt 
Pflicht eines jeden Untertanen, die Obrigkeit in der Aus⸗ 


— 368 — 


übung der Gerechtigkeit zu unterſtützen. Darf ich dir 
meine Leute anbieten?“ 

„Ja. Ich erwarte das von dir. Aber was verlangſt 
du für dieſen Dienſt?“ 

„Nichts, gar nichts. Ich würde mir meine Hand 
abhauen, wenn ſie auch nur einen Piaſter von dir neh⸗ 
men wollte! Ich bitte dich nur um das eine, daß ich 
felbft mitkommen darf. Meine Leute find gewöhnt, daß 
ich ſie kommandiere: natürlich aber ſtehe ich unter deinem 
Oberbefehl und werde ſtreng und genau nach deiner 
Weiſung handeln.“ 

„Das verſteht ſich ganz von ſelbſt. Du darfſt mit⸗ 
gehen und ſtehſt unter mir. Wieviel Köpfe wirſt du zu⸗ 
ſammenbringen?“ 

„Ich darf die Seribah nicht entblößen, doch ſuche ich 
Die beiten Krieger aus und werde ihrer über dreihundert 
zählen. Sie find ſehr gut bewaffnet, und für Lebens⸗ 
mittel iſt ſtets geſorgt.“ 

„Dreihundert! Mit ihnen wäre ich des Sieges ge⸗ 
wiß; leider aber muß ich auf eine fo zahlreiche Schar vers 
Achten. Ich kann nur fo viele mitnehmen, als mein 
Schiff noch faßt.“ 

„So willſt du den Zug nicht zu Lande unter⸗ 
nehmen?“ 

„Wenigſtens von hier aus nicht. Wir würden volle 
drei Tage brauchen, nur um die Seribah Abu el Mots 
zu erreichen, und ich muß noch eher dort ſein. Oder gibt 
es Schiffe in der Nähe?“ 

„Es gibt welche, Effendi.“ 

„Wo? Bei wem?“ 

Dieſe Frage verſetzte den Aegypter in große Ver⸗ 
legenheit; er wand ſich hin und her, bis er erklärte: 
„Effendi, ich habe mein Wort gegeben, es nicht zu ver⸗ 


— 369 — 


raten. Wer hier ein Schiff beſitzt, der verſteckt es, wenn 
er es nicht braucht. Es gibt Maijehs, die mit dem Fluſſe 
in Verbindung ſtehen und deren Eingang durch das 
Rohr und Schilf verdeckt wird. An ſolche Orte verbirgt 
man die Fahrzeuge, wenn man ihrer für Hager Zeit 
nicht bedarf.“ 

„Du ſprichſt nicht von einem Schiff, ſondern von 
Schiffen. So ſtehen dir wohl mehrere zur Verfügung?“ 

„Zwei Noger ſind's, die ich bekommen kann, gerade 
bequem genug für dreihundert Krieger.“ 

„Und wann ſpäteſtens können ſie hier ſein?“ 

„Wenn ich mich beeile, ſo können wir mit den voll 
bemannten Fahrzeugen gerade am Mittag abſegeln.“ 

„Gut, ſo ſpute dich! Ich werde ſo lange warten und 
die Fahrt aber pünktlich um dieſe Zeit beginnen.“ 

Der Mann eilte fort, innerlich jubelnd über dieſen 
Erfolg ſeines Frühbeſuches bei dem Manne, deſſen An⸗ 
kunft ihn in ſo große Sorge verſetzt hatte. 

Ebenſo froh war aber auch Schwarz. Eine ſo an⸗ 
ſehnliche Hilfstruppe zu bekommen, daran hatte er gar 
nicht gedacht. Zunächſt ſuchte er den Hauptmann auf, 
der eine beſondere kleine Kajüte bewohnte, und teilte 
ihm mit, was beſchloſſen worden war. Soldaten gab es 
auf der Dahabiéh nur fo viele, als zur Bewachung des 
Schiffes nötig waren. Die andern waren alle ſchon nach 
der Seribah gegangen, wo ſie geſtern abend gute 
Kameradſchaft geſchloſſen hatten. 

Sie hatten die Seribah vor ſich liegen. Ueber deren 
Tor war die Fahne des Propheten als Kriegszeichen auf- 
gepflanzt, und überall, wohin das Auge blickte, ſah es 
die Leute mit den Vorbereitungen zum Aufbruch be⸗ 
ſchäftigt. Nur an einer Stelle, gleich wenn man den 
Haupteingang hinter ſich hatte, gab es eine u 


May, Die Sklavenkarawane. 


— 370 — 


Müßiger, die einen Kreis gebildet hatten, um einer Rede 
des Ungarn zuzuhören. 

Er ſtand auf Brettern, welche auf zwei Pulverfäſſer 
gelegt waren, neben ihm ſein Freund und Zankgenoſſe, 
der „Vater des Gelächters“. Der kleine Sohn der Blat⸗ 
tern erzählte ſoeben, als Schwarz und Pfotenhauer her⸗ 
einkamen, von dem Ueberfall an der Quelle des Löwen. 
Er tat dies, um ſeine Zuhörer zur Rache gegen Abu el 
Mot anzufeuern. Daran ſchloß er die Geſchichte von der 
Erlegung der Löwen. Jedenfalls hatte er es ſich vorher 
vorgenommen gehabt, von dieſer Heldentat zu ſprechen, 
denn er führte als Beweis der Wahrheit ſeiner Worte 
die vordere Hälfte des Löwenfells mit ſich, wogegen er 
ſeinen Federturban auf dem Schiff zurückgelaſſen hatte; 
er trug die Löwenhaut ſo, wie die alten Deutſchen ihre 
Bären- und Ochſenfelle trugen, nämlich ſolchergeſtalt, 
daß ſein Kopf im Schädel des Löwen ſteckte und das 
Fell ihm über den Rücken hinabhing. 

Auch der „Vater des Gelächters“ hatte ſeine Hälfte 
mit. Sie war ſo um ſeine Schultern gelegt, daß die 
Schwanzſpitze bis auf die Bretter herabreichte. 

„Ja, ihr Männer des Krieges und der Tapferkeit, 
vernehmt die Heldentat, durch welche wir Aſſad-Bei, den 
Würger der Herden, töteten!“ rief er laut. „Wir haben 
ihn und ſeine Frau beſiegt und dann noch ſeinen Sohn 
gefangen genommen. Hadſchi Ali, ſag, ob es ſo iſt! 
Spreche ich die Wahrheit?“ 

Der „Vater des Gelächters“ nickte und antwortete: 
„Es iſt keine Lüge.“ Er wollte das durch ein ſehr ernſtes 
Geſicht bekräftigen, zog aber ſtatt deſſen eine ſolche Fratze, 
daß die Zuhörer in ein lautes Gelächter ausbrachen. 

„Was habt ihr zu lachen?“ fuhr der Ungar fort. 
„Dieſen Vater des Gelächters mögt ihr immerhin aus⸗ 


— 371 — 


lachen, doch nur nicht etwa mich; ich vertrage keinen 
Spott! Alſo wir ſaßen am Feuer und glaubten uns an 
demſelben vollſtändig ſicher; da erſcholl die Stimme des 
Löwen aus der Ferne. Sag, ob das wahr iſt, Hadſchi 
Ali! Du haſt das Brüllen doch auch gehört.“ 

„Es iſt genau fo, wie du ſagſt,“ beſtätigte der Ge 
nannte, indem er ein Geſicht zog, als ob er ſich totlachen 
wolle. 

„Ja, ich ſage die Wahrheit. Der Vater des Mordes', 
der Herr mit dem dicken Kopfe kam herbei. Die Araber 
und Händler verſteckten ſich aus Angſt hinter das Gepäck, 
aber ich und dieſer mein Freund, der hier neben mir 
ſteht, wir hielten tapfer zu dem Vater der vier Augen'. 
Dieſer Effendi ſteht hinter euch. Betrachtet ihn, und laßt 
euch von ihm die Wahrheit meiner Worte beſtätigen!“ 

Die Blicke aller wendeten ſich auf Schwarz, der in⸗ 
zwiſchen mit Pfotenhauer herangekommen war. Dann 
fuhr der Slowak fort, zu erzählen, wie der Löwe erlegt 
worden war und die Löwin dann herbeigeſprungen kam. 

„Wir glaubten, fertig zu ſein,“ ſagte er. „Aber die 
Frau des Herdenwürgers hatte die Stimmen unſrer Ge⸗ 
wehre gehört und eilte herzu, ihrem Manne zu helfen 
oder ſeinen Tod zu rächen. Das war eine große, eine 
entſetzliche Gefahr, nicht wahr, Hadſchi Ali?“ 

„Ja, es war fürchterlich,“ antwortete der „Vater 
des Gelächters“, indem er trotz der großen Gefahr, die 
geſchildert wurde, eine Grimaſſe zog, als ob er am gan⸗ 
zen Körper gekitzelt werde. 

Der Slowak führte ſeine Erzählung zu Ende und 
ſchilderte dann die Teilung des Felles. „Mir als dem 
Tapferſten fiel die vordere Hälfte zu,“ berichtete er. 
„Und ſodann — — —“ 

„Schweig!“ fiel ihm ſein Freund und Genoſſe in 


— 372 — 


die Rede. „Der Effendi war der Tapferſte. Du aber biſt 
nicht mutiger geweſen als ich. Deine Hälfte iſt dir durch 
das Los zugefallen, weshalb wir dich noch heute wegen 
des großen Maules, welches der Löwe hat, und das auch 
du beſitzeſt, Abu el buz, Vater des Maules' nennen.“ 

„Schweig du ſelbſt!“ antwortete der Kleine zornig. 
„Mein Maul iſt nicht größer als das deinige. Es iſt 
jedenfalls ruhmvoller, den Kopf des Löwen zu haben, 
als den Schweif. Oder hältſt du es etwa für eine große 
Ehre, Abu ed daneb, Vater des Schwanzes' genannt zu 
werden. Siehe dich nur an, wie lächerlich dich deine hin⸗ 
tere Hälfte kleidet!“ 

„Selber lächerlich!“ ſchrie der andre. „Wenn du 
mich ſo fort beſchimpfeſt, verzehre ich dich mit meinem 
Zorn und vernichte dich mit meinem Grimm!“ Er wollte 
ſein fürchterliches Geſicht machen; es bekam aber ein 
ſolches Ausſehen, als ob er infolge eines guten Witzes 
gar nicht aus dem Lachen herauskommen könne. 

„Ich verachte deinen Zorn!“ antwortete der Kleine. 
„Weißt du nicht, daß ich ein berühmter Gelehrter bin 
und ſogar Latein verſtehe, wovon du keine Ahnung haſt!“ 

„Und ich kenne alle Völker und Dörfer der Erde, 
und alle Länder und Einwohner des Weltkreiſes nenne 
ich mit Namen. Mache mir das nach, wenn du es kannſt!“ 

„Gut! Ich werde es dir nachmachen; aber mache 
mir es nur erſt vor!“ | 

„Das werde ich tun, um dich vor dieſen vielen 
Zeugen zu blamieren, daß du dich ſcheuen ſollſt, jemals 
wieder einen Menſchen anzuſehen. Wage es doch einmal, 
mich nach meinen Völkern und Dörfern zu fragen!“ 

„Gleich werde ich fragen! Wie heißen die Inſeln, 
welche weſtlich von der großen Sahara im Meere 
liegen?“ 


er 7; 


„Bilad el adſcham!).“ 

„Falſch! Wie heißt das Land, das die Spitze von 
Afrika bildet?“ 

„Bilad el moskob').“ 

„Jalſch! Wie heißt das Land, das ganz im Norden 
von Europa liegt?“ 

„Sailan?).” 

„Noch falſcher! Und wie heißt das größte Reich der 
Erde, das den Oſten von Aſien bildet?“ | 

„Dſchebel et Tarif*).“ 

Da ſchlug der Slowak die Hände zuſammen, lachte 
laut auf und rief: „O du Vater des Schwanzes', wie 
haft du dich jetzt fo lächerlich gemacht! Die Inſeln jen⸗ 
ſeits der Wüſte heißen Dſcheſajir kanara'). An der 
Spitze von Afrika liegt das Bilad er rase). Das nörd⸗ 
lichſte Land von Europa heißt Bilad el lap'), und im 
Oſten von Aſien liegt das größte Reich der Erde, Bilad 
ed dſchin). Du haſt alſo lauter falſche Antworten 
gegeben!“ 

„Beweiſe est“ ſchrie der Geograph, indem er in 
größter Wut mit den Füßen die Bretter ſtampfte, ſo daß 
der Löwenſchwanz den Takt mit ihnen ſchlug. 

„Die Worte eines Mannes, welcher Latein verſteht, 
ſind ſtets richtig; er braucht nichts zu beweiſen,“ ant⸗ 
wortete der andere würdevoll. „Deine Antworten ſind 
eben alle falſch. Du kennſt kein einziges fremdes Volk 
und keine einzige fremde Stadt. Du biſt ſo dumm, daß 
ich über dich weinen möchte!“ 

„Beweiſe es doch! Beweiſe es!“ brüllte der „Vater 
des Gelächters“, jetzt faſt außer ſich vor Wut, daß er vor 
ſo vielen Zuhörern bloßgeſtellt wurde. „Es iſt ſehr 


I) Berfien. — ) Rußland. — )) Ceylon. — )) Gibraltar. — ) Kanariſche 
Jufeln. — ) Kapland. — ) Lappland. — ) China. 


— 374 — 


leicht, ſo etwas zu behaupten; aber den Beweis zu lie⸗ 
fern, das iſt die Hauptſache! Zeige doch dein Latein und 
deine Wiſſenſchaft! Beweiſe es doch, daß du die Völker 
und Dörfer der Erde beſſer kennſt als ich! Ich werde 
dich fragen, ganz ſo, wie du mich gefragt haſt!“ 

„Tue das! Man wird ſehen, wie du über die Klug⸗ 
heit meiner Antworten ſtaunen wirſt.“ 

„Wollen ſehen! Sage mir alſo einmal, wo liegt der 
berühmte Ort Al Hutama?“ Dieſes Wort iſt ein Bei⸗ 
name der Hölle, der ihr in der hundertvierten Sure ges 
geben wird. Der ſchlaue „Vater des Gelächters“ wendete 
ſich alſo klugerweiſe auf ein Feld, auf das der Slowak. 
ihm nicht folgen konnte. 

„Das weiß ich freilich nicht,“ mußte dieſer geſtehen. 
„Ich habe von dieſer Stadt noch nie gehört.“ Ein all⸗ 
gemeines Gelächter war die Folge dieſer Antwort, denn 
als Mohammedanern war allen Anweſenden das Wort 
bekannt. 

„Schau! Deine Wiſſenſchaft läßt dich ſchon bei 
meiner erſten Frage im Stich!“ jubelte der Hadſchi, in⸗ 
dem er ein Geſicht zog, infolgedeſſen das Gelächter ſich 
verdoppelte. Er aber fuhr, davon unbeirrt, fort: „Jetzt 
fage mir, in welchem Lande der berühmte Tasnim ents 
ſpringt!“ Tasnim iſt eine Quelle im Paradies. Sie 
wird in der dreiundachtzigſten Sure erwähnt. 

„Auch dieſen Namen kenne ich nicht,“ antwortete 
der Kleine. Ein rundum laufendes Murmeln ließ ihn 
erkennen, daß man ſich über ſeine Unwiſſenheit wundere. 

„So ſage mir wenigſtens, wo Sidſchin liegt!“ Die⸗ 
ſer Name befindet ſich in derſelben Sure und bezeichnet 
einen Ort in der Unterwelt, wo das Verzeichnis der 
Handlungen aller böſen Menſchen und Geiſter aufbewahrt 
iſt; auch dieſes Verzeichnis ſelbſt wird Sidſchin genannt. 


— 375 — 


„Weißt du es denn ſelbſt?“ brummte der Rot⸗ 
frackige. 

„Natürlich weiß ich es. Wir alle wiſſen es; du aber 
nicht!“ 

„Frage weiter!“ ſagte der Kleine, ohne eine direkte 
Antwort zu geben. 

„So ſage mir nur noch, wo al’ Ahkaf liegt!“ A 
Ahkaf bedeutet eigentlich Sandhaufen und iſt der Name 
eines ſehr ſandigen Tales in der Provinz Hadramaut, 
wo die Aditen, von denen der Koran wiederholt ſpricht, 
gewohnt haben ſollen. Dieſes Tal wird im 21. Vers der 
ſechsundvierzigſten Sure erwähnt, und darum wird dieſe 
ganze Sure Al' Ahkaf genannt. 

„Auch das weiß ich nicht,“ geſtand der Ungar 
kleinlaut. 

„So haſt du mir nun cho zum viertenmal nicht 
antworten können! Ich wollte dir hundert und noch 
mehr ähnliche Fragen vorlegen, und du würdeſt bei 
jeder ſchweigen müſſen. Wer iſt nun der Kluge von uns 
beiden?“ 

„Keiner! Du haſt mir nicht antworten können und 
ich dir nicht, folglich iſt einer ſo klug wie der andere. Du 
kennſt deine Välker und Dörfer und ich meine Wiſſen⸗ 
ſchaften und mein Latein. Wir wollen uns unſre Gelehrs 
ſamkeit in Zukunft nicht mehr ſtreitig machen. Habe ich 
recht? Stimmſt du mir bei?“ 

„Vom ganzen Herzen!“ antwortete der „Vater des 
Gelächters“ gerührt, wobei er aber ein Geſicht machte, 
als ob er ſich über den Kleinen kranklachen wolle. 

„So reiche mir deine Hand, und küſſe mich! Wir 
ſind Brüder und ſind verſöhnt. Mein Feind iſt auch dein 
Feind, und deine Freunde find auch meine Freunde!“ 

„So ſoll es ſein jetzt und in alle Ewigkeit. Allah 


— 3876 — 


P Allah!“ Sie umarmten und küßten ſich, ſprangen vom 
Podium herab und ſchritten Arm in Arm von dannen. 

„Sonderbare Kerle!“ lachte der Graue. „So was 
hab' i faſt noch nit g'ſchaut. Erſt wollen ſ' ſich freſſen, 
und dann küſſen s' ſich die G'ſichter und trollen vergnügt 
davon. Kommt das denn öfters vor?“ 

„Täglich mehrere Male. Und dabei haben fie ſich 
wirklich aufrichtig lieb. Dieſe beiden können ohne ein 
ander gar nicht leben, notabene, wenn ſie ſich ſtreiten 
dürfen. Sie geſtehen ſelbſt, daß das die Liebe erneuere.“ 

„J dank' gar ſchön! Aber hören S'! Was geht da 
los? Die Gebetſtund' iſt doch noch nit da; die kommt erſt 
zum el Deghri, alſo des Mittags wieder.“ 

Der Fakir ſtand nämlich auf dem Minaret und 
ſchlug das Klangbrett an. Dann erhob er ſeine Stimme, 
aber nicht um zum Gebet zu rufen, fondern er verkün⸗ 
dete mit lauter Stimme, ſo daß es über die ganze Seri⸗ 
bah vernommen werden konnte: „Auf, ihr Gläubigen, 
verſammelt euch, um die Stunde des Glücks zu bes 
fragen! Eilt zum Verſammlungsplatz, um zu hören, ob 
ihr am Mittag aufbrechen dürft!“ 

Und dann ertönte der Schall der Darabukka), die 
Soldaten zum Sammeln zu rufen. N 

„Das iſt die Trommel,“ ſagte der Graue. 

„Wiſſen S', wie trommeln im Arabiſchen heißt?“ 

„Ja, dakk . . ettal.“ 

„Richtig! Das Wort ahmt den Schall der Trommel 
nach: dakk . . ettal — dakk . . ettal, gerade wie wir im 
Deutſchen Tagen rumdibum, rumdibum. Auch der Name 
Darabukka iſt nur die Nachahmung dieſes Schalles. Jetzt 
ſchaun S' mal, wie die Kerls alle laufen! Wollen wir 
auch mit?“ 


1) Topftrommel, Handpauke von Ton. 


— 377 — 


„Ja. Wir müſſen doch ſehen, wie es gemacht wird, 
das Schickſal zu befragen, ob eine gewiſſe Stunde eine 
glückliche iſt.“ 

Sie fanden alle Bewohner der Seribah auf dem 
Verſammlungsplatz beiſammen, die Geſichter nach einem 
Tokul gerichtet, auf deſſen Spitze das Zeichen des 
Halbmonds angebracht war. Das war die Hütte 
des Fakirs. S 

Eben als die beiden dort anlangten, kam Haſab 
Murat, der Herr der Seribah, aus ſeiner Behauſung. 
Als er ſie erblickte, ging er auf ſie zu, um ſie unter tiefen 
Verbeugungen zu begrüßen. 

„Wird der Fakir ſich befriedigend ausſprechen?“ 
fragte Schwarz. 

„Ja, Effendi,“ antwortete der Aegypter. 

„Woher weißt du das?“ 

„Daher!“ Er griff, indem er liſtig mit den Augen 
blinzelte, in die Taſche und zog zwei Mariathereſientaler 
hervor, die er ihnen heimlich zeigte, um ſie ſogleich wie⸗ 
der einzuſtecken. „Nach ſo einem Opfer iſt die Stunde 
allemal glücklich,“ fügte er hinzu. „Allah ſieht es gern, 
daß man ſeinen Dienern Geſchenke macht.“ 

Er eilte fort, um im Tokul des Fakirs zu verſchwin⸗ 
den. Nach einiger Zeit kam er mit dieſem heraus, und 
der Fakir verkündete mit lauter Stimme: „Hört es ihr 
Gläubigen! Ich habe das Buch des Schickſals aufge⸗ 
ſchlagen und die Stimme der Gewährung gehört. Ich 
verkündige euch Sieg und dreimal Sieg. Ihr werdet die 
Feinde ſchlagen und ihre Seelen in die Hölle ſchicken. 
Allah iſt Allah, und Mohammed iſt ſein Prophet!“ 

„Allah iſt Allah, und Mohammed iſt ſein Prophet!“ 
wiederholten über vierhundert Stimmen. 

Dann ging die Verſammlung auseinander. Haſab 


— 378 — 


Murat erteilte feinem Baſch Muni!) den Befehl, Tabak 
und Meriſſah zu verteilen, was mit großem Jubel auf⸗ 
genommen wurde, und lud dann Schwarz und Pfoten⸗ 
hauer ein, um ſie bei ſich zu bewirten. 

Er bediente ſie in eigener Perſon und ſetzte ihnen 
das Beſte vor, was die Seribah zu bieten vermochte. Es 
lag ihm daran, ſie ſich möglichſt wohlgeſinnt zu machen. 
Später kam ein Neger und flüſterte ihm eine Meldung 
zu. Als der Schwarze gegangen war, ſagte er: „Effen⸗ 
dis, ich hörte ſoeben, daß die beiden Schiffe unten an der 
Miſchrah angekommen ſind. Wenn ihr ſie ſehen wollt, 
ſo könnt ihr das jetzt ungeſtört tun, da die Soldaten noch 
nicht eingeſchifft ſind. Erlaubt mir, euch zu begleiten!“ 

Er führte ſie hinab an den Fluß, wo die beiden 
Noqer neben der Dahabiéh vor Anker lagen. „Seht fie 
euch an!“ ſagte er in hörbarem Stolz. „Euer Fahrzeug 
iſt gewiß ein guter Segler; ich habe das ſchon heute früh 
erkannt; aber meine Schiffe ſind nach meiner eigenen 
Angabe auf der Mangarah?) von Daun gebaut worden. 
Ihr Bug iſt ſcharf; ſie durchſchneiden das Waſſer mit 
Leichtigkeit, und ich habe noch kein Fahrzeug auf dem Nil 
geſehen, das es mit ihnen aufnehmen könnte, eure Daha⸗ 
biéh ausgenommen.“ 

„Das iſt mir lieb,“ antwortete Schwarz. „An der 
Schnelligkeit meines Schiffes habe ich nichts auszuſetzen, 
und jo werden die drei Fahrzeuge wohl leicht beiſam— 
menbleiben können, ohne daß das eine auf das andre zu 
warten hat.“ 

Sie beſtiegen die beiden Schiffe, deren Inneres 
nichts Außergewöhnliches bot. Dann führte Schwarz 
den Aegypter auf die Dahabiéh. Auf deren Verdeck an 
gekommen, ſagte er: „Jetzt will ich dir etwas zeigen, 

1) Herr der Vorräte, Naterialverwalter.— ) Schiffs werſt. 


— 879 — 


was du heute früh wohl nicht geſehen haſt. Folge mir 
zunächſt nach hinten!“ Sie ſtiegen auf das Verdeck ober⸗ 
halb der Kajüte, wo ein langes, ſchmales und niedriges 
Holzhäuschen ſtand, das auf Rädern beweglich war und 
deſſen Zweck ein Uneingeweihter wohl nicht gleich er» 
raten hätte. „Was meinſt du, was ſich darin befindet?“ 
fragte Schwarz. 

„5 dDas kann ich nicht erraten,“ antwortete Haſab 
Murat. 

„Erraten Sie es vielleicht?“ fragte Schwarz den 
Grauen. 

„Vielleicht,“ antwortete dieſer deutſch. „Wohl eine 
Drehbaſſe oder Drehkanone, die durch das Häuschen 
maskiert wird, damit der Feind nit zu früh bemerkt, was 
er zu derwarten hat?“ 

„Erraten! Da ſehen Sie!“ Er öffnete vorn die Tür 
und ſchob das Häuschen nach hinten über die Kanone 
hinweg. Der Lauf lag auf einem Zapfen, ſo daß er im 
Kreiſe rundum nach allen Richtungen bewegt werden 
konnte. 

„Medfa', Omm ed dauwar — eine Kanone, eine 
Mutter des Drachens!“ rief der Aegypter, indem er für 
die Drehbaſſe ſofort einen bezeichnenden Namen erfand. 
„Das iſt gut! Da werden und müſſen wir fiegen!“ 

„Ich hoffe es,“ antwortete Schwarz. „Das iſt für 
einen Kampf zu Waſſer. Für ein Gefecht zu Lande habe 
ich etwas noch viel Beſſeres. Laßt es euch zeigen!“ Er 
führte ſie nach dem Vorderteil des Schiffes, wo ein hoher 
Haufen von Matten zu liegen ſchien. Dieſer beſtand aber 
aus nur fünf Stück. Als Schwarz dieſe entfernt hatte, 
zeigte ſich eine Kanone, deren Lafette und Räder mit 
Stricken befeſtigt waren, daß ſie feſtſtand und nicht über 
Bord gehen konnte. 


— 380 — 


„Noch eine Kanone!” rief Haſab Murat. „Aber wie 
iſt ſie gebaut! So eine habe ich nie geſehen!“ 

„Das glaube ich gern,“ antwortete Schwarz. „Das 
iſt eine Konſtruktion, die ſelbſt bei den Europäern neu 
iſt. Der Khedive hat einige aus Bilad el ingeliz') ge⸗ 
ſchenkt bekommen und zwei davon dem Jaffar Paſcha 
zum Gebrauch gegen die Sklavenräuber nach Chartum 
geſchickt. Mit der einen iſt dieſe Dahabieh armiert Mor» 
den, und ich denke, daß ſie uns gute Dienſte leiſten wird, 
zumal wir einen tüchtigen Vorrat von Munition be⸗ 
ſitzen. Sie iſt eigentlich für den Kampf zu Lande be⸗ 
ſtimmt, kann aber auch hier auf dem Deck gebraucht 
werden.“ 

„Wie heißt denn dieſe Konſtruktion?“ fragte der 
Graue. 

„Es iſt eine Maximkanone, aus der in der Minute 
recht gut fünfhundert Kugeln abgegeben werden können; 
das kann, wenn es erforderlich iſt, ſogar bis auf ſechs⸗ 
hundert geſteigert werden.“ 

„Alle Wetter! Da können wir ja in zwei Minuten 
dieſen Abu el Mot mit ſamt ſeinen Leuten derſchießen!“ 

„Da müßten ſie ſehr eng beiſammenſtehen. So 
ſchlimm, wie Sie denken, iſt es freilich nicht; aber ein 
ſolches Geſchütz erſetzt eine ganze Anzahl von Leuten. 
Die Hauptſache iſt eine Taktik, die es ermöglicht, dieſe 
Kanone zur Wirkung kommen zu laſſen.“ 

„Na, daran ſoll's nit fehlen. J bin zwar kein 
Moltke und auch kein Napoleon, aber ein paar Sklaven⸗ 
händler ſo zuſammenzutreiben, daß man mit dieſer 
Kanone auf ſie ſchießen kann, das trau' i mir ſchon zu, 
doch nur unter der Vorausſetzung, daß nit gar auf mi 
ſelber zielt wird.“ 


9 England. 


— 381 — 


Das Geſchütz wurde wieder verhüllt, und dann war 
die Zeit zum Einſchiffen der Soldaten gekommen. Gegen 
Mittag war man fertig. Die dreihundert Mann des 
Aegypters befanden ſich auf den beiden Noqers und die 
hundertfünfzig aus Faſchodah auf der Dahabiéh. Der 
Unterſchied dieſer beiden Schiffsarten beſteht darin, daß 
die Dahabish größer und gedeckt iſt, während der Noqer 
offen ilt und kein Verdeck beſitzt. ö 


Swoölftes Kapitel, 
Die verfolgung des Sklavenhändlers. 


Gerade um Mittag, als von der Seribah herab der 
Schall des Klangbrettes ertönte und die Leute darauf 
ihr Gebet verrichtet hatten, wurden die Anker gehoben 
und die Landſeile an Bord gezogen. 

Mit dem bekannten Ausrufe „ja rabb, ja rabb — 
o Herrgott, o Herrgott“, womit die Arbeiter an ihr 
Werk zu gehen pflegen, ſtießen die Bahriji') die Schiffe 
vom Ufer ab, wo die Frauen und Kinder der Soldaten 
ſtanden. Die Herren mancher Seriben erlauben nämlich 
ihren Untergebenen, ihre Angehörigen mitzubringen, 
und zwar aus Berechnung, weil die Soldaten dadurch 
mehr an den Ort gekettet werden. Dieſe Weiber und 
Kinder riefen den Scheidenden ihr ſchrilles Lulululululu 
nach, den gewöhnlichen Abſchiedsgruß, der noch lange 
über den Fluß ſchallte, als die Segel aufgezogen waren 
und, den günſtigen Wind fangend, die Schiffe aufwärts 
trieben. 

Nun zeigte es ſich, daß Haſab Murat die Wahrheit 
geſagt hatte: feine Nogers ſegelten ebenſogut wie die 
Dahabich, und Schwarz ſah zu feiner Freude, daß dieſer 
günſtige Umſtand die Bemannung der Fahrzeuge zum 
Wetteifer trieb. 


1) Natroſen. 


— 883 — 


Die Dahabiéh hatte natürlich ihren geſchulten 
Reis!) und einen ebenſo erfahrenen Muftamel?). Beide 
hatten jetzt dem Deutſchen zu gehorchen. Auch auf jedem 
der beiden Noger befand ſich ein Reis und ein Muſtamel. 
Jeder dieſer drei Reiſihns) war eiferſüchtig auf die 
Schnelligkeit der andern Fahrzeuge und beſtrebte ſich, 
es ihnen vorzutun. Es entſtand infolgedeſſen ein Wett⸗ 
kampf wie zwiſchen konkurrierenden Miſſiſſippidampfern. 
Die Reiſihn befahlen ihren Matroſen, zu den Stoßſtan⸗ 
gen zu greifen, und die Soldaten halfen aus Leibes⸗ 
kräften. 

Ganz beſonders zeichnete ſich El Schacher, der alte 
„Schnarcher“, aus, der als Reis den einen Noger bes 
fehligte. Seine raſſelnde Stimme erſcholl unausgeſetzt. 
Er feuerte nach der bekannten Art dieſer arabiſchen 
Kapitäne ſeine Leute bald durch Schmeichelworte und 
bald durch die kräftigſten Schimpfreden an. „Ja Allah, 
ja Nabi!“ ſchrie er. „Amahl, amahl, ja Allah, amahl — 
o Gott, o Prophet, macht, macht, o Gott, macht! Ja 
Allah, ja Sahtir, amahl, amahl — o Gott, o Helfer, 
macht, macht! Eſchhetu mu la il laha ilallah; ſallam 
aaleina be baraktak — bezeugt, daß es nur einen Gott 
gibt; begnadige uns mit deinem Segen! Sallah en nabi 
— preiſt den Propheten!!“ | 

Seine Leute arbeiteten in der Sonnenhitze, daß 
ihnen der Schweiß in Strömen über die Geſichter lief. 
Sein Noger war der hintere; die Dahabieh ſegelte voran. 
Er wollte den andern Noger ausſtechen und beſtrebte ſich 
alſo, ihm den Wind wegzufangen. Wenn ein Reis den 
Wind teilen oder ſchneiden will, ſo ſticht er ſein Meſſer 
in den Maſt und ruft dabei den Namen Gottes an. 
Darum zog der „Schnarcher“ ſein langes, gekrümmtes 

i Kapitän. — ) Steuermann. — ) Plural von Reis. 


— 384 — 
Meer, hob es hoch emper, un es feinen enten n 


zeigen, und rief dabei mit einer Sime. 1s od et Tote 
erwecken wolle: Kar zm, fam! Scan. ſchedid — 
ſchnell, ſchnell: Seid fle: zig, ſeid ſtark. Zink, ſchꝛebt, 
arbeitet, arbeitet, ihr Krertgen, ihr Geſchickten! Laßt 


* 


nicht nach, ihr Helden! C arde:tet, ihr Sande, igr Feig⸗ 
linge, ihr Faulenzer! Seht hier mein Meßer, ſeht ihr 
es? Schneidet den Wind! Nehmt dieſem Noqer den 
Wind, daß feine Segel ſchlottern. Macht, macht, ihr 
Kinder, ihr Söhne, ihr Lieblinge! Arbeitet, ihr Trauten, 
ihr Auserwählten! Jetzt kommt der Augenblick: jetzt 
ift er da! Sikkini, ſikkini, hai ſikkini — mein Meſſer, 
mein Meſſer, hier iſt mein Meſſer!“ 

Er trat zum Maſt und holte zum Stoß aus. In 
dem Augenblick, als er mit ſeinem Segel das des voran⸗ 
fahrenden Noger deckte, ſtieß er das Meſſer in den Maſt 
und rief: „Be issm, billahi, amahl, amahl, ja mobare⸗ 
kihn — im Namen Gottes, arbeitet, arbeitet, ihr Geſeg⸗ 
neten! Wir haben ihn, wir haben dieſen Noqer! Seht, 
wie ihm der Atem vergeht! Likuddam, likuddam — vor⸗ 
wärts, vorwärts! So iſt's recht; wir kommen vorüber; 
wir haben ihn ausgeſtochen! Aaib aaleihu, hamdulillah 
— Schande über ihn, Allah ſei Dank!“ 

Das Segel des andern Noger war flau gefallen; es 
klatſchte an den Maſt. Da der Steuermann, dies nicht 
beachtend, das Ruder feſthielt und die Matroſen gerade 
in dieſem Augenblick am Steuerbord ihre Kraft auf die 
Stoßſtangen legten, ſo fiel der Noqer nach Backbord ab, 
und der alte „Schnarcher“ ſegelte an ihm vorüber. 
Hüben jubelten die Matroſen und Soldaten. Drüben er⸗ 
tönten Flüche und Verwünſchungen, und man arbeitete 
mit doppelter Anſtrengung, dieſe Schande wett zu machen. 

Nun richtete der „Schnarcher“ ſeine Abſicht darauf, 


— 385 — 


auch die Dahabiéh auszuſtechen; aber dies gelang ihm 
nicht, da ihre Segel höher ſtanden und auch größer 
waren als die ſeinigen; er konnte ihr den Wind nicht 
wegfangen. Aber dieſer Wetteifer hatte zur Folge, daß 
die Schiffe eine ganz ungewöhnliche Fahrt machten, was 
auch durch den Umſtand unterſtützt wurde, daß der Nil 
hierorts frei von hindernden Schilffeldern und ſchwim⸗ 
menden Inſeln war. 

Noch vor dem Nachmittagsgebet erreichte die Daha⸗ 
bieh die Krümmung, hinter welcher Pfotenhauer den 
Schiffen Abu el Mots begegnet war. Er machte Schwarz 
darauf aufmerkſam. „So hat er,“ ſagte dieſer, „einen 
Vorſprung vor uns, der nicht ganz einen Tag beträgt. 
Wir werden die ganze Nacht ſegeln. Das Waſſer leuchtet, 
und die Sterne ſcheinen. Auch denke ich, daß der Mond 
ſich zeigen wird. Auf dieſe Weiſe bringen wir den größ⸗ 
ten Teil dieſes Vorſprungs ein.“ 

„Werden die Matroſen es aushalten?“ fragte der 
Graue. „Dieſe Kerls arbeiten ja wie die Rieſen. Sie 
ſchwitzen, daß i glaub', es gibt eine Ueberſchwemmung 
unten in Kairo.“ 

„Sie mögen ſich in zwei Wachen teilen; es ſind ja 
genug Soldaten zur Unterſtützung vorhanden. Ich werde 
Haſab Murat das wiſſen laſſen.“ 

Er ſchickte das kleine Boot zu dem Genannten ab, 
der ſich auf dem von dem „Schnarcher“ geführten Noger 
befand. Die beiden Deutſchen ſaßen im Schatten des 
großen Segels auf einem Serir!) und beobachteten den 
Lauf des Schiffes und die Szenerie des Fluſſes. Da trat 
Abd es Sirr, der „Sohn des Geheimniſſes“, zu ihnen 
und fragte Schwarz: „Effendi, haſt du jetzt Zeit, die Ant⸗ 
wort zu hören, die ich dir heute noch geben wollte?“ 


1) Holzgeſtell mit Kiſſen. 
May, Die Sklapenkarawane. . 25 


— 386 — 


„Ja, ſetze dich zu uns!“ 

Das war eine ehrende Auszeichnung, die der Jüng⸗ 
ling mit beſcheidener Würde entgegennahm. „Einiges 
habe ich dir ſchon geſagt,“ begann er; „die Hauptſache 
aber wirſt du jetzt zu hören bekommen. Wer mein 
Vater war, weiß ich nicht; aber ein Araber iſt er ganz 
gewiß geweſen, denn die Worte, die mir aus jener Zeit 
geblieben ſind, gehören alle der arabiſchen Sprache an.“ 

„Und welcher Mundart? Es wäre von großer Be⸗ 
deutung, wenn du das wüßteſt.“ 

„Das iſt ſchwer zu ſagen, denn es ſind der Worte, 
die ich gemerkt habe, nur ſehr wenige.“ 

„Und wohin hat der Räuber dich geſchafft?“ 

„Auch das weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur, 
daß ich mich bei Schwarzen befunden habe, und daß eine 
Frau, welche weniger ſchwarz als die andern war, mich 
ſehr lieb hatte. Sie ging mit mir fort, weit fort. Ich 
weiß, daß ſie mich viele Tage auf ihren Armen getragen 
hat, in ein fernes, fernes Land. Dann legte ſie ſich hin 
und ſtand nicht wieder auf. Ich war ſehr müde und 
ſchlief ein. Als ich erwachte, lag ſie noch da und regte 
ſich nicht. Sie war tot, vor Hunger und Erſchöpfung 
geſtorben. Auch ich hatte Hunger und weinte ſehr, ohne 
Aufhören. Da kam ein Weib, das meine Stimme ge⸗ 
hört hatte und mich fand. Sie nahm mich mit ſich in 
ein nahes Dorf, wo ſie mir zu eſſen und zu trinken gab. 
Es kamen viele Schwarze, die meine Arme, meine Beine 
und meinen Leib betaſteten und mir mehrere Tage nur 
immerfort zu eſſen gaben. Wenn ich nicht eſſen wollte, 
ſo bekam ich Schläge.“ 

„Ah, Menſchenfreſſer!“ 

„Ja, Effendi; es waren welche, wie ich ſpäter hörte. 
Auch an dem Ort, von dem die gute Frau mit mir floh, 


— 387 — 


hatte ich ſo viel eſſen müſſen; darum denke ich, daß dieſe 
Schwarzen auch Menſchenfreſſer waren.“ 
„Und wo befandeſt du dich nun jetzt? man. du 


das?“ 


„Ja; ich war bei den Jambarri.“ 

„Am obern Kongo! Das iſt weit, weit von hier!“ 

„Sehr weit! Dann kam ein weißer Mann, der 
einen grünen Turban auf dem Kopfe und grüne Ban⸗ 
tuflat!) an den Füßen hatte. Er war ſehr freundlich mit 
mir und nahm mich mit ſich über den Fluß hinüber nach 
Mawembe.“ 

„Dem Hauptort der Kororu!“ 

„Du kennſt die Namen dieſer Völker, Effendi · 

„Ja, aus Büchern. Weißt du, wer oder was dieſer 
weiße Mann geweſen iſt?“ 

„Ja, ein wandernder Imam, der von einem Volk 
zum andern reiſte, um den Islam zu verbreiten. Er war 
auch zu den Jambarri gekommen und hatte erfahren, 
daß ich gegeſſen werden ſolle. Da kaufte er mich ihnen 
ab, um mich zu ſeinem Sohn zu machen. Das tat er, 
weil er die Worte verſtand, die mir meine Mutter im⸗ 
mer vorgebetet hatte und die mir noch nicht entfallen 
waren, nämlich die Worte Allah il Allah, Mohammed 
raſſuhl Allah.“ 

„Er hatte aus dieſen Worten erſehen, daß dein 
Vater ein Moslem geweſen war, und ſo erforderte ſein 
Glaube, ſich deiner anzunehmen.“ 

„Er verſtand auch die Worte, die ich außerdem 
konnte. Er gab ſich viele Mühe, noch weiteres aus mir 
herauszubringen, doch vergebens, denn ich wußte nichts. 
Aber den Räuber mußte ich ihm beſchreiben. Deſſen 
Geſicht war das Einzige, an das ich mich genau er⸗ 


) Pantoffel. 


innern konnte, und der Imam ſagte, daß ich darauf ganz 
allein die Hoffnung, meine Eltern wiederzufinden, 
ftügen müſſe. Darum mußte ich ihm dieſes Geſicht fait 
täglich ſo genau beſchreiben, daß mir ſein Bild niemals 
wieder entſchlüpfen konnte. Dieſer ſeiner Klugheit habe 
ich es zu danken, daß ich nun weiß, wer der Räuber war.“ 

„Lebt er denn noch?“ 

„Ja. Du wirſt nachher ſeinen Namen erfahren. 
Der Imam liebte mich wie ſeinen eigenen Sohn. Er 
nahm mich mit von Land zu Land, von Volk zu Volk, 
deren Sprachen ich nach und nach kennen lernte; er aber 
ſprach nur arabiſch mit mir. Auch lehrte er mich alles, 
was er ſelbſt wußte; er unterrichtete mich im Schwim⸗ 
men, Rudern und Schießen. Er ließ mir, wohin wir 
kamen, auch in andern Dingen Unterricht erteilen, ſo 
daß ich vieles lernte, was andre nicht können und er⸗ 
fahren. Als ich zwölf Jahre bei ihm war, kamen wir zu 
den Bongo, wo er plötzlich ſtarb. Er hinterließ mir ſeine 
wenige Habe und ſeinen reichen Segen, der ſich auch 
ſofort bewährte, denn nur wenige Tage nach ſeinem Tod 
kam ein Mann zu den Bongo, um Krieger anzuwerben, 
und in dieſem erkannte ich auf den erſten Blick den⸗ 
jenigen, der mich geraubt hatte. Ich verriet mich nicht. 
Ich wollte mich auch anwerben laſſen, um mitgehen und 
mich an ihm rächen zu können; aber ich war ihm zu 
jung, und er wies mich ab.“ 

„Hörteſt du ſeinen Namen?“ 

„Ja — und du wirſt ihn hören! Ich erlauſchte, daß 
die Krieger zum Sklavenraub gemietet ſeien, und daß ſie 
nilaufwärts nach einer Seribah ſegeln würden. Da ver⸗ 
ſteckte ich das beſte Boot, das die Bongo⸗Leute beſaßen, 
legte vier Ruder, zwei als Vorrat, ein Segel und meine 
Waffen hinein, brachte einen Vorrat von Kisrah und 


— 389 — 


Früchten hinzu und wartete nun, bis der Fremde auf 
feinem Noger, der am Ufer lag, mit, den Bongo auf⸗ 
brechen werde. Als dies geſchah, ſtieg ich in mein kleines 
Boot und ruderte ihnen heimlich nach.“ 

„Das war kühn von einem fo jungen Menſchen!“ 

„Effendi, die Rache macht ſtark und verwegen. Ich 
mußte von ihm erfahren, wer mein Vater iſt, und wollte 
ihn dann töten. Ich ruderte und ſegelte volle drei Tage 
hinter ſeinem Noqer her. Gleich am erſten Tage war 
ich auf eine Wurzel geſtoßen, und mein Boot fiel um, 
mit allem, was ſich darin befand. Nun hatte ich weder 
Waffen noch Speiſe mehr. Ich hielt zwei Tage den Hun⸗ 
ger aus, dann aber konnte ich ihn nicht länger ertragen. 
Der Noger kam an einer Miſchrah vorüber, von welcher 
er ſich ſehr vorſichtig fern hielt. Darum vermutete ich, 
daß die dort wohnenden Menſchen dem Manne, welchem 
ich folgte, feindlich geſinnt ſeien. Das gab mir den Mut, 
dort anzulegen, mir ein wenig Durrah oder Kisrah zu 
erbitten und mich zugleich nach dem Noger zu erkundigen. 
Der erſte Mann, den ich am Ufer traf, war el Schachar.“ 

„Der „Schnarcher', der mit uns fährt?“ 

„Ja. Er nahm ſich meiner an und beantwortete 
meine Fragen. Ich teilte ihm mein Geheimnis nicht mit, 
doch wußte ich nun, daß ich die Verfolgung aufgeben 
konnte. Ich blieb einige Zeit auf der Seribah Hafab 
Murats und ſuchte unbemerkt zu erfahren, ob dieſer 
wohl zu einem Kampf mit meinem Feind zu bringen ſei. 
Das war aber nicht der Fall; er haßte ihn zwar, doch 
fühlte er ſich zu ſchwach, ihn anzugreifen. Allein konnte 
ich nichts ausrichten. Ich hätte meinen Entführer wohl 
heimlich überfallen und töten, aber nicht von ihm er⸗ 
fahren können, wer mein Vater iſt. Ich mußte mir andre 
Verbündete ſuchen. Die Dſchur hatten ihre Dörfer in 


— 890 — 


der Nähe. Ich fuhr zu ihnen und verſteckte meinen Kahn 
am Ufer. Ich wagte mich ſogar in das Dorf, welches 
ganz in der Nähe der Seribah meines Feindes liegt. 
Aber leider erfuhr ich, daß die Dſchur ſeine Verbün⸗ 
deten ſeien.“ 

„Ah, jetzt weiß ich, wer es iſt!“ ſagte der Graue. 
„Abu el Mot iſt es. Du kannteſt den dicken Häuptling 
der Dſchur und ſein Dorf.“ ö 

„Nein, nicht dieſer, ſondern Abd el Mot iſt es, den 
Allah verderben möge! Ich fuhr weiter, um Leute zu 
ſuchen, welche mir helfen würden. So kam ich zu den 
Sandeh, die ihr Niam⸗niam nennt. Sie nahmen mich 
ſehr freundlich auf, und der Sohn des Häuptlings wurde 
mein Freund. Ihm, dem „Sohn der Treue‘, teilte ich 
mein Geheimnis mit, und er verſprach, mir zu helfen. 
Offen den Krieg predigen durften wir nicht, denn Abu 
el Mot hatte die Niam⸗niam noch nicht beleidigt; aber 
heimlich ſtreuten wir den Haß gegen ihn aus, und nach 
und nach reifte der Plan, ohne Wiſſen des Königs, des 
Vaters meines Freundes, mit einer kleinen Schar jun⸗ 
ger Krieger, die mich lieben, nach der Seribah Abu el 
Mots aufzubrechen, meinen Feind herauszuholen und 
ihn als Gefangenen heimzubringen. Dann konnte ich ihn 
zwingen, mir den Namen meines Vaters und alles, was 
ich wiſſen wollte, mitzuteilen.“ 

„Du biſt ein kühner und doch vorſichtiger, kluger 
Mann,“ ſagte Schwarz. „Jetzt liegen die Verhältniſſe 
freilich noch viel vorteilhafter für dich.“ a 

„Ja, Effendi. Eben wollten wir den Plan aus⸗ 
führen, da mußte der Sohn der Treue' nach Faſchodah 
zu dir. Er kannte den größten und gefährlichſten Teil 
des Weges genau, denn wir waren oft im geheimen, 
wenn der König glaubte, daß wir auf den in ſeinem Ge⸗ 


— 391 — 


biete liegenden Maijehn zur Jagd abweſend ſeien, herab 
nach der Seribah geſegelt, um zu erfahren, daß mein 
Feind ſich noch dort befinde. Dann wurde deinem Bru⸗ 
der und dem Vater des Storches' hier die Zeit zu lang; 
ſie glaubten dich in Gefahr und wollten dir entgegen⸗ 
gehen. Ich ſagte ihnen, daß ich den Fluß kenne, und 
durfte als Steuermann mit ihnen fahren. Was dann 
geſchehen iſt, hat dir der Vater des Storches' erzählt.“ 

„Ich danke dir für deine ausführliche Erzählung 
und werde dir natürlich behilflich ſein, dein Ziel zu 
erreichen.“ a 

„Ich bin dein Diener, Effendi.“ Er wendete ſich ab 
und ging. 

„Ein charaktervoller junger Menſch!“ meinte 
Schwarz, indem er ihm nachblickte. „Glücklich der Vater, 
der ſo einen verlorenen Sohn wiederfindet!“ 

„Ja, i hab' ihn auch herzlich lieb g'wonnen und 
— — — ſchaun S', da kommen fie! Ja, bei meiner 
Seel', da kommen ſie!“ Er war plötzlich aufgeſprungen 
Hund deutete in die Luft. 

„Wer denn, wer?“ fragte Schwarz beinahe er- 
ſchrocken. 

„Sehen S' denn nit? Da kommen's g'flogen, grad 
übers Waſſer herüber!“ 

„Ah, dieſe Vögel?“ 

„Natürlich! Wiſſen S', was für welche 's waren?“ 

„Ibiſſe, und zwar heilige — ibis religiosa.“ 

„Richtig! Die haben weißes G'fieder. Und wie heiß! 
die andre Art lateiniſch?“ 

„Ibis faleinellus,“ antwortete Schwarz, ſehr be- 
luſtigt über dieſe Prüfung. 

„Ja; die haben ſchwarze Federn. Und wie wird der 
Ibis hier g'nannt?? 


„Herehz oder Abu mingal.“ 

„Das iſt arabifch; ich meine aber ſudaneſiſch!“ 

„Nädſche, und zwar, weil ſein Geſchrei ſo klingt.“ 

„Sehr richtig! Der Sudaneſe nennt die Tiere gern 
nach ihrer Stimm' oder ſonſtigen augenfälligen Eigen⸗ 
ſchaften. Der heilige Ibis heißt Nädſche abi ad, weil er 
weiß ausſchaut, und der andre Nädſche os wud, weil er 
ſchwarz ausſieht. Sie ſcheinen gar kein übler Vogelken⸗ 
ner zu ſein. Mit Ihrem Bruder bin i auch ſehr zufrie⸗ 
den g'weſt, denn er hat niemals falſch oder vielleicht gar 
nit g'antwortet, ſondern alles gleich richtig g'wußt. Das 
hat mi ſehr g'freut von ihm, und i hoff’, daß i mit Ihnen 
auch ſo gut z'frieden ſein kann. A hübſcher Vogel is mir 
halt lieber als zehn Säugetiere und zwanzig Fiſch', und 
darum iſt's mir ſehr egal, ob die da vorn mit ihren 
Angeln jetzt was fangen oder nit; das iſt ja nur zum 
Eſſen und nit zum Beobachten.“ Er deutete nach dem 
Vorderteil des Schiffes, wo mehrere Soldaten ihre 
Angeln ausgeworfen hatten, und andre mit den Haken⸗ 
ſpeeren dabei ſtanden, um die Beute anzuwerfen, falls 
dieſe ſo ſchwer ſein ſollte, daß die Angelleine ſich als zu 
ſchwach erweiſe. 

„Nun, miteſſen würden Sie wohl doch?“ fragte 
Schwarz. 

„Ja freilich. Aber was tu' i wiſſenſchaftlich mit dem 
Fiſch? Nehmen S' dagegen fo einen Ibis, wie wir 'n 
g'ſehen haben! Der war ſchon im Altertum a heilig's 
Tier und wurd' einbalſamiert und mit Königen begra⸗ 
ben. Haben S' ſchon mal eine Ibismumie g'ſchaut?“ 

„Viele.“ 

„J auch; die erſte ſchon als Bub', als i noch in die 
Schul gangen bin. Unſer Profeſſor von der Natur⸗ 
g'ſchicht' hat eine g'habt, die er mit ganz b'ſonderm Stolz 


— 393 — 


vorg'zeigt hat, wann die Lehr' auf die ſtorchartigen Vögel 
'kommen iſt. Er war gar kein übler Ornitholog; das 
muß i ſagen, obgleich er mi gar nit gern g'habt hat. Und 
wiſſen S' auch, warum?“ 

„Nun?“ 

„Weil i immer nach Dingen g'fragt hab', die ſelbſt 
dera größte G'lehrte nit beantworten kann. Dafür hat 
er mi aber bei b'ſonderer G'legenheit richtig ausg' zahlt. 
Das war damals, als wir in der dritten Klaſſ' Examen 
hatten. J hab' mi ſehr auf dasſelbige g'freut und das 
beſte Vorleghemd und den bunten Schlips um den Hals 
g'macht. In dieſem Staat hab' i ſo ſauber und blank 
ausg'ſchaut, daß es mir im Examen gar nit fehlen konnt'. 
Und doch iſt's nit ſo glatt abg'laufen, wie i's mir vor⸗ 
g'ſtellt hab', denn als i an die Reih' kommen bin, da hat 
er mi g'fragt — was glauben S' wohl, was?“ 

Schwarz wußte noch nicht, daß dies das Lieblings 
thema des Grauen war. Er machte ein dieſen nicht ganz 
befriedigendes Geſicht, da er die Geſchichte ſchon einmal 
gehört hatte, was Pfotenhauer doch wohl wiſſen mußte. 

„Na, was machen S' denn für a G'ſicht?“ fuhr die⸗ 
‚fer fort. „Salt grad fo wie das meinige, damals, als i 
die Frag' bekommen hab'! J red' ſonſt nit davon, weil's 
fremde Leut nix angeht, doch unter Bekannten braucht 
man ſich nit zu genieren, und darum ſollen S' derfahren, 
daß er mi g'fragt hat, warum die Vögel Federn haben.“ 

„Das weiß ich ſchon,“ bemerkte Schwarz. 

Er meinte, daß er die Geſchichte kenne; der Graue 
bezog dieſe Worte aber auf die Federn und antwortete: 
„Jetzund weiß i's natürlich auch; aber damals hab' 
i's noch nit g'wußt, und darum bin i erſt eine ganze 
Weil' dag'ſtanden und bab: den Mund offen g'habt, bis 
i endlich — — —“ 


— 394 — 


„Samki, ſamki, ſamki el kebir, ſamki el tkil — ein 
Fiſch, ein Fiſch, ein großer Fiſch, ein ſchwerer Fiſch!“ 
jubelten in dieſem Augenblick zehn, zwanzig und dreißig 
Stimmen vom Vorderteil her, ſo daß der Graue in ſeiner 
Erzählung innehielt. „Iſchadd, ali, a'la; hai hu, aho — 
zieht, hoch, höher; da iſt er, da iſt er!“ Sie brachten 
einen Fiſch von gewiß drei Ellen Länge auf das Deck, wo 
er ſofort getötet wurde; dann ſchleiften ſie ihn nach dem 
Hinterdeck, damit die Effendina ſich über die Beute 
freuen möchten. Es war ein Wels, eine Fiſchgattung, 
woran der obere Nil ſehr reich iſt. Die alten, großen 
Welſe ſchmecken nicht gut und ſind ſchwer verdaulich; 
dieſer aber war ein noch junges Exemplar, weshalb ſich 
die Leute beſonders freuten. Als Schwarz ſie gelobt und 
beglückwünſcht hatte, ſchafften fie ihn nach der Matbach'). 
| Während dieſer Szenen und Geſpräche hatte 
Schwarz ſein Fernrohr in der Hand gehabt und mit 
deſſen Hilfe wiederholt die beiden Ufer abgeſucht, um zu 
erfahren, ob Abu el Mot während der Nacht am Ufer 
angelegt habe. Hatte dieſer die Fahrt unterbrochen, ſo 
mußte das in der Gegend geweſen ſein, die man jetzt 
paſſiert hatte. Dreihundert Nuehrs hätten mehr als nur. 
eines Lagerfeuers bedurft, und die betreffende Stelle 
mußte unbedingt durch das Rohr in das Auge fallen. 
Aber es war keine Spur einer Lagerſtätte zu ſehen. 
Schwarz kam alſo zu der Ueberzeugung, daß der Sklaven— 
jäger die ganze Nacht hindurch gefahren ſei, und ſo galt 
es, ihm an Eile wenigſtens gleichzukommen. 
| Es kam die Zeit zum Sonnenuntergangsgebet und 
dann auch die der Abendandacht. Nach dem Eſſen zog 
Schwarz ſich mit Pfotenhauer in die Kajüte zurück. Sie 
krochen in ihre Moskitonetze, mit denen Schwarz für ſich 

1) Küche. 


— 395 — 


und ſeine Soldaten reichlich verſehen war, und legten 
ſich zur Ruhe. Für den Neuling iſt eine Nacht auf dem 
Nil verleitend genug, ihn wach zu erhalten; die beiden 
aber kannten dieſen durch die Stechfliegen verſchmäler⸗ 
ten Genuß zur Genüge. 

Sie erwachten ſchon am frühen Morgen und erfuh⸗ 
ren von dem „Sohn des Geheimniſſes“, daß die Schiffe 
auf kein Hindernis geſtoßen ſeien und eine tüchtige Fahrt 
gemacht hätten. 

Der heutige Tag verging langſam, ohne etwas 
Neues zu bringen. Einmal kam Haſab Murat an Bord 
der Dahabiéh, um ſich mit Schwarz zu unterreden. Das 
war die einzige Unterbrechung, die es gab. Die folgende 
Nacht wurde auch fortgeſegelt. Das wurde nur dadurch 
ermöglicht, daß es hinreichend freies Fahrwaſſer gab 
und die Matroſen ſo durch die Aſaker unterſtützt wurden, 
daß ſie ſich in zwei einander ablöſende Wachen teilen 

konnten. | 
Gegen Abend war Tolo aus feinem lethargiſchen 
Schlaf, der von ganz vorteilhafter Wirkung geweſen 
war, erwacht; die Aufregung ſeiner Nerven hatte ſich 
vollſtändig gelegt — er war geſund, worüber ſich nie⸗ 
mand ſo ſehr wie ſein Schickſalsgenoſſe Lobo freute, 
deſſen Wunden ſich im Zuſtand beſter Heilung befanden. 

Auch der Vormittag des nächſten Tages verging 
ohne ein erwähnenswertes Ereignis. Nun aber war 
man der eingeäſcherten Seribah ſo nahe gekommen, daß 
es galt, vorſichtig zu ſein. Schwarz ſandte den „Sohn 
des Geheimniſſes“ und ſeinen Freund, den „Sohn der. 
Treue“ voraus, um die Brandftätte zu durchſpähen. Man 
hatte, als man die Seribah Madunga verließ, das Boot, 
auf dem der Graue mit den Niam⸗niam gekommen war, 
ins Schlepptau genommen. Es wurde mit denſelben 


— 396 — 


Ruderern wieder bemannt, und dann ſtieß es mit ihnen 
und den beiden Jünglingen von der Dahabiéh ab, um, 
von vierzig ausgeruhten, ſtarken Armen getrieben, den 
drei Schiffen voranzueilen. Der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“ hatte ſo genaue Weiſungen erhalten, daß auf ein 
Gelingen faſt mit Sicherheit zu rechnen war. Seiner Be⸗ 
rechnung nach mußten die Schiffe zur Zeit des Aſchia, 
des Abendgebets, bei Einhaltung der bisherigen Ge⸗ 
ſchwindigkeit die Seribah erreichen. Darum ließ 
Schwarz die Leute jetzt noch fleißig an den Staken oder 
Stoßſtangen arbeiten, welche Hilfeleiſtung ſie erſt dann 
einſtellten, als der Sonnenuntergang nahe war. 

Als es dann zu dunkeln begann, poſtierte Schwarz 
ſelbſt ſich an den Bug ſeiner noch immer voranſegelnden 
Dahabiéh, um nach dem verabredeten Zeichen auszu⸗ 
ſchauen. Aber noch bevor die Gegend erreicht wurde, wo 
es hatte gegeben werden ſollen, kamen diejenigen, denen 
es aufgetragen war, ſelbſt zurück. Sie legten an der 
Seite an und kamen an Bord. Schwarz zählte ſie und 
ſah zu ſeiner Freude, daß keiner fehlte. Daß ſie gegen 
die Verabredung zurückkehrten, konnte aber immerhin. 
Schlimmes bedeuten. 

„Erſchrick nicht, Effendi,“ beruhigte ihn der „Sohn 
des Geheimniſſes“; „es iſt alles gut gegangen.“ 

„Hat euch niemand bemerkt?“ 

„Uns konnte kein Auge ſehen, ſo gut hatten wir uns 
am Ufer verſteckt. Ich durfte nicht nach der Seribah, 
weil die Dſchur mich vor einigen Tagen dort geſehen 
hatten. Falls ſie mich heute ſchon wieder erblickten, muß⸗ 
ten ſie Verdacht ſchöpfen. Darum ging der Sohn der 
Treue allein nach der Seribah, und er iſt dort nur von 
einem einzelnen Dſchur geſehen worden.“ 

„Dieſer Dſchur wird es Abu el Mot verraten!“ 


— 897 — 


„Nein; das kann er nicht, denn Abu el Mot iſt nicht 
mehr dort, ſondern bereits den Aufrührern nach.“ 

„Mit wieviel Leuten?“ 

„Mit allen. Die Seribah liegt ſo verlaſſen da, wie 
er ſie gefunden hat. Nur der eine Dſchur ſuchte in den 
Trümmern, ob er vielleicht noch etwas finde, was er 
brauchen könne.“ | 

„Da ging ich zu ihm hin,“ fiel der „Sohn der 
Treue“ ein, „um mich bei ihm zu erkundigen. Ich lief 
gar keine Gefahr, denn es war noch heller Tag, und ich 
konnte alſo weit um mich ſehen. Ich ſagte ihm, daß ich 
von der Hellen) Melan gekommen ſei, um mich von Abu 
el Mot anwerben zu laſſen, und er antwortete mir, daß 
ich nur gleich wieder umkehren könne, da mein Wunſch 
nicht zu erfüllen ſei.“ 

„Du fragteſt ihn doch aus?“ 

„Ja. Es war ein geſchwätziger Alter, der gar nicht 
auf meine Fragen wartete, ſondern mir faſt ganz von 
ſelbſt alles ſagte und erzählte, was ich wiſſen wollte.“ 

„Was haſt du da erfahren?“ 

„Jolgendes: die fünfzig Aufrührer liegen mit den 
fortgeführten Waren und Herden zwei und eine halbe 
Tagereiſe oberhalb der Seribah am rechten Ufer des 
Niles. Dort wollen ſie die Rückkehr Abd el Mots er⸗ 
warten, ſeine Leute zum Uebertritt bewegen, ihm alles 
abnehmen und ihn vielleicht töten.“ 

„Woher will man denn das wiſſen?“ 

„Durch einen Unteroffizier, der zurückgekehrt iſt, 
um auf Abu el Mot zu warten und es ihm zu ſagen. 
Dieſer Mann hat ſeinem Gebieter treu bleiben wollen, 
iſt aber von dem alten Feldwebel und den andern ge 
zwungen worden, mitzugehen. Er als der einzige gegen 

y Dorf. 


— 898 — 


Fünfzig hat gehorchen müſſen, um ſein Leben zu retten, 
iſt ihnen aber bei der erſten paſſenden Gelegenheit ent⸗ 
flohen. So hat er erzählt; aber ich glaube es nicht.“ 

„Du meinſt, er lügt?“ a 

„Ja. Er hat ganz gewiß freiwillig mitgemacht, 
denn als Unteroffizier hatte er einen anſehnlichen Teil 
der Beute zu erwarten und dann, wenn der Feldwebel 
eine Seribah gründet, auch eine beſſere als ſeine bis⸗ 
herige Stelle. Er wird ſich aber unterwegs mit dieſem 
veruneinigt haben und auf den Gedanken gekommen 
ſein, daß es für ihn vorteilhafter ſei, zu Abu el Mot zu 
gehen, den Unſchuldigen zu ſpielen und ſich von ihm für 
ſeinen Verrat belohnen zu laſſen.“ 

„Dieſer Verrat wird ihm keinen Vorteil bringen, 
denn die Fünfzig, denen er entflohen iſt, werden geahnt 
haben, was er beabſichtigt, und ſogleich aufgebrochen 
fein, um ſich vor Abu el Mot in Sicherheit zu bringen.“ 

„O nein. Sie halten ihn für tot. Er iſt des Abends 
mit zweien von ihnen an das Waſſer gegangen, hat ſo 
getan, als ob er hineinfalle, und iſt dann untergetaucht, 
nachdem er einigemal um Hilfe gerufen hat. Während 
fie nun glauben, daß er ertrunken und von den Kroko⸗ 
dilen gefreſſen ſei, iſt er eine Strecke davon wieder an das 
Ufer geſchwommen und davongelaufen. Dann hat er 
ſich aus Omm Sufah ein Floß und aus Schilf und zwei 
langen Aeſten ein paar Ruder gemacht und iſt ſchleunigſt 
und ununterbrochen nach der Seribah gefahren. 
Das ging abwärts ſo ſchnell, daß er heute mittag ange⸗ 
kommen iſt, gerade als Abu el Mot mit ſeinem Sandal 
und feinem Noger eben auch angelangt war. Dieſer war 
erſchrocken geweſen, die Seribah verwüſtet zu finden. Als 
er von dem Unteroffizier hörte, von wem das geſchehen 
ſei, hat er vor Wut förmlich geſchäumt. Dann iſt er in 


— 39 — 


das Dorf der Dſchur gekommen, um dieſe auszufragen, 
und darauf hat er die dreihundert Nuehrs und den 
Unteroffizier gleich wieder auf die Schiffe genommen 
und iſt abgeſegelt, um die Empörer zu beſtrafen.“ 

„So iſt alſo wirklich keiner feiner Leute mehr bei 
der Seribah?“ 

„Kein einziger. Ich habe mich ganz genau über⸗ 
zeugt, den Landeplatz geſehen und ſogar auch den Wald 
durchſucht, ſolange es hell genug war. Dann kehrte ich 
zum Boote zurück, und wir hielten es für geraten, nicht 
liegen zu bleiben, ſondern dich zu benachrichtigen.“ 

„Das war recht von euch. Aber wie kommt es, daß 
Abu el Mot den Waſſer⸗ und nicht den Landweg ein⸗ 
geſchlagen hat? Die Schiffe ſegeln doch langſamer, als 
die Pferde und Kamele gehen!“ 

„Er konnte keine Tiere bekommen, weil Abd el Mot 
ſie alle den Dſchur ſchon abgeliehen hatte. Er will Tag 
und Nacht ſegeln und glaubt, daß er in zwei Tagen an 
Ort und Stelle ſein werde.“ 

„Ich bin überzeugt, daß alles genau ſo iſt, wie du 
ſagſt; aber ich muß ganz ſicher gehen und mich durch 
meine eigenen Augen überzeugen. Ihr rudert mich jetzt 
nach der Seribah zurück. Während die Schiffe langſam 
nachkommen, werde ich dort Umſchau halten. Wie wein 
iſt es bis dahin?“ 

„In einer halben Stunde ſind wir dort.“ 

„Die Schiffe ſonach in einer Stunde. So habe ich 
Zeit genug, mich genau umzuſehen. Alſo wieder hinab 
in das Boot!“ 

Die beiden Freunde begaben ſich in dasſelbe, und er 
folgte nach, ſobald er ſich bewaffnet und dem Reis die 
nötigen Befehle erteilt hatte. Der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“ führte das Steuer. Er ſuchte das ruhige Waſſer 


— 100 — 


auf, vermied die hindernde Strömung, und ſo entwickelte 
das Boot eine Schnelligkeit, die es noch vor der an⸗ 
gegebenen Zeit an Ort und Stelle brachte. 

Der junge Steuermann hatte beabſichtigt, den Zeit⸗ 
verluſt, der mit dem Aufſuchen einer verborgenen Lande⸗ 
ftelle verbunden war, zu vermeiden und direkt nach dem 
Ankerplatz zu lenken. Da Abu el Mot fort war, hatte 
man ja nichts zu befürchten. Aber als ſie ſich dieſer 
Stelle näherten, ſahen ſie dort ein großes, helles Feuer 
brennen. Die Niam⸗niam zogen ſofort die Ruder ein, 
und nur zwei von ihnen gebrauchten die ihrigen ſo, daß 
das Boot keine Rücktrift bekam, ſondern ſeine Lage be⸗ 
Hauptete. 

„Ein Feuer!“ ſagte Schwarz. „Wer mag ſich dort 
definden! Solltet ihr euch doch von dem Dſchur haben 
täuſchen laſſen? Sollte Abu el Mot noch da oder doch 
aus irgend einem Grunde zurückgekehrt ſein?“ 

„Gewiß nicht!“ antwortete der „Sohn des Ge⸗ 
heimniſſes“. „Sicherlich ſind dort nur Dſchurneger!“ 

„Zu welchem Zweck?“ 

„Um zu fiſchen. So lange die Seribah bewohnt 
war, ſind ſie vom Fluß auf dem direkten Wege abge⸗ 
ſchnitten geweſen. Sie mußten einen weiten Umweg 
machen, um zum Waſſer zu gelangen. Darum werden 
ſie das Verſäumte nun fleißig nachholen. Der Ertrag 
iſt des Nachts reicher als am Tage, wenn man ein 
Feuer anbrennt, das die Fiſche herbeilockt.“ 

„Du wirſt wohl das Richtige vermuten; aber den» 
noch will ich die Vorſicht nicht außer Acht laſſen. Wir 
wollen ſchon hier anlegen. Dann ſchleichen wir uns zum 
Feuer, um zu ſehen, wen wir vor uns haben.“ 

Das Boot wurde nach dem Ufer gelenkt und dort 
defeftigt. Die Ruderer blieben ſämtlich darin zurück. 


— 401 — 


Schwarz ſtieg mit Abd es Sirr und Ben Wafa aus und 
näherte ſich, von den Bäumen gedeckt, der Stelle, wo das 
Feuer brannte. | 

Als fie ſo nahe an dasſelbe gelangt waren, daß fie 
die dort Befindlichen erkennen konnten, hielten ſie an 
und muſterten die nächtliche Szene. Ja, es waren fünf 
Neger aus dem Dorfe der Dſchur, die ſich hier befanden. 
Sie hatten aus Schilf ein Floß gebaut und mit einer 
Erdſchicht belegt, um ein Feuer darauf anbrennen zu 
können. Dieſes Floß war mehrere Schritte vom Ufer 
entfernt, im Waſſer verankert und trug nur einen Mann, 
der die Flamme zu unterhalten hatte. Die übrigen lagen 
am Ufer und ſpähten in das bis auf den Grund erleuch⸗ 
tete Waſſer, um, die kleineren Fiſche unbeachtet laſſend, 
die größeren zu ſpeeren oder, falls dies nötig war, mit 
einer kurzen, widerhakigen Lanze, an der ſich eine Leine 
befand, zu harpunieren. Sie hatten ſchon eine reiche 
Beute gemacht. Man ſah beim Schein des Feuers eine 
Anzahl Fiſche in der Größe von zwei Fuß bis über zwei 
Ellen am Ufer liegen. 

„Gehen wir hin?“ fragte der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“. n 

„Noch nicht,“ antwortete Schwarz. „Ich will auch 
nicht das Mindeſte verſäumen und möchte alſo vorher 
hinauf, wo die Seribah gelegen hat.“ 

„So komm! Es iſt nicht weit. In einer Minute 
ſind wir durch den Wald.“ 

Sie ſtiegen leiſe am Ufer empor. Als ſie den Rand 
des Waldes erreichten, ſah Schwarz die Brandſtätte vor 
ſich liegen. Nichts regte ſich in der Nähe. Er konnte 
gar nicht zweifeln, daß Abu el Mot den Ort ver⸗ 
laſſen habe, und kehrte alſo zufriedengeſtellt zum Feuer 
zurück. „Bleibt hier ſtehen!“ ſagte er. „Dieſe Leute ken⸗ 


May, Die Skiapenkarawane. 26 


— 402 — 


nen euch, weil ihr ſchon in ihrem Dorf geweſen ſeid, und 
brauchen euch nicht zu ſehen. Sprechen ſie arabiſch?“ 

„Viele von ihnen nicht. Der Dicke aber, der dort in 
der Mitte liegt, iſt der Häuptling, welcher dieſe Sprache 
zur Genüge verſteht, um dir Auskunft geben zu können.“ 

Schwarz trat unter den Bäumen hervor und grüßte 
die Schwarzen. Sie erſchracken außerordentlich, als ſie 
ſo unerwartet eine fremde Stimme hinter ſich hörten. 
Sie ſprangen auf, und als ſie die hohe, breite Geſtalt des 
Deutſchen erblickten, erhoben ſie ein lautes Angſtgeſchrei 
und flohen, alles im Stiche laſſend, von dannen. Auch 
den einen, der ſich auf dem Leuchtfloſſe befand, ergriff 
ein ſolcher Schreck, daß er ſich kopfüber in das Waſſer 
warf und, gar nicht an die hier ſo häufigen Krokodile 
denkend, eine Strecke abwärts ſchwamm, um dort ans 
Ufer zu gehen und ſchleunigſt zu verſchwinden. Es war 
das in der Nähe des Bootes, deſſen Inſaſſen es aber für 
geraten hielten, ihn ihre Anweſenheit nicht bemerken 
zu laſſen. | 

Nur einer war nicht entkommen, nämlich der dicke 
Häuptling. Sobald dieſer Miene gemacht hatte, davon⸗ 
zulaufen, war er von Schwarz mit ſtarker Hand bei der 
Haarfriſur ergriffen und feſtgehalten worden. Er wehrte 
ſich nicht; er wagte keine einzige Bewegung; aber er 
heulte vor Angſt ſo entſetzlich, daß ſeine Stimme wohl 
bis weit über das jenſeitige Ufer drang. 

„Sei ſtill!“ gebot Schwarz dem Negerhäuptling. 
„Ich tue dir nichts.“ 

„Ja ſchetan, ja ſchetan, ja ſchetan el mlih, amahn, 
amahn, rahmi — o Teufel, o Teufel, o guter Teufel, 
Gnade, Gnade, Erbarmen!“ zeterte er, indem er weder 
von der Stelle zu gehen noch ſich zu rühren wagte. 

„So ſchweige doch, Burſche! Ich bin nicht der 


— 403 — 


Schetan, ſondern ein Menſch wie du. Es ſoll dir nichts 
geſchehen. Du ſollſt. mir nur einige Fragen beantworten, 
und dann gehe ich wieder.“ 

„So gehe, gehe gleich jetzt; ich bitte dich!“ 

Er ſagte das in ſo angſtvoll flehendem Tone, daß 
Schwarz lachen mußte. Doch hielt der letztere ihn noch 
immer feſt, um ihn an der Flucht zu verhindern, indem 
er antwortete: „Ich gehe, doch erſt dann, wenn du mir 
Beſcheid gegeben haſt. Je ſchneller du mir Auskunft 
gibſt, deſto eher wirſt du frei von mir ſein.“ ö 

„So frage, frage raſch!“ 

„Gut! Aber ich erwarte, daß du mir die Wahrheit 
ſagſt. Belügſt du mich, ſo binde ich dir Hände und Füße 
zuſammen und werfe dich als Speiſe für die Krokodile 
in das Waſſer!“ 

„Ich ſchwöre dir zu, daß ich dich nicht belügen 
werde!“ verſprach der Dicke, welcher zitternd zu Boden 
blickte und noch immer nicht wagte, dem Deutſchen in 
das Geſicht zu ſehen. 

„Wo iſt Abu el Mot?“ — „Fort.“ — „Wann?“ — 
„Eine Stunde vor Sonnenuntergang.“ — „Wer iſt mit 
ihm?“ — „Fünf Araber und die Nuehr, die ſich auf den 
Schiffen befunden hatten.“ — „Wen hat er hier zurück⸗ 
gelaſſen?“ — „Niemand.“ — „Verſchweige mir nichts, 
ſonſt biſt du verloren! Blieb wirklich keiner von ſeinen 
Leuten hier?“ — „Kein einziger.“ — „Wo will er hin?“ 
— „Dem Feldwebel nach, um ihn zu beſtrafen.“ — 
„Und dann?“ — „Dann will er wiederkommen, und wir 
ſollen ihm helfen, die Seribah neu aufzubauen.“ — „Wo 
lagert der Feldwebel?“ — „Zwei und einen halben 
Tagemarſch von hier, am Nil, wo ſich die große Maijeh 
befindet, die Maijeh Huſan el bahr') genannt wird.“ — 

1) Matjeh des Nilyferdes. 


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„Wann wird Abu el Mot dort ankommen?“ — „Er ge 
dachte übermorgen dort zu ſein, da er auch des Nachts 
ſegeln will; aber ich glaube, daß er längere Zeit braucht.“ 
— „Warum?“ — „Weil er ſchon gegen Morgen, vor 
Anbruch des Tages, an eine Stelle kommen wird, wo 
man mit großen Schiffen am Tage nur ſehr ſchwer und 
langſam, des Nachts aber gar nicht durch die Omm 
Sufah kommen kann. Er muß dort warten, bis es hell 
wird, und es dauert ganz gewiß eine lange Zeit, bis er 
wieder in freies Fahrwaſſer kommt.“ — „Kennſt du den 
Sejad ifjal?“ — „Den Elefantenjäger? Ja; er war bei 
uns, gerade als die Seribah brannte.“ — „Weißt du, wo 
dieſer Mann ber iſt?“ — „Nein. Niemand weiß es.“ — 
„Hat er dir geſagt, wohin er gehen will?“ — „Nein. Er 
tauſchte bei mir zwei Kamele ein. Als wir früh erwach⸗ 
ten, war er fort.“ — „Hat ſich ſonſt jemand nach Abd el 
Mot und Ombula erkundigt?“ — „Ja. Ein Fremder 
war hier, ein Weißer, der nach dieſem Dorf wollte. Er 
verlangte einen Führer von mir; aber ich ſagte ihm, daß 
die Belanda unſre Todfeinde ſeien, und daß man das 
Leben wage, wenn man ſie von hier aus aufſuche. Da 
ging er fort.“ — „Wohin?“ — „Er hat es mir nicht 
geſagt; jedenfalls dahin, woher er gekommen iſt.“ — 
„Halt du heute mit Abu el Mot geſprochen?“ — „Ja. Er 
kam zu uns, und ich mußte ihm alles, was während 
feiner Abweſenheit geſchehen war, erzählen.“ — „Haft 
du auch den Elefantenjäger erwähnt?“ — „Nein.“ — 
„Aber doch vielleicht den fremden Weißen, der einen 
Führer nach Ombula haben wollte?“ — „Auch dieſen 
nicht, denn Abu el Mot hatte es ſehr eilig, weil er fort 
wollte.“ — „Wie waren die Nuehr bewaffnet?“ — 
„Einige von ihnen hatten Gewehre, die meiſten aber 
hatten Pfeile, Spieße, Meſſer und Schilde von Dſchild 


— 405 — 


huſan el bahr!).“ — „Aber Abu el Mot ſelbſt und die 
fünf Araber waren gut bewaffnet?“ — „Sie hatten Ge⸗ 
wehre, Piſtolen und Meſſer.“ — „Wie ſtand es mit dem 
Pulver?“ — „Es war nur ſo viel davon vorhanden, wie 
fie in den Kuruha el barud') bei ſich hatten. Darüber 
war Abu el Mot ſehr zornig, denn der Feldwebel hat den 
ganzen Vorrat mitgenommen. Auch Blei zu den Kugeln 
fehlte.“ — „So! Ich danke dir! Damit du erkennſt, daß 
ich es nicht bös mit dir meine, will ich dir einen Abu 
Noktah ſchenken. Hier haſt du ihn!“ 

Erſt jetzt ließ er die Hand von dem Schopf des 
Dicken, zog den Beutel aus der Taſche und gab ihm einen 
Mariathereſientaler. Das war das richtige Mittel, dem 
Neger Vertrauen einzuflößen. Er wagte es, an der 
hohen Geſtalt des Deutſchen bis zu deſſen Geſicht empor⸗ 
zublicken und fragte: „Herr, ſoll dieſer Abu Noktah 
wirklich mein ſein?“ — „Ja.“ — „Dann biſt du wirk⸗ 
lich kein Schetan, ſondern ein ſehr wohltätiger Menſch. 
„Du biſt gütiger und verſtändiger als der fremde Weiße, 
der mir Geld verſprach und doch nur armſelige Perlen 
gab. Ich ſehe ein, daß ich mich vor dir nicht zu fürchten 
brauche.“ — „Ja, rufe oder hole deine Leute wieder her 
und fiſche ruhig fort. Ich gehe jetzt. In kurzer Zeit wirſt 
du drei Schiffe hier vorüberfahren ſehen; aber auch vor 
dieſen brauchſt du dich nicht zu ängſtigen. Sie werden 
nicht anhalten.“ — „Schiffe? Wem gehören ſie? Wo 
kommen fie her, und wo wollen fie hin? Vielleicht zu 
einer Sklavenjagd?“ — „Nein. Es befinden ſich keine 
Sklavenjäger, ſondern nur gute Menſchen darauf!“ — 
„Und werden ſie wirklich nicht hier halten?“ — „Nein. 
Berlaſſe dich auf mein Wort! Gute Nacht!“ 

Er ließ ihn ſtehen und trat in das Dunkel des 


n Fiubpferdhaut. — ) Bulserbörner. 


— 406 — 


Waldes zurück. Seine beiden Begleiter hatten von dem 
nahen Baum aus, unter dem ſie verborgen geweſen, die 
Unterredung angehört. Als er nun mit ihnen nach dem 
Boote ging, bemerkte der „Sohn der Treue“: „Effendi, 
jetzt erkenne ich, daß ich nicht klug geweſen bin, als ich 
vorhin mit dem Dſchur ſprach.“ — „Inwiefern?“ — 
„Ich habe nur nach Abu el Mot gefragt, nicht aber nach 
den andern nötigen Dingen, die du jetzt erfahren haſt. 
Nun wiſſen wir alles.“ — „Ja, ich weiß nun freilich 
viel, viel mehr, als ich erfahren zu können glaubte. Es 
war ein Glück, daß dieſe Leute ſich hier befanden.“ 

Sie hatten das Boot erreicht, ſtiegen ein und ruder⸗ 
ten zurück. Aber die Strecke, welche ſie zu fahren hatten, 
war nicht groß, denn ſchon nach kurzer Zeit ſahen ſie das 
Licht der Dahabiéh und dann auch diejenigen der beiden 
Noqer erſcheinen. Um Haſab Murat zu unterrichten, 
ließ ſich Schwarz zunächſt an deſſen Schiff und dann erſt 
nach der Dahabiéh rudern. An Bord geſtiegen, gab er 
dem Reis die nötigen Befehle. 

Am Bug der drei Schiffe brannten große Feuer, 
um das Fahrwaſſer zu erleuchten. In dem Schein, den 
ſie auf den Strom warfen, ſah man häufig Fiſche empor⸗ 
ſchnellen. Der Wind war von Anfang an ſehr günſtig 
geweſen und war es noch jetzt. Er ſpielte mit der 
Flamme drüben am Ufer, wo man die Dſchur ſtehen 
ſah, die mit ihren Blicken die vorüberziehenden Schiffe 
verfolgten. 

Oft, wenn man eine Krümmung des Fluſſes er⸗ 
reichte, wurde der Wind von der vorſpringenden Ufer⸗ 
ſpitze aufgefangen, und die Segel fielen ſchlaff zuſammen. 
Später, gegen Mitternacht, ſchlief der Luftſtrom plötzlich 
ein, ohne wieder zu erwachen. Das war fatal und es 
gab dabei nur den Troſt, daß Abu el Mot unter derſel⸗ 


— 407 — 


ben Flaue zu leiden hatte und alſo auch nicht vorwärts 
kommen konnte. f 

„Wann's nur wenigſtens Tag wär',“ ſagte der 
Graue zu Schwarz, „daß wir uns am Zugſeil ſchleppen 
laſſen könnten, wo das Ufer dazu paßt. Wie weit iſt 
denn eigentlich Abu el Mot vor uns?“ 

„Er iſt eine Stunde vor Sonnenuntergang von der 
Seribah abgeſegelt. Zwei Stunden ſpäter kamen wir 
dort vorüber; alſo beträgt der Vorſprung nur drei Stun⸗ 
den. Morgen holen wir ihn ein.“ 


% JJ. 1 

„Mein Plan wär' ganz anders. Ich ließ ihn ruhig 
voraus bis zum Lager des Feldwebels. Dort würden 
ſich die beiden einander umbringen, denn ohne Gegen⸗ 
wehr wird ſich der Abtrünnige wohl nit ergeben, und 
wann ſ' ſich dann halb derwürgt haben, fallen wir über 
fie her“ 

„Dieſen Gedanken habe auch ich gehabt, aber er 
taugt nichts.“ | 

„Was? Er taugt nix? Das iſt kein großes Lob und 
Schmeichelwort für mi!“ 

„Ueberlegen Sie ſich die Sache! Mit unſern drei 
Schiffen und vierhundertfünfzig Mann ſind wir Abu 
el Mot überlegen. Er hat wenig Gewehre und faſt kein 
Pulver, während wir mit beidem wohl verſehen ſind. 
Wir können alſo, wenn wir ihn auf dem Fluß faſſen, 
kurzen Prozeß mit ihm machen, ohne befürchten zu 
müſſen, große Verluſte zu haben. Laſſen wir ihn aber 
bis zur Maijeh kommen, fo gelangt er zu Blei und Pul⸗ 
ver, und ſelbſt wenn er insgeſamt auch kaum vierzig 
Gewehre zuſammenbringt, ſo iſt das ganz hinreichend, 


— 408 — 


ein halbes Hundert von uns oder gar noch mehr zu 
töten. Das will ich vermeiden.“ 

„Hm! Daran hab' i freilich noch nicht gedacht.“ 

„Und noch eins. Auf dem Fluß haben wir ihn ſo, 
daß er uns nicht entkommen kann. Laſſen wir ihn aber 
landen, ſo herrſcht bei uns zwar gar kein Zweifel 
darüber, daß wir ihn beſiegen, aber es iſt mit größter 
Wahrſcheinlichkeit anzunehmen, daß er flieht, ſobald er 
ſeine Sache verloren ſieht. Was nun dann? Ich will ihn 
fangen; ich muß ihn perſönlich haben, um ihn dem 
Mudir von Faſchodah zu ſchicken.“ 

„Sehr richtig! Hören S' mal, Sie ſind doch aan 
andrer Kerl als i! Auf meine Fachwiſſenſchaft verſteh' 
i mi ſchon gut, aber mit dera Strategie, da tät’ es wohl 
g'waltig hapern. Sie hätten Off'zier werden follen. 
Vielleicht wären S' jetzt ſchon Oberſt oder gar noch mehr!“ 

„Danke! Ich habe meine Pflicht als Soldat getan; 
im übrigen bin ich mit meinem Beruf ganz zufrieden.“ 

„So! Alſo Soldat ſind S' g'weſen? J nit.“ 

„Doch nicht als untermäßig oder zu ſchwach? Sie 
haben mehr als die erforderliche Länge und ſind wohl 
auch geſund.“ | 
„G'ſund wie der Fiſch im Waſſer, und auch lang 
g'nug. J hab' ganz g'wiß glaubt, daß man mi nehmen 
wird, und doch bin i loskommen.“ 

„Aus welchem Grunde denn?“ 

„Das fragen S' mi? Sehen S' das den nit?“ 

„Nein,“ antwortete Schwarz ganz aufrichtig, indem 
er die Geſtalt Pfotenhauers mit einem prüfenden Blick 
überflog. 

„Sie haben halt keine Augen! Nämlich als i bei 
dera Militärkommiſſion erſchienen bin, ſo haben die 
Herren erſt mi ang'ſchaut, dann ſich ang'ſchaut, nachher 


=; 400: = 


wiederum mi und wiederum ſich, und endlich find f in a 
Gelächter ausg'brochen, das gar nicht hat enden wollen. 
J hab' dag'ſtanden wie der Milchbub', der den Topf zer⸗ 
brochen hat, und mein G'ſicht wird wohl nit allzu klug 
dreing'ſchaut haben, denn ſie haben immer wieder von 
neuem g'lacht, bis endlich der Vorſitzende, welcher Major 
g'weſen iſt, aufſtand, zu mir herankam, mi im G'ſicht ge⸗ 
ſtreichelt und freundlich zu mir g'ſagt hat, daß i gehen 
kann und für immer frei bin.“ 

„Aber den Grund, den Grund! Hat er Ihnen den 
nicht genannt?“ | 

„Freilich hat er ihn mir g'nannt. Er hat den Zoll» 
ſtab vom Tiſch genommen und lang damit an meiner 
Naſ' herumg' arbeitet. Dann hat er g'ſagt: Es geht nit; 
es geht wirklich nit; es geht beim beſten Willen nit! 
Dieſer Rekrut tät' ſeinem Vordermann mit dera Naſ' 
das G'nick einſtoßen! Und doppelten Abſtand nehmen 
wegen ihm, das kann man auch nicht tun. Und wann er 
rechtsumkehrt machen muß, ſo dauert es drei volle Stun⸗ 
den, eh' er die Naſ' herumbringt. Wir müſſen ihn laufen 
laſſen.“ So hat der Major g'ſagt, und folglich hab' i's 
nur meiner Naſ' zu verdanken, daß i Anno ſechsundſech⸗ 
zig oder ſiebzig nit mit derſchoſſen worden bin.“ 

Er erzählte das mit einem ſo vergnügten Lachen, 
daß Schwarz darin einſtimmte. 

„Da lachen S' auch?“ fuhr er fort. „Damals iſt 
mir's freilich nit wie lachen g'weſen, denn i hab' mi für 
einen Mordskerl und Adonis g'halten. Heute laß j's 
gelten. J hab' meine Naſ' und bin mit ihr zufrieden, 
zumal i überzeugt bin, daß aus mir kein großer Kriegs⸗ 
held g'worden wär'. Das ſeh' i eben jetzt grad ein, wo 
Ihr Plan zehnmal klüger iſt, als der meinige war. Ja, 
wir müſſen Abu el Mot zu Schiff angreifen. Er wird 


— 410 — 


ſich wundern, wenn er die Kanone donnern hört. Aber 
haben S' denn jemand, der ſie zu behandeln verſteht?“ 

„Ja. Es iſt ein Mann, auf den ich mich in dieſer 
Beziehung verlaſſen kann: ich ſelbſt.“ 

„Sie? Auch mit Kanonen können S' ſchießen? Sie 
ſcheinen gerade alles g'lernt zu haben!“ 

„Wenn auch das nicht, aber ein Geſchütz weiß ich 
zu laden, zu richten und auch abzufeuern. Ich war Ein⸗ 
jähriger bei der Artillerie.“ 

„So! Dann will i's glauben. J aber verſteh' von 
dera Artillerie ſo viel wie nix. J glaub', i ſtellt' mich 
vor den Lauf, wann i abdrücken ſollt'. Doch weiter jetzt 
mit unſerm Plan! Was werden S' denn tun, wann wir 
Abu el Mot und auch den Feldwebel haben?“ 

„Die Antwort iſt ſehr leicht zu geben. Wir erwar⸗ 
ten an der Maijeh, wo jetzt der Feldwebel lagert, wel⸗ 
chen Ausgang die Ghaſuah nach Ombula nimmt. Mag 
dieſer Zug gelingen oder nicht, ſo muß Abd el Mot zu⸗ 
rück und alſo in unſre Hände fallen.“ | 

„Und Ihr Bruder?“ 

„Den muß ich freilich einſtweilen ſeinem Glück und 
Geſchick überlaſſen. Er iſt der Spur Abd el Mots gefolgt 
und wird gewiß auf ihr zurückkehren. Treffen müſſen 
wir ihn alſo auf jeden Fall, wenn ihm nicht unterwegs 
ein Unglück zugeſtoßen iſt, was leider auch im Bereich 
der Möglichkeit liegt.“ 

„J hoff' auf gutes Gelingen, denn er befindet ſich 
in guter Geſellſchaft.“ 

„So hat der Elefantenjäger Ihnen gefallen?“ 

„Ja. Er iſt g'wiß kein gewöhnlicher Mann und 
muß viel erfahren und erlebt haben. Auch hat er klug 
und überlegen g'nug ausg'ſchaut, ſo daß i ihm gern zu⸗ 
trau', daß er ſich nit übereifrig in Gefahr begibt.“ 


— 411 — 


„Um ſo beſſer! Doch, ſehen Sie dort den Vater der 
elf Haare‘! Er blickt beſtändig her, als ob er mir etwas 
ſagen wolle. Ich werde ihn einmal fragen. Ich weiß, 
daß er nur Ihretwegen nicht herkommt.“ 

„Gehen S' nit hin, ſondern bleiben S da, und 
rufen S' ihn her! Wann i nit mit ihm zuſammen⸗ 
treff, kann i den Fehler, den i begangen hab', nit 
gutmachen.“ 

Schwarz winkte dem Slowaken, und ſo ſah dieſer 
ſich gezwungen, zu ihm zu kommen. Auf die Frage, ob 
er vielleicht ein Anliegen habe, antwortete er: „Ich hatt 
wirklich eine Bitte, ergebenſte. Wir hatt geſprocht von 
Wind, entſchlummertem, und von Fahrt, langſamiger. 
Wenn wir gewollte kommen an Abu el Mot, vorauſigen, 
ſo muß fahrte Schiff mit Schnelligkeit, größerer. Darum 
wir hatt beſchließte, daß wir ausſetzte Boote, alle vom 
handene, ſie ſpannte vor Schiff, müßiggängeriſches, und 
ruderte es vorwärts mit Eile, zufriedenſtellender.“ 

„Ach fo! Du machſt den Vorſchlag, die Boote vor⸗ 
zuſpannen?“ 

„Ja, alle!“ 

„Ich habe ſchon daran gedacht. Boote wären ja da. 
Die Dahabieh hat außer der Feluka noch ein kleineres 
Boot; jeder Noqer hat zwei Kähne und außerdem iſt das 
große Boot der Niam⸗niam vorhanden. Aber ich habe den 
Befehl nicht geben wollen, weil ich nicht glaube, die 
Leute ſo anſtrengen zu dürfen.“ 

„Leute haben geſprochte davon. Sie wollte ſtellen 
Freiwillige, hinreichende. Hatt mich gebeten, zu meldente 
es Effendi, kommandierendem.“ 

„Alſo hat man ſich freiwillig zum Rudern erboten? 
Das iſt mir ſehr lieb. Zwingen wollte ich niemand. Da 
du der Beauftragte dieſer Freiwilligen biſt, ſo ſage ihnen, 


— 412 — 


daß ich ihren Wunſch erfüllen werde. Ich ernenne dich 
zu ihrem Chef. Rufe ſie zuſammen!“ 

Ueber das pockennarbige Geſicht des Kleinen glitt 
der Ausdruck freudiger Genugtuung. Er warf einen 
ſtolzen Seitenblick auf den Grauen und ſagte: „Wenn ich 
ſeinte Chef, ſo wernte ich machte ein Oberſt, tüchtiger. 
Ich hatt ſchon ſtets beſitzte Eigenſchaft, geeignete, zu 
kommandierte Kompagnie und Bataillon mit Leichtig⸗ 
keit militäriſcher. Und da ich hatt Frack, ſchönen und 
roten, ſo werd' ich erfüllte Pflicht, meinige, mit Erfolg, 
ausgezeichnetem. Zu Befehl, Effendi!“ Er legte die 
zwei Finger ſalutierend an ſeinen Federturban und ſtol⸗ 
zierte ſteif wie ein Storch und erhobenen Hauptes von 
dannen. 

„Nun iſt er zufriedeng'ſtellt,“ lachte Pfotenhauer. 
„Auch eine Anſicht! Weil er einen roten, ſchönen Frack 
hat, hält er ſich für geeignet, ein Bataillon zu kom⸗ 
mandieren!“ 

„O, tragen Sie keine Sorge um ihn! Ich bin über⸗ 
zeugt, daß er die Ruderer zuſammennehmen und an⸗ 
feuern wird, daß es eine Luſt iſt. Paſſen Sie auf!“ 

Der Kleine brachte nach wenigen Minuten gegen 
dreißig Soldaten herbei, welche gelernt hatten, ein 
Ruder zu führen; dieſen ſchloſſen ſich die Niam⸗niam an, 
und der „Sohn des Geheimniſſes“ und der „Sohn der 
Treue“ meldeten ſich zum Steuern. Die Feluka und das 
zweite Boot wurden hinabgelaſſen und bemannt; man 
hing fie ebenſo wie das Boot der Niam-niam an ein 
Tau, welches an das Vorderteil der Dahabiéh befeſtigt 
wurde, und dann ſetzten ſich fünfzig Arme in Bewegung, 
das Schiff, welches nun nur noch mit Hilfe der Stoß⸗ 
ftangen bewegt worden war, in ſchnelleren Lauf zu 
bringen. 


— 413 — 


Kaum wurde das von den Nogers bemerkt, fo er⸗ 
tönte die Stimme des Schnarchers durch die Nacht. „Ja 
radſchal, flajik linahr — auf, ihr Männer, die Boote ins 
Waſſer! Arbeitet, macht, macht! Soll die Dahabiéh uns 
zum Gelächter machen? Schnell eilt, ihr Söhne, ihr Ge⸗ 
lobten, ihr Fleißigen! Oder wollt ihr ſchlafen, ihr Söhne 
von Hunden, ihr Taugenichtfe!“ 

Bald hatten ſich die Boote auch vor die beiden 
Roger geſpannt, und nun gingen die Schiffe ſchneller 
vorwärts, wenn auch nicht ſo, als wenn ſie von einem 
guten und günſtigen Wind getrieben worden wären. 
Die Ruderer, deren Arbeit eine ſehr anſtrengende war, 
wurden in zwei Wachen geteilt, die einander ſtündlich 
ablöſten. | 

Im vorderen Boote ſaß der Ungar, deſſen hochroter 
Frack im Scheine des Bugfeuers leuchtete. Seine 
Stimme war ſtets zu hören; ſeine bewegliche Zunge 
ruhte keinen Augenblick, und es klang gar ſonderbar, 
wenn er wieder und immer wieder kommandierte: „Ta⸗ 
bor, lakuddam! Kull el ordi, biladſchel, mudſchtahid, 
mudſchtahid — Bataillon vorwärts, vorwärts! Ganzes 
Armeekorps, ſchnell, fleißig, fleißig!“ 

So ging es durch die ganze Nacht. Als Schwarz 
nach kurzem Schlafe früh aufſtand, meldete ihm der 
Reis, daß man mit den Ruderern zufrieden ſein könne. 
Sie befanden ſich jetzt wieder an Bord, denn mit der 
Sonne hatte ſich ein neuer Wind erhoben, der die Segel 
prächtig ſchwellte und die bisherige Nachhilfe unnötig 
machte. Die Leute, die ſich während der Nacht ſo ſehr 
angeſtrengt hatten, lagen jetzt unter ihren Decken, um 
die verſäumte Ruhe nachzuholen. | 


Dreizehntes Kapitel, 
Ranonendonner. 


Während Schwarz mit dem „Vater des Storches“ 
beim Kaffee ſaß, kam der „Sohn des Geheimniſſes“ zu 
ihnen und bat in beſcheidenem Ton: „Effendi, erlaube 
mir, dich auf etwas, was du vielleicht vergeſſen könnteſt, 
aufmerkſam zu machen!“ — „Nun?“ fragte Schwarz. — 
„Du kennſt den Fluß noch nicht, und ſo muß ich dir 
ſagen, daß wir gleich die Schilffelder erreichen werden, 
von denen geſtern abend der Schech der Dſchur ſprach. 
Vor dieſem Omm Sufah hat Abu el Mot ganz ſicher 
liegen bleiben müſſen. Er konnte erſt mit Aufgang der 
Sonne weiter, und auch das nur ſehr langſam, da er 
ſeinen Schiffen das Schilf aus dem Wege räumen muß; 
darum iſt es gewiß, daß wir ihm nahe ſind.“ — „Dieſer 
Anſicht bin ich auch.“ — „Soll da nicht vielleicht ein 
kleines Boot vorangehen, um nach ihm auszuſchauen?“ 
— „Ja. Dieſer Vorſchlag iſt gut. Willſt du das über⸗ 
nehmen?“ — „Mein Freund und ich ſind bereit dazu.“ 
— „So nehmt das kleinſte Boot, welches nicht leicht be= 
merkt werden kann!“ 

Wenige Minuten ſpäter ſchoß der leichte Kahn vom 
Schiffe ab, um die ihm geſtellte Aufgabe zu erfüllen. 
Dann kam der Beweis, daß der „Sohn des Geheim— 
niſſes“ den Nil genau kannte. Mächtige Omm Sufah⸗ 


— 45 — 


felder bedeckten ſeine ganze Breite, urſprünglich kaum ſo 
viel Raum laſſend, daß ein kleines Boot ſich hindurch⸗ 
winden konnte; jetzt aber war eine breitere Bahn frei 
geworden, auf der man den Kahn der beiden Freunde 
um die nächſte Krümmung verſchwinden ſah. Der Reis 
deutete auf dieſe offene Bahn und ſagte: „Geſtern noch 
iſt ſie zugeweſen. Abu el Mot hat ſie brechen müſſen. 
Wir folgen ohne Arbeit hinterdrein, und ich denke, daß 
wir ihn bald zu ſehen bekommen.“ 

Seine Vorausſetzung bewahrheitete ſich ſchneleer, 
als er vielleicht ſelbſt gedacht hatte, denn als kaum eine 
Wiertelſtunde vergangen und man aus der Omm Sufah 
herausgekommen war, kehrte der Kahn zurück, und der 
„Sohn des Geheimniſſes“ rief herauf: „Laß die Segel 
fallen, Effendi! Wir haben die Schiffe geſehen. Wenn 
du weiterfährſt, wirſt du von ihnen bemerkt.“ — „Sind 
ſie im freien Waſſer?“ fragte Schwarz. — „Nein. Sie 
befinden ſich abermals an einem Rohrfeld, durch das ſie 
müſſen. Es können drei Stunden vergehen, bevor ſie 
ſich Bahn gebrochen haben.“ — „Gut! So laſſen wir 
die Segel und Anker fallen und ſehen uns die Schiffe. 
einmal an.“ 

Die drei Fahrzeuge manövrierten fo, daß fie dicht 
nebeneinander zu liegen kamen, was den Verkehr und 
die Verſtändigung bedeutend erleichterte. Dann be⸗ 
ſtiegen Schwarz, Pfotenhauer, Haſab Murat, Abd es 
Sirr und Ben Wafa ein Boot, um zu rekognoszieren. 

Sie ruderten zwiſchen ſo hohem Schilf dahin, daß 
ſie darin vollſtändige Deckung fanden; die offene Mitte 
des Stromes aber mußten ſie vermeiden, wenn ſie nicht 
bemerkt ſein wollten. Eine ſcharfe Krümmung des 
Fluſſes lag vor ihnen. Als ſie dieſe paſſiert hatten, ſahen 
ſie die Schiffe liegen, und zwar in einer ſo geringen Ent⸗ 


— 416 — 


fernung, daß man ſie mit dem Boot binnen zehn Minu- 
ten hätte erreichen können. 

Schwarz und Pfotenhauer nahmen ihre Fernrohre 
zur Hand, um die Lage, in der Abu el Mot ſich befand, 
zu betrachten. Es gab dort ein Schilffeld, das von einem 
bis zum andern Ufer des gerade hier ſehr breiten Fluſſes 
reichte, und wo die Schiffe ſich feſtgefahren hatten. Um 
nicht noch tiefer hineinzukommen, waren die Segel nie⸗ 
dergelaſſen worden. Neben und vor den Fahrzeugen 

waren die Boote beſchäftigt, mit allerlei Werkzeugen, 
wie ſie jedes Nilſchiff beſitzt, die Hinderniſſe aus dem 
Weg zu räumen. 

„Kennſt du dieſes Feld?“ fragte Schwarz den 
„Sohn des Geheimniſſes“. 

„Ja. Wir haben Mühe gehabt, es mit unſerm Boot 
zu durchbrechen,“ antwortete dieſer. „Es iſt ſo lang, 
daß, wie ich dir bereits ſagte, wohl drei Stunden er⸗ 
forderlich ſind, ehe Abu el Mot hindurchkommt.“ 

„Und wie iſt dann die Strecke?“ 

„Sie iſt nur einige hundert Bootslängen frei. Dann 
kommt wieder ein Feld, das den ganzen Fluß bedeckt, 
aber auch das letzte in dieſer Gegend iſt.“ 

„So gibt es keine beſſere Stelle zum Angriff als 
eben dieſe. Zwiſchen dieſen beiden Feldern nehmen wir 
ihn feſt. Er kann weder vorwärts noch zurück, wenn wir 
es recht beginnen.“ | 

„Aber an die Ufer kann er,“ warf Haſab Murat ein. 

„Das machen wir ihm unmöglich. Die beiden 
Schiffe müſſen von allen vier Seiten eingeſchloſſen wer⸗ 
den, ſo daß weder ein Schiff noch ein Mann entkommen 
kann. Laſſen wir ſie erſt durch das Feld, an dem ſie jetzt 
arbeiten. Auf der dahinterliegenden kurzen, freien 


— 417 — 


Strecke wird Abu el Mot angefallen. Vor ſich hat er 
das zweite Feld, durch das er nicht entkommen kann. 
Links von ihm gehe ich mit meiner Dahabiöéh vor Anker. 
Hinter ihm, ſo daß er nicht zurück kann, legen ſich ihm 
unſre beiden Noqer in den Weg — — — 

„So kann er aber doch rechts an das Ufer!“ warf 
Haſab Murat ein. „Dort muß einer meiner Noger 
liegen!“ 

„Nein! Wenn ich auf ihn ſchieße, würde ich dein 
. Schiff mit treffen und beſchädigen. Du nimmſt hundert 
deiner Leute und gehſt mit ihnen an das Ufer, wo du 
dich feſtſetzeſt und verbirgſt, daß du nicht geſehen werden 
kannſt.“ 

„O, ich verſtehe! Das iſt gut; das iſt eine ſchlaue 
Falle!“ 

„Das tuſt du bald, noch ehe Abu el Mot jetzt durch 
das erſte Feld gekommen iſt. Du biſt alſo vor ihm dort 
und haſt die Aufgabe, weder ein Boot noch einen Men- 
ſchen an das Land zu laſſen. Deine übrigen Leute wer⸗ 
den auf die Noqers verteilt, alſo je hundert Mann auf 
einen. Auf dieſe Weiſe haben wir ihn zwiſchen uns, und 
es müßte ein wahres Wunder geſchehen, wenn wir ihn 
nicht mit feiner ganzen Mannſchaft in die Hand be⸗ 
kämen. Seid ihr einverſtanden?“ 

Der Plan war vorzüglich; alle erklärten ſich ein⸗ 
verſtanden, und man kehrte zurück. 

Nun wurde ſofort ans Werk gegangen, die hundert 
Mann, die mit Gewehren verſehen waren, auszuſchiffen. 
Da alle Kähne dabei tätig waren, ſo hatte man ſie binnen 
einer Viertelſtunde an das linke Flußufer gebracht. Dieſe 
Leute ſtanden alſo unter Haſab Murats eigenem Kom⸗ 
mando. Dennoch glaubte Schwarz, ſich nicht allzuſehr 


auf ihn verlaſſen zu dürfen, und darum erklärte er, einſt⸗ 
May, Die Sklavenkarawane. . 27 


— 418 — 


weilen mit ihnen gehen zu wollen, um den Kampfplatz 
aus größerer Nähe in Augenſchein zu nehmen. 

Der hart an das Ufer tretende Wald hatte zwar 
Unterholz, aber es war nicht ſo dicht, daß es ein großes 
Hindernis geboten hätte. Die Leute marſchierten fluß⸗ 
aufwärts, möglichſt nahe am Ufer hin, Schwarz und 
Haſab Murat an der Spitze. ö 

Nach zehn Minuten ſahen ſie zu ihrer Linken die 
Maſten des Sandal und des Noger hoch aus dem Schilfe 
ragen. Sie befanden ſich alſo parallel mit Abu el Mot. 
Weiter ging's, an dem Schilffelde hin, bis dieſes zu 
Ende war. Da gab es zu Schwarzens Freude an dieſer 
Seite freies Waſſer, das bis an das Ufer reichte. Dort⸗ 
ſelbſt ſtanden Büſche genug, hinter denen ſich die Leute 
aus der Seribah Madunga vollſtändig verbergen konnten. 

„Hier bleibt ihr alſo, bis der Sandal und der 
Noger kommt,“ ſagte Schwarz. „Ich werde ihnen ſofort 
folgen, denn ich darf ihnen keine Zeit laſſen, wegen des 
neuen Schilffeldes wieder in die Kähne zu ſteigen. So⸗ 
bald ihr ſeht, daß die Boote bemannt werden ſollen, 
ſchießt ihr jeden weg, der hineinſteigen will.“ 

„Werden unſre Kugeln die Schiffe erreichen?“ 
fragte Haſab Murat. 

„Ja, denn ſie werden ſich in die Nähe dieſes Ufers 
halten, weil das jenſeitige nicht ſo ſchilffrei iſt, wie ihr 
ſeht. Ich habe euch einen wichtigen Poſten anvertraut; 
ich hoffe, daß ihr eure Pflicht tun werdet!“ 

Jetzt kehrte er nach der Stelle zurück, wo das Boot 
auf ihn wartete, das ihn nach der Dahabiéh bringen 
ſollte. Dort angekommen, ließ er ſogleich die Anker 
heben, um mit den drei Schiffen möglichſt weit vorzu⸗ 
rücken und ſich dort wieder feſtzulegen. Ein Poſten 
wurde im kleinſten Boot vor ins Uferſchilf geſandt. Er 


— 410 — 


erhielt das Fernrohr mit und hatte den Auftrag, den 
Sandal und Noger unausgeſetzt zu beobachten und fo» 
fort zurückzukehren, wenn er ſehe, daß dieſe beiden Fahr⸗ 
zeuge die Segel wieder hiſſen würden. In dieſem Fall 
waren ſie durch das erſte Schilffeld gedrungen, und man 
mußte ihnen ſchleunigſt folgen. 

Jetzt machte Schwarz die beiden Kanonen bereit. 
Er ließ Munition zur Drehbaſſe bringen und lud fte mit 
einer Vollkugel. Dann wurde auch die Maximkanone ſo 
befeſtigt, daß man Schüſſe aus ihr abgeben konnte. Der 
Lauf wurde nach Backbord gerichtet und dann wieder 
mit den Decken belegt. Einige der Aſaker waren Ar⸗ 
tilleriſten in Aegypten geweſen. Dieſen vertraute er die 
Drehbaſſe an und erklärte ihnen deren Gebrauch; er 
ſelbſt wollte die Maximkanone bedienen und beorderte 
einige Mann zu leichter Handreichung hinzu. 

Nun erhielt der Reis und der Muſtamel genaue 
Anweiſung, wie ſie zu manövrieren hätten. Ben Wafa 
mußte die Reiſahn der beiden Noqers holen, damit auch 
dieſe erfuhren, wie ſie und ihre Leute ſich zu verhalten 
hätten. Ueber dieſen Vorbereitungen waren faſt zwei 
Stunden vergangen, und man konnte nun für jeden 
Augenblick den ausgeſandten Poſten zurückerwarten. 
Jeder Soldat ſtand an ſeinem Platz, möglichſt gedeckt 
vor den Kugeln der Feinde. Da man wußte, aus welcher 
Richtung dieſe Kugeln kommen würden, ſo war es nicht 
ſchwer, für genügenden Schutz zu ſorgen. 
Pfotenhauer hatte ſich fleißig, aber wortkarg an den 
bisherigen Arbeiten beteiligt. Jetzt ſtand er, ſein Gewehr 
in der Hand, neben Schwarz und ſagte: „Nun wollen 
wir mal ſchau'n, ob i wirklich zum Soldat nix taugen tu' 
und ob meine Naſ' wirklich mir und andern im Weg’ 
iſt. Vielleicht wird mir a Stück davon wegg'ſchoſſen, wo⸗ 


— 420 — 


mit i auch zufrieden fein müßt. J freu' mich nur auf 
die Gefichter, die fie machen werden, wann ſ' uns ſehen. 
Schön wär's, wenn wir an ſie kommen könnten, ohne 
daß ſie uns vorher bemerkten!“ 

„Das iſt ſehr leicht möglich,“ antwortete Schwarz. 

„Wirklich? Sie werden doch nit bloß nach vorn 
ſchauen!“ 

„Nein; aber es gibt Sandals und Nogers, welche 
Heckſegel führen, die ſo weit hinten herabgehen, daß ſie 
die Ausſicht nach rückwärts verdecken.“ 

Und ſich zu dem in der Nähe befindlichen „Sohn des 
Geheimniſſes“ wendend, fragte er dieſen, ob die Schiffe 
Abu el Mots nur die gewöhnlichen Segel führten. Der 
junge Mann hatte ſich das Gewehr und die Munition 
eines der nun als Kanoniere verwendeten Aſaker geben 
laſſen. Er antwortete: „Dieſe Schiffe ſind plumpe Fahr⸗ 
zeuge; darum hat man ihnen, damit ſie viel Wind faſſen, 
noch ein Kalakafal!) gegeben.“ 

„Es iſt ſo, wie ich dachte,“ erklärte Schwarz dem 
Grauen. „Vielleicht gelingt es uns, ſo nahe an ſie zu 
kommen, daß ſie uns nicht eher bemerken, als bis wir 
uns an ihrer Seite befinden.“ 

„Dann wären ſ' Ohrfeigen wert!“ 

„Warum? Ihr Augenmerk iſt nur nach vorn ge⸗ 
richtet, und da ſie nicht ahnen können, daß wir ſie ver⸗ 
folgen, und ihnen das Segel den Ausblick verwehrt, ſo 
würde es gar kein Wunder ſein, wenn ſie uns nicht 
ſähen. Da! Es geht los! Dort kommt der Poſten in 
feinem Boot. Mag's gut von ſtatten gehen! Rels, die 
Segel in die Höhe, und die Anker auf!“ 

Die Ankerketten raſſelten; die Leinwand ſtieg empor, 
der Wind legte ſich hinein, und die Fahrzeuge ſetzten ſich 
Y decſegel, Hinterſegel. 


— 421 — 


in Bewegung, die Dahabiéh voran, die Noger hinter⸗ 
drein, nachdem der zurückgekehrte Poſten an Bord ge⸗ 
nommen worden war. 

Schwarz ſtieg hinauf zum Steuermann, bei dem 
der Kapitän ſtand. Die Dahabiéh bog in die Krümmung 
des Fluſſes ein, und nun ſah man jenſeits davon das 
durchbrochene Omm Sufahfeld. Die Leute Abu el Mots 
hatten durch dasſelbe einen Kanal gebahnt, durch den 
jetzt die beiden Schiffe ſegelten. Man konnte die Decks 
nicht ſehen, da ſie durch die tief herabgehenden Hinter⸗ 
ſegel verborgen wurden. 

„Wir ſehen ſie nit und ſie uns nit,“ ſagte der „Vater 
des Storches“, der mit heraufgekommen war. „Nun 
glaub' i auch, daß wir ihnen zum Handveichen nahe fein 
werden, bevor fie uns bemerken. Das wird aan Schreck 
für fie!” | 

Auf den drei Fahrzeugen herrſchte lautloſe Stille. 
Wenn ja zwei miteinander ſprachen, ſo taten ſie das 
flüſternd. Es geht jedem Kampf eine ſolche Stille voran. 
Deſto lauter wird es dann, wenn die Feindſeligkeiten 
begonnen haben. 

Schwarz hatte den Befehl gegeben, Abu el Mot wo⸗ 
möglich nicht zu töten, und demjenigen, der ihn lebendig 
fangen und ihm überbringen werde, eine entſprechende 
Belohnung verſprochen. Nun war das Augenmerk eines 
jeden darauf gerichtet, ſich womöglich dieſen Preis zu 
verdienen. 

Jetzt hatten der Sandal und der Noger den offenen 
Kanal paſſiert, und die Dahabich fuhr in dieſen ein. 
Sie kam den beiden Fahrzeugen ſchnell näher. Abu el 
Mot ſah erſt jetzt, daß ſich ihm nach kurzer, offener 
Strecke wieder ein neues Schilffeld in den Weg legte. 
Er befahl infolgedeſſen, die Segel abermals einzuziehen 


— 422 — 


und die Anker zu werfen. Er ſaß rauchend bei ſeinen 
fünf Homrarabern, den Gefährten ſeiner Untaten, die 
damals nach dem verunglückten Ueberfall an der Quelle 
des Löwen glücklich mit ihm entkommen waren. Sie 
hatten von ihrem Vorhaben, den Feldwebel zu überfal⸗ 
len und zu züchtigen, geſprochen; es war ihnen jede 
Minute koſtbar, und nun wurde der Lauf ihrer Schiffe 
ſchon wieder von dem dichten Schilf aufgehalten! Es 
gab zwar eine Bahn hindurch, aber dieſe war nur für 
einen Kahn, nicht aber für größere Fahrzeuge breit ge⸗ 
nug. Der Schnabel ſeines Sandals war gerade auf dieſe 
gerichtet geweſen und fuhr, ehe der Anker Grund faßte, 
ein Stück hinein, rechts und links das Rohr auseinan⸗ 
derdrängend. Der Noger kam hinterdrein und legte 
rechts von dem Sandal bei, während die Segel aus dem 
Winde fielen. | 

Dadurch wurde der Blick nach hinten wieder frei, 
und nun hörte Abu el Mot zu ſeinem Erſtaunen den 
Ruf des Reis: „Ein Schiff hinter uns! Eine Dahabieh! 
Allah 'I Allah, wer kann ſich das denken!“ 

Er ſprang auf und ſeine Homr mit ihm, um das ſo 
unerwartet erſchienene Schiff zu ſehen. Daß hinter die⸗ 
ſem zwei Noquers kamen, konnte man nicht bemerken, da 
die Dahabiéh ſie vollſtändig verdeckte. 

Kaum hatte Abu el Mot fein Auge auf das Fahr⸗ 
zeug geworfen, ſo entfärbte er ſich. „Kull mlajiki wa 
ſchejatin — alle Engel und Teufel!“ rief er erſchrocken, 
„das iſt eine Dahabish des Vizekönigs!“ 

„Unmöglich!“ antwortete einer der Homr. „Wie 
kannſt du das behaupten!“ 

„Biſt du blind? Siehſt du nicht das Wappen vorn 
am Bug, die Pyramide mit der Sphinx? Und, bei 
Allah, es find Soldaten darauf!” 


— 423 — 


„Was wollen ſie?“ 

„Weiß ich es denn? Uns gilt dieſe Fahrt der Daha⸗ 
bicgh jedenfalls nicht. Wir haben nichts zu befürchten, 
ſolange der Offizier nicht weiß, daß ich Abu el Mot bin.“ 

„Wenn man es ihm nun verrät!“ 

„Wer ſollte das tun? Ihr nicht, die Nuehr nicht, 
weil ſie ſonſt als Leute von mir ergriffen würden, und 
die Schiffer, die ich gut bezahle, auch nicht. Und ſo 
denke ich, daß — — — Allah akbahr! Es kommt noch 
ein Schiff hinterher und dann gar ein drittes! Zwei 
Noger! Das iſt ja eine wirkliche Amara)!“ 

„Laß ſie! Du ſagſt ja ſelbſt, daß es nicht uns gilt.“ 

„Das ſagte ich, doch — doch — — Himmel und 
Hölle! Ich müßte mich ſehr irren, wenn es nicht doch 
mir gälte! Dieſe beiden Noqers kenne ich ſehr genau. 
Sie gehören meinem Todfeinde Haſab Murat auf der 
Seribah Madunga. Wie kommt er, der Sklavenjäger, 
mit einem Regierungsſchiff zuſammen? Sollten ſie ihn 
auf einer Ghaſuah ertappt und ihm die Noger weg⸗ 
genommen haben! Seine Leute kennen mich; fie werden 
mich verraten.“ 

„So verſtecke dich!“ 

„Das bringt keinen Nutzen, denn der Offizier wird 
zu uns kommen und alles unterſuchen. Ich leugne, ſo 
lange es geht, und dann wehren wir uns. Macht euch 
zum Kampf fertig! Seht, da iſt die Dahabieh. Sie will 
ſich links neben uns legen, und hinter uns werfen die 
Noger die Anker. So bleibt im Notfall immer noch 
Rettung an das jenſeitige Ufer, wohin der Weg frei iſt. 
Ich werde antworten, wenn er fragt. Sagt den Nuehrs, 
daß ſie ſich bereit halten ſollen! Zum Teufel, daß wir ſo 


9 Flotte. 


— 424 — 


wenig Feuergewehre und faſt gar kein Pulver bei uns 
haben!“ d | 

Die Dahabiéh war da, zur linken Seite des San⸗ 
dals; ſie ließ ungefähr vierzig Schritte von ihm entfernt 
den Anker fallen und trieb dann an der Kette desſelben 
ein Stück zurück, ſo daß ſie nicht Bug gleich Bug, ſondern 
mehr rückwärts zu liegen kam. So war es ihr möglich, 
das Deck des Sandals und auch des Nogers mit ihren 
Kugeln zu beſtreichen. Die Lage war alſo folgende: 
vorn, mit dem Bug ein Stück in dem Rohrdickicht, lag 
der Sandal, neben ihm der kleinere Noqer. Seitwärts von 
beiden, und zwar eine halbe Schiffslänge rückwärts, die 
Dahabiéh. Hinter dieſen drei Fahrzeugen die beiden 
Noqers aus Madunga, ihnen fo nahe, daß von dorther 
die Flintenkugeln ihr Ziel noch treffen konnten. 
Schwarz hatte ſich hinter die Maximkanone geſetzt, 
ſo daß er von dem Deck des Sandals aus nicht geſehen 
werden konnte. Beim Reis ſtand der Hauptmann aus 
Faſchodah, der zuerſt ſprechen ſollte. Er tat dies, indem 
er hinüberfragte: „Was iſt das für ein Sandal und für 
ein Noqer? Wem gehören dieſe Schiffe?“ 

„Mir,“ antwortete Abu el Mot, der am Rande 
ſeines Fahrzeugs ſtand und mit Befriedigung die krie⸗ 
geriſche Haltung ſeiner Nuehr bemerkte. „Ich heiße 
Juſſuf Helam und bin Händler.“ 

„Wo biſt du her?“ 

„Aus Wau.“ 

„Und wohin willſt du?“ 

„Stromaufwärts, um zu handeln und zu tauſchen.“ 

„Mann, ich glaube, du lügſt!“ 

„Allah erleuchte dein Gehör! Ich habe die Wahr⸗ 
heit geſagt; haſt du ſie nicht gehört, ſo ſind deine Ohren 
ſchuld; du hörſt anders als man ſpricht!“ 


— 425 — 


„Spotte nicht; ich kenne dich!” 

„Und ich habe dich noch nicht geſehen!“ 

„Du biſt Abu el Mot, der Sklavenräuber.“ 

„So erleuchte Allah auch deine Augen; denn du 
ſiehſt Dinge und Menſchen, die gar nicht vorhanden ſind!“ 

„Ich ſehe ſehr richtig. Ich ſehe ſogar die fünf Män⸗ 
ner, die hinter dir ſtehen. Gehören ſie nicht zu den 
Homr, von denen auch Abu el Mot ſtammt?“ 

„Nein. Sie ſind auch Handelsleute aus Wau, die 
ihre Waren auf meinen Schiffen transportieren.“ 

„Das iſt nicht wahr. Ich kenne dich und ſie. Der 
Mudir Ali Effendi Abu hamſah miah in Faſchodah läßt 
euch grüßen. Er ſucht nach euch und hat mich beauftragt, 
euch nach Faſchodah zu bringen.“ | 

„Suche die, welche er haben will! Wir find es nicht.“ 

„Ihr ſeid es. Oder wäret ihr wirklich nicht die⸗ 
jenigen, die an der Quelle des Löwen, weſtlich von 
Faſchodah, einen fremden Effendi überfielen, um ihn zu 
töten?“ 

„W'allah! Das wird ſchlimm!“ raunte Abu el Mot 
ſeinen Homr zu. „Es kommt zum Kampf. Wehrt euch 
gut!“ und laut antwortete er: „Wir ſind niemals in jene 
Gegend gekommen und haben nichts mit einem Effendi 
zu tun gehabt!“ 

„Auch nicht mit mir?“ fragte jetzt Schwarz, indem 
er aufſtand und ſich ſehen ließ. 

Ein grimmiger Fluch entfuhr den Lippen Abu el 
Mots. Man ſah deutlich, daß er erbleichte. Dieſen 
Fremden hier, ſo weit von der Quelle des Löwen ent— 
fernt, zu ſehen, das hätte er für unbedingt unmöglich 
gehalten. Und zudem mit drei Fahrzeugen und Sol⸗ 
daten! Er wußte wirklich nicht, was er antworten, ob 
er geſtehen oder leugnen ſolle. 


— 426 — 


„Er iſt's,“ ſagte einer der Homr hinter ihm. „Aber 
wir fürchten uns nicht. Die beiden Nogers tun uns nichts. 
Es ſind ja doch nur die gefangenen Leute Haſab Murats 
darauf, und mit der Dahabiéh werden wir wohl fertig!“ 

Dieſe Worte gaben Abu el Mot ſeine Faſſung und 
fein Selbſtvertrauen zurück, und als jetzt Schwarz ſeine 
Frage wiederholte, rief er ihm zornig zu: „Ja, mit dir 
habe ich zu tun gehabt, du Hund, du Enkel eines Hundes. 
Und nun ſollſt du zum letztenmal mit mir zu tun bekom⸗ 
men! Gehe zur Dſchehennah!“ 

Er riß ſein Gewehr an die Wange und drückte ab. 
Schwarz bückte ſich blitzſchnell hinter die Kanone nieder, 
und die Kugel flog über ihn hinweg. 

„Gebt Feuer! Schießt!“ rief Abu el Mot ſeinen 
Leuten zu. „Schießt den Offizier weg!“ 

Seinem Befehl wurde augenblicklich Folge geleiſtet. 
Auf dem Sandal ſtanden zweihundert und auf dem 
Noger einhundert Nuehr. Sie ſahen auf der Dahabieh 
nur halb ſo viel Soldaten und waren überzeugt, mit 
dieſen bald fertig zu ſein. Ihre Gewehre knallten, und 
eine Wolke von Pfeilen und Wurflanzen flog von ihnen 
herüber. Aber die Soldaten hatten für Deckung geſorgt. 
Sie bückten ſich hinter die Deckſchanze, hinter die Maſten, 
hinter Kiſten, Körbe und andre Gegenſtände, die zu 
dieſem Zweck vorher auf das Deck geſchafft worden 
waren. Es wurden ihrer nur einige leicht verwundet. 

Schwarz hatte den Kopf und die Arme unter die 
Decken geſteckt, die auf der Kanone lagen, um ſie zu mas⸗ 
kieren. Er zog die oberſte ein wenig zur Seite, ſo daß er 
zielen konnte, und richtete den Lauf. Dabei ſah er, daß 
Abu el Mot, die doppelläufige Flinte, von der nur ein 
Lauf abgeſchoſſen war, in der Hand, nach ihm ſuchte. 
Die zweite Kugel ſollte ihn beſſer treffen als die erſte. 


— 427 — 


Da ertönte als Antwort auf den Angriff Abu el 
Mots und der Nuehr das Kommando des Hauptmanns. 
Seine Leute richteten ſich auf und ſchoſſen. Der Erfolg 
war bedeutend, wie man ſehen und auch hören konnte. 
Viele der Feinde ſtürzten nieder; alle aber ſchrien auf 
vor Wut und Kampfbegier. 
| Jetzt erhob ſich auch Schwarz wieder. Sobald Abu 

el Mot ihn erblickte, legte er das Gewehr an, zielte, 
drückte ab und rief zugleich: „Hier haft du den Tod! Dies 
ſes Mal ſicher!“ n 

Aber dem ſcharfen und geübten Auge des Deutſchen 
war die kleine Bewegung des drückenden Fingers nicht 
entgangen. Er machte eine ſchnelle Drehung zur Seite, 
wurde abermals nicht getroffen, riß dann die Decken 
weg und rief antwortend: „Deſto ſicherer treffe ich, aber 

nicht dich, denn dich muß ich lebendig haben!“ 

| Er ließ den Mechanismus ſpielen, und die Folgen 
waren derart, daß Abu el Mot vor Schreck kein Glied 
zu rühren vermochte. Die Toten und Verwundeten 
brachen zuſammen; alles, was eine Stimme hatte, 
heulte, ſchrie und brüllte. Die Geſchoſſe hatten nicht 
nur das Deck des Sandals, ſondern auch dasjenige des 
Noqers beſtrichen. Dazu kam, daß nun die Kanoniere 
auch die Drehbaſſe ertönen ließen und auf den beiden 
hinten liegenden Noqers aus Madunga die Schüſſe 
krächten. 

Jetzt erkannte Abu el Mot, daß ſich auf dieſen bei⸗ 
den Fahrzeugen keine Gefangenen befanden. Und um 
ihn völlig von dieſer Anſicht zu bekehren, ertönte von 
dahinten eine laute, ſchnarrende Stimme, die er ſehr 
genau kannte: „Das war gut getroffen; das war herr- 
lich! So iſt es recht. Ihr Männer, ihr Helden, ihr 
Tapfern! Ladet ſchnell wieder, ſchnell, und gebt es ihm! 


— 428 — 


Möge Allah dieſen Abu el Mot verdammen! Schießt, 
ſchießt, ihr Feigen, ihr Faulen, ihr Halunken!“ 

„El Schachar, der Schnarcher!“ rief Abu el Mot 
ſeinen Homr zu, die ſich um ihn verſammelt hatten. 
„Haſab Murat, der Sohn einer räudigen Hündin, hat 
ſich mit dem Fremden und den Soldaten verbunden. 
Schießt, ſchießt! Zielt auf den Offizier und dieſen 
Chriſtenhundl“ 

Aber fie trafen die beiden nicht, denn der Haupd⸗ 
mann ſtand ſicher hinter dem Maſt und Schwarz hatte 
ſich wieder gebückt, um die Kanone zu laden. Auch die 
Kanoniere hinter der Drehbaſſe, welche Kugel um Kugel 
abgaben, hatten ſich durch das vorgeſchobene Häuschen 
gedeckt, das mit ſtarkem Eiſenblech gefüttert war und 
wie eine Panzerplatte die Kugeln auffing. 

Die zweite Salve der Maximkanone wirkte noch 
vernichtender als die erſte. Die Nuehr, welche erſt ſo 
kampfesmutig geweſen waren, warfen ihre Waffen weg 
und verbargen ſich im Innern der Fahrzeuge. Abu el 
Mot ſah ein, daß er ſich unmöglich halten könne. Er 
rief ſeinen Nuehrs zu: „Schnell in die Boote und an das 
Ufer! Dorthin iſt der Weg noch frei!“ . 

Abu el Mots Befehl ſollte augenblicklich Folge ge⸗ 
leiſtet werden. Aber kaum erſchienen die dunklen Ge⸗ 
ſtalten der Nuehr an den Rändern der Fahrzeuge, um 
hinabzuſteigen, ſo knallten von dem Ufer her, das Abu 
el Mot für unbeſetzt gehalten hatte, die Schüſſe der hun⸗ 
dert Soldaten Haſab Murats. 

Dieſe waren bisher hinter den Büſchen verſteckt ge⸗ 
weſen. Jetzt kamen ſie hervor, um ſich zu zeigen. Haſab 
Murat ſchwang ſeine Flinte und rief: „Komm herüber, 
Abu el Mot, komm doch her! Wir werden dich feſtlich 
empfangen, denn wir lieben dich!“ 


— 429 — 


Abu el Mot ſah dieſen Ausweg abgeſperrt. Links 
hatte er die Dahabish, rechts das beſetzte Ufer, hinter ſich 
die Noqer und vor ſich das undurchdringliche Schilf — 
undurchdringlich für ſeinen Sandal, aber nicht für einen 
Kahn. Dieſer letztere Umſtand bot ihm den einzigen 
Rettungsweg. 

„Ihr ſeht, daß wir umzingelt find und eine Ueber: 
macht gegen uns haben, der wir unterliegen müſſen,“ 
fagte er zu den fünf Homr, die ebenſo wie er noch un⸗ 
verletzt waren; ſie hatten bei ihm geſtanden, wohin 
niemand die Kugel gerichtet hatte, da man ihn lebend 
haben wollte. „Kommt mit mir in die Kajüte!“ 

Das Gefecht war keineswegs zu Ende. Zwar 
ſchwiegen die beiden Kanonen, weil ſie keinen Erfolg 
mehr haben konnten, da die Nuehr ſich verſteckt hatten; 
aber dieſe ſandten ihre Pfeile noch immer aus dem Ver⸗ 
borgenen hervor, und wenn einer von ihnen einmal 
ſeinen Kopf oder einen ſonſtigen Körperteil ſehen ließ, 
ſo flogen gleich von allen Seiten die Kugeln der Aſaker 
nach der betreffenden Stelle. Bald mußten die Nuehrs 
die Hoffnungsloſigkeit ihrer Lage einſehen. 

Abu el Mot wußte nur zu gut, was ſeiner wartete. 
Er mußte fliehen, und zwar ſo ſchnell wie möglich, denn 
er ſah, daß ihm nur noch Minuten dazu vergönnt ſeien. 

Außer der Kajüte, das heißt dem verdeckten Raum 
im Hinterteil des Schiffes, war ganz vorn am Bug ein 
noch leichter Bretterverſchlag errichtet. Dorthin führte 
er jetzt ſeine fünf Gefährten. Als ſie eingetreten waren, 
riegelte er die Tür hinter ſich zu und ſagte: „Wir müſſen 
fort und dürfen die Nuehrs nichts davon wiſſen laſſen, 
ſonſt drängen ſie ſich herbei, leiten die Aufmerkſamkeit 
der Feinde auf uns und machen uns das Entkommen 
zur Unmöglichkeit.“ | 


— 40 — 


„Ja, wir müſſen ſchnell fort,” antwortete einer der 
Homr. „Aber wie? Ich ſehe keinen Weg zur Flucht.“ 

„Aber ich kenne einen, den einzigen, den es gibt. 
Habt ihr vergeſſen, daß eins unſrer Boote hier am Vor⸗ 
derteil hängt? Der Feind kann es nicht ſehen, weil auf 
dieſer Seite unſer Roger liegt und es ſich fo feinem Blick 
entzieht.“ 

„Ich weiß, daß es ſich hier befindet; aber wir kön⸗ 
nen doch nicht hinein. Sobald wir über Bord wollen, 
ſchießt man uns weg.“ 

„Wir gehen eben nicht über Bord. Haben wir nicht 
einen Kadduhm, ein Balta und auch eine Firra’a*) hier? 
Die Seiten des Sandal beſtehen über dem Waſſer aus 
dünnem Holz und ſind leicht zu durchbrechen. Kein 
Menſch wird uns in das Boot ſteigen ſehen.“ 

„Aber dann, wenn wir davonrudern, ſehen und 
fangen ſie uns!“ | 

„Nein. Du haſt ja geſehen, daß der Schnabel des 
Sandal in das Schilf ragt, gerade da, wo der ſchmale, 
offene Kanal hindurch führt. Dorthin fliehen wir. Hal⸗ 
tet eure Sachen bereit; denn es muß ſehr ſchnell gehen! 
Und nun greift zu den Beilen!“ 

Er ſelbſt nahm die Axt und ſchlug gegen das dünne 
Holz, daß es ſchon beim zweiten Hieb nachgab. Zwei 
Homr halfen mit den Beilen, und in Zeit von nicht viel 
mehr als einer Minute war eine Oeffnung entſtanden, 
groß genug, einen Mann hindurchzulaſſen. Sie lag nahe 
oberhalb der Waſſerlinie. 

Abu el Mot bog ſich hinaus, ergriff den Strick, 
woran das Boot hing, und zog es herbei. Er ſtieg hin⸗ 
aus; ein andrer folgte ihm. Die übrigen vier reichten 


) Eine Axt, ein großes und ein kleines Beil. 


— 461 — 


erſt ihre Sachen hinaus, die ſie nicht zurücklaſſen mochten, 
und kamen dann nach. | 

Das Boot war ein ſechsruderiges. Es wurde los⸗ 
gebunden; die Homr ergriffen die Ruder und ſchoben ſich 
langſam nach vorn, zwiſchen der Schiffswand und dem 
Schilf hindurch, bis ſie ſich im freien Waſſer befanden. 
Abu el Mot hatte ſich an das Steuer geſetzt, um das 
Boot zu lenken. 

„Bis jetzt ging alles gut,“ ſagte er. „Aber nun 
kommt die Gefahr. Sobald wir hier vom Sandal ab⸗ 
ſtoßen und durch den offenen Kanal fahren, wird man 
uns von der Dahabiéh aus ſehen und auf uns ſchießen. 
Legt euch alſo ſo kräftig wie möglich an die Riemen, da⸗ 
mit wir ſchnell aus dem Bereich der Kugeln kommen. 
Jetzt vorwärts! Allah beſchütze uns und verderbe unſre 
Feirde!“ 

Die Homr ſenkten die Ruder in das Waſſer, zogen 
an, und das Boot flog vom Bug des Sandals ab in den 
Kanal hinein. 

Infolge der noch von allen Seiten fallenden Schüſſe 
hatten die Nuehr, die ſich im Sandal befanden, das Ge⸗ 
räuſch der Axt⸗ und Beilhiebe nicht gehört oder nicht 
beachtet. Sie ahnten nicht, daß ſie von ihrem Anführer 
treulos verlaſſen werden ſollten. 

Schwarz war hinauf zur Drehbaſſe geſtiegen, um 
durch einige Vollkugeln die feindlichen Schiffe leck zu 
ſchießen und dadurch die Bemannung zur Uebergabe zu 
zwingen. Sein Blick fiel ganz zufälligerweiſe nach einer 
andern Seite, als wohin er den Lauf zu richten hatte, 
und da ſah er das Boot, das ſoeben hinter der Spitze 
des Sandals hervor- und in den zwiſchen dem Schilfe 
liegenden engen Waſſerweg hineinſchoß. Sofort die 
Sachlage erkennend, beeilte er ſich, zu laden. Und ebenſo 


ſchnell kam ihm der Gedanke, daß er, falls feine Kugel 
nicht treffe, das Boot mit der zweiten kaum mehr er⸗ 
reichen werde. Darum rief er mit lauteſter Stimme zum 
Ufer hinüber: „Haſab Murat, hallo! Dort entflieht Abu 
el Mot mit einem Boote. Spring mit deinen Leuten 
aufwärts, und gib ihm und den Homr a Kugeln. 
Schone ihn ja nicht mehr!“ 

Der Genannte hatte die Worte gehört 115 verſtan⸗ 
den. Man ſah ihn mit allen ſeinen Leuten fortrennen. 

Aber das war für Schwarz nicht genug. Er rief dem 
„Sohn der Treue“ zu: „Abd es Sirr, ſchnell mit deinen 
Leuten in euer Boot! Hier am Sandal vorüber, den 
Flüchtigen nach! Stephan Uszkar, nimm fünf gute 
Schützen und ſteige mit ins Boot. Holt ihr Abu el Mot 
ein, ſo bringt ihn lebendig oder tot. Müßt ihr ihn aber 
entkommen laſſen, ſo treibt ihn wenigſtens an das rechte 
Ufer des Fluſſes, und ſucht ſein Boot zu erwiſchen! 
Schnell vorwärts, ſchnelll“ 

Das Boot der Niam-niam hing ſeitſchiffs an der 
Dahabiéh. Die Schwarzen ſprangen hinein, der „Sohn 
des Geheimniſſes“ voran. Der Slowak folgte ſchnell mit 
der angegebenen Zahl von Soldaten, die er aufgerufen 
hatte. b 
Inzwiſchen war die Drehbaſſe geladen. Schwarz 
richtete ſie in gerader Linie nach dem fliehenden Boot, 
ſchätzte mit ſicherm Blick deſſen Geſchwindigkeit ab, zielte 
ein wenig darüber hinaus und zog ab. Der Schuß 
krachte. Den Blick auf das Boot gerichtet, erwartete er 
die Wirkung. Er hatte vortrefflich gezielt; aber er kannte 
das Geſchütz und die Munition nicht genau, und das 
Zielobjekt war zu klein. Die Kugel ſchlug hart neben 
dem Boot, kaum ſechs Fuß davon entfernt, in das Waf- 
ſer, das man hoch aufjprigen ſah. 


— 483 — 


Zugleich war zu ſehen, daß die Homr erſchraken und 
ihre Anſtrengung verdoppelten. Schwarz lud ſchnell wie⸗ 
der, zielte und ſchoß. Die Kugel ſchlug hinter den 
Fliehenden ein, prallte nahe an ihnen vorüber und ſank 
nach dem dritten Sprung unter. Der Deutſche verſuchte 
noch einen dritten Schuß, erreichte aber das Boot nicht 
mehr. 

Unterdeſſen hatten die Niam⸗niam ihr Boot an dem 
Bug des Sandals vorübergeſchoben. Es war ſo ſchnell 
bemannt und in Fahrt geſetzt worden, daß es ſchon bei 
dem zweiten Schuß des Deutſchen den Kanal erreicht 
hatte, und die Jagd begann. Die Niam⸗niam waren 
beſſere Ruderer als die Araber. Wie unter dem Druck 
ihrer Riemen das Boot davonflog, war vorauszuſehen, 
daß ſie Abu el Mot einholen würden, falls er nicht recht⸗ 
zeitig ſich nach dem Ufer wendete. | 

Der alte Sklavenräuber war, als die Kugel neben 
dem Boot einſchlug, in keine geringe Angſt geraten. 
„Rudert, rudert!“ ſchrie er auf. „Der Hund ſchießt mit 
der Kanone auf uns. Er zielt wie ein Teufel. Macht, 
macht, ſonſt ſind wir verloren! Wenn er uns trifft, ſo be⸗ 
kommt das Boot ein Loch, und die Krokodile freſſen uns.“ 

Als die nächſte Kugel an ihnen vorüberflog und das 
Waſſer zweimal aufſpritzen machte, wiederholte er dieſen 
Ruf, aber als die dritte das Boot nicht erreichte, jubelte 
er auf: „Hamdulillah! Wir ſind gerettet; er kann uns 
nicht mehr erreichen.“ 

Bald hatten ſie das Schilffeld durchfahren, und der 
Strom lag frei und offen vor ihnen. „Rechts hinüber!“ 
gebot er den Homr. „Drückt die Ruder links tiefer ein! 
Wir landen dort und machen, daß wir ſchnell zu Abd el 
Mot kommen. Mit ſeinen fünfhundert Mann ſind wir 
dieſem fremden Hund überlegen.“ | 

May, Die GAavenkarawane. 28 


— 464 — 


Aber kaum hatte er dem Boote die angegebene Rich⸗ 
tung erteilt, ſo tauchte drüben Haſab Murat mit ſeinen 
Leuten auf. Dieſer Mann hätte ſich verbergen und Abu 
el Mot herankommen und ausſteigen laſſen ſollen, um 
ihn dann lebendig zu ergreifen, was ihm bei der großen 
Anzahl Aſaker, die er bei ſich hatte, unbedingt gelingen 
mußte. Aber er war zu eifrig, ließ ſich ſehen und ſchoß 
auf das Boot. 

„Allah!“ rief der Alte. „Da hat der Fremde dieſe 
Hunde auf uns gehetzt. Wir können nicht landen. Aber 
bald wird der Wald ſo dicht, daß ſie uns nicht folgen kön⸗ 
nen. Arbeitet, daß wir einen Vorſprung bekommen! 
Dann gehen wir ans Ufer, und ſie mögen hinter uns 
herſehen.“ f 

Er hielt wieder auf die Mitte des Stromes zu, wo 
ihn die Kugeln der Aſaker nicht erreichen konnten. Da⸗ 
durch erhielten die rückwärts ſitzenden Ruderer den Blick 
auf den Kanal, den ſie zurückgelegt hatten, und ſahen 
das Boot, das ihnen nachgeſchickt worden war. „Ein 
Boot, ein großes Boot mit vielen Leuten,“ rief einer der 
Homr. „Man verfolgt uns auch hier, nicht nur am Ufer.“ 

Abu el Mot drehte ſich um und beobachtete das 
Fahrzeug der Niam⸗niam eine kurze Zeit; dann ſagte 
er: „Die Hölle komme über ſie! Sie rudern ſchneller als 
wir und müſſen uns einholen, wenn wir in dieſer Rich⸗ 
tung bleiben!“ 

„So werden wir kämpfen!“ 

„Dummkopf! Was nützt uns das? Es ſind ihrer 
viermal ſo viele als wir. Nein, gekämpft wird nicht. Es 
gilt jetzt, das Leben zu retten. Wir müſſen nach links 
hinüber. Wir müſſen uns anſtrengen, das rechte Ufer 
zu erreichen. Gewinnen wir es vor ihnen, ſo ſind wir 
ſie los.“ 


— 435 — 


„Aber das Boot auch!“ 

„Das werden ſie freilich nicht für uns am Ufer 
laſſen.“ 

„Aber wie kommen wir dann wieder über den 
Fluß? Wir müſſen doch an die linke Seite des Fluſſes 
zurück, wenn wir zu Abd el Mot wollen!“ 

„Wir bauen uns ein Floß. Rudert nur, rudert, und 
wenn euch das Blut aus den Fingern ſpritzt! Erreichen 
ſie uns, ſo ſind wir verloren; entkommen wir, dann aber 
wehe dieſen Hunden! Sie ſollen mir den heutigen Tag 
mit tauſend Qualen und Schmerzen bezahlen!“ 

Jetzt ſah man das Boot der Niam⸗niam aus dem 
Kanal hervorſchießen. Die Angſt gab den Homr drei⸗ 
fache Kraft. Ihr Fahrzeug flog nur ſo über das Waſſer, 
das zum Glück für ſie hier eine nicht allzu große Breite 
hatte. Sie näherten ſich ſchnell dem rechten Ufer; ſie er⸗ 
reichten es, ergriffen ihre Sachen und ſprangen an das 
Land, ohne ſich erſt Zeit genommen zu haben, das Boot 
anzubinden. Es trieb wieder in den Strom hinaus. 

Der Ungar hatte, ſeinen „Elefantenmörder“ in der 
Hand, in der Mitte des Bootes geſtanden und die 
Ruderer fleißig angefeuert. Jetzt ſagte er enttäuſcht: 
„Sie entgehen uns! Da ſeht, ſie ſpringen ans Land! 
Aber eine Kugel gebe ich ihnen noch!“ 

„Laß das!“ meinte der „Sohn des Geheimniſſes“. 
„Du kannſt nicht ruhig zielen.“ 

„Ich ziele gut. Ich erſchieß' den Kerl!” 

Er nahm das ſchwere Gewehr auf, zielte auf Abu el 
Mot, der eben hinter einen Strauch verſchwinden wollte. 
Die Ruderer, die mit dem Rücken nach dem Ufer ſaßen, 
blickten ſich um; ſie wollten die Wirkung des Schuſſes 
ſehen. Dadurch verlor das Boot die Glattheit der Fahrt, 
es wankte, der Slowak drückte ab, erhielt von dem Ges 


— 436 — 


wehr einen Rückſchlag, der einer tüchtigen Ohrfeige glich, 
kam ins Taumeln und ſtürzte über Bord. 

Einer der mitgenommenen Soldaten war ſo glück⸗ 
lich, den „Elefantenmörder“ zu erwiſchen, ſonſt wäre das 
Gewehr ins Waſſer geſchleudert worden. Ein andrer er⸗ 
faßte ebenſo glücklich den Schoß des roten Frackes und 
hielt ihn feſt. Man zog daran den Kleinen empor, er⸗ 
griff ihn bei den Armen und hob ihn herein. Aber naß 
geworden war er durch und durch. „Ich ſagte es dir,“ 
meinte der „Sohn des Geheimniſſes“ gleichmütig, „daß 
du ihn nicht treffen würdeſt.“ 

„Ich hätte ihn getroffen, wenn ihr nicht geſchaukelt 
hättet!“ antwortete der Ungar, indem er das Waſſer, 
das ihm in Mund und Naſe gekommen war, von ſich 
ſprudelte. „Wie leicht wäre ich ertrunken oder von den 
Krokodilen gefreſſen worden! Was tun wir jetzt? Ver⸗ 
folgen wir ihn am Land?“ 

„Nein, denn wir würden ihn doch nicht bekommen. 
Wir fiſchen das Boot auf und kehren zurück.“ 

„So iſt er uns für immer verloren!“ 

„Das glaube ich nicht. Dieſer Mann iſt voller Wut 
und Rache. Er wird zu ſeinen Leuten eilen, die nach 
Ombula ſind, und ſie holen, um ſich an uns zu rächen. 
Da kommt das Boot getrieben. Nehmt es auf!“ — 

Die Nuehr waren voller Zorn über die Flucht ihres 
Anführers, der ſie in größter Not verlaſſen hatte. Sie 
hatten, ſeit er entflohen war, keinen einzigen Schuß mehr 
abgegeben, und ihr Häuptling war der Anſicht, daß es 
geraten ſei, ſich zu ergeben und die Sieger nicht durch 
eine Fortſetzung des Kampfes zu erbittern. Dem Bei⸗ 
ſpiel Abu el Mots zu folgen und in derſelben Weiſe das 
Weite zu ſuchen, das war ihnen unmöglich. Es hing 
keines der Boote mehr ſo bequem für dieſen Zweck, und 


=: 17 u 


fodaun war mit Sicherheit anzunehmen, daß die Feinde 
nun ihr Augenmerk ſehr ſcharf auf den Kanal richten 
würden. 

Dieſe Vermutung beſtätigte ſich. Schwarz bemannte 
ein Boot mit Soldaten und ſchickte es um das Vorderteil 
des Sandals herum, wo es dann im Kanal Poſto faſſen 
mußte. An eine Flucht nach dieſer Seite konnte nun 
nicht mehr gedacht werden. 

Der Kampf ruhte jetzt vollſtändig. Die Schüſſe 
waren verſtummt, und Freund und Feind ſchienen, be⸗ 
vor etwas Ferneres zu unternehmen ſei, die Rückkehr 
des zur Verfolgung ausgeſandten Bootes erwarten zu 
wollen. Die Nuehr verſuchten, ob ſie ſich ohne Gefahr 
zeigen dürften. Hie und da erſchien ein Arm, ein Kopf 
über dem Rande der beiden Fahrzeuge. Da darauf kein 
Schuß erfolgte, ſo folgten andre Köpfe nach, und endlich 
ließen ſie ſich in voller Geſtalt ſehen. 

Schwarz hatte dem Hauptmann den Befehl ge⸗ 
geben, das Schießen einſtweilen einzuſtellen und erſt 
dann wieder damit zu beginnen, wenn es den Nuehr ein⸗ 
fallen ſollte, die Feindſeligkeiten zu erneuern. Er ſaß jetzt 
noch oben bei der Drehbaſſe. Pfotenhauer war zu ihm 
heraufgekommen und unterhielt ſich mit ihm über den 
Verlauf des Gefechts, das durch die Wirkung der 
Maximkanone fo außerordentlich abgekürzt worden war. 

„Glauben S', daß die Schwarzen wieder anfangen 
werden?“ fragte er. 

„Nein, ich glaube es nicht,“ antwortete Schwarz. 
„Sie müſſen doch eingeſehen haben, daß wir ihnen nicht 
nur in Beziehung auf die Waffen, ſondern auch der Zahl 
nach überlegen ſind. Und da Abu el Mot ſie verlaſſen 
hat, ſind ſie überdies führerlos geworden.“ 

„Sie haben ihren Häuptling!“ 


— 488 — 


„Pahl Dieſer Mann wird es wohl nicht wagen, 
ſich mit uns zu meſſen! Es ſollte ihm auch ſchlecht be⸗ 
kommen. Unſre Aſaker verſtehen es, mit ihren Gewehren 
umzugehen. Bei dieſer Gelegenheit muß ich Ihnen 
ſagen, daß ich mich über Sie gefreut habe: Sie haben 
wacker geſchoſſen und ſind aus dem Feuern gar nicht 
herausgekommen!“ | 

„Ja, g'ſchoſſen hab' i brav. Aber willen S' auch, 
wen und wohin?“ 

„Nein.“ 

„So will i's Ihnen fegen J hab' halt immer nur 
nach der Friſur g'zielt, a bißchen höher als der Kopf. J 
hab' g’meint, daß man keinen Menſchen ganz derſchießen 
ſoll, wann man mit der Friſur auch einen guten Erfolg 
haben kann. Und wie!“ lachte der Graue. „Sie hätten's 
nur ſehen ſollen! Aber Sie haben ſo mit dera Kanone 
zu tun g'habt, daß Sie das gar nit beobachten konnten. 
Aber haben & denn die hohen und großen Schöpfe der 
Nuehr gar noch nit g'ſehen? Wiſſen S' nit, woraus ſie 
g'fertigt werden?“ | 

„Nein. Ich hatte keine Zeit, in der Gegend der 
Nuehr ſo eingehende Studien zu machen. Ich bin ſchnell 
hindurchgefahren.“ 

„Nun, ſie laſſen das Haar lang wachſen, ſtreichen 
es in die Höh' und ſchmieren einen Teig aus Aſch' und 
Kuh⸗Urin hinein, was gegen g'wiſſe Tierchen helfen fol, 
von denen die Negerköpfe ſtets ſehr zahlreich bevölkert 
ſind. Dadurch wird aus dera Friſur eine hohe, kompakte 
und harte Maſſe, die ſo feſt auf dem Schädel ſitzt, daß ſie 
zu ihm zu g'hören ſcheint. Wann nun eine Kugel hin⸗ 
durchg'ſchoſſen wird, ſo gibt das dem Nuehr einen 
Schlag, der ihn zu Boden wirft. Er kann da gar wohl 
meinen, daß ihm die Kugel durch den Kopf gangen iſt. 


Wenigſtens iſt keiner von allen, die i mit meinen Kugeln 
niederpelzt hab', wieder aufg ſtanden. Vielleicht iſt ihnen 
die Friſur ebenſo teuer wie der Schädel ſelbſt; darum 
laſſen ſ' fich lieber gar nit wieder ſehen, um ſich dieſen 
ſchönen Schmuck nit weiter verſchimpfieren zu laſſen.“ 

„Das iſt freilich luſtig. Uebrigens ſtimme ich Ihnen 
vollſtändig bei, wenn Sie ſagen, daß man einen Men⸗ 
ſchen nur in der höchſten Not töten ſoll. Es hat mir leid 
getan, die Kanone brauchen zu müſſen; aber es galt, 
Abu el Mot zu zeigen, daß mit uns nicht zu ſpaßen iſt. 
Hätte ich das nicht getan, ſo wäre der Kampf von viel 
längerer Dauer geweſen und hätte auf unfrer Seite be⸗ 
deutende Opfer gefordert. Lieber ſollen drei Sklaven⸗ 
jäger fallen als einer von unſren Soldaten. Freilich, 
hätte ich ahnen können, daß Abu el Mot eine Gelegen⸗ 
heit zur Flucht finden werde, ſo hätte ich dem Gefechte 
ſofort dadurch ein Ende gemacht, daß wir ihn und ſeine 
fünf Homr gleich beim Beginn niedergeſchoſſen hätten. 
Die Nuehr wären dadurch ſo erſchreckt worden, daß fie 
vielleicht ſogleich zu dem Entſchluß gekommen wären, 
ſich uns zu ergeben.“ 

„Haben S' das Geſicht g'ſehen, was er zog, als das 
lange Laſter Sie erblickte?“ 


„Ja.“ 
„Das war, als ob ihn der Schlag troffen hätt'. So 
etwas hat er nit vermuten können, und — — — Ah, 


was iſt das? Schaun S', da kommen ſie! Sehen S' nur 
hinauf! Wiſſen S', was für welche das find?“ 

Es kamen zwei große Vögel über den Fluß geflogen. 
Trotz der ſchwierigen, ja gefährlichen Lage, worin ſich 
die Menſchen hier unten, und der Graue mit ihnen, be⸗ 
fanden, richtete er ſeine ganze Aufmerkſamkeit hinauf zu 
den Vertretern ſeiner Lieblingstierklaſſe. Er war auf⸗ 


— 440 — 


geſprungen und verfolgte ihren Flug mit ſcharfem Auge, 
wobei ſeine Naſe ſich auch emporrichtete, als ob ſie ganz 
dasſelbe lebhafte Intereſſe wie ihr Beſitzer empfinde. 

„Ja, das weiß ich,“ antwortete Schwarz lächelnd. 
„Balaeniceps rex.“ | 

„Wahrhaftig, Sie wiſſen' s! Und wie wird dieſer 
Vogel hier g'nannt?“ 

„Abu Merkub, Vater des Schuhes.“ 

„Warum?“ | 

„Weil der obere Schnabel die Form eines Schuhes 


„Richtig! Da ſehen S' wieder mal, daß die Leut 
hier den Tieren ihre Namen nach gewiſſen Eigenſchaften 
geben. Sonſt fliegt der Abu Merkub nicht ſo hoch. Er 
muß aufg' ſcheucht worden fein. Er kam aus dera Gegend, 
wohin die Boote g'fahren find, von dorther, wo — — — 
ſchauen S', da kommt es, unſer Boot! Sehen S' es, 
ganz da draußen im Kanal?“ 

„Ja. Es ſchleppt ein zweites hinter ſich her. Jetzt 
werden wir erfahren, welchen Erfolg die Jagd ger 
habt hat.“ 

Die beiden Fahrzeuge wurden auch von den andern 
bemerkt. Die Leute machten einander durch laute Zu⸗ 
rufe auf ſie aufmerkſam. Auch die Nuehr, ſoweit ſie nicht 
mit ihren Toten und Verwundeten zu tun hatten, rich⸗ 
teten ihr Augenmerk auf ſie. Als ſie näher kamen, ſtellte 
es ſich zur Enttäuſchung der Sieger heraus, daß Abu el 
Mot entkommen war. Die Niam⸗niam und Aſaker kehr⸗ 
ten vollzählig und unverletzt zurück, und das Boot, worin 
der Sklavenjäger die Flucht ergriffen hatte, wav leer. 
Es hatte alſo keinen Kampf gegeben. 

Die Niam⸗niam legten bei der Dahabiöh an, und 
der „Vater der elf Haare“ war der erſte, der an Bord 


AA 


ſtieg und zu Schwarz kam, um ihm feine Meldung zu 
machen. „Wie ſiehſt du aus?“ fragte dieſer. „Du biſt 
ja ganz naß!“ 

Der Kleine nahm ſeinen Turban ab, ſtrich deſſen 
ganz trübſelig ausſehende Federn mit der Hand und 
antwortete: „Ich warrr gefallte in Waſſer, triefendes.“ 

„Wie iſt das gekommen?“ 

„Ich hatt geſchoßte auf Abu el Mot, miſerablen, 
und da mußte ſchaukelnte derrr Kahn, unvorſichtiger; da 
hatt ich machte Waſſerplumps, kopfübergen.“ 

„So iſt alſo Abu el Mot entkommen?“ 

„Ja; errr iſt fahrte an Ufer, von uns unerreichtes, 
und gelaufte davon in Buſch, geſträuchigen.“ 

„Die Homr mit ihm?“ 

„Seinte auch entflüchtete, die Homr, fünfigel 

„So konntet ihr das Boot alſo nicht einholen?“ 

„Nein, denn es hatt gehabte Vorſprung, über⸗ 
mäßigen; wir es nicht kann einholte trotz Anſtrengung, 
aller und faſt übermäßiger. Aber wir hatt auffangte 
Boot, ſeiniges, und bringte es herr in Triumph, ſieg⸗ 
reichem.“ 

„An welches ufer hat er ſich denn gerettet? Etwa 
an das linke?“ 

„Nein, ſondern an rechtiges, von uns hier aus aber 
linkiges, weil wir habte Stellung aufwärtsige in Fluß.“ 

„So iſt er alſo fort!“ ſagte Pfotenhauer. „Er wird 
ſich nit wieder ſehen laſſen!“ 

„Das meine ich nicht,“ widerſprach Schwarz. „Wir 
haben ihm eine Schlappe beigebracht, wie er ſie in 
ſeinem ganzen Leben gewiß noch nicht erlitten hat. Klug 
wäre es freilich von ihm, ſich nicht nur von uns, ſondern 
auch überhaupt in dieſer Gegend niemals wieder ſehen 
zu laſſen; aber wie wäre das mit ſeinem Charakter zu 


— 442 — 


vereinbaren! Es handelt ſich dei ihm nun darum, ſich 
micht nur an mir, ſondern auch an Haſab Murat zu 
rächen, und darauf wird er auf keinen Fall verzichten. 
Ich bin vielmehr überzeugt, daß er ſich damit ſehr be⸗ 
eilen wird.“ 

„So meinen S alfo, daß er nach Ombula gehen 
wird, um Abd el Mot mit ſeinen Leuten herbeizuholen? 
Ja, das iſt freilich wahrſcheinlich. Das ſind fünfhundert 
gut bewaffnete Leut', mit denen er es ſchon wagen kann, 
uns anzugreifen. Aber nach der Maijeh Huſan el bahr 
iſt nit ſo weit wie bis Ombula. Vielleicht geht er erſt 
dorthin?“ 

„Das glaube ich nicht. Er mit den fünf Homr? 
Segen fünfzig Aufrührer? Das iſt ein zu großes 
Wagnis.“ 

„Aber er muß doch hin, da er nur dort die Muni⸗ 
tion, die ihm fehlt, erlangen kann! Er mag vielleicht der 
Anſicht ſein, daß dieſe Leut', wann er ihnen verzeiht, ſich 
wieder zu ihm halten.“ N 

„Möglich iſt das; aber er wird dennoch nach Om⸗ 
bula gehen und erſt von dort aus mit hinreichender 
Macht den Feldwebel aufſuchen.“ 

„Ja, wenn Sie die Sach' ſo erklären, ſo wird ſie 
ſchon richtig ſein. Und nun, wie gedenken S' dann, wo⸗ 
hin wir gehen? Nach der Maijeh oder Ombula?“ 

„Nach der Maijeh. Ich habe meine guten Gründe 
dazu. Erſtens wird Abu el Mot glauben, daß wir ihm 
nach Ombula folgen, und ſein Verhalten nach dieſer 
Vorausſetzung einrichten. Indem ich es nicht tue, ſtelle 
ich mich alſo in den Vorteil gegen ihn. Ferner wird es 
ihm leichter, ſich gegen uns zu wehren, als wenn wir 
ihn an einem andern Ort, den wir ſelbſt auswählen, 
während des Heimzugs überrumpeln. Und ſodann ha 


wir, wenn wir den Feldwebel mit feinen Leuten vorher 
feſtnehmen, den Rücken frei, was nicht der Fall wäre, 
wenn wir direkt nach Ombula gingen und alſo zwiſchen 
zwei Lager kämen.“ 

„Aber Sie müſſen halt dennoch mit dem Umſtand 
rechnen, daß er den Feldwebel aufſucht. Die Klugheit 
erfordert das; er muß ihn, um die Herden und alles 
andre zu retten, auf irgend eine Weiſ vor uns warnen.“ 

„Das habe ich ſchon in Betracht gezogen. Ich muß 
ſuchen, ihm zuvorzukommen. Darum werde ich einſt⸗ 
weilen mit der Dahabieh voranfahren. Die hundert⸗ 
fünfzig Soldaten, die ſich auf ihr befinden, ſind mehr als 
ausreichend für die Ueberwältigung des Feldwebels. 
Jetzt aber gilt es, hier mit den Nuehr zu Ende zu kom⸗ 
men. Ich werde mit dem Häuptling in Verhandlung 
treten.“ 

Dieſen letzteren ſah man auf dem Deck des Sandals 
ſitzen. Seine Leute lagen oder ſtanden um ihn her und 
unterhielten ſich unter lebhaften Gebärden. Schwarz 
trat an den Rand der Dahabiéh und rief ihn an. Der 
Häuptling ſtand auf und ging an die Brüſtung des 
Sandals. 

„Ich habe mit dir zu reden,“ ſagte Schwarz. 
„Komm herüber auf mein Schiff!” 

„Du kannſt ebenſo auf das meinige kommen!“ 

„Ich glaube, es iſt Sitte, daß der tiefer Stehende 
zu dem Höhern, der Beſiegte zu dem Sieger kommt.“ 

„Noch bin ich nicht beſiegt!“ 

„Weil wir euch geſchönt haben. Wir werden es aber 
nicht länger tun, wenn du dich weigerſt, meiner Auffor⸗ 
derung Folge zu leiſten.“ 

„Wie kannſt du von mir verlangen, zu dir zu kom⸗ 
men und mich alſo in deine Hände zu liefern!“ 


— 44 — 


„Das verlange ich nicht. Ich will nur mit dir 
ſprechen. Ich möchte euch nicht töten. Wenn du kommſt, 
werde ich dir nichts tun und dich auch nicht zurückhalten.“ 

„Sagſt du die Wahrheit? Ich kann zu meinen Leu⸗ 
ten zurück, ſelbſt dann, wenn ich nicht mit dir einig 
werde?“ 

„Gewigß; ich verſpreche es dir.“ 

„Schwöre es mir beim Propheten!“ 

„Nun wohl! Mohammed iſt mein Zeuge, daß du 
gehen kannſt, ſobald es dir beliebt.“ 

„So komme ich.“ 

„Auch nit übel!“ lachte Pfotenhauer. „Schwört die⸗ 
fer Naturforſcher Schwarz auf den alten Mohammed! 
Man derlebt doch ſonderbare Sachen, wann man die 
Naſ' in fremde Länder ſteckt!“ 

Jetzt kam der Häuptling in einem Boot herbei. 
Schwarz befahl Kaffee und Pfeifen und begab ſich mit 
Pfotenhauer in die Kajüte, wo er den Neger empfing. 

Dieſer war ſehr gut gebaut, die ſchmale, enge Bruſt 
abgerechnet, welche alle Völker haben, die in Fluß⸗ 
niederungen und ſumpfigen fiebererzeugenden Gegenden 
wohnen. Quer über die Stirn trug er drei parallele 
Narben. Die Eltern bringen den Knaben ſchon in der 
Jugend dieſe Schnitte bei; die Narben gelten als Schön⸗ 
heit. Ferner hatte er in der Unterkinnlade keine Vorder⸗ 
zähne; die Nuehrs haben die Sitte, dieſe den Kindern 
auszubrechen, weshalb, das iſt ſchwer zu ſagen. Dadurch 
bekommt ihre Sprache etwas Eigentümliches, was ſehr 
ſchwierig nachzuahmen iſt. 

Auf die Einladung des Deutſchen ſetzte er ſich nie⸗ 
der, trank ſeine Taſſe Kaffee aus und ließ es gerne ge⸗ 
ſchehen, daß der ſchwarze Diener ihm die Pfeife in 
Brand ſteckte. Als er zwei oder drei Züge getan hatte, 


a DAR 


ließ er ein wohlgefälliges, ja entzücktes Grunzen hören. 
Er hatte bisher ſtets nur mit andern Blättern vermiſch⸗ 
tes ſchlechtes Tabakspulver rauchen können. Der Wohl⸗ 
geruch und Wohlgeſchmack dieſer Pfeife verſetzte ihn in 
Entzückung. Schwarz begann: „Du ſagteſt, daß wir euch 
noch nicht beſiegt hätten. Hältſt du es vielleicht für mög⸗ 
lich, uns noch zu entkommen?“ 

„Nein,“ geſtand der Schwarze in e Auf⸗ 
richtigkeit. 

„Was gedenkſt du zu tun?“ 

„Zu kämpfen bis auf den letzten Mann.“ 

„Was hätteſt du davon?“ 

„Wir würden viele von euch töten. Und ſind wir 
nicht dazu gezwungen?“ 

„Nein.“ 

Der Häuptling machte ein außerordentlich erſtaun⸗ 
tes Geſicht. Faſt wäre ihm dabei die Pfeife ausgegan⸗ 
gen. Er bemerkte das, tat. ſchnell einige Züge und fragte 
dann: „Du willſt wirklich nicht weiter mit uns kämpfen?“ 

„Nein, denn es hat keinen Zweck. Was meinſt du 
denn, was geſchehen ſoll? Der Sieger tötet entweder 
die Beſiegten, oder er macht ſie zu Sklaven. Und ich will 
weder von dem einen noch vom andern etwas wiſſen. 
Ich will euch nicht töten und brauche keine Sklaven. Ich 
bin ein Chriſt.“ 

„Ein Chriſt?“ Er ſuchte in ſeinem Gedächtnis nach, 
um darüber, was man unter einem Chriſten zu verſtehen 
habe, klar zu werden. Endlich dämmerte eine Er⸗ 
innerung in ihm auf, und er fuhr fort: „Sind das die 
Leute, welche Schweinefleiſch eſſen dürfen?“ 

„Ja. Doch iſt das nicht etwa das Hauptzeichen, das 
uns von den Vekennern des Propheten unterſcheidet. 


— 446 — 
Unſre Religion gebietet uns, zu lieben anſtatt zu haſſen 
und ſelbſt unſern Feinden Gutes zu erweiſen.“ 

Der Nuehr ſah ein, daß dieſes Gebot ſehr vorteil⸗ 
haft für ihn ſei, und fragte: „Und ihr gehorcht diefer 
Religion auch wirklich?“ 

„Ja.“ 

„Du weißt doch wohl, daß wir deine Feinde ſind?“ 

„Allerdings.“ ’ 

„So mußt du uns Gutes erweiſen!“ 

„Das beabſichtige ich auch zu tun,“ antwortete 
Schwarz, innerlich beluſtigt über die ſchlaue Logik dieſes 
Mannes. 

„Und worin ſoll das beſtehen?“ 

„Das wird ganz auf dich ankommen. Sage mir auf⸗ 
richtig, wozu Abu el Mot euch angeworben hat!“ 

„Um bei den Niam⸗niam Sklaven au machen.“ 

„Was bot er euch dafür?“ 

„Speiſe und Trank, Kleider, wie ſie bei unſerm 
Volk getragen worden, jedem eine Flinte und ſodann für 
jeden Sklaven, den wir machen würden, einen Abu 
Noktah.“ 

„Das iſt ſehr wenig! Ihr ſeid alſo bloß zum Skla⸗ 
venfang angeworben worden. Warum habt ihr da gegen 
uns gekämpft?“ 

„Weil Abu el Mot es ſo wollte, weil wir ſeine Ge⸗ 
noſſen, ſeine Verbündeten ſind und ihn alſo verteidigen 
mußten.“ 

„Ihr habt erfahren, wie gefährlich es iſt, der’ Ge⸗ 
noſſe eines Sklavenjägers zu fein! Eure Freundſchaft 
für ihn hat euch viele Tote und Verwundete gekoſtet.“ 

„Ja, es ſind ihrer viele,“ antwortete der Häuptling 
niedergeſchlagen. „Deine Medfat) hatte großen Hunger; 


— 1 -—- 


fie hat mehr von uns aufgefreſſen, als ihr kleiner Mund 
verſchlingen kann.“ 

„Haſt du ſie gezählt?“ 

„Ja. Es ſind über dreißig Tote und doppelt ſo viel 
Verwundete. Mehrere find ſogar durch die Compirahl) 
geſchoſſen! Was ſoll weiter werden?“ 

„Sage vorher, wem die Schiffe gehören!“ 

„Einem Mann in Diakin.“ 

„Iſt er Sklavenhändler?“ 

„Nein. Die Schiffe ſind ſein einziges Eigentum, 
und er wird ſehr arm werden dadurch, daß du ſie ver⸗ 
brennſt.“ | 

„Wer ſagt dir, daß ich fie verbrennen werde?“ 

„Jeder Sieger würde das tun oder ſie für ſich be⸗ 
halten.“ 

„Hat er ſie dazu vermietet, daß mit ihnen eine Gha⸗ 
ſuah unternommen werden ſolle?“ 

„Nein. Sie ſollten uns nach der Seribah bringen 
und dann umkehren. Aber weil der Noqer Abu el Mots 
verbrannt worden war, mietete er ſie weiter.“ 

„So ſoll dieſer Mann ſeine Schiffe wieder bekom⸗ 
men. Sage ihm, daß ich fie ihm ſchenke!“ 

„Das wollteſt du tun? Herr, deine Güte iſt ganz 
ohnegleichen! Aber wie ſoll ich ihm das ſagen?“ 

„Sobald du nach Diakin kommſt.“ 

„Komme ich denn hin?“ 

„Ja, du und deine Leute. Ich ſchenke euch die 
Freiheit.“ 

Da ließ der Schwarze die Pfeife fallen, ſprang auf 
und rief: „Die Freiheit? Allen? Auch mir?“ 

„Allen und auch dich mit eingeſchloſſen; aber ich mache 
meine Bedingung . 


1) Iriſur. 


— 448 — 


„Sage ſie; ſage ſie!“ forderte der Schwarze ihn 
freudig auf. „Wir werden alles tun, was du verlangſt, 
wenn es nur möglich iſt.“ 

„Ihr gebt alle eure Waffen ab!“ 

„Die ſollſt du erhalten. Wir haben genug andre 
daheim.“ 

„Ihr macht fernerhin keinen Verſuch, Abu el Mot 
aufzufinden, ſondern ihr fahrt in euren Schiffen ſo 
ſchnell wie möglich heim. Ich werde nur mit der Daha⸗ 
bieh dieſe Stelle verlaſſen, und meine Noger bleiben 
hier, um dafür zu ſorgen, daß dieſe Bedingung auch 
genau erfüllt werde. Sie ſollen euch folgen. Sobald ihr 
Miene macht, umzukehren, werden ſie euch angreifen 
und vernichten. Beachte das wohl!“ 

„Herr, wir werden froh ſein, nach Hauſe fahren zu 
dürfen, und es fällt uns gar nicht ein, zurückzubleiben. 
Dieſer Abu el Mot hat uns ſchmählich und heimtückiſch 
verlaſſen, und wenn ich ihn ja einmal wiederſehe, ſo iſt 
es um ihn geſchehen.“ 

„Gut, wir ſind alſo fertig und — —“ 

„Nein, wir ſind noch nicht fertig,“ fiel der Graue 
ein, natürlich in arabiſcher Sprache. „Ich habe auch ein 
Wort zu ſagen und ſtelle noch eine Bedingung.“ Seine 
Naſenſpitze wippte in ſo lächerlicher Weiſe auf und nie⸗ 
der, hin und her, daß einer, der ihn kannte, überzeugt 
ſein mußte, ſeine Bedingung werde eine wenig tra⸗ 
giſche ſein. 5 

„Sage ſie!“ forderte der Häuptling ihn auf; „ich 
hoffe, daß es möglich iſt, ſie zu erfüllen.“ 

„Nun gut! Ich verlange, daß ihr euch eure Comes 
pajir ) abſchneidet und an mich abliefert!“ 

Die Wirkung dieſer Bedingung war keine geringe. 
ä 


— 449 — 


Der Schwarze erſchrak auf das heftigſte. Er trat einen 
Schritt zurück, warf die Arme in die Luft, rollte die 
Augen, ſchrie laut auf und antwortete dann: „Herr, das 
darfſt du nicht verlangen!“ 

„O doch! Ich verlange es. Es ſind ja ſcharfe Seka⸗ 
kin) genug da, und außerdem haben wir einige Makaſſa 
hier, mit denen wir ſie ſchnell herunterſchneiden können.“ 

„Warum willſt du uns ſolche Schmerzen erleiden 
laſſen?“ 

„Schmerzen? Nehmt euch nur in acht, dann wird 
es nicht wehe tun!“ 

„Du irrſt. Andern kann man die Compirah leicht 
nehmen, weil ſie das Haar loſe tragen. Unſre Compajir 
aber ſind hart und feſt gebaut wie Stein. Man weiß 
nicht, wo der Kopf aufhört und wo die Compirah 
beginnt.“ 

„Wenn ihr es nicht wißt, ſo weiß ich es, denn ich 
bin Tabib?) und kenne den Bau des Kopfes ganz genau. 
Und wenn ich ja einem von euch ein Stück vom Schädel 
mit wegſchneide, ſo heile ich es ihm ſofort wieder an.“ 

„Nein, nein, Herr! Ich glaube gern, daß du ein 
großer und berühmter Tabib biſt, denn du haſt eine 
Naſe, welche fürchterlich groß iſt, und wir Abdi“) wiſſen 
recht gut, daß ein Menſch deſto klüger und gelehrter iſt, 
je länger ſeine Naſe iſt; aber wenn du uns die Compajir 
auch wirklich ſchmerzlos herunterſchneiden kannſt, ſo 
wirſt du uns doch nicht die Schande antun, uns unſres 
Schmuckes zu berauben und uns zu zwingen, daheim 
ohne die größte männliche Zierde vor unſre Frauen zu 
treten.“ 

„Ich kann nicht anders,“ behauptete der Graue. 
„Strafe muß ſein!“ 

1) Meſſer. — 9 Scheren. — ) Arzt. — )) Neger. 

ma. Die Stlovenfaromane. 29 


— 450 — 


„Wenn du uns ſtrafen willſt,“ fuhr der Nuehr 
voller Angſt fort, „ſo will ich dir einen Vorſchlag machen. 
Ein Nuehr ſtirbt lieber, als daß er der Lieblichkeit ſeiner 
Vorzüge entſagt. Das Los mag unter meinen Leuten 
entſcheiden. Die Hälfte von ihnen mögen mit ihren 
Compajir nach Hauſe gehen dürfen, und die andern 
magſt du töten und ihnen den Schmuck nehmen. Dazu 
magſt du noch außerdem die Compajir unſrer Toten be⸗ 
kommen.“ 

Daß er ſich in größter Sorge befand, bewies dieſer 
Vorſchlag. So ernſt er die Sache nahm, ſo große Mühe 
hatten die Deutſchen, das Lachen zu verbeißen. Pfoten» 
hauer fragte: „Alſo deine Leute ſollen loſen? Du doch 
auch mit?“ 

„Ich? Nein, denn ich bin der Anführer und als 
ſolcher über das Los erhaben. Bedenke doch, daß ich auch 
ſterben würde, wenn es mich träfe!“ 

„Ach ſo! Du willſt aber nicht ſterben? Nun, das 
kann ich keinem Menſchen übel nehmen und auch dir 
nicht. Aber mein Gerechtigkeitsgefühl empört ſich da⸗ 
gegen, daß einer auf alle Fälle leben bleiben ſoll, wäh⸗ 
rend die andern ihr Leben von dem Zufall abhängig 
machen müſſen. Darum will ich nicht bloß gegen dich 
milde ſein, ſondern auch die andern mit meiner Barm⸗ 
herzigkeit erleuchten. Ich verzichte hiermit auf die Com⸗ 
pajir, verlange aber, daß du mir an deren Stelle deine 
Boneta el badſchak') überlieferſt.“ 

„Meine Bornata el lulu?)?“ rief der Schwarze aus, 
indem er ſich mit beiden Händen nach der bereits be⸗ 
ſchriebenen Kopfbedeckung fuhr und ſeine Züge ſich vor 
Entſetzen verzerrten. „Herr, das kannſt du nicht wollen; 


) Muſchelmüͤtze. — ) Perlenhut. 


11 


das kannſt du nicht verlangen! Dieſe Bornata iſt das 
Zeichen meiner Häuptlingswürde.“ 

„Das weiß ich wohl, geht mich aber nichts an. Be⸗ 
denke, daß du damit das Leben von über hundert Nuehrs, 
auf die das Los fallen würde, retten kannſt!“ 

„Mögen ſie ſterben; ich habe nichts dagegen! Kein 
Schah und kein Malik!) gibt feine Tadſcha“ her, ohne 
um ſie gekämpft zu haben. Was ſoll dir die meinige 
nützen, da du doch nicht König der Nuehr wirſt ſein 
wollen!“ 

„Dieſe Abſicht habe ich freilich nicht. Aber du biſt 
beſiegt und haſt ein Zeichen der Unterwerfung an uns 
abzuliefern. Etwas andres wäre es, wenn du dich ent⸗ 
ſchließen könnteſt, dir meine Gnade dadurch zu erwerben, 
daß du bei uns bleibſt und unſer Freund und Verbün⸗ 
deter wirſt. Dann brauchteſt du uns weder deine Tadſcha 
noch eure Compajir abzuliefern und würdeſt vielmehr 
manches von uns erhalten, was dir nützlich iſt und dich 
erfreuen kann.“ 

Als der Neger dieſe Worte hörte, holte er tief und 
erleichtert Atem und antwortete: „Herr, du machſt meine 
Seele wieder leicht. Ich habe große Angſt ausgeſtanden. 
Sage mir, in welcher Weiſe ich euer Verbündeter ſein 
ſoll!l“ | 

„Du ſollſt mit uns gegen Abu el Mot ziehen, der 
euch ſo hinterliſtig euerm Schickſal überlaſſen hat.“ 

„Herr, das tue ich gern, ſehr gern!“ lautete die 
eilige und energiſche Antwort. „Er hat uns geopfert, 
um nur ſelbſt entkommen zu können, und dadurch unfre 
Rache verdient. Indem er dies tat, hat er den Bund mit 
uns zerriſſen, und ich knüpfe nun einen neuen mit euch, 
um ihn zur Rechenſchaft zu ziehen.“ 


) Kaiſer und König. — 9) Krone. 


„Gut! Ihr habt gefehen, daß wir ftärker find als 
er, und ſo gebietet euch ſchon die Klugheit, es lieber mit 
uns, als mit ihm zu halten. Wir ſchenken euch dafür 
das Leben, die Waffen, die Compajir, kurz alles, was 
euch gehört, und dir auch deine Bornata el lulu. Dazu 
ſollt ihr einen Teil der Beute haben, die wir machen 
werden. Die Herden und Vorräte Abu el Mots werden 
in unſre Hände fallen, auch ſeine Soldaten, denen wir 
die Gewehre nehmen, um ſie euch zu geben. Ihr werdet 
dann beſſer bewaffnet ſein, als alle Stämme an und 
zwiſchen den Flüſſen und ſie euch leicht unterwerfen 
können.“ | 

„Herr, das iſt ja weit, weit mehr, als wir von Abu 
el Mot erhalten hätten!“ jubelte der Nuehr. „Du gibſt 
uns Gnade und Leben, anſtatt Rache und Tod. Ihr wer⸗ 
det Freunde an uns haben, auf die ihr euch ſelbſt in der 
größten Gefahr verlaſſen könnt!“ 

„Ich will es dir glauben. Außerdem habt ihr noch 
einen großen Vorteil, den ihr bei Abu el Mot nicht ge⸗ 
funden hättet. Nicht ich allein bin Tabib, ſondern dieſer 
Effendi, mein Freund, iſt ein noch größerer und berühm⸗ 
terer als ich. Wir werden uns eurer Verwundeten an⸗ 
nehmen, deren größter Teil bei Abu el Mot wohl nicht 
hätte gerettet werden können. Haſt du, um den Bund 
mit uns abzuſchließen, die Zuſtimmung deiner Leute zu 
erbitten?“ 

„Was denkſt du von mir!“ antwortete der Häupt⸗ 
ling ſtolz. „Ich bin der König meines Stammes, und 
meine Krieger haben mir zu gehorchen. Aber denke ja 
nicht, daß ſie das nicht gern tun werden! Sie erwarteten 
den Tod, und anſtatt des Verderbens bringe ich ihnen 
das Glück. Sie werden meine Nachricht mit Entzücken 
empfangen.“ 


— 453 — 


„Gut, ſo ſeid ihr von jetzt an unſre Freunde und 
Bundesgenoſſen. Gib uns die Hand darauf und kehre 
dann auf den Sandal zurück. Wir werden hören, was 
deine Leute dazu ſagen, und dann hinüberkommen, um 
die Verwundeten zu verbinden.“ 

Der Neger gab beiden ſeine Hand und ging dann 
fort, um ſich nach dem Sandal rudern zu laſſen. 

„Nun, find S' einverſtanden? Hab' i's gut 
g'macht?“ fragte der Graue Schwarz. 

„Ja,“ antwortete dieſer. „Wir ſind zwar auch ohne 
die Nuehr ſtark genug, um es mit Abu und Abd el Mot 
aufzunehmen, aber Feinde in Freunde zu verwandeln, 
iſt ſtets vorteilhaft, und wir können doch vielleicht in 
eine Lage kommen, in der dieſer Zuwachs an Leuten 
uns von Nutzen iſt. Aber warum haben Sie den armen 
Teufel vorher in Beziehung auf die Friſuren in ſolche 
Angſt getrieben?“ 

„Weil's meine Abſicht war, in den Beſitz ſeiner 
Spitzhaube zu kommen. J hätt' ſie halt gar zu gern als 
ethnographiſche Seltenheit mit heimg'bracht. Da er aber 
mit Leib und Seel' daran hängt, ſo mag er ſie b'halten. 
Nun kommen S'! Wir wollen ſchauen, was ſeine Leut' 
für G'ſichter machen. Sie ſcheinen froh zu ſein; hören 

S', wie ſie ſchreien und brüllen?“ | 
| Die beiden hatten die Kajüte nicht zugleich mit dem 
Nuehr verlaſſen; fie waren darin zurückgeblieben. Trotz 
der zugemachten Tür vernahmen ſie jetzt ein Getöſe 
menſchlicher Stimmen, als ob die Schreienden gepfählt 
werden ſollten. „Ja ſefa, ja bacht, ja fahra — o Wonne, 
o Glück, o Freude!“ nur dieſe drei Worte waren es, 
welche die Nuehr riefen, aber ſie brachten mit ihnen ein 
ſolches Stimmengewirr fertig, daß man ſich hätte die 
Ohren zuhalten mögen. Und als die Deutſchen aus der 


— 464 — 


Kajüte auf das Deck traten, ſahen ſie die Schwarzen auf 
ihren beiden Schiffen ſpringen und tanzen, als ob ſie 
wahnſinnig geworden ſeien. | 

„Da hab' i ſchönes Unheil ang’richtet!” lachte der 
Graue. „Jetzund möcht' man Irrenarzt fein, um die 
Kerls wieder zu Verſtand zu bringen.“ 

Der Häuptling trat an den Rand des Sandals und 
rief herüber: „Seht ihr die Freude meiner Krieger? Sie 
ſind voller Wonne und werden euch treu dienen und ihr 
Leben für euch wagen. Nun kommt auch herüber, und 
nehmt euch der Verwundeten an, die mit Schmerzen auf 
euch warten!“ 

Bevor Schwarz dieſer Aufforderung Folge leiſtete, 
beorderte er die Reiſahn der beiden Noger zu ſich. Haſab 
Murat erhielt die Weiſung, ſeine Leute wieder einzu⸗ 
ſchiffen und mußte auch mit nach der Dahabieh kommen. 
Hier erfuhren ſie, daß die Nuehr von jetzt an als Ver⸗ 
bündete zu betrachten und zu behandeln ſeien, und ſie 
nahmen dieſe Nachricht mit großer Befriedigung auf. 

Da es nun galt, keine Zeit zu verlieren, ſondern 
wieder aufzubrechen, um Abu el Mot zuvorzukommen, 
ſo wurden ſämtliche Kähne mit Leuten bemannt, welche 
die durch das Schilffeld führende ſchmale Bahn ver⸗ 
breitern mußten. Indeſſen konnten die beiden Deutſchen 
den Verwundeten Hilfe leiſten. Als ſie in die Kajüte gingen, 
um die chirurgiſchen Beſtecke zu holen, kamen ſie an dem 
„Sohn des Geheimniſſes“ vorüber, und Schwarz nahm 
die Gelegenheit wahr, ihn zu fragen: „Wir müſſen nach 
der Maijeh Huſan el bahr. Weißt du, wo dieſer Ort liegt?“ 

„Ja, Effendi, ich kenne ihn. Ich bin mit Ben Wafa 
einige Mal, wenn wir von der Seribah Abu el Mots 
kamen, dort geweſen. Er iſt berühmt wegen der vielen 
Nilpferde, die es dort gibt.“ 


— 455 — 


„Wann denkſt du, daß wir hinkommen werden, falls 
wir guten Wind behalten?“ 

„Fahren wir auch während der Nacht, was wir ja 
tun können, da es in dieſer Jahreszeit weder Regen noch 
Stürme gibt und von hier aus der Fluß wieder ſtets 
öffen iſt, ſo kommen wir morgen abend an.“ 

„Könnte auch ein Fußgänger bis zu dieſer Zeit 
dort ſein?“ | f 

„Ja, wenn er ſich beeilt. Er kann die gerade Rich⸗ 
tung einſchlagen, während wir den Krümmungen des 
Stromes folgen müſſen.“ 

„„Das zu hören iſt mir nicht lieb. Es iſt möglich, 
daß Abu el Mot nach der Maijeh geht.“ 

„So müſſen wir es machen wie in der vergangenen 
Nacht. Wir ſpannen die Boote vor. Das wird uns nicht 
anſtrengen, denn wir ſind zahlreich genug, um einander 
oft ablöſen zu können. Die Nuehr werden uns dabei 
ſehr nützlich ſein, da ſie weit beſſere Ruderer als die 
Aſaker ſind.“ 

„Komm mit in die Kajüte, um uns die Medizin⸗ 
käſten zu tragen! Du biſt geſchickt und kannſt uns bei 
dem Verbinden der Verwundeten helfen.“ 

Dieſe Worte hörte der Slowak. Er trat ſofort herzu 
und ſagte: „Effendi, auch ich beſitze Geſchicklichkeit, be⸗ 
deutende. Ich hatt verbindete ſchon Wunden, vielige. 
Ich hatt Ihnen ſchon einmal erzählte von Storch, bein⸗ 
gebrochtem und von mir verbindetem; ich will auch hel⸗ 
fen bei Nuehr, geſchießten und bleſſierten!“ 

„Gut, ſo komm alſo auch mit, mein guter Iſtvan!“ 

Und der „Vater der elf Haare“ warf ſich in die 
Bruſt und maß den Vogelnazi mit einem triumphieren⸗ 
den Blick. — — — 


Vierzehntes Kapitel. 
An der Nilpferd⸗Maijeh. 


Am nächſten Tag, zwiſchen dem Asr- und Mogreb⸗ 
Gebet, alſo vielleicht kurz nach der vierten Nachmittags» 
ſtunde, erreichten die fünf Schiffe eine Stelle, wo der 
Strom ſich ſo verbreiterte, daß er einen See bildete, 
deſſen Ufer wohl eine volle Ruderſtunde voneinander 
entfernt waren. 

„Das iſt der Ort,“ ſagte der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“ zu Schwarz und Pfotenhauer, mit denen er vorn 
am Bug der Dahabiéh ſtand. „Laß nach dem Ufer hal⸗ 
ten, damit wir dort anlegen! Wir dürfen nicht weiter, 
da wir ſonſt geſehen werden könnten.“ 

„Liegt der Feldwebel mit ſeinen Leuten denn am 
See?“ | 

„Nein. Biegen wir rechts in den See ein und fahren 
wir bis nach deſſen hinterem Teil, ſo kommen wir an 
eine Stelle, wo ein ſchmaler Eingang in einen Buſen 
führt, der nicht fließendes, ſondern ſtehendes Waſſer hat. 
Er iſt an einigen Punkten ſehr tief, weshalb er ſelbſt im 
heißeſten Sommer nicht austrocknet. An den ſeichteren 
Stellen wächſt Schilf und Rohr; an andern gibt es 
Grasinſeln, die auf der Oberfläche ſchwimmen, ſich aber 
nur dann bewegen, wenn der Wind ſie treibt oder ein 


— 457 — 


Flußpferd, an ihren Wurzeln naſchend, ſie in Bewegung 
ſetzt. Das iſt die Maijeh Huſan el Bahr.“ 

„So brauchen wir doch nicht hier am Fluß zu blei⸗ 
ben, ſondern können in den See einbiegen, um dort zu 
ankern.“ 

„Der Feldwebel lagert am Ufer des Maijeh. Es iſt 
möglich, daß einer ſeiner Leute nach dem See kommt. 
In dieſem Fall würden wir geſehen, und das willſt du 
doch wohl vermeiden?“ 

„Allerdings. Ich werde alſo den Befehl zum An⸗ 
kern geben, und dann mag der Onbaſchi uns Auskunft 
erteilen.“ 

Onbaſchi heißt Korporal, Unteroffizier. Bei den 
Nuehr hatte ſich nämlich der Unteroffizier befunden, der 
dem Feldwebel entflohen war, um Abu el Mot deſſen 
Lager zu verraten. Er hatte, als er die Waka'a en 
nahr“! verloren ſah, mit großer Sorge dem entgegen 
geſehen, was nun mit ihm geſchehen werde, und war 
dann freudig überraſcht geweſen, ſich mit den Nuehr be⸗ 
gnadigt zu wiſſen. 

Die Dahabiéh ging fo nahe wie möglich an das 
Ufer und ließ dort die Anker fallen. Die beiden Noger 
taten dasſelbe. Die Schiffe aus Diakin ſegelten nicht ſo 
gut; ſie waren zurück, kamen aber nach einiger Zeit auch 
und legten hinter den andern an. Nun ließ Schwarz den 
Onbaſchi zu ſich kommen und fragte ihn: „Kennſt du die 
Stelle, wo wir jetzt liegen?“ 

„Nein, Effendi.“ 

„Aber den See, an deſſen Eingang wir uns be 
finden?“ 

„Auch nicht.“ 


Y) Schlucht im Fluſſe. 


— 458 — 


„Ich glaubte, du ſeiſt an deſſen Ufer geweſen. In 
ihn mündet nämlich die Maijeh, wo der Feldwebel 
lagert.“ 

„Solange ich bei ihm war, iſt keiner von uns nach 
dem See gekommen. Die Maijeh bot uns alles, was 
wir brauchten: Schilf zum Brennen, Waſſer und Fiſche, 
ſoviel wir haben wollten.“ 

„Aber wenn ich mit dir nach der Maijeh ruderte, 
ſo würdeſt du die Stelle finden, wo deine frühern 
Kameraden ſind?“ 

„Ganz gewiß. Sie lagern an ihrer Spitze, an der 
Stelle, die am weiteſten in das Land hineinragt. Die 
iſt ſelbſt in der Dunkelheit leicht zu finden.“ 

N b der Wald bis dicht ans Waſſer?“ 

e 

„Und iſt er licht, oder gibt es Strauchwerk, e 
das Gehen erſchwert?“ 

„Stäucher gibt es nur außerhalb des Waldes, der 
ſchmal iſt und nur aus Bäumen beſteht, zwiſchen denen 
man leicht fortkommen kann. Soll ich dich führen?“ 

„Ich will es mir überlegen,“ antwortete Schwarz 
zurückhaltend. 

„Effendi, du trauſt mir nicht!“ 

„Allerdings. Das will ich dir ganz offen geſtehen. 
Du haſt deine Kameraden verraten.“ 

„Weil ſie ſelbſt Verräter waren!“ 

„Aber du warſt ihr Mitſchuldiger, und ſie verließen 
ſich auf dich!“ 

„Ich hatte mich geweigert. Ich war der einzige 
Onbaſchi, der mit dem Feldwebel zurückgelaſſen worden 
war. Er war Gefangener, und ich hatte ihn zu be⸗ 
wachen. Da beredete er mich, mit ihm und meinen 


— 459 — 


fünfzig Aſakern bei den Niam⸗Niam eine neue Seribah 
zu gründen.“ 

„Das fehlte noch! Müßt ihr denn das Verderben 
weiter und immer weiter tragen? Und welch ein Wag⸗ 
nis! Fünfzig Mann wollen nach Süden gehen, um ein 
großes Volk in ihre Netze zu ziehen! Da ſieht man, wie 
wenige Teufel dazu gehören, um ganze Völkerſchaften 
unglücklich zu machen. Aber weiter!“ 

„Ich ließ mich bereden, denn er verſprach mir, daß 
ich mit ihm Gebieter ſein ſolle; aber ſchon am erſten Tag 
gebärdete er ſich als der alleinige Herr, und da ging ich 
fort.“ 

„Alſo nicht aus Reue, ſondern aus Rache?“ 

„Verkenne mich nicht, Effendi! Du darfſt mir 
trauen. Zu Abu el Mot kann ich nicht wieder und gehe 
ich nicht wieder. Ich habe heute früh mit Haſab Murat 
geſprochen. Er nimmt mich mit nach der Seribah Ma⸗ 
dunga, wo ich mit demſelben Rang, als Onbaſchi, bei 
ihm eintreten werde. Daraus magſt du erſehen, daß ich 
dir treu dienen werde.“ | 

„Ich will verfuchen, dir zu glauben. Du magſt uns 
alſo führen, wenn wir an das Land gegangen ſind.“ 

Während er das ſagte, fiel ſein Auge auf einen 
kleinen Punkt, der ſich vom jenſeitigen Ufer des Sees 
aus näherte. Er hielt ihn für ein Boot und ging, ſein 
Fernglas zu holen. In den Verhältniſſen, unter denen 
er ſich hier befand, mußte ein Kahn ſeine Aufmerkſam⸗ 
keit, ja, ſein Mißtrauen erregen. Das Rohr zeigte ihm, 
daß er ſich nicht geirrt hatte. Es war ein ſehr kleines 
Boot, worin ein einzelner Mann, ein Schwarzer, ſaß. 
Sofort nahm der Deutſche die zwei kräftigſten Ruderer 
in das kleine Boot, bewaffnete ſich mit ſeinem Gewehr 


— 460 — 


— die Revolver trug er ſtets im Gürtel — und ſtieg 
ſelbſt mit ein, um den Neger abzufangen. 

Dieſer hatte jetzt die Mitte des Sees, alſo den 
eigentlichen Strom erreicht und hielt ein wenig auf⸗ 
wärts, um den durch die Strömung verurſachten Ab⸗ 
trieb auszugleichen. Dadurch wurde ſeine Abſicht klar, 
den diesſeitigen Teil des Sees zu erreichen und dann 
vielleicht nach der Maijeh zu rudern. 

Schwarz ließ ihn noch näher kommen und ſtieß 
dann vom Schiffe ab. Sein Boot befand ſich in ruhigem 
Waſſer und gehorchte den Rudern alſo mit weit größerer 
Schnelligkeit als dasjenige des Schwarzen. Es war klar, 
daß dieſer die abwärts am Ufer liegenden Schiffe noch 
gar nicht geſehen hatte: bald aber erblickte er das Boot. 
Er hielt für einige Augenblicke im Rudern inne, wohl 
um ſich zu überlegen, was er tun ſolle. Dann wendete 
er ſich zur Flucht dem ſüdlichen Ufer der diesſeitigen 
Seehälfte zu. Das konnte das Zeichen eines böſen Ge⸗ 
wiſſens, aber auch die einfache Folge des Mißtrauens 
ſein, das jeder einſam wohnende Menſch, zumal ein 
Neger, gegen jede fremde Erſcheinung hegen muß. Aber 
obgleich er ſeine Kräfte bis auf das Aeußerſte anſtrengte, 
kam ihm das Boot des Deutſchen immer näher und 
näher. 

„Ein Abaka⸗Neger!“ ſagte einer der beiden Niam⸗ 
niam. „Ich ſehe es am Kopfputz. 2 

Schwarz rief dem Mann ein gebieteriſches Halt zu, 
doch ohne Erfolg. Schießen wollte er nicht, einesteils 
weil er dadurch die Aufmerkſamkeit auf ſich zog, falls 
einer oder mehrere der Leute des Feldwebels am See 
ſich befanden, und andernteils weil er den Mann ſicher 
erreichen mußte, denn die Entfernung zwiſchen den bei⸗ 
den Booten verringerte ſich von Augenblick zu Augenblick. 


— 461 — 


Als ſie höchſtens noch dreißig Ellen betrug, legte er 
ſein Gewehr auf ihn an und drohte: „Halt an, ſonſt 
ſchieße ich dich tot!“ 

Jetzt zog der Mann die Ruder ein. Sein Atem flog 
und ſeine Bruſt keuchte vor Anſtrengung. Einige Augen» 
blicke ſpäter war er erreicht. Schwarz zog das kleine 
Boot Bord an Bord und fragte: „Wer biſt du?“ 

„Ich ſein Hahli,“ antwortete der Neger in en 
chenem Arabiſch. 

„Von welchem Stamm?“ 

„Akaba.“ 

„Wo wohnſt du?“ 

„Dort am Waſſer.“ Er zeigte nach dem rechten, öſt⸗ 
lichen Ufer des Sees und Fluſſes. 

„Allein?“ 

„Die Akaba wohnen auf Murrh'!).“ 

„Wohin willſt du?“ 

„Hahli darf nicht ſagen. Es ihm verboten.“ 

„Von wem?“ 

„Darf auch nicht ſagen.“ 

„Ich weiß es dennoch. Ein Weißer hat es dir vew 
boten?“ 

„Woher das wiſſen?“ 

„Es ſind ſechs Araber zu euch gekommen?“ 

Der Mann antwortete nicht, machte aber ein ſehr 
erſtauntes Geſicht, das leicht erraten ließ, daß Schwarz 
das Richtige getroffen hatte. Er war groß, kräftig und 
noch jung, wurde aber durch eine große entzündete Wulſt 
auf der einen Wange, die dicker als eine Männerfauſt 
war, entſtellt. 

„Der eine dieſer Männer war ſehr lang und ſehr 
dürr?“ fragte Schwarz weiter. 


) Biehweide. 


— 462 — 


„Woher das wiſſen?“ 

„Er hat dich da hinüber nach der Match geſandt? / 

„Warum fragen, wenn ſchon wiſſen?“ 

„Ich weiß nur, daß du ein Bote dieſes Mannes 
biſt, und ich will wiſſen, was du den Aſakern da drüben 
zu berichten haſt.“ 

„Darf nicht ſagen.“ 

„Warum nicht?“ 

„Sonſt Hahli müſſen ſterben.“ 

„So! Dann ſteig einmal zu uns herüber!“ 

„Warum? Hahli freilaſſen!“ Er ſagte das in ängſt⸗ 
lichem Ton. ö 

„Wir tun dir nichts. Du wirſt bei uns zu eſſen be⸗ 
kommen; auch will ich dir ein wenig Duhchan') ſchenken; 
dann kannſt du wieder gehen.“ 

Bei dem ſchönen Worte Duhchan begann das Ge— 
ſicht des Mannes zu glänzen. Er fragte: „Wohin Hahli 
ſoll mit?“ 

„Auf unſer Schiff.“ 

Sofort wurde feine Miene wieder ängſtlich. 

„Schiff?“ fragte er. „Haben drei Schiff? Dahabieh und 
zwei Noqers?“ 

Durch dieſe Frage verriet er, daß Abu el Mot ihn 
vor dieſen drei Schiffen gewarnt hatte. Schwarz ant⸗ 
wortete: „Nein. Wir haben nicht Due ſondern fünf 
Schiffe.“ 

„Das ſein gut, ſehr gut! Wenn hätten bloß drei 
Schiffe, dann ſein ſchlimme Menſchen.“ 

„Wir find gute Menſchen; das werde ich dir be» 
weiſen. Ich werde dir nicht nur Tabak geben, ſondern 
dich auch geſund machen. Macht dir der Dubdi?) im Ge⸗ 
ſicht nicht große Schmerzen?“ 


) Tabak. — ) „Wurm“ = Filarla. 


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„Ja. Sehr viele bei uns haben Duhdi.“ 

„Womit heilt ihr ihn?“ 

„Mit heiß Waſſer.“ 

„Das genügt nicht; da frißt er ſich nur noch tiefer 
ein. Ich werde dir zeigen, wie man ihn entfernt.“ 

„Dann Hahli gern mit dir gehen. Duhchan er⸗ 
halten und Wurm heilen! Wollen ſchnell auf Schiff!“ 
Er ſtieg herüber, band ſeinen Kahn an das Boot, und 
dann lenkte Schwarz nach der Dahabieh um. 

Die Filaria, der Guinea⸗ oder Medinawurm, wird 
im Sudan Frendit genannt. Er iſt ſo dick wie eine 
Violinſaite und kann bis zwei Meter lang werden. Er 
ſcheint nur mit dem Trinkwaſſer in den Menſchen zu 
kommen, wandert durch deſſen Körper und verurſacht an 
den Ausbruchſtellen dicke Eiterbeulen. Durch einen ein- 
zigen Schluck unreinen Waſſers können mehrere dieſer 


berüchtigten Tiere in das Innere des Menſchen gelan⸗ 


gen, und dann iſt die Wirkung eine grauenhafte. Arme, 
Beine, Bruſt und Rücken bilden eine einzige geſchwol⸗ 
lene und mit Geſchwüren bedeckte Maſſe, die dem Be⸗ 
treffenden entſetzliche Schmerzen verurſachen und ſehr 
oft den Tod zur Folge haben. 

Daß der Abaka-Neger den Wurm im Geſicht hatte, 
war ein Fall, der glücklicherweiſe nur ſelten vorkommt. 
Er ſtieg mit großem Vergnügen an Bord, und Schwarz 
nahm ihn ſogleich mit ſich zur Kajüte, um ihm durch 
das Meſſer das Geſchwür zu öffnen. Das muß ſehr vor— 
ſichtig geſchehen, damit die Filaria nicht zerſchnitten 
wird. Das beſte Mittel, ſie zu entfernen, iſt nämlich, ſie 
nach und nach auf ein Hölzchen aufzuwickeln, eine Maß⸗ 
nahme, die mehrere Tage erfordert. Es gelang Schwarz, 
den Kopf mit dem vorderen Teil des Körpers zu er— 
wiſchen. Er wickelte ihn auf, befeſtigte ihn, ſo daß er 


— 464 — 


nicht zurückſchlüpfen konnte, und gab dann dem Neger 
die Unterweiſung für ſein weiteres Verhalten. 

„Das ſehr gut!“ lobte der Schwarze. „Wurm her» 
aus und Hahli geſund. Hahli auch andern ſagen, wie 
Wurm entfernen. Aber nun ihm auch Duhchan geben!“ 

Er bekam eine kleine Quantität Tabak, die aber für 
ihn einen ſolchen Wert hatte, daß er einen Freuden⸗ 
ſprung machte und entzückt ausrief: „Oh, oh, ah! Jetzt 
Hahli rauchen und ſtolz ſein, denn andre nicht Duhchan 
haben! Weißer Mann gut ſein, nicht fo bös wie Leute 
auf Dahabiéh und zwei Nogerl!“ 

„So! Was find das denn für Lèute?“ 

„Das ſein Sklavenjäger und Diebe.“ 

„Das hat der lange, dürre Araber geſagt?“ erkun⸗ 
digte ſich Schwarz, wohl wiſſend, daß er und ſeine Leute 
mit dieſen Dieben gemeint ſeien. 

„Ja, dieſer.“ 

„Wann kam er denn zu euch 

„Nicht lange Zeit her.“ 

„Iſt er noch dort?“ 

„Nein.“ 

„Wohin ging er mit den andern fünf Männern?“ 

„Immer am Fluß, weiter nach Süd.“ | 

„Und weißt du, wer er war?“ 

„Armer Mann: Diebe ihm alles genommen. Wol⸗ 
len auch nach Maijeh, wo Aſaker ſind, und ihnen alles 
rauben. Darum Hahli hinüber und es ihnen ſagen.“ 

„Sollſt du ihnen denn auch ſagen, daß der lange 
Mann dich ſendet?“ I 

„Nein, das verſchweigen.“ a 

„Aber ſie werden dich doch fragen, wer dich ſchickt?“ 

„Dann Hahli ſagen, daß er zufällig hinkommen, daß 


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er geſehen drei Schiffe, er hören ſprechen die Diebe am 
Ufer und daß ſie ſagen, nach Maijeh gehen wollen.“ 

„Und was hat der Mann dir für einen Lohn 

gegeben?“ | 

„Nichts. Er fagen, daß Aſaker mir etwas geben. 
Vielleicht mir geben aD dann Hahli ſehr glüd- 
lich ſein.“ 

„Trinkſt du ihn ſo gern?“ 

„Oh, oh, ah, ſehr!“ Er zog dabei ein Geſicht, das 
trotz der Geſchwulſt vor Wonne glänzte. 

„Ich habe auch Mikajil, echten, guten Mikajil. 
Willſt du ihn einmal koſten?“ 

„Sehr, ſehr, viel ſehr!“ 

Schwarz hatte von dem Mudir von Faſchodah 
mehrere Flaſchen ſtarken Araki geſchenkt bekommen. Er 
goß ein großes Glas voll, führte den Neger an einen 
Ort, wo er nicht geſtört werden konnte, gab ihm das 
Glas und fagte ihm, daß er ihm nun erlaube, alle Vier⸗ 
telſtunden einen ganz, ganz kleinen Schluck zu nehmen. 
Dort ließ er ihn allein, überzeugt, daß der Schwarze von 
dem ihm ungewohnten und ſehr ſtarken Traubenbrannt⸗ 
wein ſchnell einen tüchtigen Rauſch bekommen und dann 
in tiefen Schlaf verſinken werde. 

„Dieſer Beſitzer der Filaria wird den Feldwebel 
heute nit warnen,“ ſagte Pfotenhauer, der zugehört und 
zugeſehen hatte. 

„Das beabſichtigte ich,“ antwortete Schwarz. „Ich 
wollte ihm nicht gern Zwang antun und habe mit dem 

Araki das gleiche Ziel erreicht.“ 
| „Alſo iſt Abu el Mot da drüben in einem Dorf 
g'weſen. Nun iſt's klar, daß er oberhalb über den Fluß 


1) Branntwein. 
May Die Sklavenkarowone 80 


— 466 — 


gehen und ſich nach Ombula wenden wird. Vielleicht 
kommen wir dort noch vor ihm an!“ 


„Ich hoffe es. Zwar werden wir dieſe Nacht an 
der Maijeh zubringen, aber Abu el Mot muß auch 
ſchlafen und kann nicht in der Dunkelheit ſeinen Weg 
fortſetzen. Er iſt, da er mit uns Schritt gehalten 
hat, von geſtern an bis jetzt die ganze Nacht hindurch 
gegangen, was ungeheuerlich geweſen ſein muß; eine 
zweite Nacht wird er es nicht verſuchen, denn er muß 
ſehr ermüdet fein. Wir aber find friſch und munter und 
können alſo gut marſchieren. Mehrere von uns können 
ſich doch auch mit Hilfe der Tiere, die wir bei dem Feld⸗ 
webel finden werden, beritten machen.“ 


„Wann überfallen wir dieſen?“ 


„Nicht eher, als bis es dunkel geworden it. Wir 
rudern in den Booten über den See bis an den Eingang 
der Maijeh, den der Sohn des Geheimniſſes' uns zeigen 
wird. Dann ſteigen wir aus, und der Onbaſchi wird 
uns am Ufer der Maijeh hin nach dem Lager des Feld⸗ 
webels führen. Sehen Sie ſich einmal dieſen Abaka⸗ 
Neger an!“ 

Als der Graue in den Winkel blickte, ſah er den 
Schwarzen mit geſchloſſenen Augen und verklärtem Ge⸗ 
ſicht lang hingeſtreckt dort liegen. Er hatte den Araki in 
einem einzigen Zug hinuntergegoſſen, und der Rauſch 
war nun viel ſchneller über ihn gekommen, als Schwarz 
gedacht hatte. „Der ſchläft gut und bis morgen früh,“ 
lachte Pfotenhauer. „Es iſt g'wiß, daß er uns keinen 
Schaden tut.“ 

Während der Schwarze gefangen wurde, war der 
Tag vollends vergangen, und der Abend hatte ſich auf 
den gewaltigen Strom geſenkt. Die Boote lagen klar 


— 467 — 


und die für den Ueberfall ausgewählten Männer ſtan⸗ 
den zum Aufbruch bereit. 

Kurz nach der Dämmerung leuchten die Sterne 
noch nicht fo hell wie ſpäter, und. der Menſch, der ſich in 
einer wilden Gegend befindet, erwartet einen etwaigen 
Ueberfall gewöhnlich erſt nach Mitternacht. Darum hatte 
Schwarz dieſe frühe Stunde gewählt. Die Leute ſtiegen 
in die Boote, und man ſtieß von den Schiffen ab. 

Der „Sohn des Geheimniſſes“, der den See kannte, 
ſteuerte das erſte Fahrzeug. Die andern folgten ſo eng 
hintereinander, daß ſie einander nicht verlieren konnten. 
Es ging über die breite Waſſerfläche hinüber, bis ſich die 
Ufer den Männern in unheimlicher Dunkelheit entgegen⸗ 
ſtellten. Das Landen war nicht leicht; es gab dichtes 
Schilf in Menge, durch das ſich die Boote mühſam 
arbeiten mußten, ohne allzuviel Geräuſch zu verurſachen: 
das nahm ſehr viel Zeit weg, wurde aber endlich doch zu 
ſtande gebracht. 

Nun ſtellte ſich Schwarz mit Pfotenhauer an die 
Spitze, den Onbaſchi in der Mitte. Es war allerdings 
zu vermuten, daß er ſich vor dem Feldwebel nicht ſehen 
laſſen werde; aber es lag in der Möglichkeit, daß er die 
ſtille Abſicht hegte, die Flucht zu ergveifen und nach 
Ombula zu Abu und Abd el Mot zu entkommen. Darum 
hatten die beiden nicht nur ſcharfe Augen auf ihn, ſon⸗ 
dern ſie nahmen auch ſo enge Fühlung mit ihm, daß ſie 
es gemerkt und alſo Zeit zum ſchnellen Zugreifen be⸗ 
kommen hätten, wenn er ſich mit einer raſchen Be⸗ 
wegung hätte entfernen wollen. Doch dieſes Mißtrauen 
war glücklicherweiſe überflüſſig; er zeigte ſich jetzt und 
auch ſpäter als vollſtändig zuverläſſig. 

Die Leute hatten jetzt den See hinter ſich und ſtan⸗ 
den, von dieſem aus gerechnet, am rechten Ufer der Mai⸗ 


— 45 — 


einzelnen Balken um: 5 308 11250 rund herum. Der 
Onbaſchi führte die ſich mögltt lautlos verhaltende 
Schar zwiſchen den Bäumen hindurch zu den Büſchen, 
wo ſie den freien Himmel über ſich und ein leichteres 
Fortkommen als unter den Wipfeln der Bäume hatten. 

Einer ſich dicht hinter dem andern haltend, ging es 
nach der Spitze der Maijeh. Dort gab es eine hell er⸗ 
leuchtete Stelle. Zwei große Feuer brannten da, und 
weiter hinaus nach der in dichter Finſternis liegenden 
Ebene zählte Schwarz zehn kleinere Feuer, die einen 
Halbkreis bildeten und den vor der Maijeh liegenden 
freien Platz umſchloſſen. „Dort am Feuer liegt der 
Feldwebel?“ fragte er den Onbaſchi. 

„Ja, Herr,“ antwortete dieſer. „Wenn wir näher 
gehen, kannſt du ihn und ſeine Leute ſehen.“ 

„Tas werden wir jetzt noch nicht tun. Was ſind 
das für kleine Feuer da draußen?“ 

„Das ſind die Feuer der Wächter, damit die Tiere 
nicht des Nachts ausbrechen ſollen.“ 

„Alſo zehn Wachen? Weißt du, in welcher Weiſe 
ſie abgelöſt werden?“ 

„Nur einmal, gerade um Mitternacht.“ 

„Eine nicht ſehr kluge Einteilung, die uns aber die 
Ausführung unſres Vorhabens erleichtert, denn wir 
werden durch die Ablöſung nicht geſtört werden.“ 

„Worin, Effendi?“ 

„In der Aufhebung dieſer Wachtpoſten, deren wir 
uns natürlich erſt verſichern müſſen, ehe wir uns nach 
dem Lagerplatz verfügen. Du ſollſt dabei helfen!“ 

„Gern, Effendi! Ich merke gar wohl, daß du mir 
noch nicht trauſt; aber ich werde dir beweiſen, W du 
dich irrſt. Was habe ich zu tun?“ 


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„Du kennſt dieſe Leute alle genau?“ 

„Natürlich! Sie waren ja meine Untergebenen.“ 

„Das iſt ſehr gut. Ich habe hundert Mann bei 
mir. Zwanzig mögen mir jetzt folgen, für jeden Poſten 
zwei.“ 

Er beſtimmte diejenigen, die ihm als die geeignet⸗ 
ſten erſchienen, ließ fie näher treten, damit fie feine leiſen 
Worte verſtehen könnten, und erteilte ihnen ſeine 
Weiſung. 

„Wir haben Stricke und Schnüre in hinreichender 
Anzahl mitgebracht,“ ſagte er. „Nehmt ſo viele mit, als 
nötig ſind, zehn Mann zu feſſeln. Ich gehe mit dem 
Onbaſchi voran, und ihr kommt leiſe hinterdrein. Wenn 
wir den erſten Poſten erreichen, legt ihr euch nieder, um 
nicht von ihm geſehen zu werden. Der Onbaſchi geht 
näher zu ihm hin und ruft ihn bei ſeinem Namen. Der 
Mann wird kommen und ſich höchlichſt wundern, den 
totgeglaubten Unteroffizier lebendig vor ſich zu ſehen. 
Dieſer ſpricht einige Worte mit ihm und währenddem 
ſchleiche ich mich von hinten an den Mann und faſſe ihn 
ſo feſt bei der Kehle, daß er nicht um Hilfe rufen kann. 
Ihr bleibt liegen, um nicht etwa vom nächſten Poſten 
geſehen zu werden; aber einer von euch ſchleicht herbei, 
um den Mann zu binden.“ 

„Was ſoll ich denn zu ihm ſagen?“ fragte der Unter⸗ 
offizier. 

ö „Was dir gerade einfällt. Ein langes Geſpräch 
wird es überhaupt nicht geben; ich werde ſchnell handeln 
und du kannſt dir denken, daß er über dein Erſcheinen 
ſo betroffen ſein wird, daß ihm die Worte im Munde 
ſtecken bleiben. Die Hauptſache iſt, daß du ihn ſo weit 
vom Feuer weglockſt, daß es euch nicht mehr hell be⸗ 
leuchten kann, und daß du dich fo ſtellſt, daß er mir den 


— 470 — 


Rücken zukehren muß. Dies wird es mir ermöglichen, 
leichter an ihn zu kommen. Verſtanden?“ 


„Ja, Effendi. Ich werde meine Aufgabe fo aus 
führen, daß du mit mir zufrieden ſein wirſt.“ 


„Gut für dich, Onbaſchi! Denn wenn du Verrat 
üben würdeſt, ſo bekämſt du augenblicklich meine Kugel 
in den Leib. — Bei jedem überwältigten Poſten bleiben 
dann zwei Leute, einer, der ſich an ſeiner Stelle an das 
Feuer ſetzt, um die Herde zu bewachen, und ein zweiter, 
der bei dem Poſten bleibt, um ihn augenblicklich nieder⸗ 
zuſtechen, falls er fliehen wollte. Dieſer Zweite hat ſich 
mit ſeinem Gefangenen möglichſt weit vom Feuer zu⸗ 
rückzuziehen, damit er nicht geſehen wird. Er kommt 
dann, wenn ich den Feldwebel gefangen genommen habe 
und einen Boten hierher ſende, mit dem Gefeſſelten zu 
uns ins Lager. Habt ihr das alles genau verſtanden?“ 

„Ja,“ antworteten die Zwanzig. 

„Gut, ſo kann es beginnen. Die andern bleiben 
hier, bis ich zurückkehre, und haben ſich ganz ruhig zu 
verhalten. Sollte unſer Vorhaben aber mißlingen, ſo 
werde ich einen lauten Pfiff ausſtoßen. In dieſem Falle 
müſſen alle Zurückgebliebenen ſich ſchleunigſt dort auf 
das Lager werfen und den Feldwebel mit ſeinen Leuten 
überwältigen. Jetzt kommt!“ 


Sie brachen auf, Schwarz und der Graue wie bis- 
her an der Spitze. Auch der Slowak ſchloß ſich ihnen an. 
Sie gingen in einem kleinen Bogen auf das erſte Poſten⸗ 
feuer zu und kamen dabei an diejenige Stelle, von wo 
aus der Elefantenjäger mit Joſef Schwarz das Lager 
des Feldwebels beobachtet hatte. Dort waren ſie nur 
noch dreißig Schritte von dem Feuer entfernt, das, wie 
auch die übrigen neun, bei weitem nicht die Größe der 


— 471 — 


beiden hatte, die dort links im Lager brannten. Sein 
Schein drang alſo gar nicht weit in die Nacht hinaus. 

Schwarz befahl den Leuten, mit Pfotenhauer hier 
zurückzubleiben, und ſchlich ſich mit zwei Aſakern und 
dem Unteroffizier näher. Nachdem ſie die Hälfte der ge⸗ 
ringen Entfernung zurückgelegt hatten, legte er ſich mit 
den beiden auf die Erde nieder; der Onbaſchi aber ſollte 
noch einige Schritte weiter gehen. 

„Weißt du ſeinen Namen?“ fragte Schwarz leiſe, 
indem er auf den Poſten deutete, der regungslos am 
Feuer ſaß. 

„Ja,“ antwortete der Unteroffizier. „Er heißt 
Salef und iſt einer meiner beſten Kameraden geweſen.“ 

„So machl Aber ſtelle dich, wenn du mit ihm 
ſprichſt, mit dem Rücken gegen das Feuer, damit er mir 
den ſeinigen zukehren muß!“ 

Der Onbaſchi tat noch fünf oder ſechs Schritte und 
blieb dann ſtehen. Er war zehn Schritte von dem Feuer 
entfernt, deſſen Schein die Dunkelheit der Stelle, wo er 
ſtand, kaum durchdrang. „Salef!“ rief er mit unter⸗ 
drückter Stimme. 

Der Poſten horchte auf. 

„Salef!“ wiederholte der Onbaſchi. 

Der Poſten blickte nach rechts hinüber zum nächſten 
Feuer. Er glaubte, von dorther gerufen worden zu ſein. 
Dieſes Feuer war vielleicht ſiebzig Schritte entfernt, 
und man konnte nicht einmal die Geſtalt des dort be⸗ 
findlichen Wächters ſehen. 

„Salef!“ rief der Onbaſchi zum drittenmal, diesmal 
mit etwas lauterer Stimme. 

Jetzt merkte der Poſten, woher der Ruf kam. Er 
ſtand ſchnell auf, blickte ſich um, ergriff ſein Gewehr und 
fragte: „Wer iſt da?“ 


— 472 — 


„Ich. Kennſt du mich denn nicht mehr?“ 

Der Poſten ſah einen Mann ſtehen, konnte aber 
ſeine Geſichtszüge nicht unterſcheiden. Die Geſtalt kam 
ihm bekannt vor, ebenſo die Kleidung. Das beruhigte ihn. 

„Sag deinen Namen und komm näher!” 

„Ich darf nicht.“ 

„Warum?“ 

„Weil man mich ſonſt ſehen könnte. Dein Feuer iſt 
gu hell. Komm her zu mir!“ 

Der Poſten machte eine Bewegung der Ueber⸗ 
raſchung und ſagte: „Allah ſchütze mich! Stehen die 
Toten auf? Biſt du es wirklich, Onbaſchi?“ 

„Ja, ich bin es.“ 

„Oder iſt's dein Geſpenſt!“ 

„Nein; ich ſelber. Fürchte dich nicht!“ 

„Aber du biſt doch tot, ertrunken im Fluß und ge⸗ 
freſſen von den Krokodilen!“ 

„Fällt mir gar nicht ein! Ich bin mit Abſicht in 
den Fluß gefallen. Jetzt habe ich dir etwas zu ſagen, 
was für dich ſehr wichtig und vorteilhaft iſt. Aber wenn 
ich zu dir an das Feuer komme, könnte mich der andre 
Poſten ſehen.“ 

O, ihr Propheten und Kalifen! Es geſchehen noch 
Zeichen und Wunder! Der Onbaſchi lebt; er iſt nicht 
geſtorben!“ 

„Schrei nicht ſo! Es iſt nicht nötig, daß man hört, 
daß du mit jemand ſprichſt!“ 

Der Mann kam langſam und zögernd näher. Er 
traute doch nicht recht. Er war abergläubiſch und hatte 
große Angſt vor Geiſtern und Geſpenſtern. Er betrach- 
tete den Onbaſchi, ergriff ihn am Arm, drehte ihn 
herum, ſo daß er ſelbſt mit dem Rücken gegen Schwarz 
zu ſtehen kam, und ſagte dann aufatmend: „Allah ſei 


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Dank! Es iſt kein Geſpenſt, ſondern du biſt es wirklich! 
Aber, Mann, ſage mir doch, weshalb du ins Waſſer ge⸗ 
ſprungen biſt!“ 

„Aus Klugheit. Ich wollte fort von hier.“ 

„Fort von uns, die wir herrlich und in Freuden 
leben? Das nennſt du Klugheit? Sind dir denn deine 
Gedanken — —?” 

Er konnte nicht weiterſprechen, denn die Hände des 
Deutſchen legten ſich in dieſem Augenblick ſo feſt um 
ſeinen Hals, daß ihm der Atem verging; das Gewehr 
entfiel ihm. 

„Binden!“ raunte Schwarz den darauf wartenden 
Aſakern zu, indem er den Ueberraſchten noch weiter vom 
Feuer weg in die Dunkelheit hineinzog. 

Sie kamen herbei und feſſelten den Mann, der dann 
niedergelegt wurde. Nun erſt nahm ihm Schwarz die 
Hände vom Halſe, zog ſein Meſſer, beugte ſich über ihn, 
ſetzte ihm deſſen Spitze auf die nackte, unbekleidete Bruſt 
und drohte: „Sag kein lautes Wort, ſonſt erſteche ich dich!“ 

„Allah — — Allah — —“ hauchte der Gefangene, 
nach Atem ſchnappend. 

„Beruhige dich!“ antwortete Schwarz. „Ich be⸗ 
abſichtige nicht, dir Böſes zu tun. Gehorchſt du meinem 
Befehl, ſtill zu ſein und nicht zu rufen, ſo wird dir nichts 
geſchehen. Erhebſt du aber deine Stimme auch nur ſo 
laut, daß ſie an deinem eigenen Feuer gehört werden 
kann, ſo wird der Mann, den ich hier laſſe, dir das 
Meſſer augenblicklich in das Herz ſtoßen. Das merke dir!“ 

„Wer biſt du denn, und was wollt ihr hier?“ 

„Das geht dich nichts an. Alſo, wirſt du ſchweigen, 
oder ſoll ich dir etwa einen Knebel in den Mund ſtopfen?“ 

„Nein, nein, da könnte ich erſticken! Ich ſchweige: 
ich ſage kein Wort, keine einzige Silbe!” 


— 474 — 


„Das rate ich dir, dein Leben hängt an einem dün⸗ 
nen Haar!“ j 

Nun ſetzte ſich ein Aſaker an das Feuer, ganz fo, 
wie vorhin der Poſten daran geſeſſen hatte. Ein zweiter 
Soldat kauerte ſich bei dem im Dunkeln liegenden Ge⸗ 
fangenen nieder und zog ſein Meſſer, um es zum töd⸗ 
lichen Stoß bereit zu halten. Ihm ſagte Schwarz: 
„Schicke ich dann den Baten, ſo löſeſt du ihm die Feſſeln 
von den Füßen, daß er gehen kann, und bringſt ihn zu 
mir. Aber an den Händen bleibt er gebunden, damit er 
dir nicht entkommen kann. Jetzt weiter!“ 

Nun kam Pfotenhauer mit den übrigen herbei und 
ſagte leiſe: „Das haben S' gut g'macht! Wann's bei den 
andern ebenſo g'lingt, ſo können wir zufrieden ſein!“ 

Da antwortete der „Vater der elf Haare“ leiſe, aber 
in hörbar wegwerfendem Ton: „Hatt Sie dachte, daß es 
nicht kann gelungte? Herr Doktor Schwarz hatt beweiſte 
ſchon bei Gelegenheit, öfteren, daß er gekonnte an⸗ 


ſchleichte alle Feinde, ſeinige und unſrige mit Sicherheit, 


vornehmer und tadelloſer.“ 
„ Vornehmer Sicherheit! Auch nit übel!“ brummte 
der Graue. 

„Still!“ bat Schwarz. „Nicht etwa gar jetzt zanken!“ 

„Fällt mir gar nit ein!“ antwortete Pfotenhauer. 

Der Onbaſchi wollte auf das wohlverdiente Lob 
nicht verzichten und fragte: „Wie habe ich meine Sache 
gemacht, Effendi? Biſt du mit mir zufrieden?“ 

„Sehr! Wenn du bei den andern Neun mit derſel⸗ 
ben Vorſicht und Klugheit verfährſt, ſo ſollſt du eine 
Belohnung von mir bekommen.“ | 

„Ich werde fie mir verdienen; dieſe Verſicherung 
gebe ich dir! Da ſind wir ſchon beim zweiten Feuer.“ 

„Kennſt du den Namen auch dieſes Mannes?“ 


— 475 — 


„Ich kenne ſie alle, wie ich dir bereits geſagt habe. 
Dieſer Poſten wird noch viel mehr erſtaunt ſein als der 
vorige, denn er ſtand dabei, als ich mich in das Waſſer 
fallen ließ.“ 

„So wird er umſo leichter überraſcht werden. Alſo 
hin zu ihm!“ 

Dieſer zweite Wächter wurde auch unſchädlich ge⸗ 
macht, und nach ihm auch die weiteren acht. Der On⸗ 
baſchi fand ſich außerordentlich gut in ſeine Rolle; er 
bediente ſich ſtets derſelben Worte, die kein einziges Mal 
ihre Wirkung verſagten. 

Als man mit dem letzten Poſten fertig war, kehrten 
die vier, nämlich Schwarz, Pfotenhauer, der Kleine und 
der Onbaſchi auf demſelben Weg, den ſie jetzt gemacht 
hatten, zu den auf ſie Wartenden zurück. Bei dieſer 
Gelegenheit überzeugten ſie ſich davon, daß an den 
Wachtfeuern alles in Ordnung war. 

An der Stelle, wo die Aſaker in tiefſter Stille ge⸗ 
harrt hatten, angekommen, ſagte Schwarz zu dem 
Grauen: „Sie werden hier bei den Leuten bleiben; ich 
aber ſchleiche mich nach dem Lager, um es in Augen⸗ 
ſchein zu nehmen.“ 

„Iſt das notwendig?“ fragte Pfotenhauer. „J tät 
gar nit viel Umſtänd' mit den paar Kerlen machen und 
gleich über ſie herfallen.“ 

„Von Ihrem Standpunkt aus haben Sie recht. 
Aber wenn ich mich vorher anſchleiche, bekomme ich 
wahrſcheinlich manches zu hören, was uns von Vor⸗ 
teil iſt.“ 

„Aber Sie begeben ſich in G'fahr!“ 

„O nein! Ich verſtehe mich darauf, an jemand zu 
kommen, ohne daß er es bemerkt. Komme ich aber ja in 
Not, ſo werde ich ſchießen. In dieſem Falle eilen Sie 


— 476 — 


mir ſofort mit allen Leuten zu Hilfe. Solange ich dieſes 
Zeichen nicht gebe, befinde ich mich in vollkommener 
Sicherheit. Sie brauchen alſo keine Sorge um mich zu 
haben, wenn ich längere Zeit fortbleibe.“ 

Er ging. Pfotenhauer blickte ihm nach, bis er ihn 
nicht mehr ſehen konnte, und räufperte ſich dann un» 
willig. „Haltet euch bereit,“ ſagte er zu den Aſakern. 
„Ihr habt gehört, was der Effendi ſagte. Sobald er 
ſchießt, ſpringen wir nach dem Lager. Es iſt tollkühn, 
ſich ganz allein in eine Gefahr zu begeben, die man ſo 
leicht umgehen kann!“ | 

Dieſe Worte ärgerten den „Vater der elf Haare“. 
Er durfte nicht dulden, daß das Verhalten feines gelieb— 
ten Herrn getadelt wurde; aber er wollte dem Tadler 
auch nicht vor den Soldaten entgegentreten, darum ſagte 
er in deutſcher Sprache, die nicht von ihnen verſtanden 
wurde: „Was Herrrrr Doktor Schwarz hatt gemachte, 
ſeinte ganz gut und richtig!“ 

„So!“ brummte der Graue. „Was verſteht aan 
Dſchelab davon!“ 

„Ich verſtante gar wohl davon! Ich ſein geweſte 
Zeit, ſehr lange, bei Effendi, doktorigen, und hab' lernen 
kennte Perſon, ſeinige, ſehr genau. Was er hatt gemachte, 
das hatt er gemachte ſtets richtig.“ 


Der Graue nahm dieſe Belehrung oder Zurecht⸗ 
weiſung ruhig hin. Er wollte jetzt, wo es galt, ſtill und 
vorſichtig zu ſein, allen Zwiſt vermeiden. Der Kleine 
wandte ſich ſtolz, keine Entgegnung gefunden zu haben, 
den Aſakern zu und erzählte ihnen, auf welche Weiſe die 
Poſten überrumpelt worden ſeien. Er wollte dabei ſeine 
Perſon in den Vordergrund ſtellen, wurde aber von dem 
Vater des Gelächters“ zurückgewieſen, indem ihm dieſer 


— 477 — 


erklärte: „Was du uns da erzählſt, das haben wir ſchon 
gewußt.“ 

„So? Warſt du denn dabei?“ 

„Nein. Aber der Effendi erklärte vorhin doch, wie 
es gemacht werden ſolle, und da es genau ſo geſchehen 
iſt, ſo brauchſt du es uns nicht zu erzählen.“ 

„Aber weißt du denn, wie ich mich dabei verhalten 
habe?“ | 

„Ja. Du haſt gar nichts getan, ſondern nur zuge⸗ 
ſehen. Oder willſt du etwa von Heldentaten ſprechen, die 
du gar nicht getan haſt?“ | 

„Schweig! Du warſt nicht dabei und kannſt alſo 
unmöglich wiſſen, welche Verdienſte ich mir errungen 
habe. Willſt du etwa behaupten, daß ich ein unbrauch⸗ 
barer Menſch bin?“ 

„Nein, denn jeder Menſch, ſelbſt der allerdümmſte, 
tft zu etwas nützel“ 

„Oho!“ ſtieß der Kleine zornig hervor. „Kommſt 
du mir fo? Nennſt du mich den allerdümmſten Memn⸗ 
ſchen? So wiſſe denn, daß ich ſämtliche Wiſſenſchaften 
ftudiert habe und auswendig kann! Was aber haſt du 
gelernt? Nichts, gar nichts!“ 

„Laß mich in Ruhe mit deinen Wiſſenſchaften! Wir 
wiſſen ſehr genau, was wir davon zu halten haben. Ich 
bin dir da weit überlegen, denn ich kenne alle Völker und 
Dörfer, alle Länder und Einwohner des Erdkreiſes.“ 

„Das machſt du mir nicht weis!“ 

„Ich habe es bewieſen auf der Seribah Madunga, 
wo du meine Fragen nicht beantworten konnteſt.“ 

„Und du ebenſowenig die meinigen, du dreimaliger 
und zehnmaliger „Vater des Gelächters und der Lächer⸗ 
lichkeit!“ 

„Schimpfe nicht! Wie lautet denn dein Name? 


— 478 — 


Vater der elf Haare‘, rechts ſechs und links fünf kleine 
Borſten!“ 

„Was meinen Namen betrifft, ſo brauche ich mich 
feiner nicht zu ſchämen. Man nennt mich Abu el buz, 
Vater des Maules“, weil die vordere Hälfte des Löwen 
mein Eigentum geworden iſt. Du aber haſt dich mit der 
hinteren zufrieden geben müſſen, du armer Vater des 
Schwanzes‘!” | 

„Weil das Los fo gefallen iſt. Wie lautet denn dein 
eigentlicher Name, den du in deiner Heimat trägſt? Ich 
habe ihn mir gemerkt. Uszkar Iſtvan heißt er. Wer 
einen ſo kurzen Namen trägt, kann kein berühmter 
Mann fein. Höre dagegen den meinigen! Ich bin Hadſchi 
Ali Ben Hadſchi Ishak al Fareſi Ibn Otaiba Abu. 
l'Oſcher Ben Hadſchi Marwan Omar el Gandeſi Hafid 
Jacub Abd' Allah el Sandſchaki!“ 

„Um Allahs willen, halt ein!“ rief der Kleine. „Du 
ziehſt dieſen ewig langen Namen ja aus dem Munde, 
wie der Effendi heute den Wurm aus der Beule des 
Abaka⸗Negers gewickelt hat!“ 

„Willſt du wohl ſchweigen!“ fuhr ihn der Graue an. 
„Du ſchreiſt ja, daß man es dort beim Feuer hören muß. 
Willſt du, daß man auf uns aufmerkſam wird und der 
Effendi deinetwegen in Gefahr gerät!“ 

Das half. Der Kleine war ſtill; aber nach einer 
Weile trat er nahe an den „Vater des Gelächters“ heran 
und fragte ihn leiſe: „Aergerſt du dich, Hadſchi Ali?“ 

„Ja,“ antwortete dieſer. „Du dich aber wohl auch?“ 

„Natürlich!“ 

„Wer iſt ſchuld daran?“ 

„Ich!“ 

„Nein, ich!“ 

„Alſo alle beide?“ 


— 479 — 


„Ja. Darum iſt der eine gerade ſo viel wert wie 
der andre. Verzeihſt du mir?“ 

„Ja. Und du mir auch?“ | 

„Ganz gern. Gib mir deine Hand! Wir wollen uns 
nicht wieder zanken.“ 

„Nein. Wenigſtens heute nicht mehr. Das ver⸗ 
ſpreche ich dir!“ 5 f 

Indeſſen hatte Schwarz die Nähe des Lagers er⸗ 
reicht. Dieſes befand ſich an einer Stelle des Ufers, wo 
die Büſche aus der Ebene unter die Bäume zurück⸗ 
gewichen waren, ein Umſtand, der dem Deutſchen ſehr 
lieb ſein mußte. Die nackten Baumſtämme allein hätten 
ihm kein vollſtändig ſicheres Verſteck geboten. Da ſich 
aber das Geſträuch zwiſchen ihnen befand, ſo konnte er 
ſich hinter und in dieſem leichter nähern. 

Die Sklavenjäger ſaßen zwiſchen den beiden Feuern, 
ſo daß ſie von den hier am Waſſer ſehr zahlreichen Stech⸗ 
fliegen weniger beläſtigt werden konnten. Ueber der 
einen Flamme hing ein tönernes Gefäß, worin Fiſche 
geſotten wurden, die man in der Maijeh gefangen hatte. 
Die mitgenommenen Sklavinnen rieben Durrah zu 
Mehl und buken am andern Feuer die bekannten Fladen. 

Die Männer hatten alle ihre Pfeifen im Munde. 
Der Vorrat des aus der Seribah entführten Tabaks war 
ein ſo bedeutender, daß die Abtrünnigen vom Morgen 
bis zum Abend rauchen konnten. Jenſeits der Feuer 
lag das Gepäck unter den Bäumen; ob es viel oder 
wenig war, konnte Schwarz nicht ſehen. Er kroch auf 
Händen und Füßen näher und immer näher, bis er zwei 
Büſche erreichte, die ſich kaum fünf Schritte weit von 
dem erſten Feuer befanden. Sie ſtanden nahe beiſam⸗ 
men. Unter und zwiſchen ihnen war Raum für einen 
Menſchen. Der Deutſche ſchob ſich langſam und vorſich⸗ 


— 480 — 
tig hinein und zog dann feinen Körper möglichſt zu 


ſammen, um wenig Raum einzunehmen. 

Er konnte nun den Kreis der Männer überblicken. 
Sie mußten wohl alle anweſend fein, denn er zählte ein» 
undvierzig. Der erſte Blick gleich zeigte, welcher vdn 
ihnen der Feldwebel war. Er ſaß dem Lauſcher nahe 
und führte das Wort. Schwarz konnte alles hören. 

„Es tut mir leid,” ſagte der Alte ſoeben, „daß er 
ertrunken iſt; aber ſchade iſt es eigentlich nicht um ihn. 
Allah hat es gewollt, und ſo iſt es das beſte geweſen. 
Dieſer Onbaſchi war uns nicht ſicher genug. Er haßte 
Abd el Mot, aber er hing zu ſehr an Abu el Mot. Wir 
konnten uns nicht auf ihn verlaſſen. Ich hatte ihn ſtets 
im Verdacht, daß er uns entlaufen werde, um uns zu 
verraten.“ 

„Das konnte er gar nicht wagen,“ bemerkte einer. 

„Warum nicht?“ 

„Weil Abu el Mot ihm ſofort als Verräter eine 
Kugel gegeben hätte.“ 

„Das glaube ja nicht! Er hätte ihn begnadigt. Es 
verſteht ſich ja ganz von ſelbſt, daß der Onbaſchi die 
Sache ſo dargeſtellt hätte, daß auf ihn gar keine oder nur 
ſehr wenig Schuld gefallen wäre. Wehe aber dann uns! 
Fielen wir infolge eines ſolchen Verrats Abu el Mot in 
die Hände, fo würde er ſich alle möglichen Qualen aus 
denken, um ſie uns erleiden zu laſſen.“ 

„Das iſt wahr. Und darum ſollten wir nicht hier 
liegen bleiben!“ 

„O, wir ſind hier ganz ſicher!“ 

„Das glaube ich nicht. Wenn der Herr nach der 
Seribah kommt und ſie verwüſtet findet, ſo geht er zu 
den Dſchur, von denen er alles erfährt. Dann kommt er 


— 481 — 


uns mit den Nuehr, die er anweroen wollte, nach, und 
wir ſind verloren.“ | 

„Ja, wenn! Aber er wird eben jetzt noch nicht 
kommen.“ 

„Weißt du das denn?“ 

„Ich vermute es. Sage mir doch einmal, ob er von 
der Ghaſuah weiß, die Abd el Mot nach Ombula unter⸗ 
nommen hat!“ 

„Kein Wort weiß er. Abd el Mot hat fie auf fein 
Riſiko unternommen.“ 

„Würde dieſer wohl nach Ombula gegangen ſein zu 
einer Zeit, während welcher der Herr zurückkehrt?“ 

„Das iſt nicht wahrſcheinlich.“ 

„Nun, ſo ſage ich euch, Abd el Mot iſt noch nicht 
von Ombula zurück, folglich kehrt auch Abu el Mot noch 
nicht heim. Wir ſind alſo ganz ſicher vor dieſem Vater 
des Todes und können in aller Ruhe und ohne Sorgen 
hier bleiben und die Rückkehr der Ghaſuah erwarten.“ 

„Wenn du dich nur mit dieſer nicht täuſcheſt! Es 
fragt ſich, ob die Kameraden von Abd el Mot zu uns 
überlaufen.“ 

„Sie kommen; darauf könnt ihr euch verlaſſen. Ich 
kenne meine Leute.“ 

„Wollen es hoffen! Ich glaube es auch, da keiner 
von allen dieſen Abd el Mot gern leiden mag. Freilich 
werden wir uns dann vielen und großen Mühen und 
Beſchwerden zu unterziehen haben. Bedenke, daß die 
Ghaſuah eine Menge von Sklaven und Tieren mitbrin⸗ 
gen wird. Dazu die Herden, die wir hier haben. Das 
gibt einen Transport, der ſehr ſchwierig iſt. Wir kom⸗ 
men, wenn wir damit nach Süden wollen, nur höchſt 
langſam fort, und da ſteht zu befürchten, daß Abu el 
Mot uns mit ſeinen Nuehrs einholen wird.“ 

May, Die Sklavenkarawane. 31 


u > 


„Meinſt du, daß ich das nicht en bedacht Habe? 
Aber wenn die Leute der Ghaſuah zu uns übergehen, fo 
ſind wir ſtark genug gegen die Nuehr, obgleich wir ihre 
Zahl nicht kennen. Zweihundert, höchſtens dreihundert 
wird er bringen. Wir aber zählen weit über fünfhun⸗ 
dert Mann. Und was die Tiere betrifft, ſo werden wir 
uns nicht mit ihnen zu ſchleppen brauchen. Wir ver⸗ 
kaufen ſie.“ 

„Das it ſchwierigl“ 

„O nein. Man muß das Geſchäft nur verſtehen. 
Wir vertauſchen ſie gegen Elfenbein.“ 

„Allah! Welch ein Gedanke!“ 

„Gefällt er dir?“ 

„Er iſt koſtbar. Aber die Sache Ba Eile. Wir 
bleiben doch nicht noch wochenlang hier!“ 

Der Feldwebel tat einen tiefen Zug aus der Pfeife 
blies den Rauch von ſich, ſtrich ſich den Bart und ſagte, 
wohlgefällig lächelnd: „Ja, da ſeht ihr wieder einmal, 
was ihr jetzt für einen Anführer habt! Ich ritt geſtern 
hier fort und kehrte erſt heute gegen Abend zurück. Wo 
bin ich wohl geweſen?“ 

„Du haſt es uns ja geſagt: nach Ombula zu, um 
dich heimlich zu unterrichten, wie es dort ſteht.“ 

„Iſt mir nicht eingefallen. Ich war bei den Dor- 
Negern, die faſt einen ganzen Tagesritt entfernt wohnen.“ 

„Wirklich? Wegen des Elfenbeins?“ 

„Ja.“ 

„Das iſt gut, das iſt gut!“ 

Nicht bloß der eine rief dies aus, ſondern es ſtimm⸗ 
ten alle mit ihm ein. Die läſtigen Tiere gegen Elfen⸗ 
bein, das man mit großem Gewinn verkaufen konnte, 
los zu werden, war ihnen allen höchſt willkommen. 

„Die Dor⸗Neger ſind die berühmteſten Elfenbein⸗ 


— 183 — 


händler,“ fuhr der Feldwebel fort. „Ich habe ihre Gru⸗ 
ben geſehen. Sie ſammeln das Bein jahrelang und ver⸗ 
ſtecken es in Gruben, bis ſich eine Gelegenheit bietet, es 
gegen Rinder zu vertauſchen. Dieſe Gruben halten ſie 
geheim, damit ihre Schätze ihnen nicht geſtohlen werden; 
aber als ich ihnen ſagte, was ich wollte, da öffneten ſie 
eine davon, um mir deren Inhalt zu zeigen. Ich ſage 
euch, daß ich mit Staunen dabei ſtand. Und der Preis, 
den ſie forderten, war ſo gering, daß wir ein Geſchäft 
machen werden, wie Abu el Mot noch keins gemacht hat.“ 

„Haſt du denn bereits mit ihnen gehandelt?“ 

„Ich habe ihnen geſagt, wie viele Tiere ſie von uns 
erhalten können, und ſo wollen ſie morgen kommen und 
den Handel abſchließen. Sie bringen viele Laſten Elfen⸗ 
bein mit.“ 

„Morgen alſo? Um welche Zeit?“ 

„Ich ſagte ihnen, daß wir Eile haben. Sie werden 
infolgedeſſen ſchon heute aufbrechen, die ganze Nacht hin⸗ 
durch marſchieren und bereits mit Anbruch des ee 
hier ſein.“ 

„Das iſt — — — —“ 

Der Sprecher wurde unterbrochen. Man vernahm 
den nahenden Hufſchlag eines Pferdes. Eine laute 
Stimme ertönte von dem erſten, nach Süden gelegenen 
Poſtenfeuer herüber, eine andre antwortete. Man hörte 
darauf einen Ausruf der Ueberraſchung, und dann kam 
der Reiter herbei. 
| Die Leute waren aufgefprungen und blidten dem 
Nahenden erwartungsvoll entgegen. Wer mochte es 
ſein? Er kam aus ſüdlicher Richtung, und dort lag Om⸗ 
bula. War er vielleicht ein Bote von Abd el Mot? 

Dieſe Vermutung beſtätigte ſich. Als der Reiter das 
Feuer erreicht hatte und ſie ſein Geſicht ſehen konnten, 


— 484 — 


rief der Feldwebel aus: „Babar, du biſt es? Sei will⸗ 
kommen und ſteige vom Pferd!“ 

Der Angekommene ſprang aus dem Sattel, trat in 
den Kreis ſeiner Kameraden, von deren Abfall er noch 
keine Ahnung hatte, ſah einen nach dem andern erſtaunt 
an und rief: „Bei Allah, ich weiß nicht, ob ich meinen 
Augen trauen darf! Sehe ich denn recht? Ihr hier, die 
ich in der Seribah vermute! Und auch du mit, Jeld⸗ 
webel! Du warſt ja Gefangener!“ 

„Ich bin frei, wie du ſiehſt,“ antwortete dieſer. 

„Wer hat dir denn die Freiheit wiedergegeben? 
Abu el Mot? Iſt er ſchon zurück?“ 

„Davon ſpäter! Jetzt ſage mir erſt einmal, ob die 
Ghaſuah Erfolg gehabt hat.“ 

„Einen ungeheuern. Wir haben wohl an die tau⸗ 
ſend Sklaven.“ 

„Und nun kommt ihr zurück?“ 

„Noch nicht. Das Glück hat Abd el Mot unterneh⸗ 
mend gemacht. Er überfällt noch ein andres Dorf, wo 
er vielleicht ebenſoviele Schwarze fangen wird.“ 

„So iſt er alſo nicht mehr in Ombula?“ 

„Nein. Dieſe Gegend wurde ihm zu unſicher. Man 
kann ſich dort nicht verteidigen, da alles niedergebrannt 
iſt, und doch ſteht zu erwarten, daß die Belanda ſich ver⸗ 
ſammeln werden, um uns unſern Raub wieder abzu⸗ 
jagen. Darum hat er ſeine Aſaker geteilt. Mit drei⸗ 
hundert iſt er weitergezogen, um noch mehr Sklaven zu 
machen, und zweihundert ſind eine Strecke rückwärts 
gegangen, bis an einen Ort, wo man ſich gegen einen 
Ueberfall leicht wehren kann.“ 

„Wo iſt dieſer Ort?“ 

„Einen halben Tagemarſch von hier, un ganz 
ebenfo weit von Ombula. Es iſt ein nicht ganz aus⸗ 


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getrocknetes Regenbett, wo wir auf dem Hinmarſch zwei 
Weiße fingen, die nach Ombula wollten, um den Be⸗ 
landa unſre Ghaſuah zu verraten. Hinter dieſem Regen⸗ 
bett liegt eine Maijeh, und zwiſchen beiden lagern wir.“ 

„Und wo willſt du hin?“ 

„Nach der Seribah zu Abu el Mot.“ 

„Allah! Iſt er zurück?“ 

„Das mußt du doch beſſer wiſſen als ich! Abd el 
Mot meint, daß er nun heimgekehrt ſein müſſe, und 
ſendet mich zu ihm, um ihm zu ſagen, er möge mit den 
Nuehr ſchnell nachkommen, da wir an Zahl zu wenig 
ſind, ſo viele Sklaven zu transportieren und, wenn wir 
angegriffen werden, zugleich auch zu verteidigen.“ 

„Teufel!“ rief der Feldwebel. „Abu el Mot ſchon 
zurück! Wer konnte das denken! Vielleicht iſt er ſchon 
hinter uns her!“ 

„Hinter euch her? Wie habe ich das zu verſtehen? 
Seid ihr denn ohne ſeine Erlaubnis aus der Seribah 


„Iſts möglich? So ſtehen die Tokuls verlaſſen?“ 

„Sie ſtehen nicht verlaſſen, ſondern ſie ſtehen über⸗ 
haupt nicht mehr; ne find verbrannt. 1 

„Verb — — 

Das Wort wollte nicht über ſeine Lippen. Der 
Feldwebel nickte ihm mit einem zweideutigen Lächeln zu 
und fuhr fort: „Die ganze Seribah liegt in Aſche. Setze 
dich mit uns ans Feuer! Ich werde dir m was 

geſchehen iſt.. 

Dies und manches andere hatte Schwarz gehört und 
geſehen; nun aber glaubte er genug zu wiſſen. Er kroch in 
die Büſche zurück und ſchlich ſich davon. Als er bei ſeinen 
Leuten ankam, ſagte Pfotenhauer: „Das war halt eine 


— 486 — 


lange Zeit, die wir auf Sie warten mußten, wohl über 
eine ganze Stund'. Haben S' denn was g'hört?“ 

„Genug, mehr als genug! Mein Bruder iſt ge⸗ 
fangen!“ 

„Tauſend Teuxel! Wiſſen S' das aber auch g'wiß?“ 

„Ja. Einen halben Tagemarſch von hier iſt er mit 
dem Elefantenjäger in die Hände Abd el Mots geraten.“ 
Hund wo iſt er jetzt?“ 

„Das weiß ich nicht. Ich wollte nicht ſo lange war⸗ 
ten, bis alles erzählt war. Aber ich werde es erfahren.“ 

„So machen S' ſchnell! Wir müſſen natürlich. raſch 
aufbrechen, um die beiden herauszuholen.“ 

„Das verſteht ſich ganz von ſelbſt. Aber dieſe Nacht 
müſſen wir noch hier bleiben. Die Ghaſuah iſt gelun⸗ 
gen. Ombula ſteht nicht mehr. Tauſend Sklaven be⸗ 
finden ſich in den Händen Abd el Mots, und er will 
ſogar noch mehr haben!“ 

„So! Das iſt ja ganz entſetzlich! Nun, wir werden 
ihm einen Querſtrich durch die Rechnung machen, der 
ihm gar vielleicht durchs Leben geht. Aber erzählen S' 
deutlicher, was dort an den Feuern g'ſprochen worden 
iſt. Wenn Ihr Bruder, der Sepp, mein Spezial, g'fan⸗ 
gen worden iſt, ſo muß i doch ebenſogut wie Sie der⸗ 
fahren und wiſſen, wie dieſer Abd el Mot das ang'fan⸗ 
gen hat. Nachhero kann man ſich beſſer überlegen, wie 
man ihn wieder herausbekommt.“ 

Schwarz erzählte ihm Wort für Wort, was er ge 
hört hatte. Darüber geriet der Graue in einen fürchter⸗ 
lichen Zorn. Er ſtieß, als Schwarz geendet hatte, mit 
unterdrückter Stimme hervor: „So ſteht's alſo, fo! Den 
Sepp haben ſ' mir wegg'fangen, und wer weiß, was ſie 
mit ihm machen werden! Erfahren haben ſ', daß er die 
Neger hat warnen g'wollt. Alſo werden ſie eine große 


— 487 — 


Rach auf ihn haben und ihn wohl nit wie einen will⸗ 

kommenen Kirmisgaſt b'handeln. Aber i komm', i, der 
Vogelnazi, komm' ſchon hin, und wehe euch, wenn ihr 
ihm aan einzig Haar gekrümmt habt! Jetztund aber 
ſchnell hin ans Feuer, ſonſt müſſen wir g'wärtig ſein, 
daß uns die G'ſchichte gar noch mißrat!“ 

„Das ſteht zwar nicht zu befürchten, aber möglich 
iſt es, daß der Feldwebel jetzt ſchleunigſt eine Beſtim⸗ 
mung trifft, die uns die Sache erſchwert. 

„Welche denn?“ 

„Er weiß nun, daß Abu el Mot wieder zurück it 
Dieſer kann ſich zur Verfolgung ſchon unterwegs befin« 
den, und darum wird der Feldwebel wohl auf den Ge⸗ 
danken kommen, ihm einen Sicherheitspoſten entgegen⸗ 
Juſchicken.“ 

„Na, das wär' auch kein Unglück für uns, denn die⸗ 
ſen Poſten würden wir gleich wegfangen. Aber i mag 
keine Minute länger warten. Wollen machen, daß wir 
an ſie kommen!“ 

„Ja, es iſt Zeit. Wir teilen uns. Achtzig Mann 
haben wir, mit denen wir ſie vollſtändig einſchließen 
müſſen, ſo daß kein einziger entkommen kann. Ich 
nehme davon nur dreißig und führe ſie dahin, wo ich 
jetzt geweſen bin. Wir legen uns zwiſchen das Lager 
und die Maijeh unter die Büſche und Bäume. Sie um _ 
zingeln mit den übrigen fünfzig Mann das Lager nach 
der Ebene hin, indem Sie ſich zwiſchen den zwei Feuern 
und den Tieren, die da rechts lagern, hindurchſchleichen. 
Ihre Leute müſſen eine halbe Kreislinie bilden, die an 
ihren beiden Enden auf die gerade Linie ſtößt, wo meine 
Leute liegen. Iſt das geſchehen, ſo gibt es keine Lücke 
mehr, und wir dringen auf die Kerls ein. Töten wollen 
wir nicht. Wir werfen fie einfach nieder. Der Schreck 


— 488 — 


wird unſer Gehilfe ſein. Nur wenn ſich einer mit der 
Waffe wehrt, wird er getötet.“ 

„Hatten ſie die G'wehr bei ſich?“ 

„Nein; die ſtanden bei dem Gepäck; aber Meſſer 
und Piſtolen gab es in den Gürteln. Die Hauptſache iſt, 
daß wir ſchnell über ſie kommen und ſie gleich erdrücken. 
Was mich betrifft, ſo ſchlage ich diejenigen, die ich er⸗ 
reichen kann, nieder, daß ſie die Beſinnung verlieren und 
leicht gebunden werden können.“ 

„Das iſt das klügſte, was es geben kann. Achtzig 
gegen vierzig? Wann wir ſie ſchonen und nur mit der 
Fauſt niederringen wollen, ſo können uns leicht welche 
entgehen. J ſag' meinen Leuten, daß ſie gar nix fagen, 
gar nit reden ſollen; ſie ſollen ſtill auf ſie eindringen und 
mit den Kolben zuſchlagen. Jeder Hieb einen Mann, 
und zwar auf den Kopf. Nicht wahr?“ 

„Ja, das halte auch ich für das beſte.“ 

„Aber wie derfahr i, wann Sie bereit ſind, oder 
Sie, daß i es bin?“ 

„Wir müſſen uns ein Zeichen geben.“ 

„Gut. Nehmen wir die Stimme eines Vogels! Ken⸗ 
nen S' vielleicht den Abdimiſtorch?“ 

„Ja.“ 

„Wie heißt er lateiniſch?“ 

„Sphenorhynchus Abdimi.“ 

„Richtig! Und arabiſch?“ 

„Simbil oder Simbila.“ 

„Und ſudaneſiſch?“ 

„Schumbriah.“ 

„Sehr gut!“ lob der Graue, der ſelbſt jetzt das 
Examinieren nicht laſſen konnte. „Dieſer Storch läßt, 
wenn er ſchlafen gangen iſt und g'ſtört wird, aan ſchnar⸗ 
rendes Klappern hören. Kennen S' das?“ 


— 489 — 
„Ja.“ 


„Aber nachmachen tönen S' nit?“ 

„Sehr gut ſogar; es iſt nicht ſchwer.“ 

„Gut. Das ſoll das Zeichen ſein. Wer zuerſt fertig 
iſt, der gibt es. Und wann der andre es wiederholt, ſo 
iſt das der Augenblick, wo zug'ſchlagen werden joll: Alſo 
los!“ 

Die achtzig Männer wurden unterrichtet, wie ſie 
ſich zu verhalten hatten, dann gingen ſie in zwei Abtei⸗ 
lungen auseinander. Denen, welche Schwarz anführte, 
war die ſchwierigere Aufgabe zugefallen. Sie hatten ſich 
in das Gebüſch zu ſchleichen und dort feſtzuſetzen, wobei 
jedes Geräuſch vermieden werden mußte. Dabei war 
Schwarz gezwungen, jedem ſeine Stelle anzuweiſen, was 
Zeit erforderte. Hie und da ſtieß einer gegen die Zweige, 
daß ſie raſchelten. Glücklicherweiſe war das Geſpräch, 
das jetzt am Feuer geführt wurde, ein ſo lautes, daß die⸗ 
ſes Raſcheln vom Feinde nicht bemerkt wurde. 

Schwarz ſelbſt poſtierte ſich in die Mitte ſeiner Auf⸗ 
ſtellung, gerade hinter dem Feldwebel, den ſein erſter 
Hieb treffen ſollte. Die Hauptperſon aber für ihn war 
Babar, der Bote Abd el Mots. Von dieſem allein konnte 
er erfahren, was er wiſſen wollte und wiſſen mußte; 
darum richtete er auf ihn ſein Hauptaugenmerk. 

Eben hatte er ſich niedergekauert, als der Graue 
das verabredete Zeichen ertönen ließ. Zu gleicher Zeit 
hörte er, daß der Feldwebel den Boten fragte: „Nun ſei 
klug und wähle! Ich habe dir alles erklärt und aus⸗ 
einandergeſetzt. Zu wem willſt du halten, zu mir oder 
zu Abu el Mot?“ 

„Zu dir natürlich,“ erklärte Babar. „Bei dir wird 
es ein ganz andres Leben geben als bei ihm, und ich 
ſage dir, daß die meiſten von uns, wenn ſie kommen, ſich 


— 490 — 


auf deine Seite ſtellen werden. Freilich iſt's ein Wag⸗ 
nis. Wenn Abu el Mot kommt, ſind wir verloren.“ 

„Noch nicht. Ich fürchte mich nicht.“ 

„Bedenke, fünfzig ſind wir; er aber bringt einige 
Hundert mit!“ 

„Wir werden mehr als fünfzig ſein. Wie die 
Sachen ſtehen, muß ich meinen Plan ändern. Ich darf 
nicht hier liegen bleiben und mich von Abu el Mot ab⸗ 
würgen laſſen. Morgen mit dem Früheſten kommen die 
Dor mit dem Elfenbein. Ich ſchließe den Handel ſo raſch 
wie möglich ab, und dann brechen wir nach Ombula auf. 
Wenn ich die Fahne der Empörung entfalte, fallen mir 
alle Kameraden zu, und dann mag Abu el Mot kommen. 
Ich gebe ihm eine Kugel, und damit hat eine Herr⸗ 
ſchaft ein Ende.“ 

„Und die deinige beginnt!“ ſtimmte der Bote bei. 

Er ſollte nicht recht behalten, denn gerade jetzt wurde 
dafür geſorgt, daß die Herrſchaft des Feldwebels gar 
nicht beginnen ſollte. Schwarz gab das Zeichen, ſprang 
vor und ſchlug den Alten mit ſolcher Macht gegen die 
Schläfe, daß er lautlos zur Seite fiel und da wie tot 
liegen blieb. Im nächſten Augenblick ſchmetterte ſeine 
Fauſt den Boten nieder. 

Das geſchah ſo ſchnell, daß die Sklavenjäger gar 
nicht Zeit fanden, eine abwehrende Bewegung zu 
machen. Sie ſaßen auch dann noch vor Schreck lautlos 
da, als die Angreifer von allen Seiten über ſie herfielen. 
Erſt als die meiſten von ihnen niedergeſchlagen waren, 
erhoben die andern ihre Stimmen und verſuchten, ſich zu 
wehren, doch ohne den geringſten Erfolg. 

Das war ein ganz eigenartiger Kampf, wie ihn der 
mehr als lebhafte Sudaneſe, der nichts ohne Geſchrei 
tun kann, eigentlich gar nicht kennt. Die Angreifenden 


— 491 — 


kamen ihrer Weiſung wörtlich nach. Keiner von ihnen 
ſprach ein Wort; ſie ſchlugen mit den Kolben zu, und 
faſt jeder Hieb fällte ſeinen Mann. Die wenigen, welche 
die gegen ſie gerichteten Schläge mit den Armen auf⸗ 
gefangen hatten, baten um Gnade. Sie ſahen ein, daß 
Widerſtand vergeblich ſein werde. 

Jeder Aſaker hatte ſich mit einem Strick, einer 
Schnur oder etwas Aehnlichem verſehen, und noch keine 
Viertelſtunde, nachdem Schwarz das Zeichen des Grauen 
erwidert hatte, lag die ganze Mannſchaft des Feldwebels, 
und auch er ſelbſt, gefeſſelt da. | 

Es läßt ſich denken, welche Augen er machte, als er 
aus ſeiner Ohnmacht erwachte. Er wollte ſich mit der 
Hand an die Stelle langen, wo ihn die Fauſt des Deut⸗ 
ſchen getroffen hatte; aber er konnte nicht, denn er war 
gefeſſelt. Er riß die Augen auf und blickte im Kreiſe um⸗ 
her. Da ſah er die Seinen gebunden und rundum ſtan⸗ 
den die Geſtalten der Aſaker, ſtumm und die Hände auf 
ihre Gewehre geſtützt. Sein Auge fiel auf Schwarz und 
Pfotenhauer; er ſagte noch immer nichts; auch kein 
andrer ſprach. Dann traf fein Blick einen — — 

„Allah ia ſillib — Gott allmächtiger!“ ſchrie er auf, 
indem er ſich vor Entſetzen aufbäumen wollte, aber nicht 
konnte. „Herr, ſchütze mich vor dem neunundneunzig⸗ 
mal geſteinigten Teufel! Wandeln die abgeſchiedenen 
Geiſter auf der Erde umher?“ 

Der Onbaſchi war es, den er ſah. Dieſer antwor⸗ 
tete: „Ja, ſie wandeln. Es find die Dſchinn el intikam')), 
welche den Wortbrüchigen verfolgen. Du verführteſt 
mich, indem du ſagteſt, daß ich mit dir gebieten ſolle. Du 
hielteſt nicht Wort und wollteſt mir befehlen. Nun er⸗ 
eilt dich die Strafe.“ 

y Geiſter der Rache. 


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Der Alte antwortete nicht. Er ſtarrte den Unter⸗ 
offizier noch immer mit einem faſt ſeelenloſen Blick an. 
Dieſer fuhr fort: „Ich ſprang mit Abſicht in das Waſſer 
und ſchwamm darunter fort, um Abu el Mot zu holen. 
Allah hat es anders gefügt. Ihr ſeid nun nicht in ſeine 
Hände gefallen, ſondern ihr ſeid die Gefangenen dieſer 
beiden Effendina, in deren Hände euer Leben gegeben iſt.“ 

„Er lebt! Er iſt nicht tot!“ ſtieß der Feldwebel jetzt 
hervor. „Er iſt nicht ertrunken, ſondern — — — er iſt 
ein Verräter! Allah verbrenne ihn! Wer aber ſind die 
Männer, die es gewagt haben, uns zu überfallen, ohne 
daß wir fie beleidigt haben. Bindet uns augen⸗ 
blicklich los!“ 

Dieſe Worte waren an Schwarz gerichtet. „Nur Ge⸗ 
duld!“ antwortete dieſer. „Du wirſt deine Feſſeln nicht 
immer tragen.“ 

„Nicht eine Stunde, nicht eine Minute, nicht einen 
Augenblick länger will ich ſie tragen! Mache mich frei, 
ſonſt biſt du verloren! Du weißt nicht, daß wir uns nicht 
allein hier befinden. Wir haben noch mehr Krieger da!“ 

„Du meinſt da draußen die zehn Wächter? Die 
liegen ſeit faſt zwei Stunden bei ihren Feuern, ebenſo 
gefeſſelt wie du. Der Mann, welcher Babar hereinge⸗ 
laſſen hat, war einer meiner Leute, nicht aber ein Ka⸗ 
merad von euch.“ 

„Woher kennſt du meinen Namen?“ fragte der Bote. 

„Ich kenne ihn; das iſt genug. Und nun hört, was 
ich euch ſagen werde!“ 

Er ſetzte ſich vor dem Feldwebel und Babar nieder 
und fuhr fort: „Ihr habt euch gegen Abu el Mot empört; 
aber ihr ſeid nicht aus dieſem Grunde gefangen genom⸗ 
men worden. Auch ich bin ſein Feind und derjenige von 
Abd el Mot. Ich überfiel euch nur darum, weil ihr zu 


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ihm gehört habt. Ob ich euch die Freiheit wiedergebe, das 
kommt auf euch an. Euer Leben liegt in meiner Hand.“ 

„Effendi, wer biſt du?“ fragte der Feldwebel. 

„Das brauchſt du in dieſem Augenblick nicht zu er» 
fahren. Ich will dir ſagen, daß Abu el Mot zurück iſt. 
Er kam mit dreihundert Nuehr. Ich überfiel und be⸗ 
ſiegte ihn, und nun befindet er ſich auf der Flucht nach 
Ombula. Ich werde ihn auch dort überfallen und — —“ 

„Laß uns frei! Wir helfen dir!“ rief der Feldwebel. 

„Ich bedarf eurer Hilfe nicht. Ihr habt euch gegen 
euren Herrn empört und ihm euer Wort gebrochen; ich 
kann euch nicht gebrauchen. Euer Handwerk iſt ein Ver⸗ 
brechen, und Abu el Mot iſt ein großer Sünder. Den⸗ 
noch ſeid ihr Meineidige gegen ihn, und ich mag nichts 
mit euch zu ſchaffen haben. Ihr habt alle den Tod ver⸗ 
dient; aber ob ich euch richte oder euch euerem Gewiſſen 
überlaſſe, das ſoll dieſer Mann entſcheiden.“ 

Er deutete auf den Boten. 

„Ich, Effendi?“ fragte dieſer. 

„Ja, du. Auf dich allein ſoll es ankommen, ob ich 
euch begnadige oder nicht.“ 

„Was ſoll ich tun?“ 

„Mir aufrichtig antworten“ 

„Frage mich! Wenn ich kann, werde ich dir alles 
ſagen, was ich weiß.“ 

„Du kannſt, wenn du nur willſt. Ihr habt eine 
halbe Tagereiſe von hier zwei weiße Gefangene gemacht?“ 

„Ja.“ 

„Sag vor allen Dingen, leben ſie noch?“ 

„Ja. Sie ſind fes und wohl, aber Abd el Mot 
will ſie töten.“ 

„Wann?“ 

„Wenn er in die Seribah zurückgekehrt iſt.“ 


— 494 — 


„Gott ſei Dank! So iſt es alſo noch nicht zu ſpät! 
Wer ſind dieſe Männer.“ 

„Der eine iſt ein fremder Effendi, ein Giaur, deſſen 
Geſicht dem deinigen ähnlich iſt, und der zweite iſt ein 
Emir, ein Araber.“ 

„Kennſt du ſeinen Namen?“ 

„Abd el Mot nannte dieſen, als er ihn an der Mai⸗ 
jeh zuerſt erblickte, dann aber nicht wieder. Er hieß ihn 
Emir von Kenadem, Barak el Kaſi.“ 

Da ertönte ein lauter Schrei. Derſelbe kam von 
den Lippen des „Sohnes des Geheimniſſes“. Dieſer 
ſprang hervor, auf Babar zu und rief, indem ſich in 
ſeiner Haltung, ſeiner Stimme und auf ſeinem Geſicht 
die größte Erregung ausſprach: „Wie war das? Welche 
Namen ſagteſt du?“ 

„Emir von Kenadem.“ 

„Ke— nabe dem! Kenadem!“ wiederholte er erſt 
langſam und dann ſchnell. Auf ſeinen Wangen kam und 
ging die Röte, und ſein Atem flog, als er fortfuhr: „Ke⸗ 
nadem! O, mein Kopf, mein Gedächtnis, meine Er⸗ 
ınnerung! Allah, Allah! Kenadem, Kenadem! Welch ein 
ſüßes, welch ein herrliches Wort! Ich kannte es; es lag 
in mir begraben, nein, nicht begraben, ſondern es ſchlief 
nur und brauchte bloß aufgeweckt zu werden! Aber ich 
fand keinen Menſchen, der es nannte, der es ausſprach. 
Kenadem, ſo hieß meine Heimat, ſo hieß der Ort, wo 
meine Eltern wohnten! Kenadem, Kenadem! Wo liegt 
es? Wer weiß, wo es liegt?“ 

Er ſah ſich im Kreiſe um, mit einem Blick, einem 
Geſichtsausdruck, als ob von der Antwort fein Leben ab» 
hängig ſei. 

„Es liegt in Dar Runge,“ antwortete Schwarz. 
„Südlich vom See Rahat Geraſi.“ 


195 


„Kennſt du es, Effendi, biſt du dort geweſen?“ 

„Nein; aber ich habe dieſen Namen in Büchern ge⸗ 
leſen und auf Karten gefunden.“ 

„In Büchern und auf Karten! Allah, o Allah! 
Iſt's wahr? Iſt's möglich? O, Herr, o, Effendi, wie 
glücklich machſt du mich durch dieſe Worte!“ Nun wen⸗ 
dete er ſich wieder an Babar: „Und welchen Namen 
führte der Emir?“ 

„Barak el Kaſi.“ 

„Ba—rak—el—Ka—ſi— —“ wiederholte Abd es 
Sirr, indem er die Hand an die Stirn legte, als ob er 
dort eine Erinnerung herauspreſſen wolle. Dann zuckte 
er zuſammen und rief aus: „Ich hab' es; ich weiß es! 
Ja, ja, fo iſt es. Barak el Kaſi), jo wurde mein Vater 
genannt. Wenn er einen Untertan beſtrafen oder einen 
Sklaven peitſchen ließ, ſo ſtand er finſtern Angeſichts da⸗ 
bei und fagte: „Ihr nennt mich Barak el Kaſi, nun wohl, 
fo will ich es auch fein!“ Darum haßte ich dieſen Namen, 
und meine Mutter erbleichte, wenn ſie ihn hörte. Und 
der Mann, den Abd el Mot gefangen hält, iſt Barak el 
Kaſi, der Emir von Kenadem?“ 

„Ja.“ 

„Mein Vater, mein Vater! Ich muß zu dir, zu dir! 
Effendi, laß uns aufbrechen! Ich muß augenblicklich 
fort, um ihn aus den Händen feines Peinigers zu be⸗ 
freien!“ 

„Komm zu dir! Beherrſche dich, Abd es Sirr!“ bat 
der Deutſche. „Gedulde dich bis zum Morgen; dann 
brechen wir auf.“ 

„Bis zum Morgen! Welch eine Ewigkeit! Aber du 
haſt recht, Effendi; mein Herz will fort, aber mein Kopf 
rät mir Geduld. Und wie haſt du mich ſoeben genannt? 

N Barak der Strenge. 


— 496 — 


Abd es Sirr, Diener oder ‚Sohn des Geheimniſſes! So 
hieß ich viele Jahre lang; aber nun werfe ich dieſen 
Namen von mir; denn von jetzt an iſt er eine Lüge. Das 
Geheimnis iſt jetzt offenbar. Ich heiße Mefuf; alſo iſt 
mein Name Meſuf Ben Barak el Kaſi el Kenademi! Ich 
kenne meinen Namen; ich kenne meine Heimat! O, 
Effendi, halte mich nicht! Ich muß fort in die Nacht und 
in die Einſamkeit, ſonſt zerſpringt mir die Bruſt und das 
Herz!“ 

Er eilte davon. Schwarz wollte ihm eine Warnung 
nachrufen, tat es aber doch nicht. Er kannte den Jüng⸗ 
ling und wußte, daß er zurückkehren werde, ſobald er 
ſich beruhigt hatte. 

Pfotenhauer drehte ſich um, damit man die Tränen 
nicht ſehen möge, die ihm in den Augen ſtanden, und 
brummte: „Blitzbub, ſakriſcher! Wann i auch fo einen 
hätt'! Und da reden und ſchreiben daheim die G'lehr⸗ 
ten, daß die halbwilden Völker weder Herz noch Seel’ 
beſäßen! Sie mögen nur herkommen und ſich die Leut' 
mit eigenen Augen b'ſehen! Was meinen S', hab' i 
recht?“ 

„Gewiß!“ antwortete Schwarz, an den dieſe Frage 
gerichtet war. „Dieſe Szene iſt auch mir ans Herz ge— 
gangen. Aber wir müſſen jetzt auch noch anderes er⸗ 
fahren.“ 

„Von Ihrem Bruder, meinem Spezi? Ja! Fragen 
S' nur ſchnell weiter!“ 

Schwarz wendete ſich wieder an Babar: „Du ſag⸗ 
teſt, daß Abd el Mot dieſen Emir kannte. Erkannte die⸗ 
ſer auch ihn?“ 

„Ja, er nannte ihn ſogar beim Namen.“ 

„Haſt du ihn vielleicht gemerkt?“ 

„Ja; er lautete Ebrid Ben Lafſa.“ 


— 497 — 


„Wo befinden ſich dieſe beiden Weißen? Sind ſie 
mit bei den zweihundert Mann, die an der Maijeh 
liegen, oder bei den dreihundert, die mit Abd el Mot 
weitergezogen ſind.“ 

„Effendi, biſt du allwiſſend?“ antwortete der 
Mann erſtaunt. „Ich war überzeugt, der einzige zu 
ſein, von dem man hier en könne, daß unſre 
Truppe geteilt worden iſt.“ 

„Du ſiehſt und hörſt, daß ich zwar nicht alles, aber 
vieles weiß, und daß ich es unbedingt merken muß, 
wenn du mir nicht die Wahrheit ſagſt. Ich will und 
muß dieſe beiden Gefangenen befreien. Biſt du mir dazu 
behilflich, ſo ſchenke ich euch allen die Freiheit.“ 

„Gibſt du uns hierauf dein Wort?“ 

„Ja.“ 

„So werde ich dir alles ſagen. Ich führe dich nach 
dem Chor und der Maijeh, zwiſchen denen ſich das Lager 
befindet.“ 

Jetzt wurden die zehn gefangenen Wachtpoſten ge⸗ 
bracht. Schwarz hatte gleich nach der Ueberwältigung 
der Lagerbeſatzung einen Boten fortgeſchickt, ſie herbei⸗ 
zuholen. Hatten dieſe Leute vielleicht die Hoffnung ge⸗ 
hegt, daß der Feldwebel ſie befreien werde, ſo fiel dieſe 
jetzt in nichts zuſammen. Sie ſahen, daß die andern 
Kameraden auch gefangen waren. Schwarz gab ihnen 
den Befehl, ſich zu ihren Schickſalsgenoſſen zu ſetzen. Sie 
gehorchten und ſuchten mit ihren Augen nach dem Unter⸗ 
offizier; dieſer aber hatte ſich fo gelagert, daß die Blicke 
derer, die er verraten hatte, nicht auf ihn fallen konnten. 

Die Aſaker lagerten ſich um die Gefangenen her. 
Einige von ihnen unterſuchten die vorhandenen Vor⸗ 
räte und brachten manches herbei, was ihnen angenehm 
war, beſonders Tabak und große Krüge voll 1 


May, Die Sklavenkarawane. ö 


Die Sklavinnen hatten vollauf zu tun, das vorhandene 
Mehl zu Fladen zu verbacken. 5 

Inzwiſchen ließen Schwarz und Pfotenhauer ſich 
von Babar alles erzählen, was während des Zuges nach 
Ombula geſchehen war. Er hatte ſich viel in der Nähe 
Abd el Mots und der beiden Gefangenen befunden und 
konnte berichten, was er mit ihnen geſprochen hatte. Er 
beſchrieb ihnen das Lager und deſſen Lage ſehr genau, 
ſagte ihnen, in welchem Teile ſich die Gefangenen be⸗ 
fänden, und mußte viele Fragen des Deutſchen, deren 
Zweck er nicht verſtand, beantworten. Selbſt der Graue 
ſah manchmal verwundert auf, wenn ſein Kollege eine 
Frage ausſprach, die ihm ganz unnötig oder gar lächer⸗ 
lich vorkam. | ö 

Ferner fagte Babar, daß Abd el Mot übermorgen 
von ſeinem weiteren Raubzug zurückkehren werde und 
vorher den ſtrengen Befehl gegeben habe, daß, falls das 
Lager überfallen werde, man die beiden weißen Gefan⸗ 
genen ſofort töten ſolle. Kaum hatte Schwarz dies gehört, 
ſo wandte er ſich an diejenigen der Aſaker, die in ſeiner 
Nähe ſaßen: „Wer von euch getraut ſich, jetzt bei Nacht 
im kleinen Boote nach der Dahabiéh zurückzukehren?“ 

„Ich,“ antwortete der „Vater der elf Haare“ ſchnell. 
„Ich kann gern fahrte nach Dahabieh unſriger.“ 

„Aber es iſt gefährlich!“ 

„Hatt Sie mich nicht lernte kennen als Magyar, 
unfurchtbarer?“ 

„Ja, ich weiß, daß du nicht furchtſam biſt. Aber 
allein über den See? Ich werde noch zwei Aſaker mit⸗ 
ſenden. Es gibt wilde Tiere in der Nähe.“ 

„Ich hatt nie gefürchtete Vieh, unkultiviertes!“ 
ſagte der Kleine verächtlich. „Ich ſeinte ſogarrr geweſte 
Sieger über zwei Löwen, verheiratete.“ 


— 498 — 


— 499 — 


„Da war ich Zeuge. Aber es gibt hier noch andre 
Tiere, vor allen Dingen Nilpferde, welche abends zu 
Lande und früh wieder zu Waſſer gehen. Wenn dir ſo 
eine Beſtie begegnete!” | 

„Das wernte fein mir von Gleichgültigkeit, ganz 
egaler. Ich hatt noch niemals fürchtete Pferd, landiges, 
alſo wernte ich auch nicht fürchten Pferd, fluſſiges. Ich 
nehmte doch mit mein Gewehr, elefantentöteriges!“ 

„Das dir bei jedem Schuß eine Backpfeife gibt? 
Nein, allein laſſe ich dich nicht fort. Suche dir alſo zwei 
Begleiter aus!“ 

„Wenn Sie befehlte, muß ich gehorchte. Aber was 
ſollte ich auf Dahabiéh machte?“ 

„Du überbringſt Haſab Murat die Weiſung, ſämt⸗ 
lichen Reiſahn zu ſagen, daß die fünf Schiffe morgen mit 
dem Früheſten, alſo ſchon beim erſten Tagesgrauen, aus 
dem Fluß in den See kommen und da, wo wir mit den 
Booten gelandet ſind, anlegen ſollen. Du kannſt auf der 
Dahabiéh ſagen, daß hier alles in Ordnung ſei, und 
meinem Diener überbringſt du den Befehl, harziges 
Holz und Fett anzubrennen, um mir eine Handvoll Ruß 
zu bereiten.“ 

„Schön! Ich wernte ausrichten Befehl mit Sorg⸗ 
» fältigkeitlichung, gewohnter, und auch gebte Diener Auf⸗ 
trag, letzten und rußigen. Wann aber mußte kehr' zurück 
ich wieder nach Lager hieſigem?“ 

„Du kannſt, wenn ſich die Schiffe früh in Be⸗ 
wegung ſetzen, voranrudern, um mir ihre Ankunft zu 
melden.“ 

„Soll wernte e mit Vergnügen, ergeben⸗ 
heitlichem!“ 

Er grüßte wie ein Soldat, beſtimmte zwei Aſaker 
zu ſeiner Begleitung und entfernte ſich mit ihnen. 


N 


— 2 


— 500 — z 

„Ruß?“ fragte der Graue. „Wozu brauchen E 
denn dieſes Zeug?“ 

„Um einen Neger aus mir und vielleicht auch aus 
Ihnen zu machen.“ 

„Sind S' g'ſcheit oder nit?“ 

„Ich ſpreche im Ernſt.“ 

„Meine Naſ' paßt nit zu ſolchem Firlefax. J hab' 
niemalen eine Maskerad' mitmachen konnt. Und wiſſen 
S' warum?“ | 

„Nun?“ 

„Hab' i eine Larv' vorlegen wollen, fo iſt die Naf 
zu groß g'weſen und hat fie mir aus dem G' ſicht 
g'ſtoßen. Und hab' i ohne Larv' gehen wollen, fo bin i 
wegen eben dieſer Naf’ ſofort von allen erkannt worden.“ 

„Das iſt unangenehm. Und ich ſehe freilich ein, 
daß Sie mit dieſer Naſe einen ſehr unwahrſcheinlichen 
Neger vorſtellen würden. Ich muß alſo leider auf Ihre 
Hilfe verzichten, weiß aber keinen andern, dem ich dieſe 
Rolle anvertrauen könnte.“ 

„Welche Rolle meinen S' denn?“ N 

„Sie hörten doch, daß im Falle eines Angriffes auf 
das Lager die beiden Gefangenen getötet werden ſollen. 
Wollen wir dasſelbe überfallen, ſo müſſen ſie vorher 
herausgeholt, gerettet werden. Und dazu erſehe ich kein - 
andres Mittel, als daß ich mich als Neger einſchleiche.“ 

„Und da wollen S' noch einen dazu haben?“ 

„Ja.“ 

„Das iſt was ganz andres. Da geh' i ſofort mit. 
Streichen Sie mi alſo in Allahs Namen ſo ſchwarz an 
wie möglich!“ 

„Zur Beruhigung will ich Ihnen ſagen, daß wir 
dieſes Wagnis des Abends unternehmen. Ich werde 
das Lager vorher umzingeln laſſen. In der Dunkelheit 


— 501 — 


laufen wir auch nicht Gefahr, daß Ihre wenig neger⸗ 
artige Naſe Verdacht erweckt. Und erwiſcht man uns 
ja, ſo werden die Unſrigen auf ein Zeichen zu Hilfe 
kommen. Uns zu wehren, bis ſie da ſind, wird wohl 
möglich ſein.“ 

„Natürlich! J geh' als Schwarzer mit. Abg' macht! 
J freu' mich ſchon darauf.“ 

„Aber wir müſſen uns faſt ganz entkleiden und den 
ganzen Leib mit Ruß und Fett einjalben!“ 

„Das tut nix; das macht nix, wann i nur ſpäter 
wieder in den Beſitz meiner kaukaſiſchen Abſtammung 
gelang’. Wegen einemmal wird man noch lange nicht 
für immer aan Neger. Alſo punktum und abg' macht;: 
es bleibt dabei!“ 


Fünfzehntes Kapitel. 
Gefährliche Abenteuer. 


Die Aufgabe dieſes ereignisreichen Tages war ge⸗ 
löſt, und man hätte ſich nun zur Ruhe begeben können. 
Die Aſaker ſchliefen auch, wenigſtens diejenigen, die nicht 
zur Bewachung der Gefangenen munter bleiben mußten. 
Schwarz und Pfotenhauer aber fanden keinen Schlaf. 
Der eine wußte ſeinen Bruder in Gefahr, den auch der 
andre als ſeinen „Spezi“ herzlich lieb hatte, und ſo ließ 
beiden die Sorge nicht die jo notwendige Ruhe finden. 

Zu ihnen geſellte ſich ſpäter ein dritter, der „Sohn 
des Geheimniſſes“. Er kehrte zwar ziemlich beruhigt zu⸗ 
rück, konnte aber nicht ſchlafen, aus Freude, das Dunkel 
ſeiner Herkunft endlich gelichtet zu ſehen, und aus Sorge 
um ſeinen Vater. 

Nach Mitternacht wurden die Wächter der Herden 
abgelöſt, und dann legten ſich auch die drei nieder, ein⸗ 
gehüllt in die Fliegennetze. Sie wollten wenigſtens ver⸗ 
ſuchen, einzuſchlafen. Aber von Zeit zu Zeit bemerkte 
der eine, daß der andre ſich immer noch ruhelos be⸗ 
wegte, und als es gegen Morgen war, richtete Schwarz 
ſich auf und ſchälte ſich aus dem Netz, um einen Rund⸗ 
gang zu den Poſten zu unternehmen. Sofort fuhr 
Pfotenhauer auch empor und fragte: „Haben S' ge⸗ 
ſchlafen?“ 


— 503 — 


„Nein.“ 

„J auch nicht. J leg' mi überhaupt niemals wieder 
an einer Maijeh nieder. Dieſes Teuxelszeug, die 
Fliegen, ſind nit auszuſtehen. Da hatten einige den 
Weg ins Netz reing'funden; das möcht' noch gehen, 
wann ſie mir nur in die Stiefelſohlen g'ſtochen hätten; 
aber fie hatten's ſamt und ſonders auf meine Naſ' ab» 
g'ſehen. Dieſe Kreatur hat nit den mindeſten klaſſiſch⸗ 
äſthetiſchen G'ſchmack. J ſteh' alſo auch auf. Was tun 
wir aber nun?“ 

„Ich will die Poſten beſuchen.“ 

„Das hat keinen Zweck. J möcht Ihnen was Beſ⸗ 
ſeres vorſchlagen.“ 

„Was denn?“ 

„Eine Jagd auf Nilpferde. Es wär doch eine Sünd' 
und Schand', wann wir an der Nilpferd⸗Maijeh g'weſen 
wären, ohne eins wenigſtens zu G'ſicht bekommen zu 
haben. Machen S' mit? Es iſt jetzt grad die Zeit, um 
die fie ſich am Ufer g'äſt haben und ins Waſſer zurück⸗ 
kehren.“ 

DW Dieſer Vorſchlag iſt ausgezeichnet. Ich gehe mit.“ 

„Schön! Aber wie ſteht's mit den Waffen?“ 

„Ich habe mein Gewehr.“ 

„Das reicht nit aus. Mit einem Schuß oder zweien 
legen S' kein Nilpferd nieder, außer Sie haben Explo⸗ 
ſionskugeln g'laden.“ 

„Die habe ich nicht bei mir, ſondern auf dem Schiff.“ 

„Schade! J hab' hier welche, aber ſie paſſen nit für 
Ihr Kaliber. Wiſſen S' denn au) wo das Nilpferd 
ſeine Achillesferſe hat?“ 

„Ja, zwiſchen dem Auge und Ohr.“ 

„Nit übel! Aber beſſer noch iſt's, man trifft es hin⸗ 
ters Ohr. Weiß man die Stell' genau, ſo reißt die 


— 504 — 


Sprengkugel den Schädel auf und treibt das G'hirn 
aus' nander. Sie kommen vom Norden und haben dieſe 
Jagd wohl noch nit verſucht; aber i und Ihr Bruder, 
der Sepp, haben ſchon manches Flußpferd auf dieſe 
Weiſ erlegt. J werd gleich Sprengkugeln laden; dann 
gehen wir.“ 

Als er ſein Gewehr ſchußfertig gemacht hatte, ver⸗ 
ließen ſie das Lager. Eben begann der Oſten ſich heller 
zu färben, und ſie konnten nun wenigſtens die Bäume 
und Sträucher ſehen, zwiſchen und unter denen ſie ſich 
langſam und ſcharf ausſpähend fortbewegten. 

Sie wandten ſich nicht nach dem See, ſondern gin⸗ 
gen am Ufer der Maijeh hin, weil dort eher ein Nilpferd 
zu treffen war als am erſteren. Es wurde heller, ſo daß 
ſie nun deutlich ſehen konnten. Der Graue hatte auf 
alles acht. Einmal blieb er ſtehen und deutete auf eine 
eigenartige Fährte. 

„Wiſſen S', wer da g’laufen iſt?“ fragte er. 

„Natürlich ein Hippopotamus!“ 

„Ja. Sehen S' ſich die Spur g'nau an! Dieſer 
Behemot iſt da aus dem Waſſer kommen, und man ſieht 
ſeine Spur deutlich im weichen Moor. Rechts und links 
eine Reihe von Stapfen, einen vollen Fuß im Durch⸗ 
meſſer, und in der Mitt' einen Streifen auf der Erd', 


auf der er den Bauch ſchleift. Das iſt — — ah, haben 
S' g 5 
e 


„Was war's? Es fuhr da aus dem hohlen Stumpf 
heraus, wo es ganz g'wiß Ameiſen gibt.“ 

„Ein Erdferkel.“ 

„Lateiniſch?“ 

„Orycteropus aethiopicus.“ 

„Richtig! Und arabiſch?“ 


— 505 — 


„Abu Batlaf, Vater der Klauen.“ 

„Ja, weil's ſo lange Nägel hat. J hab' eine ſolche 
Klau' zum erſtenmal bei unſrem Profeſſor von dera 
Naturg'ſchicht gehen, der in feiner Sammlung viele 
ſolche Raritäten g'habt hat. Er war gar kein übler 
Lehrer, und i hab' gar viel von ihm profitiert, aber lei⸗ 
den hat er mi nit können.“ 

„Das iſt doch ſonderbar,“ meinte Schwarz, indem 
ſie wieder vorwärts ſchritten. 

„Ja, wiſſen S', i hab' ihm halt oft Fragen vor⸗ 
g'legt, die ſelbſt der klügſte Menſch nit beantworten kann. 

Das hat ihn g'ärgert, und er iſt auf den Gedanken 
kommen, mir das bei Gelegenheit zurückzuzahlen. Die 
iſt auch bald eingetreten. Wiſſen S', wann?“ 

„Nun?“ fragte Schwarz gutmütig. 

„„Beim Examen. Da hat er mi in eine Verlegenheit 
g'bracht, die i niemals nit vergeſſen werd'. J ſprech' 
zwar nit davon, denn es hat keinen Zweck für andre, 
aber gegen einen Freund braucht man nit ſo zugeknöpft 
und verſchloſſen zu ſein, und darum will i's Ihnen an⸗ 
vertrauen. Sie ſagen's doch nit weiter?“ 

„Fällt mir nicht ein!“ beteuerte Schwarz. 

„Nun, das war nämlich ſo! Es ſollt Examen ſein, 
grad’ als i in dera dritten Klaſſ' g'ſeſſen bin. Das war 
natürlich aan Ehrentag, und ſo hab' i mi fein ſauber 
g'macht und einen blütenweißen Bruſtlatz vorgebunden 
mit breitem Kragen und den neuen, bunten Schlips 
drumrum. So fein ausgeſtattet, wie i da g'weſen bin, 
hat mir's im Examen natürlich gar nit fehlen konnt. J 
war alſo ganz ſicher und g'wiß und wartete auf die 
Frag', die an mi kommen werd'. Sie iſt auch kommen, 
aber was für eine! Raten S' doch einmal!“ 

„Bitte, erzählen Sie lieber weiter!“ 


— 506 — 


„Ja, das kann i tun, denn erraten können S' dieſe 
Frag' doch g'wiß nimmermehr. Er hat g' meint, i ſoll 
ihm ſagen, warum die Vögel Federn haben. Was ſagen 
S' denn nun dazu?“ i 

„Was ſoll ich ſagen? Ich bin doch nicht gefragt 
worden, ſondern Sie ſind es! Was haben Sie denn ge⸗ 
antwortet?“ 

„Nun, zunächſt hab' i gar nix g'ſagt. J hab' halt 
nur To da geſtanden und den Profeſſorn ang 'ſchaut, 
wie der Mops den Mond zur Mittagszeit, denn i hab' 
mir gar nit derklären konnt, wie er zu dieſer Fragen 
kommen iſt. Nachhero aber hat mi die Pfiffigkeit er⸗ 
griffen und i bin — —“ 

Er hielt mitten in der Rede inne, denn es war ein 
Schuß gefallen, und zwar nicht weit von ihnen. Es hatte 
nicht wie von einem gewöhnlichen Gewehr, ſondern wie 
von einem Böller gekracht. 

„Wer mag da g'ſchoſſen haben?“ fragte der „Vater 
des Storches“. „Das könnt man faſt für einen Kanonen⸗ 
ſchuß nehmen!“ 

„Der Slowak muß es geweſen ſein,“ antwortete 
Schwarz, „denn ſein Katil elfil hat dieſen Krach. Viel⸗ 
leicht befindet er ſich in Gefahr. Darum ſchnell hin zu 
ihm!“ 

Sie ſprangen eiligſt weiter, des Geſtrüpps und 
Schilfes nicht achtend, das ihnen das Vordringen er⸗ 
ſchwerte. Schon nach wenigen Sekunden hörten ſie eine 
Stimme angſtvoll rufen „Muſſa'adi — to jest hrozné 
— zu Hilfe, zu Hilfe!“ 

„Ja, das iſt er; er ſpricht arabiſch, ſlowakiſch und 
deutſch in einem Atem,“ fuhr der Doktor fort. Und mit 
laut erhobener Stimme fügte er hinzu: e, gleich, 
Stephan; wir kommen ſchon!“ 


— 507 — 


Der um Hilfe Rufende hatte ihn an der Stimme er⸗ 
kannt, denn er antwortete zeternd in ſeinem bekannten 
Deutſch: „Kommte ſchnellte, ſchnellte, ſchnellte! Unge⸗ 
heuer freßte mich bei Leibte und Lebte! Sperrte auf den 
Rachte ſchon!“ 

Er ſprach von einem „Rachen“ und befand ſich alſo 
einem gefährlichen Tier gegenüber. Was für eins es 
war, das ſahen die beiden, als ſie um ein vorſpringen⸗ 
des Gebüſch gebogen waren. Dort bildete das Waſſer 
eine kleine Bucht, und das an deſſen Ufer niederge⸗ 
ſtampfte Schilf deutete an, daß da ein Nilpferd aus der 
Maijeh an das Land zu wechſeln pflege. Es war des 
Nachts in den Buſch gegangen, um zu äſen, und nun zu⸗ 
rückgekehrt. Unglücklicherweiſe war gerade um dieſelbe 
Zeit der „Vater der elf Haare“ aus ſeinem Boot geſtie⸗ 
gen und dem Tier in den Weg gelaufen. Das mutige 
Kerlchen hatte, anſtatt dem Nilpferd auszuweichen, auf 
dasſelbe geſchoſſen und war, da ſeine Kugel nicht einzu⸗ 
dringen vermocht hatte, von ihm ganz regelrecht geſtellt 
worden. Es hielt ungefähr acht Schritte vom Ufer ent⸗ 
fernt, und gerade zwiſchen ihm und dem letzteren ſtand 
der Slowak. Er hatte das abgeſchoſſene Gewehr fallen 
laſſen und ſeine Hände an den Leib gelegt. So ſtarrte er 
voller Angſt auf den Behemot, der ſich ebenſowenig wie 
er bewegte und, ohne zu ſchnauben oder ſonſt einen Laut 
von ſich zu laſſen, den Rachen offen hielt, und zwar ſo 
weit, daß er ſelbſt einen ſtarken Mann damit um den 
Leib hätte faſſen können. Man konnte nicht ſehen, wo 
die Kugel aufgetroffen hatte, doch ſchien es, daß das 
Untier davon für den Augenblick gelähmt worden ſei. 
Im andern Fall wäre das Abenteuer dem Kleinen 
ſchlecht bekommen. ö 

Dieſer wagte zwar nicht, Hand oder Fuß zu rühren, 


— 508 — 


hielt es aber, als er die beiden Helfer kommen ſah, nicht 
für gefährlich, wenigſtens die Lippen zu bewegen, denn 
er ſchrie: „Schießte raſch auf Niltepfernte, ſonſt ver⸗ 
ſchlingte mich mit Haut und Haarnte! Treffte gut das 
Ungetümte, ſonſt find verlornte alle drei!” 

Schwarz war ſtehen geblieben und hatte ſein Ge⸗ 
wehr erhoben, aber der „Vater des Storches“ rief ihm 
zu: „Nit Sie! Ihre Kugel hat zu wenig Kraft. Sie 
ſollen ſchauen, wann S' gut aufpaſſen, wie raſch das 
Viehzeug unter dera meinigen zuſammenbrechen wird.“ 

Er ſtand ſo, daß er hinter das Ohr zu zielen ver⸗ 
mochte, und drückte ab. Auf den Knall des Gewehres 
folgte blitzſchnell ein zweites Krachen, und zwar im 
Kopfe des Tieres. Fleiſchfetzen und Knochenſplitter flogen 
umher; das Nilpferd wankte und brach vorn nieder, 
raffte ſich wieder auf, neigte den unförmlichen Körper 
erſt auf die rechte und dann auf die linke Seite und 
ſtürzte dann zu Boden. Es hatte, ſobald es von der 
Exploſionskugel getroffen war, den Rachen wieder ge⸗ 
ſchloſſen. Die dicke Haut zog ſich in zuckende, ſeichte Fal⸗ 
ten und glättete ſich dann wieder; der Tod war einge⸗ 
treten. 

Jetzt tat der „Sohn der Blattern“ einen gewaltigen 
Satz zur Seite, als ob er ſoeben erſt dem gefährlichen 
Geſchöpf begegnet ſei, und rief: „Greifte nicht an! Nil⸗ 
pferd verſtellente ſich gern. Wenn es noch lebente, beißte 
es alle drei!” 

„Unſinn!“ lachte der Bayer. Es fallt dem alten 
Onkel gar nit ein, ſich zu verſtellen. Warum ſpringen S' 
denn eigentlich davon? Das hätten S' doch vorher tun 
ſollen!“ 

Obgleich der Slowak. die Lage noch für gefährlich 
hielt, nahm er ſich doch die Zeit, über dieſe Worte zornig 


— 509 — 


zu werden. Er antwortete: „Könnte ſpringte denn Sie 
etwa, wenn vor Ihnen ſtehnte Niltepferd? Wenn ich 
hättente bewegte mich, ſo hättente es auch bewegte ſich 
und mir Kopf meinigen gebeißte weg.“ 

„Nein, mein Lieber. Sie müſſen dies Tier irgend⸗ 
wo an den Kinnbacken getroffen haben, wovon es halt 
die Maulſperr' bekommen hat. Weil ihm das noch nie 
paſſiert g'weſen iſt, war es ſo verſchrocken darüber, daß 
es halt gar nit vom Fleck hat kommen können. Der 
Schreck iſt ihm in alle Glieder gefahren.“ 

Der Kleine blickte ihn zweifelnd an und antwortete: 
„Das kannt nicht glaubte ich. Die Maulbeſperrt ſein 
Krankheit, menſchliche, aber nicht Krampfanfall, nil⸗ 
pferdlicher.“ 

„So! Nun, wann S' das beſſer verſtehen als i, ſo 
ſollen S' recht behalten. J hab' freilich auch noch kaan 
Nilpferd mit der Maulſperr' g'ſehen. Aber wann wir nit 
kommen wären, fo hätten S' halt auf ihrer letzten Pfeif 
geblaſen g'habt. Mir ſcheint, daß Ihnen die Sach ſelbſt 
bedenklich vorkommen iſt. Oder nit?“ 

„Ja,“ geſtand der „Vater der elf Haare“. „Ich hatt 
geſchießte Elefant und Niltepfernte auch, aber ich hatt 
noch nie ſtehente ſo nahe an Vieh, entſetzliches. Sie ſeinte 
Lebensretterer meiniger, und ich wernte Ihnen gebte 
gern Hand meinige, wenn ich hatt vorher geſehente, daß 
Hippopotamuſte wirklich tot.“ 

Er ſtreckte zwar die Hand aus, wagte ſich aber nicht 
zu Pfotenhauer hin, weil dieſer zu dem Nilpferd getreten 
war, um es zu unterſuchen. Das Sprenggeſchoß hatte 
dieſem ein tiefes Loch in den Kopf geriſſen und den 

größten Teil des Gehirns herausgetrieben. 
| „Ein ſtarkes, ausgewachſenes Tier, ſicherlich über 


— 510 — 


vier Meer lang, ere Schwer, indem er die foldk 
ſab en Fe- fu Bummi 

. es = b: zur e : Bull,“ antwortete Pfo- 
tt. g=. Lr: NA O = er Huſten Leuten ganz 


et.: . Ig Ser hebe noch kein Nilpferd⸗ 


„So f ena S Sg: bien J ſag' Ihnen, daß 
es gar z:: er Em: um) der Speck wird ſelbſt bon 
02, rr r 

Die'e hszliche und in ſehr freundlichem Ton vorge⸗ 
brachte Anrede vertehlte ihre Wirkung nicht. Der „Vater 
der elf Hare“ beſaß ein gutes Serz; er erkannte an, daß 
Pfotenhauer ihn aus einer großen Gefahr befreit habe, 
trat jetzt herzu, ergriff ſeine Hand und antwortete: „Ja, 
Speck ſeinte große Delikateſſe. Ich hatt ſchon gegeßte 
Speck, rohen und Speck, gebratenen, und ſein geweſen 
Leckerbißte, großartiger. Aber wenn Sie wärnte nicht 
gekommte, ſo würd' ſeinte ich ſelbſt ein Leckerbißte, was 
gar nicht konnte ſein Wunſch meiniger. Sie ſein geweſte 
Feind meiniger, und ich Feind Ihriger; das ſoll — —” 

„O nein, nein,“ unterbrach ihn Pfotenhauer. „J 
bin nit Ihr Feind g'weſen; wir haben uns nur zuweilen 
mal nit recht genau verſtanden.“ 

„O, ich hatt verſtehnte Sie ſehrrr gut, aber Sie 
wollt nicht begreifen Bildung und Wißtenſchaft meinige. 
Doch wenn Nilpferd hätt beißte mich tot, ſo wär' geweſte 
pfutſcht auch alle Kenntnis, lateiniſchte und meinige. 
Darum will vergebte ich all Beleidigungte Ihnen und 
von jetzt an ſeinte Freund Ihriger und vortrefflicher. 
Nachte mit auch Sie?“ 

„Natürlich mach' i mit! Aan Freund iſt halt alle⸗ 


— 511 — 


mal beſſer als aan Feind; das iſt g'wiß. Hier alſo meine 
Hand. Schlagen S' kräftig ein! Von jetzund an ſoll's 
weder Hader noch Zank zwiſchen uns geben.“ 

Er wurde von dem Kleinen an der rechten Hand 
gehalten und reichte ihm bei den letzten Worten auch die 
linke hin. Der Slowak ergriff dieſe, ſah ihm vertraulich 
in das lachende Angeſicht und ſagte: „Ich ſein einver⸗ 
ſtehente ganz und gar. Freundſchaft unſrige ſoll ſein 
ewig und noch viel innigter als Sie hatt geſagte, wollen 
hier an Leiche dieſer und nilpferdiger mach Brüderſchafte 
auf Lebte und Sterbte. Sagte ich Smollis meiniges, 
und ſagte Sie Fiduzit Ihriges!“ | 

„Dazu hab' i halt gerade kaan rechtes Fiduz. Willen 
S', es iſt nit pietätvoll, an aaner Leich' Brüderſchaft zu 
machen. So aan Smollis muß mit Bier begoſſen wer⸗ 
den, und da dies hier nit vorhanden iſt, ſo wollen wir 
noch aan wengerl warten, bis wir mit' nander nach 
Bayern kommen. Dann kann die Sach' flott vor ſich 
gehen.“ 

„Das ſeinte Anſicht, ſehr richtige,“ ſtimmte der 
„Kleine bei. „Brüderſchaft naſſe iſt beſſer als Brüder⸗ 
ſchaft trockene. Woll alſo bleibte noch bei Sie, höfliches; 
Freundſchaft kann ſein trotzdem ſehrrr treu und ewig⸗ 
keitliche.“ | 

„Natürlich! Sie ſollen ſchauen, was für aan 
Freund i ſein kann, wann's an den Mann kommt. Aberſt 
nun vor allen Dingen, was tun wir mit dem Tier? 
Laſſen wir's liegen, ſo machen ſich die Krokodile drüber 
her.“ 

„Stephan mag Wache halten,“ antwortete Schwarz, 
„und wir kehren zum Lager zurück, um Leute herzu⸗ 
ſenden. Mit unſrem Morgenſpaziergang iſt es doch 
nun aus.“ | 


— 512 — 


„Ja. Es iſt heller Tag worden, und die Schläfer 
werden indeſſen aufg' wacht ſein.“ 

Der „Vater der elf Haare“ hob ſein Gewehr auf, 
tm den abgeſchoſſenen Lauf zu laden, und die beiden 
Deutſchen wendeten ſich dem Lager zu. Sie hätten wohl 
Veranlaſſung zur Unterhaltung gehabt, aber es kam 
ganz zufälligerweiſe nicht zu einer ſolchen, und nur die⸗ 
ſem Umſtand war es zuzuſchreiben, daß Schwarz eine 
Entdeckung machte, die ihm ſonſt entgangen wäre. Er 
ſchritt voran und hielt die Augen auf den Boden geheftet. 
Noch war nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, ſo 
blieb er plötzlich ſtehen, deutete nach rechts auf eine 
junge, umgebrochene Farnpflanze und ſagte in leiſem 
Tone: „Halten Sie an! Hier muß jemand gegangen fein.” 

„Möglich,“ antwortete Pfotenhauer gleichgültig, 
aber ebenſo leiſe. 

„Sie ſcheinen das ſehr leicht zu nehmen. In unſerer 
Lage muß man auf alles achten.“ 

„Es wird jemand von unſern Leuten g'weſen fein.” 

„Nein. Hierher iſt niemand gekommen.“ 

„So iſt halt irgend aan Tier vorüberg' laufen und 
hat den Farn umgeknickt.“ 

„Wollen es unterſuchen.“ 

Er bückte ſich nieder, um die feuchte, ſumpfige Erde 
zu unterſuchen. Als er ſich wieder aufrichtete, hatte ſein 
Geſicht einen bedenklichen Ausdruck angenommen. Pfo⸗ 
tenhauer ſah das und fragte darum: „Was gibt's? Was 
haben S' g'ſchaut. Ihr G'ſicht gefallt mir nit.“ 

„Es iſt ein Menſch hier geweſen, barfuß und vor 
ganz kurzer Zeit.“ 

„Nit geſtern ſchon?“ 

„Nein, denn in dieſem Fall würde der Tau an dem 


— 518 — 


Farn haften; da er aber abgeſtrichen iſt, ſo wurde die 
Pflanze abgebrochen, nachdem es getaut hat.“ 

„Wer weiß, wer uns g'ſucht hat. Man hat uns ver⸗ 
mißt, und fo iſt uns jemand nachg' laufen.“ ö 

„Nein. Die Fährte führt nicht vom Lager her, ſon⸗ 
dern zu ihm hin. Folgen wir ihr und vermeiden wir da⸗ 
bei jedes Geräuſch!“ Er ſchritt wieder voran, langſam, 
um die Spur nicht zu verlieren. Dieſe folgte genau der 
Richtung, woher er vorhin mit Pfotenhauer gekommen 
war; dann führte fie nach links ab, wo ſie nun viel leich⸗ 
ter zu erkennen war. Schwarz blieb ſtehen, deutete auf 
die Eindrücke nieder und flüſterte ſeinem Gefährten zu: 
„Der Betreffende iſt ein unkluger Menſch. Er iſt bisher 
faſt genau in unſere Spuren getreten und muß alſo wiſ⸗ 
ſen, daß ſich zwei Menſchen vom Lager entfernt haben. 
Wenn dieſe zurückkehren, müſſen ſie doch unbedingt die 
deutliche Fährte ſehen, die er von hier an zurücklaſſen 
muß.“ 

„Vielleicht gehört er doch zu uns und hat alſo keine 
Veranlaſſung, ſo außerordentlich vorſichtig zu ſein.“ 

„Wäre dies der Fall, ſo wäre er ausgegangen, um 
uns zu ſuchen, und alſo unſrer Fährte gefolgt; auch hätte 
er gerufen. Da dies nicht geſchehen iſt, ſo haben wir es 
ganz gewiß mit einem Fremden zu tun und müſſen alſo 
vorſichtig ſein. Schauen Sie ſcharf vorwärts, . wir 
ihn eher bemerken als er uns.“ | 

Sie wandten ſich nun auch nach links, welche Rich 
tung ſie zwiſchen das Lager und die Spitze der Maijeh 
bringen mußte. Dort war geſtern abend zwiſchen den 
Büſchen alles niedergetreten worden, ein Umſtand, der 
das Suchen auf einer neuen Fährte ſehr erſchweren 
mußte; darum ſchritt Schwarz ſo ſchnell wie möglich 


vorwärts, um den Geſuchten noch vorher zu . 
May, Die Sklavenkarawane. 


— 514 — 


Das Schilf trat nun zurück; die Bäume ſtanden 
licht und ziemlich weit auseinander, und über den feuch⸗ 
ten Humusboden zog ſich ein weiches, dichtes Flechten⸗ 
gewebe hin, das die Fußeindrücke tief aufgenommen 
hatte. Die beiden ſchritten von Baum zu Baum, hinter 
den Stämmen Deckung ſuchend. Eben wollte Schwarz 
hinter einem mehr als mannsſtarken Lubahn hervor⸗ 
treten, um den nächſten Baum in ſchnellen Sprüngen zu 
erreichen, da hielt der Bayer ihn hinten feſt und raunte 
ihm haſtig zu: „Bleiben S' da! J hab' den Kerl jetzt 
g'ſchaut.“ 

„Wo?“ fragte Schwarz leiſe zurück, indem er ſchnell 
wieder hinter den Baum trat. 

„Es iſt möglich, daß i mi geirrt hab', aber i glaub's 
halt nit. Zählen S' mal ſechs Bäume gradaus; dann 
kommt rechts davon wiederum aan Lubahn, faſt noch 
ſtärker als dieſer hier, an dem wir ſtehen. Dort hat ſich 
was bewegt, und i denk' es wird der Kerl fein, den wir 
ſuchen.“ | 

Schwarz blickte nach der angegebenen Richtung; fein 
Auge war ſchärfer und auch geübter als dasjenige Pfo⸗ 
tenhauers; er ſah nicht nur den Baum, ſondern auch den 
Mann, der dort ſtand. „Sie haben recht,“ flüſterte er dem 
Gefährten zu. „Es ſteht jemand dort.“ 

„Wer iſt's?“ 

„Das weiß ich freilich nicht. Jedenfalls iſt's keiner, 
der zu uns gehört. Er trägt einen Mantel von Affen⸗ 
fellen, ganz von der Farbe der Baumſtämme, ſo daß er 
nicht leicht von dem Lubahn zu unterſcheiden iſt.“ 

„Weshalb bleibt er dort ſtehen? Warum geht er nit 
weiter?“ 

„Vielleicht hat er vom Lager her ein Geräuſch ge⸗ 


— 515 — 


hört, das ihn zur Vorſicht mahnt. Er will uns jeden⸗ 
falls beſchleichen. Wahrſcheinlich iſt er nicht allein.“ 

„Was tun wir dann? Wann er uns derblickt, ſo 
läuft er davon und wir haben das Nachſehen!“ 

„Er ſoll uns erblicken, oder vielmehr nicht mich, 
ſondern nur Sie. Wenn wir uns jetzt näher ſchleichen, 
ſo hört er uns, weil er gerade jetzt mißtrauiſch geworden 
zu ſein ſcheint. Schleichen Sie nach links und über ihn 
hinaus. Dann wenden Sie ſich wieder gerade nach rechts 
und tun ſo, als ob Sie nach dem Lager wollten. Er be⸗ 
findet ſich zwiſchen mir und Ihnen. Sie richten es ſo 
ein, daß er Sie ſehen muß, tun aber ſo, als ob ſie ihn 
par nicht bemerkten. Wenn Sie dann ziemlich nahe an 
ihm vorübergehen, wird er ſeine ganze Aufmerkſamkeit 
auf Sie richten und mich nicht eher bemerken, als bis ich 
ihn bei der Kehle habe.“ 

„Hm, dieſer Gedank iſt gar nit ſo übel. Greifen's 
nur feſt zu, daß er Ihnen nit entwiſcht!“ 

„Haben Sie keine Sorge. Uebrigens werde ich Sie 
rufen, ſobald ich ihn faſſe. Sie kommen ſchnell herbei, 
und wir zwei werden wohl mit ſo einem Schwarzen fer⸗ 
tig werden. Jetzt machen Sie ſchnell, ehe er weiter geht!“ 

Pfotenhauer huſchte fort; Schwarz verlor ihn aus 
den Augen und beobachtete nun den Unbekannten. Die⸗ 
ſer machte nach kurzer Zeit eine ſchnelle Bewegung, als 
ob er etwas Verdächtiges gehört habe, und duckte ſich am 
Stamm nieder, hinter dem er vorſichtig auslugte: er 
hatte Pfotenhauer bemerkt. Das war die richtige Zeit 
für Schwarz. Er ſchlich ſich möglichſt ſchnell weiter, von 
Baum zu Baum, bis er nur noch wenige Schritte zu 
demjenigen hatte, hinter dem der Fremde kauerte. Von 
dieſem war gar nichts zu ſehen, da er den Mantel über 
den Kopf gezogen hatte, damit er von der Umgebung 


— 516 — 


nicht unterſchieden werden könne. Soeben ging Pfoten 
bauer vorüber, langſam, ſcheinbar ganz in Gedanken 
verſunken, und ſo nahe, daß Schwarz ihn ſehen konnte. 
Dieſer letztere hatte jetzt den Fremden ergreifen wollen, 
zog es aber vor, zu warten, bis er ſich wieder aufrichten 
werde. Dies geſchah nach kurzer Zeit. Schwarz tat zwei 
Sprünge, faßte ihn an der Kehle, riß ihn nieder und 
hielt ihn feſt. Der Mann ſtieß einen Schrei aus, wen⸗ 
dete dem Angreifer das Geſicht zu und machte eine 
krampfthafte Anſtrengung, ſich zu befreien. 

Faſt hätte Schwarz ihn fahren laſſen, als er ſein 
Geſicht erblickte, von dem die rechte Hälfte ſamt der Naſe 
fehlte. Das gab mit den vor Schreck und Anſtrengung 
wild rollenden Augen einen entſetzlichen Anblick. Der 
Kopf des Mannes war unbedeckt, vollſtändig glatt ge⸗ 
ſchoren und ebenſo dunkel gefärbt wie ſein Geſicht. Das 
Alter ließ ſich alſo ſchwer beſtimmen, doch konnte man 
annehmen, daß es ein ziemlich hohes ſein müſſe. Neben 
ihm lag eine Keule aus hartem Holz, deren Knauf mit 
kurzen, kräftigen Stacheln beſchlagen war; ſie bildete 
außer dem Meſſer, das er im Lendenſchurz trug, ſeine 
einzige Waffe. 

Auf den Schrei, den dieſer Mann ausgeſtoßen hatte, 
war Pfotenhauer herbeigeſprungen, mit deſſen Hilfe 
Schwarz dem Gefangenen die Hände auf den Rücken band. 

Bis dahin war kein Wort gefallen; nun aber fragte 
Schwarz in arabiſcher Sprache: „Wer biſt du, und 
warum ſchleichſt du dich hier umher?“ 

Der Mann betrachtete die beiden mit finſterem 
Blick und antwortete dann in ebenderſelben Sprache: 
„Wer ſeid denn ihr, und warum überfallt ihr mich?“ 

„Weil ein Freund offen zu uns kommen würde und 
wir dich alſo für einen Gegner halten müſſen.“ 


! 


— 517 — 


„Gehört ihr zu den En welche bier 
lagern?” 

„Nein. Beantworte nun meine Frage! Wen oder 
was ſuchſt du hier?“ 

„Ich komme, um Tiere und andre Dinge zu kaufen.“ 

„Ah, ſo biſt du es, den der Feldwebel heut früh er⸗ 
wartet? Warum biſt du da ſo heimlich gekommen?“ 

„Aus Vorſicht. Ich wollte mich überzeugen, ob der 
Feldwebel mir die Wahrheit geſagt hat. Ich höre, daß 
du ihn kennſt, und doch ſagſt du, daß du nicht zu ihm ge⸗ 
hörſt. Wie habe ich das zu deuten?“ 

„Wir befinden uns auf einem Rachezug gegen die 
Sklavenjäger und haben den Feldwebel mit ſeinen Leu⸗ 
ten gefangen genommen.“ 

„So iſt auch alles, was er hat, in deine Hand ge⸗ 
raten?“ | . 

„Ja. Du wirft aber trotzdem deine Abſicht er⸗ 
reichen, denn ich bin gewillt, den Handel nun meiner⸗ 
ſeits mit dir abzuſchließen.“ 
| Die übrig gebliebene Hälfte des Geſichts verzog ſich 

unter dem Einfluß des Zornes zur häßlichen Fratze, und 
der Mann antwortete: „Allah verdamme dich! Du biſt 
mir zuvorgekommen, wirſt aber den Raub nicht lange 
behalten. Gib mich augenblicklich frei, ſonſt müßt ihr 
alle, du und deine Leute heute zu der Stunde, da die 
Sonne am höchſten ſteht, in die Hölle wandern!“ 

„Wer ſoll uns die Tür dorthin öffnen?“ 

„Meine Krieger, die mit Macht über euch kommen 
werden, wenn ich nicht bald zu ihnen zurückkehre.“ 

„Wie groß iſt ihre Zahl?“ 

„Ich gebiete über mehr Männer, als deine Leute 
Finger und Zehen haben.“ 


— 518 — 


„Alſo neunmal mehr! Weißt du denn, wie viele 
Perſonen unter meinem Befehl. ſtehen?“ 

„Ich brauche es gar nicht zu hören; ich kann es mir 
ſchon denken. Alſo gib mich frei, ſonſt ſeid ihr verloren.“ 

„Und wenn ich dir dieſen Wunſch erfülle, was wirſt 
du dann tun?“ Ä | 

„Es iſt nicht ein Wunſch, ſondern ein Befehl, dem 
du gehorchen wirſt. Dann werde ich den Raub, den du 
dem Feldwebel abgenommen haſt, mit dir teilen.“ 

„Sm!“ lächelte Schwarz. „Wo befinden ſich deine 
Leute?“ 

„Einige von ihnen ſind ganz nahe hier; ich ließ ſie 
zurück, als ich ging, das Lager zu erforſchen. Komme ich 
nicht ſehr bald zu ihnen, ſo werden ſie der Hauptſchar, 
die unterwegs iſt, entgegeneilen, um ſie zu benachrich⸗ 
tigen, daß ich in die Hände der Feinde gefallen bin. 
Dann wird weder. Allah noch werde ich Erbarmen mit 
euch haben.“ 

„Du ſprichſt im Tone eines Emirs, dem Tauſende 
von Kriegern folgen, verheimlichſt mir jedoch die An⸗ 
zahl deiner Leute. Ich aber will dir offen zeigen, über 
wie viele ich gebiete. Stehe auf und folge mir!“ 

Schwarz ſprach dieſe Aufforderung aus, weil ſo⸗ 
eben vom Waſſer her eine laute, befehlende Stimme er⸗ 
klungen war und er alſo annehmen konnte, daß die 
Schiffe im Anzug ſeien. Er zog den Gefangenen von der 
Erde auf und führte ihn, natürlich von Pfotenhauer ge⸗ 
folgt, dem Ufer zu. Dort ſuchte er eine Stelle, die einen 
freien Durchblick bot, und ſah, daß er ſich nicht geirrt 
hatte. Man ſah die Schiffe nahen, von Kähnen geſchleppt 
und von einem günſtigen Morgenwind getrieben. Die 
Kähne waren voller Ruderer und auf den Decks der 
großen Fahrzeuge wimmelte es von Menſchen. 


— 519 — 


„Allah akbar! So viele Schiffe!“ rief der Mann 
erſtaunt und betroffen. „Wer ſind die vielen Menſchen, 
und was wollen ſie hier?“ 

„Sie wollen deine Krieger vernichten, ſobald dieſe 
ankommen. Jetzt ſage dir ſelbſt, wer in die Hölle wan⸗ 
dern wird, wir oder ihr.“ 

„Das iſt ja eine wirkliche Flotte von Schiffen und 
eine ganze Armee von Kriegern!“ 

1 „Komm weiter! Ich will dir noch mehr Menſchen 
zeigen.“ 

Er faßte ihn am Arm und führte ihn nach dem 
Lager. Als ſie durch die Büſche ins Freie traten und der 
Mann die unerwartete Zahl der Anweſenden erblickte, 
rief er aus: „Da kommt ein wirkliches Heer zuſammen! 
Herr, willſt du den Sudan erobern?“ 

„Nein, ich will nur Abu el Mot beſtrafen.“ 

„Abu el Mot?“ erklang es ſchnell. „Weiter willſt 
du nichts? Du willſt nicht die N der Bongo über⸗ 
fallen?“ 

„Nein. Ich will nur Abu el Mot unſchädlich 
machen. Sobald dies geſchehen iſt, ziehen wir wieder 
fort.“ 

„Willſt du das beſchwören?“ 

„Ja.“ 

„Bei deinen Ureltern und bei deinem Bart?“ 

„Gern und ſofort.“ 

„So ſegne dich Allah und verleihe dir einſt den 
weichſten Platz im ſiebenten ſeiner Himmel! Wären 
meine Hände nicht gebunden, ſo würde ich dich um⸗ 
armen und dich bitten, mich als deinen Freund und 
Verbündeten zu betrachten.“ 

„Iſt dies dein Ernſt?“ 


— 520 — 


„Mein heiliger Ernſt, Herr. Die Seriben find 
wahre Höllen für die armen Bewohner dieſes Landes, 
und Abu el Mot iſt der oberſte dieſer Teufel in Men⸗ 
ſchengeſtalt. Niemand hat die Macht oder den Mut ge⸗ 
habt, ſein Gegner zu werden, und ſo hat er das ganze 
Land in Ketten und Banden geſchlagen. Wonach ſein 
Herz begehrt, das nimmt er; jeder muß ihm gehorchen, 
und wer das nicht tut, der iſt verloren, denn er wird 
entweder getötet oder in die Sklaverei geſchleppt. Nun 
aber ein Emir kommt wie du, mit ſolcher Macht, da 
muß alle Angſt verſchwinden, und ich biete dir meine 
Dienſte und meine Krieger an, um mit ihnen für dich 
gegen Abu el Mot zu kämpfen.“ 

Er hatte mit Begeiſterung geſprochen, und die linke 
Hälfte ſeines Geſichtes glänzte vor Freude. Das war 
nichts Gemachtes, das war keine Verſtellung, und den⸗ 
noch antwortete Schwarz: „So biſt du alſo nicht ein 
Freund von Abu el Mot?“ 

„O nein, ſondern ich haſſe ihn.“ | 

„Und dennoch kommſt du, um mit ſeinem Feld⸗ 
webel Handel zu treiben?“ 

„Handel?“ lachte der Mann grimmig. „Ja, han⸗ 
deln wollte ich, aber nicht, wie der Feldwebel es dachte. 
Ich habe nichts zum Bezahlen mitgebracht. Ich wollte 
dieſe Hunde überfallen und töten. Darum wurde ich 
zornig, als ich hörte, daß ſie und ihre Habe bereits in 
deine Hände gefallen ſeien. Nun aber magſt du alles be⸗ 
halten; ich gönne es dir. Sage mir nur, wo Abu el Mot 
ſich befindet! Es kann nicht ſo gut wie früher mit ihm 
ſtehen, da der Feldwebel von ihm abgefallen iſt. Nur 
dies gab mir den Mut, aus dem verſprochenen Handel 
einen feindlichen Ueberfall werden zu laſſen.“ 

„Wie iſt dein Name?“ 


— 521 — 


„Abu ed Dabbuhs‘), weil ich nur mit der Keule zu 
kämpfen pflege und noch keiner mich in dieſer Waffe 
überwunden hat.“ | 

„Und wie viele Männer haſt du jetzt bei dir?“ 

„Zweihundert.“ 

„So viele brauchteſt du, um fünfzig zu überfallen?“ 

„Zum Ueberfallen allein nicht, denn, Herr, wir ſind 
keine Feiglinge; aber zum Transport der Tiere braucht 
man viele Menſchen, und es mußte alles ſehr ſchnell 
gehen und jede Spur raſch verwiſcht werden, da Abu el 
Mot nicht erfahren durfte, was hier an dieſer Maijeh 
vorgegangen war. Der Feldwebel mußte mit allem, 
was bei ihm war, ſpurlos verſchwinden, und um dies 
zu bewerkſtelligen, ſind vierhundert Hände nicht zu viel. 
Willſt du Vertrauen zu mir haben? Sage mir, was du 
beſchloſſen haſt!“ 

Schwarz band ihm die Feſſel auf und antwortete 
dabei: „Ich gebe dir die Freiheit. Finde ich alles ſo, wie 
du ſagſt, ſo ſollſt du mein Verbündeter ſein und an 
meiner Seite ſtehen, wenn Abu el Mot als Beſiegter 
vor mir im Staube liegt.“ 

„Herr, ich habe die Wahrheit geſagt. Erlaube, 
meine Begleiter herbeizuholen, damit einer von ihnen 
zurückreiten und den Kriegern melden kann, welche Aen⸗ 
derung eingetreten iſt!“ | 

„Das hat noch Zeit. Du ſprichſt vom Reiten. Sind 
deine Leute zu Pferd?“ 

„Nein, ſondern auf Kamelen. Auch habe ich 
Kamele mitgebracht, welche beſtimmt waren, den Raub 
zu tragen, den wir hier machen wollten!“ 

„Ihr werdet auch einen Teil davon bekommen. Daß 


) Vater der Keule. 


— 522 — u 


du fo viele Kamele bei dir haft, das iſt mir lieb, denn 
das wird unſern Zug beſchleunigen.“ 

„Wohin?“ 
| „Nach Ombula im Belanda⸗Lande. Abd el Mot 
iſt dort und hat das Dorf zerſtört, die Unbrauchbaren 
getötet und die Kräftigen zu Sklaven gemacht.“ 

Der Vater der Keule ſtand einige Augenblicke be⸗ 
wegungslos; dann ſchrie er förmlich auf: „Das möge 
Allah verhüten, denn wir leben mit den Belanda im 
Bunde und haben Verwandte dort!“ 

„Allah hat es nicht verhütet, denn es iſt ja bereits 
geſchehen. 

„Weißt du das genau?“ 

„Ja. Geſtern abend kam ein Bote hierher, um es 
zu erzählen. Abd el Mot ſteht im Begriff, noch weitere 
Sklaven zu machen, und Abu el Mot befindet ſich auf 
dem Weg zu ihm.“ 

„Dann laß uns ſchnell aufbrechen, Herr, um dieſen 
Hund umzubringen! Wir ſind ja nun mächtig genug, 
dies zu tun.“ 

„Wir werden noch heute den Zug beginnen. Komm 
jetzt mit hin zu den andern, wo wir das übrige beſpre⸗ 
chen können!“ 

Sie hatten bis jetzt noch am Rande des Gebüſches 
geſtanden. Nun begaben ſie ſich mitten in das Lager, wo 
die Leute des Feldwebels noch gebunden an der Erde 
ſaßen oder lagen. Als der letztere den neuen Ankömm⸗ 
ling erblickte, rief er aus: „Der Schech, welchen wir er⸗ 
warten! Das iſt gut, denn er wird zu unſrem Beſten 
reden.“ 

Der Schech aber verſetzte ihm einen derben Fuß⸗ 
tritt und antwortete: „Schweig, du Abkömmling eines 
räudigen Hundes! Euch iſt ganz recht geſchehen. Und 


— 523 — 


hätte nicht dieſer fremde Emir euch gefangen genommen, 
ſo wäret ihr von mir erwürgt worden. Mögt ihr der⸗ 
einſt in dem Feuer brennen, das ewig ſchmerzt und nie 
mals tötet!“ 

Alle Anweſenden blickten auf den Schech, keiner 
aber mit ſolchen Augen und ſolchem Ausdruck wie Abd 
es Sirr, der „Sohn des Geheimniſſes“. Er hatte mit 
dem „Sohn der Treue“ abſeits geſeſſen und war, als er 
den Fremden erblickte, aufgeſprungen, um den Blick 
nicht wieder von ihm zu laſſen. 

„Was haſt du? Wer iſt es? Kennſt du ihn?“ fragte 
Ben Wafa. 

„Ich — — ich — — ja, ich muß ihn kennen,“ ant⸗ 
wortete Abd es Sirr, indem ſeine Augen immer größer 
wurden. 

„Nun, wer iſt er?“ 

„Das — das — — weiß ich nicht. Ich — ich kann 
mich nicht beſinnen.“ 

Er legte die Hände an den Kopf, wie um mit dieſer 
Berührung von außen ſeinem Gedächtnis zu Hilfe zu 
kommen, doch vergeblich. Er ging hin und her, ſprach 
halblaut mit ſich ſelbſt, ſetzte verſchiedene Namen aus 
Silben zuſammen, kauerte ſich dann wieder neben Ben 
Wafa nieder, kurz, er tat ganz ſo wie einer, dem, wie 
man ſich auszudrücken pflegt, ein Wort auf der Zunge 
liegt, ohne daß es über die Lippen will. 

Indeſſen hatten Schwarz und Pfotenhauer dem 
Schech erzählt, was dieſer wiſſen mußte, um mit der 
gegenwärtigen Lage vertraut zu werden. Er erfuhr, 
wer die beiden ſeien, und konnte ſich vieles, ja das meiſte 
nicht erklären. Nur das eine begriff er, daß es mit Abu 
el Mot aus ſei, daß dieſer ergriffen und dem gefürchte⸗ 
ten „Vater der Fünfhundert“ in Faſchodah ausgeliefert 


werden ſolle. Das entzüdte ihn, und er wäre am lieb» 
ſten gleich jetzt marſchiert, wenn ſeine Leute dageweſen 
wären. 

„Wir ſind unſer genug, um des Erfolges ſicher zu 
ſein,“ bemerkte Schwarz. „Leider aber bin ich der 
Nuehrs nicht ſicher. Wenn ich ſie mitnehme, ſo iſt ihnen 
zuzutrauen, daß ſie zu Abu el Mot übergehen. Laſſe ich 
ſie aber hier, ſo muß ich ihnen viele Wächter ſtellen, die 
ich nicht gut entbehren kann.“ 

„Wenn nur das dir Sorge macht, ſo kann ich dir 
helfen,“ antwortete der Schech. 

„Wodurch?“ 

„Durch den Ehatib!) meines Stammes. Allah hat 
ihm die Gabe begeiſternder Rede verliehen, ſo daß ihm 
ſelbſt das härteſte Herz nicht zu widerſtehen vermag. 
Wenn der Geiſt über ihn kommt, ſo verläßt er uns und 
geht auf Reiſen, bis ins Land der Schilluk hinunter. Er 
kennt die Nuehrs genau und weiß mit ihnen zu ſprechen. 
Erlaube ihm, die Schiffe zu beſteigen und ihnen zu pre⸗ 
digen. Du darfſt ſicher ſein, daß ſie dann darauf bren⸗ 
nen, im Kampf gegen Abu el Mot ihr Blut zu ver⸗ 
gießen.“ 

„Wollen es verſuchen! Und jetzt gehen wir zu 
deinen Leuten, um einen Boten an die übrigen abzuſen⸗ 
den, der ihnen ſagen ſoll, daß ſie ſich ſputen mögen.“ 

Sie gingen weiter. Gar nicht ſehr entfernt vom 
Sager, unweit der Stelle, wo Joſef Schwarz und der 
Elefantenjäger dasſelbe beobachtet hatten, hielten drei 
Kamelreiter zwiſchen den Büſchen; ſie hatten ein vier⸗ 
tes, lediges Kamel bei ſich, dasjenige des Schechs. Die⸗ 
ſer letztere kam mit Schwarz zu ihnen, um einen von 
ihnen fortzuſenden und die andern mit in das Lager zu 
V Briefen, Banberprebiger. 


— 525 — 


nehmen. Er ſprach jedes Wort ſo, daß Schwarz es deut⸗ 
lich hörte und alſo die Ueberzeugung erhielt, daß der 
neue Verbündete es wirklich ehrlich meine. Der Bote 
ritt davon und die andern kamen mit ihren Kamelen 
in das Lager. 

Dort war Abd es Sirr noch immer mit dem nicht 
aufzufindenden Namen beſchäftigt. Er fing immer wie⸗ 
der an mit „Abu — Abu en —“ konnte aber die Fort⸗ 
fetzung nicht finden. Da meinte ſein junger Freund, der 
Niam⸗niam: „Weißt du denn nicht, wo du ihn geſehen 
haſt?“ 

„Nein.“ 

„So nützt es dir auch nichts, nach N Namen 
zu ſuchen.“ | 

„O doch! Wenn ich den Namen finde, ſo fällt es 
mir auch ein, wo ich ihn kennen gelernt habe. Es iſt mir 
ganz ſo, als ob mir dieſer Mann einen großen Dienſt 
erweiſen könne.“ 

„Ich an deiner Stelle würde den Mann fragen, 
wie er heißt.“ 

„Ja, daran dachte ich auch bereits; ich werde es 
verſuchen.“ Er ſtand auf, trat vor und fragte, als 
Schwarz und der Schech vorüber wollten, den letzteren: 
„Herr, würdeſt du mir wohl deinen Namen nennen? 
Ich bin noch jung und ſoll eigentlich warten, bis ich vom 
Alter angeredet werde; aber Allah wird dir die Erfül⸗ 
lung meiner Bitte vergelten.“ 

„Jawohl will ich ihn dir nennen,“ antwortete der 
Scheik. „Ich heiße Abu ed Dabbuhs.“ 

Abd es Sirr drehte ſich, nachdem er gedankt hatte, 
zu ſeinem Freunde um und ſagte enttäuſcht: „Das war 
der Name nicht, den ich meine.“ 


— 526 — 


„So iſt es auch der richtige Mann nicht,“ meinte 
Ben Wafa. 

„Er iſt es ganz gewiß; dieſes halbe Geſicht habe ich 
ſchon einmal geſehen, und zwar als es noch nicht geheilt 
war; ich muß damals ein noch kleiner Knabe geweſen 
ſein.“ 

„Bei uns iſt es zwar nicht ſo; aber nicht wahr, die 
arabiſch ſprechenden Menſchen wählen den Namen nach 
der Eigenſchaft, die man beſitzt?“ 

„Ja, oft iſt es ſo.“ 

„Nun, weißt du, wie ich dieſen Mann nennen 
würde?“ 

„Wie?“ 

„Abu en Nuhß el Wihſchö').“ 

Da ſchlug der „Sohn des Geheimniſſes“ die Hände 
zuſammen und ſchrie auf: „Hamdulillah, ich hab's, ich 
hab's! Du nennſt dieſen Mann Vater des halben Ge⸗ 
ſichtes“ aber ſein Name war damals nicht jo lang; er 
hieß nur Abu en Nuhß, Vater der Hälfte‘. Ich hab's, 
ich hab's! Allah und allen Propheten ſei Dank!“ 

„Es freut mich, daß ich dir habe helfen können; 
aber iſt es dir denn nun auch eingefallen, wo du dieſen 
Namen gehört und alſo den Mann geſehen haſt?“ 

„Ja, ich weiß es, ich weiß es. Er kam blutüber⸗ 
ſtrömt in unſer Zelt, und die Mutter reinigte und ver⸗ 
band ihm die Wunde. Dann lag er lange Zeit krank bei 
uns. Er nahm mich oft zu ſich auf das Serir:) und 
plauderte gern mit mir. Er ſcherzte viel, und ich mußte 
ihn immer nur den Vater der Hälfte‘ nennen, weil er 
nur noch das halbe Geſicht hatte. Das war, wie vieles 
andere auch, ganz aus meinem Gedächtnis entſchwun⸗ 
den und iſt nun bei ſeinem Anblicke wieder zurück⸗ 


1) Bater des halben Geſichts. — 9) Lager, Bett. 


— 527 — 


gekehrt. O Allah, Allah, ich werde mit ihm über meine 
Heimat und meine Mutter reden Innen!” 

„Wenn er es wirklich iſt!“ 

„Er iſt's, er iſt's; ich gehe hin zu ihm. Er kann 
kein andrer ſein als Abu en Nuhß. Ich gehe hin!“ 

Er wollte fort, hatte aber gar nicht nötig, ſich von 
ſeinem Platz zu entfernen. Seine Worte waren rund⸗ 
um gehört und auch von dem Schech vernommen wor⸗ 
den. Dieſer kam herbei und fragte: „Ich höre, daß du 
den Namen Abu en Nuhß nennſt. Wen meinſt du 
damit?“ 

„Dich, Herr,“ antwortete der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“. „Iſt das nicht dein Name?“ 

„Nein, aber zu einer gewiſſen Zeit wurde ich im 
Scherz ſo genannt, von einem kleinen Knaben, deſſen 
Geſellſchaft mir meine Leiden erleichterte und meine 

Schmerzen milderte.“ 
| „Wo war das? Sage es mir, o ſage es Schnell!” 

Schwarz und Pfotenhauer waren auch herbeige⸗ 
kommen und noch andre kamen, um zu hören, was hier 
ſo erregt verhandelt werde. 

„Das war zu Kenadem im Lande Dar Runga.“ 

„Kenadem, o Kenademl“ jubelte Abd es Sirr auf. 

„Kennſt du es denn?“ fragte der Schech. 

„Nein, doch ich bitte dich um Allahs willen, ant⸗ 
worte mir weiter, obgleich ich ſo viel jünger bin als du! 
Wie kamſt du damals nach Kenadem?“ 

„Ich hatte ein Gelübde getan, das Grab des be⸗ 
rühmten Marabuhs von Tundzur zu beſuchen. Der 
Weg war weit, ſehr weit, aber ich kam glücklich an das 
Ziel und brachte meine Gebete dar; dann reiſte ich, von 
meinen Sünden frei, zurück; aber zwiſchen dem Rahat 
Gerari⸗See und Kenadem wurden wir Pilger von der 


— 528 — 


Raubkarawane überfallen. Einige von uns wehrten 
ſich; ich befand mich unter ihnen. Wir wurden nieder⸗ 
gehauen, und ich erhielt einen Säbelhieb in das Geſicht, 
der mir nicht nur die Naſe raubte, ſondern auch die 


Wange und das halbe Kinn abſchälte. Allah nahm 


meine Seele einſtweilen aus dem Körper, um mir die 
großen Schmerzen zu erſparen. So fand mich ein Rei⸗ 


ſender, der ſpäter kam und noch Leben in mir ſpürte. 


Er nahm mich mit nach Kenadem zu ſich, wo ich erſt er⸗ 
wachte, als ich verbunden wurde.“ 
„Wie hieß dieſer Mann, der dich rettete?“ 
„Es war Barak el Kaſi, der Emir von Kenadem.“ 
„Haſt du ſein Weib geſehen?“ 

„, Viele, viele Male, denn die Frauen von Kenadem 
pflegen ſich vor den Gäſten ihrer Herren nicht zu ver⸗ 
ſchleiern. Sie war mild und wohltätig wie der Mond, 
auf deſſen Strahlen ſich die Fruchtbarkeit des Taues zur 
Erde ſenkt. Alle Menſchen liebten ſie. Der Emir war 
finſter und ſtreng, aber unſre Seelen neigten ſich zu ein⸗ 
ander; er hatte mir das Leben erhalten, und wir 
öffneten einander die Ader, um das Blut der Bruder⸗ 
ſchaft zu trinken. Sein Leben iſt wie das meinige und 
mein Tod wie der ſeinige. Er liebte mich. Außer mir, 
und noch viel mehr als mich, hat er ſeine Frau und ſein 
Kind geliebt.“ 

„Du haſt dieſes Kind gekannt?“ 

„Dieſen Knaben? Ja; er war das Geſchenk Allahs, 
die Wonne ſeiner Mutter und die Hoffnung ſeines Vaters.“ 

„Haben ſich dieſe Hoffnungen erfüllt?“ 

„Das weiß ich nicht, denn ich bin ſeit jener Zeit 
nicht wieder nach Kenadem gekommen.“ 

„Und der Emir, dein Blutsbruder, auch nicht zu 
dir?“ 


— 529 — 


„Nein. Nur vor einem Monat, als ich nicht bei den 
Meinen war, iſt ein Fremder gekommen, hat ſich Barak 
el Kaſi, Emir von Kenadem genannt und mit mir zu 
reden verlangt. Da ich nicht daheim war, iſt er noch 
desſelben Tages fortgegangen. Es muß ein Irrtum ſein, 
denn mehrere meiner Krieger wollen in dieſem Mann 
den berühmten Elefantenjäger erkannt haben.“ 

„Der Emir von Kenadem und der Elefantenjäger 
ſind dieſelbe Perſon.“ | 

„Allah! Wie wäre das möglich!“ 

„Du ſollſt es bald erfahren. Weißt du, wie der 
Sohn des Emirs hieß?“ 

„Ja, es fehlte ihm an jedem Fuß die kleine Zehe; 
darum hatte man ihm den Namen Meſuf et Tmeni 
Sawabi⸗Ilidſchr, Meſuf mit den acht Zehen gegeben.“ 

„Nun, ſo ſchau einmal her!“ Er entblößte und 
zeigte erſt den rechten und dann auch den linken Fuß. 

„Schu halamr el adſchib — welch ein Wunder! 
Auch du haſt nur acht Zehen! Oder biſt du etwa — —“ 

Er hielt in der Rede inne, betrachtete den „Sohn 
des Geheimniſſes“ genau und fuhr dann fort: „Deine 
Züge ſind noch nicht ſo feſt, daß ich nach ſo langer Zeit 
in ihnen diejenigen deines Vaters oder deiner Mutter 
zu erkennen vermöchte; aber eine innere Stimme ſagt 
mir, daß du der Sohn meines Blutsbruders biſt. Ant⸗ 
worte mir; ſage mir, ob meine Ahnung mich täuſcht 
oder nicht!“ 

„Ich bin es, Herr; ich bin der Knabe, der mit dir 
ſpielen durfte und dich im Scherz Abu en Nuhß nennen 
mußte. Ich habe bisher nicht gewußt, wer ich bin; nur 
in letzter Zeit durfte ich einen Blick in meine Heimat 
werfen; nun ich aber dich erkannt habe, iſt es mir ſo ge⸗ 

May, Die Sklavenkarawane. 34 


— 50 — 


wiß, als ob der Prophet es mir ſelber ſagte, daß ich 
jener Sohn des Emirs von Kenadem bin.“ 

„So komm an mein Herz, du Sohn und Nach⸗ 
komme meines Blutsbruders! Deine Freunde ſind auch 
die meinigen, und meine Hand wird wider alle deine 
Feinde ſein.“ Er ergriff den „Sohn des Geheimniſſes“ 
bei den Händen und zog ihn an ſeine Bruſt. Dann ſetzte 
er ſich mit ihm nieder, und die beiden waren nun ganz 
ausſchließlich miteinander beſchäftigt. Es verſtand ſich 
ja ganz von ſelbſt, daß fie ſich gegenſeitig fo vieles zu 
fragen, zu beantwarten und zu erzählen hatten. 

Schwarz wendete ſich von ihnen ab, dieſe ſich ſelbſt 
zu überlaſſen und dachte nun erſt daran, daß der „Vater 
der elf Haare“ noch immer allein bei dem erlegten Nil⸗ 
pferd ſtand und auf die Leute wartete, die ihm geſchickt 
werden ſollten. Er verkündete alſo mit lauter Stimme, 
daß ein großes, fettes Huſan el bahr getötet worden ſei, 
was von ſeiten der Aſaker mit großem Jubel aufge⸗ 
nommen wurde, und ſandte den „Vater des Gelächters“ 
mit einer Anzahl Soldaten nach der betreffenden Stelle, 
die er ihnen ſo genau beſchrieb, daß ſie dieſelbe nicht ver⸗ 
fehlen konnten. 

Als ſie dort ankamen, ſtand der Slowak mit ge⸗ 
ſchultertem Gewehr bei dem Tiere und rief ihnen miß⸗ 
mutig entgegen: „Sind euch TTintenläufe in die Beine 
geraten, daß ihr ſie nicht ſchneller bewegen könnt! Ich 
ſtehe nun über eine Stunde bei dem Ungeheuer, um 
nicht zu dulden, daß ihm das Leben wiederkehrt. Iſt es 
nicht genug, daß ich es für euch erſchoſſen habe? Soll ich 
es auch noch auf den Rücken nehmen, um es euch zuzu⸗ 
tragen?“ 

„Wie? Du haſt es geſchoſſen?“ fragte der „Vater 
des Gelächters“. 


— 531 — 


„Ja. Wer denn ſonſt?“ antwortete der Kleine ſtolz. 

„Ein andrer. Die Kugel deines Baruhdi er rad‘) 
iſt zwar ſehr groß, aber ein ſolches Loch vermag ſie doch 
nicht zu reißen. Das kann nur ein Rßaß ſcharmat') ges 
weſen ſein, und ich weiß, daß nur der Vater des Stor⸗ 
ches‘ ſolche Kugeln beſitzt; er alfo hat das Tier getötet, 
und nicht du biſt es geweſen.“ 

Während die Soldaten ſich, ohne auf die Worte der 
beiden zu achten, mit ihren langen Meſſern über das 
Nilpferd hermachten, fuhr der Kleine feinen Freund zor⸗ 
nig an: „Schiveig! Biſt du etwa dabei geweſen? Dein 
Maul iſt zwar ſo groß wie dasjenige dieſes Ungeheuers; 
aber dein Gehirn iſt ſo gering und klein, daß keine 
Nimli’) ſich daran zu ſättigen vermöchte. Haft du denn 
nicht meine Flinte krachen hören?“ ö 

„Wir vernahmen zwei Schüſſe und erwachten da⸗ 
von. Da Sihdi Aswad und der Vater des Storches“ 
fehlten, ſo wußten wir ſofort, daß dieſe beiden geſchoſſen 
hatten. Nun willſt du mir weismachen, daß du es ge⸗ 
weſen biſt. Das kannſt du zwar bei einem andern ver⸗ 
ſuchen, aber nicht bei einem, der alle Dörfer und Völker, 
alle Städte und Menſchen der Erde kennt!“ 

„Sprich ja nicht von deinen Menſchen und Dörfern! 
Ich glaube nicht einmal, daß du den Ort kennſt, wo die 
Menſchen vor Schreck davonliefen, als ſie dein neuge⸗ 
borenes Geſicht erblickten. Ich aber kenne alle Sprachen 
der Welt und die lateiniſchen Wiſſenſchaften. Mein 
Kopf kann aufgeſchlagen werden wie ein Buch, worin 
alles ſteht, und wenn ich will, geht mein Verſtand auf 
über die Unwiſſenden wie die Sonne, der nichts in der 
weiten Schöpfung gleicht.“ 

„Schu halalk, uskut — welch ein Geſchwätz! Ver⸗ 

u Donnerflinte. — ) Syrengkugel. — ) Amelie, 


— 532 — 


ftumme!” ſchrie der „Vater des Gelächters“ wütend, wo⸗ 
bei er ein Geſicht zog, als ob er vor lauter Wonne über⸗ 
ſtröme. „Als mein Geſicht zum erſtenmal auf Erden 
erſchien, da jubelte nicht nur die Sonne, ſondern das 
ganze Firmament. Kennſt du meinen Namen und weißt 
du, wer ich bin? Ich heiße Ali Ben Hadſchi Ishak al 
Fareſi Ibn Hadſchi Dtaiba l'Oſcher Ben Hadſchi Mar⸗ 
wan Omar el Gandeſi Hafid Jacub Abd' Allah el Sand⸗ 
ſchaki. Dein Name aber lautet nur Uszkar Iſtvan. Kann 
er ſich neben dem meinigen ſehen und hören laſſen?“ 

„Jawohl! Dein langer Name iſt nichts als ein 
Bandwurm, von dem man froh iſt, wenn er glücklich 
mit Kopf und Schwanz entfernt worden. Der meinige 
aber iſt voller Kraft, Klang und Wohllaut, und jeder, 
der ihn vernimmt, freut ſich ſeiner. Und wie der Name, 
ſo der Mann. Während du noch ſchliefeſt und durch dein 
Schnarchen das Weltall erzürnteſt, war ich bereits wach, 
um mit dem Rieſen der Tierwelt zu kämpfen. Schau 
her an den Unterkiefer! Siehſt du das Loch in der Haut? 
Meine Kugel iſt da ſo ſtark aufgetroffen, daß das Tier 
die Maulſperre bekommen hat und weder ein Glied zu 
rühren noch ein vernünftiges Wort zu reden vermochte. 
Nur durch dieſe meine Kugel iſt es zu ſeinen Vätern und 
Ahnen verſammelt worden, und nun ſage mir, ob 
jemals du ſo etwas fertig gebracht haſt oder fertig brin⸗ 
gen wirſt!“ 

„Mit größter Leichtigkeit!“ antwortete der „Vater 
des Gelächters“. „Rufe nur ein Flußpferd herbei, und 
du ſollſt ſofort ſehen, welchen Schreck ich ihm einjagen 
werde.“ 

„Das glaube ich freilich, denn es braucht nur dein 
Seficht zu ſehen, jo rennt es augenblicklich davon.“ 

„Sprich nicht von meinem Geſicht!“ rief der Hadſchi 


— 5883 — 


wütend. „Wer iſt denn ſchuld an meinen immerwähren⸗ 
den Gelächter, als nur du allein?“ 

„Ich?!“ 

„Ja, nur du! Mein Geſicht war eine Perle der 
männlichen Schönheit. Meine Züge glänzten wie die 
Anfangsworte des Koran; meine Augen ſtrahlten in 
Kraft und Milde, und meine Wangen leuchteten wie die 
Morgenröte, bevor ich dich erblickte. Da kamſt du, und 
als ich dich ſah, mußte ich über deinen Schnurrbart 
fürchterlich lachen und lache noch heute darüber. Ich 
kann erſt dann auf Heilung dieſes meines Leidens rech⸗ 
nen, wenn ich dich nicht mehr erblicke und für immer 
von dir geſchieden bin.“ 

„So mache dich von dannen und wage es nicht, mir 
jemals wieder unter die Augen zu kommen!“ ſchrie nun 
ſeinerſeits der Kleine im höchſten Zorn. „Du biſt Mis⸗ 
mahri et tabuht, der Nagel zu meinem Sarg, und es 
Sabab kabri, die Urſache meines Grabes. Seit ich dich 
kenne, gehe ich langſam ein, und der Aerger über dich 
frißt an den Knochen meines Lebens. Du haſt meine 
Jugend gemordet und die Tage meines Alters im vor⸗ 
aus verſchlungen. Möge dir der Engel des Gerichtes 
dafür die Haut mit Nadeln beſtecken, ſo dicht wie das 
Fell eines Pudelhundes!“ | 

„Und dich möge er an den elf Haaren deines 
Schnurrbarts aufhängen, gerade über demjenigen 
Schornſtein der Hölle, aus dem — —“ 

Er kam nicht weiter, denn der Slowak war in 
einem ſo hohen Grade zornig geworden, daß er ſich bei 
der Erwähnung der elf Haare nicht länger zu beherr⸗ 
ſchen vermochte. „Uskut, dſchidd ed dija w'eſch ſchu ub 
— halte den Mund, du Großvater der Dörfer und Völ⸗ 


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ker!“ ſtieß er hervor. „Du ſollſt mich und meinen 
Schnurrbart ſofort kennen lernen!“ 

Indem er dieſe Drohung ausſprach, warf er ſich 
auf den Hadſchi, um ihn bei der Gurgel zu faſſen. In 
der Hitze des Wortgefechts hatten die beiden ihre ur⸗ 
ſprünglichen Standorte gewechſelt. Der Kleine war vor⸗ 
gerückt und der „Vater des Gelächters“ zurückgewichen, 
ſo daß er jetzt hart am Waſſer ſtand, dieſem den Rücken 
zugekehrt. Er wollte dem Angriff entgehen, tat einen 
Sprung nach rückwärts und verlor den Boden unter 
den Füßen. 

„Ja mußabi, rah nirrak — o Unglück, wir werden 
ertrinken!“ kreiſchte er auf und verſchwand dann i in der 
gerade hier ſehr tiefen Flut. 

Es war ganz richtig, daß er nicht von ſich allein, 
ſondern in der Mehrzahl geſprochen hatte, denn der 
Kleine befand ſich in derſelben Gefahr. Er hatte zu 
kräftig ausgeholt und flog nun, da der andre ihm aus⸗ 
gewichen war, über das Ufer hinaus und gleichfalls in 
das Waſſer hinein, das über den beiden hoch aufſpritzte. 

Die Soldaten ſchrien vor Schreck, als ob ſie ſelbſt 
hineingefallen ſeien. Es handelte ſich weniger um den 
Tod des Ertrinkens als vielmehr um die Gefahr, die 
ſeitens der Krokodile drohte, von denen die Maijeh wim⸗ 
melte. Die anwohnenden Völkerſchaften des Nils ſind 
meiſt gewandte Schwimmer, die Soldaten ebenſo; das 
Waſſer an ſich bringt ihnen alſo keine Gefahr, aber vor 
den darin lebenden Ungetümen haben ſie ſich zu hüten. 

Darum ſchauten die Aſaker zunächſt nicht nach der 
Stelle, wo die beiden im Waſſer verſchwunden waren, 
ſondern über deſſen ganze ſichtbare Fläche, ob da ſich 
vielleicht ein Krokodil ſehen laſſe. Und wirklich lagen 
abwärts auf einer kleinen Landzunge mehrere dieſer 


U 


— 535 — 


Tiere, welche die Köpfe erhoben. Das Geſchrei der Sol⸗ 
daten ſchüchterte ſie ſo ein, daß ſie nicht in das Waſſer 
gingen. Es kommt häufig vor, daß ein Saurier, ſelbſt 
wenn er hungrig iſt, ſich von den Stimmen vieler Men⸗ 
ſchen einſchüchtern läßt. 

Jetzt tauchte der Kleine auf; er war mit dem Waſ⸗ 
ſer gut vertraut und blickte ſich ängſtlich um, zunächſt 
nach Krokodilen und dann nach dem „Vater des Geläch⸗ 
ters“. Als er dieſen nicht ſah, rief er erſchrocken aus: 
„Ma hai hu; wain fi jah — er iſt nicht da; wo befindet 
er ſich? ! 

„Ba’d taht el moi — noch unter dem Waſſer,“ 
wurde ihm geantwortet. 

„O Allah, ſo geht ihm die Luft aus, und er muß 
elendiglich ertrinken.“ 

Der Streit war vergeſſen und er tauchte unter, um 
ſeinen Freund zu ſuchen. Einen Augenblick ſpäter er⸗ 
ſchien der „Vater des Gelächters“ auf der Oberfläche 
und rief: „Wo iſt der Vater der elf Haare‘? Ich ſehe 
ihn nicht!“ 

„Er iſt wieder hinunter, um dich zu ſuchen,“ lauteke 
die Antwort. 

„Der Gute, der Freundliche, der Vortreffliche! Er 
wird ſich mir zuliebe den Tod holen. Ich muß zu ihm 
hinab!“ 

Er tauchte wieder nieder, und im nächſten Augen⸗ 
blick erſchien der Slowak. Als er den andern auch jetzt 
noch nicht erblickte, ſchrie er auf: „Er iſt tot! So lange 
hält es kein Menſch unter dem Waſſer aus. Er iſt 
erſtickt; aber ich muß wenigſtens feinen Leichnam retten!“ 

„Bleib oben!“ wurde ihm geſagt. „Er war ſoeben 
da und ging wieder hinab, um nach dir zu fuchen.” 

„Der Brave, der Liebe, der Herrliche! Aber ich darf 


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ihn nicht verziehen laſſen, ſonſt bekommen ihn die Kro⸗ 
kodile.“ 

Er verſchwand aufs neue; daun ſpäter erſchienen 
zwei triefende Köpfe in ziemlicher Entfernung vonein⸗ 
ander. Sie ſprudelten das Waſſer von ſich und ſahen 
ſich um. Der eine erblickte den andern und rief erfreut: 
„Biſt du es denn wirklich, du Freund meiner Seele, 
du Troſt und Ruhe meines Herzens?“ 

„Ja, ich bin es, du Luſt meiner Augen. Voller 
Wonne ſehe ich dich gerettet, du Licht und Wärme 
meines Lebens!“ 5 

„So eile ich, um dich zu umarmen, o Glück meines 
Daſeins!“ 

„Und ich ſchwimme an dein Bis du Spender der 
ſeligſten Freude!“ 

Laut aufjauchzend ſchoſſen ſie aufeinander zu, um 
ſich im Waſſer zu umarmen, und kamen dann mitein⸗ 
ander Hand in Hand auf das Ufer zugeſchwommen. 
Eben als ſie dieſes erreichten und aus dem Waſſer ſtie⸗ 
gen, rief einer der Soldaten, mit der Hand nach der 
Landzunge deutend: „Sie ſind fort, die Krokodile; ſie 
haben euch geſehen und kommen nun, euch zu freſſen. 
Macht euch ſchnell vom Ufer fort!“ 

Mehrere ſich raſch nähernde Furchen im Waſſer be⸗ 
wieſen, daß er recht hatte. Nur einige Augenblicke ſpäter 
waren die Tiere da, deren dunkle, ſtumpfe Schnauzen 
man erſcheinen ſah. 

„Hamdulillah, ſie kommen zu ſpät. Du haſt mich 
gerettet!“ rief der Slowak, indem er den Arm um ſeinen 
Freund ſchlang. 

„Scharafalillah, ja, ſie haben ſich verrechnet!“ ant⸗ 
wortete dieſer. „Aber nicht ich habe dich, ſondern du haſt 
mich gerettet. Ohne dich wäre ich jetzt eine Speiſe dieſer 


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Eidechſen und eine Mahlzeit dieſer Ungeheuer, die Allah 
verdammen möge!“ 

„Ja, ihr Leben mag kurz ſein und ihr Tod fürch⸗ 
terlich. Ihre Ahnen ſeien vergeſſen und ihre Enkel und 
Nachkommen zu ewigem Hunger verurteilt. Die Krank⸗ 
heit mag ihren Leib verzehren und der Kummer ihre 
Seele, bis ſie aufrichtig Buße tun und es erkennen, daß 
es eine Sünde gegen Allahs Gebot iſt, das Fleiſch leben⸗ 
diger Menſchen zu verzehren!“ | 

„Sie werden niemals Buße tun, denn ihre Herzen 
ſind verhärtet, und ihre Ohren hören nicht auf die 
Stimme des Warners. Sie leben in ihren Sünden wei⸗ 
ter und werden im ewigen Feuer brennen, ohne ver⸗ 
zehrt zu werden. Wir aber wollen uns freuen, ihren 
Zähnen entgangen zu ſein, und ihnen ſagen, daß wir ſie 
verachten jetzt und immerdar!“ | 
Sie riefen num. in echt orientalischer Weiſe den 

Krokodilen die beleidigendſten Schimpfnamen zu und 
verwünſchten ſte in den tiefſten Abgrund der Hölle hin» 
ab. Dann aber rangen ſie ihre Kleider aus und mach⸗ 
ten ſich an die Arbeit, indem ſie den Soldaten halfen, 
das Fleiſch und den dicken Speck des Nilpfendes in lange 
Streifen zu zerlegen. Dieſe wurden dann auf Lanzen 
geſpießt und nach dem Lager getragen, wo mittlerweile 
mehrere Feuer angeſteckt worden waren, an denen der 
leckere Braten bereitet werden ſollte. 

Indeſſen hatten die Fahrzeuge ſich dem Ufer ge⸗ 
nähert und die Anker ausgeworfen. Als die Inſaſſen 
den Geruch des Bratens verſpürten, begehrten ſie, aus⸗ 
ſteigen zu dürfen, was Schwarz nicht gern erlaubte, da 
er wenigſtens der Nuehr nicht ganz ſicher zu ſein 
glaubte. Der „Vater der Hälfte“ aber gab ihm den Rat, 
ſich ihre Anhänglichkeit dadurch zu erwerben, daß er 


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ihnen Vertrauen zeige, und ſo durften ſie die Schiffe 
verlaſſen. Doch erhielten die Soldaten heimlich den Be⸗ 
fehl, auf ſie zu achten, damit keiner von ihnen unbe⸗ 
merkt den Platz verlaſſe. 

Das Nilpferd hatte eine ungeheure Menge Fleiſch 
geliefert, ſo daß von den anweſenden Hunderten jeder 
ein tüchtiges Stück bekam, das er auf beliebige Weiſe 
zubereiten und verzehren konnte. Die Art und Weiſe, 
wie das geſchah, hätte einem Maler Stoff zu einer gan⸗ 
zen Mappe voll Stimmungsbilder gegeben. 

Schwarz ſaß mit Pfotenhauer, dem „Vater der 
Keule“ und Haſab Murat zuſammen. Sie aßen ge⸗ 
bratenen Hippopotamusſpeck, den der N ganz vor⸗ 
trefflich fand. 

„Nit wahr, er iſt ausgezeichnet?“ ats der „Vater 
des Storches“. „Kaan Fleiſcher oder Selcher in Deutſch⸗ 
land kann was Beſſeres aufweiſen, und i kenn' hier am 
Nil nur aan einziges, was dem nit nur gleichkommt, 
ſondern vielleichten gar noch delikater iſt.“ 

„Was iſt das?“ erkundigte ſich Schwarz. 

„Das iſt aan Elefantenbraten; aber von der rich⸗ 
tigen Stell' muß er halt ſein. Haben Sie es kennen 
g'lernt?“ 

„Elefantenfleiſch habe ich gegeſſen, doch weiß ich 
nicht, von welchem Körperteil es am beſten iſt.“ 

„So muß i es Ihnen ſagen. Es iſt hier herum in 
dieſer Gegend gar nit ausgeſchloſſen, daß uns mal ſo a 
Herr Elephas oder gar eine ganze Herd' davon begeg⸗ 
net; kommen wir da gut zum Schuß, ſo werd' i Ihnen 
den Beweis liefern. Wiſſen S', wo die Kugel den 
Elefanten treffen muß, wann er ſogleich fallen ſoll?“ 

„Ja, dort, wo der Rüſſel in den Kopf übergeht.“ 

„Das iſt ſchon richtig, obgleich man ihn mit der 


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Exploſtonskugel auch anderswo tödlich verwunden kann. 
G'rad' unter dieſer Stell' muß man ſich ein Stück aus 
dem Rüſſel ſchneiden. Das gibt den beſten Braten, den 
i jemals 'geſſen hab'.“ Pfotenhauer verdrehte die Augen 
und ſchnalzte mit der Zunge, um den großen Wohlge⸗ 
ſchmack des betreffenden Gerichts möglichſt anzudeuten. 
Dabei nickte ſeine Naſe höchſt begeiſtert von oben nach 
unten, als ob ſie die Abſicht habe, ſeine Behauptung auf 
das kräftigſte zu bejahen. 

„Elefantenrüſſel?“ fragte Schwarz ungläubig. „Ich 
habe geglaubt, der müſſe ziemlich zähe ſein.“ 

„O nein. Er iſt ſo zart wie Renntierzunge. Aberſt 
das Rüſſelſtück tut's nicht allein, ſondern es muß in dem 
richtigen Fett gebraten werden, das dazu g'hört. Das 
iſt nämlich das Fett im Zellgeweb' der Nieren, a Fett, 
ſag' i Ihnen, was mit gar nix zu vergleichen iſt. J 
wollt', es käm' gleich jetzt ſo aan Elefant g'laufen, da⸗ 
mit i Ihnen zeigen könnt', was i leider nit zu beſchrei⸗ 
ben vermag!“ 

„Sie Feinschmecker! lächelte Schwarz. „Ich glaube 
wirklich, Sie wünſchen wegen dieſes kleinen Rüſſelſtücks 
eine ganze Elefantenherde herbei. Denken Sie an die 
Verwirrung, welche dieſe Tiere hier anrichten würden!“ 

„Wann's ruhig kämen, hätt's gar nix zu fagen; 
aber freilich wenn's g'reizt werden, dann könnt's uns 
ſchlimm dergehen. Wiſſen's vielleicht, was man ſo 
einen Einſiedler' nennt?“ | 

„Ja. So nennt man alte männliche Elefanten, die 
wegen ihrer Bösartigkeit von den Herden nicht gelitten 
werden und infolgedeſſen allein umherirren müſſen. 
Das ſind höchſt gefährliche Tiere. Wehe demjenigen, der 
einem ſolchen unvorbereitet oder gar auf offenem Plan 
begegnet!” 


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„Ja, wann ſo a Einſiedler käm', der könnt uns all 
unsre Tiere hier zu ſchanden machen; er tät fie wohl alle 
nach' nander aufſpießen. Hab' ſelbſt Thon meine Erfah⸗ 
rung mit ſolch aan Einſiedler gemacht, droben am Bahr 
Dſchur. Da ſaß i mit zwei Niam⸗niam zuſammen und 
balgte die g'ſchoſſenen Vögel ab. Plötzlich wackelt die 
Erde unter uns, und es gab aan Gedröhn, als ob aan 
Erdbeben — — — horch! Was iſt das? Hören's nix?“ 

Schwarz lauſchte und antwortete dann: „Das 
klingt wie ein ferner kleiner e Aber hier gibt 
es doch keinen!“ 

„Nein. Das iſt 'was ganz andres. Vielleicht hab' 
i gar den Teufel an die Wand g'malt, und nun kommt 
er herbei. Wann's nur noch Zeit iſt, die Herd in 
Sicherheit zu bringen!“ 

Er war aufgeſprungen, legte die Hände wie ein 
Sprachrohr an den Mund und rief denjenigen Leuten, 
welche die Aufſicht über die Rinder zu führen hatten, 
mit weithin ſchallender Stimme zu: „Hariſihn, ruh el 
bakar; b'id b'id ruh; el ifjal, el ifjal — Wächter, fort mit 
den Rindern, weit, weit fort; die Elefanten, die 
Elefanten!” 

Dieſer Ruf wurde im ganzen Lager vernommen. 
Wer ſaß, der ſprang auf und griff zu den Waffen. Die 
Wächter eilten zu ihren Tieren und trieben ſie mit den 
Lanzen unter lautem Geſchrei hinaus in die Ebene, 
nach der Richtung, die Pfotenhauer ihnen andeutete, 
indem er mit beiden Armen winkte, ſo daß dieſe wie die 
Flügel einer Windmühle auf und nieder gingen. 

Das ſtarke Geräuſch, das er gehört hatte, war näm⸗ 
lich von links her gekommen, aus dem Wald, der jenſeits 
der Spitze der Maijeh lag. Es war jetzt nicht mehr zu 
vernehmen, da die Hirten ſchrien und die Soldaten ein⸗ 


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ander Mut zubrüllten. Aber die Lunge Pfotenhauers 
war kräftiger als die aller andern. „Raha, hudu, ja nas, 
willa nihma maijit — Ruhe, Stille, ihr Leute, ſonſt ſind 
wir verloren!“ donnerte er über die weite Fläche dahin. 

Und nun war« das Geräuſch wieder zu hören, und 
zwar mit verdoppelter Stärke. Seit der erſten Warnung 
Pfotenhauers waren noch keine zwei Minuten vergan⸗ 
gen, und nun dröhnte die Erde, wie wenn die ſchwache 
Mauer eines Häuschens von einem vorüberrollenden 
ſchweren Laſtwagen zittert. Jetzt durchfuhr ein Ton die 
Luft, ſo ſtark, ſo ſchneidend, als ob er aus hundert Trom⸗ 
peten zugleich erſchalle; dann kam der Goliath der vier⸗ 
füßigen Tiere um die Ecke des Gebüſches gerannt, den 
Rüſſel hoch erhoben und das kleine lächerliche Schwänz⸗ 
chen wie einen abwehrenden Stachel geradeaus geſtreckt. 
Es fehlte ihm der eine Stoßzahn; der vorhandene war 
von außerordentlicher Größe und deutete das hohe Alter 
des Tieres an, das im Widerriſt ſicher eine Höhe von 
vier Meter beſaß; die Länge betrug wohl einen ganzen 
Meter mehr. 

Der Elefant bot mit dem erhobenen Rüſſel, den 
klatſchenden Rieſenohren und der durchdringenden 
Trompetenſtimme eine ſo gewaltige Erſcheinung, daß 
ein unwiderſtehliches Entſetzen die Sudaneſen packte. 
Sie warfen ihre Waffen weg und rannten davon, um 
ſich hinter den Büſchen und Bäumen zu verbergen, und 
ließen dabei ein Angſtgeheul hören, das den Elefanten 
aufmerkſam machte. 

Durch irgend etwas, das man noch nicht ſehen 
konnte, in Wut verſetzt, war er bisher wie blind ges 
weſen; jetzt aber blieb er ſtehen, um den vor ihm liegen⸗ 
den Platz zu beäugen. Er ſah die fliehenden Menſchen 

und das kleine Häuflein der Stehengebliebenen, die den 


— 542 — 


Mut beſaßen, ihm Widerſtand leiſten zu wollen; er 
ſchlug mit dem Rüſſel ein Rad, hob ihn dann zum 
Schlag hoch empor und ſtürzte auf die wenigen Männerlos. 

Dieſe letzteren waren die Europäer, der „Sohn der 
Treue“ und der wackere „Vater des Gelächters“. Die 
andern alle, auch der „Vater der Keule“ und Haſab 
Murat, waren verſchwunden. Die gefangenen und ge⸗ 
bundenen Leute des Feldwebels lagen mit dieſem ganz 
bewegungslos, um ja die Aufmerkſamkeit des Tieres 
nicht auf ſich zu lenken. 

Doch noch einen gab es, der nicht geflohen war — 
Abd es Sirr, der „Sohn des Geheimniſſes“. Dieſer 
hatte ſich, ſobald der Elefant in Sicht kam, zu Boden ge⸗ 
worfen und kroch, anſtatt zu fliehen, ihm vielmehr raſch 
entgegen. | 
„Fliehe, um Allahs willen!“ rief ihm der „Sohn 
der Treue“ zu. „Er zerſtampft dich ja. Es iſt ein Hah⸗ 
ſchil.“ Dieſes letztere Wort bedeutet einen Vagabun⸗ 
den, einen Herumtreiber. Das Tier war alſo fo ein aus 
geſtoßenes, wegen ſeiner Wildheit und Tücke ſelbſt von 
ſeinesgleichen gemiedenes Ungeheuer. 

„Ja, ein Hahſchil,“ ſtimmte Pfotenhauer bei. 
„Eure Kugeln tun ihm nichts. Trifft die meinige nicht 
die richtige Stelle, ſo gnade uns Gott!“ 

Die Männer ſtanden dicht beiſammen, die Ge⸗ 
wehre gegen das Tier erhoben. Aber die bereits er⸗ 
wähnte Stelle, auf die gezielt werden mußte, war nicht 
zu ſehen, da der Elefant den Rüſſel gerade aufwärts trug. 

Das alles geſchah ſelbſtverſtändlich viel ſchneller, 
als es erzählt werden kann. Das Tier war bis auf höch⸗ 
ſtens vierzig Ellen herangekommen. 

„Zerſtreut euch und ſchießt von der Seitel“ rief der 
„Vater des Storches“, „da haben wir beſſeres Zielen.“ 


— 543 — 


Er ſprang zur Seite und die andern folgten ſeinem 
Beifpiel, den kleinen Slowaken ausgenommen, der nie⸗ 
dergekniet war und den Lauf ſeines ſchweren Katil elfil 
auf den offenen Rachen des Tieres gerichtet hielt. „Allah, 
hilf der Kugel ins Gehirn,“ rief er aus, „ſonſt ſchlägt 
mir das Vieh den Schädel ein!“ 

Er drückte ab, und der Schuß hatte einen doppelten 
Erfolg. Der „Vater der elf Haare“ erhielt nämlich von 
dem Gewehr einen ſolchen Rückſchlag gegen den Kopf, 
daß er zu Boden ſtürzte. „Liſir' rack — proſit Mahlzeit; 
mit mir iſt's aus!“ ſchrie er, indem er die Augen ſtarr 

auf den Elefanten gerichtet hielt. 

Aber dieſer ſenkte den Rüſſel nicht, um den re 
Schützen damit zu ergreifen oder zu zerſchmettern. Er. 
bewegte ihn gar nicht, ja, er bewegte ſich ſelbſt nicht 
mehr. Und das war der andre Erfolg des Schuſſes. Die 
große, ſchwere Kugel hatte ihn mitten im ſchnellſten 
Lauf zum Stehen gebracht; er hielt da wie gelähmt und 
ohne einen Zollbreit ſeines Körpers zu bewegen, freilich 
nur für wenige Augenblicke; aber dies genügte zur Ret⸗ 
tung des Slowaken. 

Der „Vater des Gelächters“ ſah nämlich die Ge⸗ 
fahr, worin ſein Freund ſchwebte, und rief n zu: 
„Lauf davon! Ich halte ihn auf!“ 

Er ſprang vor und gab dem Tiere eine Kugel in 
den untern ſtarken Teil des Rüſſels, freilich ohne den 
beabſichtigten Erfolg. Er wäre mit ſamt dem Slowaken 
verloren geweſen, wenn nicht der „Sohn des Geheim⸗ 
niſſes“ während dieſer kurzen Pauſe Zeit gefunden 
hätte, ſeine Abſicht auszuführen. 

Abd es Sirr hatte ſich ein wenig ſeitwärts gehalten, 
und der Elefant war, ohne ihn zu ſehen oder zu be⸗ 
achten, an ihm vorübergerannt und dann, von des 


— 5844 — 


Kleinen Kugel getroffen, ſtehen geblieben. Gerade als 
der „Vater des Gelächters“ ſeinen Schuß abgab, 
ſprang der „Sohn des Geheimniſſes“ vom Boden auf, 
ſchnellte ſich an das eine hintere Bein des Tieres, holte 
mit ſeinem langen Meſſer aus und verſetzte ihm einen 
Hieb, um die Flechſe zu durchſchneiden. Hatte er nicht 
die richtige Stelle getroffen, oder war ſein Meſſer nicht 
ſcharf genug, kurz, die Abſicht mißlang, und der Elefant 
drehte ſich ſchnell um, um den neuen Feind zu ſehen. 
Aber er ſah nicht nur dieſen einen, ſondern mehrere, viele. 

Man hatte bisher nur auf dieſen einen Elefanten 
geachtet, nicht aber darauf, was aus dem früheren Ge⸗ 
töſe, das doch auf eine ganze Herde ſchließen ließ, ge⸗ 
worden war. Der alte Einſiedler hatte ſich in die Nähe 
eines Trupps gewagt und war von ihm fortgejagt und 
verfolgt worden. Als er um die Ecke der Maijeh bog, 
war er ſeinen Verfolgern aus den Augen gekommen, 
und dieſe hatten eine kurze Zeit nach ihm geſucht. Jetzt 
kamen auch ſie um die Ecke. Ihn ſehen und mit entſetz⸗ 
lichem Trompeten auf ihn eindringen, war eins. Dieſe 
Feinde erſchienen ihm jedenfalls fürchterlicher als die 
Menſchen; er wendete ſich ſchnell wieder um und rannte 
entſetzt weiter, ohne ſich für die Verwundungen gerächt 
zu haben. 

Die Zahl ſeiner vierfüßigen Gegner betrug zwölf, 
eine Schar, der er freilich nicht gewachſen war; ſie ge⸗ 
hörten jedenfalls einer Familie an, deren Oberhaupt, 
ein alter Bulle, voranrannte; ihm folgten vier Männ⸗ 
chen, vier Weibchen und drei Junge. In ihrem Zorn 
über den Herumläufer nahmen ſie nicht die geringſte 
Notiz von den anweſenden Menſchen und ſtampften mit 
kaum glaublicher Schnelligkeit vorüber und Hinter ihm 
drein, — freilich nicht alle von ihnen. 


— 545 — 


Der Slowak und ſein Freund waren dem „Vaga⸗ 
bunden“ ausgewichen und alſo von ſeinen Füßen nicht 
getroffen worden. Als die Herde heranſtürmte, hatte der 
„Vater des Storches“ gerufen: „Laßt die Männchen vor⸗ 
bei und zielt nur auf die Jungen! Die Weibchen ſind 
uns dann ſicher.“ | 

Zugleich zielte er nach dem Rüſſel des erſten Elefan- 
tenjünglings. Schwarz ſah das und nahm den zweiten 
auf das Korn. Die beiden Schüſſe krachten und nur 
wenige Sekunden ſpäter der dritte, denn Pfotenhauer 
hatte ſofort auch dem dritten Jungen die Kugel des an⸗ 
dern Laufes gegeben. Seine Exploſionsgeſchoſſe wirkten 
bei der Jugend der Tiere augenblicklich; die zwei Elefan⸗ 
ten brachen mit zerſchmetterten Stirnen zuſammen. 
Auch Schwarz hatte genau die beabſichtigte Stelle ge⸗ 
troffen; aber ſein Schuß konnte keine ſo plötzlich zer⸗ 
ſtörende Wirkung hervorbringen. Der Getroffene blieb 
ſtehen, ſchwenkte den Rüſſel wie einen Pendel hin und 
her, ſtieß ein markerſchütterndes Schmerzensgeſchrei aus 
und begann dann wie betrunken zu wanken. 

„Auch der hat genug,“ rief Pfotenhauer. „Jetzt 
ſchnell hinter ſtarke Bäume. Raſch, raſch!“ Er rannte, 
noch während er dieſe Worte ausſtieß, fort, dem Waldes⸗ 
rand zu, und die andern folgten ihm augenblicklich, nur 
Abd es Sirr und Ben Wafa ausgenommen, die ſich nie⸗ 
derlegten und in dem Graſe zu verſtecken ſuchten. 

„Warum fliehen?“ fragte der „Vater des Geläch⸗ 
ters“, als er nun in der Nähe Pfotenhauers hinter 
einem Baum ſtand. „Wir haben doch geſiegt!“ 

„Seht da nach rechts hinüber; ſie kommen ſchon,“ 
antwortete der Gefragte. „Ladet ſchnell die abgeſchoſ⸗ 
ſenen Läufe wieder! Die Weibchen werden ihre Jungen 


rächen wollen.“ 
May, Die Sklavenkarawane 35 


— 546 — 


Er hatte recht. Die Mütter hatten das Geſchrei des 
von Schwarz getroffenen Jungen gehört, die Verfolgung 
aufgegeben und waren ſchnell umgekehrt. Sie rannten 
trompetend der betreffenden Stelle zu. Dort angekom⸗ 
men, unterſuchten ſie ihre Jungen mit den Rüſſeln. Die 
Mutter des tödlich getroffenen betaſtete die Wunde ihres 
Lieblings, ſtreichelte dieſen zärtlich und ſtellte ſich eng 
neben ihn, Seite an Seite, um ihn zu halten und vor 
dem Umfallen zu bewahren. Ihre Liebkoſungen und 
Anſtrengungen waren vergeblich; das Junge neigte ſich 
mehr und mehr zur Seite und fiel dann tot nieder. Nun 
ging eine Mutter zur andern, um deren Kind auch zu be⸗ 
trachten und zu unterſuchen. Sie erkannten, daß die 
Jungen tot ſeien, erhoben die Rüſſel und ſtießen kla⸗ 
gende Trompetentöne aus. 

„Nun kommt die Rache,“ ſagte Pfotenhauer. „Sie 
werden uns wahrſcheinlich aufſuchen.“ 

„Mir iſt es ganz fo, als ob wir Strafe verdient hät-- 
ten,“ antwortete Schwarz. „Sehen Sie den Schmerz 
dieſer Mütter! Er iſt ergreifend, und wer ein Herz hat, 
dem muß es wirklich leid um ſie tun.“ 

„Ja, da kommt halt das deutſche G'müt zum Vor⸗ 
ſchein. Der Menſch iſt das ſchlimmſte Raubtier, was es 
geben kann. Aberſt ſchaun S'! Haben S' giehen?” Er 
deutete nach der Elefantengruppe. 

„Ja. Die eine Mutter iſt hinten niedergeſunken 
und trompetet noch kläglicher.“ 

„Und jetzt bricht die andre auch zuſammen. Ah, ich 
weiß, was es iſt. Wiſſen Sie's auch?“ 

„Sollte der ‚Sohn des Geheimniſſes' etwa — —?“ 

„Ja, der iſt's, und Ben Wafa mit ihm. Das ſind 
mutige Jungens. Sie haben ſich an die Tiere g'ſchlichen 
und ihre Meſſer in G'brauch genommen. Jetzund müſ⸗ 


— 547 — 


fen wir hinaus, ſonſt kommen ſ' noch gar in G'fahr. 
Auch dürfen wir die armen Tiere nit allzulang leiden 
laſſen.“ 

Die beiden Jünglinge hatten ſich ſo gut im Gras 
verſteckt gehabt, daß ſie von den zurückkehrenden weib⸗ 
lichen Elefanten nicht geſehen worden waren. Sie ſchli⸗ 
chen, als dieſe bei den Jungen angekommen waren, ſich 
von hinten an ſie heran, was mit keiner großen Gefahr 
für ſie verbunden war, da die Aufmerkſamkeit der Müt⸗ 
ter ſich ausſchließlich auf ihre Jungen richtete. Ungefähr 
bis auf zehn Schritte herangekommen, zog Ben Wafa 
ſeine Kulbedah, ein ſtark gekrümmtes, ſichelförmiges 
und ſchweres Meſſer, das eine ſehr gefährliche Waffe iſt 
und ſowohl zum Schlagen als auch zum Werfen in An⸗ 
wendung kommt, ſprang auf den erſten Elefanten ein 
und zerhieb ihm mit zwei ſchnellen Hieben die Flechſen 
der Hinterfüße. Dann ſchlich er ſich an das dritte Tier 
und brachte ihm ſeine lähmenden Streiche gerade dann 
bei, als das zweite unter denen e Freundes auch zu⸗ 
ſammenbrach. 

Die vor Schmerz und Wut brüllenden Elefanten 
drehten ſich zwar nach ihren Peinigern um, verſuchten 
auch, rutſchend zum Angriffe gegen ſie vorzugehen, konn⸗ 
ten ſie aber nicht erreichen. 

Es war ein Anblick wirklich zum Erbarmen. Glück⸗ 
licherweiſe kamen jetzt die Weißen herbei und machten 
den Leiden der Tiere durch einige wohlgezielte Kugeln 
ein Ende. „So, jetzt fühlen ſ' nix mehr,“ ſagte Pfoten⸗ 
hauer, indem er ſein abgeſchoſſenes Gewehr wieder lud. 
„Iſt das a Jagd und aan Erfolg! Sechs Elefanten in 
kaum fünfzehn Minuten!“ 

„Eigentlich ein ganz unnützes Morden!“ bemerkte 
Schwarz. 


— 548 — 


„Warum?“ 

„Weil wir dieſe Maſſen von Fleiſch gar nicht brau⸗ 
chen können. Und Stoßzähne haben weder die Weib 
chen noch die Jungen.“ 

„J bin halt andrer Meinung. Es kann ſogar kom⸗ 
men, daß wir das Fleiſch ſehr gut gebrauchen können. 
Wir willen ja nit, ob wir auf en Zug für alle aus⸗ 
reichend Eſſen finden.“ 

„Pahl Ich ſchätze jedes Weibchen zu achttauſend 
und jedes Junge zu zweitauſend Pfund; ein ausgewach⸗ 
ſener Bulle kann zwölftauſend und ſogar noch mehr 
wiegen. Das ſind dreißigtauſend Pfund Fleiſch. Wie 
wollen wir dieſe Menge in höchſtens zwei Tagen ver⸗ 
zehren? Länger hält es ſich ja nicht.“ 

„Da kennen S' halt unſre Sudaneſen ſchlecht. Sie 
ſollen mal ſchauen, wie die nit etwa eſſen, ſondern freſ⸗ 
ſen werden. Uebrigens beſteht doch nit der ganze Elefant 
aus Fleiſch. Es ſind Abfall und Knochen auch dabei, und 
was für Knochen! Aber laden S' nur Ihr G'wehr im⸗ 
mer wieder! Wir ſind noch lang nit fertig.“ 

„Sie meinen, daß noch andre Elefanten kommen?“ 

„Andre nit, ſondern vielleicht diejenigen, die bereits 
dag'weſen ſind. Wann die Bullen merken, daß die 
Madamen fehlen, fo laſſen fie den ‚Einfiedler‘ laufen und 
kehren um, ſie zu ſuchen. Elefanten wiſſen der Fährte 
der Ihrigen ebenſo gut zu folgen wie die Menſchen.“ 

„Aber töten werden wir wohl keinen mehr?“ 

„Nein. Schad' freilich um die ſchönen Zähne der 
Männchen. Diejenigen des Bullen, der voranlief, konn⸗ 
ten gegen hundertzwanzig Pfund wiegen pro Stück. Na, 
ſchauen S' ſich mal um! Nun die Arbeit g'macht iſt, 
wagen ſich unſre Sudaneſen wieder hervor.“ 

Die Leute kamen vorſichtig aus den Büſchen ge⸗ 


— 549 — 


treten, und als ſie ſahen, daß keine Gefahr mehr vor⸗ 
handen ſei, riefen ſie es den weiter zurück Befindlichen 
zu, und bald waren alle um die erlegten Elefanten ver⸗ 
ſammelt. Sogar die Nuehrs hatten ſich ohne Ausnahme 
eingeſtellt, ein Beweis, daß ſie keine Abſicht hatten, Abu 
el Mot oder ſeine Sklavenjäger aufzuſuchen. 

Nun wurden Gruppen mit Obmännern, die man 
beſſer als Verſchneider bezeichnen konnte, um die Tiere 
zu zerlegen, beſtimmt. Es herrſchte in Erwartung der 
mehr als reichlichen Fleiſchportionen eine ungeheure 
Luſtigkeit unter dieſen Menſchen, die aber nicht von lan⸗ 
ger Dauer war, denn kaum war mit der Arbeit begon⸗ 
nen worden, ſo hörte man von Weſten her, wohin die 
Wächter die Rinder getrieben hatten, ein vielſtimmiges 
Geſchrei, in das ſich die Stimmen brüllender Ochſen und 
Kühe miſchten. 

„Was mag das ſein?“ fragte Schwarz. „Ob die 
Herde ſcheu geworden iſt?“ 

„Möglich. Wollen abwarten, ob ſich was ſehen 
läßt,“ antwortete Pfotenhauer. 

Er brauchte nicht lange zu warten. Da er ſich in⸗ 
mitten der vielen Menſchen befand, verhüllten ſie ihm 
die Ausſicht nach der betreffenden Richtung, doch nur 
für kurze Zeit, denn plötzlich flogen ſie alle unter lautem 
Geſchrei nach rechts und links auseinander und davon. 
„El Hahſchil, el Hahſchil,“ To klang es voller Angſt von 
allen Lippen und in der Zeit von wenigen Sekunden 
war kein einziger Sudaneſe mehr zu fehen; fie alle hat⸗ 
ten wieder Schutz hinter den Büſchen geſucht, die ſchon 
vorhin von ihnen als Zuflucht benutzt worden waren. 

Nun hatten die wenigen Standhaften einen freien 
Blick nach Weſt. Von dorther kam ein Stier gerannt, 
brüllend vor Angſt und aus allen Kräften laufend. 


— 550 — 


Hinter ihm drein lief der alte Elefantenbulle, der vor⸗ 
hin von der Herde gehetzt worden war. Es war keine 
Täuſchung möglich, da man ihn an dem Fehlen des ab⸗ 
gebrochenen Stoßzahnes erkannte. 

„Alle Teuxel, das ſchaut g'fährlich aus!“ rief Pfo⸗ 
tenhauer. „Es kommt alles darauf an, wohin der Stier 
ſich wendet.“ 

„Er iſt verloren,“ meinte Schwarz. „Der N 
läuft doppelt ſo ſchnell.“ 

„Ja. Der Ochs kommt grad richtig auf uns zu, doch 
ſteht man, daß er ſogleich eingeholt ſein wird. Verhal⸗ 
ten wir uns ruhig, damit der Einſiedler uns dann nit 
bemerkt.“ 

Jetzt hatte der Elefant den Stier erreicht. Anſtatt 
ihn von hinten anzugreifen, machte er ſich an deſſen 
Flanke, ſtieß ihm den Zahn in die Seite und warf ihn 
mitten im Lauf empor. Man hörte den Krach, als der 
Stier die Erde wieder berührte. Er wollte ſich trotz der 
gräßlichen Verwundung aufraffen, aber der Elefant war 
ſtehen geblieben und ſchleuderte ihn abermals empor, 
viel höher noch als vorher; dann trat er ihn mit Füßen 
und verſetzte ihm mit dem Rüſſel ſo gewaltige Streiche, 
daß der Beſiegte bald eine weiche, formloſe Maſſe bildete. 

Die Wut des „Vagabunden“ war durch die feindlichen 
Elefanten erregt und durch den Anblick der Rinderherde 
erhöht worden; der Tod des Stieres ſchien ihn nicht zu 
befriedigen; er ſah ſich nach neuen Opfern um. Da er⸗ 
blickte er die kleine, bewegungsloſe Männergruppe und 
ſetzte ſich gegen ſie in Bewegung, nicht etwa langſam 
laufend, ſondern mit einer unheimlichen Schnelligkeit. 

„Rettet euch in den Wald und auf die Bäume!” 
ſchrie Pfotenhauer. „Bei dieſen Sprüngen iſt von 
ſicherm Zielen und Schießen keine Rede.“ 


— 551 — 


Jetzt kamen die Beine der ſonſt ſo furchtloſen Män⸗ 
ner in ungewöhnliche Bewegung. Der „Vater der elf 
Haare“, der kleinſte von ihnen, brachte die größten und 
weiteſten Sätze fertig. Er rannte nicht, o nein, ſondern 
er ſchnellte förmlich vorwärts. Dabei rief er in deut⸗ 
ſcher Sprache: „Herr Doktor, ſchießte auf Elefant, 
ſchießte doch, ſchießte! Wenn Elefant uns auffangte mit 
Zahn ſeinigem, ſo fliegte wir in Luft, und ſeinte zer⸗ 
ſchmetterte Knochen, unfrige und ganze! Schießte ſchnel, 
ſchießte ſchnell!“ N 

Der nächſte hinter ihm war ſein Freund, der 
„Vater des Gelächters“. Er machte Sprünge wie ein 
Panther und brüllte dabei in einem Atem: „O Allah! 
O Vorſehung! O Ewigkeit! Er wird mich packen, der 
Elefant, der Verfluchte, der Ungläubige! Möge er vor⸗ 
her in die Hölle ſtürzen, da, wo ſie am tiefſten iſt und 
immer noch ein weiteres, neues Loch nach unten 
hat!“ 

Der Sudaneſe kann einfach nicht ſchweigen; er muß 
ſprechen und er muß ſchreien, ſelbſt wenn dies zu ſeinem 
größten Schaden iſt. 

Auch Abd es Sirr und Ben Wafa ließen ihre 
Stimme hören, vielleicht in der Abſicht, den Elefanten 
von ſich abzuſchrecken. Sie rannten mehr nach rechts, 
während das Tier der geraden Linie folgte, die von dem 
Slowaken und ſeinem Freunde eingeſchlagen worden 
war. Die andern hatten eine Schienkung nach links ge⸗ 
macht. Sie bemerkten, daß ſie das Tier nicht mehr hin⸗ 
ter ſich hatten, und hielten an. 

„Meiner Six, ſo bin ich im Leben noch nit g'rannt!“ 
ſagte Pfotenhauer aufatmend. „Dort rennt die Beſtie 
auf das Dickicht los. Sie hat es auf den Kleinen und 
auf den Großvater der Städte und Völker abgeſehen. 


— 552 — 


Machen wir ſchnell, daß wir nachkommen, um beiden 
beizuſpringen!“ 

„Halt!“ hielt Schwarz ihm zurück. „Nur nicht un⸗ 
vorſichtig! Sehen Sie, daß die Kerls ſoeben das Gebüſch 
erreicht haben? Sie finden ſichere Deckung dort und ſind 
alſo gerettet. Wir aber würden uns in die Gefahr be⸗ 
geben, dem umkehrenden Tiere zu begegnen. Wenn wir 
folgen wollen, ſo müſſen wir es von der Seite her tun 
und dürfen uns nicht von dem Elefanten ſehen laſſen. 
Kommen Sie!“ 

Jetzt hatte auch der „Herumtreiber“ das Gebüſch 
erreicht. Er brach darin ein, als ob er nur Gras unter 
den Füßen habe. Dabei bog er Stämme von der Stärke 
eines Mannesſchenkels auseinander oder brach ſie ab. 
Der „Vater der elf Haare“ hörte das gewaltige Knacken 
und Praſſeln hinter ſich. Er wagte ſich nicht umzuſehen 
und rannte nur immer gerade aus. Da blieb er mit dem 
Fuß an einem Schlinggewächſe hängen und ſtürzte nie⸗ 
der. Der „Vater des Gelächters“ flog an ihm vorüber. 
Er raffte ſich ſchnell wieder auf und ſchoß vorwärts — 
faſt in das tiefe Waſſer der Maijeh hinein, an deren 
Ufer er ſich befand. Neben ſich ſah er den gewaltigen 
Stamm eines Baumes. Emporblickend, bemerkte er die 
Füße ſeines Freundes. Er tat einen Sprung nach oben, 
erfaßte den Aſt und ſchwang ſich hinauf. Von da zum 
nächſten Aſt war es nicht weit; erreichte auch dieſen und 
wollte noch weiter empor, denn er befand ſich nur ſo 
hoch, daß der Elefant ihn ſehr leicht erreichen konnte, 
mußte aber darauf verzichten. Der Baum hatte nämlich 
durch Blitzſchlag ſeine Krone verloren; es gab nur drei 
Aeſte, und der dritte war abgebrochen und beſtand nur 
aus einem Stumpf, auf dem nur eine Perſon Platz fin⸗ 
den konnte. Da ſaß der Hadſchi und zog ein Geſicht, als 


— 558 — 


ob er ſich im ſiebenten Himmel Mohammeds, nicht aber 
in Lebensgefahr befinde. 

„O Allah, was ſoll ich tun?“ rief der Kleine. 
„Konnteſt du nicht einen andern Baum wählen! Alle 
übrigen ſind höher und haben mehr Aeſte. Das Tier 
wird mich hier abpflücken wie eine reife Traube!” 

„Wer hat dich geheißen, mir nachzuklettern?“ grinſte 
der andre von oben herab. „Ich bin ſicher. Bis herauf 
zu mir reicht der Rüſſel nicht.“ 

„Aber bis zu mir! O Allah, Allah, was ſoll ich 
tun? Er kommt; er iſt da, er iſt da!“ Seine Angſt war 
groß und auch gar wohlbegründet, denn es krachte und 
praſſelte ſchon in nächſter Nähe. 

„Kriech' doch auf dem Aſt weiter!“ riet ihm der 
Hadſchi. „Er iſt ſo dick wie du und reicht über das Ufer 
hinaus. Da kann das Untier dich nicht erreichen. Mach 
aber ſchnell, denn ich ſehe ihn ſchon!“ Er erblickte von 
ſeinem höheren Sitz aus den Kopf des Elefanten, der ein 
ihm im Wege ſtehendes Bäumchen mit dem Rüſſel faßte, 
ſamt den Wurzeln aus der Erde zog und dann zur Seite 
ſchleuderte. 

„Ja, ich krieche, ich krieche,“ rief der Kleine entſetzt. 
„Es iſt der einzige Rettungsweg, den es gibt.“ 

Er turnte ſich auf Händen und Füßen und mit 
außerordentlicher Schnelligkeit auf dem Aſt fort, bis die⸗ 
ſer ſich unter der Laſt faſt bis zum Waſſer niederbog. 
Dort konnte er von dem Elefanten nicht erreicht werden 
und atmete erleichtert auf, aber nur für einen kurzen 
Augenblick, denn unter ihm regte ſich etwas, und als er 
niederſah, fiel ſein Auge auf ein Nilpferd, das im Waſ⸗ 
ſer ſtand, ſo daß nur die Nüſtern, Augen und Ohren 
herausragten. „Allah kerihm,“ rief er erſchrocken aus; 


ep 


„ana fohk l'iſchſch el Huſan el bahr — Gott ſei mir gnä⸗ 
dig; ich hänge über dem Neſt eines Nilpferdes!“ 

In dieſem Augenblick hatte der Elefant den Baum 
erreicht und wurde durch das Geſchrei des Kleinen auf⸗ 
merkſam gemacht. Doch beobachtete er zunächſt nicht 
dieſen, ſondern den Hadſchi, der ſeinem Freunde von 
oben herab antwortete: „Halte dich feſt, ſehr feſt, ſonſt 
gilt's dein Leben! Wenn dieſes Huſan dich erwiſcht, ſo 
zermalmt es dich!” 

Der Elefant blinzelte den Sprecher mit ſeinen klei⸗ 
nen Augen an, ſtieß einen drohenden Trompetenton aus 
und richtete dann den Rüſſel auf, um den Feind zu er⸗ 
greifen. Glücklicherweiſe konnte er ihn nicht ganz er⸗ 
reichen, denn der „Vater des Gelächters“ ſaß zwei Ellen 
zu hoch und zog außerdem die Beine an den Leib, wobei 
er halb ängſtlich und halb ſchadenfroh . „Verſuche 
es nur, du Sohn eines ehrloſen Vaters! Ich ſpotte 
deiner Stärke und verachte deine Klugheit. Komm doch 
herauf, wenn du mich haben willſt!“ 

Der Elefant ſah das Nutzloſe ſeiner Bemühung ein 
und richtete ſeine Augen auf den „Vater der elf Haare“. 
Er trat bis an das Waſſer und ſtreckte den Rüſſel aus, 
um den Genannten zu ergreifen, konnte aber auch dieſen 
nicht erreichen. Der Kleine bemerkte das mit hoher Be⸗ 
friedigung und ſchrie ihm ſpottend zu: „Haſt du Appetit 
nach mir, du Urahne des Rüſſels und der großen 
Ohren? Klettere doch herauf, damit wir uns liebkoſen 
können! Ich möchte dich gern — —“ 

Er kam nicht dazu, auszuſprechen, was er ſo gern 
tun wollte, denn der Elefant hatte einen ſchnellen und 
für den Kleinen ſehr verhängnisvollen Entſchluß gefaßt. 
Er war zu der Einſicht gekommen, daß er ſeinen Zweck 
auf eine andre als die bisherige Weiſe zu erreichen 


ſuchen müſſe. Darum ſchlang er den Rüſſel um den Aſt 
und ſchüttelte dieſen mit ſolcher Kraft, daß der „Vater 
der elf Haare“ ſich nicht feſtzuhalten vermochte und weit 
hinaus in die Luft und dann in das Waſſer geſchleudert 
wurde. a 

Die Anſtrengung des Elefanten war ſo groß ge- 
weſen, daß er ſelbſt das Gleichgewicht verlor. Er rutſchte 
mit den Vorderbeinen von dem ſchlüpfrigen Ufer ab. 
Zwar verſuchte er, ſich mit dem Rüſſel an dem Aſt feſt⸗ 
zuhalten, doch vergeblich, denn das Gewicht ſeines Kör⸗ 
pers war zu ſchwer; der Aft brach ab, und das Tier 
ſtürzte in das Waſſer, das hoch aufſpritzte und ſich dann 
über ihm ſchloß. 

Aber ſchon im nächſten Augenblick tauchte er wieder 
auf, das heißt, zunächſt war nur der kerzengerade 
emporgeſtreckte Rüſſel zu ſehen, der im Nu von ſeinem 
Schickſal ereilt wurde. Der Elefant war nämlich nicht 
weit von dem Nilpferd in das Waſſer geſtürzt; dieſes 
ſchoß herbei, öffnete den breiten Rachen, klappte ihn um 
den Rüſſel wieder zu und tauchte unter. Einige Sekun⸗ 
den lang ſchlug das Waſſer in hohen, blutigen Wellen 
und Kämmen auf, dann erſchien der Elefant ohne Rüſ⸗ 
ſel, denn dieſer war ihm abgebiſſen worden. Er ſtieß 
vor Wut und Schmerz Töne aus, die jeder Beſchreibung 
ſpotten, und ſah ſich nach dem Gegner um. Jetzt erſchien 
dieſer an der Oberfläche, nur wenige Ellen entfernt von 
ihm; der Elefant holte zum gewaltigen Stoß aus und 
rannte dem Nilpferd den Zahn, ſo lang dieſer war, in 
den Leib; dann verſchwanden beide abermals. 

Im weiteren, doch nur kurzen Verlauf des 
Kampfes erſchien bald der Hinterteil des Elefanten, bald 
die eine Seite des Hippopotamus über dem Waſſer. Der 
erſtere konnte nicht von dem letzteren loskommen, und 


— 556 — 


das Nilpferd ſtrengte alle ſeine Kräfte an, den Feind 
unten zu halten und zu erſticken. Die Wogen ſtiegen zu 
kleinen Bergen auf, zwiſchen denen hohe Sprudel empor⸗ 
geſpritzt wurden, ſo daß man die einzelnen Bewegungen 
der Tiere nicht zu unterſcheiden vermochte. 

Während dieſes Kampfes der Rieſen der Tierwelt 
hielten ſich die andern Bewohner der Maijeh wohlweis⸗ 
lich fern, und das war ein Glück für den „Vater der elf 
Haare“, der jo weit hinausgeflogen war, daß die Kro⸗ 
kodile bei ihm geweſen wären, bevor er das Ufer hätte 
erreichen können. Er hatte ſich ſchnell an die Oberfläche 
gearbeitet und gab ſich alle Mühe, ſo raſch wie möglich 
an das Land zu kommen. Als er es erreichte und trie⸗ 
fend aus dem Waſſer ſtieg, wendete er ſich um, ſtreckte 
die Fäuſte aus und rief: „Hamdulilläh, ich bin gerettet! 
Ich ſollte gefreſſen werden; nun aber wird euch der 
Scheitan verſchlingen mit ſamt eurer ganzen Nachkom⸗ 
menſchaft! Eilt ſchnell herbei und ſeht, wie ich des 
Elefanten und des Nilpferdes Herr geworden bin!“ 

Dieſer letztere Ruf galt Schwarz und dem „Vater 
des Storches“, die ſoeben von ſeitwärts herbeikamen. 

„Ja, kommt, kommt raſch!“ rief auch der Hadſchi 
vom Baum herab. „Wir brauchen ſie gar nicht zu töten, 
denn ſie bringen ſich gegenſeitig ſelber um. Seht den 
Vater des Rüſſels'!! Er bringt das. Nilpferd an das 
Land, kann aber nicht von ihm los und muß elendiglich 
aus dem Leben ſcheiden.“ 
| Das Nilpferd war tot; der Elefant hatte mit den 
Füßen Grund bekommen und fchleppte es, indem er 
rückwärts ging, an ſeinem Stoßzahn dem Ufer zu. Er 
konnte ſich trotz aller Anſtrengung nicht befreien und 
ſchrie vor Grimm in einem Atem fort, wobei ihm das 
Blut armesſtark aus der tödlichen Wunde ſtrömte. 


7 


„Da ift die G'fahr alſo für uns vorüber,“ meinte 
Pfotenhauer. „Bringen wir die G'ſchicht nun vollends 
zu End'!“ 

Er legte ſein Gewehr auf den Elefanten an und 
drückte los. Beim erſten Schuß wankte das Tier; beim 
zweiten ſchlug es hinten aus und brach dann nieder, in⸗ 
dem es im Waſſer verſchwand. Dies ſehen und vom 
Baum herabrutſchen war für den Hadſchi das Werk nur 
eines Augenblicks. „Fachrulillah, Ruhm ſei Gott!“ rief 
er triumphierend. „Die ſind durch meine Liſt gefällt und 
durch meine Kühnheit überwunden worden. Alle Ge⸗ 
fährten werden mich preiſen und Wen wenn ſie das 
Fleiſch des Rieſen verzehren.“ 

„Schweig!“ antwortete der „Vater der elf Haare“. 
„Was haſt du denn eigentlich getan? Du biſt auf den 
Baum geklettert und haſt gewartet, bis die Tiere tot 
waren; erſt dann kamſt du wieder herunter. Halte 
meinen Heldenmut dagegen, ſo wird dein Ruhmgeſchrei 
augenblicklich verſtummen müſſen!“ 

„So?“ fragte der Hadſchi, indem er vor Aerger ein 
Geſicht zog, als ob er vor lauter Wonne vergehen wolle. 
„Zähle doch einmal deine Heldentaten auf! Auch du biſt 
auf den Baum geflohen, ſogar faſt bis an die äußerſte 
Spitze des Aſtes. Dann hat der Elefant dich in das Waſ⸗ 
ſer geſchüttelt, und nun ſtehſt du pudelnaß vor mir, daß 
es mich erbarmen könnte!“ 

„Sprich nicht ſolche Albernheiten! Habe ich denn 
nicht durch meinen Sprung in die Maijeh den Elefanten 
liſtigerweiſe verführt, auch in das Waſſer zu gehen, 
worin er den Tod gefunden hat? Bin nicht alſo ich es, 
dem der Sieg zugeſchrieben werden muß?“ 

Die beiden wären wahrſcheinlich noch heftiger an⸗ 
einander geraten, doch wurde ihrem Wortwechſel durch 


ein rundum ſich erhebendes Freudengehenl ein Ende ge 
macht. Die vor dem Elefanten geflüchteten Leute hatten 
die Schüſſe gehört und Mut gefaßt, fie waren vorſichtig 
herbeigekommen und ſahen, daß nichts mehr zu befürch⸗ 
ten ſei. Sie tanzten und ſprangen vor Entzücken, und 
es dauerte eine geraume Zeit, ehe es Schwarz und Pfo⸗ 
tenhauer gelang, Ruhe und Ordnung in die Geſellſchaft 
zu bringen. 

Nun wurden Seile von den Schiffen geholt, mit 
deren Hilfe man die beiden Tiere, allerdings unter gro⸗ 
ßer Anſtrengung, an das Land zog, um ſie auszuſchlach⸗ 
ten und zu zerlegen. Während ein Teil der Leute mit 
dieſer Arbeit beſchäftigt war, kehrten Schwarz und 
Pfotenhauer mit den andern zum Lagerplatz zurück, weil 
zu befürchten ſtand, daß die Elefanten wiederkommen 
und ihre Weibchen ſuchen würden. 


Sechzehntes Kapitel. 
Der Entſcheidung entgegen. 


Die Erwartung der beiden Deutſchen, daß die 
männlichen Elefanten wiederkehren würden, erfüllte ſich 
glücklicherweiſe nicht. Kaum aber waren die beiden beim 
Lagerplatz angelangt, als einer der am Ufer beſchäftigten 
Männer herbeieilte und meldete, daß man ſoeben drau⸗ 
ßen auf dem Fluſſe ein Boot gefehen habe, das nach der 
Maijeh einlenke. Schwarz und Pfotenhauer eilten 
ſofort nach dem Waſſer, gefolgt von den ihnen näher⸗ 
ſtehenden Gefährten. Auf dem ſchmalen Streifen des 
Niles, der dahinter ſichtbar war, kam das Boot von 
mehreren Rudern getrieben, herbeigeflogen. Schwarz 
nahm, um es zu betrachten, das Fernrohr zur Hand und 
reichte es dann dem „Vater des Storches“. Kaum hatte 
dieſer letztere einen Blick durch die Gläſer geworfen, ſo 
rief er, zu dem „Sohn der Treue“ gewendet, aus: „Das 
iſt ein Fahrzeug der Niamah⸗niam'). Was hat das zu 
bedeuten? Nimm das Rohr, und ſieh hindurch!“ 

Ben Wafa folgte dieſer Aufforderung und antwor⸗ 
tete dann: „Ein Kriegsboot unſres Stammes! Wie und 
warum kommt dies hierher? Am Steuer ſitzt Wahafi, 
der liſtigſte Krieger meines Volkes, der die Ufer des 
Fluſſes kennt bis hinab zum See Ombaj. Ich muß ihn 
fragen.“ 


5 Mehrzahl von Niam⸗uiam. 


— 560 — 


Er rannte fort, entlang dem linken Ufer der Mar⸗ 
jeh bis zu deren Eingang, und kam gerade in dem 
Augenblick dort an, als das Boot an dieſer Stelle kreuzte. 
Man hörte, daß er den Inſaſſen etwas zurief, worauf 
ſie ein Freudengeſchrei erhoben und ſich dem Lande 
näherten. Er ſprang zu ihnen in das Fahrzeug, und 
dann kamen ſie über die Maijeh herbeigerudert. Wahafi, 
der Steuerer, erkannte den „Vater des Storches“ von 
weitem. N 

„Herr, wie freue ich mich, dich zu ſehen!“ rief er 
ihm zu. „Wir kommen nicht allein, ſondern es folgen 
uns viele Krieger nach.“ — „Warum?“ fragte Pfoten⸗ 
bauer, während das Boot anlegte und die Leute au 
ſtiegen. — „Es kam ein Händler aus Metambo zu uns. 
Er war vorher auf der Seribah Abu el Mots geweſen 
und hatte da gehört, daß dieſer nicht anweſend ſei und 
uns gleich nach ſeiner Rückkehr überfallen werde. Da 
beſchloß der König, ihm zuvorzukommen. Er rief alle 
ſeine Krieger zuſammen und ſandte mich voraus, um zu 
erfahren, wie es auf der Seribah ſtehe.“ — „Das kannſt 
du hier bei uns ganz genau und ſchneller erfahren. Wo⸗ 
hin ſollſt du dem König die Botſchaft bringen?“ — 
„Nach dem kleinen Flüßchen, das oberhalb Nirrheh in 
den Nil mündet. Dort will er ſich mit ſeiner Flotte ver⸗ 
ſtecken, bis ich komme.“ — „Wie ſtark iſt die Macht, die 
er bei ſich hat?“ — „Es find über fünfmalhundert 
tapfere Männer, auf viele Boote verteilt.“ — „Das ifl 
gut. Wir find zwar ſtark genug, aber wenn ihr euch zu 
uns geſellt, wird uns nicht ein einziger Feind entgehen 
können. Wie lange rudert ihr von hier aus, um den 
König zu erreichen?“ — „Nicht länger als einen Tag.“ 
— „So kommt mit uns zum Lager! Wir haben dir fehr 
viel zu erzählen.“ 


— 561 — 


Es wurde eine Beratung abgehalten, deren Ergeb⸗ 
nis war, daß Wahafi ſofort mit ſeinen Leuten zurück⸗ 
fahren ſolle, um dem König von dem Stande der Dinge 
Nachricht zu bringen. Die Riamah⸗niam ſollten von 
ihrem Aufenthaltsort direkt nach Ombula marſchieren 
und dort mit Pfotenhauer, Schwarz und ihren Leuten 
zuſammentreffen. 

Eben wollte Wahafi aufbrechen, als man einen 
Reiter bemerkte, der von Süden her langſam herange⸗ 
ritten kam. Pfotenhauer richtete das Fernrohr auf ihn. 
„Ein Weißer,“ ſagte er, „und bis an die Zähne bewaff⸗ 
net. Wer mag es ſein?“ 

Wahafi nahm das Fernglas und ſah ebenfalls hin⸗ 
durch. Er mochte von Pfotenhauer während deſſen Auf⸗ 
enthalt bei den Niam⸗niam gelernt haben, mit dieſem 
Inſtrument umzugehen. Als er das Geſicht des Reiters 
erblickt hatte, ſagte er: „Das iſt ja Dauwari, der Sucher! 
Wo der hinkommt, da folgt ihm Mord und Elend nach.“ 
— „Du kennſt ihn?“ fragte Schwarz. — „Nur zu gut, 
obwohl er mich nicht kennt. Ich habe ihn bei den Moro 
geſehen. Kaum war er von ihnen fort, ſo kam die Skla⸗ 
venkarawane und überfiel das Volk. Er verkehrt auf 
den Seriben und kennt alle Menſchenjäger, weil er mit 
ihnen Geſchäfte macht.“ 

Der Ankömmling ließ nicht die geringſte Unſicher⸗ 
heit bemerken. Er kam ſtracks herbei, ſtieg vom Pferd, 
grüßte und fagte dann zu Schwarz: „Ich bin zu euch ge⸗ 
ſandt. Ihr ſeid doch die Leute, die zu Abd el Mot ge 
hören?“ — „Wer biſt du?“ erkundigte ſich Schwarz, 
ohne die Frage zu beantworten. — „Ich bin Soldat und 
traf auf die Sklavenkarawane, welche Abd el Mot be 
fehligt. Er nahm mich in feinen Dienſt und ſandte mid 
ab. um euch e Ihr ſollt ſofort nach en Buta- 

Ran, Die Ellavenkaramane 


— 562 — 


bergen ziehen, wo ihr ihn in der Schlucht es Suwar fin⸗ 
den werdet.“ — „Warum zieht er dorthin?“ — „Weil 
er dort einige Dörfer der Mundo überfallen will. Er 
wird übermorgen dort eintreffen. Wenn ihr euch ſputet, 
könnt ihr einen Tag ſpäter auch dort ſein.“ — „Wie 
lautet dein Name?“ — „Amar Ben Suba.“ 

Schwarz ſah ihm ſcharf in das Geſicht. Der Mann 
hielt dieſen forſchenden Blick lächelnd aus. Seine Züge 
waren die eines kühnen Mannes, aber nicht vertrauen⸗ 
erweckend. „Weshalb lügſt du?“ fragte Schwarz. 

Da zog der Mann ein Piſtol aus ſeinem Gürtel 
und antwortete drohend: „Sage das ja nicht zum zwei⸗ 
tenmal, ſonſt ſchieß' ich dich nieder! Ich laſſe mich nicht 
beleidigen!“ 

Wenn er der Meinung geweſen war, den Deutſchen 
zu ſchrecken, ſo hatte er ſich geirrt. Dieſer ſchlug ihm die 
Waffe aus der Rechten, riß ihm die Flinte aus der Lin⸗ 
ken, holte damit aus und verſetzte ihm einen Kolbenhieb 
gegen den Kopf, daß der Getroffene zu Boden ſtürzte. 
Einige Augenblicke ſpäter war dieſer entwaffnet und ge⸗ 
bunden. — Der Hieb hatte ihm für kurze Zeit die Be⸗ 
ſinnung geraubt. Als er wieder zu ſich kam und ſich ge⸗ 
feſſelt ſah, rief er aus: „So behandelt ihr den Boten und 
Vertrauten eures Vorgeſetzten? Abd el Mot wird das 
zu beſtrafen wiſſen!“ \ 

„Schweig! Wir lachen deiner Drohung,“ antwor⸗ 
tete Schwarz. „Du biſt ein Lügner und als ſolcher be⸗ 
handelt worden; du kommſt nicht von Abd el Mot.“ — 
„So haſt du mich gar nicht verſtanden?“ — „Ich ver⸗ 
ſtehe dich beſſer, als du ahnſt und denkſt. Wir kennen 
dich: du biſt Dauwari, der Agent der Sklavenjäger.“ 
„Du irrſt dich. Es iſt alles genau ſo, wie ich geſagt habe, 
und wenn ihr dem Befehl, den ich euch überbracht habe, 


— 563 — 


nicht Gehorſam leiſtet, ſo habt ihr es mit Abd el Mot zu 
tun.“ — „Du meinſt mit Abu el Mot!“ — „Nein; mich 
ſendet Abd el Mot!“ — „So? Wann hat er denn den 
vorigen Boten geſchickt?“ — „Das weiß ich nicht; er hat 
nicht davon geſprochen. Hat er euch ſchon einen Mann 
geſandt?“ — „Ja. Kämſt du wirklich von ihm, ſo würde 
er dir geſagt haben, daß er tags vorher eine ganz andre 
Weiſung abgehen ließ. Wo haſt du ihn denn getroffen?“ 
— „In Ombula.“ — „Dort iſt er gar nicht mehr. Du 
wirſt jetzt die Baſtonnade bekommen, ſo viele Schläge 
auf die Fußſohle, bis du die Wahrheit bekennſt.“ — 
„Das wage nicht! Meine Rache würde ſchrecklich ſein!“ 
— „Wurm, du wagſt es, mir zu drohen? Das iſt eine 
Frechheit, auf welche die ſofortige Strafe zu folgen hat. 
Wer von euch verſteht es, die Baſtonnade zu geben?“ 

Auf dieſe Frage meldeten ſich gleich mehr als zwan⸗ 
zig der umſtehenden Männer. Es wurde ein ſtarker Aſt 
aus dem Geſträuch geſchnitten. Dauwari lag auf dem 
Rücken; einer ſetzte ſich ihm auf den Leib; dann richtete 
man ſeine Füße aufwärts und band ſie an den Aſt, den 
zwei Männer hielten; ein andrer holte einige finger⸗ 
ſtarke Ruten aus den Büſchen und hieb auf die entblöß⸗ 
ten Fußſohlen los. 

Der Gezüchtigte biß die Zähne zuſammen; er wollte 
den Schmerz beherrſchen und keinen Laut von ſich geben, 
brachte das aber nicht fertig. Schon beim dritten oder 
vierten Schlag ſchrie er laut auf; aus dem Schreien 
wurde ein tieriſches Gebrüll, und dann bat er: „Haltet 
ein, laßt mich los! Ich will alles geſtehen; ich will die 
Wahrheit ſagen.“ 

Schwarz winkte, einzuhalten, und erwiderte: „Be⸗ 
antworte meine Fragen aufrichtig, ſonſt wirſt du ge⸗ 
ſchlagen, bis man die Knochen ſieht! Du warſt nicht in 


— 564 — 


Ombula bei Abd el Mot?“ — „Nein,“ ſtöhnte der Ge⸗ 
fragte. — „Sondern du trafſt Abu el Mot und ſeine 
Somr-Araber unterwegs?“ — „Ja.“ — „Er ſandte dich 
mit dem Auftrag, den du ausgerichtet haſt, hierher?“ — 
„So iſt es.“ — „Zu welchem Zweck? Was beabſich⸗ 
tigt er?“ 

Dauwari zögerte mit der Antwort; darum fuhr 
Schwarz fort: „Beſinne dich nicht und antworte ſchnell, 
ſonſt fahren wir mit der Baſtonnade fort! Ich weiß 
auch, ohne daß du es mir ſagſt, um was es ſich handelt. 
Abu el Mot will uns in eine Falle locken. Iſt es ſo 
oder nicht?“ 

Der Gefragte ſchwieg noch immer und hielt die 
Augen mit grimmigem Ausdruck auf den Deutſchen ge⸗ 
richtet. Wie gern hätte er dieſen und diejenigen, die ihn 
jetzt züchtigten, in das Verderben geführt; aber der 
Sudaneſe, der die Streiche gab, verſetzte ihm zwei ſo 
kräftige Hiebe, daß er, vor Schmerz brüllend, geſtand: 
„Haltet ein, haltet ein! Ja, es iſt ſo. Ihr ſollt nach der 
Schlucht es Suwar gelockt und dort vernichtet werden.“ 
— „Von wem? Abu el Mot hat doch nur wenige Män⸗ 
ner bei ſich. Will er zu Abd el Mot, um dieſen und die 
Sklavenjäger nach der Schlucht zu führen?“ — „Ja.“ 
— „Aber er weiß, daß er ſelbſt dann zu ſchwach gegen 
uns iſt. Er muß ſich alſo um noch andre Hilfe kümmern. 
Ich vermute, daß er einen ſeiner Homr ausgeſandt hat, 
um Verbündete zu holen; da er aber unter den Negern 
keine ſolchen findet, ſo hat er nach irgend einer Seribah 
geſchickt. Geſtehe es!“ 

Dauwari zögerte abermals; als er aber ſah, daß 
der Sudaneſe zum Hieb ausholte, rief er: „Halt, ich ant⸗ 
worte ja! Abu el Mot hat zwei Homr nach der Seribah 
Ulambo geſandt, deren Beſitzer ſein Freund iſt.“ — 


— 565 — 


„Gutl Ich rate dir, klug zu ſein. Du befindeſt dich in 
meiner Gewalt und wirſt erkennen, daß ich nicht ſcherze. 
Du kamſt als Verräter zu uns und haſt alſo den Tod 
verdient. Gibſt du aber alle Hintergedanken auf, fo wird . 
dir nichts weiter geſchehen, und ich laſſe dich ſpäter 
laufen.“ — „Iſt das wahr?“ fragte Dauwari ſchnell. 
„Schwöre es mir!“ — „Ich bin ein Chriſt; mein Wort iſt 
ſo gut wie ein Schwur. Hat Abu el Mot ſich etwa auf 
die Nuehrs verlaſſen, die in unſre Hände gefallen ſind?“ 
— „Ja. Da du mir die Freiheit verſprichſt, will ich dir 
die volle Wahrheit geſtehen. Abu el Mot vermutet, daß 
du die Nuehrs überredet haſt, es mit dir zu halten. Ich 
ſoll unterwegs heimlich mit ihnen reden und ihnen alles 
verſprechen, was ſie nur wünſchen können, damit ſie von 
dir abfallen und ſich mit gegen dich wenden.“ — „Was 
meinſt du mit dem Wort unterwegs“? Wie hat Abu el 
Mot ſich dieſen Weg gedacht?“ — „Ich ſollte euch über⸗ 
reden, die Schiffe einſtweilen zurückzulaſſen und zu 
Lande nach der Schlucht zu marſchieren.“ — „Das wäre 
ein Marſch von zwei Tagen, während welcher Zeit aller» 
dings ſehr viel gegen uns geſchehen könnte. Ich weiß 
genug und will nicht weiter in dich dringen. Du wirſt 
gefeſſelt bleiben, bis die Zeit gekommen iſt, daß du mir 
nicht mehr ſchaden kannſt, und dann gebe ich dir die 
Freiheit. Die Streiche aber, die du erhalten haſt, ſind 
mehr als wohlverdient.“ | | 

Dauwari wurde zur Seite gefchafft, wo er allein 
lag und mit niemand ſprechen konnte. Dann traten die 
beiden Deutſchen mit dem „Vater der Hälfte“, Wahafi, 
Haſab Murat und den andern ihnen treu Ergebenen zu 
einer kurzen Beratung zuſammen. 

Es ſtellte ſich heraus, daß ſowohl Wahafi als auch 
der „Sohn der Treue“ und Abd es Sirr die Gutaberge 


— 


— 566 — 


und die Schlucht es Suwar ſehr gut kannten. Suwar 
iſt die Mehrzahl von Sure; das Wörtchen „es“ iſt der Ar⸗ 
tikel. Die Schlucht es Suwar heißt alſo zu deutſch die 
Schlucht der Suren, der Korankapitel. Wahafi erklärte 
dieſen Namen folgendermaßen: „In dieſer Schlucht 
wohnte einſt ein frommer Prediger des Islam, der die 
Schwarzen zu Allah bekehren wollte; dieſe aber wollten 
ihn nicht hören und erſchlugen ihn. Sterbend verfluchte 
er den Ort feines Todes, und darauf gingen alle Bäume 
ein, die in der Schlucht ſtanden. Das Waſſer verſiegte; 
kein Tropfen Tau fiel vom Himmel, und die Tiere 
flohen die traurige Stätte, bis ein andrer Imam kam, 
der den Fluch von dem Ort nahm. Er pflanzte ſo viel 
Talebpalmen, wie der Koran Suren hat, alſo einhun⸗ 
dertundvierzehn, und ſprach bei einer jeden das Ham⸗ 
dulillah iſſai' jid eddinji), und ſiehe da, fie wuchſen und 
gediehen. Nun iſt der Ort ein heiliger, und wenn Abu 
el Mot uns dort vernichten will, ſo iſt ſein Beginnen 
eine doppelt ſträfliche Sünde. Allah wird ihn dafür in 
unſre Hände liefern.“ 

„Biſt du hiervon ſo ſehr überzeugt?“ fragte 
Schwarz. 

„Ja. Er kann uns nicht entgehen. Wir werden 
nicht den Landweg einſchlagen, ſondern zu Schiff hin⸗ 
gelangen und viel ſchneller dort ſein, als er ahnt und 
vermutet. Ich rate euch, ſofort aufzubrechen. Abd es 
Sirr und Ben Wafa kennen den Strom genau und wer- 
den euch als Piloten dienen. Ich aber kehre unverzüg⸗ 
lich zurück, um den König zu benachrichtigen. Der Ort, 
wo er mit ſeinen Kähnen und Leuten liegt, beherrſcht die 
Seribah Ulambo, woher Abu el Mot Hilfe erwartet. 
Sollten die dortigen Menſchenjäger ſein Begehr erfüllen 

* Preis ſel Gott dem Weltenherrn. Anfang des Koron. 


RER, 


und ihm zu Hilfe eilen, jo werden wir uns ihnen in den 


Weg ſtellen.“ 


„Wir können nicht ſofort aufbrechen, da wir die 
Krieger unſres Pater der Hälfte' erwarten müſſen.“ 

„Die werden hier ſein, bevor eine Stunde vergan⸗ 
gen iſt,“ antwortete der genannte Häuptling. 

„Aber ſie ſind beritten und müßten doch mit uns in 
die Schiffe?“ 

„So laſſen ſie ihre Tiere hier! Ihr könnt ja eure 
Herde auch nicht mitnehmen und müßt ſie einer Anzahl 
von Leuten anvertrauen, die hier warten müſſen, bis 
wir zurückkehren. Da, blicke hinaus gegen die Ebene! 
Siehſt du den langen Reiterzug? Das ſind meine Män⸗ 
ner; du brauchſt alſo nicht einmal die angegebene 
Stunde auf ſie zu warten.“ 5 

„So iſt ja alles recht, und ich werde alſo nach 
meinem Boote gehen, damit ich keine Zeit verliere,“ 
meinte Wahafi. „Morgen abend werdet ihr uns er⸗ 
reichen, und übermorgen früh können wir uns in der 
Schlucht es Suwar befinden. Wir kamen hierher, um 
uns in der Maijeh ein Wild zu ſchießen und dann wei⸗ 
ter zu fahren. Beides iſt unnötig geworden, da wir vom 
Fleiſch des Elefanten nehmen und die Rückkehr antreten 
können. Allah begleite euch und halte jeden Ueberfall 
von euch fern!“ 

Die jetzt herbeikommenden Krieger waren durch die 
ihnen entgegengeſandten Boten ſchon von allem benach⸗ 
richtigt; fie wunderten ſich alſo nicht, anſtatt des Feld⸗ 
webels und ſeiner wenigen Leute ein Lager zu finden, 
wo es von Menſchen wimmelte. Es waren lauter kräf⸗ 
tige, wilde und wohlbewaffnete Geſtalten, die als 
Kampfgenoſſen gern willkommen geheißen wurden. 


— — — — — — — — — — — — — 


— 568 — 

Am andern Nachmittag, als die Sonne faſt den 
Horizont berührte, erreichte das kleine Geſchwader eine 
Stelle, wo ſich der Fluß ſcharf oſtwärts bog und von 
Süden her ein kleinerer, aber hier doch ziemlich breiter 
Waſſerlauf hinein mündete. 

„Das iſt der Arm, in den wir uns rudern laſſen 
müſſen,“ ſagte Abd es Sirr, der neben Schwarz und 
Pfotenhauer auf dem vorderſten Schiffe ſtand. „Ich 
kenne ihn und weiß auch die Stelle, wo uns der König 
der Niamah⸗niam erwartet.“ 

Noch bevor er eine Antwort erhielt, hörte man von 
vornher einen lauten, durchdringenden Schrei, und zu⸗ 
gleich ſah man ein Boot, das aus der Mündung des 
Nebenfluſſes herbeigeſchoſſen kam. Dieſem erſten folgten 
mehrere, viele, eine ganze, große Flottille von Kriegs⸗ 
kähnen. Im vordern ſtand Wahafi am Steuer, der den 
andern durch den erwähnten Schrei das Zeichen gegeben 
hatte, ihm zu folgen. 

Die Schiffe hatten guten Wind gehabt und ſich alſo 
ihrer Segel bedient, waren aber außerdem auch noch 
durch Ruderboote gezogen worden. Zu dieſen letzteren 
ſpannten ſich jetzt die Kähne der Niam⸗niam vor, mit 
deren Hilfe die Schnelligkeit eine verdoppelte wurde. 
Das Geſchwader fuhr in den Nebenfluß ein und dann 
noch eine Strecke darin aufwärts, bis auch hier ein noch 
kleineres Flüßchen von ſeitwärts kam, deſſen Tiefe und 
Breite gerade für die Dahabiéh genügte. In dieſen Waſ⸗ 
ſerlauf bugſierte man die Schiffe, die dann hintereinan⸗ 
der Anker warfen. 

Dies geſchah gerade noch zur rechten Zeit, als die 
Sonne verſchwand und die nur wenige Minuten lange 
Dämmerung hereinbrach. Das Flüßchen wurde zu bei⸗ 
den Seiten von Büſchen eingerahmt, hinter denen ſich 


— 569 — 


ein hoher Sunutwald ausdehnte. Da, wo die Schiffe 
lagen, waren am linken Ufer die Sträucher mit derben, 
ſcharfen Meſſern niedergeſchlagen worden, um Raum 
für einen Lagerplatz zu gewinnen. Die Aeſte und Zweige 
hatte man zum Bau von Hütten verwendet, die ein 
gegen den Fluß offenes Viereck bildeten. In deſſen Mitte 
brannte, obgleich es noch nicht vollſtändig dunkel war, 
ein großes Feuer. Zwiſchen dieſem und dem Waſſer 
ſtand ein Kreis von Kriegern, die unter freudigen Will⸗ 
kommrufen ihre Waffen ſchwangen. Sie hatten ſich um 
eine aus Erde und Zweigen errichtete Erhöhung grup⸗ 
piert, auf welcher ein Mann ſaß, der in jeder Hand 
etwas hielt. Welche zwei Gegenſtände das waren, konnte 
man nicht erkennen. 

„Das iſt der König der Niam⸗niam,“ erklärte Pfo⸗ 
tenhauer, zu Schwarz gewendet. „Er liebt es, Fremde 
wie auf einem Thron ſitzend zu empfangen.“ — „Und 
was hat er in der Hand?“ — „Das Zepter und den 
Reichsapfel.“ — „Alle Wetter! Alſo ganz wie der König 
auf einer deutſchen Skatkarte.“ — „Ja. Er hat von 
irgend wem derfahr'n, daß europäiſche Herrſcher dieſe 
Gegenſtände als Zeichen ihrer Macht und Würde b'ſitzen, 
und ſich infolgedeſſen auch Zepter und Reichsapfel an⸗ 
fertigen laſſen. Bei Audienzen hält er beides in den 
Händen. Laſſen S' uns ausſteigen; er erwartet uns.“ 
— „Wie habe ich ihn zu grüßen, ohne mich zu er⸗ 
niedrigen und ihn zu beleidigen?“ — „Wie einen bie- 
deren Deutſchen. Tun S' ganz ſo, wie i es mach', und 
haben S' keine Sorge. Er ſpricht leidlich arabiſch, ſo 
daß die Unterhaltung Ihnen keine Schwierigkeit be» 
reiten wird.“ 

Sie gingen über das vom Bord nach dem Ufer ge⸗ 
legte Brett aufs Land, und ihre gewöhnlichen Begleiter 


=> :570 


folgten ihnen. Die andern mußten noch an Bord blei⸗ 
ben, nur die Niam⸗niam hatten ihre Boote an das Land 
gelegt und waren ausgeſtiegen; ſie bildeten eine ebenſo 
zahlreiche wie maleriſche Ehrengarde, die von Wahafi 
angeführt wurde. 

Als der Zug den Thron erreicht hatte, ſchloſſen die 


Niam⸗niam einen Kreis um dieſen, und die andern er⸗ 


ſtiegen die vier Stufen, die hinauf führten. Oben an⸗ 


gekommen, trat Pfotenhauer ohne alle Umſtände auf 


den König zu, ſtreckte ihm die Rechte entgegen und ſagte: 
„Maſſik bilchair ja malik; kif chatrak — guten Abend, 
o König; wie geht es dir?“ 

Der König legte das Zepter zur Seite, ergriff und 
ſchüttelte die ihm dargereichte Hand und antwortete in 
gemütlichem Ton: „Ilhamd'illa bchait; w'int kif halak 
— Gott ſei Dank, gut; und du, wie geht es dir?“ 

„B'anzahrak fi chair kamahn; biſchkur afdalak — 
unter deinen Blicken auch gut; ich danke!“ antwortete 
Pfotenhauer und fügte dann hinzu, indem er auf 
Schwarz deutete: „Hier bringe ich dir meinen Freund, 
den ich deiner Liebe empfehle. Er iſt der Bruder As⸗ 
wads, mit dem ich bei dir weilte.“ ö 

„Wahafi hat mir ſchon von ihm erzählt. Er ſieht 
feinem Bruder ähnlich und wird, wie ich hörte, Abu ’I 
arba ijun, „Vater der vier Augen‘ genannt. Er iſt mir 
herzlich willkommen.“ 

Nun legte er, indem er die Hand Pfotenhauers noch 
immer feſt hielt, auch den Reichsapfel weg und reichte 
Schwarz die jetzt frei gewordene linke Hand. Das Schüt⸗ 
teln begann von neuem, und dabei ſagte der gemütliche 
Herrſcher, indem er dem Slowaken und deſſen Freunde 
zunickte: „Jedenfalls iſt das der „Vater der elf Haare‘ 


| 


Fr az 


mit 1155 Vater des en: Wahafi hat auch 55 
zwei erwähnt und — 

Er kam nicht weiter, denn der „Vater des 111 71 
ters“ trat raſch vor und ſagte: „Verzeihe, o König! Man 
nennt mich zwar ſo, wie du geſagt haſt, aber ich geſtatte 
das nur meinen nächſten Freunden. Ich bin nämlich 
Hadſchi Ali Ben Hadſchi Iſhak al Fareſi Ibn Hadſchi 
Otaiba Abu l'Oſcher Ben Hadſchi Marwan Omar el 
Gandeſi Hafid Jacub Abd'allah el Sandſchaki!“ 

„Schon gut, ſchon gut!“ lächelte der König. „Dieſer 
Name iſt für meine Zunge zu lang, und da ich mich auch 
als deinen Freund betrachte, ſo werde ich dich ſo nennen 
wie vorher.“ 

Der „Vater der Hälfte“ und Haſab Murat wurden 
ihm auch vorgeſtellt und in derſelben freundlichen Weiſe 
bewillkommnet. Als nun der nächſtliegenden Höflichkeit 
Genüge geſchehen war, hielt er es für erlaubt, Ben 
Wafa, ſeinen Sohn, zu begrüßen. Er umarmte und 
küßte ihn herzlich und zog dann auch den „Sohn des Ge⸗ 
heimniſſes“ an ſeine Bruſt. Das geſchah ganz ſo, wie ein 
deutſcher Vater es mit ſeinem Kinde und deſſen Freunde 
getan hätte. Die Liebe zu dem Sohn und das aufrichtige 
Wohlwollen für die Fremden lagen ſo deutlich in ſeinen 
Zügen, daß der Eindruck ſeines Verhaltens ein außer⸗ 
ordentlich gewinnender war. 

Sein Geſicht war rund und voll, die Farbe dunkel⸗ 
braun. Seine breite, nicht zu hohe Geſtalt ſtak in einem 
einfachen ſchlafrockähnlichen Gewand, um das ein Säbel 
gegürtet war; eine andre Waffe trug er jetzt nicht. Den 
einzigen Schmuck bildete ſein Haar, welches in viele 
dünne Zöpfchen geflochten war, die, nach oben gerichtet, 
eine Art Trichter bildeten, auf deſſen Spitze ein ausge⸗ 
ſtopfter Prachtfink befeſtigt war. 


— 572 — 


Der Sitz des Thrones nahm drei Seiten ein und 
hatte Platz für mehrere Perſonen. Schwarz und Pfoten- 
hauer mußten ſich zu beiden Seiten des Königs ſetzen, 
und die andern ließen ſich rechts und links von ihnen 
nieder. Nun erzählten die beiden erſteren. Der König 
hörte ihnen aufmerkſam und ſchweigend zu und ſagte, 
als er alles erfahren hatte, zu Schwarz: „Hoffentlich lebt 
dein Bruder noch und der Elefantenjäger auch. Sollten 
ſie ermordet worden ſein, ſo werden Abu el Mot und 
Abd el Mot es mit tauſend Schmerzen zu bezahlen 
haben. Morgen um dieſe Zeit werden wir wiſſen, 
woran wir ſind, denn wir erreichen noch vor Anbruch 
des Tages die Schlucht es Suwar.“ — „So meinſt du, 
daß wir noch während der Nacht marſchieren werden?“ 
— „Wir gehen nicht, ſondern wir fahren. Dieſes Flüß⸗ 
chen führt ſo nahe an die Schlucht, daß wir nur eine 
halbe Stunde lang durch den Wald zu gehen haben, um 
fie zu erreichen.“ — „Und wie ſteht es mit der Seribab 
Ulambo? Abu el Mot hat zwei Boten um Hilfe dorthin 
geſandt.“ — „Die Boten ſind zurück. Sie haben dort 
gar nicht verweilt.“ — „Und welchen Erfolg haben ſie 
gehabt?“ — „Das weiß ich nicht; ſie haben es mir nicht 
ſagen wollen.“ — „So haſt du mit ihnen geſprochen?“ 
— „Ja. Wir haben ſie ergriffen. Ich wollte ſie nicht zur 
Rede zwingen, ſondern lieber eure Ankunft erwarten. Ich 
habe ſie dort hinten an die Bäume binden laſſen und 
zwei Wächter zu ihnen geſtellt. Wenn ihr es wünſchet, 
werde ich ſie holen laſſen.“ — „Tue das, und zwar ſofort!“ 

Es waren noch mehrere Feuer angebrannt worden, 
um die ſich die Niam⸗niam jetzt gelagert hatten. Dieſe 
Beute waren mit langen, ſichelartigen Meſſern, Bogen 
und Pfeilen, Lanzen und Tarambiſch“) bewaffnet. Auf 


) Blural von Trumbaſch, Durfelſen. 


— 578 — 


den Befehl des Königs entfernte ſich einer von ihnen, 
um die beiden Homr und deren Wächter herbeizuholen. 

Als ſie gebracht wurden, erkannte Schwarz ſie 
ſofort. Er ſah deutlich, wie ſie erſchraken, als ſie ihn er⸗ 
blickten. Der „Vater der elf Haare“ geriet in zornige 
Aufregung, drohte ihnen mit den Fäuſten, verſchmähte 
aber, ſie anzureden, und rief vielmehr Schwarz und 
Pfotenhauer zu: „Das ſeinte Homr, verfluchtige und ges 
mörderigte. Laßte wir ſie nicht wieder entflohente und 
ausgereißte. Sie muß treffte Strafe, gerechte!“ 

„Habe keine Sorge; ſie entkommen uns gewiß nicht 
wieder,“ antwortete ihm Schwarz. Und ſich zu den Homr 
wendend, fuhr er fort: „Ich ſehe, daß ihr mich erkennt. 
Euer Schickſal hängt von eurem Verhalten ab. Was 
habt ihr auf der Seribah Ulambo erreicht?“ 

Sie ſahen ihn finſter an, flüſterten ſich einige 
Worte zu, und dann antwortete der eine von ihnen: 
„Wir ſind nicht in Ulambo geweſen.“ — „Ich weiß ge⸗ 
nau, daß Abu el Mot euch hingeſandt hat. Leugne nicht, 
ſonſt könnte es dir ergehen, wie es Dauwari ergangen 
iſt.“ — „Dauwari?“ rief der Mann aus. — „Ja. Ihr 
habt gemeint, daß wir ihm Glauben ſchenken und in die 
Falle gehen würden. Die Sonne muß euch das Gehirn 
verbrannt haben, da ihr uns für ſo albern halten 
konntet. Ich habe ihm die Baſtonnade geben laſſen, und 
er hat alles geſtanden.“ — „Dieſer Hund!“ — „Pah! 
Jetzt ſchimpfeſt du auf ihn; aber wenn auch ihr die 
Hiebe auf euren Füßen fühlt, werdet ihr ebenſo offen⸗ 
herzig werden.“ — „Wage es! Wir ſind wahre Gläubige 
und Anhänger des Propheten; du aber biſt nur ein 
Chriſt!“ — „Ich behandle euch nicht nach eurem Glau- 
ben, ſondern nach euren Taten. Und wollt ihr meinen 
Glauben ſchmähen, nun, ſo mögt ihr es tun, wenn es 


— 574 — 


euch Vergnügen macht, doppelte Streiche dafür zu er⸗ 
halten.“ — „Zeige uns Dauwari, damit wir dir glauben 
können!“ — „Ich habe nicht nötig, dieſes Verlangen zu 
erfüllen, da ich euch durch die Baſtonnade zur Antwort 
zwingen kann; doch will ich euch den Gefangenen zeigen, 
um euch durch Milde gefügig zu machen.“ 

Er ſchickte den Slowaken und den Hadſchi fort, um 
Dauwari bringen zu laſſen. Einige Nuehrs brachten ihn 
und ſetzten ihn neben den Homr nieder. Dieſe warfen 
ihm einen verächtlichen und zornigen Blick zu und wen⸗ 
deten ſich dann von ihm ab. 

„Ah, ihr ſeid hochmütig gegen ihn?“ meinte 
Schwarz. „Nun, ihr ſollt ſchnell demütig werden. Wollt 
ihr geſtehen, was auf der Seribah ausgemacht worden 
iſt?“ — „Wir geſtehen nichts.“ — „Wollen ſehen, ob ihr 
Wort haltet.“ 

Sie wurden ebenſo behandelt wie Dauwari geſtern. 
Man band ihre Füße an eine Lanze und hielt die nack⸗ 
ten Sohlen nach oben. Schon die erſten Hiebe brachten 
die gewünſchte Wirkung hervor: ſie geſtanden, daß ſie 
auf der Seribah abgewieſen worden ſeien. Das konnte 
freilich eine hinterliſtige Ausrede ſein, aber Schwarz 
glaubte ihren Worten. Hätten ſie Hilfe erlangt und 
Mannſchaften bekommen, fo wären ſie jedenfalls nicht 
allein zu Abu el Mot aufgebrochen. Sie wurden mit 
Dauwari zur Seite geſchafft. 

Der König hatte mehrere Leute bei ſich, die den 
Weg nach der Schlucht es Suwar genau kannten. Eine 
genügende Anzahl der Niam⸗niam, um die Schiffe zu 
bewachen, ſollte bei dieſen zurückbleiben. Für die übri⸗ 
gen waren Boote genug vorhanden, wenn man ſich 
etwas enger als gewöhnlich ſetzte. Es Wa beſchloſſen, 
zu eſſen und dann aufzubrechen. 


„— 575 — 


Nahrung gab es genug. Die Niam⸗niam hatten ſich 
mit Vorrat verſehen, und die andern beſaßen noch mehr 
als genug Nilpferd- und Elefantenfleiſch, das nicht ver⸗ 
dorben war. Das noch vorhandene Fleiſch wurde an den 
Feuern gebraten, da es ſich dann länger hielt als in 
rohem Zuſtande. Dann beſtimmte der König die Leute, 
welche bei den Fahrzeugen zu bleiben hatten. Als dies 
geſchehen war, wurden die Boote beladen und bemannt. 
Die Niam⸗niam hatten in ſicherer Erwartung der nächt⸗ 
lichen Fahrt Fackeln angefertigt, die den Fluß beleuchten 
ſollten. Der König beſtieg mit den namhafteſten Teil⸗ 
nehmern das vorderſte Boot, das faſt vierzig Perſonen 
faßte und in deſſen Schnabel auf zuſammengefügten 
Steinen ein Feuer brannte. Es ſtieß vom Ufer, und die 
andern folgten. Den alten Feldwebel und ſeine Leute 
hatte man auf den Schiffen zurückgelaſſen. Dauwari 
aber und die beiden Homr hatte man mitgenommen, da 
man ihrer zu bedürfen glaubte. Die beiden letzteren 
waren höchſt kleinlaut geworden, ſeit ſie geſehen hatten, 
welch eine mächtige Ueberzahl gegen Abu el Mot vor⸗ 
handen war. 

Es war eine eigentümliche Fahrt durch den nächt⸗ 
lichen Urwald. Das Tierleben, wenigſtens das höhere, 
ſchlief; aber Tauſende von Leuchtkäfern ſchoſſen durch die 
Finſternis, und Hunderttauſende, ja Millionen von 
Stechfliegen und Mücken flogen in das Feuer und die 
Flammen der brennenden Fackeln, ſo daß es ſchien, als 
ob es dieſe Inſekten förmlich regne. 

Der König ſaß am Feuer und achtete der Quäl⸗ 
geiſter nicht; Schwarz und Pfotenhauer hatten ihre 
Moskitonetze über die Köpfe gezogen. Hinter ihnen ſaß 
der Slowak, der mit dem Hadſchi leiſe flüſterte. Das 
Feuer beleuchtete die nahen Ufer und warf flimmernde 


— 576 — 


Lichter auf die tropiſchen Pflanzenformen, die aus dem 
Waſſer ihr Leben ſogen. 

„Wiſſen S',“ ſagte der „Vater des Storches“, „es 
kommt mir halt vor, als ob i im Theater ſei, wo die 
Malerei einen Wald vorſtellt, worin Feen und Elfen 
wohnen. Schaun's nur, wie das Licht da an der Palme 
emporklettert und rund um die Krone läuft! Dieſe füd- 
lichen Gewächſ' haben einen andern Charakter als unſer 
nördlicher Pflanzenwuchs. Und doch iſt mir a heimiſcher 
Tannen⸗ oder Buchenwald tauſendmal lieber als ſo an 
Palmenwald — — — hurrje! Was war das? Haben 
S' den Kerl geſehen?“ 

Es war ein großer, dunkler Vogel mit faſt unhör⸗ 
barem Flügelſchlag vom rechten Ufer gerade über das 
brennende Feuer hinweg nach dem linken geflogen. Der 
„Vater des Storches“ war überraſcht aufgeſprungen und 
wiederholte ſeine Frage, indem er mit der Hand nach 
der Gegend deutete, wo der Vogel verſchwunden war. 
Sein Geſicht war hell beleuchtet, und ſo ſah man deut⸗ 
lich, daß ſeine Naſe ſich nach der linken Wange neigte, 
als ob ſie auch unabhängig vom Beſitzer die ganz ſelb⸗ 
ſtändige Abſicht habe, dem Vogel nachzublicken. 

„Freilich habe ich ihn geſehen,“ antwortete Schwarz. 
„Es war ein Uhu, hier ein außerordentlich ſeltenes 
Tier.“ 

„Ja, er kommt nit allzuhäufig vor; wenigſtens hab' 
i ihn hier noch nit geſehen. Willen S', wie er hier 
g'nannt wird?“ 

„Der Zeuge.“ 

„Weshalb?“ 

„Seiner Stimme wegen. Er ſchreit ‚ſchuhud'; das 
iſt die Mehrzahl von „ſchahid, der Zeuge.“ 

„Richtig! Und wie iſt ſein lateiniſcher Name?“ 


— 577 — 


„Bubo maximus.“ 

Nun war der Graue glücklich bei feinem Lieblings⸗ 
thema angelangt, aus dem er Schwarz nicht ſo ſchnell 
wieder entließ. Gegen Mitternacht aber ſchloſſen alle, 
die nicht zu arbeiten hatten, die Augen, und die Ruderer 
plätſcherten im Takt ihr eintöniges und ununterbro⸗ 
chenes Schlummerlied dazu. 

Als Schwarz und Pfotenhauer geweckt wurden, 
war es noch finſtere Nacht; die Ruder lagen ſtill, denn 
die Fahrt war zu Ende, und man hatte die Boote an das 
Ufer befeſtigt; es wurde ausgeſtiegen. Auch hier mußte 
man Leute zurücklaſſen, welche die Fahrzeuge zu be⸗ 
wachen hatten; es wurden noch mehr Fackeln ange⸗ 
brannt; jeder griff nach ſeinen Waffen und nach dem 
Mundvorrat, den er zu tragen hatte, und dann wurde 
die Wanderung angetreten. 

Der Weg führte durch einen weiten Aradebah⸗ 
waldi), deſſen Stämme in ſolcher Entfernung vonein⸗ 
ander ſtanden, daß ſie dem Marſch keine beſondere 
Schwierigkeit entgegenſetzten. Fackeln brannten genug, 
ſo daß die Führer ſich nicht irren konnten. Da es aber 
immerhin möglich war, daß ſich jemand von der Schar 
Abd el Mots ſchon in der Nähe befand, wurde alles Ge⸗ 
räuſch vermieden. 

So ging es ſtill und langſam vorwärts, nicht ganz 
eine Stunde lang; dann blieben die voranſchreitenden 
ortskundigen Männer halten und machten dem König 
eine leiſe Meldung. Dieſer teilte den Deutſchen mit, daß 
man in der Nähe der Schlucht angekommen ſei, und 
fragte, ob man hinabſteigen ſolle. 

„Nein, auf keinen Fall,“ antwortete Schwarz. 
„Entweder ſind die Feinde ſchon unten, was freilich 


) Tamarindus Indies. 
Mey, Die Sklavenkarawene 87 


— 578 — 


nicht zu erwarten iſt; dann würden wir ihnen geradezu 
in die Hände laufen. Oder ſie kommen erſt noch, und 
dann können wir recht gut warten, bis der Tag ange⸗ 
brochen iſt. Laßt die Fackeln auslöſchen! Wir ſetzen 
oder legen uns hier nieder. Das iſt das klügſte, was wir 
tun können.“ 

Dieſer Rat wurde befolgt, die Leuchten verloſchen, 
und nun hätte niemand, der zufällig vorübergekommen 
wäre, vermuten können, daß hier ſo viele hundert Men⸗ 
ſchen in Erwartung baldiger kriegeriſcher Ereigniſſe 
lagerten. | 

Wie die Abenddämmerung, fo iſt auch die Morgen⸗ 
dämmerung im Sudan eine ſehr kurze. Es erhob ſich eine 
laute Vogelſtimme unten im Grunde, und als ob dieſe den 
Morgen wachgerufen habe, ſo wich die Finſternis plötz⸗ 
lich einer grauen Helle, welche ſchnell lichter und lichter 
wurde. Man konnte zuerſt die Stämme der Bäume 
unterſcheiden, dann auch die Aeſte, bald die kleineren 
Zweige, die einzelnen Blätter und Blüten, und während 
noch vor kaum drei Minuten das tiefſte Dunkel ge⸗ 
herrſcht hatte, war es nun heller, lichter Tag geworden, 
und anſtatt der einen, erſten Vogelſtimme erklangen 
tauſende durch den morgenfriſchen Wald. 

Schwarz hatte ſich erhoben und trat mit Pfoten⸗ 
bauer weiter vor. Die Führer waren ihrer Sache außer⸗ 
ordentlich ſicher geweſen. Nur noch hundert Schritte 
weiter, ſo wäre man über eine faſt lotrechte Felswand 
aus Granitgeſtein gefallen, aus welcher Geſteinsart die 
Guta⸗Berge alle beſtehen. 

Noch immer befand man ſich unter Aradebah⸗ 
bäumen, deren Kronen ſich ſo vereinigten, daß man den 
Himmel kaum erblicken konnte. Aber geradeaus, vor 
den beiden Deutſchen, gab es kein Laub» oder 


— 579 — 


Nadeldach, denn da lag die Schlucht, die man über⸗ 
ſehen konnte. N 

Sie war an ihrem Anfang und Ende vielleicht acht⸗ 
zig Schritte breit, in der Mitte etwas mehr, und ihre 
Länge konnte das Zehnfache betragen. Die Wände ſtie⸗ 
gen an den Längsſeiten ſo ſteil empor, daß es unmöglich 
ſchien, ſie zu erklimmen. Hier, wo ſich die Lagernden be⸗ 
fanden, war es jedenfalls auch ſchwierig, hinabzukom⸗ 
men; aber gegenüber befanden ſich der Eingang, der 
zwar nur ſehr ſchmal war, aber mit der Sohle des Tales 
in derſelben Höhe lag, ſo daß der Zutritt zu der Schlucht 
von dort aus ohne die allermindeſte Schwierigkeit zu be⸗ 
werkſtelligen war. Die Bäume des Waldes traten bis 
an den Rand der Schlucht heran; dort hörte der Pflan⸗ 
zenwuchs vollſtändig auf, und an den Wänden und Ab- 
hängen des Felſens war nicht ein Grashalm zu ſehen. 
Aber unten im Grunde wehten die Wipfel zahlreicher 
und ſehr hoher Palmen im leiſen Morgenwind; es 
mußte alſo dort Waſſer vorhanden ſein. 

Jetzt traten der König und Wahafi auch herbei. 
Dieſer letztere deutete hinab und ſagte: „Dort ſeht ihr 
die hundertundvierzehn Nachl es Suwar), die der 
Imam pflanzte, um den Fluch von der Schlucht zu neh⸗ 
men. Sonſt gibt es keine einzige Palme in der Nähe, 
woraus ihr erſehen könnt, daß ſeine Gebete mächtig ge⸗ 
weſen ſind und ein Wunder bewirkt haben.“ 

„Es ſcheint ſich noch kein Menſch unten zu befin⸗ 
den,“ antwortete Schwarz. „Wir ſind Abu el Mot alſo 
wirklich zuvorgekommen und haben vielleicht genügend 
Zeit, die Schlucht in Augenſchein zu nehmen. Wo führt 
ein Weg hinab?“ 

„Es gibt nur einen einzigen; er führt hinein und 

) Palmen der Koranabſchnitte. 


— 580 — 


auch hinaus, kein andrer. Das iſt da vorn, uns gegen⸗ 
über. Ich werde jetzt vorangehen und euch nach dem 
Eingang hinabführen. Gebt alſo Befehl, daß aufgebro⸗ 
chen werde!“ 

„Halt, nicht ſo ſchnell! Du meinſt, daß wir alle, die 
wir hier ſind, in die Schlucht gehen und dort die An⸗ 
kunft au el Mots erwarten?“ 

80. 

„Dann wären wir ja verloren! Abu el Mot käme 
durch den Eingang, würde uns bemerken und dort hal⸗ 
ten bleiben; wir wären von ihm und den Felſen ein⸗ 
geſchloſſen, könnten nicht herauf und es käme zum 
Kampf. Nein, ich werde es zu ermöglichen ſuchen, daß 
keiner von uns getötet oder verwundet wird.“ 

„Herr, das iſt unmöglich! 

„Streiten wir uns darüber jetzt lieber nicht! Was 
zu tun iſt, werde ich erſt dann wiſſen, wenn ich die 
Schlucht geſehen habe. Ich werde alſo mit einigen, hörſt 
du, nur mit einigen hinabgehen, um ſie zu unterſuchen; 
die übrigen haben hier auf meine Rückkehr zu warten. 
Auf keinen Fall aber werde ich zugeben, daß wir alle 
hinabſteigen und uns dort lagern; denn wenn wir das 
täten, ſo wäre geſchehen, was Abu el Mot wünſcht: wir 
wären in eine Falle geraten.“ 

„Aber auf welche Weiſe willſt du ihn denn be 
ſiegen?“ 

„Das muß ſich erſt noch zeigen. Vielleicht betritt 
er ſelbſt die Schlucht, um darin zu lagern. Dann wür⸗ 
den wir den Eingang beſetzen, und er ſteckte in ſeiner 
eigenen Falle. Allerdings halte ich ihn nicht für ſo 
dumm.“ 

„Warum ſollte das ſo undenkbar ſein?“ fragte Pfo⸗ 
tenhauer. „Er glaubt doch, daß wir früheſtens erſt mor⸗ 


— 581 — 


gen kommen können. Iſt es da nicht denkbar, daß er den 
Platz heute für ſich in Anſpruch nimmt?“ 

„Hm, das iſt richtig; daran dachte ich nicht. Aber 
nun wollen wir raſch die Schlucht beſichtigen.“ 

Die Truppen mußten noch halten bleiben; die An⸗ 
führer gingen weiter, hart an dem linken Rande des Ab⸗ 
grunds hin. Sie konnten hinabſehen. Zu beiden Seiten 
der Talſohle und auch vorn und hinten ſtanden Palmen; 
in der Mitte lag eine grüne Grasfläche. 

Als man ſich oberhalb des Eingangs befand, brach 
der Felſen ſenkrecht ab und man mußte alſo ein Stück 
in den Wald hinein, um da nach links auf einem Um⸗ 
weg hinabzukommen. Das war übrigens gar nicht 
ſchwer, und nach Verlauf von beiläufig zehn Minuten 
ſenkte ſich der Boden als nicht allzu ſteile Böſchung ab⸗ 
wärts. Der Wald hörte auf; man kam durch einiges 
Buſchwerk, und dann ſah man eine ebene, gras⸗ 
bedeckte Flur vor ſich liegen, aus welcher ſich der 
hufeiſenförmige Berg, der in ſeinem Innern die 
Schlucht bildete, erhob. 

Der Eingang in die letztere war, wie Schwarz ab⸗ 
maß, zwölf Schritte breit. Als ſie ihn durchſchritten hat⸗ 
ten, konnten ſie den langen Keſſel bis an die hintere 
Wand überblicken. Er bot einen eigenartigen, über⸗ 
raſchenden Anblick dar. 

Von hoch oben winkten die Wipfel der Aradebah⸗ 
bäume herab; dann kamen die Felſen in einer Höhe von 
vielleicht hundert Fuß; ſie waren vollſtändig nackt. An 
deren Fuß lief eine dammartige Erhöhung rund um das 
Tal; ſie trug eine Rinne, worin ſich das von der Höhe 
ſickernde Waſſer ſammelte und ein Bächlein bildete, das 
in der Nähe des Eingangs in einem Steinloch einen 
unterirdiſchen Abfluß nahm. Dieſes Waſſer ſpeiſte die 


— 582 — 


Talebpalmen, die auf dem Damm in genau abgemef- 
ſenen Entfernungen voneinander ſtanden. 

„Zähle ſie!“ ſagte Wahafi zu Schwarz. „Rechts 
fünfzig, links fünfzig, im Hintergrund ſieben und hier 
vorn am Eingang auch ſieben. Das gibt hundertund⸗ 
vierzehn. Und nun tritt näher, um nachzuſehen, wie 
eine jede heißt!“ ö 

Er zog ihn zu der nächſten Palme. Nicht ganz 
manneshoch zeigte deren Stamm ein Wort in arabiſcher 
Schrift, das vor langer Zeit eingeſchnitten worden war. 
Die Züge waren zu mehr als fingerdicken Wülſten auf⸗ 
gequollen, und ſo fiel es nicht ſchwer, das Wort zu leſen. 

„El Fathcha,“ ſtand da geſchrieben; auf dem näch⸗ 
ſten Stamm las Schwarz das Wort „el Bakara“; am 
dritten ſtand „I Ajli el Amran“, am vierten „en Nig« 
wan“ und am fünften „et Tauli“. Das heißt zu deutſch 
„die Einleitung“, „die Kuh“, „die Familie Amrans“, 
„die Weiber“ und „der Tiſch“. Das find die Ueber- 
ſchriften der erſten fünf Kapitel des Korans. Der Imam 
hatte ſie nicht genau nach dem Buch des Propheten, ſon⸗ 
dern nach ſeiner eigenen Mundart eingeſchnitten, und es 
verſtand ſich ganz von ſelbſt, daß ein ſo abgeſchloſſener 
Ort, deſſen hundertvierzehn Bäume die Kapitelüber⸗ 
ſchriften des Korans trugen, jedem Mohammedaner als 
Heiligtum gelten mußte. Die Niam-niam waren keine 
Anhänger des Propheten, hatten ſich aber doch im Ver⸗ 
kehr mit ſolchen ſo viel vom Islam angeeignet, daß auch 
ſie eine Axt heiliger Scheu vor der Schlucht empfanden. 
Die Führer blieben ſtehen und begnügten ſich, dieſe zu 
überblicken; die beiden Deutſchen ſchritten weiter. Als 
auch der König mit den übrigen folgen wollte, bat 
Schwarz: „Bleibt zurück! Hier am Eingang gibt es ſo 
viel Felsgeröll und Schutt, daß die Eindrücke eurer 


* 


Füße nicht geſehen werden können; weiterhin im Graſe 
aber würdet ihr eine Fährte machen, die uns an Abu 
el Mot verriete. Er ſoll nicht ahnen, daß ſich heute ſchon 
jemand hier befunden hat. Wir beide aber verſtehen es, 
einen nur geringen Fußeindruck zu machen und auch 
dieſes Wenige zu verwiſchen.“ 

Sie gingen nur bis ungefähr in die Mitte der 
Schlucht. Das genügte, um ihnen die Ueberzeugung zu 
geben, daß es ſelbſt dem geübteſten und kühnſten Tiroler 
Gemsjäger nicht gelungen wäre, an irgend einer Stelle 
der Granitwand emporzuklimmen. Das hatten fie wiſ⸗ 
ſen wollen und nun kehrten ſie zurück, wobei ſie nicht 
unterließen, die im Graſe eingedrückten Spuren ſorgfäl⸗ 
tig zu verwiſchen. 


Siebzehntes Kapitel. 
Die Schlucht der Suren. 


Wie klug Schwarz und Genoſſen mit ihren Maß⸗ 
regeln gehandelt hatten, ſollten ſie ſofort erkennen, denn 
eben als ſie nun die Schlucht wieder verließen, deutete 
der „Vater der elf Haare“ nach der Ebene hinaus und 
rief in ſeinem wunderbaren Deutſch: „Achtung gebte, 
aufgepaßte! Dort ſein erſcheinte Punkte, ſchwarze und 
ſich bewegte. Was mag da kommte für Leute, nicht 
freundliche, ſondern feindliche? Wir wollt uns verſteckte, 
damit ſie nicht kann ſehente auch Punkte, unſrige!“ 

Die Männer zogen ſich ſchnell in das Gebüſch und 
dann unter die Bäume zurück. Da, am Rande des Wal⸗ 
des und von den Sträuchern verdeckt, konnten ſie ſehen, 
ohne ſelbſt geſehen zu werden. 

Es waren erſt nur vier oder fünf Punkte geweſen; 
ihnen folgten aber mehr und immer mehrere, und nach 
kurzer Zeit ſah man eine ſehr lange und ſchmale Linie, 
die ſich ſchnurgerade, wie mit dem Lineal gezogen, auf 
die Schlucht zu bewegte. Die Punkte wurden größer. 
Schon nach zehn Minuten konnte man erkennen, daß 
voran fünf Reiter waren, denen mehrere Fußgänger 
folgten. Nach abermals fünf Minuten überblickte man 
bereits den ganzen Zug, der ſich in der Ordnung fort⸗ 
bewegte, daß hinter zehn oder noch mehr einzeln ein⸗ 


— 585 — 


ander folgenden Fußgängern immer einige Reiter 
kamen. " 

„Das iſt Abu el Mot mit feinen Menſchenjägern 
und den geraubten Negern,“ ſagte Pfotenhauer. „Wie 
gut, daß wir nicht lange auf ſie zu warten brauchen! 
Nun wird der Tanz ja bald beginnen!“ 

„Ein trauriger Tanz, wenn auch nicht für uns, ſo 
doch für unfre Gegner,“ antwortete Schwarz. Und ſich 
zum König wendend, fügte er hinzu: „Ich bleibe mit 
meinem Freunde hier, um die Karawane zu beobachten; 
ihr aber kehrt zu unſern Leuten zurück, um ſie von der 
Ankunft der Erwarteten zu benachrichtigen. Sie ſollen 
bleiben, wo ſie ſind, und den Platz ja nicht eher ver⸗ 
laſſen, als bis wir kommen. Den beiden Homr und 
Dauwari ſteckt ihr Knebel in den Mund, damit ſie nicht 
etwa durch Geſchrei ihre und unſre Anweſenheit vor⸗ 
zeitig verraten können.“ 

Der König folgte mit den andern dieſer Auffor⸗ 
derung und entfernte ſich, und die beiden Zurückbleiben⸗ 
den richteten ihre Aufmerkſamkeit wieder auf den nahen⸗ 
den Zug. Sie ſahen einen Reiter, der von deſſen Ende 
nach der Spitze galoppierte, jedenfalls um den dort Be⸗ 
findlichen einen Befehl zu erteilen. 

„Das iſt Abu oder Abd el Mot,“ ſagte Pfotenhauer. 
„Er wird halt jemand vorausſenden, um nachſchauen 
zu laſſen, ob hier in dera Schlucht alles in Ordnung iſt.“ 

Er hatte ſich nicht geirrt, denn zwei von den fünf 
Reitern trennten ſich von dem Zug und kamen im 
Galopp herbei; es waren bärtige Kerls mit ſonnver⸗ 
brannten Geſichtern. Sie ſchienen die Anweſenheit eines 
Menſchen für unwahrſcheinlich zu halten, denn ſie be⸗ 
obachteten nicht die geringſte Vorſicht, ſondern ſprengten 
ganz offen heran und in die Schlucht hinein. Nach kur⸗ 


— 586 — 


zer Zeit kamen ſie wieder heraus und ritten zurück, um 
ihrem Anführer Meldung zu machen. 

Der Zug war inzwiſchen ſo nahe herangekommen, 
daß man jede einzelne Geſtalt, wenn auch nicht die Ge⸗ 
ſichtszüge, erkennen konnte. Schwarz atmete tief und 
hörbar; er ballte die Hände und fagte: „In zehn Minu⸗ 
ten werde ich wiſſen, ob mein Bruder dabei iſt, N ob 
er noch lebt oder nicht.“ 

Nun bot ſich den beiden ein Anblick, der ihre Herzen 
erzittern machte. Sie hatten eine Ghaſuah, eine Skla⸗ 
venkarawane vor ſich. 

Von dem Pferde eines der vorderen Reiter ging ein 
Seil aus, das um die Hälſe von fünfzehn hintereinander 
ſchreitenden männlichen Negern, deren Hände man auf 
den Rücken gebunden hatte, geſchlungen war. Die 
Schwarzen waren vollſtändig unbekleidet und ihre Kör⸗ 
per mit aufgeſprungenen Schwielen bedeckt. Sie hatten 
wohl nicht die verlangte Fügſamkeit gezeigt und infolge⸗ 
deſſen die Peitſche bekommen. 

Nun folgten drei Reiter und hinter ihnen zwölf 
Neger, die ebenſo gefeſſelt waren. Außerdem trug oder 
vielmehr ſchleppte jeder einen ſchweren Holzklotz je an 
einem Fuß. Auch ſie waren mit Schwielen bedeckt und 
konnten ſich kaum mehr fortbewegen. 

Hinter dieſen und wieder andern Reitern kam eine 
Reihe von Sklaven, welche die gefürchtete Schebah tru⸗ 
gen, die ſchwere Holzgabel, worin der Hals des Gefan⸗ 
genen ſteckt. 

Dann nahten ſchwache Frauen und Mädchen, welche 
Laſten ſchleppten, unter denen ſie faſt zuſammenbrachen. 
Dabei waren ihnen kurze Stricke an die Fußknöchel ge⸗ 
bunden, ſo daß ſie nur kleine Schritte machen und an 
Flucht nicht denken konnten. Ihnen folgten eng ge⸗ 


— 587 — 


feſſelte Knaben, deren Geſichter zum Erſchrecken unförm⸗ 
lich geſchwollen waren. Man hatte ihnen die Guluf ge⸗ 
ſchnitten, das heißt drei Meſſerſchnitte in jede Wange ge⸗ 
macht, als dauernd ſichtbares Zeichen der Sklaverei. Die 
Wunden eiterten und wurden von Inſekten durchwühlt. 

Ein weiteres Glied des Zuges bildete eine Anzahl 
von Negern, denen die Hände an die Knie feſtgebunden 
waren, ſo daß ſie in gebückter Stellung, mit wagerech⸗ 
tem Oberkörper gehen mußten. Kurz, die Feder ſträubt 
ſich, die Qualen zu ſchildern, die man angewendet hatte, 
um die Gefangenen gefügig zu machen und ſie an der 
Flucht zu verhindern. Man ſah es allen an, daß ſie er⸗ 
müdet waren und vor Hunger und Durſt faſt ver⸗ 
ſchmachteten. Sie hatten während der ganzen Nacht mar⸗ 
ſchieren müſſen. 

Der Zug verſchwand mehr und mehr im Eingang 
der Schlucht, und noch hatte Schwarz ſeinen Bruder 
nicht entdeckt. Sein Puls begann zu fiebern und ſein 
Atem zu fliegen. Er knirſchte mit den Zähnen, daß Pfo⸗ 
tenhauer es hörte. Dieſer verſuchte ihn zu beruhigen: 
„Verlieren S' nur die Hoffnung nit! Noch ſind die An⸗ 
führer nit vorüber, und grad bei dieſen, denk i, müſſen 
ſich ſolche Gefangene befinden, wie Ihr Bruder und der 
Elefantenjäger ſind.“ 

Jetzt näherten ſich zwei Reiter, welche weiße Halks 
trugen und nebeneinander ritten. Kaum hatte Schwarz 
das Geſicht des einen, wenn auch nur erſt von weitem, 
erblickt, ſo ſtieß er hervor: „Abu el Mot! Da iſt er 
endlich!” 

„Ja, das iſt er,“ nickte Pfotenhauer, „und der 
andre iſt Abd el Mot. Und ſchauen S', wer kommt da 
gleich hinter ihnen! Er lebt, er lebt! Sehen S' ihn 
neben dem Sejad ifjal?“ | 


— 588 — 


Sie waren es, Joſef Schwarz und der Elefanten⸗ 
jäger. Sie ſahen verhältnismäßig wohl aus, trugen ihre 
Anzüge noch und ſchauten ziemlich trotzig drein. Von 
Ergebung in ihr Schickſal fand ſich in ihren Zügen keine 
Spur. 

„Gott ſei Dank!“ hauchte Schwarz. „Ich möchte 
hinſpringen und ihn herausreißen!“ — „Da verderben 
S' alles!“ — „Das weiß ich wohl. Ich muß mich be⸗ 
herrſchen. Aber ſagen will ich es ihm, daß ich da bin.“ 
— „Um des Himmels willen, verraten Sie uns nit!“ 
raunte ihm der Gefährte ängſtlich zu. — „Haben Sie 
keine Sorge! Ich gebe ein Zeichen, das nur Joſef ver⸗ 
ſtändlich iſt.“ | 

Der Elefantenjäger und fein Leidensgenoſſe waren 
Seite an Seite fo aneinander gefeſſelt, daß fie nicht aus⸗ 
einander und auch die Arme und Hände nicht bewegen 
konnten. Außerdem hatte man jedem einen Strick um 
den Leib geſchlungen und an die Steigbügel Abd el 
Mots befeſtigt. Schon waren ſie der Schlucht nahe, da 
ließ ſich das eigentümliche Gekrächze eines Geiers hören. 
Niemand achtete darauf, denn Geier gibt's im Sudan 
maſſenhaft; Joſef Schwarz aber warf ſofort den Kopf 
empor; ſeine Wangen röteten ſich und ſeine Augen 
leuchteten auf. Er ſah rechts über die Büſche hinüber, 
woher der Laut gekommen war, und erblickte zwiſchen 
den vorderſten Bäumen einen Arm, der ein Gewehr 
ſchwang. Er hatte ſeinen Schritt nicht für einen Augen⸗ 
blick inne gehalten und ſenkte nun den Kopf wieder nie⸗ 
der. Er beſaß Selbſtbeherrſchung genug, ſein Entzücken 
zu bemeiſtern. Ganz, ganz leiſe aber flüſterte er ſeinem 
Gefährten, mit dem er eben durch den Eingang ſchritt, 
zu: „Welch ein Glück, daß Abu el Mot h auf den 
Schrei dieſes Geiers achtete!“ 


— 589 — 


„Warum?“ fragte der andre ebenſo leiſe. 

„Es war kein Vogel, ſondern mein Bruder.“ 

„Allah ja Allah! Wer fol — — —“ 

„Still, nicht ſo laut! Man hört es ja! Ich kenne 
dieſes Krächzen ganz genau; es hat uns auf unſern Rei⸗ 
ſen in fernen, gefährlichen Ländern oft als Mittel ge⸗ 
dient, uns zuſammenzufinden, ohne uns rufen zu müſ⸗ 
fen, wenn wir uns für kurze Zeit getrennt hatten. Ist 
er allein, oder hat er noch andre mit, das iſt ganz gleich: 
er holt uns heraus, mitten aus dem Lager, und zwar 
gewiß noch heute abend oder ſpäteſtens in der Nacht. 
Laſſen wir aber nichts von unſrer Hoffnung merken!“ 

Emil Schwarz hatte geſehen, daß fein Zeichen ge- 
hört und erkannt worden war; er wartete, bis die letz- 
ten Sklaven und ihre Peiniger in der Schlucht ver⸗ 
ſchwunden waren, und kehrte dann mit Pfotenhauer 
nach der Höhe zurück. Als beide oben ankamen, waren 
alle Leute zur Stelle, und keiner hatte den Platz ver⸗ 
laſſen. Der „Sohn des Geheimniſſes“ trat auf Schwarz 
zu und fragte: „Herr, ich habe mich über meinen Vater 
ſehr geängſtigt. Die Sklavenkarawane iſt angekommen. 
Iſt der Elefantenjäger dabei?“ — „Ja; wir haben ihn 
geſehen.“ — „Und wie ging es ihm? Wie ſah er aus?“ 
— „Sehr gut, unter den gegebenen Verhältniſſen.“ — 
„Allah ſei Dank! Wehe den Sklavenjägern, wenn es 
uns nicht gelingt, ihn unverletzt zu befreien! Glücklicher. 
weiſe haben dieſe keine Ahnung von unſrer Anweſenheit. 
Wenn wir plötzlich über ſie herfallen, ſo wird der Schreck 
ſie ſo lähmen, daß wir Sieger ſind, ehe ſie an Widerſtand 
gedacht haben.“ — „Selbſt wenn dieſe deine Voraus 
ſetzung ſich bewahrheitete, würde Menſchenblut fließen, 
und das möchte ich vermeiden. Ich denke aber, daß die 
beiden Anführer der Karawane zwar überraſcht fein, 


— 590 — 


aber ihre Beſinnung keineswegs verlieren würden. Das 
erſte, was ſie tun würden, wäre, daß ſie deinen Vater 
und meinen Bruder töteten. Sollen wir dieſe beiden 
einer ſolchen Gefahr ausſetzen?“ — „Nein, Herr, nein,“ 
antwortete der Jüngling ſchnell. „Aber wie willſt du 
es denn anfangen, ſie zu retten?“ — „Das werdet ihr 
jetzt hören.“ 

Er teilte ſeinen Plan mit, und nach kurzer Be⸗ 
ratung wurde dieſer angenommen, denn man ſah ein, 
daß man nichts Beſſeres tun könne. 

Nun ſetzten ſich die Krieger in Bewegung, um die 
Schlucht zu umzingeln. Das geſchah ſo leiſe und vor⸗ 
ſichtig, daß die darin Befindlichen nichts davon bemerk⸗ 
ten. Nach zehn Minuten war der Rand der Felſen rund- 
um mit Leuten beſetzt, die für alles, was geſchehen 
konnte, ihre beſtimmten Weiſungen erhalten hatten. 

Von allen Untergebenen waren die Soldaten aus 
Faſchodah jedenfalls die zuverläſſigſten, und darum 
hatte Schwarz die Beſtimmung getroffen, daß dieſe den 
Eingang der Schlucht beſetzen ſollten. Der König, 
Haſab Murat und der „Vater der Hälfte“ erhielten den 
Befehl über die Truppen, die hier oben ſtanden. Schwarz 
marſchierte mit den Soldaten hinunter. Bei ihm befan⸗ 
den ſich Pfotenhauer, der Slowak, der Hadſchi und der 
„Sohn des Geheimniffes”. Der „Sohn der Treue“ 
hatte bei ſeinem Vater oben bleiben wollen. 

Dauwari und die beiden Homr wurden mitgenom⸗ 
men. Sie konnten infolge der Baſtonnade den Berg 
nicht hinunterſteigen und mußten getragen werden. Sie 
hatten die getroffenen Vorbereitungen beobachtet und 
wußten alſo, daß es für Abu el Mot keine Hoffnung auf 
Entkommen gab. 

Die Sorgloſigkeit, womit dieſer Mann heute ver⸗ 


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fuhr, war wirklich erſtaunlich. Als Schwarz mit feiner 
Leuten unten ankam, ſah er, daß nicht einmal der Ein⸗ 
gang beſetzt worden war. Er näherte ſich ihm noch nicht, 
ſondern blieb zunächſt unter den Bäumen halten, um 
den genannten drei Gefangenen die notwendigen Wei⸗ 
ſungen zu erteilen. | 

„Ich gebe euch Gelegenheit, eure Sünden wenig⸗ 
ſtens ſo weit gut zu machen, daß ich euch ſpäter eure 
Freiheit zurückgeben kann,“ ſagte er zu ihnen. „Ich 
werde jetzt eure Feſſeln löſen laſſen, damit ihr zu Abu el 
Mot in die Schlucht gehen könnt. Eure Füße werden 
euch wohl für dieſe kurze Strecke tragen. Sagt ihm, daß 
er vollſtändig eingeſchloſſen iſt; ſagt ihm auch, welche 
Waffen wir tragen und wieviel Köpfe wir zählen. Das 
wird ihn veranlaſſen, klug und nachgiebig zu ſein. Ich 
ſtelle ihm folgende Bedingungen: er hat den Elefanten⸗ 
jäger und meinen Bruder ſofort auszuliefern, und zwar 
nebſt ihrem Eigentum, das er ihnen abgenommen hat; 
ferner ſoll er ſich ſelbſt und Abd el Mot gefangen geben; 
tut er das, fo ſoll beider Leben von uns geſchont wer⸗ 
den. Geht er auf dieſe Bedingungen ein, ſo werden wir 
alle ſeine Leute entlaſſen, ohne daß ihnen etwas Uebles 
geſchieht. Weiſt er aber meine Forderungen von ſich, ſo 
werden wir keine Gnade walten laſſen. Es iſt zu eurem 
eigenen Vorteil, ihn zur Annahme meiner Bedingungen 
zu bewegen, da ſein Schickſal auch das eurige ſein wird. 
Fügt er ſich, ſo werdet ihr frei; zwingt er uns aber zum 
Kampf, ſo werdet ihr mit erſchoſſen.“ a 

Die drei blickten finſter vor ſich hin; ſie waren über⸗ 
zeugt, daß Abu el Mot nicht auf dieſe Bedingungen ein⸗ 
gehen werde. Darum meinte der eine Homr: „Kannſt 
du nicht mildere Forderungen ſtellen? Ich bin über⸗ 
zeugt, daß er ſich weigern wird.“ — „So rennt er ins 


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Verderben.“ — „Dürfen ſeine Krieger erfahren, was 
du von ihm verlangſt?“ — „Ja. Es iſt mir ſogar ſehr 
lieb, wenn ihr es ihnen mitteilt. Vielleicht beſitzen 
einige von ihnen ſo viel Verſtand, ihm zuzureden und 
zur Ergebung zu bewegen.“ — „Und auf welche Weiſe 
fol dir mitgeteilt werden, was er beſchloſſen hat?“ — 
„Er mag mir einen Mann ſenden, welcher Vollmacht 
zur Unterhandlung hat. Ich gebe die Verſicherung, daß 
dieſer unbehelligt zurückkehren kann.“ — „Wie aber, 
wenn Abu el Mot ſich entſchlöſſe, ſelbſt zu kommen?“ — 
„Ich würde auch in dieſem Fall mein Wort halten. Wir 
würden ihn als Unterhändler betrachten, deſſen Perſon, 
Freiheit und Eigentum unverletzlich find, und alſo feiner 
Rückkehr nicht das geringſte in den Weg legen.“ 

Er nahm ihnen die Feſſeln ab und ſie hinkten auf 
ihren verletzten Füßen davon. Sobald ſie im Eingang 
verſchwunden waren, wurde dieſer von den Soldaten 
beſetzt. Eine Anzahl derſelben mußte ſchleunigſt Büſche 
fällen, mit denen er verrammelt werden ſollte. 

Schwarz ſtellte ſich mit Pfotenhauer ſo auf, daß er 
einen freien Blick in die Schlucht hatte. Er ſah, daß die 
geraubten Neger nach deſſen hinterm Teil geſchafft wor⸗ 
den waren. Vorn waren die Sklavenjäger fleißig be⸗ 
ſchäftigt, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die bei der 
Errichtung eines Lagers gebräuchlich ſind. Rechts oben 
auf dem Damme ſpannte man ein Zelt auf, das jeden⸗ 
falls für die beiden Anführer beſtimmt war. Die Leute 
ſchwärmten wirr durcheinander, und jeder war ſo ſehr 
mit ſich ſelbſt beſchäftigt, daß man zunächſt das Nahen 
der drei Abgeſandten gar nicht bemerkte und ebenſo⸗ 
wenig es beachtete, daß fremde Krieger ſich vorn am 
Eingang feſtgeſetzt hatten. 

Nun aber waren die drei nahe hinzugekommen und 


— 


. 


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ſprachen einen der Jäger an. Schwarz ſah, daß ſie nach 
rückwärts zeigten. Der Blick des Mannes folgte dieſer 
Richtung — — ein lauter Ruf des Schrecks und der 
Warnung, und aller Augen richteten ſich nach dem Ein⸗ 
gang, wo Schwarz ſeinen Soldaten befahl, die Gewehre 
anzulegen, als ob ſie zu ſchießen beabſichtigten. 

Jetzt gab es einen unbeſchreiblichen Wirrwarr in 
der Schlucht. Man ſchrie; man eilte zu den Waffen; 
man rannte ratlos hin und her; jeder wollte etwas zu 
ſeiner Verteidigung, zu ſeinem Schutz tun und wußte 
doch nicht, was. Die drei Boten waren nicht mehr zu 
ſehen; ſie waren in dem Menſchenknäuel verſchwunden. 

Da ertönte eine laute Stimme; ſie klang dumpf 
und hohl, war aber durch die ganze Schlucht zu hören. 

„Das iſt Abu el Mot,“ ſagte Schwarz. „Er gebietet 
Ruhe.“ 

Das angſtvolle Rufen und Laufen hörte auf; jeder 
blieb da ſtehen, wo er ſich gerade befand. Schwarz gebot 
ſeinen Leuten, die Gewehre in Ruhe zu ſetzen. In der 
Schlucht herrſchte jetzt die tiefſte Stille, wohl eine ganze 
Viertelſtunde lang; aber es ſchien das die Stille vor dem 
Sturm zu ſein, denn jeder hatte ſeine Waffen ergriffen, 
und alle warfen den am Eingang Stehenden drohende 
Blicke zu. 

Da gab ſich eine kleine Bewegung zu erkennen. Die 
Leute wichen an einer Stelle zurück, und es trat ein 
Mann hervor, der ſich langſam und zögernd den Be⸗ 
lagerern näherte. Er hatte keine Waffen bei ſich, und 
trug als Zeichen des Friedens einen Palmenwedel in 
der Hand. Als er bis auf ungefähr zwanzig Schritte her⸗ 
angekommen war, blieb er ſtehen, ſchwenkte den Wedel 
und grüßte: „Sallam! Darf ich zu euch kommen und 
frei wieder gehen?“ 

May, Die Sklavenkarawane. 88 


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„Ja, denn ich habe es verſprochen,“ antwortete 
Schwarz. „Komm alſo getroſt!“ 

Der Mann trat vollends herbei. Er war ein ge⸗ 
wöhnlicher Askari, den Abu el Mot jedenfalls nur zur 
Probe abgeſendet hatte, um zu erfahren, ob ſeine 
Gegner nicht vielleicht hinterliſtig handeln würden. 
„Mich ſendet Abu el Mot,“ ſagte er. „Er möchte ſelbſt 
mit euch ſprechen und läßt fragen, ob er wirklich ohne 
Hindernis zurückkehren darf, falls er nicht einig mit euch 
wird.“ 

„Sag ihm, daß ich es verſprochen habe und mein 
Wort halten werde. Aber er darf keine Waffe bei ſich 
haben, wie ſich das ja ganz von ſelbſt verſteht.“ 

„So kehre ich zu ihm zurück, um ihm dieſe Botſchaft 
auszurichten. Sallam!“ 

Er drehte ſich um und ſchritt von dannen, zögernd 
und langſam; dann drehte er ſich um, warf einen froh⸗ 
erſtaunten Blick zurück und rannte nun fort, als ob er 
einer ganz entſetzlichen Gefahr entgangen ſei. Er hatte 
alſo doch nicht getraut, ſondern vielmehr geglaubt, daß 
man ihn feſthalten und nicht wieder fortlaſſen werde. 

„Lieber Himmel, wirft dieſer Kerl ſeine Beine, als 
ob er's bezahlt bekäm'!“ lachte Pfotenhauer. „Der iſt 
hölliſch froh, daß wir ihn nit aufg'freſſen haben.“ 

„Wer freßte Schlingel, ſolchen, der ſeinte nicht bei 
Sinnen, geſundheitlichen,“ antwortete der „Vater der elf 
Haare“. „Da ſeinte viel beſſer ein Stück Braten, 
ſchweiniger, oder ein Schnitzel mit Paprika, kalbflei⸗ 
ſchiges. Schaunte Sie, ſchaunte! Da kommte Abu el 
Mot in Perſon, eigener.“ 

Er hatte recht. Die Schar der Sklavenjäger öffnete 
ſich wieder, und der Genannte trat hervor. Seine 
Lange, ſchmale Geſtalt ſtolz und aufrecht haltend, kam er 


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langfam und würdevoll näher. Er trug keine Waffe in 
ſeinen Händen und hielt den Blick zu Boden gerichtet. 
Erſt als er faſt unmittelbar vor Schwarz ſtand, blickte er 
auf. „Sallam!“ grüßte er ebenſo kurz, wie vorhin ſein 
Bote. „Ich hoffe, daß du dein Wort wahr machen und 
mich nicht zurückhalten wirſt! Ich bin unbewaffnet. 
Schau her!“ 

Er ſchlug feinen Haik auseinander. Schwarz winkte 
ab und antwortete: „Ich glaube dir. Du kannſt alſo, 
ſobald unſer Geſpräch zu Ende iſt, zu den Deinen zurück⸗ 
kehren.“ 

„Auch wenn ich nicht auf deine Wünſche eingehe?“ 

„Auch dann.“ 

„So wollen wir hinausgehen und draußen beraten!“ 

„Gut. Falls du aber etwa die Flucht verſuchen foll- 
teſt, würdeſt du eine Kugel erhalten.“ 

Der Sklavenjäger lachte höhniſch auf. „Entfliehen? 
Was fällt dir ein! Selbſt wenn es mir dadurch gelänge, 
daß ich ſchnell in die Büſche ſpränge, ſo hätte ich damit 
allem meinem Eigentum entſagt und müßte, da ich 
weder Waffen noch Sonſtiges bei mir trage, in dieſer 
Wildnis elend umkommen.“ | 

„Pah! Du würdeſt dich einige Tage lang von 
Früchten nähren und irgend eine Seribah aufſuchen. 
Uebrigens aber biſt du nicht ſo arm und ſo waffenlos, 
wie du es ſcheinen laſſen willſt. Du haſt nur die Skla⸗ 
ven bei dir, wo aber ſind die geraubten Herden?“ 

Ueber das todeshagere Geſicht des Alten ging ein 
ärgerliches Zucken, dann antwortete er: „Herden? Ich 
begreife dich nicht!“ 

„Glaube nicht, mich irre machen zu können. Du 
wollteſt uns hierher locken, um uns zu vernichten. Da⸗ 
bei wären dir die in Ombula geraubten Herden im Weg 


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geweſen. Darum und weil ſie dich außerdem am ſchnel⸗ 
len Fortkommen hinderten, haſt du ſie zurückgelaſſen.“ 

„Welche Klugheit, welche großartige Klugheit du 
da entwickelſt!“ höhnte Abu el Mot. Aber es war ihm 
anzuſehen, daß dieſer Hohn ihm nur als Maske diente, 
ſeinen Aerger und ſeine Enttäuſchung zu verbergen. 

„Wenn es dir alſo gelänge, uns jetzt zu entkom⸗ 
men,“ fuhr Schwarz fort, „ſo würdeſt du zu dieſen Her⸗ 
den eilen. Die Leute, die du zur Bewachung zurück⸗ 
gelaſſen haſt, könnten dich mit Waffen verſehen. Es 
würde dir dann leicht ſein, den heutigen Verluſt zu ver⸗ 
ſchmerzen und dein altes, verbrecheriſches Leben von 
neuem zu beginnen.“ 

„Und das willſt du wohl nicht dulden?“ 

„Allerdings nicht.“ 

„Ich lache deiner! Mir wurde geſagt, du habeſt ſo 
viele Krieger bei dir, daß es dir leicht ſei, uns hier in der 
Schlucht zu erdrücken. Kannſt du das beweiſen?“ 

„Sehr leicht. Wenn du willſt, führe ich dich rund 
um die Schlucht, um dir zu zeigen, daß du vollſtändig 
eingeſchloſſen biſt.“ 

„So tue es!“ 

Auf einen Wink des Deutſchen nahmen vier Sol 
daten den Sklavenjäger in ihre Mitte, und dann begann 
der Rundgang, woran ſich nur Schwarz mit beteiligte. 
Pfotenhauer blieb aus Vorſicht bei den Soldaten zurück. 
Während Abu el Mot oben am Rande der Schlucht ent- 
lang geführt wurde und die dort ſtehenden Leute zählte, 
verfinſterte ſich ſeine Miene immer mehr. Er betrachtete 
ihre Waffen; er ſah die drohenden Blicke, die auf ihn ge⸗ 
worfen wurden, und gewann die Ueberzeugung, daß er 
mit Gewalt nichts ausrichten könne und ſich nur auf 
ſeine Liſt und Verſchlagenheit verlaſſen müſſe. 


— 


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Als er an den Nuehrs vorüberkam, die er doch fun 
ſich angeworben hatte, ſpuckte er vor deren Häuptling 
aus und rief: „Haif alaik — Schande über dich!“ 

Aber die Strafe folgte dieſer Beleidigung ſofort. 
Der Häuptling trat herbei, ſchlug ihm die Fauſt in das 
Geſicht, daß ihm das Blut fofort aus Mund und Naſe 
lief, und antwortete: „Die Schande ruht auf dir, du 
Hund und Verräter! Denke an die Waka'a en nahr, an 
die Schlacht im Fluſſe! Haft du uns da nicht hinterliſtig 
und feig verlaſſen? Wenn dieſer Vater der vier Augen', 
welchen Allah dafür ſegnen wolle, nicht ein ſo wohlwol⸗ 
lendes und freundliches Herz beſäße, ſo wären wir ver⸗ 
loren geweſen. Nun willſt du mich beſchimpfen, weil wir 
ihm dankbar ſind? Dein Weg führt ins Verderben und 
in die Hölle.“ | 

„Herr, duldeſt du, daß ich von deinen Leuten ge- 
ſchlagen werde!“ fuhr Abu el Mot Schwarz an. 
„Haſt du mir nicht verſprochen, daß mir nichts geſchehen 
ſollel“ 

„Jedem das, was er verdient,“ antwortete Schwarz 
ruhig. „Ich habe natürlich angenommen, daß du nicht 
den Zorn meiner Leute herausforderſt. Beleidigſt du ſie, 
ſo magſt du die Folgen tragen.“ 

Man ging weiter und kehrte, als der Rundgang 
beendet war, nach unten zurück, wo Pfotenhauer die in- 
deſſen verfloſſene Zeit vortrefflich benutzt hatte, den Ein⸗ 
gang mit Hinderniſſen vollſtändig auszufüllen. Es war 
nur eine einzige kleine Lücke gelaſſen worden, gerade 
groß genug, daß ein Mann hindurchſchlüpfen konnte. 
Die Soldaten flochten aus Zweigen Wände, um dieſe 
aufzuſtellen und mit Erde auszufüllen, damit keine 
Kugel hindurchdringen könne. Abu el Mot ſah das und 
rief grimmig lachend: „Ihr müßt euch doch entſetzlich 


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dor uns fürchten, da ihr mit ſolchem Eifer arbeitet, als 
gelte es eine Kal’at) zu errichten.” 

„Von Furcht iſt keine Rede; nur von Vorſicht. Aber 
es iſt Zeit, daß wir uns beſprechen. Setzen wir uns 
alſo nieder!“ 

„Der Kerl g'fallt mir gar nit,“ meinte Pfotenhauer 
in deutſcher Sprache. „Er macht a ſo zuverſichtliches, 
eigentlich unverſchämtes G'ſicht, daß i glauben muß, er 
hat irgend was Böſes, woran wir gar nit denken, im 
Rückhalt.“ 

„Wüßte nicht, was es er könnte,“ antwortete 
Schwarz. 

„J eben auch nit; aber irgendwas hat er; das iſt 
ſo g'wiß wie der Boden im Bierſeidel. Wir müſſen halt 
vorſichtig ſein.“ 

„Warum redet ihr in einer Sprache, die ich nicht 
verſtehe?“ fragte Abu el Mot. „Wißt ihr nicht, daß dies 
unhöflich iſt? Oder fürchtet ihr euch vor mir?“ 

„Hat einer von uns Furcht, ſo ſcheinſt du es zu 
ſein,“ antwortete Schwarz. „Nur der Furchtſame iſt 
mißtrauiſch. Und wenn du Höflichkeit von uns forderft 
ſo verlangſt du zu viel. Ich rate dir überhaupt, den Ton, 
in welchem du mit uns ſprichſt, etwas herabzuſtimmen, 
da wir ſonſt die Rückſichten, die wir jetzt non nehmen, 
fallen laſſen würden!“ 

„Rückſichten?“ lachte der Alte. „Sind etwa die 
Forderungen, die du an mich geſtellt haft, rückſichtsvoll? 
Ich ſoll nicht bloß deinen Bruder und den Elefanten- 
jäger ausliefern, ſondern auch mich und Abd el Mot. 
Haſt du das nicht verlangt?“ 

„Allerdings, ja. Ich habe dir erlaubt, zu und zu 


9) Feſtung. 


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kommen, um zu erfahren, ob du auf meine Bedingungen 
eingeheſt oder nicht.“ 

„Das kannſt du gleich erfahren, ja, das konnte ich 
dir ſofort, als ich kam, ſchon ſagen: ich belache dein Ver⸗ 
langen.“ 

„So! Haſt du mir ſonſt noch etwas zu ſagen?“ 

„Nein.“ 

„So iſt unſre Unterredung kürzer geworden, als ich 
dachte, und wir ſind fertig.“ Er ſtand auf. 

„Ja, wir find fertig,“ ſtimmte Abu el Mot bei, in⸗ 
dem er ſich auch erhob. „Ich kann alſo gehen?“ 

; „Ja.“ 

„M'aſſalahmi; fat wakhti — lebe wohl; meine Zeit 
iſt um!“ Er wendete ſich, ohne daß ihn jemand hinderte, 
nach der Oeffnung, die im Verhau gelaſſen worden war. 

Dort angekommen, drehte er ſich um und fragte: „Was 
werdet ihr nun tun?“ 

„Das wirſt du ſehr bald erfahren.“ 

„Sobald von euch der erſte Schuß fällt, werde ich 
deinen Bruder töten laſſen!“ 

N „Und beim zweiten Schuß wird wohl der Elefan⸗ 
tenjäger ermordet?“ fragte Schwarz lachend, obgleich es 
ihm nicht ſehr luſtig zu Mute war. 

„Allerdings. Und dann kommt es noch anders.“ 

„Wie denn?“ 

„Bei jedem nächſten Schuß wird einer der Sklaven 
erſtochen, die ihr doch befreien wollt. Ihr werdet alſo 
ganz das Gegenteil von dem erreichen, was ihr beab⸗ 
ſichtigt.“ Er machte eine höhniſche Gebärde und fügte 
dann hinzu: „Seht ihr nun, wer ſich in der Hand des 
andern befindet, ich in der eurigen oder ihr in der 
meinigen?“ 

„Du befindeſt dich in einer großen Täuſchung, denn 


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der erſte, den meine Kugel trifft, wirſt du ſein, und der 
zweite iſt Abd el Mot. Mir ſcheint, du weißt bereits, wie 
gut ich ſchieße!“ f 

„Schieße meinetwegen wie der Scheltan; ich kehre 
mich nicht daran! Oder meinſt du, daß ich mich ſo hin⸗ 
ſtelle, daß du nur auf mich zu zielen brauchſt? Ich lache 
über deine Drohung!“ 

„So verſtecke dich und morde, ſo viele Perſonen du 
aorden. willft! Wir werden es alſo anders machen. Wir 
werden deine Leute erſchießen, einen nach dem andern. 
Du und Abd el Mot werdet übrig bleiben. Welchen 
Todes ihr dann aber ſterben werdet, danach frage nicht!“ 

„Drohe nur immerzu! Aber hüte dich vor meiner 
Rache; ich ſcherze nicht!“ 

Er drängte ſich durch die ſchmale Oeffnung des Ver⸗ 
haues und ſchritt hocherhobenen Hauptes in die Schlucht 
hinein. Der Slowak nahm ſein Gewehr auf und fragte: 
„Soll ich erſchießte Kerl, frechen und unverſchämigten? 
Seinte dann ſofort aus Geſchichte, ganz und alle!” 

„Nein,“ wehrte Schwarz ab. „Ich habe ihm mein 
Wort gegeben, und das gilt.“ ö 
F5'wiß!“ ſtimmte Pfotenhauer bei. „Das gegebene 
Wort müſſen wir leider halten, doch auch i möcht ihm 
am liebſten gleich einige Kugeln auf den Pelz brennen. 
War das a frecher und unverſchämter Tropf! Anſtatt 
klein beizugeben, hat er halt grad ſo getan, als ob er 
nur lauter Bittſchriften zu unterzeichnen hätt'. Was ſoll 
denn nun g'ſchehen? Meinen S', daß er wirklich tut, 
was er g'ſagt hat?“ 

„Nein, weil er dann auch unſerſeits auf keine 
Gnade zu rechnen hätte. Ich habe ihn ſcharf beobachtet. 
In ſeinen Händen liegt nur ein einziger Trumpf; er hat 
ihn uns gezeigt, doch zweifle ich ſehr daran, daß er ihn 


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auch wirklich ausspielen wird. Es wäre fein ſicherer 
Untergang.“ 

„Möglich, daß er es unterläßt, doch iſt ihm alles 
zuzutrauen und — — was iſt das? Da kommt er ja 
ſchon wieder!“ 

Es war ſo; Abu el Mot kam zurück, aber nicht ganz 
heran. Er blieb vielmehr in Rufweite ſtehen und fragte: 
„Darf ich wieder frei zurück, wenn ich noch einmal hin⸗ 
komme?“ 

„Ja,“ antwortete Schwarz. 

„Dummheit!“ raunte Pfotenhauer ihm zu. „Jetzt 
hatte er unſer Wort nicht, und ſo konnten wir ihn weg⸗ 
putzen!“ 

„Dazu iſt es nun zu ſpät. Ich habe mein Verſpre⸗ 
chen erneuert. Uebrigens iſt ſeine Rückkehr ein Beweis, 
daß ich ganz richtig geurteilt habe.“ 

Der Alte kam bis an die Lücke heran und fragte: 
„Was würdet ihr mit mir tun, wenn ich mich euch ge⸗ 
fangen gäbe?“ 

„Ich würde dich nach Faſchodah abliefern,“ ant⸗ 
wortete Schwarz. 

„Ah! Zum Vater der Fünfhundert‘?“ 

„Ja. Ich habe es ihm verſprochen.“ 

„Du biſt ſehr aufrichtig. Ich danke dir. Tue, was 
du willſt; du wirſt mich nicht lebendig in deine Hand be⸗ 
kommen!“ Er ging wieder fort, ohne ein einziges Mal 
den Kopf zu wenden. Er mußte ſehr feſt überzeugt ſein, 
daß man ihm keine Kugel nachſenden werde. 

„Das iſt die Frechheit doch allzuweit getrieben!“ 
zürnte Pfotenhauer. „Die Sicherheit dieſes Halunken 
könnt' mir die ganze Gall' in den Magen treiben. Hätten 
& nur nit fo gar ſchnell ja g'ſagt, fo läg' er jetzund dort 
im Gras, mit meiner Kugel im Leibe!“ | 


— 602 — 


„Laſſen Sie es gut ſein!“ bat Schwarz. „Warum 
Gewalt anwenden, wenn man mit ein wenig Liſt ebenfo 
zum Ziel gelangen kann?“ 

„Welche Liſt iſt's denn da, von der S' reden?“ 

„Die, von der wir ſchon geſprochen haben. Wir 
holen meinen Bruder und den Elefantenjäger heraus. 
Gelingt uns das, ſo brauchen wir dann keine Rückficht 
mehr zu nehmen, da ſich der einzige Trumpf des Alten 
in unſern Händen befindet.“ 

„Alle Teuxel! Iſt das Ihr Ernſt? Wir wollen uns 
verkleiden und Theater ſpielen?“ 

„Ich wenigſtens bin feſt entſchloſſen dazu. Ich will 
Sie keineswegs bereden, denn die Sache iſt ſehr gefähr⸗ 
lich, aber ich — — —“ 

„Laſſen S' die Faxerei, und reden S' vernünftig!“ 
unterbrach ihn der „Vater des Storches“. „Was Sie 
können, das kann i auch, und Ihr Bruder iſt mir fo a 
lieber Freund, daß i um ſeinetwillen ganz gern ſo a biß⸗ 
chen Faſtnachtsſcherz mitmachen tu'.“ 

„Nun, es iſt nichts weniger als ſcherzhaft. Wenn 
wir erwiſcht werden, ſo iſt es nicht nur aus mit uns, 
ſondern auch mit denen, die wir retten wollen.“ 

„Das weiß i ſelber auch, und i denk, grad eben des⸗ 
halb werden wir uns nit derwiſchen laſſen. Wann ſoll's 
denn Seh werden? Doch alſo erſt heute abend?“ 

„Ja. Dieſer Plan kann nur in der Dunkelheit aus⸗ 

geführt werden.“ 

„Aber bis dahin kann gar viel g ſchehen!⸗ 

„Ich bin überzeugt, daß wenig oder gar nichts ge⸗ 
ſchehen wird. Abu el Mot wird nichts unternehmen, 
ſondern ganz froh ſein, wenn wir ihn in Ruhe laſſen.“ 

„So handelt es ſich nur um das Wie. Verkleiden 
wir uns als Neger?“ 


— 603 — 


„Ja.“ 

„Dazu möcht' i aberſt nit raten. Erſtens wird es 
mir bei meinem langen und großen Bart, ſelbſt wenn i 
ihn und das G'ſicht ſchwarz mach, nit gelingen, denen 
Leuten weiszumachen, daß i ein Neger bin, denn a 
Schwarzer hat keinen ſolchen Bart. Und zweitens dürf⸗ 
ten wir uns nur da bewegen, wo die geraubten Sklaven 
ſind, während die beiden, die wir holen wollen, ſich ganz 
g'wiß bei Abu el Mot befinden. Beſſer wird's ſein, wir 
färben die G'ſichter nur braun und kleiden uns ſo, daß 
wir für Sklavenjäger g'halten werden.“ 

„Auch da würde man uns leicht erkennen. Es gibt 
übrigens auch unter den Leuten Abu el Mots Schwarze 
genug. Doch fragt es ſich überhaupt, ob wir uns ſehen 
laſſen müſſen. Vielleicht haben wir uns nur in der Weiſe 
anzuſchleichen, wie ſich Indianer an ihre Feinde ſchlei⸗ 
chen. Und da iſt es von großem Vorteil, wenn wir uns 
ſchwarz gefärbt haben, weil man uns da nicht von der 
Umgebung zu unterſcheiden vermag.“ 

„Ganz wie Sie denken. J tu' halt alles mit, denn 
Sie ſind weit erfahrener und gewandter als i.“ 

Der Slowak war Zeuge dieſes in deutſcher Sprache 
geführten Geſprächs geweſen und hatte alles gehört. 
Jetzt ſagte er: „Auch ich wollt ſchmierte Ruß in Geſicht 
meiniges, daß ich wernte Neger, ſchwarzigter, und ge⸗ 
dürfte mitgehen, zu holen die beiden Freunde, gefangen⸗ 
ſchaftliche.“ — „Du?“ lachte Schwarz. „Du wärſt der 
Kerl dazu!“ — „Ja, ich wernte ſein der Kerl, dazu ge⸗ 
hörigter! Ich hatte gefürchte mich vor niemand!“ — 
„Das glaube ich. Aber zu dem, was wir vorhaben, ge⸗ 
hört mehr.“ — „O, ich hatt gekönnte alles und jed⸗ 
wedigtes. Ich bitt, zu dürften mitmachte die Schleicherei, 
entzückende!“ — „Nein, ich muß dir dieſe Bitte abſchla⸗ 


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gen. Du würdeſt nicht nur dein Leben, ſondern auch 
das unſrige auf das Spiel ſetzen.“ 

Der Kleine wandte ſich enttäuſcht ab. Die andern 
ſahen ſein betrübtes Geſicht und fragten, da ſie das 
deutſche Geſpräch nicht verſtanden hatten, was es ge⸗ 
geben habe. Er ſagte es ihnen. Als der „Sohn des Ge⸗ 
heimniſſes“ hörte, was die beiden Deutſchen vorhatten, 
wollte er ſich ihnen anſchließen, da es ſich um ſeinen 
Vater handelte. Auch er wurde abgewieſen. 

Nach einiger Zeit ſollte Fleiſch für die Soldaten ge⸗ 
holt werden und zugleich der Speck zur Rußverfertigung. 
Der Slowak bekam den Auftrag, mit einigen Aſakern 
auf die Höhe zu ſteigen, um das Verlangte zu bringen. 
Der „Sohn des Geheimniſſes“ und der Hadſchi erhielten 
von ihm einen Wink und gingen infolgedeſſen mit. 

Sie ließen die Aſaker etwas voranſteigen, um nicht 
von ihnen gehört zu werden, und der Kleine ſagte: 
„Warum ſollen nicht auch wir uns als Neger verklei⸗ 
den? Iſt nicht der Elefantenjäger dein Vater? Und haft 
du nicht zu allererſt die Verpflichtung, ihn zu befreien?“ 

Es war bei ihm die reine Abenteuerluſt, die ihn 
veranlaßte, ſich gegen das Verbot aufzulehnen. Abd es 
Sirr hingegen wurde von der kindlichen Liebe getrieben, 
ihm beizuſtimmen. Der Hadſchi ſeinerſeits war ſtets be⸗ 
reit, das zu tun, was ſein Freund tat. Als dieſer letztere 
ſich dieſes Einverſtändniſſes verſichert hatte, fuhr er 
fort: „Was hindert uns alſo, auch Ruß aus Speck zu 
machen und uns in Schwarze zu verwandeln. Wir war⸗ 
ten, bis der Vater des Storches‘ mit dem Vater der 
vier Augen‘ verſchwunden iſt, ſchwärzen uns auch an 
und folgen ihnen nach.“ 

Nun beſprachen ſie ſich weiter, bis eine regelrechte 
Berſchwörung gegen die beiden Deutſchen zu ſtande bam. 


— 605 — 


Droben lagen die in Palmenfaſermatten gewickel⸗ 
ten Fleiſchvorräte, von denen ſo viel aufgepackt wurde, 
wie man zu brauchen gedachte. Eine hohle Kürbisſchale 
wurde mitgenommen, worin der Speck gebrannt werden 
ſollte. Als ſie zurückgekehrt waren, erbot ſich der „Vater 
der elf Haare“, den Ruß herzuſtellen, und er war ſo 
glücklich, die Erlaubnis dazu zu erhalten. Er machte ſich 
auf die Seite und errichtete ein kleineres Feuer, über 
dem er den Speck an eingeſteckte Zweige hing, um das 
Fett in den Kürbis tropfen zu laſſen. Als dies geſchehen 
war, ſetzte er ihn auf die Erde, brannte das Fett an, 
ſteckte mehrere Aeſte ſenkrecht in den Boden und breitete 
eine der Matten darüber aus. Die Matte fing den 
ſchwarzen Qualm auf, der ſich als Ruß anſetzte. Nach 
Verlauf einer Stunde war ſo viel Schwärzſtoff vorhan⸗ 
den, daß man mit ſeiner N zehn Weiße in Neger hätte 
verwandeln können. 

Indeſſen war Schwarz auf die Höhe geſtiegen, um 
den dort Kommandierenden zu erzählen, welchen Erfolg 
ſeine Unterredung mit Abu el Mot gehabt hatte, und 
ihnen neue Weiſungen zu geben. Die hauptſächlichſte 
war, nicht zu ſchießen, möge unten geſchehen, was da 
wolle, außer wenn er ihnen den Befehl dazu durch einen 
Boten erteile. 

Als er dann wieder herunterkam, machte er ſich auf, 
um Waſſer zu ſuchen, das ihm und ſeinen Soldaten 
nötig war. Es gelang ihm, nicht weit vom Standort 
derſelben, den Abfluß des Grabens zu finden, deſſen 
Waſſer innerhalb der Schlucht in dem ſchon erwähnten 
Loch verſchwand. Nun war man für die nächſte Zeit mit 
allem Nötigen verſorgt. 


Achtzehntes Kapitel: 
Vergeltung. 


Der Vormittag verging und ebenſo auch der Nach- 
mittag, ohne daß ſich etwas Beſonderes ereignete. Die 
Leute Abu el Mots verhielten ſich ſehr ruhig. Die An⸗ 
führer der Sklavenkarawane ſannen auf Rettung und 
konnten doch auf keinen Plan kommen, der Hoffnung 
auf Erfolg erregt hätte. 

So wurde es Abend. In der Schlucht, ungefähr in 
deren Mitte, brannte man ein Feuer an, das von dürren 
Palmenwedeln, deren es eine ganze Menge gab, genährt 
wurde. Da kamen Lobo und Tolo, die beiden Belanda⸗ 
neger, von oben herabgeſtiegen. Als Schwarz ſie fragte, 
in welcher Abſicht ſie die Höhe verlaſſen hätten, antwor⸗ 
tete der erſtere: „Lobo und Tolo ſein Belanda; arm 
Neger aus Ombula ſein auch Belanda. Lobo und Tolo 
wollen gehen, um Belandafreunde zu tröſten und ihnen 
zu helfen, wenn in Gefahr.“ — „Wie? Ihr wollt hin⸗ 
ein in die Schlucht?“ — „Ja, gehen in Schlucht.“ — 
„Man wird euch erwiſchen!“ — „Nicht erwiſchen. Abend 
fein ſchwarz; Schlucht fein ſchwarz, und Lobo und Tolo 
auch ſchwarz; man ſie gar nicht ſehen. Wenn nicht er⸗ 
halten Erlaubnis, dann ſie beide ſehr weinen.“ — „Aber 
ihr ſeid verloren, wenn man euch ſieht! Bedenkt, daß ihr 
Abd el Mot entflohen ſeid!“ — „Lobo und Tolo ſich 


N 


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ſchleichen zu Gefangenen, und man uns gar nicht be⸗ 
achten. Wir mithaben ſcharf Meſſer und losſchneiden 
Strick von Gefangenen.“ 

| Als Schwarz dieſes letztere hörte, kam ihm der Plan 
dieſer beiden, die ihr Leben für ihre Landsleute wagen 
wollten, gar nicht mehr ſo zwecklos vor. Er überlegte, 
beſprach ſich kurze Zeit mit Pfotenhauer und gab den 
Bittſtellern dann den Beſcheid: „Gut, ich habe nichts da⸗ 
gegen; aber ihr müßt euch genau ſo verhalten, wie ich 
es euch vorſchreibe.“ — „Lobo und Tolo alles tun, was 
guter, weißer Herr befehlen!“ — „Ihr ſchleicht euch 
alſo zu euren Landsleuten und befreit ſie von ihren 
Banden; ſie müſſen aber dieſe Feſſeln ſcheinbar weiter 
tragen, damit die Wächter nichts bemerken. Sobald ihr 
nun von hier aus einen Schuß hört, haben alle ihre 
Stricke und Gabeln abzuwerfen und nach dem Ausgang 
zu fliehen. Verſtanden?“ — „Haben verſtanden.“ — 
„Jetzt will ich aber erſt einmal durch das Loch kriechen, 
um mich zu überzeugen, wie weit der Weg für euch frei 
iſt.“ — „Nein. Nicht Herr, ſondern Lobo kriechen durch 
Loch. Lobo ſein ſchwarz und können gut kriechen; ſein 
auch ſchon auf Seribah krochen bis an Haus von Abd 
el Mot.“ 

Schwarz wußte das und traute dem Neger zu, ſeine 
Sache gut zu machen. Darum gab er ihm die Erlaub⸗ 
nis, und Lobo verſchwand in der Lücke des Verhaues. 
Drinnen konnte er nicht leicht geſehen werden, da 
Schwarz beim Anbruch des Abends das Feuer hatte ver⸗ 
löſchen laſſen und der Eingang alſo in tiefem Dunkel 
lag. Nach ungefähr einer Viertelſtunde kehrte er zurück 
und meldete: „Sein alles gut. Arm Belanda ganz hin⸗ 
ten. Dann die Jäger. In der Mitte Feuer. Rechts oben 
ſein dann Zelt von Abu el Mot. Dann nur ſechs Jäger, 


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nicht weit von hier; ſollen aufpaſſen auf uns. Sitzen 
aber nebeneinander auf Erde und erzählen. Lobo zwei⸗ 
mal an ihnen vorüber, ohne ihn ſehen. Dürfen Lobo 
mit Tolo nun fort?“ 

„Ja, geht in Gottes Namen; aber ſeid vorſichtig, 
macht keine Dummheiten, und tut genau 1 wie ich euch 
geſagt habe!“ 

Sie krochen durch das Loch, und nun lauſchten die 
Zurückgebliebenen mit Spannung, ob vielleicht irgend 
ein Lärm verraten werde, daß die kühnen Neger er⸗ 
wiſcht worden ſeien; aber es herrſchte nach wie vor die 
tiefſte Stille in der Schlucht. 

„Das ſind nun zwei lebendige Beiſpiele von den 
verachteten Menſchen, denen man in Europa nachſagt, 
daß ſie faſt auf der Stufe der Tiere ſtehen,“ ſagte 
Schwarz. „Doch ich denke, daß es nun auch Zeit für uns 
geworden iſt. Wollen wir unſre Umwandlung vor⸗ 
nehmen?“ 

„Ja,“ antwortete Pfotenhauer. „Jetzt ſind wir 
wohl noch ziemlich ſicher. Wann die da drin ja ver⸗ 
muten, daß wir etwas vornehmen, ſo meinen ſie g'wiß, 
daß es zu ſpäterer Zeit g'ſchehen wird. Gehen wir alſo 
ans Werk!“ 

Sie ließen ſich von dem Slowaken die ſchwarze 
Matte kommen, zogen ſich aus und legten jeder nur 
einen Schurz um die Lenden. Der ganze übrige Körper 
wurde mit Ruß geſchwärzt. Der „Vater des Storches“ 
ſah ſchrecklich aus. Ganz abgeſehen von ſeinem langen, 
grauen Vollbart, der natürlich auch eingerußt worden 
war, hatte ſicher, ſo lange die Erde ſteht, noch kein Neger 
eine ſolche Naſe gehabt wie dieſer merkwürdige Mohr. 
Nun ſteckten die beiden ihre Meſſer und Revolver in die 
Schürze und verſchwanden durch das Loch. 


— 609 — 


Kaum waren ſie fort, ſo brachte der Slowak eine 
zweite Rußmatte herbei, die er gefertigt und verſteckt 
hatte, als Schwarz oben auf dem Berg geweſen war. Er, 
der Hadſchi Ali und der „Sohn des Geheimniſſes“ zogen 
ſich auch aus und rieben ſich ein. Der Hauptmann der 
Aſaker, der ſich nun hier für den Befehlshaber hielt, 
fragte was ſie vorhätten. Der „Vater der elf Haare“ 
beruhigte ihn mit der Verſicherung, daß ſie im Auftrag 
der beiden Deutſchen handelten, denen ſie ſchnell nach⸗ 
folgen ſollten. Da krochen auch ſie durch das Loch. 

Als Schwarz und Pfotenhauer ſich jenſeits des Ver⸗ 
haues befanden, legten ſie ſich auf die Erde nieder und 
ſchoben ſich leiſe und langſam vorwärts. Sie waren noch 
nicht weit gekommen, ſo erblickten ſie vor ſich die ſechs 
Wächter, von denen Lobo geſprochen hatte. Sie wendeten 
ſich alſo mehr nach rechts und kamen glücklich vorüber. 
Die ſchwarze Farbe war ein vortrefflicher Schutz für ſie. 

Sie krochen den Damm hinauf, wo das Zelt Abu el 
Mots ſtand. Dieſes wollten ſie erreichen, da ſie glaub⸗ 
ten, daß ſich in ſeiner Nähe die beiden befänden, die ſie 
retten wollten. 

Unten zur linken Hand, aber weiter vorwärts, 
brannte das Feuer. Zwiſchen dieſem und dem Eingang 
lagerten nur die erwähnten Wächter. Am Feuer aber 
und weiter rückwärts hatten es ſich die Sklavenjäger be⸗ 
quem gemacht. Noch weiter hinten, wo ſich die Sklaven 
befanden, war es dunkel. 

Ueber den beiden Deutſchen rauſchten leiſe die 
Wipfel der Palmen. Vor ſich erblickten ſie etwas Helles, 
was vom düſtern Felſen abſtach. Es war das geſuchte 
Zelt. Sie erreichten es, ohne durch einen Menſchen oder 
etwas andres geſtört worden zu ſein. Das Gerüſte des 


Zeltes beſtand aus einer langen Mittel⸗ und zwölf Sei⸗ 
Ray, Die Sklavenkarawane. 39 


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tenſtangen, die unten rund im Kreiſe in die Erde geſteckt 
und oben mit der erſteren verbunden waren. Darüber 
hatte man die helle Leinwand gezogen. Vorn, dem Feuer 
zu, befand ſich der Eingang. Hinten war die Leinwand 
nicht wie vorn gerade an den Stangen mit Pflöcken in 
die Erde befeſtigt worden, ſondern man hatte mehrere 
vielleicht drei Fuß hohe Hölzer ein⸗ und Latten darüber 
geſchlagen und den untern Saum des Zelttuches darauf 
gelegt. Dadurch war ein an die Felswand ſtoßender, 
niedriger und bedeckter Raum entſtanden, worin man 
allerlei Gegenſtände aufbewahren konnte, die in der 
Mitte des Zeltes im Wege geweſen wären. 

Im Innern des letzteren erklang eine Stimme; 
eine andre antwortete darauf. 

„Das iſt Abu el Mot mit Abd el Mot,“ flüſterte 
Schwarz, der hart am Zelt lag. 

„Hab' ſie auch an der Stimm' erkannt,“ antwortete 
Pfotenhauer. „Dieſe Kerls müſſen doch ganz ſicher ſein, 
daß wir nix zu unternehmen wagen, da ſie nicht mal 
Wache vor der Tür haben.“ 

„Sie verlaſſen ſich darauf, daß fie zwei Geiſeln be⸗ 
ſitzen. Horch!“ 

Wieder hörte man die Grabesſtimme Abu el Mots. 
Darauf erklang eine andre, die aber nicht Abd el Mot 
angehörte. 

„Gott, das war mein Bruder!“ hauchte Schwarz. 
„Die Gefangenen befinden ſich alſo bei ihm!“ 

„Welch ein Glück! Schnell, holen wir ſie heraus!“ 

„Nur langſam! Erſt ſpähen, ſehen, hören und dann 
handeln. Vermeiden Sie aber vor allem auch das ge⸗ 
ringſte Geräuſch!“ 

Er hob das Zelttuch da, wo es nach hinten wagrecht 
auf den Latten lag, ein wenig empor und ſah hinein. 


. 


— 61 — 


Vor ſich hatte er einen dunkeln, niedrigen Raum; aber 
weiter nach vorn war es hell. Einige Pakete lagen ſeit⸗ 
wärts unter dem Tuch. Im Zelt ſaßen vier Menſchen, 
von denen er aber jetzt nur die Beine und den Unterleib 
erblickte. 

„Kommen Sie!“ raunte er dem Gefährten zu, 
„aber um Gottes willen leiſe, ganz leiſe!“ 

Er ſchob ſich vorwärts, unter das Tuch und die Lat⸗ 
ten hinein. Pfotenhauer tat an ſeiner Seite dasſelbe. 
Nun erreichten ihre Geſichter faſt die Stelle, wo das 
Tuch auf den Zeltſtangen lag und alſo nun nach oben ges 
richtet war. Schwarz lugte vorſichtig hervor. Sein ge⸗ 
ſchwärztes Geſicht blieb noch im Schatten und war alſo 
nicht zu ſehen. Er erblickte die vier anweſenden Per⸗ 
ſonen genau. 

Sein Bruder und der Elefantenjäger ſaßen an der 
Mittelſtange, an die ſie angehängt waren. Man hatte 
ihnen die Füße zuſammen⸗ und die Hände auf den 
Rücken gebunden. Zu ihrer Rechten ſaß Abd el Mot, zu 
ihrer Linken, mit dem Rücken nach Schwarz gewendet, 
Abu el Mot. Eben ſagte dieſer letztere: „Allah ſoll mich 
ſtrafen, wenn ich euch täuſche! Wir befinden uns ganz 
allein hier und werden morgen aufbrechen, um nach 
meiner Seribah zu ziehen.“ 

„Lüge nicht!“ antwortete Joſef Schwarz. „Wenn 
du nach deiner Seribah willſt, warum haſt du da den 
Umweg nach dieſer Schlucht eingeſchlagen?“ 

„Bin ich euch etwa Rechenſchaft von meinem Tun 
und Laſſen ſchuldig?“ 

„Vielleicht kommt die Zeit, wo wir dieſe Rechen⸗ 
ſchaft fordern. Ich meine ſogar, daß dieſe Zeit ſehr 
nahe iſt.“ 

„Meine, was du willſt! Ich lache darüber.“ 


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„Dein ſorgenvolles Geſicht ſieht nicht wie Lachen 
aus. Heute früh befandeſt du dich in beſſerer Stimmung. 
Warum warſt du heute ſo viel ſtrenger gegen uns? 
Weshalb ſollen wir hier in dem erbeuteten Zelt ſchlafen, 
was noch nie geſchehen iſt? Du willſt uns ganz ſicher 
haben, und ſo vermute ich mit Recht, daß jemand hier 
iſt, der uns befreien will.“ 

„Ah! Wer ſollte das ſein?“ 

„Mein Bruder.“ 

„Hund! Wer hat dir das verraten?“ fuhr der 
Alte auf. 

„Verraten? Du ſelbſt haſt dich ſoeben verraten!“ 

„Juble nicht! Ich töte euch lieber, als daß ich euch 
freigebe!“ 

„Pahl! Da kennſt du meinen Bruder nicht. Er wiegt 
hundert Kerle deiner Art auf.“ 

„Gib ihm doch das Meſſer in den Leib!“ forderte 
Abd el Mot ſeinen Vorgeſetzten auf. „Wie kannſt du 
dich von einem Giaur verhöhnen laſſen?“ 

„Schweig!“ antwortete der Alte. „Ich weiß ſelbſt, 
was ich zu tun habe. Was ſitzeſt du da und gibſt mir 
gute Lehren! Gehe lieber hinaus und ſieh nach, ob die 
Wachen ihre Schuldigkeit tun! Schlafen ſie etwa, ſo laß 
ſie peitſchen!“ N 

Abd el Mot ſtand auf und entfernte ſich brummend. 
Man hörte ihn die Richtung auf dem Damm ein⸗ 
ſchlagen, woher Schwarz und Pfotenhauer gekommen 
waren. 

Abu el Mot hielt ſeine Augen drohend auf ſeine 
Gefangenen gerichtet und fragte: „Wer hat euch ver⸗ 
vaten, daß dein Bruder da iſt? Einer meiner Leute muß 
es geweſen ſein.“ 

„Ich nenne ihn dir nicht.“ 


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„Du wirſt es mir fagen, ſonſt laß ich dir die 
Baſtonnade geben!“ 

„Wage es! Ich laſſe dich dafür zu Tode peitſchen.“ 

„Wann? Wenn dich der Scheitan in die Hölle ent⸗ 
führt hat? Das wird vielleicht noch in dieſer Nacht ge⸗ 
ſchehen.“ 

„Im Gegenteil! Vielleicht werden wir noch in 
dieſer Nacht unſre Freiheit erhalten.“ 

„Von wem?“ 

„Von mir!“ ertönte es hinter ihm. 

Emil Schwarz hatte ſich weiter vorgeſchoben, ſo daß 
er ſich hinter Abu el Mot aufrichten konnte. Dieſer er 
ſchrak, als er die Stimme hinter ſich hörte, und wollte 
ſich haſtig umdrehen, wurde aber von zwei Händen ſo 
feſt an der Kehle gepackt, daß ihm der Atem verging und 
er vor Todesangſt mit den Beinen um ſich ſchlug. 

Pfotenhauer kroch auch ſchnell hervor. Die beiden 
Gefangenen erblickten zwei ſchwarze, faſt unbekleidete 
Geſtalten, auf die der Schein der Fettlampe fiel, die von 
einer der Zeltſtangen herniederhing. Zwei Neger, aber 
mit langen Bärten! Der eine mit einer Rieſennaſe, die 
Joſef Schwarz trotz ihrer dunklen Farbe ſofort erkannte. 
Auch die Stimme des andern hatte er erkannt, obgleich 
derſelbe nur zwei einſilbige Worte geſprochen hatte. 

„Emil, du! Nazi! Iſt es möglich! So ſchnelll“ 
rief er aus. 

„Leiſe, leiſe!“ warnte fein Bruder. „Pfotenhauer, 
ſchneiden Sie die beiden los! Ich habe hier mit dem 
Alten zu tun.“ Er hielt Abu el Mot mit der einen Hand 
noch immer beim Hals und verſetzte ihm mit der andern 
Fauſt mehrere Schläge gegen den Kopf, bis er ſich nicht 
mehr rührte. „So, das nenne ich ein Glück!“ ſagte er 
dann. „Ich habe nicht nur euch, ſondern auch dieſen 


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Halunken. Das bedeutet einen unblutigen Sieg, denn 
nun muß ſich die Karawane ergeben. Kriecht hier hinter 
mir hinaus! Vorn dürfen wir uns nicht ſehen laſſen, 
ſonſt haben wir die Verfolger ſofort auf den Ferſen!“ 

Er kroch an derſelben Stelle, wo er in das Zelt ge⸗ 
kommen war, wieder hinaus und zog Abu el Mot hinter 
ſich her. Die andern folgten ihm, denn Pfotenhauer 
hatte die Gefangenen losgeſchnitten. Dieſe holten laut 
und tief Atem, und reckten und dehnten die Glieder. 

„Gott ſei Dank, endlich, endlich frei! Emil, Nazi, 
das vergeſſe ich euch nie!” 

„Still jetzt!“ mahnte ſein Bruder. „Noch ſind wir 
nicht in Sicherheit. Der Schein des Feuers dringt bis 
hier herauf. Legt euch zur Erde! Wir müſſen kriechen, 
zumal da ihr beide helle Kleider 2. Helft mir den 
Alten ſchieben!“ 

Sie krochen nach dem Eingang hin. Dabei zog Emil 
Schwarz den beſinnungsloſen Abu el Mot hinter ſich 
her, und die andern ſchoben. Sie waren noch nicht weit 
gekommen, da ertönte von der Stelle her, wo die ſechs 
Wächter ſaßen, eine laute Stimme: „Wakkif, la lakud⸗ 
dam, imfik — halt, nicht weiter, haltet ihn feſt!“ 

Mehrere Stimmen fielen ein, und ein Schuß 
krachte. Zugleich ſahen ſie eine Strecke vor ſich mehrere 
Geſtalten, die etwas Schweres, Helles trugen und dem 
Ausgang zuſtrebten. 

„Was iſt das?“ fragte Emil Schwarz., unten 
kommen die Wächter. Sie wollen herauf. Wer ſind die 
da vorn? Ah, mir ahnt es! Der Slowak wollte ſich auch 
färben. Joſef, Sejad ifjal, nehmt den Alten, und rennt 
nach dem Eingang! Dort iſt ein Loch, durch das ihr 
kriechen könnt. Draußen ſind unſre Soldaten. Pfoten⸗ 


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hauer, heraus mit dem Meſſer und dem Revolver; mir 
ſchnell nach auf die Wächter!“ 

Er rannte vom Damm hinab, und der „Vater des 
Storches“ folgte ihm auf dem Fuße. Vorn krachten zwei 
Piſtolenſchüſſe. Die Wächter, die ſich bereits in der Nähe 
des Verhaues befanden, wichen zurück. Sie ſahen zwei 
Schwarze auf ſich zukommen und hielten ſie für Freunde. 

„Helft!“ rief einer der Wächter ihnen zu. „Die 
Feinde ſind eingebrochen. Dort fliehen ſie wieder hin⸗ 
aus. Sie haben einen von uns gefangen. Und — o 
Allah, dort, da oben laufen auch zwei, die einen tragen.“ 

„Lauft auch ihr, ihr Schufte!“ antwortete Schwarz, 
indem er den Sprecher niederſchlug, einem zweiten 
Wächter einen Hieb gegen den Kopf verſetzte, daß er zur 
Seite taumelte und ſich dann auf den dritten warf. 

Da er nicht ſchoß, ſo ſchoß auch Pfotenhauer nicht. 
Dieſer faßte nach der Flinte des vierten, dem einzigen 
Gewehr, das die Wächter bei ſich zu haben ſchienen, ent⸗ 
riß es ihm und ſtieß ihn mit dem Kolben nieder. Er 
wollte ſich gegen den fünften wenden, aber dieſer und 
der ſechſte rannte bereits dem Feuer zu. Nummer eins 
bis vier rafften ſich auch auf und ſchoſſen eiligſt davon. 
Aber jetzt erhob ſich im Hintergrund der Schlucht ein 
wahrhaft entſetzliches Geheul, als ob alle möglichen wil⸗ 
den Tiere ſich zu einem Satanskonzert zuſammen⸗ 
gefunden hätten. 

„Herrgott, die Sklaven ſind los!“ rief Schwarz. 
„Die Schüſſe, die Schüſſe! Ich hatte zu Lobo geſagt, daß 
ein Schuß das Zeichen ſein werde, daß die Gefangenen 
nach dem Ausgang fliehen ſollten. Ich befürchte, es 
kommt anders. Sie fliehen nicht, ſondern fallen über 
ihre Peiniger her. Welch ein fürchterliches Gemetzel 
wird das geben! Kommen Sie hinaus zu unſern Leuten, 


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die nicht wiſſen werden, wie ſie ſich zu verhalten haben! 
Dort werden wir wohl auch weitere Erklärung finden.“ 

Dieſe Erklärung war nun folgende: Als der unter⸗ 
nehmende „Vater der elf Haare“, ganz erpicht darauf, 
einmal auf eigene Rechnung den Helden zu ſpielen, das 
Loch durchquert hatte, wendete er ſich, gerade wie vor ihm 
Schwarz und Pfotenhauer, nach rechts, dem Damm zu. 
Sie krochen dieſen hinauf und kamen gerade oben an, 
als Abd el Mot vom Zelt her an derſelben Stelle an⸗ 
langte. Der kleine Slowak richtete ſich auf und fragte 
ihn: „Wer biſt du?“ 

„Ich bin Abd el Mot. Und ihr, was treibt ihr 
ſchwarzen Hunde euch hier umher! Ich werde — — —“ 

Er konnte ſeine Drohung nicht vollenden, denn der 
Kleine ſprang ihm an die Kehle, krallte ihm beide Hände 
um den Hals, drückte dieſen aus Leibeskräften zuſam⸗ 
men, riß den Gegner zu Boden und ſagte zu ſeinen zwei 
Gefährten: „Haltet ihn; ich hämmere ihm den Kopf.“ 

Das hatte natürlich nicht geſchehen können, ohne 
daß die Wächter darauf aufmerkſam wurden. Sie er⸗ 
hoben ſich von der Erde und ſchauten nach der betreffen⸗ 
den Stelle. Abd el Mot hatte wirklich die Beſinnung 
verloren. 

„Das iſt ein Fang!“ meinte der Kleine. „Schleifen 
wir ihn nach dem Loch. Dann kehren wir zurück.“ 

Sie faßten den Ohnmächtigen an und zogen ihn 
fort. Als die Wächter das ſahen, rief einer von ihnen 
die Gruppe an, und da dies keinen Erfolg hatte, ſo ſchoß 
er ſein Gewehr ab, glücklicherweiſe ohne daß die Kugel 
traf. Nun ſprangen die ſechs Sklavenjäger den dreien 
nach. Dieſe letzteren aber waren trotz ihrer Laſt ſo 
behend, daß ſie eher am Verhau ankamen. Die Verfol⸗ 
ger kehrten alſo um und rannten gegen Schwarz und 


1 


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Pfotenhauer, um von dieſen noch viel nachdrücklicher in 
die Flucht getrieben zu werden. 

Als die beiden letztgenannten dann auch die Lücke 
paſſiert hatten, gebot Schwarz, ſchnell das Feuer anzu⸗ 
zünden. Der Slowak erkannte ihn an der Stimme und 
rief triumphierend: „Seinte Sie auch ſchonte da? Hatt 
wohl nichts gefangte? Ich hatt gefangte einen Feind 
berühmten und geklopfte ohnmächtigen.“ — „Wen 
denn?“ fragte Schwarz. — „Abd el Mot. Ich hatt ihn 
packte bei Gurgel, atemholigter, und ihn würgte bis 
ohne Beſinnigtung und ihn ſchaffte dann hierher.“ — 
„Iſt das möglich! Du hätteſt wirklich Abd el Mot?“ — 
„Sie kann glaubte es. Es ſeinte Abd el Mot, wirklichter 
und wahrhaftigkeitlichter.“ — „Teufelskerl! Das konnte 
dir und uns auch ſchlecht bekommen. Hörſt du das Brül⸗ 
len und Heulen da hinten in der Schlucht? Daran biſt du 
allein ſchuld! Macht ſchnell Feuer!“ 

Die Flamme leuchtete auf. Ihr Schein fiel auf das 
Geſicht Abd el Mots. Die drei, die ihn gefangen hatten, 
ſtanden neben ihm. Der „Sohn des Geheimniſſes“ ſah 
das Geſicht mit den jetzt geſchloſſenen Augen, das einzige 
Geſicht, das ſein Gedächtnis aus früher Jugendzeit feſt⸗ 
gehalten hatten. „Ebrid Ben Lafſa el Bagirmi!“ ſchrie 
er auf. „Ich erkenne ihn!“ 

Da ertönte eine Stimme in der Nähe: „Wer ruft 
dieſen verfluchten Namen? Wer von euch kann ihn 
kennen?“ 

Es war der Elefantenjäger, der dieſe Frage aus⸗ 
ſprach. Der „Sohn des Geheimniſſes“ blickte ihm ſtarr 
in das Geſicht und antwortete: „Ich bin's geweſen. Wer 
aber biſt du? Biſt du etwa der Mann, den fie Sejad 
ifjal, den Elefantenjäger nennen? Biſt du Barak el 
Kaſi, der Emir von Kenadem?“ 


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„Ich bin es.“ 

„O Allah, Allah, Allah! Er iſt's, mein Vater, mein 
Vater!“ Er flog auf ihn zu und warf ſich an ſeine Bruſt. 

„Du — — du mein Sohn? Wäre es möglich? Täte 
Allah mir zuliebe ſolch ein Wunder?“ fragte der Emir 
ganz faſſungslos. 

„Ich bin es, ich bin es. Glaube es nur! Später 
werde ich es dir erklären.“ 

„Ich glaube es; ich glaube es gern! Hamdulillah! 
Nun bin ich nicht mehr Bala⸗Ibn, der Vater ohne 
Sohn‘. Nun iſt mir die Heimat nicht mehr verſchloſſen; 
mein Schwur iſt erfüllt, und ich darf zurückkehren nach 
Kenadem, in das Land meiner Väter!“ 

„Ja, nach Kenadem, nach Kenadem! Nimm mich 
mit! Warſt du Bala⸗Ibn, ſo war ich Bala⸗Ab, der 
‚Sohn ohne Vater'. Nun haben wir uns gefunden; nun 
haben wir uns wieder, und nichts, nichts ſoll uns mehr 
trennen!“ 

Sobald die Flamme hell genug aufloderte, daß man 
ſich gegenſeitig erkennen konnte, eilte Emil Schwarz auf 
ſeinen Bruder zu, um ihn zu umarmen, wozu bis jetzt 
keine Zeit geweſen war. Er drückte ihn mehrmals an 
ſich, ſchob ihn dann von ſich ab, um das liebe Geſicht 
recht deutlich vor ſich zu haben, rief aber erſchrocken aus: 
„Alle Wetter, Joſef, was iſt mit dir? Wie ſiehſt du aus?“ 

„Wie ſoll ich denn ausſehen? Doch wohl wie ſonſt, 
wie gewöhnlich!“ antwortete Joſef, der vor den Zärt⸗ 
lichkeiten Emils noch gar nicht zu Worte hatte kommen 
können. 

„Nein, ganz und gar nicht wie ſonſt. Dieſe Faul- 
flecke haſt du früher nicht in deinem Geſicht gehabt. Du _ 
ſcheinſt bei dieſem Abd el Mot eine ganz verwahrloſte 
Behandlung — — —“ 


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„Iſt es das?“ unterbrach ihn der Bruder lachend. 
„Hat dieſer Menſch ſich das Geſicht und den ganzen Kör⸗ 
per mit Ruß beſtrichen, umarmt und küßt mich ein 
Dutzendmal und wundert ſich dann noch, daß ich ſchwarz⸗ 
fleckig geworden bin!“ 

„Ah, ja! Ich hab' vor Entzücken über das Wieder⸗ 
ſehen und deine Rettung den ganzen Ruß vergeſſen. Da 
ſteht unſer Pfotenhauer. Sehe ich etwa auch ſo ſchreck⸗ 
lich aus wie er?“ a 

Da drängte ſich der „Vater der elf Haare“ herbei 
und rief: „Schaunte an auch Geſicht, meinigtes. Seinte 
ich nicht auch Neger, ſchwarzer und wirklicher?“ 

Schwarz und Pfotenhauer brachen in ein wirklich 
erſchütterndes Gelächter aus, was bei dem Ausſehen des 
Kleinen auch gar kein Wunder war. Und nun ſchob ſich 
der „Vater des Gelächters“ heran, zog ſein geſchwärztes 
Geſicht in die lächerlichſten Falten und ſagte: „Auch ich 
war dabei, Hadſchi Ali; ich habe dieſen Abd el Mot mit 
gefangen genommen.“ 

„Ihr beide alſo. Aber ich habe ja drei Perſonen ge⸗ 
ſehen. Wer war denn der dritte?“ 

„Abd es Sirr, der dort ſteht.“ 

Er deutete nach der Stelle, wo der Genannte ſich 
befand. Sein Vater hatte ihn bei den Schultern gefaßt, 
hielt ihn weit von ſich ab und rief eben jetzt im Ton 
ſchmerzlicher Enttäuſchung aus: „Ich habe von Aswad, 
meinem Freund, erfahren, daß ich meinen Sohn finden 
werde. Du gabſt dich für dieſen aus, und da das Feuer 
noch nicht hell brannte, ſo erkannte ich dein Geſicht nicht 
deutlich und glaubte dir. Nun aber ſehe ich, daß du dich 
täuſcheſt. Du biſt ein Neger; mein Sohn aber trä. : das 
reinſte arabiſche Blut in ſeinen Adern.“ 

„Seine Haut iſt hell,“ erklärte Emil Schwarz. „Er 


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hat ſich mit Ruß beſtrichen, um als Neger zu dir zu 
ſchleichen und dich zu retten.“ 

„Wie?“ fragte der Emir. „Das tateſt du? In 
ſolche Gefahr begabſt du Kühner dich, um deinen Vater 
zu befreien? Komm nochmals an mein Herz!” 

Er wollte ihn wieder umarmen, ließ ihn aber los, 
tat einen Sprung zur Seite und rief: „Halt, da will 
einer fliehen, gerade der ‚Sohn der Hölle‘, dem wir alles 
Leid verdanken! Bleib bei uns, Hund, denn wir brau⸗ 
chen dich!“ 

Abd el Mot war wieder zu ſich gekommen, hatte be⸗ 
merkt, daß er gerade jetzt nicht beobachtet wurde, und 
dieſe Gelegenheit benutzt, davonſchleichen zu wollen. Der 
Emir ergriff ihn und warf ihn mit furchtbarer Gewalt 
zu Boden. 

„Ja, wollen nicht nachläſſig ſein,“ meinte Emil 
Schwarz. „Dieſe beiden Kerls ſind zu koſtbar für uns, 
als daß es uns einfallen ſollte, ihnen Gelegenheit zum 
Entkommen zu geben. Bindet ſie feſt! Aber horcht doch 
nach dort hinten! Dort geht es ſchrecklich her. Ich glaube, 
da hält die Vergeltung eine entſetzliche Ernte.“ 

Das Brüllen und Heulen war jetzt ſo ſtark gewor⸗ 
den, daß man gar nicht vermochte, einzelne Stimmen 
und Töne zu unterſcheiden. Wenn man durch die Lücke 
des Verhaues blickte, ſo ſah man nichts als dunkle, ge⸗ 
ſpenſtige Schatten, welche einander am hellodernden 
Feuer heulend vorüberjagten. | 

„Was follen wir tun? Müſſen wir nicht eingrei⸗ 
fen?“ fragte Pfotenhauer. 

„Das würde vergeblich ſein,“ antwortete Joſef 
Schwarz. „Iſt der Neger einmal losgelaſſen, ſo läßt er 
ſich nicht eher wieder anketten, bis ſeine Kraft aufge⸗ 


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rieben iſt. Uebrigens würden wir das Uebel ärger 
machen, da es für uns ganz unmöglich wäre, den Freund 
vom Feind zu unterſcheiden.“ 

Er hatte vollſtändig recht; das mußte man einſehen, 
und darum lagerte man ſich um das Feuer, um den 
Ausgang des Kampfes abzuwarten. 

Nach und nach wurde das Heulen ſchwächer. Nur 
vereinzelt noch ertönte ein ſchriller Todesſchrei und der 
darauf folgende Jubelruf des Siegers. Endlich wurde 
es ſtill, und man ſah eine Maſſe ſchwarze Geſtalten, 
welche zuſammengedrängt ſtanden und wohl eine Be⸗ 
ratung hielten. Eine derſelben trennte ſich vom Haufen, 
kam näher und kroch durch das Loch. Es war Lobo. 

„Nun,“ fragte Pfotenhauer, „was haſt du zu be⸗ 
richten?“ — „Tot,“ antwortete der Schwarze einfach. — 
„Wer?“ — „Alle Sklavenjäger. Lebt keiner mehr.“ — 
„Entſetzlich! Das hatten wir freilich nicht beabſichtigt. 
Wie iſt das denn gekommen?“ — „Lobo ſchleichen mit 
Tolo hinein und werden nicht geſehen. Kommen zu 
arm, gut Belandaneger; alle gebunden, ſchneiden aber 
alle ab und warten. Da fallen ein Schuß und fallen noch 
zwei Schuß; nun alſo Zeit. Neger werfen weg Feſſeln 
und ſtürzen ſich auf Jäger, würgen ſie mit Hand tot, 
erſchlagen ſie mit Sklavengabel, erſtechen ſie mit eigen 
Meſſer, bis tot ſind, alle tot!“ — „Aber euch muß es 
doch auch viele Opfer gekoſtet haben!“ — „Viele tot auch 
und verwundet, ſehr viele; aber Sklavenraub gerächt. 
Werden nicht wieder fangen arm Belandaneger!“ — 
„Hat man dich zu uns geſchickt?“ — „Ja. Soll hergehen 
und ſagen, daß Kampf zu Ende. Freund ſoll kommen 
und Hand drücken tapfer und dankbar Neger.“ — „Wir 
werden kommen. Habt ihr ſonſt dringende Wünſche? 
Habt ihr Hunger?“ — „Kein Hunger. Abu el Mot bei 


— 622 — 


ſich viel Fleiſch und Mehl. Neger es tragen müſſen, nun 
es eſſen werden.“ 

Er kehrte zu ſeinen Landsleuten zurück. Die Deut⸗ 
ſchen und ihre Freunde folgten ihm. Sie wurden von 
den Negern mit brauſendem Jubel empfangen. Lobo 
hatte erzählt, was man dieſen fremden Männern zu ver⸗ 
danken hatte. Die Beſchreibung des Kampfplatzes iſt 
geradezu unmöglich; er war eine Stätte des Grauens 
und ganz unmöglich ein weiterer Aufenthalt für die 
Ueberlebenden. Auf den Rat der Weißen zogen die 
Neger, nachdem der Verhau beſeitigt worden war, aus 
der Schlucht heraus aufs freie Feld, um dort zu lagern. 
Man mußte Abu und Abd el Mot einſtweilen vor ihnen 
verſtecken, ſonſt wären beide zerriſſen worden. 

Die befreiten Schwarzen wollten früh aufbrechen 
und in die Heimat zurückkehren. Sie hatten ſchon jetzt 
alles, was die Karawane bei ſich führte, auch die Tiere, 
mit ſich aus der Schlucht genommen. Ganz ſo, wie 
Schwarz vermutet hatte, waren die geraubten Herden 
und alle andern nicht leicht beweglichen Gegenſtände 
unter der Bedeckung von fünfzig Mann zurückgeblieben. 
Die Neger kannten den Ort und waren natürlich ent⸗ 
ſchloſſen, ſich während des Rückmarſches wieder in den 
Beſitz dieſes ihres Eigentums zu ſetzen. Wehe den fünf⸗ 
zig Sklavenjägern! Sie waren verloren, beſonders da 
die Schwarzen ſich die Waffen der Jäger angeeignet 
hatten. 

„Es iſt wirklich grauenhaft,“ ſagte Emil Schwarz, 
als ſie wieder am Feuer ſaßen. „Gegen fünfhundert 
Menſchen tot! Aber die Sklavenjagden werden für lange 
Zeit eine Unterbrechung erleiden. Das iſt die glückliche 
Folge dieſer entſetzlichen Nacht.“ | 

„Ich bedaure die Kerls nicht, denn ich bin ihr Ge⸗ 


— 63 — 


fangener geweſen,“ antwortete fein Uruder. „Ich weiß, 
was für Teufel ſie waren. Und wer hat ſie dazu ge⸗ 
macht? Wer allein trägt die Schuld an dem heutigen 
Maſſenmord? Die beiden Halunken, die da bei uns lie⸗ 
gen und gar noch die Frechheit haben, einander Aue 
Blicke Zeichen zu geben.“ 

„Sie ſind nicht wert, von uns angeſehen zu werden. 
Bindet ſie dort an den Baum, damit ſie uns aus den 
Augen kommen!“ 

Sein Bruder wollte einen Einſpruch erheben; Emil 
aber ſagte ihm in deutſcher Sprache, während ſie ſich 
jetzt der arabiſchen bedient hatten, ſo daß ſie von den Ge⸗ 
fangenen verſtanden worden waren: „Laß mich nur 
machen! Ich will wiſſen, was ſie einander mitzuteilen 
haben. Schaffe ſie alſo nach dem Baum und binde ſie 
ſo an, daß ſie ſich nicht bewegen, wohl aber miteinander 
ſprechen können. Indeſſen ſchleiche ich mich in ihre un⸗ 
mittelbare Nähe und belauſche ſie.“ 

„Dieſer Plan iſt nicht übel. Alſo fort mit ihnen!“ 

Man hatte die Gefangenen erſt vor den Negern ver— 
ſteckt, dann wieder an das Feuer bringen laſſen. Jetzt 
wurden ſie nach dem von Schwarz bezeichneten Baum 
geſchafft, neben dem ein Buſch ſtand. Während man ſie 
dort feſtband, kroch Schwarz hinzu und legte ſich unter 
dieſen Strauch. Er war ihnen ſo nahe, daß er ſie mit 
dem Kopf hätte ſtoßen können, mußte ſie alſo verſtehen, 
ſelbſt wenn ſie nur im Flüſterton ſprachen. Uebrigens 
durften ſie, da ſie an den einander entgegengeſetzten Sei⸗ 
ten des Baumes angebunden wurden, nicht allzu leiſe 
ſprechen, wenn ſie einander verſtehen wollten. Bis hin 
zum Feuer konnten ſie nicht blicken und alſo auch nicht 
ſehen, daß Schwarz ſich nicht mehr dort befand. Der 
Wächter, ein Soldat, war abſichtlich in einer gewiſſen Ent. 


— 624 — 


fernung aufgeſtellt worden, um die beiden ſicher zu 
machen. Als ſie nun glaubten, allein zu ſein, ſagte Abd 
el Mot leiſe: „Welch ein Tag! Der unglücklichſte meines 
Lebens. Heute iſt die Hölle los, und dieſe Deutſchen ſind 
die Oberſten des Teufels. Wie konnteſt du dich ergreifen 
laſſen?“ 

„Und wie du dich?“ antwortete Abu el Mot zornig. 

„Es fielen auf dem Damm drei über mich her.“ 

„Und mich ergriffen ſie gar im Zelt, wohin ſie ſich 
geſchlichen hatten. Die Wächter müſſen geſchlafen haben. 
Nun ſind ſie tot und haben ihren Lohn. Allah laſſe ſie in 
der Ewigkeit auf einer rollenden Kugel ſitzen, daß ſie nie 
mehr die Süßigkeit des Schlafes ſchmecken!“ 

Sie erzählten nun einander, wie es bei ihrer Er⸗ 
greifung zugegangen war, und dann ziſchte Abu el Mot 
ingrimmig: „Verflucht ſei der Tag, an dem ich mich ent⸗ 
ſchloß, mit dieſem Vater der vier Augen' anzubinden! 
Er iſt ein Gelehrter, und da dieſe Leute ihren Verſtand 
ſtets nur in den Büchern und niemals im Kopf 
haben, ſo glaubte ich leicht mit ihm fertig zu werden. 
Bei Allah, es iſt ganz anders gekommen! Er hat mich 
vernichtet.“ 

„Hältſt du unſre Lage wirklich für ſo hoffnungslos?“ 

„Die meinige allerdings. Weißt du, was mit mir 
geſchehen ſoll? Dieſer deutſche Hund will mich dem Ali 
Effendi in Faſchodah ausliefern.“ 

„Dem Vater der Fünfhundert'? O Allah! Tut er 
es wirklich, ſo biſt du verloren.“ 

„Ja, ich werde einfach zu Tode gepeitſcht wie meine 
Homr, die der „Vater der vier Augen‘ gefangen genom⸗ 
men und nach dort abgeliefert hatte.“ 

„Aber bis hinab nach Faſchodah braucht man eine 


— 625 — 


lange Zeit, und da wird ſich wohl eine Gelegenheit zur 
Flucht ergeben.“ 

„Das glaube ich nicht! Man wird mich jo gut ver— 
wahren und fo unausgeſetzt bewachen, daß an ein Ent⸗ 
kommen nicht zu denken iſt. Es gibt nur eine einzige 
Möglichkeit, die Freiheit wieder zu erlangen.“ 

„Welche?“ 

N „Nicht unterwegs, ſondern erſt in Faſchodah, wenn 
ich an den „Vater der Fünfhundert' ausgeliefert worden 
bin. Er liebt die Gerechtigkeit, noch mehr aber das Geld. 
Verſtehſt du mich?“ 

„Ja. Du willſt dich loskaufen. Dann aber mußt 
du ihm den Ort mitteilen, wo du es aufbewahrſt!“ 

„Fällt mir nicht ein! Er würde es holen und mich 
dennoch totpeitſchen laſſen. Nein, ich bedarf eines Ver— 
trauten, der ihn bezahlt, erſt die Hälfte und dann, wenn 
ich frei bin, das übrige.“ 

„Dieſer Vertraute fehlt dir aber.“ 

„Nein. Du biſt es.“ 

„Aber ich bin doch ſelbſt gefangen.“ 

„Wir werden dem Vater der Fünfhundert' ſagen, 
daß du allein imſtande biſt, das Löſegeld für mich zu 
holen.“ 8 

„Denke an den Elefantenjäger! Es iſt mehr als 
Blutrache, was er gegen mich hat.“ 

„Er hat ſeinen Sohn wieder und im Entzücken 
darüber wird er dir verzeihen. Bitte ihn nur demütig; 
weine und heuchle Reue! Dann ſtehen dieſe deutſchen 
Chriſten dir ſicher bei und legen ein gewichtiges Fürs 
wort ein.“ 

„Ach, wenn ſie das täten, wäre ich allerdings ge— 
rettet! Dieſer Rat iſt gut.“ | 


„Sie tun es gewiß, wenn du dich recht reumütig 
May, Die Sklavenkarawane. 40 


geigft. Sage ihnen, daß du Chriſt werden willſt! Glau- 
ben ſie das, ſo biſt du ſicher frei. Dann gehſt du nach 
der Seribah und holſt das Geld.“ 

„Ich weiß nicht, wo es liegt.“ 

„Ich werde es dir ſagen. Ich weiß, daß du mir 
treu biſt, mich nicht betrügen und alles tun wirſt, mich 
zu retten. Willſt du mir das zuſchwören?“ 

„Ich ſchwöre es bei mir und meinen Vätern, bei 
dem Bart des Propheten und aller Kalifen!“ 

„Das genügt! Jetzt kann ich es ſagen und will es 
ſchnell tun, denn wir wiſſen nicht, wie bald man uns 
auseinander reißt. Als ich nach dem Brande die Seri⸗ 
bah erreichte, hatte der Schech mit ſeinen Leuten ſchon 
ſämtliche Trümmer durchſucht. Er ahnt, daß ich Geld 
vergraben habe. Wo ſollte der Gewinn der vielen Jahre 
ſonſt ſtecken! An den richtigen Ort ſind ſie aber nicht ge⸗ 
kommen und werden ihn auch nicht entdecken. Süd⸗ 
wärts von der Umzäunung lagen des Nachts die Herden; 
dort brannte ein Feuer. Grabe unter der Feuerſtätte 
nach, fo wirft du auf vermeintlichen Felſen ſtoßen; es 
iſt aber keiner, ſondern Sand, Kalk und Lehm, gut ge⸗ 
miſcht und feſtgerammt. Unter dieſer Schicht liegen 
ſechs Daruf '), wohlgefüllt mit lauter glänzenden Abu 
Noktah). Das iſt mein Vermögen. Einer dieſer 
Schläuche ſoll dein ſein, wenn es dir gelingt, mich zu ret⸗ 
ten; doch darfſt du — —“ 

„Und wenn er dich nicht retten will, ſo nimmt er 
wohl alle?“ ertönte es neben ihm. „Aber weder du noch 
er ſelbſt ſoll einen einzigen Abu Noktah haben, ſondern 
ich werde ſie holen und unter meine Leute verteilen, 
welche auch die Herden erhalten, die dein Feldwebel von 
der Seribah entführt hat.“ 


) Große Waſſerſchläuche. — ) Mariatherefientaler. 


— 627 — 


Schwarz war der Sprecher. Er richtete ſich auf und 
ging nach dem Feuer, um nach einem zweiten Wächter 
zu ſenden, da die Gefangenen nun nicht mehr mitein⸗ 
ander ſprechen follten. - | 

Abu el Mot ſtieß einen Schrei des Entſetzens aus; 
dann ſenkte er den Kopf. Es war ihm genau ſo zu Mute, 
als ob er am Rande ſeines offenen Grabes ſitze.— — 

Am andern Morgen, kurz nachdem die Sonne auf⸗ 
gegangen war, traten die befreiten Belandaneger ihren 
Heimmarſch an. Glücklich, der Sklaverei entgangen zu 
ſein, dachten ſie doch mit Trauer der Ankunft in ihrer 
verwüſteten Heimat. Sie nahmen die Leichen ihrer Ge⸗ 
fallenen mit, um fie bei und mit den Ermordeten in 
Ombula zu begraben. Ihr Abſchied von ihren Rettern 
war ein außerordentlich bewegter. 

Später zogen die Sieger ab, denſelben Weg, den ſie 
gekommen waren, da ſie zu ihren Kähnen und Schiffen 
mußten. Man ging ſofort an Bord, um zunächſt nach 
der Majeh Huſan el bahr zu fahren. Der König von 
Niam⸗niam fuhr mit ſeinen Booten und Leuten mit. 
Dort angekommen wurden mehrere Stücke der hier zu⸗ 
rückgelaſſenen Tiere geſchlachtet. Die übrigen erhielt der 
Schech Abu en Nuhß, der „Vater der Hälfte“, als Be⸗ 
lohnung für ſich und ſeine Leute. Er nahm herzlichen 
Abſchied von ſeinen Verbündeten und kehrte befriedigt 
in die Heimat zurück. | 

Das Geſchwader fuhr dann flußabwärts nach der 
berüchtigten Seribah Abu el Mots. Dieſer mußte dabei 
ſtehen, als man die Schläuche ausgrub und ihren Inhalt 
ſo verteilte, daß jeder mit ſeinem Betrag neidlos zu⸗ 
frieden war. 

Nun ging es an das eigentliche Scheiden. Die Ge⸗ 
brüder Schwarz und ihr Freund Pfotenhauer mußten 


— 628 — 


mit den Niam⸗niam ſüdwärts. Sie wollten wei⸗ 
ter forſchen und ſammeln, Emin Paſchas Gebiet auf⸗ 
ſuchen und dann über Sanſibar in die Heimat gehen. 
Die andern fuhren nach Norden. 

Abu und Abd el Mot wurden dem Elefantenjäger 
als dem ſicherſten und ſtrengſten Hüter übergeben. Er 
wollte mit der Dahabieh bis Faſchodah fahren und dort 
Abu el Mot nebſt dem Feldwebel und deſſen Leuten an 
den „Vater der Fünfhundert“ ausliefern. Von Abd el 
Mot aber erklärte er: „Den nehme ich mit nach Kena⸗ 
dem. Dort hat er meinen Sohn geraubt, und dort ſoll 
ihn auch die Strafe Allahs treffen. Seit ich mein Kind 
wiedergefunden habe, iſt mein Herz weich geworden; 
dieſer Satan aber ſoll erkennen, daß ich gegen ihn noch 
derjenige ſein kann, der ich früher war, nämlich Barak 
der Strenge.“ 

Emil Schwarz ſchrieb ihm ſeine Adreſſe auf und bat 
ihn, ihm einmal zu ſchreiben, wenn die Gelegenheit eine 
paſſende Verbindung biete. So war nun alles geordnet, 
und der Wadſcha el widah mußte getrunken werden. Der 
Slowak und der „Vater des Gelächters“ hatten gebeten, 
bei den Deutſchen bleiben zu dürfen, und die Erlaubnis 
gern erhalten. Am ſchmerzlichſten war das Scheiden für 
den „Sohn des Geheimniſſes“ und den „Sohn der 
Treue“, doch ging auch das vorüber; dann ſegelten die 
Schiffe nach Norden, während die Ruderer der Niam⸗ 
niam ihre Boote gen Süden trieben. Die Sklaven⸗ 
karawane war vernichtet; die Sieger gingen nach ver- 
ſchiedenen Richtungen auseinander, und jeder nahm die 
Ueberzeugung mit, ſeine Pflicht getan und dem Sklaven⸗ 
handel, wenigſtens in dieſer Gegend, eine ſchwere 
Wunde beigebracht zu haben. Auch Haſab Murat war 


5 Schmerz des Abſchiedz. 


— 629 — 


vom Sklavenhandel bekehrt: die erlebten Szenen waren 
nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. — — — — — 


— — — — — — — — — — — — — — — — 


Wer in einer der bekannten ſüddeutſchen Univer- 
ſitätsſtädte das Adreßbuch in die Hand nimmt und den 
erſten Buchſtaben, alſo A aufſchlägt, dem fällt ſofort ein 
ungewöhnlich langer Name auf. Dieſer lautet: Hadſchi 
Ali Ben Hadſchi Ishak al Fareſi Ibn Hadſchi Otafba 
Abu l'Oſcher Ben Hadſchi Marwan Omar el Gandeſi 
Hafid Jacub Abdallah el Sandſchaki. Hinter dieſem 
Namen ſteht die Auskunft: Händler in Orientalien, Gar⸗ 
tenſtraße 6, Erdgeſchoß. 

Wer durch dieſe Adreſſe veranlaßt wird, ein Fläſch⸗ 
chen Roſenöl, einen türkiſchen Tſchibuk oder ſonſt der⸗ 
gleichen zu kaufen, und ſich nach dem betreffenden Haufe. 
begibt, der ſieht in der Nummer 6 ein großes palaſtähn⸗ 
liches Gebäude, deſſen linke Parterrehälfte der erwähnte 
Laden mit den daran ſtoßenden Wohnräumen einnimmt. 
Das darüber angebrachte Schild trägt in goldener 
Schrift die etwas falſche Bezeichnung: „Hadſchi Ali, 
Orientaliſt“. 

Ferner kann man im hohen, ſchön gemalten Haus⸗ 
flur auf einer Tafel leſen: Uszkar Iſtvan, Hausmann, 
Sprachlehrer und ornithologiſcher Autor Erdgeſchoß 
rechts — Profeſſor Dr. Emil Schwarz, I. Stock — Pro- 
feſſor Dr. Joſef Schwarz, II. Stock — Profeſſor 
Dr. Ignatius Pfotenhauer, III. Stock. Und wer zur 
richtigen Zeit vorübergeht und nach dem dritten Stock 
emporblickt, kann da ein Fenſter offen ſehen, aus dem 
unter einem roten Fes eine rieſige Naſe ſchaut, die ſich 
über dem vorgeſtreckten Rohr einer Maſu'ran lebhaft 


5) Sudaneſiſche Tabakspfeife. 


— 630 — 


hin und her bewegt, um ſich von dem, was unten auf der 
Straße geſchieht, nichts entgehen zu laffen. 

Unten aber, am Fenſter rechts neben der Tür, ſitzt 
in allen ſeinen Mußeſtunden ein kleines dünnbärtiges 
Kerlchen, emſig beſchäftigt mit der ſo und ſo vielten Um⸗ 
arbeitung eines dicken Manuſkripts, das den vielver⸗ 
ſprechenden Titel führt „Warum die Vögel Federn 
haben“. Dieſer der Ornithologie Befliſſene iſt natürlich 
kein andrer als der „Vater der elf Haare“. Seit er mit 
ſeinen drei Herren und dem „Vater des Gelächters“, zu 
dem die Kunden ebenſo gern ſeines ſpaßhaften Geſichts 
wie ſeiner Waren wegen gehen, aus dem Sudan zurück⸗ 
gekehrt und als Hausmann des gemeinſchaftlich bewohn⸗ 
ten Gebäudes angeſtellt worden iſt, nennt er ſich Sprach⸗ 
lehrer, ohne aber einen Schüler zu bekommen, und hat 
es ſich in den Kopf geſetzt, dem „Vater des Storches“ 
durch die Herausgabe eines gelehrten Werkes zu bewei⸗ 
ſen, daß er auch Vögel geſehen und über dieſe nachge⸗ 
dacht habe. Darum nennt er ſich „ornithologiſcher 
Autor“ und hat ſich als Thema ſeiner Arbeit gerade die 
berühmte Frage aus der ebenſo berühmten Erzählung 
Pfotenhauers, die auch heute noch nicht zu Ende gelangt 
iſt, vorgenommen. 

Eben ſitzt er wieder beim Manuſkript, das er ſchon 
an etliche zwanzig Verlagsbuchhändler geſandt und ſtets 
mit der Bemerkung zurückerhalten hat, daß ſein Deutſch 
der Gelehrſamkeit des Inhaltes nicht entſpreche, da 
klappt neben ihm das kleine Hausfenſterchen auf und der 
Briefträger legt einen Brief herein. Der Hausmann und 
Autor nimmt ihn weg und lieſt neben mehreren frem⸗ 
den Briefmarken, die wie von Kinderhand geſchriebene 
Adreſſe von Emil Schwarz. Auf der Rückſeite aber iſt in 
arabiſcher Schrift der Name Barak el Kaſi zu ſehen. 


— 631 — 


Da ſpringt der Kleine auf, rennt hinüber in den 
Laden und ſchreit den Hadſchi an: „Seinte drei Pro» 
feſſoren noch im Garten, hintendraußigem?“ 

„Ja; ich hab' ßie ßoeben noch ßehen,“ antwortete 
der Kenner aller Völker und Dörfer in leidlichem 
Deutſch, das er ſich im Lauf von zwei Jahren ange⸗ 
eignet hat. ö 

„Kommte mit hinaus, ſchnellte, ſchnellte! Sein an⸗ 
kommte Brief, afrikanigter, vom Elefantenjäger, ſchrei⸗ 
bendem!“ 

Er rennt nach dem Garten, der Hadſchi hinter ihm 
her, mit ſeinem wonnevollſten Geſicht. Die drei genann⸗ 
ten Herren ſitzen rauchend in der großen Laube. Als ſie 
die ihnen laut entgegengebrüllte Botſchaft hören, ſprin⸗ 
gen ſie auf. Der Brief wird von allen Seiten betrachtet 
und dann geöffnet. Der Inhalt iſt natürlich arabiſch 
und lautet in deutſcher Ueberſetzung: 

„Kenadem, am 12. Rewi ul achir. 

Meinem Freunde, dem berühmten Mallim, Vater 
der vier Augen‘! 

Allah iſt groß und gibt der Nacht Tau. Ich ver⸗ 
ſprach Dir, darum ſchreibe ich. Der Menſchen ſind viele, 
und mir geht es wohl. O Sohn meiner Wonne, daß ich 
dich fand in der Schlucht der Gebete! Troſt meiner 
Augen, Liebling meiner Seele; die Datteln tragen reich⸗ 
lich dieſes Jahr, und er iſt gut, groß und ſtark gewor⸗ 
den. Mein Lieblingskamel ward auf einem Auge blind, 
und wie geht es Dir, Deinem Bruder und dem Vater 
des Storches'? Der Prophet faſtete in der Wüſte, fo 
auch ihr für mich und ich für euch. Wohl dem, der 
einen Sohn hat! Er ward zu Tode gepeitſcht. Du weißt, 
daß er es verdient hat, dieſer Abu el Mot. Ich fluche 
ihm nicht. Mögen auch Deine Kamele gedeihen und die 


— 632 — 


Palmen Deines Feldes! Dennoch hat den Feldwebel 
und ſeine Leute das Schickſal ereilt. Nur die Kinder 
des Gehorſams tragen gute Früchte. Sie wurden näm⸗ 
lich gepeitſcht und dann ins Gefängnis geworfen, wo ſie 
noch ſtecken. Mein Reichtum mehrt ſich, Allah ſei ge⸗ 
prieſen, von Tag zu Tag. Auch Abd el Mot iſt tot. Frage 
nicht, wo und wie! Hier ſende ich ihn Dir. Nun ſchreibe 
auch Du! Von nächſtem Freitag an blicke ich nach Süd 
und Oſt, ob Deine Antwort kommen wird. Schreibe 
deutlich, denn das Auge erblickt vieles, was der Ver⸗ 
ſtand nicht ſieht. Auch ſind zwei Zelte zerriſſen und 
mehrere Schafe verirrt. Ziehe die Schuhe aus, wenn 
Du die Moſchee betrittſt, und gib fleißig Almoſen, denn 
ich bin Dein Freund 
Barak el Kaſi, 
Emir von Kenadem.“ 


Rarl May’s 
Geſammelte Werke 


Bisherige Auflage: J Millionen Bändel 


Durch dle Wüſte 


Durchs wilde Kurdliſtan 


Don Bagdad nach Stambul 


In den Schluchten des Balkan 


Durch das Land der Sklpetaren 
Der Schut 

Winnetou. 5 Bände 

Orangen und Datteln 

Am Stillen Ozean 

Am Rio de la Plata 

In den Korbilleren 


1 15 Old Surehand. 2 Bande 
16/18 Im Lande des Mahdl. 3 Bände 


19 


Kapitän Ralman 


20 / 22 Satan und Ijcharlot. 3 Bände 


23 
24 
15 


Auf fremden Pfaden 


Welhnacht 


Am Jenjeits [4 Bände 


26/29 In Reſche des ſilbernen Löwen. 


30 


Und Friede auf Erden 


31/32 Ardiftan und Didinniftan. 


3 


Winnetous Erben [2 Bände 


ch 

Unter Gelern 

Der Schah im Silberjee 
Der Ölprinz 

Halbblut 

Das Dermächtnis des Inka 
Der blaurote Methusalem 
Die Sklavenkarawane 
Der alte Deſſauer 

Aus dunklem dann 

Der Waldſchwarze 

Zepter und Hammer 

Die Juweleninjel 
Profeſſor Ditlipupli 

Das Zauberwaſſer 
Himmelsgedanken (Gedichte) 
In Rekka 

Schloß Rodriganda 

Dom Rhein zur Mapimi 
Benlto Juarez 

Trapper Gelerſchnabel 
Der ſterbende Ralſer 


Preis geheftet je M. 3.50, 
grün gebunden mit farbigem Dedelbild 
ſe M. 5.— 


Karl⸗Ray⸗Derlag, Nadebeul bel dresden 


n 


Karl-May-Jahbrbüdher 1918, 1919 und 1920 
(I., II. und III. Jahrgang) ſind vergriffen. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1921. IV. Jahrgang. 


384 Selten. 6 Kunſtdruckbilder. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1922. V. Jahrgang. 


368 Selten. 6 Kunſtdruckbilder. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1923. VI. Jahrgang. 


384 Selten. 8 Kunſtdruckbilder. 


Rarl⸗May⸗Jahrbuch 1924. VII. Jahrgang. 


368 Seiten. 10 Runſtdruckbilder. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1925. VIII. Jahrgang. 


368 Selten. 12 Kunſtdruckbilder. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1926. IX. Jahrgang. 


480 Selten. 20 RKunfdrudbilder. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1927. X. Jahrgang. 


496 Selten. 23 Kunſtdruckbilder. 


Karl⸗May⸗Jahrbuch 1928. XI. Jahrgang. 
480 Selten. 23 Kunſtdruckbilder. 

Jahrbuch 1921-1923 Preis je R. 3. —, Jahrbuch 1926-1928 Preis ſe R. 4.— 

Jeder Band mit bisher noch unbekannten Erzählungen, Gedichten und Briefen 

Karl Mays, mit zahlreichen Beiträgen, Novellen uſw. bekannter Schrlftſteller. 

Alljährlich erſchelnt ein weiteres Jahrbuch. 
Mitarbeiter find u. a.: 

Noſe v. Aichberger, Dr. Ernſt Altendorff, Ciſa Barthel⸗Winkler, Eiſenbahn⸗ 
inſpektor Alfred Biedermann, Gehelmrat Prof. Dr. Alfred Bleſe, Stadtſchulrat 
Dr. Artur Buchenau, Dr. Charlotte Bühler, Maſor a. D. Regierungsrat Max Ca⸗ 
jella, Dr. Stanz Cotnaro, Geheimer Regierungsrat Cumme, Studlenrat Dr. Adolj 
Droop, Hauptmann a. D. Dr. Reinhold Lichacker, Nedakteur Otto Sicke, Prof. 
Dr. Lduard Engel, Dr. Curt F§loerſcke, Dr. Georg F§röſchel, Rax Geißler, Rechtes 
anwalt Dr. Oskar Gerlach, Strafanſtaltslehrer Heinrich Slagel, Archivrat Haupt⸗ 
mann a. D. Guſtav Goes, Univ.-Prof. Dr. Ronrad Guenther, Prof. Dr. Ludwig 
Gurlitt, Thea von Harbou, Derlagsdirektor Wirkl. Nat Otto Hartmann, Land⸗ 
gerlchtsdirektor Dr. Albert Hellwig, Max Jungnickel, Kaplan Stanz Randolf. Tonp 
Rellen, Stemdenlegionär Max Kirſch, Prof. Wilhelm Kreis, Prof. Dr. Ritter 
Richard v. Kralik, Seheimrat Dr. Lorenz Krapp, Hauptmann Dr. Paul Ceutwein, 
Dr. Heinrich Choßky, Dr. Werner Mahrholz, Dr. Wilhelm Matthleßen. Frau Klata 
May, Amand v. Oʒorõcʒy, Prof. Dr. K. Ch. Preuß, Studienrat Strip Prüfer, Pfarrer 
W. Richter, Mittelſchulrektor Franz Rohrmoſer, Derlagsdirektor Dr. L.A. Schmld, 
Prof. Saſcha Schneider F, Gehelmer Rat Unlv.⸗Prof. Dr. Emil Sehling, Dr. Ratl 
Hans Strobl, Marine» Dberzahlmeifter a. D. Adalbert Stütz, Hauptmann Hans⸗ 
Erich v. Izſchirner⸗Bey, Hochſchul⸗Prof. Dr. Benno Wandolleck, Dr. Wolfgang von 
Welsl, Rechtsanwalt Rax Welß, Minlſt.⸗Dir. Dr. Erich Wulffen, Helnrich Serkaulen. 


Karl-May-Derlag, Radebeul bei dresden 


Rari-May-Verlag, Radebeul bei Dresden 
Preſſeſtimmen. 


So viel wird über dieſen Phantaſten geſchimpft, von Leuten, die offenbar 
ſelbſt nie weiter gekommen ſind, als Cooks Reiſeführer ſie geleitet hat, 
daß es mir ein Bedürfnis iſt, einmal die Wahrheit feſtzuſtellen: lch kenne 
kein einziges Buch und keinen einzigen Autor, der über den Orient ſoviel 
Richtiges geſchrieben, der feinen Geiſt fo einſichtig erfaßt und fo ſicher dar» 
geſtellt hat wie dieſer Mann, der an ſeinem Schreibtiſch, unter Benutzung 
einer gewaltigen Bibliothek und unter taktſicherer Nusſcheidung der fal⸗ 
ſchen Berichte über ſien ſeine komane entwarf. Wo ich auf meinen Reiſen 
die Spuren der Helden Rarl Mays kreuzte, fand ich — heute, Anno 19271 — 
die Welt und die Menſchen noch immer ſo, wie ich ſie von der Zeit her, da 
ich unter der Schulbank heimlich den „May“ las, in Erinnerung behalten 
hatte. Und dasſelbe ſagten mir alle Deutſchen, die ich hier im Oſten traf: 
Ronfuln und frchäologen und Kaufleute. Und einer — ein ſehr ehrbarer 
Univerſitätsprofeſſor — geſtand mir errötend, daß ihm eigentlich vor dreißig 
Jahren der Karl May mehr vom wahren Orient gegeben hatte als alles, 
was er ſeither darüber zu leſen verpflichtet war 

Dr. Wolfgang von Weill, Berichterſtatter der, B. 53. am Mittag“. 


Was auch die ſtolze Citeraturwiſſenſchaft und das ſelbſtbewußte Tages⸗ 
urteil über Karl May ſagen oder ſchelten mag, eins müſſen fie alle laſſen 
ſtahn: Er iſt ſeit reichlich vierzig Jahren der meiſtgeleſene deutſche Erzähler, 
wobei nicht zu vergeſſen, daß er auch der meiſtüberſetzte iſt, daß alſo ſeine 
Ceſer über faſt alle Länder des Erdballs verſtreut find. Karl May iſt ein 
Volksſchriftſteller mit außergewöhnlicher Verbreitung; es kann daher nicht 
gleichgültig fein, in welcher Sprachform feine Werke zu den Millionen ſpre⸗ 
chen. Karl Mays Deutſch nahm es von jeher an Reinheit mit 
dem unſerer berühmteſten Erzähler und Wiſſenſchafter auf. 

Prof. Dr. eduard engel im Rarl-May-Jabrbub 1926. 


lch bin ein alter Freund der May-Bände, weil dieſe, ſittlich und relis 
giös vollkommen einwandfrei, ein vielbegehrter Beſtandteil jeder Jugend⸗ 
bibliothek find. Selbſt der Mann im Ernft des Lebens greift in Muße⸗ 
ſtunden gerne wieder zur Lieblingslektüre der Jugend und verſteht, je 
länger, je mehr, die Intention des leider vielverkannten Verfaſſers auch 
pfychologiſch zu würdigen. 

Anſtaltsgeiſtlicher Anton Moos bammer, Münden. 
lch habe mit Freuden eine Anzahl Rarl-May-Bände für die Diviſions⸗ 
bücberei ausgepackt; wenn ich nur mehr davon hätte! 

Diviſionspfarrer Rieger im „Stuttgarter Neuen Tagblatt“. 
Karl May war die flatternde Sahne unſerer erſten Jüng- 
lingszeit. Er lockte die Phantaſie mit heldenmütigen Taten, er befries 
digte aber auch das Gerechtigkeitsgefühl durch den Sieg des Guten und 
den Untergang des Böſen. „Defter Lloyd“, Budapeſt. 
Mays Werke ftehen turmhoch über den gewöhnlichen Skalp-, Büffel⸗ 
und ſonſtigen Jägererzäblungen. Cebhafteſte Ppantaſie und gefällige 
Darſtellung vereinigen ſich hier mit einer vielſeitigen Bildung, und den 


; 27 ei N . er 
Bintergrund der wilden Abenteuer bildet eine ernſte Cebensauffaſſus 
und gründliche Kenntnis der geograpbifcben und etbnograpbijcben De 
Alles für die Jugend Anjtößige iſt ſorgfältig vermieden, obgleich May: 
Werke nicht etwa bloß für dieſe beſtimmt ſind; viele taufend Erwadfeng 
haben aus dieſen bunten Bildern ſchon Erholung und Belehrung im reich 
ſten Maße geſchöpft.. „Rölnifbe Volkszeitung.“ 
Die Werke Karl Mays haben den großen Vorzug, daß fie auch vos 
Erwachſenen gern geleſen werden. In der Tat macht es ſogar de 
. Gebildeten Freude, dem Reiſedichter durch die intereſſant, anſchauli 
und wahr geſchilderten Gebiete der Prärien, der Wüſten und Steppen 3 
folgen, und gar mancher hat ſich noch in ſpätem Alter an der Phantaſié 
Old Shatterhands erfreut. 5 „Berner Tagblatt.‘ 


lch wollte nur feſtſtellen, daß ich als Lehrer an einem Gymnaſium eind 
durchaus achtbare, freudige und im guten Sinne jtrebfame Jugend fü 
Rarl Mays Schriften geradezu begeiſtert fand ... Die große herriſch 
paß, dieſes Mannes, feine Rumanität und ſelbſtbewußte Mann 
aftigkeit hat es der Jugend angetan ... Jetzt iſt er tot; jetzt wir 
wohl allmählich ein gerechtes Urteil über die phantaſiereiche, ſpannend 
und witzige Erzäblerkunft dieſes intereſſanten Menſchen Platz greifen: 
Prof. Dr. Ludwig Gurlitt im „Allgemeinen Beobachter 
Karl May iſt nicht nur einer der erfolgreichſten, ſondern auch einer def 
einflußreichſten deutſchen Volksſchriftſteller, und man darf ihm für das 
20. Jahrhundert ein blühendes Leben prophezeien. Er war durch und in 


Romantiker, und daraus erklärt ſich die Begeiſterung des Volkes für ihn 
Max Geißler in feinem „Führer durch die deutſche Literatur des 20. Jabrh.“ 


Einer Umfrage des Bergbaulichen Vereins für den Oberbergamtsbezirk 
Dortmund entnehmen wir, daß die Benutzung einer 3ecbenbibliotbek 
erheblich nachgelaſſen hatte, weil „die Zechen verwaltung es verſäumte; 
die wegen ſtarken Verſchleißes ausgeſchiedenen Schriften Karl Mays 
neu einzuſtellen“. „Der Bibliothekar“) 
Rarl May ift ein ganz prächtiger Menſch, der in feine erzählungen einen 
guten ethiſchen Kern, Vaterlandsliebe, Bumanität und einen ges 
ſunden Nationalſtolz legte. lch bin der fnſicht, hätten wir ihn nicht, ſ 
müßten wir nach einem, der ihm zumindeſt ähnlich iſt, auf die Suche gehen! 

Roſeggers „Heimgarten“ 
Rarl May hat das Verdienſt, Amerika „entdeckt“ zu haben; die zauberiſchen 
Schönheiten des Wilden Weſtens, ſeine tiefeingefreſſenen Schluchten, ſeine 
weiten Seen, ſeine dampfenden Geiſer .. Mays Naturbeſchrei- 
bungen ſind Peiſterſtücke der Schilderungskunſt und verdienen 
deshalb alle Beachtung. g „Ros mos“, Bandweiſer f. Naturfreunde. 


Man iſt endlich dazugekommen, in ruhiger, objektiver Weiſe dem ſeltenen 
Talent gerecht zu werden. Darüber iſt ſich ſedenfalls die Kritik einig, daß 
mit Karl May eine unerſchöpfliche Phantaſie, ein Reichtum an Er⸗ 
findung, ein Talentdramatiſcher Erzählweiſe dahingegangen ift... 
Die flusſtattung der Bände iſt ganz vortrefflich. Wir ſind überzeugt, daß 
man ſie auch heute der reiferen Jugend in die Band geben kann und daß 
ie dort ebenſowenig Schaden anrichten werden wie in unferen Jugend⸗ 
agen, da wir dieſe Bücher „verſchlangen“. „deutſches cebrerdlatt“.